Skip to main content

Full text of "Geschichte der deutschen Sprache"

See other formats


HANDBOUND 
AT  THE 


UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


GESCHICHTE 


DER 


DEUTSCHEN  SPRACHE 


VON 


JACOB  GRIMM. 


ZWEITER   BAND. 


VIERTE  AUFLAGE.  \^ 


f^"'' 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  S.  HIRZEL. 
1880. 


Druck  von  Hundertstund  &  Pries  in  Leipzig. 


XXI. 
HESSEN  UND  BATAYEN. 


Dasz  ich  von  den  Hessen  ausführlicher  handle  als  dieses  buches  565 
ganzer  anläge  gemäsz  scheint,  wird  keinen   der  mich  kennt  verwun- 
dern,   da   ich    an   meiner   heimat,  in  der  meines  bleibens  nicht  war, 
immer  lebhaft  hieng  und  noch  hänge. 

Die  Hessen  sind,  auszer  den  Friesen,  der  einzige  deutsche  volks- 
stamm,  die  mit  behauptetem  altem  namen  bis  auf  heute  unverrtickt 
an  derselben  stelle  haftet,  wo  seiner  in  der  geschichte  zuerst  erwähnt 
ward,  denn  wenn  schon  der  Sueven  name  aus  frühster  zeit  fortbe- 
steht, sind  doch  ihre  sitze  weiter  gesteckt  und  veränderlicher  gewesen, 
dies  in  seinem  beginn  unvordenkliche,  mit  dem  volksgefühl  verwachsne 
einhaben  angestammter  statte  ist  ein  vortheil,  aus  welchem  mehr  als 
eine  tugend  flieszt.  auch  die  Hessen,  gleich  den  übrigen  Deutschen 
müssen  einmal  in  ihre  landstriche  eingewandert  sein;  aber  wann  und 
unter  welchen  umständen  es  geschah  weisz  die  geschichte  nicht,  nur 
reicht  ihre  ankunft  lange  hinaus  über  Caesars  zeit,  der  die  erst  von 
den  Chatten  ausgewanderten  Bataven  bereits  auf  der  insel  des  Nie- 
derrheins kennt. 

Caesar  selbst  nennt  die  Chatten  nie ;  allein  nur  sie  gemeint  haben 
kann  er  unter  den  Sueven,  die  er  als  nachbarn  der  Cherusken  im 
bakenischen  walde  schildert  (s.  491),  unter  den  Sueven,  von  welchen 
er  4,  16  die  Ubier  gedrängt  werden  läszt,  wie  sie  bei  Florus  mit 
Cherusken  und  Sigambern  ungemachte  beute  theilen  (s.  521).  es  566 
flieszt  daraus  für  unsre  Untersuchung  gleich  der  wichtige  satz,  dasz 
die  Chatten  ein  hochdeutscher,  zu  den  Sueven  nah  gehöriger  stamm 
sind  (s.  494). 

Ich  will  dafür  einen  beweis  aus  unscheinbarer  volkssage  führen, 
den  ich  nicht  gering  schätze,  noch  heute  nennt  man  in  ganz  Deutsch- 
land, ohne  zu  wissen  warum,  beide  die  Hessen  und  Schwaben  ""blinde', 
und  wer  etwas  nicht  gesehn  hat,  das  andern  in  die  äugen  fiel,  wird 
auf  der  stelle  "^ein  blinder  Hesse'  gescholten.  besonders  ist  diese 
schelte  den  sächsischen  oder  westfälischen  nachbarn  der  Hessen  zur 

25** 


394  HESSEN 

band;  ich  finde  aber  auch,  dasz  die  Niedersachsen  im  16.  jh.  den 
Hessen  den  beinamen  "^Hundhessen  ertheilten,  was  man  auf  den  hund- 
ähnlichen löwen  der  hessischen  fahne  bezog*,  ein  müUer  zu  Affoltem 
nannte  die  hessischen  Soldaten  im  j.  1622  'blinde  hundehessen, 
Schelme,  diebe  und  räuber  ,**  Süddeutschen  und  Schweizern  müssen 
die  Schwaben  herhalten:  ""blinder  Schwab'  ist  schweizerisches  Sprich- 
wort (Kirchhof er  s.  94).  'ei  ist  es  wahr ,  heiszt  es  in  Nefflens  vetter 
aus  Schwaben  s.  166,  'dasz  die  bauern  in  Schwaben  zehn  tage  blind 
bleiben  nach  der  geburt?  mein  groszvater  sagte  mirs,  er  war  in 
Schwaben  einmal  gar  lange  im  quartier .  Leonh.  Thurneiser,  der  be- 
kannte Baseler  arzt,  schreibt  3,  147  (im  j.  1584):  'schwäbische  art; 
welche  geschlecht  der  menschen  nach  der  geburt,  wie  man  vermeint, 
neun  tage  als  die  hunde  blind  ligen  sollen.'  Was  so  tief  in  scherz 
und  ernst  des  volks  wurzelt,  kann  nicht  anders  sein  als  uralt,  und 
ich  zweifle  nicht,  dasz  im  dreizehnten  und  neunten  jh.  dieselben 
redensarten,  vielleicht  nur  verschieden  gewendet  und  ausführlicher 
entwickelt  aus  dem  munde  der  leute  giengen. 

Wie  sie  nun  deuten?  schon  Moser  läszt  die  frage  auf  werfen 
567 und  nicht  uneben  beantworten***,  es  konnte  selbst  Römern,  die 
den  namen  Chatti  oder  Catti  hörten,  einfallen  ihn  mit  catus,  catulus, 
catellus  und  catta  zu  vergleichen  (s.  38.  39);  ich  weisz  nicht,  wann 
zuerst  in  unserm  mittelalter  aus  Melibocus,  bei  Ptolemaeus  ro  MriU- 
ßoüov  OQog,  die  Vorstellung  Cattimelibocus  und  der  deutsche  name 
der  grafen  von  Katzenellenbogen  sich  erzeugte,  in  deren  gebiet  ein 
Malchenberg  (mallobergus)  diese  anwendung  erleichterte,  in  deren 
fahne,  wie  in  allen  hessischen,  der  löwenhund  warf.  Dieser  einklang 
erklärt  aber  blosz  den  hessischen  namen,  nicht  den  schwäbischen, 
es  ist  an  sich  völlig  unwahrscheinlich,  dasz  aus  dem  lateinischen 
witz  die  deutsche  sage  und  schelte,  die  Schwaben  und  Hessen  in 
gemeinschaft  schon  auf  sich  nehmen  dürfen,  entsprungen  sei. 

*  Lüntzels  hildesheimische  stiftsfehde  s.  36.  38.  39. 
**  Rommels  hess.  geschichte  7,  202. 

***  Mosers  werke  5,  26:  ich  weisz  nicht  wie  die  rede  eben  auf  dieblin- 
den Hessen  fiel,  als  jemand  fragte,  woher  es  doch  in  aller  weit  kommen 
möchte,  dasz  man  die  Hessen  bhnd  nennt,^  da  doch  diese  nation  gewis  eine 
der  scharfsichtigsten  in  Deuschland  sei?  'o'  rief  der  alte  präsident  von 
Z  .  .  .  aus,  'das  will  ich  ihnen  wol  sagen:  die  Hessen  hieszen  ehmals  Rat- 
ten oder  Khazzen,  woraus  zuletzt  Hessen  geworden;  und  es  ist  sicher  eine 
anspielung  auf  die  blinde  geburt  der  katzen,  dasz  man  die  Hessen  mit  jenem 
sobriket  beehrt  hat,  welches  itzt,  da  die  Hessen  nicht  mehr  Khazzen  heiszen, 
ganz  wegfallen  sollte.  Wahrscheinlich  haben  die  Cherusker,  die  mit  den 
Katten  in  beständigem  kriege  lebten,  jenes  sobriket  zuerst  aufgebracht.' 
t  oder  auch  katze  (Zeitschrift  des  hess.  Vereins  4,  13).  Heinrich  I  er- 
scheint in  der  zweiten  hälfte  des  eilften  jh.  als  ältester  Graf  von  Katzen- 
ellenbogen; eines  seiner  nachfolger  gedenkt  Walther  von  der  Vogel  weide 
81,  6.  Übergang  aus  dem  M  in  N  war  natürlich  und  gebir^sgestalten  nach 
thieren  zu  benennen  üblich.  Rühs  in  seiner  gesch.  des  mittelalters  s.  621 
versichert  höchst  naiv:  der  name  kommt  nicht  von  den  Chatten,  sondern 
von  dem  alten  schlosz  Katzenellenbogen,  das  ist  als  behauptete  man,  der 
name  Böhmen  komme  von  Bojohemum,  nicht  von  den  Bojen. 


HESSEN  ^H^^V        395 

Sichersten  aufschlusz  gewährt  uns  also  der  mythus  von  den 
Weifen,  der  sich  unter  Baiern,  Schwaben  und  Hessen,  wie  wir  s.  468 
sahen,  wahrscheinlich  auch  bei  Skiren  und  Eugiern,  in  wechselnder 
Überlieferung  seit  uralter  zeit  entfaltet  hat ;  er  scheint  mir  hochdeutscher 
abstammung  volles  zeichen.  Die  an  manchen  orten  auftauchende  sage  568 
meldet  von  drei,  sieben,  zwölf  auf  einmal  gebornen  knäblein,  die,  weil 
sich  ihre  mutter  fürchtete,  oder  eine  böse  schwieger  es  veranstaltete, 
ausgetragen  und  ersäuft  werden  sollten,  durch  dazwischenkunft  des 
vaters  aber,  dem  man  sie  für  blinde  weifer*  angab,  zur  rechten  stunde 
gerettet  wurden,  hiernach  empfangen  sie  den  namen  Weife,  Hunde 
oder  Eitelwelfe,  Eitelhunde  und  werden  stammherrn  berühmter  ge- 
schlechter, auch  die  abweichung  kommt  vor,  dasz  man  die  neugebornen 
drillinge  dem  priester  spöttisch  als  hunde  oder  weifer  zur  taufe  darge- 
tragen habe.  Mir  scheint  nun,  dasz  ein  solcher  mythus  schon  in  ältester 
zeit  von  einem  urahnen  der  Sueven,  Hessen  und  Baiern  umgieng,  und  der 
ihm  angewiesne  name  sich  nicht  nur  in  seinen  söhnen  und  nachkommen, 
mit  sagenhafter  Verschiedenheit,  wiederholte,  sondern  auch  in  natürlicher 
anwendung  auf  das  gesamte  volk  fortübertragen  wurde,  und  bei  dem  volk 
blieb  zuletzt  der  Vorwurf  weifischer  blindheit  hängen.  Es  mag  sein, 
dasz  das  alterthum  zugleich  von  einem  wirklich  blind  gebornen  beiden, 
wie  sonst  von  stummen  oder  tauben  zu  erzählen  wüste,  dem  hernach 
äugen  und  zunge  gelöst  wurden  und  der  dann  um  so  gewaltiger  er- 
schien**; ein  solcher  kann  davon  den  namen  Weif,  Welfo,  wie  der 
langobardische  Lamissio  von  der  "^lama'  (piscina),  in  welche  er  ausge- 
setzt war,  erhalten  haben,  huelf  bezeichnet  eigentlich  catulus  (s.  39), 
wird  aber  gleich  diesem  auf  die  blindgebornen  jungem  der  löwen, 
wölfe  und  katzen  erstreckt,  und  weil  durch  abstumpfung  der  form 
huelf  in  weif  scheinbare  ähnüchkeit  mit  wolf  hinzutrat,  so  begreift  es 
sich,  dasz  in  hochdeutscher  heldensage  auch  der  wolf  eine  grosze 
rolle  spielt.  In  solchem  sinn  werden  also  die  Wolfunge  den  Weifen 
identisch,  und  Wolfdietrichs  name  findet  die  nebenbedeutung,  dasz  er 
als  neugebornes  kind  von  einem  wolf  in  den  wald  getragen  wird, 
im  Wappen  schwäbischer  und  hessischer  geschlechter  konnten  sich  die 
weifer  von  selbst  zu  löwen  umgestalten,  wo  nicht  hunde  und  wölfe  569 
schon  im  namen  blieben,  wie  bei  den  hessischen  Hunden  von  Holz- 
hausen und  Wölfen  von  Gudenberg.  Mit  dieser  Übereinkunft  hessischer 
und  schwäbischer  sagen  und  namen  ist,  wie  micht  dünkt,  jene  uralte 
gemeinschaft  der  Chatten  und  Sueven  nicht  wenig  bestärkt  worden***. 

Sie  rechtfertigt  sich  auch  durch  die  bald  freundliche,  bald  feind- 
liche berührung,  in  welche  schon  zu  Caesars  zeit  und  nachher  solche 
suevische  Chatten  ihre  östliche  läge  mit  den  niederrheinischen  Sigambern 

*  vgl.  Plinius  8,  40. 

**  in  der  edda  ist  Helblindi  eines  wolfs  und  zugleich  Odins  name. 
***  in  andern  mythen   erscheint   Verschiedenheit,    wie  sie  selbst  unter 
mehrern   suevischen  stammen  obwalten  mochte,  z.   b.  in  dem  hessischen 
Holle  und  schwäbischen  Berthacultus,  falls   sich  nicht  durch  die  schwä- 
bische Hildaberta  (mythol.  s.  255)  sogar  beide  einigen. 


396  HESSEN 

und  den  Cheruskern  zwischen  der  Weser  und  Elbe  brachte.  Was 
den  älteren  Schriftstellern  hier  noch  Sueven  heiszt,  geht  allmählich 
in  den  genaueren  namen  der  Chatten  über.  Sueven  und  Sigambern 
waren  es,  die  römisch  gesinnten  Ubiern  feindlich  entgegentraten.  Als 
12  j.  vor  Chr.  Drusus  durch  das  land  der  Sigambern,  die  damals 
mit  den  Chatten  überwerfen  waren  (Dio  Cass.  54,  23),  bis  zur  Weser 
gedrungen  war,  scheint  diese  gefahr  die  Deutschen  schnell  wieder  geeint 
zu  haben  und  bei  Arbalo  setzten  sie  dem  weichenden  feinde  sich  zur 
wehr;  doch  der  sieg  blieb  den  Römern,  deren  feldherr  festen  anzu- 
legen bedacht  war,  im  sigambrischen  lande  Aliso,  im  chattischen 
dicht  am  Rhein,  einige  jähre  später  fiel  er  nochmals  über  verbündete 
Chatten  und  Sigambern  (Dio  Cass.  54,  36).  ein  dritter  feldzug,  der 
im  j.  9  vor  Chr.  mit  des  Drusus  tode  endigte,  war  noch  tiefer  in 
das  chattische,  cheruskische  und  markomannische  gebiet  vorgerückt: 
Ttgo^ld^B  ^B%Qi  rijg  Uovrjßiag  sagt  Dio  Cassius  55,  1,  der  sonst 
Chatten  von  den  Sueven  unterscheidet,  im  auszug  der  verlornen 
bücher  des  Livius  heiszt  es  138:  Tencteri,  Chatti  aliaeque  Germano- 
rum  trans  Rhenum  gentes  subactae  a  Druso  referuntur;  bei  Pedo 
(oben  s.  521)  sind  an  der  Chatten  stelle  wiederum  Sueven  genannt. 
570nian  erkennt  deutlich  wie  sich  diese  nam^n  vertreten;  wenn  Tacitus 
Germ.  38  behauptet:  Suevorum  non  una  ut  Chattorum  Tencterorumve 
gens,  majorem  enim  Germaniae  partem  obtinent,  propriis  adhuc 
nationibus  nominibusque  discreti,  quamquam  in  commune  Suevi  vocen- 
tur,  so  können  hiernach  zwar  die  Sueven  nicht  Chatten,  wol  aber 
die  Chatten  Sueven  heiszen. 

Im  ganzen  ersten  jh.  flieszt  die  künde  von  den  Chatten  reicher, 
als  in  den  folgenden,  und  den  Cherusken  zur  seite  treten  sie  als  eins 
der  bedeutendsten  und  tapfersten  deutschen  Völker  auf.  Zwar  dem 
Strabo,  der  uns  den  chattischen  namen  neben  Livius  zuerst  ausspricht, 
erscheinen  die  Sueven  als  das  gröszte  unter  allen  (^syiötov  tcov 
Zlotjßav  sQ'vog)  vom  Rhein  bis  zur  Elbe;  EvdBsöTBQtt  tb'vt]  yigfia- 
VLnä  sind  ihm  Cherusken,  Chatten,  Gambrivier  (d.  i.  Sigambern)  und 
Chattuarier.  Plinius  4,  28  ordnet  dem  herminonischen  hauptstamm 
unter :  Sueven,  Hermunduren,  Chatten  und  Cherusken.  Tacitus  aber, 
nachdem  er  von  den  Bataven  und  Mattiakern,  die  beide  chattischer 
abkunft  sind,  und  den  undeutschen  bewohnern  des  zehntlandes  geredet 
hat,  ergieszt  sich  (Germ.  30)  in  das  lob  der  Chatten,  ihr  gebiet  ist 
kein  flaches  und  sumpfiges,  sondern  hügeliches  land,  das  sich  vom 
herkynischen  wald  gegen  den  Rhein  erstreckt:  et  Chattos  suos  saltus 
hercynius  prosequitur  simul  atque  deponit.  Duriora  genti  corpora, 
stricti  artus,  minax  vultus  et  major  animi  vigor;  multum  ut  inter 
Germanos  rationis  ac  sollertiae,  was  an  ihren  kriegerischen  tugenden 
näher  entfaltet  wird,  omne  robur  in  pedite,  im  gegensatz  zur  ge- 
rühmten tenctrischen  reiterei;  was  bei  andern  Deutschen  selten  wahr- 
genommen wird,  ist  bei  ihnen  allgemeiner  brauch:  ut  primum  adole- 
verint,  crinem  barbamque  submittere,  nee  nisi  hoste  caeso  exuere  vo- 
tivum  obligatumque  virtuti  oris  habitum.     super  sanguinem  et  spolia 


HESSEN  397 

revelant  frontem,  seque  tum  demum  pretia  nascendi  retulisse  dignos- 
que  patria  ac  parentibus  ferunt.  ignavis  et  imbellibus  manet  squa- 
lor.  Es  ist,  als  höre  man  im  epos  erzählen,  wie  der  held,  auf  dem 
erlegten  feind  stehend,  seines  gelübdes  endlich  ledig,  sich  die  langen 
haare  aus  der  siegesfrohen  stirn  streicht;  der  zug  begegnet  öfter  in 
lied  und  sage,  dasz  einer  durch  gelübde  verbunden  ist  haar  und  bart^'^l 
wachsen  zu  lassen,  bis  ein  kämpf  gefochten  oder  räche  genommen 
sei.*  gleich  feiglingen  zeigen  sich  die  unerledigten  mit  zottigem,  un- 
gepflegtem haarwuchs.  erst  der  sieger  darf  seine  stirne  aufräumen, 
und  die  locken,  nach  suevischer  weise,  oben  zusammenschürzen.  Aber 
noch  ein  andres  zeichen  wird  namhaft  gemacht:  fortissimus  quisque 
ferreum  insuper  anulum,  ignominiosum  id  genti,  velut  vinculum  ge- 
stat,  donec  se  caede  hostis  absolvat;  plurimis  Chattorum  hie  placet 
habitus,  jamque  canent  insignes  et  hostibus  simul  suisque  monstrati. 
omnium  penes  hos  initia  pugnarum,  haec  prima  semper  acies,  visu 
nova.  nam  ne  in  pace  quidem  vultu  mitiore  mansuescunt.  nulli 
domus  aut  ager  aut  aliqua  cura;  prout  ad  quemque  venere  aluntur; 
prodigi  alieni,  contemptores  sui,  donec  exsanguis  senectus  tam  durae 
virtuti  impares  faciat.  Diese  in  der  schlacht  vorkämpfenden,  ohne 
haus  und  hof  lebenden,  aber  wo  sie  hinkommen  vom  volk  unter- 
haltnen  tapfersten  krieger  haben  einige  ähnlichkeit  mit  den  nordi- 
schen berserkern  wie  mit  einzelnen  zügen  des  ritterlebens  im  mittel- 
alter  und  der  noch  späteren  landsknechte.  Der  schimpfliche  eiserne 
ring  gemahnt  merkwürdig  an  die  fpogßHci  oder  pferdehalfter ,  die 
nach  einem  alten  gesetz  in  Makedonien  umgürtet  tragen  muste  wer 
noch  keinen  feind  erlegt  hatte**,  vielleicht  auch  an  das  satteltragen 
in  unserm  mittelalter  (RA.  718)  und  die  circuli  ferrei  (RA.  710), 
nur  dasz  dies  alles  zur  strafe  auferlegt,  die  fessel  des  eisenrings  frei- 
willig von  den  mutigsten  erwählt  wurde,  um  sich  durch  den  schein 
der  Schmach  zu  gröszeren  thaten  anzutreiben. 

Diese  Schilderung  der  Chatten  konnte  Tacitus,  dem  ihre  geschichte 
fast  bis  zum  ausgang  des  ersten  jh.  vorlag,  im  allgemeinen  aufstellen;  572 
seine  übrigen  Schriften  berühren  aber  hin  und  wieder  im  einzelnen, 
was  bei  ihnen  vorgieng. 

Des  Yarus  niederlage  im  j.  9  nach  Chr.  trachtete  Germanicus 
sieben  jähre  später  zu  rächen;  er  überfiel  mit  ansehnlicher  macht 
unversehens  die  Chatten  an  der  Adrana,  und  verbrannte  Mattium, 
ihren  hauptort.  die  Cherusken  wurden  von  Caecina  abgehalten  den 
Chatten  beizuspringen  (ann.  1,  56). 

Gleich  im  folgenden  j.  16  muste  Silius  diesen  einbruch  ins  chat- 
tische gebiet  wiederholen  (ann.  2,  7.  25).     das  erstemal  trug  er  nur 


*  Tacitus  selbst  meldet  bist.  4,  61  von  dem  batavischen  Civilis:  bar- 
baro  voto  post  coepta  ad  versus  Romanos  arma  propexum  rutilatumque 
crinem  patrata  demum  caede  legionum  deposuit.  Paulus  diac.  3,  7;  sex 
millia  Saxonum  devoverunt,  se  neque  barbam  neque  capillos  incisuros,  nisi 
se  de  hostibus  Suavis  nlciscerentur.' 

**  Aristoteles  polit.  VII.  2,  6. 


398  HESSEN 

geringe  beute  davon,  nahm  aber  äes  chattischen  fürsten  Arpus  ge- 
mahlin  und  tochter  gefangen,  die  beim  zweitenmal  entfaltete  römische 
Streitkraft  von  30,000  fuszgängern  und  3000  reitern  gestattet  einen 
schlusz  auf  die  chattische  bevölkerung,  gegen  welche  ein  so  bedeu- 
tendes beer  auszusenden  nöthig  schien. 

Im  jähr  17  sah  Rom  den  groszen  triumph,  durch  welchen  des 
Germanicus  unvollendete  siege  über  die  Deutschen  gefeiert  wurden; 
es  heiszt  bei  Tac.  ann.  2,  43:  triumphavit  de  Cheruscis  Chattisque 
et  Angrivariis,  quaeque  aliae  nationes  usque  ad  Albim  colunt.  vecta 
spolia,  captivi,  simulacra  montium,  fluminum,  proeliorum;  bellumque 
quia  conficere  prohibitus  erat,  pro  confecto  accipiebatur.  in  diesem 
Schaugepränge,  das  uns  Straljo  p.  291.  292  unmittelbar  aus  seiner 
zeit  näher  schildert,  musten  auch  die  gefangnen  deutschen  fürsten 
mit  ihren  frauen  und  kindern  einhergehn :  darunter  'Pa^ig,  OvXQO^v- 
gov  ^tJfccTijQ  ^y^fiovog  Xarrcov,  dem  cheruskischen  söhne  Segimers 
Sesithak  vermählt,  welchen  OvKQOixvQog  aber  Tacitus  ann.  11,  16. 
17  Actumerus  nennt;  wahrscheinlich  auch  jene  frau  und  tochter  des 
Arpus,  endlich  Alßrig  tav  Xccxrov  iegevg,  vielleicht  der  ahd.  name 
Liupo;  dieser  priester  muste  unter  dem  volk  in  ansehn  gestanden 
haben,  weil  ihn  der  römische  pomp  gleich  den  fürstlichen  geschlech- 
tern  hervorhob.  Dasz  die  Chatten  auszer  priestern  auch  weissagende 
frauen  (alahtrudi  s.  563)  hatten,  wie  die  Bructerer  Velleda,  lehrt  eine 
'chatta  mulier',  die  dem  Vitellius,  als  er  von  Galba  nach  Deutsch- 
land gesandt  worden  war  (im  j.  68)  sein  Schicksal  verkündete  (Sue- 
tonii  Vitell.  cap.  7.  14). 
573  Zur  zeit  der  Agrippina  im  j.  50  heiszt  es  ann.  12,  57:  iisdem 

temporibus  in  superiore  Germania  (d.  i.  den  decumatischen  ländern) 
trepidatum  adventu  Chattorum  latrocinia  agitantium.  dein  Lucius  Pom- 
ponius  legatus  auxiliares  Vangiones  et  Nemetas  addito  equite  alario 
monuit  ut  anteirent  populatores  vel  dilapsis  improviso  circumfunderen- 
tur.  et  secuta  consilium  ducis  industria  müitum,  divisique  in  duo 
agmina  quae  laevum  iter  petiverant  recens  reversos  praedaque  per  luxum 
usos  et  somno  graves  circumvenere,  auctalaetitia,  quodquosdam  eclade 
variana  quadragesimum  post  annum  servitio  exemerant.  dies  dient 
zum  beweis,  dasz  die  Chatten  gegen  Varus  mitgefochten  und  die  ganze 
zeit  über  damals  gefangne  Römer  als  knechte  mit  sich  geführt  hatten, 
welche  genaue  künde  von  ihnen  zu  erth eilen  musten  diese  im  stände  sein. 

Ins  jähr  58  fällt  ein  für  die  Chatten  übel  ausgeschlagner  krieg 
zwischen  ihnen  und  den  Hermunduren  über  die  Salzquellen  (wahr- 
scheinlich der  Werra,  wo  noch  heute  Salzungen  liegt*  [aber  auch 
Allendorf]),  wovon  Tacitus  13,  57  merkwürdige  nachricht  gibt. 

Bei  dem  bata  vischen  auf  rühr  unter  Civilis  im  j.  69.  70  kann 
kein  germanischer  volksstamm  heftiger  angeregt  worden  sein,  als  die 
Chatten,  und  die  belagerung  von  Mainz  durch  Chatten,  üsiper  und 
Mattiaker  (bist.  4,  37)  hieng  ohne  zweifei  eng  damit  zusammen. 


Salzunga  in  finibus  Thuringiae  super  fluviumWisara.  Schannat  n"  454. 


HESSEN  399 

Im  j.  88,  unter  Domitian,  der  selbst  einen  heerzug  gegen  die 
Chatten  unternommen  hatte  (Suetonius  in  Dom.  6),  brach  ein  krieg 
zwischen  Chatten  und  Cherusken  aus,  in  welchem  letztere  völlig 
unterlagen,  so  dasz  Chariomer,  ihr  fürst,  bei  den  Römern,  aber  um- 
sonst, hülfe  suchte  (Dio  Cass.  Reim.  p.  1104).  Nicht  den  kämpf  selbst, 
nur  dessen  ausgang  schildert  Tacitus  Germ.  36,  offenbar  mit  zu 
grellen  färben:  in  latere  Chauchorum  Chattorumque  Cherusci  nimiam 
ac  marcentem  diu  pacem  illacessiti  nutrierunt.  idque  jucundius  quam 
tutius  fuit,  quia  inter  impotentes  et  validos  falso  quiescas ;  ubi  manu 
agitur,  modestia  ac  probitas  nomina  superioris  sunt.  Ita  qui  olim574 
boni  aequique  Cherusci,  nunc  inertes  ac  stulti  vocantur*.  Chattis 
victoribus  fortuna  in  sapientiam  cessit.  Tracti  ruina  Cheruscorum 
et  Fosi,  contermina  gens;  adversarum  rerum  ex  aequo  socii  sunt, 
quum  in  secundis  minores  fuissent.  Diese  sonst  nie  genannten  Fosi 
sollen  an  der  Fuse  gewohnt  haben,  welche  sich  in  die  Aller  gieszt 
[weisth.  3,  249.  250],  ich  denke,  die  schnellrinnende,  füsa,  ahd.  funsa? 
Aus  dem  sieg  der  Chatten  folgert  man  unsicher  eine  beträchtliche 
ausdehnung  ihres  gebiets  gegen  osten,  wie  sie  die  geographischen 
angaben  des  Ptolemaeus  zu  begehren  scheinen. 

Nach  den  bisher  gedachten  meidungen  erstreckten  sich  die  Chat- 
ten im  Westen  gegen  den  Rhein  und  an  die  Usipeten,  im  norden  an 
Tencterer,  Sigambern,  es  scheint  auch  an  eine  ecke  der  Chauchen**, 
im  osten  an  die  Weser  und  Cherusken,  im  Süden  an  Hermunduren, 
vielleicht  noch  an  andere  Sueven  und  das  decumatische  land.  des 
Volkes  kern  und  mittelpunct  lag  an  der  Adrana  (Eder,  Edder),  wo 
sie  sich  in  die  bei  Römern  nie  genannte  Fulda***  ergieszt.  dieselbe 
gegend  ist  auch  später  und  bis  auf  heute  unverändert  als  eigentlicher  575 
sitz  der  Hessen  angesehn  worden,  welche  die  Werra  von  den  Thüringen, 
ein  dorf  Wolfsanger  an  der  Fulda  unweit  Cassel  von  den  Sachsen 
schied  [Landau  Hessengau  75].     Ptolemaeus  aber  in  der  ersten  hälfte 

*  galten  solche  beinamen  in  gutem  und  bösem  sinn  unter  den  Deut- 
schen selbst,  so  kann  es  nicht  befremden,  dasz  frank  (s.  513.  519.  522) 
und  quad  (s.  507)  in  förmliche  namen  übergiengen. 

**  Chauchorum  gens  in  Chattos  sinuatur.  Germ.  35.  hatten  sich  die 
Chauchen  einen  schmalen  streif  an  der  Weser  mitten  durch  cheruskisches 
land  errungen?    oder  ist  für  Chauchorum  zu  lesen  Chamavorum? 

***  auch  der  geographus  ravennas  nennt  sie  nicht,  vor  dem  achten  jh. 
wird  der  name  Fuldaha,  Fulda  kaum  erscheinen :  fuldense  monasterium  fun- 
dari  coeptum  a  Bcaifacio  anno  744  (Pertz  1,  345).  nun  läszt  er  sich  zwar  ab- 
leiten vom  ahd.fulta  terra  und  bedeutet  einen  landflusz  (fultaha)  [Roth  beitr. 
1,13],  wozu  die  alte  Schreibung  Fulta  (MB.28»,  I  a.  777  und  Pertz  2, 83)  stimmt, 
das  D  ist  dem  alts.  folda,  ags.  folde  gemäsz.  Da  sich  aber  slavische  ansiedier 
den  Main  entlang  bis  ins  Fuldische  niederlieszen;  so  darf  auffallen,  dasz  auch 
die  böhmische  Moldau  den  Slaven  selbst  Wltawa,  Wletawa  heiszt  und  in  den 
ann.  fuld.  beiPertzl,385  Fuldaha,  Waldaha  eben  dieseMoldau  meint;  im  rus- 
sischen bezirk  Minsk  ergieszt  sich  ein  flusz  Volta,  Velta  in  die  Dwina.  Oder 
begegnen  sich,  noch  höher  hinauf,  sogar  die  Wörter  folda  terra  (finn.  peldo 
ager,  arvum)  und  molda  terra  (finn.  mulda,  multa)  ahd.  molda?  in  der  edda 
Ssem.  94»  ist  foldvegr,  was  240»  moldvegr.  M  und  F  können  leicht  neben  und 
für  einander  eintreten,  wie  sonst  M  und  B  (Massel  und  Bassel,  weisth.  2,  516). 


440  HESSEN 

des  zweiten  jh.  rückt  die  Chatten  ostwärts  vor,  fast^in  das  heutige 
Thüringen,  zwischen  Chamaven  und  Tubanten,  welche  ganze  Stellung, 
wie  die  der  langobardischen  Sueven,  bei  ihm  verfehlt  oder  vielfach 
dunkel  scheint;  es  gebricht  uns  an  genauen  meidungen  über  die  läge 
und  geschichte  der  Chatten  im  laufe  des  zweiten  und  dritten  jh.,  als 
dasz  eine  berichtigung  thunlich  wäre,  wenig  aber  hat  es  für  sich, 
dasz  über  die  Weser  hinaus  im  lande  der  Cherusken  und  über  die  Werra 
hinaus  in  dem  der  Hermunduren  die  Chatten  fusz  gefaszt  haben  sollten. 

Wie  seit  Caesars  tagen  und  vorher  schon  deutsche  beere  den 
Rhein  überschritten  und  sich  auf  der  linken  seite  des  stroms  in  Gallien 
ansiedelten,  wie  einzelne  häufen  von  den  Römern  selbst  gewaltsam 
übergeführt  ihnen  befreundet  und  sogar  im  römischen  beer  verwandt 
wurden,  allmählich  dichtere  germanische  bevölkerung  dort  erwuchs, 
unter  der  im  dritten  jh.  der  fränkische  name  verlautete,  ist  in  den 
vorausgehenden  capiteln  gezeigt  worden.  Wenn  Sigambern  und  Salier 
den  wesentlichen  bestand  dieser  Franken  bildeten,  so  könnte  man  im 
voraus  erwarten,  dasz  dem  alten  zug  nach  westen  folgend  auch  Chat- 
ten in  die  fränkische  masse  getreten  wären;  den  Sigambern  standen 
sie  längst  befreundet  und  verbündet  und  dasz  die  mit  den  Saliern 
örtlich  sich  berührenden  Bataven  aus  der  Chatten  schosz  hervorge- 
gangen waren,  muste  im  andenken  des  volks  unvergessen  sein,  auch 
wohnen  gerade  in  batavischer  gegend,  wie  nachher  anzugeben  ist, 
die  noch  ganz  chattisch  benannten  Chattuarii,  und  Sulp.  Alexander 
576  bei  Gregor  von  Tours  2,  9  läszt  zu  Valentinians  zeit  den  in  frän- 
kischer geschichte  neben  Sunno  auftretenden  Marcomir  (s.  519)  aus- 
drücklich als  chattischen  führer  erscheinen,  selbst  die  bei  Ptolemaeus 
neben  Danduten  und  Turonen  aufgeführten  MaQovtyyoi  leiden  ver- 
gleich mit  den  fränkischen  Merowingen  und  bezeugen  uralten  Zu- 
sammenhang zwischen  Franken,  Chatten  und  Thüringen,  dessen  die 
geschichte  dieser  stamme  vielfach  eingedenk  bleibt.  l3ennoch  scheint 
das  innere  chattische  volk  nicht  aus  seinem  Stammsitz  an  der  Eder 
gewichen,  und  weder  früher  jemals  in  die  legionen  der  Römer  ein- 
geworben*, noch  später  ein  eigentlicher  bestandtheil  des  fränkischen 
siegesheers.  Um  so  weniger  wird  sich  behaupten  lassen,  dasz  der 
name  der  Chatten,  wie  er  zuerst  in  dem  der  Sueven  begriffen  war, 
zuletzt  in  dem  der  Franken  aufgehe;  zwischen  dem  mächtig  auf- 
blühenden fränkischen  reich  im  westen  und  dem  thüringischen  im 
Südosten  erblich  der  Chatten  rühm,  nicht  ihr  name. 

Hier  liegt  es  mir  ob,  früher  angeregten  grammatischen  zweifei 
gegen  die  gleichheit  des  chattischen  und  hessischen  namens  wieder 
zu  tilgen. 

Die  Römer  schrieben  Chatti  (Strabo  und  Dio  Xarrot,  Ptolem. 
Xaztai)  ganz  nach  fränkischer  weise  (s.  543),  und  wie  Chamavi  in 
Hamaland  (s.  530)  übergieng,  muste  das  CH  in  Chatti  allmähHch  sich 


*  die  notitia  dignitatum  nennt  Bataven,  Mattiaker,  Bructerer,  Tuban- 
ten, niemals  ühatteu. 


HESSEN  ;      ^^^^V         40t 

in  H  wandeln,  auch  erscheint  in  dem  namen  eines  von  den  Chatten 
entsprossenen  nebenstamms,  auf  welchen  ich  zurückkommen  werde, 
die  form  Chattuarii  gemildert  in  Hattuarii  und  sogar  Attuarii,  wie 
wir  es  in  Charibertus  Haribertus  Aribertus,  Chilpericus  Hilpericus 
Ilpericus  fanden  (s.  544).  der  anlaut  macht  also  keine  Schwierigkeit 
und  für  Chatti  würde  ahd.  Hazzi  Hazi  ganz  in  Ordnung  sein,  denn 
auch  für  Hattuarii  begegnet  ahd.  Hazzoarii  in  den  annalen  bei  Pertz 
1,  7.  343. 

Warum  aber  erscheint  das  seit  jener  letzten  anführung  des  Sul- 
pitius  Alexander  verschollene  chattische  volk  zuerst  wieder  bei  den  577 
fränkischen  annalisten  des  achten  jh.  durchgängig  unter  der  benennung 
Hassii  oder  Hessii  und  nicht  Hazzi  Hezzii?  die  briefe  des  Bonifacius 
schreiben  'in  confinio  paganorum  Haessonum  et  Saxonum',  die  vita 
Bonifacii  Hessi  Hessorum,  die  annales  Einhardi  (Pertz  1,  153)  Hassi, 
und  so  finde  ich  überall  auch  in  dem  häufigen  aus  dem  volksnamen 
geleiteten  mannsnamen  Hassi,  Hassio,  Hesso  nur  SS,  nicht  ZZ  ge- 
schrieben: 'Hessi  unus  e  primoribus  Saxonum'  (Pertz  1,  155.  a.  775) 
'cum  Hassione'  (Pertz  1,  154).  die  heutige  Schreibung  »Hessen  ist 
also  schon  durch  die  mhd.  (Nib.  175,  1)  und  ahd.  rechtfertig,  und 
es  wäre  überflüssig  noch  mehr  belege  zu  häufen,  ein  Schwab  oder 
Baier  des  siebenten  jh.  würde  in  diesem  volksnamen  ZZ,  ein  Sachse 
TT  ausgesprochen  haben,  das  im  achten  entfaltete  SS  erklärt  sich 
aus  beiden,  und  hat  andeie  analogien:  vom  goth.  vitan  wird  das  praet. 
vissa  für  vitida,  vom  ahd.  wizzan  wissa  wössa  für  wizzita  gebildet  und 
eben  daher  entspringt  das  goth.  adj.  viss  certus,  ahd.  kiwis  gen. 
kiwisses;  aus  altn.  sitja  sedere  sess  sella  und  sessa  pulvinar.  wir 
sahen  s.  358,  dasz  auch  aus  lat.  sedeo  sessum,  aus  meto  messum  her- 
vorgieng ;  es  besteht  eine  uralte  assimilation  der  inlautenden  lingual- 
muta  in  die   spirans,   zumal  bei  geläufigen  formen  wie  eigennamen. 

Kann  hiernach  die  Verschiedenheit  der  namen  Chattus  Chatta  (und 
Chattio,  wie  Francus  Francio)  Hazzo  Hassio  Hesse  keinen  anstosz  geben, 
so  wird  auch  über  den  ursprünglichen  sinn  dieses  worts  wenig  zweifei 
bleiben;  es  ist  zurückführbar  auf  eine  eigenthümlichkeit  der  tracht, 
die  den  ganzen  volksstamm,  oder  vielleicht  den  an  seine  spitze  treten- 
den heros  und  gott  auszeichnete.  Tacitus  hebt  zwar  kein  solches 
kennzeichen  an  den  Chatten  hervor,  es  könnte  etwas  gewesen  sein, 
was  allen  Deutschen  bemerkbar,  dem  äuge  der  Römer  nicht  aufl"iel. 
ags.  heiszt  hat,  engl,  hat,  altn.  hattr  pileus,  pileolus,  galerus,  etwan 
eine  hauptbinde  und  haube,  die  sich  dem  ags.  heafela  (zeitschr.  für  d. 
alterth.  1,  136)  vergleicht;  das  ags.  häter,  mhd.  haz,  hseze  (gramm, 
3,  451)  scheint  binde  und  gewand  in  allgemeinem  sinn,  merkwürdig 
aber  führt  Odinn  selbst,  dem  wir  vorhin  (s.  568)  auch  im  Helblindi578 
begegneten,  den  namen  Höttr  pileatus  (mythol.  s.  133),  wie  der  Geten 
und  Gothen  priester  pileati  hieszen;  warum  sollte  nicht  den  chatti- 
schen yiißrjg  (s.  572)  solche  mitra  geschmückt  haben?  Höttr  wäre 
goth.  Hattus  (gen.  Hattaus)  und  hetja  heros  (myth.  s.  317)  könnte 
ihm  verwandt,  ja  unmittelbar  ein  goth.  hattja  =  ahd.  Hassio  Hesso 

Grirain,  gescUiclite  der  deatsclien  spräche.  _  26 


402  HESSEN 

sein,  so  dasz  es  unnöthig  wird,  für  die  holden  und  krieger  die  im 
hintergrund  liegende  Vorstellung  des  hauptschmucks  festzuhalten. 

Ich  weisz  kein  andres  deutsches  volk,  bei  dem  sich  so  viele  er- 
innerungen  an  das  heidenthum  eng  neben  einander  bewahrt  hätten 
wie  bei  den  Hessen,  und  zwar  gerade  in  dem  landstrich,  der  auch  als 
hauptsitz  der  Chatten  angesehn  werden  musz.  unfern  von  jener  Don- 
nerseiche bei  Geismar  lag  zugleich  ein  Wuotansberg  im  Edergrund 
wie  im  Fuldathal  bei  Rotenburg  ein  andrer  Wuotansberg  und  Grosz- 
vaterberg  (Ellerheitenberg),  dem  als  groszvater  gedachten  Donnergott 
geweiht;  es  scheint,  dasz  man  die  heiligen  örter  der  beiden  höchsten 
götter  gern  neben  einander  hegte,  wie  auch  im  Norden  ihre  bild- 
seulen  oft  zusammen  standen.  Frideslar,  zwischen  Geismar  und  Gudens- 
berg,  musz,  wie  der  name  anzeigt,  eine  gefriedete,  heilige  statte  gewe- 
sen sein;  was  Geismar  bedeutete,  entgeht  uns,  weil  aber  mehrere 
örter  dieses  namens  auf  hessischem,  engrischem  und  thüringischem 
boden  vorkommen  (die  hessischen  in  Urkunden  des  eilften,  zwölften 
jh.  chesmari,  gesmere,  geismere,  bei  Pertz  2,  825  steht  gaesmere), 
darf  man  einen  mythischen  und  chattischen  bezug  kaum  bezweifeln; 
die  Wurzel  gisan  geis  spirare,  bullire,  wovon  geist,  Spiritus,  halitus 
und  goth.  gaisjan  metu  percellere,  usgeisnan  stupere  leitet  auf  heid- 
nischen brauch  an  heiliger  quelle;  bei  Geismar  liegt  ein  Sauerbrun- 
nen, bei  Hofgeismar  ein  gesundbrunnen. 

Dicht  vor  Gudensberg  liegt  ein  dorf  Maden  (urkundlich  Mathana, 
Madana)  und  nordwärts  am  flüszchen  Rhein,  das  auch  den  namen 
Matze,  Matzof  d.  i.  Mazzaha  empfängt,  ein  andres  Metze  genanntes 
dorf;  man  hat  die  wähl,  in  welchem  von  beiden  man  das  alte,  von 
579  Germanicus  verheerte  Mattium  (nach  Tac.  ann.  1,  56  ausdrücklich  'id 
genti  Caput')  annehmen  will,  in  die  lautverschiebung,  wenn  TT  la- 
teinisch sein  soll,  fügt  sich  Mattium,  fränk.  Mathana,  ahd.  Madana; 
war  aber  das  TT,  wie  in  Chatti  fränkisch,  so  ergebe  sich  ahd.  Mazzaha. 
das  alte  volksgericht  soll  eben  zu  Maden  gesessen  haben,  nach  wel- 
chem ganz  Niederhessen  die  grafschaft  Maden  hiesz.  In  dieser  gegend 
zwischen  Eder  und  Fulda  behaupteten  sich  im  11.  12.  jh.  hessische 
grafengeschlechter  von  Maden,  Gudensberg  und  Felsberg,  auf  welche 
sich  der  geschwächte  chattische  glänz  gleichsam  zurückgezogen  hatte, 
um  neue  kraft  zu  sammeln,     noch  lange  zeit  gieng  der  spruch 

Dissen  Deute  Haldorf  Ritte  Bune  Besse, 
das  sind  der  Hessen  dörfer  alle  sesse, 

wie  sie  bis  heute  links  der  Eder  zwischen  Gudensberg  und  Cassel  fortbe- 
stehn;  es  wird  damit  der  enge  umfang  des  zuletzt  aufrecht  gebliebnen, 
aber  echten  Hessens  angezeigt.  Dissen  [Dusinun  Landau  96]  und  Deute, 
Bune  und  Besse  alliterieren.  Ritte  ist  Altenritte,  Bune  Altenbaune ;  Besse 
heiszt  in  Urkunden  Passaha*.     Man  könnte  wähnen  auch  im  namen 


*  'in  Passahe  et  Fanahe'  trad.  fuld.  ed.  Dronke  6,  112  p.  39;  in  Villis 
duabus  Ritehessis  et  Fanahessis' ibid.  6,  61  p.  37  mit  merkwürdiger  anfügung 
des  volksnamens  an  den  Ortsnamen,  wie  insgemein  aus  dem  dat.  pl.der  volks- 
namen  die  örtlichen  hervorgegangen  sind,  und  wie  'Hessen' eigentlich  bedeutet 


HESSEN.    BATTEN  403 

'assel  liege  noch  der  des  volks,  die  älteste  form  in  einer  urk.  Conrad 
des  ersten  von  913  lautet  Chasella,  Dietmar  schreibt  im  j.  1015  Cas- 
salun  (Pertz  5,  840);  doch  wüste  ich  weder  das  zutretende  L  zu 
verstehn,  noch  zu  erklären,  warum  sich  niemals  die  gestalt  Hassala 
Hessala  zeige,  anderes  bedenken  hat  die  ableitung  vom  lat.  castellum  580 
dessen  T  sonst  nicht  schwindet*,  und  keine  spur  ist  hier  von  römi- 
schen bauten,  wie  etwa  bei  dem  Cassel  gegenüber  Mainz ;  bekanntlich 
gibt  es  sonst  örter  dieses  namens,  auszer  dem  flandrischen  auch  ein 
Cassella  am  Niederrhein  (Lacorhblet  n^  97  und  117  a.  947.  974). 

Wenig  ertragen  die  von  Römern  angegebnen  chattischen  eigen- 
namen.  für  '  Adgandestrii  principis  Chattorum  lectas  in  senatu  literas, 
responsumque  esse'  bei  Tacitus  ann.  2,  88  schlug  ich  vor  [Haupt  9,  225]: 
ad  Gandestrii  literas  responsum  esse,  um  Gandestrius  fassen  zu  können 
wie  Gandaricus  (s.  478  vgl.  Gandrikes  ande  Pertz  2,  388)  und  nach 
dem  grundsatz  der  namensanalogie  in  alten  geschlechtern  auch  Arpus 
(ann.  2,  7)  zu  deuten  anas  mas,  wofür  noch  heute  in  Nieder hessen 
Erpel  gilt  (vgl.  Arbalo  s.  521).  Bei  Strabo  stehn  so  viel  entstellte 
namen;  sein  OvxQo^vQog  oder  Ovxgofi^Qog  p.  292  heiszt  dem  Tacitus 
11,  16.  17  Actumerus,  was  man  nicht  in  Catumerus  ändern  darf, 
ahd.  Ahtomäri  wäre  genere  clarus,  man  wird  auch  OvKQO^yjQog  zu 
bessern  haben  in  'ilxto^iJQog  [Haupt  9,  223.  224].  'Pa^ig  seine 
tochter  könnte  auf  Chramnis  Framnis  (s.  514)  leiten  [Haupt  7,  470], 
bei  Libius  dachte  ich  an  Liubi  (s.  572).  Man  übersehe  nicht,  dasz 
den  Chatten,  wie  den  Cherusken  und  andern  nordwestlichen  Germa- 
nen nur  principes  oder  rjyefxoveg  beigelegt  werden,  keine  reges. 

Aber  es  ist  zeit  auch  die  chattischen  nebenstämme  zu  erwägen, 
im  text  des  Strabo  heiszt  der  eben  angeführte  OvxQOfirjgog  rjyE^chv 
Bartcj}',  was  man  auf  Tacitus  bericht  hin  in  Xaträv  zu  ändern  be- 
fugt gewesen  ist,  da  es  unglaublich  scheint,  dasz  neben  Chatten  noch 
ein  andrer  nahverwandter  stamm  des  Namens  Batten  bestanden  habe, 
dessen  Tacitus  und  Dio  überall  geschweigen.  Zwar  liesze  sich  zu 
gunsten  dieser  Batten  anführen,  dasz  Strabo  auch  noch  Z!outidttoL 
beibringt,  die  sich  wie  UovyafißQOi  in  Sigubatti  auflösen  (s.  526) 
und  schon  bedenklicher  von  Zeusz  s.  89  für  Tubanten  erklärt  werden, 
noch  gröszeres  gewicht  haben  könnte,  dasz  bei  der  eingeständlichen  581 
abkunft  der  Bataven  von  den  Chatten,  solche  Batten  geradezu  Bataven 
schienen,  die  in  der  alten  heimat  zurückgeblieben  wären,  wobei  sogar 
der  Ortsname  Besse  Passaha  (s.  579)  in  betracht  käme**,  dessen  SS 


'in  Hessis',  auch  'in  Ritehessis,  Fanahessis'  nichts  sagt,  als  'in  dem  von 
Hessen  bewohnten  Ritte  und  Fenne'.  Fenne  (auch  amts  Gudensberg)  ist 
ausgegangen  [Landau  51.  52].  Dasz  diese  bauernart  etwas  auf  sich  hielt 
ersieht  man  aus  dem  liede  von  der  stolzen  braut  zu  Bessa,  gedruckt  iu 
Kornmanns  mens  Veneris  Frankf.  1614  s.  304—308;  es  ist  wol  noch  im  14.  jh. 
entsprungen  und  hält  ganz  die  neidhartische  weise  ein. 

*  es  sei  denn  im  poln.  kosciot  (spr.  kos-ziol)  kirche,  das  man  aus  castel- 
lum leitet ;  doch  dies  sc  geht  vor  i  aus  st  hervor,  wie  das  böhm.  kostel  zeigt. 
**  die  getischen  Bossen  (s.  198. 199)  anzuschlagen  wäre  verwegen,  wenn 
auch  ihr  SS  eben  so  gefaszt  werden  dürfte. 

26* 


404  HESSEN.   BATAVEN.   MATTIAKER 

aus  TT  wie  Hessen  aus  Chatten  folgte,  während  andere  örter,  z.  b. 
Battenberg  an  der  Eder  TT  festhielten;  ja  die  annales  fuld.  Enhardi 
ad  a.  715  schreiben  wirklich  terra  Bazzoariorum,  welches  Pertz  1, 
343  in  die  note  verwiesen  und  im  text  durch  Hazzoariorum  ersetzt 
hat.  ganz  darüber  abzusprechen  wage  ich  nicht,  da  es,  Batten  neben 
Chatten  vorausgesetzt,  ebensowolBattuarii  als  Chattuarii  geben  konnte. 
Der  name  jenes  chattischen  hauptortes  Mattium  führt  unmittel- 
bar auf  die  von  der  Eder  abliegenden,  westwärts  gesessenen  Mattiaci, 
deren  meidung  Tacitus  Germ.  29  einschaltet,  als  er  von  den  Bataven 
und  ihrer  Unterwürfigkeit  redet :  es  ist  in  eodem  obsequio  et  Mattia- 
corum  gens.  protulit  enim  magnitudo  populi  romani  ultra  Rhenum 
ultraque  veteres  terminos  imperii  reverentiam.  ita  sede  finibusque 
in  sua  ripa,  mente  animoque  nobiscum  agunt,  cetera  similes  Batavis, 
nisi  quod  ipso  adhuc  terrae  suae  solo  et  coelo  acrius  animantur;  das 
soll  heiszen,  sie  sind  noch  wilder,  ungezähmter  als  die  Bataven.  als 
aber  der  batavische  aufstand  ausgebrochen  war,  sehen  wir  sie  sogleich 
neben  andern  Chatten  und  Usipen  gegen  die  Römer  vortreten.  Tac. 
hist.  4,  37.  Nach  ihnen  hieszen  die  am  fusze  des  Taunus  sprudeln- 
den heilquellen:  mattiaci  in  Germania  fontes  calidi  trans  Rhenum, 
Plin.  31,  2;  zur  zeit  des  Claudius  lieszen  im  gebiete  der  Mattiaker 
(am  Taunus?)  mit  geringem  erfolg  die  Römer  nach  erz  graben.  Tac. 
ann.  11,  20.  Ptolemaeus  nennt  sie  nicht  mehr,  wol  aber  jenes 
chattische  Mattium  MatzLaKOv.  die  notitia  imperii  kennt  noch 
Mattiaci  als  germanische  söldner  der  Römer. 
582  Läszt  sich  Mattium  und  Mathana  Madana  aus  dem  wiesengrund 

an  der  Eder  deuten,  so  stimmt  auch  hier  das  schwäbische  und  ale- 
mannische mate,  matte  pratum,  fries.  mede,  ags.  mädo.  engl,  meadow, 
aber  TT  wiche  in  der  lautverschiebimg  von  dem  des  namens  Chatti 
ab,  oder  das  TZ  des  dorfes  Metze  fügte  sich  besser,  man  sucht  in 
Wisbaden,  nhd.  Wiesbaden  denselben  begrif  der  Matte  oder  Wiese, 
und  zugleich  des  bades.  ich  hielt  es  535  zu  Wsinobates  Usipetes 
und  bin  nicht  entgegen,  dasz  in  Usi  Visi  und  vielleicht  wiese  liege, 
ja  des  Ptolemaeus  'lyyQicavEg  an  derselben  stelle  und  der  spätere 
Engiresgau  könnten  auf  anger  pratum  zurückgehn,  so  dasz  usipetes, 
Mattiaci  und  Engriones  in  dem  begrif  wiese,  matte  und  anger  zusam- 
menträfen*. 

Für  Mattiaci  halte  ich  aber  eine  andre  scheinbar  kühne,  doch 
im  Sprachgesetz  wolbegründete  Vermutung  bereit,  es  ist  zu  bewun- 
dern, wie  die  uralten  Völkerverhältnisse,  nach  allen  eingriffen  der 
späteren  geschichte,  oft  und  fast  unvertilglich  wieder  hervortreten, 
den  namen  der  Mattiaker  glaubte  man  seit  jener  letzten  erwähnung 
in  der  notitia  imperii  erloschen;  wie  wenn  ich  ihn  in  Nassau,  dem 
lande  bei  welchem  sich  auf  derselben  stelle  die  herschaft  forterhalten 
hat,  wiederfinde? 


*  wobei  jedoch  die  cheruskischen  Angrivarii,  späteren  Engern  in  be- 
tracht  kommen. 


HESSEN.    NASSAU.    BATAVEN  405 

In  einer  Urkunde  Conrads  des  ersten  vom  j.  915  wird  ein  hof 
Nassau  dem  kloster  zu  Weilburg  geschenkt*;  das  ist  die  frühste  er- 
wähnung  dieses  namens,  der  ort  lag  auf  dem  rechten  ufer  der  Lahn 
oberhalb  Dausenau  und  kam  nachher  unter  das  stift  Worms,  ihm 
gegenüber  auf  dem  linken  Lahnufer  baute  im  beginn  des  12  jh.  ein 
graf  von  Lurenburg  eine  feste,  die  er  wiederum  Nassau  nannte** 
und  um  die  mitte  des  12  jh.  nannten  sich  alle  grafen  von  Lurenburg 
nach  diesem  Nassau,  die  benennung  musz  also  von  altersher  in  der 
gegend  hergebracht  worden  sein,  dasz  sie  sich  an  bürg  und  her- 
schaft hieng. 

Eine  alte  genealogie  deutet  sie  ganz  richtig  'madidum  territorium'  583 
und  nun  ist  nur  ein  schritt  weiter  zu  thun.  das  lat,  madere  und 
madidus  scheint  unserm  nasz,  mhd.  ahd.  naz,  alts.  nat,  goth.  nats, 
wovon  natjan,  ahd.  nezan,  nhd.  netzen  gebildet  wird,  urverwandt, 
M  hat  sich  geschwächt  in  N  (vgl.  oben  s.  493  Mdövog  und  Nasua, 
s.  557  mascus  und  nascus);  die  Chatten  konnten  noch  zu  Tacitus  zeit 
das  alte  M  in  Mattium,  Mattiaci  besitzen,  das  hernach  und  schon 
bei  den  Gothen  des  vierten  jh.  N  ward,  die  bedeutung  der  wiese 
und  nässe  scheint  sich  aber  leicht  zu  einigen,  matte  wird  wie  aue 
einen  wasserumflosznen  platz  bezeichnen,  während  also  gegenüber 
madidus  nat  und  naz  die  liquida  schwächten,  die  muta  verschoben, 
haftete  in  Madana  wie  im  ags.  mado  der  lat.  laut,  welcher  sich  dann 
im  alemann,  mate,  matte  um  eine  stufe  minder  als  bei  naz  verschob, 
ich  möchte  auch  die  sonst  zu  erklären  schwer  fallenden  wetter- 
auischen  Ortschaften  Massenheim  und  Massenbach  heranziehen;  eine 
urk.  von  790  (in  Martene  coli.  1,  45.  Hontheim  1,  142.  Calmet 
1,  293.  Böhmers  reg.  Karol.  n*^  139)  hat  Nasongae  et  Squalbach  in 
der  Mainzer  gegend  auf  rechter  Rheinseite,  wäre  das  Nastätten  und 
Schwalbach?  in  mehrern  theilen  Deutschlands  erscheinen  Ortsnamen 
mit  vorgesetztem  dat.  pl.  nassen. 

Ist  der  vermutete  Zusammenhang  beider  formen  haltbar,  so  hat 
Tacitus  weissagend  Bataven  und  Mattiaker  nebeneinander  gestellt  (wie 
sie  auch  die  notitia  dignitatum  öfter  vereint)  und  die  spätere  geschichte 
den  verband  zwischen  Holland  und  Nassau  vielfach  bewährt. 

Schon  Caesar  4,  10  nennt  uns  die  von  der  Maas  und  einem  arm 
des  Eheins  gebildete  batavische  insel :  Mosa  profluit  ex  monte  Vosego, 
qui  est  in  finibus  Lingonum,  et  parte  quadam  Rheni  recepta,  quae 
adpellatur  Vahalis,  insulam  efficit  Batavorum,  ac  in  oceanum  influit, 
neque  longius  ab  eo  millibus  passuum  LXXX  in  Rhenum  transit.  die- 
selbe Batavorum  insula  geben  Plinius  4,  15  und  Tacitus  ann.  2,  6. 
bist.  5,  23  näher  an,  Dio  Cassius  54,  32  hat  7j  zcov  Baraovcov  vijöog, 
55,  24  aber  rj  Baxaova^  BaTdcßia,  und  im  mittelalter  dauerte  der  584 
gauname  Batua,  heute  noch  Betuwe  fort. 


*  orig.  guelf.  4,  275.    Böhmers  regesta  n»  25  und  regesta  Karolorum 
n"  1255. 

**  Reinhards  jur.  und  hisfc.  ausführungen  2,  151. 


406  HESSEN.    BATAVEN 

Von  den  Bataven  selbst,  so  wenig  er  der  Chatten  namentlich 
erwähnt,  meldet  Caesar  nichts,  desto  mehr  aber  Tacitus,  welcher  die 
niederrheinischen  Germanen  schildernd  sich  so  ausdrückt:  omnium 
harum  gentium  virtute  praecipui  Batavi  non  multum  ex  ripa  sed  in- 
sulam  Eheni  amnis  colunt,  Chattorum  quondam  populus,  et  seditione 
domestica  in  eas  sedes  transgressus,  in  quibus  pars  romani  imperii 
fierent.  manet  bonos  et  antiquae  societatis  insigne,  nam  nee  tributis 
contemnuntur,  nee  publicanus  atterit;  exempti  oneribus  et  collocatio- 
nibus  et  tantum  in  usum  proeliorum  sepositi  velut  tela  atque  arma 
bellis  reservantur.  Auch  bist.  4,  12  sagt  er:  Batavi,  donec  trans 
Rhenum  agebant,  pars  Chattorum,  seditione  domestica  pulsi  extrema 
gallicae  orae  vacua  cultoribus  simulque  insulam  inter  vada  sitam  occu- 
pavere,  quam  mare  oceanum  a  fronte,  Ehenus  amnis  tergum  ac  latera 
circumluit:  nee  opibus  romanis  societate  validiorum  attriti  viros  tan- 
tum armaque  imperio  ministrant,  diu  germanicis  bellis  exerciti.  Sie 
wohnten,  da  Caesar  die  Batavorum  insula  als  bestehend,  nicht  als  neu 
entstanden  anführt,  wenigstens  schon  hundert  jähre  vor  Christus  an 
dieser  stelle  und  bezeugen  also  die  frühe  anwesenheit  der  Deutschen 
an  dem  Rhein ;  unvergessen  war  aber,  dasz  sie,  chattisches  Ursprungs, 
durch  innere  Spaltung  genöthigt  worden  waren  aus  ihrer  heimat  zu 
weichen  und  sich  auf  der  linken  seite  des  Rheins  in  der  nördlichsten 
ecke  Galliens  niederzulassen,  wo  damals  noch  kein  römisches  reich 
bestehn  konnte,  das  sich  erst  seit  Caesars  kriegen  dahin  erweiterte. 
Die  Ursache  des  Zerwürfnisses  mit  den  übrigen  Chatten  erfahren  wir 
nicht,  und  den  Schlüssel  zu  ihrer  abhängigkeit  von  der  römischen 
macht  bietet  die  örtliche  läge  dar;  dasz  ihr  herz  und  mut  deutsch 
geblieben  war  lehrte  des  Civilis  empörung  unter  Vespasian. 

Den  namen  Batavi  musten  sie  schon  aus  der  alten  heimat  her 
mitgebracht  haben,  wie  die  s.  581  vorgelegten  spuren  anzuzeigen 
scheinen,  zum  hessischen  Pazaha,  Besse  stimmt  Passau  am  zusam- 
585nienflusz  des  Inns  und  der  Donau  in  Baiern,  ahd.  Pazawa  Bazawa 
(Graff  3,  234.  356),  wofür  die  vita  Severini  Battavis  Battabis  Patavis, 
battabinus  vicus  darbietet*;  es  wurde  batava  castra  nach  einer  bata- 
vischen  cohorte  genannt,  die  da  zur  besatzung  lag.  Pettau  in  Pan- 
nonien,  Petavio,  bei  Ptolemaeus  IJavaüviov,  heiszt  bei  Tac.  bist.  3,  1 
Poetovio,  bei  Ammian  14,  11  Petobio  und  gleicht  eher  dem  veneti- 
schen Patavium;  aber  des  Ptolemaeus  Bateivol  am  Riesengebirge 
lassen  sich  zum  batavischen  namen  halten.  Gehört  Batavi  zum  goth. 
batiza  ahd.  peziro  und  zu  gebatnan  coq)slsig&ai'i  denn  kaum  ist 
sich  Baduhenna  als  unverschoben  oder  das  ahd.  unpata  lentus  (Graff 
3,  327)  hinzuzudenken,  die  vielmehr  zum  ags.  beado,  ahd.  pato  pugna, 
bellum  gerechnet  werden  müssen. 

Wie  nah  sich  den  Römern  die  Vorstellung  der  Bataven  und  Mat- 
tiaker  mischte  ergibt  sich  aus  Martials  versen  über  die  germanische, 
das  haar  beitzende  seife: 


*  Poiotro  dicht  dabei  ist  Bojodurum,  in  der  notitia  dign.  p.  100  Boiodoro. 


HESSEN.    BATAVEN.    CANNINEFATEN  407 

VIII.  33,  20.      et  mutat  latias  spuma  batava  comas. 
XIV.  26.         caustica  teutonicos  accendit  spuma  capillos. 
XIV.  27.         si  mutare  paras  longaevos  cana  capillos 
accipe  mattiacas  (quo  tibi  calva?)  pilas. 

wozu  man  eine  stelle  des  Plinius  XXVII,  12,  51  halte:  prodest  et 
sapo;  Galliarum  hoc  inventum  rutilandis  capillis.  fit  ex  sebo  et 
cinere,  optimus  fagino  et  caprino,  duobus  modis,  spissus  ac  liquidus, 
uterque  apud  Germanos  majore  in  usu  viris  quam  feminis. 

Einen  gegensatz  zu  dem  chattischen  fuszvolk  (s.  570)  macht  die 
batavische  und  tenktrische  reiterei;  diese  stamme  hatten  sich  im 
ebnen  land,  jene  auf  hügeln  zum  krieg  heran  gebildet:  kmjyaysv 
Ovagog  'y4X(pfjvog  tovg  Tiakov^svovg  Baräßovs'  slöl  ös  FsQ^avcov 
Inmlg  agtöroi.  Plutarch  Otho  cap.  12;  ^svoi  rs  innelg,  mdsatot, 
olg  t6  tav  Baxaovcov  .  .  ovo^a,  ort  drj  ngdtiötoi  inuBvuv  £töl, 
y.utai.     Dio  Cass.  55,  24. 

Im  kriege   des  Civilis  sehen  wir  auf  batavischer   Seite  zunächst 
Canninefaten,   dann   auch    Tencterer  und   Bructerer,  Gugernen,  Usi-  586 
peten,  Chatten  und  Mattiaker ;  im  rücken  schlössen  sich  Friesen  und 
Chauchen  an,  und  selbst  die  römischgesinnten  Ubier   wurden  wieder 
zum  kämpf  für  die  deutsche  freiheit  gewonnen. 

Unmittelbare  nachbarn  der  Bataven  und  stets  in  gemeinschaft  neben 
ihnen  erscheinen  die  Canninefaten,  Cannanifaten,  deren  nicht  allein  bei 
Plinius,  Tacitus  und  VeUejus,  sondern  auch  in  mehrern  Inschriften  er- 
wähnt wird,  der  sg.  lautet  Canninefas  (ann.  11,  18)  aus  dem  sich 
das  plurale  T  wie  in  Maecenas  oder  Atrebas  entfaltet;  fas  für  fats 
gleicht  also  dem  goth.  faj)s  der  Zusammensetzungen  bruj)faj)s  und 
hundafa|)S  (gramm.  2,  493).  läszt  sich  Canninefates  zu  Usipetes  stellen 
(s.  534),  so  hätten  in  diesem,  ihnen  früher  bekannten  namen  die 
Römer  noch  unverschobnes  P,  in  jenem  schon  die  Verschiebung  F 
vernommen,  wie  es  sich  auch  mit  Usipetes  verhalte,  in  Canninefates 
läge  gerade  das  goth.  hundafadeis,  wenn  man  zugeben  will,  dasz  die 
Bataven  centum  durch  cannin  cannan  ausdrückten,  wozu  in  der  that 
das  fränkische  NN  für  ND  in  chunna  (s.  552)  stimmt,  gieng  goth. 
hund  aus  taihuntehund  hervor  (s.  250 — 253),  so  könnte  aus  techan- 
techan  chan  und  mit  wiederholter  endung  channan  geworden  sein; 
für  die  benennung  Canninefates  müste  irgend  ein  grund  aus  der  ger- 
manischen kriegs  oder  gauverfassung  (s.  491.  492)  entnommen  werden. 
V^arum  aber  wird  nicht  Channinefates  geschrieben,  warum  hat  sich  hier 
wieder  unverschobnes  C  bewahrt  ?  ich  weisz  darauf  ebensowenig  be- 
scheid  zu  geben,  als  in  abrede  zu  stellen,  dasz  auch  in  Kenemare, 
Kenmerland,  dem  noch  heute  so  genannten  theil  von  Nordholland*, 
welchen  man  als  sitz  der  Canninefaten  anzusehn  hat,  K  und  nicht  H 
anlautet,  die  annales  fuld.  ad  a.  882  (Pertz  1,  396)  schreiben  Kinnin, 
und  spätere  nachrichten  Kinhem,  wie  noch  ein  bach,  nordwärts  von 
Alkmaar,  an  der  grenze  gegen  Friesland  geheiszen  haben  soll. 


vgl.  Huydecopers  Melis  Stoke  1,  186.  372.  517. 


408  HESSEN.    BATAVEN 

Haftet  in    diesen  Ortsnamen  Kinnin  und  Kenmerland,   wie  man 

587  sie  auch  deute,  spur  der  alten  Canninefaten,  so  darf  daraus  gefolgert 
werden,  dasz  sie,  gleich  den  alten  Chatten,  in  ihrer  heimat  blieben 
und  nicht  in  den  ström  der  südwärts  ziehenden  Germanen  gezogen 
wurden,  von  welchen  der  fränkische  name  ausgieng.  warum  sollte 
aber  nicht  von  ihren  nachbarn,  den  stammverwandten  Bataven  das- 
selbe gelten?  es  ist  kein  grund  zu  der  annähme  vorhanden,  dasz  sie 
mit   den  Saliern  und  Sigambern  nach  Gallien  vorgerückt  sein  sollten. 

über  alle  diese  für  immer  dunkel  bleibenden  Verhältnisse  könnte 
uns  die  spräche  aufklären,  wenn  wir  wüsten,  wie  es  um  den  chatti- 
schen, batavischen  und  sigambrischen  dialect  bewandt  war,  dessen 
Überbleibsel  dann  noch  in  heutigen  volksmundarten  aufgesucht  werden 
möchten.  Unter  den  mannsnamen  fällt  mir  auf  Chariovaldo  dux  Bata- 
vorum  bei  Tac.  ann.  2,  11,  wo  man  Chariovaldus  erwartet  hätte, 
denn  es  ist  das  alts.  Hariolt  Heriolt,  altn.  Haraldr;  aus  dem  cannine- 
fatischen  Brinno  oder  Brunio  hist.  4,  15.  16  erhellt  der  schwache 
ausgang  -o.  Gannascus  ann.  11,  18  mahnt  an  die  weissagende  Ganna. 
auf  einer  Inschrift  (bei  Cannegieter  in  Postumo  p.  158)  erscheint 
Flavius  Vihtirmatis  filius,  summus  magistratus  civitatis  Batavorum, 
welchen  namen,  so  deutsch  er  klingt,  ich  doch  nicht  zu  deuten 
unternehme.  Flavius  erklärt  sich  aus  dem  häufigen  verkehr  der  Ba- 
taven mit  den  Römern,  Flavius  oder  Flavus  hiesz  auch  des  Arminius 
bruder,  und  selbst  Arminius  scheint  ein  von  den  Römern  eingerichtetes 
deutsches  Irmin  oder  Irman.  Julius  Paulus  und  Claudius  Civilis  (ann. 
4,  13)  waren  Bataven  königliches  stamms.  Wichtige,  zur  auslegung 
noch  nicht  reife  frauennamen  begegnen  auf  lateinischen  inschriften 
neben  matribus  und  matronis;*  wer  könnte  verkennen,  dasz  in  matronis 
arvagastis  und  andrustehiabus  auch  das  altfränk.  Arbogast  und  antrustio 
erscheinen?  matronis  asericinehabus  wird  zu  bessern  sein  in  ascari- 
cinehabus,  nach  Ascaricus;    matronis  hamuvehis   scheint  chamavehis; 

588  von  den  Chamaven  (s.  530).  eine  Inschrift  'deae  Sandraudigae  cul- 
tores  templi'  ward  unweit  Breda  bei  einem  dorfe  Grootsundert,  das 
in  einer  urk.  von  992  Sandert  heiszt,  ausgegraben;  im  namen  wäre 
leicht  das  goth.  audags,  ags.  eädig,  ahd.  ötac  ^laxccQiog  enthalten, 
vielleicht  ein  ahd.  suntarötac  praedives,  lauter  begriffe,  die  auf  eine 
gefeierte  göttin  gerecht  sind,  matribus  quadriburgicis  bezieht  sich  auf 
das  bekannte  castell  Quadriburgium,  dessen  Ammian  18,  2  neben 
castra  Herculis  am  Niederrhein  und  die  notitia  dignit.  p.  96.  98.  99 
(ed.  Böcking)  erwähnen,  wenn  auch  quadrum  römischen  Ursprung,  so 
verkündet  burgium,  wie  in  Asciburgium,  Teutoburgium  deutschen. 

Keins  unter  allen  bisher  verhandelten  chattischen  Völkern  konnte 
in  der  heldensage  aufgewiesen  werden,  weder  die  Chatten  selbst  (es 
sei  denn  im  mythus,  der  sie  den  Sueven  gleichstellt),  noch  Mattiaker, 
Bataven,  Canninefaten ;   allein  es  bleibt  übrig  eines  nebenstamms  zu 


*  Zusammenstellung   derselben   in   van    den  Bergh   woordenboek    der 
nederlandsche  mythologie.     Utrecht  1845  s.  135—141. 


HESSEN.    OHATTUARIER  409 

gedenken,  der  durch  namen  und  läge  recht  gemacht  scheint,  den 
verband  zwischen  Chatten  und  Bataven  zu  erläutern,  und  dessen 
name  im  ags.  epos  unverschollen  ist. 

Schon  Strabo  s.  291  und  292  nennt  uns  XdrtoL  und  Xattovd- 
QLOi  in  einem  athem,  ohne  ihre  örtliche  läge  zu  unterscheiden,  die 
erste  stelle  schiebt  nur  noch  Faf-iaßgiovioi,  d.  h.  Sigambern  zwischen 
beide.  Tacitus  und  Dio  Cassius  geschweigen  der  Chattuarier,  denn 
die  von  jenem  im  rücken  der  Angrivarier  und  Chamaven  angegebnen 
Chasuarier  (Angrivarios  et  Chamavos  a  tergo  Dulgibini  et  Chasuarii 
cludunt  aliaeque  gentes  haud  perinde  memoratae.  Germ.  34)  liegen 
zu  nördlich  um  chattisch  zu  sein  und  gelten  für  anwohner  des  flusses 
Hase  [Haupt  9,  232],  der  sich  in  die  Ems  ergieszt  und  nach  ihm 
hieszen  sie  Hasuarii,  wie  nach  der  Fose  die  Fosi;  auch  schreibt  Pto- 
lemaeus  KaöovccQOi  ganz  abweichend  von  Xcctroi.  es  ist  unglaublich 
dasz  Tacitus,  der  für  Chatti  überall  TT  aufrecht  erhält,  Chattuarii 
schon  mit  bloszem  S  geschrieben  haben  sollte,  auch  dauerte  jenes 
TT  noch  später;  Vellejus,  den  feldzug  Tibers  beschreibend,  2,  105, 
drückt  sich  aus:  intrata  protinus  Germania,  subacti  Caninefates,  At- 
tuarii,  Bructeri,  recepti  Cherusci.  diese  Attuarii,  zwischen  Cannine-  ^^9 
faten  und  Bructerern  meinen  entweder  das  batavische  volk  selbst 
oder  einen  benachbarten  gleichfalls  von  den  Chatten  entsprungnen 
stamm,  wie  ihr  name  ankündigt.  Zeusz  s.  100  vermutet  sogar,  Chat- 
tuarii könne  deshalb  gemeinschaftliche  benennung  der  Canninefaten 
und  Bataven  gewesen  sein,  gleichwol  ergeben  spätere  nachrichten 
für  das  chattuarische  gebiet  besondere  lagen  und  zwar  auf  beiden 
Seiten  des  Niederrheins.  Als  Julian  aus  Gallien  nach  der  Germania 
secunda  überschritt  in  der  gegend  von  Tricensima  (zwischen  Quadri- 
burg  und  Neusz)  heiszt  es  bei  Ammian  20,  10:  Rheno  exinde  trans- 
misso  regionem  subito  pervasit  Francorum,  quos  Attuarios*  vocant, 
inquietorum  hominum,  licentius  etiam  tum  percursantium  extima  Gal- 
liarum.  quos  adortus  subito  nihil  metuentes  hostile  nimiumque  se- 
curos,  quod  scruposa  viarum  difficultate  arcente  nullum  ad  suos  pa- 
gos  introisse  meminerant  principem,  superavit  negotio  levi.  hier 
schlieszen  die  rauhen  bergwege  batavische  ebenen  aus  und  man  findet 
sich  in  der  Ruhrgegend,  wo  auch  noch  im  mittelalter  der  pagus 
Hattera  bestand  an  den  pagus  Boroctra  grenzend,  ganz  wie  Vellejus 
Attuarier  und  Bructerer  nebeneinander  nennt.  Wenn  sich  die  Chat- 
tuarier zu  den  Franken  hielten',  waren  auch  die  späteren  Hattuarier 
feinde  der  Sachsen,  welche,  wie  die  geschichte  meldet,  im  j.  715  das 
hattuarische  land  überzogen  und  verheerten  (Pertz  1,  6.  323).  in 
diesem  pagus  Hattera  (später  Hettera,  Lacomblet  n^  207  a.  1067) 
lag  die  villa  Heribeddi  (Pertz  2,  680,  wo  der  dativ  Heribeddiu)  d.  i. 
heerlager,  nhd.  Herbede  an  der  Ruhr;  wo  nach  ausweis  eines  alten 
hofsrechts    (weisth.   3,  56)    das   nieder  hessische   stift  Kaufungen    be- 


*  Zeusz  s.  336  will   die  lesart  Ampsivarios  vorziehen,  aber  der  cod. 
vatic.  hat  Atthuarios. 


410  HESSEN.    CHATTUARIER 

rechtigt  war*,  eine,  dünkt  mich,  nicht  undeutliche  spur  uraltes  ver- 
590kehrs  zwischen  Chattuariern  und  Chatten.     Diese  von   den  Sachsen 
verwüstete  terra  Hattuariorum  ist  es,    welche  in  einzelnen  lesarten 
auch  terra  Hazzoariorum  heiszt  (s.  576). 

Jenseits  des  Rheins,  wo  eine  andre  Ruhr  (Roer)  nach  der  Maas 
flieszt,  längs  dem  flüszchen  Niers  erscheint  aber  noch  ein  pagus  Hat- 
tuaria,  und  man  musz  annehmen,  dasz  vor  zeiten  ein  theil  des  chat- 
tuarischen  Volkes  über  den  Rhein,  durch  die  alten  sitze  der  Gugernen 
und  Ubier  in  Gallien  eindrang  und  sich  behauptete;  wahrscheinlich 
blieb  es  auch  mit  seinen  auf  der  rechten  Rheinseite  fortwohnenden 
landsleuten  in  Verbindung,  noch  in  der  fränkischen  theilung  von 
830  werden  Ribuarii  und  Atuarii  (Pertz  3,  359),  in  der  von  870 
comitatus  Testrabant,  Batua,  Hattuarias,  Masau  nebeneinander  auf- 
geführt, d.  h.  uralte  Bataven  und  Chattuarier.  Wenn  in  der  vita 
S.  Ludgeri  (Pertz  2,  418)  eine  mulier  quaedam  de  Hattuariis  erwähnt 
wird,  so  ist  freilich  nicht  zu  sagen,  von  welcher  seite  des  Rheins  sie 
kam.  Aber  die  westlichen,  überrheinischen  Chattuarier  sind  es  ohne 
zweifei,  welche  im  beginn  des  sechsten  jh.  einen  heerzug  der  Dänen  auf 
das  fränkische  gebiet  abzuwehren  hatten.  Gregor  von  Tours  3,  3: 
his  ita  gestis  Dani  cum  rege  suo  nomine  Chochilaicho  evectu  navali 
per  mare  Gallias  appetunt,  egressique  ad  terras  pagum  unum  de  regno 
Theoderici  devastant  atque  captivant,  oneratisque  navibus  tam  de  cap- 
tivis  quam  de  reliquis  spoliis  reverti  ad  patriam  cupiunt.  sed  rex  eorum 
in  litus  residebat,  donec  naves  altum  mare  comprehenderent,  ipse  dein- 
ceps  secuturus,  quod  cum  Theoderico  nunciatum  fuisset,  quod  scilicet 
regio  ejus  fuerit  ab  extraneis  devastata,  Theodebertum  filium  suum 
in  illas  partes  cum  valido  exercitu  ac  magno  armorum  apparatu  di- 
rexit.  qui  interfecto  rege  hostes  navali  praelio  superatos  opprimit 
591  omnemque  rapinam  terrae  restituit.  die  gesta  regum  Francorum  be- 
zeichnen aber  jenen  pagus  als  den  attuarischen,  und  dazu  stimmt  was 
im  ags.  epos  (Beov.  2405.  4705  ff.)  von  Hygeläc,  welcher  sichtbar  mit 
dem  fränkisch  geschriebnen  Cochilaichus  übereinkommt,  gemeldet  wird 
[Haupt  6,  437].  altn.  heiszt  er  Hugleikr,  ahd.  würde  er  Hukileih 
lauten,  auf  seinem  kriegszug  gegen  die  Friesen  trug  er  einen  kost- 
baren von  Beovulf  zum  geschenk  empfangnen  halsring,  im  gefecht 
mit  den  Franken  verlor  er  das  leben;  diese  Franken  werden  ausdrück- 
lich Hetvare  genannt  und  hier  erblicken  wir  die  noch  ags.  form  des 
alten  namens  der  Chattuarier;  merkenswerth  ist  der  vers  4720 
nealles  Hetvare  hrem  geJ)orffcon 
fedeviges,  ^e  him  föron  ongean, 
sie  entbehrten  nicht  den  rühm  des  fuszkampfes,  denn  f6da,  ahd.  fan- 
deo  (Graff  3,  540)   bedeutet  fuszvolk,   (paXay^,   zur  bestätigung  des 

*  vgl.  Böhmers  regesta  n"  3650  (a.  1226).  Kaufungen  war  noch  im 
beginn  des  eilften  jh.  königliche  pfalz  und  Heinrich  der  erste  hatte  dort 
seiner  gemahlin  Kunigund  ein  frauenstift  errichtet,  vielleicht  bestand  hier 
schon  unter  den  heidnischen  Chatten  ein  cultus,  dessen  einflusz  sich  unter 
alle  zweige  des  volks  erstreckte,  solche  örter  pflegten  auch  nach  der  be- 
kehrung  hofstätten  und  Stifter  zu  bleiben. 


HESSEN.    TUBANTEN  411 

altchattischen  'omne  robur  in  pedite'.  Vidsld  im  cod.  exon.  320,  22 
nennt  uns  einen  Hün  als  beherscher  der  Hätvere,  von  dem  sonst  nicht 
das  geringste  bekannt  ist;  man  sieht  dasz  die  hätverischen  helden- 
geschlechter  noch  lange  unvergessen  waren.  Hygeläc  war  ein  Geäta 
cyning,  über  scandinavische  Geätas  waltend,  dem  die  sage  des  zehn- 
ten jh.  ungeheure  grösze  beilegt:  Hugilaicus  rex,  qui  imperavit  Ge- 
tis  et  a  Francis  occisus  est,  quem  equus  a  duodecimo  anno  portare 
non  potuit,  cujus  ossa  in  Rheni  fluminis  insula,  ubi  in  oceanum  pro- 
rumpit,  reservata  sunt  et  de  longinquo  venientibus  pro  miraculo  osten- 
duntur  (Haupt  5,  10.  mythol.  vorr.  VII).  wie,  hätten  schon  die 
Römer  bei  den  Friesen  von  diesem  beiden  gehört,  was  sie  auf  Her- 
cules und  dessen  seulen  im  ocean  anwandten?  denn  dasz  der  histo- 
rische Chochilaicus  des  sechsten  jh.  für  einen  solchen  mythus  nicht 
ausreicht,  liegt  am  tage. 

Nicht  genug,  dasz  die  Chattuarier  im  belgischen  Gallien  fusz 
gefaszt  hatten,  auch  in  den  Vogesen  scheint  ein  theil  von  ihnen,  wie 
von  den  Chamaven  (s.  530)  niedergesessen,  weil  neben  dem  dortigen 
pagus  Ammavorum  auch  ein  pagus  Attoariorum  (Zeusz  s.  582 — 584) 
aufgeführt  wird,  in  diesen  Attoariern  will  jedoch  Ledebur  (Bruct.  592 
s.  161)  nachkommen  der  keltischen  Aeduer  wiederfinden,  die  neben 
den  Lingonen  wohnten. 

An  dieser  stelle  gedenke  ich  noch  der  Tubanten,  nicht  weil  ich 
im  stände  wäre  bei  ihnen  den  chattischen  bezug  aufzuweisen,  sondern 
blosz  weil  sie  örtlich  neben  Friesen,  Bataven  und  Saliern  auftreten 
und  bis  auf  heute  noch  eine  benennung  dieses  landstrichs  ihren  namen 
zu  tragen  scheint.  Schon  Cluver  will  die  bei  Strabo  s.  292  hinter 
Chatten  und  Chattuariern  aufgeführten  UovßdtroL  in  Tovßdvrot  ändern 
(üben  s.  580).  Tacitus  läszt  in  der  Germania  die  Tubanten  unerwähnt, 
doch  seine  annalen  haben  zweimal  anlasz  sie  zu  nennen,  1,  51  bei 
des  Germanicus  zug  gegen  die  Marsen  im  j,  14,  wo  Tanfana  zerstört 
wurde,  excivit,  heiszt  es,  ea  caedes  Bructeros,  Tubantes,  Usipetes, 
saltusque  per  quos  exercitui  regressus,  insedere.  dann  13,  54.  55. 
56  wird  berichtet,  dasz  zu  Nerons  zeit  Friesen  auf  dem  boden,  dessen 
sich  die  Römer  anmaszten,  vorgedrungen  und  zurückgeschlagen,  her- 
nach aber  Ampsivarier  eingezogen  seien:  Chamavorum  quondam  ea 
arva,  mox  Tubantum  et  post  Usiporum  faisse.  vergebens  suchten 
die  Ampsivarier  hier  der  römischen  macht  widerstand  zu  leisten,  sie 
musten  weichen  und  flüchteten  rückwärts  zu  den  Usipen  und  Tuban- 
ten: quorum  terris  exacti  quum  Chattos,  dein  Cheruscos  petissent 
errore  longo  hospites  egeni,  hostes  in  alio,  quod  juventutis  erat  cae- 
duntur;  imbellis  aetas  in  praedam  divisa  est.  Die  Tubanten  saszen 
also  zwischen  Friesen,  Chamaven,  Bructerern  und  üsipeten,  ohne 
zweifei  auch  Saliern  und  Bataven  nah.  Jener  landstrich,  dessen  be- 
sitz streitig  war  und  vielfach  gewechselt  hatte,  musz  eben  der  römi- 
schen ansprüche  wegen  unfern  dem  Rhein  und  dem  batavischen  ver- 
bündeten gebiet  gelegen  haben.  Noch  die  notitia  dign.  occidentis 
p.  18.  24  nennt  Tubantes  neben  Salii,  Batavi  und  Bruct eri  im  römischen 


412  TUBANTEN 

dienst,  wie  ist  es  also  möglich  den  gradmessungen  des  Ptolemaeus 
glauben  zu  schenken,  der  die  Tubanten  weit  nach  Süden  vorschiebt? 
sie  sollen  im  zweiten  jh.  sogar  hinter  den  Chatten,  ungefähr  im  ful- 

593  dischen,  ostfränkischen  lande  gewohnt  und  sich  später  unter  die  Ala- 
mannen  verloren  haben,  da  sie  doch  das  vierte  jh.  gleich  andern 
nordwestlichen  Germanen  in  den  römischen  legionen  verzeichnet? 

Hierzu  tritt,  dasz  auch  im  verfolg  der  zeit,  hart  an  der  friesi- 
schen grenze,  zwei  gaunamen  vorkommen,  Twente  und  Drente,  die 
in  unverkennbarer  beziehung  aufeinander  stehend  zugleich  den  aus- 
druck  Tubantes  enthalten  und  erläutern  helfen,  Twente  heiszt  in 
einer  urk.  des  achten  jh,  Tuvanti,  d.  h.  Tubanti,  in  einer  andern 
bei  Lacomblet  n^  9  vom  j.  797  Northtuianti ;  Tubantes  aber  kann 
nichts  anders  aussagen  als  Tvibantes,  die  an  zwei  bauten  wohnen. 
Drente,  oder  wie  man  heute  unrichtig  schreibt  Drenthe,  lautet  in 
der  alten  spräche  (weil  die  mnl.  nnl.  D  für  alts.  TH  gibt)  Thrianti, 
Threant,  welches  ein  volleres  Thrivanti  Thribanti  voraussetzt*,  zu 
des  Tacitus  zeit  waren  also  Tribantes  die  an  drei  bauten  niederge- 
sessenen, bant  musz  etwas  ähnliches  wie  gau  oder  pagus  bedeuten, 
da  noch  andere  landschaftliche  namen  damit  zusammengesetzt  er- 
scheinen, die  meisten  in  derselben  nordwestlichen  gegend.  an  der 
Ems  erstreckte  sich  der  gau  Bursibant,  von  pursa,  ahd.  porsa,  nhd. 
porst  ledum  palustre;  an  der  Scheide  lag  der  Ostrobant  und  Westro- 
bant,  weiter  nördlich  der  gröszere  Bracbant,  wahrscheinlich  von  bräka, 
ahd.  prächa  aratio  (s.  61),  mhd.  Brächbant  nhd.  Brabant;  zwischen 
Maas,  Waal  und  Rhein  unmittelbar  auf  altbatavischem  gebiet  aber 
die  grafschaft  Teisterbant,  Testerbant,  welche  schon  in  der  fränki- 
schen theilung  von  870  (Pertz  3,  517)  als  comitatus  Testrabant  neben 
Batua  und  Hattuarias  steht,  hierher  müssen  schon  fi-ühe  Friesen 
vorgerückt  sein,  da  sich  in  den  ann.  fuld.  zum  j.  885  (Pertz  1,  402) 
gesagt  findet:  ""Frisiones  qui  vocantur  Destarbenzon'.  in  dieser  Schrei- 
bung ist  das  Z  ahd.,  nicht  aber  das  D,  welches  sächsischem  TH  ent- 
spräche,  Testerbant   wäre   ahd.  Zöstarpanz   auszudrücken,     ich  kann 

594  tßstar  für  nichts  anders  halten,  als  eine  merkwürdige,  dem  lat.  dexter 
gleichgebildete  form,  während  goth.  taihsvö,  ahd.  zesawä  wie  gr. 
ÖB^id  ohne  T  sind,  d.  h,  dexter  und  testar  scheinen  comparative. 
vielleicht  waltet  hier  noch  Zusammenhang  mit  dem  namen  Toxandrien, 
Texandrien  (s.  528),  aber  meine  deutung  des  tßstar  bestärkt  der 
wald  Suiftarbant  an  der  Issel  (Lacomblet  n^  2.  4.  8  a,  793.  794.  796), 
wo  suiftar  comparativ  von  svift  velox,  fortis  ganz  dasselbe  auszu- 
sagen scheint.  Mainz  gegenüber  nennt  Ammian  29,  4  als  alamanni- 
sches  Volk  die  auch  in  der  not.  dign.  Orient,  p.  22  auftretenden  Bu- 
cinobantes,  die  nicht  aus  lat.  bucina  buccina,  vielmehr  dem  deutschen 
bökln,  ahd.  puochln  fagineus  zu  deuten  sind  (vgl.  Triboci  und  silva 
Bacenis  Bochonia)  und  füglich  chattischen  Ursprungs   sein  könnten. 


*  wie  hier  B  wurde  in  Trient  für  Tridentum  D  ausgestoszen.    zu  ver- 
gleichen sind  übrigens  auch  die  Throvendas  im  cod.  exon.  322,  17. 


CHATTEN  413 

Es  läge  nah,  statt  der  s.  535  angefühi-ten  Wsinobates  Wsinobantes 
zu  vermuten,  scliwerlich  aber  ist  N  in  Canninefates  ausgefallen,  zu- 
mal die  Eömer  selbst  Tubantes,  nicht  Tufantes  schrieben.  Dasz  für 
bant  der  ahd.  mundart  panz  geläufig  war,  folgt  nicht  nur  aus  jenem 
benzon  der  ann.  fuld.  sondern  auch  aus  elibenzo  fremider  0.  III.  18, 
40,  elevenz  advena  Diut.  2,  341  [anders  wb.  1,  204.  205]  und  dem 
Banzgau  am  Main  in  Franken,  wo  das  stift  Banz  lag.  In  nieder- 
ländischen friesischen  strichen  musz  es  aber  manche  örter  des  namens 
Bant  gegeben  haben,  so  hatte  die  Nordsee  neben  Borkum,  das  schon 
die  Römer  kannten  (Burchana  Plin.  4,  13.  BovQXccvig  Strabo  s.  291), 
vormals  eine  jetzt  verschwundene  Insel  Bant  aufzuweisen*  und  in 
Rüstringen  unweit  Jever  lag  ein  bezirk  des  namens  Bant**.  Einen 
mannsnamen  Bant  gewähren  die  trad.  corb.  377;  sollte  nicht  der  in 
unsrer  heldensage,  zunächst  aus  Gudrun  bekannte  Sigebant  von  Ir- 
lande  die  mhd.  form  Sigebanz  fordern?  [Haupt  7,  473.]  Der  nnl. 
spräche  nun  ist  beemd,  mnl.  bömt,  baemt,  baempt  pascuum,  pratum 
eigen,  dessen  abkunft  noch  niemand  aufdeckte ;  wie  wenn  es  aus  bant 
verderbt  wäre?  diesem  würde  die  bedeutung  zusagen  und  in  den 
Bauten  erschienen  uns  wieder  wiesenbewohner  Mattiaker  (s.  582),  in 
den  Bucinobanten  hirten  der  wiesengründe  des  Buchenwalds.  Wer  595 
den  Drenten,  Thrianten,  Thribanten  die  britannischen  Trinobanten 
zu  vergleichen  wagt,  hätte  das  welsche  bant  anhöhe  zu  erwägen, 
unser  nordwestliches  bant  fällt  aber  in  lauter  ebne  flächen. 

Nach  diesen  ergebnissen  allen  bleibt  unentschieden,  ob  die  Tu- 
banten,  ihrer  abkunft  nach,  sich  mehr  den  Friesen,  Bataven,  Che- 
rusken  oder  Franken  anschlieszen. 

Wir  haben  gesehn,  wie  die  Chatten  von  der  Werra  und  Weser, 
im  gebiet  der  Fulda,  Schwalm,  Eder  und  Lahn  bis  zum  Main  und 
Rhein  sich  erstreckten,  ein  ansehnlicher  ableger  von  ihnen  aber  auch 
am  Niederrhein,  zwischen  Friesen  und  fränkischen  Völkern,  frühe 
festen  sitz  gewann,  hätten  wir  nähere  künde  von  den  Verhältnissen 
der  Usipeten,  Tenkterer  und  Brukterer,  so  könnte  uns  aufgeschlossen 
sein,  ob  die  Mattiaker  zu  den  Chattuariern  und  Bataven  in  ununter- 
brochner  kette  verwandter  glieder  reichten. 


*  Ledeburs  fünf  münstersche  gauen  s.  45. 
**  Ledebiir  s.  96.    Ehrentrauts  fries.  archiv  1,  118.  120. 


XXII. 
HERMUNDUREN. 


596  Aller  Germanen  vierten  oder  mittleren  hauptstamm  nennt  Pli- 
nius  den  herminonischen :  mediterrane!  Herminones,  quorum  Suevi, 
Hermunduri,  Chatti,  Cherusci;  wie  den  Römern,  wenn  sie  von  Süden 
nach  norden  schauten,  in  der  mitte  Germaniens  diese  vier  Völker  auf- 
stoszen  musten.  hierzu  stimmt  auch  des  Tacitus  angäbe,  welcher  die 
mittleren  Germanen  von  des  Mannus  zweitem  söhne  stammen  läszt, 
dessen  name  Hermin  aus  dem  der  Herminonen  gefolgert  werden  darf, 
welche  einzelnen  Völker  aber  zu  diesen  Hei'minonen  gehörten  berichtet 
Tacitus  nicht.  Dasz  zwischen  Sueven  und  Chatten  engeres  band  statt- 
fand suchte  das  vorhergehende  capitel  nachzuweisen ;  wenn  aus  fehden 
und  eifersucht  benachbarter  stamme  ein  schlusz  gilt  gegen  ihre  nähere 
Verwandtschaft,  so  mag  man  zweifeln,  ob  Chatten  mit  Cherusken  und 
Hermunduren  zusammen  gehören.  Auf  den  herminonischen  namen,  wie 
ihr  eigner  zeigt,  haben  Hermunduren  den  unmittelbarsten  ansprach. 

Es  ist  bekannt,  dasz  jenem  lat.  Hermin  oder  Hermun  die  ahd. 
form  Irmin  oder  Erman,  die  ags,  Eormen,  altn.  lörmun  entspreche, 
den  Gothen  lautete  sie  wol  Airman;  wie  noch  heute  romanische  Völ- 
ker thun,  pflegten  die  Römer  deutsches  H,  wo  es  wirklich  bestand, 
zu  unterdrücken,  hingegen  hinzuzufügen,  wo  das  deutsche  wort  rein 
vocalisch  anlautet,     das  H  in   Herminones   Hermunduri   weicht  also 

597  durchaus  ab  von  dem  CH  in  Chatti  Cherusci,  welches  dem  lat.  C  und 
ahd.  H  entspricht,  und  niemals  könnte  Cherminones  Chermunduri 
geschrieben  werden,  im  mannsnamen  Arminius  wahrten  die  Römer 
reinen  deutschen  vocal. 

Mag  uns  nun  dunkel  bleiben,  welchen  göttlichen  held  oder  gott 
die  germanische  Verehrung  unter  Irmin  verstand;  einer  menge  von 
andern  Wörtern,  deren  begrif  dadurch  erhöht  werden  sollte,  pflegte 
dies  Irmin  vorzutreten  (mythol.  s.  106.  107.  325.  326.327),  gerade  wie 
altn.  Wörter  durch  die  praefixe  tyr  oder  J)6r  Steigerung  empfiengen, 
oder  ags.  gen.  pl.  durch  nachfolgendes  bealdor  (mythol.  s.  201).  ein 
hehres,  auf  der  grenze  zwischen  Chatten  und  Cherusken,  vermutlich 


HERMUNDUREN  415 

noch  anderwärts,  errichteies  bild,  führte  den  namen  Irmenseule;  sie 
war  rechtes  kennzeichen  herminonischer  stamme. 

Einleuchtend  ist  also  auch  in  Hermunduri  der  vorsatz  von  dem 
eigentlichen  namen  abzulösen,  welcher  Duri  oder  Dori  (nach  Strabons 
Schreibung  'Eq^ovöoqol,  Dio  Cass.  hat  'EQixovvdovQOt)  lauten  musz, 
und  allem  anschein  nach  in  dem  abgeleiteten  späteren  Thuringi,  bei 
'Vegetius  Toringi,  bei  Cassiodor  Thoringi,  bei  Procop  (bell.  goth.  1,  12) 
&6Qi'yyoi,  ahd.  Duringä,  mhd.  Düringe  enthalten  ist.  nur  wird  hier 
das  gesetz  der  lautverschiebung  gefährdet,  wonach  goth.  TH  und  ahd. 
D  ein  lat.  T,  nicht  D  erwarten  lieszen.  Hermunduri  stände  für  Her- 
munturi,  wie  durch  Ptolemaeus  T£VQLO%alßaL  an  der  Hermunduren 
stelle  bestätigt  scheint.  Teuriochaemae  aber  wäre  gebildet  wie  Bojo- 
hemi,  und  ihm  entspräche  der  Ortsname  Dürincheim  Dürkheim  Dörnig- 
heim,  vielleicht  ist  auch  mhd.  Türheim  verderbt  aus  Dürheim.  Doch 
soll  das  D  in  Hermunduri  nicht  vorschnell  beseitigt  sein.  Dio  67,  6 
hat  einen  dakischen  könig  Duras.  Den  sinn  dieses  Tur  Turi,  Dur 
Duri  selbst  will  ich  lieber  noch  unerschlossen  lassen;  wäre,  wie  s.  449 
gemutmaszt  ward,  goth.  Thervingi  identisch,  so  käme  auch  V  nach 
R  in  betracht*. 

Strabons  Hermunduren  stehn  neben  Langobarden  in  der  Elb-  598 
gegend;  nach  Tacitus  müssen  sie  zwischen  Elbe  und  Donau,  im  ge- 
biet der  Saale  und  des  Mains  gedacht  werden,  gegen  norden  an  Che- 
rusken  und  Chatten,  gegen  osten  an  Semnonen  und  Markomannen, 
gegen  Süden,  zum  theil  auch  westen  ans  römische  gebiet  stoszend. 
Tacitus  schildert  sie  den  Römern  befreundet  und  mit  ihnen  in  fried- 
lichem verkehr  bis  hinein  nach  Rhätien.  ihr  reich  mag  auszer  dem 
heutigen  Thüringen  auch  einen  theil  des  späteren  Frankens  begriffen 
haben,  doch  so  dasz  um  den  pfalzgraben  (s.  495)  wahrscheinlich  noch 
andere  suevische  stamme  hausten,  jene  Armilausen  und  luthungen, 
deren  ich  s.  499.  500  gedachte. 

An  nahem  Zusammenhang  der  Hermunduren  mit  den  östlichen 
Germanen,  zumal  Lygiern  (Lygius  Hermundurusque,  ann.  12,  30)  und 
Gothen  läszt  sich  überhaupt  nicht  zweifeln,  jene  gothischen  Thervinge 
und  einstimmungen  der  heldensage  (s.  449)  geben  es  dar.  Nicht  allein, 
dasz  der  goth.  Hermanarich  und  thüringische  Hermanfried  vielfach 
einander  ausgleichen,  auch  Iring  von  Dänemark  wie  er  neben  Irnfrit 
von  Düringen  erscheint,  löst  sich  auf  in  luwaring  Iborduring,  und 
Dänen  müssen  im  alten  sinn  der  Daken  genommen  werden,  so  dasz 
hier  gothische  und  hermundurische  mythen  zusammenspielen.  Nicht 
ohne  bedeutung  unterscheidet  das  ags.  Vidsideslied  320,  17.  322,  16 
Thyringas  und   323,  30  EastJ)yringas ,   wovon  gleich  nachher;  wenn 


*  nicht  ohne  Scharfsinn  führen,  die  in  den  Thüringen  alte  Cherusken 
erblicken,  den  namen  zurück  auf  jene  'inertes  ac  stulti'  bei  Tacitus  (s.  574) 
und  bekanntlich  macht  schon  die  glosse  zu  Ssp.  3,  44  aus  den  Thüringen 
Wenden  und  thoren.  doch  ist  tore  erst  mhd.,  noch  nicht  ahd.,  wie  es  scheint 
aus  mnl.  dor  entlehnt,  dem  ags.  dysig,  engl,  dizzy  verwandt,  also  vom  mhd. 
Dürinc  und  ags.  Thyring  im  vocal  und  consonant  abstehend. 


416  HERMUNDUREN 

den  letzteren  Amothingas  (es  ist  th,  kein  J))  zur  seite  stehn,  möchte 
man  mutmaszen  Amolingas,  Amelunge.  gewis  aber  ist  das  auf  Eäst{)y- 
ringum  alliterierende  sinnlose  Eolum  mit  einem  einzigen  buchstab  in 
Eorlum  zu  bessern  und  daraus  bestätigung  der  schon  s.  470  zusam- 
mengestellten "EqovXoi  und  Eorlas  zu  entnehmen.     Nicht  genug,  ich 

599  verstehe  nun  deutlicher,  warum  Odovacer  neben  Sciren  und  Herulern 
auch  Thurilinge  (nach  der  s.  465  hergestellten  lesart)  beherschte,  und 
warum  der  ostgothische  Theoderich  ein  uns  von  Cassiodor  var.  3,  3 
aufbewahrtes  schreiben  zugleich  den  Herulorum,  Guarnorum,  Thurin- 
gorum  regibus  erliesz,  deren  Völker  er  verbündete  (conjuratas  sibi 
gentes)  nennt,  erscheinen  auf  solche  weise  dreimal  in  verschiedner 
queUe  Heruler  und  Ostthüringe,  Heruler  und  Thurilinge,  Heruler 
und  Thuringe  nebeneinander,  so  liegt  der  Ostthüringe,  Thurilinge 
und  Thuringe  gleichheit  vor  äugen,  auf  die  Warnen  werde  ich  zurück- 
kommen. 

Ungenau  scheint  Tacitus  zu  sagen :  in  Hermunduris  Albis  oritur, 
statt  in  Marcomannis,  aber  sie  schied  aus  Böhmen  herflieszend  her- 
mundurisches  und  semnonisches  land:  qui  Semnonum  Hermundurorum- 
que  fines  praeterfluit  (Vellejus  2,  106).   dann  fiel  sie  in  cheruskisches. 

Zwischen  Chatten  und  Hermunduren  lag  Werra,  Rhön  und  Bu- 
chenwald; im  krieg  um  den  heiligen  salzflusz  (s.  573)  zogen  jene  den 
kürzern.  doch  wird  dieser  hader  kein  hindernis  gewesen  sein,  dasz 
nicht  unter  beiden  Völkern  früher  wie  nachher  gutes  vernehmen  ob- 
gewaltet hätte.  Darin  waren  die  Hermunduren  von  den  Chatten  und 
allen  westlichen  Germanen  verschieden,  dasz  sie,  gleich  Markomannen 
und  Quaden  könige  über  sich  hatten,  nicht  blosze  fürsten;  bezeichnet 
die  königswürde  schon  damals  gröszere  macht?  Tacitus  nennt  ann. 
2,  63.  12,  29  als  solchen  könig  Vibilius,  welcher  name  appellativ  sein 
könnte,  vgl.  ahd.  weibil  praeco  und  goth.  vipja  königsbinde.  Als  das 
thüringische  königreich  durch  die  Franken  gebrochen  war,  herschten 
über  Thüringen  und  Hessen  blosze  landgrafen,  erst  gemeinschaftlich, 
zuletzt  in  jedem  gebiet  besonders,  im  schild  führten  Hessen  und 
Thuringe  den  gestreiften  löwen  mit  geringer  abweichung  der  streifen. 

Aber  mir  schwebt  noch  eine  höher  hinaufreichende  ähnlichkeit 
beider  Völker  vor,  die  sich  im  dunkel  ihres  alterthums  verliert,  wir 
sahen  dasz  die  Chatten  schon  vor  beginn  unsrer  Zeitrechnung  sich 
gespaltet  und  einen  zweig  in  das  äuszerste  Belgien  entsandt  hatten, 
dieser  chattische  auszug  musz  tieferen  grund  gehabt  haben,  als  wir  jetzt 

600  erforschen  können  und  sollte  er  nicht  zusammenhängen  mit  einem  auch 
der  Hei-munduren  in  dieselbe  überrheinische  gegend?  war  ein  anlasz 
vorhanden,  der  schon  vor  Ariovists  zeit  Völker  des  mittleren  Deutsch- 
lands, Chatten  und  Hermunduren  bewegte  mannschaft  über  den  Nieder- 
rhein vordringen  zu  lassen?  hier  scheint  sich  jener  unterschied  auf- 
zuthun  zwischen  Thüringen  und  Ostthüringen,  die  sich  zu  einander 
verhalten  mögen  wie  Chattuarier  oder  Bataven  zu  den  Chatten,  in  der 
heimat  diesseits  waren  Chatten  und  Ostthüringe  geblieben,  über  den 
Rhein  Bataven  und  Westthüringe  gezogen.    Hermun  vor  Duri  könnte 


HERMUNDUREN  417 

den  groszen,  alten  stamm  des  volks  bezeichnen,  was  allein  schon  auf 
die  nothwendigkeit  führte,  ihm  einen  abgeleiteten  jüngeren  an  die 
Seite  zu  setzen. 

Gregor  von  Tours  ist  es  der  uns  jenseitiger  Thüringe  versichert, 
indem  er  den  Übergang  der  Franken  schildert  2,  9:  tradunt  enim 
multi  eosdem  primum  quidem  litora  Rheni  amnis  incoluisse,  dehinc 
transacto  Rheno  Thoringiam  transmeasse,  ibique  juxta  pagos  vel 
civitates  reges  crinitos  super  se  creavisse  de  prima  et,  ut  ita  dicam, 
nobiliori  suorum  familia.  .  .  .  Ferunt  etiam  tunc  Chlogionem  utilem  ac 
nobilissimum  in  gente  sua  regem  Francorum  fuisse,  qui  apud  Dispar- 
gum  castrum  habitabat,  quod  est  in  termino  Thoringorum.  man  will 
vergebens  die  lesart  anfechten  und  Tungrorum  einschwärzen;  es  ist 
klar,  dasz  seit  undenklicher  zeit  schon  eine  niederlassung  der  Thüringe 
in  Belgien  bestand,  als  die  Franken  vorrückten  musten  sie  thüringi- 
schen boden  durchziehen,  auf  oder  neben  ihm  faszten  sie  fusz,  denn 
'in  termino'  kann  beides  aussagen,  im  land  (gau)  wie  an  der  grenze, 
wichen  die  Thüringe  aus  einem  theil  ihres  gebietes,  das  übrige  werden 
sie  fortbehauptet  haben,  als  selbständige  Völkerschaft  mit  eignen 
königen  kennt  sie  auch  Gregor  im  verfolg  seiner  geschieh te;  jenes 
Thüringen,  wohin  Childerich  zu  Bisinus  und  Basina  floh  (2,  12),  kann 
nicht  diesseits  des  Rheins,  nur  in  der  nachbarschaft  von  Dispargum 
(s.  529)  an  der  Scheide  gesucht  werden;  vielleicht  ist  hier  eine  weit 
ältere  sage  auf  Childerich  übertragen,  mit  recht  bemerkt  Waitz  (sal. 
ges.  s.  49),  diese  Thüringe  habe  man  sich  in  geringer  ferne  vom  meer 
zu  denken,  weil  Basina  sagt:  'si  in  tranmarinis  partibus  aliquemöOl 
cognovissem  utiHorem  te',  und  wenn  es  2,  27  von  Chlodevech  heisze 
'Thoringis  bellum  intulit  eosdemque  suis  ditionibus  subjugavit',  so  sei 
er  von  den  Thüringen  des  Innern  Deutschlands  noch  durch  alle  mög- 
lichen Völker  und  herschaften  getrennt  gewesen*. 

Wie  diese  belgischen  Thüringe  das  ags.  Thyringas  nennt,  ist  von 
ihnen  auch  mhd.  und  mnl.  dichtem  künde  geblieben,  könig  Rother, 
seinen  dienstmannen  lehen  austheilend  (4829) 

Dorringen  unde  Bräbant,  Vriesen  unde  HoUant, 

gaf  he  vier  heren,  die  mit  ime  wären 

üzir  lande  gevarin,  die  hetten  herzogin  namen; 

he  merten  allin  ir  göt,  sie  hetten  ime  wol  gedienöt. 

Rother  saz  bit  voller  hant  und  decte  widene  die  lant, 

he  richede  manigen,  Erwine  gaf  he  Ispanien, 

Sahsen  und  Turinge,  Plisum  und  Swurven         . 

gaf  he  zen  gräven, 


*  freilich  hätte  man  erwarten  sollen,  dasz  Gregor,  als  er  nun  3,  4,  7  auf 
die  besiegung  dieser  inneren  Thüringe  an  der  Unstrut  wirklich  zu  sprechen 
kommt,  sie  mit  dem  beinamen  der  östlichen  ausgezeichnet,  wenigstens  gesagt 
hätte,  dasz  sie  der  läge  nach  von  den  früher  erwähnten  verschieden  seien, 
es  fragt  sich  aber,  ob  er  selbst  des  scheinbaren  Widerspruchs  einmal  ge- 
wahrte ?  er  berichtet  die  begebenheiten  samt  den  überlieferten  namen,  und 
war  ihm  auch  sonst  der  unterschied  zwischen  westlichen  und  östlichen  Thü- 
ringen klar  geworden;  so  galten  ohne  zweifei  auch  damals  beide  für  desselben 
Volksstamms  und  es  muste  unanstöszig  sein  beiden  den  nemlichen  namen 

GrimiD,  geachicbte  der  deatschen  apraclie.  27 


418  HERMUNDUREN 

hier  wird  westliches  Thüringen  neben  Brabant,  Friesland  und  Holland, 
östlichen  neben  Sachsen,  Pleiszen  und  Sorbenland  aufgeführt.  Wenn 
im  mnl.  Karel  1,  1403  gesagt  wird: 

in  Doringen  voer  Garin, 
Karel  blef,  des  sit  wis,  in  die  stat  te  Paris, 

602  SO  kann  dies  Thüringen  wieder  nur  das  jenseitige  meinen,  nicht  das 
östliche.  Aus  dem  D  in  Doringen  entnehme  ich  keine  bestätigung 
des  in  Hermunduri,  da  die  niederländische  mundart  überall  D  anstatt 
des  älteren  TH  braucht;  merkwürdig  aber  ist,  dasz  im  testament  des 
Willebrordus,  dessen  guter  in  Toxandrien  lagen,  auch  ein  pagus  Tu- 
ringasnes  (Turingansis,  Turinginsis  ?)  vorkommt  und  wahrscheinlich  an 
den  mündungen  der  Maas  und  Waal   zu  suchen  wäre  (Waitz  s.  51). 

Sind  nun  Thüringe  auf  belgischem  gebiet  unabweisbar,  so  werden 
doch  die  meinungen  getheilt  bleiben,  zu  welcher  zeit  sie  dahin  ein- 
gewandert sein  können.  Gregor  setzt  sie  bei  der  Franken  ankunft 
dort  voraus,  wie  unbestimmt  aber  erscheint  diese  sage  selbst !  Brechen, 
nach  der  herschenden  ansieht,  die  Franken  erst  im  vierten  jh.  in 
Gallien  ein,  so  hindert  nichts  diese  Thüringe  für  einen  besondern 
fränkischen  oder  unfränkischen  volksstamm  anzusehn,  der  zu  gleicher 
zeit  mit  den  Sigambern  und  Saliern,  wenn  auch  aus  einer  andern  ecke 
her  vordrang.  Waitz  läszt  die  Salier  von  der  batavischen  insel  aus, 
die  Thüringe  vom  meere  her  nach  Toxandrien  gelangen,  und  nimmt 
an,  dasz  sie  von  da  sich  weiter  gegen  Süden  erstreckt  haben  können, 
das  früher  fränkische  Dispargum  ihnen  hernach  zugefallen  sei.  Herm. 
Müller  vermutet,  unter  Thuringia  sei  ein  stück  vom  gebiet  der  kelti- 
schen Bataven  zu  verstehn,  das  von  germanischen  Düren,  wahrscheinlich 
chattischen  Ursprungs,  eingenommen  auch  deren  namen  empfangen  habe. 
Des  durischen  oder  thüringischen  namens  Ursache  in  diesem  landstrich 
einer  älteren  zeit  als  der  des  dritten  oder  vierten  jh.  beizumessen 
scheint  mir  ein  glücklicher  gedanke,  obwol  ich  weder  die  Bataven  für 
Kelten  halte,  noch  die  eingerückten  Hermunduren  für  Chatten.  Nach 
der  vorhin  aufgestellten  ansieht  mag  vielmehr  bei  Chatten  und  Her- 
munduren der  alte  zug  nach  westen  oder  ein  besondrer  anlasz,  dessen 
grund  wir  nicht  mehr  durchschauen,  obgewaltet  haben,  um  theile  ihrer 
bevölkerung  über  den  Rhein  vorzuschieben.  Seien  Bataven,  Cannine- 
faten,  Chattuarier  und  Testerbanten  zurückführbar  auf  einen  einzigen 
allgemeinen  namen  oder  nicht,  ihr  alter  bezug  zu  den  Chatten  scheint 

603  unzweideutig ;  warum  sollte  nicht  eben  so  früh  in  ihrer  nachbarschait 
der  name  von  Düren  oder  Thüringen  auftauchen  und  aus  der  Hermun- 
duren heimat  abgeleitet  werden  dürfen?  Caesar  nennt  uns  der  Bataven 
insel,  ohne  das  geringste  weiter  von  ihnen  zu  melden;  auch  in  des 
Tacitus  Germania  sind  aus  dieser  gegend  die  einzigen  Bataven  ange- 
führt, Canninefaten  und  Chattuarier  übergangen,  weil  er  sie  für  zu 


beizulegen.  Durch  Chlodevechs  siege  hatte  sich  das  fränkische  reich  all- 
mählich bis  zum  Rhein  erweitert  und  war  in  unmittelbare  beriihrung  mit 
Alamannen  und  östlichen  Thüringen  getreten,  deren  besiegung  aber  erst 
unter  Theoderich  erfolgte. 


HERMUNDUREN  419 

gering  hielt  oder  unter  den  Bataven  begrif;  wie  leicht  entschlüpfen 
konnten  ihm  hier  die  Düren.  Sehen  wir,  ob  noch  andere  zeugen  für 
sie  auftreten;  es  fällt  viel  schwerer  sie  erst  in  späteren  zeiten  west- 
wärts vorrücken  zu  lassen. 

Schon  s.  519  und  564  gedachte  ich  einer  nachricht  Procops  von 
der  Franken  herkunft  und  ihren  nachbarn  in  dieser  nordwestlichen 
ecke;  er  kommt  darauf  zu  reden,  als  er  ihren  zusammenstosz  mit 
Westgothen  in  Gallien  zur  zeit  des  fünften  jh.  meldet,  aus  dem 
verein  der  Franken  mit  den  Armorikern,  die  von  ihm  '^gßoQvxoi 
d.  i.  ^Aq^6qi%ol  genannt  werden,  sei  damals  ein  mächtiges,  bereits 
christliches  reich  erwachsen,  welchem  gegen  osten  das  den  Thüringen 
von  kaiser  August  bewilligte  gebiet  gelegen  habe,  ich  will  die  worte 
selbst  ausheben:  ^ihra  8h  avrovg  sg  xa  JiQog  avi6%ovxa  ^hov 
&6QL'yyoi  ßdgßaQOi,  (Jovrög  Avyovötov  nQMtov  ßaöiUcag,  iögvöavco. 
südwärts  aber  habe  sich  der  Burgunden,  hinter  den  Thüringen  der 
Suaben  und  Alamannen  land  befunden,  hätte  er  üavccduvta  statt 
avlö'^ovta  geschrieben,  die  läge  wäre  deutlich,  da  dem  entfalteten 
Frankenreich  jene  Thüringe  westlich,  Burgunden  südlich  saszen.  in 
der  vom  Byzantiner  irgendwo  aufgetriebnen  merkwürdigen  künde, 
dasz  August  den  Thüringen  diese  niederlassung  gestattet  habe,  liegt 
nichts  unwahrscheinliches,  und  darum  musz  sie  frühe  erfolgt  sein; 
auf  mitten  in  Deutschland  wohnhafte  Hermunduren  kann  es  unmög- 
lich bezogen  werden,  geschah  in  der  quelle  ausdrückliche  erwähnung 
der  Armoriker,  die  was  ihr  name  besagt  und  Caesar  7,  75  bestätigt, 
am  meer  wohnten,  so  entscheidet  auch  ihre  nachbarschaft  für  den 
westlichen  standpunct.  im  fünften  jh.  sind  sie  von  der  nordwest- 
lichen küste  auf  die  südliche  gewichen. 

Derselbe  Procop  reicht  aber  noch  anderes  dar,  was  hier  ein- 604 
schlägt.  Aus  Tacitus  Germania  40  (vgl.  oben  s.  472)  wissen  wir,  dasz 
tief  im  deutschen  nordosten  jenseits  der  Elbe  und  gegen  die  ostsee 
unter  andern  suevischen  Völkern  '"Anglii  et  Varini'  wohnten;  Ptole- 
maeus  nennt  'AyysiXol  Uovfjßoi,  die  Variner  hingegen  Omgowoi. 
Auch  sie  scheinen  sich  frühe  nach  dem  fernen  westen  gewandt  zu 
haben,  bei  Procop  (b.  goth.  4,  20)  hausen  Ovccqvol  neben  Franken 
an  den  Rheinmündungen,  'Ayyikoi  schon  auf  der  jenseits  liegenden 
britischen  insel.  wie  im  osten  an  der  Elbe  musten  sie  sich  wieder 
im  westen  mit  Thüringen  begegnen,  ja  sie  scheinen  thüringische  oder 
nahverwandte  stamme. 

Nicht  anders  stellt  der  ags.  wandrer,  nachdem  er  322,  6  von 
Värnum  gesungen  hatte,  unmittelbar  darauf  322,  10  und  schon  321, 
10  Engle  und  Svsefe  zusammen,  und  322,  16  werden  die  Thyringas 
genannt,  das  sind  nicht  Verhältnisse  des  fünften  bis  zum  zehnten  jh. 
sondern  musz  höher  zurückgehn.  ihrer  herscher  namen  Vöd  und 
Billing,  wären  sie  uns  in  voller  sage  bewahrt,  würden  näheren  auf- 
schlusz  bringen. 

Nun  ist  noch  ein  altes  volksrecht  vorhanden,  das  alle  diese  faden 
sowol  am  östlichen  als  westlichen  ende  zu  festigen  scheint,    es  wird 

27* 


420  HERMUNDUREN 

überschrieben:  "^incipit  lex  Angliorum  et  Werinorum  hoc  est  Thurin- 
gorum*.  hier  werden  Angeln  und  Werinen  unmittelbar  für  Thüringe 
erklärt,  fragt  sich  nur,  zu  welcher  zeit  und  in  welchem  landstrich? 

Dem  gesetz  ist  in  seiner  fassung  vieles  mit  dem  friesischen  ge- 
mein, das  unter  Carl  dem  groszen  aufgezeichnet  oder  neu  abgefaszt 
wurde ;  ja  von  den  beiden  sapientes  die  zum  friesischen  recht,  wahr- 
scheinlich im  j.  802,  Zusätze  machten,  Wlemarus  und  Saxmundus,  hat 
ersterer  auch  solche  zur  lex  Angl.  et  Wer.  geliefert.  War  er,  wie 
das  WL  bestärkt,  ein  Priese,  so  muste  er  Westthüringen  näher  stehn 
als  Ostthüringen. 

Es  scheint  natürlich,  dasz  Carl,  der  den  rechtsbrauch  aller  deut- 
schen ihm  gehorchenden  stamme  durchsehn  oder  verzeichnen  liesz, 
auch  der  Thüringe  nicht  vergasz;  aber  können  mit  den  Angeln  und 
Werinen  hier  die  östlichen  gemeint  sein  ?  gab  es  im  achten  jh.  an  der 
605  Elbe  und  Saale  noch  selbständige  Angeln  und  Werinen?  zu  des  ost- 
gothischen  Theoderichs  zeit  herschte,  wie  wir  sahen,  ein  Guarnorum 
rex;  seitdem  waren  300  jähre  verstrichen,  doch  niemals  gedenken  die 
ältesten  ostthüringischen  geschichten  anglischer  oder  wernischer  könige, 
dagegen  Procop  den  Hermegisclus  und  dessen  söhn  Radiger  als  könige 
jener  niederrheinischen  Warnen  angibt,  die  ungefähr  gegen  die  mitte 
des  sechsten  jh.  fallen,  hatten  damals  diese  westlichen  Warnen  könige, 
so  scheint  auch  ihrem  und  dem  westanglischen  volk  nächster  anspruch 
auf  das  recht  zuzustehn,  das  wol  schon  Jahrhunderte  vor  Carl  auf- 
geschrieben war,  nach  dessen  geheisz  durchgesehn  und  gemehrt  wurde, 
man  musz  schon  deshalb  solch  eine  frühe  fassung  annehmen,  weil  auch 
für  Carls  zeit  und  herschaft  jene  westlichen  Thüringe  nicht  mehr 
gerecht  sind;  die  Angeln  waren  in  der  mitte  des  fünften  jh.  nach 
Britannien  übergefahren,  wo  sie  Procop  längst  weisz,  und  weder  bei 
Eginhart  noch  andern  fränkischen  annalisten  geschieht  im  siebenten, 
achten  jh.  der  Weriner  meidung.  des  gesetzes  grundlage  könnte  also 
mit  der  des  salischen  und  ripuarischen  ziemlich  gleichzeitig  erfolgt 
sein  und  Gaupp  s.  234  hat  vollen  fug  auch  aus  der  ab  Wesenheit  aller 
spuren  des  christenthums  einen  früheren  Ursprung  zu  schlieszen.  das 
wergeld  von  200  sol.  stimmt  völlig  zu  dem  salischen  und  ripuarischen, 
während  das  alamannische  und  bairische  niedriger  steht;  des  ags. 
königs  Canut  constitutiones  de  foresta  (Thorpe  s.  184)  beziehen  sich 
ausdrücklich  auf  das  pretium  hominis  mediocris  (d.  i.  ingenui),  quod 
secundum  legem  Werinorum  i.  e.  Thuringorum  est  ducentorum  soli- 
dorum.  zwischen  Angelsachsen  und  Werinen  musz  der  alte  verband 
fortgedauert  haben. 

Im  gesetz  ist  auszerdem  bemerkenswerth,  dasz  es  dem  freien  nur 
einen  adaling,  keinen  litus  zur  seite  gibt,  4,  20  des  '"harpator,  qui 
cum  circulo  harpare  potest'  und  der  ''feminae  fresum  facientes'  ge- 
denkt, die  hearpe  nennen  ags.  lieder,  die  harpa  altn.  oft,  ahd.  glossen 
lassen  harafa  bald  chelys,  bald  tympanum,  bald  cithara  verdeutschen 
(vgl.  oben  s.  480.  499).  was  der  ring  oder  circulus  dabei  eigentlich 
bedeute,  weisz  ich  nicht,  fresum  ist  das  mlat.  frisum  fimbria,  lacinia. 


HERMUNDUREN  421 

was  gewöhnlich  ahd.  koltporto,  mhd.  goltborte,  borte  heiszt  und  dem  606 
gewand  der  vorzeit  nicht  fehlen  durfte,  vgl.  Graff  3,  829  freisa.  7,  3 
steht  zu  ornamenta  muliebria  die  glosse  'quod  rhedo  dicunt ,  das  ist 
die  älteste  spur  der  späteren  gerade  (EA.  566  ff.),  nur  dasz  hier  kein 
fem.  sondern  schwachförmiges  masc.  erscheint,  folglich  eine  männliche 
personification,  wenn  sie  obwaltet  (mythol.  s.  840)  vermutet  werden 
müste.  vlitivam  4,  10,  ein  technischer  ausdruck  für  faciei  labes, 
Vitium,  entspricht  genau  dem  ags.  in  den  ältesten  gesetzen  Äthelberhts 
56  und  dem  fries.  wlitiwimelse  (Richth.  1157),  woraus  von  neuem 
die  nähe  der  britischen  Angeln,  Werinen  und  Friesen  hervorgeht. 

Mag  also  auch  ein  Angelagowe  (Engelingowe)  und  Weringowe  an 
der  Unstrut  und  Werra  fortbestanden  haben  und  das  vormalige  dasein 
der  Angeln  und  Werinen  in  dieser  gegend  bezeugen;  das  volksrecht 
ist  ohne  zweifei  nicht  da,  sondern  unter  den  westwärts  vorgerückten 
niedergeschrieben  worden,  und  den  auszug  dieser  westlichen  Thüringe 
denke  ich  mir  gleich  dem  der  Bataven  aus  dem  chattischen  gebiet, 
oder  doch  nicht  viel  später  aus  hermundurischem  erfolgt.  Man  kann 
nicht  zweifeln,  dasz  diese  bewegung  die  Elbe  hinab  und  von  da  zur 
Weser  und  Ems  gegen  den  Niederrhein  geschah;  unmöglich  aber 
bleibt  es  zu  erkennen,  wie  sich  die  von  den  Thüringen  eingenommnen 
landstriche  zu  den  wohnplätzen  der  Chauken,  Friesen  und  Bataven 
genau  verhielten,  an  den  Eheinmündungen  strömen  von  allen  selten 
her  Völker  zusammen,  nur  der  annähme  ist  nicht  auszuweichen,  dasz 
das  durische  oder  thüringische,  auch  nachdem  es  sich  der  von  Bri- 
tannien aufgenommnen  Angeln  entladen  hatte,  einen  festen  kern  im 
Westen  zu  bilden  fortfuhr,  weil  ohne  das  die  dauer  und  spätere  er- 
neuerung  seines  gesetzes  sich  nicht  wol  begreifen  liesze. 

Gleich  den  Gothen,  Sueven  und  Herulern  (s.  471)  sehn  wir  auch 
den  Hermundurenstamm  in  weite  fernen  gebreitet,  vom  osten  an  der 
Elbe,  wo  er  in  masse  stand  hielt  und  sich  behauptete,  ausgegangen 
erreichte  ein  ansehnlicher  theil  das  westende  Deutschlands,  ein  andrer 
scheint  mit  Odovacer  nach  dem  Süden  verschlagen  und  in  Gothen  607 
oder  Langobaren  sich  verlierend.  Dunkel  wie  Duri  und  Thuringi 
bleibt  mir  auch  Varini,  Werini  und  Warni,  in  so  viel  eigennamen 
und  Ortsnamen  es  eingegangen  zu  sein  scheint;  Warin,  Warinheri, 
Werinpereht  und  andere  bei  Graff  1,  930  verzeichnete  mögen  zeugen, 
erst  wenn  die  vergleichung  des  dakischen  Ovst,lvas  mit  Werinus 
Warinus  (oben  s.  202)  sicher  ist,  dürfte  gewagt  werden  den  flusz- 
namen  Weser  und  Werra  (Wisuraha)  hinzuzuhalten. 

Fast  aller  auskunft  entbehren  wir  über  hermundurische  oder  alt- 
thüringische spräche;  ihr  musz  gleich  der  chattischen  im  ganzen  auch 
hochdeutsche,  suevische  natur  beigemessen  werden,  und  die  wenigen 
ausdrücke  des  alten  rechtsbuchs  enthalten  nichts  was  dem  widerstritte. 
das  WL  in  Wlemarus  und  wlitiwam  ist  zwar  nicht  mehr  ahd.,  mag  es 
aber  früher  gewesen  sein,  wie  es  gothischem  VL  entspricht,  zugleich 
erscheint  es  alts.  und  ags.  und  jene  Wörter  ergeben  nichts  für  den 
characteristischen  unterschied   der  zweiten  lautverschiebung.     etwas 


422  HERMUNDUREN 

weichere  formen  als  die  ahd.  sind  darf  man  schon  der  hermundnri- 
schen  und  chattischen  mundart  zutrauen,  wie  die  blosze  nachbarschaft 
der  angrenzenden  sächsischen  und  friesischen  stamme  rathsam  macht, 
und  das  scheinen  auch  die  Merseburger  denkmäler,  wenn  sich  von  dem 
fundort  auf  den  dialect  der  niederschrift  schlieszen  läszt,  bei  ihrem 
geringen  umfang  freilich  sehr  ungenügend  zu  bestätigen.  In  den  thü- 
ringischen und  warnischen  mannsnamen  Hermenefridus,  Hermigisclus 
(oben  s.  477)  ist  gothischer  anklang,  wie  ihn  schon  die  Verwandt- 
schaften gothischer  und  thüringischer  könige  mit  sich  bringen. 

Den  Hessen  und  Thüringen  ist  auch  das  gemein,  dasz  ihr  alter 
rühm  vorübergieng,  und  -in  der  mitte  Deutschlands  sie  sich  nicht  zur 
höheren  macht  der  Franken,  Schwaben,  Baiern  und  Sachsen  entfalteten, 
doch  bis  auf  heute  und  nach  zahllosen  Umgestaltungen  des  reichs 
dauern  sie  selbständig  und  gesondert  fort. 


XXIII. 
DIE  NIEDERDEUTSCHEN. 


"Wie  im  Süden  der  schwäbische  und  bairische  volksstamm  grund-  608 
läge  der  hochdeutschen  ist  im  norden  der  sächsische  die  der  nieder- 
deutschen spräche  geworden,  im  osten  sind  die  das  älteste  und 
echteste  deutsch  anstimmenden  Gothen  ausgezogen  und  verschollen,  im 
Westen  die  Franken  mit  dem  gallischen  element  verschmolzen,  ihre 
lieder  untergegangen,  von  Chatten  und  Hermunduren  frühe  schon 
nach  dem  äuszersten  nordwesten  entsandte  zweige  scheinen  wesentlich 
zur  bildung  der  niederländischen  spräche  mitgewirkt  zu  haben;  im 
Innern  land  blieb  die  eigenheit  hessischer  und  thüringischer  mundart 
allzu  schwach,  es  ist  als  ob  die  herschende  spräche  und  entscheidende 
kraft  eines  groszen  volks  lieber  an  seinen  selten  als  in  seiner  mitte 
sich  aufthue. 

Da  auch  unter  Thüringen  und  Hessen  hochdeutsche  art  vorwiegt, 
konnte  der  niederdeutsche  stamm  von  frühster  zeit  an  dem  hoch- 
deutschen nicht  die  wage  halten,  und  naturgemäsz  behielt  dieser  die 
Oberhand;  wofür  der  niederdeutschen  spräche  ihr  näherer  anschlusz 
an  die  niederländische,  friesische  und  selbst  nordische,  so  wie  ihrer 
aller  nichtkennen  der  hochdeutschen  nochmaligen  lautverschiebung 
einen  haltbaren  gegensatz  gewährten,  so  unablässig  die  hochdeutsche 
mundart  vorgeschritten  ist,  hat  sie  noch  bis  heute  diesen  vereinten 
widerstand  zu  bekämpfen. 

Meine  Untersuchung  hat  schon  in  vielfachen  beispielen  dargethan,  609 
dasz  die  gröszere  Verwandtschaft  der  einzelnen  stamme  durch  ihre 
spräche  bedingt  ist,  und  die  derselben  mundart  zugethan  sind  auch 
seit  uralter  zeit  unmittelbar  neben  einander  wohnen,  es  sei  denn,  dasz 
besondere  anlasse,  wie'  wir  bei  den  Chatten  und  Hermunduren  voraus- 
zusetzen hatten,  einen  strahl  des  Volkes  voraus  sprengten  und  ihn 
von  dem  zurückbleibenden  kern  absonderten.  Behauptete  sich  nun 
in  dem  nördlichen  Deutschland  ununterbrochen  die  niederdeutsche 
mundart,  so    müssen    die   ihr   angehörigen   Völker  schon  so  lange  in 


424  SACHSEN 

diesen  sitzen  vorhanden  gewesen  sein  als  die  hochdeutschen  in  ihren 
südlichen. 

Man  will  annehmen,  dasz  die  Sachsen,  deren  namen  Strabo, 
Plinius  und  Tacitus  noch  gar  nicht  kennen,  die  zuerst  Ptolemaeus 
im  kimbrischen  chersonesus  aufführt,  nachher,  also  ungefähr  im 
dritten  oder  vierten  jh.,  sich  vom  norden  südwärts  ergossen  hätten. 
Aber  die  im  verfolg  näher  zu  betrachtende  sage  von  der  Sachsen 
einzug  aus  dem  nordalbingischen  land  in  die  strecken  zwischen  Elbe 
und  Weser  hat  keinen  höheren  geschichtlichen  werth  als  die  von 
einwanderung  der  Gothen  aus  Scanzien  an  die  Weichsel  und  Donau 
(s.  446).  wie  die  Gothen  seit  undenkbarer  zeit,  vom  Pontus  und 
aus  Thrakien  heranrückend,  an  der  Donau,  saszen  die  sächsischen 
stamme  an  der  Elbe  und  Weser,  und  ihre  macht  ist  zu  breit  und 
gewaltig,  als  dasz  sie  erst  aus  einer  nördlichen  ecke  könnte  herbei- 
gezogen werden.  War  der  Franken  name  uralt  und  doch  von  den 
frühsten  berichterstattern  unerwähnt  geblieben,  so  mag  noch  viel- 
mehr der  sächsische  in  das  höchste  alterthum  zurückreichen,  ja  es 
ist  s.  226 — 228  möglich  gedacht  worden,  dasz  er  bis  an  den  der 
Sacae  oder  Zldy.ai  in  Asien  selbst  rühre;  der  Zusammenhang  wäre 
nicht  überraschender  als  der  unter  den  Gothen  und  asiatischen  Geten 
wahrnehmbare,  und  die  lautverhältnisse  fügen  sich.  Ed'nai  Sacae 
steht  wie  8ky.a  decem  zu  taihun,  zehan  und  das  eingeschobne  zweite 
S  wie  in  «x  il,  vicus  goth.  veihs  gen.  veihsis,  fuhs  gen.  üihses  neben 
fohä  u.  s.  w.  ob  sich  sex  mit  seco  verknüpfen  lasse,  bleibt  dahin- 
610  gestellt,  dasz  aber  zu  seco  saxum  gehöre  überaus  wahrscheinlich, 
weil  dem  ahd.  sahs,  ags.  seax,  altn.  sax  der  begrif  des  schneidenden 
messers  einwohnt,  scharfen  flins  bearbeiteten  die  des  metalls  ent- 
rathenden  Völker  der  urzeit  zu  waffen,  d.  i,  messern  oder  kurzen 
Schwertern,  und  saxum  konnte  dem  Eömer  der  harte  stein  nur  heiszen, 
weil  er  schnitt  und  schneidendes  geräth  hergab,  [montes  Sahson, 
notizenbl.  6,  114.]  Zu  welcher  skythischen  oder  medischen  wurzel 
jener  name  Z^anai  gerecht  sei,  läszt  sich  nicht  mehr  nachweisen,  in 
ahd.  Sahso,  ags.  Seaxa,  altn.  Saxi  legte  aber  unsre  vorzeit  von  jeher 
die  Vorstellung  des  schwerttragenden. 

Widukind  1,  6.  7  die  schöne  sage  von  den  Sachsen  und  Thü- 
ringen berichtend  und  einer  Zusammenkunft  beider  Völker  gedenkend, 
wobei  diese  unbewafnet,  jene  mit  waffen  auftraten,  sagt  ausdrück- 
lich: erat  autem  illis  diebus  Saxonibus  magnorum  cultellorum  usus, 
quibus  usque  hodie  Angli  utuntur  morem  gentis  antiquae  sectantes. 
mit  diesen  Schwertern  überfielen  und  schlugen  sie  ihre  feinde  nieder, 
fuerunt  autem  et  qui  hoc  facinore  nomen  illis  inditum  tradant: 
cultelli  enim  nostra  lingua  sahs  dicuntur,  ideoque  Saxones  nuncupatos, 
quia  cultellis  tantam  multitudinem  fudissent,  Nennius  bist,  Brit.  cap. 
46  legt  dem  Hengist  die  worte  in  den  mund:  quando  clamavero  ad 
vos  et  dixero  ""eu  Saxones,  nimith  eure  saxas!'  cultellos  vestros  ex 
ficonibus  vestris  educite,  et  in  illos  irruite  et  fortiter  contra  illos 
resistite!     Im  Annolied  heiszt  es  aber: 


SACHSEN  425 

ein  Duringin  duo  der  siddi  was 
daz  si  minhili  mezzir  hiezin  sahs, 
der  di  rekkin  manigiz  druogin, 
damidi  si  di  Duringe  sluogin 
mit  untruwin  ceinir  spräcnin, 
die  ci  vridin  si  gelobit  havitin: 
von  den  mezzerin  also  wahsin 
wurdin  si  geheizin  Sahsin. 

Gotfried  von  Viterbo  bei  Pistor.  25  S'^  hat  die  verse: 

ipse  brevis  gladius  apud  illos  saxo  vocatur, 
unde  sibi  Saxo  nomen  peperisse  notatur, 

wobei  nur  der  deutsche   unterschied   zwischen  sahs  und  Sahso  ver- 
wischt   wird.      Es    ist    noch    bis    in    spätere    zeit   bei  Sachsen   und  611 
Westfalen    der    gebrauch    geblieben,    dasz    die    männer    zu    gericht 
mit   messern    erschienen   und  sie   in  die   erde   niedersteckten    (RA. 
s.  771). 

Dies  alles  erscheint  bedeutsamer,  wenn  zweierlei  anderes  damit 
in  bezug  treten  wird. 

An  die  spitze  des  ostsächsischen  stamms  in  Britannien,  germa- 
nisch belgischer  küste  gegenüber,  stellen  die  ags.  genealogien  den 
Seaxneät,  Vodens  söhn  und  göttlichen  beiden;  derselbe  Saxnöt  wird 
in  der  abrenuntiation  neben  Vödan  und  Thunar  als  dritter  gott  auf- 
gestellt, dem  scandinavischen  glauben  aber  ist  er  unter  solchem  namen 
fremd,  dieser  würde  altn.  Saxnaut,  ahd.  Sahsnöz,  goth.  Sahsanauts 
auszudrücken  und  Schwertträger,  gott  des  leuchtenden  Schwerts, 
kriegsgott  bedeuten.  Heiszen  nach  ihm  seine  kriegsgenossen,  alle 
männer  des  volks,  dem  er  heilig  ist,  Sahson,  Sachsen,  so  hat  diese 
auslegung  sicher  den  Vorzug  vor  der  spielenden  sage,  die  den  namen 
erst  auf  eine  besondere  wafifenthat  des  volks,  zur  zeit  in  welcher  es 
ihn  längst  geführt  haben  musz,  ziehen  will. 

Mit  solchen  stammsagen  scheint  aber  die  wähl  der  ältesten 
zeichen  auf  schild  und  fahne  in  Verbindung  zu  stehn,  wie  vorhin 
das  weifische  wappen  der  Chatten  bestätigte,  und  jenen  Sahsnot  mag 
auch  das  seh  wert  im  sächsischen  von  frühster  zeit  her  ankündigen, 
'der  herzöge  von  Sahsen  ist  des  chuniges  marschalch  und  sol  dem 
chunige  sin  swert  tragen',  sagt  der  Schwabenspiegel  cap.  31*;  dies 
recht  des  schwertvortragens  flieszt  nicht  aus  der  marschallswürde,  ' 
noch  ist  durch  sie  das  schwert  ins  wappen  der  Sachsen  eingeführt, 
sondern  eben  weil  es  von  jeher  darin  war,  pflegten  es  auch  die 
könige  sich  durch  den  herzog  von  Sachsen  vortragen  zu  lassen**, 
der  erzschenke  und  erztruchsesz,  welche  becher  und  Schüssel  vor- 
tragen, nahmen  diese  zeichen  darum  nicht  in  ihren  schild  auf; 
wol  aber  gieng  das  angestammte  sächsische   schwert  hernach  auch  612 


*  aber  nicht  in  den  ältesten  hss.    vgl.  Kopps  bilder  und  sehr.  1,  109. 
**  es  geschah  doch  nicht  immer,  auch  andere  fürsten  als  der  reichs- 
marschall  trugen  unserm  kaiser  zuweilen  das  schwert  vor,  z.  b.  der  dänische 
oder  böhmische  könig.    Kopp  a.  a.  o.  110. 


426  SACHSEN.    CHERUSKEN 

mit  dem  erbamt  auf  die  askanischen   und  meisznischen  kurfürsten 
über*. 

Das  bisher  aus  dem  namen  der  Sachsen  allein  gewonnene  er- 
gebnis  ihres  hohen  alters  und  ihrer  frühsten  anwesenheit  mitten  auf 
deutschem  boden  wird  sich  aber  durch  betrachtung  der  Cherusken 
zur  gewisheit  erheben.  Cherusken  sind  mir  nichts  als  Sachsen  mit 
gleich  altem  andern,  dennoch  vollkommen  einstimmigen  namen. 

Denn  wie  Sahso  auf  sahs  und  den  schwertgott,  leitet  Cherusk 
geradezu  auf  ein  wort,  das  schwert  und  einen  gott  des  Schwerts  be- 
zeichnet, cheru  ist  fränkische  Schreibung  des  alts.  heru,  goth.  hairus, 
ags.  heoro,  altn.  hiörr,  die  wiederum  dem  litth.  kardas  (s.  399) 
gleichen**,  das  kurze,  aus  Claudians  scansion  ersichtliche  E  wahrt 
Dio  Cassius  in  Xegovöycoiy  tadelhaft  scheint  Strabons  Xr]Q0v6y.0L 
Da  nun  aber  die  ableitung  SK  nur  an  personen  und  persönlich  ge- 
dachte Sachen  tritt  (manna  mannisks,  ^iuda  J)iudisks),  so  folgt,  dasz 
ein  goth.  hairvisks  so  wenig  als  heute  schwertisch  von  schwert  ge- 
bildet werden  könne,  es  sei  denn  auf  einen  personificierten  Hairus 
zurückfühi-bar,  der  als  gott  des  volks  ahnherr  ward;  der  name  Che- 
rusk nöthigt  also  unmittelbar  von  einem  göttlichen  Cheru  auszu- 
gehn,  dem  wir  schon  im  bairischen  kriegsgott  Ero  oder  Er  (s.  508) 
begegneten. 

Hieraus  flieszen  wieder  örtliche  Verhältnisse,  da  nemlich,  bevor 
sie  südwärts  zogen,  die  Markomannen  neben  den  Cherusken  an  der 
Elbe  wohnten,  so  begreift  sich  berührung  des  markomannischen 
613  schwertcultus  mit  dem  cheruskischen ,  der  noch  hart  an  der  chatti- 
schen grenze  einen  Eresberg  (mythol.  s.  182.  184)  aufzuzeigen  hatte, 
während  Sueven,  Hermunduren,  Chatten  denselben  gott  unter  dem 
namen  Zio  oder  Tio  feierten.  Waren  Thraker  und  Geten  Aresdiener 
(s.  508),  so  sehn  wir  vom  Hämus  her  durch  die  Gothen  zu  Marko- 
mannen und  Cherusken  die  Verehrung  des  gleichnamigen  gottes  sich 
erstrecken.  Tacitus  aber  führt  uns  tiefer  im  nordosten,  neben  Angeln 
und  Varinen,  auch  Suardonen  an,  die  sich  nochmals  aus  alts.  suörd, 
ags.  sveord,  ahd.  sufe'rt  deuten,  und  in  den  Sveord verum  des  cod. 
exon.  322,  12  aus  langer  versunkenheit  neu  auftauchen,  diese  Sveord- 
veras  sind  ganz  gebildet  wie  die  schwäbischen  Ziuwari  und  man  hat 
die  wähl  sie  und  die  Suardones  Sachsen  oder  Cherusken  gleichzu- 
setzen, möglich,  dasz  alle  drei  benennungen,  innerlich  gleich,  in 
verschiednem  landstrich  zur  selben  zeit  galten,  oder  dasz  sie  einander 
allmählich  vertraten,  wie  leicht  aber  durften  die  Römer  des  ersten 
Jh.,  wenn  ihnen  der  sinn  des  namens  Cheruscus  offenbar  wurde,  des 


*  meine  ganze  Untersuchung  versteht  unter  Sachsen  blosz  die  echten, 
ursprünglichen  (Niedersachsen),  nicht  die  heutigen  Sachsen  (Obersachsen), 
die  erst  seit  1423  diesen  namen  annehmen,  der  ihnen  im  gründe  so  wenig 
gebührt  als  den  Hessen  der  einmal  sieben  jähre  lang  aufgedrungne  westfälische. 
**  auch  den  Zigeunern  ist  charo  schwert  und,  wegen  der  beiden  Schwer- 
ter im  Wappen,  nennen  sie  Sachsen  charodikkotemm,  schwertland.  Pott 
2,  161.  1,  100. 


CHEßüSKEN  427 

identischen  Saxo  geschweigen,  falls  er  schon  vor  Ptolemaeus  zu  ihrem 
ohr  gedrungen  war. 

Caesar  nennt  uns  die  Cherusken  durch  silva  Bacenis  von  Sueven 
d.  i.  Chatten  geschieden;  als  er  gegen  diese  über  den  Mittelrhein  vor- 
rücken wollte,  waren  sie  durch  den  Ungeheuern  wald  an  die  cherus- 
kische  grenze  zurückgewichen.  Auch  Strabo  nennt  Cherusken  und 
Chatten  nebeneinander  und  nun  gar  Plinius  ordnet  seinem  hermino- 
nischen  hauptstamm  Sueven,  Hermunduren,  Chatten,  Cherusken  unter; 
das  mochte  durch  ihre  läge  in  des  landes  mitte,  wie  durch  manches 
einzelne  anschein  gewinnt.  Deckt  uns  aber  schon  Tacitus  der  Chatten 
und  Cherusken  ewige  Zwietracht  auf  (cum  quis  aeternuin  discordant, 
ann.  12,  28),  wie  sie  lange  zeiten  nachher  im  Widerwillen  des  ge- 
meinen haufens  durchbricht  (s.  566);  so  darf  an  beider  Völker  gründ- 
lichem abstand,  den  auch  die  sich  entfaltende  trennung  hochdeutscher 
und  niederdeutscher  spräche  ins  licht  setzt,  nicht  gezweifelt  werden. 

Es  ist  kein  andres  germanisches  volk,  das  in  der  geschichte  den 
Cherusken  sich  zur  seite  stellen  könnte;  an  ihrem  zur  rechten  stunde 614 
gefaszten  und  muthig  ausgeführten  entschlusz  hieng  die  erste,  uns 
noch  alle  begeisternde  rettung  des  Vaterlands,  von  Arminius,  ihrem 
unsterblichen  beiden  sagt  Tacitus  ann.  2,  88:  canitur  adhuc  barbaras 
apud  gentes.  diese  den  Römern  gewordne  künde  kann  nicht  falsch 
gewesen  sein,  und  gewis  feierte  das  lied  seine  thaten.  mit  den  ge- 
sängen  mochte  sich  aber  frühe  der  preis  des  älteren  gottes  oder  halb- 
gottes  Irmin  vermischen,  den  schon  Armins  eigner  name  voraussetzt, 
unstatthaft  wäre  anzunehmen,  dasz  das  in  alle  zweige  deutscher  spräche 
tiefverwachsne  und  in  den  volksnamen  Herminones  Hermunduri  fort- 
lebende, über  das  erste  jh.  hinaufreichende  praefix  Irman-  erst  durch 
den  Cheruskenfürst  entsprungen  sei  und  umgegrifFen  habe,  von  Sachsen 
her  konnte  doch  den  Gothen  kein  Airmanareiks ,  den  Nordländern 
kein  lörmungandr  zugebracht  werden,  und  beruht  die  Irmansül  auf 
einer  uralten  mythischen  Vorstellung,  so  war  sie  nicht  zu  Armins 
ehren  errichtet,  merkwürdig  ist,  dasz  Arminius,  neben  Herminones 
und  Hermunduri  geschrieben  wird;  Arminius,  lang  unter  Römern 
verkehrend  (Vellejus  2,  118)  mochte  ihnen  den  reinen  anlaut  seines 
namens  eingeübt  haben,  dessen  ausgang  auf  -ins  sie  nur  lateinisch 
zurichteten,  schwerlich  setzten  sie  deutsches  Irman  um  in  Armin, 
eher  liesze  sich  in  arm  das  vorgeschobne  a  einer  brechung  spüren, 
die  der  goth.  form  airm  gliche;  oder  dachte  man  an  Armenius,  wie 
Strabo  wirklich  schreibt? 

Varus  ward  im  j.  9  geschlagen  und  darauf  folgten  fünf  jähre 
ungestörter  freiheit;  vom  j.  14  an  erneuerten  die  Römer  ihren  krieg. 
Thusnelda  im  j.  15  schwanger  gefangen  gebar  ihren  söhn  Thumelicus 
unter  den  feinden,  er  war  dreijährig,  als  sie  im  pomp  zu  Rom  vor- 
geführt wurden,  die  schlacht  auf  Idisiaviso  fällt  ins  j.  16;  in  den 
Jahren  17.  18.  19  erlangt  Arminius  das  übergewicht  vor  Maroboduus, 
der  nach  Italien  flüchten  musz,  wo  er  im  j.  39  hochbejahrt  und  ruhm- 
los sein  leben  beschlieszt.    Arminius  aber  erlag  schon  im  j.  19,  'dolo 


428  CHERUSKEN 

propinquorum',  falls  die  den  Römern  zugebrachte  nachricht  gegründet 
war,  also  ohne  Thusnelda  wieder,  ohne  seinen  söhn  je  gesehn  zu 
eiBTiaben;  auch  diesem  kann  kein  langes  leben  beschieden  gewesen  sein, 
denn  im  j.  47  war  vom  ganzen  cheruskischen  fttrstenstamm*  der 
einzige  Italiens  übrig,  den  das  volk  aus  der  Römer  hand  zurück  er- 
bat und  erhielt. 

Die  Verwandtschaften  des  geschlechts,  wenn  man  alle  nachrichten 
der  Römer  vergleicht,  stellen  sich  so  dar: 


Segestes        Segimerus       Inguiomerus  Actumerus 


Segimundus        Thusnelda    Arminius      Sesithacus      Flavus         Rhamis^ 


Thumelicus  Italiens 

Chariomerus 
obschon  einzelnes  dunkel  bleibt,  den  Arminius  nennt  Tacitus  nie- 
mals weder  Segimers  söhn  noch  Segests  neffen,  man  durfte  es  schon 
aus  seinem  Verhältnis  zu  Flavus  folgern,  allen  zweifei  hebt  aber  Velle- 
jus  2,  118,  wo  er  ausdrücklich  Sigimeri  filius  heiszt;  dasz  er  sich 
des  oheims  tochter  zur  braut  raubte  stimmt  mit  dem  brauch  des 
alterthums.  ein  ann.  1,  71  ungenannter  söhn  Segimers  musz  der- 
selbe sein,  welchen  Strabo  Sesithak  nennt  und  zum  gemahl  der  Rha- 
mis  macht,  eine  Chattin  hatte  nach  Tacitus  auch  Flavus  geheiratet, 
er  kann  aber  nicht  zusammenfallen  mit  Sesithak  (etwa  bei  Cherusken 
diesen,  bei  Römern  den  namen  Flavus  führen),  weil  er  stets  den 
Römern  anhieng,  von  Sesithak  des  Varus  leichnam  mishandelt  wor- 
den war.  es  müssen  also  zwei  töchter  Actpmers  gewesen,  Rhamis 
an  Sesithak,  die  ungenannte  an  Flavus  ausgegeben  sein,  zwischen 
chattischem  Actumer,  battischem  Ukromer  unterscheiden  mag  ich 
nicht;  offenbar  sind  beide  nur  einer.  Aus  dem  Stammbaum  erklärt 
sich  einfach,  wie  Armin  gegen  Segest,  dessen  söhn  römischer  priester 
geworden  war,  kräftig  auftreten  konnte,  und  warum  nach  Segests, 
616  Segimers,  Armins,  wahrscheinlich  auch  des  Thumelicus  tod  Cherusken- 
land  dem  Italiens  anfiel,  sein  recht  beruhte  auf  des  Flavus  abkunffc 
von  Segimer;  dasz  Chariomer  (Dio  67,  5,  oben  s.  573)  sein  söhn 
war,  macht  beider  ergebenheit  gegen  Rom  wahrscheinlich,  so  wie  der 
Chatten  einschreiten  in  der  nahen  Verwandtschaft  vollkommen  be- 
gründet war. 

Segest  ist  Sigegast  (s.  541)  und  des  namens  erster  theil  wieder- 
holt in  Sigemund  und  Sigemär;  sie   alle  entsprechen  sigambrischer 


*  hier  ann.  11,  16  redet  Tacitus  von  einer  stirps  regia  und  11,17  nennt 
er  den  Italicus  rex;  bei  Strabo  heiszen  alle  cheruskischen  häupter  fjyefio- 
vsg,  vgl.  s.  580. 


CHERÜSKEN  429 

nachbarschaft.  Inguiomßrus,  ahd.  Ingumär,  romanisch  gefaszt  Hinc- 
mar,  klingt  recht  ingaevonisch,  Thusnelda  habe  ich  schon  oft  erklärt. 
Thumelicus  war  wol  Thümeling  d.  i.  pollex,  altn.  pumlüngr;  wurde 
dem  in  der  fremde  und  des  vaters  abwesenheit  gebornen  kind  der 
ungewöhnliche  name  bedeutsam  beigelegt?  oder  wäre  es  entstellt 
(Mfür  2J)  aus  Thuselicus  d.  i.  thurselic  nach  der  mutter?  Sesithacus 
scheint  zunächst  ahd.  Sisidanch,  thacus  hätte  N  ausgeworfen,  wie 
altn.  J)ökk,  J)akkir.  Actumerus  wurde  s.  580  gedeutet,  seiner  tochter 
Ehamis  name  zurückgeleitet  auf  das  fränk.  chram  und  fram  (s.  513). 

So  kurz  Arminius  seines  siegs  genosz,  diese  glanzvolle  erhebung 
gegen  römische  weltherschaft  hatte  frucht  getragen  und  der  feinde 
hier  gebrochne  macht  für  immer  hinter  den  Ehein  zurückgewiesen; 
wie  oft  sie  sich  noch  hervor  wagte,  es  hatte  keinen  erfolg  mehr. 
In  der  Varusschlacht,  zur  stunde  der  gefahr,  waren  alle  nordwest- 
lichen Deutschen  geeint  gewesen,  Cherusken,  Angrivarier,  Marsen 
(ann.  2,  25),  Bructerer,  Sigambern,  Chatten  (s.  573),  alle  die  hernach 
Germanicus  mit  dem  seh  wert  heimsuchte,  um  räche  zu  nehmen;  es 
erhellt  auch  aus  den  im  römischen  triumph  gemeinsam  aufgeführten 
gefangnen  Cherusken,  Sigambern  und  Chatten,  und  zwischen  Chatten 
und  Cherusken  mochte  damals  vor  der  engen  Verknüpfung  der  fürsten 
die  alte  abneigung  der  stamme  zurückgetreten  sein.  Nach  errungnem 
sieg  muste  in  der  Deutschen  wie  der  Eömer  äugen  Arminius  vor- 
ragen und  sein  ansehn  noch  höher  steigen,  seit  er  sich  mit  Marobo- 
duus  (s.  504.  505)  gemessen  hatte.  Wenn  hier  von  Tacitus  ann.  2,  45 
Cherusci  'sociique  eorum'  den  Sueven  entgegengestellt  werden,  von 
suevischer  seite  Semnonen  und  Langobarden  zu  den  Cherusken  über- 
treten, während  Inguiomer  samt  seinem  anhang  von  Arminius  zu  617 
Maroboduus  abgieng;  so  sind  darunter  blosze  erscheinungen  dieses 
kriegs,  keine  dauernden  Verhältnisse  zu  verstehn  und  auf  ähnliche 
auch  bei  Strabo  s.  291  die  Xijqovöxol  xat  ot  xovtav  vTCijxooi  ge- 
meint. Der  annähme  eines  cheruskischen  Völkerbundes  bedarf  es  also 
gar  nicht;  die  den  Cherusken  stammverbundnen  Posen,  Marsen,  Angri- 
varier und  andere,  deren  namen  wir  nicht  kennen,  hielten  es  schon 
früher  wie  später  mit  ihnen,  und  dasz  sie  zu  Chatten,  Hermunduren, 
Langobarden  ihre  alte  Stellung  beibehielten,  lehrt  die  geschichte. 

Den  Cherusken,  allgemein  gesprochen,  gehörte  das  mittlere 
Deutschland  zwischen  Elbe  und  Weser  und  noch  über  die  Weser 
hinaus  am  Teutoburger  wald*;  im  süden  waren  Hermunduren,  im 
Südwesten  Chatten,  im  westen  Sigambern,  Bructerer,  im  osten  Lango- 
barden und  Sueven  ihre  nachbarn.  am  schwierigsten  fällt  die  bestim- 
mung  ihrer  nördlichen  grenze,  hier  müssen  ihnen  im  rücken  gegen 
die  Elbe  hin  nicht  allein  Chauken  sondern  auch  noch  andere  stamm- 
verwandte Völkerschaften  gewohnt  haben,  deren  genaue  angäbe  nach 
Verschiedenheit  der  zeiten  und  bei  dem  drang,  der  an  der  niedern 
Elbe  von  osten  gegen  westen  stattfand,  manchem  zweifei  unterliegt. 

*  man  kann  diese  XsQovaxia  ungefähr  umschreiben  durch  den  sprengel 
der  bisthümer  Paderborn,  Hildesheim  und  Halberstadt. 


430  CHERUSKEN.    ANGRIVARIER.   MARSEN 

Mit  den  Chatten,  ihren  nachbarn  und  gegnern,  haben  die  Che- 
rusken  auch  die  zeit  ihres  beiderseitigen  hervoi'leuchtens  gemein;  nach 
dem  ersten  jh,  beginnt  ihr  name  zu  erblassen.  Ptolemaeus  nennt  sie 
zwar  noch  zwischen  Weser  und  Elbe,  schiebt  aber  ihren  sitz,  wie  er 
auch  bei  Chatten  und  Tubanten  thut,  zu  weit  nach  Südosten  vor; 
vergebens  sucht  hier  Zeusz  s.  107  seine  angaben  zu  retten,  offenbar 
hatte  Ptolemaeus  keine  lebendige  künde.  Wenn  in  des  Nazarius  rede 
vom  j.  321  unter  den  gegen  Constantin  verbündeten  Völkern  noch 
Cherusci  aufgeführt  werden,  wenn  Claudian  de  hello  getico  419  Sicam- 
618bern,  Chatten  und  Cherusken  und  de  IV.  cons.  Hon.  450  Bructerer, 
Cimbern  und  Cherusken  nennt;  so  scheinen  diese  namen  blosz  gelehrt 
zusammengestellt  und  nicht  den  ereignissen  selbst  entnommen.  Am- 
mian  kennt  keine  Cherusken  mehr,  nur  Sachsen  an  ihrer  stelle. 

Den  alten  Cherusken  benachbart  und,  wie  es  scheint,  mit  ihnen 
ingaevonischen  Stammes  waren  Fosen,  Angrivarier,  Marsen,  Dulgi- 
binen,  Chasuarier,  vielleicht  noch  einige  kleinere,  von  Ptolemaeus  an- 
gegebne Völker. 

Wenn  die  Fosi,  wie  man  annimmt,  von  der  bei  Celle  in  die  Aller 
flieszenden  Fuse  ihren  namen  führen  (s.  574),  so  hätten  sie  im  nor- 
den der  eigentlichen  Cherusken  gesessen,  also  den  Chatten  ziemlich  fern, 
bei  deren  sieg  über  die  Cherusken  sie  das  einzigemal  angeführt  werden. 

Westwärts  an  der  Weser  wohnten  die  Angrivarier,  zwischen 
Chauken  und  Cherusken,  beim  zug  des  Germanicus  gegen  diese  sagt 
Tac.  ann.  2,  19:  latus  unum  (paludis)  Angrivarii  lato  aggere  extu- 
lerant,  quo  a  Cheruscis  dirimerentur.  Germ.  33.  34  stellt  er  sie 
noch  westlicher  den  Chamaven  zur  seite  auf  ehmals  brukterischen 
boden ;  es  ist  kaum  anzunehmen,  dasz  sie  von  da  südlich  vorgeschrit- 
ten und  am  Rhein  neben  die  Mattiaker  gelangt  seien  (s.  582).  die 
notitia  dign.  nennt  auch  Anglevarii,  welche  form  sogar  Angern  und 
Angeln  vermitteln  könnte.  Liegt  dem  volksnamen  der  begrif  anger 
oder  wiese  zum  grund,  so  dürfte  er  anwohnern  der  Weser  wie  des 
Rheins  zustehn.  auf  jeden  fall  müste,  wenn  ein  theil  der  Angriva- 
rier gegen  den  Rhein  gezogen  wäre,  der  kern  ihres  stamms  an  der 
Weser  geblieben  sein,  wo  er  noch  später  waltet. 

Höchst  alterthümlich  klingen  die  Marsen  an.  als  Tacitus  aus 
des  Mannus  drei  söhnen  drei  hauptstämme  der  Germanen  abgeleitet 
hat,  fügt  er  hinzu:  quidam  plures  deo  ortos  pluresque  gentis  appella- 
tiones  Marsos,  Gambrivios,  Suevos,  Vandilios  affirmant,  aeque  vera 
et  antiqua  nomina.  führen  sich  also  Gambrivier  auf  einen  Gambar 
(den  ahnen  der  Sigambern),  Sueven  auf  Suevus,  Vandilier  auf  Vandil 
zurück,  so  musz  den  Marsen  ein  Marso  (myth.  336)  als  mythischer 
61.9ahnherr  gegolten  haben,  und  an  der  uns  jetzt  verdunkelten  allge- 
meinen gültigkeit  dieses  namens  ist  kein  zweifei,  da  suevische  Mar- 
signi  d.  i.  Marsingi  angeführt  werden*,  und  ^er  bei  Marsiburg,  Mersi- 

*  die  batavischen,  bist.  4,  56  neben  Canninefaten  genannten  Marsaci 
sind  vielleicht  unverwandt  und  auf  das  engl,  marsh,  ags.  merse  palus  zu- 
rückzuführen, vgl.  lat.  mariscus  juncus  marinus. 


CHERUSKEN.   MARSEN  431 

bürg  (Pertz  8,  537.  540)  zu  gründe  liegt,  auszer  diesem  thüringi- 
schen ort  erscheint  auch  ein  westfälisches  Mersburg,  Mersberg  für 
Eresberg  (mythol.  s.  1209),  das  vielleicht  aus  dem  lat.  mons  Martis 
entsprungen  ist;  dunkel  bleibt  uns  das  deutsche  wort.  Wenn  ein 
mhd.  dichter  die  seltsame,  sonst  unerhörte  redensart  braucht:  "^der 
des  tödes  durch  si  gert  und  zuo  zallen  marsen  vert'  MS.  1,  25*,  so 
meint  er  einen  liebenden,  der  für  seine  frau  sich  in  den  tod  und  alle 
gefahren  oder  abenteuer  stürzt,  [marsen  man.  Crane  2865.]  nnl.  be- 
deutet mars  einen  mastbaum,  aber  von  keinem  dieser  ausdrücke  weisz 
ich  Vorstellungen  zu  entnehmen  die  sich  dem  alten  volksnamen  eigneten. 
Wichtiger  ist  es  der  Marsen  wohnsitz  zu  ermitteln,  und  früher 
mag  er  etwas  westlicher  gegen  den  Rhein  gewesen  sein;  als  des 
Drusus  feldzüge  die  folge  hatten,  dasz  August  germanische  Völker 
auf  das  linke  Rheinufer  versetzen  Kesz,  wichen  sie  aus,  und  zogen 
sich  tiefer  ins  innere  land,  wo  wahrscheinlich  der  kern  ihres  Volkes 
sasz.  Strabo  nennt  sie  ausdrücklich  als  zurückbleibende,  neben  einem 
theil  der  Sigambern,  s.  290:  Tccvtrjg  (Tiyg  noTa^iag)  öl  tä  ^Iv  dg 
trjv  KhXxL^iriv  ^hzYiyayov  'PiofialoL,  xcc  d'  's'q)&tj  (lExaördvta  slg  trjv 
Iv  ßäd'Si  xcSquv,  Ka&aTieQ  Magöol'  Xoinol  d'  elolv  okiyoi  xal  räv 
Uovycc^ßgav  {iSQog.  Man  darf,  da  sie  an  der  Varusschlacht  theil- 
nahmen  (s.  616),  in  ihnen  nachbarn  und  freunde  der  Cherusken  vor- 
aussetzen und  ihr  land  in  das  gebiet  der  oberen  Ruhr,  d.  h.  die 
grafschaft  Mark  und  einen  theil  des  herzogthums  Westfalen  legen. 
Das  wird  nun  auch  durch  eine  recht  verstandne  nachricht  bei  Taci- 
tus  ann.  1,  50.  51  vollkommen  klar,  im  j.  14  überzog  Germanicus 
die  Deutschen,  und  man  darf  ihm  zutrauen,  dasz  er  sich  gerade  gegen 
die  stamme  wandte ,  welche  den  Varus  vernichtet  hatten.  Laeti,  620 
heiszt  es,  neque  procul  Germani  agitabant,  dum  justitio  ob  amissum 
Augustum,  post  discordiis  attinemur.  at  Romanus  agmine  propero 
silvam  Caesiam  limitemque  a  Tiberio  coeptum  scindit,  castra  in  limite 
locat,  inde  saltus  obscuros  permeat,  consultatque  ex  duobus  itineribus 
breve  et  solitum  sequatur,  an  impeditius  et  intentatum  eoque  hosti- 
bus  incautum.  delecta  longiore  via  cetera  accelerantur.  etenim  attu- 
lerant  exploratores  festam  eam  Germanis  noctem  et  solemnibus  epulis 
ludicram  .  .  .  juvit  nox  sideribus  inlustris,  ventumque  ad  vicos  Mar- 
sorum  et  circumdatae  stationes  stratis  etiam  tum  per  cubilia  propter- 
que  mensas,  nullo  metu,  non  antepositis  vigiliis.  Caesar  avidas  le- 
giones,  quo  latior  depopulatio  foret,  quattuor  in  cuneos  dispertit,  quin- 
quaginta  millium  spatium  ferro  flammisque  pervastat.  non  sexus,  non 
aetas  miserationem  attulit,  profana  simul  et  sacra,  et  celeberrimum  illis 
gentibus  templum,  quod  Tanfanae  vocabant,  solo  aequantur.  sine  vül- 
nere  milites,  qui  semisomnos,  inermos  aut  palantes  cediderant.  Excivit 
ea  caedes  Bructeros,  Tubantes,  üsipetes,  saltusque  per  quos  exercitui 
regressus  insedere.  Auf  diesen  heimtückischen  und  grausamen  zug  er- 
hob sich  der  römische  feldherr  vom  Rhein  bei  castra  vetera  aus  südost- 
wärts  gegen  die  Ruhr,  die  silva  Caesia  entfernt  allen  zweifei;  man  hat  sie 
nördlich  bei  Coesfeld  (Kuhfeld?)  gesucht,  eine  Urkunde  vom  j.  796  bei 


432  CHERÜSKEN.   MARSEN 

Lacomblet  n®  6  lehrt  aber  deutlich:  comprehensio  (bifang)  in  silva  quae 
dicitur  Heissi,  in  aquilonari  parte  fluYÜ  Rurae,  vgl.  n^  17  a.  800  und 
n^  290  a.  1119,  wo  silva  Hese  steht,  noch  heute  trägt  Heisingen,  ein 
dorf  (zwischen  Essen  und  Werden,  auf  der  rechten  seite  der  Ruhr), 
davon  seinen  namen.  bis  zur  Caesia  reichte  römischer  besitz*,  von 
da  im  deutschen  gebiet  zog  das  beer  durch  dichte  wälder  und  nach 
mitternacht  war  der  wohnort  der  Marsen  erreicht,  die  ein  heiliges 
fest  begangen  hatten  und   in  tiefem  schlafe  lagen.     Um   von  Wesel 

621  aus  an  diese  stelle  zu  gelangen  darf  man  dem  Germanicus  nur  einen 
tag  und  eine  halbe  nacht  einräumen,  binnen  welcher  zeit  höchstens 
sechs  bis  acht  meüen  zurückgelegt  wurden;  machte  die  silva  Caesia 
ungefähr  die  mitte  der  ganzen  reise,  so  hätte  der  ausgang  derselben 
einen  punct  wie  Dortmund  erreicht,  in  dessen  gegend  ich  geneigt 
bin  den  sitz  der  Marsen  und  des  Tanfanatempels  anzunehmen.  Das 
schwierige  ist  sich  die  läge  und  abgrenzung  der  Marsen  von  den  übri- 
gen westlichen  Germanen  zu  verdeutlichen.  Zwischen  Ems  und  Lippe 
wohnten  Bructerer  (s.  530),  an  der  unteren  Ruhr  Chattuarier  (s.  589) 
und  dann  Tencterer  (s.  533),  diesen  beiden  östlich  Sigambern  (s.  520), 
die  mitte  zwischen  Sigambern  und  Bructerern  an  der  oberen  Ruhr 
mögen  Marsen  eingenommen  haben;  ostwärts  den  Sigambern  grenzten 
Chatten  und  Cherusken,  ostwärts  den  Marsen  und  Bructerern  wiederum 
Cherusken;  gegen  Süden  saszen  üsipeten  und  Mattiaker.  Mit  richtigem 
blick  hat  auch  Zeusz,  ohne  von  der  silva  Caesia  auszugehn,  die  Mar- 
sen nicht  so  nördlich  verlegt,  wie  bisher  geschah;  ich  weiche  nur 
darin  von  ihm  ab,  dasz  sie  mir  nicht  in  den  Sigambern  aufzugehn 
scheinen;  ob  sie,  gleich  den  Cherusken,  ingaevonischen  Stammes  waren, 
wie  ich  zu  vermuten  wage,  wird  sich  freilich  nicht  entscheiden  lassen. 
Dasz  ihre  niederlage  die  Bructerer  aufregte,  und  diese  dem  römischen 
beer  den  rückweg  abzuschneiden  suchten,  begreift  sich;  Tacitus  ge- 
sellt ihnen  hier  aber  auch  Tubanten  bei,  die  man  sich  nördlicher, 
und  üsipeten,  die  man  sich  südlicher  zu  denken  pflegt  (vgl.  s.  592). 

Auf  diesem  heerzug  sengten  und  brannten  die  Römer  50,000 
schritte  weit  und  breit  im  umkreis  und  Tanfana  wurde  zerstört;  es 
beiszt  'celeberrimum  illis  gentibus  templum',  der  ort  stand  in  grösztem 
ansehn  und  galt  mehr  als  einem  deutschen  volke  für  heilig;  hieraus 
erhellt,  dasz  vielen  deutschen  stammen  auch  glaube  und  cultus  gemein 
waren,  welch  hohen  werth  würde  diese  meidung  für  uns  haben, 
wenn  sie  genauer  ausgefallen  wäre  und  auszer  den  stammen  auch 
die  stelle  des  heiltums  bezeichnet  hätte,    aus  andern  umständen  scheint 

622  sich  folgern  zu  lassen,  dasz  solche  örter  gern  auf  der  grenze  zwischen 
zwei  oder  drei  Völkerschaften  angelegt  waren  und  zugleich  deren 
absonderung.und  gemeinschaft  ausdrückten;  Tanfana  mochte  Marsen 
Bructerern  Cherusken,  Irmanstll  Chei-usken  Sigambern  Chatten  zusam- 
men heilig  sein.     Wie  man  immer  Tanfana  deuten  könne,  es  war  ein 


*  auch  später  gehört  Heisingen  nebst  Werden  zum  fränkiscb-ripuari- 
schen  Ruhrgau  und  jenseits  begann  Boroctragau. 


CHERUSKEN.    MARSEN.    DULGIBINEN  433 

weibliches  höheres  wesen,  das  hier  verehrt  wurde  und  kein  kelti- 
sches, sondern  echt  deutsch  gleich  der  nahen  Veleda;  s.  232  führte 
mich  der  name  auf  eine  göttin  des  heerdes  und  feuers,  die  man  leicht 
mit  einer  anderen  und  bekannteren  göttermutter  vereinbaren  dürfte, 
nun  wies  die  örtlichkeit  vorhin  nach  Dortmund,  dessen  uralter  name 
in  rein  sächsischer  form  Throtmani,  Throtmeni,  Throtmenni  lautet, 
was  nicht  anders  aussagt  als  monile  gutturis,  colli,  wie  noch  ein  ort 
an  der  Weser  Holtesmeni  (Holzminden)  monile  silvae  heiszt.  Frowa 
oder  Freyja  trug  aber  an  ihrem  hals  das  berühmte  Brosinga  mene 
und  davon  konnte  ein  heidnischer  ort  benannt  sein,  man  darf  gar 
nicht  bezweifeln,  dasz  nach  Verheerung  des  Tanfanatempels  die  Deut- 
schen den  heiligen  ort  wieder  neu  errichteten. 

Ebensowenig  waren  die  Marsen  selbst  vernichtet,  zwei  jähre 
später  fand  es  Germanicus  für  nöthig  sie  wiederum  zu  überfallen, 
und  nachdem  er  einen  andern  häufen  gegen  die  Chatten  entsandt 
hatte,  heiszt  es  ann.  2,  25:  ipse  majoribus  copiis  Marsos  irrumpit, 
quorum  dux  Mallovendus  nuper  in  deditionem  acceptus  propinquo 
luco  defossam  varianae  legionis  aquilam  modico  praesidio  servari  in- 
dicat.  Missa  extemplo  manus,  quae  hostem  a  fronte  eliceret,  alii  qui 
terga  circumgressi  recluderent  humum:  et  utrisque  aflFuit  fortuna. 
60  promptior  caesar  pergit  introrsus,  populatur,  exscindit  non  ausum 
congredi  hostem,  aut  sicubi  restiterat  statim  pulsum,  nee  unquam 
magis,  ut  ex  captivis  cognitum  est,  paventem.  Des  Überläufers  name 
liesze  sich  aus  mahal  und  vendo  phalanx  deuten. 

In  seiner  Germania  aber  vergiszt  Tacitus,  auszer  jener  allgemeinen 
erwähnung  bei  angäbe  der  hauptstämme,  die  Marsen  und  ihren  Wohn- 
sitz zu  schildern ,  wie  er  auch  der  Sigambern  völlig  geschweigt,  da  623 
doch  in  den  annalen  beide,  Marsen  und  Sigambern,  bedeutsam  vor- 
treten. Später  scheint  der  Marsen  name  gänzlich  zu  erlöschen  und 
entgeht  auch  dem  Ptolemaeus;  sie  mögen  sich  in  dem  volk,  das  den 
namen  und  die  stelle  der  Cberusken  vertritt,  gleichfalls  verlieren. 

Dafür  gedenken  Tacitus  und  Ptolemaeus  eines  geringeren,  den 
Cherusken  benachbarten  und  ohne  zweifei  nahverwandten  volks,  das 
hernach  wiederum  verschwindet.  Tacitus  Germ.  34  läszt  im  rücken 
der  Angrivarier  und  Chamaven  noch  Dulgibini  oder  besser  Dulgubini 
und  Chasuarii  hausen,  dem  Ptolemaeus  sind  zlovXyov^noi  an  Lango- 
barden grenzend,  also  weiter  im  osten  oder  nordosten  der  Cherusken. 
In  diesem  namen  ist  das  ags,  dolg,  fries.  dolch,  ahd.  tolc  vulnus  nicht 
zu  verkennen,  und  gerade  wie  im  goth.  aus  vermutlichem  einfachem 
vundö  vundubni  vulnus  fortgebildet  wird,  mag  aus  dulg,  dolg  ein 
dulgubni  vulneratio  entspringen,  von  dem  sich  dann  weiter  dulgubnja 
vulnerator  ableiten  läszt.  Dulgubini  ist  leicht  in  Dulgubnii,  wozu 
zJovXyov^vioi  näher  tritt,  zu  berichtigen  [Haupt  9,  243],  und  bedeutet 
viri  vulnerantes,  vulnera  dantes  d.  i.  bellatores,  wie  sich  vielleicht 
der  thrakischen  oder  getischen  TgavöoL  Trausi  name  (Herod.  5,  4. 
Liv.  38,  41)  nicht  nur  auf  gr.  tqcoco  xitQCJöiico  tgäoig  tgav^a,  son- 
dern auch   auf  goth.  driusan,    ags.  dreosan  cadere  und   ags.  dreore, 

ärimm,  geüchichte  der  deutschen  spräche.  28 

/ 


434  CHERUSKEN.    DULGIBINEN.    SACHSEN 

altn  dreyri,  ahd.  trör  gutta  cadens,  sanguis,  cruor  zurückführen  läszt. 
[doch  t  fordert  J).  vgl.  J)rör  cervus,  J)roskr  vigor.]  aus  der  bedeutung 
vulnerans  ist  das  altn.  dölgr  hostis  hervorgegangen,  da  jedoch  unter 
Friesen  und  Hochdeutschen  dolg  und  tolc  nur  wunde  ausdrückt,  so  wäre 
unrichtig  und  auch  sonst  unpassend  Dulgubini  durch  feinde  zu  erklären, 
über  das  goth.  dulgs  (s.  325)  habe  ich  mich  anderswo  ausgesprochen. 
Der  den  Cherusken  nördlich  gelegnen  Chasuarier  und  ihres  sitzes 
geschah  schon  s.  558  meidung,  Ptolemaeus  nennt  auszer  den  Kaöovd- 
QOL  auch  noch  NEQtSQBavsg  und  ^avdovtoi,  deren  sitze  sich  aber 
nach  seinen  angaben  gar  nicht  fassen  lassen;  im  vorletzten  namen  liegt 
ein  merkwürdiger  anklang  an  die  göttermutter  Nertus  oder  Nerthus. 

624  Von  allen  diesen  nachbarn  der  Cherusken  ist,  mit  ausnähme 
eines  einzigen  volks,  nach  dem  verlauf  des  ersten  und  zweiten  jh. 
keine  rede  mehr,  und  ihr  name  geräth,  gleich  dem  cheruskischen 
selbst,  in  Vergessenheit,  wäre  aber  glaublich  oder  möglich,  dasz  so 
mannhafte  und  ansehnliche  stamme  verschwunden,  und  aus  der  gegend, 
die  sie  inne  hatten,  gewichen  wären?  von  einem  solchen  abzug  noch 
von  ihrer  ankunft  auf  anderm  boden  weisz  die  geschichte  nicht  das 
geringste,  und  neben  ihnen  haben  Thüringe  und  Hessen  fortwährend 
die  alten  sitze  behauptet,  man  kann  sich  nichts  anders  vorstellen, 
als  dasz  auch  die  Cherusken  in  ihrer  heimat  blieben  und  nur  mit 
verschiednem  namen  auftraten;  dieser  name  war  aber  der  sächsische, 
welchem,  wie  vorhin  gezeigt  wurde,  gleicher  sinn  mit  dem  cheruski- 
schen einwohnt.  Ungefähr  um  dieselbe  zeit  hören  auch  die  Sigambern 
und  andere  ihnen  stammverwandte  Völker  auf  und  werden  durch 
Franken  ersetzt;  keine  dieser  benennungen  scheint  mir  neu  erfunden, 
sondern  längst  vorhanden  und  jetzt  nur  die  bisher  übliche  verdrängend. 

Man  hat,  sahen  wir  s.  609,  gemutmaszt,  im  dritten  jh.  seien 
die  Sachsen  aus  der  kimbrischen  halbinsel,  als  eine  neue  erscheinung, 
vorgerückt  und  siegreich  in  weite  ferne  gedrungen,  es  wäre  doch 
das  seltsamste,  dasz  ein  auf  schmaler  chersonesus  neben  sechs  oder 
sieben  andern  wohnhafter  stamm,  nothwendig  geringes  umfangs,  plötz- 
lich angeschwollen,  von  der  mündung  der  Elbe  aus  das  gesamte  gebiet 
zwischen  Elbe,  Weser  und  beinahe  Rhein  bis  zur  mitte  Deutschlands 
hin  erfüllt,  und  sich  zugleich  gegen  westen  an  der  gallischen  küste 
her,  bald  auch  nach  Britannien  ausgebreitet  hätte,  von  solcher  kraft- 
äuszerung,  sollte  man  meinen,  würde  doch  auszer  ihren  äuszersten  er- 
folgen am  litus  saxonicum  und  in  Britannien  auch  dem  Innern  Deutsch- 
land künde  geblieben  sein,  sollten  Chauken  und  Cherusken  diesem 
einbrach  der  Sachsen  keinen  widerstand  entgegengesetzt  haben?  ja 
wäre  überhaupt  gedenkbar  und  durch  andere  beispiele  in  der  deut- 
schen geschichte  zu  bestätigen,  dasz  ein  stamm  verwandte  stamme 
auf  solche  weise  überzogen  und  unterworfen  hätte?  Wie  viel  wahr- 
scheinlicher  also  ist  es  zu  glauben,   dasz  die  von  Ptolemaeus  zuerst 

625  in  einem  winkel  hinter  der  Elbe  erforschte  benennung  der  Sachsen 
schon  längst  unter  dem  ganzen  volk  gäng  und  gäbe  war  und  seit 
dem  dritten  jh.  auch  die  allgemein  herschende  wurde.     Als   sich,  in 


SACHSEN  435 

immer  gröszerer  menge,  die  fränkischen  stamme  vom  Niederrhein 
nach  Gallien  wandten,  schob  nicht  nur  die  sächsische  masse  gegen 
Westen  vor,  sondern  einzelne  theile  gelangten  entweder  mit  den  Franken 
über  den  Ehein  oder  segelten  auf  dem  nordmeer  heran  und  erwar- 
ben sich  belgische  oder  gallische  bezirke,  es  mögen  vorzugsweise  die 
nordwestlichsten  Sachsen  gewesen  sein,  die  der  seefart  kundig  auf 
ihren  schiffen  an  der  küste  streiften  und  wo  es  ihnen  gelegen  war 
sich  niederlieszen. 

Die  notitia  dign.  imp.  occid.  kennt  schon  im  tractus  armoricanus 
derBelgica  secunda  und  in  Britannien  ein  litus  Saxonicum  (ed.  Böcking 
p.  23.  80.  106.  108).  Eutropius  9,  13  erzählt:  Carausius  apud  Bo- 
noniam  per  tractum  Belgicae  et  Armoricae  pacandum  mare  accepit, 
quod  Franci  et  Saxones  infestabant  (vgl.  Beda  1,  6).  dem  Julian 
(ed.  Spanh.  p.  34)  stehn  gerade  so  ^Qccyyot  xal  Zld^ovsg  xäv  vneg 
xbv  'Pijvov  xal  triv  iönsQiav  d^dlattav  id^vav  tä  ^ccxtfioitata  neben- 
einander, in  des  Römers  äuge  traten  zur  zeit  des  vierten  jh.  unter 
allen  Germanen  die  Franken  und  Sachsen  vor*,  über  diesen  namen 
geriethen  jetzt  alle  älteren  und  berühmten  in  Vergessenheit  Ammia- 
nus  26,  3:  hoc  tempore  velut  per  Universum  orbem  romanum  belli- 
cum  canentibus  bucinis  excitae  gentes  saevissimae  limites  sibi  proxi- 
mos  persultabant,  .  .  .  Picti  Saxonesque  et  Scotti  et  Atacotti  Britannos  626 
aerumnis  vexavere  continuis ;  27,  8 :  gallicanos  tractus  Franci  et  Sa- 
xones iisdem  confines,  quo  quisque  erumpere  potuit  terra  vel  mari, 
praedis  acerbis  ineendiisque  et  captivorum  funeribus  hominum  viola- 
bant;  28,  2:  quam  ob  causam  prae  ceteris  hostibus  Saxones  timentur 
ut  repentini;  28,  5t  signorum  aquilarumque  fulgore  praestricti  venia- 
lem  poscerent  pacem;  diuque  variatis  consiliis,  cum  id  reip.  condu- 
cere  videretur,  pactis  induciis  et  datis  ex  conditione  proposita  juve- 
nibus  multis  habilibus  ad  militiam,  discedere  permissi  sunt  Saxones, 
sine  impedimento  unde  venerant  reversuri.  Das  waren  die  letzten 
Züge  des  römischen  reichs  in  diesen  landstrichen,  als  es  zu  schwach  um 
mit  eigner  kraft  zu  bestehn  aus  den  beeren  der  überall  plötzlich  ein- 
brechenden Deutschen  für  kurze  fristen  gefährliche  krieger  zu  gewinnen 
suchte,  bald  erfolgten  niederlassungen  kühner  Sachsen  nicht  allein  an 
der  ganzen  Westküste  Galliens  **  sondern  auch  an  der  entgegenliegen- 


*  sicher  geht  ein  beiden  zugetheilter  beiname  der  wilden  in  hohes 
alterthum  hinauf:  Franci  feroces  oben  s.  513  und  Pertz  1,  282.  Graff  4, 
493;  Francorum  barbarorumque  ferocia  et  ferrea  corda.  Pertz  2,  651;  Sa- 
xones natura  feroces.  Eginh.  cap.  7;  feroces  Saxones.  Pertz  2,  367;  die  stein- 
harten Sahsen.  Rol.  258,  28,  was  noch  bezug  auf  sahs  saxum  nehmen  kann; 
ein  wilt  Sas.  Maerl.  wapene  Martin  109;  wilde  Sahsen.  Lohengr.  p.  150. 
Gudr.  1503,  4,  und  verbunden  Gudr.  366,  4:  er  löntim  sit  so  höhe  sam 
einem  wilden  Sahsen  oder  Franken,  die  chuonen  Sahsen.  ßol.  184,  21.  die 
grimmin  Sahsen.   Rol.  65,  4. 

**  in  Neustrien  hiesz  ein  pagus  Otlingua  Saxonia  (Pertz  3,  426  a.  853) 
Autlingua  saxonica  (Ducange  4,  748),  da  wo  Greg.  tur.  5,  27  Saxones  bajo- 
cassini  (von  Bayeux)  nennt,  es  sind  deutlich  sächsische  edilinge,  adalingä, 
die  dort  wohnten,  [ödlingar,  fomald.  2,  11.] 

28* 


436  SACHSEN 

den  von  Britannien;   wie   vorbereitet   war  die  hernach  stattfindende 
einnähme  der  britischen  insel! 

Von  den  Schicksalen  der  in  ihrer  heimat  weilenden  Sachsen  wäh- 
rend des  fünften,  sechsten  und  siebenten  jh.  sind  wir  wenig  unter- 
richtet, um  diese  zeit  müssen  manche  der  alten  namen  geschwun- 
den und  neue  aufgekommen  sein.  Seit  die  Franken  in  Gallien  auf- 
geblüht und  zum  Christenthum  übergetreten  waren,  scheinen  sie  mit 
den  Sachsen,  die  eifrige  beiden  blieben,  in  feindseligeres  Verhältnis 
zu  treten,  kleine  sächsische  stäm.me  wurden  austrasischen  königen 
zinsbar  und  suchten  sich  dieses  jochs  wieder  zu  entledigen,  andere 
streiften  mit  Langobarden  und  Burgunden  in  südliche  länder.  zwischen 
Sachsen  und  Thüringen,  aber  auch  mit  den  fränkischen  Boructuariern 
und  Hattuariern  mögen  wiederholte  kriege  und  fehden  stattgefunden 

627 haben,  eine  solche  meidung  hat  Beda  5,  12  von  Svidberct  im  letzten 
zehntel  des  siebenten  jh. :  non  multo  post  ad  gentem  Boructuarorum 
secessit  ac  multos  eorum  praedicando  ad  viam  veritatis  perduxit.  sed 
expugnatis  non  longo  post  tempore  Boructuaris  a  gente  antiquorum 
Saxonum,  dispersi  sunt  quolibet  hi,  qui  verbum  receperant.  dasz  die 
Sachsen  im  j.  715  das  hattuarische  gebiet  überzogen  hatten  wurde 
s.  589  angeführt.  Von  solchen  kriegen  der  Franken  und  Sachsen 
kann  noch  in  altfranzösischen  gedichten  einzelnes  sagenhaft  nachhal- 
len, z.  b.  wenn  Jean  Bodel  in  der  chanson  des  Saxons  (ed.  Fr.  Michel, 
Paris  1839)  p.  72  den  Schauplatz  des  sächsischen  kriegs  'entre  Rune 
et  Tremoigne'  setzt,  so  mag  das  auf  ältere  zeit  als  die  des  Wittekind 
zurückgehn,  Tremoigne  ist  Tremonia,  Dortmund,  der  (s.  621)  ver- 
mutete hauptsitz  der  Marsen,  und  Rune  offenbar  Rure,  die  Ruhr,  von 
Dortmund  aus  rückten  gewis  noch  spätere  Sachsen  oder  Westfalen, 
aber  lange  vor  dem  achten  oder  neunten  jh.  den  Franken  entgegen. 
Beda  5,  10,  indem  er  des  Niger  und  Albus  Hewald  gedenkt, 
die  zu  ausgang  des  siebenten  jh.  aus  England  nach  Altsachsen  ge- 
kommen waren,  das  christenthum  zu  predigen,  gibt  eine  lehrreiche 
nachricht:  qui  venientes  in  provinciam  intraverunt  hospitium  cujus- 
dam  villici,  petieruntque  ab  eo,  ut  transmitterentur  ad  satrapam,  qui 
super  eum  erat,  eo  quod  haberent  aliquod  legationis  et  causae  utilis, 
quod  deberent  ad  illum  perferre.  Non  enim  habent  regem  iidem 
antiqui  Saxones,  sed  satrapas  plurimos  suae  genti  praepositos,  qui 
ingruente  belli  articulo  mittunt  aequaliter  sortes,  et  quemcunque  sors 
ostenderit,  hunc  tempore  belli  ducem  omnes  sequuntur,  huic  obtem- 
perant;  peracto  autem  hello  rursum  aequalis  potentiae  omnes  fiunt 
satrapae.  Suscepit  ergo  eos  villicus,  et  promittens  se  mittere  eos  ad 
satrapam,  qui  super  se  erat,  ut  petebant,  aliquot  diebus  secum  retinuit. 
Qui  cum  cogniti  essent  a  barbaris  quod  essent  alterius  religionis,  .  .  . 
suspecti  sunt  habiti  quia  si  pervenirent  ad  satrapam  et  loquerentur 
cum  illo,  averterent  illum  a  diis  suis,   et  ad  novam  christianae  fidei 

628  religionem  transferrent,  sicque  paulatim  omnis  eorum  provincia  vete- 
rem  cogeretur  nova  mutare  culturam.  itaque  rapuerunt  .  .  .  ,  quos 
interemtos  in  Rheno  projecerunt  (3.  oct.  695). 


SACHSEN  437 

Dieser  altsächsische  strich  musz  auf  der  rechten  seite  des  Rheins 
gelegen  haben,  etwa  im  ehmaligen  gebiet  der  Marsen,  das  sich  viel- 
leicht gegen  westen  erweitert  hatte,  weil  die  leichen  in  den  Rhein 
geworfen  wurden  und  zugefügt  ist,  dasz  sie  stromaufwärts  vierzig- 
tausend schritte  weit  trieben,  eh  man  sie  wieder  auffieng;  Pippin 
habe  sie  nachher  zu  Cöln  in  einer  kirche  niederlegen  lassen,  leicht 
also  könnte  jener  häuptling  seinen  sitz  wieder  in  der  Ruhrgegend 
und  wie  vor  alters  zu  Dortmund  gehabt  haben*. 

Zu  Carl  des  groszen  tagen  predigte  den  Sachsen  Lebuin  oder 
Liafwin,  dessen  lebensbeschreibung  von  Hucbald  im  zehnten  jh.,  aber 
aus  älteren  nachrichten  verfaszt  ist  und  mit  dem  von  Beda  gesagten 
übereinstimmt  (Pertz  2,  361):  in  Saxonum  gente  priscis  temporibus 
neque  summi  coelestisque  regis  ei-at  notitia  .  .  neque  terreni  alicujus 
regis  dignitas  ....  singulis  pagis  principes  praeerant  singuli.  statuto 
quoque  tempore  anni  semel  ex  singulis  pagis  .  .  .  singillatim  viri  duo- 
decim  electi  et  in  unum  collecti,  in  media  Saxonia  secus  flumen 
Wiseram  et  locum  Marklo  nuncupatum  exercebant  generale  concilium, 
tractantes,  sancientes  et  propalantes  communis  commoda  utilitatis, 
juxta  placitum  a  se  statutae  legis,  sed  et  si  forte  belli  terreret  exi- 
tium,  si  pacis  arrideret  gaudium,  consulebant  ad  haec  quid  sibi  foret 
agendum. 

Marklo  will  sagen  was  silva  Marciana,  dunkler  wald,  und  die 
heiligkeit  des  waldes  ist  der  feierlichen,  allgemeinen  jahrs Versammlung 
angemessen,  wo  der  ort  lag  scheint  nur  unsicher  ermittelt,  man 
glaubt  unweit  Hoya  bei  Markennah   und   dem  Heiligenloh  daselbst. 

Die  lex  Saxonum   enthält  zwar  bestimmungen ,    welche   erst  für 
das  bekehrte  und  christliche  volk  getroffen  werden  konnten  (nament-  629 
lieh  2,  8.  10  und  3,  5);  gleich wol  wäre  denkbar,  dasz  der  erneuerung 
unter  Carl  dem  groszen  schon  eine  ältere  fassung  vorhergieng.    wliti- 
wam  1,  5  ist  ganz  dem  ausdruck  der  lex  Angl.  et  Wer.  (s.  606)  gemäsz. 

Dies  gesetz  lehrt  nun  tit.  8  und  19  eine  durchgreifende  ein- 
theilung  des  sächsischen  volks,  wie  sie  auf  jeden  fall  schon  im  achten 
jh.  bestanden  haben  musz.  es  gibt  drei  sächsische  stamme  Ostfalai, 
Westfalai  und  Angrarii,  oder,  wie  sie  der  poeta  Saxo  zum  j.  772 
(Pertz  1,  228,1  benennt  Westfali,  Ostfali,  Angarii.  die  Westfalen 
wohnen  gegen  den  Rhein,  die  Ostfalen  gegen  die  Elbe,  zwischen  bei- 
den an  den  ufern  der  Weser  die  Angrarii  oder  Engern.  gleichbe- 
deutig  mit  Ostfali  wird  auch  Osterliudi  oder  Austreleudi  gesagt,  ob- 
wol  dieser  letzte  ausdruck  allgemeiner  ist  und  auch  die  östlichen 
stamme  jedes  andern  volks  bezeichnen  darf,  wie  namentlich  im  Hilde- 
brandslied unter  argösto  Ostarliuto  kaum  ein  Sachse  gemeint  wird. 
Als  Carl  der  grosze  mit  seinem  beer  zur  Ocker  kam,  giengen  ihm 
die  Ostfalen,  darauf  im  gau  Bucki  (bei  Bückeburg  an  der  Weser)  die 
Engern,  endlich  zwischen  Weser  und  Rhein  die  Westfalen,  alle  ihre 

*  aus  der  ganzen  stelle  zeigt  sich  klar  was  Beda  hier  und  1,15  unter 
alten  Sachsen  versteht,  und  wie  abenteuerlich  man  letzthin  gesucht  hat 
diese  zu  den  bewohnern  des  litus  saxonicum  zu  machen. 


438  SACHSEN.    ANGRARIER.    FALEN 

geisein  stellend,  entgegen  (Pertz  1,  154.  155).  Mitten  im  ostfälischen 
gebiet  zwischen  Ocker  und  Leine,  lag  noch  ein  eigner  gau  des  namens 
Ostfala  oder  blosz  Fala,  Falaha  mit  dem  Hauptort  Hildesheim,  in 
älterer  form  Hildenesheim,  was  ein  masc.  Hildan  oder  fem.  Hildana 
mit  dem  gen.  Hildanas  voraussetzt. 

Sichtbar  entsprechen  nun  diese  drei  landstriche  Ostfalen,  Engern 
und  Westfalen,  die  der  gemeinschaftliche  name  Sachsen*  umfaszt, 
dem  alten  Cheruskengebiet,  und  es  läszt  sich  nicht  verkennen,  dasz 
die  mittleren  Angrarii  oder  Engern  auch  den  namen  der  alten  Angri- 
varier  bewahrt  haben  [Haupt  9,  226 — 228.  236],  die,  wo  nicht  selbst 
Cherusken,  ihnen  nahgelegen  und  befreundet  waren,  in  der  grafschaft 
Ravensberg,  südwestlich  von  Minden,  dicht  bei  Herford  liegt  ein  städt- 
630  chen  Enger,  alts.  Angari,  das  für  den  hauptort  des  angrivarischen  ge- 
biets  und  fast  für  die  mitte  von  ganz  Sachsen  gelten  kann  [Angarion. 
Werden  reg.  239];  nur  dasz  sich  die  Angrivarier  südlich  nicht  bis  an 
die  Chatten,  nördlich  nicht  bis  an  die  Chauken  erstreckten,  also  bei  der 
neuen  eintheilung  Engern  oben  und  unten  ausgedehnt  wurde.  Vielleicht, 
dasz  sie  dennoch  mit  des  Ptolemaeus  Ingrionen  am  Rhein  (s,  582),  ja 
mit  dem  uralten  namen  der  Ingaevonen  zusammenhängen;  weit  be- 
denklicher scheint  es  sie  und  die  Angeln  zu  verknüpfen,  obschon  in  den 
lateinischen  gesetzen  Eduard  des  bekenners  ein  später  eingeschalteter 
titel  (Schmids  ausg.  s.  286)  gerade  sagt:  exierunt  enim  Gudi  quondam 
de  nobili  sanguine  Anglorum,  scilicet  de  Engra  civitate,  et  Anglici  de 
sanguine  illorum,  et  semper  efficiuntur  populus  unus  et  gens  una,  was 
man  in  England  zur  zeit  des  eilften  jh.  nicht  mehr  recht  wissen  konnte. 

Wer  sind  aber  die  Falen  und  wie  gerathen  sie  in  den  osten  und 
Westen  des  altcheruskischen  landes? 

Durch  die  Schreibung  Ostfalai  und  Westfalai  des  gesetzes  wer- 
den wir  vorerst  auf  ein  volleres  Falahi  geführt,  das  im  capitulare 
von  797  (Pertz  3,  75,  vgl.  89.  90)  bestätigung  erhält,  es  heiszt  da: 
congregatis  Saxonibus  de  diversis  pagis,  tarn  de  Westfalahis  et  Angra- 
riis quam  et  de  Oostfalahis.  den  einfachen  mannsnamen  Falh  ge- 
währen die  trad.  corb.  §  477.  478,  neben  Fal  §  243.  341,  den  Orts- 
namen Falhahilsen  §  366,  ein  gau  hiesz  Faledungen,  ein  ort  Falothorp, 
noch  heute  sind  in  Westfalen  oder  Niedersachsen  Fal,  Val,  Phal,  West- 
fal,  Kuhfal  u.  s.  w.  unseltne  eigennamen.  Dies  falah,  falh  scheint 
aber  zunächst  aus  alts.  fölhan,  goth.  filhan,  ahd.  fölahan  condere, 
tegere  entsprungen,  mithin  ganz  den  sinn  des  lat.  conditus  d.  i.  con- 
stitutus,  institutus  darzubieten:  falah  wäre  ein  geschafner,  ansässiger. 

Nun  sagt  die  vorrede  der  edda,  Odinn  habe  Saxland  erworben 
und  (gleich  Mannus)  dreien  söhnen  so  ausgetheilt,  dasz  Vegdeg  Ost- 
sachsen, Beldeg  Westfalen  (Vestfal)  und  Sigi  Frankenland  empfieng; 
dieser  enge  verband  zwischen  Sachsen  und  Franken  ist  bedeutsam, 
Sigi  ahd.  Sicco  knüpft   sich  an   Sigmund,    Sigfrid    (Haupts  zeitschr. 


*  die  lauenburgischen  fürsten  führten  noch  im  16.  jh   den  titel  'her- 
zogen zu  Sachen,  Engern  und  Westfalen'. 


SACHSEN.    FALEN.    NORDALBINGE  439 

1,  3.  4)  und  an  unsre  Sigambern  (s.  525).  Vägdäg  (Vecta)  und  631 
Bäldäg  erscheinen  auch  in  den  ags.  genealogien  als  göttliche  heroen 
und  Bäldäg  ist  geradezu  der  nordische  gott  Baldr ;  sollte  nicht  Vester- 
falcna,  ein  andrer  name  dieser  ags.  stammreihen,  auf  Vesterfalca, 
Vestfalha  ahd,  Westfalaho  zurückgehn?  Phal  auf  Phol  =  Baldr  ?  wie 
es  immer  darum  stehe,  das  zurückweisen  des  namens  Westfal  in  ur- 
alte göttersage  musz  uns  verbürgen,  dasz  die  benennung  der  West- 
falen und  Ostfalen  nicht  erst  im  achten  jh.  aufgekommen,  sondern 
weit  früher  begründet  war.  Gehören  aber  die  s.  194  verglichnen 
gothischen  Thaiphali  und  Victophali  in  denselben  kreis,  so  gewinnt 
der  name  noch  höheres  alterthum;  das  nach  dem  L  unterdrückte  H 
im  munde  lateinischer  Schriftsteller  macht  keinen  anstosz. 

Als  ergebnis  dieser  noch  unabgeschlossenen  forschungen  mag  be- 
trachtet werden,  dasz  wenn  sächsische  Falen  statt  der  alten  Cherus- 
ken  erscheinen,  damit  ein  bloszer  Wechsel  uralter  namen,  nicht  der 
Völker  eingetreten  sei.  weder  sind  die  Cherusken  als  frühere  ein- 
wohner  von  ihrer  stelle  gewichen,  noch  Sachsen  als  neukömmlinge 
in  diese  gerückt,  in  der  mitte  haben  sogar  die  Engern  die  alte  be- 
nennung der  Angrivarier  gewahrt,  was  den  beweis  vollendet,  allen 
dreien  musz  dieselbe  abkunft  und  spräche  beigelegt  werden  und  von 
jeher  war  Cherusken  wie  Sachsen  der  niederdeutsche  dialect  eigen, 
wie  aber  noch  heute  die  niedersächsische  spräche  abweicht  von  der 
thüringischen,  bleibt  die  annähme  unvermeidlich,  dasz  auch  vor  alters 
Cherusken  und  Hermunduren  stammverschieden  waren,  und  des  Pli- 
nius  aufzählung  der  Cherusken  unter  den  Herminonen  unwahrschein- 
lich, da  sie  vielmehr  gleich  den  Sachsen  als  kern  der  Ingaevonen  an- 
zusehn  sind,  worauf  ich  zurückkommen  werde. 

Diesen  drei  gliedern  des  sächsischen  volks,  Westfalen,  Engern 
und  Ostfalen,  tritt  aber  jenseits  der  Elbe  noch  ein  viertes  hinzu, 
welches  der  poeta  Saxo  (Pertz  1,  254)  Northalbingi  benennt,  wofür 
aber  auch  Transalbiani  oder  Nordleudi,  im  gegensatz  jener  Ostarleudi 
(s.  629)  üblich  wurde;  durch  den  blosz  örtlichen  namen  sollen  einzelne, 
kleinere  stamme  der  halbinsel,  zwischen  Elbe  und  Eider,  gerade  da,  632 
wo  Ptolemaeus  zuerst  die  Sachsen  wahrnahm,  zusammengefaszt  wer- 
den. Adam  von  Bremen  2,  15  (Pertz  9,  310)  zählt  sie  näher  so  auf: 
Transalbianorum  Saxonum  tres  sunt  populi,  prima  ad  oceanum  Ted- 
marsgoi  (al.  Thiatmarsgoi,  einwohner  des  Thiadmarsgau,  woraus  das 
heutige  Dithmarschen  entstellt  wurde),  secundi  Holcetae  (d.  i.  Holtse- 
tae,  Holtsati)  dicti  a  silvis  quas  accolunt,  tertii,  qui  et  nobiliores, 
Bturmarii  dicuntur.  ebenso  schildert  Helmold  1,  6:  ultimam  partem 
Saxoniae,  quae  est  trans  Albiam  et  dicitur  Nordalbingia ,  continens 
tres  populos  Thetmarsos,  Holsatos,  Stormarios.  genau  betrachtet  fallen 
auch  die  an  der  Westküste  der  halbinsel  wohnenden  Friesen  in  die  Vor- 
stellung von  Nordalbingien,  obschon  sie  nicht  Sachsen  heiszen  können; 
jenseits  der  Eider  oder  vielmehr  Schlei  beginnen  die  Juten.  Dasz  diese 
nordalbingischen  Sachsen  den  übrigen  urverwandt  waren  entscheidet 
die  bis  auf  heute  in  Holstein  und  Dithmarschen  waltende  mundart. 


440  KIMBERN.    HARUDEN 

Schwerer  scheint  die  frage  zu  erledigen,  welche  Völker  in  älte- 
ren Zeiten,  vor  dem  achten  und  neunten  jh.  auf  der  halbinsel  wohn- 
ten?  aber  die  Untersuchung  wird  gewinnbringend. 

Tacitus  führt  einzig  und  allein  die  Kimbern  auf:  eundem  Ger- 
maniae  sinum  proximi  oceano  Cimbri  tenent,  parva  nunc  civitas,  sed 
gloria  ingens.  dem  Plinius  4,  14  bilden  das  alterum  genus  aller 
Germanen  Ingaevones,  quorum  pars  Cimbri,  Teutoni  ac  Chaucorum 
gentes.  auf  dem  monumentum  ancyranum  werden  dem  Augustus 
selbst  diese  worte  in  den  mund  gelegt:  Cimbrique  et  Charudes  et 
Semnones  et  ejusdem  tractus  alii  Germanorum  populi  per  legatos 
amicitiam  meam  et  populi  romani  petierunt.  der  gesandtschaft  der 
Kimbern,  wie  sie  dem  kaiser  einen  heiligen  kessel  verehrten,  erwähnt 
Strabo  s.  293:  xal  yag  vvv  exovöt  t^v  icSgav,  rjv  ü%ov  tiqotbqov. 
xal  'sTCEfitl^av  ta  IJsßaöro)  öaQOV  xbv  iegärarov  nag'  avtols  l£ßt]ta, 
633  aitovfjbEvoL  cpiUav  accl  ccfivi^ötiav  rav  V7if]Q'y^£viov*.  Zu  Ariovists 
beer,  wie  Caesar  1,  31.  37.  51  meldet,  waren  unter  andern  Germanen 
auf  gallischem  boden  auch  24,000  Harudes  gestoszen,  mit  Kimbern 
kam  Caesar  nicht  in  berührung,  so  oft  er  ihrer  aus  alten  zeiten  ge- 
denkt, wo  dann  immer  Cimbri  Teutonesque  neben  einander  genannt 
sind  (1,  33.  40.  2,  4.  7,  77).  Ptolemaeus  kennt  auf  der  halbinsel 
auszer  Cimbern  und  Charuden  noch  fünf  andere  mit  fast  unbekannten 
oder  entstellten  namen,  und  zählt  sie  alle  sieben  in  folgender  Ord- 
nung her:  UiyovXaves,  UaßaUyyiOL,  Koßavdoi,  Xaloi,  Öovvdovöoi, 
XaQOvÖEQ  avaroAtxwTepot,  Kt^ßgoi  jiccvtcdv  agxTixcdtSQoi. 

Charudes  Harudes  bedeutet  silvicolae  von  charud  harud,  alts.  hard, 
ahd.  hart  lucus,  silva  (GrafF  4,  1026),  womit  viele  Ortsnamen  wie 
Reginhart,  Spehteshart,  Mänhart  gebildet  sind,  die  Harudes  bei  Ario- 
vist  brauchen  nicht  gerade  aus  dem  norden  gekommen  zu  sein,  man 
könnte  sie  sich  gleich  den  Markomannen  in  mehr  als  einer  gegend 
denken.  Als  im  j.  852  könig  Hludowic  durch  Sachsen  zog,  heiszt 
es  in  den  fuldischen  annalen  (Pertz  1,  368):  transiens  per  Angros, 
Harudos,  Suabos  et  Hohsingos  .  . .  Thuringiam  ingreditur,  aus  Engern 
gelangte  er  in  den  Hartegö,  Suävegö  und  Hohsigö,  der  unmittelbar  an 
Thüringen  grenzte,  im  pagus  Suevon,  zwischen  Bode  und  Säle  wohn- 
ten die  Nordschwaben.  Diese  Harudi  sind  also  Harzbewohner,  man 
weisz  dasz  zu  verschiednen  zeiten  nordalbingische  Sachsen  nach  an- 
dern gegenden  versetzt  wurden  (Zeusz  s.  396.  397).  Klar  aber  fal- 
len, und  darauf  kommt  es  an,  die  nordalbingischen  Harudes  zusam- 
men mit  den  Holtsaten,  was  nur  ein  andrer  ausdruck  für  den  begrif 
accolae  silvae  ist.     auch  hegt  Holstein**  im  osten  der  halbinsel,  wie 

*  wie  ihre  heiligen  frauen  aus  solchen  opferkesseln  weissagten  berichtet 
er  s.  294;  auch  die  Sueven  bedienten  sich  groszer  opferkessel  (myth.  s.  49) 
und  der  häufige  altn.  eigenname  Thorketill,  Thorkell  (myth.  s.  170)  er- 
klärt sich  aus  diesem  cultus.  Hymisqvida  singt,  wie  Thörr  den  unge- 
heuren kessel  von  dem  riesen,  Thrymsqvida  wie  er  den  mächtigen  hammer 
wieder  holte,    beide  kessel  und  hammer  waren  heilige  gegenstände. 

**  bekanntlich  ist  diese  hochdeutsche  form  ganz  verkehrt  aus  Hülsten 
(=  Holtseten)  land  gebildet  worden. 


KIMBERN  441 

dem  Ptolemaeus  die  Charuden  ävarohxcotsgot  hieszen.   übrigens  ent-  634 
sprechen  ihnen  auch  im  namen  und  vielleicht   der  abkunft  die  altn. 
Hördar  (fornm,  sog.  12,  309). 

Wie  Cherusken  =  Sachsen  sind  also  Charuden  =  Holtsaten; 
sind  aber  Charuden  und  Semnonen  unanfechtbar  deutsches  Ursprungs, 
so  werden  es  auch  die  mit  ihnen  von  August  zusammen  genannten 
Kimbern  sein. 

Neuere  critik,  irre  geleitet  durch  Kimmerier  und  Cymru  (Cambria) 
hat  sie  zu  Kelten  stempeln  und  dem  Vaterland  einen  seiner  ältesten 
zeugen  rauben  wollen;  wären  die  Kimbern  keltisch,  so  würde  da- 
durch selbst  die  deutschheit  der  Teutonen,  ihrer  gefährten  ver- 
dächtigt. 

Auf  den  unterschied  der  Germanen  von  den  Kelten,  welchen 
Griechen  nicht  zu  fassen  vermochten,  hatten  allmählich  die  Römer 
sich  verstehn  gelernt,  in  deren  meidungen  Kimbern  und  Teutonen 
ausdrücklich  germanische  Völker  heiszen.  Caesar  gedenkt  ihrer,  um 
sie  den  ki-iegern  Ariovists  gleichzustellen,  die  wild  und  grausam,  wie 
die  alten  Kimbern  und  Teutonen  in  Gallien  einfallen;  nie  erscheinen 
sie  ihm  als  landsleute  der  Gallier,  sondern  als  deren  feinde.  August 
stellt  Kimbern  zu  Charuden,  Semnonen  und  andern  nördlichen  Ger- 
manen, wiederum  betrachtet  Tacitus  bist.  4,  73  Kimbern  und  Teu- 
tonen als  gegner  der  Gallier,  von  welchen  diese  der  römische  beistand 
befreit  habe.  Strabo  und  Plutarch,  griechische  aber  aus  römischer 
quelle  schöpfende  Schriftsteller,  lassen  die  Kimbern  aus  der  nördlichen 
halbinsel,  wo  man  sich  nur  Germanen  dachte,  über  Gallien  und  Italien 
einbrechen.  Plutarch  nennt  sie  geradezu  ysQ^ccvinä  ykvri  tav  xa^i;- 
xövTcav  snl  xöv  ßögsLOV  axeavöv,  und  dasz  sie  die  altskythischen 
KLfinEQLOi  gewesen  und  erst  beim  einfall  in  Italien  Kifißgoi  genannt 
worden  seien  ist  ihm  unsichre  Vermutung,  es  wäre  auch  schwer, 
Zusammenhang  zwischen  diesen  Skythen  und  einwohnem  der  nörd- 
lichen küste  herauszufinden  oder  des  Posidonius  meidungen  bei  Strabo 
s.  293  glauben  beizumessen. 

In  den  jähren  113  bis  101  vor  Chr.  erschienen  Kimbern  und 
Teutonen  in  Noricum,  Helvetien,  Gallien  und  Italien,  zu  ihnen  gesellt  635 
hatten  sich  helvetische  Tiguriner  und  Ambronen ;  sie  waren  nach  einer 
sinflut  des  oceans*  aus  ihrer  heimat  gezogen,  um  sich  andere  Wohn- 
sitze zu  suchen.  Marius  schlug  die  Teutonen  und  Ambronen  an  der 
Rhone,  die  Kimbern  jenseits  der  alpen.  der  Teutonen  anführer  wird 
Teutoboch,  der  Kimbern  Bojorix  genannt. 

Die  grösze  dieser  gefahr  hinterliesz  in  Rom  den  nachhaltigsten 
eindruck;  es  ahnte  von  welcher  seite  her  seine  macht  gestürzt  wer- 
den sollte.  Gallien  hatte  längst  aufgehört  ihm  furchtbar  zu  sein  (s.  164), 
aber  Germanien  drohte. 

In  der  römischen  volkssage  müssen  manche  züge  aus  dem  kim- 


*  nX^/nfivglQ,  Sirskho  p.  292;  subita  inundatio  maris,  Festus  s.  v.  Ambro- 
nes;  cum  terrae  eorum  inundasset  oceanus,  Florus  3,  3. 


442  KIMBERN 

brischen  krieg  von  der  riesengestalt  der  feinde  und  ihrem  schrecken- 
den aussehn  lebendig  gehaftet  haben,  man  pflegte  das  bild  eines  die 
zunge  ausreckenden  Kimbern  auf  Schilde  zu  malen  und  als  zeichen 
auszuhängen,  die  capitolinischen  fasten  gedenken  eines  Q.  Aufidius 
mensarius  tabernae  argentariae  ""ad  scutum  cimbricum'.  scherzhaft 
wurden  häszliche  dieser  misgestalt  verglichen.  Cicero  de  oratore  2,  66: 
valde  autem  ridentur  etiam  imagines,  quae  fere  in  deformitatem  aut 
in  aliquod  vitium  corporis  ducuntur  cum  similitudine  turpioris,  ut 
meum  illud  in  Helvium  Manciam:  ""jam  ostendam  cujusmodi  sis'  quum 
ille  'ostende,  quaeso'  demonstravi  digito  pictum  Gallum  in  mariano 
scuto  cimbrico,  sub  novis,  distortum,  ejecta  lingua,  buccis  fluentibus. 
risus  est  commotus:  nihil  tam  Manciae  simile  visum  est.  Dasselbe 
erzählt  aber  Plinius  von  Crassus  35,  4  :  denique  video  ei  in  foro 
(tabulas)  positas  vulgo.  hinc  enim  ille  Crassi  oratoris  lepos  agentis 
sub  Veteribus,  cum  testis  compellatus  instaret:  'die  ergo,  Crasse, 
qualem  me  reris?  'talem',  inquit  ostendens  in  tabula  pictum  infice- 
tissime  Gallum  exserentem  linguam.  sicher  hieszen  im  munde  des 
römischen  volks  alle  Kimbern  Gallier  und  das  bild  im  schild  konnten 
Cicero  und  Crassus  nicht  anders  nennen  als  Gallus,  wenn  ihnen  auch 
636  sonst  die  Kimbern  schon  als  Germanen  bekannt  waren,  wie  auf  dem 
Schild  der  Athene  ein  Gorgohaupt  mit  gereckter  zunge  gebildet  war, 
stellte  man  des  römischen  beiden  schild  mit  des  Galliers  haupte  dar: 
es  war  das  zur  schau  getragne  des  erlegten  feindes  (s.  141.  142), 
der  im  todeskampfe  fletscht.  Noch  jetzt  findet  man  in  mauern  solche 
köpfe  eingehauen  z.  b.  in  der  Schweiz,  wo  man  sie  lälli  (von  lallen, 
die  zunge  strecken)  nennt. 

Verstehn  wir  den  namen  Charudes,  so  fragt  es  sich  auch  nach 
Cimbri.  die  Römer  haben  uns  eine  wichtige  deutung  überliefert:  Cim- 
bri  lingua  gallica  latrones  dicuntur,  sagt  Festus,  KlfißQOvg  snovo- 
^ät,ov6i  rsQfiavol  rovg  ^rjötdg  Plutarch  im  Marius  cap.  11,  und 
auch  Strabo  s.  292.  293  weisz  dasz  die  KlfißQOL  nXdvrjtEg  und 
IrjÖtQMOL  wurden,  k^Gxi^g  gilt  den  Griechen  vorzugsweise  von  pira- 
ten,  die  auf  beute  ausgehn,  ein  begrif  der  zumal  für  küsten  bewoh- 
nende Germanen  und  noch  später  Sachsen  (s.  625.  626)  geeignet  ist. 
nun  kennt  aber  keine  der  heutigen  keltischen  sprachen  einen  solchen 
ausdruck*  und  namentlich  ist  das  welsche  Cymro  fern  von  diesem  ne- 
bensinn, wogegen  der  Übergang  aus  dem  ags.  cempa  miles,  heros,  ath- 
leta^  ahd.  chempho,  altn.  kappi  in  die  Vorstellung  eines  raubhelden 
und  räubers  leicht  und  natürlich  scheint,  sowol  ags.  cempa  als  ahd. 
chempho  sind  glossen  zum  lat.  tiro  d.  i.  miles  novus  et  rudis  militiae, 
gerade  so  findet  sich  ahd.  scefdiup  d.  i.  pirata  für  tiro  (Graff  5,  98), 
folglich  stehn  chempho  und  scefdiup  synonym,  ich  habe  sonst  (RA. 
s.  635)  dargethan,  dasz  todschlag  und  raub  dem  alterthum  keine  ent- 
ehrende, vielmehr  ruhmvolle  handlungen  und  das  gewerbe  der  beiden 
waren ;  auch  steht  in  niederdeutschen  volkssagen  kämpe  für  riese  (Mül- 


*  räuber  heiszt  ir.  creachadoir,  gal.  creachadair  und  spuinneadair. 


KIMBERN.    STURMAREN  443 

lenhoff  s.  267.  277)  also  gewaltthätiger  räuber.  Cimber  im  sg.  wird 
getroffen  bei  Gruter  410,  7.  1075,  2;  den  eigennamen  Cimberius 
hat  Caesar  1,  37.  ein  von  den  Eömern  nach  der  bedeutung  des  Wor- 
tes gefragter  Germane  konnte  ohne  bedenken  angeben:  praedator, 
grassator;  war  hier  der  eigentliche  begrif  verschlimmert,  so  mochte 
er  auch  im  spätem  cempa,  chempho  gemildert  scheinen.  Für  die  637 
form  ist  blosz  zu  merken,  dasz  anlautendes  K  der  sächsischen  Ver- 
schiebung, B  nach  dem  M  aber  der  lat.  stufe  gemäsz  sei,  mögen  die 
Römer  germanisches  MP  in  MB  erweicht,  oder  die  Germanen  selbst 
in  diesem  inlaut  noch  MB  gesprochen  haben.  E  in  chempho  ist  Um- 
laut des  A  in  champhio ;  will  man  auf  diese  Verschiedenheit  des  A  vom 
I  in  Cimber  gewicht  legen,  so  kann  in  ihm  der  laut  von  kimpan  kamp 
angenommen  werden,  aus  welchem  hernach  kampian  und  kampio  = 
kempo  flosz.  Besteht  meine  auslegung  und  ist  Cimber  ags.  cempere, 
ahd.  chemphari  oder  ein  ags.  cimpor,  ahd.  chimphar ;  so  wird  damit 
aller  keltischen  abkunft  der  Kimbern  ein  ende  gemacht. 

Wie  ich  aber  die  Charudes  in  den  Holtsaten,  möchte  ich  auch 
mit  verändertem  wort  und  haftendem  begrif  die  Kimbern  aufweisen 
in  den  Sturmaren,  welche  Adam  bedeutsam  neben  Dietmarsen  und 
Holsteinern  als  ""nobiliores'  bezeichnet,  denn  ahd.  stürm  ist  tumultus, 
seditio  (Graff  6,  710),  altn.  stormr  Impetus  hostilis,  folglich  Sturmari 
Stormare  nichts  andres  als  unser  nhd.  stürmer  tumultuator,  grassator. 
wurde  lat.  grassari  de  latronibus  qui  vias  obsident  gesagt,  so  mag 
vor  alters  sturman  in  gleichem  sinn  gegolten  haben,  Adam  fügt  selbst 
hinzu:  eo  quod'seditionibus'  ea  gens  frequens  agitur.  ich  kann  Dahl- 
mann  nicht  beistimmen,  welcher  zu  Neocorus  1,  557  meint,  Adam 
habe  an  stur  (in  welchen  glossen  hiesze  das  seditio?)  storinge  und 
stören  gedacht,  und  der  name  sei  in  Sturmarii  zu  zerlegen;  soll  dann 
der  zweite  theil  märi  illustris  gedeutet  werden?  das  entscheidet*, 
dasz  noch  im  Gudrunepos  Wate  von  Sturmlant  oder  von  Stürmen 
auftritt  263,  1.  331,  3.  564,  1.  884,  1  und  im  ags.  ßyrhtnört  128, 
30  ein  held  Sturmere  heiszt;  bekannt  ist  der  ahd,  Sturmio,  Sturmi, 
Die  Stormarn  sind  also  eine  gute  probe  auf  die  Kimbern,  als  deren 
nachkommen  ich  sie  betrachte,  und  der  altkimbrische  rühm  (parva 
nunc  civitas  sed  gloria  ingens)  haftet  an  ihnen,  weil  sie  noch  so  spät 
'nobiliores'  genannt  sind;  nur  dasz  sie  im  verlauf  der  zeit  aus  dem 
norden  der  halbinsel  in  den  süden  an  die  Elbe  gezogen  scheinen,  638 
immer  aber  nachbarn  der  Haruden,  wir  werden  sehn,  vielleicht  auch 
der  Teutonen  blieben**. 

Eine  andere  bestätigung  liefern  die  den  Kimbern  und  Teutonen 
zugesellten  Ambronen,  deren  Strabo  und  Plutarch  gedenken,  Florus 
geschweigt.  Pestus  sagt:  Ambrones  fuerunt  gens  quaedam  gallica,  qui 

*  geleugnet  in  MüUenhoffs  Kudrun  s.  93. 
**  Plinius  4,   5  nennt  neben  der  Batavorum  und  Cannenufatum  insula 
et  aliae  Prisiorum,  Chaucorum,  Frisiabonum,  Sturiorum,  Marsaciorum,  quae 
sternuntur  inter  Helium  ac  Flevum.    für  Sturiorum  lesen  andere  hss.  Tusio- 
rum,  und  ihre  läge  entfernt  sich  auch  von  der  kimbrischen  halbinsel. 


444  AMBRONEN.    TEUTONEN 

subita  inundatione  maris  qinim  amisissent  sedes  suas,  rapinis  et  prae- 
dationibus  se  suosque  alere  coeperunt.  eos  et  Cimbros  Teutonosque 
C,  Marius  delevit.  ex  quo  tractum  est,  ut  turpis  vitae  homines  am- 
brones  dicerentur.  Placidus  p,  436:  Ambronem  perditae  improbita- 
tis:  a  gente  Gallorum,  qui  cum  Cimbris  Teutonisque  grassantes 
periere.  im  gloss.  Isidori:  Ambro  devorator,  consumptor  patrimonio- 
rum,  decoctor,  luxuriosus,  profusus,  ja  später  werden  riesen  und  men- 
schenfresser  daraus  (mythol  s.  487.  493),  gerade  wie  die  kämpen  in 
riesen  übergehn,  ähnliches  meldeten  die  Griechen  von  thrakischer 
Triballer  wildheit.  Mit  recht  aber  nimmt  Zeusz  s.  149.  150  an,  dasz 
Kimbern  vnd  Teutonen  auch  die  verbündeten  Ambronen  aus  dem 
keltischen  in  den  deutschen  völkerhaufen  nach  sich  ziehen;  nur  sehe 
ich  keinen  grund  sie  für  vorfahren  der  Sachsen  zu  halten,  ihren 
namen,  so  deutsche  färbe  er  trägt,  weisz  ich  noch  nicht  auszulegen. 
•  Wir  gelangen  zu  den  Teutonen,  deren  name  auf  den  unsrigen, 
allgemein  alle  stamme  des  volks  umfassenden  ohne  zweifei  eingewirkt, 
wenn  er  ihn  auch  nicht  hervorgebracht  hat.  im  höchsten  alterthum 
erscheinen  Cimbri  Teutonique  beständig  zusammen*,  wie  sie  die  ge- 
schichte  bei  dem  groszen  heerzug  verbündet,  dessen  tragischen  aus- 
gang  ihre  letzte  trennung  entschied.  Tacitus  weist  noch  den  Kimbern, 
nicht  mehr  den  Teutonen  wohnstätte  in  der  nördlichen  heimat  an,  Pli- 
639  nius  läszt  den  ganzen  ingaevonischen  hauptstamm  von  Kimbern,  Teu- 
tonen und  Chauken  gebildet  werden,  während  er  die  Cherusken  zum 
vierten,  herminonischen  schlägt,  kein  zweifei  also,  dasz  die  Römer 
den  sitz  der  Teutonen,  wie  der  Kimbern  in  den  germanischen  norden 
legten.  Pytheas  (bei  Plinius  37,  2)  meldet,  hinter  den  germanischen 
Guttonen  sei  die  insel  Abalus,  deren  einwohner  ihren  bernstein  den 
benachbarten  Teutonen  als  holz  zur  feuerung  verkauften ;  diesen  namen 
hier  mit  Zeusz  s.  135  für  einen  Schreibfehler  zu  erklären  scheint  mir 
verwegen,  da  auch  Mela  3,  6  Codanonia  in  der  ostsee  von  Teutonen 
bewohnen  läszt.  mit  solchen  nördlichen  Teutonen,  wie  mit  den  Kim- 
bern müssen  auch  die  Römer  zur  zeit  des  ersten  jh.  verkehr  unter- 
halten haben,  Plinius  35,  4  berichtet:  in  foro  fuit  et  illa  pastoris 
senis  cum  baculo  (tabula),  de  qua  Teutonorum  respondit  legatus  inter- 
rogatus,  quanti  eum  aestimaret :  sibi  donari  noUe  talem  vivum  verum- 
que.  die  frage  ist  nur,  an  welcher  stelle  die  Teutonen  ihren  sitz  hat- 
ten? jene  inseln  Abalus  und  Codanonia  können  ihn  nur  unsicher  be- 
stimmen und  auszerdem  wäre  glaublich,  dasz  seit  Pytheas  das  volk  sich 
weiter  gegen  westen  bewegt  hätte.  Ptolemaeus  stellt  östlich  von  der 
halbinsel  Teutonoarier  zwischen  Saxonen  und  Sueven  (ungefähr  ins  heu- 
tige Lauenburgische),  zu  den  Teutonen  verhalten  sich  Teutonoarier  wie 
zu  den  Chatten  Chattuarier.  die  natürlichste  annähme  ist  wol,  dasz 
die  Teutonen  unmittelbare  nachbarn  der  Kimbern  und  gleichfalls  auf 
der  halbinsel  angesessen  waren;  ich  wäge   sogar   zu  vermuten,  dasz 


*  wie  Usipi  et  Tencteri,  Bructeri  et  Tencteri,  Anglii  et  Varini,  Daci 
et  Getae,  Sciri  et  Hirri. 


KIMBERN.    TEUTONEN  445 

die  Ditmarsen  ihre  unmittelbaren  nachkommen  seien  und  Thietmaresgö 
auf  ein  älteres  einfaches  Thietengö,  Thiodönogö,  Teutonorum  pagus 
zurückgehe,  da  Dedo,  Dieto,  Diez  ein  hypokorismos  für  Dietrich  oder 
Dietmar  ist,  so  kann  umgekehrt  aus  dem  einfachen  volksnamen  Teuto 
=  alts.  Thiado,  ahd.  Dioto  die  erweiterung  Teutomßres,  Thiadmär, 
Diotmär  entsprungen  sein.  Hiernach  wären  in  den  Dietmarsen,  Stor- 
marn,  Holtseten  die  Teutonen,  Kimbern  und  Charuden  des  höheren 
alterthums  aufgewiesen,  von  den  Ditmarsen  aber  ist  auch  in  der 
späteren  geschichte  teutonische  kraft  bewährt  worden. 

Des  teutonischen  heerführers  namen  hat  Plutarch  nicht  gemeldet,  640 
bei  Florus  heiszt  er  Teutobochus  und  anderwärts  Teutobodus,  welche 
letzte  form  an  die  von  Plinius  5,  32  angeführten  keltogalatischen 
Tectosages  ac  Teutobodiaci,  aber  auch  an  Maroboduus  mahnt,  die 
Wurzel  teut  war  Germanen  und  Kelten  urgemein  (vgl.  welsches  tud 
regio,  ir.  gal.  tuath  regio  und  zugleich  regio  aquilonaris).  den  kim- 
brischen  könig  nennt  Plutarch  BoiöJQi^  und  auch  Florus  Bojorix, 
was  ahd.  Pougorih,  goth.  Baugareiks  lauten  könnte  und  von  baugs 
annulus  zu  erklären  ist,  wie  man  Boji  und  Bojoarii  Baugveri  deutete, 
beide  königsnamen,  so  keltisch  sie  auf  den  ersten  blick  erscheinen, 
lassen  sich  also  auch  deutsch  rechtfertigen*.  In  Plutarchs  geschmückter 
schüderung  hat  man  die  glänzenden  mit  thiergestalten  und  federn 
prangenden  helme  der  kimbrischen  reiter  ungermanisch,  also  wieder 
keltisch  gefunden ;  als  wenn  des  Tacitus  beschreibung  einiger 
rheinischen  Germanen,  der  im  gründe  auch  hier  nichts  widerspricht, 
für  alle  übrigen  ausreichen  müste.  die  kimbrischen  wagen,  auf  welchen 
die  frauen  fochten  und  die  hunde  zuletzt  aushielten  (s.  16),  bezeich- 
nen noch  ganz  nomadische  lebensart.  Merkwürdig  ist  das  im  heer 
mitgeführte  eherne  stierbild,  über  dem  sie  eide  schwuren  (Marius  cap. 
23);  soll  damit  das  stier haupt  im  meklenburgischen  wapen  zusam- 
menhängen, so  müsten  die  nachrückenden  Slaven  den  altkimbrischen 
oder  warnischen  brauch  übernommen  haben. 

Aus  den  Sigulonen  (so  deutsch  dieser  name  klingt),  Sabalingen, 
Kobanden  und  Phundusiern  des  Ptolemaeus  weisz  ich  nichts  zu  ent- 
nehmen. 

Müllenhoff  hat  in  den  nordalbingischen  Studien  1,  111 — 174  eine 
schöne  abhandlung  über  die  deutschen  Völker  an  Nord-  und  Ostsee  in 
ältester  zeit  geliefert  und  die  namen  des  ags.  Vidsidesleod  der  reihe 
nach  fruchtbar  auf  die  meidungen  bei  Tacitus  angewandt ;  es  ist  das 
beste  was  wir  über  diesen  gegenständ  besitzen,  nur  will  er  vielleicht  641 
zu  viel  Völker  auf  der  halbinsel  unterbringen,  so  wenig  zu  zweifeln 
ist,  dasz  an  der  mündung  der  Elbe  wie  des  Eheins  von  jeher  ein 
groszes  drängen  stattfand.  Das  vorige  capitel  hat  dargethan,  dasz 
Thüringe  von  osten  nach  den  Niederlanden  zogen ;  ich  kann  mich  aus 
den  von  Müllenhoff  s.  137  angeführten  Ortsnamen  nicht  davon  über- 


*  bedenklicher  sind    die  Aduatici  'ex  Cimbris  Teutonisque  proereati' 
bei  Caesar  2.  29.  fuxf  welche  ich  hier  nicht  eingehe. 


446  ANGELN.    ANGELSACHSEN 

zeugen,  dasz  sie  auch  auf  der  kimbrischen  Halbinsel  hausten,  zwei- 
felhaft steht  es  um  die  Warnen.  Doch  für  einen  volksstamm,  dessen 
schon  s.  604 — 606  erwähnt  wurde,  ist  die  anwesenheit  im  chersones 
nicht  zu  leugnen ;  die  Angeln,  welche  Tacitus  noch  ostwärts  der  Elbe, 
Ptolemaeus  an  der  mittleren  Elbe  neben  Sueven  und  Langobarden 
kennt,  müssen  später  den  ström  hinab  gezogen  und  in  die  Schleswiger 
landschaft  zwischen  der  Schlei  und  dem  Plensburger  meerbusen  ge- 
langt sein,  die  nach  ihnen  Angeln  hiesz.  Man  wird  wol  annehmen 
dürfen,  dasz  von  den  drei  über  die  Elbe  westwärts  vordringenden 
stammen  die  Thüringe  sich  südlich,  die  Angeln  nördlich,  die  Warnen 
zwischen  beiden  in  der  mitte  hielten,  diese  mitte  aber  auf  der  land- 
carte  nachzuweisen  scheint  am  schwierigsten.  Müllenhoff  s.  129  bringt 
Warnses  und  Warnitz  auf  der  halbinsel  bei,  solche  Ortsnamen  würden 
sich  von  dem  flusz  Warne  und  Warnemünde  an  noch  in  andern 
gegenden  aufzeigen  lassen  (vgl.  s.  607).  Procop  scheint  die  Warnen 
auch  an  den  Niederrhein  zu  versetzen,  und  die  lex  Angliorum  et 
Werinorum  i.  e.  Thuringorum  (s.  604)  einigt  alle  drei  Völker.  Beim 
vordringen  in  der  mitte  zwischen  Thüringen  und  Angeln,  ungefähr 
im  Wesergebiet,  würden  die  Warnen  auf  Friesen  gestoszen  sein.  Wie 
es  aber  um  die  Warnen  sich  verhalte,  die  Angeln  rückten  weder  an 
den  Rhein,  noch  gegen  die  Ems  und  Weser  vor,  sondern  nahmen  auf 
der  halbinsel  einen  landstrich  zwischen  der  Ost-  und  Nordsee,  in  der 
richtung  von  Schleswig  und  Tönningen  ein,  und  wurden  nachbarn 
der  Sachsen,  Friesen  und  Juten,  während  jene  Thüringe  sich  an  das 
fränkische  reich  schlössen. 

Von  diesem  gebiet  aus  und  durch  die  gemeinschaft  seekundiger, 
642  mutiger  stamme,  wahrscheinlich  auch  durch  frühere  niederlassungen 
am  litus  saxonicum  (s.  626)  und  die  britische  einladung  angeregt  er- 
folgte nun  im  fünften  jh.  der  berühmte  zug  nach  Britannien,  welcher 
dort  ein  deutsches  weitreich  gründete  und  für  die  geschichte  unserer 
spräche  ähnliche  bedeutung  gewann  wie  die  auswanderung  nach  Island 
für  die  der  nordischen.  Beda  schreibt  1,  15:  advenerant  autem  de 
tribus  Germaniae  populis  fortioribus,  id  est,  Saxonibus,  Anglis,  Jutis. 
de  Jutarum  origine  sunt  Cantuarii  et  Victuarii  ...  de  Saxonibus,  id 
est  ea  regione,  quae  nunc  antiquorum  Saxonum*  cognominatur,  venera 
orientales  Saxones,  meridiani  Saxones,  occidui  Saxones.  porro  de 
Anglis,  hoc  est  de  illa  patria  quae  Angulus  dicitur,  et  ab  eo  tempore 
usque  hodie   manere  desertus  inter  provincias  Jutarum  et  Saxonum 

*  was  Beda  unter  Altsachsen  versteht  ist  schon  s.  628  gesagt,  man  darf 
wol  annehmen,  dasz  zu  dem  britischen  zug  hauptsächlich  nordalbingische 
Sachsen  sich  rüsteten,  weniger  falische  und  engrische;  doch  kann  der  ruf 
weit  gedrungen  sein  und  manche  aus  dem  inaern  Deutschland  gelockt 
haben,  überall  aber  blieben  grosze  theile  des  volks  in  der  heimat  zurück 
und  auch  Anglien  (oder  Schleswig)  mag  nicht  so  verlassen  gestanden  haben, 
wie  Beda  memt.  Wenn  der  geographus  ravennas  sagt:  insula  quae  dicitur 
Britannia,  ubi  olim  gens  Saxonum  veniens  ab  antiqua  Saxonia  cum  principe 
SUD  nomine  Anschis  in  ea  habitare  videtur,  so  zeigt  schon  die  abweichung 
von  dem  namen  Hengist,  dasz  er  anderswo  her  als  aus  Beda  schöpfte. 


SACHSEN  447 

perhibetur,  orientales  Angli,  mediterrane!  Angli,  Merci,  tota  Nord- 
anhymbrorum  progenies  .  .  .  ceterique  Anglorum  populi  sunt  orti. 
Unter  diesen  drei  stammen  scheinen  die  Juten  am  wenigsten,  die 
Angeln  am  meisten  zahlreich  gewesen  zu  sein,  wie  sich  auch  der  name 
jener  nicht  erhielt,  der  name  dieser  für  das  ganze  reich  herschend 
wurde.  Als  auf  italischem  markt  vor  dem  heiligen  Gregor  schöne 
blondlockige  heidenknaben  feil  standen  und  er  nach  ihres  volks  namen 
fragte,  empfieng  er  zur  antwort:  'Angli',  at  ille,  "^bene'  inquit,  ""nam 
et  angelicam  habent  faciem,  et  tales  angelorum  in  coelis  decet  esse 
coheredes'*.     sie  waren  aus  Deira  dem  northumbrischen  bezirk. 

Hat  aber  die  sage  von  der  meerfart  nach  Britannien  sich  wieder  643 
abgespiegelt  in  überKefe rangen,  die  der  Sachsen  erste  ankunft  in  dem 
vaterlande  selbst  berichten  wollten? 

Widukind,  gleich  zu  eingang  seines  werks  vom  Ursprung  des 
Volkes  redend,  meldet,  die  Sachsen  seien  zur  see  im  lande  Hadeln 
angelegt:  pro  certo  autem  novimus  Saxones  his  regionibus  navibus 
advectos,  et  loco  primum  applicuisse,  qui  usque  hodie  nuncupatur 
Hadolaun**.  woher  sie  schiften,  sagt  er  nicht,  man  mag  sich  hinzu 
denken,  vom  norden  her  oder  aus  Griechenland.  In  Hadeln  wohnten 
aber,  fährt  er  fort,  damals  Thüringe,  mit  welchen  die  Sachsen  bald 
in  streit  geriethen  und  von  denen  sie  durch  list  und  gewalt  festen 
sitz  im  land  errangen.  Es  scheint,  obwol  es  nicht  ausdrücklich  er- 
wähnt wird,  dasz  die  unterliegenden  Thüringe  sich  ins  mittlere  reich 
zurückzogen,  denn  als  im  verlauf  der  zeit  zwischen  Thüringen  und 
Franken  feindschaft  ausbrach,  erschienen  die  Sachsen,  qui  jam  olim 
erant  Thuringis  acerrimi  hostes,  den  Franken  zum  beistand  und  ent- 
schieden den  sieg,  wofür  ihnen  ein  theil  des  eroberten  lands  zu  theil 
ward,  die  begebenheiten  fallen  nun  schon  historisch  in  den  beginn 
des  sechsten  jh.,  sind  aber  voll  mythischer  züge. 

Diese  volksmäszig  ausgeprägte  sage  könnte  irre  machen  an  allem, 
was  im  vorhergehenden  über  die  abkunft  der  Sachsen  und  ihr  Ver- 
hältnis zu  den  Cherusken  ermittelt  wurde,  wie,  sollte  man  diesen 
nicht  vielmehr  die  Thüringe  statt  der  Cherusken  gleichstellen  müssen  ? 
hätten  thüringische  stamme  das  gebiet  zwischen  Elbe  und  Weser  inne 
gehabt  und  wären  sie  im  dritten,  vierten  jh.  von  den  Sachsen  zurück 
hinter  den  Harz  gedrängt  worden?  stimmt  das  nicht  zu  Plinius,  der 
Cherusken,  Hermunduren  und  Sueven  dem  herminonischen  hauptstamm 
beizählt?  erst  mit  den  Sachsen  wäre  der  ingaevonische  hauptstamm 
in  die  mitte  des  landes  vorgerückt? 

Solch  eine  annähme  scheitert  dennoch  1)  an   der  nachgewiesnen  644 
Identität  des  namens  Cherusken  und  Sachsen;   2)  an  Verschiedenheit 
der  Cherusken  und  Hermunduren,  auf  welche  letztere  sich  nothwendig 


*  Beda  2,  1.    lesenswerth  ist  Älfrics  ags.  erzählung  in  den  homilies 
of  the  ags.  church  ed.  Benj.  Thorpe  vol.  2  (Lond.   1846)  p.  120—122. 

**  andere  lesen  Hadoiava,   was  sich,  lava  für  ags.  läfe,  ahd.  leiba  ge- 
nommen, deuten  liesze  Martis  reliquiae,  hereditas.  [ags.  HeaJoläf  Beov.460.] 


448  SACHSEN 

die  Thüringe  zurückleiten;  3)  am  dasein  der  Angrivarier,  die  wie 
vorher  bestandtheil  der  Cherusken  nachher  der  Sachsen  waren ;  4)  an 
der  unWahrscheinlichkeit,  dasz  die  Sachsen  von  einem  winkel  der 
halbinsel  ausgegangen  sich  erobernd  zugleich  in  das  ganze  cherus- 
kische  gebiet,  ans  litus  saxonicum  und  nach  Britannien  ergossen  haben 
sollten,  welche  ausgedehnten  sitze  begreiflicher  werden,  so  bald  man, 
wie  es  schon  Bedas  stelle  fordert,  Altsachsen  mit  auf  den  breiten 
boden  von  Westfalen,  Engern  und  Ostfalen  hausen  läszt;  5)  an  der 
Innern  unzulässigkeit  der  sage  selbst:  die  Sachsen  sollen  mit  einer 
flotte  im  lande  Hadeln  gelandet  sein,  dem  sie  längst  benachbart  lagen ; 
aus  dem  eingang  der  kimbrischen  halbinsel,  wo  sie  Ptolemaeus  kennt, 
hätten  sie  blosz  die  Elbe  zu  überschreiten  brauchen,  um  nach  Hadeln 
zu  gelangen.  Überhaupt  ist  es  rathsam,  völkerstämme,  so  lange  es 
nur  thunlich  und  nicht  bestimmten  nachrichten  entgegen  scheint,  an 
der  stelle,  die  sie  einnehmen,  auch  mit  unverändertem  namen  fort- 
wohnen zu  lassen.  Die  niederdeutschen  stamme,  wie  sie  immer  heiszen, 
haben  sich  vom  ersten  jh.  bis  ins  mittelalter  in  ihren  sitzen  auf  der 
halbinsel  und  zwischen  Elbe  und  Weser  beinahe  unverrückt  behauptet, 
nur  ein  wenig,  nach  dem  auszug  der  Franken,  von  der  Weser  gegen 
den  Rhein  vorgeschoben. 

Was  nun  Widukinds  sage  angeht,  so  hallt  in  ihr  entweder  uralte 
Überlieferung  von  ankunft  der  Sachsen  auf  der  Ostsee  an  die  küste 
der  halbinsel  nach,  die  allmählich  auf  andere  örter  und  stamme  an- 
gewandt wurde,  oder  sie  verkehrt  den  meerzug  nach  Britannien  in 
einen  aus  Britannien  nach  dem  festen  land*,  was  durch  Rudolfs  Vor- 
stellung in  der  translatio  Alexandri  (Pertz  2,  674)  bestätigt  wird,  wo 
es  geradezu  heiszt :  Saxonum  gens,  sicut  tradit  antiquitas,  ab  Anglis 
645  Britanniae  incolis  egressa  per  oceanum  navigans  Germaniae  litoribus 
studio  et  necessitate  quaerendarum  sedium  appulsa  est  in  loco  qui 
vocatur  Haduloha  eo  tempore  quo  Thiotricus  rex  Francorum  contra 
Irminfridum  generum  suum  ducem  Thuringorum  dimicans  terram 
eorum  crudeliter  ferro  vastavit  et  igni;  hier  ist  die  landung  gleich 
mit  der  zeit  des  thüringischen  kriegs  zusammengerückt,  während  bei 
Widukind  zwischen  beiden  längere  zeit  angesetzt  werden  musz.  Noch 
deutlicher  wird  der  sage  mythischer  gehalt  durch  die  dem  Gotfried 
von  Viterbo  vorgelegne  Überlieferung,  welche  die  meerfart  der  Sachsen 
weiter  ausholt  und  an  der  Weser,  statt  an  der  Elbe  enden  läszt : 

Nunc  bene  procedo,  dum  tempora  Saxonis  edo, 
Saxo,  velut  credo,  patria  fuit  ante  Macedo. 

regis  Alexandri  miles  ubique  fuit. 
Rege  diem  funeto  tulit  a  Babylone  meatum, 
circuit  Italiam  ratibus,  veniens  Arelatum 

Siciliaeque  pharum,  transit  in  oceanum; 
inde  per  oceanum  britannica  litora  transit, 
Flandria  pertimuit,  sed  nee  sine  clade  remansit, 

Guisara  saxonica  terminus  ejus  erat. 


wie  schon  Niebuhr  röm.  gesch.  1,  46  (dritter  ausg.)  mutmaszt. 


ALTSACHSEN  449 

ßespice  tu  lector,  cui  regna  notamus  avorum, 
non  tunc  saxonicum  fuerat  cognomen  eorum, 
imo  Turingorum  crede  fuisse  solum. 

die  Weser  konnte  leichter  zur  thüringischen  Werra  leiten,  als  die 
Elbe;  worauf  mit  dem  einbrach  der  Sachsen  in  Flandern,  bevor  sie 
die  Weser  erreichten,  angespielt  wird,  ist  schwer  zu  sagen,  möglich 
aber  dasz  ein  aufenthalt  der  Thüringe  an  der  niedern  Elbe  in  die 
zeit  ihrer  mit  den  Angeln  und  Warnen  gemeinschaftlich  unternommnen 
Wanderung  gegen  westen  gestellt  werden  darf. 

Es  ist  zeit  auch  von  der  niederdeutschen  spräche  zu  handeln, 
wobei  die  arme  und  spärliche  quelle  der  altsächsischen  und  die  reicher 
flieszende  ags.  gesondert  werden  müssen. 

Auszer  urkundlichen  eigennamen  und  einzelnen  kleinen  denk- 
mälern  steht  der  altsächsischen  spräche  nur  ein  einziges  ansehnliches 
zu,  dessen  schon  s.  511  gedacht  wurde,  das  gedieht  von  Heliand 
läszt  uns  nicht  zweifeln,  dasz  eine  altsächsische  poesie  vorhanden  war,  646 
deren  weise  hier  gewandt  und  reinlich  auf  den  Inhalt  der  evange- 
lien  übertragen  wird;  doch  jeder  wahre  und  wirkliche  ton  der  ver- 
klungnen,  einheimischen  lieder  würde  für  uns  höheren  werth  haben. 
Nach  einer  auf  den  unbekannten  Verfasser  bezogenen  dichtersage,  worin 
er  vir  quidam  de  gente  Saxonum,  qui  apud  suos  non  ignobilis  vates 
habebatur,  heiszt,  soll  ihm  von  Ludwig  dem  frommen  der  auftrag 
geworden  ein,  das  alte  und  neue  testament  deutsch  zu  singen;  es  ist 
aber  von  einem  gedieht  aus  dem  alten  testament,  wenn  es  vollbracht 
wurde,  keine  spur  vorhanden,  welcher  sächsischen  landschaft  der 
dichter  angehörte  ist  kaum  sicher  zu  bestimmen ;  mehr  als  ein  zeichen 
in  der  mundart  scheint  auf  den  sprengel  von  Münster  zu  weisen. 

In  den  stummen  consonanten  hält  sich  die  gesamte  nieder- 
deutsche spräche  zur  gothischen  stufe  und  bleibt  der  hochdeutschen 
zweiten  Verschiebung  fremd,  bemerkens werth  ist  das  in  einer  hand- 
schrift  des  Heliand  erscheinende,  dem  d  parallele  gestrichne  b,  welches 
in  BH,  wie  jenes  in  DH  auflösbar  ist;  beiden  sollte  auch  ein  GH  zur 
Seite  stehn.  CH  geht  eigentlich  ganz  ab,  sowol  das  altfränkische  für 
gothisches  H,  als  das  ahd,  für  goth.  K ;  obschon  dies  letzte  CH,  nach 
ahd.  brauch,  zuweilen  eingeschwärzt  wird. 

Wichtiger  ist  hier  der  vocalismus.  kurzes  A  hat  sich  in  wurzeln 
und  zumal  flexionen  noch  häufig  behauptet,  wo  es  die  ahd.  spräche 
in  0  oder  E  wandelt,  beispiele  des  wurzelhaften  sind  fana,  fan  ahd. 
fona  und  haloian,  wo  ahd.  schon  holon  neben  halon  einreiszt;  den 
bedeutenden  unterschied  zwischen  ahd.  und  ags.  langen  vocalen  und 
diphthongen  hat  schon  die  grammatik  s.  247  ff.  besprochen,  aus- 
führlicher handle  ich  hier  von  der  flexion. 

Statt  des  goth.  gen.  sg.  -is  war  der  alts.  spräche  -as  gemäsz, 
dem  man  auch  in  der  ersten  decl.  den  preis  zuerkennen  musz.  so 
findet  sich  in  alten  Ortsnamen  bei  Moser  Bergashövid,  Etanasfeld 
campus  gigantis,  Reasford  vadum  capreoli;  in  den  trad.  corb.  204 
Karlasthan;  Lacomblet  n^  19.  26  hat  in  Wenaswalda  (n^  52  schon 

Griinm,  geschickte  der  deutschen  spräche,  29 


450  ALTSACHSEI^ 

647  Waneswalde  und  s.  29  steht  Wagneswalde,  weshalb  ich  den  zusam- 
menziehungen langen  vocal  ertheile).  die  beichtformel  gewährt  am- 
hahtas,  nithas,  drohtinas,  unrehtas  anafangas,  gibedas,  drankas,  minas 
hördömas,  hetias,  unrehtas  cussiannias,  unrehtas  helsiannias.  die 
Freckenhoster  rolle:  hanigas,  smeras,  gisc6thanas  smeras,  rukklnas 
brädas,  gerstinas  maltes  gimalanas,  rukklnas  melas,  eveninas  maltes, 
ävandas,  gßras  daga,  Welas  tharp,  Eammashuvila,  Asschasberga.  im 
Heliand  liest  man  gewöhnlich,  nach  ahd.  weise  -es:  godes,  barnes, 
dödes,  kuninges,  drohtines,  himiles,  ferahes,  nur  wenn  ableitendes  E 
vorausgeht  oder  gieng,  pflegt  A  zu  haften:  tyreas  4,  15,  gesldeas 
comitis,  herdeas  pastoris,  suotheas  veri,  oder  nach  wegfall  des  E 
tiras  4,  15,  suothas  27,   13;  tritt  aber  in   denselben  formen  I  für  E 

I  ein,  so  folgt  ihm  E,  nicht  A:  gesidies,  herdies,  suothies  (bei  Moser 
nO  21  Riesfordi  =  Reasfordi),  was  als  einflusz  des  I  auf  das  folgende 
A  betrachtet  werden  darf.  Ohne  zweifei  ist  das  E  des  ahd.  und  alts. 
-es  Schwächung  des  ursprünglichen  A,  wie  es  auch  niemals  umlaut 
erregt;  steht  aber  alts.  dages  für  dagas,  ahd.  takes  für  takas,  so 
wird  für  goth.  dagis  ein  älteres  dagas,  stimmend  zum  dativ  daga  zu 
behaupten  sein. 

Die  männlichen  nominative  pl.,  gleich  den  goth.  und  abweichend 
vom  -ä  der  ahd.,  haben  -ös:  fiscos,  dagös,  helidös,  slutilös,  welches 
-s  sich  noch  bis  auf  heute  in  vielen  Wörtern  der  niederdeutschen 
mundart  behauptet,  zumal  nach  ableitendem  L,  N  und  R:  engeis, 
slutels,  Wagens,  fiskers.  Einigemal  auch  hier  -as  (unsicher  ob  mit 
langem  oder  kurzem  A):  slutilas  Hei.  94,  18;  muniterias  monetarii 
Hei.  114,  15;  hallingas  obolos  Diut.  2,  170;  su6nas  subulci.  Alle 
feminina  hingegen  empfangen  -ä,  wie  die  ahd.,  nicht  mehr  -ös,  wie 
die  gothischen,  welches  -ä  auch  im  gen.  sg.  stattfindet.  Das  -s 
scheint  also  zuerst  in  der  weiblichen  flexion  gewichen,  und  hernach 
auch  dem  masc.  (im  ahd.)  entgangen  zu  sein;  die  sächs.  spräche  hält 
hier  die  mitte  zwischen  goth.  und  ahd. 

Auch  der  gen.  pl.  aller  geschlechter  zeigt  mitunter  -a  statt  des 
gewöhnlichen  -o,  welches  dem  ahd.  6  gleicht,  und  wiederum  aus  der 

648  weiblichen  flexion  in  die  männliche  übergegangen  scheint ;  denn  die 
goth.  masc.  und  neutra  zeigen  -6,  die  fem.  -6.  So  begegnen  bei 
Widukind  die  Ortsnamen  Stedieraburg  Horsadal  (Pertz  5,  442.  456), 
bei  Lacomblet  n^  1  Bidningahüsum,  n"^  8.  28  Bidningahem,  n**  3 
Hrödbertingahova,  trad.  corb.  258.  291  Winethahüsen,  bei  Moser  18. 
19  Drevanameri  Drevanamiri,  und  in  ostfälischen  Urkunden  Edingahü- 
sun,  Eilwardingaburstal,  Magathaburg  urbs  puellarum.  Halvarastad 
ist  aus  Pertz  3,  561.  4,  18.  5,  38  zu  entnehmen,  locus  dimidiorum, 
mediorum?  die  Freckenhorster  rolle  hat  neben  Aningero  lö  einmal 
auch  Aningera  und  Wernera  holthüson.  hierher  würde  auch  das 
cheruskische  Idisiavisus  Tac.  ann.  2,  16  gehören,  wenn  meine  Ver- 
mutung gilt. 

Die  alts.  neutra  haben  im  nom.  pl.  den  ausgang  -u,  aber  nur 
bei  kurzsilbigen  wie  fatu,  bladu,  clibu  gerettet;  langsilbige  wie  word, 


ALTSACHSEN  451 

thing  machen,  nach  ahd.  weise,  sg.  und  pl.  gleich,  die  Gothen  hatten 
immer  -a,  sowol  kasa  als  vaurda.  nach  einem  alten  grundsatz  laufen 
nom.  sg.  fem.  und  nom.  pl.  neutr.  parallel,  wie  goth.  giba,  blinda, 
göda,  kasa,  vaurda  lehren;  neben  alts.  vatu,  clibu  sollte  folglich  gibu 
und  blindu  erwartet  werden  und  das  ahd.  adj.  plintu  oder  plintiu 
des  nom.  sg.  fem.  stimmt  zum  plintu,  plintiu  des  nom.  pl.  neutr., 
doch  im  subst.  hat  das  fem.  k6pa,  der  pl.  neutr.  ohne  flexion  parn, 
wort  =  goth.  barna,  vaurda.  nur  einzelne  ahd.  denkmäler  wahren 
den  ausgang  -u  nach  ableitendem  I,  und  bilden  von  chunni,  effili, 
fingiri  den  pl.  chunniu  effiliu  fingiriu,  was  dem  adjectivischen  pl. 
plintiu,  kuotiu  gleichkommt,  durch  alle  mängel  hindurch  regt  sich 
in  allen  dialecten  das  gleiche  gesetz. 

Besonders  zu  merken  ist  auf  die  schwache  flexion ;  zwar  im  Hei. 
herscht,  wie  ahd.  -o,  -on,  hano  hanon,  jungaro  jungaron,  und  so 
haben  auch  die  eigennamen  der  trad.  corb.  und  Freckenhorster  rolle 
gewöhnlich  Bodo  Col^bo  Oio  ürögo  Benno  Bövo  Franco  in  zahllosen 
beispielen,  gleichwol  erscheint  daneben  Slboda  62,  Uffa  201,  Asica233, 
Bacca  123  (Bacco  244.  24(5.  252),  Hoia  146,  Barda  151,  Dodica 
135.  169,  Wala  438,  Höma  414,  Hassa,  Wenda  454,  ja  beiderlei 
form  nebeneinander,  z.  b.  Addasta  und  Bodo  300,  Beya  und  Wydugo  649 
416,  Witta  Crea  Horobolla  und  Enno  299  und  in  der  rolle  Bavika 
Hacika  u.  s.  w.  Noch  häufiger  findet  sich  im  obliquen  casus  -an  statt 
des  gewöhnlichen  -on  oder  -un,  z.  b.  der  dativ  Abban  24,  Ennan  78, 
oder  in  den  Zusammensetzungen  Ymmanhüsen  275,  Bennanhüsen  187. 
198,  Thudanhüsen  14,  Swalanhiisen  53,  Battanhüsen  lOÜ,  Heianhüsen 
101,  Bredanbeke  65;  Br6danbiki  130,  Nianthorpe  99,  Aldanthorpe  100, 
Guddianstede  234,  Fohanreder  367.  456.  Die  in  Wigands  archiv  5, 
114  — 130  gedruckten  paderbornischen  Urkunden  des  10.  11  jh.  liefern 
UflPa  Eppa  Uda  Berda  Poppa  Reinza  Azzaca  Franca  Wega  Bacca  Döda 
Daia  Poppica  Ika  Tiaza  Sicca  Bennaca  Godica  Cöna  Tiamma  Acca  Liuda 
Egia  Bösa  G6la  Ova  Hizza  Benna  Böva,  und  nur  in  einzelnen,  vielleicht 
von  hochdeutschen  Schreibern  herrührenden,  wie  n*^  19.  22.  30  er- 
scheint -0.  nicht  anders  heiszt  es  Tadican  Hemmanhüs  Bullanhüs 
Perranhiis  Baddanhüsun  Niganbrunnon  Wallanstedi,  und  wenn  n^  8 
Aldunthorpe  gedruckt  steht,  kann  die  handschrift  leicht  Aldan  gewäh- 
ren, dagegen  die  Urkunden  bei  Moser  fast  immer  -o  statt  -a  zeigen, 
und  nur  in  Zusammensetzungen,  wie  Hrütansten  n^  19  die  flexion  -an; 
in  der  Freckenhorster  rolle  schwankend  Pikon  und  Pikanhurst.  ost- 
fälische  aber:  Rotanbiki  Widukindesspeckian  Wetanspeckian  LuUan- 
burnan  Bunikanroth  Kobbanbrug  Puttanpathu  (ranae  semita)  Mösan- 
st6n  (pari  lapis)  Runtheshornan  (armenti  cornu);  bei  Lacomblet  6 
Hlopanheldi,  U.  12.  13.  19  Diapanbeci,  27  Berugtanscotan,  28  Ber- 
tanscotan,  65  Sceddanwurthi,  Aspanmöra.  Aus  den  annalen  sind  eine 
menge  solcher  composita  zu  entnehmen:  Willianstedi  Pertz  2,  387; 
Ivikansten  Givikanst6n  Pertz  5,  92.  762.  803.  805;  Welanao  Pertz 
2,  699  u.  s.  w.  Es  läszt  sich  nicht  verkennen,  dasz  -a  und  -an  die 
ursprünglich  sächsische,  allen  theilen  des  volks  gemeine  form  war,  wie 

29* 


452  ALTSACHSEN 

sich  auch  durch  die  ags,  spräche  bestätigt;  sie  fand  sich  in  West- 
falen, Engern,  Ostfalen,  wie  über  der  Elbe,  sehn  wir  also  in  einem 
bedeutenden  werk,  wie  der  Heliand,  -o  und  -on  durchgedrungen;  so 
ist  schon  so  frühe  einflusz  der  hochdeutschen  spräche  auf  die  nieder- 
650  deutsche,  sei  er  nun  von  Schwaben  (s.  488)  oder  Franken  (s.  546) 
her  gekommen,  zu  behaupten,  in  den  eigennamen  dauerte  das  -a, 
-an  noch  so  lange  fort,  bis  es,  gleich  dem  -o,  -on,  zuletzt  in  -e,  -en 
verdünnt  wurde,  die  Eömer  können  aber  ihr  Gothones  Ingaevones 
Herminones  Semnones  nur  bei  Hochdeutschen  vernommen  haben. 

Sicher  war  der  weibliche  und  neutrale  nom.  sg.  schwacher  form 
vom  männlichen  unterschieden,  und  man  darf  ihm,  nach  ags.  weise, 
-e  zutrauen,  dessen  quantität  ich  dahin  gestellt  sein  lasse;  es  ent- 
spricht dem  goth.  -6  und  ahd.  -ä.  doch  habe  ich  nur  einen  einzigen 
beleg:  Albe  tr.  corb.  354;  denn  Swala  Tetta  321.  323  ist  entweder 
hochdeutsche  oder  lat.  form,  für  welche  letztere  der  gen.  Swale  Wende 
321.  326  redet  =  Twalae  Wendae. 

Ein  bedeutender  unterschied  der  alts.  von  der  goth.  und  ahd. 
spräche  ist  der  wegfall  des  starken  männlichen  kennzeichens  im  nom. 
sg.  statt  des  goth.  dags,  sunus,  gods,  hardus  heiszt  es  alts.  dag, 
sunu,  göd,  hard;  ahd.  dauert  zwar  nicht  im  subst.,  doch  im  adj. 
kuotßr,  harter.  Das  neutrale  kennzeichen  ist  im  goth.  subst.  ge- 
schwunden; vaurd,  faihu,  im  adj.  gödata,  svesata  bewahrt,  und  ebenso 
entbehren  es  die  ahd.  subst.  wort,  fihu,  erhalten  es  die  adj.  kuotaz, 
suäsaz.  die  alts.  adjectiva  haben  ihm  entsagt,  wenigstens  ist  im  gan- 
zen Hei.  keine  spur  davon  (die  pronominalen  it,  that,  huat  abgerech- 
net). Das  Hildebrandslied  zeigt  noch  suäsat  kind,  und  da  noch  die 
heutige  Volkssprache  auf  beiden  Seiten  der  Elbe  formen  wie  allet, 
liebet,  gronet  ==  nhd.  alles,  liebes,  grünes  oft  verwendet;  so  möchte 
auch  schon  vor  alters  der  ostfälische  dialect  diesem  -at  länger  ange- 
hangen haben,  als  der  engrische  und  westfälische. 

In  der  conjugation  ist  das  auffallendste,  dasz  der  pl.  für  alle 
drei  personen  nur  eine  einzige  form  besitzt,  d.  h.  in  der  dritten 
auch  für  die  erste  und  zweite  gelten  läszt.  was  im  goth.  gibam 
gibi|)  giband,  im  ahd.  kSpam  kepat  kepant  unterschieden  lautet,  fällt 
alts.  in  gebad  gebad  gebad  zusammen;  was  im  goth.  gibaima  gibaij) 
651  gibaina,  im  ahd.  kep6m  köpßt  kfe"p6n  ist,  alts.  nur  geben  geben 
geben,    ebenso  in  den  praeteritis. 

Des  vocalischen  ausgangs  der  starken  secunda  praet.  ind.  wurde 
bereits  s.  487  gedacht;  hier  treffen  alts.  und  ahd.  spräche  überein 
im  gegensatz  zur  gothischen. 

Das  verb.  subst.  lautet  bium  bist  is  (oder  ist);  pl.  sind  sind 
sind,  wofür  auch  sindun;  praes.  conj.  sl  sls  si,  pl.  sin  sin  sin.  imp. 
wis,  wesad. 

Genitivgerundia  der  woUautigen  form  -annias  ergibt  die  beicht- 
formel:  liagannias  mentiendi,  sueriannias  jurandi,  cussiannias  osculandi, 
helsiannias  amplexandi;  das  I  nach  NN  geht  der  ahd.  form  -annes 
(s.  486)  ab,    könnte    aber   NN    selbst    deuten    helfen,    welches  ahd. 


ALTSACHSEN  453 

einigemal  aus  NI  entspringt  (dennan  f,  denian,  zeinnä  f.  zeiniä) ;  dann 
stände  annias  für  anias,  was  ich  oben  annahm. 

Wie  jedwede  mundart,  hat  auch  die  alts.  eigenthümliche  Wörter 
und  formen  voraus,  deren  reichthum  in  dem  einzigen  Heliand  nur  zum 
kleinsten  theil  erkennbar  wird,  mir  genügt  wieder  an  beispielen. 
an  them  felde  sind  fruhti  ripia,  aroa  an  them  accare,  in  campo  sunt 
fruges  maturae,  spicatae  in  agro  78,  17,  aroa  ist,  wie  garoa  20,  17, 
von  gare  paratus,  von  aro,  das  ich  für  ötaxvaörjg  nehme,  von  arewa, 
altn.  ör  sagitta  und  dann  auch  wegen  ähnlichkeit  der  spitzen  gestalt 
arista,  spica;  nach  dem  goth.  arhvazna  ßsXog  scheint  zwischen  E 
und  V  auch  ein  H  ausgefallen,  gibäda  oder  gibädi  bedeutet  lenimen- 
tum,  fomentum:  lungra  föngun  gibäda  an  iro  brioston  blßca  idisi, 
celere  acceperunt  lenimentum  in  pectoribus  suis  pallidae  mulieres  172, 
1 1 ;  th6m  mannum  ward  hugi  at  iro  herton  endi  gihelid  möd,  gibädi 
an  iro  breostun,  viris  rediit  animus  in  corda,  mens  restituta  est  et 
levamen  additum  in  pectoribus  97,  9;  wurdun  an  forhtun,  wurdun 
underbädöde,  timor  eos  occupavit,  consternati  sunt  148,  6,  wurden 
aus  der  behaglichkeit  gesetzt,  d.  h.  erschreckt,  hier  hat  under  priva- 
tive kraft,  wie  in  untersagen,  versagen;  wurzel  von  bädön  und  gibäda 
ist  baian  fovere,  ahd.  päan,  päwan  (Graff  3,  4)  nhd.  bähen,  böggebo, 
annuli  dator  84,  2  bezeichnet  den  freigebigen,  gold  oder  ringe  sehen-  652 
kenden  herrn  und  entspricht  dem  ags.  beäggifa  oder  goldgifa,  wie  ich 
schon  zu  Andr.  und  El.  s.  XXXVIII  ausführte;  zur  seite  steht  ihm 
bögwini  84,  2,  ags.  goldvine  cod.  exon.  287,  31.  288,  23  und  noch 
mhd.  goltwine  Rol.  164,  20;  die  lesart  baggebo  bagwini  fordert  ä  =  6, 
wie  bräd  panis  für  bröd,  und  fränisco  für  frönisco.  thes  thramm  imu 
an  innan  möd  152,  20,  das  herz  sprang,  klopfte  ihm,  von  thrimman 
springen,  wozu  das  goth.  J)ramstei  dxQig  gehört,  die  viele  namen  vom 
springen  führt.  f6mea  mulier  9,  22  entspricht  dem  altn.  feima  virgo 
pudica,  zugleich  dem  ags.  fsemne,  fries.  fämne,  und  in  beiden  letzten 
überraschend  dem  lat.  femina  foemina,  sogar  mit  dem  oe,  welches 
auf  ein  goth.  faiminö  ahd.  feiminä  rathen  liesze,  und  doch  ist  die  Über- 
einkunft allzugrosz  und  gegen  die  lautverschiebung.  auch  reicht  das 
altn.  feiminn  pudibundus,  feimar  pudet  die  sicherste  ableitung  dar; 
selbst  das  keltische  bean  käme  in  betracht.  g6dea  132,  8  aus  dem 
gen.  pl.  gedeono  zu  folgern  bedeutet  penuria  und  entspricht  dem  goth. 
neutrum  gaidv  vßtSQrj^a,  vielleicht  dem  ags.  gäd  cuspis,  weil  mangel 
und  hunger  stacheln?  sumbl  convivium,  ags.  sjonbel,  altn.  sumbl. 
Bei  so  vielfacher  Übereinkunft  zwischen  alts.  und  ags.  Wörtern  fällt  es 
auf,  dasz  im  Heliand  für  lacrimae  trahni  erscheint,  wie  im  ahd.  trahani, 
nhd.  thränen,  nnl.  tränen,  und  nicht  taros,  wie  im  ags.  tearas,  ahd. 
zahari,  neutral  aber  goth.  tagra,  altn.  tär.  Das  ags.  bolla  vas,  altn. 
bolli  tina  musz  auch  der  alts.  spräche  zugesprochen  werden,  da  die 
tradit.  corb.  229  den  seltnen  mannsnamen  HoroboUa  gewähren,  welcher 
vas  luteum  ausdrückt,  und,  wenn  kein  anderer  mythischer  grund  wal- 
tet, vielleicht  der  christlichen  Vorstellung  entsprechen  soll,  wonach 
alle  menschen  die  irdnen,  leimerschafnen  heiszen,  vgl.  N.  ps.  72,  9 


454  ALTSAGHSEN 

hurwine  lutei,  und  Georg  3409  die  leim'men.  Nur  im  pl.  findet  sich 
fratahun  ornamentis,  und  immer  mit  dem  adj.  fagarun  pulchris  12,  1. 
52,  21.  102,  14.  139,  2  oder  diuriun  pretiosis  115,  7;  fagarero 
fratoho  pulchrorum  ornamentorum  52,  9;  auch  die  ags.  formen  sind 
auf  den  pl.  eingeschränkt:  frätva  dselan  ornamenta  distribuere  Csedm. 

653  171,  17.  feoh  and  frätva  Csedm.  128,  21.  gyrvan  on  frätvum  Csedm. 
28,  28.  frätva  ornatuum  Beov.  74.  das  weibliche  geschlecht  ist  nach 
diesen  ags.  formen  sicher,  der  alts.  sg.  würde  fratah,  der  ags.  frätv 
lauten;  einem  alts.  verbum  fratahön  ornare  stellt  sich  ags.  frätvian, 
altengl.  fretien  part.  fretted  (Ploughman  p.  596^^),  goth.  fratvjan  in- 
struere  II  Tim.  3,  15  (wo  man  nicht  fraj)vjan  lesen  darf)  an  die  seite. 
folglich  wäre  auch  ein  goth.  fratvs  ornatus  pl.  fratveis  (oder  fratus 
pl.  fratjus,  gen.  frativß?)  zu  gewarten,  allen  übrigen  deutschen 
sprachen  geht  das  wort  ab,  man  müste  denn  ahd.  frazar  temerarius, 
protervus  für  verwandt  halten  und  dazu  ags.  frät  Andr.  111  cod. 
exon.  84,  15  vergleichen.  Merkwürdig  sind  die  wiederum  beiden 
mundarten,  der  alts.  und  ags.,  eigenthümlichen  verwandten  bildungen 
erod  und  werod,  ags.  eorod  und  veorod  für  die  begriffe  legio  und 
turma.  erod  steht  im  Hei.  nur  126,  18  und  wird  da  eorid,  ierid 
geschrieben,  desto  häufiger  kommt  werod  vor;  erod  ist  von  dem  ver- 
lornen eru,  eoru  ==  goth.  airus  vir,  nuntius  gebildet,  werod  von  wer 
=  goth.  vair  vir,  sie  drücken  also  menge  von  männern  aus.  die 
goth.  form  wäre  mutmaszlich  airuds,  vairuds?  dagegen  ist  blosz  alts. 
bewod  78,  16  messis,  nnl.  bouwd  oder  bouw.  Beide  sprachen  be- 
wahren anlautendes  WL  und  WE,  wofür  ahd.  nur  L  und  E  gelten, 
ich  hebe  das  einzige  wlanc  superbus,  elatus,  ags.  vlanc  hervor,  dem 
ein  verbum  vlincan  zu  gründe  liegen  musz;  ahd.  scheint  es  ausge- 
storben, es  sei  denn  der  eigenname  Lancho  (GraflF  2,  223)  davon 
übrig,  der  aber  auch  Hlancho  gedeutet  werden  könnte  (hlancha  ca- 
tena).  eld  ignis,  ags.  äled,  altn.  eldr,  eigentlich  ignis  pastus  von 
alan  alere  pascere,  im  gegensatz  zu  dem  fressenden,  verbeerenden ; 
warum  sollte  ahd.  nicht  auch  alit  elit  möglich  sein?  Die  einstimmung 
des  vor  infinitive  ermahnend  gesetzten  ags.  vuton,  alts.  wita  und  mnl. 
weten  habe  ich  gramm.  4,  89.  90.  944  vorgetragen;  nicht  weniger 
eigen  ist  das  huat  und  hvät  im  beginn  des  satzes,  wovon  gramm.  4, 
449.  Vom  seltsamen  ansciann  171,  24  gramm.  1,  245.  Wanum  ist 
splendidus,  lucidus,  clarus,  pulcher,  wanamo  splendide,  wanami  splen- 
dor;    man    darf  das  -um   für  alte    superlativform    und   dem    -ustus 

654  des  lat.  venustus  gleichsetzen,  wie  goth.  auhama  lat.  augustus,  wäre 
vanuma  venustus,  und  der  lat.  wurzel  ven  in  Venus  und  venustus 
entspricht  ganz  das  wan  in  wanum  oder  wanumo.  auch  hat  die  ags. 
spräche  bloszes  van  lucidus  statt  des  alts.  wanum,  es  heiszt  Beov. 
1398  "^on  vanre  niht',  bei  mondheller  nacht,  und  1295  'van  under 
volcnum'  ganz  wie  Hei.  19,  20  wanum  undar  wolcnum'.  wenn  das 
altn.  appellativum  Vanir  kurzen  vocal,  das  adj.  vsenn  pulcher,  venustus 
langen  an  sich  trägt,  so  müssen  ablaute  im  spiel  sein ;  mit  lat.  Venus 
vergleicht  sich  aber  das  welsche  Gv/ener  und  gwyn  albus,  gwion  eibin 


ALTSACHSEN  455 

(s.  296.  306),  vielleicht  das  ir.  ban  bhan  albus,  ben,  bean  femina, 
ags.  cven,  goth.  qinö,  so  dasz  hier  die  deutsche  spräche  doppelte 
wortgestalten,  aber  auch  sehr  abweichender  bedeutung  mit  und  ohne 
gutturalpraefix  erzeugt  hätte. 

Hei.  35,  10  wird  durch  ""thia  gisunfader'  unser:  die  söhne  und 
der  vater  gedrungen  ausgedrückt,  ebenso  wie  im  Hildebrandslied  ""untar 
heriun  tu6m  sunufatarungo'  sagt:  inter  exercitus  duos  filii  patrisque. 
die  nordische  spräche  verwendet  dafür  fedgar  und  fedrüngar.  Unserm 
alterthum  ist  bei  unmittelbar  aufeinander  folgenden  namen  oder  bei 
dem  namen,  der  hinter  das  umfassende  dualpronomen  tritt,  die  copula 
und  entbehrlich,  Id  Völundr  Ssem.  139^  heiszt:  du  Und  Völundr; 
'vid  Sigurdr'  Ssem.  229i>  ich  und  S.;  Vit  Scilling'  ich  und  S. ;  'vit 
Aedered'  Kemble  n^  314  ich  und  A.;  "^unc  Adame'  Csedm.  25,  1  mir 
und  Adam;  'vid  karl  minn  fornald.  sog.  1,  231  ich  und  mein  mann; 
''yät  land  is  healf  uncer  Brentinges'  Kemble  2,  250.  3,  422:  das 
land  ist  halb  mein  und  Brentings*.  auf  ähnliche  weise  steht  mhd. 
■"gote  mir  willekomen'  für  gott  und  mir,  oder  \ater  muoter  beide' 
passion.  348,  5  für  vater  und  mutter  (vgl.  Haupt  2,  190).  in  gisun- 
fader und  sunufatarung  ist  aber  die  Verknüpfung  noch  fester,  durch 
das  praefix  -gi  oder  suffix  -ung  sind  die  beiden  Wörter  aus  der  655 
bloszen  apposition  in  eins  übergegangen. 

Christus  heiszt  Hhat  fridubarn  godes'  123,  5.  162,  17;  die  ags. 
gedichte  geben  oft  die  ausdrücke  freodoscalc,  freodoJ)eov  für  den 
knecht,  freodovebbe  für  die  frau,  weil  söhn,  knecht,  frau  im  mun- 
dimn,  im  frieden  des  mannes,  vaters,  herrn  stehn. 

Dasz  die  Altsachsen  Seefahrer  waren,  folgt  schon  aus  den  be- 
zeichnungen  des  Schiffes,  die  man  unter  Hochdeutschen  kaum  treffen 
würde:  neglid  35,  17  mit  nageln  beschlagen  (wie  negilid  sper  169, 
29)  höhurnid  69,  8.  89,  8  hochgehörnt**;  wie  viel  schönere  aus- 
drücke für  schif  und  meer  sind  aber  in  ags,  und  altn.  liedern  gehäuft, 
von  denen  sich  die  hochdeutsche  spräche  und  dichtung  nichts  träu- 
men läszt. 

Das  meer  hiesz  alts.  geban,  ags.  geofon,  gifen  und  musz  auf  ein 
göttliches  wesen  zurückgeführt  werden  (myth.  s.  219.  288);  im  Orts- 
namen Gebeneswilare  (Stalin  1,  598)  scheint  doch  eine  hochdeutsche 
spur,  wie  geban  und  geofon  sind  alts.  heban  und  ags.  heofon  ein 
rechtes  kennzeichen  sächsischer  mundart,  das  ich  schon  gramm.  vorr, 
XIV  und  mythol.  661,  662  hervorgehoben  habe,  dies  heban,  heofon, 
engl,  heaven  ist  weder  hochdeutsch,  noch  gothisch,  nordisch  und  frie- 
sisch,    beinahe  gleich  durchgreifend  scheint  die  partikel  alts.  biütan, 


*  fast  so  fügt  die  lappische  spräche  nach  dem  dualis  des  pron.  ohne 
copula  den  eigennamen,  diesen  aber  im  Instrumentalis :  'mo.j  Hansajn':  ich 
und  Hans,  ich  mit  Hans;  Vioj  bapajn':  du  und  der  pfaffe,  mit  dem  pfafFen. 
Rasks  lappisk  sprogläre  §.  303. 

**  doch  wird  bei  Schilderung  des  gestillten  sturms  der  ausdruck  puppis 
aus  Marc.  4,  38  nicht  verdeutscht,  blosz  das  allgemeine  naco  gebraucht  68, 
11.    dem  Gothen  stand  dafür  nöta  zu. 


456  ALTSACHSEN 

nnl.  buiten,  ags.  bütan,  engl,  but,  die  nur  ans  hochdeutsche  streift, 
büzan  hat  Is.  5,  6  und  in  hessischen  Urkunden  liest  man  oft  bauszen, 
pauszen;  das  gewöhnliche  ahd.  wort  lautet  nur  üzan. 

Die  längere  dauer  des  heidenthums  unter  den  Sachsen  muste 
auch  in  ihrer  spräche  viele  darauf  bezügliche  ausdrücke  festhalten 
nur  verstolen  blickt  noch  ein  ahd.  wurt  für  fatum  durch,  das  alts. 
wurth,  ags.  vyrd  haften  allenthalben  (myth.  s.  377.  378).  vor  Schmel- 
6561ers  fund  hätte  man  der  ahd.  spräche  kein  muspilli  zugetraut,  was 
dem  alts.  und  altn.  ausdruck  entsprechend  (myth.  s.  568)  selbst  der 
ags.  mangelt,  die  seltnen  beispiele  des  ahd.  itis  femina,  matrona 
zählt  Graff  1,  159  auf,  das  alts.  idis,  ags.  ides,  altn.  dis  sind  ganz 
häufig;  ich  habe  das  berühmte  Schlachtfeld  der  Cherusken  an  der 
Weser  Idistavisus  (Tac.  ann.  2,  16)  in  Idisiavisus  gebessert  und  den 
klaren  sinn  von  nympharum,  parcarum  pratum  gewonnen,  zugleich 
ältesten  beleg  für  den  ausgang  des  gen.  pl.  auf  -a.  Tanfana,  Veleda 
waren  solche  heilige  idisi. 

Wenn  in  Hochdeutschland  die  groszen  ströme  Donau,  Ehein, 
Main  undeutschen,  d.  h.  schon  von  Kelten  bei  der  einwanderung  über- 
nommnen  namen  führen,  sind  die  sächsischen  flüsse  Elbe  (s.  325) 
und  Weser  deutsch  benannt,  diese  gegenden  müssen  lange  schon  un- 
gestört in  deutscher  hand  gewesen  sein,  der  altn.  spräche  ist  elf,  elfa 
allgemeiner  ausdruck  für  jeden  flusz.  was  in  Wisuraha,  Visurgis 
liege  errathe  ich  nur  unsicher:  wie  zu  ags.  enge  inge  pratum,  altn. 
engl  sich  das  ahd.  angar  verhält,  könnte  zu  wisa  pratum  ein  abge- 
leitetes wisur,  wfe'sar*  stehn,  Wisuraha  (den  Römern  Visuria  Visuris 
Visurgis)  wäre  wiesenflusz,  der  durch  grüne  matten  strömt,  was  mit 
dem  sinn  des  namens  Angrivarii,  Angrarii,  die  an  der  weser  wohnen 
(s.  629)  gerade  zusammenfiele,  man  dürfte  weiter  gehn  und  selbst 
den  namen  der  Ingaevonen  zu  jenem  inge,  enge  halten. 

Throtmani  Throtmeni  Dortmund  wurde  s.  622  erklärt;  auszer 
Holtesmeni  gab  es  auch  ein  Dulmani  Dulmeni,  das  heutige  Dülmen; 
was  aber  bedeutet  dul?  altn.  ist  dula  velamen,  tegmen,  von  dylja 
celare,  also  das  verhüllte  halsband?  Münster  hiesz  in  vorchristlicher 
zeit  Mlmigernaford,  Mlmigardaford,  was  wie  Mimida  =  Minden  den 
namen  des  halbgottes  Mimi  (mythol.  s.  352)  zurückruft,  aber  den 
mythus  eines  von  ihm  durchschrittenen  flusses  oder  wassers  voraus- 
setzt; der  flusz  bei  Münster  führt  den  namen  Aa  (aha),  nicht  weit 
von  Münster  ab  liegt  Freckenhorst,  Frickenhurst,  ein  heiliger  hain, 
657  wie  der  name  Irminlo  bei  Lacombl.  n'^  65  p.  31  an  die  silva  Herculi 
Sacra  (Tac.  ann.  2,  12)  mahnt.  Bedeutsam  scheint  der  name  Osna- 
brück, der  noch  in  seiner  heutigen  gestalt  das  -a  des  gen.  pl.  hegt, 
schon  im  8.  9  jh.  schrieb  man  Osnabrugga  Pertz  2,  679,  später 
Osenbrugge  Pertz  2,  425,  Dietmar  giebt  Asnebrugge  Pertz  5,  840. 
860,  und  mit  recht  erklärt  Zeusz  s.  1 1  brücke  der  Äsen,  Osna,  was 
ahd.  wäre  Ansonö,  und  der  berühmten  eddischen  Asbrü  (myth.  s.  694) 


*  in  einer  ags.  grenzurkunde  bei  Kemble  n"  598  p.  301  'on  visere, 


ALTSACHSEN.  ANGELSACHSEN.  457 

entspricht,  neben  der  starken  form  äs  aesir  kann  bei  Schwaben  die 
schwache  anso  anson,  bei  Sachsen  6sa  ösan  (gen.  ösana)  gegolten 
haben,  zumal  starker  subst.  masc.  und  fem.  genitive  pl.  gern  in 
schwache  flexion  umschlagen,  die  Osi  des  Tacitus  (Germ.  43)  [Haupt 
9,  239]  ohne  weiteres  heranzuziehen  wäre  verwegen,-  sicherer  bezeugt 
die  göttlichen  Ösen  der  westfälische  bergwald  Osning  Osnengi  (myth. 
s.  106.  1204).  fAsiningseli,  Werden,  reg.  235.  246.]  Aus  Carls  feld- 
zug  im  j.  779  ist  ein  ort  der  Wesergegend  namens  Medofulli,  Midu- 
fulli  bekannt  (Pertz  1,  160.  161.  221.  349.  8,  559);  medoful  sagt  aus 
poculum  mulsi  (Hei.  62,  10),  es  scheint  ein  flusz  gewesen  zu  sein, 
der  heute  andern  namen  führt,  gerade  so  heiszt  ein  durch  die  land- 
schaft  Kent  in  die  Themse  sich  ergieszender  flusz  Medway,  d.  i.  ags. 
Meadovgege  Medevaege  Medvaege  (Kembles  urk.  n^  295.  688  p.  283 
vgl.  386.  400.  n^  1051)  von  vsege,  alts.  w6gi  (Hei.  62,  8)  altn.  veig 
poculum,  mit  medovsege  ist  gleichviel  ags.  ealovaege  Beov.  956.  985. 
4038.  lidvsege  Beov.  3960.  ich  ahne  hier  mythische  bezüge:  wie  den 
Griechen  und  Eömern  das  gewässer  aus  dem  hörn  oder  der  urne  des 
fluszgottes  strömt,  mag  auch  unser  alterthum  bäche  und  flüsse  aus 
dem  verschütteten  oder  umgestürzten  methkrug  eines  mythischen 
Wesens  geleitet  haben,  woher  der  quelle  name.  Die  Externsteine  an 
Äinem  felsen  des  Teutoburger  walds  lehren  anschaulich,  dasz  hier  ein 
christliches  denkmal  (seit  1115)  an  eines  älteren  heidnischen  stelle 
trat;  in  den  Urkunden  steht  Agisterstein ,  Egesterenstein.  für  den 
vielgedeuteten  namen  läge  doch  nichts  näher  als  das  ahd.  und  gewis 
auch  alts.  ßgester  ßgesteren  6rgestere  nudius  tertius,  ags.  sergistran, 
nhd.  vorgestern,  ehgestern;  was  dem  gestern  vorausgeht  bezeichnet 
lange  Vergangenheit,  das  finn.  eilenen  ist  hesternus,  aber  auch  anti-  658 
quus,  non  nuperus.  es  sind  felsen,  nicht  von  heute,  auch  nicht  von 
gestern,  sondern  vor  gestern,  aus  grauem  alterthum.  in  der  edda 
Ssem.  269*  heiszt  es:  vara  J)at  nü  ne  1  gser,  J)at  hefir  längt  lidit  sidan, 
und  man  bi-auchte  blosz  aus  der  sächsischen  spräche  die  anwendung 
dieser  naiven  ausdrucksweise  auf  örter  nachzuweisen.  Magathaburg, 
ahd.  Magadopuruc,  urbs  puellarum,  böhm.  Dewjn  oder  D^w6j  hrad 
weist  auf  sage  und  mythus.  Agidora,  Egidoro,  der  volle,  alte  name 
des  flusses  Eider  ist  mythol.  s.  ^19  erläutert. 

So  viel  von  den  Altsachsen,  und  ich  wende  mich  näher  zu  den 
Niederdeutschen  in  Britannien  (s.  642). 

Dasz  unter  den  dort  eingewanderten  Sachsen,  Angeln  und  Juten 
die  Sachsen  vorwalteten,  scheint  aus  der  stammsage  und  den  namen 
der  sich  bildenden  einzelnen  reiche  hervorzugehn.  während  haupt- 
sächlich von  Ostsachsen  und  Westsachsen  (vgl.  s.  442)  die  rede  ist, 
aber  auch  von  Mittelsachsen  und  Südsachsen,  wie  noch  die  heutigen 
namen  Essex  Wessex  Middlesex  und  Sussex  zeigen,  während  das  glück- 
liche Westsachsen  bald  an  der  spitze  aller  stamme  steht;  werden  nur 
Ostangeln  genannt,  denen  sich  etwa  die  bewohner  Merciens  als  West- 
angeln an  die  seite  setzen  lassen.  Von  den  Angeln  sind  nach  Beda 
auszer  Ostangeln  auch  Mittelangeln,  Mercier  und  ganz  Northumberland, 


458  ANGELSACHSEN 

d.  i.  Deira  und  Bernicia  entsprungen,  die  Juten  bleiben  auf  das  kleine 
Kent  eingeschränkt.  Entscheidend  ist  für  das  vorwiegen  der  Sachsen, 
dasz  den  Kelten  bis  auf  heute  der  Engländer  Sachse  heiszt,  den 
Welschen  Sais,  Saeson,  den  armorischen  Bretagnern  Saoz,  den  Galen 
Sasunnaich,  den  Iren  Sagsonach*,  wie  auch  unser  Widukind  vom 
zuge    der  Sachsen   nach  Britannien  redet,    der  Angeln  nicht   einmal 

659  gedenkt  und  selbst  den  namen  Anglisaxones**  daher  deutet,  dasz  die 
britische  insel  'in  angulo  quodam  maris'  gelegen  sei,  welcher  angulus 
von  Beda  wenigstens  in  der  Angeln  heimat,  zwischen  Sachsen  und 
Jütland  gesetzt  wurde  (s.  642).  In  der  römischen  kirche  scheint  von 
Gregors  zeit  an,  vielleicht  jenem  Wortspiel  zu  liebe  (s.  642),  und 
hernach  bei  allen  Romanen  der  name  Anglia  voi'gezogen.  Beda,  ob- 
gleich ausgehend  von  der  Anglorum  sive  Saxonum  gens,  und  die 
Sachsen  den  Angeln  und  Juten  voranstellend,  schreibt  eine  historia 
gentis  Anglorum,  und  in  der  folge  drang  die  benennung  Anglia,  Angle- 
terre  oder  England  allgemein  durch.  Wir  Deutschen  hätten  mindestens 
das  alte  einfache  Angeln  beibehalten  sollen,  denn  Engländer  klingt  un- 
beholfen, wie  Deutschländer,  Ruszländer  oder  Dänmärker  klingen  würde. 

Dasz  des  Ptolemaeus  'Ayyulol  (s.  604)  noch  nicht  verbündete 
der  den  groszen  seezug  unternehmenden  Sachsen  sein  können,  eben- 
sowenig die  bei  Vidsld  angeführten  Engle,  versteht  sich,  das  ganze 
gedieht  von  Beovulf  nennt  weder  Engle  noch  Seaxan,  Vidsid  aber 
beide,  wogegen  Procops  'AyyiXoi  bereits  britische  luft  athmen,  wie 
man  sich  immer  seine  msel  Brittia  auslege,  durch  meine  voraus- 
gehende vmtersuchung  ist  ermittelt,  dasz  die  Angeln  durischer  oder 
hermundurischer  abkunft  waren,  woraus  folgt,  es  müsse,  wie  im  In- 
nern Deutschland  Sachsen  und  Thüringe  sich  berührten,  auch  in  der 
angelsächsischen  spräche  neben  dem  sächsischen  ein  thüringisches 
Clement  obwalten  und  vorzugsweise  in  Ostangeln  und  Nordengland 
zu  gewahren  sein. 

Bei  Beda  erscheinen  noch  einige  engere  volksnamen:  3,  7  und 
4,  15.  16  Gevissi  oder  Gevissae,  ohne  zweifei  nach  dem  westsächsi- 
schen stammhelden  Gevis  (scius,  praescius?),  weshalb  auch  Alfred  in 

660  seiner  ags.  Übertragung  diesen  namen  wegläszt  und  sich  mit  dem 
ausdruck  Westsachsen  begnügt,  der  eddische  formäli  s.  14  sagt: 
Gevis,  er  ver  köllum  Gave.  bei  Beda  4,  13.  23.  5,  23  werden 
Huiccii  angeführt,  ags.  on  Hviccura,  Hvicca  (einmal  Hvicna)  mägd, 
zwischen  Wessex  und  Wales;  ich  weisz  den  namen  nicht  sicher  aus- 
zulegen,  altn.   ist  hvikull   vagus,    inconstans.     4,  13  Meanvari,  ags. 


*  etwas  andres  ist,  dasz  die  Finnen  und  Esten  den  Deutschen  insge- 
mein Saksalainen  Saks  nennen,  was  erst  aus  den  zelten  der  hansa  herrührt, 
wo  ihnen  die  niedersächsischen  kaufleufce  waare  zuführten. 

**  die  Zusammensetzung  Angulsaxones  findet  sich  nicht  allein  in  Ur- 
kunden ziemlich  oft,  z.  b.  bei  Kemble  5,  134.  146.  149,  sondern  auch  bei 
Schriftstellern  in  und  auszerhalb  England,  z.  b.  Paul,  diac^  4,  23 _  schreibt 
Anglisaxones.  Häufig  heiszt  es  aber  auch  in  den  Urkunden  saxonica  gens', 
'saxonice'  oder  'in  lingua  saxonica'.    Kemble  1,  62.  172.  207.  5,  50,  51.  144. 


ANGELSACHSEN  459 

Meanvara  mägd,  wird  auf  Meon  in  Hampshire  bezogen.  3,  20.  4,  6. 
19.  5,  21.  Gyrvii,  ags.  on  Gyrvum,  Gyrva  mägd  oder  land,  soll 
bedeuten  palustres  von  gyrve  palus.  Mägessetan  (im  bezirk  Radnor) 
nennt  das  chron.  sax.  a.  1016.* 

Zu  den  reichen  quellen  der  ags.  spräche  in  poesie  und  prosa, 
die  bisher  zugänglich  waren,  sind  in  neuester  zeit  auch  homilien  und 
viele  Urkunden  in  Kembles  samlung  zugetreten,  wo  die  ahd.  spräche 
mit  stücken  zufrieden  sein  musz,  liegt  hier  eine  fülle  von  denkmälern 
vor.  Der  spräche  schlug  in  groszen  vortheil  aus,  dasz  die  Angel- 
sachsen, obgleich  früher  zum  christenthum  übergetreten  als  die  zurück- 
bleibenden Altsachsen,  durch  einflusz  der  freieren  britischen  kirche 
weniger  zum  gebrauch  der  lat.  spräche  gezwungen  waren  und  in  den 
kirchlichen  handlungen  meistentheils  die  ihrige  beibehielten,  weder 
geistliche  noch  könige  und  vornehme  verschmähten  es  die  angeborne 
zunge  fortzubilden,  und  daher  rührt  die  beträchtliche  zahl  von  prosa- 
schriften  aus  einer  zeit,  wo  bei  uns  mitten  in  Deutschland  die  mutter- 
sprache  gering  geschätzt  wurde. 

Im  ags.  vocalismus  fällt  die  beschränkung  des  reinen  A  in  den 
wurzeln  auf,  während  es  die  flexion  liebt;  doch  wird  auch  wurzel- 
haftes A  durch  A  oder  U  der  flexion  gehegt,  dem  sg.  däg  däges 
däge  steht  der  pl.  dagas  daga  dagum  zur  seite.  umlaut  kann  dies 
Ä  nicht  heiszen,  weil  dessen  Ursache  fehlt,  es  gleicht  ihm  aber  in  601 
der  Wirkung,  wie  die  nominative  cräft  daed  sp6d  gled  vyrm  vyrd  statt 
ies  alts.  craft  däd  spöd  glöd  wurm  wurd  ihm  gleichen. 

Die  goth.  diphthonge  stehn  hier  nicht  auf  einerlei  fusz,  sondern 
ei  wird  in  i,  ai  in  ä  verengt,  iu  hingegen  bleibt  eo,  au  bleibt  eä. 
ä  hat  gleichsam  das  i  in  sich  aufgenommen  (wie  griech.  a)  und  ist 
dadurch  lang  geworden;  das  u  von  au  konnte  nicht  auf  dieselbe 
weise  in  a  eingehn,  weil  dann  die  beiden  goth.  diphthonge  ai  und 
au  ununterschieden  geworden  wären,  man  schlug  also  dem  ä  ein  e 
vor,  und  vielleicht  sollte  richtiger  eä  statt  eä  geschrieben  werden. 

Viel  weiteren  umfang  als  im  ahd.  haben  die  ags.  brechungen 
der  kurzen  vocale. 

Die  consonanten  befinden  sich  im  stand  der  gothischen,  nur  dasz 
R  für  S  häufig  eintritt,  organisches  R  aber  gern  hinter  den  wurzel- 
vocal  geschoben  wird  (s.  330).  sehr  merkwürdig  ist  veler  oder  velor 
labium  für  verel  veröl  =  goth.  vairilö,  wo  das  altn.  vor  gen.  varar 
und  fries.  were  die  wurzel  bezeugen,  aber  vergleichbar  das  ahd.  elira 
alnus  neben  erila,  nhd.  eller  und  erle. 

Das  schon  in  alts.  flexion  vordringende  -as  der  männlichen  nom. 
pl.  und  -a  der  gen.  pl.  überhaupt  waltet  hier  entschieden,  ebenso  das 


*  hier  noch  einige  belege  aus  Kembles  Urkunden:  judicio  sapientium 
Gevisorum  et  Merciorum,  n**  1078;  metropolis  Huicciorum  id  est  Wegri- 
nancaestir,  n"  91 ;  in  Hvicca  mägcfe,  in  {)sere  stöve  l)e  mon  häted  Veogerna 
cester,  n»  95;  subregulus  Huicciorum,  n«  124.  145.  146.  171;  viculus  in  monte 
quem  nominant  incolae  mens  Huicciorum  ät  Codeswellan,  n^  140;  oJ  Meon- 
vara  snäde,  n«  1038. 


460  ANGELSACHSEN 

-an  der  schwachen  form  für  goth.  -an,  -in,  -6n.  der  männliche 
schwache  nom.  sg.  hat  -ä  wie  im  goth.,  der  weibliche  und  neutrale 
aber  -e,  welches  vielleicht  ursprünglich  -6  war  und  dann  zum  goth. 
-6  stehn  würde,  wie  gl6d  zu  glod.  alle  dative  pl.  behaupten  einför- 
miges -um,  mit  ausnähme  von  bäm  ambobus,  tväm  tuobus,  J)äm  his, 
J)rim  tribus,  him  iis. 

Keine  andere  deutsche  spräche  hat,  nach  der  gothischen,  einzelne 
reduplicationen  treuer  bewahrt  als  die  ags.  die  II  praet,  starker  form 
geht  auf  -e,  schwacher  auf  -est  aus.  die  plurale  praes.  setzen  für 
alle  drei  personen  einförmiges  -ad  (statt  -and),  praet.  aber  -on,  conj. 
-en.     Das  gerundium  hat  nur  den  dativ  -anne,    keinen  gen,  -annes. 

Unter  den  einzelnen  Wörtern  gibt  es  manche,  die  zu  gothischen, 

662  alts.  und  vorzüglich  altn.  stimmen,  aber  auch  eine  anzahl  ganz  eigner ; 
doch  würde  sich  davon  nicht  weniges  im  ahd.  auffinden,  wäre  uns 
dies  so  genau  bekannt,  wie  das  ags. 

Beispiele  der  gothischen  einstimmung.  eode  iddja;  bysen  busns; 
cild  infans  vgl.  goth.  kil|)ei  uterus;  meovle  mavilö;  gedöfe  gadöbs; 
heän  hauns  ahd.  höni;  haest  vehemens,  ahd,  heist,  vgl.  goth.  haifsts 
vehementia;  hindema  hinduma;  hnesc  hnasqus;  läcan  leolc  laikan 
lailaik;  rsedan  reord  rödan  rairöd. 

Zum  alts.  stimmen:  ädre  mane  alts.  adro;  heofon  heban;  reced 
rakud  domus;  rodor  radur  coelum;  hleor  hlear  gena,  mnl.  Her;  sine 
opes  sink;  vräd  iratus  dirus  alts.  wr6th,  altn.  reidr,  im  ahd.  reid 
blosz  mit  der  sinnlichen  bedeutung  von  crispus,  tortus. 

Zum  altn.  b6n  bcen;  bsel  bäl;  egor  cegir;  häle  halr;  heaf  haf; 
meotud  miötudr;  missire  missiri;  rsesva  reesir;  sund  sundr  fretum 
und  natatio,  also  von  svimman  für  sumft;  J)räc  J)rekr;  J)yle  J)ulr. 

Eigenthümlich :  ädl  morbus,  zu  äd  feuer,  hitze  gehörig;  bäd 
coactio,  wovon  nödbäd  pignus  (Kembles  urk.  n^  95)  ahd.  nötpfant, 
vgl.  bsßdan  cogere,  ahd,  peitan,  wäre  demnach  in  ahd.  nötpeit  zu 
übertragen;  bäsnian  exspectare  vgl,  zu  Andr.  s,  107;  brim  mare, 
br6me  illustris  Beov.  35  cod.  exon.  155,  4  (unstatthaft  breme,  weil 
I  vor  M  haftet);  bront  aestuans  vgl.  zu  Andr.  s,  103;  calla  vir  Caedm. 
193.  26;  caege  clavis,  engl,  key;  cöfa  cubiculum;  cumb  vallis;  den 
neutr.  lustrum  ferarum;  den  fem.  vallis;  dun  collis  engl,  down;  6ce 
aeternus,  vielleicht  ece?  vgl.  goth.  ajukdu{)s  aevum;  fäle  proprius  vgl. 
altn.  fair  venalis  und  anm.  zu  El.  s.  143.  144;  fulviht  fuUuht,  der 
kirchliche  ausdruck  für  taufe,  vgl.  fuUvona  bearn  baptizatorum  filii 
Ceedm,  117,  9,  könnte  viht  weihe  bedeuten,  volle  weihe?  oder  fulluht 
dem  ahd.  follust  folieist  auxilium,  benedictio  entsprechen?  dafür  haben 
aber  die  Angelsachsen  sonst  fylst,  und  eine  northumbrische  form  für 
fulviht  soll  lauten  fuUoc,  gsesen  sterilis  cod.  exon.  53,  13.  ahd, 
keisan  (Graff  4,  267).  gehdu  geohdu  cura,  sollicitudo  scheint  dem 
altn.  ged  vergleichbar,  wie  ich  zu  Andr.  s.  97.  98  ausführe,  hafela 
heafela  ist  zu  Beov.   öfter   besprochen,     hseven  glaucus;    haso,   gen. 

663  hasves  lividus;  hläford  dominus,  herus,  hlaefdige  hera,  materfamilias, 
zwei,  nicht  bei  den  dichtem,   aber  in   rechtsurkunden  vorkommende 


ANGELSACHSEN  461 

ausdrücke,  die  ins  engl,  lord  und  lady  verkürzt  wurden  und  etwa 
brotherr  (panis  origo),  brotfrau  (panis  dispensatrix)  besagen,  von  ord 
initium?  (wo  nicht  in  -ord  blosze  bildung)  vgl.  gramm.  2,  339  und 
dige,  altschwedisch  degja,  deja  dispensatrix,  villica;  hlinc  agger  limi- 
taneus;  bodma  nubes;  hruse  terra;  byse  pl.  hyssas  puer,  woher  der 
eigenname  Hvithyse  (albus  puer)  bei  Kemble  n^  129  und  der  Orts- 
name Hyssaburna  daselbst  n^  158.  642,  nach  dem  auch  bei  uns  all- 
gemein verbreiteten  Volksglauben  von  kindei'brunnen ,  ich  vergleiche 
dem  hyse  das  gr.  adöLg.  was  heiszt  Iserig  in  den  redensarten  ofer 
linde  l^rig  Csedm.  192,  29  barst  bordes  Iserig  Byrhtn.  129,  32? 
man  sollte  denken  rand;  Ini  gen.  Ines  bekannter  name  eines  königs, 
mir  unbekannter  wurzel;  meagol  fortis  Beov.  3955  verschieden  von 
dem  häufigeren  micel;  oräd  oröd  Spiritus,  halitus  scheint  mit  sedm 
ahd.  ätum  verwandt  und  eigentlich  ausathmung,  vgl.  örendr  mortuus, 
qui  efflavit  animam,  und  goth.  usanan  mori;  racenta  (daneben  racen- 
teag)  catena,  ahd.  rachinza  (Graff  2,  443.  Ha.upt  5,  201*);  rip  gen. 
ripes,  rippes  messis,  ripe  maturus  ad  messem,  metendus,  welche  Ver- 
schiedenheit der  quantität  ein  starkes  rlpan  räp  ripon  ankündigt,  dem 
auch  räp  funis,  restis  zu  gehören  scheint,  die  ahd.  spräche  hat  blosz 
reif  funis,  rifi  maturus,  kein  rif  messis;  scräf  caverna ;  stid  rigidus; 
stöv  locus;  strengel  rex,  princeps  Beov.  6225;  tedre  fragilis  nnl. 
teder;  tudor  proles,  untydre  mala  sobeles;  J)isa  f)isva  J)issa  scheint 
gleichviel  mit  hengest  oder  mearh,  denn  ich  finde  zur  Umschreibung 
des  schifs  brimj)isa  merepisa  väterpisa,  doch  exon.  410,  2  zeigt  sich 
mägenj)ise  weiblich;  veaihstöd  interpres;  vrsesen  vinculum,  torques, 
ahd.  reisan. 

Noch  viel  mehr  zu  sagen  wäre  von  den  dichterischen  ausdrücken 
und  in  die  heidnische  mythologie  greifenden  namen,  die  am  leben- 
digen Zusammenhang  ags.  und  altn.  Vorstellungen  nicht  zweifeln  las- 
sen und  für  letztere  das  älteste  zeugnis  ablegen,  da  begegnet  nicht 
nur  eoton  iötunn,  pyrs  purs,  välcyrge  valkyrja,  brego  bragr,  sondei-n  664 
auch  Earendel  Örvendill,  Bregovine,  Brosinga  mene  Brislnga  men, 
der  eigenname  Osvudu  in  urk.  bei  Kemble  55.  60,  dessen  bedeutung 
"^ göttlicher  hain'  auf  heiligen  ort  weist,  und  viele  cultusausdrücke  wie 
bearo  nemus  sacrum,  hleodor  oraculum,  tiber  sacrificium.  reich  sind 
die  dichter  an  Umschreibungen  des  schiffes,  Schwertes  (bilde  leoma, 
beado  leoma  u.  s.  w.);  seltsam  heiszt  das  Weltmeer  gärsecg.* 

Es  gehört  unter  die  auffallendsten  eigenheiten  der  deutschen 
spräche  überhaupt,  dasz  einige  starke  verba  in  den  verschiednen  dia- 
lecten  oder  auch  in  einem  und  demselben  auf  ganz  abweichende  be- 
deutungen  angewandt  werden,  so  drückt  das  goth.  tökan  tangere 
aus,  das  ags.  taecan  und  altn.  taka  capere;  fassen  ist  ein  fangen, 
nehmen,  anfassen  ein  berühren,    das  goth.  urreisan,  ags.  ärisan,  alts. 

*  manche  Ortsnamen  scheinen  noch  bezüglich  auf  alte  stammhelden, 
z.  b.  Hengestes  heäfod  bei  Kemble  3,  385;  Hengestes  healle  3,  80;  on 
Hengestes  rige  4,  412;  tö  Hnäfes  scylfe  3,  130  von  Hnäf,  der  in  Beov.  2132. 
2222  und  im  cod.  exon.  320,  14  auftritt. 


462  ANGELSACHSEN 

ärisan  und  risan,  tVies.  und  altn.  risa  bedeuten  surgere,  das  ahd. 
risan,  mlid.  risen  umgekehrt  cadere,  welches  der  ursprüngliche  sinn 
scheint,  so  dasz  der  von  surgere  erst  durch  die  im  goth.  und  ags. 
nicht  fehlende  partikel  ur  und  ä  bewirkt  wurde,  dann  aber  auch 
nach  deren  abfall  im  alts.  fries.  altn.  beharrte.*  dem  goth.  lukan 
und  altn.  lüka  wohnt  blosz  die  bedeutung  claudere  bei,  dem  ags. 
lücan,  fries.  lüka,  mhd.  liechen  auszerdem  die  scheinbar  ganz  ferne 
von  vellere  avellere,  raufen,  rupfen;  ohne  zweifei  galt  sie  auch  im 
niedersächsischen  dialect,  da  sich  z.  b.  in  den  Bremer  stat.  s.  187 
lök  veilebat  findet,  mhd.  belege  stehn  Diut.  2,  119.  MS.  2,  101*.  hier 
wiederum  zeigt  erst  das  goth.  uslukan  den  sinn  von  sIkhv,  onäö^ai, 
665  vellere,  extrahere,  ebenso  das  ahd.  arliochan,  üzliochan  zaliochan,  d.  h. 
erschlieszen,  aufschlieszen,  öfnen  (weil  das  eingeschlossene  versteckt, 
das  erschlossene  hervorgezogen  wird),  allmählich  blieb  aber  die  den 
sinn  umdrehende  partikel  weg,  dennoch  die  von  ihr  abhängige  be- 
deutung haftend.  das  ags.  risan  und  lücan  müssen  ursprünglich 
cadere  und  claudere  ausgedrückt  haben,  von  ihnen  wurden  ärisan 
surgere,  älücan  vellere  gebildet  und  zuletzt  auch  nach  abgeschliffener 
partikel  den  scheinbar  einfachen  risan  und  lücan  diese  bedeutungen 
gelassen,  was  Graft' 2,  138  von  einem  formellen  unterschied  zwischen 
lüchan  claudere  und  liuchan  (soll  heiszen  liochan)  aufstellt  ist  grundlos. 
Bisher  ist  blosz  die  herschende  sächsische  oder  westsächsische 
mundart  abgehandelt  worden,  der  anglischen  oder  nordenglischen, 
northumbrischen  sollten  eigne  forschungen  gewidmet  werden  und  da- 
bei die  heutigen  volksdialecte  nicht  unberücksichtigt  bleiben.  Von 
Csedmons  erstem  lied  gibt  es  eine  schwach  gefärbte  anglische  recen- 
sion  (in  Thorpes  vorrede  s.  XXII).  mehr  northumbrischen  dialect 
liefern  das  rituale  ecclesiae  dunelmensis  London  1839  und  das  soge- 
nannte Durhambook,  dessen  ausgäbe  noch  unvollendet  ist  (ich  besitze 
nur  Matth.  1  bis  14,  3).  Auszer  den  schon  gramm.  1,  377.  378 
angemerkten  vocalverhältnissen  hebe  ich  hier  folgende  eigenheiten 
hervor.  Dem  infinitiv,  pl.  praes.  conj.,  so  wie  der  schwachen  decli- 
nation  gebricht  das  anlautende  N,  wöl  aber  behaupten  es  die  prae- 
terita  pl.  und  die  participia  praeteriti.  es  heiszt  also  vosa  für  vesan, 
habba  f.  häbban,  doa  f.  don,  foa  f.  fön,  nioma  f.  neman,  lufa  f.  lu- 
fian,  boensa  supplicare  f.  bßnsian  u.  s.  w.  habba  habeamus,  gifoela 
sentiamus,  si  simus;  dagegen  die  praeterita  lauten  veoron  eramus 
und  essemus,  rioson  surreximus  und  surgeremus,  und  die  part.  praes. 
-ende,  die  gerundia  -anne  behaupten:  to  fleanne  ad  fugiendum,  ich 
finde  selbst  das  genitivische  boensendes  supplicandi  im  ritual  s.  41. 
einigemal  zeigt  die  prima  praes.  sg.  M:  biom  ero,  sium  video,  dorn 
faciam.     für  ags.  -ad  häufig  schon  -as. 


*  Bopp  hat  angemerkt,  dasz  auch  die  sansbritwurzel  pat  cadere  (gr. 
ninxeiv  redupl.  für  neteiv  praet.  ninxwxa,  slav.  pasti,  padati)  ausdrücke, 
durch  zutritt  der  praep.  ut  in  utpat  auffliegen  also  surgere  bezeichne,  das 
ahd.  art'allan,  ags,  äfeallan  behalten  aber  den  sinn  von  fallan  feallan. 


ANGELSACHSEN  463 

Die  männlichen  plurale  zeigen  -as:  cneihtas  pueri,  lärvas  docto- 
res,  die  weiblichen  -o:  synno  peccata,  tido  tempora,  beodo  preces, 
boeno  preces,  gern  aber  auch  im  gen.  sg.  -es:  oestes  gratiae  (goth.  666 
anstais)  eordes  terrae  (goth.  air|)ös)  aes  legis,  voedes  vestis,  rödes 
crucis,  snyttres  sapientiae,  bloetsunges  benedictionis,  wenn  nicht  in 
einzelnen  Übergänge  des  geschlechts  anzunehmen,  alle  dat.  pl.  be- 
haupten -um,  doch  die  starken  gen.  pl.  zeigen  oft  schwaches  -ana: 
cnehtana  sunana  dagana  dingana  tödana  neben  töda.  alle  schwachen 
subst.  und  adj.  setzen  für  ags.  -an  bloszes  -a:  noma  nomine,  galla 
feile,  tunga  linguae,  cirica  ecclesiae,  {)äs  ilca  ejusdem,  pone  strenga 
fortem. 

Das  verbum  subst.  lautet:  am  ard  is,  aron  aron  aron  statt  des 
ags.  eom  eart  is,  sindon  sindon  sindon;  biom  bist  bid,  pl.  bidon  be- 
zeichnet das  futurum,  steht  a,ber  auch  für  praesens.  Voes  esto! 
vosad  estote!  seltsam  erscheint  vallas  volumus  (Durh.  book  s.  99)  f. 
ags.  villad.     eade  ivit  =  ags.  eode. 

Manche  eigenthümliche  formen  und  Wörter  wären  auszuzeichnen, 
die  praep.  derh  gleicht  dem  goth.  J)airh,  und  entfernt  sich  vom  ags. 
purh,  ahd.  duruh.  givian  avere,  exigere  scheint  dem  ags.  gifer  avi- 
dus  altn.  gifr  nah.  bisene  coeci  Matth.  9,  27.  11,  5  vielleicht  bei- 
sichtig, das  ahd.  pisiuni  bedeutet  accuratus  (Graff  6,  128).  cuople 
navicula  Matth.  8,  23  ist  das  engl,  coble,  führt  sich  aber  zurück  aufs 
mlat.  caupulus.  luh  fretum  Matth.  8,  18  gemahnt  an  lagu  aequor. 
im  ritual  s.  9G,  wo  von  der  tonsur  geredet  wird,  steht  zweimal  gi- 
vseld  heafdes  für  coma  capitis,  wörtlich  die  gewalt  des  hauptes  (nicht 
wald  des  hauptes),  was  mich  ans  ahd.  waltowahso  nervus  (Graff  1, 
689)  Schweiz,  altewachs  waldiwachs  nervus  und  fries.  walduwaxe  ge- 
mahnt, diese  walduwaxe  zieht  sich  von  den  obren  über  den  rücken 
zu  den  lenden  hinab  (Richthofen  s.  1124*),  begreift  also  auch  das 
haar  des  hinterhaupts.  statt  waldwachs  sagt  das  volk  in  oberdeut- 
schen landstrichen  haarwachs. 

Gleich  diesem  letzten  ausdruck  stimmt  jener  abfall  des  N  in 
den  nordenglischen  oder  anglisehen  flexionen  sichtbar  zur  friesischen 
spräche,  worauf  ich  mehr  gebe  als  auf  die  oft  wahi'genommne  ana- 
logie  zwischen  dem  ausgang  der  part.  praes.  auf  -ing  in  heutiger  667 
thüringischer  mundart  und  der  englischen  spräche,  da  diese  erst  im 
13.  14.  jh.  ein  solches  -ing  eingeführt  hat  und  die  altanglischen  denk- 
mäler  keine  spur  davon  an  sich  tragen,  so  wenig  als  die  angelsächsi- 
schen insgemein,  auch  greift  das  -ing  weit  über  Thüringen  hinaus. 
es  ist  also  das  vermutete  thüringische  element  (s.  659)  gar  wenig 
zu  spüren. 


XXIV. 
FRIESEN  UND  CHAUKEN. 


668  Die  Friesen  behaupten,  so  weit  unsere  geschichte  reicht,  ihren 

sitz  an  derselben  stelle,  d.  h,  der  nordwestlichen  küste  Deutschlands, 
fast  von  der  Scheide  bis  gegen  Jütland  sich  erstreckend,  und  die 
nahgelegnen  inseln  des  meers  erfüllend:  der  besitz  kleiner  eilande 
scheint  immer  von  ruhiger  niederlassung  auf  dem  festen  lande  ab- 
hängig, da  wo  die  Römer  schon  Friesen  kannten,  sah  sie  auch  das 
mittelalter  und  wissen  wir  sie  noch  heute,  es  kommt  nicht  vor,  dasz 
Friesen  in  andere  theile  Europas  gezogen  seien  oder  dasz  sie  auszu- 
wandern begehren;  sie  bewahren  ihre  angestammte  heimat.  damit 
hängt  auch  die  zähere  beschafFenheit  ihrer  spräche  zusammen ;  in  denk- 
mälern  aus  der  mhd.  und  mnl.  zeit  erscheint  sie  noch  mit  formen, 
die  sich  den  alts.  und  ahd.  an  die  seite  stellen;  die  abgeschiedenheit 
des  Volks  hat,  beinahe  wie  auf  Island,  den  alten  sprachstand  gehegt, 
und  man  ist  zu  dem  schlusz  berechtigt,  dasz  von  dem  mittelalter 
rückwärts  bis  zum  beginn  des  neunten  jh.,  wo  im  lateinischen  volks- 
recht einzelne  friesische  Wörter  begegnen,  und  von  da  bis  zur  zeit 
der  Römer  in  der  friesischen  spräche  verhältnismäszig  weniger  Ver- 
änderungen eingetreten  sein  werden,  als  in  jeder  andern  deutschen, 
auch  in  den  jetzigen  friesischen  dialecten  dauert  noch  viel  alterthüm- 

669liches,  wiewol  auf  den  westfriesischen  die  niederländische,  auf  den 
ostfriesischen  die  nieder-  und  hochdeutsche,  auf  den  nordfi-iesischen 
die  niederdeutsche  und  dänische  spräche  starken  einflusz  geübt  haben. 
Die  Römer  nennen  dies  volk  Frisii,  Ptolemaeus  schreibt  OqIööloi, 
Procop  ^QiööovEQ,  Dio  Cassius  54,  32  OqeColol,  mlat.  Fresones  Fri- 
sones  Frisiones  (so  namentlich  die  lex) ;  altn.  wird  angenommen  Frisir 
und  Frlsland  (forum,  sog.  12,  287);  ags,  steht  in  Alfred  periplus 
Frysan  Frysland,  Beda  3,  13  Fresones,  wo  auch  die  Version  Fresan 
hat,  Beov.  2414.  5819  cod.  exon.  322,  24  der  dat.  pl.  Frysum,  wel- 
cher auf  den  nom.  Frysan  wie  Frysas  gerecht  wäre,  13eov.  2246 
Frysland,  2180  Fresena  cyn,  2201  Frysna  hvylc,  Beov.  5826  Fresna- 
land,   5002  Frescyning,   cod.   exon.  320,  11  Fresnacyn.     die  volks- 


FRIESEN  465 

rechte  selbst  geben  schwachformig  Frisa  oder  Fresa,  gen,  Frisona 
Fresena.  ahd.  aber  gilt  Frieson,  mhä.  Vriesen  (gramm.  1,  163)  und 
auch  mnl.  Vriesen  Vrieselant  (Maerl.  3,  29.  Stoke  1,  155)  nnl. 
Vriezen.  dies  IE  scheint  aber  blosze  brechung  und  kommt  dadurch 
mit  dem  I  oder  E  in  einklang,  dessen  kürze  durch  das  2JZ!  der  gi-iech, 
Schreibung  bestärkt  wird,  vielleicht  wäre  auch  altn.  richtiger  zu 
setzen  Frisir,  kaum  umgekehrt  im  ags.  Fr^san  oder  Fr6san.  I  scheint 
der  ursprüngliche  laut. 

Was  bedeutet  nun  dieser  volksname?  an  goth.  friusan  gelare, 
ahd.  friosan,  nnl.  vriezen  ist  nicht  zu  denken,  dann  hätten  die  Römer 
geschrieben  Freusii  und  welchen  erträglichen  sinn  könnte  diese  Wur- 
zel hier  gewähren?  mir  fiel  das  mlat.  fresum  frisum  limbus  fimbria 
ein,  das  prov.  frezar  freisar,  ital.  fregiare,  franz.  fraiser  border,  fri- 
ser  ci'ispare,  neben  dem  ags.  frisle  fresle  haarlocke,  engl,  frizzle,  in- 
sofern jene  romanischen  Wörter  deutscher  abkunft  sein  und  die  Frie- 
sen von  ihren  krausen,  gelockten  haaren  den  namen  führen  könnten, 
doch  nirgend  ist  von  friesischer  haartracht  die  rede,  nirgend  heiszen 
sie  gleich  den  Franken  criniti,  comati.  Besser  also  scheint  Zeusz 
s.  136  aus  jenem  schwanken  des  I  und  EI  ein  starkes  fraisan  frais 
frisun  zu  schlieszen,  von  welchem  dann  das  reduplicierende  fraisan 
faifrais  tentare  weiter  entsprungen  sein  müste;  für  Frisans  ergäbe  670 
sich  leicht  die  meinung  periclitantes ,  audaces.  fast  möchte  ich  in 
diesem  sinn  friesisch  zu  werke  gehn  und  auf  ein  noch  einfacheres 
wort  rathen.  wir  sind  in  manche  geheimnisse  unsrer  spräche  unein- 
geweiht und  haben  über  den  zutritt  von  Spiranten  umnittelbar  nach 
vocalen  neues  zu  erforschen;  s.  431  wurde  vorgetragen,  wie  sich  S 
in  bis  und  visan  entfaltete,  nicht  viel  anders  wird  es  in  blösan  plä- 
san  aus  bläjan,  bläwan,  ags.  blövan,  oder  in  gras  herba  aus  gröjan 
ags.  grovan  virere*  entspringen,  auf  gleichem  wege  könnte  vom  goth. 
freis  frijis  liber  ein  fris  frisis,  oder  frisus,  frisaus,  oder  frisa  frisins, 
frizva  frizvins  mit  sehr  verwandter  bedeutung  geleitet  und  den  Frie- 
sen ein  auch  andern  Völkern  des  alterthums,  in  mehr  als  einem  aus- 
druck,  beigelegter  name  zugesprochen  werden,  bedeutsam  alliteriert 
Froncum  and  Frysum  Beov.  5819.  cod.  exon.  322,  24.  In  einem 
gnomischen  gedieht  des  cod.  exon.  339,  17  begegnet  der  merkwürdige 
Spruch:  leof  vilcuma  frysan  vife,  J)onn  flota  stonded,  bid  his  ceol 
cumen  and  hyre  ceorl  tö  häm,  in  den  folgenden  versen  wird  die 
freude  des  weibes,  dessen  geliebter  mann  (ceorl)  von  der  seefart  heim- 
kehrt, noch  mehr  ausgemalt;  wie  können  aber  die  ersten  worte  über- 
tragen werden:  dear  is  the  welcome  guest  to  the  frisian  wife?  es 
müste  dann  stehn:  frysican,  und  noch  weniger  mag  Frysan  für  den 
gen.  Frisonis  gelten,   denn  was  soll  hier  der  Friese?    heiszt  es  aber, 


*  dasz  unser  gras  und  lat.  grämen  (für  grasmen,  wie  blöma  blosma) 
zusammengehören  leuchtet  ein;  das  deutsche  wort  führt  aber  auf  die  Wur- 
zel, nicht  das  lateinische,  dessen  die  lautverschiebung  störendes  GR  falsch 
und  für  HR  (was  kein  Römer  aussprach)  oder  CHR  eingeführt  scheint. 

Grimm,  geseliiclite  der  deutscheu  spraclie.  30 

/ 


466  FRIESEN 

wie  ich  mutmasze,  dem  freien  weibe,  so  wäre  das  ein  glänzendes 
Zeugnis  für  die  angenommne  bedeutung  fris  oder  frise  =  liber,  übe- 
raus, doch  bestehe  ich  nicht  auf  dieser,  es  liegt  mir  daran  ein  adj. 
nachgewiesen  zu  haben,  dessen  sinn  auch  ein  andrer  verwandter  ge- 
wesen sein  und  sich  jenem  fraisan  anschlieszen  darf. 

671  Caesar  nennt  die  Friesen  noch  nicht,  Plinius  aber  weisz  4,  15, 
dasz  hinter  den  Bataven  und  Cannenufaten  auch  Frisii  und  Frisia- 
bones  wohnen,  Tacitus,  majores  und  minores  Frisios  unterscheidend, 
sagt:  utraeque  nationes  usque  ad  oceanum  Rheno  praetexuntur,  am- 
biuntque  immensos  insuper  lacus  et  romanis  classibus  navigatos. 
Als  Drusus  die  Usipeten  und  Sigambern  bekriegt  hatte,  fuhr  er  den 
Ehein  hinab,  überwältigte  die  Friesen  und  gelangte  zur  see  ins  land 
der  Chauken,  wie  Dio  Cassius  54,  32  meldet;  bald  aber  empörten 
sich  die  Friesen  und  behaupteten  ihre  freiheit,  wurden  dann  von 
neuem  zurückgedrängt  und  traten  neben  den  Bataven  unter  Civilis 
gegen  die  Römer  auf.  Tac.  ann.  4,  72—74.  11,  19.  20.  13,  54. 
hist.  4,  79.  Nach  Ptolemaeus  scheinen  sie  südlich  an  die  Bructerer, 
östlich  an  die  Chauken  zu  grenzen,  vielleicht  auch  an  die  Tubanten 
(s.  592.  593),  deren  batavische  oder  friesische  abkunft  unsicher  bleibt. 

Frisiabones  mögen  jene  Frisii  minores  sein;  nach  dem  Frisaevo 
einer  Inschrift  bei  Gruter  532,  7  würde  Frisaevones  die  bildung  von 
Ingaevones  und  Iscaevones  haben,  also  auf  einen  stammhelden  Friso 
zurückleiten. 

Es  unterliegt  keinem  zweifei,  dasz  vom  zweiten  bis  zum  sieben- 
ten Jh.,  wo  sie  den  Franken  entgegentreten,  die  Friesen  fortwährend 
in  ihrer  heimat  walteten,  läszt  sich  aber,  bei  dem  mangel  an  nach- 
richten,  nicht  bestimmen,  in  welchem  Verhältnis  sie  zu  den  benach- 
barten Bataven,  Chamaven,  Werinen,  Angeln  und  Sachsen  standen, 
oder  wie  sich  die  grenzen  dieser  Völkerschaften  im  laufe  der  zeit  ver- 
rückten. Der  geogr.  ravennas  setzt  Dorostate  am  nördlichen  Rhein- 
ufer in  der  Frigonum  oder  Frixonum  patria,  und  noch  südlicher  bis 
in  den  gau  Testerbant  (s.  593)  reichten  sie  und  grenzten  an  Flan- 
dern, nordwärts  aber  wird  Fositesland  oder  Helgoland  in  confinio 
Fresonum  et  Danorum*  bezeichnet;  offenbar  führt  älteres  chaukisches 
gebiet  bald  auch  den  namen  des  friesischen,     was  sich  noch  über  die 

672  älteste  und  mittelalterliche  geographie  Frieslands  ermitteln  läszt  wird 
uns  Richthofen  aufklären;  dasz  es  niemals  ein  Siatutanda  gab,  son- 
dern Ptolemaeus  die  worte  des  Tacitus  (ann.  4,  73)  misverstand  hat 
Hermann  Müller  zuerst  gewiesen. 

Nach  besiegung  der  Friesen  war  Drusus  ostwärts,  fg  rrjv  Xav- 
xtda  gezogen,  wo  sich  seitdem  die  römische  gewalt  fühlbar  machte. 
Tac.  ann»  1,  38  redet  von  dort  liegender  römischer  besatzung  und 
gibt  1,  60.  2,  17  an,  dasz  Chauken  den  Römern  verbündet  kriegs- 
dienste  leisteten;  doch  später  traten  sie  wieder  als  feinde  der  Römer 


*  Egilssaga  p.  260:  {)eir  koma  til  landamseris  I)ar  er  moetiz  Danmörk 
ok  Frisland,  ok  lägu  |)ä  vit  land;  ohne  bezeichnung  des  orts. 


CHAUKEN  467 

auf,  und  Corbulo  unter  kaiser  Claudius  war  gegen  sie  ausgerückt. 
Dio  Cass.  60,  30.  im  batavischen  kriege  standen  sie  gleich  den  Frie- 
sen gegen  die  Eömer  Tac.  bist.  4,  79.  5,  19.  Strabo  s.  291  von  den 
deutschen  Völkern  zwischen  ocean,  Ems,  Weser  und  Lippe  redend 
läszt  auf  BgovxTSQOi  KifißQot  KavuoL  folgen,  Friesen  nennt  er 
nirgends. 

Wie  bei  den  Friesen  werden  auch  grosze  und  kleine  Chauken 
unterschieden:  visae  nobis  Chaucorum  gentes,  quae  majores  minores- 
que  appellantur.  Plin,  16,  1;  beide  sonderte,  nach  Ptolemaeus,  die 
Weser,  jener  Corbulo  liesz  die  groszen  Chauken  zur  ergebung  auf- 
fordern. Tac.  ann.  11,  19.  Schwerlich  aber  streckte  sich  ein  theil 
des  chaukischen  landes  so  weit  nach  Süden  hin,  dasz  sie  mit  den 
Chatten  zusammengestoszen  wären  (s.  574).  Dennoch  musz  ihnen  ein 
ansehnliches  gebiet  zwischen  Friesen  und  cheruskischen  Völkern,  von 
der  Ems  bis  zur  Elbe  eingeräumt  werden,  Tacitus  sagt  von  ihnen 
rühmend :  tam  immensum  terrarum  spatium  non  tenent  tantum  Chauci, 
sed  et  implent:  populus  inter  Germanos  nobilissimus,  quique  magni- 
tudinem  suam  malit  justitia  tueri.  sine  cupiditate,  sine  impotentia, 
quieti  secretique  nuUa  provocant  bella,  nullis  raptibus  aut  latrociniis 
populantur;  id  praecipuum  virtutis  ac  virium  argumentum  est,  quod, 
ut  superiores  agant,  non  per  injurias  assequuntur.  prompta  tarnen 
Omnibus  arma,  ac  si  res  poscat  exercitus  plurimum  virorum  equo- 
rumque,  et  quiescentibus  eadem  fama.  Von  ihrem  lande  entwirft 
dagegen  Plinius  ein  düsteres  aber  malerisches  bild  als  augenzeuge: 
vasto  ibi  meatu,  bis  dierum  noctiumque  singularum  intervallis  effu-  673 
sus  in  immensum  agitur  oceanus,  aeternam  operiens  rerum  naturae 
controversiam,  dubiumque  terrae  sit,  an  parte  in  maris.  illic  misera 
gens  tumulos  obtinet  altos  aut  tribunalia  structa  manibus  ad  expe- 
rimenta  altissima  aestus,  casis  ita  impositis,  navigantibus  similes,  cum 
integant  aquae  circumdata,  naufragis  vero,  cum  recesserint:  fugien- 
tesque  cum  mari  pisces  circa  tuguria  venantur.  non  pecudem  his 
habere,  non  lacte  ali,  ut  finitimis,  ne  cum  feris  quidem  dimicare  con- 
tingit  omni  procul  abacto  frutice.  ulva  et  palustri  junco  funes  nec- 
tunt  ad  praetexenda  piscibus  retia.  captumque  manibus  lutum  ven- 
tis  magis  quam  sole  siccantes,  terra  cibos  et  rigentia  septemtrione 
viscera  sua  urunt.  potus  non  nisi  ex  imbre  servato  scrobibus  in 
vestibulo  domus.  et  hae  gentes  si  vincantur  hodie  a  populo  romano, 
'servire  se  dicunt.  ita  est  profecto:  multis  fortuna  parcit  in  poenam. 
Das  ist  der  damals  noch  unurbare  Strand  des  Harlinger,  Butjadinger 
und  Hadeler  landes  mit  seinen  dämmen  gegen  die  nordsee*,  den  ärm- 
lichen fischerhütten  und  dem  torf ;  heute  mangelt  es  da  nicht  an  fetten 
wiesen  und  rindern,     fast  gemahnt  die  ulva  an   den  ags.  garsecg**. 

*  stolzer  nannten  die  Friesen  ihren  dämm  einen  goldnen  reif  (geldenne 
hop),  der  um  ganz  Friesland  liege. 

**  Haupt  1,  578.  warum  drückt  Luther  das  rothe  meer  stets  durch 
schilfmeer  aus?  nach  ihm  hat  auch  die  litth.  Übersetzung  nendrü  oder 
Bzwendru  mares. 

30* 


468  CHAUKEN 

Diesen  Chauken  legt  Spartian  im  Did.  Julian.  1  einen  streifzug 
ins  römische  gebiet  bei:  Belgicam  sancte  et  diu  rexit.  ibi  Chauchis 
Germaniae  populis,  qui  Albim  fluvium  accolebant,  erumpentibus  re- 
stitit  tumultuariis  auxiliis  provincialium.  Dem  Claudian  erscheinen 
sie  als  anwohner  des  Rheins  (Stilich.   1,  225): 

ut  jam  trans  fluvium  non  indignante  Cauco 
paseat  Belga  pecus. 

ein  audermal  aber  heiszt  es  de  IV  cons,  Honor.  450 

venit  accola  silvae 
Bructerus  hercyniae,  latisque  paludibus  exit 
Cimber  et  ingentes  Albim  liquere  Cherusci, 

674  so  dasz  auf  solche  dichterische  angaben  gar  kein  gewicht  zu  legen 
und  der  Chauken  name  seit  jener  erwähnung  bei  Spartian  unter 
allen  lateinischen  Schriftstellern  wie  in  den  annalen  des  mittelalters 
verschollen  ist. 

Er  lebt  aber  noch  in  der  ags.  poesie.  die  gesänge  XVI.  XVII. 
XXXV  und  XL  des  Beovulf  berühren  friesische  sage  von  einem  krieg 
zwischen  Dänen  und  Priesen,  wo  zwei  volkssagen  angeführt  werden, 
die  sich  beide  auf  die  Chauken  beziehen  lassen.  Hildburh,  des  frie- 
sischen herschers  Finn  Folcvaldan  sunu  (vgl.  ags.  Stammtafeln  s.  XII. 
XIII)  gemahlin  heiszt  2146  Höces  dohtor,  und  dieser  Hoc  eignet  sich 
als  ein  den  Friesen  verwandter  fürst  ganz  für  den  namen  Chaucus, 
dessen  sinn  ich  hernach  untersuche*,  im  cod.  exon.  320,  14  wird 
ferner  gemeldet,  dasz  Hnäf  über  die  Höcingas  herschte,  diese  sind 
nachkommen  des  Hoc,  und  derselbe  Hnäf  (=  altn.  Hnefi,  ahd.  Hnab, 
Graff  4,  1126  Nebe  f.  Hnebe,  Graff  2,  996)  tritt  gerade  in  jenen 
liedern  des  Beovulf  2132.  2222,  aber  auf  seite  der  Dänen  gegen  die 
Friesen  auf,  was  Verwirrung  scheint,  dem  namen  Höcing  entspricht 
der  ahd.  Huochingus  (Pertz  2,  590).  Auszerdem  nennt  das  Beovulf- 
lied  in  zwei  andern  stellen  den  volksnamen  Hugas,  nemlich  z.  5000 
einen  beiden  Däghrefn  (ahd.  Tachraban)  Huga  cempa  (Hugorum  heros) 
und  5824  ff.  ist  erzählt,  wie  die  Hugas  ein  schweres  geschick  traf, 
als  die  Hetvare  ihren  fürsten  Hygeläc  erschlugen,  dies  wichtige 
Zeugnis  wurde  schon  oben  s.  591  ausgehoben  und  scheint  sich  viel 
eher  auf  einen  mythus,  als  ein  geschichtliches  ereignis  zu  beziehen, 
das  mit  unrecht  von  Gregorius  turon.  daraus  gebildet  wurde,  hier 
geht  uns  blosz  der  name  an,  offenbar  tragen  die  Hugas  und  Hygeläc 
denselben;    wandeln   aber  die  fränkischen  annalisten  diesen  Hygeläc 

675  oder  Hugleikr  in  Chochilaicus,  so  klingen  auch  die  Hugas,  altfränkisch 
Chochas?  wieder  an  die  Chauci  an**.  [Haupt  6,  437.] 


*  auch  die  langob.  namen  Hildehöc  und  Gudehöc  bei  Paulus  diac.  1, 
18  (im  prolog  des  gesetzes  Childehoc  und  Godehoc)  gehören  hierher;  den 
letzten  halte  ich  für  den  burgundischen  Gundioch,  Gundiac.  statt  Childe- 
hoc eine  hs.  Scildehoc.     Graff  hat  die  ahd.  namen  Alphoh,  Chunihöh. 

**  die  zu  beginn  des  eilften  jh.  niedergeschriebnen  annales  quedlinbur- 
genses  nennen  den  fränkischen  Theodorich,  der  mit  Irminfrid  und  Iring 
zu  schaffen  hatte,  Hugotheodoricus  (Pertz  5,  31)  und  geben  an:  Hugotheo- 


CHAUKEN  469 

Deutungen  dieses  alten  volksnamens  sind  schon  viel  versucht, 
der  übelsten  eine  war  von  Moser  6,  78,  welche  aus  dem  ags.  cvacian 
tremere  den  begrif  eines  bebelandes  leiten  und  damit  den  namen  der 
stadt  Quakenbrücke  verbinden  wollte:  die  bebenden,  zitternden!  wel- 
ches Volk  hätte  solche  benennung  ertragen,  das  römische  CH  in 
Chauci  (denn  so,  nicht  Chauchi  ist  zu  schreiben  und  Strabons  Kavxoi 
wie  des  Ptolem.  Kav%OL  zu  verwerfen)  fordert,  wie  in  Chatti,  ags. 
und  ahd.  H.  Schriebe  man  nun  Chauchi,  so  läge  buchstäblich  darin 
das  goth.  hauhai,  ahd.  höhö,  ags.  heähe,  fries.  häge  excelsi,  sublimes 
[Haupt  9,  236],  und  dabei  könnte  selbst  Chauci  bestehn,  weil  der  in- 
lautende consonant  leicht  verändert  wird,  zu  den  freien  Franken  und 
Friesen,  den  berühmten  JBrukterern  (s.  532)  stimmten  ihre  nachbarn, 
die  erhabnen  Chauken.  Über  der  wurzel  von  hauhs  schwebt  noch 
dunkel,  liesze  es  sich  wie  tiuhan  tauh  auf  ein  verlornes  hiuhan  hauh 
zurückbringen,  von  welchem  auch  hiuhma  oyXog  (wie  liuhma  von 
liuhan  lauh)  stammte;  so  läge  der  Übergang  in  hugs  vovg,  hugjan 
cogitare  nah  und  von  hauhai  wären  die  hugai  fortschreitender  ablaut. 
auf  diese  weise  wage  ich  ags.  Heähas  und  Hugas  nebeneinander  zu 
stellen,  Hugas  wären  sapientes.  das  ags.  6  in  Hoc  und  Höcingas 
könnte  falsche  auffassung  eines  ahd.  oder  alts.  ö  =  goth.  au  sein, 
denn  ö  =^  goth.  ö,  ahd.  uo  führte  auf  ags.  hoc,  ahd.  huoh  uncus, 
womit  hier  nichts  anzufangen  ist.  jenes  hiuhan  könnte  aber  crescere  676 
bedeuten  und  daraus  der  begrif  von  hiuhma  menge  aufsteigen,  wie 
aus  liudan  crescere  der  von  lauJ)S  ahd.  liut  populus,  oder  aus  J)eihan 
crescere  der  von  J)iuda;  hauhs  wäre  cretus  oder  altus  von  alere,  al- 
mus,  sublimis.  die  bedeutung  von  hugs  und  hugjan  würde  sich  gleich 
der  von  kunnan  sapere  neben  kuni  genus  einfinden. 

Haupts  einfall ,  den  namen  Chauci  auf  jene  tumuli  bei  Plinius 
zu  ziehen  und  aus  ahd.  houc,  altn.  haugr  tumulus,  collis  zu  erklären 
(zeitschr,  3,  189),  scheint  mir  sinnreicher  als  haltbar,  einem  Eömer 
möchte  tumulati  in  sinn  gekommen  sein,  das  volk  hätte  seine  vor- 
fahren so  benannt  (altn.  heygdar),  nicht  sich  selbst.  haugs  (oder 
hauhs?)   der  aufgehöhte  hügel  wird  aber  zu  jenem  hauhs  gehören*. 

Genug  dieser  etymologien ;  ich  kann  nicht  umhin  hervorzuheben, 
dasz  gerade  drei  sich  nahgelegne  Völker,  die  Bructeri,  Frisii  und 
Chauci,  jedes  in  majores  und  minores  unterschieden  werden,  solch 
ein  unterschied  erscheint  sonst  in  der  gesamten  Germania  nicht,  ob- 
schon  viel  gröszere  Völkerschaften,  z.  b.  Sueven  oder  Gothen,   sollte 


doricus  iste  dicitur,  id  est  Francus,  quia  olim  omnes  Franci  Hugones  vo- 
cabantur  a  suo  quodam  duce  Hugone.  Bekanntlich  hieszen  spätere  Franken- 
könige Capetinge_  nach  Hugo  Capetus  (cappatus)  mhd.  Hugschapler  (von 
schapel  corona,  pileus),  der  im  j.  987  erwählt  wurde  und  söhn  Hugo  des 
groszen  war,  und  diese  namen  scheint  der  annalist  auf  das  fränkische  volk 
zu  übertragen,  kaum  ist  hier  Zusammenhang  mit  jenen  alten  Hugen, 
sicher  aber  die  älteste  spur  des  Hugdieterichs  im  beldenbuch. 

*  auch   die  Kavxorjvaioi  Kwyaiovov   und   Caucaland    mahnten    mich 
s.  200  an  unsere  Chauci,  und  warum  nicht? 


470  FRIESEN.    CHAUKEN 

man  meinen,  eher  anlasz  dazu  gegeben  haben  müsten*.  es  wird  also 
eine  dem  beobachtenden  äuge  der  Römer  unentgangne  wirkliche  eigen- 
heit  dieser  nordwestlichen  Germanen  im  spiel  sein,  und  ich  bekenne, 
dasz  sie  mich  geneigt  machen  könnte,  die  Bructerer  eben  darum  dem 
friesisch-chaukischen  stamme  beizuzählen  und  von  den  fränkischen 
Deutschen  zu  trennen,  worüber  jedoch  die  uns  abgehende  kenntnis 
der  brukterischen  spräche  zu  entscheiden  hätte.  Was  sind  nun  diese 
majores  und  minores  oder  nach  dem  griechischen  ausdruck  (id^ovEg 
und  BXdttovES^    es  erhellt,  dasz  beide  nicht  untereinander  wohnten, 

677  wie  die  sonst  bei  germanischen  Völkern  unterschiednen  TiQCJtOi  und 
TtaTadesöTBQOi,  optimates,  mediocres  und  minores,  dasz  sie  also  keine 
abstufung  des  Standes  bezeichneten,  sondern  räumlich  getrennt  waren. 
Ptolemaeus  stellt  die  kleinen  Kauchen  bis  zur  Weser,  die  groszen  bis 
zur  Elbe,  Tacitus  ann,  11,  19  scheint  aber  die  den  Friesen  benach- 
barten westlichen  Chauken  majores  zu  nennen,  was  auch  richtiger  ist ; 
hernach  macht  Ptolemaeus  die  kleinen  Kauchen  zu  nachbarn  der 
groszen  Busakterer,  die  groszen  Kauchen  zu  nachbarn  der  Angrivarier. 
Angrivarier  fallen  in  die  Wesergegend  (s.  618),  Brukterer  weisz  ich 
freilich  nicht  gegen  die  Elbe  auszudehnen;  nach  Ptolemaeus  ist  es 
die  Ems,  welche  kleine  von  den  groszen  trennt,  nach  dem  späteren 
Borahtragau  an  der  Lippe  (s.  531)  schiene  dieser  flusz  die  scheide. 
Wie  es  darum  stehe,  man  sieht,  dasz  majores  und  minores  örtlich 
durch  flüsse  gesondert  wurden  und  nach  dem  friesischen  volksrecht 
bildete  gleichfalls  Laubach,  Weser  und  Sincfal  eine  politisch  wichtige 
landesth eilung**,  alles  zeugt  von  altem  ruhigem  besitz  des  bodens 
im  nordwesten  Deutschlands,  wie  er  bei  den  niederlassungen  der 
übrigen,  bewegteren  Völker  nicht  in  gleichem  masze  vorkommen  mochte, 
zwar  finden  sich  überall  nachher  einzelne  dörfer  durch  den  beisatz 
groszen  und  kleinen  unterschieden,  wie  es  die  erste  grtindung  eines 
orts  und  der  spätere  anbau  eines  zweiten  gleichnamigen  mit  sich 
brachte,  doch  vielleicht  nirgend  häufiger  als  in  Friesland***.  Fresia 
minor  hat  auch  noch   Saxo  gramm.   ed.  Müll,  p,  10  und  688.     Die 

678  kleinen  Friesen,  Chauken  und  Brukterer  wird  man  also  für  solche 
halten  dürfen,  die  nach  der  ersten  niederlassung  des  volks  sich  über 


*  Ptolemaeus,  so  viel  ich  weisz,  sondert  unter  allen  Völkern  Europas 
oder  Asiens  keine  fi£it,ovsg  und  fiixQoi  auszer  den  Kauchen  und  Busakterern. 
**  Gaupp  in  seiner  vorrede  zur  lex  Frision.  s,  XVII  hält  das  land  zwi- 
schen Fli  und  Laubach  für  das  friesische  normalland,  und  bezeichnet  in 
seinem  recht  der  alten  Sachsen  s.  49  die  östlichen  Friesen  zwischen  Lau- 
bach und  Weser  als  hervorgegangen  aus  den  kleinen  Chauken,  während 
die  groszen  Chauken  bauptbestand  der  Sachsen  seien,  ich  kenne  keinen 
beweis  für  diese  ansieht,  zulässiger  wäre,  Friesen  und  Chauken  überhaupt 
für  ein  und  dasselbe  volk  unter  verschiednem  namen  zu  nehmen,   so  dasz 

frosze  und  kleine  Friesen  mit  groszen  und  kleinen  Chauken  zusammen- 
elen,  die  Sachsen  aber  müssen  von  ihnen  beiden  getrennt  bleiben. 
***  vgl.  minor  und  major  Harxstede,  minor  und  major  Metna,  Phalren 
major  und  minor,   Borsum  major  und  minor  in  einem  alten  register  bei 
Ledeburs  münsterschen  gauen  s.  105.  106.  111. 


FRIESEN.    CHAUKEN  471 

einen  flusz  hinaus  verbreiteten  und  zwar  noch  im  bund  mit  den 
groszen  für  sieb  selbst  einen  eignen  verein  nach  besondrer  Verfassung 
bildeten,  man  kann  der  eintheilung  vergleichen  das  was  anderwärts 
durch  ost  und  west  (s.  442)  oder  in  Friesland  selbst  durch  üp  und 
üt  (Uphriustri  üthriustri,  gramm.   1,  419)  bezeichnet  wurde. 

Nach  allem  diesem  stellen  sich  Friesen  und  Chauken  nur  als 
nahverwandte  zweige  desselben  volkschlags  dar,  als  der  südwestliche 
und  nordöstliche,  und  man  begreift,  warum  der  chaukische  name  all- 
mählich ganz  erlosch.  Ostfriesen  und  Nordfriesen  scheinen  mir  nach- 
kömmlinge  der  alten  Chauken,  Westfriesen  die  der  eigentlichen  Frie- 
sen, wohnten  die  Chauken  an  der  meeresküste,  so  müssen  sie  noth- 
wendig  die  striche  inne  gehabt  haben,  auf  welche  nachher  auch  der 
friesische  name  erstreckt  wurde,  vernichtet  worden  sein  kann  der 
mächtige  chaukische  stamm  nicht:  er  wechselte  blosz  die  benennung. 

Es  verdient  gewis  aufmerksamkeit,  dasz  in  den  geretteten  über- 
bleibsein epischer  poesie  neben  andern  nordöstlichen  deutschen  Völ- 
kern auch  die  Friesen  und  Chauken  vortauchen,  während  die  Innern 
Deutschen,  zumal  Sachsen  und  Schwaben  darin  keine  rolle  spielen. 
Frisan,  Hugas  und  Höcingas  greifen  noch  ein  in  die  von  den  Angel- 
sachsen aus  ihrer  heimat  mitgenommnen  Überlieferungen,  Francan 
und  Hetvare  werden  mit  eingeflochten;  auch  bei  Vidsld  dem  Wan- 
derer sind  alle  diese  unvergessen.  In  der  weit  jüngeren  fassung  des 
Gudrunliedes  ist  auszer  Tenelant  Sßlant  Sturmlant  (s.  637)  Dietmers 
(s.  639)  Holzäzelant  (s.  633)  eben  wieder  Friesland  wahrzunehmen, 
andere  entstellte  ländernamen  würden  uns  aus  einer  älteren  gestalt 
des  epos  deutlich  entgegentreten  und  immer  in  dieselben  gegenden 
der  nordwestlichen  küste  versetzen,  was  ich  über  Mateläne,  der  Hege- 
linge sitz  gerathen  habe  (bei  Haupt  2,  3)  zeigt  auf  die  Vechte  im 
Münsterland,  möglicherweise  altchaukisches  gebiet,  und  wie,  wenn 679 
die  mythischen  Hegelinge  doch  Höcingas  oder  Chauken  wären? 

Das  Gudrunlied  gibt  dem  Herwig  von  Seeland  seeblätter  als 
zeichen  in  die  fahne,  wie  die  Friesen  sieben  seeblätter  im  Schilde 
führten:  es  ist  die  Wasserlilie,  der  heilige  lotus  (mythol.  s.  620). 
man  weisz,  dasz  die  Friesen  früh  auf  kräuter  und  blumen  achteten, 
den  Römern  wiesen  sie  die  auf  ihren  inseln  wachsende  herba  britan- 
nica  (mythol.  s.   1147). 

Zwischen  Friesland  und  der  gegenüberliegenden  britannischen 
küste  musz  uralter  verkehr  vorausgesetzt  werden,  lange  bevor  die 
Sachsen  und  Angeln  sich  Britanniens  bemächtigten,  und  wahrschein- 
lich waren  im  geleite  der  Angeln  und  Juten  auch  friesische  genossen, 
auffällt,  dasz  im  Beovulf  2159.  2175.  2186.  2248  Hengest,  ein  führer 
der  Dänen  (Juten)  den  Friesen  gegenüber  auftritt ;  er  könnte  sich  mit 
dem  berühmten  Hengest  vermischen?  jüngere  uncritische  nachrichten 
lassen  Hengist  und  Horsa  aus  Friesland  nach  Britannien  ausziehen*; 


van  der  Bergh  nederl.  volksoverleveringen  s.  43.  137. 


472  FRIESEN 

ich  weisz  nicht,  ob  Maerlant  3,  29  aus  Vincentius  schöpft,  wenn  er 
Engistus  einen  Vriesen  und  Sachsen  nennt. 

Bei  Procop  4,  20  wohnen  auf  einer  insel  des  oceans,  die  er 
Brittia  nennt  und  von  Britannien  unterscheidet,  unter  fränkischer 
oberherschaft  "Ayyikoi,  0Qi66c3V£g  und  Bgirraves  zusammen;  was  er 
unter  dieser  insel  meine  ist  schwer  zu  bestimmen,  aber  die  Ver- 
knüpfung der  drei  Völker  auf  allen  fall  ein  zeugnis  für  das  enge  be- 
rühren der  Angeln  mit  den  Friesen  zur  zeit  des  fünften,  sechsten  jh. 

Plinius  rechnet  die  Chaucorum  gentes,  gleich  Kimbern  und  Teu- 
tonen zu  den  Ingaevonen,  und  ich  sehe  keinen  grund  sie  mit  MüUen- 
hoff  s.  129  für  iscaevonisch  zu  nehmen;  ihre  läge  und  spräche  stellt 
sie  dem  sächsischen  stamme  ungleich  näher  als  dem  fränkischen. 
Chauken  wie  Friesen  scheinen  sich  leichter  unter  die  römische  macht 
gebeugt  zu  haben  als  Cherusken,  und  gegen  diese  in  der  schlacht 
(Tac.  ann.  2,  10)  standen  auch  chaukische  helfer.  doch  ergriffen 
680  beide  stamme  jede  gelegenheit  um  sich  zu  empören  und  die  verlorne 
freiheit  herzustellen,  von  Cherusken,  Kimbern,  Teutonen  werden  sie, 
aller  berührung  ungeachtet  schon  zur  römischen  zeit  abgestanden 
haben,  wie  noch  heutzutage  Holsteiner  und  Ditmarsen  abstehn  von 
ihren  nordfriesischen  nachbarn. 

Die  friesische  spräche  hält  eine  mitte  zwischen  angelsächsischer 
und  altnordischer,  wobei  ihr  besondrer  anschlusz  an  den  anglischen 
oder  nordenglischen  dialect,  so  weit  wir  von  diesem  urtheilen  können, 
nicht  zu  übersehn  ist  (s.  665). 

Den  friesischen  vocalismus  würden  uns  ältere  Sprachdenkmale 
reiner  lehren,  ähnlich  dem  ags.  ä  pflegt  e  an  des  a  stelle  zu  tre- 
ten, aber  in  allen  flexionen  zu  beharren;  ohne  die  schöne  rückkehr 
des  a  in  einzelnen  ags.  endungen;  es  heiszt  dei  deis,  pl.  degar  dega 
degum  statt  des  ags.  däg  däges,  dagas  daga  dagum,  die  diphthonge 
erscheinen  meist  verengt  und  zumal  ^fallen  in  6  und  ä  viele  laute 
zusammen,  die  im  ahd.  und  goth.  geschieden  sind,  wenn  häch  und 
dach  für  goth.  hauhs  daug,  ahd.  höh  touc,  ags.  heäh  teäh  stehn;  so 
läszt  die  röm.  Schreibung  Chaucus  noch  ahnen,  dasz  damals  der  un- 
verengte  laut  dem  gothischen  gleichkam. 

Die  consonanten  stehn  überhaupt  auf  ags.  fusz;  eine  auffallende 
ab  weichung,  das  SZ  für  K  und  Gr  wurde  schon  s.  388  hervorgehoben, 
wahrscheinlich  ist  aber  auch  sie  erst  erzeugnis  späterer  zelten. 

In  der  flexion  männlicher  subst.  ist  das  ags.  -as  schon  in  -ar 
übergegangen  und  dadurch  dem  altn.  gleich  geworden,  doch  zeigen 
es  nicht  die  weiblichen.  Die  schwache  flexion  legt  wie  jene  anglische 
(s.  665)  und  die  altn.  das  oblique  N  ab.  der  dat.  pl.  aller  starken 
und  schwachen  subst.  hält  das  alte  -um  fest,  wogegen  die  adjectivi- 
schen  dative  pl.  gleich  dem  artikel  thä  (goth.  paim,  ahd.  d6m)  bloszes 
-ä  zu  haben  pflegen.  In  den  gen.  pl.  starker  masc.  dringt  wie  im 
anglischen  gern  die  schwache  form,  z.  b.  degana  dierum  f.  dega. 

Alle  Infinitive  zeigen,  gleich  den  anglischen  und  nordischen  bloszes 
-a,  doch  die  pl.  praes.  -on,   die  part.  praes.  -en.     die  gerundialform 


FRIESEN 


473 


-ande  (für  -anne)   fällt  zusammen    mit    dem  pai't.   praes.     Den  pl.  681 
praes.  ind.  bilden  alle  drei  personen  auf  -tli  oder  -ath. 

Auch  in  dem  wortvorrath  schlieszt  sich  die  friesische  spräche 
zunächst  an  die  ags.,  und  viele  sonst  ungewöhnliche  ausdrücke  sind 
beiden  gemein,  z.  b,  sc6nia  frangere,  ags.  scaenan;  filmene  membrana, 
squama,  ags.  filmen,  engl,  film;  brein  cerebrum  ags.  bregen;  spödel 
Sputum  ags.  spädl ;  d6ne  deorsum  ags.  düne ;  pli  periculum  ags.  pleoh ; 
fethe  amita  ags.  fadu;  hop  circulus  ags.  höp,  mnl.  hoep;  stith  firmus 
rigidus  ags.  stid ;  bräs  aes  ags.  brses.  Andere  stimmen  zu  altn.  und 
nl.  Wörtern :  heli  cerebrum  altn.  heili  * ;  ili  planta  pedis  altn.  il ;  liana 
socius  altn.  lioni;  lana  callis  nnl.  laan,  engl,  lane;  mitsa  attendere, 
nnl.  mikken.  hoxene  poples  ist  ahd.  hahsina  von  hahsa,  mhd.  hahse, 
was  genau  das  lat.  coxa.  merkwürdig  begegnet  logia  nubere  dem 
goth.  liugan.  manche  sind  eigen,  wie  muka  culmus,  fuke  rete,  bunke 
OS  ossis;  bant  und  Burchana  oben  s.  594,  man  möchte  an  das  ags, 
byrgene  sepulcrum  denken,  da  im  alterthum  auf  inseln  begraben  wurde 
(mythol.  s.  792). 


*  diesem  heli,  heili  gleicht  das  lat.  coelum  und  gr.  xolXrj  xoiXla,  weil 
himmel  und  hirnschädel  gewölbt  erscheinen,  und  nach  der  edda  der  him- 
mel  aus  des  riesen  schädel,  die  wölken  aus  seinem  hirn  geschatfen  wur- 
den (mythol.  s.  526.  531.  533). 


XXV. 
LANGOBARDEN  UND  BURGUNDEN. 


682  Diese  beiden  Völker,  welchen  es  schwer  ist  eine  andere  stelle 
anzuweisen,  fasse  ich  zusammen,  da  sie  miteinander  gemein  haben, 
dasz  sie  aus  dem  norden  in  den  Süden  vorgedrungen  hier  allmählich 
ihrer  deutschheit  verlustig  giengen.  sie  erreichten  keine  küste,  kein 
eiland,  wo  sich  ihre  eigne,  angestammte  art  hätte  erhalten  können. 

Langobarden  nennt  uns  zuerst  Strabo  s.  290  neben  Hermun- 
duren, beide  als  einen  theil  des  groszen  suevischen  volks  und  jenseits 
der  Elbe,  d.  h.  auf  der  linken  seite  des  stroms  wohnhaft,  musz  man 
nun  die  Hermunduren  der  mittleren  Eibgegend  überweisen,  so  bleibt 
für  die  Langobarden  die  niedere,  Plinius  und  Dio  geschweigen  ihrer. 
Tacitus,  nachdem  er  die  Semnonen  als  hauptvolk  der  Sueven  geschil- 
dert und  ihre  ansehnliche  macht  hervorgehoben  hat,  fährt  cap,  40  fort: 
contra  Langobardos  paucitas  nobilitat ;  plurimis  ac  valentissimis  natio- 
nibus  cincti  non  per  obsequium,  sed  proeliis  et  periclitando  tuti  sunt, 
gegenüber  im  osten  müssen  ihnen  Semnonen  und  vielleicht  noch  an- 
dere nordöstliche  Sueven,  im  Süden  Hermunduren,  im  westen  Cherus- 
ken,  im  norden  Haruden  und  Chauken  gesessen  haben,  Vellejus  2, 
106  Tibers  heerzug  in  Germanien  vom  j.  5  berichtend  stellt  sie  auch 
gleich  unmittelbar  nach  den  Chauken:  receptae  Chaucorum  nationes. 

683  omnis  eorum  juventas  infinita  numero,  immensa  corporibus,  situ  loco- 
rum  tutissima  traditis  armis  .  .  ,  ante  imperatoris  tribunal.  fracti 
Langobardi,  gens  etiam  germana  feritate  ferocior.  denique  quod 
nunquam  antea  spe  conceptum,  nedum  opere  tentatum  erat,  ad  qua- 
dringentesimum  milliarium  a  Rheno  usque  ad  flumen  Albim,  qui 
Semnonum  Hermundurorumque  fines  praeterfluit,  romanus  cum  signis 
perductus  exercitus.  wie  natürlicher  klingen  des  Tacitus  worte  als 
diese  prahlerei,  aber  die  folge  der  Chauken  Langobarden  Semnonen  und 
Hermunduren  stimmt  zur  mitgetheilten  angäbe,  ann.  2,  45  wird  erzählt, 
dasz  suevische,  vorher  dem  Maroboduus  gehörige  Völker,  Semnonen 
und  Langobarden  zu  Arminius  übertraten  und  Cherusken  mit  Lango- 
barden für  die  freiheit  kämpften;   11,  17  dasz  später,  als  Italiens  von 


LANGOBARDEN  475 

den  Cherusken  vertrieben  war,  die  Langobarden  dessen  herstellung 
bewirkten.  Mit  diesem  wohnsitz  der  Langobarden  an  der  untern 
Elbe  trift  nun  aucb  vollkommen  überein  die  läge  des  Bardangä  (Bar- 
dengauwi  Pertz  1,  184)  im  Lüneburgischen,  dessen  name  wie  der  des 
fleckens  Bardanwic  zugleich  für  die  Barden  d.  i.  Langobarden  zeugt. 

Diesen  stand  der  dinge  verdirbt  nun  Ptolemaeus  durch  seine 
ganz  unhaltbare  Vorstellung,  nach  welcher  die  UovrjßoL  Aayyoßagdoi 
zwischen  Sigambern  und  Tencterer,  also  westwärts  gegen  den  Ehein 
gesetzt  werden,  hernach  aber  auch  bei  ihm  in  ihrer  rechten  läge  an 
der  Elbe  neben  Angrivariern  und  Dulgumniern  erscheinen,  wie  ver- 
trüge sich  diese  ausdehnung  zu  der  langobardischen  paucitas  bei 
Tacitus?  und  wie  sollen  Langobarden  zwischen  Weser  und  Ehein 
platz  gefunden  haben,  wo  alles  mit  andern  Völkerschaften  besetzt, 
keine  spur  von  ihnen  ist? 

Ich  beklage,  dasz  Zeusz  s.  94.  95.  109 — 111  sich  auf  diesen 
misgrif  eingelassen,  einen  nichtssagenden,  grundlosen  unterschied 
zwischen  Langobarden  und  Lakkobarden  des  Ptolemaeus  angenommen, 
und  nun  den  Langobarden  als  Westsueven  eine  solche  erweiterung 
gegeben  hat,  dasz  sie  sogar  die  Chatten  und  Hermunduren  unter  sich 
begreifen  sollen  [Haupt  9,  233].  jene  nachbarn  der  Sigambern  und 
Tencterer  lassen  sich  nicht  einmal  als  Chatten  auffassen,  da  Ptole-684 
maeus  die  Chatten  an  anderm  orte,  nämlich  zwischen  Chamaven  und 
Tubanten  ausdrücklich  nennt.  Es  ist  also  auf  diese  westlichen  Lango- 
barden des  Ptolemaeus  kein  gewicht  zu  legen,  sondern  bei  den  öst- 
lichen, deren  läge  er  richtiger  beschreibt,  allein  zu  verharren.  Die 
frage,  ob  Langobarden  überhaupt  suevischer  abkunft  waren,  will  ich 
im  verfolg  zu  beantworten  suchen. 

Nicht  anders  musz  auch  die  alte  und  verbreitete  sage  von  abkunft 
der  Langobarden  aus  Scandinavien  abgelehnt  werden,  sie  sind  eben- 
sowenig aus  der  nordischen  insel  herangefahren,  als  die  Gothen,  und 
ebensowenig  zu  schiffe  angelangt  als  die  Sachsen,  Bei  andrer  gelegen- 
heit  werde  ich  ausführlicher  die  mythen  zusammenstellen  und  erörtern, 
die  sich  mehrfach  über  die  auswanderung  einzelner  stamme  erzeugten, 
und  deren  Ursache  bald  in  eingetretne  Überschwemmung  des  meers, 
bald  in  ausgebrochne  hungersnoth  gesetzt  zu  werden  pflegt.  Giengen 
schon  von  der  kimbrischen  sinflut  uralte  erzählungen  (s.  635),  so  er- 
neuerten sie  sich  im  verfolg  der  zeit  und  wurden  auf  andre  Germanen, 
und  von  der  halbinsel  auf  inseln  übertragen.  Paulus  läszt  die  Lango- 
barden, man  ahnt  nicht  in  welcher  zeit,  unter  dem  namen  Winiler, 
als  dritten  theil  der  durch  das  losz  bestimmten  bewohner  des  eilands 
Scandinavien  ausziehen  und  zuerst  nach  dem  lande  Scoringen  gelangen. 
Doch  schon  lange  vor  ihm  berichtete  Prosper  von  Aquitanien  zum  j. 
379:  Langobardi  ab  extremis  Germaniae  finibus,  oceanique  protinus 
littore,  Scandiaque  insula  magna  egressi,  et  novarum  sedium  avidi, 
Iborea  (?  Iboreo)  et  Ajone  ducibus  Yandalos  primum  vicerunt;  viel- 
leicht ist  hier  von  Scandiaque  an  Interpolation,  da  der  ausgang  von 
der  äuszersten  küste  Germaniens  am  ocean  durch  den  aus  der  insel 


476  LANGOBARDEN 

selbst  wieder  aufgehoben  wird.  Der  anonymus  Langobardus  in  Ritters 
vorrede  zum  cod.  theod.  läszt  sie  an  einem  amnis  vindelicus  hausen 
und  fügt  hinzu:  postquam  de  eadem  ripa  Langobardi  exierunt,  sie 
Scatenauge  Albiae  fluvii  ripa  primi  novam  habitationem  posuerunt; 
ihm  sind  sie  von  der  küste  des  oceans  (denn  amnis  vindelicus  kann 

685  das  Wendilmeer,  vielleicht  auch  Vendsyssel  in  Jütland,  bei  Saxo 
Wendala  bezeichnen)  ausgewandert  und  dann  erst  in  Scatenauge  an 
der  Elbe  niedergesessen;  er  meint  Scandien  nicht  im  ocean,  an  der 
Elbe  gelegen.  Hier  wie  bei  Prosper  bricht  die  wahre  heimat  der 
Langobarden  an  der  Niederelbe  immer  durch,  nur  dasz  sich  das  sagen- 
hafte Scandinavien  einmengt.  Mit  dem  namen  Vindili  müssen  aber 
dennoch,  meinen  zweifeln  s.  476  zum  trotz,  auch  die  Winili  des 
Paulus  zusammenhängen;  Vindili  =  Vandali  (s.  475)  sind  abart,  neben- 
stamm der  Vandali,  welche  er  als  nachbarn  und  feinde  der  Vinili 
anführt:  zwischen  beiden  stammen  desselben  volks  war  zwist  und 
krieg  ausgebrochen,  zu  Prospers  Iboreus  und  Ajo  stimmt  des  Paulus 
Ibor  und  Ayo,  des  Saxo  gramm.  Ebbo  und  Aggo;  Ibor  ist  nichts  als 
ahd.  Epur,  ags.  Eofor,  altn.  löfur,  d.  h.  eher,  doch  frühe  schon  auf 
beiden  angewandt,  ihrer  mutter,  der  weisen  Gambara  name,  den 
Saxo  in  Gambaruc  entstellt,  mahnt  anGambar  sagax  (s.  525).  Dürfte 
man  Scoringa  in  Sceringa  Sciringa  ändern  und  auf  die  Skiren 
(s.  465  ff.)  deuten?  in  Ohderes  periplus  wird  auf  Halgoland  ein 
hafen  Sciringesheal  genannt,  Scoringa  war  aber  auf  dem  festen  land 
gelegen;  Saxo  hat  an  dessen  stelle  Blekingia. 

Bei  Saxo  wird  die  auswanderung  in  das  gebiet  des  völlig  mythi- 
schen königs  Snio  versetzt,  der  in  altn.  sagen  Snser  hinn  gamli  heiszt 
und  dreihundert  jähre  lang  gelebt  haben  soll,  wie  sein  eigner  name 
schnee  bedeutet,  war  der  seines  vaters  Frosti,  seines  sohnes  Thorri 
(s.  93);  die  töchter  hieszen  Fönn,  Drifa,  Miöl  (mythol.  s.  598).  an 
eines  solchen  wesens  zeit  läszt  sich  der  langobardische  ausgang  auf 
keine  weise  historisch  knüpfen  und  die  sage  wird  dadurch  desto 
sichrer  auf  mythische  grundlagen  zurückgewiesen. 

Solche  mythen  entsponnen  sich,  als  die  Langobarden  ihre  nieder- 
elbische  heimat  verlieszen  und  sich  gegen  Süden  wandten;  die  sage 
strebte  ihren  ausgangspunct  noch  weiter  rückwärts  nach  dem  norden 
zu  verlegen,  dies  musz  der  critik  mit  dem  finger  zeigen,  auf  welche 
weise   sie   die  Überlieferungen   von   der   Sachsen  und  Gothen    erster 

686  ankunft  zu  behandeln  habe,  auch  hier  scheint  der  mythus  erst  auf- 
gestiegen, als  der  eingewanderten  sieger  rühm  Britannien  und  Welsch- 
land erfüllt  hatte. 

Im  lauf  des  vierten  jh.  mag  der  Langobarden  auswanderung  be- 
gonnen haben.  Von  jenem  Scoringa  zogen  sie  nach  Mauringa,  das 
der  ravenn.  geograph  noch  im  osten  der  Elbe  findet.  Saxo  läszt  sie 
Blekingen  und  Moringen  vorüberschiffen,  bevor  sie  Gutland  erreichten, 
doch  bei  Paulus  wird  von  Scoringa  aus  der  ganze  zug  stets  zu  lande 
vollbracht,  und  nach  Mauringa  Golanda  besetzt,  wofür  sich  die  bessere 
Variante  Rugulandia  darbietet.     Hierauf,  immer  noch  zu  Ibors  und 


LANGOBARDEN  477 

Äjons  lebzeiten,  nahmen  die  Langobarden  drei  gebiete  Anthaib,  Banthaib 
und  Wurgondaib  (cod.  ambr.  Vurconthaib)  ein,  in  welchen  sich  das 
nemliche  aib  oder  aiba  erkennen  läszt,  das  auch  im  ahd.  Wetareiba, 
Wingarteibe  und  Toringeiba  (wenn  ich  so  Toringuba  bei  Pertz  1,  455 
richtig  ändere)  waltet,  vgl,  RA.  s.  496  und  Wungardiweiba  bei  Graff 
4,  251.  in  Bantaiba  und  Wurgondaiba  f.  Burgondaiba  läge  leicht  das 
s.  593.  594  verhandelte  bant  und  der  volksname  Burgunden.  Nach 
langen  abenteuern,  die  das  volk  der  Langobarden  im  lande  der 
Amazonen*  und  Bulgaren,  dann  mit  Rugiern,  Herulern,  Gepiden**, 
Avaren,  Hünen  und  Gothen  zu  bestehn  hatte,  immer  gegen  Süden 
vordringend,  fand  dasselbe  bleibendere  statten  in  Pannonien  und  von 
da  zuletzt  in  Italien,  wo  es  unter  Alboin,  in  der  reihe  seiner  könige 
schon  dem  eilften  einzog  und  ein  königreich  gründete,  welchem  die 
dauer  von  zwei  Jahrhunderten  (568 — 774)  beschieden  war,  bis  es 
den  Franken  unterworfen  wurde,  doch  erhielt  sich  lange  und  sogar 
heute  noch,  mit  dem  namen  Lombardia,  der  unvertilgbare  eindruck 
mancher  langobardischen  eigenheit. 

Kaum  ein  andres  deutsches  volk  hat  eine  so  frische  und  leben- 687 
dige  sage  behalten  wie  das  langobardische  und  Paulus  diaconus  Warne- 
frieds söhn,  dem  wir  die  aufzeichnung  des  besten  danken,  würde  mit 
leichter  mühe  noch  viel  reicheres  haben  sammeln  können;  es  läszt 
sich  nachweisen,  dasz  er  schon  einzelne  züge  verschmähte,  die  seinem 
geschmack  nicht  mehr  zusagten.  In  den  prolog  der  von  könig  Rothari 
gesammelten  langobardischen  gesetze  ist  eine  merkwürdige  Stammtafel 
seiner  vorfahren  aufgenommen  worden,  die  sich  groszentheils  schon 
aus  des  Paulus  werk  ergeben  und  begreiflich  weit  über  die  zeit  ihres 
einzugs  in  Italien,  doch  nicht  bis  auf  Ibor  und  Ajo  zurück  reichen,  da 
erst  mit  Agilmund  oder  Agimund,  Ajons  söhne  die  reihe  der  könige 
beginnt,  von  Ajo  bis  Alboin  erfolgen  also  zwölf  geburten,  die  drei 
auf  ein  jh.  gerechnet***  deren  vier  ausfüllen,  was  zur  bestätigung 
der  annähme  Prospers  von  der  zeit,  in  welcher  ihr  ausgang  begann, 
dienen  wird.  Bis  über  die  mitte  des  vierten  jh.  hinaus  müssen  dem- 
nach die  Langobarden  in  der  gegend,  wo  sie  von  den  Römern  wahr- 
genommen wurden  und  wohin  sie  vor  undenklicher  zeit  aus  osten, 
nicht  aus  norden  eingewandert  waren,  beharrt  und  mit  andern  nord- 
östlichen Deutschen,  namentlich  Sachsen,  Angeln  und  den  auf  dem 
rechten  ufer  der  Elbe  hausenden  stammen  in  gemeinschaft  gestanden 
haben.  In  dieser  beziehung  darf  nicht  übersehn  werden,  dasz  ein 
berühmter  eponymus  der  anglischen  sage,  Sceäf  (ahd.  Scoup),  der  auf 


*  die  sich  wenigstens  Paulus  noch  innerhalb  Germanien  dachte,  denn 
er  versichert:  nam  et  ego  referri  a  quibusdam  audivi,  usque  hodie  in 
intimis  Germaniae  finibus  gentem  harum  existere  feminarum. 

**  das  etym.  magn.  230,  20  hat  sogar  FriTiaiöeq  ol  Xsyofxsvoi  Aoyylßag- 

äot,  und  läszt  dann  die  schon  oben  s.  463  ausgehobne  etymologie  folgen. 

***  bei  Ajo  dem  ersten  wird  ausdrücklich  gesagt:  hie  sicut  a  majoribus 

traditur,  tribus  et  triginta  annis  Langobardorum  tenuit  regnum.    das  ist  die 

normal  zahl. 


478  LANGOBARDEN 

dem  schaub  schlafend  den  Angeln  im  scMf  zugeführt  wurde,  bei  Vidsid 
320,  21  Sceäfa,  und  herscher  über  die  Langobarden  heiszt.  in  jenen 
Stammtafeln,  denen  er  vorausgeht,  ist  er  natürlich  nicht  zu  erwarten. 
Agilmundus,  folglich  auch  Ajo  heiszt  bei  Paulus  1,  14  ex  pro- 
sapia  ducens  originem  Guningorum,   quae  apud  eos  generosior  habe- 

688  batur.  im  prolog  steht  aber  Gugingus  [Haupt  9,  245]  oder  Gugincus 
(Diut.  2,  356)  und  die  guten  hss.  des  Paulus  geben  Gungingorum*, 
was  wieder  einen  Gung  voraussetzt  und  an  den  eddischen  namen  des 
göttlichen  Speers  Güngnir  (mythol.  s.  134),  welcher  sieg  verlieh  und 
alle,  über  die  er  geworfen  wurde,  dem  tode  weihte,  war  er  von  Wodan 
einmal  dem  ahnherrn  der  Guginge  verliehen  worden?  güngnir  oder 
gugnir  soll  nach  Biörn  bedeuten  violentus  domitor,  das  schwed.  gunga 
sagt  aus  oscillari,  ein  ahd.  gingan  appetere,  desiderare,  gingo  appe- 
titus  und  gungida  eunctatio  (Graff  4,  218). 

Von  Leth  dem  dritten  könig,  bei  Paulus  1,  18  besser  Lethu, 
entsprangen  die  Lithinge  :  Lithingi,  quaedam  nobilis  prosapia  (Haupt 
1,  555).  das  goth.  lij)us  ahd.  lid  bedeutet  articulus,  membrum;  ich 
wage  daran  keine  weitere  erklärung  zu  knüpfen,  und  werde  nachher 
noch  einige  andere  namen  dieser  genealogie  hervorheben. 

Wie  steht  es  um  den  der  Langobarden  selbst?  Paulus  1,  8 
berichtet  den  schönen  mythus,  wie  dieser  name  den  Winilen  von 
Wodan  selbst  verliehen  worden  sei  und  im  prolog  des  gesetzes  ist  es 
noch  mit  näheren  umständen  erzählt  (Haupt  5,  2).  dazu  musz  man 
nehmen,  dasz  der  nordische  Odinn  selbst  den  beinamen  Längbardr** 
führt,  wie  er  Sldskeggr  und  Härbardr  heiszt  (mythol.  s.  124.  905); 
seinen  günstlingen  durfte  aber  der  gott  namen,  wie  vielleicht  den  sieg- 
speer,  geliehen  haben.  Lancpart  ist  auch  sonst  ahd.  mannsname 
(Schannat  n^  427),  wobei  nicht  nothwendig  an  einen  Langobarden 
braucht  gedacht  zu  werden.  Ich  habe  nichts  dawider,  dasz  man  die 
bei  diesem  volk  übliche  barttracht  zum  anlasz  der  benennung  mache***, 

689  ohne  dabei  auf  das  chattische '  crinem  barbamque  submittere'  zu  sehn 
(woraus  Zeusz  s.  94  seine  Identität  der  Chatten  und  Langobarden 
erweisen  will),  weil  ja  die  Chatten  hart  und  haar  schoren,  so  bald  sie 


*  Waitz  deutsche  verf.  gesch.  1,  164. 

*♦  wer  sind  aber  die  Längbarz  lidar,  deren  prächtiger  aufzug  Ssem.  233'' 
geschildert  wird? 

***  hier  verdient  eine  im  etym.  magn.  s.  v.  yevsiov  aufbehaltne  sage  an- 
führung  225,  45 :  sQ^voq  yag  sl'xoat  xal  nsvie  ;(iAtadcüv  insXQ-ov  naQSxä- 
&STO  TOtg  ^P(o[x.aioiq.  ixsZvoi  6h  oUyoi  ovtsg,  avol^avteg  sveQug  nvXag, 
e(psQOV  rag  axXaßrjviag.  ezi  äh  ol  axXäßoi,  oXiyoL  övxeg,  SipeQov  rag 
yvvalxag  avrwv  xal  nsQi&ifxsvoi  avzaig  oxrjf^a  avögsTov  xal  yeveiaöag 
i^riQ^ovro.  löövxsg  6h  xb  nXrj&og  xu  s&vtj,  r/Qcäxwv  xovg  Pwfiaiovg,  xiveg 
elalv  ovxoi;  xcd  slsyov  AoyyißaQ6oi,  xovxsaxi  ßa&eZav  vnrjvrjv  xal  fxaxQav 
^Xovxsg,  Dem  Griechen  musz  jener  mythus  zu  ehren  gekommen  sein  und 
er  wendet  ihn  auf  die  Römer  an.  axXdßoi  sind  knechte,  servi,  ital.  schiavi, 
die  damals  schon  der  name  der  Slaven  bezeichnete.  ox?>aß7]via  mag  entweder 
Speer,  jaculum  levius  (Ducange  s.  v.)  oder  die  masse  der  knechte  bedeuten. 
Wodans  frage  an  Frea  ist  hier  an  die  Römer  gerichtet. 


LANGOBARDEN  479 

männlich  auftreten  konnten.  Andere  wollen  an  ahd.  parta  ascia  den- 
ken und  den  Langobarden  diese  waffe  beilegen,  über  deren  gebrauch 
sonst  nichts  erhellt;  unter  den  eddischen  schwei-tnamen  Sn,  214* 
steht  allerdings  Längbardr,  zu  erwägen  aber  bleibt,  dasz  für  Lango- 
barden auch  das  einfache  Barden  gilt,  nicht  nur  im  lat,  gedieht  bei 
Paulus  3,  19  wo  die  zusammengesetzte  form  im  vers  unbequem  ge- 
wesen wäre*,  und  bei  Helmold  1,  26,  sondern  auch  in  den  Orts- 
namen Bardangä  und  Bardanwlc  (s.  683);  noch  mehr  aber,  in  den 
ags.  liedern  erscheint  neben  Longbeardan  cod.  exon.  320,  21.  323, 
18  zugleich  der  volksname  Headobeardan  cod.  exon.  321,  21,  Beov. 
4060.  4070.  heado,  ahd.  hadu  bedeutet  bellum,  pugna  und  zeigt  sich 
in  vielen  compositis  (gramm.  2,  460),  Headobeardan  sind  also  was 
Helmold  Bardi  bellicosissimi  bezeichnet;  soll  auch  hier  die  bedeutung 
des  hartes  festgehalten  werden? 

Das  langobardische  reich  während  seines  bestands  in  Italien  und 
nach  ihrer  bekehrung  hätte  ersprieszliche  Sprachdenkmäler  zu  tage 
fördern  können,  zu  einer  zeit,  in  welcher  die  Gothen  schon  durch 
Yerdeutschung  der  heiligen  schrift  vorangegangen  waren  und  die  ags. 
und  ahd.  literatur  zu  erwachen  begannen,  es  ist  aber  gar  nichts 
langobardisches  vorhanden  und  auch  keine  spur  da,  dasz  es  unter- 
gegangen sei.  wir  müssen  also  die  wichtige  frage,  in  welchem  Ver- 
hältnis die  langobardische  spräche  zu  den  übrigen  deutschen  gestan-  690 
den  habe,  lediglich  aus  den  Wörtern,  die  in  den  lat.  gesetzen,  bei 
Paulus  und  in  Urkunden  vorkommen,  zu  beantworten  suchen,  jene 
technischen  rechtsausdrücke,  von  welchen  es  schon  alte,  aber  dürre, 
unverständige  Verzeichnisse  in  hss.  gibt**,  erscheinen  fast  so  verderbt 
wie  die  malbergischen  glossen ;  das  meiste  andere  sind  eigennamen, 
die  ich  freilich  nicht  erschöpfend  sammeln  konnte. 

Der  langobardische  vocalismus  hat  fast  alles  gemein  mit  dem 
ahd.  kurzes  A  in  lama  piscina;  fara  generatio;  bandum  vexillum;  arga 
meticulosus ;  Wacho ;  gastaldius ;  ans  in  den  Zusammensetzungen  Ansfrit 
Anspald ;  ohne  umlaut  bei  folgendem  I :  arimannus ;  ariscild  heerschild ; 
Aripertus;  camphio  pugnator;  scario  praeco;  aldia  colona;  Rachis; 
Lamissio.  I  in  impans ;  gisil ;  scilpor  armiger ;  scild ;  child ;  thingare ; 
widriboran;  Ildipert,  Sigipert,  Winiberta;  Albsuinda;  fio  ahd.  fihu; 
iderzön  sepes,  wo  ahd.  schon  ötarzün  gälte.  U  selten:  fulfreal;  scul- 
dahis;  Rugiland;  tubrugi  Paul.  4,  23,  wovon  nachher.  E  noch  nicht 
als  umlaut,  nur  als  brechung  in  Helmichis ;  Berto,  Aripertus ;  Hersemär 
Paul.  6,  51;  Peredeo;  Cleph  und  Lethu,  welcher  name  ahd.  Lidu 
fordert.  0  als  brechung  in  modula;  hosa  Paul.  1,  20;  sonor  grex; 
Godescalc;  Nordo;  widribora;  scilpor;  morgingap;  Droctulfus. 

Lange  vocale.  ä  ausdrücklich  bestimmt  durch  die  Schreibung 
aamund  in  den  glossen  für  ämund  liber,  e  potestate  dimissus  Roth. 
225;   stölesäz;  Hersemär ;  vielleicht  in  läma  piscina.     6  wahrscheinlich 

desgleichen  in  einem  gedieht  des  cod.  vatican.  5001  fol.  147: 

ortus  fuit  ex  Barde rum  stemmate  clarissimo. 
gedruckt  Diut.  2,  357—359  und  bei  Haupt  1,  548—562. 


480  LANGOBARDEN 

anzusetzen  in  dem  namen  Evin  Paul.  2,  32.  3,  27,  worin  ich  ahd. 
6wln,  goth,  aiveins,  aeternus  sehe.  [m6ta.]  i  nicht  zu  erkennen.  6  = 
ahd.  uo,  goth.  ö  in  stölsäz;  Röthari  ahd.  Hruodheri;  Wödan  ahd. 
Wuotan;  Austrigösa  Paul.  1,  21  gepidische  königstochter ;  plövus 
aratrum  (s.  56).  ü  vielleicht  in  Rümetrüda  Paul.  1,  20. 

Diphthonge.    AI  =    goth.   ai,    ahd.    ei  und   6:    rhairaub   goth. 

691  hraivaraubs  ?  ahd.  hrßoroup;  Gaila  n.  pr.;  laib  reliquiae,  ahd.  leipa; 
aidones  sacramentales  ahd.  kieidon;  gaida  hastula  ags.  gäd;  snaida 
incisio  in  arbore  Roth.  244;  Argaid  n.  pr.;  Aistulfus  n.  pr.  AU  = 
goth.  au,  ahd.  ou  und  6:  laun  merces;  raub  spolium;  walapauz; 
Audoin  ags.  Eädvine;  Grauso  Paul.  5,  38.  39.  6,  6  =  ahd.  Cröso 
Graff4,  616;  Austrigösa.  lU  =  goth.  iu:  Liutprand;  Agiliup;  Tinea 
in  einer  urk.  bei  Troya  s.  442;  EU  in  Theudelinda;  geschwächt  zu 
EO  in  Peredeo.    Frea  für  Fria. 

In  den  consonanten  zeigt  sich  die  ahd.  lautverschiebung.  P  für 
goth.  B:  prand;  pert;  Peredeo;  scilpor;  marpahis;  impans;  walapauz. 
F  oder  PH  für  goth.  P:  camfio;  Cleph;  Claffo.  T  für  goth.  D  viel- 
leicht in  Tato  alts.  Dado.  [m6ta  =  ahd.  mieta.]  D  für  goth.  p: 
Peredeo,  goth.  Bairapius?;  adaling;  Nandigild;  modula.  Z  für  goth. 
T:  in  den  eigennamen  Zangrulf  Paul.  4,  14,  bissiger  wolf,  vom  ahd. 
zangar  mordax;  Zuchilo  Paul.  1,  21;  Zotto  Paul.  4,  19;  Tazo;  Nazo; 
[Pezola.]  vom  Übergang  des  auslautenden  Z  in  S  nachher.  K  für 
goth.  G:  cap  donum;  crap  sepulcrum.  CH  für  goth.  K:  achar  goth. 
akrs.  Befremden  darf  aber  nicht,  dasz  zuweilen  noch  die  goth.  media 
haftet  und  bora,  Berto,  brand,  band;  Wödan,  fader,  ider  =  ahd. 
6tar,  band,  sculdahis;  arga,  thingare,  anagrip  geschrieben  steht;  da 
ein  gleiches  in  vielen  ahd.  denkmälern  geschieht  (s.  424.  425).  so 
ist  auch  das  haftende  TH  in  thingare,  Theudelinda  und  Lethu  zu 
fassen,  [aber  Zaban,  zotan  für  th?]  Eigen  scheint  das  schwanken  des 
G  in  CH,  wie  es  zumal  die  wörter  launechild,  Alachis,  Arechis, 
Rätchis,  Helmichis,  Hildechis  in  namen  an  sich  tragen,  denen  ahd. 
-gis  oder  -kis  (Graff  4,  266)  zusteht,  ich  darf  dies  CH  dem  hin 
und  wieder  auftauchenden  ahd,  GH  (s.  425)  vergleichen;  vom  fränk, 
CH  für  H  ist  es  verschieden.  Seltsamen  Übergang  des  B  in  F  zeigen 
lesarten  der  composita  scilfor  armiger  f.  scildboro  und  fulfor  liber  f. 
fulboro. 

N  vor  S  und  TH  wird  nicht  unterdrückt,  es  heiszt  ans  svind  wie 
goth.  und  ahd.  Die  spirans  V  pflegt,  doch  nicht  nothwendig,  nach 
ahd.  weise  gedoppelt  zu  werden  oder  in  GU,  GV  überzutreten,  was 
recht  langobardisch  sein  musz,  da  es  Paulus  1,  9  am  namen  Wödan 

692  und  Gwödan  hervorhebt ;  ebenso :  guald  silva,  guadium  pignus,  guare- 
gangus  exsul,  guidribora  renatus  d.  i.  liber.  vielleicht  ist  dies  GU 
erst  aus  romanischem  einflusz  (vgl.  s.  295.  296)  zu  erklären.  In  den 
Zusammensetzungen  Alboin  Audoin  =  Älfvine  Eädvine  ist  V  in  0 
aufgelöst.  Auch  mit  der  spirans  H  wird  auf  romanisch  verfahren,  die 
organische  weggeworfen  und  eine  unorganische  eingeschoben,  so  findet 
sich  ari  für  hari  in  Arimanni  (homines  exercitales)  Aripertus  =  ahd. 


LANGOBARDEN  481 

Heripert,  fränk.  Charibert;  Ildipert  f.  Hildipert;  mar  equus  ahd. 
marah;  Waltari  f.  Walthari;  freald  vielleicht  für  frihald  liber,  wo 
nicht  freals  =  ahd.  frihals  zu  lesen,  umgekehrt  aber  ist  geschrie- 
ben sculdahis  marpahis  Ahistulf  sonorpahir  modulahiscus  lahip  für 
sculdais  marpais  Aistulf  sonorpair  modulaiscus  laip,  ja  dasselbe  falsche 
H  tritt  ein  in  Landuhin  Alpuhin  f.  Landuin  Alpuin  (Alboin)  in  urk. 
bei  Troya  s.  437.  438.  439. 

Wenig  oder  nichts  zu  gewinnen  steht  für  die  flexion.'  darf  aus 
casindios  comites  und  gamalos  gamahalos  confabulatores  in  der  glosse 
bei  Haupt  1,  551.  554  ein  dem  goth.  gleicher  nom.  pl.  auf  -ös  ge- 
folgert werden?  es  könnten  auch  lat.  acc,  pl.  sein.  Den  nom.  sg. 
schwacher  masc.  würde  man  nach  arga  bei  Paul.  6,  24  auf  -a,  nach 
goth.  und  ags.  weise  ansetzen,  wenn  nicht  viele  andere  namen  auf  -o 
überwögen:  Berto,  Claffo,  Tato,  Wacho,  Pando,  Paracho,  Falcho  u.  s.  w. 
Seltsam  lautet  thinx  Eoth.  171.  173.  174.  Liutpr.  6,  19  und  garathinx 
Eoth.  167.  172,  in  den  glossen  thinx  und  gairethix  (Haupt  1,  558. 
553)  für  thing,  worin  unmöglich  eine  flexion  stecken  kann,  wie  sie 
dem  neutrum  unangemessen  wäre  (es  heiszt  in  den  texten:  omne 
thinx,  ipsum  thinx).  man  wird  also  in  diesem  X  eine  affection  des  G 
zu  sehn  haben,  ähnlich  dem  fries.  SZ  (s.  680).  Von  der  conjugation 
ist  gar  nichts  zu  gewahren. 

Aber  eine  reihe  einzelner  Wörter  verdient  besprechung.  marpahis 
strator  Paul.  2,  9.  6,  6.  Haupt  1,  556.  marepahis  Pertz  5,  227.  248* 
ist  sehr  oft  angeführt,  doch,  glaube  ich,  seit  den  Langobarden  bis  auf  693 
mich  von  niemand  verstanden  worden,  sogar  das  gr.  nals  hat  man 
darin  wollen  sehn,  strator  bedeutet  equorum  curator,  compositor 
sellae  und  marpahis  steht  für  marpais  wie  sculdahis  f.  sculdais;  das 
wird  auf  die  fährte  leiten,  sculdais  oder  auch  sculdasius  entspricht 
dem  ahd.  scultheizo,  würde  also  mit  hergestelltem  anlaut  langob. 
sculdhaiz  lauten,  welches  wiederum  statt  sculdhaizo,  wie  scilpor  statt 
scildporo  gesetzt  ist.  in  marpahis  läszt  sich  mar  für  marh,  ahd.  marah 
nicht  verkennen,  folglich  wird  pahis  oder  pais  aus  paiz  oder  paizo 
herrühren,  welches  wie  jenes  hais  von  haizan  jubere  von  paizan  frenare 
herzuleiten  ist.  dasz  auch  ahd.  peizan  frenare  bedeute,  lehrt  eine 
glosse  peiztun  bei  Graff  3,  230,  wo  nur  infrenant  oder  infrenarunt 
zu  bessern  ist,  noch  deutlicher  das  ags.  bsetan,  Csedm.  173,  25  heiszt 
esolas  bsetan,  asinos  infrenare;  der  eigentliche  sinn  des  worts  ist: 
gebisz  anlegen,  facere  ut  equus  mordeat,  von  der  wurzel  goth.  beitan, 
ahd.  pizan.  marpahis  entspricht  also  dem  franz.  palfrenier,  und  würde 
ahd.  marahpeizo,  ags.  mearbseta,  goth.  marhbaitja  lauten  müssen,  für 
die  langob.  lautlehre  zu  beachten  ist  die  Verschärfung  des  Z  in  S  bei 
den  auslauten  sculdahis  und  marpahis.  Haben  wir  eben  das  langob. 
wort  für  marschall  erforscht,   so  bietet  sich   für  ein  anderes  hofamt 


*  in  der  letzten  stelle  ist  die  sinnlose  lesart  Pando  marepahissatum 
aufgenommen;  es  musz  nothwendig  heiszen  Pando  marepahis  Suram  (vgl. 
5,  198)  regebat. 

Grimm,  geschickte  der  deutschen  spräche.  gj 


482  LANGOBARDEN 

dar  stölesäz,  stolesaiz  (Haupt  1,  558)  qui  ordinat  conventum,  archi- 
triclinus,  ahd.  stuolsäzo  und  verkürzt  stuolze,  stolze  (Graff  6,  305.  679) 
ähnlich  unserm  schulze  für  schuldheisz.  noch  das  chron,  salernit.  bei 
Pertz  5,  489  sagt:  Grimoalt,  qui  lingua  todesca,  quam  olim  Lango- 
bardi  loquebantur,  stoleseyz  fuit  appellatus,  quod  nos  in  nostro  elo- 
quio  'qui  ante  obtutus  principis  et  regis  milites  hinc  inde  sedendo 
perordinat'  (1.  praeordinat)  possumus  vocitare.  5,  495  steht  zweimal 
storesais,  einmal  storesaiz.  Paulus  würde  hiernach  schreiben  stölesahis, 
oder  lieber  stölesäz. 

Ein   angesehenes    öffentliches    amt  bekleidete    der  oft    genannte 

694  gastaldius,  gastaldio,  auch  castaldius  castaldio  geschrieben  (Hegels  ital. 
städteverf  1,  455 — 461).  es  ist  unmöglich  dies  wort  von  gast  zu 
leiten,  seine  quelle  kann  nur  gastaldan  sein,  und  ihm  entspricht  das 
goth.  gastalds,  ags.  gesteald  steald,  ahd.  stalt  in  vielen  Zusammen- 
setzungen (gramm.  2,  527).  z.  b.  aglaitgastalds  aiöxQoxegör^g,  ags, 
hägsteald,  ahd.  hagastalt  coelebs,  woraus  nhd.  mit  falscher  fortschie- 
bung  hagestolz  geworden  ist,  wie  buckelstolz  gibbosus.  die  Lango- 
barden hatten  also  ganz  die  goth.  form  des  praefixes  ga-,  wie  auch 
das  dunkle  gafan  cafan  gafandus  gaphans  heres,  coheres  lehrt,  und 
gadawida  consuetudo,  wenn  ich  das  sinnlose  cadarfreda  recht  bessere. 

In  der  sage  von  Agilmundus  meldet  Paulus  1,  15,  wie  der  könig 
in  einem  teich  sieben  ausgesetzte  kinder  erblickt  und  das  kräftigste 
am  Speer  herausgezogen  habe:  et  quia  eum  de  piscina,  quae  eorum 
lingua  lama  dicitur,  abstulit,  Lamissio  eidem  nomen  imposuit.  man 
hätte  Lamiscio,  Lamisco  erwartet,  doch  kehrt  jene  form  oft  wieder 
und  auch  die  Stammtafel  gibt  Lamisso.  vielleicht  war  lama,  dem  ich 
in  keiner  deutschen  zunge  begegne,  ein  goth.  wort,  das  auch  zu  den 
Spaniern  übergieng,  welchen  lama  schlämm  [s-lam]  und  seegrund  be- 
deutet ;  noch  näher  reicht  das  finnische  lammi  lacus  minor,  stagnum, 
piscina  und  das  lat.  lama  locus  humidus,  palustris,  das  litth.  loma 
locus  depressus  in  agro. 

Des  palastes  erwähnend,  welchen  die  königin  Theudelinde  in 
Modicia  hatte  erbauen  und  mit  gemählden  aus  der  langob.  geschichte 
zieren  lassen,  bespricht  Paulus  4,  23  die  altlangobardische  tracht; 
cervicem  usque  ad  occipitium  radentes  nudabant,  capillos  a  facie  us- 
que  ad  os  dimissos  habentes,  quos  in  utramque  partem  in  frontis 
discrimine  dividebant.  vom  hart  nichts,  vestimenta  vero  eis  erant 
laxa  et  maxime  Hnea,  qualia  Anglisaxones  habere  solent,  ornata  institis 
latioribus,  vario  colore  contextis.  calcei  vero  eis  erant  usque  ad 
summum  poUicem  pene  aperti  et  alternatim  laqueis  corrigiarum  retenti. 
postea  (in  späterer  zeit)  vero  coeperunt  hosis  uti,  super  quas  equi- 
tantes  tubrugos  birreos  mittebant.  sed  hoc  de  Romanorum  consuetu- 
dine  traxerunt.     Unter  hose   verstand  man  enganschlieszende,  unter 

695  bruoch  oder  bracca  weite  beinkleidung.  die  über  die  hose  beim  reiten 
gezognen  tubrugi  erläutern  sich  zwar  aus  dem  mlat.  tubrucus,  tubra- 
cus  (Ducange  6,  691),  noch  besser  aus  dem  ahd.  diohpruoh  lumbare 
(Graff  3,  278).  ags.  peohbrdc. 


LANGOBARDEN  483 

Sonorpahir,  sonarpair,  verres  qui  omnes  alios  verres  in  grege 
batuit  et  vincit  Roth.  356  enthält  genau  das  ags.  sunor,  suner  grex 
(vgl.  sonesti  s.  548)  verknüpft  mit  dem  ahd.  p6r,  ags.  bar,  es  ist  der 
die  heerde  führende  eber,  und  die  (s.  36)  vermutete  goth.  form  bais 
scheint  durch  die  Variante  sonorpaiz  bestätigt,  das  Z  wäre  hier  eben 
erst  den  Langobarden  R  geworden. 

Scamera  Roth.  5  bedeutet  für  oder  latro,  den  niemand  in  seinem 
hause  bergen  noch  speisen  soll,  dazu  stimmt  die  stelle  bei  lornand. 
c.  58:  abactoribus  scamarisque  et  latronibus  undecumque  collatis,  so 
wie  bei  Eugippius  cap.  11:  latrones  quos  vulgus  scamaros  appellabat. 
in  den  langob.  glossen  steht  scamara  furto  und  es  scheint  auch  ein 
solches  subst.  für  depraedatio  zu  gelten,  aber  Menander  de  legat. 
p.  367,  der  ums  j.  582  zu  Constantinopel  schrieb,  konnte  das  ungrie- 
chische wort  öKa^ccQEig  für  praedones  von  Gothen  vernommen  haben, 
mir  fallen  dabei  Cimbri  und  Ambrones  (s,  636.  638)  ein,  ohne  dasz 
ich  des  deutschen  Ursprungs  von  scamera  gewis  bin. 

Die  räuber  pflegten,  um  beim  anfall  unerkannt  zu  bleiben,  tracht 
und  gesiebt  zu  verstellen,  das  nannten  die  Langobarden  walapauz. 
Roth.  3 1 :  walapauz  est  dum  quis  alienum  furtivum  vestimentum 
induit,  aut  si  caput  latrocinandi  animo  aut  faciem  transfiguraverit ; 
und  eine  formel  bei  Canciani  2,  465''  sagt:  te  vestisti  de  veste  fur- 
tiva,  Ruprechts  von  Freisingen  rechtsbuch  (ed.  Maurer  s.  269):  ist, 
das  rauber  reitent  oder  gent,  und  verkerent  ir  gewant  und  verpergent 
sich  unter  den  äugen,  das  man  sie  nicht  erkennen  mag.  pauz  scheint 
mir  aus  pauzan  tundere,  ahd.  pözan,  ags.  beätan  gebildet,  wie  sculdais 
marpais  aus  haizan,  paizan,  die  ahd.  form  wäre  demnach  walapözo  und 
pözo  ist  fasciculus  lini,  womit  vielleicht  die  das  gesicht  unkenntlich 
machende  larve  bereitet  wurde,   wala  könnte  sich  von  wal  caedes  leiten. 

Unter  den  übrigen  technischen  ausdrücken  des  gesetzes  ziehen  696 
mich  folgende  an.  das  oft  hier  und  in  Urkunden  erscheinende  laune- 
child  ist  das  alts.  löngeld  Hei.  71,  20  und  bezeichnet  die  gegengabe. 
modola  Roth.  305  und  in  den  glossen  modula  ist  quercus  und  gleicht 
dem  medula  medela  des  alamann.  gesetzes  96,  für  das  eichene  wagen- 
holz, sonst  lancwit  vinculum  plaustri  genannt,  die  fortbildung  modu- 
laisclo,  modulahisclo  verstehe  ich  nicht,  aber  zu  modula  habe  ich 
mythol.  s.  769  das  dunkle  mudspelli  gehalten. 

Roth.  387,  wo  von  Verletzung  der  ai'me  und  beine  gehandelt 
wird,  stehn  drei  schwere  glossen  neben  einander:  si  quis  homini  libero 
brachium  super  cubitum,  hoc  est  morioc  ruperit,  componat  solidos  XX. 
[Blume  hat  mir  alle  ab  weichungen  der  lesart  gegeben :  cod.  vindob. 
morioch,  cod.  matrit.  morihot,  cod.  ambros.  mox'ioh,  cod.  vercell.  mu- 
rioth,  cod.  veron.  modo,  cod.  paris.  murioth,  cod.  guelferb.  morioth,  cod. 
cavens.  morith,  cod.  vatic.  in  oriuth.]  si  autem  subtus  cubitum,  hoc 
est  tremum,  componat  sol.  XVI.  [cod.  vindob.  thremum,  matrit.  treno, 
ambros.  trenum,  vercell.  treno,  veron.  thremum,  guelferb.  renum, 
cavens.  trino,  vatic.  treno.]  si  vero  coxam  ruperit  supra  genuculum, 
hoc   est  largicam,  componat  sol.  XX.    [cod.  vindob,  legi,  matrit,  lagi, 

31* 


484  LANGOBARDEN 

ambros.  lagi,  verc.  lagi,  veron.  legit,  guelferb.  lagi,  cavens.  lagi,  vatic. 
lagi.]  die  glosse  bei  Haupt  1,  557  gibt  marioth,  morjoth  und  mario; 
1,  558  treno  und  trino;  1,  355  zweimal  lagi.  Sicher  ist  für  das 
erste  wort  murioth  morioth  richtig,  wie  die  einstimmung  zum  ahd. 
murioth  oder  murigot  (Graff  2,  846)  lehrt,  welches  aber  gleichviel 
mit  coxa  =  dioh,  dieh  sein  soll,  nicht  cubitus,  oder  oberarm  über 
dem  einbogen.*  da  nun  die  composition  für  oberarm  und  hüftbein 
dieselbe  ist,  so  fragt  sich  ob  murioth  auf  beide  gehn  kann?  das 
glaublich  verwandte  gr.  (ifjQog  fiTjQLOV  gilt  nur  vom  Schenkel,  und 
vielleicht  gehört  dazu  das  altn,  miödm  gen.  miadmar  coxendix,  falls 

697  es  aus  miördm  entsprang  ?  thremus  oder  trenus  für  unterarm  man- 
geln in  jeder  andern  deutschen  spräche,  aber  merkwürdig  bietet  die 
litthauische  trainys  für  hinterarm,  treinija  für  arm  am  wagen,  wodurch 
die  lesart  trenus  bestätigt  wird;  diesen  ausdruck  müssen  die  Lango- 
barden sicher  aus  der  alten  heimat  mitgebracht  haben,  lagi  ist  un- 
bedenklich das  altn.  leggr  crus,  engl.  leg. 

Roth.  125:  qui  per  impans,  id  est  in  votum  regis  dimittitur. 
in  der  gl.  bei  Haupt  1,  554  zweimal  inpans.  Papias:  impans,  in 
manu  regis  servus  dimissus,  extraneus  est.  einige  hss.  sollen  infas 
und  infans  haben.  Wenn  impans  oder  inpans  votum  ausdrücken  soll, 
so  ist  vielleicht  die  Zusammensetzung  des  ahd.  unnan  mit  partikeln 
zu  berücksichtigen;  wie  arpan  invideo  aus  ar-pi-an,  urpunst  invidia 
aus  ur-pi-unst,  könnte  ein  inpan  faveo  inpanst  favor  aus  in-pi-an, 
in-pi-anst  entspringen,  inpanst  aber  mit  wegfall  des  auslautenden  t 
(vgl.  scilpor  f.  scildpor)  zu  inpans  geworden  sein,  sogar  mhd.  gons 
für  gunst.  Ben.  1,  34'*.  nur  bliebe  die  composition  in-bi  erst  wirk- 
lich aufzuweisen. 

Es  wären  noch  andere  ausdrücke  zu  erörtern,  doch  die  ganze 
Untersuchung,  so  weit  ich  sie  geführt  habe,  ist  zum  Schlüsse  reif, 
schon  nach  den  lautverhältnissen  liesz  sich  nicht  zweifeln,  dasz  die 
langobardische  zunge  in  die  reihe  der  hochdeutschen  falle ;  noch  keinen 
Umlaut  hat  sie  entfaltet,  aber  brechungen  und  lautverschiebung,  wie 
alles  der  mitte  des  siebenten  jh.,  um  welche  ßothari  eine  samlung 
veranstaltete,  zusagt,  zwar  scheinen  die  diphthonge  AI  und  Aü  den 
gothischen  gleich  und  von  dem  ahd,  EI  OU  abzustehn;  man  erinnre 
sich  aber,  dasz  auch  ältere  ahd.  denkmäler  ebenwol  bei  AI  und  AU 
beharren  (gramm.  1,  103.  104.  122).  Das  ergebnis  bestätigten  so- 
dann einzelne  Wörter  und  bildungen,  welche  die  gröszte  analogie  zu 
ahd.  verrathen.  Endlich  stimmt  dazu  die  örtliche  läge  der  italieni- 
schen Langobarden,  die  unmittelbar  auf  Rugier  (s.  469)  und  Alaman- 
nen  stieszen,  zumal  an  den  auch  Tirol  erfüllenden  stamm  der  Baieru 

698  grenzten,  und  mit  ihnen,  wie  stammgenossen  pflegen,  vielfache  und 
enge  berührung  unterhielten. 


*  möglich  aber,  dasz  abt  Salomon  murioth  und  murigot  selbst  aus  dem 
langob.  gesetz  schöpfte  und  durch  diech  deutete. 


LANGOBARDEN.  BDRGÜNDEN  485 

Alboin  wurde  in  bairischen  liedern,  wie  in  langobardischen  ge- 
priesen (Paul.  1,  27),  Theudelind,  Autharis  und  Agilulfs  gemahlin, 
war  bairische  königstocMer.  Im  Hede  von  könig  Rother,  das  auf 
langobardiscber  sage  beruht,  ist  darum  auch  anknüpfung  an  Baiern 
und  Österreich  durch  Wolfrat  von  Tengelingen  und  Berker  von 
Meran.  Wie  aber  Uothers  geschlecht  mit  Pippin  und  Berta  den 
Kerlingen  sich  anreihte,  erscheint  der  berühmte  waskonische  Walthari 
wenigstens  dem  namen  nach  unter  den  langobardischen  königen  in 
der  genealogie  der  neunte  (vgl.  Paul.  1,  21.  2,  32.  6,  54)  und  die 
Novaleser  chronik  versetzt  jenen  held  am  schlusz  seines  lebens  aus- 
drücklich in  ein  langobardisches  kloster.  im  epos  fällt  auch  Otnit, 
Ermenrich  und  Dietrich  der  Lombardei  zu. 

Ziehen  sich  so  manche  schlingen  durch  die  sagen  hochdeutscher 
stamme,  so  wäre  nicht  zu  verwundern,  dasz  die  Langobarden  schon 
an  der  Elbe  in  vielfacher  gemeinschaft  mit  Sueven  und  Markomannen 
standen,  vor  dem  ausgang  aller  dieser  Völker  nach  Süden,  ich  lege 
darum  gewicht  auf  die  Wiederkehr  des  suevisch-bairischen  mythus  von 
den  ausgesetzten  kindern  auch  in  der  langobardischen  Urgeschichte, 
mit  vollem  grund  heiszen  die  Langobarden  Sueven,  und  was  s,  492. 
494  noch  unbestimmt  gelassen  werden  muste,  hat  sich  nunmehr 
entschieden  herausgestellt. 

Von  den  Burgunden  ist  weniger  zu  sagen.  Zuvorders^nennt  sie 
uns  Plinius,  gleich  im  ersten  germanischen  geschlecht:  Vindili,  quorum 
pars  Burgundiones,  Varini,  Carini,  Guttones,  durch  Vindili  (s.  475) 
und  Varini  (s.  604)  schlieszen  sich  die  Burgundionen  den  elbischen 
Langobarden  an;  im  nordöstlichsten  säum  aller  Germanen  lagen  Gu- 
tonen  (s.  439).  neben  Varini  sind  ganz  verschollene  Carini  gesetzt, 
die  man  aus  dem  text  hat  merzen  wollen,  wie  hinter  den  Sciri  die 
Hirri  (s.  465).  nun  fällt  mir  wenigstens  auf,  dasz  auszer  der  schwe- 
dischen insel  Hernö  bei  Angermanland  auch  im  norwegischen  Sunnmseri 
eine  insel  Herna  oder  Hernar  (fornm.  sog.  12,  302)  neben  einer  insel  699 
Borgund  (das.   12,  270)  gelegen  ist,  wovon  gleich  nachher  noch. 

Aller  dieser  Völker  geschweigt  Strabo,  dessen  blick  nicht  zu  ihnen 
reichte ;  es  scheint  Verwegenheit  [Haupt  9,  244],  seine  Bovtavag  in 
FovTcovag  (was  jetzt  Kramer  sogar  in  den  text  nimmt),  seine  Movyi- 
Xavag  in  BovQyowdtcDvag  zu  ändern.  Auch  dem  Tacitus,  der  Vandilier 
und  Varinen  kennt,  bleiben  Burgundionen  ungenannt,  Ptolemaeus  hin- 
gegen, nachdem  er  das  sd'vog  tav  2Jovrißc3v  y.ccl  Es^vovav  aufgeführt 
hat,  setzt  das  täv  Bovyovvtcov  zwischen  Suebus  (Oder?)  und  Weichsel, 
da  der  name  zweimal  so  geschrieben  steht,  darf  man  q  nicht  für  aus- 
gefallen, nur  für  verschluckt  halten*  und  jene  Bovravsg  Strabons 
lieszen  sich  in  Bovyovvrcovsg  wandeln**.      Wie  es  immer  um  diese 


*  wie  in  fodern,  köder,  bair.  fackel  für  fordern,  körder,  ferkel. 
**  r  und  T  vermengen  sich  leicht  (für  Aovyioi  schrieb  man  Aovtioi) ; 
gesetzt,  aus  Bovyovvzwvsq  entsprang  einmal  BovxovvxvDveq,  so  war  in  der 
Verwirrung  nur  ein  schritt  zu  BovTcavsg. 


486  BüßGÜNDEN 

namensform  stehe,  die  Burgunden  gehören  im  ersten  jh.  zu  den 
Ostseegermanen  zwischen  Oder  und  Weichsel  und  haben  vielleicht 
schon  im  zweiten  begonnen  sich  südlicher  zu  wenden,  im  Süden  kennt 
sie  Procop,  und  unter  dem  namen  BovQyovtlcovBg. 

Sahen  wir  nun  zweige  der  alten  Kugier  und  Ulmerugier  nach 
Norwegen  gesprengt  (s.  469),  warum  sollten  nicht  auch  einzelne 
Carinen  und  Burgunden  gegen  norden  gezogen  sein?  Hernö  und 
Herna  wurden  eben  aufgewiesen,  die  nähere  insel  Bornholm  hiesz  den 
Scandinaven  Borgundarhölmr  (fornald.  sog.  1,  303.  2,  385.  456.  3, 
361.  forum,  sog.  12,  270),  bei  Saxo  gramm.  p.  675  Burgunda  in- 
sula,  und  Alfreds  periplus  nennt  die  bewohner  Bornholms  Burgendas 
oder  Burgendan,  bei  Vulfstän  ist  Burgendaland  wieder  dies  Bornholm. 
Noch  mehr,  im  norwegischen  Sunnmseri  fand  sich,  wie  vorhin  gesagt, 
neben  Herna  eine  andre  insel  Borgund,  und  die  altn.  eyjaheiti  unter- 

700  lassen  nicht  beide  Borgund  aufzuzählen  *.  Es  scheint  kein  grund  vor- 
handen, um  mit  Zeusz  s.  465  diese  inseln  dem  volksnamen  zu  ent- 
ziehen und  auf  einen  bloszen  mannsnamen  Burgund  zu  leiten  **.  das 
altn.  Borgund  gen.  Borgundar  ist  ortsbegrif. 

Burgundio  habe  ich  gramm.  2,  343  recht  gedeutet;  die  goth. 
form  wäre  Baurgundja***,  wie  nöhvundja  vicinus,  es  kann  nichts  an- 
ders ausdrücken  als  den  in  der  baurgs  wohnenden,  was  man  sich  nun 
unter  die^m  letzten  wort  denke,  bei  ülfilas  verdeutscht  baurgs  nohg 
und  einmal  Neh.  7,  2  ßigd,  bürg  im  sinne  von  arx,  wie  auch  das 
ahd.  puruc  urbs  und  castrum  meint:  beides  enthält  den  begrif  der 
bergenden,  schützenden  wohnung.  den  Burgunden  musz  von  frühester 
zeit  an  eigen  gewesen  sein,  sich  durch  solche  bürgen,  und  wären  es 
blosze  Wagenburgen t,  gegen  feinde  zu  wehren,  burgus  gehört  zu 
den  Wörtern  deutscher  spräche,  die  von  den  Römern  am  frühsten  ver- 
nommen und  selbst  in  die  ihre  eingelassen  wurden:  das  stolze  Teuto- 
burg  (noch  ahd.  diotpurc  populosa  civitas)  drang  an  ihr  ohr  und 
Asciburgium,  im  viertem  jh.  schreibt  schon  Vegetius  4,  10:  castellum 
parvulum,  quem  burgum  vocant,  inter  civitatem  et  fontem  convenit 
fabricari;   im  sechsten  Justinian  cod.  1.  27,   2:   ubi  arte  invasionem 

701  Vandalorum  et  Maurorum  resp.  romana  fines  habuerat,  et  ubi  custodes 
antiqui  servabant,  sicut  ex  clausuris  et  burgis  ostenditur.    Procop  de 

*  annaler  for  nordisk  oldk.  1846  s.  85  und  87. 
**  Burgundio  für  zusammengesetzt  aus  bur  und  gund  zu  nehmen,  scheint 
die  häufige  Wiederkehr  der  namen  Gundahari  Gundobaldus  Gundiacus  im 
burgundischen  geschlecht  und  selbst  altn.  Gudormr  und  Gudrun  (des  Giuki 
tochter)  ==  ahd.  Gundrün  fast  zu  rathen,  und  der  erste  theil  des  composi- 
tums  könnte  sich  auf  den  stamm  der  Buren,  von  welchen  nachher  zu  han- 
deln ist,  beziehen,  allein  alle  auf  gund  ausgehende  namen  sind  weiblich, 
führen  also  auf  keinen  stammhelden,  und  das  ags.  Burgenda,  altn  Bor- 
gundr  (Saem.  246^)  selbst  das  mhd.  Burgende  Nib.  526,  4  B.  Burgensere 
Mb.  426,  2  B.  sträuben  sich,  auch  heiszt  Günther  altn.  Gunnar,  ags.  Gud- 
here.    Burgundari  findet  sich  bei  Grafif  3,  208. 

***  der  form  BovQyov'Qlwvsc,  wegen  musz  man  auch  einen  misbräuch- 
lichen  Übergang  des  Baurgundja  in  BaurgunJDJa  vermuten. 

t  vgl.  Ammianus  31,  8.  15. 


BURGüNDEN  487 

aedif.  4,  6.  7  nennt  solcher  bürgen  mehrere:  MccQsßovoyos  Etih- 
ßovgyog  'AlmavtßovQyog  Jaxscoßovgyog  yiovxsQvaQtaßovgyog,  4,  4 
TovkaoßovQyo  Zocovlxoßovgyo,  in  deren  einigen  auch  das  erste  wort 
deutsch  sein  könnte:  Tulgabaurgs  Laggabaurgs  Skalkabaurgs,  wenn 
für  oi;  ein  a  zu  setzen;  4,  6  steht  slucIo. ßovgyavoßoQS  und  Bovqyovdl- 
Tov.  bekannt  ist  das  rheinische  Quadriburgum.  Einfältig  ist  nun 
zwar,  wenn  Orosius  7,  32  meint  (was  ihm  Isidor  9,  9  nachspricht): 
hos  Burgundiones  quondam  subacta  interiore  Germania  a  Druso  et 
Tiberio  per  castra  dispositos  ajunt  in  magnam  coaluisse  gentem,  atque 
etiam  nomen  ex  opere  praesumpsisse,  quia  crebra  per  limitem  habita- 
cula  constituta,  burgos  vulgo  vocant;  aber  die  herkunft  des  namens 
aus  burgus  bleibt  richtig,  Drusus  und  Tiberius  reichten  zu  keinen 
Burgunden,  und  hätten  die  unter  ihrer  band  stehenden  Germanen 
sich  der  anordnung  fügen  müssen,  so  würden  andere  stamme  jenen 
namen  tragen,  Liudprand  antapod,  3,  44  läszt  den  Albericus,  einen 
Burgundenfeind,  das  märchen  verworren  so  erzählen:  Burgundiones 
ideo  dictos,  quoniam  dum  Romani  orbe  devicto  ex  gente  hac  captivos 
ducerent  multos,  constituerunt  eis,  ut  extra  urbem  domos  sibi 
sustollerent,  e  quibus  et  paulo  post  a  Romanis  ob  superbiam  sunt 
expulsi;  et  quoniam  ipsi  domorum  congregationera,  quae  muro  non 
clauditur,  burgum  vocant,  Burgundiones  a  Romanis,  quod  est  a  burgo 
expulsi  appellati  sunt.  Burgunden  sind  bewohner  der  mauerlosen 
Vorstadt,  des  burgum,  it.  borgo*. 

Hundert  jähre,  seit  Ptolemaeus  schrieb,  finden  wir  die  Burgunden 
südöstlicher  in  feindlicher  berührung  zu  dem  gothischen  volk  der  Ge- 
piden,  die  ungefähr  in  der  gegend  der  Karpathen  angesessen  waren, 
von  Fastida,  dem  gepidischen  könig,  berichtet  lornandes  cap.  1 7 : 
Burgundiones  paene  usque  ad  internecionem  delevit.  das  musz  zu  des 
gothischen  königs  Ostrogotha  zeit,  um  das  j.  245  geschehen  sein. 
Cl.  Mamertinus  genethl.  c.  17:  Gothi  Burgundios  penitus  exscindunt.-702 
rursum  pro  victis  armantur  Alamanni,  itemque  Theruingi  pars  alia 
Gothonum.  adjuncta  manu  Thaifalorum  adversum  Vandalos  Gipedesque 
concurrunt.  Theruingi,  Taifali  (s.  448.  449)  und  Sueven  hielten  es 
also  mit  den  Burgunden ;  doch  hernach :  Burgundiones  Alamannorum 
agros  occupavere,  sed  sua  quoque  clade  quaesitos,  Alamanni  terras 
amisere,  sede  repetunt ;  es  mag  aber  zwischen  beiden  verglichen  wor- 
den sein,  das  vierte  jh.  zeigt  Burgunden  im  Südwesten  neben  Ala- 
mannen,  die  seit  dem  dritten  im  heutigen  Schwaben  wieder  festen 
fusz  gefaszt  hatten  (s.  498.  499).  die  altrömische  mauer,  den  pfal 
(mythol.  s.  975)  nennt  Ammianus  18,  2  als  beider  Völker  grenze  im 
j.  359  :  ad  regionem,  cui  capellatü  vel  palas  nomen  est,  ubi  termi- 
nales lapides  Alamannorum  et  Burgundiorum  confinia  destinguebant. 
capellatium  kann  in  dieser  heidnischen  zeit  noch  auf  keine  cappella, 
aedicula  sacra  gedeutet  werden,  und  mit  recht  vermutet  Stalin  1,  128 


*  die  deutung:  Burgundiones  =  sine  burgo,  als  läge  das  deutsche  ohne 
(mhd.  äne)  in  -ones!  ist  unzulässig. 


488  BÜRGUNDEN 

auch  in  ihm  eine  ahd„  wieder  palas  enthaltende  bildung,  capalatium 
gleichsam  capalazi.  Des  ortes  wird  man  aber  aus  einer  andern  stelle 
Ammians  28,  5  näher  gewahr,  wo  berichtet  ist,  wie  Valentinian  im 
j.  370  Burgunden  gegen  Alamannen  aufwiegelte :  seditque  consilia  alia 
post  alia  imperatori  probante,  Burgundios  in  eorum  excitari  perniciem, 
bellicosos  et  pubis  immensae  viribus  affluentes,  ideoque  metuendos 
finitimis  universis.  scribebatque  frequenter  ad  eorum  reges  per  taci- 
turnos  quosdam  et  fidos,  ut  iisdem  tempore  praestituto  supervenirent, 
poUicitus  ipse  quoque  transito  cum  romanis  agminibus  Rheno  occurrere 
pavidis,  pondus  armorum  vitantibus  insperatum.  Gratanter  ratione 
gemina  principis  acceptae  sunt  literae :  prima  quod  jam  inde  tempori- 
bus  priscis  subolem  se  esse  romanam  Burgundii  sciunt,  dein  quod 
salinarum  finiumque  causa  Alamannis  saepe  jurgabant.  soboles  romana 
zu  sein  konnten  die  Burgunden  nur  wähnen  nach  jener  von  Orosius 
erzählten  sage,  die  also  früher  verbreitet  sein  muste;  Ammian  lebte 
ungefähr  50  jähre  vor  Orosius.     die  sage  setzt  aber  nothwendig  ein 

703  günstiges  Verhältnis  der  Burgunden  zu  den  Römern  voraus,  das  min- 
destens schon  in  die  erste  hälfte  des  vierten  jh.  gefallen  war,  nicht 
zu  lange  seit  dem  streit  mit  den  Gepiden,  nach  welchem  die  flüeht- 
linge  vielleicht  bei  Römern  aufnähme  gefunden  hatten,  der  hader 
um  die  Salzquelle  gestattet  aber  den  ort  der  grenze  an  den  Kocher 
im  schwäbischen  Hall  wie  an  die  Saale  bei  Kissingen  zu  legen  (Zeusz 
s.  312). 

Gegen  ausgang  des  vierten  jh.  standen  also  die  Burgunden  in 
den  decumatischen  feldern  neben  Alamannen,  da  wo  ehmals  auch 
Helvetier  gehaust  hatten,  und  es  drängte  sie  immer  näher  an  und 
über  den  Rhein.  Eusebii  chron.  ad  a.  374:  Burgundionum  octoginta 
ferme  millia,  quod  nunquam  ante,  ad  Rhenum  descenderunt.  Hierony- 
mus  ad  Ageruchiam  de  monogamia  epist.  9  p.  748  ad  a.  409:  in- 
numerabiles  et  ferocissimae  nationes  universas  Gallias  occuparunt. 
quidquid  inter  alpes  et  pyrenaeum  est,  quod  oceano  et  Rheno  inclu- 
ditur,  Quadus,  Vandalus,  Sarmata,  Alani,  Gepides,  Eruli,  Saxones, 
Burgundiones,  Alemani  vastarunt.  Prosper  ad.  a.  414:  Burgundiones 
partem  Galliae  propinquantem  Rheno  obtinuerunt,  hier  trafen  sie  sich 
mit  Römern  unter  Jovinus,  später  unter  Aetius  und  mit  Attila.  In 
der  gegend  von  Worms  musz  ihr  reich  zu  anfang  des  fünften  jh.  eine 
Zeitlang  festen  sitz  behauptet  haben,  weil  ihn  das  epos  unverrückt 
dahin  verlegt.  Allmählich  aber  begannen  sie  (um  435.  436)  strom- 
aufwärts in  das  südöstliche  Gallien  zu  ziehen  und  ein  ansehnliches 
gebiet,  das  von  den  Vogesen  bis  über  die  Rhone  reichte,  in  besitz  zu 
nehmen,  wo  sie  sich  etwa  hundert  jähre  lang  mächtig  und  unabhängig 

704  behaupteten.  *    da  kennt  auch  Procopius  BovQyov^iavsg  (de  b.  goth.  I, 


*  in  dem  nachherigen  Schweizergebiet  stieszen  Burgunden  und  Alaman- 
nen aneinander,  was  zum  sprenge!  von  Besan9on  und  Lausanne  gehörte  gilt 
für  burgundisch,  was  zu  Mainz  und  Constanz  für  alamannisch.  der  gröszte 
theil  der  deutschredenden  Schweiz  ist  alamannisch,  die  französischredende 


BÜRGimDEN  489 

12.  13)  und  da  erliegen  sie  um  das  j.  530  der  fränkischen  über- 
gewalt;  die  Franken  theilten  das  land,  lieszen  jedoch  den  Burgun- 
den  ihre  gesetze  und  brauche. 

Die  lex  Burgundionum  wurde  von  könig  Grundobald,  etwa  513. 
514  gesammelt,  empfieng  aber  zusätze  unter  seinen  söhnen  Sigismund 
und  Godomar  517 — 534.  nach  Gundobald  nennt  sie  das  mittelalter 
lex  gundobada,  gumbada,  loi  gombette  und  allen  Burgunden  wird  der 
name  Gundebadingi  (Ducange  s.  v.)  Guntbadingi  (Pertz  3,  74)  gegeben. 
tit.  3  berührt  Gundobald  seine  vorfahren:  Gibicam,  Godomarem,  Gis- 
laharium,  Gundaharium,  patrem  quoque  nostrum  et  patrnos,  Gibica 
scheint  groszvater,  unter  den  drei  folgenden  einer  vater,  zwei  vaters- 
brüder,  denn  man  darf  doch  nicht  Gibica  zum  vater,  die  drei  andern 
2U  oheimen  erklären,  der  Wortfolge  nach  würde  Godomar  vater  sein, 
im  epos  aber,  das  freilich  von  keinem  Gundobald  weisz,  ist  Gunda- 
hari  der  älteste,  die  königsreihe  fortsetzende  söhn,  starb  Gundobald 
um  515,  so  könnte  Gundahari  gegen  480,  Gibica  gegen  450  fallen, 
wo  sie  bereits  aus  Worms  fortgezogen  scheinen,  im  lat.  Waltharius 
sitzen  vater  und  söhn,  Gibicho  und  Guntharius  beide  zu  Worms  als 
Frankenkönige;  in  den  Nib.  Gunthere,  Gernöt  und  Giselher,  drei  brü- 
der  zen  Burgonden,  ze  Wormze,  der  vater  heiszt  Dankrät  statt  Gibeche, 
welcher  name  doch  noch  andern  dichtei-n  bekannt  bleibt.  Vidsid  meldet 
wieder  von  Gifica  und  Gudhere:  Bürgend  um  veold  Gifica  319,  22  und 

ic  väs  mid  Burgendum,  {)8er  ic  beäg  gel^äh 

me  t)8er  Gudhere  forgeaf  glädlicne  mäddum.    322,  18. 

Auch  in  der  edda  steht  Giuki  oben  an,  seine  drei  söhne  heiszen705 
Gunnar  Högni  Guttormr,  doch  soll  der  letzte  ihr  Stiefbruder  sein 
(Saem.  117*),  wir  in  den  mhd.  liedern  Hagene  den  königssöhnen  ver- 
wandter, kein  bruder  ist.  da  Gunthere  und  Giselher  zur  alten  ge- 
nealogie  stimmen,  scheinen  auch  Görnöt  und  Guttormr  aus  Godomar 
verderbt;  gleichwol  liegt  in  Gör  gais,  das  sich  mit  glsil  berührt 
(mythol.  s.  344).  das  wichtigste  ist  uns,  dasz  die  Burgunden  des 
lieds  zugleich  Nibelunge,  die  Giuküngar  zugleich  Niflüngar  heiszen  und 
schon  im  namen  fränkische  an  burguudische  heldensage  knüpfen. 
Gunnar  aber  wird  in  der  edda  Ssem.  247''  einmal  Geirniflüngr  ge- 
nannt, was  wieder  zu  Görnöt  stimmt. 

War  aber  Gundobald  söhn  des  Gundahari  (oder  hier  gleichviel 
des  Godomar),  so  kann  sein  vater  nicht  Gundioch  geheiszen  haben, 
wie  mein  bruder  (heldens.  s.  13)  annimmt,   dieser  Gundioch  vielmehr 

burgundisch  und  nur  im  Bernerland  und  stücken  von  Freiburg,  Luzern  imd 
Argau  nimmt  man  burgundische  bewohner  an,  die  der,  deutschen  spräche  . 
treu  blieben.  Die  mittlere  und  obere  Ar  scheidet  beide  stamme,  Murten, 
Solothurn,  Bern  fallen  zu  Burgund;  der  Argau  bis  zur  Reusz  ist  alaman- 
nisch,  so  wie  ganz  Zürich,  S.  Gallen,  Appenzell,  Glarus,  Zug,  Schwiz,  Uri, 
Unterwaiden  tmd  das  meiste  von  Luzern:  rechts  der  Roth  (Rotaha)  war 
alamannisch,  links  burgundisch  (Kopp  2,  506.  507).  Zwischen  Burgund  und 
Rhätien  soll  nach  einer  urk.  von  1155  schon  könig  Dagobert  im  7.  jn.  grenze 
gesetzt  haben  (Böhmer  n"  2354.  rechtsalt.  s.  542.  951.  mythol.  671).  Die  ala- 
mannische  Schweiz  ist  reich  an  weisthümern(öfnungen),  dieburgundische  arm. 


490  BURÖUNDEN 

gehört  einem  andern  etwas  früheren  burgundischen  geschlecht,  von 
welchem  Gregor,  tur.  2,  28  meldet:  Gundeuchus  (ex  genere  Athana- 
t'ici  regis  Visigothorum)  zeugte  vier  söhne  Gundobaldus,  Godegisil, 
Chilpericus,  Godomarus,  von  Chilpericus  rührten  zwei  töchter  her 
Mucuruna  und  Chrothildis,  welche  letztere  470  geboren  und  gemahlin 
des  Frankenkönigs  Chlodoveus  war.  Gundebald  Gundiochs  söhn  musz 
hiernach  um  450  —  470  gelebt  haben*,  nicht  der  516  gestorbne 
Gundebald  Gundihars  söhn  sein,  zwei  burgundische  brüder  Gundia- 
cus  und  Hilpericus  nennt  lornandes  cap.  48  im  j.  456;  sie  scheinen 
Gregors  Gundeuch  und  Chilpericus,  die  vater  und  söhn  sind,  in  diesem 
geschlechte  Gundiochs  weisz  ich  keinen  Gundahari,  allein  man  wird 
auch  auszer  dem  von  Gibica  stammenden  einen  älteren  annehmen 
müssen.  Olympiodor  macht  einen  Guntiarius  Burgundiorum  praefectus 
namhaft,  unter  Honorius  und  Jovinus,  also  im  j.  412  (Mascov  1,  374) 
und  nach  Prosper  ad  a.  435  fällt  Gundicar  in  Gallien  ein,  von  Attila 
sagt  Paulus  Diaconus  de  gestis  episcop.  metensium:  postquam  Gun- 
706dicarium  Burgundionum  regem  sibi  occurrentem  protriverat  (Mascov 
1,  432)  [Pertz  2,  262];  mag  diese  niederlage  ins  j.  436  oder  erst  450 
fallen,  Gundobalds  vater  kann  dieser  Gundicarius  nicht  gewesen  sein, 
oder  wir  fassen  die  genealogie  in  der  lex  Burg,  überhaupt  unrichtig  auf. 
Die  burgundische  spräche  wird  uns  kaum  erschlossen.  Ammian 
28,  5  theilt  zwei  wichtige  Wörter  mit:  apud  hos  generali  nomine  rex 
appellatur  hendinos  ....  nam  sacerdos  apud  Burgundios  omnium 
maximus  appellatur  sinistus  et  est  perpetuus,  obnoxius  discriminibus 
nullis  ut  reges,  hendinos  scheint  völlig  das  goth.  kindins  riys^cav, 
zumal  auch  Olympiodor  den  Burgunden  keinen  könig,  bloszen  führer 
oder  gebieter  beilegt.  H  mag  hier  für  GH  =  goth.  K  vernommen 
worden  sein,  ein  Vorläufer  der  ahd.  Verschiebung,  wie  auch  ein  Ala- 
mannenkönig  Hortarius  für  Chortarius  steht,  von  chortar  grex,  ags. 
corder.  kindins  scheint  dem  ahd.  chint  puer,  filius  verwandt  und 
auch  im  westgoth.  Chindasvinthus  Cinthila  (concil.  tolet.  13  a.  683) 
vorhanden,  nicht  anders  stimmt  sinistus  zum  goth.  sinista  Ttgeößv- 
tSQog  priester,  dessen  positiv  sich  mit  dem  ahd.  sin  (Graif  6,  25)  be- 
rührt, also  jenem  perpetuus  entspräche.  Gothisch  ist  nun  ferner  der 
schwache  ausgang  burgundischer  namen,  deren  das  grafenverzeichnis 
vor  der  lex  vier  darbietet:  Goma  =  guma,  homo;  Sonia  ==  sunja 
verax;  Wulfila;  Fastila.  dagegen  läszt  sich  wittemon  aus  der  lex. 
tit.  66.  68.  86  nicht  einwenden,  welches  keine  schwache  flexion  eines 
nom.  wittemo  (wie  er  freilich  dem  ahd.  widemo,  ags.  veotuma  gliche, 
sondern  nach  tit.  68  selbst  nominativ  scheint  und  vielleicht  für  witte- 
mond  steht?  morgengeba  42,  2  begegnet  allen  deutschen  dialecten. 
vegius  16,  3  und  addit.  8  scheint  in  der  rubrik  des  additaments  via- 
tor  übersetzt,  musz  also  von  veg  via  rühren  und  etwa  ein  goth.  vigja 
sein,  qui  viam  parat,  index  viae,  der  die  spur  des  gestolnen  viehs  weist, 
wittiscalci  heiszen   76,  1  pueri  regis,   qui  judicia  exsequuntur,  mulc- 


er  wurde  von  Olybrius  (f  472)  zum  patricius  ernannt. 


BÜRGUNDEN  49 1 

tarn  per  pagos  exigunt  (49,  4);  die  alid.  form  würde  lauten  wiziscalh, 
von  wizi  poena,  Judicium  (Graff  1,  1117).  faramanni  54,  2.  3  musz 
einen  besondern  stand  von  leuten  anzeigen,  die  zu  einer  fara  gehör- 
ten, vgl.  Roth  177  cum  fara  sua  migrare.  mir  fäUt  dabei  der  eigen-  707 
name  Burgundofaro  ein,  der  z.  b.  in  der  fundatio  monast.  corbejen- 
sis  von  669  steht,  navis  caupulus  add.  7,  1  mahnt  zwar  an  das 
s.  666  besprochne  anglische  cöple,  ist  aber  gleich  diesem  auf  das 
mlat.  wort  (Ducange  s.  v.)  und  bereits  auf  das  lat.  caupulus  bei 
Gellius  10,  25  zurückzuführen. 

Unter  den  grafennamen,  deren  lesart  mir  Blume  nach  zehn  hss. 
gegeben  hat,  findet  sich  Agantheus  Agatheus,  ich  glaube  das  altn. 
Angantyr  f.  Anganpyr,  von  ängan  molestia,  necessitas;  die  Agathio 
scheint  mir  jetzt  auch  Walthar.  629  herzustellen,  ogleich  die  ahd. 
form  Agadeo  fordert,  auch  Aunemundus  zeigt  gothischen  diphthong, 
ich  habe  über  aun  bei  Haupt  3,  144  geredet,  merkwürdig  Sigisvul- 
dus  Sigisuuldus,  victoriae  gloria,  vom  goth.  vulpus  vgl.  ahd.  woldar 
(Godevolda  Winevolda  bei  Irmino  230.  234  stehn  für  -bolda,  -balda). 
Conegisil  wäre  goth.  Kunjagisils,  ags.  Cynegisel  =  Cynegils. 

Einer  müste  aus  den  ältesten  burgundischen  Urkunden  des  7.  8. 
9.  Jh.,  wo  noch  das  volk  weniger  mit  Pranken  und  Alaraannen  ver- 
mengt war,  alle  von  den  fränkischen  und  alamannischen  abweichen- 
den eigennamen  sammeln.  Goldast  hat  das  schon  einmal  ungenügend 
versucht,  in  seinem  Verzeichnis  fiel  mir  der  mannsname  Chustaffus 
auf,  der  an  den  eigenthümlich  schwedischen  Gustaf  gemahnt,  ich  trefle 
ihn  in  Schweden  seit  dem  14.  jh.,  doch  mag  er  sich  erst  durch  die 
könige  Gustaf  Wasa  und  Gustaf  Adolf  weiter  verbreitet  haben;  die 
altn.  denkmäler  Islands,  Norwegens  und  Dänemarks  kennen  ihn  nicht, 
seine  erste  spur  ist  im  Vestgötalag  s.  297,  wo  unter  den  alten  lag- 
männern  der  achtzehnte  Göstawär  heiszt ;  liegt  in  Gustaf  staf,  wie  in 
Sigestap  stap,  so  dürfte  der  erste  theil  aus  kürzung  des  altn.  gunn 
oder  gud  pugna  hervorgehn*,  baculus  belli  und  baculus  victoriae 
eignen  sich  gleich  gut  zur  benennung  von  beiden,  ahd.  Kundastap? 
Seltsam  klingen  die  bürg,  frauennamen  Solsepia  und  Wuona  bei 
Goldast,  aber  auch  Mucuruna  bei  Gregor  2,  28  und  Caretene,  wieyos 
ein  epitaph  Gundobalds  gemahlin  nennt  (du  Chesne  1,  514).  Chilpe- 
richs  tochter  hiesz  Sedeleuba,  eine  tochter  Sigismunds  Suavigotha  nach 
ihrer  mutter  Ostrogotha,  des  ostgothischen  Theoderichs  tochter.  Mucu- 
runa halte  ich  zum  ags.  mucg  muga,  altn.  mugr  mugi  acervus  frumenti, 
dann  acervus  insgemein,  woher  almugi  der  grosze  häufe,  schwed.  almoge, 
dän.  almue;  das  fries.  muka  (s.  681)  mag  gleichfalls  acervus,  manipu- 
lus  culmorum  sein,  da  nun  ags.  mucgvyrt  artemisia  bedeutet,  scheint 
in  Mucuruna  (wie  in  Gönofeifa  s.  540)  der  name  eines  krauts  zu  liegen. 

Alle  diese  betrachtungen  zeigen  nähere  Verwandtschaft  der  bur- 
gundischen Sprache  zur  gothischen,    als  zur  ahd.,  wie  dies  auch  der 


*  vgl.  prov.  gofaino  ffonfano  f.  gundfano  (Rayn.  p.  483),  ja  vielleicht 
sind  die  s.  526  anders  geaeuteten  Gugerni  =  Gundgerni  bellicosi. 


492  BURGüNDEN 

östlicheren  läge  der  alten  Burgunden  und  ihrer  fortdauernden  nahen 
Verbindung  mit  den  Gothen  angemessen  scheint,  hinter  der  Ehone 
stiesz  burgundisches  an  westgothisches  reich,  im  Waltharius  80  haben 
Herricus  (Hariricus)  von  Burgund  und  Alphere  (Albhari)  von  Aqui- 
tanien  ihre  kinder  verlobt,  und  ein  additamentum  zum  gesetz  ver- 
ordnet: quicunque  ingenuus  de  Gothia  captivus  a  Francis  in  regionem 
nostram  venerit  et  ibidem  habitare  voluerit,  ei  licentia  non  negetur. 


XXVI. 
DIE  ÜBRIGEN  OSTSTÄMME. 


Im  Osten  Deutschlands  waren  wir  durcli  Langobarden  über  die  709 
Elbe,  durch  Burgunden  über  die  Oder  geführt,  es  gab  aber  zwischen 
Oder  und  Weichsel,  bevor  an  die  grenze  der  weiterstreckten  Gothen 
gereicht  wird,  noch  eine  nicht  geringe  zahl  gröszerer  wie  kleinerer 
deutscher  stamme,  auf  welche  unsere  von  den  Gothen  ausgegangne, 
vom  Südost  nach  westen,  von  da  nach  norden  gelangte  betrachtung 
im  nord-  und  Südosten  nothwendig  zurückkehren  musz,  diese  Völker 
waren  den  Römern  von  allen  Germanen  die  unbekanntesten,  daher 
auch  ihre  nachrichten  darüber  so  wie  unsere  künde  dürftig  ausfallen, 
was  um  so  mehr  zix  beklagen  ist,  weil  wir  von  dieser  seite  voller 
einsieht  in  die  gothischen  Verhältnisse,  welche  als  grundlage  aller 
deutschen  geschichte  zu  betrachten  sind,  entbehren,  doch  auch  hier 
werden  unerwartete  Streiflichter  auf  die  Gothen  fallen. 

Ich  lasse  gleich  die  gröszte  sich  darbietende  masse  vortreten: 
es  sind  die  Lygier  [Haupt  9,  253].  Strabo  s.  290  von  Marobod 
redend,  der  als  Jüngling  zu  Rom  gewesen  und  wieder  heimgekehrt 
sei,  gedenkt  ihrer  zuerst:  InavElrfcov  8s  aövvdötEvöE  aal  xatsxrr]6aro 
ngog  olg  slnov  ylovLovg  re,  (isya  s%'vog^  xal  Zov^ovg  xal  Bovtavag 
xal  MovyiXcovag  xal  IJißLVOvg  zal  tc5v  ZJotjßav  avtäv  ^sya  sQ'vog, 
Ue^vcovag.  jioviovg  in  Aovyiovg  zu  ändern  ist  kein  bedürfnis.  die 
begebenheit  fällt  unter  August,  noch  vor  den  anfang  unsrer  zeit-  710 
rechnung.  Fünfzig  jähre  später,  als  des  quadischen  Suevenkönigs 
Vannius  reich  (s.  505)  zu  ende  neigte,  waren  auch  Lygier  heran- 
gezogen, also  südwärts  gegen  die  Donau:  nam  vis  innumera,  Lygii 
aliaeque  gentes  adventabant  fama  ditis  regni.  Tac.  ann.  12,  29;  quia 
Lygius  Hermundurusque  illic  ingruerant.  ^12,  30.  bei  Dio  Cassius 
67,  5  (um  das  jähr  85)  erscheinen  Avyioi  noch  südlicher,  auf  der 
rechten  seite  der  Donau  in  Moesien,  wo  sie  sich  mit  Sueven  entzweit 
und  bei  Domitian  um  hülfe  hatten  bitten  lassen;  er  sandte  ihnen  nur 
hundert  reiter,  was  die  Sueven  dennoch  so  aufbrachte,  dasz  sie  ihrer- 
seits um  der  Jazygen   beistand  warben.     In  der  Germania  schildert 


494  LYGIER 

Tacitus  nocli  der  Lygier  östliche  heimat:  dirimit  scinditque  Sueviam 
continuum  montium  jugum,  ultra  quod  plurimae  gentes  agunt,  ex 
quibus  latissime  patet  Lygiorum  nomen  in  plures  civitates  diffusum, 
valentissimas  nominasse  sufficiat,  Harios,  Helveconas,  Manimos,  Heli- 
sios,  Nahanarvalos.  für  Lygiorum  geben  einige  hss.  Legiorum,  Li- 
giorum  (Tagmann  p.  42),  wogegen  aber  das  ansehn  der  älteren  hss. 
der  annalen  entscheidet.  Ptolemaeus  nennt  sie  Aovytoi  (denn  die 
lesart  AovtOi  ist  sicher  zu  verwerfen,  vgl.  vorhin  s.  699),  unter- 
scheidet aber  nur  drei  civitates:  vno  tovg  Bovyovvtag  AovyioL  ot 
'OfiavoL  vg)'  ovg  Aovyioi  ot  zJovvoi.  vtco  'A6%ißovQyicy  oqbi  Koq- 
novtOL  xal  Aovyiov  oi  Bovgoi,  wonach  man  ihnen  ungefähr  das 
heutige  Schlesien  und  nördliche  Böhmen  anzuweisen  hätte.  Die  letzte 
meidung  über  sie  hat  Zosimus  1,  67  aus  der  zeit  des  Probus  auf- 
behalten, dieser  kaiser  habe  (ungefähr  um  277)  gegen  die  Logionen 
(AioyicJVEg),  ein  germanisches  volk,  gestritten  und  ihren  anführ  er  Semno 
nebst  seinem  söhn  gefangen  genommen,  hernach  aber  wieder  herausge- 
geben. Us^ti'cov  gemahnt  nothwendig  an  die  bei  Strabo  neben  den  Ly- 
giern  genannten  Semnonen  (s.  493).  auf  der  tab.  peuting.  bessert  man 
Lupiones  in  Lugiones,  in  der  späteren  zeit  sind  sie  ganz  verschollen. 

Keinem  zweifei  unterliegt,  dasz  ein  so  bedeutendes,  neben  lauter 
Germanen  auftretendes  und  in  deutsche  händel  verflochtnes  volk 
lll(fi8ya  Bd'vog)  rein  deutsch  war,  und  Schafarik  ist  unberechtigt,  aus 
der  ähnlichkeit  des  sl.  Wortes  lug  poln.  ieg,  das  auch  unsere  spräche 
im  (goth.  lauhs?)  ahd.  loh,  ags.  leäh,  mhd.  16,  die  lat.  in  lucus  be- 
sitzt, zu  folgern,  der  volksname  sei  sl.  Ursprungs  und  erst  durch  ein- 
nähme des  altslavischen  sumpf  oder  wiesenlandes  auf  deutsche  Völker 
übergegangen,  wahrscheinlich  hat  Lygius  mit  diesem  wort  und  be- 
grif  nicht  das  geringste  gemein,  man  dürfte  allenfalls  an  die  ahd. 
mannsnamen  Maganlöh  Raginloh  Wolfolöh  (Graff  2,  127)  denken, 
doch  nie  erscheint  das  einfache  Loh  als  mannsname.  die  älteste  ge- 
stalt  des  namens  yfoviog  bei  Strabo  lehrt  mich  den  westgothischen 
königsnamen  Liva  (bei  Isidor  geschr.  Liuua)  und  Livigild  (Leuuigil- 
dus)  zu  erwägen  (vgl.  ahd.  Liuwiho,  Graff  2,  207),  deren  bedeutung 
[löwe]  freilich  noch  musz  dahin  gestellt  bleiben,  aus  IV  entfaltet  sich 
lü  und  aus  VJ  und  den  diphthongen  ÜG,  G,  vgl.  goth.  valvidai  und 
valugidai  Eph.  4,  14,  bauan  bagms  u.  s.  w.  wäre  die  diphthongische 
form  falsch  und  Lugius,  Lygius  festzuhalten,  so  könnte  auch  die 
Wurzel  liugan  laug  lugum,  deren  bedeutung  ursprünglich  celare 
scheint,  in  betracht  kommen,  ohne  dasz  ich  es  wage  den  sinn  des 
namens  zu  rathen,  vgl.  auch  liugan  nubere. 

Dions  wichtige  stelle  bezeugt  uns,  dasz  schon  in  der  zweiten 
hälfte  des  ersten  jh.  Lygier  und  Sueven  in  Moesien  auftreten,  wel- 
ches damals  noch  entschieden  von  Daken  d.  i.  Geten  bewohnt  war. 
es  mochten  nur  auszüglinge  sein,  die  sich  vom  hauptvolk  gesondert 
hatten,  etwa  wie  des  Pytheas  Guttonen  vorgeschoben  waren  oder  die 
batavischen  Chatten.  Erblicken  wir  aber  zwischen  Oder  und  Weichsel 
um  diese  zeit  Lygier  neben  Burgunden,  Sueven  und  Gothen,  die  hier 


SILINGE.    MUGILONEN.   BUREN  495 

jeder  zugibt;  zugleich  südlich  an  der  Donau  Lygier  und  Sueven  bei 
Daken,  warum  sollen  diese  Daken  nicht  auch  gothisch  können  ge- 
wesen sein?  Lygier  reichen  also  gleich  den  Bastarnen  früh  in  den 
Südost  zurück.  Dio  sagt  auch  51,  22  dasz  Daken,  die  Moesier  heiszen, 
neben  Triballern  zu  beiden  selten  der  Donau  hausen,  indem  er  eines 
von  Caesar  28  jähre  vor  Chr.  veranstalteten  triumphs  gedenkt,  wo 
die  Römer  von  Daken  und  Sueven  ein  kampfspiel  aufführen  lieszen 
(oben  s.  184).  hier  werden  jene  skythisch,  diese  keltisch  genannt;  712 
nicht  uneben  nach  dem  alten  Sprachgebrauch,  jenachdem  Germanen 
im  Osten  oder  westen  begegneten. 

Aber  die  einzelnen  lygischen  Völker  kosten  kopfbrechen.  Zov- 
^loi  klingt  fast  undeutsch,  da  Ulfilas  in  goth.  Wörtern  gar  kein  an- 
lautendes Z  hat  und  ahd.  lautverschiebung  damals  noch  nicht  ein- 
trat; in  der  entstellten  form  könnte  etwas  stecken  von  den  Manimi 
des  Tacitus,  den  'O^avot  oder  gar  ztovvoi  des  Ptolemaeus,  für  welche 
auch  wenig  rath  zu  schaffen  ist.  viel  lieber  halte  ich  an  der  unver- 
dächtigen lesart  fest  und  bedenke  das  ermittelte  Verhältnis  des  go- 
tischen Z  zu  goth.  H  und  litth.  SZ  (s.  188).  ist  Za^^o^ig  von  t,aX- 
Ung  cutis,  tegmen  ein  Halmaha  von  halm  culmus  (wurzel  hilan, 
celare  tegere);  so  wäre  für  Zovfiog  nach  goth.  Haums,  ags.  Heäm 
zu  suchen,  die  sich  freilich  nicht  darbieten  (ein  ags.  adj.  heämol  homo 
frugi  ist  nicht  sicher  genug),  aber  die  trad.  corb.  414  liefern  den 
alts,  manns-  und  zugleich  Ortsnamen  Höma  [ahd.  Huomo  Förstern. 
1,  702];  das  litth.  szamas,  lett.  soms,  poln.  sum  bedeutet  den  fisch 
weis,  silurus.  Zu  jenem  z/owot  liegt  es  nahe  den  bei  Ptol.  in  dieser 
gegend  angegebnen  Ortsnamen  yiovyidovvov  zu  vergleichen  und  beide 
aus  dem  ags.  dün  mons  zu  deuten,  das  ahd.  Askitün  wäre  was  sonst 
Asciberg,  nhd.  Escheberg;  doch  volksnamen  aus  örtlichem  Verhältnis 
zu  erklären  scheint  immer  bedenklich.  Strabons  Bovxcovig  nehme 
ich  für  BovyovvxcavBg  (s.  699),  seine  UißLvoi  sind  eher  als  EiQßivoL 
(s.  171)  EiXivol,  nemlich  die  von  Ptol.  zwischen  Semnonen  und  Bou- 
gunten  gestellten  ^Lhyyai,  welche  bei  Idatius  und  Isidor  noch  im 
5.  jh.  in  Lusitanien  und  Baetica  als  Vandali  Silingi  auftreten,  wie 
ja  Plinius  Burgundionen  und  Guttonen  dem  vandalischen  geschlecht 
überweist.  Sil  fällt  einer  guten  deutschen  wurzel,  wahrscheinlich  seilan 
sail  silum  ligare  zu,  die  trad.  corb.  241  bieten  den  namen  Silhard; 
nähere  deutung  ist  nicht  möglich;  man  könnte  aber  Zusammenhang  mit 
dem  pagus  Silensis  bei  Thietmar  (Pertz  5,  855)  und  dem  namen  Silesia 
Schlesien  finden,  den  die  nachher  eingerückten  Slaven  in  der  gegend 
vorfanden.  Die  MovyiXavsg  dürfen  an  das  ahd.  müchilari  sicarius, 
müchilsuert  sica,  mücheo  müchari  latro,  grassator  mahnen,  wenn  man  713 
erwägt,  dasz  in  Cimber  und  Ambro  (s.  636.  638)  dieselbe,  jener  rauhen 
zeit  angemessene  bedeutung  waltet,  das  sl.  mogila  grabhügel  (s.  171) 
gebe  ich  wieder  auf,  wie  bei  den  Chauken  den  houc  tumulus  (s.  676). 

Auf  solche  weise  wären  die  von  Strabo  angeführten  lygischen 
Völker  besprochen,  des  Ptolemaeus  Bovqol  sind  unverkennbar  von 
Tacitus  zu  eingang   des   cap.  43   als  hinter   den  Markomannen   und 


496  BÜREN.   MÜGILONEN 

Quaden  wohnhaft  angegeben;  die  ganze  stelle  musz  aber  ins  äuge 
gefaszt  werden:  retro  Marsigni,  Gothini,  Osi,  Buri  terga,  Marcoma- 
norum  Quadorumque  claudunt.  e  quibus  Marsigni  et  Buri  sermone 
cultuque  Suevos  referunt.  Gothinos  gallica,  Osos  pannonica  lingua 
coarguit  non  esse  Germanos,  et  quod  tributa  patiuntur.  partem  tri- 
butoi'um  Sarmatae,  partem  Quadi  ut  alienigenis  imponunt.  Gothini, 
quo  magis  pudeat,  et  ferrum  effodiunt.  omnesque  hi  populi  pauca 
campestrium,  ceterum  saltus  et  vertices  montium  jugumque  insederunt. 
Dieser  bericht  scheidet  umsichtig  drei  sprachen ;  auf  die  gallische 
werde  ich  nachher  zurückkommen;  unter  pannonischer  musz  illyrische 
verstanden  werden,  die  sich  nach  Dio  Cass.  49,  36*  nordwärts  gegen 
Moesien  und  Noricum  erstreckte;  Osi,  ungeachtet  Tacitus  cap.  28 
unsicher  redet,  gehn  uns  also  nichts  an.  Die  suevischen  oder  lygi- 
schen  Buri  erscheinen  schon  in  der  nähe  der  Karpaten,  ungeföhr  wo 
die  Weichsel  entspringt,  reichen  also  südlich  gegen  Dacien.  ihr  name 
flieszt  aus  der  wurzel  bairan  bar  baurum  und  gleicht  dem  mythischen 
Buri  und  Börr  der  edda  (mythol.  s.  323.  526).  den  Marsingen  darf 
Verwandtschaft  mit  den  westlichen  Marsen  (s.  619)  zugesprochen  wer- 
den, wenigstens  führt  ihr  name  auf  einen  ahnen  zurück,  dem  auch 
jene  entstammen  konnten.  Beide,  Buren  und  Marsinge  zählt  Tacitus 
mehr  zu  den  Sueven  als  Lygiern,  während  Ptolemaeus  die  Buren 
714lygisch  nennt,  über  diese  stehn  aber  noch  andere  bedeutsame  mei- 
dungen zu  gebot,  bei  Dio  Cassius  nemlich  65,  8.  71,  18.  72,  3 
heiszen  sie  Bovqqol,  und  werden  im  krieg  der  Römer  gegen  die 
Daken,  Quaden  und  Markomannen  bald  als  bundsgenossen,  bald  als 
feinde  aufgeführt;  offenbar  waren  sie  allen  diesen,  zunächst  den  Daken 
benachbart,  woneben  zugleich  71,  12  gothische  Astinge  (s.  448)  schon 
zu  Mark  Antonius  tagen  auftauchen,  auch  Capitolinus  im  M.  Anton, 
c.  12  nennt  Quadi,  Suevi,  Sarmatae,  Latringes  et  Buri  in  einem  athem, 
und  zum  letztenmal  gibt  ihren  namen  die  tab.  peuting.  zwischen  Sar- 
maten  und  Quaden  über  der  Donau,  unvollständig  Büß,  offenbar  Buri. 
worauf  jedoch  besonders  gewicht  liegen  musz,  ist,  dasz  Ptolemaeus 
bei  aufzählung  der  dakischen  stamme  selbst  Buridaensii  oder  Buri- 
diensii  und  ihre  stadt  Burridava  Buridava  nennt;  nach  allem  was  ich 
s.  190.  191  erörtert  habe  sind  in  dieser  Zusammensetzung  die  beiden 
Völkernamen  Buri  Burri  und  Dai  Daci  verbunden  und  durch  Buridava 
wird  die  s.  202  gegebne  deutung  der  andern  Ortsnamen  auf  -dava  will- 
kommen bestätigt.  Es  ist  vollkommen  natürlich,  dasz  zwei  deutsche 
stamme  sich  verschmelzen,  wäre  aber  seltsam,  wenn  sie  von  geschlecht 
einander  fremd  es  gethan  hätten.  Buren  also  wie  Lygier  streiten  für 
das  deutsche  dement  in  den  ihnen  benachbarten  Daken  oder  Geten. 
Unter  den  Völkerschaften,  welche  Tacitus  für  eigentlich  lygische 
hält,  wurden  vorhin  schon  die  Manimi  den  Omanen  des  Ptol.  und 
Zoumen  des  Strabo  verglichen;  das  ist  gewagt,  weil  für  keinen  dieser 


*  Dio  war  unter  Alex.  Severus  selbst  Statthalter  in  Dalmatien  und  dem 
obern  Pannonien  gewesen. 


HARIER.    NAVARNAHALEN.    VICTOHALEN  497 

namen  Sicherheit  besteht,  wie  sollte  man  aus  einem  die  andern  her- 
stellen? Die  furchtbar,  wie  ein  wildes  heer  (feralis  exercitus)  geschil- 
derten Harii  erscheinen  unmittelbar  als  goth.  harjös  legionen  (myth. 
s.  902)  vgl.  Hariwa  oben  s.  228  [Haupt  9,  247].  Helvecones  sind 
des  Ptolemaeus  AlXovcciavEg ,  was  leicht  in  AiXovaicovsq  zu  ändern 
stände ;  sie  folgen  ihm  auf  Burgunden  und  gehn  den  Semnonen  vor- 
aus, ihr  name  klingt  an  keltische  Völker,  wovon  hernach  noch,  zu 
Helysii  oder  Elysii  hat  bereits  Zeusz  s.  124  passend  andere  namen 
des  deutschen  alterthums  gestellt.  Vor  allen  aber  wünscht  man  auf- 715 
geklärt  zu  sein  über  den  namen  Nahanarvali,  von  deren  heiligem 
hain  Tacitus  die  anziehende  künde  gibt,  eine  reingrammatische  auf- 
lösung  des  altn.  wertes  norn  in  goth.  navairns,  die  ich  neulich  ver- 
suchte, hat  glücklich  das  räthsel  deuten  helfen.  MüUenhoff  schlieszt 
scharfsinnig,  dasz  Nahanarvali  für  Navarnahali  stehe;  es  braucht  kein 
Schreibfehler  zu  sein,  das  römische  organ  konnte  die  stelle  des  ihm 
lästigen  H  selbst  verrrücken,  s.  333  sind  beispiele  anderer  consonant- 
versetzungen  vorgebracht,  vgl.  s.  720  Vividarii  f.  Vidivarii  und  Za- 
molxis  f.  Zalmoxis,  des  wechseis  zwischen  H  und  V  wurde  s.  306  er- 
wähnt. Navarnahali  wären  goth.  Navarnehaleis ,  altn.  Nornahalir, 
viri  qui  dearum  fatalium  tutela  gaudent;  das  altn.  halr,  ags.  häle  vir, 
heros  gestattet  auch  ein  goth.  hals  pl.  haieis  anzunehmen  [anders 
Haupt  6,  460.  9,  255].  will  man  damit  nun  den  dienst  der  beiden 
Jünglinge  (vgl.  s.  118)  in  einklang  bringen,  so  könnten  diese  lygi- 
schen  Völker  männliche  nornen  statt  weiblicher  verehrt  haben,  wie 
ja  für  Nerthus,  unhold  (myth.  s.  942)  und  wicht  (myth.  s.  409)  die 
geschlechter  schwanken.  Der  letztgenannte  ausdruck  soll  uns  aber 
gleich,  wie  mich  dünkt,  entscheidende  bestätigung  der  Navarnahalen 
bringen,  auszer  Tacitus  nennt  sie  nemlich  niemand,  spätere  Schrift- 
steller jedoch  verschiedentlich  Victohalen  oder  Victovalen,  ganz  mit 
demselben  Wechsel  der  Spiranten  H  undV;  Capitolin  im  Marcus  cap.  14: 
Victovalis  et  Marcomannis  cuncta  vastantibus;  cap.  22:  Marcomanni, 
Narisci,  Hermunduri,  hi  aliique  cum  Victovalis  Sosibes,  Sicobotes, 
Rhoxolani,  Bastarnae,  Alani,  Peucini,  Costoboci;  Eutropius  8,  2:  Da- 
ciam  nunc  Thaiphali  habent,  Victohali  et  Tervingi.  Ammianus  17,  12, 
die  händel  der  Römer  mit  Quaden  und  Sarmaten  im  j.  358  berichtend, 
erzählt  von  den  letzten:  qui  confundente  metu  consilia  ad  Victohalos 
discretos  longius  confugerunt,  wie  die  besten  handschriften  geben, 
einige  lesen  Victobales,  wie  bei  Eutrop  Victoali  und  VictophaK.  un- 
bedenklich ist  aber  in  diesem  namen  dem  PH  zu  entsagen  und  allem 
Zusammenhang  mit  dem  cheruskischen  Falen  (s,  631),  Victohali  sind 
goth.  Vaihtehaleis,  altn.  Vsettahalir,  von  vict,  ahd.  wiht,  goth.  vaihts, 
altn.  vsettr,  einem  meist  weiblich,  zuweilen  männlich  gedachten  geisti-  716 
gen  wesen  unseres  alterthums,  das  auch  die  nornen  begreifen  kann. 
Ssem.  145*  ist  vsettr  ausdrücklich  von  einer  schutzverleihenden  valkyrja 
gebraucht,  vaihts  kann  also  navairns  vertreten,  bei  solcher  gleich- 
heit  der  namen  sind  Vaihtehaleis  was  Navarnehaleis,  nicht  blosz  ein 
verwandtes,  sondern  ganz  dasselbe  volk,  das  wie  alle  lygischen  stamme 

Grimm,  geBcMchte  der  dentachen  spräche.  32         • 


498  VICTOHALEN.   REÜDINGE.    SÜARDONEN 

nach  Südosten  streift.  Wie  Cherusken  und  Sachsen,  Charuden  und 
Holsaten,  Kimbern  und  Sturmaren,  Heruler  und  Suardonen,  sind  Na- 
varnahalen  und  Victohalen  ein  und  dierselbe,  nach  Verschiedenheit  der 
zeit  mit  verschiednem ,  aber  identischem  namen  belegte  volkstamm. 
Dasz  sie  zugleich  neben  Bastarnen  Alanen  Markomannen  und  Hermun- 
duren dakischen  grund  und  boden  betreten,  musz  unbefangnem  blick 
wieder  das  nahe  Verhältnis  zwischen  Gothen,  Lygiern  und  Daken  er- 
schlieszen. 

Nordwestlich  von  diesen  Lygiern,  im  räum  zwischen  Elbe  und 
Oder,  hinter  den  Langobarden  gegen  die  ostsee  liegen  die  von  Taci- 
tus  cap.  40  aufgeführten  Eeudigni,  Aviones,  Anglii,  Varini,  Eudoses, 
Suardones  und  Vithones,  von  welchen  einzelne,  weil  sie  sich  west- 
wärts wandten,  schon  in  vorausgehenden  capiteln  behandelt  worden 
sind.  Suardones  s.  473.  613;  Anglii  et  Varini  s.  604.  605;  Aviones 
s.  472,  welche  letzteren  fast  zu  nördlich  wohnen  um  sie  mit  fug  den 
Gothen  beizuzählen.  Eeudigni  [Haupt  9,  257]  scheinen  sich  gut  zu 
erklären  aus  dem  goth.  riuds,  gariuds  ösfirog,  sie  führen  den  schönen 
namen  verecundi,  reverendi.  nicht  den  geringsten  grund  sehe  ich 
für  die  von  Zeusz  s.  150  geäuszerte  Vermutung,  Eeudigni  bei  Tacitus 
sei  nichts  als  falsch  gehört  statt  Teutingi,  Eutingi,  Jutingi.  glaub- 
licher ist  mir,  dasz  uns  die  Eudoses  gothische  lutusjös  nach  analogie 
von  börusjös  (s.  457)  und  Sedusii  (s.  496)  anzeigen,  vielleicht  auch 
die  Vithones,  wofür  man  Nuithones  zu  lesen  pflegt,  in  luthones  ge- 
wandelt werden  dürfen  (s.  500),  doch  musz  die  abweichung  des  D 
und  TH  vorsichtig  machen.  Wie  den  Lygiern  das  heiligthimi  der 
Alces  wird  allen  diesen  dem  strande  der  ostsee  nahen  Germanen  die 
717göttin  Nerthus  überwiesen,  deren  hain  auf  einem  eiland  des  meers 
lag.  für  dasselbe  hiöchte  ich  es  immer  noch  bei  der  alten  annähme 
von  Eugen  bewenden  lassen,  da  Bornholm  zu  fern  gelegen,  Hidden- 
see*  zu  klein  ist.  warum  sollten  nicht  die  den  Suardonen,  Avionen 
und  Eeudingen  nördlich  benachbarten  Eugier  (s.  469.  470)  genossen 
dieses  cultus  gewesen  sein?  freilich  auf  der  strecke  von  der  Oder  zur 
Elbe  gelangt  man  zuletzt  an  die  kimbrische  halbinsel,  und  für  Suar- 
donen soll  das  flüszchen  Swartowe  bei  Lübeck  zeugen,  da  doch  der 
volksname  richtiger  auf  schwert  zurückgeführt  wird,  obgleich  ich 
nichts  dawider  habe,  dasz  die  Suardonen  die  westlichsten  dieser  Ner- 
thusvölker  seien  und  mit  Kimbern  wie  Cherusken  zusammenstoszen ; 
dann  käme  auch  die  insel  Femarn  in  betracht  oder  eine  noch  nord- 
westlichere. Mit  den  Eugiern  werden  Lemovii  [Haupt  9,  251]  ge- 
nannt, zu  deren  erläuterung  ich  nichts  beizutragen  weisz,  auszer  der 
s.  469  ausgesprochenen  Vermutung;  doch  fällt  mir  jetzt  ein,  dasz 
die  bei  Ptolemaeus  auf  Scandia  genannten  ^bvcjvol  aus  Lemovii 
könnten  verderbt  sein,  falls  sie  nicht  Lygier  sind  (s.  711). 

Von  Eugiern  und  Lemoviern  tiefer  gegen  osten  an   der  meer- 


*  Hedinsey  Ssem.  152*  vgl.  Haupt  2,  3.   man  denkt  beim  namen  Hedinn 
leicht  an  Procops  XaiöeivoL  auf  der  Scandia. 


I 


ABSTIEß  499 

küste  vorrückend  gelangt  Tacitus  zu  den  Suionen,  über  welche  ich 
im  nächsten  cap.  sprechen  werde,  endlich  zu  den  Aestiern  und  Sito- 
nen,  die  ihm  hier  Germaniens  äuszerste  grenze  bilden :  hicSuaviae  finis. 
Der  Aestier  namen  überliefert  vor  Tacitus  schon  Strabo  s.  63 
nach  dem  ihm  lügenhaften  Pytheas  in  der  form  'SlönalOL  (nicht  SlötC- 
fiioL,  wie  Kr.  und  Meineke  aufnimmt).  Wäre  des  Pytheas  meidung 
vollständig  bewahrt,  so  würde  erhellen,  wie  er  sich  die  läge  dieser 
Ostiaeer  neben  Guttonen  und  Teutonen  dachte,  über  welche  Plinius 
37,  2  den  bernstein  abhandelnd  folgendes  auszieht:  Pytheas  (credidit) 
Guttonibus  Germaniae  genti  accoli  aestuarium  oceani ,  Mentonomon 
nomine,  spatio  stadiorum  sex  millium;  ab  hoc  diei  navigatione  insulam718 
abesse  Abalum,  illuc  vere  fluctibus  advehi  (succinum)*  et  esse  con- 
creti  maris  purgamentum:  incolas  pro  ligno  ad  ignem  uti  eo  proxi- 
misque  Teutonis  vendere**.  Mentonomon  hält  man  für  das  frische 
haf,  Abalus  für  die  kurische  nehrung,  welcher  letzte  name  deutschen 
Ursprung  verräth,  und  aus  dem  ags.  abal  robur,  altn.  afl  erklärbar 
scheint.  Stephanus  von  Byzanz  hat  '^öriavsg  und  setzt  sie  deutlich 
an  die  westliche  küste:  sS^vog  naga  ta  dvTtx«  (ojcsavcö,  ovg  KoööL- 
vovg  'j^QTE^idcoQog  cptjöi,  Tlv%kag  6'  'SlötLaiovg.  rovtcav  d'  e^  evcjvv- 
(.kjdv  Ol  KöoöLvoi  XsyofiBvot  'Slötlcoveg,  ovg  Ilvd'sag  'Slötiatovs  tiqoö- 
ayoQBvet.  Man  hat  anzunehmen,  dasz  Pytheas  von  Thule  aus  nach 
Mentonomon  schifte,  wo  Guttonen  wohnten,  und  von  da  zur  bern- 
steinküste  der  Ostiaeer,  welchen  wiederum  die  Teutonen  benachbart 
lebten,  es  bleibt  aber  ungesagt,  von  welcher  seite  her***.  Der  bern- 
stein wird  auch  von  Tacitus  als  eigenthümlich  den  aestischen  Völkern 
angesehn:  sed  et  mare  scrutantur,  et  soli  omnium  succinum,  quod 
ipsi  glesum  vocant,  inter  vada  atque  in  ipso  litore  legunt.  glßsum 
ist  nun  sichtbar  deutsch,  und  nahverwandt,  obgleich  im  ablaut  ver- 
schieden, mit  glas  vitrum  (gramm.  1,  58),  wie  sich  ag?.  glas  vitrum, 
glgere  succinum  sondern,  und  S  :  R  genau  stehn  wie  in  väs  fui  :  vsere 
fuisti  (vgl.  s.  315).  Plin.  37,  3  meldet  ferner:  certum  est  gigni  in 
insulis  septentrionalis  oceani  et  a  Germanis  appellari  glessum;  itaque 
et  a  nostris  unam  insularum  ob  id  Glessariam  appellatam,  Germa- 
nico  caesare  ibi  classibus  rem  gereute,  Austraviam  a  barbaris  dictam. 
Austravia  ist  genau  das  altn.  Austrey  (forum,  sog.  12,  263).  ahd.  Ostar- 
ouwa,  wie  aber  mehr  als  eine  insel  in  verschiedner  gegend  geheiszen 
haben  mag;  man  weisz  dasz  bernstein  längs  der  ganzen  ostseeküste  ge-  719 
funden  wird.  Alle  umliegenden  Völker  benennen  das  succinum  anders, 
die  Scandinaven  rafr,    die  Finnen   merikivi,   die  Litthauer   gintaras 

*  das  wird  auch  4,  13  nach  Timaeus  berichtet,  wo  aber  ein  andrer 
schwieriger  name  der  insel. 

**  hiermit  scheinen  noch  sagen  des  mittelalters  in  Zusammenhang  von 
einer  nördlichen  insel,  wo  das  holz  theuer  sei,  die  einwohner  mit  kristall- 
hartem eis  kochen  und  heizen,    fundgr.  2,  5. 

***  Zeusz  s.  135  erklärt  die  Teutonen  in  dieser  stelle  des  Plinius,  also 
überhaupt  bei  Pytheas,  für  schreib-  und  lesefehler,  was  ich  nicht  mag,  da 
zu  Pytheas  zeit  die  Teutonen  noch  östlicher  gesessen  haben  können,  als 
später  beim  auszug  mit  den  Kimbern. 

32* 


500  AESTIER 

(oben  s.  233):  der  name  zeugt  also  laut  für  der  alten  Ostiaeer  und 
Aestier  deutschheit.  zwischen  Guttonen,  Teutonen,  Suionen,  Sueven 
wie  sollten  sie  nicht  Germanen  sein,  in  deren  reihe  sie  auch  Tacitus 
einstellt. 

Hierzu  treten  aber  noch  andere  gründe.  Aestii,  und  das  ist  die 
richtige  Schreibung  [altn.  Eistir  Haupt  9,  225]  (6  kann  aus  oi  =  oe 
hervorgegangen  sein)  wäre  goth.  Aisteis  reverendi,  von  aistan  IvtQi- 
TTEöO'afc,  ein  begrif,  der  sich  dem  vorhin  entwickelten  der  Reudinge 
nähert;  weder  aus  finnischer  noch  keltischer  spräche  liesze  sich  der 
name  deuten.  Tacitus  drückt  sich  nun  folgendergestalt  aus:  dextro 
suevici  maris  litore  Aestiorum  gentes  alluuntur,  quibus  ritus  habi- 
tusque  Suevorum,  lingua  britannicae  proprior.  Matrem  deum  vene- 
rantur.  insigne  superstitionis  formas  aprorum  gestaut:  id  pro  armis 
omniumque  tutelae  securum  deae  cultorem  etiam  inter  hostes  praestat. 
frumenta  ceterosque  fructus  patientius  quam  pro  solita  Germanorum 
inertia  laborant.  Sie  heiszen  also  Germanen  und  ihre  art  und  weise 
ist  suevisch;  wie  Sueven  die  Isis,  Reudinge  und  Suardonen  die  Ner- 
thus,  verehren  sie  eine  göttermutter  und  tragen  in  ihrem  dienste 
eberbilder,  die  gleich  amuleten  sicher  stellen,  dieser  cultus  trift  ganz 
mit  dem  von  Frö  und  Frouwa  (myth.  s.  194.  195.  632)  überein; 
auf  die  lingua  britannica  werde  ich  hernach  kommen. 

Erscheinen  nun  die  Aestier  in  germanischer  färbe  für  die  Römer- 
zeit, so  bekundet   sich   auch  lange  nachher  noch  ihr  Zusammenhang 
mit  andern  Deutschen.     Wenn  Vldsid  im  ags.  reiselied  323,  30  singt: 
mid  Eästoyringum  ic  väs  and  mid  Eolum 
and  mid  Istum  and  Idumingum, 

so  habe  ich  die  Idumingas  oben  s.  500  in  Idungas  Eodingas  zu  be- 
richtigen gesucht  und  schlage  für  Eolum  vor  Eotum,  worüber  im  fol- 
720  genden  capitel ;  die  Iste  sind  unverkennbar  Aestii  und  begegnen  unter 
andern  deutschen  Völkern.  Theodorich  der  berühmte  Ostgothenkönig 
stand  im  verkehr  mit  ihnen  und  dankt  in  einem  bei  Cassiodor  5,  2 
bewahrten  schreiben  für  bernstein,  den  ihm  ihre  boten  gebracht 
hatten,  sie  heiszen  da  Haesti  und  in  oceani  litoribus  constituti.  die 
zwischen  jenen  alten  Guttonen  und  Aestiern  gepflogne  gemeinschaft 
musz  angehalten  haben,  lornandes  cap.  23  bezeugt,  dasz  sie  schon 
Ermanrich  klug  zu  sichern  wüste :  Aestorum  quoque  similiter  nationem, 
qui  longissimam  ripam  oceani  germanici  insident,  idem  ipse  prudentiae 
virtute  subegit;  nennt  aber  noch  cap.  5  ein  anderes  volk,  an  der 
Weichselmündung  ihnen  zur  seite :  ad  litus  oceani,  ubi  tribus  faucibus 
fluenta  Vistulae  fluminibus  ebibuntur,  Vidivarii  resident  ex  diversis  na- 
tionibus  aggregati.  post  quos  ripam  oceani  item  Aesti  tenent,  pacatum 
hominum  genus  omnino.  noch  näheres  gibt  er  cap.  17  an:  Gepidae  com- 
manebant  in  insula  Visclae  amnis  vadis  circumacta,  quam  pro  patrio 
sermone  dicebant  Gepedojos  (oben  s.462),  nunc  eam,  ut  fertur,  insulam 
gens  vividaria  (1.  vidivaria)  incolit,  ipsis  ad  meliores  terras  meantibus, 
qui  Vividarii  (1.  Vidivarii)  ex  diversis  nationibus  acsi  in  unum  asylum 
collecti  sunt  et  gentem  fecisse  dicuntur.    an  die  stelle  der  gothischen 


AESTIER.    GUTTONEN  501 

Gepiden  sind  den  Aestiern  andere  nachbarn  gerückt,  ohne  zweifei  die 
zu  Alfreds  zeit  Vitländer  genannten,  denn  er  läszt  den  Vulfstän 
berichten:  seo  Visle  is  svide  micel  eä,  and  heo  tölid  Vitland  and 
Veonodland,  and  pät  Vitland  belimped  to  Estum.  bei  Albericus  trium 
fontium  (Leibn.  acc.  bist.  p.  527)  werden  die  Vithländer  zwischen 
Letten  und  Samländer  gerückt:  erant  hoc  anno  (1228)  in  illis  parti- 
bus  quinque  tantummodo  provinciae  paganorum  acquirendae :  Prutia, 
Curlandia,  Lethonia,  Vithlandia  et  Sambria,  und  noch  heute  heiszt 
Liefland  den  Letten  Widsemme,  das  zwischen  Kurland  und  Estland 
liegende,  von  widdus  mitte,  hat  diese  ableitung  ihre  richtigkeit  ? 
oder  hallt  in  den  Vidivariern  und  Vitländern  noch  der  alte  name 
Vithones  [Haupt  9,  256]  nach?  die  alten  benennungen  Vithones  und 
Aestii  blieben,  aber  der  germanische  stamm  scheint  durch  fremde  ein- 
zöglinge,  unter  welchen  die  Finnen  überwogen,  getrübt  und  schon  Ior-T21 
nandes  sieht  hier  einen  zusammenflusz  verschiedner  Völker,  wobei  auch 
das  litthauische  angeschlagen  werden  musz,  dessen  spräche  in  Sam- 
land  an  die  stelle  der  gothischen  trat.  Eginhart  cap.  12  sagt:  litus 
australe  Sclavi  et  Aisti  et  aliae  diversae  incolunt  nationes ;  altn.  sagen 
haben  Eistir;  später  meldet  Vulfstän  bei  Alfred  umständlich  vom 
estischen  gebrauch  der  leichbestattung,  worin  kein  deutscher,  ich  weisz 
nicht  ob  finnischer  anklang  ist.  wenn  er  auszerdem  anführt,  dasz  die 
Esten  kein  alu  (ags.  ealo,  altn.  öl  dat.  ölvi,  litth.  lett.  allus,  est. 
öllut,  finn.  olut  gen.  oluen,  olwen)  brauen,  sondern  meth  trinken 
(ags.  meodo,  altn.  miödr,  litth.  middus,  lett.  meddus,  est.  möddo,  finn. 
mesi  gen.  meden),  der  könig  und  die  reichen  aber  Stutenmilch;  so 
weisz  noch  Adam  von  Bremen  (Pertz  9,  375)  von  den  alten  Samlän- 
dern  und  Preuszen  (Sembi  et  Pruzzi):  carnes  jumentorum  pro  cibo 
sumunt,  quorum  lacte  vel  cruore  utuntur  in  potu,  ita  ut  inebriari 
dicantur,  und  der  scholiast  (9,  377)  fügt  hinzu:  Gothi  a  Komanis  vocan- 
tur  Getae,  de  quibus  Virgilius  dicere  videtur  (Georg.  3,  462): 

quum  fugit  in  Rhodopen  atque  in  deserta  Getarum 
et  lac  concretum  cum  sanguine  potat  equino; 

hoc  usque  hodie  Gothi  et  Sembi  facere  dicuntur,  quos  ex  lacte  jumen- 
torum inebriari  certum  est.  Die  sage  von  den  Hippomolgen  reicht  in 
hohes  alterthum  (II.  13,  5)  und  geht  bekanntlich  von  den  Skythen 
(Herod.  4,  2),  musz  aber  auch  von  den  Geten  gegangen  sein;  unter 
Gothen  neben  Samen  in  Preuszen  kann  sich  dieser  scholiast  nur  Samo- 
geten  nach  litthauischem  Sprachgebrauch  (s.  170)  denken,  keine  er- 
haltne  nachricht  weist  auf  das  melken  der  stuten  bei  entschiednen 
Germanen,  obwol  aus  dem  verbreiteten  genusz  des  pferdefleisches  auch 
das  trinken  der  milch  gefolgert  werden  dürfte :  es  war  die  natürlichste 
nahrung  aller  nomaden,  vgl.  oben  s.  18,  Strabo  s.  296.  300.  302. 
303.  311  und  ükerts  Skythien  s.  296.  412.  [stuten  melken  Schott 
wal.  märch.  190.   191.  Haltrich  55.   107.] 

Die  ganze  Untersuchung  drängt  zurück  auf  die  Gothen.  schon 
320  jähre  vor  Christus  traf  an  der  ostsee  Pytheas  neben  Ostiaeern 
Guttonen ;  wir  sehen  im  ersten  jh.  die  Sueven  als  nachbarn  der  Geten, 


I 


502  GUTTONEN.    GOTHINEN 

722  damals  war  der  name  Sueven  zugleich  allgemeine  benennung  vieler 
östlichen  Germanen,  einzelne  derselben,  Lygier  und  Navarnahalen 
erstrecken  sich  bald  bis  zum  getischen  Dakenreich,  aber  lygische  Völ- 
ker für  gothische  selbst  zu  erklären  wäre  unerlaubt,  weil  Tacitus 
nachdem  er  das  grosze  ausgebreitete  volk  der  Lygier  abgehandelt  hat, 
fortfährt :  trans  Lygios  Gothones  regnantur,  paulo  adductius  quam  cete- 
rae  Germanorum  gentes,  nondum  tarnen  supra  libertatem.  protinus 
deinde  ab  oceano  Rugii  et  Lemovii.  man  kann  diese  Gothen  nicht 
anders  als  jenseits  der  Weichsel  setzen,  wo  sie  in  ungekannter  aus- 
dehnung  an  Finnen,  Litthauer  und  Sarmaten  rührten,  wahrscheinlich 
aber  auch  Verbindungen  gegen  Süden  unterhielten,  in  den  annalen 
2,  62  läszt  Tacitus  einen  edlen  Gothen  wider  Marobod  auftreten.  Pli- 
nius  muste  sich  die  dem  vindilischen  geschlecht  zugeordneten  Guttones, 
neben  Burgundionen,  Varinen  und  Carinen  nordwestlicher  denken. 

Wer  aber  sind  die  hinter  Markomannen  und  Quaden,  neben  Mar- 
singen und  Buren  genannten  Gothinen  ?  nach  der  Wortbildung  darf  man 
nicht  anstehen,  sie  für  gothischer  abkunft  zu  erklären,  ich  habe  den 
Gothen  und  Gothinen  s.  181  die  retai  und  PeTrjvoi  verglichen,  auch 
gerade  so  finden  sich  sonst  neben  Tgox^oi  Ux^dßoL  2JovfjßoL  auch 
TQox(i7]oi  Z!xlaßrjVol  Z!ovi]ßrjvoL  der  lange  vocal  dieser  ableitung 
gemahnt  ans  goth.  fadar  und  fadrein  yoveig,  guma  und  gumein  agösv, 
qinö  und  qinein  ^i^Xv,  aus  GuJ)a  Gothus  könnte  ein  adjectivisches  Gu- 
J)eins  entsprieszen  und  der  bedeutung  nach  von  jenem  so  zu  unter- 
scheiden sein,  dasz  GuJ)ans  die  eigentlichen  Gothen,  Gupeinai  einen 
verwandten,  vielleicht  mit  fremdem  blut  gemischten  stamm  bezeichnete? 
Dio  Cassius  71,  12  nennt  zur  zeit  des  einbruchs  gothischer  Astinge 
in  Dakien  (um  das  j.  166)  auch  Kotinen,  welche  Konvoi  des  Ptole- 
maeus  Korvoi  (wie  für  KoyvoL  zu  lesen?),  des  Tacitus  Gothini  schei- 
nen [Haupt  9,  244].  Dieser  sagt  aber,  freie  Germanen  seien  sie  nicht, 
sondern  theils  den  Sarmaten,  theils  den  Quaden  steuerpflichtig  und 
gezwungen  im  bergwerk  zu  arbeiten,  wahrscheinlich  den  Römern,  was 

723  für  schimpf  und  strafe  galt  (damnare  in  metallum,  condemnare  ad 
metalla  eflfodienda*).  An  der  angäbe  richtigkeit  ist  nicht  zu  zweifeln, 
vielmehr  hinzuzunehmen,  dasz  ihnen  auch  gallische,  wie  den  gleich 
dienstbaren  Ösen  pannonische  spräche  beigelegt  wird. 

Hier  bin  ich  bei  dem  punct  angelangt,  dessen  erörterung  mir 
zuletzt  obliegt,  das  seltsame  Verhältnis  der  Gothinen,  dünkt  mich, 
kann  nicht  anders  als  so  gefaszt  werden:  sie  waren  die  frühsten 
gegen  westen  vorgedrungnen  Gothen  (s.  181),  wahrscheinlich  in  älte- 
rer zeit  als  Pytheas  lebte,  wo  noch  mehrere  keltische  Völker  in  Ger- 
manien niedersaszen ;  unter  Kelten  gemischt  lieszen  sie,  wie  später 
die  Franken  jenseit  des  Rheins,  allmählich  ihre  muttersprache  fahren 
und  bequemten  sich  der  gallischen,  behielten  aber  den  angestammten 


*  man  hat  in  Siebenbürgen  und  andern  südöstlichen  gegenden  spuren 
römischen  bergbans  gefunden,  vgl.  Massmann  libellus  aurarius  und  Ukerts 
Skythien  s.  623. 


TECTOSAGEN  503 

nameo,  der  ihre  deutsche  abkunft  verbürgt,  den  später  nachrücken- 
den Deutschen  konnten  sie  jedoch  nicht  mehr  für  volle  landsleute  und 
stammgenossen  gelten,  sondern  wurden  geringgeschätzt  und  mit  abga- 
ben belegt.  Das  keltische  element  der  Gothinen  hängt  also  mit  dem 
der  Bojen,  Tectosagen  und  Helvetier  (s.  165.  166.  494.  502)  zusam- 
men, die  gedrängt  von  aufrückenden  Germanen  aus  dem  ganzen  Ost- 
gebiet vom  Pontus,  der  Donau  bis  zum  Ehein  gegen  Südwesten  weichen 
musten.  In  diesen  gewinden  früher  Völkergeschichte  bleibt  aber  noch 
manches  zu  erforschen,  einiges  leicht  für  immer  dunkel.  Scheinen 
doch  jene  unenthüllten  Tectosagen  (s.  165 — 167),  da  schon  im  asia- 
tischen Skythien  bei  Ptolemaeus  neben  Sacae  (s.  609)  und  Suobeni 
(s.  489)  Tectosacae  TsKTOöaxai  Tsxtoöäyai  treten  (vgl.  ükerts  Sky- 
thien s.  357.  358),  eine  weit  ältere  mischung  germanischer  und  kel- 
tischer stamme  und  ich  wäre  versucht,  sogar  den  ersten  theil  ihres 
namens  dem  der  rheinischen  Tencterer  (s.  533)  zu  vergleichen.  Livius 
38,  16  läszt  die  unter  Brennus  ausgezognen  Gallier  hernach  von  Leo- 
norius  und  Lutarius  geführt  Thrakien,  den  Hellespont  und  Asien 
erreichen  und  ihre  drei  hauptstämme  das  errungene  land  so  vertheilen, 
dasz  Trokmer  das  hellespontische  gestade,  Tolistobojen  Aeolien  und  724 
lonien,  Tectosagen  die  vorderasiatische  küste  in  besitz  nehmen,  wer 
kann  sich  des  gedankens  entschlagen,  dasz  schon  Jahrhunderte  vor 
dem  beginn  unsrer  Zeitrechnung  im  östlichen  Europa  und  westlichen 
Asien  Kelten  und  Germanen,  wer  weisz  genau  zu  rathen  wie  ?  an  ein- 
ander gestoszen  sind.  Strabo  läszt  die  Tolistobojen  in  Galatien,  die 
Trokmer  am  Halys  und  zwischen  beiden  die  Tectosagen  hausen:  in 
Tolistoboji  steckt  einmal  der  name  Boji,  dann  eine  superlativform,  die 
an  Costoboci  mahnt  (s.  199.  200).  merkwürdig,  dasz  jene  doppel- 
gestalt  der  volksnamen  (s.  722)  eben  die  Trokmer  mit  angeht. 

Ich  verliere  mich  zu  tief  in  den  osten ;  nicht  zu  bezweifeln  steht, 
dasz  die  Römer  unter  allen  barbarischen  sprachen  die  gallische  am 
bestimmtesten  erkennen  musten  und  des  Tacitus  meidung  von  der  gothi- 
nischen  nur  Wahrheit  enthalten  kann,  ebenso  sicher  war  ihm  bekannt, 
dasz  die  Lygier  kein  gallisch,  sondern  germanisch  redeten;  sonst  hätte 
er  sie  nicht  ausdrücklich  den  Germanen  beigezählt,  der  name  des 
lygischen  ortes  ^ovyidovvov,  so  auffallend  er  dem  gallischen  Lugdu- 
num  entspricht,  darf  hieran  nicht  irren,  zumal  es  lygische  zJovvoi 
gab  (s.  712).  es  gab  auch  gallische  Lemovices  (Caesar  7,  4.  75),  die 
an  jene  germanischen  Lemovii  (s.  717)  erinnern  mögen,  ich  weisz 
nicht,  ob  die  gallischen  Helvii  und  Helvetii  an  unsre  Helveconen 
(s.  714).  Auf  die  wichtigen  Lygier  wird  cap.  XXX  nochmals  zurück- 
kehren und  enthüllen,  wie  es  um  sie  be wandt  war. 

Seit  der  eroberung  Britanniens  konnte  den  Römern  die  bedeu- 
tende Verschiedenheit  britannischer  von  der  gallischen  zunge  nicht  mehr 
entgehen,  und  wenn  Tacitus  von  der  lingua  Aestiorum  ausspricht,  dasz 
sie  britannicae  propior  sei ;  so  traue  ich  der  römischen  beobachtung, 
ohne  nachweisen  zu  können,  wie  ein  keltisch-britannischer  stamm  in 
der  einwanderung   urzeit  an  die  ostseeküste  verschlagen  wurde  und 


I 


504  OSTSTÄMME 

sich  dort  hernach  mit  östlichen  Germanen  verschmolz,  aus  der  alt- 
ästischen  spräche  aber,  die  uns  verloren  ist,  müste  der  beweis  solcher 
mischung  erbracht  werden,  nicht  aus  dem  finnischen  dialect  des  heu- 
725  tigen  Estlands,  von  den  eberbildern  erscheint  auch  unter  Kelten  spur, 
wie  selbst  Nerthus  an  keltische  spräche  mahnt  (Haupt  3,  226). 

Es  ist  unmöglich,  sich  der  deutschen  Spracheigenheit  der  in  die- 
sem capitel  abgehandelten  Völker  zu  versichern,  das  Z=H  in  Zov- 
fioi,  wenn  es  für  begründet  gelten  kann,  wäre  merkwürdig,  die  bil- 
dung  Eudoses  der  goth.  weise  entsprechend;  -ones  in  Aviones  Suar- 
dones  luthones  Gothones,  der  lateinischen,  suevischen  oder  fränkischen 
form  gemäsz  gebildet,  würde  den  bestand  eines  goth.  -ans  dennoch 
nicht  ausschlieszen. 


XXVII. 
SCANDINAVIEN. 


Alles  was  dem  festen  lande  Germaniens  in  einer  groszen  halb-  726 
insel  und  den  gmppen  einzelner  eilande  auf  der  ostsee  nördlich  gegen- 
über liegt,  heiszt  uns  Scandinavien*,  obwol  diese  benennung  nur  von 
einem  theil  der  mittleren  küste,  nemlich  der  landschaft  Schonen  aus- 
gegangen scheint,  die  auf  der  linken  seite  ins  meer  vorragende  kim- 
brische  chersonesus  gehört,  natürlich  wie  historisch  angesehn,  noch 
zum  festen  Deutschland,  führt  auch  nach  dem  stamm  der  Kimbern 
ihren  namen  und  war  von  lauter  unscandinaviachen  Völkern  bewohnt. 

Schon  Plinius  4,  13  nennt  Scandinavia  des  sinus  codanus  berühm-  727 
teste  insel,  von  unerforschter  grösze.  auch  enthält  -avia  den  begrif 
des  eilands,  gleich  jenem  Austravia  (s.  7 1 8),  das  goth.  avi  gen.  aujös 
(wie  mavi  maujös)  ist  das  altn.  ey  gen.  eyjar  (wie  mey  meyjar),  ahd. 
ouwa  für  ouwia,  woneben  augia,  ags.  ige.  der  ganzen  Zusammen- 
setzung aber  entsprechen  mlat.  Scandinovia  Scandanavia  Scatenaugia 
Schatanavia,  ags.  Scedenigge,  bei  Alfred  Sconeg,  altn.  Skäney,  bei 
Saxo  gramm.  Scania,  dän.  Skaane,  schwed,  Skäne,  nhd.  Schonen, 
lornandes  und  nach  ihm  andre  brauchen  die  verengte  form  Scanzia  für 
Scandia,  die  gleich  dem  BovQyovi,lcov£g  für  Burgundiones  an  den  über- 
tritt des  goth.  Nj)  in  altn.  J)  gemahnt,  dessen  ausspräche  sich  dem  Z 
nähert  (s.  395),  Was  nun  scandin  scandan  scadan  sceden  skän  selbst 
besage  ist  noch  unermittelt ;  Vermutungen  stellt  meine  abhandlung  über 


*  Norden  oder  Nordland  wäre  bald  zu  allgemein,  bald  zu  eingeschränkt, 
da  es  alle  in  nördlicher  himmelsgegend  wohnenden  bezeichnet  und  wie  es 
hauptsächlich  auf  Norwegen  gerecht  schiene,  auch  die  Schweden  selbst  ihre 
nördlichste  landschaft  Norrland  nennen.  Nordman  galt  im  mittelalter  sogar 
von  Sarmaten  (Graff  2,  741).  Nortman  heiszen  oft  Dänen,  oft  Schweden. 
Sueones  quos  Nordmannos  vocamus.  Eginh.  cap.  12.  allmählich  setzte  sich 
das  wort  fest  für  die  nördlichsten  Scandinaven,  nemlich  Norweger,  die  Saxo 
gramm.  entweder  Normanni  oder  Norici  nennt.  Ohne  zweifei  ist  auch  das 
lat.  den  Römern  nördlich  liegende  Noricum  schon  in  der  wurzel  unserm 
nord  verwandt,  vgl.  läpp,  nuort  borealis,  finn.  nuori  recens,  bask  nartea 
septentrio.   den  Iren  und  Galen  bezeichnet  tuath  das  nördliche  land. 


506  SCANDINAYIEN 

diphthonge  s.  18  auf.  Müllenhoff  nordalb.  stud.  1,  147  sucM  darin 
den  sinn  der  vagina  gentium  bei  lornandes ;  doch  die  späte  sage 
musz  auszer  betracht  bleiben,  um  so  mehr  ein  von  ihrem  erzähler 
gebrauchter  ausdruck.  wüste  man,  warum  die  alten  den  sund  codanus 
sinus  nannten,  so  würde  uns  vielleicht  ein  scodanus  scadanus  (vgl. 
sceddan  s.  649)  erschlossen,  aus  welchem  sich  Scodanavia  Scadanavia 
ableitete,  für  godanus  ist  codanus  nicht  zu  nehmen,  aber  des  Mela 
Codanonia  (s.  639)  musz  eins  sein  mit  Scandana  via. 

Wir  haben  der  Gothen  und  Langobarden  abkunft  aus  dem 
schosze  dieser  Scanzia  als  unhistorisch  auf  das  feld  der  sage  gewiesen, 
aber  der  altanglische  mythus  stellt  einen  ahnherrn  Sceäf  oder  Scoup 
nach  derselben  Scedenigge,  worunter  man  sich  nur  Schonen,  nicht 
die  kimbrische  halbinsel  zu  denken  hat,  denn  es  mag  Verwirrung 
sein,  dasz  abweichende  sagen  ihn  in  Heithaby  d.  i.  Schleswig  landen 
lassen,  wie  dem  auch  sei,  Angeln,  Sueven  und  Langobarden  berühren 
sich  (s.  604.  687)  und  es  scheint  natürlicher  und  der  geschichtlichen 
Wahrheit  näher,  dasz  der  schlafende  held  aus  dem  süden  nach  dem 
norden  geleitet  werde,  als  dasz  die  Völker  vom  nördlichen  Schonen 
nach  dem  süden  des  festen  landes  ziehen. 

Also  völlig  das  entgegengesetzte  von  jener  verbreiteten  sage  ist 
728  zu  behaupten.  Nicht  aus  dem  norden  wanderte  irgend  ein  stamm 
unsers  volks  nach  südlicher  küste,  sondern  ihrem  groszen  naturtrieb 
gemäsz  ergieng  die  Wanderung  von  Südosten  nach  nordwesten. 

Auf  doppeltem  wege  jedoch  scheint  vom  schwarzen  meer,  oder 
schon  der  Maeotis  aus,  die  scandinavische  bevölkerung  nach  ihrer 
neuen  heimat  gelangt  zu  sein,  mit  einem  nördlichen  und  westlichen 
arm.  der  nördliche  drang  ungefähr  zwischen  Dniester  und  Dnieper 
durch  Sarmatien  gegen  Finnland  vor  und  erreichte  von  dort  aus  die 
nördliche  scandinavische  halbinsel;  mit  dem  groszen  häufen  der  übri- 
gen Germanen  zog  aber  der  westliche  zwischen  Dniester  und  Donau 
gegen  die  Weichsel  und  setzte  erst  von  da  aus  über  die  ostsee  nach 
dem  südlichen  Scandinavien.  jenen  hauptzweig  darf  man  den  schwe- 
disch-norwegischen, diesen  den  dänisch-gothischen  nennen;  da  wo  im 
heutigen  Schweden  schwedisches  und  gotisches  reich  sich  berühren, 
stieszen  beide  hauptstämme  wieder  zusammen ;  Schweden  fällt  beiden, 
ganz  Norwegen  dem  nordischen,  alle  dänischen  inseln  fallen  dem 
gothischen  stamm  zu. 

Was  unsere  historiker  von  sich  abwehren,  Zusammenhang  der 
Germanen  mit  Osteuropa  und  Westasien  hält  die  nordische  Überliefe- 
rung getreuer  fest.  Wie  lornandes  seine  Gothen  an  Geten  und  Sky- 
then knüpft,  die  fränkische  sage  auf  Pannonien  und  Troja,  die  sächsi- 
sche auf  Makedonien  zurückleitet  (s.  520.  523.  643);  haben  sich  in 
der  altnordischen  noch  reinere  und  lebhaftere  umrisse  einer  fernen 
Vorzeit  bewahrt,  denen  sicher  nicht  ihr  recht  angethan  wird,  wenn 
man  sie  aus  einer  künde  erklären  will,  die  erst  in  der  Normandie  die 
Normannen  geschöpft  haben  sollen. 

Vielleicht  früher  noch  als  der  gothische  volkszug,  aber  langsam 


SCANDINAVIEN.    GOTHEN  507 

und  unterwegs  tiefe  spur  hinterlassend  musz  der  nordisclie  ergangen 
sein.  Ynglingasaga  nimmt  nordwärts  vom  schwarzen  meer  noch  eine 
SviJ)iod  hin  mikla  eda  kalda  an  und  läszt  sie  sich  erstrecken  bis  zum 
Tanais  (oder  Don),  der  alten  grenze  zwischen  Asien  und  Europa 
(lornandes  cap.  5).  diesem  Tanais  legt  aber  Snorri  den  alten  namen 
Tanaqvisl  oder  Vanaqvisl  bei:  qvisl  (fem.)  bedeutet  ramus  fluminis 
und  Vanaqvisl  wäre  fluvius  Vanorum,  der  Vanaland  durchströmt,  729 
Tana  scheint  blosze  annäherung  an  den  lat.  namen  Tanais,  aus  dessen 
letzter  silbe  sich  selbst  qvisl  erklären  liesze.  ostwärts  der  Tanaqvisl, 
in  Asien  soll  nun  Asaland  oder  Asaheimr  gelegen  haben;  diese  öst- 
liche läge  scheint  jedoch  aus  falscher  deutung  des  wortes  äs  hervor- 
gegangen, die  schon  wegen  der  goth.  form  ans  aufgegeben  werden 
musz ;  ja  es  könnte  sein,  dasz  selbst  die  Unterscheidung  einer  groszen 
und  kleinen  SviJ)iod  ihren  Ursprung  in  der  ähnlichen  einer  groszen 
und  kleinen  Scythia  fände:  ^LXQCi  UxvQ^la  pflegte  ein  theil  der 
taurischen  halbinsel  bis  zum  Borysthenes  zu  heiszen.  ich  werde  im 
verfolg  auf  die  grosze  Svipiod  zurückkehren. 

Der  Svipiod  zur  seite  steht  bedeutsam  eine  GodJ)iod,  das  land  und 
volk  der  Gothen,  die  sich  vom  osten  Europas  nach  Süden  und  westen 
ausbreiteten  und  in  Südscandinavien  durch  zwei  hauptstämme,  den 
gothischen  und  dänischen  dargestellt  werden,  ganz  wie  sie  schon  an  der 
Donau  im  thrakischen  land  als  Geten  und  Daken  vortraten.  Weshalb 
auch  der  im  gothischen  calender  aufbewahrte,  also  bei  Donaugothen 
übliche  name  GutJ)iuda  (s.  410)  einstimmt  zu  dem  in  Scandinavien  gül- 
tigen Godpiod.  in  Völuspä  (Ssem.  4^)  sieht  die  Vala  valkyrien  reiten 
"^til  GodJ)iodar\  was  hier  ganz  allgemein  aussagt:  in  die  weit,  zu  den 
menschen,  ebenso  steht  Seem.  228^  226^  '"ä  God|)iodo'  für:  auf  der 
erde;  267^  'GodJ)iodar  til',  in  gleichem  sinn  finden  wir  Ssem.  113'' 
'Godveg  troda',  die  erde  betreten,  wie  es  sonst  240"^  heiszt  ""moldveg 
sporna',  vegr  für  land  gesetzt,  gerade  wie  lotavegr  Jütland,  Norvegr 
Nordland  ausdrückt,  bestimmter  heiszt  Grimhild  Saem.  233^^  got- 
nesk  kona',  mit  hinblick  auf  das  südliche  geschlecht  der  Giukungen 
(Ssem.  201).  in  Hervararsaga  cap.  16.  18  (fornald.  sog.  1,  495.  499) 
hat  Godpiod  wieder  jenen  allgmeinen  sinn  von  reich  und  land  über- 
haupt, wie  er  unter  Völkern  gothischer  abkunft  herschen  muste,  im 
sögubrot  (fornm.  sog.  11,- 413)  wird  aber  ausdrücklich  gesagt,  dasz 
das  von  den  ostwärts  her  eingezognen  männern  besessene  land  God- 
piod  benannt  worden  sei:  en  pa  vorn  J)essi  lönd,  er  Asiamenu  bygdu, 
köllud  Godlönd,  en  fölkid  Godiod.  Im  herzen  Deutschlands  und  den  730 
Geten  voraus  standen  Sueven  und  andere  hochdeutsche  stamme ;  es  blieb 
den  Gothen  keine  weitere  wähl,  als  seitwärts  an  der  ostseeküste,  wo 
wir  schon  drei  Jahrhunderte  vor  Christus  Gothen  treffen,  gegen  Scan- 
dinavien vorzudringen  und  mit  dem  kern  des  volks  an  der  Donau  stehn 
zu  bleiben,  bis  sich  diesem  später  ein  weg  nach  Italien,  Südfrankreich 
und  Spanien  öfnete.  Aber  jenen  nach  dem  norden  vorangegangenen 
Gothen  müssen  allmählich  noch  lange  zeit  hindurch  andere  gothische 
stamme  nachgerückt   sein;    schlugen  gegen  ausgang  des   fünften  jh. 


508  DÄNEN 

(unter  kaiser  Anastasius)  Heruler  die  bahn  von  der  Donau  nach 
Scandinavien  ein  (s.  471),  warum  sollen  sie  lang  vorher  andere 
Gothen  nicht  gefunden  haben? 

Auch  das  getische  zwillingsvolk,  die  Daken,  risz  der  unaufhalt- 
same ström  dieser  bewegungen  mit  sich  gegen  den  norden  fort;  wie 
es  scheint,  gab  des  Decebalus  niederlage  durch  die  Römer  dazu  den 
nächsten  anlasz.  ein  theil  des  volkes,  dem  die  fremde  herschaft 
unerträglich  wurde,  wanderte  aus,  in  der  richtung,  die  schon  Jahr- 
hunderte früher  andere  Gothen  genommen  hatten. 

Die  von  Ptolemaeus  2,  10  auf  seine  insel  Scandia,  den  Weichsel- 
mündungen gegenüber,  gesetzten  PovraL  xal  zJavulavig  hätten  doch 
der  critik  sollen  das  äuge  öfnen.  es  ist  ungebotne  Verwegenheit,  aus 
ZlaviciavBg  mit  Zeusz  s.  159  ZJxavdLCSvsg  zu  machen,  noch  bedürfen 
wir  der  änderung  zlavplcovBg,  die  ihm  gleichwol  beifällt,  deren  NN 
hier  so  wenig  taugt  als  in  der  jüngeren  Schreibung  Dännemark  für 
Dänemark.  Daukionen  sind  die  auf  nördlichem  zug  begrifnen  Daken, 
deren  Zusammenhang  freilich  dem  Africaner  seine  nachrichten  nicht 
enthüllen.  Aus  z/axot  entspränge  genau  zlcxKOVEg,  wie  aus  Gothi 
Gothones,  bei  zluKlavEg  musz  also  ein  /täniog  Dacius  im  mittel  lie- 
gen und  das  AT  für  A  in  ^ccvKiCovsg  Verderbnis  sein,  aber  es  bleibt 
noch  eine  andere  nebenform  vorauszusetzen,  nemlich  ^axrjvoi,  die  sich 
zu  zld'AOL  verhalten,  wie  Gothini  zu  Gothi. 

"Wir  gelangen  dem  begrif  wie  der  Wortbildung  nach  auf  den 
731  namen  der  Dänen,  waren  Gothinen  vorgeschobne  Gothen,  Slovenen 
vorgeschobne  Slaven,  so  erweisen  sich  Dakinen  als  vorgedrungne 
Daken,  und  aus  Dakini  nach  grammatischen  gesetzen  entspringt  Dani, 
wofür  beweis  s.  192  geliefert  wurde.  Hiermit  aber  ist  die  natürlichste 
nachweisung  gegeben,  wie  dieser  name  entstanden  und  woher  dieser 
volkstamm  eingewandert  sei.  aus  dem  engl,  thane,  das  dem  ags. 
J)egen  entspi'icht  und  ganz  andrer  wurzel  gehört,  Danus  zu  leiten 
war  ein  irthum. 

Den  ersten  drei  jhh.  scheint  die  kürzung  Dani  unbekannt;  am 
frühsten  auf  taucht  sie  bei  Servius  zu  Aen.  8,  728:  Dani  dicti  a 
Dahis,  qui  sunt  populi  Scythiae  juncti  Persidi.  will  man  diese  worte 
für  späteres  glossem  halten,  so  reicht  der  name  Dani  auch  noch  nicht 
einmal  in  die  mitte  des  vierten  jh.  und  ein  zeugnis  aus  dem  fünften 
steht  ihm  ebensowenig  zu  gebot,  doch  dem  sechsten  ist  er  nicht 
abzustreiten;  um  diese  zeit  hatten  sich  die  Byzantiner  genauere  künde 
vom  norden  erworben.  lornandes  cap.  3,  nachdem  er  mehrere  nor- 
dische stamme  ausgezeichnet  hat,  fügt  hinzu :  quamvis  et  Dani,  ex  ipso- 
rum  stirpe  progressi,  Erulos  propriis  sedibus  expulerunt,  qui  inter 
omnes  Scanziae  nationes  nomen  sibi  ob  nimiam  proceritatem  affectant 
praecipuum.  er  ahnt  also  nichts  von  ihrem  ausgang  aus  Dakien,  das 
ihm  Dacia  heiszt  (cap.  5)  und  würde  Dani  und  Daci  unterscheiden*. 

*  Ekkehards  auszug  dieser  stelle  (Pertz  8,  120,  26)  stellt  hier  Dani 
Daci  nebeneinander,  unmöglich  als  verschiedne  Völker,  denn  niemand  wird 
je  darauf  gefallen  sein,  die  Donaudaken  aus  Scandinavien  herzuleiten. 


DÄNEN  509 

Nicht  anders  Procop,  der  b.  goth.  1,  15  z/axat  aal  Ildvvovss  und 
3,  33.  34  das  land  /JaMcc,  3,  24  ^axcöv  %coQa  nennt,  aber  2,  15 
jenen  zug  der  Heruler  über  die  Donau  in  das  gebiet  der  Sklabinen, 
Warnen  und  Dänen  berichtend  sagt:  zlavcöv  tä  e&vr]  TCaQSÖQa^ov. 
Anastasius  Sinaita,  patriarcb  von  Antiochien  drückt  sich  gegen  den 
schlusz  des  sechsten  jh.  merkwürdig  genug  so  aus:  UxvQ'iav  öe 
slä&aöi  aalBiv  ot  nakaioi  to  'nXip.a  anav  ßoQEiov  svd-a  siölv  oi 
JorO'ofc  %al  zJävELg.  denn  hier  stehn  beide  Völker  gerade  zusammen  732 
wie  bei  Ptolemaeus  rovroi  aal  zJavulcavEi;.  Zu  dem  allen  tritt  nun 
eine  bestätigung,  die  ich  nicht  gering  schätzen  kann:  vom  zehnten 
bis  zum  dreizehnten  jh.  pflegt  bei  lat.  Schriftstellern  wie  in  Urkun- 
den des  dänischen  reiches  selbst  Dacia  für  Dania,  Dacus  für  Danus 
geschrieben  zu  werden  (s.  193),  und  warum  sollte  es  nicht  schon 
früher  geschehn  sein?  hätte  das  mittelalter  diese  gleichstellung  der 
Dänen  und  Daken  aus  dem  finger  gesogen  oder  blosz  nach  analogie 
der  Gothen  und  Geten  gelehrt  ersonnen  ?  wie  gelangte  aber  der  name 
Dazh  in  den  mund  des  Lappen?  warum  ist  dem  Russen  Dattschanin 
Däne,  datskfi  datskoe  dänisch?  die  auskunft  scheint  doch  als  natür- 
liche vorzuziehen,  dasz  der  alte  name  in  gewissen  gegenden  haftete, 
in  andern  gekürzt  wurde. 

Von  dieser  gekürzten  unklar  gewordnen  form  weis,z  auch  weder 
die  dänische  und  altnordische,  noch  eine  andre  deutsche  spräche  rechen- 
schaft  zu  geben,  denn  wer  möchte  altn.  Danir  aus  ags.  denu  vallis 
leiten  und  sie  als  vallilocae  zum  gegensatz  jener  zlovvot  monticolae 
(s.  712)  machen?  den  nord.  sprachen  mangelt  selbst  ein  solches  Sub- 
stantiv, Stellt  Saxo  in  seiner  dänischen  geschichte  die  brüder  Dan 
und  Angul,  söhne  von  Humblus,  an  die  spitze  dänischer  königsreihe 
und  läszt  er  von  Dan  Dänemark,  von  Angul  Anglien  ausgehn;  so  mag 
das  an  Überlieferungen  hängen,  die  Dänen  und  Angeln,  was  auch 
sonst  geschieht,  verknüpfen;  die  gestalt  des  namens  ist  hier  schon 
als  alt  vorausgesetzt.  Erst  in  späterer  zeit,  zu  der  des  dänischen 
königs  Fridleif,  setzt  Saxo  in  Schonen  einen  gleich  mythischen  Rig 
als  herscher  an,  dessen  söhn  Dag  heiszt.  Yngl.  saga  cap.  20  hin- 
gegen bezeichnet  diesen  Rig  eben  als  ersten  Dänenkönig  und  verleiht 
ihm  einen  söhn  Danpr,  welcher  Danpr  im  eddischen  Rigsmäl  Ssem. 
106^  neben  Danr  aufgeführt  und  ihm  wol  schon  namentlich  identisch 
ist.  Drött,  mutter  des  Dyggvi,  vaters  von  Dagr,  wird  jenes  Danpr 
tochter  und  Schwester  des  Danr  hinn  mikilläti  genannt,  aus  welchem 
Yngl,  saga  cap.  20  den  namen  Danmörk  herführt.  Unverkennbar 
spielen  hier  überall  die  namen  Dagr,  Danr,  Danpr  in  einander  und 
lassen  in  Danr  das  alte  Dagr  immer  wieder  nachklingen ;  auf  Dagr  733 
geht  das  mythische  geschlecht  aller  Döglingar  und  Dellingar  zurück 
(Sn,  191),  Dellingr  heiszt  Dags  vater  (Saem.  34*  91^  HO.  115^). 

Aushebenswerth  ist  eine  rohe  stelle  des  um  1288  geschriebnen 
chronicon  Erici  regis  (bei  Langebek  1,  149):  Dani,  ut  testantur  ve- 
teres  historiographi,  tempore  Saruch,  proavi  Abrahae,  regnum,  quod 
nunc  Dania  dicitur,  intraverunt,  venientes  de  Gothia  .  .  .  quod  autem 


510  DÄNEN 

quidam  dicunt,  Danos  a  Danaitis  i.  e.  Graecis  venisse,  verisimile  est, 
sed  usquequaque  certnm  non  est,  nisi  ab  initio  dicti  sunt  Dani,  sed 
quaelibet  terra  habuit  nomen  speciale,  quod  habet  adhuc,  donec  tem- 
pore David  regis  habuerunt  regem  Dan.  nam  tempore  illo  Dan, 
filius  Humblae,  de  Suecia  veniens  regnavit  super  Sialandiam,  Monen, 
Falster  et  Laland,  cujus  regnum  dicebatur  Withesleth.  eo  tempore 
rex  quidam  potentissimus  ad  invadendum  Jutos  venit.  quo  audito 
Juti,  timentes  valde  locum,  qui  adhuc  Kowirki  dicitur,  fossatis  et 
fragis  ligneis  munierunt  miseruntque  nuntios  ad  Dan  regem  Withes- 
leth, ut  eis  ferret  auxilium,  pollicentes  ei,  victoriam  si  reportaret, 
dominium  super  se.  qui  cum  suis  veniens  apud  Kowirki  hostibus 
occurrit,  occisis  plurimis  et  reGquis  in  fugam  actis,  dominus  Juto- 
rum  factus  Dan  cum  Jutis  Fyoniam,  Scaniam  et  omnes  alias  insulas 
Daciae  sibi  subjugavit,  et  postmodum  communi  omnium  decreto  reg- 
num suum  Daniam  et  incolas  Danos  a  se,  qui  Dan  dicebatur,  appella- 
lavit.  Dieser  aus  Schweden,  d.  i.  Schonen  nahende  Dan,  dessen  ab- 
kunft  Saxo  verschweigt,  ist  offenbar  Rigs  söhn,  Rigr  aber  im  eddi- 
schen lied  der  die  geschlechter  der  menschen  stiftende  gott  Heim- 
dallr,  unter  welches  edelsten  nachkommen  Danr  und  Danpr  aufgeführt 
werden,  ja  das  dallr  in  Heimdallr  wäre  ich  geneigt  jenem  Dellingr 
für  Deglingr  zu  vergleichen,  über  Vitisleth  will  ich  hernach  eine 
Vermutung  äuszern.  das  Gothia  der  älteren  nachricht  ziehe  ich  aber 
nicht  auf  das  schwedische  Götland,  sondern  auf  das  östliche  Gothen- 
land  oder  Getenland. 

Scandinavien  blieb  eines  Zusammenhangs  zwischen  östlichem  und 
nördlichem  Gothland,  und  gleich  den  Lappen  und  Russen  eines  zwi- 
734  sehen  Dänen  und  Daken,  wenn  auch  dunkel  und  sagenhaft  eingedenk, 
wobei  schon  durch  lautverschiebung  des  K  in  G  (für  H)  verdacht 
falscher  gelehrsamkeit  ausgeschlossen  wird.  Ich  habe  nur  noch  zweier- 
lei hinzuzufügen,  ist  meine  auslegung  Dani  =  Dakini,  vorgeschobne, 
schon  mit  fremden  bestandtheilen  gemischte  Daken,  nicht  fehlgeschla- 
gen; so  drückt  der  bekannte  name  Hälfdanr  (gamli.  Sn.  190.  ahd. 
Halbtene  bei  Mone  1835,  98)  mit  äuszerlicher  form  ungefähr  dasselbe 
aus  was  Dakinus,  da  bekanntlich  die  eigennamen  Halpdurinc  Halp- 
walah  im  gegensatz  zu  Altdurinc  (gramm.  2,  629.  633)  unserm  alter- 
thum  reinen  oder  gemischten  stamm  bezeichnen,  was  auch  bei  Alt- 
sahso  (s.  627)  zu  erwägen  ist.  Dann  fällt  mir  auf,  dasz  Yngl.  saga 
cap,  2  Odins  priester  Diar  genannt  werden;  das  sind  doch  wunder- 
bar die  getischen  z/tot  übergehend  in  ^doi  (s.  191.  198)  ohne  laut- 
verschiebung und  wiederum  zugleich  mit  lautverschiebung  altn.  tivar, 
divi  und  divini  (mythol.  s.  176),  was  helfen  kann  in  den  Ursprung 
des  namens  ^ccxol  zu  dringen,  dem  ich  die  griech.  zfavaoi  oder  in- 
dischen Dänavi  nicht  vorschnell  gleichstelle*. 


*  wer  das  altn.  Däinn  verwandt  hielte  mit  Dagr,  dürfte  auch  Dain- 
sleif  Sn.  164  dem  goth.  namen  Dagalaif  vergleichen  und  die  ahd.  frauen- 
namen  Tenilint  und  Tagalint  für  identisch  erklären. 


DÄNEN.    JUTEN  511 

Wenn  sich  nun  nicht  bestreiten  läszt,  äasz  die  Dänen  in  ge- 
nauem band  und  verkehr  mit  den  Gothen  und  andern  östlichen  Ger- 
manen waren,  allem  anschein  nach  aber  von  den  zur  Weichsel  vor- 
gerückten Gothen  losgerissen  wurden;  so  darf  auch  ihr  vielfaches 
auftreten  in  dem  deutschen  oder  anglischen  epos  nicht  befremden, 
ohne  dies  Verhältnis  liesze  sich  kaum  begreifen,  wie  in  unsern  Nib. 
Irnvrit  von  Düringen  einen  Irinc  von  Tenemarke  zur  seite  hat,  oder 
Liudger  von  Sahsenlande  einen  Liudgast  von  Tenemarke,  welche  noch 
im  alten  ingaevonischen  gegensatz  zu  iscaevonischen  Franken  erschei- 
nen. Vidsid  unterscheidet  Ssedene  320,  13  und  Süddene  322,  5, 
solche  die  schon  auf  einer  insel  der  ostsee  saszen  von  südlichen,  noch 
an  der  küste  des  festen  landes  wohnhaften,  oder  will  man  die  süd- 
lichen auf  Laaland  und  Falster  einschränken?  im  Beovulf  unter- 735 
scheiden  sich  Dene  nach  allen  vier  weltgegenden  Eästdene  Vestdene 
Süddene  Norddene,  auszerdem  werden  noch  Hringdene  und  Gärdene 
eingeführt,  welches  alles  einen  zahlreichen,  in  der  neuen  heimat  um 
sich  greifenden  volkstamm  erkennen  läszt.  aber  schwer  hält  es  ihnen 
bestimmte  sitze  anzuweisen.  4984  sind  Gärdene  unmittelbar  auf 
Gifdas  d.  i.  Gepiden  genannt,  was  ihren  aufenthalt  noch  tief  in  den 
Osten  des  festen  landes  zurückschiebt,  da  sonst  keine  Gepiden  im 
westland  vorkommen  (s.  464).  Die  namen  Hringdene  und  Gärdene, 
hergenommen  von  ringen  und  Speeren  der  beiden,  scheinen  mehr  aus- 
zeichnende dichterische  epitheta  der  Dänen  überhaupt,  als  eigne  be- 
nennungen;  so  sahen  wir  oben  s.  705  Gunnar  Geirniflüngr  =  Ni- 
flüngr  heiszen,  und  Geirniördr  Ssem.  266^^  mit  dem  verstärkten  namen 
eines  gottes  bezeichnet  nur  einen  beiden. 

Man  nimmt  an,  dasz  der  dänische  stamm  hauptsächlich  Schonen 
Seeland  und  Fühnen  erfüllte,  die  schonischen  könnten  Ostdänen,  die 
übrigen  Westdänen  heiszen,  allenfalls  die  jütischen  Norddänen.  Und 
hier  ist  nun  von  den  Juten  zu  reden,  deren  schon  cap.  XXIII  rael- 
dung  geschah.  Jütland  war  im  mittelalter  sitz  und  kraft  des  däni- 
schen reichs,  dessen  könig  von  den  skalden  Iota  drottinn  genannt  und 
zu  Viborg  erwählt  wurde;  wie  ich  schon  s.  446  anführte,  Finnen  heiszt 
ein  Däne  noch  heutzutage  Juuti.  Doch  lag  der  alte  und  berühmteste 
königstul  zu  Hleidra  auf  Seeland  (forum,  sog.  6,  613)  Hleidargardr 
(forum,  sog.  1,  46.  64.  97.  347),  bei  Saxo  Lethra,  später  Leire;  dies 
wort  ist  genau  das  goth.  hleij)ra  öiCTjvrj,  vielleicht  auch  gr.  x^sld'QOv, 
lat,  clathri,  ags.  hlseder,  ahd.  hleitara,  welche  beiden  letztern  freilich 
scala  ausdrücken :  zäun  und  gitterwerk  der  hütte  scheinen  aus  ruthen 
und  sprossen  geflochten  gleich  leitern.  sollte  nicht  mit  Lethra  der 
zweite  theil  jenes  dunkeln  namen  Vitisleth  (s.  733)  zusammenhängen?* 

Zuerst  nennt  die  Juten  Beda  in  den  s.  642  angezognen  stellen  736 
ausdrücklich  als  Germanen,  neben  Sachsen  und  Angeln,  mit  welchen 

*  Keyser  om  Nordmändenes  herkomst  s.  334  hält  Hleidra  zu  des  Pli- 
nius  insula  Latris  (4,  14)  in  ostio  sinus  Cylipeni,  und  zu  diesem  die  altn. 
Kylpingar  im  nordwestlichen  Ruszland,  welche  aber  allzuweit  abliegen  und 
nicht  lautverschoben  sind. 


512  JUTEN 

gemeinschaftlicli  sie  den  zug  nach  Britannien  unternahmen,  der 
Angeln  heimat  war  zwischen  Juten  und  Sachsen  gelegen,  den  Juten 
musz  der  kimbrischen  halbinsel  nördlicher  theil  überwiesen  werden 
und  von  vornherein  scheint  die  annähme  natürlich,  dasz  diese  drei 
Völker  stammverwandt  gewesen  sein  müssen.  1,  15  verdeutscht  Al- 
fred luti  durch  Geätas,  misgeleitet  von  der  ähnlichkeit  des  gothischen 
und  jütischen  namens*,  doch  4,  16  ist  provincia  lutorum  mit  dem 
richtigen  Eotaland  ausgedrückt,  was  mich  veranlaszt  auch  cod.  exon. 
323,  30  Eotum  statt  Eolum  herzustellen. 

Weder  im  Beovulf  sind  Eotas,  noch  in  den  eddaliedern  lotar 
anzutreffen,  bei  den  skalden  aber  lotar,  lotland,  lo tagrund,  lotavegr 
(belege  forum,  sog.  12,  313)  häufig  genug,  Saxo  gramm.  schreibt 
luti  und  lutia,  die  schwedische  form  lautet  Jute  Jutland,  die  dä- 
nische Jyde  Jylland.  hiernach  würde  ein  goth.  luts  pl.  lutös,  ahd. 
loz  pl,  lozä  zu  gewarten  sein,  wozu  sich  der  schwachformige  ahd. 
mannsname  luzo  halten  läszt.  dürfte  man  nun  der  dunkeln  partikel 
ut,  uta  8^co  die  formel  iuta  aut  utum  unterlegen,  so  könnte  sich  für 
unsern  volksnamen  die  örtliche  bedeutung  exterior,  extremus  ergeben, 
ahd.  ilzaro  üzarösto. 

So  viel  scheint  klar,  dasz  er  nichts  gemein  haben  kann  mit  einem 
andern,  oft  hinzu  gehaltnen,  aber  der  formel  ita  at  6tum  gehörigen 
ausdruck.  dem  altn.  iötunn  gigas,  ags.  eoten,  alts.  Stan  hätte  ein 
goth.  itns,  ahd.  {jzan  zur  Seite  zu  stehn.  iötnar  und  lotar,  eotenas 
737  und  Eotas  würden  im  goth.  itnos  und  lutös,  ahd.  Szanä  und  lozä 
noch  deutlicher  abweichen**. 

Aber  wie  schwer  vereinbares  hat  auf  einer  einzigen  seite  146 
Zeusz  unter  den  hut  bringen  wollen:  Tsvtoveq  Tcovyevoi***  Nui- 
thones  Euthiones  luthungi  lutae  Vitae  Ziuvari!  ist  es  etwas  mit  der 
lautverschiebung,  so  begehrte  sie  für  goth.  lutös  lat.  Eudi,  die  schon 
nach  goth.  weise  geschriebnen  luthungi,  ahd.  ledungä  (s.  500)  wären 
in  lat.  Eutigni  zu  übersetzen,  wofür  ich  die  urkundlichen  Eeudigni 
nicht  hingebe,  könnte  den  wegfall  oder  zutritt  des  linguallauts  die  altn. 
form  iod  proles  neben  |)iod  gens  erweisen ;  so  müste  überall  gefunden 


*  Procop  bell.  goth.  2,  6  legt  dem  Belisar  gegenüber  italischen  Ost- 
gothen  die  werte  in  den  mund:  fj/istq  Sh  roT&oiq  B^etrawiav  ^öXrjv  avy- 
X<oQovfjiev  sx^iv,  aber  dabei  denkt  der  schlaue  feldnerr  der  Römer  nicht 
an  die  in  Britannien  eingezognen  Juten,  sondern  will  die  Gothen  aus  Ita- 
lien nach  der  fernen  insel  verlocken. 

**  doch  könnte  sein,  dasz  der  mythische  Forniotr  gen.  Forniots,  ags. 
Forneot  Forneotes  (mythol.  220)  auf  Verwechslung  von  lotr  und  iötunn 
beruht,  da  sich  das  kennzeichen  des  alters  mehr  für  riesen  schickt  (mythol. 
s.  496). 

***  Tiovysvol  steht  in  zwei  stellen  Strabons  s.  183  und  293,  leidet  aber 
keine  änderung  in  Teviovol,  weil  Strabo  s.  196  Tevzovsg  schreibt  und 
Twvyevoi,  TiyvQTjvol  s.  293  nebeneinander  als  helvetische  stamme  erschei- 
nen._  allerdings  würden  sich  s.  183  "AfißoeDvsg  xal  Tevzovsg  besser  schicken 
als  ^'Afißgwvsq  xal  Ttovyevol  und  Strabo  konnte  hier  beide  namen  ver- 
wechseln; doch  den  buchstaben  geschähe  zu  viel  gewalt,  wollte  man  jene 
lesart  unterschieben. 


JUTEN  515 

werden  lodar  und  nicht  lotar.  Aber  von  den  Teutonen,  die  auf  der 
halbinsel  wohnten,  mag  sich  in  lütland  leicht  spur  weisen  lassen, 
wie  in  Dietmarsen  (s,  639).  Nidudr,  den  die  edda  nach  Schweden 
setzt  (Niara  drottinn  Ssem.  134.  135  wird  aus  Nerike  gedeutet), 
herscht  nach  Vilk.  saga  cap.  21  in  Jütland  'par  sem  Thiodi  heitir' ; 
man  meint  zu  Thy  in  Nordjütland,  falls  ein  solcher  name  dort  sich 
nicht  wiederholte,  in  Biörns  wb.  ist  Thiodi  =  Franconia  angegeben 
nach  der  merkwürdigen  stelle  der  Snorra  edda  s.  138,  welche  auch 
den  Hialprekr  d.  i.  Chilpericus,  zu  dem  Reginn  und  Sigurdr  gelangen, 
nach  Thiodi  setzt.  Völs.  saga  cap.  12  heiszt  aber  Hialprekr  könig 
von  Dänemark. 

Rask  vertheidigt  eine  andere,  gleich  unhaltbare  ansieht,  ihm  sind 
die  Juten  keine  Teutonen,  aber  Gothen,  lotar  sei  nur  eigne  aus-  738 
spräche  für  Gotar;  solche  erweichung  des  G  in  J  oder  I  ist  doch 
der  altn.  mundart  fremd,  dasz  in  Ohtheres  reise  Gotland  sowol  für 
Jütland  als  die  insel  Gothland  geschrieben  steht,  kann  nach  jenem  ags. 
Geätas  für  Eotas  nichts  beweisen.  Nach  einer  stelle  im  formäli  der 
edda  s.  14  soll  lotland  gleichviel  sein  mit  Reidgotaland ;  wir  werden  aber 
nachher  sehn,  dasz  diese  letzte  benennung,  wenn  auch  einigemal  auf 
Jütland  eingeschränkt,  sich  viel  weiter  erstreckte  und  mit  gröszerem 
recht  dem  festen  lande  zuerkannt  werden  musz. 

Mir  scheinen  die  Juten  schon  vor  ankunft  der  Dänen  im  norden 
angesessen  auf  der  halbinsel  und  gleich  deren  übrigen  bewohnern 
deutschen  stamms,  d.  h.  hier  weder  dänischen  noch  gothischen.  die 
vorhin  grammatisch  bestimmte  namensform  Eudi  findet  in  den  Eudoses 
des  Tacitus  volle  gewähr,  welche  ich  schon  s.  716  als  goth.  lutusjös 
aufgestellt  habe.  lutös  und  lutusjös  bezeichnen  dasselbe  volk.  im 
ersten  jh.  aber  wohnten  die  Eudoses  noch  zwischen  Suardonen  und 
Varinen  am  gestade  der  ostsee,  im  verlauf  des  zweiten  werden  sie  sich 
westwärts  in  die  halbinsel  gezogen  haben;  bei  Ptolemaeus  sind  sie 
da  als  0ovvöov6ot  genannt,  mit  welchen  ich  s.  640  noch  nicht 
auskommen  konnte:  man  wird  'lovdovöoi  Evöovöol  bessern  dürfen, 
womit  auch  Zeusz  s.  152  einverstanden  ist,  der  zugleich  aus  hss. 
des  Orosius  6,  7  Caesars  Sedussi  (s.  496)  für  Edusii  Eudusii  hält, 
die  sich  neben  den  Haruden  schon  in  Ariovists  heer  einfanden,  [vgl. 
Hellusii  Germ.  46.]  Nach  verlauf  der  zeit,  vielleicht  erst  im  5.  6  jh. 
mögen  nun  Dänen  aus  Seeland  und  Fühnen  in  die  nördliche  halbinsel 
eingebrochen  sein  und  die  Juten  überwältigt  haben,  deren  alter  name 
aufrecht  blieb,  obschon  ihre  spräche  der  dänischen  wich,  im  ganzen 
mittelalter  rechnete  man  also  die  Juten  schon  zu  den  Dänen,  Adam 
von  Bremen  (Pertz  9,  367)  sagt:  et  prima  quidem  pars  Daniae,  quae 
ludlant  dicitur,  ab  Egdore  in  boream  longitudine  protenditur;  und 
nochmals  (9,  373):  itaque  primi  ad  ostium  praedicti  sinus  habitant  in 
australi  ripa  versus  nos  Dani,  quos  luddas  (al.  Viddas)  appellant  usque 
ad  Sliam  lacum.  diese  Schreibung  ludlant  hält  noch  ganz  den  unver-  739 
schobnen  laut  von  Eudi  und  Eudoses. 

Gröszeres    umfangs   als    der    dänische  volkstamm   war   der  ihm 

Grimm,  geschieht«  der  deutschen  spräche.  33 


514  GOTHEN 

nahverwandte,  im  südlichen  theile  Schwedens  niedergelassene  gothische, 
des  namens  God|)iod  im  norden  eigentlicher  träger,  nordwärts  von 
Schonen  hat  er  die  gebiete  Westgothlands  und  Ostgothlands  eingenom- 
men, die  lange  zeit  ein  eignes,  vom  übrigen  Schweden  gesondertes 
reich  bilden,  auch  die  zwischen  gelegnen  Halland,  Blekingen  und 
Smäland,  sammt  der  insel  Gothland  müssen  ihm  überwiesen  werden. 
Doch  stellt  sich  hier  gleich  etwas  merkwürdiges  heraus,  diese 
schwedischen  Gothen,  wie  schon  ihr  name  Götar  Göter  zeigt,  sind 
keine  Gupans,  sondern  Gautös,  ags.  Geätas,  altn.  Gautar,  ahd.  Kozä, 
oder  in  den  lauten  des  höheren  alterthums  ausgedrückt:  sie  sind  keine 
Getae,  sondern  Gaudae,  d.  h.  eine  durch  ablaut  iind  Verschiebung 
bestimmte  Verschiedenheit  des  groszen  gothischen  volks,  deren  schon 
s.  200,  439  und  445  erwähnung  geschah,  aber  auch  darin  folgen  sie, 
fast  instinctmäszig,  dem  alten  stamm  nach,  dasz  ihnen  wie  diesem 
aufgang  und  niedergang  der  sonne  (s.  442)  in  der  neuen  heimat 
wieder  zur  abtheilung  wird  und  alsbald  ein  Eystragautland  Vestra- 
gautland,  schwed.  östergötland  Vestergötland  vorhanden  ist  (s.  445).* 
Solche  Gautar  oder  Götar  sind  die  in  Beovulf  neben  Sueonen  und 
Dene  auftretenden  Geätas  (s.  445);  wenn  sie  aber  in  Vedergeätas 
und  Ssegeätas  zerfallen,  scheinen  hiermit  nichts  als  westliche  und  öst- 
liche gemeint  (s.  45),  wie  unter  Ssedene  die  östlichen,  schonischen. 
statt  Vedergeätas  steht  häufig  einfaches  Vederas  oder  Vedera  leod, 
was  an  den  namen  Wetterau,  ahd.  Wetareiba,  in  einem  westlichen, 
warmen  land strich  gemahnt**. 
740  Allein  das  AU  waltet  nicht  ausschlieszlich,  sondern  auch  einfaches 

U  oder  0,  wie  es  schon  s.  440  in  den  altn.  formen  gotna  und  gotnesk 
aufgezeigt  war***.  Gautland  meint  das  schwedische  Götland  (Ost- 
und  Westgothland),  Gotland  aber  entweder  Schonen  oder  Dänmark 
(Sn.  146)  oder  die  insel  des  baltischen  meers,  deren  altes  gesetzbuch 
immer  Gutland,  Gutalagh  und  gutnisc  schreibt,  niemals  in  diesen  Wör- 
tern den  diphthong  AU  verwendet.  Allerdings  sollte  mit  der  Uform 
ein  TH,  nicht  T  verbunden  sein,  wie  auch  Godpiod  und  im  nächsten 
capitel  der  name  Godheimr  bestätigt;  TTH  in  Fot^ol  und  GutJ)iuda 
reicht  nicht  hin  das  einfache  T  zu  entschuldigen,  es  erscheint  auch  in 
allen  folgenden  namen  wie  im  ags.  Gotan  (s.  440),  und  mag  durch 
scheinbare  analogie  des  T  in  Gautar  und  Geätas  herbeigeführt  sein. 
Die  altn.  spräche  und  sage  unterscheidet  nemlich  ferner  ein  Eygota- 
land  und  Reidgotaland,  welchen  niemals  AU  zusteht  (s.  446).  mit  dem 
ersten  dieser  ausdrücke  werden  ganz  klar  gothische  Inselbewohner, 
vermutlich  die  auf  öland  und  Gotland  angezeigt ;  schwierig  aber  bleibt 
der  andere.    Biörns  Wörterbuch  deutet  Reidgotaland  durch  Jutia  und 


*  Götaelf,  altn.  Gautelf  heiszt  die  aus  dem  Wenersee  durch  Westgoth- 
land flieszende,  bei  Gothenburg  in  die  see  strömende  Elbe. 

**  ein  Vedra  fiörör  in  Kräkumäl  16  und  Vedrey  in  Halland.    fornm. 
sog.  4,  373. 

***  beide  formen   vereinbart    der   volksname  Gauthigoth   bei   lornand. 
cap.  3,  dessen  örtliche  deutung  schwer  gelingt  (vgl.  oben  s.  441). 


REIDGOTHEN  515 

läszt  unmittelbar  darauf  das  wort  reidgoti  veredus  folgen,  wie  auch 
das  einfache  altn.  goti  equus  bedeutet,  wir  sahen  aber,  dasz  im  volks- 
namen  das  T  unorganisch  ist.  ebensowenig  kann  pferdeland  des  namens 
sinn,  als  dessen  einschränkung  auf  Jütland  gegründet  sein,  hält  man 
jene  stelle  des  formäli  der  edda  s.  14  zu  skäldskaparmäl  s.  146,  so 
ergibt  sich  beider  gleichheit  und  dasz  in  der  ersten  Gotland  für  lot- 
land  zu  setzen  ist.  In  der  ganzen  Hervararsaga  wird  Reidgotaland 
offenbar  ins  nordöstlichste  Deutschland  und  an  Hünaland  grenzend 
gelegt,  ja  s.  509  steht:  er  J)at  sagt,  at  Reidgotaland  ok  Hünaland  se 
nü  Thydskaland  kallat.  zwischen  beiden  reichen  liegt  Myrkvidr 
(Hervar.  p.  496),  was  an  den  niederländischen  wald  Mircwidu  bei 
Dietmar  (Pertz  5,  869)  erinnert,  um  so  merkwürdiger,  da  in  unsrer 
heldensage  die  fränkischen  Völsüngr  und  Sigmundr  könige  von  Hüna- 
land sind  (fornald.  sog.  1,  116.  119.  144),  Sigurdr  in  der  edda  selbst  741 
hünskr  heiszt  (Ssem.  216''  225''  264*),  welches  alles  auf  die  oben  s. 
475.  524  berührte  mythische  nähe  der  Franken  Hünen  und  Friesen 
hinweist  und  ein  andermal  genauer  ausgeführt  zu  werden  verdient. 
Hierher  gehört  blosz,  dasz  auch  Vidsld  im  ags.  lied  322,  3  mid 
Hünum  and  Hrßdgotum  verkehrt  und  Hrödcyninges  häm  Eormanrices 
319,  4  besuchte,  der  gothische  Ermanricus  tritt  als  reidgothischer 
könig  auf,  und  325,  31  wird  gesagt:  Hrasda  here  ymb  Vistla  vudu 
vergan  sceoldon  ealdne  ßdelstöl,  an  der  Weichsel  hatten  die  Hrsedas 
ihren  alten  sitz,  nicht  anders  läszt  auch  der  dichter  von  Elene  v. 
20  Hüna  leode  and  Hr6dgotan,  Francan  and  Hünas  zu  Constantin 
des  groszen  zeit  das  römische  reich  überziehen,  und  v.  58  wird  noch- 
mals Hüna  and  Hr6da  here  nebeneinander  genannt;  der  zug  ergeht 
nach  V.  37  an  die  Donau  über  die  riesenburg  (bürg  enta)  v.  31  und 
scandinavische  Völker  können  hierbei  gar  nicht  in  betracht  kommen. 
Wie  aber  der  name  Hr6das  oder  Hrsedas  (denn  kurzen  vocal  zu  setzen 
verbietet  das  altn.  Reid)  sich  deuten  lasse?  ist  erheblich  genug  zu 
fragen,  die  altn.  Schreibung  hat  nur  R  im  anlaut,  welches  ich  darum 
dem  ags.  oft  falschen  HR  vorziehe;  mir  schwebt  vor,  dasz  in  Reid 
Red  oder  Raed  die  vocale  entstellt,  und  wenn  man  Reod  oder  Reud 
vermuten  wollte,  des  Tacitus  Reudigni  zu  erwägen  sein  dürften,  diese 
Reudinge  sahen  wir  zur  römischen  zeit  neben  Angeln,  Varinen, 
Eudosen,  Suardonen  zwischen  Elbe  und  Oder  an  der  ostsee;  warum 
könnte  ihr  name  nicht  in  den  Reidgoten  nachklingen?  gleich  ihren 
nachbarn  werden  sie  sich  später  gegen  westen  fortbewegt  haben, 
ohne  dasz  das  andenken  an  ihren  alten  sitz  im  osten  und  an  ihren 
Zusammenhang  mit  den  Gothen  ausstarb;  aber  der  mit  den  Eudosen 
macht,  dasz  sie  auch  nach  Jütland  gesetzt  wurden,  von  den  schwe- 
dischen Gauten  unterscheiden  sie  sich  bestimmt,  wie  schon  die  Schrei- 
bung der  namen  anzeigt.  Wer  die  mythischen  Ortsnamen  in  Her- 
vararsaga und  Ynglingasaga  cap.  21  näher  deuten  könnte,  würde 
mehr  licht  über  diese  Reidgothen,  und  wenn  es  mich  nicht  triegt 
über  die  alten  Reudinge  verbreiten. 

Ich   gehe    über   von    der  God^iod    auf  die   SvlJ)iod.     Schweden  742 

33* 


516  SCHWEDEN 

kennt  schon,  der  noch  von  keinen  Dänen  weisz,  Tacitus  nicht  mehr 
im  germanischen  festland,  sondern  als  inselbewohner,  als  eigentliche 
bevölkerung  der  bei  ihm  ungenannten  Scandinavia;  nachdem  er  von 
Gothen,  Lygiern  und  Lemoviern  gesprochen  hat,  heiszt  es  cap.  43: 
Suionum  hinc  civitates,  ipso  in  oceano,  praeter  viros  armaque  classi- 
bus  valent,  und  hierauf  werden  ihre  schiffe,  ihre  herscher  und  noch 
ein  eigner  brauch  geschildert:  nee  arma,  ut  apud  ceteros  Germanos 
in  promiscuo,  sed  clausa  sub  custode  et  quidem  servo,  wobei  mir 
eine  stelle  der  edda  einfällt,  Saem.  245*: 

siö  eigo  vid  salhüs  sverda  füll, 
hverjo  ego  J)eirra  hl  ölt  er  guUi. 

denn  dasz  edle  und  freie  sich  nicht  zu  hütern  der  waffen  hergaben, 
ist  deutscher  sitte  angemessen.  Die  Schweden  waren  also  ein  ansehn- 
liches volk,  das  mehrere  landschaften  (civitates,  wiedieLygier  cap.  42) 
bildete,  aber  sie  waren  Germanen;  man  kann  kein  entscheidenderes 
Zeugnis  verlangen  dafür,  dasz  die  Eömer  Scandinavien  unter  Germanien 
begriffen. 

Der  namensform  Suiones  entspricht  auch  im  mittelalter  Sueones 
z.  b.  bei  Eginhart  cap.  12,  in  den  annalen  (Pertz  1,  200)  bei  Adam 
von  Bremen  und  Saxo,  die  fast  immer  so,  nur  ausnahmsweise  anders 
schreiben,  nicht  anders  stimmt  das  ags.  Sveon,  gen.  pl.  Sveona  Beov. 
5888.  5911.  5998,  dat.  pl.  Sveom  cod.  exon.  320,  19.  322,  4,  wozu 
Thorpe  s.  534  einen  falschen  nom.  pl.  Sveas  bildet,  der  altn.  name 
hat  im  nom.  pl.  Svlar*,  gen.  Svia,  dat.  Svium;  wie  hier  der  nicht 
übliche,  stets  durch  das  adj.  Svenskr  ersetzte  nom.  sg.  zu  lauten 
hätte?  etwa  blosz  Svi?  dem  ags.  gebührt  Sveo,  gerade  wie  das  lat, 
743  Suiones  den  sg.  Suio  fordert.  Aber  von  dieser  nordischen  und  säch- 
sischen gestalt  des  namens  scheint  sich  die  goth.  und  hochdeutsche 
zu  entfernen,  jene  überliefert  uns  lornandes  cap.  3 :  alia  vero  gens 
ibi  moratur  Suethans**,  quae  velut  Thuringi  equis  utuntur  eximiis; 
ganz  die  goth.  schwache  form,  einen  nom.  sg.  Suetha  voraussetzend; 
darf  man  auch  den  vocal  gothisch  fassen,  so  ist  Su6tha  zu  schreiben; 
ein  Gothe,  denke  ich,  würde  geschrieben  haben  SveiJ)a,  wo  nicht  gar 
Svaipa,  dem  bald  darauf  folgenden  Finnaitha  ähnlich,  wofür  das  altn. 
Finneidi  (fornm.  sog.  11,  358)  d,  i.  heutige  Finweden  in  Smäland 
gewähr  leistet.  Adam  von  Br.  378,  16  nennt  Finnedi  (al,  Finwedi) 
neben  Wermelani  (Wermländern).  zu  bedauern  ist  der  abgang  ahd. 
glossen  für  den  namen  des  volkes  und  landes,  aus  dem  nhd.  Schwede, 
mhd.  Sweide  (Diut.  1,  66.  Oberlin  s.  1132)  und  Swßde  Sw6den 
folgre   ich  ahd.  Sueido  pl.  Sueidon   und  vermute  in  Suiones  Sueones 


*  die  üppsviar  in  üppland  (wo  auch  Uppsalir)  gemahnen  an  Uphriustri 
(s.  678)  und  behaupten  den  vorrang  unter  allen  stammen,  üpplönd  finden 
sich  sodann  in  Norwegen,  ein  Utland  neben  Vestergötland;  ütlönd,  ütiardir 
sind  terrae  exterae,  minores,  folglich  üppsviar  Sueci  majores,  IJtsviar  minores. 
**  die  Schreibungen  Subeans  =  Sweans  (ÜB  für  W,  wie  öfter)  Suue- 
hans  kommen  dagegen  nicht  auf;  auch  Ekkehard  (Pertz  8,  120)  las  in 
lornandes  Suehans. 


SCHWEDEN  517 

Svlar  einen  ausfall  der  lingualis,  ähnlich  dem  in  fior  feover  statt 
des  goth.  fidur  fidvör  (s.  242).  Nicht  zu  übersehn,  dasz  neben  Sueones 
Adam  aber  auch  häufig  Suedi  und  Suedia,  einmal  sogar  Suevi  319, 
30  und  Suigja  345,  3,  dann  auch  Suevi  schreibt,  welches  letztere 
statt  des  gewöhnlichen  Sueones  ebenfalls  einigemal  bei  Saxo  gefunden 
wird  und  in  der  heutigen  lat.  form  den  sieg  davon  getragen  hat. 
Sueci  scheint  kürzung  eines  adjectivischen  Sveici  oder  Suevici,  und 
auf  diesem  wege  liesze  sich  der  schwedische  an  den  suevischen  namen 
knüpfen.  Was  aber  ist  aus  der  von  lornandes  gegen  den  schlusz 
desselben  cap.,  man  musz  annehmen,  als  verschiednem  namen  aufge- 
zählten form  Suethidi  zu  machen  ?  er  sagt :  Finni  mitissimi,  Scandzae 
cultoribus  omnibus  mitiores,  nee  non  et  pars  eorum  Vinoviloth, 
Suethidi,  Cogeni  in  hac  gente  reliquis  corpore  eminentiores.  kann  in 
Suethidi  liegen  Svipiod,  goth.  Svej)iuda,  wie  in  einem  vorausgegangnen 
namen  Liothida  Liut|)iuda  (gens  effera,  saeva,  von  liuts  ahd.  lioz  ferus)? 
Wir  müssen  den  critischen  apparat  zu  lornandes  abwarten,  um  hier  744 
festeren  fusz  zu  fassen. 

So  viel  scheint  mir  jetzt  schon  durchzubrechen,  dasz  unsere 
Schweden  und  Suethans  zusammenhängen  müssen  mit  den  von  Tacitus, 
als  er  nach  den  Suionen  des  ihn  mehr  anziehenden  bemsteins  aus- 
führlich gedacht  hat,  noch  erwähnten  Sitonen  cap.  45 :  Suionibus 
Sitonum  gentes  continuantur,  cetera  similes,  uno  differunt,  quod  femina 
dominatur.  dieser  letzte  zug  macht  denken  nicht  sowol  an  des  lor- 
nandes skythische  Amazonen  und  Aliorunen  (cap.  6.  8.  24),  als  an 
die  von  Paul,  diaconus  1,  15  ins  ende  Germaniens  versetzten:  nam 
et  ego  referri  a  quibusdam  audivi,  usque  hodie  in  intimis  Germaniae 
finibus  gentem  harum  existere  feminarum.  die  sage  hatte  den  lango- 
bardischen  Lamissio  mit  diesen  frauen  kriegen  lassen,  in  Alfreds 
reisebericht  sind  aber  zwei  solcher  frauenländer  genannt,  einmal 
Mägdaland  (terra  virginum)  zwischen  Horithen  und  Sermenden,  und 
Cvenaland  (terra  feminarum)  hinter  Sveoland,  dessen  bewohner  jedoch 
Cvenas,  nicht  Cvena  frauen  genannt  werden,  wie  überhaupt  beide 
ländernamen  den  erzähler  nicht  veranlassen  etwas  von  frauen  zu  er- 
wähnen, forum,  sog.  11,  414  geschieht  eines  Kvennaland  (feminarum 
regio)  in  Asien  meidung,  doch  Egilssaga  cap.  14  p.  56.  57  nennt  ein 
historisches  Kvenland,  das  zwischen  Schweden  und  Finnland  (auf 
schwedischer  seite  in  Helsingjabotn,  auf  finnischer  in  Austrbotn) 
gelegen  war.  genau  genommen  unterscheiden  sich  die  Kvenir  von 
Schweden  und  von  Finnen,  gelten  aber  zuweilen  auch  für  Finnen; 
fornald.  sog.  2,  3  stehn  Gottland,  Könland  und  Finnland  zusammen 
unter  einem  herscher.  Diese  altn.  Kvenir  und  ags.  Cvenas  erscheinen 
also  ihrer  läge  und  der  frauengewalt  nach  ganz  die  Sitonen  des 
Tacitus,  deren  name  lautverschoben  den  goth.  Sv6J)ans  und  mhd. 
Sweiden  entspricht,  da  die  anlaute  S  und  SV  öfter  identisch  sind, 
z.  b.  die  goth.  seina  sis  sik  aus  sveina  svis  svik  entspringen  (s.  261) 
und  goth.  svein,  sl.  svinja  dem  lat.  sus  suis  gleich  steht. 

Soll  ich  nun  eine  deutung  des  dunkeln  namens  wagen?  ans  altn. 


518  SCHWEDEN 

745sved:ja  framea  denke  ich  nicht;  es  mag  ein  uraltes  verbum  sveij)a 
svai]^  svij)um  gegeben  haben,  dessen  bedeutung  noch  aus  dem  altn. 
svld  sveid  svidum  aduro,  svidinn  adustus  ersichtlich  ist;  daher  leite 
ich  ags.  svädu  vestigium,  gleichsam  eingebrannte  spur,  die  Schwe- 
den sagen  sveda,  die  Dänen  svie  adurere,  svedja  aber  drückt  jenen 
ganz  besonders  aus:  dejectis  arboribus  ignem  subjicere,  ut  in  cineri- 
bus  frumentum  seratur;  altn.  gilt  svla  von  der  warm  werdenden  luffc. 
bezeichnete  man  die  waidgrenze  durch  niedergebrannte  bäume?  den 
Friesen  ist  sw6the  grenze,  in  der  jüngeren  niederd.  spräche  swette. 
waren  dem  alterthum  Schweden  was  Markomannen  (s.  503),  die  auf 
der  waidgrenze  wohnenden?  das  ahd.  suid  strages,  exitium  (Graff 
6,  871)  war  vielleicht  ein  muspilli,  perditio  ligni  =  ignis,  wie  bei 
0.  V.  23,  149  suldit  urit  scheint;  in  den  tradit.  wizenb.  p.  386 
begegnen  die  ahd.  mannsnamen  Suueidinc  und  Suueidmunt.  nicht 
unangemerkt  lassen  darf  ich  aber,  dasz  jenes  altn.  SviJ)iod  (grenz- 
volk?}  in  der  ags.  chronik  ad  a.  1025  Svädeod  lautet,  und  vielleicht 
ist  auch  dem  ags.  svädu  der  begrif  grenze  nachzuweisen. 

Strabo  s.  306  hat  unter  den  Bastarnen  auch  Utdoveg,  Plinius 
aber  4,  11  unter  thrakischen  Völkern  circa  Ponti  litora  Moriseni  Si- 
thoniique  Orphei  vatis  genitores*.  Ptolemaeus  stellt  in  die  weichsel- 
gegend,  nach  den  Lugiern  und  Buren  Uidiovsg,  ska  Koyvai,  welche 
zu  den  bei  lornandes  genannten  Suethidi  und  Cogeni  treffen,  weshalb 
ich  die  besserung  in  Kotvol  =  Konvoi  ablehne**,  es  sei  denn,  dasz 
lornandes  den  fehler  selbst  aus  Ptolemaeus  schöpfte,  ins  Odergebiet 
hingegen  setzt  Ptolemaeus  Xsiöivoi.  verhält  sich  meine  deutung  des 
sitonischen  namens  recht,  so  kann  er  Völkern  verschiedner  gegend, 
ohne  dasz  man  Wanderungen  anzunehmen  braucht,  zugestanden  haben. 
Es  ist  auf  jeden  fall  bedeutsam,  dasz  uns  auch  dieser  name  aus  dem 
norden  zurück   an  die   Oder,   Weichsel   und  an  das  schwarze   meer 

746  führt,  von  wannen  der  Gothen  und  Geten  ausgang  erfolgte,  wie 
hernach  im  norden  Dänen  Gothen  und  Schweden  neben  einander  kön- 
nen schon  dort  im  osten  Daken  Geten  und  Sitonen  sich  zur  seite 
gesessen  haben  und  die  Bastarnen  sind  dabei  nicht  zu   übersehen. 

Nirgend  hielt  das  bewustsein  dieses  alten  Zusammenhangs  länger 
an  als  in  Scandinavien,  wo  ihm  freilich  auch  die  nicht  so  früh  aus- 
gerottete mythologie  Vorschub  that.  während  im  übrigen  Deutschland 
fast  nur  noch  in  der  fränkischen  sage  (s.  523)  rückwärts  nach  der 
Donau  geschaut  wurde,  andern  stammen  aber  die  östliche  abkunft  in 
eine  nördliche  sich  umdrehte ;  hielt  die  nordische  sage  an  einem  alten 
viel  ausgedehnteren  Schwedenreich  fest***  und  blieben  die  Nord- 
männer des  Pontus  und  Tanais  eingedenk,     diese  absichtslos  fortge- 


*  den  Orfeus   brachte  die  griechische  sage   an   mehr  als   eine   stelle 
in  Thrakien  und  Makedonien. 

**  wie  wenn  zu  diesen  Cogeni  das  getische  Kcoyalcovov  (s.  200)  gehörte? 
***  Sviaveldi  begreift  auch  Gardariki,    das  spätere  ßuszland.     fornald, 
sog,  1,  413.  422. 


SCHWEDEN.    ROXOLANEN  519 

pflanzte  Überlieferung  musz  dem  aus  andern  gründen  geschöpften  be- 
weis mächtig  zu  statten  kommen. 

Ich  will  aber  noch  eine  andere  spur  aufweisen,  dem  Strabo 
sind  s.  114  'Pco^oXavot  die  fernsten  Scythen,  vöratoi  räv  yvcogifiav 
Sxvd'cov,  und  s.  294.  folgt  nähere  angäbe,  dasz  sie  ostwärts  hinter 
der  Germania  und  den  Bastarnen  wohnen,  nach  s.  306  zwischen 
Tanais  und  Borysthenes,  als  eben  der  Peukinen  und  Sidonen  gedacht 
war.  auf  einer  lat.  inschrift  (oben  s.  459)  werden  reges  Bastarnarum 
et  Rhoxolanorum  zusammen  genannt,  durch  diese  Verbindung  mit  den 
Bastarnen  fallen  sie  in  die  zeit  vor  Christus.  Plinius  4,  12  zählt  sie 
gleich  Geten  und  Sarmaten  unter  den  Skythen  auf:  Alani  et  Rhoxolani. 
sie  hängen  also  mit  den  ältesten  und  nordöstlichsten  Germanen  zu- 
sammen. Dem  Tacitus  bist.  1,  79  heiszen  sie  Sarmaten,  er  läszt  sie 
im  j.  69  in  Moesien  einfallen:  eo  audentius  Rhoxolani,  sarmatica  gens, 
priore  hieme  caesis  duabas  cohortibus  magna  spe  ad  Moesiam  inru- 
perant:  novem  millia  equitum,  ex  ferocia  et  successu,  praedae  magis 
quam  pugnae  intenta.  Ptolemaeus,  der  in  Sarmatien  vier  grosze  Völker- 
schaften ansetzt,  darunter  auch  Peukinen  und  Bastarnen  begreift,  stellt  747 
lazygen  und  Rhoxolanen  nebeneinander,  hat  aber  zwischen  Bastarnen 
und  Rhoxolanen  Hünen  {Xovvoi).  Noch  bestimmter  lautet  des  lornan- 
des  angäbe  cap.  12:  hanc  Gothiam,  quam  Daciam  appellavere  majores, 
quae  nunc  ut  diximus  Gepidia  dicitur,  tunc  ab  Oriente  Roxolani,  ab 
occasu  Tamazites,  a  septentrione  Sarmatae  et  Bastarnae,  a  meridie 
amnis  Danubii  fluenta  terminant  (1.  terminabant).  Tamazites  a  Roxo- 
lanis  alveo  tantum  fluvii  segregantur.  offenbar  heiszt  nach  diesen  Tama- 
siten  (deren  namen  fast  an  den  skythischen  Poseidon  Thamimasadas 
bei  Herod.  4,  59  mahnt)  der  ort  Tamasidava  im  lande  zwischen  Ister 
und  Hierasus  bei  Ptolemaeus.  Merkwürdig  aber  lautet  die  cap.  24 
von  Hermanricus  ende  mitgetheilte  nachricht:  nam  Hermanricus  rex 
Gothorum  licet,  ut  superius  retulimus,  multarum  gentium  extiterit 
triumphator,  de  Hunnorum  tamen  adventu  dum  cogitat,  Roxolanorum 
gens  infida,  quae  tunc  inter  alias  (ei)  famulatum  exhibebat,  tali  eum 
nanciscitur  occasione  decipere.  dum  enim  quandam  mulierem  Sanieih 
nomine  ex  gente  memorata  pro  mariti  fraudulento  discessu  rex  furore 
commotus  equis  ferocibus  illigatam,  incitatisque  cursibus  per  diversa 
divelli  praecepisset,  fratres  ejus  Sarus  et  Ammius  germanae  obitum 
vindicantes  Hermanrici  latus  ferro  petierunt.  das  schlägt  unmittelbar 
in  unsere  heldensage  ein,  Sarus  und  Ammius  sind  die  in  der  Quedlin- 
burger Chronik  bei  Pertz  5,  31  Serila  und  Hemido  (1.  Hemideo),  in 
der  edda  Sörli  ok  Hamdir  genannten,  ihre  gothischen  namen  würden 
lauten  Sarvila  (onUtrjg)  Hamapius  (loricatus);  Sanieih  =  Svanihild 
(s.  298),  ihre  Schwester  oder  Stiefschwester  war  Sigurds  leibliche 
tochter,  sie  selbst  sind  söhne  lonakurs  (goth.  Aunaharis,  Haupt  3, 156), 
dessen  reich  edda  und  Völsvlngasaga  nicht  ausdrücken,  es  musz  je- 
doch am  meer,  weil  Godrvln  auf  den  wellen  zu  ihm  getragen  wird, 
und  dem  Gothem-eich  benachbart  gelegen  haben,  hierzu  fügt  sich, 
dasz  bei  Saxo  gramm.  diese  brüder  'genere  hellespontici'  genannt  sind. 


520  SCHWEDEN.    ROXOLANEN 

was  deutlich  den  Hellespont  am  schwarzen  meer  meint,  also  zur  öst- 
lichen heimat  der  ßoxolanen  stimmt,  die  im  vierten  jh.  bei  Gothen 
748  und  Hünen  wohnen,  und  in  deren  königsgeschlecht  deutsche  namen 
nicht  verwundern  können,  wenn  sie  auch  mit  lazygen  und  Sarmaten, 
also  Slaven  vermengt  erscheinen,  nie  steht  Ehoxalani,  doch  man  hat, 
weil  Plinius  Alani  und  Ehoxolani  verbindet,  nicht  uneben  beide  Völker 
auch  im  namen  verwandt  gehalten  (Böckh  inscr.  2,  115*),  wozu  das 
s.  223.  473  über  Alanen  gesagte  verglichen  werden  musz. 

Diese  nachricht  von  den  Ehoxolanen  hätte  ich  bereits  im  zehnten 
cap.  gegeben,  wenn  sie  nicht  der  folgenden  beziehung  halben  hierher 
gehörte,  die  Finnen  nemlich  nennen  einen  Schweden  noch  den  heu- 
tigen tag  Euotsalainen,  die  Esten  Eootslane,  die  norwegischen  Lappen 
Euotteladzh;  das  land  Schweden  heiszt  finnisch  Euotsi,  lappisch 
Euotti*;  es  sind  uralte  formen,  die  sich  in  dem  fernsten  norden,  gleich 
jenem  Dazh  und  Dattschanin  für  Däne  (s.  732)  geborgen  haben  und 
beide  namen  bezeugen  sich  ihren  östlichen  Ursprung  wechselweise. 
Euotsalainen  ist  Ehoxolanus  und  der  Finne  der  vorzeit  musz  sich 
mit  einem  schwedischen,  gothischen,  alanischen,  sarmatischen  volk- 
stamm berührt  haben,  den  er  so  benannte;  auf  dem  schwedischen 
nachbar  blieb  zuletzt  der  name  haften,  hat  ihn  aber  die  finnische 
spräche  zuerst  gebildet,  welche  alle  volksnamen  auf  -lainen  ableitet 
(Lappalainen  ist  ein  Lappe,  Pohjalainen  ein  Nordländer);  so  kann  jener 
Zusammenhang  mit  den  Alanen  nicht  richtig  sein,  es  sei  denn,  dasz 
der  name  ^Akavoi  selbst  dem  finnischen  gesetz  folge.  Das  aber  leuchtet 
mir  ein,  dasz  die  gewöhnliche  herleitung  von  Euotsalainen  aus  Eos- 
lagen, wie  ein  theil  der  Finnland  gegenüber  liegenden  upländischen 
küste  genannt  wird,  falsch  und  wol  umgekehrt  Eoslagen  aus  Euotsa- 
lainen gebildet  worden  sei.  gehörte  Eoxolanus  schon  im  hohen  alter- 
thum  einem  germanischen  volkstamm,  so  kann  es  füglich  ein  un- 
deutscher, ihm  von  fremden  nachbarn  zugelegter  name  sein**. 

*  den  Norweger  nennen  die  Finnen  ßutialainen,  Norwegen  Rutia,  das 
scheint  dem  Euotsalainen  sehr  ähnlich,  den  schwed.  Lappen  heiszt  der 
Schwede  Tarolats  oder  Laddelats  (rusticus). 

**  an  den  ersten  theü  von  Rhoxolanius  erinnert  schon  ^Pm^ävj],  der  name 
einer  gemahlin  Alexanders  des  groszen.  es  scheint,  man  hat  allen  grund  den 
Ursprung  des  russischen  namens  mit  den  Roxolanen  zu  verknüpfen,  da  nicht 
allein  die  byzantinischen  ^oiösgäzoi  und  BÜQayyoi  (s.  450. 451)  als  Varjager 
undgosti  (gaste),  als  Varjagorussi  auf  russischem  gebiet  erscheinen,  sondern 
auch  die  drei  brüder  Riurik,  Sinous  und  Trivor  bei  Nestor  als  unslavische, 
deutsche  ansiedier  geschildert  werden,  die  ann.  trecenses  (Pertz  1,  434)  mel- 
den, dasz  der  griech.  kaiser  Theophilus  im  j.  839  eine  gesandtschaft  an  Lud- 
wig den  frommen  nach  Ingelheim  schickte:  misit  etiam  cum  eis  quosdam, 
qui  se,  id  est  gentem  suam  Rhos  vocari  dicebant,  unter  welchen  man  sich 
noch  Bägay-yoi  denken  darf,  die  mit  dem  alten  namen  der  Roxolanen  be- 
nannt wurden,  wenn  sie  auch  schon  Slaven  waren.  Roxolanus  und  Ruotsa- 
lainen  musz  also  im  alterthum  von  einem  germanischen  oder  halbgermanischen 
volkstamm  gültig  gewesen  sein.  Dasz  die  Finnen  gerade  den  Russen  Wenä- 
läinen  und  nicht  Euotsalainen  nennen,  beweist  nichts  gegen  den  Zusammen- 
hang der  Russen  und  Roxolanen;  die  finnische  benennung  hatte  sich  auf  den 
germanischen  bestandtheil  des  volks,  nicht  auf  den  sarmatischen  gewandt. 


ROXOLANEN.    NORWEGER  ^f 

Wie  der  Römer  äuge  in  Scandinavien  nur  Germanen  sah  und  749 
scandische  gleich  deutschen  stammen  eine  uralte  gemeinschaft  im 
Osten  ahnen  lassen;  findet  sich  auch  die  deutsche  und  altnordische 
heldensage  vielfach  verflochten,  jene  liedberühmten  brüder  der  Rho- 
xolanen  bezeugen  es  eben  und  das  gedieht  von  Beovulf  bürgt  dafür, 
in  welchem  Dene,  Geätas,  Sveon,  Gifdas,  Francan,  Frysan,  Hetvare 
und  Höcingas  auftreten,  neben  andern  deutschen  stammen  nennt 
uns  Vidsid  auch  Sveon  und  Heisingas  320,  1,  d.  i.  die  einwohner 
des  schwedischen  Helsingeland,  altn.  Helslngjar;  322,  9  Geflegas?  ein- 
wohner von  Gefle? 

Man  kann  erwarten,  dasz  auch  für  den  dritten,  noch  entfernteren 
haupttheil  Scandinaviens,  für  Norwegen  ähnliche  beziehungen  walten. 

Die  altn.  benennung  Noregr  (schwed.  Norrige,  dän.  Norge)  ent- 
springt aus  Norvegr  (s.  298),  wie  durch  helvegr  die  unterweit,  durch  750 
moldvegr  die  erde  (ags.  foldveg)  ausgedrückt  wird;  zumal  aber  kann 
sie  jenes  ähnliche  Godvegr  (s.  729)  erläutern.  Saxo  braucht  die  lat. 
form  Norvagia,  welcher  das  mhd.  Norvaege  Nib.  682,  3.  Parz.  66,  1 
gleicht,  doch  Conrad  schreibt  Norwegen  (:  degen)  Partinop.  48,  14. 
troj.  kr,  23783.  dem  mhd.  Sweiden  scheint  Norweide  Diut  1,  67 
nachgebildet,  blieb  aber  bis  ins  16.  jh.  üblich  in  der  form  Norweden 
Nortweden  bei  Er.  Alberus,  Seb.  Frank  und  Fischart.  Wichtiger  ist 
die  frage,  ob  das  verengte  Noregr  schon  gesucht  werden  dürfe  in 
einem  alten  namen  bei  Plinius  4,  16:  sunt,  qui  et  alias  (insulas) 
prodant,  Scandiam,  Dumnam,  Bergos,  maximamque  omnium  Nerigon, 
ex  qua  in  Thulen  navigetur?  Zeusz  s,  195  verneint  es,  weil  er  sich 
unter  Thule  nur  das  von  den  Norwegern  erst  im  9.  jh.  erreichte 
Island  denkt;  da  doch  Thules  sagenhafte  Unbestimmtheit  auszer  Is- 
land und  vielleicht  den  Orkaden  auch  auf  die  norwegische  küste  an- 
gewendet werden  darf,  bei  Strabo  s.  63.  64.  114.  201  heiszt  &ovXr] 
nördlichste  der  britischen  inseln,  das  äuszerste  nordland,  auch  bei 
Plinius  4,  16  ultima  omnium,  quae  memorantur,  und  berühmt  ist 
Virgils  ultima  Thule  Georg.  1,  30.  Tacitus  im  Agric.  10  von  ent- 
deckung  Britanniens  und  der  Orkaden  redend  fügt  hinzu:  dispecta 
est  et  Thyle,  quam  hactenus  nix  et  hiems  appetebat.  Procop  b.  goth. 
2,  15  schildert  aber  Thule  zehnmal  gröszer  als  Britannien  und  von 
dreizehn  stammen  unter  eignen  königen  bewohnt,  was  nur  auf  Nor- 
wegen passen  kann  und  zu  der  grösze  von  Nerigon  bei  Plinius  stimmt, 
dasz  Procops  Thuliten  Normänner  oder  Scandinaven  insgemein  sind, 
geht  auch  aus  den  darunter  mitbegViffenen  Gauten  (/airoi)  hervor, 
die  er  B^^vog  noXvdv&QGinov  nennt. 

Der  name  Thule  würde  sich  lautverschoben  gut  aus  dem  altn. 
dylja  celare  occulere,  dul  occultatio  erklären:  es  ist  das  nebelhafte, 
unbekannte  land  und  die  norweg.  landschaft  Thelamörk,  deren  ein- 
wohner Thilir  heiszen,  schlage  ich  lieber  nicht  hinzu. 


man  vgl.  Ewers  vom  Ursprung  des  russ.  Staats,  Riga  1808,  aber  mehr  des 
stofs  als  der  ergebnisse  wegen. 


522  NORWEGER 

Auszer  Scandia  und  Nerigon  kommt  noch  eine  andere  benennung 

751  bei  Plinius  4,  13  in  betracht:  Scandinavia  est  incompertae  magnitu- 
dinis,  portionem  tantum  ejus,  quod  sit  notum,  Hillevionum  gente  D 
incolente  pagis,  quae  alterum  orbem  terrarum  eam  appellat.  Diese 
500  pagi  Hillevionum  gehn  noch  über  die  100  der  Sueven  (s.  490. 
491)  hinaus;  der  name  klingt  fast  an  jene  AiXovalavBg,  Helvecones 
und  Helusii  des  festen  landes  (s.  714),  das  altn.  helluland  bedeutet 
felsenland  von  hella  petra,  goth.  hallus,  und  die  klippen  von  Nor- 
wegen können  ihn  veranlaszt  haben*.  lornandes  cap.  3  hat  Bergio 
und  Hallin  als  volksnamen  hintereinander.  Schwerlich  steckt  in 
diesem  Bergio  oder  des  Plinius  Bergos  das  heutige  Bergen,  altn. 
Biörgyn,  Biörgvin,  Biörgynja,  sondern  vielleicht  noch  das  goth.  fair- 
guni  mons,  altn.  Fiörgyn,  es  liesze  sich  denn  ein  Übergang  des  F  in 
B  nachweisen. 

Bei  Vidsid  werden  mehrere  norwegische  stamme  aufgeführt. 
322,  15  die  Headoreämas  (gebildet  wie  Headobeardan  s.  689)  sind 
altn.  Eaumar  oder  Hadaraumar,  bewohner  von  Eaumarlki  (vgl.  Rau- 
maricae  lornand.  cap.  3)  und  Hadaland,  zu  beiden  seiten  der  Raum- 
elf; Beov.  1032  findet  sich  'on  Headoreämes' ,  wobei  man  land  häm 
oder  geard  zu  verstehen  hat  (gramm,  4,  261).  unmittelbar  voraus 
geht  322,  14:  mid  Hronum  ic  väs  and  mid  Deänum,  welches  letztere 
ganz  verschieden  von  Denum  ist;  doch  weisz  ich  solche  Deänas  oder 
altn.  Daunir  sonst  nicht  zu  zeigen,  bei  den  Hronum  fallen  des  lor- 
nandes Granu,  ein,  vielleicht  auch  das  mare  Cronium  bei  Plin.  4,  13; 
dann  aber  Hrones  näs  aus  Beov.  5607.  6267,  die  statte  am  meer, 
wo  des  beiden  hügel  erbaut  wurde,  den  Angelsachsen  hiesz  der 
wallfisch  nicht  blosz  hväl,  sondern  auch  hron  oder  hran  (vgl.  hronräd 
Caedm.  13,  9),  was  man  von  rhän  rheno,  altn.  rheinn  unterscheide. 
Die  Thrövendas  322,  17  sind  altn.  Thraendir,  besser  Thrcendir,  be- 
wohner Drontheims;  soll  man  sie  aus  ags.  J)rövan  pati,  certare,  ahd. 
druoßn  oder  altn.  prösa  augeri  herleiten?  vielleicht  einigen  sich  beide 

752  bedeutungen,  ein  nordischer  heros  hiesz  Thröndr,  gewis  aber  ist  der 
ahd.  mannsname  Druoant  (Ried,  n^  94.  Thröant  b.  Schannat  n^  45. 
259)  dasselbe,  mit  den  Glommum  319,  22.  322,  26  konnte  ich 
s.  469  nicht  fertig  werden;  es  müssen  anwohner  des  flusses  Raumelf 
gewesen  sein,  der  heute  noch  Glomm  oder  Glommen  heiszt.  Den 
Rugum  und  Holmrygum  wurde  s.  469  ihre  stelle  gewiesen.  Frum- 
tingas  322,  25  treten  sonst  nirgend  auf;  die  bedeutung  des  altn. 
frutnti  clunis  liesze  auf  einen  höhnischen  Spottnamen  schlieszen. 

Im  Ossian  bezeichnet  Lochiin  Norwegen,  von  loch  see  und  linn 
land,  also  Seeland;  die  Iren  heiszen  jeden  Scandinaven  Lochlannach, 
die  Galen  Lochlunnach;  genauer  ist  fionn  Lochlannach  weiszer  L.  ein 
Norwege,  dubh  Lochlannach  schwarzer  L.  ein  Däne,  merkwürdig 
dasz  auch  die  Lappen  Norwegen  Vuodn  nennen,  welches  sinus  maris 


*  Keyser  a.  a.  o.  s.  331  hält  die  Hilleviones  für  die  norwegischen  Elfar- 
büar  oder  bewohner  vonAlfheim,  was  ich  nach  den  lautverhältnissen  bezweifle. 


ALTNORDEN  523 

ausdrücken   soll,    wenn  man  nicht  lieber  von  vuodo   fundus   ablei- 
ten will. 

Die  keltischen  und  finnischen  Völker  waren  den  deutschen  in 
Europa  vorangegangen,  und  es  scheint  Finnen  selbst  den  Kelten 
(s.  174).  von  den  Germanen  wurden  die  Kelten  gegen  westen,  die 
Finnen  gegen  norden  zurückgedrängt,  dies  Verhältnis  älterer  be- 
wohner  zu  den  eingewanderten  bezeugen  nicht  blosz  stehn  gebliebne 
Ortsnamen  und  andere  Wörter  der  spräche,  sondern  auch  haftende 
Überlieferungen,  deren  im  nächsten  cap.  erwähnt  werden  soll. 

Auf  erhaltung  der  reinen  nordischen  spräche  hat  sowol  der 
längere  fortbestand  des  heidenthums  als  die  abgesonderte  niederlas- 
sung  freier  norwegischer  geschlechter  in  dem  fernen  Island  günstig 
gewirkt,  wodurch  allein  eine  grosze  zahl  von  denkmälern  geborgen 
und  fortgepflanzt  wurde,  deren  edelster  theil  jedoch  schon  vor  jenem 
auszug,  wenigstens  ihrer  grundlage  nach,  entsprungen  gewesen  sein 
musz.  darum  heiszt  auch  diese  spräche  richtiger  altnordische  oder 
norroena  als  isländische,  obschon  sie  sich  auf  der  abgeschiednen  insel 
bis  heute  fast  unversehrt  erhalten  hat.  Sie  gehört  zwar  dem  ge- 
samten scandinavischen  alterthum,  vorzugsweise  jedoch  dem  norwegi- 
schen und  unter  allen  benennungen  scheint  die  zur  zeit  der  vorwal-  753 
tenden  dänischen  macht  ihr  beigelegte  einer  dänischen  zunge  (dönsk 
tünga)  die  ungeeigneteste. 

Es  ist  nicht  leicht  in  gedrängter  kürze  alle  kennzeichen  der  alt- 
nordischen spräche  anzugeben. 

Im  vocalismus  hat  sich  umlaut  noch  vollständiger  entwickelt  als 
der  mhd.  und  nhd.,  und  wird  nicht  allein  durch  I,  sondern  auch 
durch  U  erregt,  doch  so  dasz  das  ü  nur  ein  vorausgehendes  A,  keinen 
andern  vocal  verändern  kann.  Die  altn.  brechung  des  I  in  lA  (und 
bei  zutretendem  ü  lö)  dreht  den  goth.  laut  AI  um  und  steht  dem 
ags.  EO  am  nächsten,  während  ags.  EA  reines  A  bleibt.  U  wird 
aber  nicht  in  Aü  gebrochen,  das  sich  zu  goth.  AU  wie  lA  zu  AI 
verhalten  könnte,  sondern  erleidet  Verengung  in  0,  wie  ahd.  und 
ags.;  auch  hierin  bewährt  sich  das  beweghchere,  feinere  element  des 
I  gegenüber  dem  schon  spröderen  des  U. 

In  der  vierten  ablautsreihe  entspricht  altn.  AU  dem  gothischen, 
wogegen  in  der  dritten  statt^  des  AI  der  umlaut  EI  eingetreten  ist, 
nach  ahd.  weise,  das  ags.  A  aber  offenbar  für  AI  steht  (wie  gr.  a 
für  aC);  wäre  der  umlaut  des  A  durch  U  ganz  ebenbürtig  dem  des 
A  durch  I,  so  hätte  hier  gleich  dem  EI  entspringen  sollen  ÖU,  wel- 
chem auch  die  spätere  schwed.  und  dän.  Verengung  des  altn.  AU  in  CE 
näher  kommt.  Für  das  goth.  !E  in  zweiter  ablautsreihe  gilt  altn.  A,  wie 
ahd.,  während  ags.  M  sich  mehr  an  E  schlieszt.  Den  ahd.  diphth. 
OU  kennen  weder  die  goth.  noch  ags.  und  altn.  mundart. 

Für  die  consonanten  besteht  goth.  und  ags.  Verschiebung,  nicht 
die  weitere  ahd.  S  ist  noch  häufiger  zu  R  geworden,  als  in  irgend 
einem  andern  deutschen  dialect,  wie  zumal  die  flexionen  lehren, 
assimilation  und  gemination  erfolgt  gern,  und  bemerkenswerth  sind 


Ö24  ALTNORDEN 

DD  ==  goth.  ZD,  ags.  RD,  aM.RT;  RR  =  goth.RS;  LL  ==  goth.  Lp, 

ahd.  LD ;  NN  ==  goth.  Np,  ahd.  ND.     goth.  LD  und  ND  bleibt  auch 

altn.    dagegen  ist  PP  =  goth.  MP;  KK  =  goth.  GK;  TT  =  goth.  Nj). 

Die  apocope   des  N   ist   in  den  flexionen  weiter   vorgeschritten 

754  als  in  der  fries.  spräche,  denn  auszer  dem  schwachen  obliquen  casus 
entbehrt  seiner  beim  verbum  der  inf.  und  die  tertia  pl.  in  jedem 
tempus  und  modus,  nur  das  pari  praet.  starker  verba  behält  es. 
dasz  es  aber  nicht  ursprünglich  mangelte,  folgt  theils  aus  dem  gen. 
pl.  auf  -na,  theils  aus  dem  part.  praes.  auf  -ndi.  gerundialformen 
gebrechen,  wie  im  goth.,  ganz.  Ähnlich  der  abneigung  vor  N  im 
auslaut,  wie  sie  auch  die  partikeln  ä  i  ö  =  goth.  ana  in  un  kund- 
geben, ist  die  im  inlaut,  was  jene  assimilationen  KK  TT  und  S  für 
goth.  NS  zeigen. 

Die  vocale  im  schwachen  masc.  verglichen  mit  den  gothischen 
haben  fast  ihre  stelle  getauscht,  indem  goth.  hana  hanins  hanin  altn. 
hani  hana  hana  lauten,  das  I  des  nom.  sg.  erkennt  sich  leicht  als 
unorganische  Schwächung  von  A,  wie  zumal  das  ags.  hana  hanan 
hanan  bestätigt,  dessen  gen.  und  dat.  zum  altn.  stimmen,  dem  weibl. 
und  neutralen  nom.  sg.  gebührte  gewis  ursprüngliches  ä,  wie  dem 
ahd.,  aber  auch  das  oblique  -ü  für  -6  begegnet  dem  ahd.  In  der 
starken  flexion  haftet  aber  -r  für  -goth.  -s  in  vielen  fällen,  wo  ahd. 
der  consonant  ganz  erlischt,* 

Den  instrumental  kennt  die  altn,  spräche  nur  im  sg,  neutr.  der 
adjective,  wo  er  zugleich  die  dative  flexion  vertreten  musz,  und  dann 
in  pronominalpartikeln.  ein  dualis  lebt  blosz  im  pronomen  und  ist 
im  verbum  erloschen. 

Die  ags.  spuren  der  reduplication  mangeln  hier,  aber  die  secunda 
praet.  starker  verba  hat  ihr  T  behauptet,  wie  im  goth.  (s.  485.  487). 

Als  hervorstechende  eigenheit  der  nordischen  spräche,  wenn  man 
ihre  spätere  entfaltung  erwägt,  darf  zweierlei  betrachtet  werden,  das 

755  artikelsuffix  und  die  passivflexion.  Der  dem  subst,  angehängte  artikel 
wird  mit  dem  zweiten  demonstrativum  hinn  hin  hit  =  goth.  jains 
jaina  jainata  gebildet,  welches,  wie  mir  scheint,  anfänglich  ein  dar- 
auf folgendes  adj.  voraussetzt,  z.  b.  aus  mädr  hinn  godi  entsprang 
allmählich  madrinn  godi  und  zuletzt  auch  bloszes  madrinn,  ohne  ge- 
leitendes adj.  eigentlich  stehn  also  die  goth.  ahd.  und  ags.  spräche 
der  altn,  hier  darin  entgegen,  dasz  jene  ihr  subst.  durch  das  erste 
demonstrativ,  diese  durch  das  zweite  bestimmt,  dem  nord.  brauch 
schlieszt  sich  einigermaszen  der  mnl.  an,  insofern  er  auszer  die  die 
dat  auch  ghene  ghene  ghßnt  als  artikel  setzt,  wie  der  romanische 
artikel  insgemein  aus  dem  lat.  ille  illa  erzeugt  wurde,   gramm.  4,  376 


*  auffallend  ist  R  in  margr  =  goth.  manags,  ahd.  manac,  ags.  mani^ 
moneg,  fast  wie  L  im  serb.  mlogi,  altsl.  mnog",  poln.  mnogi,  böhm.  mnohi. 
aus  dem  comp,  meiri  darf  man  es  nicht  deuten;  sollte  es  vom  suffigierten 
mangi  nemo  deutlich  unterschieden  werden?  Schweden  und  Dänen,  welche 
dies  letzte  wort  nicht  mehr  kennen,  sind  wieder  zum  N  in  mänga  mange 
gekehrt. 


ALTNORDEN  5^5 

und  431  ist  die  Seltenheit  und  das  allmähliche  auftreten  des  artikel- 
suffixes  gezeigt  worden.  Ebendaselbst  4,  39 — 48  wurde  gewiesen, 
dasz  durch  anhang  eines  ursprünglich  dem  verbum  frei  nachfolgen- 
den reflexivpronomens  eine  scheinbare  flexion  entstand,  die  statt  der 
medialen  bedeutung  zuletzt  passive  annahm. 

Aus  dem  gesagten  erhellt,  dasz  heutzutage  so  auffallende  beson- 
derheiten  des  nord.  dialects  keinen  genetischen  unterschied  begrün- 
den, vielmehr  anzunehmen  ist,  es  sei  zur  zeit  des  ülfilas  oder  im 
beginn  unsrer  Zeitrechnung  von  den  vorfahren  der  Scandinaven  so 
wenig  ein  artikel  (der  noch  überall  selten  war)  am  nomen,  und  ein 
reflexiv  am  verbum  suffigiert,  als  damals  schon  das  N  der  flexionen 
abgeworfen  worden,  was  auch  der  friesischen  und  englischen  flexion 
widerfuhr,  geschah  der  nordischen  allerdings  früher;  überhaupt  sehn 
wir  sie  sich  immer  mehr  für  suffixe  und  gegen  praefixe  entscheiden, 
wie  ihr  denn  z.  b.  die  gothischen  ga-  und  bi-  mangeln,  einzelnen 
spuren  nach  (gramm.  2,  735.  751)  aber  gleichfalls  einmal  zugestan- 
den haben  müssen,  hierher  auch  risa  für  goth.  usreisan  (s.  664) 
und  das  schwed.  pä  dän.  paa  statt  des  altn.  uppä;  die  angehängten 
negationen  sind  dagegen  einleuchtendes  beispiel  der  suffixe. 

Im  pronomen  stimmt  sä  sü  J)at  zum  goth.  sa  so  pata,  ags.  se 
seo  J)ät,  gewis  aber  stand  dem  masc.  ursprünglich  kurzes  sa  zu,  aus 
welchem  dann  für  die  schwache  flexion  überhaupt  -a  statt  -i  zu  ent-  756 
nehmen  wäre;  das  fem.  sü  verhält  sich  zu  goth.  so,  wie  das  ü  in 
tungü  zum  goth.  ö  in  tuggöns.  characteristisch  ist  der  abgang  des 
goth.  is  si  ita,  ahd.  ör  siu  öz,  wofür  ein  der  neutralform  unfähiges 
hann  hun  gilt,  dessen  Ursprung  schwierig  scheint,  erwägt  man  das 
ags.  he  heo  hit  und  die  Überreste  des  goth.  demonstrativum  hita  himma 
hina;  so  zeigt  sich  die  demonstrative  form  eingedrungen  in  die  persön- 
liche und  mit  einem  suffix  des  andern  demonstr.  hinn  hin  =  ille  illa 
verbunden,     hann  hun  entspränge  also  aus  goth.   bis  jains  hi  jaina. 

Unter  den  praepositionen  gebrechen  der  altn.  spräche  das  goth. 
bi,  ahd.  pi;  goth.  du,  ahd.  zi;  goth.  J)airh,  ahd.  duruh  und  werden 
ersetzt  durch  hiä  (schwed.  dän.  hos),  til,  i  gegen.  Mit  ihrem  hau 
hun  hos  tu  igenom  stehn  noch  heute  die  Scandinaven  uns  andern 
Deutschen  entgegen. 

Die  ergibigkeit  der  denkmäler  altn.  spräche  ofi"enbart  uns  ihren 
reichthum,  der  sich  mit  jedem  andern  dialect,  dem  goth.  ahd.  und 
ags.  vielfach  berührt  und  noch  genug  eignes,  allen  übrigen  entgehen- 
des besitzt,  könnten  wir  aber  der  andern  sprachen  umfang  eben  so 
vollständig  überschauen,  so  würde  sich  die  gemeinschaft  aller  besser 
an  tag  legen. 

Dem  goth.  bagms  entspricht  badmr  näher  als  das  ags.  beäm, 
ahd.  poum;  dem  hauri  hyr,  dem  hallus  hallr,  dem  valus  völr,  dem 
vandus  vöndr,  dem  magnus  mögr,  dem  malö  mölr,  dem  trigo  trfe'gi, 
dem  airus  ari,  dem  vairilö  vor,  dem  lubi  lyf,  dem  lasivs  lasinn,  dem 
nipjis  nidr,  dem  grßtan  grata,  dem  hinpan  hitta,  dem  drunjan  drynja, 
dem  digrs  digr,    dem  bani  ben,    dem  fani  fen,    dem  kuni  kyn.     das 


526  ALTNORDEN 

goth.  6ta  in  uz6ta  praesepe  von  itan  gleicht  dem  altn.  gebrochnen 
iata  gen.  von  iötu  von  6ta  und  litth.  edziös  von  esti,  gr.  (pdtvrj  f. 
(payBxfvr)  von  (paystv* 

Ahd.  und  altn.  6tar  iadar,  hachul  hökull,  enchil  ökkull,  hlancha 

577  hlökk,  wanchön  vakka  =  lat.  vagari,  HnSchar  Hnikur,  kamal  gamall, 

haru  liör,  här  här,  dilli  J)il,  ella  elja,  challön  kallä,  andi  enni,  omo 

omi,  rippi  rif,  Sippia  Sif,  luppi  lyf,  louli  laukr,   haruc  hörgr,  sölah 

s6lr,  falawisca  fölskvi,  heigiro  hegri  (gramm.   1,  432). 

Ags.  und  altn.  häle  halr  (vgl.  ahd.  halid),  hat  hattr  (s.  577), 
hväl  hvalr,  seolh  s6lr,  brim  brim,  eorl  iarl,  eorp  iarpr,  äled  eldr, 
eodor  iadar,  leäc  laukr,  hreäc  hraukr,  sveora  sviri,  oma  omi,  secg 
seggr,  söt  söt,  näs  nes,  gicel  iökull,  hei  hoel,  geohdo  ged,  grid  grid. 
nemlich  auszer  frido  fridr  pax  besitzen  diese  beiden  sprachen  ein  den 
übrigen  mangelndes  grid  für  den  begrif  friedlicher  Sicherheit,  wie 
die  Gothen  neben  frij)us  auch  gavairj)i  verwenden. 

Es  wäre  aber  leicht  eine  menge  Wörter  auszuheben,  die  der 
altn.  spräche  eigen  und  den  übrigen  verloren  sind  oder  darin  nie 
vorhanden  waren,  bei  abhandlung  des  vocalismus  im  ersten  theil 
meiner  grammatik  habe  ich  ein  reiches  Verzeichnis  aller  altn.  wörter 
gegeben. 

Viele  jener  eigenthümlich  altnordischen  leben  auch  noch  in  der 
neueren  spräche  fort,  z.  b.  agn  esca,  piscatura,  schwed.  dän.  agn, 
woher  der  mannsname  Agnar  venator  piscator  (ahd.  Aganheri?  denn 
Agenaricus  hat  Ammian  16,  12);  gäta  aenigma  schwed.  gäta  dän. 
gaade ;  hali  cauda  schwed.  dän.  hale ;  skegg  barba  schwed.  skägg  dän. 
skäg;  hiarsi  hiassi  sinciput  schwed.  hjesse  dän.  isse,  doch  übrig  im 
nnl.  hersepan;  hreidr  nidus  dän.  rede;  litr  color  schwed.  let;  Iser 
femur  schwed.  lär  dän.  laar;  fors  Cataracta  schwed,  fors  dän.  fos, 
woher  vermutlich  der  name  Porseti  Fosite  (mythol.  1210);  gluggi 
fenestra  schwed.  glugg  dän.  glug;  sseng  lectus  schwed.  dän.  sang; 
ostr  caesus  schwed.  dän.  ost;  leir  argilla  schwed.  dän.  1er;  il  planta 
pedis  altschwed.  il;  sild  halec  schwed.  dän.  sild;  kätr  hilaris  schwed. 
kät  lascivus  dän.  kaad;  püngr  gravis  schwed.  dän.  tung;  tapa  per- 
dere  schwed.  tapa  dän.  tabe;  kasta  jacere  schwed.  kasta  dän.  käste; 
elska  amare  schwed.  älska  dän.  elske,  schwerlich  für  eldska  von  eldr, 
vielmehr  von  ala  fovere. 

Nicht  wenige  sind  aber  heute  erloschen  z.  b.  farmr  onus;  hratti 
758  aestus  maris ;  garpr  und  greppr  vir  fortis ;  bland  lotium ;  gandr  lu- 
pus;  klasi  racemus;  masti  papilla;  hvammr  convallis;  skagi  Promon- 
torium; tad  fimus;  glata  perdere;  hättr  mos;  mak  unguentum;  fönn 
nix;  J)ömb  arcus;  söl  alga;  der  umbraculum  pilei;  fler  ratis;  hik 
mora;  rik  pulvis  vgl.  goth.  rikan  congerere;  lipr  facilis;  niprpulcher; 
slippr  nudus;  glis  fucus;  linni  serpens  scheint  ein  goth.  linpa;  ahd. 
lindo?      vgl.   mythol.    s.   652;    bil    momentum;    J)ulr    orator;    brum 


*  altn.  deli  canis  mas  wäre  oben  s.  448  anzuführen  gewesen;  aber  auch 
urri  heiszt  canis,  yrsa  canis  f.  also  =  ursi. 


ALTNORDEN  257 

frondes  arborum;  skrum  nugae;  buna  scaturigo;  hrund  femina;  urri 
canis;  skutull  venabulum  von  skiota;  hylr  gurges;  gola  aura  frigida; 
fok  ningor  von  fiuka;  Ion  intermissio ;  mor  pulvis;  dorg  hamus;  dorri 
aries;  rygr  mulier  opulenta;  frann  nitidus;  skän  cortex;  lära  fran- 
gere ;  smaera  trifolium ;  sömi  decus ;  glöra  micare ;  stauli  servus ;  J)aul 
sermo  prolixus  vgl.  J)ulr;  raumr  vir  grandisonus  (vgl.  Raumar  s.  751); 
fliod  virgo  venusta;  hliod  sonus  (vgl.  ahd.  hliodar  ags.  hleodor  ora- 
culum);  und  eine  grosze  zahl  anderer. 

An  lat.  Wörter  reichen  manche  z.  b.  ardr  aratrum;  füll  pocu- 
lum  (vgl.  s.  657);  vömb  goth.  vamba  =  venter  (vgl.  s.  336);  ledja 
ahd.  leddo  =  lutum;  karn  hernia;  hiörr  und  hiari  cardo;  wahrschein- 
lich gehören  hyr  und  goth.  hauri  zu  carbo.  dallr  arbor  und  doli 
nympha,  deren  leben  an  den  bäum  gebunden  war,  halte  ich  zu  &u^- 
Xstv  grünen,  wachsen  und  die  &äXkc!i  ist  Doli. 

Merkwürdig  scheint  die  ähnlichkeit  finnischer  Wörter:  är  remus 
finn.  airo  läpp,  airru;  herdar  scapula  ahd.  harti  finn.  hartio  läpp, 
hardo;  refr  und  rebbi  vulpes  schwed,  räf  dän.  räv  finn.  repo  gen. 
revon;  loll  segnities  finn.  löUi  segnis  tardus;  magi  stomachus  schwed, 
mage  dän.  mave  finn.  mako  gen,  maon;  maur  formica  schwed.  myra 
dän.  myre  mnl.  miere  finn.  muurainen;  piltr  puer  schwed.  pilt  finn. 
piltti;  püki  puer  schwed.  pokje  puer  piga  famula  dän.  pog  puer  pige 
puella,  finn.  poika  poian  puer,  piika  puella;  alda  unda  finn.  alto; 
altschwed,  nek  dän.  neg  merges  frumenti,  finn.  nikuli  par  mergitum; 
llk  corpus  goth.  leik  finn.  liha;  kös  acervus  finn.  kasna;  maekir  gla- 
dius  finn.  miekka.  andere  habe  ich  sonst  aufgezählt.  Solche  ein- 
stimmungen  erklären  sich  aus  früher  nachbarschaft  der  Finnen  und  759 
Deutschen  und  wechselweise  wurde  deutsches  ins  finnische,  finnisches 
ins  deutsche  übernommen. 

Keltische  Verwandtschaft  zeigte  sich  uns  oben  gerade  beim  haus- 
vieh:  kälfr  colpa;  tarfr  tarbh  taru;  bauli  taurus  und  baula  vacca 
von  baula  mugire;  lamb  Uamp,  es  sind  aber  auch  andere  Wörter 
beizubringen,  z.  b.  altn.  las  sera  schwed.  las  dän.  laas,  ir.  und  gal. 
glas,  denn  fiösse  es  aus  der  wurzel  l6sa  gotfi.  lisan,  so  würde  es  sich 
auch  in  den  andern  deutschen  dialecten  zeigen.  Man  hat  Niördr 
und  Nerthus  zum  ir.  gal.  neart  gen.  nirt,  welschen  nerth,  armor. 
nerz  gehalten,  welche  alle  kraft  und  stärke  ausdrücken,  wie  wunder- 
sam, dasz  den  Finnen  neiti  neito  virgo  neitoinen  puella,  den  Iren 
naoidhe,  den  Galen  naoidhean  kind  ausdrückt,  aber  auch  den  Böhmen 
neti  neptis,  den  Gothen  nipjo,  altn.  nidr  filius  und  propinquus,  nift 
nipt  soror,  sponsa  (vgl.  s.  271), 

Einzelne  Ortsnamen  weisen  bald  auf  finnische,  bald  keltische 
spräche,  z.  b,  Sämsey  auf  Sämr  =  Sabme  Same  d.  i.  Lappe,  Hlessey 
auf  Hlör  den  wassergott,  vielleicht  vom  welschen  Uyr  see,  ström. 


XXVIII. 
DIE    EDDA. 


760  JDiö  ßdda  ist  ein  tmvergleicliliches  werk,  denn  ich  wüste  nicht, 
dasz  bei  irgend  einem  andern  volk  grnndztige  des  heidnischen  glau- 
bens  so  frisch  und  unschuldig  aufgezeichnet  worden  wären;  an  sol- 
cher einfachen,  von  keiner  kunst  der  poesie  ausgeschmückten  fassung, 
wenn  die  natur  des  mythus  wie  der  spräche  erkannt  werden  soll, 
liegt  es  aber,  in  der  edda  verschlingen  sich  götter-  und  heldensage, 
die  auch  sonst  nicht  von  einander  zu  lösen  sind.  Snorri  in  der 
Ynglingasaga  und  noch  entschiedner  Saxo  in  seinem  ganzen  werk 
unterwerfen  schon  den  mythischen  stof  ihrem  eignen  urtheil.  Unter 
den  Griechen  hat  fast  allein  Pausanias  in  seiner  treflichen  TtEQtij'yfjötg 
der  gesammelten  volksage  ihre  reinheit  gelassen;  aber  er  geht  ihr 
nur  nebenbei  nach.  Hesiods  darstellung  ist  zu  dichterisch  Tind  Apol- 
lodors  bibliothek  zu  nüchtern,  Ovids  reiche  metamorphosen  erscheinen 
weder  ursprünglich  noch  ungeziert,  im  alterthum  der  übrigen  Deut- 
schen ist  zufällig,  etwa  wie  in  griechischen  schollen,  einzelnes  werth- 
voUe  geborgen. 

Gemeint  aber  wird  hier  die  jüngere  prosaedda  aus  drei  (eigent- 
lich nur  zwei)  theilen  Gylfaginnlng,  Bragaroedur  und  Skäldskaparmäl 
bestehend,  deren  Verfasser,  allem  anschein  nach,  Snorri  nicht  war, 
da  dieser  in  Ynglingasaga,  welche  ihm  mit  gröszerem  recht  zusteht, 
eine  abweichende,    viel  bestimmtere  ansieht  an   den  tag  legt.     Von 

761  Snorri  ist  auszerdem  ein  hättatal  oder  hättalykill  geschrieben  worden, 
welcher  jetzt  einen  zur  edda  ungehörigen  anhang,  unter  dem  titel 
bragarhsettir  bildet. 

Eben  so  wenig  gebührt  den  kostbaren  altern  liedern  mythischen 
und  epischen  Inhalts,  deren  sich  ein  ansehnlicher  theil  erhalten  hat, 
und  welche  schon  in  noch  gröszerer  zahl  dem  Urheber  der  edda  vor- 
lagen, dieser  name.  höchstens  könnte  man  in  einigen  ungebimden 
beigefügten  eingängen  und  Schlüssen  den  stil  der  edda  wiederfinden, 
allein  die  lieder  selbst  machen  kein  ganzes,  zusammenhängendes  werk 
und  ihr  höheres  alterthum,  der  edlere  ton,  den  sie  anstimmen,  schlieszt 
einen  namen  aus,  der  für  die  erzählende  weise  eines  werkes  späterer 
zeit  überaus  passend  gewählt  wurde. 


EDDA  529 

Edda  nemlich  bedeutet  proavia,  wie  aus  Ssem.  100^  Sn.  202  zu 
ersehn  ist,  und  nach  dem  gewöhnlichen  Verhältnis  des  altn.  DD  wäre 
dafür  goth.  izdo  zu  gewarten,  welches  ich  schon  s.  313  berathen 
habe,  wobei  aber  das  einfachste  schiene,  sich  an  das  finn.  isä  pater, 
isoisä  avus,  isoäiti  avia  zu  erinnern,  von  eida  mater  goth.  ai|)ei  finn. 
äiti  (s.  267.  271)  wird  edda  proavia  Sn.  202  ausdrücklich  unter- 
schieden. Es  ist  nun  völlig  im  sinne  des  alterthums,  dasz  die  ur- 
groszmutter  dem  kreis  ihrer  kinder  und  enkel  von  der  Vergangenheit 
künde  gibt,  und  so  mag  auch  die  spinnende  frau  Berhta  oder  königin 
Pedauca  den  lauschenden  nachkommen  erzählt  haben,,  was  ich  damit 
bezeuge,  dasz  in  Frankreich  die  contes  de  ma  möre  l'oie  unverschollen 
sind.  In  einem  abgehenden,  verlornen  prolog  würde  vielleicht  die 
edda  leiblich  eingeführt  werden  und  den  faden  der  erzählung  drehen. 
Ob  eine  der  erhaltnen  handschriften  noch  den  alten  titel  edda  führt, 
kann  ich  nicht  sagen;  doch  werden  schon  in  einem  isländischen 
gedieht  auf  den  heil.  Gudmund  aus  der  zweiten  hälfte  des  14.  jh.  die 
dichtkunst  eddulist,  und  in  dem  gedieht  lilia',  vermutlich  derselben 
zeit,  die  gesetze  des  dichtens  eddureglur  benannt,  was  sich  alles  auf 
skäldskaparmäl  beziehen  musz.  man  könnte  von  diesem  gesichtspunct 
die  nordische  edda  der  mhd.  aventiure  vergleichen. 

Wie  nun  der  ganzen  altnordischen   poesie   gesprächsform  zusagt  762 
und   viele   lieder  in    rede  und  antwort  eingekleidet  sind;  so   stimmt 
auch    die  grundlage   der   edda  höchst  merkwürdig    mit  dem  gewebe 
eines  älteren  liedes  überein. 

In  Vaf|)rüdnismäl  wird  vorgestellt  wie  Odinn,  der  vielerfahrne 
gott  es  unternimmt  einen  weisen  und  mächtigen  riesen  heimzusuchen 
und  zu  prüfen,  als  wegemüder  pilgrim  tritt  er  unter  dem  namen 
Gängrädr  in  Vaf[)rüdnis  halle,  wird  gastfrei  empfangen  und  nachdem 
er  dem  iötunn  rede  gestanden  hat  auf  vorgelegte  fragen,  richtet  dann 
Odinn  eine  reihe  der  schwersten  über  die  weit,  götter  und  riesen  an 
seinen  wirt,  der  ihm  bescheid  gibt,  aus  der  letzten  frage  Inhalt  aber 
räth,  dasz  ihm  der  mächtige  gott  selbst  entgegengetreten  sei  und  seine 
geheimnisse  ausgeforscht  habe,  was  darauf  weiter  geschah,  wird  nicht 
gesagt;  während  ein  andermal  dieselbe  frage  (nach  dem,  was  Odinn 
dem  Baldr  ins  ohr  geflüstert,  bevor  er  auf  den  Scheiterhaufen  ge- 
tragen ward)  Unheil  herbei  führte,  offenbar  ist  Odinn,  der  als  Gestr 
blindi  dem  klugen  Heidrekr  gegenüber  steht  (fornald.  sog.  1,  464 — 488) 
identisch  dem  Odinn  als  Gängrädr  gegenüber  Vafprüdnir.  das  wich- 
tigste aber  musz  scheinen,  dasz  der  name  VafJ)rüdnir  mit  Vafudr, 
einem  der  namen  Odins  selbst  (Saem.  47^)  zusammenfällt,  der  die 
webende  wabernde  luft  ausdrückt  (Ssem.  50*).  dies  Verhältnis  soll 
sich  hernach  näher  aufschlieszen. 

In  der  edda  tauschen  die  rollen  geradezu,  hier  tritt  kein  gott 
auf,  der  die  riesen,  sondern  ein  mensch,  der  die  götter  erforschen 
will,  ein  kluger,  in  SviJ)iod  herschender  könig  macht  sich  auf  nach 
Asgard  und  Vallhöll,  um  der  äsen  herlichkeit  zu  schauen ;  auch  er 
birgt  seinen  eigentlichen  namen  Gylfi  und   nennt  sich  Gängleri,  was 

Grimm,  gescliichte  der  deutschen  spräche.  34 


530  EDDA 

deutlich  mit  jenem  Gängrädr  eins  ist  und  wieder  den  pilger  bezeichnet, 
wie  aber  Odinn  selbst  Vafudr  =  Vaf  J)rüdnir  heiszt,  erscheint  wiederum 
Gängleri  oder  Gänglari  als  name  Odins  (Ssem.  46*)  [der  arme  genge- 
leere.  GA.  2,  426],  und  mit  recht  hat  in  dieser  stelle  Munchs  ausgäbe 
s.  31^  Rasks  unnöthige,  ja  falsche  lesart  Gängrädr  wieder  beseitigt. 
763Gylfi  wird  zwar  nicht  iötunn  genannt,  noch  ist  Svi{)iod  lötunheim, 
allein  er  scheint  doch  früher  im  land  angesessen  als  die  äsen  [und 
den  riesen  befreundeter],  und  sonst  heiszt  eine  riesin  Giälp  (Ssem. 
118^),  Gylfi  aber  (ags.  Gylpa  Gulpa?  ahd.  Golfo?)  drückt  prahler  aus.* 
Dieser  Gylfi  oder  Gängleri  legt  nun  eine  menge  fragen  vor  über  die 
äsen,  die  schöpfung,  himmel  und  erde  und  wird  darauf  ausführlich 
von  Här  beschieden;  öfter  (Sn.  5.  23.  48.  49)  reden  auch  lafnhär  und 
Thridi  mit  ein  in  die  antwort.  zuletzt  aber  scheinen  dem  Gängleri 
die  fragen  auszugehn  und  er  wird  von  Här  entlassen;  da  vernimmt  er 
heftigen  donner,  VallhöU  ist  vor  seinen  äugen  verschwunden,  er  kehrt 
heim  in  sein  reich  und  erzählt,  was  ihm  widerfahren  war:  aus  seinem 
bericht  schöpfte  man  künde  von  diesen  dingen.  Den  in  solchen  rahmen 
gebrachten  erzählungen,  die  durchgängig  nicht  blosz  aus  den  älteren, 
vorhandnen  oder  verlornen  liedern  geschöpft  sind,  sondern  auch  den 
Zusammenhang  zwischen  ihnen  herstellen,  hat  man  den  namen  do3mi- 
sögur  (beispiele)  ertheilt  und  jüngere  abschreiber  mögen  sie  gar  Gyl- 
faginning  (Gylfis  teuschung)  oder  Härs  lygi  (Härs  lügen)  benannt  haben. 

Der  andere  theil  der  edda  heiszt  Bragaroedur.  wie  Vafjirüdnis- 
mäl  auf  einem  besuche  Odins  bei  dem  iötunn,  Gylfaginning  auf  einem 
besuche  Gylfis  bei  den  göttern  beruht,  werden  auch  Bragaroedur 
durch  ein  gastmal  eingeleitet,  nach  dem  alten  lied  hatte  Oegir  oder 
G^mir  den  äsen  zu  sich  entboten  und  brauchte  goldlicht  statt  des 
feuerlichts.  die  edda  kehrt  es  aber  wieder  um  und  läszt  den  Oegir, 
der  aiich  Hier  heiszt,  nach  Asgard  reisen,  welchen  die  äsen  mit 
gaukelspiel**,  wie  den  Gylfi  empfangen;  statt  des  feuerlichts  hatte 
Odinn  schwertlicht,  beim  gastmal  sasz  dem  Oegir  zunächst  Bragi, 
und  beantwortete  ihm  die  vorgelegten  fragen  durch  erzählungen,  wie 
7()4Här  dem  Gylfi,  daher  rührt  der  fragliche  name  Bragaroedur.  Zu- 
gleich erhellt,  dasz  der  Sammler  der  edda  nicht  jenes  lied  vor  sich 
hatte,  welches  wir  unter  dem  namen  Oegisdrecka  oder  Lokaglepsa 
besitzen,  weil  beide  einleitungen  völlig  abweichen,  es  gab  also  ver- 
schiedne,  wenn  schon  ähnliche  sagen. 

Ferner  trage  ich  keinen  zweifei,  dasz  die  sogenannte  skälda  oder 
skäldskaparmäl,  die  man  in  den  ausgaben  als  dritten  theil  der  edda 
sondert,  unmittelbar  und  noth wendig  zu  Bragaroedur  gehört,  was 
immer  Rask  s,  93  dawider  sage,  denn  zu  geschweigen,  dasz  sonst 
Bragaroedur  viel  zu  geringen  umfang  erhalten  würde,  empfängt  man 


*  eine  tochter  des  Gylfi,  namens  Heidr  wird  dem  Sigrlami,  Odins  söhne 
vermählt,    fornald.  sog.  1,  413. 

**  sionhverfingum;  man  erinnert  sich  dabei  des  empfangs  der  heid- 
nischen boten  in  Carls  bürg  (mythol.  s.  1086);  auch  eine  lombardische  sage 
von  Arichis  ist  zu  vergleichen  (Pertz  5,  479). 


EDDA  531 

über  die  wähl  Bragis  zum  erzähler  erst  dadurch  eigentlichen  auf- 
schlusz,  dasz  er  als  gott  der  dichtkunst  vorzugsweise  geschickt  ist  die 
dichterischen  ausdrücke  nach  ihrem  mythischen  Ursprung  zu  deuten, 
er  hatte  (Sn.  83)  den  beginn  der  skaldschaft  erzählt  und  aus  seinem 
munde  schlieszen  sich  nun  höchst  passend  die  weiteren  antworten 
auf  Oegirs  fragen  an,  die  alle  zur  dichtkunst  gehören,  mit  unrecht 
sind  darum  in  Rasks  ausgäbe  des  skäldskaparmäl  diese  durchlaufen- 
den bezüge  auf  Oegir  und  Bragi  als  unecht  eingeklammert  worden; 
dasz  aber  die  dichter  regeln  stets  zur  edda  gerechnet  wurden,  lehren 
die  s.  761  beigebrachten  Zeugnisse.  Hingegen  formäli  Sn.  1 — 16  und 
die  beiden  eptirmäli  Sn.  78.  88  —  90  verrathen  sich  von  selbst  als 
fremdartige,  wenn  schon  ziemlich  alte  zusätze. 

Warum  aber  habe  ich  hier  überhaupt  die  edda  zur  spräche  ge- 
bracht? weil  sie  beitragen  soll  den  rechten  standpunct  für  die  völker- 
verhältnisse  des  alterthums  zu  sichern. 

Es  ist  schon  mehr  als  einem  forscher  aufgestoszen ,  dasz  in  den 
sagen  von  zwergen  und  riesen  die  beiden  als  zurückgedrängte,  vor 
dem  einwandernden  stamm  der  menschen  weichende  alte  landeinwoh- 
ner  erscheinen,  davon  bin  ich  gleich  oben  s.  2  und  15  ausgegangen: 
gegenüber  alten  weidenden  und  milchessenden  riesen  traten  ackernde 
menschen  auf,  und  wenn  der  pflüg  selbst  für  ein  lebendes  thifer  galt 
(s.  57),  konnten  auch  pflügende  rinder  und  menschen  einer  hünen- 
jungfrau  wie  seltsames  gewürm  vorkommen;  zwischen  dem  alten  und 
neuen  volk  war  abneigung  und  feindschaft  und  dieser  grundzug  zuckt  765 
im  beweglichen  dement  mythischer  Überlieferung  allenthalben  nach, 
jene  riesen  oder  zwerge  im  gegensatz  der  menschen  sind  bald  bei- 
den, bald  geschichtliche  fremde  Völker,  die  sich  von  den  Christen  und 
eingebornen  absondern,  zwerge  und  riesen,  wie  sie  die  dichtende 
sage  ausstattet,  gab  es  nie,  wol  aber  nachbarn  von  verschiedner  race 
und  kleinem  oder  groszem  schlag,  deren  sich  der  mythus  bemächtigte, 
mythol.  s.  427.  493.  1035  ist  entwickelt  worden,  wie  den  Deutschen 
und  Scandinaven  Wilzen,  Wenden,  Finnen,  Lappen,  Avaren  und 
Hünen  als  zwerge  oder  riesen  erschienen  und  die  beschafl'enheit  dä- 
monischer wesen  annahmen,  mit  welchen  bald  in  friedliche  bald  feind- 
liche berührung  getreten  wurde,  an  den  i'iesen  wird  sowol  treue 
und  verstand  als  plumpheit  und  Übermut,  an  den  zwergen  sowol 
elbische  Schönheit  und  geschick  als  häszliche  gestalt,  truglist  und 
verrath  wahrgenommen. 

Mit  diesem  gegengewicht  einer  umheimlichen  geisterweit  zu  dem 
menschengeschlecht  rinnt  aber  zusammen  die  tiefwurzelnde  Vorstellung 
des  alterthums  von  einer  zwiefachen  art  der  götter  selbst,  die  es  ent- 
weder als  waltende  naturkräfte  oder  sittliche  begrifl^e  auffaszt.  denn 
nicht  zu  verkennen  ist,  dasz  die  groszartigen  Wirkungen  der  demente 
dem  kindlichen  glauben  der  vorzeit  sich  als  riesische  oder  titanische 
gewalten,  die  sittlich  erhabenen  eindrücke  göttlicher  wesen  im  be- 
freundeten bilde  menschlicher  beiden  und  ahnen  darstellen,  weshalb 
auch  jenen   übermenschliche   gestalt,   diesen   aber   das   höchste   masz 

34* 


532  EDDA 

menschlicher  Schönheit  beigelegt  wird,  hieraus  folgt  nun  weiter, 
dasz,  da  der  rohen  naturkraft  allmählich  die  sittigung  der  menschen 
entgegentritt,  mit  den  einwandernden  Völkern  zugleich  ein  neues 
göttergeschlecht  anlangt,  vor  welchem  die  älteren  naturgötter  weichen : 
den  Vaf prüdnir  überwältigt  Odinn.  wie  bei  unsern  vorfahren  standen 
auch  bei  den  Griechen  neue  götter  den  älteren  titanen  gegenüber 
(mythol.  s.  311);  das  ist  eine  der  wichtigsten  und  bedeutsamsten  ein- 
stimmungen  zwischen  deutschem  und  griechischem  alterthum. 

Es  gehört  nicht  hierher   näher  im  einzelnen  zu   entfalten,    auf 

766  welche  weise  der  altnordische  glaube  sich  die  macht  des  feuers,  Was- 
sers und  windes,  der  sonne  und  des  mondes*,  des  tages  und  der 
nacht  als  leibliche  riesen  dachte,  deren  sinnliche  eigenschaften  her- 
nach zum  theil  auf  die  jüngeren  gottheiten,  die  jener  stelle  einnah- 
men, übertragen  wurden,  zum  beweis  dienen  allein  schon  die  mehr- 
fachen namen,  welche  den  hauptgöttern  beständig  gewissermaszen 
alten  und  neuen  cultus  vereinen.  Odinn,  wie  wir  vorhin  sahen,  fällt 
als  Vafudr  mit  dem  iötunn  Vaf}3r0.dnir  zusammen,  der  die  webende, 
bebende  luft  darstellt;  mit  andrer  benennung  heiszt  aber  auch  Odinn 
Biflindi,  ja  der  eigne  name  Odinn  oder  Wuotan  scheint  auf  die  all- 
durchdringende luft  bezüglich  (mythol.  120.  135.  836)  und  eine  be- 
nennung seines  sittlichen  wesens ,  Oski  oder  Wunsc ,  bedeutsam  mit 
dem  begriffe  öskabyr  oder  wunschwint  (mythol.  s.  135.  136)  ver- 
knüpft. Donar  oder  Thörr  gleicht  dem  riesen  Thrymr  (sonitus),  dem 
am  besitz  des  hammers  gelegen  ist  wie  jenem,  er  ist  gleichsam  ein 
älterer  Ökupörr,  der  dem  jüngeren  Asapörr  erliegt.  Oegir,  ags.  Egor, 
noch  heute  im  engl,  dialect  von  Nottingham  Eager,  gemahnt  an  die 
finnische  wassergottheit  Alito  gen.  Ahin  wie  ans  lat.  aequor,  und 
hiesz  mit  anderm  namen  Hlör,  wovon  Hlösey,  dän.  Lässö,  die  insel 
genannt  wird,  mit  einem  dritten  G^mir  (Seem.  59),  der  auch  sonst 
deutlich  als  iötunn  auftritt  (Sa3m.  82^.  si**-^),  und  als  der  vater  der 

767  Gerdr  (Saem.  117^')»  ^^  welche  Preyr  warb,  dessen  vater  Niördr  bei 
den  äsen  über  das  meer  waltete,  wie  Nerthus  bei  Tacitus  am  see- 
gestade  wohnt.  Oegir  aber,  dem  das  goldfeuer  zu  gebot  stand,  scheint 
zugleich  feuergott,  was  seiner  diener  namen  Funafengr  (feuerfänger)  ** 
und  Eldir  (zünder)  verrathen,  denen  Loki,  als  neuer  gott  des  feuers, 


*  Caesars  berühmter  nachricht  von  den  Germanen:  deorum  numero 
eos  solos  ducunt,  quos  cernunt  et  quorum  opibus  aperte  juvantm-,  Solem 
et  "Vulcanum  et  Lunam:  reliquos  ne  fama  quideni  acceperunt,  lasse  ich 
mythol.  s.  lOH  noch  nicht  ihr  recht  angedeihen:  sie  trift  vollkommen  zu 
für  den  naturcultus,  wie  er  damals  llömern  bei  Sueven  und  noch  späterem 
beobachter  bei  Alamannen  (mythol.  s.  89)  vortrat,  nur  dasz  daneben  an- 
dere götter,  wie  sie  Tacitus  im  folgenden  jh.  wahrnimmt,  nicht  verehrt 
worden  seien,  dasz  ein  Übergang  von  den  alten  göttern  zu  den  neuen 
gerade  im  ersten  jh.  stattgefunden  habe,  darf  man  so  wenig  glauben,  als 
dasz  die  Alamannen  des  sechsten  blosz  bäume  und  wasserstrudel  angebetet 
hätten,  auf  die  übrigen  götter  erstreckte  sich  Caesars  und  Agathias  künde 
nicht,  sie  müssen  lange  vor  Caesars  zeit  da  gewesen  «ein. 
**  gewis  ist  Saem.  59.  Sn.  129  so  zu  lesen  für  Fimafengr. 


EDDA  533 

aufgesessen  ist:  den  Funafengr  erschlägt,  mit  Eldir  streitet  er.  ein 
andermal  unterliegt  aber  Loki  dem  alten  naturgott  Logi,  aus  dessen 
namen  nur  jener  fortgeschoben  ist. 

Odinn,  Thor  und  Loki  heiszen  äss,  alle  neuen  götter  und  göt- 
tinnen  sesir  und  äsynjor,  ihre  himmlische  brücke  heiszt  äsbrü  (s.  657), 
ihre  bürg  äsgardr  oder  äsagardr  (borgr  äsa,  Saem.  5*)  und  steht  dem 
iötunheimr  oder  den  iötnaheimar  entgegen;  doch  in  keinem  der  lie- 
der  wird  gesagt,  dasz  die  äsen  aus  dem  osten  (wo  sie  lornandes  als 
anses  kennt)  in  den  norden  eingewandert  seien,  nur  die  edda  weisz 
es  noch,  weil  sie  einen  äsgard  hinn  forna,  einen  alten  äsgard  nennt 
(Sn.  3,  11),  der  vom  nordischen  verschieden  sein  musz.  ich  halte 
das  für  echte  Überlieferung,  aber  freilich  die  s.  10  vorausgehenden 
worte  '|)at  köllum  ver  Troja'  für  später  eingeschaltet,  vielleicht  vom 
Verfasser  des  formäli,  der  s.  7.  11  diese  falsche  anknüpfung  an  Troja 
und  Griechenland  noch  weiter  ausmalt. 

Snorri,  wenn  es  sicher  ist,  dasz  er  Ynglingasaga  schrieb,  war 
schon  in  der  ersten  hälfte  des  13.  jh.  der  meinung,  dasz  aus  jener 
SvlJ)iod  hin  mikla  am  Tanais,  wo  Asaland,  Asaheimr  und  eine  bürg 
Asgardr  gelegen  habe,  Odinn  und  seine  diar  mit  groszem  beer  west- 
wärts nach  Gardariki,  von  da  südwärts  nach  Sachsen  und  endlich 
nördlich  über  das  meer  nach  Fion  (Fünen)  gelangt  seien,  wo  hierauf 
der  name  Odinsey  entsprang,  als  ihm  nun  auch  Schweden  gehorchte, 
sei  es  Mannheim,  das  alte  grosze  Schweden  aber  Godheim  genannt 
worden  und  zuletzt  Odinn  selbst  wieder  dahin  zurückgegangen:  sagdi 
hann  sik  mundo  fara  i  Godheim  ok  fagna  par  vinum  sinum.  nü  hugdu 
Svlar,  at  hann  vgeri  kominn  1  hinn  forna  Äsgard  ok  mundi  J)ar  Ufa 
at  eylifu.  sehr  merkwürdig  aber  ist,  was  cap.  16  von  Svegdir  be-768 
richtet  wird,  dasz  er  feierlich  gelobt  habe  'at  leita  Godheims  ok  Odins 
ens  gamla'.  dies  Godheim  suchen,  oder  wie  es  gleich  darauf  heiszt, 
dies  "^at  hitta  Odinn',  Odin  aufsuchen  bat  entsprechende  ähnlichkeit 
mit  dem  gehn  zu  Zalmoxis  bei  den  Geten  (s.  187),  die  gleich  den 
Schweden  an  unsterbliches  leben  in  gemeinschaft  mit  ihrem  gott 
glaubten.  Godheimr,  Godvegr  ist  aber  deutlich  der  Godjjiod  alte 
heimat  im  osten,  nach  der  ihre  Sehnsucht  auch  in  der  ferne  fortdauerte. 
Mannheim  neben  Godheim  bringt  mich  auf  neue  fährte:  in  Mannheim 
wohnen  die  Menn  (goth.  Maus,  gleichsam  Alamans  s.  498  und  des 
Mannus  nachkömmlinge),  welche  Alvismäl  neben  lötnar,  Alfar,  Dver- 
gar,  Vanir  und  —  Godar  stellt,  diesen  nom.  aus  dem  dat.  pl.  Godom 
zu  entnehmen  ist  eben  so  zulässig  als  aus  godom  den  nom.  pl.  god 
(dii),  und  mythol.  s.  308  machte  mich  schon  stutzig;  dasz  str.  17 
götter  und  äsen,  str.  21  götter  und  ginregin  nebeneinander  genannt 
werden,  sind  aber  Gothen,  Mannen,  Vanen  als  Völker  gemeint,  so 
vernehmen  wir  zugleich  die  organische,  den  goth.  GuJ)ans  entsprechende 
namensform  Godar,  die  hernach  in  Gotar  entstellt  wurde,  genau  ge- 
redet wäre  str.  17  söl  heitir  med  Mönnom,  enn  sunna  med  Godom, 
wenn  schon  sauil  auch  gothisch,  sunna  auch  nordisch  ist.  von  Mann- 
heimr  und  Godheimr  wird  aber  in  den  nordischen  sagen  Alfheimr 


534  EDDA 

und  lötunheimr  unterschieden.  Die  beiden  Asgard,  das  alte  und 
neue,  im  osten  und  westen,  können  sie  nicht  auch  anklingen  an  die 
niaeotischen  'JönovQyLavoi  zwischen  Phanagoria  und  Gorgippia  bei 
Strabo  s.  495.  556  und  auf  inschriften  (Böckh  2,  94^  115*- ^*j,  ja 
selbst  an  das  abweichende  '^ötußoigyLOV  am  riesengebirge  und  Asci- 
burgiura  am  Rhein,  die  sich  hernach  von  Iscio,  der  Iscaevonen  stamm- 

769vater  oder  dem  eddischen  Askr  deuten  lassen?  Asaland  aber  muste 
sich  der  späteren  betrachtung  von  selbst  in  Asia  wandeln  und  so 
den  gedanken  an  die  Türkei  herbeiführen,  ohne  dasz  es  nöthig  oder 
glaublich  wäre,  diese  Verknüpfung  aus  einer  bekanntschaft  der  Nor- 
mannen mit  altfränkischer  sage  abzuleiten.  Sögubrot  (fornm.  sog.  11, 
412)  drückt  sich  folgendergestalt  aus:  upphaf  allra  fräsagna  i  nor- 
rcenni  tüngu,  Jjeirri  er  sannindi  fylgja,  höfst  pä  er  Tyrkir  ok  Asia- 
menn  bygdu  nordrit;  ])vi  er  J)at  med  sönnu  at  segja,  at  tüngan  kom 
med  J)eim  nordr  higat,  er  ver  köUum  norroenu,  ok  gekk  sü  tünga 
um  Saxland,  Danmörk  ok  Svipiod,  Noreg  ok  um  nokkurn  hluta  Eing- 
lands.  höfudmadr  Jiessa  folks  var  Odinn,  son  Thors,  hann  atti  marga 
sonu.  hann  skipadi  sonum  slnum  til  landa  ok  gerdi  höfdingja.  einn 
af  sonum  hans  er  nefndr  Skiöldr,  sä  er  land  tök  ser,  |)at  er  nü  heitir 
Danmörk.  en  J3a  voru  J)essi  lönd,  er  Aslamenn  bygdu,  köUud  God- 
lönd,  en  fölkid  Godiod  (vgl.  oben  s.  740).  Nicht  anders  sagt  Her- 
vararsaga  cap.  2  (fornald.  sog.  1,  413):  pessa  samtlda  komu  austan 
Asiamenn  ok  Tyrkjar,  ok  bygdu  Nordrlöndin,  Odinn  h6t  formadr 
J)eirra.  Aber  schon  Ari  prestr  hinn  frödi,  aus  dem  11.  Jh.,  der  dem 
Snorri  lange  vorangieng,  nennt  in  der  genealogie  der  Ynglinge  am 
schlusz  seiner  Islendinga  bok,  den  Yngvi  Tyrkja  konüngr,  welche  künde 
ihm  doch  sicher  nicht  aus  Frankreich  her  gekommen  ist.  Zugleich  ist 
klar,  dasz  unter  allen  Nordländern  der  glaube  an  östliche  abkunft 
verbreitet  war  und  auf  Godpiod  wie  Svipiod  erstreckt  werden  musz, 
also  mit  dem  gegensatz  der  zu  verschiedner  zeit  und  aus  verschied- 
ner  gegend  eingewanderten  Schweden  und  Goten  nichts  zu  schaiFen  hat. 
Dringt  man  in  diese  Verhältnisse  ferner  ein,  so  empfangen  die  dem 
Odinn  schon  von  den  alten  liedern  beigelegten  namen  auszerordent- 
liche  bedeutung.  er  heiszt  Vegtamr  (wegemüd),  Gängrädr,  Gängleri, 
bei  Saxo  p.  45  viator  indefessus,  warum  er  gerade  von  allen  göttern? 
gewis  weil  seine  Wanderungen  von  osten  nach  norden  unter  dem 
Volke  berühmt  und  eingeprägt  waren,  wenn  also  auch  dieser  züge 
die  uns  verbliebnen  lieder  nicht   mehr   gedenken,   setzen  in  solchen 

770 namen  sie  sie  offenbar  voraus,  es  ist  oft  gesagt  worden,  dasz  die 
ältesten  hss.  der  lieder  nicht  über  das  13.  jh.  reichen,  aber  auch 
eingesehn,  wie  wenig  das  ihrem  höheren  alter  anhaben  könnte,  wel- 
ches wol  sicher  in  das  elfte  jh.,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  weiter 


*  ich  weisz,  dasz  man  auch  an  'das  pers.  asp  equus  (s.  30)  gedacht 
hat,  wodurch  die  Zusammensetzung  as-purg  ausgeschlossen  schiene,  doch 
zwingend  sind  die  gründe  nicht,  und  selbst  asp  könnte  übertreten  in  ask, 
das  in  unsrer  alten  spräche  schif  bedeutet,  namen  des  schifs  gehn  in  die 
des  rosses  über. 


EDDA  535 

in  die  vor  zeit  zurück  aufsteigen  musz.  mögen  sie  immer  im  verlauf 
der  zeit  änderungen  und  einschaltungen  erfahren  haben;  solche  bei- 
namen  wie  die  angeführten  odinischen  und  ihre  Ursache  gehören  dem 
tiefsten  alterthum,  und  es  läszt  sich  aus  einem  wichtigen  zeugnis  des 
Paulus  diaconus  darthun,  dasz  mit  der  ansieht  von  Odins  herkunft 
aus  dem  osten  schon  das  achte  jh.  gleich  den  späteren,  und  nicht 
allein  im  norden,  sondern  auch  in  andern  theilen  Deutschlands  ver- 
traut war.  Wodan  sane,  sagt  er  1,  9,  quem  adjecta  litera  Gwodan 
dixerunt,  ipse  est  qui  apud  Romanos  Mercurius  dicitur,  et  ab  uni- 
versis  Germaniae  gentibus  ut  deus  adoratur,  qui  non  circa  haec  tem- 
pora,  sed  longe  anterius,  nee  in  Germania  sed  in  Graecia  fuisse  per- 
hibetur;  man  hat  ungeschickt  und  die  kraft  der  ganzen  stelle  zer- 
störend, den  letzten  satz  auf  Mercur,  statt  auf  Wodan  ziehen  wollen*, 
dessen  und  seines  volkes  abstammung  aus  Griechenland  (und  das  darf 
doch  Thrakien  und  Getenland  meinen)  durch  solch  eine  Überlieferung 
willkommen  bestätigt  wird. 

Weder  Paulus  stellt  diesen  Wodan,  noch  die  edda  Odinn  als 
einen  betrüger,  zauberer  und  volksaufwiegler  dar ;  aber  der  späteren 
christlichen  Vorstellung  muste  angemessen  scheinen,  den  von  dem 
heidenthum  verehrten  mächtigen  namen  nur  in  solchem  licht  auf- 
treten zu  lassen.  Yngl.  saga  cap.  7  legt  dem  Odinn  zauber  und 
runenkünste  bei,  er  habe  todte  aus  der  erde  geweckt  und  alle  ver- 
borgnen schätze  gewuszt.  Noch  weiter  schreitet  Saxo  grammaticus, 
der  den  Othin  nicht  blosz  als  machthaber  schildert,  sondern  als  listi- 
gen Verführer,  dessen  leben  durch  entehrende  handlungen  in  schatten 
gestellt  wird,  aber  auch  Saxo  weisz  und  berichtet,  dasz  Othin  und 
die  andern  äsen  oder  dii-  ihren  alten  sitz  in  Griechenland  hatten,  771 
oder  wie  er  sich  bestimmter  ausdrückt  zu  Byzanz,  also  in  Thrakien, 
p.  45  heiszt  es  geradezu:  at  dii,  quibus  praecipue  apud  Byzantium 
sedes  habebatur,  Othinum  variis  majestätis  detrimentis  divinitatis 
gloriam  maculasse  cernentes,  collegio  suo  submovendum  duxerunt. 
vorher  aber  s.  13  war  gesagt  worden:  ea  tempestate  cum  Othinus 
quidam  Europa  tota  falso  divinitatis  titulo  censeretur,  apud  Upsalam 
tarnen  crebriorem  diversandi  usum  habebat  .  .  .  cujus  numen  septen- 
trionis  reges  propensiore  cultu  prosequi  cupientes  effigiem  ipsius  aureo 
complexi  simulacro,  statuam  suae  dignationis  indicem  maxima  cum 
religionis  simulatione  Byzantium  transmiserunt.  als  nun  die  unge- 
treue Frigga  von  dieser  bildseule  das  gold  abgezogen  hatte,  sei  Othin 
vor  schäm  aus  dem  lande  gewichen  und  ein  andrer  zauberer  Mitothin 
(unter  welchem  man  sich  Odins  bruder  Ve  oder  Vili  bei  Snorri  denken 
mag)  [Yngl.  3  Vilir  =  OUerus]  an  seinen  platz  eingetreten,  doch 
zuletzt  Othin  zurückgekehrt  und  wiederhergestellt  worden,  dem  Saxo 
war  folglich  Othins  auszug  und  rückkehr  in  das  östliche  reich  bekannt. 

Umsonst  war  die  mühe  einen  Odinn  und   Wiedergeburten  Odins 
historisch  aufzustellen:    es  ist   an   ihm   der    hauch   eines  göttlichen 


Schmidts  zeitschr   für  gesch.  1,  264,  vgl.  mythol.  s.  1207. 


536  EDDA 

Wesens,  das  sich  nicht  anfassen  läszt  oder  dem  fassenden  unter  der 
hand  verflüchtigt,  Odinn  ist  schon  jener  Zalmoxis  (s.  187),  der  zu 
Pythagoras  gekommen  und  zuletzt  wieder  ins  land  der  Geten  zurück- 
gekehrt, oder  der  nach  dreijährigem  verweilen  im  unterirdischen  haus 
ihnen  von  neuem  erschienen  sein  und  den  glauben  an  Unsterblichkeit 
sie  gelehrt  haben  soll,  war  er  aber  den  Geten  und  vielleicht  auch 
772  den  Skythen*  vor  beginn  unsrer  Zeitrechnung  bekannt,  wie  könnte 
die  aus  Wanderung  der  Gothen  und  andrer  Deutschen  gegen  westen 
und  norden  unter  seinem  geleit  anders  als  mythisch  verstanden  wer- 
den? sein  cultus  erstreckte  sich  längst  über  alle  Deutschen. 

Klingt  altnordische  poesie,  edda  und  was  Snorri,  andere  Nor- 
weger und  Saxo  melden  ein  in  alle  andern  ergebnisse  über  die  ab- 
kunft  der  deutschen  stamme  aus  fernem  osten ;  so  werden  sowol  die 
denkmäler  des  nordens  frei  von  dem  ihnen  oft  gemachten  Vorwurf 
werthloser  und  unglaubhafter  erdichtung,  als  auch  die  übrigen  nach- 
richten  dadurch  nicht  um  ein  geringes  bekräftigt,  an  der  edda  hat 
sich  eine  zum  urtheil  in  mythologischen  dingen  noch  unreife  critik 
oft  versehn. 

*  etymol  magn.  s.  v.  Zäf/o?.^ig  408,  2:  a9^avatit,ovai  6h  xal  Tigil^oi 
xal  Kgoßv'Qoi  xal  rovc  ano&avovvtag  loc  Zä,uok^iv  (paalv  oi'xsa&ai,  %etv 
6h  av^iq.  xal  tavza  del  vo(xlt,ovaiv  dXrjO^svsiv.  9vovai  6h  xal  evcoxovv- 
rai,  loq  av&ig  ij^orrog  rov  dno9av6vrog.  die  Terizer  kenne  ich  sonst  nicht, 
man  dürfte  an  regaea^ai  goth.  Jjairsan  und  an  Jjaursus  ^rjQog  erinnern, 
die  Crobyzer  aber  sind  dem  Herodot  4,  49  Thraker,  deren  land  ?)  Kgoßv- 
t,ixh  yrj  heiszt  imd  nach  Strabo  s.  318  in  Niedermoesien,  nach  Steph.  Byz. 
südlich  des  Isters  lag.  Plinius  4,  12.  26  hat  sie  weit  östlicher  zwischen 
Donau  und  Borysthenes,  am  flusz  Axiaces,  in  skythischem  gebiet.  Hroptr 
ist  beiname  Odins,  mit  dem  ich  aber  hier  noch  nichts  ausrichten  will. 


XXIX. 
GERMANEN  UND  DEUTSCHE. 


Nachdem  wir  namen,    sitz   und   Verwandtschaft   aller  einzelnen  773 
stamme  erwogen  haben,  ist  es  gelegen  zuletzt  noch  eine  bis  hierher 
aufgesparte  Untersuchung  über  die  ihnen  gemeinschaftlich  zustehende 
benennung  zu  verbreiten. 

Ich  musz  aber  zuvor  in  die  natur  der  volksnamen  überhaupt 
mehr  einzudringen  suchen.  Schon  s.  153  wurde  von  dem  grundsatz 
ausgegangen,  dasz  ein  volk  seinen  namen  sich  nicht  selbst  ertheilt, 
sondern  dasz  er  ihm  von  den  umwohnenden  nachbarn  gegeben  wird, 
zwischen  welchen  es  auftritt,  wie  das  neugeborne  kind  benannt  sein 
musz,  lange  ehe  es  sich  auf  die  nothwendigkeit  einen  namen  zu  füh- 
ren besinnen  könnte;  so  empfängt  auch  der  neue  volkstamm,  da  wo 
er  sich  bildet,  durch  die  früher  bestehenden  älteren  stamme,  die  mit 
ihm  in  verkehr  treten,  eine  benennung,  die  er  hernach  ebensowenig 
ablegen  kann  als  der  täufling  die  seinige;  blosz  ausnahmsweise  mag 
sie  genauer  bestimmt  oder  verändert  werden.  Die  nachbarn,  von 
denen  der  name  ausgeht,  sind  aber  sowol  stammverwandte  einheimische 
als  fremde,  und  je  gröszer  und  wichtiger  die  Völkerverhältnisse  waren, 
je  zusammenfassender  ihre  merkmale,  desto  leichter  wird  ein  aus 
fremder  zunge  herrührender  name  um  sich  greifen.  Zuweilen  kann 
auch  geschehn,  dasz  ein  volk,  wenn  es  an  die  stelle  eines  fremden 
weggezognen  oder  verdrängten  einrückt,  dessen  namen  mit  überkommt,  774 
und  gleich  den  eingeprägten  benennungen  der  flüsse,  berge  und  Wäl- 
der auch  die  der  bewohner  haften  bleiben. 

Betrachtet  man  nun  den  grund  der  namen,  so  ergeben  sich  drei 
arten,  indem  sie  sich  entweder  auf  einen  stammherrn  oder  auf  eine 
vorstechende  eigenschaft  des  volks  selbst  oder  endlich  auf  die  gegend 
beziehen,  in  der  es  wohnt. 

Die  patronymische  bezeichnung  scheint  dem  geist  unseres  alter- 
thums  die  allerangemessenste.  wie  es  tiefgewurzelte  sitte  war,  und 
bis  auf  heute,  nur  in  beschränktem  umfang,  unter  fürsten  und  edeln 
noch  ist,   die  im  geschlecht  hergebrachten   eigennamen  festzuhalten 


538  VOLKSNAMEN 

und  zu  wiederholen;  so  muste  natürlich  scheinen,  auf  die  aus  be- 
rühmten geschlechtern  hervorgehenden  stamme  auch  den  namen  des 
ahnen  anzuwenden,  der  an  ihrer  spitze  stand,  hierbei  kann  aber  das 
Verhältnis  der  abstammung  auf  mehr  als  eine  weise  ausgedrückt  sein. 
die  schönste  und  eigenste  ist,  wenn  bloszer  ablaut  waltet,  wie  er  in 
eigennamen  pflegt  (s,  441);  so  stehn  nebeneinander  Getae  und  Gau- 
dae,  Gu|)ans  und  Gautos,  Godar  und  Gautar,  wo  auszer  dem  ablaut 
des  vocals  auch  die  consonanz  verschoben  wird*.  lornandes  stellt 
bei  den  gothischen  Ansen  obenan  einen  Gaut,  welchen  ich  aus  der 
verderbten  lesart  Gapt  zurückgeführt  habe**,  hier  verdient  aber  eine 
bisher  unangeführte  stelle  des  etymol.  magn.  betracht,  dessen  compi- 
lator  ums  j.  900,  nicht  lange  nach  Photius  lebte;  gleich  jener  lango- 
bardischen  sage  (s,  688)  konnte  ihm  auch  die  gothische  bekannt  ge- 
worden sein,  es  heiszt  238,  51:  Fovd'og  6  ccqxcov  Uicv^äv  T(m> 
xcckov^Bvcov  rovr&iüv  (man  vgl.  Philostorgius  oben  s.  183).  ebtxE 
yccQ  ccTio  Tov  rjys^ovog  avräv  nXi]d'^vai.  ta  yccQ  nolla  eO'vr]  ccTto 
tiüv  fjys^ovcav  oialovvtcci.  Ist  nun  der  in  ags.  genealogien  als  Vödens 
söhn  aufgeführte  Vodelgeät  =  ahd.  Wuotilgöz  um  so  gewisser  mit 
775  Vöden  selbst  einerlei,  da  noch  ein  mhd.  dichter  wuotegoz  für  tyrann 
braucht  (s.  440),  was  ahd.  glossen  eben  wieder  wuotan  ausdrückt 
(mythol.  s.  121);  so  liegt  hierin  ein  strenger  beweis  für  die  identität 
des  Wuotan  und  Göz  =  altn.  Odinn:  Gautr,  Hergautr,  und  wir  erken- 
nen, dasz  auch  der  goth.  Gauts  zugleich  Yödns  gewesen  sein  müsse;  was 
könnte  für  allgemeinheit  und  alter  des  Wuotancultus  stärker  zeugen? 
Es  tritt  aber  auch  äuszerliche  ableitung  hinzu,  am  einfachsten 
blosz  die  schwache  form,  von  einem  göttlichen  ahnen  Irmin  Irman 
entsprieszen  des  Tacitus  Herminones  (bei  Plinius  falsch  Hermiones) 
d.  h.  goth.  Airmanans,  ahd.  Irminon;  von  Ingus  und  Iscus  (Iggvus 
Iskus)  gothische  Iggvans  Iskvans  oder  Isqans),  woraus  dem  Römer 
Ingaevones  Iscaevones  wurden;  doch  goth.  V  geht  aus  U  hervor  und 
bedarf  keines  bindenden  AI,  gerade  so  wird  aus  gavi  pagus  gaujans 
pagani.  hat  eine  römische  Inschrift  die  bildung  Frisaevo,  so  würde 
dadurch  das  oben  s.  670  gemutmaszte  Frizva  rechtfertig,  die  be- 
rühmte trilogie  Ingaevones  Herminones  Iscaevones,  hoffe  ich,  ist  nun- 
mehr auch  in  der  form  einstimmiger  gemacht.  Tacitus  setzt  aber 
diese  drei  ahnen  nicht  zu  oberst,  sondern  noch  über  sie  als  vater  den 
Mannus,  als  groszvater  den  Tuisco,  einen  erdgebornen  gott.  von 
Mannus  lieszen  sich,  ohne  zwischenkunft  schwacher  flexion,  die  altn. 
Menn,  nach  welchen  Mannheimr  heiszt,  vielleicht  die  goth.  alamans 
und  suevischen  Alamannen  (s.  498)  leiten,  ob  von  Tuisco  die  Deut- 
scheu? soll  nachher  untersucht  werden.  Es  kann  sein,  dasz  in  einigen 
volksnamen  die  schwache  form  durch  annähme  eines  stammherrn, 
auch  wo  er  nicht  grund  hatte,  herbeigeführt  ist. 

*  vgl.  Askr  und  Eskus,  Vandali  und  Vindili  (s.  685);  Heähas  und  Hn- 
gas  (s.  675). 

**  die  gestalt  des  goth.  V  (ähnlich  dem  griech.   Y)   konnte  leicht  mit 
lät.  P  verwechselt  werden;  an  die  Gepiden  denke  ich  nicht. 


VOLKSNAMEN  539 

Ableitendes  I  wäre  wirksam  in  den  namen  Gambrivii  und  Van- 
dilii,  die  ich  auf  einen  goth.  eponymus  Gambrus  (gen.  pl.  Gambriv6, 
vijjrus  vintrus  vij)riy6  vintriv6)  und  Vandils  zurückbringe. 

Häufigere  ableitung  ist  goth.  IGGS,  was  der  Römer  durch  ignus 
wiedergibt,  die  Marsigni  und  Reudigni  verlangen  einen  heros  Mars 
und  Riuds  (verecundus  s.  716),  Thuringi  Thervingi  einen  Thurus 
Therus  (vgl,  zlovQag  bei  Dio  Cass.  67,  6),  Greotingi  einen  Griuts;776 
doch  ist  IGG  nicht  nothwendig  patronymisch,  Griutiggs  liesze  sich 
auf  ein  sächliches  griut  (s.  448)  ziehen. 

Bedeutsam  scheint  das  ableitende  IN  in  Gothini  neben  Gothi 
und  ähnlichen,  worüber  ich  s.  722  gesprochen  habe. 

Auf  andere  weise  wird  alte  und  neue,  volle  und  halbe  volks- 
verwandtschaft  durch  vorgesetzte  adjectiva  ausgedrückt,  ahd.  be- 
gegnen die  eigennamen  Altdurinc  Althün  Altsuäp;  Ealdseaxan  nennt 
auch  Alfreds  periplus.  Niustria  wurde  s.  529  aufgeführt,  es  braucht 
aber  kein  altes  Westrien  bestanden  zu  haben,  Neuwestrien  scheint 
blosz  dem  alten  Austrien  gegenüber  zu  stehn.  Halpdurinc  Halpsuäp 
Halptene  Halpwalah  bezeichnen  das  gemischte  Verhältnis*  und  ich  denke 
Aladurinc  Alasuäp,  die  sich  aber  blosz  aus  Alaman  rathen,  das  reine. 

Dasz  solche  stammhelden  ungeschichtlich  und  mythisch  waren, 
verschlägt  nichts;  es  lag  nur  am  glauben  der  Völker,  von  ihnen  die 
reihe  der  historischen  könige  abzuleiten,  nach  einem  "Elh]V,  söhn 
des  Deukalion  und  enkel  des  Prometheus,  die  nie  gelebt  hatten,  nach 
einem  rpat/og  oder  ylaxadai^tov,  söhn  des  Zeus,  nannten  sich  Hel- 
lenen, Griechen  und  Spartaner,  warum  nicht  die  Gautös  nach  Gauts, 
einem  söhne  des  Vödns?  Man  merke,  dasz  nie  von  dem  gott  un- 
mittelbar die  stamme,  sondern  erst  von  einem  beiden,  des  gottes  söhn 
beginnen. 

Sichtbar  sind  viele  stammhelden  erst  durch  die  sage  ans  länder- 
namen  entsprungen,  von  Noregr,  das  noch  nach  der  himmelsgegend 
hiesz,  leitete  sie  einen  Norr  (fornald.  sog.  2,  3)  und  neben  ihm  einen 
bruder  Gorr,  deren  Schwester  Göi  (vgl.  oben  s.  93)  Rask,  ich  weisz 
nicht  ob  glücklich,  zum  finn.  koi  (aurora)  hält.  Andere  beiden  hat 
man  eben  aus  dem  volksnamen  gebildet;  so  werden  sich  nicht  leicht  777 
die  Sueven  auf  einen  ahnen  Suevus  zurückführen,  dessen  name  ein 
schwachformiges  Suevones  für  den  volksnamen  veranlaszt  haben  würde. 
Raumar  und  Throendir  scheinen  den  heldennamen  Raumr  und  Thröndr 
vorhergegangen,  nicht  umgedreht  aus  ihnen  entstanden  und  so  in 
vielen  ähnlichen  fällen. 

Die  zweite  hauptart  der  volksnamen  und  eigentlich  die  ansehn- 
lichste unter  allen  geht  von  einer  beschaffenheit  des  volks  selbst  aus**. 

*  Sollten  dieses  nicht  zusammengesetzte  namen  wie  z.  b.  ahd.  Hazgoz 
Hüngoz  Dioteoz  noch  deutlicher  erkennen  lassenV  Hazgoz  wäre  aus  chat- 
tisch-gothischem,  Dioteoz  aus  teutonisch-gothischem  blut  entsprossen,  Sua- 
vigotha  (s.  707)  aus  suevisch-gothischem.  Amalgöz  aber  bezeichnete  den 
amalischen  Gothen,  Magangoz  den  reinen  Gothen. 

**  gerade  wie  bei  den  monatsnamen  auszer   den  von   göttern   herge- 
nommnen  andere  sich  auf  naturbeobachtung  gründen. 


540  VOLKSNAMEN 

Handelt  es  sich  aber  um  geistige  und  politische  anlagen,  so  kann 
im  alterthum  nichts  mehr  hervorgestochen  haben  als  die  freiheit  und 
ktihnheit  der  Völker. 

Bedeutsam  erscheint,  dasz  zwei  unserer  ausgedehntesten  und 
mächtigsten  volkstämme  die  freien  heiszen;  wie  im  volk  selbst  der 
stand  der  freien  seinen  kern  bildet,  ragen  auch  unter  den  einzelnen 
Völkern  hervor,  die  einen  solchen  namen  verdienen,  um  so  mehr  aber 
steigt  dieses  namens  gehalt,  wenn  er  uns  von  fremden  nachbarn  bei- 
gelegt wird.  Franken  (s.  512),  und  wenn  ich  recht  deute  (s.  670) 
ihnen  anstoszende  Friesen,  denen  noch  ihr  rechtsbuch  immer  freien 
hals  und  freie  spräche  beilegt,  werden  die  freien  genannt;  wie  viel 
schöner  klingt  die  von  fremden  nachbarn  zugetheilte  benennung,  das 
sicherste  anerkenntnis  öffentlicher  freiheit!  s.  322  und  490  ist  be- 
gründet, dasz  Sueven  eigentlich  Suoven  Suovenen,  leute  sui  juris  (von 
svoi,  suus  proprius,  verwandt  dem  gotb.  sv6s)  sind,  deutsche  nachbarn, 
welchen  der  Sarmate  oder  SlavQ,seinen  eignen,  besten  namen  überweist, 
jetzt  füge  ich  hinzu,  dasz  Plinius  4,  17.  18.  19  bei  aufzählung  der 
Völkerschaften  Galliens  häufig  das  beiwort  liberi  anwendet:  Nervii 
liberi,  Suessiones  liberi,  ülmanetes  liberi,  Leuci  liberi,  Treveri  liberi, 
Meldi  liberi,  Secusiani  liberi,  Santones  liberi,  Bituriges  liberi,  Arverni 
liberi,  was  sich  nicht  auf  die  freiheit  des  Standes  gegenüber  knechten, 
778  sondern  nur  auf  ein  masz  politischer  freiheit  beziehen  kann,  die  den 
Galliern  untereinander  oder  in  bezug  auf  den  römischen  oberherrn 
gelassen  war.  ich  finde  in  den  keltischen  sprachen  nicht  mit  Sicher- 
heit das  wort  heraus,  welches  ihnen  für  dies  lat.  liber  zustand;  er- 
wägt man  aber,  dasz  die  belgischen  Gallier  dicht  an  Germanen  grenz- 
ten, zumal  an  die  hier  von  Plinius  selbst  genannten  Frisiabones,  Neme- 
tes,  Tribochi,  Vangiones,  Ubii,  Guberni,  Batavi ;  so  darf  der  fränkische 
name,  dessen  von  mir  in  ansprach  genommnes  hohes  alter  (s.  518. 
519)  dadurch  bestärkt  wird,  in  betracht  kommen.  Germani  liberi 
muste  noch  viel  höheren  sinn  haben,  weil  sie  grösztentheils  unab- 
hängig und  ununterworfen  waren,  zwischen  jene  liberi  schaltet  Pli- 
nius Lingones  foederati,  Remi  foederati,  welches  ausdrucks  begrif 
und  wie  er  sich  zu  liberi  verhielt,  wir  erst  einer  uns  abgehenden 
genauen  nachricht  über  die  Unterwürfigkeit  der  Gallier  entnehmen 
könnten,  mit  dem  einschmeichelnden  namen  amici,  fratres,  consan- 
guinei,  foederati  waren  die  Römer  auch  gegen  Germanen  freigebig, 
und  die  ersten  foederati  kamen  nicht  in  Byzanz  vor  (s.  450).  Es  ist 
aber  zu  bemerken,  dasz  auch  im  osten  Ammians  schon  s.  448  beige- 
brachte stelle  Taifali,  Liberi  und  Sarmatae  verbindet,  welchen  Liberi 
nicht  unfügsam  die  gothischen  Balthae  verglichen  werden,  weil  Baltha 
nach  lornandes  audax  und  balJ)S  bei  Ulfilas  Ttaggrföiadrjs  ist,  freie 
spräche  und  freier  hals  eng  zusammen  hängen.  [Eleutheri  Caesar  7,  75.] 

Freiheit,  mut  und  rühm  laufen  dem  alterthum  ineinander,  seien 
die  Balthen  freie  oder  leuchtende  (s.  447),  die  hellen  Skiren  (s.  466), 
die  lichten  Daken  oder  Dänen  (s.  192)  treten  ihnen  zur  seite;  auch 
die  Bructeri  scheinen  glänzende  (s.  532),  die  Aestii  geehrte  (s.  719), 


VOLKSNAMEN  541 

die  Chaukeii  hohe  (s.  675),  Gambrivii,  wenn  nicht  die  patronymische 
herleitung  von  Gambrus  überwiegt,  wären  strenui,  sagaces,  Sigigambri 
bello  strenui  (s.  525),  Gugerni  Gundgerni  schlachtbegierige  (s.  707)*, 
Dulgubnii  krieger  (s.  623);  Druonti  Throendir  ayiovi^ovtSQ,  Gepiden 
die  glückhaften  (s.  464.  465).  bei  Alamannen  gebe  ich  dem  patro-  779 
nymischen  begrif  den  vorzug,  sonst  dürfte  man  sie  als  männer  den 
Erulen,  wenn  diese  ags.  eorlas  sind  (s.  470.  598)  vergleichen.  Ge- 
vissi  sind  praescii  sagaces  (s.  659),  Fall  Falhi  constituti,  ordinati 
(s.  630),  Reudigni  vielleicht  verecundi  (s.  716),  Tencteri  juncti,  con- 
juncti,  consanguinei  (s.  532),  was  an  den  römischen  begrif  der  fratres 
und  consanguinei  mahnt. 

Die  Vorstellung  der  frömmigkeit  und  des  gottesdienstes  könnte 
man  im  volksnamen  gleichfalls  erwarten,  wie  in  mannsnamen  bezug 
auf  götter  erscheint  (mythol.  s.  82.  83).  auch  habe  ich  Ziuwari  auf 
Zio  gedeutet,  sie  sind  2fd'(pdoi,  '^Q)/t(pLXoL  und  hierher  gehören  die 
Daci  als  zJäot  und  zitot  (s.  191.  192).  Ansivarii  werde  ich  nachher 
(s.  782)  vergleichen.  Navarnehalen  und  Victohalen,  wenn  die  namen 
recht  ausgelegt  sind  (s.  715)  stehn  unter  der  nornen  schütz.  Wenig- 
stens läszt  sich  die  frage  stellen,  ob  nicht,  wie  Gautös  auf  Gauts,  die 
andere  form  Gujja  auf  gu})  deus  gehe  und  sich  mit  ans  divus  und 
gudja  sacerdos  berühre  (s.  447)?  Verwandtschaft  zwischen  gup  und 
göds  äyaO'ög  schien  etymologisch  unstatthaft;  doch  ist  neulich  ein 
schmaler  pfad  gebrochen  worden,  auf  dem  man  von  gujjan  dennoch 
auf  göd  gelangen  könnte**. 

Zwar  in  der  regel  sind  alle  eigennamen  guter  bedeutung  und 
nur  als  ausnähme  mögen  schimpfliche  und  nachtheilige  beinamen  ent- 
springen, wenn  Tacitus  Germ.  36  sagt:  ita  qui  olim  boni  aequique 
Cherusci,  nunc  inertes  ac  stulti  vocantur  (vgl.  s.  574  und  597);  so 
scheint  das  blosz  des  Römers  urtheil,  kein  damals  im  munde  der  Ger- 
manen gewesener  beiname.  Dasz  begriffe  der  beiden  und  kämpfer 
übertreten  in  die  von  räubern  und  gewaltthätigen  beweist  der  name 
der  Kimbern  und  Stürmen  (s.  636.  637);  doch  solche  namen  ehrten 
im  alterthum,  verletzten  nicht,  welchem  ofner  raub  und  todschlag 
kein  laster  schien***.  Zweifelhaft  bin  ich,  ob  dem  namen  der  Qua-  780 
den  gute  oder  üble  Vorstellung  unterliege  (s.  507);  ein  altn.  manns- 
name  Illugi  ist  mit  ill  (übel)  gebildet,  ähnlich  dem  franz.  Malvoisin 
Maupertuis.  die  ags.  Hviccas  (s.  660)  sind  vielleicht  inconstantes  und 
die  unbekannten  Frumtingas  (s.  752)  ungünstig  zu  deuten,  mehr 
noch  gehört  hierher  der  s.  566.  567  erörterte  beiname  der  blinden 
Schwaben  und  Hessen  f,  welchen  der  Litthauer  allgemein  auf  alle 
Deutschen  anwendet;  aklas  Wukietis,  heiszt  es,  der  blinde  Deutsche 


*  Germani  laeta  bello  gens.    Tac.  bist.  4,  16. 

**  s.  meine  vorrede  zu  Ernst  Schulzes  goth.  glossar  s.  XVIII. 

***  noch  Nib,  1242  hebt  die  gewohnheit  des  straszenraubs  in  Beierlant 

hervor,    vgl.  1369.  1540  ff.    dem  bairischen  grusz    (Ernst  1585)    steht  der 

schwäbische  (arm.  Heinr.  1421)  gegenüber.   Swäbe  die  muten.  Rol.  2G8,  5. 

t  auch  llaus  Sachs  IV.  3,  92*:  die  Hessen  engst  man  mit  den  hunden. 


542  VOLKSNAMEN 

[nach  Nesselmann  3*  stockdeutscher],  was  bei  der  groszen  ausdehnung 
der  alten  Sueven  nicht  zu  verwundern  ist,  wie  noch  heute  in  Ungern 
Schwab  von  jedem  Deutschen  gilt,  je  weiter  verbreitet  desto  älter 
scheint  die  redensart*.  Nicht  eines  leiblichen  gebrechens  halber  heiszt 
den  Slaven  der  Deutsche  stumm,  sondern  weil  er  ihre  spräche  nicht 
redet,  akakog  oder  barbarus,  ahd.  elirart  ist:  russ.  Njemetz,  poln. 
Niemiec,  böhm.  NSmec,  vgl.  njem"  mutus,  poln.  niemy,  böhm.  n^my; 
nach  den  Slaven  sagen  auch  die  Ungern  Nemet,  die  Kalmücken  Ne- 
mesch.  unsere  alten  Nemetes  (s.  496)  gleichen  nur  zufällig,  den  un- 
redenden  Niemtzi  dürfen  aber  die  redenden  lazygen  vom  russ.  jaz'ik" 
lingua,  poln.  j^zyk,  böhm.  gazyk  entgegengehalten  werden. 

Die  beiden  letzten  benennungen  gaben  schon  leibliche  beschaffen- 
heit  kund,  auf  welche  man  etwan  auch  Balthen,  Sciren  und  Bructe- 
rer  beziehen  dürfte,  nach  den  haarlocken  heiszen  die  edlen  und  freien 
781  mehrerer  Völker  capillati,  ags.  locboran;  vielleicht  sind  auch  die  goth. 
Hazdiggös  (s.  448)  mehr  stand  als  stamm,  vom  hart  ihren  namen 
tragen  die  Barden  oder  Langobarden,  die  Armilausi  (s.  449)  heiszen 
nach  der  kleidung,  die  Chatten  oder  noch  deutlicher  Chattuarier  d.  i. 
Hätvere**  scheinen  von  der  tracht  eines  hutes  oder  einer  binde 
(s.  578.  579)  genannt;  Fischart  geschichtskl.  cap.  11p.  118*  nennt 
unter  andern  seh  wert-  und  dolchnamen  auch  "^  weidner,  hessen  und 
mortpfrimen'  und  Schmeller  2,  249  hess  als  eine  der  waflfen,  die  in 
der  Schlacht  von  Mühldorf  geführt  wurden;  aus  der  alten  spräche 
kann  ich  eine  solche  waffe  nicht  aufweisen.  Unter  allen  waffen  voran 
geht  aber  das  seh  wert,  und  hinzugenommen  dasz  es  einen  schwert- 
gott  und  schwertcultus  gab,  musz  höchst  begreiflich  sein,  dasz  nach 
dem  Schwert  Sveordveras,  Suardones,  Sahson,  Cherusken  und  viel- 
leicht noch  andere  Völker  hieszen.  Vom  geflochtnen  schild  aber  können 
die  Bastarnen  genannt  sein   (s.  461),   ahd.   ist  linta,    altn.  ags.  lind 

*  volksmäsziger  scherz  über  einzelne  stamme  geht  in  hohes  alterthum 
hinauf,  einen  spruch  vom  Ursprünge  der  Schwaben,  Franken  und  Baiern 
theilt  Schmeller  mit  3,  524;  eine  estnische  sage  vom  kochen  der  deutschen, 
russischen  und  lettischen  spräche  steht  in  den  verhandl.  der  Dorpater  ge- 
sellschaft  bd.  1_,  41  — 4(5.  wie  schon  Polyaen  strateg.  8,  10  den  Kimbern  und 
Teutonen  thierische  stimme  beimasz,  .Julian  diegesänge  der  rheinischen  Deut- 
schen dem  gekrächze  rauh  schreiender  Vögel  verglich,  haben  auch  romanische 
Völker  die  deutsche  spräche  pferdegewieher  oder  hundegebell  gescholten. 
**  aus  ags.  verjan,  altn.  verja  defendere,  tueri  (goth.  varjan,  ahd.  we- 
ria.n)  leitet  sich  ein  ags.  subst.  vare  vere,  altn.  veri,  das  in  häufiger  Zu- 
sammensetzung colens,  habitans  ausdrückt,  altn.  skipveri  nauta  pl.skipverjar, 
skogverjar  qui  silvam  incolunt,  Romverjar  qui  Romam  incolunt,  Romani; 
eyverjar  habitatores  insulae,  ags.  burhvare  cives.  ceastervare  castrenses,  hät- 
vare  oder  hätvere  colentes,  gestantes  pileum  =  Chattuarii,  sveordvere  ge- 
stautes ensem  =  Suardones.  daher  nun  auch  Ripuarii  qui  ripam  tenent,  ri- 
penses,  Bajuvarii  ags.  Bsegdvare,  qui  Boihemum  incolunt  (Baugweri,  viri  co- 
ronati  ist  falsche  annäherung  an  deutsche  klänge,  Graft'  3,  40),  Ziuwari  qui 
Martern  colunt,  tuentur,  Ansivarii,  qui  deos  colunt.  Nahverwandt  liegen  die 
frauennamen  altn.  Hervor,  quae  exercitum  tuetur,  bellatrix,  Gunnvör,  quae 
pugnam  colit,  bellona,  Eyvör,  quae  insulam  incolit;  ahd.  Heriwara,  Gund- 
wara  u.  s.  w. 


VOLKSNAMEN  543 

tilia,  cortex  und  dann  auch  aus  hast  gewirkter  Schild,  lindvigende  sind 
den  ags.  dichtem  scutiferi,  mhd.  die  ""under  Schilde'  gehn.  ich  habe 
s.  220  —  222  2Jxv%'rjg  entweder  für  rotottjg  oder  scutarius  genommen*. 

Am  wenigsten  angemessen  scheint  für  den  zustand  beweglicher  782 
und  wandernder  Völker  die  dritte,  durch  örtliche  Verhältnisse  bedingte 
hauptart  der  namen.  während  die  der  beiden  ersten  arten  immer 
taugen,  so  lange  im  volk  die  erinner ung  an  seinen  ahnen  nicht  er- 
loschen, oder  eine  geistige  und  leibliche  eigenheit  unverwischt  ist, 
die  den  namen  bestimmte;  musz  ein  vom  flusz,  berg  oder  wald  des 
Wohnsitzes  entlehnter  seinen  sinn  verlieren,  wenn  das  volk  in  andere 
gegenden  rückt,  erst  langer  friedlicher  aufenthalt  an  derselben  stelle 
würde  solche  benennungen  heiligen,  in  der  that  finden  sich  auch  nach 
allen  unsern  groszen  strömen,  wie  Donau,  Elbe,  Ehein,  Weser  niemals 
stamme  benannt,  und  nur  zur  nähern  bestimmung  eines  schon  be- 
stehenden namens  kann  der  flusz  gereichen,  z.  b.  wenn  von  Rinfranken, 
i'heinischen  Franken  die  rede  ist**,  aus  diesem  grund  bleibt  mir  der 
bezug  des  namens  Fosi  auf  die  Fuse  (s.  574.  618),  die  nicht  zum 
chattischen  gebiet  paszt,  ganz  unwahrscheinlich,  und  ist  dieser  flusz- 
name  richtig  aus  füs  promptus  geleitet,  warum  nicht  die  Fosi  durch 
alts.  fusa,  ahd.  funs6  d.  i.  ad  bellum  prompti  deuten?  sie  fallen  da- 
mit in  die  zweite  hauptart.  Mit  der  Ems,  römisch  Amisia,  haben 
die  Ampsivarii  oder  'A^iiJcavoi'J^'^^ävoL  des  Strabo  s.  291.  292  kaum 
zu  schaflTen  [Haupt  9,  237.  239];  die  Variante  Ansivarii***  darf  auf 
ans  deus  leiten  und  Ansivai'ii  deos  colentes  gebildet  sein  wie  Ziowari? 
Ob  die  Salier  von  einem  flusz  oder  gau  benannt  waren  (s.  528)  bleibt 
unausgemacht,  doch  die  nordischen  Glommas  (s.  752)  scheinen  nach 
einem  flusz  geheiszen,  wie  vom  ufer  des  stroms  Ubii  und  Ripuarii  (s.  527). 
auch  ist  glaublich,  dasz  die  eintheilung  in  majores  und  minores  (s.  677)  783 
durch  flüsse  bestimmt  wurde,  wie  noch  heute  innere  grenzen  und  bezirke  f. 

Als  bewohner  von  inseln  und  auen  künden  sich  Aviones  (s.  472), 
Batavi  und  Chamavi  (s.  531.  584);  Peucini  heiszen  von  der  insel  Peuce 
(s.  461).  Mattiaci  und  Angrivarii  waren  auf  matten  und  angern  nieder- 
gelassen, Griotungi  (s.  448)  vielleicht  auch  am  gestade  des  meers, 
denn  grioz  bedeutet  arena  (Graff  4,  345)  und  ""an  den  griezen',  'zuo 
den  griezen',  "^üf  den  wilden  griezen'  im  Gudrunlied  das  meeresufer. 
im  wang  hausten  Vangiones  (s.  497),    im  baut  die  -bantes   (s.  593). 

In  heiligen  Wäldern  Semnonen  (s.  493)  Nemeten  und  Triböken 
(s.  497),  vor  allen  Haruden  und  Holtsaten,  Holtinge  Hülzinge  (s.  663), 

*  auch  mannsnamen  werden  aus  waflFen  entnommen,  z.  b.  die  vielen 
mit  -ger,  oder  Hornboge. 

**  so  wurden  Hessen  näher  bestimmt  in  Fanehessen,  Ritehessen  (s.  579). 

***  NS  =  MPS,  vgl.  oben  s.  337   und  meine  vorrede  zu  Schulze  s.  XI 

über  amisala  ampsla,  was  sich  auch,  als  wäre  es  ansala,  in  ags.  ösle,  engl. 

ousle  wandelt;  war  die  amsel  ein  heiliger  vogel,  gleich  der  meise  (mythol. 

s.  647)? 

t  Umgekehrt  flüsse  nach  Völkern  genannt:  die  Oder  Suevus  Sovr/ßog 
bei  Ptolemaeus  nach  den  Sueven;  Guttalus  bei  Plinius  ein  flusz  östlich  der 
Weichsel,  Pregel  oder  Memel?  nach  den  Guttonen  oder  Gothen. 


544  VOLKSNAMEN 

vielleicM  auch  Markomannen  (s.  503),  welche  doch,  gleich  den  Schwe- 
den (s.  745)  auch  als  grenzhüter  können  angesehn  werden.  Bur- 
gunden  scheinen  davon  genannt,  dasz  sie  bürgen  anlegten. 

Nach  der  himmelsgegend :  Ost-  und  Westgothen  (s.  442.  739) 
begreiflich  in  ganz  verschiedner  heimat,  wenn  man  stammahnen  Ostro- 
gotha  und  Visigotha  zum  gründe  legt;  auch  bei  Usipetes  liesze  sich 
an  Visipetes  denken  (s.  534).  die  Vederas  (s.  739)  scheinen  West- 
länder. Nordmannen  Normannen,  Norwegen  ist  für  sich  klar;  in 
den  altn.  liedern  heiszt  der  bewohner  des  festen  deutschen  landes, 
den  skandischen  inseln  gegenüber,  Südroenn  oder  Südrmadr,  wie  wir 
die  Skandinaven  Nortmannen,  benannten  sie  uns  Südmannen.  luti 
und  Eudoses  habe  ich  versucht  als  extremi  zu  bezeichnen  (s.  736), 
ja  man  könnte  sie,  nach  dem  in  Utlönd,  Uthriustri  s.  678.  742  lie- 
genden sinn,  für  minores  nehmen, 

Thiere,  die  in  mannsnamen,  oder  blumen,  die  in  frauennamen 
einzugehn  pflegen,  finde  ich  niemals  in  deutschen  volksnamen.  die 
184  Hessen  sind  keine  katzen  und  schon  darum  ist  die  Vorstellung  auer- 
hahn  (rerpal,  lat.  tetrao,  altn.  J)idr,  schwed.  tjäder)  von  dem  namen 
der  goth.  Tetraxiten  auszuschlieszen,  welcher  sich  auf  eine  vierfache 
eintheilung  des  stamms  gründen  mag  (s,  444).  in  den  Canninefaten 
mutmasze  ich  die  hunderttheilige  (s.  586).  Doch  sehe  man  gleich 
nachher  eine  bemerkung  über  griechische  volksnamen. 

Hält  man  zu  deutschen  griechische  und  lateinische,  so  musz  in 
der  that  auffallen,  dasz  hier  unsere  zweite  hauptart  gar  nicht  statt- 
findet; ich  wüste  keinen  hellenischen  oder  römischen  stamm,  der  nach 
tracht,  Waffen,  freiheit  oder  tapferkeit  benannt  wäre,  entweder  heiszen 
die  Völker  nach  einem  ahnen,  wie  "EXXrjv,  die  Phokaeer  nach  ^ä/.og, 
die  Arkadier  nach  'AQÄCcg  des  Zeus  söhn,  oder  nach  dem  land  und 
der  Stadt,  aus  welcher  sie  entsprieszen,  '^TTtxoi  nach  L^rrtxjf ,  Boicorol 
nach  BoicoTia,  dem  land  der  rindertriften,  KogivQ^LOi  nach  Koqlv- 
^og,  'HhlOL  nach  'HAig,  'J&rjvaTot  nach  'Ad^^vcci,  der  stadt,  die  selbst 
von  '^^•//vr]  der  göttin  benannt  war,  Romani  nach  Roma,  Latini  nach 
Latium,  Samnites  nach  Samnium.  die  Sabini  führen  auf  einen  ahnen 
Sabus.  Aus  den  städten  Rom,  Athen,  Sparta  erblühte  das  ganze 
Volk,  unsere  vorfahren  bauten  noch  keine  städte,  und  der  name  Bur- 
gunden  (s.  700)  hält  sich  ganz  in  der  allgemeinheit ;  volksnamen  wie 
Hanoveraner  oder  Würtemberger  sind  neu  und  undeutsch.  In  den 
namen  der  zweiten  hauptart  liegt  etwas  naives,  das  Grriechen  und 
Römern  barbarisch  aussehn  mochte;  Quirites,  welches  vom  sabinischen 
quiris  hasta  (vgl.  gais,  g6r)  herrühren  soll,  ist  mehr  beiname,  als 
eigentlicher  volksname.  riekaöyoi  wird  theils  von  nsXä^eiv  herge- 
leitet, theils  auf  den  schwarzweiszen  storch  bezogen,  und  wäre  dann 
treffende  bezeichnung  aller  gleich  Zugvögeln  wandernden  Völker,  vgl. 
Lobeck  zu  Phrynich  s.  109,  ja  so  liesze  sich  auch  die  fortziehende 
schwalbe  nehmen  in  XekiÖonot  und  KQrjörcovaloi  (s.  205). 

Nunmehr  bin  ich  genug  vorbereitet  um  auf  die  in  der  Überschrift 
des  capitels  angekündigten  beiden  allgemeinen  benennungen  unseres 


GERMANEN  545 

Volks  einzugehn;  gleich  anderm  eigenthum  sehn  wir  sie  uns  vielfach 
bestritten  und  verkümmert. 

Dasz  den  Römern  die  Völker  der  rechten  Rheinseite,  so  bald  sie  785 
von  ihnen  künde  empfangen,  überhaupt  Germanen  heiszen,  ist  be- 
kannt, und  auszer  inschriften  bezeugen  es  die  werke  von  Caesar, 
Strabo,  Livius,  Plinius  und  Tacitus  allenthalben,  nicht  weniger  weisz 
man,  dasz  sie  diesen  namen  auf  die  inneren  deutschen  Völker  erstrecken, 
wie  wir  sahen,  nordwärts  auch  über  die  scandinavischen  inseln  und 
ostwärts  bis  zu  Sarmaten,  Geten  und  Daken.  die  beiden  letzten  sind 
ihnen  offenbar  noch  keine  Germanen.  Undeutsch  aber  erscheint  der 
name,  weil  er  niemals  im  munde  unserer  vorfahren  selbst  geführt 
wird;  nie  weder  bei  ags.  oder  altn.  dichtem  taucht  er  auch  nur  als 
dunkles,  veraltetes  beiwort  auf,  was  doch  kaum  unterblieben  wäre, 
wenn  er  im  volk  und  in  der  spräche  je  gewurzelt  hätte,  seine  schein- 
bar mögliche  deutung  nach  deutschen  worten  musz  darum  aufge- 
geben werden :  er  ist  nicht  aus  g6r  hasta  und  man  zusammengesetzt, 
noch  aus  irman,  irmin  entstellt,  im  ersten  jh.  und  vorher  hätten  die 
Römer  für  g6r  noch  g6s  vernommen,  das  ihnen  zudem  aus  gaesum 
her  geläufig  war,  das  E  in  ger  galt  ihnen  offenbar  kurz,  und  von 
Germani  weisz  ihr  ohr  sehr  wol  die  Hermunduri  und  Arminius  zu 
scheiden,     aller  deutsche  klang  in  Germani  trügt  also. 

Nun  ist  aber  weiter  höchst  wichtig  festzuhalten,  dasz  der  name 
von  einem  winkel  der  linken  seite  des  Niederrheins  her  ausgegangen 
war  und  sich  von  da  in  immer  weitere  kreise  gedehnt  hatte,  wir 
besitzen  darüber  eine  berühmte  oft  besprochne  stelle  des  Tacitus  cap.  3 : 
ceterum  Germaniae  vocabulum  recetis  et  nuper  additum,  quoniam  qui 
primiRhenum  transgressi  Gallos  expulerlnt,  ac  nunc  Tungri,  tunc  Ger- 
mani vocati  sint.  ita  nationis  nomen,  non  gentis  evaluisse  paulatim, 
ut  omnes  primum  a  victo  ob  raetum,  mox  a  se  ipsis  invento  nomine 
Germani  vocarentur.  vorerst  kann  hier  recens  und  nuper  nicht  auf 
die  jüngste  zeit  gehn,  weil  schon  Caesar  den  namen  kennt  und  ver- 
wendet, ihn  vielleicht  auch  zu  des  Marius  tagen  die  Römer  wüsten 
(wenigstens  braucht  ihn  Plutarch,  von  den  Kimbern  redend);  es  soll 
sagen,  dasz  er  nicht  der  alte,  ursprüngliche  gewesen  sei,  sondern  bei  786 
besonderm  anlasz  aufgekommen*,  nemlich  die  zuerst  über  den  Rhein 
schreitenden  und  die  Gallier  austreibenden  Deutschen,  die  jetzigen 
Tungern,  seien  damals  Germanen  genannt  worden,  von  dem  einzel- 
nen stamm  habe  sich  der  name  allmählich  auf  das  ganze  volk  er- 
streckt, ein  name,  den  erst  der  besiegte  aus  furcht  gebrauchte,  her- 
nach die  Deutschen  selbst  sich  gefallen  lieszen.  ich  ändere  das  un- 
taugliche Victore  des  textes  in  victo,  für  Avelches  hier  kein  victis 
gefordert  wird,  da  Gallos  weit  vorausgeht,  mit  Victore  ist  nichts 
anzufangen :  entweder  müste  es  den  siegenden  heerführer  der  Deutschen 


*  auch  cap.  1  nuper  cognitis,  ann.  1,  31  nuper  acte  delectu,  hist.  4, 
17  nuper  caeso  Quinctilio  Varo,  sagt  Civilis  im  j.  69  sich  beziehend  auf 
das  ^as  im  jähr  9  geschehen  war. 

Grimm,  gescltichte  der  deutschen  üprache,  35 


546  GERMANEN 

bezeichnen,  und  da  wäre  schon  der  gegensatz  zwischen  ihm  und  dem 
Volk  (a  victoVe  und  a  se  ipsis)  seltsam,  noch  seltsamer,  dasz  er  ein 
ihm  fremdes  wort  ob  metum  (incutiendum)  verwandt  haben  sollte; 
oder,  was  ich  sonst  dachte^  den  weltbesiegenden  Römer,  insofern  die 
Römer,  als  sie  vom  einbrach  der  Deutschen  hörten,  aus  furcht  vor 
ihnen  den  oft  an  fremde  verschwendeten  namen  amici,  consanguinei, 
germani,  d.  i.  brüder  gebraucht  hätten,  um  den  eindringlingen  zu 
schmeicheln*,  in  der  that  wurde  Germani  in  solchem  sinn  aufgefaszt, 
Strabo  s.  290  sagt  ausdrücklich:  yvrjöLOt  yccQ  oi  FsQ^avol  %axa  Trjv 
'Pa^aicov  öicchxTov,  Plutarch  im  Marius  cap.  24  scheint  Grermani 
durch  aötXcpol  wiederzugeben  und  bei  Vellejus  2,  67  dreht  sich  die 
spitze  eines  Soldatenliedes  um  die  Zweideutigkeit  von  Germani  und 
germani,  Galli  und  galli.  Allein  diese  bedeutung  muste  sich  von 
selbst  aufdringen  und  konnte  sagenhaft  bestehn,  ohne  dasz  sie  wirk- 
lich auf  den  Ursprung  des  namens  führt;  es  liegt  doch  etwas  unrömi- 
sches in  solcher  Zuvorkommenheit  gegen  barbaren.  Am  richtigsten 
scheint  mir  daher  die  benennung  von  den  gallischen  nachbarn  der 
787  Deutschen  ausgehen  zu  lassen,  wie  auf  entgegengesetzter  seite  die  der 
Sueven  von  den  slavischen :  sie  braucht  aber  blosz  zufällig  den  schreck- 
haften sinn  enthalten  zu  haben,  den  hernach  eine  auch  den  Römern 
zu  ohr  gekommene  Überlieferung  damit  verknüpfte.  Germani  hat 
ganz  das  ansehn  eines  keltischen  worts  und  steht  auf  gleicher  linie  mit 
dem  bei  Caesar  verzeichneten  volksnamen  Paemani,  welcher  zu  leiten 
scheint  vom  ir.  oder  gal.  'beim'  wunde  oder  streich  das  den  pl.  bei- 
meanna  bildet  (Odonovan  s.  91.  92),  so  dasz  in  Paemani  ein  begrif 
läge,  den  ich  s.  623  für  Dulgibini  annahm,  von  gairm  pl.  gair- 
meanna  ruf,  ausruf  (welsch  garm,  und  das  mnl.  caermen  vociferari 
lamentari  mag  verwandt  sein),  könnte  wieder  ein  männliches  subst. 
mit  der  bedeutung  des  heutigen  gal.  gaii-madair,  garmadair  oder  wel- 
schen garmwyn  schreier,  rufer  leiten,  das  dem  sinn  des  gr.  {ioi]v 
ayad-öq  nahe  stände  und  sich  treflich  für  einen  beiden  im  kämpf 
schickte,  für  den  rauhen  Deutschen,  Galliern  gegenüber,  um  so  mehr, 
da  ihm  baritus  oder  fremitus  ausdrücklich  zugeschrieben  wird.  Ger- 
mani bedeutet  demnach  nichts  als  ungestüme,  tobende  krieger  und 
schon  ein  solcher  name  mochte  den  Galliern  schrecken  einflöszen**. 
von  den  wütenden  Berserkern  heiszt  es  in  altn.  sagen:  gengu  peir 
grenjandi,  ibant  vociferantes  (fornald.  sog.  1,  421).  So  erschienen 
den  belgischen  Galliern  die  Tungern,  und  mit  diesem  namen  wurden 
sie  von  ihnen  belegt***,  der  hernach  auch  auf  andere  deutsche  stamme 
und   allmählich   von   den  Römern    auf  alle   übertragen   wurde.     Die 


*  vffl.  s.  779;  die  Römer  nannten  auch  die  Gothen  <piXovg  xal  ^vfifid- 
'/ovQ.    Frocop  b.  gotli.  2,  6. 

**  selbst  dem  römischen  beer  theilte  der  gallische  bericht  von  den  Ger- 
manen zu  Caesars  zeit  diese  furcht  mit.    Caes.  1,  39. 

***  nachdem  ich  diese  keltische  etymologie  selbst  finde,  freut  es  mich 
beim  nachschlageu  von  Haupt  5,  514,  dasz  sie  schon  Leo  gefunden  hatte. 


GERMANEN  547 

Tungern  habe  ich  cap.  XX  mit  absieht  unerwähnt  gelassen,  um  erst 
hier  von  ihnen  ausdrücklich  zu  behaupten,  dasz  sie  deutscher  abkunft 
waren,  sie  treten  auch  im  krieg  des  Civilis  und  hernach  unter  Agri- 
cola  neben  Bataven,  Treverern  und  Nerviern  in  belgischem  gebiet 
auf,  Tac.  hist.  2,  28.  4,  16.  55.  66.  79  Agric.  56  vgl.  Plin.  4,  17.788 
die  not.  dign.  occid.  cap.  38  erwähnt  einer  cohors  Batavorum^  Tungro- 
rum  und  Frixagorum  (Frisaevonum)  hintereinander.  Tungra,  heute 
Tongern,  zwischen  Lüttich  und  Mastricht,  führt  nach  ihnen  den 
namen;  die  warmen  bäder  zu  Spa  lagen  apud  Tungros.  Plin.  31, 
2,  8:  Tungri  civitas  Galliae  fontem  habet  insignem,  plurimis  bullis 
stellantem.  im  sg,  lautete  der  volksname  Tunger,  wie  eine  Inschrift 
bei  Gruter  334,  3  und  ein  vers  bei  Silius  ital.  7,  681  lehren,  kel- 
tischer anklang  ist  hier  gar  nicht,  ich  halte  das  wort  für  verwandt 
mit  gitengi,  bitengi,  Tencter  (s.  532)  und  dem  ahd.  zankar  vibex, 
öriynr,  die  sämtlich  ein  verlornes  tingan  tang  tungun  voraussetzen, 
wozu  auch  zanga  forceps  und  zunga  lingua  gehören,  mit  bezug  auf 
das  letzte  wort  könnte  tungar,  ahd.  zungar  aussagen  linguosus,  cla- 
mosus,  was  jenes  gairmadair  und  garmwyn  sogar  erreicht;  möglich 
also  dasz  Germani  geradezu  Übersetzung  von  Tungri  war.  oder 
sollen  Tungri  sein  was  lazyges  (s.  780),  die  redenden,  einheimischen? 

Trat  hiernach  der  name  Germani  zuerst  bei  den  westlichen  Iscae- 
vonen  oder  Franken  hervor,  so  verleugnet  er  auch  lange  nachher, 
als  er  schon  allgemeine  ausdehnung  gewonnen  hatte,  diese  seine  wiege 
nicht,  die  belgischen  Franken,  d.  h.  die  Deutschen,  welche  den  Nie- 
derrhein überschritten  hatten  und  in  Belgien  niedergesessen  waren, 
hieszen  noch  immer  vorzugsweise  Germanen  (vgl.  gramm.  1,  12);  dem 
Procop  sind  z.  b.  Franken  und  Germanen  identisch:  £g  FEQ^avqvg, 
di  vvv  ^Qd'yyoi  xaXovvvat,  de  b.  vand.  1,  3;  oi  dl  <DQCcyyoi  ovxol 
FsQ^ccvol  ^Iv  t6  naXaiov  avo^d^ovro,  de  b.  goth.  1,  11,  und  eine 
randglosse  zu  Strabo  s.  196  (Kram.  1,  307)  hat:  BsXyoi  oi  vvv 
Ogdyyoi.  Justinian,  um  recht  sicher  zu  gehn,  liesz  in  seinem  titel 
zu  alamannicus,  gothicus,  francicus  auch  noch  germanicus  fügen;  wie 
wunderbar,  dasz  die  nachfolger  im  römischen  weitreich  sich  nur  mit 
den  namen  deutscher  Völker  schmückten,  und  die  fränkischen  könige 
verübelten  ihm,  nach  Agathias,  mit  vollem  recht  seine  anmaszung. 
Nimmt  man  hinzu  den  späteren  rühm  der  fränkischen  herschaft,  so 
musz  es  natürlich  erscheinen ,  nicht  nur  dasz  der  hochdeutsche  Ot-  789 
fried  die  spräche  seines  gedichts  eine  fränkische  nannte  (s.  511),  son- 
dern dasz  auch  in  Byzanz  den  Türken  der  name  Franken  für  alle 
Deutschen  überliefert  wurde,  während  die  Franken  selbst,  im  gegen- 
satz  zu  sich,  die  ihnen  benachbarten  Deutschen  nicht  umhin  konnten 
Alamannen  und  Theodisken  (Alemans  et  Tyois)  zu  nennen,  unter 
Alamannen  verstanden  sie  die  süddeutschen  oberrheinischen,  unter 
Theodisken  die  norddeutschen  niederrheinischen  nachbarn. 

Wenn  Franzosen  und  Spaniern  allmählich  alle  Deutschen  Alle- 
mands  und  Alemanes  heiszen,  so  rührt  das  noch  an  die  ausbreitung 
des  Suevennamens   im  höheren  alterthum;    doch  den   Italienern  gilt 

35* 

/ 


548  DEUTSCHE 

Tedeschi,  und  hierdurch  werden  wir  auf  den  andern  und  schönern 
hauptnamen,  der  uns  zusteht,  hingeleitet. 

Gal.  2,  14  wird  ed'VLxag  durch  das  goth.  piudiskö  übertragen; 
piudisks  folglich  ist  l&viKos^  gentilis  und  wie  dies  lat.  wort  von  gens, 
von  J)iuda  gebildet,  bezeichnet  also  was  volksmäszig,  populär,  natio- 
nal ist;  erst  heutige  schriftsteiler  können  es  nöthig  finden  von  deut- 
scher nationalliteratur  zu  reden,  was  das  alte  diutiska  schön  auf 
einmal  ausdrückt,  einen  besseren  allgemeinen,  alle  germanischen 
stamme  umfassenden,  keinem  abbrechenden  namen  zu  erfinden  wäre 
unmöglich,  hatte  er  anfangs  die  bescheidenheit  der  Vorstellung  bar- 
barus,  vulgaris,  so  musz  er  dem  erwachten  bewustsein  stolz  auf  alles 
eigne  und  vaterländische  einflöszen*.  Wie  er  aber  von  jedem  stamm 
zu  schreiben  sei  bestimmt  das  gesetz  der  lautverschiebung,  dem  ahd. 
diutisc  steht  ein  nhd.  deutsch  unabänderlich  zur  seite  und  vom  mnl. 
diet  ist  dietsc  gebildet,  vom  ags.  peod  entspringt  J)eodisc,  der  eng- 
lischen Schreibung  gemäsz  wäre  thiedish  thedish  (wie  noch  schottisch 
790thede  =  peod  fortdauert),  es  ist  aber  german  eingeführt  und  ein 
dutch  aus  dem  nl.  dutsc,  zu  dessen  bezeichnung  aufgenommen  wor- 
den, dasz  Schweden  und  Dänen,  welchen  altn.  piod  verloren  ge- 
gangen ist  und  an  die  stelle  des  J)  allgemein  wieder  t  gilt,  altn. 
^^dskr  durch  tysk  und  tydsk  wiedergeben,  verhält  sich  ganz  nach  der 
regel.  die  Italiener  aber  schreiben  tedesco  wie  Teofilo  teatro  teoria, 
und  nicht  anders  verhält  sich  die  tenuis  des  franz.  tyois  und  tudesque. 
Noch  aber  ist  zu  erledigen,  in  welchem  bezug  zu  dieser  benen- 
nung  der  alte  volksname  der  Teutonen  stehe.  Teutones  Tsvrovtg 
stammt  wiederum  aus  teuta,  wie  vor  der  Verschiebung  das  goth.  J)iuda** 
ahd.  diota  gelautet  haben  musz,  welches  dem  litth.  tauta  und  ir.  gal. 
tuath,  welschen  tud,  tuedd  regio  begegnet  (s.  120).  in  tuath  scheint 
sogar  der  zweite  linguallaut  genauer  als  in  jenem  teuta  für  teutha, 
weil  die  Ei5mer  kein  TH  hatten.  Von  teuta  gens  leitet  sich  der 
eigenname  Teuto  gentilis,  pl.  Teutones,  wie  vom  goth.  J)iuda  Thiuda 
pl.  Thiudans,  vom  ahd.  diot  oder  diota  Dioto  pl.  Dioton,  und  der 
sinn  dieser  ableitung  kommt  der  von  -isc  nahe;  selbst  das  goth.  piu- 
dans,  ags.  peoden,  alts.  thiodan  altn.  J)iodan  bedeutet  den  aus  dem 
volk  entsprosznen  könig  oder  fürsten,  wie  jenes  ifY&iv  (s.  789)  und 
das  ir.  tuathach  den  herrn.  Da  unter  allen  Germanen  Kimbern  und 
Teutonen  in  Rom  zuerst  bekannt  wurden,  als  sie  den  kühnen  zug 
von  der  nördlichen  halbinsel  her  über  die  alpen  unternahmen  (s.  638. 
639),  und  hernach  ihr  rühm  haftete;  so  ist  wahrscheinlich,  dasz  das 


*  ebenso  entspringt  aus  ahd.folh,  ags.folc,  altn.folk  (welcher  ausdruck  der 
goth.  spräche  mangelt)  foMih  ags.folclic  popularis  und  altn.  fylkir  dux.rex. 

**  man  darf  auszer  {)iuda  auch  das  goth.  {)iul)  «^«i^ov  und  J)iu{)jan  be- 
nedicere  erwägen,  deren  zwiefache  aspirata  der  zwiefachen  tenuis  m  Teu- 
tones genau  zu  entsprechen  scheint,  und  darum  dachte  ich  s.  461  bei  dem 
namen  Teutagonus  an  J)iul)eiga.  Teutones  wären  in  diesem  sinn  die  rei- 
chen, seligen,  glücklichen,  am  ende  läszt  sich  puida  mit  {jiuj)  noch  leich- 
ter vermitteln  als  Gujians  mit  Göds  und  die  forschung  soll  offen  bleiben. 


DEUTSCHE  549 

mittelalter  Teutones  und  Teutonici  für  gleichbedeutend  mit  Thiotisci 
nahm,  wie  z.  b.  Saxo  grammaticus  Teutones  in  diesem  allgemeinen  791 
sinn  verwandte;  belege  für  Teutonici  sind  gramm.  1,  16  gesammelt, 
teutonicus  ist  aber  wie  saxonicus  von  Saxo,  undeutsche,  blosz  latei- 
nische Wortbildung*  und  dem  diutisc,  theotiscus  nachzusetzen;  auch 
hat  schwerlich  der  Gotha  bei  seinem  J)iudisk  an  jenen  stamm  der 
Teutonen  gedacht. 

Süddeutsche  schriftsteiler  widersetzen  sich  der  allein  richtigen 
Schreibung  unseres  volksnamens  mit  D,  und  halten  T  für  deutscher ; 
sie  bedenken  nicht,  dasz  media  so  hochdeutsch  ist  wie  tenuis,  und 
das  niederdeutsche  D  hier  und  in  viel  andern  Wörtern  unorganisch 
an  die  stelle  von  TH  getreten;  wie  sollte  in  diesem  namen  hoch- 
deutsches T  gerecht  sein,  dem  nur  organisches  niederdeutsches  D  zur 
Seite  steht  ?  So  sehr  das  einleuchtet,  hat  sich  dennoch  Hattemer  jüngst 
in  einer  eignen  schrift  für  T  erklärt  und  vorgestellt,  der  volksname 
führe  auf  einen  gott  Teuto  zurück,  wie  bei  Tacitus  für  Tuisco  zu 
lesen  sei,  und  stehe  auszerhalb  der  lautverschiebung.  allein  Teuto 
oder  Tiuto  ist  gegen  den  buchstab  der  handschriften  und  wenig  glaub- 
lich (wir  sahen  vorhin  ein  solches  wort  in  der  bedeutung  von  gen- 
tilis),  am  unglaublichsten,  dasz  aus  ihm  der  volksname  entspringe, 
da  Teuto  durch  seine  schwache  form  sich  selbst  schon  als  abgeleitet 
kund  gibt,  alle  götter  oder  ahnen,  auf  welche  sich  Völker  hinführen, 
starke  form  an  sich  tragen,  dasz  Teutones  unverschoben  bleiben  792 
müsse,  ist  falsch,  wie  das  goth.  J)iuda  |)iudans,  ags.  J)eod  f)eoden  und 
ahd.  diot  Dioto  lehren  die  Teutones  sind  also  ahd.  Dioton  und  nhd. 
Dietmarsen,  wie  Teutoburgium  ahd.  Diotpuruc,  goth.  piudisk  nhd. 
deutsch  und  Chatti  Hessen,  was  Ammian  15,  3  Teutomßres,  Gregor 
von  Tours  2,  9  Theodem6r  und  unser  heldenbuch  Dietmar  nennt  ist 
sicher  derselbe  name. 

Es  ist  von  neueren  Schriftstellern  mit  groszem  unrecht  geleugnet 
worden,  dasz  im  höheren  alterthum  unter  den  deutschen  volkstämmen 
warme  Vaterlandsliebe  und  gefühl  ihres  Zusammenhangs  vorhanden 
gewesen  sei.  jene  wird  schon  durch  eine  reihe  von  schönen  ausdrücken 
bezeugt,  die  unsrer  spräche  gewis  von  uralters  her  zu  gebot  standen, 
für  patria  gebraucht  sie,  der  Zusammensetzung  überhaupt  geneigt, 
ahd.  sowol  fatarland  (Graff  2,  235)  Tiarglc:  yala,  als  fatarheim  (4,  950) 
und  fataruodil  (1,  144);  mhd.  finde  ich  von  diesen  dreien  nur  vater- 
lant  troj.  kr.   11672.    Silvest.  2411.    doch  galt  auch  schon  ahd.  das 

*  ans  Teutones  oder  Teutoni  entsprang  den  Römern,  wie  aus  Senones 
senonicus,  teutonicus.  mit  bestimmtem  bezug  auf  diesen  volkstamm  und  es 
ist  nicht  zu  erweisen,  dasz  es  ihnen  schon  den  allgemeinen  sinn  von  ger- 
manicus  hatte,  z.  b.  wenn  Martial  14,  26  teutonici  capilli  nennt;  auch  dem 
späteren  Claudian  in  Eutrop.  1,406  scheint  teutonicus  vomer  weniger  deutsch, 
als  blosz  dichterisches  beiwort.  statt  teutonicus  setzt  aber  die  not.  dign. 
occ.  cap.  40  teutonicianus,  indem  sie  einen  praefectus  laefcorum  teutonicia- 
norum  wie  batavorum,  francorum,  gentilium  suevorum  aufführt,  das  waren 
doch  Teutonen  aus  der  halbinsel,  vorfahren  der  Dietmarsen,  keine  Deut- 
schen überhaupt. 


550  DEUTSCHE 

abgeleitete  heimuoti  (Graff  4,  951)  und  heimingi  (4,  952;  und  das 
zusammengesetzte  heimuodil  (4,  951)  vgl.  goth.  haimöjjli  ager;  von 
welchen  dreien  rahd.  nur  heimüete,  nhd.  heimat,  endlich  begegnet 
ahd.  inbeim  (Graff  4,  950)  und  inlenti  (2,  238).  Ssem.  140*  148* 
munarheimr,  heimat  der  lust,  süsze  heimat,  wie  patria  dulcis,  Rud- 
lieb  1,  64;  Suevia  dulcis  in  den  gestis  Witigowonis  v.  51  und  häufig 
in  altfranz.  gedichten  la  douce  France;  ma  douce  contr^e,  la  douce 
Champaigne ;  die  insel  Eugen,  oder  Hiddensö,  heiszt  den  eingebornen 
'dat  söte  länniken'.  wer  gedenkt  hier  nicht  der  homerischen  stellen? 
ov  xoL  sycoys  r/g  yairjg  ßvvafiai  yXvxätiQov  «AAo  Ideo^at.  Od.  9, 
27;  Sg  ovöiv  yXv%iov  Tjg  Ttatgldog  ovös  toyiTJcov  yiyvirai.  Od.  9,  34; 
q)drjv  hg  Tiargiöcc  yalav.  Od.  15,  65.  18,  148.  II.  23,  145.  tu  q)d- 
tdtr]  yrj  fi^zeg  in  einem  bruchstück  des  Menander  bei  Meineke  4, 
175.  die  Finnen  sagen  "^kuUainen  koto'  goldne  heimat.  Kalev.  15, 
128.  359.  für  heimweh  altn.  heimsyki,  schwed.  hemsjuka,  dem  hjem- 
sot,  heimsucht,  landsucht  (Graff  6,  141), 

793  Man  gibt  vor,  Karl  der  grosze  habe  zuerst  das  weltgeschichtliche 
bewustsein  der  deutschen  Völker  geschaffen*,  es  wäre  aller  natur 
entgegen,  dasz  sie  bis  dahin  gewartet  haben  sollten,  um  zu  erkennen, 
wie  sie  durch  gemeinsame  spräche,  sitte  und  kraft  untereinander  zu- 
sammenhiengen ;  was  sie  schon  lange  vor  jener  zeit  in  der  weit  aus- 
gerichtet hatten,  war  fast  gröszeres  als  alles  nachfolgende,  und  we- 
nigstens dessen  grundlage.  sie  waren  in  alle  theile  Europas  und 
darüber  hinaus  vorgedrungen  und  erst  ihr  übertritt  zum  christenthum 
hatte  diesem  möglich  gemacht  auf  die  dauer  fusz  zu  fassen,  konnten 
jene  kühnen  und  i-aschen  heerzüge  von  dem  der  Kimbern  und  Teu- 
tonen an  (denn  die  früheren  sind  uns  verborgen)  überhaupt  geschehn, 
ohne  dasz  sich  mehrere  stamme  dazu  vereinten  und  die  übrigen  sie 
gewähren  lieszen?  Ariovist  hatte  Haruden,  Markomannen,  Triboken, 
Nemeten,  Eudusier,  Sueven  an  sich  gezogen  und  den  andern  beiden 
nach  ihm  gelang  es  eben  so  leicht  deutsche  scharen  zu  sammeln  (s.  472). 
das  musz  man  doch  erkennen,  dasz  der  Quaden  und  Markomannen 
Weigerung  gegen  die  Daken  zu  kriegen  (s.  181)  und  des  Arminius 
thaten  auf  dem  politischen  gefühl  gleichgesinnter  Völker,  die  ihre 
freiheit  retten  wollten,  beruhten,  was  von  ihm  und  andern  voll- 
bracht war,  wurde  in  liedern  gesungen,  die  lange  zeit  hindurch  den 
mut  und  stolz  der  Völker  erhöhen  musten.  in  des  Römers  erheben- 
dem ausspruch  heiszt  er  liberator  haud  dubie  Germaniae  proeliis  am- 
biguus,  hello  non  victus,  Graecorum  annalibus  ignotus,  qui  sua  tan- 
tum  mirantur.  das  kann  nicht  auf  den  held  der  Cherusken  allein, 
nur  auf  den  aller  Germanen  gehn. 

Tacitus  berichtet  uns,  dasz  die  Deutschen  in  ui-alten  liedern  von 
einem  erdgebornen  gott  und  dessen  söhn  sangen,  aus  welchem  drei 
beiden  entsprossen,  die  stifter  der  germanischen  hauptstämme.    dieser 

794  gemeinsame  Ursprung  haftete  im  bewustsein  aller  Deutschen  und  es 


Bunsens  Aegypten  1,  516. 


DEUTSCHE  551 

wird  noch  einer  abweichenden  sage  erwähnt,  welche  die  reihe  der 
göttlichen  helden  vergröszerte  und  mehr  als  drei  stamme  ausdrückte. 
An  anderer  stelle  werden  dem  Arminius  die  worte  in  den  miind  ge- 
legt: cerni  adhuc  Germanorum  in  lucis  signa  romana,  quae  diis  pa- 
triis  suspendorit  (ann.  1,  59):  das  meint  doch  götter  aller  Deutschen, 
wie  die  Tencterer  den  Agrippinensem  entbieten  lassen:  redisse  vos 
in  corpus  nomenque  Germaniae  communibus  deis  et  praecipuo  deorum 
Marti  grates  agimus  vobisque  gratulamur,  quod  tandem  liberi  inter 
liberos  eritis  (bist.  4,  64).  es  ist  dem  Tacitus  nicht  zuzutrauen,  dasz 
er  nur  seine  rede  ausschmücken  wollte;  ihm  muste  bekannt  gewor- 
den sein,  dasz  die  Germanen  ihres  volks  und  ihrer  götter  sich  be- 
wust  waren,  und  hätte  dies  gefühl  in  den  nächsten  Jahrhunderten 
nicht  gedauert?  sollten  Gothen,  Langobarden,  Sachsen  nicht  jedes 
einzelnen  königs  ihrer  Stammtafel,  die  zuletzt  auf  einen  gemeinschaft- 
lichen gott  hinaus  lief,  sich  erfreut  haben? 

Solcher  stolz  bricht  auch  sonst  noch  hell  durch,  als  Tacitus 
von  der  mischung  gallischer  und  germanischer  Völker  redet  und  auf 
die  den  Galliern  zunächst  wohnenden  Germanen  kommt,  heiszt  es 
cap.  28:  Treveri  et  Nervii  circa  affectationem  germanicae  originis 
ultra  ambitiosi  sunt,  tanquam  per  hanc  gloriam  sanguinis  a  similitu- 
dine  et  inertia  Gallorum  separentur.  ne  Ubii  quidem,  quanquam 
romana  colonia  esse  meruerint  ac  libentius  Agrippinenses  conditoris 
sui  nomine  vocentur,  origine  erubescunt.  Mit  gutem  fug  glaube  ich 
auch  s.  503  die  einheit  aller  Germanen  aus  dem  namen  der  Marko- 
mannen gefolgert  zu  haben,  der  erst  unter  solcher  Voraussetzung 
rechten  sinn  empfängt:  sie  hüteten  die  grenze  Germaniens  gegen  die 
fremden;  ja  man  könnte  den  Markomannen  im  Süden  die  dänische 
mark  im  norden  gegenüber  stellen  und  darin  neuen  grund  für  die 
annähme  finden,  dasz  die  halbinsel  und  die  Dänen  den  Germanen  des 
festen  landes  beigezählt  und  nicht  zu  den  eigentlichen  Nordmannen 
gestellt  wurden. 

Ich  bin  der  annähme  eigner  Völkervereine,  gothischer,  suevischer,  795 
cheruskischer  abgeneigt,  weil  alles  was  aus  ihnen  hervorgegangen 
sein  soll,  schon  in  dem  naturgemäszen  dasein  jenes  allgemeinen  deut- 
schen Verbands  gesucht  werden  darf,  bei  dringendem  anlasz  mögen 
eben  so  natürlich  besondere  bündnisse  geworben  und  feierlich  ge-  , 
schlössen  worden  sein,  ohne  dasz  sie  auf  die  länge  gedauei-t  oder  in 
der  Stellung  der  Völker  selbst  etwas  geändert  hätten,  zwei  merk- 
würdige äuszerungen  begegnen  bei  Cassiodor  var.  3,  1  und  2;  der 
ostgothische  Theodorich  schreibt  an  den  westgothischen  Alarich  in 
bezug  auf  dessen  hader  mit  dem  fränkischen  Chlodwig:  objiciamus 
quamvis  cognato  cum  nostris  conjuratis  eximias  gentes.  und  an 
Gundobald:  ideo  legatos  ad  fraternitatem  tuam  credimus  destinandos, 
ut  si  filio  nostro  Alarico  visum  fuerit,  ad  regem  Francorum  cum 
conjuratis  nobis  gentibus  dirigere  debeamus,  quatenus  causa,  quae 
inter  eos  vertitur,  amicis  mediis  rationabiliter  abscidatur.  damals 
mochten  die  gothischen  und  ihnen  benachbarten  Völker  für  erspriesz- 


552  DEUTSCHE 

lieh  gehalten  haben,  sich  gegen  die  steigende  macht  der  Franken 
und  Burgunden  näher  zu  verbdnden. 

Jede  der  groszen  hauptabtheilungen,  so  schwer  es  hält,  den  be- 
stand der  Iscaevonen,  Ingaevonen  und  Herminonen  genau  anzugeben, 
festigte  engere  kreise  und  konnte  freundschaft  oder  abneigung  zwi- 
schen einzelnen  stammen  zu  wege  bringen,  die  geschichte  erwähnt 
der  feindschaft  unter  Chatten  und  Cherusken,  unter  Chatten  und 
Hermunduren;  wenn  Cherusken  ingaevonisch,  Hermunduren  hermino- 
nisch  waren,  stehn  schon  darum  die  suevischen  Chatten  dem  iscae- 
vonischen  stamme  nah.  Langobarden  und  Heruler,  Langobarden  und 
Gothen,  Franken  und  Gothen,  Franken  und  Sachsen,  Dänen  und 
Schweden  traten  einander  feindlich  entgegen;  warnisches  blut  dauchte 
die  Gothen  unedel.  lornandes  sagt  cap.  44  von  Athiulf :  is  siquidem 
erat  Warnorum  stii-pe  genitus,  longe  a  gothici  sanguinis  nobilitate 
sejunctus,  idcirco  nee  libertati  studens  nee  patrono  fidem  servans. 
796  Ward    durch    die    thaten    Ermanarichs,    Alarichs,    Theodorichs, 

Chlodowigs  und  Carls  der  deutsche  rühm  mächtig  gehoben,  so  ge- 
schah ihm  grosze  minderung  durch  den  Untergang  des  gothisehen, 
langobardischen  und  die  theilung  des  kerlingisehen  reichs,  nach  wel- 
cher die  Franken  fast  ganz  dem  romanischen  element  heimfielen,  bis 
ihn  die  sächsischen  könige  glücklieh  wieder  herstellten. 


XXX. 
RUCKBLICK. 


Wie  die   alten  kämpfer,   den  heim   abbindend   und  an  die  luft797 
stehend,   sich  in  den  ringen  kühlten,    will  ich  auch  meinen  lauf  ein- 
halten und  mich  einmal  verschnauben. 

Daran  lag  es,  dasz  unserer  spräche  ein  tieferer  hintergrund 
bereitet  und  ihre  längst  unbezweifelte  gemeinschaft  mit  Asien  durch 
bisher  vernachlässigte,  aber  nothwendige  mittelglieder  nachgewiesen 
würde,  warum  soll  eine  grosze  analogie,  die,  so  weit  ihre  hellere 
geschichte  reicht,  zwischen  allen  ihren  ästen  und  zweigen  sich  kund 
thut,  in  einer  älteren  dämmernden  zeit  aufhören  und  nicht  vielfach 
zu  spüren  sein?  doch  musten  neue  kreise  gezogen  und  alle  sprach- 
lichen und  geschichtlichen  Verhältnisse  zurückgeschoben  werden. 

Aus  den  alten  grabhtigeln  schallt  uns  nur  leises  getöse,  noch 
keine  vernehmliche  stimme  entgegen,  bilder  des  hirtenlebens  und  des 
begonnenen  ackerbaus  zeigen  wunderbaren  einklang  und  Wechsel  der 
sich  ausbreitenden  kennbar  urverwandten  völkerstämme,  aber  nicht 
sichere  fährte,  die  wir  suchen,  in  ferner  höhe  scheint  sie  ein  falken- 
flug  anzudeuten,  unser  hapuh  ist  das  welsche  hebog,  ir.  seabhac 
(s.  301);  das  litth,  sakalas,  sl.  sokol  das  skr.  ^akunas,  allein  lat.  falco 
kann  versetztes  faculo  sein  und  F  wie  so  oft  H  vertreten. 

Noch  mehr  licht  hervor  bricht  aus  der  dunkelheit  der  monats- 
namen.  ich  möchte  jetzt  auch  das  s.  72  unbestimmt  gelassene  goth.  798 
dulj)s,  ahd.  tuld  zum  gr.  ^ccXla  fest  und  gastmal  halten,  &cchä^SLV 
ist  BOQTCc^eLV,  dul))jan.  wie  ausgestreckt  ist  die  begegnung  von  he- 
manta  hima  hiems  zima  ^^£1/1«  geimhra  qintrus  =  vintrus  (s.  73); 
eingeschränkter  die  von  sumar,  samhra  und  haf  (armor.  hanv)  s.  304. 
Wie  rege  naturanschauung  milchtrinkender  nomaden  in  thrimilki  und 
louprisi !  aber  dem  ackerbau  gehört  schon  der  sl.  srpen  (von  srp  ägni], 
lett.  zirpe,  s.  105.  302)  bedeutsam  einstimmend  zum  maked.  yoQmmog, 
ich  möchte  sogar  unser  herbst,  ahd.  herbist,  ags.  hearfest,  engl,  har- 
vest  jetzt  nicht  mehr  von  xagnog,  lieber  von  cigiti]  leiten  und  ein 
verlornes  goth.  harfö,  ahd.  harbä  falx  annehmen,  so  dasz  jener  bald 


554  RÜCKBLICK 

dem  august,  bald  späteren  monaten  zugetheilte  herbst  genau  mit 
si'pen  und  yogmcclog  überein  träfe,  dasz  die  echt  deutschen  alten 
monatsnamen  den  sla vischen  näher  kamen,  folgt  auch  aus  gruden, 
litth.  grodinnis  und  hartmonat  (s.  98.  105).  hartmonat  ist  zugleich 
recht  chattisch,  chattuarisch  und  batavisch,  weil  er  noch  heute  von 
Hessen  durch  den  Westerwald  an  den  Niederrhein  reicht.  Aber  wie 
herbst  sowol  das  jahresfest  als  den  einzelnen  monat  bezeichnen  konnte, 
gieng  auch  das  uralte  jul  aus  der  Vorstellung  der  sonne  und  Sonnen- 
wende (s.  106.  108)  über  auf  den  bestimmten  monat,  und  in  ihm 
bewährt  sich  die  wichtige  Übereinkunft  zwischen  altlateinischer  und 
deutscher  spräche,  welche  noch  auf  den  zendischen  monat  mithra 
(s.  112)  mit  ausgedehnt  werden  kann.  Es  bleibt  aber  für  alle  monats- 
namen vieles  fortgesetzter  samlung  und  beobachtung  vorbehalten  imd 
zumal  musz  erst  aufgehellt  werden,  warum  sich  beim  februar  die 
dunkelsten  und  ältesten  namen  hartnäckig  behaupten:  hornung,  spor- 
kel,  goi,  solmonat,  seile,  wozu  vielleicht  auch  volborn  zu  rechnen  ist. 
volborn  ==  volboran  legitimus  könnte  als  Januar  neben  hornunc  spu- 
rius  dem  februar  stehn.  richtiger  aber  nimmt  man  volborn  für  fol- 
brunno  und  dann  musz  es  zusammenhängen  mit  Pholesbrunno ,  Hai- 
ders brunnen  (myth.  s.  207)  und  uralten  mythischen  bezug  haben. 
in  Berlin  ist  Polborn  ein  bekannter  eigenname,  der  für  Folborn  und 
799Ftilleborn  die  bedeutung  von  füllen  ausschlieszt.  Auf  die  gepaarten 
monate  wurde  s.  110.  111  hingewiesen;  mich  erinnert  die  benennung 
des  ersten  und  zweiten  monats,  des  groszen  und  kleinen  hörn,  des 
mali  und  veliki  traven,  mali  und  veliki  serpan  an  die  groszen  und 
kleinen  Friesen  Chauken  Brukterer  (s,  677):  es  sind  keine  unter- 
schiede des  Standes,  sondern  der  Zeitfolge  und  des  nebeneinanderstehns. 
Seit  ich  mein  sechstes  capitel  geschrieben  hatte,  sind  durch  Rawlin- 
sons  auflösung  der  keilschrift  auch  einige  bisher  unbekannte,  von  den 
zendischen  ganz  abweichende  altpersische  monatsnamen  an  den  tag 
gekommen:  Viyakhna  1,  37.  3,  67;  Grarmapada  1,  42.  3,  46;  Ba- 
gayadish  1,  55;  Anamaka  2,  26.  56.  3,  62;  Thuravahara  2,  36.  41. 
3,  39;  Thaigarchish  2,  46;  AtHyatiya  3,  18;  an  deren  deutung  ich 
mich  nicht  wagen  darf,  einer  ist  mir  indessen  klar,  der  Gai-mapada- 
monat,  worin  sich  das  skr.  gharma  wärme,  hitze  nicht  verkennen 
läszt.  es  sei  hinzugefügt,  dasz  dies  gharma  sowol  dem  goth.  varms, 
ahd.  waram,  altn.  varmr  als  dem  gr.  d'EQuog  entspricht:  denn  varms 
steht  für  qarms  (wie  vintrus  für  qintrus  %Bi^a)  und  ■O'ap/Lidg  für  x^Q- 
/io'g,  nach  dem  Wechsel  zwischen  &  X  0  (s.  348 — 350). 

Die  deutsche  spräche  mittenein  gelegen  zwischen  griechischer, 
lateinischer,  keltischer  auf  der  einen  und  slavischer,  litthauischer, 
finnischer  auf  der  andern  seite  fühlt  sich  zu  ihnen  allen  verwandt, 
wenn  schon  in  verschiedner  stufe  der  nähe,  es  würde  aber  in  der 
kette  der  Völker,  da  Slaven  und  Litthauer  nicht  unmittelbar  an  die 
Griechen  reichen,  eine  lücke  sein,  die  nur  durch  Thrakien  erfüllt 
werden  kann,  das  in  Makedonien  sich  an  Griechenland,  in  Getien 
und  Dakien  an  das  deutsche  und  sarmatische  gebiet  schlieszt.    dieser 


RÜCKBLICK  555 

keil  musz  sich  in  alle  Untersuchungen  europäischer  sprachen  einfügen, 
Thrakiens  grenze  aber  verläuft  mit  der  skythischen,  und  hier  knüpfen 
sich  Europa  und  Asien  aneinander. 

Thrakiens  vom  nachschleppenden  schweif  der  Völkerwanderung 
fast  verwischte  spur  ist  weniger  südwärts  in  Illyrien,  als  nordwärts 
da  aufzusuchen,  wo  sich  Germanen,  Sarmaten  und  Litthauer  begegnen, 
dem  noch  heute  waltenden  litthauischen  wortvorrath  und  aberglauben 
sind  reichliche  samlungen  zu  wünschen,  die  zu  neuen  unerwarteten  800 
aufschlüssen  führen  werden.  Wären  uns  die  thrakischen,  getischen 
monatsnamen  erhalten,  was  müste  sich  allein  aus  ihnen  ergeben? 
ich  zweifle  nicht,  wir  würden  dem  grodinnis,  gruden,  hartman  und 
dem  srpen  yogninlog  auch  bei  den  Geten  unter  die  äugen  treten, 
kaum  etwas  anders  scheint  mir  hier  folgenschwerer  als  das  habhaft- 
werden der  dakischen  tcgovörccvr]  in  der  litthauischen  kregzdyn^,  aber 
auch  dasz  der  langobardische  treno  zum  litthauischen  trainys  trift 
(s.  697)  bleibt  von  gewicht,  merkwürdig  ist  doch,  dasz  dem  Hero- 
dot  1,  57  die  am  makedonischen  Echedorus  wohnenden  KQrjötanfjtttc 
ein  ^9'vog  mlaöytxov  heiszen,  und  wenn  der  stadt  KQrjörcöv  name 
wirklich  auf  ein  getisches  XQtjGtt]  xgovötij  schwalbe  bezogen  werden 
darf,  dasz  die  einwandernden  schwalben  und  storche  im  volksnamen 
gleichen  Ursprung  anzeigen  (s.  784.)  Ruhig  und  Mielke  schreiben 
kregzd^,  Szyi'wid  krekzde. 

Da  der  Geten  und  Gothen  Identität  fast  ein  angel  ist,  um  den 
sich  mein  ganzes  werk  dreht,  und  wie  ich  die  deutsche  spräche  nach 
der  gothischen  geregelt  habe,  nun  auch  der  Vordergrund  deutscher 
geschichte  der  Geten  nicht  entbehrt;  will  ich  hier  meine  ansieht,  und 
welche  einwände  ihr  entgegenstehn,  nochmals  überschauen. 

Der  erste  grund,  dem  man  nichts  anhaben  wird,  ist  die  formel 
Getae:  Gaudae  =  GuJ)ans:  Gautös  (s.  200.  439),  man  müste  den 
Plinius  lügen  strafen,  der  4,  11  Getae  und  Gaudae  neben  einander 
in  Thrakien  kennt,  wie  unsere  einheimischen  denkmäler  Godar  und 
Gautar  in  Scandinavien.  schon  darum  darf  die  gleichstellung  eine 
Wahrheit  sein,  was  ihr  auch  sonst  zu  widerstreiten  schiene,  es  ist 
bemerkenswerth,  dasz  in  dem  fränkischen  eigennamen  Gaudus  (s.  540) 
überall  unverschobne  form  anhielt. 

Einen  andern,  wiederum  kaum  zerstörbaren  grund  gewahre  ich 
in  der  durch  den  Firag  und  /iäog  des  griechischen  lustspiels  gleich- 
sam praestabilierten  genossenschaft  zwischen  Geten  und  Daken,  die 
sich  an  ferner  stelle  in  den  skandischen  Gouten  und  Daukionen  wie- 
derholt, und  welche  die  altn.  Gautar  und  Danir,  die  ags.  Geätas  und  801 
Dene  von  neuem  kund  geben,  an  gleichheit  der  Geten  und  Gothen 
zweifelten  Claudian,  Augustin,  Cassiodor,  lornandes  nicht,  und  niemand 
bedenkt  sich  Donaugothen  und  nordische  Gautar,  niemand  GutJ)iuda 
und  God^iod  zu  verknüpfen,  warum  sollen  skythische  z/aat  und 
getische  /Jccoi,  warum  Daken  und  Daukionen,  warum  Daukionen  und 
Dänen  unverbunden  bleiben?  wie  das  fingerzeigende  Dacia  für  Dania 
im  mittelalter,  das  Datschanin  der  Eussen  aus  der  luft  gegriffen  sein? 


556  RÜCKBLICK 

ich  wüste  gar  nicM,  aus  welcher  Ursache  die  erfindung  gemacht  wäre, 
und  der  name  Dan  weist  auf  Dag  Dagvin  Dacuinus  unmittelbar  hin. 
Ebensowenig  darf,  drittens,  die  historische  betrachtung  Geten 
von  Gothen  lossagen,  die  Geten  erscheinen  schon  drei,  vierhundert 
jähre  vor  Christus  als  mächtiges  volk  in  Thrakien  und  am  schwarzen 
meer;  noch  im  laufe  des  ersten  jh.  unsrer  Zeitrechnung  stehn  sie  so 
den  Römern  entgegen  und  erleiden  unter  Trajan  niederlage,  vermöge 
welcher  Dacien  römische  provinz  wurde,  war  aber  damit  das  ganze 
getische  volk  vernichtet  und  ausgerottet?  sein  südwestlicher  theil 
hatte  weichen  müssen,  der  nordöstliche,  allem  anschein  nach,  hielt 
dort  stand  und  sammelte  neue  kraft,  sieht  nun  die  geschichte  fünfzig, 
sechzig  jähre  nach  Trajan,  unter  Marcus  Antoninus  gothische  Azdinge 
an  der  dakischen  grenze  auftreten  (s.  182.  448)  und  im  dritten, 
vierten  jh.  mitten  auf  dem  alten  boden  das  gothische  volk  mit  brei- 
ter, unwiderstehlicher  gewalt  emporsteigen;  so  überschreitet  es  doch 
allen  glauben,  dasz  die  Geten  mit  stumpf  und  stiel  ausgetilgt,  gleich- 
namige Gothen  angerückt  und  jenen  unverwandt  ihre  stelle  einge- 
nommen haben  sollten,  wo  wären  plötzlich  die  Geten  hin,  die  Gothen 
hergestoben?  von  der  Weichsel?  eine  solche  annähme  hat  alles  wider 
sich,  was  der  behauptung  entgegensteht,  dasz  an  Elbe  und  Weser 
der  alte  stamm  der  Cherusken  geschwunden  und  aus  der  halbinsel 
das  schmale  volk  der  Sachsen  an  ihren  platz  getreten  sei.  wie  dem 
cheruskischen  namen  der  sächsische  ist  dem  getischen  der  gothische 
identisch,  und  man  wird  der  mühe  überhoben,  lebensvolle  Völker  aus 
802  dem  land,  wo  sie  niedergesessen  sind,  zu  entrücken.  Wären  uns 
zustand  und  geschichte  der  römischen  Dacia  im  zweiten  jh.  genau 
bekannt,  es  würde  nicht  an  künde  gebrechen,  welche  nachbarn, 
heiszen  sie  nun  getische  oder  germanische,  zur  seite  wohnten.  Es 
gibt  aber  noch  eine  bestimmte,  ausdrückliche  stütze  für  das  dasein 
germanischer  bevölkerung  auf  getischem  grund  und  boden  zur  zeit 
des  ersten  jh.  oder  früher,  ich  meine  die  aufstellung  des  fünften  ger- 
manischen hauptstamms  bei  Plinius:  Peucini  Basternae,  contermini 
Dacis  (s.  458).  was  den  fünften  theil  von  Germanien  bilden  soll, 
kann  nicht  von  geringem  umfang  gewesen  sein,  und  über  ausdehnung 
wie  Zusammenhang  der  Bastarnen  mit  den  Geten  (s.  458 — 462) 
waltet  kein  zweifei.  seien  Peucinen  und  Bastarnen  derselbe  stamm, 
oder  zu  unterscheiden,  getisch  waren  -sie  in  jedem  fall  und  reichten 
bis  zur  Donaumündung  und  noch  weiter  gegen  osten;  Tacitus  aber 
miszt  ihnen  germanische  spräche  und  sitte  zu :  beinahe  wäre  thöricht, 
was  den  Bastarnen  gehört,  Geten  und  Daken  abzuleugnen,  ohne 
Geten,  Daken,  Bastarnen  würde  im  hintergrund  des  germanischen 
gebiets  eine  grosze  lücke  sein  und  die  fülle  seiner  späteren  macht- 
entfaltung  unbegriffen  bleiben,  zur  zeit,  wo  jene  künde  des  Plinius 
geschöpft  war,  erstreckten  sich  Germanen  unbedenklich,  über  Sue- 
ven  und  Lygier  hinaus,  bis  zum  Ister  und  Pontus,  und  wir  sahen  im 
ersten  und  zweiten  jh.  Lygier  wie  Buren  in  Moesien  und  Dacien 
(s.  711.   714). 


RÜCKBLICK  557 

Wie  sich  aber  beim  wachsthum  der  forschung  einzelne  knospen 
erst  später  öfnen,  scheint  jetzt  etwas  wichtiges,  dessen  ich  noch  irn 
cap.  XXV.  XXVI  ungewahr  blieb,  dem  aufschlusz  nahe,  man  kann 
nemlich,  wenn  die  möglichkeit  eines  verschwindens  der  Geten  und 
Cherusken  aus  dem  kreise  der  Völker  mit  recht  in  abrede  gestellt 
wird,  fragen,  was  denn  aus  dem  groszen  volk  und  weit  verbreiteten 
namen  der  Lygier  (s.  709.  710)  geworden  sei?  darauf  gebricht  jedoch 
passende  antwort  nicht :  die  Lygier  sind  in  den  Burgunden  der  spä- 
teren zeit  enthalten,  und  meine  herstellung  der  Bovyovvravsg  für 
BovravEg  (s.  699)  musz  dadurch  gewinnen;  auf  einmal  erklärt  sich, 
warum  Tacitus  der  Burgundionen,  Plinius  4,  14  der  Lygier  geschweigt.  803 
was  aber  den  namen  der  Lygier  betrift,  so  ergibt  sich  zwiefaches: 
entweder  ist  es  doch  richtig,  die  lygischen  Buren  auf  Burgunden  zu 
ziehen  (s.  700),  wobei  sogar  der  begrif  des  wohnens  bleiben  darf, 
weil  ahd.  pur,  ags.  bür,  altn.  b;^r  habitaculum,  mansio,  gipür  civis, 
rusticus  ausdrückt,  oder  in  Lygius  liegt  möglicherweise  dasselbe,  ich 
denke  an  das  lat.  locus,  it.  luoco,  span.  lugar,  franz.  lieu,  ags.  loc 
loh  clausura,  von  der  wurzel  goth.  lukan,  ags.  lücan,  ahd.  liohhan 
claudere,  und  das  G  in  Lygius  blieb  vielleicht  alterthümlich  unver- 
schoben,  so  dasz  goth.  K  genau  fügte?  Über  welche  etymologie  des 
namens  man  sich  einige,  das  leuchtet  ein,  dasz  durch  die  Stellung 
der  Lygier  zwischen  Sueven  und  Gothen  eine  leere  ausgefüllt  werde 
und  hernach  bei  der  Völkerwanderung  gegen  süden  die  Burgunden 
noch  gerade  so  zwischen  Alamannen  und  Westgothen  stehen,  wahr- 
scheinlich erklärt  sich  noch  anderes  daraus. 

Ich  vermag  mir,  viertens,  von  der  groszen  Völkerwanderung  erst 
dann  einen  deutlichen  begrif  zu  machen,  wenn  ich  die  Gothen  dicht 
zu  Geten  reihe,  der  deutschen  stamme  heerzug  kann  aber  nicht  im 
zweiten,  di'itten  jh.  unsi'er  Zeitrechnung,  er  musz  lange  vorher  an- 
gehoben haben.  Seinem  naturgesetz  zufolge  gieng  er  von  osten  nach 
Westen,  aus  Skythien  her  am  gestade  der  Maeotis  und  des  Pontus, 
auf  dem  weg,  den  vor  ihm  auch  Griechen,  wahrscheinlich  Römer  und 
Kelten,  nach  ihm  Slaven  und  Litthauer  einschlugen;  sein  anfangspunct 
läszt  sich  nicht  bestimmen,  aber  zwischen  Tanais,  Borysthenes,  Tyras 
und  Ister  bis  über  den  Haemus  werden  die  hintersten  Deutschen  lang- 
sam gezogen  sein  und  geraume  zeit  hindurch  verweilt  haben,  während 
die  vorderen  an  Weichsel,  Oder,  Elbe  und  Rhein  gegen  die  Kelten, 
ein  nördlicher  theil  über  Volga  und  Düna  gegen  die  Pinnen  drangen. 
Ungefähr  zu  Alexanders  des  groszen  zeit  scheint  die  ganze  masse  der 
Deutschen,  während  die  gallische  macht  gegen  Italien  vorneigte,  schon 
vom  schwarzen  meer  fast  bis  an  den  Rhein  und  zur  ostsee  ergossen; 
im  norden  von  Griechenland  und  Makedonien  ist  das  räthselhafte  804 
Thrakien  gelegen,  durch  welches  uns  in  der  geschichte  europäischer 
sprachen  hellenische  und  gei-manische  zunge  vermittelt  werden  müssen. 

Die  bisher  geltende  ansieht  von  den  bewegungen  der  Völker  hat 
sich  in  zu  enger  schranke  gehalten,  und  auf  der  einen  Seite  den 
Zusammenhang  der  Thraker  und  Geten  mit  den  Skythen  vernachlässigt, 


558  RÜCKBLICK 

auf  der  andern  für  die  Grermanen  selbst  sieht  durcli  seitengänge  ein- 
zelner Völker  irren  lassen,  das  naturgemäsze  vorrücken  gegen  westen 
kann  durcli  querzüge  oder  ausweichungen  nach  Süden  gestört  und 
verzögert,  auf  die  länge  nicht  aus  seinem  ziel  gerückt  werden.  Man 
will  unsere  gescMchte  beginnen  damit,  dasz  Gothen,  Vandalen,  Sue- 
ven,  Burgunden,  Langobarden,  Sachsen  von  norden  her  sich  rühren 
und  die  Weichsel,  Oder,  Elbe  aufwärts  gegen  Süden  sich  erheben. 
Wer  von  Gothen  redet,  setzt  ihre  heimat  ans  gestade  der  ostsee,  ja 
nach  Scandinavien,  und  läszt  sie  aus  diesem  sitz  aufbrechen,  durch 
Sarmatien,  Moesien,  Pannonien  Italien  erreichen,  fragt  aber  nicht, 
von  wannen  sie  früher  zur  ostsee  gelangten;  zwischen  jenem  ausgang 
nach  Süden  und  der  ankunft  aus  osten  können  Jahrhunderte  verstrichen 
sein,  es  wird  also  nur  ein  theil  der  jüngeren  geschichte  des  volks, 
nicht  seine  ältere  ins  äuge  gefaszt.  Kimbern  und  Teutonen  rücken 
südwärts,  Markomannen  drängen  die  Bojen,  Sueven  die  Helvetier  in 
derselben  richtung,  und  wir  erblicken  Langobarden,  Burgunden  (d.  i. 
lygische  Völker),  Vandalen,  Gothen  zuletzt  in  südlichen  sitzen,  weil 
ihnen  nord  und  west  keinen  räum  darbot;  allein  alle  diese  Völker 
müssen  vorher  aus  dem  osten  in  der  mitte  Deutschlands  eingetroffen 
und  lange  da  verweilt  sein,  alle  weisen  nach  dem  osten  zurück,  und 
genauer  zugesehn  erscheint  selbst  die  südliche  wendung  eine  südwest- 
805  liehe  und  im  groszen  wieder  westliche.  *  So  waren  auch  die  Geten  aus 
Skythien  in  das  Donauland  gelangt,  von  wo  sie  sich  nordwärts  nach 
der  ostsee  und  Scandinavien,  südwärts  nach  Thrakien,  Pannonien,  Ita- 
lien bewegten;  nichts  zwingt  zur  annähme,  diese  südlichen  Ostgothen 
und  Westgothen  seien  von  der  ostsee  ausgegangen,  in  Scandinavien  saszen 
weder  sie,  noch  Burgunden  und  Langobarden,  an  der  untern  Donau 
aber  musz  die  lange  wohnstätte  aller  Geten  und  Gothen  gewesen  sein. 
Aber  mit  der  Vorstellung  kann  ich  mich  nicht  befreunden,  in 
Scandinavien  selbst  sei  die  früher  wohnhafte  deutschere  GodJ)iod  von 
der  nordischen  Svlpiod  gegen  •  Süden  zurückgedrängt ,  sowol  in  das 
südliche  Schweden  und  die  dänischen  inseln  als  auch  in  das  feste 
Deutschland  gewichen  und  erst  dann,  wie  vorhin  gesagt  wurde,  von 
der  ostsee,  längs  der  Weichsel  zur  Donau  gelangt**,  denn  nur  ein 
theil  des  groszen  Gothenvolks  scheint  umgekehrt  von  der  ostsee  in 
Südscandinavien    eingewandert***,    während    Nordscandinavien    von 


*  auch  die  Griechen  rückten  aus  nordosten  südwestwärts  in  ihre  hei- 
mat; sie  müssen  am  schwarzen  meer  her  durch  Thrakien,  Makedonien,  Thes- 
salien, Böotien  nach  dem  isthmus  und  peloponnes  eingerückt  sein,  weil 
ihnen  die  gerade  westliche  richtung  durch  das  meer  und  vielleicht  illy- 
rische küstenbewohner  gesperrt  war. 

**  angeführt  in  einer  gelehrten  scharfsinnigen  abhandlung  Rudolf  Key- 
sers:  om  Nordmändenes  herkomst  og  folkeslägtskab,  in  den  samlinger  til 
det  norske  folks  sprog  og  historie  6,  263—462.    Christiania  1839. 

***  dasz  auch  auszer  den  Gothen  einzelne  häufen  anderer  volkstämme 
den  Norden  heimsuchten,  lehrt  nicht  nur  das  beispiel  der  Heruler  (s.  471) 
und  Rugier  (s.  469)  sondern  auch  die  haftende  benennung  Borgundarhölmr 
(s.  669)  und  Hernö  (s.  698). 


RÜCKBLICK  559 

einem  andern  nördlichen  zuge,  früher  oder  später,  in  besitz  genom- 
men ward,  eines  sieges  der  Svipiod  über  die  GodJ)iod  erwähnt  die 
geschichte  nicht*,  die  sage  aber  leitet  beide  auf  den  östlichen  Odin 
zurück,  jene  nördliche  Wanderung  der  Svi{)iod  bezeugt  diesen  Zu- 
sammenhang mit  dem  osten  auch  dadurch,  dasz  sie  die  Roxolanen806 
berührt,  welche  an  Bastarnen  und  Geten  stieszen.  Keine  spur  ist 
vorhanden,  dasz  der  Ostseegothen,  Burgunden  und  Langobarden  auf- 
bruch  nach  Süden  in  den  ersten  jhh.  unserer  Zeitrechnung  durch  den 
andrang  der  aus  Scandinavien  flüchtigen  GodJ)iod  veranlaszt  worden 
sei.  Allenthalben  aber  zeigt  die  mythologie  grosze  und  durchdringende 
gemeinschaft  zwischen  allen  germanischen  und  nordischen  stammen, 
die  nur  darum  in  Norddeutschland  stärker  vortritt  als  in  Süddeutsch- 
land, weil  dort  das  heidenthum  länger  anhielt,  hier  früher  ausgerottet 
wurde,  wie  unmittelbar  weist  die  anglische,  warnische  Nerthus  auf 
Niördr,  der  friesische  Fosite  auf  Forseti;  jetzt  scheinen  auch  die 
nornen  aufgefunden  in  den  navarnen  lygischer  stamme. 

Einen  fünften  aufwiegenden  grund  in  die  schale  würde  die  spräche 
legen,  wenn  uns  thrakische,  getische,  dakische  denkmäler  überliefert 
wären;  es  steht  uns  aber  auszer  den  kräuternamen  bei  Dioscorides ** 
nichts  zu  banden  als  eigennamen  der  Völker,  männer  und  örter. 807 
Unter  den  kräutern  ist  KQOVötävrj  unbezahlbar,  weil  es  mit  voller 
Sicherheit  auf  kregzdyn^  xshdovLOV  leitet,  von  kregzdS  gewagt  auf 
hruzdö  hrottä.  TSvÖEdd  (vorr.  zu  E.  Schulze  s.  XXI),  TiQLodrjkd,  rovl- 
ßrjkä,  öovadtjlcc  klingen  wie  goth.  ^iupilö  friapvilö,  und  wenn  ^ovk- 
ßrjld  vermutet  werden  darf,  wie  dulbilö.  iCBQXSQa(pQ(ov  (s.  204)  be- 
ruht auf  einem  versehn  der  ausgaben  und  blosz  tcsqkbq  darf  als 
pflanzenname  betrachtet  werden,  dann  folgt  in  den  Wiener  hss."A(pQOi 

*  denn  die  berühmte  Brävallaschlacht  kann  nicht  so  gedeutet  werden,^ 
da  auf  des  siegenden  Hrings  seite  auszer  Schweden  auch  Vestgötev ,  auf 
Haralds  Dänen  und  Östgöter  kämpften,  vgl.  fornald.  sog.  1,  376—383.  Saxo 
gramm.  p.  145.  146.  147. 

**  Apulejus  madaurensis  soll  ein  buch  de  virtutibus  herbarum  geschrie- 
ben haben,  das  in  den  medicis  antiquis  Venet.  1547  fol.  p.  211  ft".  gedruckt 
steht,  wahrscheinlich  aber  die  arbeit  eines  viel  jüngeren  Verfassers  ist.  von 
wem  sie  auch  herrühre,  er  hat  eine  hs.  des  Dioscorides  vor  sich  gehabt, 
und  aus  ihr  dakische  kräuternamen  entnommen,  welche  dann  durcli  neue 
Schreibfehler  entstellt  werden,  ich  will  sie  inzwischen  hier  ausheben,  da 
sie  dennoch  einiges  richtige  und  neue  liefern  können,  cap.  1  arnoglossum. 
Daci  simpeax.  cap.  2  pentaphyllum ,  Galli  pompedulon,  Daci  propedula, 
alii  drocila.  cap.  4  hyoscyamus,  Daci  dieliane.  cap.  10  artemisia,  Galli 
ponem,  alii  titumen,  Daci  zyred,  alii  zonusten.  cap.  19  aristolochia,  Daci 
absinthium  rusticum,  scardian.  cap.  22  apollinaris,  Daci  colida.  cap.  23 
chamaemilon,  Daci  amalustam,  Galli  ovalidiam,  Campani  anialociam.  cap. 
25  chamaeleon,  Daci  sciate,  alii  calox  cardiatos.  cap.  26  chamaepitys,  Daci 
dochela.  cap.  35  centauria  minor,  Daci  stirsozila.  cap.  36  prosopites,  Itali 
personatiam,  Galli  betilolen,  Daci  riborasta.  cap.  41  bei  buglosson  kein 
dakischer  name,  ebensowenig  cap.  46  bei  xiphium  und  51  bei  adiantum. 
cap.  67  bryonia,  Daci  dochlea.  cap.  88  cynosbatos,  Daci  mantiam.  cap.  89 
millefolium,  Galli  bellicocandium,  Daci  diodela.  cap.  91  mentastrum,  ohne 
dak.  namen.  cap.  92  ebulum,  Daci  olma.  cap.  99  hedera  nigra,  Daci  ar- 
borriam.    cap.  104  portulaca,  Daci  lax. 


560  RÜCKBLICK 

mit  einem  andern  afrikanischen  namen,  der  uns  nichts  angeht,  die 
reduplicierende  form  xsqxeq  würde  sich  in  ein  sehr  unwahrscheinliches 
goth.  hairhair  übersetzen,  wofür  ich  keine  deutung  weisz  [ir.  coirce, 
oben  s.  66];  wäre  nach  der  Variante  der  ausdruck  gallisch,  nicht 
dakisch,  so  liesze  sich  das  welsche  ceirch  avena  vergleichen,  ölxovti- 
VOE^  (s,  207)  geben  beide  Wiener  hss.  ölxovtivov^  (etwa  wie  6  i^ 
zusammengezogen  wird  in  ov^),  wodurch  die  erklärung  nichts  gewinnt, 
statt  ^o^ovXa  (s.  207)  haben  sie  beide  ^i^tjka.  statt  t,ov6örr]  (s.  208) 
B  t,ovov6tvj,  N  ^ovovötTjQ.  statt  ÖQ(.aa  beide  OQ^usa,  ohne  dasz  man 
den  Spiritus  ersehn  kann,  für  fovokrjta  (s.  208)  beide  deutliches 
yovoXyjta,  was  die  von  gono  versuchte  auslegung  verdächtigt,  ein 
schwedisches  horletta  lithospermum  in  Dybecks  Runa  1847  s.  13  wird 
aus  litr  color  gedeutet,  weil  sich  die  mädchen  damit  schminken  sollen. 
änaöös^s  (s.  208)  lautet  beidemal  aviagöeSL  öo^eA«  (s.  209)  fehlt 
in  B,  und  lautet  in  N  %o8ikä,  was  wol  unrichtig.  SocKiva  (s.  209), 
in  B  ebenso,  in  N  daxBiva.  xoriatcc  (s.  209),  in  N  fehlend,  in  B 
noT^ata.  ^avtsla  (s.  210)  in  beiden  ^avtia.  7CQ07te8ovXd  (s.  210) 
beidemal  ngonodiXä,  was  keine  fünfzahl  herstellt,  in  proped  propod 
musz  also  anderes  liegen,  öiehia  (s.  211)  fehlt  in  B  und  lautet  in 
"N  ÖLskkHva.  zviccaXlda  (s.  211)  xotxoötAa  B,  xomoöl  .  .  .  N.  xoa- 
öd^a  (s.  211)  fehlt  B,  und  scheint  in  N  Koakdfia.  ßovddXla  (s.  212) 
in  B  und  N  ßovddO^Xa,  ®A  wie  im  folgenden  wort,  diese  lingualis 
808 vor  der  liquida  führt  aber  weiteren  aufschlusz  herbei:  die  zunge 
scheint  wirklich  in  einer  getischen  mundart  daplo,  daj)il6  oder  dadlö 
dadilo  geheiszen  zu  haben,  woraus  mit  lautverschiebung  goth.  tadlo 
tatlö  würde;  davon  ist  noch  das  engl,  tattle  schwätzen,  plaudern 
und  das  nnl.  tateren  stottern,  stammeln  übrig  und  man  darf  ein  ags. 
tetlian,  ahd.  zazilön  zezilon  vermuten,  Graff  5,  714  hat  die  eigen- 
namen  Zazo  Zazil,  die  einen  schwatzhaften  bezeichnen,  verwandt 
sein  könnte  das  welsche  tafod  lingua  (tafod  yr  ych  buglossa)  armor. 
teod  (teod  ejenn  buglossa).  dies  dapla  ==  ags.  tatle  ist  also  von  be- 
lang. aaQOTii&Xa  (s.  212)  in  B  und  N  xccQCOTiid^Xa;  wenn  ödd^Xa 
tadlö  ist  auch  nid'la  fidlö  oder  fitlo  und  könnte  zum  altn.  fiatla 
pl.  fiötlur  tricae,  ahd.  fezil,  nhd.  fessel  gehalten  werden.  cpi&oq)&s- 
&£Xd  (s.  212),  ebenso  in  N,  in  B  aber  cpid^Ofp^ai^eXd,  dasz  cp^ibBld 
eins  mit  ni&Xa  sei,  ist  mir  noch  immer  wahrscheinlich,  zurückführung 
auf  nktcdov  oder  cpvXXov  zweifelhaft.  TiQoöhgva  (s.  213)  B  und  N 
TiQOÖidQvcc.  tovrdöTQcc  (s.  214)  B  und  N  TQOvvQäötQa,  das  richtige 
wird  wol  TQovtdötQa  sein,  wozu  ich  ags.  trüd  tibicen  und  trüdhorn 
lituus  halte;  von  der  runden  gestalt  eines  blasinstruments  könnte  die 
-aoXoxvv^is  benannt  worden  sein,  Tß  bleibt  unverschoben ,  T  aber 
geht  in  TH  über,  für  TTQiadrjXa  (s.  215)  in  B  und  N  ngittdiXa. 
hinzuzufügen  sind  auszer  /.aXapilv%^]] ,  z/axoi  zEvdiXd  B,  zevöeiXu  N, 
noch  d^dQa/.ov,  ^dnoi  8ov(odt]Xd  N  (in  B  fehlend)  und  ßgvcovia 
XsvxT],  ^UKOi  XiVOvßoiXd  aus  N,  vielleicht  sind  mir  noch  einige  in 
den  groszblättrigen  hss.  entgangen.  revöiXd  habe  ich  durch  goth. 
J)iu]ii]6  erklärt,  diodela  für  millefolium  bei  Apulejus  scheint  dasselbe; 


RÜCKBLICK  561 

afidgaxov  öovcodijld  ist  origanum  vulgare,  ahd.  dosto,  tosto  (Graff 
5,232),  dessen  lingualanlaut  schwankt;  mit  der  änderung  in  öovoödrjkd 
&ovooörj^d  würde  man  diesem  worte  nah  kommen,  jcivovßoilä  für 
bryonia  alba  klingt  undeutsch  und  ich  mutmasze  dasz  für  z/a>cot  zu 
setzen  sei  rdklot,  wie  die  Schreiber  mehrmals  beide  Völker  vertau- 
schen (vgl.  vorhin  s.  807  xequeq  und  s.  211  övv);  der  ausdruck  stimmt 
beinahe  ganz  zum  welschen  gwenwialen  von  gwen  albus  und  gwial 
reis  (vgl.  böhm.  beyl  byl  stengel  und  öernobyl,  poln.  czarnobyl  schwarz-  809 
Stengel  artemisia).  da  welsches  gwen  zu  ir.  gal.  fion  wird  (s.  296) 
und  gwial  zu  gal.  faillean;  so  entspräche  in  dieser  mundart  fionfail- 
lean,  was  ich  nicht  finde,  wol  aber  fionduille  weiszes  laub,  vitis  alba. 

Die  beute  aus  diesen  glossen  des  ersten  jh.  ist  nicht  zu  ver- 
achten und  flöszt  durch  Wörter  wie  öaXia  XQOvötdvr]  Tsvötld  ngia- 
dr]ld  dd^Xa  tQOvtdöTQa  mut  ein  auch  den  übrigen,  da  sich  nicht 
alle  dem  ersten  anlauf  ergeben,  fernere  aufmerksamkeit  zuzuwenden, 
dasz  mit  ödd^la  hybridisch  ein  griech.  ßov  verknüpft  wird,  kann  bei 
dem  griech.  einflusz  auf  Thrakien  kaum  befremden;  es  ist  möglich, 
die  Daken  hatten  ßovg  in  ihre  mundart  wirklich  aufgenommen,  vgl. 
Havrela  (s.  210)  oq^lu  (s,  208)  und  vielleicht  war  auch  fio^ovka  er- 
borgt, vgl.  Ducange  s.  v.  mossiclum,  was  rubus  mosylicus  sein  soll, 
den  ich  auch  nicht  näher  kenne. 

In  eigennamen  getischer  und  thrakischer  götter,  könige,  Völker 
und  örter  ist  der  nachweis  ihres  Zusammenhangs  mit  deutscher  spräche 
mehr  oder  weniger  gelungen;  aber  ich  kann  mich  nicht  anheischig 
machen  ihn  überall  zu  liefern  oder  nur  zu  versuchen,  des  Decebalus 
geschah  s.  193.  194  meidung  und  aus  meiner  akademischen  abhand- 
lung  s.  50  sei  hier  wiederholt,  dasz  ihn  Orosius  7,  7  Diurpaneus 
Dacorum  rex,  lornandes  cap.  13  Dorpaneus  Gothorum  princeps  nen- 
nen; Orosius  scheint  den  bericht  über  Cornelius  Fuscus*  aus  des  Ta- 
citus  historien,  in  stücken  die  uns  verloren  sind,  zu  schöpfen,  dem 
lornandes  mochte  aber  Cassiodor  vorliegen,  weil  an  des  Dorpaneus 
sieg  der  Ursprung  des  heldennamens  Anses  geknüpft  wird,  war  nun 
Decebalus  Dacibalus  bloszes  appellativ,  wie  ich  denke  ==  Taifalus,  so 
gibt  Diurpaneus  Dorpaneus  den  eigennamen  des  fürsten  kund  und 
Dorpaneus  scheint  uns  ein  goth.  Thaurponeis  (gebildet  wie  sipöneis) 
zu  verrathen,  dem  sich  der  ahd.  name  Dorfuni  bei  Meichelbeck  n"  84 
vergleicht,  von  J)aurp  aygog  abgeleitet,  bedeutete  er  etwa  oppidanus 
und  der  gothische  gehalt  dieses  dakischen  namens  liefert  ein  treffen- 810 
den  Zeugnis**.  Bei  den  Ortsnamen  wurde  s.  202  auf  die  Wichtigkeit 
der  besonders  in  dakischem,  getischem  und  getoskythischem  land  er- 
scheinenden Zusammensetzung  mit  -dava  gewiesen,  ein  Scaidava  (itin. 
Anton,  p.  104)  lag  an  der  Donau  zwischen  Nicopolis  und  Sexanta 
pristis,   Capidava  zwischen  Dorostoro  (Silistria)  und  Tomi,  Sucidava 


*  vgl.  Suetonius  im  Domitian.  6  und  Martials  epigramm  6,  76. 
**  unverschwiegen  sei,  dasz  eine  inschrift  in  Maszmanns  libell.  aurar. 
,  98  einen  namen  Diuppaneus  gewährt,  der  an  sipöneis  mahnt. 

Grimm,  geschichte  der  dentschen  spräche,  36 


/ 


562  RÜCKBLICK 

noch  näher  bei  Dorostoro,  in  welchem  selbst  das  goth.  daur  oder 
daurö  porta  sichtbar  ist.  Zumal  merkwürdig  sind  mir  im  itinerar. 
Antonini  p.  105.  106  die  örter  Dinigutia  (al.  tunigutia,  dimigutia) 
und  Timogitia,  jenes  in  der  richtung  von  Trosmi,  Beroe,  dieses  in 
der  von  Tomi  und  Odessa,  wo  schon  das  schwanken  der  formen  Gitia 
und  Gutia,  wie  man  auch  das  vorausstehende  wort  deuten  wolle,  zum 
bekannten  Wechsel  der  vocale  im  volksnamen  Geten  und  Guten  stimmt. 
Nicht  alle  und  jede  namen  sind  uns  so  durchsichtig,  da  schon  die 
gothische  mundart,  wie  wir  sie  aus  bruchstücken  des  vierten,  fünften 
jh.  kennen,  in  ihrer  eigenheit  vieles  allen  übrigen  zuvorthut;  so  ist 
klar,  dasz  uns  zwar  ihre  volle  künde  manches  jetzt  dunkle  räthsel 
lösen,  aber  auch  anderes  ungelöst  lassen  würde,  was  auf  dem  weit 
höher  steigenden  alterthum  und  der  gröszeren  ferne  der  getischen 
spräche  beruht,  man  müste  ihr  von  dem  umgekehrten  wege  her, 
aus  Skythien  entgegenkommen  können. 

Bewährt  sich  meine  s.  216  und  435  fl".  entwickelte  annähme, 
dasz  die  Geten  zur  zeit  des  Dioscorides  den  laut  noch  nicht  ver- 
schoben, während  es  die  westlichen  Deutschen,  wie  Harudes  und 
Tenchtheri  lehrt,  schon  zu  Caesars  tagen  thaten;  so  wäre  für  das 
gesetz  der  lautverschiebung  nun  überhaupt  eine  basis  auf  einheimi- 
schem boden  gewonnen  und  alle  drei  stufen  unter  deutschen  Völkern 
selbst,  ja  bei  einem  volk  der  zeit  nach  beide  anzutreffen.  Erste  stufe 
wäre  die  getische  =  lateinisch-griechische,  zweite  die  gothische,  dritte 
811  die  hochdeutsche,  wie  nun  die  Gothen  ungefähr  zwischen  dem  ersten 
und  dritten  jh.  zur  zweiten  stufe,  traten  die  Hochdeutschen  im  fünften 
und  sechsten  über  zur  dritten;  die  zweite  musten  sie  schon  minde- 
stens ein  jh.  vor  Chr.  angenommen  haben,  die  neuerung  begann 
immer  im  westen,  wohin  der  drang  der  Wanderung  geführt  hatte, 
die  östlichen  stamme  folgten  nach  und  gelangten  nicht  zur  dritten 
stufe,  es  ist  nicht  unwichtig  einzusehn,  dasz  einige  jhh.  vor  unserer 
Zeitrechnung  noch  alle,  und  in  unsern  ersten  jhh.  noch  einige  deutsche 
stamme  von  dem  lautsystem  der  urverwandten  Völker  nicht  abwichen. 
Man  fühlt  aber,  dasz  im  einzelnen  strenger  beweis  entgehn  und  blosze 
ahnung  genügen  musz. 

Wiewol  ich  durch  alle  diese  gründe  meine  Vorstellung  von  der 
Geten  und  Gothen  untrennbarkeit  unterstützt  und  gerechtfertigt  zu 
haben  glaube,  wird  immer  noch  die  critik  an  ihren  eingefleischten 
zweifeln  und  einwänden  hangen. 

Sie  wird  vor  allem  geltend  zu  machen  nicht  unterlassen,  dasz 
im  äuge  der  Römer,  die  doch  schon  auf  sprachunterschiede  der  Völ- 
ker achteten  und  germanische  eigenthümlichkeit  von  gallischer,  britan- 
nischer und  pannonischer  absonderten,  Geten  und  Daken  nie  als  Ger- 
manen erscheinen.  Geten  und  Daken,  welche  (was  ihnen  unmöglich 
entgeht)  eine  und  dieselbe  spräche  reden,  heiszen  thrakische  stamme, 
und  Dacia  ist  kein  theil  der  Germania  (s,  177.  178).  Tacitus  hat 
hist.  3,  46  anlasz  den  Dacus  und  Germanus  zusammen  zu  nennen; 
hier  hätte  sich  eine  Wahrnehmung  über  beider  näheres  Verhältnis  wol 


RÜCKBLICK  563 

geschickt,  ilim  fällt  bei  Gothen  und  Gothinen  keine  ähnlichkeit  des 
namens  der  Getan  ein,  seine  beobachtung  denkt  vielmehr  bei  Gothinen 
an  gallische  spräche.  Plinius,  der  im  eilften  cap.  seines  vierten  buchs 
Geten  und  Gauden  unter  andern  thrakischen  Völkern,  aber  im  zwölf- 
ten Geten,  Daken,  Sarmaten  als  nachbarn  der  Germanen  aufgeführt, 
nennt  im  vierzehnten  alle  germanischen  stamme  und  darunter  auch 
Guttones,  ohne  bezag  auf  jene  Getae  und  Gaudae  Thrakiens.  Das  ist 
wahr;  allein  ich  darf  erwidern:  wie  die  Griechen  noch  nicht  zur 
einsieht  des  rechten  Unterschieds  zwischen  Galliern  und  Germanen  812 
gelangt  waren*,  blieb  den  Römern  umgekehrt  die  nahe  Verwandt- 
schaft der  Geten  und  Germanen  dunkel,  weil  sie  Geten  und  Daken 
von  Thrakien  und  Pannonien  her  unter  griechischen  gesichtspunct 
faszten,  Germanen  von  Gallien  aus  über  den  Rhein  betrachteten,  ge- 
naue künde  aller  westlichen  Germanen,  ungenauere  der  östlichen  be- 
saszen.  bei  nordwestlich  vorgeschobnen,  von  östlichen  Geten  losge- 
trennten Guttonen  oder  Gothonen  scheinen  sie  durch  nichts  auf  den  Zu- 
sammenhang geführt  worden  zu  sein,  der  unter  beiden  Völkern  eintrat. 

Ohne  zweifei  war  den  Römern  das  reichhaltigste  material  zu 
Sprachvergleichungen  dargeboten,  wenn  sie  sinn  dafür  gehabt  hätten 
es  zu  ergreifen,  ihre  weltherschaft  und  der  gebrauch,  gefangne  könige, 
priester  und  krieger  im  triumph  aufzuführen,  vorzüglich  aber  unter 
besiegten  und  befreundeten  stammen  hilfsvölker  zu  werben,  die  wie- 
derum in  entlegne  theile  des  reichs  versandt  wurden,  brachte  sie  in 
langen  verkehr  mit  ausländem.  Etwas  mehr  neigung  zu  fremden 
sprachen  empfanden  schon  die  Griechen,  wie  Herodots  skythische  Wör- 
ter (4,  27.  52.  59)  und  noch  des  Dioscorides  kräuternamen  bewähren. 
Manches  andere  mochten  die  Römer  erkundigen,  nach  barbarischen 
Zungen  zu  forschen  schien  ihnen  der  mühe  unwerth;  eine  spur  der  - 
neugier  hätte  sich  doch  bei  Plinius  gezeigt ,  höchstens  wird  gesagt, 
ein  bestimmter  ausdruck  sei  barbarisch,  welchen  anlasz  hätte  Ovid, 
der  getische  spräche  erlernt  und  in  ihr  gedichtet  haben  will  (s.  197), 
in  seiner  langen  weile  gefunden,  uns  den  unterschied  zwischen  Geten 
und  Sarmaten  bündig  zu  lehren.  Vergeblich  sucht  man  auskunft,  wie 
sie  den  Römern  auf  gallischem  boden  so  leicht  gewesen  wäre,  über  die 
spräche  der  Trevirer,  Nervier,  Menapier,  Paemanen  undEburonen,  was 
allein  die  Verhältnisse  dieser  zwischen  Galliern  und  Germanen  wohnhaften  813 
Völker  aufgeklärt  haben  würde,    dafür  zu  sorgen  fiel  ihnen  nicht  ein. 

Tacitus  dachte  sich  alle  Germanen  als  indigenae  und  uneinge- 
wanderte,  wie  wäre  er  darauf  gerathen,  ihm  wenig  bekannte  Gotho- 
nen von  thrakischen  Geten  abzuleiten?  Die  irrige  oder  noch  nicht 
fest  gebildete  ansieht  der  Römer  kann  also  der  Wahrheit  nichts  ab- 
brechen, und  dennoch  leuchtet  diese  schon  durch  ritze  und  spalten, 
die  Peukinen  und  Bastarnen,  welche  Plinius  den  fünften  germanischen 
hauptstamm  bilden,  Tacitus  ausdrücklich  germanisch  sprechen  läszt, 

*  was  lange  nachwirkte,  noch  eine  ags.  glossensamlung  des  10.  jh. 
schreibt:  Teutoni  gens  Galliae.  teutonico  ritu  Gallitiae  ritu.  Mones  quellen 
s.  442.  443. 


564  RÜCKBLICK 

dürfen  weder  von  den  Geten  noch  den  Gothen  losgerissen  werden 
(s.  460 — 462):  sie  hausen  immer  in  der  nachbarschaft  von  Geten  und 
Skythen*,  auszer  den  thrakischen  Gauden  gemahnen  auch  die  thra- 
kischen  Sithonen  (s.  744.  745)  an  germanische  Sitonen  und  vor  der 
zeit,  in  welcher  man  Gothen  in  thrakischem  lande  zuzugeben  pflegt, 
sahen  wir  schon  lygische  und  suevische  Völker  in  Moesien  und  Da- 
kien  auftreten  (s.  711).  Schlage  ich  die  notitia  dignitatum  auf  und 
ersehe  das  gewirre  westlicher  und  östlicher  Völker,  die  im  laufe  der 
ersten  jhh.  der  römische  Staatsdienst  misbrauchte  und  entwürdigte, 
wo  Daci,  Scythae,  Moesiani,  Nervii,  Bructeri,  Chamavi,  Bucinobantes, 
Brisigavi,  Mattiaci,  Salii,  Heruli,  Tervingi,  Taifali  und  eine  menge 
andrer  bunt  verzeichnet  stehn ;  so  fällt  mir  doch  auf,  dasz  zwar  häufig 
Daci,  wie  sich  nach  Unterwerfung  ihrer  provinz  versteht,  niemals 
Getae  angeführt  sind,  wol  aber  Gothen  (not.  Orient,  p.  88  ala  Juthun- 
gorum,  cohors  Gotthorum,  cohors  Dacorum),  beim  entwerfen  der  rolle 
also  Gothen  und  Daken  ganz  natürlich  zusammentrafen,  so  wie  Daken 
neben  Franken,  Sachsen,  Quaden,  Markomannen  genannt  wurden. 

Schade,  dasz  Dioscorides  auszer  dakischen,  gallischen,  afrischen 
814wörtei'n  nicht  auch  germanische  sammelte,  wie  Geten  und  Daken 
zu  den  Thrakern  standen  bleibt  eine  gleich  anziehende  und  schwie- 
rige Untersuchung;  nach  Thucydides  2,  96  ist  anzunehmen,  dasz  von 
Haemus  und  ßhodope  bis  zum  Pontus  Euxinus  die  oqslvoI  Sgäusg  = 
rixav  saszen;  auffallend  unterscheidet  Dio  Cassius  51,  22  getische 
und  thrakische  Daken  {zJa'/.ol  aexk'rjvtaL  s'ks  d^  rhai  tLVsg  ehe  xal 
&Qäxes).  Die  Thraker  scheinen  mir  im  norden  mit  Geten,  im  Süden 
mit  Makedonen  (welche  Abel  allzu  griechisch  macht)  unablösbar  zu- 
sammengefügt und  auf  jener  seite  deutsche,  auf  dieser  griechische 
spräche  zu  vermitteln. 

Zweitens  werden  die  gegner  fortfahren:  wenn  keines  Zusammen- 
hangs zwischen  Geten  und  Gothen  Strabo,  Plinius,  Tacitus  gewahr- 
ten, ist  auch  zu  erwarten  dasz  Crito  (wovon  nachher  s,  816)  und 
Dio  Chrysostomus,  jenen  Römern  gleichzeitig,  nicht  von  Gothen,  blosz 
von  Geten  geredet  haben,  was  erst  Jahrhunderte  hernach  spätere 
fälschlich  auf  Gothen  zogen.  Dio  war  am  linken  gestade  des  Pon- 
tus in  Skythien  und  Getenland  gewesen,  die  nardgatoi  ritai,  wie 
er  sie  nennt,  müssen  ihn  mit  für  uns  untergegangnen  nachrichten 
versehn  haben,  ob  diese  FiXixä  auf  Verwandtschaft  der  östlichen 
Geten,  unter  welchen  er  verweilt  hatte,  zu  den  westlich  vorgedrung- 
nen, bei  Römern  Gothen  heiszenden  hinwiesen  oder  nicht?  entgeht 
uns.  von  Dio  Cassius,  dessen  mütterlicher  groszvater  jener  Dio  war, 
geschieht  nur  der  getischen  Daken,  niemals  der  Gothen  meidung, 
und  Ptolemaeus,  dem  es  um  die  läge  der  örter  und  Völker,  nicht  um 
ihren  geschichtlichen  verband  zu  thun  ist,  setzt  wieder  blosz  Daken 


*  gleiche  Wichtigkeit  erlangen  die  Roxolanen  (s.  746.  748),  deren  Zu- 
sammenhang mit  Ruszland  (s,  749)  an  den  der  gotn.  Hazdinge  (s.  448)  mit 
Härtung  von  Reuszen  (mythol.  s.  316.  321)  gemahnt. 


RÜCKBLICK  565 

statt  der  Ostgeten,  dann  Gythonen  gegen  die  ostsee,  Gauten  auf  Scan- 
dia. Die  lateinischen  scriptores  historiae  augustae  und  die  Byzanti- 
ner pflegen  von  Gothen,  deren  spätere  gescMchte  sie  erzählen,  zu 
sprechen,  erinnern  aber  verschiedentlich  an  die  identischen  Geten. 
bekannt  und  noch  aus  der  zweiten  hälfte  des  dritten  jh,  ist  Spartians: 
'quod  Gothi  Getae  dicerentur'.  Petrus  Patricius  meldet  von  TuUius 
Menophilus,  der  unter  Gordian  ums  j,  237  Statthalter  in  Moesien 
war,  dasz  sich  bei  ihm  die  Carpen  über  den  Vorzug  der  Gothen  be- 
schwerten; diese  Carpen  heiszen  sonst  auch  Carpodaken,  KuQJtodäxoL  81b 
und  werden  neben  Basternen  aufgeführt  (Zeusz  s.  699),  also  gewinnt 
alles  getisches  ansehn.  Im  vierten  jh.  redet  Capitolinüs  (oben  s.  183) 
von  Germanen  und  Daken,  Trebellius  Pollio  im  Claudius  cap.  6  nennt 
Peucini,  Trutungi,  Austrogothi  und  noch  andere  als  skythische  Völ- 
ker, Eutropius  9,  8  läszt  Griechenland,  Makedonien,  den  Pontus  unter 
kaiser  Gallienus  (im  j.  259)  durch  Gothen  verheeren;  zu  des  Claudius 
zeit  (t  270)  kamen  diese  Gothen  zu  schiffe  nach  Makedonien,  belager- 
ten Thessalonich  und  flüchteten,  von  den  Römern  geschlagen,  in  den 
Haemus,  wo  sie  noch  ein  Jahrhundert  später  unter  Ulfilas  saszen: 
das  waren  doch  alles  deutsche  Gothen,  aber  mit  getischer  macht, 
auf  getischem  boden.  wir  sahen  vorhin  (s.  813)  auch  die  not.  dign. 
neben  Daken  Gothen,  keine  Geten  verzeichnen.  Entscheidend  nennt 
Julian  im  vierten  jh.  und  zu  Byzanz,  wo  man  dem  alten  Getenland 
nah  war,  die  unverkennbaren  Gothen  wieder  Geten  (s.  182)  und  im 
fünften  jh.  sagt  Orosius  1,16  gerade  heraus:  ""Getae  illi,  qui  et  nunc 
Gothi',  gleich  entschieden  Philostorg  (s.  183).  dem  Claudian  ist 
getisch  für  gothisch  ganz  geläufig,  Ammian,  dessen  erhaltner  theil 
verschiedentlich  von  Gothen  spricht,  hat  keinen  anlasz  die  älteren 
Geten  zu  berühren.  Je  näher  das  byzantinische  reich  mit  den  Deut- 
schen, die  sich  selbst  ror&OL  nannten,  zusammenkam,  desto  begreif- 
licher muste  diese  namensform  die  alte  getische  verdrängen.  Enno- 
dius  im  6  jh.  wechselt  ab  mit  getisch  und  gothisch  (s.  183);  viel 
bedeutender  ist,  dasz  dem  gelehrten,  welterfahrnen  Cassiodor  beide 
namen  gleichviel  gelten,  in  seiner  uns  leider  auch  verlornen  gothi- 
schen  geschichte  musz  er  sie  unterstützt  und  durchgeführt  haben, 
auch  der  hellsehende  und  unterrichtete  geschichtschreiber  Procopius 
kennt  diese  Identität,  obgleich  zu  Justinians  tagen  längst  schon  die 
form  Gothen  im  gemeinen  leben,  wie  bei  Schriftstellern  überwog, 
den  Cassiodor  hat  lornandes  geplündert:  ein  ärmlicher  compilator, 
der  bis  auf  die  Wendungen  seiner  kurzen  vorreden*  von  allen  enden 
her  borgt,  ohne  dessen  buch  aber  gar  nichts  von  des  Dio,  Cassiodor  816 
und  Ablavius  werken  auf  uns  gekommen  wäre  und  dessen  andenken 
ich  dankbar  ehre;  erste  entdeckung  oder  gar  erfindung  der  getischen 
und  gothischen  gleichheit  kann  ihm  im  geringsten  nicht  beigemessen 
werden;  selbst  jenen  Dorpaneus  Gothorum  princeps  musz  er  aus  Cas- 
siodor haben,    aus  Orosius   hätte   er  Dacorum   rex  geschrieben.     Als 


Sybel  in  Schmidts  Zeitschrift  7,  288. 


566  EÜCKBLICK 

letzten  und  wichtigen  zeugen  aufgespart  habe  ich  den  Stephanus  by- 
zantinus,  dessen  alphabetisches  werk  de  urbibus  et  populis  zwar 
schon  etwas  früher,  gegen  des  fünften  jh.  ende  fällt,  aber  nur  in 
einem  von  Hermolaus,  zu  Justinians  zeit,  verfaszten  und  vielleicht 
noch  von  späterer  band  interpolierten  auszug  ei-halten  ist.  Stepha- 
nus s.  206  der  neuen  ausgäbe  von  Meineke  sagt:  rsrla,  tj  xcoga.  rcöv 
rstäv.  rerrjg  yccQ  to  e&vucov,  ov  t6  kvqlov.  eött  öe  i)-QaxiHov 
8&V0S.  Eötfc  xai  &f]Xv}täg  Fstig'  ovrag  yccg  exaXBtro  »y  yvvjj  xov 
OiKinnov  xov  'A^vvtov^  aal  xrrjtiiiäg  Isyerai  ysTixog,  acp  ov  Kgl- 
rcovog  rsTiüä,  aal  ^rjkvxbv  yETLxrj.  vo^og  ds  Fttäv  xo  BmötpaQEiv 
xfjv  yvvatxa  x(ß  avögl  xccl  öxav  iTHXfjQvxEviüvraL  XL&aQl^ELV.  'J^QOia- 
vbg  ÖE  rBXtjVOvg  avxovg  tpr^öL.  durch  Philipps  getische  gemahlin 
wird  die  s.  184  besprochne  jornandische  angäbe  berichtigt,  denn  sie 
selbst  hiesz  so,  nicht  ihr  vater,  aber  aus  gup-  wurde  richtig  auf 
yEX-  geschlossen,  vom  tödten  der  getischen  witwen  oben  s.  139,  vom 
xid'(XQit,SLv  s.  140,  von  Arrians  Getinen  s.  181.  Kritons  Getica  sind 
gleich  den  dionischen  verloren  gegangen.  Weiter  heiszt  es  bei  Ste- 
phanus s.  112:  jTorO'ot  e&vog  näkai  oixijöav  Evxog  xrjg  MaicStLÖog. 
vöTEQOv  dh  elg  rrjv  Eicxog  &Qaw]v  ^sxaveöxrjöav^  ag  sYQrjtai  fioi  ev 
xotg  Bv^avxLaaotg.  ^E^vrjxat  xovxcav  6  ^conaEvg  üagd^sviog.  Dies 
absondern  der  Geten  von  den  Gothen,  ohne  dasz  irgend  auf  ihre  Ver- 
wandtschaft hingewiesen  wird,  scheint  nun  ungünstig  und  wenigstens 
zu  beweisen,  dasz  Stephanus  selbst  nicht  an  sie  glaubte;  ihm  war 
es  angelegner  zu  bestimmen,  ob  ein  wort  eigenname  oder  volks- 
name  sei,  als  Völkerverhältnisse  zu  untersuchen,  durch  das,  was  er 
hier  über  die  Gothen  weiter  sagt,  wird  aber  der  zweifei  fast  wieder 
aufgehoben:  sie  seien  vor  alters  an  der  Maeotis,  zuletzt  in  Thrakien 
817  ansässig  gewesen,  oder  wenn  nä^ai  und  vöxeqov  unbestimmter  ge- 
nommen werden  soll,  sonst  dort,  in  der  folge  hier,  unter  diesen 
maeotischen  Gothen  kann  man  sich  offenbar  keine  germanischen,  nur 
getische  denken;  auch  nicht  die  späteren  Tetraxiten  (s.  444);  allein 
ich  habe  nichts  dawider,  damit  den  alten  sitz  zu  verknüpfen,  wel- 
chen die  sage  auch  Herulern  und  Vandalen  an  der  Maeotis  einräumt 
(s.  470.  476)  oder  gar  die  maeotischen  Aspurgianen  (s.  766).  immer 
wird  dadurch  mehr  auf  Skythen  und  getische  Völker  an  der  scheide 
Europas  und  Asias  geführt,  als  auf  solche  Gothen,  die  erst  im  zwei- 
ten, dritten  jh.  von  der  ostsee  nach  dem  Pontus  sich  bewegt  haben 
sollen.  Das  entscheidendste  könnte  aber  der  bezug  auf  einen  phocäi- 
schen  Parthenius  werden,  falls  es  der  bei  Athenaeus  11,  31  TlaQ^E- 
viog  xov  ^lovvöiov  genannte  ist,  welcher  iieqI  xäv  naga  xoig  iözo- 
QMOig  Ie^ecov  ^rjxov^EVCJv  geschrieben  hatte  und  nach  Suidas  s.  v. 
/diovvöiog  von  Nero  bis  Trajan  lebte,  ein  schüler  des  alexandrini- 
schen  Dionysius*.  hätte  ein  schriftsteiler  aus  Lydien  in  Kleinasien 
den  namen  der  Gothen  noch  vor  Tacitus  und  Dio  Chrys.  ausgespro- 
chen, so  müste  er  ihm  wieder  nur  von  Geten  gelten,  nicht  von  ger- 

*  Fabricii  bibl.  gr.  3,  678. 


RÜCKBLICK  567 

manischen  Gothonen.  doch  leiden  alle  angaben  bei  Stephanus  durch 
die  über  den  echten  bestandtheilen  seines  werks  schwebende  Unsicher- 
heit und  unter  der  möglichkeit  jüngerer  einschaltungen*. 

Eines  dritten  einwands  versehe  ich  mich:  die  Geten  seien  auf 
höherer  stufe  der  bildung  gestanden,  und  im  besitz  von  göttern,  prie- 
stern,  königshöfen,  städten,  auch  der  Vielweiberei  ergeben  gewesen,  818 
während  unter  den  Germanen  noch  bai-barei,  roher  priesterloser  natur- 
dienst, aber  reinere  sitte  geherscht  habe.  Pas  alles  wäre  nun  so  in 
den  tag  hinein  gesprochen,  barbaren  nannte  doch  der  Grieche  auch 
Geten  und  selbst  Makedonen;  der  verbannte  Ovid  hat  nicht  grelle 
färben  genug,  um  der  Geten  wildheit  zu  schildern,  in  deren  nachbar- 
schaft  er  leben  muste.  von  einer  durch  Alexander  genommenen 
Tiohg  FsTiSv  (Strabo  301)  wird  man  sich  keine  grosze  Vorstellung 
machen,  bedeutender  sein  mochte  Decebals  ßaöiksiov  iv  ZsQiu^Eye- 
&ov6r]  (Bio  Cass,  68,  9.  14),  die  von  Ptolemaeus  genannten  dakischen 
örter  entsprangen  vielleicht  groszentheils  erst  unter  der  römischen 
oberherschaft ;  aber  auch  in  ganz  Deutschland  hat  er  Ortsnamen  anzu- 
führen, Mattium  inTac.  ann.  1,56  könnte  ebenwol  Xccttcov  nohg  heiszen. 

Thrakischer,  getischer,  dakischer  priester  wird  mehrfach  erwähnt, 
und  jene  mit  spiel  und  gesang,  in  weiszem  gewand,  als  boten  dem 
feind  entgegenziehenden  getischen  oder  gothischen  priester  (s.  140. 
816)  sind  nicht  aus  dem  äuge  zu  lassen,  bei  lornandes  werden  sie 
ausdrücklich  genannt  Pii,  was  dem  goth.  gagudai  evöEßsig  und  gud- 
jans  ugelg  nahe  käme,  und  wie  den  Gothen  gudja  hiesz  den  Nord- 
mannen der  priester  godi,  den  Hochdeutschen  cotinc  (goth.  gudiggs) 
und  der  alts.  Ortsname  Guddingun  deutet  auf  heidnische  priester- 
stätten.  Pii  liesze  sich  leicht  in  Dii  ändern  und  den  thrakischen  z/tot 
vergleichen.  Aber  eine  bedeutsame  meidung  danken  wir  dem  Jose- 
phus  18,  2,  die  jüdischen  Essener  (Eööijvol),  welche  an  Unsterblich- 
keit glauben,  nicht  heiraten  und  ackerbaus  pflegen,  vergleicht  er 
dakischen  Pleisten:  ^(üöi  de  ovdev  TtaQrjXkay^Evag  akV  otl  ^dhötcc 
EfKpBQOvreg  zJaxäv  Totg  n^eiötoig  IsyD^evoig.  sollte  das  Pii  bei  lor- 
nandes hervorgegangen  sein  aus  Plisti?  IlkelöTOL  wäre  der  echtdakische, 
dem  griech.  begrif  nrAEtöTot  buchstäblich  entsprechende  name  =  maximi, 
da  die  Vorstellungen  der  Vielheit  und  grösze  zu  wechseln  pflegen,  das 
gr.  nKü0TOL  lautet  altn.  flestir  (für  flöstir,  fleistir)  und  läszt  ein  goth. 
flaistai  (gramm.  3,  614),  also  vor  der  Verschiebung  plaistai  erwarten, 
wozu  sich   der   gr.  ausdruck   genau  bequemte**,     hier  wäre  wieder 819 


*  Stephanus  nennt  diesen  Parthenius  auch  unter  den  Wörtern  dsxevxioi 
und  iäyfvoe  und  jene  stelle  (Meineke  p.  224)  nöthigt  vielleicht  ihn  in  das 
vierte  jh.  zu  setzen:  dsx^vxiOL,  ^d-voq  Ilavvoviag  dnö  AsxsvtIov  rov  Mäyvov 
naiSoq,  Mayvsvrlov  6'  a6£X<pov.  xb  &7]}.vxdv  /Jsxsvxiäq,  o)?  üagd^eviog  o 
^(oxasvg.  denn  Decentius  und  Magnentius  treten  erst  um  350  in  der  ge- 
schichte  auf  und  ein  älterer  Parthenius  könnte  den  namen  Asxevxiaq,  selbst 
wenn  man  auf  diesen  seine  gewähr  einschränken  wollte,  kaum  gebraucht  haben, 
im  vierten  jh.aber  hatte  der  gothische  nameden  getischen  bereits  verdrängt. 
**  darf  auch  an  den  thrakischen  goii  nXelaxwQoq  bei  Herod.  9, 119  er- 
innert werden?  viele  griech.  eigennamen  sind  mit  nXsiax-  zusammengesetzt. 


568  RÜCKBLICK 

entschiedenste  Übereinkunft  griechischer,  dakischer  und  gothischer 
spräche.  Doch  sei  un verschwiegen,  dasz  die  neuern  ausgaben  Josephs 
(ed.  Dindorf  Par.  1845  p.  695)  für  TIXüötOLg  lesen  IIoXiöTcuq,  und 
noUötai  conditores  scheinen  die  thrakischen  Kgißtm  bei  Strabo 
s.  296:  elvai  ds  nvag  täv  Ogccxäv,  di  x^^q'''S  yvvaiyiog  t,co6Lv,  ovg 
Ktiötag  xaXslöd'ai^  avLeQao&al  tb  Ölcc  n^rjv  xal  ^Btcc  aödag  ^^v. 
solche  atiijtaiu,  noUöxai,  ahd.  felahon  (Graff  3,  504)  wären  gewisser- 
maszen  alts.  Falhon  (s.  630);  was  man  aber  auch  von  diesen  namen 
denke,  die  bisher  gültige  ansieht,  Germanien  sei  priesterlos  gewesen, 
musz  aufgegeben  und  kann  nicht  durch  Caesars  bekannte  worte  be- 
gründet werden:  nam  neque  druides  habent,  qui  rebus  divinis  prae- 
sint,  neque  sacrificiis  student.  entweder  geht  seine  beobachtung  nur 
auf  die  westlichen  Deutschen  und  im  gegensatz  zu  dem  ausgebilde- 
teren priesterthum  der  Gallier,  oder  sie  ist  untreffend,  da  bei  Strabo 
und  Tacitus  genug  meidungen  von  germanischen  priestern  und  opfern 
stehn;  dem  was  ich  im  fünften  cap.  der  mythologie  gesammelt  habe 
liesze  sich  vieles  zufügen,  aus  dem  salischen  gesetz  ergaben  sich 
oben  s.  563  die  benennungen  theourg  und  alatrud,  welchem  letzteren 
vielleicht  das  goth.  J)r6J)jan,  us|)röj)jan  ^vilv  initiare  und  yv^vä^HV 
exercere  verglichen  werden  darf,  vom  ehlosen  stand  deutscher  und 
nordischer  priester  erhellt  zwar  nichts,  aber  keuschheit  und  enthalt- 
samkeit  ist  ein  natürliches  erfordernis  für  göttliche  diener  unter  allen 
Völkern.  Hut  oder  binde  war  nach  lornandes  und  Dio  Chrysostomus 
abzeichen  edler  geschlechter,  aus  welchen  könige  oder  priester  ge- 
wählt wurden*;  von  solcher  tracht  scheint  der  Chatten  name  zu 
820  deuten  (s.  124.  577.  578)  und  ihr  priester  Aißrig  wird  mit  der  binde 
zu  Rom  aufgezogen  sein.  Tarabosti  lege  ich  aus  durch  goth.  J)ar- 
böstai,  was  zwar  egentes,  necessarii,  vielleicht  aber  auch  sacrifici, 
sacrificantes  heiszen  kann  (vgl.  s.  328).  Vollkommen  priesterlich  er- 
scheinen endlich  Odins  zwölf  hofgodar,  mit  der  benennung  Diar  und 
Dröttnar  (Yngl.  saga  cap.  2),  lautverschoben  tivar  (Ssem.  30*)  und 
vergleichbar  den  alten  thrakischen  z/tot  (s.   191.  734). 

Ich  will  nun  auch  angeben,  auf  welche  weise  der  lautenschlag 
bei  jener  getischen  sm%7]QViCBia  wirkliche  Übereinkunft  mit  altdeut- 
schem brauch  haben  kann,  den  heidnischen  Geten  waren  bei  feier- 
lichem anlasz  ihre  priester  zugleich  X'rJQVxsg,  caduceatores,  und  dasz 
sie  gesanges  und  saitenspiels  pflagen  scheint  dem  amt  und  geschäft 
des  Standes  angemessen.  Unser  mittelalter  aber  wählte  zu  boten 
auch  Spielleute,  deren  hofamt  an  die  stelle  des  priesterlichen  getreten 
sein  mochte ;  Werbel  und  Swemmelm  in  den  Nibelungen  sind  Etzels 
fiedler  und  boten,  warum  sollten  sie  bei  öffentlichem  auftritt  nicht 
gefiedelt  haben? 

Ist  überhaupt  die  rede  von  der  geistigen  anläge  noch  unausge- 
bildeter,  allein  begabter  und  einfach  lebender  Thraker,  Geten,  Ger- 


*  A.nacharsis  kam  592  jähre  vor  Chr.  nach  Griechenland  ohne  hut,  den 
er  daheim  gelassen.   Lucian  de  gymnas.  c.  16. 


EÜCKBLICK  569 

manen,  wobei  ich  auch  gern  zurückgehe  auf  die  Skythen;  so  darf 
diesen  milchessenden  hirtenvölkern*  oder  beginnenden  ackerbauern 
zwar  vieles  treffliche  aberkannt,  aber  auch  manche  tugend  und  reine 
kräftige  empfindung  zugetraut  werden,  ich  hoffe  aus  griechischen 
nachrichten  erst  noch  mehr  von  Thrakien  zu  lernen  und  glaube  schon 
in  einzelnen  zügen  bei  seinen  bewohnern  tiefes  naturgefühl,  wie  es 
auch  bei  Germanen  und  Slaven  waltet,  zu  gewahren.  Thrakien  musz 
ein  land  der  Nachtigallen  gewesen  sein,  von  wannen  sie  selbst  den 
Griechen  zuflogen  (s.  176);  die  thrakischen  winde  hieszen  diesen  auch 
ngviS^iat  avsfioi,  mit  welchen  frühlingsvögel  kamen. ,  Pausanias  9,  30  821 
erzählt  eine  schöne  sage:  keyovat  de  ot  0QKXBg,  dl  räv  drjdovav 
BxovöL  VBoööiag  stiI  ra  tcccpco  xov  ^OQq)£G)g,  tavtag  rjdiov  xal  fiel^ov 
Vi  äösLV.  so  kommt  nach  nordischer  sage  gesanges  künde  über  den 
hirten,  der  nachts  auf  eines  sängers  grabe  geruht  hat**,  gerade  wie 
bei  Pausanias:  Ttoi^^v  tceqI  ^eöovöav  ^ccXkjtu  t^v  ^j^sQav  hniuXi- 
vcov  ttvrov  TiQog  rov  'OgcfBcog  rbv  t(xq)ov,  6  i^dv  etcdd^Evdev  6  tcol- 
^7]V.  kni^H  Se  OL  xal  xad'EvdovrL  etd]  t£  aÖEiv  xüv  ^Ogcpecog  xal 
(lEya  xal  '^dv  rpcovEtv.  Ähnlich  dem  erhöhten  gesang  der  vögel  auf 
Orpheus  grab  ist,  dasz  im  jähr  von  Häkons  königswahl  die  bäume 
zweimal  trugen,  die  vögel  zweimal  brüteten,  wie  das  lied  singt  (forum. 

sog.  9,  265): 

bar  tällaust  tvinnan  blomii 
aldinvidr  einu  sumri, 
ok  ükallt  ütifuglar 
öndvert  är  urpu  tysvar. 

Auszer  solchen  Überlieferungen,  die  vielen  allzu  schwankend  vor- 
kommen werden,  mich  aber  mit  ahnungen  erfüllen,  ist  gar  manches 
in  den  sitten  und  gebrauchen  der  Thraker  und  Germanen  geeignet, 
den  Zusammenhang  dieser  Völker  zu  bestätigen.  Um  noch  einmal 
auf  die  morgenländische,  thrakische  und  germanische  falkenjagd  zu 
kommen,  so  sind  doch  die  Falchonarii  in  der  not.  dign.  Orient,  cap.  5 
(ed.  Böcking  p.  22.  24)  neben  Bucinobantes ,  Thraces  und  Tervingi 
nicht  zu  übersehn,  sicher  führten  sie  nicht  ihren  namen  von  dem 
sicilianischen  flusz  Falconara,  wol  eben  so  wenig  von  lanzen,  die  das 
mittelalter  falcones  nannte,  sondern  allem  anschein  nach  von  abrich- 
tung und  jagd  der  falken,  welche  damals  in  Byzanz  durch  Thraker 
oder  Deutsche  eingeführt  sein  konnte.  Ducange  s.  v.  falconarius 
kennt  diese  merkwürdige  stelle  nicht  und  wenn  er  aus  Pachymeres 
und  Codinus  einen  byzantinischen  TCQCOtoieQccxccQLog  beibringt,  so  stehn 
solche  schriftsteiler  des  13  und  15  jh.  dem  oben  s.  47  mitgetheilten 
Zeugnis  aus  Theophanes  bedeutend  nach. 

Von   der   pelztracht   und   weiten    beinkleidung    der   Geten    und  822 


*  quibusdam  nationibus  frumenti  expertibus  victum  commodat  (ovillum 

f)ecus),  ex  quo  nomadum  Getarumque  plurimi  j'aA«;«Ton;oTa(  dicuntur  Co- 
umelia  7,  2.     sie  tranken  auch  Stutenmilch  (s.  721). 
**  frau  Aventiure  s.  28.    mythol.  s.  859. 


570  RÜCKBLICK 

Gothen  wurde  s.  452  geredet;  trugen  auch  die  Langobarden  weites 
gewand  (s.  694),  so  darf  das  enge  und  knapp  anschlieszende  der 
rheinischen  Germanen  bei  Tac.  cap.  17  keinen  maszstab  für  die  öst- 
lichen stamme  geben,  wie  er  auch  den  rheinischen  wenig,  den  innern 
mehr  pelze  beilegt. 

Langgelocktes  haar  war  abzeichen  aller  freien  und  edeln,  die 
könige  nährten  es  am  sorgsamsten;  knechten  und  geistlichen  wurde 
es  geschoren.  Ulfilas  braucht  tagl  (vgl.  dak.  do%eXä  s.  209)  und 
skuft  für  TQLX^S}  ahd.  gilt  zagal  ags.  tägel,  altn.  tagl  schon  für  das 
schweif  haar  der  rosse  und  dann  für  schweif  überhaupt;  aber  auch 
ahd.  scuf  ist  caesaries,  nhd.  schöpf,  ein  dritter  ausdruck  war  wol 
goth.  hazds,  altn.  haddr,  wonach  die  Hazdiggös  und  Haddlngjar 
hieszen  (s.  448),  ein  vierter  ahd.  fahs,  ags.  feax,  altn.  fax,  wieder 
mit  anwendung  auf  die  mahne,  denn  Faxi  ist  name  von  rossen,  ein 
dak,  TCOE^  Tiov^  (s.  207.  807)  zweifelhaft,  von  balz  coma  cirrus  (Graif 
3,  114)  stammt  das  mhd.  baizieren,  ahd.  floccho  lanugo  gleicht  dem 
litth.  plaukas,  mag  sich  aber  zugleich  mit  flahs  linum  und  sl.  vlas" 
d'QL^  berühren,  unser  haar,  ahd.  altn.  här,  ags.  hser,  engl,  hair 
mangelt  in  goth.  denkmälern,  und  würde  vielleicht  h6s  oder  nach 
jenem  engl,  hair  hais  gelautet  haben,  wozu  lat.  caesaries  nahe  träte ; 
man  könnte  selbst  goth.  haiza  lampas  vergleichen,  insofern  sich  strahl 
und  haar  berühren.  Von  langobardischer  haartracht  s.  694,  von 
chattischem  submittere  crinem  barbamque  s.  570.  571;  apud  Suevos, 
sagt  Tacitus  cap.  38,  usque  ad  canitiem  horrentem  capillum  retro 
sequuntur.  ac  saepe  in  ipso  vertice  (am  schöpf)  religant.  principes 
et  ornatiorem  habent.  Seneca  epist.  124  sagt:  quid  capillum  ingenti 
diligentia  comis?  quum  illum  vel  effuderis  more  Parthorum,  vel  Ger- 
manorum  nodo  vinxeris  (das  ist  das  religare),  vel  ut  Scythae  so- 
lent  sparseris:  in  quolibet  equo  densior  jactabitur  juba,  horrebit  in 
leonum  cervice  formosior.  horrere  gilt  zumal  vom  sich  sträubenden 
haar,  vgl.  horridus  und  horripilare. 
823  Zum  trinken  dienten  den  nomaden  thierhörner  und  in  der  ge- 

stalt  von  hörnern  wurden  trinkgefäsze  geschmiedet,  wie  die  auf  der 
kimbrischen  halbinsel  ausgegrabnen  goldhörner  bezeugen;  von  der 
spitze  des  horns  hiesz  darum  ein  trinkbecher  goth.  stikls,  ahd.  stSh- 
hal,  altn.  stikill  (apex,  hoi-nspitze),  woher  sich  das  litth.  stiklas,  sl. 
st'klo  vitrum  erklärt;  Litthauer  und  Slaven  haben,  wie  der  name 
zeigt,  ihre  trinkhörner  den  Deutschen  nachgeahmt,  aus  getischer 
beute  weihte  Trajan  dem  Zsvg  KdöLog  zwei  silberschalen  und  das 
vergoldete  hörn  eines  urs  {ßoog  ovqov*).  Man  trank  aber  auch  aus 
Schädeln  (s.  143).  die  sitte  des  erlegten  feindes  haupt  abzuschneiden 
und  mit  sich  zu  führen  (s.  141),  war  nicht  blosz  barbaren  eigen ;  zur 
zeit  desselben  Trajans  schleppten  die  Eömer  des  besiegten  Decebalus 
haupt  mit  nach  Rom  (Dio  Cass.  68,  14). 


anthol.  gr.  ed.  Jacobs  l,  294.  6,  332.    Suidas  s.  v.  Kaoiov  OQoq. 


RÜCKBLICK  571 

Zumal  wichtig  erscheinen  alle  Verhältnisse  des  häuslichen  lebens. 
von  der  getischen  polygamie,  die  sich  im  beginn  unsrer  Zeitrechnung 
wahrscheinlich  schon  sehr  vermindert  hatte,  war  s.  188.  189  die  rede; 
vom  freiwilligen  tod  der  witwe,  wann  der  ehemann  starb,  s.  139. 
816,  welche  sitte  ins  höchste  alterthum  zurückreicht,  der  germani- 
schen hausgewalt  des  mannes  scheint  frauenherschaft ,  wie  sie  Taci- 
tus  von  den  Sitonen  berichtet  (s.  744)  zu  widersprechen,  aber  auch 
sarmatische  Völker  waren  yvvaiiioxQaTOV^EVOt*  und  die  amazonensage 
scheint  auch  unter  Deutschen  verbreitet  gewesen  zu  sein.  Die  an- 
wendung  der  stierhaut  unter  verwandten  und  freunden  war  Scandi- 
naven  und  Skythen  gemeinschaftlich  (s.  128),  noch  verbreiteter  die 
blutsbrüderschaft  (s.  135).  Was  Plinius  und  Mela  von  hyperboreischen 
Skythen  melden  stimmt  bedeutsam  zur  sitte  des  altn.  setternis  stapi 
(RA.  486  ff.  972). 

Dringen  aber  Gothen  auf  Geten  zurück,  so  thun  es  auch  thra- 
kische  Geten  auf  asiatische,  thrakische  Daken  auf  skythische  Dahen**,  824 
europäische  Alanen  auf  asiatische  und  Massageten.  Cyrus,  schon 
550 — 560  jähre  vor  Chr.  begegnete  den  Massageten  am  Araxes,  Da- 
rius  aber  bewältigte  die  Geten  in  Thrakien  am  Salmydessus  490 — 
495  vor  Chr.,  ohne  dasz  damit  dem  Getenreich  in  Thrakien  ein  ende 
gemacht  worden  wäre,  aber  zu  Alexanders  tagen  fand  Pytheas  be- 
reits Guttonen  an  der  ostsee;  wie  rasch  oder  wie  langsam  müssen 
diese  Geten  im  westen  vorgerückt  sein  und  mit  ihnen  alle  andern 
deutschen  stamme!  für  ihren  alten  Zusammenhang  mit  Asien  kann 
das  Thataghus  der  keilinschrift  (s.  226)  hohen  sinn  gewinnen,  und 
die  ^dai  und  2Jdxai  am  kaspischen  meer  (s.  225),  die  sue vischen  und 
alanischen  gebirge  in  Skythien  (s.  489)  werden  ihn  noch  steigern, 
haben  Sarmaten,  als  beider  heerzug  im  tiefen  Asien  weilte,  Germanen 
schon  den  suevischen  namen  beigelegt,  oder  kannte  die  germanische 
spräche  damals  selbst  noch  die  bedeutung  eines  possessiven  svoi,  dem 
das  goth.  sv6s  verwandt  liegt?  sind  die  Wagnisse  meiner  gleichungen 
xoQaxoi:  harugä  (s.  118),  Taßitl:  Tanfana  (s.  231)  nicht  verzeih- 
lich? Julius:  jiuleis  (s.  106)  wiewol  überraschender,  scheint  um  viele 
schritte  heller.  In  dem  Jahrtausend  vor  Chr.  hebt  und  lichtet  sich 
an  den  verschiedensten  puncten  die  griechische,  römische  und  kel- 
tische geschichte;  in  derselben  zeit  waren  auch  deutsche  Völker  rege 
und  nach  dem  Schauplatz  ihrer  künftigen  macht  aufgebrochen,  es  ist 
nothwendig  ihnen  schon  damals  breiten  Spielraum  zu  gestatten ;  kenn- 
bare spuren  verkünden  zugleich  ihre  gemeinschaft  mit  der  alten  weit. 

Je  länger  ich  nachsinne  über  unsern  alten,  schon  den  Römern 
des  ersten  jh.  kund  gewordnen  stammythus  von  Mannus  und  seinen 
•irei  söhnen  Iscus  Ingus  Hermino,  desto  mehr  schwinden  mir  alle 
zweifei,   er   müsse   bereits   aus  Asien   mitgebracht  worden   sein,     zu 825 


*  Hippocrates  de  aeribus,  aquis  et  locis,  41. 

**  Steph.  byz.  p.  216:  Jäai  axv^ixhv  Mvoq.   sial  6h  vOfjtaSeq.  Xiyovxai 
xttl  ddoai  fisrd  xov  ö,  nach  uraltem  Wechsel  zwischen  H  und  S  (s.  291  ff.). 


572  RÜCKBLICK 

geschweige!!,  dasz  ihn  der  britische  Nennius  im  j.  858  offenbar  aus 
anderer  quelle  schöpft,  den  vater  Alanus,  die  drei  söhne  Hisicio 
Armenon  Neugio  (vgl.  ir.  NG  s.  369)  nennend,  ein  irisches  gedieht 
des  Isiocon  erwähnt  (Haupt  2,  334),  ein  cod.  vatic.  den  drei  brü- 
dern  die  namen  Ermenius  Ingo  Escio  ertheilt  (anh.  zur  mythol.  s. 
XXVII  [Haupt  9,  249]);  so  lehren  Asciburgium,  der  altn.  Askr  (neben 
Embla)  [Es,  Imlja,  Castren  235],  der  ags.  Oesc,  der  ags.  Ing  und 
altn.  Yngvi  Odins  söhn,  die  alts.  Irmansül  und  viel  andre  composita 
mit  Irman,  ags.  Eormen,  altn.  lörmun,  goth.  Airmana,  dasz  diese  drei 
namen  in  unsrer  mythologie  allenthalben  tiefste  wurzel  schlagen  und 
die  formen  Ask  Isk  Esk,  Armin  Irmin  Irman  Erman  zusammenfallen. 
Nun  aber  heiszen  bei  Moses  Genes.  10,  3  Gomers  drei  söhne  Aschke- 
nas  Rlphath  Thogarma  (rasüN,  r?"!,  Tii^y^'T)),  'jiöxdvtog  ist  ein 
phrygischer  name  und  Thogarma  aufzulösen  in  thog-arma  von  thog, 
skr.  töka,  zend.  taokhma,  armen,  tohm  tribus,  familia,  so  dasz  in 
Arma  der  eigentliche  name  des  thessalischen  "Ag^^vog  (arm.  Arme- 
nak)  vortritt,  welchen  Strabo  s.  530  als  stammherrn  von  Armenien 
aufführt,  zwischen  Phrygien  und  Armenien  fand  nahe  Verwandtschaft 
statt,  Armenien  aber  steht  in  den  keilschriften  neben  Arien  Medien 
Gedrosien*  Thataghush  (s.  226.  228)  und  andern  asiatischen  Völkern, 
die  sich  mit  unserm  volk  in  seiner  Urheimat  berührt  haben  können, 
die  armenische  spräche  ist  einq  arianische  und  hängt  zusammen  mit 
der  medischen,  sarmatischen,  zendischen**,  wahrscheinlich  auch  mit 
der  unsrer  vorfahren,  als  sie  noch  in  Asien  weilten,  ihnen,  Arianern 
und  Hebraeern  scheint  die  stammsage  von  Ask  'y^öxccriog  Aschkenas, 
826  von  Avmino  "Jg^avog  und  Thogarma  [Thorgoma  Mones  anz.  6,  361] 
frühe  gemein;  Aschkenas  nennen  die  Juden  Deutschland  (mythol.  s. 
1219),  von  Askanius  entspringen  die  Sachsen  (vgl.  Anschis  s.  642). 
Rlphath  weicht  aber  ganz  von  Ing  ab  und  hat  auch  bei  den  Arme- 
niern keinen  anklang***,  ebenso  musz  des  vaters  Mannus  name  für 
echt  deutsch  (s.  768)  und  zugleich  indisch  (mythol.  s.  544)  gelten. 
Viele  dieser  Wahrnehmungen  schweben  noch  unbefestigt,  bald  aber 
wird  man  sich  einiger  nicht  mehr  entschlagen  können  f. 

Leicht  mag  unter  allen  beispielen  das  vom  reliquiencultus  ent- 
nommene (s.  146 — 152)  am  meisten  wuchern,  dasz  der  gebrauch  in 
Thrakien  galt  zeigt  eben  die  sage  von  Orpheus  gebeinen;  bestätigt 
sich  aber  sein  ausgang  von  Buddha,  den  man  doch  nicht  ohne  grund 
zu  Wodan  gehalten  hat  (merkwürdig  heiszt  Wodans  tag,  dies  Mer- 


*  rsÖQfoala  raÖQcoala  bei  Arrian  und  Strabo  hat  noch  keiner  mit  des 
Plinius  Gauden  verglichen,  mancher  schon  die  persische  KaQixavla  mit 
Germanien. 

**  Rieh.  Gosche  de  ariana  linguae  gentisque  armeniacae  indole.  Berol. 
1847  p.   12.  15.  43. 

***  nach  Moses  von  Chorene  1,12  heiszen  des  Armenac  brüder  Chor  und 
Manaraz,  welcher  letztere  an  unsern  Mannus,  Irminons  vater  mahnt. 

t  auch  Wackernagels  Untersuchung  der  deutschen  stammsage  leitet 
auf  asiatischen  Ursprung  (Haupt  ö,  IT), 


RÜCKBLICK  573 

curii  selbst  im  skr.  Budhuvaras,  mythol.  s.  118),  so  kommen  die 
skythischen  Bovölvol  bei  Herod.  4,  21.  22.  108.  109,  Badrjvol  bei 
Ptolemaeus,  nachbarn  der  Sauromaten  und  Thyssageten  in  betracht 
und  die  von  unsern  europäischen  Völkern  durch  Skythien  hin  und 
weiter  rückwärts  hinter lassene  spur  .  tritt  an  mehr  als  einer  stelle 
immer  sichtbarer  vor. 


XXXT. 
DEUTSCHE  DIALECTE. 


827  Die  spräche,  wie  das  volk  selbst  in  gaue  und  hunderte,  der 
stamm  in  äste  und  zweige,  zerfällt  in  dialecte  und  mundarten;  doch 
pflegt  man  mit  beiden  letzten  ausdrücken  selten  genau  zu  sein,  da 
wenn  dialect  als  spräche  gesetzt  wird  auch  seine  mundarten  sich  zu 
dialecten  erheben,  es  kann  aber  die  spräche  wiederum,  je  höher  ins 
alterthum  aufgestiegen  wird,  als  dialect  oder  gar  mundart  einer 
früheren,  weiter  zurückliegenden  erscheinen,  dialecte  sind  also  grosze, 
mundarten  kleine  geschlechter. 

Jede  spräche  unterliegt  geistigen  wie  leiblichen  einflüssen.  geistig 
wird  sie  durch  poesie  und  rede  ausgebildet  und  in  ihrer  reinheit  von 
den  dichtem  erhalten  und  erhöht,  treten  schrift  grammatik  und 
endlich  Vervielfältigung  im  druck  hinzu,  so  gewinnen  diese  handhaben 
entschiednere  gewalt  über  die  sprachregel  und  gestatten  von  ihr  nur 
schwer  und  langsam  ausnahmen.  Immerhin  thut  das  vorgewicht  des 
geistes  der  natur  der  spräche  einigen  zwang,  weil  die  dichterische 
kunst  im  einzelnen  irren  kann  und  das  mündlich  ungefesselte  wort, 
obwol  ungeschickter,  sich  freier  bewegt,  zu  haus,  unter  den  seinen, 
redet  der  mensch  nachlässiger,  aber  behaglicher  und  vertrauter  als 
gegenüber  andern  und  fremden  oder  selbst  beim  niederschreiben 
seiner  gedanken.      das  Verhältnis   der    mundarten   und    dialecte   er- 

828  scheint  stufenweise  ebenso,  jede  mundart  ist  volksmundart,  heimlich 
und  sicher,  aber  auch  unbeholfen  und  unedel,  dem  bequemen  haus- 
kleid,  in  welchem  nicht  ausgegangen  wird,  ähnlich,  im  gründe  sträubt 
sich  die  schämige  mundart  wider  das  rauschende  papier,  wird  aber 
etwas  in  ihr  aufgeschrieben,  so  kann  es  durch  treuherzige  Unschuld 
gefallen:  grosze  und  ganze  Wirkung  vermag  sie  nie  hervorzubringen. 

Leiblichen  oder  physischen  eindruck  auf  die  spräche  nenne  ich 
den  durch  Veränderung  des  bodens  und  der  himmelsgegend  ent- 
springenden, die  spräche,  in  ihren  grundbestandtheilen  wird  von 
dem  einwandernden  volke  mitgebracht,  allein  sie  kann  durch  langen 
aufenthalt  im  gebirge,  in  Wäldern,  auf  ebenen  und  am  meer  anders 


DIALECTE  575 

gestimmt  und  in  abweichende  mundarten  gebracht  werden,  erfahrung 
lehrt,  dasz  bergluft  die  laute  scharf  und  rauh,  das  flache  land  sie 
weich  und  blöd  mache,  auf  der  alpe  herschen  diphthonge  und  aspi- 
raten  vor,  auf  dem  blachfeld  enge  und  dünne  vocale,  unter  conso- 
nanten  mediae  und  tenues.  Die  merkwürdigste  eigenheit  unsrer  spräche, 
die  lautverschiebung  scheint  minder  physisch  als  geistig  zu  erklären. 

Sollen  dialecte  sich  setzen  und  lebendige  sprachen  aus  ihnen 
ersteigen,  so  bedarf  es  schon  eines  gewissen  raums  an  gebiet,  inner- 
halb dessen  die  entfaltung  eintrete;  von  zu  dicht  nebeneinander  ge- 
drängten dialecten  werden  einige  gehemmt  und  erstickt,  wie  nicht 
mit  gleichem  gezweige  alle  äste  des  baums  sich  ausbreiten,  für  den 
ast  entscheidet  die  gunst  der  luft  und  des  lichts,  für  die  spräche 
unter  allen  einwirkungen  den  ausschlag  gibt  das  gedeihen  der  poesie. 
da  nun  die  poesie  auf  drei  wegen  ausgeht,  als  epos,  lyrik  und  drama, 
das  epos  am  alter  das  erste,  das  drama  das  jüngste  ist  und  das  lyrische 
lied  in  der  mitte  steht;  so  wird  die  spräche  am  reinsten  entwickelt  sein, 
in  welcher  sich  alle  stufen  der  dichtkunst  ungestört  dargethan  haben. 

Der  griechischen  spräche  war  ein  glückliches  losz  gefallen,  weil 
sie  unter  bewegten  und  ruhigen  menschen  auf  meerengen,  halbinseln 
und  inseln  (s.  162),  immer  zur  rechten  stunde,  in  alle  geheimnisse 
der  dichtarten  eingeweiht  wurde,  sie  entfaltete  vier  dialecte,  vons29 
welchen  der  aeolische  für  den  ältesten  noch  auf  dem  festen  lande 
Thessaliens  und  Boeotiens  waltenden  und  dann  weiter  vorgedrungnen 
gilt:  er  gewährt  die  alterthümlichste,  oft  dem  latein  begegnende  und 
bei  vergleichung  urverwandter  sprachen  überhaupt  ergibigste  form, 
im  gebirgsland  des  peloponnesos  erblühte  der  dorische,  in  Jonien  der 
jonische  dialect,  jener  hell  und  scharf  die  lyrischen  töne,  dieser  weich 
flieszend  das  epos  zeugend,  aus  allen  dreien  gieng  zuletzt,  im  drama 
und  reichgebildeter  prosa,  der  gewaltigste  attische  hervor,  dessen  die 
geistige  ausstattung  des  griechischen  volks  nicht  mehr  entrathen 
konnte,  er  ist  weder  berg-  noch  küstensprache,  weder  alt  noch  neu, 
sondern  die  gelungenste  einheit  sämtlicher  dialecte. 

Es  mangelt  viel  dasz  die  geschichte  andrer  sprachen  ein  so  voll- 
endetes, in  sich  abgeschlossenes  bild  darböte ;  bevor  ich  versuche  die 
deutschen  dialecte  zu  gliedern,  ist  es  nöthig  eine  schon  von  den 
Eömern  überlieferte  Ordnung  unserer  stamme,  was  ich  absichtlich  bis 
hierher  verspart  habe,  näher  zu  betrachten. 

Tacitus  trägt  eine  berühmte,  im  vorhergehenden  schon  oft  ge- 
nannte trilogie  aller  Germanen  vor,  erwähnt  aber  auch  eine  heptas, 
deren  vier  letzte  reihen  neben  jenen  dreien  namhaft  gemacht  wer- 
den; Plinius  hat  eine  pentas  aufgestellt  und  ein  groszes  verdienst 
durch  nennung  der  einzelnen  glieder  jeder  reihe  sich  erworben,  die 
man  bei  Tacitus  blosz  rathen  kann. 

Dieser  legt  dem  Mannus  drei  söhne  zu,  nach  deren  namen  die 
dem  ocean  benachbarten  Ingaevonen,  die  mittleren  Germanen  Hermi- 
nonen, alle  übrigen  Iscaevonen  heiszen  (s.  824).  Ingaevonen  sind  also 
die  nordwestlichen,  Iscaevonen  die  westlichen,  Herminonen  die  öst- 


576  DIALECTE 

liehen,  da  den  Römern,  von  Gallien  aus,  zumeist  die  vorderen  Iscae- 
vonen  und  Ingaevonen  bekannt  waren,  so  blieb  ihnen  der  mittlere 
und  hintere  herminonische  stamm  unsicher  und  am  wenigsten  er- 
forscht. Ohne  diese  drei  namen  ferner  zu  nennen  beginnt  Tacitus 
seine  beschreibung  mit  den  auf  der  linken  seite  des  Rheins  nieder- 

830  gesessenen  Vangionen,  Triboken,  Nemeten,  Ubiern  und  Bataven,  geht 
dann  von  diesen  auf  die  bewohner  der  rechten  seite  Mattiaker,  Chat- 
ten, üsipen,  Tencterer,  Bructerer,  Angrivarier,  Chamaven  und  auf 
die  Friesen,  Chauken,  Cherusken,  Fosen,  Kimbern  über,  dann  an  der 
Ostsee  gegen  die  Elbe  vorschreitend  beschreibt  er  Sueven,  Semnonen, 
Langobarden,  zwischen  Elbe  und  Oder  Reudinge,  Avionen,  Angeln, 
Varinen,  Eudosen,  Suardonen  und  nun  tiefer  im  östlichen  Elbegebiet 
Hermunduren,  Narisken,  Markomannen,  Quaden,  hinter  diesen  zwischen 
Elbe,  Oder  und  Weichsel  Marsinge,  Gothinen,  Ösen,  Buren,  die  lygi- 
schen  Völker  Harier,  Mammen,  Helveconen,  Helisier,  Navarnahalen, 
hinter  welchen  dann  der  ostsee  näher  Gothonen,  Rugier,  Lemovier 
und  weiter  ostwärts  Suionen,  Aestier  und  Sitonen  folgen,  er  schlieszt 
mit  den  noch  tiefer  in  den  osten  reichenden  Peukinen,  Bastarnen, 
Veneten  und  Fennen.  Bei  dieser  aufzählung  sind  jedoch  einzelne  in 
den  annalen  und  historien  genannte  westliche  Völker  unangeführt  ge- 
blieben, namentlich  Canninefaten,  Gugernen,  Sigambern,  Marsen,  Tu- 
banten,  Teutonen;  wie  viele  andere,  zumeist  mittlere  und  östliche 
werden  ungenannt  sein.  Die  jenen  drei  hauptstämmen  zutretenden 
viere  stellen  sich  dar  als  Marsen,  Gambrivier,  Sueven  und  Vandilier; 
die  Marsen  sind  jene  zwischen  Rhein  und  Weser,  vielleicht  aber  den 
östlichen  Marsingen  beschlechtet;  Gambrivier  scheinen  eins  mit  den 
Sigambern.  Wie  sich  nun  Tacitus  seine  drei  hauptstämme  Iscaevo- 
nen,  Ingaevonen  und  Herminonen  aus  den  einzelnen  Völkerschaften 
zusammengesetzt  dachte,  ist  mit  Sicherheit  schwer  zu  entnehmen;  wir 
wollen  erst  die  genauere  fünftheilung  des  Plinius  vornehmen  4,  14: 

Germanorum  genera  quinque :  Vindili,  quorum  pars  Burgundiones, 
Varini,  Carini,  Guttones,  alterum  genus  Ingaevones,  quorum  pars 
Cimbri,  Teutoni  ac  Chaucorum  gentes.  proximi  autem  Rheno  Iscae- 
vones,  quorum  pars  Sicambri,  mediterrane!  Hermiones,  quorum  Suevi, 
Hermunduri,  Chatti,  Cherusci.  quinta  pars  Peucini,  Basternae  conter- 
mini'  Dacis.     Ohne  zweifei  flosz  diese  höchst  wichtige  mittheilung  aus 

831  dem  munde  von  Germanen  selbst  und  aus  deutschen  liedern,  wie  auch 
die  drei  hauptnamen  Isc  Ing  und  Ermin  das  volle  glied  einer  allite- 
ration  bilden,  dem  Tacitus  musz  eine  ähnliche,  aber  nicht  dieselbe 
vorgelegen  haben,  wie  das  stimmende  und  abweichende  medii  und  medi- 
terranei,  proximi  oceano  und  proximi  Rheno  zeigt,  wie  hätte  Tacitus 
des  vindilischen  und  peukinischen  stamms  geschwiegen,  die  seinen  Mar- 
sen Gambriviern  Sueven  und  Vandiliern  nur  im  letzten  namen  begegnen? 

Nach  allem  was  vorhin  (s.  825)  einleuchtete  gründet  sich  aber 
die  eintheilung  in  Ingaevonen,  Iscaevonen,  Herminonen  auf  uralten 
mythus,  der  im  andenken  der  Germanen  des  ersten  jh.  haftete,  aber 
damals  schon  so  dunkel  sein  muste,  dasz  ihn  nur  die  phantasie  zum 


DIALECTE  577 

wirklichen  unterschied  der  stamme  gebrauchen  konnte,  dies  sah  viel- 
leicht Tacitus  ein  und  unterliesz  eine  solche  anwendung  Plinus  oder 
eine  von  ihm  genutzte  nachricht  suchte  verwandte  oder  sich  nah- 
liegende Völker  in  die  fünf  abtheilungen  einzureihen. 

Am  unbedenklichsten  werden  dabei  Kimbern,  Teutonen  und  Chau- 
ken  als  Ingaevonen  erscheinen,  weil  auch  nach  dem  ags.  runenlied 
Tng  als  ostdänischer  heros  auftritt  und  Yngvi  in  der  nordischen  sage 
fortlebte,  für  die  rheinischen  Iscaevonen  schickt  sich  Asciburgium 
und  der  am  Rhein  gewaltige  stamm  der  Sigambern  oder  Franken;  da 
nun  auch  Sicambri  geschrieben  wird  und  die  volle  gestalt  des  namens 
Sigigambri  scheint,  wäre  vielleicht  blosz  Cambri  zu  schreiben,  wie 
sogar  des  Tacitus  Gambrivii  bestätigen,  heiszen  aber  die  Sigambern 
auch  Gambej-n,  Kambern,  so  wäre  thunlich  Kambern  und  Kimbern 
durch  den  ablaut  (wie  Ask  und  Isk)  zu  einigen,  woran  ich  s.  525 
und  637  noch  nicht  dachte,  und  dann  würden  Franken  und  Teutonen 
(Francs  et  Tyois)  in  anderm  licht  erscheinen.  Im  vierten  stamm  der 
Herminonen  sind  natürlich  die  Hermunduren  enthalten  und  Sueven  mit 
Chatten  zusammengestellt,  wie  es  die  aus  andern  gründen  erkannte 
Verwandtschaft  beider  mit  sich  bringt,  dagegen  ist  der  Cherusken 
aufnähme  in  den  herminonischen  stamm  verdächtig  (s.  613);  zwar 
grenzten  sie  im  Süden  an  Chatten,  im  osten  an  Sueven,  und  ihre 
fürsten  waren  eine  Zeitlang  mit  chattischen  verbunden,  doch  im  volk  832 
scheint  hartnäckige  feindschaft  zwischen  beiden  gegolten  zu  haben, 
man  musz  auch  der  Spracheigenheit  wegen  Cherusken  zu  den  Ingae- 
vonen schlagen  und  die  sächsische  Irmansül  kann  sie  nicht  in  Her- 
minonen wandeln,  da  Irman  wahrscheinlich  unter  allen  Germanen 
verehrt  wurde ;  freilich  finden  wir  im  epos  Düringe  Dänen  und  Sachsen 
den  Franken  entgegentreten  (s.  734).  Beim  Iscaevonenstamm  sind 
einzig  und  allein  die  Cambern  oder  Sigambern  hervorgehoben,  was 
auf  die  fülle  der  fränkischen  macht  zielt;  zweifelhaft  bleibt  also  die 
Unterordnung  der  kleineren  Völker,  doch  räth  die  Verwandtschaft  der 
Chatten  und  Bataven  auch  diese  und  Chattuarier  und  Mattiaker  in 
den  suevisch-herminonischen  stamm  zu  schalten,  welchem  ostwärts 
Langobarden,   Markomannen,  Quaden  gehören. 

Grosze  aufmerksamkeit  anregen  müssen  der  erste  und  fünfte,  die 
nordöstlichen  und  südöstlichen  Germanen  umfassende  stamm,  jener 
wird  angeführt  von  den  Vindilen,  sicher  des  Tacitus  Yandiliern,  welche 
formen  sich  wiederum  verhalten  wie  Isc  und  Asc,  vielleicht  Cimbern 
und  Cambern.  Vindilen,  später  Vandalen  (s.  475.  476)  und  die  zu 
ihnen  gerechneten  Völker  nahmen  den  räum  zwischen  Oder  und  • 
Weichsel  ein  und  da  Plinius  nächst  den  Vindilen  Burgundionen  nennt, 
der  Lygier  geschweigt,  Tacitus  aber  statt  der  Burgundionen  und 
wahrscheinlich  neben  seinen  Vandiliern  das  grosze  lygische  volk  setzt, 
so  darf  dem  schlusz,  dasz  Burgunden  und  Lygier  eins  und  dasselbe 
seien  nicht  ausgewichen  werden,  inwiefern  sich  die  Vandilier  vielleicht 
als  Vindilen  und  Winilen  mit  den  westlicher  hausenden  Langobarden 
berühren  (s.  685),  bleibe  künftiger  forschung  vorbehalten ;  auch  Varinen 

Grimm,  gescliichte  der  deutschen  spräche.  37 


578  DIALECTE 

saszen  zwischen  Elbe  und  Oder,  und  stieszen  an  Angeln  und  Lango- 
barden, der  Carinen  einzige  spur  wurde  in  Scandinavien  aufgewie- 
sen. Guttonen  sind  nach  Tacitus  hinter  die  Lygier  ans  gestade  der 
Ostsee,  wo  sie  schon  Pytheas  vorfand,  zu  stellen  (s.  721.  722).  Unter 
den  Peukinen  und  Bastarnen  des  fünften  stamms  denke  ich  mir 
einigermaszen  das  alte   Getenvolk,   von   welchem    Tacitus  nur   einen 

833  nördlichen  zweig  als  Gothonen  kennt,  ohne  diesen  namen  mit  dem 
der  Geten  zu  verbinden,  in  die  nachbarschaft  solcher  Gothonen  waren 
damals  schon  Sarmaten  und  Jazygen  vorgedrungen. 

Fragt  es  sich  nun  nach  dem  unterschied  deutscher  dialecte,  so 
ist  klar,  dasz  dieser  nicht  weder  in  den  dreitheiligen  noch  fünftheiligen 
der  stamme  aufgehn  kann ;  sie  mögen  blosz  nebenbei  zugezogen  wer- 
den, um  den  gang  der  dialecte  zu  ermitteln. 

Für  die  richtige  beurtheilung  der  dialecte  gehe  ich  aber  von 
folgendem,  aus  der  geschichte  der  spräche  geschöpften  und  in  der 
natur  ihrer  Spaltung  gegründeten  satz  aus :  alle  mundarten  und  dialecte 
entfalten  sich  vorschreitend  und  je  weiter  man  in  der  spräche  zurück- 
schaut, desto  geringer  ist  ihre  zahl,  desto  schwächer  ausgeprägt  sind 
sie.  ohne  diese  annähme  würde  überhaupt  der  Ursprung  der  dialecte, 
wie  der  Vielheit  der  sprachen  unbegreiflich  sein,  alle  inanigfaltigkeit 
ist  allmählich  aus  einer  anfänglichen  einheit  entsprossen  und  wie 
sämtliche  deutschen  dialecte  zu  einer  gemeinschaftlichen  deutschen 
spräche  der  vorzeit  verhält  sich  die  deutsche  gesamtsprache  wiederum 
als  dialect  neben  dem  litthauischen,  slavischen,  griechischen,  lateini- 
schen zu  einer  älteren  Ursprache,  die  besonderheit  dieser  sprachen 
mag  schon  in  Asien  entsprungen  sein,  gewis  war  sie  dort  noch  nicht 
so  entschieden  und  scharf  bestimmt  wie  späterhin. 

Alle  mundarten  und  dialecte  liefen  gefahr  sich  ins  unendliche  zu 
splittern  und  zu  verwirren,  wäre  dem  nicht  eine  weise  schranke  ge- 
stellt durch  das  übergewicht  der  sich  niedersetzenden  gröszeren  Schrift- 
sprachen, wie  die  herschaft  groszer  Völker  dem  zerfahren  der  einzelnen 
stamme  steuert  und  die  im  kleinen  unvermöglichen  kräfte  zu  einem 
mächtigen  ziele  sammelt,  herschende  sprachen  verzehren,  schonungs- 
los aber  wohlthätig,  eine  masse  von  eigenheiten,  günstigen  und  nach- 
theiligen, deren  schalten  der  groszen  Wirkung  des  ganzen  nicht  zu 
gute  kommen  würde.  Wie  es  den  bäumen  des  waldes  versagt  ist  alle 
äste,   dem   ast  alle  zweige   in  gleicher  reihe    zu   treiben,   so  werden 

834  auch  sprachen,  dialecte,  mundarten  neben  und  durcheinander  gehindert 
und  zugleich  gefördert:  zwischen  zurückbleibenden  ragen  erblühende 
desto  herrlicher  vor. 

Zur  zeit,  wo  deutsche  spräche  in  der  geschichte  auftritt,  ist  sie 
von  allen  urverwandten  zungen  characteristisch  und  specifisch  ab- 
weichend, obwol  ihnen  in  einzelnem  noch  weit  näher  als  heutzutage; 
ihre  eignen  dialecte  hingegen  scheinen  unbedeutender  und  unent- 
schiedner  als  in  der  folge. 

Man  kann  den  gothischen,  gleich  dem  aeolischen  der  griechischen 
spräche,  den  alterthüralichsten  und  formreichsten  dialect  der  deutschen 


DIALECTE  579 

nennen;  vergleichende  Sprachforschung  wird  sich  seiner  am  liebsten 
bedienen,  um  die  erscheinungen  unserer  spräche  den  urverwandten 
anzureihen,  beide  dialecte,  die  vielleicht  einmal  leiblich  in  Thrakien 
zusammenstieszen,  sind  sich  auch  darin  ähnlich,  dasz  nur  bruchstticke 
ihres  reichthums,  brocken  von  der  fülle  des  groszen  gastmals  hinter- 
blieben, doch  reicht  unsere  kenntnis  von  der  aeolischen  mundart  lange 
nicht  an  die  durch  ülfilas  der  geschichte  unserer  spräche  bereitete 
bestimmtheit. 

Aus  der  hochdeutschen  spräche  weht  uns  gleichsam  dorische  berg- 
luft  an,  und  jonische  Weichheit  mag  sich  im  altsächsischen,  angel- 
sächsischen und  friesischen  finden ;  auch  haben  die  Angelsachsen  mit 
aus  ihrer  heimat  noch  alte  stücke  des  epos  gebracht,  fast  der  ganze 
ahd.  Zeitraum  war  der  entfaltung  aller  Volksdichtung  hindersam,  im 
mhd.  erwachten  lied  und  epos  mit  einer  fülle,  der  die  niederdeutsche 
spräche  nur  im  niederländischen  dialect  einiges  entgegenzusetzen  hat; 
mnl.  lieder  zeigen  gegen  mhd.  gehalten  schwächere  poesie  und  viel 
geringere  anläge  zur  kunst  des  reims. 

Als  Luther  den  glauben,  zugleich  die  spräche  reinigte  und  hob, 
langsam  aber  nach  der  Verwilderung  des  17  jh.  endlich  im  18ten 
mächtige  dichter  erstanden,  war  das  übergewicht  hochdeutscher  spräche 
völlig  entschieden,  nichts  ist  unverständiger  als  den  Untergang  des 
niederdeutschen  dialects  zu  beklagen,  der  längst  schon  zur  bloszen 
mundart  wieder  herabgesunken  und  unfähig  war,  wie  der  hochdeutsche 
zu  nähren  und  zu  sättigen,  während  sich  alle  hochdeutschen  stamme  835 
der  höheren  Schriftsprache  beugen,  der  niederdeutsche  stamm  bereits 
die  niederländische,  in  gewissem  sinn  die  englische  spräche  hergegeben 
hat,  wäre  es  ungerecht  und  unmöglich  der  niedersächsischen  bevöl- 
kerung  ein  anrecht  auf  Schriftsprache  einzuräumen;  Niedersachsen 
und  Niederländer  hätten  im  rechten  augenblick  zugleich  eine  nieder- 
deutsche gesamtsprache  der  hochdeutschen  an  die  seite  setzen  müssen. 
Es  war  jedoch  besser,  dasz  es  unterblieb  und  dasz  nunmehr  alle 
Deutschen  mit  gesammelter  kraft  einer  einzigen  spräche  pflegen, 
die  gleich  der  attischen  streben  soUte  über  allen  dialecten  zu 
schweben. 

Die  spräche  der  Daken  und  Geten,  als  sie  auf  doppeltem  wege 
sich  nach  Scandinavien  in  zug  setzten,  mag  kaum  von  der  aller 
übrigen  Gothen  weit  abgewichen  sein,  der  grelle  abstand  der  heutigen 
dänischen  und  schwedischen  rede  von  hochdeutscher  und  niederländi- 
scher schwindet  mit  jedem  schritt,  den  wir  in  das  nordische  alterthum 
zurück  thun  können,  zwei  vorstechende  eigenheiten,  artikelsuffix  und 
tibertritt  der  medialen  intransitivform  in  strenges  passivum  erscheinen 
früher  seltner  und  müssen  in  noch  tieferer  vorzeit  fast  ganz  unter- 
blieben sein  (s.  755).  das  K  der  flexionen  statt  des  goth.  S,  der 
Wegfall  des  auslautenden  N  (s.  338.  754)  sind  eben  so  sicher  erst  zu 
bestimmter  zeit  eingetretne  abweichungen  von  dem  ursprünglichen 
typus  als  die  ahd.  lautverschiebung  auf  die  gothische  und  diese  auf 
den   getischen  stand   der  stunamen  consonanten  zurückweist.     Nicht 

37* 


580  DIALECTE 

anders  lehren   einzelne    ausnahmen  des  ahd.  vocalismus,   dasz  seine 
abweichung  vom  gothischen  keine  ursprüngliche  ist. 

Allerdings  ist  die  lautverschiebung  das  sicherste  kennzeichen, 
woran  sich  hochdeutsche  spräche  von  niederdeutscher  unterscheiden 
läszt.  auszer  den  Schwaben  und  Baiern  sind  auch  Hessen,  Thüringe 
und  Langobarden  hochdeutsch  und  man  könnte  überhaupt  die  dritte 
stufe  des  verschubs  auf  die  Herminonen  einschränken,  alles  was 
sächsisch,  friesisch,  scandinavisch,  gothisch  heiszt  beharrt  entschieden 
bei  zweiter  stufe,    also  alle    gothischen    und  ingaevonischen    Völker, 

836  wahrscheinlich  auch  die  iscaevonischen  und  burgundischen,  obwol  sich 
rein  fränkische  xmd  burgundische  denkmälen  nicht  mehr  aus  der  zeit 
erhalten  haben,  wo  bei  den  herminonischen  die  Verschiebung  um  sich 
grif.  Aber  es  gab  eine  zeit,  wo  die  hochdeutsche  Verschiebung  noch 
nicht  da  war  und  alle  deutschen  dialecte  auf  der  zweiten  stufe  standen, 
es  gab  eine  noch  frühere  zeit,  wo  auch  die  zweite  unentwickelt  war, 
und  alle  deutschen  consonanten  zu  den  lateinischen  stimmten. 

Innerhalb  dieser  einheit  und  Verschiedenheit  hat  sich  die  ganze 
geschichte  deutscher  spräche  entfaltet,  wir  dürfen  sechs  bestimmt 
unterschiedne  zungen  ansetzen,  welche  der  Schrift  theilhaft  geworden 
ihre  eigenthümlichkeit  behaupteten :  die  gothische,  hochdeutsche,  nieder- 
deutsche, angelsächsische,  friesische  und  nordische,  von  ihnen  ist  die 
gothische  ganz,  ohne  dasz  etwas  neueres  an  ihre  stelle  getreten  wäre, 
erloschen,  die  hochdeutsche  hat  ihre  lebenskraft  und  bildsamkeit  be- 
währt und  davon  in  drei  Zeiträumen  unverwerfliches  zeugnis  abgelegt ; 
die  niederdeutsche  wurde  zersplittert,  man  kann  annehmen,  dasz  ihr 
edelster  theil  mit  den  Angelsachsen  auszog,  aus  dem  schosz  der  angel- 
sächsischen spräche  aber  erhob  sich,  mit  starker  einmischung  des 
romanischen  elements,  verjüngt  und  mächtig  die  englische  spräche. 
zur  Volksmundart  herabgesunken  ist  der  Priesen  und  Chauken  spräche 
und  ein  gleiches  gilt  von  einem  groszen  theil  der  altsächsischen,  doch 
so,  dasz  aus  den  trtimmern  eines  andern  theils  eine  eigne  nieder- 
ländische zunge  neu  erstand,  obschon  diese  nicht  ganz  mit  der  alt- 
sächsischen grundlage  zusammen  zu  fallen,  sondern  noch  batavische 
oder  fränkische  stücke  in  sich  einzuschlieszen  scheint,  deren  genauere 
ermittlung  zu  den  einladendsten  Untersuchungen  gehören  wird,  die  auf 
dem  gebiete  deutscher  Sprachforschung  zunächst  bevorstehn.  In  Scan- 
dinavien  sind  sich  altnordischer,  schwedischer  und  dänischer  dialect 
fast  so  zur  seite  gestellt,  wie  auf  dem  festen  lande  gothischer,  hoch- 
deutscher, niederdeutscher ;  man  hätte  besonders  dort  nach  gründlicher 
aufifassung  des  schwedischen  und  gothischen  elements  zu  streben.  Es 
haben  sich   also  bis   auf  heute  nur  fünf  deutsche  sprachen  auf  dem 

837  platz  behauptet,  die  hochdeutsche,  niederländische,  englische,  schwe- 
dische und  dänische,  deren  künftige  Schicksale  nicht  vorausgesagt, 
vielleicht  geahnt  werden  dürfen.  Wie  in  den  Völkern  selbst  thut  sich 
auch  in  den  sprachen,  die  sie  reden,  eine  unausweichliche  anziehungs- 
kraft  der  schwerpuncte  kund,  und  lebhaft  erwachte  Sehnsucht  nach 
festerer  einigung  aller  sich  zugewandten  stamme  wird  nicht  nachlassen. 


DIALECTE  581 

einen  übertritt  der  Niederländer  zur  hochdentsclien  spräche,  der  Dänen 
zur  schwedischen  halte  ich  in  den  nächsten  Jahrhunderten  sowol  für 
wahrscheinlich  als  allen  deutschen  Völkern  für  heilsam,  und  glaube 
dasz  ihm  durch  die  lostrennung  Belgiens  von  Holland,  Norwegens  von 
Dänemark  vorgearbeitet  ward :  es  leuchtet  ein,  dasz  dem  Niederländer 
lieber  sein  musz  deutsch  als  französisch,  dem  Dänen  lieber  schwedisch 
als  deutsch  zu  werden,  auch  verdient  die  spräche  der  berge  und 
höhen  zu  siegen  über  die  der  flachen  ebene.  Dann  aber  wird  nicht 
ausbleiben,  so  bald  Seeland  aufhört  eine  nordische  hauptstadt  zu  ent- 
halten, dasz  auch  die  Juten  in  ihren  natürlichen  verband  zu  Deutsch- 
land, wie  er  ihrem  alterthum  gemäsz  und  durch  die  deutliche  spur  des 
sächsischen  dialects  unter  ihnen*  gerechtfertigt  ist,  wiederkehren. 

Unsere  heutigen  volksmundarten  enthalten  gewissermaszen  mehr 
als  die  Schriftsprachen,  d.  h.  in  ihnen  stecken  auch  noch  genug  Über- 
reste alter  dialecte  die  sich  nicht  zur  Schriftsprache  aufschwangen, 
aus  diesen  volksmundarten  wäre  für  die  geschichte  unsrer  spräche 
erkleckliches  zu  gewinnen,  wenn  sie  planmäszig  so  untersucht  und 
bearbeitet  würden,  dasz  sich  in  ihnen  jene  spuren  einzelner  bedeuten- 
der Völkerschaften  ergäben  und  man  ermittelte,  welcher  groszen  reihe 
jede  angehört  habe,  für  solchen  zweck  aber  müste  weniger  nach  selt- 
nen, der  Schriftsprache  fremden  Wörtern,  vielmehr  nach  dem  Ver- 
hältnis aller  entscheidenden  laute,  formen  und  ausdrücke  geforscht  838 
werden,  seien  diese  gleich  heutzutage  die  gangbarsten**.  Dem  gang 
und  steigenden  fortschritt  aller  mundarten  überhaupt  angemessen  ist 
es  aber  auch,  dasz  eine  grosze  zahl  derselben  sich  erst  in  späterer 
zeit  hervorgethan  haben  und  ihre  eigenheiten  in  früherer  noch  gar 
nicht  zu  erwarten  sind. 


*  in  Nordschleswiff  und  Jütland  steht  z.  b.  noch  der  artikel  vor,  nicht  imch. 
**  man  hat  deutsche  sprachearten  vorgeschlagen,  es  ist  ziemlich  leicht, 
an  der  grenze  den  unterschied  zwischen  wallonischem,  französischem,  ro- 
manischem, italienischem,  slavischem,  littbauischem  und  unsrer  spräche  zu 
merken,  aber  äuszerst  schwer  und  den  bisher  aufgewandten  kräften  uner- 
reichbar, linien  mitten  durch  Deutschland  zu  ziehen,  welche  die  manigfalt 
abstechende  mundart  scheiden  und  fassen  sollen,  und  nun  gar  mit  bezug 
auf  die  geschichte  der  stamme,  z.  b.  in  der  Schweiz  (s.  703.  704).  Am  rath- 
samsten  wäre  vielleicht,  statt  von  dem  ganzen,  damit  zu  beginnen,  dasz  man 
alle  örter  und  bezirke,  die  eines  auffallenden,  von  der  gemeinen  spräche 
abweichenden  idioms  pflegen,  auf  der  specialcarte  hervorhöbe  undanspruchs- 
los  allmählich  gröszere  massen  erwachsen  liesze;  es  mag  sich  zeigen  was 
daraus  werden  kann,  eigenthümliche  Schwierigkeit  erhebt  sich  für  die  nord- 
östlichen landstriche,  deren  alte  deutsche  bevölkerung  im  verlauf  der  zeit 
von  Slaven  überschwemmt  wurde  und  deren  Wiedereroberung  ansiedier  aus 
andern  deutschen  gegenden  herbeizog,  die  sich  dem  lauf  der  Völker  ent- 
gegen wieder  ostwärts  wandten.  Worauf  beim  sammeln  der  volksmundart 
zu  achten  sei,  ist  neulich  in  bezug  auf  die  schlesische  musterhaft  von 
Weinhold  angegeben,  lange  vor  ihm  aber  von  Schmeller  in  dem  preiswür- 
digen bairischen  Wörterbuch  ausgeübt  worden.  Welchen  wichtigen  aus- 
sen! ag  für  die  Scheidung  der  mundarten  auch  sage  und  mythologie  ergeben, 
lehren  jetzt  schon  genug  beispiele,  wie  der  schwäbische  zistag  nnd  bairische 
ertag  (s.  508)  oder  die  schwäbische  sungicht  und  bairische  sunwende. 

/ 


5S2  DIALECTE 

Ich  will  aus  einer  menge  von  beispielen  für  das,  worauf  es  bei 
Unterscheidung  der  deutschen  dialecte  ankommt,  hier  eins  geben,  im 
hochdeutschen  ist  die  sorge  für  reinheit  der  vocalverhältnisse,  im 
niederdeutschen  die  für  consonanten  gröszer.  doppelte  liquida  wird 
auslautend  ahd.  und  mhd.  vereinfacht,  ags.  alts.  altn.  und  auch  goth. 
bleibt  sie  doppelt,  selbst  nach  vorausgehendem  langem  vocal.  die  ahd. 
verba  fallan  wallan  spannan  bilden  das  praet.  fial  fialun,  wial  wialun, 

839  spian  spianun,  die  mhd.  fallen  wallen  spannen  fiel  fielen,  wiel  wielen, 
spien  spienen,  unhochdeutsch  wäre  fiall  fiallun,  fiell  fiellen,  weil  das 
mehr  als  diphthongische  vocalgewicht  auch  kein  inlautendes  fiallun 
wiallun  spiannun  gestattete:  vielleicht  lassen  sie  sich  sogar  auf  ein 
älteres  flal  wlal  spian  zurückleiten,  die  der  ursprünglichen  redupli- 
cation  näher  ständen.  Ulfilas  hat  keins  dieser  drei  verba,  sondern  für 
fallan  driusan,  für  wallan  vulan,  für  spannan  |)anjan,  aber  die  redupli- 
cation  würde  der  theorie  gemäsz  faifall,  vaivall,  spaispann  anzusetzen 
sein.  Den  sächsischen  und  nord.  sprachen  ist  die  behauptung  der 
doppelten  consonanz  angelegner  als  die  des  diphthongs.  ags.  feallan 
feoll  feollon,  veallan  veoll  veollon,  spannan  speonn  speonnon  und 
ebenso  alts.  fallan  feil  fellun,  wallan  well  wellun,  obgleich  die  Schrei- 
ber sich  im  auslaut  ags.  feol  veol  speon,  alts.  fei  wel  spen,  nicht  im 
inlaut  gestatten ;  altn.  falla  feil  fellu  (statt  valla  vell  vellu  gilt  nach 
andrer  conj.  vella  vall  ollu);  schwed.  falla  föll  föllo.  Dasz  nun  die 
alts.  form  auch  noch  im  mittelalter  fortdauerte  lehrt  vellen  (cecide- 
runt)  in  Lappenb.  brem.  chron.  112  Detmar  1,  40  und  vellen:  ge- 
sellen Reinke  6822.  Zeno  1014,  welcher  reim  mhd.  unthunlich  wäre 
(vielen,  gesellen).  Merkwürdig  aber  schwankt  die  mnl.  spräche  zwi- 
schen beiden  weisen,  die  dichter  reimen  sowol  vel  (cecidit) :  snel,  wel 
(bene),  el  (alius)  Rein.  3551.  7051.  Maerl.  1,  16.  225  (niemals  auf 
del  pars,  gehel  totus)  als  viel  :  kiel  navis,  giel  guttur  und  nicht 
anders  wechseln  auch  die  plurale  vellen  (ceciderunt) :  ghesellen  Maerl. 
1,  52.  2,  78  und  vielen  :  knielen  Ferg.  1833.  vellen  ist  der  mnd., 
vielen  der  mhd.  form  gemäsz'  und  schon  an  diesem  beispiel  zeigt  die 
niederländische  spräche,  was  sie  auch  sonst  oft  bewährt,  bei  sächsi- 
scher grundlage  im  einzelnen  hang  zu  hochdeutschen  lauten  und  for- 
men, ja  das  nnl.  hat  sich  entschieden  für  viel  vielen  erklärt,  feil 
feilen,  das  man  noch  heute  im  munde  des  Niedersachsen  vernehmen 
wird,  hält  den  stamm  fallen  treuer  fest,  während  das  hochdeutsche 
fiel  fielen  die  flexion  besser  wahrt. 

In  jedem  stand  der  Sprachentwicklung  pflegen  für  laut  und  form 

840  neben  der  geltenden  regel  als  ausnähme  einzelne  alterthümliche  fälle, 
gleichsam  zeugen  einer  vergangnen  zeit  fortzudauern,  die  historisch 
grosze  bedeutung  empfangen,  von  solchen  nachzüglern  bei  der  laut- 
verschiebung  wurden  s.  421.  422  beispiele  angegeben,  welche  sehr 
verschiednen  anlasz  haben  können.  Dasz  der  ahd.  diphthong  uo 
früher  ö  war,  wie  im  gothischen,  scheint  die  adjectivflexion  plintö  = 
goth.  blindös,  zuö  =  goth.  tvös,  diö  =  goth.  J)ös  und  die  schwache 
flexion  salpön  salpöta  =  goth.  salbön  salböda  zu  lehren,  ich  werde  im 


DIALECTE  583 

folgenden  capitel  darauf  zurückkommen ;  aus  dem  mhd.  und  fast  nhd. 
zwo  und  den  mhd.  -öt  -öte  -6n  der  schwachen  conj.  (gramm.  1,  957) 
sieht  man,  welche  kraft  der  dauer  in  diesem  vocallaut  lag. 

Noch  ein  auffallenderes  zeugnis  sowol  für  die  unursprünglichkeit 
des  lautverschiebens  als  des  vocalischen  ausgangs  der  II  praeterita 
starker  verba  wurde  s.  485.  487  geschöpft,  und  die  ahd.  scalt  chanst 
u.  s.  w.  weisen  in  hohes  alterthum  zurück. 

In  unsrer  heutigen  spräche  halten  die  eigennamen  Otto  Hugo 
Poppo  sogar  ahd.  gestalt  fest;  die  mundart  der  Lötscher  im  Walliser- 
land  sagt  noch  bis  auf  diesen  tag  'dir  jungro'  (Stald.  dial.  s.  342) 
=  ahd.  der  jungiro  und'^himil'  (das.  343),  aber  neben  vatir  bruodir. 
einzelne  Wörter  und  redensarten  in  der  Schweiz  klingen  vöUig  notke- 
risch,  z.  b.  dankeigist,  dankeiget !  *"  es  sind  alprosen,  die  unten  nicht 
sprieszen. 

Dieser  ausdruck  ruft  mir  die  gleichheit  ahd,  und  ags.  kräuter- 
namen  in  den  sinn,  proserpinaca  heiszt  ahd,  wegapreitä,  ags,  vegbrsede ; 
centaurea  ahd.  ertgallä,  ags,  eordgealle;  abrotanum  ahd.  stapawurz, 
alts.  stafwurt,  ags.  stäfvyrt;  ahd.  depandorn  rhamnus  ags,  pefeJ)orn 
(vgl.  oben  s.  232);  ahd,  metere  (wol  früher  matarä)  frebrifugia  (sumer- 
lat.  56.  57)  ags.  raädere  rubia,  engl,  madder,  ich  finde  auch  bei 
Eenvall  ein  finnisches  matara,  mattara  galium  boreale ;  ahd.  faram  filix, 
ags.  fearn,  engl,  fern,  nnl,  varen.  Will  man  wähnen,  ags.  mönche841 
hätten  solche  glossen  verbreitet,  so  steht  entgegen,  dasz  sich  auch 
zwischen  ahd.  und  altn.,  zwischen  ags.  und  altn.  namen  einstimmung 
findet,  ahd,  reinefano,  tanacetum  ist  das  schwed.  renfane,  ich  glaube 
xdvvaßig  dygla.  'Pw^alot  rsQfiivdXLg,  bei  Diosc.  3,  56  ohne  an- 
gäbe eines  dakischen  worts,  als  unentlehnt  zeigt  sich  die  Übereinkunft 
ganz  sicher,  wo  kleine  Verschiedenheiten  eintreten,  z,  b.  altn,  mistil- 
teinn  lautet  ags.  misteltä,  engl,  misseltoe,  jenes  vom  begrif  des  zweigs, 
dieses  vom  verwandten  der  zehe  gebildet.  Unsere  meisten  pflanzen- 
namen  sind  schon  zusammengesetzte,  nicht  abgeleitete  Wörter,  gleich- 
heit der  dialecte  in  Zusammensetzungen,  die  inuner  erst  allmählich  ent- 
springen, scheint  aber  auf  viel  längere  gemeinschaft  hinzuweisen. 

Das  betrift  doch  nur  einzelnes,  im  groszen  ist  die  eigenthüm- 
lichkeit  aller  deutschen  sprachen  wesentlich  an  zweierlei  zu  gewahren, 
an  der  neigung  die  stummen  consonanten  zu  verschieben,  wovon  cap. 
XVII  gehandelt  wurde,  und  am  ablaut,  welchen  das  folgende  capitel 
vornehmen  soll. 


*  bilder  und  sagen  aus  der  Schweiz  von  Jeremias  Gotthelf  (Bitzius, 
pfarrer  im  Bernerland)  Solothurn  1842.  1844,  2,  60,  5,  94. 


XXXII. 
DER  ABLAUT. 


842  Unter  ablaut  verstehn  wir  einen  von  der  conjugation  ausgehen- 
den, die  ganze  spräche  durchdringenden  regelmäszigen  Wechsel  der 
vocale. 

Unsere  spräche,  in  jedem  ihrer  äste,  vermag  am  verbum  nur 
zwei  Zeiten  gegenwart  und  Vergangenheit  auszudrücken,  wodurch  sie 
auffallend  absteht  von  allen  urverwandten,  denen  sämtlich  reiche  ent- 
faltung  der  temporalunterschiede  verliehen  ist.  aber  sie  tritt  der 
hebräischen,  gleichfalls  nur  zwei  tempora,  futurum  und  praeteritum 
bezeichnenden  einfachheit  nahe*,  genau  betrachtet  schlieszen  die  Vor- 
stellungen der  Zukunft  und  Vergangenheit  den  kreis  ab,  da  gegen- 
wart nur  ein  kleiner  kaum  zu  haschender  punct  ist,  der  im  augen- 
blick  entweder  noch  der  zukunft  oder  schon  der  Vergangenheit  an- 
heimfällt, dies  hebräische  aufgehn  des  praesens  im  futurum  erscheint 
auch  in  unsrer  alten  spräche,  deren  praesensform  zugleich  mit  für 
das  futurum  gilt  (gramm,  4,  176);  blosz  ausnahmsweise  hat  die  ags. 
mundart  am  verbum  subst.  ein  praesens  eom  vom  fut.  beo  (s.  431) 

843  geschieden,  ganz  wie  litth.  esmi  sum  von  busu  ero,  sl.  jesm'  von 
budu,  ir.  taim  sum  von  biad  ero  abweicht. 

Bei  so  empfindlichem  mangel  kommt  uns  aber  von  frühester  zeit 
jene  eigenthümliche  bestimmung  der  vocallaute  zu  statten,  wodurch 
zwar  keine  stufen  der  Vergangenheit  ausdrückbar,  allein  praesens  und 
praeteritum,  ja  singularis,  dualis  und  pluralis  praeteriti  auf  das  leb- 
hafteste hervorgehoben  werden,  erscheinen  auch  in  den  urverwand- 
ten sprachen  spuren  des  ablauts,  so  hat  ihn  doch  keine  so  klar  als 
regel  aufgestellt  wie  die  deutsche. 

Ich  suche  ganz  in  sein  wesen  einzudringen,  im  zwölften  capitel 
wui'de  vorgetragen  wie  für  den  vocalismus  die  trilogie  A  I  U  als  quelle 


*  auch  die  lazische  spräche,  und  wahrscheinlich  andre  mehr,  ist  auf  zwei 
tempora,  praes.  und  praet.  eingeschränkt  (abh.  der  Berl.  akad.  1843  s.  12). 


ABLAUT  585 

aller  übrigen  laute  anzusehn  sei.  diese,  gleichviel  kurze  oder  lange, 
können  nur  hervorgehn  aus  Verbindung  jener  drei  untereinander,  so 
dasz  jedem  derselben  die  beiden  andern  vorangestellt,  d.  h.  neben 
dem  einfachen  satze  jedes  lauts  noch  zwei  diphthongische  Sätze  mög- 
lich werden,  das  gesamtgebiet  der  vocale  enthält  folglich  neun  laute, 
in  bemerkenswerthem  parallelismus  zu  den  neun  stummen  consonan- 
ten  (s.  342.  394): 

A  lA  UA 

I  ÜI  AI 

U  lU  AU 

welche  formel  alle  möglichen  deutschen  vocallaute  erschöpft,  aber  blosz 
nach  der  theorie  entworfen  ist,  von  der  alle  einzelnen  sprachen  und 
schon  die  gothische  mehr  oder  minder  abweichen. 

Die  gothischen  vocale  entsprechen  folgendergestalt 
A  E  Ö 

I  EI  AI 

U  lü  AU 

wozu  ich  noch  die  altsächsischen  füge,  da  es  überflüssig  sein  würde 
die  aller  übrigen  anzuführen: 

A  A  6 

I  I  ]ß 

ü  u  ö 

Es  erhellt,  dasz  im  gothischen  nur  die  dritte  oder  Ureihe  so  geblie-844 
ben  ist,  wie  es  die  natur  derjaute  mit  sich  bringt;  die  erste  oder 
Areihe  hat  lA  in  E,  UA  in  0  verengt,  die  zweite  oder  Ireihe  an  die 
stelle  von  UI  EI  gesetzt,  im  altsächsischen  sind  aber  alle  diphthonge 
zu  bloszen  längen  verengt,  obwol^für  Ü  gewöhnlich  noch  10  oder  lU 
auftritt,  nachtheilig  ^fallen  goth.  0  und  AU  (ursprüngliches  UA  und 
AU)  in  einem  alts.  0  zusammen,  man  wird  schon  jetzt  im  allgemei- 
nen erkennen,  dasz  diphthonge  den  ersten,  anfänglichen  stand  des 
lauts,  Verengungen  den  späteren  anzeigen,  das  goth  E  und  0  der 
ersten  reihe  kann  nach  dem  ergebnis  des  EI  und  AI,  lU  und  AU  in 
zweiter  und  dritter  nicht  für  ursprünglich  gelten. 

Den  beweis  liefern  hin  und  wieder  die  verschiednen  dialecte 
untereinander.  lA  für  %  UA  für  0  begegnen  wirklich  in  der  be- 
sondern ahd.  mundart,  welcher  Kero  und  Otfried  zugethan  sind,  d.  h. 
der  alamannischen.  lA  nur  in  einzelnen,  hier  aushebenswerthen 
Wörtern,  goth.  f6ra  ^egog  xUfia  entspricht  dem  ahd.  fiara  (gramm. 
1,  60.  109),  'in  fiara  gangan'  heiszt  bei  Otfried  was  wir  heute  aus- 
drücken ""zur  Seite  gehn'  (GraflF  3,  668.  669);  goth.  m6s  tQccjtB^a  nlva^ 
ist  das  ahd.  mias  (GrafF  2,  874),  wozu  ir.  mias  genau  stimmt,  vgl. 
span.  mesa,  lat.  mensa  (oben  s.  337);  goth.  h6r  adi  ahd.  hiar;  goth. 
Kröks  Graecus  ahd.  Chriah.  diese  vier  Wörter  bleiben  allein  übrig, 
und  dem  groszen  häufen  der  goth.  E  steht  ags.  M,  ahd.  mhd.  altn. 
A  zur  Seite,  die  auf  ähnliche  weise  aus  lA  verdichtet  sein  müssen, 
wie  wenn  das  goth.  biari  ^rjQiov  (unbiari  unthier?)  Tit.  1,  12  selbst 
noch  ein  rest  des  alten  lauts  wäre,  also  der  späteren  Schreibung  böri 


586  ABLAUT 

entspräche,  und  ahd.  pari,  ags.  bsere  forderte?  biari  gliche  dem  lat. 
fera,  aeol.  cpijg,  wie  dius  dem  O'iy'p  (s.  350),  und  auszer  dem  Wechsel 
des  B  und  D  käme  der  des  inlautenden  R  und  S  in  betracht.  zu- 
rtickführung  des  goth.  mßki  und  lekeis  auf  miaki  liakeis  begünstigt 
das  finn.  miekka  und  sl.  Ijekar'.  Haftet  aber  doch  zweifei  über  E  = 
lA,  so  musz  ihn  die  analogie  des  0  =  UA  tilgen,  goth.  för  lautet 
bei  Otfried  fuar,  döms  duam,  blöma  bluama,  mods  muat,  göds  guat, 
845br6J)ar  bruadar,  vöhs  wuahs,  gamösta  muasa;  im  ahd.  zeigt  sich  der 
laut  ursprünglicher  als  im  gothischen.  dieser  aufschlusz  über  0  und 
UA  ist  anders  als  der  oben  s.  840  gegebne:  man  wird  sagen  müssen, 
dasz  UA  an  alter  vorangehe,  in  die  ahd.  flexion  aber  schon  früh  0 
eingetreten  sei. 

Befremden  mag  auf  den  ersten  blick  der  Übergang  des  durch 
die  theorie  gefundnen  UI  in  EI,  und  doch  ist  es  der  einzige  weg  um 
goth.  EI  zu  begreifen,  da  nemlich  die  Gothen  kein  kurzes  E,  nur 
langes  E  besitzen,  wird  auch  EI  für  EI  zu  nehmen,  also  triphthon- 
gischem  lAI  gleichzustellen  sein,  das  dem  UI  nahe  käme*,  die  goth. 
instrumentale  J)6  und  hv6  sind  ahd.  diu  huiu,  also  zwischen  J)ia  hvia 
und  |)iu  hviu  schwebend,  folglich  lAI  beinahe  IUI  =  UI.  statt  des 
goth.  EI  haben  die  ahd.  ags.  altn.  spräche  I,  das  sich  noch  leichter 
als  verengtes  UI  darstellt.  Hierzu  tritt  nun  ein  entscheidender  be- 
weis, den  uns  der  entlegenste  norden  in  ^der  färöischen  mundart  dar- 
bietet, welche  regelrechtes  UI  für  altn.  I  zeigt  (gramm.  1,  488)  und 
geradezu  muin  tuin  suin  für  goth.  meina  J)eina  seina  schreibt,  ruiki 
für  goth.  reiki,  kvuit  für  hveits,  uis  für  ahd.  altn.  Is.  UI  steht  zu 
AI  wie  lU  zu  AU  und  diese  parallele  ist  nicht  abzuweisen. 

Irre  ich  nicht,  so  wird  nunmehr  die  annähme  geminierter  vocale 
von  der  ursprünglichen  einrichtung  unsrer  spräche  ausgeschlossen, 
wie  goth.  E  und  0  erst  durch  Verdichtung  aus  diphthongen  erwach- 
sen, sind  auch  die  dem  Gothen  abgehenden  ahd.  und^altn.  A  I  Ü  nur 
auf  diese  weise  begreiflich,  ahd.  A  ist  goth.  E,  ahd.  I  goth.  EI,  ahd. 
ü  entweder  goth.  lU  oder  ^  unorganisch,  ags.  A  ist  goth.  AI,  ags. 
^  gewöhnlich  umlaut  des  0,  ags.  I  goth.  EI.  umgekehrt  sahen  wir 
die  goth.  ^  und  Ö  im  ahd.  lA  UA  noch  diphthongisch  erscheinen; 
wie  könnten  sie  gefaszt  werden^  als  EE  und  00,  da  es  kein  kurzes 
E  und  0  gibt?  ahd.  E  und  6  führen  sich  auf  goth.  AI  und  AU 
846  zurück,  welche  umgedrehtes  lA  und  UA  sind  und  dieselbe  Verdich- 
tung erfahren  haben.  Auch  im  consonantismus  wird  sich  vielleicht 
die  ursprünglichkeit  der  gemination  behaupten  lassen. 

Brechung  und  umlaut,  als  jüngere  erscheinungen  des  vocalismus, 
haben  mit  dem  ablaut  nichts  zu  schaffen,  obwol  das  gebrochne  kurze 
E  und  0  gewisse  analogie  zu  dem  verengten  langen  E  und  0  kund* 
geben  und  wiederum  aus  dem  zusammenflusz  zweier  vocale,  doch 
bei  haftender  kürze  entsprungen  sind,  sie  hängen  von  andrer  be- 
dingung  ab. 

*  man  vergleiche  für  ^vq  and  si-  gr.  ^g  und  ^v-,  obwol  diese  zwei- 
silbig sind  ( —  ■~'),  nicht  triphthongisch. 


ABLAUT  587 

Dies  alles  vorausgesandt  kann  ich  nun  näher  auf  den  ablaut 
eingehn. 

Ablaut  ist  dynamische  Verwendung  des  vocalgesetzes  auf  die 
Wurzel  der  ältesten  verba,  um  die  unterschiede  der  gegenwart  und 
Vergangenheit  in  sinnlicher  fülle  hervorzuheben,  dadurch  dasz  er 
alle  und  jede  localverhältnisse  in  sich  schlieszt,  ruht  er  auf  dem 
innersten  grund  der  spräche,  an  ihm  hängen  wollaut  und  zutrauliche 
gewalt  unserer  rede. 

Fünf  ablautende  conjugationen  bilden  sich,  deren  keine  den  vocal 
des  praesens  im  praet.  bestehen  läszt,  und  allein  die  dritte  für  den 
sg.  und  pl.  praet.  gleichen  ablaut  verwendet,  während  die  übrigen 
jedwedem  numerus  eignen  geben,  welchen  vocal  pl.  ind.  zeigt,  der- 
selbe findet  im  ganzen  conj.  sg.  wie  pl.  statt,  der  vocal  des  part. 
praet.  stimmt  bald  mit  dem  praes.,  bald  mit  dem  pl.,  nicht  aber  dem 
sg.  praeteriti.    einmal  hat  das  part.  praes.  auch  seinen  ablaut  für  sich. 

Es  genügt  die  fünf  conjugationen  nach  der  goth.  spräche  auf- 
zustellen : 

I.       praes.  I      praet.  sg.  A     praet.  pl.  U  part,  U 

n    f       I  ^  |]         i(ü) 

m.  A  Ö  ö  A 

IV.  EI  AI  II 

V.  lü  Aü  U  U 

Die  erste  conjugation  beruht  auf  dem  Wechsel  aller  drei  kurzen 
vocale  selbst,  ohne  Zuziehung  langer  und  diphthongischer,  voraus 
setzt  sie  zwei  consonanten  nach  dem  wurzelvocal,  entweder  doppelte  847 
liquida  oder  liquida  mit  muta,  einigemal  auch  spirans  und  muta: 
linnan  lann  lunnum  lunnans;  finj)an  fanj)  funj)um  funj)ans;  hvairban 
hvarb  hvaurbum  hvaurbans;  trisgan  trasg  trusgum  trusgans. 

Im  gegensatz  hierzu  sind  der  zweiten  conjugation  lauter  kurz- 
silbige  wurzeln  eigen,  deren  vocal  von  einfacher  consonanz  geleitet 
wird,  sie  wechselt  kurzen  vocal  zwischen  praesens  und  sg.  praet., 
läszt  aber  im  pl.  praet.  langen  eintreten.  Man  musz  ihr,  scheint  es, 
zwei  arten  einräumen,  jenachdem  das  praesens  I  oder  ü  zeigt;  zwar 
dem  sg.  praet.  gebührt  beidemal  A,  es  ist  aber  unwahrscheinlich, 
dasz  der  pl.  E  entfalten  könne,  wenn  das  praes.  U,  wie  wenn  es  I 
lautet;  erst  dadurch  werden  die  rechte  beider  kurzen  vocale  gewahrt, 
dasz  im  pl.  praet.  I  ein  E,  U  ein  0  nach  sich  zieht. 

Die  erste  art  hat  kein  bedenken :  stilan  stal  stelum ;  qiman  qam 
qßmum;  bairan  bar  bßrum;  qij)an  qaj)  q6{)um;  lisan  las  lösum;  ligan 
lag  l6gum.  nur  der  laut  des  part.  praet.  schwankt,  vor  liquidis  be- 
kommt er  ü:  stulans  numans  qumans  baurans,  hingegen  gibans  qi- 
J)ans  lisans  ligans;  ausnähme  ist  brukans  und  wahrscheinlich  auch 
stukans;  ahd.  kiprochan,  kistochan. 

Die  zweite  art,  als  einen  neuen  fund,  musz  ich  umständlicher 
behandeln,  auf  sie  leitete  mich  zuerst  die  entdeckte  analogie  zwischen 
den  subst.  qinö  :  qßns  =  funa  :  fön.    qinö  femina,  qöns  uxor  scheiden 


588  ABLAUT 

sich  sogar  dem  begriffe  nach,  und  da  auch  altn.  kona  (==  qvena, 
wie  koina  =  qvema)  femina,  qvän  uxor  (Sam.  73*  Hl''  134^  138*-^) 
nebeneinander  stehn,  unterliegt  hier  das  goth.  E  =  altn.  A  keinem 
zweifei.  andere  dialecte  besitzen  für  beide  bedeutungen  lediglich  eine 
form:  ahd.  qufjnä  chöna  mulier  und  uxor,  vgl.  skr.  dschani,  gr.  yvvrj, 
sl.  shena,  böhm.  ^ena,  litth.  zyn^  (kluge  frau,  zauberin).  Lenken  nun 
qinö  q6ns  auf  die  ablautende  wurzel  qina  qan  qönum  (gr.  y^vvccc), 
lat.  gigno) ;  so  darf  aus  dem  nebeneinanderstehn  von  funa  (altn.  funi) 
und  fön  ein  funan  fan  fönum  (vgl.  gr.  nävog  fackel)  geschlossen  wer- 
den, und  siehe  da,  noch  andere  spuren  sind  der  spräche  eingedrückt, 
vulan  fervere,  t^slv  Eom.   12,  11  ist  nach  vulij)  II  Tim.  2,  17  stark- 

848  formig  und  fordert  im  praet.  val  (nicht  vaul)  pl.  völum,  wie  aus 
dem  ags.  völ  lues,  pestis,  alts.  wuol  wol  Hei.  132,  4,  mhd.  wuol  :  pfuol 
Herbort  6466.  6467  zu  folgern  steht;  die  bedeutung  dieses  subst. 
scheint  eigentlich  hitziges  fieber,  aestus,  wofür  auch  sonst  brinnö  und 
heitö  steht,  trudan  calcare,  praet.  trad,  pl.  trödum  erweise  ich  aus 
dem  altn.  troda  calcare  und  troda  terra  culta  (oben  s.  61  unrichtig 
troda  geschrieben),  knudan  depsere,  praet.  knad  knödum  erklärt  uns 
den  ausdruck  knöds  genus,  eigentlich  massa  substantia.  auf  studan 
fulcire  stad  stödum  leitet  anastödjan  dustödjan  «p^^söd'at,  weil  das 
anheben  ein  fassen,  festigen,  wahrscheinlich  gab  es  ein  goth.  adj. 
stöps,  schwachformig  stödja  firmus;  ags.  findet  sich  studu  fulcrum, 
postis  und^das  gleichbedeutige  stöd;  im  ags.  stede  stabilis  musz  um- 
gelautetes  0  sein.  ahd.  studan  statuere,  fundare,  aber  stuodalTful- 
crum,  basis  (Graff  6,  653.  654)  ein  stuodali  purus,  urstuodali  perspi- 
cax,  altn.  stod  oder  stöd?  fulcrum,  auxilium,  stydja  studdi  fulcire; 
schon  das  ü  lehrt,  dasz  alle  diese  formen  nicht  von  dem  allerdings 
verwandten  standan  stoj)  (s.  cap.  XXXIV)  geleitet  werden  dürfen, 
endlich  möchte  ich  aus  dem  goth.  usgrudja  languidus  ein  grudan  grad 
grödum  schlieszen,  ohne  schon  aufschlüsse  seiner  bedeutungen  zu  wagen. 
Die  ahd.  spräche  hat  nun  alle  diese  goth.  U  in  I^(oder  gebrochen  6) 
geschwächt  und  folgerichtig  dem  praet.  A,  pl.  A  verliehen:  trStan 
trat  trätum;  chnßtan  chnat  chnätum,  wonach  ihr  adj.  stati  stabilis 
an  die  stelle  des  vermuteten  goth.  stödis  getreten  scheint  und  ein 
stetan  stat  stätum  erwarten  liesze.  das  ältere  U  verbürgen  die  haf- 
tenden chnuot  genus  und  stuodal  basis.  Ebenso  gilt  ags.  cnSdan  und 
trfe'dan,  altn.  aber  knöda  (schlecht  hnoda)  und  troda;  stoda  scheint 
unerweislich,  stedi  fulcrum,  incus  für  stodi  oder  stödi  gesetzt. 

Lassen  aber  die  participia  auf  U  bei  verbis  erster  art,  wie  stu- 
lans  numans  brukans  alte  praesentia  auf  U  ahnen,  denen  folglich  im 
pl,  praet.  wieder  0  gebührt  hätte?  aus  einem  solchen  nömum  für 
n6mum  begriffe  sich  das  mnl.  noemen  nominare,  das  sich  sonst  mit  der 

849-wurzel  niman  (vgl.  oben  s.  153)  schwer  einigen  liesze.   Ich  werde  noch- 
mals im  cap.  XXXVI  auf  die  ablaute  dieser  zweiten conj.  zurückkommen. 
^Die  dritte  conjugation  läszt  das  A  des  praes.  im  sg.  und  pl.  praet, 
zu  0  werden  und  stellt  im  part,  praet.  A  wieder  her;  sie  kann  die 
einfachste  unter  allen  heiszen:  anan  ön  önum  anans;  faran  för  forum 


ABLAUT  589 

farans;  skapjan  sköp  sköpum  skapans;  tvahan  tvoh  tvöhum  tvahans. 
alle  diese  und  die  meisten  übrigen  sind  kurzsilbig,  nur  vahsjan  und 
standan  haben  positionslänge.  standan  bekommt  im  praet.  stoj)  stö- 
J)um,  das  part,  praet.  zeigt  aber  stö])ans  (1  Cor.  4,  11)  für  standans, 
worüber  näheres  cap.  XXXIV.  ahd.  gilt  stantan  stuont  stuontum 
(bei  0.  stuat  stuatun)  part.  stantanßr,  ags.  standan  stöd  stödon  stan- 
den, altn.  standa  stöd  stödu  stadinn. 

Wie  nun  in  zweiter  conjugation,  wenn  meine  Vorstellung  richtig 
ist,  das  A  des  sg.  praet.  sowol  in  E  als  0  des  pl.  übergieng,  sollte 
man  auch  hier  erwarten,  dasz  das  A  des  praes.  ein  praet.  doppelter 
art,  auf  fi  und  0  zeugen  könnte;  doch  findet  sich  nur  0.  ich  werde 
indessen  auf  diese  frage  zurückkommen, 

Eegelrecht  und  einander  analog  verlaufen  die  vierte  und  fünfte 
conjugation.  der  zweiten  und  dritten  stehn  beide  darin  entgegen, 
dasz  dort  das  praes.  kurzen,  der  pl.  praet.  langen  vocal,  hier  das 
praes.  langen,  pl.  praet.  kurzen  vocal  besitzen,  skeinan  skain  skinum ; 
greipan  graip  gripum;  smeitan  smait  smitum;  steigan  staig  stigum; 
reisan  rais  risum  stehn  parallel  zu  hniupan  hnaup  hnupum;  niutan 
naut  nutum;  biugan  baug  bugum;  kiusan  kaus  kusum.  die  part. 
praet.  halten  stets  den  im  pl.  praet.  angeschlagnen  laut  aus. 

Jedes  tempus  jeder  conjugation  ist  an  seinem  vocallaut  alsbald 
zu  erkennen,  nur  ausgenommen  die  plurale  praet.  auf  0,  welche  der 
zweiten  und  dritten  angehören  können,  so  wie  die  part.  praet.  auf 
I  oder  U,  von  welchen  unsicher  bleibt,  ob  sie  aus  der  zweiten  oder 
vierten  und  fünften  stammen. 

Man  musz  annehmen,  dasz  der  kurze  vocal  die  grundlage  des 
lauts  enthalte  und  aus  ihm  erst  die  diphthongischen  Veränderungen 
hervorgegangen  seien,  der  kurze  vocal  kann  aber  nicht  nur  selbst  850 
allein  den  ablaut  bewirken,  wie  die  erste  conjugation  zeigt,  sondern 
auch  an  jeder  stelle,  bald  im  praesens,  bald  im  sg.,  bald  im  pl.  des 
praet.  aufsteigen,  eben  um  dieser  wechselnden  stelle  der  kürze  und 
länge  willen  besitzen  unsere  verba  schöne  manigfaltigkeit. 

Erst  in  der  nhd,  spräche  ist,  zum  nachtheil  der  ablaute,  was 
organischer  weise  nur  für  die  dritte  conj.  galt,  für  alle  durchgeführt 
worden,  dasz  in  sg.  und  pl.  praet.  derselbe  laut  waltet:  wir  sagen 
heute  band  banden,  gab  gaben,  lag  lagen,  grif  griffen,  trof  troffen, 
statt  der  mhd.  schöneren  formen  baut  bunden,  gap  gäben,  lac  lägen, 
greif  griffen,  trouf  truffen.  die  alte  regel  ist  dadurch  untergraben 
und  zumal  der  unterschied  des  ind.  vom  conj,  oft  verwischt:  griffen 
kann  rapuerunt  und  raperent  aussagen,  wahrscheinlich  veranlaszte 
die  mischung  der  quantitäten  in  der  zweiten  und  die  falsche  analogie 
der  dritten  conjugation  den  unfug ;  seit  man  für  gap  gäben  ein  gleich- 
betontes gab  gäben  zugelassen  hatte  und  beide  wie  schuf  schufen 
behandelte,  schien  auch  fand  fanden  recht  und  bald  hatten  die  gleich- 
gesetzten formen  das  übergewicht,  die  vierte  imd  fünfte  conj.  lieszen 
umgekehrt  den  laut  des  pl.  in  den  sg.  vorrücken. 

So  verhält  oder  verhielt  sich  in  der  deutschen  conjugation  der 


590  ABLA-ÜT 

reine  ablaut,  dessen  groszer  und  entscheidender  einflusz  auf  die  ganze 
spräche  vorzüglich  in  der  Wortbildung  und  flexionslehre  sichtbar  wird, 
vom  ablaut  in  der  flexion  soll  cap.  XXXVI  handeln,  aus  den  Wort- 
bildungen begnüge  ich  mich  hier  zwei  vielumfassende  beispiele  her- 
vorzuheben. Starke  intransitiva  lassen  aus  dem  ablaut  ihres  praet. 
sg.  schwache  transitiva  erwachsen:  brinnan,  brannjan;  urrinnan,  ur- 
rannjan;  drigkan,  dragkjan;  vilvan,  valvjan;  snairpan,  snarpjan;  ti- 
man,  tamjan;  ligan,  lakjan;  rikan,  rakjan;  stikan,  stakjan;  vrikan, 
vrakjan;  nisan,  nasjan;  galan,  goljan;  faran,  förjan?  (ahd.  fuoran); 
saj)an',  sopjan;  hneivan,  hnaivjan;  beidan,  baidjan;  leisan,  laisjan; 
urreisan,  urraisjan;  driusan,  drausjan;  kiusan,  kausjan;  liusan,  laus- 
jan;  sliupan,  slaupjan;  biugan,  baugjan.    Nach  dieser  formel  sind  nun 

851  verlorne  intransitiva  oder  transitiva  leicht  zu  folgern,  z.  b.  aus  J)an- 
jan  |)inan,  aus  slauj)jan  sliuj)an,  oder  aus  beitan  baitjan.  mhd.  wer- 
den manche  intransitive  verba  erster  und  zweiter  conj.  von  ihren 
transitiven  nur  an  dem  unterschiede  des  6  und  e  erkennbar  z.  b. 
swßllen  und  swellen,  erschöllen  und  erschellen.  Adjectiva  zweiter 
declination  pflegen  mit  dem  ablaut  des  pl.  praet.  und  vorzugsweise 
aus  verbis  zweiter  conj.  gebildet  zu  werden,  z.  b.  von  niman  goth. 
andanßms  acceptus,  von  qipan  unq6J)s  inefifabilis,  von  sitan  andas6ts 
horridus  (entsetzlich),  von  studan  wurde  stöj)s  s.  848  vermutet,  ahd. 
nämi  acceptus,  pari  ferax,  prächi  fragilis,  käpi  gratus,  gleichsam  dabi- 
lis,  wägi  gleichsam  libratilis,  stäti  firmus,  welche  mhd. lauten:  genaeme, 
gebsere,  gaebe,  waege,  stsete.  In  dritter  conj.  stimmen  ablaut  des  pl.  und 
sg.  zusammen,  von  gadaban  leitet  sich  gadöfs  conveniens,  ags.  gedefe, 
vom  ahd.  chalan  frigere  =  altn.  kala  das  adj.  chuoli  frigidus.  In 
fünfter  conj.  von  niutan  uti  das  adj.  nuts  utilis,  unnuts  inutilis,  ahd. 
nuzi  unnuzi,  mhd.  nütze  unnütze.  Aus  vierter  ist  mir  kein  beispiel  zur 
hand,  warum  aber  sollte  nicht  aus  smeitan  ein  adj.  smits  ahd.  smizi, 
aus  beitan  ein  bits  ahd.  bizi  bildbar  sein?  zu  einer  menge  anderer  ist 
das  verbum  ausgestorben,  wie  zum  ahd.  räzi,  späti,  wähl,  zähl,  dräti, 
muodi,  chuoni,  kruoni,  wenn  beide  letztere  nicht  anders  zu  fassen  sind. 

Anziehend  ist  es,  die  Sprünge  des  ablauts  aus  einer  reihe  in  die 
andere  zu  betrachten. 

Die  häufigsten  erfolgen  zwischen  beiden  arten  der  zweiten  con- 
jugation,  wobei  doch  die  vocale  U  und  0  die  ältere,  I  und  £  die 
jüngere  form  dazustellen  scheinen,  geht  trudan  trad  trodum,  knudan 
knad  knödum  dem  trStan  trat  trätum,  chnStan  chnat  chnätum  voraus, 
so  darf  dieser  maszstab  auch  an  andere  Wörter  gesetzt  werden,  dem 
goth.  möna  ahd.  mäno  altn.  mäni  steht  ags.  möna  engl,  moon  zur 
Seite;  erscheint  nicht  möna  älter  und  auf  die  ablaute  munan  man 
mönum  leitend?    mena    würde   zu  minan  man  mönum   berechtigen, 

852  eben  darum  liegt  das  ags.  adverb  söna  engl,  soon  dem  goth.  suns  näher 
als  das  mhd.  sän*.    Aber  auch  zwischen  der  vierten  und  fünften  conj. 

*  Lobe  hält  zu  suns  und  söna  unpassend  das  nhd.  schon,  welches  das 
mhd.  schöne,  ahd.  scöno  adv.  von  schcene  scöni  goth.  skauns  ist,  auf  goth. 
also  skauniba  lauten  würde. 


ABLAUT  591 

schwanken  I  und  ü;  die  praeterita  dau  und  snau  würden  nach  fünfter 
reihe  ein  praes.  diuan  sniuan  fordern,  welche  das  euphonische  gesetz 
der  spräche  in  divan  snivan  wandelt;  im  pl.  praet.  entspränge  duum 
suum,  was  gleich  unerträglich  gewesen  wäre  und  der  sprachgeist  be- 
quemte sich  dafür  zu  divum  snivum,  womit  ganz  in  den  ablaijt  der 
dritten  reihe  gegriffen  wurde,  deren  spei  van  spaiv,  hneivan  hnaiv 
den  pl.  spivum  hnivum  darbieten,  snivum  belegt  Marc.  6,  53;  Philipp. 
3,  16  findet  sich  sn6vun,  vielleicht  dasz  mundartlich  sniva  snav  sn6- 
vum  nach  zweiter  conj.  galt,  wie  umgekehrt  das  mhd.  krösen  kras 
repere  in  krisen  kreis  (Servat.  1856)  überspringt,  vgl.  Schm.  2,  395. 
Wechsel  zwischen  vierter  und  fünfter  reihe  bekunden  goth.  heiv  fa- 
milia,  ags.  hl  van  familiaris,  altn.  hiu  hiun  hion  famulitium,  ahd.  hlwisci 
hiuwisci  familia,  mhd.  hirat  und  hiurät,  nhd.  heirat  und  heurat;  mhd. 
Krimhilt  und  Kriemhilt  (gramm.  1,  188);  kric  und  kriec;  kit  (ahd. 
chit  =  quidit)  und  kiut  (gramm.  1,  192),  ohne  dasz  es  nöthig  wäre 
aus  solchen  einzelnen  formen  vollständige  ablaute  zu  folgern,  unbe- 
denklich aber  ist  mhd.  die  doppelgestalt  schrien  schrei  schrirn  ge- 
schrirn  und  schriuwen  schrou  schruwen  geschriuwen.  noch  merk- 
würdiger geht  das  ahd.  pliuwan  plou  pluun  pliuwan  gothisch  nach 
erster  conj.  bliggvan  blaggv  bluggvun  bluggvans  und  die  plurale  pluun 
bluggvun  weisen  den  mittelpunct  der  begegnung.  nicht  anders  ver- 
hält sich  das  ahd.  adj.  triuwi  fidus  zu  goth.  triggvs  altn.  tryggr,  wo- 
her der  bekannte  mannsname  Tryggvi,  während  ahd.  triuwßn  trüßn 
confidere  dem  goth.  gatrauan,  altn.  trüa  begegnet,  goth,  siggvan 
saggv  suggvun  bleibt  auch  im  ahd.  singan  sanc  der  ersten  conj.  zu- 
gethan,  altn.  s^ngja  sang  zeigt  wenigstens  im  f  für  1  des  praesens 
neigung  zur  fünften,  die  sich  im  schwed.  sjunga  noch  entschiedner 
entfaltet,  dessen  praet.  bald  sang,  bald  söng  lautet,  mit  siggvan  aber  853 
läszt  sich  auch  den  begriffen  nach  goth.  siujan  sivida,  ahd.  siuwan 
süta,  lat,  suere  vereinen,  hiernach  dürfte  man  versucht  sein,  den 
stammnamen  Inguio  Ingo  goth.  Iggvs  Iggvus  wie  triggvs  und  bligg- 
van, mit  tilgung  des  nasallauts,  jenem  volksnamen  Eovan  im  cod. 
exon.  320,  8  zu  vergleichen,  den  ich  oben  s.  472  in  Eävan  änderte. 
Zumal  beachtung  fordert,  wo  in  einer  und  derselben  mundart  mit 
verschiednem  sinn  doppelgestalt  der  wurzel  nach  zwei  conjugationen 
sich  entwickelte,  ülfilas  hat  in  zweiter  conj.  stikan  stak  stekum,  was 
dem  gr,  6xit,uv  entspricht,  woher  sich  stiks  6Tiyfj.tj,  staks  öriy^K,  stikls 
calix  (vgl.  s.  823)  leiten;  in  erster,  mit  eingehender  nasalis,  stiggan 
stagg  pungere,  wovon  sich  noch  ein  verwandtes  stigqan  stagq  impin- 
gere,  ruere  sondert,  dem  sich  lat.  stinguere  anschlieszt.  ahd.  stSchan 
stah  stächum,  wovon  stih  ictus,  stfe'chal  calix,  stichil  apex  und  stingan 
pungere,  stungan  compungere,  stunc  punctum,  ags.  stican  und  stician 
sticode  pungere,  stingan  stang  stungon  stimulare.  wie  der  name  Franke 
mit  den  wurzeln  frei  und  frech  zusammenhänge  zeigte  s.  512.  513. 
Sobald  die  spräche  in  folge  des  ablauts  einer  andern  reihe  nah 
kommt,  ist  es  ihr  verstattet  in  sie  überziigehn  und  oft  wird  eine  zu- 
gefügte liquida  brücke  des  Übergangs.    Es  scheint  schon  ein  wichtiger 


592  ABLAUT 

satz,  dasz  manclie  wurzeln  erster  conjugation  sich  blosz  aus  gemina- 
tion  der  liquida  herleiten  und  ursprünglich  der  zweiten  gehören. 
--.^  die  ags,  Umstellung  irnan  birnan  setzt  rinan  brinan  voraus ,  kein 
rinnan  brinnan,  und  allem  anschein  nach  ist  das  goth.  inbranjada 
crem^tur  Joh.  15,  6  kein  fehler,  sondern  zeigt  uns  noch  die  echte 
form  branjan  von  brinan.  dafür  streiten  auch  die  alten  Zusammen- 
setzungen manas6J)S  manamaur]3rja  manariggvs,  alamans  alaparba 
Alamöds  und  ahd.  Alaman  alahalba  alahant  (gramm.  2,  628),  ja  das 
merkwürdige  mhd.  sunewende  (mythol.s.  584)  und  sunegiht  Lanz.  7051. 
schon  darum  musz  NN  in  manna  und  mannisks  unorganisch  erschei- 
nen, weil  manags  ahd.  manac  mhd.  manec  einfaches  N  hat  und  die 

854  Wurzel  munan  man  munum  gleichfalls ;  noch  gebieterischer  heischen 
es  die  skr.  Manus  und  manuschja.  wie  aber  Mannus  und  manna, 
entsprosz  auch  ahd.  minna  memoria,  animus,  amor  und  minnön  amare, 
eigentlich  meminisse  derselben  wurzel.  unbedenklich  lege  ich  älteren 
wurzeln,  aus  welchen  brinnan  und  sunna  stammen,  nur  einfaches  N 
bei.  mhd.brimmen  bram  brummen  rugire  folgte  ahd.  noch  zweiter  conj. 
prßman  pram  prämun,  und  die  analogie  wird  sich  weiter  ausdehnen. 

So  unser  ablaut;  wie  steht  es  um  ihn  in  den  urverwandten 
sprachen  ? 

Auch  diesen  mangelt  er  nicht,  ist  aber  zu  keinem  waltenden 
gesetz  erhoben  worden,  nur  in  einzelnen  spuren  und  reihen  zu  er- 
kennen. 

Was  eben  schon  die  geschichte  unserer  spräche  durchschimmern 
liesz,  dasz  verba  erster  conjug.  mit  ihrem  uns  gleichsam  eingebornen 
dreiklang  I  A  U  (gramm.  1,  561 — 563)  dennoch  unursprünglich  seien, 
wird  durch  die  Wahrnehmung  ihrer  fast  gänzlichen  abwesenheit  in 
jenen  andern  sprachen  bestätigt,  es  gibt  weder  ein  lat.  noch  skr. 
verbum  mit  positionslanger  wurzel,  dessen  tempora  ein  I  A  ü  wech- 
seln lieszen.  Starke  wurzeln  auf  MM  NN  erscheinen  nirgend.  LL 
haben  zwar  die  lat.  cello  pello  vello  fallo,  die  gr.  ßdlXco  ipdllco  xillw 
tiXkco  u.  s.  w.  allein  es  pflegt  sich  im  praet.  zu  vereinfachen:  pello 
pepuli,  percello  perculi  und  nur  ausnahmsweise  zu  haften,  dann  aber 
ohne  ablaut:  vello  velli,  fallo  fefelli,  welcher  unterschied  mich  an 
den  des  ahd.  fallan  fial  und  altn.  falla  feil  (s.  838)  gemahnt.  ßdXXco 
bildet  ßaAc5  eßakov  und  ßsßölrjfiai.  RR  im  lat.  verro,  verri.  latei- 
nische MB  NG  ND  lauten  nicht  ab:  lambo  lambi,  mando  mandi, 
pando  pandi;  es  sei  denn,  dasz  sie  ihre  nasalis  ausstoszen,  d.  h.  die 
form  in  unsere  zweite  conj.  übertreten  lassen:  tango  tetigi,  pango 
pepigi,  doch  pungo  pupugi  bleibt,  diese  tilgung  des  N  in  tango  tetigi, 
findo  fidi,  scindo  scidi  gleicht  der  altn.  form  binda  batt,  hrinda  hratt, 
vinda  vatt.  die  composita  von  pango  tango  schwächen  A  in  I:  contingo 
compingo ;  andern  grund  hat  I  in  mingo.  verto  verti  (=  goth,  vairpa 
varj)),  volvo  volvi,  solvo  solvi  wissen  nichts  von  ablaut.     dem  goth. 

855  binda  band  entspricht  die  sanskritwurzel  bandh,  zeugt  aber  das  praet. 
babandha,  d.  h,  das  A  des  goth.  praet.  ist  dem  ganzen  skr.  verbum 
in  jedem  tempus  eigen.     Nur  im  griech.  sind  wichtige  annäherungen 


ABLAUT  593 

an  deutsche  weise:  afiEhya)  a^oXyog,  vgl.  lat.  mulgeo  goth.  miluks. 
a^8Qyo3  ä^ögyi].  ^slno  ^oKTnq.  ^e^cponai  ^of-icpi].  cf^kyyonai 
q)d'6yyog.     nefinco  non^ri.     Ttsgöco  JiBTCogöa.     TtsgO^cj  nmoQd^a. 

Den  ablaut  unsrer  zweiten  conj.,  wie  schon  aus  dem  eben  ge- 
sagten hervorgeht,  erkennen  lat.  und  gr.  verba  in  einzelnen  gestaltungen 
an.  hierher  gehören  tetigi  pepigi  pepuli,  die  ein  älteres  praesens  tago 
pago  pelo  voraussetzen,  wie  tuli  =  tetuli  ein  älteres  telo.  für  cecini 
cecidi  hat  sich  cano  cado  erhalten,  zu  precor  gehört  proco  procus 
goth.  fraihna  frah  frßhum  fraihans.  Ungleich  reicher  ist  die  gr.  spräche, 
doch  musz  ich  oft  zum  erweis  der  ähnlichkeit  abgeleitete  subst.  hin- 
zunehmen, vi^ca  vs^og  vofiij  vo^og  und  vo^og,  wie  das  lat.  nemus 
und  nomen  zeigen  den  lautwechsel  des  goth.  nima  nam  numans,  den 
Übergang  der  begriffe  s.  29.  153.  497;  im  aor.  svH^a  sehe  ich  das 
fi  des  goth.  pl.  nömum.  ysvco  yivog  yLVOfiat  yeyova  yovog  ysivo^ai, 
lat.  gigno  genus  führen  auf  ein  goth.  kinan  kan  kunans,  wovon  kuni, 
welchem  qinan  qan  qönum  nahe  kommen  musz  (s.  847).  ^ivca  ft£- 
iiova  goth.  man  munum,  lat.  memini,  xdvo)  rsvä  stELva  rsvog  rs- 
vcov  TÖvog  Tovoo)  verlangen  ein  goth.  J)ina  pan  J)6num  J)unans,  wo- 
her panjan  tendere  und  ahd.  donar  (goth.  J)unrs)  ictus  nubis,  ahd. 
dono  tendicula.  nkvo^ai  növog  Tiovrjgog.  ri^va  te^cö  ro^og.  ßdllco 
ßoh'j.  q)BQC}  q)0Q6g  cpoQog,  lat.  fero  forum  (Yarro  4,  32)  goth.  baira 
bar  baurans.  q)d^eiQ(X}  (p^sgco  sq)d'OQa  icp^aQriv  tpd^oQa  cp^OQog,  goth. 
bidaira?  was  ich  aus  dem  ags.  daru  nocumentum  ahd.  tara,  agS. 
derian  ahd.  terian  terran  nocere,  ahd.  tarßn  nocere  schliesze*.  (pi- 
ßofiai  3tsq)oßa  q)oßsc)  q)6ßog.  ösßofiai  ooßsco.  Gtgecpco  eötgocpa^öQ 
otQSTiTog  GzQoq))].  tQ£(po3  xhTQOcpu  rQO(prj.  TQiTtca  Etganov  ZQOTtrj, 
Tilmxci  xksTcog  nXonrjj  goth.  hlifa  hlaf.  Uyav  Xsxog  Xbxtqov  Xoyog 
Xoxog  goth.  liga  lag.  ßgexco  ßQO%r].  tQE%(o  tgoiög,  goth.  ^ragja  ein 
Jiriga  voraussetzend.  dsxo(iaL  ÖEÖBy^at  öoxog  öoxtj.  öbqxco  ÖQa'/.c5 
ÖBÖogaa  diögoica.  tlxTd  isklo  tbjcvov  toxog  tozBvg.  eög)  odovg. 
^EÖco  walte,  ^BÖcov  /hbÖbcov  herscher,  von  göttern  gebraucht,  (.iBÖiiivog 
ein  masz,  fioÖLog  desgleichen,  lat.  modius  und  modus,  moderari  wal- 
ten, meditari  bedenken,  mita  mat  mßtum,  alts.  metod  ags.  meotod 
altn.  miötudr  vom  göttlich  waltenden  (mythol.  s.  1199);  das  lat. 
m6tior  und  gr.  ^btqov  sind  vorboten  der  lautverschiebung.  Auch 
die  sl.  und  litth.  spräche  lassen  verschiedentlich  E  in  0  (d.  h.  nach 
deutscher  weise  I  in  A)  ablauten,  sl.  tepl"  und  topl"  calidus,  von 
der  skr.  wurzel  tap  (s.  231);  das  sl.  pepel"  cinis  lautet  poln.  popiO't 
böhm.  popel.  bred"  und  brod"  vadum  wechseln,  teku  curro  tok" 
cursus,  fluxus.  nesu  fero,  nesti  und  nositi  ferre.  vedu  duco,  vesti 
und  voditi  ducere,  voshd'  dux.  grebu  sepelio,  grob"  sepulcrum. 
Litth.  deru  paciscor,   dora  pactum   padorus  honestus.     stSgiu  tego, 

*  für  latro  galt  ahd.  scado,  lantscado  (qui  terram  laedit,  perdit)  ags. 
sceada,  und  ebenso  ahd.  lantderi  (Graff  5,  440).  mit  gleichem  fug  nann- 
ten die  Griechen  ein  schädliches,  verderbliches  insect  ^ö-s/ß  von  (pü^eigsiv, 
das  unsere  spräche  geradeso  lüs,  die  Gothen  ohne  zweifei  lius  bieszen  von 
liusan  perdere,  consumere,  devorare  (Graff  2,  263). 

ärimm,  geschickte  der  deutschen  spräche.  38 


594  ABLAUT 

stogas  tectum.  teku  curro,  takas  semita,  curriculum,  isztoka  decursus. 
^elu  vireo,  zalias  viridis,  ^ol^  herba.  wedu  duco,  westi  ducere,  wa- 
das  dux,  wadzioti  ducere.  neszu  fero,  naszta  onus.  Im  sanskrit  und 
zend  waltet  A  rein  durch:  tan  tendere  tatana,  vali  vehere,  vahämi 
veho,  zend.  vazämi;  sad  sedere,  sasada  sedi;  svap  dormire,  saävapa 
dormivi.  dies  A  maclit  mir  wahrscheinlich,  dasz  das  gr.  0  in  ykyova 
^8(iova  xBtqo(pa  u.  s.  w.  eher  dem  skr.  A  gleich  stehe  als  dem  goth. 
U,  wie  es  auch  in  vielen  andern  fällen  dem  A  entspricht. 

Dem  ablaut  A  0  unsrer  dritten  conjugation  ist  lat.  A  und  A» 
gr.  0  und  H  gleichzustellen,  wie  ahd.  muotar  pruodar  goth.  bröpar, 
lat.  mäter  fräter,  gr.  ^r]X£Q  cpQäxriQ^  zumal  die  pronomina  sa  so  gr. 
6  ri  lehren;  man  vgl.  ferner  lat.  räpum  ahd.  ruoba,  lat,  rädix  altn. 
rot,  lat.  fägus  gr.  g)7jy6g  goth.  böka,  gr.  rjövg  ahd.  suozi,  gr,  ^}jv 
^rjvr]  ags.  möna,  goth.  mßna,  ahd.  mäno.  nrjvog  lat.  panus  scheint 
ablaut  zu  ahd.  fano,  ags.  fona  und  verschieden  jvon  dem  zu  funan 
857  gehörigen  fön  (s.  847).  skr.  käs  tussire,  litth.  köstu  tussio,  ahd. 
huosto  tussis,  böhm.  kaSel,  poln.  kaszel;  skr.  jära  adulter  goth.  hörs, 
von  einem  gramm.  2,  42  vermuteten  haran  hör  mingere.  Wie  im 
pl,  ablaut  der  zweiten  conj.  'S  und  0  scheinen  auch  hier  A  und  H 
gleich  berechtigt.  In  der  lat,  schwachen  conj,  entspricht  A  dem  0 
der  gothischen  z.  b.  in  piscäri  piscätus:  fiskön  fisköJ)S.  Als  lebendigen 
ablaut  wüste  ich  blosz  lat.  lavo  lävi,  caveo  cävi,  faveo  fävi,  paveo 
pävi  anzuführen;  alo  hat  alui,  käme  es  mit  altn.  ala  öl  auch  in  der 
form  überein,  so  müste  es  lauten  alo  äli.     O'cfAA.o*  ts&rjla,  Q^djcc)  ts- 

Das  goth.  EI  AI  I  vierter  conjugation  begegnet  sichtbar  grie- 
chischem EI  Ol  I,  wodurch  zugleich  das  hohe  alter  des  goth.  EI 
für  das  theoretische  UI  gerechtfertigt  scheint,  ausnahmsweise  steht 
JI  =  lat.  AE  und  goth.  AI  in  aid'cav  ignis  goth.  aids,  ags.  ad,  ahd. 
eit  (vgl.  Ahvf]  lat.  Aetna),  in  Ol  ist  O  an  die  stelle  von  A  ge- 
treten, wie  wir  vorhin  gr.  6  =  goth.  sa  erblickten,  elöo  oida  id^sv 
deckt  sich  mit  goth,  veita  vait  vitum,  und  olöd-a  mit  vaist.  ccEida 
doLÖog.  iBLTta  liXoma  ilinof.iBV  =  leiba  laif  libum,  welches  aus  laifs 
loiTtog  zu  folgern,  goth.  teiha  taih  taihum  weist  auf  ein  fehlendes 
ÖbUcü  dedofna  sdtxo^BV,  wovon  öbIkw^l  übrig  ist.  goth,  laiga  laig 
ligum,  dessen  schwache  ableitung  laigö  allein  vorkommt,  würde  ein 
gr.  kBtxco  XbXolxcc  bUxo^bv  darthun,  bIkb  II.  18,  520  videbatur,  'eoixa 
videtur.  nBlnat  und  KOLiidco  gehören  dem  ablaut  und  begriffe  nach 
zusammen,  nco^rj,  der  ort  wo  die  leute  schlafen,  ist  Verengung  von 
yioi^rj,  aber  dem  litth.  kiemas  vicus,  wie  dem  goth.  haims  altn.  heimr 
entsprechend,  so  dasz  die  volle  formel  heima  haim  himum  wäre,  h^og 
(mit  ],  früher  hinog)  fames  und  koi^og  pestis;  vgl.  altn,  sultr  f, 
sveltr  fames,  goth.  sviltan  mori,  svults  mors.  TtBi&a)  nBLöo)  nmoid^a 
Bm^ov.  ÖBido  ÖBÖLd  ÖBÖOLiccc.  auf  ^BiXG)  ^BfiOLxcc  =  goth.  meiga  maig 
weisen  öiiixa  und  fioixog,  vgl.  oben  s,  305  und  vorhin  haran  hör. 
ötbLxoü  ötoixog  Orixog.  TBtxog  murus,  moenia,  TOt^og  murus,  paries, 
wozu  auch  TBXVf]  kunst,  baukunst  gehört,  das  für  TBtxvrj  gesetzt  scheint 


ABLAUT  595 

in  unsrer  spräche  gleich  ahd.  dich  fossa,  vallum,  piscina,  wofür  man  858 
aber  ags.  |)ic,  nicht  die  erwarten  sollte,  wie  r£%v7j  für  rBl%vrj  (oder 
altn.  flestr  für  fleistr,  tcXblötos)  steht  nun  auch  s^co  für  Etj^cj,  dessen 
imp.  £l%ov  augmentiert  ist,  wie  bltcov  von  mco,  mit  fl'^^w  aber  knüpft 
sich  der  ablaut  OLXOnai,  dem  genau  das  AI  des  goth.  aih  und  aigum 
entspricht*.  a^Elßa  ccfioißi],  encc^Elßco  ma^ioißog.  ^elgofiai  ^£Qog 
(xoiQcc.  TiXüco  Ttlsiäg  nXolov.  nvüa  nvocrj  (vgl.  nvhco  nvot]  nach 
zweiter  conj.).  elg  läszt  sich,  doch  besser  olog  für  otVog  (s.  241)  zu 
goth.  ains  halten  und  das  litth.  wienas  hat  IE,  wie  vorhin  in  kie- 
mas.  Einigemal  steht  gr.  Ol  nicht  dem  goth.  AI,  sondern  EI  gegen- 
über: oixog  veihs;  olvog  vein;  in  noLnUog  aber  faihs  ahd.  feh.  gr. 
EI  schwankt  in  das  E  zweiter  conjugation,-  wie  dort  telvco  svsi^a 
ydvo^ai  cp^ÜQCo  und  hier  %a3  xix'vy}  Tcvia  und  ^BQog  zeigen,  dem 
griech.  ötelqk  entspricht  lat.  sterilis  mit  kurzem,  goth.  stairö  mit 
gebrochnem  vocal. 

Wichtig  wird  hier  das  lat.  lautverhältnis  U  OE  I  =  goth.  EI  AI 
I,  was  dem  s,^845  gefundnen  UI  für  EI  neue  bestätigung  bringt;  das 
verdichten  in  ü  ist  leicht  zu  begreifen,  da  coelum  dem  gr.  aoilrj 
und  altn.  heili  (s.  681),  coecus  dem  goth.  haihs,  hoedus  dem  goth. 
galt  entspricht;  so  scheint  pünio  in  poena,  münio  in  moena  abzu- 
lauten, und  lat.  iinus  weniger  oiog  als  dg,  communis  weniger  das 
goth.  gamains,  als  ein  nicht  bestehendes  gameins.  doch  ist  auch 
spilma  ahd.  feim,  ags.  fäm,  südor  ahd.^sueiz,  ags.  svät,  man  nehme 
es  dann  ^für  svoedor.  Auszer  dem  ü  erscheint  aber  in  einzelnen 
Wörtern  I,  welches  genau  dem  ahd.  ags.  altn.  I  entspricht:  fides  fidus859 
lauten  ab  in  foedus;  civis  ist  goth.  heiv,  ags.  hiv;  vlnum  goth.  vein, 
ahd.  win;  so  rechtfertigt  sich  ahd.  pinön  trucidare,  tribulare  aus  lat. 
pxlnire.  den  Sabinern  hiesz  der  lat.  Liber  Loebasius**.  Dem  goth. 
AI  näher  wird  auch  AE  für  lat.  OE  geschrieben:  caelum  haedus 
maestus  und  so  begreift  sich  caedo  neben  ciido.  des  Tacitus  Schrei- 
bung Aestii  (s.  719)  stimmt  nicht  allein  zu  der  angenommnen  abkunft 
des  namens  aus  goth.  aistan,  sondern  auch  zu  des  P;^theas  'Slörlcovss 
für  OlöticiVEg  (wie  oica^fj  f.  y.ni^r]).  Verdichtetes  E  für  OE  wäre 
dem  I  für  EI  analog,  und  scheint  in  der  späteren  Schreibung  des 
mittelalters,  welche  hedus  fedus  cecus  d.  i.  h6dus  fedus  c6cus  an  die 
stelle  von  hoedus  foedus  coecus  setzt,  und  in  den  romanischen  spra- 
chen umzugreifen;  gleichwol  besitzt  es  auch  schon  das  alte  latein  in 


*  die  Vermittlung  der  begriffe  lehrt  öd'/jo,  ich  gehe,  fahre  hindurch, 
und  avh-^oi,  ich  trage,  halte  (wie  sich  auch  halten  und  haben  vertreten). 
oifjioq  via  scheint  verwandt,  vielleicht  otaw  feram  und  sogar  alts.  chu,  das 
gehende  oder  tragende  thier,  wofür  oben  s.  30  goth.  aihvus  =  lat.  equus 
vermutet  wurde,  ex^o  ist  demnach  nicht  für  /^g'xo  =  veho  zu  halten  (Bopp 
vgl.  gr.  s.  639)  und  man  unterscheide  von  e^^  aig  sowol  aym  lat.  ago, 
altn.  ek  6k,  sl.  vedu  (oben  s.  60)  als  skr.  vahämi,  zend.  vazämi,  sl.  vezu, 
lat.  veho,  goth.  viga,  wovon  o^oq  =  ahd.  wakan  (s.  60),  so  nah  sich  die 
liegen,  denn  öxso)  heiszt  auch  ich  trage,  ertrage. 

**  in  der  ausspräche   mochte  U  und  OE   (punio  poena)    an  einander 
grenzen,  etwa  wie  das  niederländische  OE  den  laut  D  empfängt. 

38* 


596  ABLAUT 

allen  schwaclien  verbis  auf  -6re,  wie  das  goth.  AI  ausweist,  wovon 
näher  cap.  XXXIV.  Den  kurzen  urlaut  I  kann  ich  nur  in  video  auf- 
zeigen, das  mit  vitum  und  Xd^sv  parallel  steht,  wie  das  I  in  vidi  mit 
Ei  in  veita  und  sida),  dem  Ai  in  vait,  Ol  in  olda  entsprechendes  hat 
das  latein  nichts;  gerade  so  ist  I  in  dico  dicare,  I  in  idlco  dicere, 
nichts  dem  goth.  taih  gleiches,  aber  video  vidi  gleicht  dem  caveo 
cävi  wie  goth.  vitum  vait  dem  faran  for.  überhaupt  zeigt  die  ge- 
samte lat.  spräche  keine  wurzel,  durch  welche  die  formel  Ü  (1)  Ol  I 
lebendig  waltete. 

Im  Sanskrit  sehn  wir  dem  goth.  EI  AI  I  gegenüber  I  £  I,  was 
völlig  gleich  käme-  der  alts.  bezeichnung  dieser  laute,  E  heiszt  guna 
von  I,  d.  h.  es  ist  AI  und  entspringt  durch  ein  dem  I  vorgetretnes  A. 
zu  olda  W^sv,  vait  vitum  ^stimmt  vollkommen  veda  vidima  (praes. 
vedmi  vidmas),  doch  kein  I  zeigt  sich  in  diesem  verbum,  wie  eigent- 
•  lieh  auch  gr.  £töa)  und  goth.  veita  (in  solchem  sinn)  nicht  vorhanden, 
blosz  zu  füUung  der  formel  anderswoher  entnommen  sind.  skr.  ömi 
pl.  imas  hat  hingegen  gr.  eifit  pl.  l^bv  sich  zur  seite,  d.  h.  bl^l  steht 
860  für  oi[iu  auch  im  skr.  phßna,  sl.  pjena,  litth.  pienas  darf  sich  E  dem 
goth.  AI  vergleichen,  wenn  man  aus  ahd.  feim,  ags.  fäm  ein  goth. 
faims  schlieszen  mag.  bhid  Andere  ist  das  goth.  bitan,  und  hat  im 
praet.  bibheda  pl.  bibhidima.  mßgha  nubes  weist  neben  dem  gr. 
o^iyXri  und  litth.  migla  auf  die  wurzel  migh,  welcher  das  altn.  miga 
meig,  lat.  mejere  mingere  und  das  goth.  maihstus,  vielleicht  auch 
milhima  nubes  gehören,  was  nach  Bopp  Umstellung  von  miglma  maihlma 
ist.  hingegen  äv6tas  ist  goth.  hveits,  deha  vielleicht  goth.  leik  (s.  354). 
für  lat.  aes,  goth.  ais  gilt  skr.  ajas,  ungefähr  wie  goth.  mais  zu  majis, 
lat.  magis,  und  goth.  aikan,  ahd.  göhan  zu  lat.  ajere  sich  verhalten. 

Dem  goth.  lü  AU  U  fünfter  conjugation  zunächst  treten  wieder 
die  gr.  ET  OT  T,  doch  verengen  sich  ET  in  langes  T,  OT  in  Si; 
aber  vollständig  entfaltete  verba  beibringen  kann  ich  nicht,  ibvco 
(gewöhnlich  schon  xbgi)  xbv6(o  %i%vy.a  By^vöa  gleicht  dem  goth.  giuta 
gutum,  %ovg  (ahd.  guzfaz,  nhd.  gieszfasz)  wird  gedeutet  aus  %6os, 
aber  ovg  ist  offenbar  goth.  ausö.  -jivbvco  (gewöhnlich  tivbco)  TtvBvöo) 
nBTivevxa  ninw^ai  und  davon  Ttvovs  flatus  f.  Tcvöog.  (pBvyo)  tib- 
(pBvya  nBcpvyfiUL,  doch  der  volle  ablaut  sollte  formen  wie  xbxovxu 
ninvovnDL  Tiicpovya  zeigen!  y-Bv^w  hbvOco  HBJCBv&a  büv&ov  xv&og. 
yiBv&ca  notitia,  TiBv&o^ai  ninvö^ai  B7tv&6^ijv.  qbc3  f.  qbvoj,  qbv^cc 
QBvöig  QvöLg.  kBVicög  stellbar  zu  goth.  liuhadeins  und  lat.  lucidus, 
jiBvar]  zu  ahd.  fiohta,  tcvq  zu  ahd.  fiuri  und  lat.  pürus,  dgvg  zu  triu, 
aXvQ'i  'kXvtb  zu^ahd.  hlos6  hlos6t! 

Im  latein  U  AU  U,  doch  wieder  nicht  in  einem  verbum  aufzu- 
weisen, nur  aus  einzelnen  Wörtern  zu  gewinnen,  auris  entspricht 
dem  goth.  ausö,  litth.  ausis,  augeo  dem  goth.  auka.  fugio  fügi  dem 
gr.  (pBvyGJ,  düco  dem  goth.  tiuha,  und  wie  neben  dlco  ein  dico,  so 
neben  düco  ein  duco  in  educare;  fugio  fügi  analog  dem  video  vidi, 
caveo  cävi.  das  verengen  von  plaudo  in  plödo  gleicht  dem  des  goth. 
band  in  ahd.  pöt.    claudo  (ahd.  sliuzu)  nimmt  an  reclüdo  inclüdo. 


ABLAUT  597 

Im^sanskrit  ü  0  ü  wiederum  gleich  dem  alts.  ablaut  lüku  lök 
lukun.  0  ist  guna  des  U,  folglich  Aü  und  dasz  es  ursprünglich  so  861 
ausgesprochen  wurde  lehrt  die  heilige  formel  6m  =  aum,  welche  mit 
den  drei  buchstaben  A  ü  M  die  göttliche  trinität  Brahma  Vishnus 
Sivus  ausdrückt  (Bopps  gloss.  61*).  die  wurzel  bhudsch  flectere  bil- 
det ihr  praet.  bubhödsch  =  goth,  biuga  baug  bugum,  die  wurzel  rud 
plorare  ruröda  =  ahd.  riuzu  roz  ruzum,  die  wurzel  budh  novisse 
bubödha.  im  litth.  raudoti  flere  rauda  fletus  erscheint  der  zum  goth. 
AU  stimmende  diphthong. 

Die  Untersuchungen  dieses  capitels  haben  das  ergebnis,  dasz  der 
ablaut  in  unsrer  spräche  dem  wesen  und  der  natur  des  vocalismus 
am  treusten  bleibt  und  eine  gewaltige  regel  aus  ihm  entfaltet,  die 
in  den  urverwandten  sprachen  bedeutsame  Vorzeichen  ankündigen; 
dasz  zwar  die  deutschen  laute  den  lateinischen  zunächst  treten,  aber 
die  griechische  spräche  vor  allen  andern  in  vorneigung  zum  ablaut 
mit  der  unsrigen  grosze  gemeinschaft  zeigt. 

Wenn  häufig  in  deutscher  spräche  einzelne  nomina  im  ablauts- 
verhältnis  stehn,  ohne  dasz  verba  dazwischen  walten;  so  bin  ich  nicht 
gemeint,  immer  den  bestand  einer  wirklichen  verbalform  aus  der 
formel  zu  folgern  und  zu  behaupten,  die  spräche  ist  so  von  dem 
ablaut  durchdrungen,  dasz,  könnte  man  sagen,  einzelne  Wörter  von 
selbst  in  ihn  rinnen,  zum  beispiel  das  ahd.  ahsa  axis,  ahsala  axilla 
und  uochasa  ascella  sind  sich  unmittelbar  verwandt,  doch  gab  es 
vielleicht  nie  ein  verbum  ahsan  uohs,  so  genau  dies  gebildet  wäre 
wie  wahsan  wuohs.  nicht  anders  steht  dem  goth.  asts,  ahd.  ast  ra- 
mus  das  altn.  ost  arteria  aspera,  ags.  ost  nodus,  squama,  alts.  ost 
nodus  in  ligno*  zur  seite,  ohne  dasz  man  berechtigt  würde  schon  ein 
astan  uost  aufzustellen. 

Diese  herschaft  der  ablaute  wird  sich  noch  viel  weiter  ausge-862 
dehnt  zeigen,  ihr  gesetz  waltet  zwar  wesentlich  mitten  in  den  wur- 
zeln, allein  es  äuszert  auch  merkwürdigen,  der  beobachtung  bisher 
entgangnen  einflusz  auf  die  flexionen  und  wortableitungen.  Im  all- 
gemeinen sei  hier  blosz  angekündigt,  dasz  wie  die  kurzen  vocale  basis 
der  aufsteigenden  ablaute  sind,  auch  in  der  verbalen  flexion  kurzer 
vocal  den  indicativ,  in  der  nominalen  das  masculinum,  langer  hin- 
gegen dort  den  conjunctiv,  hier  das  femininum  behersche. 

Welcher  Zusammenhang  zwischen  ablaut  und  einem  andern  bil- 
dungsmittel  der  spräche,  das  er  zu  begleiten  pflegt,  obwalte,  soll  das 
nächste  capitel  ins  rechte  licht  setzen. 

*  im  gedieht  von  der  Soester  fehde  (1445—1447)  s.  591.  648.  671.  700 
die  redensart  'hoggen  op  einen  oest '  (:  Soest) ,  auf  einen  knoten  im  holz 
hauen,  d.  h.  Schwierigkeiten  finden,  in  einem  lied  auf  die  Hildesheimer 
stiftsfehde  (1519)  s.  194  'hau wen  up  den  quast',  mit  derselben  bedeutung. 


XXXIIT. 
DIE  REDUPLICATION. 


863  Wie  der  einfache  vocal  durch  vortritt  eines  andern  guniert 
oder  diphthongiert  wird  und  wie  dann  die  wurzel  ablautet  haben 
wir  gesehn;  dem  sprachgenius  steht  aber  noch  eine  aushülfe  zu  ge- 
bot :  er  läszt  den  anlaut  der  wurzel  selbst  vortreten  und  sich  doppeln, 
das  wort  wird  gleichsam  erst  schwächer  und  zur  hälfte  angeschla- 
gen, um  dann  nochmals  desto  voller  und  vernehmlicher  zu  erschallen. 

Am  nachdrücklichsten  wirkt  diese  Verdoppelung,  wenn  nicht  das 
halbe,  sondern  ganze  wort  sich  selbst  vorangeht,  z,  b.  im  ahd.  sösö 
(goth.  svasve),  dohdoh,  lat.  quamquam  u.  s.  w.  unsere  spräche  liebt 
es,  nach  dem  grundsatz  der  ersten  und  zweiten  reihe  des  ablauts, 
dem  Alaut  einen  I  oder  ülaut  vorher  zu  schicken,  sei  es  in  losen 
oder  zusammengefügten  Wörtern,  z.  b.  blicken  blacken  Helbl.  3,317; 
timpen  tampen  Tit.  190;  enplipfes  und  enplapfes  Helbl.  3,  364;  wi- 
gen  wagen;  gugen  gagen;  glunken  glanken;  singsang;  Wirrwarr; 
noch  mehrere  sind  gramm.  1,  562  gesammelt,  aus  welchen  allen  man 
einen  schlusz  für  den  höheren  rang  des  A  ziehen  könnte,  insofern 
die  laute  der  vorangestellten  Wörter  oder  silben  nur  eine  zweite, 
schwächere  potenz  zu  enthalten  scheinen. 

Solche  volle  Wiederholungen  sind  jedoch  zu  lebhaft,  um  anders 
als  sparsam  in  der  rede  verwandt  zu  werden,  und  ungeeignet  einen 
wohlthätigen  hebel  der  flexion,  der  allenthalben  auftreten  musz,   zu 

864  begründen,  die  spräche  ist  ihrem  innersten  wesen  nach  haushältig 
und  zieht  was  sie  mit  geringen  mittein  erreichen  kann  jederzeit 
gröszerem  aufwand  vor. 

Angemessener  in  diesem  sinn  scheinen  demnach  substantiva  ge- 
bildet, welchen  es  genügt  einen  theil  der  wurzel  vorauszusenden,  ein 
merkwürdiges  altes  beispiel  ergibt  das  ahd.  wlwint  turbo  (Graff  1, 
624),  das  ich  in  goth.  vaivinds  übertrage,  und  gerade  denselben  be- 
grif  drückt  auch  gr.  AatAat/',  von  der  wurzel  Xa^ßavco  slaßov  Xa- 
ßov(iai  aus,  das  wort  wird  durch  die  doppelung  intensiver  und  er- 
reicht die  Vorstellung  des  stürmenden  Wirbelwinds;  auch  ^ai^ia^  von 


REDUPLICATION  599 

fxaifjiac)  (laifiaööco  enthält  sie*,  ahd.  fifaltra  flfaltara,  nocli  heute 
in  Oberdeutschland  feifalter  pfeifalter,  ags.  fifealde,  verderbt  in  fiflFalde, 
nnl.  vijfwouter  scheint  minder  dem  lat.  papilio,  prov.  papalho  par- 
palho,  lomb.  parpalia,  it.  farfalla  nachgeahmt,  als  das  urverwandte, 
vortrefflich  erfundne  wort,  weil  der  Schmetterling  seine  flügel  faltet 
und  entfaltet  und  wie  ein  zeit  auf  und  zusammenschlägt;  vielleicht 
wurde  dieser  name  des  zelts  eher  von  dem  thier  entnommen,  als  um- 
gekehrt, nicht  zu  übersehn,  dasz  unsere  spräche  auch  alle  Schmetter- 
linge einfach  falter  zwiefalter  tagfalter  nachtfalter  nennt,  wahrschein- 
lich gehört  zu  papilio  noch  das  gr.  i^ma^ng  tjTilnlos  Schmetterling, 
alp  und  fieber,  dessen  Ursache  man  dem  geisterhaften  thier  beilegte 
(mythol.  s.  1107).  das  altn.  fidrildi,  schwed.  fjäi'il  weicht  aus  in  die 
Vorstellung  eines  staubgefiederten  vögleins. 

Im  latein  zeigen  sich  mehr  solcher  wollautenden  namen,  zumal 
für  thiere,  und  es  kann  dabei  onomatopoeie  mitwalten,  das  zirpende 
heimchen  (ahd.  heimili,  muhheimo)  heiszt  cicäda,  wie  xEtti^  zu  stehn 
scheint  für  TETQi't;  der  klappernde  storch  ciconia,  der  rufende  gauch 
cucülus,  gr.  KüKxv^,  skr.  kökila,  poln.  kukawka,  serb.  kukavatz  ku- 
kavitza;  deutsche  Volkslieder  des  16  jh.  haben  gutzgauch,  gleichsam 
den  gugetzenden  vogel.  noch  heute  sagen  wir  für  gans  gigak,  für 
schnattern  gigaken  (Schiller  schrieb  gagaken).  der  glühwurm  heiszt  865 
lat.  cicindela,  worin  candela  steckt.  Aber  noch  auszer  thiernamen 
reduplicieren  andere  schall  und  bewegung  ausdrückende  Wörter;  in 
der  Schweiz  ist  gigampfe  Schaukel  und  gigampfen  schaukeln,  be- 
kannter sind  die  lat.  susurrus,  cincinnus,  tintinnum  und  tintinnio. 

Aber  die  griechische  spräche  entfaltet  auch  in  diesen  beziehungen 
eine  solche  fülle,  dasz  ich  beispiele  nur  anrühren  kann  und  auf  an- 
dere arbeiten  verweisen  musz**.  die  adjectiva  öaidakos,  kunstfertig, 
TiaiTcalog  steil  führen  auf  participia  daLÖalosig  naiTcaXoBig ,  also  auf 
die  verba  daiddlla)  nuiTiälla,  in  welchen  aber  die  Verdoppelung 
durch  das  ganze  verbum  reicht,  wie  im  lat.  susurro,  titillo,  titubo. 
gr.  niQTiEQog  lat.  perperus  mögen  sich  berühren  mit  atopg)Vßa  lat.  pur- 
pura,  vielleicht  mit  der  neugriechischen  UvQTtrjQOVVa  (mythol.  s.  561). 
Eeduplication  scheint  ferner  das  lat.  memor,  memoro,  memoria,  wozu 
ags.  mimor  meomor  gemimor  und  irisches  meamhair  memoria  bedeut- 
sam stimmen;  gehört  dahin  fii^so^ai,  Mi^ag  und  der  göttliche  Mimi 
unsers  alterthums  (mythol.  s.  352),  so  gliche  dieser  wie  im  begrif 
auch  in  der  namensbildung  dem  gr.  ziaiöalog. 

Man  darf  erwarten,  dasz  ebenwol  im  sanskrit  eine  fülle  solcher 
bildungen  vorhanden  ist,  z.  b.  vivadha  bedeutet  weg  und  zugleich 
pferd  (vgl.  oben  s.  858);  viväha  nuptiae,  vivähja  gener;  tittiri  rerQi^ 
oder  TSTQKcov,  litth.  teterwa;  pippala  ficus  religiosa  u.  a.  m. 


*  Zeus  hiesz  /xaißüxxrjq  (oben  s.  76),  der  Wirbelwind,  wie  Ziu  und 
Phol  turbo  (mythol.  184.  262.  599);  Wuotans  wildes  beer  fährt  zur  zeit  der 
herbststürme  im  monat  MaifiaxiijQiwv. 

**  Heinebach  de  graecae  linguae  reduplicatione  praeter  perfectum  Gis- 
sae  1847  sammelt  reichlich  und  prüfend. 


600  REDUPLICATION 

Eeduplication  im  eigentliclien  verstand  ist  vorhanden,  wenn  sie, 
gegenüber  der  einfachen  gestalt  des  praesens,  das  praeteritum  aus- 
drückt, wie  der  ablaut  gegen  den  vocal  des  praesens  absticht,  hebt  die 
Wiederholung  des  wurzelanlauts  den  begrif  der  Vergangenheit  heraus. 

Unter  den  deutschen  sprachen  gibt  fast  nur  die  gothische  redu- 
plicationen  kund ;  in  allen  übrigen  sind  sie  verwischt  und  verwandelt. 

866  Durchgehends  hat  die  gothische  reduplicationssilbe  den  diph- 
thongischen laut  AI,  über  den  man  sich  nicht  durch  das  lat.  und 
griech.  E  [skr.  A,  I,  U]  an  derselben  stelle  irren  lasse*,  was  die 
consonanz  betrift,  so  kann  kein  zweifei  obwalten,  wenn  die  wurzel 
mit  einfacher  anlautet,  von  mehrfacher  consonanz  geht  nur  der  erste 
buchstab  in  die  reduplication,  d.  h.  von  HL  SL  BL  FL  J)L  BN  PR 
FR  GR  nur  H  S  B  F  ]D  B  P  F  G;  doch  haften  die  festeren  Verbin- 
dungen SP  SK  ST  und  HV,  letztere  fast  noth  wendig,  weil  dafür  in 
der  Schrift  das  unauflösbare  zeichen  0  dient. 

Wichtig  ist  nun  das  Verhältnis  der  reduplicier enden  verba  zu 
den  ablautenden :  reduplicieren  können  nur  solche  gothische  wurzeln, 
deren  vocal  einem  ablaut  des  praet.  entspricht;  kein  reduplicierendes 
goth.  verbum  hat  den  vocal  des  praesens  der  ablautenden. 

Hiernach  ergeben  sich  vorerst  fünf  reduplicierende  conjugationen, 
den  fünf  ablautenden  parallel. 

I.  halda  haihald  haihaldum  haldans.  valda  vaivald  vaivaldum 
valdans.  gastalda  gastaistald  gastaistaldum  gastaldans.  salta  saisalt 
saisaldum  saltans.  faljja  faifal^  faifalj)um  falj)ans.  usalj)a  (senesco) 
usaial|)  usaialj)um  usal|)ans.  pragga  paipragg  paipraggum  praggans. 
blanda  baibland  baiblandum  blandans. 

n.  faha  faifah  faifahum  fahan.  haha  haihah  haihahum  hahans. 
mutzumaszen  vielleicht  ara  aiar  aiarum  arans,  neben  dem  schwachen 
arja  arida.  langes  E  des  pluralablauts  hat  sl6pa  saizl6p  saizl6pum 
slßpans  und  vermutlich  auch  bl6sa  baibl6s  baibl6sum  blösans. 

III.  hvöpa  hvaihvöp  hvaihvöpum  hvopans.  blöta  baiblöt  bai- 
blötum  blötans. 

IV.  afaika  afaiaik  afaiaikum  afaikans.  laika  lailaik  lailaikum 
laikans.  gaplaiha  gaj)aij)laih  gapaijjlaihum  gaj)laihans.  skaida  skai- 
skaid  skaiskaidum  skaidans.  haita  haihait  haihaitum  haitans.  maita 
maimait  maimaitum  maitans.     fraisa  faifrais  faifraisum  fraisans. 

V.  hlaupa  haihlaup   haihlaupum  hlaupans.     auka  aiauk  aiau- 

867  kum  aukans.  flauta  (superbio)  faiflaut  faiflautum  flautans.  stauta 
staistaut  staistautum  stautans.  wahrscheinlich  auch  bauta  (tundo) 
baibaut  baibautum  bautans. 

Das  einzige  slöpan  und  bl6san  befremdet,  sie  tragen  den  plural- 
ablaut  slipa  slap  slßpum,  blisa  blas  blßsum  zur  schau,  obwol  kein 
reduplicierendes  verbum  auf  U,  I,  ü  mit  den  pluralablauten  der  ersten 
vierten  fünften  reihe  gebildet  erscheint,  vielleicht  ist  dem  sl6pan  ahd. 
släfan  analog,  dasz  goth.  fahan  und  hahan  ahd.  fähan  und  hähan  lauten. 


*  von  Aufrecht  bestritten,   zeitschr.  1,  475. 


REDUPLICATION  601 

Es  sind  aber  auszerdem  noch  drei^  reihen  anzusetzen,  welchen 
eigen  ist,  der  reduplication  den  ablaut  0  zu  gesellen. 

VI.  fleka  faiflök  faiflokum  flekans.  teka  taitök  taitökum  tßkans. 
r6da  rairö|)  rairodum  r6dans.  gr6ta  gaigröt  gaigrotum  grßtans.  l6ta 
lailot  lailötum  letans.  bedenklich  scheint  das  aus  der  unsichern  les- 
art  saisvor  Marc.  6,  19  gefolgerte  svßran  insidiari,  und  durch  keine 
analogie  gestützt,  denn  ags.  servian,  ahd,  sarön  würde  allenfalls  auf 
sarvan  saisarv  nach  I  führen,  vgl.  goth.  sarva  machinae. 

VII.  laia  lailö  lailöum  laians.  saia  saisö  saisöum  saians.  vaia 
vaivö  vaivöum  vaians.  zu  vermuten  auch  faia  (^s^cpo^ai)  faifö  fai- 
föum  faians  und  maia  (meto)  maimö  maimöum  maians. 

VIII.  baua  baibö  baiboum  bauans.  bnaua  baibnö  baibnöum 
bnauans,  welche  beide  noch  des  belegs  fürs  praet.  ermangeln,  baua 
baibau  nach  V  ist  so  wenig  annehmbar,  als  saia  saisai  gilt;  auch 
scheinen  VII  und  VIII  gerade  vocalisch  ausgehende  wurzeln  zu  ent- 
halten, deren  AI  und  AU  des  aufschlusses  bedarf  und  dem  in  IV 
und  V  ungleich  ist.  hauan  haihö  fehlt  bei  ülfilas  durchaus,  er  ver- 
deutscht ÖsQBLv  durch  bliggvan  oder  slahan. 

Von  den  übrigen  deutschen  sprachen  gewährt,  wie  schon  s.  661 
gesagt  wurde,  die  ags.  unverkennbare  Überreste  der  reduplication, 
doch  nur  in  vier  Wörtern,  die  ich  in  Andr.  und  Elene  aufgewiesen 
habe:  läce  leolc  leolcon  läcen;  hätan  höht  hehton  häten;  Igete  leort 
leorton  Iseten;  rsede  reord  reordon  rseden  und  ebenso  ondrsede  ondreord 
ondreordon  ondraeden.  wer  sieht  nicht  in  leolc  höht  reord  zusam- 
mendrängungen von  Iseläc  hsehät  rseröd  =  goth.  lailaik  haihait  rai- 
röd?  entstellter  ist  leort,  vielleicht  nach  analogie  von  reord?  aus! 
Iselot  leolt,  welche  letzte  form  angemessen  schiene;  immer  sind  es 
noch  die  wurzelhaften  anlaute  L  H  R,  die  mitten  im  praet.  auftau- 
chen, man  dürfte  andre  mehr  rathen,  für  feallan  ein  altes  feofell, 
für  heävan  heoho,  für  sävan  (serere)  seoso,  für  mävan  (metere)  meomo, 
für  grsetan  geort  =  geogret,  doch  die  Verengung  kann  verschiednen 
weg  eingeschlagen  haben. 

Im  ahd.  bietet  sich  bei  Kero  (ed.  Hattemer  p.  57)  dar  piheialt, 
das  noch  nahe  liegt  an  piheihalt  =  goth.  bihaihald;  warum  sollte 
die  ältere  spräche  nicht  auch  heiheiz,  leiläz,  meimeiz  =  haihait,  lailot 
maimait  besessen  haben?  jenes  wichtige  fifaltara  läszt  ein  ahd.  fifalt 
feifalt  =  goth.  faifal|)  vermuten,  das  keronische  heialt  ist  schätz- 
bar auch  darum,  weil  es  ahd.  EI  an  der  stelle  des  goth.  AI  zeigt, 
und  uns  des  echten  diphthongs  nochmals  versichert. 

Weitere  spur  hat  die  altn.  spräche,  sie  bildet  von  röa  remigare 
ein  praet.  reri,  von  soa  serere  seri,  wo  die  ags.  spräche  rövan  reov, 
sävan  seov  bietet,  man  weisz  nicht,  wie  die  Gothen  rudern  ausdrück- 
ten, röan  oder  raian?  das  praet,  unbedenklich  rairö,  welches  im  altn. 
reri  übrig  ist;  seri  aber  steht  für  sesi  seso  =  goth.  saiso,  und  selbst 
das  lat.  sero  scheint  aus  seso  entsprungen,  folglich  reduplicative  form. 
Aber  nun  musz  auch  altn.  groa  virere  praet.  greri,  ags.  grövan  greov 
ein  goth.  groan  gaigrö  sein,  während  nüa  neri  dem  goth.  bnaua  baibnö, 


602  REDÜPLICATION 

allein  snüa  sneri  dem  blosz  ablautenden  snivan  snau  gegenüber  liegt, 
gnüa  fricare  praet.  gneri  scheint  gleichviel  mit  nüa*.  ans  snivan 
snau  könnte  sich  redupliciei-endes  snauan  saisnö  entfaltet  haben?** 

869  Nun  fragt  es  sich  vor  allem :  was  ist  aus  den  goth.  reduplicie- 
renden  Wörtern  geworden,  seit  ihre   eigenthümliche  form  erlosch? 

Statt  des  ags.  hebt  leolc  leort  reord  stellt  sich  bald  het  Ißc  Ui 
r6d  ein,  statt  des  ahd.  heialt  hialt  (vielleicht  erst  hialt,  wie  flfaltara?) 
und  helt,  und  in  allen  übrigen  Wörtern  herscht,  ohne  spur  des  redu- 
plicierenden  consonants,  ein  diphthongischer,  wie  es  scheint,  zusam- 
mengedrängter vocallaut,  ags.  EO  oder  E,  ahd.  lA  IE  oder  E:  ags. 
heold  =  haihald,  veold  =  vaivald,  feng  =  faifah,  sceod  =  skai- 
skaid,  hleop  =  haihlaup,  sl6p  =  saisl6p,  l6t  =  lailöt,  grßt  =  gai- 
gröt;  ebenso  ahd.  hialt  wialt  fiang  sciad  hliaf  sliaf  plias  liaz,  oder 
auch:  healt  wealt  oder  helt  w6lt  fßng.  Also  scheint  der  schlusz  ge- 
stattet: wie  l6c  auf  leolc  lailaik,  h6lt  hialt  auf  heialt  heihalt  haihald 
zurückführen,  setzt  auch  in  allen  übrigen  die  verengte  form  eine  immer 
weitere  und  ursprünglich  reduplicierende  voraus. 

Einigemal  bietet  Notker,  der  sonst  liez  hielt  hieng  scied  u.  s.  w. 
mit  IE  schreibt,  lü,  nemlich  howen  hiu  hiuven  und  loufen  liuf  liufen; 
wirkte  hier  das  U  des  diphth.  Aü  OU  in  haihlaup  haihlaupum  nach? 
oder  das  0  im  vermuteten  haih6  haihöum?  Tatian  gewährt  hio  Hof 
und  von  ruofan  riof,  von  wuofan  wiof,  neben  liez  hielt,  während  bei 
Otfried  liaz  hialt  zu  liaf  riaf  wiaf  stimmen;  wissen  möchte  ich,  ob 
dieser  von  howan  gleichfalls  hia  bildete?  Noch  mhd.  dauern  solche 
unterschiede:  hiu  Nib.  2221,  3  hiuwen  Nib.  2215,  1  und  liuf  Nib. 
877,  3  in  C,  liufen  Er.  2447,  neben  hiew  Wh.  392,   16  hiewen  und 

870  lief  liefen  bei  den  meisten***,  und  von  ruofen  finde  ich  blosz  rief 
riefen;  kaum  noch  darf  man  zu  bouwen  und  nouwen  ein  starkes  biu 
und  niu  erwarten. 

Aus  gleichem  gründe  steht  den  altn.  falla  feil,  halda  helt,  blanda 
blött,  ganga  göck,  hanga  hock,  sveipa  sv6p,  heita  het,  leika  l6k,  grata 
gr6t,  lata  let,  bläsa  bl6s  entgegen  hlaup  hliop,  ausa  ios,  höggva  hio, 
bua  bio,  und  bl6s  neben  ios  bestätigt  mir  den  angenommnen  unter- 
schied zwischen  goth.  baiblßs  und  baibö  =  altn.  bio,  haihlaup  =  altn. 
hliop,  ahd.  liuf,  obschon  gaigröt  lailöt  altn.  gret  l6t  lauten,  ahd.  liaf 
und  liuf,  mhd.  lief  und  liuf  schwanken. 


*  die  gewohnheit  dieser  praeterita  seri   sneri  gneri  reri  scheint  auch 
unorganisches  freri  congelavit  für  fraus  und  sleri  percussit  für  slo  herbei- 
geführt zu  haben,    sleri  steht  fornm.  sog.  10,  394  und  der  pl.  slöro  10,  403. 
**  Völuspä  bietet  strophe  6.  9.  27.   29  in  Rasks   ausgäbe  die  wieder- 
kehrenden Zeilen: 

I)ä  gengengo  regln  öU  ä  rökstola 
ginnheilög  god  ok  um  Joat  gettuz, 
was  mich  gramm,  1,  916  an  reduplication  denken  liesz,  obschon  eher  ge- 
gango  zu  erwarten  wäre;  wahrscheinlich  aber  ist  gengengo  bloszer  Schreib- 
fehler (Munchs  ausg.  s.  185)  und  gengo  zu  lesen. 

***  hiu  liuf  könnten  schwäbisch  scheinen,  hie  (hiew)  lief  bairisch;  nhd. 
hieb  lief. 


REDÜPLICATION  603 

Noch  etwas  anders  verhalten  sich  die  ags.  feallan  feoll,  veallan 
veoU,  healdan  heold,  hleäpan  hleop,  vepan  veop,  rövan  reov,  heävan 
heov,  blävan  bleov,  sävan  seov,  mävan  meov  zu  spannan  spenn,  blan- 
dan  blend,  fangan  feng,  hfitan  het,  läcan  Ißc,  slgepan  sl6p,  grsetan 
gr6t,  Iffitan  l6t,  ondrsedan  ondred.  hatten  aber  lec  Ißt  rßd  früher  leolc 
leort  reord,  so  scheint  ihr  vocal  unabhängig   von   dem  des  praesens. 

Im  nhd.  hat  sich  überall  IE  eingesetzt,  nicht  blosz  in  hielt  gieng 
fieng  hieng  (unhochdeutsch  ist  ging  fing  hing)  hiesz  schlief  rieth,  son- 
dern auch  in  hieb  und  lief. 

Man  könnte  darauf  verfallen,  dasz  diese  ahd.  lA,  mhd.  nhd.  IE 
der  praeterita  nicht  aus  zusammendrängung  älterer  reduplication  ent- 
springen, vielmehr  einen  eignen  ablaut  bilden;  gerade  fand  die  theo- 
rie  s.  849  eine  lücke,  die  sich  hier  zu  füllen  schiene,  dem  A  und 
6  zur  Seite  stehn  sollte  A  und  E,  und  wie  0  aus  IIA  gienge  E  her- 
vor aus  lA,  nach  analogie  des  goth,  fera  hör  =  ahd.  fiara  hiar.  ahd. 
fallan  fial,  haltan  hialt,  salzan  sialz  wären  also  nicht  vergleichbar  dem 
goth,  haldan  haihald,  saltan  saisalt,  sondern  entsprossen  aus  reinem 
ablaut,  so  gut  wie  stantan  stuont,  waskan  wuosk?  Diese  ansieht  hätte 
allen  schein,  wenn  blosz  A,  lA  erschiene,  schwindet  aber  vor  dem 
bedenken,  dasz  auch  ahd,  ^EI,  lA;  0,  lA;  A,  lA  gelten,  deren  lA 
unmöglich  ablaut  von  EI  0  A  sein  kann,  und  noch  mehr  davor,  dasz 
die  historischen,  auf  Verengung  zielenden  Übergänge,  wie  sie  heialt, 
hellt  leolc  leort  reord  an  hand  geben,  für  nichts  geachtet  werden 
müsten.  Es  bleibt  also  dabei,  dies  lA  ist  aus  dem  zusammendruck 
der  reduplicationssübe  entsprungen.* 

Ohne  die  gothische  reduplication  würde  freilich  niemand  geahnt 
haben,  dasz  ein  so  wirksamer  hebel  der  verbalflexion  auch  in   der  871 
deutschen  spräche  walte  und  die  IE  unsrer  heutigen  praeterita  nur 
aus  ihm  zu  deuten  seien.  , 

Es  fällt  auf,  dasz  er  den  slavischen  und  Ktthauischen  conjugationen 
gänzlich  abgeht,  zwar  redupliciert  auch  kein  keltisches  praeteritum  [doch 
Zeusz  495.  496],  merkwürdig  aber  ist,  dasz  zuweilen  aus  irischen  in- 
transitiven transitiva  mit  reduplication  geleitet  werden,  z,  b.  freagh 
ich  antworte,  fiafraigh  ich  mache  antworten,  frage;  reagh  ich  walte, 
riaraigh  ich  theile  aus ;  claidh  ich  grabe,  ceachlaidh  ich  zerstöre ;  mair 
ich  lebe,  meamhair  ich  mache  bleiben,  erinnere  mich**  (vgl,  me- 
mor  s,  865) ;  dieser  zug  hängt  offenbar  zusammen  mit  der  zeugung 
deutscher  transitiva  aus  dem  ablaut  intransitiver  (s,  850).  Überhaupt 
aber  scheint  die  reduplication  dem  neuen  sprachgeist  immer  weniger 
zuzusagen,  wie  uns  die  gothische,  den  Eomanen  die  lateinische  redu- 
plication erloschen  ist,  zeigt  sich  die  lateinische  und  gothische  selbst 
schon  als  eine  in  abnähme  und  aussterben  begriffne  form,  und  erst 


*  auch  Bopp  stimmt  zu,  vgl.  gramm.  s.  833.  es  sei  erinnert  an  das 
ahd.  priestar,  ags.  preost  aus  presbyter,  ahd.  fliedima  mhd.  flieme  aus  phle- 
botomum  (gramm.  1,  188). 

**  Leo  in  Haupts  zeitschr.  3,  531. 


604  REDUPLICATION 

aus  dem  griechischen  und  sanskrit  vermögen  wir  ihre  durchgreifende 
macht  zu  erkennen.  Selbst  die  Neugriechen  haben  sich  der  redupli- 
cation  und  damit  des  alten  praeteritums  entäuszert. 

Die  lateinische  zählt  nur  noch  einige  zwanzig  verba,  während 
die  gothische,  wäre  uns  ihr  umfang  vollständig  bekannt,  mehr  als 
doppelt  so  viel  besitzen  würde. 

Aber  der  im  gothischen  einförmige  reduplicationsvocal  hat  im 
latein  günstige  manigfaltigkeit.  doch  niemals  lautet  er  A,  sondern 
schwaches  E  erscheint,  wenn  die  wurzel  A  oder  selbst  schon  E  führt; 

872  pario  peperi,  fallo  fefelli,  pedo  pepedi,  pendo  pependi,  pendeo  pe- 
pendi,  tendo  tetendi,  cano  cecini,  auf  mano  führt  memini,  cado 
cecidi,  pago  pango  pepigi,  tango  tetigi.  I,  0  und  U  bleiben,  wo  sie 
in  der  wurzel  sind:  scindo  sciscidi  (nachher  blosz  scidi,  in  der  alten 
gestalt  dem  goth.  skaiskaid  ähnlich),  disco  didici  f.  didisci,  posco  po- 
posci,  spondeo  spopondi  f.  spospondi,  tondeo  totondi,  mordeo  momordi, 
curro  cucurri,  pungo  pupugi.  nur  pello  bekommt  pepnli,  nicht  pepelli 
und  statt  cucurri  galt,  nach  Gellius,  auch  cecurri.  aus  tuli  latum  f. 
tlatum  ist  ein  verlornes  tello  tetuli  oder  toUo  tutuli  zu  schlieszen  ?  vgl. 
tollo  sustuli.  caedo  hat  cecidi.  für  E  und  0  mögen  ältere  A  gegol- 
ten haben,  z,  b.  für  peperi  ein  papari,  für  momordi  ein  mamardi.  do 
dedi  und  sto  steti  sind  keine  reduplicationen,  wie  das  nächste  capitel 
darthun  soll. 

Von  groszer  ausdehnung  ist  die  griechische  reduplication,  da  sie 
nicht  nur  jedes  praeteritum  act.  med.  und  pass.  bilden  hilft,  sondern 
auch  in  alle  modos  reicht  bis  in  die  participien,  welche  lat.  und  go- 
thisch  nie  reduplicieren,  und  wie  die  goth.  spräche  überhaupt  kein 
praet,  imperat.  oder  infinit,  auszudrücken  vermag,  ist  auch  dafür  von 
keiner  reduplicationsform  die  rede;  dem  latein  stehn  wenigstens  die 
praet.  inf  pepulisse  cucurisse  u.  s.  w.  zu  diensten.  Nur  der  latei- 
nische vocalwechsel  in  der  reduplicationssilbe  gebricht  der  griech.  con- 
jugation,  welche,  wie  die  gothische  AI,  für  consonantisch  anlautende 
verba  durchgehends  E  verwendet  und  diesem  die  media  oder  tenuis 
des  Stamms  vortreten  läszt;  lautet  er  auf  aspirata  an,  so  wird  ent- 
sprechende tenuis  wiederholt,  um  der  härte  zweier  aspiraten  auszu- 
weichen (s.  361).  Dagegen  hat  die  griech.  spräche,  namentlich  für 
die  starken  verba,  im  geleite  der  reduplication  häufig  ablaut:  Ttsfinco 
Tchnoy.q)tt^  nsQ^ca  TimoQd-a,  dsgaca  dsöog^a  (warum  nicht  (iUtko 
^s^okTta"^),  yhoD  ysyovcc,  ^evco  ^s^ova,  TQEq)C3  zstQocpa,  d'duca  rsQ'rjna, 
d^dllcj  ted^fjla,  kEiTttü  Kilonta,  Tistd'co  nsTtoi^'a,  nur  bei  cpivyco 
nicpBvya,  aevQ'io  ici'KEvQ'a  nicht,  wo  aber  mit  Sicherheit  auf  ein  älteres 
nstpovya  näxovd^a  darf  geschlossen  werden,  auch  für  tvitta  rarvita 
auf  ein  älteres  tstovTCa. 

873  Im  sanskrit  gilt  reduplication  beinahe  in  griechischer  allgemein- 
heit,  dazu  lateinischer  Wechsel  des  vocals  in  der  reduplicationssilbe, 
ablaut  aber  nur  in  den  unsrer  vierten  und  fünften  conjugation  entspre- 
chenden reihen:  bhid  ==  lat.  findere  fidere,  goth.  beitan,  praet. 
bibheda    pl.    bibhidima;    bhudsch  ==  goth.   biugan,     praet.    bubhö- 


REDUPLICATION  605 

dscha  pl.  budhudschima;  rud  =  ahd.  riozan,  praet.  ruröda  pl.  ruru- 
dima ;  tup  =  rvntBLv^  praet.  tutöpa  pl.  tutupima.  Hngegen  die  unsrer 
ersten  und  zweiten  conj.  vergleichbaren  lauten  nicht  ab;  bandh  ligare, 
praet.  babandha  pl,  babandhima;  mard  mordere,  mamarda  mamardima; 
tan  tendere,  tatana  tatanima;  svad  dormire,  su^vapa  suävapima;  tap 
urere,  tatapa  tatapima;  sad  sedere,  sasada  sasadima.  es  gilt  aber 
auch  tatana,  tatapa,  sasada  unserm  pluralablaut  zweiter  conj.  ähnlich, 
wie  wenn  griech.  nsno^cpa  ysyova  A  enthielten,  das  in  der  wurzel 
zu  O,  im  praefix  zu  E  geschwächt  wurde  ?  doch  gleicht  dem  O  unser 
U  in  bundum,  munum. 

Es  sind  aber  wichtigere  Schlüsse  aus  diesen  vergleichungen  zu 
entnehmen. 

Am  meisten  überraschen  musz,  dasz  die  fremde,  urverwandte 
reduplication  sich  weder  im  laut  noch  in  einzelnen  wurzeln  der 
gothischen  anschlieszt,  wol  aber  unsern  fünf  ablauten :  gr.  ^s^ova,  lat. 
memini  ist  goth,  man,  gr.  xsxXoTca,  das  ich  mutmaszen  darf,  goth. 
hlaf,  skr.  sasada  goth.  sat,  gr.  dsdocxa  goth.  taih,  skr.  bibheda  goth. 
bait,  skr.  ruröda  ahd.  röz  =  goth.  raut.  Was  ist  natürlicher  als  die 
annähme,  dasz  einmal  in  früherer  zeit  für  man  hlaf  sat  taih  raut  eine 
goth.  reduplicierte  foi'm  galt?,  deren  vordem  vocal  ich  nicht  zu  be- 
stimmen wage  (nur  AI  wird  er  nicht  gewesen  sein),  wofür  ich  hier 
versuchsweise  I  setzen  will:  miman,  hihlaf,  sisat,  titaih,  riraut?*  die 
Vordersilbe  wäre  abgefallen,  wie  wir  sie  ausnahmsweise  dem  gr.  otÖa 
und  skr.  v6da  mangeln  sehn,  welches  letztere  vollständig  viv6da  lau- 
ten sollte.  Nicht  anders  entgeht  sie  aber  auch  vielen  lateinischen 
praeteritis  und  ein  lambo  lelibi,  facio  fefäci  (vgl.  osk.  fefakust),  874 
faveo  fefävi,  paveo  pepävi  (wozu  das  subst.  cicäda  stimmt),  dico 
dedoeci  (wie  coepi  auf  cecoepi  weist),  duco  didauci  wären  im  hinter- 
grund  der  spräche  zu  erwarten;  haben  diese  lat.  praeterita  ihpe  redu- 
plicationssilbe  abgelegt,  wie  lange  zeit  kann  sie  den  gothischen  schon 
entzogen  gewesen  sein. 

Allein  der  reduplicationstrieb  war  darum  nicht  in  ihr  verschwun- 
den, sondern  bedacht  sich  einen  neuen  weg  zu  suchen.  Näher  zuge- 
sehn  (s.  866)  so  tragen  unsere  red  uplicier enden  goth.  wurzeln  gerade 
den  vocal  der  fünf  ablautenden  an  sich :  halda  scheint  aus  einem  hilda 
bald,  faha  aus  faiha  fah,  blöta  aus  blata  blöt,  haita  aus  heita  hait, 
flauta  aus  fliuta  flaut  zu  sprieszen.  Da  nun  den  ablaut,  wie  wir  fan- 
den, ursprünglich  reduplication  geleitete,  so  kann  man  sagen,  dasz 
die  gothischen  redui^licationen  einer  zweiten  potenz  angehören,  und 
ihnen  alte  reduplicationen  erster  potenz  vorangegangen  sind. 

Beide  arten  der  reduplication  entfernen  sich  darin  von  einander, 
dasz  die  alte  auf  wurzeln  mit  kurzem  vocal,  die  neue  auf  wurzeln 
mit  langem  beruht,  dort  walten  A  I  U,  hier  positionslange  Wurzelsilben 
oder  diphthonge.    beide  streben  allmählich  nach  einsilbigkeit,  doch  die 

*  längst  hat  Bopps  Scharfsinn  (vgl.  gramm.  s.  843.  848.  850)  diese  redu- 
plicationen vorausgesehn,  nur  dasz  er  maiman  haihlaf  saisat  taitauh  rairaut 
ansetzen  würde. 


606  REDUPLTCATION 

erste  art  wirft  die  reduplicationssilbe  fort,  die  zweite  sucht  redupli- 
cations  und  Wurzelsilbe  zusammen  in  eine  zu  drängen,  dort  bleibt 
dem  verkürzten  praet.  alle  manigfaltigkeit  des  ablauts,  hier  entspringt 
einförmiger  diphtbong.  man  begreift  den  grund  des  Unterschieds;  die 
kurze  silbe  konnte  leicht  aphaeresis  erfahren;  die  lange  widerstand 
und  gab  sich  nur  zur  Verschmelzung  her. 

Die  lat.  griech.  skr.  reduplication  richtet  das  aus  was  unser  ab- 
laut,  d.  h.  zeugt  aus  dem  praes.  ein  praet.,  die  goth.  reduplication 
hingegen  setzt  das  praet,  wieder  zurück  als  praesens,  und  bildet  mit 
nochmaliger  reduplication  ein  neues  praeteritum.  da  aber  das  deutsche 
ablautspraet.  in  der  regel  lange  silbe  hat,  nemlich  in  erster  conj. 
durch  Position,  in  dritter,  vierter,  fünfter  durch  natürliche  vocallänge, 
so  steht  auch  dem  neugesetzten  praesens  diese  länge  zu,  und  man 
wird  begreiflich  finden,  warum  zur  reduplicationssilbe   der  diphthong 

875  AI  verwendet  wird,  was  einen  gegensatz  macht  zu  den  kurzen  vocalen 
der  alten  reduplication  an  gleicher  stelle,  zugleich  entfernt  sich  aller 
Zweifel,  den  man  über  die  natur  dieses  AI  hegen  könnte. 

Die  einzige  zweite  goth,  conjugation  hat  in  ihrem  praet.  sg. 
kurzen  vocal  und  scheint  ihn  auch  in  die  neue  reduplication  hinüber 
zu  nehmen,  wenigstens  nach  dem  goth.  faifah  und  haihah,  doch  die 
neigung  zur  länge  zeigt  sich  wiederum  im  ahd.  fähan  und  hähan,  wie 
im  goth.  slßpan  selbst,  das  mit  pluralablaut  gebildet  wurde. 

Mit  demselben  £  scheint  aber  auch  die  sechste  gothische  redupl. 
conjugation  aufzutreten  und  eines  neuen  ablauts  im  0  fähig  gewor- 
den zu  sein,  dem  sich  in  den  übrigen  dialecten  nichts  verwandt  findet, 
lailöt  rairöd  haben  ahd,  ein  praet,  liaz  riat,  wie  haihait  oder  saislßp 
ahd,  hiaz  sliaf  lauten. 

In  den  vocalauslautigen  wurzeln  der  siebenten  und  achten  conj, 
darf  man  dem  AI  und  Aü  wahre  und  ursprüngliche  natur  eines 
diphthongs  abstreiten,  bauan  z.  b.  entfaltet  Aü  wie  der  gen.  maujös 
von  mavi,  wo  die  Wurzel  mag  keinem^ zweifei  unterliegt,  kann  also  der 
Wurzel  bag  angehören,  folglich  das  0  in  baibö  entsprungen  sein  wie 
in  stojan  stauida.  nicht  andei's  urtheile  ich  über  die  andern  verba 
dieser  beiden  conjugationen,  von  denen  ich  näher  zu  handeln  weiterer 
gelegenheit  aufspare. 

Zwischen  beiden  reduplicationen,  der  alten  und  neuen,  für  einzelne 
Wörter  berührung  und  Übergang  nachzuweisen  ist  schwerer  als  es 
scheinen  sollte,  goth.  flauta  TiSQTtEQWo^ai,  faiflaut  entspricht  dem 
ahd.  flözu  fliaz,  das  ich  aus  flaozlihho  elate  (Graflf  3,  753)  folgern 
darf,  dies  flözan  geht  nun  hervor  aus  dem  ablautenden  fliuzu  flöz, 
welchem  kein  entsprechendes  goth.  fliuta  flaut  aufzuweisen  ist*,  dem 

876  altn,  reduplicierenden  snüa  sneri,  welches  etwa  im  goth.  saisnau  ge- 
lautet haben  könnte,  musz  das  goth,  snivan  snau  voraus  gegangen  sein. 


*  mit  beiden  kann  das  ffoth.  flodus,  ahd.  fluot,  ags.  flod  wenigstens 
nicht  unmittelbar  zusammenhängen,  ich  möchte  es  fl-6dus  (für  flutödus) 
nehmen  und  mit  dem  -odus  in  mannisködus  vergleichen. 


REDUPLICATION  607 

altn.  taka  tök  lautet  ab,  goth.  tekan  taitök  aber  redupliciert;  dies 
wort  enthält  aucb  eine  berühmte  ausnähme  von  der  lautverschiebung, 
die  ich  s.  421  nicht  hätte  unbeigebracht  lassen  sollen:  kein  zweifei, 
dasz  lat.  tetigi  und  gr.  maycov  hinzu  gehören  und  auch  in  der 
reduplication  eintreffen,  selbst  den  vocal  des  Imperativischen  rr}  darf 
man  zum  0  in  tök  und  taitök  halten,  die  altn.  ablautende  form 
nehme  ich  für  älter,  die  goth.  reduplicierende  für  jünger  und  erst 
aus  der  ablautenden  gebildet,  fast  wie  tetigi  und  taitök  verhalten 
sich  sciscidi  und  skaiskaid,  die  form  mit  langem  vocal  musz  auch 
hier  jünger  sein  als  die  mit  kurzem;  scindo  scidi  geht  wie  findo  fidi, 
und  ihr  N  gleicht  dem  in  tango  und  contingi,  welches  im  praet.  con- 
tigi  die  reduplication  fahren  läszt. 

Jene  keltische  eigenheit,  die  reduplication  für  transitiva  zu  ge- 
brauchen, wie  unsere  spräche  den  ablaut,  verbürgt  uns  den  frühen 
und  naturgemäszen  Ursprung  der  gothischen  reduplication ;  um  so  viel 
älter  sein  musz  die  den  ablaut  begleitende. 

Ob  der  ablaut  selbst  etwas  der  flexion  unwesentliches  sei?  ob 
tatapa  und  babandha  auf  gleicher  Knie  stehe  mit  bibhßda  und  ruröda  ? 
ist  eine  frage,  die  so  weit  hinter  die  äuszerste  grenze  deutscher  spräche 
zurückweicht,  dasz  ich  billig  nicht  darauf  einzugehn  habe. 


XXXIV. 
SCHWACHE  YERBA. 


877  Die  grammatik  empfindet  ein  bedtirfnis  überall  von  der  grund- 
lage  jüngere  zuthat,  von  dem  ursprünglichen  abgeleitetes,  von  dem 
inneren  äuszeres  zu  unterscheiden,  wie  mancherlei  man  auch  mit 
diesen  Vorstellungen  verbinde;  es  scheint  zulässig  und  förderlich  sie 
durch  den  namen  des  starken  und  schwachen  auszuzeichnen,  das 
starke  soll  gleichsam  den  typus  angeben,  das  schwache  die  mittel, 
welche  ihn,  wenn  er  sich  abnützt,  ergänzen  und  erweitern,  nach 
unaufhaltbarem  vorschritt  nimmt  in  der  spräche  das  starke  element 
ab,  das  schwache  zu. 

Man  darf  schon  von  den  vocalen  A  I  U  die  starken  laute,  E 
und  0  die  schwachen  heiszen.  in  der  flexionslehre  tritt  aber  der 
gegensatz  noch  lebhafter  vor,  und  in  der  deutschen  conjugation  wie 
declination  scheint  es  unerläszlich  eine  schwache  form  der  starken  an 
Seite  zu  stellen. 

Das  starke  verbum  beruht  auf  ablaut  und  reduplication,  welche, 
wie  wir  sahen,  eng  in  einander  gewoben  sind,  der  ablaut  gieng 
mitten  in  der  wurzel  selbst  vor  und  die  reduplication  trat  an  ihre 
spitze.  Alle  schwachen  verba  werden  durch  drei  characteristische 
vocale  abgeleitet  und  bilden  ihr  praeteritum  nur  durch  den  hinten 
zutretenden,  mit  jenen  vocalen  sich  verschmelzenden  eines  hilfworts, 

878  welches  seiner  natur  nach  nothwendig  ein  starkes  gewesen  sein  musz. 
Während  also  die  starken  verba  unabgeleitet  und  ablautend  sind,  er- 
scheinen die  schwachen  abgeleitet  und  unablautend. 

Die  folgende  Untersuchung  hat  sich  zuerst  auf  die  beschaffenheit 
jener  vocale,  dann  auf  die  auxiliaren  consonanten  zu  richten. 

In  den  drei  vocallauten  offenbart  sich  wieder  eine  bedeutsame 
Übereinkunft  zwischen  deutscher  und  lateinischer  spräche,  gerade  wie 
die  gothische  ableitung  der  schwachen  form  durch ^I,  0,  AI,  die  ahd. 
durch  I,  0,  ^,  geschieht  die  lateinische  durch  I,  A,  E.  cap.  XXXII 
lehrte  aber,  dasz  lat.  A  dem  goth.  0  entspricht  und  lat.  E  aus  OE 


SCHWACHE  VERBA  609 

AE  hervorgieng,  ^also  goth.  AI  sich  zur  seite  hat.    Gleich  dem  I  und 
A  stehn  A  und  0,  EI  und  AI  im  ablauts Verhältnis. 

Wie  treffend  ist  die  gleichung  gothischer,  althochdeutscher  und 
lateinischer  wortgestalten: 

goth.  vasja  vasida.         fiskö  fisköda.         haba  habaida 
ahd.    weriu  werita.        fiscöm  fiscöta.       hap6m  hap6ta 
lat.      vestio  vestivi.       pisco  piscävi.        habeo  habui 
ich    habe    mir    gestattet    für    piscari    das    ungebräuchlich    gewordne 
piscare  aufzustellen,    goth.  haba  steht  für  habaia,  lat.  habui  für  habevi, 
wie  delßvi  zeigt,    die  ahd.  formen  halten  das  kennzeichen  der  ablei- 
tung  am  treusten  fest ;  es  wäre  überflüssig  auch  die  der  übrigen  und 
jüngeren  sprachen   anzuführen,  in  welchen  das   characteristische  der 
vocale  schwindet  oder  zusammenfällt. 

Doch  eine  lücke  ist  schon  in  der  ältesten  deutschen  und  latei- 
nischen conjugation  vorhanden,  die  man  sich  erfüllt  denken  könnte, 
wie  mit  dem  ablaut  AI,  sollten  auch  mit  dem  ablaut  AU  verba  ab- 
geleitet sein,  deren  praesens  goth.  -a  für  -aua,  das  praet.  aber  -auda 
flectieren  würde,  im  latein  hätte  das  praes.  -oo,  das  praet.  -övi  zu 
lauten,  weil  auch  hier  der  Verengung  des  AI  in  !ß  eine  des  AU  in  0 
ähnlich  eingetreten  sein  dürfte. 

In  dieser  Vermutung  bestärkt  mich  die  griechische  spräche,  ^deren 
drei  schwache  conjugationen  auf  den  characteristischen  lauten  A  E  0879 
beruhen,  von  welchen  das  letzte,  nämlich  o  Verengung  des  ov  scheint, 
mithin  jenem  AU  entspräche,  ti^dco  tetlßrjxa  steht  für  TStiuccyicc. 
cpiXko  7tEq)iXrjjca  vergleicht  sich  dem  lat.  habeo  habui.  XQ^^^co  x£- 
XQVöcoxa  würde  einem  lat.  -oo  -ovi  zur  seite  stehn.  Hier  mangeln 
also  die  mit  I  abgeleiteten  verba ;  es  wäre  unpassend  das  E  in  q>ilsG} 
aus  I  zu  deuten,  da  das  H  in  qptAijöco  jtBq)ikr]i<a  deutlich  auf  die 
dem  lat.  £  in  delövi  entsprechende  länge  weist. 

Unsere  ableitungen  mit  I  sind  grösztentheils  transitiva,^die  aus 
den  praeteritis  starker  verba  entspringen,  wogegen  die  mit  0  und  AI 
abgeleiteten  in  der  regel  verba  intransitiver  und  neutraler  bedeutung 
umfassen.  Das  latein  hat  aber  oft  transitiva  auf  are  :  domare  domui, 
goth.  tamjan  tamida;  nominare  nominavi,  goth.  namnjan  namnida. 

So  verhält  es  sich  mit  den  ableitungsvocalen ;  ich  schreite  fort  zu 
den  consonanten  des  praeteritums. 

Wie  vom  ablaut  des  sg.  praet.  gewöhnlich  zu  einem  andern  des  dual, 
undpl.  übergegangen  wird,  welcher  sich  hernach  im  ganzen  conj.  behauptet 


nam 

namt 

n6mu 

n6muts 

nömum 

n6muj) 

nam 


n6mum 


n6mjau        nßmeis         nßmi 

nßmeiva      n6meits 

nßmeina      nßmeij)        nßmeina 


so  musz  die  gesamte  schwache  conjugation,  weil  ihr,  wie  vorhin  ge- 
sagt wurde,  ein  starkes  verbum  hilfe  leistet,  denselben  typus  an  sich 
tragen;  ihr  wird  angehängt  im  gothischen: 


-da  -des  -da 

-dedu         -deduts 

-dedum      -deduj)      -d6dun 


-dedjau       -dedeis         -d6di 

-dedeiva     -dedeits 

-dedeima    -dedeij)        -dedeina 


Griiuni,  gescMchte  der  deutschen  spräche.  39 


610 


SCHWACHE  VERBA 


was  ich  nun  auf  die  drei  conjugationen  anwenden  will: 


880 


ind.     vasida 

vasides 

vasida 

vasidedu 

vasideduts 

vasidedum 
conj.  vasidedjau 
vasidedeiva 

vasidedu|) 
vasidedeis 
vasidedeits 

vasidedun 
vasidedi 

vasidedeima 
►          ind.    fiskoda 

vasidedei]) 
fisködes 

vasidedeina 
fiskoda 

fisködedu 

fisködeduts 

fisködedum 

conj.  fiskodedjau 

fisködedeiva 

fisköd^duj) 
fisködedeis 
fisködedeits 

fisködedun 
fisködedi 

fisködedeima 
ind.    habaida 

fisködedei]) 
habaides 

fisködedeina 
habaida 

habaidedu 

habaideduts 

habaidedum 
conj.  habaidedjau 
habaidedeiva 

habaideduj) 
habaidedeis 
habaidedeits 

habaidedun 
habaidedi 

habaidedeiraa 
Ahd.  aber  erlischt  die 
lautet  blosz: 

habaidedeij)              habaidedeina. 
erweiterung  des  pl.  und  conj.  und  das   suffix 

-ta            -tös 

-ta 

-ti 

-tls           -ti 

-tum         -tut 

-tun 

-tim 

-tlt          -tm 

folglich : 

werita      weritös 

werita 

weritl 

weritls     weriti 

weritum   weritut 

weritun 

weritlm 

weritlt     weritln 

fiscöta       fiscötös 

fiscöta 

fiscöti 

fiscötls     fiscöti 

fiscötum   fiscötut 

fiscötun 

fiscötim 

fiscötit     fiscötin 

hapeta      hapßtös 
hap6tum  hapetut 

hap6t 
hap6t 

a 
un 

hap6ti 
hapßtim 

hapßtls     hap6ti 
hapetlt     hapetin 

Im  goth.  und  ahd.  paradigma  sind  alle  personen  durch  eigne  endun- 
gen  genau  geschieden  (falls  ich  im  ahd.  conj.  die  erste  und  dritte 
person  richtig  -ti  und  -ti  bestimmt  habe),  mit  einziger  ausnähme  von 
1  und  111  sg.  ind.,  deren  -da  und  ahd.  -ta  zusammenfällt,  wie  auch 
in  der  ganzen  starken  conjugation  nam  cepi  und  nam  cepit,  bad  petii 
und  bad  petiit,  bait  momordi  und  bait  momordit  zusammen  fallen, 
nicht  anders  stimmen  ags.  verede  und  verede,  fiscöde  und  fiscöde 
überein. 

Nur  die  altn.  spräche,  obschon  sie  in  starker  form  beide  perso- 
nen auf  gleichen  fusz  setzt  und  wie  die  goth.  für  beide  nam  bad  beit 
gebraucht,  verleiht  nach  Eask  s.  270  in  schwacher  conj.  der  I  praet. 
sg.  -da,  der  III  aber  -di,  unterscheidet  folglich  I  varda  von  III  vardi, 
881 1  fiskada  von  III  fiskadi.  heutzutage  empfangen  jedoch  beide  perso- 
nen einförmiges  -di.  Offenbar  gebührt  dem  indicativ  überall  kein  -i, 
sondern  nur  dem  conjunctiv,  und  wenn  es  sich  aus  dem  conj.  in  die 
III  ind.  eindrängte,  so  kann  man  blosz  sagen,  dasz  die  I  ind.  das  or- 
ganische  -a   besser   wahrte;  zuletzt  nahm  auch  sie  -i  an.     ein  alter 


SCHWACHE  VERBA  611 

und  echtei-  unterschied  zwischen  -a  und  -i  in  beiden  personen  scheint 
unbegründet*. 

Die  gestalt  dieses  auxiliars  musz  aber  nun  näher  erwogen  wer- 
den, kein  zweifei,  dasz  in  ihm  unser  heutiges  verbum  "^thun  enthal- 
ten ist**,  aber  wie  es  ehmals  noch  vor  eintritt  der  lautverschiebung 
beschaffen  war.  da  die  schwache  verbalbildung  lange  vor  dem  wandel 
der  stummen  consonanten  sich  zugetragen  hat,  so  begreift  man,  warum 
sie  ihm  widerstand;  ihre  Überbleibsel  im  goth.  ags.  und  altn.  lauten 
wie  in  den  urverwandten  auf  D,  die  hochdeutschen  daher  auf  T  an. 

Nun  gehn  aber  die  begriffe  des  thuns  und  gebens  in  einander  882 
über,  dedisset  wird  durch  ahd.  täti  verdeutscht  (Graff  5,  290),  den 
Angelsachsen  hiesz  dön  gode:  reddere  deo;  god  däghvamllce  us  d6d 
üre  neäde:  deus  quotidie  nobis  suppeditat  necessaria.  noch  heute 
sagt  der  Niedersachse:  do  mi  dat  bok  ins:  reiche,  gib  mir  das  buch 
einmal,    einem  thun  bedeutet  was  einem  geben  :  machen  dasz  er  habe. 

Thun  ist  also  unmittelbar  und  buchstäblich  das  lateinische  dare, 
do  das  dat,  welches  sein  praeteritum,  dem  anschein  nach,  reduplicie- 
rend  bildet: 


dedi              dedisti 

dedit 

dedimus        dedistis 

dederunt 

doch  die  composita  nehmen  I  für  E  an: 

addidi          addidisti 

addidit 

addidimus    addidistis 

addiderunt 

ebenso  wenn  die  reduplication  ins  praesens  vorzurücken  und  für  do  ein 
dedo  zeugend  den  begrif  zu  verstärken  scheint: 

dedidi  dedidisti  dedidit 

dedidimus    dedidistis        dediderunt. 
Hier  aber  öfnet  für  unsere  sprachen  den  Vermutungen  sich  ein  weites 
feld.     Wir  würden  sicher  gehn,  hätte  sich  in  der  goth.  spräche  jenes 
einfache  verbum  gesondert  erhalten ;  doch  gerade  diesmal  ist  von  ihr 
für  den  begrif  des  thuns  ein  lautverschobnes  taujan  gebildet  worden, 


*  was  auch  durch  die  jüngere  Verwendung  eines  unsuffigierten  auxiliars 
bestätigt  wird  (gramm.  4,  94). 

**  Munch  will  in  dem  tavidö  feci  auf  der  inschriffc  des  goldnen  horns 
eine  ältere  gothische  form  für  tavida  finden  und  den  ausgang  -da  der  dritten 
person  beimessen,  zu  geschweigen,  dasz  auf  dem  denkmal  keine  dritte  per- 
son  vorkommt,  und  der  mundart,  in  welcher  es  abgefaszt  ist,  für  beide  per- 
sonen -do  (oder  gar  -do,  denn  das  0  in  horna  hat  dieselbe  rune)  zustehn 
könnte ;  so  erblicke  ich  auch  bei  vergleichung  der  urverwandten  sprachen 
keinen  grund,  um  der  ersten  person  tavidö,  der  dritten  tavida  zuzusprechen, 
im  sanskrit  heiszt  die  erste  person  tatäna  tetendi,  die  dritte  wiederum  ta- 
täna  tetendit  (Bopp  s.  846)  und  diese  Übereinkunft  beweist  mehr  als  die 
abweichung  des  lat.  tetendi  von  tetendit  oder  des  gr.  ykyova  von  y^yove, 
selbst  im  latein  und  gr.  walten  hier  nur  kürzen,  keine  längen,  sogar  das 
altn.  -a  und  -i  würde  nicht  für  -ö  und  -a  streiten,  tavidö  oder  tavidö  mag 
aber  wol  bemerkt  werden  als  dialectische  abweichung,  wie  sie  bei  einem 
volkstamm  der  kimbrischen  halbinsel  vorkam,  welchem  man  das  hörn  und 
die  Inschrift  beizulegen  hat.  mir  fällt  ein.  dasz  auch  in  einer  glosse  zum 
bairischen  Rudlieb  II,  226  zugilprechoto  (lorifregi)  steht  für  zugilprechota. 

39* 


612  SCHWACHE  YEEBA 

auf  welches  ich  hernach  zurücklenken  will,  gleich wol  musz  sie  früher 
ein  praeteritum  in  alter  gestalt  besessen  haben,  und  aus  dem  fi  in 
d6ds  facinus  und  jenen  suffixen  dedum  deduj)  dedun  darf  ich  folgern, 
dasz  es  lautete: 

dada  dast  dada 

dedum  deduj)  dedun, 

nemlich  !fi  ist  pluralablaut  zweiter  conjugation  und  führt  auf  ein  A 
des  sg.,  also  dada,  dieses  aber  auf  ein  praesens  dida.  weil  nun  die 
theorie  (s.  873)  begehrt,  vor  allen  ablautenden  praeteritis  eine  redu- 
plication  zu  ergänzen,  würde,  wie  von  nima  niman,  von  giba  gigaf, 
sich  von  dida  ein  didada  ergeben  und  jenem  lat.  dedidi  von  dedo 
aufs  haar  gleichen. 

Die  altn,  spräche  stimmt  darin  zur  gothischen,  dasz  sie  das  ge- 
883  trennt  stehende  verbum  nirgends  aufzuweisen  hat;  desto  öfter  tritt  es 
in  der  ahd.   alts.    ags,  und  fries,  auf,   doch  genügt  hier  die  angäbe 
aus  dem  ahd,  und  ags, 

ahd,  t6ta  täti  tSta 

tätum  tätut  tätun 

ags.  dide  didest  dide 

didon  didon  didon, 

sichtbar  entspricht  tätum  dem  goth.  dedum,  wogegen  tßta  mehr  zum 
ags,  dide  neigt,  meine  annähme  eines  goth.  dada,  wie  sie  der  ablaut 
rechtfertigte,  wird  aber  durch  das  skr.  dadäu  =  dedi  (Bopps  vgl. 
gramm,  s,  864)  mächtig  unterstützt. 

Zumal  wichtig  ist  mir  die  ahd,  II  praet,  täti,  weil  sie  genau 
mit  allen  starken  formen  nämi  päti  käpi  u,  s,  w,  überein  trift,  also  vom 
schwachen  ausgang  -tos  absteht,  steckt  in  der  ahd.  schwachen  fle- 
xion  das  suffix  tßta,  warum  empfängt  die  II  nicht  -ti,  sondern  -tös? 
sicher  nur  deshalb,  weil  zur  zeit  des  Ursprungs  schwacher  form  die 
starken  praeterita  noch  gar  nicht  auf  -i  ausgiengen ;  aus  dem  -tös  folgt 
also,  dasz  auch  nämi  käpi  päti  damals  andern  ausgang  hatten,  nem- 
lich einen  dem  goth.  -t  entsprechenden,  die  goth.  starke 'flexion  zeigt 
uns  in  dieser  person  die  formen  namt  gaft  und  hast  (s.  362),  nach 
solchem  hast  habe  ich  dast  ==  didast  ==  dedisti  anzusetzen  gewagt, 
von  dast  aber  wird  es  nicht  schwer  halten,  das  goth,  suffix  -des  ab- 
zuleiten; dem  goth,  ans  trabs,  ansts  gratia,  bansts  horreum  entspre- 
chen die  altn,  Wörter  äs  äst  und  bäs,  von  hladan  entspringt  das  ahd. 
hlas  onus,  altn.  hlass,  goth.  runs  cursus  steht  für  runsts.  kann  ablei- 
tendes T  ausfallen,  um  so  viel  eher  das  der  flexion,  wir  sahen  ags. 
is  für  ist  eintreten  (s,  266);  warum  sollte  nicht  die  häufige  Verwen- 
dung eines  auxiliaren  anhangs  -dast  in  -des  gewandelt  haben?  aus  -des 
aber  war  der  Übergang  in  ahd.  -tös  bald  gefunden  und  es  kommt 
sogar  -des  und  -tas  wirklich  vor  (gramm,  1,  869),  Notker  schreibt 
-tost,  was  dem  mhd.  -test  nahe  steht,  unser  heutiges  deutsch  ist 
instinctmäszig  für  die  II  praet.  und  praes.  starker  wie  schwacher  form 
zum  ST  zurückgekehrt,  welches  der  lat.  II  praet,  sg.  unauslöschlich 
eingeprägt  war. 


SCHWACHE  VERBA  613 

Nicht  geringerer  bedeutung  scheint  der  vocalische  ausgang  der  884 
formen  dada  teta  und  dide  so  wie  der  suffixe  -da  -ta;  denn  waren 
dast  und  täti  starker  flexion  gemäsz,  so  musz  es  auch  -a  gewesen 
sein,  man  darf  ahnen,  dasz  im  höheren  alterthum  unserer  spräche, 
dessen  zeit  unermittelt  bleiben  mag,  nicht  blosz  das  schwache  praet. 
auf  -da,  sondern  auch  das  starke  auf  -a  ausgegangen  sein  werde: 
es  folgt  nothwendig  aus  der  gestalt  des  im  schwachen  praet.  haften- 
den und  einverleibten  starken,  während  die  losen  starken  praeterita 
des  vocalischen  ausgangs  sich  entledigten,  blieb  ihm  die  auf  anderm 
fusz  stehende  schwache  form  getreu,  nam  gaf  bad  und  alle  übrigen 
müssen  also  einmal  gelautet  haben  nama  gaba  bada,  vielmehr,  weü 
ihnen  auch  vornen  die  reduplication  entgieng,  ninama  gigaba  bibada, 
womit  die  deutschen  verbalgestalten  den  lat.  memini  cecini,  gr. 
(isfiova  yeyova,  skr.  babandha  tatäna  um  ein  gutes  näher  rücken, 
alle  deutschen  und  schon  die  gothischen  praeterita  stellen  sich  ver- 
stümmelt dar  und  fordern  im  anlaut  wie  auslaut  ergänzung. 

Zu  so  weitgreifendem  rückgang  in  die  geschichte  unserer  spräche 
ermächtigte  -da  -d6s  -da;  wir  wollen  seinen  eignen  stamm  noch  ge- 
nauer prüfen. 

Der  ablaut  dödum  leitete  auf  dada,  dada  auf  didada  und  ein 
praesens  dida,  dessen  endung  vorläufig  dahin  gestellt  bleiben  mag; 
diesem  dida  didada  zunächst  lag  das  lat.  dedo  dedidi.  gewis  aber  ist 
die  kürzung  -da  aus  dada  und  ahd.  -ta  aus  tata,  -tum  aus  tätum  von 
hohem  alter;  auch  das  lat.  do  erscheint  aus  dedo  gekürzt,  folglich 
verhält  sich  dedi  zu  dedidi,  wie  lego  zu  lelegi  oder  favi  zu  fefavi. 
dedo  ist  keine  erweiterung  aus  do,  umgekehrt  do  abstumpfung  aus 
dedo;  dedo  enthält  so  wenig  reduplication  als  bibo,  vielmehr  lauten 
die  stamme  DID  BIB  und  erst  in  dedidi  geht  reduplication  zu,  wie  sie 
in  bebidi  zugehn  würde,  wenn  eine  solche  form  gälte,  ein  beweis 
liegt  auch  in  deditum  bibitum,  die  wieder  keine  reduplication  ein- 
schlieszen,  deren  das  lat.  supinum  unfähig  ist.  Eeduplication  steckt 
weder  im  goth.  dada  noch  ahd.  tfjta,  denn  wie  vermöchte  dada  in 
dedum  abzulauten,  wäre  das  vordere  da  bloszes  praefix  und  unwurzel-  885 
haft?  ahd.  tfe'ta  ist  Schwächung  von  tata,  ohne  welches  wieder  kein 
tätum  möglich  erschiene ;  im  goth.  suffix  ergrif  die  abstumpfung  blosz 
den  sg.  -da,  nicht  den  pl.  -dödum,  im  ahd.  fortschreitend  auch  den 
pl.  -tum  für  tätum,  folglich  den  ganzen  conjunctiv.  Wie  sollte  das 
lat.  dedi  reduplication  sein  und  von  welchem  stamm?  gesetzt,  leitete 
sich  dare  von  DA,  wie  flare  von  FLA,  so  entspränge  ein  reduplicie- 
rendes  dedavi,  wie  flo  flavi  f.  feflavi  bildet;  niemand  wird  doch  dedi 
aus  dedai  für  dedavi  erklären. 

Aber  noch  sind  andere,  höchst  merkwürdige  gestalten  dieses 
Worts  zu  betrachten. 

Vorhin  führte  die  theorie  zu  einem  goth.  praesens  dida;  in  der 
that  aber  lautete  es  ahd.  tuom,  mhd.  tuon,  alts.  döm,  was  auch  ein 
goth.  döm  ahnen  läszt.  dies  tuom,  döm  steht  nun  parallel  dem  goth. 
im,  altn.  em,   ags.  eom,   ahd.  pim,  mhd.   nhd.  bin,  lat.  sum.     beides 


614  SCHWACHE  VERBA 

sind  Überreste  uralter,  im  goth.  und  lat.  verbum  sonst  allentbalben 
erloschner  flexion,  wie  sie  in  den  andern  urverwandten  sprachen  desto 
deutlicher  auftritt,  tuom  lautet  skr.  dadämi,  zend.  dadhami,  gr.  dldofii, 
litth.  dümi,  sl.  damj;  im  und  pim  aber  skr.  asmi,  zend.  ahmi,  gr.  d^i, 
litth.  emsi,  sl.  jesmj;  wie  konnte  Bopp  in  seinem  paradigma  s.  638  das 
ahd.  tuom  unangeführt  lassen?  [er  hat  es  s.  630.]  es  trift  mit  dem 
litth.  dümi  fast  noch  im  klang  zusammen,  wie  goth.  döm  aus  didöm 
(analog  dem  -da  aus  dada)  unmittelbar  gr.  dldco^i  erreichen  würde, 
in  -ämi  -ofii  -öm  -uom  stimmt  der  lange  vocallaut,  denn  gr.  ß  hat 
hier  die  stelle  des  gewöhnlichen  H  (in  Lörrjßi  xL^yi^l  und  vielen 
andern),  was  kann  aber  deutlicher  meinen  ansatz  einer  wurzel  DID 
oder  DAD  erweisen,  als  ÖidapLi  und  dadämi,  die,  ohne  alle  redupli- 
cation,  gebildet  sind*,  wie  skr.  vahämi,  zend.  vazämi,  lat.  veho,  goth. 
viga  von  der  wurzel  VAH?  demnach  steht  ahd.  tuom,  in  welchem 
886  aus  der  wurzel  nichts  als  das  einzige  T  haftet,  für  tb'tuom,  tituom 
und  verhält  sich  zu  einer  gangbaren  praesensform  titu  ungefähr  wie 
gr.  dsUvvfcL  zu  ösixvvco  oder  wie  gr.  Öidco^i  zum  lat.  do  =  dedo, 
oder  wie  litth.  dümi  zu  düdu. 

Auch  das  part.  praet.  dieses  worts  zeichnet  sich  aus;  es  lautet 
ahd.  kitän  (ketuan  K.  25*  wird  bei  Hattemer  47  in  ketaan  berichtigt) 
mhd.  getan,  nhd.  gethan,  alts.  aber  giduan,  ags.  gedön,  engl,  done, 
fries.  d6n  und  schon  dieser  Wechsel  ist  seltsam,  ich  bin  noch  un- 
sicher, wie  die  abgestumpfte  und  verengte  form  zu  deuten  sei.  nach 
dem  ahd.  tätum  sollte  tötan,  wie  von  tratum  trfe'tan  gebildet  ^wer- 
den; mir  aber  fällt  bei,  ob  nicht  das  ahd.  A  gegenüber  dem  ags.  0  er- 
klärung  finde  in  dem  unterschied  zwischen  ahd.  tratum  und  goth, 
trödum  (s.  848)?  vielleicht  darf  auch  dön  sich  vergleichen  dem  lat. 
döno  und  dönum? 

An  die  anomalie  von  thun  reiht  unmittelbar  die  von  stehn  und 
gehn ;  auch  bei  diesen  Wörtern  scheint  neben  der  gewöhnlichen  flexion 
eine  alte  auf  M  (griech.  Ml)  nach  zu  zucken,  jenem  tuom  tuos  tuot 
gleicht  ein  ahd.  stäm  stäs  stät  oder  auch  stßm  steis  steit,  und  gerade 
so  schwanken  gäm  gas  gät  und  g6m  geis  geit;  die  regelmäszige  form 
aber  lautet  stantu  stentis  stentit,  gangu  gengis  gengit. 

Offenbar  verhält  sich,  wie  tuom  zu  litth.  dumi  gr.  didco^i,  auch 
stäm  oder  stßm  zu  litth.  stowmi;  auf  die  gr.  form  werde  ich  hernach 
zu  reden  kommen,  das  latein  bietet  sto  steti,  wie  do  dedi.  war  nun 
dedi  unreduplicativ,  so  musz  es  auch  steti  sein,  und  nicht,  wie  man 
annimmt,  entsprungen  aus  stesti;  vielmehr  verkündigt  es  eine  wurzel 
STAT,  parallel  dem  DAD,  der  wurzel  von  dedi.  diese  wurzel  wird 
denn  auch  durch  das  lautverschobne  goth.  st6|)  pl.  stöpum  bestätigt, 
welches  ablaut  von  stapan  erscheint,  und  nach  der  oben  gefundnen 
regel  ein  volleres  reduplicierendes  stistöj)  voraussetzt;  die  praesens- 
formen   sind  jedoch  durch  nasales   N  in    standan    standa    erweitert 


*  Swao)  und  ö^ömxa  (==  6iS(öa(a  und  SsdiScuxa)  tilgen  öi-,  wie  lat.  do 
und  dedi  de-. 


SCHWACHE  VERBA  615 

worden,  gleich  diesem  goth.  standa  st6{)  verhalten  sich  die  ags. 
stende  stöd  stödon  und  altn.  stend.  stöd  stödu;  ahd.  aber  begann  das 
N  auch  ins  praet.  vorzurücken  und  stuant  stuantum,  stuont  stuontum,  887 
neben  dem  noch  vorbrechenden  stuat  stuatum,  stuot  stuotum  zu  er- 
zeugen, das  praesens  standa,  stantu  verhält  sich  aber  zu  jenem  alter- 
thümlichen  ahd.  stäm  oder  stem,  wie  sich  tetu  oder  titu  =  dedo  ver- 
halten würde  zu  tuom  ==  didca/ui.  Das  ahd.  part.  praet.  lautet  kistan- 
tan,  das  ags.  standen,  das  altn,  aber  stadinn,  und  noch  merkwürdiger 
das  got.  stöjians  1  Cor.  4,  11  (wo  ungasto^anai  instabiles),  welches 
zum  lat.  Status  auch  darin  stimmt,  dasz  aus  ihm  ein  neues  verbum 
gast6])anan  (Rom.  14,  4)  abgeleitet  wird,  wie  aus  statüs  statuere,  nur 
dasz  diese  beiden  kurzes  A  empfangen,  welches  man  dem  part.  von 
sisto  im  gegensatz  zu  dem  von  sto  einräumt.  Vielleicht  schüeszt  uns 
dies  den  Wechsel  kurzer  und  langer  vocale  auf  im  ahd.  stäti  constans, 
stätan  statuere  (mhd.  stsete  und  stseten)  und  ags.  stede  stabilis  (oder 
wäre  dies  stßde?)  neben  stadol  basis  ahd.  stadal.  noch  seltsamer 
scheint  kurzes  U  oder  0  ;in  den  gewis  verwandten  ahd.  kastudita 
statuit,  fundavit,  kastudnös  fundas,  ags.  stod  und  studu  postis,  altn, 
stod  fulcrum,  stydja  studdi  fulcire,  wobei  auch  altn.  stedi  fulcrum, 
incus  und  ahd.  stuzzan  fulcire  nicht  zu  übersehn  wäre,  in  welchem 
letztern  T  weiter  zu  Z  wird,  wie  schon  goth.  J)  in  D  ==  ahd.  T  aus- 
gewichen war.  Diese  wurzel  durchläuft  beinahe  die  ganze  abstufung 
der  linguallaute  und  der  vocale.  um  die  vocale  zu  einigen,  läge  es 
sogar  nahe  an  ein  goth.  stuj)an  staj)  stöjsum  (wie  trudan  trad  trö- 
dum)  zu  denken,  aus  welchem  erst  der  neue  ablaut  staj)an  stöj)  stöj)um 
gesprossen  wärej  diesem  stuj)an  entspräche  dann  aber  auch  ahd. 
stödan  stat  stätum,  woher  stat  locus  und  stäti  stabilis  flössen,  in 
studan  hätte  das  U  gehaftet,  den  langen  vocal  des  goth.  stöp  zeigen 
endlich  ahd.  urstuodall  resurrectio  und  einstuodali  purus,  urstuodali 
perspicax  (Graff  6,  654).  Alle  diese  formen  aber  bestätigen  die  an- 
nähme einer  lingualisch  ausgehenden  wurzel  STAT. 

Weiter,  setzt  standa  st6J>  ein  sistöj)  voraus,  so  fordert  auch  sto 
steti  ein  älteres  sisteti,  aus  welchem  füglich  die  nebenform  sisto,  und 
zugleich  das  gr.  LöTrjfii  zend.  histämi,  skr.  tiätämi  aufgeklärt  wird.  888 
die  reduplication  ist  aus  dem  praet.  ins  praesens  zurückgedrungen  und 
L6trj(ii  histämi  finden  sich  nicht  ganz  auf  gleicher  linie  mit  öida^i 
dadhämi,  weil  in  diesen  die  wurzel  DID  DAD  enthalten,  dort  aber 
STAT  verhüllt  ist,  für  löttj/iii  sollte  man  ötdtGi^t,  für  histämi  statämi 
oder  stathämi  gewarten,  die  skr.  gestalt  scheint  versetztes  stitämi 
statämi.  histämi  und  l'atrj^i  tauschen  S  mit  H  nach  dem  bekannten 
gesetz  (s.  299);  hier  aber  zeigt  sich  einleuchtend  H  als  der  spätere 
und  verderbte  laut,  denn  histämi  kann  nur  aus  sistämi  entsprungen 
sein,  das  lat.  sisto  bildet  ein  praet,  stiti  (exsisto  exstiti,  resisto 
restiti)  wie  sto  steti  (consto  constiti,  exsto  exstiti,  resto  restiti),  so  dasz 
exsisto  und  exsto  resisto  und  resto,  bei  ungleicher  bedeutung,  ein 
gleiches  praet.  bilden,  analog  scheinen  dedo  und  do,  doch  jenes  be- 
kommt dedidi,   dieses  dedi  und  die  Zusammensetzungen  addo  addidi, 


616  SCHWACHE  VERBA 

abdo   abdidi  u.  s.  w.,   mit  dedo  gibt   es  keine;  dedo  ist,   wie  dedidi 
zeigt,  unreduplicativ,  sisto  reduplicativ. 

Wiederum  läuft  dem  aM.  tuom  und  stäm  st6m  ein  gäm  g6m 
parallel,  woneben  sich  die  nasale  form  gangu  giang,  fast  wie  stantu 
stuant  einstellt;  dem  gotb.  praesens  gagga  findet  sich  zur  seite  kein 
gaigagg,  sondern  gaggida,  aber  auch  dies  erscheint  nur  ausnahms- 
weise und  das  übliche  praet.  lautet  iddja  iddj6s  iddja,  pl.  iddjedura 
iddjeduj)  iddjedun  ganz  nach  analogie  des  schwachen  -da  -des  -da, 
dedum  deduj)  d6dun,  nur  mit  durchgängiger  einschaltung  eines  I. 
dies  goth.  iddja  hat  in  allen  übrigen  deutschen  sprachen  seines  gleichen 
blosz  in  dem  ags.  eode  pl.  eodon,  was  noch  im  altengl.  yode  fort- 
dauerte, endlich  aber  einem  andern  hilfswort  erlegen  ist. 

Jedermann  sieht,  dasz  iddja  und  eode  eines  Stamms  sind  mit  dem 
skr.  emi,  gr.  d^i  und  litth.  eimi,  deren  praesens  wieder  jene  auch  in 
gäm  und  gßm  waltende  Mlform  zur  schau  trägt,  das  lat.  eo  und  sl. 
idu  ist  ohne  sie,  [auch  idem,  poln.  id^],  letzteres  zeigt  aber  inlautendes 
D,  wie  es  dem  linguallaut  von  iddja  und  eode  zu  begegnen  scheint, 
der  litth.  inf.  eiti  und  sl.  iti  stimmen  und  vergleichen  sich  dem  itum 
des  lat.  supinums,  [peritus  der  durchgegangen,  erfahren  hat]  viel- 
leicht dem  gr.  verbaladjectiv  Itog  ixBog,  wofür  auch  itrjtog  krjT^og 
889 vorkommen  (Buttm.  s.  554);  streift  das  ans  goth.  iddja?  dessen 
praesens  unsicher  zu  rathen  ist.  starkformiges  ida  könnte  wie  gagga 
gaggida  schwaches  ididia  empfangen,  woraus  mit  versetztem  laut  iddja 
erwuchs,  denn  organisch  wird  das  mitten  in  -da  eingeschaltete  I  nicht 
sein,  natürlicher  scheint  mir  aber  die  annähme  einer  reduplicierten 
form,  wie  aus  gr.  sdco  ein  praet.  s'd}]da  =  lat.  edi  (für  ededi?*) 
erwuchs,  mag  aus  lög)  =  lat.  eo  ein  Ydrjda  oder  etwas  dergleichen 
entspringen,  was  sich  nachher  in  ya,  jon.  fj'Ca  verengte;  denn  ich 
kann  Buttmann  und  seinen  nachfolgern  nicht  zugeben,  dasz  dies  jja 
für  das  imperfectum  ■ijsiv  stehe:  es  ist  deutliches  perfectum.  an 
solches  ^a  reicht  nun  iddja  ziemlich  nahe  und  zeigt,  schon  mit  seinem 
unverschobnen  D,  zurück  in  höchstes  alterthum.  sein  -a  und  -6dum 
sind  dem  -da  und  -dedum  blosz  analog,  wie  es  ein  idada  idßdum  sein 
würden  dem  vermuteten  didada  didedum.  gleich  dem  -da  hätte  auch 
-a  in  iddja  den  auslautenden  vocal  der  flexion  bewahrt. 

Hat  für  diese  drei  uralten  und  mit  einander  schritt  haltenden 
verba  meine  aufstellung  der  wurzeln  DID  STAj)  und  ID  grund,  so 
kommen  sie  fast  gebieterisch  zu  statten  der  nothwendigkeit  des  ge- 
setzes  consonantisch  auslautiger  stamme,  und  DA  STA  I  als  solche 
gelten  zu  lassen  ist  falscher  schein,  vocalisch  auslautendes  ansehn 
hat  ahd.  tuom,  litth.  dümi  nicht  minder  als  skr.  emi,  gr.  ft^/,  litth. 
eimi  und  doch  erkannten  wir  in  tuom  tituom;  wie  6mi  zu  ergänzen 
sei  entscheide  ich  nicht. 

*  und  hier  sähen  wir  endlich  den  grund,  warum  goth.  itan  das  praet. 
§t,  altn.  eta  ät  und  noch  mhd.  ezzen  zuweilen  äz  büden;  in  den  vocalan- 
laut  konnte  sich  ein  nachgefühl  der  alten  reduplication  (goth.  itat  =  et) 
werfen,  nicht  wenn  die  wurzel  consonantisch  anlautete. 


SCHWACHE  VERBA  617 

Selbst  den  romanischen  sprachen  ist  die  eingefleischte  analogie 
nicht  ganz  erloschen,  dare  und  stare  bilden  das  ital.  praet.  detti 
oder  diedi  pl.  dettero;  stetti  pl.  stettero,  ganz  wie  lat.  dedi  und  steti, 
und  neuer  beweis  dafür,  dasz  in  diesem  nicht  reduplication  obwalte,  890 
welche  der  romanische  sprachgeist  überhaupt  von  sich  ausgeschlossen 
hält.  An  den  platz  von  ire  ist  aber  ein  seltsames  andare  getreten, 
dessen  praet.  wiederum  andetti  oder  andiedi,  pl.  andettero  lautet,  wie 
im  span.  früher  andido  pl.  andidieron,  andodieron  (Diez  2,  149);  prov, 
anei  ani^ron,  wie  dei  =  dedi,  estei  =  steti.  hierbei  könnte  nun  leicht 
einflusz  des  goth.  iddja  oder  auch  blosz  analoge  anwendung  des  Suf- 
fixes diedi  =  dedit  walten,  dann  schiene  aber  auch  schon  dem  span. 
praesens  ando  auxiliares  do  und  dare  verwachsen,  aufzuhellen  bleibt 
nur  das  vorausgehende  an  oder  vielleicht  and,  wobei  zunächst  ans 
lat.  vadere  zu  denken  ist,  wie  sich  im  praes.  beide  formen  verthei- 
len:  it.  vo,  vai,  va,  andiamo  andata  vanno;  prov.  vauc,  vas,  va  pl. 
anam  anatz  van.  and  für  vand  könnte  sich  zu  vad  und  vo  wie  standa 
zu  stoj)  und  sto  verhalten;  möglicherweise  kann  bei  anar  das  bas- 
kische noa  eo  in  betrficht  kommen,  auch  die  abweichung  des  franz. 
aller  fällt  auf,  dessen  abkunft  aus  ambulare  unwahrscheinlich  ist. 

Im  roman.  estar  berühren  sich  esse  stare  und   exstare   existere, 
wie  gr.  d^l  und  el^l  einander  nahe  treten*. 

Ich  musz  noch  einmal  auf  den  begrif  des  thuns  kommen,  ihn  891 
drückt  die  altn.  spräche  durch  gera  aus  (schwed.  göra,  dän.  giöre), 
was  dem  ahd.  karawan  parare,  mhd.  gerwen,  nhd,  gerben,  in  dem 
eingeschränkten  sinn  von  parare  corium  entspricht,  geradeso  hat 
das  goth.  taujan  tavida  den  allgemeinen  sinn  von  agere,  facere,  das 
ags.  tävian,  ahd.  zouwan  zouwita  den  engeren  von  parare.  das  ahd. 
machen  alts.  macön,  ags.  macian  bedeutet  facere,  struere  und  ent- 
geht der  goth.  wie  altn.  spräche ;  noch  heute  unterscheiden  wir  machen 
facere  von  thun  agere.  allen  unsern  sprachen  eigen  ist  goth.  vaurk- 
jan,  ahd.  wurchan,  ags.  vyrcean,  altn.  yrkja  operari. 

Ist  aber  goth.  taujan  der  wurzel  nach  verwandt  mit  ahd.  tuon, 
ags.  dön?   [über  diphth.  14]  und  wird  in  tavida  tavidedum  die  eigne 

*  es  ist  anziehend  noch  andere  seltsame  ausdrücke  der  alten  spräche 
für  den  begrif  des  gehens  zu  bemerken.  [Bopp  gramm.  §  515.]  Ulfilas  ge- 
braucht auszer  snivan  vnäysiv,  (pd'dveiv  (vgl.  altn.  snüa  vertere)  einmal 
auch  Marc.  2,  23  skevjan  für  666v  noielv.  mit  diesem  skevja  eins  sein  musz 
das  ags.  ford  scio  proficiscor,  welches  auszer  Csedm.  67,  20  wieder  nicht 
vorkommt;  aber  es  mag  darin  auch  die  noch  unenthüllte  wurzel  des  goth. 
sköhs  calceus,  altn.  skör,  ahd.  scuoh,  ags.  sceo  stecken,  schuh  ist  das, 
worauf  man  geht,  wie  calceus  von  calcare  terram ,  oder  das  poln.  chodaki 
pl.  bastschuhe  von  chodzic  gehen  stammt,  [eilen  von  il  solea?  gramm.  I 
4,  97.]  Die  goth.  spräche  hat  kein  dem  alts.  giwitan  giwet,  ags  gevitan 
gevät  entsprechendes  gaveitan,  gavait  für  proficisci ;  einige  ahd.  mundarten, 
namentlich  T.  zeigen  jedoch  arwizan  arweiz  discedere  (Graff  1,  1116)  und 
auch  das  Hild.  lied  hat  gihueit  discessit.  zwischen  diesem  veitan  vitan  ire 
und  vitan  scire  musz  Zusammenhang  obwalten;  ohne  zweifei  gehört  dazu 
auch  das  ags.  viton  uton  und  mnl.  weten,  welche  sich  mit  Infinitiven  verbin- 
den und  ein  imperativisches  eamus,  agamus  ausdrücken  (gramm.  4, 89. 90. 944). 


eis  SCHWACHE  VERBA 

Wurzel  suffigiert?  in  diesem  fall  mtiste  angenommen  werden,  dasz 
aus  jenem  dida  dada  dedum  ein  schwaches  dadvjan  dadvida  ent- 
sprossen, allmählich  aber  in  daujan  davida  (wie  mir  bauan  nur  aus 
bagvan  erklärbar  scheint)  geschwächt,  endlich,  als  die  lautverschie- 
bung  begann,  zu  taujan  tavida  geworden  sei,  das  sich  ahd.  weiter 
in  zouwan  schob,  im  eingewachsnen  -da  -dedum,  so  wie  im  subst. 
deds  und  dßdja  haftete  das  alte  unverschobne  D,  während  der  anlaut 
T  annahm  und  auf  gleiche  weise  verhalten  sich  ahd,  Z  und  T  in 
zowita.  ähnliche  mischung  verschobner  und  unverschobner  form  zeigt 
die  spräche  in  dags  =  dies,  neben  dem  vermutlichen  goth.  Tius  und 
erweislichen  ags,  Tiv,  ahd.  Zio  =  deus. 

Wir  sahen  goth.  -da  für  -dada  neben  -dedum,  aber  ahd.  -ta  für 
-tata,  -tum  für  -tätum  eintreten,  also  das  wesen  der  schwachen  form 
auf  bloszem  T  beruhen,  noch  weiter  geht  nicht  selten  die  mnl.  mund- 
art,  indem  sie  sich  make  für  makede,  leve  für  levede,  dienese  für 
dienedese,  makese  für  makedese  u.  a.  m.  gestattet,  vgl.  Huyd.  op  St. 
1,  116,  117.     hier  ist  sogar  das  characteristische  D  ausgefallen. 


XXXV. 
YERSCHOBNES  PRAETERITUM. 


W^ir  sahen  vocale  durch  ablaut,  consonanten  durch  Verschiebung  892 
gewandelt;  warum  sollte  der  sprachgeist  nicht  auch  versuchen  ganze 
formen  vor  oder  zurück  zu  schieben,  ihnen  dadurch  andern  sinn  zu 
verleihen  und  nebenformen  daraus  hervorgehn  zu  lassen?  solche  Über- 
gänge werden  vorzugsweise  für  die  tempora  zu  erwarten  sein. 

Es  verdient  schon  aufmerksamkeit ,  dasz  einzelne  verba  dem 
praesens  bedeutung  des  futurums  beilegen,  so  drückt  das  ags.  beo 
bis  bid  gewöhnlich  ero,  das  gr.  el^l  bei  den  Attikern  ibo  aus.  zu 
beo  fügt  sich  das  sl.  budu  ero. 

Nächst  dem  trägt  es  sich  zu,  dasz  ablaute  des  pl.  praet.  ind., 
welchen,  wie  wir  wissen,  die  des  gesamten  praet.  conj.  gleich  sind, 
rückwärts  steigen  und  den  sg.  praet.  ind.  einnehmen,  so  gilt  uns 
nhd.  neben  dem  frischeren  ward  ein  abstracteres  wurde  mit  schein- 
bar schwacher  form;  das  mhd.  gan,  vergan  ist  ganz  verdrängt  durch 
ein  aus  dem  alten  pl.  gunnen  oder  dem  conj.  günnen  stammendes 
gönnt,  mit  dem  praet.  gönnte,  und  in  den  sg.  der  meisten  praet. 
vierter  conj.  ist  heute  der  pl.  ablaut  gedrungen,  für  mhd.  sneit  reit 
streit  greif  reiz  sagen  wir  schnitt  ritt  stritt  grif  risz  und  mitunter 
hört  man  sogar  stürbe  erwürbe  f,  starb  erwarb.  Ein  weit  älteres 
beispiel  des  in  den  ind.  gerückten  conjunctivs  werde  ich  im  verfolg  893 
bei  dem  worte  viljan  behandeln.  Die  gesamte  ahd.  mhd.  alts.  und 
ags.  spräche  haben  in  ihre  II  praet.  ind.  die  conjunctive  flexion  mit 
dem  pluralablaut  des  ind.  eingelassen  (s.  487.  651.  661),  so  dasz  ahd. 
punti  ligasti,  käpi  dedisti  formell  dem  goth.  bundeis  ligaveris,  gßbeis 
dederis  entspricht,  und  auf  diese  weise  durchgängig. 

Viel  öfter  geschieht  aber,  dasz  das  praeteritum  wieder  den  sinn 
des  praesens  empfängt  und  in  unsrer  spräche  konnte  dies  desto  rein- 
licher bewirkt  werden,  seit  die  schwache  form  eingeführt  war,  mit- 
telst welcher  nun  augenblicklich  ein  neues  praeteritum  sich  schaffen 
liesz. 

Solche    praeteritopraesentia    entspringen    hauptsächlich    für   die 


620 


VERSCHOBNES  PRAETERITÜM 


ältesten  einfachsten  abstractionen  und  erlangen  in  der  spräche  sehr 
bald  auxiliare  Verwendung,  so  dasz  sie  allenthalben  wiederkehren  und 
der  rede  durch  ihren  unter  praesensformen  gemengten  ablaut  klang 
und  manigfaltigkeit  bereiten.  Nicht  minder  günstig  mischen  sich  die 
aus  ihnen  gezeugten  schwachen  praeterita  mit  den  übrigen  starken 
oder  schwachen,  da  sie  von  letztern  durch  die  abwesenheit  des  hier 
undenkbaren  ableitungsvocals  sichtbar  abstechen. 

Meistentheils  erlischt  das  zum  grund  liegende  alte  praesens, 
einigemal  aber  dauert  es  neben  dem  praeteritopraesens  fort,  welchem 
jedoch  eine  verschiedne,  abstractere  bedeutung  zuzustehn  pflegt. 

Jedes  verbum  dieser  anomalie  unterscheidet  also  praesens  und 
praeteritum  der  bedeutung  nach,  verleiht  aber  beiden  die  flexion  des 
praeteritums,  und  zwar  dem  praesens  die  des  starken,  dem  praeteri- 
tum die  des  schwachen,  im  pl.  indic.  haben  demnach  beide  tempora 
den  ausgang  -um  -ut  -un. 

Es  kann  nicht  von  ungefähr  sein,  dasz  das  gesetz  sich  in  alle 
fünf  reihen  des  ablauts  erstreckt,  niemals  aber  begegnet  es  in  den 
reduplicationsreihen,  d.  h.  nie  zeigt  eine  unsrer  reduplicationen  sich 
ins  praesens  zurückgeschoben,  also  nie  wird  aus  einem  reduplicieren- 
den  praet.  ein  schwaches  zweiter  potenz  gebildet,  wieder,  dünkt 
894  mich,  ein  beweis  für  das  jüngere  alter  der  deutschen  reduplicationen 
gegenüber  den  ablauten,  d.  h.  den  alten  reduplicationen. 

Diese  schöne  anomalie  erblicken  wir  in  fortschreitender  abnähme, 
die  gothische,  nur  unvollständig  überschaubare  spräche  bietet  bei 
weitem  die  meisten  fälle,  unser  heutiger  sprachstand  die  wenigsten  dar. 
da  gleichwol  in  den  zwischen  beiden  liegenden  dialecten  noch  solcher 
verba  einzelne  auftauchen,  die  den  Gothen  abgehen,  so  darf  geschlossen 
werden,  dasz  diesem  manche,  nunmehr  verschollene,  zu  geböte  standen. 
Im  gothischen  erscheinen  folgende  dreizehn: 
I  kann         kant  kann         kun|)a  kun|)6s  kunj)a 

kunnum   kunnuj)     kunnun    kun|)6dum    kunj)6duj)     kun|)6dun 
J)arf  J)arft         parf  J)aurfta         J)aurftes        J)aurfta 

|)aurbum  |)aurbu])  |)aurbun  paurftödum  |)aurft6du]3  |)aurft6dun 
dars  darst         dars  daursta         daurstös        daursta 

daursum  daursuj)    daursun    daurstedum  daursteduj)  daurstedun 

skulda  skuldes         skulda 

skuldedum    skuldöduj)     skuldßdun 
munda 
mundedum 
mahta 
mahtödum" 
nauhta 
nauhtedum 
öhta 
öhtedum 
mösta 
möstedum 


skal 

skalt 

skal 

skulum 
man 

skuluj) 
mant 

skulun 
man 

munum 

munuj) 

munun 

mag 

mäht 

mag 

magum 
nah 

maguj) 
naht 

magun 
nah 

nauhum 
6g 

nauhuj) 
öht 

nauhun 
ög 

ögum 
möt 

ögUj) 

möst 

ögun 
möt 

mötum 

mötuj) 

mötun 

mundes 

munda 

mundeduj) 
mahtös 

mundedun 
mahta 

maht6du|) 
nauhtes 

mahtedun 
nauhta 

nauhteduj) 
öhtes 

nauhtedun 
öhta 

öhteduj) 
möstßs 

öhtedun 
mösta 

mösteduj) 

möstedun 

VERSCHOBNES  PRAETERITÜM 


621 


äih 

äiht 

äih 

aihum 
vait 

aihup 
vaist 

aihun 
vait 

vitum 
lais 

vituj) 
laist 

vitun 
lais 

lisum 
däug 
dugum 

lisuj) 

däuht 

duguj) 

lisun 
däug 
dugun 

aihtös 

aihta 

aihtedup 

aihtedun 

viss6s 

vissa 

visseduj) 

vissedun 

listes 

lista 

listedu]) 

listedun 

daühtes 

daühta 

daüMedub 

daühtedun 

IV  äih  äiht  äih  aihta 

aihtedum 

vissa 

viss6dum 

lista 

listedum 

daühta 

daühtedum  daühtedup  daü 
Hier  bleibt  nun  einiges  über  vocale  und  consonanten  zu  erörtern.  895 
in  I III IV  und  V  scheinen  alle  ablaute  regelrecht,  izwischen  äi  und 
ai,  äu  und  aü  habe  ich  nach  meiner  theorie  unterschieden,  die  buch- 
staben  bei  Ulfilas  erbringen  keinen  beweis  dafür,  in  III  kann  die 
anomalie  keinen  vocalwechsel,  nur  einförmiges  ö  zeigen,  das  ist  in 
Ordnung.  Desto  auffallender  sind  die  plurallaute  der  zweiten  con- 
jugation,  sowie  der  danach  sich  richtenden  schwachen  praeterita. 
warum  heiszt  es  nicht  skelum  wie  von  stilan  st6lum,  m6gum  wie  von 
ligan  l6gum,  mßnum  wie  von  niman  n6mum?  ja,  was  verursacht, 
dasz  selbst  magum  von  skulum  munum  abweicht,  und  gar  nicht  von 
neuem  ablautet,  sondern  den  vocal  des  sg,  festhält?  fehlerhaft  sein 
kann  er  nicht,  da  auch  die  ahd.  formen  von  der  gewöhnlichen  regel 
sich  entfernen;  das  verhalten  so  uralter  verba  musz  einer  freiheit 
der  ablaute  zugeschrieben  werden,  die  ihrer  eigentlichen,  sich  erst 
niedersetzenden  Ordnung  vorausgieng.  sehen  wir  doch  überhaupt  die 
zweite  conjugation  sich  in  zwei  arten  spalten,  je  nachdem  schon  I 
oder  noch  das  alte  U  waltet;  die  goth.  spräche  schützt  das  letztere 
vor  liquiden  im  part.  praes.  stulans  baurans  numans,  während  sie  vor 
mutis  I  setzt,  es  sei  denn  schon  im  praesens  U  enthalten,  wie  in  tru- 
dan  trudans.  skal  und  man  ziehen  es  selbst  in  den  pl.  praet.,  die 
muta  in  mag  magum  hat  A  vor  sich,  zu  den  vocalen  in  skulum 
munum  magum  stimmen  auszer  skulda  munda  mahta  auch  die  ur- 
alten substantiva  skula  skuldö  muns  gamunds  und  mahts;  ohne 
zweifei  sind  sie  vollkommen  organisch. 

Niemals  zeigt  eine  goth.  anomalie  zweiter  conj.  ]ß  noch  0,  doch 
mag  hier  gleich  gesagt  werden,  dasz  vom  alts.  farman  sperno  far- 
manst  farman  ein  pl.  farmuonun  möglich  scheint,  nach  dem  praet. 
farmuonstun  Hei.  161,  7,  wofür  81,  14  fälschlich  farmunste  steht, 
wo  auch  die  andere  hs.  farmönsta  d.  i.  farmuonsta  gewähi't.  dieser 
Wechsel  von  munan  mönum  vergliche  sich  wieder  dem  funa  fön  (s.  847) 
und  nun  glaube  ich  auch  ein  andres  bisher  räthselhaftes  vocalver- 
hältnis  anschlieszen  zu  können,  binah  oportet,  ganah  sufficit  zeugen 
auszer  binaühts  und  ganaüha  auch  ein  adj.  ganöhs,  wovon  weiter 
ganöhjan  erwächst;  gerade  so  erscheint  ahd.  neben  .ginuht  abundantia  89G 
das  adj.  ginuogi  sufficiens ;  dieser  Wechsel  zwischen  ü  und  0  nöthigt 
also  wieder  ein  naühan  nah  nöhum  anzusetzen;  welches  völlig  zu 
trudan  trad  trödum  gefüg  ist. 

Bei  den  consonanten  ist  die  abstufung  des  schwachen  -da  -dedum 
ins  äuge  zu  fassen,     nach  L  und  N  bleibt  es  unverändert  in  skulda 


622 


VERSCHOBNES  PRAETERITUM 


munda;  nach  N  für  NN  hingegen  wird  es  -J)a  -J)6dum  :  kunpa,  ohne 
zweifei  auch  in  dem  bei  Ulfilas  nicht  vorkommenden  ann  unnum 
un{)a;  ich  habe  den  grund  dieses  merkwürdigen,  wahrscheinlich  für 
alle  goth.  NJ)  wichtigen  wechseis  noch  nicht  entdeckt.  Nach  H  und 
S,  desgleichen  wenn  wurzelhafte  gutturalis  oder  lingualis  selbst  in 
H  oder  S  gewandelt  wird,  geht  es  über  in  -ta  -tedura  :  aihum  alhta, 
nauhum  nauhta,  magum  mahta,  dugum  dauhta,  lisum  lista,  daursum 
daursta,  mötum  mösta,  ja  für  vi  tum  vista  tritt  sogar  die  assimilation 
vissa  ein,  folglich  ist  mösta  vissa  mahta  zurückzuleiten  auf  mötda 
vitda  magda.  Dies  -ta  für  -da  darf  nicht  als  lautverschiebung  an- 
gesehn  werden,  sondern  als  festgehaltnes  urverwandtes  T,  wie  es  z.  b. 
in  mactus  (neben  mox  s.  281)  und  nox  noctis  waltet,  wegen  SS  für 
ST  vgl.  oben  s.  363. 

Die  ahd.  spräche  hat  solcher  verba  eilf: 


897 


I  an 

anst 

an 

onda 

ondös 

onda 

unnum 

unnust 

unnun 

ondum 

ondut 

ondum 

chan 

chanst 

chan 

chonda 

chondös 

chonda 

chunnum  chunnut 

chunnun 

chondum 

chondut 

chondun 

darf 

darft 

darf 

durfta 

durftös 

durfta 

durfum 

durfut 

durfun 

durftum 

durftut 

durftun 

tar 

tarst 

tar 

torsta 

torstös 

torsta 

turrum 

turrut 

turrun 

torstum 

torstut 

torstun 

II  scal 

scalt 

scal 

scolta 

scoltös 

scolta 

sculum 

sculut 

sculun 

scoltum 

scoltut 

scoltun 

mac 

mäht 

mac 

mahta 

mahtös 

mahta 

makum 

makut 

makun 

mahtum 

mahtut 

mahtun 

nah 

naht? 

nah? 

ginohta  ? 

ginohtos  ? 

ginohta  ? 

nuhum? 

nuhut? 

nuhun? 

ginohtum  ? 

ginohtut? 

ginohtun? 

II  muoz 

muost 

muoz 

muosa 

muosös 

muosa 

muozum 

muozut 

muozun 

muosum 

muosut 

muosun 

:v  eh? 

6ht? 

eh? 

ehta? 

ehtös? 

ehta? 

eikum 

eikut 

eikun 

ehtum? 

ehtut? 

eh  tun? 

weiz 

weist 

weiz 

wissa 

wissös 

wissa 

wizzum 

wizzut 

wizzun 

wissum 

wissut 

wissun 

V  touc 

töht 

touc 

tohta 

tohtös 

tohta 

tukum 

tukut 

tukun 

tohtum 

tohtut 

tohtun. 

Dem  goth.  man,  6g,  lais  entspricht  also  kein  ahd.  man,  uok,  leis 
mehr,  und  zwei  andere  nah  und  eh  scheinen  im  aussterben  begriffen, 
da  von  jenem  nichts  übrig  ist,  als  pinah  oportet  und  ginah  sufficit, 
von  eh  blosz  der  pl.  eigum  eigut  eigun  im  gebrauch;  die  nomina 
gimund,  list,  eht,  vielleicht  auch  naht  bezeugen  das  frühere  vollstän- 
dige dasein  der  anomalie.  pikan  bigan,  coepi  nahm  ich  anstand  bei- 
zufügen, weil  das  oft  erscheinende  praet.  pikonda  pikunsta  dem  chonda 
und  onda  abgesehn  sein  könnte,  das  regelmäszige  praes.  pikinnu  und 
praet.  pikan  aber  unbeeinträchtigt  walten;  erwiesen  sein  würde  die 
anomalie,  sobald  sich  ein  pikanst  coepisti  für  pikunni  aufzeigen  liesze. 
Sonst  stimmt  fast  alles  zu  den  goth.  Verhältnissen,    in  den  ano- 


VERSCHOBNES  PRAETERITUM  623 

roalien  zweiter  conj.  sind  sculum,  makum,  wahrscheinlich  auch  nuhum 
wie  goth.  skulum,  magum,  nauhum.  neben  magum  gewähren  aber 
einzelne  denkmäler  mugum  und  dann  im  praet.  mohta.  nur  das  EI 
des  pl.  ind.  eigum  und  aller  conjunctivformen  weicht  von  dem  kur- 
zen I  ab,  das  man  hier  erwarten  sollte,  wird  aber  durch  das  ags. 
ägon  und  altn.  eigu  bestätigt ;  entweder  ist  also  meine  Unterscheidung 
des  goth.  äih  und  aihum,  väih  vaihum,  gatäih  gataihum,  läihv  laihvum, 
päi  J)aihum,  J)räih  J)raihum  falsch,  oder  blosz  in  eigum  Verwirrung 
eingetreten,  und  für  letzteres  redet  die  richtige  Scheidung  der  ahd. 
zeh  zihum,  l6h  lihum.  doch  könnte  man  sagen,  das  AI  des  sg.  äih 
sei  in  den  plural  gedrungen  gleich  dem  A  des  sg.  mag  in  magum, 
und  dann  wäre  auch  goth.  äihum  oder  äigum  zu  schreiben.  Was 
die  consonanten  der  schwachen  form  angeht,  so  entsprechen  onda  und 
chonda  nach  der  lautverschiebung  dem  goth.  kunpa,  ferner  scolta898 
dem  goth.  skuldar  und  ganz  genau  durfta  torsta*  mahta  töhta  dem 
goth.  J)aurfta  daursta  mahta  dauhta,  wodurch  zugleich  bestätigt  wird, 
dasz  hier  das  goth.  T  nicht  das  gewöhnliche,  der  Verschiebung  in 
ahd.  Z  unterliegende  sein  könne.  Anstatt  muosa  zeigt  sich  auch 
muosta,  gleich  dem  goth.  mösta;  ST  und  S  haben  hier  dasselbe  recht; 
und  letzteres  sahen  wir  s.  360  eben  so  in  visus  und  l'öog  für  vistus 
ioTog.  nicht  anders  schwanken  wissa  und  wfJsta,  wo  goth.  vissa  gilt; 
nach  kurzem  vocal  pflegt  SS,  nach  langem  einfaches  S  aus  der  er- 
weichung  zu  entspringen,  die  II  praes.  zeigt  muost  und  weist  und 
es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  dasz  das  S  in  solchen  ST  ganz 
vom  Z  in  muoz  muozum,  weiz  wizum  absteht  und  gleich  dem  RS  in 
tarst  torsta  durch  die  Verbindung  mit  T  haftete,  wie  schön  und 
empfindbar  war  in  der  ahd.  ausspräche  muozum  debemus  und  muo- 
sum  debuimus,  wizzum  scimus  und  wissum  scivimus  gesondert;  aber 
wie  verhüllt  liegt  im  ahd,  muosa  und  wissa,  im  goth.  mösta  und 
vissa  das  der  schwachen  flexion  wesentliche  -da! 

Es  würde  ermüden,  wollte  ich  diese  anomalie  durch  alle  unsere 
sprachen  ausführen,  mir  genügt  anzugeben,  was  die  übrigen  dabei 
eignes  zeigen  und  was  sie  zulängst  bewahren,  ann  dauert  ags.  und 
altn.  fort  und  bildet  das  richtige  praet.  ags.  ude,  altn.  unni,  wie  cann 
kann  cude  kunni.  gan  und  vergan  erhielten  sich  über  die  mhd.  zeit 
hinaus,  bis  zu  Burkard  Waldis,  und  wichen  endlich  dem  regelmäszigen 
gönnt,  vergönnt,  das  aus  dem  alten  pl.  gebildet  wurde,  für  goth. 
gadars  gadaursum  gadaursta,  ahd.  tar  turrum  torsta,  mhd.  tar  tür- 
ren  torste  steht  ags.  dear  durron  dorste,  mnl.  dar  dorren  dorste; 
das  altn.  J)ora,  schwed.  töras  hat  andern  anlaut,  einfaches  R  (nicht 
RR  ==  RS)  und  regelmäszige  flexion.  man  dauert  im  ags.  geman  (oder 
gemon)  gemunon  so  wie  im  altn.  man  munum  fort.  ags.  beneah  und 
geneah  habe  ich  zuElene  s.  152  aufgewiesen,  das  praet.  lautete  benohte899 
genohte;  wahrscheinlich  ist  das  altn.  regelmäszig  flectierte  nä  consequi. 


*  als  torsta  entsprang,  muste  noch  das  praes.  tars  tursum  lauten,  das 
allmählich  zu  tar  turrum  wurde;  im  praet.  war S  durch  folgendes T gebunden. 


624  VERSCHOBNES  PRAETERITUM 

impetrare  verwandt,  mag  mahta  heiszt  altn.  mä  pl.  megum,  praet. 
mätti,  in  welcher  form  gleichen  schritt  hält  knä  possum,  pl.  knegum, 
praet.  knätti,  unterschieden  von  kann  novi  pl.  kunnum,  praet.  kunni. 
zu  knä  gehören  die  der  anomalie  nicht  unterworfnen  ahd.  chnähan 
ehnäta,  ags.  cnävan  cneov  part.  cnaven,  beide  noscere  ausdrückend, 
die  zwei  anomalien  dritter  conj.  goth.  6g  und  möt  gebrechen  der  altn. 
Sprache,  doch  läszt  sich  aus  dem  verhalten  der  regelmäszigen  öga 
ogadi  metuere  und  otta  ottadi  terrere  ein  verlornes  altes  6  ött  6, 
pl.  öum  oder  ögum  ahnen,  goth.  aih  aihta  besteht  im  alts.  ßh  6gun 
6hta,  ags.  äh  ägon  ähte,  fries.  ach  ägon  ächte,  altn.^ä  ätt  ä  pl.  eigum, 
praet.  ätti,  inf.  eiga,  über  Wandlung  des  EI  in  A  gramm.  I,  458. 
mnd.  entfaltete  sich  ein  regelmäszig  schwaches  egen  habere,  decere, 
merere,  dessen  III  praes.  eget  und  praet.  egede  lautet,  dem  goth. 
daug,  ahd.  mhd.  touc  zur  seite  steht  noch  alts.  dög,  mnl.  doch,  ags. 
deäh  zur  seite ;  nhd.  beginnt  für  taug ,  das  noch  Opitz ,  Chr.  Weise, 
der  Simplicissimus  haben,  fehlerhaftes  taugt,  praet.  taugte;  schon 
das  altn.  duga,  dän.  due  hat  schwache  form.  Statt  der  goth.  drei- 
zehn, ahd.  eilf  anomalien  hat  die  mhd.  spräche  nur  neun,  die  nhd. 
sechs  behalten. 

Hervorzuheben  ist  noch,  dasz  in  die  ags.  II  praet.,  welche  ahd. 
wie  goth.  immer  auf  -t  ausgeht,  der  conjunctivische  vocal  und  ab- 
laut  vorzudringen  beginnt,  wie  er  im  regelmäszigen  starken  praet. 
herscht.  neben  väst  novisti,  ähst  habes  (EI.  725),  meaht  potes,  dearst 
audes  reiszt  schon  äge  dürre  dugo  cunne  unne  ein. 

Unmittelbar  an  die  eben  erörterte  anomalie  schlieszt  sich  noch 
eine  einzelne  mit  der  besonderheit,  dasz  das  verlorne  alte  praesens 
ind.  zwar  auch  aus  dem  praet.,  aber  ganz  conjunctiver  gestalt  ersetzt 
wird,  d.  h.  überall  waltet  der  pluralablaut.  im  praesens  gilt  also 
nur  conjunctivflexion,  wie  sie  einem  starken  praet.  gebührt,  während 
900  das  schwache  praet.  noch  beide  modos,  ind.  und  conj.  auf  die  ge- 
wöhnliche weise  scheidet. 

Dem  goth.  praes.  viljau  vileis  vili,  pl.  vileima  vilei])  vileina, 
welches  sowol  volo  als  velim  ausdrückt,  steht  im  praet.  vilda  vildßs 
vilda  pl.  vildedum  vildeduj)  vildödun  für  volui  und  vildödjau  vildedeis 
vildedi  u.  s.  w.  für  vellem  oder  voluerim  zur  seite.  alle  diese  ab- 
laute mit  I  weisen  zurück  auf  einen  stamm  veila  vail  vilum. 

Ahd.  findet  manigfalte  mischung  der  formen  nach  modus  und 
tempus  statt,  die  zuletzt  Übergänge  in  den  ablaut  erster  oder  zweiter* 
conjugation  herbei  führte ;  man  kann  an  diesem  verbum  die  eigenheit 
fast  aller  einzelnen  denkmäler  prüfen,  ich  habe  sie  bereits  gramm. 
1,  884  angegeben  und  erklärt,  wozu  auch  GraflPl,  817 — 820  verglichen 
werden  mag.  in  der  III  sg.  wili  =  goth.  vili  behauptete  sich  das 
praet.  conj.  am  längsten,  doch  daneben  drängte  wfe'116  mit  praesens- 
flexion  vor,  die  den  ganzen  plural  einnahm,     weil  nun  solches  wolle 


*  auf  wilan  wal  führt  nemlich  das  abgeleitete  transitive  welian  wellan 
eligere,  goth.  valjan. 


VERSCHOBNES  PRAETERITUM  625 

w6ll6m  wollet  gegenüber  willu  dem  conjunctiv  su6ll6  suöll6m  sufe'll6t 
mit  dem  part.  praet.  suoUan  gegenüber  suillu  glich,  so  gelangte  man 
leicht  bei  einem  verbum,  dessen  praesens  und  praeteritumsbegrif  über- 
all schwankte,  auf  den  infin.  woUan  und  auf  wolle  woll6m  wolta  statt 
und  neben  wöllan  —  wölta,  die  dem  goth.  viljan  —  vilda  näher 
lagen,  jünger  müssen  die  Oformen  sein,  wenn  bereits  das  sie  begrün- 
dende LL  aus  LI  hervorgieng;  doch  hat  auch  die  ags.  spräche  im 
praet.  volde  entfaltet,  die  altn.  aber  vildi  behauptet,  mhd.  herscht 
wolte,  mnl.  wilde  neben  woude. 

Nicht  enthalten  kann  ich  mich  aus  einer  ags.  Urkunde  des  neun- 
ten jh.  (bei  Kemble  2,  121)  die  merkwürdige  formel  auszuheben:  ic 
Alfred  Vilio  and  ville',  wo  nachdrucksvoll  beide  tempora  verbunden 
stehn.  sie  läszt  sich  in  ein  ahd.  'willu  inti  will'  oder  ein  lat.  'volo 
velimque'  übertragen. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dasz  das  goth.  adverb  vaila  bene  unmittel-  901 
bar  zu  viljan  gehört  und  den  im  verbum  selbst  nicht  mehr  auftauchen- 
den ablaut  vail  zeigt.  Vorstellungen  des  willigen,  gefälligen,  guten 
liegen  einander  nah,  wie  wir  noch  heute  'gern  und  gut'  zu  verknüpfen 
pflegen,  ahd.  wfe'la  steht  aber  nicht  für  wela  weila,  sondern  ist  mit 
dem  pluralen  I  gebildet,  was  wieder  durch  die  nebenform  wola  be- 
stätigt wird,  nicht  anders  vertreten  sich  die  substantiva  wölo  und 
wolo  opulentia. 

Nun  aber  musz  die  hauptfrage  dieser  Untersuchung  aufgewor- 
fen werden:  was  war  grund  und  anlasz  aller  bisher  besprochnen 
anomalien?  ohne  zweifei  ein  aus  dem  begrif  solcher  Wörter  von 
selbst  fliezsender  Übergang  der  bedeutung  des  praeteritums  in  die 
des  praesens;  und  ich  darf  noch  weiter  gehend  aufstellen:  die  ab- 
stracte  Vorstellung  des  praesens  führt  jedesmal  zurück  auf  eine  sinn- 
liche des  praeteritums.  Hier  wird  uns  ein  lichter  blick  in  das 
geheimnis  der  spräche  gestattet,  und  glückt  es  mir  nicht  alle  for- 
men aufzulösen,  so  soll  doch  die  nothwendigkeit  des  Verfahrens  ein- 
leuchten. 

kann  novi  setzt  ein  kinnan  gignere  voraus,  dessen  NN  so  unur- 
sprünglich sein  musz  wie  das  in  rinnan  und  brinnan  (s.  853),  so  dasz 
die  ältere  form  kina  kan  gewesen  sein  musz,  welche  auch  kuni  genus 
yBvog  und  ahd.  chind  proles  bestätigt.*  im  gr.  yBvvdcs  dieselbe  ge- 
mination  und  ebenso  im  ahd.  chunni.  kann  drückt  demnach  aus  was 
lat.  genui  und  vielleicht  auch  ursprünglich  gr.  yeyova,  das  aber  in 
den  sinn  von  natus  sum  auswich,  wogegen  yiyvioöxca  yivciöKa)  und 
lat,  nosco  =  gnosco  den  von  kunnan  empfangen,  man  dürfte  sagen, 
kinnan  geht  durch  ablaut,    gigno  durch  ableitung  in  den  begrif  des 


*  kuni  vermag  sogar  auf  kuna  kan  konum  (wie  funa  fan  fonum  s. 
847)  zu  leiten  und  damit  würde  kons  ahd.  chuoni  audax  erklärbar,  über 
welches  ich  neulich  bei  Haupt  6,  543  anders  gerathen  hatte,  kuna  kan 
konum  darf  aber,  meiner  ansieht  nach,  auszer  und  neben  dem  oben  s.  847 
gemutmaszten  qina  qan  qenum  gelten. 

Glimm,  geschickto  der  deatsclien  spracke.  40 


626  VERSCHOBNES  PRAETERITÜM 

erkennens  über,     zeugen  und  erkennen  sind  vielfach  in  einander  grei- 
fende Vorstellungen*. 

902  goth.  J)arf  bedeutet  egeo,  was  wir  heute  durch  ich  darbe  oder 
bedarf  ausdrücken,  gerade  nun  wie  aus  lat.  ago  egeo  scheint  mir 
auch  aus  einem  verlornen  goth.  pairba,  das  gleichfalls  agere  facere 
operari  bedeutet  haben  musz,  J)arf  abzuleiten,  wohnt  diesen  Wörtern 
zumal  der  sinn  des  opferns  bei  (mythol.  s.  27)  so  mag  parf  auszu- 
legen sein:  ich  habe  dargebracht,  d.  h.  bin  jetzt  ohne  opfergegen- 
stände  und  warte  auf  neue  [sl.  treba  opfer  und  noth] ;  es  war  priester- 
licher ausdruck**.  ahd.  wird  das  kirchliche  azymus  mit  dörp,  ags. 
mit  peorf  übertragen,  das  war  noch  das  heidnische  wort  für  opfer- 
bar; der  bedächtigere  ülfilas  meidet  ein  ihm  wahrscheinlich  zu  gebot 
stehendes  pairbs  zu  brauchen  und  verdeutscht  getreuer  durch  un- 
beistjöj)s.  leicht  ist  meine  s.  809  vorgetragne  deutung  des  dakischen 
Dorpaneus  falsch  und  Thaurbaneis  Dorfuni  ein  priestername,  denn  die 
slavische  und  finnische  spräche,  wie  ich  schon  s.  328  ausführte,  be- 
zeugen diesen  merkwürdigen  Zusammenhang  der  begriffe  opus  sacrifi- 
cium  und  necessitas.  sogar  das  lat.  ""opus  est'  kommt  meiner  er- 
klärung  unseres  'darf'  zu  statten***. 

gadars  audeo  vergleicht  sich  zunächst  dem  gr.  ^aQöäa  (daggsco 
=  ahd.  tar  turrum)  und  das  adj.  fd'agövg  ==  Q'Qaövg  ist  das  litth. 
drasus  audax  [skr.  dihrh,  dhar§  andere  Bopp  gloss.  186*];  man  sehe 
auch  s.  195.  das  zum  grund  liegende  dairsa  musz  einen  sinnlichen 
begrif  enthalten,  den  ich  noch  nicht  bestimmt  kenne,  die  Vorstellung 
des  begehrens,  wie  sie  im  lat.  aveo  liegt,  das  wol  mit  audeo  ausus 
sum  (für  avisus  ?  nach  gaudeo  gavisus)  nah  verwandt  sein  wird,  ist 
mir  nicht  sinnlich  genug,  gadars  müste  sagen:  ich  habe  gefochten,  ge- 
kämpft, das  mhd.  wägen  audere  (denn  ahd.  wäkön  fehlt)  stammt  von 
wigen  und  bedeutet  etwas  wie  commovere. 

903  skal  debeo  setzt  skila  voraus,  aber  der  begrif,  welchen  ich  die- 
sen Wörtern  beilege,  wird  überraschen,  skila  musz  heiszen  ich  tödte 
oder  verwunde,  skal  ich  habe  getödtet,  verwundet  und  bin  zu  wergeld 
verpflichtet,  von  skila  ist  übrig  das  goth.  skilja  lanio  schlächter, 
tödter  1  Cor.  10,  25,  ich  denke  das  ahd.  scfe'lmo  pestis  (wie  hSlm  von 
hilu)  [oben  s.  236]  und  sc6lmlc  morticinus,  vielleicht  auch  altn.  skilja 
discriminare,  intelligere,  wenn  man  die  bedeutung  dilaniare  discindere 
diffindere  unterlegen  darf.  Aber  nun  wird  alles  bedenken  schwinden, 
warum  bei  ülfilas  dulgs  debitum,  ags.  dolg  ahd.  tolc  hingegen  vulnus, 
altn.  dölgr  hostis  aussagen;  wunden  waren  dem  alterthum  gleich  dem 
todschlag  hauptgegenstand   der    composition.f    jetzt  erläutern  beide 


*  cognoscere  uxorem  Genes.  4,  1.  17.  25,  sin  wip  erkennen.    Diut.  3,  55. 

^       **  und  bestärkt  dieser  nicht  in  dem  was  ich  s.  819  sage? 

♦      ***  dso)  Seofiai  binde  und  öio)  ösoßai  mangle,  bedarf,  bitte  dürfen  nicht 

von  einander  gesondert  werden,  ol  ösöfievoi  sind  die  bittenden  und  äel  heiszt 

oft  was  x^T].    auch  goth.  binda  für  bida  mag  verwandt  sein  mit  bidja  peto. 

t  v^.  s.  325.  653  und  meine   vorrede   zu   Rösslers  rechtsdenkm.  aus 

Böhmen  und  Mähren.    Prag  1845. 


YERSCHOBNES  PRAETERITUM  627 

ausdrücke  sculd  nnd  dulgs  einander  auf  das  bündigste.  Wie  lange  zeit 
mochte  schon  verstrichen  sein,  seit  den  Gothen  diese  kriegerischen 
Wörter  in  die  bedeutung  jeder  andern  schuld  tibergegangen  waren  und 
das  verbum  skal  die  abstraction  unserer  anomalie  angenommen  hatte?  ' 
Luc.  7,  41  erscheinen  sogar  dulgis  skula  unmittelbar  zusammen.  Ich 
kann  aber  noch  andere  zeugen  aufrufen,  das  lett.  waina  ist  wiederum 
beides  wunde  und  schuld,  wainigs  der  schuldige,  assinswainiges  der 
auf  dem  blutschuld  haftet,  das  litth.  wainas  aber  bedeutet  blosz  krieg, 
wie  das  poln.  woina,  böhm.  wogna,  altsl.  voi,  wozu  man  unsere  Dul- 
gibini  bellatores  halte.  Buchstäblich  nah  tritt  das  litth.  skelu  =  skal, 
skel^ti  =  skulan,  skola  =  skulds,  preusz.  skellänts  schuldig,  skallisna 
debitum,  daneben  aber  litth.  skeliu  findo,  skyl^  fissura,  skaldau  findo, 
lett.  skaldiht  Andere;  dies  skeliu  begegnet  jenem  goth.  skila  und  aus 
dem  begrif  des  spaltens,  hauens,  tödtens  gieng  die  Vorstellung  wunde 
und  schuld  hervor.* 

man  ol^ccl  voixlt,03  ko'yit,o^aL  verlangt  ein  altes  mina  cogito  und  904 
sagt  also  aus :  ich  habe  mich  bedacht,  erinnert,  es  musz  früher  miman 
gelautet  haben,  und  entspricht  den  buchstaben  wie  dem  begriffe  nach 
völlig  dem  gr.  ^s^ova,  lat.  memini  litth.  menu  und  atmenu,  primenu. 
im  abgeleiteten  ufarmunnön  und  im  ahd.  minnön  sehn  wir  unorgani- 
sches NN,  wie  in  kunnan  und  brinnan  entfaltet,  gerade  wie  aus  litth. 
menu  minn^jau  und  minnimas. 

mag  övpafiat  löxvco  drückte  wahrscheinlich  aus,  was  kann:  ich 
habe  gezeugt,  ich  vermag,  vigeo,  polleo  [anders  Ebel  bei  Kuhn  6,  238]. 
magn  magan  potentia.  magus  nalg,  rmvov,  mavi  ==  magvi  xogaötov, 
Tiagd'svog  sind  die  erzeugten  kinder.  ihm  im  hintergrunde  liegen 
wird  migan,  welches  sich  berühren  könnte  mit  meiha  maih  migum 
(s.  857)  und  mit  gr.  ^iyvv^i  in  der  homerischen  bedeutung.  Aus  den 
urverwandten  sprachen  gehört  hierher  lat.  magnus  fortis,  mactus 
poUens  und  vielleicht  mox  =  valde ;  litth.  macis  macnis  vis,  macnus 
potens,  macnorus  vir  fortis,  pamacziju  auxilior,  polleo,  moku  possum, 
intelligo,  mokinnu  doceo;  sl.  mogu  possum,  nemoschtsch  infirmitas, 
pomoschtsch'  auxilium,  moschtschi  die  helfenden,  kräftigen  reliquien 
(s.  148);  ir.  mac  (gen.  mic)  filius,  macaomh  juvenis.  wahrscheinlich 
ist  auch  pLiyag  hierher  zu  nehmen,  dessen  G  sich  wie  das  in  fiiyvv^L 
und  lat.  magnus  (neben  litth.  macnus)  verhält  und  uns  des  Übergangs 
von  mag  in  mikils  versichert,  vgl.  skr.  maha  und  gr.  fiei^MV  goth. 
maiza  für  mahiza  majiza?  lat.  major,  einer  so  uralten  wurzel  musz 
noch  manches  andre  zufallen. 


*  schelten  (ahd.  sceltan  scalt  scultun)  heiszt  jemanden  seiner  schuld 
zeihen,  sie  ihm  vorwerfen,  die  'sceltsere  bceser  geltsere'  Iw.  7162  (vgl. 
anm.  zu  Iw.  s.  349.  544  und  RA.  s.  613.  953)  waren  also  ursprünglich 
solche  die  einen  des  todschlags  ziehen,  und  da  die  blutrache  erblich  war, 
so  erklärt  sich  daraus  Nib.  936  'dem  man  itewizen  sei,  daz  sine  mäge  ieman 
mortlich  hänt  erslagen'.  zu  scheltern  brauchte  man  aber  spielleute,  was 
wieder  licht  werfen  kann  auf  das  wesen  der  heidnischen  spielleute,  vgl.  s. 
820.    hier  werden  Wörter  und  brauche  wichtig  für  das  älteste  recht. 

40* 


628  VERSCHOBNES  PRAETERITÜM 

nah   nur  übrig  in  ganah  ccQxel  und  binah   e^BOti  oder  ösl  (den 
gr.  satz  ndvra  e^sötlp,  aA^'  ov   nävta  6v^cp£QBt   1  Cor.  10,  23  ver- 
deutscht Ulf.   schön:   all  binah,   akei   ni   all    daug).      die   bedeutung 
•     von  nah   musz  also  der   von  mag  nicht  sehr  weit  abgelegen  haben, 
doch  wage  ich  nicht  die  des  zum  gründe  liegenden  naihan  anzugeben. 

905  auf  jeden  fall  gehört  dazu  nahts,  lat,  nox,  litth.  naktis,  sl.  noschtsch', 
die  vermögende,  genügende,  ruhige?  (mythol.  s.  698).* 

6g  metuo  geht  zurück  auf  aga  tremo,  von  welchem  auch  agjan 
tremefacere  terrere  und  agis  tremor,  metus  übrig  sind.  6g  heiszt  also 
eigentlich :  ich  habe  geschaudert,  gezittert,  ayimvog  altn.  segir  kann 
den  schauer,  aber  auch  die  zitternde  bewegung  der  flut  ausdrücken, 
skr.  edsch  tremere  (Bopps  gloss.  p.  59). 

m6t,  gam6t  ist  xoQta,  capio,  aus  itogico  leitet  sich  ebenso  XQt] 
ab,  gamötjan  bedeutet  anavtäv  vnairccv,  aber  welcher  sinnliche  be- 
grif  wurzelt  darin  ?  was  hiesz  mata,  dessen  praet.  möt  ausdrückt :  ich 
fasse,  finde  räum?     noch  bleibt  es  mir  dunkel. 

aih  e%(o,  xsÄtrj^ai,  von  eigan  schaffen,  arbeiten:  ich  habe  ge- 
scheit, errungen,  erworben;  obwol  man  sinnlicheren  begrif  [weiden, 
treiben]  haben  möchte,  dasz  xtdo^at  yAatrj^aL  unmittelbar  mit  xtüvco 
xtava  exTOva  zu  verknüpfen  und  ursprünglich  auf  kriegsbeute,  spo- 
lium,  unser  hrßorauba  zu  ziehen,  nach  dieser  analogie  aber  auch  eiga 
aih  zu  fassen  sei,  soll  hier  als  bloszer  einfall  mitgetheilt  werden,  den 
sonst  nichts  stützt,  es  wäre  ein  gegenstück  zu  skal  von  skilan, 
doch  anders  gewendet,  xtsgag  ist  habe,  eigenthum,  tot  xvEQsa 
todtenehre, 

vait  gleich  dem  gr.  olda  bedeutet  novi  und  fordert  veitan  videre, 
das  noch  in  den  Zusammensetzungen  inveitan  und  fraveitan  fortlebt; 
eigentlich  sagt  es  aus :  ich  habe  gesehn,  das  lat.  scio  •  ist  unser 
saihva. 

lais  wiederum  oiöa,  von  einem  verlornen  leisa,  dem  ich  die  be- 
deutung calco,  calce  et  pede  premo  beilege,  lais  heiszt  also  genau 
was  wir  noch  heute  ausdrücken :  ich  habe  es  an  (oder  mit)  den  füszen 
abgetreten  =  ich  weisz  es  längst,  von  dieser  sinnlichen  Vorstellung 
ist  übrig:  ahd.  leisa  vestigium,  leisanön  imitai-i  d.  i.  einem  nachtreten, 
auf  der  spur  folgen**,  foraleiso  anteambulo,  praevius,  goth.  laists 
LX^'og,   ahd.  laist,   ags.   Iseste   calopodium,  goth.  laistjan  sequi,  perse- 

906  qui,  vestigium  premere,  ahd.  leistan,  ags.  Isestan,  ahd.  lisö  (goth. 
leisaba?)  sensim,  pedetentim.  hingegen  herscht  abstracte  Vorstellung 
im  goth,  laisjan  docere,  ahd.  Ißran,  goth.  lists,  ahd.  list  ars,  scientia, 
goth.  lubjaleisei  (pccQ^axEia.  Mit  unrecht  haben  die  Altenburger  und 
Schulze  laists  von  leisan  gesondert  und  schon  letzterm  wort  die  ab- 
stracte bedeutung  beigelegt. 


*  umgekehrt  den  Griechen  SeiSla  vv^  axoria,  rcaga  xo  Ssivöv.    Lo- 
beck rhem.  p.  254. 

*'  vgl.  gr.  fii&oöog,  eigentlich  nachgang,  folge,  dann  aber  forschung. 


VERSCHOBNES  PRAETERITUM  629 

daug  prosum,  valeo*  lenkt  zurück  auf  diuga  oder  diuha,  welchem 
man  wieder  den  sinnlichen  begrif  des  zeugens  zutrauen  könnte,  wozu 
dauhtar  (s.  266.  269),  wie  zu  kann  kind,  zu  mag  magus  und  mavi 
stimmen,  im  sanskrit  ist  eine  wurzel  duh  mulgere,  emuigere,  der 
Bopps  gloss.  173  lat.  duco  und  goth.  tiuha  vergleicht;  wäre  duhitil 
das  gesäugte  kind  und  daug  'ich  habe  gesogen,  bin  aufgesäugt,  er- 
starkt ,  so  hätte  sich  in  daug  und  dauhtar  der  laut  nicht  verschoben, 
vgl,  ahd.  dühan  premere  (GraiF  5,  117). 

Mich  dünkt,  was  in  diesen  Wahrnehmungen  sicher  ist,  müsse  auch 
dem  ungewissen  und  gewagten  wege  bahnen,  nothwendig  aber  scheint 
es  einer  so  bedeutenden  richtung,  wie  die  ganze  anomalie  des  zurück- 
geschobnen  praeteritums  ist,  analogie  des  Verfahrens  für  form  und 
begrif  beizumessen.  In  bezug  auf  die  form  habe  ich  noch  etwas 
wichtiges  nachzuholen. 

Die  Infinitive  des  sinnlichen  begriffs  kinnan  J)airban  dairsan 
skilan  minan  migan  naihan  agan  matan  eigan  veitan  leisan  diugan  sind 
in  der  spräche,  mit  ausnähme  von  veitan,  nicht  mehr  vorhanden  und 
nur  noch  aus  dem  praet.  wie  aus  andern  Wortbildungen   zu  folgern. 

Dagegen  werden  für  die  abstraction  Infinitive  und  participia  907 
praes.  jederzeit  im  pluralablaut  gezeugt  und  man  darf  die  participia 
den  seltneren  inf.  mit  beweisen  lassen,  die  glossare  haben  belege  für 
den  inf.  nicht  achtsam  genug  hervorgehoben:  kunnan  Marc.  4,  11. 
Joh.  14,  5;  paurban;  gadaursan  II  Cor.  10,  2.  Philipp.  1,  14;  skulan; 
gamunan  Luc.  1,  72;  magan;  ögan;  aigan;  vitan  Marc.  7,  24;  lisan; 
dugan;  und  mit  dem  conjunctivischen  I  viljan.**  die  participia  kun- 
nands  J)aurbands  gadaursands  skulands  munands  magands  ögands 
aigands  vitands  dugands  haben  kein  bedenken,  aber  lisands  mit  der 
bedeutung  sciens  wäre  merkwürdig,  weil  es  mit  lisands  legens  colligens 
zusammenstiesze.  vielleicht  darf  man  aus  dem  pl.  lisum  scivimus  den 
neuen  stamm  lisa  las  herleiten,  etwa  wie  aus  meiha  maig  migum  ein 
neues  miga  mag  spross?  auffallend  ist  unagands  ICor.  16,  10.  Philipp, 
1,  14  für  unögands  (ögands  Marc.  5,  33.  Luc.  8,  25.  18,  2);  dies 
agands  wäre  demnach  Überrest  jenes  sinnlichen  agan  und  sollte  die 
sinnliche  bedeutung  tremens  haben. 

Wie  im  goth.  sind  im  ahd.  die  inf.  chunnan  durfan  turi'an  sculan 
(und  scolan)  makan  eikan  wizzan  tukan  gerecht  und  danach  die  part. 
chunnanti  u.  s.  w.  anzusetzen,  sculanti  und  scolanti,  tukanti  und 
tokanti  (der  beleg  togantßm  probis  bei  Grafi"  5,  371  lehrt,  dasz  5, 
369  tugan  zu  schreiben  war,  nicht  tügan).  über  das  EI  in  eikan 
äuszerte  ich  mich  vorhin  (s.  899), 


*  bei  Ulf.  erscheint  lediglich  III  sg.,  eben  so  in  den  ahd.  quellen  nur 
III  sg.  und  pl.,  weshalb  sich  Grafi"  4,  369  einbildet,  I  und  II  seien  unstatt- 
haft; das  wäre  als  wollte  man,  weil  auch  im  Iwein  keine  I  und  II  auf- 
taucht, sie  der  ganzen  mhd.  spräche  ableugnen,  Walth.  55,  3U  steht  aber 
tilgest  valeas,  und  Beov.  1047  dohte  valueris. 

**  die  glossare  hätten  überall  diese  Infinitive  ansetzen,  nicht  daneben 
ein  minan  agan  und  leisan  aufstellen  sollen. 


630  VERSCHOBNES  PRAETERITUM 

Haben  diese  Infinitive  den  ablaut  des  praet.,  so  wäre  der  gedanke 
natürlich,  dasz  auch  das  characteristische  ü  der  flexion  des  praet.  in 
sie  eingienge,  und  z.  b,  ein  inf.  vitum  neben  jenem  veitan  stünde,  wie 
lat.  scivisse  neben  scire;  praesensbedeutung  könnte  dem  vitun  ver- 
bleiben, wie  dem  lat.  esse  oder  unserm  sein,  welchen  beiden,  ihrer 
form  nach,  eigenheit  des  praesens  zusteht,  wirklich  zeigt  die  altn. 
spräche  die  inf.  skulu  und  munu  =  meminisse,  obschon  die  übrigen 
kunna  unna  J)urfa  mega  knega  vita  eiga  vilja  lauten.  Noch  vor- 
theilhafter  wäre  ein  solcher  inf.  praet.  für  die  nicht  anomalen,  star- 

908  ken  wie  schwachen  verba,  um  giban  dare  von  gäbun  dedisse,  teihan 
dicere  von  taihun  dixisse,  salbön  ungere  von  salbodedun  unxisse  zu 
unterscheiden;  nur  käme  die  gestalt  allzusehr  mit  der  III  pl.  übereiti, 
wie  uns  nhd.  geben  dant  und  geben  dare  zusammen  fallen. 

Nicht  genug,  dasz  mehrere  dieser  anomalen  verba  heute  ausge- 
storben sind,  bei  andern  haben  auch  die  abstracten  begriffe  ge- 
wechselt; zu  den  verschobnen  formen  gesellen  sich  Verschiebungen  der 
bedeutung,  diese  verba  sind  die  abstractesten  der  spräche,  ihre 
auxiliare  Vorstellung  musz  oft  in  einander  übergehn.  kann  ist  uns  nicht 
mehr  novi  sondern  possum,  darf  nicht  mehr  egeo  sondern  licet,  soll 
zwar  noch  debeo,  aber  auch  volo,  mag  nicht  mehr  possum  sondern 
volo  lubet,  musz  nicht  mehr  capio  sondern  debeo.  in  bedarf  und 
vermag  dauert  aber  der  alte  sinn  von  darf  und  mag.  der  Engländer 
umschreibt  sein  futurum  erster  person  durch  I  shall,  we  shall,  zweiter 
und  dritter  person  aber  durch  thou  wilt,  he  will,  je  will,  they  will 
(gramm.  4,  182 — 184);  es  ist  höflich,  dasz  der  redende  von  sich 
sollen,  von  andern  wollen  gebraucht.  Noch  heute  ist  diese  Um- 
schreibung in  Deutschland  verschieden  nach  der  gegend:  am  Rhein 
sagt  man:  Ich  will  kommen,  in  Berlin  'ich  werde  kommen.' 

Die  eigenheit  der  anomalie  bewährt  sich  auch  in  richtungen  der 
Syntax,  von  ihnen  abhängig  ist  z.  b.  eine  gothische  ausdrucksweise 
des  passivums  (gramm.  4,  58.  59)  oder  die  construction  des  reinen 
Infinitivs  (4,  92)  oder  die  ellipse  des  Infinitivs  (4,  132),  des  auxiliaren 
haben  bei  Umschreibung  des  inf.  praet.  (4,  174).  dahin  darf  man 
ferner  das  praefix  ge-  vor  Infinitiven  nach  können  und  mögen  rech- 
nen (2,  847),  die  fügung  des  part.  praet.  nach  sollen,  wollen,  taugen 
(4, 128),  endlich  die  ihrer  eignen  part.  praet.  (4,  167.  168).  Die 
abweichende  form  dieser  anomalen  verba  gestattet  und  bedingt  zu- 
gleich auszerordentliche  constructionen. 

Begegnen  sich  in  solchen  auxiliaren,  die  gelenke  der  rede  her- 
gebenden Wörtern  urverwandte  sprachen,  was  könnte  ein  stärkeres 
Zeugnis    ihres  hohen   alterthums    sein?     am    allernächsten    tritt    die 

909  griechische  in  ihrem  yiyova  fisfiova  oida  t%co  d^agösco  unserm  kann 
man  vait  äih  dars,  und  für  mag  6g  daug  dürfen  wenigstens  ange- 
schlagen werden  (ilyvvfjiL  coxsavog  Q'vyätrjQ,  von  dreizehn  in  der 
spräche  waltenden  wurzeln  sind  fünf  entschieden  gemeinschaftlich,  dasz 
skr.  v6da  in  form  und  praesensbedeutung  dem  vait  gleichstehe,  ist 
schon   oft  angeführt  worden;    skr.  dj:§   ist  d'aQQSlv  gadaursan.     aus 


VERSCHOBNES  PRAETERITUM  631 

depi  latein  gleichen  gigno  memini  video  und  volo  (sogar  mit  dem 
vocal Wechsel  in  volo  velim),  die  slavische  zunge  entspricht  in  mogu 
dem  mag,  in  vidjeti  videre  vjedjeti  cognoscere  dem  vitan,  in  veljeti, 
(Mikl.  p.  9)  serb,  voljeti,  poln.  wolec,  böhm.  woliti  dem  goth.  viljan, 
lat.  velle;  trjeba  (s.  328)  läszt  sich  zu  J)arba  halten,  zumal  merk- 
würdig sind  die  litth.  einstimmungen ;  zinau  ist  goth.  kann,  moku 
mag,  skelu  skal,  menu  man,  drystu  dars,  weizdmi  video  und  weliti 
viljan.  hier  stimmen  sieben  Wörter,  vielleicht  berührt  sich  auch 
litth.  lett.  turru  habeo  teneo  mit  darf,  am  fernsten  liegt  uns  aber 
hier  die  keltische  spräche. 

Nicht  wenige  lat.  und  griechische  praeterita,  auszer  den  ange- 
führten, überkommen  praesensbedeutung,  novi  hat  den  sinn  von  scio 
und  berührt  sich  sogar,  weil  es  für  gnovi  steht,  buchstäblich  mit 
kann;  coepi  heiszt,  wie  unser  began,  incipio;  odi  ich  hasse ;  perii  ich 
bin  verloren,  was  pereo.  gr.  oAcola  bei  Homer  noch  perii,  bei  den  At- 
tikern  pereo;  oX'iGi'aa  ich  bin  dahin  (gegangen),  perii;  ts^fjjicc  stupeo, 
von  einer  wurzel,  die  mit  Q'mo^aL  nahverwandt  gewesen  sein  wird, 
so  dasz  der  begrif  entsprang:  ich  habe  angeschaut,  angestaunt,  das 
will  sagen :  staune,  verwundere  mich,  vgl.  &ä(ißog  Stupor  und  d^avfia 
miraculum,  von  mirari.  avcoya  jubeo  moneo  impello  will  ich  einmal 
mit  aväya  II.  14,  168  für  avsaya  aperui  von  ävoiya  aperio  zu- 
sammenstellen und  an  die  zwiefache  bedeutung  unseres  luka,  claudo 
und  vello  traho  (s.  664)  erinnern,  ^v^og  avcays  kann  heiszen  voluptas 
trahit,  animus  jubet,  es  hat  mich  angezogen,  gelockt  und  locken  ge- 
hört zu  lukan  ekxsGd^aL.  «^g)ißsßtjKa  tueor,  eigentlich  circumivi. 
xBxXrjf.ica  ich  heisze,  bin  genannt  worden,  nsna^ai,  wie  Hsxrrj^aL, 
ich  besitze,  habe  erworben,  jiäfia  =  xtijfia,  für  die  sinnliche  bedeu- 
tung halte  ich  aber  pasco,  da  87Ctt6dfJ.rjv  ausdrückt  sowol  ich  asz 
als  ich  warb  und  auch  vs^ico  v8(io^ai  beides  pasco  und  possideo;9io 
dem  Ttdo^at  und  pasco  verwandt  ist  das  goth.  födja,  ahd.  fuotiu 
(Graff  3,  378).  Auch  hier  läszt  die  spräche  ins  nomadenleben  zurück- 
schauen, ob  der  besitz  auf  die  herde  oder  auf  kriegsbeute  zu  leiten 
sei,  verschlägt  nichts. 

Man  darf  nach  allem,  was  vorgebracht  ist,  schlieszen,  dasz  än- 
derungen  der  grammatischen  form  immer  innerlich  durch  den  begrif 
angeregt  werden;  die  Vorstellung  kann  aber  auch  wechseln,  ohne  dasz 
sich  die  form  ändert,  in  unserm  ich  heisze  ist  gelegen  sowol  ich 
werde  genannt  als  ich  bin  genannt  worden  und  gr.  dxova  bedeutet 
oft  nicht  ich  höre  sondern  habe  gehört  =  ich  weisz.  Die  lat.  Um- 
schreibung des  passiven  praeteritums  ist  in  der  roman.  spräche  durch 
die  bank  ins  praesens  geschoben,  ,d.  h.  franz.  je  suis'aimö  drückt 
nicht  mehr  aus  amatus  sum,  welchem  es  wörtlich  entspricht,  sondern 
amor,  denn  amor  konnte  auf  andere  art  nicht  übertragen  werden,  und 
nun  muste  für  den  begrif  amatus  sum  j'ai  6t6  aimd  gesetzt  werden, 
gerade  so  bezeichnet  das  goth.  bindada  vincior,  gabundans  im  vinctus 
sum,  ahd.  aber  kipuntan  pim  vincior,  kipuntan  was  vinctus  sum,  bis 
wir  zuletzt  heute,  mit  pedantischer  häufung  der  hilfswörter,  das  praes. 


632  VERSCHOBNES  PRAETERITUM 

durch  ich  werde  gebunden,  das  praet.  durch  ich  bin  gebunden  wor- 
den wiedergeben. 

Wie  sticht  dies  unbeholfne  schieben  der  form  ab  gegen  das 
beholfne  durch  bloszen  ablaut.  denn  wenn  auch,  wie  wir  sahen,  die 
urverwandten  sprachen  in  manchen  Wörtern  sowol  schoben  als  die 
sinnliche  bedeutung  zur  abstracten  werden  lieszen,  hat  sich  doch, 
gleich  dem  ablaut,  diese  ganze  vortheilhafte  anomalie  nirgend  so  voll- 
kommen entfaltet  wie  bei  uns. 


XXXVI. 
DIE  VOCALE  DER  DECLINATION. 


Icli  gehe  auf  ein  ganz  anderes  feld  über,   um  an  neuem,   noch 911 
unversuchtem  beispiel  die  gewalt  des  ablauts  darzulegen. 

Schon  s.  274  wurde  gesagt,  dasz  die  trilogie  A  I  U,  auf  deren 
grundlage  alle  ablaute  beruhen,  auch  die  flexion  meistere;  es  ent- 
springen nach  ihr  jedesmal  drei  declinationen  des  nomens,  sowol  des 
substantivischen  als  adjectivischen- 

Unter  den  drei  kurzen  vocalen  ist  A  der  edelste,  unentbehrlichste 
und  allgemeinste,  er  waltet  gleichsam  von  selbst,  und  begleitet,  auch 
wo  er  ungeschrieben  bleibt,  die  consonanz;  man  kann  sagen,  obschon 
unsichtbar  wird  er  hörbar.  Wie  die  älteste  schrift  ganz  ohne  vocale 
war,  die  der  leser  den  gesetzten  consonanten  hinzufügte,  läszt  auch 
das  Sanskrit  jedes  nach  consonanten  in  und  auslautende  A  unbe- 
zeichnet,  während  dem  bestimmteren  I  und  U  bereits  zeichen  ver- 
liehen sind:  A  folgt  den  consonanten  an  sich  mit.  Diesem  gesetz 
angemessen  ist  noch,  dasz  in  der  gothischen  wortableitung  zwischen 
muta  und  liquida  das  A  gewöhnlich  nicht  geschrieben  wird,  I  und  IJ 
aber  in  gleicher  läge  ausgedrückt  erscheinen;  es  heiszt  agl  (aglaitei) 
tagl  stikl  fugls  tagr  akrs  figgrs  bagms  apn,  wahrscheinlich  auch  magn 
vis,  vagns  currus,  hingegen  ubils  mikils  ragin  faginö  hakuls  hvoftuli 
fairguni.  In  solchen  fällen  pflegt  nun  die  ahd.  spräche  auch  das  A 
zu  schreiben,  dessen  nothwendigkeit  zugleich  aus  der  von  ihm  ge- 
wirkten brechung  des  lund  U  erhellt:  akaleizi  zakal  st6chalfokalzahar912 
achar  finkar  makan  wakan,  wie  michil  rekin  hachul. 

Dies  hier  nur  beiläufig,  um  daraus  folgern  zu  können,  dasz  auch 
in  der  flexion,  obgleich  sie  andern  gesetzen  unterliegt  als  die  ab- 
leitung,  der  vocal  A  häufig  ausgefallen  sein  mag  und  darum,  wie  in 
der  flexion  zu  ergänzen  ist,  wogegen  I  und  U  länger  dauern.  Es  ist 
also  der  theorie  geboten,  und  Bopps  glänzende  forschungen  haben 
davon  vielfachen  beweis  geführt,  themata  mit  A  denen  mit  I  und  U 
zur  Seite  zu  stellen. 

Mein  augenmerk  ist  nun   der  Wechsel  des  vocallauts  in  unsrer 


634 


DECLINATIONSVOCALE 


declination,  d.  h.  was  sich  in  jeder  reihe  auf  der  grundlage  des  A  I  ü 
entfaltet. 

Im  Substantiv  laufen  den  drei  männlichen  declinationen  drei 
weibliche  dergestalt  parallel,  dasz  die  zweite  und  dritte,  organischer- 
weise, für  beide,  geschlechter  ganz  zusammenrinnen,  in  der  ersten 
aber  zwischen  den  geschlechtern  zwar  analogie,  doch  bestimmte  Ver- 
schiedenheit obwaltet. 

Ein  paradigma  der  vollen  und  ursprünglichen  flexion  soll  vor- 
angehen, dann  das  der  wirklichen  folgen. 


pl. 


dagas 

gastis 

sunus 

giba 

dedis 

handus 

dagis 

gastais 

sunaus 

gibös 

dedais 

handaus 

dagi 

gastai 

sunau 

gibö 

dedai 

handau 

dagan 

gastin 

sunun 

giba 

dedin 

handun 

dagßs 

gastein 

sunius 

gibös 

dedeis 

handius 

dage 

gastije 

sunive 

gibö 

dedije 

handive 

dagam 

gastim 

sunum 

giböm 

dedim 

handum 

dagans 

gastins 

sunnns 

gibös 

dedins 

handuns 

wirklich  bestehende 

goth.  flexion  lautet  aber: 

dags 

gasts 

sunus 

giba 

dej)S 

handus 

dagis 

gastis 

sunaus 

gibös 

dedais 

handaus 

daga 

gasta 

sunau 

gibai 

dedai 

handau 

dag 

gast 

sunu 

giba 

ded 

handu 

dagös 

gasteis 

sunjus 

gibös 

dedeis 

handjus 

dage 

gaste 

sunivö 

gibö 

dede 

handive 

dagam 

gastim 

sunum 

giböm 

dedim 

handum 

dagans 

gastins 

sununs 

gibös 

dedins 

handuns 

sg- 


pl. 


913  Was  nun  an  dem  früheren  vocalstand  allmählich  geändert  wurde  und 
zu  gründe  gieng,  musz  die  analogie  der  ablaute  ermitteln;  sie  hat 
theoretisch  die  alte,  verdunkelte  bahn  der  declinationen  herzustellen. 

Vorerst  leuchtet  ein,  dasz  die  plurale  besser  erhalten  sind  und 
das  vocalverhältnis  reiner  gewahren  lassen,  wie  gastim  sunum,  gastins 
sununs  zu  dagam  dagans  stehn,  fordert  auch  sunus  ein  gastis  dagas. 

Dann  aber  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dasz  die  dritte  decli- 
nation in  beiden  geschlechtern,  die  zweite  im  weiblichen  unversehrt 
geblieben  ist,  anders  ausgedrückt,  dasz  die  reihen  ü  und  I  in  ihrem 
ablaut  fast  ungestört  schalten,  gerade  wie  es  in  vierter  und  fünfter 
reihe  der  conjugation  zu  bemerken  war. 

Offenbar  ist  in  der  dritten  declination  nur  eine  und  zwar  ganz 
geringe  änderung  des  reinen  ablauts  eingetreten,  der  nom.  pl.  sunjus 
und  handjus  musz  aus  älterem  diphthongischem  sunius  handius  her- 
vorgegangen sein,  weil  diesem  lü  das  EI  der  zweiten  declination 
gleich  läuft,  consonantierungen  des  im  diphthong  anlautenden  I  sind 
auch  sonst  aufzuweisen,  gerade  so  musz  im  persönlichen  pronomen 
jus  für  ius  stehn  (wie  EI  in  veis  bezeugt)  und  nhd.  je  entsprang  aus 
mhd.  ie.  die  parallele  handaus  handau:  dedais  dedai  begehrt  auch 
im  masc.  ein  gastais  gastai  =  sunaus  sunau,  wofür  sich  späterhin 
gastis  gasta  aus  erster  decl.  einschlich. 


DECLINATIONSVOCALE  635 

Es  überrascht  den  unvorbereiteten,  in  den  flexionen  sunus  su- 
naus  sunius  ganz  die  ablaute  gutum  gaut  giutan,  in  den  flexionen 
gastis  gastais  gast-eis  die  ablaute  bitum  bait  beitan  zu  gewahren,  ist 
aber  der  kurze  vocal  in  -is  -us  grundlage  der  daraus  entfalteten  -ai 
-au  und  endlich  -ei  -iu,  so  wird  man  auch  den  laut  und  ablaut 
vierter  und  fünfter  conj.  auf  dieselbe  weise  zu  fassen  haben,  wie 
schön  scheint  es,  dasz  die  vocale  der  flexion  ihren  Wechsel  nach  dem 
ablaut  der  wurzel  ordnen. 

Nur  der  gen.  pl.  hinterläszt  noch  einen  zweifei.  wenn  sich  su- 
nive  handiv6  zu  sunius  handius  verhalten  wie  J)ivi  zu  'J)ius,  tri  vis  zu  914 
triu,  knivus  zu  kniu;  darf  man  auch  im  gen.  pl.  von  gasteis  spur 
des  EI  erwarten,  und  ich  habe  auf  ein  älteres  gastijö  dßdije  für  gaste 
döde  gerathen,  wieder  auf  analogie  der  pronominalformen  eis  ijos  und 
ija  gestützt,  in  beiden  formen  -iv6  und  -ij6  erscheint  das  auslautende 
E  unabhängig  von  den  diphthongen  IU  und  EI,  da  wir  es  ebenso  im 
gen.  pl.  dag6  erbKcken. 

Alle  flexionen  der  ersten  declination  sind  aus  ursprünglichem  A, 
wie  die  der  zweiten  und  dritten  aus  I  und  ü  hervorgegangen. 

In  der  conjugation  ergab  sich,  dasz  A  drei  ablautsreihen  zeugte, 
wie  sie  in  der  ersten,  zweiten  und  dritten  conjugation  erscheinen, 
dieser  vocal  ist  gleichsam  zu  mächtig,  als  dasz  er  immer  nur  einen 
weg,  wie  I  und  ü  einschlüge,  er  versucht  sich  nach  mehrfacher 
richtung.  doch  darf  man  die  erste  conj.  als  aus  Wörtern  bestehend 
erkennen,  die  einer  Jüngern,  nicht  der  ursprünglichen  formation  an- 
gehören. 

Nun  weist  sich  aus,  dasz  in  der  ersten  männlichen  declination 
neben  dem  A  die  flexionen  I  E,  in  der  ersten  weiblichen  lediglich  0 
zeigen,  in  dieser  weiblichen  verhalten  sich  die  vocale  gerade  so  wie 
im  ablaut  der  dritten  conjugation.  man  sieht  in  der  flexion  von 
giba  nur  -a  und  -6  wechseln,  wie  in  der  wurzel  fara  för;  der  ein- 
förmige pl.  gibös  gibö  giböm  gibös  gleicht  dem  einförmigen  för  forum, 
während  dedais  dödeis  dßdim,  handaus  handius  handum  lebhaft  wech- 
seln wie  graip  greipa  gripum,  gaut  giuta  gutum.  aber  im  sg;  muste 
schon  deshalb  gibös  gibö  vermutet  werden,  weil  diese  beiden  casus 
parallel  stehn  mit  dßdais  dedai,  handaus  handau;  in  den  goth.  dat. 
sg.  gibai  ist  also  -ai  aus  dem  dedai  zweiter  decl.  eingedrungen,  wie 
in  den  männlichen  dat.  gasta  das  -a  aus  dem  daga  der  ersten,  zum 
überflusz  findet  der  theoretische  dat.  gibö  bestätigung  im  ahd.  göbö 
bei  Notker. 

Schwerer  wird  es  sein  sich  über  die  flexionsvocale  der  ersten 
männlichen  declination  zu  verständigen.  I  im  gen.  sg.  -is  halte  ich 
für  organisch  und  nehme  das  oben  s.  646  geäuszerte  jetzt  zurück, 
denn  wäre  der  gen.  dagas  echt,  so  unterschiede  er  sich  vom  nom,  915 
dagas  gar  nicht,  da  es  doch  scheint,  dasz  der  nom.  dagas  übertrete 
in  den  gen.  dagis  wie  nam  in  nima  und  analog  dem  gastis  gastais, 
sunus  sunaus,  wie  in  gripum  graip,  gutum  gaut.  auch  darum  scheint 
das  I  in  dagis  gerecht,   weil  der  sprachgenius  sonst  gar  kein  I   in 


636  DECLINATIONSVOCALE 

dieser  decl,  verwendet  hätte,  wie  er  doch  in  nima  nam  n6mum  die 
ganze  lautleiter  auf  und  ab  steigt,  dasz  ahd,  -is  im  sg.  keinen  Um- 
laut anregt,  kann  nicht  eingeworfen  werden,  da  zur  zeit  des  be- 
ginnenden Umlauts  -is  bereits  in  -es  geschwächt  war;  aus  gleichem 
grund  hat  der  ahd.  nom.  sg.  käst  und  tat  keinen  umlaut,  obschon 
gastis  dßdis  im  hintergrund  lag. 

Noch  mehr  auffallen  wird  das  gemutmaszte  dagi  für  daga  im 
dat.  sg.,  aber  daga  wäre  unanalog  dem  gastai  sunau,  welche  dem 
gen.  gleichen  ablaut  haben;  ferner  stehn  die  dat.  pl.  gastim  sunum 
ab  von  gastai  sunau,  folglich  musz  auch  dagam  abstehn  von  dagi. 
das  -i  wird  endlich  bestätigt  durch  die  altn.  flexion  -i  in  degi  fiski 
hrafni  iötni  u.  s.  w.,  sogar  zeigt  sich  ausnahmsweise  in  degi  umlaut, 
ein  zeichen  des  echten  I. 

Auch  im  nom.  pl.  habe  ich  dag6s  an  die  stelle  von  dagös  ein- 
zuführen gewagt,  da  der  zweiten  ablautsreihe,  die  sich  in  der  ersten 
männlichen  declination  abspiegelt,  E  zusagt  und  mit  diesem  E  ein 
passender  gegensatz  zur  ersten  weiblichen  decl.  entspringt,  wollte 
man  0  aus  der  neugefundnen  unterart  der  zweiten  conj.  rechtferti- 
gen, so  müste  im  gen.  und  dat.  sg.  U  statt  I  walten,  für  unmög- 
lich halte  ich  nach  dieser  unterart  auch  goth.  oder  vorgothische  mascu- 
lina  mit  dem  nom.  -as,  gen.  -us,  nom.  pl.  -ös  nicht;  wie  aber  die 
verba  mit  der  wurzel  I  überwiegen,  werden  auch  die  masc,  mit  dem 
gen.  -is  überwogen  haben  und  für  sie  begehrt  die  theorie  den  pl.  -6s. 
Dies  £  finde  ich  endlich  durch  das  ahd.  A  in  takä  bestätigt,  welches 
umgekehrt  in  den  weiblichen  pl.  geba  für  göbö  eindringt. 

Auf  die  flexionsconsonanten  ist  es  mir  hier  nicht  abgesehn,  leicht 
aber  wird  sich  das  dem  acc.  sg.  beigelegte  N  vertheidigen  lassen, 
schon  aus  dem  NS  des  pl,,  aber  auch  aus  der  adjectivischen  flexion 
916  und  der  urverwandten,  wie  sollte  dem  acc.  masc.  erster  und  zwei- 
ter decl.  der  vocal  A  und  I  entgehn,  da  ihm  die  dritte  U  läszt? 
den  vocal  musz  aber  N  für  M  geleitet  haben;  ein  flexionsloser  acc. 
sg.  masc.  wäre  eben  so  unursprünglich,  als  es  die  vocallose  I  und 
III  sg.  praet.  nam  graip  gaut  ist. 

Aus  allen  diesen  Wahrnehmungen  ergibt  sich,  dasz  die  vocale 
der  flexionen  unsrer  declination  mit  den  ablauten  der  conjugation  zu- 
sammentreffen, die  zweite  und  dritte  decl.  beider  geschlechter  mit 
dem  ablaut  der  vierten  und  fünften  conjugation;  in  die  zweite  und 
dritte  theilen  sich  masc.  und  fem.  der  ersten  declination,  die  ablaute 
der  ersten  conj.  scheinen  in  der  declination  undargesteUt,  was  deren 
schon  aus  andrer  Ursache  entnommne  (s.  853.  854)  abkunft  aus  ver- 
bis  zweiter  conjugation  bestätigt. 

Eine  so  wunderbare  Übereinkunft  kann  aber  kein  spiel  des  Zu- 
falls sein,  sondern  bezeugt,  wie  unsere  spräche  innerlich  von  dem 
gesetz  der  ablaute  durchdrungen  ist,  und  dasz  ich  recht  gethan  habe, 
die  declinationen  nach  den  conjugationen,  d.  h.  beide  nach  dem  typus 
des  vocalismus  A  I  ü  zu  ordnen. 

Doch  allein  die  gothischen  flexionen  waren  noch  so  durchsichtig, 


DECLINATIONSVOCALE  637 

dasz  sie  das  Verhältnis  zu  erschauen  und  zu  entwickeln  gestatteten, 
weshalb  ich  auch  die  übrigen  jüngeren  sprachen  hier  fast  unberück- 
sichtigt lasse,  aus  deren  flexion  blosz  einzelne  bestätigungen  der  go- 
thischen  oder  selbst  einer  älteren  vorhergegangnen  geschöpft  wer- 
den können.  In  der  altn.  flexion,  die  sonst  manche  Vollkommenheit 
besitzt,  ist  die  quantität  der  vocale  allzuwenig  erkennbar,  um  sich 
sichere  Schlüsse  zu  erlauben;  aus  dem  gegensatz  der  gen.  sg.  dags 
und  magar  sonar  giafar  tannar  (=  goth.  dagis  magaus  sunaus  gibös 
tunpaus)  folgre  ich  indessen,  dasz  dies  altn,  -ar  immer  -är  mit  langem 
vocal  anzusetzen  ist,  der  sich  einförmig  aus  den  goth.  längen  bildete 
und  den  Übergang  des  S  in  R  herbeiführte,  da  nach  dem  kurzen 
vocal  in  dagis  S  haftete.  Anführ enswerth  scheint  mir  noch  aus  der 
ags.  declination,  dasz  substantiva  auf  -u  den  gen.  uYid  dat.  sg.  gleich- 
förmig auf  -a  bilden,  es  heiszt  sunu  filius,  suna  filii,  suna  filio, 
sunu  filium  und  eben  so  im  fem.  band  manus,  handa  manus,  handa917 
manui,  band  manum,  obschon  hier  dem  nom.  und  acc.  das  -u  ent- 
gangen ist.  diese  gen.  und  dat.  scheiden  sich  günstig  von  den  subst. 
erster  decL,  welche  im  masc.  den  gen.  -es,  dat.  -e  bekommen,  ohne 
zweifei  war  es  eigentlich  -ä,  dem  goth.  -aus  -au  entsprechend,  und 
vielleicht  entsprungen  aus  -eä.  suneäs  handeäs  wandelten  sich  all- 
mählich in  sunäs  handäs,  dann  suna  handä,  endlich  suna  handa.  da 
Gaedm.  233,  15  steht  'on  sumera',  darf  man  auch  vintra  =  goth. 
vintrau  vermuten  und  sumera  bestätigt  das  vermutete  goth.  sumrus. 

In  bezug  auf  die  goth.  flexion  habe  ich  noch  zweierlei  anzu- 
erkennen. 

Zur  ersten  declination  beider  geschlechter  sind  auch  alle  mit  I 
abgeleiteten  substantiva  zu  zählen,  deren  I  vor  den  flexionsvocal  tre- 
tend sich  dem  lautgesetz  nach  in  J  wandelt,  beim  masc.  sind  also 
die  formen  harjis  harja  harjös  harj6  harjam  harjans  ebenso  der  Aflexion 
zugehörig  wie  dagis  daga  dagös  dag6  dagam  dagans.  wenn  aber  im 
acc.  sg.  hari  die  ableitung  in  den  auslaut  rückt,  wird  sie  nur  schein- 
bar zur  flexion,  und  auch  dieser  casus  müste,  wie  dag  in  dagan,  in 
harjan  ergänzt  werden,  der  nom.  sg.  sollte  haris,  nicht  harjis  lau- 
ten und  sich  dadurch  vom  gen.  unterscheiden.  Feminina  gleicher 
ableitung  z.  b.  halja,  banja,  brakja,  sunja  flectieren  haljös  haljai  halja 
pl.  haljös  haljö  haljom  haljös,  ganz  wie  giba;  nur  langsilbige  pflegen 
im  nom.  sg.  das  A  abzustreifen  und  wieder  das  ableitende  I  vorzu- 
schieben: bandi,  kunpi,  verschieden  vom  acc.  bandja  kunpja.  dahin 
gehören  auch  mavi  und  pivi,  weil  sie  aus  magvi  pigvi  erwachsen. 

Eine  andere  bemerkung  geht  das  neutrum  an,  das  nur  zwei 
declinationen  zeigt,  die  erste  und  dritte,  d.  h.  Wörter  mit  der  A  und 
U  flexion;  nichts  aber  was  der  zweiten  männlichen  und  weiblichen 
entspräche,  also  keine  I  flexion.  wahrscheinlich  war  diese  früher  den- 
noch vorhanden  und  nur  ausgestorben,  wie  auch  die  neutrale  U  flexion 
im  aussterben  begrifien,  auf  wenige  Wörter  eingeschränkt  und  für 
den  pluralis  nicht  mehr  ganz  erkennbar  ist.  Man  darf  die  neutrale 
flexion  überhaupt  so  kennzeichnen,    dasz  sie  ihre  gen.   und  dat.  der 918 


638  DECLINATIONSVOCALE 

männliclien,  ihre  nom.  und  acc.  der  weiblichen  flexion  gemäsz  bildet. 
In  der  ersten  decl.  treten  wiederum  zahlreiche  ableitungen  mit  I  ein, 
welches  im  nom.  und  acc.  sg.,  wie  im  acc.  sg.  masc.  und  zuweilen 
nom.  sg.  fem.  auslautend  wird,  dies  T  hüte  man  sich  für  das  eigen- 
thtimliche  I  zweiter  decl.  zu  halten,  denn  wie  das  masc.  haris  in  har- 
jas,  der  acc.  hari  in  harjan,  harjam,  musz  auch  der  nom.  und  acc. 
neutr.  vaurd  in  vaurdam,  folglich  kuni  in  kunjam  vervollständigt  werden. 

Kürzer  sein  kann  ich  nach  betrachtung  unsrer  substantivdecli- 
nation  über  die  adjectivische.  denn  die  characteristische  Verschieden- 
heit der  deutschen  adjectivflexion  von  der  substantivischen,  was  die 
abweichung  der  flexionsconsonanten  beider  angeht,  so  merkwürdig  sie 
ist,  will  ich  hier  wieder  nicht  besprechen ;  es  liegt  mir  daran,  nach  der 
grundlage  der  vocale  A  I  U  auch  in  der  adjectivflexion  zu  forschen. 

Und  da  stellen  sich,  wie  eben  beim  neutrum,  die  erste  und  dritte 
declination  unzweifelhaft,  schwieriger  die  zweite  heraus. 

Im  sg.  erster  männlicher  decl.  blinds  blindis  blindamma  blindana 
geben  die  vocale  keinen  anstosz,  indem  sie  zu  dags  dagis  daga  stim- 
men, und  der  acc.  blindana  die  vermutete  vollere  form  dagan  bestärkt, 
auch  das  fem.  blinda  blindaizös  blindai  blinda  verträgt  sich  im  nom. 
und  acc.  mit  giba,  im  dat.  blindai  mit  gibai,  und  im  genitivischen 
ausgang  -6s  auch  mit  gibös;  die  einschaltung  von  aiz  kann  aber,  wie 
beim  dat.  masc.  die  von  amm  auf  gründen  beruhen,  die  den  vocalis- 
mus  der  eigentlichen  flexion  nichts  angehn.  allein  im  pl.  fügt  sich 
nur  der  acc.  blindans  blindös  zu  dagans  und  gibos,  allenfalls  auch 
das  auslautende  -6  und  -6  der  gen.  blindaizö  blindaizö  zu  dagö  gibö, 
während  das  ai  im  nom.  masc.  und  dat.  aller  geschlechter,  mit  der 
Substantivflexion  unvereinbar  scheint.  Nun  möchte  ich  dies  AI  wieder, 
gleich  dem  in  gibai,  für  eingedrungen  aus  der  zweiten  declination 
halten,  und  wie  dagßs  auch  blindes  als  organische  form  des  nom.  pl. 
masc.  aufstellen ;  doch  ^zu  AI  fügt  sich  auch  das  ahd.  E,  denn  gothi- 
919schem  !fi  würde  ahd.  A  gerecht  sein;  dazu  ist  das  bedenkliche  AI  der 
dative  pL,  vielleicht  das  AI  in  aiz6aiz6  ebenfalls  durch  ahd.  E  vertreten. 
AI  und  0  des  masc.  und  fem.  stehn  sich  fast  zur  seite  wie  die  cha- 
racteristischen  vocale  der  dritten  und  zweiten  schwachen  conjugation 
(habaida  salböda).     ich  werde  auf  dieses  AI  zurückkommen  (s.  922). 

Der  dritten  decl.  folgen  adj.  wie  hardus,  tulgus,  filus,  faihus, 
qairrus,  seipus,  J)aursus  u.  a.  m.  und  ihre  eigenheit  zeigt  sich  darin, 
dasz  sie  den  nom.  sg.  beider  geschlechter  gleichsetzen,  gerade  wie 
sunus  und  handus  zusammentreffen,  auszer  dem  nom.  müsten  aber 
auch  die  übrigen  casus  dem  U  und  dessen  ablauten  huldigen;  man 
darf  höchstens  einen  gen.  filaus  nach  dem  üblich  gebliebnen  adv. 
folgern,  der  sich  zu  blindis  wie  sunaus,  handaus  zu  dagis  verhielte, 
andere  flexionen  sind  aber  nicht  aufzubringen  und  schwer  zu  rathen, 
es  scheint  dasz  der  sprachgeist  sich  hier  frühe  schon  vergrif  und, 
wie  es  bei  adj.  zweiter  decl.  geschieht,  alle  formen  in  die  erste  decl., 
mit  zugefügter  lableitung,  wandte,  denn  man  stöszt  von  J)aursus  auf 
den  acc    sg.  fem.  J)aursja,  acc.  masc.  paursjana,  wo  beidemal  paursu, 


DECLINATIONSVOCALE  639 

oder   von  hnasqus   auf  den  dat.  pl.   hnasqjaim,  wo  hnasqum  zu  er- 
warten gewesen  wäre. 

Nicht  geringere  mühe  kostet  es,  wenn  spuren  der  zweiten  decli- 
nation  erkannt  werden  sollen,  auch  hier  ist,  wie  für  hardus  gleich- 
heit  der  flexionen  beider  geschlechter  anzunehmen,  und  einzelne  stellen 
des  goth.  textes  führen  darauf  hin:  friaj)va  sels  ist,  Caritas  benigna 
est,  iQYiöTBVBxaL  1  Cor.  13,  4;  usJ)r6J)eins  ist  bruks,  gagudei  ist 
bruks,  yvi^vaata  sötij'  acps^i^og,  rj  ob  svösßsia  cxpEL^og  iöti  1  Tim. 
4,  8;  gar6hsns  bruks  vas,  institutum  utile  fuit  Skeir.  43,  11;  laiseins 
skeirs  visandei,  doctrina  clara  existens;  fravaurhts  vas  navis,  dficcQria 
vsxgd  Eom.  7,  8.  diese  stellen  gewähren  die  weiblichen  nom.  s6ls 
bruks  skeirs  und  navis,  deren  form  zugleich  männlich  ist,  und  zwar 
unterdrücken  die  drei  ersten  beispiele  das  I  ganz  wie  die  weiblichen 
subst.  dej)s  ansts  u.  s.  w.,  in  navis  aber  scheint  auch  der  charac- 
teristische  vocal  geborgen  und  für  das  neutr.  veüqov  wäre  gleich- 920 
falls  navi,  wie  im  neutr.  dritter  decl.  filu  hardu  nothwendig.  aber 
neben  solchem  navi  scheint  ein  neutr.  s6l  bruk  analaugn  für  s6li 
bruki  analaugni  zulässig,  war  nun  schon  für  die  substantiva  gefahr 
da,  sich  mit  den  lableitungen  erster  decl.  zu  mischen,  so  ist  bei  den 
adj.  diese  mischung  entschieden  erfolgt,  indem  alle  obliquen  casus 
dorthin  ausweichen,  z.  b.  von  s6ls  kommen  die  flexionen  sßljamma 
seljai,  als  wäre  der  nom.  s6lis  =  s6ljas  und  nicht  sels  =  s6lis.  Die 
obliquen  casus  zweiter  und  dritter  decl.  sinken  also  auf  dem  uns  zu- 
gänglichen stand  der  gothischen  spräche  mit  den  lableitungen  erster 
decl.  zusammen,  d.  h.  die  ableitung  hat  sich  mit  dem  thema  der 
flexion  gemengt. 

Im  ahd.  und  den  übrigen  dialecten  hat,  wie  man  erwarten  kann, 
diese  einmal  eingeschlagne  abirrung  noch  weiter  umgegriflFen,  so  dasz 
von  dem  organischen  unterschied  der  drei  adjectivdeclinationen  nicht 
mehr  die  rede  ist,  sondern  practisch  zwei  angesetzt  werden  können, 
die  gewöhnliche  dem  goth.  blinds  entsprechende  und  eine  andre  mit 
dem  character  I,  welchem  jedoch  die  flexion  der  ersten  decl.  nach- 
folgt und  wovon  die  ursprüngliche  zweite  declination  sehr  verschieden 
gelautet  haben  musz.  Bei  solcher  mengung  der  formen  ist  es  schwer, 
wo  nicht  unmöglich  für  einzelne  adjectiva  zu  entscheiden,  welcher  der 
drei  declinationen  sie  ursprünglich  gehörten. 

In  der  gothischen  spräche  kommt  hier  ein  andres  mittel  zu  statten, 
die  offenbar  nach  dem  unterschied  der  drei  declinationen  entsprungne 
adverbialform  auf  BA,  welcher  das  thema  A  I  U  ganz  in  folge  jener 
flexion  vortritt  (s.  458).  von  blinds  wird  also  das  adverb  bHndaba, 
von  sels  s6liba,  von  hardus  harduba  lauten,  und  wirklich  sehn  wir 
nach  diesem  grundsatz  eine  menge  adjectiva  erster  declination  gebildet; 
es  heiszt  frödaba  veihaba  gerßdaba  bal{)aba  raihtaba  baitraba  ubilaba 
gabigaba  und  aus  dem  abgeleiteten  gabauris  =  gabaurjas  folgt  richtig 
gabaurjaba  Marc.  6,  20,  aus  sunis  =  sunjas  sunjaba  1  Thess.  2,  13. 
hingegen  führt  analaugns  nach  zweiter  decl.  auf  das  adv.  analaugniba 
Joh.  7,  20.  26,  unanasiuns  invisibilis  auf  unanasiuniba,  usstiurs  auf  921 


640  DECLINATIONSVOCALE 

usstiuriba,  andaugs  auf  audaugiba  Joh.  16,  25.  10,  24 ;  weil  indessen 
diese  adj.  im  obliquen  casus  nach  erster  decl.  übertreten,  und  ihre 
nominative  unsicher  anzusetzen  sind,  so  liesze  sich  denken,  dasz  das 
oblique  -ja  ein  unorganisches  -jaba  statt  -iba  in  einzelnen  fällen  her- 
beigeführt habe,  adverbia  dritter  declination  bilden  sich  regelmäszig ; 
harduba  agluba  glaggvuba  manvuba;  doch  weil  hardus  paursus  im 
obliquen  casus  gleichfalls  -ja  annehmen,  wäre  auch  für  die  adv.  ver- 
irrung  möglich. 

Den  übrigen  sprachen  ist  diese  schöne  adverbialbildung  erloschen ; 
ahd.  sehn  wir  einförmiges  -o  an  die  stelle  der  goth.  manigfaltigkeit 
getreten  und  mhd.  folgt  dem  adverbialen  -e  für  die  abgeleiteten  adj, 
sogar  ein  günstiger  rückumlaut  mit,  der  sich  nun  auch  auf  die  ur- 
sprünglichen zweiter  und  dritter  decl.  erstrecken  musz,  d.  h.  den  adj. 
süeze  herte  steht  ein  adv.  suoze  harte  zur  seite,  statt  des  goth.  sutiba 
harduba. 

Endlich  läszt  auch  die  comparation  ihren  maszstab  an  diese  ad- 
jectiva  legen,  doch  nicht  ganz  einstimmig  und  sicher,  von  adj.  erster 
decl.  wie  fröds  raihts  svinps  findet  sich  frodoza  raihtoza  svinj)6za 
gesteigert,  also  wäre  frödösts  raihtösts  svinj)6sts  zu  erwarten,  und 
1  Cor.  15,  19  wird  armöstai  pauperrimi  gefunden,  aus  adj.  zweiter 
decl.  wie  az6ds  spßds  sutis  ergibt  sich  az6tiza  spßdiza  sutiza,  folglich 
az6tists  spedists  sutists  und  in  der  dritten  sollte  harduza  hardusts 
compariert  werden,  wofür  ich  keinen  beleg  kenne,  umgekehrt  steigern 
sich  offenbare  adj.  erster  decl.  z.  b.  faus  und  manags  mit  I  faviza 
managiza  managists,  worin  sich  Verwirrung  zeigt,  übrigens  erhebt  sich 
0  aus  dem  A  nach  dem  ablaut  dritter  conj.  und  es  könnte  auch  in 
zweiter  decl.  AI,  in  dritter  AU  gemutmaszt  werden,  ein  älteres 
sutaiza  und  hardauza.  in  der  that  erscheint  Eph.  4,  9  ein  Superlativ 
undaraists  infimus,  dem  ein  comp,  undaraiza  entsprechen  musz,  und 
wofür  man  nothwendig  einen  positiv  undaris,  nach  zweiter  decl.,  an- 
zusetzen hat.  Die  ahd.  Steigerung  unterscheidet  0  und  I,  im  einzelnen 
922  richtiger  als  die  gothische,  z.  b.  es  heiszt  managöro  managöst,  wo- 
gegen das  jenem  undaraiza  undaraists  entsprechende  untaröro  untaröst 
entschieden  in  die  Oform  fällt. 

Es  ist  zeit  diese  erwägung  der  deutschen  declinationavocale  zu 
schlieszen,  um  noch  einige  blicke  auf  die  urverwandten  sprachen  zu 
richten. 

Am  ersten  zieht  mich  hier  die  lat.  flexion  an,  wegen  ihrer  groszen 
einstimmung  mit  der  unsrigen.  Auch  im  latein  ergeben  sich  drei 
declinationen  nach  dem  thema  A  I  U  und  zumal  entscheidend  wird  die 
analogie,  dasz  die  flexion  mit  I  und  ü  wieder  beiden  geschlechtern 
gemein  ist,  die  flexion  A  aber  einen  unterschied  der  geschlechter 
nöthig  macht,  oft  stimmen  selbst  einzelne  Wörter,  nach  den  declina- 
tionen, so  wenig  befremden  kann,  dasz  sie  zuweilen  andern  überwiesen 
werden.  Man  halte  ventus  zu  vinds,  aqua  zu  ahva,  follis  zu  balgs, 
nox  zu  nahts,  currus  zu  sunus,  manus  zu  handus;  es  musz  doch  tiefen 
grund  haben,    dasz   follis   und   nox   einer   decl.   angehören  wie  balgs 


DECLINATIONSVOCALE  641 

und  nahts  (ich  sehe  hier  von  einigen  anomalien  ab,  die  nahts  treffen), 
currus  und  manus  einer  decl.  wie  sunus  und  handus,  ventus  und  aqua 
hingegen  zwei  declinationen  fordern,  wie  vinds  und  ahva.  Was  die 
einzelnen  flexionen  angeht,  so  stimmt  das  -i  in  venti  zu  dem  in  vin- 
dis,  das  u  in  ventus  ventum  scheint  aber  aus  currus  currum  einge- 
drungen und  läszt  ein  älteres  ventas  ventam  ahnen,  welches  letztere 
zugleich  das  gemutmaszte  goth.  vindan  =  vindam  bestärkt,  im  gen. 
pl.  gleicht  die  erweiterung  ventorum  gegenüber  aquarum  der  goth. 
adjectivflexion  blindaiz6  und  blindaizo;  darf  man  daraus  ein  früheres 
vindaiz6  und  ahvaizo  folgern,  an  deren  platz  vinde  und  ahvo  trat? 
auch  das  -i  des  nom.  pl.  venti  stimmt  zum  adjectivischen  in  boni, 
wie  sich  aquae  und  bonae  begegnen,  während  vindös  und  blindai  ab- 
stehn,  aber  ahvos  und  blindos  gleich  sind,  das  kurze  -a  des  weib- 
lichen nom.  sg.  entspricht  dem  goth.  in  ahva  und  bestätigt  den  pa- 
rallelen vocal  in  ventas  für  ventus;  aber  das  AE  im  gen.  dat.  sg. 
aquae  (wofür  altlat.  AI  galt,  aquai)  erreicht  blosz  den  goth.  dat.  ahvai 
und  scheint^  gleich  diesem  AI  aus  der  Iform  eingedrungen,  weshalb 
das  ^  goth.  0  in  ahvos  organischer  ist.  für  goth.  0  darf  man  sonst  923 
lat.  A  erwarten  (fiskon  piscäri) ,  welches  auch  im  abl.  aqua,  gen.  pl. 
aquärum  und  acc.  pl.  aquäs  eintritt,  da  doch  der  nom.  pl.  AE  behält, 
um  dem  gen.  sg.  gleichzustehn.  der  acc.  sg.  aquam  ist  ein  zeuge  für 
das  vermutete  ahvan  =  ahvam.  das  A  in  aquärum  entspricht  aber 
dem  0  in  ahvö,  folglich  darf  man  auch  dem  parallelen  bonärum,  coe- 
cärum  ein  älteres  goth.  gödözö  blindözö  für  gödaizö  blindaizo  an  die 
Seite  geben,  ich  weisz  nicht,  ob  aus  bonorum  coecorum  ein  männlicher 
gen.  pl.  göd6z6  blind6z6  zu  schlieszen  ist?  im  hintergrund  der  lat. 
pl.  -IS  darf  man  aber  -obus  und  -abus  erwarten,  ventobus  und  aqua- 
bus,  nach  den  gen.  -orum  und  -arum  und  nach  analogie  von  -ibus 
und  -ubus ;  den  beweis  führt  duobus  duabus,  ambobus  ambabus  und 
die  kürzung  queis  f.  quibus.  Die  lat.  Ideclination  für  beide  geschlech- 
ter liegt  vor  äugen:  pater  flectiert  wie  mater,  und  die  dative  patri 
matri,  patribus  matribus  sind  entscheidend;  zuweilen  haftet  noch  das 
I  im  nom.  sg.  wie  in  sentis  sitis.  Ebenso  deutlich  erscheint  die  gleich- 
heit  beider  geschlechter  in  currus  sensus  quercus  domus,  mit  dem 
gen.  sg.  -US,  dat.  -ui,  ähnlich  dem  goth.  -aus,  -au;  die  pluralcasus 
haben  -us  -uum  -ubus  -us,  wie  die  der  dritten  -es  -ium  -ibus  -es. 
Endlich  entsprechen  die  lat.  adjectiva  bonus  bona  dem  goth.  gods 
göda  nach  dem  substantivischen  unterschied  von  ventus  und  aqua; 
für  beide  geschlechter  aber  gilt  fortis  fortis,  dulcis  dulcis,  wie  im 
goth.  s6ls  s6ls,  sutis  sutis  und  das  neutr.  forte  dulce  stimmt  zu  dem 
vermuteten  suti,  vielleicht  auch  s6li  (oder  s6l?),  lat.  adjectiva  der 
Udeclination  mangeln,  waren  aber  früher  gewis  vorhanden. 

Ohne  mühe  ergibt  sich  nun  auch  die  analogie  der  griechischen 
formen,  bei  denen  ich  zumal  angeben  will,  worin  sie  sich  vor  dem 
latein  auszeichnen,  die  substantiva  kvicog  und  (.lovöa  entsprechen  in 
der  flexion  den  lat.  lupus  und  aqua,  goth.  vulfs  und  ahva,  Avxog  weist 
also  auf  ein  älteres  /Lvjcag,   doch  musz  das  O  frühe  schon  die  stelle 

Grimm,  gescliichte  der  deatdches  spracke.  41 


642  DECLINATIONSVOCALE 

von  A  vertreten  haben,  weil  durch  es  auch  das  -ov  des  gen.  bedingt 
erscheint,     diesem  gen.  -ov,  wie  dem  lat.  -i,  mangelt  das  auslautende 

924  S,  welches  in  den  übrigen  declinationen  haftet,  aber  auch  dem  goth. 
dagis  vulfis  zusteht;  dagegen  hat  es  die  gr.  spräche  dem  gen.  fem. 
^ovörjg,  wie  die  goth.  dem  ahvös  bewahrt,  wo  es  das  lat.  aquae 
gleichfalls  entbehrt,  der  gr.  gen.  masc.  stimmt  zum  lateinischen,  der 
gen.  fem.  zum  gothischen.  ahd.  sehen  wir  das  S  dem  gen.  masc. 
Wolfes  erhalten,  dem  gen.  fem.  ahö  entzogen.  Den  kurzen  vocal  des 
weiblichen  nom.  sg.  wahren  aber  nur  die  wenigsten  gr.  Wörter, 
meistentheils  dringt  II  aus  dem  gen.  auch  in  den  nom.  vor:  ti[ii] 
•Ao^rj  xco^rj,  qualitativ  entspricht  es  dem  goth.  0.  Das  jota  sub- 
scriptum  der  dat.  sg.  -co  -a  -rj  gleicht  dem  lat.  -ae  für  -ai  und  macht 
glauben,  dasz  auch  im  masc.  -o  aus  -oi  erwuchs.  Die  acc.  -ov  -av 
-rjv  begegnen  dem  lat.  -um  -am  und  zeugen  für  goth.  -an  statt  -am. 
Im  nom.  pl.  gleichen  -ot,  und  -ai  dem  lat.  -i  -ae,  das  S  der  goth. 
dagös  vulfös  ahvös  entbehrend,  wie  es  die  goth.  männlichen  adj.  gödai, 
nicht  die  fem.  gödös  entbehren.  Dem  gen.  pl.  mangelt  die  Unter- 
scheidung beider  geschlechter,  wie  sie  im  goth.  -6  und  -ö,  im  lat. 
-orum  -arum  an  den  tag  tritt,  das  -oig  und  -aig  der  dat.  pl.  wird 
nicht  vom  lat.  -is  -is,  aber  vom  altlat.  -obus.  -abus  erreicht;  ähn- 
licher ist  das  goth.  -aim  der  adjective,  als  das  geschlechtscheidende 
-am  und  -6m  der  Substantive. 

In  der  gr.  dritten  decl.  sind  die  überbleibsei  sowol  der  I  als 
üflexion  aufzusuchen,  aber  für  beide  geschlechter  gleichförmig,  das 
I  tragen  Wörter  wie  ö(pig  noXtg  %ccQig  mit  dem  acc,  sg.  ocpiv  tioXlv 
XÜqlv,  gleich  jenem  veralteten  goth.  gastin  d6din,  zur  schau;  die 
übrigen  casus  erfahren  vielfache  einmischung  andrer  demente,  ü 
zeigen  l%%vg  ßörgvg  vav^  mit  dem  acc.  li^vv  ßoxQvv  vavv,  es  ver- 
schlägt nichts,  dasz  die  entsprechenden  lat.  piscis  na  vis  zum  I,  das 
goth.  fisks  sogar  zum  A  gehören,  seinen  flexionen  nach  gehört  Ix^'vg 
zu  currus  und  sunus. 

Die  gr.  adj.  stimmen  darin  ganz  zu  den  lateinischen,  dasz  ihre 
flexion  der  substantivischen  völlig  gleich  ist,  während  bei  uns  die 
subst.  von  der  adjectivischen  eigenthümlich  absteht.  TtovrjQog  noviqQa 
trennen  die  geschlechter   wie  malus  mala,   ubils  ubila,   wogegen  sie 

925  zusammenfallen  in  lÖgig  lÖQig,  wie  in  dulcis  dulcis  und  sutis  sutis; 
wenn  :n;oAt;g  und  nXaxvg  yXvxvg  ein  fem,  TtolXrj  TiXavEia  ykvaua  bil- 
den, so  sind  das  spätere  ab  weichungen  vom  Organismus,  der  auch 
für's  fem.  nolvg  ylvKvg  begehrt,  wie  goth.  filus.  auch  gilt  das  zu- 
sammengesetzte adaxQvg  für  beide  geschlechter,  die  neutra  YÖQt  tioXv 
ykvycv  sind  wie  lat.  forte  dulce  und  goth.  navi  (vshqov)  filu.  diese 
spuren  des  U  im  adj.  hat  die  gr.  spräche  vor  der  lat.  voraus,  wo- 
gegen die  lat.  substantiva  auf  ü  fester  stehen   als  die  griechischen. 

Auffallender  noch  als  die  lat.  und  gr.  nähern  sich  die  litthaui- 
schen  flexionsvocale  den  gothischen  und  hier  offenbart  sich  eine  der 
unmittelbarsten  Verwandtschaften  beider  sprachen.  Aber  hier  geht 
selbst  die  volle  pracht   des  A  auf  und  wilkas  =  Ivxog  vulfs  steht 


DECLINATIONSVOCALE  643 

noch  mit  seinem  dat.  pl.  wilkams  dem  awis  =  oCg  ovis  mit  dem  dat. 
pl.  awims  und  dem  sunns  =  goth.  sunus  mit  dem  dat.  pl,  sunums 
entgegen,  diesen  dat.  pl.  wilkams  awims  sunums  gleichen  unmittel- 
bar die  goth.  vulfam  avim  (wenn  ich  richtig  vermute)  und  sunum, 
was  kann  einleuchtender  sein!  Feminina  auf-a  machen  den  dat.  pl. 
-6ms,  ranka  ranköms  wie  giba  giböm,  der  gen.  sg.  bekommt  -6s  ranka 
rankös,  galwa  galw6s  wie  goth.  giba  gibös;  der  dat.  rankai  galwai 
läszt  wenigstens  keinen  zweifei  über  das  hohe  alter  des  goth.  gibai, 
wofür  mir  ein  noch  älteres  gibö  wahrscheinlich  ist ;  sogar  in  den  ab- 
weichungen  von  der  theorie  waltet  demnach  ähnlichkeit.  der  gen. 
sg.  masc.  wilko  entfernt  sich  von  dagis,  wie  Ivxov  und  lupi,  während 
rank6s  wie  (.lovörjg  und  gibös  abstehn  von  aquae.  Nicht  zu  über- 
sehn, dasz  den  litth.  wilkas  und  ranka  auch  ableitungen  zur  seite 
stehn,  die  ihr  I  vor  die  flexion  einschalten:  sweczias,  gen.  sweczio, 
dat.  pl.  swecziams;  wyniczia,  gen.  wynicziös,  dat.  pl.  wynicziom,  und 
wiederum  werfen  einige  fem.  im  nom.  sg.  das  -a  weg:  marti  wie 
goth.  mavi.  diese  abgeleiteten  formen  unterscheiden  sich  hier  kenn- 
bar von  der  wahren  Iflexion  in  awis,  gen.  awi6s,  dat.  pl.  awims,  dan- 
tis,  gen.  danti6s  dat.  pl.  dantims,  ganz  wie  sich  der  theorie  nach 
goth.  harjas  dat.  pl.  harjam  von  gastis  dat.  pl.  gastim  scheiden  müste. 
In  der  Ufiexion  begegnen  sunus  gen.  sunaus,  dat.  sunui,  acc.  sunu, 
nom.  pl.  sunus,  gen.  sunü,  dat.  sunums,  acc.  sunüs  überraschend  der  926 
goth.  flexion,  nur  dasz  die  goth.  Verhältnisse  noch  reiner  erscheinen, 
da  sich  z.  b.  der  litth.  nom.  sg.  und  pl.  mengen,  die  geschieden  sein 
sollten,  wie  der  nom.  sg.  awis  vom  nom.  pl.  awys  (goth.  aus  aveis). 
Die  litth.  adjectivdeclination  stimmt  beinahe,  doch  nicht  ganz  zu  der 
substantivischen  und  hat  annäherungen  an  die  deutsche  weise,  zumal 
im  dat.  sg.,  der  von  wilkas  wilkui,  von  geras  aber  geram  lautet, 
welches  geram  dem  goth.  gödamma  gleicht;  ich  beabsichtige  aber 
hi^r  keine  erörterung  der  flexionsconsonanz.  naujas  novus  schaltet 
I  ein,  wie  goth.  niujis  f.  niujas.  der  I  und  Uflexion  fallen  die  adj. 
didis  magnus,  platus  latus,  saldus  dulcis  zu,  welche  jedoch  keine  gleich- 
lautenden fem.  bilden,  sondern  diesen  didi,  plati,  saldi  verleihen,  ge- 
wis  unorganisch. 

Über  die  slavische  flexion  beschränke  ich  mich  auf  eine  einzige 
bemerkung.  wie  die  goth.  spräche  oft  das  A  der  flexion  unausge- 
drückt  läszt,  pflegen  sl.  nominative  auch  das  I  und  ü  nicht  zu  setzen, 
sondern  an  deren  stelle  ein  bloszes  '  uiid  "  zu  verwenden,  nach  ihrem 
allgemeinen  schon  s.  283  entfalteten  lautgesetz.  ogn'  entspricht  also 
dem  skr.  agnis,  lat.  ignis,  litth.  ugnis,  goth.  auhns  (für  auhnis  pl. 
auhneis),  aber  s"in"  dem  goth.  litth.  sunus,  tr'n"  dem  goth.  |)aurnus. 
Man  begreift,  da  lat.  -us  auch  für  die  -asform  eindrang,  dasz  ebenso 
sl.  "  zugleich  das  ursprüngliche  a  zu  vertreten  hat,  z.  b.  in  vl"k" 
litth.  wilkas,  pl"k"  litth.  pulkas,  prach"  litth.  parakas;  darum  ist 
auslautendes  '  weit  seltner. 


41' 


XXXVII. 
DER  INSTRUMENTALIS. 


927  Unsere  spräche  vermag,  gleich  der  griechischen,  nicht  mehr  als 
vier  casus,  denn  die  spuren  des  vocativs  und  Instrumentalis  sind  sehr 
beschränkt,  und  nur  im  sg.,  ja  fast  nur  in  einer  einzigen  declination 
wahrnehmbar,  dem  pl.  wie  dem  femininum  überhaupt  entzogen,  auch 
der  lat.  unterschied  zwischen  dativ  und  ablativ  schwindet  im  pl.  und 
haftet  blosz  im  sg.,  nicht  einmal  durch  alle  declinationen.  Den  gegen- 
satz  hierzu  bildet  die  casusfüUe  der  litthauischen,  slavischen  und  die 
noch  gröszere  der  finnischen  spräche. 

Mit  dem  reichthum  der  conjugation  hält  also  die  declination 
nicht  gleichen  schritt,  sonst  müste  der  vollen  entfaltung  griech.  ver- 
balformen auch  eine  der  nominalen  zur  seite  stehn.  die  romanischen 
sprachen,  noch  lebendiger  conjugation  mächtig,  gehn  der  declination 
beinahe  ganz  verlustig. 

Den  lat.  dativ  und  ablativ  pflegt  die  romanische  spräche  einfach 
so  zu  umschreiben,  dasz  sie  für  jenen  die  praeposition  a  (lat.  ad), 
für  diesen  aber  de  verwendet,  da  nun  de  zugleich  den  genitiv  um- 
schreibt, so  werden  gen.  und  abl.  durch  dasselbe  mittel  ersetzt,  im 
begrif  des  dativs  liegt  näherung  und  Zuneigung,  in  dem  des  ablativs 
entfernung,  welchen  unterschied  auch  unsere  praepositionen  zu  und 

928  von  ausdrücken;  den  genitiv  aber  umschreibt  unsere  lässige  volk- 
sprache  sogar  mit  beiden  praepositionen:  er  ist  vater  von  dem  kind 
oder  zu  dem  kind  sagt  sie  statt  vater  des  kindes.  hieraus  folgt,  dasz 
ablativ  und  genitiv,  oder  instrumental  und  genitiv,  dem  begrif  und 
der  gestalt  nach  einander  sehr  nahe  liegen. 

Es  ist  unscheinbar,  gleichwol  bedeutsam  in  der  geschichte  unsrer 
sprachen,  dasz  die  gothische,  sonst  formgewaltigere,  in  der  entfaltung 
des  instr,  hinter  der  ahd.  zurückbleibt. 

Der  goth.  Instrumentalis  ist  nirgend  am  nomen,  blosz  noch  am 
männlichen  und  neutralen  pronomen  zu  spüren,  und  seinen  character 
bildet  der  vocal  fi.  erinnern  wir  uns  aus  s.  844,  dasz  die  Verdich- 
tung £  auf  diphthongisches  lA   zurückleitet,   so  kann  nicht  befrem- 


INSTRUMENTALIS  645 

den,  warum  an  der  stelle  dieser  ^  ahd.  lU  und  verengt  fj  eintrete, 
da  ahd.  lA  und  lü  öfter  tauschen,  im  sanskrit  und  zend  werden 
aber  die  instrumentale  durch  das  dem  goth.  E  entsprechende  A  be- 
zeichnet (Bopp  vgl.  gr.  s.  187 — 189). 

Die  persönlichen  ungeschlechtigen  pronomina  zeugen  keinen  In- 
strumentalis, nur  die  demonstrativen  und  interrogativen. 

In  gleicher  reihe  stehen  J)6,  hv6  und  svö  und  beide  erstere  ent- 
sprechen dem  ahd.  diu,  huiu,  alts.  thiu,  huiu.  unverbunden  findet 
sich  goth.  J)6  blosz  in  J)6  haldis  eo  magis  Sk.  4,  3  =  ahd.  diu  halt 
(Graff  5,  29),  häufig  aber  in  den  praepositionalverknüpfungen  bij)e 
und  duj)6  =  ahd.  pidiu,  zidiu,  welchen  sich  noch  andre  von  Graff 
5,  31—35  belegte  gesellen,  eben  so  oft  erscheinen  die  ahd.  formein; 
diu  mezzu,  diu  dingu  u.  a.  m.  (Graff  5,  29).  mhd.  dauern  bediu, 
zediu  fort,  nhd.  zuckt  der  instr.  nur  noch  in  desto  ==  ahd.  des  diu, 
mhd.  deste, 

Hv6,  dem  zendischen  khä  entsprechend,  kommt  unverbunden  vor 
II  Cor.  11,  21  =  ahd.  huiu,  später  wiu  und  hiu  (Graff  4,  1186) 
und  praepositional  in  duhvß  =  ahd.  zihuiu  zihiu  ziu  (Graff  a.  a.  o.), 
desgleichen  anhuiu  pihuiu  fonahuiu  (Graff  4,  1184);  endlich  in  den 
adjectiven  hvßlauds  und  hvöleiks,  wofür  kein  ahd.  huiulih,  sondern 
huelih  (Graff  4,   1207)  auftritt,  alts.  huilic,  mhd.  nhd.  welch. 

Stutzig  macht  sv6,  an  dessen  pronominaler  abkunft  und  instru-  929 
mentaler  bedeutung  im  allgemeinen  nicht  zu  zweifeln  ist:  es  drückt 
aus  cog,  hat  aber  neben  sich  ein  sva  ovtcj,  und  beide  verbunden 
svasve  entsprechen  dem  lat,  sicut.  ahd.  verflieszen  beide  partikeln 
in  so,  ags.  in  svä,  wie  die  Zusammensetzungen  sösö  und  sväsvä  lehren. 
Auch  entfernt  sich  sv6  darin  von  hv6,  dasz  den  Verbindungen  hv6- 
lauds  und  hvßleiks  parallel  kein  sv6lauds  svöleiks,  vielmehr  svalauds 
svaleiks  gebildet  werden,  ahd.  lautet  letzteres  söllh  und  bald  ver- 
kürzt sollh  sulih,  nhd.  solch,  ags.  svelc  svilc.  Bei  der  demonstrati- 
ven bedeutung  dieses  svalauds  und  svaleiks  hatte  ich  seine  wurzel  in 
dem  pronominalstamm  sa  so,  skr.  sa  sä  gesucht  (gramm.  3,  43),  Bopp 
hingegen  (vgl.  gramm.  s.  189.  487.  589)  findet  sie  im  urstamm  des 
ungeschlechtigen  pronomens  dritter  person  sva,  aus  welchem  das  V 
häufig  schwindet  (oben  s.  262),  leicht  aber  vereinigen  sich  beide  an- 
nahmen in  der  Wahrnehmung,  dasz  auf  höherem  standpunct  auch  sa 
so  aus  sva  svö  entspringe  und  mit  jenem  pron.  dritter  person  genau 
verwandt  sei*,  lauds  in  hv6lauds  und  svalauds  hält  Bopp  s.  588. 
589  zum  skr.  vant  und  lat.  -lens  in  opulentus  virulentus. 

Die  demonstrativ^  natur  des  sva  ergibt  sich  nicht  nur  aus  dem 
gegensatz  zwischen  svalauds  und  hvßlauds,  svaleiks  und  hvßleiks,  die 
dem  lat.  tantus  quantus,  talis  qualis  entsprechen;  sondern  auch  aus 
der  bildung  eines  ganz  analogen  ags.  J)^lic,  altn.  pvlllkr,  welche  wie- 


*  ich  erkühne  mich  nicht,  so  nahe  es  läge,  das  demonstrative  T  oder 
TH  in  tad  und  J)ata  mit  dem  linguallaut  des  pronomens  zweiter  person 
zu  vergleichen. 


646  INSTRUMENTALIS 

derum  talis  ausdrücken  und  denen  goth.  {)6leiks,  folglicli  auch  J)6- 
lauks  entsprechen  würde,  es  war  aber  überflüssig  sie  einzuführen, 
da  schon  svaleiks  und  svalauds  vorhanden  waren,  und  blosz  die  ags. 
spräche  hat  diesen  einflusz,  denn  die  altn.,  welcher  J)vilikr  eigen  ist, 
entbehrt  dafür  eines  mit  sva  zusammengesetzten  pronomens. 

930  Auszer  J)6  hv6  und  sv6  sva  erscheinen  nun  auch  die  gothischen 
formen  J)6h  hv6h  und  svah,  zu  deren  deutung  ich  einen  abrisz  der 
formen  für  den  pronominalbegrif  hie  haec  hoc,  weil  sie  auch  in  den 
instrumental  greifen,  einschalten  musz. 

Die  goth.  spräche,  einstimmig  mit  der  lateinischen,  drückt  diese 
Verstärkung  der  demonstration  durch  ein  suffix  H  aus,  welches  dem 
lat.  C  genau  entspricht,  so  erwachsen  aus  sa  so  pata  die  gramm. 
3,  27  näher  aufgeführten  sah  söh  J)atuh.  angenommen,  dasz  das 
vollständige  suffix  ÜH  lautete,  zeigen  es  nur  die  mit  A,  S  oder  M 
auslautenden  casus  und  A  schwindet,  also  bei  J)ata  pamma  pana  pis 
|)iz6s  ])ans  J)6s  J)aim  wird  angehängt  J)atuh  ]3ammuh  J)anuh  J)izuh 
pizözuh  J)anzuh  |)6zuh  J)aimuh,  wogegen  die  langen  vocale  der  flexion 
haften  und  das  U  verzehren,  bei  so  J)izai  J)ö  pai  J)ize  J)izö  demnach 
söh  {)izaih  pöh  f)aih  pizßh  J)iz6h,  und  hierher  fällt  auch  die  suffixion 
des  instrumentalen  J)6,  welche  p6h  lautet,  dasz  der  nom.  sg.  masc. 
nicht  suh,  sondern  nur  sah  heiszen  kann,  ist  leicht  einzusehn. 

Die  geschichte  dieser  form  in  den  übrigen  deutschen  sprachen 
zu  verfolgen  fällt  aber  schwer,  ich  halte  mich  zuerst  an  den  noch 
zum  goth.  panuh  stimmenden  altn.  acc.  sg.  masc.  J)enna,  der  im 
schwed.  denna  den  ganzen  sg.  erfüllt,  ebenso  nähert  sich  der  altn. 
nom.  sg.  neutr.  J)etta  dem  goth.  J)atuh  und  steht  zum  einfachen  J)at, 
wie  {)atuh  zu  pata.  diesem  J)etta  entspricht  schwed.  detta,  dän.  dette, 
alts.  thit  thltt  thet,  fries.  thit,  mnl.  dit  ditte,  nnl.  dit,  ahd.  diz  (mit 
dem  harten  Z,  wie  in  scaz)  und  dizi,  mhd.  diz  und  ditze,  bei  dich- 
tem, die  sich  der  nd.  mundart  nähern,  z.  b.  im  gr.  Rud.,  bei  Her- 
bort, im  passional  und  in  Urkunden  auch  noch  dit;  nhd.  endlich  dies 
oder  dieses,  doch  hört  man  unterm  volk  noch  ditz.  Sehr  auffallend 
weicht  von  allem  ab  das  ags.  J)is,  welches  sich  auch  im  nordenglischen 
dialect,  wie  im  heutigen  engl,  this  findet  und  einen  durchgreifenden 
unterschied  der  ags.  und  engl,  mundart  von  jeder  übrigen  nieder- 
deutschen und  nordischen  hergibt.  Der  vocalauslaut  der  formen  |)etta 
detta  dizi  ditze,    und  selbst  noch   die  ausspräche  des  Z,   lassen  den 

931  abfall  des  -h  ahnen,  folglich  ein  dem  goth.  patuh  nahe  kommendes 
neutrum  erwarten.  Andere  casus  zeigen  aber,  nach  dem  Wechsel 
zwischen  H  und  S  (s.  299.  305),  suffigiertes  -s,  wobei  vorzüglich  der 
nom.  sg.  fem.  alts.  thius  und  ags.  J)eos,  der  ags.  acc.  sg.  fem.  J)äs 
und  nom.  acc.  pl.  aller  geschlechter  J)äs,  sowie  der  alts.  instr.  sg. 
thius,  ags.  J)eos  in  betracht  kommen,  weil  hinter  dem  -s  kein  flexions- 
vocal  folgt,  offenbar  ist  aus  dem  alts.  nom.  thiu  die  suffigierte  form 
thius  und  aus  dem  instr.  thiu  suffigiertes  thius  hervorgegangen,  die 
sich  verhalten  wie  goth.  J)6  und  J)6h,  es  heiszt  Hei.  62,  24.  142,  4 
mid   thius,    147,  18.    161,  29   mid   thius   folcu,    119,  8  after   thius. 


INSTRUMENTALIS  647 

warum  nun  hat  der  ags.  nom.  sg.  fem.  J)eos  und  nicht  seos?  wie 
doch  gothischem  söh  entspräche?  im  ags.  J)äs  erscheint  suffigiertes 
pä,  was  dem  goth.  J)6h  d.  i.  suffigiertem  pö  entspricht.  Hiermit  sind 
aber  die  organischen  formen  zu  ende,  denn  der  sprachgeist  musz  sich 
geteuscht  und  dies  auslautende  -s  für  wurzelhaft  genommen  haben, 
weil  er  ihm  für  die  übrigen  casus  die  gewöhnlichen  flexionen  nach- 
schickt, da  es  doch  als  suffix  noth wendig  auslauten  und  die  flexion 
vor  sich  haben  sollte,  so  beurtheile  man  die  ahd.  d6s6r  dSses  dfe'semu 
desan  u.  s.  w.,  blosz  im  neutr.  diz  und  dizi  mangelt  der  falsche  stamm, 
genauer  zugesehn,  gewähren  die  frühesten  ahd.  denkmäler  noch  einige 
spuren  des  organischen  zustandes,  ich  meine  den  nom.  acc.  pl.  neutr. 
deisu,  der  aus  ags.  J)äs  mahnend  aus  deis  d.  i.  dei-s  entsprungen  ist, 
und  vom  gewöhnlichen  disiu  disu  seine  flexion  entlehnt,  ganz  analog 
wird  im  Isidor  der  acc.  sg.  fem.  dheasa  statt  des  gewöhnlichen  d6sa 
getroffen,  sichtbar  ist  deasa  suffigiertes  dea,  und  sollte  blosz  deas 
wie  ags.  J)äs  lauten,  fügt  aber  nochmals  die  unorganische  flexion  bei, 
so  dasz  hier  das  -a  des  weiblichen  acc.  zweimal  ausgedrückt  steht, 
in  de-a  und  deas-a.  der  ahd.  instr.  lautet  disu,  disiu,  ein  älteres 
diusiu  oder  noch  besser  dius  wäre  mögHch,  einem  solchen  instr. 
diusu  =  alts.  thius,  ags.  J)eos  gleicht  aufs  haar  das  altn.  J)visa,  wo- 
für aber  bald  das  scheinbar  regelrechte  pessu  einreiszt.  J)visa  J)eos 
thius  entsprechen  alle  dem  goth.  p6h.  der  wechselnde  vocal  in  peos 
|)äs  deisu  deasa  diusu  pvisa,  der  wechselnde  consonant  in  J)enna  J)etta  932 
J)essu  J)visa  entscheidet  schnurstracks  wider  die  annähme  eines  stam 
mes  J)Ss  oder  dis. 

Allein  unsrer  spräche  stand  für  dieselbe  demonstrative  Vorstellung 
ehmals  auch  noch  ein  andrer  einfacher  pronominalstamm  zu  gebot, 
dessen  wurzel  HI  lautete  und,  wie  es  scheint,  im  goth.  his  hija  hita, 
his  hizös  his,  himma  hizai  himma,  hina  hija  hita  declinierte,  gleich 
dem  persönlichen  pronomen  is  si  ita,  nui'  den  nom.  sg.  f.  setze  ich 
abweichend  an.  es  ist  jedoch  auszer  himma  und  hita  nur  aus  hina- 
dag  (neben  himmadaga)  der  acc.  sg.  masc.  hina  zu  entnehmen,  und 
aus  der  partikel  her  neben  hidr6  (analog  dem  J)ar  und  J)a|)r6)  ein 
instr.  he  zu  folgern,  die  ahd.  adverbia  hiutu,  hiuru  und  hlnaht  (für 
hianaht),  mhd.  hiute  hiure  hinaht  und  hinte,  nhd.  heute  heuer  und 
heint  (s.  432)  kündigen  uns  ebenso  den  instr.  hiu  und  acc.  f.  hia 
an,  aus  der  partikel  hiar  =  goth.  her  (s.  844)  neben  dem  instr.  hiu 
=  goth.  he  entnehme  ich  willkommne  Bestätigung  der  Identität  des 
instrumentalen  lA  lU  =  £.  Das  ags.  heodäg  bezeugt  den  instr. 
heo,  dessen  diphthong  zu  dem  in  peos  stimmt,  wichtiger  ist,  dasz 
die  ags.  und  fries.  spräche  ihrem  geschlechtigen  pron.  dritter  person 
überall  den  anlaut  H  verleihen,  d.  h.  für  goth.  is  si  ita  he  heo  hit 
verwenden,  was  den  Zusammenhang  der  persönlichen  und  demonstra- 
tiven pron.  ins  licht  setzt,  von  mir  aber  hier  nicht  weiter  ausgeführt 
werden  soll. 

Dies  goth.  his  hija  gleicht  aber,  nach  dem  Wechsel  zwischen  H 
und  SZ  (s,  385)  dem  litth.  szis  szi,  mit  welchem  wiederum  szendiSn 


648  INSTRUMENTALIS 

oder  sz^  dien^  heute  und  szymet  heuer  (von  metas  jähr)  gebildet 
werden;  es  gleicht  noch  mehr  dem  stamm  des  lat.  hie  haec,  dessen 
H  hier  (wie  in  habere  und  haban)  mit  der  deutschen  spirans  zu- 
sammentrift,  da  sie  gewöhnlich  dem  lat.  C  entspricht,  ich  sagte  dem 
stamm,  denn  man  gewahrt  leicht,  dasz  mit  der  einfachen  reinen  ge- 
stalt  dieses  pronomens  allerwärts  eine  suffigierte  gemischt  wird,  das 
Suffix  ist  aber  C,  wie  bei  sa  so  pata  H,  und  schon  diese  analogie 
reizt  zu  genauerer  betrachtung  der  lat.  formen. 
933  Fast  alle  lat.  pronomina  mengen  ihre  flexionen;  jenen  einfachen 

stamm  mag  man  aus  der  analogie  von  is  und  quis  rathen.   ich  vermute : 


his 

hea 

hid 

pl.  hi 

hae 

hea 

hujus 

hujus 

hujus 

horum 

harum 

horum 

hui 

hui 

hui 

hibus 

hibus 

hibus 

hum 

ham 

hid 

hos 

has 

hea 

ho 

ha 

ho 

his 

his 

his 

hea  folgt  dem  ea  und  ist  umgesetztes  AE,  welches  kein  organischer 
nom.  sg.  f.  sein  kann,  quae  wird  also  wieder  aus  quea  herrühren; 
durch  diese  änderung  werden  auch  nom.  sg.  und  pl.  f.  geschieden, 
wie  sich  nom.  pl.  f.  und  neutr.  sondern,  welche  ursprünglich  nicht 
zusammengefallen  sein  können,  hum  und  ham  ergeben  sich  aus  hunc 
und  hanc,  vgl.  tum  tunc,  num  nunc  mit  tam  nam.  durch  ho  er- 
klärt sich  hodie,  bei  welchem  kein  hoc  die  anzunehmen  ist.  der 
meiste  zweifei  bleibt  hängen  auf  hid,  welches  zwar  dem  id  quid  folgt ; 
doch  hoc  folgt  leichter  aus  hod,  welchem  quod  zur  Seite  träte. 

Das  saffix  scheint  die  bedeutung  nicht  zu  ändern,  höchstens  zu 
.stärken;  die  volle  gestalt  wäre  [vgl.  Haupt  7,  450] 

sg.  hie  heac  hoc  pl.  hie  haec  heae 

hujusce     hujusce     hujusce  horunc     harunc      horunc 

huic  huic  huic  hibusce     hibusce     hibusce 

hunc         hanc         hoc  hosce        hasce         heac 

hoc  hac  hoc  hisce         hisce  hisce 

wie  sich  im  goth.  nach  -s  uh  statt  h  anhieng,  so  hier  ce  statt  c  in 
hosce  hasce  hisce;  lat.  que  entspi'icht  dem  goth.  uh.  heac  für  haec 
ist  gleich  nothwendig  wie  hea ;  hie  steht  für  hisc  oder  hisce,  hoc  für 
hodce,  assimiliert  hocce,  vielleicht  wie  ecce  für  idce?  die  doppelform 
hoc  und  hocce  kann  dann  hicce  haecce  huncce  herbeigeführt  haben, 
hibusce  und  horunc  harunc  kommen  vor.  huic  hunc  hanc  hoc  haben 
die  einfache  form  verdrängt,  umgedreht  trugen  die  einfachen  hi  hae 
den  sieg  davon,  dem  nom.  sg.  neutr.  schiene  hocce  anpassender  als 
hoc,  welches  günstig  dem  abl.  verbliebe. 
934  Nach  dieser  abschweifung  kehre  ich  zum  deutschen  instrumental 

zurück,  die  goth.  J)6  und  J)6h,  bij)6  und  bij)6h,  hv6  und  hv6h,  duhvö 
und  duhvßh  werden,  ihrem  sinne  nach,  so  unmerklich  oder  gar  nicht 
verschieden  gewesen  sein,  wie  die  lat.  hoc  und  hocce,  his  und  hisce. 
bij)6h  scheint  gern  zu  stehn,  wenn  unmittelbar  pan  folgt  Luc.  4,  42. 
5,  4.  7,  12.  Joh.  12,  13.  und  so  verbinden  sich  auch  uhpan,  selbst 


INSTRUMENTALIS  649 

in  die  engere  assimilation  ujppan,  was  weiter  auszuführen  nicht  hier- 
her gehört,  svah  Joh.  15,  9.  17,  18  drückt  aus  was  sonst  ein- 
faches sva. 

Seltsam  jedoch  erscheint  dies  instrumentale  suffix  -ßh  einigemal 
dativischen  ausgängen  angehängt  und  von  hvazuh  hvammßh,  von 
hvarjizuh  hvarjammßh,  von  ainshun  ainumm6hun  (Rom.  12,  17)  ge- 
bildet, wo  man  hvammuh  hvarjammuh  ainummahun  erwartet,  offen- 
bar sind  dies  abirrungen  der  Schreiber  oder  der  ausspräche  selbst, 
keine  wahrhafte  instrumentalform,  so  findet  sich  auch  hvanöh  für 
hvanuh  (analog  dem  J)anuh)  geschrieben,  nach  dem  öftern  unorganischen 
Wechsel  der  laute  IJ  und  ö.  man  könnte^  sich  begnügen  zu  sagen, 
dasz  sich  in  solchen  fällen  A  in  i]  oder  0  verlängere  (wie  in  sva 
sv6,  sa  so);  dabei  würde  aber  der  einflusz  des  U  in  uh,  oder  auch 
des  bloszen  H  auf  die  vorstehenden  vocale  nicht  angeschlagen. 

Bisher  haben  wir  gesehn,  dasz  der  gothische  instrumental  auf 
wenige  pronomina  und  die  damit  gebildeten  partikeln  eingeschränkt 
ist;  der  ahd.  hat  ein  weiteres  feld,  und  doch  ein  enges  im  vergleich 
zu  einigen  andern  urverwandten  sprachen,  in  der  regel  läszt  er  sich 
noch  am  sg.  männlicher  und  neutraler  nomina  erster  declination  aus- 
drücken; also  nicht  am  fem.  überhaupt,  nicht  im  pl.  und  nicht  an 
männlichen  und  neutralen  Wörtern  der  andern  declinationen. 

Dieser  ahd.  instr.  endigt  nun  auf  ti,  welchem  man  nothwendig 
länge  ertheilen  musz,  da  es  aus  lü  verdichtet  ist  (wie  lühhan  claudere 
aus  liuhhan,  üf  aus  iuf  =  goth.  iup)  und  gothischem  E  =  lA  ent- 
spricht, auch  haben  die  pronominalinstr.  diu  huiu  hiu  lü  behalten 
und  noch  einzelne  substantiva  zeigen  es  in  den  ältesten  denkmälern, 
z.  b.  Diut.  1,  271^  ex  ruinis  fona  falliu  und  im  Hild.  billiu,  wo  der 
dat.  falla,  billa  lauten  würde,  allmählich  aber  mag  sich  dies  U  wie 
andere  längen  in  den  flexionen  gekürzt  haben.  Mit  der  zweiten  hälfte  935 
des  neunten  jh,  erlischt  der  regelmäszige  instr.  und  schon  N.  bedient 
sich  seiner  nicht  mehr,  er  hat  ihn  nur  noch  in  den  partikeln  ziu 
bediu  zediu  mittiu  und  mit  allo,  so  erhält  er  zieh  durch  die  mhd. 
zeit  in  bediu  zediu  zwiu,  wogegen  es  schon  mit  alle  betalle  heiszt. 
Ahd.  des  diu  wurde  schon  bei  Notker  des  te,  bei  Willeram  des  de, 
mhd.  deste,  nhd.  desto,  welches  uns  der  letzte  Überrest  ^es  instr. 
geblieben  ist. 

Hauptursache  der  untergehenden  form  war,  dasz  die  praepositio- 
nen,  welche  der  blosze  instr.  entbehrlich  machte,  allmählich  neben  ihm 
ausgedrückt  wurden,  wenn  es  im  Hild.  lied  noch  heiszt  "^sperü  wer- 
pan',  so  steht  schon  daneben  "^mit  g6rü  infähan  und  "^bretön  mit  sinü 
billiu ,  statt  des  schöneren  gerü  infähan,  breton  sinü  billiu,  oder  in  der 
vindemia  basileensis  'mid  aldü  waiffü  rip'  statt  aldü  waifa  rlp.  Isid. 
VIII*,  3''  '"slnes  mundes  gheistü  standit  al  iro  meghin',  spiritu  oris 
ejus  omnis  virtus  eorum;  XVIII^,  1  '"quhad  heilegü  gheistü',  sprach  in 
oder  mit  heiligem  geist;  T.  47,  2  aber  schon  "^quid  mit  wortü' ;  T.  44, 
12  "^choufit  mit  scazzü';  T.  196  'giwätitan  mit  wizü  giwäti',  statt 
giwätiu,   dem    subst.    wird   die    instr.    form  erlassen,    weil   sie    das 


650  INSTRUMENTALIS 

adj.  ausdrückt,  der  dativ  würde  bei  der  praep.  eben  so  deutlich 
sein,  wie  er  es  auch  im  pl.  oder  bei  femin,  ist.  Die  angezog- 
nen beispiele  lassen  aber  nicht  zweifeln,  dasz  der  ahd.  instrumen- 
tal sich  auf  männliche  und  neutrale  substantiva  und  adjectiva  er- 
streckte. 

Gleiches  gilt  vom  altsächsischen,  das  lü  in  den  pronominalen 
thiu  thius  huiu  (oder  hui,  wenn  so  für  hiu  deutlich  zu  lesen)  tethiu 
bethiu  fanthiu  u,  s.  w,  wahrenden  subst.  und  adj.  hingegen  zeigen 
verengtes  Uz.  b.  ""mid  durthü  (lolio)  obars6u  Hei.  77,  23;  'farcopös 
mid  thinü  cussu    147,  19. 

Der  ags,  instr.  schwankt  zwischen  den  lauten  -6  und  -y,  nicht 
blosz  im  pronomen,  sondern  auch  subst.  und  adj.,  wie  diese  vocale 
sonst  in  andern  Wörtern  einander  vertreten  (gramm.  1,  366),  weshalb 
sich  solches  E  nur  unsicher  dem  goth.  £  gleichstellen  läszt.  denn 
gewöhnlich  entspricht  dem  goth.  ^  ags.  M  (gramm.  1,  360),  zuwei- 
036  len  jedoch  E  (1,  361);  um  so  weniger  darf  man  kurzes -e  ansetzen, 
einigemal  erscheinen  beide  formen  -6  und  -f  unmittelbar  neben- 
einander, 

Auszer  den  pronominalen  J)©  oder  J)y,  J)ys  oder  J)eos,  und  hvä- 
dre  (ahd,  diu  huedarü),  bieten  zumal  die  gedichte  viel  beispiele  für 
subst.  und  adj.,  ohne  und  mit  praeposition.  ich  lasse  in  den  belegen 
das  verbum  weg:  bilde  modß  exon.  138,  23;  Ißgene  sveorde  El.  756; 
f;fren6  sveorde  Csedm.  18,  17.  95,  8;  ealdß  möcß  Csedm.  209,  5; 
mägene  micle  Csedm,  216,  15;  J)y  sldß  Csedm.  173,  10;  odr6  side 
(alts.  odar  sidü)  Beov.  5337.  6197.  Andr.  706.  808.  1675.  1700; 
braute  ceole  Andr.  273;  micle  mägenj)rymm6  El.  734;  cordr6  micle 
(agmine  magno)  Andr.  1205;  cordre  ne  lytle  (copiä  non  parva)  exon. 
36,  19;  J)ine  feor6  Andr.  284;  \)j  fyrste  Beov.  5142;  |)y  J)riddan 
däge  El.  185.  485;  geald  yfel  yfele  (rependit  malum  malo)  El.  493; 
bei  comparativen :  lytle  ser  (paulo  prius)  El.  663;  ]>e  sei  and  |)y  fäst- 
licor  El.  795;  p6  glädra  (eo  laetior)  El.  955;  micle  leofre  (multo 
gratius)  Beov.  5298.  mit  praeposition:  mid  ealle  (ahd.  mit  allü)  exon. 
60,  28;  mit  bearhtme  El.  864;  mid  dysige  El.  706;  mid  |)y  folce 
Andr.  1643;  mid  l^f  vsege  Andr.  1594;  mid  J)y  bille  Csedm.  177,  17 
=  ahd.  mit  diu  billiu;  mid  J)yslice  J)reäte  exon.  32,  23.  Von  den 
dativflexionen  sind  also  die  instrumentalen  abweichend,  die  dative 
würden  lauten:  blidum  möde,  legenum  sveorde  u,  s.  w.  Nicht  selten 
wird  aber  auch  statt  der  instrumentalen  form  des  adjectivs  die 
schwache  gebraucht,  z.  b.  deoran  sveorde  Beov.  1116;  biteran  strsele 
Beov.  3489;  blödigan  gär6  Beov.  4876  für  deore  bitere  bl6dig6,  ja 
nach  vorangehendem  instriimentalem  artikel :  mid  J)y  ealdan  lige  exon. 
94,  28;  in  solchen  fällen  mag  gestattet  sein,  dem  subst.  die  dativ- 
flexion  sveorde  strsele  gäre  lige  zu  verleihen*. 


*  zu  comparativen  fügt  die  ags.  spräche  den  dativ,  nichtden  instr.,  wiedas 
beigesetzte  adj.  entscheidet,  man  sa^t:  cenra  vildum  eofore,  audacioraprofero, 
nicht  cenra  vilde  eofore.  ebenso  heiszt  es  ahd.  hluttror  leohte,  nicht  leohtu. 


INSTRUMENTALIS  651 

Die  altn.  spräche  steht  hier  bedeutend  von  der  ahd.  alts.  und  937 
ags.  ab:  sie  kennt  die  dem  goth.  J)6  hve,  ahd.  diu  huiu  entsprechenden 
formen  pvi  hvi,  braucht  sie  aber  eingeschränkt  nur  für  das  neutrum, 
nicht  mehr  für  das  masc.  und  ausgedehnt  zugleich  für  den  dativ.  an- 
ders ausgedrückt,  das  neutrum  hat  im  sg.  die  dem  masc.  gleiche  da- 
tivgestalt  J)eim  hveim  eingebüszt  und  insgemein  an  dessen  stelle  den 
instr.  gesetzt,  was  den  character  VI  betrift,  so  erklärt  er  sich  aus 
ÜI  d.  i.  umgestelltem  lU,  der  auslaut  wurde  aber  nach  der  regel  ver- 
längert. Eine  andere  schranke  des  altn.  ist  die,  dasz  er  sich  über 
jene  pronomina  hinaus  nur  auf  adj.,  gar  nicht  mehr  auf  subst.  er- 
streckt, welche  gerade  umgedreht  ihre  dativform  auch  für  den  instru- 
mentalbegrif  gelten  lassen,  die  adjectivischen  neutra  besitzen  blosz 
den  instr.  auch  für  den  dativ,  die  masculina  blosz  den  dativ  auch  für 
den  instr.  dieser  adjectivische  instr.  des  neutr.  geht  aber  nicht  auf 
-VI  sondern  auf  -u  aus,  welches  wiederum  früher  -ü  und  Verdichtung 
des  ursprünglichen  TU  gewesen  sein  musz ;  ich  wage  aber  nicht  dem 
-u  die  länge  zu  ertheilen,  weil  schon  häufig  -o  steht,  auf  diesem 
wege  allein  kommen  pvi  und  hvi  mit  den  adj.  instrumentalen  gödu 
blindu  u.  s.  w.  unter  einen  hut.  Darin  ist  die  altn.  syntax  im  vor- 
theil,  dasz  sie  ihre  durch  das  neutrale  adj.  hervorgehobnen  instru- 
mentale meistens  noch  ohne  praeposition  construiert  und  ihr  ""höggva 
hvössu  sverdi'  ist  so  deutlich  wie  das  ahd.  '"houwan  huassü  suertu 
und  besser  als  das  nhd.  'mit  scharfem  Schwerte  hauen .  aber  ahd. 
"^langü  g6rü  werfan  müste  altn.  ausgedrückt  werden  laungum  geiri'. 
Ssem.  66^  heiszt  es  'aurgo  baki  vera',  allein  "^leika  lausum  hala',  weil 
bak  neutrum,  hali  masc. 

Schweden  und  Dänen  bleibt  vom  instr.  nichts  übrig,  als  die  Par- 
tikeln ty  und  hvi,  dän.  ti  (einige  schreiben  thi)  und  hvi.    den  (star- 
ken) adj.  ist  längst  alle  flexion  erloschen,    in  den  partikeln  laufen  aber  938 
die  bedeutungen  so  und  warum  zusammen  mit  denen  von  denn  und  wie. 

Die  griechische  spräche  weisz  von  gar  keinem  instr.  oder  abl., 
die  lat.  scheidet  dat.  und  abl.  nur  im  sg.  nicht  mehr  im  pl.,-  doch 
im  sg.  auch  für  feminina.  die  litthauische  sondert  dativ,  instrum.  und 
localis  überall  in  pron.  subst.  und  adj.,  im  sg.  wie  pl.  und  in  beiden 
geschlechtern.  auch  die  Slaven  sondern,  und  entrathen  der  praepo- 
sition. 

Um  solches  mangels  oder  solcher  schranke  willen  steht  unsre 
spräche  wieder  näher  der  gr.  und  lat.,  ferner  der  sl.  und  litth.,  die 
an  eine  noch  gröszere  finnische  casusfülle  grenzen,  aber  den  ahd. 
und  ags.  dialect  sehn  wir  mehr  dem  latein,  den  goth.  mehr  dem 
griechischen  angeschlossen :  der  nordische  hält  eine  mitte  zwischen  dem 
ags.  und  gothischen. 


dasz  der  Gotha  nur  den  dat.  setzen  kann  versteht  sich,  die  lat.  spräche 
stellt  aber  richtig  zu  comparativen  den  abl.  nicht  den  dat.,  denn  der  dat. 
veranlaszt  Zweideutigkeit,  z.  b.  ein  goth.  liuböza  mis  kann  ausdrücken 
carior  mihi  und  carior  me. 


XXXVIII. 
SCHWACHE  NOMINA. 


939  Als  ich  vor  langen  jähren  einen  ins  äuge  fallenden  unterschied 

deutscher  conjugation  wie  declination  zum  erstenmal  benannte,  schweb- 
ten mir  noch  nicht  alle  gründe  vor,  welche  die  wähl  desselben  aus- 
drucks  für  beide  fälle  rechtfertigen  und  rathsam  erscheinen  lassen, 
aber  es  ist  in  der  natur  unsrer  spräche  tief  enthalten,  dasz  sie  einer 
ursprünglichen  und  innern  form  der  flexion  im  verfolg  der  zeit  noch 
eine  andere,  äuszerliche  hinzufüge,  die  jene  vertreten  und  ersetzen 
helfe  (s.  877).  Wie  zu  dem  ablautenden  praet.  ein  mit  consonanten 
gebildetes  sich  gesellte  haben  wir  wahrgenommen;  nicht  anders  kommt 
zu  der  alten  declination  eine  neue,  durch  einschaltung  von  N  erzeugte, 
beidemal  wird  die  alte  einfache  aber  mächtige  flexion  stark,  die  jün- 
gere, auf  äuszerem  hebel  beruhende  schwach  heiszen  dürfen,  beide- 
mal kann  zuletzt  das  kennzeichen  schwacher  form  dort  bloszes  D  oder 
T,  hier  bloszes  N  sein,  und  wenn  sogar  jenes  D  in  der  mnl.  mund- 
art  ausfiel  (s.  891),  erblicken  wir  in  allen  unsern  sprachen  beim  nom. 
sg.  jedes  geschlechts,  in  fries.  und  altn.  aber  für  sämtliche  casus  das 
N  schwacher  declination  wegfallend ;  dann  ist  von  der  schwachen  form 
nichts  mehr  übrig  als  der  durch  das  unterdrückte  D  und  N  bedingt 
gewesene  auslautende  vocal.  die  verkürzte  gestalt  des  nom.  sg. 
schwacher  decl.  gegenüber  dem   vollständigen  pl.  hat  unverkennbare 

940analogie  zum  gothischen  sg.  schwacher  praet.  gegenüber  dem  pl. 
Noch  entscheidender  tritt  aber  diese  analogie  darin  hervor,  dasz  im 
hintergrund  der  schwachen  flexion  jedesmal  eine  starke  liegt,  und  wie 
das  angehängte  -da  auf  das  starke  praet.  dada  zurückgeht,  ebenso 
dem  eingeschalteten  N  ursprünglich  die  starken  flexionen  beigefügt 
wurden.  Das  in  der  schwachen  conjugation  enthaltne  verbum  thun' 
hatten  auch,  wie  nachgewiesen  wurde,  die  urverwandten  sprachen, 
und  es  wird  sich  nachher  ausweisen,  dasz  ihnen  das  charakteristische 
N  unsrer  schwachen  declination  ebensowenig  gebrach ;  allein  die  deut- 
sche spräche,  ihrer  ganzen  art  und  weise  nach,  entfaltete  aus  beiden 
ein  durchgreifendes  gesetz,  und  eben  diese  gemeinschaftliche  anwendung 


SCHWACHE  NOMINA  653 

beider  formen  ist  es,  welche  der  für  beide  eingeführten  gleichmäszigen 
benennung  das  siege!  aufdrückt. 

Das  Verhältnis  starker  und  schwacher  declination  läuft  nun  auf 
zwei  eng  verflochtne  grundsätze  hinaus,  der  erste  ist,  dasz  die 
starke  Substantiven  und  adjectiven  eine  zwar  ähnliche,  aber  wesentlich 
abweichende  form  angedeihen  läszt,  die  schwache  hingegen  beide  unter 
einer  und  derselben  form  vereint,  der  andere,  dasz  substantiva  einer 
von  beiden  formen,  entweder  der  starken  oder  schwachen  überwiesen, 
adjectiva  beider  zugleich  fähig  sind,  substantiva,  ihrem  begrif  zufolge, 
bestimmten  gegenständen  zugetheilt  müssen  ein  festeres  element  an 
sich  tragen  als  adjectiva,  die  eine  allgemeinere,  mehrern  gegenständen 
gebührende  eigenschaft  ausdrücken,  wie  jedes  einzelne  adjectiv  steiger- 
bar erscheint  und  aus  seinem  positiv  einen  comparativ  und  Superlativ 
entwickelt,  hat  unsere  spräche  seine  beweglichkeit  noch  dadurch  er- 
höht, dasz  sie  zugleich  fast  auf  allen  diesen  stufen  auch  den  unter- 
schied starker  und  schwacher  flexion  gelten  läszt.  diese  manigfalten, 
der  Syntax  und  dem  woUaut  förderlichen  adjectivgestalten  bilden  ein 
unterscheidendes  merkmal  deutscher  spräche  gegenüber  den  meisten 
urverwandten.  Nur  ausnahmsweise  wird  einzelnen  unsrer  adjective 
starke  oder  schwache  form  entzogen  und  nur  ausnahmsweise  sind 
substantiva  gleichfalls  beider  formen  theilhaft. 

Aus  dem  gesagten  folgt,  dasz  die  schwache  flexion  der  nomina941 
noch  weit  dynamischer  sei  als  die  der  verba.  man  könnte  sich  denken, 
dasz  im  verbum  beide  formen,  starke  und  schwache  nebeneinander 
und  mit  verschiedner  anwendung  walteten ;  gewissermaszen  hat  auch 
jene  das  praet.  verschiebende  anomalie  beide  zusammen  aufgestellt, 
in  der  regel  aber  steht  dem  verbum  wie  dem  substantivum  nur  die 
eine  oder  die  andere  flexion  zu  gebot,  uns  es  ist  abweichung  vom 
Organismus,  dasz  ahd.  neben  prähta  prähtun  auch  ein  pranc  prungun 
vorkommt,  dasz  wir  heute  neben  boU  und  wob  auch  bellte  und  webte 
uns  gestatten  oder  umgekehrt  die  Volkssprache  für  jagte  und  kaufte 
ein  jug  und  kief  zu  brauchen  wagt,  denn  hier  hat  eine  form  die 
andre  verdrängt,  ohne  dasz  beide  zugleich  in  verschiedenem  sinn  an- 
gewendet würden;  so  sind  allenthalben  eine  menge  substantiva  aus 
der  starken  declination  in  die  schwache  oder  aus  der  schwachen  in 
die  starke  übergetreten,  wenigstens  bezeugen  solche  Übergänge  die 
möglichkeit  einer  gleichzeitigen  anwendung  beider  flexionen  auch  für 
das  verbum  und  substantivum. 

Um  nun  auf  das  wesen  der  schwachen  nominalfiexion  selbst 
einzugehn,  so  ist  vor  allem  wahrzunehmen,  dasz  sie  hauptsächlich 
von  der  Aform  gilt,  wonach  auch  ihr  vocalismus  ganz  beschaffen 
sein  musz. 

Im  masc.  herschen  kurze,  im  fem.  lange  vocale,  das  neutrum 
wird  aus  masc.  und  fem.  zusammengesetzt,  so  dasz  sein  gen.  und 
dat.  jenem,  nom.  und  acc.  diesem  folgen,  spur  des  Instrumentalis 
nirgend,  auf  das  paradigma  der  subst.  mag  gleich  das  der  adj, 
folgen : 


654 


SCHWACHE  NOMINA 


942 


sg- 

hana 

tuggö 

hairtö 

hanins 

tuggöns 

hairtins 

hanin 

tuggön 

hairtin 

hanan 

tuggön 

hairtö 

pl. 

hanans 

tuggöns 

hairtöna 

hanane 

tuggönö 

hairtane 

hanam 

tuggöm 

hairtam 

hanans 

tuggöns 

hairtöna 

sg. 

blinda 

blindö 

blindö 

blindins 

blindöns 

blindins 

blindin 

blindön 

blindin 

blindan 

blindön 

blindö 

pl. 

blindans 

blindöns 

blindöna 

blindanö 

blindönö 

blindanö 

blindam 

blindöm 

blindam 

blindans 

blindöns 

blindöna 

Der  schöne  vocalwechsel  erklärt  sich  leicht;  alle  männlichen 
flexionen  erscheinen  der  zweiten  conj.  gemäsz;  in  den  weiblichen 
waltet  ganz  der  schwere  ablaut  der  dritten  des  sg.  und  pl.  tuggö 
tuggöns  wie  för  forum,  die  neutralflexion  bietet  durch  mischung 
beider  günstigste  Verschiedenheit,  mit  der  starken  flexion  begegnet 
sich  die  schwache  allein  im  acc.  pl,  masc.  blindans  und  dat.  pl,  aller 
geschlechter  des  subst.,  da  hanam  tuggöm  hairtam  lauten  wie  dagam 
giböm  vaurdam,  doch  die  adj,  dat.  pl.  blindam  blindöm  blindam 
stehn   ab  von  blindaim  blindaim  blindaim, 

Nun  fragt  es  sich  aber  auch  nach  den  vocalen  der  schwachen 
flexion  für  wörter  der  I  und  üform?  offenbar  gehört  jener  an  der 
häufige  diphthong  EI,  welcher  durchaus  nur  in  weiblichen  Wörtern, 
dem  0  der  Aform  parallel  erscheint;  man  sollte  AI  erwarten,  da 
sich  in  schwacher  conjugation  0  und  AI  zur  Seite  stehn  und  beide 
0  und  AI  (nicht  EI)  ablaute  der  dritten  und  vierten  reihe  sind, 
dies  EI  haben  eine  menge  schwacher  subst.,  die  sich  aus  adjec- 
tiven  oder  andern  subst,  herleiten:  managei  manageins  managein 
managein  pl.  manageins  manageinö  ^manageim  manageins,  ganz  wie 
tuggö,  nur  dasz  überall  EI  an  des  0  stelle  tritt.  Von  adjectischen 
Wörtern  aber  empfangen  dasselbe  EI  höchst  auffallend  drei  classen, 
deren  masculina  und  neutra  der  Aform  huldigen,  nemlich  die 
weiblichen  Superlative  auf  UM,  alle  und  jede  weiblichen  compa- 
rative  und  alle  weiblichen  participia  praesentis:  frumei,  hleidumei; 
blindözei  maizei;  gibandei  salböndei,  das  Verhältnis  wird  am  an- 
schaulichsten werden,  wenn  ich  die  männliche  und  neutrale  form 
hinzustelle : 


943 


sg- 

fruma 

frumei 

frumö 

frumins 

frumeins 

frumins 

frumin 

frumein 

frumin 

fruman 

frumein 

frumö 

SCHWACHE  NOMINA  655 


pl. 

frumans 

frumeins 

frumöna 

fruman6 

frumeinö 

frumane 

frumam 

frumeim 

frumam 

frumans 

frumeins 

frumöna 

was  ist  der  grund  dieses  merkwürdigen  Unterschieds  in  den  formen 
der  drei  geschlechter  ?  icli  zweifle  nicht,  dasz  hier  das  fem.  dem 
ursprünglichen  character  I  allein  treu  geblieben  ist,  während  masculina 
und  neutra,  wie  wir  auch  bei  der  starken  flexion  häufig  wahrnahmen, 
zum  A  übergiengen.  darum  stehn  den  weiblichen  schwachen  subst. 
auf  -ei  keine  männlichen  zur  seite,  sondern  nur  auf  -a  oder  -ja,  wie 
zu  frumei  und  gibandei  das  masc.  fruma,  gibanda  lautet.  Da  die 
Iflexion  masc.  und  fem.  völlig  gleichsetzt,  so  darf  man  vermuten,  dasz 
früher  auch  das  adjectivische  masc.  frumei  maizei  blindözei  hatte,  ja 
ich  erwehre  mich  des  Schlusses  nicht,  dasz  ursprünglich  allen  positi- 
ven der  adj.  zweiter  declination  eine  für  masc.  und  fem.  gleichlautige 
schwache  form  auf  -ei  zustand,  also  vom  starken  s6ls  s6ls  ein  schwa- 
ches selei  s6lei  gebildet  wurde,  eine  spur  scheint  wirklich  noch  Eph. 
6,  16  eine  hs.  zu  gewähren,  die  statt  des  neueren  'jois  uns6ljins'  der 
andern  das  alte  '{)is  unsßleins'  gibt,  im  gen.  pl.  fem.  würde  ich  -eine 
dem  -einö  vorgezogen  haben,  stände  nicht  ausdrücklich  manageinö 
Luc.  2,  31,  gödeinö,  hazeinö  Philipp.  4,  8. 

Nach  diesem  aufschlusz  über  I  wäre  auch  den  adjectiven  mit  ü 
ihre  schwache  form  leicht  zu  weissagen,  sie  hätte  dem  EI  paralleles 
lU,  oder  dem  vermuteten  AI  entsprechendes  Aü  zu  zeigen,  dem 
starken  hardus  hardus  zur  seite  sollte  ein  schwaches  hardiu  hardiu 
gen.  hardiuns?  oder  lieber  hardau  hardau,  gen.  hardauns  zustehn. 
Eph.  3,  10  bietet  für  'so  managfalpö  handugei'  eine  hs.  dar  'so 
filufaihu  handugei',  von  filufaihus  TtoXvnoi'Kilog.  filufaihiu  oder  filufai- 
hau  wäre  annehmbarer,  hierher  gehören  endlich  zwei  schwache  sub- 
stantiva,  die  ich  früher  falsch  aufgefaszt  habe:  alabalstraun  Luc.  7, 
37  acc.  von  alabalstrau,  und  byssaun  Luc.  16,  19,  dativ  von  byssau, 
deren  geschlecht  ich  unbestimmt  lassen  will,  es  sind  zwei  fremde,  914 
wahrscheinlich  den  Gothen  längst  aufgenommne  Wörter,  alä^aötgog 
und  ßvööog,  wie  das  dem  ersten  eingeschaltete  L  bestätigt,  zugleich 
würde  damit  das  vermutete  hardau  wahrscheinlich,  doch  mag  die 
Sprache,  wie  sie  vom  starken  hardus  J)aursus  den  acc.  masc.  hardjana 
paursjana  bildet,  längst  auch  ein  schwaches  hardja  hardjö,  paursja 
J)aursj6  nach  der  Aform  vorziehen. 

Genug  von  den  vocalen  der  goth.  schwachen  flexion;  wichtiger 
ist  es  auf  das  kennzeichen  N  zu  achten,  welches  wir  blosz  dem  nom. 
sg.  und  dat.  pl.  aller  geschlechter  mangeln  sehn,  es  heiszt  hana 
tuggö  hairtö,  blinda  blindö  blindö,  managei  frumei  gibandei,  und  ebenso 
im  dat.  pl.  hanam  tuggöm  hairtam  blindam  blindom  blindam  manageim 
frumeim  gibandeim,  ohne  N.  doch  scheint  es  ausnahmsweise  im  dat. 
pl.  einiger  masc.  und  neutra  zurückgeblieben,  von  aba  maritus  wird 
nicht  abam  sondern  abnam,  von  vatö  aqua,  namö  nomen  nicht  vatam 
namam,  sondern  vatnam  namnam  gebildet,  wobei  freilich  auch  der 


656  SCHWACHE  NOMINA 

vorstehende  vocal  schwindet,  denn  es  sollte  heiszen  abanam  vatanam 
namanam,  da  aber  zugleich  die  gen.  pl.  gekürzt  werden  und  abn6 
für  aban6,  vatn6  namnß  f.  vatan6  namanö,  ja  im  nom.  acc.  pl.  neutr. 
vatna  namna  f.  vatöna  namöna;  so  hat  man  allen  fug  aus  dem  ge- 
kürzten gen.  pl.  auhsne  boum  den  dat.  pl.  auhsnam  zu  folgern,  wäh- 
rend der  sg.  auhsa  auhsins,  der  nom,  acc.  pl.  auhsans  behält,  starke 
singulare  abns  auhsns  oder  vatn  namn  anzusetzen  wäre  unstatthaft. 
Lassen  diese  dative  pl.  abnam  auhsnam  vatnam  namnam  ein  älteres 
abanam  auhsanam  vatanam  namanam  ahnen,  warum  soll  man  nicht 
weiter  gehn  und  auch  den  nom.  sg.  mit  dem  character  N  in  einklang 
zu  stellen  suchen?  die  folgenden  formen  dürften  leicht  noch  gewagter 
erscheinen  als  die  s.  912  für  die  starke  declination  vorgeschlagnen: 
945  sg.  hanans  tuggöns  hairtön 

haninis  tuggönos  hairtinis 

hanini  tuggönö  hairtini 

hananan  tuggöna  hairtön 

pl.  hanan6s  tuggönos  hairtöna 

hananß  tuggöne  hairtanß 

hananam  tuggönöm  hairtanam 

hananans  tuggönos  hairtöna 

und  desgleichen  im  schwachen  adj.;  auf  ähnliche  weise  würden  sich 
auch  die  feminina  auf  EI  gestalten  und  ein  nom.  sg.  manageins  fru- 
meins  einem  pl.  manageineis  frumeineis  entgegenzusetzen  sein.  Solche 
formen  hätte  die  wirkliche  flexion  nur  im  gen.  pl.  aller  geschlechter 
und  nom.  acc.  pl.  neutr.  bewahrt,  angenommen  aber,  der  vocal  der 
penultiraa  sei  im  gen.  dat.  sg.  masc.  neutr.  durch  einen  rückgrif  der 
ultima  bestimmt  worden  und  haninis  für  hananis  entsprungen;  so 
gewinnen  wir  aus  dem  I  des  dat.  hanin  =  hanini  willkommne  be- 
stätigung  des  s.  915  gemutmaszten  dagi  für  daga.  vocalischen  aus- 
gang  des  dat.  sg.  forderte  schon  das  -s  des  gen.  sg.  die  dreisilbigen 
hairtöna  hananß  tuggönö  hairtanß  begehren  aber  nothwendig  auch  drei 
Silben  für  alle  übrigen  flexionen,  mit  ausnähme  des  nom.  sg.,  dessen 
zweisilbigkeit  der  einsilbigkeit  von  dags  neben  den  zwei  silben  dagis 
dage  dagam  parallel  steht,  eine  noch  ältere  gestalt  hananas  tuggönas 
hairtonan  (?)  würde  auch  der  nom.  sg.  zeigen  dürfen. 

Damit  ich  mich  nicht  versteige,  die  wirklichen  gekürzten  formen 
lassen  sich  zwar  aus  den  volleren  begreifen,  aber  diese  liegen  ganz 
auszer  dem  bereich  der  geschichte  unsrer  spräche  und  es  musz,  seit 
die  abstumpfung  statt  fand,  bereits  undenkbare  zeit  verstrichen  sein. 
Dessen  werden  wir  zumal  durch  einige  pronominalformen  vom 
höchsten  alter  versichert,  offenbar  nemlich  ist  mit  seinen  beiden  vo- 
calen  das  ehrwürdige  sa  so  dem  hana  tuggö,  noch  klarer  dem  blinda 
946blindö  analog*,  und  im  interrogativum  hvas  hvö  hat  sich  sogar  das 


*  geht  diese  analogie  so  weit,  dasz  man  aus  sa  so,  dessen  übrige  casus 
untergegangen  sind,  einen  gen.  sins  und  sons,  wie  blindins  und  blindöns  folgern 
dürfte?  man  erwäge  was  nachher  über  das  ags.  heo  neben  manegeo  gesagt 


SCHWACHE  NOMINA  657 

mäniiliclie  kennzeichen  erhalten,  welches  mit  seinem  gen.  hvis  dem 
vermuteten  dagas  dagis  zu  statten  kommt,  hvas  läszt  also  auch  auf 
ein  älteres  sas  schlieszen.  aber  schon  im  skr.  sa  sä,  zend.  hö  hä, 
gr.  6  t)  steht  dem  fem.  ein  vocalisch  auslautendes  masc.  zur  seite, 
während  das  lat.  fragwort  quis  quae  zu  hvas  hvö  stimmt,  das  gr. 
relativum  ög  rj'  gleichfalls  -s  behauptet,  auch  ist  der  bedeutung  nach 
das  skr.  sa  sa  pronomen  dritter  person,  kein  demonstrativum  wie  das 
goth.  sa  so,  gr.  o  ?;. 

Bevor  ich  mir  weitex'e  Schlüsse  erlaube,  musz  die  schwache  form 
der  übrigen  deutschen  sprachen  erwogen  werden. 

Ahd.  ist  der  reine  vocal  A  ganz  aus  der  schwachen  decl.  ge- 
schwunden und  durch  0  ersetzt  worden,  es  heiszt  hano  hanon  für 
goth.  hana  hanan  und  im  pl.  hanon  hanonö  hanom  hanon  für  goth. 
hanans  hananß  hanam  hanans.  denn  nur  hanonö  hanom  kann  man 
den  gen.  dat.  pl.  nach^der  theorie  ansetzen,  wenn  sich  schon  all- 
mählich aus  dem  fem.  0  eindrängte  und  hanonö  hanom  entsprang, 
mehrere  denkmäler  geben  dem  acc.  sg.  und  nom.  acc.  pl.  masc.  -un 
für  -on,  doch  ist  -on  besser,  weil  dem  -o  des  nom.  sg.  entsprechend 
und  dem  goth.  -an  näher,  gen.  und  dat.  sg.  haben  I  gehegt.  Notker 
decliniert:  hano  hanen  hauen  hauen,  pl.  hanen  hanön  hanön  hauen; 
das  -0  im  nom.  sg.  hielt  stand,  wie  noch  mhd.  in  den  eigennamen 
Otto  Hesso  Boppo  Omo,  nhd  in  Otto  Hugo  (s.  840).  der  lange  vocal 
des  gen.  pl.  -önö  wirkt  spät  nach,  nicht  nur  in  Notkers  -ön,  sondern 
auch  im  abgestumpften  -o,  wie  es  Grieshabers  predigten  zeigen:  der 
hailigo  sanctorum  1,  54.  55.  der  töto  6warto  gebain  1,  52.  152. 
fiumf  joch  ohso  1,  44.  der  behalteno  servatorum  1,  49.  der  rehto 
justorum  1,  154.  weck  der  guoto  werche  via  bonorum  operum  1,  164.947 
166,  welches  letzte  beispiel  lehrt,  dasz  das  -o  der  starken  gen.  pl. 
längst  in  -e  geschwächt  war.  Schwache  feminina  wahren  den  goth. 
vocal  nur  im  gen.^dat.  pl.  zunköno  zunköm  =  tuggönö^tuggöm,  aber 
der  nom.  sg.  hat  A  zunkä,  alle  übrigen  casus  haben  Ü  für  0:  zun- 
kün.  zunkä  für  tuggö  möchte  ich  fassen  wie  ahd.  takä  für  goth.  dagös, 
nach  dem  schwanken  des  pluralablauts  zweiter  conj. ;  wie  ahd.  trätum 
für  goth.  trödum  eintrat,  scheint  mir  auch  takä  für  dagös,  zunkä 
für  tuggö  gesetzt,  die  alten  glossae  cassell.  lassen  nicht  umsonst 
schwache  feminina  auf  -6  statt  -ä  ausgehn,  sie  schreiben  F,  15.  16 
zweimal  marhe  d.  i.  marhß  für  jumenta  (=  jumentum)  equa,  statt 
des  gewöhnlichen  merihä  gen.  merihün  und,  wodurch  man  der  quan- 
tität  sicher  wird,  E,    15   altee  articulata*.  so  gut  in  ahd.  flexionen 


werden  wird,  und  dasz  die  altn.  spräche  äuszerlich  'sä  inn'  häuft  (gramm. 
4,  379.  431),  folglich  könnte  schon  in  sa  so  ein  suffix  N  gelegen  haben. 

*  articulata  musz  ein  romanischer  ausdruck  statt  des  lat.  articulus  sein, 
alte  =  altä  membrum,  articulus,  ein  sonst  unerhörtes  wort,  verständigt  uns 
endlich  über  das  mhd.  altvü,  mnd.  aldefil  hermaphroditus,  der  mehr  als  ein 
glied  hat,  welcher  ausdruck  in  mhd.  eigennamen  scheint  (Marchwart  Altfil 
MB.  2,  344  a.  1180.  Marquart  Altvil  MB.  7,  450  um  1190)  und  im  Ssp.  1,  4, 
ich  nehme  dazu  das  allgäuische  altelos  bei  Schmeller  1,  52,  welsche  aelod 

ärimm,  geBchichte  der  deutsclieii  spräche.  42 


658  SCHWACHE  NOMINA 

goth.  Ö  haftet,  nicht  zu  ÜO  wird,  kann  hier  auch  E  stehn  geblieben, 
nicht  zu  A  geworden  sein,  diesem  !E  werden  wir  auch  bei  den  Angel^^ 
Sachsen  begegnen,  alhnählich  schwächt  sich  aber  der  laut  des  ahd. 
weiblichen  nom.,  sei  er  -ä  oder  -6  gewesen,  in  kurzes  -a,  und  Notker 
schreibt  entschieden  zunga,  behält  jedoch  das  unorganische,  oblique 
-ün.  Schwache  neutra  bilden  auch  ahd.  ihren  nom.  und  acc.  der 
weiblichen,  ihren  gen.  und  dat.  der  männlichen  form  gemäsz:  herzä 
herzin  herzin  herzä,  pl.  herzün  herzonö  herzom  herzün  (im  gen.  dat. 
pl.  hernach  herzonö  herzom).  Überall  sind  in  der  ahd.  form  die 
goth,  -s  des  gen.  sg.  und  nom.  acc.  pl.   gewichen,   so  dasz  in  hanin 

948  goth.  hanins  und  hanin,  in  zunkün  goth.  tuggöns  und  tuggon  zusam- 
menfallen, auch  der  acc.  sg.  hanon  zunkün  nicht  mehr  vom  acc.  pl. 
wie  goth.  hanan  von  hanans,  tuggon  von  tuggöns  geschieden  werden 
kann.    Beim  adj.  verhält  sich  alles  ebenso. 

Den  goth.  weiblichen  subst.  auf  -ei  entsprechen  ahd.  auf  -i, 
zahlreich  erscheinend,  aber  ihrer  flexion  nach  einen  doppelten  ausweg 
nehmend,  entweder  führen  sie  das  schwache  N  auch  in  den  nom. 
sg.  (was  meiner  Vermutung  eines  älteren  goth.  managein  und  noch 
älteren  manageins  für  managei  zu  statten  kommt)  und  lassen  alle 
casus  gleichlauten :  manakin  manakin  manakln  manakin ;  oder  streifen 
umgedreht  überall  das  N  ab  und  bilden  ein  scheinbar  starkes  manakl 
manaki  manaki  manakl.  den  ^oth.  comparativen  maizei  blindözei 
entspricht  aber  kein  ahd.  ausgang  auf  -1,  vielmehr  sind  alle  feminina, 
wie  schon  die  goth.  masc.  und  neutra,  jetzt  auch  der  Aform  zuge- 
than  und  lauten  mörä  plintörä.  Die  participia  praes.  hingegen  haben 
die  ursprünglich  schwache  form  ktJpanti  ktjpanti  köpanti  =  goth. 
gibandei  gibandei  gibandei,  wofür  hernach  gibanda  gibandei  gibandö 
gilt,  als  scheinbar  starke  mit  abgeworfner  flexion  für  alle  geschlechter 
gesetzt,  weshalb  vielleicht  richtiger  köpanti  kSpanti  kepanti  zu  schrei- 
ben wäre;*  aber  sie  fügen  auch  die  starke  flexion  hinzu:  köpanter 
kepantiu  köpantaz  und  bilden  die  gewöhnliche  schwache  ktjpanto 
kfe'pantä  köpantä.  die  schwache  flexion  ist  also  hier  zweimal,  nach 
der  Iform  organisch,  nach  der  Aform  unorganisch  angewandt. 

Mhd.  sind  alle  schwachen  flexionsvocale  verdünnt  zu  E,  doch 
besteht  die  gleichheit  der  substantivischen  und  adjectivischen.  noch 
immer  tauchen  einzelne  feminina  wie  menigin  vinsterln  auf,  obwol 
menege  vinstere  vorhersehen. 

Nhd.  ist  vielfache  Verderbnis  eingerissen,  beim  masc.  die  ge- 
ringste, denn  subst.  wie  äffe  böte  bube  hase  knabe  ochse  waise  halten 

949  noch  die  mhd.  regel,  welcher  auch  alle  schwachen  männlichen  adj. 
ohne  ausnähme  folgen,  dagegen  haben  sich  viele  subst.  verändert; 
indem  sie  1)  den  gen.  -ens  für  -en  bilden;  böge  brate  brunne  daume 


membrum,  selbst  lat.  artus  und  gr.  uq&qov  (mit  R  ==  L)  mögen  verwandt 
sein,     das  letzte  fügt  sich  der  lautverschiebung  =  goth.  ald,  ahd.  alt. 

*  nicht    zu  übersehn  das  I  im  acc.  masc.   farlihantian  praestolantem 
Diut.  1,  266a. 


SCHWACHE  NOMINA  659 

gaume  glaube,  aus  welchem  gen.  gleichwol  noch  kein  nom.  -en  zu 
folgern  ist,  da  nach  alter  gewohnheit  der  nom.  sg.  richtiger  ohne  -n 
bleibt,  obschon  ihn  einige  Schriftsteller  auf  -en  bilden,  so  gut  es 
goth.  heiszt  hana  hanins,  kann  auch  nhd.  gesagt  werden  da,ume  dau- 
mens.  2)  einige  Wörter  weichen  ganz  in  die  starke  decl.  aus;  hahn 
hahns,  mond  monds  statt  des  mhd.  hane  hauen,  mäne  mänen;  ein- 
zelnen genügt  es  den  nom,  acc.  sg.  stark  zu  setzen,  alles  übrige  geht 
schwach :  mensch  menschen,  fürst  fürsten,  narr  narren,  wieder  andere 
schwanken  im  gen.:  schmerz  Schmerzes  schmerzens;  greif  greifes  und 
greifen;  greis  greises  und  greisen.  Die  Verwirrung  steigt  dadurch, 
dasz  einzelnen  starken  Wörtern,  deren  -e  aus  -u  entsprang,  schwache 
flexion  ertheilt  wurde:  friede  friedens,  schatte  Schattens  =  goth. 
fripus  fripaus,  skadus  skadaus;  diesen  darf  noch  weniger  im  nom. 
Sg.  -en  gegeben  werden,  umgekehrt  müste  rabe  den  nom  sg.  raben 
=  ahd.  hraban  gen.  hrabanes  behalten  und  statt  des  gen.  raben  vielmehr 
rabens.  Noch  mehr  aus  ihrer  fuge  gerathen  sind  die  feminina,  für 
welche  nhd.  der  grundsatz  durchgreift,  dasz  alle  subst.  den  sg.  stark, 
d.  h.  unveränderHch  auf  -e,  den  pl.  schwach,  d.  h.  auf  -en  bilden, 
wir  flectieren  den  sg.  zunge  zunge  zunge  zunge  statt  des  mhd,  zunge 
Zungen  zungen  zungen,  den  pl.  noch  wie  mhd,;  hingegen  zwar  den 
sg,  gäbe  gäbe  gäbe  gäbe  wie  mhd,,  aber  den  pl.  gaben  gaben  gaben 
gaben,  statt  des  mhd.  gäbe  gäben  gäben  gäbe,  in  den  gen.  pl.  star- 
ker fem.  erster  decl.  war  schon  ahd.  die  schwache  form  köponö  ein- 
gedrungen statt  des  goth.  gibö  und  nicht  anders  lautet  der  mhd.  gen. 
pl.  -en  für  -e ;  zuletzt  ergrif  sie  nhd.  den  ganzen  pl.  Zwischen  subst. 
und  adj.  ist  der  einklang  gestört,  da  subst.  alle  casus  auf  -e,  schwache 
adj.  aber  den  gen.  und  dat.  sg.  auf  -en,  nom.  und  acc.  auf  -e  bilden, 
im  letzten  casus  weicht  also  die  nhd.  von  der  mhd,  declination,  ahd. 
hiesz  es  dia  plintün  coecam,  mhd.  die  blinden,  nhd.  die  blinde.  Die 
wenigen  schwachen  neutra  sind  nhd,  fast  ganz  verschwunden  wie  950 
untereinander  abgeirrt:  herz  herzens,  ohr  ohrs,  äuge  auges;  die  adj. 
haben  ihre  form  behauptet,  menge  helle  schwere  u.  s.  w.  sind  im 
sg.  nach  starker  weise  ganz  unveränderlich. 

Auf  ähnliche,  doch  verschiedne  weise  wurde  mnl.  die  schwache 
flexion  beeinträchtigt,  nemlich  alle  subst.  entziehen  dem  acc.  sg.  sein 
-n  und  machen  ihn  dem  nom,  gleich,  man  könnte  sagen:  masc.  und 
fem.  werden  wie  neutra  behandelt,  dagegen  lassen  alle  adj.  jedem 
obliquen  casus  des  sg.  sein  -en,  und  entziehen  es  dem  nom.  acc.  pl. 

Nnl.  fallen  im  subst.  starke  und  schwache  decl.  zusammen,  d.  h. 
was  nhd.  blosz  für  das  fem.  durchgesetzt  ist,  dasz  der  sg.  starke,  der 
pl.  schwache  form  annimmt,  gilt  hier  für  alle  geschlechter,  ebenso 
macht  das  adj.  keinen  unterschied  zwischen  starker  und  schwacher 
declination,  weicht  aber  vom  subst.  ab,  indem  es  für  den  gen.  dat. 
acc,  sg.  masc.  -en  behauptet. 

Anziehender  ist  die  betrachtung  der  ags.  schwachen  flexion,  in 
welcher  A  vorherseht  und  nichts  erscheint,  was  dem  goth.  und  ahd.  I 
des  gen.  dat.  sg.  masc.  neutr.  gleichkäme,     der  nom.  sg.  masc,  hana, 

42* 


660  SCHWACHE  NOMINA 

acc.  hanan  stimmt  ganz  zur  goth.  form,  und  der  nom,  acc.  pl.  hanan 
weicht  vom  goth.  hanans  nur  durch  den  mangel  des  -s  ab.  dagegen 
empfängt  auch  gen.  dat.  sg.  hanan  hanan  statt  des  goth,  hanins  hanin 
und  der  gen.  pl.  hanena  statt  des  goth.  hananö*;  für  -ena  begegnet 
einigemal  -ona:  vserlogona  foedifragorum  Csedm.  145,  22;  fullvona 
baptizatorum  Csedm.  117,  9.  der  dat.  pl.  hat  hanum,  was  sich  zu 
dagum  verhält  wie  goth.  hanam  zu  dagam.  Das  -e  des  nom.  sg.  fem. 
und  neutr.  in  tunge  eäge  =  goth.  tuggö  augö  mahnt  an  jenes  ahd. 
alte  und  marhe  der  gl.  cass.  (s.  947);  ich  bin  fast  sicher  dasz  es 
lang  war,  so  dasz  tungß  auch  für  den  gen.  pl.  tungöna  begehrte,  wie 
neben  tuggö  tuggönö.  wahrscheinlich  drang  nun  -ßna  auch  in  den 
51  männlichen  gen.  pl.  hanßna  vor,  gerade  wie  ahd.  hanönö  nach  zunkönö 
eingeführt  wurde,  der  frühste  ags.  gen.  pl.  masc.  wäre  wol  hanana? 
doch  die  übrigen  -an  der  weiblichen  flexion  auf  -6n  zurückzuführen 
scheint  gefährlich,  die  adjectivische  schwache  declination  hält  mit 
der  substantivischen,  wie  im  goth.  ahd.  mhd.,  völlig  gleichen  schritt. 
Beov.  3908^  (in  einer  der  ersten  ausg.  mangelnden  zeile)  liest  man 
""pa  s6lestane'  felicissimi  oder  felicissimos,  für  s6lestan,  ist  dies  spur 
eines  vocals  nach  dem  -n?  zur  bestätigung  des  s.  945  vermuteten  goth. 
-anßs?  Beachtenswerth  ist  endlich  die  Verschiedenheit  des  ags.  de- 
monstrativums  se  und  seo  von  blinda  und  blinde,  da  doch  goth.  sa 
so  mit  blinda  blindö  stimmen ;  das  wird  sich  nur  aus  mengung  des 
demonstrativen  und  persönlichen  pronomens  erklären,  denn  offenbar 
ist  seo  das  ahd.  siu  =  goth.  si,  wofür  ags.  heo  gilt,  seo  und  heo 
berühren  sich  aber  nach  dem  Wechsel  zwischen  S  und  H.  wie  dem 
allem  sei,  dies  EO  in  seo,  heo  musz  zusammenhängen  mit  der  ags. 
scheinbar  starken  flexion  menegeo  für  das  goth.  managei,  ahd.  manakl, 
welches  menegeo  überall  im  sg.  unverändert  bleibt  und  dem  obliquen 
casus  niemals  N  verleiht ;  bald  aber  reiszt  dafür  bloszes  -o  ein :  menigo 
multitudo,  sedelo  nobilitas,  braedo  latitudo  =  ahd.  maniki,  edili,  preiti. 
lassen  sich  diese  ags.  seo  heo  menegeo  dem  ahd.  siu  und  plintiu  ver- 
gleichen?** Das  ags.  part.  praes.  lautet  stax-k  für  alle  geschlechter 
gifende  gifende  gifende  und  schwach  se  gifenda,  seo  gifende,  J)ät  gifende. 

In  der  nordanglischen,  friesischen  und  nordischen  mundart  be- 
gegnet nun  jene  schon  s.  665.  680  und  754  angezeigte  apocope  des 
schwachen  N  für  alle  casus  mit  einziger  ausnähme  des  gen.  pl.,  dessen 
dreisilbige  und  langvocalische  gestalt  dazu  beitrug  das  N  zu  hegen. 

Das  fries.  masc.  zeigt  durchgehends  -a,  auszer  dem  gen.  pl.  -ena 
952  und  dat.  pl.  -um :  bona  bona  hona  bona,  dem  ags.  hana  hanan  hanan 
hanan  nah  kommend,  auch  hier  geben  fem.  und  neutr.  dem  nom. 
sg.  -6  tunge,  äg6,  dem  gen.  dat.  acc.  fem.  möchte  ich  tungä  tungä 
tungä  beilegen;  das  neutr.  fordert  den  gen.  dat.  äga  äga,  acc.  ag6. 
die  schwachen  adj.,  so  viel  ich  sehe,  fügen  sich  zu  den  subst. 


*  merkwürdig  cod.  exon.  323,  13  violane  divitiarum,   was  Thorpe  un- 
richtig für  einen  eigennamen  nimmt,  alts.  welono. 

**  man  sehe  oben  s.  945  die  anmerkung  über  goth.  sa  so  =  ags.  se  seo. 


SCHWACHE  NOMINA  661 

Das  altn.  masc.  hat  den  sg.  hani  hana  hana  hana,  was  beinahe 
die  goth.  vocale  hana  hanins  hanin  hanan  wechselt;  ohne  zweifei  ist 
dies  keinen  umla.ut  wirkende  -i  unorganisch,  das  -a  der  andern  casus 
gleicht  dem  ags.  -an  und  fries.  -a.  Ich  will,  eh  ich  zum  pl,  gelange, 
auch  erst  den  sg.  der  beiden  andern  geschlechter  erwägen,  dem  nom. 
sg.  fem.  und  neutr.  wird  man  -ä  beimessen  dürfen,  wie  es  zum  ahd. 
-ä  stimmt  und  der  quantität  des  goth.  -ö  angemessen  ist.  nicht  an- 
ders traue  ich  dem  gen.  dat.  acc.  fem.  ursprüngliches  -ü  zu,  so  dasz 
tüngä  tüngü  ganz  dem  ahd.  zunkä  zunkün  entspräche;  an  der  qualität 
des  U  ist  kein  zweifei,  weil  davon  umlaut  des  A  abhängt:  ammä  ömmü, 
harpä  hörpü.  dem  neutrum  würde  ich  beilegen :  hiartä  hiarta  hiarta 
hiartä,  nemlich  gen.  und  dat.  nach  männlicher  weise.  Aufmerksamkeit 
fordert  aber  der  männliche  und  weibliche  nom.  pl.  hanar  und  timgur, 
ist  das  einmischung  der  starken  form?  so  liesze  sich  hanar  allerdings 
fassen  wie  dagar  fiskar,  nicht  aber  tüngur,  weil  die  erste  starke  decl. 
giafar  darbietet  und  auch  goth.  dagös  wie  gibös.  Eichtiger  wird  also 
das  -r  in  hanar  tüngur  für  einen  Überrest  der  ältesten  schwachen 
form  gelten  und  dem  goth.  -s  in  hanan s  tuggöns  gleichstehn,  also 
das  s.  945  gemutmaszte  ältere  hananßs  tuggönös  bestätigen,  der  Um- 
gestaltungen folge  könnte  gewesen  sein :  aus  hananas  entsprang  hanans, 
dann  hanäs,  hanar,  endlich  hanar;  aus  tüngönös  tüngöns,  tüngös,  tüngur, 
endlich  tüngur.  In  der  ahd.  und  ags.  flexion  wurde  der  character  N 
festgehalten  und  die  hinter  ihm  stehende  flexion  aufgehoben,  in  der 
altn.  aber  N  syncopiert,  das  folgende  S  behauptet  und  allmählich  in  E 
gewandelt,  ausnahmsweise  haftet  auch  noch  N,  nemlich  im  pl.  einiger 
masculina  z.  b.  gumnar  gotnar  von  gumi  goti,  zumal  in  den  gen.  pl. 
gumna  gotna  und  bragna  skatna  oxna  von  bragi  skati  oxi,  deren  953 
nom.  pl.  bragar  skatar  oxar  lautet;  die  analogie  zum  goth.  gen.  pl. 
abne  (s.  944)  ist  unverkennbar,  regelmässig  aber  bleibt  dieses  N 
sogar  in  allen  weiblichen  und  neutralen  gen.  pl.  tüngna  =:  goth. 
tuggöno,  harpna  =  ahd.  harfönö,  hiartna  =  goth.  hairtanß  und  kein 
zweifei  kann  walten,  dasz  auch  der  nom.  pl.  tüngur  hiörtu  hervor- 
gieng  aus  tüngnur  hiörtnu.  Die  schwachen  adj.  stimmen  im  sg.  voll- 
kommen zu  den  schwachen  Substantiven,  weichen  aber  im  pl.  ab, 
welcher  ohne  ausnähme  für  alle  casus  jedes  geschlechts  den  einförmigen 
ausgang  -u,  das  heiszt  den  der  obliquen  weiblichen  casus  des  sg. 
empfängt.  Das  demonstrativum  sä  sü  =  goth.  sa  so  entfernt  sich 
vom  nom.  sg.  -i  -a  der  nomina  und  bezeugt  deren  unorganischen 
verhalt,  wahrscheinlich  hat  im  masc.  blosz  der  auslaut  die  Verlänge- 
rung nach  sich  gezogen  und  sä  sü  stehn  für  sa  so,  wie  tüngu  für 
tüngö,  so  dasz  auch  hani  auf  ein  ursprüngliches  hana  zurück  weist. 

In  der  flexion  der  comparative  und  part.  praes.  hat  die  altn. 
spräche  den  goth.  Organismus  gewahrt,  d.  h.  masc.  und  neutr.  haben 
die  gewöhnliche  schwache  form  des  positivs,  masc.  blindari  meiri  gfe'- 
fandi,  neutr.  blindara  meira  göfanda.  feminina  hingegen  blindari 
meiri  göfandi  unveränderlich  durch  alle  casus  und  ohne  zweifei  war 
dies  -i  ursprünglich  -1,  vom  -i  der  masc.  ganz  verschieden. 


662  SCHWACHE  NOMINA 

Die  vorgenommne  Zergliederung  der  schwachen  formen  in  den 
verschiednen  dialecten  unsrer  spräche  lehrt  nun,  dasz  das  kennzeichen 
N  dem  gebrauch,  nicht  seinem  Ursprung  nach  dem  nom.  sg.  und  dat. 
pl.  abgehe,  im  dat.  pl.  wich  es  dem  zu  nahen  folgenden  M,  im  nom. 
sg.  pflegen  auch  die  urverwandten  sprachen  häufig  den  consonant  zu 
tilgen,  den  die  obliquen  casus  entfalten,  es  wird  den  blick  erweitern, 
wenn  wir  vor  allem  die  analogie  des  N  auch  in  ihnen  aufsuchen  und 
zugleich  andere  consonanten  an  seiner  stelle  finden. 

Im  slavischen  sind  es  vorerst  einzelne  neutra,  deren  obhquer 
casus  ein  solches  N  darbietet:  imja  nomen  gen.  imene,  pl.  imena, 
poln.  imi§  gen.  imienia,  pl.  imiona,  böhm.  gme  gen.  gmene.     sjemja 

954  semen,  poln.  siemie,  böhm.  semö.  plemja  soboles  poln.  plemi^,  böhm. 
pleme.  vrjemja  tempus,  böhm.  wlreme.  brjemja  onus,  poln.  brzemie, 
böhm.  bi-em^.  v'imja  über,  poln.  wymie,  böhm.  weme  wyme.  russ. 
temja  sinciput  poln.  ciemi^  gen.  ciemienia,  böhm.  teme  tymie.  im 
böhmischen  ist  allmählich  auch  im  nom.  N  üblich  geworden  und  für 
gm^  wird  lieber  gmeno,  für  seme  weme  lieber  semeno  wemeno  ge- 
setzt, offenbar  entspricht  nun  imja  imene  (oben  s.  153)  dem  goth. 
namö  namins  auch  im  genus,  während  ahd.  namo  namin,  ags.  nama 
naman  männlich  sind,  das  altn.  nafn  nafns  aber  starke  form  zeigt, 
nicht  anders  gleicht  sjemja  dem  ahd.  sämo  sämin,  welches  wort  goth. 
und  altn.  gebricht  und  durch  fraiv^  friof  oder  frio  vertreten  wird; 
ich  dachte  an  das  wort  s.  493  beim  namen  der  Semnonen.  Statt 
ramo  humerus  scheint  gleichfalls  ramja  gen.  ramene  gegolten  zu 
haben,  die  poln.  form  lautet  rami^,  die  böhmische  rame  oder  lieber 
rameno;  nach  s.  327  entspricht  goth.  arms,  ahd.  aram,  avozu  sich 
kein  N  gesellte,  man  müste  denn  die  eigennamen  Armin  Irmin  Irmino 
(vgl.  s.  825)  anschlagen,  wobei  nicht  zu  übersehn  ist,  dasz  den  Slo- 
venen  rame  in  der  Zusammensetzung  verstärkt,  wie  unser  irman, 
ramenvelik  bedeutet  sehr  grosz,  wie  irmanpöraht  sehr  glänzend,  irman 
würde  sich  zu  ramja  verhalten  wie  altn.  nafn  zu  imja. 

Es  gibt  aber  auch  slavische  masculina,  die  das  N  dem  nom.  sg. 
wie  dem  obliquen  casus  lassen:  koren'  radix,  poln.  korzen,  böhm. 
ko5fen ;  plamen'  flamma,  poln.  plamen,  böhm.  plamen ;  lesen'  auctumnus, 
poln.  jesien,  böhm.  gesen;  iatsch'men'  hordeum,  poln.  j^czmien,  böhm. 
geSmen;  pr'sten'  annulus,  poln.  pierscien,  böhm.  prsten  u.  a.  m.,  ein- 
zelne zeigen  den  nom.  ohne  N:  kam"i  lapis  neben  kamen',  poln,  kamien, 
böhm.  kamen  und  plam"i  neben  plamen'.  Neutra,  die  den  begrif 
junger  geburt  ausdrücken,  schalten  T  ein :  djetja  naidlov  gen.  djetjate, 
poln.  dzieci^  gen.  dzieci^cia,  böhm.  djte  gen.  djtete;  shrjebja  Ttcokog 
gen.  shrjebjate,  poln.  zrebi§  gen.  zrebi^cia;  russ.  telja  vitulus,  poln. 
ciel^  gen.  ciel^cia ;  serb.  prase  praseta  porcellus,  poln.  prosi^  prosi^cia. 
hierzu  darf  man  das  ahd.  junkidi  foetus,   pullus,  kinözidi  par  boum, 

955  kinfe'stidi,  besser  kinistidi  pullus  (Haupt  3,  464)  halten.  S  entfaltet 
sich  in  nebo  coelum  gen.  nebese,  slovo  verbum  slovese,  kolo  rota 
kolese,  tschoudo  miraculum  tschoudese.  diesem  S  identisch  ist  das 
dem  ahd.  pl.  vieler  wörter  für   junge  thiere  u.  s.  w.  zugehende  R  : 


SCHWACHE  NOMINA  663 

lamp  lempir,  chalp  chelpir,  huon  huonir,  loup  loupir,  welchen  ein 
goth.  lamb  lambiza,  kalb  kalbiza,  hön  höniza  entsprechen  würde,  wo- 
für aber  lamba  gilt,  es  erhellt  aber,  dasz  S  und  T  dasselbe  ausrich- 
ten was  N. 

Gleich  lehrreich  werden  litthauische  nomina  auf  -u,  deren  oblique 
casus  N  einschalten,  akmü  lapis  hat  den  gen.  akmenio  (oder  akmens), 
pl.  akmenys  und  ist  jenes  sl,  kani"i,  kamen',  skr.  a^man  (Bopps  gloss. 
23b)  und  mit  R  statt  N  ahd.  hamar  malleus,  d.  i.  steinwaffe ;  im  altn. 
hamar  hat  sich  neben  malleus  noch  die  bedeutung  saxum,  rupes  be- 
wahrt (vgl.  oben  s.  610).  wandü  aqua,  gen.  wandenio  oder  wandens, 
lett.  uhdens,  skr.  uda,  sl.  voda,  ohne  N,  altn.  vatn  gen.  vatns  (wie 
nafn),  schwed.  vatten,  goth.  schwachformig  vatö  vatins  (wie  namö 
namins,  wonach  auch  goth.  hämo  saxum  möglich  wäre),  ahd.  aber 
wazar  (mit  R  wie  in  hamar)  ags.  väter  und  gr.  vöag  vÖaTog.  piemü 
gen.  piemenio  oder  piemens  hirtenknabe,  diminut.  piemenatis,  und 
piemene  hirtenmädchen,  gr.  tiol^tJv  TtoLfievog  hirte,  Tioi^vr]  herde; 
scheint  das  noi-  pie-  zu  ticov  pecu  faihu  gehörig,  so  wäre  ein  goth. 
faihma  faihmins  möglich,  wobei  mir  das  alts.  fehmia  femia  Hei.  9,  22 
alts.  fsemne,  fries.  fämne  wieder  einfällt,  die  ich  s.  652  unter  ganz 
andern  gesichtspunct  faszte,  es  könnte  dem  litth.  piemen^  entsprechen 
und  im  hirtenstand  entsprungen  sein,  stomü  stomenio  stomens  statura 
vergleiche  ich  dem  goth.  stöma  stömins  vnootaöig.  szarmü  gen. 
szarmens  ist  das  ahd.  harrao  harmin  ^vyal^.  lemü  lemens  baum- 
stamm,  vielleicht  altn.  limi  frons  arborum.  aszmü  aszmens  das  lat. 
acumen,  vgl.  goth.  ahma  ahmins  Spiritus,  szü  canis  gen.  szunnio 
oder  szunnies  szuns  ist  unser  hunds  und  schon  s.  38  besprochen, 
menü  oder  mienü  entspricht  dem  goth.  m6na  mönins  ahd.  mäno  mänin, 
entfaltet  aber  im  gen.  nicht  mienenio  sondern  mit  S  mienesio,  wozu 
auch  der  nom.  mienesis  vorkommt,  der  dem  lat.  mensis  und  sl.  956 
mjesjatz',  skr.  mäs  luna  und  mäsa  mensis  gleicht,  das  gr.  fii^v  ^tjvog 
bleibt  wie  das  deutsche  wort  ohne  S. 

In  der  lat.  spräche  sind  zahlreiche  bildungen  auf  -men  gen.  -minis 
neutral,  haben  also  das  N  auch  im  nom.  sg.  wie  die  böhmischen 
Wörter,  dem  namö  imja  entspricht  nomen,  dem  sämo  sjemja  sßmen, 
und  auf  gleicher  reihe  stehn  carmen  germen  fragmen  gramen  stamen 
stramen  tegmen  omen  limen  inguen  numen  rumen  gluten  u.  a.  m. 
männlich  nur  oscen,  tibicen,  flämen,  vielleicht  sanguen  f.  sanguis,  aber 
andere  masc.  werfen  das  N  im  nom.  weg:  turbo  turbinis,  cardo,  ordo, 
margo,  sermo  sermonis,  carbo  carbonis,  zumal  aber  homo  hominis 
und  nemo  neminis.*  homo  ist  vollkommen  das  goth.  guma  gumins, 
ahd.  komo  komin,  und  dem  pl.  homines  gumans  vergleicht  sich  der 
litth.  pl.  zmones  vom  sg.  zmogus;  altpreusz.  lautet  der  sg.  smunents, 
acc.  pl.  smunentinans.  das  lett,  zilweks  gehört  aber  zum  sl.  tschlovjek". 
Eine  menge  lat.  feminina  haben  N  im  gen.  ratio  rationis  =  goth.  raj)j6 

*  semo  semonis  soll  entspringen  aus  semihomo.    die  verschiedne  quan- 
tität  hindert  einen  Wechsel  zwischen  H  und  S  anzunehmen^ 


664  SCHWACHE  NOMINA 

raj)jöns.  Alles  was  unser n  schwachen  Substantiven  entspricht  musz 
demnach  in  der  dritten  declination  gesucht  werden. 

Ebenso  auch  in  der  dritten  griechischen,  a^^cov  ax^ovog. 
daif.i€3V  dal^ovog.  Etxoiv  slnövog.  ccrjdoav  arjöovog.  x^hdav  %£h- 
dovog.  Xifiriv  kifisvog.  r}'(iG>v  TJfiovog.  Xbl^cSv  Xsi^wvog.  fi^v  /ur;- 
vog,  nicht  (irjvivog,  wie  dem  goth.  mßna  menins  gemäsz  wäre,  xvcn- 
avvog  gleicht  dem  litth.  szü  szunnies.  ^^cov  %ü^ov6g  ist  das  lat. 
humus,  zu  welchem  homo,  wie  zu  ')(^^(6v  x^ovLog,  der  irdische  ge- 
hört; das  goth.  guma  homo  scheint  aber  verwandt  mit  goma  pala- 
tum  (nach  dem  ab  laut  guma  gam  gömun,  wie  funa  fan  fönun),  weil 
erde  gleich  dem  himmel  als  gähnend  gedacht  wird*;  vgl.  sl.  zemja 
zemlja,  litth.  ziem^.  Neutra  schalten  im  obliquen  casus  T  ein,  wie 
jene  sl.  benennungen  junger  thiere :  ccQfia  aQfiarog,  öro^a  örö^arog, 
957ödfia  öö^aTog,  öcofia  öä/iiaTog,  öafia  öto^ccTog,  xli^a  y.U^arog,  ^eXl 
^Ehrog,  7i()äy}ia  ngayfiavog,  tccy^ia  räyfiatog**,  selbst  einzelne,  die 
dem  nom.  sg.  R  verleihen:  vdajQ  =  ahd^  wazar,  ags.  väter,  gen. 
vdatog,  (pQmQ  (pQiOLxog,  dUsaQ  deUarog,  ov&ag  ovd^atog,  ahd.  ütar, 
nhd.  euter.  (pQBOff  kann  mit  brunna  brunnins  für  bruna  brunins 
verwandt  sein,  ovg  cotog,  jon.  oijag  ovarog  gleicht  dem  goth.  auso 
ausins,  litth.  ausis  ausiös,  lat.  auris,  sl,  oucho  gen.  ouchese,  poln. 
böhm.  ucho,  serb.  uvo  gen.  uva  und  uveta,  was  zu  cor 6g  stimmt; 
TEQag  tSQcctog,  xaQig  xägtrog.  Dasz  dem  T  ganz  die  function  des 
N  überwiesen  ist,  lehrt  augenscheinlich  ovofia  ovö^atog  neben  namö 
namins  und  imja  imene;  Bopp  im  glossar  p.  193^  bemerkt,  dasz  das 
gr.  Suffix  -^at  insgemein  dem  skr.  -man  entspreche,  was  sich  nach 
der  skr.  lautlehre  leicht  erklärt,  da  N  in  einer  reihe  mit  dentalem 
T  steht. 

Im  Sanskrit  entsprechen  neutra  auf  -an  den  lat.  auf  -en :  näman 
gen.  nämanas  =  nomen  nominis,  karman  opus,  factum  gen.  karmanas 
=  lat.  Carmen  carminis,  von  der  wurzel  kri  facere,  ahd.  garawan 
parare,  wie  Tioirj^a  von  noda,  weil  das  dichten  ein  schaffen  und 
wirken  ist;  mit  unrecht  hat  man  Carmen  für  casmen  genommen, 
neutra  auf  -i  entfalten  N  erst  im  genitiv:  akäi  ak^nas  oculus,  gr.  ooöi, 
wovon  noch  der  dual,  oööe  übrig,  asthi  asthnas  os  ossis,  gr.  oövbov, 
sl.  kost',  väri  aqua,  gen.  värinas.  das  masc.  räjä  rex  zeugt  den  gen. 
räinas,  wozu  man  rägnl  regina  vergleiche,  einigemal  schaltet  nur  der 
gen.  pl.  N  ein,  z.  b.  nada  flumen,  nadas  fluminis,  aber  nadänam  flu- 
minum,  ganz  wie  das  ags.  däg  mitunter  den  gen.  pl.  dagena  bildet 
und  alle  ahd.  starken  feminina  den  schwachen  gen.  pl.  annehmen. 

Es  hat  sich  gezeigt,  dasz  in  den  urverwandten  sprachen  auszer 
dem  N  und  an  dessen  stelle  auch  T  und  S  aus  dem  nom.,  der  ihrer 
oft  entbehrt,  erwachsen.    Derselbe  trieb  waltet,  wenn  dem  nom.  sg.  R 

*  rote   fioi  ^dvoi   svQsta  %^vlv.    D.  4,  182.  8,  150.    akX   avtov    yata 
ßiXaiva  itäaL  xcivoi.    II.  17,  417. 

**  alfia  a'lßaroc:  scheint  das  ahd.  nhd.  seim  nectar,  der  aus  blut  und 
honig  bereitet  wurde  (mythol.  s.  294.  436.  856).  in  sanguis  hat  sich  N  erst 
vor  G  entwickelt. 


SCHWACHE  NOMINA  665 

mangelt,  das  die  obliquen  casus  mit  sich  führen;  beispiele  lieferten 958 
s.  266.  267  die  zendischen  pata  mäta  brata  dughdha,  selbst  das  skr. 
duhitä,  das  litth.  mote  sessü  dukte,  das  sl.  mati  und  d"schtschi, 
deren  oblique  casus  von  dem  R  zeugen  (s.  268).  Etwas  ähnliches 
ist  noch  das  im  serbischen  nom.  schwindende  und  vocalisierte  L: 
soko  falco,  kotao  lebes,  orao  aquila,  gen.  sokola  kotla  orla,  wo  die 
übrigen  sl.  dialecte  das  L  schon  dem  nom.  geben. 

Wie  nun  TSR  und  L  in  allen  diesen  fällen  nicht  zur  flexion 
gehören,  sondern  bildungsmittel  sind,  welche  sich  zwischen  wurzel 
und  flexion  schieben  und  nur  ausnahmsweise,  wenn  die  flexion  ab- 
fällt, in  den  auslaut  treten;  so  musz  ein  gleiches  von  dem  N  gelten 
und  die  ganze  grundlage  der  vorhergehenden  erörterungen  des  deut- 
schen N  dadurch  bestätigt  werden,  je  stumpfer  die  eigentliche  flexion 
ward  und  erlosch,  desto  mehr  gewann  dies  N,  ja  nach  seinem  dahin- 
schwinden sogar  der  von  ihm  herbeigeführte  vocal  den  schein  einer 
wirklichen  flexion.  zumal  merkwürdig  ist,  wenn  sich  für  einzelne 
substantiva  starke  und  schwache  form  vereinen  und  jeder  gewisse 
casus  zufallen,  wie  im  goth.  fön  funins  funin  fön  und  umgekehrt  in 
manna  maus  mann  mannan.  Beachtung  fordert  auch  der  gramm. 
4,  585  berührte,  nicht  erschöpfte  unterschied  starker  und  schwacher 
form  für  einzelne  substantiva.  wenn  lat.  pavus  pavi  und  pavo  pa- 
vonis  neben  einander  gelten,  so  begegnet  auch  goth.  gards  gardis  und 
garda  gardins,  goth.  auhsus  auhsaus  und  auhsa  auhsins,  oder  vom 
altn.  mannsnamen  Ön  wird  Yngl.  saga  cap.  29,  30  als  gleichbedeu- 
tend auch  Ani  angegeben,  auszer  ahd.  johhalm  lorum  findet  sich 
johhalma  und  in  Zusammensetzungen  nimmt  ahd.  mhd.  tac  gern  die 
schwache  form  -tago  an;  häufig  erscheint  aber  für  tagö  der  gen.  pl. 
tagano,  mhd.  tagen  MS.  1,  92*  mnl.  daghen  Rein.  3153.  3154,  und 
wie  schon  gesagt  wurde  ags.  dagena.  Von  starken  masc.  werden 
häufig  schwache  feminina  moviert  (gramm.  3, 333),  aber  auch  schwache 
masc.  abgeleitet,  z.  b.  aus  fogul  der  mannsnarae  Fogalo  Fogilin,  oder 
aus  fatar  pater  fatirio  patruus. 

Um  so  leichter  müssen  solche  Substantivbildungen  ergehn,  als  959 
sich  in  unsrer  spräche  von  frühauf  ein  dynamischer  unterschied  star- 
ker und  schwacher  form  für  jedwedes  adjectiv  festsetzte  und  innig 
mit  der  syntax  vermählte,  aus  dem  adjectivischen  begrif  aber  viel- 
fache Übertritte  in  den  substantivischen  stattfinden.  Man  wird  er- 
warten, dasz  auch  in  den  urverwandten  sprachen  einzelne  adjectiva 
auftauchen,  deren  nom.  sg.  das  N  fehlt,  deren  oblique  casus  es  ent- 
falten, so  bildet  das  skr.  adj.  sarma  felix  den  gen.  sarmanas,  dat. 
sarmani,  acc.  sarmanam  oder  das  gr.  ^eXag  tdkas  den  gen.  yckXavog 
Ta'Aavog,  wie  schon  der  weibliche  nom.  sg.  (xelawa  tdXsiva,  der  neu- 
trale ^slav  rdlav  gewährt,  allein  daneben,  was  die  hauptsache  ist, 
erscheint  keine  des  N  überall  entrathende  form,  welche  man  die  starke 
nennen  könnte;  diese  doppelgestalt  des  adjectivs  musz  für  ein  ent- 
scheidendes merkmal  unsrer  spräche  genommen  werden. 

Und  hier,  dünkt  mich,  wird  unsere  syntax  aufschlüsse  über  die 

/ 


666  SCHWACHE  NOMINA 

flexion  herbeiführen.  Die  regel  der  anwendung  beider  gestalten  des 
adjectivs  lautet  ihrem  hauptgrundsatz  nach  dahin,  dasz  schwache 
form  durch  den  bestimmten  artikel  bedingt  sei,  starke  hingegen  walte, 
wo  dieser  nicht  eintrete  (gramm.  4,  526.  557).  wir  sagen  blinder 
blinde  blindes,  aber  der  blinde  die  blinde  das  blinde;  im  gen.  blin- 
des blinder  blindes,  aber  des  blinden  der  blinden  des  blinden,  und 
so  unterschied  schon  der  Grothe  zwischen  bKnds  blinda  blindata  und 
sa  blinda  so  blindö  pata  blindö,  gen.  blindis  blindaizös  blindis  und 
j)is  blindins  J)iz6s  blindons  ])is  blindins  durch  alle  casus  hindurch. 
Da  nun  der  artikel  selbst  in  einem  frühem  sprachstand,  wie  ihn 
z.  b.  das  latein  noch  kund  thut,  ganz  abgieng,  und  sich  erst  allmäh- 
lich aus  den  lebendigen  demonstrativen,  gleichsam  als  abstraction  der 
demonstration  entfaltete ;  so  leuchtet  ein,  dasz  die  alte  spräche  über- 
haupt zu  keiner  doppelgestalt  des  adjectivs  geführt  wurde  und  ihrer 
nicht  bedurfte.  Vielmehr  musz  die  schwache  form  durch  denselben 
trieb  entsprungen  sein,  der  auch  hernach  den  artikel  aufbrachte :  um 
960  es  kurz  zu  sagen,  sie  scheint  nichts  als  suffigiertes  und  einverwachsnes 
demonstrativum,  zu  welchem  hernach  noch  ein  andres  als  äuszerlicher 
artikel  gefügt  wurde. 

Bekanntlich .  sind  unsrer  spräche ,  wie  fast  allen  andern ,  zwei 
verwandte,  dem  grad  nach  verschiedne  demonstrativa  zuständig,  der 
die  das  =  goth.  sa  so  |)ata,  welches  dem  lat.  iste  ista  istud,  und 
jener  jene  jenes  =  goth.  jains  jaina  jainata,  welches  dem  lat.  ille  ilia 
illud  in  der  bedeutung  entspricht,  aus  dem  ersten  hat  die  deutsche 
spräche,  in  groszer  einstimmung  mit  der  griechischen,  den  äuszerlich 
vortretenden  artikel  sa  so  ^ata,  u  rj  to  entnommen,  währen  die  ro- 
manischen töchter  der  lateinischen  spräche  ihn  durch  abkürzung  des 
ille  illa  gewannen.  Dem  deutschen  vorstehenden  artikel  musz  jedoch 
die  schwache  adjectivform  lange  vorausgegangen  sein,  welche  ich  aus 
einem  suffix  des  gelinderen  demonstrativums  jener  jene  jenes  herleite, 
stumpfte  sich  lat.  ille  illa  in  romanisches  le  la  ab,  welches  zwar  ge- 
trennt steht,  doch  mit  praepositionen  verschmilzt  (al  del  dal);  um 
wie  viel  mehr  konnte  sich  das  dem  adj.  selbst  verwachsende  suffix 
eines  fast  vocalisch  beginnenden  pronomens  kürzen?  allem  anschein 
nach  ist  das  J  in  jains  unursprünglich,  wie  ahd.  en6r  neben  g6n6r, 
das  altn,  inn  neben  hinn  und  noch  entschiedner  das  irische  an,  slav. 
on  ona,  litth.  ans  ana  (vgl.  oben  s.  369)  bezeugen,  blinda  blindö 
blindö  leitete  nach  den  vorausgehenden  Untersuchungen  (s.  945)  zurück 
auf  blindans  blindons  blindön,  der  gen.  blindins  blindons  blindins  auf 
blindinis  blindönös  blindinis;  wie  nahe  treten  diese  formen  einem 
angefügten  demonstrativ,  aus  dessen  stamm  es  vorzüglich  dem  Nlaute 
galt,  und  wobei  die  vocalverhältnisse  nicht  genau  angeschlagen  wer- 
den können.  Dasz  blinda  blindö  blindö  an  sich  schon  ausdrückte 
was  das  nachherige  sa  blinda  so  blindö  J)ata  blindö,  folgere  ich  aus 
drei  von  verschiedenen  enden  her  zusammentreffenden  gründen: 

1)  Wir  sehn  oft  in  der  spräche  das  zuerst  innerlich  ausgedrückte 
hernach' äuszerlich  wiederholt,    dem  schwachen  praet.  war  das  verbum 


SCHWACHE  NOMINA  667 

thun  einverleibt,  die  jüngere  spräche  bedient  sich  eines  auxiliaren 
thuns  zur  allgemeinen  Umschreibung  des  verbalbegrifs  (gramm.  4,  94).  961 
die  alte  verbalflexion  bezeichnet  an  sich  schon  die  personen,  welche 
später  im  pronomen  von  auszen  zugefügt  werden.  Schon  den  Gothen 
vertritt  jains  zuweilen  den  artikel;  'in  jainamma  daga'  unterscheidet 
sich  wenig  von  '"in  J)amma  daga'  und  nicht  immer  häuft  Ulfilas  die 
im  gr.  text  gehäuften  pronomina,  wenn  er  es  auch  thun  darf  (gramm. 
4,  446.  447).  die  mnl.  spräche  braucht  auszer  die  die  dat  auch  ghene 
ghene  ghßnt  als  wirklichen  artikel,  was  dem  franz.  le  la  aus  ille  illa 
und  dem  altn.  inn  in  it  gleicht,  welches  letztere  pronomen  zwar  nur 
vor  adjectiva,  nicht  vor  substantiva  gestellt  wird,  was  auf  solche 
weise  fühlbar  vorgesetzt  erscheint,  kann  sich  also  in  der  schwachen 
adjectivflexion  heimlich  befinden. 

2)  steckt  in  bHnda  =-  blindans  das  N  von  jains,  so  musz  auch 
im  altn.  blindi  das  N  von  inn  stecken,  und  nicht  anders  in  goth. 
hana,  altn.  hani.  die  altn.  spräche,  zu  Suffixen  geneigt,  versucht  aber, 
als  sich  das  gefühl  für  den  gehalt  der  schwachen  form  geschwächt 
oder  verloren  hatte,  nochmals  allen,  starken  wie  schwachen,  Substan- 
tiven dasselbe  pronomen  anzuhängen,  und  dagrinn  fatit  haninn  augat 
drückt  wiederum  aus :  der  tag,  das  fasz,  der  hahn,  das  äuge  (gramm. 
4,  375).  nur  ist  das  junge  suffix  ungeschickter  als  das  alte,  denn 
dieses  tritt  zwischen  wurzel  und  flexion,  jenes  setzt  sich  hinten  an 
die  flexion  und  nimmt  sie  in  die  mitte,  im  goth.  hanins  folgt  das 
S  erst  nach  dem  N,  im  altn.  dagsins  steht  das  S  in  der  mitte  und 
wird  hinten  nochmals,  also  zweimal  gesetzt.  Man  begreift  aber,  dasz 
das  altn,  «uffix  nicht  zu  adjectiven  trat,  weil  in  deren  schwacher 
form,  durch  den  gegensatz  der  starken,  die  Vorstellung  der  bestimmt- 
heit  noch  zu  fühlbar  war;  später  fügten  es  Schweden  und  Dänen 
auch  an  adj.  (gramm.  4,  380). 

3)  die  Syntax  lehrt,  dasz  alle  comparative,  namentlich  die  mit 
UM  gebildeten,  sodann  alle  participia  praes.,  wenn  sie  adjectivisch 
gefaszt  werden,  organischer  weise  nur  der  schwachen  form  folgen 
(gramm.  4,  519 — 521),  also  auch  ohne  vorstehenden  artikel.  zugleich 
gewahrten  wir  vorhin  (s.  943),  dasz  gerade  diese  Wörter  im  fem.  EI  962 
zeigen,  dies  EI  ursprünglich  eben  wol  dem  masc.  und  neutr.  zuge- 
standen haben  werde,  in  solchem  EI,  oder  richtiger  in  dem  ableiten- 
den I,  was  den  Wörtern  unsrer  zweiten  decl.  zum  gründe  liegt,  musz 
wieder  etwas  pronominales  enthalten  sein,  und  am  adj.  den  begrif 
der  bestimmtheit  hervorheben,  welchen  späterhin  das  suffix  N,  oder 
der  auswendige  artikel  hervorhoben.  Nun  darf  ich  gewicht  darauf 
legen,  dasz  auch  im  latein  und  griech.  alle  comparative  und  part. 
praes.  der  Ideclination  gehören,  wähi-end  positive  und  part.  praet. 
meistens  der  Adeclination  folgen,  genau  wie  bei  uns.  Und  bestätigt 
nicht  die  gleichheit  des  masc.  und  fem.  melior  und  melior,  coecior 
coecior  (wie  fortis  fortis  und  s6ls  s6ls)  die  gemutmaszte  von  blindözei 
blindözei,  frumei  frumei  statt  des  Jüngern  blindoza  blindözei,  fruma 
frumei?  die  masc.  und  neutra  wichen,  wahrscheinlich  schon  sehr  früh, 


668  SCHWACHE  NOMINA 

in  die  Aform  aus,  wie  es  die  meisten  positive  oder  endlich  alle  der 
adj.  auf  I  thaten.  die  goth.  weiblichen  comparative  maizei  major, 
juhizei  junior  begegnen  dem  zendischen  fem.  ma^jehi  und  skr.  javijasi 
(Bopps  vgl.  gr.  s.  418). 

Das  IQN  griechischer  comparative  habe  ich  schon  gramm.  3, 
650.  657  unsrer  schwachen  form,  hoffentlich  mit  recht,  verglichen; 
wie  nah  steht  (lEit^wv  fi£it,ovog  dem  goth.  maiza  maizins,  wofür  ein 
älteres  maizei  maizeins  angenommen  werden  musz,  in  welchem  auch 
das  I  enthalten  ist.  ^üt,av  scheint  sein  I  beim  wandel  des  F  in  Z 
eingebüszt  zu  haben;  doch  eine  menge  andrer  comp,  wie  rjdiav  su- 
tiza,  xakXtcov  ß^Xricov  lassen  es  gewahren. 

Diese  einstimmung  der  griech.  und  lat.  comparative  zu  den  deut- 
schen nicht  allein  in  dem  auftauchenden  kennzeichen  N,  sondern  auch 
im  I,  das  noch  den  deutschen  femininen  eigen  blieb,  ist  gewis  be- 
deutsam, und  wird  noch  durch  die  abwesenheit  der  starken  form  für 
unsere  comparative  erhöht. 

Doch  wir  stehn  nicht  einmal  mit  unsrer  doppelgestalt  der  posi- 
tive allein  in  der  geschichte  der  sprachen,  denn  sie  begegnet  auch 
in  der  litthauischen  und  slavischen,  deren  Urverwandtschaft  in  so 
963 vielen  andern  fällen  hervortritt;  nur  dasz  hier  nirgend  unser  kenn- 
zeichen N,  vielmehr  das  vocalische  I  waltet,  und  der  Zusammenhang 
mit  dem  einverleibten  pronomen  noch  unverkennbarer  wird. 

Die  Litthauer  besitzen  ein  pronomen  der  dritten  person  jis  ji 
(gen.  jo  jös,  dat.  jam  jei  u.  s.  w.),  welches  dem  lat.  is  ea  und  goth. 
is  si,  ags.  he  heo  entspricht  und  jedem  adj.  angehängt  werden  kann, 
um  dessen  bedeutung  bestimmt  oder  emphatisch  und  demonstrativ  zu 
machen,  geras  gera  steht  wie  das  goth.  göds  göda,  gerasis  geroji 
aber  wie  das  goth.  sa  göda  so  gödö.  didis  ist  grosz,  didisis  der 
grosze,  grazus  schön,  grazusis  der  schöne,  ebenso  verhalten  sich  die 
obliquen  casus,  gero  ist  goth.  gödis,  gerojo  |)is  gödins,  geram  go- 
damma,  geramjam  pamma  gödin.  Man  sieht,  dasz  das  pronomen  zu 
der  flexion,  nicht  zwischen  wort  und  flexion  tritt,  und  es  gleicht  in 
diesem  stück  dem  altn.  suffix  -inn,  nicht  dem  deutschen  N,  welches 
seine  stelle  zwischen  wort  und  flexion  fand. 

Den  Slaven  war  ein  dem  lat.  is  ea  id,  goth.  is  si  ita,  litth.  jis 
ji  identisches  pronomen  eigen,  dessen  nom.  in  jedem  numerus  ver- 
loren gegangen  ist  und  durch  on  ona  ono  (goth.  jains  jaina  jainata) 
ersetzt  wird,  die  obliquen  casus  haben  sich  aber  davon  erhalten  und 
lauten  im  gen.  sg.  masc.  iego,  dat.  iemu,  acc.  i,  den  fehlenden  nom. 
lehrt  uns  das  die  adjectiva  bestimmt  machende  suffix.  dem  starken 
oder  unbestimmten  adj.  svjat"  sanctus,  gen.  svjata,  dat.  svjatu,  acc. 
svjat"  steht  nemlich  das  schwache  oder  bestimmte  svjaf'i,  gen.  svja- 
tago,  dat.  svjatomu,  acc.  svjaf'i  gegenüber,  und  der  anhang  der 
pronominalformen  liegt  klar  vor  äugen*.    Wie  im  litth.  gerasis  lautet 

*  meine  in  der  vorrede  zu  Vuks  serb.  gramm.  aufgestellte  vernmtung, 
dasz  die  obliquen  casus  der  slav.  schwachen  und  starken  adjectivform  mit 
einander  tauschen  müsten,  habe  ich  längst  fahren  lassen. 


SCHWACHE  NOMINA  669 

aber  das  pronominalsuffix  aus  und  nimmt  die  flexion  in  seine  mitte, 
denn  in  svjaf'i  ist  "  das  element  der  flexion.  Zur  deutschen  schwa- 
chen flexion  veiha  veihö  veihö  =  svjaf'i  svjataja  syjatoe  fügt  sich  964 
aber  vollkommen,  dasz  auch  alle  sl.  comparative,  gleich  den  deut- 
schen, nur  dieser  schwachen  flexion  fähig  sind.  Doch  dem  slav.  und 
litth.  schwachen  adj,  entspricht  keine  Substantivflexion,  während  die 
deutschen  schwachen    adj,  formen    auch   beim  Substantiv  erscheinen. 

Aus  der  ganzen  in  diesem  capitel  gepflogenen  Untersuchung  geht 
hervor,  dasz  es  zwei  pronominalelemente  von  gleich  hohem  alter  sind, 
die  dem  nomen  eingeschaltet  oder  angehängt  werden. 

AUe  urverwandten  sprachen  zeigen  ein  dem  nom.  sg.  bald  ge- 
lassenes bald  entzogenes  N  in  allen  obliquen  fällen,  welches  aus  dem 
nachgewiesnen  pronomen  goth.  jains,  litth.  ans,  sl.  on,  ir.  an  abstammt, 
da  sich  homo  hominis  und  guma  gumins,  Carmen  carminis  und  kar- 
man  karmanas,  szarmü  szarmens  und  harmo  harmin,  siemi^  siemie- 
nia  und  semen  seminis,  sämo  samin,  aber  auch  ^bl^cov  fi£lt,ovog  und 
maiza  maizins  decken;  so  darf  an  dem  gleichen  grund  der  substan- 
tivischen und  adjectivischen  flexion  nicht  gezweifelt  werden.  Aber 
erst  unsere  spräche  hat  das  gesetz  durchgeführt,  dasz  allen  adjectiven 
die  doppelgestalt,  und  den  schwachen  der  bestimmte  begrif  zustehe. 

Pronominales  I  scheint  in  die  lat.  comparative  und  participia 
praesentis  eingedrungen,  ist  aber  in  unsrer  spräche  nur  am  fem.  zu 
gewahren,  die  lat.  melior  melior  melius,  carior  carior  carius  u.  s.  w. 
zeigen  es  vor  der  flexion,  wie  das  goth.  maizei  gen.  maizeins,  frumei 
frumeins.  in  der  litth.  und  sl.  form  tritt  aber  das  Ipronomen  hinter 
die  flexion,  wie  im  Jüngern  nord.  suffix  das  inn  in  it  hinter  die  sub- 
stantivflexion.  gleich  der  deutschen  spräche  haben  die  litth.  und  sl. 
die  regel  der  bestimmten  bedeutung  aus  der  form  entfaltet,  in  den 
gesteigerten  graden  liegt  von  natur  etwas  bestimmtes;  schwer  zu 
sagen  fällt,  inwiefern  das  I  der  comparative  mit  dem  unsere  zweite 
declination  überhaupt  bildenden  I  zusammenhänge  oder  nicht? 

Vom  unbestimmten  den  bestimmten  begrif  des  adjectivs  zu  unter-  965 
scheiden  sagte  dem  fortschreitenden  sprachgeist  zu,   gleichviel  ob  er 
es  durch  eigne  schwache  form  oder,  wie  in  den  romanischen  sprachen, 
durch  vorangestellten  artikel  erreichte,     unsere  spräche  häufte  sogar 
beide  mittel. 


XXXIX. 
DER   DUALIS. 


966  Es  ist  eine  schöne  in  den  neueren  sprachen  entbehrte  eigen- 
schaft  der  älteren,  die  sinnlich  wahrnehmbare  zweiheit  durch  beson- 
dere formen  auszudrücken,  auf  die  vollkommenste  weise  geschieht 
es,  wenn  sie  zugleich  am  nomen  und  verbum  hervortreten,  wie  in 
der  griechischen  spräche ;  höchst  lebendig  mahlt  das  ööös  cpauva  8i- 
VEiöd'rjV  IL   17,  679.    ra  öi  ot  ööös  Xa^nEö&rjv  II.   15,  607.  19,  365. 

Für  unsre  Sprachgeschichte  hat  es  nun  groszen  werth,  dasz  auszer 
dem  Sanskrit  und  griechischen  auch  das  litthauische  und  altslavische 
dieser  beiden  dualgestalten  allenthalben  mächtig  erscheint,  während 
sie  bereits  im  altdeutschen  aussterben,  im  latein  beinahe,  im  kelti- 
schen völlig  erloschen  sind,  allein  auch  die  griech.  duale  beginnen 
schon  sich  mit  pluralen  zu  mischen  und  ihnen  allmählich  zu  weichen; 
im  neuen  testa,ment  fand  Ulfilas  gar  kein  Vorbild  mehr*  für  seine 
goth.  duale,  die  desto  echter  im  goth.  hafteten,  die  heutigen  slavi- 
schen  dialecte,  mit  einziger  ausnähme  des  slovenischen ,  haben  dem 
dual  entsagt  und  nur  einzelne  Überreste  davon  behalten;  in  der  lit- 
thauischen  mundart  dauert  er,  in  der  lettischen  und  preuszischen  hat 
er  aufgehört.  Bei  uns  steht  unter  den  Schriftsprachen  der  verbal- 
dualis  blosz  der  gothischen  zu  gebot;  den  nominalen  besitzt  sie,  gleich 

967  allen  übrigen,  weder  im  subst.  noch  adj.,  blosz  im  persönlichen  pro- 
nomen;  einzelne  volksmundarten  bewahren  merkwürdige  spur  von 
beiden. 

Ich  will  zuerst  den  verbalen  dualis,  dann  den  nominalen  be- 
handeln. 

Dasz  die  goth.  spräche  dem  dualis  praet.  im  starken  verbum  den 
ablaut  des  pluralis,  im  schwachen  das  DfiD  des  pluralis  verleihe,  ist 
schon  s.  879  gesagt  worden. 

Die  gothische  dualflexion  selbst  erstreckt  sich  überall  nur  auf 
die  erste  und  zweite  person  und  ist  für  die  dritte  nicht  mehr  vor- 
handen,   welche   sich  des  plurals  bedienen   musz.      dem  gr.  activum 


*  im  griech.  N.  T.  kein  dualis,  vgl.  Winers  gramm.  aufl.  3.  p.  150, 


DUALIS  671 

fehlt  hingegen  die  erste  person  des  dualis,   da   doch   dem   passivum 
alle  drei  personen  zustehn. 

Die  goth.  zweite  person  des  dualis  endigt  ohne  ausnähme  auf 
TS :  gibats  gebuts  gibaits  gßbeits,  nasjats  nasideduts  nasjaits  nasidö- 
deits,  salböts  salbödßduts  salböts  salbodßdeits.  in  dem  T  erkennt  man 
leicht  einen  durch  den  engen  verband  mit  S  der  Verschiebung  ent- 
zognen  laut. 

Den  character  der  ersten  person  läszt  undeutlich  der  indicativ, 
deutlich  der  conjunctiv  erkennen :  ein  VA  des  dl,  steht  dem  MA  des 
pl.  zur  Seite:  gibaiva  gßbeiva,  gibaima  göbeima;  nasjaiva  nasidßdeiya, 
nasjaima  nasidedeima.  Im  indicativ  aber  geht  das  praes.  dl.  auf  OS, 
praet.  auf  ü  aus:  gibös  gßbu,  nasjös  nasidßdu.  weist  nun  das  -am 
der  prima  pl.  praes.  auf  ein  älteres  -ams,  -amas,  gibam  auf  gibams 
gibamas,  so  scheint  auch^das  duale  -ös  zurückftihrbar  auf  -aus  und 
-avas.  die  Verdichtung  ÖS  gleicht  dem  als  guna  des  U  ebenfalls 
aus  AU  hervorgegangnen  skr.  0  (s.  860).  Nicht  anders  wird  für 
das  goth.  -u  des  dl.,  -um  des  pl.  praet.  ein  früheres  -uvs  und  -ums 
gefordert  werden  dürfen. 

Den  ausgang  S  zeigen  auch  die  skr.  duale,  nicht  plurale:  bha- 
rävas  bharämas  ==  goth.  bairös  bairam ;  bharathas  bharatha  ==  bairats 
bairij).  die  lat.  pl.  haben  S  in  beiden  personen:  ferimus  fertis.  der 
sl.  und  litth.  aber  zeigt  den  vocalischen  auslaut  der  goth.  conjunctive, 
sl.  in  erster  person  -va,  in  zweiter  und  dritter  -ta;  litth.  in  erster 
-wa,  in  zweiter  -ta,  die  dritte  mangelt  und  wird  wie  im  goth.  durch 
den  pl.  vertreten,  zum  sl.  -ta  -ta  stimmt  gr.  -rov  -tov.  offenbar  968 
gereicht  sl.  neseva,  litth.  sukawa  dem  vermuteten  goth.  gibavas  für 
gibös  zur  bestätigung;  neseta  sukata  fügt  sich  zu  gibats,  das  früher 
auch  einmal  gibatas  gelautet  haben  kann*. 

Belege  für  die  goth.  duale  des  praet.  schöpfen  wir  zumal  aus 
den  anomalen  verbis,  deren  praet.  bedeutung  des  praes.  gewonnen 
hat;  Christus  sagt  Marc.  10,  38.  39  zu  Jacobus  und  Johannes:  hva 
vileits?  sie  antworten:  fragif  ugkis  ei  ains  af  taihsvön  peinai  jah 
ains  af  hleidumein  peinai  sitaiva.  ip  lösus  qaj),  ni  vituts  hvis  bid- 
jats,  magutsu  driggkan  stikl?  i|)  eis  q6J)un  :  magu.  statt  vileima  10, 
35  sollte  aber  stehn  vileiva.  Joh.  10,  30  heiszt  es:  ik  jah  atta  nieins 
ain  siju,  Joh.  17,  22  vit  ains  siju,  wo  der  text  mit  pluralformen  hat 
rj^iBig  ev  l6f.isv.  ia^av  ist  lat.  sumus,  goth.  sijum,  litth.  esme,  aber 
siju  entspricht  dem  litth.  eswa,  steht  also  für  sijuvs  oder  sijuvus, 
isijuvus,  skr.  asvas. 

*  das  altsl.  verbam  subst.  bildet  den  dualis  iesva  iesta  iesta  pl.  iesm'i 
ieste  sut',  fut.  budeva  budeta  budeta,  pl.  budem  budete  budut.  das  slov. 
praes.  hat  den  dl.  sva  sta  sta,  pl.  smo  ste  so;  fut.  dl.  bodeva  bodeta  bo- 
deta,  pl.  bodemo  bodete  bodejo  (oder  zusammengezogen  dl.  bova  bota  bota, 
pl.  bomo  böte  bojo).  altpolnisch  stand  ein  dl.  iesteswa  iestesta  iestesta  dem 
pl.  iestesmy  iestescie  sa  und  im  fut.  ein  dl.  b^dziewa  b^dzieta  b^dzieta  dem 

{)!.  b^dziemy  b^dziecie  b^d^  zur  seite,  heute  sind  aber  die  dualformen  er- 
oschen.    ähnliches  gilt  vom  altböhmischen. 


672  DUALIS 

Der  alid.  und  mhd.  Schriftsprache  scheinen  diese  dualformen 
völlig  zu  entgehn  und  schon  in  der  alten  Übersetzung  von  Matth. 
20,  22  liest  man:  ni  wizut  huaz  ir  bitit,  magut  ir  trincan  den  khelih? 
quätun  imo  :  magumös;  alles  im  pl.  ausgedrückt.  Die  glossae  cass. 
H,  18  haben  pergite  sindos.  wäre  pergamus  und  der  dual  gemeint, 
so  böte  sindos  ganz  die  erste  person  dar,  nach  gothischer  weise, 
sindöts  für  die  zweite  person  zu  ändern  wäre  gewagt,  aber  wenn 
diese  in  ahd.  spräche  bestand,  konnte  sie  nicht  anders  lauten. 
Wir  finden  nemlich  noch  heute  allgemein  in  bairischer  und  Ostreich. 
Volksprache  statt   der   zweiten  person  des  pluralis,    welcher   kein  -s 

969  gebührt,  die  formen  gebts  bringts  gehts  saufts  habts  thuts  seids  könnts 
soUts  u.  s.  w.  sowol  im  ind.  als  imperativ  verwendet,  in  solchem 
gebts  sehe  ich  gerade  zu  das  goth.  gibats,  und  wie  in  diesem  das 
TS  keiner  lautverschiebung  unterlag,  dauert  es  bis  auf  heute,  nur 
hat,  was  wir  hernach  durch  die  analogie  des  pronomens  bestätigt  sehn 
werden,  die  behauptete  dualform  sich  an  die  stelle  der  pluralen  ge- 
setzt; es  befremdet,  dasz  bei  dem  steirischen  Ottocar,  welcher  das 
dualpronomen  noch  kennt,  keine  spur  dieser  zweiten  person  auf  -ts 
erscheint,  aber  auch  keine  der  übrigen  deutschen  sprachen  weisz 
davon  das  geringste,  nirgend  zeigt  sich  in  der  volksprache  etwas  der 
ersten  person  des  goth.  dualis  (gibos  g6bu,  siju  v6su)  entsprechendes. 

Länger  zu  verweilen  haben  wir  bei  dem  nominalen  und  prono- 
minalen dualis. 

Im  skr.  gewähren  nom.  acc.  und  voc.  dl.  die  endung  -äu,  im 
vßdadialect  häufig  -ä  :  vrkäu  oder  vrkä  duo  lupi,  bhruväu  duae  pal- 
pebrae,  näväu  duae  riaves  gegenüber  den  nom.  pl,  vrkas  bhruvas 
nävas.  nicht  anders  bildet  das  adj.  durmanäs  =  gr.  dv6^EVi](^  den 
dl.  durmanasäu,  pl.  durmanasas.  feminina  auf  -ä  und  neutra  auf 
-am  geben  dem  dl.  -6  :  dharä  terrae,  dharß  duae  terrae;  dänam  donum, 
danß  duö  dona.  auf  gleiche  weise  dväu  duo,  dv6  duae,  dv6  duo; 
ubhäu  ambo,  ubh6  ambae,  ubh6  ambo  und  tau  t6  t6  =  gr.  ta  td  reo. 

Dem  skr.  -äu  entspricht  gr.  -co  :  Ivjcw  vaco  vrjöco,  dem  skr.  -6 
der  feminina  gr.  -a  :  %(ÖQa  n^cc,  die  neutra  behalten  -a  :  dcoQG) 
oiQoßdrco.  ebenso:  xaAaj  xalä  xaXco  und  ta  rd  ra.  dvo)  (und  all- 
mählich ovo)  d^cpco  gelten  für  alle  geschlechter. 

Die  sl.  duale  verleihen  dem  masc.  -a,  dem  fem.  -je,  dem  neutr. 
-a  :  vl"ka  kvnti)  (pl.  vl"tschi  Ivxoi);  rutschje  xstge;  slova  duo  verba. 
ebenso  die  adjectiva.  dva  dvje  dva  duo  duae  duo;  oba  obje  oba 
ambo  ambae  ambo. 

Litth.  dl.  masc.  -u,  fem.  -i  :  wilku  lv>ica,  ranki  ^jctpc,  geru  xaXa, 
geri  xccXd.  du  duo,  dwi  duae;  abbu  ambo,  abbi  ambae.  tu  tw, 
tie  td. 

Im  latein  haftet  die  letzte  spur  des  dualis  an  den  Wörtern  duo 

970  und  ambo,  welche  ihrem  begrif  nach  keinen  pl.  ertragen;  doch  ist 
fürs  fem.  und  alle  obliquen  casus  die  pluralflexion  eingedrungen: 
duae  ambae  u.  s.  w. 

Bei  den  Gothen  musz  die  nominale  dualform  noch  länger  aus- 


DUALIS  673 

gerottet  gewesen  sein,  da  in  den  entsprechenden  Wörtern  alle  drei 
geschlechter  auf  sie  verzichten:  tvai  tvös  tva,  bai  bös  ba  ist  rein 
plurale  flexion,  und  ebenso  im  artikel  J)ai  J)6s  J)ö  (für  |)a). 

Wie  wenn  im  neutrum  ahd.  zuei,  alts.  tu6,  ags.  tvä  ein  Überrest 
dualer  flexion  steckte?  denn  die  plurale  würde  ahd.  zuiu,  ags.  tu  for- 
dern, es  kommt  dazu,  dasz  auch  im  neutralen  artikel  ahd.  dei  neben 
diu  erscheint  und  ags.  sogar  nur  J)ft  für  alle  geschlechter,  da  nach 
maszgabe  der  adj.  die  pluralflexion  J)e  J)a  pe  fordern  würde,  auf  die- 
sem wege  liesze  sich  selbst  das  nhd.  zwei  für  alle  geschlechter 
rechtfertigen,  dem  ags.  tvä  tvä  für  fem.  und  neutr.  entspricht  auch 
bä  bä  für  ambae  ambo,  während  die  masculina  tv6gen  und  bögen 
bekommen.  Endlich  entfernen  sich  auch  die  genitive  ahd.  zueio,  ags. 
tv6ga  und  b6ga  von  der  erst  später  einreiszenden  pluralform  zueiero 
ags.  tvßgra  bßgra;  ja  in  diesem  casus  sticht  auffallend  das  goth. 
tvaddje  und  baddje  ab  von  der  adjectivischen  pluralflexion  iz6  J)iz6 
blindaiz6.  ich  habe  bei  andrer  gelegenheit  ausgeführt,  dasz  diese 
genitive  zueio  tv6ga  b6ga  gleichstehn  würden  den  substantivischen  eio 
und  goth.  addj6  ovorum.  Solches  alles  weiter  zu  verfolgen  gehört 
aber  in  die  lehre  vom  adjectivischen  Z  oder  R,  welches  Substantiven 
mangelt;  hier  reichte  hin  glaublich  gemacht  zu  haben,  dasz  das  EI 
in  dei  zuei  zueio  irgend  etwas  verrathe  von  erloschner  dualform. 

Nun  bleiben  noch  die  vielgestaltigen  duale  des  persönlichen  pro- 
nomens  darzulegen,  welche  zu  allerlängst  fortdauern. 

Im  skr.  stehn  sich  dl.  und  pl.  erster  und  zweiter  person  so  ge- 
genüber : 
dl. 


nom. 
gen. 
dat. 

äväm         pl.  vajam 
ävajös              asmäkam 
ävabhjäm        asmabhjam 

dl.  juväm 
juvajös 
juvabhjäm 

pl.  jüiam 
jusmäkam 
juimabhjam 

acc. 

äväm                asmän 

juväm 

ju^män 

allein  es  gelten  auch  gekürzte  formen  für  den  dl.  erster  person  näu,  971 
für  den   pl.   nas;   für  den   dl.   zweiter  person  väm,  für  den  pl.  vas, 
durch  alle  casus. 

Die  gr.  spräche  stellt  dem  nom.  acc.  dl.  vm\  gen.  dat.  vcö'Cv  den 
pl.  '^^£lg  r^^äg,  ij^äv  ^^tp,  in  zweiter  person  aber  öqpojf  öqpcalV  dem 
v^Eig  v^iag,  v^cöv  v^lv  zur  seite. 

Der  altsl.  dl.  erster  person  hat  im  nom.  acc.  na,  fem.  nje,  im 
gen.  najo,  dat.  nama;  zweiter  person  nom.  acc.  va  vje,  gen.  vajo,  dat. 
vama.  das  na  nje,  va  vje  folgt  ganz  der  analogie  von  dva  dvje.  der 
pl.  erster  person  lautet  nom.  m"i,  gen.  nas,  dat.  nam,  acc.  n"i,  zweiter 
person  aber  nom.  v"i,  gen.  vas,  dat.  vam,  acc.  v"i,  Irrthümlich  legt 
Dobrowsky  inst.  491  va  und  vje  der  ersten  person  bei,  da  doch  najo 
na,  wie  vajo  va  fordert,  auch  begegnen  sich  näu  vaC  und  na,  so  wie 
vam  6q)co'C  und  va. 

Die  lat.  plurale  nos  und  vos  gleichen  den  skr.  kürzungen  nas 
und  vas,  wie  den  sl.  gen.  nas  vas. 

Slovenisch  lautet  in  erster  person  der  dl.  nom.  ma  m6,  gen  naju, 
dat.  nama,  acc.  naju;  der  pl.  nom.  mi  mö,  gen.  nas,  dat.  nam,  acc. 

Grinini,  geschiclite  der  dentsehen  spräche.  43 


674  DUALIS 

nas.  in  zweiter  der  dl.  nom.  va  v^,  gen.  vaju,  dat.  vama,  acc.  vaju; 
der  pl.  nom.  vi  vö,  gen.  vas,  dat.  vam,  acc.  vas.  merkwürdig  ist  das 
M  in  ma  me,  welches  zu  dem  in  mi  stimmt,  statt  ma  mö  wird  aber 
häufig  midva,  fem.  medve  gefunden,  welches  sichtbar  aus  dem  pl.  mi 
mx6  und  dem  zahlwort  dva  dvd  zusammengefügt  ist;  ebenso  für  va 
v6  vidva  vedve*. 

Altpolnische  denkmäler  zeigen  wenigstens  noch  aus  der  dualform 
naiu  waiu  =  altsl.  najo  vajo.     altböhmische  nagu  wagu. 

Der  litth.  dl.  erster  person  muddu  fem.  mudwi  und  zweiter  per- 
son  judu  judwi  scheint   mit    der  zweizahl  du  und  dwi  zusammenge- 

972  setzt,  gen.  mumü  und  muma  dwejü,  jumü  und  juma  dwejü.  dat. 
mum  dwiem,  jum  dwiem.  der  pl.  lautet  mes,  musü,  mums,  mus, 
und  zweiter  person  jus,  jusü,  jums,  jus.  in  dritter  person  hat  der  dl. 
judu  jidwi,  gen.  jü,  dat.  jem  jom ;  der  pl,  nom.  jie  jos  gen.  jü,  dat. 
jems  joms. 

Diesen  litthauischen  formen  schlieszt  sich  zunächst  die  gothi- 
sche  an: 

dl.  nom.  vit  pl.  veis  dl.  jut  pl.  jus 

gen.  ugkara  unsara  igqara  izvara 

dat.  ugkis  unsis  igqis  izvis 

unbelegt  ist  der  einzige  nom.  dl.  zweiter  person,  aber  jut  folgt  aus 
dem  pl.  jus  und  der  analogie  des  litth.  judu. 

Die  ahd.  duale  müssen  blosz  gerathen  werden: 
nom.  wiz  pl.  wir  dl.  iz  pl.  Ir 

gen.  unchar  unsar  inchar  iuwar 

dat.  unch  uns  inch  iu 

acc.  unchih  unsih  inchih  iuwih 

da  sich  nichts  als  0.  III.  22,  32  unker  zweio  darbietet  und  daraus 
nur  unsicher  auf  'die  östlichen  dialecte  geschlossen  werden  darf.  0. 
IV.  31,  11.  12  selbst,  wo  man  wiz  erwartet  hätte,  steht  der  pl. 
wir;  nicht  anders  setzt  die  alte  Verdeutschung  von  Matth.  20,  22  ir 
kein  Iz.  die  accusative  unchih  und  inchih  nach  analogie  der  plurale 
bleiben  sehr  ungewis,  zumal  auch  die  ags.  form  unausgemacht  er- 
scheint. 

Ebenso  wenig  lassen  rein  mhd.  quellen,  wie  oft  dazu  anlasz  wäre, 
duale  blicken**,  nicht  einmal  Stricker,  Helbling  und  Suchenwirt,  ge- 
schweige Wolfram  und  Lichtenstein,   aber  einzelne  strenger  landschaft- 

973  liehe  denkmäler  und  Urkunden  aus  Baiern  oder  Ostreich  gewähren  den 
duaüs  der  zweiten,   nie   der  ersten   person.     der  nom.  lautet  ez,  der 


*  man  unterscheidet  auch  duale  dritter  person  nom.  ona  fem.  one  neutr. 
ona,  gen.  oneh,  dat.  oneroa  von  den  pluralen  oni  one  oni,  gen.  oneh,  dat.  onem. 
**  Wackernagel  Walth.  von  Klingen  9b  wagt  es  zweimal  ine  für  iu  zu  se- 
tzen, und  doch  geht  iuch  voraus  und  folgt  ir  unmittelbar.  Nib.  250,  1  ist  für 
iuch  beide  kein  it=iz  beide  zulässig,  da  iz  nur  dem  nom.  zustehn  könnte,  nicht 
dem  acc.  in  Rudolfs  weltchron.  cod.  guelferb  86''  liest  man:  David  sprach  ez 
müst  sein,  mich  sant  her  der  vater  mein,  daz  ich  enck  (den  beiden  brüdern) 
zezzen  praecht;  doch  dies  enk  rührt  sicher  vom  bairischen  abschreiber  her. 


DUALIS  .         675 

gen.  enclier,  der  dat.  acc.  euch  und  wiederum  das  possessivum  encher. 
gewöhnlich  gilt  auch  ir  und  ewer  ewch  daneben  und  einigemal  zeigt 
die  dualform  entschieden  duale  bedeutung,  oft  aber  weicht  sie  schon 
in  plurale  aus.  von  den  dichtem  kommen  zumal  Ottokar  und  der 
Teichner  in  betracht.  beispiele  aus  jenem  findet  man  cap.  450.  451, 
in  der  letzten  stelle  werden  ir  und  ew,  ez  und  enkch  untereinander 
angewandt,  der  Teichner  läszt  in  einem  gedieht  (Ls.  1,  638)  den 
engel  zu  Joachim  sagen:  du  solt  k6ren  haim  zu  diner  wirtin,  da  sult 
ez  ain  kint  gewinnen,  d.  i.  ihr  beide,  du  und  Anna;  doch  auf  der 
Seite  vorher  hiesz  es:  Joachim,  nu  g6  hin  wider,  von  üch  sol  komen 
ain  kindalln,  wo  enk  an  der  rechten  stelle  gewesen  wäre,  anderwärts 
(cod.  vind.  3010,  56*)  sagt  er  zu  den  frauen:  wenn  man  schawet 
in  enckhern  muet,  als  ir  redt  von  unser  tat,  ich  verst6n,  man  fund 
nicht  drät  under  euch  allen  ein  frawn  volkomen.  Ein  andrer  dichter 
des  14  jh.  (cod.  vind.  2269,  4**):  es  frawen  solt  dy  äugen  ab  im 
zuckchen;  9*  davon  sol  es  enk  nit  wesen  zorn.  Die  von  Keller  her- 
ausgegebne Verdeutschung  der  gesta  Rom.  in  lebendige  prosa  des  14  jh. 
gewährt  mehrere  belege:  s.  60  pei  dem  aide,  den  ez  mir  gesworn 
habt;  s.  106  ez  seit  (ihr  seid)  siben  maister,  ewr  jeglicher  mag  mich 
wol  fristen;  s.  156  sagt  der  kaiser  zu  seinen  dienern:  ich  wil  reiten 
die  gemainen  sträz,  und  weit  ez  dem  steig  nach  reiten,  daz  tut  ez. 
zumal  merkwürdig  stehn  s.  54  plural  und  dualformen  verbunden :  ir 
ritter  beleibt  ez  hie!  Urkunden  des  j.  1314  in  MB.  1,  234.  235: 
davon  wil  ich  und  gebewt  enk;  davon  wellen  und  gepieten  enk  allen, 
daz  ir.  In  einem  briefe  Martin  Pullers  vom  j.  1443  heiszt  es  am 
schlusz:  wer  aber,  dasz  öz  all  auf  ein  tag  nicht  komen  möcht,  so 
komt  dennoch  als  ös  ktirzlichist  mögt.  Ein  nachtheil  war,  dasz  im 
nom.  ez  der  dualis  zweiter  person  und  der  sg.  neutr.  dritter  zusam- 
menfiel, während  goth.  jut  von  ita,  wahrscheinlich  auch  noch  ahd.  Iz 
von  iz  oder  ez  geschieden  wäre. 

Den  festen  grund  dieser  dualformen  bewährt  aber  ihre  allgemeine  974 
fortdauer  unter  dem  volk  in  Ostreich  und  Baiern  *  bis  auf  heute  ganz 
für  den  begrif  des  pl.,  dessen  formen  sie  verdrängen,  der  nom.  lau- 
tet: es  ÖS  esz  isz,  aber  auch  ez  und  besonders  zu  merken  ist  die 
von  Schmeller  (mundarten  Baierns  s.  187)  aus  einigen  landstrichen  an- 
geführte form  tez  und  tlz,  bei  Höfer  dös  und  döz,  gen.  überall  enker 
enka,  dat.  acc.  enk,  zuweilen  enksz.  in  Ostreich  hört  man  auch  wei- 
cheres enger  und  eng,  im  Eipeldauer  jahrg.  1815  heft  2  s.  62  heiszt 
es  zum  beispiel :  freszts  nur  zue  aus  engern  kesseln  ös  wackern  män- 
ner,  laszts  eng  enger  fleisch  nur  schmecken,  vorign  jähr  warts  ös 
selber  in  der  sosz,  bisz  eng  wieder  draus  garbetet  habts.  man  sieht 
hier,  vom  verbalen  -ts  ist  das  ös  unabhängig,  wie  auch  beide  ver- 
schiednen  Ursprung  haben,  da  freszts  goth.  fraftats,  ös  goth.  jut  lau- 
tet, und  ich  kann  Schmeller   nicht  beipflichten,  der  sie  s.  190.  313 


*  schon  in  Jac.  Frevs  gartengesellschaft  1556  cap.  43.  56  wird  das  bai- 
rische  es  und  enk  als  cnaracteristisch  hervorgehoben. 

43* 


676  DUALIS 

gleich  stellt,  wenigstens  waren  sie  es  anfönglich  nicht,  spricht  das 
Volk  wirklich:  dents  wölltsz  (den  ihr  wollt)  dasztsz  künntsz  (dasz  ihr 
könnt);  so  scheint  das  vergröberung  aus:  dens  wöllts,  daszs  künnts. 
in  gebts  =  goth.  gibats  darf  man  freilich,  wie  in  allen  verbalflexionen, 
ein  suffigiertes  pronomen  wittern,  aber  es  musz  abweichen  von  ös 
=  jut,  wie  auch  ein  ahd.  kfe'pats  neben  iz  gemutmaszt  werden 
darf*. 

In  Niederhessen  bei  Cassel  gilt  ein  tä  oder  da  für  ihr,  z.  b.  da 
kenger  (ihr  kinder)  da  lite  (ihr  leute),  was  da  sagt  (was  ihr  sagt), 
verschieden  von  dem  unbetonten  de  des  artikels  (de  kenger  die  kin- 
der). ich  vergleiche  es  jenem  östr.  dös,  döz,  bair.  tisz,  das  wol  auch 
besser  disz  zu  schreiben  wäre,  und  sehe  darin  eine  alte  dualform,  der 
975  wir  hernach  im  altn.  J)it  begegnen  werden,  da  stände  dann  für 
das,  däsz  ?  weder  aus  hochd.  ir  noch  nd.  gi  läszt  sich  dies  da 
herleiten. 

Wir  schreiten  fort  zu  den  niederdeutschen,  besser  und  voller  be- 
wahrten dualformen.     Die  alts.  lauten: 

nom.   wit 

gen.    unker 

dat.     unk 

acc.  unk 
wit  wird  durch  Hei.  4,  24.  5,  2.  167,  16;  git  durch  4,  14.  17. 
34,  22.  109,  18  dargethan.  wärun  wit  nu  atsamna  5,  2  gilt  von 
Zacharias  und  Elisabeth;  so  sculun  git  firiho  barn  halon  te  incun 
handun  34,  22  von  Andreas  und  Petrus.  Gleich  entschieden  sind  die 
ags.  duale 

nom.  vit  pl.  ve 

gen.    uncer  user 

dat.    unc  us 

acc.    uncic?  usic 

nur  die   acc.   verursachen  bedenken. 

iuwih)  feststehn,  so  glaube  ich  ist  das  Caedm.  174,  19  vorkommende 
incit  verlesen  für  incic,  denn  im  acc.  kann  kaum  it  stehen,  oder 
liesze  sich  für  incit  das  bairische  enksz  anschlagen,  und  auch  ahd. 
unchiz  inchiz  vermuten?  nach  der  analogie  von  incic  incit  richtet 
sich  dann  uncic  uncit. 

In  den  friesischen  gesetzen  bietet  sich  keine  gelegenheit  zum 
dualis,  der  in  der  alten  spräche  sicher  vorhanden  war,  da  er  noch 
heute,  wie  sich  nachher  zeigen  wird,  fortdauert. 

Weder  die  mnd.  noch  mnl.  Schriftsprache  verrathen  eine  spur 
desselben;  wie  verhalten  sich  die  heutigen  mundarten?  unter  den  west- 
fälischen bietet  sich  im  herzogthum  Westfalen  und  der  grafschaft  Mark 
der  dual  zweiter  person,  nemlich  für  den  nom.  gätt  oder  iät,  entspre- 


>1.  wi 

dl. 

git 

pl-  gi 

user 

inker 

iuwer 

US 

ink 

iu 

US 

ink 

iu 

:.    5,    2. 

167, 

16;    git 

durch  4,    14 

dl.  git 

pl.  ge 

incer 

eover 

ine 

eov 

incic? 

eovic 

da  usic 

und  eovic  (ahd.  unsih 

*  die  schwäbische  und  schweizerische  volksprache  hat  keine  duale,  auch 
nicht  die  der  sette  comuni.  Stald.  dial.  s.  103.  104.  Schmeller  über  die 
sette  comuni  s.  670.  671.    [doch  bei  Pergine.  116.  117".] 


DUALIS  677 

chend  dem  alts.  git,  dessen  i  in  iä  gebrochen  erscheint;  der  gen.  lau- 
tet inker,  dat.  und  acc.  ink.  ich  zweifle  nicht  am  Vorhandensein  die- 
ser formen  auch  noch  in  andern  gegenden. 

Westfriesische  und  ostfriesische  duale  kennen  weder  Halbertsma  976 
noch  Ehrentraut  s.  .21;  desto  reichhaltiger  sind  die  nordfriesischen, 
auf  dem  festlande  waltet  die  nordfriesische  spräche  am  reinsten  in 
dem  Risummoor,  in  den  gemeinden  Eisum,  Lindholm,  Niebüll  und 
Detzbüll;  doch  ist  merkwürdig,  dasz  die  beiden  letzen  örter,  welche 
Risum  und  Lindholm  gerade  gegenüber  liegen  und  kaum  eine  viertel- 
meile  davon  entfernt  sind,  den  dualis  gar  nicht  kennen,  zu  Risum 
und  Lindholm  unterscheiden  die  sogenannten  Ostermoringer  dl.  und 
pl.  folgendermaszen : 

dl.  wat  pl.  we  dl.  jat  pl.  i 

unker  üser  Junker  jaringe 

unk  üs  junk  jam 

unk  üs  JTink  jam 

allein  noch  genauere  formen  gelten  auf  der  Insel  Silt*,  nemlich  auszer 
den  beiden  ersten  personen  auch  für  die  dritte: 

I  wat        pl.  wü        II  at         pl.  i        III  jat         pl.  ja 
unk  üs  junk  ju  jam  jam 

obgleich  mir  die  Verschiedenheit  von  at  und  jat,  wie  das  zusammen- 
fallende jam  des  dl.  und  pl.  einiges  bedenken  macht,  doch  sahen  wir 
vorhin  (s.  971)  auch  die  slovenische  und  litth.  spräche  duale  dritter 
person  für  drei  oder  zwei  geschlechter  bilden,  und  dasz  zumal  obli- 
que casus  des  dl.  und  pl.  einander  begegnen  ist  sehr  begreiflich. 

Aber  die  hauptsache  bleibt  der  in  Nordfriesland  noch  fortge- 
füblte  abstand  des  duals  vom  plural.  "^wat  san  hier  man  alliene'  wird 
einer  sagen,  der  sich  selbander  befindet,  der  zwei  lämmer  oder  rin- 
der  treibende  hirt  ruft  ihnen  zu  'wan  jat  gonge,  ik  wal  junk  noch 
stiöre'  wollt  ihr  gehn,  ich  will  euch  wol  lenken,  ein  knabe  sagte  zu 
seinen  beiden  apfelbäumen:  "^jat  drege  so  fole  aple,  ik  wal  junk  insen 
skudde,  dat  jats  falle  läite  ,  ihr  tragt  so  viel  äpfel,  ich  will  euch  ein- 
mal schütteln,  dasz  ihr  sie  fallen  laszt.  es  liegt  in  solchen  dualen 
etwas  kindliches  und  lebendiges. 

Die  altn.  duale  und  plurale  stehn  so  gegeneinander: 

dl.  vit  pl.  ver  dl.  it,  J)it  pl.  er,  J)er  977 

ockar  vär  yckar  ydar 

ockr  oss  yckr  ydr 

ockr  oss  yckr  ydr 

statt  vit  it  pflegt  man  zu  schreiben  vid  id  oder  nach  Rasks  lehre  vid 

id,  beides  ist  schlecht  und  der  analogie  des  goth.  ags.  vit  entgegen; 

auch  haben  vit  und  it  gute  handschriften.    aber  für  yckar  yckr  sollte 

gesetzt  werden  ickar  ickr  =  goth.  igqara  igqis.     die  nebenform  J)it 


*  J.  P.  Hansens  leselust  in  nordfriesischer  sj)rache.  zweite  ausg.  Son- 
derburg 1833  vorrede  XV.  XVI. 


pl.  vear 

dl.  tit 

dl.  tear 

vär 

tikkara 

tiara 

osun 

tikkun 

tiun 

OS 

tikkur 

tiur 

678  DUALIS 

mahnt  ans  bair.  dös,  niederhess.  da,   wenn  schon  letzteres  auch  aus 
dem  pluralen  J)er  ableitbar  wäre. 

Die  färöischen  formen  sind : 
dl.  Vit 
okkara 
okkun 
okkur 

hier  ist  das  T  in  der  zweiten  person  aus  dem  nom.  auch  in  die  obli- 
quen casus  eingetreten. 

Aus  norwegischer  volksmundart  gibt  Hallager  vorr.  s.  XII  blosz 
die  obliquen  casus  in  erster  person  aakons  aakon,  in  zweiter  dokkers 
und  dekan  an;  ohne  zweifei  gelten  auch  die  nominative. 

In  einzelnen  schwedischen  landschaften  werden  noch  spuren  der 
dualform  sein,  Ihre  unter  wi  führt  wit  aus  Westbotnien  an,  Almqvists 
spräklära  s,  252,  261  vid  und  vir,  id  und  ir  aus  Dalarne,  der  form 
nach  offenbar  unterschiedne  duale  und  plurale;  s.  286  aus  lemtland 
da  und  däken  oder  ecken  =  it,  yckr.  Säves  abhandlung  des  goth- 
ländischen  dialects  in  Molbechs  tidsskrift  bd.  4  gedenkt  s.  235  kei- 
ner duale. 

Schon  gramm.  4,  294  und  oben  s.  654  wurde  angemerkt,  dasz 
die  ags.  und  altn.  spräche  beim  dualis  nur  einen  eigennamen  aus- 
drücken und  den  des  redenden  oder  angeredeten  als  bekannt  voraus- 
setzen, vit  Scilling  heiszt  ich  und  Schilling;  uncer  Grendles  mein 
und  Grendels;  säto  vit  Völundr,  saszen  ich  und  V.  so  könnte  oben 
978s.  973  bei  Teichner  gesagt  sein:  ez  Anna,  du  und  Anna,  doch  weisz 
ich  keinen  beleg;  aber  nordfries.  steht  bei  Hansen  s.  161  wat  en 
Kornelis  für  ich  und  K.,  s.  175  wat  en  Ellen,  ich  und  Ellen,  s.  173 
jat  en  Booi,  s.  174  jat  en  Ellen,  nur  dasz  der  ags.  und  altn.  aus- 
druck  durch  weglassung  des   und  schöner  und  gedrängter  wird. 

Ihrem  begrif  nach  berühren  sich  mit  dem  dualis  die  pronomina 
weder  und  jeder,  das  goth.  hvaj)ar,  ahd.  huSdar,  mhd,  wßder  ==  lat. 
uter,  gr.  tcotbqos  f.  xotsqos  erfragt  einen  von  zweien,  das  ahd. 
nihugdar  mhd.  enwSder,  l^t.  neuter  leugnet  beide,  ahd.  eogahufe'dar, 
mhd.  ie weder,   nhd.  jeder,  lat.  uterque  gesteht  beide  zu. 

Da  unserm  adjectiv  und,  auszer  dem  persönlichen,  dem  übrigen 
pronomen  die  dualform  mangelt,  so  verdient  hier  erwogen  zu  werden, 
dasz  unsere  syntax  mit  zwei  subjecten  verschiednes  geschlechts  das 
adj.  im  pl.  neutr.  verbindet  (gramm.  4,  279)^  wenn  nun  ba  framaldra 
vßsun  Luc.  1,  7  ä^cpÖTBQOi  ngoßsßijxores  i^6av  überträgt,  so  könnte 
dafür  in  älterem  griechisch  gestanden  haben  a^cpa  TtQoßsßrjyiözB  yn^v. 
mag  der  mhd.  unterschied  zwischen  beide  und  beidiu,  zwischen  zwöne 
zwo  zwei  noch  so  willkommen  sein,  die  gr.  ccfiqpw  und  övco  lassen 
auch  eine  uralte  deutsche,  auf  alle  geschlechter  gehende  dualform 
ahnen. 

Hält  man  die  nominale  und  verbale  flexion  der  duale  zu  einan- 
der, so  können  sie  offenbar  nicht  auf  dieselbe  weise  genommen  wer- 
den,    das  T  in  vit  jut  scheint  aus  dem  anlaut  der  zweizahl  zu  ent- 


DUALIS  679 

springen,  wie  das  litth.  judu  nachweist;  vi-  und  ju-  bekennen  aber 
den  stamm  der  plurale  veis  und  jus.  ist  gibös  aus  gibavas,  so  mag 
das  -vas  freilich  mit  veis  und  vit  sich  berühren,  doch  das  -ts  in  gibats 
kann  mit  dem  lingualanlaut  der  zweizahl  wieder  nichts  gemein  haben. 

Allein  das  skr.  -ävas  im  verbum  läszt  sich,  wie  mir  scheint,  dem 
-äu,  gr.  -Ol  im  nomen  vergleichen,  zumal  der  gr.  vocal  dieselbe  Ver- 
engung darbietet,  die  wir  in  gibös  gewahrten.  Bopp  s.  237  sieht  in 
äu  eine  Verstärkung  des  pluralen  -äs  und  deutet  u  aus  vocalisiertem  s. 

Auch  äväm  und  vajam  gehören  zu  vit  veis,  wie  juväm  und  jüjam  979 
zu  jut  jus,  wiewol  die  skr.  duale  keine  zweizahl  anhängen. 

Dobrowsky  s.  491  gerieth  auf  falsche  fährte,  als  er  das  va  des 
pronomens  zweiter  person  der  ersten  beilegte,  weil  im  verbum  die 
erste  person  -va  endige,  denn  dasz  va  vas  vam  den  pronomen  zweiter 
person  eigen  sind  lehrt  die  analogie  des  lat.  vos,  wahrscheinlich  aber 
fehlt  dem  sl.  va  und  lat.  vos  im  anlaut  die  silbe  ju,  d.  h.  sie  stehn 
für  juva  juvos,  wodurch  sie  dem  skr.  juväm,  goth.  jut  näher  rückten. 

Der  beiden  personen  des  dl.  im  obliquen  casus  zuständige  kehl- 
laut  scheint  ursprünglich  nur  dem  acc.  gebührend  (vgl.  mih  dih  sih 
unsih  iuwih),  hernach  in  den  gen.  und  dat.  vorgedrungen,  so  wie  ich 
das  -s  von  unsis  izvis  ugkis  unsis  für  dativisch  nehme  und  dem  mis 
^us  sis  vergleiche,  in  unsis  wäre  das  S  zweimal,  im  ags.  uncic  incic, 
wenn  diese  formen  richtig  sind,  das  C  zweimal  ausgedrückt. 

Wol  zu  beachten  ist  die  Übereinkunft  der  litth.  und  goth.  judu 
jut,  insgemein  aber  das  lange  behaj-ren  der  pronominalduale  in  den 
entlegensten  volksmundarten,  nachdem  ihnen  die  Schriftsprache  schon 
früh  entsagt  hat. 

Der  keltischen  spräche  gebricht  zwar  alle  dualform,  aber  einige 
ihi'er  zweige,  zumal  der  welsche  und  armorische,  pflegen  bei  gliedern 
des  leibs,  die  als  zwei  gedacht  werden  müssen,  jedesmal  dem  pluralis 
die  zweizahl  vorzusetzen:  ann  daou  lagad  die  zwei  äugen,  ann  diou 
skouarn  die  zwei  obren,  auch  wenn  kein  nachdruck  auf  der  zahl 
liegt.    [Zeusz  s.  302.] 

Die  finnische  spräche  enträth  des  dualis  überall,  die  lappische 
besitzt  ihn  nicht  im  nomen,  aber  im  pronomen  und  verbum.  der 
uns  fern  liegenden  grönländischen,  die  an  flexionen  überflieszt,  ist  er 
allenthalben,  im  nomen  und  verbum  zuständig,  welches  ich  darum 
bemerke,  weil  sein  allgemeines  kennzeichen  K  an  jenes  K  unsrer 
obliquen  casus  des  pronomens  gemahnt:  uanga  ich,  bildet  den  dl. 
uaguk,  pl.  uagut,  iblit  du,  den  dl.  illiptik,  pl.  illipse.  ebenso  nuna 
land,  dl.  nunäk,  pl.  nunät;  iglo  haus,  dl.  igluk,  pl.  iglut. 


XL. 
RECHT  UND  LINK. 


980  Für  die  geschichte  der  spräche  stehn  noch  reiche  ergebnisse 
bevor,  wenn  sie  allmählich,  auszer  den  lauten,  ableitungen  und  fiexio- 
nen,  über  die  ganze  fülle  sinnlicher  Vorstellungen  den  wortvorrath  aller 
urverwandten  sprachen  befragen  und  erforschen  wird.  Dann  musz 
sich  auf  manigfalter  stufe  darthun,  wo  die  einzelnen  sprachen  einan- 
der suchen  oder  fliehen  und  eine  viel  gröszere  Sicherheit  des  ver- 
gleichens  entspringen  als  sie  bisher  gewonnen  werden  konnte,  ich  erlese 
mir  hier  beispielsweise  einen  begrif,  dessen  ausgemacht  sinnlicher  Ur- 
sprung auf  das  natürlichste  den  übertritt  in  die  abstraction  anbietet. 

Die  Vorstellung  des  rechten  und  linken  geht  von  der  gestalt  des 
menschen  und  von  deren  Verhältnis  zu  dem  ihn  umgebenden  räum 
aus.  den  ersten  gegensatz  bieten  die  beiden  bände  dar:  was  zur 
starken,  schwertführenden  band  liegt  heiszt  das  rechte,  was  zur 
andern  das  linke. 

Am  himmel  gibt  auf  und  niedergang  der  sonne  den  osten  und 
Westen  an,  die  von  Süden  und  norden  d.  i.  mittag  und  nacht  durch- 
schnitten sind,  soll  auf  diese  richtungen  der  begrif  des  rechten  und 
linken  angewandt  werden,  so  musz  man  einen  festen  standpunct 
nehmen. 

Das   alterthum  fand  ihn  in  der  kehrung  gegen  osten.     wie  der 

981  tag  mit  dem  morgen  beginnt,  wendet  der  vom  schlaf  erwachende 
mensch  sein  antlitz  gegen  die  sonne  und  betet:  was  hinter  ihm  liegt 
ist  Westen,  was  zu  seiner  rechten  süden,  was  zu  seiner  linken  norden, 
diese  Stellung  ist  dem  uraufenthalt  der  menschheit  angemessen  und 
darum  drückt  das  hebr.  jamin  zugleich  recht  und  südlich,  smaul  smol 
link  und  nördlich  aus.  nicht  anders  bedeutet  das  skr.  daki^ina  auszer 
dexter  auch  meridionalis  (Bopps  gloss.  162^).  merkwürdig  begegnet 
man  derselben  Vorstellung  wieder  bei  den  keltischen  Völkern,  den 
Iren  und  Galen  bezeichnet  deas  dexter  und  australis,  tuaidh  sinister 
und  septentrionalis ;  den  Welschen  deheuol  recht  und  südlich,  chwith 
link  und  nördlich,  cledd  the  left  und  north. 


RECHT  UND  LINK  681 

Hierbei  ist  nun  weiter  zu  beachten,  dasz  das  alterthum  die  Woh- 
nung der  götter  nach  norden  setzte,  in  dieser  hiramelsgegend  lag 
der  indische  götterberg  Meru  wie  das  römische  domicilium  Jovis  (Ser- 
vius  zu  Aen.  2,  693).  zufolge  Varro  war  die  'deorum  sedes'  aus- 
drücklich im  norden,  die  gegend  über  den  Boreas  hinaus  dachten 
sich  die  Griechen  als  eine  selige  und  als  die  heimat  gottgeliebter 
menschen,  auch  unsern  vorfahren  müssen  die  götter  im  norden  ge- 
wohnt haben*,  denn  man  betete  gen  norden  gewandt  (horfa,  Tita  i  nordr,  982 
mythol.  s,  30),  aus  welchem  grund  nachher  die  gen  osten  schauenden 
Christen  einen  nördlichen  sitz  des  teufeis  annahmen  (mythol.  s.  293)**. 

Die  göttliche  seite  des  himmels  galt  aber  nothwendig  für  die 
heilvolle,  günstige,  blitz  und  donner,  vögelflug  und  thierangang  auf 
der  seite  der  götter  war  ein  zeichen  ihrer  gnade,  auf  der  entgegen- 
stehenden ihres  zorns.  denn  blitze,  vögel  und  thiere  wurden  von  den 
göttern  entsandt.  Hieraus  folgt  also,  dasz  dem  hohen  alterthum  die 
linke  seite  als  die  heilbringende  erscheinen  muste.  sehr  merkwürdig 
ist  des  Plinius  meidung  28,  2  :  in  adorando  dexteram  ad  osculum  refe- 
rimus  totumque  coi'pus  circumagimus,  quod  in  laevum  fecisse  Galli  re- 
ligiosius  credunt.  diebetenden  Gallier  kehrten  sich  links,  d.h.  nordwärts. 

Ebenso  schaute  der  römische  augur  gegen  osten  und  bestimmte 
die  rechte  seite  gegen  Süden,  die  linke  gegen  norden:  augur,  deos 
precatus  regiones  ab  Oriente  ad  occasum  determinavit ;  dextras  ad 
meridiem  partes,  laevas  ad  septentrionem  esse  dixit.  Livius  1,  18; 
und  Juba  bei  Plutarch  quaest.  roman.  78  den  römischen  brauch  er- 
läuternd: trorg  TiQOS  rag  avaroXas  aTtoßkenovöLV  Iv  äQLötSQCc  yivBtUi 
xo  ßÖQBLov,  o  drj  Tou  xoöfiov  di^iov  BViOL  tLxtevTat  y,a\  xa&vjieQtSQOV. 
Festus  s.  V.  sinistrae  aves  sinistrumque  est  sinistimum  auspicium  i. 
quod  sinat  fieri.  .  .  .  sinistra  meliora  auspicia  quam  dextera  esse  exi- 
stimantur.     Servius  ad  Aen.  2,  693:   sinistras  partes  septentrionales 


*  erklärt  sich  daraus,  dasz  im  altbairischen  recht  die  grenze  eines  noch 
uneingefriedigten  hofs  gegen  mittag  morgen  und  abend  durch  beilwurf, 
gegen  mitternacht  aber  durch  schattenfall  bestimmt  wurde  ?  si  autem  cur- 
tis  adhuc  cinctus  non  fuerit,  jactet  securem  saiga  valentem  contra  meri- 
diem, orientem  atque  occidentem;  a  septentrione  vero  ut  umbra  pertingit, 
amplius  non  ponat  sepem.  [schweiz.  schattenhalb.]  nach  den  andern  drei 
himmelsseiten  durfte  der  erwerber  das  bell  auswerfen  und  so  weit  es  fuhr 
sich  aneignen;  nach  norden  hin  entschied  aber  der  schattenfall  (von  sei- 
nem hause  oder  bäume  her?  vgl.  RA.  s.  105  'als  der  schemm  sich  er- 
strecket'), es  musz  für  frevelhaft  gegolten  haben  gegen  die  heilige  seite 
zu  werfen.  In  langobardischen  Urkunden  bei  Fumagalli  findet  sich  die 
grenze  da  mane,  da  meridie,  da  sera  ausgedrückt,  die  nordseite  aber  be- 
nannt 'a  nulla  ora',  gleichsam  war  sie  unbegrenzt.  Vielleicht  heiszt  den 
Jütländern  in  diesem  sinn  der  norden  schwarz:  'swott  nuoren',  die  unbe- 
grenzte dunkle  seite,  vgl.  Peter  Foersom  ora  sandinger  of  danske  land- 
skabsord  hos  den  jydske  almue  i  Ribeegnen.  Kiöbenh.  1820  s.  11.  12.  24. 
Auch  der  Este  scheut  die  nordseite  (abergl.  n»  43). 

**  Vorauer  hs.  94,  16  von  Lucifer:  chot,  wolti  sizzin  nordin:  die  dem 
teufel  absagenden  musten  sich  nordwärts  kehren,  in  einer  predigt  bei 
Leyser  135,  34  heiszt  'zu  den  genädin  oder  ungenädin'  ad  austrum  und 
ad  aquilonem. 


682  RECHT  UND  LINK 

esse  disciplina  augurum  consensit,  et  ideo  ex  ipsa  parte  significantiora 
esse  fulmina,  quoniam  altiora  et  viciniora  domicilio  Jovis.  Günstiger 
vogelangang  war  der  von  der  linken  seite:  sinistra  monet  cornix. 
Virg,  ecl.  9,  15;  non  temer e  est,  quod  corvus  cantat  mihi  nunc  ab 
9831aeva  manu.  Plaut.  Aulul.  IV.  3,  1.  impetritum,  inauguratum  'st: 
quovis  admittunt  aves.  picus  et  cornix  est  ab  laeva,  corvus  porro 
ab  dextera.     Plaut.  Asin.  II.  1,   12. 

Cicero  aber  nimmt  des  Unterschieds  wahr  zwischen  römischem 
und  griechischem  brauch,  de  divinatione  2,  39 :  quae  autem  est  inter 
augures  conveniens  et  conjuncta  constantia?  ad  nostri  augurii  con- 
suetudinem  dixit  Ennius, 

quum  tonuit  laevum  bene  tempestate  serena. 
at  homericus  Ulixes  aqud  Achillem  querens  de  ferocitate  Trojanorum, 
nescio  quid,  hoc  modo  nuntiat: 

prospera  luppiter  bis  dextris  fulgoribus  edit. 
ita  nobis  sinistra  videntur,  Grajis  et  barbaris  dextra  meliora.    quam- 
quam  haud  ignoro,  quae  bona  sint  sinistra  nos  dicere,  etiam  si  dex- 
tra sint. 

Die  gemeinte  stelle  ist  aus  II.  9,  236 

Zsvg  ÖS  ag)i  Kqoviötjq  ivSsS,ia  orjßaxa,  (paivwv 

aorgäniEi. 

wie  es  auch  IL  2,  353  heiszt: 

aaxQänxojv  incöe^^,  ivalGt/ia  ai^/iara  (paivwv. 
vgl.  8&i,iov  zJibi  tsgag  Eurip.  Phoen.  1189  und  magfiog  i%  tüv  ds- 
|io5r.  der  ös^iog  OQVtg  weissagt  heil  Od.  15,  160.  525,  hingegen 
der  aptörfpog  oQVtg  unheil.  Od.  20,  242.  Didymus  ap.  schol.  Ari- 
stoph.  av.  704:  ri  öitti]  kol  sl'  n  rotovtov  oqveov  öe^lo.  Jigög  spco- 
tccg  cpaivitm.  sya  ^sv,  dt  ylBvxiTcns,  dsBir}  ökrrj.  den  Griechen 
waren  folglich  die  ßoQSia  auch  ös^lcc,  den  Römern  aber  die  septen- 
trionalia  sinistra. 

Wie  nun  die  umdrehung  erklären?  mir  scheint  es  die  Griechen 
und  alle  andern  mit  ihnen  hierin  übereinstimmenden  Völker,  in  der 
Wanderung  gegen  westen  begriffen,  musten  sich  gewöhnen  den  blick 
nach  abend  statt  nach  morgen  zu  richten,  und  der  heilbringende 
norden  trat  für  sie  zur  rechten  seite,  während  er  früher  zur  linken 
gestanden  hatte*,     ihre  alten  hofnungen  lagen  ihnen  jetzt  im  rücken 

*  man  pflegt  den  unterschied  zwischen  Griechen  und  Römern  anders 
aufzufassen.  Entweder  läszt  man  den  gr.  vogelechauer  gegen  mitternacht, 
den  römischen  gegen  mittag  blicken,  so  dasz  jenem  die  glücklichen  vögel 
rechts  von  osten,  die  unglücklichen  links  von  westen  fliegen,  diesem  aber 
die  glücklichen  links  von  osten,  die  unglücklichen  rechts  von  westen.  aber 
das  schauen  des  röm.  augurs  gegen  morgen  erhellt  aus  Livius  und  Plu- 
tarch,  welchem  gemäsz,  da  sich  beiden  Völkern  rechts  und  links  umdreht, 
der  griechische  gen  abend  gerichtet  sein  musz,  wie  sich  auch  sonst  aus 
der  Identität  zwischen  recht  und  nördlich  ergibt.  IL  12,  239.  240  geht 
freilich  der  rechte  flug  nach  osten,  der  linke  nach  westen;  das  scheint  aber 
von  norden  ostwärts,  von  Süden  westwärts.  Oder  man  nimmt  an,  der  Grieche 
habe  nach  sich,  der  Römer  nach  den  göttern  gerechnet,  für  die  rechts  sei, 


RECHT  UND  LINK  683 

und    sie    strebten   vorwärts   gegen    westen.      Die  früher   angezognen  984 
Römer  und  bis   ans   äuszerste  ende  des  welttheils  gelangten  Kelten 
hatten  den  alten  brauch  entweder  beibehalten  oder  im  neuen,  festen 
Wohnsitz  wieder  angenommen. 

Lege  man  aus  wie  man  wolle,  worauf  es  mir  ankommt  ist,  dasz 
gleich  den  Griechen  auch  die  barbaren  die  rechte  seite  für  die  glück- 
hafte hielten;  an  welche  Völker  Cicero  dabei  dachte  ist  uns  freilich 
verborgen.  Unser  einheimisches  alterthum  gewährt  folgende  Zeug- 
nisse, bei  Burcard  von  Worms  (um  1025)  heiszt  es  p.  19S'^:  credi- 
disti  quod  quidam  credere  solent,  dum  iter  aliquod  faciunt,  si  corni- 
cula  ex  sinistra  eorum  in  dexteram  (das  homerische  ml  de^id)  illis 
cantaverit,  inde  se  sperant  habere  prosperum  iter.  bei  Petrus  ble- 
sensis  ep.  65  (f  um  1200):  de  jocundo  gloriantur  hospitio,  si  a  sinistra 
in  dextram  avis  sancti  Martini  volaverit.  dies  ist  weder  keltisch  985 
noch  römisch,  sondern  deutsch  und  uralter  thiersage  gemäsz.  dem 
Tibert  begegnet  l'oisel  saint  Martin,  assez  si  le  hucha  ä  destre,  et 
li  oisiax  vint  ä  senestre.  Ren.  10473,  er  wollte  ihn  rechts  locken, 
aber  das  vöglein  flog  links  in  übler  Vorbedeutung,  dasselbe  wird 
Reinaert  1051  — 1054  erzählt,  und  musz  tief  in  der  fabel  gegründet 
sein,     auch  im  Cid  heiszt  es  gleich  eingangs: 

a  la  exida  de  Vivar  ovieron  la  corneja  diestra, 
e  entrando  a  Burgos  ovieron  la  siniestra, 

das  erste  Vorzeichen  war  günstig,  das  andere  unheilvoll.  Olaf  Trygg- 
vason  beachtete,  ob  die  krähe  auf  ihrem  rechten  oder  linken  fusz  stand, 
und  weissagte  sich  daraus  gutes  oder  böses.  Auch  Hartlieb  (mythol. 
s.  1083)  erklärt  das  fliegen  zur  rechten  hand  für  glücklich,  das  zur 
linken  für  unglücklich,  der  adler  müsse  dem  reisenden  taschenhalb 
fliegen,  d.  i.  wieder  zur  rechten,  vgl.  ecbasis  335  von  einem  hirten: 
capsidile  suo  gestabat  in  inguine  dextro;  'in  die  taschen  mähen'  sagt 
man  in  Baiern,  wenn  der  immer  von  der  rechten  zur  linken  mähende 
mäher  sich  umkehrt  und  in  entgegengesetzter  richtung  zurück  mäht 
(Schm.  1,  459).*  Der  gemeine  mann  in  Baiern  und  der  Schweiz 
denkt  sich  Süden  voran,  norden  hinten  (Schm.  2,  704.  Stald.  dial. 
234);  der  Oberpfälzer  setzt  zur  betheurung  stral,  blitz  immer  noch 
'hintane'!   (Schm.  2,  217),  womit  ausgedrückt  wird,  dasz  der  blitz- 


•was  für  die  menschen  links,  saszen  nun  die  götter  im  norden,  so  wäre 
ihnen  der  westen  rechts,  der  osten  links  gewesen  (womit  Varro  bei  Festus 
s.  V.  sinistrae  aves  stimmt)  und  die  menschen  hätten  den  standpunct  von 
Süden  gegen  norden  zu  nehmen,  vgl.  Niebuhrs  röm.  gesch.  2,  701.  702. 
Hermanns  gottesd.  alt.  s.  185.  0.  Müllers  Etrusker  2,  128.  129.  diesen  bei- 
den deutungen  gemäsz  wären  die  östlichen  vögel  die  heilbringenden,  nach 
meiner  die  nördlichen.  Merkwürdig  ist,  dasz  gleich  den  Griechen  und  Ger- 
manen auch  die  Aegypter  den  standpunct  von  osten  aus_ nahmen:  Aiyvn- 
Tcoi  yaQ  oi'oyxfxi^  xa  fjisv  kiSa  tov  xöoyiov  ngöacanov  slvcct,  ra  Sh  TiQog 
ßo^QÜv  öe^iä,  rä  öh  rcgbq  vorov  agiaxegä.    Plut.  de  Eside  32. 

*  auch  auf  der  insel  Gothland  gilt  eine  benennung  der  rechten  seite 
nach  dem  mähen:  hafdum,  den  högra  sidan,  der  man  vid  slätter  hugger  in 
medlian;  den  motsatta  kallas  äutränningi  (iitrenningi).  Almqvists.  427''. 


6g4  RECHT  UND  LINK 

stral  von  hintenher,  also  von  nordwärts  fahren  solle,  das  heilige, 
günstige  zeichen,  wie  jenes  öe^lov  z/tog  tegag.  dies  norden  im.  hin- 
tergrund  würde  ganz  zur  griechischen  ansieht  stimmen,  dasz  westen 
rechts,  osten  links  gedacht  werden  müsse*. 

986  Aus  dem  slavischen   und   litthauischen   Volksglauben  läszt  sich 

gewis  manches  zur  bestätigung  anführen,  was  ich  nur  nicht  kenne. 
Wenn  bei  den  Liefländern  das  geschlachtete  opferthier  auf  die  linke 
Seite  fiel,  war  es  zeichen  des  zorns  der  götter  und  bedeutete  unheil. 
So  viel  von  anwendung  der  Vorstellung  recht  und  link  auf  die 
himmelsgegenden ;  ich  will  nun  die  manigfachen  ausdrücke  unsrer 
sprachen  erwägen,  in  denen  für  das  rechte  herscht  unter  allen  ur- 
verwandten Völkern  grosze  einstimmung,  für  das  linke  desto  gröszere 
Verschiedenheit,  überall  aber  ist  der  trieb  wahrzunehmen,  compara- 
tive  und  Superlative  formen  zu  entfalten,  wieder  als  positive  zu  setzen 
und  von  neuem  zu  steigern. 

Skr.  dakäa,  dak^ina,  gr.  dshog,  ÖB^itSQog,  lat.  dexter,  dexterior, 
dextimus,  sl.  des'n",  serb.  desni,  litth.  deszinis  (aus  deszin^  zu  fol- 
gern), ir.  gal.  deas,  welsch  de  und  dehevol,  armor.  dehou.  ein  goth. 
taihsvs  zu  entnehmen  aus  'in  taihsvai'  Marc.  16,  5.  Col.  3,  2,  vom 
weiblichen  nom.  taihsva;  gewöhnlich  schwach  masc.  taihsva,  ahd.  ze- 
sawo,  mhd.  zfisewe  zfe'swe  und  zfe'sme  (ahd.  zesamo,  goth.  taihsuma?), 
doch  auch  starkformig  '"diu  zeswiu  hant'  frauend.  487,  16.  "^min  zSswiu 
haut'  das.  27,  17.  ags.  nur  ein  einzigmal  'on  teso'  Ctedm.  232,  4. 
wiederum  stark  und  zu  nehmen  wie  bearo  bearves,  scado  scadves. 
Gewöhnlich  steht  für  die  rechte  band  das  blosze  adj.  gr.  Ö£|ta,  ds^i- 
tsga,  lat.  dextera,  litth.  deszinS,  ir.  gal.  deas,  goth.  taihsvö  gen.  -6ns, 
ahd.  z6sawä,  mhd.  zSsewe.  welsch  sagt  man  deheulaw  (von  llaw, 
ir.  lamh  manus).  in  der  alts.  nl.  fries.  und  nord.  mundart  ist  dies 
wort  nicht  zu  spüren,  wie  es  auch  nhd.  ausstarb,  doch  musz  es  die 
fränkische  besessen  haben,  denn  aus  ihr  scheint  das  franz.  toise, 
mlat,  tesia  übrig,  was  ein  masz  wie  dextrus  ausdrückt**,  der  it. 
spräche  verbleibt  destro  und  destra,  der  span.  diestro  diestra,  das 
altfranz.  destres  destre  ist  erloschen  gleich  dem  sl.  des'n",   nur  des- 

987nitza  boshija  bleibt  den  Russen  für  gottes  band.  Da  de^iog  dexter 
deas  zugleich  fein,  gewandt***  ausdrücken,  so  könnte  ungewis  blei- 
ben, ob  sie  von  der  Vorstellung  des  sinnlichen  rechten  oder  diese  von 
jenen  abzuleiten  seien?  mir  scheint  immer  noch  taihsvö  der  wurzel 
teihan  nuntiare  angehörig,  weil  sie  weist  und  zeigt;  ist  das  S  ein- 
geschaltet wie  in  veihs  vicus,  wie  in  fuhs  neben  foha?  oder  super- 
lativischer art,  wie  dexter  =  decister  ?  welchem  oben  s.  593  tiJstar 
aus  Tßstarbant  verglichen  wurde,   genau  musz  aber  taihsvö  geschrie- 


*  heiszt  es  in  einer  predigt  bei  Griesh.  2,  116.  117:  ze  den  gerehton 
absiton  i.  ad  austrum,  ze  der  linggon  absiton  i.  ad  aquilonem,  so  scheint 
das  unklare,  gelehrte  deutung. 

**  über  tesia  und  dextrus  nachzusehn  Guörards  prolegomena  zu  den 
cartulaires  de  France  tom.  1.  p.  CLXXIII. 
***  behend,  was  aus  dem  adv.  be  hende,  bei  der  band,  entsprungen  ist. 


RECHT  UND  LINK  685 

ben  werden  mit  al  nach  dem  pl.  praet.  taihum,  wie  das  fe"  der  übri- 
gen sprachen  zeigt. 

Der  übliche  alts.  und  ags.  ausdruck  für  die  rechte  hand  und 
Seite  ist  sulthora  und  svidre,  d.  h.  fortior,  citior,  der  stärkere,  ge- 
schwindere, raschere,  sollte  man  auch  suiftora  gesagt  haben?  vgl. 
s.  594. 

Die  alts.  psalmen  59,  7.  62,  9.  72,  24  und  Wiggerts  brachst. 
90,  19  bieten  forthora,  vorthere  =  dextera,  die  vordere,  vorangehende 
(ganz  im  gegensatz  zu  jenem  bairischen  vornen  für  süd  und  hinten 
für  nord,  wenn  man  darin  links  und  rechts  sehen  darf),  hierzu  stimmt 
vordere  hand  in  Ssp.  1,  18.  2,  12.  15.  Gosl.  stat.  78,  30  und  das 
friesische  ferre  hond  =  prior,  potior,  dextera  (Richthof.  734^). 

Altn.  hoegri  hönd,  hendi  hinni  hoegri  Saem.  P,  schwed.  högra 
banden,  dän.  höire  haanden,  von  hcegr  dexter,  commodus,  behaglich, 
welchen  ein  ahd.  huogi,  ags.  hege  entsprechen  würde,  ebenso  altn. 
hcergrameginn  ad  dextrum  latus. 

Mhd.  diu  bezzer  hant  MSH.  3,  225*  manus  potior  =  dextera, 
wie  man  nhd.  zu  kindern  sagen  hört:  gib  die  schöne  hand*.  ost- 
fries.  de  säum  hann.  Ehrentraut  1,  100.  schwed.  vackra  banden,  die 
wackere,  rechte  hand.  Almqvist  s.  335.  468.  Den  Letten  heiszt  die 
rechte  hand  die  gute,  labba  rohka,  gegenüber  der  linken  kreisa,  den  988 
Esten  die  rechte  häkässi,  gute  hand. 

Dagegen  findet  sich  mhd.  fast  noch  niemals  diu  rehte  für  diu 
zeswe,  sondern  rßht  drückt  nur  rectus,  justus  aus,  wie  das  ahd.  rfiht** 
girght,  goth.  raihts,  garaihts.  wann  und  woher  ist,  fragt  es  sich, 
reht  für  dexter  in  unsere  mundart  eingedrungen?  wahrscheinlich 
damals  als  auch  im  franz.  droit  d.  i.  directus,  rectus  das  alte  destre 
verdrängte,  zuerst  liest  man  rehtinhalp  im  Athis  B*,  115,  rehthalp 
Engelh.  3071  (wo  aber  leicht  zeswenhalp  zu  ändern  wäre)  und  ge- 
loben mit  der  rehten  hant  im  Renner  12098,  auch  myst.  123,  5 
steht  der  linken  hant  die  gerehte  gegenüber  und  Griesh.  2,  116.  117 
ze  der  gerehton  u.  linggon  abslton;  den  rehten  dümen  Swsp.  s.  171. 
diesen  romanischen  einflusz  spürte  die  mnl.  spräche  früher;  beiMaerl. 
1,  202  liest  man  die  rechter  hant,  1,  158  die  rechter  borst,  I,  265. 
270  dat  rechtre  oge,  2,  341  ter  rechter  siden;  ja  1,  351  die  rechtre 
justus,  immer  in  comparativischer  gestalt  (gl.  zu  Ssp.  2,  36),  statt 
welcher  allmählich  die  positivische  eingeführt  wurde,  um  die  gleiche 
zeit  begann  auch  im  engl,  right  das  ags.  svidre  zu  ersetzen. 

Gerade  so  wich  den  Slaven  das  alte  desni  vor  dem  neuen  prawy, 
das  eigentlich  justus  bedeutete,  die  rechte  hand  hiesz  nun  poln. 
prawica,  böhm.  prawice,  russ.  pravaja  ruka  und  daher  walach.  pravila. 
nur  den  Serben  dauert  desni  und  desnitza,   den  Slovenen   ist  desna 


*  in  Gothland  ruft  man  den  kindern  zu:  guUhandi!  die  goldhand  d.  i. 
die  rechte.    Almqvist  426*». 

**  bi  rehtemen  0. 1. 1,  52  weist  auf  ein  superlativisches  rghtemo,  goth. 
raihtuma. 


686  RECHT  UND  LINK 

desniza  üblicher  als  praviza,  Südslaven  hängen  also  dem  alten  aus- 
druck  an,  wie  Italiener  dem  destro  destra,  Spanier  dem  diestro 
diestra*. 

Unter  den  ausdrücken  unsrer  spräche  für  link  ist  der  älteste 
das  goth.  hleiduma  und  die  linke  hand  oder  seite  (fßra)  heiszt  hlei- 
dumei.  ein  ahd.  hlitumo  hlitamo  ist  unerhört,  doch  ich  ahne  zu- 
989  sammenhang  mit  dem  ahd.  hlitä,  mhd.  lite,  bair.  leite,  clivus,  ab- 
hang,  weil  das  abschüssige  zugleich  das  krumme  ist  und  dem  auf- 
rechten, geraden  entgegen  steht,  es  musz  ein  hleinan  hlain  hlinura 
recubare  gegeben  haben,  wovon  goth.  hlains  collis  und  ahd.  hlinön 
recumbere,  gr.  xUvslv,  lat.  reclinare,  der  recumbens  und  rechnans 
ist  gegensatz  vom  aufrechten,  und  wir  gelangen  immer  zur  Vorstellung 
des  obliquen  und  gekrümmten,  die  sich  mit  der  des  linken  berührt, 
vielleicht  darf  das  bair.  hinterleitig  in  betracht  kommen,  das  von 
einem  nach  norden  oder  im  mittagsschatten  eines  waldes  liegenden 
feldstück  gilt  (Schm.  2,  520).  da  auch  das  altn.  hlid  latus  montis, 
devexitas  bedeutet  und  D  behauptet,  so  mag  ich  das  schwed.  lätta 
sinistra  manus,  gothländische  löta  (Molbechs  bist,  tidsskr.  4,  215. 
Almqvist  s.  438)  nicht  vergleichen,  deren  T  sich  vielmehr  zum  bair. 
Schweiz,  letz  perversus  obliquus  (Schm.  2,  530.  Stald.  2,  167.  Tobl 
296)  halten  läszt,  welches  schon  im  ahd.  lezi  l6zi  leizi  (Graff  2,  316) 
erscheint.  Nah  aber  dem  hleiduma  liegen  ir.  gal.  clith,  welsches  cledd 
link,  armor.  kleiz  und  klei. 

Ungleich  ausgebreiteter  ist  das  ahd.  alts.  winistar  und  von  der 
hand  gebraucht  winisträ,  ags.  vinstra,  fem.  vinstre,  fries.  winistere, 
altn.  vinstri,  schwed.  vänster,  dän.  venster.  dieser  ausdruck  herscht 
noch  mhd.  vor;  winister  Anno  821.  winster  Karajans  denkm.  36,  10. 
En.  5212.  Maria  163,  16.  194,  38.  208,  31.  Er.  6704.  Iw.  599. 
Parz.  9,  25.  295,  24.  304,  21.  MS.  1,  157^  Diut.  1,  228.  Wigal. 
2545.  6257  (var.).  Helmbr.  61.  628.  und  im  Bari.,  nicht  bei  Walther, 
Conrad  noch  im  Renner,  s.  306  nahm  ich  unmittelbare  berührung 
zwischen  winistar  und  lat.  sinister,  durch  bloszen  Wechsel  des  V  und 
S  an,  auf  jeden  fall  tragen  beide  die  auch  in  ägiörsgog  vorbrechende 
Superlativ-  und  comparativbildung  ST  und  R  zur  schau.  Da  nun 
altn.  vaenn  pulcher,  vsenstr  pulcherrimus  mit  vinstri  gemeinschaft 
haben  können,  wobei  auch  das  superlativische  alts.  wänamo  oder 
wanamo  (s.  653)?  pulchre,  wänami  claritas,  splendor  anzuschlagen 
wäre ;  so  ergäbe  sich  Verwandtschaft  mit  dem  skr.  väma,  das  zugleich 
sinister  und  pulcher  bedeutet,  letzteres  in  Zusammensetzung  mit  wör- 
990tern,  die  ein  glied  des  leibs  ausdrücken  (Bopps  gloss.  p.  316*).  M 
erschiene  in  N  geschwächt,  die  bedeutung  aber  wäre  der  schönen 
hand,  welche  wir  vorhin  für  die  rechte  geltend  machten. 

Lenkä  laeva,  sinistra  (manus)  bieten  schon  sehr  alte  ahd.  glos- 
sen  dar  (Graff  2,  231),  doch  lange  zeit  überwog  winisträ.     mit  der 


*  für  dexter  haben  die  Finnen  oikia,   die  Esten  öige,  die  Lappen  in 
Norwegen  olgish,  in  Schweden  älkes. 


RECHT  UND  LINK  687 

leugern  viuste  Lanz.  1928,  zer  linken  hant  Iw.  599,  beidemal  in  den 
Varianten,  linkin  vuozis  Athis  E,  56.  ze  der  lingen  slton  Griesh. 
1,  11.  linggon  2,  117.  zer  linggen  hant  Walth.  83,  32.  zer  lenken 
hant  Karl  i2^.  Suchenw.  29,  31,  wo  nicht  in  diesen  beiden  tenken 
zu  setzen,  den  linken  fuoz  Trist.  7046,  linker  bant  10943,  lingen 
siten  Troj.  12817  und  ferner  Wigal.  6257.  6557.  MS.  2,  235*. 
Renn.  6313.  12431.  23335.  24398.  Livl.  ehr.  7614.  7874.  myst. 
123,  5;  lingibant  vocab.  opt.  128.  glinggen  arm  Hätzl.  195,  86. 
einzelne  dichter,  z.  b.  Wirnt,  brauchen  beide,  winster  und  link.  nhd. 
hat  link  alle  andern  ausdrücke  besiegt,  wenn  man  in  urk.  rechtere 
band,  linkere  schulter  liest  und  auf  dem  linkeren  fusz,  so  scheint 
das  niederdeutsch.  Das  mnl.  slink  möchte  ich  der  brabantischen 
mundart  aneignen:  Lanc.  3511.  3514.  20877.  Rose  3824.  7326.  Jezus 
38.  197.  198.  doctr.  1,  860,  doch  begegnet  es  auch  bei  Maerl.  2,  341 
ter  rechter  en  ter  slinker  siden  und  1,  102  metter  slinke  (:  minke); 
slinke  mouwe  belg.  mus.  7,  447.  nnl.  ist  slink  neben  luchter  zuge- 
lassen, zu  diesem  slink  gehört  slenken  sich  einkrümmen,  zusammen- 
ziehen, S  aber  ist  bloszer  vorsatz,  wie  slikken  lecken  und  andern 
mehr.  N  vor  K  scheint  nasale  erweiterung  der  wurzel,  so  dasz  sich 
link  zum  gr.  laiog,  lat.  laevus  halten  liesze,  worauf  ich  zurückkom- 
men werde;  nur  musz  auch  litth.  lenkin  flecto  linkus  flexibilis  er- 
wogen werden,  weil  das  biegen  ein  krümmen  ist. 

Tenk  gehört  der  bairischen,  östreichischen  mundart,  doch  ent- 
hält sich  seiner  Wolfram,  allein  Nithart  MSH.  3,  213*.  225*.  282*, 
Stricker,  Helbling  7,  1042,  Hebnbr.  87,  Albrecht  im  Tit.  5941, 
Apollonius,  Wolkenst.  s.  254,  auch  Ruprecht  von  Freisingen,  das 
Ofner  stadtbuch  §  341  und  die  gesta  Romanor.  ed.  Keller  s.  7.  8. 
70.  80.  81  gewähren  es,  Iw.  599  wird  es  in  einer  lesart  eingeschwärzt. 
Schm.  1,  384  schreibt  denk  und  führt  denkisch  für  linkisch  an,  das  991 
auch  bei  Wolkenst.  s.  157  steht,  ohne  zweifei  nah  verwandt  ist  das 
it.  stanco  (mano  stanca)  und  zanco,  sowie  das  walach.  steng  =  link; 
in  den  sette  comuni  heiszt  es  schenke  hand  =  tenke.  stanco  be- 
deutet sonst  schwach  und  matt,  aber  alle  diese  Wörter  sind  unroma- 
nisch, wahrscheinlich  darf  man  denk  und  lenk  gleichsetzen,  wie  dingaa 
und  lingua,  dacrima  und  lacrima  (s.  353,  354)  und  dann  müssen  die 
it.  formen  aus  den  deutschen  aufgenommen  und  entstellt  sein. 

Lörz  ist  ebenwol  bairisch,  aber  auch  weiter  im  mittlem  Deutsch- 
land gekannt  als  tenk.  Wolfram  Wh.  46,  8  zer  züswen  und  zer  lerzen 
(ihfjrzen);  Athis  A*,  120  zuo  der  lerzin  siten;  Herbort  9080  mit 
der  Itirzen  hant,  13584  um  die  IfJrzen;  Frib.  Trist.  6698  die  zöswen 
und  die  Ife'rzen  (:  herzen);  Amgb.  15^  der  zöswen  und  der  lörzen 
(:  kurzen);  Tit.  3646  zer  Ife'rzen  hende;  5950  in  arm  sin  den  ISrzen; 
Ottoc.  27^'  zer  zfe'swen  und  zer  Ife'rzen.  ich  vermute  auch  mit  ü  statt 
I  lurz,  und  der  alte  druck  hat  Tit.  3646  zer  lürtzen  hende;  nach 
Schm.  2,  490  soll  man  in  Würzburg  lurz  für  link  sagen.  Nun  gilt 
aber  auch  mit  beiderlei  vocal,  RK  für  RZ.  lirk  oder  ItJrk  :  mit  der 
lirken   viuste    Lanz.   1928      diu   lirke   sinistra   manus   Martina   73*^. 


688  RECHT  UND  LINK 

Frauenlob  54,  11;  zuo  den  Ife'rken  410,  16.  Conrad  MS.  2,  199^ 
reimt  Iure  :  burc,  Schmiede  82.  1696  zer  zöswen  und  zer  lürken  :  wür- 
ken  (auszerdem  finde  iclis  nicht  in  seinen  gedichten),  Ottocar  191^ 
an  zeswen  und  Iferken  :  wfe'rken.  Wie  sind  diese  der  ahd.  und  allen 
übrigen  deutschen  sprachen  wildfremden  lörz  und  lurz  [in  Karlmeinet], 
Ife'rc  und  Iure  zu  fassen?  es  gibt  ein  verbum  lerken  balbutire  in 
Diemers  ausg.  det  Vorauer  hs.  34,  12,  lirket  halbutit  bei  Frauen- 
lob 134,  12,  und  gerade  so  steht  Hätzl.  101,  60  nun  ich  mit  miner 
Zungen  lerz  :  hSrz  (für  lörze  :  hörze).  was  heiszt  ebenda  72,  233  den 
muot  erltJrzen?  aufheitern?  fragm.  31*^  scheint  äne  lürzen  :  gekürzen 
wiederum  ohne  zaudern,  stottern,  im  kolocz.  cod.  185,  1048  aber 
lurzten  schmeichelten,  lurken  lurggen  lorggen  für  stottern,  stammeln 
kennt  auch  Stalder  2,   186  und  mit  der  Vorstellung   des   linken  un- 

992  geschickten  läszt  sich  die  des  stotterns  leicht  verbinden,  kaum  ist 
lerz  aus  letz  obliquus,  noch  weniger  lerk  aus  link  entsprungen,  ob- 
wol  sie  höher  aufwärts  der  wurzel  laevus  zufallen  könnten. 

Wir  nähern  uns  dem  wieder  mit  L  anlautenden  ausdruck  der 
niederdeutschen  spräche,  es  müste  sich  aus  denkmälern  des  Über- 
gangs der  ags.  in  die  altengl.  ermitteln,  wann  vinstra  gewichen  und 
left  oder  lift  an  dessen  stelle  getreten  sei.  kein  ags.  werk  zeigt  eine 
spur  dieses  worts,  aber  es  musz  schon  im  13  jh.  allgemein  durch- 
gedrungen sein,  weil  es  um  dieselbe  zeit  die  niederländischen  Sprach- 
denkmäler kennen,  mir  sind  nur  etwas  spätere  belege  zur  band: 
a  lifte  hälfe  aus  Chaucers  rose  163  und  on  thi  left  half  aus  Plough- 
man  887.  die  heutige  form  ist  left.  die  heutige  westfriesische  volk- 
sprache  stellt  die  lofterhöan  der  rjuchterhoan  entgegen  (lapekoer  18, 
51),  die  ostfriesische  de  läft  haun  der  säum  haun  (Ehrentrauts  arch. 
p,  100).  andere  schreiben  lefter  hond.  Der  gewöhnliche  mnl.  aus- 
druck ist  luchter,  comparativisch  mit  CHT  für  FT  wie  in  cracht 
hacht  lucht  f.  craft  haft  luft:  ter  luchter  siden  Eeinaert  1054.  ter 
luchter  haut  Esop  p.  316  und  oft  bei  Maerl.  2,  21.  3,  171  luchtre 
ore  3,  207.  Floris  981.  Fergüt  1084.  3601.  Haupt  1,  103.  nnl. 
luchter  neben  link,  in  Oberyssel  lochterhand.  mnd.  lochter:  to  der 
lochteren  haut.  Keineke  948.  Goslar,  bergges.  21.  lochteren  siden 
Bruns  rom.  ged.  138,  man  schrieb  auch  luchter  z.  b.  Kantzow  s.  55. 
63.  in  der  heutigen  niederdeutschen  mundart  hat  link  oder  lunk  das 
lucht  oder  luchter  fast  verdrängt*.  Dies  left  lift  luft  lucht  könnte 
dem  alts.  l6f,  fries.  M  (Richth.  165,  5)  debilis,  infirmus  verwandt 
scheinen,  falls  sich  ein  ablautendes  lifan  lef  lifun  (liban  l6f  libun) 
neben  biliban  annehmen  liesze,  aus  dessen  pluralis  lift  weiter  geleitet 
wäre;  auch  lat.  obliquus  und  liquis  mögen  zu  linquo  gehören. 

Doch  es  ist  zeit  das  gr.  Aaio'g,  lat.  laevus  selbst  ins  äuge  zu 
fassen,     ihm  gleicht  ahd.  l6o  l6wes  (Graff  2,  295)  malum,  perversitas? 

993 wofür  man  goth.  laiv  laivis  rathen  könnte;  Schm.  2,  406  hat  ein 
oberpfälzisches  lei  leiw  malus  infirmus  aeger.    entschiedner  entspricht 


up  der  lichten  oder  luchten  =  linken.    Lappenbergs  Eibkarte  s.  15. 


RECHT  UND  LINK  689 

das  sl.  Ijev"  sinister,  böhm.  poln.  lewy,  sl.  Ijevitza  sinistra  manus, 
poln.  lewica,  böhm.  lewice.  wahrscheinlicli  sind  link  und  left  blosze 
erweiterungen  dieser  wurzel. 

I^xaLÖg  und  scaevus  sind  inlautend  ganz  ähnlicb.  dem  Xatos  lae- 
vus,  scaevola  bezeichnet  einen  linkhändigen,  wiederum  entspricht  das 
sl.  schoui  sinister  (Mikl,  p.  108),  schouitza  manus  sinistra,  die  neueren 
sl.  sprachen  haben  es  aufgegeben,  doch  besteht  slov.  shevi,  poshevi 
schräg,  das  nhd.  schief,  nd.  scheef,  nnl.  scheef,  in  hochd.  mundarten 
scheib  scheb  ist  obliquus,  varus,  mangelt  aber  der  alten  spräche; 
man  darf  damit  nicht  vermengen  das  mhd.  schiech  timidus,  fugax, 
nhd.  scheu,  doch  verwandt  scheint  altn.  skackr  obliquus  pravus  und 
bair.  schiegk  varus  (Schm.  3,  320).  aber  dem  ö-aaiog  und  önohog 
scaevus  schoui  vergleicht  sich  das  skr.  savja  sinister  (Bopps  gloss.  371). 

Aus  demselben  savja  leitet  Bopp,  mich  dünkt  gezwungen,  sowol 
sinister  sinistimus  als  auch  aQiötEQog,  indem  jenes  für  sivister,  dieses 
für  öafLörsQog  gesetzt  sei.  mehr  schein  hat  doch  die  vorhin  vorge- 
tragne Verwandtschaft  zwischen  sinister  und  winistar  oder,  will  man 
sie  nicht,  zwischen  sinister  und  goth.  sinista  JiQBOßvtSQog  d.  h.  prior, 
princeps.*  ccQLöTSQog  läszt  sich  einfach  als  nochmalige  comparation 
von  KQLötog  ansehn,  wie  aus  den  Superlativen  fruma  auhuma  miduma 
ein  neuer  superl.  frumists  auhumists  midumists  entsprang,  ist  nun 
aQLöTog  unser  ahd.  ßristo  goth.  airista  primus,  so  wäre  freilich  in 
ccQiörBQog  die  Vorstellung  prior,  potior  zu  suchen,  welche  sich  für 
den  begrif  des  rechten  bei  den  Griechen,  des  linken  bei  den  Römern 
eignet,  wie  nun,  wenn  die  Griechen  das  früher  auf  die  rechte  hand 
angewandte  wort  nachher,  als  sich  ihre  ansieht  umdrehte,  von  der 
linken  gelten  lieszen?  ihnen  war  im  verlauf  der  zeit  die  rechte  po- 
tior geworden;  doch  der  alte  ausdruck  blieb  bestehn.  die  Deutschen 
hingegen  benannten  die  rechte  die  vordere.  Hat  aber  der  zusammen-  994 
hang  zwischen  väma  winistar  und  vsenstr  pulcherrimus  grund,  so 
wäre  die  nach  der  indischen,  also  urdeutschen  ansieht  passende  Vor- 
stellung wiederum,  nachdem  sich  der  deutsche  standpunct  verkehrt 
hatte,  untreffend  geworden,  dennoch  haften  geblieben,  man  fuhr  auf 
deutsch  fort,  den  unverstandnen  namen  der  schönen  hand  für  die 
linke  zu  gebrauchen,  nachdem  ihr  der  Vorzug  entrissen  war.  Dies 
Verhältnis  der  worte  winistar  und  aQtötEQog  scheint  mir  die  oben  zur 
grundlage  genommne  entwicklung  nicht  wenig  zu  rechtfertigen,  auch 
darf  die  Verwandtschaft  von  ägiörog  und  ßristo  unter  dem  kurzen 
vocal  des  gr.  worts  nicht  leiden ;  in  ccqlöxov  prandium  dauert  die  länge. 

Auf  ähnliche  weise  musz  evävvfios  für  link  gefaszt  werden,  die 
linke  seite  war  boni  ominis  nach  der  alten  später  aufgegebnen  an- 
sieht, schon  Herodot  7,  109  £|  svcavv^ov  xstQog,  und  in  der  Schlacht 
hiesz  der  linke  flügel  evdvv^ov  aegag.  so  bedeutet  im  N.  T.  sv(6- 
vv^og  den  gegensatz  von  ds^Log. 


*  aus  der  Zigeunersprache  führt  Pott  1,  208.  2,  479  ein  seltsames  styn- 
gonester  für  link  an. 

Grimm,  gescUchte  der  deutschen  spräche.  44 


690  RECHT  UND  LINK 

Bei  den  Grieclien  findet  man  auch  die  linke  hand  ausgedrückt, 
durch  rj  £TSQa,  die  andere,  der  rechten  entgegengesetzte,  schlechte, 
die  späteren  verwenden  Q^drsQog  in  solchem  sinn,  z.  b.  bei  Procop 
b.  goth.  1,  6  steht  etiI  d^atega  dem  sv  dshotg  gegenüber,  die  rechte 
ist  die  erste,  vordere  hand,  die  linke  die  andere,  nachfolgende,  in 
den  deutschen  gestis  Eoman.  ed.  Keller  s.  137  bedeutet  "^  andre  hant' 
gleichfalls  die  linke,  ebenso  Ssp.  1,  63:  "^enen  senewolden  schilt  in 
der  anderen  hant.' 

Die  Litthauer  stellen  der  deszin^  entgegen  die  kair^,  linke  (Szir- 
wid  schreibt  kayre  poln.  lewica,  kayras  poln.  lewy).  ich  zweifle,  ob 
sich  dazu  unser  quer  obliquus,  transversus  (ahd.  duerah,  ags.  pveor, 
goth.  J)vairhs)  halten  läszt,  wofür  litth.  skersas,  lett.  schkehrs  gilt; 
möglich  wäre  auch  unser  krumm,  ahd.  chrump,  lat.  curvus  und  sl. 
kriv"  obliquus  verwandt,  sehr  gewagt  vergleicht  Bopp  (malay.  spr. 
s.  148)  zu  kair^  das  skr.  kara  hand.  den  Finnen  ist  kurakäsi  die 
995 linke  hand,  den  Esten  kurra,  kurri,  d.  h.  die  schlechte,  schlimme, 
ebenso  den  Lappen  kärro,  kuro,  das  scheint  dem  kairS  näher  zu  lie- 
gen, in  unserm  alten  recht  heiszt  bei  persönlichen  Verhältnissen  der 
unfreiere  stand  die  erger  hant,  manus  deterior,  was  ich  aber  für 
linke  nicht  gebraucht  finde. 

Noch  gewähren  die  keltischen  sprachen  einen  merkwürdigen  aus- 
druck:  ir.  ciotan,  ciotog  manus  sinistra,  gal.  ciotach,  welsch  chwith, 
chwithig.  davon  ist  das  dänische  keite  manus  sinistra,  keithaand, 
was  die  alte  gemeinschaft  keltischer  spräche  mit  germanischem  boden 
bezeugt,  und  in  den  nordöstlichen  (eigentlich  schwedischen)  dialecten 
nicht  erscheint,  aber  die  Norweger  sagen  kjeiva,  kjeivhändt,  die  Juten 
kave,  kavhaand,  die  Schonen  kaja.  auch  in  Vestgötland  kjäva  sini- 
stra manus  und  auf  der  insel  Gothland  gilt  kajtu  sinistra,  kajthaun- 
det  linkhandig,  Almqvist  s.  268.  320.  432.* 

Schwierig  ist  das  an  die  stelle  des  alten  senestre  getretne  franz. 
gauche,  welches  allen  übrigen  roman.  sprachen,  auch  der  graubünd- 
nerischen  und  wallonischen  gebricht ;  doch  geht  Roquefort  viel  zu  weit, 
wenn  er  2,  538  meint,  es  sei  erst  gegen  den  schlusz  des  17  jh.  auf- 
gekommen, denn  schon  Rabelais  1,  6,  als  er  des  Gargantua  geburt 
beschreibt,  sagt:  print  son  chemin  ä  gauche  et  sortit  par  l'oreille 
senestre.  im  roman  de  Geoflfroi  de  Mayence  aus  dem  begin  des 
16  jh.  lese  ich  ch,  17  pied  gauche.  das  wort  war  sicher  schon  im 
15  jh.  gangbar,  aber  wie  entsprang  es?  gauchir  declinare,  sich  zur 
Seite  wenden,  links  drehen  scheint  das  altfranz.  guenchir  (Garins  1, 
16.  155),  guenche  guanche  ist  tour,  detour,  und  beide  Wörter  ent- 
stammen dann  dem  mhd.  wenken,  wank,  gauche  ist  also  seitwärts 
gedreht,  gewendet,  d.  h.  link,  die  blume  souci  =  solsequium  hiesz 
prov.  flor  dal  gauch  (altd.  wäld,  1,  125).  an  das  gr.  yavöog  ist 
kein  gedanke. 


*  auf  der  insel  Silt  heiszt  der  hauptort  Keitiim;  hängt  dieser  name 
mit  keit  link  zusammen? 


RECHT  UND  LINK  691 

Endlich  das  span.  izquierdo  rührt  her  aus  dem  baskischen  izquerra,  9 
ezquerra  (escu  ezquerra  manus  sinistra),     zurdo,  denke  ich,   ist  das- 
selbe, nur  mehr  entstellt.* 

Wir  sehn  dasz  die  meisten  sprachen  die  alten  echten  ausdrücke 
für  den  begrif  des  rechten  und  linken  allmählich  fahren  lassen  und 
andere,  oft  bei  fremden  nachbarn  entlehnte  dafür  einsetzen,  man 
kann  nicht  sicher  sagen  entlehnte ;  denn  solche  Wörter  mögen  gleich- 
sam auf  dem  boden  kleben,  unter  dem  volke  fortdauern  und  sich 
dann  auch  eingang  in  die  Schriftsprache  suchen. 


*  die  dichter  und  das  volk  entnehmen  benennungen  der  rechten  und 
linken  band  oder  seite  von  dem,  was  sie  faszt  oder  an  ihr  getragen  wird. 
Aeschylus  nennt  die  rechte  hand  öoQinaXxoq,  speerschwingende;  wenn  aber 
das  welsche  cledd,  cleddeu  nicht  blosz  link  und  norden,  sondern  auch 
schwert  ausdrückt,  ist  das  vom  hängen  des  schwerts  an  der  linken  seite 
zu  verstehn.  falkenhand,  sperberhand  bezeichneten  unserm  alterthum  bald 
die  rechte  bald  die  linke  (s.  44.  45V  säuphandi  und  braudhandi  auf  Goth- 
land  ist  die  rechte  und  linke,  weil  jene  das  trinkglas,  diese  das  brot  beim 
frühstück  greift  (Almqvist  s.  417.  428).  Zu  dem  pflüger  steht  das  linke 
pferd  und  rad  nahe,  das  rechte  fern,  darum  heiszt  m  Schonen  framans 
recht,  temans  link  (Almqvist  s.  266  274),  in  LoUand  framands  oder  til- 
mands,  framandet  tilmandet  (^Molbechs  dial.  lex.  s.  134V  der  Seeländer  ge- 
braucht fiermer  und  närmer  (lerner  und  näher),  der  Gothländer  fiärare  und 
nämare  (Almqvist  s.  422.  444),  der  Jütländer  frahaands  und  tilhaands  in 
gleichem  sinn,  nicht  anders  bedeutet  den  niedersächsischen  fuhrleuten  tor 
hand  die  linke,  van  der  hand  die  rechte  seite  (brem.  wb.  2,  577)  und  ich 
vermute  einen  irthum,  wenn  Schmid  im  schwäb.  wb.  s.  259  zu  der  hand, 
zuderhändig  für  rechts,  von  der  hand,  vonderhändig  für  links  ausgibt,  wie 
auch  das  holstein.  wb.  2,  97  vanjerhand  für  linker  hand,  tojerhand  für 
rechter  hand  nimmt.  Unter  handpferd  vor  dem  wagen  versteht  man  das 
zur  rechten  hand  des  sattelpferdes  ziehende,  wie  im  mittealter  dextrarius, 
franz.  destrier  das  zur  rechten  hand  geführte  war,  qui  per  dexteram  duci- 
tur.  Dem  galischen  pflüger  heiszt  die  linke  seite  der  furche  ban  weisz, 
die  rechte  dearg  roth,  denn  dearg  röthen  bedeutet  pflügen,  das  land  roth 
aufreiszen.  [gal.  banaiche,  exterior  duorum  equorum  arantium.  alban.  Ija- 
ros,  ich  mache  bunt  und  ich  pflüge.] 


44* 


XLL 
MILCH  UND  FLEISCH. 


997  Im  zweiten  und  dritten  capitel  ist  eine  darstellung  der  sprach- 
lichen auf  die  nothwendigste  speise  des  hirtenlebens  bezug  habenden 
Verhältnisse  unterblieben,  damit  sie  ausführlicher  könnte  nachgeholt 
werden,  denn  vorzugsweise  scheint  sie  über  die  Urverwandtschaft 
der  eingewanderten  Völker  licht  zu  verbreiten  geeignet.  Was  der 
hirt  zur  nahrung  bedarf  lehren  die  homerischen  verse  Od.  4,  87 

ev&a  fxhv  ovre  ava§  iniösv^g  ovrs  xi  noifxriv 
xvQOv  xal  XQSiwv,  ovöh  yXvxsQoXo  ycclaxzog, 

und  noch  Tacitus  sagt  von  den  Germanen:    cibi   simplices,   agrestia 
poma,  recens  fera  aut  lac  concretum. 

Auffallend  stimmt  bei  allen  Deutschen  und  Slaven  die  benennung 
der  milch  zusammen:  goth.  miluks,  ahd.  miluh,  mhd.  milch',  ags. 
meoloc  meolc,  engl,  milk,  fries.  melok,  altn.  miölk,  schwed.  mjölk, 
dän.  melk,  und  den  Lappen  mag  ihr  melke  milke  aus  Scandinavien 
zugegangen  sein ,  da  alle  übrigen  finnischen  sprachen  andre  Wörter 
zeigen,  alts,  mljeko,  russ,  moloko,  poln.  böhm.  slov.  mleko,  sei*b. 
mlijeko,  wendisch  mloko  (den  Lüneb.  Wenden  melauka).  durchgehends 
in  beiden  sprachen  herscht  anlautendes  M;  nach  der  lautverschiebung 
würde  aber  goth.  K  in  miluks  statt  des  sl.  K  in  mljeko  G  begehren. 

998  Dies  G  bestätigt  sich  sobald  wir  in  die  wurzel  eindringen:  milch 
ist  das  gemolkne,  aus  dem  euter  gedrückte,  gezogne,  nach  dem  ahd. 
milchu  malch  darf  ein  goth.  milka  malk  vermutet  werden  und  ihm 
entsprechen  sl.  ml"zu  inf.  mr'sti,  litth.  melzu  milszti,  lat.  mulgeo  und 
mulceo,  beide  mit  dem  praet.  mulsi  und  der  bedeutung  palpo,  leni 
manu  tracto,  endlich  gr.  a^islyco.  mulgere  scheint  aber  gerechter 
als  mulcere,  wie  gr.  a^kXyca  und  sl.  Z  in  ml"  zu,  das  aus  G,  nicht 
aus  K  deutbar  wird  (s.  382),  bestätigen.  Miklosich  s.  50  will  mljeko 
nicht  einmal  unmittelbar  von  ml"zu  abgeleitet  wissen;  ich  mutmasze 
dasz  es  für  mljekto  steht  und  K  durch  das  folgende  T  entsprang, 
wie  im  lat.  lectus,  gr.  Acxrog  von  lego  Kiya;  in  den  deutschen  Wör- 
tern musz  nie  T  gefolgt  sein,  weil  sonst  miluhts  milhts  entsprungen 
wäre. 


MILCH  693 

Aber  das  gr.  a^sXyca  hat,  nacli  dem  Wechsel  s,  318,  die  neben- 
form  aiibQyco  und  o^oQyvvfiL,  immer  mit  den  bedeutungen  des  aus- 
drückens  und  abstreichens.  dies  R  scheint  sogar  älter  als  L,  da  es 
auch  dem  skr,  mridsch  abstergere,  mulcere  eigen  ist  (Bopps  gl.  269^), 
von  welchem  sich  jedoch  kein  ausdruck  für  den  begrif  der  milch  her- 
leitet, so  wenig  als  von  dem  litth.  milszti. 

Im  sanskrit  heiszt  die  milch  dugdha  (Bopps  gloss.'  108^  172*), 
hindost,  düdh,  zigeun.  tchud  (Pott  2,  296);  den  Persern  bedeutet  dogh 
buttermilch.  dugdha  scheint  zu  stehn  für  dukta,  von  der  wurzel  duh 
extrahere,  emuigere  (Bopp  173*),  welches  sich  dem  lat.  ducere,  goth. 
tiuhan,  ahd.  ziohan  vergleichen  läszt  (s.  906),  also  ist  dugdha  gerade 
entsprungen  wie  miluks  aus  milkan. 

Schwieriger  sind  die  griechischen  und  lateinischen  ausdrücke. 
yäka,  wie  der  gen.  ydlaKtog  ylccKzog  lehrt,  fordert  die  volle  gestalt 
ydkaTiT,  K  schwand  wie  in  yvvtj  yvvcciicog,  ÜCT  schwand  wie  im  voc. 
ava  von  ava^  avaxtog.  statt  yäXa  braucht  aber  Homer  auch  yXcc- 
yog  II.  2,  471.  16,  643,  ohne  lingualis  und  darum  wieder  mit  media, 
nicht  tenuis.  das  lat.  lac  musz  ebenfalls  nach  dem  gen.  lactis  in 
lact  vervollständigt  werden,  was  sich  auch  aus  dem  it.  latte,  port. 
leite,  franz.  lait  (früher  laict)  ergibt. 

Wie  nun  lact  und  ycckaxz  zu  nehmen?  in  lac  lactis  scheinen  999 
die  consonanten  freilich  gestellt  wie  im  sl.  mljeko  =  mljekto,  dem- 
nach wäre  lac  von  mulgeo  abzuleiten  und  aus  malg  mlag  male  mlac 
entsprungen?  aber  die  lat.  spräche  entäuszert  sich  sonst  nie  eines 
anlautenden  M,  und  noch  weniger  will  es  gelingen  yäXa  und  yläyog 
auf  aiiElya  zurückzuführen;  yldyog  aus  filäyog,  ydXaxt  aus  fidlaur 
(oben  s.  326)  hat  sonst  keine  analogien  für  sich. 

Bopp  schlägt  ganz  andern  weg  ein  und  deutet  (gloss.  108^)  nach 
dem  Wechsel  zwischen  L  und  D  (s.  354.  355)  lact  aus  skr.  dugdha 
dukta,  ydlaxt  aber  aus  einer  Zusammensetzung,  deren  erster  theil 
Überrest  des  uralten  skr.  gä  vacca  (oben  s.  32)  enthielte,  die  no- 
maden  nannten  ihre  milch  yd-Xa%t^  kuhmilch,  weü  sie  sie  vorzugs- 
weise aus  der  kuh  molken,  allmählich  wurde  das  verkürzte  und  un- 
verstandne  ydla  auf  jede  andre  milch  angewandt.* 

Diese  scharfsinnige  worterklärung  spricht  um  so  mehr  an,  als 
sie,  wie  wir  hernach  sehn  werden,  der  bildung  des  ausdrucks  ßov- 
TVQOV  begegnet;  was  sie  aber  entschieden  rechtfertigt  ist  das  Ver- 
hältnis der  keltischen  ausdrücke. 

Neben  welschem  Uaeth  gilt  nämlich  blith  (und  in  Zusammen- 
setzungen flith,  z.  b.  cynflith  erste  milch),  neben  irischem  lacht  zu- 
gleich bleacht  bliocht,  oder  nach  galischer  Schreibung  bliochd.  die 
armorische  form  löaz  mahnt  ans  provenz.  lach,  spanische  leche. 

Nun  könnten  (wie  ich  s.  326.  332.  380  glaubte)  diese  BL  wieder 


*  'A(pQo6lTrjq  yaAa,  dgvl&iov  ydXa  ward  so  zulässig  wie  InnoßovxöXog 
und  'iTtnot,  ßovxoleovxo  II.  20,  221. 


694  MILCH 

hervorgegangen  scheinen  aus  ML  nach  der  in  keltischer  zunge*  ein- 
tretenden berührung  zwischen  B  und  M  (s.  368.  373)  vgl.  bean  mnä 

1000  (s.  370).  bleacht  würde  bei  vorstehendem  possessivum  ar  eclipsis 
erleiden;  ar  mbleacht  (sprich  mleacht)  unsere  milch.  Da  aber  die 
eclipse  jederzeit  den  laut  mildert,  so  musz  hier  bleacht  der  ursprüng- 
liche, folglich  darf  zwar  mleacht  aus  bleacht,  nicht  aber  bleacht  aus 
mleacht  entsprungen  sein.  Und  aus  welchem  grund  hätte  die  spräche 
neben  bleacht  auch  noch  lacht  entwickelt?  ja  sie  besitzt  sogar  ein 
unserm  milch  und  dem  sl.  mljeko  entsprechendes  meilg,  das  noth- 
wendig  von  bleacht  verschieden  ist  und  dessen  Verwandtschaft  mit 
milch  ganz  unmöglich  macht.** 

Jene  keltische  doppelform  erklärt  sich  treflich  durch  die  annähme, 
dasz  lacht  und  Uaeth,  gleich  dem  lateinischen  lac,  blosz  milch,  bleacht 
und  blith  hingegen,  wie  das  gr.  yaka,  eigentlich  kuhmilch  ausdrücken, 
allmählich  aber  den  allgemeinen  begrif  annahmen,  bleacht  entsprang 
also  aus  boleacht,  von  bo  vacca,  und  das  ir.  bo  bhleacht,  milchkuh 
ist  ein  pleonasmus,  der  erst  möglich  wurde,  nachdem  sich  das  B  in 
bleacht  verdunkelt  hatte,     nicht  anders  wäre  ein  gr.  ßoog  yalcc. 

Zu  beachten  ist  auch  die  abweichung  der  geschlechter,  während 
alle  deutschen  Wörter  weiblich,  sind  die  slavischen,  lateinischen,  grie- 
chischen stets  neutral,  und  ebenso  das  skr.  dugdha.  unter  den  ro- 
manischen folgt  das  spanische  leche,  unter  den  keltischen  das  ir. 
bleacht  dem  deutschen  genus.  it.  latte',  franz.  lait,  welsches  llaeth 
und  blith  sind  männlich,  d.  h.  behaupten  die  uisprüngliche  neutral- 
form, welche  für  diese  sprachen  überhaupt  in  der  männlichen  auf- 
geht, als  erzeugnis  betrachtet  ist  lac  wie  ovum  granum  u.  s.  w. 
besser  neutral;  unsere  spräche  wandelte  aber  butyrum  in  ein  weib- 
liches butter,  wie  sie  ihre  meisten  baumfrüchte  eichel  büchel  schiebe 
birne  kirsche  pflaume  weiblich  setzt  (gramm.  3,  377.  563). 

1001  Die  Untersuchung  ergibt,  dasz,  so  lange  in   der  wurzel  mridsch 

R  waltete,  mithin  auch  im  gr.  cc^SQyco,  nur  die  allgemeine  bedeutung 
des  drückens  galt,  und  erst  dann  auf  das  melken  angewandt  wurde, 
als  R  in  L  übergieng,  d^Uya,  mulgeo  mulceo,  melzu,  ml"zu.  allen 
auswandernden  Völkern  musz  schon,  vor  ihrer  trennung,  dies  L  ge- 
mein gewesen  sein,  das  subst.  milch  bildeten  aber  nur  die  Deutschen 
und  Slaven  aus  dem  verbum,  den  Iren  steht  meilg  ohne  verbum  zu. 
die  meisten  übrigen  blieben  dem  skr.  dugdha  getreu,  nur  dasz  sie 
sämtlich  dessen  D  in  L  wandelten,  während  das  lat,  ducere,  goth. 
tiuhan  den  linguallaut  festhielt,  aber  ihm  die  im  skr.  duh  enthaltne 


*  auch  skr.  brü  loqui  ist  zend.  mrü,  gr.  ßQaövq  ergibt  sich  aus  ßgadvq 
==  skr.  mrid  und  das  böhm.  mrawenec  wird  entstellt  in  brawenec  (Nem- 
nich  s.  y.  formica),  vgl.  oben  s.  327  und  auch  'ÄQßögvxoi  f.  'AqiiÖqlxoi  (s.564). 
**  diesen  keltischen  sprachen  stehn  noch  andere  ausdrücke  für  die  milch 
zu  gebot:  ir.  at  und  geat,  welche  vielleicht  dasselbe  sind;  ir.  gal.  ceo;  ir. 
leim  oder  luim;  ir.  segh;  ir.  arg;  ir.  gal.  bainne;  ir.  finn,  fionn.  die  letzten 
(arg,  bainne  und  fionn)  bedeuten  eigentlich  weisz,  die  weisze,  wie  auch  die 
Schweden  hvit  für  milch  sagen. 


MILCH.   BUTTER  .  695 

bedeutung   des  melkens   entzog,     in   ydla  und  ykccyog  bewahrte  die 
Zusammensetzung  das  alte  gä  kuh,  in  bleacht  bo  kuh. 

Die  Litthauer  haben  für  milch  pienas,  die  Letten  peens,  wozu 
das  skr.  ph6na  spuma  (Bopp  236''),  sl.  pjena  spuma,  ahd.  feim,  ags. 
fäm,  engl,  foam,  vielleicht  das  lat.  spuma  von  spuere  selbst  stimmen, 
deren  S  blosz  vorgeschoben  scheint,  sicher  gehören  dazu  das  finn. 
piimä  lac  coagulatum  und  est.  piim  lac,  denn  die  begriffe  lac,  flos 
lactis,  milchschaum  vertreten  einander. 

Vielleicht  darf  man  goth.  daddjan,  ahd.  tähan  lactare  zum  skr. 
duh  und  dugdha  nehmen,  als  unverschobne  formen,  während  sich 
tiuhan  ziohan  (vgl.  T.  145,  13)  verschob,  dies  mahnt  auch  ans  gleich 
unverschobne  goth.  dauhtar  skr.  duhitä  (s.  266.  269),  welches  ent- 
weder das  säugende  kind  (s.  906)  oder  die  melkende  tochter  be- 
zeichnen kann,  auf  solche  weise  liesze  sich  mulier  (it.  mogliere,  sp. 
muger)  an  mulgere  knüpfen  und  sogar  fßmea  fsemne  feima,  die  s.  652 
und  955  anders  gedeutet  wurden,  an  fem,  fäm  milch,  mulier  und 
femina  wären  melkerinnen,  wie  ags.  hläford  und  hlsefdige  (s.  663) 
auf  die  vertheilung  des  brots  im  haus  gehn,  diese  sind  unter  acker- 
bauenden aufgekommen,  jene  unter  hirten. 

Wie  feim  den  sich  auf  der  Oberfläche  des  wassers  und  der  milch 
ansetzenden  schäum,  nach  Schmeller  1,  531  waldfaim  den  schäum 
beim  kochen  der  mölke  bezeichnen,  und  ahd.  feim  zugleich  repur- 
gium  ausdrückt  (Graff  3,  519);  liegt  auch  in  unserm  rahm  flos  lactis  1002 
(bei  Hans  Sachs  milraum,  bei  Helbling  1,  1055  milchrüm)  eigentlich 
das  mhd.  räm,  ansatz  von  schmutz  (Schm.  3,  81).  schmant  oder 
schmand  ist  in  vielen  deutschen  gegenden  verbreitet  und  aus  dem 
böhm.  smant  und  smetana,  poln.  smietana,  walach.  smentana.  das 
schweizerische  nidel  (Stald.  2,  236)  weisz  ich  nicht  abzuleiten; 
sollte  es  mit  nudel,  der  mehlspeise  (Schm.  2,  682)  verwandt  sein? 
man  sehe  hernach  battudo  für  käse  und  mehl.  Von  hohem  alter 
scheint  das  in  Mederdeutschland  gültige  sahne,  nnl.  zaan,  bei  Kilian 
säen,  welches  für  schäum  auf  der  milch  und  dem  hier  gebraucht 
wird;  schon  Frisch  2,  149''  leitet  davon  richtig  das  Schweiz,  und  bair. 
senn,  senner,  sender  milchknecht,  käseknecht,  und  sennin,  sendin, 
Sennerin  milchmagd  (Stald.  2,  371.  Schm.  3,  253).  ein  mögliches 
ahd.  sännio  sennio  und  sännia  sennia  für  melker,  melkerin  würde 
jener  deutung  von  fömea  fsemne  aus  f6m  fäm  zu  statten  kommen, 
sennweide  bezeichnet  bergweide  oder  alpe  für  melkvieh. 

Für  butter  und  käse  haben  unsre  vorfahren  schon  in  früher 
zeit  den  heimischen  namen  entsagt  und  von  den  Eomanen  die  mit 
der  vollkommneren  bereitung  erlernten  ausdrücke  angenommen,  unter 
den  alphirten  aber,  scheint  es,  haften  noch  echtdeutsche, 

BovTVQOv,  lat.  butyrum  sichtbar  von  /3oi}s  und  rvQog  gebildet, 
besagt  also  kuhkäse,  wie  ydla  kuhmilch.  Plinius  28,  9 :  e  lacte  fit 
et  butyrum,  barbararum  gentium  lautissimus  cibus,  et  qui  divites  a 
plebe  discernat.  plurimum  e  bubtilo,  et  inde  nomen;  dasz  das  wort 
skythisch  sei  behauptet  er  nirgend,     it.  butiro,  burro,  franz.  beurre 


696  BUTTER 

(wie  verre  f.  vitrum).  ein  ahd.  butera  ist  nicht  vor  dem  11  jh. 
aufzuweisen,  doch  mag  es  früher,  wie  schon  bei  den  Angelsachsen, 
üblich  gewesen  sein,  bei  Alfric  sagt  der  schafhirte:  cyse  and  bute- 
ran  ic  dö,  caseum  et  butyrum  facio,  woraus  ein  weiblicher  nom. 
butere  zu  schlieszen  ist.  ebenso  fries.  butere,  gen.  butera.  nnl.  boter, 
engl,  butter.  die  Scandinaven  haben  das  wort  nicht  angenommen. 
1003  Bei  den  Alemannen  der  Schweiz,  des  Oberrheins  und  Elsasses*, 

nicht  aber  ostwärts  des  Schwarzwalds  bei  den  übrigen  Schwaben, 
noch  den  Baiern  und  Tirolern  lebt  bis  auf  heute  fort  "^  der  anke'  oder 
"^ancche';  die  Deutschen  am  Monte  Rosa  sagen "^anccho'  (Schotts.  263). 
doch  enthalten  sich  des  wortes  einzelne  gegenden  der  Schweiz,  nament- 
lich Appenzell,  wo  man  weder  butter  noch  anke,  sondern  schmalz 
hört  (Tobler  s.  85*).  kein  mhd.  dichter  braucht  den  ausdruck,  der 
vocab.  optimus  p.  22  hat  putirum  anke  und  ein  hofrodel  für  Ein- 
siedeln (weisth.  1,  159)  das  masc.  ancke.  in  den  erhaltnen  Schriften 
Notkers,  dem  es  nicht  entgehn  würde,  ist  kein  anlasz  dazu,  aber  die 
gl.  flor.  Diut.  2,  233*  haben  butirum  anco.  es  reicht  in  ältere  zeit 
hinauf,  nicht  nur  geben  die  keronischen  glossen  bei  Goldast  das  fem. 
ankä  butyrum  und  ankana  mulctralia  (Frisch  1,  29^)  sondern  schon 
die  alte  glosse  des  8  jh.  Diut.  1,  525*:  piduingit  anchünsmßro,  ex- 
primit  butyrum,  vgl.  ancsmSro  axungia  bei  Graff  6,  833.  Dies  ahd. 
ancho  oder  anchä  setzt  ein  verbum  anchöu  voraus,  welchem  sowol 
das  lat.  ungere  als  skr.  andsch  ungere,  oblinere  (Bopps  gloss.  5*) 
entspricht,  vgl.  andschna  coUyrium  und  ätja  butyrum  liquidum  (Bopp 
28^).  die  Italiener  verwenden  unto  und  unguento  für  schmalz  oder 
butter.     walach.  untul  butyrum. 

Geradeso  bezeichnet  den  Slaven  maslo  unguentum  und  butyrum, 
russ.  böhm.  maslo,  poln.  masio,  von  der  wurzel  mazati  =  skr.  masdsch 
ungere,  immergere,  welches  mir  keine  metathese  von  andsch  (wie 
Pott  1,  235  dafür  hält),  sondern  das  ahd.  mestan  saginare,  alere  zu 
sein  scheint. 

Ahd.  smfe'ro  unguentum,  adeps,  arvina  sahen  wir  vorhin  mit  dem 
gen.  anchün  verbunden,  ancsmBro  und  chuosmfe'ro  bedeuten  butyrum, 
smSrohleip  axungia  (Graff  4,  1111).  ein  goth.  smairv  stände  zu 
1004rathen,  Ulfilas  gewährt  nur  smairj)r  mot'rjs  (ahd.smgrdar?)  ags.  smeru, 
nhd.  schmeer.  altn.  ist  smiör,  schwed.  dän.  smör  das  gangbare  wort 
für  butyrum  geblieben,     wurzel  goth.  smairvan?    ungere,  illinere.** 

Altn.  skaka  massa  butyri  recentis  ex  acetabulo,  von  skaka  qua- 
tere,  agitare,  butter  stoszen. 

Litth.  sw^stas,  lett.  sweests  butyrum,  von  mir  unbekannter  wurzel. 

Ir.  und  gal.  im,  gen.  ime  butyrum,  welsch  ymenyn ,  wozu  man 
ir.  imileadaim  ungere  und  iomainim  umrühren,  umdrehen  halte. 


*  in  der  Schweiz,  dem  Oberelsasz  und  Breisgau  ist  anke  süsze  butter, 
im  Unterelsasz  geschmolzne,  schmalz,  ankedroster  bodensatz  der  geschmolz- 
nen.    droster  ==  ahd.  trestir  faex,  quisquiliae. 

**  man  vgl.  noch  ahd.  spint,  ags.  spind  adeps;  ahd.  unsliht  arvina,  se- 
vum;  alts.  hrusel,  ags.  hrysel  arvina,  abdomen,  bair.  rösel  (Schm.  3,  135). 


BUTTER.  KÄSE.  MOLKE  697 

Wie  zu  deuten  das  span.  manteca  buttei-,  ma.ntequilla  ausgelassene 
butter,  mantequera  butterfasz?  [Diez  510]  das  bask.  burra  stammt 
aus  franz.  beurre. 

leb  schreite  fort  zu  höchst  merkwürdigen  lappischen  und  finnischen 
ausdrücken,  die  noch  mit  scandinavischen  und  unsrigen  zusammen- 
hängen, zugleich  den  Übergang  aus  dem  begrif  der  butter  in  den  des 
käses  verdeutlichen. 

Finnen  und  Esten  heiszt  die  butter  voi,  Lappen  wuoi,  Ungern 
vaj.  das  finn.  woileipä  panis  butyro  illitus  gleicht  jenem  ahd.  smö- 
rohleip.  woi  aber  scheint  wir  das  ags.  hvseg  serum.  lactis  (bei  Ohler 
379  liquor  casei),  engl,  whay  whey,  nnl.  wei  mölke,  buttermilch  [Ver- 
wys  13,  61]  ostfries.  wei,  dietmars.  hei,  bei  Neocorus  1,  138  dat  hoie 
(heie)  edder  waddeke. 

Die  Lappen  nennen  den  käse  wuosta,  das  sich  offenbar  von  wuoi 
ableitet;  minder  deutlich  ist  das  finn.  juusto,  est.  juust,  doch  sicher 
dasselbe  wort,  wie  nun  die  Lappen  ihr  milke  von  den  Scandinaven 
überkamen,  scheinen  sie  umgekehrt  diesen  genauere  käsebereitung 
gewiesen  zu  haben  und  daher  rührt  das  altn.  ostr,  schwed.  dän.  ost, 
gothländ.  ust,  nordschleswigische  und  jütische  vost.  hängt  vielleicht 
mit  ostr  das  altn.  ister  adeps  (oben  s.  199)  zusammen?  ich  würde 
mich  nicht  wundern,  auch  auf  ein  altniederländisches  weist  oder  ags.  ioo5 
hvsest  für  käse  zu  stoszen.  Die  Dietmarsen  kneten  gepreszte  milch 
unter  butter  und  nennen  das  käsebutter  (Neoc.   1,   138). 

Frühe  und  fast  allgemeine  Verbreitung  erlangte  das  lat.  caseus: 
lac  concretum  et  formis  pressum,  et  ipsa  casei  pressi  forma.  Varro 
5,  108:  hoc  primum  debuit  pastoribus  caseus,  e  coacto  lacte  ut 
coaxeus  dictus,  vgl.  6,  43.  für  unreines  S  spricht  auch  das  ital. 
cacio  und  cacivola,  die  Spanier  haben  queso.  ital.  aber  auch  von  der 
forma,  in  welche  der  käse  gedrückt  wurde,  formaggio  [sicil.  forma], 
prov.  formatge,  franz.  fromage.  ahd.  chäsi  Graff  4,  500,  pilidi  chäses 
formellas  casei  Diut.  1,  508%  alts.  käsi  kiesi,  ags.  c6se  cyse,  engl, 
cheese,  fries.  kise  tzise.  walach.  kasch  caseus,  auch  irisch  cais,  ga- 
lisch caise,  welsch  caws,  kaum  erst  nach  engl,  cheese. 

TvQog  war  wol  nicht  ursprünglich  auf  den  begrif  des  festen, 
gepreszten  käses  eingeschränkt,  wie  schon  ßovtvgov  lehrt,  läszt  sich 
dazu  halten  poln.  twarog,  böhm.  twaroh,  nhd.  quark  (wie  man  querk 
für  twerc  sagte)  weicher  frischer  käse?  das  T  ist  lang  und  schon 
deshalb  bertihrung  mit  serum  unwahrscheinlich,  denn  niemals  findet 
sich  övQog,  da  doch  wo  T  und  S  tauschen  jenes  stets  das  ältere  ist. 
auch  unterscheiden  die  Neugriechen  von  tvgi  käse  T^i'^og  mölke. 
Der  frische  käse  oder  quark  hiesz  den  Griechen  tgoq^aUg,  tgocpdhov 
von  rgicpsiv  ydla,  die  milch  gerinnen  lassen*,  yäla  ^gi'^ai  Od.  9, 
246.     tvgbv  tgstpeiv  Theoer.  25,  106. 

Bei  der  käsebereitung  sondern  sich  die  dünnen  flüssigen  und 
dicken  zähen  theile.  jene  heiszen  ahd.  chäsiwazzar  käsewasser  Graff  1, 

*  sonst  auch  a^l^eiv  yäXa,  woher  a'/,ioxov  yäXa  geronnene  milch. 


698  KÄSE.    MOLKE 

1129,  nhd.  mölke,  gr.  OQog  oqqos  neugr.  T^iQog,  lat.  serum,  it.  siero, 
sp.  suero,  finn.  hera  (H  für  S),  Schweiz,  sirme  sirmund  sirte  sirbele 
(Stald.  2,  375),  mlat.  seracium.  andere  mlat.  Wörter  dafür  sind 
tenucla  (Graff  1,  1129  und  Ducange  6,  543)  von  tenuis  (tenue 
lac?)  und  balducta,  balbuca  (Ducange  1,  549  mit  dem  dunkeln  gegen- 
satz  trema);  noch  auf  der  vorarlbergischen  weide  sagt  man  baiüt 
(Tobler  457). 

1006  Darf  zu  serum  und  r^igog  das  skr.  sara  salz  und  geronnene 
milch,  pers.  schir  milch,  osset.  achsir  gehalten  werden  ?*  Näher  liegt 
das  sl.  s"ir"  caseus,  poln.  ser,  böhm.  syr  seyr,  sloven.  serb.  sir,  sor- 
bisch ssydr,  lüneb.  wend.  saroo,  lett.  seers,  litth.  suris,  est,  seir  seer, 
welche  sämtlich  käse,  nicht  mölke  ausdrücken,  aber  die  mölke  heiszt 
poln.  serwatka,  böhm.  syrowatka,  sloven.  sirotka,  welche  deutlich  zu 
ser  syr  sir  gehören,  wenn  schon  beide  Wörter  mit  altsl.  sourov"  hu- 
midus  crudus,  poln.  surowy,  böhm.  syrowy  verwandt  sein  mögen, 
litth.  suris  aber  könnte  gemahnen  an  surus  salsus.  abweichend  sind 
litth.  iszrugos,  lett.  suhkalas.  Almqvist  259"*  führt  aus  Dalarne  an 
stjyr  (spr.  schiyr)  für  saure,  dicke  milch. 

Zeigte  nun  das  sorbische  ssydr  inlautende  erweiterung  des  syr, 
so  möchte  ich  auch  das  Schweiz,  ziger  heranziehen,  worunter  man 
heute  die  feste,  nicht  die  dünne  masse  aus  der  geronnenen  milch 
versteht,  doch  hat  Graff  5,  631  ziger  seracium  und  den  weiblichen 
acc.  die  cigeren  butyrum.  Bonerius  15,  23  stellt  als  eszbare  speise 
zusammen  "^br 6t,  ziger  und  ksese  guot',  wornach  ziger  etwas  geringeres 
als  käse  zu  sein  scheint  zigerlinge  in  urk.  bei  Zell  weger  n^  65, 
234.  289  (s.  346)  sind  eine  art  käse.  Bergmann  unterscheidet  für 
den  Bregenzerwald  dünnen  trinkbaren  sieger  von  dickem  eszbarem 
zieger  und  will  unstatthaft  ziger  aus  d'siger  deuten,  die  romanische 
spräche  in  Graubünden  sagt  tschigrun  tschegrun  und  auch  in  die  an- 
grenzende Lombardei  ist  das  wort  gedrungen,  Monte  im  vocabol.  di 
Como  erklärt  zigra :  ricotta  impastata  con  sale  e  pepe,  und  zincarlinn : 
formaggio  fresco  di  vacca,  d'  infima  qualitä,  impastato  con  sale  e  pepe. 
vielleicht  musz  bei  ziger  das  lappische  zhiuoggar  (schwed.  läpp,  tjuog- 
gar)  frustum  casei  excisum  erwogen  werden,  frischer  mit  labe  be- 
sprengter milchkäse  heiszt  zhiuuko. 

1007  Dem  ziger  pflegt  in  der  Schweiz  entgegenzustehn  der  oder  die  schotte, 
denn  in  beiden  Wörtern  schwankt  das  geschlecht,  schon  Graff  6,  425  hat 
ahd.  scotto  battudo,  was  bedeutet  battudo?  man  schlägt  danach  verge- 
bens die  neue  ausg.  von  Ducange  auf,  doch  gewährt  eine  stelle  s.  v,  tenu- 
claVel  batuto  lactis'.  es  ist  also  geschlagne  milch,  und  slekimelo  battudo 
(Graff  2,  713)  geschlagner  teig.  wie  battudo  von  batuere  wird  scotto 
[vgl.  it.  scotta,  excocta.  Diez  434]  stammen  von  scuttan  scottan,  alts. 


*  auch  unser  lab  coagulum  bedeutet  salz  (Schm.  2,  407),  wodurch  man 
die  milch  gerinnen  macht,  sonst  finde  ich  für  coagulum  im  vocab.  opt.  22» 
renna  oder  keslupp,  ahd.  chesiluppa  (Graff  2,  77)  und  noch  nhd.  renne, 
böhm.  klag,  litth.  eble. 


KÄSE.    MOLKE  699 

scuddian  quatere  quassare  und  geschüttelte  geschlagne  gestoszne  ge- 
butterte milch  aussagen.  Nach  Stalder  2,  473  ist  schotte  der  dünne, 
ziger  der  dicke  "milchniederschlag,  schotte  also  was  in  Vorai'lberg  siger 
oder  schottagsig  heiszt  (von  sigen,  niederfallen).  Tobler  s.  457  läszt 
aber  die  schotta  aus  ziger  und  mölke  bestehn,  da  sie  doch  eben  selbst 
mölke  scheint,  im  Pinzgau  heiszt  'schotten  was  beim  nochmaligen 
sieden  des  käsewassers  gewonnen  wird  und  das  im  kessel  zurück- 
bleibende Wasser  jutten  .  Matth.  Kochs  reise  nach  Salzburg  s.  303. 
wieder  anders  Schmeller  3,  416  aus  dem  Tiroler  gebrauch:  schotte 
sei  quark  aus  süszer  mölke,  topfe  aus  saurer,  im  Zillerthal  unter- 
scheide man  "^auffer  schotten'  aufsteigenden  süszen  von ' bodenschotten' 
zu  boden  fallendem  saurem,  schottig  werden  bezeichnet  serescere, 
was  in  andern  theilen  Deutschlands  hottig  werden,  hottein.  die  grau- 
bündnerische  form  von  schotte  lautet  scotgia  scotchia,  die  italienische 
scotta.  in  der  Crusca  wird  definiert:  ricotta,  fior  di  siero  rappreso 
al  fuoco,  scotta  aber:  siero  non  rappreso,  che  avanza  alla  ricotta. 
ricotta  ist  also  geronnenes,  scotta  ungeronnenes  serum.  Monti  s.  v. 
scotta  sagt :  latte  o  siero,  da  cui  si  e  cavata  la  ricotta.  ricotta  stammt 
aus  lat.  recocta,  scotta  nicht  aus  excocta,  sondern  aus  deutschem 
schotta.  übrigens  läszt  auch  H.  Sachs  III.  3,  8°  "^schotten  trinken' 
und  1,  483^  verbindet  er  Vasser,  milch  und  schotten . 

Was  in  der  Schweiz  ziger,  heiszt  in  Tirol,  Baiern,  Ostreich  topfe 
(Höfer  3,  231),  vermutlich  ahd.  topfo,  d.  i.  zusammen  laufende  ge- 
rinnende milch,  wie  der  kreisel  trochus  topf  genannt  wird  (Graff  5, 
385)  und  der  töpfer  dreht,  nach  Schm.  1,  451  ist  topfen  quark.  1008 
Wolkensteiner  s.  181:  unversait  ist  dir  mein  dicker  schotten  von 
meiner  röten  gais.  'sim,  topfen  hab  ich  selber  gnuoc'  altn.  doppa 
bulla,  umbeUa, 

Altn.  ist  misa,  ostmisa  serum,  was  wieder  aus  dem  läpp,  missu 
entnommen  scheint,  und  noch  in  einzelnen  schwedischen  landschaften 
fortlebt,  in  Jemtland  mäss  (Almqv.  292);  in  Angermanland  messan, 
skum  af  ostblandning  (Almqv.  304),  in  Helsingland  mossu  messu  missu 
(399^).     den  Osseten  heiszt  misin  buttermilch. 

Der  schwedische  ausdruck  für  serum  lautet  vassla,  in  Vestgötland 
wird  vattle  (Almqv.  336^),  in  Norwegen  vasle  varsle,  in  Dänmark  valle 
(assimiliert  für  vasle)  gesagt,  dazu  nehme  ich  das  niedersächs.  waddik 
wattke,  osnabr.  wakke,  liefländ.  waddak  (brem.  wb.  5,  161).  [wodeke. 
Mone  quellen  299*.]  es  scheint  darin  weniger  jenes  hvseg  und  wei, 
als  der  begrif  von  wat  nasz,  altn.  votr  udus,  vos  udor  gelegen,  vgl. 
water  wasser,  doch  auch  finn.  vahto  spuma. 

In  den  keltischen  sprachen  gilt  für  serum  gal.  meog,  ir.  meidhg, 
welsch  maidd.     man  wird  an  das  finn.  maito  lac  erinnert. 

Den  Walachen  ist  brinza,  den  Polen  bryndza,  den  Böhmen  brynza 
Schmierkäse,  den  Walachen  urda  käsebutter,  den  Serben  urda  geron- 
nene milch,  den  Böhmen  urda  dicke  schafmolke,  den  Ungarn  orda 
topfe;  wäre  dies  urda  =  uzda  zu  juusto  und  ostr  (s.  1004)  ge- 
hörig ? 


700  FLEISCH 

Leider  sind  uns  skythische,  thrakische,  getische  Benennungen  der 
milch,  butter  und  des  käses  untiberliefert,  sogar  die  gothischen  der 
butter  und  des  käses  gehn  ab;  in  der  Übersetzung  des  alten  testa- 
ments  wären  sie  enthalten  gewesen,  vielleicht  sagte  Ulfilas  für  butter 
agkö  oder  smairv,  schwerlich  schon  für  käse  k6si,  eher  skudja*,  duppa 

1009  oder  usts,  uzdo;  möglich  aber  auch  sind  ganz  andere  Wörter,  man 
darf  annehmen,  dasz  die  früheren  ahd.  ausdrücke,  seit  einführung 
des  Wortes  chäsi,  auf  geringere  käsearten  angewandt  wurden,  wie  die 
Litthauer,  nachdem  kiezas  unter  ihnen  gangbar  war,  suris  auf  einen 
bestimmten  salzkäse  einschränkten. 

Ich  gelange  zu  den  benennungen  des  fleisches  und  eigentlich 
blosz  des  eszbaren,  thierischen,  welches  die  meisten  sprachen  von 
dem  menschlichen  unterscheiden;  doch  begreift  es  sich,  dasz  die  aus- 
drücke für  beide  in  einander  übergehn  und  auch  der  todte  leichnam 
dabei  in  betracht  gezogen  werden  musz. 

Das  älteste  wort  unsrer  spräche  für  eszbares  fleisch  sehen  wir 
wieder  dem  sl.  und  skr.  begegnen,  goth.  mimz  in  der  einzigen  stelle 
1  Cor.  8,  13  für  %Q8ag,  weil  alle  übrigen  nur  ödg^  boten;  altsl. 
mjaso,  russ.  mjaso,  böhm.  maso,  serb.  meso,  poln.  mi^so,  litth.  miesa, 
lett.  meesa,  preusz.  mensa  mensas.  die  poln.  und  preusz.  nasalform 
stimmt  zum  anusvara  des  skr.  mänsa  (Bopp  s.  262*)  und  das  N 
reicht  ans  goth.  M.  schon  oben  s.  337  überraschte  mich  die  gleich- 
heit  der  form  mit  lat.  mensa,  goth.  mos,  ahd.  mias,  ir.  mias  (s.  844), 
jetzt  wag  ich  auch  die  analogie  der  begriffe  aufzuweisen:  sollte  nicht 
mensa  ursprünglich  der  fleischtisch,  opfertisch  gewesen  sein?  wie 
mimz  und  mos  in  der  wortgestalt  mögen  die  genera  abgewichen  haben, 
mjaso  ist  neutrum,  mensa  fem. 

Bopp  will  zu  mänsa  unser  ahd.  muos,  alts.  mos  cibus  nehmen, 
das  gerade  nicht  von  fleischspeise,  sondern  von  puls  und  pulmentum 
(nhd.  gemüse)  gilt,  doch  rechnet  Ssp.  1,  24  meste  swin  tö  der  mös- 
dele.  in  meiner  abh.  über  diphth.  s.  45  hatte  ich  hingegen  das  ahd. 
qhuec  mardaro  caro  viva  für  mastaro  und  den  altsuevischen  namen 
Masdras   verglichen,   die   vielleicht  näher   stehn  zu  mastan  saginare, 

1010  welches  selbst  höher  hinauf  mit  mänsa  verwandt  sein  könnte,  aber 
auch  gr.  ^aöd-og  ^aözög  ^a^os  und  ahd.  manzo  über  (Graff  2,  818) 
kommen  in  betracht,  zumal  für  lat.  mamma  in  heutigen  deutschen 
volksmundarten  mams,  mems  gesagt  wird,  was  ganz  an  jenes  goth. 
mimz-  reicht,  fleisch  kann  leicht  von  der  fleischigen  brüst  gelten,  wie 
von  dirnen,  die  ihre  brüst  entblöszen  gesagt  wird,  dasz  sie  ihr  fleisch 
auslegen,     nun  steht  gerade  Col.   1,  22  goth.  mammö  für  öccq^. 

Der  übliche    goth.    ausdruck    für  öaQ^  und  öä^a  ist  aber  leik, 


*  was  gar  verwandt  sein  könnte  mit  dem  dunkeln  skaud  in  skaudaraip 
luccg,  altn.  bedeutet  skaud  retrimentum,  wozu  unser  schote  siliqua,  hülse  die 
man  wegwirft  zu  gehören  scheint,  der  gelwe  schote  in  Reinbots  Georg  4594 
bezeichnet  eine  pflanze,  die  noch  heute  gelber  schote  heiszt  fNemnich  s.  v. 
lotus  corniculatus),  engl,  butterjags,  westgötländ.  gjöksmör  (kukuksbutter), 
von  der  buttergelben  färbe  des  krauts.   Bon.  81,  38  schotter  dan  ein  swin. 


FLEISCH  701 

ahd.  l]h,  ags.  llc,  altn.  lik,  die  uns  nie  das  gr.  nQeag  bezeichnen, 
aber  Pinnen  verwenden  ihr  liha,  Esten  ihr  lihha  vom  menschlichen 
und  thierischen  fleisch,  mit  leik '  vergleicht  sich  das  skr.  d6ha  corpus 
caro  cadaver  (Bopp  p.  176''),  wogegen  mein  früheres  bedenken  (s.  354) 
mir  nun  schwindet. 

Ahd.  lip,  alts.  ags.  altn.  lif  bedeuten  vita,  nicht  corpus,  doch 
wird  dem  altn.  lif  auch  der  sinn  von  abdomen,  uterus  beigelegt,  mhd, 
aber  ist  lip,  nhd.  leib  corpus,  wie  wir  leib  und  leben  verbinden, 
mnl.  finde  ich  lif  für  beide  begriffe  gebraucht  z.  b.  Karel  1,  1691. 
2,  88;  nnl.  lif  corpus,  engl,  life  nur  vita,  schwed.  lif,  dän.  liv  aber 
vita  und  corpus,  alvus. 

Ahd.  potah  corpus  cadaver,  ags.  bodig,  engl,  body,  gal.  bodhaig. 

Mhd.  äs  cadaver  morticinum  fundgr.  II.  27,  31.  Wh.  222,  13. 
Karl  52b,  andere  belege  bei  Ben.  1,  64,  nhd.  aas.  nnl.  aas.  schwed. 
as,  dän.  aadsel  neben  aas  esca,  altn.  ata  esca.  die  wurzel  ist  itan 
ahd.  6zan,  wie  esca  für  edca  etca  steht  von  edere  (s.  352.  358);  es 
gibt  mehr  Übergänge  aus  dem  T  in  S,  so  scheint  mats  cibus  verwandt 
mit  mos,  ahd.  muos  pulmentum,  und  aus  gr.  ßXfjtov  ward  dakisches 
ßXrjg  (s.  204). 

Bedeutsam  stimmt  skr.  kravja  caro  (Bopp  p.  88)  zu  gr.  ngsag 
f.  XQdßag,  zu  goth.  hraiv,  ahd.  hr6o,  mhd.  r6,  ags.  hrsev,  altn.  hrse 
und  zum  lat.  caro  carnis  wie  corpus,  die  sich  zu  jenen  verhalten  wie 
cornix  corvus  zu  hraban;  auch  ir.  gilt  carna  für  fleisch;  da  ferner 
das  blutende  fleisch  und  blut  einander  nahe  liegen,  vergleichen  sich 
lat.  cruor,  litth.  kraujas,  sl.  kr"v',  poln.  böhm.  krew,  ir.  cru,  welsch  1011 
crau,  welche  alle  blut  ausdrücken,  in  diesem  wort  treffen  also  sämt- 
liche urverwandte  sprachen  zusammen  nur  mit  abweichender  form  und 
bedeutung:  wer  sollte  im  mlat.  re  und  franz.  corps  oder  chair  die- 
selbe Wurzel  vermuten? 

Das  ahd.  fleisc,  alts.  fl6sc,  ags.  flsesc,  engl,  flesh,  nl.  vl6sch, 
fries.  fläsc  scheint  ursprünglich  fettes  fleisch  zu  bedeuten,  wie  man 
aus  fleisc  caro,  arvina  bei  Graff  3,  775  und  dem  altn.  flesk,  schwed. 
fläsk,  dän.  flesk  lardum  ersieht,  wofür  ahd.  speh  nhd.  speck  gilt,  die 
Deutschen  müssen  also  gern  fettes  fleisch  genossen  haben,  aber  schon 
den  ags.  dichtem  war  flseschoma  gleichbedeutend  mit  lichoma.  der- 
selben Wurzel  ist  das  sl.  pl"t'  öccq^,  in  den  freising,  denkm.  pulti, 
russ.  plot',  sloven.  polt  fleisch  und  haut,  böhm.  polt,  poln.  poiec 
Speckseite,  litth.  paltis  Speckseite,  lett.  paltas  blutwurst.  unser  aus- 
lautendes -sc  scheint  zu  nehmen  wie  in  altn.  beiskr  dän.  besk  mor- 
dax  acerbus  von  bita. 

Da  der  nord.  spräche,  wie  wir  sehen,  flesk  lardum  ist,  so  drückt 
sie  6(XQ^  und  XQsag  durch  andere  Wörter  aus, 

öa'ßl  durch  altn.  hold,  schwed.  hüll,  dän.  huld,-  holdgroinn  heiszt 
Saem.  271*  ins  fleisch  gewachsen,  ags.  ist  hold  cadaver  Matth.  24,  28. 
es  begegnet  dem  ir.  colan  body,  flesh,  gal.  colann  body. 

^Q£ag  durch  altn.  kiöt,  schwed.  kött,  dän.  köd  kiöd;  die  Nieder- 
länder setzen  kuit  für  den  fleischigen  theil  des  beins,  die  wade,  wie 


702  FLEISCH 

man  plattd.  sagt:  he  het  küt  in  de  bene,  fleisch  in  den  beinen,  starke 
waden.  küten  heiszt  den  bauch  aufschneiden,  ausweiden,  schlachten, 
kütelbank  fleischbank,  engl,  gut  f.  einge weide,  im  hochd.  ist  nichts 
ähnliches,  vgl.  ir,  cua  eszbares  fleisch,  unverwandt  aber  ist  lat.  cutis, 
altn,  hüd. 

Z!dQ^  selbst  scheint  schwerer  deutung.  die  Aeoler  sagten  für 
öccQwg  GVQxeg,  für  öaQ^l  ovQKSOi  (Ahrens  s.  78).  man  braucht  kein 
digamma  Gpdg^  f.  GÜQi,  zu  hülfe  zu  rufen.  Benfey  1,  423  hat,  dünkt 
mich,  trefi'end  auf  das  skr.  asridsch  und  asra  sanguis  (Bopp  25^.  26*^) 
gewiesen,  litth.  ist  srawju  ich  blute,  lett.  assins  sanguis,  und  wir 
10.12  empfangen  dadurch  bestätigung  des  skr.  kravja  caro  und  litth.  kraujas 
sanguis.     den  Lazen  heiszt  das  blut  dischir,  * 

Das  sl.  tjelo,  böhm.  telo,  slov.  telö,  serb.  tijelo,  poln.  ciaio  be- 
deutet öajjua  und  (SuQ^,  leib  und  leichnam. 

Gleichen  sinn  hat  das  litth.  kunas,  ir.  gal.  cun. 

Ir.  und  gal.  ist  feol,  feoil  eszbares  fleisch  und  fett,  fuil  blut; 
welsch  cig  das  thierische,  cnawd  das  menschliche  fleisch,  jenem  cun 
und  kunas  ähnlich,    ir,  und  gal.  auch  bruith  thierisches  eszbares  fleisch. 

altsl.  troup"  cadaver  TCxaiia,  poln.  trup,  böhm.  traup,  slov.  truplo. 

Den  Lappen  ist  eszbares  geschlachtetes  fleisch  piärgo,  biergo, 
ungeschlachtetes  ädtje,  oaadzhie,  menschliche  haut  (schwed.  hüll)  aber 
asse,  iltje,  like. 

Während  also  skr,  deha  und  mänsa,  goth.  leik  und  mimz,  gr. 
öaßl  und  %p£o:g,  altn.  hold  und  kiöt,  sl.  tjelo  und  mjaso,  ir.  feol 
und  cun  unterschieden  sind,  fallen  in  unserm  fleisch  und  im  lat.  caro 
beide  begrifl^e  zusammen. 

Wichtiges  aber  ergibt  sich  aus  allen  diesen  benennungen  der 
milch  und  des  fleisches  für  die  durchdringende  nahe  oder  ferne  Ver- 
wandtschaft der  europäischen  Völker. 

Führten  beide  hauptnamen  der  milch  zurück  auf  sanskritwurzeln, 
so  verbürgt  zugleich  die  einstimmige  abweichung  aller  eui-opäischen 
sprachen  in  zwei  consonanten  von  dem  sanskrit  das  feste,  eigenthüm- 
liche  band  unter  ihnen,  milch  wie  lac  zeigen  L,  aber  in  milch  ent- 
sprang aus  es  E,  in  lac  aus  D.  unmittelbar  berühren  sich  phena 
und  pjena,  feim  und  piimä. 

Auf  die  namen  der  einfachen  stoffe  des  fleisches  und  der  milch 
konnte  die  römische  herschaft  nicht  einwirken,  aber  für  die  bereitung 
der  milch  verbreitete  sie  ihr  selbst  erst  von  den  Griechen  erborgtes 
butyrum  und  ihr  caseus  über  einen  groszen  theil  von  Europa,  nur 
1013  nicht  nach  dem  Norden,  der  das  einheimische  smiör  festhaltend  von 
den  lappischen  nomaden  ost  und  misa  empfieng.  läpp,  wuoi  greift 
über  in  ags.  hvseg,  nl,  wei,  und  läpp,  zhiuoggar  scheint  sogar  bis  ans 
Schweiz,  ziger  zu  reichen;  uralt  sein  musz  die  Übereinkunft  des  Ann. 
hera  mit  lat.  serum  und  sl.  ser,  sir. 


*  nach  der  s.  721  angezognen  stelle  tranken  die  Geten  sogar  pferde- 
blut  mit  milch  vermischt. 


HIRTEN  703 

Mögen  die  Kelten  auch  cais  aus  caseus  entlehnt  haben,  ihr  im 
butter  und  meog  serum  stehn  höchst  eigenthümlich,  wie  sie  für  die 
einfache  milch  eine  fülle  von  Wörtern  bewahren. 

Über  dem  gr.  rvQog  schwebt  ein  dunkel,  das  vielleicht  durch  die 
thrakischen  und  goth.  benennungen  wäre  erhellt  worden. 

Wie  wunderbar  stimmen  mänsa  mimz  mjaso  miesa,  d6ha  leik  liha 
und  kravja  hraiv  xQsag  caro  zusammen,  fleisc  und  kiöt  bestimmen 
aber  einen  gegensatz  zwischen  den  übrigen  Deutschen  und  Scandina- 
ven,  und  während  fleisc  dem  sl.  plot,  begegnet  hold  dem  keltischen 
colan.  es  mag  eine  zeit  gegeben  haben,  wo  alle  Deutschen  ein  dem 
goth.  mimz  entsprechendes  wort  besaszen,  wofür  sich  allmählich  die 
bestimmteren  ausdrücke  fleisc  und  kiöt  als  allgemeine  benennung  ein- 
führten. 

Zur  sonderung  der  Alemannen  von  den  Baiern  tragen  zumal 
anke,  ziger,  schotte  und  topfe  bei.  mit  Langobarden  oder  Burgun- 
den  scheinen  schotte  und  ziger  auch  ins  obere  Italien  vorgedrungen. 

Fragt  es  sich  endlich  nach  den  namen  der  nomaden  selbst,  so 
müssen  sie  alle  auf  herde  und  weide  bezug  haben. 

Der  hairdeis  führt  die  hairda  (sl.  tschrjeda),  wie  der  nOL^rjv  die 
noifivf],  von  näv  faihu  pecu  (s.  28).  Tioifi/jV  ist  litth.  piemü  (oben 
s.  955).  ahd.  hirti,  litth.  kerdzus.  von  ahd.  chortar  ags.  corder 
leitet  sich  chortari  pastor  (oben  s.  706),  wozu  man  stelle  das  mhd. 
"^das  vihe  chßren  Maria  158,  37.  von  haltan  custodire  heiszt  der 
hirt  ahd.  haltari,  die  hirtin  haltarä,  noch  heute  in  Ostreich  und  Salz- 
burg halter,  halterin,  vgl.  das  eddische  geitr  halda  Ssem.  163*.  altn. 
gseta  custodire,  gaetir  custos,  hesta  ga^ta  Ssem.  266^;  ahd.  warten, 
fihuwart  custos  pecoris,  alts.  chuward  custos  equorum.  altn.  völlrl014 
Campus,  pratum,  schwed.  vall  solum  herbidum,  valla,  gä  i  vall  pascere, 
vallhjon  custos.  ahd.  weida  pascuum,  weidari  pastor.  gr.  vofiog 
weide,  vo^svg  hirt.  lat.  pascere  und  pastor,  sl.  pasti  und  pasf'ir', 
pastva  pascuum,  poln.  pasc  und  pasterz,  vgl.  föstra  alere  nutrire, 
föstri  nutritor.  gr.  ßoöKSLV,  ßotrJQ  ßcorcaQ  ßcoTtjg  ßovrfjg  und  skr. 
pa^u,  lat.  pecu. 

Von  ohso  wird  gebildet  ahd.  ohsinari,  von  ovis  lat.  opilio,  von 
vervex  berbix  berbicarius  berger,  von  böhm.  krawa  krawa^,  vom  litth. 
kiaulS  kiauliszus ;  zu  suln  sus  unmittelbar  gehörig  scheint  ahd.  suein 
subulcus,  ags.  svän  subulcus  und  bubulcus,  altn.  sveinn  puer,  famulus. 
gr.  ainoXog  f.  alyonoXog,  bei  Homer  aber  cilnokog  alycav  von 
jioXico,  ßovKolog  und  iunoßovyiokog  von  %oXsa,  beide  verba  bedeuten 
ich  treibe. 

Für  unser  südliches  hirtenleben  kommen  zwei  ausdrücke  in  be- 
tracht,  sennalp  in  der  Schweiz,  in  Tirol,  Baiern  und  Steier,  schweigalp 
in  Ostreich,  Schwaben  bis  in  die  Schweiz,  dort  sind  sennhütten,  senner 
und  Sennerinnen,  hier  schweigen,  Schweiger  und  schweigerinnen.* 
sennen  heiszt  käse  bereiten  (Schm,  3,  253),  wie  ich  vorhin  (s.  1002) 


vgl.  für  die  Donaugegend  Jägers  Ulm  s.  604 — 606. 


704  HIRTEN 

vermutete,  die  milch  abrahmen  und  gerinnen  machen.  Schott  redet 
auch  bei  den  Deutschen  auf  Monte  rosa  von  sennhütten  und  Senne- 
rinnen, ohne  uns  bestimmt  zu  sagen,  dasz  unter  ihnen  dieser  name 
gelte ;  sein  glossar  versäumt  schotte  und  ziger  oder  was  dort  dafür 
gesagt  wird  anzugeben,  s.  98  meldet  er,  dasz  im  deutschen  Wallis, 
in  Tirol  und  Steier  nur  frauen,  in  Niederwallis,  der  Schweiz  und 
Oberwallis  aber  männer  die  alpenwirtschaft  besorgen,  vgl.  Schm. 
3,  253.  Sueiga  ist  schon  in  ahd.  glossen  armentum,  vaccaritia  und 
sueigari  armentarius  (Graff  6,  862),  das  denkmal  von  der  Schwaben- 
ehe verbindet  'swaner  und  swaige'  und  vorher  'chüriche  und  chuzal' ; 
Schm.  3,  531  erklärt  schwaig  durch  Viehhof,  N.  ps.  50,  21  sagt: 
chalber,  nals  föne  dero  sueigo  genomeniu.  das  wort  erscheint  aber 
in  keiner  andern  unsrer  sprachen. 

1015  Auf  den  salzburgischen  alpen  heiszen  die  sennhütten  kaser  (Matth. 
Koch  s.  302),  Schm.  2,  335  schreibt  käser^  ahd.  zi  den  chasarum 
ad  cameram  pastoralem  (Graff  4,  525),  der  sg.  lautete  wahrscheinlich 
chasara.  mlat.  fromageria  locus  ubi  casei  fiunt  vel  asservantur.  davon 
wird  der  alpknecht  käser,  die  sennerin  käserin  (span.  quesara)  genannt, 
der  käser  aber  auch  melcher,  und  diese  von  der  milch  und  käse- 
bereitung  entnommnen  ausdrücke  bestätigen  meine  deutung  des  senners 
und  der  sennerin. 

Von  der  alp  selbst  führt  der  Schweiger,  senner  oder  käser  zugleich 
den  namen  alpei-,  alber,  wie  auf  den  steirischen  alpen  planiniz,  von 
planina  alp  oder  bergweide  serb.  bergwald,  poln.  plonina.  die  senne- 
rin oder  schweigerin  ist  gleichviel  mit  der  alperin  oder  almerin.  auch 
heiszt  in  Baiern  der  alpweideplatz  leger,  hochleger  und  niederleger 
(hochalpe  und  niederalpe)  und  davon  der  käse  legerkäs  MB.  2,  83 
(a.   1443)  vgl.  Schm.  2,  453. 

Die  Engländer  mit  einem  wort,  das  ich  nirgends  erklärt  finde, 
nennen  kuhweide  und  milcherei  dairy.  ich  will  eine  Vermutung  wagen : 
den  Angelsachsen  war  dägrlm  diluculum,  aurora,  wie  eefenrim  crepus- 
culum,  für  dägrlm  hat  die  ags.  chronik  das  erweichte  däirim  und 
daraus  könnte  leicht  dairy  geworden  sein,  das  also  die  zeit  des  tag- 
anbruchs,  wo  gemolken  wird,  bezeichnet,  ein  solcher  ausdruck  aus 
dem  hirtenleben  war  das  homerische  warbg  ccfiolya  bald  für  des 
morgens,  bald  des  abends  dämmerung.  aus  dem  galischen  airidh  wird 
dairy  nicht  entsprungen  sein,  Macleod  gibt  die  erklärung :  hillpasture  or 
summerresidence  for  herdsmen  and  cattle,  unser  Sommerfrische  (s.  19). 

Alle  diese  ausdruckesweisen  athmen  einfache  sitte  eines  hohen 
alterthums,  wo  frau  und  tochter  des  hirten  wie  dienende  mägde  (vgl. 
s.  71)  die  herde  molken,  butter  und  käse  bereiteten,  wo  milch  butter 
und  käse  die  weisze  speise  (in  Schweden  hvit  mat),  fleisch  die  rothe 
war.  gewis  unter  nomaden  zuerst  entsprang  das  durch  die  ganze 
volkspoesie  ziehende  gleichnis  von  milch  und  blut,  und  der  monats- 
name  Thrimilci  (s.  80.  92.  HO.  798).     den  Lappen  ist  geronnene  und 

1016  zer stückte  milch  eine  art  münze  (Klemm  3,  21),  wie  die  haut  des 
viehs,  der  pelz  des  wilds  das  älteste  geld  war. 


HIRTEN  705 

Der  hirfc  zeigt  uns  das  einfache  vorbild  des  fürsten,  des  Jioifirjv 
laäv,  und  sein  haselstab*  erscheint  wieder  im  zepter  der  könige. 

Den  gegensatz  der  tirolischen  senner  und  heimer,  die  rückfahrt 
von  der  alm,  den  stolz  das  unflätigste  hemd  nach  hause  zu  bringen, 
die  durch  alle  theile  Deutschlands  verbreitete  sitte  des  kiltgangs  oder 
gasselgehns  hat  Steub  in  seinem  schon  s.  23  angezognen  buch  lebendig 
geschildert,  man  vgl.  Tobler  s.  421^.  manches  davon  soll  in  meinem 
werk  über  die  deutsche  sitte  in  helleres  licht  gesetzt  werden. 


*  hafa  i  hendi  heslikylfo.  Ssem-  136^.  das  Mülhauser  stadtrecht  sagt 
von  dem  hirten,  der  das  nothgeschrei  einer  frau  vernimmt:  di  herte  sal  och 
volge  mit  siner  kulin  unde  mit  sime  crummin  stabe,  unde  saldaz  vi  laze  ste. 


Griinra,  geschichte  der  deutschen  spräche.  45 


XLIT. 
S  C  H  L  U  S  S. 


1017  Unsere  spräche  verleugnet  weder  ihren  Ursprung  aus  Asien,  noch 
den  räum,  der  ihr  in  Europa  angewiesen  wurde,  die  Deutschen 
fanden  ihre  stelle  in  der  mitte  von  Römern  und  Kelten  gegen  süden 
und  Westen,  von  Lappen,  Pinnen,  Litthauern  und  Slaven  gegen  nor- 
den und  Osten,  aus  diesem  osten  her  geschah  der  einzug  und  noch 
lange  zeit  hielten  die  hintersten  Germanen  ferne  strecken  besetzt, 
welche  nachher  von  Slaven,  zuletzt  von  Ungern  und  Türken  zuge- 
deckt wurden,  die  alte  deutsche  spräche  vermittelt  sich  also  durch 
Thrakien  auch  mit  der  griechischen  und  ohne  dies  Verhältnis  würden 
wol  manche  ihrer  eigenheiten  unaufgeklärt  bleiben. 

Die  Stellung  der  europäischen  sprachen  gegeneinander  musz  aber 
weit  länger  als  unsre  geschichte  hinauf  reicht  bestanden  haben,  da 
sie  nicht  blosz  auf  äuszerlich  von  den  nachbarn  erborgte  Wörter,  son- 
dern auf  innere  seit  undenklicher  zeit  waltende  gemeinschaft  oder 
abneigung  gegründet  ist.  man  langt  nicht  aus  damit  diese  von  nach- 
weisbarem angrenzen  oder  fernliegen  abhängig  zu  machen,  vielmehr 
können  auch  ältei-e  in  der  geschichte  verschollene  Verhältnisse  wirk- 
sam gewesen  sein,  wie  z.  b.  lieszen  sich  einzelne  eigenheiten  der  zen- 
dischen  lautregel,  die  im  griechischen  und  welschen  sich  wiederholen, 

1018  anders  fassen?  uralte  berührung  musz  gewaltet  haben,  doch  niemand 
kann  sagen  zu  welcher  zeit  und  an  welchem  ort. 

Sprachliche  Verwandtschaft  zeigt  sich  in  den  einfachen  lauten, 
bildungen,  flexionen,  fügungen  und  dem  wortvorrath. 

Den  vocalismus  des  sanskrit  hat  allein  die  gothische  spräche 
urlauter  bewahrt,  aus  der  trilogie  A  I  ü  entsprieszt  die  der  decli- 
nationen,  und  die  zwiefache  der  diphthonge,  deren  Verdichtung  längen 
herbeiführt  (s.  843). 

Nur  im  sanskrit  konnte  guna,  nur  im  deutschen  konnte  ablaut 
durchdringen,  jenes  als  reines  lautgesetz,  dieser  als  dynamische,  die 
wurzeln  des  verbums  wie  die  flexionen  des  nomens  beherschende 
regel.     was  sich   in  den   übrigen  urverwandten  sprachen  dem  guna 


SCHLÜSS  707 

und   ablaut  vergleichen   läszt  sind  nichts   als   bruchstticke   und    an- 
näherungen. 

Vocalbrechungen  haben  eine  gewisse  analogie  zu  den  diphthongen, 
die  sich  auch  darin^erzeigt,  dasz  aus  beiden  Verengungen  hervorgehn. 
ähnlich  dem  E  und  0  entspringen  E  und  0,  mit  dem  unterschied  jedoch, 
dasz  jene,  gleich  den  diphthongen,  länge  bewirken,  E  und  0,  gleich 
den  brechungen,  kurz  bleiben,  die  gebrochnen  vocale  sind  also  nur 
pseudodiphthongischer  natur  und  gehn  durch  äuszern  anlasz,  die  diph- 
thonge  unsers  ablauts  quellen  aus  innerm  trieb  hervor. 

Den  brechungen  zur  seite  hat  unsere  spräche  im  verlauf  der  zeit 
auch  umlaute  entfaltet,  die  äuszerlich  hervorgerufen  zuletzt  dyna- 
mischen schein  gewinnen,  wie  in  den  nhd.  pluralen  und  conjunctiven. 

Solcher  bewegung  der  vocale  gegenüber  waltet  auch  die  der  con- 
sonanten  und  man  kann  sagen,  dasz  ähnlich  dem  deutschen  vocalismus 
der  keltische  consonantismus  dynamisch  ward  (s.  368.  391).  von  der 
keltischen  consonantregel  erscheint  unsere  spräche  gleichsam  nur  an- 
geweht (s.  377). 

Dafür  haben  die  deutschen  consonanten  eine  innere,  den  übrigen 
urverwandten  sprachen  fast  unerhörte  Umwälzung  erfahren,  dasz  die 
gothische,  niederdeutsche  und  nordische  auf  gleichem  fusz  stehende 
lautverschiebung  kein  ohnmächtiger  trieb  war  geht  hervor  aus  ihrem 
wiederholen  bei  den  hochdeutschen  stammen,  der  ganze  kreis  aller  1019 
stummen  consonanten  muste  durchlaufen  werden. 

Was  die  übrigen  consonanterscheinungen  betrift,  so  ist  unsere 
spräche  gleich  dem  sanskrit,  latein,  den  Slaven,  Litthauern  und  Iren 
dem.  S,  die  zendische,  griechische,  welsche,  finnische  dem  H  zugethan 
(s.  299.  300),  wonach  sich  der  gr.  Hermes  zusammenstellt  mit  Sar- 
mana*.  Dagegen  lieben  es  die  Slaven  kehllaute  in  zischer  zu  wandeln, 
ihrem  Z  in  az  entspricht  wieder  das  zendische  azem,  skr.  aham  (s.  257. 
260),  wie  zend.  vazämi  skr.  vahämi,  lat.  veho,  goth.  wiga  lautet;  sl. 
zlato  ist  goth.  gulj),  sl.  zima  lat.  hiems,  gr.  ;^£i^a)t',  bereza  ahd.  pi- 
richa;  litth.  SZ  hat  goth.  H  zur  seite  (s.  385).  ein  solches  Z  =  H 
scheint  auch  beiGetenund  anderwärts  (s.  712)  aufzutauchen,  später 
treten  Zischlaute  unter  Schweden,  Friesen,  Engländern  vor  (s.  387. 
388).  dem  litth.  szü  und  aszwa  begegnet  selbst  skr.  hvä,  a^va,  zend. 
^pä  a^pä,  sl.  p's"  psa,  während  die  übrigen  den  reinen  kehllaut  halten 
(s.  38.  40).  R  aus  S  entstehn  läszt  die  deutsche  allmählich  gleich 
der  lat.  spräche  (s.  314).  fragendes  K  haben  skr.  zend.,  latein,  litth. 
sl.   und   lautverschobnes  H  die  deutsche  spräche,   P  die  griech.  osk. 


*  dasz  die  Griechen  für  v).fj  früher  sagten  ovXt]  ==  lat.  sylva  (s.  303) 
[Lachmann  Lucr.  p.  395]  erhellt  aus  dem  ort  SxanxTjavXrj  in  Ihrakien,  wo 
Thukydides  im  bann  den  ersten  pelop.  krieg  schrieb,  mansche  sein  leben  von 
Marcellinus,  auch  bei  Herod.  6,  46  zu  lesen  ix  SxanzTjavXrjc,  nicht  HxanzTJq 
vXrjc.  Steph.  byz.  hdii^xanttj  ^Itj.  der  name  mahnt  mich  an  unsere  deutsche 
sage  von  dem  scheftewalt  (cod.  pal.  361,  91c),  walt  aber,  alts.  wald,  ags. 
veald  erhebt  gröszeren  anspruch  auf  Verwandtschaft  mit  saltus  und  aXaoq 
(nach  dem  Wechsel  zwischen  V  und  S),  als  alts.  ags.  holt,  ahd.  holz, 

45* 


708  SCHLUSS 

welsche  (s.  346)  und  gleiche  lautneigung  wiederholt  sich  noch  in  an- 
dern Wörtern. 

Die  aspiration  ist  im  skr.  griech.  deutschen  und  keltischen  mächtig 
entfaltet  (s.  344.  359.  380.  390),  bei  Kelten  und  einigen  West- 
deutschen  auch   aspiration   der   mediae  (s.   345).      hingegen  sind  die 

1020  Litthauer  ohne  aspirata  (s.  344.  380),  die  Slaven  ohne  PH  TH 
(s.  344),  die  Römer  ohne  CH  TH  und  ihr  F  musz  beide  mit  ver- 
treten. 

Das  gr.  digamma  gleich  dem  lat.  V,  welschen  GW  und  irischen 
F  (s.  296.  297),  aber  auch  deutsche  muudarten  lassen  ihr  V  in  W, 
GW  und  G  übertreten,  wie  digamma  schwand,  schwanden  uns  V  vor 
VL  YR  (vgl.  altn,  s.  297),  H  vor  HL  HR  und  in  der  mitte  von  Zu- 
sammensetzungen (s.  298.  544)  oder  den  Romanen  deutsches  H  im 
anlaut ;  unser  H  selbst  ist  fast  nur  erweichtes  CH.  lat.  gieng  H  her- 
vor aus  älterem  F  (s.  348). 

Während  die  lappische,  finnische,  estnische,  ungrische  spräche 
kein  genus  unterscheiden,  sind  im  sanskrit,  zend,  griech.,  lat.,  deut- 
schen und  slav.  drei  geschlechter  entfaltet,  im  litthauischen,  ro- 
manischen, keltischen  gebricht  das  neutrum  und  ist  wahrscheinlich  aus- 
gestorben, wie  im  dänischen  masc.  und  fem.  zusammengeronnen  sind. 

In  der  deutschen  lateinischen  griechischen  und  keltischen  decli- 
nation  gelten  nur  wenig,  im  sanskrit,  slavischen  und  litthauischen  aber 
viel  casus  (s.  927). 

Die  vollendeteste  verbalflexion  erscheint  im  sanskrit  und  griechi- 
schen, grosze  Vorzüge  hat  auch  die  lateinische,  litthauische  und  sla- 
vische ;  die  deutsche,  keltische  und  romanische  stehen  nach,  doch  ist 
der  gothischen  noch  reduplication  mit  dem  sanskrit,  griech.  und  lat. 
gemein,  welche  Litthauern,  Slaven  und  Kelten  abgeht,  äuszerlich  aber 
erscheint  die  goth,  reduplication,  und  was  ihr  in  den  übrigen  deut- 
schen sprachen  entspricht,  als  jüngere,  der  schon  eine  ältere,  zu  den 
gr.  und  lat.  Wörtern  stimmende   musz   vorausgegangen   sein  (s.  874). 

In  sämtlichen  urverwandten  sprachen  treffen  zusammen  cardi- 
nalia  (s.  239),  persönliche  pronomina  (s.  257),  verbum  substantivum 
(s.  265)  und  verwandtschaftswöx'ter  (s.  266) ;  auszerdem  eine  anzahl 
einzelner  Wörter,  wie  sol  (s.  301),  nox  (s.  276),  cor  (s.  329),  vulpes 
(s.  332),  pecu  (s.  28),  canis  (s.  38),  uomen  (s.  153),  vermis  (s.  383), 
öaxQV  (s.  403),  dexter  (s.  986). 

1021  Oft  aber  entfernen  vom  sanskrit  die  europäischen  sprachen  sich 
darin,  dasz  sie  einen  buchstab  der  wurzel  verwandeln,  und  namentlich 
pflegt  in  ihnen  L  statt  des  skr.  R  oder  D  aufzutreten:  skr.  sürjas 
lat.  sol;  skr.  sara  lat.  sal  gr.  «Ag  goth.  salt;  skr.  dirghas  sl.  dl"g" 
litth.  ilgas ;  skr.  d6ha  goth.  leik ;  skr.  dßvr  lat.  levir ;  skr.  dughda  lat. 
lac.  doch  in  einzelnen  sprachen  haftet  die  alte  lingualis,  z.  b.  das 
litth.  adj.  surus  salsus  bewahrt  sein  R,  und  darum  scheint  gr.  dai]Q 
alterthtimlicher  als  lat.  levir.  nicht  anders  verhalten  sich  dingua  tuggö 
zunkä  und  lingua,  ddnQV  tagr  zahar  zu  lacrima,  sidabras  zu  silapar, 
ahd.  päd  agr.  bäd  altn.  bad  zu  ßalaveiov  balneum.    zumal  belehrend 


SCHLÜSS  709 

ist,  wenn  beide  formen  mit  verschiedner  bedeutung  neben  einander 
auftreten,  z.  b.  vargs  =  skr.  vrka  und  vulfs  =  lat.  vulpes  (neben 
lupus  =  Xvxog  ==  wilkas)  s.  347. 

Cap.  XIII — XVII  sind  eine  menge  Wörter  ausgehoben  worden, 
die  in  den  urverwandten  sprachen  zusammen  stimmen,  und  man 
weisz  wie  vielfach  sich  auch  ihre  praepositionen  und  conjunctionen 
begegnen. 

Grosz  ist  der  einklang  griechischer-  zur  deutschen  spräche,  wobei 
ich  besonders  die  gr.  vorneigung  zum  ablaut  (s.  861),  die  gr.  und  goth. 
reduplication,  und  die  noch  nicht  genug  ins  licht  gesetzte  gleichheit  des 
infinitivischen  ausgangs  aufN  [gramm.  1, 1066]  anschlage,  wichtig  scheint 
die  begegnung  von  oida  und  vait,  sxf'^  '^''^^  aih,  &aoö8co  und  gadars, 
fiE}iova  und  man,  yeyova  und  kann,  obschon  mit  abweichendem  sinn, 
q)vc}  undvisa  (s.  430),  didoa^i  und  tuom  (s.  887),  lOtijfii  und  stäm 
(s.  888),  ]}«  und  iddja  (s.  889),  a^slyco  und  milka,  vb^co  und  nima, 
xQi%a  und  J)ragja,  x^etixco  und  hlifa,  nUnca  und  flihtu.  man  erwäge 
ferner  6  17  t6  und  sa  so  J)ata,  fitrjv  und  möna  (s.  352),  daxQv  und 
tagr,  yovv  und  kniu,  odovg  und  tunj)us,  d^svuQ  und  ahd.  tenar,  agsag 
und  hraiv,  ^yjQ  und  dius,  vielleicht  auch  q)7]Q  und  biari  (s.  844), 
6vg  und  sü,  ö'Cg  und  aus,  x^"^  ^^^  gans,  vQVtg  und  arn  ags.  earn 
altn,  örn,  ticüv  und  faihu,  x^^Q^S  und  gris,  sxlvog  igil,  icvcov  und 
hunds,  OQtpavog  und  arbja*,  özorog  öma  und  skadus,  {^vga  und  1022 
daurö,  yvvtj  und  qinö,  ÖQvg  und  triu,  dsvdgov  und  timbr  (s.  336), 
xdka^og  halm,  etog  und  aj)n,  vv^  und  nahts,  x^jrog  und  hof,  äxövr] 
und  hein  (s.  434),  &vy.ög  und  toum,  nolv  und  filu,  fisl^cov  und 
maiza,  ^syag  und  mikils,  noiziXog  und  faihs,  ;K'*'^<^g  und  halts,  varms 
und  d^eQfiog  (s.  799).  Nicht  zu  übersehn  auch,  wenn  ein  wort  zwar 
in  andern  urverwandten  sprachen  gleichfalls  vorhanden,  in  der  gr.  und 
deutschen  durch  besonderheit  der  form  oder  des  sinns  sich  auszeich- 
net. Invog  drückt  wie  goth.  auhns,  ahd.  ovan,  schwed.  ugn  furnus 
aus,  ist  aber  das  skr.  agnis,  lat.  ignis,  sl.  ogn',  litth.  ugnis,  P  in  In- 
vog verhält  sich  wie  in  mriog  equus.  vöcdq  lautet  auf  R  aus  wie 
das  ahd.  wazar,  ags.  väter,  welsche  dwr,  während  goth.  vatö,  sl.  voda 
ohne  R  sind,  wiederum  stimmt  nvQ  zu  ahd.  fiur,  ags.  altn.  f^r,  die 
Gothen  haben  funa.  Bei  so  entscheidender  Übereinkunft  darf  man  doch 
glauben,  dasz  unsere  vorfahren  im  höheren  alterthum  den  Griechen 
örtlich  näher  standen,  als  nachher,  und  hier  musz  Thrakien  in  betracht 
kommen,  welches  im  norden  Griechenlands  unmittelbar  an  den  von 
Thessalien  und  Boeotien  ausgegangnen  aeolischen  dialect  stiesz  (s.  629). 
darum  zeigt  das  aeol.  TiiövQsg  niövQSg  (wahrscheinlich  auch  nitOQbg) 
für  reööa^Eg  (s.  242)  den  zum  osk.  petora,  welschen  pedwar,  goth. 
fidvör  stimmenden  labialanlaut.  mahnt  aber  der  makedonische  yoQ- 
malog  (s.  105)  an  den  sl.  srpen  und  an  unsern  herbist  (s.  798),  so 
hat  man  guten  fug  auch  einen  thrakischen  monatsnamen  dieser  art 


*  denn  der  erbe  ist  orbus,  waise,  wie  auch  heres  dem  gr.  xVQ^'i  sl. 
sir",  litth.  sirrata  entspricht,    skr.  arbha  proles.    Bopp  19». 


710  SCHLUSS 

vorauszusetzen,  da  die  monatsnamen  sich  gern  verrücken  und  in  süd- 
lichem land  schon  den  juli  geerntet  werden  kann,  liesze  vielleicht  der 
welsche  gorphenhof,  dessen  deutung  s.  103.  376  anders  versucht 
wurde,  mit  jenem  yognialog  und  srpen,  die  in  unsern  august  fallen, 
sich  verknüpfen. 

Mit  dem  latein  haben  wir  die  s.  287  ff.  geschilderte  lauterkeit 
der  vocale  gemein,  dann  im  ganzen  die  enthaltsamkeit  beim  abstufen 
der  mutae  (s.  358.  362).  auch  stimmt  der  allmählich  eintretende 
wandel  des  S  in  R  (s.  310.  314),  welcher  Griechen  Slaven  Litthauern 
Kelten  wenig  zusagt.    In  der  fiexion  scheint  von  gewicht  die  analogie 

1023  der  lat.  vocallaute  schwacher  verba  (s.  878)  und  noch  mehr  beim 
nomen  (s.  922).  nicht  minder  gleicht  sich  das  ß  der  comparative 
(s.  315)  und  IM  UM  der  Superlative,  auszer  dem  persönlichen  pro- 
nomen  begegnet  is  ea  id  dem  is  si  ita  und  hie  haec  hoc  (s.  933) 
dem  goth.  his  hija,  hodie  dem  hiatu.  habere  ist  haban,  scire  saih- 
van  (s.  348),  videre  vitan,  velle  viljan,  noscere  gnoscere  ahd.  chnä- 
han  ags.  cnävan  und  novi  coepi  empfangen  praesensbedeutung,  doch 
tritt  das  verschieben  nicht  so  deutlich  hervor  wie  im  deutschen  und 
griechischen.  Viel  einzelne  Wörter  treffen  mit  unsern  zusammen:  ver- 
tere  vairj)an,  molere  malan,  arare  arjan,  augere  aukan,  lucere  liuhan, 
monere  manön,  silere  silan,  tacere  ^ahan,  serere  saian,  mulgere  mel- 
chan,  tendere  |)anjan,  vehere  vigan  (s.  586);  vir  vair,  homo  hominis, 
guma  gumins,  femina  faemne,  hostis  gasts,  orbus  arbja,  equus  aihvus, 
pecu  faihu,  caper  häfer,  aper  öbar  eofor,  pullus  fula,  porcus  farah, 
Ovis  aus,  canis  hunds,  hoedus  galt,  anser  f.  hanser  gans,  piscis  fisks, 
vermis  vaurms,  aes  ais,  semen  sämo,  cornu  hörn,  granum  kaum,  ovum 
addi?  ahd.  ei,  mel  milij),  mensa  m6s,  armus  arms,  ansa  axis  =  amsa 
humerus,  corpus  hraiv  mhd.  rö,  dens  tunj)us,  coxa  hahsa  (s.  681), 
pellis  fiU,  cutis  hüd,  genu  kniu,  vultus  vlits,  vestis  vasti,  monile  ahd. 
manili  (vgl.  menele  Gosl.  stat.  104,  36.  105,  10),  hortus  gard«,  mare 
marei,  aqua  ahva,  aequor  oceanus  altn.  oegir  ags.  6gor,  calamus  halm, 
ventus  vinds,  nomen  namo,  coecus  haihs,  communis  gamains,  angustus 
aggvus,  paucus  faus,  longus  laggs,  vivus  qius,  tenuis  dunni,  medius 
midja,  viridis  gehört  zu  aurts  vaurts,  apricus  ahd.  äpar  äparo 
(Graff  1,  99)  mhd.  seber  Parz.  120,  5.  sollte  laetus  f.  daetus  stehn 
und  dem  altn.  teitr  ahd.  zeiz  entsprechen?  doch  ist  der  inlaut  un- 
verschoben.  Unter  den  monatsnamen  habe  ich  Julius  dem  jiuleis 
gleichgesetzt. 

Die  slavischen  und  deutschen  lautverhältnisse  scheinen  einander 
groszentheils  zu  widerstreben,  bei  den  Slaven  hat  die  aspiration  ge- 
ringen, der  Zischlaut  desto  gröszern  umfang;  goth.  Z  entfaltete  sich 
aus  R,  ahd.  Z  aus  TH,  sl.  Z  hingegen  aus  G,  wie  das  zendische  aus 

1024  H.  auch  in  der  stelle,  welche  sie  dem  L  und  R  neben  der  muta 
anweisen,  weichen  deutsche  und  sl.  spräche  ab  (s.  325.  331).  doch 
theilt  das  hochd.  und  sl.  organ  miteinander  die  neigung  zu  J  (s.  306). 
Bedeutsamer  erscheint  in  der  flexion  die  doppelform  sl.  adjective 
(s.  693)   als   ein  anklang  zur   deutschen  weise.     In  vielen  einzelnen 


SCHLÜSS  711 

Wörtern  herscht  auszerordentliche  älmlichkeit :  mogu  mag,  lu'njeti  mu- 
nan,  veljeti  viljan,  vidjeti  videre  vitan,  brati  bairan,  drati  iairan,  kusiti 
kiusan,  djeliti  dailjan,  vlasti  valdan,  nuditi  naujjjan,  grepsti  graban, 
doiti  daddjan,  znati  chnähan,  imu  nima,  lizati  laigön,  T'gati  liugan, 
liobiti  ahd.  liupan,  plakati  fißkan,  r"idati,  ahd.  riozan,  mazati  ahd. 
mestan,  mljeti  malan,  peku  peschtschi  aM.  pacban  altn.  baka,  plja- 
sati  poln,  plasac  goth.  plinsjan,  postiti  fastan,  slouti  ahd.  hlosen,  stati 
standan,  sjejati  saian,  vielleicht  ist  auch  pasti  und  padati  dem  ahd. 
fallan  (s.  839)  gleich,  mit  Übergang  des  D  in  L,  wobei  besonders  litth. 
pulti  zu  erwägen,  substantiva:  shena  qinö,  s"in".  sunus,  svekr' 
svaihra  (s.  304),  gost  gasts,  skot  skat,  govjado  bos  böhm.  howado 
pecus  unser  kuh  (s.  32),  svinja  svein,  os'l"  asilus,  jesh'  litth.  ezys 
ahd.  igil  skr.  äkhu,  or'l"  ara,  lebed'  alpiz,  m"isch'  miis,  zvjer'  dius, 
noga  vgl.  ahd.  nakal  und  anchala  (s.  340),  ramo  arms,  pjast'  füst, 
pr'si  poln.  piers  böhm.  prs  vielleicht  goth.  brusts,  rebro  rippi,  tschrjevo 
hrif  (s.  383),  oko  augö,  oucho  ausö,  mljeko  miluks,  mjaso  mimz,  pl"t' 
ahd.  fleisc,  jaitze  ahd.  ei,  drjevo  triu,  dub"  timbr,  tr'n"  J)aurnus, 
bereza  piricha,  zrno  kaum,  louk"  lauk,  smok"v'  smakka,  iabl"ko 
apfal,  sjemja  sämo,  kam"i  hamar  (s.  955),  more  marei,  voda  vatö, 
zlato  gul{),  srebro  silubr,  st'klo  stikls  (s.  823),  kotl"  katils,  shoupel" 
svibls  (vgl.  sulphur),  sol"  salt,  med"  mel  vgl.  miödr  mulsum,  chljeb" 
hlaifs,  snjeg"  snaivs,  imja  namö,  noschtsch  nahts,  slama  halm,  metsch 
mekeis,  dolina  dalei,  dv'r'  daurö,  igo  juk,  l'st'  lists,  sljed"  altn.  slod, 
kolo  ags.  hveohl  engl,  wheel  altn.  hvel  schwed.  hjul  (die  Verwandt- 
schaft mit  jul  s.  302  zweifelhaft),  shr"n"v"  qairnus,  trud  pruts  (s.336), 
monisto  mani  altn.  men,  liod"  goth.  lau{)s  ahd.  Hut,  pl"k"  volk  ags. 
folc,  dl"g"  goth.  dulgs,  f'isuschtscha  goth.  pusundi  (s.  253).  adjectiva: 
on"  jains,  ion"  juggs,  nov"  niujis,  s"it"  satur,  tzjel"  hails,  nag"  1025 
naqaJ)S„  pF'n"  fulls,  Ijot'  liuts  ahd.  lioz,  shiv"  qius,  mnog"  manags, 
dobr"  tapfar.  Diese  beispiele  weisen  entschieden  und  gewis  uralten 
Zusammenhang  zwischen  Deutschen  und  Slaven  und  gestatten  die  s. 
322  vermutete  gleichheit  des  volksnamens  Sueven  und  Slaven.  stimmen 
sl.  jar  und  Ijeto  zu  unserm  jähr  und  lenz  (s.  73),  so  kann  auch  die 
Übereinkunft  zwischen  listopad  gruden  und  unserm  laubrisi  und  hart- 
monat  nicht  befremden.  Gewicht  in  die  wagschale  legen  darf  vorzüg- 
lich das  eintreffen  von  ausdrücken  aus  dem  hirtenleben  und  ackerbau, 
wie  mljeko,  mjaso  und  ploug"  (s.  56)  mit  miluks  mimz  und  ahd. 
pfluoc,  aber  auch  von  zlato  und  srebro  mit  gulj)  (vgl.  finn.  kulta) 
und  silubr.  beide  Völker,  als  unter  ihnen  die  edeln  metalle  gangbar 
wurden,  müssen  in  nahem  verkehr  gestanden  haben;  dem  erz  und 
eisen  geben  sie  abweichende  namen,  das  ist  merkwürdig  und  läszt 
nicht  zweifeln,  dasz  ihnen  diese  in  andrer  zeit  zukamen,  goth.  ais 
stimmt  schon  zum  skr.  ajas  und  eisarn  scheint  blosz  daraus  abge- 
leitet, nähert  sich  aber  der  keltischen  benennung.  das  s.  9  unange- 
führte sl.  mjed'  aes  bezeichnet  im  poln.  miedz,  böhm.  mM  kupfer 
oder  messing.  ich  finde  auch  ein  welsches  pres  für  engl,  brass. 
Litthauische  und  sl.  zunge  stehn  zu  einander  noch  näher  als  eine 


712  SCHLUSS 

von  beiden  zur  deutschen,  und  vieles,  worin  sie  dieser  begegnen,  ist 
ihnen  gemeinscbaftlich ;  doch  hat  auch  jede  ihre  eignen  beziehungen 
mit  unsrer  spräche,  leider  kennen  wir  den  gehalt  der  litth.  nicht 
so  vollständig  und  nicht  aus  so  alten  quellen  wie  den  der  slavischen; 
beinahe  sinkt  das  litthauische  herab  zur  volksmundart :  desto  gewal- 
tiger erscheint  seine  anläge.  Unverkennbare  Verwandtschaft  zeigen 
die  litth.  dechnationsvocale  mit  den  deutschen  und  griechischen 
(s.  925)  und  die  doppelform  des  adj.  (s.  963)  mit  der  unsrigen.  die 
einstimmung  litth.  verba  zu  unsrer  anomalie  wurde  s.  909  angegeben. 
Gleich  den  sl.  Wörtern  kommen  überein  waldyti  valdan,  imti  niman, 
laizyti  laigön,  malti  malan,  klausyti  hlosßn,  stoweti  standan,  gelbeti 
hilpan,    pulti  fallan,    raudoti  riozan;    zyne  qinö,    sunus  sunus,  asilas 

1026  asilus,  err^lis  ara,  zwSris  dius,  akis  augö,  ausis  ausö,  miesa  mimz, 
kraujas  hraiv  (s.  1010),  lapas  laufs,  mares  marei,  stiklas  stikls,  ka- 
tilas  katils,  medus  milij),  snegas  snaivs,  naktis  nahts,  durrys  daurö, 
girna  qairnus,  obolys  apfal,  jungas  juk,  tukstantis  J)usundi ;  ans  jains, 
jaunas  juggs,  naujas  niujis,  lengwas  leihts,  gyws  qius,  sotus  sads. 
delna  ist  das  sl.  dlan'  und  ir.  dearna,  folglich  ahd.  tenar  gr.  xtevag. 
diena  das  sl.  d'n'  lat.  dies  goth.  dags.  Andere  aber  sind  unslavisch, 
doch  in  geringerer  zahl:  zmogus  guma,  aszwa  aihvus,  pMas  fötus, 
ratas  ahd.  rad,  wardas  ahd.  wort,  menü  mßna,  kwetys  hvaiteis;  drysti 
gadaursan;  antras  anj)ar  (s.  341).  Werth  hat  für  bestimmung  der 
alten  heimat  der  Langobarden  im  nordosten,  dasz  zwei  dunkle  aus- 
drücke ihres  gesetzes  durch  litthauische  ei'hellt  werden:  treno  durch 
trainys  (s.  697.  800)  und  modula  medela  (s.  696),  wozu  man  auch 
madili  assis,  laucmedili  fulmen  d.  i.  donnerkeil  (Graff  2,  707)  und 
altn.  meidr  arbor  nehme,  durch  litth.  medis  arbor  lignum,  folglich 
holzbret.  warum  sollte  nicht  das  oft  angeführte  getische  XQOvördvr] 
wie  litth.  kregzde  zugleich  gothisches  und  langobardisches  wort  ge- 
wesen sein?  zu  laubrisi  und  hartmonat  fügen  sich  wiederum  die  litth. 
lapkristis  und  grodinnis  (s.  99). 

Wol  eignen  sich  beiden  sprachen,  der  sl.  und  litth.,  Wörter,  die 
uns  gebrechen  oder  zu  gebrechen  scheinen,  bei  näherer  forschung 
aber  in  veränderter  gestalt  vortreten,  das  lat.  ros,  sl.  rosa,  litth.  rasa, 
hat  undeutsches  aussehn,  nimmt  man  hinzu  griech.  ÖQOöog,  so  bietet 
sich  die  goth.  Wurzel  driusan  cadere  dar  und  das  ahd.  trör,  ags. 
dryre,  altn.  dreyri  humor,  cruor,  der  thau  ist  das  fallende,  stilla,  gutta, 
humor.  sl.  mjesjatz  und  lat.  mensis,  litth.  menü  gen.  menesio  sind 
nur  anders  abgeleitet  als  men6J)S  mänöt,  gehören  aber  zu  m6na  und 
[ir]i>,   wogegen  luna  und  louna  blosz  lat.   und   sl.   scheinen,    im  ir. 

1027  luan  sich  wiederfinden*,     sl.  nebo,  skr.  nabhas,  erkennen  die  wurzel 


*  luna  entspringt  aus  lucina  (und  Lucina  ist  wie  Luna  mondgöttin) 
ähnlich  dem  lumen  =  lucimen  =  altn.  liomi  lux  aus  der  wurzel  liuhan. 
doch  musz  das  wert  auch  für  die  erscheinungen  des  mondlichts  gegolten 
haben,  vgl,  niuwilune  neomenia  (Graff  2,  222)  und  unser  heutiges  laune 
scheint  von  Veränderlichkeit  der  mondphasen  abzuleiten.  Berthold  s.  302: 
wan  der  mäne  so  gar  unstsete  ist,  in  so  maniger  lüne;  Karl  77^:  verfluocliet 


SCHLÜSS  713 

unseres  nibul  altn.  nifl,  lat.  nubes  nebula,  gr.  vkcpoq  vicpBXr],  sl.  nebo 
bildet  den  gen,  nebese,  entspricht  also  dem  littb.  d^besis  (wie  dewyni 
=  newyni  s.  244).  sl.  oba,  litth.  abbu,  lat.  ambo,  gr.  a^cpco  schei- 
nen im  goth.  bai  und  bajöps  den  anlautenden  vocal  einzubüszen. 

Selbständig  zeigt  sich  das  litthauische ,  wenn  es  kein  zu  zlato 
und  gulj)  stimmendes  wort  hat,  sondern  auksas  =  lat.  aurum  f. 
ausum,  weder  mljeko  noch  miluks  sondern  p^nas  =  skr.  ph6na  und 
so  in  viel  andern  fällen,  doch  neben  auksas  besteht  sidabras  =  si- 
lubr  und  srebro.  n 

Die  wortreichen  und  ausgebildeten  keltischen  sprachen  stehn  uns 
Deutschen  dennoch  ferner  als  die  slavische  und  litthauische;  unver- 
kennbar haben  sie  gröszere  neigung  zum  latein.  allein  es  folgt  schon 
aus  ihrer  Urverwandtschaft,  dasz  sie  auch  vielfach  mit  dem  deutschen 
und  slavischen  zusammentreffen,  jener  gleichen  benennung  des  goldes 
und  Silbers  bei  Deutschen  und  Slaven  steht  bedeutsam  entgegen  das 
zu  aurum  und  argentum  gefüge  or  und  airgjod,  aur  und  arian,  wäh- 
rend sich  Griechen  und  Litthauer  gerade  in  beide  wortstämme  thei- 
len,  uQyvQog.  ccQyvQLOv  zu  argentum,  auksas  zu  aurum,  sidabras  zu 
Silber  stimmen,  und  %QVOog  sich  kaum  von  zlato  und  gold  trennen 
lassen  wird.  Die  Kelten  müssen  also  gleichzeitig  mit  den  Eömern 
diese  edlen  metalle  gekannt  und  genutzt  haben,  jaran  und  haiarn 
nähern  sich  aber  stark  dem  nord,  iarn  und  engl,  iron,  die  doch  aus 
eisarn  hervorgegangen  scheinen,  ir.  umha  gehört  wol  zu  welschem 
efydd. 

Ich  gebe  beispiele  von  andern  der  keltischen  und  deutschen 
zunge  gemeinsamen  Wörtern,  ir.  mac  goth.  magus,  ir.  fear  welsch 
gwyr  goth.  vair  lat.  vir,  ir.  each  goth.  aihvus  lat.  equus,  ir.  gabhar 
welsch  gafr  lat.  capra  caper  ags,  häfer  altn.  hafr,  ir.  apa  welsch  1028 
epa  ags.  apa  ahd.  affo,  ir.  cu  welsch  ci  lat.  canis  goth.  hunds,  ir. 
muc  welsch  moch  nhd.  mucke,  welsch  erydd  eryr  goth.  ara  (ir.  iolar 
fiolar),  ir.  seabhac  welsch  hebog  ahd.  hapuh  (s.  797),  ir.  iasg  welsch 
pysg  goth.  fisks  (s.  380),  welsch  baran  ags.  vrenna  engl,  wren,  ir. 
croidhe  (welsch  calon)  hairto,  ir.  corp  lat.  corpus  goth.  hraiv,  ir. 
dead  welsch  dant  lat.  dens  goth.  tunpus,  ir.  dearna  ahd.  tenar,  welsch 
aelod  ahd.  altä  gr.  kq^qov  (s.  946),  ir.  lamh  welsch  llaw  goth.  löfa 
altn.  löfi  (vgl.  glöfi  ags.  glöfa  chirotheca),  ir.  darach  (vgl.  quercus  f. 
duercus?)  welsch  dar  deru  derwen  armor.  derf,  gr.  Öqvs  sl.  drjevo 
goth.  triu,  ir.  droighean  welsch  draen  sl.  tr'n"  goth.  J)aurnus,  ir. 
ubhal  welsch  afal  ahd.  apfal  litth,  obolys  sl.  jabl"ko,  ir.  muir  welsch 
mör  lat.  mare  goth.  marei,  ir.  dear  deur  welsch  dagr  goth.  tagr, 
welsch  haul  goth.  sauil  (s.  301),  ir.  salan  welsch  halen  lat.  sal  goth. 
salt,  ir.  nochd  welsch  nocht  goth.  nahts,  ir.  dja  welsch  dyw  lat.  dies 
goth.  dags,  ir.  samhra  ahd.  sumar  (s.  798),  ir.  aodh  ahd,  eit  ags.  ad, 
ir.  righ  goth,  reiks  lat.  rex,  ir.  baoth  goth.  bau|)S,  ir.  caoc  caec  lat. 


81  diu  lüne,   in  der  du  würde  geboren;   Albr.  Tit.  1261:  unheil  mit  siner 
lüne;  Jeroschin  (nach  Frisch  2,  628*):  in  des  brächmondes  lüne. 


714  SCHLÜSS 

coecus  goth.  haihs,  ir.  nuadh  welsch  newydd  goth,  niujis,  ir.  sean 
welsch  hen  goth.  sins  sinista  lat.  senior,  ir.  saith  lat.  satur  goth. 
sads,  ir.  nochd  welsch  noeth  lat.  nudus  goth.  naqaps,  ir.  cead  lat. 
centum  goth.  hund  (s.  250).  keltische  verba  stimmen  selten  und  gerade 
das  zeugt  von  der  geringeren  berührung:  ir.  cluinsin  ahd.  hlos6n, 
welsch  gwyllysu  wollen,  ir.  araim  welsch  aradu  goth.  arjan  lat.  arare. 

Viele  Wörter  begegnen  lateinischen,  die  unsrer  spräche  fremd 
sind :  ir.  beith  welsch  bedwen  betula,  ir.  brac  welsch  braich  brachium, 
ir.  laeth  welsch  llith  lac,  ir.  luan  welsch  Uan  luna  (vgl.  s.  1026),  ir. 
coileach  welsch  ceiliog  gallus  (vgl.  litth.  gaidys,  lett.  galis),  ir.  mil 
welsch  mel  lat.  mel,   ir.  und  welsch  tir  terra   und  andre  in  menge. 

Mythologische  bezüge,  wie  die  vom  welschen  Gwydion  auf  Wo- 
dan, vom  ir.  bealtein  auf  Phol,  vielleicht  von  nerth  virtus  auf  Ner- 
thus  bleiben  aber  von  gewicht. 

Ein  vorhin  behauptetes  näheres  Verhältnis  der  keltischen  zur 
1029  lateinischen  spräche  geht  mehr  auf  den  wortvorrath  als  die  flexion, 
da  die  lat.  flexion  der  slavischen,  litthauischen  und  deutschen  offen- 
bar mehr  zugewandt  ist  als  der  keltischen,  die  durch  ihre  consonanz- 
verstufung  ein  eigenthümliches  ansehn  gewinnt. 

Nicht  zu  tibersehn  ist  auch,  dasz  in  einzelnen  wortgeschlechtern 
die  keltische  spräche  von  der  lat.  ab,  auf  seite  der  übrigen  tritt,  wie 
in  den  angeführten  apa  ubhal  darach  droighean  seabhac  u.  a.  m. 

Gar  nicht  in  den  kreis  unsrer  urverwandten  sprachen  gehört 
die  finnische  und  was  ihr  zufällt,  obgleich  sie  schon  sehr  frühe  in 
Europa  eingewohnt  gewesen  sein  und  neben  jenen  ihr  lager  aufge- 
schlagen haben  musz.  ihre  lautverhältnisse  und  flexionen  sind  ganz 
abweichend  gestaltet;  das  eine  genüge,  dasz  sie  gar  keine  geschlech- 
ter unterscheidet,  aber  weit  gröszere  casusfülle  als  selbst  die  slavische 
und  litthauische  aufstellt.  Dagegen  berühren  sich  einzelne  finnische 
nomina,  selten  verba,  wahrscheinlich  seit  undenklicher  zeit  mit  deut- 
schen und  urverwandten,  finnische  zumal  mit  gothischen,  lappische 
mit  nordischen. 

äiti,  sisar,  tytär  sind  bereits  s.  267.  271  angegeben,  dem  goth. 
maj)a  begegnet  finn.  mato,  dem  marei  meri,  dem  mulda  multa,  dem 
paida  paita,  dem  leik  liha,  dem  hvaj)ö  vahto,  dem  namo  nimi,  dem 
gulj)  kulta,  dem  ahana  akana,  dem  goth.  vatö  sl.  voda  dän.  vand 
finn.  vesi  gen.  veden,  ungr.  viz  und  nach  dieser  analogie  dürfen  wir 
zum  goth.  handus  ahd.  hant,  die  durch  alle  deutschen  sprachen  gehn, 
aber  allen  urverwandten  fremd  sind,  das  finn.  käsi  gen.  käden,  läpp, 
kät,  wotjak.  ki,  tscheremiss.  kid,  ungr.  köz  halten  [vgl.  Lindstr.  24. 
25.  lex  sal.  s.  XL],  finn.  muurainen  stimmt  zum  welschen  myrionen, 
armor.  merionen,  altn.  maur,  schwed.  myra,  mnl.  miere,  sl.  mravii, 
gr.  fivQfii^^,  finnisches  repo  gen.  revon  zum  altn.  refr,  schwed.  räf, 
finn.  moukari  malleus  zum  dän.  mukker,  nnl.  moker,  finn.  airo  re- 
mus  zum  altn.  är,  finn.  pelto  zum  alts.  folda,  finn.  ansas  trabs  zum 
goth.  ans,  finn.  tapa  mos  gen.  tavan  zum  alts.  thau,  ahd.  dau  (s.  232), 
finn.  nikuli  merges  zum  schwed.  nek,  dän.  neg   (s.  758),   finn.   neiti 


SCHLUSS  715 

filia  zum  ir.  naoidhe  kind  und  sl.  neti,  goth.  nij)j6,  lat.  neptis  (s.  271), 
finn.  hanhi  gleicht  dem  lat.  anser  (s.  304.  402.  478),  finn.  hera  dem  1030 
lat.  serum  (s.  1005),  finn.  hartio  scapula  dem  ahd.  harti,  finn.  napa 
dem  ahd.  napalo,  finn.  tarvet  wurde  s.  328  (vgl.  909)  der  goth.  Wur- 
zel paurban  überwiesen,  finn.  manaan  ist  lat.  moneo,  ahd.  man6n. 
finn.  arpi  gen.  arven  cicatrix,  est.  arm,  altn.  ör,  schwed.  ärr,  dän. 
ar  und  mit  vortretendem  N  ahd.  narwa  (nicht  närwa)  Graff  2,  1097, 
mhd.  narwe  Herb.  13683  nhd.  narbe,  mnd.  nare  Ssp.  1,  63.  68. 
Der  Gotha  unterscheidet  zwischen  aurts  herba  (wovon  aurtja  yscoQ- 
yog,  aurtigards  x^jrog)  und  vaurts  ^t^a,  dem  Pinnen'  ist  yrti  yyrti 
(dem  Lappen  urtes)  herba,  juuri  radix,  diese  Verwandtschaft  wurde 
schon  s.  329  berührt,  ich  will  hier  einiges  näher  ausführen,  ein  ahd. 
orz  herba  darf  gefolgei't  werden  aus  orzön  excolere  anpflanzen  (Graff 
1,  477),  gewöhnlich  aber  steht  würz  für  herba,  olus,  wurzä  und  wur- 
zalä  für  radix;  auch  ein  ags.  ort  ergibt  sich  nach  ortgeard  hortus, 
engl,  ortyard  orchard  neben  veortgeard  engl,  wortyard,  doch  veort, 
vyrt  engl,  wort  ist  herba  und  zuweilen  (Csedm.  247,  19)  radix,  wel- 
chen begrif  sonst  vyrtrüma  oder  rot  engl,  root  ausdrückt,  das  altn. 
urt  (auch  jurt),  schwed.  dän.  urt  ist  überall  nur  herba,  urtagardr 
hortus,  verschieden  von  rot  radix,  schwed.  rot,  dän.  rod*.  Bedeut- 
sam kommt  endlich  die  finn.  und  läpp,  conjunction  ja  (und)  mit  der 
goth.  und  ahd.  jah  überein. 

Unsere  deutsche  spräche  schlieszt  sich  demnach,  und  das  ist  aller 
meiner  forschungen  ergebnis,  leiblich  zunächst  an  die  slavische  und 
litthauische,  in  etwas  fernerm  abstand  an  die  griechische  und  latei- 
nische an,  doch  so  dasz  sie  mit  jeder  derselben  in  einzelnen  trieben 
zusammenhängt,  noch  weiter  ab  liegt  ihr  die  keltische,  obwol  sich 
auch  hier  die  Verwandtschaft  kund  gibt,  viel  entlegner  und  eigent- 
lich unverwandt  sind  die  finnischen  sprachen. 

Durchdringende  kennzeichen,  wodurch  wir  uns  von  allen  andern  1031 
Völkern  unterscheiden,  gibt  es  vier :  den  ablaut,  die  lautverschiebung, 
das  schwache  verbum  und  das  schwache  nomen.  den  laut  haben 
wir  zweimal  verschoben,  den  ablaut  zum  waltenden  gesetz  der  star- 
ken conjugation  erhoben,  die  schwache  declination  auf  Substantive 
wie  adjective  angewandt. 

Eigenheiten,  woran  man  die  gothische  spräche  auf  der  stelle  er- 
kennt, sind  das  DD  in  addi  baddjß  tvaddje  daddjan  vaddjus  iddja 
(s.  351),  das  ZD  in  Azdiggs  gazds  razda  huzd  (s.  313),  das  GM  in 
bagms,  das  ZN  in  razn,  das  ZV  in  izvis  ubizva,  das  ZG  in  azgö,  das 
J)L  J)R  in  J)laihan  pliuhan  J)rafstjan  (s.  350).  merkwürdige  spur  des 
ZD  in  bairischer  und  tirolischer  mundart:  uscht  f.  ahd.  ort  =  goth. 
uzd  (Schm.  1,  112),  in  Tirol  oscht.  im  Chiemgau  ist  meschder  was 
sonst  merder  holzschlägel  (Schm.  2,  614);  das  bestärkt  die  verwandt- 


*  röt  ist  =  lat.  radix,  zu  aurts  und  urt,  vaurts  und  würz  aber  halte 
ich  das  lat.  viridis  von  virere  (welsch  gwyrd),  wie  auch  vom  sl.  zeleny 
viridis  sich  zelina  herba  virens  (grünigkeit) ,  vom  litth.  zalias  viridis  zole 
herba,  gramen  ableitet. 


716  SCHLUSS 

Schaft  der  Gothen  und  Hochdeutschen,  vgl.  auch  dulps  und  tuld 
(s.  92),  noch  mehr  die  goth.  ahd.  conjunction  jah.  goth.  ist  brusts 
ahd.  prust  gegenüber  dem  ags.  breost,  altn.  briost. 

Die  goth.  spräche  zeigt  aber  manche  ihr  unter  den  deutschen 
allein  zuständige  Wörter,  an  deren  stelle  die  übrigen  andere  aus- 
drücke verwenden,  so  stimmt  das  goth.  mili|)  zwar  zu  gr.  ^eIl  fis- 
Atrog,  lat.  mel  mellis  (f.  meltis?),  ir.  mil,  welschem  mel  (vgl.  ags. 
milisc  mulsus,  d.  i.  mellis  habens  saporem)  und  dem  D  andrer  ur- 
verwandter sprachen  (s.  355).  allein  ahd.  gilt  honac  mhd.  honec 
alts.  honig  hanig  ags.  fries.  hunig  engl,  honey  altn.  hunäng;  aus 
welcher  wurzel  her  rührt  dies  seltsame  wort?  ich  habe  ans  litth. 
kunas  leib  gedacht,  weil  wir  (s.  1011)  sahen,  dasz  die  Vorstellungen 
leib,  blut  und  seim  (at^ua)  verflieszen,  mythisch  aber  nectar  aus  blut 
bereitet  wird,  es  mag  ein  verschoUnes  hun  gegeben  haben,  aus  dem 
honac  hunäng  geleitet  wurde,  wie  honig  ist  auch  das  allen  übrigen 
deutschen  sprachen  gemeine  verbum  fallen,  das  ich  zu  sl.  pasti  hielt 
(s.  355),  den  Grothen  abgängig. 

Andere  eigenthümlich  gothische  wörter  manvjan  u.  s.  w.  hebt 
1032  meine  vorrede  zu  Schulze  hervor,  unter  den  Wortbildungen  machen 
sich  zumal  die  nomina  auf  -ubni  und  adverbia  auf  -ba  bemerklich, 
unter  den  partikeln  ei  dasz,  uf  unter,  and  durch. 

Wenn  gleich  der  gothische  und  deutsche  wortvorrath  insgemein 
gröszere  Übereinkunft  mit  dem  latein  als  dem  griechischen  zeigt;  er- 
scheint doch  in  einzelnen  ztigen  der  goth.  flexion  mehr  annäherung 
an  das  griechische,  wie  in  sasö  J)ata  6  tj  x6 ,  im  ü^i  (beide  aus 
ismi  lö^l  abkommend),  iddja  j^a,  vait  ol8a,  den  Superlativen  -ists 
und  -töTOg, 

Die  entfaltung  des  R  aus  S,  der  fast  gänzliche  Untergang  des 
dualis  (s.  489),  hingegen  das  stärkere  vortreten  des  dem  lat.  ablativ 
ähnlichen  Instrumentalis  (s,  488.  938)  stellt  den  hochdeutschen  stamm 
näher  zum  latein. 

Begreiflicherweise  ist  den  Gothen  auch  oft  fremd  geblieben,  was 
den  übrigen  Deutschen  mit  Slaven  und  Litthauern  gemein  war,  z.  b. 
fleisc  pr't'  (s.  1011)  und  smSrza  s"mr't'  litth.  smertis,  denn  das  ahd. 
wort  musz  ursprünglich  den  begrif  der  todespein  enthalten  haben, 
die  sich  allmählich  milderte  in  den  des  heftigen  Schmerzes;  zu  den 
Altnorden  drang  der  ausdruck  nicht,  doch  haben  die  Schweden  und 
Dänen  smärta  smerte  vielleicht  von  uns  aufgenommen,  aber  schon 
ags.  galt  das  starke  verbum  smeortan  dolere  wie  ahd.  smörzan.  Da- 
für stimmt  der  Gothe  mit  dem  Slaven  in  mimz  plinsjan  dulgs  und 
anderm  mehr.  Aber  wie  ganz  ahd.  klingen  viele  goth.  wörter,  z.  b. 
atisks  ezisc  (mhd.  ezesch  esch,  Swsp.  s.  168.  171),  aglaitei  akaleizl, 
eisarn  Isarn,  gadiliggs  katilinc,  liuhaj)  lioht  (altn.  lios)  arvjö  daiQmv 
ahd.  arawun  u.  s.  w. 

Bairisch  und  schwäbisch  müssen  wir  allmählich  fester  unter- 
scheiden lernen,  so  vieles  sie  gemein  haben,  jenes  bairische  oscht 
uscht  wird  in  Schwaben  nur  ort  lauten,     bair.  hie  lief,  Schwab,  hiu 


SCHLUSS  717 

liuf  wurde  s.  869  gemutmaszt,  auch  Grriesli.  1,  15  bestätigt  liuf. 
bairisch  ist  ertag  und  sunwend  sunbend,  schwäbisch  zistag  sungicht 
(s.  508.  853);  bairisch  gßrhabe  vormUnd  (Rupr.  von  Freis.  44),  schwä- 
bisch pfleger  oder  sicherbote  (Swsp.  52).  das  prohibitive  min  für  ni 
(gramm.  3,  742)  scheint  alamannisch  und  findet  sich  schon  in  der 
alten  glosse  (Diut.  1,  495^),  auch  das  et  für  als  nach  comparativen  1033 
(Griesh.  vorrede  2,  VI)  verdient  aufmerksamkeit.  dagegen  haften  in 
der  bairischen  Volkssprache  dualformen,  keine  in  der  schwäbischen, 
sollte  nicht  ahd.  pia  bairisch,  pini  schwäbisch  sein?  auch  mhd.  sagt 
Wolfram  bie,  der  Glicheser  und  Rudolf  bine  bin  (tiicht  bine  bin), 
woher  das  nhd.  biene  rührt.  Grieshabers  prediger  1,  15.  2,  122.  123 
hat  den  pl.  bina  apes.  andere  ausdrücke  lehrte  die  milchbereitung, 
anke  und  ziger  sind  schwäbisch,  schweizerisch,  topfe  bairisch.  Schmel- 
1er  sollte  die  unbefugte  aufnähme  schwäbischer  ausdrücke  in  sein 
bairisches  Wörterbuch  dadurch  gut  machen,  dasz  er  den  unterschied 
beider  mundarten  einmal  ausführte. 

Die  fränkische  spräche  glänzt  durch  ihr  CH  statt  des  H  der 
übrigen  (s.  543).  der  niederländischen  mangelt  TH  und  für  hochd. 
FT  bietet  sie  CHT  (s.  349).  sie  scheint  einige  fränkisch-batavische 
bestandtheile  in  sich  aufgenommen  zu  haben,  in  denen  sie  sich  von 
dem  altsächsischen  entfernt,  das  ihr  sonst  fast  zum  gründe  liegt. 

Die  reiche  angelsächsische  spräche  bietet  noch  manches  mit  der 
gothischen,  was  im  hochdeutsch  ausgestorben  ist,  namentlich  das  se 
seo  J)ät  =  sa  so  |3ata,  eode  =  iddja*,  bycgan  =  bugjan,  gedafan 
=  gadaban,  doch  stimmt  sie  auch  oft  zur  ahd.,  z.  b.  in  dide  == 
tiJta  (s.  883),  welches  der  goth.  und  altn.  spräche  fehlt,  manches 
andere  theilt  sie  mit  der  altn.,  z.  b,  das  schon  angeführte  breost  = 
briost,  äled  =  eldr,  söt  fuligo,  grid  pax  (s.  757).  eigenthümlich  ags. 
ist  J)is,  engl,  this  (s.  930). 

Des  ags.  grundlage  bleibt  gleichwol  das  alts.  und  heban  heofon, 
geban  geofon  (s.  655)  sind  für  diesen  sprachstamm  characteristisch; 
ags.  veordig  vurdig  praedium  agellus,  engl,  worth,  altn.  urd  saxetum 
entspricht  noch  der  word  des  Ssp.  1,  34.  2,  48;  ags.  spearc  scin- 
tilla,  engl,  spark,  mnd.  spark  Ssp.  2,  51  nnl.  sparkel.  auch  die  Ver- 
schiebung des  R  (s,  330)  gehört  dahin.  VL  und  VR  haben  beide  1034 
mit  den  Gothen  gemein,  ahd.  und  altn.  gilt  bloszes  L  und  R,  z.  b. 
alts.  wriso  lautet  ahd.  riso. 

Das  ags.  cläd,  fries.  kläth,  altn.  klaedi  gebricht  der  goth.  ahd. 
und  alts.  spräche;  erst  mhd.  wird  kleit  üblich. 

Man  musz  darauf  bedacht  sein  von  der  niedersächsischen  volks- 
mundart  die  westfälische  sorgsam  zu  scheiden;  nur  letzteres  hat  z.  b. 
die  Überbleibsel  des  duals  in  pronomen. 

In  der  ausgibig  und  ungestört  erhaltnen  altn.  spräche  sind  be- 


*  ich  habe  bedacht,  ob  nicht  in  der  bekannten  stelle  des  Hildebrand- 
liedes 'her  aet  östar  hina'  ein  altthüringisches  praet.  für  iddja  oder  eode 
stecken  könne?  wenigstens  .sollte  aeta  geschrieben  sein. 


718  SCHLÜSS 

greiflich  viele  berührungen  mit  der  gothischen  gesichert  worden,  die 
unsrer  hochdeutschen  verloren  giengen,  ohne  dasz  dadurch  der  wesent- 
lich hochdeutschere  character  des  gothischen  beeinträchtigt  wird. 
Eigenthümlich  ist  im  altn.  der  abgang  des  is  si  ita,  ahd.  er  siu  gz 
(s.  756)  und  der  praepositionen  bi  du  J)airh  (s.  756)  so  wie  in  Zu- 
sammensetzungen der  Partikeln  ga-  bi-  und  us-  (s.  664.  755).  über- 
haupt die  neigung  zum  suffix,  wodurch  mit  dynamischer  Wirkung 
eine  bestimmte  form  des  nomens,  auszer  der  schwachen,  und  ein 
passivum  entsprungen  ist  (s.  754),  da  wo  goth.  und  ahd.  spräche 
den  artikel  dem  nomen  und  das  reflexive  pronomen  dem  verbum  vor- 
ausstellen oder  getrennt  verbinden,  die  schwache  nominalflexion  ist 
durch  den  wegfall  ihres  nothwendigen  N  (s.  952.  953)  verdunkelt 
worden,  wie  er  auch  sonst  diesem  idiom  zusagt  (s.  338).  solchen  an- 
gehängten artikel  darf  man  eine  zweite  potenz  der  schwachen  form,  die 
auch  auf  einverleibung  desselben  pronomens  beruht  (s.  960),  nennen. 

Sonst  fügt  sich  in  lauten  und  Wörtern  die  nordische  spräche 
ungemein  zur  gothischen,  z.  b.  im  ü  des  troda  =  trudan,  ahd.  tre- 
tan  (s.  848). 

Wie  das  hochdeutsche  dem  slavischen  einflusz  war  das  nordische 
dem  lappischen  und  finnischen,  das  westnordische  zugleich  dem  kel- 
tischen ausgesetzt,  repo  drang  ins  altn.  refr,  schwed.  räf,  dän.  räv 
vor,  alle  übrigen  Deutschen  behielten  fauhs  oder  fauho.  beim  nie- 
derländischen miere  (s.  1029)  weisz  man  nicht,  ob  es  auf  welsches 
myrionen  oder  finn.  muurainen  zurückgehe,  engl,  blieb  emmet,  ags. 
1035ämette,  ahd.  ameizä,  mhd  ameize;  sagte  der  Gothe  amaito?  finn. 
moukari  verlor  sich  bis  ins  nnl.  moker.  aber  läpp,  wuosta,  finn. 
juusto  verbreitete  sich  allgemein  im  norden,  läpp,  wuoi,  finn.  voi 
vielleicht  ins  ags.  hvasg,  niederl.  wei,  wenn  dieser  Zusammenhang  der 
richtige  ist.  keltische  gemeinschaft  bezeugen  altn.  triona  (s.  380) 
hold  (s.  1011)  und  dän.  keit  (s.  995);  doch  die  Übereinkunft  des  kel- 
tischen clith  cledd  mit  gothischem  hleidumei  (s.  989)  kann  nicht 
räumlich  verstanden  werden,  sie  musz  uralt  sein. 

Alle  deutschen  sprachen,  wie  weit  auch  ihre  äste  und  zweige 
von  einander  getrieben  haben,  fallen  sichtbar  demselben  stamm  zu 
und  bekennen  eine  mütterliche  diota  (piuda),  nach  der  sie  genannt 
sind;  je  höher  man  zurücksteigt,  desto  ähnlicher  werden  sich  Gothen, 
Hochdeutsche,  Niederdeutsche,  Scandinaven,  und  alle  sind  gleiches 
Ursprungs. 


KEGISTEK. 


A  633. 

A  zu  E    195. 

AzuI,U  werdend  192.195. 

A  zu  0  196.  197.  200. 

aas  701. 

seber,  mhd.  710. 

ablaut  584  S.  538.  636. 

accipiter  35.  281. 

Acinaces  85.  131.  152. 

acker  43. 

ackerbau  14  f.  38  S.  132. 

Actumerus  403. 

adjectivflexion  638.665  ff. 

aes  7. 

Aestier  122.  499  ft".  503. 

äffe  284. 

afres,  inalb.  384. 

ags.  dialecte  462. 

ags.  spräche  453  f.  459  ff. 

717. 
ahd.  spräche  340  f. 
-aib,  -alba  477. 
aise,  frz.  247. 
A  I  U  200  ff. 
alah,  ahd.  224. 
Alanen    156.    160.  331  f. 
Alamannen  346.    347  f 

448  f.  589. 
Alces  84.  vgl.  224. 
Aliorunen  517. 
aiphabet  191.  240. 
altar  81  f. 

altn.  spräche  523  ff'.  718. 
alts.  spräche  449  ff. 
altvil  657. 
Amalae  313. 
Amazonen  517. 
ambactus  93  f.  vgl.  118. 

374  f.  380. 
Ambronen  443  f. 
amme  189. 
Ammius  519. 
amsa,  goth.  236. 
Anartes  139. 
andare,  it.  238.  335.  617. 
andere  band  690. 
Angeln   345.  419  f.  356. 

438.  446  f.  458. 
Angelsachsen  446.  457  ff'. 


Anglia  458. 

Angrarii  437  f.  450. 

Angrivarii  430.  438. 
'  anke  696. 

Anses  312  f. 
j  Ansivarii  542.  543. 
I  antahtoda,     antsibunta, 

alts.  173  f.  175. 
!  antlitz  289. 

Aorsi  140.  156.  159. 

apfel  285. 

aran  39. 

aratrum  39. 

arbeit  39. 

arena  244. 

aries  24. 

arm  229. 

Armalausi  349. 

Armenien  572. 

Arminius  427. 

art  39. 

Artemis  154. 

artikel  666. 

artikelsuffix  667. 

arx  224. 

Asaland  534. 

Asciburgium  534. 

Askr  572. 

aspiratae  242.  276  f.  293. 

assimil.  der  voc.  ahd.  203. 

-astes,  fränk.  378. 

Astingi  314.  vgl.  333. 

atta,  goth.  189. 

Attila  332. 

Attuarii  401.  409  ff. 

audire  247. 

augenleuchten  89  f. 

aurora  9. 

aurum  7. 

Austravia  499. 

avena  47.  49. 

Avionen  330  f. 

äz,  mhd.  praet.  616. 

az§ts,  goth.  247. 

B 

B  und  W  301. 
Baduhenna  406. 
Baiern  350  f.  352.  355  f. 
vgl.  485. 


Grimm,  geschiclite  der  deutschen  spräche. 


bair.  dual  672.  674  f. 
bair.  mundart  715. 
bair.  .und  schwäb.  716  f. 
Bajuvarii  542. 
Balthae  313.  540. 
-bant  412  f.  477. 
Barden  475.  479. 
hart  231.  vgl.  246. 
Bastarnen  321  ff.  556. 
Bataven  400.  403.  405  f. 
batav.  namen  408. 
Batten  403. 
battudo  698. 
Batua,  Betuwe  405. 
beide  286. 

belgische  Thüringe417ff'. 
Behsar  301.  316. 
bellagines  317. 
Bergio  522. 
Berhtacultus  355. 
bernstein  499  f. 
Bessi  138.  150.  194.  313. 
betze  27. 
beudus  377. 
biber  285.  294. 
biene,  bie  717. 
ßikki  27.  327. 
bin  219.  302. 
bindan  295. 
Bingen  346. 
birke  286. 

bfruum,biruwis,ahd.219. 
bis,    imper.    301   f.  vgl. 

339. 
blau  279. 
Bleda  332. 
bilde  289. 
blinder  Hesse  393  f.  vgl. 

541.  ^ 

bluteid  96  f. 
bock  25.  30. 
bohne  285.  294. 
Bojen  116. 
Boirebistes  140. 
Borkum  413.  473. 
Bornholm  486. 
Borthari  371. 
Bortrini  371. 
Brabant  412. 
brache  43  f. 
46 


720 


REGISTER 


brain,  engl.  280. 
bronze  7.  8. 
Bructerer  371  f.  470. 
bruder  185  ff.  294. 
brüderschaffc   92  f.  96  f. 
brunne  279. 
Bucinobantes  412. 
Burgunden  474  ff.  485  ff. 
bürg,  beiden  489  f. 
bürg,  spräche  490. 
Buri  495  f. 
Buridava  496. 
bursa  95. 
busy,  engl.  256  f. 
Butones  493.  495. 
butter  695  f.  702. 

C 

caesaries  9. 

Caesia  silva  338. 

Canninefaten  407  f. 

caper  25.  29.  285. 

capillati  314. 

Carini  485.  486. 

carmula,  ahd.  229. 

caro,  lat.  701. 

caseus  697. 

Cassel  403. 

CH,  fränk.  379f.384.385. 

387.  390.  555. 
Chamaven  370  f. 
Chariovalda  408. 
Charudes  440  f. 
Chasuarii  409.  433  f. 
Chatten  345.  348.  393  ff. 

400  f.  427. 
Chattuarii401.  409f.542. 
Chauken  466  ff. 
chempho  442  f. 
Cherusken  355. 426  ff.  434. 

439. 
cherusk.     fürstenstamm 

428. 
Chochilaich  411.  468. 
chrenechruda  387  f. 
chreodiba,  ahd.  161. 
chunna,  malb.  384  f. 
cimbricum  scutum  442. 
coecus  713. 
coelum  473. 
cogito  281. 
comparation  667  f. 
consonantismus, 
— ,  ahd.  256.  297  f.  304. 
— ,  dän.  299. 
— ,  fränk.  377  f. 

—  goth.  254  f.  299. 
— ,  griech.  252  ff. 

—  kelt    259  ff. 


cons.,  lat.  252. 

— ,  litth.  270  f. 

— ,  mhd.  258.  298. 

—,  nhd.  298. 

— ,  Notkers    256    f.  vgl. 

297  f. 
— ,  roman.  271  f. 
— ,  slav.  268  f. 
— ,  Wolframs  257  f. 
corpus  701.  713. 
Costoboci  139. 
cruor  701. 
curia  280. 
custos  280. 
Cvenas  517. 

D 

D  und  L  248  f. 
D  und  S  247. 
Dacia  509. 
Dacus  509. 
dadsidas,  fränk.  381. 
Dahae  156  f.  159,  571. 
dairy,  engl.  704. 
Daken  124  f.  134  ff".  157. 

306.  496.  508.  564. 
dakische  namen  1 4 1  ff .  vgl. 

194.  223.  305.  559  f. 
damf,  ahd.  162. 
Danchwolf  379. 
Dänen    134.   136.   425**. 

508  ff. 
Dani  508. 
darben  230.  626. 
darf  626. 
datisca  148. 
dauhtar  695. 
Daukionen  508. 
-dava,  dak.  Ortsnamen  141. 

561. 
Davus  133. 
deba.  malb.  gl.  161. 
decaden  172  ff.  vgl,  178. 
Decebalus  135,  561. 
declination  634  ff.  653  ff. 
— ,  griech.  641  f. 
— ,  lat.  640  f. 
— ,  litth.  642  f 
demonstrativpronomen 

646. 
dens  713. 

depandorn,  ahd.  162. 
-deus,  fränk.  377.  378. 
Deutsche  117  ff".  158.  542. 

548  ff. 
deutsche  Wörter  bei  den 

Römern  118. 
dexter  684, 
dialecte  474  ff".  578  ff". 


Diar  510. 
dies  288. 
digamma  207  ff. 
Diobessi  313. 
Dioscorides  141  f. 
dis,  goth.  295. 
Dispargum  378. 
Dithmarschen  439.  445. 
Diuppaneus  561. 
do,  lat.  613, 
dolmetsch  228. 
dorf  285. 
dormire  229. 
dorn  229. 

Dorpaneus  561.  626, 
Dortmund  433.  436. 
Drenthe  412. 
driesch  44. 
Dromichaetes  140. 
dructis,  lex  sal.  380. 
du,  goth.  295. 
duahs  670  ff. 
— ,  altn.  677. 
— ,  bair.  675. 
— ,  hess.?  676. 
— ,  mhd.?  674. 
— ,  niederl.  676  f, 
— ,  östr.  675. 
dulcis  227. 
dulgs,  goth.  626. 
Dulgubini  433. 
Dülmen  456. 
dult  51  f.  553. 
düster  236.  245. 

E 

E,  Ursprung  193  ff.  196. 

200.  203. 
easy,  engl.  247. 
eher  25  f.  41. 
edda  220.  528  ff. 
eddo,  erdo,  ahd.  220.  247. 
Edica  326  ff. 
-eh,  goth.  anomal  649. 
El,  goth.  586. 
eilf  171  f. 
eisenkraut  88, 
Eitelweif  395. 
Electeo  375. 
Engern  437  f. 
Engriones  404. 
equus  21.  244. 
erbe  39.  709. 
erbse  46. 
essich  300. 
Esten  122.  501. 
Eudoses  346,  513. 
Externsteine  457. 
Eygotaland  514. 


REGISTER 


721 


F 

F  und  H  244  f. 

F  und  TH  245  f. 

fahl  228. 

fahs  287. 

Fairguneis  84  f.  245. 

Falen  438  f. 

falke  211.  553. 

falkenarten  36  f. 

falkenjagd  31  ff.  129.569. 

fallen  582. 

fsemne,  femina  695. 

feim  695. 

feld  43. 

femea  695. 

ferkel  26. 

ferrum  7.  8  f. 

feste  51.  77. 

fifaltra  599. 

filum  295. 

Finnen  121  f. 

finnische  spräche  6.  29. 
179.  189.  226.  229.  241. 
292.  527.  714. 

fitter,  malb.  385. 

flahs  278. 

flaz,  ahd.  279. 

fleisch  700  ff. 

foederati  315. 
Fosi  543. 
fragen  278.  287. 
fragwörter  242  f. 
framea  359  f.  362. 
francisca  361  f. 
Franciscani  361. 
Franken  358  ff.  370.  374 
ff.   vgl.  390.   399.  540. 
547.  577. 
fränk.  spräche  374  ff.  381 . 

382.  387. 
frastisibja,  goth.  91. 
frauennamen  14. 
freude  17. 
friche,  franz.  44. 
Friesen  412.464  ff.  470  f. 
fries.  spräche  472  f. 
frijon  278. 
Frisiabones  466. 
Fulda  399. 
fulluht,  ags.  460. 
Funafengr  532. 
funus  284. 
furche  41. 
Fuse  399.  430. 
fuszspur  97. 

G 

Gallier  115  f. 
Gambrivii  367. 


gandr,  altn.  282. 

Gangleri  530. 

gans  334. 

Gärdene  511. 

-gast  378. 

gauche,  frz.  690. 

Gaudae  140. 307.  309. 312, 
vgl.  377.  555. 

-gaudus  377. 

Gaut  538  f. 

Gautar  312.  514. 

Gautigoth  309. 

Gavain  211. 

Geatas  312.  vgl.  377. 

gebären  der  thiere  18. 

Gebeleizis  131. 

Gedrosia  572. 

gehn  616.  617. 

Geismar  402. 

Gelduba  368. 

Gene  — ,  Geno  —  276  f. 

Genovefa  378.  379. 

Genserich  334. 

Gepiden  324  f. 

Germanen  374.  545  ff. 

gerste  46. 

Geten  118.  119.  120.  123 
ff.  127  ff.  138  ff.  155  ff. 
194.  305  f.  308  f.  555  ff. 
563  ff.  568. 
Getenu.Gothengleichbe- 
deutend  128.  323.  501. 
565. 
getischenamenl40  f.  vgl. 

194.  306. 
getraide  44  f. 
getraidenamen  46. 
GG,  goth.  238. 
glesum  499. 
Glomm  522. 
Godar  533. 
Godheimr  533. 
Göd{)iod  507.  508. 
gold  8.  vgl.  229.  282. 
Götaland  514. 
Gothenl26ff.  153.  305  ff. 
335  f.  501  f  507.  556  f. 
566. 
goth.  spräche  200  ff.  319  f. 

338.  340  f.  578.  71-5. 
goth.  hexameter  318. 
Gothi  125.  308. 
Gothinen  126.  134.  502  f. 
gothisches  spiel  inByzanz 

316  f. 
Gothones  125.  157.  308. 
götter  85  ff. 
Goz,  ahd.  309.  538. 
-goz  539, 


graben  286. 
grand,  nhd.  48. 
gras  465. 

Greuthungi  314.  543. 
Gudila  128. 

Gugerni  367  f.  vgl.  491. 
Gundioch  489. 
Gungingi.    Guningi  478. 
Gustaf  491. 
Gulm  309.  541. 
Gujjans  313. 
Guttonen  501  f. 
gutturale  gezischt  272  f. 

H 

H,  anlautend  214. 
— ,  deutsches  209. 

— ,  finn.  213. 

— ,  fränk.  380. 

— ,  ir.  206. 

H  in  der  lautverschie- 
bung  303. 

H  und  F  244  f 

H  und  S  209  ff".  707. 

haar  und  hart  397.  570. 

haber  47. 

habicht  32  f.  35. 

Hadolava,  loha  447.  448. 

halec  229. 

halter,  hirt  703. 

Hamalant  370. 

hammer  280. 

hamster  236. 

band  714. 

handmüle  47  f. 

hano  281. 

Harier  159.  496. 

Harlunge  330. 

härm  129. 

hartmänot  69.  75. 

haruc,  ahd.  82. 

Harudes  440. 

Hassii  401. 

Hattuarü  401.  409  f. 

haupt  des  besiegten  ab- 
geschlagen 99  f.  102. 
164.  442. 

Headobeardan  479. 

Heissi,  Hese  432. 

heisze  pflugschar  42. 

heiter  281.  290. 

Heliand  449  ff'. 

hemera,  ahd.  212. 

Herbede  409. 

herbst  53.  553. 

Hercules  245. 

heres,  lat.  709. 

heri,  lat.  310. 

Hermes  87. 

46* 


722 


REGISTER 


Herminonen  577.  580. 
Hermunduren  414  ff.  421. 
Heruler  329  f.  vgl.  416. 
herz  231.  280. 
Hessen  393  ff.  401  ff.  vgl. 

542. 
hetja  401. 
Hetvare  410.  542. 
hi,pronominalstamm647. 
hie  haec  hoc  648. 
hiems  52. 
Hilleviones  522. 
himmels  einfall  322. 
hircus  29.  233. 
hirse  45. 

hirten  12  f.  21.  78.  703. 
hirundo  143. 
Hleidra  511. 
hleiduma,  goth.  686. 
Hoc  468. 
-hoc,  -höh  468. 
Hochdeutsche  307.  337  ff. 
hochd.  spr.  307.  582. 
hof  83.  281. 
Holmryge  328. 
Holtsaten  439.  440  f. 
honig  716. 

hören  247.  281.  vgl.  303. 
hornung  59.  64. 
hovar,  ahd.  286. 
Hredgotan  312. 
Hugas  468  f. 
hund  26  f. 
Hund  395. 

hundert  174  S.  vgl.  178. 
hungersnoth  11. 
Hunnen  331  f. 
huntari  343  f. 
hure  280. 
Hygeläc  410  f.  468. 

I 

I  mit  U  wechselnd  192  f. 

Ibor  476. 

Iduming  349. 

ledunc  350. 

iddja,  goth.  616.  vgl.  717. 

infinitiv  709. 

Ingaevonen438  456.575ff. 

Instrumentalis  341. 644  ff, 

— ,  ags.  650. 

— ,  ahd.  649. 

— ,  altn.  651. 

invidia  303. 

iuvit,  ags.  303. 

inwitte,  ahd.  303. 

lornandes  310.  313.  317. 

331.  476  565. 
Iring  314.  415. 


Irmino   375  ff.  381.  382. 

Iscaevonen  575  ff. 

ist  185. 

Ister  139. 

jah,  und  715. 

Jahrszeiten  52  f. 

jains  666. 

jecur  244. 

jener  666. 

jer,  russ.  197  f.  206.  207. 

jiuleis,  goth.  57  f.  66.  75 f. 

vgl.  211.  317. 
Julius  55.  75  f.  vgl.  211. 
jus  izvara  izvis  goth.  219. 
Juten  511  ff. 
Juthungi  349  f.  512. 

K 
K  fragend  242  f. 
K  gequetscht  272  f. 
K  und  P  wechselnd  243  f. 
kalb  23. 
kalt  229. 
kann  625  f. 
Karl  230. 
käse  697.  702. 
kaser  704. 
kät,  mhd.  354. 
Katzenellenbogen  394. 
keite,  dän.  690. 
Kelten  16.  82.  111.115  ff". 

159.  503. 
keltisch  29.  198.  200.  603. 

713  ff. 
keltisch  u.  deutsch  713. 
keltisch  u.  lat.  714. 
Kenemare  407. 
kiesel  244. 

Kimbern  440  ff.  577. 
Kinnin  407  f. 
kiöt,  altn.  701. 
kirche  223.  vgl.  300. 
kleid  717. 
knote  280.  289. 
komoni,  sl.  21. 
könige  pflügend  42. 
körn  47  f.  vgl.  229. 
Kotinen  502. 
Kotys  146. 
Koz,  ahd.  377. 
kräutemamen  583. 
kuh  23. 
Kvenland  517. 

L 

L  unstät  227  ff. 
L  vocalisiert  224  f. 
L  und  D  248  f. 
L  und  N  239. 
L  und  R  223  f. 


lac,  lat.  228.  693. 
lachen  281. 
laden  281,  290. 
Ladoga  228.  325. 
laetus  338. 
laevus  688  f. 
lais,  goth.  628. 
laist,  ahd.  628. 
lamm  24. 
lang  228. 
Langobarden  345.  350. 

474  ff.  478  ff.  485. 
langob.  spr.  479  f.  484  f. 
Laon  370. 
lappisch  226. 
lat.  spräche  200  ff. 
lat.  und  ahd.  341. 
lat.  und  deutsch  710. 
laumaent  65. 
laune  712. 
laut  281. 

lautabstufung2ol  ff.  309. 
lauter  296. 
lautverschiebung  275  ft". 

305.  306.    337    f.    377. 

379.  480.  562.  vgl.  292. 
— ,  anlautend  277  ff. 
— ,  ausnahmen  293  ff'.  297. 

303. 
— ,  in-  u.  ausl.  284  ff. 
— ,  etrusk.  292. 
— ,  zögernd  339. 
— ,  zwischen  finn.u.ungr. 

spr.  292. 
laz,  höriger  288.  338. 
leber  244. 
left,  engl.  688. 
leik,  goth.  253.  701. 
Leire  511. 
Lemovii  498. 
lenz  53. 

lerk,  lirk  687  f. 
lerz  687. 
letz,  bair.  686. 
Liberi  314.  540. 
lidus,  litus  338.  377. 
liechen,  mhd.  462. 
lingua  248  f. 
linke  band  686  f. 
linke  seite  heilbringend 

681. 
liquidae  217  ff.  290. 
lis,  lat.  224. 
Litthauer  118  f. 
litthauische  spräche  196. 

200  ff.  239.  326.  711  f. 
litth.  u.  deutsch  715. 
Huf,  mhd.  602. 
LL,  welsch  215. 


REGISTER 


723 


Lochiin  522. 

locus  287. 

löffel  285. 

Logi  533. 

loenelin  290. 

longus  228. 

lucht,  luchter,  nd,  688. 

lucus  43. 

luna  712. 

lupus  233.  vgl.  243. 

Lygier  344.  492  f.  557. 

M 

M  und  N  234  ff.  238. 
— ,  altn.  237. 
— ,  lat.  237. 
msecheninc  303. 
Maden  402.  405. 
mag  627. 
magnus  627. 
Mähren  353. 
mal  287. 

malberg.  glosse  383  ff. 
malia,  malb.  384. 
mallobergus  389.  vgl.  394. 
Mannheimr  533, 
Mannus  und  seine  söhne 

571  f. 
Marciana  silva  348.  vgl. 

515. 
mardoro,  ahd.  700. 
margarita  162. 
margi-,  altn.  524. 
Marklo  437. 

Markomannen  350  ff .  355. 
marpahis  481. 
Marsaci  430. 
Marsen  430  ff'. 
Massa^eten  155  ff. 
materies  289. 
matte  404  f. 
Mattiaci  404  f. 
Mattium  402.  404  f. 
Matyketen  156. 
mediae  241. 
medisch  159. 
Medofulli  457. 
Medway  457. 
mel,  lat.  716. 
mensa  236.  700. 
mensis  247.  712. 
merda  231. 
metalle  6  ff. 
meth  249.  290. 
metiri  288. 
milch  692  ff. 
mimz,  goth.  236.  700. 
mispel  234  f. 
mist  213. 


modula,  medela  483.712. 
mohn  287. 
mölke  698. 
monate  53  ff'.  553  f. 
monatsnamen,' 

ags.  56  ff. 

ahd.  58  f. 

alban.  74. 

altn.  66. 

bask.  74. 

fries.  64. 

ind.  79.  54. 

kelt.  72  f. 

lat.  55  f. 

litth.  läpp.  usw.  70  f. 

mhd.  60  f. 

niederd.  62. 

niederl.  63.  65. 

roman.  61. 

scandin.  65. 

slav.  67  ff. 

Ungar.  74. 
Mongolen  153. 
mors  231. 
mucke  713. 
Mugilonen  495. 
müle  48. 
mulier  695. 
Münster  456. 
munter  235. 
muspilli  289.  483. 
mutae  240  ff.  276  ff'.  290. 
— ,  ahd.  257.  277. 
— ,  finn.  241. 
—   lat.  241.  244. 
— ,  litth.  241. 
— ,  sl.  248. 
mutter  185  ff".  296. 
myrkr,  altn.  230. 

N 

N  234  ff.  655  ff.  662. 
nackt  714. 
Nahanarvali  497. 
naht  622. 
name  107. 
namengebung  108. 
Narisci  352. 
Nassau  404  f. 
nasz  235.  405. 
nebel  713. 
neid  303  f. 
Nemeter  346  f. 
Nerigon  521. 
nesthocker  17. 
Neustria  370,  539. 
nex  287. 
Niederdeutsche  423  ff. 


niederd.  spräche  449  ff. 

579.  582. 
niuklahs  17. 
nisse  281.  288. 
norden    götterwohnung 

681. 
Nordleudi  439. 
Nordmannen  505. 
nornen  497. 
Northalbingi  439. 
Norweden  521. 
Norwegen  521  f. 
nubes  713. 
nudus  286. 

0 

0,ursprung  1 93ff.  1 96.203. 

Obst  286. 

Obstzucht  16. 

ochse  22. 

Odinn  534  f.  538. 

odium  288. 

Odoaker  326  f. 

Oegir  532. 

olbente,  mhd.  29.  286. 

orchard,  engl.  715. 

Osi  457.  496. 

Osnabrück  456. 

6st  597. 

Ostarliudi  437, 

Ostfalen  437  f. 

Ostgothen  310  f. 

ostr,  altn.  697. 

Ostrogothae  312. 

Ostthüringe  416. 

Otfried  382. 

Ovid  137.  vgl.  189. 

Ovis  24.  47. 


P  fragend  242  f. 

P  undK  wechselnd  243  f 

P  und  T  245. 

pascere  703. 

Passau  406. 

pastor  703. 

pax  278. 

pedere  278. 

penna  278. 

personalpron.  673. 

Peucini  323.  578. 

pferd  21  ff".  30. 

pflüg  40  ff.  48. 

Ph,  anlaut in  hochd.  Wör- 
tern 299  ff. 

PH  und  CH  wechselnd 
244  f. 

PH  und  TH  245. 

Phol  87. 


724 


REGISTER 


Pii  567. 
Pipin  378. 
Plectrudis  378.  380. 
podor,  mallb.  384. 
polnische  spr.  235. 
Polygamie  13.  131  f. 
rotrimpos  86.    vgl.  23ü. 
praeteritopraesentia 

619  ff. 
pranger  300. 
Priantae  140. 
priester  88.  567.  568. 
pronom.  pers.  179  ff.  vgl. 

184  1. 
Pytheas  117. 

Q  abfallend  im  anlaut  52. 
qino,  goth    287  f. 
QU  =  ZW  269. 
Quaden  353  ff. 

R 

R,  241.  anlautend  215. 

R,  ags.,  engl.  231. 

R  aus  S  218  f.  221  ff.  227. 

vgl.  280.  339.  350. 
R  unstät  229  ff".  233. 
R  verschwindend  220. 
rahm  695. 
ratio  289. 
raudus  8. 
Raumaricae  312. 
Rawlinson  158.  554. 
re,  mhd.  701. 
recht  und  link  680  ff. 
rechte  hand  684  f.  691. 
rechts  heilbringend  682  f. 
reduplication  598  ff. 
Reidgotaland  514  f. 
Reidgotar  312. 
reliquien  103  ff". 
Reudigni  498.   515.   539. 
rind  22  f. 
Ripuarii  368.  542. 
risen,  mhd.  462. 
roggen  45. 
root.  engl.  715. 
ros,  lat.  712. 
rotte,  mhd.  143.  vgl.  170. 
Roxolanen  519  f. 
Rugier  328  f.  498. 
runen  110  f. 
Russen  520. 
RZ,  poln.  223. 


S  214.  217.  221.  241. 
S  und  D  247. 


S  und  H  209  ff.  707. 
S  und  TH  247  f. 
sa,  so,  goth.  656  f. 
Sacael56.157.158.159.424 
Sachsen  159.  424  ff".  434  ff". 

446  ff.  458. 
sächs.  Schwert  425. 
Ssegeätas  312. 
sahne  695. 
saihvan  244.  287. 
Salier  369  f.  374.  543. 
salz  210.  713. 
Samogetenll9.131. 1561". 
Sarmaten  120  f.  141.  159. 

vgl.  212.  227. 
Sarmizegethusa  141. 
sarpere,  lat.  212. 
Sarus  519. 

Sattagyden  158.  309. 
sau  26. 

Sauromaten  153. 
Saxnot  425. 
saxum  424. 
scal  626. 

Scandinavien  505  ff. 
Scania  505. 
Scanzia  505. 
Schädel  trinkgef  asz  1 00  ff. 

105. 
schebne,  mhd.  164. 
schelten  627. 
Schild  154. 

schlachten  (thiere)  18. 
Schmachtriemen  107. 
schmeer  69  R. 
schmerz  716. 
schöpf  390. 
schöps  24. 
schote  700. 
schotte  698  f. 
Schrift  109  ff. 
schuh  617. 
Schwaben  226.  345.  348. 

355.  394.  s.  Sueven. 
Schwab,  und  bair.  716  f. 
schwach    und  stark    in 

demselben  worte  665. 
schwache  nomina  652  ff. 

657  (ahd,).  658  (nhd.). 

659  (ags.).  661  (altn.). 

in  and.  sprachen  662  ff. 
schwache  verba  607  ff. 
schwarz  289. 
Schweden  515  ff". 
Schweiger  703. 
Schwein  25. 
Schweiz  488  f. 
schwertcultus  354  f.  426. 

542. 


Schwester  185 ff.  vgl.  255. 

scire  244.  287. 

Scoringa  476. 

scotta,  ital.  699.  703. 

Sedusier  346. 

Segest  378.  428. 

selb  228. 

Semana  silva  344  ff. 

Semnonen  344  f. 

sennen  703  f. 

senner  695. 

Serbi  120. 

seruni,  lat.  698.  702. 

seusius  377. 

shamrock  211. 

Sibeche_27.  327. 

Sicambria  365  f. 

Sif,  altn.  149. 

Sigambern  363  ff.369.374. 

378.  396.  577. 
Sigipedes  324  f.  367. 
Silber  8.  vgl.  224. 
Silingi  495. 
Sirmien  120. 
sirus  164. 

sisesang,  ahd.   164. 
Sithonen  140.  308.  517  f. 
skäldskaparmäl  530. 
Skiren  325  ff. 
Skythen  84.  85.   87.    90. 

95.  98.  103.  118.  153  f. 

157.  160  l  331. 
Skythien  152  ff. 
skythisch  162ff".  177.223. 

244. 
slavan,  goth.  225. 
Siaven  119  f.  133.  226. 
slav.unddeutsch711.715. 
slink,  nl.  687. 
Slovenen  226. 
söhn  188. 
sol,  lat.  211. 
soldurii  93.  95.  155  f. 
soll  626. 

solmonad  64  f.  77. 
sommer  52.  vgl.  221. 
somnus  212.  vgl.  225. 
sonesti,  fränk.  383. 
sonorpahir  483. 
Sperber  37. 
sperUng  37. 
spiration  206  ff", 
sporkel  64.  60.  63. 
spott    der   Völker   über 

einander  542. 
spuma  278. 
sron  267. 

ST  zu  SS,  S  255  f. 
stammhelden  539. 


REGISTER 


725 


stammsage  572. 
stanco,  ital.  687. 
stehn  614  f. 
Steier  327. 

Stephanus  Byzant.  566. 
sterben  von  thieren  19. 
stier  22. 

stierhaut  90  f.  95. 
stoppeln  48. 
Sturmaren  443. 
Stutenmilch  501. 
Suardones  329  f. 
suavis  212.  227. 
Sueci  512. 
Sueven  226.  342  f.  345  f. 

395  f.    347.    350.   352. 

353.  355.  393. 
Sueven  =  Slaven  71 1.226. 
Suiones  516. 
suneeta,  malb.  383.  384. 
sunufatarung  455. 
Suovenen  227.  342. 
Susat  366. 
sva,  sve  645. 
svade,  ags.  227. 
Svi{)iod  507.  518. 
swigen  225. 

T 

T  für  TH  308.  338. 
T  zeigend  242  f. 
tachtich,  mnl.  173. 
tag  288. 
talpa  303. 
Tamasiten  519. 
Tanculfus  379. 
Tanfana  84.  162.  432. 
tapfer  285. 
Tarabosti  568. 
tasche  683. 
Tatian  382. 
tatte,  vater  189. 
taurus  22. 

tausend  1 76  fl  78.  vgl.385. 
Tectosagen  117.  160.353. 

503, 
tekan,  goth.  607. 
telpan,  ahd.  303. 
Temerinda  163.  195. 
tempel  82  f 
templum  162. 
Tencterer  371  f. 
tenk  687. 
tenne  284. 
tepere  161.  vgl.  236. 
Testerbant  412. 
Tetraxiten  311.  332.  544. 
Teutonen  4i4  f  499.  513. 

548  f. 


teutsch    oder    deutsch? 

549. 
texaga.  malb.  386. 
TH,  fränk.  380. 
TH  und  F  245  f. 
TS  und  S  247  f.        • 
Thaiphali  135.  306.  313f. 

vgl.  318.  439. 
Thervingi  314.  415. 
thier  20. 
piuda  85.  548. 
Thogarma  572. 
Thoringi  417. 
Thraker  123  ff.  136.  569. 
Thrakien  709. 
Israeli,  altn.  283.  287. 
|)ramstei,  goth.  236.  453. 
Throvendas  522. 
Thrud  136. 
Thule  521. 
thun  611.  613  f 
thür  245. 
Thurilinge  416. 
Thüringe    415    ff.     447.. 

539. 
Thusnelda  209.  427. 
Thyrsageten  156. 
tiuphadus  177. 
tocMer  185  ff.  695. 
tod  284. 
todesmut  89. 
todtenbäume  3.  349. 
toise,  frz.  684. 
Tolistoboji  503. 
topfe  699. 
torf  229.  282. 
torg,  schwed.  230. 
Totüa  189  f. 
Toxaris  152.  154. 
träge  296. 
trahere  284.  288. 
Trausi  433. 
treu  296. 
Triballer  135. 
Triboken  346  f 
trilogie  in  der  spräche 

191.  206.  240. 
trilogien  der  götter  84. 
trinkhörner  570. 
Tschuden  153. 
Tubanten  411  f. 
tubrugi,  langob.  482. 
tuerc,  ahd.  291.  297. 
Tungern  546  f. 
tuom,  ahd.  284. 
Turcilingi  325  f.  416. 
Turpinus  381. 
Twente  412. 
Tyrageten  156. 


ü 

Ü  für  U  195.  198. 
Ubier  368. 
Umlaut  193.  199. 
Uppsviar  516. 
Usipetes  373  f  407. 
Usipi  373. 

V 

V  206  fl".  214. 
vairi)a,  goth.  290.  302. 
Vaf^rudnir  529. 
Vandalen  332  f 
vandal.  namen  334  f 
Vangionen  346  f. 
Vanir  533. 

vargs,  ^oth.  230.  233. 
Vseringjar  316. 
Varini  419  f.  421. 
vater  185  ff.  189.  296. 
Vaterland  549. 
Vedergeätas  312.  514. 
Veneti  333. 

verbum  substant.   340  f 
verschobenes     praeteri- 

tum  619  ff". 
Victohali,  Victovali  497. 
Vidivarii  500  f. 
Vidsides  lied  311  f.  328. 

330.  332.  356.  415.  500 

515.  522. 
vieh  20  ff. 
Vindelici  333. 
Vindili  476.  577. 
vintrus  52.  vgl.  381. 
viss,  goth.  255. 
Vithones  501. 
Vitländer  501. 
vivus  280. 
vocale    der    declination 

633  ff.  654. 
vocale  191  ff.  585  ff.  633  ft". 
— ,  ags.  459  f.  586, 
— ,  ahd.  203.  585  f. 
— ,  alts.  449.  585. 
— ,  deutsche  204. 
— ,  finn.  204. 
— ,  fränk.  375  ff. 
— ,  getische  194. 
— ,  goth.  193.  200  ff.  319. 

585  ff. 
— ,  griech.  196. 203.592  ff. 
— ,  irische  1 98  f. 
— ,  lat.  195.  200  fl".  595  f 
— ,  litth.  196.  200  ft'. 
— ,  sl.  197  f.  204. 
— ,  welsche  199. 
volborn  554. 
Volk  229. 


726 


REGISTER 


volksnamen  108.  155. 
vordere  band  685. 
vrastmunt,  ralid.  91. 
vul{)us,  goth.  290. 
vulpes  233.  709. 

W 

W,  deutsches  209. 
W  und  B  301. 
wagen  43. 
waizen  45. 
walapauz  483. 
wald  707. 
waldwachs  463. 
wannoweho  36. 
warac,  ahd.  230. 
Warasci  352. 
warm  284.  554. 
Warnen  419.  446. 
Waske  9. 
wattke  699. 
weg  43. 

weide  12.  20.  289.  703. 
weiden  289.  703. 
weif  27. 
Weifen  395. 
welsche  vocale  199. 
werden  218.  302. 
Werini  420  f. 

axövri  281.  304. 

axvkoq  303. 

ä^ehyo)  693. 

^'Avagxoi  306. 

aQiaxsQoq  689. 

'Aanaaiaxai  158. 

ßaQSiov  23. 

Barsivoi  406. 

BovodxreQOL  371. 

ßovxvQOv  695. 

yäXa  693. 

yXwoaa  231. 

öafiQ  248.  282.  708. 

Jkol  157. 

Aäpq  132  f.  313. 

öiäxovog  94. 

6l6(Ofii  614. 

JToi  133 f.  157.  313.510. 

ÖQÖaoQ  222.  712. 

ApvvoL  495. 

6?/Mi,  eiiiL  617.  616. 

^^aßTiacog  163. 

btaZgoq  97  f. 

sxo  595. 

^eä  46. 

tiQiv  121. 


Werra    340.    398.      vgl. 

421. 
wesan,  ahd.  301. 
Wesegothae  310. 
Weser  340.  457. 
Westen  310. 
Westfalah  32. 
Westfalen  437  f. 
Wetterau  514. 
whay,  engl.  697. 
widder  24. 
wilde  Sahsen  435. 
will  284.  624  f. 
wind  303  f. 

Winden  120.  133.  226. 
Winiler  333.  476. 
Winkel  235. 
winster  686. 
winter  52.  vgl.  381. 
winzer  300. 
Wirnt  301. 
Wisbaden  373.  404. 
Witwenverbrennung   98. 
Wlachen  226. 
wolf  233. 
Wolfdanch  379. 
word,  Ssp.  717. 
worth,  engl.  717. 
wren,  engl.  713. 


Ztw/ioi  495. 
ijXiog  211. 
S-ämsiv  161. 
S^VTjaxeiv  284. 
&Qa^  136.  vgl.  284. 
'lyyQttoreg  404.  438. 
Uga^  96. 
—  lt,(o  222. 
"nnoq  244. 
i'ffo?  253.  255. 
"oTTjfii  615. 
xXalsiv  281. 
xoyiösq  281. 
Kögaxoi  84.  224. 
Köxvg  146. 
xQ^ag  701. 
Kwyaiovov  139. 
XaZkaxp  598. 
kaiög  688  f. 
Xvxog  233. 
Macäircg  163. 
fjiaxaiQcc  303. 
[iLyvvfii  627. 
fiVQnriS.  229. 
[ivg  222. 
ovofitt  304. 


Wuotan  535. 
würz  231.  232.  715. 

X  Y 

X,  fränk.  380.  390. 
yrias,  fränk.  381. 
Yuetschi  158. 

Z 

Z,  ahd.  277.  293. 

— ,  armor.  277. 

— ,  goth.  217.  219  f.  319. 

zahlen  167  ff.  vgl.  118  f. 

243. 
zahngeld  108  f. 
Zalmoxis  86.  130  f.   136. 

152.  155.  163.  536. 
zange  372. 
Zeitalter  1  ff. 
zeter  355.  • 

ziege  25. 
zier  287. 
ziger  698. 
zimber  235. 
zins  300. 

Ziuwari355.  vgl. 426. 542. 
ZU  =  QU  269. 
zwei  673. 
zwölf  171  f. 

OvxQOßVQog  403. 
uQ(pavög  709. 
dcpO-aXfiög  90. 
ö^gvg  304. 
o'xAoe  229. 
neß7tät,£if  167. 
nXeiaxoL  567  f. 
noliög  228. 
nvQoq  45. 
adg^  702. 
Sißivol  120.  495. 
oiyäv  225. 
aZxoq  45. 
axaioq  689. 
SxanxjjavXr/  707. 
Sovßäxxoi  403. 
Taßni  161.  162. 
XQix^iv  287.  291. 
TvQuyytxai  156. 
TV()oe  697. 
V,  ausspräche  196. 
vXtj  707. 
■6q  41. 
ydft>  593. 
^vcM  301  f. 
/  =  lat.  f  244. 


Druck  von  Hundertstund  &  Tries  in  Leipzig. 


C\ 


BINDIlte  SECT.  JUL  2  -  1960 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY