Google
This 1s a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before 1t was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google ıs proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work 1s expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text 1s helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can't offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world”s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
atlhtto://books.google.com/
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich 1st, auch für Nutzer in anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter[http: //books.google.comldurchsuchen.
. ES e... B . . Ñ Ñ
Lan o J abe Era aut rios ARAFO
E UL UNI . 7. ps A A AA
. dd EEE “Y. ILil 7 7 ED E . suftrın
— u 2* E nnd
o
E —
a e a DA
te nn ES nus
5757757 na A III Z toral
nn — — —
A A 22.22. 20
E rm — — —
Geſchichte
der
dramatiſchen Literatur und Aunſt
in Spanien.
Dritter Band.
Geſchichte
der
dramatiſchen Fiteratur und Aumfl
in Spanien.
Bon
Adolph Zriedrih von Schal.
— —
Dritter Band.
m
Berlin.
Berlag von Dunder und Humblot.
1846.
Vorrende
Der vorliegende dritte Band ver Gefchichte ber
dramatifchen Literatur und Kunft in Spanien follte nad;
der anfänglichen Berechnung zu gleicher Zeit mit Den
beiden erften ausgegeben werben, und nur zufällige, von
meinem Willen unabhängige, Umftände haben beffen
Erfcheinen um faft ein Jahr verzögert.
Menn Die meitfchichtige Arbeit, deren Schluß ich hier⸗
mit der Deffentlichfeit übergebe, dazu beitrüge, vie feit
lange entfcehlummerte Neigung für die fpanifche Poefie von
Neuem zu erweden und die nähere Kenntniß berfelben
zu befördern, fo würde mir dies freilich ſchon allein
eine Befriedigung gewähren; aber wie Bonterwef in
feiner Vorrede fagte, nur dann würde erglauben, fein
Geſchichtswerk nicht umſonſt gejchrieben zu haben, wenn
dasfelbe durch die fchönen Töne von Süden her Den
deutichen Geift zu neuer Selbftthätigfeit belebte, fo will
auch ich nicht verfchmeigen, daß mich nod) andere Hoff-
nungen und Wünfche bei dem Unternehmen befeelt und
mir die Luft und Ausdauer bei der Ausführung des⸗
felben wach erhalten haben. Diefe Hoffnungen waren
auf einen, wenn aud nur indirecten, Einfluß gerichtet,
den die Kenntniß der dramatifchen Literatur ber Spa=
nier auf die Negeneration der deutſchen Bühne ausüben
könnte. Es Tiegt außerhalb des Kreifes Titerar-hiftorifcher
MWerfe, unmittelbar in das Leben und Schaffen ber
Poeſie einzugreifen: aber Den Dichterifchen Kräften bie
Richtungen zeigen, in welchen fie Erfolge zu fuchen
haben, ihren Gefichtöfreiß erweitern, fie mit neuen An=
ibauungen bereichern — Dag vermögen fie. Welche
große Lehre nun aus der Gefihichte des fpanifchen Thea⸗
- ter8 in feiner Blüthe und in feinem Verfall zu ziehen
fet, wie dad Drama ein volfäthinmliches fein, wie es
die gefammten Elemente einer Nation befriedigen und
deren höchſte und heiligfte Intereſſen in feinen Kreis
ziehen möüfje, wie das Gelbftändige, auf einheimifche
Bedingungen Gegründete in Geift und Form feinen
Grund und Boben bilde, — darüber hat fi) das Werf
jelbft zur Genüge ausgefprochen. Durch dieſe Erfennt-
nig aber ift weber die Schule, die wir in Den fremden
Literaturen machen fónnen, nod) Die freie und felbft-
thätige Aneignung des Ausländifchen verdammt. Der
Befanntfchaft mit Shaffpeare vernanfen wir fo ziemlich
Alles, was in ber pramatifchen Production Deutſchlands
gehaltvoll ift; die nähere Kenntniß der Spanier fónnte
und in gleicher Weife die fruchtbringendften Anregungen
geben und eine neue era des Deutichen Theater her=
— nn
— VI —
beiführen helfen. Wenn es unferer Schaufpielpvefle bet
dem unfáglid engen Kreife, in Dem fie fich bewegt,
beſonders wünfchenöwerth fein muß, neuer Ideen unb
Stoffe theilhaftig zu werben, welche unerfchöpfliche Fund»
grube von Motiven und Erfindungen bietet ihr vie
fpanifche Bühne bar! In noch viel höherem Maaße
aber verdienen Galberon, Lope und die Anberen ihrer
Zeit in Bezug auf die Kunft Der dramatifchen Geftal-
tung und auf die Verbindung von feenifcher Wirkſam⸗
feit mit poetijcher Kraft in ihren Stüden ftudirt zu
werden. Es ift wahr, ſchon einmal hat das veutfche
-Drama aus dem fpanifchen Nahrung gezogen, und es
mag zugegeben werben, dag die Ernte nur Fläglich aus=
gefallen ift: aber es märe traurig, wenn Der erfte, durch
die Schuld derer, die ihn anftellten, mißglüdte Verſuch
von neuen und wiederholten abjchreden follte. — Denn
tie find biäher die Spanier nachgeahmt worden! Statt
fih an das Wefentlihe und Ewige in ihren Werfen zu
halten, hat man nur bie äußere Form berfelben in's
Auge gefaßt und diefe auf die ungefchictefte Art nach-
gebildet vder vielmehr parodirt, In der That, mas
haben vie deutſchen Dramen im fogenannten fpanifchen
Style, ich fage nicht mit Salberon, fonvern nur mit
fchlechten Galverond-Überfegungen. gemein, al8 die wech—
jelnden Neimarten und Affonanzen, die überall bas
Mühfelige und Qualvolle der Arbeit zur Schau tragen
und bet allen Anfprüden auf Kunftfertigfeit in einer
— VII —
Metfe gehandhabt find, al8 enn das metrifhe Schema
das allein Wichtige wäre, Die Rohheit und Ungefchlacht-
heit der Sprache aber, die hineingezmängt wird, nicht
meiter in Betracht fime?. Dem Gehalte nach kann nichts
verjchievener fein; ftatt Der Lebendigkeit und finnlichen
Klarheit, mit weldyer die Spanier felbft das Geheim-
nigvollfte Darzuftellen wußten, finden wir bei ihren
deutichen Nachahmern einen nebelgrauen Wirrmarr er-
fünftelter Empfindungen , eine füßlidhe durchaus anwi—
dernde Srömmelei; ftatt der hochaudgebildeten Dramati>
chen Kunftform eine fo gänzlihe Abweſenheit aller
Gompofition, dag man fich zu den erften Anfängen
des Theaters zurüdverfegt glaubt. Faßt man gar bie
Dramen der Schiefjaldpoeten in’8 Auge, Die fih auf
Galderon zu ftügen wähnten, fo finden fich in ihnen bie
Spanischen Formen auf's Aergfte mißhandelt, infofern
an die Stelle der in ſtrenger Gefegmäßigfeit und fos
norer Anmuth Hingleitenden Redonvillen und Romans
zen jene „mwiderfinnigen hiatusreichen Halbtrochäen tre=.
ten, in denen bald ein Reim fich findet, bald aud)
wieder nicht," an die Stelle der aus dichteriſcher An⸗
ſchauung hervorgeblühten Bilverpracht Hoble und bes
deutungsloſe Phrafen, die fih zu jener verhalten
mögen, wie Leierkaſtenſtücke zu einer Beethoven’fchen
Symphonie; von Geift und Gehalt kann bei biefen
Machwerfen ohnedies nicht die Rede fein. — Es wäre
Beleidigung, wenn man die umfangreichen Dramatifchen
Gemálbde eined großen und verehrten deutſchen Meiftera,
die, wie der Verfaffer felbft fagt, durch Die „reiche und
entzückende Ausficht in bie fpanifche Poefie“ angeregt
worben find, mit den biäher genannten Schaufpielen
irgend zufammenftellen wollte; zu beflagen ift nur, daß
der Dichter fih fo fchranfenlos in bie Breite ausge⸗
dehnt und dadurch abfichtlich den Gewinn anullirt hat,
den die Bühne aus feinen Werfen hätte ziehen fónren.
Gerade auf der Seite mun, welche biöher faft ganz uns
berüdffichtigt geblieben tft, in Bezug auf die Verbindung
des poetifchen Geifted mit jener Goncentration des Stof-
fed, welche der Bühne nöthig tft, müßte das fpanifche
Drama, um wahrhaft belebend auf dal unfere zu wir»
fen, der Lehrer der jüngeren Generation fein. Die me-
triſche Form Dichterifcher Werfe tft bei den verſchiedenen
Nationen nad) den Bedingungen einer jeden Sprade
verfehteven, aber dramatiſches Leben und poetifcher Ge⸗
halt find überall, bet ven Griechen wie bei den Eng⸗
ändern, bei den Spantern wie bei den Deutjchen das⸗
felbe, und wo fich nicht beide vereinigen, da farm von
einem wahren Schaufpiel nicht die Rede fein; ein bras
matifche8 Gedicht, dal fich nicht aufführen läßt, tft eben
jo viel, wie eine Partitur, die nicht gefpielt werben
kann; ein Bühnenftüd aber, welches in trodenen Um-
rifjen nur Vorfälle Der gemeinen Wirklichkeit ſchildert,
ohne ben Stoff durch ideelle Auffaffuug und poe=
tifches Golorit zu abeln, entweiht Die Bretter eben fo
— 11 —
ſehr, wie es Seilſpringer und tanzende Hunde thun.
Wie und nun für die Tragödie und das hiſtoriſche
Drama vorzúglid bie Engländer ftet8 als Teuchtenve
Sterne werben vorfchmeben müſſen (obgleich auch hier
von bem fühfichen Volfe unenplich viel zu lernen wäre),
jo dürften und für das Luftfpiel in jener höheren Ge—
ftalt, in welcher es allein zur Literatur gerechnet wer-
den darf, befonverd bie Spanier ald Vorbild dienen.
Will man Beispiele, wie ein begabter Geiſt aus dem
Duell fremder Dichtung fehöpfen und fid) in jelbftän-
diger Weife Die Vorzüge berfelben zu eigen madern
fónne, fo nenne id) unferen herrlichen Platen; Diefer
fannte und fludirte die Spanier, und man erfennt in
feinem /Schatz des Rhampſinit⸗ und gläfernen Pan-
toffel« die Anregung, welche er von Diefer Seite zu
dem Verſuche einer Miederbelebung des höheren Luft-
jpield empfing: aber er hielt fich nicht ſelaviſch an das
Formelle, er juchte in freier Weife den Geift der fpa=
nischen Comödie zu reprobuciren und bereicherte fo un-
fere an Erzeugniffen der komiſchen Mufe fo arme Bühne
mit einigen wahrhaft trefflichen Werfen diefer Gattung.
Daß aber Diefe Stüde, fo wie noch einige andere un»
fever befferen Dramatiker, 3. Y. von Immermann, nicht
aufgeführt werben, ift ein fehmerlaftender Vorwurf für
unfere Bühnendirectionen, welche durch die ftete Vor=
führung gehaltlofen augs und inländiſchen Plunders
recht foftematifch auf den Ruin des guten Gefchmads
— ⸗ xi —
und auf die Abtoͤdtung alles poetiſchen Sinnes auszu⸗
gehen ſcheinen.
Und dies führt mich denn noch auf einen anderen
Punkt. Der immer tiefer einreißende ſchmachvolle Ver⸗
fall unſeres Theaters, der den gebildeten Deutſchen mit
Schmerz und Unwillen erfüllen muß, macht wohl jedem
Denkenden die Nothwendigkeit klar, dag man auf Mit⸗
tel ſinne, die Bühne aus dieſer Erniedrigung zu erhe⸗
ben. Alle Klagen und Declamationen aber helfen nichts,
fo lange man den Repertoires nicht eine reichliche Zahl
von Schaufpielen empfehlen farm, welche bramatifche
und wahrhaft poetifche Kraft mit einander verbinden.
Dad Verlangen des Publikums nah Mannichfal-
tigfeit de3 Genuſſes ¡ft ein gegründeted, und überall,
wo das Theater wahrhaft geblüht hat, tt dieſes Der
langen durch zahlreiche und verfchievenartige Werke be-
friedigt worden; man Tann e8 daher eben fo wenig
den Zuſchauern verargen, wenn fie über die wenigen
aufführbaren Dramen unferer elaſſiſchen Dichter hinaus
noch andere zu ſehen begehren, wie den Directionen,
wenn fie biefen Trieb zu befriedigen trachten. Der Feh⸗
ler tft nur, daß die legteren, ftatt Die Liden ihrer
Mepertoired auf múrbige Art zu ergänzen, dem Hange
eined gedankenloſen Pöbeld zu nichtswürdigem Zeitver-
treibe durch die feichteften und elendeften Novitáten fröh-
nen. Es Hilft nichts, daß die Vertheidiger des heutigen
Bühnenweſens einwenden, der Gefchmad ves Publikums
— 1 —
ſel einmal fo geartet, ihm müffe man willfahren: netn,
die Bühnenvorfteher felbft find e8, welche Diefen Ge-
ſchmack durch die fchale Koft, Die fie ihm unermüdlich
vorgefeßt, fo tief herabgezogen haben, und in ihrer
Macht liegt es auch, ihm wieder zu heben. Das Volk,
unter welchem Begriffe wir doch nicht gerade Die une
terfte Hefe des Pöbels verftehen, bewahrt trot aller
Beftrebungen, feinen Geift zu verwirren, Empfänglich-
teit für das Höhere und Poetiſche; feine Sinne find
nod) nicht fo verdumpft, daß ein mächtiger Blüthen-
duft ber PBorfte nicht das beſſere Selbft aus feiner
Betäubung ermeden follte; in feiner Seele find jene
Saiten nicht zerriffen, welche harmoniſch exflingen, wenn
ein Dichter der entweihten Leter einen volleren und
ftärferen Klang entlodt; dad Herz vermag ihm nod)
zu ſchlagen für bas Gemaltige und Herrliche in Vor-
zeit und Gegenwart ; die Sehfraft für die luftigen
Zraumgebilde ber Phantafte ift ihm nicht erlofchen,
_ feinem Auge fehlt die Thraͤne nicht fir die im riefl-
gen Kampf mit dem unerbittlichen Schieffal hinfinfende
Heldengröße, und feiner Lippe nicht das Lächeln für den
Scherz, der fid auf bem Blumenkelche der Anmuth
Ichaufelt. In befonders glüdlichen Zeiträumen wird Der
Beifall der Nation von felbft nur dem Schönen zu
Theil, und die Bühne fchafft und wirft im unmittel-
baren Einklang mit dem Volf8geifte dad Rechte und
Große: in Perioden der Zerfahrenheit und Verwirrung
— 1 —
aber ift es die Sache Derer, melde von ber Bühne
herab auf die Nation wirken fónmen, Die von böfen
Schichten umlagerten Elemente des Belleren in ihr zu
entbinden; und toer den Einfluß fennt, den das Thea⸗
ter auf Oeift und Sitte eines Volkes üben farm, dem
wird Dieje Sache als eine wichtige und heilige erſchei⸗
nen. Von dort her, von wo ſich jegt eine geifttdbtende
Lethargie oder ein fittenververbliches Gift durch Die
Adern der Geſellſchaft ergieft, fónnte fich eine auf das
ganze Leben ver Nation zurückwirkende Bildung des
Schönheitöfinned, ja eine Heilige Begeifterung für Die
höchften Intereffen des Dafeind verbreiten; denn das
Drama ift unter allen Formen der Dichtfunft Die bes
redtefte und aufregendfte, es ift Die einzige, welche in
unferer Zeit, wo bie übrigen Gattungen der Poefie in
die Salond der vornehmen Welt verbanut find, nod
unmittelbar auf dag Volk und felbft auf Diejenigen
einwirken Farm, die nie ein Buch in die Hand nehmen.
Hoffen wir nun, daß Die Leitung ber Bühnen, tie dies
ſchon hier und da der Fall tft, aus den Händen von Igno⸗
ranten mehr und mehr in die von intelligenten Maͤn⸗
nern übergehe, welche die Reform des Theaterweſens
ernſtlich beabfichtigen: fo entfteht die Frage, aus was
für Stüden dad Repertoire zufammenzufeßen fei? Es
unterliegt Teinem Zweifel, daß fich in unferer eigenen
Literatur nod) mande, durch ven gewöhnlichen Schlen-
brian von den Brettern auögefchloffene Dramen finden
a . XIV —
lafjen, welche wohl verbienen, aufgeführt zu werben;
lebende Talente werben, wenn fie die Bühne eier eble=
ren Richtung geöffnet fehen und ihren poetiſchen Sinn
wie ihre Kenntniß Der theatralifchen Erfordernifie durch
die Anſchauung guter Schaufpiele ausbilden Fönnen,
nicht fáumen, mit achtbaren PBroductionen hervorzutre=
ten: aber dies Alles wird nicht ausreihen, um und
fofort ein werthvolles Nepertotre von ber erforderlichen
Reichhaltigkeit zu geben. Bevor wir eine originale und
mannichfaltige dramatifche Literatur befigen, müflen wir
daher. unftreitig unfere Zuflucht zu dem Auslande neh⸗
men, — nur um des Himmeld Willen nicht zu den
Schaufpielfabrifaten jener Matton, von welcher Leffing
fagte, fte Habe nie ein Drama gehabt, und welche wahr-
lid) feitbem Feines gemonnen hat! Die englifche Bühne
bietet Dagegen eine treffliche Funbgrube dar, und man-
ches Stüf von Fletcher oder Maffinger würde, bei ge-
höriger Säuberung, des Erfolges nicht verfehlen: wo
aber flöfle ein fo unverfiegbar reicher Quell der aller-
vortrefflichſten, zugleich poetiſch werthvollen und allen
feenifchen Anforderungen entſprechenden Dramen, wie
in Spanien? Sich dieſe Schaͤtze entgehen zu laſſen und
auf den bildenden Einfluß zu verzichten, ben die An-
jhauung fo großer, ſaͤmmtlich zunaͤchſt auf die Dar-
ftellung, nicht für Die Lectüre, berechneter Bühnenmwerfe
auf. die Beflerung des Theatergefchmads üben fónnte,
wuͤrde ein unverzeihliches DVerfehen fein. Id) weiß, wie
vielen Widerſpruch man biergegen erheben wird, ich
weiß, daß ed gegenwärtig Mode ft, bie Dichtungen
Calderon's und Lope's al8 Euriofitäten anzufehen, venen
zwar nicht aller Werth abzufprechen, aber feine Be-
deutung mehr für unfere Zeit beizulegen fei. Da man
gerne Autoritäten hört, fo will ich Ddiefer Meinung
entgegenhalten, daß Göthe bald nad bem Erfcheinen
der Schlegelfchen Ueberfegung den »ftanphaften Bringen”
zur Aufführung gebracht und dabei geäußert bat,
„durch Galberon werde der deutjchen Bühne ein ganz
neueg Terrain erobert;” Dag Immermann vdenfelben
Spanier al8 ben „Theaterdichter par excellence,” als
denjerigen Dramatifer bezeichnet hat, welcher unter
Allen die höchfte poetifche Kraft mit der größten tech«
nischen Fertigkeit und vollfommenften Búbnenprari8
vereinigt habe. Zur faktifchen Miderlegung jener Anficht
dient ferner, Dag mehrere fpanifhe Dramen va, too
man fie zur Darftellung gebracht, ihren Eindruck nicht
verfehlt haben. Der „ſtandhafte Prinz” erregte in Weimar
jo allgemeinen Enthuſiasmus, daß, tie ein Augenzeuge
berichtet, das Publifum fih an ihm nicht fatt jehen
fonnte ; mit dem „munderthätigen Magus” brachte Im—
mermann, wie man infeinen Memorabilien Tefen Fann,
in Düfleldorf bie ungemeinfte Wirkung felbft auf die
Menge hervor; „pie Tochter der Luft” fand auf derjelben
Bühne in ihrer urfprünglichen Geftalt Beifall, und
anderöwo tft ihr ein folcher felbft in einer mißlungenen
— XVI —
modernen Bearbeitung zu Theil geworden; Donna
Diana, der Arzt ſeiner Ehre, das laute Geheimniß, das
Leben ein Traum, der Stern von Sevilla waren eine
Zeit lang Lieblingsſtücke des deutſchen Publikums und
find noch an einigen Orten Lichtſtrahlen, welche hier
und da die Jammerwelt des Theaters erhellen. Zahl⸗
loſe andere Schauſpiele, welche Den genannten in kei—
ner Art nachſtehen, vielmehr zum Theil eine noch wir
kungsreichere Darftellung verfprechen, find in der dra⸗
matifchen Literatur der Spanter vorhanden, und felbft
die bisher iberfegten Dramen caftilianifcher Dichter
bieten in Diefer Hinficht eine reiche Ernte dar. Moreto'8
„ritterlicher Richter“ und „Außer meinem König —
Niemand‘ von Rojad (zwei von Dobrn meifterhaft
verbeutjchte Stüde) werben fett zwei Jahrhunderten. in
Spanten alljährlich vor vollen Käufern und bei ges
fpanntefter Theilnahme des Publifuma aufgeführt; ich
habe dieſelben verjchiedentlich fpielen fehen, und immer
zeugte bei den ergreifenden Wendepunkten der tragtichen
Aktion, namentlich bei der ungeheuren Schlußfcene des
Del Rey abajo ninguno, die athemlofe Stille und .
hinterher der donnernd hervorbrechende Applaus von Der
hingeriffenen Bewunderung und bem erfehütterten Her
zen der Zufchauer ; follten folche Vorgänge dieſen Stücken
nicht analoge Erfolge in Deutjchland verheißen? Alar-
con3 „Weber von Segovia” verfpricht nicht minberen
Sueceg und hat im vorigen Sahre in Paris feine
— vi —
eminente Wirkſamkeit auf der Bühne bewährt. Unter
den Werfen Calderon's Fönnten beſonders der „Maler
feiner Schande» (iberfegt von Bärmann), eine der
. Serrlichften Dichtungen, Die ed irgend gibt, dann bie
„drei Vergeltungen in einer” ımd, wenn bie deutſche
Praderie mit ihrem flußerhaften Zartgefühl nicht hin⸗
bernd in den Weg tráte, der „Schultheiß von Zala-
mea” für die Darftellung empfohlen werben. „Der
Verſteckte und die Verfapbte”, ein fo feines und vols
lendetes Intriguenfptel, daß ihm Feine andere Nation
Aehnliches zur Seite ftellen farm, tft durchaus geeignet,
mit Glück auf die Bretter gebracht zu werben. Zahl-
reiche andere Stüde von Lope de Vega, Tirfo de Mo»
Tina (deffen Lufifpiele in Spanien noch immer zu ben
beliebteften gehören), Guevara, Alarcon, Rojas und
Anderen harren nur bes Ueberſetzers oder geſchickten
Bearbeiter, um ber deutichen Bühne angeeignet zu
werben. Sch bin nicht der Meinung, daß man Diefe
Dramen ganz unverfürzt geben dürfte; jene langen
Reden, wie fle namentlich im Galveron vorkommen,
erfordern eine Weiſe des Vortrags, welche ver ſpaniſche
Schaufpieler inne hat, ber ventfche fich aber nur fehwer
wird aneignen koͤnnen, und ohne welche fie ſchleppend
werden; biefe Smphafe müßte man Hier und va bes
ſchneiden, eine Arbeit, Die freilich nicht den gewoͤhnli⸗
den Regiffeurd zu tiberlaffen wäre; daß im Uebrigen
der Organismus der Dramen ungerftört bleiben müßte
Geſch. d. Lit, in Spanien. III. Br.
— —
fehr, tie e8 Seilfpringer und tanzende Hunde thun.
Tie und mun für die Tragödie und bas hHiftorifche
Drama vorzüglih Die Engländer ftet8 als leuchtende
Sterne werben vorſchweben müflen (obgleich auch hier
von dem ſüdlichen Volfe unendlich viel zu lernen wäre),
jo dürften und für das Luftfpiel in jener höheren Ge—
ftalt, in welcher es allein zur Literatur gerechnet wer-
den darf, befonverd bie Spanier ald Vorbild dienen.
Will man Beifpiele, wie ein begabter Getft aus dem
Duell fremder Dichtung fehöpfen und fid) in felbftan-
Diger Weife bie Vorzüge berfelben zu eigen machen
fónne, fo nenne ich unferen herrlichen Platen; Diefer
fannte und fiudirte Die Spanier, und man erfennt in
feinem /Schatz des Rhampfinit« und gläfernen Pan⸗
toffel« die Anregung, welche er von Diefer Geite zu
dem Verſuche einer Miederbelebung des höheren Luft-
ſpiels empfing: aber er hielt fich nicht ſelaviſch an das
Formelle, er juchte in freier Weife den Geift der fpa=
niichen Comödie zu reproduciren und bereicherte fo un-
jere an Erzeugniffen Der Fomifchen Mufe fo arme Bühne
mit einigen wahrhaft trefflichen Werfen viefer Gattung.
Daß aber bieje Stüde, fo wie noch einige andere uns
fever befferen Dramatifer, 3. Y. von Immermann, nicht
anfgeführt werben, ift ein fchmwerlaitender Vorwurf für
unfere Bühnendirectionen, welche durch Die ftete Vor=
führung gehaltlofen aus⸗ und inländifchen Plunders
recht foftematifch auf ben Ruin des guten Gefchmads
— ⸗ XI —
und auf die Abtoͤdtung alles poetiſchen Sinnes auszu⸗
gehen ſcheinen.
Und dies führt mich denn noch auf einen anderen
Punkt. Der immer tiefer einreißende ſchmachvolle Ver⸗
fall unſeres Theaters, der den gebildeten Deutſchen mit
Schmerz und Unwillen erfüllen muß, macht wohl jedem
Denkenden die Nothwendigkeit klar, daß man auf Mit
tel firme, die Bühne aus dieſer Erniedrigung zu erhe⸗
ben. Alle Klagen und Declamationen aber helfen nichts,
fo lange man den Nepertoires nicht eine reichliche Zahl
von Schauſpielen empfehlen farm, welche vramatifche
und wahrhaft poetifche Kraft mit einander verbinden.
Dad Verlangen ves Publikums nah Mammichfal⸗
tigkeit des Genuſſes tft ein gegründeted, und überall,
wo das Theater wahrhaft geblúbt hat, tt dieſes Der
langen durch zahlreiche und verfchiedenartige Werfe be=
friedigt worden; man fann es daher eben fo wenig
ven Zufchauern verargen, wenn fie über Die wenigen
aufführbaren Dramen unjerer claffifchen Dichter hinaus
nod) andere zu jehen begehren, wie ven Directionen,
wenn fie Diefen Trieb ‚zu befrievigen trachten. Der Feh⸗
fer ift nur, daß die legteren, ftatt die Liden ihrer
Repertoire auf würdige Art zu ergänzen, bem Hange
eined gedanfenlojen Pöbeld zu nichtswürdigem Zeitver-
treibe Durch die feichteften und elendeflen Novitáten fröh-
nen. Es Hilft nichts, daß Die Vertheidiger des heutigen
Bühnenweſens einwenden, der Gejchmad des Publifums
fet einmal fo geartet, ihm müſſe man willfahren: nein,
die Bühnenvorfteher felbft find es, telde viefen Ges
ſchmack durch die fchale Koft, Die fie ihm unermüdlich
vorgefeßt, fo tief herabgezogen haben, und in ihrer
Macht liegt es auch, ihn wieder zu heben. Das Volk,
unter welchem Begriffe wir body nicht gerade Die un=
terfte Hefe bes Poͤbels verfteben, bewahrt troß aller
Beftrebungen, feinen Geift zu verwirren, Empfänglich-
teit für Das Höhere und Poetifche; feine Sinne find
noch nicht fo verdumpft, daß ein mächtiger Blüthen-
duft der Poefie nicht dal befiere Selbft aus feiner
Betäubung ermeden follte; in feiner Seele find jene
Saiten nicht zerrifien, welche harmoniſch erflingen, wenn
em Dichter ber entweihten Leier einen volleren und
ſtaͤrkeren Klang entlodt; das Herz vermag ihm nod;
zu fólagen für bas Gewaltige und Herrliche in Vor-
zeit und Gegenwart ; die Sehfraft für Die Tuftigen
Traumgebilde der Phantafte ift ihm nicht erlofchen,
feinem Auge fehlt die Thraͤne nicht für die im riefl-
gen Kampf mit dem unerbittlichen Schieffal Hinfinfende
Helvengröße, und feiner Lippe nicht das Lächeln für den
Scherz, der fid auf dem Blumenkelche der Anmuth
ſchaukelt. In befonder3 glücklichen Zeiträumen wird der
Beifall ber Nation von felbft nur dem Schönen zu
heil, und bie Bühne fchafft und wirft im unmittel-
baren Einklang mit bem Volf8geifte dad Rechte unb
Große: in Perioden ber Zerfahrenheit und Verwirrung
— iM —
aber tft es die Sache derer, welche von ber Bühne
‚herab auf bie Nation wirken Tönnen, Die von böfen
Schichten umlagerten Elemente des Befjeren in ihr zu
entbinden; und wer den Einfluß Eennt, den das Thea⸗
ter auf Geift und Sitte eines Volkes üben Fann, dem
wird dieſe Sache ald eine wichtige und heilige erſchei⸗
nen. Von dort her, von wo fich jegt eine geifttöbtende
Lethargie oder ein fittenverberbliches Gift durch bie
Adern der Gefellfchaft ergießt, fónnte fich eine auf Das
ganze Leben ber Nation zurückwirkende Bildung des
Schoͤnheitsſinnes, ja eine Heilige Begeifterung für Die
höchften Intereſſen des Daſeins verbreiten; denn bas
Drama ift unter allen Formen der Dichtfunft die ber
redtefte und aufregenbfte, es tft Die einzige, welche in
unferer Zeit, wo bie übrigen Gattungen der Poefie in
die Salond der vornehmen Welt verbannt find, nod)
unmittelbar auf dad Volf und felbft auf biejenigen
einwirken Tann, bie nie ein Buch in bie Sand nehmen.
Hoffen wir nun, daß Die Leitung ber Bühnen, wie dies
ſchon hier und da der Fall ifl, aus den Händen von Igno⸗
ranten mehr und mehr in bie von intelligenten Maͤn⸗
nern übergehe, welche die Reform des Theaterweſens
ernftlich beabfichtigen: fo entfteht die Frage, aus was
für Stüden dad Repertoire zufammenzufegen fer? Es
unterliegt feinem Zmeifel, daß fih in unſerer eigenen
Literatur noch manche, durd) den gewöhnlichen Schlen-
drian von den Brettern audgefchloflene Dramen finden
a . XIV —
laſſen, welche wohl verbienen, aufgeführt zu werben;
lebende Talente werben, wenn fie die Bühne einer eble=
ren Richtung geöffnet fehen und ihren poetifchen Sinn
wie Ihre Kenntnis ver theatralifchen Erforberniffe durch
die Anſchauung guter Schaufpiele ausbilden Fönnen,
nicht fámmen, mit achtbaren Productionen hervorzutre=
ten: aber dies Alles wird nicht ausreichen, um und
fofort ein werthvolles Repertoire von ver erforderlichen
Reichhaltigkeit zu geben. Bevor wir eine originale und
mannichfaltige dramatifche Literatur befifen, müflen wir
daher unftreitig unfere Zuflucht zu dem Auslande neh»
men, — nur um des Qimmela Willen nicht zu ben
Schaufpielfabrifaten jener Nation, von welcher Leffing
fagte, fie Habe nie ein Drama gehabt, und welche wahr-
lid) feitvem Feines gewonnen hat! Die englifche Bühne
bietet dagegen eine treffliche Yundgrube dar, und mans
ches Stúd von Fletcher over Maflinger würde, bei ge=
höriger Säuberung, des Erfolges nicht verfehlen: wo
aber flöſſe ein fo unverfiegbar reicher Quell ver aller-
portrefflichften,, zugleich poetifch werthvollen und allen
feentfchen Anforderungen entſprechenden Dramen, iie
in Spanien? Sid) diefe Schäbe entgehen zu laſſen und
auf den bildenden Einfluß zu verzichten, ven die An=
fhauung fo großer, fämmtlich zunächft auf die Dar-
ftellung, nicht für die Lectítre, berechneter Bühnenmwerfe
auf die Befferung bes Theatergeſchmacks üben fónnte,
würde cin unverzeiblides Verſehen fein. Ich weiß, mie
vielen Biderfprud man hiergegen erheben wird, ich
weiß, daß es gegenwärtig Mode ift, bie Dichtungen
Calderon's und Lope's als Euriofitäten anzufehen, denen
zwar nicht aller Werth abzufprechen, aber Teine Be
deutung mehr für unfere Zeit beizulegen fei. Da man
gerne Autoritäten hört, fo will ich Diefer Meinung
entgegenhalten, daß Obthe bald nad) ven Erfcheinen
der Schlegelfchen Ueberfegung den /ſtandhaften Prinzen”
zur Aufführung gebracht und babel geäußert bat,
„durch Galberon werde der deutſchen Bühne ein ganz
neued Terrain erobert;” daß Immermann venfelben
Spanier al8 ben „Tiheaterdichter par excellence,” als
denjenigen Dramatifer bezeichnet hat, welcher unter
Allen die höchfte poetifche Kraft mit der größten ted)=
nischen Fertigkeit und vollfommenften Bühnenpraris
vereinigt habe. Zur faktiſchen Widerlegung jener Anftcht
dient ferner, daß mehrere ſpaniſche Dramen Da, wo
man fie zur Darftellung gebracht, ihren Einprud nicht
verfehlt haben. Der „ſtandhafte Prinz” erregte in Weimar
fo allgemeinen Enthufiasmus, daß, mie ein Augenzeuge
berichtet, vag Publifum fih an ihm nicht fatt jehen
fonnte ; mit dem „wunderthätigen Magus” brachte Im⸗
mermann, wie man in feinen Memorabilten lefen farm,
in Düffelvorf bie ungemeinfte Wirkung felbft auf Die
Menge hervor; „vie Tochter der Luft” fand auf derjelben
Bühne in ihrer urfprünglichen Oeftalt Beifall, und
anbergwo tft ihr ein folder felbft in einer mißlungenen
— XVI —
mobernen Bearbeitung zu Theil geworden; Donna
Diana, der Arzt feiner Ehre, das laute Geheimniß, das
Leben ein Iraum, der Stern von Sevilla waren eine
Zeit lang Lieblingsſtücke des veutichen Publifumd und
find noch an einigen. Orten Lichtfirahlen, welche hier
und da die Sammermelt des Theater3 erhellen. Zahle
Lofe andere Schaufpiele, welche Den genannten in kei—
ner Art nachftehen, vielmehr zum Theil eine noch wir«
kungsreichere Darftellung verfprechen, find in ver dra⸗
matifchen Literatur der Spanter vorhanden, und ſelbſt
die bisher úberfegten Dramen caftilianifcher Dichter
bieten in Diefer Hinficht eine reiche Ernte dar. Moreto'3
„Titterliher Richter“ und „Außer meinem König —
Niemand‘ von Rojad (zwei von Dobrn .meifterhaft
verdeutichte Stúde) werben feit zwei Jahrhunderten in
Spanten alljährlih vor vollen Käufern und bei ges
fpanntefter Icheilnahme des Publifumd aufgeführt; ich
habe viejelben verfchieventlich fpielen fehen, und immer
zeugte bei den ergreifenden Wendepunkten der tragifchen
Aktion, namentlich bet der ungeheuren Schlußfeene des
Del Rey abajo ninguno, die athemlofe Stille und
hinterher der. donnernd hervorbrechende Applaus von Der
hingeriffenen Bewunderung und bem erfehütterten Her⸗
zen der Zufchauer ; follten folche Vorgänge dieſen Stiidfen
nicht analoge Erfolge in Deutjchland verheißen? Alar-
con’d „Weber von Segovia” verfpricht nicht minberen
Sueceß und hat im vorigen Jahre in Paria feine
eminente Wirffamfelt auf der Bühne bewährt. Unter
den Werfen Galveron’8 Fönnten beſonders ber „Maler
feiner Schande» (iberfegt von Bármann), eine ber
berrlichften Dichtungen, die ed irgend gibt, dann die
„drei Vergeltungen in einer” mb, wenn die beutfche
Prüverte mit ihrem flugerhaften SZartgefühl nicht hin⸗
dernd in den Weg tráte, der „Schultheiß von Balas
mea” für bite Darftellung empfohlen werden. "Der
Verſteckte und vie Verfappte”, ein fo feines amb vols
lendetes Intriguenfpiel, daß ihm feine andere Nation
Hehnliched zur Seite ftellen fann, tft durchaus geeignet,
mit Glück auf die Bretter gebracht zu werben. Zahl
reiche andere Stüde von Lope de Vega, Tirfo de Mos
lina (deſſen Luftfpiele in Spanien noch immer zu ben
beliebteften gehören), Guevara, Alarcon, Rojas und
Anderen harren mur bes Ueberſetzers oder geſchickten
Bearbeiterd, um der deutſchen Bühne angeeignet zu
werden. Sch bin nicht ber Meinung, daß man biefe
Dramen ganz unverfítezt geben dürfte; jene langen
Meven, wie file namentlich im Calderon vorfommen,
erfordern eine Weiſe des Vortrags, welche der fpanifche
Schauſpieler inne hat, der dentíche ſich aber mur ſchwer
wird aneignen Fönnen, und ohne telde fie fchleppend
werden; dieje Emphafe müßte man bier und da be=
fchneiden, eine Arbeit, Die freilich nicht den gemöhnli-
hen Regiffeurd zu überlaflen wäre; daß im Uebrigen
der Organismus der Dramen ungerftdet bleiben müßte
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Br.
— XV —
und daß feine fo willführliche Veränderungen, wie Weſt
mit dem „Arzt feiner Ehre” vorgenommen bat, flatt-
haft wären, verfteht fich von ſelbſt.
Unberechenbar würde der Einfluß fein, den die fin=
nig und verfländig angeordnete Darftelung der fpant-
fchen Meifterwerfe auf die Befferung des Gefhmads zu
üben vermöchte, und felbft eine Rüdwirfung auf die
Production unferer Dichter, eine Anregung ſchlummern⸗
der Talente Fönnte nicht ausbleiben. Iſt eS nun erlaubt,
ſich einen Augenblid ver Hoffnung hinzugeben, daß früher
oder fpáter eine deutfche Theaterdireftion mit Ernft und
feftem Willen auf eine Umgeftaltung ver Bühne hinar-
beiten werde, fo wird aud noch folgende Betrachtung
verftattet fein. Ganz vergeblich müfjen alle Verfuche,
eine Wendung der Dinge zum Beffern herbeizuführen,
ausfallen, fo fange man nicht von bem Srundfag aus:
geht, alle feichten Trivialitáten, allen ganz gebaltlofen
Plunder von dem Repertoire zu ftreichen. Es hilft zu
gar nichts, hier und da einmal ein gutes Stüd aufzufüh-
ren und dann wieder die Erbärmlichkeiten des Tages;
an einem Abend etwa den „König Lear” und am fol:
genden ein den gefunden Sinn anefelndes Schaugericht,
erfunden von der Füchenfundigen Bremer und für die
Scene appretirt von der Bird - Pfeiffer, oder die nod)
viel verachtungsmertheren Dramatifirungen der fehlech-
teften franzöfifchen Romane, welche gegenwärtig, zur
Schmach deutſchen Geiftes, unfere Bühnen fchänden;
- Mx —
die fegensreiche Wirkung der erfleren wird doppelt und
dreifach durch bie nachtheilige der letzteren anullirt.
Nein, ehe man große Dichterwerke dadurch entweiht, daß
man fie in demfelben Theater vor leeren Bänken auf
führt, in welchem am vorhergehenden Tage eine finnver-
wirrte Menge den Ausgeburten der mobernften Ylachheit
Beifall zugejauchzt bat, ehe man Produetionen, die fic)
wie feindliche Pole gegenüberfichen, zufammenloppelt,
verbanne man lieber alles Gehaltvolle und erkläre, daß
die Bühne fortan nichts mehr mit dramatiſcher Kunft
und Poefie zu febaffen habe, daß fie nur für den Zeitver-
treib des großen Haufens beftimmt fei, wie die Buden
der Gaufler und Tafıhenfvieler auf den Meffen! Hat
man dagegen ben feften Willen, das Theater wieder zu
dem zu machen, was es einft war und mas es fein follte,
fo ftelle man die Marime auf, mur gute und bichterifch
grbalivolle oder Doch wenigſtens ſolche Stüde zu fpielen,
welche Anlage und ein Streben nad) dem Höheren zeigen;
eine ununterbrochene Folge von ſolchen Darftellungen
muß das Publikum bilden und ihm. jede Gelegenheit ent-
ziehen, in Die angewöhnten corrupten Neigungen zurüd-
jufallen; hat dasfelbe erft eine Zeit lang ſolchen Auffüh-
ungen beigewohnt, fo wird es (wie bei-anbaltennem
ſchoͤnen Frühlingsmetter auch die dickſte Eisrinde thaut)
aus feiner Starrheit erwachen und den ungeheuren Lon:
traſt zwiſchen den ihm nun liebgewordenen Dichtungen
und der bisher bewunderten Waare einſehen. Hiermit iſt
+.
— YX —
den beiden früheren; es iſt diejenige, welche mir nad
reiflicher Prüfung als bie angemeſſenſte erſchien. Gewiß
wird man mit mir einverſtanden ſein, daß jeder neue
Vorwurf dem Geſchichtſchreiber der Literatur auch eine
neue Art der Bearbeitung vorſchreibe, und daß es weder
moͤglich, noch — die Moͤglichkeit einmal vorausgeſetzt —
zweckmaͤßig ſei, bei einem bisher noch nie in ſeinem gan⸗
zen Umfange behandelten Gegenſtande gleich das erſte
Mal dasſelbe Verfahren anzuwenden, wie bei ſolchen,
die ſchon mehrfach und in ihrer vollen Ausdehnung bear⸗
beitet worden ſind. Vergleichen wir in dieſer Hinſicht
zwei bekannte und ausgezeichnete Werke — die Geſchichte
der poetiſchen Nationalliteratur der Deutſchen von Ger⸗
vinus, und Hammer's Geſchichte der perfifchen Poeſie!
Der Verfaſſer Des erſten hatte ein ſchon vielfach cultivir⸗
tes Feld vor ſich, er konnte die Bekanntſchaft mit dem
literar⸗hiſtoriſchen Stoffe bei ſeinen Leſern vorausſetzen,
oder ſich doch auf allgemein zugaͤngliche Bücher beziehen,
aus denen ſich eine ſolche Bekanntſchaft erwerben ließ; —
er handelte daher ganz richtig, indem er ſich nicht mit An⸗
gabe des Inhalts der einzelnen Dichtungen aufhielt, ſon⸗
dern ſich vornaͤmlich der Zeitgeſchichte zuwandte, um aus
ihr ein neues Licht auf die Literatur zu verbreiten. In wie
ganz verſchiedenem Falle befand ſich dagegen Hammer!
Die perſiſche Poeſie war, als der große Orientaliſt es
unternahm, ſie hiſtoriſch darzuſtellen, in ganz Europa ſo
ziemlich eine Terra incognita, ihre Werke waren nur
— xm —
wenigen Gelehrten vom Fach verſtaͤndlich, und ſelbſt dieſen
wegen der Seltenheit der Manuferipte nur ſchwer er-
reichbar; dem Gefchichtfehreiber verfelben alfo lag es
ob, den Lefern jenes, bis dahin mit fieben Riegeln
verfchloffene, Gebiet möglichft zu unmittelbarer An-
ſchauung zu erdffimen, fie durch Analyfen der größeren,
durch Ueberfegungen der Heineren Gedichte in bie Rennt:
niß deffelben einzuführen. Bevor diefe Hauptbedingung
‚erfüllt war, mußten alle Raifonnements und Reflerio:
nen am unrechten Orte fein. In ähnlichen, wenn aud)
nicht. durchaus gleichem Falle ſchien mir derjenige zu
fein, welcher die Gefchichte des fpanifchen Theaters
ſchreiben wollte; er fand allerdings mehr Vorarbeiten,
als der legtgenannte Literarhiftorifer, allein er konnte
fih auf Fein Werk beziehen, in dem der Gegenftand
fhon irgend erfhöpfend behandelt gervefen wäre; er
durfte bei den Lefern Feine umfaffende Kenntnig ber
Productionen fpanifcher Dramatifer annehmen, ja er
fonnte fie — wegen der großen Seltenheit alt-fpani-
nifcher Bücher — nicht auf die: Driginalmerfe ver:
weisen, um die mangelnde FenntniB aus ihnen zu er-
gänzen. Seine wichtigfte Aufgabe war daher, dem Lefer
einen möglihft lebendigen Blick in das Innere ber
Bühnenpoefie zu gewähren, und für diefen Zwed waren
Inhaltsanzeigen von ben hervorftechenpften Erzeugniffen
derfelben unerläßlich. Wenn folche fon durch die an-
gedeuteten äußeren Umitánde bedingt wurden, fo durf-
— XXIV —
ten fie auch in anderer Rückſicht nicht mangeln; nur
fie fonnten eine Anſchauung von einer der weſentlich⸗
fien Eigenthümlichfeiten des fpanifchen Theaters geben,
von jenem Reichthum der Erfindung nämlich, von jener
erftaunlichen Menge und Mannichfaltigfeit ver Sajets,
welche ausfoplieglid ihm gehören und durch welche es,
wie Riccobont ſchon vor hundert Jahren fagte, das
große Meufter aller Bühnen von Europa geworben
iſt. Wie fehr nun dieſe bald ausführlicheren, bald kür⸗
zeren Inbaltsanzeigen, als Grundlage des Verſtaͤnd⸗
niffes, nöthig fehienen, fo ergab ſich doch von felbft,
daß eine bloße Ancinanderreibung berfelben nicht ges
nügte, daß eine Darlegung des Zufammenhanges ber
verſchiedenen Erfcheinungen unter fic), daß Erörterun-
gen, Charakteriftifen der einzelnen Dichter aus ihren
Merken, Hindeutungen auf die Wechfelbeziehungen zwi⸗
fhen Bühne und Publifum und auf die Verhältniffe
der Dichtungen zu der Zeit und Nation, aus welcher
fie hervorgegangen, dem Ganzen Leben und Bewegung
leihen mußten; eben wegen biefer Fülle der Elemente
aber, welche zufammenfommen mußten, um die Ges
fchichte der fpanifhen Bühne zu geftalten, warb es
nöthig, jedem einzelnen berfelben eine gewiſſe Gränze
zu ziehen; wie die Inhaltsangaben fich gegenfeitig in
der Ausdehnung befehränken und mehr anbeutenb als
ausführen verfahren mußten, fo durften ſich auch Die
Betrachtungen nicht in bie Breite verlieren und bie
— ‚XV zu.
Hindeutungen auf die Jeitgeſchichte nicht über das bin:
ausgehen, was in näcfter Beziehung zur Literatuy
ſteht. Wer an eine Arbeit über die dramatiſche Lite
ratır und Runft in Spanien, wenigftens an die evfte
biefer Art, das Anfinnen ftellt, fie folle auch auf ent:
legnere Puntie Nüdficht nehmen und ausführlich auf
die übrige Zeitgefchichte eingeben, ver bat ſchwerlich
irgend einen. Begriff weder von dem, worauf es bier
vornämlih anfam, nod) von den ungebeuren Maffen
entlegenen und gänzlich ungelannten Materials, bas
zunächft zu ‚bewältigen. und dem Leſer zur Anfchanung
zu bringen war; er überträgt eine aus irgend einem
Lieblingswerk des Tages abflrahirte Anſicht von lite
varhiftgrifcher Behandlungsweife auf ein Gebiet, das
eine folhe Behandlung noch durchaus nicht verträgt
jedenfalls war fo viel Har, daß. ein Werf, welches
eine Erpofition des beinahe unermeßlichen Stoffes foz
gleich mit einer nad) allen Seiten bin ergründenden
Betrachtung verbinden mollte, von Anfang an flat
auf drei Bände etwa auf zehn angelegt werben mußte.
Dag die vorliegende, in ber bargelegten Weife
bearbeitete Gefchichte der ſpaniſchen Bühne keineswegs
meine, den Stoff fogleich vollftándig erſchöpft zu haben,
braucht dem Obigen nicht: hinzugefügt zu werden: Nur
die Anfprüde, welche an eine erſte, auf fpärliche Vor:
arbeiten geftüßte Arbeit viefer Art gemacht werden
durften, glaubt fie befriedigt zu haben,
Die äfthetifchen Gefichtspunfte, von denen aus
ih mein Urtheil fállte, find biejenigen, welche ſich mir
durch vielfades und mit immer neuem Kntzüden wie
derholtes Studium der größten Dichter alter und neuer
Zeit, fo wie durch das der Schriften Schlegel’ s, Tiecks
und anderer Meifter des Kunſturtheils feftgeftellt haben.
Jedenfalls hat diefe Art der Betrachtung den Vortheil,
auch außerhalb Deutſchlands und in fremden Sprachen
verfländlich zu fein. Was jene Beurtheilungsmweife an⸗
langt, welche fich excluſiv ben ſchönklingenden Namen
der philofophifchen beilegt und die Aefthetif als einen
Theil der abfoluten Reallogif anfieht, fo wurde dies
felbe ſchon durch den Umftand ausgefchloffen, dag ich
mein: Werk, obgleich zunächſt für Deutfche, Doch aud,
wie fchon bie Vorrede zum erften Bande zeigt, nicht
ohne Rüdfiht auf das ſpaniſche Publikum ſchrieb. Wie
Klar und volllommen faßlich vie Philofophie der Iden⸗
dentität des Unterfchiedes mit ihren „lebendigen inne=
ren Widerſprüchen“, ‚ihrer negativen Einheit des Außer-
fihfeing, melde, indem fie ift, nicht tft, und indem fe
nicht iſt, iſt — mit ihrer unfinnlichen Sinnlichkeit und
der reinen Negativitát ihrer felbft”.*) auch in unferem
fpeculativen Vaterlande fein mag, fo fonnte fie fid
doch in Spanien, das fih vermuthlich erft nad Jahr⸗
hunderten auf den abfoluten Standpunkt. erheben wird,
durchaus Fein Verſtaͤndniß verfprechen.
*) Hegel's Encyfl. 258 und 260. *:
— xxvu —
Der anfänglichen Abfiht gemäß, tft Die zweite
Hälfte der Blithenperiode bes foanifchen Theaters in
diefem Bande noch mit Ausführlichfeit behandelt wor-
den; indeffen nicht jedem aus der ungebeuren Menge
von Dichtern, die fic) um Calderon zufammendrängen,
fonnte das Maaß von Aufmerffamteit gefchentt wer⸗
den, welches ihm vielleicht an fidh gebühren mag; nur
auf die berühmteren, oder nach meinem Urtheil aus:
gezeichnetfien ward näher eingegangen, die übrigen
aber wurden in kürzeren Andeutungen, zum Theil nur
mit Nennung der Namen vorübergeführt. Mas viefe
Berzeichniffe von bloßen Namen betrifft, fo gehören
vergleichen freilich, fireng genommen, nicht in ein Bes
ſchichtswerk, allein ihre Stellung bier möchte ſich doch
rechtfertigen 'laffen; fie geben einmal einen Begriff,
wenn auch nicht von bem qualitativen, fo Doch von
dem quantitativen Reichthum des fpanifchen Theaters,
und fie vindiciren ferner den Dichtern eine gewiffe
Bedeutung, infofern fie diefelben als Mitglieder einer
großen Schule beglaubigen und für fie die Präfums
tion begründen, daß ihren Erzeugniffen diefe oder jene
Vorzüge, welche den Produkten einer bedeutenden Lis
teraturperiode nicht Teicht entgehen, innewohnen wer-
den. — Der Theil des Werkes, welcher die Gefchichte
der fpanifhen Bühne von ihrer Blüthezeit abwärts
bis auf unfere Tage führt, zeichnet den Verfall nur
in den hervorſtechendſten Zügen und zieht fodann Die
neneften Beftrebungen der Spanier zu einer Regene-
yation ihres MNattonaltbeaters in ‚ven Kreis der Vea
trachtung. Der Anhang liefert ein den Viteraturfreuns
den unftreitig. willfommenes Inhaltsverzeichniß Der fo
böchft feltenen, auf Feiner Bibliothek in Europa voll.
fländigen, allgemeinen. Sammlung fpantfher Comö-
dien, welche für Das reichhaltigfte Repertorium ber
caftilianifchen Bühnenliteratur gelten Tann, An dieſes
Verzeichniß fopliegt fih ein anderes ber wichtigeren
unter den mir befannten Schriften über das Ganze
oder über einzelne Theile der Dramatifchen Poeſie und,
Kunft in Spanien; auf diefe Art gewinnt ber Lefer
einen Meberblid über die Literatur dieſes Gebiets und
zugleich über die Vorarbeiten, auf bie fih Das vor:
liegende Werk flügen konnte; natürlich aber find in,
jene Lifte nur foldhe Schriften aufgenommen worden,
welche in irgend einer Art Neues und Selbfländiges ent
halten, nicht Diejenigen, welche, rie z. B. die von Garcia
de Villanueva, Hallam's Literature of Europe un®
Flügel's Gefchichte der Fomifchen Literatur, im Faktifchen
wie im Urtheil nur das Befannte wiederholen; auch
nicht folche, welche fid nur auf dieſe oder jene Specia⸗
fität beziehen. Signorelli's Storia critica dei Teatri
in der zweiten vermehrten Ausgabe, Neapel 1813 (bis-
ber fannte ich nur den Deutfchen fummarifchen Auszug)
babe ich leider erft erhalten, als ber größere Theil
biefes dritten Bandes bereits gedrudt war; wäre fie
— XxXIx —
mir eber befannt geworben, fo hätte ich Thon früher auf
fie Rüdficht genommen und fie in der Vorrede zum erften
Bande alg eines der ausführlichften unter ven Werfen
genannt, die ſich über das fpanifche Theater verbreiten.
Nicht frei von vielfachen Irrthümern, enthält fie doch
einzelnes Schäßenswerthe und geht auf mehrere Did:
ter näher ein, als ſelbſt Bouterwek. Signorell's Stand-
punkt im Urtheil ift zwar im Allgemeinen der befangene
feiner Zeit und feiner Nation, aber deſſen unerachtet
bat er einige Vorzüge der fpanifchen Dramatiker fchön
und richtig gewürdigt und Teinenfall8 verdiente er jene
höhnifche Verachtung, mit welcher er von La Huerta
behandelt worden tft. — Von einer im Laufe des vort:
gen Jabres in Madrid erfepienenen Arbeit über die fpa=
nifhe Bühne, von Lombia, babe ich nur durch einen
Artifel der Zeitung EI Espanol Notiz befommen; aus
diefem geht hervor, Daß biefelbe den Gegenſtand nur
febr in der Kürze behandelt. — Vielleicht tft in dem
Berzeichniß Durch Bergeffenheit irgend eine Schrift
übergangen worden, welche eigentlich hätte genannt
werben múfien; befonders muß ich hier noch einige, auf
das Theaterweſen Bezug habende fliegende Blätter
des fiebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts anführen,
welche mir in Spanien mitgetheilt worden und mir zur
Heftftellung einzelner Punkte vienlich geweſen find,
Schließlich entledige ich mich einer angenehmen
Pflicht, indem ich den Herren Tied in Berlin, Henri
— XXX —
Zernaur= Compans in Paris und Ludwig Lemde in
Braunſchweig für die ungemeine Liberalitát, mit welcher
fie mir die Schäge ihrer ausgezeichneten Bibliotheken
geöffnet haben, meinen verbinplichfien Dank fage.
Frankfurt a. M., im Januar 1846.
Der Verfaffer.
7
— Mn —
mir eber befannt geworben, fo hätte ich ſchon früher auf
fie Rüdfiht genommen und fie in der VMorrede zum erften
Bande als eines der ausführlichften urtter ven Werfen
genannt, die ſich über das fpanifche Theater verbreiten.
Nicht frei von vielfachen Irrthümern, enthält fie Doch
einzelnes Schäßenswerthe und geht auf mehrere Dich-
ter näher ein, als felbft Bouterwek. Signorelli’s Stand:
puntt im Urtheil ift zwar im Allgemeinen der befangene
feiner Zeit und feiner Nation, aber deffen unerachtet
bat er einige Vorzüge der fpanifchen Dramatiker ſchön
und richtig gewürdigt und keinenfalls verdiente er jene
höhniſche Verachtung, mit welcher er von La Huerta
behandelt worden iſt. — Von einer im Laufe des vori-
gen Jahres in Mabrid erfchienenen Arbeit über die ſpa⸗
nifche Bühne, von Lombia, habe ich nur durch einen
Artifel der Zeitung EI Espanol Notiz befommen; aus
diefem geht hervor, daß Ddiefelbe ben Gegenſtand nur
febr in der Kürze behandelt. — Vielleicht ift in dem
Verzeichnig durch Vergeffenbeit irgend eine Schrift
übergangen worden, welche eigentlich hätte genannt
werden múfien; befonders muß ich hier nod) einige, auf
das Theaterweſen Bezug habende fliegende Blätter
des fiebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts anführen,
welche mir in Spanien mitgetheilt worden und mir zur
Seftftellung einzelner Punkte dienlich gervefen fino,
Schließlich entledige ich mich einer angenehmen
Pflicht, indem ich den Herren Tie in Berlin, Henrt
— xxx —
Zernaurs&ompans in Paris und Ludwig Lemde in
Braunfchweig für die ungemeine Liberalitát, mit welcher
fie mir die Schäge ihrer ausgezeichneten Bibliothelen
geöffnet haben, meinen verbinplichften Dank fage.
Sranffurta. M., im Januar 1846.
Der Verfaffer.
Drittes Bach.
Die Blüthenperiode des ſpaniſchen Theaters.
Iweite Abtbeilung.
Das ſpaniſche Theater zur Zeit des Balderon.
b
mw
Nach dem am 31ften März 1621 erfolgten Tode Phi:
lipps III. mußten die Theater von Madrid, höherem Befehle zu
Folge, für die Dauer von vier Monaten gefchloffen bleiben.
Biel günftiger, als. zuvor, waren die Aufpicten, als, fie am
28ften Jult mit Lope'8 Diös hizo los Reyes y los hom-
bres las leyes wieder geöffnet wurden. Denn hatten bisher
die Bühnendarftellungen vielfach mít der Ungunft der Regíes
rung zu fámpfen gehabt und ihre einzige Stüge in ber Zus
neígung des Publifums gefunden, fo ftand jest ein Monarch,
welcher der dramatiſchen Runft mit Leidenſchaft zugethan war
und ihr jede Art von Protection angeveihen ließ, an ber
Spige deS Staates. Unftreitig nimmt Philipp IV. einen ber
vorderften Pláge in der Reihe jener Fürften ein, welche fic
durch Begünftigung von Künftfern und Dichtern geehrt haben;
und diefer Ruhm muß ihm bleiben, wie mannichfaltigen Tadel
auch feine Regterungshanbkingen unterliegen mögen und wie
fepr er feine Schuld an bem immer mehr zunehmenden Vers
fall der politiihen Größe Spaniens tragen mag. Sein Name
ift unauflöslich mit dem aller der großen Künftfer und Dich:
ter verfnüpft, welche feine Regierung verherrlicht Haben. Auf
feinen Auf traten die vorzüglichften Maler des Landes, unter
"dem Borfig des Velasquez, in Madrid zu einer Schule zuſam⸗
men, welche fid) den erften irgend eines Volkes zur Seite
ftcllen darf. Die oberften Chargen feines Hofes waren faft
1*
— 4 —
ſämmtlich geiſtvollen Männern anvertraut, welche Kunſt und
Poeſie zu würdigen wußten, wo nicht, wie die Grafen
von Lemos und Villamediana, ſich ſelbſt darin per:
vorthaten 1). Eine Lieblings-Erholung des Könige nad) ben
Regierungsgeſchäften, die er freilich etwas leichtfertig betreiben
mochte, war, ſich an Improviſationen und poetiſchen Spielen zu
vergnügen. Den eigentlichen Mittelpunkt ſeiner Ergötzungen
aber bildete das Theater. Jeder Dramatiker von Talent konnte
ſich ſeiner Gunſt gewärtigen. Der Ruf behauptet ſogar, er
habe ſelbſt zahlreiche Comödien verfaßt, und nennt darunter
namentlich die Stücke Dar la vida por su Dama o el Con-
de de Sex und Lo que pasa en un torno de monjas ;
ja man ift fo weit gegangen, ihm alle die Schaufpiele zuzu-
fhreiben, welche auf dem Titel al8 de un ingenio de esta
corte bezeichnet find. Das Legtere beruht auf einem offens
baren Irrthum, und für die erftere Annahme find wenigſtens
feine hiſtoriſchen Beweiſe vorhanden; gewiß aber ift es, daß
er es liebte, einen Kreis begabter Dichter um ſich zu ver:
fanmeln und mit ihnen GCombbienpláne zu entwerfen. Aud)
1 Moreto entwirft in ber erften Scene feines No puede ser el
guardar una muger ein glänzendes Bild von Philipp’s IV. Kunftfinn
und Freigebigfeit gegen Dichter. „Welches Talent — fagt er, — ift von
unferem Könige nicht unterftügt worden? Welche Feder hat nicht im Dienfte
feiner Liberalitát geflanden? Hat er nicht großfinnig den Hector von
BillasHermofa, Gongora, Mefa, Encifo, Mendoza und viele Andere zu
feinen Lieblingen erforen?« Weiter fährt er fort, die erfreuliche Erſchei⸗
nung hervorzuheben, daß viele Reiche und Vornehme feiner Zeit zugleich
Gönner und Pfleger ber Dichtfunft feien: » Hat es bei ung nicht viele
hochftehende Männer gegeben, die fich in der Puefie hervorgethban? Mar
ber Graf von Billamediana nicht reich und angefehen? Wird nicht na-
mentlich heute einer Der vornehmſten Herren wegen feiner Tieblichen Berfe
allgemein bewunbert?= u. f. w.
— 5 —
pflegte er ſelbſt in engeren Hofcirkeln in improviſirten Schau⸗
ſpielen Rollen zu übernehmen ?).
Die Hofetikette hatte bisher den Königen den Beſuch der
Schauſpielhäuſer unterfagt und Philipp IV. wagte fid) nicht
anders über diefe Sitte hinwegzuſetzen, al8 indem er die Theas
ter de la Cruz und del Principe incognito befudte. Um
fi) feiner Lieblingsunterhaltung ungeftörter hingeben zu fón:
nen und den Darftellungen ¿ugleid) ein würdigeres Local zu
verleihen, errichtete er fon im Anfange feiner Regierung In
dem Palafte von Buen Retiro vor ben Thoren von Dubrid
ein Theater, welches ausſchließlich als Hofbühne dienen und
nur den Perfonen offen ftehen follte, weiche vom Hofe die
Einladung dazu erhielten. Diefeg Theater übertraf In ber
Eleganz feiner Einrichtungen, in ber Vollfommenheit des De:
rorationd- und Mafchinenweiend die Corraled ber Stadt bel
weiten, folgte auch in feiner Conftruction einem ganz ande:
ren Princip, indem es mit einem Dade verfehen und von.
allen Seiten geichloffen war. Der Saal oder ber für die Zw
fhauer beſtimmte Theil hatte freilich nur geringen Umfang,
Dafür aber war die Bühne befto geráumiger und fo einge:
richtet, Daß fie aud für die complicirteften Zurüftungen
Raum verftattete. Der Hintergrund berfelben fonnte nach dem
Garten hin geöffnet werden, ein für feenifche Effefte befon-
ders günftiger Umftand, indem fi auf diefe Art die Ausficht
2) Hierher gehört folgende Anekdote. Als einft mehrere Dichter im
Palafte verfammelt waren, fchlug ber König die Improvifativn einer
Comödie über die Schöpfung der Welt vor uud übertrug dem Calderon
die Rolle bes Adam, während er felbft fich Die des Schoͤpfers vurbebielt.
Adam fehilderte in einer langen Rede die Schönheiten des Barabiefes
bemerfte aber, bag Gott Zeichen der Ungeduld gab und fragte, was ihm
wäre. — »Was foll mir fein? — erwiderte ber König — id) berene,
einen fo rebfeeligen Adam gefchaffen zu haben...
— 6 —
in's Unüberſehbare vergrößern ließ und man Raum für die
Aufſtellung ganzer Truppencorps gewann.
Laſſen wir uns durch dieſelben franzöſiſchen Reiſenden
des ſiebzehnten Jahrhunderts, welche und früher die Gor:
rales de da Cruz und del Principe geſchildert haben, nun
auch in dies Hoftheater führen. Der Begleiter des Marſchalls
von Grammont, der fm Jahre 1659 als außerordentlicher Ges
ſandter Ludwigs XIV. an den ſpaniſchen Hof geſchickt wurde,
berichtet in einem Briefe an ſeine Schweſter von einem Feſte,
das zu Ehren des Geſandten im Palaſte von Buen Retiro
gegeben wurde ?),
„Das Befte von Allen — fchreibt er — und was id
deshalb als ben ſchmackhafteſten Biffen bis zulegt aufipare,
ift die Sombbie, welche geftern Nacht aufgeführt wurde. Der
Saal war nur von ſechs Fackeln oder vielmehr großen weißen
Wachslichtern erleuchtet, die auf filbernen Leuchtern von wahre
haft riefenbafter Größe ftanden. Zu beiden Seiten des Saale
befanden fich zwei, einander gegenüber liegende und mit
Gittern verfchloffene Niſchen oder Eftraden. In der einen
faßen die Infanten und einige Hofleute, in ber anderen der
Marſchall. Länge bicfer beiden Seiten flanden zwei Reihen
Bänke, melche mit perfifhen Teppichen bedeckt waren und
auf welchen etwa zwölf Damen P ag nahmen, bie fid) ein-
ander gegenüber festen und fic) mit dem Rüden an bie hin
ter ihnen ftepende Banf Iehnten. Weiter unten nad den
Schaufpielern zu ftanden einige Herren; neben dem Oítter
des Marfchalls Grammont hatte nur ein Grande feinen Plag.
Wir andern Frangofen fanden hinter ber Banf, an welche
fi) die Damen Iehnten. — Darauf traten der König, bie
3) Journal du voyage d'Espagne. Paris 1669.
_ 17 —
Königin und die Infantin*) ein. Ihnen vorauf ging eine
Hofdame mit einer Wachskerze. Der König ¿og beim Ein
treten den Hut vor den Damen ab und nahm dann in einer
Loge Platz, indem die Königin fid) links von ihm, die In
fantin linf8 von der Königin niederlich. Der König faß wäh.
rend ber ganzen Comödie unbeweglich da, ausgenommen daß
er einmal ein Wort zu ber Königin fagte und bisweilen mit
den Augen rechtd- oder Iinfshin blickte. Neben ihm ftand ein
Zwerg. — Alé die Comödie zu Ende war, erhoben ſich ſämmt⸗
liche Damen und verließen Eine nad) der Anderen ihre Plige,
worauf fie in der Mitte zuſammen traten, ganz wie die Ea:
nonici nach) beendigtem Gottesdienft zu thun pflegen. Dann
drüdten fie fih die Hände und machten ihre Verbeugung,
was etwa eine halbe Biertelftunde dauerte, weil Jede das Com:
plíment einzeln machte. Während deffen fland der König mit
dem Hute in der Hand daz dann brad er gleichfalld auf
und verneigte fid) vor der Königin, wie biefe vor der Infan⸗
tin, worauf fich alle drei die Hände reichten und fortgingen.
Das Schaufpiel, welches aufgeführt wurde, war fpaßbaft,
denn als Galan agirte darin ein Erzbifchof von Toledo, wel⸗
cher ein Heer anführte; und damit man nicht an feinem
Charakter zweifelhaft würde, erfchien er immer im Chorhemd,
aber dabei mit Waffengehäng, Schwert, Ritterftiefeln und
Spornen?).
Die Gräfin D'Aunoy fagt in einem Briefe, datirt Madrid
den 29ten Mat 1689, Folgentes :
"Buen Retiro ift ein Föniglicher Palaft vor einem Der
Thore der Stadt. Bier Hauptgebäude und vier große Seitens
2) Diefe Infantin war Maria Therefa, die VBerlvbte Ludwigs XIV.
5) Diefe Comödie war allem Anfchein nach Lope's Conquista de
Oran por el Cardinal Cisneros, Arzobisg9 de Toledo.
— 8 —
flügel bilden ein vollkommenes Viereck. In der Mitte befindet
fih ein Blumengarten und eine Fontaine mit einer Statue,
welche Waffer ausftrömt und, wenn es erfordert wird, bie
Blumen und bie Alleen, welche von einem Hauptgebäude zum
anderen führen, begieft. Das Gebäude hat ven Fehler, daß
eS zu niedrig tft, aber Die Gemächer darin find geräumig,
prächtig, voll fchöner Gemälde und glänzen von Gold und
lebhaften Farben, mit denen bie Plafonds und bas Getäfel
gefehmüct find. Der Part hat mehr als eine ftarfe Lieue im
Umfang und enthält mehrere einzelne fehr hübſche Pavillons,
auch befindet fid darin ein viereckiges Waſſerbehältniß, auf
welchem kleine gemalte und vergoldete Gondeln ſchwim—⸗
men. Der König nimmt hier während der Sommerpige fets
nen Aufenthalt, weil die Fontaínen , bie Bäume und Die
Wiefen diefem Orte befondere Frifche und Annehmlichkeit vers
leihen.“
„Der Schaufpielfaal tft von fehöner Form, fehr groß und
reih mit Bildhauerarbeit und Bergoldung geziert. In jeder
Loge haben fünfzehn Perfonen bequem Platz; alle biefe Logen
find mit Gittern verfehen und die des Königs ift ftarf ver:
goldet. Ein Orchefter und Amphitheater find nicht vorhanden;
im Parterre fegt man fi auf Bänfe Man pflegte früher
allerhand Leuten, trog ber Gegenwart des Könige, den Eins
tritt in den Schaufpielfaal zu geftattenz dieſe Gewohnheit iſt
aber jest abgefchafft und um Zutritt zu erhalten, muß
man ein Herr von hohem Range fein, wenigſtens eine höhere -
Würde befleiden, oder zu einem der dret milttärifchen Ritter:
orden gehören. Diefer Saal ift unftreitig fehr ſchön; er ift
ganz gemalt und vergoldet und die Logen find, wie in unferm
Dpernhaufe, mit Zaloufien verfeben, aber fie reichen von oben
bi8 nad) unten, fo daß man fie für Zimmer halten fónnte.
- 9 _
Der Theil, too der König feinen Platz bat, iſt pradjt:
voll *). «
Der Hang zu Prunf und Glanz, welchen Philipp in
feinem Hofftaate entfaltete, beflimmte ihn, auch auf der Bühne
großes Gewicht auf Pracht der Darftellung zu Tegen. Hätte
er fi begnügt, für die würdige äußere Erfcheinung bes
Drama’s zu forgen, das Coftüme dem Charafter der handeln:
den Perfonen angemeffener, die Decorationen illuſoriſcher zu
machen, fo würde bie Kunft nur dadurch gervonnen haben;
allein er blieb nicht hierbei ftehen; er fand an Couliſſenpomp
und biendenden feenifchen Effecten an ſich Gefallen und ver:
anlaßte die Dichter, die er tn feinen Sold genommen hatte,
oder bie ſich willig finden lichen, feinen Wünſchen nachzu⸗
fommen, Schaufpiele von opernartiger, auf alle Art von Büh—
nenfpeftafel berechneter, Eompofition zu verfaffen. Hier Tiegt
die Beranlaffung, weshalb wir in viefer Periode eine fo grofie
Anzahl von Stüden zu Tage fommen fehen, weldye augen-
fheinlich darauf angelegt find, die Kımft ves Mafchinenmeifters
und Decorateurs in glänzendem Lichte zu zeigen und bald das
Auge durch Flugwerke und Fenerregen, durch pomphafte Auf:
züge und vorbeimarfchirende Heere zu ergügen, bald das Ohr
dur Paufen und Trompeten, Erdbeben und Donnerfchläge
zu betäuben. Wo immer das Theater zu einiger Ausbildung
gelangt ift, wird wohl bie Forderung des großen Publifumg,
welches viel zu fehen verlangt, einige Berüdfichtigung finden;
und fo hatten die fpanifchen Theater auch fon früher die
Reize, welche aus einer tie Sinne feffelnden Darftellung
fließen, nicht gering geachtet. Namentlich bei den Heiligen:
Comödien war feit lange ein bedeutender feenifcher Apparat
6) Relation du Voyage d’Espagne de la Comtesse d’Aulnoy.
Troisiéme Edition. A La Haye 1693, pag. 6 u. 20.
— 10 —
zur Anwenbung gefommen, was bei ihnen, wie bei ben mytho-
Iogifchen und den Schaufpielen, deren Stoff aus der romans
tifchen Sagenwelt des Mittelalters und den Ritterromanen
entlehnt war, mehr oder minder durch den Gegenftand bedingt
wurde. Allein die Mittel ver nur von ber Unterftiigung des
Publifums Tebenden Bühnen waren im Vergleich mit denen,
die nun aus ber Föniglichen Caffe floffen, nur gering geweſen.
Aus biefen erhöhten Mitteln und aus den Aufforderungen,
welche Philipp an die Dichter ergehen ließ, tft es denn pers
zuleiten, dafí die Stüde ber bezeichneten Art befonders am
Hofe von Buen Retiro in Aufnahme famen. Ihre Aufführung
fand vorzugsweife bei feftlichen ©elegenheiten, Vermählungs⸗
feierlichfeiten u. f. vo. Statt und bie dabei entfaltete Pracht
war wahrhaft Föniglid. Zur Erfindung und Anordnung der
Decorationen hatte König Philipp IV. den geſchickten italicnis
fhen Mafchinendauer Cogme Loti in feine Dienfte genom-
men und nach den auf ung gefommenen ausführlichen Nach⸗
richten unterliegt es feinem Zweifel, daß diefer feine Kunſt
auf einen Höhenpunft getrieben hatte, welcher kaum von ben
Opernmaſchiniſten unferer Zeit übertroffen werden möchte. Er
wußte nicht allein feuerfpeiende Berge und Erdbeben, das
Meer mit umhergefchleuderten Schiffen, Paläfle von reichfter
und funfivolliter Architektur, den Olymp mit der Götterver⸗
ſammlung auf feinem Gipfel und den Tartarus mit den Höllen-
ftrafen in der Tiefe bewunderungswürdig darzuftellen, fondern
auch Schlöſſer, die ſich plóglid auf den Winf eines Zauber-
ftabes erhoben; Phaétfon, wie er ben Sonnenivagen Ienft und
dann in die Tiefe gefhleudert wird; Perfeus, der auf bem Pes
gafus durch die Lufte reitet; Venus, die auf einem Wolfen-
wagen von Schwänen durch die Luft gezogen wird u. f. yo.
Freilich ſcheute man aud) bie größten Koften nicht, um ber:
— 1 —
gleichen Scenen mit allem Olanze auszuftatien, und traf nös
thigen Falls fetbft bie befcehwerlichften, die ganze Einrichtung
des Theaterd umivandelnden Vorbereitungen, wie benn 5.2.
in Galderong8 Tres mayores prodigios die Bühne in drei
gejonderte Brettergerüfte abgetheilt wurbe, deren jedes ben
complicirteften Apparat enthielt und auf denen die drei Acte
von drei verfhhiedenen Truppen gefpielt wurden.
Die Barftellung folder. Feftfpiele fand nicht allein auf
der Bühne von Buen Retiro, fondern nicht felten aud) in ben
Gärten des Palaſtes und dann oft mit ben Tunftwollften
Vorrichtungen Statt. So Iefen wir unter Anderem: „In ber
St. Johannisnacht des Jahres 1640 wurde über dem großen
Teiche von Buen Netíro eine Bühne errichtet, um darauf ein
Schaufpiel aufzuführen. Das Bühnengerüft rubte auf Barfen
und bie Zahl der Lichter, Vorhänge, Mafchinen, Conliffen und
Decorationen, welche dabei zur Anwendung famen, war uns
ermeßlih. Die Roften gingen in's Ungeheure aber bic Vers
lufte waren beinahe noch beträchtlicher; denn während bas
Spiel feinen beften Fortgang hatte, erhob fid ein Gewitter
mit heftigem Sturm, zerftörte in einem Augenblid die Mas
Ihinen, rif die Pfeller aus, führte die Vorhänge mit fich fort
. und brachte die Zufchauer in die größte Gefahr 7).
ES iſt uns über diefe Darftellung nod) eine andere aus⸗
führlichere Relation aufbehalten, und ein gebrángter Auszug
aus biefer möge einen anfchaulicheren Begriff von dem Here
gange bei folchen Pompftüden geben. Die aufgeführte Comö—
die war Circe. Aus der Mitte des Teiches ragte eine Infel
empor, die fich fieben Fuß über bie Oberfläche des Waſſers
erhob, mit Korallen, Sremufcheln und dergleichen gefhmüdt
*7) Ortiz, Compendio Cronológico de la Historia de España,
Tom. IV. pag. 401.
— 1 —
war und von welcher Waſſerfälle niederſtürzten. Auf der Inſel
befand ſich ein hoher bewaldeter Berg. In der Loa ſah man
ein ſilberglänzendes Boot, das von zwei großen Fiſchen heran⸗
gezogen wurde und von Tritonen und Nereĩden umgeben war,
welche auf der Oberfläche des Waſſers ſingend einen Reigen
aufführten. In dem Boote thronte die Göttin des Meeres
mit einer waſſerſprudelnden Urne und in weitem faltigem Ge⸗
wande, aus bem ſich nach allen Seiten hin Waſſekſtrahlen ers
goſſen. Im Beginne der Comödie ſelbſt erſchien ein großes,
vergoldetes, mit Wimpeln und Fahnen geſchmücktes Schiff,
das des Ulyſſes und ſeiner Gefährten. Eine Schaluppe wird
ausgeſetzt, um Einige der Reiſegeſellſchaft zur Erforſchung der
Inſel an die Küſte zu bringen. Löwen, Tiger, Bären und
andere wilde Thiere umringen die Ankömmlinge und aus den
Bäumen, den durch Circe's Zauberkunſt verwandelten früheren
Beſuchern bes Eilandes, erſchallt traurige Muſik. Dann plög-
lich Donner und Erdbeben. Ein Blitz zuckt auf die Spitze des
Berges nieder; dieſer verſinkt und ſtatt ſeiner erblickt man
einen prachtvollen, von Gold und Edelſteinen ſchimmernden
Palaſt mit kryſtallenen Säulen und goldenen Capitälen, in
ben Niſchen Marmorſtatuen und ringsumher zauberiſche Gär-
ten. In der Säulenhalle vor dem Schloſſe thront Circe, um-
geben von ihren Dienerinnen, welche die Gefährten des Ulyſſes
perbeibolen. Auf Circe's Winf erhebt fid eine reichbefegte
Tafel aus der Erde; die Anfómmlinge trinfen aus den ihnen
bargereichten Bechern, und ihre Verwandlung geht vor fi;
nur Einer entfommt zum Ulyffes und bringt ihm Kunde von
dem Geſchehenen. Der Legtere naht felbft, um die Zauberei
zu vernichten; die Stimme cines Baumes warnt ihn vor den
Künften des liftigen Weibes, aber Mercur fchmebt vom.
- Himmel herab und reicht ihm eine Blume, telde alle Magie
— 13 —
vernichten foll. Mit biefer tritt er nun vor Circe hin; aber
die Schmeicheleien der Zauberin bethören ihn, fo daß er fi
ihren Umarmungen bingibt. Auf einen Winf ber Gebieterin
fhwimmen ſechs von Amoretten geführte Rachen herbei, in
deren vorderftem bas liebende Paar feinen Plag nimmt; in
den übrigen fchaufeln ſich die Mädchen von Circe's Gefolge.
Um ven Baft zu ergößen, werden die Ungeheuer der Meeres
tiefe beſchworen, fid) auf der Oberfläche des Waſſers zu zeigen;
MWallfifhe und Delphine tauchen auf und werfen Strahlen
wohlriechenden Waſſers in die Höhe, welche die Zufchauer
beiprengen; Sirenen und Tritonen fchlingen einen Reigen um
den Nachen, in bem bie Liebenden ruhen. Unter den Geftalten,
die füch wechſelsweiſe erheben, ift aber aud) die Tugend, welche
den Ulyſſes den Armen ber Verfithrerín zu entwinden fuchtz
Circe ftellt neue Befchwörungen an und läßt furdhtbare Schred-
gebilde erfcheinen, um bie Feindin zu verfcheuchen; aber bie
Tugend fiegt, und mie Ulyffes in ihre Arme finft, ¡ft Das ganze
Zauberfpiel zerflört, das Schloß mit feinen Bewohnerinnen
verfinft unter Erdbeben und die Verrvandelten fichen wieder
in Menfchengeftalt da.
Ein anderer Schauplag, auf welchem hier und da Hofs
feftfpiele aufgeführt wurden, war der Garten von Aranjuez.
Ueber eine befonders glänzende Darftellung, welche hier im
Sabre 1623 zur Feier von Philipp’ IV. Geburtstag Statt
fand, ift und gleichfalls ein umftändlicher Bericht zugefommen.
Die Einrichtung ver Bühne war bem italienifhen Baumel-
fter Sáfar Fontana Übertragen. Diefelbe hatte 115 Fuß in
die Länge und 78 in die Breite; an jeder Seite waren fieben
Bogen mit Gefimfen, Pilaftern und goldenen Gapitálen ans
gebracht, und darüber Galerien mit goldenen und filbernen
Baluftraden, welche fiebzig Armleuchter mit Wacheferzen
e
— 14 —
trugen. Oben war ein Zelt ausgefpannt, das ben Sternen:
himmel nachahmte und mit unzähligen Teuchtenden Punkten
tiberfáet war. Auf der Bühne felbft befand ſich ein hoher
Berg, welder achtzig Fuß im Umkreis hielt und ſich in der
Mitte öffnen ließ. Die Handlung des aufgeführten Stüdes
war aus bem Amadis entlepnt; in die Rollen Hatten fich die
vornehmften Herren und Damen bes Hofes getheiltz felbft
die Königin fpielte mit. Sobald der König eintrat und feinen
vor der Bühne aufgefchlagenen Thron beftieg, wurde er mit
lautfehallender Mufif begrüßt. Dann eröffnete ein von ben
fhönften Damen ausgeführter Tanz die Darftellung. Unter
einem der Bogen eríchien ein Wagen von Cryſtall, auf dem,
von vielen Nymphen und Najaden umgeben, der Flußgott
Tajo rubte. Ein zweiter Wagen trug den Monat April, ges
führt von bem Sternbilde des Stierd. Nachdem beide Figu-
ren den König begrüßt hatten und abgetreten waren, ſchwebte
das Menfchenalter auf einem goldenen Abler über die Bühne
und brachte feinen Glückwunſch zu dem Geburtstage; dann
öffneten fi drei Bäume und liefen Nymphen erbliden, bie
ihrerfeit8 in Oratulationen nicht zurüdblieben. In dem Schaus
ſpiele ferbft, das hierauf feinen Anfang nahın, ward ein un-
gemeiner Aufwand von glänzenden Coftüme’8 und prachtvollen
Decorationen gemacht. Man fah unter Anderem bie Aurora
in einer glänzenden Wolfe am Himmel emporfteigen, feuer:
fpetende Drachen ſich befämpfen, ven Berg, welder ſich auf
der Mitte der Bühne befand, fich öffnen und einen bezauber-
ten, von vier Riefen bewachten Palaft zeigen, dann biefen
Palaſt unter Erbbeben verfinfen und an feiner Stelle einen
prachtvollen Garten erjcheinen u. f. 1.5).
8) Obras liricas y comicas de D. Antonio de Mendoza. Se-
gunda impresion. Madrid 1728. pag. 145.
o
— 15 —
Sn faft allen biefen Seftfpielen, welche den Hof Philipp's
IV. verfchönerten, waren Tanz und Gefang mefentliche Ins
gredienzien, und bier und ba traten dieſe Beftandtheile fo
überwiegend hervor, daß die Fiestas In eigentliche Opern übers
- gingen. Von Calderon's Purpura de la Rosa, einem Stüde
welches die Gefchichte Des Adonis behandelt und zur Feler
des pyrenäifchen Friedens und der Vermáblung der Infantin
María Therefa mit Ludwig XIV. aufgeführt wurde, wird bes
richtet, es fet das erfte Drama In Spanien geweſen, in wel;
hem Alles gefungen worden fet.
Wenn man durch das bisher Gefagte zu dem Glauben
verleitet werten fónnte, auf ber Bühne von Buen Retiro
feien einzig nur ſolche pompbaften Feſtſpiele aufgeführt wors
ben, fo müffen wir diefe Meinung berichtigen. Diefer Schaus
ſpielſaal ftand zugleich allen anderen Gattungen von Stüden
offen, mithin auch den Comedias de capa y espada, in
denen fid) gar fein Decorationsprumf anbringen Tieß.
Iſt das Ueberhandnehmen der äußeren feenifhen Pracht
ein characteriftifehes Merkmal, welches die zweite Hälfte ber
. Blüthenperiode des ſpaniſchen Theaters von ber erften ſchei⸗
bet, fo laͤßt fid wohl nicht verfennen, daß fich hierin ſchon
der herannahende Berfall der Bühne fund gibt. So lange
große Dichter, wie Galderon, fid der Gattung annahmen,
wurde ¿rar der Glanz der Darftellung durch einen eben fo
blendenden Glanz der Poefte gehoben; allein auch von Ihnen
läßt fich nicht behaupten, Dag fie da, wo fie fid) den Anfor=
derungen des Hofes bienftbar machten, ſtets auf berfelben
Höhe geblieben wären, wie da, too fie allein ihrer eigenen
Eingebung folgen fonnten; und wenn endlich die Bearbeitung
diefes Feldes in die Hände geringerer Comödienfchreiber fiel,
fo mußte die dramatiſche Kunft in leerem Schaugepränge unter
e
— 16 —
geben. Der nachtheilige Einfluß, welchen ver Bühnenlurus
auf Publifun und Schaufpieler ausübte, läßt fic) vollends gar
nicht berechnen, infofern das erftere fih an eine rohe Schau⸗
luft gewöhnte, welche den Sinn von dem eigentlichen Gehalte
der Runft abzog, die legteren aber verführt wurden, die Mir:
fung nicht im Wefentlichen, in ber geiftigen Durdbringung
der Rolle, fonbern in bem äußeren Effeft zu fuen, es fid
im Bertrauen auf die glänzenden Zuthaten bequem zu machen
und ihre Schwächen damit zu verdeden.
Glücklicher Weife find jene Hoffehaufpiele nicht das Ein-
zige, toodurd) der Name Philipp’s IV. mit der Gefchichte des
fpanifhen Drama’! zufammenhängt. An ber ádten Liebe
diefes Monarchen für die Kunft, fo wie an feinem wahren
Verdienft um diefelbe fann fein Zmeifel fein. Schon der
Scharfblif, mit welchem er aus der Menge der Dichter,
welche um feine Gunft buplten, die begabteften und würdig.
ften zu wählen wußte, um fie in feine unmittelbare Nähe zu
ziehen, bürgt dafür. Von ihm in eine forgenfrete Sage ver:
fegt, brauchten fih die Dramatiker nicht mehr von den For-
derungen der Theaterdireftoren abhängig zu machen, um durch
raftlofe und übereilte Production eine fpärliche Eriftenz zu
gewinnen; fondern fte fonnten ihre Werfe reiflic austragen
und mit jener Sorgfalt pflegen, ohne welche feine Kunſtvol⸗
lendung möglich ift. Hier, wenn irgendwo, liegt denn aud)
das chararteriftifche Merkmal, welches die vorliegende Epoche
der dramatifchen Kunſt von der vorhergehenden unterſcheidet
und fie alg den ®ipfelpunft der ganzen fpanifchen Schaufpiel-
poefie erfcheinen läßt. Schon durch Lope be Vega und feine
Zeitgenoffen waren alle Triebe wucheriſch und in üppigem
Wachsthum aufgefhoffen, und wenn man nur die Fülle der
Phantafie, den Reichtum der Erfindung in's Auge faßt, fo
o
— 17 —
fann man zweifeln, ob man nicht ber früferen Dichter-
gruppe den Vorrang vor ber fpäteren einräumen folle; auch
die feine Ausbildung, die befonnene Leitung des Plans, bie
Präciſion der Ausführung fann jenen Aclteren in den Werfen,
die fie in befonders glüdlichen Momenten hervorbrachten, nicht
abgefprochen werden; allein diefen vollendeteren Werfen ftehen
gewiß mindeftens eben fo viele gegenüber, an denen wir die
gegentheiligen Eigenſchaften, die gröbſten Verſtöße gegen die
Regeln der dramatifhen Compofition, Mangel an Zufammen-
hang und gehöriger Durcharbeitung, beklagen müffen. Und wie
fonnte eS bei ber profufen Fruchtbarkeit, in welder Lope be
Vega den Ton angab und zu welder er bie Mehrzahl feiner
Zeitgenoffen mit fortriß, anders fein! Hier num ſchlug bie
jüngere Generation von Dramatifern einen neuen Weg ein;
es genügte ihr nicht, fid) planlog dem gährenden Produetiong-
triebe zu überlaffen, fie machte mit mehr Scheu vor dem
Publifum, mit mehr Achtung vor den ewigen Gefeßen ber
Kunft die vollendete Formung, die innere fymmetrifhe Durch⸗
bildung des Drama’d zu ihrem Princip. Daß wenigftens dies
Princip die bedeutendflen Dichter, welche als Hauptvertreter
der neuen Epoche anzujehen find, Teitete, wird im Folgenden
flar werden, und die Wahrnehmung, daß aud noch in diefer
Zeit ungefüge und regellofe Werfe untergeorbneter Dramati-
fer zum Vorſchein famen, daß audy die bedeutenden ihrem
Grundfag hin und wieder untreu wurden, Tann unfere Ves
hauptung nicht umftoßen.
Mag man nun von dem unerfhöpflichen Erfindungsreich⸗
tum, von dem immer fprudelnden Duell genialer Conceptionen,
furz von der vielleicht nie wieder in gleichem Maße dagewe⸗
fenen Fülle dichterifcher Elemente, welche die vorhergehende Epoche
des fpanifchen Drama’s charafterifirt, fo zur Bewunderung
Geſch. d. Lit. in Spanien, III. BH. 2
— 18 —
bingeriffen werden, daß man fich fchwer von jenem Blüthen-
labyrinth trennt, um in den mehr geregelten Reichthum eines
Kunftgartend einzutreten; mag ¿ugeftanden werden, daß bie
genannten Cigenfchaften in der fpäteren Phafe der Bühnen-
poefie nicht in gleichem Ueberfluffe vorhanden find, — fo tft es
doch feinem Zweifel unterworfen, daß diefe an Kunſtvollen⸗
dung über jener flieht. Wie aber dieſe Kunfivollendung unftreitig
der Mafiftab ift, welchen Theorie und äftbetifche Kritif anle-
gen müffen, fobalb es ſich um die Beſtimmung des abfoluten
Gehalts eines Dichtwerks handelt, fo wird auch bie Periode,
in welcher die größere Zahl ber Productionen biefem Mafs
ftabe entipricht, auf die höhere Stufe zu ftellen fein. Doc
wir greifen durch dieſe Bemerfungen, welche erft durch die
genauere Betrachtung der einzelnen Dichter ihre Begründung
erhalten fónnen, dem Gange unferer Gefchichte vor, und fehren
deshalb zunächft zu den mehr äußeren Schidfalen des ſpani⸗
fchen Theaters feit der Thronbefteigung Philipp’s TV: zurüd.
War fchon feit dem Beginne des fiebzehnten Jahrhun⸗
derts das Schaufpiel der Mittelpunft der fpanifchen Poefie
geworden, fo mußte die erklärte Neigung des jungen Königs
für diefen Zweig der Literatur alle Dichter noch um fo mehr
zum Wetteifer in der dramatifchen Poefle anfpornen. Die
Anzahl der Comödien, die während feiner Regierung über bie
Bretter gingen, war daher, wenn nicht größer, doch minde-
ftens eben fo groß, als die ſchon unüberfehbare Menge derer,
welche unter feinen beiden Vorgängern aufgeführt worden
waren. Denn wenn auch die ungeheure Polygraphie aufhörte,
mit welcher Lope be Vega anderthalbtaufend, Tirfo de Molina
dreihundert Comödien hervorbrachte, wenn auch die forgfälti-
gere Pflege, welche die Dramatifer nunmehr ihren Werfen
widmeten, es ihnen unmöglich machte, die Fruchtbarkeit ihrer
— 419 —
Vorgänger zu erreichen, fo blieb doch, wie auf dem ſüdlichen
Boden der Pflanzenwuchs in üppigerer Fille emporfchießt,
thre Productivitát, im Verhaͤltniß zu den Schaufpielvichtern
anderer Nationen, noch immer bedeutend, und dann ging Die
Zahl derer, welche für das Theater fehrieben, nod) weit über
das bisherige Maß hinaus.
Um die Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts Tamen ver:
fhiedene Gattung8namen von fpanifchen Theaterftüden in Be:
brauch, welche zur Zeit des Lope de Vega noch nicht üblich,
gervefen waren; nämlich:
Comedias de Figuron, ein Ausdrud für Comöbien, in
denen eine alg Zerrbild gehaltene Tächerlihe Figur, meiftens
ein eingebildeter und prablerifeper Narr, vorfam. Moreto,
Rojas und einige Andere haben vortrefflihe Stüde dieſer
* Gattung gefchrieben, aber fpáter arteten diefelben in's Poffen-
artige und Pobelbafte aus.
Saynetes, im Grunde nur ein neuer Name für das,
was früher Entremes hie; indeffen waren Die Saynetes ge-
wohnlich von etwas ausgedehnterer Handlung. Sie wurden,
wie die Entremefeg, zwiſchen den Jornadas ber größeren Stüde
gefptelt.
Mogigangas, fleine, den Saynetes ähnliche, burlesfe
Stüde, in denen Mummercien und Masferaden vorfamen.
Häuftger wurden die Mogigangas erft fin achtzehnten Jahrhun⸗
dert, inbeffen werden in ben Berzeichniffen einige Stüde von
Calderon und Moreto unter diefer Benennung aufgeführt.
Zarzuelas, Operetten oder fleine Singfpiele. Unter ben
Werfen des Calveron ift La purpura de la rosa eine ſolche
Zarzuela. Den Namen erhielten diefe Fleinen Stüde von bem
föniglichen, unweit Madrid gelegenen Luſtſchloſſe Zarzuela.
Daß die Loas in diefer Zeit nicht mehr fo nothwendig,
q%
— 20 —
wie früher, zu den Ingredienzien einer jeden Darſtellung ge⸗
hörten, und daß fie nur bet den Autos durchgängig beibehal-
. ten wurden, haben wir fchon früher gefagt. Aud die Frobn-
leichnamsfpiefe fcheinen feit der Mitte des fiebzehnten Jahrhun⸗
derts nicht mehr fo beliebt geblieben zu fein, wie früher; denn
Vera Taffis in der Biographie des Calderon fagt, in Sevilla,
Granada und Toledo habe man gegen das Ende von Calde-
ron's Lebenszeit aufgehört, Autos Sacramentales zu fpiclen.
In Madrid jedoch fuhr man fort, das Feft des Corpus mit
allem Pomp und in der alten Weife zu feiern. Die Oráfin
d'Aunoy gibt in einem Briefe vom 27ften Juni 1679 eine
Befchreibung diefes Heftes, welche hier al8 Ergänzung zu der
früher gegebenen Schilderung eines anderen Reiſenden einge-
haltet werden mag.
„Sch habe das Feſt des heiligen Sarraments gefehen,
welches hier fehr feierlich begangen wird. (ES findet dabei
eine große Proceffion Statt, bei welcher alle Kirchipiele und
alle hier fo zahlreiche Geiftliche thätig find. Man ſchmügkt die
Straßen, durch welche der Zug geht, mit den ſchönſten Tep⸗
pichen der Welt; alle Balkone ſind dann ohne Jalouſien, mit
Teppichen behängt und von Baldachinen bedeckt; von einer
Seite der Straße zur anderen werden Zelte von Zwillich aus⸗
geſpannt, welche gegen die” Sonne ſchützen; dieſe Zelte bes
ſprengt man mit Waſſer; die Straßen ſind mit angefeuchtetem
Sande und mit ſo vielen Blumen beſtreut, daß man den
Fuß nicht niederſetzen kann, ohne auf welche zu treten; die
Ruhe⸗Altäre ſind außerordentlich groß und mit der höchſten
Pracht geſchmückt. — Der ganze Hof ohne Ausnahme folgte
dem heiligen Sacrament; die Räthe gingen ohne beſtimmte
Reihenfolge, wie ſie ſich fanden, und Alle trugen weiße Wachs⸗
kerzen; auch ber König trug eine ſolche und ging zunächſt
— 21 —
hinter dem Tabernakel, in dem ſich das Corpus befand. Ge⸗
wiß iſt dies eine der ſchönſten Ceremonien, die man ſehen
kann. Es war faſt zwei Uhr Nachmittags und doch war die
Proceſſion nod) nicht zu Ende; als fie am Palaſt vorüberkam,
wurden Böller und viele Raketen abgebrannt. Der König
hatte ſich der Proceſſion bei Santa Maria, einer Kirche nahe
am Palaſt, angeſchloſſen. Alle Damen legen an dieſem Tage
ihre Sommerkleider an und zeigen ſich im höchſten Schmuck
auf ihren Balkonen, indem ſie Körbchen oder Fläſchchen in
den Händen halten, aus denen fie, wenn die Proceſſion vor⸗
überzieht, Blumen ſtreuen oder wohlriechendes Waſſer hinab⸗
gießen. Wenn das heilige Sacrament wieder in die Kirche
zurückgebracht iſt, geht Jeder nach Hauſe, um zu Mittag zu
eſſen und ſich nachher wieder zu den Autos einzufinden. Man
nennt ſo eine Art von Schauſpielen über religiöſe Gegenſtände,
welche in der Ausführung ſehr bizarr ſind. Sie werden in
den Höfen ober auf den Straßen der verſchiedenen Rathe-
präftdenten gefpielt; der König pflegt dabei zugegen zu fein,
und alle Perfonen von Rang erhalten fhon am Abend zuvor
Billet8; fo wurden denn auch wir eingeladen, und es übers
rafchte mich, daß man eine große Dienge Fadeln dabei ans
zündete, während doc die Sonne den Comödianten gerade
auf den Kopf fchien und das Wachs von ber Hige ſchmolz.
Das Stück, welches aufgeführt wurde, war das unfinnigfte,
das ich in meinem Leben gefehen habe. Der inhalt davon
war, wie folgt. Die Ritter von St. Jago find verfammelt;
unfer Heiland tritt zu ihnen und bittet fie, fín in ihren Ors
den aufzunehmen; Einige find bereit dazu, aber bie Aelteren
ftellen den Anderen vor, daß es Unrecht fein würde, einen
Mann von ntederer Herfunft, deffen Vater ein Zimmermann
gewefen, unter fich zu dulden. Der Heiland wartet mit Un:
a
_ 22 —
geduld auf den Entſchluß, den fie faffen werben ; man beſchließt
zuerft, ihn zurüczumeifen, dann aber findet man die Augfunft,
einen eigenen Orben, nämlich ben portugiefiichen des Chriftus,
für ihn zu fliften. — Uebrigens denfen fie hier zu Lande bei
foihen Dingen nicht im mindeften an Profanation, denn fte
würden lieber fterben, als die Achtung gegen die Religion im
mindeften aus ben Augen fegen. Die Autos werben einen
ganzen Monat lang aufgeführt, und ich bin fo müde, hinzus
gehen, daß ich mich fo oft wie irgend möglich dispenfire...
Man hat fih Mühe gegeben, genau zu berechnen, wie
hoch fid) die Anzahl ſämmtlicher Schaufpiele aus der Blüthen⸗
periode des fpanifchen Theaters belaufez — eine unfrudhtbare
Arbeit, die Feine Waprfcheinlichfeit eines glüdlichen Erfolges
für fic hat, da hierüber gar Feine zuverläffige Angaben auf
uns gefommen find. Denn telde Thorheit, die im achtzehn:
ten Jahrhundert herausgegebenen Cataloge fpanifeyer Dramen
auch nur für annäherungsweife vollftindig zu halten! Diefe
Cataloge fonnten nur nad) den im Drud erfchienenen Stüden
oder folden, die ben Herausgebern zufällig im Manufeript
vorlagen, angefertigt werden. Wenn nun aber felbft von den
Werfen der berühmteften Dichter nur der Fleinere Theil
auf uns gefommen íft, wenn wir von Lope's Stüden faum
nod ein Drittel, von denen des Tirfo de Molina nur ein
Fünftel befigen, wie viel größer muß erft die Zahl ber ver:
loren gegangenen Arbeiten minder gefeierter Autoren fein °)!
9% In der Cosaria Catalana von Matus Fragofo tritt eine Schau:
fpielertruppe auf, welche in Maurifche Gefangenfchaft gerathen ift. Der
Director wird befragt, was für Comödien er bei fich führe, und ant:
wortet darauf:
Famosas
De las plumas milagrosas
De España. Si escuchar quieres
— 3 —
So fpringt denn der Irrthum derer in die Augen, welche
meinen, daß mit den breitaufend achthundert und zweiundfünfzig
Comodien, bie La Huerta verzeichnet hat, der ganze Reidy-
thum ber fpanifchen Bühnenliteratur erfchöpft fei. Hält es
doch nicht ſchwer, fon durch Zufammenzählung der Werfe
von etwa zehn der befannteflen Dramatifer eine gleich große
Summe zu erhalten. Man nebme die 1500 Combbien bes
Lope de Vega, die 400 des Luis Velez de Guevera, die 300
des Tirfo be Molina, die mehr als hundert des Calderon und
Alvaro Cubillo de Aragon, die nicht genau anzugebende, aber
fehr beträchtliche Menge der Dramen des Doctor'8 Ramon,
des Montalvan, bes Mira de Mefena, des Matos Fragofo
u. ſ. w., und bie von La Huerta angegebene Zahl wird bald
erreicht fein. Denft man nun weiter an die faft zahlloſe Menge
von dramatifhen Dichtern, von denen nur die Namen auf
ung gefommen find, an den Inhalt der großen Sammlungen
fpanifcher Theaterftüde, fo wie an die vielfältigen Comödien,
welche ohne Angabe ihrer Verfaffer auf die Bühne famen, fo
Los titulos estos son:
La vizarra Arsinda, que es
Del Ingenioso Cervantes,
Los dos confusos Amantes,
El Conde Partinuples,
La Española de Cepeda,
Un ingenio Sevillano,
El Secreto, el Cortesano,
La melancólica Alfreda,
Leandro, la Renegada
De Valladolid,
Bon allen diefen Stücken finden fid) nur bie Bizarra Arsinda, El Conde
Partinuples und bie Renegada de Valladolid in dem Gatalog bes
Hnerta.
— A —
wird man zugeben, daß man jene Zahl dreift verzehnfachen
fónne ohne in Uebertreibung zu verfallen. Erzählt doch Riceos
boní (Reflexions sur les differens théatres de PEurope, *
Amsterdam 1740, pag. 57) die in feiner Art unmwahrfcheins
liche Anefoote, ein Buchhändler in Madrid habe fid eine -
Sammlung von fpanifepen Comödien anonymer Berfaffer ans
gelegt und binnen furzer Zeit viertaufend achthundert folder
Comedias de un, dos, tres Ingenios de esta Corte zus -
fammengebracht.
Sn gleihem Maße, wie die Zahl der Dichter, vermehrte
fih unter Philipp's IV. Regterung aud) die der Bühnen und
Schaufpieler. Selbft die geringfügigften Städtchen und Weiler
wollten bier und da den Genuß dramatifcher Darftellungen
haben. Died Ueberhandnehmen der Hiftrionenbanden und mans
cher dadurch herbeigeführte Unfug ¿og verfchiedentlich Die Augen
der Regierung auf fih und fie that Schritte, demfelben zu
fleuern; allein diefe waren nicht energifch genug, um durch⸗
dringen zu fönnen, und die befchränfenden Verfügungen, welche
hier und ba erlaffen wurden, waren immer bald wieder über
ſchritten. Sehr deutlich geht Died aus einem Memorial pers
vor, welches der Schaufpieler Ehriftobal Santiago Ortiz um
das Jahr 1647 an den König richtete, um ihn auf die Auf:
rechthaltung der Ordnung in dem Schaufpielwefen aufmerkſam
zu maden. Hier erficht man, daß der Rath von Caftilien die
Zahl der Schaufpielertruppen urfprünglich auf ſechs befchränft
und fid) die Ernennung der Direftoren vorbehalten hatte, daß
aber bald die Zahl diefer conceffionirten Gefellfchaften bis
auf zwölf angewachſen war. Auf bie Ueberfchreitung Diefer
Zahl waren ſchwere Strafen gefeßt worden, aber troß bem
gab es zur Zeit des Bittftellerd vierzig Truppen, welche ¿us
fammen an taufend Mitgliever zählten und unter denen fid
— 25 —
Berbrecher, entflohene Mönche und abtrünnige Geiſtliche bes
fanden, die ſich ſo unter dem Deckmankel der Schauſpielerzunft
und durch das Umherziehen von Ort zu Ort der Juſtiz ent⸗
zogen. „Der Scandal und unordentliche Lebenswandel, den
dieſe Leute führen — ſagt der genannte Schriftſteller — iſt
groß, und da ihr luſtiges Handwerk überall beliebt iſt, ſo
finden ſie an jedem Ort, wohin ſie kommen, junge Leute,
welche fich zu ihren Beſchützern aufwerfen; ja ſie wiſſen die
Juſtiz ſelbſt zur Nachſicht zu ſtimmen, indem ſie gemeiniglich
die Weiber, die ſie mit ſich führen, zu ihren Fürſprecherinnen
machen. Die Habgier, mit welcher die Eigenthümer von Schau⸗
ſpiellocalen dieſe beſtändig zu vermiethen trachten und ſich Da:
bei des Vorwandes bedienen, daß bie Hospitäler font Mangel
leiden müßten, tft die Haupturfache diefes Unfugs, denn man
hat feit zwanzig Sabren fo viele Schaufpielhäufer erbaut, daf
es nur wenig Städte, ja ganz imbedeutende Flecken gibt, in
denen fid) nicht eines fände. Da nun alle biefe Häufer be:
ftändig vermiethet werden follen, fo gibt dies Anlaf zu dem
Entftehen fo vieler" Landftreicherbanden, indem die Bermiether
felbft ihnen mit Geldoorfchüffen zu Hülfe fommen.”
Die Theater de la Cruz und del Principe zu Madrid
blieben nad wie vor in bemfelben Verhältniß zu ben Hofpi-
tälern, das wir früher fennen gelernt haben. In Bezug auf
ihre innere Einrichtung haben wir einen Ausdruck zu erflären,
welcher gegen die Mitte des ficbzchnten Jahrhunderts auffam
und feit diefer Zeit in den Bühnenfchriften häufig vorkommt,
nämlich den Namen Tertulia. Man nannte fo die Logen ber
oberen Reihe, welche früher Desvanes geheißen hatten und
in denen vorzugsweiſe das gebildete Publifum und die Geiſt⸗
lichen ihre Pläpe nahmen. ES war damals Mode, den Ter-
tullian zu fludieren und namentlich Hatten die Priefter die
— 26 —
Gewohnheit, ihre: Predigten durch Citate aus feinen Werfen
zu zieren, weshalb man fie feherzweife Tertullianten und
ihren Plag die Tertullía nannte. Aus diefen Logen, Denen
man fchon früher ben Chrentitel „gelehrte Desvanesa ges
liehen hatte, famen die Urtheile, auf welche bie Dichter,
alg auf die von Kennern, das meifte Gewicht legten. Sm
Uebrigen ging mit der Einrichtung der genannten Corrales
feine Veränderung vor und fie blieben, während die Bühne:
von Buen Retiro einen bisher ungefehenen Lurus entfaltete,
im Mafchinismus und Decorationswefen ziemlich auf derfelben.
Stufe ftehen, auf der fie fi gegen Ende des fechszehnten Jahr⸗
hunderts befunden Hatte. Indeß in bem Hoftheater nur eine
auserlefene, aus den durch Rang over Geiſt ausgezeichnetiten
Herfonen beftehende Gefellfehaft Zutritt fand, ftrómte die große
Menge des Volks mit unerfättlicher Begierde in die Comödiens
häuſer der Stadt, und die Mosqueteros gaben ihr Fritifches
Botum nod immer in derfelben lármenden Weife ab, wie
früher; ja die Macht, welche fle durd ihre tobenden Aeufe-
rungen des Beifalls oder Mißfallens ausübten, foll in ber
Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts ihren höchften Gipfelpunft ers
reicht Haben. Nach Caramuel hatte ſich zwifchen 1650 und 1660
einer dieſer Musfetiere, ein Schubflider Namens Sanchez, zum
Ariftarchen der Bühne aufgeſchwungen und übte einen foldjen
Einfluß, daß die günftige over ungünftige Aufnahme eines
Stüdes beinahe allein von ihm abhing und angehende Dramati⸗
fer fich vor der Aufführung ihrer Schaufpiele feines Wohlwollens
zu verfichern fuchten. Der genannte Schriftfteller erzählt hier⸗
von folgende Anefoote. Ein talentuoller Dichter hatte eine
Comödie gefcirieben, welche zur Darftellung angenommen wor:
den war und von ben vorzüglichften Schaufpielern aufgeführt
werden follte; bennod) war er wegen des Erfolges zweifelhaft
— 7 —
und beſchloß, aus Furcht vor ber Inſolenz des Patio, bem
Señor Sanchez einen Befuch zu maden, um ihn günftig für
fi zu flimmen. Er wandte fi Deshalb an einen Freund,
der mit bem gefürchteten Schuhflider befannt war, Tieß ſich
durd) ihn bei dem Legteren einführen und trug in fchüchterner
Weife und mit zitternder Stimme feine Sade vor, mie jene
Comödie die Erftlingsfrucht feiner Mufe fei und wie von ihr
fein fimftiger Ruhm und feine Achtung unter den Menfchen
abhänge. Der Schufter hörte die demüthige Rede mit gravis
tätifcher Miene und grrunzelter Stirn an und verabſchiedete
am Schluffe den Dichter mit den abgemeffenen Worten: „Seien
Sie nur getroft, Herr Poet, Ihr Stúd wird die Aufnahme
finden, bie tbm nad Recht und Berdienft zufommt 9). —
Auf diefe Herrichaft des Pöbels in den Schuufpielhäufern
fpielt auch ein fatirifcher Dichter diefer Zeit an, indem er
jagt: „Nun fehren die Schufter zu ihren Leiften zurüd und
man erfennt in ihnen faum die hochfahrenden und ftolzen
Musketiere wieder, welche Poet und Schaufpieler durch flehende
Bitte, durch heitere oder trübe Mienen nicht ermweichen konn⸗
ten. Am nádften Abend aber wirft der Schubflider feine
Etiefelfohlen wieder bei Seite, Täßt fein donnerndes Geſchütz
log und verwandelt fid in einen Blig, ber die fchlechten
Poeten zu Boden fchmettert ).“
Die Furcht vor den Pfeifen der Mosqueteros war es,
was viele Dichter beftimmte, ihre Comödien anonym auf
die Bühne zu bringen, und da, wie gefagt, die Tyrannet
diefes Fritifchen Pobels gegen die Mitte des fiebzehnten Jahr⸗
hunderts höher flieg, als je zuvor, fo begegnen wir in biefer
19) Caramuel, Primus Calamus, T. I. p. 690.
Pellicer L, p. 216.
— 28 —
Zeit ſolchen Comödien ungenannter Verfaſſer in größerer Zahl,
als früher. Das gewöhnliche Aushängeſchild der Stücke war
in dieſem Falle de un Ingenio, wozu, wenn der Verfaſſer
in Madrid wohnte, ber Beiſatz de esta Corte Wigefügt wurde.
Unter den mit diefer Bezeichnung verfehenen Schaufpiele mögen
fih, wie die Trabition behauptet, auch einige befinden, an
deren Abfaffung Philipp IV. Theil genommen hat, aber, wie
ſchon gefagt, ein handgreiflicher Irrthum, der nur durch eine ſehr
oberflächliche Renntnif der fpanifchen Literatur veranlaßt wer:
ben fonnte, ift es, fie fämmtlich diefem Könige zuzufchreiben.
Die Anzahl der noch heute vorhandenen Comedias de un
Ingenio ift außerordentlich groß, aud hat ınan deren,
die von mehreren Dichtern in Gemeinfchaft verfaßt find und, *
je nad der Menge der Mitarbeiter, die Ueberfehriften „von
zwei, drei Ingenios u. f. w. führen; ja cs gibt fogar Bets
fpiele, daß fech8 Dramatifer zu einem Werke zufammentraten‘?).
Die purd die Vereinigung Mehrerer entftandenen Komödien
gehören größtenteils zu ben ſchwächſten Erzeugniffen der fpas
nifchen Bühnenpoefie, was wohl fon durch den Entftehungs-
procef bedingt wurde. (ES ift faum benfbar, daß fid ¿wet
Geifter von hinlänglich gleichartiger Organifation finden foll-
ten, um ein Werf wie aus Einem Sinne fehaffen zu fónnen;
wie viel weniger aber wird dies erft hei ſechs Mitarbeitern
möglich fein! Daß eine folche Betheiligung verfchiedener Dra⸗
matifer bei bemfelben Werfe zur Zeit des Calderon mehr und
MN Man Hat fehr Unrecht, zu glauben, daß burd) dieſe Benennung
eine nähere Beziehung zum Hofe angedeutet werde, denn unter la Corte
warb ganz allgemein nur Die Nefidenz verftanden.
15) &. 3 Y. das Stüd Vida y Muerte de San Cayetano, de
seis Ingenios de esta Corte, im 38ften Bande der großen Sammlung
von Comedia nuevas escogidas.
— 9 —
mehr überhand nahın, gehört daher nicht eben zu ben Glanz»
feiten diefer Epoche; Indeffen wurde der Gebrauch fo allgemein,
daß fogar die vorzüglichften Dichter, Calderon felbft, Rojas
und Moreto, bier und da mit Anderen in Gemeinſchaft ar:
beiteten.
Bei dem im Sahre 1644 erfolgten Ableben ber Königin
Sfabelle, der erften Gemahlin Philipp'S IV., wurden, wie es bei
Todesfällen in der Föniglichen Famílie gewöhnlich war, bie
Bühnen von Madrid gefchloffen, und theologifche Zeloten bes
nugten diefen Anlaß, um die alten, feit lange nicht zur Sprache
gefommenen Scrupel über die Zuläffigfeit dramatiſ her Vorftelluns
gen wieder in Anregung zu bringen. Philipp IV., bald darauf
auch nod) durch den Tod bes Rronprinzen Balthafar nieper-
gebeugt, war gerade um biefe Zeit in der Stimmung, um
auf die vorgebrachten Bedenflichfeiten einzugehen, und fo
wurde dem Rath von Gaftilien aufgegeben, die Einfchränfungen
feftzuftellen, denen die Theater zu unterwerfen fein möchten.
Der von diefer Corporation vorgelegte Entwurf zu einem,
in folhem Sinne zu erlaffenden, Gefege Tautete in feinen
Hauptpunften,, wie folgt: Es follten 1) nur ſechs oder acht
Schaufpieler-Gefellfchaften geduldet, die in den Feineren Ort
Ihaften umberziehenden Truppen dagegen verboten werden;
2) die Comödien follten fih auf Darftellung ber Lebensläufe ber
Heiligen und edler Thaten aus ber Gefhichte befchränfen,
Liebſchaften aber gänzlich ausgefchloffen werden und hiernad)
die Mehrzahl der bisher aufgeführten Schaufpiele und nament-
lid) die bes Lope de Vega, die den Sitten fo viel gefchabet,
von den Brettern verbannt fein; 3) in einer Woche follte nicht
mehr alg eine neue Comödie aufgeführt werden bürfenz
4) der Kleiderluxus der Schaufpieler, namentlich das Tragen von
Bold, follte aufhören und das Coftiime während einer Darftel-
$
— 30 —
lung nicht gewwechfelt werden, außer wenn das Stüd es un:
umgánglid) nöthig machte; 5) alle anftößigen und provocativen
Geſänge und Tänze follten unterfagt fein, aud) nur verhetrathete
Frauen die Bretter betreten dürfen; 6) follte gu den Anfleive-
zimmern nur den Schaufpielern felbft und ben zu der Truppe
gehörigen Perfonen ber Zutritt geftattet fein; 7) dürfte bie
Borftellung nicht fpäter, al8 im Winter um 2, im Sommer
um 3 Uhr Nachmittags anfangen; 8) follte jede Comödie vor
der Aufführımg einer Prüfung durch eine, ſpeciell dazu ein
gefegte, Behörde unterliegen, jede Darftellung von einem AE
calben beauffichtigt werden und die Juſtiz die Schaufpieler
unter ihre fpecielle Obhut nehmen, fie in ihren Häufern be
auffihtigen und die Müßiggänger, welche fih „zum großen
Spandal des Hofes" unter fie mengten, aus ihrem Kreiſe ver-
bannen, und endlich 9) follte die Aufführung von Comödien
in Privathäufern nicht anders verftattet werden, als unter.
fpecieller Aufficht des Práfidenten von Caftilien.
Das gänzliche Gefchloffenfein ber fyanifhen Bühnen
dauerte von 1644 big 1649. In legterem Jahre begann man
zuerft in Mabrid die Aufführungen von Comödien wieder zu
geftatten, und die übrigen Städte bes Königreichs folgten bald
nad; doch wurde die Wiedereröffnung ber Theater überall
nur unter der Bedingung erlaubt, daß man fid) ben oben
erwähnten Einfchränfungen umterwerfe. Wären dieſe Gefete
nun in aller Strenge aufrecht erhalten worden, fo hätten fie
den Theatern und der Bühnenpoefte unfehlbar dauernden (Ein:
trag thun müſſen; allein es fcheint, daf man fie, eben fo
wie alle früheren ähnlichen Verordnungen, bald wieder aufer
Acht gelaffen habe; denn fon wenige Sabre fpáter Tag
der rigoriftifche Erzbifchof von Sevilla dem Beichtvater Phi⸗
lipp's IV. an, dem Könige bas Verbot ber Schaufpiele zur
— 1 —
Bewiffenspflicht zu machen, und vrüdte fi in ſeinem hierauf
zielenden Schreiben folgender Maßen aus: „Die Comödian⸗
ten Fleiven fic) mit dem größten Lurus, unb in jedem Ort
gibt es ein Schaufpielhans, ja in den grófieren finden fogar
zwei bis drei Borftellungen mit höchſt Foftbaren Decorationen
Statt, während es dem Königreich und ber Fatholifchen Reli-
gion an Mitteln fehlt, fic) gegen Feinde und Keger zu ver-
theidigen. Bedenken Sie doch, Hochwürdigſter, daß bas Ver:
bot der Comödien in den Jahren 1644—1649 keineswegs zum
Nachtheil des Staates gereichte u. |. 1w.**).1 Eben diefer Zelot
ging, nad) bem Bericht deS Gaspar de Villaroel, Erzbiſchofs
von Lima, in feinem heiligen Eifer fo meit, baf er in Bezug
auf Lope de Bega, beffen Comödien wieder Eingang auf den
Bühnen fanden, zu fagen pflegte, „ein einziger Priefter habe
taufend Comödien verfaßt, durch welche er mehr Sünden in
die Welt gebracht habe, als taufend Teufel *3).”
Da eben der Darftellung von Comödien in Privathäufern
Erwähnung geichah, fo ift es nöthig, hier cin Wort über dies
felben zu fagen. Die vornehmen Familien pflegten Schau-
fpieler in ihre Wohnungen zu beftellen und fid) von ihnen
Entremefed oder Comödien aufführen zu laffen**.) Diefelbe
14) Vida del Ilustrisimo Sr, D. Fr. Pedro de Tapia, par Fr.
Antonio de Lorea, p. 253. )
15) „Mille Comedias fertur composuisse Unus, quibus plura
peccata invexit in orbem quam mille Daemones.« El Gobierno
Eclesiastico Pacifico y Union de los dos Cuchillos Pontificio y
Regio, por D. Gaspar de Villaroel. Parte I. p, 858.
258) So erzählt bie Gräfin dAunoy bei Gelegenheit eines Beſuchs,
den fie bei dem Cardinal Portocarrerv in Toledo machte: „Als wir in
die Wohnung des Kardinal zurüdfehrten, wurden wir in einen geräu⸗
migen Saal geführt, in welchem fich auf Der einen Seite viele Gavaliere
und auf ber anderen viele Damen befanden und wo ein Theater aufges
— 32 —
Gewohnheit herrfähte in den Klöftern, mo dann die Sacriftet
zum Theater umgewandelt wurde, und fie fand trog der Rüge
des Raths von Caftilién an dem genannten Billarvel einen
Bertheidiger. Diefe Apologíe lautet, wie folgt: „Man hat
die Frage aufgeworfen, ob die Mönche dadurch, daß fie der
Darftellung von Comödien beimohnen, Anftoß erregen? Mir
nun fcheint es allerdings anftößig, daß Klofterbrüder die öffent-
lichen Schaufpielhäufer befuchen. Aber wie ? follen wir auch
das ausgezeichnete und heilige Klofter San Felipe zu Madrid,
fo wie andere der geachtetften Klöfter verdammen, meil dort
in der Sacriftei Schaufpiele aufgeführt werden? Wenn es
an fich fündhaft wäre, Comödien zu fehen, würde Dann dieſes
fo fehr religiöfe Haus, würden bie anderen Orbengconvente
der Reſidenz, welche ihm hierin folgen, eine ſolche Unfitte
dulden? Man fann mir einwenden, der König habe jegt dies
fen Brauch adgefhafft und ohne ausdrückliche Erlaubnif des
Práfiventen von Gaftilien fet die Aufführung von Comödien
in den Klöftern nicht mehr geftattet. Daß diefe Verortnung
in Kraft ift, fann ich aus eigener Erfahrung bezeugen; denn
als ich Oberfter des Klofterd wurde, wollte ich den Mönchen,
als meinen Brüdern und Wohlthätern, eine Ergögung berei-
ten und beftellte drei Comödien, indem ich das Geld im Bors
aus bezahlte. Die Schaufpieler nahmen die Summe in Ems
pfang und fehwiegen über das noch obraltende Hindernif.
fchlagen war. Auffallend war es mir, daß bie Herren und bie Damen
durch einen Borhang, der in der Mitte bes Saales bis an Das Theater
hinan hing, von einander gefihieden waren und fich daher nicht fehen
fonnten. Vian hatte nur auf uns gewartet, um die Gumóbie »Pyramus
und Thisbe« anzufangen. Das Stüd war neu und fhlechter, als irgend
eines von denen, die ich noch in Spanien gefehen. Sulegt führten bie
Gomödianten einen fehr hübfchen Tanz auf, und die ganze Ergógung war
um zwei Uhr noch nicht zu Ende.« Relation etc. T. Ill. p. 171.
-— —
— 33 —
Als nun die ganze Brüderſchaft in der Sacriſtei verſammelt
war, machten fie uns auf dic nod fehlende Erlaubniß auf:
merkſam, indem fie jedoch fagten, daß der Präſident von Ca⸗
ſtilien dieſelbe auf die mindeſte Sollicitation zu ertheilen pflege.
Sd fam daher um die erforderliche Permiſſion ein; aber ber
Präſident verweigerte fie fo entſchieden, daß aus unſerer Eo:
mödie nichts ward, obgleich nachher drei in drei verſchiedenen
Gärten aufgeführt wurden. Inveffen diefe Verweigerung be:
rubte auf einem befonderen Grunde. ES pflegten nämlich bei
den Aufführungen von Comödien in den Klöftern fich Teicht-
fertige Herren und junge Leute einzufchleichen, in die Anfleive-
zimmer zu dringen und mit den Bortheilen, welche Jugend
und Einfluß gewähren, frandalófe Auftritte herbeizuführen,
von denen das Gerücht bis zu den Ohren bes Königs ges
langte *9).4' , | |
Sp lange Philipp IV. auf bem Throne blieb, erhielt fi
das fpanifche Theater an Anfehen und innerem Gehalt ziem-
lich auf berfelben Höhe, zu welcher es durch den neuen Auf:
fhwung, ben es beim Negierungsantritt dieſes Monarchen
genommen hatte, emporgehoben worden war. Bei Philipp’s
Tode im September 1665 aber trat wieder eine Krijis
für baffelbe ein, indem während der Trauerzeit die Auf-
führung von Schaufpielen im ganzen Königreiche unterfagt
wurde. Diefes Verbot ward zwar im folgenden Sabre wieder
außer Wirkung gefegt und die theatralifhen Borftellungen
. famen von Neuem in Gang; allein den früheren Glanz ver:
mochten Bühne und dramatifche Dichtfunft nicht wieder zu
gewinnen. Sn der Zeit der Minderjábrigteit Karl's IL zeigte
ſich plöglich der erflaunliche Verfall der ſpaniſchen Monarchie,
16) Ib. Parte I, quaest. 3, Art. VI. No, 13.
Geſch. d. Lit. in Spanien. Bo. IH. 3
Y
_ 34 —
ber bisher noch durch äußeren Schein verdedt worden war,
in feiner ganzen Nadtheit. Denn wo war für den immer
tiefer finfenden Staat ein Halt zu finden, al8 ein ſchwaches,
von Sintriguanten beherrichtes Weib, Maria Anna von Defter-
reich, die Zügel des Reiches, deren Führung fchon für Phi-
lipp MI und IV. zu ſchwer geweſen war, in ihre Hände be:
fam? Die Schulvenlaft des Landes war In Folge der unauf
hörlichen Kriege in ungeheuerm Maafe gewachfen, fo daf nur
die Entvölferung deffelben mit ihr etwa gleichen Schritt hielt;
eS bedurfte ber reichhaltigften Hülfgquellen, um fie nur eini-
ger Maafen zu beden; aber ſolche Húlféquellen floffen nir-
gends. Die Befigungen Spaniens in den Niederlanden waren
auf einen fehr geringen Reft zuſammengeſchrumpft, und bie
für ihre Berwaltung und Behauptung erforderlichen Summen
beliefen fich höher als bie, welche fie einbrachten; bie uner-
meßlichen Provinzen in der neuen Welt beftraplten bie Rro:
nen von Gaftilien zwar nod) immer mit einem Schimmer
von Macht, aber ihr reeller Ertrag, der in Folge einer grunbs
verfehrten Organifation ſchon von jeher hauptfächlich in die
Hände von Abenteurern und treulofen Verwaltern -gefloffen
war, wurde burd) den foftematifchen Krieg, welchen Englän-
der, Holländer und Franzofen in ben amerifanifchen Meeren
gegen die fpanifche Macht führten, vollends abforbirt. Schon
unter Philipp IV. war diefe Zerrüttung allerdings in viel
fahen Symptomen fenntlid) geworden, und was die Afte ber
Politif anlangt, fo fann feine Herrfchaft gewiß nicht für glor:
reich gehalten werden; allein die vielen glänzenden Eigenfchafe
ten diefes Fúrften und feine ruhmmwürdigen Beftrebungen auf
anderen Gebieten Hatten immer nod) einen Nimbus um fein
Haupt gebreitet, welcher auf die ganze Monarchie zurückfiel
und über die ficigende Corruption des ganzen Staatsförpers
— 35 _
täufchen konnte. Das Nationalgefühl, die Duelle alles Großen
in der ſpaniſchen Literatur, war daher auch noch durchaus
nicht irre geworden und ſah Spanien noch immer auf jener
Höhe von Macht und Glanz, auf welcher es unter Karl V.
geſtanden hatte. Wie ſehr mußte ſich nun dies Alles ändern,
als das gewaltige Reich, außen von Feinden bedrängt, im
Innern der äußerſten Erſchöpfung nahe, in einem ſchwäch⸗
lichen, nod) unter mütterliher Vormundſchaft ſtehenden Kna⸗
ben feine einzige Stütze fandl als es den Hof, von welchem
bie energiſchſten Maaßregeln hätten ausgehen follen, zum
Sig der Indölenz und zum Tummelplag nichtswürdiger Ins
triguen umgewandelt fah! Die Hoffnung, ver wirkliche Negies
rungsantritt Karl’ IL werde eine Wendung der Dinge zum
Beſſeren herbeiführen, erwies fih als vergeblih, und in der
That hatten ſich die DeifteSgaben des legten Sprößlings ber
Habsburgiſchen Dynaftie von früh an ale fo gering -anges
kündigt, daß faum irgend Jemand ſich einer foldhen Hoffnung
bingegeben hatte. Tráge und fraftlos, unfähig, ſich zu geiftt
ger Thätigfeit, wie zu geiftigen Genüffen zu erheben, faß
biefer Schattenfünig auf dem Throne, der, umleudtet von den
Slammen des legten Auto da Fé, unter ihm zufammenbrad),
während eine ber fpanifshen Provinzen nach der andern in
fremde Hände überging und die Bourbontfchen wie die Hab$-
burgiſchen Vettern begierig lauerten, das erledigte Erbe anzus
treten. Unter diefen Umftänden mußte denn wohl das Reid),
das lange als bie erfte politifhe Macht in Europa dageftan:
‚den hatte, tief und tiefer in der allgemeinen Achtung finfen
und felbft ber hochfahrendſte Spanier fonnte ſich nicht mehr
länger über die Herabgefunfenheit feines Landes täufchen. Daß
fi) diefer allgemeinen Ebbe ber fpanifchen Dinge aud die
Literatur anfchloß, war nicht anders zu erwarten.
3*
ll
Das Theater hatte fi) allerdings noch eine Zeit lang der
koͤniglichen Gunft zu erfreuen. Wir werben im Leben des Cal:
deron fehen, daß biefer mit ber Abfaffung verfchiedener Feſt⸗
fpiele für den Hof Karl’ II. beauftragt wurde; auch Tefen
wir von einzelnen Vorftellungen, welche dem Volte öffentlich
auf Fönigliche Koften gegeben tourten'**); allein es fcheint
daß biefe einzelnen Gunftbezeigungen gegen die dramatifche
Kunſt mehr eine Folge der Gewohnheit oder Prunkſucht, als
einer wahren Neigung für diefelbe gervefen feien; und wären
die Unterftügungen vom Throne herab auch Fräftiger gewefen,
als fie es in Wahrheit waren, fie hätten nicht verhindern fóns
nen, daß die Sıhaufpielpoefie in den allgemeinen Verfall des
Landes und feines geiftigen Lebens mit berabgezogen würbe.
Mie fehr unter den ungünftigen äußern Umftänden die Liebe
und Achtung des Publifums für die Bühnenliteratur und das
mit zugleich die Thätigfeit der Theaterbichter ermattete, geht
recht deutlich aus einer Stelle in Moreto's Luftipiel La oca-
sion hace al ladron hervor '”), Hier findet ſich folgende
168) So erzählt die Gráfin d'Aumoy (in ihren Mémoires de la Cour
d’Espagne, deutfch als: Spanifche Stantsgefchichte, Leipzig 1703. ©.
289: „Die Königin Mutter hielt fih (1680) zu Buen Retiro auf, unb
weil fie fic) funberlid) bemühte, die Gunft des gemeinen Volkes zu ges
winnen, fo ließ fie drei Comödien mit untermengter Mufif auf öffentli-
chem Marftplag in Madrid fpielen, damit eine große Menge Volfes dies
felben umfonft mit anfehen Fönnte. Die Gomödianten fpielten drei Tage
nach einander und war ber Zulauf und das Gedränge fo groß, daß etliche
Perfonen darüber erdrücdt wurden. (Es fchien auch das gemeine Volt an
biefen Spielen ein großes Vergnügen zu haben, wie man fie denn in
Spanien mehr als irgendwo auf der Welt liebt.
7) Daß diefes Stüd der hier in Nebe ſtehenden fpäteren Pertobe
angehört, geht aus folgenden Worten hervor:
— sn —
Klage: „Man fieht heut zu Tage wenige neue Comödien und
nur von Zeit zu Zeit die eine oder die andere von einen
Dichter, der auf höhere Weifung für den Hof fehreibt. Diefer
freilich — ich meine Calderon — dichtet mit ſolchem Gefchid und
folder Originalität, daß er ſtets fich felbft zu übertreffen
ſcheint; aber im Allgemeinen fteht die dramatifche Kunſt nicht,
mehr in der Achtung wie früher und daher widmet fih auch
Niemand mehr mit dem gehörigen Fleiße einer fo edlen Aufgabe.
Mit wie vielen Lorbeeren belohnte nicht das Altertum Män⸗
ner von Talent, und daher Fam eS, daß damals fo viele hers
vorragende Dichter blühten; aber o Wechfel der Zeiten! Las
einft hochgehalten und göttlich genarint wurde, tft jegt beinahe
zu einer Schmach geworden !« ‘
Obgleich fih nun der Verfall der dramatifchen Literatur
und Kunft unter der Regierung Karl’d II. nicht verfennen
läßt, fo tft doch biefer Zeitraum der Theatergefchichte durch
fo viele Umſtände mit bem vorigen verfnüpft, daß eS unmbgs
Del Imperio
Es ya nuestra Infanta Aurora,
Cuyo divino portento
Las. aguilas la juraron
Por su Emperatriz: muy presto
Por Francia hará su jornada,
Dando á Paris rayos bellos,
Porque su hermana y su tia,
Christianisimos luceros
Del orbe, esmalten sus luces
Con tan glorioso trofeo.
Dies geht offenbar auf Philipp’s IV., zweite Tochter Margarethe, welche
auf der Reife zu ihrem Gemahl, Kaifer Xeopold L, zuerft einen Befud)
bei ihrer Schweiter, der Königin von Frankreich, machte; Hiernach iſt das
Drama in das Jahr 1665 vber 1666 zu feßen.
— 38" —
lich ift, ihn von demfelben abzutrennen. Calderon, Rofas und
mehrere andere bedeutende Dichter fuhren fort, für die Bühne
zu fehreiben, und wenn aud die Werfe ihrer fpäteren Zeit
nicht mehr ben früheren glei) fommen, fo haben doch felbft
die ſchwächeren Productionen diefer Meifter noch immer Ans
‚fprüde, zur Blüthenperiode des fpanifchen Theaters gerechnet
zu werben. Von den in biefer Zeit neu auftretenden Dramas
tifern darf freilich Keiner gleihen Rang mit’ Cope, Tirfo,
Alarcon, Calderon, Nofas und Morcto prätendiren, und über-
Haupt zeichnet fih Reiner von ihnen durch befondere Drigina-
Iität aus; indeffen darf man fich auf der andern Seite ihre
Leiſtungen auch nicht al8 zu unbedeutend vorftellen. Die Mit:
tagshöhe des fpanifchen Drama's war vorüber, aber die Sonne
warf auch noch im Sinfen einzelne helle Strahlen. Erft mit dem
achtzehnten Sahrhundert und bem Succeffiondfriege erlifcht
auch bas Teste Licht, das mit felbftcigener Kraft Teuchtete,
und e8 beginnt ein neuer Abdfchnitt, von dem man mit Be:
flimmtheit behaupten fann, er gehöre nicht mehr zur Blüthen-
periode bes ſpaniſchen Theaters.
Calderon
Die fhwülftige Tobreve auf Calderon von Vera: Taffis
tft faft die einzige Duelle für die Lebensgefchichte diefes feltnen
Mannes. Der Freund und crfte Herausgeber des großen
Dichterd würde fid) größern Danf bei ber Nachwelt verdient
haben, wenner den Raum, den er zu gefchraubten und pomp-
haften Eulogien verwendet, mit ausführlichern biographifchen
Nachrichten ausgefüllt hätte. Mas er von Ießterer Art mit:
theilt, tft im Wefentlichen FJolgendes ;
— 39 —
Don Pedro Calderon be la Barca warb am erften Tage
des Jahrs 1601 zu Madrid geboren. Er ftammte väterlicher
Seitd von einem adligen Gelchlecht, das den Rang alter
Hijosdalgo in dem Thal Garricdo, unter den Gebirgen von
Burgos, genof. Man erinnere fi an die Abfunft des Lope
de Vega, und man wird bemerfenswerth finden, daß die beiden
berühinteften Dramatifer Spaniens ihren Urfprung aus dem⸗
felben fleinen und abgelegenen Thale herleiten. Die Familie
des Calderon fol übrigens urfprünglih in Toledo anfáffig
geweſen und fpäter wegen dortiger innerer Spaltungen in ben
genannten Theil des nördlichen Spaniens ausgewandert fein.
Der Name feines Baterd war Diego Calderon de la Barca
Barreda. Diefer vermáblte fih mit Doña Anna Maria be
Henao y Riaño, der Abfómmiingin eines flandrifchen, nad)
Gaftilien verpflanzten Rittergefchlecht8 und Verwandtin ber
Kiafios, Infanzonen von Aragon. Sprößling diefer Ehe war
unfer Don Pedro. Er empfing den erften Unterricht im großen
Collegium ber Compañía (einer Sefuitenfchule zu Madrid),
und bezog hierauf fehr jung die Univerfität Salamanca, wo
er fid) mit ausdauerndem Eifer den Studien widmete. Al
bie Wiffenfchaften, denen er befonders cifrig oblag, werden
Mathematif, Philofophie, Civil» und kanoniſches Recht ges
nannt. Sein poetifches Talent muß fich früh entwidelt haben;
wenig mehr als dreizehn Sabre alt, foll er fein erftes Schau-
fpiel, El carro del Cielo gefchrieben haben und Vera-Taffis
verfichert, er habe ſchon vor Vollendung feines neunzehnten -
Jahres durch feine Comödien auf den fpanifchen Bühnen Epoche
gemacht. Sn den Sabren 1620 und 1622 nahm er an bem
bei der Beatífication und Canonifation des Iſidro gehaltenen
poetiichen Wettkampf Theil **).
15) Drei von ihm bei Diefer Gelegenheit verfaßte Gedichte ſtehen in den
Obras sueltas bes Zope de Vega. T. XI. p. 432 u. 491, u. T. XIIp. 181,
— 40 —
Als neunzehnjähriger Jüngling verließ er die Univerfität
und begab fi) nad Madrid, wo ihm mehrere Große ihre
Gunft fchenften; im fünf und zwanzigften Sahre aber trat er
aus Neigung in den GSoldatenftand und diente in Mailand,
fpäter in Flandern. Höchſt wahrfcheinlich fchrieb er in Diefer
Zeit das Schaufpiel El Sitio de Breda, welches nicht lange
nach der Einnahme der Feftung Breda (2. Juni 1625) auf
die Bühne von Madrid gekommen zu fein ſcheint. Wie lange
fein Kriegsichen gedauert hat, wird nicht angegeben. Wir wif-
fen nur, daß Rönig Philipp IV. ihn aus dem Felde an ben
Hof berief, um für feine Lieblingsergögung, das Theater,
thátig zu fein; namentlih ward ihm die Compofition und
Leitung ber Feftfpiele aufgetragen, die mit großer Pracht, meift
im Palaft von Buen-Retiro, aufgeführt wurden. Schon im
Schr 1630 war fein Dichterruf fo begründet, daß Lope ve
Bega, feinen ebenbürtigen Nachfolger in ihm erfennend, tm
Laurel de Apolo von ihm fagte:
En estilo poetico y dulzura
Sube del monte a la suprema altura.
Zur Belohnung feiner Dienfte ward bem Dichter 1637 das
Ritterkleid von Santiago verliehen. Als 1640 die Ritterorden
ausrückten, enthob ihn ter König feiner Kriegspflicht, und gab
ihm Auftrag, das Feftfpiel Certamen de Amor y Zelos zu
fhretben; allein Calderon wollte beiden Pflichten Genüge lei⸗
ften, vollendete bas Schaufpiel In Fürzefter Frift, und batte
nod Zeit, den Truppen nad) Catalonien zu folgen, wo er in
der Compagnie des Herzogs von Olivarez diente, bis ber
Friede gefchloffen wurde. Er kehrte hierauf an den Hof zurüd
und war nach wie vor mit befonderem Eifer für die Bühne
thätig. Gm Sahr 1649 erhielt er den Auftrag, die Triumph
bogen für den Einzug der María Anna von Defterreid zu
.—] — — —
LA
— 41 —
entwerfen und zu beſchreiben. Zwei Jahre ſpäter trat er in
den Prieſterſtand, ohne deshalb ſeiner bisherigen Beſchäftigung
als Theaterdichter zu entſagen; der König verlieh ihm eine
Kapellanſtelle zu Toledo, von welcher er ben 19ten Juni 1653
Befig nahm, fügte aber 1663, um ben Dichter in feiner uns
mittelbaren Nähe zu haben, eine Stelle bei der Föniglichen
Kapelle Hinzu, deren Einkünfte er nod) durch eine Pfründe in
Gicilien vermehrte.
So fonnte Calberon ſich mit umgeftörter Mufe feinen
dichterifchen Werfen widmen. Während eines Zeitraums von
fieben und dreißig Jahren verfafite er die Autos sacramen-
tales für die Feier des Frohnleichnamfeſtes in Madrid , eine
Zeit lang. aud) die Autos für Toledo, Sevilla und Granada,
bis, wie Bera-Taffis fagt, diefe Art von Feftlichfeiten in ben
legtgenannten Städten aufhörte. Wenn dieſe Dichtungsart feis
nem tief-religtófen Sinne befonders zufagte und mit feinem
geiftlihen Stande in Einklang ftand, fo blieb er doch bis in's
hohe Alter in der Compofition weltlicher Schaufpiele und fon:
ftiger Poefien nicht minder thätig. Sein Biograph gibt die
Zahl feiner Autos auf.mehr al8 hundert, die der Comödien auf
mehr alg bundert und zwanzig an; er fpricht ferner von zwei⸗
hundert Loas, geiftlichen und weltlichen Anhalts, Hundert Says
neted und einer unzähligen Menge von Canzonen , Sonetten,
Romanzen und andern Gedichten über verfchietene Gegen
ftände, und nennt endlich noch eine Befchreibung ves Einzugs
der Königin Mutter, ein Gedicht über die vier legten Dinge
in Dttaverime, einen Tractat über den Adel der Malerei und
einen andern zur Vertheidigung des Schaufpield. Die Richtig-
feit diefer Angaben, in fo fern fie fih auf die dramatifchen
Werfe beziehen, zu prüfen, werden wir fpáter Gelegenpeit
finden. Von Calderon's Comödien waren fon früh ver:
— 49 —
fhiedene in einzelnen Druden erfchtenen; gefammelt famen
zuerft ¿wolf im Jahr 1635, dann andere zwölf 1637 heraus 9;
eben diefe Stüde wurden wieder gebrudt in ber Ausgabe
Comedias de D. Pedro Calderon de la Barca, recogi-
das pór D. Josef Calderon y hermano, Parte I. su II,
Madrid 1640. Ein dritter und vierter Band erfchienen 1664
und 1672. Von den Autos wurde die erfte (unvollftändige)
Ausgabe in Madrid 1677 veranftaltet. Der größere Theil
yon Calderons Werfen war dem Iefenden Publifum noch un-
zugänglich, und was gedrudt, war zum Theil auf's kläglichſte
nad) den Bebürfniffen der Buchhändler verftümmielt; auch hatte
man Bieles fälfchlih auf feinen Namen gefchrieben. Der
Wunſch, eine vollftändigere Ausgabe zu befigen, veranlaßte
einen bochgeftellten Freund der Poeſie, den Herzog von Bes
ragua, Vicefónig von Valencia, fidy an den Dichter felbft zu
wenden, um ihn zur Veranftaltung einer folchen und zu einem
Verzeichniß der wirffih von ihm herrührenden Schaufpiele
aufzufordern. Diefer Brief ſowohl alg die Antwort find ſchon
an fich febr intereffant, dann aber als ficherfte Grundlage für
die Berechnung der Zahl von Calderon's Werfen äußerſt wid-
tig, und wir werden fie in bem Anhange diejes Artifels, ber
fih außerdem nod) mit der Chronologie der Caldtron' (en
Schaufpiele zu befchäftigen hat, mittheilen.
Ueber das fpätere Leben des Calderon finden fid) nur
fehr Tpärlihe Nachrichten, eben weil es frei von äußeren
Wechfelfällen, ganz dem Dienft der Srömmigfeit und der Mu:
fen gewidmet war. In Ermangelung intereffanterer und ein
dringenderer Schilderungen, twie man fie von großen Männern
fo gerne befigen möchte, wird man vielleicht folgende Stelle
9) So berichtet Vera - Taffis; die Ausgabe muß von ber höchften
Seltenheit fein, und ich habe fie nie gefeben.
J — 43 —
eines alten franzöſiſchen Reiſewerkes 2%) als Curioſität will⸗
kommen heißen:
„Abends (erzählt der Reiſende) kamen der Marques von
Eliche, älteſter Sohn des D. Luis de Haro, und Monſieur
de Barriére zu mir und führten mich in's Theater. Die
Comödie, welche ſchon früher aufgeführt, aber jetzt neu ein-
ſtudirt worden war, taugte nichts, obgleich ſie Don Pedro
Calderon zum Verfaſſer hatte. Später machte ich auch einen
Befud bei diefem Calderon, welcher für den größten Dichter
und das ausgezeichnetfte Gente im heutigen Spanien gilt. Er
{ft Ritter deS Ordens von St. Gago und Rapellan an ber
Kapelle der Königin zu Toledo; aber aus feiner Unterhaltung
entnahm ich, daß es um feine Kenntniſſe fchlecht beftellt war.
Mir diSputirten eine Zeit lang über bie Regeln des Schau-
fpiel8 , welche man in diefem Lande nicht Fennt und welde
die Spanier verhöhnen.“
Calderon wurde im Jahr 1663 in die Congregation von
San Pedro aufgenommen; er war diefem Sriefterverein be:
fonder8 zugethan und feste ihn in feinem Teftament zum
Univerfalerben feines beträchtlichen Vermögens ein, Der Tod
Philipp’s IV., der ihm nicht allein feinen eifrigften Gönner,
fondern faft einen Freund raubte, mußte ein harter Schlag
für ihn fein; doch dauerte fein Verhältniß zum Hofe fort und
er wurde nad) wie vor zur Abfaffung der Seftfpiele, die hier
und da bei feierlichen Gelegenheiten aufgeführt wurden, in
Anſpruch genommen. Das legte feiner Dramen war Hado y
Divisa. Er ftarb den 25ften Mat 1681 9). Seine trbifchen
Refte wurden in ber Kapelle San Salvador beigefegt.
20) Boisel, Journal du voyage d’Espagne. Paris 1669, p. 298.
22) Dies ift Die richtige Angabe des Vera-Taſſis; Dieze und bie ihm
nachgefchrieben Haben, laſſen Galderon noch fieben Jahre Länger leben.
o A4 — ¿e
Welche überfchwängliche Bewunderung feiner Zeitgenoffen
den Calderon zu Grabe geleitete, geht aus folgenden zwar
pomphaften, aber doch einen tiefen Sinn bergenden Morten hervor,
mit denen BerasTaffis die Lubrede auf feinen Freund beſchließt:
„Das war das Drafel unferes Hofes und ter Neid ber
Fremden, der Vater der Mufen, der Luchs der Gelehrſamkeit,
das Lit der Bühnen, die Bewunderung ter Menfchen, er,
der ftetS mit den feltenften Tugenden gefchmüdt, deffen Haus
der allgemeine Zufluhtsort der Bedirftigen , deſſen Art
und Wefen bas verftändigfte, deffen Demuth die ticffte, deffen
Beicheidenheit bie erpabenfte , deffen Höflichkeit die aufınerk-
famfte, deffen Umgang ter zuverläfiigfte und belehrendfte,
deſſen Sprache die harınlofefte, Jedem feine Ehre ermeifenve,
deffen nie mit beifenden Bloffen ben Ruhm irgend Eines
verwundende Feder die feinfte feines Sahrhunderts war, ber
die Läfterzungen weber mit Libellen befledte, noch fein Ohr
den boshaften Verfleinerungen des Neides lieh. Das endlich
war der Fürft der caftilianifchen Dichter, welcher Griechen
und Römer in feiner gemweihten Poeſie wieder aufleben ließ;
denn er war im Herotfchen gebildet und erhaben, im Dora:
liſchen gelehrt und fpruchreih, im Lyrifchen anmuthig und
beredt, im Heiligen göttlich und finnvoll, im Liebevollen edel
und fchonend, im Scerzhaften wigig und lebendíg, im Ros
mifchen fein und angemeffen. Er war fanft und wohlflingend
in Ders, groß und zierlich in der Sprache, gelehrt und feurig
im Ausdruck, ernft und gewählt in ber Sentenz, gemäßigt
und eigenthümlich in der Metapher, feharffinnig und vollendet
in den Bildern, kühn und überzeugend in der Erfindung, ein:
zig und ewig im Ruhm.“
Als Probe einer zeitgenöffifhen enfomiaftifchen Kritif
möge bier nod) folgende Stelle aus einer im Jahr 1682 ge
— 4 —
drudten und von dem Doftor Manuel verfaßten Schrift zu
Bunften der Comödien fteben:
„Wer hat, wie Calderon, die zartefte Anlage mit ber
Wahrfcheinlichfeit ver Begebenheiten verfnüpft? ES gibt ein
fo feines Gewebe, daß es zerreißt, indem man es bereitet;
denn das Gefährliche bes fehr Subtilen ift die Unwahrſchein⸗
lichkeit. Blide das bervundernde Auge auf alle feine Stoffe,
und eS wird fie fo cbenmäßig behandelt fehen, daß alle Fäden
mit einander wetteifern. Seine heiligen Comöbdien find Bei:
fpiel, feine gefchichtlihen Wahrheit, feine zärtlichen ſchuldloſe
Ergógung ohne Gefährde. Die Dajeftát ber Gefühle, die
Rlarbeít der Gedanken, die Reinheit der Reden unterhält er
fo in einem Fluſſe, daß auch der leichte Wit und die Grazie
fih darin bewegen fónnen. Nie gleitet er in's Kindifche, nie
fällt er in Gemeinheit der Gefinnung. Er behauptet eine hohe
Würde in dem Vorwurf, den er verfolgt; denn ift biefer ein
heiliger, fo erhöht er die Tugenden, tft eS ein fürftlicher, fo
entzündet er zu den heldenmüthigften Thaten, ift es ein bürger-
licher, fo reinigt er die Leidenfchaften. In feinen religiöfen
Gedichten verflärt er das Königthum, die Fúrften begeiftert
er zum Großen, den Anderen läutert er das Herz. Diefer aufers
ordentliche Geift hat in feinen Schaufpielen faft das Unmög—⸗
liche geleiftet. Man fehe, wie viel. Er vermählte durch den
füßeften Runftzauber das Wahrfcheinlihe mit der Täufchung,
das Mögliche mit dem Fabelhaften, das Zärtliche mit dem
Anftändigen, das Majeftätifche mit bem ©efchmeidigen, das
Heroifche mit dem Berftändlichen, das Sententiöfe mit bem
Geläufigen, das Sinnreihe mit dem Klaren, die Gelehrfamfeit
mit Geſchmack, die Moralität mit ber Anmuth, die Grazie
mit dem Verftande, Ermahnung mit Mäßigung. Sein Tadel
Íft nicht Bitter, fein Rath nicht láftig und feine Belehrung
— 486 —
nicht ſchwerfällig; ja, die Wahrheiten, bie er fagt, find fo
treffend, und die Streiche, die er verfegt, fo gemíildert, bag
nur fein Geiſt alle dieſe Schwierigfeiten zu überwinden fábig
war. Was ich am meiften an ihm bewundere, iſt, daß er Nie-
manden nachahıntez er wurde zum Meifter, nicht zum Schüler
geboren, brad) eine neue Bahn zum Parnaf und erflomm deffen
Gipfel ohne Führer. Dies erfüllt mich mit ber gerechteften
Verehrung, denn die Gelehrten wiffen es wohl, wie felten zu
allen Zeiten die Erfinder waren. Er befchaute die Laufbahn
der Alten, nicht um fie zu betreten, fondern um fie zu über:
flügeln. Wie Macedo vom Taffo, fann man von ihm fagen:
er fehlte nur darin, daß er Feinen Fehler beging, oder wie
pon feinem vergótterten Camoens: daß er mit feinen verzeihe
lichen Sünden fogar Freude machte. Die leichten und gerings
fügigen Fehler, welche die gewiffenhafte Melancholie, der Kri-
tifer an ihm finden mag, find fo kunſtvoll, daß ich glauben
muß, er habe fie nur zur größeren Schönheit eingeflocdhten
und die Kraft feines Genies aud) bei Schwächen bewähren
wollen.
„Für alle menſchlichen Begebniffe haben Don Pedro's
Schaufpiele Mufter, und die Arzenei tft fo Aug gemiſcht, daf
die Wunde begierig wird, fie zu fehlürfen. Möchte diefer Um⸗
rif feiner Werfe feiner gefegneten Afche zur Freude und Ehre
gereichen und er ewig im Gemüth der Lernbegierigen als
lebendige Anfchauung finniger Kunſt fortleben lu
Mie verfehleden von den an Abenteuern und Wechfelfällen
reichen Lebensläufen bes Cervantes und Lope de Vega, wie
ftill und wie arm an erheblichen Ereigniffen erſcheint nad)
dem oben Erzählten der unferes Dichters! Oper hätte man
— 41 —
nur, in beflagenswerther Nachläffigfeit, verfäumt, uns über
dergleichen auf ihn Bezug habende Begebenheiten Nachricht zu
geben? An dem glänzendften Hofe im damaligen Europa, tn
der unmittelbaren Umgebung eines geiftvollen Königs, inmitten
gebildeter Weltleute, galanter Ritter und reizender Damen
follte Galderon ein Einfiedlerleben geführt, er follte nie ein
romantifches Abenteuer, nie einen Zweifampf beftanden haben Y
Die Seligfeit der beglüdten, die Pein ber verfchmähten Liebe,
die Dualen ber Eiferfucht, alle diefe Gefühle, die er mit fo
hinreifender Wahrheit zu fehildern weiß, follten ihm nur aus
dichteriſcher Intuition, nicht aus eigener Erfahrung befannt
gervefen fein? (ES geziemt uns nicht, auf diefe Frage Antwort
zugeben, oder Erlebniffe, über die es an Kunde gebricht, aus
unferer Phantaſie zu ergänzen. Deffen ungeachtet hoffen wir,
aus den Werfen bes Dichters die Züge herausiefen zu fónnen,
aus denen ein Bild feiner Perfönlichfeit hervorgeht. Für's
Erfte fei nur im Allgemeinen hervorgehoben, daß ber” feine
und gebildete Hof Philipp's IV., mit dem er in fteter Berübs
rung war, einen unverfennbar großen Einfluß auf die Form
und den Geift feiner Werke geübt hat.
Galderon ift unter allen fpanifchen Dramatifern ber bes
fanntefte und gefetertfte. Man bat ihn aus der Reihe feiner
Vorgänger und Zeitgenoffen Iosgeriffen und ifolirt hingeftellt,
um ihn in exftatifchen Phrafen alg das Göttlichſte anzupreifen,
Was die fpanifche Literatur hervorgebracht bat, ja nad) ben
beredten Enfomien feiner begeiftertften Verehrer frheint es
beinahe, alg fet e8 faum ber Mühe werth, nod) einen anderen
caftilianifchen Bühnendichter außer dieſem Auserwählten fennen
gu lernen. Das Urtheil eines bedeutenden Mannes, bes nicht
nur um die beutíche, fondern um bie europätfche Literatur hoch-
verdienten Schlegel, ift fo einflußreich geworden, daß, wenn
— 48 —
es einerfeitS bie Aufmerkfamfeit zuerft wieder auf die foanifche
Literatur binlenfte, e8 auf der andern diefe Aufmerkfamfeit
zugleich in einen fer engen Rrei8 bannte. AIS Schlegel feine
unvergleichlich fchöne vierzehnte Vorlefung fehrieb, welche, wie
fie vielfach anregend wirfte, fo and) den Verfaffer des vor-
liegenden Werfes zuerft mit Liebe zu den caftilianishen Mufen
erfüllt hat, war die fpanifche Literatur feit Lange auf's Aeußerfte
vernachläffigt worden, und zu ihren dramatiſchen Werfen na-=
mentlich Tieß fid), außer zu ben häufiger gedrudten bes Gal:
deron, faum anders Zutritt erlangen, al8 burd bas Medium
der fpärlichen, nicht eben von poetiſchem Sinne ¿cugenben
Auswahl des La Huerta. Schlegel hatte daher, feiner eigenen
Ausfage nach, von den Schaufpielen des Lope de Vega nur
eine fehr unzureichende, von denen bes Tirfo de Molina,
Alarcon, Guevara und vieler Anderen gar Feine Kenntniß;
bie Stüde des Solid und La Hoz. die er bei La Huerta fand, ers
fannte er mit feinem cinbringendem Urtheil fogleich als ſchwä—
bere Productionen; Moreto und Rojas aber vermochte er
durch die wenigen Sntriguenftüde in jener Sammlung nicht
genügend fennen zu lernen; wie fonnte e8 daher anders fein,
als daß fich feine ganze Bewunderung auf Ealberon concen-
trirte ? Wir theilen diefe Bewunderung im Allgemeinen voll
fommen, und glauben, daß fie nicht Teicht übertrieben werden
könne; nur {ft gegen’ die Art, wie fie ausgefprochen und nadh-
ber hundertfach wiederholt wurde, Verſchiedenes einzumenden.
Der Eine Lieblingspichter wurde nämlich fo Dargeftellt, als ob
er die ganze dramatiſche Poefle ber Spanter repräfentirte, oder
wenigſtens die übrigen Dramatiker diefes Landes fo unermefs
lich überragte, daß es ſich faum Iohnte, von biefer Höhe aus
einen Blid auf jene untergeorbneten Talente zu werfen. Wenn
nun biefe ungebührliche Hervorhebung einerfeits ein durchaus
— 499 —
falíches Licht auf das Ganze bes ſpaniſchen Theaters warf
und viele “grofe Dichter in unverdiente Mißachtung brachte,
fo mußte fie nothwendig zugleich der richtigen Würdigung und
gründlicheren Erfenntniß des Einen Gefeierten Eintrag thun.
Denn Calderon fleht nicht, wie er in dieſen Schilderungen
erfcheint, einzeln und ifolirt da, er ift nur Glied einer großen
Kette, ein hervorragender Punkt in einer langen Reihe; man
darf es feinen begeifterten Verehrern zugeben, Daß das ſpani⸗
fhe Drama in ihn culminire, aber man fann nicht zu einer
richtigen Schägung feiner Verdienfte gelangen, ohne ihn im
Zufammenhange mit feinen Vorgängern betrachtet zu haben.
Erft aus diefer Betrachtung ergibt ſich fein eigenthümlicher
Ebarafter ald Dramatifer, läßt fid) das innere Lebensprincip
feiner Werfe erklären. Indem wir nun ben Verfud machen,
die Süden darzulegen, durch welche der berühmtefte fpanifche
Dichter mit der grofien Reihe der caftiliantfhen Dramatifer
zufammenhängt, müffen wir darauf verzichten, im Schwunge
glänzender Beredtfamfeit mit unferem Vorgänger zu mwetteifern,
ja wir fürchten beinahe, denen, welche noch von früheren Apos
theofen berauſcht find, falt und abgemeffen zu erfcheinen. Wenn
aber auf der einen Seite der Nimbus ber Göttlichfeit, welcher
bisher Calderon's Haupt umftrahlte, in etwas zerflört wird,
fo hoffen wir auf der anderen, feinen Fünftlerifchen Charakter
in ein hefleres Lit zu ftellen. Zugleih möge folgende Ers
wägung voralsgefchickt werden. Wenn die Analyfe deifen, was
der große Mann feinen Vorgängern verdankt, noch eine große
Anzahl von Vorzügen übrig läßt, welche bem Gepriefenen
ansfchließlih und als Eigenthum gehören, fo wird auch fie
eine Berherrlichung des Dichters fein, der mit Recht ein Lieb⸗
ling von Europa geworben ift, und zwar eine folde, welche
die Wahrheit auf ihrer Seite und um fo höheren Werth hat,
Geſch. d. ei i in Spanien. UI, Bb.
— 50 —
da ſie Calderon's dramatiſche Kunſt als ein Entwickelungs⸗
ſtadium in dem Organismus der ganzen ſpaniſchen Poeſie
darſtellt.
Als Calderon begann, ſich der Bühnendichtung zu wid⸗
men, lag ihm nicht etwa, wie dem Lope de Vega bei'm An⸗
tritt ſeiner Laufbahn, ein Gewirr von mehr oder minder form⸗
loſen Anfängen, von chaotiſch durch einander liegenden Elemen⸗
ten der Kunſt vor, welche ſeiner ordnenden Schöpferkraft geharrt
hätten, um zu Form und Geſtaltung zu gelangen; er betrat viel⸗
mehr ein ſchon vielfach und nach allen Richtungen hin bearbeite⸗
tes Feld und fand eine hochgebildete, durch die vereinten Kräfte
vieler ausgezeichneten Geiſter zu ſeltenem Glanz gediehene
Schauſpielpoeſie auf den ſpaniſchen Theatern heimiſch; ja er traf
nicht nur im Allgemeinen Form und Charakter des Drama's ſehr
beſtimmt ausgeprägt, ſondern auch im Einzelnen bei den verſchiede⸗
nen Gattungen von Theaterftüden die Gränze gezogen, innerhalb
beren fich der ſpaniſche Gefchmad mit befonderer Vorliebe bewegte.
Sn der Anfhauung und vertsauten Befanntfdaft mit dem
Theile der dramatifchen Literatur, welcher im zweiten Bande
des vorliegenden Werfes ausführlich gefchildert worden tft,
war unfer Dichter erwachfen. Er hatte mit jener Erregbarteit,
welche dichtertfchen Gemüthern eigenthümlich tft, ftaunend und
bervunbernd den herrlichen Schöpfungen bes großen Lope be
Bega ?”) zugefehen, hatte entzüdt die poetifche Zauberwelt
22) Balderon hat feine Berebrung für Lope de Vega in folgenden
Morten ausgefprochen:
Aunque la persccucion
De la envidia teme el sabio,
No reciba de ella agravio
Que es de serlo aprobacion:
Los que mas presumen son,
Lope, á los que envidias das,
XA — — — —⸗ — —— — — —
— 51 —
des Tirſo de Molina an ſich vorüberziehen laſſen und war
auch mit den Werken der minder bedeutenden Dichter innig
befreundet. Dieſe genaue Bekanntſchaft Calderon's mit den
Dramatikern, welche während ſeiner Jugendjahre auf den
ſpaniſchen Bühnen glänzten, iſt keineswegs bloß ſupponirt,
ſondern hat ſich in den deutlichſten Spuren in ſeinen Werken
abgedrückt, worauf wir zurückkommen werden. Als der junge
Dichter, ſich ſeines Berufes zum Dramatiker bewußt werdend,
für das Theater zu ſchreiben begann, ſchwebten ihm alle jene poe⸗
tiſchen Gebilde vor, welche ihn, wie das ganze Publikum ſeiner
Zeit, entzückt hatten, und es konnte nicht fehlen, daß ſie befruchtend
auf feine Phantaſie fortwirkten. Indeſſen war fein Geiſt totes
der zu ſtrebſam und ſelbſtſtändig, alg daß cs ihm hätte genüs
gen können, nur den empfangenen Eindrücken zu folgen und
mit dem Strome fortzuſchwimmen; er begann daher über die
Aufgabe nachzudenken, welche ihm geſtellt war, wenn er ſich
nicht nur ein eigenthümliches Feld in der Dramatik erobern,
fondern die letzte auch wo möglich zum Abſchluß und zur
Vollendung bringen wollte. Eine völlige Umwälzung des herr⸗
ſchenden Syſtems und der einmal adoptirten Schauſpielformen,
das mußte ihm einleuchten, konnte nicht geſchehen ohne eine
Tabula rasa zu machen und ſich zugleich mit allen Sympa⸗
thien ber Nation in offenen Zwieſpalt zu ſetzen; auch war
feine eigene Neigung für diefes Syſtem und feine Weberzeus
gung von deffen Trefflichfeit viel zu flarf, als daf es ihm irgend
Y en su presuncion veräs
Lo que tus glorias merecen,
Pues los que mas te engrandecen
Son los que te envidian mas.
(S. die Obras sueltas bes Lope de Vega
= T. XII, pag. XV.)
4%
— 52 —
hätte einfallen ſollen, an den Grundfeſten deſſelben zu rütteln.
Es kam daher nur darauf an, noch einen Giebel auf das
ſchon errichtete und wohlgefügte Gebäude zu ſetzen und dadurch
den Schlußſtein an das Ganze zu legen.
Wie aber war dies zu bewerkſtelligen? Den Lope de
Vega an Reichthum der Erfindung zu übertreffen, oder nur
darin mit ihm zu wetteifern, durfte Calderon eben ſo wenig,
wie irgend ein anderer Sterblicher, hoffen; auch die übrigen
hervorragendſten Dramatiker ſtanden, jeder in ſeiner Art, ſo
einzig da, daß es unmöglich ſchien, in dem Punkte, der ihre
Größe ausmachte, über ſie hinauszugehen. Aber Calderon mit
ſeinem ſcharf analyſirenden Verſtande erkannte auch, eben ſo
wie die unübertrefflichen Vorzüge feiner Vorgänger, die Ge:
brechen, an denen fie offenbar Titten; er erfannte, wie bie
höchfte Vollendung und feinfte Ausbildung der: dramatifchen
Kunft wohl bier und ba unter befonders günftigen Sternen
erreicht worden war, aber wie fie bisher nie irgend- einem
Dichter durchgehende alg Princip vorgeleuchtet hatte, vielmehr
die herrlichiten Anlagen und gentalften Conceptionen oft Durch
Mangel an Sorgfalt und durch Uebereilung der Dichter ver:
unftaltet worden waren. Wollte er nun das Schaufpiel zu
einer höheren Stufe emporführen, fo mußte er nicht allein die
Uebelftände vermeiden, welche fid im Gefolge einer flüchtigen
Eompofitionsweife in die Werke der früheren Dichter einge-
[Hlihen hatten, fondern aud) die befonnene Erwägung und
confequente Durchführung des Plans , fo wie die emfige Aus- -
arbeitung des Detail recht eigentlid) zu feinem leitenden
Grundfag machen. Erft hier haben wir den Schlüffel, welcher
und das Berftándnif des Eigenthümlichen in Calderon's Poe:
fie erfchließt. Der Weg, den er im Einzelnen verfolgte, war
nun folgender. Er ftellte fid) auf die Schultern fener Vor:
_ 8 —
gänger; er übernahm das fpanifche Schaufpiel fo, wie er es
überfommen Hatte, in allen feinen Mobificattonen und mit
allen feinen Gattungen, ohne an den Grundlagen des herr
fehenden Syſtems zu rütteln; aber er fuchte alle Keime des
Guten, die er vorfand, durch forgfältige Pflege zur höchſten
Blüthe zu zeitigen, alle unentwidelten Anlagen auszubilden,
das Edige abzufchleifen und das Lücken⸗- und Sprunghafte zu
innerem organifchem Zufammenhange zu führen. Er fchloß ſich
oft aufs engfte an feine Vorgänger an, borgte fogar bie
Gerüfte ihrer Stüde, ihre Erfindungen und Pläne, entlehnte
ihnen einzelne Scenen und behielt bei, was ihnen fon ges
ungen war, aber verarbeitete nun das fremde Gut mit fo
feinem fünftlerifchen Sinne, bildete es fo glücklich um und
fort, machte fo viele und fo treffliche eigene Zufäße, daf er
das Ganze mit vollem Rechte als fein Eigenthum anfprechen
fonnte. Seine Sorgfalt richtete fich nicht allein auf bie Ans
ordnung des Plans, ben er gleihfam mit dem Winfelmaße
auf's genauefte abzirkelte, nicht allein auf das richtige Ver:
hältniß aller Theile zu einander und zum Ganzen, nicht bloß
darauf, daß der dramatiſche Gehalt eines jeden Stüdes aufs
reinfte herausgearbeitet würde, fondern fie verbreitete fid) auch)
mit ganz befonterem Fleiße auf alle Detail8, auf den Styl
und auf den Versbau. Faffen wir das Gefagte zufummen, fo
ift Calderon's dramatiſche Runft aus einer tief eingehenden
fritifchen Prüfung ber früheren fpanifhen Schaufpielpoefte
hervorgegangen ; fie hat fid an Vorhandenes gelehnt, aber
die gegebenen Elemente auf'8 Funftoolifte in andere und beffere
Orbnung geftellt, das Vercinzelte gefammelt, dem Jerftreuten
feinen richtigen Plag angeriefen, und endlich alles Unfichere
und Schwanfende zu Ruhe und Stätigfeit gebracht.
Disfe Auffaffungsweife weicht fehr von Allem ab, was
— 54 —
bisher über Calderon geſchrieben worden iſt; fie kann hier
einſtweilen nur als eine Theſis ſtehen, deren volle Richtigkeit
ſich hoffentlich im Folgenden bewahrheiten wird; doch dürfen
wir nicht unterlaſſen, ſchon jetzt Einiges zur Apologie unſerer
Anſicht vorzubringen.
Man hat Calderon einen Originaldichter in ſo vorzüg⸗
lichem Sinne genannt, daß er Alles nur ſich ſelbſt zu ver⸗
danken und nie bei einem Anderen geborgt habe. Es wird
daher in hohem Grade auffallen, daß wir ſagen, er habe die
Arbeiten Anderer mannigfaltig benutzt und nicht nur die Idee
zu einzelnen Scenen aus früheren Dramen geſchöpft, ſondern
auch die Umriſſe zu ganzen Stücken von älteren Dichtern ent:
lehnt. Dennoch verhält es ſich hiermit in Wahrheit fo, und
ein Paar Beiſpiele mögen es nachweiſen. Vorangeſchickt muß
werden, daß der Dichter ſelbſt gar nicht um Verheimlichung
der Quellen, aus denen er ſchöpfte, bemüht geweſen zu ſein
ſcheint, da er z. B. in den Worten
La dama duende será
Que bolver á vivir quiere
(Casa con des puertas)
allem Anfchein nach ferbft anbeutet, dafi er in feiner Dama
duende ein älteres Stüd ähnlichen Inhalts vor Augen ges
habt habe. — Die Autoren, deren Werfe er vorzugsweiſe
benugt bat, find Tirfo de Molina und Mira de Mefcua.
Sein Encanto sin encanto ift in einem großen Theil feí
neg Planes auf Tirſo's reizendes Luftfpiel Amor por señas
gegründet?*). Gn La devocion de la Cruz erfennt man ſowohl
dem Ganzen der Handlung, als in vielen Einzelheiten in eine
2°) S. dieſe Gefchichte, Band II. S. 579.
— 55 —
Nachahmung von Mira ve Meſeua's Esclavo del Demonio *?),
und ſchon Tieck hat bemerflich gemacht, wie fid) im Calderon
einige Stellen faft wörtlich wiederfinden, bie Mefcua früher
ſchrieb. Aus eben diefem Stüde tft die Scene im Magico
prodigioso, two Cyprian die Geftalt der Geliebten zu befigen
glaubt, aber dann entdedt, daß er ftatt ihrer ein Tobtenges
rippe in den Armen halte; und in Mefcua'8 Ermitaño ga-
lan findet fid) das Mufter zu der langen Erzählung ves Dis
mon's im zweiten Afte dieſer Calderon'ſchen Tragödie. Die
Erene in El mayor monstruo los zelos, wo Herodes feine
Gemahlin ermorden will, aber durch deren herabfallendes Bild
niß daran verhindert wird, hat zwei andere in früheren Dras
men zu Vorgángerinnen: die ältefte in La próspera fortuna
de Ruy Lopez de Avalos von Damtan Saluftrio del Poyo,
bie andere in Tirſo's Prudencia en la muger **). Daffelbe
Drama hat außerdem mandyerlei Züge aus Tirfo'8 Vida de
Herodes entlehnt. Die Idee von El secreto á voces ſcheint
aus Tirfo'8 Amor por arte mayor. Viele Analogien finden
fi) ferner zwifhen En esta vida todo es verdad y todo
mentira und Meſcua's Rueda de la Fortuna, zwifchen
Los Cabellos de Absalon und Tirfo’8 Venganza de Ta-
mar, zwiſchen El monstruo de los jardines und beffelben
Dichters Aquiles; und zwar find diefe Aehnlichfeiten nicht
etwa bloß von der Art, wie fie von felbft entftehen müffen,
jobald zwei Autoren denfelben Stoff behandeln, nein, es iſt
— wie ſich dies im Einzelnen genau nachweiſen Tiefe —
eine ganz fpecielle Rückweiſung ber fpáteren Stüde auf bie
früheren vorhanden, welche ſich durchaus nicht anders erfláren
läßt, al8 dadurch, daß Calderon bie legteren vor Augen ge:
habt habe. Peor está que estava fft Scene für Scene aus
2) S, Band II. ©. 462. *) ©. YB. IL ©. 494.
— 586 —
einem älteren, im Jahre 1630 gebrudten gleichnamigen Stüde
von Luis Alvarez, und nur einiges Unpaffende tft entfernt,
fo wie ber Worttert verändert worden. Man hat nun zwar
die Bermuthung aufgeftellt, Calderon fet aud Verfaffer der
älteren Comödie und habe fid) aus irgend einem Grunde bes
togen gefunden, einen falfchen Namen anzunehmen, und wir
wollen dies nicht für unmöglich erflären, da ein Luis Alvarez
fonft als Comödiendichter nicht genannt wird; allen am
Schluffe des älteren Peor está heißt e8, daß fein erfter Vas
ter e8 Todo sucede al revés genannt babe, und fomit kün⸗
Digt fi) auch dieſes Stück wieder als Umarbeitung eines
früheren an. — Die erfte Scene von El Escondido y la
Tapada hat eine auffallende Aehnlichfeit mit Tirfo'8 Por el
sótano y por el torno. Dafi der Medico de su honra tn
Plan, Motiven und Charafteren eine große Berwandtfchaft
mit der Tragúble Casarse por vengarse von Rojas habe,
ift ſchon von Tieck bemerft worden; hier aber bleibt es zwei⸗
felbaft, welches ber beiden Stüde, das 1636 (tm 20ften
Bande ber Comedias de diferentes Autores) gebrudte bes
Rofas, oder das 1637 gedrudte des Calderon, früher gefchries
ben ſei; gewiß dagegen tft, daß die Anfangsfcene dieſes
Drama’s eine Reminifcenz aus der Guarda cuidadosa von
Miguel Sandez barbietet, und daß mehrere Details des⸗
felben, namentlid) der Monolog Don Gutierre's im zweiten
Aft aus Tirſo's Celoso prudente nachgeahmt find **) —
Bei No hay burlas con el amor hat offenbar eine Erin:
nerung an “ope'8 Melindres de Belisa vorgefdjwebt, und
in El Maestro de danzar ift eine von dem nämlichen Did»
25) In diefem Monolog erinnern nicht allein die Gedanken, fondern
auch die Form, daß die trochäifchen Verfe von Zeit zu Zeit durch einen
jambifchen unterbrochen worden, an Tirſo's Stück.
_ 57 —
ter in einem gleichnamigen Stücke durchgeführte Idee benutzt.
Zu La niña de Gomez Arias hat bas gleichnamige Stück
des Guevara Vieles hergeliehen; in El gran principe de Fez
Haben wir Reminifcenzen an das ebenjo betitelte Stüd . des
Lopez Calderon's Auto Psiquis y Cupido bietet viele Anas
Iogien zu dem gleichnamigen des Sofef de Valdiviefo dar, und
wir fónnten die angeführten Beifpiele in der That noch durd)
viele andere vermehren; Doch mögen bie bisherigen einftweis
len genügen, um unfere Behauptung im Allgemeinen zu rechts
fertigen. Sogleih aber müffen wir hinzufegen, daß unfer
Dichter in faft allen diefen Stüden bie ihm überlieferten
Materialien genugfan umgewandelt hat, um für ihren zwei⸗
ten Erfinder gelten zu fónnen, daß er dag, was bei feinen
Vorgängern nur als Anlage erjcheint, mit bewundernswerther
Kunft ausgebildet, das Rohe verfeinert und überhaupt die
noch unreifen Knospen zur höchften Entfaltung gezeitigt hat.
Schon aus dem Gefagten geht wohl zur Genüge hervor,
daf wir weit entfernt find, dem Calderon aus feinen Ents
lehnungen einen Vorwurf zu machen. ES ift ein großer, aber,
fo viel wir wiffen, noch nigends gründlich berichtigter Sres
tfum der neueren unpoetifchen Sahrhunderte, von ben Dichtern
in der Art. Originalität zu verlangen, daß fie fih der Bes
nugung fremder Erfindungen und Gedanken enthalten follen. -
Sn unferer Zeit, wo die Kunft aus ihrem organischen Zuſam⸗
menbange geriffen tft, wo die Dichter ifolirt und ohne lebens
dige Wechfelmirfung daftehen, betrachtet man Dasjenige unter
den Geſichtspunkt bes Plagíaté, was fid) in allen wahrhaft
großen Perioden ber Poefie als allgemeiner Brauch nad)
weifen läßt. Durd die Sfolirung von den Quellen, welche in
den Werfen. Anderer fließen, wird dem Dichter ber Zuſam⸗
menhang mit den Wurzeln abgejchnitten, aus denen er reichen
— 538 —
und geſunden Nahrungsſtoff ziehen kann; er wird auf eine
affectirte Eigenthümlichkeit, auf das Haſchen nach Neuem und
Originalem hingeführt, und gewiß haben wir hier, neben an⸗
deren mitwirkenden Urſachen, einen Grund für die betrübende
Erſcheinung, daß die Literaturen der Jetztzeit ſo ganz ohne
innere Einheit und organiſche Fortbildung daſtehen. Für den
Kenner der Poeſie braucht es nicht erſt ausgeführt zu werden,
daß die ganze neuere Dichtkunſt gar nicht die Geſtalt gewon-
nen haben könnte, an welcher wir uns erfreuen, wenn die
heute adoptirten Orundfáge über dieſen Punkt auch in frühe⸗
ren Zeiten obgewaltet hätten. Um dies an einigen Beiſpielen
zu begründen und mit der mittelalterlichen Literatur zu bes
ginnen, ſo ſind wir über die Wanderungen, welche bretoniſche,
franzöſiſche und provenzaliſche Erfindungen durch die Ritter⸗
dichtungen von ganz Europa gemacht haben, über die Ver⸗
zweigung der Gesta Romanorum und ber Disciplina cle-
ricalis in die Fabliaur und in die fpäteren Novellen, fo wie
über ben vielfachen Zufammenhang ber legteren unter ein-
ander durch neuere Forſchungen, namentlich von Val. Schmibt
und J. Th. Grüße hinlänglich aufgeflárt, und man weiß, daß
ebenfo bie gefeiertften beutfchen Heldengedichte des Mittel:
alters, wie die Erzählungen des Boccaz zum großen Theil
Umarbeitungen franzöftfcher Originale find. Von der älteren
italienifchen Lyrik ift es befannt, wie unendlich viel fle fich
von den Provenzalen angeeignet und ber Abbe de Sabe hat
fih bie Mühe genommen, ein ganzes Verzeichniß von Gedan⸗
fen, Werfen und Wendungen zu liefern, welche Petrarca ben
Troubadours entlehnt hat, oder welche unbewußt alg Reminis-
cengen in feine Werke gefloffen find; man fann es aber nur
thöriche nennen, wenn einige Kritifer den großen Dichter des-
halb ber Geiſtesarmuth gezicehen und ihm die Aufnahme frems
— — ⸗—— J —
—onmm ni en —
— 59 —
der Gedanken zum Vorwurf gemacht haben. Wie? Gedichten,
die ſeit nunmehr fünf Jahrhunderten ganz Europa entzücken,
ſollte durch die Erkenntniß, daß Einiges in ihnen aus frem⸗
den Quellen gefloſſen iſt, nur irgend ein Theil unſerer Be⸗
wunderung entzogen werden? Ein Tadel fónnte ſolche Ent⸗
lehnungen, wie ſie ſich in den Werken der größten Dichter
aller Zeiten und Nationen nachweiſen laſſen, nur dann treffen,
wenn. fie ſich als aus bem Mangel an eigenen Gedanken
hervorgegangen zeigten, wenn der Autor ſie nicht organiſch
in ſeine eigene Schöpfung zu verſchmelzen gewußt hätte. Vers
folgen wir jene große Periode der europäiſchen Poeſie, welche
ſich mit dem ſiebzehnten Jahrhundert abſchließt, weiter, ſo ſehen
wir den Strom italieniſcher Dichtkunſt nach Spanien hinüber⸗
fließen und Boscan, Garcilaſo recht gefliſſentlich den Petrarca
nicht allein in der Form ſeiner Canzonen und Sonette nach⸗
ahmen, ſondern viele Gedanken und ganze Verſe von ihm re⸗
produciren. Die Lyrik dieſer Männer, wie noch die des Her⸗
rera und Luis de Leon, iſt — man erwäge dies wohl — min⸗
deſtens zur Hälfte aus den Werfen ber Alten und der Ita⸗
liener gefloffen; aber freilich fann man breíft behaupten, daß
fie das aus fremden Quellen Gefchöpfte in neuer Schönheit
wiebergeboren haben; und will man fi nun den Genuß diefer
fhönen Poefie durch den Gedanken vergállen, daß Manches
darin nicht urfprüngliches Eigenthum ber Verfaffer ſei?7)
37) (Es ift, um dies hier beiläufig zu fagen, eine gewiß dankens⸗
werthe Mühe ber Literarhiftorifer gewefen, uns (wie z. B. Der treffliche
neuere Herausgeber des Garcilafo) auf die parallelen Stellen zu den von
ihnen commentirten aufmerffam zu machen; denn unfere Einfiht fann
hierdurch nur gewinnen. Etwas ganz Anderes aber ift es mit jenen mo:
dernen Krittlern, welche mit hämifcher Schadenfreude den Dichtern auf:
lauern, vb fie ihnen nicht einen Gedanken, eine Wendung oder einen
— 60 —
Um zu ben Stalienern zurüdzufehren, fo war Taſſo fo weit
entfernt, fich feiner Entlehnungen und Nachahmungen aus an⸗
deren Dichtern zu ſchämen, daß er fich in dem Commentar über
feine Rime alle Mühe gibt, viefelben hervorzuheben -und fich
ihrer rühmt. Ein Blid auf das englifche Theater zur Zeit der
Elifabeth zeigt uns Far, wie viel Die damaligen Dramatifer :
fid) gegenfeitig zu verdanten haben, wie felbft der größte unter
ihnen es nicht verfchmähte, von den Geringeren zu borgen;
man weiß, wie mannigfach Shaffpeare fi der Pläne feiner
Borgänger bemeiftert, ja ganze Stüde derfelben nur umge⸗
arbeitet hat, wie die Herenfcene im Macbeth zum Theil fogar
mit Beibehaltung der Worte aus Middleton's Witch entlehnt
ift. Von den Franzofen haben wir ſchon gefehen, in wie aus-
gedebntem Maafe fie ſich fremde Ideen, namentlich die ber
Spanier, angeeignet haben, und unfer Tadel traf nicht dies
Verfahren an ſich (wir glaubten 3.3. dem Rotreu unfer Lob
nicht verfagen zu dürfen), fondern nur ben Umfland, daß die
Ausdrud nachweifen fónnen, den fie von Anderen entlehnt haben, ganz
uneingedenf, daß fie bei den großen Dichtern der früheren Zeit eine viel
reichere Ausbeute machen Fönnten, und baß dergleichen von bem Weſen
aller Poeſie unzertrennlich ift. Man erinnert fich, wie vielfach Lord By—
ron von ben Reviewers feiner Tage mit dem Vorwurf von Plagiaten
heimgefucht wurde; es läßt fich auch gar nicht láugnen, daß er fich nicht
allein einzelne Gedanfen und Bilder, fondern ganze Paflagen, Scenen
und Situationen aus anderen Werfen angeeignet hat (die auffallendften
Beweife hiervon zeigt ein Dergleich zwifchen Gafti’s Novelle galanti
und dem Don Juan); aber denjenigen, welche dies ausbeuteten, um Den
Ruhm bes herrlichen Mannes zu verkleinern, entgegnete Walter Scott:
„Es ift eine Lieblingsanfgabe ber pebantifchen Dummheit, dergleichen
Reminifcenzen hervorzuheben, weil folche Wahrnehmungen ben höheren
Genius in das Bereich der gemeinen Sterblichkeit herabzuziehen und ben
Autor in Diefelbe Kategorie mit feinen Kritikern zu ftellen fcheinen.«
— —— — — — — — -
— 6 —
meiften jener Dichter aus offenbarer Armuth an etgner Eros
findung zur fremden ihre Zuflucht genommen, daß fie das
Entlehnte nicht poetifch durchdrungen und umgefchaffen haben,
und daß ihre Nachbildungen tief unter den Originalen ger
blieben find. Auch in Spanien — um und dorthin zurückzuwen⸗
ben — hatten die Dramatifer von jeher Fein Bedenken getragen,
von einander zu borgenz um dies an einzelnen Beifpielen zu
zeigen, fo findet fi bas erfte berfelben in den Werfen bes
Gil Vicente, der mehrere Scenen aus Yuan del Encina ge:
nommen bat ?°); Oil Vicente's portugfefifches Auto de mo-
ralidade wurde bald nachher in Spanien in ber Tragico-
media alegórica del infierno y del paraiso nadjgebildet;
und wenn aud) Lope te Vega faft immer nur feiner eigenen
Erfindung gefolgt fein mag, fo war es body auch zu feiner
Zeit — und wir haben davon verfchiedene Beifpiele gefehen,
keinesweges verpönt, fremde Sbeen und Pläne aufzunehmen
und weiter auszubilden *9), x
Um durch Analogien aus bem Gebiete der bilbenden
Kunft über diefen Gegenftand Licht zu verbreiten, fo weiß
man, daß Michel Angelo in feinem jüngften Gericht nicht nur
einzelne Motive, fondern ganze Figuren aus dein großen Wand»
gemälde des Luca Signorelli zu Orvieto genommen hat; man
weiß, wie Raphael’8 erftes Elternpaar in ben Loggien nad)
bem berühmten Frescobilde des Maſaccio copirt, wie ber
25) ©. den Artikel Gil Vicente im Unbange zu biefem Bande.
2%) Als wahre und tabelnswerthe Blagiate müflen wir es freilich
bezeichnen, wenn Einzelne ganze Comödien Anderer mit Beibehaltung des
geößten Theils ihrer Verfe und ohne wefentliche Umbildung unter ande-
rem Titel für ihr Gigenthum ausgaben, wie Dies 3. D. Felipe Godinez
mit Tirfo’s Venganza de Tamar that, die er, nur wenig verändert, als
fein Eigenthum auf Die Bretter brachte. Achnlichen Fällen werden wir
in dem Artilel Moreto begegnen.
— 62 —
Paulus in den Tapeten demſelben alten Florentiner entnommen
iſt und wie vieles Andere dieſer größte der Maler noch
außerdem von ſeinen Vorgängern und Zeitgenoſſen genommen
hat, und zwar aus allgemein bekannten Werken derſelben, ſo
daß er in keiner Art glauben konnte, die Entlehnung werde
unbemerkt bleiben. Jene einſichtsvolle Zeit nun, welche wohl
wußte, daß der große Künſtler nicht durch eigene Armuth zu
dieſem Verfahren gezwungen werde, aber auch zugleich, daß
fein Geiſt, auch der größte und göttlichſte, Alles aus ſich felbft
ſchöpfe, nahm hieran keinen Anſtoß; vielmehr konnte, wie die
Betrachtung einer größeren Anzahl von Gemälden aus jener
Zeit unläugbar zeigt, jeder Maler, ohne Furcht vor Tadel,
Motive und Gedanken Anderer benutzen und nach ſeiner Art
verarbeiten, und gewiß wurde gerade durch dieſen lebendigen
Wechſelverkehr, durch dieſen Austauſch bes Eigenen gegen
Fremdes, die Kunſt zu jener Höhe emporgehoben, welche der
Kraft des Einzelnen unerreichbar iſt.
Das Angeführte genügt wohl, um als eine unwiderleg⸗
bare Wahrheit herauszuſtellen, daß viele der bedeutendſten
Meiſterwerke der Poefie und Kunſt gar. nicht hätten producirt
werben können, wenn ihre Urheber den heut zu Tage abop:
tirten falfchen Ideen von Driginalität ‚gefolgt wären. Dürfen
wir nun an die hiftorifche Nachweifung, daß das Verfahren
Calderon's während des alánzendften Zeitraums ber europätfchen
Poeſie allgemein für gerechtfertigt angefehen wurde, noch eine
allgemeine apologetifche Bemerfung Tnüpfen, fo möchten wir
fagen, daß bie Poeſie zwar fehafft, aber doch nicht aus dem
Nichts, fondern aus fehon exiftirenden Materialien, und daf
zu diefen Materialien, ebenfo wie die Natur mit allen ihren
Erfcheinungen, auch ble Schöpfungen früherer Dichter gehören.
Iſt das vorhin Gefagte feine bloße Suppofition, fondern
—— — —
— 63 —
ein Ergebniß, zu welchem die genaue Betrachtung von Cal⸗
deron's Werken in Verbindung mit der Kenntniß der früheren
ſpaniſchen Literatur führen muß, ſo dürfen wir unſern Dichter
einem Architekten vergleichen, der mit geſchickter Hand auf
ſchon gelegtem Fundament und freilich größtentheils aus eige⸗
nen Stoffen baut, aber auch das von Anderen bereitete Ma⸗
terial nicht verſchmäht und es nur in allen ſeinen Einzelheiten
auszubilden, fo wie das noch Iſolirte und Unverbundene künſt⸗
lerifcy zu verfnüpfen fucht. Gewiß fann dieſer Standpunft,
den wir dem Calderon anweifen, feinen Ruhm in feiner Art
beeinträchtigen, ihn vielmehr nur erhöhen, da feine Kunft auf
Diefe Art nit als bloße SImprovifatton eines bevorzugten
Genie's, fonbern alg im organifchen Zuſammenhange mit bem
Ganzen bes fpanifchen Drama'8 ermwachfen erſcheint. Alles
Höchſte, was ein einzelner Geift auf irgend einem Gebiete
geichaffen, ift nur in einer foldhen Verbindung mit früher
Oeleiftetem entftanden ; oder läßt es fid) denken, daß Raphael's
Kunft ohne das, was er feinen Vorgängern verdanfte, zu dem
Gipfel gelangt wäre, den fie wirklich erreicht hat?
Gehen wir, nachdem wir Calderon's Stellung in der
fpaniichen Bühnenposfie und bas Princip, von bem er geleitet
wurde, im Allgemeinen beftimmt, zur Darlegung ber Weife
über, in welcher er dies Princip im Einzelnen verwirklicht
hat! Das Meifte hiervon wird fic) von felbft bei der fperiellen
Betrachtung feiner Werfe ergeben, und wir haben nur Weni⸗
ges vorauszuſchicken.
Hatte Calderon ſich die Aufgabe gefelt, das von ſeinen
Vorgängern begonnene Werk dadurch zu vollenden, daß er das
ſpaniſche Drama zur möglichſten Höhe der Kunſtausbildung
führte, ſo mußte er ſeine Aufmerkſamkeit vor” allen Dingen
auf die ſorgfältige und durchdringende Berechnung des Planes
— 4 —
richten. Gerade hier hatten die bisherigen Dramatifer, wie
glücklich fie auch in einzelnen ihrer Werfe ſchon bis zu einer
sollfommen befriedigenden Compofition Hindurchgedrungen wa⸗
ren, ihre mangelbaftefte Seite gehabt, die denn aud) von viel-
fältigem Tadel getroffen worden war. Unfer Dichter überlegte
daher feinen Stoff bi8 in die feinften Einzelheiten hinein,
bisponirte feine Entwürfe auf'8 genauefte und hatte fid ohne
Zweifel noch bevor er an die Ausführung eines Stüdes ging,
von jeder bevorftehenden Wendung ber Action, von jeber
Scene und ihrer Stellung und Bedeutung Rechenfchaft ges
geben. Er ftellte feine reichlich fprudelnde Phantafie und Er:
findungégabe unter die Controlle des fchärfften Verftandes
und buldete in feinen Stüden nichts, al8 was er nach) ben
geläutertften Anfichten von Fünftlerifcher Compofition rechtfer-
tigen fonnte; hiernach mußten alle Theile nicht allein in engem
Zufammenhange mit der Haupthandlung ftehen, fondern auch
eine fyınmetrifche Stellung zu: efnander und zum Ganzen ers
halten, und jenes Berfahren, intereffante Srenen um ihrer
ſelbſt willen ohne Rüdficht auf die Organifation des Stücks
herbeizuführen (ein Mißbrauch, den fid Lope nicht felten,
Tirfo de Molina noch häufiger zu Schulden Fommen Tief)
durfte nicht geftattet werden. In der dramatifchen Sompofition
wie er fie aufgefaßt hatte, mußte daher eine ftete innerliche
Bewegung, ein wirffames Eingreifen jeder Scene in ben Gang
der Hauptaction Statt finden; aus einer Entwidelung mußte
fich ftetó bie andere entfpinnen, in dem Früheren immer fchon
die Andeutung des Folgenden liegen und alles Einzelne ſich
in nothivendiger Verfnüpfung zu einem harmoniſchen Ganzen
zufammenfügen. Calderon hat in diefer Kunſt, welche unftreitig
die höchfte Vollendungsftufe der dramatifchen Poeſie ausmacht,
eine Meifterfchaft bewährt, in welcher es ihn Fein anderer
— 5 —
Dichter feiner Nation nur von ferne gleich thut. Wie eine
Lawine, die mit immer wachfendem Umfang und fleigenver
Schnelle den Felébang hinunterſtürzt, bis fie donnernd bie
Tiefe erreicht, fo brauft die Handlung feiner Stüde in flürs
mifchem und unaufhaltíamem Gange vorwärts, und raftet nicht,
bis fie an'8 Endziel gelangt; Alles, was den rafchen Fort:
ſchritt ſtören fónute, wird von dem getwaltigen Drange mit
fortgeriffen. So erreichte Calderon jene große Einheit, jenes
mächtige Intereffe, welches uns in ben beften feiner Stüde
fo unwiderſtehlich mit fi fortreißt, daß ein Wiverftreben
eben fo frudhtlos fein würde, wie das eines Sommerfadens
gegen ben Sturm. Aber biefe Kunft in ber Compofition {fl
noch größer, als fie auf ben erften Blick erfcheinen mag; um
fie in ihrem ganzen Umfange fennen zu lernen, muß man bie
Stüde betrachten, in denen unfer Dichter recht abfichtlich und
um feine Virtuofitát zu zeigen, taufendfältige Fäden anfnüpft
und fie aufs gefchictefte in der Art zu einem Gewebe ¿ufams
menfügt, daß fie ſich vielfach freuzen und doch gegenfeitig
tragen, mannigfad) in einander laufen und doch alle in bas
beftimmte Ziel ausmünden. Bei der größten Complication ber
Handlung nun fft doch der ganze Bau Ddiefer Stüde von der
durchſichtigſten Klarheit, fo daß man alle feine Theile und
deren ardhiteftonifche Beftiimmung genau überfehen fann. Bleiben
wir bei dem Gleichniſſe der Architectur ftehen, fo ſcheinen die
Werfe des Lope und der Früheren noch jenem Style anzus
gehören, welcher ber vollendeten Ausbildung des germanifchen
voraufging; es finden fich noch überflüffige und auswüchſige
Details, unharmonifche Verhältniffe und viele Beftandtheile,
welche an fi das Auge erfreuen mögen, aber feine weſent⸗
lichen Ingredienzen des Ganzen bilden. Bei Calderon dagegen
haben wir das gothifche Syſtem in feiner höchften Ausbildung,
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Br. 5
— 6 —
wie in jenen Wunderwerken ber Baufunft, in welchen Alles
organifó ¿um himmelhohen Dache emporwächſt und felbft die
geringfügigften Theile fo nothwendig zum Ganzen gebören,
daß diefes nicht ohne jene beftehen fónnte. Aber auch biefes
Gleichniß wird ſchwerlich außreichen, um das Kunftvolle im
der Compofitionsweife dieſes Dichterd und bie Transparenz,
in welcher fid alle Glieder feiner Werfe darftellen, völlig
adäquat zu ſchildern; man muß die Feenpaláfte der Mauren
mit ihren vielfach gewundenen und fich fchlängelnden Zier—
rathen, mit ihren bunt verfchlungenen Arabesfen zu Hülfe
rufen und fid) dann die Klarheit des füdlichen Himmels pins
zudenfen, in welcher alle Umriffe auf’8 fchärffte herwortreten,
fo bag das Auge ohne Mühe felbft den Tabyrinthifcheften
Schlangenwindungen folgt.
Diefelbe fünftliche Berechnung, die ſich in der Dispofition
des Mans fund gibt, erſtreckt ſich nicht allein auf alle Neben
partien der Handlung, fondern aud) ganz vorzugsweiſe auf
die Metrif, welche nicht blof mit höchfter Zierlichfeit und
Eleganz behandelt, fondern durchaus nad) beftinnmten Prin-
eipien geregelt ung mit ben verfchiedenen Momenten der Hands
lung in Einflang gebracht ift. Der Vers in den mannigfaltige
ſten und gewählteften Formen erfcheint recht eigentlich als
Abbild und Träger der ganzen Compofition, fo wie bas
Schnitz- und Bildwerf, wie die Fähnchen und Thürmchen
eines Domes im Kleinen die Structur des Ganzen wieder:
holen; in der jedegmaligen Geftalt, die ihm Calderon in
diefem oder jenem Gtúde, in der einen oder ber anderen
Scene gibt, ſchmiegt er ſich jeder einzelnen Wendung bes
Drama’s in vielfachen Falten und Brechungen an, und wenn
es bei den früheren Dichtern oft nicht recht klar ift, weshalb
in einem beftimmten ¿alte die Octave ober die Lira, die Ro:
Ma —
—
— 6 —
manze ober bie Redondille gebraucht wird, fo fann bei Cal⸗
deron ein folder Zweifel nirgends eintreten. Auf ganz wuns
derbare Weiſe vereinigt ſich nun mit diefer verftándigen Dies
pofition bie höchfte Pracht und poetiſche Fülle bes Ausdrucks.
Jn üppigem Karbenreichthum ergicht ſich Calderon's bichterifche
Durftellimg, Vergleiche an Vergleiche drängend; alle Erſchei⸗
nungen der Welt, daB Kleinſte wie das Größte, das Leblofe
wie das Unbelebte, das Ferne wie bas Nahe, werden von
der heiligen Begeifterung des Dichters, welche in der Natur
das Abbild und ben Schatten eines höheren Deiftes feiert,
zu einem Blumenfchmud, verfammelt, in beffen Thauperlen fich
die ewige Schönheit des Senfeits fpiegelt. Mit ſchwärmeriſchem
Naturgefühle wandelt Calderon umher in dem bunten Zaubers
garten der Schöpfung, wo ihn jede Blüthe, die ihren Kelch
ſehnſüchtig bem Lichte auffchließt, der Gefang jedes Vogels,
das Raufchen jedes Blattes das ewige Myſterium ber Liebe
verfündigt. Und jo verfegt uns feine Dichterfprache mit bem
Schmelz; und ber Weichheit und zugleich der von innerer
Gluth Teuchtenden Kraft ihrer Bilder in eine fúblide Land»
haft, unter Palmens und Eypreffenhaine, überwölbt von dem
tiefen Blau eines ewig reinen Himmels; Tauben von Rofen
und Sasmin prangen im erften heiligen Schmude des Frühe
lings, aus dem dunklen Grün glänzen goldene Früchte hervor,
im Hintergrunde aber wogt das umendlihe Meer und wiegt
mit dem Steigen und Fallen feiner Wellen ben Geift in ſehn⸗
ſüchtige Träume ein.
Aus dem, was über Calderon's Compoſitionsweiſe gefant
worden iſt, läßt ſich ſchließen, daß er in der eigentlidy braftis
ſchen Wirkfamfeit feiner Stüde, im theatralifchen und feeni-
(hen Effeft , befonders groß fein müffe. Die genaue und
funftoolle Berechnung des Plans, die Sorge, einen firengen
5*
— 68 —
und inneren Zufammenhang durch das ganze Stúd hindurch.
zuführen und alle einzelnen Scenen hiernach zu gliedern, Teis
tete von felbft zu diefem Ziele hin, nad) welchem Calderon
denn auch überdies fehr abfichtlih trachtete. Zwar fann man
bie Verbindung von tieferem: poetifchen Gehalt mit ver Be:
rechnung auf theatraliiche Wirfung alg einen ziemlich) allge
meinen Vorzug der fpanifchen Dramatifer rühmen und aud)
die Stüde des Lope de Vega waren, wie ihre ungeheuren
Erfolge bewiefen hatten, unftreitig fehr brettergerecht geweſen;
allein nicht in gleichem Grade, wie denen unferes Dichters,
läßt fich ihnen eine Vertheilung und Ausfparung der wirfen-
ven Mittel zufchreiben. Wir fanden darunter oft Schauſpiele,
welche in einzelnen Scenen die Theilnahine in überwältigen-
der Weiſe in Anſpruch nahmen, aber im Ganzen nur falt
Iaffen fonnten. Bei Calderon dagegen arbeitet jeder beſondere
Hebel des Intereffes auf die Totalwirfung des Drama? hin,
jede einzelne Scene, wie fpannend und feffelnd fie auch ſchon
an fid fein möge, erhält ihre wahre Bedeutung doch erft,
infofern fie in Verbindung mit den anderen flieht und im Ber-
ein mit jedem Theile ber Handlung zum Gefammtziele der
legteren fortftrebt. Sn diefer Beziehung, in Betracht der
Meifterichaft im Theatralifchen,, hat unfer Caftilianer unter
allen Bühnendichtern aller Nationen vielleicht keinen Neben-
buhler, und infofern Brettergerechtigfeit, neben anderen höhe⸗
ren Erforderniffen, unftreitig ein wefentlicher Beftandtheil der
dramatifchen Runft fft, dürfte den Calderon'ſchen Comödien
ſchon deshalb, weil fie biefe Eigenfhaft in fo eminentem
Grabe befigen, ein hoher Rang angemiefen werden. Am über-
rafchendften zeigt fi dieſe Runft (von ber wir behaupten
bürfen, daß fie fid), wenn aud bald in höherem, bald in
geringerem Grade, in allen Werfen des Dichters finde) be:
— 69 —
fonders in zwei Gattungen feiner Stúde. Erfteng in benjes
nigen, wo er eine unendliche Fülle von Motiven, eine übers
u ſchwängliche Mannichfaltigfeit von Handlungen und Theater:
effeften zufammendrängt, aber die Zügel der ganzen Action fo
firaff und mit fo fráftiger Hand führt, daß fid alle verſchie⸗
denen Momente zur Einheit zufammenfügen und mit ſicherem
Schritte auf vorgefchriebenen Bahnen zu dem heftimmten Aus:
gange hineilen; jeber einzelne Effekt erfcheint hier nur als eine
Vorbereitung für die Wirfung der ganzen Compofltion, und
die verfchiedenen Situationen gehen dergeftalt in ber Verbin
dung aller Scenen auf, daß fie alle vereinigt nur Einen
großen und gefleigerten Zotafeffeft pervorbringen. Die zweite
Gattung, die wir in diefer Hinficht hervorheben müſſen, be:
greift folde Dramen , deren Gntereffe fi) vorzugsweife um
innerlihe Motive dreht. und auf bie Ddetaillirte Schilterung
von Ecelenzuftánten gegründet iſt, die alfo gerade für äufiere
feenifhe Wirfung den wenigften Anlaß gaben. Gerade hier
nun zeigt der Dichter befonders glänzend, wie genau er alle
Erforderniffe der Bühne fennt und mit wie unvergleichlichem
Talente er ihnen zu entiprechen weiß. Ohne der Tiefe bes
Oebanfenlebeng Eintrag zu thun, ohne die pſychologiſche Ana-
Iyfe zu verfürzen, nein, diefe vielmehr in allen ihren Fafern
verfolgend, weiß er das Oeiftige ganz zu verförpern und in
der lebendigften Action aufgehen zu laffen, fo baf das Gee:
lenleben tn feinen hervorſtechendſten Momenten gleichſam felbft
fihtbar wird. Wie Hoch ftehen feine verartigen Werfe, 3. B.
Las cadenas del demonio und El magico prodigioso
nicht in dieſer Beziehung über vielen gepriefenen Meifterftüden
der neueren Poefte!
Es mag nicht überflüffig fein, bei diefer Gelegenheit die
folgende Bemerkung einzufchalten. Wir haben bie feenifchen
— 70 —
Effekte des Calderon gerühmt; aber wir verwahren uns gegen
die Deutung, als wenn hierunter rohe Theatercoups verſtan⸗
den ſein ſollten, grelle Pinſelſtriche, welche, unverſchmolzen mit
dem Ton des ganzen Gemäldes und mit Beeinträchtigung
von deſſen innerer Harmonie nur auf den Beifall det unge⸗
bildeten Menge ausgehen und in aller Kunſt unbedingt ver:
werflich find. Dergleichen Theaterſtreiche und Knalleffekte pat
unſer Autor immer verſchmäht; wohl aber ſuchte er, der als
eben ſo großer Bühnenkenner wie Dichter die Mittel kannte,
durch welche ein poetiſches Werk zum dramatiſchen erhoben
wird und allein von ben Brettern herab einen geiftigen- Eins
brud hervorbringen fann, die Handlung fo zu leiten, daf fie
fid an einzelnen Stellen zu einer fhlagartigen Wirfung cons
centrirte, zu befonders prágnanten, die Schönheit der Poefte
und den Gehalt des Ganzen nicht flörenden, fondern unters
ftügennden Momenten eınporhob. Diefe Art der Compofition
nun, wo fid das Intcreffe der Fabel, das freilich ſtromweiſe
und mit fteter Schnellfraft das ganze Stück durchfluthen fol,
doch ganz befonders um einzelne beftimmte Mittelpunfte ¿us
fammendrángt, um fin eleftrifhen Schlägen hervorzubrechen,
fcheint ung einem vollfommenen Drama wefentlid zu fein,
und in biefer Hinficht, wie überhaupt in Bezug auf die Defos
nomie, die geſchickte Anoronung der einzelnen Partien und die
präcife Handhabung der dramatiſchen Form follten die Büh⸗
nendichter anderer Länder bei dem Spanier in die Schule
geben.
Eine harafteriftifhe Eigenthümlichkeit in der Conftrufs
tion von Calderon's Dramen find die Gegenfäge, durd) welche
er die Handlung hindurdhguführen liebt, indem er feine Aigus
ren in einander widerfprechende Situationen verfegt und bie
Eharaftere burd) die Gegenüberſtellung wohlberechneter Cons
— 1 —
traſte zu heben ſucht. (ES iſt ein ſteter Wechſel von Zuſtänden,
„die ſich gegenſeitig aufheben, von Lagen, die mit einander in
Eonflict ftehen, von Stimmungen und Leidenſchaften, die fi
in 3wiefpalt befinden. Diefe, bem Intereffe fo ungemein för
derliche, poetiſche Figur kehrt in faft allen Werfen unferes
Dichters wieder, und fie trägt nicht wenig dazu bei, denfelben
jenes mächtige innere Leben zu verleihen, welches ben Zus
fihauer in athemloſer Haft durd die verfchiedenen Gruppen
und Maffen der Handlung fortreißt.
| In Abficht anf die Erfindung fónnte man auf ben erften
l Blick geneigt fein, dem Calderon einen minder großen Reich
thum zuzufchreiben, alg bem Lope de Vega. ES ift wahr,
| unfer Dichter hat feine Invention nicht gleich verſchwenderiſch
| ausgeftreut, wie fein Vorgänger; er fuchte feine Stoffe mehr
gu ergründen und ihnen ihren vollen @ehalt abzugeminnen,
| aus jeder Handlung den ganzen Ertrag zu ziehen, welcher
|
|
— — — nn
der Anlage nach möglich war, und aus dieſem Grunde wurde
er genöthigt, ſeiner Einbildungskraft ein weniger ſchrankenloſes
velo einzuräumen; aber deſſenungeachtet zeigt ein Ueberblick
ſeiner Leiſtungen eine Fülle der genialſten Erfindungen, welche
vielleicht nur deshalb bei anfänglicher Betrachtung minder
| überrafcht , well bier ein wohlgeordneter und audgefparter
' Reichthum vorliegt. Auch nad Erkenntniß des Gebrauchs, den
| Calderon von fremden Gedanfen gemadt hat, müffen wir
noch den unverfiegbaren Strom feiner eigenen Imagination
bewundern. Welche Menge genial erfundener, aus dem inner
ften Born eines fchöpferifchen Deiftes entfprungener Hands
Tungen und Situationen in jedem einzelnen feiner Werfe! Um
aber dieſe Fruchtbarfeit der Calderon'ſchen Phantafte völlig
einzufehen und fie als ber bes Lope ebenbürtig zu erkennen,
wird eine tiefer eindringende Betrachtung feiner Werte erfor
—- N
— 19 —
dert; denn bie Gebilde, die aug ihr hervorgegangen, flehen
nicht, wie fo oft bei dem früheren Dichter, ifolirt und aus
ihren Umgebungen hervorragend ba, find daher auch der flüch⸗ e
tigen Betrachtung weniger erfenmbar; vielmehr find fie eng
in ſich verbunden, die Fleíneren Partien hängen mit ben grö-
Beren in ſymmetriſcher Art und durch taufend Fäden zufam-
men, und vereinigen fich bergeftalt zum Ganzen, daß man nur
Eine untrennbare Schönheit vor fidy hat.
Was die Eompofition von Calderon's Dramen betrifft,
fo laffen ſich bie legteren in zwei weſentlich verſchiedene, ob»
gleich hier und da durch feine Uebergänge mit einander ver
mittelte Claſſen ſche iden. Wir haben erftlich folhe Dramen,
in welchen das Hauptgewicht auf der Dargeftellten Begebenheit
als folder ruht, indem bie feltfamen und überrafchenden Gol:
fifionen der Berhältniffe ben Mittelpunkt ausmachen, und bas
Intereffe der Zufchauer einzig für die äußere Handlung, bie
Berwidelung und Auflöfung des Anotens, in Anfprud) neh⸗
men. Gn den hierher gehörenden Stüden fteben die Perfonen
an und für fich zurüd und feffeln vie Theilnahme hauptſäch⸗
lid) nur, infofern fie bie Spielbälle objektiver Mächte find.
Als folhe Maͤchte erfcheinen in den mythologiſchen Schaufpfes
len die Götter, in den Ritterſtücken die Riefen und Zauberer,
in den Darftellungen aus bem Leben der Gegenwart das
Schickſal und der Zufall in ihren verfchledenartigen Fügungen ;
diefe Potenzen find bie eigentlichen Factoren der Handlung,
und in der Geftaltung, welche das Leben von ihnen empfängt,
liegt die Bedeutung des Ganzen. — Die zweite Elaffe wird
aus ſolchen Schaufpielen gebildet, in welchen ber faktifche Ins
halt nur dazu dient, eine der Dichtung zu Grunde liegende
Idee zu veranichaulichen, fi mithin an das Aeußerliche und
Augenfällige- eine höhere Bedeutung fnüpft. Freilich haben wir
4
— —
— 73 —
hier in ber äußeren Erſcheinung oft eine ganz ähnliche und
auf benfelben Motiven, wie in ber erften Claſſe, berubende
Verwidelung; aber der Unterfchied (ft, daß jedes Moment
der legteren erft durch feine Beziehung auf bie ausgedrückte
Idee feinen wahren Sinn erhält. Unter den in dieſe Katego-
rie fallenden Scaufpielen beben fih nun wieder zwei Dat:
tungen hervor. Zuerft nämlich finden fid Stüde von typiſchem
Gepräge, das heifit ſolche, deren Grundidee ſich nicht unmits
telbar in ber Handlung verkörpert, fondern im Hintergrunde
liegt, indem ber Inhalt des Stücks zu einem Symbol jenee
metaphofifchen oder ethifchen Grundgedankens wird. Man
bezeichnet diefe Dramen am füglichiten als ſymboliſche. Die
zweite hier zu unterfcheidende Gattung von Schaufpielen bes
greift diejenigen, deren Handlung zwar gleichfall8 über ihre
nächfte Unmittelbarfeit hinaus auf Höheres hinmweift, in denen
aber die dargeftellte Begebenheit burd) die Runft der Compo⸗
fition eine ſolche Bedeutfamfeit erhält, daß die Idee unmits
telbar in ihr zur Erfcheinung fommt und es nicht erft ber
Symbolik bedarf, um fie hervortreten zu Taffen.
Sm genauften Zufammenbange hiermit ſtehen bie Eis
genthümlichfeiten in ber Charafterzeihnung unferes Dich
ters. (Calderon hat in diefem Punft diefelben Vorwürfe er-
fahren, wie die übrigen fpantfchen Dramatiker, und man
geftebt ihm in der Regel nur eine feinere Ausbildung der
allgemeinen Gharafterformen zu, welche, wie man fagt, auf
bem fpanifchen Theater nun einmal die Stelle der Individua⸗
lität vertreten mußten. Allein wir müffen, um nicht ein im
Allgemeinen ungerechted Urtheil zu unterſchreiben, eine Unter
fpeidung machen. Sn den Stüden, in welden nur die Aeuf-
ferlichfeit des Lebens in ihrer Abhängigkeit vom Zufall und
von anderen Mächten vorgeführt wird, find allerdings bie
— 74 —
Züge individueller Charakteriſtik gewöhnlich nur ſparſam ver:
theilt, die Perfönlichfeiten nur in allgemeinen und nebelhuften
Unriffen gezeichnet, da eine fchärfere Hervorhebung derfelben
dem bezweckten Eindrud nur binderlich gervefen wäre. Al:
leín fon in diefer Glaffe finden wir, je nachdem bie Sn:
tention mehr in die Tiefe geht und auch anderen Elementen,
- als den bezeichneten, einen höheren oder geringeren Einfluß
auf die Oeftaltung des Stoffes einräumt, eine auffteigende
Reihe der Charaftere, von abftraften und fchattenartigen Ger
bilden an bis zur entfchiedenen und Iebenvollen Individualität.
Geben wir zu den Schaufpielen über, welche wir alg fyınbos
liche bezeichnet haben, fo zeigt fich bier eine ganz befondere
Art der Eharatteriftit. Den Charafteren werden nämlid) ges
wiſſe geiftige Potenzen zu Grunde gelegt, welche fehr marfirt
hervortreten. Dies kann im Allgemeinen durchaus fein Tadel
fein, denn ein abftrafter Begriff kann durch bie fhöpferifhe
Kraft des Dichters völlig verfórpert werden und in einer
felbfiftiindigen Perfönlichfeit aufgehen, und wir haben dies
wirflid) an vielen Geftalten Calderon’s, neben anderen, die
noch freier al8 lebendige Individualitáten daftehen, zu rúbmen;
allein hier und da finden wir freilich auch in feinen Derartís
gen Werfen den Accent fo fehr auf jene allgemeinen geiftigen
Gewalten gelegt, daf die Figuren eigentlich nur al8 Träger
perfelben, als Perfonificationen von Tugenden oder Laftern erfchets
nen. Daß dies die Wahrheit und Beſtimmtheit der Geltalten-
zeichnung in einigen Calderon'ſchen Dramen beeinträdhtige,
fann fchmwerlich geläugnet werden. Doch wir werden auf diefen
Punft zurüdfommen; wenden wir und zunächft zu der großen
Zuhl ver Schaufpiele, in melden die dargeſtellte Idee ohne
Peibülfe der Allegorie in den mannichfaltigen Wendungen und
Momenten des Lebens unmittelbar hervortritt, fo fann man
— — — — —
— — — —
— 75 —
die Fülle plaſtiſch geſtalteter, aus einem inneren Lebensprincip
heraus geſchaffener Charaktere, die aus ihnen hervorleuchtet,
nicht verkennen. In dieſen Werken, die wir ſeine vollendetſten
nennen müſſen, geſchieht denn dem faftiichen Inhalt, der alle
gemeingúltigen Idee und der Charafteriftif ein ganz gleiches
Recht; weder das Eine nod) das Andere überwiegt, vielmehr
vereinigt fid Alles zum harmoniſchen Ganzen. Um Betfpiele
zu nennen, fo genügt es, auf ven Alcalde de Zalamea und
die Tres justicias en una zu verweilen; in biejen Stüden
find alle Figuren bis auf bie Nebenperfonen berab fo Icharf
von einander gefondert und mit fo lebendiger Individualitát
ausgeftattet, daß fie einen unmiverleglichen Beweis für die
feltene und hohe Meifterfchaft unferes Dichters im Zeichnen
ber Charaftere liefern.
Schon bie beiden zulegt genannten, aber zugleich nod)
viele andere Werfe Calderon's zeigen, daß er feine Figuren,
wie er fie in beveutungsonflen Zügen aufzufaffen und mit
eigenthümlichem Dafeín auszurüften, wußte, ebenfo aud) ¿us
fammenzuftellen und anzuordnen verftand. Mit einer Kımfl,
wie fie nur bem. vollendeten Meifter eigen iſt, pat er jedem
einzelnen Charakter durch genaues Berechnen und Meffen der
Entfernung die Pofition angemiefen, welche für die Geſammt⸗
wirfung des Ganzen die erfprichlichfte tft und in welcher die
Nebengeftalten am beften zur Hebung der Hauptgruppe dienen.
Auf diefe Art hat er es erreicht, daß feine Dichtungen großen
bewegten Gemälden gleichen, in denen bie einzelnen Figuren,
jede mit ihrer eigenen Organifation, und doch in übereinftims
mender rhythmiſcher Bewegung aufleuchtend und fid) wieder
verdumfelnd fommen und fliehen; und in der Totalitát aller
diefer Erfeheinimgen bildet fic) denn die geſammte Menfchheit
ab; das Höchfte wie das Niedrigfte, das Befonderfte wie das
— 7 —
Allgemeinſte, mit jedem dazwiſchen liegenden Uebergange,
zeichnet ſich in klaren Umriſſen; aus der Zuſammenſtimmung
aller dieſer verſchiedenartigen Maſſen aber geht eine große
Harmonie hervor, welche das Unwandelbare in der flüchtigen
Erſcheinung des Lebens, die ewige Ordnung in dem raſtlos
brauſenden Getriebe der Welt verkündigt.
Bis hierher haben wir Calderon vornämlich in ſeinen
glänzendſten Eigenſchaften und ſo geſchildert, wie er in ſeinen
vollendetſten Werken erſcheint. Bei der ferneren Betrachtung
ſeiner dichteriſchen Eigenthümlichkeit nun können wir nicht
unbin, zugleich feine Schattenſeiten und diejenigen Punkte
hervorzuheben, in welchen er hinter ſeinen Vorgängern zurück⸗
ſteht, oder wenigſtens die von dieſen gepflegten Anlagen
nicht zur vollen Ausbildung gebracht hat. Und ſo ſtellen wir
denn gleich einen Satz an die Spitze, der hoffentlich in der
weiteren Ausführung ſeine nähere Begründung erhalten wird.
Calderon hat dem ſpaniſchen Drama allerdings
ſeine höchſte Entwickelung gegeben, allein nur in
einer einſeitigen Richtungzer hat es in gewiſſem
Sinne auf die fteilfte und fhwindelerregenpfte
Höhegeführt,über weldhe fein Hinausgehen mehr
möglid war, allein Daraus folgt nod) gar nit,
daf er feinen Vorgängern aud in jeder Hinfidt
überlegen fei und das fpanifhe Schaufpiel in
allen, von ihnen fhon mit Erfolg eingefplagenen
Richtungen weiter ausgebildet habe. Die Mangel-
haftigfeiten biefes großen Dichters find freilich mit feinen
Borzügen fo innig verwachfen, fie find theild fo ganz Auges
flüffe feiner Individualität, theils fo nothwendige Refultate
der Verhältniffe und Zeitumftände, unter denen er ſchrieb,
daf man fic ihm in feiner Art ¿un Vorwurfe machen fama;
“m A v
_ 77 —
aber deffenuneradhtet dürfen wir nicht unterlaffen, fie her:
vorzubeben; nicht allein der Beruf, die cindringenbe und gründ⸗
liche Erfenntnif unferes Autors zu befördern, Iegt uns biefe
Prliht auf, fondern auch die Gerechtigkeit gegen das Ganze
der fpanifchen dramatifchen Literatur, welche nicht bulbet, Daß
man den Calderon einzig und ausfhlichlich alg das Größte
anftaune, was biefe Literatur hervorgebracht hat. Unfere An-
ficht über diefen Punkt wird fih nun im Folgenden aus:
fpredhen; nicht gefonbert jedoch werden die minder glänzenden
Seiten des Dichters hervorgehoben werden, fondern in Ver:
bindung mit dem, toas wir nod) weiter beizubringen haben,
am feinen Charafter ald Dramatifer zu beflimmen.
Suben wir einen Theil von Galderon’s Fünftlerifchen
Cigenthümlichfeiten aus der Umgebung und den Berhältniffen,
in denen er fich befand, zu erklären (denn aud der unab-
hängigfte Geift bleibt von folden Einflüffen nicht frei), fo
wird ung die Einwirfung, telde der Hof Philipp’s IV. auf
feine Berfe gehabt hat, nicht entgehen. Mit biefem Hofe
ftand er in beftándiger nächfter Verbindung, für bie Ritter
und Damen beffelben, nicht, wie Lope, für ein großes und
gemifchtes Publifum, fehrieb er ben grófiten Theil feiner
Schauſpiele. Wie nun in biefem ſchimmernden und eleganten
Kreiſe, trog mander Formen des Meittelalters, die ſich in
ibm erhalten hatten, eine höchft verfeinerte, beinahe an Ueber⸗
cultur ftreifende Bildung berrfchte, fo übertrug fid ein ähne
licher Farbenton aud auf Calderon's poetifche Gemälde, in
welchen ein Abbild des glänzenden Cirfeld, zu deſſen (Er:
gögung fie beftimmt waren, aufgeftellt wurde. Seine Dar:
fiellungsweife erlangte eine Urbanitát, feinen Pinfelftrichen
ward eine Delicateffe und Seinhrit eigen, wie man fie bis:
ber nicht gefannt hatte; aber feine Sprache nahm auch Theil
— 78 —
an ber Ziererei jener Phraſen, welche die Cavaliere im Saale
pon Buen Retiro ihren Damen zuflüfterten; die Figuren, ja
der Scenengang feiner Stüde mußten ſich nicht felten in bte
Hofetifette ſchmiegen, und ftatt einer umfasfenden Darftellung
der Menfchheit in ihrer unendlichen Bielfeitigfeit gab er oft
nur die Schilderung eines fehr Fleinen Theiles Dderfelben,
nämlich deffen, unter dem er lebte unb für welchen er fhrieb.
Dies Alles wird fi im Folgenden, wo aud. die übrigen,
nach demfelben Ziele hin wirffamen Factoren zur Sprade
fommen müffen, veutlicher herausftellen; vorwegzunehmen tft
nur, daß die nadhtheiligen Einflüffe, welche Calderon's Stel-
lung al8 Hofdichter auf feine Productionen übte, ſich ganz
befonders in den Dramen bemerfli machen, die er al8 Ge⸗
legenheitögebichte auf höheren Befehl fchrich.
Wir Haben fon den immenfen berechnenden Berftand
hervorgehoben, den Calderon in der Anlage und Durchfüh⸗
rung des Plans feiner Stüde offenbart. In einem großen
Theile feiner Werfe, und zwar in denen, auf telde fid)
unfere Bewunderung vorzugsweiſe concentrirt, erfcheint Ddiefer
Berftand nur al8 Ordner unb Leiter der eigentlich produce
tiven Thätigfeit; er zügelt und regelt die Flüge ber Phan-
tafte, ohne dem urſprünglichen Hauche der Poefie oder ber
Zreiheit und Bemeglichfeit des dramatifchen Lebens Eintrag
zu thun; in anderen und nicht wenigen Dramen. dagegen
nehmen wir mit Bedauern die nachtbeiligen Folgen einer all
zu vorherrfchenden Reflerion und Berechnung wahr, ja mande
Cigenthümlichfeiten vder, befjer gefagt, minder rühmenswerthe
Eigenfhaften von Calderon's geſammter Poefte möchten über-
haupt als ein Ausfluß diefer allzuwirkſamen Berftandesthätig-
feit erfcheinen. Nicht felten finden wir bei Calderon die Fünfts
lihe Dispofition des Plans fo weit getrieben, daß Die ganze
En
— 79 —
Handlung des Stücks wie ein Rechenexempel vorliegt, aus dem
der Dichter das Facit zieht; alle Theile des Ganzen ſind wie
abgezirkelt und gemahnen uns wie die einzelnen Sätze einer
Disputation, welche in ſchulgerechter Weiſe verfochten werden,
um eine beſtimmte Theſis zu rechtfertigen; die verſchiedenen
Scenen find ſo genau in mathematiſchen Proportionen, in
Symmetrie und Parallelismus vertheilt, daß man an die zwar
wohlberechneten, aber ſteifen Figurengruppen auf Decorations⸗
malereien erinnert wird; und die Perſonen gehen und kom⸗
men in einem gewiſſen Parademarſch, wie auf Commando
des Autors. Einzelne Spuren dieſer Manier, welche ſehr ges
gen die freie und ungebundene Natürlichkeit Lope's, Tirſo's
und Alarcon's abſticht, möchten ſelbſt in den beſten Werken
Calderon's vorkommen, nur. daß bier die urſprüngliche Dich⸗
terfraft fo glänzend vorwaltet, daß fie jenes verftändige Ele⸗
ment in den Hintergrund drängt. — Eine ähnliche und aus
demſelben Grunde abzuleitende Erſcheinung, wie in jener
überkünſtlichen Compoſitionsweiſe, tritt uns bald mehr, bald
minder in der dieſem Dichter eigenen Art der fprachlichen
Darftellung entgegen. In ihr gewahrt man bei genauerer
Analyfe, neben bem beraufchenden Schwunge einer überfpru=
delnden - Phantafie, auch eben fo oft die erfältenden Einflüffe
des reflectirenden Berftandes, welcher fich mit jener in Zwie⸗
fpalt befindet. Wir find gewiß weit entfernt, Die wunder⸗
baren Schönheiten von Calderon's Diction irgend herabfegen
zu wollen; in Reichtum und Kühnheit, im unerfchöpflichen
Borrath genialer Bilder und treffender Bergleichungen, und
ebenfo in der Culture bes Verſes übertrifft fie ohne Zweifel
Alles, was bis dahin auf der fpanifchen Bühne gehört wor⸗
den war; allein fie verbindet hiermit andere Eigenfchaften,
welche es und unmöglich machen, in ihr den „reinen und
. — 80 —
edelften Styl des Romantifdjen “ zu erfennen, ja welde fos
gar einen Vergleich zwifchen ihr und der Schreibweife an-
derer fpanifcher Dramatifer zu ihrem Nachtheil ausfallen lafs
fen. Sie hat nicht jene Friſche, jened unmittelbar aus der
Seele Auffprudelnde und zur Seele Dringende, wie bie
Sprache Lope's und Tirfo’s, oder eine foldhe fchlagartige
Wirfung bricht fid Doch nur felten durch die vorherrfchende
Reflerion Bahn, weldye beftändig der Phantafie und bem
Gefühl zur Seite fteht und deren Ausftrömungen controllirt.
Aud) bei Lope, wie bei allen bisher betrachteten Dichtern
bemerften wir freilich Seltfamfeiten und Gefuchtheiten des
Ausdruds und eine metaphorifche Redeweiſe, welche wir mit
unferen Begriffen von Schönheit nicht immer vereinigen Tonns
ten; aber wie weit hierüber hinaus gehen bie ewig wieder:
tebrenden Eoncettí und Hyperbeln, die Raffinerien und bas
Antithefenfpiel, der Iururiöfe und gefchraubte Phrafenpomp
Calderon's, namentlid) in den Werfen feiner Jugend und
feiner fpäteften Lebensjahre! Den wunderlichſten und dem ger
läuterten Gefchmade widerftrebendften Charakter erhält viefer
Marinismus oder, wenn man will, Gongorismus burd) Die
Geuauigfeit, mit welcher der Berftand des Dichters denfelben
disponirt und. ihn uns recht abfihtlih in allen feinen Eins
zelnheiten vor Augen hält. Da wird feves Bild (und das
Zufammenpaffen der Objefte tft hierbei Nebenfache) fo Tange
gebegt, als fi nur irgend ein Vergleichungspunft auffinden
läßt; ja es werden Bilder in Menge berbeigeholt und, wie
in philofophifchen Abhandlungen, förmlich regiftrirt; es wers
den Erörterungen von einer Spigfindigleit und Subtilität
angeftellt, daß fie einem Scholaftifer Ehre machen mwürben.
Daß bier Unnatur herrſcht, daß bier Vieles zu Tage fommt,
was dem reinen Style der Poefte zumiderläuft, fann felbft
— — — — — — — — — — — no
— 81 —
bie ausſchweifendſte Bewunderung des Calderon nicht in Abs
rede ſtellen, und es hilft nichts, daß man uns fagt, biefe
Ausdrucksweiſe habe zu Calderon's Zeit zum guten Tone ges
hört und fei in der caftilianifchen Poeſie von jeher einheis
miſch geweſen; denn erfteng verbeffert das Kingeftänpnift,
Calderon habe ven Fehlern feiner Zeit gehulbigt, die Sade
in nichts; zweitens aber iſt es unmahr, daß diefe Fehler je
alfgemein in Spanien geherrſcht hätten; Lope und bie Dramas
tifer feiner Zeit. waren viel freier davon geweſen ?°), ja hats
ten gegen ben Gongorismus recht foftematifh Oppofition ges
macht; Calderon Dagegen treibt diefe verwerfliche Redeweiſe
auf die Spitze; er vereinigt die metaphyſiſchen Schnörfel und
berzlofen Grübeleien, welche in ben Liedern ber alten Gans
cioneros bas wahre Gefühl faum auffommen Taffen, mit ben
raffinirten Gedanken, bem Bilderwuft und der Antithefenfucht
der Mariniften, amb fügt noch den hochtönenden Bombaf
22) In ber 1633 gebrudten Nueva idea de la Tragedia von
Gonzalez de Salas findet fich folgende bemerfenswerthe Stelle: »Die
Spanier befigen einen erhabenen und die größten Unternehmungen nicht
fheuenden Geiſt; fie find glücklich in der Erfindung, blühend im Styl
amd haben einen natitrlidjen Hang, bie Sprache mit reichem Schmuck zu
verfehen und durch Amplificationen auszudehnen; aber ein úbles Geſtirn
hat in den lebten Jahren des gegenwärtigen Zeitalters ihre guten Ei⸗
genfchaften zu verbunfeln und zu verderben angefangen, fu daß viele der
Erzeugniffe ihres Geiftes Fehlgeburten find und es nöthig wird, zum
Verſtaͤndniß derfelben die Orakel zu befragen, als wären es fibyllinifche
Bücher. Diefer böfe Einfluß beginnt unfere Lyrifer fo zu entftellen, bag
man bald nichts mehr von ihrer früheren Schönheit und Eleganz erken⸗
nen wird, Die Enmödiendichter find bis auf den heutigen
Zag vor dieſer peftilenzialifchen Influenz mehr bewahrt
geblieben; möchte ein gúnftiges Schickſal fie vor ber Anfiectung be-
wahren, ba fle die Comoödie zu einer Höhe empurgehuben haben, an
weiche Die der Alten in Feiner Weife hinanreicht!⸗
Geſch. d. Lit. in Spanien. HI. Br. 6
— 82 —
und die NAffeftirtheit des Estilo culto hinzu. Mit allen Zu
geftändniffen, bie wir ber poetifhen Dietion im Allgemeinen
machen, mit Allem, was wir einer allgemeinen Neigung der
ſpaniſchen Sprache und Poeſie nachfehen wollen, können wir
diefen Styl unmöglich gut heißen oder und an ihm erfreuen.
Aber diefe Manier Calderon's erftredt fi über das unmit-
telbar Sprachliche hinaus und giebt fih in einer Stellung
der Rebetheile, einer Periodenverbindung und einer Beife
des Dialogs Fund, welche aller, felbft der poetifchen Natür-
lichfeit widerfirebt und bis dahin auf der fpanifhen Bühne
unerhört gerefen war. Wir haben bier etwas Opern= oder
vielmehr Ballethaftes, was uns jeden Augenblid erinnert,
daß wir fein poetifches Abbild ber Natur, fondern eine ab:
fihtlihe und auf unfern Applaus angelegte Schauftellung vor
uns fehen; unter ſolchen Berhältniffen ift an jene freie Bes
wegung und Ungebundenheit, welche in jedem poetiſchen Werfe
die Intention bes Dichters verbergen muß, nicht zu denfen,
und man glaubt jeden Augenblid ben Autor zu hören, wie
er feinen Figuren die zu fagenden Worte ald Souffleur ein-
flüftert. >
Es that Noth, das Fehlerhafte in Ealderon’s Styl fcharf
hervorzuheben, weil die Frembartigfcit und bie vielen blen⸗
denden Eigenfchaften dieſes Style Manchen verleiten fónnten,
die Gebrechen für Schönheiten zu halten. Um inbeffen ben
unbedingten Bemwunderern diefer Darftellungsweife nicht allzu
heftigen Anftoß zu geben, räumen wir fogleih ein, daf
eine beträchtliche Anzahl von Calderon's Stüden (auf die wir
bald fommen werden) ungleich weniger mit dieſen Eigenfchafe
ten behaftet, wenn auch nicht ganz von benfelben frei fei, und
dann, daß der Genius des Dichters felbft unter jenen Fehlern
oft auf's herrlichfte hervorbreche und fic) in der Pracht wun-
- e. — — — —
derbar großer und tiefſinniger Bilder offenbare. In der That
ſcheint Calderon — wie ein geiſtvoller Kenner der Literatur*o)
bemerkt hat „bald mit ber füßen Schwaͤrmerei eines behags
Ih träumenden, bald mit dem erbabenen Ernfte eines tief
finnenden Mannes oder Greifes biefe glühende Pradt bes
Lag: und Nachthimmels, wo die Sterne unverwelflide Blu:
men find, biefe von Farbe brennenden, von Duft beraufchen-
den Blüthen, bie vergänglichen Sterne der Erde, die in Purpur
getauchten Buchten, diefe furchtbarsfchönen Stürme zu belächeln
oder alg Offenbarungen des Höchften zu belaufchen;« und fo
bieten denn felbft die Auswüchſe feiner überladenen Bilder:
fprache, zwifchen vielem leerem Wortpomp, eine Fülle hoch⸗
poetifcher Anfchauungen dar. Unfere Bewunderung für viefe
ift ſchon oben dargelegt worden, und es tft daher nicht nöthig,
fie hier nod) weiter zu documentiren; faffen wir aber die
Etyl-Mängel und Schönheiten des Dichters zufammen, fo
dürfen wir Calderon nad) einem von ihm felbft häufig ge:
brauchten Bilde mit einem Vulfan vergleichen, der neben
glänzenden Slammenfánlen aud) dicte und qualmende Rauch
twolfen ausftößt.
Sn Bezug auf Compofition fowohl ald Sprache Taffen
fi) Calberon's Werfe nad) den verſchiedenen Lebensaltern des
Dichters, welche ihnen ihre Entftehung gaben, in drei vers
ſchiedene Elaffen theilen, die freilich nicht ganz genau, fondern
nur durch allgemeine Umriffe von einander abgegránzt werden
fónnen und zu beren Auffindung uns bie, in dem Anhange
dieſes Artifel8 angegebenen chronologiſchen Daten behülflich
fein müffen. Sn die erfte Elaffe fallen die früheren Werte
des Dichters von feinen erften Sugenbproductionen an bis
20) Friedrih Zimmermann.
gr
— 8 —
zur Erreichung des reifen Mannesalterd, oder, wenn wir was
gen Dürfen, genauer zu fein, des mezzo del cammin di nostra
vita (3öften Jahres). Bas die Sprade anlangt, fo leiten
bie hierher gehörenden Stücke ganz befonder8 an Ueberfluß
von Metaphern und lecren Wortſchmuck, an gefuchten und >
buperbelreihen Bergleihungen, an Antithefenfpielen und ¿us
gefpigten Gedanfen, an falfcher Emphafe und gongoriftifchen
Wendungen, furz an den Unnatürlichfeiten des Estilo culto.
Mir haben unter diefer Rubrif alle Stüde des erften und
zweiten Theiles zu nennen, und nod) einige andere Taffen ſich
wegen ihrer inneren Berwandtfchaft mit Sicherheit hierher
rechnen; als Beifpiele, welche die bezeichneten Eigenheiten bes
fonders deutlich befunden, türfen Lances de amor y fortuna,
Casa con dos puertas, La puente de Mantible bezeichnet
werden. Hier ſchwelgt der Dichter recht in Bilverfeligfeit und
fehüttet hei jeder Gelegenheit Morgen und Abendröthen, Pers
len und Diamanten, Blige und Sonnenftrahlen wie aus einem
übervollen Füllhorn; bald ift der Barten ein Meer von Blüs
then, bald das Meer ein Garten von Schäumen; die fturms
o bewegte See gleicht „einem Nímrod der Winde, der Berge
auf Berge und Städte auf Städte thürmt,“ und ein gezüdtes
Schwert wird ein irrender Komet genannt, der die Sphären
der Luft Durdbrauft. Sede Anrede eines Liebenden an feine
Dame ift vol von Blumen und Sternen; die Sonne würde
buntel fein, wenn fte nicht das Licht aus ihren Augen borgte;
ihre Wangen werden immer mit Auroren verglichen, thre
Haare find immer Gofonege, in denen fic) Die Herzen fangen.
Der Conception unfers Dichters fcheint fon früh jene ganze
Gluth und Fülle eigen gewefen zu fein, die wir überhaupt
an ihm bewundern; wenigftens gchören einige von ben frühe-
ren Werfen in dieſer Hinficht zu feinen großartigften, wie
— UH —
namentlid) El principe constante und La vida es sueño;
auch in der Feinheit und Kunft der Intrígue hat er in feinem
feiner fpäteren Werfe eine höhere Stufe erreicht, alg in Peor
estä que estaba, Casa con dos puertas und La dama
duende. Dagegen in ber Zeichnung der Charaftere oder we⸗
nigfteng in der Kunft, neben den Hauptfiguren auch die Nebens
perfonen felbfiftändig und mit individuellen Leben hinzu
ftellen, und in bem Gleichmaß aller Theile ber Compofition
follte er fpáter nod zu größerer Meifterfchaft gelangen. —
Der zweiten Claſſe gehören die Werfe von Calderon's reiferen
Munnesjahren (nad) einer ungefábren Zeitbeftimmung von
1635—1660) an. Hier hat er die auffallendſten Fehler und
Mebertreibungen des Cultus⸗Styls abgelegt; er fpricht in ber
Comõdie Cual es mayor perfeccion durd die Worte:
De essos hyperboles, llenos
De crepusculos y albores
El mundo cansado está :
No los descaremos ya
Siquiera por hoy, señores?
felbft feine Mifbilligung ber Rebeweife aus, mit ber er fo
vielen Mißbrauch getrieben Hatte; und wenn fih aud nicht
fügen läßt, daß er fid) durchgehende von ber ihm einmal zur
Natur gewordenen Art des Ausdrucks freigehalten habe, fo
verſchwendet er doch bier feinen blumenreichen Phraſenſchmuck
nicht, wie anderer Orten, fondern weiß ihn für bie geeigneten
Momente aufzufparen. Bemerfenswerth ift noch, daß Calderon
einige diefer Stüde mit Rollen ausgeftattet hat, in denen,
wie es fcheint, der gefünftelte Styl der Bongoriften fürmlid)
perfifflirt wird. Rollen diefer Art find 3. B. die Beatriz
und der Moscatel in No hay burlas con el amor. Sn ben
Dramen dieſer zweiten Klaffe bat neben der Sprade aud
— 86 —
die Kraft des Dichters im Schaffen und Oruppiren der Ehas
raftere, fo wie feine Kunſt der Compofition ihren Culminations⸗
punft erreicht. Für hervorſtehende Beifpiele der hierher gehö-
renden Werke Tünnen El magico prodigioso, El postrer
duelo de España und El secreto a voces gelten. — In
den Schaufpielen, welche der Dichter im höheren Alter pers
vorgebracht hat und die wir unter ber dritten Klafje begreifen,
fehren dann die Fehler feiner Jugend wieder und nod dazu
ohne jene Frifche und Gentalitát, welche uns in den früheren
Werfen über diefelben pinwegbliden laffen. Man findet hier
außer dem gehäuften Blüthenfchmud und dem überfluthenden
Wortſchwall noch eine befonders fteife und geſpreizte Sas
bildung mit Parenthefen, die wiederum Parenthefen einſchlie⸗
fen, mit Tangathmigen Perioden und wunderlicher Stellung
der Theile des Dialogs. Ueberhaupt zeigt biefe Elaffe von
Dramen eine gewiffe Kälte und Mattigfeit in Vergleich mit
dem jugendlichen Feuer ver erften, mit der gebiegenen Kraft
der zweiten; vornämlich gehören dahin viele mythologiſche
Feftfpiele und andere Pomp» und Gelegenheitsftüde, wié 3. D.
Duelos de Amor y Lealtad, El Conde Lucanor u.a. ın.
2 An Bezug auf den Vers haben wir als ein allgemeines Unter⸗
ſcheidungszeichen Calderon's von feinen Vorgängern anzuführen,
daß er die Buntheit und Vielfältigfeit der Metren und Reims
formen vereinfacht hat. Der reimlofe Sambe fommt bei ihm
nie vor, und eben fo wenig der Verso de arte mayor, deffen
Gebraud freilich von jeher fehr eingefchränft geweien war;
auch ttalienifche Canzonenformen trifft man bei ihm nicht mehr
an und Liras und Endechas nur fehr felten. Dagegen hat er
der Romanze eine ungleich größere Ausdehnung gegeben, als
fie bisher gehabt hatte, und ihr ſowohl im Dialog als für
bie Erzählung eine vorherrfchende Geltung eingeräumt, fo daß
—
— 8397 —
die übrigen Versbildungen mit dem Reim für die prágnantes
ren Momente ber Handlung aufgefpart blieben. In Rüdficht
anf diefe Metren und auf die Veranlaffungen, bei denen fie
befonder8 gebraucht werden, müflen wir auf das Band II.
Seite 84 und 86 Gefagte zurüdwelfen ; doch iſt das Syftem
unferes Dichters, infofern es von dem früher herrfchenten abs
weicht, noch näher zu betrachten. Als eine charafteriftifche, den
Calderon vor allen älteren Dramatifern feines Landes auss
zeichnende Eigenthümlichfeit haben wir zunächſt feine Vorliebe
für lange Erzählungen in Romanzenform anzuführen; ein
ſolcher Ianger Bericht fommt in der Mehrzahl feiner Stüde
gleih in ben erften Scenen vor, und hiermit hängt zufammen,
daß er die Erxpofition nicht, wie Lope und die Früheren zu
thun pflegen, in Handlung fegt, fondern fie meifteng in Form
einer Erzählung gibt. Wenn ber Dichter diefe ſogleich im Bes
ginn eintreten ließe, fo würde man ihm ohne Zweifel Mangel
an Kunſtgefühl vorwerfen fünnen, infofern die Aufınerffamfeit
der Zufchauer mit Recht nicht eher für einen foldhen Bericht in
Anfpruch genommen werden darf, als bis die Theilnahme an der
vorgehenden Action in einigem Muafie erregt worden fft; aber
Ealderon hat biefen Febler, deffen man ihn befchuldigt, in ber
That fehr funftreid) vermieden. Er beginnt immer mit einer
Situation, welche das Intereffe feffelt, die Erwartung erregt
und in Spannung erhält; erft dann folgt die Erzählung, welche
über bie vorausgegangenen Umſtände Aufflärung bringt und
die Mißbegier der Zufchauer inſoweit befriedigt, daß fie ben
Schlüffel für das Verſtändniß des Folgenden erhalten. Iſt
nun auf diefe Weife Einiges erflärt, fo bleibt doch noch Vieles
unflar, ja ed werden in ber Erzählung felbft wieder neue
Fäden angefnüpft und der Erwartung neue Motive unter:
geſchoben. Unläugbar erlangte Calderon burd) eine derartige
— 88 —
Expoſition einen bedeutenden Vorzug vor Lope de Vega; denn
es wurde durch diefe Figur. die finntiche Lebendigkeit und Ener;
gie, welche die Anfänge von Lope's Stüden auszeichnet, mit
ungleich größerer Klarheit und Einfachheit verbunden.
Die Erzählungen in Romanzenform haben bei Calderon
eine weit beveutendere Länge, ald bei den früheren Dichtern 22),
bei denen fie ſich jüberhaupt viel feltener und vorzugsweife
nur bei ſolchen Gelegenheiten finden, too die gefchilderte Bes
gebenheit mit den in den alten Volf8romanzen bargeftellten
Verwandtſchaft hat. Calderon's Wortreichthum und ſich ber:
nahe nicht erſchöpfende Eloquenz in dieſen Reden hat für uns
etwas Befremdendes, und es läßt ſich nicht läugnen, daß hier
manche Weitſchweifigkeit wegzuwünſchen wäre; indeſſen möge
man ſich an das erinnern, was wir ſchon gelegentlich über
die Art, wie dieſe Erzählungen von den ſpaniſchen Schau⸗
ſpielern recitirt werden, geſagt haben. Vergegenwärtigt man
ſich einen ſolchen rapiden und doch zugleich klaren Vortrag,
fo wird man nicht ‚är unmöglich halten, daß Mauches, was
bei'm Leſen müſſig ſheint, bei der Darſtellung wahre red⸗
neriſche Schönheit gewinnen könne. ES iſt nun beachtens⸗
werth, wie das Drama in ſeiner ausgebildetſten Kunſtform
bei Calderon der Romanze, als der Wurzel aller ſpaniſchen
Dichtung, größeren und ſelbſtändigeren Raum verſtattet, als
dies in ſeinen früheren Stadien der Fall geweſen war. Es
iſt, als wollte das ſpaniſche Schauſpiel auf ſeiner höchſten
Höhe noch einmal den Tribut der Dankbarkeit an die Volks⸗
poeſie, aus der es hervorgegangen, entrichten und den Zu⸗
22) Als Ausnahmen, wo ſchon früher Aehnliches vorkam, können
einige Stücke des Tirſo de Molina, z. B. Escarmientos para el Cuerdo,
und einige Der ſpaͤteſten des Lope de Vega, z. B. Las Bizarrias de
Belisa, angeführt werben.
——
— — — —— — -
— so —
ſammenhang mit ihr recht deutlich zur Schau tragen. Um
das hierin ſtark hervortretende epiſche Element, welches dem
eigentlich dramatiſchen Tone allerdings hier und da Eintrag
thut, richtig zu würdigen, darf man nun auch nicht verſäu⸗
men, ſich auf den Standpunkt der ſpaniſchen Zuhörer zu ver⸗
ſetzen; dieſe hingen mit Leidenſchaft an ihrer nationalen Poeſie,
und es war ihnen eine Freude, die geliebten Klänge des
Volksliedes auch im Drama erſchallen zu hören, und wir
Tönnen, auch ohne daß ein beſtimmtes Zeugniß darüber vors
lige, ficher annehmen, daß die in den Scmufpielen vor:
Iommenden Romanzen immer befonders günftig aufgenommen
worden feien.
Mud für den Dialog, wo er nur die Handlung fort
führen fol, braucht Calderon die Romanzenforın häufiger,
als feine Vorgänger. Neben diefer bringt er am meiften Res
bondillen, Suintillen, Decimen, Detaven, Silvas und das
Gonett zur Anwendung. Terzinen fommen bei ihm, fo viel
ung befannt, nur ein einziges Mal vod, nämlich im Anfang
des „ſtandhaften Prinzen.” We3 der-Mebraud aller biefer
Maafe betrifft, fo fann man im’ ugemeinen fagen, daß
wenn bie Romanze für die fehlicht erzählenden und nur bie
Action fördernden Partien beftimmt tft, jene anderen Vergés
arten für bie mehr emphatifchen Stellen aufbehalten find;
und zwar treten im Iyrifchen und höher geſchmückten Dialog
gewöhnlich die Herfchiedenen Arten gereimter Trochäen, bei
leivenichaftlichen und mächtig bewegten Neben oder Wechfel-
reden die Silvas, in pomphaften Schilderungen und Mo:
nologen die Octaven, endlich bei antithefenreichen und fcharfs
fimigen Vergleichungen oder aud bei concertirenden Doppel-
reden die Gonette ein. Nur ald Ausnahmen und febr felten
vorfommend haben wir noch folgende von Calderon gebrauchte
— 90 —
Formen anzuführen: Decimen, in denen der fünfte und fic
bente oder achte Vers ein gebrochener tft, d. 5. nur zwei
Füße hat (4.3. El mayor monstruo los zelos, Jorn. 11.);
ferner ſechszeilige jambiſche Reimftrophen, der Lira verwandt,
aber fi} darin von ihr unterfcheidend, daß bie fünf erften
Zeilen fänmtlich dreifüßig find und dann ein fünffüfiger Vers
die Strophe fhließt (3. D. Nadie fie su seereto, Jorn. ME);
enblih bie Anafreontifhen Verfe mit Afonanzen (3 DB. in
der Gran Zenobia, Jorn. 11.). Ä
Wenn bei Calderon dadurch, daf er der Romanze eine
überwiegende Geltung einräumte und mande früher übliche
Bersbildungen aus dem Drama verbannte, eine minder große
metrifhe Mannichfaltigfeit herrfcht, alé bei ben älteren Dich-
tern, fo bat er auf der anderen Seite höchſt Fünftliche und
und vor ihm nicht übliche Saßverbindungen und Worteoms
binationen angewandt, auf bie wir, weil fie ganz beſonders
zu ben Cigenthümlichfeiten dieſes Dichters gehören, nod)
etwas näher eingehen müffen. Hierher gehört erftens eine
wunderliche und überfünftlichde Vertheilung ber Rede auf die
verſchiedenen Spredhenden, wonach fid die Süße der Re:
denden beftändig unterbrechen und nad) ber Unterbrehung
wieder fortfegen , oder tn einem Unifono ¿ufammenftimmen 3?)
32) Su haben wir 3. B. folgendes Duett:
Adolfo. De parte de la nobleza
Yo....
Celio, Y yo de parte del pueblo ....
Adolfo. Vengo á saber de los dos . .
Celio. Saber de los dos pretendo .....
Los dos. En qué os habeis convenido.
(Muger llora y vencerás, Jorn. II.)
Im Folgenden ift bie Rebe in ähnlicher Manier gar auf vier Pers
fonen vertheilt:
Ben 2 _ lada mn u
— 1 —
In ähnlicher Weiſe werden hier und da zwei Monologe mit
einander verflochten, indem jede der redenden Perſonen ein
Selbſtgeſpräch hält und die Reden Beider doch mit eingnder
concertiren; die Künftlichfeit erreicht den höchften Grad, wenn,
wie dies bisweilen vorfommt, die beiden Monologe in ihrer
Verbindung eine Gloffe bilden, in welcher das Thema unter
die beiden Sprechenden vertheilt ift und nachher auch die Um⸗
fpreibung des Tertes mit den wieder eingeflochtenen Worten
Rey. Hombre, aborto de la espuma,
Que esa maritima bestia
Sorbi6 sin duda en el mar
Para escupirte en la tierra ,,..
Licanor. Parto de aquesas montañas,
Que, equivocando las señas,
Para ser fiera eres hombre ,
Para ser hombre eres fiera ....
Ceusis. Racional nube, que el viento
Para rayo suyo engendra,
Pues el trueno de tu voz
Espeluza y amedentra ..
Irene. Prodigio, ilusion y asombro,
Que ha bosquejado la idea
De algun informe concepto
De soñadas apariencias ....
Rey. Qué mal ententido rumbo ....
Licanor. Qué derrotada tormenta ....
Ceusis. Qué deshecho terremoto ....,
Irene. Qué fantastica quimera . .
Rey. A estos puertos ...
Licanor. A estos montes ....
Ceusis. Te trae?
Irene. - Te arroja?
Rey. Te echa ?
(Cadenas del Demonio, Jornada 1.)
— 9 —
der Letra in ſymmetriſcher Weiſe wechſelnd von dem Einen
und bem Anderen recitirt werden ). Bei dieſer Gelegenheit
iſt weiter der eigenthümlichen Art zu gedenken, wie Calderon
häufig die Muſik anwendet, ſo nämlich, daß ein hinter der
Scene erſchallender Geſang den Sprechenden antwortet, oder
ihre Rede fortſetzt, indem er ihre noch nicht ausgeſprochenen
geheimen Gedanken zu Tage bringt °*). Findet ſich nun ſchon
53) Diefe Art der Rede ift zu feltfam und ungewöhnlich, als bag
wir fle nicht durch ein Beifpiel deutlich machen follten. Wir wählen ein
folches aus der dritten Sornaba von Amar despues de la muerte,
Don Alvaro und Clara reden, wohlgemerkt, jeder für fio:
Clara. No es menester, que digais
Cuyas sois, mis alegrias,
Alvaro, Que bien se vé que sois mias '
En lo poco que durais,
Clara. Alegrias mal logradas, _
Antes muertas que nacidas,
Alvaro. Rosas sin tiempo cogidas ,
Flores sin sazon cortadas,
Clara. Si rendidas, si postradas
A un ligero soplo estais,
Alvaro. No digais que el bien gozais,
Clara. Pues siendo para perder,
Que sintais es menester,
Alvaro. No es menester, que digais,
So fpinnt fich Diefer Doppelmonolog noch durch drei weitere ¡Decimen
fort, indem am Ende einer jeden ein Ders der Letra wörtlich wieberfehrt.
Wohl zu beachten ift dabei, daß der Dichter Hier nach bem Zufammen-
hange des Stüds nicht etwa eine verabredete Declamation, fondern einen
freien Erguß ber Seele fchildern will.
12) 3. Y. in Muger llora y vencerás, Jorn, IL:
Madama. Quién se atreverá á decir
En lo que llega á oir y ver,
Si tengo que agradecer,
o es — —
in den bisher -angeführten Beifpielen von tibertrieben künſt⸗
licher Diction etwas Conventionelles und Opernartiges, was
ber freien Bewegung ber Poeſie Eintrag thut, fo fteigert
ſich dieſe Wahrnehmung noch in manden declamatorifchen
Stellen, die ganz wie rhetorifche Kunſtſtücke angelegt find;
die Manier, welche wir bier meinen, gibt fid tn vielfach
verfchtedenen Nüancen fund; beifpielsweife fet ein Paſſus aus
Amor, honor y poder angeführt, wo eine lange Romanze
reeitirt wird, in welcher immer bie vierte Zeile einen burdy
die Häufung von vier Subftantiven gebildeten Klimar ents
halt; gegen ben Schluß fteigert fid) dann biefer Klimar, fo
daf nicht bloß ber vierte, fondern faft alle Verfe aus folchen
gehäuften Worten beftepen °°).
O si tengo que sentir?
Porque si tengo que inferir
Quien es dueño de un temor...
Musica(dentro). Es el engaño traidor.
Madama. Y quien de un ansia mortal ....
Musica. | El desengaño leal.
Madama. Quien con tal eco sonora
Ha aumentado mi dolor?
Cuando entre uno y otro horror
Son para mi en pena igual .....
Musica. El uno dolor sin mal,
Y el otro mal sin dolor,
Es el engaño traidor
Y el desengaño leal.
35) Eduardo generoso,
Tercero de Inglaterra,
De los tres brillantes rosas
Lua, norte, amparo, defensa :
Tú que en alas de la fama
Siempre celebrado buelas,
— MM —
Bei einem Rüdblide auf die Versbildung in’ Calderon'8
Dramen fünnen wir nicht umbin, hier einmal, trog ber ein:
zelnen Feblerbaftigfeiten, bie nicht wegzuläugnen waren, auf
die unermefilichen Vorzüge aufmerffam zu madjen, telde bie
metrifche Technik der Spanier ſchon im Allgemeinen, nament-
lid) aber in ber Ausbildung, in der fte fih bei unferm Dich⸗
ter findet, vor ber auf unjeren Bühnen heimiſchen Diction
behauptet. Auch weſſen Stun nod fo wenig mufifalifch ges
fiimmt ift, bem muß doch bei ben zuuberifchen Klängen der
fúdlicpen Dramatifer flar werden, daß fo ziemlich alle deut⸗
fhen Schaufpiele, felbft unferer gepriefenften Dichter, im
Der Schluß if:
Ocupando en tus memorias
Voz, aplauso, trompa y lengua:
Yo soy Estela infelize
Y de Salveric Condesa,
Por heredar de mi casa
Nombre, honor, lustre y nobleza.
En Salveric retirada
Vivi, donde la aspereza
En la soledad me dieron
Prados, montes, valles, selvas.
Porque en poblado los hombres,
Porque en el monte las fieras ,
Porque en el aire las aves,
Cielo, Sol, Luna y Estrellas,
Aves, peces, brutos, plantas,
Astros, signos y planetas
Digan, vean y publiquen,
Oigan, miren, noten, sepan,
Que ay honor contra el poder,
Que ay industria contra fuerza,
Y que ay en mugeres nobles
Vida, honor, lauro y defensa.
— 9% —
Vergleich mit der hochgebilveten Runft Gener, in diefer Be:
ziehung nur Schülerwerfe find. Welcher Abftand zwiſchen dem
anmuthigen Wechſel ſchönklingender Maaße bei Jenen und
der Einförmigkeit Dieſer! zwiſchen der leichten Lebendigkeit
dort und der plumpen Schwerfälligkeit hier! zwiſchen den
verſchiedenartigen und doch harmoniſch verbundenen Rhythmen
"mit ihrem nie verſiegenden Farbenreichthum des Ausdrucks,
ihren bedeutungsvollen echogleihen Ans und Cinflängen,
ihrem bald verweilenden, bald fliehenden Splbentanz, und
auf der anderen Seite jener unleivlihen Monotonie, jenem
ungehobelten,, aller feineren Bildung baaren Sprachwuſt, der
auf unfern Theatern das Gehör martert! Befonvers nun
mag nod hervorgehoben werben, welche außerorbentlichen
Bortheile Diefe reiche Pracht der Sprache dem ſpaniſchen
Schauſpiel da darbot, wo eS Stoffe aus dem gewöhnlichen
Leben behandelte; denn bier gab die poetifche Diction ſchon
allein dem Drama einen Aufſchwung, der es über das Oe:
meine und Alltägliche hinausrig und die Dichter nöthigte,
das wirkliche Leben nicht in den harten und trodnen Umriffen
feiner unmittelbaren Erſcheinung, fondern in einem tdealeren
Lichte darzuftellen, nicht auf dem Befangenen und Beſchränk⸗
ten, fondern auf ben höheren Lebensregungen der Menfchen
zu verweilen, Nach unferer Einficht tft poetifhe Form bem
Luſtſpiel burdaus weſentlich, und es erfcheint und als eine
der größten Verirrungen der fpäteren Zeit, daß fie auf dies
fem Gebiete faft allgemein dem Verfe entfagt hat; denn indem
fie diefen aufgab,-öffnete fie der Trivialität und bem Pros
faismus Thür und Thor.
Kehren wir auf Calderon's überwiegenden Hang zur
Reflerion, der uns den Schlüffel zu verfihiedenen Eigenheiten
feiner Dichtweife Tieh, zurüd, fo finden wir, daß eben biefe
TATTOO —ñ7
— 98 —
Neigung noch andere charakteriſtiſche Züge in ſeine dramati⸗
ſche Kunſt eingeführt hat. Sein Verſtand bildete ſich ein förm⸗
liches Syſtem von” allgemeinen Begriffen, bas er ſeinen
Stücken unterſchob, indem er mit grübelndem Scharfſinne
die vielfältigen Colliſionen zwiſchen denſelben berechnete und
die Verwickelung und Löſung ihres Conflicts zur Grundlage
ſeiner Dramen machte. Die hauptſächlichſten dieſer Begriffe
waren Glaube, Liebe, Ehre und Loyalität. Wie eS Sinnes-
art und Leben der ſpaniſchen Nation, welche ſo ſehr von
dieſen Mächten beherrſcht wurden, mit ſich brachten, hatten
dieſelben Potenzen freilich auch ſchon in den Werken der
früheren Dichter eine beträchtliche Rolle geſpielt; allein kei⸗
neswegs waren ſie ſo in den Vordergrund getreten, noch
hatten fie einen fo bedeutenden Einfluß auf die Action ers
langt. Aus ber großen Geltung, welche Begriffe bei Cals
deron behaupten, entfpringen nun zwei, in vielen feiner
Dramen bervortretende Cigenthümlichfeiten. Erftens werden,
wie fon gefagt, bie angeführten geiftigen Mächte, an weldye
fih in verfchiedenen Stufenfolgen und in minder durchgrei⸗
fender Bedeutung nod) andere fehließen, oft fo entichieden
und in fo fcharfen Umriffen den Charakteren zu Grunde ges
Tegt, daß die Indivibualitát daneben verſchwindet. Eine ſolche
Abfiraction, Fraft welcher die Perfonen ohne felbftánbige Züge
bloß alg Repráfentanten allgemeiner Seelenfräfte auftreten,
muß natürlich der Wahrheit und Lebendigfeit Eintrag thun,
in welcher bie Figuren erfcheinen müßten, um bie dee des
Drama’s vollfommen zu verfinnlichen.
CEalderon'8 Geift hatte fih — um ben zweiten, nod
wichtigeren hierher gehörenden Punkt hervorzuheben — fo
fehr an jene allgemeinen Begriffe gebannt, daß er fi mit
nie ermübender Vorliebe in den Rreifen bewegte, wo feine
— YN — |
eigenthümliche Weltanficht ihre volle Geltung batte, ober,
wenn er fih auf ein anderes Gebiet begab, Dies ſogleich
mit ben Adern feiner befonberen Anſchauungsweiſe durchzog.
- Hieraus entipringt denn eine Eintönigkeit, eine gewiffe Wies
derholung ber nämlichen Motive in feinen Dramen, welche
gegen die unendliche Manntgfalttgkeit der Lope'ſchen fehr abs
ftibt. — Zu einem eigentlich gefchichtlihen Schaufpiel, wie
mir es bei Lope de Vega, vielleicht noch nicht in ber hödhs
ften Ausbildung, aber in vielverfprechennfter Anlage erblid-
ten, konnte unfer Dichter unter biefen Umfländen wenig
Neigung haben, da er fi ungern aus dem Geiftesleben feiner
Zeit herausreißen und in die Zuflände vergangener Sabrhuns
berte vertiefen mochte. So finden fid) denn unter feinen Dra»
men faum andere wahrhaft hiſtoriſche Eompofitionen, al8
foihe, deren Action, wie bie von El sitio de Breda, in
feine eigene Lebenszeit fällt. Von den Stüden, deren Stoff
der alten Geſchichte entnommen tft, fann bier gar nicht bie
Rede fein; diefe Begebenheiten in biftorifhem Sinne aufzus
faffen, hatte noch Fein Spanier fid) beftrebt, Calderon aber
ging in der willführlichen Behandlungsweiſe berfelben noch
weit über die früheren Dichter hinaus; eben fo wenig fann
bier auf die aus ber. Helligengeichichte und aus ben Trabís
tionen der dhriftlichen Kirche geichöpften Stoffe Bezug ges
nommen werben, denn biefe find immer durchaus Tegenden-
artig aufgefaßt und hierin trifft unfer Dichter mit feinen Vor⸗
gängern zufammen: aber auch Gemälde aus ber fpanifdjen
Vergangenheit in hiftorifcher Wahrheit binzuftellen, hat Cal⸗
deron faum ben Verſuch gemadyt. Wenn er aud die Hand-
hmg feiner nationalen Schaufpiele in ältere Zeiten verlegt,
fo ftetlt er doch Feine treuen Bilder des Geiſtes und Sein’s
der frúberen Epochen auf; er trägt die Vor ſellungeweiſen
Geſch. d. Lit. in Spanten. III. Br.
— 98 —
und Anfichten feiner Tage in bie Bergangenpeit hinein; wir
erhalten zwar im Allgemeinen ein lebendiges Gemälde fpa-
nifcher Sitte und Sinnesart, aber im Grunde find es doch
immer Sitten und Dentweife bes fiebzehnten Jahrhunderts
nicht die der Periode, in welcher die Handlung vorgeht; aud
fallen die von ihm bargeftellten Thaten und Ereígniffe felten
mit großen welthiftorifchen Momenten zufammen, es find
eigentlich immer nur Privatbegebenbeíten, die weder weſent⸗
lid mit der Gefchichte der Zeit zufammenhängen, noch in
denen der Geift der Vergangenheit ſich deutlich abfpiegelt; die
biftorifchen Figuren treten nur beiläufig auf und find nicht
weſentlich bei der Action betheiligt, während Lope die Kö⸗
nige Spaniens, von Pelayo herab bis auf Philipp IL. in
den Akten ihrer Regierung malt und mit Abſichtlichkeit Ge⸗
málbe der vergangenen Jahrhunderte in ihren hervorftechendften
Ereigniffen und figuren aufftellt. Hier müffen wir alfo bes
dauern , dag Calderon auf einem reichen Ertrag verheißenden
Gaatfelde, das er fon wohlbeftellt vorfand, feine weitere
Ernte gehalten habe.
Nachdem wir oben Galderon’d Talent zum Zeichnen
mannichfaltiger Charaktere, zu einer umfaffenden Welt- und
Lebensdarftellung gepriefen, müffen wir nun endlich bod)
beflagen, daß er durch bie bezeichnete Richtung feines" Geiftes
beftimmt worden tft, von dieſem Talent allzu felten Gebraudy
zu maden und fid oft willfürlih auf ein eng begrángtes.
Feld einzufhränfen. Daß ihm wirklich jene gerühmte Gabe
in eminentem Grabe verliehen war, fann für den, ber 3. 2.
den Alcalde de Zalamea fennt, feinem Zweifel unterworfen
fein; aber eben fo wenig läßt fic) Täugnen, daf die Vorliebe
für die angedeuteten Motive ihn verleitet bat, ſich vorzugs-
weile der Schilverung folder Claſſen ber Gefellfchaft zuzu⸗
— Y —
wenden, bei welchen er bie feiner Perſoͤnlichkeit entſprechende
Gefinnung vorausfegen fonnte. In vielen, ja den meiften feiner
Werke fehen wir nicht, wie bei Lope, die Menfchheit in allen
ihren Repräfentanten und durch alle Abftufungen hindurch,
fondern hauptfächlich eine gewiffe und von gewiffen Meinuns
gen beherrſchte Gattung von Menfchen, das heißt Fúrften,
Edelleute und Ritter mit ven Marimen des fpanifchen Adels
feiner Zeit; und auch wenn die Handlung außerhalb Spaniens
fpielt, wird ein analoger Kreis von Perfonen mit entfprechen-
der Sinnesart. gebildet. Hieraus erwächſt neben einer ermús
benden Wiederfehr berfelben Figuren auch Monotonie der Dar-
ftellung und Sprache, indem die Ausdrucksweiſe immer die
alleredelfte und gewähltefte ift — ein Styl, welcher in durch⸗
gängiger Anwendung ber Lebendigkeit des Drama’s Eintrag
thun muß. Mehrentheils ift es allein ber Gracioſo, welcher
den gravitätifchen, feierlihen Ton bes Ganzen durch feine
Scherze unterbridt. Man fann nicht fagen,, daß Calderon
eine fprudelnbe Fülle bes Witzes befeffen hätte; er fleht in
diefer Rückſicht nicht allein hinter Tirfo de Molina (dem größe
ten Humoriften unter den Spantern), fondern fogar hinter an:
deren Dramatifern des zweiten und dritten Ranges zurüd.
Dagegen bemühte er ſich, in Einklang mit feinem allgemeinen
Streben nach funfivoller Dispofition bes Plans, nad Har-
monie und Symmetrie aller Theile feiner Dichtungen, den
ſcherzhaften "Partien eine möglichft effectoolle Stellung zu den
ernften zu geben und biefe durch jene zu heben; und in foldhem
Betracht müffen wir einräumen, daß es ihm oft gelungen if,
durch die Zufammenftellung des Komifchen mit bem Tragifchen
Wirkungen hervorzubringen, weldye bis dahin unbelannt ges
wefen waren. So machen wir, mit V. Schmidt, darauf aufs
merffam, wie die erhabenften und riiprenbfien Reden in La
ya
— 100 —
niña de Gomez Arias, Primero soy yo, Mejor está. que
estava, Ántes que todo es mi dama auf bie barofíte
Weiſe von den Braciofos perfifflirt, ganze Verſe wiedergefagt,
aber darin bie Worte bergeftalt zerftüdelt werben, daß bie
eine Hälfte eines Worted in ben einen Vers fommt und die
andere in ben anderen, wodurch die Affonanzen und Reime
ein wunderbar komiſches Anfehen erhalten, aber das Pathos
der Situation nur erhöht wird.
Daß man die Urfache der füngftbezeichneten Eigenheiten
Calderon's, der nicht felten bemerfbar werdenden Belchräns
fung feines poetiſchen Gefichtöfreifes, zum Theil in feinen
äufieren Lebesverhältniffen und in feiner Stellung als Hofoichter
zu fuchen babe, ift ſchon angedeutet worden. In ber That,
wenn unfer Dichter fon burd) einen. angeborenen Hang feis
nes Geiftes zur Schilderung ritterlicher Geſinmmg und abes
liger- Sitte bingezogen wurbe, wenn fein reflectirender Vers
ftand in dem Ebrenfoftem des fpantfchen Adels und in beffen
Conflict mit anderen Pflichten eine Lieblingsnahrung fand,
fo trug nod) der Umftand, daß er größtentheils für einen ges
wählten, aus ben vberften Schichten der Gefellfchaft beftehen>
den Cirkel fohrieb, nicht wenig dazu bet, ihn an biefen Kreis
von Verfonen und Vorftellungen zu feffeln.
Beyor wir von biefen Bemerfungen zu einer fummari:
ſchen Mufterung der einzelnen Dramen Calderon's übergehen,
fet e8 aus innerfter Ueberzeugung gefagt, Daf bei einem all
gemeinen Blick auf die Wunderwelt der Poefte, die in dieſen
Werfen erfchloffen ift, alle einzelnen Schwächen des Autors,
welche die Kritik nicht verichweigen darf, in ber Herrlich
felt des Dichterifchen Oeiftes verfchmwinden , der in feinen
Schöpfungen waltet, und daß Fein anderes Gefühl übrig bleibt,
als bas des Danfd und der Verehrung gegen ben göttlichen.
— 10t —
Meifter für die Fülle von Genäffen, die er uns bereitet hat.
Wie man an einem Freunde fogar die ſchwächeren Seiten
tiebt, fo werden uns bei näherer Befanntíchaft mit dieſem
Dichter felbft feine frembartigen Eigenthümlichkeiten theuer, fo
dag wir fie nicht miffen möchten. Die Verfchiedenartigfeit der
Elemente, welche in Calderon's Werfen verfchmolzen fino,
bilden eben einen nothwendigen Beftanptheil feiner Individua⸗
lítát; wie wir in ihnen auf ber einen Seite orientaliſche
Gluth und Ueberfülle der Phantafle neben der Belonnenheit
und dem grübelnden Gedanfenteben des Abendlandes erbliden,
‚offenen Sinn für die Erfcheinungen der gemeinften Wirklich⸗
teít neben einem mächtigen Zuge nad) dem Leberfinnlichen und
rein Geiftigen, durchdringende Erfenntniß der Weltverhältniffe
neben bem Berfunfenfein in die Labyrinthe des Menſchenherzens,
ben brennenden Glaubenseifer des damaligen Katholicismus
neben ber Milde acht chriftlicher Andacht, die blendende Pracht
irdiſcher Herrlichfeit neben asretifhem und weltverachtendem
Sinne, Hingebung an die Hleinften Intereſſen des Lebens neben
Sehnſucht nad) himmliſcher Wahrheit: fo fteht auf der anderen
Seite Sophiftif und dialektiſche Spipfinvigfeit dicht neben einfacher
und ungefchminfter Sprache der Natur, Nachgiebigfeit gegen
momentane Richtungen der Zeit neben urfprünglichfter und ſich
fre eigenen Bahnen brechender Begeifterung, Anbequemung
on bie Begriffe und die Vorftellungsweife einer beftimmten
Menfchenclaffe neben mweltumfaffender dichteriſcher Anfchauung ;
dies Alles aber ift fo organifch verſchmolzen, daß man nicht
daran mäfeln oder dies und jenes ausfcheiden farm, ohne das
Ganze zu zerftören.
Nicht überflüfftg mag es fein, nod ein Paar Worte über
ben Stand ber gelehrten Bildung unferes Dichterd zu fagen.
Es hatt nicht fehmer, in ben Werfen des Spaniers eben fo
— 10 —
viele Anachronismen und geographiſche Verſehen aufzufinden,
wie in benen des großen Dritten. Sn En esta vida todo
es verdad y todo es mentira íft zur Zeit des Byzantínis
ſchen Kaiſers Phofas (Ttes Jahrhundert) von Schießpulver
die Rebe: |
Ultima razon de Reyes
Son la pólvora y las balas.
Sn der Virgen del Sagrario fagt ein Biſchof des fie-
benten Sahrhunderts:
Africa, America y Asia
Son las tres de que no tengo
Necesidad : Erodoto
Las descrive con su ingenio,
wonad) alfo Herobot eine Beſchreibung won Amerifa verfaßt
haben foll. In bemfelben Stüde iſt von Conftantinopel in ber
Art die Rede, al8 vb diefe Stadt fehon zur Zeit ber Erobes
rung Spaniens durch die Araber in den Händen der Ungláu-
bigen gervefen fei. Manches Derartige ift — da man bem
Galberon feine grobe Unkenntniß von ſchon zu feiner Zeit alle
gemein befannten Dingen zutrauen wird — ohne Zweifel
Ueberellung oder Gedachtnißfehler; fehr häufig aber haben wir
die Verſtöße gegen die hiftorifche und gengraphifche Genauigs
feit ohne Zweifel ebenfo zu erflären, wie es in ähnlichen
Fällen von neueren geiftreichen Eommentatoren des Shaffpeare
gefchehen tft. Unfer Spanter ftand in Bezug auf fein Publikum
ganz in demfelben Verhältniß, wie der Engländer; er hatte
eine Zuhörerfchaft vor fich, die zwar bie gebilbetften Deänner
ihrer Zeit zu ihren Mitgliedern zählte, aber keineswegs in
jedem Augenblid mit ihrer Erubition bei ber Hand war, um :
bie Poefle mit dem Maßftabe Fritifcher und gelehrter Genauig⸗
. Yeít zu meffen. Das Publikum jener Tage befand in ver That
— 103 —
e
nit aus Tauter Agnoranten, aber grofientheil8 aus Solden,
deren Bildung ohne die gelehrten Hülfsmittel unferer Tage
von. Statten gegangen war. Calderon's Zuhörer entbehrten
mancher Kenntniffe, die wir jet ſchon in der Schule lernen,
aber fie befafien was ung fehlt, wahres Gefühl für die Poeſie
und die Gabe, das Wefentliche von dem Unmefentlichen in der
Kunft zu unterfcheiden. Ste verlangten von dem Dichter nicht
bíe ordináre, compacte Wirflichfeit, fondern folgten ihm willig
in das freie wunderbare Reid) der Phantafie und faben bie
Farta al8 untergeordnete Beftandtheile der Dichtung an, ‚als
Materialien, die der Künſtler ganz nad) feinen Zweden hands
haben fónne. Von biefer entgegenfommenden Stimmung bes
Publifums nun machten die Dramatifer Gebrauch; ſie ſtellten
ihre eigene Kenntniß bei Seite, fobald die Führung ihrer Pläne
ein Abweichen von ber hiſtoriſchen Wahrheit erheifchte, und
brauchten nicht zu fürchten, daß ein Pedant fie deshalb ver
Unwiffenheit zeihe. Wenn fie Gefchichten des Alterthums be:
hanvelten, fo thaten fie es in ber Weife, welche fid) am meiften
Berftändniß und Sympathie verfprechen fonnte, und flochten
mit Rückſicht auf die Gegenwart, zu der fie redeten, abficht-
lich mande Anachronismen und dem ftreng gelehrten Coſtüm
zumivderlaufende Anfpietungen ein. Bei Darftellung von Be:
gebenheiten ber neueren Zeit glaubten fie ſich eben fo wenig
an topographifche oder fonftige Genaufgfeit binden zu müffen.
Bei dem großen Haufen der Theaterbefucher durften fie auf
bie Unmiffenheit, bei: den Gebildeten und auf gleicher Höhe
mit dem Verfaffer Stehenden auf die Beratung von Mifro:
Iogien und auf das feine Verſtändniß der Poefte und ihrer
Dorrechte rechnen. Nichts ift daher Tächerlicher, als die Ver:
legungen des Coſtüms oder fonftige Unrichtigfeiten, die bet
Calderon und den Anderen feiner Zeit vorfommen, von bem
— 14 —
Standpunft unferer heutigen gelehrten Bildung ans zu beur⸗
theilen. (ES ift wahr, wir wiffen manche geringfügige Dinge
auf'S genauefte, welchen die Spanier bes flehzehnten Sabes
hunderts wenig Aufmerffamfeit zuwandten, aber wir haben
zugleich ben natürlichen und damals allgemein verbreiteten
Sinn für vieles Große und Schöne vorloren und find burd
die Fortichritte ber gelehrten Kenntniffe um manden Genuß
ärmer geworden. Die Zeitgenoffen des Calderon hatten Achtung
vor dem großen Dichter, bem fie fo viel Herrliches verdankten,
fie gaben ihr Wiffen und ihre. Gelehrfamfeit unter feine Kunft
gefangen und mußten, daß biefe nichts mit ben harten Formen
der gemeinen Wirflichfeit zu thun babe, fondern jenſeits ber
Alltagsnatur in einem Zauberlande der Einbildungsfraft wirte
und fchaffe. Wenn nun Calderon Parma zum Site einer fous
veränen Fürftin machte, hätte da das Publifum erft überlegen
follen, ob dies nach bem ſaliſchen Oefege zuläffig fet? Oper
wenn er in die Kabeln ber alten Mythologie Züge aus bem
caftilianifchen Liebes⸗ und Ebrenfyftem bineintrug, fonnte es
wohl feinen Hörern einfallen, darüber mit ihm zu rechten $
Rad) Obigem wird fo mane, für unfer Eritifches Jahre
hundert befrembende Unrichtigfeit in Zeitrechnung und That⸗
fachen bei'm Calderon in einem andern Lichte und viel mehr
aus Fünftlerifhen Abfichten, al8 aus Unwiſſenheit gefloffen er-
fheinen. Einen augenfälligen Beweis, daß ber Grund der
Verſtöße gegen Chronologie u. f. tv. feineswegs immer in
einem Verſehen zu fuchen fet, liefern einzelne Stellen in ben
komiſchen Partien, 3. B. folgende Worte aus Los dos amantes
del Cielo:
Un Fraile . .. . Mas no es bueno
Porque aun no hay en Roma Frailes.
Deffenunerachtet wollen wir nicht in lbrede ftellen,
— + —
nn
— 105 —
daß einzelne Verfehen der bezeichneten Art wirflich bald aus
Unkunde, bald aus Nachläffigfeit entftanden fein mögen. Das,
was heut zu Lage im engeren Sinne Gelehrfamfeit genannt
wird, war dem Salberon fremd, und er fonnte daher rre
thümern in Kleinigkeiten nicht entgehen, wozu nod) erwogen
werben muß, daß die Gefchichte, namentlich des Alterthumg,
wie die Gengraphie ferner Länder zu feiner Zeit noch Teineds
wegs mit der Genauigkeit erforfcht worden war, wie gegens
wärtig 99). Calderon's Kenntniß fremder Sprachen befchränfte
fih auf die des Lateinifchen und Italieniſchen Ob und wie
viel Griechiſch er verftanden habe, muß babingeftellt bleiben;
aber baf feine DBelefenheit in fpanifchen, italienifchen und
Iateinifchen Schriftfiellern, namentlich in Bezug auf Alles, was
ibn für feine dichterifche Tchätigfett nüglich fein fonnte, fehr
groß gewefen fet, zeigt jede Seite feiner Werke. Bor Allem
befaß er eine fehr genaue Kenntniß von der Gefchichte der
ehriftlichen Kirche und allen Damit aufammenhängenden Leber
lieferungen; eine eben fo umfaffende von der fpanifchen Hi⸗
ftorte und Sagez dann eine große Bervanbertheít in ber alten
Mythologie und eine ausgedehnte Belanntfchaft mit den ros
mantifchen Heldengebichten und der Novellenpoefle ber Stas
líener. Aus wie entlegenen Quellen er oft gefchöpft, wird
bei Erwähnung feiner einzelnen Stüde deutlich werden; wir
bevorworten aber dabei, daß Feineswegs behauptet werben
fol, Ealberon habe den citirten Text jedesmal im Original
vor ſich gehabt; es follen nur die Urquellen, aus denen feine
36) Auf ber Lonja und in der Columbinifchen Biblivthek zu Se:
villa befinden ſich Weltcharten aus der Mitte des fiebzehnten Jahrhun⸗
berts, aus welchen hervorgeht, welche ungenauen, ja fabelhaften Borftel-
Iungen von den Dertlichkeiten ferner Gegenden, namentlich des Nordens,
damals noch in Spanien herrfchten.
— 106 —
Stoffe gefloffen, angebeutet werden; die Wege, auf welchen
fie zu ihm gelangt find, Laffen fid) nicht immer verfolgen.
Bei dem Ueberblid. über Calderon's einzelne Dramen, den
wir nun zu geben verfuchen, feien Bier eligiöfen Schaufptele
vorangeftellt. Wir faffen unter diefer Benennung nicht allein dies
jenigen Stüde zufamınen, welche nad) der fpanifchen Nomenclas
tur Comedias divinas heißen mochten, fondern überhaupt alle,
bie ein vorberrfchend religiöfes Motiv haben. Wohl in Feiner
anderen Gattung feiner Stüde erfcheint die Ueberlegenbeit
Calderon's über feine Vorgänger fo groß, tn Feiner offen-
bart fid die Tiefe und Herrlichkeit feiner Poefic glánzender,
als hier. Aud) das Großartigfte, was frühere Dichter auf diefem
Gebiete gefchaffen hatten, Lope's Fianza satis'echa und Tirſo's
Condenado por Desconfiado, fann weder an Tieffinn ber
Eompofition, nod) an berauſchtem Schwunge der Phantafie
mit den vorzüglichiten bierher gehörigen Werfen Calderon’s
wetteifern. Aber um den Flügen des Dichters folgen zu kön⸗
nen, um von der Ercentricitát feiner Darftellungen nicht bes
frembet zu werden, miffen wir uns, wie bei ähnlicher Ges
legenbeít ſchon mehrfach bemerft wurde, durchaus in ben
Geiſt des ſpaniſchen Katholicismus verfegen, aus dem Diefe
Poeſie geboren worden tft. Ein foldes Vertiefen in die Glau⸗
bensweife einer vergangenen Zeit wurde ſchon für bie riche
tige Auffaffung der früher betrachteten geiftlihden Comödien
empfohlen, bei Galderon wird es in noch höherem Grade
erfordert ; denn er hat jene und fremdartigen Elemente des
religiöfen Lebens feiner Tage zwar in höherer Weife poetifch
ausgebildet, fo daß fie uns nicht mehr in jener Eruditát
entgegentreten, die uns bei feinen Vorgángern oft verlegte;
allein auf der anderen Seite macht gerade die höhere funft=
mäßige Geftaltung und Flarere Durchführung der zu Grunde
— — — — — — —
a —
— 107 —
liegenden Motive, daß die belebende Seele des Ganzen, die
dem Spanier des ſiebzehnten Jahrhunderts eigene Anſchau⸗
ungsweiſe des Heiligen, noch deutlicher zu Tage kommt. Cal⸗
deron war in ſeiner religiöſen Weltanſicht durchaus der Mann
ſeines Volkes und ſeiner Zeit; ja, er kann recht eigentlich
für den vollendeten Repräſentanten jener wunderbaren und
eigenthümlichen Geſtalt gelten ‚welche ber katholiſche Glaube
in Spanien annahm. Es tritt uns in ſeinen Werken dieſelbe,
aus der glühenden Phantaſie des Südländers hervorgegangene
Wunderwelt entgegen, die ſich auf andere Weiſe und mit
gleich brennenden Karben in den Gemälden des Murillo offen⸗
bart; wir befinden uns in einer „Traum⸗ und Zauberſphäre“
unter Viſionen und exſtatiſchen Zuſtänden der Verzückung,
kurz inmitten der excentriſchen Geſtaltungen der Religion,
welche auf der einen Seite in dem Fanatismus der Autos
da Fe ihre wildeſten Ausgeburten erzeugten, auf der anderen
den heiligen Johannes vom Kreuz in ſeinen wunderherrlichen,
an Tiefe und Schwung mit den heiligen Sängern des alten
Teſtamentes wetteifernden Dichtungen zu einer Höhe empor⸗
hoben, wie ſie Andacht und begeiſterte Liebe nur ſelten erflogen
haben. Eben dieſe Schatten = und Lichtſeite findet ſich denn auch in
Calderon; wenn einerfeitS bie Tendenzen der „Andacht zum
Kreuz“ und des „Purgatorio de San Patricio,” den treff-
lihen, wenn auch etwas nüchternen Sismondi zu dem Aus⸗
ſpruch, „Salderon fet der Dichter der Inquiſition,“ verleiten
fonnten, fo durften Andere mit Rüdfiht auf Dramen, wie
der ftandhafte Prinz und Chryfanthus und Daría ihn einen heis
líg gefchonten, kindlichen Menfchen nennen, welcher, nie ent
weißt durch ben Frevel der trennenden Zeit, alle Blüthen
der höchſten, zarteften Bildung in fich vereinigt und aus feis
ner reinen Seele die ewige Liebe deS Gemüths und der Re:
— 108 —
ligion offenbart habe ?”. Man Hat gefagt, die Religion fet
das Herz von Calderon's Herzen geweſen, für fie hab” er die
erfhütterndften, DIS in die innerfte Seele dringenden Niy. ungen
erregt. Und es ift wahr, die vollendetften feiner religiöfen
Dichtungen athmen eine heilige Begeifterung, wie fie nur
aus bem tiefften und lebendigften Gefühle für das Ewige
bervorblühen fonnte. In ihnen fehen wir einen gottgeweihten
Geift, der, vom Sonnenglanze einer höheren Weisheit um-
firablt, ſich mit heiligem Triebe über die Grenzen der Zeit
lichkeit hinausſchwingt in die Welt ber wandellofen Schön=
beit, wo Religion und Poefie, wie Memnonsfäulen, jener
Morgenröthe entgegentónen, die den anbrechenden Zag ber
Ewigfeit verfimbiget. Und ber Dichter, mit hohem, glaubens
vollem Herzen und toeltumfaffenber Liebe, reißt den Vorhang
ab, der das Reid) Gottes dem fterblichen Auge verbirgt; der
Himmel poll wallender Lichtgewölke und ftrahlender Engels:
gefichter thut fid) auf und eine heilige Verklärung fallt zurüd
auf das Menfchenfein bis tief in den düfterften Abgrund bes
Endlichen, fo daß aller Sammer der Erde vor dem Glanze
ber göttlichen Sonne vergeht.
Wohl nie find . einem Dichter tiefere Rührungen und
mächtigere Erfhütterungen gelungen, al8 dem Calderon in
biefen religiöfen Tragóbien, und nirgends findet fi) eine bün⸗
digere Widerlegung des Glaubens, ein Märtyrer tauge nicht
für ein Trauerfpiel. Nicht freventlich fuchen feine Helden ven
Tod, nein, von den lauterften Berveggrúnden getrieben, gehen
fie ihm entgegen; nicht mit Unempfindlichfeit, nein, hoffend
‚und fürdtend, aber im Herzen bie allmächtige Liebe und das
nicht wanfeude Vertrauen auf die waltende Gottheit, fchreiten
fie durd das Gewühl der raftlos Tämpfenden Menſchheit,
37 3. Schulze, über den ſtandhaften Prinzen.
— — —— — — — —
— 109 —
über dle Leichenhügel und Schlachtfelder der Erbe; ſchwer
== "” hangen bie Wetterwolken herab, und nicht ohne
Kampf ringt ſich Ihr Ewiges von bem Zeitlichen los; aber
der Glaube zieht ihnen voran mit der leuchtenden Fackel;
ſtark durch die Gotteskraft der Religion leeren ſie den bitteren
Kelch ohne Murren; emporgehoben durch das Gefühl ihrer
Einheit mit dem Ewigen, ſehen ſie die Leiden und Freuden
der Erde wie bleiche Schattenbilder unter ſich zerſtäuben;
por ben ſtets mächtiger hereinfallenden Strahlen des Gött⸗
lichen bricht ihre Sterblichkeit zuſammen, und glorreich, auf
dem Haupte den Kranz von weißen Roſen, ziehen ſie ein in
das Triumphthor des Todes, durch deſſen offene Pforten
ihnen die Seligen die Siegerpalme entgegenreichen.
Kehren wir von dieſer Erwähnung einer einzelnen Klaſſe
von Calderon's geiſtlichen Dramen zu den letzteren im All⸗
gemeinen zurück, ſo haben wir anzuführen, daß das Ueber⸗
gewicht derſelben über die verwandten Werke der früheren
Dichter freilich nicht durchgehends in jener hohen Reinheit
der Religioſität beſteht, in welcher das Aecht-Katholiſche mit
dem Aecht-Chriſtlichen zuſammenfällt (nein, unfer Dichter
hat oft gerade bie finſterſten Dogmen feiner Kirche recht ſorg⸗
fältig gepflegt), daß fie aber alle Durch die vollendete Plaftif,
mit welcher der Stoff funftmäßig ausgebildet und harmoniſch
“in ſich abgefchloffen tft, durch die Ertiefung des Inhalts und
durch den romantiſchen Zauber, der die dargeftellten Wunder-
gefehichten gleich jener Olorie in Murillo's Bifton des beis
gen Antonius umfließt, fo einzig daſtehen, daß die fpantfche
titeratur in ihrem ganzen Gebiete faum bas eine oder andere
Werk ihnen zur Seite ftellen Tann.
Da man uns vorwerfen möchte, parteiifch für biefe res
Iigiöfen Dichtungen eingenommen zu fein Cobgleidy wir viel=
— 110 —
fach auf bie einzelnen Ercrefcenzen berfelben aufmerffam maz
chen), fo führen wir nod) das Urtheil eines competenteren
Richters an. „In den geiftlihen Dramen Calderon's — fagt
der trefflihe Karl Rofenfranz — herrfcht die größte Mannich-
faltigfeit, und in ihnen hat ber Dichter fein Innerftes ers
fchloffen. Alles, was groß iſt im Katholicismus, ift hier in
der glänzendften Geftalt, im Zauber einer überſchwänglich
reichen Phantafte, in der Würde ber edelften Gefinnung vers
fammelt. Der Glaube, al8 die unzweifelhafte Gewißheit von
Gott, hat bier Alles in ſich aufgezehrt, was feinem Inte⸗
reffe, fich zu erhalten, nicht gemäß tft, und fo Liegt auf dies
fen Dichtungen ein duftiger Schimmer des Wunderbaren, in
das hinüber die Welt fih wie in eine jenfeitige felige Ferne
verflüchtigt. ”
Die einzelnen hierher gehörigen Werfe find:
El principe constante. Die gefchichtliche Bes
gebenheit, welche bier benugt ift, findet fih nach den Quellen
erzählt in de la Clede, Histoire du Portugal, Paris 1735,
T. 1. und in ber fleínen vortreffliden Schrift: Leben des
ftandhaften Prinzen, nad) der Chronif feines Geheimfchreibers
Soam Alvared und anderen Nachrichten, Berlin 1827 °°).
38) Der Infant D. Fernando von Portugal (geb. 1402) ftarb im
Sabr 1443 nach unfäglichen Leiden in Maurifcher Gefangenfchaft, in
welcher er faft ſechs Jahre gefchmachtet hatte. Seine im Jahr 1473
duch König Alphons V. nah Portugal zurüdgebrachten Gebeine ruhen
in ber Klofterfirche von Batalha. Neben dem Grabe wurde ein Altar
unferer Lieben Frau, der er fich in feinem Leben als frommer Ritter zu
eigen gegeben, eingeweiht und auf demfelben auch das Bilbnif des Se⸗
ligen, wie es fein Bruder D. Enrique von geſchickter Hand hatte malen
lafíen, aufgeftellt. In einem Briefe der Mönche von Batalha an Fr.
Francisco da Cruz wird Folgendes gefagt: Juxta memoratum sepul-
crum parvum sacellum est, cum lignea tabella altari superimposita
et in extremis deaurata ornatum; qua in tabella antiquo et ele-
— —
— — —
— 111 —
Eine Durchſicht dieſer Werke zeigt, daß Calderon in den Haupt⸗
punkten ſeiner Dichtung die Geſchichte befolgt und nur einiges
ganti penicillo descripta reperitur infantis vitae series: illius
statua marmorea super altari collocata cernitur, sed quae ad vi-
vum exprimat amictum vilem, lugubrem faciem, promissam bar-
bam, impexos crines, manicas denique catenas et compedes eam-
que formam quam creditur habuisse mancipatus captivitati. Unter
dem Bildniſſe fteht:
Sanctus princeps Ferdinandus
Infans Lusitaniae
obiit Fessae apud Mauros obses
A, D. MCCCCXLMU Y. Jonii.
Rings um das Mittelbild ftehen (oder ftanben wenigftens bis zur robe:
rung Portugals Durch bie Franzofen) neun, die Leidensgefchtchte des In⸗
fanten Darftellende Bildchen mit ben Unterfchriften:
Compedibus et catenis constringitur.
Infimae servituti Sanctus adjudicatur.
Regium equile mandare cogitur.
Opus facit in hortis regiis.
De lytro frustra agitur cum Mauro.
Coelesti visa ad mortem confirmatur Sanctus.
Pie moritur sanctus Infans,
Sanctum corpus exenteratur.
De muro urbis corpus suspenditur.
Die von Papft Paul IL (im I. 1470) erlaſſene Bulle zur Stiftung eis
ner Gebächtnißfeier für den Infanten fchildert Die Leidensgefchichte deſſel⸗
ben furz in folgendem fchlechten Latein: Ferdinandus Infans Portuga-
liae —— — qui ad expugnationem Infidelium in Africam trans-
fretavit et pro liberatione Christianorum in illis partibus tunc
existentium, ac inde aliter liberari non valentium in manibus
eorundem infidelium sponte obsidem se tradidit; ac per ipsos
infideles diris carceribus mancipatus et tormentis affectus', per
plures annos exstitit, ac in fide catholica viriliter persistens, ut
athleta fortis post plurima supplicia, aegritudines et labores in
eorundem infidelium partibus et captivitate constitutus, Christo
redemptori suo animam reddidit. —
A
— 112 —
Beiwerk, dem Geiſte des Ganzen angemeffen, hinzugefügt hat.
— Suchen wir die Handlung in Ihren Hauptpunkten darzu⸗
legen! Der portugiefifche Infant Fernando, Orofimeifter des
Ordens von Avis, Iandet mit feinem Bruder Enrique und
einer Armee an der Afrifanifchen Küfte. Eine Prophezeihung,
diefer Zug werde Unheil über Portugal bringen, und andere
böfe Vorzeichen haben das Heer mit bangen Ahnungen erfüllt;
aber Fernando zeigt fogleich feine hohe, ganz von Gottver⸗
trauen erfüllte Seele, orbnet die Seinen zum Rampfe gegen
die Ungläubigen und nimmt ben feindlichen Feldherren Muley
gefangen. Gn dem Benehmen gegen den Gefangenen, ben er,
da deffen Roß getódtet tft, zu fich auf das feine nimmt, bes
Fundet er fein Zartgefühl und feinen ächt ritterlihen Sinn. —
Muley wird hierdurch ermuthigt, ihm fein Herz auszufchüt
ten und zu erzählen, er liebe die Tochter des König von
Marocco, die Schöne Phönix, und fürchte nun, Diefe möge
während feiner Gefangenfchaft von ihrem Vater gezwungen
werden, ihre Hand einem Anderen zu reichen. Fernando fchenft
feinem Gegner, ald er deffen Bericht vernommen, ſogleich bie
Freiheit, und biefer fprengt, dem großmüthigen Feinde Dank
fagend, freudig davon; eine herrliche Scene, ganz im Geifte
jenes romantifchen Ritterthum$ ausgeführt, welches in ben
„Dürgerfriegen von Granada“ gefchilvert iſt; fogar in ben
Die Tugenden des Infanten hatten bie Bewunderung ber Feinde,
aber Feine Milderung feines Schidfals erregt. Als Larache (Lazurac),
König von Bez, feinen Tod hörte, rief er voll Schmerz: »Diefer Prinz
Hätte verdient, das Geſetz unferes heiligen Propheten zu Eennen!« Er
ertrug feine Gefangenfchaft mit fo viel Geduld und Demuth, daß bie
Mauren ihn höchlich bewunderten. — La Glébe, Histoire du Portugal.
Vergl. auch H. Schulze, über den Handhaften Prinzen bes Galderon,
Meimar 1811. .
=
— 113 —
Worten fpürt man einen Hauch der Mauriſchen Romanzen.
Die Ungláubigen ziehen nun mit vermehrten Streitfräften
beran, und das chriftliche Heer wird gänzlich beflegt. Fernando
muß fi, nachdem er tapfer gekämpft, ergeben, und wird als
Beißel nach Fez gefhleppt, indem ber König erflärt, ihn nur
gegen die Rüdgabe von Ceuta freilaffen zu wollen und ben
Enrique nad) Portugal fendet, um deshalb zu unterhandeln.
Sernando erflárt fogleih, daß er um dieſen Preis nicht bes
freit fein wolle, und fehärft feinem Bruder nod) bei'm Abſchiede
ein, nicht zu vergeffen, was ihm als Ebriften gezieme. Nun be⸗
ginnt für den Gefangenen die Reihe der Prüfungen, doch wird er
im Anfange vom Könige nod mit Achtung behandelt. Der
durd Danfbarfeít ihm verbundene Muley, beffen Liebe zur
Prinzeffin Phönix noch weiter in die Handlung verflochten ift,
verſucht Alles zu feiner Befreiung, aber vergebene. Da end-
lid langt die Botfchaft an, der König Eduard von Portugal
babe auf feinem Tobtenbetre befohlen, fogleih Ceuta zu übers
geben, um ben Infanten aus der Haft zu retten. Enrique
überbringt bie Darüber ausgeftellte Vollmacht. Aber Fernando,
flatt Freude über feine Befreiung zu empfinden, fpricht ſich tu
einer feurigen, vom Schwunge der höchften Begeifterung getra:
genen Rede dahin aus, daß er Fieber in ſchmachvoller Gefangen-
fhaft frerben, als die Uebergabe einer chriftlichen Stadt an
die Ungläubigen dulden werde. Der bochherzige Prinz zer-
reißt die Vollmacht, der König von Fez aber geht nun zur
ánferften Strenge über und befiehlt, daß Fernando mit Ket-
ten beladen werden und, gleich dem geringften Sclaven, bie
fhwerften Arbeiten verrichten folle. Im Folgenden ftrahlt die
Seelengröße des Dulbers, der ohne Murren die ſchwerſten
leiden erträgt, im reinften Olanze. Bon unvergleichlicher
Schönheit ift die Scene, two er, in ben Föniglihen Gärten
Geſch. d. Lit. in Spanien. ILL Dr. 8
— 114 —
Schavendienfte verrichtend, der Prinzeffin Phöntr Blumen brin-
gen muß und Beide in einem Zwiegefpräch voll zarter Schwär-
mereí unter dem Symbol der Sterne und Blumen bie Un⸗
endlichfeit mit der Slüchtigfeit der Erfcheinungswelt contraftt-
ren; eine Scene, die, wie Y. Schulze fagt, „uns von ber
Scholle Iosreift, indem fte allem Irdiſchen einen Todtenkranz
windet und uns von dem weiten gräherreichen Kirchhof dev
Erde auf die unvergängliche Helmath der Seelen hinweiſt.“«
Unter den gehäuften Leiden bricht endlich die Natur des Prins
zen zuſammen; wir fehen ihn auf der unterften Stufe Der
Erntebrigung; Majeftät und felbft Geiſteshoheit fiheinen ers
Tofchen zu fein, aber die Stanphaftigfeit dauert fort. Der
Dichter fheut in der Ausmalung von Fernando's Elend ſelbſt
das Widrige und Gräfliche nicht, aber gerabe indem er auf
diefe Art das Bild gefunfener Herrlichkeit in ben ſtaͤrkſten
Farben ausmalt, zeigt er ſich ald Achten Rúnftler. Der König
fommt dur die Strafe, mo Fernando Itegt und die Vor⸗
übergehenden anbettelt. Der Tyrann felbft kann ſich des Mit⸗
lefos nicht erwehren, al8 er bas Opfer feiner Mißhandlungen
in diefem Zuftande erblidt, als der Infant fogar feine könig⸗
liche Herkunft vergeffen zu haben feheint und auf den Anruf
nicht hört. Plöglich aber Teuchtet die Seele des Pringen nod)
einmal in ihrer ganzen Reinheit und Herrlichfeit empor; fein
Geiſt hat die Bande Der Sterblichkeit ſchon halb abgeftreift
und der Tode legt Worte von zermalmender Kraft auf feine
Zunge, Worte, die, wie aus dem Reiche ber Ewigfelt er
fhallend, die ewige Wahrheit verfünden. „Wie — fagt 3.
Schulze — follen wir Ausdrücke finden, um den Dichter ges
nugfam zu preifen, ber es verflanden bat, die innere Gött⸗
lichkeit feines Helden gerabe aus der tieffien Schmah am
hellſten emporglänzen zu laffen, fo daß das Sternbild biefes
— 113 —
himmliſchen Dienfchen in ber diifterften Nacht am herrlichſten
firabltliu Diefe Scene gehört zu dem Höchften, was die Poes
fie je erreicht hat; denn fie zeigt, was nie in irgend äßnlicher
Weiſe Dargeftellt worden, bie geiftige und fittliche Größe, wie
alle Ärdifche vor ihr zu Staube wird; fie enthüllt in der höch⸗
fien Erhebung des menfchlichen Geiſtes die Offenbarung bes
göttlichen. — Nachdem Fernando ſich fo noch einmal in ber
ganzen Größe eines gottgeweihten Ritters aufgerichtet, fühlt
er feine irdiſche Natur zuſammenbrechen; er Tann das Brob,
das ihm einer feiner Leidensgefährten reicht, nicht mehr über
die Lippen bringen und wird Binmeggetragen, nachdem er
nod) zuvor den Wunfch ausgefprochen, in feinem Ordenskleide
begraben zu werben. ALS ein Portugiefifches Heer vor den
Mauern von Fez anlangt um den Infanten zu befreien, hat
diefer das Irdiſche fon überwunden. Die Schranfen ber
Envlichfeit brechen zufammen, aber das Ewige bleibt unbe-
fiegt. Fernando erhebt ſich, ein verffärter Geift, aus dem
Grabe, erfcheint den chriſtlichen Streitern, eine Fadel in ber
Hand tragend, und führt fie zum Siege. Eine Geiftererfchet-
nung von gleich erhabener Wirkung tft nie auf der Bühne
gefehen worden; und fo umfeuchtet diefer herrliche Schluß
die ganze wunderbare Tragödie wie mit einem Hetligenfchein,
daß ſie für alle Zeiten al8 das Höchfte daftehe, was die chrift-
liche Poefíe erreicht hat. Wenn irgend ein Werf würdig ift,
im innerften Heiligthum der Kunſt aufbewahrt zu werben,
fo if es der flanphafte Prinz; denn die Dichtkunſt hat hier
alle ihre Reize in überfhwänglicher Fülle ausgefchüttet und
alle ihre Kräfte vereinigt, um ein Meifterftüd von einziger
| und unerreichbarer Vollendung Hervorzubringen; zugleich aber
ſchweben die Andacht und der Glaube wie ein feierliher Or⸗
glilang über bem Ganzen und geben ihn eine göttliche
8%
|
|
|
— 116 —
Weihe, in welcher bas Erdenfein die höchſte Verflárung feiert
und Leid und Klage fi, gleich der Hymne auf ber Lippe
des fterbenden Märtprers, in anbetenden Jubel auflöft.”°)
Nicht anders als mit ſolchem Ausdruck erregten Gefühles
durften wir von bem großen Werfe eines her größten Did
ter aller Zeiten reden; aber es fällt uns ſchwer, fogleid) wie-
der jene Ruhe zu gewinnen, welche zur befonnenen Prüfung
feiner übrigen Schöpfungen erfordert wird.
El Josef da la mugeres*”). Dieſes große Drama tft
39) „Welch eine Dichtung! Man wird nicht müde, fie zu betrachten
und zu bewundern! In biefem einzigen Werfe hat fich der große katho⸗
life Dichter in eine Sphäre gefchwungen, wohin der Britte mit feinen
unermeßlichen Kräften Doch nicht reicht. Denn nicht um das Gefchid ei:
ner großen Natur durch Schuld und Leidenfchaft handelt es ſich barin,
fondern um das Höchfte, was es überhaupt gibt, um die Läuterung eines
reinen Menfchen in das Neinfte, in die Seligteit. Diefe Aufgabe ift nur
einmal gelungen, und weber vor noch nach Galderon hat fich auch nur von
fern eine Production Diefer Tragödie annähern fónnen.« K. Immermann.
Noch fei es erlaubt, die folgenden Worte aus I. Schulze’s, mit
fpecieller Rüdficht auf die Darftellung in Weimar verfaßter Schrift
über den flandhaften Prinzen hervorzuheben: »Diefes. mit vollfommener
Meifterfchaft ausgeführte Trauerfpiel ſcheint vornämlich beftimmt zu fein,
den chriftlichen Sinn, deſſen Verlangen nach ber Heimath felbft durch
ein anf's reichte ausgeftattetes Leben wohl auf Augenblicte zum Schwei-
gen gebracht, aber nie ganz befriedigt wird, Durch des Prinzen Fernando
Heldenmuth zu enthüllen und den Triumph des Chriften über die Gewalt
der Erbe auf's würdigfte in feinem Märtyrertode zu feiern. — »Der
beutfchen Mufe ward es noch nicht vergónnt, ein chriftliches Drama von
hoher Vollendung, das auf vaterländifchem Boden entfproffen, voll dank⸗
barer Demuth auf dem Gochaltare der Religion dem Ewigen weihen zu
fónnen, und darum wollen wir uns liebevoll und freudig das Auslánbi-
jche aneignen, wie es dem mütterlichen Sinne des deutfchen Volks geziemt.«
10) Die Legende von der gelehrten Eugenia, ihrer Vefehrung, Berfuchung
und ihrem Maͤrtyrthum, finbet fic) nach dem Bericht des Simeun Metaphras
ha E A e — ——— — INTA
— 17 —
durch die Stärfe der Eonception und bie Fülle des Gedanfen-
lebeng nicht minder ausgezeichnet, al8 durch die Vollfommens
heit feiner äußeren, auf die mächtigfte Bühnenwirkung beredy
neten Seftaltung. In der erften Scene erbliden wir Euges
nía, öffentliche Lehrerin der Philoſophie zu Aleranbria, .an
ihrem Stubirpulte, wo fie über die Worte der Pauliniſchen
Epiftel: Nihil est idolum in mundo, quia nullus deus
est nisi unus nachſinnt. Die gelehrte Heidin vermag ben
Sinn jener Worte nicht zu erfaffen und ſchwankt zwiſchen
der Anhänglichfeit an den angeftammten Glauben und Dem
geheimnißvollen Zuge ihres Herzens, welcher fie treibt, einen
tieferen zu fuden. ES erfcheinen ihr zwei Oeftalten, deren
eine, die des Chriftengreifes Helenus, fie für die neue Lehre
zu gewinnen fucht, die andere, der Dämon, ihr bicfelbe als
Zrugwert vorftellt. Ein Geräufch hinter der Scene verfcheucht
bie beiden Gebilde. Filippo, Eugenia's Vater, tritt auf, nimmt
wahr, daß feine Tochter ein chriftliches Glaubengbud in Händen
hält, unb geräth darüber in höchſte Entrúftung, denn er vers
folgt die neue Sekte mit glühendem Eifer. Gleich darauf er:
fies in Surii Probata Sanctorum acta zum 25ften December; vergl.
damit das Gedicht des Alcimus Avitus de consolatoria castitatis.
aude; Fabric. Bibliotheca Graeca T. VI. p. 524; Baronii Annales
ad annum 188, und Tillemont Mém. ecclésiast. T. IV. p. 12. Die
Bunderthaten bes Helenus, die Calderon in fein Stud verfluchten bat,
find erzählt in Petrus de Natalibus, Catalogus Sanctorum L. IV.
cap. 59. In Bezug auf die von unferm Dichter Höchft genial durchge⸗
führte Idee, daß ein Teufel in ben Körper eines Verflorbenen fährt, um
Unheil zu ftiften, vgl. Dante's Inferno (XXXIU. v. 129 ff) — Sos
wohl diefe Anführung, als bie Angabe ber Quellen von vielen ber úbri:
gen Stücke Galberon's und einzelne fonftige Andeutungen verdanfe ich
Val. Schmidts „Weberficht und Anordnung der Dramen bes Galberon
de la Barca⸗, im Anzeigeblatt ber Wiener Jahrbücher, Jahrgang 1822.
— 18 —
feheint der funge Aurelio, der fi) um die Liche Eugenia's bes
wirbt und eben von einem Zuge zurüdfehrt, den er zur Aus⸗
rottung der Ehriften und in ber Hoffmung, fi dadurch bei
dem Vater der Geliebten in Gunft zu feben, unternommen
hat. Eugenta, ganz in ihr Nachdenken über die gehabte Er⸗
ſcheinung verfentt, wird weder von bem Zorn ihres Vaters
febr berührt, nach fchenft fie den Bewerbungen ihres Liebs
habers große Aufmertfamteit. Richt lange nachher verfammelt
fih in Filippo’ Wohnung eine Zahl von Sünglingen und
Mädchen zu einem ¿efte oder zu einer Art von poetlfcher
Afabemte, telde zu Ehren bes Prinzen Cefarino, Sohnes
des Kaiſers, Statt hat. Aud) diefer bewirbt fi um die Gunft
der Eugenta, und es entfteht zwiſchen ihm und feinem Neben;
bubler Aurelio ein Zweifampf, in welchem der Legtere bleibt.
Kaum tft der Ermorbete hingefunfen, fo erfcheint der Teufel
und fährt in bie Reiche, fo daß fie fich belebt wieber aufridh-
tet; in biefer Geftalt glaubt er am beften Eugenieng Verz
fucher fein und ihre Seele verderben zu fónnen. — Im zwei⸗
ten Aft hat fih Engenta, dem Zuge ihres Geiftes folgend,
in die Thebatfche Wüſte begeben, um fid) von den bort eis
lenden Einſiedlern weiter in ben Lehren des Ebriftenthuma
unterweifen zu Taffen; Aurelto, oder vielmehr ber Teufel in
diefer Geftalt, tft ihr nachgefolgt und ftrebt erft, fie burd)
Schmeicheleien zu verführen, dann, ihr Gewalt anzuthun;
allein der mit der Kraft bes Wunderthuns begabte Helenus
entreißt fie ihm und führt fie im Fluge davon. Die nächſten
Srenen zeigen fle num völlig dem Chriftenthum zugewandt
und in Einſiedlertracht; Filippo naht fi) mit einem Heerzuge,
den er zur Bertilgung des Chriftenthbums ausgerüftet pat,
und führt unter anderen Anhängern der ihm verhaften Lehre
die Tochter, die er nicht erfennt, gefangen mit fid) fort. In
— 119 —
diefer Gefangenfchaft hat fie bie ſchwerſten Prüfungen zu ers
bulden, aber fie erträgt fie alle mit einer Geduld und wider⸗
fteht allen Anfechtungen, mit denen fie auf Veranftaltung
des Dämon's heimgefucht wird, mit einer Stanthaftigfeit,
welche ihr den Namen des „Sofeph’s unter den Weibern“
zuführt. Niemand ahnt, daß fie Eugenia fey, welche wegen
ihres plöglichen Verſchwindens allgemein todt geglaubt wird
und welcher auf Beranftaltung des Prinzen Cefarino, wie
einem göttlichen Weſen, ein Tempel errichtet werben fol. Auch
zu biefem Plane bat der Teufel den Anlaß gegeben, indem er
hofft, das von ihm erforene, aber bisher immer ftandhaft ges
bliebene Dpfer werde endlich dem doppelten Einflürmen ber
Schmach auf der einen, der Eitelfeit auf der anderen Seite
erliegen; aber gerade der Moment feines gebofften Trium⸗
phes wird ber feiner Demüthigung und Niederlage. Das Feft
ift angeorbnet, die Menge im Tempel verfammelt und das
Bildniß der vermeintlich Geftorbenen aufgeftellt; da enthüllt
fh Eugenta, nicht um bie Verehrung, die ihrem Bilde ges
zollt wird, felbft zu empfangen, ſondern um offen, aber in
Demuth, den Glauben des Hellandes zu befennen; nicht um
der irdifehen Herrlichkeit zu genießen, die ihr Ceſarino in
feinen Armen bietet, fondern um den Märtyrertod zu erleiden.
Bei ihrem Bekenntniß verfinft der heidnifche Altar; der Teu-
fel verläßt den Leib Aurelio's, welcher num wieder leblos zu
Boden fintt; die Schergen des erzürnten Filippo, fo mie bes
über die Verfchmähung feiner Liebe rafenden Ceſarino aber
bemächtigten füh Eugenia’s, wie der übrigen Ebriften, um fie
sum Blutgerüſte zu führen, und am Schfuffe erblidt man die
neue Hetlige in der Glorie.
El Magico prodigioso *'). (Eine von Calderon's herr-
*!) Die Legende, bie ber Didjter hier aufs genialfie benupt hat,
— 120 —
Iichften Dichtungen und wohl zu ben größten Meiſterwerken
der Poeſie überhaupt gehörend. — Epprianus, über die Natur
des Göttlichen brütend und vom Heidenthum nicht befriedigt,
fubt in ahmungsvoller Ungewißheit den wahren Glauben.
Um ihn vom Wege des Helles abzulenken, tritt der Satan
in Geftalt eines Cavalierd zu tbm und fucht ihm die Zweifel
an der Wahrheit der Götterlehre zu beſchwichtigen. Der Ver:
fucher muß ben fiegenden Beweisgründen des Cyprian weichen,
und -entiwirft nun ben Plan, feinen Gegner durch finnliche
Begíerben zu. verführen. Juſtina, die Tochter einer chriftlichen
Märtyrin, foll als Mittel dazu dienen und zugleich alg zwei⸗
te8 Opfer ber böllifchen Arglift fallen. Die Berfuhung wird
bald eingeleitet. Florus und Lálius, zwei Jünglinge, welche
in unerwiederter Liebe für Juſtina glühen, fprechen die Ver:
mittlung bes Epprianus an. Diefer verheifit diefelbe, wird
aber nun alsbald feloft in bie rafendfte Leidenſchaft für Die
fhöne Chriftin geftürzt. Während die beiden ¿Freunde vor
Juſtina's Haufe auf die von ihm zu bringende Entſcheidung
barren, fteigt der Teufel vom Balkon des Haufes herab, um
beruht auf dem Bußbefenntniß des heiligen Eyprianus (in Caecilii Cy-
priani Episcopi Carthaginiensis Opera ed. Baluz., Anhang, p. 294,
und im Thesaurus novus Anecdotorum von Martene und Durand,
Lutet. Paris, 1717. T. II. p. 1629). Die nächfte Quelle alderon’s aber
ift wahrfcheinlich bei Surius: De probatis Sanctorum Actis, T. V.
p. 351 (Coloniae Agr. 1578), Vita et Martyrium S. Cypriani et
Justinae, autore Simeone Metaphras te. Ueber den Cyprianus vergl.
uy) Gregorii Naz. Opera ed. Colon. 1690, Fol. P, I. p. 274 unb
bie Acta Sanctorum Sept. T. VIL p. 195 ff. Antverp. 1760, unb
über den Zufammenhang unferes Drama’s mit der Fauftfage: Koberftein,
über das wahrfcheinliche Alter und die Bedeutung des Debichtes vom
Wartburger Kriege. Naumburg 1823, S. 55 — 58, und Rofenfranz, über
Galderon'8 Tragödie vom wunderthätigen Magus, Halle 1829,
— — — — > —-
— 12 —
Suftina'3 Ruf zu fehänden, und wirklich gelingt ihm Dies,
infofern Florus und Lälius Verdacht gegen ihren Wandel
fhöpfen umd fidh von ihr abwenden. — Cyprianus, von ber
Chriftin zurüdigewiefen, zieht fid) in Verzweiflung in eine Ode
Gegend am Meeresgeftade zurüd; wie in ihm die Leidenfchaft,
fo toben außen die Elemente; er erblidt auf dem brandenben
Meere ein Schiff, das an einem Felſen zerfchellt, und einen
Menfchen, ver fic) ſchwimmend an's Ufer rettet. (Es tft ber
Dümon in abermaliger Verkleidung. Diefer erzählt unter einem
Sleichniffe die Geſchichte jeiner Empörung gegen Gott und
feines Sturzes, weiß liftig feine Macht über die Natur zu
keichreiben und fo den von Begier nad) Stillung feiner Luft
brennenden Eyprianus in fein Neg zu Ioden. Nun folgt die
Seelenverſchreibung mit Blut und dafür bie Zufiherung von
Juſtinen's Befig. Aber ber Teufel weiß, daß feine Runft
nichts über einen freien Willen vermöge, und beginnt daher
zunächft vie Verführung Zuftina’s. Aus dem Abgrunte der Hölle
beſchwört er die Menge feiner geilen Geiſter, um fie mit ſchänd⸗
lichen Phantomen zu verloden, aber wie wollüftig auch der Ge⸗
fang der luftigen Stimmen fie umgaufele, er vermag nichts
über fie, und der Satan muß beichämt abziehen. Epprianus
verfucht nun bie erlernte Zauberfunftz es erfcheint ihm eine
Geftalt mit Zuftina’d Zügen, aber der Teufel vermag ihm
nur ein Scheinbilb zu fendenz er eilt bem Phantom nad,
entreißt ihm ben Schleier und erblickt cin Todtengerippe, wel-
des ihm die Vergänglichfeit alles Irdiſchen predigt. Entfegt,
vernichtet, erfennt er nun, daf er, in feinem Streben nat
weltlichem Genuſſe, nur nad) dem Tode gerungen und erflärt
dem Satan, der Vertrag fei nichtig, da Sener fein Verfpres
Gen nicht gehalten. Zitternd gefteht der Böfe, dag Juftina in
e id
der Obhut eines Höheren ftehe, und auf weiteres eindringliches
, — 12 —
ragen, daß diefer Höhere der Bott der Ehriften fei. Ju der
höchften Roth ruft nm Epprian diefen Gott an, und diefer
Anruf vernichtet die Macht, die ber Satan über ihn ges
wonnen. Der Böfe entweicht, Eyprianus aber eilt in's Gebirge,
um fid von einem chriftfichen Eremiten taufen zu laffenz
dann erfcheint er, nad) dem Märtyrthum verlangend, ale Tauter
Befenner der erkannten Wahrheit in Antiochia, und wird zum
Tode verurtheilt. Juftina ift fon früher als Chriflin einge
zogen worben. Auf dem Wege zur Hinrichtung begegnen fid)
Beide; fie gibt ihm in begeifterungsvoller Rede vie Leber:
zeugung, daß er burd feinen Märtgrertod den früheren Paft
mit bem Böfen vernichte und fi der unendlichen Gnade
Gottes verfichere, und fo gehen fie vereint, ihr Leben für die
unendliche Wahrheit opfernd, ¿um Schaffot. Ueber den ent
baupteten Blutzeugen erfcheint Darm ber Satan, auf einer
Schlange reítend, und verfündet, von bem höheren Beifte ges
zwingen, feine Niederlage und mit ihr die Rechtfertigung
Juſtina's und Eyprian’s *?).
Los dos Amantes del Cielo läßt die fanfte Rührung
vorwalten, wie bie vorhergehenden die mächtige Erſchütterung.
Die himmliſche Milde und Reinheit der Empfindung, bie über
biefes Drama ausgegoffen ift, zeigt uns die Frömmigkeit des
22) „In bem wunderthätigen Magus hat Calderon fich die ſchwere
Aufgabe geftellt, ein Heidnifches, durch das Philofophiren in feinem Glan:
ben wankend geworbenes Selbftbewußtfein Durch alle Momente dieſer geis
fligen Umwandlung in das chriſtliche Bewußtfein hinüberzuführen, ohne
def weber das kirchliche Syflem flörend durchblickte, noch irgendwie eine
leere Reflexion und nur äußere Bewegung vorhanden wäre. Alles athmet
ben Hauch bes Lebens. Das an und für fich feiende Böfe hat Calderon
im Dämon vortrefflich Dargeftellt, vorzüglich in der Hinficht, daß er den:
feiben in biefer Beftimmtheit dem Cyprianus erft nach und nad enthüllt
werden läßt.e KR. Rofenfranz.
— 18 —
edlen Dichters im fehönften Lichte. — Die Legende von Chrys
fanthbus und Daría erzählt Surius de prob. Sanctorum
Historiis T. V. p. 948 ed. Colon. 1578. 6. aud) Gre-
gorius Turonensis, Gloria beatorum martyrum, Cap. 38,
und Les Vies des Saints, T. VH. p. 385. (Paris 1739),
Das Weſentlichſte der Sage ift Folgendes: Chryſanthus, Sohn
des römifchen Senator Polemius, gab fid mit Vorliebe
philofopifchen Studien Binz durch einen Zufall famen ihm bie
Evangelien in bic Hände, und er wurde davon fo ergriffen,
daf er ín eine Art von Melancholie verfiel. Um Lófung der
Zweifel, welche ihn beftürmten, zu erhalten, wandte er ſich
an ben chrifilichen Presbyter Rarpophorus; dieſer untermies
ibn in ber neuen Lehre, taufte ihn, und Chryfanthus trat
nun öffentlich zum Chriftenthum über. Der Vater, ein eifriger
Anhänger ber alten Götter, ließ ihn in Feffeln legen; doch
vergebens. Dann wurden, auf den Rath eines Freundes, ans
dere Mittel mit ihm verfucht. Man veranftaltete ein prächtiges
Feſt, bei dem Ehryfanthus in Gefellfchaft Teichtfertiger Máde
hen gebracht wurde; der von Gott beſeelte Züngling erlangte
jedoch durch eifriges Gebet, daß die Verfiibrerinnen in tiefen
Schlaf fielen. Endlih warb eine Feufche Pricfterin der Mi:
nerva, Namens Daría, herbeigeführt; Chryſanthus befehrte
fie zum Chriftentfum und fie gaben ſich öffentlich für verhei-
rathet aus, lebten jedoch keuſch mit einander. Da Beide fich
angelegentlid) bemühten, die neue Lehre zu verbreiten, fo
fhöpften die Heiden Verdacht. Der Tribun Claudius führte
den Chryſanthus in einen Tempel des Herkules, um dort zu
opfern. Der Chrift verweigerte dies, und wurde nun den ent:
feglichften Martern unterworfen; allein ein Wunder bewirtte,
daf fein Körper von allen Peinigungen unverfehrt blieb, und |
dies Wunder machte auf Claudius und bie Soldaten einen
— 1% —
ſolchen Eindruck, daß fie fih taufen ließen. Nun miſchte fic
ber Kaiſer felbft in die Sache; Chryſanthus ward in einen
Kerfer geworfen und Daría in ein Bordell gefperrt. Hier
fam ihr ein Löwe zu Hülfe, um fie gegen ihre Berführer zu
fhügen. Zulegt Tief der Prátor die beiden Liebenden in eine
Grube außerhalb der Stadt werfen und die Deffnung mit
Erde und Steinen verfchütten. — Ueber die unendliche Kunft,
mit welcher unfer Dichter diefe Legende behandelt hat, kann
nur Eine Stimme fein; fein Drama gehört zu dem Bollens
detften, was je in diefer Gattung gedichtet worden tft.
El Purgatorio de San Patricio **) gehört zu den Jugend»
werfen Calderon's und trägt in manden Auswüchſen, fo wie
in dem luxuriöſen Styl die Spuren diefer frühen Entftehung
zur Schau. Ohne Zweifel ift diefes Stúd manchen gerechten
Ausftellungen unterworfen; es tft nicht allein ganz aus dem
Geifte bes monftröfen Glaubens geboren, welcher bie Zeit
unfered Dichters beherrfchte, und bietet daher ber von dem
- Stanbpuntt der Moral ausgehenden Kritik mande Blófen
dar, fonbern fann aud) von Seiten der Compoſition nicht voll:
kommen tadelfrei geheißen werden; allein wenn wir bie bizarre
See auch nur mit Befremden betrachten fónnen, wenn aud)
*5 Am vollftánbigften find die Legenden von dem Fegefener des Y. Patri⸗
cius gefammelt in Th. Wright, St. Patricks Purgatory, an essay on the
legends of Hell and Paradise current during the middle ages. London
1844. - S. aud) Les Vies des Saints, Paris 1739. T. 111. p 216; die Acta
Sanctorum (Mart. T. IL p. 588); das altfranzoͤſiſche Gedicht Le pur-
gatoire de Saint-Patrice in les Poésies de Marie de France, pu-
bliées par Rocquefort, T. II, p. 411, und den italienifchen Roman
Guerrino Meschino, Cap. 162 (f. Dunlop History of fiction, V. IH.
p. 38). In Spanien war die Sage populär geworden durch bie beiden
Schriften: La cueva de San Patricio. Leon 1506, und Vida y pur-
gatorio de S. Patricio, Madrid 1627 von Montalvan.
—— —î — — —— — m
— 135 —
Manches in der Ausführung unferen Runftfinn verlegt, fo
fpriht doch aus ber ganzen Eonception, fo wie aus vielen
Detall8 eine Fülle von Oentalitát, der wir unfere Bewunde⸗
rung nicht entziehen fónnen. Die beiden Helden bes Stücks,
St. Patricio und Ludovico Ennio, leiden an den Küften von
Irland Schiffbruch; Patricio rettet ben Lubovico und ſchwimmt
mit ihm an'é Land, wo fid gerade Egerio, der König von
Irland, mit feinem Gefolge befindet. Die beiden Schiffbrüchigen
erzählen ihre Lebensgefchichten in ¿wei langen Neben von
jener Art, wie Calderon fie ganz befonders im Anfange feiner
Gtúde anzubringen liebt. Patricio berichtet, wie er Sohn
eines irländifchen Ritters und einer franzöfifchen Dame feb
und daß feine Eltern ſich, bald nachdem fie ihm bas Leben
gegeben, in ein Kloſter zurüdgezogen hätten ; er felbft, in Tröms
migfeit aufgezogen, ift fon früh mit ber Gabe des Wunder⸗
thung begnadigt worden, und nod) kürzlich, da er von See
räubern gefangen worven, hat ihm ber Himmel durch jenen
Sturm, in welchem das Schiff untergegangen , Beiftand ges
leiftet. En Bezug auf Ludovico, den er gerettet, äußert er:
„Sch weiß nicht, welches geheime Band mic) an diefen Jing.
ling feffelt und mir verfündigt, daß er mir den Dienft, ben
ih ihm geleiftet, einft reichlich vergelten voerbe.« — Die nun
folgende Rede Ludovico's malt in fehr grellen Farben jene
für uns fo befrembende und doch nad ſpaniſch-katholiſchen
Begriffen keineswegs unnatürlihe, Erſcheinung aus, daß ein
Böfewicht mit vollem Bewußtfein in den ungeheuerften Vers
brechen beharrt und Doch zugleich mit inniger Verehrung an bem
Glauben der Kirche hängt. Ludovico erzählt eine ganze Reihe
von ihm verübter Schandthaten; für die ärgfte derfelben ers
Härt er folgende: er hat eine Nonne verführt, geraubt und
geheirathet, fich mit ihr nad) Valencia begeben und dort, nach⸗
— 11 —
dem er fein ganzes Bermögen verſchwendet, ben Verſuch ges
macht, durd) ihre Unebre Geld zu gewinnen; fie jedoch Hat
fich geweigert und iſt in das Klofter zurüdgeflohen. Auf feinen
weiteren Abenteurerzügen mm fft er ben Seeräubern in bie
Hände gefallen, aus denen ihn Patricio befreit fat. — Der
heidnifche König vergibt dem Lubovico wegen feiner Schand-
thaten das Verbrechen, ein Chrift zu fein, ladet dagegen das
ganze Gewicht feines Haffes auf Patricio. Im Verlaufe des
Stüdes nun häuft Ludovico Frevel auf Frevel, fichert fich aber
burd) feinen Glauben mehr und mehr den Schub des Patricio.
Er verführt die Tochter des Könige, Polonia, verwidelt fid
in einen Zweifampf mit dem Feldherrn Filippo, wird gefane
gen genommen und zum Tode verurtheilt, aber von Polonia
befreit. Die Beiden entfliehen zufammen; aber Ludovico hat
nte in Wahrheit gelícbt, und er befchlieft daher, feine Retterin,
bie ihm bei ber weiteren Flucht hinderlich fcheint, umzubringen ;
wirklich vollführt er diefe That in einem vüfteren Walde, durch
welchen ber Weg führt, und zieht dann mit einem Bauern,
ber fich zu ihm gefellt, weiter in bie Welt hinaus. Unterveffen
erwedt Patricio die Polonia vom Tode; Egerio, hierüber ers
ftaunt, begehrt von dem Wunderthäter, daß er ihm das Feges
feuer zeige; Patricio entipricht dieſem Verlangen, führt ven
König zu einer Höhle, aus welcher man unmittelbar in das
Tegefeuer hinabblidt, und flürzt ihn von hier in die Hölle
hinab, was denn vie Belehrung bes Hofes und von ganz
Srland nad) fic) zieht. — Ju. Anfang des-dritten Alts ficht
man Ludovico von langen Reifen durch ganz Europa nad)
Srland zurüdfehren, um ben Feldherrn Filippo, an bem er
feine volle Rache nicht Hat fättigen fónnen, umzubringen.
Während “er Nachts feinen Gegner erwartet, erfcheint ihm ein
vermummter Ritter und fordert ihn zum Zweifampf; Lubovico
— 117 —
beginnt das Gefecht, aber feine Hiebe treffen nur bie Luft.
Da enthüllt ſich der Ritter ale ein Todtengerippe und ruft:
„Erfenne dich ſelbſt! fiehe, in bin Ludovico Enniol« Dur)
tiefe Erfcheinung wird denn ber Sünder befehrt; er flürzt finns
beraubt zu Boden und ruft hierauf aus: „Durch weldhe Ges
nugthuung fónnen die Vergehen eines fo fündigen Lebens ges
tilgt werden fa Mufif vom Himmel antwortet: „Durch das
degefeuer!a Er begibt fi nun, um bas Fegefeuer aufzufuchen,
in die Begend jener Höhle, wohin Patricio den König geführt
batte. Dort findet er Polonia als Einfledlerin lebend; fie
zeigt ihm ben weiteren Weg; er begibt ſich in die Höhle und
tritt nach einigen Tagen geheiligt unb verflärt wieder aus
derfelben hervor. Eine lange Rede, in welcher er die Wunder
beichreibt, die er im Fegefeuer des St. Patricto gefehen, bildet
den Schluß des Schauſpiels **).
Las Cadenas del Demonio eröffnen fi mit einer dem
Beginn von La vida es sueño und von la hija del aire
verwandten Scene. Swene, Tochter des Königs von Arme:
nien, tft feit ber Geburt in einem búfteren Rerfer gefangen
gehalten worden, weil die Aftrologen prophezeiht haben, fte
terbe, wenn frei, alles mögliche Unheil über das Land brin-
gen. Verzweifelnd ruft. fie den Teufel um Hülfe an und
erlangt von ihm, gegen Berfchreibung ihrer Seele, Befreiung
aus ber Haft. Die Reden des Apofteld Bartholomäus, wel-
her bald darauf in das Land kommt und einen Theil des⸗
felben zum Chriftenthum befehrt, machen einen ſolchen Eins
u Bald mit Blik bewehrt, durchleuchtet
Als ein Aar die Luft der Glaube,
Und bald ruht er, eine Taube, -
Die am Bad) die Flügel feuchtet.
Slaten.
— 18 —
brut auf fie, daß fie, im Bervufitfeín ihrer Schuld, in ein
Seelenleiden und ¿ulegt in Raferei verfällt. Die Schilderung
ihres Wahnſinnes gehört unftreitig zu dem Meifterbafteften,
was gedichtet worden ift; enblid) ringt fih ihre Seele aus
diefer Zerrüttung empor, fie befennt Chriftum und erlangt
dur) den Apoftel, der am Schluffe des Stüds den Märty-
rertob ftirbt, Vernichtung des Partums mit bem Böfen *°).
La Exaltacion de la Cruz *°). Der Anhalt diefes wun⸗
derherrlihen Drama's tft die Rettung des heiligen Kreuzes
aus der Haft des perfifchen Königs Chosroẽs und deſſen Wie⸗
deraufrichtung in dem Tempel von Serufalem; aber der Dich
ter hat diefe Kreuzerhöhung zugleich ſymboliſch als die Bere
perrlichung des Chriſtenthums gemeint. Vortrefflid) ift in bie
*5) Meber die Quellen biefes Schaufpiels iſt Folgendes zu bemer-
fen: Die Todesart des Bartholomäus ift aus dem Breviarium Roma-
num, 24fter Auguft, der größte Theil ber übrigen Hanblung aus ben
Actis fabulosis des Pfeudo-Abdias in den Actis Sanctorum Au-
gusti, T. V. p. 32 (Venetiis 1754). Hier findet fich die Krankheit ber
beiden Prinzen, das plößliche Erfcheinen des Bartholomäus bei dem Kö⸗—
nige, während die Thüren verfchloffen find, und endlich auch der Wahn
finn der Irene, über den Abdias folgende Worte hat: »Da Bolymius
eine wahnfinnige Tochter hatte, erhielt er von diefem Dämon-Anstreiber
Bericht, und fandte zu ihm und bat ihn mit den Worten: „Meine Toch-
ter wirb ſchrecklich gepeinigte u. f. w. J
1 Ueber das Geſchichtliche ſ. Eutychius Annal. Tom. II. p. 240
— 248, Baronius Annal. Eccles. A. D. 628, No. 1—4, Nicephorus
Brev. p. 15, Theophanes Chronograph. p. 265 ff., bag Chronicon
Paschale, p. 398 ff., d’Herbelot Bibliothéque orientale, p. 789, As-
semanni Bibliotheca orientalis, Tom. MI. p. 415 — 420, le Beau
histoire du Bas-Empire, T. XII., Gibbon decline and fall, Cap. 46,
Der Raifer Heraclius war ſchon im zwölften Jahrhundert durch ein Dent:
ſches und ein franzöftfches Gedicht (jenes von Otte, dieſes von Gautier
von Arras) verherrlicht wurden.
— 19 —
Haupthandlung die Legende vom Heiligen Anaftafins (Acta
Sanctorum Bollandi, Januar. T. Il. pag. 422, Antverp,
1643) verſchmolzen. Diefer, zuerfi ein Magier und Zauber«
fünftler, zeigt ben Söhnen des Chosroẽs auf ihr Begehren
in einem Zauberfpiegel ben Einzug ihres Vaters in Serus
falem; aber ber Anblid des Kreuzes macht feine Kunft zu
nichte und legt in ihm den erften Grund zu Zweifeln an ber
Wahrheit feines Glaubens. Chosroẽs febrt im Triumpbe in
feine Hauptftadt zurüd, pflanzt das geraubte Kreuz bes Ers
lofer$ in bem Tempel des Jupiter auf und übergibt ben ges
fangenen Patriarchen von Serufalem, Zacharias, als Sklaven
an Anaftafius, damit diefer ihn feinem Glauben abwendig
mache. Inzwiſchen pat der griechifche Ratfer Heraclius dur
bie vertriebene Königin von Gaza, Eblodomira, welche hülfes
flepend vor ihm erfcheint, Kunde von der Einnahme erufas
fems und von der Fortführung des heiligen Kreuzes erhalten;
wenn er bisher in weltlicher Liebe zu feiner Braut geglüht
hatte, fo reißt er nun Diefe aus bem Herzen und richtet alle
feine Gedanfen auf das hohe Unternehmen, das Symbol des
Ebriftenthums zu befreien. Chlodomira ſchließt fih in Rrtes
geriracht dem Zuge nad Verfíen an. Nicht fogleich jedoch
verleiht der Herr feinen Steitern den Sieg; Prüfungen und
Drangfale mandjer Art find ihnen aufbewahrt; fie werben
von den Perfern gefchlagen und in einer unwegfamen Ges
birgegegend bem Untergange nahe gebracht; aber fie bleiben
treu im Glauben und in der Hoffnung, und endlich ftept
Ihnen der Himmel bet; Engel ſchwingen ihre Flammenſchwer⸗
ter ımd zerfirenen bie Schaaren der fie umzingelnden Feinde.
Unterbeffen tft in ber perfifhen Königsfamilie, zu welcher
Eblodomira als Gefangene geführt worden, Zwiſt ausgebro-
den; ein Sohn des Chosroẽs, von bem Vater tödtlich bes
Geſch. d. Lit, in Spanien. IL Bo, 9
— 19 —
leidigt, flieht mit Eplobomira zu Heraclius, und mit feiner
Hilfe gelingt die Einnahme ber perfifchen Hauptftadt, fo wie
bie Wiedereroberung bes geweihten Holzes. Anaftafius, ber
pon feinem Sklaven Zacharias zum Chriftentbum befehrt und
wegen des neuen Glaubens, den er offen befennt, von Chos⸗
ro&s mit jeder Art von Schmach und Leiden belegt worden
ift, wird befreit und Zacharias zu feinem Bifhofsamte nad)
Serufalem zurüdgeführt. Am Schluffe des Stüdes haben wir
ein Gegendbild der erften Scene; wie Anaftafius dort burd)
magifche Kunft die perfifchen Prinzen den Raub des Kreuzes
erbliden ließ, fo wird ihn nun von Engeln gezeigt, wie He⸗
raclius, in: härenem Gewande und das Haupt mit Dornen
umflochten, das heilige Holz auf eigenen Edhultern in ben
Tempel von Serufalem trägt und auf dem Altare aufpflangt.
La devocion de la Cruz. Ein Merf, das als Ausbrud
bes Geiſtes einer untergegangenen Zeit, wie durch poetifchen
Werth gleich bedeutend if. Die phantaftifche Grundidee ift
in großartigen Zügen durdigeführt; allein die Religioſität
des Dichters, die fih in anderen Werfen als fo lauter und
ächt chriftlich zeigt, erfcheint hier auf's feltfamfte durch Aber:
glauben und Fanatimus getrübt. Die Lehre, daß ein Menſch
Frevel aller Art begeben und doch wegen feiner Verehrung
für den kirchlichen Glauben und beffen Symbole des endlichen
Heiles verfichert fein fónne, wird hier aufs nachdrücklichſte
ausgefprochen, und die buchitäblihe Ayslegung der Fabel ganz
hinter eine ſymboliſche verfteden, heißt offenbar dem Dichter
eme Idee unterfchieben, an die er nicht gedacht hat. Ein von.
dem Gatten auf rohe Art mißhandeltes Weib wird am Fuß
eines Kreuzes in der Einöde von Mutterwehen befallen und
ruft in diefer bangen Stunde das Kreuz um Hülfe an. Die-
Zwillingsfinder, von denen fie entbunden wird, tragen das
— 134 —
Zeichen ber Gnade in der Geſtalt eines rothen Kreuzes auf
ver Brut. Von diefen Kindern läßt ber Mater die Tochter,
Julia, bei ſich erziehen, der Sohn aber wächft in der Fremde
und ihm unbefannt auf und fchlieft fpäter ein Liebesbündniß
mit Julien, ohne die Schwefter in ihr zu erfennen. Ein ans
berevr Bruder Julieng fordert ben Verfitprer und fällt fm
Zweikampf. Sulia wird nun von ihrem Vater in’s Klofter
verftofen, der Sohn aber geht unter eine Ráuberbande und
bäuft Verbrechen auf Verbrechen. Die alte Liebe Iebt in ihm
fort, und er beichließt, Julien aus dem Klofter zu entführen;
als fie aber im Begriffe ift, fih ihm zu ergeben, fehaudert
er zurüd, denn er hat auf ihrem Vufen das Zeichen des
Kreuzes erblidt. Julia, jegt ihrerfeitS von frevelbaften Ges
lüften ergriffen, entflieht ben heiligen Mauern und eilt ihm
nah. Die Wunder, welche das Kreuz an feinen beiden Vers
ehrern vollbringt, bilden nun den eigentlichen Kern des Stüf-
kes; das Leben, wie drohend es auch mit Schuld und Uns
glüd auf fie eindringt, tft für die beiden Erwählten doch nur
der dunfle Pfad zu dem Sonnenglanze bes ewigen Heils,
das ihnen von ber Wiege an entgegenftrahlte; umfonft fuchen
die böfen Mächte fie in den Abgrund des Verderbens zu reis
fen, fie bleiben dem Kreuze treu, und das Wahrzeichen des
Heild rettet fie aus Sünde und Tod. Der Dichter hat Dies
mit mächtiger Phantafie ausgemalt; aber bei aller Gewalt
feiner Darftellung vermag bie Einbildungsfraft, wenigftens
der heutigen Zeit, fi) ber Defrembung nicht zu ermehren,
wenn fie jenes äußere Zeichen nicht Bloß als Symbol, fon-
dern alg rettendes Werkzeug ber göttlichen Gnade aufgefafit
fieht, indeß doch bie Seelen der Geretteten mit klarſtem Bervufts
fein in der Schuld beharren. Während Sohn und Tochter
fig Miffethaten und Ausfchweifungen aller Art überlaffen,
. g*
— 132 —
rüdt der Vater gegen die Räuber in'8 Feld; der Sohn bleibt
im Gefecht; abersauf feinen Anruf des Kreuzes erfheint ein
frommer Bifchof und nimmt ihm die Beichte ab, ein befannt-
lid nad katholiſchen Begriffen weſentliches Erforderniß zu
einem feligen Ende. Julia, gleichfalls verfolgt und ihren Tod
gor Augen fehend, umflammert ein Kreuz umd ſchwebt mit
biefem , ihren Verfolgern entgehend, in die Luft empor.*”)
Del Origen, Perdida y Restauracion de la virgen
del Sagrario**). Die Handlung zerfällt in drei Theile, deren
7) Eine Apologie biefes fo vielfältig angefochtenen Drama’s hat
Rofentranz in folgenden Worten zu geben verfucht: „Nur für den, ber
fid) nicht auf den eigenthúmiichen Boden des ſpaniſch-kirchlichen Rathos
liciemus zu verfegen weiß, Tann bie ber Andacht zum Kreuz zu Grunde
liegende Idee anftößig fein, dem Fatholifchen, mit ber Neliquie und ber
Kraft heiliger Zeichen vertrauten Bewußtſein gewiß nicht. Nur das um
endbliche Vertrauen des Glaubens an Gott, ber fid) in ewiger Liebe für
uns an das Kreuz dahingegeben, rechtfertigt die Sündigen, und fo nur
werben beide, zur reuevollen Erfenntniß ihres Böfen gefommene Geſchwi⸗
ler durch Anerkennung des Kreuzes mit Bott in Onaden verfühnt. Die
noch etwa eine Zeit lang durchlebte moralifche Befferung u. f. w. ift für
das Bewuftfein nicht in Anfprud) zu nehmen, für welches Momente durch
ihren Inbalt die Schwere ganzer Jahre haben.«
“°) Biele von den in Diefem Drama benutzten hiftvrifchen Umftäns
den find erzählt in der zum Bolfsbuch gewordenen Historia de la per
dida y restauracion de España por D, Pelayo y D. Garcia Xime-
nez de Aragon, welche wahrfcheinlich Calderon’s nächfte Quelle war.
Aber noch außerdem hat ber Dichter Volksromanzen und Firchliche Tras
ditionen vielfach ausgebeutet, Vgl. zu Akt I: die alte Romanze Don
Rodrigo rey de España n. f. w., in Ochoa's Tesoro de los Romance-
ros, Paris 1838, S. 81; bie Legende von ber heiligen Leocabía, in ber
España sagrada, T. V. p. 485 (Madrid 1763) , bei Surius de probatis
Sanctorum Historiis T. VII. p. 1007 (Colon. Agr. 1581) und in
les Vies des Saints, T. VII. p. 453 (Paris 1739). Su Aft II:
Coronica del Rey D. Rodrigo, con la destruycion de España,
— 13 —
jeder in einem verſchiedenen Jahrhundert fpielt, der erfte im
fiebenten, unter ber ‚Regierung des Weftgothenlönige Recis“
fund, der zweite im achten, zur Zeit der Eroberung Spaniens
durch Tarif, der britte im eilften, zur Zeit ber Wiedereins
nahme von Toledo. Den Mittelpunkt des Ganzen bildet das
wunberthätige Muttergottesbild in feiner Entftehung, Verfens
fung und Erlöfung, und in der Beziehung aller Scenen auf
dieſes Centrum tft die Einheit der Compofition zu fuden.
La cisma de Inglaterra *). Der Vorwurf diefer
Tragödie trifft in vielen Punkten nit dem von Shafs
fpeares Heinrih VII. zufammen. Man begreift, wie unges
heuer die Berfchiedenheit der beiden Werfe fein muß. Wenn
das englifhe Drama auf die Verherrlichung der Elifabeth
abzielt, fo zicht fich durch das ſpaniſche offenbar die Tendenz,
der Fegerifchen Königin den Makel ver unehelihen Geburt
anzubeften. Die unglückliche Anna Boleyn, die Mutter der
Elifabeth, wird alg ein mwollüftiges, allen Laftern ergebenes
Weib gefchildert, und neben ihr erfcheint in gleich gehäſſigem
Lichte ber hochfahrende Cardinal Wolfey; dagegen find bie
fotholifche Daría und die fpanifche Prinzeffin Katharina (ble
verftoßene Gemahlin Heinrich's VIIL) mit den ſchönſten Tus
Valladolid 1527, die Romanzen bei Ochoa, S. 81 — 90, und Mariana
de rebus Hispaniae, L. VI. Cap. 22. 3u Aft III: die Memorias
de la Iglesia de Toledo vom Erzbifchuf Rodrigo, und Ferreras Be:
fegichte von Spanten (franz. Ueberfegung von d’Hermilly, Paris 1751,
Tom. Ill. p. 436).
N Das Hiftorifche tt allem Anfchein nach aus dem alten fpanifchen
Bolfsbuch Historia del Gran Cisma de Inglaterra con sus factores
Enrico VI. y la impia Isabela, welches feinerfeits gegründet if au
Nicolai Sanderi de Origine ac progressu schismatis Anglicani
(Olivae 1690). — Ueber unfer Drama vgl. D. Schmidt’s fleine
Schrift: Die Kirchentrennung von England, Berlin 1819.
— 134 —
genden der Meiblichfeit ausgeftattet. Vortreffli ift die Chas
rafterzeichnung des ſchwachen und eitlen Königs, in dem doch
ein Reim des Guten lebt, welcher nur immer von neuem
erftidt wird. Doch genug diefer allgemeinen Bemerkungen;
das Drama ift in vieler Hinficht zu intereffant, als daß fein
Inhalt nicht ausführlicher dargelegt werden follte *%). —
Erfter AF. Heinrich der Achte fehlummernd in feinem Gas
binet. Bor ihm Tiegt ein Manufeript, woran er gearbeitet
hat, die Abhandlung de septem sacramentis. Er träumt,
ſchreibt und fpridht im Traum; neben ihn ftebt des Traums
gebilde der Anna Boleyn, welche er bis dahin nod nie
gefehen hat, und verwilcht mit der linfen Hand, was er mit
der rechten gefchrieben. — In her Ferne hört man die Tritte
des Cardinal Wolſey, das Geficht verſchwindet, Heinrich
erwacht, aber die Begter nach dem reizenden Wefen iſt in
feiner Bruft geblieben. Wolfey nähert fi); er bringt einen
Brief des Papſtes Leo des Zehnten und ein neues Bud Lu-
ther's. Der König will die Schrift Lutber”s vor feine Süße
werfen und‘ den Brief des Papftes auf feinen Kopf legen;
aber zerftreut burd den Gedanfen an Anna, verwechfelt er
beide, wirft das päpftliche Schreiben zu Boben und erhebt
das Luther he Werk. Vergeblich fucht er das böfe Vorzeichen
durd) erzivungene Anslegung zum Guten umaudeuten. Der
Cardinal bleibt allein und zeigt in einem Monolog feinen
unerfättlichen Ehrgeiz. Carlos, franzöfifcher Gefandter, bittet
zur Audienz bei Heinrich zugelaffen zu werden; der übermüs
thige Cardinal aber weiſt ihn ſtolz zurüd. — Carlos, mit
einem Freunde allein, entvedt dieſem, daß das Hinderniß,
50) Der folgenden Inhaltsanzeige ift die von VB. Schmidt, a. a. O.,
gelieferte zu Grunde gelegt.
— 135 —
wodurch feine Rüdretfe nad) Frankreich verzögert wird, ihm höchſt
erwünscht ift; denn glühende Liebe zu Anna Boleyn hält ihn
feft umſtrickt. Das Fräulein tft früher in Frankreich gewefen,
dort hat er fie ¿uerft beim Tanz gefehen und geliebt, und
fie hat fih ihm ganz ergeben. — (ES treten auf von der
einen Seite: die Königin Katharina, deren Tochter Ma s
ría und ihr Hoffräulein Margaretha Pool; von ber
anderen Seite führt Thomas Boleyn feine Tochter Anna
zur Königin und ftellt fie ihr vor. Anna ftammelt Schmeis
heleien gegen die Füritin und verfluht dabei in Gedanfen
ihre untergeordnete Lage, welche fie zwingt, zu fnteen. Katha⸗
rina aber gebietet ihr aufzuftehen, denn foldhe Ehrenbezeugung
gebühre nur Bott; dann will fie, die Königin, zu ihrem
Gemahl; Wolſey ftellt fih vor die Thür des Cabinets und
weiſt fie zurúd. Die Königin, entrúftet, zeigt ihm, daß fie
ihn durchſchaut, daß fie feine ftolze Seele in dem erheuchelten
Gewande der Demuth erkennt. Der Entlarote ſchwört, ſchwere
Rache zu nehmen; überdies hat ihn fein Lehrer, ein Stern-
beuter, gefagt, ein Weib werde fein Unglüdf machen; wer
fonft fónnte bies fein, alg Katharina? — Anna mit ihrem
Vater allein. Sie erhält von ibm wohlgemeinte Lehren, wie
fie fi) zu benehmen habe, und antroortet falt und veráchtlid,
denn fie ſchämt fid) ihrer Abfunft. — Carlos mit Anna.
Taufend Schwüre befiegeln auf's neue ben Bund; Beide reis
hen fid) die Hand zur heimlichen Vermählung. — Von ber
einen Seite König Heinrich mit Wolfey, von der anderen Ras
tharina mit ihrem Gefolge. Kaum erblidt ber König das
Sräulein, fo erfennt er in ihr jene. Traumgeftalt, welche ihm
feine Tatbolifchen Lehren ausgelöſcht hat. Entzüdt, verwirrt
naht er ihr und ſchlau⸗demüthige Reden umſtricken ihn nod)
fefter. Der arglíftige Carbinal beobachtet feinen Herrn und
— 138 —
bas Fräulein. Er lieſt in Beider Herzen, bier teufliſchen Hoch⸗
muth, dort ſinnverwirrende Liebe, und ſo freut er ſich der
nahen Rache.
Zweiter Akt. Heinrich in ſeinem Cabinet, in troſtloſer
Sehnſucht nach Anna. Nur der Cardinal und ber Gracioſo
Pasquín find um ibn, aber zerftreuen bie tiefe Schwermuth
feiner Seele nicht. Die Königin mit ihrem Gefolge fommt,
den geliebten Gemahl zu erheitern. Weil Anna bet ihr ift,
nimmt er fie an. Mufit, Defang und Tanz follen den ums
mer zertheilen. Wolfey muß fid auf Katharina's Befehl ents
fernen. Ein zärtliches Thema (letra) wird gefungen, und die
Königin felbft fügt eine Gloſſe hinzu. Heinrich fieht nur nad
Anna. Vergeblich raufchen die Klänge an feinen Ohren vors
über. Jegt tanzt Anna und fällt, wie zufällig, hin zu ben
Süßen bes Tiebetrunfenen Fúrften. — Nun läßt fid Carlos
melden und wird angenommen. Er hält im Namen des
Herzogs von Orleans an um bie Prinzeffin Marla. Heinrich
befcheidet ihn auf ein ander Mal. — Wolfey allein. Alle
Qualen gedemüthigter Eiferfucht zerreißen fein Herz. Nach
Leo des Zehnten Tode hat Kaiſer Karl der Fünfte feinem
Lehrer Adrian zum päpftlichen Stuhl verholfen, eine Würde,
auf welche Wolfey gerechnet hatte. Dem Katfer fann er nicht
beikommen, aber beffen Tante, die unſchuldige Königin Ras
tharina, fol feine Rache fühlen. Zu -ihm tritt Anna. Beide
haben fic) erfannt; Beide treibt diefelbe Gefinnung. Sie ſchwört,
nur feinen Bortheil vor Augen zu haben, wenn er ihr zum
Thron verhilft, verflucht fich felbft zum fchimpflichen Tode
durch Henters Hand, wenn fie je die Pflicht der Dankbarkeit
verlegen fullte. Anna bleibt allein; der König, von Leidens
fhaft befiegt, wirbt um das reizende Mädchen. Unenpliche
Liebe, verfichert fie, treibt fie zu ihm; mit füßfchmeichelnden
A — — —
— 1387 —
Morten und Blicken feffelt fie ihn noch mehr, und laͤßt fo
den bethörten Dann ftehen. Da fchleicht Wolſey heran und
fpricht zu ihm: „Deine Ehe mit Katharina tft verboten und
nichtig; Du fannft, Du mußt Dich von ihr fcheiden!« Die
Einficht wiverftrebt, aber ber ungebändigte Wille billigt den
Vorſchlag. Der Cardinal muß ſchleunig die Staatsräthe zu
einem Parlament zufammenberufen. — Parlaments Situng.
Auf einem Thron Heinrich und Katharina, mit Krone und
Scepter; neben ber Königin figt die Prinzeffin Marla, und hinter
dem König ſteht Wolfey. Heinrich erflärt feierlich, feine Ehe
mit Katharina fei ungültig, indeß fei feine Tochter María
rechtmäßige Thronerbin von England. Zum Schluß bemerkt
er, daß demjenigen, welcher die Gründe der Scheidung nicht
zureichend finde, der Kopf augenblicklich abgefchlagen werden
folle. Die Königin antwortet hierauf in einer langen Rede
vol Liebe, Ergebung und Bitten an ihren Gemahl, daf er
nicht aus Rüdfichten irgend einer Art das Heil feiner Seele
auf bas Spiel fegen möge; ber Fürſt aber dreht ihr den
Rüden und entfernt fid) langíam ohne Antwort. Carlos eilt
entfegt mit biefer Nachricht an den franzöftichen Hof; Molfey
rächt fid) für Die Huldigungen, welche er früher gezwungen
war, feiner Königin zu leiften, indem er mit Hohn bie Prins
zeffin Maria den Armen der Mutter entreißt; jegt wendet
fih bie Königin an Anna und bittet um ihre Hiúrfprade;
ſchweigend, mit verhehlter Freude, wendet diefe fi) weg, und
nur Margaretha harrt liebeno bel ter Verftoßenen aus.
Dritter Aft. Lange Zeit ift verfloffen, Anna mit Heinrich ver-
mählt; da der Papft nicht in die Scheidung hat willigen
wollen, fo Hat fidy Heinrich von ber fatholifchen Kirche los:
gefagt und vie Möfter und geiftlichen Güter eingezogen. Ras
thaͤrina lebt in einer ärmlichen Wohnung bei London. Carlos ift
— 138 —
aus Frankreich abermals nad) England gereift, um feine ges
liebte Anna zu ehelichen, und findet fie jegt als Königin; nur
nod Ein Mal will er fie fehen und ihr die Pfänder vos
riger Liebe zurüdgeben. Nach ihm tritt Wolfey auf; ihm
folgen mehrere arme verrmundete Soldaten, welche ihm Bitts
fohriften überreichen. Diefe wirft er zur Thüre hinaus.
Dann ift er allein mit ber neuen Königin Anna. Er bit
tet fie, ihm bei feinem Geſuch um die Präfiventfchaft des
Reichs zu unterftitgenz allein fie hat biefe Stelle fon an
ihren Vater vergeben, und das ohne Wiffen bes Cardi⸗
nald. Wüthend droht ihr der Priefter, fie in bas Nichte
zurück zu fchleudern, aus dem er fie gezogen, und fie bes
ſchließt, ihre Gewalt und Lift als Frau den Ränfen des Pfafa
fen entgegen zu ftellen. — Heinrich mit Anna. Er zeigt fet:
nem geliebten Weibe einen Brief voll leerer Trofigründe an
die verftofene Katharina; Anna erbittet ſich benfelben zur
Durdficht, mit dem geheimen Vorfag, Gift hinein zu thun.
Dann beffagt fie ſich über den frechen Hochmuth und die Bes
leidigungen des Cardinals Wolſey, und flebt ſchmeichelnd um
Rache. So bricht fie den Eid, den fie ihrem DBefórderer ge:
feiftet hatte, wie früher ben, wodurd fie dem Carlos auf
ewig verbunden war, und Wolfey wird in der falfchen Aus⸗
legung jener Prophezeiung gefangen: „ein Weib werde ihn
ſtürzen.“ Indem er dies auf Katharina gedeutet hatte, hat er
ſich felbft feine Feindin groß gezogen. Heinrich verjagt ihn
fchimpflih vom Hofe und gibt ben von ihm gemißhandelten
Kriegern feine Schäge und Güter preis. — Landfig ber
verftofienen Königin Katharina. Gn gottergebener Traurigs
feit wandelt fie mit Margaretha unter Feldblumen auf eins
famer Flur. Da naht Wolfey, dürftig, flüchtig, hungrig, und
flieht um ein Almofen. Die Königin hatte fich verhält, um
- —
— 139 —
ihn nicht zu befchämen, und ihm ihr letztes Geſchmeide ges
reicht. Jetzt entfchleiert fie ſich auf fein Bitten; verzweifelt
danft er ihr. ES kommen Diener des Könige; er glaubt, daß
fie ihn verfolgen, wirft fid) in blinder Wuth von einem Fels
fen hinab und ftirbt. Die Diener bringen jenen vergifteten
Brief, welchen die Fúrftin freudig und ergeben von ihrem
Herrn und Gemahl annimmt. — London. Schloß. Der Rós
nig, argwöhniſch durch bofes Gewiſſen, horcht in bem Zim⸗
mer feiner Gemahlin. Sie entfernt ihre Hoftamen und glaubt
jegt mit Carlos allein zu fein. Diefer überreicht der treulofen
Gattín bie Pfänder früherer Lebe. Sie verfichert, nur ihn
liebe fie, Heinrich's Krone fel ihr werth, aber nicht er felbft.
"Aber Carlos wirft die zärtlichen Briefe der Königin von fid)
auf ben Boden und entfernt fid voll Unmillen und Verach⸗
tung. Dem König ift die Binde von den Augen genommen;
er ergreift einen Brief und fiept ben Verrath beftätigt. Er
läßt Anna durch ihren eignen Vater gefangen nehmen; Alles
hat Heinrich ber Liebe für fie geopfert, gegen fein eigenes,
befferes Gefühl, und fieht ſich jest eben hierin verrathen.
Wohin foll er fih wenden, al8 zur verftoßenen Katharina ?
Er will fie wieder annehmen; da erfcheint feine und ihre
Tochter Maria. in Trauerffeivern, und meldet den früßzeitigen
Tod der geduldigen Kürftin. Heinrich, in tiefem Schmerz, beugt
fein Haupt, und Magt fich felbft der Sünde an. Um gut zu
machen, was noch möglich tft, verfpricht er der María, fie
mit Philipp dem Zeiten von Spanien zu vermählen. Dann
läßt er das Parlament verfammeln und ihr alg Thronerbin
von den Ständen huldigen. Ste figt auf bem Thron, zu ihren
Füßen liegt ber Leichnam der Anna Bolegn. Als ctfrige Ras .
tholifin willigt fie nicht in Beibehaltung der Glaubensfreiheit,
nod) in die Veräußerung ber kirchlichen Güter. Heinrich räth
— 140 —
br, ihre Geffnnungen bis auf gelegnere Zeit zu verbergen.
Dag Volf huldigt und ein Hauptmann fchlieft mit ben
Worten: „Hier endet das Schaufpiel vom gelehrten Igno-
ranten Heinrich und vom Tode ber Anna Boleyn.”
La Aurora en Copacavana°!). Sn diefem Drama,
deffen Titel die über Peru aufgehbende Sonne des driftlichen
Heiles bedeutet, hat der Dichter feine reiche Phantafie befonders
glänzend entfaltet. Der Anfang, welcher die Fefte Der Indianer
in dem Sonnentempel von Copacavana darſtellt, tft prachtvoll.
Die Hymnen der Gößendiener werden durch Kanonenfchüffe
unterbrochen, welde die Anfunft von Pizarro's Flotte vers
fündigen. Der Anblid der Schiffe und der Donner des Ge⸗
[hüßes verbreiten allgemeines Entfegen; bie erzürnten Götter
verlangen ein Menfchenopfer, und zwar die Priefterin Gua⸗
colda, die fowohl von dem Snfa, al8 von bem Helden Jus
pangui geliebt wird. Der Infa, von Der alg wirkliches Wefen
vorgeführten Idolatrie bethört, gibt feine Zuftimmung zu der
Dpferung, Supangui aber entreißt die Geliebte ihren bluts
ditritigen Verfolgern. — Der zweite Aft zeigt die nun ges
landeten Spanier im Kampfe mit ben Indianern. In einer
der glänzendſten Scenen tft das shriftliche Heer in ber ers
oberten Stadt Cuzko eingefchloffen, deren hölzerne Häufer
von den Indianern in Brand geftedt find, um ihre Feinde
zu erftiden; aber die Jungfrau María, von Pizarro anges
$1) Weber das Hiftorifche f. Garcilaso de la Vega Comentarios
reales que tratan del origen de los Incas. Lisboa 1609 fol., unb
id. Historia de las guerras civiles de los españoles en las Indias.
Francisco Xeres, Verdadera Relacion de la conquista del Peru
y Provincia de Cuzco. Salamanca 1547. Agustin de Zarate. Hi-
storia del descubrimiento y Conquista de la provincia del Peru
(bei Barcia, Hist. prim. Tom. I).
——
— 141 —
rufen, eilt ihren Bekemmern zu Hülfe, zeigt ſich inmitten einer
Engelglorie über der brennenden Stadt und löſcht ble Feuers⸗
brunft. Daffelde Deficht erfheint dem Jupangui, der die In⸗
bianer anführt, und erfüllt ihn mit einem bisher unbefannten
Gefühl von Andacht; ald er bald darauf den Zufluchtsort
feiner Guacolda eutdeckt fieht, ruft er die himmliſche Erfchei-
nung an und wird, nebft der Geliebten, durd fie feinen
Seinden entrüdt. — Im dritten Aft fehen wir ganz Peru
den Spaniern unterworfen und zum Chriftenthfum befehrt,
und diefe Verrvandblung des Sonnenbienftes in die Ber:
ehrung der wahren Heilsfonne wird befonderd in Jupangui
dargeftellt. Ganz erfüllt von der Bifion der heiligen Jungfrau,
hat diefer Feinen anderen Gedanken, als diefelbe fo, wie fie
feiner Seele vorfehwebt, in Form einer Statue abzubilden;
aber mit feinen roben Werkzeugen will ihm dies nicht ges
lingen, und er fieht fich dem Epott feiner Landsleute ausges
fest. Endlich fendet bie Sungfrau ihm, gerührt durd feinen
Glauben, zwei Engel, die das Bild vollenden müffen. Mit
einem Feft zu Ehren Diefes Wunders fehlieft das Drama.
— Diefer Schuttenriß der Handlung zeigt, mit wie reichem
md glänzendem Leben das Schaufpiel die Bühne erfüllt; den
ſchimmernden Farbenfhmud der Poefie mag man fi hinzu
denfen. In Bezug auf den Zabel, der den Mangel eines
firengen inneren Jufammenbanges ber Action, fo wie nod)
einiges Andere treffen Fünnte, machen wir mit Malsburg dar:
anf aufmerffam, wie ber Hauptgedanfe des Ganzen in ber
Berflärung des Sonnencultus zum Chriftentfum liegt, und
wie weife der Dichter, umi bas Abftofiende der gemwaltfamen
Bekehrung eines befiegten Volkes durch die Sieger zu heben,
ein bei ben Peruanern vorhandenes, nur noch fchlummerndeg
Chriſtenthum, welches durch die Landung der Europäer ges
— 142 —
weckt wird, angenommen hat. — Zu bemerfen tft die Figur der
Gbolatria, da Calberon in feinen Comödien felten allegorifche
Perfonen angewandt hatz allein Die Annahme Schlegel’s, der
Dichter habe hierbei die Numantia des Cervantes vor Augen
gehabt, ift ohne Grund; denn zahllofe Comödien Lope's und
Anderer, der Autos gar nicht zu gedenken, fonnten ihm eben
fo gut zum Vorbilde dienen.
El gran Principe de Fez”) Ein Maurifcher
Fürft wird durd einen Vers des Koran zu einem höheren,
aber noch unbeftimmten, religiöfen Triebe angeregt, und vers
läßt, um in einer Pilgerfahrt nad Mekka bie Befriedigung
deffelben zu fuchen, fein Weib und fein Baterland. Unters
wegs geräth er in chriftliche Gefangenſchaft, und nun wird
ihn Har, was ihn bisher ale geheimnißvoller Zug geleitet;
er befennt das Ebriftenthum und wird ¿ulegt Verbreiter des
Evangeliums unter den Heiden. — Aud) in diefem Drama,
das unter den religiöfen Dichtungen Calderon's nur eine un:
tergeordnnete Stelle einnimmt, tritt eine allegorifche Figur, die
Religion, auf.
San Francisco de Borja. Dies in den Gefammtausgaben
des Galvderon fehlende Stüd gehört allem Anfchein nad) den
fpäteren Lebensjahren des Berfafferd an. Der Stoff firáubte
fic) zu fehr gegen puetifche Behandlung, ald daß ber Dichter,
felbft in der Zeit feiner beften Kraft, ihn zu einem gelungenen
Drama hätte geftalten tónnen. Ueber das Leben des in Spas
nien fo gefeierten Borja f. Tanner Societas Jesu p., 121,
Prdgae 1694.
52) Die der Handlung zu Grunde liegende DBegebenheit fcheint fic)
zu Calderon's Lebzeiten zugetragen zu haben; bafür fpricht die Erwäh-
nung des Bapftes Innocenz X. (1644—1655) und des Jeſuiten⸗Generals
Giovanni Paolo Oliva (f 1681).
— 143 —
La Sibila del Oriente. Fúr die Aufführung am Feſte
der Rreuztragung gefehrieben. Der Stoff fft aus bem zweiten
Bud Samuelis, dem erften der Könige, den beiden Büchern
der Chronica und Josephi Antiquitates Judaicae J. Bud 7
u. 8, Cap. 6. Der Charafter der Königin von Saba weift
auf die Sibyllen der mittelalterlichen Legende zurüd, bie das
Amt hatten, ben Heiden die Zufunft des Erlóferé zu vers
fündigen. Unſer Drama wird von Calderon in dem Verzeich⸗
niffe feiner Schaufpiele, welches er 1680 für den Herzog
von Veragua entwarf, nicht genannt; man hat baraus ge:
fehloffen,. es müffe eines der fpáteften, wo nicht das allerlegte
feiner Dramen fein; allein ba jener Catalog nod) mehrere
andere unzweifelhaft ächte Werke übergeht, fo fann auf diefen
Umftand nit viel Gewicht gelegt werden, wenngleich die
innere Befchaffenheit des Gedichtes die Vermuthung zu uns
terftügen feheint. Der Dichter hat die ganze Fülle feiner An:
dat in Dies wunderbare Werk ergoffen und bie ganze Er⸗
habenpeit der altteftamentlichen Poeſie in Daffelbe aufgenommen.
„Wenn im Allgemeinen — fagt v. d. Malsburg — das Ge⸗
fühl der Anbetung eines Höheren die erfte Duelle aller Poefíe
it, fo ift diefem Gefühl wohl von feinem Dichter ein erha-
beneres Denfmal gefegt worden, alg von Calderon in feiner
„Seherin des Morgens”, welche er wahrfcheinlich fm hohen
Alter ſchrieb, als feine Seele ganz und einzig von den hehren
Wundern der Religion erfüllt war. Wie im alten Teftamente
alle Wurzeln des neuen liegen, tft hier auf das herrliche
entwickelt, und das ift eine der wunderbaren Schönheiten die-
ſes Schaufpiels, daß die Handlung felbft, ble wir fehen, big
in alle Einzelnheiten immer zu einer höheren Bedeutung er:
hoben if. Dem Bilde glei, das ein tiefes Geheimniß in
ſich ſchließt, ift fie nur eine Verfünderin jenes heilig Vers
— 144 —
borgenften, das wir dadurch im Geiſte zugleich mit erleben
und wovon wir uns ergriffen und burdbrungen fühlen. Mit
bem Auge des Sehers bewaffnet, erbliden wir das ganze
erpabene Werf der Welterlöfung des Hetlandes, und wie wir
den Tempelbau Salomonis emporfteigen und fich vollenden fehen,
fo fehen wir zugleid) in flaunender Ueberrafhung die Kirche
Ehrifti fi im Geifte auferbauen; hier ift der Dichter zum
Propheten, die Dichtung zur Offenbarung geworden, unb
Alles, was beide an glänzendem Zauber befißen, erfennt man
wieder, ganz in Demuth und GSelbitvernichtung hinggegeben
dem Dienfte des Höchften und der Verfündigung jener nod)
in Worten unausfprehbaren Miyfterien. Wie der Dichter Das
Göttliche erhoben, tft er von ihm wieder verflárt worben,
und auf folhe Weife hat er ſich übertroffen, ift aber felbft
darin unübertreffbar geblieben.”
An die bisher aufgezählten Dramen, Die wegen deS vor»
herrſchenden religiöfen Intereffes am füglichften als geiftliche
bezeichnet wurden, ſchließen fich, zwei, die den äußerlichen Ums
riffen nad) zwar fon ganz außerhalb dieſes Gebietes fallen,
aber wegen des religiöfen Gedankens, der im Hintergrunde
* ber ftarf hervortretenden Spmbolif Tiegt, am paffenpften ben
obigen angereiht werden. ES find die folgenden:
La estatua de Prometeo, eine tieffinnige Bearbeitung
der Mythe vom Prometheus, welche bier nach chriftlichen
Speen behandelt ift. Prometheus formt ein Abbild der Mis
nerva, der ewigen Vernunft, und wird von der Göttin im
Fluge durd) bie Himmelsräume zum Palaft des Sonnengot-
tes geführt, dem er einen Strahl raubt, mit deffen Hülfe
die Natur belebt wird; aber bie in's Leben getretene Vers
nunft entzúmbet neben dem Lichte aud) bie Zwietracht, und
aus der von ihr geöffneten Urne verbreiten fih Haß und
— — — —. -
ep AAA ——— — — —s — —
m — —
— 145 —
Feindſchaft, wie ein verdunkelnder Rauch, über das Men⸗
ſchengeſchlecht; die Brüder Prometheus und Epimetheus be⸗
kriegen ſich nun, und der Krieg verwüſtet die junge Erde. Endlich
jedoch läßt ſich Apollo durch die Bitten der Minerva zur Gnade
ftimmen , verwandelt ben Rauch in Lichtftrahlen und führt
Liebe und Verſöhnung auf bie Erde zurüd.
La vida es sueño. Alles Wefentlihe im Plan dieſer
vielleicht gefeiertſten von Calderon's Dichtungen ſcheint eigene
Erfindung des Spaniers zu ſein. Nur zu den äußeren Um⸗
riſſen der Begebenheit, welche die Traumähnlichkeit des menſch⸗
lichen Lebens ſymboliſch darſtellen ſoll, mag eine Erzählung
in Marco Polo de Consuetudinibus et Conditionibus
Orientalium Regionum Lib., II. cap. 28 Beranlaffung ges
geben haben. Nah verwandt hiermit tft das morgenländifche Märs
hen vom erwachten Schläfer, welches vielleicht durch Tradition
fhon früh nad Europa fam. Gn den abendländifchen Novel
len fommen verwandte Erfindungen mehrfad vor, 3. BD. Des
cameron, Tag 3, Nov. 8; Grazzíni (Londoner Ausgabe von
1793) T. IL pag 117. Aus diefen Quellen tft die Einfaf:
fung von Shakſpear's Taming of the shrew und ein nod)
älteres englifches in den six old plays abgebrudtes Luftfpiel
gefloffen; ebenfo Holberg’8 Jeppe paa Bierge. Calderon aber
hat die Erfindung, die in den genannten Stüden alg fomi:
fches Motiv gebraucht worden tft, von ber ernften Seite ge:
faßt und zur Darftellung der Idee von der Nichtigfeit bes
Menfchenlebens in feiner flüchtigen Erſcheinung benupt. Bes
trachten wir dies Stüd in feinen äußeren Umriffen, fo fällt
ed ganz in die fchon vor Calderon auf der fpanifchen Bühne
heimiſche Elaffe von Dramen, welche von abenteuerlichen
und phantaftifchen Begebenheiten wimmeln und, um einen freieren
Spielraum für die Phantafie zu gewinnen, ſich ein fabelhaftes
ef. d. Lit. in Spanien, II. Br. 10
Wunderland erfchaffen, in bem bie menſchliche Natur anderen
Gefegen, al8 denen ber Wirklichkeit, unterworfen zu fein
ſcheint; aber weld ein Unterfchted zwifchen den früheren, meift
rohen Speftafelftüden Diefer Gattung und dem Oedantenges
halt. des alderon’fhen Dramas, teles bem Geifte wie
eine Offenbarung aus bem Senfeitd entgegen tritt und das
Entliche gleichſam vernichtet, um die Ewigkeit alg das allein
Bültige hinzuftellen! — Unfer Dichter fcheint an der Schil⸗
derung, wie ein menfchliches Wefen in tiefiter Abgefchieden-
heit von ben übrigen Sterblichen auferzogen wird, großes
Gefallen gefunden zu haben, denn noch in vielen anderen
Stüden wiederholt er Nehnliches, 3. BD. in Las cadenas del
Demonio, Apolo y Climene, La hija del aire, Leonido
y Marfisa, El monstruo de los jardines und Eco y Nar-
ciso. Die Idee hierzu hat ihm wahrfcheinlich ber geiftliche
Roman Barlaam und Joſaphat gegeben, wo erzählt wird,
ein Prinz fet wegen eines ihm fonft drohenden Unglüds bis
zu feinem zehnten Sabre in einer bunflen Höhle verfchloffen
gehalten und erft nah Ablauf diefer Zeit bet einem Hoffefte
an’d Tageslicht geführt worden, wo er fid mit Erftaunen
von vielen Rofibarfciten und ſchön geſchmückten Herren unb
Frauen umgeben gefunden habe. Dies Legtere hat dem Cals
deron wohl in der Anfanasfcene des zweiten Aftes vorgeichwebt.
Wir wenden und zu den Schaufpielen Calderon's, deren
Stoff entweder unmittelbar ber Gefhhichte entnommen ober,
wenn erfunden, doch in hiftortiche Umgebungen verlegt if. Zus
nächft ziehen Diejenigen, welche auf fpanifchem Boden fpielen, -
unfere Aufmerffamfeit auf fih. Es ward fon gefagt, daß
unfer Dichter ſich felten, wie Lope be Vega, in den Geiſt der
Vergangenheit vertieft, daß er vielmehr gewöhnlich feine Zeit
zum Typus ber vergangenen gemacht und deshalb nicht in
- — — — — — — — — —
— 147 —
wahrhaft hiſtoriſchem Sinne gedichtet hat. Wenn nun bles als
ein Uebelſtand erfcheint, fo muß doch hinzugefügt werben, daß
Calderon ſich nicht, wie fein Borgänger, in fehr frühe Perioden
der fpanifchen Gefchichte, nie in das frühere Mittelalter oder
in bie Zeit des Wtederauflebens ber chriftlichen Reiche vers
fteigt, fondern nur bis zu den nächftvergangenen Jahrhunder⸗
ten binaufgeht, und fi daher in einem Rreife bewegt, in
welchen fein Verfahren wenigſtens Feine groben Unwahrfchein-
licgfeiten und Berlegungen der hiftorifchen Wahrheit nach fich
sicht. Dies vorausgeſchickt, müffen wir Calderon's Werfen aus
ber fpanifchen Geſchichte oder Sage außer ihrem Fünftlerifchen
Werth, der fie in die vorberfte Reihe feiner Hervorbringungen
ſtellt, auch noch das ganz befondere Intereffe zugeftehen, daß
fie uns überrafchende Blide in ben Geift und das innerfte
Leben ber fpantfchen Nation im fiebzehnten Jahrhundert thun
laſſen und uns vielleicht beffer, als die gefchichtlichen Urkunden,
mit ber Sinnesart und Sitte berfelben- befannt machen. Heben
wir in dieſer Beziehung nur Einiges hervor. Beſonders eigen;
thůmlich tritt und aus ihnen die Verherrlihung der Königs:
gewalt entgegen, bie früher nie bis zu biefer Spiße getrieben
worden war. Die älteren Dichter hatten fid) nie gefcheut, die
Könige ganz in dem Lichte der gewöhnlichen Sterblichen und
oft als mit den fchliinmften Eigenfchaften behaftet zu zeigen,
fie hatten fein Bebenfen getragen, dem Bafallen eine edle
und freie Sprache gegen ben Tyrannen In den Mund zu legen.
Wie fibn und felbftftändig tritt Guillen de Caſtro's Cid dem
König Sano gegenüber auf! Wie trogig und übermüthig
geberdet ſich Lopes Bernardo del Carpio gegen Alfons ben
Keufchen! Gn wie vielen Stüden fahen wir bie Fönigliche
Macht wegen ber Berfchuldungen ihrer Träger gedemüthigt
werden ! Calderon's Könige dagegen feheinen einer anderen
10*
— 148 —
Weltordnung anzugehören, alg die gemeinen Sterbliden; fie
fiheinen von den Banden und Gefegen der übrigen Menfchen
frei zu fein; fogar ihre Fehler und Schwächen werden in
einem verfdhönernden Lichte dargeftellt. Die Verehrung des
Dichters für die abfolute Macht war fo groß, daß er glaubte,
die Repräfentanten berfelben nur in einer gewiſſen Entfernumg
zeigen zu dürfen, und fie deshalb auch nicht in ihren Private
verhältniffen oter Staatshandlungen, fondern gleichſam ale
höhere Mächte gefchildert hat, welche wie eine Providenz über
die Schickfale der Welt fehalten. So übermächtig tft nach ihm
die Pflicht der Unterwürfigfeit gegen den angeſtammten Herr-
her; daß biefer felbft die Defege ber Ehre zum Opfer ges
bracht werden. Dies ift um fo merfwürbiger, alg Calderon
im Uebrigen die Reizbarfeit des Ehrgefühls bis zu einem
Grade der Eraltation gefteigert zeigt, wie fein Dichter vor
ihm, und gerade einige feiner hiftorifchen Schaufpiele hiervon
die auffallendften Beifpiele darbieten. Ueberhaupt enthüllt uns
diefe Elaffe von Calderon's Dramen nod) mehr, ald irgend
eine andere berfelben, bie Extravaganz und Uebertreibungsfucht,
bie von jeher einen Grundzug im Oeífte der Spanier gebildet
pat. ES lohnt wohl der Mühe, bei diefem Zuge, ohne deffen
Kenntniß uns Manches in diefen Schaufpielen befrembend fein
muß, einen Augenblid zu verweilen, um ble feltfamen, unferen
Begriffen oft fo fehr widerſtrebenden, moraliſchen Grundfäge,
bie das Leben fm bamaligen Spanien beftimmten, hervorzuheben.
Der Eharafter der Spanier hatte, wie dies ſchon die Anfänge
ihrer Gefchichte darthun, von jeher eine eherne Feftigfeit und
Beharrlichkeit gezeigt; aber nicht allein nad) der guten Seite
hin wandte er diefe Eigenfchaft, nein, er erfchöpfte aud das
Vorurtheil ſchonungslos und unerbittlih bis zur áuferften
Confequenz. Durch eine feft geſchmiedete Kette von Scylüffen
— — —— — — — — 4 — —
v
er
— 149 —
bifdete fich fo ein Sittengefep, welches der wahren Moral oft
aufs grellfte widerſprach, indem es die Rüdficht auf zufällige
äußere Berhältniffe zur Bafls des Handelns machte. Auf biefe
Art galt es nicht allein für Recht, fondern für Pflicht, die
Sade eines Freundes oder Verwandten, mochte fie aud) nod)
fo ungerecht fein, gegen Jedermann mit Blut und Leben zu
vertheivigen; fo fonnte man bie Berwerflichfeit einer That
einfehen und war nad fpaniichen Begriffen doch verpflichtet,
fie auszuführen, ſobald der König fie verlangte, und fo heiligte
bie allgemeine Anficht nicht allein bie Blutrache, nein, fie ftellte
fogar das Geſetz auf, jede Kränfung, ja jeden Schein von
Beleidigung in Blut zu tilgen. Der bier berührte Punkt if
fchon früher verfchiedentlich zur Sprache gefommen, aber wir
müffen hier austrüdlih darauf zurüdfommen, weil verfchiedene
der folgenden Schaufpiele Calderon's nicht anders in ihrem
rechten Lichte aufgefaßt werden fónnen, als wenn man weiß,
was die Ehre nad) fpaniichen Begriffen war und welche Fors
derungen fie an den Einzelnen ftellte. Die Wahrnehmung oder
der bloße Verdacht, daß eine. Dame mit einem Fremden ges
fprodjen Habe, daß ein folder in ihr Haus eingedrungen fet,
oder daß fie eine Neigung zu ihm fühle, führten die fefte
Ueberzeugung von einer ftrafbaren Verbindung mit ſich, und
legten dem Bater, Bruder oder Gatten die Pflicht auf, ihrer
befchiinpften Ehre Genugthuung zu verfchaffen. Die allgemeine
Sitte verlangte dies fo unbedingt, daß fein Einzelner fic) der
"Forderung entziehen fonnte. Der Mord fland daher immer im
Hintergrunde ber Liebe; felbft ber Teifeften Kränfung mußte
ein blutiges Opfer fallen, und es genügte nidyt, daß der Des
leivigte fiel; die Tochter, Schwefter oder Frau, modyte fie
auch ganz unfchuldig fein, wurde in ben Untergang mit hinab
gezogen. Die Leivenfchaftlichfeit des Sudländers mußte nun
Eu. o
— 150 —
das durch die Macht der öffentlichen Meinung angeregte Bes
dürfniß der Rache nod) fleigern, und fo rechtfertigte man ſelbſt
bie graufamften Mittel, die gehäffigften und verrätherifchften
Wege, um dies Ziel zu erreichen. Ganz in diefem Sinne brins
gen denn die dramatifchen Dichter die entfeglichften Rache⸗
thaten auf die Scene, ja laffen diefelben von ihren Lieblinge-
beiden vollbringen. Sie ſchildern zwar die Kämpfe des fubs
jettiven Gefühle gegen die Macht der allgemeinen Sitte, fie
taffen ung Klagen hören, in denen bie Beleidigten ihre Uchers
zeugung von ber Nichtigfeit des Ehrengeſetzes ausfprechen,
und fon Lope de Vega legt einem feiner Helden die folgen=
den Worte In ben Mund: „Verflucht fei'ft du, o Ehrel vers
ruchte Erfindung der Menfchen, welche die Defege der Natur
umftößt! Wehe über den, der did) erfunden hat!” Aber dies find
nur augenblidliche Ergüffe der Empfindung, denen fein Gehör -
gegeben werden fann, und fie bienen nad) der Abficht ber
Dichter nur dazu, die Willengfeftigfeit ihrer Helden, die troß
des witerftrebenden Gefühles die verhaftte That doch vollbrins
gen, in heiferes Licht zu ftellen. — Dies glaubten wir für
die richtige Auffaffung einiger Der folgenden Dramen voraus⸗
ſchicken zu müffen. Unter den Echaufpielen aus der fpanifchen
Geſchichte begreifen wir füglich fogleich auch die aus der por:
tugiefifhen, in deren Ton und Farbe fich Feine Berfchiedenheit
yon den erfteren bemerklich macht.
La niña de Gomez Arias behandelt eine Begebenpeit,
die fih zur Zeit Ferdinand'S und der Sfabella, während bes
erften Aufftandes der Mauren in ben Alpufarras zugetragen
haben muß. Man wird fih in Mendoza und Marmol Care
vajal »vergebeng nad) einer hiſtoriſchen Nachricht über biefelbe
umfehen. Die rührende Gefchichte hatte zu einer Bolf8romanze
Anlaß gegeben, die, wie man aus vielfachen Anfpielungen
— — A — —
— 15 —
bei ſpaniſchen Dichtern ſieht, ſehr verbreitet war (ſ. z. B.
Cervantes Ocho Comedias, Ausgabe von 1742, Tom. II.
p. 317). Der Erſte, der den Gegenſtand dramatiſch behandelte,
war Luis Velez de Guevara. Sein ſehr vorzügliches Schau⸗
ſpiel Hat denſelben Titel, wie das des Calderon. Man faun
dem Lebtern den Ruhm nicht abfprechen, feinen Vorgänger
ín jeder Hinficht noch übertroffen zu haben. Der Held unferes
Drama’s, Gomez Artas, ift ein Wüftling, ungefähr wie Tirſo's
Don Juan. Die junge, unfchuldige Dorothea fällt feinen Ver.
führungsfünften zum Opfer und läfit fi von ihm aus dem
päterlichen Haufe entführen. Shrer ſchon überdrüſſig, verláfit
er fie, während fie fchläft, in einer wilden Gegend ber Alpu⸗
jarras, wo fi), nach der Einnahme von Granada, nod) einige
Mauren in Unabhängigfeit gegen die hriftlichen Waffen bes
paupten. Erwachend ſucht Dorothea ihren Geliebten, erblidt
aber flatt feiner maurifche Krieger, welche fid) ihrer bemáds
tigen und fie gefangen fortichleppen. Nicht lange nachher wird
fie von dhriftlichen Soldaten befreit und nach Guadix in ein
Haus geführt, wo fie wieder mit Gomez Arias zufanmentrifft.
Diefer geht bier damit um, ein anderes Mädchen zu entfüh-
ren, fchleppt aber bei Nacht durch Irrthum Dorothea mit jich
fort. Bei Tagesanbruch erfennt er fie. Sie befinden fih an
demfelben Orte, wo er fie das erfte Mal verlich, am Fuße
der maurifchen Feftung Benamert. Außer fich über feine Täu⸗
fhung, mißhandelt er die Unglüdliche und geht damit um,
fie von Neuem zu verlaffen. Dorothea jammert und fleht um
Mitleid; aber der Erbarmungslofe faßt einen nod) abfcheu-
liberen Entfchluß, und ruft die Mauren herbei, um bie beis
fpiellos Betrogene an fie zu verhandeln Die Rede, in
welcher das troftlofe Mädchen ben Unbarmberzigen befchwört,
fie nicht zu verlaffen, tft ein Oipfelpuntt von Calderon's
— 152 —
Poefiez gewaltig und flürmifch im Ausdruck der Verzweiflung,
vol! tieffter und innigfter Rührung in bem der bittenden Hülfs
Iofigfeit, wälzt fie fid) gleich einem reißenden Strome fort, und
mit unvergleihliher Wirkung find dabei die Worte der alten
Romanze benugt. Aber ber flarre Sinti des Gomez Artas
wird nicht bewegt; der Unmenfchliche läßt die Verzweifelnde
in den Händen ber Mauren. Bald rüdt die Königin Zfabelle
mit einem Heerzug heran und nimmt die Feftung ein, wo fie
aus dem Munde ber Gefangenen die granfe, an ihr verúbte
Miffethat erfährt; fie läßt ben Frevler verhaften, zwingt ihn,
Dorotheen durch Darreihung feiner Hand die Ehre wieder
zugeben, und läßt dann fein Haupt auf bem Schaffot fallen. —
Bon der hinreifienden Wirfung diefes Stüds auf der Bühne
erzählt La Huerta ein bemerfenswerthes Beifpiel. Die Alcals
des be Corte, tweldjen bie Aufficht über das Theater oblag,
hatten ihren Platz auf der Bühne, und tvaren von einigen
Alguacil8 begleitet. In der Scene num, mo Gomez Arias das
unglüdliche Mädchen, das er verführt hat, an bie Mohren
verfaufen will, wurbe einer der Afguacild fo von der Leben:
Digfeit und Naturwahrheit der Darftellung hingeriffen, daß er
mit gezogenem Schwert auf den Schaufpieler Iosging, der bie
Rolle des Gomez fpielte, und ihn zur Flucht zwang.
El postrer duelo de España °°), Man muß fi wun-
$3) Die Cataftrophe des Schaufpiels ift aus Heuter Delff's Befchrei-
bung des Zweikampfs, fo um 11 Uhr Vormittags am 29ften Dec. 1522
zu Valladolid gehalten. (Abgedruckt in Leben, Regierung und Abfterben
der Könige von Hispanien. Nürnberg 1684. S. 491.) Die Beranlaffung
diefes Duelle ſcheint Erfindung bes Dichters zu fein, wenn nicht eine
Bolksfage zu Grunde lag. Auf dem Tridentinifchen Council wurden bie
Öffentlichen Zweifämpfe oder Gottesgerichte verboten (Synod. Trid., Sess,
25 cap. 19), und hiernach mag jenes Duell wirflid), wie der Titel fagt,
das lebte in Spanien gewefen fein. -
— — —
— 1583 —
dern, daß die beutfchen Veberfeger des Calderon dieſes grofis
artige Gedicht unberüdfichtigt gelaffen haben. ES gehört in
jeder Hinficht zu den meifterbafteften feíner Werfe und vers
einigt die tieffinnigfte Runft der Compofition mit bem ges
waltigften theatralifchen Leben; aud) der Styl tft faft durch⸗
aus vortrefflic. Vielleicht in feinem andern Drama felbft
unferes Dichters ift der Begriff ber Ehre, al8 ber das ganze
Leben beherrfchenden Macht, fo tief aufgefaßt, und der Cons
flift zmoifchen ihr und dem fubfeftiven Bewußtfein zu einer
fo erfehätternden Wirfung benugt worden. Der Verlauf der
Handlung ift in ber Kürze, wie folgt. Zwei befreundete fpas
nifhe Ritter, Don Geronimo und Don Pedro, treffen fid)
nach langer Trennung zu Zaragoza, wo eben zur Feier ber
Rúdfunft Kaifer’s Karl V. nad) Spanien Spiele und Fefts
lichkeiten veranftaltet. werden. Geronimo vertraut dem Freunde,
wie eine Dame, Doña Violante, fein Herz zur höchften Leis
denfchaft entflammt habe, wie er aber von Etferfudt gequält
werde, weil er aus verſchiedenen Anzeigen ſchließen müffe,
daß er einen Nebenbubler bei der Geliebten habe; zugleich
bittet er Don Pedro, ihm zur Entbedung biefes Rivalen be:
hülflich zu fein. Pedro fpridt in einem Seldftgefpräche ben
Kampf aus, welchen entgegengefegte Gefühle in feiner Seele
ſtreiten; er felbft nämlich ift Violanten'3 Geliebter, und wenn
nun auf der einen Seite die Pflicht gegen ben Freund von
ibm verlangt, daß er dies offen geftehe, fo hat er auf der
anderen Seite Vivlanten das tieffte Schweigen über ihr Lies
besverhältniß angelobt; zugleich vermag er bei dem Geftänd-
nig Geronimo’d eine Anwandlung von Eiferſucht nicht zu
unterbrüden, und er beſchließt deßhalb, die Geliebte genau
zu beobachten, ob er eine Treulofigteít bei ihr zu entoeden
vermóge. Nicht lange darauf, als er fich des Abends bei ihr
— 151 —
befindet, hört er vor ihrem Fenfter eine Serenade, macht ir
darüber Vorwürfe, geräth in einen lebhaften Wortwechſel
mit ihr und Hält fid nun in der Aufivallung für berechtigt,
dem Geronimo gegenüber das Schweigen zu brechen. Er ftellt
bem Freunde vor, wie er ber früher Berechtigte fel ; allein
die Aufregung der Leidenfchaft auf beiden Seiten führt zu
bigigen Worten, und die Unterredung endigt mit der Feſt—⸗
flellung der Zeit und des Drtes für einen 3meifampf. AUS
ebro eben an dem Plage anlangt, wo der Kampf gehalten
werben foll, wird er durch einen Sturz mit dem Pferde am
Arme beſchaͤdigt. Geronimo will nicht dulden, daß das Duck
unter biefen Umftänden Statt habe, aber Pedro beharrt auf
ber fofortigen Ausfechtung des Streites. Kaum tft der Kampf
begonnen, fo entfinft bem erfchöpften Don Pebro das Schwert;
fein Gegner will von dem ihm bierdurd dargebotenen Vor⸗
theil feinen Gebrauch machen, diefer Evelmuth führt die Ver:
fühnung ber beiden Streitenden herbei, und Geronimo gelobt
mit feierlihem Eide, nie gegen irgend Jemand etwas über den,
nad) ſpaniſchen Ehrenbegriffen für Pedro vemüthigenden Ausgang
des Duelld verlauten zu laffen. Serafina, eine von Pedro für
Violante verfhmähte Dame, Hat, im Gebüfche verftedt, dicfen
Auftritt belaufcht, und befchließt, dies zu benugen, um ſich
an ihrem früheren Liebhaber zu rächen. Die Gelegenheit hierzu
findet fi bald. Als Peoro fid nicht lange darauf in ¿úrts
lihem Zwiegeſpräch bet Biolanten befindet, tritt Serafina ein
und erzählt in höhniſcher Weife den Vorgang, deffen Augen-
zeugin fte gervefen ift, was denn feinen Eindruck auf Bivs
lante nicht verfehlt, fo daß biefe ihren Liebhaber verabſchiedet
und ihm auferlegt, nicht wieder vor ihr zu erfcheinen, bevor
er den Sleden getilgt habe, der auf feiner Ehre ruhe. Pedro
ift wie zernichtet, und brennt vor Begier, fi an Geronimo
|
|
— 155 —
zu rächen, von bem er glaubt, daß er das ihm angelobte
Geheimniß verlegt habe. Als er in's Freie tritt, hört er die
Bauern ein Spottlied fingen, in welchem ber Hergang bet
jenem unfeligen. Duell in burlester Weiſe erzählt wird; fo
weltfundig ift feine Schmach fon geworden! Er ftellt fih
mun vor dem Kaiſer bar und verlangt von ihm die Anords
nung eines Gottesgerichts, in weldem er die Reinheit feines
Namens herftellen und die Wortbrüchigkeit feines Gegnerd
zächtigen will. Der Raifer willigt ein und beflimmt Zeit und
Ort für ben feierlichen Zweikampf. Die Tegte Scene bes
Stüdes zeigt uns die Plaza mayor von Valladolid und ben
Kaifer mit feinem Hofflaat, fo wie die verfammelte Volf8s
menge, welche fih um die Schranfen drängt. Der Kampf
wird eröffnet, und die beiden Gegner ftreiten mit folder pels
denmáfigen Tapferkeit, daß der Kaifer dazwiſchen tritt und
fie von einander zu trennen befieplt, weil Beide des Sieges⸗
rupmes würdig feien und Keiner als ſchuldig angenoms
men werden fönne. Da tritt Serafina auf und erklärt, daf
fie felbft nad) ihrer eigenen Wahrnehmung geſprochen und
Geronimo das von ihm beſchworene Geheimniß nicht verrathen
habe. So finfen fidy denn die Freunde verfóbnt in die Arme
und Pedro reicht der Violante feine Hand. Daß au Ges
tonimo, feine frühere Neigung vergeffend, der Serafina einen
Antrag macht, fft eine Huldigung an bie auf der fpanifepen
Bühne beinahe zum Gefeß gewordene Gewohnheit, daf am
Schluſſe einer Comödie fih mehrere Paare zufammenfinden
múfien.
El medico de su honra **). Eine furchtbare Tragödie,
5) In ben beiden Hanptwerfen über die Gefchichte Peters des Grau⸗
famen, der Historia del rey D. Pedro y su descendencia por Gra-
tia Dei und ber Chronica del rey D. Pedro von Lopez de Ayala fin:
— 156 —
herb und verlegend nach unfern Begriffen, und durchaus nad)
den fittlichen Grundfügen des damaligen Spaniens, wo fid)
das Zartgefühl im Punft der Ehre bi8 zum Fanatismus ges
fteigert hatte, zu beurtheilen. Wenn man ſich einmal auf dies
fen Standpunkt geftellt hat und ben unfer Gefühl beleidi-
genden Mord ber ſchuldloſen Mencía nad) den in Spanien
berrfchenden Anfichten beurteilt, fo wird man nit umbin
fónmen biefes Drama für eine der toundervollften Schöpfuns
gen fm ganzen Reiche ber Poefle zu erflären. Den Inhalt,
und fomit aud die durchgängige Meifterfchaft der Compoſi⸗
tion als befannt vorausfegend, wollen wir nur — mit Das
mas-Hinard, ber feiner franzöfifchen Ueberſetzung treffliche
Bemerfungen über das Stüd vorangeftellt hat — einige Eins
zelheiten als befonders bemerfenswerth hervorheben. Als folche
ericheinen fm erften Afte die trefflihe und fo oft nachge-
ahmte Erpofition; im zweiten die Scene, wo Don Quíterre
fein Haus burdfudt, um den dort verborgenen Liebhaber feís
ner Frau zu entdeden, aber nur den Gracioſo ertappt, wels
cher ein lautes Gefchrei erhebt, während Mencia voll Ent:
fegen wähnt, daß ihr Liebhaber entvedt feiz; dann ber Mo:
nolog, wo Don Gutierre ſich bemüht, die Umftände, welche
feine Eiferfucht erregt haben, fo günftig wie möglich auszus
legen; darauf Die nächtliche Unterredung zwifchen Guiterre
und feiner Gattin, wo die legtere, in dem Glauben, mit
Don Enrique zu reden, den Argwobn ihres Gatten bes
ftätigt; endlid) der ganze dritte Aft, ein vollendetes Meifter-
ſtück, in dem felbft ber Fältefte Zufchauer mit -athemlofer Aufs
regung dem flürmenden Drange ber Begebenheiten folgen
bet fich nichts, was über bie hiftorifche Veranlaffung des Drama’s Auf:
ſchluß gäbe. Ayala erwähnt nur Enrique's ausfchweifende Neigung zum
weiblichen Geſchlecht. .
— 157 —
muß und wo eine intereffante Scene die andere bis zu jener
bindrángt, welche das Stüd fo erichütternd und energiſch bes
ſchließt. Wie poetifh und zugleich dramatiſch wirffam ift furz
vor der Rataftrophe die Erfindung, daß man auf der Straße
von einer geheimnißvollen Stimme eine Romanze über die
Abreífe des Infanten fingen hört! Auch die Charafterzeichnung
bat eminentes Verdienftz alg Beleg für die Keinheit, mit
welcher das Bild Gutierre’d entworfen ift, ſei nur ber Zug
angeführt, daß er (wie der Dichter abfichtlidh hervorhebt)
trog feiner fonftigen Pflichttreue, auf einen leichten Verdacht
hin das Weib, bem er die Hand verfprochen hatte, verlaffen -
bat. Die Figur Pedro's, des Rechtspflegers, ift, wie bei faft
allen fpanifhen Dramatifern, in edlerer Weiſe aufgefaßt, als
fie in den Darftellungen der Geſchichtſchreiber erfcheint.
A secreto agravio secreta venganza. Am
Schluffe der Tragödie wird gefagt, fie berube auf einem wah⸗
ren Ercigniffe. Die Hiftorifer berichten nichts über daffelbe,
wohl aber läßt fih die Zeit angeben, in"weldhe es fallen
muß. Die beiden erften Jornadas fpielen, wie aus bem
Stüde felbft hervorgeht, im Juni 1578, die dritte in ber
Nacht vor der Einfchiffung des Könige Sebaftian von Pors
tugal nad Afrifa, oder in ber vom 23. auf ben 24. beffel:
ben Monats. — Diefes Drama zeigt in vielleicht nod) grelleren
Zügen, alé ber Medico de su honra, die Reizbarfeit des
ſüdlichen VolfeS in Bezug auf den Ehrenpunft und Die furdhts
baren Thaten, die dadurch herbeigeführt wurden. Ein portus
giefifcher Ritter, Don Lope be Almeyda, der fidy bei ben
glorreichen Unternehmungen feines Bolfes in Indien fehr
bervorgethan hat, vermählt fid zu Liffabon mit der Spas
nierin Doña Leonor. Selbft ſchon bejahrt, ift er fehr zum Args
wohn gegen feine junge Gattin aufgelegt. Bald bemerft er,
— 158 —
dafí em ſpaniſcher Nitter Abends oft feine Wohnmg um-
fchleicht; ein zmeiter Umftand, der ihm Verdacht erregt, iſt,
daß Leonor, alg er mit ihr über feine Kriegspläne fpricht,
ihm räth, fi bem Zuge des Königs nad) Afrika anzufchließen. Da
er eines Abends nad) Haufe febrt, findet er einen Fremden in dem
Gemach feiner Gemahlin verftedt; es ift ein früherer Liebhaber
Leonor's, den diefe tobt geglaubt und ben fie mun , da er ihr wie
der lebend vor's Geficht tritt, auf ein einziges Mal zum ewigen
Abſchiede zu ſich gelaben hat. Der beleídígte Gatte fingirt,
nichts bemerft zu haben, Damit feine Chre in ber öffentlichen
Meinung von feinem Flecken betroffen werde, und befchliefit,
bie geheime Kränfung eben fo geheim zu rächen. Die Geles
genheit zur Ausführung feines Plans findet fid) bald. Bei
den Feften , die vor der Abfahrt des Königs Sebaftian Statt
finden, lot er feinen vermeintlichen Nebenbuhler in ein Boot,
mit bem Berfprechen, ihn über den Tajo zu fegen; in ber -
Mitte des Fluffes flürzt er dann den Unglüdlichen in die
Mellen und läßt'ihn ertrinken, verfenft bas Boot und rettet
ſich felbft durch Schwimmen. An'8 Land gelangt, gibt er
vor, das Fahrzeug fei durch einen Windftoß umgeſtürzt wor:
den. Sodann begibt er fid) zu Leonor, erzählt ihr mit gleich-
gültiger Miene ven Zodesfall, alg ob berfelbe fie gar nidt
angehe, und ftößt ihr nach beendigter Erzählung einen Dold)
in die Bruft. Hferauf ſteckt er fein Haus in Flammen, und
als die Leiche ganz verzehrt tft, erzählt er feinen Bekannten,
daß er feine Gattin troß aller Bemiibimgen nit aus der
Feuersbrunſt habe retten Tónnen. Der König Sebaftian ift
durch einen Freund Lope'S, der den wahren Hergang durch⸗
febaut hat, von der ganzen Sade unterrichtet und läßt ben
Helden, als er vor ihm erjcheint, um mit nach Afrifa zu zichen,
nicht allein ungeftraft, fondern belobt ihn fogar wegen feiner
fühnen und Fugen That.
+= —
— — —
— 159 —
Las tres jusitcias en una *5). Ein tiefsernftes, auf
eine erfehütternde Wirfung, wie nur wenige andere, berech⸗
netes Drama. Man fieht im Beginn eine wilde Gebirgsge⸗
gend und hört Slintenfchüffe hinter der Scene. Don Mendo
und feine Tochter Violante treten auf, von Räubern verfolgt;
eben follen fte nievergeftoßen werden, alg Don Lope, gleich.
falls in DBanditentradht und Anführer der Bande, erfcheint.
Mendo wirft fih, um Erbarmen flehend, vor ihn nieder, und
Lope richtet ihn, plöglich zur Milde geftimmt, mit ben Lor:
ten auf: „Set ruhig, du bift der erfte Menſch, der mich zum
Mitleid bewegt hat.” Aud) Violante wird von bem fo un:
gewohnte Milde zeigenden Räuber getrófter. Mendo nennt
nun feinen Namen und erzählt, wie er im Auftrage bes Kö⸗
nigs Pedro von Aragon eine Gefchäftsreife unternommen
babe, nun aber nad) Zaragoza zurüdfehre, wo er hoffe, für
feinen großmüthigen Retter die Verzeihung bes Könige aus:
¿uwirfen. Lope eriviedert, er wage Died wegen ber fchweren,
von ihm verübten Verbrechen nicht zu hoffen. Mendo fucht
fín zu tróften, und bittet ihn, ihm feine Gefchichte zu ere
zählen, indem er nochmals verfpricyt, Alles aufzubieten, um
55) Bal. Schmidt, a. a. D., fagt, der in dieſem Schaufpiel vorfum:
mende König Pedro von Aragon, mit dem Beinamen der Graufame, fet
eine fagenhafte, aus dem Caftilifchen Pebro erwachſene Figur; aber fol:
gende Stelle aus dem Schaufpiel Tambien la afrenta es veneno von
Guevara beweift, daß der König von Aragon wirklich gleidyfalle mit dem
Beinamen el Cruel belegt worben ift:
Tres Pedros
Huvo en Portugal, Castilla
Y Aragon & un mismo tiempo,
Todos tres primos hermanos
Y á todos tres nombres dieron
De crueles,
— 160 —
ben König zu feinen Gunften zu ſtimmen. Lope heißt bie
Räuber fid) entfernen und berichtet nun, wie fein Vater Don
Lope be Urrea fet, der als Greis fid) mit der fünfzehnjähri⸗
gen Blanca vermählt habe. Bei diefen Worten unterbricht
ihn Mendo: „Ich weiß, ich weiß, und wollte Gott, ich wüßte
e8 nicht! Hinweg, ihr Gedanken, was wollt ihr mir?” —
Lope fährt fort, zu erzählen, wie Blanca nur gezwungen in
die Heirath gewilligt habe und wie er felbft, bas Kind diefer
Zwangsehe, die Folgen der unnatürlichen Verbindung in feis
ner Erziehung erfahren habe. Bon ber Mutter geliebt, dem
Vater aber verhaßt, babe er die erftere nie anders als heim⸗
lich fehen dürfen; fpáter als Süngling bat er fi, um bas
häusliche Elend zu vergeffen, wilden Ausfchweifungen übers
laffen, cin Mäpchen verführt, deren Bruder umgebracht, und
ift in Folge diefer That gezwungen worden, zu entfliehen.
Als er fo weit erzählt hat, wird er durch Tumult hinter der
Scene unterbrochen. ES find bie Diener ber Gerechtigfeit,
welche den Ráubern auf die Spur gefommen. Lope eilt, fic
zu verbergen. Mendo wiederholt ihm bei'm Abfchiede das
frühere Berfprechen und bittet ihn um irgend ein Pfand, durch das
der von ihm zu fendende Bote ſich kenntlich machen könne.
Lope gibt ihm einen Dolch, verrvundet ſich aber damit bei’m
Ueberreichen deſſelben 99), und wird, ql8 er ihn in Mendo'8
Händen erblidt, von einer bangen Ahnung befallen, die ihn
in Berwirrung bringt. Bei'm Abyehen gibt Violante ben
Einbrud fund, welchen der gegen fic fo mitleidige Räuber
auf fie gemacht hat. So tft die Handlung auf's trefflichfte
eingeleitet und die Spannung auf das Folgende Tebhaft ers
6) Dies ift ein traditioneller und fchon von mehreren Dramatifern
vor Calderon angewandter Zug; etwas Aehnliches fommt ¿. Y. in Tirs
ſo's Escarmientos para el Cuerde vor.
— 161 —
regt. Im weiteren Verlaufe bes Stúdes erflebt mun, auf
Mendo's Anregung und mit beffen Unterftigung, ber alte
Lope die Begnadigung feines Sohnes. Diefer fehrt tn bas
Baterhaus zurüd, und zwifchen ihm und Biolanten entfpinnt
fih bald ein ¿ártlides Verhältniß. Aber die Wildheit des
jungen Lope tft nicht gezähmt; fie bricht bald wieder hervor
und gibt fich in Ausfchweifungen und Raufereien fund. Bet
einem nächtlichen Streite auf der Straße, über den fein Bas
ter zufommt, vergißt er fi fo weit gegen Leßteren, daß er
fid) thätlich an ihm vergreift. Nun ift das Maaß feiner Schuld
gefüllt und ber Vater Flagt felbft den pflichtvergeffenen Sohn
vor bem Richterftupl des Königs an. Mendo tofrb mit ber
Beftrafung bes Schulbigen beauftragt, aber die Danfbarteit
gegen feinen Cebengretter beftimmt ihn, vielmehr auf beffen
Rettung bedacht zu fein. Der König gewahrt dies und
übernimmt nun die Ahndung felbft; aber ber Frevel fcheint
tm fo ungeheuer, daß er bem Zweifel Raum gibt, ob
Lope auch wirfiihd Sohn des von ihn gefchändeten Lope
de Urrea fet; er begibt fi, um Gewißheit zu erlangen, zu
Blanca und erfährt von ihr ein Geheimniß, das fie tief in
iprem Buſen verborgen gehalten hat. Lope ft nicht Sohn
defien, der für feinen Bater gegulten, fondern Sproffe
einer Nothzucht, welche Mendo an Blanca'8 Schweſter ver:
übt Hatz um die Ehre der Schwefter zu retten, hat Blanca
das Kind von der Wiege an für ihr eigenes ausgegeben.
Rad) dieſer Aufflärung, welche auf einmal ein wunderbares
Licht auf die vorhergehende Handlung wirft, folgt eine Ra:
tafiropbe von wahrhaft überwältigender Wirfung. Mendo und
Violante fuchen in Lope’s Rerter zu dringen, um ihn zu bes
freien; die Legtere hat eben aus bem Munde ihres Waters
vernommen, daß der Gelichte ihr Bruder fel, und Dies, wenn
Geſch. d. Lit, in Spanien. III. Bo, 11
— 162 —
e8 auf ber einen Seite fie mit Entfegen erfüllt, fteigert auf
der anderen noch ihr Verlangen, den Gefangenen zu retten.
Auch Blanca und ber alte Lope be Urrea eilen herbei; da
dringen bumpfe Rlagetóne aus bem Rerfer, die Thüren öffe -
nen fih und man erblidt Lope erdroſſelt, in feiner Hand
em Papier mit bem Richterfpruche: „Wer den, der ihm Vater
geroefen, fhändet, ber foll fterben; und trauernder Zeuge fet
nes Todes foll fein, wer ein reines Blut verunebrt und wer
Trug übt; fo find bier in Einer Strafe drei Vergeltungen
für drei Vergehen verbunden.” — Wunderbar ſchön und groß
ft in biefem Drama, einem ber herrlichſten unferes Dichters,
die Darftellung ber geheimnißvollen Wege, welche Die gött-
liche Gerechtigfeit wandelt, um die Simde zu rächen, und
gleich vortrefflich bie Schifverung ber geheimen Macht des
Blutes, welche die ſchon erhobene Hand des entarteten Soh>
nes zurüdhält, als fein wahrer Vater vor ihm fteht, wáb:
rend er den vermeintlichen mifhandelt.
El Alcalde de Zalamea*”). Obgleich dieſes Stüd
57) In der Anrede an das Publitum am Schluffe des Stüds ver:
fichert der Dichter, Daffelbe beruhe auf einer wahren Begebenheit. Diefe
muß, dem Inhalt zu Folge, im Frühjahr 1581, als fi Philipp 11. auf
dem Wege nach Liſſabon befand, um fich dort Frönen zu laſſen, vorges
- fallen fein; Luis Cabrera in feiner Vida de Felipe II, Leti und Matfon
jedoch berichten nichts davon. Evangelista Ortense in den successi
della guerra di Portogallo, Venet. 1582 fchreibt befonders ben Ita⸗
liemern und Deutfchen Antheil an den auf dem Zuge vorgefallenen Un-
ruben bei, berichtet aber zugleich von einem Galeerenhauptmann und an:
deren Dffizieren, Die wegen Verlegung eines portugiefifchen Kloſters
geköpft und gerábert worden feien. ©. bie Notizen von Malsburg vor
feiner Meberjeßung. Ueber den Zope be Figueroa, einen ber berühmteften
Kriegshelden in den Heeren Philipp’s IT. fann man nachfehen Suarez,
Hist. de Guadix E. H. cap. IH. und Escalante, Diálogos Milit.
dial. III. Fol. 41 ff.
ö— — » — ED — — — —
— 163 —
zweimal in's Deutſche überſetzt worden tft, bat es doc, fo
viel wir wiſſen, noch nicht die gebührende Beachtung gefuns
den; wir wollen deshalb ſuchen, durch die folgende Inhalts⸗
überſicht einige Theilnahme für daſſelbe zu erregen. Pedro
Crespo, ein reicher Bauer in dem Eſtremaduriſchen Flecken
Zalamea, hat eine Tochter von ſeltener Schönheit. Bei der
Ankunft eines unter dem Oberbefehl des Lope de Figueroa
ſtehenden und nad) Portugal beſtimmten Trupps Soldaten
gebraucht er die Vorſicht, die reizende Iſabella in einem ent⸗
legenen Gemach verborgen zu halten; aber einer der anges
langten Officiere, der Hauptmamn Alvaro de Atayde, weiß
es deſſen unerachtet dahin zu bringen, daß er fie erblidt, und
eilt, ſich um ihre Gunft zu bewerben. Der geringe Erfolg,
der ihm zu Theil wird, ſchreckt ihm nicht von weiteren Des
mibungen ab. Seine Verſuche, bei Ifabellen einzudringen,
und eine Serenade, die er ihr bringt, verfegen Crespo und
befien Sohn in Iebhafte Unruhe, und die Dreiftigfeit des
Hauptmanns ſteigert fic) bald fo fehr, daß fürmliche Zwiſtig⸗
feiten zwifchen ben Bauern und den Soldaten dadurch hers
beigeführt worden, indem jene für Erespo, biefe für Alvaro
Partei nehmen. Lope de Figueroa hält es unter biefen Um-
ſtaͤnden für das Befte, die Truppen fofort abmarfchiren zu
laſſen; er nimmt von feinem Wirthe Erespo, mit bem er
während der Zeit ihres Zuſammenlebens Freundſchaft gefchlof-
fen hat, Abſchied, hinterläßt Sfabellen zum Andenken ein bias
mantenes Kreuz und nimmt deren Bruder, der große Neigung
für den Solbatenftand fühlt, unter feinem Schuge mit fi
fort. Schon haben die Truppen das Dorf verlaffen. Ifabella,
froh, aus ihrer Haft erlóft zu fein, ergeht fic) in ber Abenb:
fühle vor ihrem Haufe, alg plötzlich Alvaro, der feine Leiden⸗
fhaft um jeden Preis befriedigen will und fich heimlich nad)
11*
— 16 —
Zalamea zurücgefchlichen hat, fie mit einer Schaar Solbaten
überfällt und in ein nabes Holz fortfchleppt. Crespo, der
auf ihr Angftgefchrei herbeieilt, fucht vergebens, fie zu bes
freien; Alvaro's Helfershelfer entwaffnen ihn und binden ihn
mit Striden an einen Baum, von dem er fi vergebens los⸗
zumachen fucht; fein Sohm eben im Begriff, den Truppen zu
folgen, eilt den Räubern gleichfalls nad); als er fie bei
Tagesanbrud) erreicht, tft es zu fpát, um die Ehre der un:
glückſeligen Schweſter zu retten, und er fann nur mod) daran
denfen, fie zu rächen. Während er müthend auf den Haupts
mann zuſtürzt und ihn mit einem Schwertftoße burchbohrt,
entflieht Ifabella dem Räuber ihrer Ehre. Der Zufall führt
fie an bie Etelle, wo ihr Vater den Abend vorher angebun:
den worden tft. Hier beginnt eine eben fo kühne als originale
Scene, die ihrer ganzen Anlage nad) auf bie tiefite Erſchüt⸗
terung berechnet fft; nur vermißt man in der Rede der fam:
mernden und in Thränen vor ihrem Vater Fnieenden Ifabella
die Natürlichfett und Einfachheit des Ausdrucks, welche durch
die . Situation geboten war; ihre Erzählung wimmelt von
rhetorifchen Ausſchmückungen, Metaphern und Antithefen. Edler
und angemeffener find die Worte, durch welche Erespo fie
zu tröften fucht. „Steh auf, fteh auf, meine Sfabella! — fagt
er — toenn der Himmel uns nicht diefe Prüfungen hätte
auferlegen wollen, wozu hätte er ung die Kraft gegeben, fte
zu ertragen? Sn folder Lage müffen wir unferen Muth er-
proben. Laß uns nad) Haufe gehen und lieber an deinen Bru⸗
ber denfen! Durch feinen Angriff gegen ben Hauptmann bat
er fih einer großen Gefahr ausgefegt, welcher wir ihn zu
entreißen fuchen müflen . . . . .. “ In dieſem Augenblid er:
fcheint eine Deputation ver Bewohner von Zalamea, um Crespo
anzufündigen, daß er zu ihrem Alcalden gewählt worden fet.
— 165 —
Zugleich melden fie ihm, König Philipp twerbe noch denfelben
Zag in 3alamea eintreffen, und der Hauptmann Alvaro ſei
verwundet in den Ort zurüdgebracdht worden. Grespo eilt,
fein neues Amt anzutreten, und die erfte Handlung, die er als
Alcalde vornimmt, ift die Verhaftung des Hauptmanncs, def:
fen Verwundung fi als nicht fo gefährlich herausftellt, wie
man geglaubt hatte. Alyaro proteftirt gegen die Anwendung
der Giviljuftiz bei einem Officier; Crespo aber befichlt allen
Anwefenden, fich zurüdzuziehen, er babe allein mit dem Haupts
mann zu fprechen. Hier folgt denn eine bewundernswürdige
Scene. Der Alcalde ftellt dem Schänder feiner Tochter in
eindringlichen Worten die Ruchlofigfeit feines Benehmens vor,
burd) die er Schmach über eine feit Sahrhunderten mafellvfe
Familie gebracht habe; er fucht ihm begreiflih zu maden,
wie er nach göttlichen und menfchlichen Gefegen gebunden
fet, Sfabellen bie geraubte Ehre zurüdzugeben, und dies fónne
nicht anders gefchehen, alg indem er ihr die Hand reiche;
er bietet ihm an, fein ganzes Vermögen und alle feine Ber
figungen an ifn abzutreten, und beugt zulegt ein Knie vor
ihn, ihn bei allen Heiligen beſchwörend, die gerechte Forde⸗
rung nicht zu verweigern. Aber der fühllofe Hauptmann weift
mit faltem Hohngelächter das „wahnfinnige Begehren ves
einfältigen Oreifesa zurüd, und nun richtet ſich Crespo plógs
lich, den Alcaldenftab erhebend, auf und befiehlt den herbeis
eilenden Bauern, den Frevler zu verbaften. Alvaro ftráubt
fid), muß fi) aber gefangen geben. Crespo fchreitet nun fo:
fort zur Einleitung der Unterfuchung, verhört die mitverhafe
teten Soldaten, bringt fie zum Geftändniß der Schandthat
und zwingt feine Tochter, felbft Zeugniß über den an ihr ges
übten Srevel abzulegen. Nachdem dies gefchehen, verhaftet er
feinen Sohn, der angeflagt ift, das Schwert wider feinen
rg
— 166 —
militärtichen Oberen gezogen zu haben, und alg man fi
fiber diefe Strenge wundert, antwortet er: , 3d) würde gegen
meinen eigenen Vater ebenfo hanveln, wenn das Geſetz es
forderte.” Unterdeffen hat ein entflohener Soldat bem Lope
de Figueroa Nachricht von den Vorgängen in Zalamea ges
bracht. Diefer, entrüftet, daß ein Schultheif gewagt habe, die
Privilegien des Eoldatenftandes anzutaften ımd Hand an einen
Officier zu legen, eilt herbei, und es beginnt eine heftige Cons
teftation zmwifchen ihm und Crespo. Er verlangt die Ausltefe-
rung des Hauptinannd, indem er fid) erbictet, felbft in firengs
fter Form Gericht zu halten; der Alcalbe aber verweigert dies
beharrlih und fagt, über feine Ehre dürfe nur er ſelbſt
Nichter fein. Lope will den Gefangenen durch Gewalt in
feine Hände zu befommen fuchen, aber Erespo kündigt ihm
an, der Rerter fer mit Schügen umitellt, und ber Erfte, der
fich ihm nahe, werbe niedergefchoffen werden. Schon beginnen die
Soldaten mit den Bauern handgemein zu werben und ers
greifen Fudeln, um bas Dorf in Brand zu ftefen; Da
wird die Ankunft des Königs gemeldet. Diefer erfunbigt fich fos
gleih nach der Urfache des Tumults, und Don Lope ants
wortet ihm, berfelbe fet der unglaublichen Frechheit des Al:
calden zuzufchreiben, welcher einen Hauptmann verhaftet habe
und ſich meigere, ihn herauszugeben. Grespo tritt nun vor
den König hin, rechtfertigt fein Verfahren durch die Außer⸗
ordentlichfeit des Falles, und fügt Hinzu, bie Gerechtigfeit
habe den Schuldigen fchon ereilt. Die Thüren öffnen fid) und
man erblidt den erdroffelten Hauptmann. Der König, von
dem ganzen Hergang unterrichtet, erfennt an, daf ber Ber:
brecher den Tod verdient habe, rügt zwar die Ucherfpringung
ber regelmäßigen Form in Crespo's Verfahren, vergibt ihm
jedoch diefe Unregelmäßigfeit in Betracht feiner gerechten Zorn⸗
— 167 — .
aufwallung über Alvaro’d unerhörtes Attentat, und beftátigt
ibn für Lebenszeit in der Würde eines Alcalden von alas
mea. Ifabelle wird beſtimmt, in ein Klofter zu geben, deren
Bruder aber, aus gleichen Gründen, wie der Vater, freiyes
fproden. — Bon Seiten der Compofition, Die von Scene zu
Scene zu einer erfehütternden tragifchen Wirkung fortfchreitet,
jo wie. in der marfirten und Tebendigen Charafteritif möchte
fein Calderon'ſches Drama vorzüglicher fein. Der alte, durch
ein langes Kriegsleben geftählte und rauh gewordene, aber
in Grunde gutherzige Lope de Figueroa; dann der wackere
Pedro Crespo, der vollendete Reprifentant eines ſpaniſchen
Bauern in feinen ebelften Zügen, treu feinem König und
feiner Pfliht und von unbeugfamer Charafterfeftigfeit; Der
wüfte und hochfahrende Hauptmann; die muntere Marfetens
derin Chispa; bie reizendfrifhen und anmutbigen Geftalten
des Juan und der Ifabella ; endlich die verfchiedenen fittenlofen und
graufamen, aber zugleich braven Soldaten — wir haben bier
eine Gallerie der mannichfaltigften, in lebendigſter Wahrheit
gezeichneten Figuren, welche wohl an den großen brittiichen
Charaftermaler erinnern darf. — Nod) mögen hier folgende
Worte ftehen, welche der geiftvolle Kenner ber ſpaniſchen Li
teratur, Louis Viel-Saftel, bei Gelegenheit einer ausführlichen
Analyfe biefeg Stüds (in der Revue des deux mondes)
gefprochen hat. „Beſonders beivundernswerth erfcheint die Steis
gerung des Intereffes bis zu der furchtbaren Kataſtrophe und
die Kunft, mit welcher diefe felbft vorbereitet und behandelt
ft. Die Handlungswelfe CErespo's, wie gewaltthitig fie
auch ift, bat duch nichts Empörendeg, nein, fie rechtfertigt fi
vor unferem Gefühl; das an feiner Tochter verübte Ver:
brechen tft fo furdtbar, die Strafe an fic) felbft fu gerecht
und die MWahrfcheinlichfeit, daß der Schuldige in jedem andes
. — 168 —
ren Falle entronnen fein würde, fo groß; Crespo enblich hans
delt Anfangs, als er nod) eine gütlihe Genugthuung hofft,
mit folder Mäßigung, und dann mit folder Feftigfett und
Energie, daß alle Theilnahme fid) der von ihm verübten Rache
zuwendet unb biefes Gefühl und mit dem Blutigen und Graus
famen, was die That an fih hat, vollfommen verſöhnt.“
Amar despues de la muerte.’®) Ein überaus gláns
zendes und Tebenvolles Gemälde des Aufftandes der Moristen
in den Alpujarras vom Sahre 1570, dem Entwurf nad cine
der trefflichften Compofitivnen des Dichters, aber im Styl
nicht durdgängig zu Ioben. Gn den erfhütterndften Seenen,
wo man die ungefchminfte Sprache der Empfindung erwartet,
ftórt oft Gefuchtheit des Auspruds. Sehr bemerkenswerth ift,
daß CEalberon, ben fonft ber Eifer für den Katholicismus
meifteng gegen alle Gegner beffelben blenbet, hier. die Moris⸗
fet mit allen Tugenden des cdelften Hervismus ausftattet,
fo daf ſich die Theilnahme mehr den Unterlicgenden alg ben
Giegern zuwendet. Die erſte Scene fpielt im Haufe des Gabi
zu Granada, wo die Mohren im Geheimen ihren Fetertag
begehen. Möglich wird an die Thür gepodt, und D. Yuan
de Maler, ein Abkömmling der alten Könige von Granada,
der, den Oefegen Philipp’s II. gehorfam, zum Chriftenthum
übergetreten und dafür mit einer Stelle im Rathe der Stadt
belohnt worden tft, begehrt Einlaf. Er erzählt, wie er eben
aus biefem Nathe komme und wie dort eine königliche Ber:
oronung verlefen worden fet, durch welche bie Moristen neuen
Bebriifungen preisgegeben würden. Malec, alg ber ältefte
5 Einzelne hiftorifche Züge, Die der Dichter benubt hat, findet man
in Vanderhämen, Hist, de D, J. de Austria, Lib, 11.; Marmól Car-
‘ vajal, Hist. de la rebelion y castigo de los moriscos del reino
de Granada.
”
— 169 —
unter den Ráthen, hatte zuerft feine Mißbilligung dieſer Maaß⸗
regeln ausgevrüdt, D. Juan be Mendoza aber war ihm in's
Wort gefallen, ihm erwidernd, er fei ein Maure und fuche
deshalb feine Slaubensgenoffen der gerechten Strafe zu
entziehen. Der Streit hatte ſich mehr und mehr erhigt und
endlich damit geendigt, bag Mendoza dem Maler einen Bats
Fenftreih gab. Der fo Beſchimpfte Flagt, daß er feinen
Sohn habe, feine Schmad zu rächen, fondern nur eine
Tochter, welche in ſolchem Unglück eine Dual mehr für ihn
fet; dann ftellt er ben verfammelten Mauren vor, tvíe man
darauf ausgehe, fie fämmtlih zu Sclaven zu maden, und
fordert fie auf, die erfahrene "Beleidigung, welche fie alle
treffe, zu rächen. Wirklich leiftet die ganze Verfammiung einen
folhen Racheſchwur. Die folgende Scene zeigt und Malec'8
Tochter in Verzweiflung über ben ihrem Vater wiberfahre-
nen Schimpf; zur Erhöhung ihres Grames dient der Gedanke,
daß ihr Oeliebter, Don Alvaro Tuzant, nun nad) der Schmadh,
welche ihr Haus erlitten, fie feiner unwürdig finden werde.
Da tritt Tuzaní auf und bewirbt fih um ihre Hand, um
als Sohn des Beleidigten bie Rache übernehmen zu fónnen.
Clara ftráubt fic), denn fie will den Geliebten nicht zum Ge⸗
noffen ihrer Schande machen. Unterdeffen treten der Corregi⸗
dor 3uftiga und D. Fernando de Valor, ein anderer, gleich
falls Ehrift gervorbener Abfümmling der Granabinifchen Könige,
bei Malec ein, um ihm bis zur Schlichtung des Streites Vers
haft in feinem Haufe anzufündigen. Valor fehlägt vor, Mas
lee's Tochter folle bem Mendoza ihre Hand reichen; Tuzant,
um dieſem Ausfunftsinittel zuvorzukommen, eilt zu Mendzoa
und fordert ihn zum Zweikampf; allein biefer Kampf wird
unterbrochen, da Valor und Zuñiga bei Mendoza eintreten,
um ihm die Vermáblung vorzujchlagen, welde dem Streit
— 170 —
ein Ende machen fol. Menboza verwirft ben Vorſchlag
mit Beratung, unter Schmähworten gegen die Mauren,
und Tuzani, Valor und Maler, fic felbft in ihrem Volfe
gefränft fühlend, entfernen fi mit dem Entfchluffe, den Aufs
ftand zu beginnen. — Im zweiten Afte, welcher drei: Sabre
fpäter fpielt, fehen wir die Empörung ſchon ausgebrodjen und
D. Juan von Defterreid) beauftragt, Diefelbe zu dämpfen.
Fernando Balor ift zum König ausgerufen worden und hat
fih mit der fchönen Sfabella Tuzaní vermáblt; in feiner
Wohnung wird eben die Hochzeit von Tuzani und Clara
gefeiert, als plötzlich Trommelſchall den Anzug bes dhrifts
lichen Heeres verfündigt. Valor entfendet Malec und Tus
zant auf ihre Poften, und Legterer gelobt feiner Braut, daß
er jede Nacht fommen werde, fie zu feben. Eine der fols
genden Scenen zeigt uns diefe Zufammenfunft, welche aber
durch das Anrüden D. Juan's von Defterreih unterbrochen
wird. Im dritten Akt hat fid Tuzant von Neuem an ben
Wall der Feftung, in welcher feine Geliebte weilt, hinange-
fehlichen; aber die Feinde haben den Felfen, auf welchem Die
Stadt gebaut if, unterminirt und mit Pulver gefüllt; eine
furchtbare Explofion zerfprengt die Wälle und öffnet den
Spaniern den Eingang in bie Stadt. Tuzani ſtürzt mitten
. dur die Flammen auf Clara's Wohnung zu, aber er findet
die Geliebte im Sterben; fie ift von einem Soldaten nieder:
geftoßen worden. Tuzani, nad Rache dúrftend, eilt in bas
hriftliche Lager; er ftebt in den Händen eines Soldaten ein Hals:
band, welches er als das feiner todten Geliebten erfennt, fchließt
hieraus, daß diefer Soldat Clara's Mörder fei, und ftößt ihn
nieder. Auf das Gefchrei des Sterbenden eilt die Menge ber:
bei, und D. Juan von Defterreid), Lope de Figueroa, fowie
andere der fpanifchen Heerführer drängen ſich um ben Ber-
— _—_——— a — — — — —
— 171 —
wegenen, der ganz allein in's ſpaniſche Lager gedrungen iſt,
mn ben Tod feiner Geliebten an deren Mörder zu rächen;
Tuzani aber babnt fid) mit feinem Schwerte einen Weg durch
die ihn umringenden Schaaren und rettet fich in Die unzu⸗
gänglichen Schluchten des Alpujarragebirges. Die Mauren,
in der Eroberung jener Feftung ihres beften Haltes beraubt,
firecten endlid) die Waffen und nehmen ben ihnen von Phis
lipp angebotenen Pardon an.
Luis Perez el Gallego. ®ir haben hier fein Drama
im eigentlihen Sinn, fondern aneinandergereihte Situationen
aus dem Leben des Luis Perez, cines edlen Baliciers, den
der Drang ber Umſtände zum Räuber macht. Die Idee hat
viel Verwandtfchaft mit der des Tejedor de Segovia von
Alcaron, ohne daß diefes unvergleichlihe Drama ganz erreicht
würde. Charafteriftif und Situationsmalerei find übrigens von
großer Lebendigfeit. Das Hauptmotiv, welches den Helden
big zur Ergreifung bes Räuberhandwerks treibt, iſt eine zu
ftarre Rigorofität im Ebrenpunft nad fpanifchen Begriffen.
Luis Perez will einen Diener, der feiner Schwefter einen
Brief überbringt und ben er für ben Agenten einer verbotenen
Intrigue hält, umbringen, und wiberfeßt fich der Juſtiz, als
fie die Auslieferung eines zu ihm geflüchteten Portugiefen, der
feinen Nebenbubler ermordet hat, verlangt. Gezwungen, Die
Flucht zu ergreifen, hat er hierauf mancherlei Abenteuer zu
beftehen, und fehrt zulegt, ſich wieder fiher glaubend, nad)
Haufe zurück; al8 er aber bier erfährt, er fei zum Tode ver
nrtheilt, begibt er fich zu dem Richter, ftellt feinen Bedienten
als Wächter an der Thür auf, Täßt ſich die Alten bes Pro:
zeffes geben, zerreißt fie und entflieht mit feinem Bebienten.
Man verfolgt ihn, und er zieht fic) in einen Wald zurüd, wo
er fid mit feinen Freunden gegen bie Diener der Gerechtigkeit
— 172 —
vertheidigt. Zuletzt wird er Durch einen Flintenſchuß hingeſtreckt
und gefangen fortgeführt, aber man befreit ihn, und fo endet
der erfte Theil „der denkwürdigen Thaten bes Galliciers Luis
Perez.“ Der vorhandene zweite Theil ift nicht von Calderon's
Hand. .
El sitio de Breda, ein Feftfpiel zur Verherrlichung ber
Einnahme von Breda burd) die Spanier. Das Ganze trägt
fichtbar ven Eharafter eines Gelegenheitögedichtes. An Schwung
und Feuer fehlt es nicht; der Haß gegen die Feinde des
Glaubens fpricht fid mit furchtbarer Energie aus; einzelne
Schönheiten, Iprifcher und epiſcher Art, finden fi in Menge,
allein die kriegeriſchen Ercigniffe find ziemlich planlos an ein=
ander gereiht, ohne fic) zum Drama abzurunden.
Gustos y disgustos son no mas que imaginacion *?).
Wir haben bier eine der feinften und vollendetiten Dichtungen
5% Der Stoff ift aus Zurita, Anales de la Corona de Aragon,
Zaragoza 1610. T. 1, 93, 6 — 99. Die Novelle des Bandellv (11.483),
bie denfelben Stoff behandelt, feheint ohne Einfluß anf das Drama geblie-
ben zu fein. Die von Zurita erzählte Anekdote ¡ft folgende: Die Bewohner
von Montpellier, welche Stadt als Heirathsgut der Gräftn Marie au
Bedro Il. von Aragon gefommen war, ſahen mit Kummer die Gleich⸗
gültigfeit des Königs gegen feine Gemahlin, weil fie dadurch der Hoff:
nung beraubt wurden, ihre Firftin mit einem Sohne befchentt zu fehen.
Als nun Pedro, welcher ein ausfchweifendes Leben führte, einft um bie
Liebe einer jungen, eben fo fehönen als klugen Mittwe buhlte, beftimm:
ten die Conjuln von Montpellier diefe, fich zu ftellen, als wolle fie den
Wünſchen des Königs nachgeben, in Wahrheit aber mußte bie Königin
ihr Bett einnehmen. Pedro, der den gemachten Bedingungen gemäß ohne
Licht Tommen mußte, bemerkte ben Betrug erft am folgenden Morgen
war anfänglich etwas betreten über bie Entdeckung, ſcherzte aber nachher
felbft über Die wohlgemeinte Lift der guten Leute, und fand auch, nachdem
er einmal in den Armen der Gemahlin gerubt hatte, diefe fo liebens:
würdig, baß er ihr fortan treu blieb.
— — — ——— — —— — —
— 173 —
Galderon’s, ebenfo ausgezeichnet durch die Tiefe ber Pſycho⸗
logie und bie fcharfe Analyfe des menfchlihen Herzens, als
feffefnd durch die glückliche Combination des Plans und ben
Reichthum an fpannenden und anzfependen Situationen. Ein
Vergleich mit der hiftorifhen Grundlage, auf welche das
Stúd gebaut ift, zeigt vecht deutlich die unvergleichliche Kunft,
mit welcher unfer Dichter eine magere und geringfügige Anek⸗
dote, die noch dazu von Anftöfigfeit nicht frei war, umzuge⸗
ftalten und zu verfeinern gewußt hat. Die Hauptaction if,
daß ber König von Aragon die Liche feiner Gemahlin ver:
ſchmäht, fid) dagegen um die Neigung ihrer Hofpame, Dofta
Biolante, bewirbt. ES trifft fich zufällig, daß die Königin fidy
Nachts in Violante's Gemach am Fenfter befindet, alg ber
‚König fi) ihr, im Wahne, es fei feine Angebetete, mit Liebes⸗
worten naht; die Fluge Frau ftellt ſich, als fet fie die Gefuchte,
geht auf feine zärtlidhe Sprache ein und ermuthigt ihn zu
ferneren Befuchen. Bet diefen widerholten Zufammenfünften
am Oitterfenfter nun gewinnt die Königin das Herz bes Treu⸗
lofen bergeftalt, daß, als ble Aufflärung Statt hat, er reutg
und beſchämt in ihre Arme zurüdkehrt. Dod) dieS nur bas
Sfelett einer mit vielen anderen Zwifchenfällen vermebten
Handlung. |
Saber del mal y del bien. Einfacher gegliedert und
von minder reihem Inhalt, alg bie metften Werke unferes
Dichters, aber in den Seelenſchilderungen vorzüglich. Die edle
und unerfchütterliche Freundſchaft in ven großen Seelen Des
Pedro und Alvaro erinnert an Alarcong herrliches Ganar
amigos. — Die gefchichtlichen Umftände, an welche das Drama
gefnüpft ift, find mit großer Freiheit behandelt. Alvaro ift der
Son bes Alvares d'Almada, Grafen von Abrandhes, beffen
Geſchichte de la Cléde in feiner Histoire du Portugal ers
— 114 —
zählt, und die traurige Begebenheit, die Alvaro dem Pebro De
Lara berichtet, tft die Sataftrophe bes Infanten Pedro von
Portugal, aber bie Namen find verändert. Nod) willfürlicher
verfährt Calderon mit ber fpanifchen Gefchichte,, indem er
einen Alphonfo zum König von Saftilien und Aragon mat.
Kir fommen zu den Comödien, deren Stoff aus den Ges
ſchichten des Alterthums oder aus denen der fremden Völfer
neuerer Zeit entlebnt ift. Dan begegnet in dieſer Claffe einigen ber
trefflichften Dichtungen des Salderon, aber freilich aud) mehreren
der ſchwächſten. Die erfteren werden, wie billig, vorangeftellt.
En esta vida todo es verdad y todo es men- -
tira. Die untenftependen Citate mögen auf die auferor:
dentlihe Willkür aufmertíam machen, mit welcher Calveron
das Geſchichtliche behandelt pat“. Daß er den Heraflius zu
einem Sohne des Mauritius macht, daf-er zur Zeit des Teßte-
ren eine Königin von Sicilien und einen Herzog von Calabrien
alg Bafallen des byzantinifchen Reiches aufführt, dies Alles zeigt,
wie weit er von ber hiftsriihen Wahrheit abgerwichen. Was
übrigens die Grundlage feiner Dichtung betrifft, fo iſt bier
ein von Baronius (Annales ecclesiast.) berichtetes Factum
benubt. Rad) Diefem machte, al8 Phofas die Söhne des Kaiſers
Mauritius vor den Augen bes Vaters hinrichten ließ, vie
Amme der Prinzen den Verfud), ihren eigenen Sohn unterzus
ſchieben und fo einen Sproffen von königlichem Blute am
Leben zu erhalten, ber Verſuch aber fcheiterte. Calderon
fegt nun voraus, ein Sohn des Mauriting, Heraklius, fet
6°) Theophylactus Simocatta Historia imperatoris Mauritii.,
L. VEIT. c.7 — 12, das Chronicon Paschale pag. 379 ff., Theophanes
Chronograph. p. 238 ff, Zonaras T. II. lib, XIV. p. 77 ff, Du
Cange Familiae Byzantinae p. 106 ff, le Beau Histoire du Bas-
Empire, Paris 1768. T. XII pag. 143,
— 15 —
wirffi der Hinfchlachtung feiner ganzen Familie entgangen und
der Uſurpator Phofas glaube fich nicht cher ficher, als big er
ihn aufgefunden und gleichfall8 bes Lebens beraubt habe. Der
Tyrann findet am Ende zwei, von einem alten Diener des
Mauritius in der Wildniß auferzogene Sünglinge, deren einer
der Sohn feines ermordeten Vorgängers, der andere fein eiges
ner, ihm in früher Rintbeit geraubter Sohn ift. Die Unges
wißheit des Phokas, welcher von den Beiden Heraflius fet,
und die Unmöglichfeit, es zu ergründen, fein Hin- und Hers
fhwanfen zwifchen Haß und väterlicher Liebe, fein Verlangen,
den rechtmäßigen Thronerben aus dem Wege zu räumen, und
doch dabei die Furcht, fein eigenes Kind umpzubringen, bilden
nun den Hauptfnoten des Stücks, und alle Scenen, welche
unmittelbaren Bezug auf diefes Motiv haben, find burdaus
vortreffliih. Man fann nichts Poetifcheres denken, als bie
Schilderung der in der Wildniß auferzogenen und mit ihrer
eigenen Herfunft unbefannten Prinzen, die bei der erften Ge⸗
Tegenbeit ihre angeborene Heldennatur entfalten. Von wie hin-
reißenvder Schönheit tft die Scene, wo Phofas die beiden
Súnglinge , Heraflius und Leonido, vor ihrer Höhle im Ger
birge antrifft und fie zuerft erfahren, daß einer von Ihnen
von königlichen Blute fet! (ES fei vergónnt, eine Stelle aus
Diefer Scene hier einzufchalten. Aftolf, der alte Diener bes
Mauritius, hat dem Phofas das Geheimniß enthüllt, führt
ihm die beiden Sünglinge zu und fpricht zu ihm: „So weißt
du denn nun, daß ber Eine von ihnen dein Sohn iſt! Wohl:
an, tödte die Beiden !“
Phofas. O Himmel, was hör’ ih? Da ich ven Spröß-
ling meines Feindes auffuche, ben ich meiner Nube toegen
niht am Leben laffen darf, finde ich zugleich mein eígnes
Kind, obne es zu erkennen, imd fo fängt der Schild der Liebe
— 176 —
die Pfeile des Haffes auf! Aber du, Alter, follft mir befen-
nen, weldyer von den Beiden der Sohn des Mauritius if.
Aftolfo. Nein, dein Kind fol bem meines Herrn und
Raifers zum Schutze dienen.
Phokas. So zwingft du mid denn, bir den Tob zu
geben, wenn du mir nicht fagft, wer fie find.
Aftolfo. So wird das Geheimniß um fo mehr verbor:
gen bleiben, denn du weißt, daß die Todten ſchweigſam find,
Phokas. Wohlen denn, Thor, Verräther, nicht tödten
will ich dich, fondern bid) Tebend in einem fo graufen Kerker
ſchmachten laffen, daß diefer langfame Tod dir das Geheim⸗
niß entreißen fol. (Er wirft den Aftolfo zu Boden, Die beiden
Sünglinge richten ihn wieder auf.)
Heraflius und Leonido. Halt ein! Bergreife did)
nicht an ihm!
Phokas. Wie, ihr beichüst ihn ?
Die Beiden. Da er unfer Leben gerettet hat, tft es
nicht unfere erfte Pflicht, das feine zu ſchützen ?
Phokas. So reizt der Gedanke, daß einer von Euch
mein Sohn ift, Euren Ehrgeiz nicht ?
Heraflius. Den meinen nicht; ich will lieber als recht:
mäßiger Sohn des erhabenen Raiferg qualvoll fterben, denn
als Baſtard des Phokas und einer Bäurin leben.
Leonido. Und ich, wär’ ich auch dein Sohn, will doch
nicht weniger ale Heraflius fein.
Phofas. So ift Herafliug mehr als Phokas?
Beide. Ja!
Phokas. O glüdlicher Mauritius! O unglüdlicher Pho- .
fas, daß nicht Einer mein Sohn fein will, um zu berrfchen,
und Daß zwei bie deinen fein wollen, um zu fterben !«
Märe alles Uebrige in gleichem Sinne ausgeführt, fo
mim mm m gm. —⸗ — -
— 117 —
würde dieſes Drama zu ben vorzüglichfien des Calderon ges
hören; aber der Dichter hat in der Mitte bes Werkes vie
Handlung in eine phantaftifche Traummelt verfegt, welche die
Idee verfinnlichen fol, „daß in biefem Leben Alles eben ſowohl
Lüge rote Wahrheit fei,” und wie viel Kühnes und Hochpoeti⸗
ſches man auch in biefem Theile bewundern muß, fo fann
man doch nur die Willkür beflagen, mit welcher der grofs
artigen und wahrhaft tragifchen Anlage eine opernhafte Wen-
dung gegeben worden tft. — Man hätte nun erwarten follen,
daß Gorneille, ber in feinem Heraflius bas fpanifche Stüd
vor Augen hatte °'), die Anlage bes Calderon in reinerer
Eonfequenz durchführen würde; aber weit entfernt hiervon,
hat der Sranzofe alles Ergreifende, was ihm ſchon von dem
Spanier überliefert worden, entftellt und in ber That nichts
61) Es fann hieran gar fein Zweifel fein, wenn man bedenkt, daß bie
Grundlage der Handlung, die in Diefer Art von der Gefchichte nicht ges
Tiefert wurde, in beiden Stüden ganz bie nämliche ift, und wenn man
einzelne Verfe vergleicht, 3. D. Die folgenden: _
Galberon: Ha, venturoso Mauricio!
Ha infeliz Focas! Quien vió,
Que, para reinar, no quiera
Ser hijo de mi valor
Uno, y que quieran del tuyo
Serlo, para morir, dos ?
Eorneifíle: O malheureux Phocas! ö trop heureux Maurice!
Tu recouvres deux fils pour mourir aprés toi,
Et je wen puis trouver pour régner aprés moi!
Man hat in Frankreich diefe Uebercinftimmung zwifchen Den beiden Stüden
wahrgenommen, aber umgekehrt behauptet, Galberon habe aus Eorneille
gefchöpft; dieſe Annahme, die wohl fchon an fid) die Wahrfcheinlich-
Eeit nicht eben auf ihrer Seite hat, wird ganz einfach durch das Fac:
tum widerlegt, daß Galderon’s Drama ſchon 1637 gedrudt ift, Der Her
raflius aber erft im Jahre 1647 auf die Bühne Lam.
Geſch. d. Lit. in Spanien. UL Bd. 12
— 178 —
weiter geliefert, als ein orbinäre® und nod) dazu ziemlich vere
worrenes Antriguenftüd. Lieber die Berfehltheit dieſer Tragödie
ift feloft in Sranfreich von jeher nur Eine Stimme gewefen.
El mayor monstruo les zelos°?). Mir haben hier
eine ächte Schickſalstragödie und wohl ben erften Keim jener
wüſten Gebilde, welche, aus einer impotenten und doch nad)
bein Außerorbentlichen ringenden Phantaſie hervorgegangen,
in Folge der erften Befanntfchaft mit Calderon die beutiche
Bühne überſchwemmten. Aber wie tief und geiftooll iſt von
unferem Dichter das Verhängniß aufgefaßt, fo daß es eigent-
lid) nur als eine Vorahnung der mit ängftlichem Bli in bie
Zufunft fehauenden Seele erfcheint ! Mariamne erzählt ihrem
fie zärtlich licbenden Herodes, wie ihr ein Aftrolog geweiffugt
babe, fie werde ein Opfer bes größten Scheufald ber Welt
werden, ihr Gemahl aber werde mit feinem Dolce das, mas
ihm auf Erden das Liebfte fet, umbringen. Der Tetrarch fucht
die Battin zu beruhigen und fehleudert, um die Weiffagung
fiher zu vereíteln, den Dolch in's Meer. Sn diefem Augen-
bli erfchallt ein Weheruf hinter der Scene; ein gewiffer
Ptolemäus, von der herabflürzenden Waffe getroffen, tritt,
blutend und den Dolch noch in der Wunde, auf, und fo fehrt
das verhängnißvolle Inftrument in bie Hände feines Beſitzers
zurüd; Mariamne ſchaudert, als fie es erblidt, aber neu ein
tretende Ereigniffe drängen bie Aufmerffamfeit auf jene Weil
fagung in den Hintergrund. Antonius und Eleopatra find von
2) Der Stoff ift aus Josephi Antiquit. Jud, 15, 2—7, de
bello Judaico 1, 17 — 223; Galderon’s nádyfte Quelle war aber wohl
ein vor mir liegendes altes Volksbuch, Historia de Herodes, Madrid,
ohne Jahreszahl. Die Weiffagungen, das Gemälde, Die Liebe des Octas
vian, der unwillführliche Mord durch ben Dolch und Anderes bat der
Dichter Hinzuerfunden.
um A —
— 17% —
Drtavian befiegt worden und ber Tetrard, ver gemeinfchafts
liche Sade mit ihnen gemacht, wird nah Beflegung von
Maríamneng Bruder Ariftobulus, den er gegen Octavían
ms Feld gefchidt Hatte, gefangen vor den Sieger geführt.
Hier fiept er in Detaviand Händen ein Bildniß ber Mas
riamne, welches Diefer dem Artfiobulus abgenommen, und bald
darauf noch ein größeres mit benfelben Zügen, weldes ber,
burd) ben bloßen Anblid von Liebe entflammte Feldherr
nad) bem Eeineren bat copiren [affen. Herobes, von wüthen⸗
ber Eiferfucht erfúlt, will den Octavian in bem Augenblick,
da er in das Zelt eintritt, tödten; aber in demfelben Moment
flürzt Mariamnens Bildniß zwifchen dem Eintretenden amb
bem Mörver herab und wird von dem Dolche durdbobrt.
Man berunbere, mit welcher Kunft der Dichter die Ahnung
der Zuſchauer von Mariamnens endlihem Loofe durch viel
fache Vorbedeutungen beftändig rege erhält! Der Dolch bleibt
nun in ben Händen des Octavian, und ber Tetrard wird
in einen Kerfer geworfen. Zum Tode verurtheilt, fendet er
einen Boten an den Ptolemäus, mit einem geheimen Briefe,
in dem er ihm.aufträgt, fogleih nad) erhaltener Kunde von
feinem Tope Mariamnen umzubringen. Aber diefer Brief fällt
in Maríamneng eigene Hände; wegen des unmwürbigen Vers
dates ihres Batten auf's Aeußerfte erzürnt, bitter fie zuerft
zwar den Octavían um Onabe für ihn und erlangt diefelbe, zieht
fid) aber dann in ihre tunerften Gemächer zurüd, indem fe
bem Herodes fagen läßt, fie werde ihn in Zufunft nie wicber
feben. . Diefer, dem Ptolemáus wegen des verrathenen Ges
heimniffes zürnend, will Legteren umbringen; Ptolemáus flicht
zum Octavian und führt denfelben, um ſich an Herodes zu
rächen, bei Nat in Mariamnen's Gemächer. Mariamne
verweigert dem Zubringlichen Gehör; als er nicht von Ihr
12*
— 190 —
ablaffen will, entreißt fie igm ben Dolch, um ihre Ehre zu
ſchützen; aber darin jene verhängnißvolle Waffe ihres Gemahls
erfennend, fehleudert fie ben Dold zu Boden und entflicht.
Octavian folgt ihr. Dann tritt der Tetrard auf, erfährt von
ben Dienern bie vorgefallene Scene, glaubt feine Ehre ges
fhänbet, erhebt den Dolch und fucht den Octavian, um ihn
umzubringen; ber Nächfte, der Ihn entgegentritt, finft, von
feinem Stoße getóbtet, zu Boden; aber, von bem nächtlichen
Dunfel getäufcht, hat er die eigene Gattin durchbohrt. Nach⸗
dem er feinen Srrthun erfahren, ſtürzt er fich verzweifelnd
in's Meer. Seine legten Worte find: „Nicht ich habe fie ges
tódtet, fondern ihr Schickſal war es; denn durch meine Eifers
fucht, den blutigen Henfer, fallend, ift fte ein Opfer des größ-
ten Scheufald der Welt geworden !”
Los cabellos de Absalon*). Diefer großartigen
Tragödie gebührt einer ber vorberften Pláge unter den Werfen
unferes Dichters; fie hat bei dem gervaltigften inneren Leben
eine feierliche und impofante Bewegung, bei der Fülle bald
glänzender und anmuthiger, bald herber und erfchütternver
Details ein mit feínftem Kunftgefühle burchgeführtes Eben⸗
maß aller Theile, und weiß bie wildeften Verirrungen ber
Leidenſchaft mit höchſter Naturwahrheit zu fchildern, ohne
dag die Nube und ideale Schönheit des ganzen Gemäldes ges
flört würde. Die Kämpfe der ungehorfamen und entarteten
Söhne des alten David gegen ihren greifen Vater, die Milde
und Langmuth, die Legterer ihren Freveln entgegenftellt, aber
ble durch biefe Milde nur nod) mehr angefachte Wuth ber
Feindſchaft, wie bie eben fo ¿erftórende Liebe unter ihnen —
e) Das Gefchichtliche ift aus 2. Samuelis 13— 18 und Josephus
Antiq.: Jud. 7, 8—10.
— 181 —
a
bas find de Grundlagen, auf denen die hinreißend fchöne
Dichtung ruht. Von der prachtvollen Eröffnungsfcene an, in
welcher man über dem Bepränge des Triumphzuges ſchon das
fünftige Unheil wie eine Wetterwolke emporfteigen fieht, ers
gießt fich Die Handlung mit unmiverftehlicher Gewalt, in ihrem
Sortgange immer bunfler und reißender werbend, bis fie in
bem von Anmon an Thamar verübten Inceft ein Bette ers
langt, in bem fie nun in nod zufammengebrängterer Strós
mung dem dúfteren Abgrunde entgegenrollt. Gene Incefts Scene
tft furchtbar -fchön und zeugt von ber gewaltigen Runft des
Dichters, welche einen Aft der äußerſten moralifhen Vers
worfenheit fo zu behandeln wußte, daß er feinen wibrigen
Eindrud, fondern nur ein ideales Graufen hervorbringt. Nicht
minder bewunderungswürdig und im Glanze der erhabenften
Poeſie ftrahlend tft bie Scene von Abfalon’d Tode. Dod)
was heben wir Einzelheiten hervor, da das Drama in dem
fiheren Gleichgewicht aller feiner ſchönen Beftandtheile als
Ein vollendetes Ganze dafteht!
Bon unendlich geringerem Werthe tft der Judas Maca-
beo °*), welcher auf zwei Theile berecinet war, aber nur
zur Hälfte vollendet toorben ift. Ihn ſowohl, als bie nun
zunächit zu nennenden Schaufpiele müffen wir zu ben ſchwä—⸗
cheren Productionen unferes Dichters rechnen. Daß ber hiftes
rifche Stoff in romantifcher Verkleidung erfcheint, iſt freilich
in Uebereinftimmung mit ber bei allen ſpaniſchen Dichtern
bergebrachten Sitte, und fann an ſich nicht getadelt werben;
) Zudas Mafabáus war durch das Volksbuch Historia de Judas
Macabeo y sus esforzados hermanos gleihfam zum fpanifchen Na:
tionalhelden geworben. Die urfprünglichen Quellen, das erfte Buch Der
Mattabáer Sap. 2— 7 und Jofephus Antiquitates Jud. 12, 6— 10
find bekannt.
— 182 —
aber Cafberon Hat bie antife Geſchichte denn Doch oft gar zu
abenteuerlih und ohne Zweck entítellt, und mehr nod muß
häufig die durch poble und prahleriiche Redensarten ſchlecht
verdedte Leerheit und Schwächlichfeit der Geftalten, welche
„für griechifche und römiſche Helden gelten follen, befrembden.
Schlegel's Bemerkung von ber Auffaffung der römifdhen Ges
fchichte als einer mafeftätifchen Hyperbel ſcheint in ber That
nicht ganz gegründet zu fein.
Las armas de la Hermosura (die Gefchichte bes Eos
riolan). Eins der miflungenften Werfe des Calderon. Der
römifche Held ift hier Feldberr unter Romulus, und doch find '
Spanien und Afrifa ſchon unterjocht, und Mom wird die Herrs
fherin ber Welt, die Nebenbuhlerin Jeruſalems genannt. Co⸗
riofan erfcheint ganz alg Galan des flebzehnten Jahrhunderts,
mit Mantel und Degen, tft fehr feinfühlend Im Ehrenpunft
und puldigt fleißig den Damen; er hat unter dem Volfe einen
Aufruhr erregt, weil der Senat ein Oefeg erlaffen hat, wel
ches ben Frauen verbietet, fi) zu fehminfen und Edelſteine zu
tragen; bei diefem Tumult ift ein Senator umgebracht worden,
und der Anftifter wird deshalb in vie Verbannung gefdidt.
Die Sprade ift voll gefchnörfelter Emphafe und die Figuren
verlieren fi) in ihre eigene anfgeblafene Hohlheit. Nad) eis
nigen Taunigen Stellen, 3. D. den Bitten des Oraciofo an
den Souffleur, ihn nicht fteden zu laſſen, fónnte man vers
muthen, der Dichter habe den Gegenſtand überhaupt ironisch
behandelt; allein jedenfalls ift flar, daß bie Sronie "nicht
gleichmäßig die ganze Compofition durchdringt. Aus welchen
hiftorifchen Quellen Calderon gefchöpft hat, mag der Himmel
wiffen; die ächten Nachrichten über Coriolan bei Plutard) und .
Livius (I, 34—40) muf er nicht gefannt haben. Eine Zuſam⸗
menftellung mit Shafipear’s Coriolan verdient das Stüd nicht.
—
— 183 —
Darlo todo y no dar nada ſcheint gleichfalls ble Frucht
einer nur matten Begeifterung zu fein, und ift allein in ben
komiſchen Partien des großen Dichters würdig. Es behandelt
die Befchichte des Apelles und der Campaspe nad) Plinius
Hist. Nat. 35, 36. |
El secundo Scipion. Das Gecſchichtliche tft aus Lis
vius XXVI 28-50, aber fehr entítellt. Der jüngere Scipto
muß fid bequemen, ein Abbild des jämmerlichften aller fpas
nifhen Könige, Karl's II, zu geben.
Duelos de amor y lealtad. Die Schmeichelei, durch
welche der thaten= und fraftlofe Karl IT. mit Alexander dem
Grofen, der gegen den Cyrus in's Feld zieht, in Parallele
gebracht wird, ift denn doch etwas allzu plump. Der Styl if
geſchraubt, vol Schwulft und Bombaſt. Bei der Schilderung
der Eroberung von Tyrus ſcheint die Beſchreibung Diefer
Stadt bei Curtius, L. IV. c. 4, benußt zu fein **).
La gran Zenobia*°). Um aud) diefe Elaffe nicht zu
befchließen, ohne den Calderon in feinen glänzenden Eigen»
fhaften zu zeigen, haben wir die Erwähnung diefes Druma’s
bis zulcgt verfehoben. Hier bilden tas gewaltige Reich des -Abend-
landes und der zaubervolle Orient, die fehleunige Erhebung
und ber jähe Full bes Aurelian, der Untergang der großen
Königin von Palmyra und die Gegenjüge diefer beiden wun⸗
derbaren, fid) wechlelfeitig vernichtenden Naturen cin Oe:
málbe von brennendem Farbenglanz, deffen Pracht nod durd)
és) Bal. über die legtgenannten Stüde B. Schmidt, a. a. O.
66) Das Hiftorifche ift aus Vopiscus (Historia August. p. 217 ff.)
und Trebellius Pollio Triginta Tyranni (Historia August. p. 200)
Bal. Zosimus L. I. p. 36 ff, Zonaras L. XII. p. 633 ff, Eutrop.
L. IX. c. 13 und Gibbon Cap. 11.
— 18 —
bie dem Gegenſtande angemeffene, fühne Bilderſprache des
Orients erhöht wird.
In die Mitte zwiſchen die hiftorifchen und mythologi⸗
fen Schaufpiele wird fiiglid La Hija del Aire geftellt.
Die fagenhaften Berichte der Alten über die Semíramis °7)
find in den beiden Theilen biefer Tragödie auf's genialfte
zu einem glanzreichen Bilde benugt, das eben fo fehr durch
fein prangendes Colorit entzüdt, alg wegen ber Fünftlerifchen
Meifterfchaft Bewunderung verdient, mit welcher die großen
Maſſen der überſchwänglich reihen Eompofition geordnet und
zu einem runden, in allen feinen Berhältniffen barmonifchen
Ganzen verarbeitet find. — Semíramis , die wunderbar ers
zeugte Tochter einer Dianenpriefterin, von Venus befchüßt,
von Dianen verfolgt, wird von frühefter Jugend an in öder
Gebigswilänifi gefangen gehalten, weil cin Götterſpruch vers
fündet hat, fie werde Schreden und Unheil über den Erd
frei verbreiten, einen Fúrften ¿un Tyrannen machen und
endlich felbft von fchmwindliger Höhe nicderftürzen. Doch die
Vorforge der Menfchen fann die Erfüllung des Orafels nicht
hindern. Menon, ber fiegreiche Feltherr bes Ninus, fommt
auf einem Heerzuge in die Gegend ber Höhle, telde bie
wunderfame Schönheit umfchließt, und zieht fie, der warnen⸗
den Stimmen, welche ihn davon abmahnen, nicht achtend,
an's Tageslicht. Der Priefter, dem ihre Bewahrung obliegt,
gibt fih, da er ihre Feffeln gefprengt und nun bas prophes
zeite Unheil über bie Welt hereinbrechen fieht, felbft ben
*) &, Diodorus Siculas Jl. 4, Aelian. , Var. Hist. VII, 1.,
Justin. 1, 2, Valerius Maxim. IX. 3 und 4. — Bon dem Schau:
iviel des Virues, das dem Calderon, aber freilich nur in ganz rohen
Linien, die Umriffe des feinigen geliefert hat, tt Band I. ©. 296 gehan⸗
belt worden.
— 18 —
Tod. Bald beginnt die Verfündigung wahr zu mwerben. Das
bämonifche Weib ¡ft faum dem Denon als Gattin verbunden,
als fie durch ihre magifchen Reize bas Auge des Könige auf
ſich zicht; von einer inneren Macht, bie fie der Erfüllung
des Schickſalsſpruches entgegenführt, getrieben, wirft fie fich
dem Herrfcher in bic Arme und theilt den Thron mit ihm.
So fällt denn Menon als ihr erftes Opfer; er wirb von
Ninus, der den Nebenbubler unfchäpli machen will, ges
blendet, und fpricht, während Semíramis alg Königin bes
Weltreichs ausgerufen wird, feinen Fluch über ihr Haupt
aus. Mit Sturm und Donnerfchlägen ſtimmt ber Himmel in
feine Berwünfcdhungen ein. Aber auch Ninus unterliegt dem
„ſchönen Drachen, der durch Anfchauen töbtet.” Semiramis
fhreitet über feine Leiche hinweg zur Alleinherrfchaft. Ihren
Sohn Ninyas laͤßt fie einferfern, und fo fteht fie dba, als all
mächtige Gebieterin endlofer Linderftreden. Benachbarte Vol:
fer befriegen fie, aber fie blickt lächelnd hinab auf bie Ohn⸗
mächtigen, jchwelgt, während Dienerinnen fie mit foftbaren
Gemwändern befleiden und ihre Toden ordnen, in den Klängen
lieblicher Lieder ‚rüdt dann in bie Schlacht, erficht den Sieg,
al$ wäre ed ein Kinderſpiel, und febrt aus bem Kampfe an
den Pustifch zurüd. Aber ber Uebermuth ber Königin hat
tas Volf gereizt. Aufrührer ziehen den Ninyas aus feiner
Berborgenheit hervor und rufen ihn zum Könige aus. Die
gefränfte Semíramis zieht fi in bie geheimften Gemächer
ves Palaftes zurüd, der junge König aber läßt alle Günft-
linge feiner Mutter und namentlid) den einflußreichiten, den
Admiral Phryrus, in Ungnabe fallen, während er feine Ans
hänger zu den. höchften Würden erhebt. Unterveffen bat Se:
miramis in ihrer Einfamfeit den verwegenften Plan erfonnen,
um wieder zur Herrichaft zu gelangen. Ninyas ift ihr an
— 18 —
Deftalt mb Geſichtszügen fo ähnlich, dafi fie in männlicher
Tracht mit ihm verroechfelt werden kann; fie dringt defibalb
mit Beihülfe des Phryrus Nachts in das Schlafgemach des
Sohnes, entführt ihn, verfhließt tbn in einem entlegenen
Theil der Königsburg, legt feine Kleider an und herricht, von
Niemand, aufer von Phryrus erfannt, als Ninyas. Nun
werden die Regierungshandlungen des bisherigen Königs großen»
theils rüdgängig gemacht, die früheren Günftlinge geflürzt,
ja der falíde Ninyas tritt Die angebetete Braut des wahren
an Pryrus ab, der um fie wirbt; die Verwirrung ift allges
mein, die Geſetze des menfchlichen Geiſtes, welche fonft die
Welt Ieiten, feheinen umgeftoßen zu fein, und Niemand als
Phryrus durchſchaut bas Labyrinth, in bem ber ganze Hof
umbertaumelt 49), Enblid) bricht denn neuer Krieg zwilchen Das
bylon und den Nachbarländern aus und Semiramis fällt im
Kampfe. Das Reich tft in äußerfter Gefahr; das Volf wábnt,
nur feine große Königin fünne es erretten, und dringt in bas
Gemach, in bem es fie verborgen glaubt; aber ftatt ihrer
tritt zu Aller Berwunderung der todtgeglaubte Ninyas herz
vor. So ift der Orufelfpruch zur Wahrheit geworden; bas
glänzende Oeftirn, das, wie ein Komet, Unheil verbreitend,
aber lichtſtrahlend über die Erve bingefchweift, ift erlofchen,
und der Gang der Dinge tritt wieder in fein gewöhnliches
@eleije 49).
e) Bei diefen Verwictelungen mögen dem Calderon bie ähnlichen in
Lope's Palacio confuso, weldye aber hier noch weit überboten find,
vorgefchwebt haben.
69%, „In der Tochter der Luft find mande Seltfamteiten gehäuft;
um einen Gegenftand des graueften Alterthums lagern fich die fonderbars
ften, Fünftlichften Intriguen, die Emphafe der Schilderungen und Erzäh⸗
lungen geht in’6 Ungehenerliche, das mobernfte Romifepe begleitet das
— — ———
— A ·— —
— 187 —
Die mythologiſchen Schauſpiele des Calderon wur⸗
den faſt ſämmtlich auf königlichen Befehl oder ſonſtige höhere
Veranlaſſung geſchrieben, und waren beſtimmt, bei feierlichen
Gelegenheiten, Vermählungen und dergleichen am Hofe aufs
geführt zu werden. Sie fallen in dieſer Hinſicht unter die
Rubrik der fiestas, wohin außerdem (um cine ſchon gelegent⸗
lich gemachte Bemerkung zu wiederholen) noch verſchiedene
der hiſtoriſchen ſo wie der aus den Ritterromanen entlehnten
Comödien gehören. Beſonders auf dieſe Feſtſpiele beziehen ſich
die folgenden trefflichen Worte von Jovellanos: „In dem
ganze weitſchichtige Gedicht hindurch die mythiſche Handlung; aber es
läßt fich behaupten, daß dieſe Dinge, welche in allen Stücken von Cal⸗
deron vorkommen, gerade in dieſem am meiſten durch den Stoff geboten
ſein und deshalb auch hier zu der relativ höchſten Harmonie verſchmol⸗
zen erſcheinen möchten. Denn eine Wunderfabel hat er behandelt, und den
Mittelpunkt derſelben bildet ein Charakter, mit dem die Vorſtellung das
Abenteuerlichſte und Fremdeſte verknüpft. Iſt aber in dieſem Gebiete des
Excentriſchen noch eine Steigerung möglich, fo wird fie durch ble Scene
der Handlung hervorgebracht. Zu Ninive und Babylon geht fie vor, an
Drten, wo bie Sinbildungstraft ihr ausfchweifendfles Feft feiert. Gerade
einem folchen Stoffe find alfo tolle Willführlichfeiten, grelle Contrafte,
auffallende Berwicelungen gemäß.» — »Su viele Schönheiten ber erfte
Theil hat, fo übertifft ihm doch Der zweite bei weitem an tragifcher Sons
centration, Neuheit der Erfindung und unverbraudhten Reizen. Die erften
Scenen Des legteren, wo Semiramis in der Fülle ihrer Herrlichkeit ers
feheint, haben an Kühnheit, Pracht und Glanz nicht ihres Gleichen. Was
die Rollenvertaufchung zwifchen der Königin und Ninyas und das darauf
gegründete bunte Verirfpiel mit feinen Täufchungen und Attrappen bes
trifft, fo fann man biefe Auftritte comödienhaft nennen, wenn man nur
zugibt, daß es bie finnreichiten Comödienſcenen find, die je gefchrieben
wurden, und daß fid) in den Schickſalen biefer Bittſteller, Dankenden,
Ginftlinge Die reiffte Beobachtung und bie ſchalkhafteſte Weisheit offen»
bart.» 8. Immermann.
— 188 —
Theater von Buen Retiro öffnete Philipp IV. allen Talens
ten feiner Zeit eine glorreiche Paláftra, und alle Künfte brach⸗
ten woetteifernd ihre Gaben in dieſem Tempel ber Illuſion
und füßer Freuden dar. Die Mufif, früher auf die Guitarre
und den einfachen Gefang befchränkt, erhob fid) zu der höhe⸗
‚ ren Runft der Harmonie, indem ſchon brei= und vierftimmig
gefungen wurde; der Tanz fügte feine gemeffenen und auss
drucksvollen Bewegungen hinzu, um die Illuſion und den Reiz
ber Augen zu erhöhen und die Malerei vermehrte die Gegens
fände diefer Slufion, indem fie den durch die Mechanik ers
fundenen Mafchinen und Decorationen anmuthige und bes
deutungsvolle Formen Tich und Alles mit der Magie ihrer
Farben beliebte; die Poeſie endlich, von den verſchwiſterten
Künften gehoben, entfaltete ihre Kräfte und breitete ihre Flügel
aus, und indem fie durch alle Zeiten und Regionen ſchweifte,
war in der Gefchichte und in ber Zabel, in ber Natur und
in der Politif Feine That und Fein Ereignif, das fte nicht
nachgeahmt und auf die Scene gebracht hätte. So beeiferten
fih denn alle Talente, in diefer Bahn Beifall oder Vortheil
zu erringen; weder Amt nod Stellung nod Stand hielten
irgend Einen von dem eröffneten Pfade des Ruhmes zurüd,
und indem Alle durch Protection und Belohnung ermuthigt
wurben, fah man, wie hoch fid) das Talent, wenn von Macht
und Achtung gehoben, aufſchwingen fónne. Bon den zahllofen
Dramen, welche durch biefen Wettlampf hervorgerufen wur⸗
den, hören wir einige noch immer mit Vergnügen auf unferer
Srene; aber die von Galberon und Moreto, welche damals
den erften Preis gewannen, find auch heute noch vor allen
anderen unfer Entzüden, und werden es bleiben, fo lange mir
unfer Ohr nicht der Tieblichen Stimme der Muſen verſchließen.“
Dem Zwede, die Hoffefte zu verherrlichen, entfprechend,
— 189 —
find die hier in Rede flehenden Dramen faft ſämmtlich auf
theatraltfche Pracht berechnet, und Göttererfcheinungen, Erd-
beben, Fenerregen werden von dem Dichter fehr abfichtlih
herbeigeführt, um dem Mafchinijten und Decorateur von Buen
Retiro zur Entfaltung feiner Rünfte Gelegenheit zu geben.
Sehr häufig find aud Geſangſtücke eingelegt, und dieſe, verbuns
den mit ber übrigen bunten feenifchen Erfcheinung, führen einen
opernartigen Charakter herbei; indeffen geht die Poefie nicht
in der Mufif unter, die Schwefterfunft wird nur zu Hülfe
gerufen, um auf ihre Art den Gehalt der Dichtung zu vers
dollmetfchen. Nur von einem diefer Schaufpiele, La purpura
de la Rosa, wird berichtet, es fei ganz gefungen worden.
Was den dichterifchen Werth anlangt, fo gehören einige zu
den vortrefflichften Werfen Calderon'8 und tragen die antifen
Mythen auf die finnigfte Meife im Style der Romantif por;
der dichteriſche Beftandtheil bleibt hier immer die Hauptfache
und braucht die äußere Pracht nur als ein reizendes Gewand.
Gn anderen diefer fiestas dagegen bemerft man nur allzu ſehr,
daß der Dichter mehr auf Beftellung arbeitete, als dem drángens
den inneren Impulſe folgte; der überwiegende feentfche Pomp,
der die hier and da aufleuchtenden poetifchen Funken erftictt,
kündigt den Verfall der Bühne an und fcheint ben Dichter
in diefen Verfall mit binabzureißen. Daß übrigens fpantiche
Motive, Figuren und Situationen, daß caftilianifche Eifer
füht und Rache in die alte Fabelwelt Hirieingetragen find,
und moderne Namen fi) unter die griechifchen mifchen, wird
Niemand befremden, indem in allen diefen Dichtungen die
Mythologie durchaus wie etwa eine phantaftifche Sage aus
dem Kreife von Karl dem Großen behandelt tft.
Da das Wefentliche des Inhalts der mythologifchen Schaus
fpiele fchon durch den Titel angegeben wirb, eine genauere
— 1% —
Anſchauung von Calderon's Behandlungsweife bes Stoffes
aber nur durch fehr weitläuftige, uns hier nicht verftattete.
Beiprechungen gegeben werden fönnte, fo begnügen wir und
in Bezug auf die folgenden Stüde mit einigen Andeutungen.
El mayor encanto Amor, Die Homerifdhe Circe
hatte, bevor fie zu unferem Dichter gelangte, vielfache Wanderuns
gen durch die Werfe der romantifchen Dichter gemacht; wir ers
innern nur an die Morgana im Lanzelot und bei Bojarvo,
an Arioſt's Alcina und Taffo'8 Armida. Calderon hat in
einer Dichtung, deren Grundlage Odyſſee X. 135 — 574
und XIL 8 — 141 if, einige Züge aus jenen romanti-
fihen Umbildungen der alten Sage, namentli aus dem bes
freiten Serufalem, Gef. 16., und bem Orlando furioso, ©.
6. aufgenommen. — Ganz wiedergeboren mit allen ihren
Netzen iſt die alte Fabel in biefem Drama, aber in durchaus
neuer, überall das Gepräge des Romantifchen tragender Ges
ftalt. Wie die Gefährten des Ulyß beftridt tourben von der
Schönheit der Circe und ihres paradieſiſchen Aufenthalts, fo
fühlt fi aud) der Lefer angebaut vom Säufeln der Wols
Iuft, und glaubt fid) auf ein Zauberciland verfegt, von bem
er binabblidt auf das blauende Meer, auf die himmliſchen
Küften, die fih ſchmachtend an feinen Bujen ſchmiegen und
auf die fanft gefchwungenen, wie von Liebesluft feprvellenden
Hügel. a
El Golfo de las Sirenas, eine Fifcher-Efloge (Egloga
Piscatoria), 1ft ene Fortfegung des vorigen Stüds, und ftetle
die Berfolgungen dar, bie Odyſſeus vom Zorn der Circe
und der Venus zu erleiden hat. In Seylla und Charpybdis
find die Verführungen der Vernunft durch die Sinnenreize
allegorifirt.
El monstruo de los jardines. Der alte Mpthus, der
|
in biefem Drama behandelt tft, wird aus ceykliſchen Dichtern
erzählt im Scholtum zur Ilias XIX. 332; Calderon aber fhöpfte
wohl zunächſt aus Ovid Metamorph. XIII. 162 und Arsamat.
1. 689. Achill, von feiner befurgten Mutter in Waldeinfams
feit und aller Welt verborgen auferzogen, vermag, zum Jüngs
ling aufgewachien, der Sehnſucht nad) dem Leben nicht Länger
zu widerftehen und entflieht feiner Klaufe. Von ben Netzen
der Deivamta gefeffelt, hüllt er fih in Weibertracht und Tebt,
yon Niemand erkannt, in ftiller Tiebestrunfenheit am Hofe
der ſchönen Fürftin, bis der Ruf des Krieges in dies arfas
diſche Leben dringt und feine Seele aus dem Laumel geiftigs
finnlicher Trunfenbeit zu den höheren Pflichten des Mannes
wet. Das üppigsweiche Licht, das über diefem Gemälde Tiegt,
der fanfte Schwung der Lyrik, der eS durchhaucht, die lieb⸗
lichen Schilderungen der zarteften Liebesſchwärmerei, die
Pracht und der Glanz in den Feften am Künigshofe von
Sfyros und im Hintergrunde das Kriegsgetümmel der grie-
chiſchen Helden, — dies Alles vereinigt fih, um Hörer oder
Lefer in einen Rauſch ves Entzückens zu verfegen.
Eco y Narciso, ein Gegenftüd zu dem vorigen und
tbm in Feiner Hinjicht untergeordnet, tft nad) der befannten
Fabel in Ovid's Metamorphofen II. 359 — 510. (ES wurde
nach der Anbeutung am Schluſſe auf höheren Befehl gefchrie-
ben und. zum erften Mal vor dem König und der Königin
auf der Bühne von Buen Retiro aufgeführt. „Wie auflöfend
in Wohllaut — fagt Malsburg — ift dies arkadiſche Gedicht
pom Narciß! Eine Oper in Worten! Hier wird ung ber
muſikaliſche Genuß auch ohne begfeitende Mufif Far. Auf
das höchſt Ergreifende und Auffallende iſt e8 hier minder abs
gefebenz es ift ein ſüßes Spiel in dem grüngoldigen Arfas
bien mit feinem reinsblauen Himmel; alles Tragiſche darin
— 19 —
darf auch nur fptelend berühren und zerfließt zauberiſch zum
fanften Gefange melandholifch ſchwingender Saiten. Das ganze
Gedicht ift Ton und Blume, und trog bes Gewitterſturms
umfpielt und die reizende Rataftrophe wie ein fanftes fernes
Hirtenlico ’°).”
Ni Amor se libra de Amor behandelt das Tiebliche
Märchen von Amor und Pfoche, deffen Duelle Apulejus tft,
auf fo vorzüglihe Art, daß man diefem Drama einen ber
erften Pläße unter den Calderon'ſchen Stüden diefer Gattung
anmwelfen muß. Von ben übrigen mythologiſchen Schauſpie⸗
len unterfcheivet es ſich durch die unverfennbar hervortretende
Symbolif. Der legte Theil der Apulejiſchen Erzählung, die
Reue und Strafe der Pſyche, tft fehr abgekürzt. — Schon
Lope de Vega hatte ein Drama Psiquis y Cupido geſchrie⸗
ben (f. Vorrede zum Peregrino), bas aber nicht mehr vors
handen zu fein fcheint.
Zelos aun del aire matan. Mit der Fabel von Cepha⸗
lus und Proeris aus Ovid Metam. VIE 794, ift Heroftrat,
. der den Tempel der Diana in Brand ftedt, fehr kunſtreich in
Berbindung gebracht. Andy dieſes Drama gehört zu ben vorzüg⸗
lichſten der vorliegenden Claſſe und enthält wahrhaft ges
niale Partien.
El Faetonte oder el hijo del Sol Faeton. Ein Fefts
fpiel, in dem Calderon die befannte Mythe aus Ovid's Me:
tam. I. 748 ff. und IL 1. ff. mit großer Freiheit bepanbelt
und nad vielen felbft erfundenen Motiven verändert pat.
19) Welche Zauberwildniß
Feſſelt Ohr und Blick?
Blume jedes Bildniß,
Jedes Wort Mufif!
| Blaten.
— 13 —
Phaethon und Peleus find beide in die Thetis verliebt und
der Erftere verliert bei'm Lenfen des Sonnenwagens die Be:
finmung, weil er fieht, wie Peleus die Thetí8 mit Gewalt
entführt.
Apolo y Climene fann als erfter Theil des Faetonte
angefehen werden. Elymene, Tochter des Admet, wird aus
Furcht vor einem Orakel in einer Wildniß erzogen. Sn biefe
wird dann Apollo von Jupiter hinabgefchleudert. Hiermit tft
die Liebe der Elytie zu Apoll aus Ovid Metam. IV. 256
und der Umgang des Zephyrus mit Flora aus Ovid Fasti
V. 195 in Berbindung gebracht. Das Drama trägt trog
vortrefflicher Einzelheiten (wohin namentlih bie nächtliche
Gartenfcene mit dem Hafch- und Berftedfpiel zwtfchen den
verſchiedenen Liebespaaren gehört) eine gewiffe innere Leere
und Hohlheit zur Schau, welche hier, wie noch in mehreren
anderen Stüden diefer Gattung beweift, daß das Dichterfeuer
nicht immer emporlodert, wenn ein König es befiehlt.
Los tres mayores Prodigios. Der Ort der Auffüh-
rung war wahrfcheinlich der Garten von Buen Retiro. Die
Bühne hatte drei Abtheilungen neben einander, auf denen die
drei Afte von drei verfchledenen Truppen gefpielt wurden.
Dies Feftfpiel ift eine der ſchwächſten Productionen unferes
Dichters.
Fortunas de Andromeda y Ferseo. Der Inhalt dies
fe, mit viel Muſik und Decorationsweien, aber zugleich aud)
mit reicher Poefte prangenden Drama's iſt aus Ovid Me:
tam. IV. 609 ff., die Grotte der Morpheus aus Metam. XI.
592, und die Darftellung des Tartarus aus Metam IV., 432.
La fiera, el rayo y la púrpura. Ein opernhaftes Stüd
Handlung von höchft buntem Inhalt und reichlich mit Wun⸗
dererfcheinungen, Defingen und Tánzen aufgepußt. Der poes
Geſch. d. Lit. in Spanien. IT. Bb, 13
— 11 —
tifche Gehalt wiegt nicht eben fehwer. Die Mythen von Anara=
rete und von Pygmalion (aus Ovid's Metamorphofen XIV.
698 und X. 243) find mit einer dritten Zabel von eigener
Erfindung des Dichters verbunden.
El Laurel de Apolo, nad) des Dichters eigenen Wor-
ten „feine Comödie, fondern nur eine Fleine Babel, in wel⸗
her, wie bei den Stalienern, abwechfelnd gefungen und ge-
fprochen werde.” Der Stoff, die Verwandlung der Daphne
in einen Lorbeer, Apollo’8 Sieg über Python und fein Streit
mit Cupido, ift aus Ovid Metam. 1. 438 ff. Am Schluß
wird dem König der Lorbeer überreicht.
La Purpura de la Rosa behanvelt die reizende Mythe
von Venus und Adonis nad Ovio Met. X. 503 in fehr
zterlicher Weife. Auch die Loa mit allegorifhen Figuren hat
fi erhalten. Das Stüd felbft beiteht nur aus einem Aft
und ff nad) der fpanifchen Terminologie feine Comedia, fons
dern eine Zarzuela, wie es aud) in den alten Editionen ge-
nannt wird. Die neueren Ausgaben des Calderon haben Un-
recht, die genaueren Bezeichnungen in den Ueberſchriften der
Schauſpiele wegzulaſſen.
Amado y aborrecdo. Nur die Namen find aus ber
Mythologie, die finnvolle Erfindung gehört ganz dem Ealbde:
ron. ES ift ein Streit zwifchen Venus und Diana, vb Haß
oder Liebe ftärfer ſei; fte erproben dies an einem Sterblichen;
die Mage ſchwangt lange, aber endlich fiegt Die Liebe.
Fineza contra fineza, im inhalt dem vorigen vers
wandt und gleich diefem von felbfterfundenem, nur an die My⸗
thologie gefnüpften Plan. Weder Erfindung nod Ausführung
erheben fic) über bie Mittelmäßigfeit. Beim dritten Aft mag
dem Dichter die Gefchichte von Olinth und Sophronia im
Taſſo vorgeſchwebt haben.
— 19% —
Fieras afemina Amor behandelt die Thaten bes Hers
cules. Das Maſchinenweſen, das dabei zur Anwendung Fam,
muf höchſt complicirt gerefen fein, denn faft alle bem Her:
culcg zugefchriebenen Heldenthaten gehen hier auf der Bühne
vor fih. Unter Anderem erflimmt er den Gipfel des Pare
naffus, fchwingt ſich dort auf den Pegafus und reitet dann
durch die Lüfte Davon, um ben Drachen, der bie Aepfel der
Hesperiven bewacht, zu befämpfen. Sn der Loa find der öfts
reichiſche Doppeladler, der Phönir, der Pfau, die zwölf Mos
nate und die zwölf Zeichen bes Thierfreifes die handelnden
Perfonen. — Den Werth des Ganzen fónnen wir nicht eben
hoch anſchlagen.
Von ſehr ähnlicher Compoſition, wie die mythologiſchen,
und gleichfalls auf Feſſelung der Sinne durch ſceniſchen Pomp
und häufigen Decorationswechſel berechnet, ſind die meiſten
derjenigen Schauſpiele, deren Inhalt Calderon aus älteren
Romanen und Gedichten geſchöpft hat. Nach den Worten im
Maestro de danzur
Las locuras
De Esplandian y Belianis,
Amadis y Beltenebros
A pesar de Don Quijote
Hoy à vivir han vuelto
kann man ſich wundern, daß der Dichter die abenteuerlichen
Erfindungen der Ritterbücher auf die Bühne gebracht habe,
und es iſt in dieſer Hinſicht ſpöttiſch bemerkt worden, die
Recken, Rieſen und bezauberten Fräulein des Amadis und
Esplandian hätten ſich, nachdem Don Quijote ſie aus den
Büchern vertrieben, auf vas Theater geflüchtet; allein Nies
mand wird Iäugnen, bag Calderon die wüfte Phantaftif jener
13*
— 1986 —
alten Romane veredelt und in das Bereich ber höheren Poeſie
erhoben babe. Freilich tft die Handlung eher epiſch und ber
Stoff fonnte feiner Natur nad) faum zu einer ächt-dramati-
ſchen Compofition geftaltet werden; allein trog dieſes Des
brechens, an dem bie hierher gehörigen Stüde Calderon's
leiven, wer vermag den Reizen dieſer romantifchen Zauber.
welt, wie fie hier mit allen Gaben der Dichtkunſt audge-
fhmüdt und in’s Gewand der blühendften Sprache gefleidet
Íft, zu widerſtehen? Der Glanz der Feerei, auf deren Winf
fi prachtvolle Schlöffer inmitten von Wüſten erheben, uns
ſichtbare Chöre füße Gefänge anftimmen und wollüftige Nym⸗
phen ben Krieger nach feiner Mühfal in ihre Arme ſchließen;
die Pracht der Scenerie, die uns bald in duftende Lufthaine,
unter den Schatten von Myrthen⸗ und Orangenbäumen, bald
in golofuntcinde Paläfte, bald auf bezauberte Eilande verfegt;
die Fülle romantifcher Abenteuer in einem : Wunderlande, wo
fi) jeder Traum der Phantafie verförpert, dies Alles in ete
ner Darftellung, welche burd) die reichfte Kunft des Pinfels
taufendfahe Schönheit gewinnt, umgaufelt den Geift mit ben
lieblichften Bildern und lullt ihn in eine ſüße Bergeffenheit
der Wirklichkeit. ES ift in diefen Dramen auf einen anderen
Gebiete der Dichtung Aehnliches geleiftet, wie in ben Des
fängen des Arioft.
La puente de Mantible”'). Eine Dichtung, welche recht
15 Der Stoff ift gefchöpft aus der Historia del Emperador Carlo
Magno y de los doce Pares de Francia y de la batalla que hubo
Oliveros con Fierabras, Rey de Alexandria. Sevilla 1528. Folio,
Aus biefer Befchichte nahm aud Don Quijote das Recept zu feinem
unvergleichlichen Balfam, und ihre Glaubwürdigkeit vertheidigt er (I. 49)
mit den Worten: »Welcher Scharfflun vermöchte Andere zu überreden,
baß die Befchichte der Infantin Floripes, des Sui von Bourgogne, oder
_—— — — — — — — — — AAA
— 197 —
in dem ertravaganteſten Wunderbaren ſchwelgt. Der Krieg
zug Karl's des Großen gegen den Saraceniſchen Rieſen Fie—
rabras, die raſtloſen Kämpfe zwiſchen den mauriſchen und
den chriſtlichen Rittern, das feenhafte Local mit bem grünen
Fluß, der entſtehenden und verſchwindenden Zauberbrücke und
dem magiſchen Schloß, das auf den Kopf eines bronzenen
Zwerges gegründet iſt, — dies bietet den Rahmen zu der Lies
besgefchichte des Guido von Burgund und der Floripes bar.
Erfterer ift nebft anderen fränfiichen Ríttern von Fierabras
gefangen und in das verzauberte Caftell gefperrt worden, um
am nächften Morgen getöbtet zu werben. Floripes Die Schweſter
des Fierabras, dringt in den Rerfer des Geliebten und er
morbet die Wächter deffelben; aber Fierabras eilt herbei und
belagert bas Caſtell, um feine Schwefter, fo wie bie chrifts
lichen Ritter durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Bet
einem Ansfalle wird Guido gefangen genommen, und cben
fol er, trog der Bitten der Floripes, hingerichtet werden,
al8 er durch feine Rampfgenoffen wieder befreit wird und ſich
nun durd das Heer des Kierabras ſchlägt, um Ratfer Karl
Nachricht von der hülflofen Lage feiner Pairs zu bringen.
Der Raifet tft von dem Sararenenreiche durch einen furcht⸗
bar tofenden Fluß getrennt, über welchen nur die Brüde
die des Fierabras mit der Brüde von Mantible erlogen fei? Das Alles,
behaupt’ ich, ift fo wahr, wie baf es jebt Tag ift.a — Die áltefte Bes
handlung ber Sage von Fierabras ift wohl das provenzalifche Gedicht,
das Immanuel Beder 1830 nach bem Manufeript herausgegeben hat.
Die frühefte Bearbeitung in Profa fcheint der Roman de 'Fierabras le
Géant, Genéve 1478. Fol. (auf der Barifer Biblivthef) zu fein, und
aus Diefer ift wahrfcheinlich der oben angeführte fpanifche Roman ber:
vorgegangen. ©. Büfching’8 und von der Hagen's Buch der Liebe, Der:
lin 1809. ©. XXXVI. ff. wofelbft auch ©. 143 die alte deutſche Ver:
flon zu finden iſt. |
— 198 —
von Mantible führt, die von dem Riefen Galafre bewacht
wird; Guido aber flürzt ſich mit feinem Roffe in die Wellen
und gelangt fo zu feinem Gebieter. Fierabras, von der Flucht
des Ritters unterrichtet, eilt nach der Brüde und bietet dort
mit feinen Riefen auf ber einen Seite dem Raífer und dem
andringenden Chriftenheere, auf der anderen ben aus - bem
Caſtell unter Anführung feiner Schweſter Floripes perbeicís
lenden Nittern Trog. Aber der Sieg entfcheidet ſich für die
Chriften, die Brúde wird von ihnen geſtürmt, Fierabras
flürzt von berfelben herab zu den Füßen des Raifers bin,
nod) im Untergange feinem Ueberwinder drohend; Karl aber
gibt Befehl, ihn milde zu behandeln, und Floripes reicht dem
Guido ihre Hand.
El Jardin de Falerina behandelt bie and Bofardo ?*)
befannte Heldenthat des Roland, wie er die Zauberfunft ber
gee Falerina befiegt und die in ihrem magifchen Garten ges
fangenen riftlichen Ritter und Damen befreit. Auch biefes
Drama ftrahlt in bem vollften Olanze der romantifchen Ritters
dichtung und fpricht durch den Adel und die Zartheit der Ges
finnung, durch ben ächten Geift der Chevalerie, den eS ath⸗
met, ebenfo die Seele an, wie ed durch bie Pracht der
Mafchinerie die Phantafte entzüdt.
El castillo de Lindabridis. Ein von Wunderbegeben⸗
heiten, unglaublichen Vorfállen und Thaten, furz von ben
magnanime menzogne des phantaftif en Ritterthums ftrogen:
12) Der Orlando inamorato des Bojardo war ſchon früh durch
zwei Ueberfegungen in Spanien heimifch geworben. Die áltefte in Profa
führt den Titel: Espejo de Cavallerias. Sevilla 1535 y 1536; bie
folgende ift von Franc. Garrido de Villena, Alcalá 1577 und Toledo
1581. Aus einer biefer Meberfeßungen hatte wohl Lupe de Vega feinen
Jardin de Falerina gefchöpft, den er in der Vorrede zum Peregrino
nennt. Die Dichtung ft bei Bojardo C. II, C.3, 66 ff. und Canto 5, 18,
—— — —
— 19 —
des, aber überaus anmuthiges Gedicht, das ſeinen Stoff aus dem
berühmten Roman Cavallero del Febo, Espejo de Princi-
pes y Caballeros, entlehnt 79). Die Tartarifche Prinzeiftn
Lindabridis ift durch ihren Bruder vom Throne verdringt
worden, und biefer will ihr nicht anders ben geraubten Plag
wicder einräumen, al8 wenn fie einen Gemahl findet, der
ibn felbft an Tapferfeit und Weisheit übertrifft. Nun durch
reift fie in einem durch Zauberfunft gebauten Palafte bie
Lüfte und fehweift von Land zu Land, um den Gatten, deffen
fie bedarf, ausfindig zu machen. Die Zahl derer, welche, von
ihren Reizen und der glänzenden Ausficht gelockt, ſich als die
Würdigen zu ‚bewähren hoffen, ift fehr groß. Die Kämpfe
der Nebenbuhler und verfchiedene, mit der Haupthandlung ver:
flochtene Abenteuer des Nitters Phöbus und des Prinzen Nos
fifler erfüllen nun das Stúd, das mit dem großen entíchets
denden Turnier und mit ber Bermählung von Rofifler und
Lindabridis fchließt.
Hado y divisa de Leonido y Marfisa 7%). Nach Vera
75) Biblivgraphifche Nachweifungen über diefen einft fo berühmten
und in faft alle europäiſche Sprachen überfegten Roman, welcher »Die
unſterblichen Thaten des Sonnenritters und bes Prinzen Roſikler, ber
beiden Söhne des großen Raifers von Trebacio, fo wie nicht minder bie
wunderfamen Liebfchaften der höchft fehönen und vortrefflichen Prinzeffin
Glaridiana« enthält, gibt am genaueften und volljtändigften Gräße in dem
Lehrbuch der Literärgefchichte Band 11, Abth. III, erfte Hälfte S. 315
und 411. .
73 ) Der Inhalt tft im wefentlichften aus Bujardo Orlando inamorato,
T.II. ©. 1, 70 ff, und Arioft 36, 26 — 28 und 59 ff., doch mit vielfachen
Beránderungen, welche wahrscheinlich machen, daß Balderon nicht unmittelbar
aus den genannten Quellen, fondern aus fpanifchen Romanen fchöpfte, welche
bie urfprüngliche Sage ſchon umgeftaltet hatten. Die Gefchichte der Marfifa,
ber Friegerifchen Schwefter des Rüdiger (welchen Legtern Calderon Lco-
nido nennt) findet fich fchon im Afpramonte, bem ungedruckten 7ten Buch
Taffi8 das letzte Werk des Calderon, im einundachtzigften
Sabre des Dichters gefchrieben. Gleichwohl haben. wir hier
die Olut einer Jünglingsphantafle und nur wenige von ben
Schwächen, welche den übrigen Schaufpielen aus der fpütes
ren Lebenszeit unferes Autors eigen find; wie V. Schmibt
richtig bemerkt , fcheint das Licht vor dem Erlöfchen nod) eins
mal heil und ftarf aufgelodert zu fein. Die Handlung mit
dem reichen Wechfel ihrer verfchledenartigen Bilder und Sis
tuationen, mit ihren, fidy in Liebe und Kampf fo fühn ums
bertummelnden Rittern und ihren amazonenhaften Frauen,
zieht wie ein Tichlicher Traum an bem Geiſte vorüber, eine
fanfte Liebesſchwärmerei durchathmet die Empfindungsgemälbe,
und die bald erhabene und Fühne, bald anmuthige und holbe
Sprache trägt den reichften Schmuck hinzu, um ben Reiz
des Ganzen zu erhöhen. ES Iohnt daher wohl der Mühe,
den Inhalt ber Dichtung hier näher anzugeben. Armins
da, Fürſtin von Trinafrien, und ihre beiden Anbeter, die
Sürften von Rußland und von Schwaben, verfolgen ben
Leonido mit gezüdten Waffen, und biefer hat nur eben noch
Zeit, fid) mit einem treuen Gefährten in eine Barfe zu wers
fen und ſchnell rudernd feinen Berfolgern zu entgehen. Der
Slüchtling hat unerfannt bei einem Turnier Arminda’d Bris
der getöbtet, weil biefer geprablt, feine‘ Braut Mitilene fei
die fchönfte Dame auf Erden. Arminda verfpricdht deinjenigen
ihre Hand, der ifr den Mörder todt oder lebembig ausliefern
werde, und die Fürften elfen davon, um den ſüßen Kohn zu
der Reali di Francia und war einzeln behandelt in La Marfisa di P.
Aretino, 8. I. e, a.; Marfisa Bizarra di Giov. Battista Dragoncino
da Fano, Venezia 1531, 4to; und Amor di Marfisa del Danese
Cataneo, Venezia 1562, — ©. B. Schmidt über bie italienifchen Hel⸗
bengedichte aus dem Sagenkreife Karl’s des Großen, S. 277.
— X —
erringen. — Die Scene wird von Trinafrien nad Mitilene
verlegt. Lconito Tandet mit bem Gefährten, wirft Rúftung
und Schild in eine am Strande befindliche Grotte und eilt,
ein Obdach fuchend, weiter. Marfifa, in Felle gehüllt, tritt
aus der Grotte, findet die Waffen und wird von einem als
nungsvoll fehnfüchtigen Gefühl ergriffen; ver alte Zauberer
Argante aber führt fie mit Gewalt in bie Höhle zurüd. Jetzt
tritt die Fürftin Mitílene mit glänzendem Gefolge, unter
Muftf und Gefang auf; fie will aus Neugier Marfifa raus
ben, umd die Mufif fol ihr bazu behülflih fein, da Hirten,
welche die wunderbare Bewohnerin ber Grotte oft in ber
Ferne gefepen, ihr berichtet haben, diefelbe werde von ben
, Klängen der Mufif unwiderſtehlich angezogen. Neue Vorfälle
jedoch hindern dieſen Vorfag; Leonido, fih für einen ſchiff⸗
brüchigen Kaufmann ausgebend, wirft ſich hülfeflehend zu Mis
tilenens Küßen nieder, und gleich darauf Tangt die Nachricht
an,ihr Bräutigam fei von Leonido getóbtet. Die Fürftin ges
lobt Rache und eilt davon, indem fie verfündigt, das Erfs
recht auf ven Thron von Trinafrien fei burd) jenen Tod ihr
zugefallen. Leonibo, froh daß man feiner nicht weiter achtet,
bleibt allein zurüd; da tritt ihm Darfifa entgegen und Beide
werden gleich bei'm erften Anblick von zärtlidhen Gefühlen
für einander ergriffen. Der Züngling will die Schöne ihrem
finfteren Aufenthalt entführen, da ftürzt die Furie Megára,
von - Argante aus ber Hölle befchworen, hervor und fliegt
unter Sturm und Erbeben mit Marfifa durd die Lüfte das
von. — Sm zweiten Aft ift Alles wieder rubig; Leonivo
naht fich von neuen, um feine Waffen zu holen und Mars
fifa zu feben, wälzt das Yelsftüd von ber Grotte zurüd und
erblidt die Jungfrau in einer Halle von Kryftall inmitten
holder Nymphen, vie fie fhmüden und ihr Ohr durch lieb⸗
— mM —
Tiche Befänge erfreuen. Der Zauberer Argante hat feine Pflege⸗
tochter mit biefen Herrlichfeiten umgeben, um fie mehr an
bie Grotte zu felfeln; ein Schickſalsſpruch nämlich bedroht fie
mit der Gefahr, den, welchen fie am meiften liebt, zu tödten
oder von feiner Hand zu fterben. Leonido tritt zu Marftfen
und erzählt ihr feine Lebensgeſchichte, wie er alg ausgefegter
Säugling von dem Herzog von Toscana gefunden worden
fei und fpäter, zum Nitter auferzogen, aus Liebe für Arz.
minda beim Turnier deren Bruder getöbtet habe. Marfifa
zeigt ihm in einem Zauberfpiegel die Geliebte, wie fie, uns
terftugt von den beiden Fúrften, nad bem Mörder ihres
Bruders fpäht. Die Liebe treibt den Leonído trog ber ihm
drohenden Gefahr von dannenz vor ber Trennung von ber
Grottenbewohnerin aber taufhen Beide noch zwei Kleinode
aus, welche fie feit ihrer Jugend tragen und welche fie zu
threm Erftaunen fih ganz Gbnlid finden. — Die nádite
Scene (ft wieder In Trimafrien; Mitilene landet mit gewal-
tigem Decre, um die Infel zu erobern, und fchon fteht Ars
minda ihr mit ben Shrigen Fampfgerüftet gegenüber, da ents
fteigt Megära dem Krater des Aetna, Feuer- und Lavaftróme
ergiegen fid) nad) allen Seiten und Mitilene flieht auf ihre
Schiffe. Arminda ſchwebt in Gefahr, in ihrem Zelte zu vers
brennen, Leonido aber, in gemeine Kriegertracht gehüllt, ret:
tet fie von bem Flammentode. — Im dritten Aft find wir
in Arminda’s Palaft. Caſimiro, Oheim ber beiten ſich bes
friegenden Kürftinnen, tft gefommen, um ihren Streit beizus
legen; der Anblid Leonido's, welcher alg Netter Arminda'S
freien Zutritt im Palafte hat, erfüllt ihn mit einem feltfamen
Gefühl. Arminda (welche ben Mörder ihres Bruders nicht
von Angeficht gefehen hat, nur weiß, daß er Leonido heifit,
und daher auch) ihren Lebensretter, ber einen falfchen Namen
— Y —
angenommen, nicht alg folchen erfennt) trägt bem Leonido,
zu dem fie eine fanfte Neigung blicken läßt, auf, den Mör-
" der zum Zweifampf auf Tob und Leben zu fordern; ihre
Hand foll der Lohn bes Siegers fein. Leonivo bleibt beftürzt
zurück, fein ¿Freund aber reißt ihn aus der Verwirrung und
erbietet fich, feine Waffen zu holen, fie anzulegen und fi
dann alg Leonido ihm gegenüber zu ftellen. — Wieder fieht
man die Grotte auf Mitilene; der Freund tritt auf, die Wafs
fen zu holen, aus dem Hinterhalt aber erfchießt ihn der Fürft
von Schwaben, in tem Glauben, Leonido vor fich zu haben.
Aud Marfifa glaubt, ihr Freund fet geblichen, hüllt ſich,
da fie von ber Herausforterng hört, um die Sdjmad) bes
feigen Ausbleibens von ihm zu wálzen, in feine Rüftung und
eilt, Argante's Zaubergeräth zerbrechend, nad Trinafrien, —
Sn ber lebten Scene find die Turnier-Schranfen vor Armin⸗
daré” Palaft errichtet. Marfifa und Leonido fichen fic) zum
Rampfe gegenüber; fie erfennen fid) und fámpfen baber nur
mit Zagen. Caſimiro trennt fie und fragt nad) ihrer Her:
funft. An den Kleinoden, die-fie ihm überreichen, erfennt er
fie al8 feine willingsfinder, ibm von Mathilde, Prinzeffín
von Trinafrien, heimlich geboren. Die Geſchwiſter find von
ihrer Mutter nach der Gchurt im Geheimen an Caflıniro ges
fendet worden; bei einen Schiffbruch an der Toskaniſchen
Küfte wurde dann bie Tochter von Argante geraubt, ber
Sohn von einer Löwin gefäugt. Nach biefer Aurflärung reicht
denn Leonido feine Hand an Arminda, der Fürft von Ruf:
land die feine an Marfifa, und Mitilene vermiblt ſich mit
dem Fürften von Schwaben.
An andere Romane und Novellen lehnen fich folgenden
Stüde:
Los hijos de la Fortuna , Teagenes y Cariclea
— 204 —
Rad) bem berühmten Roman bes Heliobor”*), ben ſchon Cer⸗
vantes bei feinem Perfiles vor Augen hatte. Aus der Fille
zum Theil abentenerlicher, zum Theil anziehender und interefs
fanter Begebenheiten, welche in viefem Roman zufammens
gedrängt find, durften nur einige der erheblichften für das
Drama benugt werden. Aud) biefe find noch hinreichend, um
daffelbe mit einer fehr bewegten äufieren Handlung auszus
ftattenz ihren höheren Werth aber erhält vie Dichtung Cal⸗
deron'8 durch die fittlihe Schönheit und Reinheit, welche fe
durdbringt, Durch die unvergleichliche Schilderung , wie bie
zarte Sumgfräulichfeit der Heldin und bie reine adlige Define
nung ihres Geliebten unter den Drangfalen und feindfeligen
Berwidelungen des Lebens immer herrlicher ſtrahlt.
Argenis y Poliarco. Mad dem Tateinifchen Roman
Argenis von Sohn Barclay, welcher durch zwei Ueberſetzun⸗
gen von Jofef Pellicer de Salas und von Gabriel Correa
(beive Madrid 1626) in Epanien befannt geworden war.
Bekanntlich enthält biefer Roman eine Schilderung ber poli⸗
tifchen Gefchichte Frankreichs unter Heinrich III., und unter
fingirten Namen die Darftellung ber berühmteften Männer
jener Zeit, unter denen Philipp II. im gehäffigften Lichte ers
fheint ”°); Calderon aber hat von allen biefen Beziehungen
abftrapirt und fid) einzig an die Fabel alg ſolche gehalten.
15) Die gelefenfte franzöfifche Ueberfegung ber Aethivpifa des He:
livbor war Die vog Antot, bie ¿uerft in Paris 1549 erfcpien; aus biefer
war die fpanifche von Fernando de Mena, Alcala de Henares 1587,
gefloffen, welche bem Calderon vermuthlich als Quelle diente.
76) In der Ausgabe Joannis Barclaii Argenis, nunc primum
illastr. a Theandro Bugnotio, Lugd. Batav. 1664, 2 vol., findet man
den Schlüflel zu den oft ſchwer verfländlichen Anfpielungen diefer feltfa-
men Dichtung.
— — — — — —
— 205 —
Amor, honor y poder íft nad) einer, übrigens auf
biftorifchem Grunde ruhenden, Novelle des Bandello (II Nov.
38). Die Hauptperfonen find Eduard IL, König von England,
und Eftela von Salveríc (die Gräfin von Salisbury). Dies
fann zu intereffanten Bergleihungen mit dem herrlichen alts
englifchen Drama Edward the Third and the black prince
Anlaß geben, das neuerdings mit vollem Rechte dem Shals
fpeare vinbicirt worden if. Beide Stüde find unermeßlich
veríchieven. Shuffpeare hat offenbar nicht nad) der Novelle,
fontern nad) ber hiſtoriſchen Weberlieferung gearbeitet; bie
Liebe Eduard's zu der fchönen Gräfin füllt bei ihm nue
bie erften Afte; die energifche Frau weiß durch einen fráftigen
Entfchluß ihre Tugend zu fehügen und den König auf bie
Bahn der Helvengröße zurüdzuführen, und die Thaten, welche
der Monard) nac) Ueberwintung feiner Leidenſchaft vollbringt,
bilden den Inhalt ber zweiten Hälfte des Drama'S. In ber
fpanifchen Comödie dagegen dreht ſich Alles um den Kampf
zwiſchen Ehre, Macht und Liebe; Eduard, leidenſchaftlich in
die fchöne Gräfin verliebt, will ihr, da er durch Ueberredung
nicht zum Ziele fommen fann, Gewalt anthun; fie aber weiß
ug alle feine Liften zu vereiten und ihm mit bem Abel
ihrer Geſinnung bergeftalt zu imponiren, daß fich feine finns
liche Liebe in Hochachtung und Verehrung verwandelt; dann,
nachdem der Streit jener drei Mächte verföhnt ift, reicht fie
ihm von freien Stüden ihre Hand.
Zunächſt find nun verſchiedene Schaufpiele zu nennen,
die, gleich einigen ber zulegt erwähnten, von phantaftifhem In⸗
halt und auf theatralifches Gepränge angelegt find, aber,
wie es fcheint, ganz auf eigener Erfindung bes Dichters bes
ruben. Könnte es unfere Abficht fein, den Calderon nur von
feiner glänzenden Seite zu zeigen, fo dürften wir dieſe Pomp⸗
— %6 —
ſtücke fiiglid übergehen; denn man gewahrt hier bei aller
Buntheit und allem Reichthum des Inhalts eine gewiffe Mate
tigfeit und innere Leerheit, welche durch bie Ueberfúlle des
äußeren Schmuds nicht verbedt werden Fönnen. Das Pers
fonal diefer Stüde befteht mehrentheild aus Prinzen und
Prinzeffinnen, die von allen Enden Europa’s berbeifonmen
und die Epielbälle ber feltfamften Begebenheiten. find, allein
uns feine rechte Theilnahme abzunöthigen wiffen. An fonbers
baren Abenteuern, an Zweifämpfen, an Serenaden bei'm Monds
fhein, an geheimnißvollen Grotten, aus denen Orakelſprüche
bervorfchallen, an alten Schlöffern inmitten einfamer Gärten
ft freilich Fein Mangel; aber alle diefe Reizmittel der Ros
mantif, wie mande an fich feffelnde Scene fle auch herbei
führen, vermögen nicht fo viel, daß fie und den Mangel an
innerem Runfigepalt überfehen Tiefen. Hierher gehört die Eos
mödie Afectos de odio y amor, unter deren Heldin Chri-
fterna alleın Anfchein nad) die Königin Chriftine von Schweden
gemeint ift. Von ber fabelhaften Geographie in diefem Stüd
fann man fid) einen Begriff machen, wenn man hört, bag
hier gefagt wird, die Donau made die Gränze zwiſchen
Schweden und Rußland; die Hauptperfonen außer der Köni⸗
gin find ber Herzog von Rußland und die Herzoge von Als
banien und Gothien; einige Trefflichfeiten ber komiſchen Pars
tien fónnen die Geiftlofigfeit der ernften nicht aufiviegen. Von
ähnlicher Beichaffenheit und wahre Speftafelftüde find Auri-
stela y Lisidante und Los tres afectos de Amor. Etwas
höher fteht, obgleich aus benfelben Elementen zufammengefegt,
el Conde Lucanor, ein phantaftifches Stúd, deffen Schaus
plag zwiſchen Aegypterí und Toscana wechfelt und in bem
ein Fürſt von Rußland und ein Prinz von Ungarn neben dem
Herzog von Toscana, bem Sultan und einer ägyptifchen Zau⸗
— — — — —- — 000.
— 207 —
berin die Hauptrollen haben; es fehlt hier nicht an anmuthi⸗
gen und poetiſchen Details, aber die opernhafte Haltung des
Ganzen und das oft Geſchraubte der Darſtellung drängen
dieſe einzelnen Schönheiten wieder in den Hintergrund. Mit
der berühmten gleichnamigen Novellenſammlung des Prinzen
Juan Manuel hat dieſes Stück durchaus keine Gemeinſchaft.
Die Aufzählung der Calderon'ſchen Werke führt jetzt zu
einer Reihe von Dramen, welche nicht füglich anders bezeich⸗
net werden können, als mit dem freilich ſehr allgemeinen
Namen „romantiſche Schauſpiele.“ Dieſe Stücke, die ſämmt⸗
lich ber freien Erfindung bes Dichters anzugehören ſcheinen
und deshalb unter den obigen Rubriken keinen Platz finden
konnten, bie aber im Inhalt zu ernſt find, als daß fie zu ben
Luſtſpielen gezählt werden dürften, werden hier denn unter
jener umfaffenden Benennung, unbefchadet der Verfchiedenartig-
felt der in ihnen herrfchenden Elemente, zufammengeftellt.
El pintor de su deshonra. Wenn irgend Jemand
geneigt fein follte, an bem Genius unferes herrlichen Caſti⸗
lianers zu zweifeln, fo möchten wir ihm biefe wunderbare
Tragödie vorhalten, die unftreitig zu bem Höchften gehört,
was Calderon gefchaffen, und allen Zauber der romantifchen
Poeſie mit ergreifender Tiefe der Seelenfhilderungen und einer
erfhütternden tragifhen Wirkung verbindet. Der erfte Aft
fpielt in ber Wohnung des Gouverneur's von Baéta, welcher
Legtere in der Anfangéfcene feinen Freund, den Spanier Don
Yuan Roca, mit deffen junger Gemahlin Seraphina bei fi
willfommen heißt. Die Tochter des Gouverneur’s, Porcia,
fließt bald Freundſchaft mit Seraphinen, und fie vertrauen
fi) gegenfeitig die Geheimniffe ihrer Herzen. Sene erzählt,
wie fie im Geheimen bie Liebesbewerbungen des Prinzen Urs
fino empfange, biefe aber, wie fie mit- feuriger Leivenfchaft
— 208 —
von Porcia’8 Bruder, Don Alvaro, geliebt worden ſei und deffen
Neigung eben fo lebhaft erwidert habe. Alvaro aber war
zur See gegangen, und bald darauf hatte fie die Nachricht er⸗
halten, fein Schiff fet in einem Sturme verunglüdt und mit
der ganzen Mannfchaft verfunfen. Durch diefe Nachricht in
ihrem ganzen Sein zernichtet und zugleich von den dringenden
Bitten Ihres Vaters beflürmt, hat fie ihre Einwilligung zur
Bermählung mit Don Juan gegeben. Seraphina finft bei ber
Erzählung ihres Schidfals, von Gefühl bewältigt, beſinnungslos
zu Boden, und Porcía eilt von dannen, um Hülfe herbeizuholen.
Sn diefem Augenblide tritt ein Fremder ein, erblidt vie Ohn⸗
mächtige und beugt fi) mit dem Ausdruck der lebhafteften
Theilnahme über fie; Seraphina ſchlägt die Augen auf, finft
aber mit bem Schrei: Alvaro! von Neuem ohnmächtig zu
Boden. Wirflich if die Nachricht von dem Tode ihres Des
ltebten unbegründet gewefen und er hat Mittel gefunden, ſich
nad dem Schiffbru zu retten. Die Scene des Wiederſehens
ber beiden Liebenden unter diefen Verhältniffen ift mit aller
Zartheit und Bollendung gefchildert, deren Calderon's Pinfel
fähig war, und rounberbar erfchütternd iſt das hier beginnende
Gemälde des Kampfes zwifchen Pflicht und Liebe im Herzen
der Seraphina. Die Unglüdlihe fudt wit aller Kraft ihrer
Seele ihre Neigung zu bekämpfen, und erflärt dem Alvaro
mit erzwungener Kälte, wie fie durch Pflicht und Herz an
ihren Gemahl gebunden fei. Während biefer Unterredung er-
tönt ein Kanonenſchuß; es tft Das Signal, weldes das Ab:
ſegeln von Don Juan's Schiff verkündigt; Seraphina geht ab,
um ihm in die Heimath zu folgen, und Don Alvaro bleibt in
Hoffnungsloſigkeit zurück. — Der zweite Akt zeigt uns Don
Juan in ſeiner Wohnung zu Barcelona, wie er, ein leiden⸗
ſchaftlicher Freund der Malerei, beſchaͤftigt iſt, ſeine Gattin
Kr A
— A —
zu portraitiven. Friede und Glüd ſcheint bei bem Ehepaar zu
wohnen und auch aus Seraphinen’s Herzen bie Erinnerung
der Bergamgenheit gebannt zu fein. Ploͤtzlich, als Juan eben
die Gattin allein gelaffen hat, tritt ein Mann in Matrofens
tracht in bas Zimmer; es tft Alvaro, ber, die alte Liebe nicht
vergeffen fónnend, fid) in biefer Verkleidung nach Barcelona
begeben Pat; er beftiremt Seraphinen’s Herz mit neuen Bitten,
allein fie ftellt ihm fo beredt und energiſch bas Vergeblidhe
und Thörichte feiner Wünfche vor, daß auch er den Entſchluß
faßt, feine Liebe zu befümpfen und den Frieden der Geliebten
nicht weiter zu flören. Die folgenden Scenen fchildern in den
reizenpften Farben bie Luftbarfeiten des Karneval am Meeres;
ftrande bei Barcelona. Don Juan Hat mit feiner Frau die an
der Küfte gelegene Billa eines Freundes bezogen, und miſcht
ſich oft unter die Schaaren des Iuftig-fhrwärmenden Volkes;
dort begenet ihnen aud) Alyaro, allein ohne ſich ihnen zu nas
pen, und es ſcheint, als habe er feine Liebe befiegt. Eines
Tages, alg eben bas fröhliche Getümmel am ausgelaffenften
auf und nieder wogt, erfchallt der Ruf: „Feuer!«“ Die von
Don Juan bewohnte Billa ftept in Flammen; die ohnmächtige
Serapfina wird von ihrem Gatten herbeigetragen und ber
Obhut Alvaro'3, den er nicht fennt, anvertraut; er felbft eilt
yon dannen, um anderen Gefährdeten Hülfe zu letften, in
Alvaro aber, bem die Geliebte auf diefe Art in die Arme
geworfen wird, ſchlägt bie ſchon gebämpfte Leidenfchaft plöß-
lid) wieder in hellen Flammen empor, bie Berfuchung tft ihm
zu flarf, er trägt die fortwährend Ohnmächtige mit fich fort,
befteigt haftig fein Schiff und fegelt mit feinem Opfer davon.
Don Juan naht erft wieder, alg das Schiff eben bie Anfer
lichtet, entdeckt, wie er betrogen worden, und flürzt fid) in bie
Wellen, um bie Fliehenden zu erreichen. — Sm dritten Alte
Geſch. d. Lit. in Spanien. III, Bb. 14
— 10 —
find wir wieder nad Gaéta verfegt. Don Yuan tritt als
Maler verfícidet auf; er bat dieſe Tracht angenommen, um
in ihr auf unbefangnere Weife Zutritt in Privathäufer erlangen
und den Räuber feiner Gattin entveden zu fünnen, an wels
chem er die Schmach feiner Ehre zu rächen brennt. Er wird
bei'm Prinzen Urfino vorgeführt, und dieſer ertheilt ihm ben
Auftrag, eine Schöne zu malen, bie er in einer nahen Yörfters
wohnung fennen gelernt pat. Der Prinz nämlich befucht jenes
Jägerhaus häufig, um bort heimliche Zuſammenkünfte mis
feiner geliebten Porcia zu halten; eben borthin aber hat ſich
aud) Alvaro mit Seraphinen geflüchtet, um vor dem Vater
verborgen zu fein, und bie fehöne Dame hat die Augen bed
Prinzen auf fid) gezogen. Don Juan begibt fid) an den ihm bes
zeichneten Ort und fiplágt hinter einem Gitterfenfter, von
wo er die Reizende unbemerft belaufchen fann, feine Staffelet
auf. Wer ſchildert feine Gefühle, alg er Seraphinen erfennt !
Sie liegt fehlummernd da und ſpricht im Schlafe Worte,
welche Bürgen für die Reinheit ihrer Seele find; aber ihre
Unſchuld Tann fie nicht retten, fie muß ald Sühnungsopfer
für die in ihr dem Gatten angethane Schmach fallen. Der
Monolog, in welchem Don Juan ben Kampf feiner nod) im⸗
mer glühenden Liebe und feines Bewußtſeins von ber inneren
Nichtigkeit des Eprengefeges gegen die Macht der allgemeinen
Sitte, der er ſich fügen muß, fchilvert, if tief erfchütternd ; da tritt
Alvaro auf und ſchließt die Schlummernde in feine Arme; in
demfelben Augenblide fallen zwei Schüffe aus dem Hintergrunde,
und ber Räuber wie die Geraubte finfen blutend zu Boden.
Las manos blancas no ofenden. Eine der wunder
vollíten und reichften Compoſitionen unter den Stüden bies
fer Gattung, zugleich durdy die überaus funfivoll angelegte
und durkhgeführte Intrigue anziehend und in den Tauterften
— 21t —
Glanz einer ätherifihen Poefie getaucht. Serafina, bie junge
Fiürſtin von Urfino, fft an ihrem Hofe von mehreren
Freiern umbrángt, unter denen fie ihrem Wetter Feberígo,
der fie noch jüngft mit Lebensgefahr aus dem euer gerettet
Bat, befondere Gunft ſchenkt. Diefer Federigo aber ift, über
die neue Neigung, feiner früheren Geliebten Lifarda untreu
geworben, und Ießtere begibt ſich (nad) jener von Tirfo be
Molina fo vielfach ausgebeuteten bee) in Männerkleidung
und unter dem Namen des Prinzen Cäfar von Orbitel an
den Hof, um ben Plan bes Treulofen zu freuzen. Ju gleís
cher Zeit hat ber Prinz Eáfar felbft, ein Jüngling von aufs
fallender und beinahe weiblicher Schönheit, um feiner ihn
mit ängftlicher Sorge hütenden Mutter zu entgehen, Weiber⸗
tracht angelegt und ſich in diefer Verkleidung auf den Weg
nach Urſino begeben, wo er fid) unter die Schaar der Freier
miſchen will; ein Zufall hindert ihn, feine Verkleidung zur
rechten Zeit abzulegen, und fo fommt er in ber Frauentracht
an den Hof der Serafina. Der neue Achill auf Skyros ers
weckt nun in der Fürftin ein Gefühl der Liebe, das fie ſelbſt
aur für Freundſchaft Hält. Welche köſtlichen Berwidelungen ber
Dichter and diefen Fäden, zu denen nod) andere herangegogen
werben, entipinnt, möge man ahnen; fie in diefem befchränften
Raum darzulegen, ift nicht möglich. Daß Serafina, als ſich
&äfar zulegt enthüllt, diefem, für welchen die Stimme ihres Her⸗
¿ens am lauteften ſprach, ihre Hand reicht, und daß Federígo
von einer flüchtigen Aufrvallung der Leidenfchaft in die Arme
feiner erflen Gelichten zurückkehrt, íft ber 3telpuntt ber
Handlung.
Un castigo en tres venganzas””). Zu den gentalften
79) Seit Obiges gefhrieben wurde, babe ich eine Comödie ven
Diamante, Cuanto mienten los indicios y ganapan de desdichas,
14 *
"y
— 212 —
Compofitionen Calderon's gehört biefes Stüd nicht, wenn⸗
gleich fidh ihm ein lebendiges Intereſſe nicht abiprechen läßt.
Der Herzog von Burgund hat zuverläffige Nachricht, daß ein
Ritter feines Hofes tm verrätherifchen Einverftändniffe mit
feinen Feinden ftehe, weiß jedoch nicht, welcher von ihnen
der Schuldige fei. Elotaldo, ein Günftling bes Herzogs, in
dem der Zufchauer von Anfang an den Verbrecher erfennt,
fucht den Verdacht auf einen gewiffen Federico zu wälzen; der
Letztere zieht, voll Entrúftung und in Gegenwart des Herzogs,
das Schwert, und wirb deshalb vom Hofe verbannt, worüber
Elotaldo um fo mehr triumphirt, als er ſich hierburdy eines
Nebenbuhlerse um die Gumft ber fehönen Doña Flor, ber
Tochter des greifen Manfredo, entledigt. Federico muß, von
der Geliebten und der Heimath feheidend, in’8 Eril wandern.
Doña Flor, fon durch diefe Trennung in Kummer geftürzt,
wird gleich darauf Durd ein anderes Ereigniß nod tiefer
gebeugt. Eine ihrer Freundinnen bat den jungen Enrico,
einen Neffen des Herzogs, zu einer geheimen Unterredung
in ihre (Flor's) Wohnung befchieden; gerade befindet biefer
fi) dort, al8 Clotaldo, der eine Zofe beftochen hat, eindringt;
es entfteht ein Zweifampf zwifchen den beiden Rittern, Enrico
finft tödtlidh verwundet zu Boden und Clotaldo eilt vermummt
und ohne erkannt zu fein davon. Das Schwertergeflirr hat
Manfrevo herbeigerufen. Flor wird neben der blutenden Leiche
getroffen, und, um ihre Ehre zu retten, fagt fie aus, fie habe
den Enrico, der ein Attentat auf fie gemacht, niebergeftoßen.
Manfredo iſt in höchfter Verlegenheit, denn wenn ber Todte,
ber Neffe des Herzogs, in feinem Haufe gefunden wird, fo
gelefen; dieſe behandelt ganz benfelben Stoff, wie bie Ealderon’fche, und
hiernach möchte Beiden entweder ein wahres Brian oder irgend eine
Novelle zum Grunde Liegen.
— 213 —
droht feinem Leben Gefahr; er befchließt daher, bie Leiche
heimlich zu entfernen. Inzwiſchen hat Federico den Herzog
und deffen Günftling Elotaldo auf der Jagd im Gebirge ans
getroffen; der Herzog hatte fid zum Schlafe hingeftredt und
Elotalb war herangefchlichen, um, zur Vollendung feiner Ver⸗
rätherei, den Bebicter zu ermorden; da fprang Federico herz
vor, entwand dem Verráther den Dolch und rettete dem Hers
zog das Leben; biefer erwachte von dem Lärm, fogleid aber
wußte der fehlaue Elotaldo die Sache fo barzuftellen, alg wäre
er felbft der Retter, Federico Dagegen der Angreifer gewefen,
und Tegterem wurde bei Todesftrafe unterfagt, fid im Ges
biete des Herzogs bliden zu laffen. Bald darauf hat der Vers
bannte durch feinen Diener Nachricht erhalten, daß man Nachts
einen Vermummten vom Balcon ber Doña Flor habe herab-
klettern fehen, und er tft hierdurch, in eiferſüchtigem Argwobn,
zu dem Entfchluffe gekommen, verkleidet in die Stadt zurüd-
zufehren. Er wählt die Tracht eines Laftträgers, kommt als
folcher in Manfredo's Wohnung, und wird gebraucht, die Leiche
Enrico's fortzufchaffen; nachher auf der Strafie ertappt, wird
er für den Mörder gehalten, zum Tode verurtheilt und, zur
Bollftredung des Spruches, an Manfredo überliefert. Unter:
deffen hat Elotaldo einen neuen Plan entworfen, um zum
Ziele feiner Verrätherei zu gelangen; er überfällt den Her:
309, wird aber entwaffnet und tödtli verwundet, und befennt _
im Sterben feinen Berrath, den von ihm vollbradyten Mord
Enrico'8 und feine Anfchläge auf Flor's Ehre. Der Herzog
beklagt ſchon die allzu voreilig vollführte Hinrichtung Fede⸗
rico’8 und befucht reuevoll deffen Gruft; da ſchiebt Manfredo
den Leichenftein zurüd, und Federico tritt lebend hervor; ein
Schlaftrunk hatte ihm, der fo der Hinrichtung entzogen werben
folíte, nur fcheinhar das Leben geraubt; er wird pon dem Herzog
—-1Aa— __.._.__ 00
— 214 —
freudig umarmt und zum Erfag für die ihm widerfahrene Uns
HU in das Amt des Clotaldo eingefegt, und, um fein Glück zu
frönen, reicht ihm die nun treu erfunbene Doña Flor die Hand.
Amigo, amante y” leal gründet fi) auf die fo viel⸗
fach behandelte Colliſion verſchiedener Pflichten. Der Helb
wird von den Trieben der Liebe, Freundfchaft und Untertha⸗
nentreue in ſchwankende Bewegung gefept; er treibt die Aufs
opferung gegen den Fürften und gegen ben Freund fo ieit,
daß er ihnen die Geltebte abzutreten bereit tft; ein fcheinbar
unentwirrbarer Knoten fehürzt fih aus diefen Fäden, aber fte
alle führen ¿ulegt zu bem erfehnten Ziele, wo fi) der Wider⸗
fireit jener drei Mächte in den reinften Accord auflöfl.
Muger llora y venceräs (ber Sdauplag tft
Deutfchland und ber Plan un eine erdichtete Erbftreitigfeit zwi⸗
fhen der Erbtochter bes Landgrafen von Heffen und ihren Bettern,
den Prinzen von Thüringen, gefniipft) bat eine höchſt geifts
volle und feffelnde Anlage, zeigt aber in der Ausführung
jene falte Berechnung und jenen Mangel an freier dichterifcher
Bewegung, der mande fpätere Werfe des Dichters characterifirt.
Lances de Amor y Fortuna. Der wunderliche
Eigenwille bes Schickſals, welcher oft ben Unwürdigen mit
Ehre und allen Gaben des Glücks ausrüftet, den Würdigen
dagegen barben läßt, bildet hier den Vorwurf. Rugero rettet
der von ihm geliebten Gräfin Aurora von Barcelona das
Leben, und erfchöpft fi in heldenmäßigen Anftrengungen für
ihre Sade; allein ein Gewebe von unglüdlihen Umftänden
macht, daß der Ruhm aller von ihm vollbrachten Thaten feís
nem Nebenbubler zufällt und felbft die Beliebte ihn verfennt,
bis es ihm endlich gelingt, Aurorend Augen zu öffnen, deren
Herz immer für ihn gefprochen batte.
Agradecer y no amar. Eine Novelle in bramas
— 25 —
tifcher Form, die man in Erfindung und Ausführung nur
mittelmäßig nennen fann.
Para vencer á Amor querer vencerle. Sn
Bezug auf die äußere Handlung dürftiger, alg die meiften
Dramen des (Calderon, aber durch pſychologiſche Feinheit und
durd) überrafchende Blide in bie Tiefe des Menfchenherzeng
ausgezeichnet und in diefer Hinficht des größten Meifters
würdig. Schon der Titel läßt erkennen, daß der Sieg der
Bernunft und bes Willens über bie Leidenfchaft das Motiv
des Stüdes bildet. Cáfar de Colonna, die ſchöne Margaretha
leidenſchaftlich liebend, tft fon am Borabend der Vermáibs
lung mit ihr, ald die Braut ihm bas Geſtändniß macht, daß
fie ihn, obgleich er deſſen in jeder Hinficht würdig fet, doch
nicht zu lieben vermöge und nur aus Nachgicbigfeit gegen
die Eltern ihr Jawort gegeben habe. Sie bittet ihn, daß er
fie nicht wider ihren Willen heimführen möge, und zugleich,
Daß er tr geheimes Befenntnig dem Vater und dem Publi
tum nicht entbede, fondern unter frgend einem erdichteten
Vorwande von ber Vermáblung abſtehe. Cáfar tft im höchſten
Grabe beftürzt, und ſchwankt in feinem Entfchluffe; als ihn aber
die Geliebte bei der Liebe felbft, Die er ihr geweiht, um Gewäh”
rung ihrer Bitte beſchwört, verfpricht er Alles, was fie von ihm
verlangt. Unter dem Vorwande, er ſei Margarethens noch nicht
würdig, verläßt er mit verzweifelndem Herzen fein Vaterland -
und begibt fid) in den Krieg, hoffend, er werde entweder den
Tod finden, oder endlich, indem er ſicheihrer würdig zeige, Mars
garethens Herz gerwinnen. Bet dem deutfchen Kaiſer Friedrich IL.
hoch in Gunſt geftiegen, hat er das Glück, Margarethen in einer
wichtigen Angelegenheit große Dienfte zw leiſten; als Diefe
nun aber doch noch falt gegen ihn bleibt, ruft er die Vers
nunft und die Ehre zu Hülfe, und befiegt auf dieſe Art die
Neigung feines Herzens.
— 216 —
De una causa dos efectos. Wir haben for
früher auf die Verwandtſchaft biefer Comödie mit einem ber
beften Luftfpiele Fletcher's, The elder brother, hingeveutet,
und dabei die Vermuthung ausgefprochen, ber eine Dichter
habe den anderen benutzt; biefe Tegtere Meinung muß jedod)
berichtigt werben, denn das fbanifche Stück weift fih durch
feinen Styl als eines der fpäteren Werfe des Calderon aus
und fann feínenfalls vor dem Sabre 1625, in welchem Flet⸗
her flarb, gefchrieben fein; bag aber umgefehrt der Spanier
den Engländer gefannt habe, fann in Feiner Hinſicht für
wahrfcheinlih gelten. Die Aehnlichfeit beider Stüde ftammt
daher vermuthli nur von dem gemeinfamen Anfchließen an
die, von den älteren Novelliften mehrfach ‚behandelt bee,
daß die Liebe die Dummen in Kluge vertvandele. (S. Bocs
eaccio’8 Novelle von Cimon und Iphigenia, Decameron, Tag
V. Nov. 1.) Galberon hat jener Wirkung der Liebe, die er
an einem Sohne des Herzogs von Mantura zeigt, Die cons
tráre in deffen Bruder gegengeüberftellt und biefen Gegenfaß
höchſt finnvoll durchgeführt.
Nadie fie su secreto hat mande Ucbereínftims
mung mit einem Schaufpiel Yo me entiendo, welches balb
mit dem Namen des Lope de Vega, bald mit bem des Cal⸗
beron bezeichnet gefunden wird, allen Kennzeichen nad aber
dem Erfteren angehört (an Galberon wenigſtens ift in Feiner
Art zu denken). Die beiden Stüden zu Grunde liegende
Handlung tft der von Lope's Quinta de Florencia verwandt
und wahrſcheinlich berfelben Novelle des Bandello entnom-
men; Yo me entiendo aber fehlicßt fid) diefer Novelle näher
an, während Nadie fie su secreto fie in ber freieren Ges
ftaltung des Stoffes nur noch von fern erfennen läßt. Der
Held bes Ealderon’fchen Drama’s ift der berühmte Aleran-
— 297 —
der Farnefe, Herzog von Parma, und ble Triebfeder ber Acs
tion, daß der Fürft und fein Günftling Don Cäfar biefelbe
Dame lieben, der Erftere ben Liebenden, von deren Geheim-
niß unterrichtet, jede Gelegenheit, fih zu feben, zu rauben
fucht und ihre beabfichtigte Flucht hintertreibt, dann aber nad)
manchen Kämpfen die Geliebte dem Freunde aufopfert. Auf reiche
und fpannende Handlung tft in diefem Schaufpiel weniger Werth
gelegt, Dagegen der Eharafteriftif befondere Sorgfalt gewidmet.
El Alcaide de si mismo. Galberon fcheint fi in
dieſem anmuthigen Stüde feínes eigenthümlichen Styls entäus
Bert zu haben und mehr der Manier des Lope de Vega gefolgt zu
fein. Die Handlung tft, wie folgt: Der Prinz Friedrich von
Sicilien hat in einem Turnier zu Neapel den Neffen des Rós
nigs getödtet und darauf, um fid) der Verfolgung zu ents
ziehen, die Flucht ergriffen. Wer der Mörder fei, ahnt Nies
manb, denn ber Prinz ¡ft wegen einer zwifchen Neapel und Sici⸗
lien fett lange obwaltenden Feindſchaft nur incognito und
mit gefchloffenem Bifir erfchtenen. Um ficherer zu entfommen,
legt der Flüchtling in einem Walde feine fürftliche Kleidung
ab und hüllt fid in die ärmlichfte Tracht, in welchen Auf:
zuge er dann eine vornehme Dame, an deren Schloffe ihn
fein Weg vorbeiführt, um ihre Hülfe anfpricht; er gibt vor,
er fei ein Kaufmann und von Räubern ausgeplündert tor:
ben, und die Mitleidige verheißt ihm nicht allein ihre Unters
ſtützung, fondern zeigt großes Wohlgefallen an ihm und er:
nennt ihn zum Befehlshaber ihres Schloffes. Mit Schreden -
vernimmt er, daß feine Wohlthäterin die Prinzeffin Helena,
die Schweiter deS von ihm Getödteten, fet und alle Mühe auf:
wende, um des Mörders habhaft zu werben; für’s Erfte fcheint
ihm aber Feine Entdeckung zu drohen, da Niemand in Nea-
pel fein Geſicht erblidt hat, außer ver Infantín Margaretha,
— 248 —
Tochter des Königs, zwiſchen welcher und ihm fich bei einer
durch den Zufall herbeigeführten Zuſammenkunft ein zärtliches
Berhältniß entfponnen hat. Unterdeffen hat ein einfältiger, aber
drolliger Bauer, Benito, bie abgelegte Rittertracht im Walde
gefunden und fie angezogen, um fid) in biefem Schmud von
feinen Cameraden bewundern zu laſſen; bie Häfcher, welche
im Auftrag bes Königs von Neapel den Mörder auffpähen
follen, ergreifen ihn und führen ihn als Gefangenen an den
Hof; fein bäurifches Benehmen wird für Berftellung gebals
ten, unb der König‘, im Glauben, ben flüchtigen Ritter in
feiner Gewalt zu haben, überfendet ihn der Prinzeſſin Helena,
damit fie ihn in ihrem Schloffe gefangen Halte. Diefe. übers
“ gibt Ihn nun dem Prinzen Friedrich zur Bewachung, fo daß
der Legtere zum Gefangenwärter feiner feloft wird. Die Gus
fantin Margaretha weiß ſich Zutritt zu bem Schloffe zu vers
fhaffen, um ben Geliebten dort zu fehen, und ber Kerfermeifter,
davon benachrichtigt, fpielt dann bie Rolle des Gefangenen 3
überhaupt mag man ahnen, welche interefianten Situationen
der Dichter aus dem Duiproquo zu entfpinnen gewußt hat.
Daß Margaretha in das Geheimniß eingeweiht wird und
daß Beide die Täufchung fo lange fortführen, bis der Prinz
der Vergebung und Beide der Einwilligung des Könige in
ihre Vermählung ficher fein können, ergibt fid) von felbft,
La Señora y la criada. Ein überaus reízendes Lufts
fpiel?®), das durch feinen dichteriſchen Schwung unermeßlich
hoch über die, gewöhnlich mit biefem Namen bezeichneten,
Stüde emporragt und doch zugleich bas Talent Calderon's
18) Mächtig flammt Cupido's Kerze,
Durch Gefahr umfonft verbüftert,
Und bie Liebestlage flüftert
In das Echo leichter Scherze. Blaten.
— 219 —
zur eigentlichen Komik im glánzendften Lichte zeigt. Die Prinz
zeffin Diana von Mantua iſt von ihrem Vater dem Herzog
von Mailand zugefagt worden, liebt aber den Prinzen Elos
taldo von Parma, der ihre Neigung auf's feurigfte eriwiedert,
aber durch alte Feindſchaft, die zwiſchen den beiden Fúrftens
häuſern herricht, an der Erreichung bes Zieles feiner MWünfche
behindert wird. Als der Zeitpunft von Dianend Vermáblung
mit dem verhaßten Herzog beranrüdt, fagt Clotaldo den Ent
ſchluß, die Geliebte zu entführen, ein Zufall aber macht, daß
er ftatt ihrer eine Bäuerin, welche fi) mit den Kleidern der
Pringeffin geſchmückt hat, raubt; zur nämlichen Zeit ift Diana,
wn der verhaßten Verbindung zu entgehen, in ländlicher Tracht
vom Hofe des Vaters entflohen, und wird, da fie durch ein
Berunglüden mit dem Wagen befehäbigt worden tft, an den
Hof son Parma gebracht. Aus bem Umſtande nun, daß die
entführte Bäuerin Allen, außer ben Eingeweihten, für bie
Prinzeffin gilt, die Legtere aber in ihrer unfcheinbaren Klei⸗
dung unbeachtet bleibt, entfpinnt fid) eine höchſt glüdliche
Sntrigue, welche ¿ulegt dahin geleitet wird, daß ber Herzog
von Mailand, felbft die ihm zugedachte Braut ausfchlägt, Elos
taldo aber feine geliebte Diana heimführt.
Dicha y desdicha desdicha del nombre und
La vanda y la flor. Zwei höchft feine Stüde voll com:
plictrter Intrigue und bedeutfamer, wirkungsreicher Situa=
tionen. Jn diefen Luftfpielen haben wir, fo wie in einigen
der vorhergehenden und folgenden, im Grunde fehon ganz die
nämlichen Elemente, wie in denen, die auf fpanifchem Boden '
fpielen, und nur das Perfonal von Fürften und Hofleuten,
das in ihnen vorfommt, fo wie der dadurch bedingte feine
Hofton, Teiht ihnen eine etwas verfchiedene Färbung.
El galan fantasma. Eine glücklich erfonnene, vom
— 220) —
berechnendften Verftande angelegte und dann mit ber Liebe
des Dichters‘ ausgebildete Fabel. Der junge Aftolfo “ftebt in
einem Liebesverhältniffe mit der ſchönen Julia, und eben Dies
fer Dame bringt aud) ber Herzog von Sadfen, von ihr une
begünftigt, feine Huldigungen bar. Eines Abends befindet ſich
Aftolfo bei: feiner Geliebten zum Befuche, al8 ber Herzog,
der fih mit Gewalt Eingang verfchafft, darüber zufommt.
ES entfteht ein Zweikampf zwilchen ben beiden Nebenbublern.
Aftolfo fällt und bleibt für todt auf bem Plage liegen. Die
Wunde tft jedoch nicht tödtlich geiwefen, er wird in das Haus
eines Freundes getragen und bort auch nad) feiner Wieder:
herſtellung, um vor der Rade des Herzogs gefichert zu fein,
verborgen gehalten. Aus diefem Haufe führt ein unterirdifcher
Gang in Julia's Garten, und Aftolfo benugt diefen Weg, um
heimlich zu der Geliebten zu gelangen. Julia tft anfänglich über
fein Erfcheinen erfchredt und hält ihn für ein Gefpenft, bi er
ihr die Geſchichte feiner Rettung erzählt und nun felige Stunden
in ihren Armen feiert; dem Herzog gegenüber Dagegen bleibt er
ein Geftorbener und erfchredt ihn durch feine Erfeheinungen,
bi8 durch andere Zwifchenfäden der Sntrigue die Sade fo
weit gediehen ift, daß er ſich aud) diefem enthüllen und ber
Einwilligung in die Bermählung mit Julien ficher fein Fann.
Basta callar. Sn dieſem herrlichen Drama wetteifert
die Grazie der reizendften Erfindung mit dem reichften Farben»
fhmud der Dichtung, die Frifche mit der Gluth, die innere
Feinheit der Anlage mit der Zartheit der Ausführung und mit
dem Zauber der wohllautendften Sprade. Die Berwidelung
tft fo finnreidh erdacht und fo complicirt, wie in den beiten
der reinen Intriguenftücde; aber wir haben hier zugleich einen
Duft und Glanz der Poefíe, wie er die Ießteren Werke nicht
in gleicher Fülle durchzieht. Margarethe, Tochter des Herzogs
— 21 —
von Béarn und dem Wunſche ihres Vaters gemäß mit bem
Grafen von Montpellier verlobt, hat auf ber Jagd im De:
birge einen ſchwer verwundeten Ritter gefunden und ihn von
dort, um ihn zu pflegen, an ben Hof ihres Vaters gebracht.
Der Berwundete nennt fid Don Cäſar und gibt vor, von
Räubern angefallen worden zu fein, iſt aber in Wahrheit ein
Gavalier vom Gefolge des Grafen von Montpellier und auf
Geheiß feines Herm überfallen worden; er hat námiid in
einem Liebesverhältniffe mit der fhönen Doña Serafina ge:
ftanden und den Grafen, ber eben diefe Dame liebte, einft,
als ber Legtere in die Wohnung der Schönen zu dringen vers
fuchte, mit dem Schwerte angegriffen; wegen diefes Attentats
mufite er entfliehen, aber bie Rache des Grafen ereilte. ihn
nod) auf der Subt. Am Hofe von Béarn, wo er alle diefe
Borgänge verfchiweigt, wird er huldreih aufgenommen; der
Herzog ernennt ihn nad) feiner Bicderberftellung zu feinem
Secretair und die Prinzeffin hat eine heimliche Neigung für ihn
gefaßt, die er felbft jedoch nicht erwiedert, ja, nod) ganz feiner
früheren Liebe hingegeben, nicht einmal beachtet. Was ihn
felbft in feiner Verbannung am meiften quält, ift die Unge:
wißheit über Serafinen’d Treue. ES fügt fi nun, daf Ro:
berto, Gerafinen'8 Vater, mit feiner Tochter an den Hof von
Béarn fommt; in feinem Gefolge befindet ſich verfleivet ber
Graf von Montpellier, angeblich, um feine Verlobte, Marga:
rethe, unbefangener beobachten zu fónnen, tn Grunde aber,
um in der Nähe ver geliebten Serafina zu fein. Serafina
bat bald einen innigen Sreundfchaftsbund mit Dlargarethe ge:
fhloffen, ihre Holdſeligkeit erweckt aber zugleich aud die Liebe
des Herzogs. So hat denn der Dichter die mannichfaltigften
Fäden der Veriwidelung in feiner Hand: die Nebenbuhlerfchaft
des Grafen, des Herzogs und Cäſar's, die Beftrebungen ves
— 929 —
Lesteren, von bem Grafen, der ihn für todt hält, nicht erfannt
zu werden, dann Margarethend Neigung zu Cáfar im Cors
flitt mit ihrer Feundſchaft für Margarethe u. f. w.; aber dieſe
Fäden find hier nicht etwa gebraucht, um, wie oft in ben
Comedias de capa y espada, nur ein ergößliches und bie
Aufmerkfamfeit feffelndes Imbroglio zu fpinnen, fonbern fie
dienen dazu, die Herzen und Charaktere in allen ihren Falten
auseinanberzulegen und ein Gemälde vor und aufzurollen, in
welchem Liebe und Eiferfucht, Melancholie und Scherz, Schwär-
meret und Lebensffugheit. durch die weichiten Tinten mit ein
ander verfchmolzen find, — das ganze Gebilde aber ftrahlt in
dem reinften Zauberlichte romantifcher Dichtung. Daß Margas
rethe ihre Neigung Der Sreundin aufopfert und dem Wunſche
bes Vaters gemäß dem Grafen ihre Hand reicht, unb daß
aud) der Herzog und ber Graf in wahrhaft abliger Gefinnung
ihre Leidenfchaft befämpfen und Serafinen's Hand in bie bes
früher berechtigten Cäfar legen, bildet den Schluß der Handlung.
El secreto á voces if ein Seitenftüd des vorigen *
und ihm an Feinheit, Anmuth und Vollendung gleich. Das
„laute Geheimniß⸗ oder die Chiffre, in welcher ſich die beiden
Liebenden unterhalten, ohne daß Jemand fonft ben geheimen
Sinn ihrer Worte verfteht, erinnert an einen ähnlichen Runft:
griff in Tirſo's refzendem Luftfpfel Amar por arte mayor.
Aber Tirfo’8 Erfindung iſt nod finnreicher, als die Calderon’s,
und von merfwürdiger Subtilität. Hier haben zwei Liebende
am Hofe von Leon, welche von allen. Seiten beargmwohnt
werben, folgendes Geheimniß erfonnen, um fich ungeftört und
unverdächtigt Mittheilungen machen zu fünmen. Die Hofdame
Elvira wird von dem Könige geliebt, und hält es für Flug,
biefer Neigung ſcheinbar nachzugeben; in Wahrheit aber Itebt
. fie den Gecretaír des Königs, Don Lope. Um nun ben König
—
e.”
y
— 23 —
¿ufrieven zu ftellen, richtet fie an ihn Beste, wie 3. D,
ben folgenden :
Celosa temo, caro dueño mio
Que os venzan intereses de una infanta.
Perdonad, que en efeto, en beldad tanta,
Contra el amor no es valiente el albedrío.
Causóos Don Lope el ciego desvario,
Sin culpa, de sospechas y desvelos :
Qué haré yo, combatida de mis celos,
Si el temor me da causa de culpards ?
Mariendo viviré con adoraros etc.
Bugleíd) aber hat fie ihrem geliebten Lope, der, als Vera
trauter des Königs, alle an diefen gerichteten Briefe in feine
Hände befommt, gefagt, der Brief fet eigentlich für ihn be:
ftimmt, er müffe nur die drei erften Sylben jedes Berfes abs
fihneiden, wo er dann den eigentlihen Sinn des Schreiben
auffinden werde. Nun Tauten denn die Verfe:
Temo, caro duefio mio,
Intereses de una infanta,
Que en efeto en beldad tanta
No es valiente el albedrio.
Lope, el ciego desvario
De sospechas y desvelos,
Combatida de mis celos
Me da causa de culparos:
Viviré con adoraros etc.
Wie finnreih nun aud Elvirens Plan iſt, fo übertrifft
Lope fie Doch nod) in feinen Antworten. Er wird, außer von
Elviren, aud nod) von der Königin Blanca und von einer
anderen Hofdame, Sfabella, geliebt, und tft durch die Klugheit
genöthigt, diefen beiven Legteren ſcheinbar nachzugeben, obgleich
— Mm —
er die erfünftelte Leidenfchaft für die Königin aus anderen Rück⸗
fihten nur im Geheimen ausſprechen darf. Er richtet nun öffents
lich feine Huldigungen an Iſabella; 3. B. in folgenden Worten:
Aunque amante me juzgueis
De otro gusto, y como ingrato
Me presumais todo olvido,
Yo soy vuestro y no 08 agravio.
El rey suspira, Isabela,
Celoso como indignado,
Pordle ignora que disculpa
Mis desvelos amor casto.
No os asombre vengativo
(Cuando sepa que en su estado
Don Ordoño favorece
El amor nuestro) Don Sancho.
Su poder, con el de Ordoño,
Aunque temido, es muy flaco;
Contra el amor, todo incendio,
Es pequeño el de Alexandro.
Que he de morir es sin duda,
Si os perdiese mi cuidado:
Blanca por vos se desvela,
Será cierto el ampararnos.
O ha de ser en yugo eterno
Vuestra belleza el descanso
De mi esperanza, 6 la muerte
El remedio, aunque inhumano.
De Don Lope, prenda mia,
Estad segura entre tanto,
Que será con fé invencible
Bronce en quereros y amaros.
$
— — — —
—
— 225 —
Dofía Elvira, que os dió zelos,
A Ordoño adora 6 su estado:
Ni la quise en vuestra ofensa,
Ni deseo, pues os amo.
Nad diefen Worten hält ſich natürlich Ifabella für ble
allein Begünftigte. Allein die Königin Pat zu denfelben fols
genden Schlüffel: fie fol nur die erften Hälften ber Verje
nehmen und biefe zufammenfügen. Auf diefe Weife gewinnen
denn bie obigen Worte die folgende Geftalt, in welcher fie
allein der Königin zu huldigen fcheinen:
Aunque amante de otro gusto
Me presumais, yo soy vuestro:
El rey suspira celoso,
Porque ignora mis desvelos.
No os asombre cuaudo sepa
Don Ordoño el amor nuestro;
Su poder, aunque temido,
Contra el de amor es pequeño.
Que he de morir, si os perdiese,
Blanca, por vos será cierto,
O ha de ser vuestra belleza
De mi esperanza el remedio.
De Don Lope estad segura
Que será bronce en quereros :
Doña Elvira á Ordoño adora;
Ni la quise, ni deseo.
Aber auch die Königin wird getäufht, denn den wahren
Schlüſſel befigt erft Elvira; Diefe weiß, daß fie immer von
vier Zeilen die erfte Hälfte des erften Verſes abtrennen muß,
und fo erhält fie aus ben obigen Worten folgende Berfiches
rung von Lope's unmwandelbarer Liebe zu ihr:
Geſch. d. Lit, in Spanien. III. Bo. 15
— 2% —
Aunque amante el rey suspira
No os asombre su poder;
Que hé de morir, ó ha de ser
De Don Lope Doña Elvira.
Man beachte in diefen Verfen die erftaunlide Sprach⸗ |
funft, durch welche biefelben Worte, ohne in’d Gezwungene
zu ‚verfallen, in ihrer. veränderten Stellung nicht allein einen
wechfelnven und ganz flaren Sinn geben, fondern auch zuerft
zwei verfchiedene Affonanzenreipen, nachher eine Redondilla
bilden. — Wir haben dies hervorgehoben, um zu zeigen, wie
Calderon oft da, two man tin am originalften glaubt, feinen
Vorgängern verpflichtet ift. Uebrigens hat. er jenen ſcharfſin⸗
nigen Gedanfen Tirſo's fehr vereinfacht, indem bei- ihm nur
die Abtrennung des erften Wortes in jedem Verfe und bie
dann folgende 3ufaminenftellung dad Geheimniß bildet. Was
den Inhalt unferes Drama’s betrifft, fo würde es überflüffig
fein, ihn darzulegen, da das „laute Geheimniß“ in Ueber:
fegungen und Nachahmungen auf faft alle Bühnen Europa’s
übergegangen und fo zum vielleicht befannteften Werfe Calde-
ron's geworben iſt. | -
Die zulegt erwähnten Dramen haben ung allmählich zu
ben Lufifpielen herabgeführt, welche das Leben und gefellige
Treiben im damaltgen Spanien barftellen. Calderon's Stüde
biefer Gattung haben von jeher einer befonderen Berühmtheit
genoffen, und fie find dieſes Rufes in jeder Hinficht werth,
obgleih man eingeftehen muß, daß fie ſich in einem engeren
Kreife von Motiven und Situationen bewegen, als Die des
Lope und Tirfoz fte find in ihrer Art das Vollendetfte,
was die fpanifche Bühne befist, aber diefe Art leidet an einer
gewiſſen Einförmigfeit. Man hat ſchon früher bemerft, daß
TM 7
N
— MM —
bie meiften in dieſes Bereich fallenden Werke Calderon's ben
Titel „die Berwidlungen des Zufalls« führen fónnten, denn
der Tegtere tft eS, ber faft überall den Knoten fchürzt. Will
man an einem einzelnen Beifpiel ein ungefähres Bid von
ber Beſchaffenheit diefer fimmilidjen Comödien gewinnen, fo
laͤßt fidh kein befferes liefern, als Das folgende, welches
fon anderswo aufgeftellt worden ift 7%): Ein junger, eben
aus Flandern zurüdgefehrter Cavalier ſucht in den Straßen
von Mabrib die Wohnung eines Freundes, bei dem er Tos
giren fol; plöglich tritt Ihm eine verfchleierte Dame entgegen
und bittet ihn um feinen Schuß; der Ritterpflicht getreu, darf
er diefen ihr nicht verfagen, mb fo geleitet er fie in ihre
Bohnung. Dann findet es fid), daß diefe Dame die Schwe:
fer feines Freundes iſt; der Freund felbft aber liebt wieder
eine andere mit feiner Schwefter befreundete Dame, welche
dem neu angekommenen Cavalier zur Gattin beſtimmt war.
Run iſt nod) ein dritter verſchmähter Liebhaber jener Dame,
welhe man in ber erften Scene die Straßen von Madrid
burdirren fah, vorhanden, und aus allen diefen fich Treus
zenden Lebfchaften entfpringen alle möglichen Arten von Vors -
fällen: zwei verfchleierte Damen werden mit einander vers
wechſelt, und bie eine belaufcht hinter einer Seitenthüre bie
Liebesworte, welche dur Srrtfum an ihre Nebenbuhlerin
gerichtet werden; der Galan verbirgt ſich, weil er Geräuſch
hört, der zweite entdeckt ihn, und es entfteht ein Zweikampf,
der durch das Hinzukommen des Bruders unterbrochen wird;
nad) gehörigen Vertvirrungen aller Art Töft fih denn der
Knoten durch diefelben Fäden, welche ihn gefchlungen, wieder
75 Damas - Hinard, Chefs-d'oeuvre du Theatre espagnol, In-
troduction.
15*
— 228 —
auf, und man hat am Schluffe zwei oder drei Heirathen,
ohne die des Gracioſo mit der Zofe zu rechnen.
Noch deutlicher kann man die von Calderon vorzugsweiſe
benutzten Hebel der Intrigue in folgendem Schema überſehen:
Liebe zweier Damen zu demſelben Cavalier, Bewerbung von
mehreren Galanen um daſſelbe Mädchen, oder zweier Freunde
um die Gunſt der nämlichen Schönen; Eiferſucht unter dem
liebenden Paare; Kampf der Pflichten gegen den Freund und
gegen die Geliebte; Verhüllung der Frauen durch den Schleier,
Vermummung der Männer durch den Mantel, und daraus
entſpringende Mißverſtändniſſe; nächtliche Huldigungen am
Fenſter einer Dame und damit verbundene Täuſchungen, in⸗
dem ſich eine Andere. an die Stelle der Erwarteten begeben
hat; Colliſion der Pflicht der Gaſtfreundſchaft und der Blut⸗
rache, Zweikämpfe, Häuſer mit doppelten Eingängen, Wohs
nungs⸗ und Namensveränderungen, geheime Thüren, unter⸗
irdiſche Gänge u. ſ. w. Die überraſchenden Vorfälle, die an⸗
ziehenden und die Neugier ſpannenden Situationen, die der
Dichter aus dieſen Motiven zu entſpinnen wußte, waren
ſchon bei ſeinen Lebzeiten ſprichwörtlich geworden; man nannte
fie Lances de Calderon, das heißt „Calderons-Streiche“,
und es fehlte fon damals nicht an Solchen, welche die häus
fige Wiederholung der nämlichen Triebfebern des Intereffes
tadelten. Calderon felbft hat dergleichen Bemerkungen fehr
gutwillig hingenommen , ja felbft in fcherzhafter Weife Aehns
lides gefagt. In No ay burlas con el amor fagt Jemand,
der fi verbergen muß: „Sa, dies ift eine Comödie von
Don Pedro CGalberon, wo eS nothwendig immer einen vers
ftedten Liebhaber und eine verfcleterte Frau geben muf.«
In Bien vengas mal si vienes solo heißt es einmal:
„Dies tft eine Comödie von Don Pedro Calderon, wo Bru-
AM a — dl.
— 229 —
der oder Vater immer zur unrechten Zeit fommena*9), Da
der Dichter hiernach felbft in foherzhafter Weife einräumte,
was man ihm zum Vorwurf machen Fonnte, und doch auf
bemfelben Wege aud nod fpäter fortfubr, fo ſtützte er fid)
ohne Zweifel auf das Bewußtſein feines befonderen Talentes
für diefe Art von Berwidelungsfpielen und auf bie nie vers
fiegende Erfindungsgabe, mit welcher er den gleihförmigen
Stoff immer neu zu geftalten und zu färben wußte; und fo
ziemt eS denn auch ung, von der ©leichmäßigfeit in ben
Motiven diefer Stüde abblidend, unfere Bewunderung ber
unendlichen Kunft zuzumenden, mit welcher der Autor aus
derfelben Grundlage und ben nämlichen Elementen eine fo
überrafchende Berfchiebenartigfeit der Yefultate gewonnen hat.
In der That hat Fein anderer Dichter in gleich hohem Grade,
wie Calderon, die Fähigkeit befeffen, einfache und ſich häufig
wiederholende Anläffe zu ſtets anderen Kombinationen zu bes
nugen, in immer neuen Wendungen intereffante Situationen
herbeizuführen, Weberrafgungen auf Ueberrafpungen zu häus
fen und die Haupthandlung mit anderen parallel Taufenden
zu verwideln, fo daß der Zufchauer in befländiger Aufregung
die fid) durchſchneidenden Süden der Intrigue bis zu deren
Auflöfung verfolgt. Aud ift Die Birtuofität unferes Dichters
in diefem Fache von jeher am allgemeinften anerfannt wor⸗
80) Es comedia de Don Pedro
Calderon, donde ha de aver
Por fuerza amante escondido,
O rebozada muger.
Que debe de ser comedia
Sin duda esta de Don Pedro
Calderon, que hermano 6 padre
Siempre vienen á mal tiempo.
— Y —
den, und fchon Linguet that zu einer Zeit, ald man die Vors
züglichkeit der fpanifchen Schaufpiele, bie man praftifch durch
zahlreiche Entlehnungen anerkannte, theoretifch nicht einräu⸗
men wollte, den Ausſpruch, daß Calberon in diefer Gattung
yon Schönhetten es allen Dichtern ver Welt weit zuvorthue.
Nehmen nun bie Comúbien diefer Gattung (denen wir füg«
Hd) den Namen Comedias de capa y espada laffen tóna
nen, da fic fämmtlih in dieſer Tracht gefpielt wurden)
burd ihre angebeuteten Vorzüge, durch ihre, trog der Aehn⸗
lichkeit doch große Mannichfaltigfeit, burd ihren poetiſchen
Gehalt, ihre Fülle und Bewegung das Intereffe lebhaft in
Anſpruch, fo tritt nod) ein anderer Umftand hinzu, um fie
beſonders anziehend zu machen; wir meinen die treue Sitten⸗
fehilderung,, die lebendige Darftellung bes Lebens und Treís
beng im damaligen Madrid. Die romantifhen Abenteuer, die
in diefer „Stadt der Serenaben« an-der Tagesordnung was
ren, die feltíame Mifchung von beinahe überfeinerter Cultur
und noch faft mittelalterlicher Rohheit der Sitten, die Das
lantertefcenen im Prado, die nächtlichen Zwiegeſpräche am
Oitterfenfter, bie blutigen Zweikämpfe unter den Cavalieren,
die ſüdliche Olut, aber auch die Intriguenfucht und Verſchla⸗
genheit der Liebenden, der frohe, leichte Sinn, der fein Bags
niß ſcheuende Unternehmungsgeift der Ritter, die hingebende
Zärtlichfeit der Damen, aber auch ihre Rachſucht, ihr ſchnel⸗
leg Aufflammen bei jeder vermeinten Beleidigung, — dies
Alles it hier mit fo frappanter Wahrheit geſchildert, daß
man die Sitten ber alten Spanier vielleicht nirgends beffer
fiubieren Tann. Heben wir einige der auffalfendften Züge aus
diefem feltfamen Gemälde hervor! Der Argmohn und bie
Strenge in Bezug auf die Ehre ift fo groß, daß, wenn ein
Mann bei einer Dame gefunden wird, fofort auch fein Zwei
a e nd m rn
yr”
— Yi —
fel mehr über die zwilchen ihnen beſtehende verbrecherifche
Liebe obiwaltet und Vater oder. Bruder bie Schuldige auf
der Stelle umbringen zu müffen glauben. Die Pflicht ber
Ritter zur Befhügung der Frauen geht fo weit, daß eine
Dame von bem erften Cavalier, bem fie begegnet, fordern
kann, fie mit Gefahr feines Lebens gegen Iedermann zu
fhügen. Die Forderung ber Ausfchließlichleit in ber Liebe
und bie Eiferfucht find fo gefteigert, dafi, wenn ein Galan
mit einer Dame an ihrem Oitterfenfter fpricht, er von allen
Vorübergehenden verlangt, außerhalb feines Bezirks zu bleis
ben, und ben, ver feiner Warnung nicht Folge Ieiftet, tobt
zu Boden ſtreckt; die Pflicht des gegenfeitigen Beiftandes
unter ben Savalieren aber gibt wieder dem Mörder, wenn
er von ber Juſtiz verfolgt wird, das Recht, ben erften beften
Ritter um feinen Schuß anzufprechen, welchen diefer dann
mit Hintanfegung .jever anderen Obliegenbeit gewähren muß.
Alle diefe Punfte muß der heutige Lefer von Calderon's
Mantel< und Degenftüden wohl fennen und als fefiftebend
vorausſetzen, falld er diefe Dichtungen richtig, das heißt fo,
wie fie von den Zuhörern ihrer Zeit hingenommen wurben,
auffaffen will. Er muß aber ferner, gleih dem Publikum,
für das die Stüde gefchrieben wurden, Morbthaten aus Eis
ferfucht, Rache oder-fonftigen Veranlaffungen für alltägliche
Vorfälle halten, die eben feinen fehr ergreifenden Eindrud
bervorbringen und die Heiterkeit des Luſtſpiels nicht ftóren;
denn febr häufig finden wir Die Pflicht, einen ermordeten
Verwandten zu rächen, in ihrem Conflict mit anderen Vers
báltniffen, den Berfte eines Duellanten, der feinen Gegner
getóbtet hat, oder irgend ein anderes, nad) unferen Degriffen
tragiſches Motiv als Hebel der Iuftigften Intrigue gebraudt;
febr oft fehen wir inmitten von durchaus Fomifchen Scenen
— 232 —
Bater oder Bruder das Schwert ziehen, um die beargwohnte Toch⸗
ter oder Schwefter umzubringen, und machen ung mit ängftlicher
Spannung auf einen tragifchen Ausgang gefaßt, während ber
Spanier fid) dies nicht eben fehr zu Herzen nahm und fich durch
dergleichen alltägliche Vorfälle in der Heiterkeit, die das Ganze
peroorruft, nicht flören Tief. (ES ift endlich, um bas Auf:
braufen der Affefte und ben plößlichen Gefinnungswechfel,
dem wir in biefen Stüden jeden Augenblid begegnen, zu ver:
fteben, nöthig, fi an die Beweglichkeit und Leivenfchaftlich-
feit füplicher Naturen zu erinnern, und an bie Steigerung,
welche die Affefte durch die Sitten im damaligen Spanien
erhielten; natürlich mußte die firenge Bewachung, ber bie
Frauen untersvorfen waren, die Schwierigfeit, mit ihnen zus
fammenzufommen, die Eiferſucht und Verftellung, welche in
Gegenwart eines Dritten nöthig war, das Ungeftim ber
Liebenden erhöhen und ihre Begierden mächtiger entflammen.
Wenn die Damen unferer Zeit fih über Die Lauheit und
Kälte der Männer beklagen, fo haben fte den hauptfächlichiten
Grund berfelben in der Freiheit zu ſuchen, deren fie felbft
genießen, und das ficherfte Mittel, um feurigere Liebhaber zu
erzielen, würde fein, fie febrten in ihre alte Sclaverei zurüd.
Iſt eS nun nicht zu láugnen, daß die Sitten des fpas
nifchen Adels, wie fie von Calderon gefchildert werben, fet:
neswegs in jener abfoluten Reinheit glänzen, welche ihnen
von mehr enthuftaftifchen als bedächtigen Kritifern zugefchrie-
ben worden tft, fo wird man doch auf der anderen Seite
bie vielen ſchönen und edlen Züge nicht verfennen wollen,
burd die Calderon's Ritter und Frauen unfer Herz gewinnen,
die feine Galanterie, die Neizbarfeit des Zartgefühls, welche
auf ausfchliegliche Liebe dringt und felbft die minbefte Zwei⸗
deutigkeit des Benehmens verdammt, die ftrenge Beobachtung
_ 93 —
jeder Pflicht der Freundſchaft und Dankbarkeit, die bis zum
Tode treue Anbánglidfeit an den angeftammten Herrſcher,
die zarte Schonung gegen den überwunbenen Gegner und
Die aufopfernde Hingebung des Herzend an ben einmal ge:
wählten Gegenftand ber Liebe.
Um ben Lefer nod) unmittelbarer in bie Mitte des fpas
nifchen Lebens, das in diefen Stüden dargeftellt wird, eins
zuführen und zugleich zu zeigen, wie treu bie Sittenſchilde—
rungen in denfelben aus ber Wirfichfeit aufgegriffen find,
fehalten wir hier einige Auszüge aus der fntereffanten , aber
ganz in Vergeffenbeít gerathenen Reife der Gräfin d'Aunoy
nad Spanien ein. Diefe fehreibt in zwei Briefen, batirt Ma⸗
drid den 27. Juni und den 25. Juli 1679, Folgendes:
„Wenn id) dir alle die tragifchen Begebenheiten berich-
ten wollte, von denen ich hier Tag für Tag höre, jo wür⸗
deft bu geftehen, daß Diefes Land ein Schauplag ber fürd)-
terlichften Scenen der Welt ift. Die Liebe, fowohl der Drang,
fie zu befriedigen, als ihre Beftrafung, gibt gemöhnlich bie
Beranlaffung dazu. (ES gibt nichts, ras die Spanier nicht
unternehmen follten, nichts, was ihrem Muthe und ihrer Zürt-
lichkeit unmöglich wäre. Die Eiferſucht iſt ihre herrfchende
Leivenfchaft, aber man behauptet, daß fie dabei weniger von
Liebe, ald von Rachſucht und Sorge für die Unbefledtheit
ihres Namens getrieben werden; daß fie nicht ertragen kön⸗
nen, einen Anderen fich vorgezogen zu fehen, und daß Alles,
was einer Kränkung ähnlich fieht, fle zur Verzweiflung bringt;
wie. fid) dies nun aber auch verhalten mag, es tft gewiß,
Daß die ſpaniſche Nation in diefem Punfte wild und barbas
riſch iſt. Die Frauen find von den Männern wie abgefperrt,
aber fie verfteben es fehr gut, Einladungsbriefchen zu ben
NRendezs Vous zu ſchreiben, die fie geben wollen; die Gefahr
_ 3 —
für fle, für den Liebhaber und für den Boten ift dabei groß,
aber fie wiffen trog ver Gefahr durch ihren Geift und durd
ihr Geld den feinften Argus zu betrügen.
"Die unverheiratheten Männer fteigen Nachts, nachdem
fie von der Promenade im Prabo zurüdgefehrt und eine leichte
Mahlzeit eingenommen, zu Pferde und heißen ihren Diener
hinten aufíígen; das Legtere geſchieht, um ihn nicht zu vers.
lieren, denn da fie in ber dunfelften Nacht ſchnell durch die
Strafen reiten, würde ber Diener unmöglich folgen können;
fie fürchten aber zugleih, daß man fie von hinten angreife,
und der Diener muß deshalb aufpaffen und auf die Verthets
digung feines Herrn bedacht fein; gewöhnlich jedoch ergreifen
die dienftbaren Geifter in folchen Fällen die Flucht, denn fte
find nicht eben tapfer. Diefe nächtlichen Cavalcaden gefchehen
zu Ehren der Damen, und bie fpanifchen Eavalicre würden
diefe Stunde nicht um Alles in ber Welt verfehlen; fie reven
mit ihren Geltebten durch das Sitterfenfter, dringen biswei⸗
len in den Garten ein und ficigen wo möglich in das Zim⸗
mer hinauf. Shre Leivenfchaft ift fo heftig, daß fie jever Ge⸗
fahr Trog bieten; fie wagen fid big in das Gemach, wo
der Gemahl ihrer Angebeteten fchläft, und man hat mir ges
fagt, daß fie fih in biefer Art oft Sabre lang fehen, ohne
daß fie, aus Furcht gehört zu werden, ein Wort fpráden.
„Man hat in Frankreich nte fo zu lieben gewußt, wie bie
Spanier lieben; und was ich, abgefehen von der zürtlichen
Sorgfalt, den Liebespienften und der Hingebung bis in den
Tod (denn der Ehemann und die Verwandten geben feinen
Parton), beſonders unvergfeichlich finde, dag if die Treue und
die Berfehwiegenheit. Man wird rie hören, daß ein Cava⸗
lier fid) ber, ibm von einer Dame gefchenften Gunft rühmen
follte; fie reben von ihrer Geliebten mit fo viel Hochachtung
— 23% —
und Unterwürfigfeit, alg wäre fie ihre Königin. Auch bie
Damen tragen nie Verlangen, einem Anderen, als ihrem
Geliebten, zu gefallen; ihre Seele ift ganz von ihm erfüllt,
und obgleich fie ihn am Tage nicht ſehen, finden fte doch
Mittel, fi) mehrere Stunden mit ihm zu beſchäftigen, fel es,
daß fie an ihn fihreiben, oder mit einer vertrauten Freundin
von ihm reden, oder einen ganzen Tag am Oitterfenfter ſtehen,
un ihn vorübergehen zu fehen. Mit einem Worte, nad) Allen,
mas ich bier gehört habe, möchte ich Spanien für das Ges
burtsland der Liebe halten. — Während nun die Herren bei
ihren Geliebten find, bleiben die Diener in einiger Entfers
nung von dem Haufe bei den Pferden. — Außer den genanns
ten Wegen, auf welchen die Liebenden zu ihren Damen ges
langen, gibt es nod) andere; denn die Damen bejuchen fidy
viel unter einander, und nichts tft ihnen Heichter, als einen
Schleier überzumwerfen, ſich durch die Hinterthür fortzufchleichen,
in eine Sänfte zu fleigen und fich, wohin fie wollen, tragen
zu laffen. Befonders kommt ihnen hierbei zu Hülfe, daß alle
rauen fid gegenfeitig unverletzliche Geheimhaltung gelobt has
ben; welcher Streit auch unter ihnen vorfallen mag, jo Öffnen
fie body) nie den Mund, um einander zu verrathen. Ihre Vers
ſchwiegenheit fann nicht genug gerühmt werben; aber freilich
würden aud die Folgen der Plauderei fehlimmer fein, als
anderswo, da man bier auf den bioßen Verdacht Hin morbet.
Die guten Spanierinnen haben vicl Berfchlagenheit und wiffen
fie gut anzuwenden; denn da jedes Haus eine Hinterthür hat,
fo fónnen fie ungefehen in’s Freie gelangen, und da nun oft.
ein Bruder bei feiner Schwefter, ein Sohn bei feiner Muts
ter, ein Neffe bei feiner Tante wohnt, fo gibt dies vielfache
Gelegenheit, fih zu fehen. Die Liebe ift hier zu Lande finn-
reich, man fpart fein Mittel, um feine Leidenfchaft zu befries
— 238 —
digen, und man bleibt ſeiner Geliebten treu. Es gibt Intri⸗
guen, welche das ganze Leben hindurch dauern, wenngleich
man keine Stunde verloren hat, um ſie zum Schluſſe zu brin⸗
gen; man benutzt jeden Augenblick, und ſobald man ſich ſieht
und gefällt, iſt die Sache richtig. — Es geſchieht bisweilen,
dag eine Dame, in ihren Schleier gehüllt und, um nicht ers
kannt zu werden, ſehr einfach gekleidet, ſich zu Fuß an den
Ort des Stelldicheins begibt. Ein Cavalier verfolgt ſie und
ſucht mit ihr zu ſprechen; durch dieſe Begleitung beläftigt,
wendet fie fid) an einen anteren Borübergehenden unb fügt,
ohne fid) weiter zu erfennen zu geben, zu ihm: ich beſchwöre
Cub, Hindert biefen Zudringlichen, mid) weiter zu verfolgen!
Diefe Bitte ¿ft dem galanten Spanier ein Befehl, er frägt
den, über welchen fie ſich beflagt, warum er die Dame belás
flige, räth ihm, fie in Ruhe gehen zu faffen, und muß, wenn
der Gegner nicht weichen will, das Schwert ziehen; fo endet
die Begegnung bisweilen mit Blutvergießen um eine Dame,
die man nicht fennt. Unterdeffen macht fich die Schöne von
dannen , läßt bie beiden Cavaliere mit einander flreiten und
geht dahin, wo fie erwartet wird. Das Schönfte dabei aber
it, daß oft der Mann over der Bruder felbft die Dame auf
biefe Art vor den Nadftellungen eines Zudringlichen fchüßt,
und ihr behülflich ift, ihrem Geliebten in die Arme zu eilen.
— ES fommt aud) bieweilen vor, daß Jemand, wenn er feine
©elichte auf der Straße trifft und fein eigenes Haus nicht
in der Nähe ift, ohne Weiteres in das Huus eines Anderen
tritt, den er vielleicht gar nicht fennt; er bittet den Haus⸗
herren, Doch gefälligft fein Zimmer zu verlaffen, well er ge:
rade eine, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit zum wie:
geipräch mit einer Dame habe und wirflich entfernt fi dann
der Eigenthúmer deS Haufes, um den Galan mit feiner Ge⸗
ido ed
— 37 —
liebten alleín- zu Taffen. Kurz, man unternimmt felbft das Ver:
wegenfte, um ſich auch nur eine Biertelftunde fehen zu fónnen.
— Ganz Madrid hat das Anfehen eines großen Küfiges,
denn alle Häufer find von unten bis in's oberfte Stodwerf
hinauf mit engen Gittern verfehen, und nicht blog die Zenfter,
fondern auch die Balfone haben welche. Hinter benfelben fieht
man immer die armen Frauen, die nad) den Vorübergehenden
bliden und, wenn fie eS wagen, die Saloufien öffnen. Es
vergeht Feine Nacht, daß nicht in allen Duartieren ber Stabt
vier⸗ oder fünfhundert Concerte gehalten würden. Freilich finden
diefe aber auch ihren Lohn denn, die ſchönſte Dame erhebt ſich
und fühlt ſich glüdlih wie eine Königin, fobalo ein Galan
vor ihrem Fenſter die Harfe oder Guitarre fptelt und mit
heiferer Stimme dazu fingt.“
Dies fft, von dem treuen Pinfel einer Augenzeugin ent⸗
worfen, ein Bild des Lebens und der geſelligen Verhältniſſe,
in deren Kreiſe ſich Calderon's Comedias de capa y espada
bewegen. Eine deutlichere Anfchauung von bem Weſen biefer
Stüde zu geben, möge nun hier zunächſt eine Inhaltsanzeige
von Antes que todo es mi dama, einem der vorzüglichften
derjelben, ftehen. Zwei, fchon von früher her durch innige
Freundſchaft verbundene Ritter, Lifardo und Don Felix, treffen
ſich nach Tanger Trennung unvermuthet in Madrid und theilen
einander ihre jüngften Erlebniffe, vornämlidh ihre Herzens,
angelegenheiten, mit. Don Felix erzählt, wie er in Granada
einen Cavalier, welcher Streit mit ihn angefangen, im Zwei⸗
fampfe tödtlich verwundet habe und hierauf, den Bitten feiner
Vertvandten entfprechend und um ber Juſtiz zu entgehen, nad)
Madrid gereift fet; an legterem Drte habe er ein reizendes:
Mädchen erblidtt, das feinen Huldigungen freundlich entgegen-
fomme und deſſen Befig allein fein Lebensglüf begründen
— 28 —
fónne. Lifarbo vertraut dem Freunde ein ganz ähnliches Mebes«
verhaͤltniß, in welchem er feit Kurzem mit einer anderen Dame:
ftebe, und Beide gehen barm ab, Jeder feinem Glücke nad. —
Mir werden zu Laura, der Geliebten des Don Fellx verfegt.
Der Vater derfelben, Don Sitigo, wird eben durch einen Brief
aus Granada überrafcht, in welchem tm Don Zelte von einem
Sugendfreunbe auf's dringenbfle empfohlen wird; er eilt fort,
um ben &mpfohlenen aufzuſuchen; Lanra aber empfängt durch
einen Diener ein Geſchenk ihres Geliebten, eine Schärpe, welche
er fie zu feinem Andenken zu tragen bittet; würde fie diefe
Schärpe fogleih anlegen, fo fürdtet fie, die Aufmerffamfeit
ihres Vaters zu erregen; fie fenbet biefelbe daher an ihre
Freundin Klara, um fte fpäter fcheinbar von biefer ale Ges
ſchenk annehmen zu fónmen. Clara nun fft die Gelichte des
Sifardo und Legterer flieht fie mit der Schärpe geſchmückt, Die
er früher in Händen bes Don Felix erblidt hat; fogleich ents
bremnt feine Eiferfucht, er madjt der Gelichten den Vorwurf
der Untreue und eilt zu Don Feltx, ihm mitzutheilen, daß fie
Beide ihr Auge auf diefelbe Dame geworfen hätten. ES tritt
eine peinliche Srrung ein; um fie zu Iöfen, fchlägt Felix vor,
gemeinfchaftlich zu Elara zu geben; erft hier Töft fid) denn der
Irrthum; Laura und Clara find gerade beifammen, jeder ber
Freunde erfennt feine Geliebte und hört aus Ihrem Munde
den Hergang mit der Schärpe; aber während fie fid noch
der Enttäuſchung freuen, berichtet eine Dienerin, Elara'8 Bru.
der lange eben aus Granada an; es hilft daher nichts, fie
müſſen fih aus Rückſicht für bie Damen verfteden. — Im
zweiten Aft erzählt Lifardo feinem Diener, dem Spafimadyer,
wie fein Freund und er ber fritifchen Lage in ber verganges
nen Nacht glücklich entkommen feien; während er hiervon rebet,
tritt Laura'8 Vater ein unb fragt nad Don Felix; Lifardo
— 239 —
glanbt, fein Freund werde von bem Alten wegen der Befuche
bei feiner Tochter zur Rede geftellt werben, will bemfelben
biefen Berbruß erfparen, und gibt fid) deßhalb für Don Felix
aus; aber Iñigo drüdt ihm auf's zärtlichfte die Hand, fagt,
wie der Vater des Don Felix ihm aus Granada Sorge für
ben Sohn anempfohlen habe, und bietet ihm feine Dienfte an.
Lifardo fann nun nicht mehr zurück und muß in ber einmal
angenommenen Rolle beharren. Nachdem ber Alte fich entfernt
bat, tritt der wahre Don Felix auf; Lifardo erzählt fhm ben
in befter Abficht gefpielten Betrug, aber der Freund hört wenig
darauf, denn er hat eben ein Billet erhalten, worin ihn Laura
zu einem heimlichen Befuche bei ihr auffordert; eine gleiche
Einladung erhält Liſardo von Clara, und Beine benfen nun
nur an ihr bevorfiehendes Glück. Gn der nächften Scene treten
Clara und ihr aus Granada zurüdgefehrter Bruder Antonio
anf. Antonio hat Laura erblictt und fogleich eine Tebhafte Neis
gung zu ihr gefaßt; er erbittet fid) deshalb von der Schweiter
einen Auftrag an die Freundin, um fo Gelegenheit zu erhals
ten, Laura näher fennen zu lernen. Hierauf werden Die Zus
ſchauer Zeugen des nächtlichen Zwiegeſprächs zwifchen Laura
und Felix; Die Liebenden werden durch ben Eintritt des Don
Antonio unterbrochen, weldyer den Auftrag feiner Schweſter
überbringt; Selle muß fidh, auf den Wunſch ber Geliebten,
verbergen; aus feinem Verſteck erfennt er, daß Don Antonio
jener Ritter ift, den er in Granada im Zweilampfe vermuns
det hat; wenn ſchon diefe Entdedung ihn aufregt, fo vermag
er fic, alg er Zeuge der Zubringlichfeit des Beſuchers wird,
nicht länger ‚zu mäßigen; er tritt mit gezüdtem Schwerte hers
vor, und eben freuzen fich die Schwerter, alg Iñigo's Ankunft
gemeldet wird. Felix muß ſich nun wieder verbergen, Antonio
aber entſchuldigt feine Anweſenheit mit Clara's Anftrage und
— MO —
zieht fido zurück. Sfilgo erzählt feiner Todter, wie er die
Befanntfchaft des Don Felix gemacht habe, wie fehr er von
berfelben befriedigt fei und wie er die Abficht babe, ihm
Wohnung in feinem Haufe anzubieten. Ploglid) hört man Ges
räufch im Nebenzimmer; Der Alte will nachfehen mas es fei;
Laura tft in tödtlicher Angft, fie denkt, Felix fei nod) dort vers
borgen und erflärt dem Vater, um fid) aus der Verlegenbeit
zu ziehen, fie fet im Geheimen mit diefem verlobt. Iñigo if
zwar überrafcht, aber, weil er fid) feinen Tieberen Schwieger>
fohn wünſcht, nicht erzürnt. Er holt daher den Berborgenen
aus feinem Verſteck; aber wie groß tft Laura'$ Erftaunen ale
fie Lifardo hervortreten fieht; Felix nämlich Hat fid mit Hülfe
der Zofe durch eine Hinterthür entfernt, Lifardo aber, der bei
Clara zum Befuche war, ¿ft von dort, wo ihn der rüdfehrende
Don Antonio vertrieben, in Iñigo's Haus geflüchtet, wo er
fid) an derfelben Stelle verborgen hat, an melder fi zuvor
Felix befand. Laura ift natürlich im höchften Grade befrembet,
noch mehr aber, al8 ihr Vater den Lifardo mit bem Namen
Felix anredet und von ihm verlangt, er folle der Tochter augen»
blicklich als Oatte bie Hand reichen. In biefem Moment hört
man Schwertergeflivr auf der Straße und die Stimmen bes
Don Antonio und des Don Felir, die im Gtreite begriffen
find, dazwifchen erſchallt der Hülferuf Elara?'8 „man tóbtet
meinen Bruder!“ Lifarbo zweifelt einen Augenblid, auf weffen
Seite er fid ſchlagen folle, da ihn Freund und Geliebte zur
felben Zeit rufen, ¿ulegt aber eilt er mit bem Rufe ab: „über
Alles meine Dame!” — Gm dritten Aft fehen wir Lifardo
und Felix in ihre Wohnung zurüdgefehrt; der nächtliche Zwei⸗
kampf iſt durch die Dazwifchenfunft Anderer unterbrochen
worden, und fie berathen nun, was nach den Statt gehabten
Vorgängen in ihrer Tage zu thun fei. Plöglih wird Don
———— —
— 241 —
Sfiigo gemeldet; Liſardo, als ber angebliche Don Felix, muß
fi) verbergen, und Don Felix empfängt den Alten, indem er
vorgibt, fein Freund fei ausgegangen; Sítigo tft hierüber fehr
befremdet und trägt dem Don Felix auf, feinem Freunde zu
fagen, wie er fiher erwarte, daß er feiner Tochter fofort bie
Hand reiche, wo nicht, fo fónne nur fein Blut ihm Genugs
thuung verfchaffen. felix verfpricht, den Auftrag auszurichten,
der Alte geht ab und die Freunde verabreden daß Li
fardo fid) eine geheime Zufammenfunft mit Laura'8 Vater ers
bitten und ihm die ganze Täuſchung entveden folle. Zftigo,
argwöhniſch und fon auf einen Kampf gefaßt, findet ſich,
in Geſellſchaft des Don Antonio, an ber beftimmten Stelle
ein; Rifardo erzählt ihm nun, daß er nit Don Felix fei und
unter welchen Umftänven er dazu gefommen, fich deffen Namen
bejzulegen; er erzählt ferner‘, daß er fih bei Clara zum
Befud) befunden habe und wie er von dort in Iñigo's Woh⸗
nung geflohen fei; aber der Alte brauft auf und findet in jener
Täuſchung eine Beleidigung; aud) Antonio zieht fein Schwert,
um Lifardo wegen bes heimlichen Befuches bei feiner Schwefter
zu züchtigen; Felix, welcher im Verborgnen Zufchauer ber
Scene gerejen ift, tritt hervor, um dem freunde beizufteben;
ber fid) entipinnende Kampf wird aber durch das Hinzufom-
men vieler Leute unterbrochen und die Rämpfenden werden
auseinandergefprengt. Felix bleibt allein auf der Bühne; ein
Diener berichtet ihm, Lilardo befinde fih im Rampfe mit
Häſchern; Felíx will hinwegeilen, um bem Freunde beizu⸗
ftehen; in diefem Augenblid aber tritt Dofta Clara auf und
bittet ihn um feinen Schuß, ihr Bruder drohe ihr wegen ber
nädtlihen Zufammenfunft ınit Lifardo mit dem Tode; er
ſchwankt zwifchen ber Pflicht gegen den Freund und gegen
die Dame, ald Don Antonio auftritt und Elara'8 Schleier
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Bo, 16
— Al —
zu lüften begehrt; Felix darf dies nad) dem Debote der Ritter
pflicht nicht zugeben, und die Schwerter werden wieder ges
zogen; ba aber vernimmt er aus Iñigo's Wohnung Hülfe
rufe Laura'8, die von ihrem erzürnten Vater mit dem Dolce
bedroht wird, und eilt hinweg, mit ven Worten: „Ich weiß
wohl, fchöne Klara, daß es meine Pflicht if, Euch meinen
Schuß zu verleihen; ich weiß wohl, Don Antonio, daß td
gebunden bin, Eud in diefem Streite nicht den Rüden zu
fehren; ich weiß wohl, Liſardo, daß bu mein Freund bift und
daß ich dir beifteben muß; aber Freund, Feind und Schuß
befoplene, Alle mögen mir verzeihen, denn äber Alles gebt
meine Dame!” Nun eilt Lifardo herbei und nimmt bie bes
drängte Elara in feinen Schug, indem er erflärt, er fei ihr
Gatte. Gleich darauf führt Felix Laura heran; Zfiigo verfolgt
fie mit gezüdtem Schwert, indem er ruft: „Niemand foll
meine Tochter entführen, als ihr Gattel Wie, Lifardo, She
fónnt ruhig ¿ufepen, daß ein Anderer mit ber Euch beftimm-
ten Braut von dannen geht?” Liſardo. Sa, denn Don Felix
iſt ihr Batte und mein Freund. Felix. Und er wirft fich hier
zu Euren Süßen. Seid verfidhert, daß ich Don Felix bin und
daß Laura die Urfache war, wegen deren Lifarbo meinen Nas
men annahm. Jñigo. Aber fand id) ihn nicht in meinem
Haufe? Felix. Wenn id) Laura's Gatte bin, fo geht bas
Niemanden an, alg mid). Lifardo. Und nun, da Clara ihre
Hand in meine legt, fehlt nichts mehr, als daß Felix und
Antonio ſich verfühnen. "
Die große Complication bes Plans in ben meiſten dies
fer Stüde macht eS uns unmöglih, auf den Snhalt von
mehreren derfelben näher einzugehen, da biefer nicht anders
als durch ſehr weitläuftige Auseinanderfegungen deutlich ges
— A3 —
macht werden fam. Wir begnügen uns defhalb mit einigen
Andeutungen:
Die Luftfpiele Casa con dos puertas, la Dama duen-
- de, el escondido y la tapada, el encanto sin encanto
‘haben das gemeinfam, daß in ihnen eine ungewöhnliche mes
chaniſche Vorrichtung, in dem erften ein doppelter Eingang,
- tn dem zweiten eine geheime Thür, in den beiden anderen
ein Berfchlag oder ein verborgenes Gemach als Urſache mans
nichfaltiger Täuſchungen und alg Hebel ber überrafchenpften
Situationen benugt ifl. Casa con dos puertas zeichnet ſich
durd die unendlihe Gewandtheit aus, mit weldher aus einem
einfachen Motive eine beinahe unentwirrbar fcheinende und
dennod) flare Handlung entfpöonnen wird. La dama duende
íft Durch die Feinheit und Stnnigfeit der Intrigue und bas
neben durd) die hohe Anmuth, die jede Scene erfüllt, eins
der beliebteften unter Calderon’d Werfen gervorden. In El es-
condido y la tapada zeigt fic) das eminente Talent bes Vers
faffers, die Handlung ftet8 neu zu wenden, das Intereſſe
beftändig in Gährung zu erhalten und bem Zuſchauer derges
ftalt voranzueilen, daß ihm der behendefte Scharffinn Faum
zu folgen vermag, im glánzenbften Lichte; wollte man an
einem Beifpiele zeigen, wie weit die fpanifche Comödie in ber
Kunft der Verwvictelung Alles hinter ſich läßt, was von den
Dichtern anderer Nationen in diefer Hinfiht geleiftet worden,
fo dürfte ſich dieſes Stück vorzüglid dazu eignen. Sn El
encanto sin encanto hat Calderon, wie fon gejagt, einen
Plan des Tirfo de Molina benuge, aber wir müffen mit
aller Achtung für den Namen des berühmteren Dichter be-
fennen, daß er uns bier weit hinter feinem Vorbilde zus
rüdgeblieben zu fein fcheint. — Peor está que estava tft
Dagegen wiederum ein reizendes und trefflich componirtes Stüd;
16*
— 24 —
wie ber Titel befagt, wirb die Lage ber handelnden Perfonen
vom Beginn der Verividelung an immer verlegener und
ſchlimmer, von ber erften Scene bis zur Auflöfung haben
wir eine ununterbrochene Reihe von fpannenden und fteté
verfchiedenen Situationen, und dabei iſt Alles DIS in die Fleins
ften Einzelheiten hinein trefflid) motivirt. — Mejor está que
estava, ein Gegenftüd des vorigen, in Bezug auf bie äußere
Handlung minder reich bedacht, aber in den Empfindungen
und Gedanken voll poetifcher Frifche und jugendlichen Feuers.
— Los empeños de un acaso; bier wird, wie fchon ber
Titel verheißt, der Zufall ret abfichtlich zum Hebel ber
Action gemacht; die Combinationen, die Begebenheiten, die
Refultate, die fih am ihn fniipfen, find fo mannidfaltig, fo
finnreidh herbeigeführt und zu einem fo engen Knoten vers
fihürzt, daß die Begier, zu fehen, wie der Dichter alle von
ihm gehäuften Schwierigfeiten löfen werde, bem Lefer und
Hörer fon allein hinreichende Befriedigung gewährt und
feine Theilnahme feinen Augenblid ermatten láft. — Das»
felbe gilt von Bien vengas mal si vienes solo, von weldem
Stüde die Orándlage ber Intrígue mit wenigen Worten an
gedeutet werden möge: D. Luis fommt cines Abends über
einen Zweifampf zu, welcher vor feinem Haufe Statt hat und
in welchem der Eine der beiden Streitenden tödtlich getroffen
zu Boden flürzt. Der Sieger eilt mit ſchleunigen Schritten
von dannen, und D. Luis fucht vergebens ihn einzuholen, ers
tappt aber den Diener, von dem er das Geftänpniß erpreßt,
der Entflobene fei ein gewilfer D. Juan, der in einem Lies
besverfländnif mit Doña María, der Schwefter des D. Luis,
ſtehe. Die nächſte Scene zeigt uns eine Doña Anna, welche
mit einem Di Diego verlobt ift, aber auch von D. Luis ges
Lebt wird und biefen nod) mit einigen Hoffnungen pinhält.
— 245 —
‚Zu ihre kommt María und überbringt ihr ein Bilonif D.
Suan’s, mit der Bitte, daffelbe aufzubewahren, weit fie feloft
bedacht fein müffe, es vor dem Argwohn ihres Bruders zu
verbergen. D. Diego findet dies Bildniß bei feiner Verlobten
und wird dadurch zu wüthender Eiferfucht erregt; Don Juan,
von der Juftíz wegen des vollbrachten Mordes verfolgt, bittet
Mariens Vater, der mit dem feinigen befreundet tft, ihm
eine Freiftatt in feinem Haufe zu gewähren, und wird, um
. befto ficherer unentbedt zu bleiben, in ein verborgenes Ges
mad) verfiedt; nun iſt aber D. Diego ein Berwandter bed
Ermorbeten und muß auf Rache an dem Mórber finnen; ale
anderer Friedensftörer erfcheint dann noch D. Luis mit feiner
Eiferfuht auf Diego und mit feinem Argmohn gegen feine
Schweſter und auf D. Juan, — kurz, der ftreitenden Mächte,
die fidh in bemfelben Haufe zufammen treffen, find fo viele,
daf man faum hoffen fann, fie bewältigt zu fehen, aber ber
Meifter in der Verwickelungskunſt weiß alle Fäden fo zu führen,
daß fie fi) gerade da, wo fie zum vermorrenften Knduel vers
ſchlungen zu fein fcheinen, plöglich auf8 ungesmungenfte und
befriedigendfte auflöfen.
Alle pie bisher genannten Comödien fónnen ale Intri⸗
guen= oder vielmehr Verwickelungsftücke im eminenteften Sinne
angefeben werven,. bas heißt als foldhe, in welchen äußere
ungewöhnliche Umflände und Situationen die Hauptfactoren
find und aller Accent auf die Intereffante Handlung fällt, fo
daß zu größerer Complication des Inhalts aud bem Zufall
ein bedeutender Spielraum geftattet wird, die Entwickelung
ber Charaktere dagegen ganz in ben Hintergrund mitt. Dies .
felben Elemente haben wir noch ganz ungemifiht in Fuego
de Dios en el querer bien, Cada uno para si, Con
— 6 —
quien vengo vengo, Tambien hay duelo en las damas,
El maestro de danzar.
MIS eigentliche Poffen find zu bezeichnen El Astrologo
fingido und No hay burlas con el amor. jenes tft ein
Scherzſpiel voll des foftlidften Spafes und ergöglicher Situa⸗
tionen; indeffen verdiente der Stoff wohl faum, zu einer
breíaftigen Comödie ausgearbeitet zu werben und würbe ſich
bei mehr concentrirter Komik beffer ale Entremes ausnehmen.
In No hay burlas con el amor íft das Bild einer geziers
ten und mit ihrer höheren Bildung prablenden Dame mit
unvergleihliher Kraft der Komik ausgeführt, und ebenfo
die Intrigue, wie ein junger Mann, der eigentlich ihre
Schweſter Tiebt, aber die Gegenbeftrebungen ber eitlen Närrin
zu fürchten pat, ſich nun in die Legtere verliebt ftellt, in ges
ſchraubten Phrafen mit ihr redet und auf diefe Art feine
wahre Neigung zum erwünfchten Ziele fördert. — Nahe Vers
wandtſchaft mit den leptgenannten Stüden zeigt Hombre po-
bre todo es trazas, ein Luftfpiel, welches B. Schmidt tref-
fend dharacterifirt, inden er an den Lazaríllo de Tormes
und Guzman de Alfarache erinnert; in der That hat der Held
Manches mit jenen degenklirrenden und zwickelbartſtreichen⸗
den Induftrieríttern gemein, welche in ben genannten picarts
fhen Romanen geſchildert werden; es muß jſedoch hinzugefügt
werden, daß Calderon es verſchmäht, in ben Schlamm hinab»
zufteigen, in dem Mendoza und Aleman fidh oft wohlbehäglich
wälzen, und daß er Sitten und Charaktere durchgehends vers
evelt hat.
Sn Guardate del agua mansa fft nicht allein bie
Intrigue mit unendlicher Kunft eingeleitet und entwidelt, fons
dern aud die Charakterzeichnung von feltener Feinheit und
Bortrefflichfeit. Don Alonzo Pat zwei Töchter, die feit dem
— AU —
Tode Ihrer Mutter in einem Rlofter erzogen worden find
und ihren bisherigen Aufentbalt erft verlaffen, alg ihr Vater
aus Merico nad Madrid zurüdfehrt. Clara, das ältefte der
beiden Mädchen, trägt einen ruhigen und ftillen Charakter
zur Schau, und fagt, fie fehne ſich in bie Stille des Klofters
zurück; Eugenia, die jüngere, dagegen tft munter und ausge
laffen und gefällt fih in ber großen Welt, weshalb der Vater
befchließt, fie zuerft zu verbeiratben. ES finden fich verfchles
bene Freier ein, unter anderen ein einfältiger und tölpelhufs
ter Landjunter aus Afturten, Namens Torribio, welcher von
beiden Mädchen beftändig gefoppt wird. Während Elara ihrer
Schweſter Vorwürfe über deren Ausgelaffenheit macht, fpinnt
fie felbft eine der fchlaueften Intriguen an, indem fie fido für
Engenten ausgibt und den diefer beftimmten Mann in ihren
NRegen fängt, ja ihre eigene Dueña betrügt und zur Mit
helferin des Plans macht. Am Schluffe ſtellt fich denn heraus,
daß die lebhafte und weltlih gefinnte Eugenia in ihren Lies
besangelegenheiten nicht vorgerüdt tft, während die fille und
verſchloſſene Elara ihr ihren Bewerber abfpenftig gemacht hat.
Köſtlich und mit unvergleidlider komiſcher Kraft gezeichnet
tft in dieſem Luftfpiel die Figur des ungefchlachten und bäus
rifhen Torribio; das Stüd erhält durch dieſe Caricatur einige
Verwandtſchaft mit den fogenannten Comedias de Figuron.
Mañanas de Abril y de Mayo. Eine Comödie, welche
in Geift und Ton ber vorhergehenden fehr ähnelt und ſich
gleich ihr durch die ſcharfe Eonderung der Charaftere aus»
zeichnet; das Gegenſtück zu Torribio fft hier der prahlerifche
und eingebilbete Stuper Hyppolitoz doch iſt Calderon nte tn
den rohen und poffenbaften Styl verfallen, der die Figurir⸗
ſtücke mancher anderen Dichter fo unleiblid) macht; aud find
die caricaturartigen figuren bei ihm nie die Hauptträger
— 248 —
des ntereffe , fondern nur Bette fir andere eble Char
raftere.
No siempre lo peor es cierto wird feinem Perforal:
mb feinen äußeren Umriffen nad zu den Comedias de capa
y espada gerechnet worden fein, allein fein ernfterer, ſelbſt
an’s Sentimentale ftreifender Ton und Inbalt heben es fehr
mertlid) aus ben übrigen diefer Klaffe hervor. Don Carlos,
Liebhaber ber Leonor be Para, hat bei Nacht im Zimmer
feiner Geliebten einen Mann gefunden, ben er irriger Weiſe,
aber unter fehr verdächtigen Umftänden, für feinen Nebenbubs
ler hielt und nieverflich. Um Leonor’s Ehre zu retten, führt
er fie mit fi fort und leiht ihr jeinen Schub, obgleich er
fie für ſchuldig hält und den Betheuerungen ihrer Unſchuld
fein Gehör fchenfen will. Ein Zufammentreffen vieler Um⸗
flände und eine mit großer Sunft in die Haupthandlung vers
flochtene Nebenaction dient nun dazu, Carlos immer mehr
in feinem Verdacht zu beftärfen und fogar die Zufchauer zwei⸗
felbaft zu machen, bis zulegt die Wahrheit an den Tag kommt
und Carlos fich überzeugt, daß Leonor ihn immer treu geliebt
pat. Wenn in diefem Drama fon bie mit erftaunlicher Feins
heit angelegte Berwidelung zu bewundern tft, fo befteht ber
Hauptgehalt deffelben doc in den mit großer Wärme aufges
faßten und liebevoll ausgemalten Charafteren des D. Carlos
und ber Leonor; Sener mit feinen edlen unb großberzigen
Gefinnungen, und gerade burd) biefen Adel der Seele zu
einem ungerechten Verdacht getrieben, Leonor aber mit ihrer
Sanftınuth und wandellofen Anhänglichfeit an den, der fie
fo fehr verfennt — Diele beiden Geftalten nehmen bie di
nahme aufs lebhaftefte In Anfprud).
Mañana será otro dia, ein Seitenftüdf ves vorigen.
„Wenn jenes lehrt — fagt V. Schmidt — wie. die göttliche
e
— 29 —
Natur des Weibes, von ungerechtem Verdacht gefränft, eben
erft recht ihren Glanz erfcheinen Täßt, und deshalb dort Levs
ñor fchon glei im Anfang als Tiebend und burdy die Liebe
unglücklich auftritt, fo fehen wir bier dagegen die nod) uns
reife Knospe, die vor unferen Augen fi entfaltet und in
Duft und Farbenpradit vor der Sonne der Liebe ſchimmert.
Zwifchen Schwertergeklirr und Schmach, ber der Tod auf
der Stelle bei Calderon's edlen Spaniern folgen muß, waͤchft
dieſe Föftliche Liebe ves Weibes, die nichts feheut, alg ben
Verluſt des Geliebten, und deren dann ein gütiger Bott ſich
mild erbarmt.“ Ä
An die lebtgenamiten ſchließen ſich theils in bem vors
waltenden Ernft des Tond und Snhalts, theils in ber bedeu⸗
tender hervortretenden Charakteriftit no: No hay cosa co-
mo callar, Primero soy yo, Cual es mayor perfeccion,
La desdicha de la voz, Dar tiempo al: tiempo. Diefe
Comödien, welche fämmtlich den reiferen Jahren bes Did)
ter8 angehören, haben durch die Reinheit des Styls und durd)
die größere Sorgfalt, welche ber Geſtaltenzeichnung gewidmet
ift, unftreitig einen Borzug vor feinen früheren Werfen diefer
Gattung; dagegen erfcheint die jugendliche Friſche und Leben:
digkeit jener, unſeres Bedünkens, hier etwas geſchwächt,
und man könnte ſtellenweiſe fogar über eine gewiſſe Mattig⸗
keit und manierirte Wiederholung von ſchon vielfach abgenutz⸗
ten Motiven klagen.
Sm Fade der Comedias burlescas hat Calderon nur
ein einziges Stück gedichtet, námlid Céfalo y Procris, eine
Parodie feined eigenen Zelos aun del aire matan. Diefe
Burlesfe ift voll Föftlihen Humors, ein Timmelplag bes
ausgelaffenften Scherzes und befonbers baburd) von umver-
gleichlicher komiſcher Wirkung, daß der tollfte Spaß, ja das
ed
_ 250 —
Abſurdeſte in einem feierlichen, pathetiſchen Tone und in den
eleganteſten Verſen vorgetragen wird. ES tft bas einzige Lufts
ſpiel Calderon's, in welchem er zur Verſtaͤrkung der Komik
ſogar das Derbe und Gemeine nicht verſchmäbt; in übermü⸗
thiger Laune kehrt er das Unterſte nach oben und ſcheint ſich
ſelbſt, die ganze Welt und ſein eigenes Werk zu verſpotten.
Alle Augenblicke fallen die Schauſpieler aus den Rollen; eine
griechiſche Dame z B. ſoll ihre Herkunft erzählen, aber fie
vergißt ſich und ſagt: „Ich bin die Tochter des Luis Lopez
und mein Name iſt Maria.“ Der Prinz Roſikler kommt auf
einem Füllen herangeritten, einen ungeheuren Schuh in der
Hand haltend, und durchirrt die Welt, um die Dame aufzu⸗
finden, welcher dieſer Schuh gehören mag. Von dem burles⸗
ken Ton der Sprache kann Folgendes einen Begriff geben.
Der König redet ſeine verſammelten Vaſallen an:
Vasallos, deudos y amigos,
Cuya lealtad y virtud
Canta el sol por fa, mi, re,
La fama por ce, fa, ut;
lustre nobleza y plebe,
Que al brindis de mi salud
Agotárades ahora
Aun la cuba de Sahagun:
Ya sabeis, que yo inclinado
Fui desde mi juventud
A las letras, estudiando
Todo el ban, ben, bin, bon, buno,
Hasta el arte de Nebrija
Y las tablas del Talmud.
Cephalus bricht, nachdem er feine geltebte Procri8 mit
dem Jagdfpeer getödtet, in folgende Worte aus:
—
— 31 —
Republica celestial,
Aves, peces, fieras, hombres,
Montes, riscos, pefias, mar,
Plantas, flores, yerbas, prados,
Venid todos á llorar!
Coches, albardas, pollinos,
Con todo vivo animal,
Pavos, perdices, gallinas,
Morcillas, manos, cuajar,
Prócris murió! Decid pues:
Su moño descanse en paz!
Sm Obigen find, bald mit Ausführlichkeit, bald flüch⸗
tiger, ſämmtliche von Calderon herrührende Comödien erwähnt
worden; in Bezug auf diejenigen, welche entſchieden fälſchlich
auf feinen Ramen gefhrieben worden find, oder deren Aecht⸗
heit doch wenigſtens fehr problematifh erfcheint, fo wie in
Bezug auf die Sainetes und Loas vermeifen wir auf
den Anhang zu diefem Artikel. Hier ift zunächſt noch von
Autos Sacramentales zu handeln.
Calderon's Autos find nad dem Urtheil feiner Zeitge:
noffen diejenigen Werfe, auf welche ſich fein höchfter Dich»
terrufm gründet. „Wo — fagt ber ſchon angeführte Manuel
Guerra — dieſer eminente Mann zum allgemeinen Erftaunen
fic felbft übertroffen, das war in den Autos Sacramenta-
les.. Die Andacht feines Geiſtes entzúndete ihm bas Gemüth,
und bie Rede, entflammt im bingeriffenen Fluge, ſchwang
fi) wie der Adler des Hefefiel über feine Genoffen und ihn
felbft empor. Seine Erfindungen find fo göttlich, die Gedan-
fen fo ſchön, die Ausfhmüdungen fo prächtig, bie Moralis
täten fo verſchmolzen, die Lehrfäge fo geſchmackvoll, Vernunft
und Glaube fo fanft verwoben, und das Nutzbare iſt dem
— 25 —
Schönen fo freundlich gefellt, daß zugleich ber Berfland in
Bewunderung und bas Herz in Flammen gefegt wird. Die
Seelen fehren vol Liebe und Andacht zuräd, erfreut und
zerfnirfcht, ergäßt und befeuert, und indem er bem Ohre lieb»
toft, flößt er heilige Ebrfurdt vor bem Saframente ein.”
Die Nachwelt fann nicht umhin-, die Bewunderung des
fiebzehnten Jahrhunderts für diefe Dichtungen zu theilen, fos
bald fie nur Selbſtverläugnung genug befigt, um fih aus
dem fo ganz verſchiedenen Speenfreife des Tages in bie Welts
anſchauung und die Vorftellungéreifen zu verfegen, aus denen
die ganze Gattung von Dramen hervorgegangen iſt. Der,
welcher fih auf diefe Art in ben Beift eines vergangenen
Jahrhunderts zu vertiefen vermag, wird die Wundergebilbe
von Calberon'3 Autos etwa mit benfelben Empfindungen vor
fih auffteigen fepen, mit denen ein Seher, dad Auge mit
meittragendem Rohre bewaffnet, ferne Himmelsräume durchs
fliegt, in denen fih bie Milchſtraßen zu Sonnen zertheilen
und aus der Dámmernden Tiefe des AUS neue Welten von
ungeabntem Glanze emportauchen. Oder wählen wir ein ans
deres Sleichnif, fo mag ihm zu Sinne werben, wie dem
Seefahrer, wenn er die weite Waſſerwüſte burchfchritten und
nun ein neusd Erdreich betritt, das ihn mit unbefannten und
wunderbaren Geftalten umgibt, in ben Braufen feiner Ries
fenwälder und Ströme mit geheimnißvollen Rlángen zu ihm
redet und wo in einer anderen Natur andere Gattungen von
Weſen ihn mit fremden Blicken anfchauen. In der That, wie
ein folches Reich der Wunder umfangen uns biefe Dichtungen.
Ein Tempel thut fid) vor uns auf, in beffen Bau, wie in
tem Gralstempel des Titurel, fid) Das ewige Wort finnbilds
lich geftaltet hat. Bei'm Eintritt weht cg uns entgegen, wie
ein Geiſterhauch der Ewigkeit, und eine heilige Mergenrótbe,
— 9253 —
wie vom Glanze der Gottheit, wallt durch ben hehren
Raum. Im Mittelpunfte ragt, ald Centrum alles Seins unb
aller Gefchichte, das Kreuz, an dem fi ber unendliche Geift
feloft in unendlidher Huld für die Menfchheit geopfert hat.
Am Fuße des hohen Symboles aber fteht der Dichter als
Hierophant und Prophet und deutet die Bilder an den Wän-
den und die ftumme Rede der Ranfen und Blüthen, die fid)
an den Säulen emporfchlängeln, und die Töne, die flangs
reich vom Gewölbe hernieverrinnen. Er ſchwingt ben Stab
und die Hallen des Tempels dehnen fih aus in's Unermefs
liche; ein Säulengang führt durch die Jahrhunderte und Jahr⸗
taufende hindurch bis zur bámmergrauen Vergangenheit, da
zuerft der Duell bes Lebens aufraufchte und die Sonnen und
Sterne, dem Schoofe des Nichts entftiegen, ihren Lauf be:
gannen; und ber begeifterte Seher enthüllt das Geheimniß
der Schöpfung und zeigt und ben Haud Oottes über dem
Chaos hrütend, die Ervenfefte von den Gewäſſern trennend,
- dem Monde und den Geſtirnen ihre Bahnen anmweifend und
den Elementen befehfend, wie fie fid) fliehen und fuchen follen.
Wir fühlen und umivallt von bem Flügelſchlage des Welts
geifted und hören die Subelchöre Der neugebornen Sonnen,
wie fie feiernd auf ihren Bahnen einherzicehen und den Ruhm
des Ewigen verfünden. Von der Dämmernadt an, die ben
Urfprung aller Dinge verhüllt, fehen wir dann den Zug ber
Bölfer dur die aufblühenden und hinwelkenden Gefchlechter
der Menfchen hindurch jenem Sterne folgen, ber die Weifen
aus dem Morgenlande Teitete, und ber Stelle ber Verheißung
entgegenpilgern; nad) vorwärts aber liegt, vom Olanze ber
Erfófung und Berföhnung überftrahlt, die Zufunft mit ihren
nod) ungeborenen Generationen. Und der heilige Dichter weift
— 254 —
rings umber in's Oránzentofe, burd) die Echranfen ber Zeit
in bie Ewmigfeit hinaus, zeigt die Beziehungen alles Geſchaf⸗
fenen und Ungefchaffenen zu dem Symbol der Gnade und
wie alle Bölfer andachtsvoll zu ihm emporſchauen; das Welt:
all in feiner taufendfachen Erfcheinung wird mit bem Chore
aller feiner Stimmen ein Palm zum reife des wunderbar
Herrlihen ; Himmel und Erbe legen ihre Gaben vor ihm
nieder, bie Sterne, „die nie welfenden Blumen des Himmels”,
und die Blüthen, „die vergángliden Sterne ber Erde“, müfs
fen ihm huldigen; ber Tag und vie Nacht, das Licht und.
die Finfternif liegen anbetend vor ihm im Staube, und der
Menfchengeift öffnet feine verborgenften Schadhten, um alle
feine Gedanfen und Gefühle in ver Anfchauung des Unend⸗
lichen zu verflüren.
Dies der Geift, der aus Calderon's Autos demjenigen
entgegenweht, ber fie in dem Sinne aufzufaffen weiß, in
welchem der Dichter fie gab. Aber auch der fáltere Kritifer
wird in vielfacher Rückſicht feine Bewunderung nid)t verfagen
fónnen. Er mag fih — und wir wollen es ihn nicht vers
argen — von manchen allzu Fühnen Wagniffen befrembet fehen,
er mag die ganze Gattung, zu welcher die Autos gehören, in
ihrer feltfamen Miſchung von Dichtung, Scholaftif und Theo:
fophie, für eine ercenteifepe Ausgeburt der Poefie halten,
aber er wird der ımendlichen Kunft, mit welcher dieſe petes
rogenen Elemente bewältigt und mit einander verſchmolzen
find, feine Anerfennung ¿ollen müffen. Jn der That erfcheint
die Meifterjchaft Calderon's in der Compofition bei ben Aus
tog wegen ber ungleich größeren Schwierigfeit, die fid) hier
darbot, nod unendlich bewundernswerther, alg bei den Cos
mödien, und auch feine Dichtergabe zeigt ſich in nod) reis
nerem Glanze, infofern die einzelnen leen, die feine
= 255 —
weltlichen Schaufpfele hier und da entftellen, die Ueberfülle
und den Schwulft der Rede hier verfchwinden und einer ein
fad)sflaren, der Erhabenheit bes Gegenftandes angemeffenen
Darftellung weichen. Die Bilderpraht [ft mit Weisheit ges
regelt und dem leitenden Gedanken untergeordnet und feín
byperbolifcher Wortſchwall thut der Harmonie der Idee unb
des Ausdruds Abbrud). Calberon'3 in Andacht dem Himmel
zugewandter Geiſt fcheint alle feine Kräfte in einem Brenn
punft concentrirt zu haben, um in den Autos das Höchfte zu
geben, was er zu leiften vermochte. So erfcheint es denn
bewundernswerth, wie in diefen Gedichten die ganze Er:
f&heinungswelt verklärt und gleichfum transparent gemacht
wird, damit fid aus allen ihren hundertfältigen- Geftalten
der verborgene Strahl des Göttlihen entbinden fónne; die
alte Geſchichte und Götterlehre, die fernfte Vergangenheit und
die dämmernde Zufunft, die Schöpfung mit allen ihren Wun⸗
dern, die Pflanzen» und Thierwelt, die Höhen und Tiefen
des Seind und alle Regungen des Menfchenherzendg und ber
Menfchenfeele werden in ben wunderbarften und genialften
Combinationen benugt, um das Chriftenthum in beffen heis
Hoftem Symbole zu verherrlihen; und diefe Combinationen
find, bei allem Geheimnißvollen, doch von einer Klarheit, die
Erftaumen erregt. Der Dichter weiß, wie in einem magifchen
Spiegel, felbft das Verborgenfte und Unfaßlichſte, die Schats
tenbilder des Gedankens, in beftimmten Umriffen barzuftellen.
Haben wir es nun auch mit Abftraetionen des Verftandes,
mit metaphyfifchen Allgemeinbegriffen zu thun, fo verdient doch
bie Geftaltungsfraft Bewunderung, mit welcher den weſen⸗
Iofen Gebilden alle Züge der Perſönlichkeit und individuellften
Lebendigfeit geliehen werben; und nicht minder erftaunenés
würdig iſt die Runft ber dramatifchen Compofition, welche
— 256 —
auf überirbifchen Boden und mit einem allegoriſchen unb
fombolifchen Perfonal doch eine fireng ¿ufammenbángende,
richt allein bas Intereffe, fonbern felbft die Neugier ſpannende
Handlung hervorzubringen gewußt hat.
Worin der Vorzug von Galderon’d Autos vor denen
des Lope de Vega beftehe, erhellt ſchon aus bem Obigen:
. er líegt in der ungleich größeren Crtiefung des Inhalts,
in der unvergleihhar feineren Durchbildung der Allegorie,
in der Grünblichfeit, mit welcher der Stoff in allen feinen
Safern und bis in feine feinften Beziehungen hinein durch⸗
drungen tft. Wenn bie Meberlegenheit unferes Dichters über
- feine Vorgänger im Allgemeinen auf der audgebildeteren Kunſt⸗
form feiner Dramen, auf der forgfältigeren Verarbeitung bes
Materiald und ber geriffenbafteren Ergrinbung feiner Vors
würfe beruht, fo zeigt fidy dies in ben Autos in nod) un:
gleich höherem Maafe, als in den Komödien; fogar die vor⸗
züglichften Frohnleichnamsſpiele der früheren Zeit Fönnen mit
den minbeft trefflichen ber feinen nicht in Die Schranken
treten.
Im Allgemeinen hat Calderon die ihm von Lope de
Bega überlieferten Umriffe des Auto aboptirt, und wir müfe
fen in diefer Beziehung auf das Band IL, Seite 393 ff.
Gefagte zurüdweifen. Dort fann man auch ſchon das vom
Dichter angewandte Perfonal, menigftend in feinen Haupts
geftalten ; Tennen lernen. Daß die nämlichen Figuren häufig
wieberfehren, daß fid) fogar gewijfe Wendungen und Gedan-
fenverbindungen wiederholen, wurde durch die allen Autos
facramentales gemeinfame Beftimmung ber Verherrlichung ber
Transfubftantiation unvermeidlich herbeigeführt, denn dieſe
Tendenz machte es zur Bedingung, daß in jedem Frohnleich⸗
namsfpiel Ddiefelbe Grundidee ausgefprochen würde. Hören
— 257 —
wir, was der Dichter ſelbſt in der Vorrede darüber ſagt:
„Irgend ein ekler Leſer möchte es vielleicht tadeln wollen,
daß in den meiſten dieſer Autos dieſelben Perſonen vorkom⸗
men, wie der Glaube, die Gnade, die Schuld, die Natur,
das Judenthum, das Heidenthum u. ſ. w.; dies aber recht⸗
fertigt ſich dadurch: daß, da der Gegenſtand immer derſelbe
iſt, die Stücke ſich auch derſelben Mittel zum Zwecke bedienen
müſſen; noch mehr aber durch die Erwägung, daß dieſelben
oft wiederholten Mittel doch jedes Mal auf anderen Wegen
zu anderem Ziele gehen: auf dieſe Art wird ‚Senn, nach mei⸗
ner ſchwachen Einficht, diefer Tadel ſich vielmehr in Billie
gung umwandeln müffen; denn die größte Runft ber Natur
befteht darin, daß fie mit den nämlichen Grundzügen fo viele
verfchiedene Gefichter hervorzubringen weiß, und nad) biefem
Borbilte möge es denn, wenn auch nicht als eine Kunft
angefehen, fo doch wenigſtens entſchuldigt werben, daß ich
aus benfelben Perfonen fo viele verfchievene Autos zuſam⸗
mengefegt habe. — Mande Stellen werden einander ähnlich
gefunden werden, aber aud die Natur bringt mande ábna
liche Geftchter hervor, und wenn ſchon dies einen Zabel
zurüdweilt, fo muß nod) hinzugefügt werben, daß dergleichen
Stüde nur einmal im Jahre aufgeführt werden und daß
—
—N
zwiſchen manchen von den in dieſem erſten Bande befind⸗
lichen Autos ein Zwiſchenraum von mehr als zwanzig Jah⸗
ren liegt; der Eindruck, den fie bei der durch fo lange Zeit⸗
räume getrennten Darſtellung hervorbrachten, war daher ein
ganz anderer, als der, den ſie jetzt, in demſelben Bande
vereinigt, bewirken fónnen. — Einige Stellen werden viel-
leicht etwas matt erſcheinen, weil das Papier weder den
Wohllaut der Muſik, noch den Pomp des Maſchinenweſens
wiedergeben kann, und es iſt deshalb nöthig, daß der Le⸗
Geſch. d. Lit. in Spanien. MI. Dd. 17
— 258 —
fer fih mit feiner Einbildungskraft biefe Zuthaten hinzu⸗
dente.“
Calderon's Behandlungsweife bes Auto im Einzelnen
wird man am Beften aus den fulgenden Inhaltsüberſichten
von einigen berfelben erfehen. Die Long, welche laut der Ans
gabe des Herausgeberd nur zum Theil von Calderon felbft
berrühren und mehrentheil Feinen für das Verſtändniß noth«
wendigen Zufammenhang mit dem folgenden Stüde haben,
werden dabei füglich außer Acht gelaffen.
El pintur de su deshonra. Ein Auto, das fido
ſchon durch feinen Titel bem gleichnamigen Zraucrfpiel gegen= |
überftellt und auch in feinem Inhalt viele Beziehungen zu
demfelben darbietet. Das Stück wird burd) einen prachtvollen
Monolog Kueifer’s eröffnet. Er fteigt durch den Schlund eines
Draden8 empor und ruft die Schuld aus einer büfteren
Selfenhöhle, welche fie bewohnt, hervor. Als bie Gerufene nad)
feinem Begehren fragt, erzählt er die Gefchichte feines Stur-
zes, wie er zur Strafe feines Hochmuthes in das Reid) ber
ewigen Finfterniß verbannt worben fei. Er ſpricht in Bor:
ten ber Berzweiflung von feinem Haß und feinem Neid
gegen den Weltfchöpfer, der ihn fo tief gedemüthigt und den
er unter dem Bilve eines großen Rünftlers und Werkmeiſters
barftellt; weiter erzählt er, wie biefer Künftler damit umgehe,
eine Geftalt und ein Antlig nad feinem Bilde zu malen,
nachdem er ſchon fechd Tage lang an einem großen und wun⸗
dervollen Gemälde, der Schöpfung, gearbeitet habe, ber
ftebente Zag folle nun das ganze Werk vollenden; bie
Schuld möge ihm Hülfe leihen, damit das Bild zerflört
werde und der Künftler ben Namen bes „Mulerd feiner
Schande“ verdiene. Die Schuld verfpricht ihren Beiftand, und
Beide fchleichen fih in die Werkſtatt. Staunend und trog
ihres Haſſes doch mit Ehrfurcht betrachten fie das Gemälde;
— 259 —
das Bild ber Achre und ber Rebe, al8 Anbeutung des fünfs
tigen Eacrament8, macht fie erbeben , und als fie Geräufih
hören, verbergen fie ſich in den Blaͤttern eines Baumes. Der
Maler erfcheint und beginnt die Arbeit, während die Unfchuld,
die Weisheit und bie Onate Ihm die Farben reichen und
einen Lobgefang anftimmen; alg das Werk, bas Ebenbild ves
Meifters, vollendet ift, paudt er ihm Athem und Leben ein,
und die neugefchaffene menſchliche Natur niet vor ihrem
Schöpfer nieder. Diefer übergibt ihr die Hevsichaft über Die
ganze Schöpfung und legt ihr nur ein Verbot auf ‚das, bie
Frucht vom Baume der Erfenntnif zu genießen. Die junge
Herrfcherin der Welt bleibt nun, umringt von ber Weisheit,
der Unfchuld, der Gnade und dem freien Willen, zurüd und
fhildert in einer herrlichen Rede die Wunder ber fie umges
benden Schöpfung. Zu ihr treten in Verkleidung Lucifer und
die Schuld, und fuchen fie, nachdem fie ¿zuerft ben freien
Willen beftochen, durch ihre Reden zu bethörenz die Schuld
holt die verbotene Frucht herbei und ber freie Wille reicht fie
ber menfchlihen Natur zum Genuſſe; Weisheit, Unfhuld un
Gnade thun Einfprache, aber die Schwache folgt ihrem Ges
túfte; da verbunfelt ſich die Luft, die Erde zittert, Die Schön-
beit des Paradiefes (ft entftellt, die göttlichen Geſpielen ents
fliehen und die Gefallene wird von Lucifer alg feine Sclavin
fortgefchleppt. Sp fieht denn der Maler das fchönfte Werk
feiner Runft entftellt und befleckt, und ruft in Heiliger Trauer :
„D du, die ich zu meiner Braut auserwählt, hätte ich did;
nie fo ſchön gemalt, fo würde ich jegt nicht Maler ber eige-
nen Schande heißen! Undanfbare, um meines größten Feín:
des willen verläffeft bu mich * O fterblicher Menſch, fiel” an
der Angft meiner Liebe, weldhen Kummer du mir bereiteft,
wenn du did) von Bott entfernft; denn wenn Gott je weint,
17*
— 20 —
fo (ft e8 aus Jammer um eine verlorene Seele! Aber was
Flage ich, da meiner Ehre die Made obliegt? Treulofe, fo
mögeft du denn Fein Waffer trinfen, als das deiner eigenen
Zähren; fo mögeft du das Brod der Schmerzen effen und un-
ter Schmerzen Rinder gebären! Die Welt, das Bett deines
Ehebruches, will ich zerftören; die Wolfen mögen ihren Schooß
aufthun dic Meere ihre Damme fprengen, um fie zu ver:
nichten!« Man hört Erdbeben und Donnergeroll und bas
Getöfe der herein brechenden Sünbfluth; zwiſchendrein ertónen
die Sammerrufe der Erde: „Erbarmen, Herr, Erbarmen 14
Die menfchliche Natur tritt, vor den flurmgepeitfchten Wellen
fliehen, auf; bie Erbe bietet ihr auf ben höchften Spigen
ihrer Berge einen Zufluchtsort, aber die Wogen fteigen höher
und drohen fie unter bem Hohngelächter Lucifer's und ber
Schuld zu verſchlingen. Da wirft der Schöpfer erbarmend
ein Holz in die Fluth, „Bruchſtück einer wunderbaren Arde
und Vorbild eines anderen Holzes, das einft die Welt retten
wird; denn zwiſchen ber Ehre des Menfchen und der Gottes
M der Unterſchied, daß die eine ſich rächt, Indem fie tötet,
die andere, indem fie verzeiht.» Die Welt und die menichlidye
Natur ſchwimmen, das, rettende Holz umflamnernd, an das
Land, das wieder aus ben fid) verlaufenden Gewäſſern ber:
vortritt. Ihnen folgt ble Schuld, aber fie bebt vor ber Kreu⸗
zesform des Holzes zurüd, und die menfchliche Natur fpricht
zu ihr: „Ahnſt du in diefem Anblick jenen Friedensbogen, ber
fih über Himmel und Erde ausfpannen wird, wenn die weiße
Taube mit bem Olivenzweige erfcheint und den goldenen
Tag nad fo fehmerzenreicher Nacht verfündfgt ? Schon, dünkt
mid, höre ich dle Engel einen Jubelchor an diefe himmliſche
Aurora fingen.“ Von oben erfepallt Befang von Engelftim-
men: „Ruhm dem Herrn im Himmel und Friede den Mens
|
— 261 —
fhen auf Erten!« Die menſchliche Natur ſtimmt, die
Gnade bes Herrn anflehend, in ben Geſang ein, aber Lucifer
und die Schuld fuchen fie fefter in ihre Bande zu fehlagen.
Der göttlihe Maler tritt num, geführt von ber Liebe, und
von den Bitten der Flehenden gelodt, auf, um die Geraubte
zu ertófen und die Rade an ben Räubern zu vollbringen.
Die Liebe trägt ein Kreuz herbei, ber Maler verbirgt fi
hinter demfelßen und befreit die Gefangene, indem er Lucifer
und die Schuld durch einen Schuß zu Boden firedt. „Sieh
bier — ſpricht er, auf das Kreuz deutend, zu der Geretteten
— tie viel.deine Thränen bei mir vermodt haben und wie
ich nun dem Gemälde, welches mir der Dämon und die Sünde
befledten, feinen erften Glanz wiebergebe, indem ich es in
diefer Duelle waſche!“ Man erblidt eine Quelle mit fieben
Strahlen (den fieben Wunden); an ihr fiehen die Gnade, bie
Weisheit und bie Unſchuld und rufen der Erlöften zu: „Komm
in unfere Arme zurück! Wir erwarten bid) an diefer Duelle !“
Obgleich zum Tode getroffen, flüftert die Schuld doc leife:
„Mag die Erbfünde auch in diefem Babe getilgt werden, mjy
bleibt doch noch Raum, did) zu befriegen3“ aber ber Maler
erwiedert: „Auch dagegen ift ein Mittel! Seht hier das
Sucrament, das Mofterium der Mofterien , das Wunder der
Wunder !” Lucifer und die Schuld flöhnen im Tobdesframpf
und die menfchliche Natur Iniet anbetend vor dem Allerhei-
ligfien nteber.
La Cena de Baltasar, nad Daniel 5, 5. Diefes
wunderbar tieffinnige und Doch zugleich in feiner äußeren Erfcheis
nung auf große theatralifche Wirkung berechnete Auto beginnt
mit einer Unterredung zwiſchen Daniel, der das Gericht Got:
tes repráfentirt, und bem Gedanken, der alg Narr und
Poſſenreißer erfcheint. Daniel ſchildert Hagend und zürnend
— A —
die Schmach, die das Volk Gottes in der Babyloniſchen Ge⸗
fangenſchaft erdulde; ber Gedanke aber erzählt ihm, wie Bel-
ſatzar ſich heute mit der großen Königin des Orients, der
Idolatrie, vermähle. Trompetenſtöße. König Belſatzar tritt mit
feiner Gattin, der Eitelkeit, auf und empfängt die zweite
Gemahlin, die in pomphaftem Zuge erfcheint. Eitelkeit und
Spolatrie ſchwören ihm Treue und fagen ihm ihre Hülfe zu,
damit er fih über alle Könige der Erbe erheben und ben
Bau des Thurms von Babel vollenden fónne. „Wer — ruft
der von feiner Größe Trunfene — wird die Nebe fo füßer
Umarmungen trennen, wer meinem Unternehmen Einhalt thun 2
Da ruft Daniel mit Donnerftimme : „Die Hand Gottes 1
Belfagar will den fredden Redner mit bem Schwerte zu Bos
den firedfen, aber er vermag nichts gegen ben Geweihten des
Herrn, und geht in ohnmächtigem Grimme ab. Daniel ruft
aus: „Wer, o Schöpfer des Tages, wird deine Rache über-
nehmen ?” Da erfcheint der Tod als jugendlicer Ritter in
voller Rüftung mit dem Schwerte, und meldet fid) zum Voll⸗
fiaeder der Gerichte Gottes; aber Daniel trägt ihm auf, vor
Ausführung bes Urtheils den König erft zur Buße zu mah-
nen. Der Tod wendet fi) an den Gedanfen, und diefer führt
ihn in einen Garten, wo Belfabar mit feinen beiven Gemah⸗
linnen ſchwelgt. ES folgt eine bemunderungswürdige Scene,
in welcher der Tod, an der Hand des Gedankens, wie ein
. Schatten hinter dem Könige einherfchleicht und ihm mahnende
entjegenvolle Worte zuflüftert: „Du bit Staub und wirft
zum Staube zurüdfchren!” Der Oedante umhüpft den Bel
faßar und fucht ihn durch feine Poffen zu ¿erfireuen; aber
felbft in feine Späße miſcht fid die fürchterlich mahnende
Stimme. Um das Schredgebilde, das ihn quält, zu verfcheus
hen, flüchtet der König in eine Rofenlaube ; die Soolatrie
— 263 —
wiegt ihn in ihren Armen, und die Eitelkeit fucht ihn Durch
füße Oefánge zu erbeitern, bis der Ermiide te entfchläft. „So
— fpridt Daniel — gibt fi) der Menſch forglos dem Schlum- :
mer hin, ohne zu bebenten, daß er jeden Tag, wenn er fchläft
und erwacht, ftirbt und wieder geboren wird, ohne zu erwä⸗
gen, daß ber Tod ihn in jedem Schlummer an den legten
mahnt. Während des Schlafes fuen bie Spolatrie und bie
Eitelfeit den König von neuem zu bethören, und es erfcheint
auf ihr Geheiß eine eherne Statue Belfagar'3, die in einem
Tempel verehrt wird; Daniel aber zwingt das Bild, mit
Donnerftimme zu fprechens „Deine Gógen find von Mens
fchenhand gebildet und ich foll dir das Gericht bes Einen,
unendlihen Gottes verfünden, wenn du nicht Dufie thuft!*
Dei diefen Worten verfintt das Traumgebild, und Belſatzar
erwacht mit bewegter und zur Reue geftimmter Seele. Bald
jedoch fällt er wieder in ben früheren Sinn zurück, und bie
Idolatrie und die Eitelfeit ordnen ein glänzendes Gaſtmahl
an, bei dem aus den heiligen Gefäßen des Jehovah⸗Tempels
gezecht werden foll. Diefes Mahl wird mit den úppigften und
reichtten Farben geſchildert. Während Belfagar mit feinen
Genoffen und Genoffinnen ſchwelgt und feftliche Muſik er-
ſchallt, mifcht ſich der Tod unter die Diener und fucht den
König nochmals zur Befinnung zu bringen; aber feine Stimme
verhallt in dem lauten Getöfe des Feftes. Nun tft die Friſt
abgelaufen ; der Tod reiht dem Belfagar zu trinfen, ein
Donnerfchlag erfehallt und eine riefige Hand ftredt fich hervor
und fchreibt flanmende Worte in unbefannter Sprache an die
Wand. Der König fragt nach ber Bedeutung der Zeichen,
aber alle Zungen verftummen. Da tritt Daniel hervor und
ſpricht: „Ich will dir den Sinn der Worte erklären; ſie
heißen: deine Tage ſind gezählt, das Maaß deiner Schuld iſt
— MM —
voll, denn bu haft die Gefäße des Herrn, die für das pe =
ligfte der Sacramente aufbewahrt find, mit freier Hand
entmeiht; dein Reich wird flürzen, fo wie du.” Die Genofjen
des Feſtes entfliehen, Belfagar finft vernichtet zu Boden und
der Tod gibt ihm ben Neft, indem er ruft: „Solchen Tod
ftirbt ber, der bas Mahl des Herren mit fündigem Herzen
gentefit und fo das heilige Gefäß entweiht.« Am Schluffe
tritt die Beziehung des Auto auf das Sacrament, wohin freis
lid ſchon burd das ganze Stüd gezielt wurde, flar hervor.
Idolatria: „Ich erwache wie aus ſchwerem Traume. O
wer jenes heilige Licht des Gnadengeſetzes fehen dürfte la
Daniel: „Wohlan denn, al8 Prophet zeig” ich dir diefen
Tiſch in den heiligen, mit Brod und Wein befegten, Altar
umgewandelt.“ Man erblidt Kelch und Hoftie, und die Ido⸗
Iatrie kniet an bem Altar nieder.
El divino Orfeo. Der Fürft ber Finſterniß erfcheint
al8 Gorfar auf einem ſchwarzen Schiffe, das von dem Neibe,
alé Steuermann, durch die Wellen des Lethe, ves Fluffes,
ber fich zwifchen bem Chaos und dem Abgrunde dehnt, gelenft
wird. Sein Jwed tft, die menſchliche Natur, die noch
nicht geboren ift, deren fünftige Geburt er aber vorausfieht,
- in feine Gefangenfchaft zu bringen. Plöglich bricht von oben
eine fanfte Mufif in das Reid) des Schredens hinein. Man
erblidt eine Himmelsfugel und in ihrer Mitte den göttlichen
Orpheus, eine eier in der Hand haltend, zu feinen Süßen
die ficben Tage und die menſchliche Natur, in Schlaf
verfunfen. Orpheus beginnt zu fingen und twedt durch feine
Stimme die Schlummernden. Der erfte Tag erhebt fic), eine
Tadel in ver Hand haltend und die Nacht erleuchtend, der
zweite die Gewäfler von dem Feſtlande theilend, der dritte
Diumenfränze und Früchte tragend. Zulegt ſchlägt bie menſch⸗
|
|
|
— 265 —
liche Natur die Augen auf und kniet dankend vor dem Schöpfer
nieder, der fie aus dem Nichtfein in's Sein gerufen; ber
göttliche Orpheus überträgt ihr die Herrfchaft der Erde und
ergibt fid) dann in den Armen des fiebenten Tages der Ruhe,
Die Himmelsfugel fchließt fi wieder. Der Fürft der Finſter⸗
niß hört in ohmmächtiger Wuth, wie die nengeborene Schöpfung
die menfchliche Natur durch ein Loblied feiert, ruft ben Faͤhr⸗
mann Ebaron und überträgt ihm die Herrichaft über die ſchwar⸗
zen Gewäſſer, mit bem Befehl, Keinen binüberzulaffen, ohne
ihn feiner Herrfchaft zu unterwerfen. Er felbft nimmt eine
Verkleidung an, in welcher er die Menfchheit zu verführen
hofft. Man wird in das Paradies verfegt, wo bie fieben Tage
fid) unter Gefang und Tanz des neuen Seins erfreuen; die
menſchliche Natur tritt Hinzu und ermahnt fie, ihres Schöpfers
nicht zu vergeffen, worauf Alle eine Hymne zum Lobe bes
Höchſten anftimmen, die an Schwung und Erhabenheit mit
den fehönften ber Palmen wetteifert. Unter fie mifchen fich
der Fürft der Finfterniß und der Neid in Gärtnertradht, und
es gelingt ihnen, die menfchliche Natur zu bethóren; fie läßt
fih von ihnen bei Seite führen und zum Genuffe des vers
botenen Apfeld überreden. Raum hat fie Davon gefoftet, fo
wird fie von namenlofen Schmerzen befallen, und flagt, daß
die ganze Schöpfung vor ihr umgewandelt ſei; die Tage ziehen
an ihr vorüber, aber der eine trägt ftatt der Fadel ein Flam⸗
menſchwert, der andere ftatt ber Blumen Difteln und Dornen,
und hinter jevem folgt der Neid in vervielfältigter Geftalt
und in bem ſchwarzen Mantel ber Nacht. Die menfchliche
Natur finft, von Jammer übermwältigt, ohnmächtig zu Boden,
und der Fürſt der Finfterniß bemächtigt ſich ihrer, fie in fein
fiygifches Reich fortfchleppend. Da tritt der göttliche Orpheus
auf, hört von ferne die Schmerzensrufe der Unglücklichen, und
befchließt, fie zu befreien. Man fieht ihn in das Reid ber
Finſterniß hinabfleigen, eine mit bem Kreuz geſchmückte Harfe
tragend und füße Lieder fingend. Efaron verweigert ihm den
Mebergang, der feinem Lebenden verflattet werde; Orpheus
ruft: „So tödte mid), id) fterbe freiwillig!« und Charon gibt
ihm den tödtlihen Streich, finft aber zugleidy felbft flerbend
nieder, indem er ruft: „So liegt der Tod befiegt zu deinen
Füßen; fchreite nun über meine Leiche hinweg in das finftere
Reid)!” Der himmliſche Held Hagt: „Mein Gott, mein Gott,
fo haft du mid) verlaffen !* während ihn der Todesnachen an's
jenfeitige Ufer trägt. Donner, Blip und Erdbeben. Die Tage
eilen jammernd herbei, indem fie ben fechften (den Freitag),
der ohnmaͤchtig zu Boden gefunten iſt, umringen; ploglid) aber
werden ihre Klagen durd) einen Freudenruf unterbrochen.
Orpheus fommt in dem ſchwarzen Nachen, auf deſſen Mafte
ein Kreuz ruht, zurüd und fingt: „Öffnet, ihr Aufenthalte ber
Trauer, die Riegel und Schlöffer eures búfteren Kerfers !“
Zu feinen Füßen fehmiegt ſich der befiegte Tod, hinter ihm
aber folgt Euribice, die befreite menſchliche Natur, in einem
anderen Schiffe, auf welchem ber fünfte Tag (Donnerstag)
das Sacrament fpenbet. Unter Freubengefángen ber Erlóften
gleiten denn die beiden Fahrzeuge dem Aufenthalte des ewigen
Friedens entgegen.
La Vida es sueño, das Leben iſt Traum; ein: alle:
goriich-religiöfes Gegenſtück zu ber gleichnamigen berühmten
Comödie 1). Das Auto beginnt mit dem crften Moment des
fid) entwidelnden Chaos. Die vier Elemente fireiten um die
Krone der Weltherrſchaft; die Macht, die Weisheit und die
2 Dergl. v. d. Malsburg's Borrede zu feiner Ueberfegung des
Galderon. |
— 267 —
Liebe aber gebieten ihnen Ruhe, worauf fie fic) unterwerfen
und einen Hymnus zum Lobe ber Gottheit anftimmen. Nad)
beendigtem Gefange nimmt bas Feuer alg Sprecher der Uebris
gen das Wort und bittet den Herrn, einen Herrfcher über
fie zu beftellen. Da fagt die Macht: „Bernehmt, wie ich bes
fchloffen habe, ein Ebenbild meiner, von meinem Geift ent:
worfen, von der Erde geboren, aus dem verborgenen Kerfer
des Nichtſeins in’d Sein zu rufen. Dies Weſen, der Menſch,
fei euer Herr, und die Gnade foll feine Gattin fein; fo Tange
er gütig und geredyt ift, dienet ihm; wird er hoffärtig und
ungehorfam, fo verfaget Ihm ben Dienft; Gewinn und Berluft
liegen alfo in feiner Hand; fo bat mir bie Liebe gerathen.“
Die Elemente geloben Gehorſam und ziehen, nochmals ben
Lobgefang anftimmend, tm Gefolge der drei Eigenfchaften der
Gottheit von dannen, um bei ber Schöpfung des Menfchen
mitzuwirfen. Sodann erfcheint der Schatten, alg Symbol ber
Sünde; er hört mit ohnmächtiger Wuth die aus der Ferne
herüberhallende Hymne und befchwört bie Geifter der Hölle,
fid) mit ihm zu verbinden, um der Herrfchaft ber Welt nicht
auf ewig verluftig zu gehen. Nicht lange, fo fleigt auch der
Zürft der Finfternig empor, voll Neid und Grimm auf ben
Menfchen, ber zur Seligfeit berufen fein fol. Inzwiſchen wird
eine Felfenhöhle fichtbar und in ihr der Menfd) mit Thiers
fellen befleídet; vor ihm, alg Symbol der Gnade, das Licht,
das ihn, eine Tadel in der Hand, erwedt und in's Leben
einführt. Der Schatten und der Satan verſchwören fid, den
Neugeborenen zu verderben, und verbergen fid alg Schlunge
und Bafılisf in den Bäumen und Blumen des Paradiefes.
Nun folgt eine Scene, jener in der Comödie, wo Sigismund
die erften Huldigungen der Höflinge empfängt, nicht unähnlich,
nur daß hier Alles ſymboliſch ift. Der Menſch, von fónigs
— 68 —
lihem Schhinmer umgeben, Täßt fi von den Elementen, feinen
Bafallen, Huldigen; unter feinem Gefolge befinden fih au
der Berftand als Greis und der Wille alg Oractofo, deren
jener ihn belehrt, daß er Staub fet, diefer aber ihm nicht ge-
nug von feiner Herrlichfeit zu erzählen weiß. Während er
prächtig geſchmückt wird, fchleichen ſich Bafilis? und Schlange
in den Garten ein, und bie legtere, in Geftalt einer Bárts
nerin, fucht ihn zum Genuß eines goldglänzenden Apfels zu
. verführen, durch ben fie ihm den Befig aller Erfenntniß und
unbegränzter Macht verheißt. Der Verblendete will zugreifen;
der Verftand wirft fich ihn zu Füßen, daß er die Frucht
nicht berühren möge; aber der Menſch ruft den Willen zu feiner
Hülfe herbei, und fehleudert, die Warnung der Elemente übers
börend, den Verftand in einen Abgrund. Nun ift er die ver:
botene Frucht; die Gebirge erbeben, die Sonne verbunfelt fi,
der Schatten der Schuld Töfcht das Licht ber Gnade aus; ber
Menſch bleibt in Finfternif zurüd. Er ruft vergebens die Erbe
an, welche Hagt, daß ihre rothen Rofen zu blutigen Dornen
geworden feien, vergebens Waffer, Luft und Feuer, die ihm
nur zerftörende Fluthen, Windſtöße und Blige zu bieten haben.
Zu bem Jammernden treten die Macht, die Weisheit und Die
Liebe; fie berathen fic) über fein Schickſal, und kommen endlich das
bin überein: „Wenn Ein Wille in Dreien ift, wenn die Macht
ihr Gebot, die Weisheit ihren Fleiß und bie Liebe ihre T’hätig-
feit verwendet, fo gibt es Eine Perfon, die das Unzureichende
des Menfchen ergänzen und die unendliche Schuld unendlich
fühnen fann.« Der Menſch ift vor Schmerz in Befinnungs-
Iofigfeit verfunfen, aber tróftende Stimmen umfpfelen ihn im
Schlafe. — Die nächſte Scene zeigt ihn von neuem gefeffelt
und in Felle gehüllt. Erwachend flagt er, daß alle Herrlich⸗
feit, die er gelehen, nur ein Traum geweſen. Die Schuld
— 269 —
ftebt, ihn ängftigend, ihm zur Seite; mit Hülfe des wieder⸗
kehrenden Verftandes aber und bes Willens ermannt er fic,
das verlorene Glück von neuem zu fuchen, worauf der Schatten
entflieht, um mit bem Fürften der Finfterni neue Ränfe zu
ſchmieden. Darauf fehrt die Weisheit als Pilger bem Mens
ſchen ein; er Flagt ihr feinen Sammer und bittet um Bes
freiung, damit er eine Heimath wieder fuchen könne, deren
verlorene Seligfeit, obgleich wie ein Traum hinter ihm liegend,
ihn doch wie Wahrheit quäle. Er wirb von ben Banden bes
freit,.und flieht aus Furcht vor dem Schatten; die Weisheit
aber legt feine Feffeln an, indem fie fagt, fie wolle fic biefe
Banden fo zu eigen machen, daß die Sünde fie für ben
Schuldigen halte, wenn fte zurückkehrend fie (die Weisheit)
an des Menfchen Stelle mit grobem Stoff der menfchlichen
Natur befleivet finde; und fo lege fie fih in der Höhle nieder.
Der Fürſt der Finſterniß und ber Schatten fommen heran,
um den Menfchen zu tödten; wie bie Frucht cines Baumes
feine Vebertretung gewefen, fo follen Stamm und Zweige
eines anderen Baumes feine Strafe fein. Sie fchlagen den
himmliſchen Pilger an'8 Kreuz; faum aber ift diefer verfchies
den, fo erbebt die Erde; Schatten und Sataır erfennen, wen
fie getöbtet, und finfen tobt zu Boden. Menfch, Verftand und
Wille eflen herbei und fehen die Weishelt am Kreuze bangen,
die finfteren Geifter ihr zu Füßen. Der Pilger aber erftept
vom Tode und fpricht, zum Menfchen gewendet: „Um bid zu
erlöfen, Tieß ich mid) ftatt deiner tödten und gab Diefen den
Tod; unendlicher Schuld hab’ ich fo unendliches Heil bereitet.“
Da erftepen auch die Höllenmächte von neuem: „Lebft du
wieder auf, fo erwachen auch wir zu neuem Groll; denn wie
fonnte der Menfdy in feiner Sünde Genugthuung geben 24 —
„Er fonnte es in der Gnade, erwiedert dle Weisheit; gegen
— 2710 —
die allgemeine Mafel des traurigen Erbthelles wird es efn
Element geben, durch welches er von der Echmwelle des Das
feind an und das ganze Leben hindurch ter Gnade theilhaftig
werden kann.“ Und nun naht auf den Ruf des Lichtes das
Waffer mit einer Muſchelſchaale, um mit feinen fchönen Flus
then die Sünde des Erbgeborenen zu tilgen; zugleih aber
verheißt die Erde, in Aehren und Reben ein zweites Sarras
ment darzubieten ; durch das unter dem Beiftande der Gnade
die Befferung dauernd fei. Die Hölfengeifter entfliehen. „O!
wenn auch biefes Traum ift, fo laßt mid) nie erwachen!“
ruft der befeligte Menfdy, und die Macht befchließt: „Da du
träumft, fo lange du lebft — denn das Leben iſt Traum —
fo büße nicht zum zweiten Male ein fo hohes Gut ein, fonft
findeft du Did) in noch engerem Rerfer wieder, wenn du, mit
Schuld beladen, vom legten Todesſchlaf erwachſt!“ Ein
Triumphgeſang: „Ehre jei Gott im Himmel und Friede dem
Menſchen auf Erden!“ Heichliefit das Auto.
La Serpiente de Metal, gegründet aus das 4.
Bud Mofe, Cap. 21. Die Hehräer feiern mit Gefang und
Tanz ihre Befreiung aus dem Joch Aegyptens. Mofes ruft
ihnen in einer eindringlichen Rede Alles in's Gedächtniß zurüd,
was der Herr für fie gethban, und ermahnt fie, ftanphaft im
Glauben an den Einen Gott zu beharren. Das Volf zerftreut
ft); nod) hört man aus der Ferne die heiligen Gefänge; ba
erfcheinen Belphegor und die Idolatrie, voll Wuth und
Neid auf das auserwählte Volt, aus deffen Mitte, wie pros
phezeiht ift, einft das Weib hervorgehen folle, das der Vers
berberin des Menfchengefchlechtes, der Schlange, den Kopf
zertreten und den Meſſias gebären werde. Beide ſchmieden
einen Plan, bie Hebräer zu verderben, wonach Belphegor
den Heidenfürften Amalek in Waffen wider fie rufen, die
— MM —
Idolatrie fie zum Abfall von Bott bereden follz und kaum
haben fie fid) entfernt, fo vernimmt man hinter ber Scene
Gemurr der Sfraeliten. Die fieben Affecte (Stolz, Geiz,
Wolluſt, Zorn, Neid, Genußſucht und Trägheit) treten in
Geftalt von Hebräern auf und hadern mit Moſes, baf er
fie, ftatt in’8 Land der Verheißung, in die Wüftenei geführt.
Kriegslärm; Sofua fommt mit der Soolatrie, die ihm ben
bevorſtehenden Ueberfall des Amalef gemeldet hat; er zieht
in den Kampf, Soolatria aber bittet heuchlerifch, in den Glau⸗
ben des Einen Gotted aufgenommen zu werden, was ihr von
Mofes, unter dem Borbehalt, fie erft näher zu prüfen, zuge⸗
ftanden wird. Der Kampf beginnt; Mofes und Aaron flehen
zum Herren ber Heerſchaaren um Sieg; Belphegor ftürzt
fliebend herein und verfündet die Niederlage der Heiden, und
bald erfcheint aud Joſua im Triumphzuge. Eine feurige
Wolfe, aus deren Mitte Engelftimmen erfchallen, ftellt ſich
an die Spige des Hreres und führt es durch die Wüſte wei⸗
ter; aus einer anderen wird von Engeln Manna geftreut.
(Auf das Borbildliche in allem Diefem, wie unter den Sfraes
titen das menſchliche Gefchlecht, unter der feurigen Wolfe die
- göttliche Gnade, unter dem Danna das Sacrament des Al:
targ gemeint ſei, braucht nicht aufmerffam gemadt zu wer:
den.) Trog dieſer offenbaren Zeichen der göttlichen Huld aber
laffen fi) Einzelne aus bem Volfe, und zuerft die fieben Af-
fecte, durch die Idolatrie zum Abfall von dem wahren Gott
verleiten, und verlangen von Aaron, daß er ihnen ein Gögen-
bild made. Nicht lange, fo fteht das goldene Kalb fertig da,
und die Bethörten verfammeln fid) tanzend und fingend um
daffelbe. Zugleich erblidt man im Hintergrunde auf bem Gip⸗
fel eines Berges Mofes, die Gefegestafeln in der Hand; er
fleigt herab, um fie dem Bolfe zu bringen, zerſchmettert aber,
— Y —
alg er wahrnimmt, was während feiner Abtvefenbeit vorge=
gangen, im Grimm die eine der Tafeln, dringt mit Joſua
und Aaron auf die gößendienerifche Notte ein und macht ihre
Anführer nieder. Die Idolatrie und Delphegor fehen fich fos
mit abermals befiegt, finnen auf neue Mittel, dic Iſraeliten
zu verderben, und füllen die Wüfte mit feurigen Schlangen,
deren Biſſe Krankheit und Tod erzeugen. Die Hebráer, unter
ihnen die Affeete, ftitrzen einer nad) dem anderen verwundet
und blutend herein, und flehen Gott um Barmherzigkeit an.
Da erfcheint Mofes von neuem auf bem Gipfel des Berges,
in der einen Hand die Gefegeötafeln, in der anderen das Bild
der ehernen Schlange an einem Stabe, und ſpricht: „Segen
über euch! Der Herr hat ſich eurer erbarmt und will eud)
zeigen, daß feine Gnade größer ift, alg euer Undank. Er bes
fiehlt mir, die Schlange, die an dieſem mpyfterienreichen und
wunderbaren Holze hängt, dor euch aufzurichten, auf daß, wer
fie. anblickt von den Biffen jener anderen Schlangen genefe.
(4. DB. Mofes, 21 , Bers 9). — „Aber wie fann es fein,
fragen Belphegor und Soolatrie, daß das Bild einer Schlange
den Biß der wirklichen heile?“ „Die Sünde — erwiedert
Mofes — ift ein Gift, das Herz und Seele verdirbt; wer
aber ben von der Schlange Gebiffenen heilen will, muß, ohne
felbft an der Sünde Theil zu haben, die Geftalt des Sün⸗
ders annehmen.” Und nun erjcheinen wieder die beiden Mol:
fen von vorhin, deren eine bem Heere durd) die Wüſte vors
anzog, die andere Manna regnete. „Ich — redet ber Engel
aus der einen — will cud das Licht zeigen, das ich in ”
meinem Schoofe barg und das Fünftigen Zeiten ftrahlen wird
die heilige Speife, die der Seele ewiges Leben gewährt.“
„Und ih — tönt es aus der anderen — die Sonne, dieeinft
aufgehen wird; feht fie Dort, jener Schlange entſprechend, an
— 73 =
nod) wunbervollerem Holze erhöht!” Der Gipfel des Berges,
auf bem das goldene Kalb ftand, enthüllt ſich wieder, und
zeigt ftatt des Götzen bas Bild bes Gefreuzigten. „Da feht
den, der, die giftigen Biffe der erften Schlange heilend,
ohne felbft Sünder zu fein, deffen Oeftalt annehmen wollte,
um ihm durch feinen Tod zeitliche und erviges Leben
zu fchenfen!« Die Feinde Gottes verftummen, und Mofes
fchließt: „So laßt ung hoffend jener Zeit entgegenharren, tele
ein fo unermeßliches Wunder fehen wird.“
Geſch. d. Lit. in Spanien. 11. Bo. 18
Anhang.
Meber die Zahl und Ehronologie von Calderon”s
dramatiidben Werken.
Dem Berfuche, die Anzahl von Calderon's Schauſpie⸗
len, fo wie deren Zeitiolge zu beflimmen, laffen wir ben,
oben ©. 42 erwähnten Brief des Herzogs von Beragua, in
welchem biefer den Dichter erfuchte, ihm ein Berzeichniß fei-
ner Eomödien und Autos zu fenden, fo wie die Antwort auf
denfelben auszugsweife vorausgeben *”).
Der Herzog von Beragua an Don Pedro
Calderon de la Barca
„Da idy damit umging, alle Shre Schaufpiele zu fam:
meln, babe ich bie Titel derfelben in folder Berwirrung und
ihre Anzahl fo verringert gefunden, daß ich mid) entſchließen
mußte, meine Zufluht zu Ihnen felbft zu nehmen, damit
Sie mir meine Zweifel löſen möchten. Mein Glüd hat mid
von früh an in Freundfchaft mit Shnen verbunden, darum
nehmen fie es freundlih auf, wenn id Sie infländigfl er=
2) Diefe beiden Documente wurden ¿uerft als Anhang zu einem
Lobgedicht auf Balderon gebrudt, das Don Gaspar Aguftin de Lara
1634 unter dem Titel Obelisco fúnebre befannt mate; hierauf hat
fie la Querta in fein Theatro Hespañol, parte II. tomo IH. und von
ber Malsburg, deſſen Ueberfegung wir hier, fo wie in den oben ©. 44
ausgehobenen Stellen benupen, in die Vorrede zu feinem Calderon auf:
genommen.
— 75 —
fuche,, mit aller Genaufgfeit anzugeben, welches Ihre fämmt-
chen Schaufpiele find, und mir ein Verzeichniß ber Titel
derfelben zufommen zu faffen damit ich fie nach dieſer Richt⸗
ſchnur auffuchen fónne. In diefer Abficht fchließe ich Ihnen
die Lifte aller unter Ihrem Namen gehenden bramatifchen
Dichtungen, welche ich bis jegt in fünf Theilen befige, bei,
und bitte Sie, mir zu fagen, ob es deren mehr gibt, fobarn
auch, wo ich die auf dem gleichfalls beigehenden gmeiten
Berzeichniffe benannten, von mir bisher vermißten Stüde
finden fann.
„Nach Befeitigung biefes erften Punktes Taffen Sie uns
zu einem zweiten übergehen, und erlauben Sie mir, daß id)
damit anfange, Sie zu ſchmälen; denn Sie fcheinen allen
‚Ruhm, den Sie in der Welt erworben haben, mit Gerings
ſchätzung zu vergelten. Was foll es heißen, da Sie der Stolz
unferer Nation find, daß Sie dieſen Ruhm fo unbefümmert
hinnehmen, und ben Glanz, der aus Ihren Werfen auf alle
Spanier übergeht, der Zufälligfeit und der Gefahr des Uns
terganges Preis geben? Ganz vorzüglich betrifft dies die
Autos, von welchen Sie, nachdem Sie die Geduld der Ges
lehrten und die Neugier der Gebildeten viele Jahre hindurch
auf die Probe geftellt haben, einen Band bruden laffen und
dann die übrigen aufopfern, um die Ungerechtigkeit gegen
biefelben nod) auffallender zu maden. Nein, Don Pedro,
Sie find entweder überaus zufrieden mit fich felbft, oder
überaus unzufrieden mit allen Andern, und beide Extreme
fireiten fehr gegen die wahre Mäßigung. Mein Vorhaben hat
mich in ben Fall gefept, das Organ der allgemeinen Erwars
timg zu fein, und fo betheure ich Ihnen denn im Namen
Aller, daß Ste durch diefes Benehmen ein großes Publifum
und manche Ihnen entgegentommende Achtung fránfen. Id)
| j 13 *
— Mm —
bitte Sie paher wiederholt angelegentlichft, die Herausgabe ihrer
Autos fortzufegen, nein nicht fortzufegen, fondern zu beendigen,
indem Sie alle, welche Sie gedichtet haben, auf einmal zum
Drude fommen laffen; und wenn es Ihnen hierzu an ente
fprehenden Mitteln fehlen follte, fo fagen Eie mir, welche
Sie von mir angeboten wünfchen, damit ich die nöthigen
Summen am gehörigen Ort niederlegen fónne; denn es tft
ein fehr trauriges Zeichen unferer Zeit, daß, wer Alles vers
dient hätte, fürchten darf, es fónne ihm an irgend etwas
fehlen. Was Sie mir biefer Andeutung halber an Danf ers
wiedern möchten, erwiedern Sie mir an Pünftlichfeit; nur
diefe wird mid wahrhaft befriedigen. Und mährend ich diefer
Genugtbuung von Ihnen entgegenfehe, erzeigen Sie mir
die Gewogenheit, mir, neben bem Berzeidhniß der Schau-
fpiele, aud) ein befonberes über Ihre ſämmtlichen Autos zu
überſchicken. Seien Sie nur bedadt, mir weder das Eine,
nod bas Andere zu verfagen. Gott erhalte Sie nod) viele
Sabre. Königliher Palaft von Balencia, den 18ten Junius
1680. Ihr wohlgeneigteffer Diener, ber Admiral und Herzog.“
Holgendes ift die Antwort des Calderon:
„Derehrtefter Herr!
Wohl bedurfte eS bes hohen Glüdes, im Gedächtniß
Eurer Ercellenz zu leben, um mid für die Peinlichkeit zu
tröften, in der ih mid) in Folge‘ eines leichten, durch Alter
und Kränklichkeit ſchwer gemachten Falles befinde. Sch war
dadurd auf einer Seite ganz gelähmt, und um E. E. nit
durch fremde Hand zu fchreiben, verfchob ich es bis jet, wo
ih, einigermaßen hergeftellt, mid) im Stande fühle, bie Feder
zu ergreifen. Dod) habe ich darum bie Zeit nicht verloren,
E. E. meinen Gehorfam zu beweifen, indem biefer Auffchub
mir dazu gedient hat, auf Erfüllung deffen, was Sie mir bes
— 211 —
fohlen, und beffen, weshalb Ste mich gefchmält haben, in
gehöriger Ordnung Bedacht zu nehinen, wobei ich jedoch einen
höheren Werth auf bas Schmälen, ald auf den Befehl Tege.
Sollten bie erwähnten Gründe zu meiner Rechtfertigung nicht
binreidhen, fo möge das die Verzögerung meiner Antwort
entfhuldigen, Daß es mir an Worten fehlte, die Hochſchätz⸗
ung, Ehrfurcht und Ergebenheit auszudrüden, wozu mich bie
mir von E. E. erwiefene unverbiente Ehre auffordert. Doch
biefer Entfchuldigungsgrund Hört auch jegt nicht auf; nachdem
ich über den Ausdruck nachgedacht habe, fehlt er mir wie
zuvor; ich muf meine Hoffnung darauf bauen, daß Ihr Wohls
wollen mid) vertrete, denn hr hoher Sinn allein fann mir
das Ausfprechen ver Danfbarfeit erlaffen; und fo darf ich zu
der Pflicht, welche Ahr Befehl mir auflegt, übergehen.
„Ich, gnädiger Herr, fühle mich belefdigt durch die mannich⸗
faltigen Kränfungen, welche mir die Buchhändler und Buds
druder zugefügt haben. Nicht zufrieden, meine fchlecht ausges
feilten , fehlerhaften Werfe ohne meinen Willen an's Licht zu
ziehen, bürden fie mir auch noch die fremden auf, alg wenn
ih an meinen eigenen Srrthümern nicht genug hätte, und
felbft biefe geben fie fchlecht abgefchrieben, ſchlecht corrigirt,
mangelhaft und unvollftändig, fo daß ih E. E. verficern
fann, daß ich meine Schaufpiele, wiewohl fie mir nad) ihren
Titeln befannt find, dem Contert nad nídt wieder erfenne.
Einige von ihnen, welde wir zufällig zu Geficht gefommen
find, waren, id ygeftepe es mein, doch ich Täugne, daß fie
es noch feien, fo fid) felbft unähnlich haben fie die geftobles
nen Copien einiger fleinen Diebe gemadt, die von Verkauf
berfelben leben, weil es Andere gibt, die ſich von ihrem Ans
fauf nábren, ohne daß ſich diefem Schaden Einhalt than
ließe, wegen des geringen Werthes, den biejenigen auf dieſe
N
— N —
Gattung des Diebftahls legen, welche, von ber Ungerebtig-
feit defjelben in Senntnif gefegt, vafür halten, daß die Poefie
mehr ein Fehler deſſen fei, der fie ausübt, alé ein Vergehen
beffen begründe, der fie in üblen Ruf bringt. Diele Kedheit
und Die wenige Beachtung, deren die Herrn Specialridter
der Drudereien und Buchhandlungen meine verfchiedentlich
geführte Klage gewürdigt, haben mir einen folden Wider⸗
willen beigebracht, daß id) fein anderes Mittel finde, als
mid) auf ihre Seite zu ſtellen und gleichfalls Geringſchätz⸗
ung für mid) felbft zu tragen. Sn biefer Geſinnung dachte ich
mid) zu erhalten, al8 das unverhoffte Glück, daf E. E. fi)
meiner erinnern, mid) bergeftalt belebt, daß id) unter Ihrem
Sube den Drud der Autos fortfegen will; denn biefe find
das Einzige, was ich aufzufammeln bemüht gewefen bin, das
mit fie nicht das widrige Schickſal der Schaufpiele erfahren
möchten. Ich war bei einer fo geheiligten Materie in Sorgen,
tenn ein Berjehen, fei es der Feder oder des Drudes, fann
den Sinn einer Stelle der Gefahr der MiBbilligung ausfeßen.
So überfende id) denn E. E. tas Verzeichniß der Autos, die ich in
meiner Gewalt habe, und füge die Ueberſicht der Schaufpiele
hinzu, die fowohl in verfdievenen Büchern zerftreut find, als
bisher unverlegt im Dimfel aufbehalten worben, damit Sie
über das Eine und das Antere verfügen. In Ihrem Namen
werde ich bie Herausgabe ber Autos fortiegen, fobald . ich
wieder hergeftellt bin, wovon ih E. E. benachrichtigen werde,
indem ich mir das freigebige Anerbieten bis ¿un Augenblid,
wo ih davon Oebraud) machen müßte, aufbehalte. Der Herr
bewahre hr Leben mit allen Glücksgütern und Ehren, deren
Sie würdig find und die id Ihnen wünſche.
Madrid, den 24ften Julius 1680,
E. E. ergebenfter Rapellan
Don Pebro Galberon de la Barca.“
— —
— 219. —
Die Anzahl ber Komödien, welche Calderon in bem:
Diefem Briefe angehängten Berzeichniffe felbft für ächt und
von ihm verfaßt erflärt, beläuft fih auf hundert und
eilf. Diefe Angabe, alg die authentifchfte, muß bei allen
unferen Berechnungen zum Grunde gelegt werten. Allein es
drängt fid fogleih auf, daf in biefem VBerzeichniffe, welches
der Dichter wahrfcheinlich nur flüchtig hingeworfen bat, einige
unzweifelhaft ächte Schaufpiele des Calderon fehlen, nämlich
die folgenden ſechs:
La Sefiora y la criada.
- Nadie fie su secreto.
Las tres justicias en una.
Cefalo y Procris.
La Sibila del Oriente.
Las Cadenas del demonio.
Außerdem bezeichnet Verra Taffi8 nod) vier andere Stüde
als Acht, nämlich:
La virgen de Madrid.
El condenado de Amor.
El sacrificio de Efigenia.
Los desagravios de Maria.
Hiernach beläuft ſich denn die Anzahl fämmtlicher Cal:
deron’fchen Comödien, die wir mit gutem Grunde für wirflich
von ihm verfaßt halten dürfen,auf Hundert und einund«
zwanzig. Freilich find außerdem nod) fehr viele andere un»
ter feinem Namen gedrudt, und eS wäre, da wir einmal die
eigenen Angaben des Autors ald ungenau fennen gelernt has
ben, nicht ganz unmöglich, daft fi nod) das eine vber das
andere wirklich von ihm herrührende darunter befände, aber
im Allgemeinen fpricht die Wahrſcheinlichkeit gegen die Accht-
— 28) —
heit aller diefer Stüde, die aud von Vera Taffis verworfen
werben *),
Nach der Herrfchenden Gewohnheit feiner Zeit vereinigte
fih Calderon verſchiedene Male mit anderen Didtern zur
gemeinfamen Abfaffung von Dramen. Nah feinem Freunde
und erften Biographen foll auf dieſe Art von ihm geichrieben
fein:
Die 1fte Jornada von Enfermar con el remedio.
„ " » El monstruo de la fortuna.
Die 3te Jornada von La fingida Arcadia.
"o 0 „ „ EI pastor fido.
> Die Dreiftigfeit, mit welcher die Buchhändler Calderon's Na=
men mißbrauchten, ging fo weit, daß fte allbefannte Werke anderer Dich:
ter, 3. B. den Tejedor de Segovia von Alarcun und den Garcia del
Castañar von Rojas, ja folche,, in denen ſich Der wahre Verfaffer am
Schluſſe nennt, mit dem Aushängefhhild de D. Pedro Calderon be:
zeichneten. Siniger Grund zu dem Glauben, die Bezeichnung Diefer, vom
Dichter mit Stillfchweigen übergangenen und von Vera Taffis verworfenen
Dramen fónne doch vielleicht richtig fein, tritt unferes Bedünkens bei
den folgenden ein: j
La Española en Florencia, nach derfelben Novelle, welche
der Comedia de los Engaños von Lupe be Rueda und Shakſpeare's
Twelfth-Night zu Grunde liegt, aber fich treuer an biefe anfchließend ;
ein fehr lobenswerthes Stud, welches dem Namen Balderon’s Feinenfalls
Unehre bringen fann.
Los empeños de seis horas. Ein höchſt verwideltes
Intriguenfpiel von geiftvoller und geſchickt durchgeführter Anlage, und ſehr
in der Manier unſeres Dichters.
El escandalo de Grecia contra las santas ima-
genes. In den Schlußworten wird Calderon ausdrüdlich als ber Ver:
faffer genannt, die innere Befchaffenheit des Stücks (weldes ber Re-
pública al revés von Tirſo nadygebilbet ift, indeffen weit hinter berjel-
ben zurüditeht) feheint freilich Diefes Zeugniß nicht fehr zu unterftigen.
— — — — ([—
— 281 —
Die 3te Jornada von Circe y Polifemo.
Pa” „ „ La Margarita preciosa.
"y ” ” El mejor amigo el muerto.
„mn u „ Elprivilegio de las mugeres °*).
Die beiven Gefammtausgaben von Calderon's Combó:
dien, deren erfte, von Vera Taffts beforgt, gleich nad) des
Dichters Tode im Sabre 1684, bie ¿weite von Apontes im
Sabre 1750 erfchien, enthalten nur 108 ber obgenannten
Stüde. Vera Taffi8 hatte die Abficht, den neun Bänden fei-
ner Ausgabe nod) einen zehnten hinzuzufügen, welcher bie
folgenden Titel enthalten follte:
La virgen de los remedios.
La virgen de la Almudena 1* y 2 * parte.
S. Francisco de Borja.
Don Quijote de la Mancha.
La Celestina.
El acaso y el error.
4) Nur einige von dieſen Comödien find mir befannt. El Monstruo
de la Fortuna (im 24ften Bande der Comedias nuevas escogidas)
mit Rojas und einem Ungenannten im Verein gefchrieben, behandelt bie
Gefchichte der Neapolitanifchen Wäfcherin Felipa CGatanea , welche fich
aus ihrem geringen Stande zur glänzenbften Höhe emporfchwang , dann
aber alg Haupt ber Berfchwörung gegen den König Andreas gefangen
genommen wurde und an den Folgen der ausgeftanbenen Folter ftarb
(f. Histoire des Rois des deux Siciles de la maison de France,
par d’Egly, Paris 1741, T. L p. 442 und zu Anfang des zweiten
Theile, und Boccaccio, De Casibus virorum et feminarum illustrium,
L. 9. Cap. 26). — El pastor fido (mit Antonio Coello) Tebnt fi
ganz an Ouarint, Unter La fingida Arcadia ift wohl das Stúd ge:
meint , welches fonft unter dem Namen bes Moreto geht. Ueber El
mejor amigo el muerto ward fihon im vorigen Bande Seite 636 ge:
ſprochen.
— 22 —
El carro del Cielo.
Certamen de amor y zelos.
La virgen de Madrid.
El condenado de Amor.
El sacrificio de Ifigenia.
Desagravios de Maria.
Diefer zehnte Band aber iſt niemals erfchienen, und bie
Schaufpiele, welche für ihn beftimmt waren, fcheinen bis auf
das, welches den Titel El Phenix de España San Francisco
de Borja führt 95), verloren zu fein *e). — Diejenigen Stüde,
an deren Abfaffung Calderon nur partiell Antheil hat, find
in feíne der Gefammtausgaben übergegangen und nur in al:
ten Einzeloruden (Suelta) vorhanden.
Die Zahl von Ealveron’s Autos wird von Vera Taflis
auf mehr alg hundert angegeben. Der Dichter felbft jedoch
nennt in dem an den Herzog von Veragua gerichteten Ver⸗
zeichniffe nur acht und fechgzig. Wenn nun dieſes Verzeichniß,
mie wir fchon an den Komödien faben, auch nicht ganz ge-
nau fein mag, fo läßt fid doch nicht annehmen, daß ber
Autor, der gerade auf diefe Gattung von Werfen ein befon-
deres Gewicht legte, mehr als dreißig feiner Autos unerwähnt
85) Es gibt drei Komödien biefes Titels, eine von Galleja, eine
zweite von Fernandez de Leon, eine dritte mit ber Meberfchrift Por un
ingenio de esta corte (gedrudt en Sevilla por Francisco de Leef-
dael), und biefe leßtere ift, nad) allen inneren Kennzeichen, das Werk
Galderon’s.
e) Bera Taffis fagt, die Bibliothek des Colegio Mayor de Oviedo
zu Salamanca bewahre bie Werke des Calderon auf; es wäre daher
möglich, daß biefe verloren geglaubten Stücke fich dort noch fänden, und
es iſt mir nicht befannt, ob man wegen Derfelben ſchon Nachforfcehungen
angeftellt Hat.
— A —
gelaſſen habe, und wir müſſen demnach fene Zahlenanführung
dem hyperboliſchen Style zu Gute halten, in welchem der
ganze biographiſche Artikel geſchrieben iſt. Die vollſtaͤndigſte
Sammlung ber Autos sacramentales de Don Pedro Cal-
deron de la Barca, welde Apontes im Sabre 1760 zu
Mabrid herausgab, enthält 72 Titel.
Bon ben 200 Loas, von denen Vera Taflis fpricht, if
nur ein fehr geringer Theil auf uns gefommen; denn diejes
nigen, welche fid vor den Autos finden, rühren nad ber
ausdrücklichen Erflärung bes SHerausgebers, zum Theil von
anderen Berfaffern ber; unter ben Comödien aber find nur
ein Paar der Feftípiele mit einem ſolchen Einleitungegebicht
verfehen. Von ben hundert Saynetes, welche Calderon
verfaßt haben ſoll, feheint bie bei weitem größere Zahl uns
tergegangen zu feinz aud) die wenigen, welche nod) vorhans
den fein mögen, find von höchfler Seltenheit, und id habe
mid) vergebens bemüht, auch nur ein einziges derfelben auf:
zutreiben. In dem höchſt unvollftändigen Verzeichniſſe fpani-
ſcher Saynetes, welches La Huerta geliefert hat, prangen fols
. gende Titel mit Calderon's Namen:
| El Asturiano en el Retiro. Las Carnestolendas.
El Dragoncillo. La muerte. La plazuela de Santa Cruz.
- La Premática. La tarasca de Alcorcon.
Die Comödien des Calberon find in fämmtlichen Aus:
gaben ohne Rücficht auf die Zeit ihrer Entftchung bunt durch⸗
einander gemifcht, und feiner feiner Herausgeber hat daran
gedacht, fie in chronologifche Ordnung zu bringen. Da nun
die frühere Zeit, alg vergleichen Unterſuchungen noch, leicht
‚ Waren, dies vernacdhläffigt hat, fo wirb es ber neueren, welche
bem Hiterarifchen Leben jener Tage fo weit entrüdt ift, un:
möglich, das Verfäumte in feinem ganzen Umfange nachzu-
_ BB —
holen. Einzelne Anhaltspunfte Taffen fido jedoch aud) jegt nod)
auffinden, und bei dem hoben Sintereffe, welches es haben
muß, die Entwidelungegefchichte des Dichters in feinen Wer
fen felbft verfolgen zu fünnen, wird es Feine vergebliche Ars
beit fein, diejenigen Comödien, von denen ſich die Entſteh⸗
ungszeit mit einiger Zuverfidht angeben läßt, in chronologt-
fher Folge aneinander zu reihen. Die Haltpunfte, welche
ung hierbei zu Gebote fteben, find einmal hiſtoriſche Anfpiel-
ungen in ben Stüden felbft, nad) denen fid) die Zeit ber
Abfaffung und Aufführung oft fehr genau feftitellen läßt, dann
zweitens bie älteften Ausgaben von Calderon's Comödien,
aus welchen fid) zwar feine aufs Jahr genaue Angaben,
aber doch immer beadhtungswerthe ungeführe Beftimmungen
der Entftehungszeit entnehmen Taffen. Wie ſchon erwähnt
wurde, erfihlen der erfte Band von Calderon's Schaufpielen
in áltefter Ausgabe im Jahre 1635, der zweite im Jahre 1637;
bie vierundzwanzig in biefen beiden Bänden enthaltenen Eos
mödien gehören daher der früheren Tebengzeit des Dichters
an. Die zwölf des dritten Theils find zuerft gedrudt 1664,
die ¿wolf des vierten 1672, und dies verdient immer feftge:
halten zu werden, wenngleih man bier nicht ben Schluß
ziehen darf, daß dieſe fämmtlich erſt fo fpät gefchrieben feien,
da mandes weit früher verfafite und Aufgeführte Werk bis
dahin nod) Manufeript getvefen fein kann. Die fpäteren Bände,
welche fämmtlich erft nad dem Tode bes Verfaſſers erfchie
nen, find zum Zmede der Chronglogie ganz unbrauchbar ; das
gegen fommen uns die großen Sammlungen ſpaniſcher Eo:
múbien von verfchiedenen Berfaffern zu Hülfe, in welchen
viele Stüde Calderon'8 zum erften Mal im Drud erichienen
find. Hat man nun einmal eine geriffe Anzahl von Cafes
ron's Dramen der Zeitfolge nad) geordnet, fo wird man aud)
— 285 —
von den übrigen, beren Abfaffungszeit ſich nad) äußeren Das
ten nicht beftimmen läßt, doch nad) inneren Merfmalen und
namentlich nad) dem Styl mit einiger Sicherheit angeben fóns
nen, 00 fie der früheren, mittleren oder fpäteren Periode des
Dichters angehören. Wir begnügen uns jedoch, hier eine Zeit
tafel der Stüde zu geben, deren Entſtehung ſich mit einiger
Sicherheit in ein beftimmtes Jahr verlegen läßt; dazwiſchen
werden Diejenigen eingefchoben, von denen fid) nur fügen läßt,
daß fie nicht Später, ald in ben angegebenen Sabren, vers
faßt fein können; und zulegt folgt ein Verzeichniß derer, für
welche wir gar Feine dhronologifhen Haltpunfte ermittelt has
ben und deren Entftehungszeit ſich daher nur durch eine, in's
Einzelne gehende, bier zu weit führende Kritif feftftellen
ließe 9”),
El Carro delCielo. Das unzweifelhaft ältefte, aber
jest vermuthlich nicht mehr vorhandene Drama bes Calderon,
nad Vera Taffis um’s Jahr 1613 gefchrieben.
El Sitio de Breda. Im abre 1625 oder doch fpás
teftens im darauf folgenden verfaßt und aufgeführt; denn bie
Einnahme von Breda durch die Spanier, welche in dem Stüde
verberrlicht wird, fand am 2ten Juni 1625 Statt, das ganze
Drama aber trägt den Charafter eines Gelegenheitsgevichtes
und wurde, wie aus den Schlußworten hervorgeht, auf höhere
Veranlaffung gefchrieben, alg die Nachricht von jenem Ereig-
niffe in Madrid angelangt war.
Casa con dos puertas mala es de guardar.
Wahrfcheinlich im Jahre 1629 geſchrieben und zuerſt aufge⸗
führt; denn die Verſe
) In Bezug auf die einzelnen, für das Folgende benutzten Daten
iſt mir der ſchon mehrfach angeführte Aufſatz V. Schmidt's in den Mie:
ner Jahrbüchern von großem Nutzen geweſen.
— WW —
La Reyna
Que infinitos siglos viva,
Para que Flores de Francia
Nos den el fruto en Castilla
deuten auf Philipp’s IV. erfte Gemahlin, Elifabeth von Franfreich,
und die hier ausgefprochene Hoffnung bezieht ſich alleın Anfchein
nad) auf bie bevorftebende Geburt des Kronprinzen Balthafar,
welche im October 1629 Statt hatte. Eine weitere Unterflügung
diefer Vermuthung [fegt in folgenden Worten unſeres Stüdes:
La Dama duende serä
Que bolver a vivir quiere.
Es ſcheint, daß hiermit die bevorftehende Aufführung ber
Dama duende angefündigt werde, und zwar daß es ein frühe.
reg gleihnamiges, von Calderon nur umgearbeitetes Stüd
gab. In ben erften Worten der Dama duende ift nun fo:
gleih von der Geburt des Rronprinzen Balthafar die Rede,
eine Erwähnung , die doch nur ntereffe haben fonnte, wenn
dies Stúd bald nach dieſem Creigniffe auf bie Bühne fam.
Hiernadh wurde denn, wie es feheint, La Casa con des
puertas zum erften Mal im Sommer 1629,
La Dama duende im Spätherbft over Winter 1629
aufgeführt.
Mejor estäqueestavä. Die Zeit der Abfaffung und
Aufführung tft nach aller Wahrfcheinlichfeit das Jahr 1631,
- denn die ausführliche, in das Stúd eingefchaltete Schilderung
des feftlichen Empfangs der Infantin Maria in Deutichland
würde fpáter fein Intereffe mehr gehabt haben- und übel an:
gebracht gewefen fein; die Vermáblung diefer Infantin mit Ferdi⸗
nand, König von Ungarn, fand aber am 26ften Febr. 1631 Statt.
La Vanda y la Flor muß noch im Sabre 1632 auf
die Bühne gefommen fein; denn einmal wirb darin die Hul
— 287 —
digung bes Prinzen von Afturien, welche zu Anfang von
1632 Statt hatte ( Ludolf8 Schaubühne, 11. 143), weitläuftig
befchrieben, dann aber gefchleht der beiden Brüder Philipp's IV.,
der Infanten Ferdinand und Carlos, Erwähnung; da aber
der Legtere gleichfalls im Sabre 1632 fon ftarb, fo würde
feines Todes, wäre er bei der Abfafjung bes Stückes fchon
erfolgt getvefen, ohne Zweifel mit einem klagenden Zufaß ges
dacht worden fein.
Los tres mayores prodigios. Zwiſchen den Sahren
1629 und 1634 aufgeführt; denn es ift darin von dem Krons
prinzen Balthafar die Rede, welcher 1629 geboren wurde;
die Ueberfhrift des erften Aftes aber gibt an, das Stüd fet
von der Truppe de Thomas Fernandez Cabredo gefpielt wor⸗
den, und diefer Schaufpielvireftor ftarb fon im Jahre 1634
(Pellicer, Tratado histórico, T. 1. pag. 139).
Mañana será otro dia. Jm Beginn dieſes Stúd8
wird der Tod des Herzogs von Lerma, der im Sommer 1639
bei der Belagerung von Maftricht blieb, mit dem Ausdrud
lebhafter Theilnahme erwähnt, und diefer Umftand macht Die
Annahme, das Drama fei bald nad) jenem Zeitpunft aufge:
führt worden, febr wahrſcheinlich. (S. die Jortfegung bes
Serreras, B. XII. pag. 194).
La vida es sueño.
El purgatorio de San Patricio.
La gran Zenobia.
La devocion de la Cruz.
La puente de Mantible.
Saber del mal y del bien.
Lances de Amor y Fortuna.
El principe constante.
Peor está que estava.
\
Zuerft gedruckt
im Jahre 1635.
— 28 —
El escondido y la tapada. Bermuthlich im Sabre
1637 zuerft aufgeführt. Die Verfe
En Italia estaba, Celia,
Cuando la loca arogancia
Del Frances sobre Valencia
Del Po etc.
fpielen auf die Belagerung von Valenza am Po durch die
Sranzofen an, telde am 28ften Oftober 1635 aufgegeben
wurde (Fortfegung des Ferreras, B. XI. S. 230), und nur
wenn das Stüd bald nad) biefem Zeitpunkt gefchrieben und
gefpfelt wurde, Täft fid die Erwähnung diefes an fi nicht
fehr wichtigen Bortheild erflären, welcher fpäter durch weit
bedeutendere in DVergeffenheit gebracht wurbe.
El mayor encanto amor.
Argenis y Poliarco.
El galan fantasma.
Judas Macabeo.
El Medico de su honra.
La virgen del Sagrario. Zuerſt gedrudt
El mayor monstruo del mundo **). im Jahr 1637.
Hombre pobre todo es trazas.
A secreto agravio secreta venganza.
El astrólogo fingido.
Amor Honor y Poder.
22) Galberon ſcheint diefem Schaufpiel befondere Sorgfalt gewibmtet
zu haben; die fpátere Necenfivn mit bem Titel: El mayor mónstruo
los zelos ift eine völlige Umarbeitung ber älteren. Die Schlußworte
des m. m.los zelos: „Wie es der Autor fchrieb, nicht wie es Der Dieb:
ſtahl drudte,« gehen ohne Zweifel auf den alten Tert, Der zwar unver:
fennbar von Calderon herrührt, aber, von ihm für unreif gehalten, wis
der feinen Willen gedruckt worden war.
— BB —
No ay cosa como callar. Um 1638 gefchrieben,
wie aus ber häufigen Erwähnung des Sieged ber Spanier
bei Auentarabia, der in das Jahr 1638 fällt, hervorgeht.
Certamen de amor y zelos. Diefes jest ans
fcheinend nicht mehr vorhandene Feftfpiel ſchrieb Calderon nad)
Vera Taffi8 im Jahre 1640 auf Befehl des Königs,
Con quien vengo, vengo. Bermuthlich 1640 oder
bald nachher verfaßt, da fpäter die eingeflochtene Befchreibung
der Gefechte zwifchen Spaniern und Franzofen bei Eafale in
Monferrat wenig Intereffe dargeboten haben würde. (Diefe
Gefechte fielen 1640 vor; f. Ludolff's Schaubühne, IL 753).
Mañanas de Abril y Mayo, jedenfalls vor bem
Gten Oftober 1644 gefchrieben, indem die Königin Sfabelle,
bie an biefem Tage ftarb, ald noch lebend genannt wird.
Los empeños de un acaso. Späteftens im Jahre
1646 verfaßt, indem Gorneille de l'Isle ſchon 1647 eine
Nachahmung davon unter dem Titel Les Engagements du
hasard auf die franzöfiihe Bühne brachte (S. H. Lucas,
Histoire du Theatre francais, Paris 1843. pag. 393.)
El gran Principe de Fez. Auf jeden Fall erft *
nach dem Jahre 1644 gefchrieben, wie die Erwähnung des
Papftes Innocenz X. (1644 — 1655) zeigt.
En esta vida todo es verdad y todo es
mentira. Oben (Seite 177) ward gefagt, diefes Stüd fet
fhon 1637 gebrudt; wir hatten dabei den zweiten Band von
Calderon's Comödien im Sinne, finden aber nun, daß dus
Drama erft im britten ftebtz beffenuneradtet glauben wir
(wegen ber .großen, ſchon von Voltaíre ¿ugegebenen Wahr:
ſcheinlichkeit, daß Corneille'8 Heraclius bem fpanifchen nach»
gebildet jei) einen Einzeldruck vor 1647 annehmen zu dürfen.
Boltaire (veffen Angaben freilich nicht fepr ¿uvertáffig find)
Gef. d. Lit. in Spanien. HI 8h. 19
— 290 —
fagt aud, Calderon's Schaufpiel werde fchon tn einer Nos
manzenfammlung von 1641 genannt.
' Guárdate del agua mansa. Bermuthlich zu Ende
des Jahres 1649 oder zu Anfang des folgenden aufgeführt,
alg die glänzende Schilderung des Empfanges ber: zweiten
Gemahlin Ppilipp’s IV. (1Sten Nov. 1649) nod) befonderen
Eindrud machen fonnte.
No siempre lo peor es cierto., Iuerflgedrudti. 3.1652,
La exaltacion de la cruz. in Der großen Sanımlung
. der Comedias escogi-
Luis Perez el Gallego. das, Band I. 9.
El Alcaide de si mismo. Juerft gedrudt 1653 in
El mejor de los mejores libros que han salido de Come-
dias nuevas. Madrid, Maria de Quiñones.
El Alcalde de Zalamea. Ebendafelbft in demfel-
ben Sabre, jedoch unter dem Titel: El garrote mas: bien
dado ¿uerft gedruckt.
Amigo, amante y leal. Aeltefter Drud vom Jabre
1653, im 4ten Bande der Comedias escogidas.
Agradecer y no amar. Juerft gebrudt 1653, im
Sten Bande berfelben Sammlung.
Para vencer á Amor querer vencerle. Der
áltefte Drud ift von 1654, im Tten Bande ber nämlichen
Sammlung. Ä
Darlo todo y no dar nada. |Suerft gebrudt im
Gustos y disgustos son no Sabre 1657, im
mas que imaginacion. Sten und 9ten Bde.
Amado y aborrecido. der Comedias
Las manos blancas no ofenden. | *5o8idas,
% Unter biefem Titel führen wir immer die große Sammlung
fpanifcher Comoͤdien verfchiedener Berfaffer an, deren Suhaltsverzeichnig
ſich am Schluſſe dieſes Bandes befindet.
— NN. AAN. .. GEBE eee e, e.
— 29% —
El Laurel de Apolo. Calderon bichtete anfänglich
nur die Loa und ben erften Aft, und ließ fie am Geburtsfeſt
des Prinzen Philipp Prospero (geboren ben 18ten Nov. 1657)
aufführen. Später unter Karl IL arbeitete er bas Stúd um -
und fügte einen zweiten Aft hinzu.
La Fiera, el rayo y la piedra iſt zwifchen
1651 und 1660 gefchrieben und aufgeführt worden, denn es
tft darin von der Infantin Margarethe, der nachherigen Ges
mahlin Raífers Leopold 1., die Rede; Diefe aber warb 1651
geboren; und ferner wird angebeutet, das Stück feí auf Bes
fehl der María Therefa verfaßt, alfo vor 1660, in welchem
Jahre diefe Prinzeffin Spanien verließ, um fid) mit Ludwig
XIV. zu vermáblen.
El Golfo de las Sirenas. Auch diefes Stüd fällt
in die Sabre zwifchen 1651 und 1659, denn es werden barlır
biefelben Perfonen genannt, wie in dem vorigen.
La Púrpura de la Rosa ward zur eier des Ph⸗
renäiſchen Friedens und der Vermählung der Infantin Maria
Thereſa mit Ludwig XIV. alſo gegen Ende bes Jahres 1659
aufgeführt.
El encanto sin encanto iſt jedenfalls vor 1660
gefehrieben, denn in biefem Jahre fam Lambert'3 Magie sans '
Magie, eine Nachahmung bes Calderon'ſchen Stüds, auf bie
Parifer Bühne. (S.H. Lucas, Histoire du Theatre francais,
pag. 395.)
Los tres afectos de amor.
Fuego deDios en el querer bien Comedias
El Josef de las mugeres. escogidas.
justici . | Der ältefle Drud J 1661
Las tres justicias en una $ a Me —F bom aber 16
El Conde Lucanor. escogidas.
Cada uno para si. Zuerſt gedrudt 1661, in dem
| 19*
Buerft gebrudi
1660, im Bd. XIII.
— QQ —
nämlichen Bande. Aus der Erwähnung der Einnahme von
Barcelona durch Don Juan, den natürlichen Sohn Philipp's IV.,
leuchtet ein, bag das Drama früheftens 1652 gefchrieben ift,
in welchem Sabre jenes Ereigniß Statt hatte. (S. Theatrum
Europaeum 1656, T. VII. pag. 213).
Dar tiempo al tiempo. Zuerfi gebrudt 1662, im
Antes que todo es mi Dama. | Band XVII. ber Comedias
Muger llora y vencerás. escogidas.
Dicha y desdicha del nombre, áltefter Drud von 1662,
in Band XVII. derfelben Sammlung.
Zelos aun del aire matan. Zuerft gevrudt 1662, in
Band XIX. berfelben Sammlung
El Magico prodigioso.
Auristela y Lisidante.
S. Band XX. und XXI der
námiidjen Saminlung, vom
Cual es mayor perfeccion. Jahre 1663.
El maestro de danzar.
Los hijos de la fortuna. Zuerſt gebradt 1664,
Afectos de odio y amor. in Band IH. ber
La hija del Aire. Comedias de D. Pedro
Ni amor se libra de amor. Calderon de la Barca.
Tambien hay duelo en las damas.
Fortunas de Andromeda y Perseo. Aeltefter
Drud vom Jahre 1664, in Band XXI, der Comedias nue-
vas escogidas.
A mar despues de la muerte. Die Morte, mit
welchen Philipp’s IV. natürliher Sohn, Don Juan, anges
redet wird:
Generoso Don Juan de Austria,
. Hijo del Aguila famoso
Que al Sol mira cara á cara,
begründen den Schluß, daß das Stüf nad Philipp's Tode,
— 298 —
und zwar nicht vor 1667, bis zu welchem Sabre die Theater
geichloffen blieben, aufgeführt worden fet.
La Estatua de Prometeo. Aus mehreren Ans
Deutungen in biefem Feſtſpiele geht hervor, daß es nach Phts
Iipp’8 Tode am Geburtstage der Königin Mutter, Maria
Anna, dargeftellt worden iſt, vielleicht aber nod) während ber
Minderjährigfeit Karl’s 11.
No ay burlas con el Amor iſt zwar nad allen
inneren Merfmalen fchon weit früher gefchrieben, aus äußeren
Umftänden aber läßt fi) nur beweifen, daß eS vor 1672
entftanden fei. In diefem Sabre nämlih famen Molière's
Femmes savantes, eine Nachahmung der Caldero en Eos
mödie, auf die franzöfifche Bühne.
El postrer duelo de España.
Eco y Narciso.
El monstruo de los jardines. Zuerſt gebrudt 1672,
La niña de Gomez Arias. im vierten Bande ber
El Hijo del Sol, Faeton. Comedias de D. Pedro
La Aurora en Copacabana. Calderon de la Barca.
Fineza contra fineza.
Apolo y Climene.
Fieras afemina Amor.Die Loa diefer Fieſta befagt,
daß Karl IL biefelbe veranlaßt habe, um durch ihre Aufführung
den Geburtstag feiner Mutter zu verherrlichen. Hiernad) tft das
Stück wahrfcheinlidh erft nad) bem Gten Nov. 1675 gefchrichen,
an welchem Tage der junge König für mündig erflärt wurde.
El segundo Scipion.
DuelosdeAmor yLealtad. Aud in biefen beiden
Stüden deuten viele Anfpielungen auf Karl II, der darin mit
Schmeicheleien überhäuft wird, auf die Entftepung nad) dem
6ten Nov. 1675.
— mM —
Nod) einmal müffen wir hier des Conde Lucanor ges
denfen. Diefes ES chaufpiel {ft námiid) in ber Geftalt, wie es
fih bei Vera Taffis findet, eine Bearbeitung legter Hand
des gleichnamigen Stüds von 1661.
Hado y divisa deLeonido y Marfisa, nad
Bera Taffis das letzte Schaufpiel des Calderon und in feinem
Biften Jahre gebichtet. Da Daffelbe aber fon in bem von
dem Dichter felbft entworfenen Berzeichniffe aufgezählt wird
und Daher vor dem 24ten Juli 1680 entflanven fein mufi, Gals
deron aber nod) bis zum 25ften Mai 1681 Iebte, fo fcheint
die Vermuthung nicht unftatthaft, daß das eine oder andere
von den Dramen, weldye in bem Verzeichniſſe fehlen, mod
fpäter verfaßt fein möge.
Die nod) übrigen Comödien Ealderon’s, über deren Ents
ſtehungszeit fich Feine Angaben oder Andeutungen finden, find num:
Los dos Amantes del Cielo. De una causa dos
efectos. El Jardin de Falerina. Basta callar. La Sibila
del Oriente. Primero soy yo. El Secreto á voces. La
desdicha de la voz. El Pintor de su deshonra. La
Cisma de Inglaterra. Los Cabellos de Absalon. Las
Cadenas del Demonio. Las Armas de la Hermosura.
La Señora y la Criada. Nadie fie su Secreto. Céfalo
y Pócris. El Castillo de Lindabridis. San Francisco
de Borja. Bien vengas mal si vienes solo. Un castigo
en tres venganzas, und die ſchon oben S. 282 ald wahr
fheinlich verloren bezeichneten.
Sranscisco de Rojas.
Die Angaben über ben Geburtsort dieſes eminenten Dras
matiferd weichen fehr von einander ab. N. Antonio und La
Huerta nennen das Städtchen San Estevan de Gormaz in
Alt-Caftilien, Montalvan im Para todos dagegen Madrid;
ber Herausgeber der Hijos ilustres de Madrid aber hat
bargethan, daß beide Behauptungen unrichtig find; aus nod)
vorhandenen Documenten geht nämlid hervor, daf Don
Francisco de Rojas Jorrilla aus Toledo gebürtig und
Sohn des Fähnrichs Francisco Perez de Rojas und der Dofía
Mariana de Vega Jeballos war. Da er ſchon in Montals
van's Para todos (Huesca 1633) alg berühmter Dichter
genannt wird und fein Name auch in den Denkſchriften auf
Lope’s Ton mehrfach vorfommt, fo muß gefchloffen werben,
daß er nicht viel jünger als Galberon gervefen und um ben
Begínn des Sahrhunderts zur Welt gefommen fet. Er wurde
im Sabre 1641 zum Ritter des St. Jago⸗Ordens ernannt.
Dies ift Alles, was man über fein Leben weiß, und aud das
Jahr feines Todes ift unbefannt. Eine Sammlung feiner
Comödien erfchien in zwei Bänden (Mabrid 1640 und
1645); in der Vorrede zu dem zweiten wird noch ein dritter
angefündigt, aber dieſer ſcheint nie erfchienen zu fein; viele
andere, von Rojas fowohl allein, ald in Gemeinfchaft mit
anderen Dichtern verfaßte Stüde find nod) in einzelnen Drufs
fen vorhanden °). Rojas beflagt fih in dem Vorwort zu
5) Die erwähnten beiden Bände find hoͤchſt felten, und ich habe fie
nur auf der Bibliotheque de Arsenal in Paris gefehen.
— %6 —
dem zweiten Bande ſeiner Comödien, daß man in Sevilla
die Schauſpiele weniger bekannter Autoren unter dem Namen
bekannterer drucke, ſo habe er kürzlich eine Comödie „die
Tollheiten ber Liebe” (los desatinos de Amor) mit feinem
Namen bezeichnet gefeben, er habe aber genug an feinen eige-
nen Tollheiten zu tragen und wolle ſich nicht nod) fremde
aufbürden laffen. Wirklich fcheinen unter den mit feinem Nas
men prangenden Stüden viele unächt zu fein **) und ein all
gemeines Urtheil über unferen Dichter wird hierdurch fehr
erfhwert’Y). Aber auch unter den Schaufpielen, rele uns
Primera parte de las Comedias de D. Francisco de Rojas
Zorrilla. Madrid 1640. -
No ay amigo para amigo. Noay ser padre siendo rey. Donde
ay agravios no ay zelos. Casarse por vengarse. Obligados y
ofendidos. Persiles y Sigismunda. Peligrar en los Remedios. Los
zelos de Rodamonte. Santa Isabel Reyna de Portugal. La traicion
busca el castigo. El profeta falso Mahoma. Progne y Filomena.
Segunda parte de las Comedias de D. Francisco de Rojas
Zorrilla. Madrid 1645.
Lo que son mugeres. Los bandos de Verona. Entre bobos
anda el juego. Sin honra no ay amistad, Nuestra Señora de Atocha,
Abrir el ojo. Los trabajos de Tobias. Los encantos de Medea.
Los tres blasones de España. Los aspides de Cleopatra. Lo que
queria ver el Marques de Villena, El mas impropio verdugo para
la mas justa "venganza.
2) Dahin gehört 3. B. bie Comödie Los Carboneros de Fran-
cia, welche in ber vor mir liegenden Musgabe (Sevilla, imprenta de
Josef Padrino) bie Ueberfchrift de D. Francisco de Rojas führt, aber
unzweifelhaft aus früherer Zeit und wahrfcheinlich von Mira de Mefcua
herrührt.
23 Blankenburg in den Sufágen zu Sulzer ſagt (durch La Huerta's
Gatalog verführt), es gebe zwei dDramatifche Dichter, Namens Frans
cisco be Rojas; allein Dies fcheint ein Irrthum zu fein ; es gibt
nah N. Antonio ( Bibl. Scr. H I. 353) noch vier Schriftiteller
— 297 —
zweifelhaft von ihm herrühren und in der von ihm feroft
veranftalteten Ausgabe gebrudt find, macht fid) eine grofe
Berfchiedenheit bemerflich. Rojas war von der Natur mit den
feltenften Gaben ausgerúftet, mit einer mächtigen Einbildungs⸗
traft und fprudelnden Erfindungsgabe, mit Feuer und Schwung
der Rede, mit ergreifendem Pathos im ZTragifchen, wie mit
Fülle des Wiges und Humor’s für die Komik, und mit diez
fen Eigenfhaften hat er Meifterwerfe hervorgebracht, bie fid)
den größten des Calberon an bie Seite ftellen fónnen; allein
um fich ftete auf biefer Höhe zu behaupten, fehlte es ihm an
jener gehaltenen Kraft und jenem ernften Fünftlerifchen
Sinn, welder dem Genius zur Seite fichen muß, Damit
er nie ftürze. Unfer Dichter hatte neben feinen großen Eigen-
ſchaften eine Sucht nad) dem Bizarren und Uebertriebenen, die
fi bald im abenteuerlichen Plänen feiner Stüde, bald in
den wunderlichften Seltfamfeiten der Ausführung fund gibt.
Wenn er diefem Hange den Zügel ſchießen ließ, fo erzeugte er
oft wahre Monftrofitäten, die an die Träume eines Fieber:
franfen erinnern und die tollften Ertravaganzen in der Ers
findung neben Unnatur und Geſchraubtheit in den Eharafteren
und Affeften zeigen. Was namentlid) den Styl anbelangt, fo
leidet eine Anzahl feiner Werke in hohem Grade am Gongo:
riemus, an falſchem Prunf, affeetirter Dunfelheit, geſchmack⸗
lofen Gegenfägen und geziertem Wortpomp. Wie Rojas an
dieſer Redeweiſe Gefallen finden fonnte, tft um fo unbegreifs
licher, als er in verfchiedenen feiner Dramen, ja in anderen
diefes Bor = und Zunamens, aber feiner von ihnen ift Dramatiker, und ich habe
auch von feinem foldjen, außer dem unfrigen, irgend eine Spur gefunden,
wohl aber werden ein Chriftoval de Rozas (bisweilen irrthümlich Roras
gefchrieben) und ein Diego be Rojas y Argumedo als Schaufpieldichter
genannt,
— 78 — *
Scenen der nämlidyen, welche mit ben bezeichneten Mängeln
behaftet find, fih ale Meifter des natürlichften Ausdrucks,
der einfachften unb naivſten Sprache zeigt, und überdies vers
fchiedentlich fatirifche Ausfälle auf die Gongoriften macht. So
heißt es in der Comödie Sin honra no hay amistad, um
die Dunfelheit der Nadt zu ſchildern:
Está hecho un Góngora el cielo
Mas oscuro que su verso,
und im erften Afte des Desden vengado fommen zwei Sos
nette vor, die, wie es fdheint, ben Cultus⸗Styl abfichtlid)
parodiren follen.
Glücklicher Weife ift die Zahl ber Stüde von Rofas,
welche durch Wiverfinnigfeiten bes Plans und durch die ftete
Gefchraubtheit der Sprache ungeniefbar gemacht werden, nicht
groß, und wir fónnen und mit freubiger Bewunderung einer .
beträchtlichen Menge Comödien von ihm zumenben, welde,
wenn auch nicht durchgängig tadellos, doch von fo genialer
Erfindung und in Einzelheiten der Ausführung fo metfterhaft
gelungen find, daß fie zu ben erften Zierden des fpanifchen
Theaters gezählt werden müffen. Aud) in biefen Stüden
fchweift der Hang des Dichters zum Wunderbaren und Aufers
ordentlichen freilich bisweilen bis in's Ungebeure aus, aud)
in ihnen ift die Sprache nicht durchgängig fret von einzelnen
lecken, allein man müßte, am Geringfügigen lebend, feinen
Sinn für die Kraft des Genie's haben, wenn man mehr
auf jenen einzelnen Mifftänvden, alé auf der Trefflichfeit der
ganzen Conception verweilen wollte. Ganz befonders bead)-
tenswerth ift es, wie gefagt, daß Rojas neben ber überladenen
Metaphernfprache, deren er fid) hier und da ſchuldig macht,
doch zugleich in fo hohem Grabe, wie faum ein anderer fpa:
nifcher Dichter, den ungefchminkteften Styl tn feiner Gewalt hat,
— 299 —
und daß er neben ber allzu gefparmten Phantafle, melche
manche Auswüchſe und verfehlte Zurüftungen in feine Stüde
brachte, einen männlichen Berftand befaß, der, »ſobald er
wollte, jene controllirte. Wo nun das Leptere in burchgreis
fender Weife der Fall war, mo feine Befonnenpeit dem Drange
feiner Einbildungsfraft Das Gleichgewicht hielt, da Heferte er
vortrefflihe Dichtungen vol inneren poctifchen Lebens bei
höchſter Kraft ber Darftellung, vol Fülle und Reichthum
der Erfindung bei firengem Zufammenhang aller Theile unter
fid), voll kühner dichterifcher Gedanken und Anfchauungen
bei claffiicher Präcifion des Ausdrucks.
Bon vorne herein glauben wir den Irrthum berichtigen
zu müffen, welcher unferen Autor zu einem Nadafmer des "
Calderon macht; er darf in feiner Art fo genannt werben,
und bie Betrachtung feiner einzelnen Werfe wird zeigen, daß
er felbftftändige Geiftesfraft genug befaß, um im Tragifchen
fowohl alg im Komifchen feinen eigenen Weg zu gehen.
Dei weitem bas berühmtefte unter allen Dramen des
Rojas und eines ber gefetertften ber fpantihen Bühne übers
haupt ift Del rey abajo ninguno, oder, wie eg mit anderem
Titel heißt, Garcia del Castafiar. „ Diefeg Drama —
fagt Ochoa — íft in Spanien fo populair, daf es faum ets
nen leidlich gebildeten Jüngling geben dürfte, der nicht Stel
len daraus auswendig wüßte. Auf den Theatern der größeren
Städte wird es beftändig aufgeführt, und felbft in ben Lambs
ftädten und Dörfern tft eS wohlbefannt, da bie umberzichens
den Schaufpielergefellfchaften gewöhnlich mit dieſem . Stüde
debútiren. Man fann demnach fagen, daß biefe Comödie von
dem ungebeuren dramatifchen Repertorium Spaniens bie bes
fanntefte íft. Eine fo allgemeine und bauernde Berühmtheit
muß fi) wohl auf ein außerorventliches Verdienſt gründen ;
— 30 —
und wirtlid) ift die Komödie fo bewundernswürdig, daß wir
feine Ausdrüde finden fónnen, um ihren Werth nad Gebühr
zu preifen. Wäre es durch ein unbegreifliches Verhängniß bes
fhloffen, daß unfer ganzes altes Theater untergehen follte,
und würde ed und nur erlaubt, einen fehr geringen Theil
davon, vier Dramen, ald Reliquien fo großen Reichthums,
zu retten, fo würben wir bei dem großen Werth, den wir
auf bie Fiterarifchen Schäge unferer Nation legen, doch feinen
Augenblid anftehen , aus biefem furdtbaren allgemeinen Schiffe
bruche zu retten: den Tetrarca (El mayor monstruo los
zelos) von Calberon, El desden con el desden von Mos
reto, La verdad sospechosa von Alarcon und ben Garcia
del Castañar von Rojas." — Schon diefe große Celebrität
veranlaft uns, auf ben Inhalt dieſes Stüdes etwas näher
einzugeben. Die Handlung fällt in bie Regierungszeit Alfons
ſo's XI. Garcia ift der einzige Sohn eines mächtigen Gran⸗
den, welcher einen hohen Poften am Hofe befleivet hat, aber
in die während der Minverjährigfeit des Königs ausgebrodjes
nen Unruhen vermidelt gerveferr tft und fich der Anflage bes
Hochverraths nur durch die Flucht entzogen hat. Der junge
Garcia felbft hat fid, feine Herkunft verbergend, nahe bei
Toledo im Gebirge niedergelaffen und mit dem Refte feines
väterlichen Bermógens das Feine Landgut Caſtañar gefauft.
Hier lebt er in tieffter Stille, aber in der Hoffnung, daf es
dem Grafen Orgaz, einem freunde feines Vaters, der allein
um feine Herkunft weiß, gelingen werde, den nod immer
auf feiner Familie laftenden Verdacht zu tilgen und daß er
dann den Glanz feines Namens werde wiederherftellen fón:
nen. Der Graf, der faft Vaterftelle bei ihm vertritt, hat ihm
auch eine junge Gattin zugeführt, deren Schickſal viele Aehn-
lichfeit mit bem feinen hat; fie heißt Blanca de la Cerda
— 301 — e
und iſt Tochter eines Prinzen von Föniglichem Geblüt, welcher
wegen Auflehnung gegen den rechtmäßigen Herrfcher in bie
Berbannung geſchickt worden ift. In Tändlicher Stille aufers
zogen, bat fie Feine Ahnung von ihrer Herfunft. Garcia ſelbſt
weiß zwar, daß feine Gattin von edlem Stamme tft, nicht
aber, daß fie bem Königshauſe von Caftilien angehört. Das
häusliche Glück des jungen, durch gegenfeltige Liebe befeligs
ten Ehepaar wird auf's reizendfte gefcpilbert, und dem Gons
goríften muß es um fo höher angerechnet werben, daß er
diejes Gemälde in fo naiver Anmuth auszuführen gewußt
hat. Unterdeffen hat der König Alfonfo Anftalten zu einem Krieges
zuge wider die Mauren getroffen. Unter ben Truppenfens
dungen und fonftigen Hülfsleiftungen, welche von ben vers
fohiedenen Vafallen einlaufen, befindet ſich auch eine fehr reich
lihe Spende von Garcia. Der Köntg, erftaunt über biefe
Sreigebigfeit,, erfundigt fic nad) bem Geber, und ber Graf
von Orgaz ergreift begierig die Gelegenheit, feinen Schü»
ling zu- empfehlen; ohne dem Könige die Herkunft Garcia’s
zu enthüllen, rühmt er ihm feine Zapferfeit und Bravheit,
fhilvert ihn aber zugleich ald einen ftoßzen und unabhängigen
Charafter, der den Hof abfichtlich meide. Der König, blers
durch neugierig gemacht, wünſcht den Sonderling fennen zu
lernen %) und befteplt, daß eine Jagd in ber Umgegend von
Zoledo angeordnet werde; er will ſich dann ftellen, alg ob
er fi im Wulde verirrt habe, und mit einigen Begleítern,
9% Mir haben hier wieder ein intereffantes Beifpiel, wie geiftreich
bie fpanifchen Dichter fremde Gedanken zu benugen, neu zu wenden und
zu anderen Zweden auszubeuten wußten. Offenbar hat dem Rojas hier‘
eine Erinnerung an Lope's Villano en su rincon vorgefchwebt. Außer:
dem bietet Der Garcia hier und da Reminifcenzen aus Tirfu'8 Celoso
prudente und aus Lope's Comendador de Ocaña bar.
a. — . 3092 —
ohne fich zu erfennen zu geben, in GEaftañtar um Herberge
bitten. Der Graf, mit biefem Plane, an ben er freubige
Hoffnungen fripft, wohl zufrieden, eilt, dem Garcia von dem
bevorfichenden Beſuche Kunde zu geben, benachrichtigt ihn
aber zugleich, er folle fich ftellen, als fet er von nichts uns
terrichtet. Da Garcia ten König nie gefehen hat, fo madt
ihn der Graf darauf aufmerffam, daß er ihn an dem großen
rothen Drdensband, das er trage, erfennen fónne. Raum hat
García den Brief empfangen, fo treten vier Unbefannte ein,
weldye fich für Gavaliere des Hofes ausgeben und um gafts
lihe Aufnahme bitten, weil fie auf ber Jagd verirrt feien.
García bemerkt, daß einer von ihnen ein rothes Ordensband
trägt, und hält natürlich diefen für ben König; zufällig aber
hat Alfonfo dies Abzeichen nicht angelegt, während einer ber
Höflinge, Don Mendo, bem der Orden erft fürzlich verlichen
worden tft, fic) fogleich mit ben Infignien veffelben gefhmüdt
hat. Es folgt eine Scene, in welcher der König, der von
García nur für einen ber Höflinge gehalten wird, die Ges
finnungen und den Charafter des Mannes zu erforfchen ftrebt,
auf deſſen Bekanntſchaft ihn der Graf Orgaz fo begierig yes
macht pat. Er fpricht von dem Mohlgefallen, mit bem Al:
fonfo feine reichlichee Gabe aufgenommen habe, und wie ber
König ihm gern eine glänzende Stelle in feiner Umgebung
geben möchte; aber Garcia weiſt Died entſchieden zurüd, ſchil⸗
dert mit lebhaften Farben und nicht ohne Anfpielungen auf
die Schickſale feines Vaters bie an den Höfen heimifche
Falfchheit und Nänfefucht, und preift dagegen die Vorzüge
feines unabhängigen Lebens auf dem Lande. Während ber
König fo feinen Wirth fennen zu lernen fucht, hat Don
Menbo, ber Cavalier mit dem rothen Bande, eine Únterres
dung mit Blanca angefnüpft, aus welcher bald hervorgeht,
— 308 —
wie fehr ihn die Schönheit der jungen Frau feffelt, und wie
er zugleich glaubt, daß es ein Leichtes fein werbe, fie durch
fein gewandtes Wefen und durch feine Stellung zu bethören.
Die Antworten, welde fie auf feine galanten Reden gibt,
find voll von Naivetät und feiner Ironie, und fo treffend,
daf er fich nicht verhehlen Fand, wie ihm hiernach wenig
Ausfihten zur Erreihung feiner Wünfche offen fteben; dens
noch fpridht er im Abgehen für fid) dic Abſicht aus, feine
Pläne auf fie nicht aufzugeben. Nachdem fid die Befucher
entfernt Haben, läßt Garcia, der Don Mendo's lebhafte Res
den gehört pat, einige Unruhe bliden; allein ein Paar füße
und zärtlihe Worte Blanca's vericheuchen fogleich alle feine
Sorge. — Mendo, genöthigt, fi) mit dem Könige zu ents
fernen, harrt indeffen auf eine Gelegenheit zur Ausführung
feiner verbrecherifchen Anfchläge. Ein Knecht in Caſtañar, den
er beftochen hat, gibt ihm am folgenden Tage die Nachricht,
Garcia werde die Nacht aufier dem Haufe zubringen, um ein
wildes Schwein, das feine Felder verwúfte, zu verfolgen.
Der lúfterne Höfling eilt, diefen Umftand zu benugen, ent
fernt fi) heimlich von Toledo und dringt um Mitternacht
durh ein ihm von feinem Mitfchuldigen geöffnetes Fenfter
in Garcia's Wohnung ein; zu feiner grofien Berlegenheit aber
trifft er auf den Hausherren, der durch einen glüdlichen Zus
fall vor ber beftiminten Zeit zurüdgefehrt tft. Garcia flürzt
in höchfter Entrüftung auf den Vermummten ein und forbert
ihn auf, fich zu enthüllen; biefer entfpricht der Aufforderung
und ftept nun in feiner Hoftracht, mit dem rothen Ordens⸗
bante gefhmüdt, da.
Garcia (indem er fein Schießgewehr fallen läßt.) Him-
mel! es ift der König! Und er weiß, daß ich ihn fenne! Welch
unglüdfelger Zwiefpalt zwilchen der Unterthanenpflit und
der Ehre hemmt hier meine Rache!
— 34 —
Mendo. Das ift recht die Art ber Bauern! Mein Rang
flößt ihm Furcht und Zagen ein.
Garcia. Mir meine Ehre zu fteblen! Fürwahr, Ihr
belohnt mich trefflich für die Baftfreundfchaft, die Blanca und
Ih Euch erwiefen haben! Sehr verfchieven iſt Euer Berfah-
ren von bem meinen: ich fahre, trog ber Beleidigung, fort,
Euch) zu verehren; Ihr dagegen, bem ich Proben meiner Vas
fallentreue gegeben, wollt mich zum Danfe entehren.
Mendo (indem er die Büchfe ergreifen will). ES wäre
Thorheit, dem gefränkten Bauern trauen zu wollen. Dies
Gewehr mag mir zur Bertheivigung dienen!
Garcia, Was beginnt Ihr? Laßt die Büchſe Tiegen!
Wenn ich's Euch verwehre, fie zu ergreifen, fo ift eS nur,
damit hr das Ende biefes Abenteuerd nicht dem Bortpeil,
in bem Ihr Euch befändet, zufchreiben könnt! Das Ordenés
band auf Eurer Bruft genügt allein um Euch zu fügen.
Menbo. Alfo habt Ihr mich erfannt?
Garcta. Mein Benehmen mag es Euch beweiſen.
Mendo. Mein Rang verbietet mir, Euch Genugthuung
zu geben. Bas follen wir thun ?
Garcia. Geht von binnen! Bittet Gott, daß er Eure
Leidenschaften zähmen möge und fehrt nie nad Caftañar ¿us
rück! Mir ziemt es nicht, Euch für Euer unfeliges Verfah⸗
ren zu züchtigen. Möge die Race bem Himmel anheimge-
ftellt fein]
Mendo. García, ich werde nicht vergeffen, was id
Euch ſchulde.
Garcia. Ich begehre Euren Dank nicht.
Mendo. Verſprecht mir, dem Grafen Orgaz nichts von
dem Vorgefallenen zu ſagen.
Garcia. Ich gelobe es.
+;
— 305 —
Mendo. Eure Fran ....
Garcia. Kein weiteres Wort! Id Fenne fie und weiß,
daß Ihr allein ſchuldig feíd . .. . Wohin wollt pr *
Mendo. Id fuche die Thür,
Garcia. Welche Verblendung! Geht benfelben Wey,
den Ihr gefommen! (Er deutet auf das Fenfter, durch wels
es Mendo hereingeftiegen iſt).
Mendo. Nod) einmal, fennt Ihr mid ?
Garcia. Bei meiner Ehre, wüßte ich nicht, wer Ihr
ſeid, ich hätte Euch häuptlings zu Boden gefchmettert! Doch
jept nehmt diefe Büchſe, denn hier im Walde haufen Räuber,
bie Teicht weniger Schonung mit Euch haben Fónnten, als
ih. Raſch hinunter, denn id) wünfchte nicht, Daß Blanca ets
was von bem Borfall erführe.
Beſonders bemerfenswerth ift in diefer Scene, wegen
feiner draftifchen Wirkung, der Doppelirrthum Garcia's und
des Don Mendo, von denen der Eine, im Begriff, feinen
Beleidiger niederzuftofen, plöglich die Waffe fallen läßt, weil
er den König zu fehen glaubt und weil die VBafallenpflicht gebietet,
fi) in feiner Art an dem Lehnsheren zu vergreifen, der An:
bere aber nicht ahnt, Daß er für ben König gehalten werde,
fondern die plöglihe Unterwürfigfeit Garcia's nur dem Res
fpect zufchreibt, welcher einem Manne feined Ranges ges
búpre. — Gareia überläßt fi, nachdem ihn ber frembe Eins
dringling verlaffen, ber heftigften Verzweiflung. Er ſieht ¿us
erft die Ermordung feiner geliebten und unfchuldigen Blanca
al8 das einzige Mittel an, durch das er die Anfchläge des
vermeinten Königs ficher vereiteln und feine Ehre retten fónne.
Hierüber entfpinnt fid ein heftiger Kampf zwifchen Liebe
und Eiferfucht in feiner Bruft. Blanca wird durch das vers
änderte Befen, durch die dunkeln und geheimnißyollen Reden
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Do. 20
— 806 —
ihres Gatten fo von Entfepen erfüllt, daß fie ans bem Haufe
entflicht und in einem benacharten Walde einen Zufluchtsort
fucht. Hier begegnet fie bem Grafen Orgaz, der fi) eben ¿u
García begeben will, um ihm anzuzeigen, daß ber König
tim ben Oberbefehl über eine wiver die Mauren zu führende
Heerfchaar anvertraut babe. Sie erzählt ihm von der ©eiftes-
zerrüttung ihres Mannes und von der Gefahr, in welcher
fie ſchwebe, und er übergibt fie einem Diener, um fie zur
Königin, weldhe von dem Geheimniß ihrer Geburt unter:
richtet ft, zu führen. Garcia empfängt hierauf die Auffordes
rung, fid an ben Hof zu begeben, um ſich dort an bie
Spige der ihm zugedachten Truppenſchaar zu ftellen. Er tritt
fogleih den Weg dahin an, weniger burd) bie ihm auferlegte
Pflicht, al8 durch den Gedanken dazu vermocht, daß Blanca
fi) dort befinde. Kaum ift er bei'm Könige, der ihn zu fpres
hen begehrt, eingetreten, fo entdeckt er feinen Irrthum, daß
nämlih Mendo, fein Beleidiger, nicht der König fet.
Garcia Ceintretend). Juerft werf’ ich mich meinem Rós
nig zu Füßen. (Er wendet ih an Don Mendo; diefer vers
weil’t ihn auf den König.)
Mendo. Der da ift der König!
Garcia. Was hör! ih? O Ehre, meine arme Ehre,
fo bift du getäufcht worden! (Zum König.) Edler Fürft! reicht
mir Eure Hand zum Ruffe, wenn id) es verdiene]
König. Was habt Ihr, daß Ihr plöglich erblaßt feld ?
Garcia (für fid). Ein Edler hat Feine Farbe, wenn
ihn die Ehre verlaffen hat.
König. Hat Eud Jemand befehimpft %
Garcta. Ich fenne den, der mid) beleidigt hat.
König. Wer tft es?
Oracía. Ich weiß feinen Namen nicht.
— 307 —
König. So bezeichnet ihn!
Barcia. Wohlan! (Zu Don Mendo.) Lafit und in ben
Vorſaal gehen, id habe Euch wichtige Dinge zu fagen, aber
der König darf nicht dabei zugegen fein.
König. Wohin geht Ihr, Garcia?
Garecia (indem er mit Mendo abgeht). Euren Willen
zu vollfireden.
König. Sein Schmerz betrübt mich. Wer mag wohl
fein Beleiviger fein?
García (auf dem Vorplag). So löſ' ich meine Ehre
ein. (Er durchbohrt Don Mendo mit dem Dolce.)
Mendo. Ich fterbe!
Garcia tritt mit bluttriefendem Dolche wieder ein, ente
púllt dem König feine Herfunft, fo wie die Blanca’d und
erzählt, welche Beleidigung ihn zu der vollbradhten Rache:
that bervogen habe. „Sener Verráther — fprid)t er — war
gaftfreundlih von mir aufgenommen worden und warf zum
Danfe verbrecherifche Blide auf Blanca. Da ich durd ein
Mißverſtändniß ihn für Euch, Señor, hielt, fo Tieß ich meis
nen gerechten Zorn ber Pflicht des loyalen Vafallen weichen
und vergriff mich nicht an ibm; als ich aber meine Täus
ſchung erfannte, heifchte die Ehre gebieterifch von mir, mid)
zu rächen; ich nahın meinen Dolch und ſtreckte meinen Be:
leidiger zu Boden pin; — da febt ihn, er tft tobt! Als hr
die Frage an mic richtetet, wer mid beichimpft habe, da
würdet Shr mid für ebrios gehalten haben, wenn ich ión
Euch anders als fterbend gezeigt hätte. Und wär’ er der Sohn
der Sonne, einer der Großen des Staats, der Erfte in Eu
rer Gunft, der Zweite in Eurem Königreich — Ihr wißt,
wer ich bin und welche Rránfung mir wiverfahren tft; ba
liegt ber fchuldige Beleidiger — hier ¿ft der Arm, ber ihn
20%
— 308 —
zu Boden gefchmettert hat. Möge, wenn bas Defeg es will,
diefer Arm vom Beil bes Henker fallen; aber, fo lange
ich das Haupt nod) auf den Schultern trage, foll mid), außer
meinem König, Niemand ungeftraft beleivigen. Der Rd:
nig, mit diefer Rechtfertigung zufrieden, vertraut bem García
den Oberbefehl über das gegen die Mauren ausrüdende Krieges
beer an, und der neue Feldherr fchließt mit den Worten:
Nun, fo laßt die Trommel fchmettern!
Gleich dem Blige will ich wettern
Auf die faracen’fhen Gauen!
Bon des Blutes Purpurftrömen
Sei die Kriegesfchaale vol,
Und mit diefem Ende foll
Dort mein Ruhın den Anfang nehmen ?%)1
Schon diefe Skizze, ein wie blaffes Abbild des Origi⸗
nal8 fie aud) geben mag, muß doch das überwältigende Sn:
tereffe der ganzen Compoſition, fo wie die dramatiſche Wirk:
famfeit und erfchütternte tragifche Kraft der einzelnen Situ:
ationen erfennen laffen. Fügen wir nun hinzu, daß die Dars
ftellung überall durchaus angemeffen ift und fid) von dem
Ton idylliſcher Anmuth, der in den erften Scenen vorherrfcht,
von Stufe zu Stufe zur höchften Höhe eines energifchen Pas
tho8 fteigert, fo wie daß die Charaktere, namentlich die Gar-
cia’8, Blanca'8 und Mendo's, mit ſicheren Meifterzügen ges
zeichnet find: fo fprechen wir hiermit aus, daß dieſem (Des
dicht einer der erften Pláge unter ben trefflichftien Erzeugs
niffen der dramatifchen Poefíe einzuräumen fet 95). .
2) Nach der vortrefflichen und noch zu wenig befannten Heberfeßung
von E, A, Dohrn, im vierten Bande feiner fpanifchen Dramen. Berlin 1844.
28) Bgl. die ausführliche Analyfe des Del Rey abajo ninguno von
£, Viel-Saftel in der Revue des deux Mondes 1841
|
|
|
— 309 —
Bon ben üfrigen tragifhen Dramen bes Rojas möchte
feines auf gleicher Höhe mit bem Garcia vel Caſtañar flehen.
Indeſſen find noch verfchiedene darunter, die in mehrfacher
Hinficht Aufmerkſamkeit verdienen. Eo namentlich das Schau:
fpiel No hay padre siendo rey, bekanntlich das Vorbild
von Rotrou's berühintefter Tragödie Venceslas. Da bie legs
tere nad) unferer Anficht zu ben befferen Stüden ber franzós
fiihen Bühne gehört (mie denn überhaupt ber wenig gelefene
Rotrou mande feiner berühmteren Landesgenoſſen überragen
möchte), fo wollen wir hier auf Original und Nachbildung
etwas näher eingehen. In ber erften Jornada des Drama'8
von Rojas fehen wir ben Rónig von Ungarn, wie er feinem
Sobne, dem Prinzen Rugero, Vorwürfe über fein ausſchwei⸗
fendes Leben und über feinen fehrunfenlofen Ehrgeiz nacht.
Der Prinz ſucht fid zu rechtfertigen, flagt aber feinerfeits
den Infanten Alerandro und ben Herzog Federico an, und
brüdt feinen Haß gegen Beide fehr lebhaft aus. Der König
wird nun fanfter und fchließt den Prinzen in feine Arme, ine
dem er hofft, ihn durd Güte zu befehren. Alerandro tritt auf
und es entfteht ein Streit zwilchen ven beiden Brüdern, dem
ber König nur mit Mühe Einhalt thun fann. Man erfährt,
daß beide Prinzen die fchöne Caſſandra lieben, daß aber Ales
randro im Geheimen und wider den Willen des Königs mit
ihr vermählt if. Der Herzog Federico, der in dies Geheim⸗
niß eingeweiht ift, benachrichtigt Alerandro, daß fein Vater
wegen des vorgefallenen Streite8 mit Rugero auf ihn ents
rüftet fet, und räth ihn, fich für eine Zeit lang zu flüchten.
Alerandro nimmt daher Abfchied von feiner Gattin und ents
flieht von dem Hofe. Zweite Jornada. Prinz Rugero will
den Herzog Federico umbringen, weil er ihn für feinen Nebens
buhler um Caſſandra's Gunft hält und gehört hat, daß er
— 340 —
diefe bei Nacht zu befuchen pflege. Er befticht einen Diener,
ibn heimlich in das Zimmer ber Geliebten einzulaffen. —
Caffandra grämt fi unterbeffen über die Abweſenheit ihres
Gatten und ¡E in Angft über bie zubringlichen Bewerbungen
Nugero’s, dem fie das Geheimniß von ihrer Vermáblung nicht
enthüllen will. Sie ſchreibt deshalb an den König, um ihn
von den Anfchlägen bes Prinzen zu benachrichtigen. — ES
iſt Nacht und Caſſandra's Gemach nicht mehr erleuchtet, als
der beftochene Diener ben Prinzen einläßt; zur nämlichen Zeit
tritt auch Alerandro ein, der feine Gattin durch einen heims
lichen Befuch überrafchen will; die beiden Brüder treffen aufs
einander, und gleich darauf erfcheint Caffandra mit Dienern,
welche Fadeln tragen. Die Prinzen ziehen die Schwerter,
Saffandra aber, ihre Vermáblung mit Alerandro verheimlichend,
mat Beiden Vorwürfe über ihr nächtliches Eindringen, und
Alerandro fagt, um ten Grimm des Bruders von ſich abzu⸗
Ienfen, Caffandra fei mit dem Herzog Federico vermáblt, und
biefer habe ihm einen in feinem Haufe zu beforgenden Aufs
trag gegeben. Plöglich wird die Anfunft des Königs gemeldet,
und bie beiden Prinzen verbergen fidy in Folge von Cafs
fandra’d Aufforderung. Der König gibt Befehl, das Haus
zu durchfuchen und Alerandro ftellt fido freimillig vor ión, Ins
dem er fih als Gatten Caffandra’8 befennt, aber bie Ans
wefenheit feines Bruders, welche einen Schatten auf feine
Ehre werfen Fönnte, verheimlicht. Nachdem fid Alle entfernt
haben, tritt Rugero wieder aus feinem Berfte hervor, doch
hat er das Geſtändniß feines Bruders nicht gehört. Dritte
Jornada. Rugero, nod) immer in dem Wahn, Federico fei
mit der Geliebten vermählt, dringt mit Hülfe von Nachſchlüſſeln
bei Gaffandra ein, gelangt beim ſchwachen Schein einer Rampe
an das Lager, wo bas fchöne Weib In Alerandro'8 Armen
— 31 —
rubt und ftößt ben Letzteren mit feinem Dolche nieter. In tem
Angenblide, alg er fich wieder entfernen well, tritt ihm ber
Köntg entgegen, fragt ihn nad der Urfache feiner Verwirrung
und madt ihm Vorwürfe, daf er auf diefe Art in der Nacht
umherſchweife. Der Prinz fucht ſich durch Ausflüchte zu ent»
fehuldigen; al8 aber ber Rönig mehr in ihm bringt, gibt er
zur Antwort‘, er habe ben Herzog Federico umgebracht. Gleich
darauf tritt ber Legtere auf; höchſtes Erftaunen; dann naht
fih Blanca in Tauerfleivern, um wegen des Mordes ihres *
Gatten Klage zu führen, und der König laäͤßt ben Prinzen,
al8 geftinbigen Tháter, verhaften. — Die nächfte Ecene zeigt
einen Kerfer. Der König umarmt feinen gefangenen Sohn,
fragt ihn, ob er Muth habe und fündigt ihm an, daß er zum
Tode verurtheilt fet; er felbft fónne den Lauf ber Gerechtigs
feit nicht heinmen, denn indem er König fet, dürfe er nicht
Bater fein. Federico und Caſſandra felbft bitten um bie Bes
gnadigung des Prinzen, aber der König beharrt bei feinem
Entfchluffe; da bricht ein Volfsaufftand zu Gunften bes Ver:
urtheilten aus, ber Póbel rottet ſich zuſammen, um bie Frei-
laffung des Schuldigen zu verlangen, und ber König faßt nun
den Entfchluß, zu Gunften feines Sohnes ber Herrfcherwürbe
zu entfagen und nur nod) Water zu fein. Am Schluſſe richtet
er folgende Worte an NRugero: „Bon heute an tft das Volf
dein König und dein Vater; aber hüte dich, daf nicht ber
Fall eintrete, wo es viel mehr bein König, als dein Vater fein
möge; hüte dich, daß es, von bir gereizt, dir nicht einmal
fage: Ich kann nicht Vater fein, weil ich König bin.”
Schon diefe Anzeige des Inhalts (welcher fehr an Guillen
de Gaftro’8 Justicia en la piedad, f. Band II. diefer De:
ſchichte, Seite 448, erinnert) zeigt, daß das Stüd viele treff-
fiche und auf ungemeine Wirfung berechnete Wenvepunfte der
_ 342 —
“ Action barbíetet; allein dic Ausführung Täßt Vieles zu miün-
ſchen übrig und zeugt von großer Flüchtigkeit. Weder tft dem
Stoffe der volle Gehalt abgervonnen, noch find die Charaktere
ín feften und confequenten Umriffen hingeftellt. Werfen wir
einen Blick auf Rotrou's Venceslas, fo finden wir bier ben
Plan bes fpantfchen Drama’8 ziemlich genau befolgt und auch
bie ergreifendften Situationen fämmtlih aus diefer Duelle
geihöpft. Doch muß man dem franzöftfchen Dichter zugeftehen,
dafi er die Mängel feines VorbildeS zum Theile richtig ers
fannt und glücklich befeitigt und namentlich die Charafter-
zeichnung vervollfommnet hat. Am deutlichften zeigt ſich Dies
in der Figur des Prinzen Ladislaus (ber Rugero bes Rojas),
welchen er als eine im Grunde eble, nur Teidenfchaftliche
Natur fchildert und für den er auf diefe Art die Theilnahme
des Publikums in Anfprud) zu nehmen weiß, während der
Held des Rojas nur Widerwillen erregt. Wie genau übrigens
Rotrou dem Spanier oft gefolgt ift, mögen bie untenftebens
ten Beifpiele zeigen °°).
96) Die Hauptfcene des erften Aftes ift ganz aus bem Spanifchen.
Mir heben daraus folgende Worte hervor:
Rojas: Como, les dixe, mi padre
No sacude de los hombros
El peso desta corona,
Flaco Atlante a tanto globo!
Ya la politica hé visto,
Ya tengo previsto .el modo
De saber regirse un rey.
No es dificil: pues con solo
Ser afable de ordinario
Y a veces ser riguroso etc.
R o trou. Comment, dis-je mon pere, accablé de tant d’äge,
Et la force á présent servant mal son courage,
Ne se decharge-t-il, avant qu’y succomber,
— 313 —
Auf einer höheren Stufe der poetifchen Ausbildung ſteht
unbeftreitbar
die Tragödie Casarse por vengarse, welche
von Lefage in einer dem Gil Blas einverleibten Novelle
proſaiſch umgearbeitet worden tft. Litte viefes Drama nicht
in hohem Grabe an gongoriftiicher Geſchraubtheit des Styls,
fo würde eS bem Abajo del rey ninguno an die Seite ges
Rojas:
Rotrou:
D'un pénible fardeau qui le fera tomber?
Et n’ai-je pas appris sous son gouvernement
Assez de politique et de raisunnement
Pour savoir á quels soins oblige un diadéme,
Ce qu’un rei doit aux siens, á Pétat, á soi-méme!
Ne sais-je pas qu’un roi qui veut qu'on le revere,
Doit méler A propos l’affable et le sévere ?
Decis que estoy ya muy viejo,
(Decis muy bien) que fuera
Razon que aquesta corona
Pusiera en vuestra cabeza.
Eso ha de salir de mi
Que el govierno y la grandeza
No consiste en procurarla
Sino solo en merecerla.
Sabeis a lo que se espone
El que un imperio governa ?
No hay cosa bien hecha en él,
Que a los suyos les parezca.
Je suis vieil, mais un fruit de ma vieille saison
C'est d'en posséder mieux la parfaite raison;
Regner est un secret dont la haute science
Ne s'acquiert que par P'áge et par Pexpérience.
Un roi vous semble heureux et sa condition
Est douce au sentiment de votre ambition;
Il dispose á son gré des fortunes humaines :
Mais comme les douceurs, en savez-vous les peines ?
A quelque heureuse fin que tendent ses projets,
Jamais il ne fait bien au gré de ses sujets.
— 314 —
Rellt werben fónmen. Die Handlung íft ven hobem mb ers
greifendem Sntereffe, der Plan zum größten Theile mit künſt⸗
lerifcher Weisheit disponirt. Enrique, Sohn des Königs von
Sicilien, (ft tm Haufe des Roberto, eines Großen des Reiches,
erzogen worden und hat bier eine Leidenfchaft für Blanca,
die Tochter feines Pflegevaters, gefaßt. Die erfte Scene zeigt
ung bie Liebenden in zärtlichem Geſpräch und macht ung zugleich
mit einer von Ihnen erfonnenen Cinrichtung befannt, durch
welche es Enrique möglich wird, zu jeder Stunde und von
Anderen unbemerkt in Blanca'8 Zimmer zu gelangen. Sie
haben nämlich ein Brett der Wand herausnehmen und dann
wieder fo künſtlich einfegen laffen , daß Reiner die geheime
Thür wahrnimmt. Zu den Liebenden tritt Roberto und meldet
ben eben erfolgten Tod des Königs; der Prinz bezeugt zwar
Trauer über das Hinfcheiden bes Vaters, richtet ſich aber bald
durch die freubige Ausficht auf die nun durch Nichts gehin-
berte Bermählung mit Blanca wieder auf. Dem Roberto über-
reicht er, um ihm fein unbegrámtes Zutrauen zu beweifen, ein
leeres, nur mit feiner Unterfchrift verfehenes Blatt, das er
ſelbſt nad) Belieben ausfüllen fónne, und Roberto befchließt
jogleih, feine Wünfche ald Vater hinter die Unterthanenpflicht
zurüdzuftellen. — Wir werben an ben Hof verfegt und bes
gegnen zuerft dem Connetable von Sieiften, ber in aufgereg>
ten Reden zu erfennen gibt, daß er Blanca gefehen habe und
von heftiger Liebe zu ihr entflammt fel. Ein feftlicher Zug
tritt ein, voran ber König mit Roberto, von der anderen
Seite die Prinzeſſin Rofaura. Roberto verlieft das Teftament
des verftorbenen Königs, in welchem angeorbnet íft, daß Ens
rique fih mit Rofaura vermáblen folle; veriweigere er dies,
fo falle bie Krone an ben jüngeren Bruder. Enrique will
Gegenvorftellungen machen, Roberto aber zeigt num jenes mit
|
|
|
|
— 318 —
ber Ramensimterfchrift bes fungen Könige verfehene Blatt
vor, weldyes er fo ausgefüllt hat, daß biefer in bie Forbes
rung bes Verftorbenen einzumilligen verfpricht. Wirklich weicht
nun der Prinz dem Drange ber Verbáltniffe und reicht Ros
ſauren feine Hand; auch glaubt er, den Connetable als höchſt
einflußreichen Dann aus Staatsflugheit freundlich aufnehmen
zu müſſen unb ihm feine Einwilligung in bie Verbindung
mit Blanca, um die er bittet, nicht verfagen zu dürfen. Nun
tritt Blanca auf und wird Zeuge der Bermählung des fürft«
lichen Paares; ihre verwirrten Reden kündigen die Verzweifs
lung ihres Herzens an, aber fie nimmt ſich vor, fi an dem
Treulofen dadurch zu rächen, daf fie dem Eonnetable bie Hand
reiche. — Im zweiten Aft find die beiden Bermählungen ſchon
vollzogen. Die Srene ift in Roberto’ Landhaufe. Der Connes
table ftürzt Halb entfleivet und mit gezüdtem Schwerte aus
feinem Schlafgemadhe, und erzählt bem Schwiegervater, wie
er Blanca in der Nacht habe feufzen hören; hierauf fei e8
ihm vorgefommen, als vernehme er eine fremde Stimme, er
fi vom Lager aufgefprungen und auf einen Fremben geftos
fen, der aber, ohne eine Spur zu binterlaffen, wieder vers
ſchwunden fet. Roberto fucht ihn zu beruhigen, er fei von
einem Traumgebilde genedt worben. Der Connetable beginnt
ruhiger zu werben und bringt die Morgenftunden in ben Ars
men feiner jungen Gattin hin. Plöglich tritt ber König ein
und macht bem Sonnetable Vorwürfe, daß er fich wider feinen
Willen vermäßlt habe. Diefer geht, um Roberto zu holen;
der Letztere aber tritt bald darauf mit der Königin ein, bie
ibm den Wunſch ausgedrückt pat, feine Wohnung zu befuchen.
Enrique verfucht, fid zu verbergen, dody es ift zu ſpät; bie
Königin macht ihn Vorwürfe, daß er ſich bei Nacht von ihr
entfernt habe; er ſucht ſich burd) einige verwirrte Worte zu
— 316 —
entfchuldigen, und führt dann die Gemahlin von. bannen. Der
Eonnetable beginnt nun vie Wahrheit zu ahnen und fpridht
in einem leivenfchaftlichen Dronolog feinen Argwohn aus. Zn
der folgenden Scene ift es wieder Nacht; Blanca empfängt
einen abermaligen Befuch von Enrique, wirft ihm feine Uns
treue vor und beſchwört Ihn, ihre Ruhe nicht wieder zu flören.
Man vernimmt Geräufh und Enrique entfhlüpft durch die
verbörgene Deffnung der Wand. Als hierauf ber Eonnetable
im Finfteren auftritt, glaubt Blanca noch zu Enrique zu
fprechen, redet noch von ihrer früheren Liebe und wirft fid)
{hm zu Süßen, flepend, er möge fie für immer verlaffen. In
bemfelben Augenblid tritt eine Dienerin mit Licht auf; Beide
find in hohem Grabe beftiirzt, und während der Connetable
geht, um nachzufehen, ob Alles verfchloffen fei, entflieht Blanca,
die Rache des Gatten fürdhtend, burd die geheime Thür. —
Dritter Att. Blanca tritt mit gelöftem Haare und ganz ver-
ftört auf, und erzählt ihrem Vater unter Ausprüden ber befs
tigften Angft und indem fie ihn um feinen Schuß anflebt,
ihr erzürnter Gemahl habe fie um's Leben bringen wollen.
Roberto dringt in fie, ihm ihr Vergehen, wenn fie ſich eines
foldjen bewußt fet, zu geftehen, aber fie betheuert ihre Uns
fhuld. Während Diefer Unterrebung tritt der König, durch
Blanca's Hülferufe berbeigezogen, ein, und verfchlicht ſämmt⸗
lihe Thüren; glei darauf hört man ben Connetable, der
gehört hat, daß Jemand ín'8 Haus gefommen feí, außen pochen;
Ale find im höchſten Grabe beftürzt und der König wird
durch Roberto's dringende Bitten beftimmt, fich zu verbergen.
Der Connetable tritt nun auf und will das ganze Haus durch⸗
fuchen laffen, aber ver König fommt von freien Stüden aus
feinem Berfted hervor und erflärt, er fei nur deshalb heim⸗
li) gefommen, weil er von verrätherifchen Planen, mit denen
— 37 —
der Connetable umgehe, gehört habe; er ſchenke zwar biefen
Gerüchten einftweilen feinen Olauben, werde ihn jedoch, wenn
fte fic) als wahr herausftellen follten, enthaupten Taffen. Nadys
dem fid) der König und Roberto entfernt haben, ſpricht der
Graf in leidenfchaftlichen Reden die verfchledenen Empfinduns
gen aus, die ihn beftitrmen, und feine Verwirrung wird nod)
gefteigert, als er ploglid fid den verborgenen Eingang in
der Wand öffnen und eine Dienerin eintreten fiebt, welche
einen Brief Blanca'8 an den König trägt. Er bemächtigt ſich
des Briefes und lieſt darin, daß Blanca fih nur aus Rache
vermählt habe. Von nun an reift fein Entihluß. Er unter
fucht zunächft die Wand, läßt dann den Brief an den König
abgeben, ftellt fich fo ruhig, als ob Nichts vorgefallen wäre,
und richtet tröftende, aber doppelfinnige Reden an-feine Gattin.
Blanca zieht fich in ihr Zimmer zurüd, um dem Vater zu
jchreiben; ein Diener meldet, der König werde auf Verans
laffung bes Briefes nächftend fommen. Der Connetable {ft
dann wieder allein und blidt burd eine Spalte in Blanca's
Gemach; er fieht, daß fie dicht unter der Fünftlich zugerichtes
ten Wand fiBt, und reißt diefe plóglid mit aller Gewalt
nieder, fo daß Blanca von ben einftürzenden Balfen ¿ers
fhmettert werden muß. Man hört ihr Todesgefchrei, und ber
Connetable vermiſcht feine Angftrufe mit den fhrigen. In
diefem Moment treten Enrique und Roberto ein. Der Connes
table ftellt fi, ald wäre er in Verzweiflung über das Uns
glúd, das feine Gattin betroffen, und verwünſcht die Mauer,
die ihm durch ihren Einfturz fein Liebftes geraubt habe. Ro:
berto finft jammernd über die Leiche der Tochter hin; ber
König aber, der den wahren Hergang durchſchaut, ſchweigt
einftweilen aus Klugheit, fpricht aber für fid den Entſchluß
aus, zu geeigneter Zeit fi) und die Gemordete an dem Connes
— 318 —
table zu rächen. — L. Tied (im der Vorrede zur Ueberfegung
des Marcos de Obregon) ertheilt biefer Tagödie außerordent⸗
liche Lobſprüche und ftellt fie über den Arzt feiner Ehre; bei
aller Achtung für bas Urtheil des großen Kritifer’s jedoch
und trog aller Trefflichfeiten, die auch wir in dem Werke
des Rojas erfennen, können wir nicht umbin, bem Calderon'⸗
ſchen entichteven ben Preis ¿uzuerfennen.
Sn Los Vandos de Verona, einer Bearbeitung ber
Erzählung von Romeo und Julte*”), erkennt man ben geifts
7) B. IL S, 331 ift von Lope's Dramatifirung befielben Stoffes
bie Rede gewefen. Die Dort citirte Novelle von Bandello ſcheint auch
dem Schaufviel des Rojas zu Grunde zu liegen; baß übrigens Banbello
in biefer Erzählung nicht original if, fondern den Mafjuccio und dew
Luigi da Porta (defien Giulietta in der Bearbeitung von Arthur Brooke
die Quelle Shaffyear's wurde) zu Vorgängern hat, ift fon von Dun:
lop bemerkt worden (History of fiction, II. 339 — 841). 3d) erlaube
mir, bei biefer Gelegenheit auf ein, fo viel mir befannt, noch von keinem
der Commentatoren Shafípeare's hervorgebobenes Factum aufmerkfam zu
machen. Es eriftirt ein altes italienifches Trauerfpiel von Luigi roto,
deſſen Babel ganz nad) der Erzählung von Luigi da Porta tft, in welchem
aber bie Namen der handelnden Perfunen verändert find. Diefe Tragödie
führt den Titel Hadriana, und fcheint nach der Davor ftehenden Debica:
tion (il di 29. di Novembre MDLXXVIID) im Jahr 1578 zuerft
gedruckt zu fein. Die mir befannte Ausgabe ift von VBenedig 1612, ap-
presso Ant, Turino. Einige Einzelheiten in diefer Hadriana erinnern
tu fo überrafchender Meife an andere in Shaffpear’s Nomen und Julie,
daß man fic) der Dermuthung kaum erwehren fann, der englifche Dich⸗
ter habe diefelben vor Augen gehabt. Das Lebtere foll freilich durchaus
nicht mit Beflimmtheit behauptet werden; aber es lohnt fich wohl ber
Mühe, eine Stelle anzuführen, deren auffallende Aehnlichkeit mit einer
entfprechenden in Shaffpeare man nicht abläugnen wird.
£atinus, ber Romeo bes Groto, nimmt bie Nacht vor feiner Abs
reife von Hadriana Abfchieb:
— 319 —
vollen Verfaffer der bisher erwähnten Tragoödien nicht wieder.
Schon Tied hat von diefem Stüd gefagt, man finde hier
Latino. S’io non erro, & presso il far del giorno.
Udite il rossignuol, che con noi desto,
Con noi geme fra i spini, e la rugiada
Col pianto nostro bagna l'herbe. Abi lasso,
Rivolgete la faccia all’ oriente.
Ecco incomincia:a spuntar Palba fuori,
Portando un altro sol sopra la terra .
- Hadriana. Ahimé, ch’io gelo. Ahimé, ch’io tremo tutta,
Questa é quell’ hora, ch'ogni mia dolcezza
Affatto stempra. Ahimé, quest’ & quell’ hora,
Che m’insegna a saper che cosa & affanno.
O del mio ben amica, avara notte,
Perché si ratto corri, fuggi, voli,
A sommerger te stessa e me nel mare?
Hiermit vergleiche Shaffpeare:
Juliet. Wilt thou be gone? It is not yet near day;
It is the nightingale and not the lark,
That pierc'd the fearful hollow of thine ear;
Nightly she sings on yon pomegranate tree:
Believe me, love, it was the nightingale.
Romeo. It was the lark, the herald of the morn,
No nightingale. Look, love, what envious streaks
Do lace the severing clouds in yonder east;
Night's candles are burnt out, and jocund day
Stands tiptoe on the misty mountain’s tops,
I must be gone and live, or stay and die.
Es if zu bemerken, daß weder Maffuccio , noch da Porta, nod
Brooke bei diefer Gelegenheit, wie Groto und Shaffpeare von der Nach-
tigall reden. \
Mir empfehlen ferner bie Scene der italienifchen Tragödie, wo ber
Priefter Hadrianen ben Schlaftrunf reicht, die, wo bie Lebtere die Bhivle
leert und bie des Erwachens in der Gruft der vergleichenden Aufmerk⸗
famfeit künftiger Commentatoren des Shaffpeare. S. Walker's Histori-
cal memoir on Italian tragedy, London 1799, pag. 49 fl.
— 30 —
Streit, Mißhelligkeit, Intrigue und Kampf, Intereffen , bie
ſich durchkreuzen, Antithefen, die mit vielem Scharffinn ente
widelt fcien, würde fih aber irren, wenn man nur einen
Funken von der Liebesglut des Shaffpeare’fhen Trauerfpiels
wiederzufinden erwartete.
Sn El mas impropio Verduge para la mas justa
venganza zeigt fid) die Energie des Rojas in einigen wahr-
haft, großartigen Scenen von erfchütternder Wirfung; aber dies
fes Stúd, wenngleich es Schönheiten aufzuweifen hat, wie
fie nur dem Genie gelingen, fft in Plan und Ausführung
doch verfehlt, und zeigt, wie noch mehrere andere Dramen
des Rojas, ein verfehrtes Streben, das Tragifche und Furcht⸗
bare bis zum Zurüdftoßenden und Gräßlichen zu treiben. Ges
wif fann die entfegliche Begebenheit, wie ein Vater die Vers
kleidung des Henfers annimmt, um feinen entarteten Sohn
feloft hinzurichten, ſchon an fich, nod) mehr aber in der Art,
wie fie hier behandelt ift, ftatt zu erfipúttern, nur empören.
Sn ähnlicher Weife, mit entfchiedener Vorliebe für das Schred-
liche und Graufenhafte, tft in El Cain de Cataluña eine ſchau⸗
vervolle Mordgeſchichte dramatifirt; einen wunderliden Cha⸗
rafter erhält das Stüd nod) dadurd, daß die Feindfchaft ber
beiden Söhne des Grafen von Barcelona und bie (Ermor:
dung bes jiingeren zum Theil mit den nämlidhen Ausdrücken
gefehilvert wird, wie der Tod Abel'S in der Bibel; übrigeng
fann man auch diefem Drama, bei allem Widrigen und Hars
ten, einzelne ergreifende und hoch tragifche Momente nicht
abfprechen.
Die Dramen, telde Rojas auf die Mythologie oder
Geſchichte der Alten gegründet hat, gehören zum Theil zu
dem Beten, was die ſpaniſche Bühne in diefer Art befigt.
So hat er die Fabeln von Medea und von Profne und Filomena
— 321 —
¿mar im herrſchenden Comödienſtyl feiner Zeit, aber mit
einer Stärfe des Pathos dramatifirt, die, troß ber romans
tifhen Umbildung des Ganzen, mwenigftens in einzelnen Eces
nen an die tragifche Größe ber Alten erinnert.- Weniger ges
langen unferem Dichter die geiftlihen Comödien. Die befte
darunter möchte fein: Nuestra Señora de Atocha, in alts
fpanifcher Sprade. Diefes, zur Verherrlidhung der Schuß»
patronin von Madrid geichriebene Schaufpiel fhildert die
enthuftaftifche Andacht und den aufopfernden Heldenmuth ber
alten Gaftilianer fehr ſchön; das Hauprmotiv der Handlung
it, Daß ein spanischer Ritter feine beiden Töchter, um fie
vor den, Madrid belagernden, Mauren zu fehügen, in der Kirche
unferer lieben Frau von Atocha ermordet, daß aber die heilige
Yungfrau die beiden Mädchen auf wunverthätige Weife wies
der in's Leben zurüdruft. Ein ganz voúftes und abenteuers
lihes Stüd fft dagegen Los tres blasones de España,
woran freilich, als hätte Rojas allein nicht fo vielen Unfinn
zufammenbringen fónnen, nod Antonio Coello mitgears
beitet hat. Der erfte Aft fpielt zur Zeit der Kämpfe des Pom⸗
pejus mit Spanien, der zweite in einer fpäteren Periode des
römifchen Reichs, der dritte in der Zeit des Cid; der heis
lige Caledonius und St. Emerentius werden darin vorgeführt,
wie fie zuerft al8 Embryonen vor ihrer Geburt, dann wábs
rend ihres Lebens und zulegt nad) ihrem Tode Spanien
fhügen. — Freien Spielraum für feine zügellofe Phantafie
fand unfer Dichter aud in Süjets wie Persiles y Sigis-
munda (nad dem Roman des Cervantes), Los zelos de
Rodamonte (nad) Bojardo und Aríoft), El falso Profeta
Mahoma (nad) einem alten fpanifchen Volksbuch, in welchen
das Leben des Mobammeb auf höchſt wunderliche Weiſe ents
ſtellt (ft). |
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Bd. 21
— 322 —
Die Luftfpiele des Rojas fanden bei feinen Zeitgenof-
fen in befonberem Anfehen, und haben zum Theil His auf
den heutigen Zag ihre Popularität behauptet. Sie zeugen von
ungleich mehr komiſcher Kraft, als die des Calderon, und
wenn man nur biefe energifche Komik und dabei die lebendige
Naturwahrheit der Charaftere in's Auge faßt, fo darf man
die beften berfelben in diefer Beziehung dreift an die Spitze
aller fpanifchen Luftfpiele fegen. Die Erfindungen find
finnreid) und voll Intereffe, die Handlung ſchreitet raſch und
unaufhaltfam fort, und bewegt fid burd Situationen von uns
gemeiner Wirkung; der Witz fprubelt in unerfehöpflicher Fülle,
und der Dialog tft, wenn auch hier und ba in den Scenen,
welche fich in die höhere Poefte verfteigen follen, nicht frei
von Ziererei, fo doch mehrentheild von unverbefferlicher Leich-
tigkeit. Die Figuren, obgleich bisweilen tm Garicaturfiyl ge:
halten, fpringen in den fráftigften und lebenvollften Zügen
hervor, und in komiſchen Verwicelungen haben wenige Dich-
ter eine ſolche Erfindſamkeit gezeigt, wie Rojas. Um jene
poetifche Verflárung, welche Calderon liebte, war es ihm
freilich in dieſen Luftfpielen nicht zu tfunz; wenn Sener ſich
mit Vorliebe ben edelften Zügen feiner Nation zumandte, fo
faßte Rojas vielmehr vorzugsweife das Thörichte und Lächerliche
feiner Zeit auf; aber mit welcher Derbheit die Verkehrtheiten
des Lebens hier auch gegeifelt werden, wie Vieles auch wirf-
lid) Zerrbild ift, fo fehlt es Doch durchaus nicht an poetifcher
Haltung, und man fann dem Dichter Feineswegs vorwerfen,
der fpäteren nüchteren Gattung bes Luftfpiels, welche ſich
ganz von der Poefte Iosfagte, vorgearbeitet zu haben.
Entre bobos anda el juego gehört zu den originelle
ften Stüden der fpanifchen Bühne und ift voll feder Luſtig⸗
feit und übermüthiger Laune, eben fo trefflich durch die Sos
— 3283 —
»ialität in der Schilderung Tächerlicher Charaftere nad) dem
Leben, ald durch die Situationen, welche den Effeft dieſer
Charaktere beben. Die Figuren deS Don Lucas, cines eins
gebildeten, prablbaften und pedantifhen Geden, und feiner
Schwefter, der gezierten alten Jungfer Alfonfa, find im burs
lesken Caricaturſtyl nicht leicht zu übertreffen; die nächtlichen
Seenen in dem Wirthshauſe, wo ſich die verfdiedenen Pers
fonen, dur die Dunfelheit getäufcht, bei ihren Redenz—
Vous auf die feltfamfte Weiſe freuzen, fünnten wohl felbft
den trübfinnigiten Hypochonder zum Laden bringen, und bie
den noten ſchürzende Intrigue, wie D. Lucas, der fi in
den Kopf gefegt hat, eine junge und ſchöne Dame zu heiras
then, von dieſer umd von feinem eigenen Neffen an der Nafe
berumgeführt wird, ift mit großer Feinbeit und Gefchidlich-
feit durchgeführt. — Der jüngere Corneilfe, deffen D. Ber-
trand de Cigarral diefem Luftfpiele nachgeahmt iſt, hat bem
Original nichts hinzugefegt, was gelobt werben Fönnte, wohl
aber die komiſche Kraft deffelben fehr geſchwächt °°).
28) Um an einer Probe zu zeigen, wie genau ber Franzofe ſich oft
an den Spanier gefchlofien hat, wählen wir bie Rede, in welcher ber
gefoppte D. Lucas feinem Zorn gegen Die beiden Liebenden in höhniſcher
Meife Luft macht:
Rojas: Pues dadla la mano al punto,
Que en esto me he de vengar:
Ella muy pobre, vos pobre,
No tendreis hora de paz.
El Amor se acaba luego,
Nunca la necesidad:
Hoy con el pan de la boda
No buscaréis otro pan.
De mi os vengais esta noche,
Y mañana, a mas tardar,
Cuando almorceis »un requiebro«
21*
- A —_
— 324 —
In der ganzen Anlage weniger funftreidh, aber voll von
feiner Laune, Witz und Menfchenfenntniß und bei aller Schärfe
der Satire dody immer von der harmlofen Heiterkeit der wah⸗
ren fomifchen Dichtung durchdrungen find die Luftfpiele: Lo
que son mugeres und Abre el ojo 6 Aviso á les sol-
teros. Aber der Triumph von Rojas? Leiftungen auf diefem
Gebiete ift unftreitig die Comibie Donde hay agravio no
bay zelos. Hier vereinigt fid) eine hochvortreffliche Erfin⸗
dung und Verwickelung ‚mit meifterbafter Wahrheit und Bes .
ftimmtheit der Charafterzeichnung und höchſt glüdlicher Wahl
der Situationen, um komiſche Effefte bervorzubringen, bie
nicht leicht übertroffen werden fónnen. D. Yuan langt mit
Y en la mesa, en vez de pan,
Pongais »una fe« al comer
Y ‚una constancia« al cenar,
Y pongais en vez de gala
"Un »buen amor« de Milan,
’ Una tela de »mi vida,«
Alorrada en »me querrás :.
Echaréis los dos de ver,
Cual se ha vengado de cual.
&orneille: Mariez-vous sur l'heure et la prenez pour femme,
C'est par oú je prétends me venger de vous deux,
Elle, sans aucun bien: vous, passablement gueux,
Allez, vous connaitrez plus tót qu'il vous ne semble
Quel diable de rien c'est que deux riens mis ensemble.
Dans la nécessitó, vous n'aurez point de paix,
L'amour finit bientót, la pauvreté jamais.
Afin que tout vous semble aujourd'hui lis et roses,
J’aurai soin de la noce et patrai toutes choses:
Mais vous verrez demain qu'on a peu de douceur
A diner de ma vie, á souper de mon coeur,
Et qu'on est mal vétu d'un drap de patience
Doublé de foi partout et garni de constance.
o E A
Tr
— 3% —
feinem Diener Sancho in Madrid an, um fid) mit nes, der
Tochter des Fernando de Rojas, zu vermählen. Al8 er am
Abend eben in das Haus feines Schwiegervaters treten will,
fieht er vom Balcon deffelben einen Unbefannten berabfteigen.
Diefer Umftand flößt ihm Verdacht gegen die Braut ein, und
er hält es für wünfchenswerth, fid) vor Eingebung der Ehe
erft über die Urfachen jenes Ereigniffes zu vergewiffern. Da
er nun bisher weder feinem Schwiegervater, noch der Braut,
mit welcher er wegen Ramilienrüdfichten aus der Ferne vers
Iobt worden, perfünlich befannt ift, fo fommt ihm bas Ges
ſtändniß feines Dieners, er habe fein eigenes Bildniß ftatt
des Portrait'8 des Don Juan an Ines gefandt, fehr gelegen.
Er befichlt dem Sano, Rittertradht anzulegen und fidy für
den erwarteten Bräutigam auszugeben; er felbft aber über-
nimmt die Rolle des Dieners und denft auf diefe Art zu
erforfchen, ob jener Unbefannte auch etwa ein Galan feiner
Braut gewefen fei. Die Enthüllung läft nicht lange auf fid)
warten; der nächtliche Eindringling in D. Fernando's Woh⸗
nung war D. Lope de Rojas, welcher eine Zeit lang in
einem Liebesverhältniß mit D. Juan's Schweſter Anna ges
ftanden und ihr heimliche Befuche gemacht hatte, dabei aber
von D. Juan's Bruder überrafcht worden war und ihn in
dem dadurch herbeigeführten Streite umgebracht hatte. D.
Lope vergaß fpáter feine frühere Geliebte und warf fein Auge
auf Ines. Ohne bei bicfer Gehör zu finden, beftad) er ihre
Zofe Beatriz, und wurde fo in der Nacht, ald D. Juan in
Madrid anfam, in das Haus eingrlaffen. — jeder fieht fos
fort, wie unvergleichlich diefe Verwidelung eingeleitet tft und
welche ergiebige Duelle für die allerfpannendften Situationen
ebenfowopl wie für bie berrlichften komiſchen Contrafte fie
darbot. Wir haben bier erftlih D. Juan in feiner Verklei⸗
— 326 —
dung als Diener; dann ben Conflict zwifchen feiner Liebe zu
Snes und feiner Eiferfucht auf viefelbe; hierauf feine Vers
pflicdytung zur Rache an D. Lope, ald dem Verführer feiner
Schwefter und Mörder feines Bruders; endlich den Bedien⸗
ten in feiner Verfleibung alg Cavalier und in ber feltfa-
men Lage, in welche er hierdurch verfegt wird. Aber wollten.
wir alle die ergöglichen Wendungen, alle die feffelnden Scez
nen und anziebenden Momente, welche der Dichter aus Diefen
Berhältniffen entfponnen hat, auch nur andeuten, fo würden
wir über die Gebühr weitläuftig werden müffen. Die Figur -
des ehrlichen Sancho, der ganz gegen feine plebejifche Natur
mit einem Male feine Ritterehre vertheidigen foll, gehört zu
den lächerlichften, die je auf der Bühne erfihienen find; und
über die Scenen, in denen er, alg angeblicher Schwiegerfohn
Fernando’, den Helden gegen den Mörder feines Bruders
fpielen muß, über die Derzensergießungen, in denen er dann
wieder feiner wahren Gefinnung Luft macht, ift ein Küllhorn
von Jovtalitát und Humor ausgegoffen. — Aud diefes Luft
jpiel hat in Sranfreich ſchon früh eine Bearbeitung gefunden;
Scarron übernahm im Jahre 1645 diefes Gefchäft, aber man
fann feinem Jodelet ou le Maitre valet ſchwerlich viel
Gutes nachrühmen; die Berwidelung ift diefelbe geblieben,
wie im Original, und durch fie behamptet bas franzöfiiche
Stüd immer einen Vorzug vor vielen anderen; aber die Aus⸗
führung bleibt unermeßlic weit hinter der des Spaniers ¿us
rid. Wo Rojas fühn und übermüthig tft, da wird Scarron
plump, und die muthwillige Grazie bei Senem finden wir
bei dicfem zur frafenbaften Poffe entftellt 29),
2) Ein einziges Beifpiel möge Dies zeigen. Im Spanifchen gehört
das berühmte Selbftgefpräch Sancho's über Die Ehre zu dem Herrlichiten,
was die Mufe des Luftipiels je eingegeben hat; Diefen Monolog nun
traveftirt Scarron in fulgender wahrhaft widerwärtiger Meife : .
— 3N —
Die Sorge, nicht zu weitläuftig zu Werben, verhindert
ung, nod) auf bie übrigen zahlreichen Luftfpiele des Nofas
näher einzugehen, und wir begnügen und mit einigen Andeus
tungen. Früher ift die Vermuthung ausgefprocdhen worden,
bie unter dem Namen unferes Dichters gehende Comödie En
Madrid y en una casa feí nicht von ihm, fondern von Tirfo
de Molina. Diefe Vermutbung gründete ſich hauptſächlich auf
ben Styl, der ſich fehr bem des lebtgenannten Dichters zu nähern
ſchien; allein wir müffen jegt unfere Meinung ändern, benn
bie nähere Belanntfchaft mit den Werfen des Rojas hat ung
belehrt, daß noch verfchiedene berfelben, wie 3. BD. Lo que
Jodelet, seul, en se curant les dents.
Soyez nettes, mes dents ; 'honneur vous le commande,
Perdre les dents est tout le mal que j'appréhende.
L'ail, ma foi, vaut mieux qu'un oignon.
Quand je trouve quelque mignon,
Sitót qu'il sent Pail que je mange,
Il fait une grimace étrangce,
Et dit, la main sur le rognon:
Fi! cela n'est point honorable.
Que béni soyez-vous, seigneur,
Qui m'avez fait un misérable
Qui prefere Pail a l'honneur.
Soyez nettes, mes dents, ete.
Quand je me mets á discourir
Que le corps enfin doit pourrir,
Le corps humain, oü la prudence
* Et 'honneur font leur résidence ,
Je m’afflige jusqu’au mourir.
Quoi! cinq doigts mis sur une face
Doivent-ils étre un affront tel
Qu’il faille pour cela qu'on fasse
Appeler un homme en duel?
Soyez nettes, mes dents etc.
son mugeres, D. Diego de noche, tn ábnlidjer, von der
Zierrebnerei, die ſich in anderen findet, febr abweichender und
eben fo frifher als ungebundener Sprachweiſe gefchrieben
find?°°). Die genannte Comödie hat eine fo finnreidh angelegte
und mit fo mit fo überlegener Kunſt durchgeführte Intrígue,
daf man fie in diefer Beziehung den beften des Calderon an
die Seite ftellen fann. Die Heldin fft eine junge Wittwe, eine
Art von Dame Kobold, welche einen fremden Gavalter durch
bie raffinirteften Runftgriffe in ihren Negen zu fangen fucht.
— Durch eine nit minder glückliche Anlage zeichnet fich
Don Diego de noche (wahrſcheinlich nach einem gleichna=
migen Roman von Salas Barbadillo, Madrid 1623) aus;
die Triebfever des Intrreffes tft bier die Liebe einer Dame
zu einem Manne, ben fie nie gefehen, von dem der Ruf aber
ihr fo viel Ausgezeichnetes hinterbracht hat, daß ihre Ein-
bildungsfraft fid ihn als bas Bild aller Bollfommenheit aus:
malt. — Unter ben uns weiter befannten Luftfpielen des
Rojag möchten Obligados y ofendidos und No ay amigo
para amigo die vorzüglichiten fein.
Aguftin Moreto y Cabana.
Ueber bas Leben biefes berühmten Dichters find faft
gar Feine authentifchen Nachrichten auf ung gefommen. Man
hat vermuthet, daf Valencia feine Geburtsftabt fei, weil dort
Familien biefes Namens einheimifch fein follen; allein ber
22%) En Madrid y en una casa ift, wie aus einer darin vorkom⸗
menden Stelle hervorgeht, furz nach dem Tode des Lope de Vega, alfo
etwa im Jahre 1636 verfaßt. Vielleicht läßt fich hieraus fehließen, daß
Rojas in feinen früheren Dramen der einfacheren Redeweife zugethan ge-
wefen fei und fich erft fpäter den Estilo culto angeeignet habe.
LI rn A nn it min — — ta. A. e —
— 329 —
limitand , baf die forgfältigen Verzeichniſſe Balencianifcher
Schriftfteller in den großen Werfen von Limeno, Rodriguez
und Fuſtér feiner feine Erwähnung thun, fcheint gegen dieſe
Annahme zu fprechen. Da ſchon in Ealderon’s 1637 gebrud:
tem Astrólogo fingido von feinem Lindo Don Diego als
von einem berühmten Stüde die Rede ift, fo Takt fich feine
Geburt Feinenfalls fpäter fegen, als in das erfte Viertel des
fiebzebnten Jahrhunderts. Die frühere - Zeit feined Lebens
fcheint er in Mabrid, die fpátere in Toledo zugebracht zu
haben. Er trat, wie fo viele Dramatifer feiner Zeit, in reis
feren jahren in ben geiftlidhen Stand, wurde Eapellan ves
Cardinals Moscofo und von diefem zum Borfteher des Hué-
pital8 del refugio ernannt, und widmete ſich mit foldjem
Eifer dem geiftlichen Berufe, daß er, trog bes großen Bei⸗
falls, mit dem feine Stüde aufgenommen wurden, der Dicht:
funft ganz entfagen zu müffen glaubte'°%. Von dem Tegten
Stüde, welches er ſchrieb (Santa Rosa del Peru) vollen-
dete er nur die beiden erften Aftez Der dritte wurde von Don
Pedro Francisco Lanint y Sagredo hinzugefügt, mit bem er fon
früher mehrere Stüde in Gemeinfchaft gefchrieben hatte!°?).
Moreto ftarb zu Toledo am 28ften Oftober 1669 und ward
im Kirchſpiel San Juan Bautifta begraben. In feinem Tes
flament machte er die feltfame Rlaufel, fein Körper folle ein :
unehrliches Begrábnif auf dem „Ader ber Erhenften“ ers
halten. Wenn ſich hieraus auch ſchließen Täßt, irgend ein
Schuldbewußtſein habe feine Seele geprüdt, fo fcheinen doc
die Gründe, aus denen man hat beweifen wollen, er habe
101) Antonio de Jesus Maria, Cronica del Cardenal D. Balta-
sar Moscoso, Madrid 1680, $. 1657.
"2 Parte XXXVI. de Comedias escritas por los mejores in-
genios de España. Madrid 1671, pag. 1.
— 380 —
ben von Lope be Vega gefeierten Dichter Baltafar Elifio
de Medinilla umgebracht, nur. ſchwach zu fein.
Eine Sammlung von Moreto’d Comödien begann im
Fabre 1654 zu erfcheinen: Primera parte de las Come-
dias de D. Agustin Moreto y Cabaña, Madrid 1654.
Diefer Band wurde fpäter wieder gedrudt, Valencia 1676,
— Zweiter Band, ebendafelbft 1676. — Verdadera ter-
cera parte, Valencia 1703.
Moreto befag nicht jene Fülle von Phantafie une Ers
findungsgabe, wie Lope, Calderon, Tirfo und Alarcon; es
mangelte ihm an jener fid) nie erfchöpfenden Fruchtbarfeit ver
Einbildungsfraft, welche die genannten Dichter in fo hohem
Grade auszeichnet; dagegen war ihm ein fehr fharfer und
eindringender Tünftlerifcher Verftand und mit ihm die Gabe
verliehen, einen gegebenen Stoff auf’ feinfte zu verarbeiten.
Diefe Mängel fowohl als Borzüge feiner Organifation ers
fennend, verzichtete er auf den Ruhm einer durdhgängigen
Originalität und bemächtigte fid ber dramatifhen Werfe an:
berer Dichter, um fie umzuſchaffen und mehr auszubilden.
Biele feiner beften Schaufpiele find Nachahmungen oder ges
radezu Entlehnungen, der einzelnen Gedanken und Sceenen,
bie er von Anderen geborgt hat, zu geſchweigen; man kann
fie mit fauberen und gefchidten Moſaikarbeiten vergleichen.
Bon der Freiheit, mit welcher er fi} frembes Gut zu eigen
machte, zeigt Die Comödie La ocasion hace al ladron ein
auffallendes Beifpiel, bier ift nicht etwa eine fremde Erfins
dung nur benugt und in nener Weife behandelt, nein, es
find minbefteng zwei Dritttheile von Tirſo's Villana de Bal-
lecas beibehalten und nur ein anderes Drittel von Verfen
ift hinzugefügt, fo wie Einiges im Scenengang verändert.
Sn anderen Werfen hat Moreto, ohne fih im Einzelnen ges
— 3391 —
nauer an das Borbild anzufchließen, nur im Allgemeinen eine
von früheren Dramatifern erfonnene Spree, oder einen von
Anderen entworfenen Plan adoptirt, aber mit Fritifchem Scharfe
blid nur das Gelungene in bem Vorgefunbenen aufgenoms
men, die Gebrechen bagegen abgeftellt und die ganze Anlage
in reinfter Confequenz zur Bollendung geführt. Hierher ges
hören einige Meifterwerfe, die zu den vorzüglichften Schöp-
fungen der dramatifchen Runft überhaupt gerechnet werben
müſſenz man erfennt nod) die Keime, aus denen fie erwach⸗
fen; man muß zugeftehen, daß die Grundidee einer älteren
Dichtung entnommen fet, allein die Haltung des Ganzen wie
der Details. tft in den jüngeren Schaufpielen fo felbftftándig,
die Compofition wie die Ausführung des Einzelnen fo durch⸗
dacht, fein und vollendet, daß es Pedanteret fein würde, dem
Dichter aus feinen Entlehnungen einen Vorwurf zu machen.
- Hätte Moreto nur immer in bicfer Weife gearbeitet, bie
Zahl feiner guten Werke würde größer fein! Aber er ließ
fid) von dem allgemeinen Hange ber fpanifchen Theaterbichter,
viel und vielerlei Kiefern zu wollen, fortreißen, und förderte
daher eine Anzahl von Productionen zu Tage, Die geradezu
mittelmäßig und fchlecht genannt werden müffen und in denen
man ben geiftreichen Verfaffer von El desden con el des-
den und El valiente justiciero faum wiedererkennt. Man
fann daher behaupten, daf uns in den Stüden ves Moreto
zwei wefentlich verfchiedene Autoren entgegentreten: ein reich
begabter und funftverfländiger, wenn auch nicht durchaus orts
ginaler Dichter, und ein Schaufpielfabrifant, der fich in Nichts
über das Geleiſe ber gewöhnlichen Bühnenfchreiber erhebt.
ES iſt Dies eine Duplicitát, in welcher allerdings etwas Be:
frembenbes liegt, die aber noch bei manchen anderen fpanis
ſchen Theaterdichtern -gefunden werben fann und fid) nur aus
— 33 —
bem äußeren Umftanve erflären läßt, daß tie beftändige Nach⸗
frage der Schauſpieldirectoren felbft geiftoolle Männer bier
und da verführte, die Kunft als Handwerk zu betreiben.
Die Sprache des Moreto tft in feinen befferen Etüden
reíd) und funfivol, entbehrt aber jener Arifche und Spon:
taneitát, die wir an manden feiner Vorgänger und Jeitges
noffen bewundern, und hält fid) nicht frei von Geziertheit.
Sn feinen geringeren Arbeiten madt fid) oft, wie in ver
Compofition und den Gedanken, fo auch in der Diction, eine
bedeutende Schwäche und Mattigfeit fühlbar.
Wie viel Moreto anderen Didtern verdante, läßt ſich
fhwer im ganzen Umfange fagen. Wo er den ganzen Plan
aus nod) vorhandenen und uns befannten älteren Stüden
gezogen hat, da haben wir es angeführt; allein es darf, auf _
diefe Wahrnehmung bin, wohl die VBermuthung ausgefprochen
werden, daß er auch noch außerdem manche jegt untergegangene
oder fehr felten gewordene Schaufpiele benugt habe.
Unter den tragifchen Dichtungen unferes Autors ift El
valiente justieicro von jeher die gefeiertfte gewefen, und Dies
fe8 Gtúd gehört zu den berühnteften ber fpanifchen Bühne
überhaupt. In welchen Umfange der Dichter bier, feiner
Gewohnheit gemäß, aus fremden Duellen gefchöpft habe, vers
mögen wir nicht zu fagen. Eine Tradition behauptet, ber
Justiciero fet genau dein Infanzon de lllescas des Lope de
Vega nachgeahmt, einem Stüde, das ung nie zu Gefichte
gefommen tft; aus eigenem Vergleiche dagegen fónnen unfere
Lefer fehen, daß Moreto zu einer der Olanzfcenen feines
Drama'8 in Lope'8 Novios de Hornachuelos (f. Band II.
dieſer Gefchichte, S. 288) ein Vorbild finden Fonnte. Die
Frage der Originalität bei Seite laffend, fónnen wir nicht
umbin, dem Scaufpiele unferes Dichters wegen feiner ener:
|
— 333 —
gifchen Charakterfchilderungen unb feiner Tebenvollen Darftels
lung des fpanifchen Mittelalters unfere ganze Bewunderung
zuzumenden. Wir glaubten eine ausführlichere InbaltSanzeige
geben zu müffen. — D. Tello García, ein übermüthiger und
tgrannifcher Ricohombre, hat die edle aber arme Doña Leos
nor unter dem Berfprechen der Ehe verführt, fie aber nach
ber, fo oft fie ihn an feine Zufage erinnerte, immer ſchnöde
zurüdgemwiefen. In den erften Scenen des Drama'8 wohnen
wir den Feftlidyfeiten bei, mit denen ein Unterſaſſe D. Tels
lo's, D. Rodrigo, feine Vermáblung mit der fehönen Doña
María feiert. D. Tello hat ſich als Gaft bei biefer Hochzeit
eingefunden und auch Leonor aufgefordert, Dabei zugegen zu
fein; während Alles in Sreude und Jubel ift und Rodrigo
feinem hohen Saft für die ihm erwiefene Ehre dankt, brechen
gewaffnete Diener Tello'S hervor und rauben die Braut. Der
eben fo ausfchweifende als gewaltthätige Tello hat nämlich bei
dem Beſuch feine andere Abficht gehabt, ald das Mädchen,
auf das fein Auge ſchon feit lange gefallen ift, in feine Des
twalt zu befommen. Rodrigo verfucht vergebens Widerftand,
die Räuber entfernen fi) mit ihrem Opfer und der Beraubte
bleibt in ohnmächtiger Wuth zurüd. Leonor fucht ihn zu trö-
ften und verweift ihn auf den König Pebro, bei dem er Ge:
rechtigfeit finden werde. In dieſem Augenblid fieht man eine
Anzahl Reiter vorüberfprengen. Es tft der König felbft, der
feinen Bruder Heinrih von Traftamare verfolgt; in bem
Augenblid, wo er diefen erreicht hat, thut er einen Sturz
mit dem Pferde. Rodrigo, der ihm nicht fennt, bemüht fich,
ibm zu helfen, und bald entipinnt fic zwiſchen Beiden ein
Geſprach. Der König fragt, auf weffen Befigungen er ſich
befinde, und erfährt nun nicht nur den Namen Tello's, fonz
bern fin weiterer Unterredung aud) beffen fogar der Krone
”
— — — — — —
— 384 —
trogenden Uebermuth und die an Rodrigo und Leonor verübte
Unbill. Er verheißt Beiden Genugthuung, da feine Stellung
Dei Pedro dem Rechtspfleger nicht ohne Einfluß fei. — Un:
terdeffen haben Tello'S Leute die arme Marta in die Burg
|
|
|
des tyrannifchen Ricopombre gebracht. Die Unglückliche ſtellt
allen Berführungsverfuchen den Stolz der Unfchuld entgegen.
Während Tello fid) bemüht, fie bald durd Bitten, bald durch
Drohungen willfährig zu machen, wird ihm ein Reifender
gemeldet, welcher Einlaß begehre. Der König tritt verfleivet
ein, und nun folgt eine bewundernsiwürdige Scene, in welcher
die Charaftere der beiden Hauptperfonen aufs prágnantefte
bervortreten. Pedro wird felbft Zeuge von dem frechen Ueber-
muth Zello'8, von dem Mangel an Ehrfurcht, mit dem er
von dem Könige redet, und von dem falten Hohne, mit dem
er die betrogene Leonor abfertigt. Doch unterbriidt er feinen
Grimm und verabfchiedet fih, ohne fid zu erfennen gegeben
zu haben. — Die erften Scenen des zweiten Aftes zeigen ben
König mit diefen und jenen Regierungshandlungen befhäftigt
und für die Rechtspflege forgend. Rodrigo tritt, um Dered-
tigfeit flehend, ein; erflaunt und beftürzt erfennt er ben, ben
er nur für einen königlichen Beamten gehalten hatte, als den
König felbft. Pedro hört feine Klage von Neuem an, verheißt
ihm Genugthuung, fpricht aber zugleich feine Verrvunderung
aus, daß er fich nicht fogleich perfónlid) an dem Räuber fet:
ner Braut gerádt habe. In gleicher Art wird Leonor
vorgeführt und mit der Zuſicherung baldiger Gerechtigfeit
entlaffen. Unterdeffen tft aud D. Tello mit zahlreihem Ges
folge angelangt. An ber Thür des königlichen Gemaches er-
Flárt man ihm, daß er nicht anders als allein eintreten dürfe,
und er wird genöthigt, fein Gefolge zu entlaffen. Ein Höfling
bedeutet ihn, zu warten, bis der König ermüßigt fet, ihn an:
— 3835 —
zunehmen. Unmuthig über einen ſolchen Empfang, will er
fogleich umtebren, aber die Thüren find hinter ibm gefchlofe
fen. Alle dieſe Umftände und dazu der Anblick Leonorens, die
er aus bem Gemache des Königs hat treten fehen, erfchüttern
feinen Muth und er fann feine Unruhe nur fehlecht hinter
einer flolgen Sprache verbergen. Seine Beftürzung wird voll-
fommen, alg er den König eintreten fteht und in ihm jenen
Reifenden erkennt, bem er fo hochmüthig begegnet if. Pebro
ftellt fic) zuerſt, als bemerfe er ihn nicht und durchlieft ruhig
die Papiere, die man ihm eben überreicht hat. Der Ricos
bombre naht ſich mit Zagen und will ſich ihm zu Füßen wers
fen; der König wirft einen verächtlichen Bli auf ihn und.
fährt fort zu Iefen. Tello ftammelt, er fei durch Föniglichen
Befehl herbefchievden worden; Pebro fragt, wer er fei, hört
aber nicht auf feine Antwort. Der Ricohombre macht nun
einen neuen Verfud zur Flucht; da ruft ihm Pebro mit don:
nernder Stimme ein: Bleibt! zu, und Sener ftammelt einige
vertvirrie Worte der Entſchuldigung.
König. Wie? Der, der fi) rühmte, feine Scheu vor
mir zu haben, ift nun in meiner Gegenwart fo verzagt?
Tello. Id verzagt? o nein!
König. Wohlen, fo follt Ihr bald verzagen. Tretet
näher !
Tello. Señor! febt mid zu Euren Füßen! Da fällt
Euer Handſchuh. |
König. Bas fagt Ihr?
Tello. Daß ich gefommen bin . ...
König. O id weiß fon!
Tello. Wenn es eine Gunfibezeugung iſt, daß, br,
während id) Euch die Hand zu füffen fomme, den Handſchuh
fallen laft . ....
— 336 —
König. Run? weshalb reicht Ihr ihn mir nicht wieder?
Tells. Da ift er.
König. Seltfam, daß ein fo ftolzer Mann in folche
Verwirrung gerathen fann! Was habt Zhr denn?
Tello. Euer Handſchuh . . . Cer reicht ihm in der Ver-
wirrung feinen Hut ftatt des Handſchuhs).
König. Was foll mir diefer Hut? Ih will ihn nicht
anders, als mit Eurem Kopf! Alfo Ihr feld jener Hoch⸗
müthige, der dem Könige felbft in feinem Schloſſe faum einen
Gig anbietet? Ihr fein jener Micopombre von Alcalá, der
mehr zu fein glaubt, alg ber König von Laftilien? Seid
Ihr der, welcher fid mir in's Geſicht rühınte, daß er mein
Srepter mit mir theile, daß meine Befehle in feinen Ges
bieten nicht anders vollzogen würden, alg wenn er die (Er:
laubnif dazu gäbe? Ihr der, welcher feinem anderen Geſetze
geborcht, als feinem eigenen Belieben? Ihr der, vor bem
feine Ehre, weder der Frauen, mod) der Gungfrauen ficher ift?
Vernehmt denn von mir, daß der König ber perfönlichen
Tapferfeit, wenn er fte auch befigt, nicht bedarf, um Eure
Frevel zu züchtigen; denn das Schwert des Defeges führt die
Streiche ftatt feiner, und Eure Frechheit vermag nichtd gegen
die Gewalt ber Gerechtigkeit. Dem König gegenüber ift Nies
mand mächtig, der Schlag feines Schwertes trifft, bevor man
ihn nod) fallen gefeben. Wißt ferner, daß ich nicht blos Ks
nig, fondern der König Don Pedro bin, und daß, wenn td)
mid) der Majeftät entfleiven fónnte, welche Euch zu meinen
Füßen binfchmettert, ih Euch durch meine perfünliche Kraft
ebenfo úbermiltigen würde, wie nun durch mein fönigliches
Anfehn. Aber da ih meiner Würde nicht entfagen, dá id
Euch nicht als Dann dem Manne gegenüber ftehen darf,
fondern Euch mit dem Arme des Defeges beftrafen muß, fo
— 3387 —
will id Euch ein ſolches Freundſchaftspfand hinterlaffen, daß Euch
die Luft zum Kampfe vergehen foll. Da, nehmt als Vorſchmack
Eurer Züchtigung diefe Stöße hin. (Er ftößt ihn mit bem Kopfe
ein Paar Dal gegen die Wand und geht dann ab.)
Wir find mehrmals in den ſpaniſchen Theatern Zeugen
der ungeheuren Wirkung gewefen, welche dieſe Scene bei der
Darftellung hervorbringt. — Tello bleibt, von Scham und Schreks '
ken vernichtet, zurüd. Zu ihm tritt D. Gutierre, ein Raths⸗
herr des Königs, in Begleitung von Leonor und Doña Mas
ría, und fordert ihn auf, ſich gegen die Anflagen, welche diefe
gegen ihn vorbringen, zu verantworten. Tello gefteht Alles
ein, was man ihm vorwirft, meint aber, in feinen alten
Hochmuth zurüdfallend, daß man einen Mann, wie ihn, für
dergleichen Kleinigkeiten nicht firafen fónne. In dieſem Augen» *
blick tritt Rodrigo ein, der feit feiner Unterredung mit dem
Könige nur auf Made finntz er flürzt auf Tello zu und es
beginnt ein Rampf; auf das Geräufch fommt Pebro aus feis
nem Gabinet, und läßt Beide, weil fie in feinem Palaft bie
Schwerter gezogen, als Majeſtätsverbrecher verhaften. Tello’s
Stolz tft nun endlich gebeugt; den Tod vor Augen habend,
läßt er Leonoren fagen, er fehe fein Unrecht gegen fie ein
und fet bereit, eS wieder gut zu machen. Leonor und Maria
werfen fih zu des Könige Fúfen, um die Begnadigung
der beiden Berurtheilten zu erflepen, aber Pedro antwortet
ihnen, der Spruch fei ſchon gefällt und unwiderruflich. Don
Tello empfängt fein Todesurtheil; aber Pedro, nicht zufries
den, ihn als König durd das Geſetz zu züchtigen, will ihm
auch noch alg Mann und Ritter feine Ueberlegenbeit zeigen
und läßt fid das Gefängniß öffnen, in welchem Tello bie
Stunde feiner Hinrichtung erwartet. ES tft Nacht; der König
tritt vermummt und feine Stimme verftellend zu bem Ges
Geſch. d. Lit. in Spanien. IT. Bo. 23
— 338 —
fangenen ein und fagt ihm, er fel gefommen, ihm die Freiheit
zu geben. Tello folgt, halb argmöhntich, halb freudig, ber
Aufforderung ; ber König reicht ihm alg Schutzwaffe ein
Schwert, und entfernt fid) dann mit. bem Verfprehen, gleid
surüdzufommen. Bald nachher tritt er von einer anderen
Seite wieder auf und richtet mit wiederum veränderter Stimme
verlegende Worte an Tello, welcher feinen Defreier nicht er:
fennt. Die Schwerter werben gezogen, der Sieg bleibt eine
Zeit Tang unentfchieden, aber Tello wird ¿ulegt entwaffnet.
Pedro fordert ihn auf, fein Schwert von Neuem zu ergreifen,
allein ber Beficgte befennt, fein Arm fet gelähmt und er fei
bem Gegner nicht gewachſen. In diefem Augenblid treten
Diener mit Fadeln auf, und Tello erfennt den König, indem
er ausruft: Himmel! was tft das!
König. Der Ricohombre von Alcalá zu den Füßen des
Könige Don Pedro!
Tello. Wie! Ihr, Señor.
König. Sa, Don Tello, Eure Wunſche ſind erfüllt,
Ihr habt mir ale Mann bem Manne gegenübergeſtanden.
Ihr wißt nun, daß ich als Ritter mit dem Schwerte zu
vollbringen weiß, was ich als König durch meine Mäjeſtät
und Würde erreiche.
Tello. Id) bekenne es.
König. Nun, nachdem ich Eud als Mann durch meine
Tapferkeit, in Eurer Wohnung burd meine Befcheidenheit
und in meinem Palaft durch meine Gerechtigfeit befiegt habe,
entflicht! Ihr ſeid frei! Verlaßt meine Staaten, ohne einen
Augenblid zu verlieren; denn wenn Ihr Euch wieder darin
betreffen Taßt, fo tft Euer Tod gewiß. Hier, da ich für dem
Kampf mit Eudy meine Mafeftät abgelegt babe, fann td) Euch
vergeben, aber fobald ich wieder König und Berthelbiger der
— 389 —
Geſetze bin, tft es mir unmöglih . . . Ihr findet bier in
in ver Nähe einen Menfchen, ber Euch mit einem Roffe und
mit Geld zur Flucht bebülflich fein wird. Nun, Ahr zögert noch ?
Zello eilt wirklich in die Verbannung, der König aber
macht ſich auf den Weg, um feinen Palaft mod) vor Tagess
anbruch zu erreichen. Der Dichter hat bier eine feltfame, aber
ganz im Geiſte ber Weberlieferungen vom König Pedro ges
baltene Scene eingefchaltet. Schen in einem ber früheren
Auftritte ift der Leptere als von phantaftifchen Erfcheinungen
verfolgt dargeftellt worden; im Augenblick, wo er an einer
Kapelle des heiligen Dominifus voribergent , erfcheint ihm
nun ein Phantom.
Köntg. Schatten, Hirngefpinft! was willft Du von mir?
Der Todte. Komm heran, wenn Du es wiſſen willſt.
Hier neben dem Kirchlein, das ber heilige Dominifus mit
Hülfe des verflärten St. Franciscus gebaut, Tönnen wir
uns auf ben Rand des Brunnens nieberjegen.
König. Der Tag beginnt fon zu grauen, ih darf
. nicht mehr lánger fäumen.
Der Todte. Setze dich, fonft halt’ ich dich für furchtſam.
König. Ich ftrafe Di lügen, denn ſieh', ich fiße.
Nun rede weiter.
Der Todte. Kennft du mid?
König. Du bift fo häßlich, daß ich did) für einen Dás
mon halten möchte, der mich verfolgt. (Er will aufftehen.)
Der Todte. Nein, bleib figen. Stolzer Tyrann! td)
bin jener Priefter, den Du mit dem Dolche durchbohrt haft.
- König. Ich?
- Der Todte. Willſt Du es läugnen ?
König. Dein Eifer mochte gerecht fein, aber Du warſt
23%
— BM —
fredy und verwegen, mifchteft Did in fremde Dinge und
ließeft die Achtung vor deinem Könige aus den Augen.
Der Todte. Mag es fein, aber Gott bedroht Did
mit demfelben Ende; denn mit biefem felben Dolche wird
bereinft Dein Bruder Deine Gewaltthätigfeiten im Namen von
ganz Caftilien an Dir rächen.
König. Was fagft Du? mein Bruder? Lag den Dold)
fahren!
Der Tobte. Das fann gefchehen. (Er läfit den Dold)
fallen, ber im Boden ftedien bleibt.)
König. Könnt’ ich Dich zum zweiten Male tóbten, fo
würde ih es thun.
Der Todte. ES war ber Tage St. Dominicus, daß
Du mid erſchlugſt.
König. Was willſt Du damit fügen?
Der Todte. Gott ertheilt Dir durd) mid den Ber
fehl, an Diefer Stelle ein Klofter zu gründen und die Súne
ben, bie Du wider ihn begangen, durch keuſche Sungfrauen
zu tilgen, die Du feinem Dienfte weihſt. Gelobft Du mir dag?
König. Ja. Verlangft Du noch mehr?
Der Todte, Nein, dies genügt. Reich' mir die Hand
al8 Unterpfand deines Verſprechens!
König. Da nimm fiel... Himmel! lag fie los!
{ch verbrenne.
Der Tobte. Das tft das Feuer, in dem ich leiden muß; doch
Du fannft mid) daraus erlöfen, wenn Du den Bau vollendeft.
Das Phantom verſchwindet und der König geht ab, um
in feinen Palaft zurüdzufehren: In diefem Augenblide tritt
Heinrih von Traftamare auf, welchem Pebro Verzeihung
angeboten hat und der fid nun, um bie Verföhnung voll»
fommen zu maden, zu deſſen Füßen werfen will, Sein
t
— 34 —
Auge fällt auf den Dolch, welcher in der Erbe ſteckt; er ers
fennt bie Lieblingswaffe bes Bruders und freut fi, fie ihm
überbringen zu fónnen, indem er ausruft: „So bin ich bes
freundlichen Empfanges verfichert! Ich weiß nicht, welche ino.
nere Stimme mir fagt, daß diefer Dolch mir Olúd bringen
werde.“ Man erkennt die in diefen Worten Tiegende Hindeu⸗
tung auf Pebro'8 Tob von den Händen des Bruders. Die
nun folgende Scene iſt faft ganz identiſch mit einer anderem
in Galberon'8 Medico de su honra und, da ber Justiciero
vermuthlich fpäter gefchrieben wurde, aus bem älteren Stüde
entlehnt. Pedro empfindet, da er Enrique mit bem Dolce
eintreten -fteht, einen Schreden, ven er vergebens zu verbergen
fucht; er fällt in eine Art von Geiſtesabweſenheit, und ſpricht
die furditbare Ahnung, die ihn erfüllt, in deutlichen Worten
aus; dann aber, fid) fammelnd, erhebt er ben Bruder und
ſchließt ihn in feine Arme. Unterdeffen tft der fliehende Tello
dem Gefolge des Infanten in die Hände gefallen. Er wird
vor den König gebracht, und dieſer beftehlt die Vollftredung
des über ihn gefprochenen Todesurtheild; der Graf von Tras
ftamare aber erwirft feine Begnabigung; bie des D. Ros
drigo wird nod leichter ¿ugeftanden, er fchließt feine theure
Maria in die Arme, und Tello vermählt fich mit Leonor.
ES ift nach diefer Analyfe wohl unnöthig, die unvers
gleihlichen Schönheiten des Gedichtes noch befonders hervor
zuheben. Nur ber Schluß entläßt uns etwas unbefriedigt,
und es will ung bebiinfen, al8 ob die Natur des Degenftans
des ebenfo wie ber Charakter der handelnden Perfonen eigent-
lich ein tragifches Ende bedingt hätten. Die glanzoolifte Seite
des Stücks tft unftreitig die Figur des D. Pedro; wie oft
und wie glüdlich biefe auch fon von anderen Dramatifern
auf die Bühne gebracht worden war, fo hat Moreto in bers
— YY —
felben doch alle feine Vorgánger übertroffen. „Alle Einzel
heiten diefer Role — fagt Y. Viel⸗Caſtel — find von einer
Bollendung und Tiefe, die bei Tängerer Betrabtung immer
beutlicher herwortritt. Moreto's Genie hat, um fo zu fagen,
das hiſtoriſche Problem jener widerſprechenden Urtheile gelöft,
welche von den Chroniften und den Dichtern über diefen Fürs
fien gefälkt worben find; er läßt uns in bem unbeugfamen
Mechtspeflger fchon den blutigen und unverföhnliden Tyrans
nen vorausfehen. In dem Grimme, mit bem D. Pebro Die
Empörungen feiner Brüder und des aufrührerifihen Adele
verfolgt, in den Strafen, ble er bei jedem Anlaß bictírt, in
ben despotiſchen Gelüften, die fi mit feiner Gerechtigkeits⸗
liebe verbinden, in ben heftigen Aufmwallungen, in weldye er
bei jeder Gelegenheit geräth, in jener Wildheit und Rohheit,
welche oft die Alffectatíon eines ritterlichen und galanten Des
nehmens übermältigt, ahnt man ſchon, was er bereinft werden
fan, wenn ihn neue Provocationen zum Aeußerflen bringen.
Schon ift ihm fogar bas Verbrechen nicht fremd, fon hat
er ſchuldloſes Blut vergoffen, und fihon verfolgen ihn abers
gläubiſche Schreden, während feine ftolze Seele jeder anderen
Furcht unzugänglid if. ES ift eine von jenen hochstragifchen
Compofitionen, von jenen Conceptionen, welche an Sbhafs
fpeare erinnern und welche in dem großen Dichter zugleich den
Hiftorifer, den Moraliften und, ich möchte fagen, den Staats⸗
mann zeigen, als ob fid) auf einer gewiffen Höhe alle großen
Fähigkeiten des Geiſtes berührten und mit einander vermengten.«
Moreto fcheint feine ganze Kraft im ZTragifchen in dieſem
einzigen Werfe erihöpft zu haben; wenigftens fónnen feine
übrigen Dramen von ernfter Fárbung in feiner Art mit bems
felben verglichen werden. Die meifte Aufmerffamfeit unter
diefen verdient noch Como se vengan los nobles, eine
— 343 —
Umbildung von Lope'8 Testimonio vengado. Schon das
Stüd bes Lope (auf eine Begebenheit aus der älteren Ges
fhichte . des Königreichs Navarra, wie drei Prinzen aus Haß
ihre Mutter des Ehebruchs anflagen, gegründet) enthält große
Schönheiten und ercellirt in der Charakterfchilderung, aber es
ift in ber Combination bes Plans fehr mangelhaft. Linfer
Dichter nun hat mit dem ihm eigenen Scharflinn diefe Ses
brechen abgeftefit und die Lüden in bem Werke feines Vors
gängerd ausgefüllt, fo daß fein Drama erft alg die eigents
liche Vollendung der Intention Lope's angefehen werden kann. .
— Werfen wir einen Blid auf die übrigen hierher gehörigen
Schaufpiele des Moreto, fo finden wir und mehrentheils in
den hohen Erwartungen getäufcht, die der Name deſſen ers
regt, welcher den Justiciero zu fchreiben vermochte. La negra
por el honor fft eine abenteuerlihe, mit Unwahrſcheinlich⸗
feiten und Anftößigfeiten angefüllte Novelle, die man eher
für eine Arbeit des Montalvan oder Mira de Mefcun halten
witrde, wenn Moreto’8 Autorfchaft nicht hinlänglich verbürgt
wäre; eine Dame wird von einem Ritter mit ehrenrührigen
Anträgen verfolgt und gibt, um ſich defto ficherer zu fchügen,
fheinbar nad, fihlebt aber an ihrer Stelle einen in Weiber⸗
tracht verfleideten Pagen unter, nimmt ſelbſt Männerkleidung
an und fchwärzt fih bas Geſicht, um ald Neger zu erſchei⸗
nen und unerkannt bie Welt durchſtreifen zu können. Richt
den gleichen Vorwurf farm man den Stúden Sin honra no
hay valentia, El secreto entre dos amigos und La mis-
ma conciencia acusa madjen; bier findet fid) mande glüds
lich angelegte Situation; viele Scenen find mit großer Fein
heit ausgeführt, aber die Anlage des Ganzen ragt kaum
über das gewöhnliche Mittelgut der fpanifchen Bühne empor.
Jn Las travesuras de Pantoja (wovon nur der erfte Theil
1
— 3141 —
vorhanden it) find bie tollen Streiche cines übermüthigen
Studenten zwar in ergöglicher Art, aber nur mit ganz lofer
Berfnüpfung der einzelnen Scenen bargeftellt. In La Cena
del Rey Baltasar findet fid) bie Erzählung aus dem Pros
pheten Daniel, die von Calderon zu einem feiner herrlichſten
Autos benugt wurde, in gemeiner Alltag8manier behandelt.
Gn den geiftlihen Comödien fanf Moreto von der hohen
Ausbildung, telde dieſe Gattung durch Calderon erhalten
hatte, ganz zu der Unförmlichfeit zurüd, die wir in vielen
derartigen Schaufpielen bes Lope de Vega, nod) mehr in
denen ded Mira de Mefcua bemerften; und es tft merfwürdig,
zu fchen, wie derfelbe Autor, der fid in anderen Werfen als
ein fo feiner, cultivirter und die Bedingniffe feiner Runft fo
wohl fennender Geift zeigt, uns hier fo rohe und ungefüge
Materialien liefert, alg ob er gar feine Ahnung von Kunſt⸗
geftaltung hätte. Los siete durmientes und San Franco de
Sena zeigen allein jene, alle Schranken ¡berfpringenbe
Ertravaganz, jene Delirien, welche und in dergleichen Pros
duften früherer Dichter ſchon verfchieventlich begegnet find,
nicht aber die Genialität, die fonft bier und da felbft mit
den ärgften Verírrungen verfühnen kann. Das erftere Drama
behandelt die Geſchichte der Siebenfchläfer. Eine Heidin wird,
während fie den Göttern opfert, durch eine Erfcheinung des
ChHriftfindes ihrem Glauben abtrünnig gemacht und nimmt
von dem göttlihen Knaben den Berlobungéring an. Später
fofl fte fih auf Befehl des Kaifers Deciug mit dem Feld-
herrn Dionyſius vermählen; aber fie erklärt offen, daß fie
ion früher einen beiligeren Bund gefchloffen babe, der ben
fpäteren unmöglich mache, und befehrt burd die Gewalt ihrer
Beredtſamkeit aud) den Dionyfiv zum Chriftenthum, ver feis
nerſeits wieder feine ſechs Brüder beftimmt, zu bem neuen
—— — nn ren —— —
— 345 —
Glauben überzutreten. Der Kaiſer iſt außer ſich vor Wuth,
und befiehlt, die ſieben abtrünnigen Brüder in eine Höhle
zu verſchließen, wo ſie Hungers ſterben follen. Der letzte Aft
ſpielt mehrere Jahrhunderte ſpaͤter; jene Höhle wird geöffnet,
und die Brüder erwachen aus wunderfamem Schlafe, in wel-
hem fie die lange Zeit vertráumt haben; fte febren nad)
Epheſus zurück und finden dort ein anderes Geſchlecht von
Menfchen und auf ben Tempeln der Götter das Kreuz auf
gepflanzt. Gewiß fonnte diefer Stoff, wie fehr er ſich auch
gegen eine dramatifche Bearbeitung fträuben mag, durd) phans
taſievolle Behandlung eine erfreuliche Geftalt gewinnen; aber
Moreto hat ihn in fehr nüchterner und ſchwungloſer Weiſe
aufgefaßt. — Gn San Franco de Sena (oder das Stüd
follte vielmehr St. Francus von Grotti heißen, denn bas
Leben diefes Heiligen bildet ben Vorwurf; f. Speculum Car-
melitan. p. Danielem a virgine Maria, Antverpiae 1680.
T. II. P. 2 pag. 798 sqq.) haben wir eine fo wüfte und
abenteuerliche Heiligeneomödie, wie nur je eine auf die Bret-
ter gefommen. Wären wir nicht mit dem ganzen wunderlichen
Zuftande der Eivilifation jener Zeit befannt, fo múfite e8 ung
in der That unbegreiflich feheinen, wie das nämliche Publi:
tum, das ein Organ für die Feinheit und Grazie des Des-
den con el desden hatte, fo fraffe, ja eınpörende Sítuas
tionen, wie fie bier vorgeführt werden, habe dulden fónnen;
nod) mehr, wie der Verfaffer jenes ätherifchen Luftfpielg ſelbſt
feinen Zufchauern ein fo robes Speftafel habe geben mögen.
Das Seltfamfte aber tft, daß in der Zeit, wo das fpanifche
Theater den höchften Grab der Ausbildung erhalten hatte,
gerade in ben geiftlihen Schaufpielen bie gröbften Indecen⸗
zen ungefcheut und in den grellften Farben ausgemalt werden
durften, wenn nur am Schluffe der Sieg des Glaubens über
— 6 —
die Sündhaftigkeit gefeiert wurde. Der Held unferes Stüdes
ft ein Wüſtling, deffen Mund von Dottesláfterungen und
Berwünfchungen über alles Heilige überfließt, der Tag und
Radbt bei Spiel, Wein und Mädchen figt, oder mit verwor⸗
fenen Gefellen die Straßen von Siena durdhftreift, allen mög«
lichen Unfug übend. Den Bräutigam eines Mädchens, auf
das er ein Auge geworfen hat, ermordet er, und führt damn,
fih dem Kriegszuge der Sanefen wider Orvicto anfchliefend,
das nicht minder fittenlofe Weib mit fid) fort. In dem Krieges
leben finden feine Ausichweifungen exft recht ein freies Feld;
er treibt Ehebruch, Nothzucht und Frevel aller Art. Eines
Nachts hat er berm Oelage nicht blof fein Geld, fondern
fogar bie Kleider auf dem Leibe verfpielt; da ihm nichts mehr
übrig bleibt, fo greift er wüthend nach feinen Augen und
ruft: »Diefe Augen, die mir Gott gegeben, fege ich ihm zum
Hohne ein!» In dicfem Augenblick empfindet er einen hefti⸗
gen Schmerz, er fühlt es fid wie Feuer in den Augäpfeln
brennen, und Nacht umhüllt fein Geſicht, fo daß er feinen
der Anmwefenden erfennt. Von diefem Moment an Datirt
feine Befehrung; er hört eine himmliſche Stimme, bie ihn
zur Buße ermahnt, und finft reuig und zerfnirfcht zu Boden
bin. Im legten Afte erbliden wir ihn als Einſiedler in
einer Wildniß, ganz ber Buße und frommen Uebungen hin⸗
gegeben. Seine frühere Geliebte, unzufrieden über die Sins
nesänderung ihres Bublen, hat fi unter eine Räuberbande
begeben und treibt in feiner Nähe ihren Unfug: Inbeffen ſteht
auch ihre Befehrung bevor; ihr Schugengel mifcht fid, nad)
einem feltfamen Einfall des Dichters, felbft in Räubertracht
unter die Bande, und weiß ihr Herz allmälig zu erweichen,
bis fie zulegt, reuig und zerfnicfcht, eine Büßerzelle neben
der Franco's bezieht. — Noch in feinem lepten Werfe, Santa
.
— MI —
Rosa de Peru (einer Dramatifirung ber tuunberbaren Lebens⸗
geſchichte ber heiligen Rofa von Lima, f. Vit. s. Rosae Vir-
ginis Auct. Leon. Hansen, Act. Sanct. 26. Aug. pag.
902 sqq.) begnügte ſich Moreto, mit einer unfünftlerifchen Zus
fanmenftellung vieler profanen umd heiligen Facta, die feinen
anderen Zufammenhang haben, alg die Iofe Verbindung mit
dem Leben der Heiligen, zu deren Verberrlihung das Stüd
beftimmt war. _
Einen ganz anderen Dichter lernt man fennen, wenn
man fid) zu ben Lufifpielen des Moreto wendet. Für biefe
war ber eigentliche Beruf des Autors, und auf diefe gründet
ſich der größte Theil feines Ruhmes Hat er fido in der Mehr⸗
zahl feiner übrigen Stüde mehr in hergebrachten Weifen bes
wegt, fo daß eS fehwer hält, feine Individbualitdt herauszus
fennen, fo zeigt er im Lufifplel eine fehr bebeutfame und
marfirte Phyſiognomie. Freilich machte er auch hier vielfach
von den Werfen Anderer Debraud), aber er ſchuf fie mehren»
theils fo gänzlich um, daß fie unter feinen Händen etwas
durchaus Neues wurden. Was Ihn ganz befonderd vor ben
übrigen Ruftfpielbichtern der Spanter auszeichnet, tft die Sorg-
falt in ber Charafterzeichnung, die Wahrheit der Stttenjchils
derungen , die Laune, mit welcher er die LTächerlichfeiten ber
Menichen. zu geífeln verftebt, und die Kraft der Komik in der
Darftellung Iuftiger Vorfälle und Situationen. Die Handlung
iſt bei ihm meiſtens weniger complicirt, als bei Ealberon, und
die Intrigue nicht aus fo vielfachen Fäden gefponnen; aber
er weiß mit einfacheren Mitteln das Intereffe nicht minder
von Anfang bis zu Ende zu feffeln. Sein Dialog iſt gelfts
tel und mit ächt attiſchem Salze gewürzt; feine Figuren
find zwar oft in earicaturartiger Manier gehalten, aber mit
treffendſter Wahrheit unmittelbar nad) bem wirklichen Leben
— 348 —
aufgefaßt und bei aller Derbheit ber Pinfelftriche doch mit
einer graziöfen Lane hingefteflt, fo daß ihnen felbft für den
feinften Geſchmack nichts Biderfirebendes anflebt.
El lindo Don Diego ift eine ber beften Comedias de
figuron — eine Gattung von Stüden, welche in ber zweiten
Hälfte des flehzehnten Jahrhunderts fehr in Aufnahme zu
fommen begann. Don Diego, die Figur, welche dies Luſtſpiel
in bie bezeichnete Claſſe ftellt, ift ein junger eleganter Herr,
welcher aus der Provinz nad Madrid fommt, um fidy mit
einer reichen Erbin zu vermählen. Geztert in feinem Weſen
und voll Stolz auf feine eingebilvdete Schönheit und Lieben
würbigfeit, macht er ſich nicht allein ber jungen Dame, auf
deren Hand er fpeculirt und Die úberbief einer anderen Liebe
nachhaͤngt, unerträglich, fondern verlegt auch feinen Schwieger⸗
vater, der übrigens aus Famtlienrüdfichten das zu Standes
Kommen ber Heirath tebhaft wünfcht und diefe auch, troß feiner
Erfenntniß von Diego's Lächerlichfeit und trog bes Wider:
ſtrebens feiner Tochter, auf's eifrigfte betreibt. Die Ausfichten
- bes Bewerberd werden endlich dadurch vereitelt, daß er fi
durch feine Eitelfeit in eine Schlinge locken laͤßt, welche ihm
der Bediente feines Nebenbuhlers geftellt hat. Diefer Bes
diente, der Graciofo des Stücks, fpiegelt ihm nämlich vor,
er habe einer vornehmen Dame eine heftige Leidenſchaft eins
geflößt, und führt ihn in ein Haus, wo er von einer geziers
ten und lächerlich gepugten Perfon, die nichts weiter if, als
eine Allerweltspame, empfangen wird. Diefe Scene enthält
“eine fehr ergögliche Satire auf ben úberbilbeten Modeſtyl.
Dem Stußer wird durch feine neue Eroberung ber Kopf vols
lends verdreht, und er fucht nicht einmal einen fcheinbaren
Vorwand für den Bruch ber älteren Berbintung zu finden;
ber Schwiegervater, hierüber entrüftet, willigt endlich ein,
— ste
— 839 —
feine Tochter dem Rebenbubler Diego’d zu geben, und ber
eitle Geck Tehrt am Schluffe, da er erfährt, welcher Streich
ibm gefpielt worden, beſchaͤnt und mit vereitelten Plänen in
die Provinz ¿urúd.
Aud) das Luftíptel Trampa adelante tft von einer fehr
beiteren und beluftigenden Intrigue belebt. Don Juan de
Lara, ein vornehmer, aber in feinen Glüdsumftänden wenig
begünftigter Cavalier, hat einer jungen reichen Wittwe eine
lebhafte Leidenfchaft eingeflößt, welche jedod) von ihm, der
eine andere Dame liebt, nicht erwidert wird. Don Juan'8
Diener verfällt auf den Gedanfen, diefen Umftand zu benugen,
um feinen Heren aus der bebrängten Lage zu reißen, in
weiche ihn feine Armuth verfegt. Er betreibt feinen Plan in
aller Stille, denn er fürchtet bas Widerſtreben feines Debies
ters, weiß aber wirklich in fchlauer Weife die Wittwe glaus
ben zu machen, daß ihre Neigung Eutgegnung finde. Die
ltebende Dame laͤßt fi bereit finden, dle Summen herzus
geben, damit Don Juan's Wohnung mit Bequemlichfeiten, fa
mit Lurus ausgeftattet werben könne; bem Legteren wirb vors
gefpiegelt, die Wucherer und Kaufleute hätten ihm Credit ers
öffnet. Der fchlaue Diener hat nun feine ganze Lift anzu
wenden, um die Entdedung feines Kunftgriffs zu vereiteln
oder Doch hinauszuhalten; er fucht um jeden Preis cine us
fammenfunft zwifchen feinem Herrn und deſſen Wohlthäterin
zu hintertreiben, fptegelt der Wittwe, welche fich natürlich
das Rüdhaltende in Don Juan'8 Benehmen nicht erflären
tann, bald diefes, bald jenes Begegniß vor, das ihren Lieb⸗
haber bisher behindert habe, fie zu befuchen, fucht den Arg
wohn der wahren Geliebten Don Juan's zu befchwichtigen
und endlich den Legteren felbft über die Intrigue, in welcher
er unwillkuürlich eine Rolle fpielt, zu täufchen. Diefer Bras
— $5 —
eiofo, eigentlich die Hauptfigur bes Stüdes, ¿ft einer ber ver:
trefflichſten und beluftigendften unter ben Taufenden von ábns
lichen Geftaften, weldye das fpantiche Theater aufzuweiſen
bat, und ſämmtliche Scenen, in denen er auftritt, find von
unvergleichlicher Komif. Das Ende der Intrigue, daß fid zum
Eroft der betrogenen Wittwe ein früher verfchmähter Lieb
paber einfindet und am Schluße Alle ihre Zufriedenheit er-
Hären, wird man nad) dem Anfange vorausgefehen haben.
Sn De fuera. vendrá quien de casa nos echará if
der Anfang dem Acero de Madrid bes Lope be Vega, ble
ganze Hanblung aber der Comödie De cuando acá nos vino |
deffelben Dichter nachgeahmt. Zwei junge Cavaliere, die eben
von einem Feldzuge in Flandern heimfehren, haben ihr ganzes
Bermögen im Spiel verloren. In ihrer Berlegenheit kommt
ihnen ein Empfehlungsbrief zu Statten, den ihnen ein Kriege
famerad an feine Schwefter, eine reiche, in Madrid anfäffige
Wittwe, gegeben hat. Sie vertaufchen diefen, nur ziemlich all:
gemein gehaltenen Brief mit einem anderen fehr dringenden,
den fte felbft fabriciren, und verfehlen nicht, ihn an feine
Adreffe gelangen zu laffen. Die Wittwe, eine alte Kofette,
nimmt fie äußerft huldreich auf und bietet ihnen während des
Aufenthaltes in der Hauptftadt ihre Wohnung an, was fie
denn auch mit Freuden annehmen. Raum haben die beiven
freunbe ihr neued Duartier bezogen, fo knüpft ber eine von
ihnen ein Liebesverhaͤltniß mit einer jungen Nichte an, welde
von der Wittwe in firenger Hut gehalten wird. Aber ein uns
erwarteter Schlag droht, fein &lüd zu ¿erftóren. Die alte
Kofette feloft wirft ein Auge auf den jungen Mann und läßt
ihn ihre Leidenfchaft deutlich merfen; aber er wagt nicht, ihr
alle Hoffnung zu rauben, denn er fürchtet, fie werde ihn in _
ihren Zorne das Haus räumen beißen. Endlich fchlägt fie
— 351 —
ihm gar vor, fie zu heirathen. Um dies Anerbleten zurückzu⸗
weifen, ofne fie doch zu kraͤnken, entbedt er ihr, wie ein großes
Gebeimniß, Daß er ihr Neffe, der Sproffe einer geheimen
Verbindung ihre Bruberé mit einer flämifchen Dame, feb;
fie aber, weit entfernt, deshalb ihren Plan aufzugeben, trifft
fogleich Anftalt, die nöthige Dispenfation für die Heirath zu
erlangen, und überhäuft inzwifchen ben fingirten Neffen mit
ihren Liebfofungen. Der Unglüdtiche fteht nun zwiſchen zwei
Feuern, der Zubringlichkeit der Tante und der Eiferfucht der
Nichte. Vergebene fucht er durch allerhand Runftgriffe die bros
hende Heirath hinauszuſchieben, vergebens fid) ber alten Närrin
unerträglich zu machen, — ber verhängnißoolle Moment rüdt
iminer näher. Die unerwartete Ankunft des BruderS Der
Wittwe endigt endlich diefe Verlegenheit; der alte Rrieg8mann
geräth, als er den gefpielten Streich entoedt, zuerft In Außerfte
Wurh, läßt fich aber dann befänftigen und legt die Hand ber
Nichte in die des Abenteurer, der fich auf fo feltfame Weiſe
in fein Haus eingefchlichen pat. — Die Trefflichfeit diefes
Luſtſpiels befteht weniger in ber Intrigue, alg in bes geiſt⸗
reihen Charafterzeichnung, bie freilidy bisweilen mehr, als eben
nöthig wäre, ins Burlesfe und Earicaturartige übergeht. Nas
mentlich find zwei Nebenfiguren, die eines pebantifchen Doctor
Juris, der bei fever Gelegenheit feine lateiniſchen Gefegesftellen
. eitirt, und die eines verliebten Rarren, der jeder Dame, die
er erblidt, Anträge macht und ſich jedesmal einen Korb holt,
mit unübertrefflicher komiſcher Kraft und mit ergöglichfter
Lane geſchildert. Beachtenswerth und ganz befonders dharafs
teriftifch fft auch nod bie Scene, wo ein Neutgfeitsfrämer
oder vielmehr Befchichtenerzähler auf ben Stufen ber Kirche
San Felipe eine Menge Neugteriger um fid) verfammelt hat,
— 352 —
und bie abfurbeften Kabeln, die er verträgt, wie Evangelien
von ihnen aufgenommen werben.
3n La.ocasion hace al ladron hat Moreto, wie ſchon
gefagt, einen großen Theil von Tirfo’s Villana de Vallecas
wörtlich beibehalten und das Stüd feines Vorgängers durch
Hebung mehrerer Unwahrſcheinlichkeiten und durch Weglaffung
einiger Längen zu verbeſſern geſucht; aber er that einen gro⸗
‘Sen Fehlgriff in der Hauptabänderung, daß er die Figur ber
Baͤuerin wegfallen ließ. Er glaubte, das Luſtſpiel würde an
Wahrſcheinlichkeit gewinnen, wenn Violante, um nicht von
ihrem Bruder und Liebhaber erkannt zu werden, Studenten⸗
tracht annähme; auch hielt er es vermuthlich für unſchicklich,
daß bie Valencianerin neben den Liebeserklärungen des Don
Juan auch nod) welche von einem Bauerburſchen anhörte;
allein er überſah, daß aus dieſen Gebrechen Schönheiten her⸗
vorgingen, für welche er nichts Aequivalentes zu ſubſtituiren
hatte. In der That iſt die Villana de Vallecas bei allen
ihren Fehlern im Plan und in ber Defonomie ein höchſt reis
zendes Stüd voll idylliſcher Anmuth und zugleich kauſtiſcher
Schärfe der Satire; die Ocasion hace al ladron dagegen fann
mit aller ihrer Correetheit nur für eine Comödie von ziemlich
gewöhnlichem Schlage gelten.
Die Intrigue von No puede ser guardar una muger
ift ganz nach Lope's Mayor imposible, nur daß hier vie
Handlung nicht an einem Hofe, fondern ganz in bürgerlichen
Berhältniffen fptelt. Da tm vorigen Bande der Inhalt von
Lope's herrlichem Luftfpiel angegeben worden ift, fo brauden
wir auf den von Moreto’d Nachahmung nicht näher einzus
geben; diefelbe ſcheint uns an Anmuth und poetifyem Colorit
weit hinter ihrem Borbilde zurüdzufteben.
|
— 333 —
Sn El parecido en la corte hat Moreto offenbar bie
Entretenida bes Cervantes vor Augen gehabt, aber hier
müffen wir ihm das Verdienſt zuerfennen, fein Mufter in
Plan und Ausführung übertroffen zu haben; übrigens ift in
biefem Parecido nod) außerdem ber erfte Theil von Tirfo'8
Castigo del Penséque ftarf benugt worden. — Don Fers
nando de Ribera hat, in Folge eines Zweikampfes, plötzlich
feine Vaterftadt Sevilla verlaffen und ſich nad Madrid flüdhs
ten müffen, wo er fi denn für den Augenblid in großer
Berlegenheit befindet. Zufällig ift er in den Geſichtszügen
einem gewiffen Don Lope de Lujan, welcher feine Familie
feit Tange verlaffen hat, täuſchend ähnlich. Der Vater diefes
Don Lope begegnet dem Fernando, glaubt in ihm feinen Sohn
zu erfennen, umarmt ihn mit lebhaften Freubenbezeugungen
und theilt ihn fogleich die Nachricht von einer fehr reichen
Erbfchaft mit, die ihm während feiner Abwefenheit zugefallen
fei. Don. Fernando tft anfänglich in hohem Grabe erftaunt
und will den Irrthum berichtigen, aber fein fchlauer Diener
Zacon verfällt auf den Gedanfen, venfelben zu ihrem beider-
feitigen Bortheil zu benugen, fucht feinen Herrn zum Schwei⸗
gen zu bringen und betheuert bem Vater, daß er wirflich
feinen Sohn vor fich babe, welcher burd eine ſchwere Krank⸗
beit gänzlich des Gedächtniſſes beraubt fei und nur aus diefem
Grunde feine Sbentitát ableugne. Der Teichtgläubige Vater
fegt, im Rauſche der Freude über das Wiederfinden feines
Sohnes, in diefe Erflärung feinen Zweifel. Von diefem Augen»
blicke an vient Alles, was den Irrthum aufflären fónnte, nur
zur Beflätigung des von bem Graciofo angeftifteten Detruges.
Vergebens fährt Don Fernando fort, gegen die Lügen feines
Dieners zu proteftiren; ber Alte fieht darin nur neue Beweiſe
des traurigen Geifteszuftandes, in den ihn feine Krankheit vers
Geſch. d. Lit. in Spanien. HI. Bd. 23
— 354 —
fept babe, und überhäuft ihn um fo mehr mit väterlicher 3árts
lichkeit und forgfältiger Pflege. Bale fängt jedoch aud ers
nando an, fih in jein Schickſal zu finten, benn er hut in
feiner vorgeblichen Schwefter eine junge Dame erkannt, durd)
deren Echönheit er fchon früher gefeffelt worden war, und
von diefem Hugenblid an widerſtrebt ihm die fingirte Ber:
wandtſchaft nicht mehr; indem er nun zu jeder Stunde Jus
tritt zu Snes hat, welche ihn als ihren Bruder mit ihren
Liebfofungen überhäuft, darf er zugleich unter dem Mantel
feiner Geiſtesabweſenheit bas vertwandtichaftliche Berhältniß
auf Augenblide vergeffen und ſich einer lebhafteren Zaͤrtlich⸗
feit hingeben. Diefe Situation tft ganz aus ber Entretenida,
aber mit ungleich grófierer Kunft und wahrhaft bewunderns⸗
werther Feínbeit behandelt. Endlich kommt ber wirflidde Bru:
ber an; er wird anfänglich für einen Betrüger gehalten, und
hat Mühe, feine Spentität zu beweifen; als aber die letztere
außer allen Zweifel geftellt wird, bequemt fid) der Vater, ben
Don Fernando als feinen Schwiegerfohn willkommen zu heißen.
Eine ádte Comedia de figuron, in welder ein im
burlesteften Caricaturſtyl gezeichneter eingebilveter und praßl«
hafter Narr ald Mittelpunft der Handlung baftebt, iſt El
Marques del Cigarral. Der Held ift eine Art von Don
Quijote oder vielmehr ein Don Ranudo de Collibrados, ver
über das Leſen feiner AdelSbriefe und das Zählen feiner Ahnen
den Verftand verloren hat.
Einer anderen Sphäre, der des reinen Intriguenfpiels,
gehören La confusion de un jardin und Los engafios de
un engaño an. Hier war es bem Moreto darum zu thun,
in Fünftlichen Verwickelungen mit Calderon zu wetteifern, und
es tft ihm namentlich in bem erfien biefer Stüde gelungen,
nad Allem, was fein grofier Vorgänger auf dieſem Gebiete
J
|
— 355 —
geleiftet, doch noch neu zu fein und ein aus ben gehäufte
ften Zufällen geſchürztes Imbroglío in der alerüberrafchenpften
Weiſe zu Tofen. \
Aber das Höchſte, was Moreto geleiftet, und ein Werk,
das feinem Namen allein einen unvergánglicien Ruhm fichert,
ift die Comödie El desden con el desden. Vir haben bier
ein Luftfpiel von größter Seinheit und Vollendung, in welchem
fido pſychologiſche Tiefe und Innige Wahrheit der Seelenfchils
derung mit einer reichen und fparmenden Intrigue, die forgs
fältigfte und liebevollſte Pflege des Detail mit einer wun⸗
derbar effeftreiden Combination zum Ganzen verbindet. Das
zum Grunde ltegende Thema (die Bezwingung des Raltfinns
in einem weiblichen Herzen dadurch, daf ber Llebende noch
größere Kälte fingirt) war fchon mehrfach, namentlich von
Lope im Los milagros del desprecio und La hermosa
fea, behandelt worden, und es ift wohl feinem Zweifel unters
worfen, daß Moreto bie erfte Idee zu feinem Gedichte aus
diefen Stücken geichöpft habe (außerdem fcheint ihm nod;
Tirfo'8 Zelos con zelos se curan gegenwärtig geweſen zu
fein); allein diefer Vorwurf ift bier mit fo unvergleichlicher
Ueberlegenheit durchgeführt, daß der fpäteren Bearbeitung ber
Preis vor allen früheren zuerfannt werden muß. Den Inbalt
des auf faft alle europäifche Bühnen übergegangenen Stüdes
und namentlich das äußere Gerüft der Handlung alg befannt
vorausfegend, wollen wir nur in einigen Andeutungen die
Feinheit bemerfticd machen, die der Dichter in der Geſtaltung
des Stoffes gezeigt bat. Er will uns ſchildern, wie ein kalt⸗
finniges und jeden Gedanken an Vermáblung zurüdweifenves
Weib am beften dadurch umgeſtimmt und der Gewalt ber
Liebe zugänglich gemacht werde, daf man ihren Stolz beuge,
Zu biefem Zwecke zeigt er die Prinzeffin Diana von drei Bes
. 23r
— 356 —
werbern umgeben; zwei von biefen bemühen fid) vergebeng,
burd alle möglichen Huldigungen ihre Gunſt zu erlangen,
ber dritte aber, Prinz Carlos, fchlägt ven richtigen Weg ein,
indem er, auf den Rath feines ſchlauen Dieners Polilla, feine
Liebe hinter dem Schein der Bleichgültigfeit verbirgt und ben
Troß durch Trog zu bezwingen fucht. Diana fühlt fih durch
bie Kälte des Prinzen fogleih in ihrer Eitelfeit verlegt und
geht num darauf aus, ihn zur Lebe zu entflanmen, um ſich
dann an dem Ueberwundenen durch Spott und Hohn rächen
zu fónnen. Carlos ift in feiner Rolle nod) nicht ganz feft; er
glaubt in der Verftellung der Prinzeffin wirkliche Neigung zu
fehen, und befennt ihr feine Empfindung. Diana ergießt bie
ganze Fülle ihres Spottes über ben Beſiegten; aber dieſer,
feine Uebereilung erfennend, faßt fid auf ber Stelle wieder,
und fagt, es fei der flugen Fürftin doch wohl nicht entgangen,
daß er, eben fo mie fie, nur ein Tauniges Spiel mit einer
feinem Herzen fremden Empfindung treibe. Durch diefe Er-
färung wird Diana’s Stolz aufs empfindlichſte verlegt, und
ihr Beftreben, fi den Prinzen unterwürfig zu machen, geht
mehr und. mehr in wirkliche Leidenfchaft über. Sie wendet
nach einander alle Mittel auf, von denen fie hoffen darf, daf
fie Carlos verliebt machen werden; aber diefer behält mit Be-
zwingung feines innerften Gefühle vie Maske der Gleichgül-
tigkeit bei. Nachdem Diana alle Runfigriffe zur Beftürmung
feines Herzens erfchöpft hat, verfucht fie es mit der Eiferfucht,
und erflärt ihm, fie fet entichloffen, fich dem Wunſche ihres Vaters
zu fügen und fich mit bem Prinzen von Bearn zu vermäßlen.
Carlos, duch feinen Diener von dem eigentlichen Zwed diefer
Worte unterrichtet, läßt ſich nicht aufer Faffung bringen,
fondern entgegnet, er habe einen ähnlichen Entfchluß gefaßt,
indem er beabfichtige, ihrer Hofdame, der fchönen Cynthia,
— — x
— 357 —
ſeine Hand anzutragen. Durch dieſe Erklärung geräth Diana
außer ſich; ihre Eiferſucht, ihr Unwille verrathen die immer
mächtiger lodernde Flamme der Liebe in ihrem Herzen. Carlos
glaubt nun, ſeines Sieges gewiß fein zu fónnen. Um Diana
zur Erflárung zu bringen, theilt er bem Prinzen von Béarn
mit, die Wahl der Prinzeffin fei auf ihn gefallen. Eben mels
det der Beglüdte dem Vater Dianens den Entſchluß der Tochter,
al8 die Legtere im Hintergrunde der Scene auftritt. Carlos,
welcher allein die Lauſchende wahrnimmt, erflärt nun, daß,
obzwar er ſich burd) den Befíg von Cynthia's Hand beglüdt
fühlen würde, er bod) die höchfte Entfcheidung der Diana
überlaffe. Diefe, hervortretend, fragt den Vater, vb er ihr die
Wahl zwifchen ben drei Prinzen anheimftelle, und nachdem
ihr, mit Einftimmung ber drei Freier, diefes Recht ¿ugeftans
den íft, begrüßt fie denjenigen al8 Gemahl, der ihren Troß
durch nod) größeren Trog befiegt hat. — Dies ber dem Drama
zu Grunde liegende Ideengang und ein Schattenrifß des Bes
mäldes, bei bem man fich die weichften und wärmſten Pinfel-
ſtriche, die glänzendfte Farbengebung hinzudenken möge, um
einen ungefähren Begriff von dem Original zu erhalten. Oe:
danfengehalt und Leidenfchaft, Gemüth und Wis, Liebes
ſchwärmerei und fehalfhafte Laune, die fehärffte Zerlegung des
menfchlichen Herzens und poetiſcher Schwung find in biefem
Gedichte zu einem fo herrlichen Ganzen verfehmofzen, daß die
Literatur aller Völker nur wenige Perlen von gleicher Rein⸗
beit befigt. |
In jener Gattung des Quftfpiels, welchem El desden
con el desden angehört, und welche wir die höchfte nennen
möchten, hat Moreto leider nichts weiter gefchrieben. Nur
La aprehension de la voz fónnte nod) etwa hierher ge:
rechnet werden; dieſes Stüd, das, wie Calderon's Desdicha
il
— 358 —
de la voz, die Madjt bes Geſanges über bas menſchliche
Herz ſchildert, zeigt, wenn aud) nicht Die ganze Fülle, fo doch
einen Abglanz jenes romantifchen Jauberg, der in der „Doña
Diana” weht.
Matos Fragofo.
Juan de Datos Fragofo war nah N. Antonio ein
Portugiefe von Geburt 1”). Ein erfter Band feiner Comö«
dien, dem feine weiteren gefolgt zu fein fcheinen, erichien zu
Madrid im Sahre 1658 '%%); einzeln gedrudte Schaufpiele
von ihm find aber noch an fünfzig vorhanden.
Diefer Dichter war fein Genius in dem höheren Sinne,
wie Lope de Vega und Ealberon, feiner von Jenen, die mit
fiegender Beiftesfraft die Kunft auf noch unbetretene Pfade
führen: aber er befafí eine ungemeine Beweglichfeit und Ges
ſchmeidigkeit des Talents, um in den auf dem fpanilchen
Theater einmal hergebrachten Weiſen fortzubichten. Große Dri
ginalzüge darf man bei ihm nicht fuchen und überhaupt nur
felten etwas von dem, was Die größte Höhe und Tiefe der
0) N. Antonio fagt: Lusitanus ex oppido Alvito. Die Latinis
firung Der ſpaniſchen Ortsnamen macht es oft fehr ſchwer, biefelben zu
erkennen. Ift die Stadt Elvas in Alentejo gemeint ?
10%) Primera parte de Comedias de Don Juan de Matos Fra-
goso, Madrid 1658. Die darin befindlichen Stüde find:
El hijo de la piedra. Amor, lealtad y ventura. El traidor
contra su sangre. La devocion del Angel de la Guarda. La tia
de la menor. El marido de su madre. Los indicios sin culpa. EI
Genizaro de Ungria. Callar siempre es lo mejor. El yerro del
entendido. Con amor no ay amistad El amor hace valientes.
— 359 —
funft ausmacht; aber feine Stüde find reih an allen den
. Borzügen, die man als die mehr äußerlichen ver fpanifchen
Eomödien bezeichnen kann; fie haben einen wohlberechneten
Bau, complicirte und doch Flare Verwidelungen, viel Leben
und Bewegung, Rraft und Würve, und glänzen durch eine
eben fo reiche und elegante als edle Sprache, die ſich faft
durchgängig von Schwulft und Ziererei frei hält. Mit diefen
Eigenfchaften ausgerüftet, durften fie eines entſchiedenen Ers
folges8 auf der Bühne ficher fein, und fie haben denfelben theils
weile bis auf den heutigen Tag behauptet.
In Abſicht auf die Benugung ber Arbeiten früherer
Theaterdichter war Matos Fragofo eben fo wenig ferupulög,
wie Moreto. Manche feiner Comödien find nur Nachahmun⸗
gen und Leberarbeitungen von älteren, zu feiner Zeit in Vers
geffenheit gerathenen, und er hat in folchen Umpgeftaltungen
ber Werfe anderer Autoren nicht felten viel Takt und Friti-
Shen Scharffinn bewieſen. So liegt einem feiner berüßinteften
- Gtiide, El villano en su rincon, ein gleichnamiges von Lupe
de Vega zu Grunde, aus welchem ganze Scenen beibehalten
worden find. Matos hat Alles, was feinem Vorgänger ges
glúdt war, aufgenommen; allein das ältere Drama iſt eigent
lich nur ein beiteres Lebensbild, in welchem die behagliche
Selbftftännigfeit eines Landmannes dem Könige gegenüber in
anmuthigen Farben ausgemalt wird, das eigentlich Drama:
tifche fteht febr im Hintergrunde; in bem Villano unferes
Dichters Dagegen tft die Friſche und anziehende Heiterfeit einer
idylliſchen Schilderung beffelben Vorwurfes mit einem viel
burdgreifenderen und alle Scenen eng verfnüpfenden Snte:
veffe verbunden. Deuten wir vie Handlung furz an. Alphons
der Weiſe ‚(denn biefen hat Matos flatt des Königs vpn
Sranfreih fubftituirt) und fein Hofcavalier, Don Gutierre
— 360 —
haben Beide eine heftige Liebe für Beatriz, die fchöne Todjter
des reichen Landmannes Yuan gefaßt, und begeben ſich, ohne
Einer des Andern Neigung zu kennen, verfleivet auf vas
Gehöft von deren Vater. Diefer nimmt feine Gäfte mit der
zuvorfommendften Höflichkeit auf; ver König findet großes
Gefallen an ihm, und deutet es ihm auch nicht übel, als er
feine Unabhängigfeit über Alles preift, verſichernd, daß er
fid) nie würde entichliegen fónnen, fie mit bem Olanze bes
Hoflebend zu vertaufchen. Der in feiner Selbſtſtaͤndigkeit glüds
liche Bauer fpricht übrigens, bei aller Geringſchätzung ver
äußeren Größe, mit aufrichtiger Verehrung. von feinem Könige,
und betheuert, daß er bemfelben nöthigen Falles fein ganzes
Bermögen und felbft feine Kinder geben würde. In der Nacht
treffen fih der König und Don Gutierre in dem Gemache
der fchönen Beatríz, und entdecken fo gegenfeitig ihre Leiden⸗
fchaft; der Unterthan will bem Könige weichen, aber viefer
tritt mit edlem Sinne zurüd, befämpft feine Neigung und
überläßt Beatriz an Gutierre, indem er ihm jedoch einjchärft,
nicht an der Achtung gegen die Tochter des braven Land⸗
mannes zu freveln; hierauf nimmt er, ohne daß er fich.zu
erfennen gegeben, von Juan Abſchied. Gutierre, von der Leis
denfchaft fortgeriffen, vergißt inbeffen bald die Mahnung des
Königs und weifi Beatriz durdy ein falfches Eheverſprechen
zur Gewährung ves legten Zieles feiner Wünfche zu beftíms
men; nachdem er dieſes erreicht, verläßt er das unglüdliche
Mädchen. Der König erfährt bie fchmählihe That und bes
fchließt, die darin liegende Beleidigung gegen ihn und gegen
feinen trefflihen Wirth zu rächen. Er fendet an Juan und
verlangt zuerft, um feine Treue und die Aufrichtigfeit feiner
Rede zu prüfen, daß er ihm eine beventende Summe Geldes
ſchicke. Der Vaſall geborcht augenblicklich. Ein zweites Schreis
— 31 —
ben forbert bie Auslieferung feiner Kinder, fo wie daß er
fic) fofort felbft an ben Hof begebe. Auch viefem Berlangen
fügt ih Juan, wenn auch nicht ohne Unmuth. Der König,
in welchem der Anfómmiing mit großem Erftaunen feinen
früheren Gaft erfennt, empfängt und bewirthet ihn ganz in
der nämlichen Weife, wie er von ihm behandelt worten if.
ES werden drei Schüffeln herbeigebracdht, auf denen Seepter,
Schwert und Spiegel Tiegen. „Das erfte — fpridt er —
it Das Zeichen ver Macht, welche alle meine Untertfanen
anerfennen müffen; der zweite bedeutet, daß der König ein
Spiegel des. Adels ift, deffen Strahlen bis in die niedrigfte
Hütte dringen; das Schwert aber, der Rächer alles Unrechts,
fol einen Berräther treffen, der gewagt hat, Did) zu ent-
ehren.” Gutierre wird hereingeführt und fein Haupt foll als
Sühne des vollbradten Freveld fallen; die Fürbitten Juan's
und der Beatriz aber befänftigen den Zorn des Königs; Gu⸗
tierre reicht ber Beatriz die Hand; Alfonfo gibt ber Tegteren
eine Füniglihe Mitgift und erhebt Juan, alg ein Mufter von
Loyalität und Ebelfinn, in den Ritterftand.
Wenn Matos Fragofo fih nun mehrfach an die Arbets
ten anderer Dichter angefchloffen hat (La venganza en el
despeño 3. B. ift eine Umarbeitung von Lope's Principe
despeñado; El Hijo de la piedra lehnt fih an Tirfo's
Eleccion por la virtud), fo darf man ihm doc keineswegs
Mangel an eigener Erfindungsfraft Schuld geben; denn es
- finden fid) einige Stüde von ihn, die fich gerade in biefer
Hinficht befonders auszeichnen und, wie es fdheint, durch⸗
aus Fein fremdes Vorbild haben. Vornámlid machen wir
auf La Cosaria Catalana aufmerffam, eine in vielem Des
tracht bewundernswürdige Dichtung vol wahrhaft genialer
Züge. Die Helvin Leonarda, ein mit feltenen Gaben aller
— 362 —
Art ausgerüftetes, aber Teivenfchaftliched und ber Sinnenluft
-ergebenes Weib, läßt fi) von einem fchlauen Berführer bes
thören, ihren Eltern und ihrem Bräutigam zu entfliehen.
Bald iſt ber Liftling des Opfers feiner falfchen Vorfpieges
lungen überdrüffig, und bei ber Seereife, welche fie, feinen
Verheißungen zu Folge, in feine Heimath Valencia bringen foll,
fept er die Unglüdlihe, die er durd einen Schlaftrunf ber
Sinne beraubt hat, auf einen öden Felfen aus. Erwacht, fieht
fih Leonarda inmitten bes weiten Meeres allein, erkennt,
wie fehr fie betrogen worden, und überläßt fidh einer rathle
fen Verzweiflung. Eben will fie fih, um ihrem elenden Sein
ein Ende zu machen, von einer Klippe herabftürzen, als eine
Seeräuberfchaar fle zur Gefangenen madt. Der Anführer
diefer Piraten, Arnaut Mami, von ihrer Schönheit binge:
riffen, trägt ihr feine Hand an, und fie, deren Herz vor Wuth
und Verzweiflung immer mehr verwildert, willigt ein. Nicht
lange, fo wird Mami im Gefechte mit einem chriftlichen
Schiffe an ihrer Seite getödtet, und fie felbft unternimmt
nun an der Spige der Corfaren, um ihren Grimm gegen
die ganze Menfchheit zu fättigen, Verwüftungszüge längs der
Küften des mittelländifchen Meeres. Diefe Abenteuer, die fich
freifich beffer für ein erzählendes Gedicht, alg für das Drama
eigneten, wollen wir nicht weiter verfolgen, und es feí nur
gelagt, daß der Dichter dabei eine reiche Phantafie und in
der Art, wie er Leonarda wieder mit ihren Eltern, ihrem
verlaffenen Bräutigam und dem treufofen Don Juan zufams .
menführt, große Kunft gezeigt bat. Befonvers wollen wir
nod) die Scene hervorheben, in welcher Leonarda's, ſchon
durch andere Umftände vorbereitete, enplihe Reue und Be,
februng herbeigeführt wird. Die Sinderin ruht Nadt8 in
büfterem Sinnen auf ihrem Lager; hinter der Scene erfihallt
— 363 —
dırmpfer Befang von Belfterftimmen, welcher bie Vergángs
lichfeit alles Irdiſchen fepilbgrt, und es erfcheint eine Geftalt
mit langem weißem Haar und Bart, in der einen Hand einen
Sarg, in der anderen Krone und Scepter, auf der Schulter
aber einen Spaten tragend.
Leonarda (entfegt). Wer bift Du, Schredigebilo?
Viſion. Die Enttäufhung. Sagen es nicht alle die
Zeichen, Die ih an mir trage?
Leonarda. Wohin gehft Du?
Bifion. In dag Meer der Vergeffenbeit, in den ervigen
Schlund des Todes, jenen Hafen, wo das Schiff des Lebens
nach jener anderen Hemifphäre unter Segel geht. Steh’ hier
die Kronen und Scepter, die Lorbeeren, Mitren, Tiaren und
Feldherrenſtäbe, die ich mitführe! Sieh’ hier den Spaten, mit
dem ich die Pforten jenes bunflen Haufes öffne! (Die Des
ftalt beginnt zu graben und faßt Leonarda bei der Hand, um
fie mit hinabzuziehen.)
feonarda. Laß mich los, entfegliche Vifion! Id) vers
gebe in Froft und Glut. (Die Geftalt verſchwindet in der
Deffnung und erfcheint dann wieder, indem fie ben Arnaut
Mamt, blutig und entftellt, hervorzieht.)
Arnaut. Erfennft Du mid?
Leonarda. D nurzu wohl! Welch feltener Anlaß führt
Did zu mir her? Aus welcher Region kommſt Du, graufes
Bebilde von Eis und Blut?
Arnaut. Ein hohes Geheimnig will, daß ich mid Dir
nahe aus, jenem Lande, das nie vom Sonnenlicht beſchienen
wird und die Strahlen der Hoffnung nicht fennt.
Leonarda. Mas willt Du von mir?
Arnaut. Dir zeigen, wohin mid) ber Pfad ver Frevel
_ 864 —
geführt hat, bem ich gefolgt bin; dazu nöthigt mid die himm⸗
liſche Gerechtigkeit. Aud Du bift, zum Sterben verdammt!
Die Viſionen verſchwinden und Leonarda ruft voll Schrecken
um Hülfe; aber die Erfcheinung, welche eigentlich nur bie
in's Sichtbare getretene Regung ihrer Seele ift, hat ihren
ganzen Sinn umgewandelt und ber reuigen Buße - zugefehrt.
Bald darauf wird ihr Schiff von einem chriſtlichen geentert,
und in dem Gefechte füllt fie von den Händen ihres Vaters,
ber bas feindliche Fahrzeug befehligt. Erft nachdem er ben
tödtlichen Streich geführt, erfennt diefer die verlorene Tochter,
und während die Shrigen fie trauernd umftehen, ſpricht fie:
„D etoíge Huld, die Du ben Sünder fuchft und den Reuigen
liebſt! Wie der Hirſch nad) der Duelle, fo ſchmacht' ich nad;
Dir! Komm, o Bräutigam, den ich beleidigt! Nimm biefe
Sclavin auf, die vor Deiner Liebe floh, dieſes vertrrte Schaf,
das voll Verlangen nad) Deiner Hürde bIöft! Ich glühe ganz
in heiliger Liebe, bin ganz Glauben und Hoffnung! O Herr,
Dein Erbarmen ift größer, al8 alle Sünden, wären fie aud)
fo zabllo8 wie der Sand am Meere. Und Du, Vater, gib
- mir Deinen Segen, denn mein ®atte wartet fon mit offenen
Armen auf mid. Jefus! Jefus!” Mit diefen Worten haucht
fie die Seele aus.
Ein anderes Schaufptel von Matos Fragofo, welches
in hohem Grade burd) die Erfindung und burd) viele Züge
ächter Poeſie glänzt, ift EI imposible mas facil. Die
ungemein große Zahl von anderen Dramatifern, welche nod)
genannt werden müffen, verhindert uns leider, auf ben ns
halt dieſes intereffanten Stüdes einzugehen. So müſſen wir
e8 ung denn auch verfügen, ber übrigen zahlreichen Werfe
des Matos nähere Erwähnung au tfun; nur auf zwei der:
felben möge nod) hingebeutet werben: auf El marido de su
— 365 —
madre, al$ auf cine merfwürbige Bearbeitung der bei uns
Durd) das Gedicht Hartmann'8 von der Aue befannten Les
gende von Gregoríus auf dem Steine, und auf El yerro
del ententido. Gn legterem Stüde fommt bie Erfindimg vor,
daf ein Ritter, um die ihm obliegende Rache an einem fchlauen
und ſchwer erreichbaren Feinde ausführen zu können, ſich wahn-
finnig ftellt, alfo ein an ben Hamlet erinnerndes Motiv;
dies ift aber freilich der einzige Vergleichungspunft, ben bas
fpanifche Sntriguenfpiel mit ber englifchen Tragödie barbies
tet. — Sn Allgemeinen fei noch gefagt, daß die Schaufpiele
unferes Dichters, wenn auch ungleih an Werth, doch für
faft alle auf bem ſpaniſchen Theater einheimifhe Gattungen
einzelne mufterhafte Beifpiele enthalten, welche fich zwar in
einigem Abftande, aber doch nicht unmwürdig an die Werfe
der Meifter erften Ranges fehließen.
Chriſtoval de Monroy.
Meber die Lebensverhältniffe des Epriftoval de Monroy y
Silva wiſſen wir nichts Anderes beizubringen, als daß er auf bem
Titelblatt des von ihm im Jahre 1641 herausgegebenen Epi-
tome de la historia de Troya als Befehlshaber der fünig- -
lichen Feftung von Alcala de Guadaíra bezeichnet wird. Nad)
der Vorliebe zu fchliegen mit welcher er in feinen Werfen bie
Dertlichkeiten von Sevilla und überhaupt von Andaluften
ichildert, feheint er in diefer Provinz zu Haufe gerefen zu
fein. Sein Auftreten als Bühnendichter muß nod) in die Zeit
bes Lope de Vega fallen, denn des Franzojen Mayret Ga-
Janteries du Duc d'Ossune, welche eine Nachahmung fet:
ner Mocedades del Duque de Ossuna zu fein fcheinen,
famen fchon 1627 auf bie franzöfifhe Bühne CH. Lucas,
— 366 —
Histoire du Theatre francais, pag. 386). Seine Drama:
tifchen Dichtungen thaten fi genugfam hervor, um felbft
unter der ungeheuren Menge derartiger Productionen, welche
die Bühne überſchwemmten, eine befondere Aufmerkfamfeit
auf fich zu zichen 108), Sie zeigen große Verwandtſchaft mit
benen des Rojas, denfelben Hang zu Uebertreibungen und
phantaſtiſchen Seltſamkeiten, diefelbe Neigung, Natur und
Wahrheit zu überbieten, und in der Sprache diefelbe Miſchung
der ungefehminfteften Natürlichfeit mit ſchwülſtiger Sterereí,
jedoch mit Uebergewicht Der leßteren. Bei biefer allgemeinen
Charafterähnlichfeit fommen fie übrigens denen bes genannten
trefflichen Autors nicht gleid); fie übertreiben deren Fehler⸗
baftigfeiten, ohne ihre Vorzüge in gleich hohem Grade zu bes
figen. Monroy fucht faft immer nur das Ereentrifche, Wilde
und Ungebeure, und in ziemlich allen feinen Stüden finden
wir in ben Charafteren, wie in bem Augdrud ver Leiden⸗
205) Auf der Bolumbinifchen Biblivthet zu Sevilla fand ich einen
alten Band, in welchem Die meiften Comödien des Monroy zufammenge-
funden waren, und welcher fi, nach den handfchriftlichen Bemerkungen
barin zu fehließen, früher im Beſitz bes Berfafiers felbft befunden Hatte.
Die darin befindlichen Stüde waren: La Alameda de Sevilla y re-
cato en el amor. Fuente Ovejuna. Lo que puede el desengaño y
memoria de la muerte. La Sirena del Jordan, S. Juan Bautista.
Las grandezas de Sevilla, auto sacramental. Todo es industria
el amor, Escarmientos del pecado y fuerza del' desengaño. El
encanto por los zelos y fuente de la Judia. Mudanzas de la For-
tuna y firmezas del Amor. La batalla de Pavia, El Pastor mas
perseguido. El robo de Elena. El caballero dama. Hector y Aqui-
les. La destruccion de Troya. El ofensor de si mismo. Los zelos
de San Josef. El gigante Cananeo, San Christoval. Los principes
de la lglesia, S. Pedro y S. Pablo. El horror de las montañas y
portento de San Pablo. Los tres Soles de Madrid. Las moceda-
des del Daque de Ossuna. El mas valiente Andaluz.
|
— 397 —
febaften das Stürmifche und Krampfhafte, in der Erfindung
das Abenteuerliche und Bizarre vorherrichenn, ohne jenen
verftándigen Sinn, ber in den befferen Werten des Rojas
das Ausfchweifende zügelt, das Uebertriebene abelt. Diefer
Mebelftand darf ung übrigen® nicht abhalten, unferem Dichter
ein fehr bedeutendes Talent zuzugeftehen; die Kraft feiner
Eonception, das Feuer und die Energie feiner Darftellung
zeugen laut für das, was er hätte teíften fónnen, wenn ihm
etwas mehr Weisheit zur Seite geftanden, wenn er feinem
Hange zur Ertravaganz nicht allzu fehr nachgegeben hätte.
Seine Dramen find Verirrungen, find Ausgeburten einer all
zugefpannten Phantafie; aber man wird zugeben müffen, daß
nur ein.fehr begabter Geift fo habe irren fónnen.
Von feiner Neigung zu dem Aufßerordentlichen geleitet,
hat Monroy fid mit Vorliebe ber Schilderung von wilden
Leivenfchaften, von Ausbrüchen ber- frevelnden Begier zuge-
wendet. Seine Schaufpiele bieten in dieſer Hinſicht ber Rri
tif, welche vom Gefichtspuntte der Moral ausgeht, ſcheinbar
große Blößen dar; wir fagen Scheinbar, denn nad) rid:
tiger Anficht möchte die kühne Darftellung der finnlichen Aus:
fchweifungen, wie fie ung hier in großartiger Nadtheit und
ohne Lüfternheit entgegentritt, nur für eine verborbene Phan-
tafte etwas Anftößiges haben. Wichtiger und vielleicht nicht
ganz zu befeitigen tft der Vorwurf, daß er der den ſüdlichen
Bölfern eigenen Rachfucht, welche noch heute in Stalien und
Spanien die Morbibaten fo fehr vervielfältigt, gefchneichelt,
daß er die Bewunderung der Zufchauer für glänzende Ta:
pferfeit ohne Rüdficht auf deren Motive, für Verbrechen und
blutige Thaten in Anſpruch genommen habe. Wir enthalten
uns über diefen Punft weiterer Bemerfungen, und wollen bie
hierher gehörigen Stüde des Monroy rein als poetifche Des
— 368 —
mälde von Leidenfchaften und Verirrungen, wie fie bei ben
Südländern nicht felten find, anfehen. Bon diefem Stant»
punfte aus fónnen wir unfere Bewunderung nicht zurückhal⸗
ten. Gn El mas valiente Andaluz wird die furdtbare Ein-
famfeit ber Gebirge und in ihr bas blutige Treiben ber
Ráuberbanden mit lebendigfter und entfeglider Wahrheit ge-
ichilbert , und das Wiberftrebende, was in einem foldyen Vor:
wurfe liegt, verfchwindet vor der Großartigfeit der Auffaffung,
vermöge deren der Held bis zu einem gewiffen Grabe unfere
Sympathie gewinnt; feine Tapferkeit und feine Seelengröße
und dabei der Drang ber Umfiánde, welcher feine Waffen
gegen die bürgerliche Gefellfehaft und die Obrigkeit Fehrt, find
fo groß, daß man gezwungen wird, momentan für den De:
ächteten Partei zu nehmen und bie Blutradhe, die er wegen
feiner gemorveten Verwandten und Freunde nimmt, zu recht»
fertigen. Und mit weldyer Meifterhand ift das‘ Leben der
Banbiten, ift die an’d Wunderbare gränzende Tapferfeit, mit
welcher fie ganzen Heeren von Häfchern wiverftehen,, geichils
dert! Achnliches wiederholt fic in Lo que puede el desen-
gaño; daß ber Held diefes Stücks zulegt durd eine Art
von Wunder gerettet wird, indem Das vom Rumpfe getrennte
Haupt eines von ihm Erimordeten mahnende Worte der Buße
an ihn richtet, darf nicht befremden ; denn wir haben bier
im Grunde nur eine äußerlich bargeftellte Entbindung dee
guten Elementes, das, wie man von Anfang an fah, in
feinem Charakter ſchlummerte. |
Yn Las mocedades del Duque de Ossuna find bie
ausſchweifenden Llebegabenteuer und fonftigen übermüthigen
Streiche eines jungen fpanifhen Magnaten mit höchſter bras
matifcher Lebendigkeit gefchildert. Wir wollen dieſes Stüd
nicht gänzlich von dem Tadel einer übergroßen Licenz in fitte
— 369 —
Ticher Beziehung freifprechen, aber es iſt gewiß, daß dieſe
Dinge in jener Zeit, wo man die Prüderie und bie convens
tionelle Sitte der unferigen nicht fannte, mit unbefangenem
Auge angefehen wurden; überdies verföhnen die vielen gláns
zenden Eigenſchaften biefes Herzogs von Offuna und ber
überall burdblidende edle Kern feiner Seele mit ben Aus:
fihweifungen, zu denen ihn fein Temperament fortreißt; man
fühlt überall, daß er nad Austobung feines Jugendüber⸗
mutheg eine Zierde feines Bolfes fein werde. ES feí vers
gönnt, hier eine Scene dieſes Drama's, ihrer uriofität ves
gen, einzufchalten. Der Herzog von Dffuna befindet fid) in
Franfreih und verfpürt Luft, zu fehen, wie es denn mit dem
franzöfifhen Theater befchaffen ſei. Er tritt in ein Schaus
ſpielhaus und man erblidt ihn in einer Loge, wobei offenbar
die. wirflichen Apofentos bes Corral's benußt wurden.
Herzog (in der Loge). Wie viel Volk hier verfammelt
iſt! Es muß eine berüfinte Comödie fein.
Don Miguel. Was läßt ſich von franzöftfhen Comö⸗
bien erwarten, ble, wie ich höre, alle in Profa find!
Carrillo. Ja, im füßen Style der Poefie fommt feine
Nation ben Spantern gleich.
Herzog. Allerliehfle Damen |
Don Miguel. Das Schaufpiel wird glei anfangen;
eben ift König Heinridy eingetreten.
König (in einer anderen Loge). Auf folde Art zer-
fireue ih mid) von den Sorgen der Regierung.
(Auf der Bühne erfcheint ein Chor von franzdfifchen
Mufifern. Der Gefang, welcher ihnen in den Mund gelegt
wird, iſt in einem Kauderwelſch, in dem nur einige wirklich
franzöftfche Worte vorfommen. Sodann treten zwei Franzofen,
ein Herr und ein Diener, auf.)
Geſch. d. Lit. in Spanien. III Do. 24
— 310 —
Diener (auf der Bühne). Alfo, Monfieur de Boli,
Ihr wollt gegen den König von Spanien in's Feld rüden?
Sranzofe. Sa, und den Tod meines Vaters rächen,
der bei St. Duentin geblieben if.
Diener. Die Spanier bilden fid) wegen ihres Indiens
fehr viel ein.
Sranzofe. Und doc haben fie nie eine ruhmvolle That
vollbracht.
Mehrere Spanier (in ben Logen). Sept Ihr, wie
der Herzog plöglich blaf wird ?
Einanderer Spanier. Gehtes und Allen nicht ebenſo
Franzoſe. Der König von Spanien bildet ſich ein,
der Erſte zu ſein; aber da täuſcht ihn ſein Dünkel, denn er
verdient nicht einmal, Vaſall des Königs von Frankreich zu ſein.
Herzog (in ber Loge). Du lügſt, Gavacho 1°), und
alle Zuhörer lúgen, wenn fie Dir glauben. (Er ſtürzt auf bie
Bühne und fällt über die Schaufpieler her, auch im Patio
greifen bie dort anmwefenden Spanier die Franzofen an.)
Herzog. Was kümmert's mid), ob der König zugegen
ift! Kein Frangofe foll am Leben bleiben!
König. Nein, das tft unerhört!
Ein Spanier (im Patio). D’rauf, tapferer Jüngling!
Mir wollen unterdeß bier im Parterre Rache für die Krän⸗
fung nehmen.
Der Schaufpieler (hinter ber Scene). eh’ mir! er
bringt mich um!
Carillo. Alles geräth in Aufruhr! (Tumult im ‚ganzen
Schauſpielhauſe.)
»°°) Ein noch heut zu Tage in Spanien bekannter Schimpfname ber
Franzoſen.
— 371 —
König. Sah man je foldhe Tapferfeit *
Herzog. Elende, ich will Euch Refpeft vor dem König
von Spanien beibringen! Kein Menſch in ganz Paris foll
am Leben bleiben!
König. He! Wachen, ergreift fiel (Die Spanter käm⸗
pfend ab.) Die Tapferfeit diefes kühnen Jünglings fest mich
in Erftamen! Wie muthig und verwegen er ſich bei bem
- Angriff zeigte! Wer felbft in ber Ferne die Ehre feines Rd:
nigs fo vertheidigt, welche Wunder der Tapferfeit muf ber
erft in deffen Gegenwart vollbringen !
Aud) die übrigen Schaufpfele dieſes Dichters wird man,
wie wenig ihre dramatifche Geftaltung aud) ftrengen Kunſt⸗
forderungen Genüge Tetítet, doch wegen der vielen trefflicyen
Züge und frappanten, wenn gleich nicht felten auf Roften
der Wahrfcheinlichfeit herbeigeführten, Situationen nicht ohne
Befriedigung lefen, In Los tres Soles de Madrid und El
encanto por los zelos hat Monroy fid) in das Reid) des aus».
ſchweifendſten Wunderbaren geftürzt; aber auch in den Luft
fpielen aus bem Rreife des gewöhnlichen Lebens, wie 3. 8.
La alameda de Sevilla, El ofensor de si mismo, liebt
er das Phantaftifche und Seltfame. Ein befonderes Merfmal,
an dem fie zu erfennen find, befigen feine Stüde der Teßteren
Gattung noch in dem übertriebenen Ton der romantifchen
Galanterte, der in ihnen vorherrſcht und auf ihr Geburts»
land, Andalufien, zurädweift, wo fi, nad Alarcon, die
8iebesfchwärmereien des Amadis am längften erhielten 121),
103) Bien se vé que venis
Al uso de Andalucia,
Donde viven todavia
Las finezas de Amadis.
Comedias de Alarcon 1., pag. 115.
24 *
o”
— 312 —
Juan SBautifla Diamante,
Ritter deS Ordens des heiligen Johannes von Serufalem, ein
um die Mitte des fiebzehnten Sahrhunderts fehr beltchter
Theaterdichter. Ein Theil feiner dramatifchen Werfe erfchien
gejammelt zu Madrid in den Sahren 1670 und 1674). (Es
finden fic) unter denfelben Schaufpiele von allen Gattungen,
und, wenn auch vieles flüchtig Hingeworfene und Mittels
mäßige, fo doch Einiges, was unfere Aufmerffamfeit in Ans
ſpruch nehmen darf. Beſonders glüdlih war Diamante in
Darftellungen aus der fpanifchen Gefchichte, und auf diefer Bahn
find nur wenige Dichter mit gleichem Erfolge in die Fuß-
ftapfen des Lope de Vega getreten. Bor allen häufig ift fein
Eid, oder wie der fpanifche Comöbdientitel heißt, El Honra-
dor de su padre, genannt worden, und auch in Frankreich
hat man die auffallende Uebereinftimmung diefes Stüdes mit
dem Eid bes Corneille bemerft'"”). Diefe Uebereinftimmung
ift nicht allein in vielen einzelnen, durdy das Drama zerftreus
ten Paffagen, fondern in ganzen Scenen, welche faft wörtliche
Ueberfegung find, fo groß, daß die Entlehnung offen zu Tage
liegt"". Wir müffen unfere früher ausgefprochene Meinung,
208) Comedias de D. Juan Bautista Diamante, del Abito de
San Juan, Prior y comendador de Moron. Madrid 1670 und 1674.
Dos tomos.
:22) Voltaire in feinem Commentar über Eorneille erwähnt zwar den
Diamante, fehweigt aber über den hier in Nebe ftehenden Punkt; dage⸗
gen hat der Abbe Arnaud denfelben fchon im vorigen Jahrhundert im
2ten Bande der Gazette littéraire de Paris in’s hellfte Licht gefebt.
220) Es gebricht uns an Raum, dies hier in feiner ganzen Ausdeh⸗
nung nachzuweifen, und wir machen nur Beifpiels halber auf bie zweite
Hälfte des erfien Aftes aufmerkſam; diefe, nämlich bie Scene zwifchen
Diego und dem Grafen, die darauf folgende zwifchen Erſterem und feis
— 1373 —
daß in biefem einzigen Kalle ausnahmsweiſe ein Spanter
einem Franzofen verpflichtet fein möge, hiermit zurüdnchmen.
Diefe Meinung gründete fid auf den Umſtand, daß wir
Feine Runde über Diamante aufzufinden vermochten, welche
über die Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts hinaufreichte""".
Bei näherer Prüfung de8 Honrador de su padre hat fi
uns aber mun die Meberzeugung aufgebrángt, daß diefes Stüd
zu fehr die Züge eines Originalwerks trage und zu durch⸗
gebends im ſpaniſchen Nationalftp! gehalten fet, ald baf man
an Nachahmung eines ausländifhen Vorbildes denken könnte;
und diefer innere Grund erfheint alg genügend, um aud)
ohne entfprechende äußere Daten die Abfaffung vor bas
Sahr 1636, in welchem Corneille's Eid erfchien, zu fegen.
Die franzöfifhe Tragödie ftellt ſich hiernach als eine Com⸗
pilation aus Diamante und Gutllen de Eaftro dar. Der Um⸗
ftand, daß Corneille feine Verpflichtung gegen unferen Dichter
verfehweigt, beweift nichts gegen die obige Annahme; aud)
das Geſtändniß, daß er den Guillen de Gaftro benugt habe,
hatte er fich erft abnöthigen Taffen. — In Bezug auf ben
Werth des Honrador de su padre müffen wir unfer frühes
reg Urtheil, das aus flüchtigerer Betrachtung hervorgegangen
nem Sohn, und endlich der Monolog Rodrigo's find in dem fpanifchen
und franzöfifchen Stüde faft Wort für Wort identify ; dabet muß aus:
drüclich bemerkt werben, daß biefe Achnlichkeit nicht etwa aus ber ges
meinfamen Benugung des Guillen de Gaftro. herrühren fann, denn bei
Legterem find die genannten Scenen ganz verſchieden.
212) Da mir von ber großen älteren Sammlung fpanifcher Comöbdien,
welche den Titel Comedias de diferentes Autores führt und von
weicher fchun 1636 zu Balencia ein 20fter Theil erfchien, nicht die ganze
Reihe, fondern nur einzelne Theile befannt find, fo bleibt noch die Vers
muthung vffen, daß fich für Diamante’s früheres Auftreten auch ein
äußeres Zeugniß finden werde.
— 314 —
war, gleichfalls mobificiren. Allerdings Hat biefes Drama
nicht den zauberifchen Farbenſchimmer der Poefle, nicht jene
jugendliche Frifhe und Gluth, wie die Mocedades del
Cid, allein in bem lebendigen Organismus ber ganzen Com
pofition, in der überdacht Funftvollen Anordnung des „Stoffe,
wo nirgends eine müffige Einzelheit ben fchnellen Fortſchritt
ſtört, befígt es einen Vorzug, deffen bas Drama des Guillen de
Caſtro vielleicht nicht in gleich hohem Grade theilbaftig tft, und
auf der anderen Seite wird doch auch ein eigenthümlich gläns
zendes Colerit nicht vermift. — Als eine Furtfegung bed
vorigen, welche die fpáteren Thaten des Cid barftefít und
mehrfäh mit bem zweiten Theil der Mocedades correfpons
dirt, tft El cerco de Zamora zu betrachten, Uebrigens muß
‚bemerft werden, daß diefe Schaufpiele Die des Guillen de
Gaftro nicht in den Hintergrund gedrängt, fondern daß viel
mehr die legteren fi vorzugsweife auf der Bühne behaup-
tet haben. u
Sn El Hercules de Ocaña hat Diamante ben berühm⸗
ten Naufbold Cespedes, der durch feine beinahe unglaubliche
Kraft und Tapferfeit ein Liebling der Spanier und gleidfam
eine mythiſche Perfon ihrer Sage geworden war, zum Helden
gewählt. Diefes Stüd zeigt nur eine lofe verfnüpfte Scenens
folge ohne eigentlih dramatifhe Rundung, und der Dichter
hat bier, wie noch in mehreren, Werfen, ¿. 3. in El valor
no tiene edad und El defensor del pefion eine Art ber Coms
pofítion wieder aufgenommen, wie bie verfeínerte Runft beó
Calderon fie fid) nicht mehr geftattete. Wir wollen diefe Welle
gegen die Angriffe einer rigoriftifchen Kritif nicht unbedingt
vertheidigen, aber es fcheint uns, daß dieſelbe mit dem Geiſte
des Volksſchauſpiels recht wohl harmonirt; jedenfalls wird
man die genannten Schaufpiele wegen der Lebendigkeit, mit
— 375 —
welcher fie dad Sein und Treiben des ſpaniſchen Volks wähs
rend feiner glorreichen Periode ſchildern, mit Theilnahme und
Genuß leſen; vorzügli erfreut aud) die lebenvolle * Charak⸗
tertftif und die natürliche, ſich in zwangloſer Bewegung ergics
Bende Sprache.
Diamante'8 Judia de Toledo behandelt denfelben Stuff,
ben wir ſchon aus Lope's Paces de los Reyes fennen,
” Sede Primadonna des fpaniichen Theaters — fagt Signos
reli — lernt, um ihr Talent glänzen zu laffen, die Rolle
der Jüdin von Toledo in Diamante's Stúd diefed Namens.
Die Handlung fällt in die Regierung Alfonfo's VII. von
Saftilien, der fieben Gabre lang ein Viebesverhältnig mit einer
Toledanifchen Jüdin unterhielt. Das Drama beginnt damit,
bag Rahel ben König anflebt, ein Defret zurüdzunehmen,
durch welches er die Verbannung der Suben aus Spanien
angeordnet hat; dann fehildert es die entftehende und immer
wachfende Liebe zwilchen den Beiden, und den Schluß bildet
endlich der Tod Rabel8 durch bie Hand der aufrührerifchen
Gaftilianer. Die Seltlamfeiten des Style, die Unregelmäßigs
feit, die Bonffunerien inmitten der tragifchen Auftritte ver:
mögen die Energie und Wahrheit in der Malerei ber Leidens
haften und ber Eharaftere des von Liebe geblendeten Alfonfo
‚und der eben fo ehrfücdhtigen alg verliebten Rahel nicht zu
verdunteln.”
ES tft unfere Abſicht, Fünftig nur felten ber geiftlichen
Komödien Erwähnung zu thun, weil biefes Gebiet ſchon fo
vielfach betrachtet worden iſt; dennoch fónmen wir nicht um:
hin, auf Diamante'8 Magdalena de Roma aufınerffam zu
madjen. Dem, deffen Sinn durdy die fogenannte Aufklärung
unferer Tage gegen die Poefie des Katholieismus abgeftumpft
ift, wollen wir es nicht an Sinnen fein, die: Vorzüge Dicfes
m.
— 376 —
Stüdes anzuerfennen; aber wir empfehlen daffelbe allen Denen,
welche wahre Dichtung auch nod unter fremdartiger Hülle
zu würdigen wiffen. Mit allen feinen Auswüchſen und feís
nem übertriebenen Biftonswefen zeigt dies Drama in höchft
glänzender Weife, welche Mittel zu poetifchen Effeften den
fpanifhen Dichtern burd) die, ihnen von: dem Glauben ge=
ftattete und auf der Bühne tolerirte, Verbindung der gemei-
nen Wirklichfeit mit ben erbabenften Wundern der Religion
dargeboten waren.
Antonio de Mendoza.
Antonio Hurtado de Mendoza flammte von einer
edlen, in den Gebirgen von Burgos einheimifchen Familie.
Er that fich ſchon bei Lebzeiten des Lope de Vega alg bras
inatifcher Dichter hervor ""2), und eins feiner vorzüglichften
": In dem Laurel de Apolo wird ihm folgendes Lob geſpendet:
La gran montafia, en quien guardada
La fe, la sangre y la lealtad estuvo,
Que limpia y no manchada '
Mas pura que su nieve la mantuvo,
(Primera patria mia)
A Don Antonio de Mendoza envia,
Aquel famoso Hurtado
De las Musas, que al monte de Helicona
De las montañas trasladó el cuidado,
Que tan vivos espiritus corona,
A quien Apolo Delphico previene
Tantos laureles como letras tiene
Todo discurso, que su mano escribe,
De las altas ideas que concibe.
Bizarro ingenio dulcemente grave,
— 8 —
Stücke, El Galan sin dama, feheint ſchon um bas Jahr 1620
gefchrieben worden zu fein; (es heißt darin nämlich:
Es mas facil que se tope
En el mundo & cada paso
Un Plauto, un Virgilio, un Taso
Que en muchos siglos un Lope!
Avrä escrito novecientas
Comedias —
wir wiffen aber, daß die Zahl von Lope's Komödien ſich
1620 ſchon auf mehr als neunhundert belief). Ohne Zweifel
war es vornämlich das poetifche Talent bes Mendoza, wels
ches bemfelben eine Stelle in ber unmittelbaren Umgebung
Phijipp's IV. verfchaffte. Er wurde zum Privatfecretatr diefes
Monardjen und zum Mitglieve tes oberften Rathes ber Ins
quifition ernannt, und erhielt alg Zeichen ber Föniglichen Sunft
die Comthurwürde von Zurita im Orden von Calatrava. Die
Zahl feiner dramatifchen Werfe ift im Vergleich mit der Frucht⸗
barkeit anderer fpaniicher Theaterbichter nicht groß, und bes
läuft fih, wie es fcheint, nur auf acht Eomöpdien ''2).
» Raro maestro del hablar súave,
Gallardo en prosa y verso,
Conceptuoso, facil, puro y terso,
Que con la vida de la Virgen bella
Al lado de su Sol parece estrella,
119) Sechs berfelben ſtehen in folgender Sammlung von Menbuza's
Werfen: Obras liricas y comicas, divinas y humanas del canoro
cisne, el mas pulido, mas asseado y el mas cortesano Cultor de
las Musas castellanas D. Antonio Hurtado de Mendoza. Madrid
1728. Es ift dies ein Miederabbrud einer ſchon im flebzehnten Jahrhun⸗
dert erfchienenen, aber mir unbefannt gebliebenen, Ausgabe. Die darin
enthaltenen Schaufpiele find: Querer por solo querer. No ay amor
donde ay agravio. El marido hace muger y el trato muda cos-
— 3718 —
Diefelben zeigen ein fehr gervanbtes und leicht bewegliches
Talent, aber nicht ben Schwing des Gedankens und ber
Phantafie, der dem großen Dichter eigen tft; fie ergögen,
aber fie reißen nicht mit ſich fort. Seine größte Stärfe ent-
faltet Menodza im Komifchen; in El Galan sin dama und
Cada loco con su tema bat er Tächerlihe Charaktere in
großer Wahrheit mit überall pervorfirablendem innerem Leben
und mit einer Individualität gezeichnet, wie fie nur aus ber
feinften Beobachtung hervorgehen fonnte. Dan kann dieſe
Luftfpiele denen, welche den fpanifchen Comöpiendichtern Mens
ſchenkenntniß und treffende Schilderung der menſchlichen Schwäs
hen und Thorbeiten abfprechen, ale prägnante Beweiſe bes
Gegentheils hinbalten; in der That wüßten wir nicht, daß
die genannten Stúde in diefer Rüdficht hinter ben beften des
Moliere zurüdftänden. Zugleich führt die Intrigue, welche
den Charafteren zum Träger dient, die Iufligften Situationen
berbei; ein fprudelnder Witz umgaufelt das Ganze und der
Dialog ift von größter Behendigkeit. Mehr reine Intriguens
fptele mit Hintanfegung der Charafteriftif fino Los riesgos
que tiene un coche und El trato muda costumbre; aud)
hier bewegt fi die Handlung mit großer Leichtigkeit und
Anmuth, und die Dispofition des Plans läßt' in der funfts
vollen Ineinanderfiigung der Scenen nichts zu wünſchen übrig.
— Für das Tragifche reichten die Kräfte des Mendoza nicht
aus, und das Bewußtſein hiervon hat ihn wohl beftimmt, es
mit einem einzigen Verfudye darin bewenden zu laffen. Dies
fer Berfudy tft No ay Amor donde ay agravio, ein Drama,
tumbre. Los empeños del mentir. Mas merece quien mas ama
Cada loco con su tema y el Montañes indiano. Entremes de
Micer Palomo; es fehlen aber: El galan sin dama und Los riesgos
que tiene un coche.
— 39 —
das in feiner Fabel viele Aehnlichkeit mit dem Arzt feiner
Ehre bat, aber vielleicht früher gefchrieben iſt, al8 bie Cal⸗
deron’fche Tragödie. Ein Mädchen, das, während ihr Oes
liebter abweſend tft, von einem zudringlichen Galan befucht
wird, fieht fich, da ihr Vater darüber zufommt, von Legterem
gezwungen, dem Beſucher ihre Hand zu reichen. Später, als
ihr Geliebter zurückkehrt, erwacht die alte Neigung wieder in
ihrer ganzen Stärfe. Schon iſt der Plan zum Flucht gefaßt,
al8 der Ehemann, der Verdacht gefchöpft hat, das ebebreches
rifche Paar überrafcht und feiner Rache opfert. An die Tiefe,
mit welcher Calderon und aud Rojas ähnliche Stoffe aufs
gefaßt haben, ift bier nicht zu denfen. — Mehrere andere
Stüde des Mendoza find Feftfpiele für Das Buen-Retiro-Theas
.ter und, wie es zu biefem Zwecke erwünſcht fein mußte, auf
viel Theaterpracht berechnet.
Alvaro Eubillo de Aragon.
Nah Nicolas Antonio aus Granada gebürtig. Seine
Geburt muß in, die erften Jahre des fiebzehnten Jahrhunderts,
wenn nicht noch in die legten des vorhergehenden fallen, denn
der genannte Biblivgraph führt ein Wert von ihn an (La
Curia Leonina), deffen zweiter Theil ſchon 1625 zu Gra:
nada erfchienen fein fol. Ueber Cubillo's Lebensverhältniſſe find
wir von aller Runde entblößt. Seine Fruchtbarkeit im bras
matifchen Fade feheint fehr groß geweſen zu fein. Ein Theil,
feiner Schaufpiele wurde mit anderen Werfen von ihn ¿us
fammen gebrudt unter bem Titel: El Enano de las Mu-
Sas, Madrid 1654 '**), Gn der Dedieation biefes Bandes
") Der vollſtändige Titel ift: El Enano de las Musas, Come-
dias y obras diversas de Alvaro Cubillo de Aragon. Madrid 1654.
Die darin enthaltenen Schaufpiele find folgende:
— 3880 —
fagt er, er habe mehr al8 hundert Combbien verfaßt, beflagt
fih aber, daf viele derfelben von betrügerifchen Buchhändlern
mit den Namen anderer Dichter bezeichnet worden feien; fo
fei der Señor de noches buenas dem Antonio de Mendoza
zugefchrieben worden, es zieme ſich aber nicht, Daß der Name
eines großen Mannes, ber fo Ausgezeichnetes hervorgebracht,
durd) bie Aufbürdung fremder Thorheiten in Mißfrebit ges
bracht were.
Die dramatifchen Werfe des Alvaro Eubillo offenbaren
fein eminentes Genie, aber eine ſchöne Naturanlage, die ſich
fleißig nach den beften Muftern ausgebildet hat; Feine über-
ſchwänglich reihe Phantafte, aber doch eine Erfindungsgabe,
welche ausreichte, um feine Compofitionen mit einer hinlaͤng⸗
lid) intereffanten Handlung zu verfehen. Wenn es ihnen an .
hervorragender Originalität gebridt, fo erfreuen fie doch
durch die geſchickte und Funftvolle Verarbeitung bes Stoffe,
den wohl überdachten Plan und die große Cultur ber Dars
ftellung; und fie haben überdies eine ganz befondere Eigens
thümlichfeit, die fie inmitten der übrigen Bühnendichtungen
der Spanier auszeichnet. ES ift dies eine gewiffe anziehenbe
Weichheit und Milde des Gefühls, welche die edle Seite des
Menfchenherzens mit großer Wärme aufzufaffen weiß. Alvaro
Cubillo fcheint ein zartes, beinahe weibliches Gemüth befeffen
zu haben, das vor der energifchen Darftellung der Leidenfchaften
¿urúdbebte, dagegen die Seele, und namentlich die des Weibes,
gerne in ihren fanften Regungen belaufchte und fic) mit bes
La honestidad defendida de Elisa Dido. Los triunfos de San
Miguel EI rayo de Andalucia. Los desagravios de Christo. EI
invisible principe del baul. Los muñecas de Marcela. El Señor
de noches buenas. El Amor como ha de ser. La tragedia del
Duque de Verganza.
— 38l —
fonberer Neigung dem Anmuthigen und Lichlichen,. ber Schil«
derung inniger, bingebender Liebe widmete. Diefem Rreife
gehören feine beften Werke an, al8 weldhe nainentlih Las
mufiecas de Marcela und La perfecta casada zu bezeichnen
find. Sn dem erften diefer Stüde fft mit großer Feinheit bas
erfte Auffeimen des Liebesgefühles in dem Herzen eines eben zur
Sungfrau aufblühenden Kindes gefchildert, es Tiegt über dem Bilde
dieſer Marcela der Hauch einer zarten fhwärmerifchen Sentimens
talität, der doch wieder von frifcher Lebensfreude und Naive⸗
tät durchdrungen wird und eine ungemein anziehende Wirfung
ausübt. Mit gleicher Holpfeligfeit ift die Heldin des zweiten
der genannten Schaufpiele ausgeftattet; die göttliche Geſin—
nung, dic Reinheit DES Herzens und der Sitte, die in Ver-
fuhung, Erniedrigung und Verfennung immer beller ftrahlt,
find vielleicht nte fo verherrlicht worden. Beiden Dichtungen
den Stempel der Vollendung aufzudrüden, dient ber fchöne,
flare Strom ber Sprache, die Lieblichkeit und gefállige Hars
monie des Vergbaues. — Aud) wo pipchologifche Schilde:
rungen nicht fo in den Vordergrund geftellt find, Ticht Alvaro
Cubillo es, bie fittliche Stärfe, die ausharrende Geduld im
Unglúd, die Treue und aufopfernde Hingebung in Liebe und
Freundfchaft hervorzuheben, und er thut dies in einer Weife,
bie ihm vor der Mehrzahl feiner Zeitgenoffen ganz vorzugs-
weife angehört, indem er die unmittelbare Spradje der Ems
pfindung redet und fo eine tiefere Núbrung erweckt, al8 wenn
er, wie die metften anderen Spanier, das Gefühl erft durch
den Verftand unb die Phantafie hindurchgehen liege. In diefer
Beriehung fe noch auf das ſchöne unb ergreffende Drama
El Amor como ha de ser vertviefen. — Unter den übrigen
Schaufpielen unferes Dichter, in denen freilich bie hervor⸗
gehobene Eigenthümlichfeit weniger fihtbar ift und ble mehr
— 3718 —
Diefelben zeigen ein febr gervanbtes und leicht bewegliche®
Talent, aber nicht den Schwing des Gebanfens und der
Phantafie, der dem großen Dichter eigen tft; fie ergögen,
aber fie reißen nicht mit ſich fort. Seine größte Stärfe ents
faltet Denodza im Komifchen; in El Galan sin dama und
Cada loco con su tema hat er lächerliche Ebaraftere in
großer Wahrheit mit überall hervorfirahlendem innerem Leben
und mit einer Individualität gezeichnet, wie fie nur aus ber
feinften Beobachtung hervorgehen fonnte. Dian famm biefe
Lufifpiele denen, welche ben fpanifchen Comödiendichtern Mens
ſchenkenntniß und treffende Schilderung der menfchlichen Schwäs
hen und Thorbeiten abfprechen, als prägnante Beweiſe des
Begentheils hinhalten; in der That wüßten wir nicht, daß
die genannten Stüde in diefer Rüdficht hinter den beften des
Moliere ¿urúditánden. Zugleich führt die Intrigue, telde
den Charakteren zum Träger dient, die luftigften Situationen
berbei; ein fprudelnber Witz umgaufelt das Ganze und ber
Dialog ift von größter Bebendigfeit. Mehr reine Intriguens
fptele mit Hintanfegung der Charafteriftif find Los riesgos
que tiene un coche und El trato muda costumbre; aud)
hier bewegt fi die Handlung mit großer Leichtigfeft und
Anmuth, und die Dispofition des Plans läßt' in der funfts
vollen Sneinanderfügung der Scenen nichts zu wünfchen übrig.
— Für das Tragifche reichten die Kräfte des Mendoza nicht
aus, und das Bewußtfein hiervon hat ihn wohl beftimmt, es
mit einem einzigen Verſuche darin bewenden zu laffen. Dies
fer Verſuch tft No ay Amor donde ay agravio, ein Drama,
tumbre. Los empeños del mentir. Mas merece quien mas ama
Cada loco con su tema y el Montañes indiano. Entremes de
Micer Palomo; es fehlen abex: El galan sin dama und Los riesgos
que tiene un coche.
— 379 —
das in feiner Fabel viele Achnlichfeit mit dem Arzt feiner
Ehre bat, aber vielleicht früher gefchrieben tft, ald die Cal⸗
deron’fhe Tragödie. Ein Mädchen, das, während ihr Ges
liebter abweſend ift, von einem zudringlichen Galan befucht
wird, fieht fih, da ihr Vater darüber zufommt, von Legterem
gezwungen, dem Beſucher ihre Hand zu reichen. Später, als
ihr Geliebter zurüdfehrt, erwacht die alte Neigung wieder in
ihrer ganzen Stärke. Schon tft der Plan zur Flucht gefaßt,
al8 der Ehemann, der Verdacht gefchöpft hat, das ehebreches
rifhe Paar überrafcht und feiner Rache opfert. An die Tiefe,
mit welcher Calderon und aud Rojas äfmliche Stoffe auf
gefaßt haben, ift bier nicht zu benfen. — Mehrere andere
Stüde des Mendoza find Seftfpiele für das Buen-Retiro-Theas
. ter und, wie es zu biefem Zwecke erwünſcht fein mußte, auf
viel Theaterpracht berechnet.
Alvaro Cubillo de Aragon.
Nah Nicolas Antonio aus Granada gebürtig. Seine
Geburt muß in, die erften Jahre des fiebzebnten Sahrhundertg,
wenn nicht noch in bie legten des vorhergehenden fallen, denn
der genannte Bibliograph führt ein Werf von ihm an (La
Curia Leonina), deffen zweiter Theil fc hon 1625 zu Ora:
nada erfchienen fein fol. Ueber Eubillo’8 Lebensverhältniffe find
wir von aller Runde entblößt. Seine Fruchtbarkeit im bras
matifhen Fade ſcheint fehr groß gervefen zu fein. Ein Theil,
feiner Schaufpiele wurde mit anderen Werfen von ihm ¿us
fammen gedrudt unter bem Titel: El Enano de las Mu-
sas, Madrid 1654 '**), In der Dediration dieſes Bandes
1) Der vollfländige Titel ift: El Enano de las Musas, Come-
dias y obras diversas de Alvaro Cubillo de Aragon. Madrid 1654.
Die darin enthaltenen Schaufpiele find folgende:
— 380 —
fagt er, er habe mehr als hundert Comoödien verfaßt, beflagt
fid) aber, daß viele berfelben von betrügerifchen Buchhändlern
mit den Namen anderer Dichter bezeichnet worden feien; fo
fri der Señor de noches buenas dem Antonio de Mendoza
zugefehrieben worden, es zieme fid) aber nicht, daß der Name
eines großen Mannes, der fo Ausgezeichnetes hervorgebracht,
durd) die Aufbürdung fremder Thorheiten in Mißfredit ges
bracht werde.
Die dramatifchen Werte des Alvaro Eubillo offenbaren
fein eminentes Genie, aber eine ſchöne Naturanlage, die fi)
fleißig nad) den beiten Muftern ausgebildet hat; Teine über-
fdwänglich reiche Phantafte, aber doch eine Erfindungsgabe,
welche ausreichte, um feine Compofitionen mit einer pinlángs
lich intereffanten Handlung zu verfehen. Wenn es ihnen am .
hervorragender Originalität gebricht, fo erfreuen fie bod)
durch bie geichicte und Funftvolle Verarbeitung des Stoffs,
den wohl überdachten Plan und die große Cultur der Dars
ftellung; und fie haben überdies eine ganz befondere Eigens
thümlichfeit, die fie inmitten der übrigen Bühnendichtungen
der Spanier auszeichnet. (ES ift dies eine gewiſſe anziehende
MWeichheit und Milde des Gefühls, welche die edle Seite des
Menfchenherzens mit großer Wärme aufzufaffen weiß. Alvaro
Cubillo fheint ein zartes, beinahe weibliches Gemüth befeffen
zu haben, das vor der energifchen Darftellung ber Leidenfchaften
zurüdbebte, dagegen bie Seele, und namentlich bie des Weibes,
gerne in ihren fanften Regungen belaufchte und fid mit be-
La honestidad defendida de Elisa Dido. Los triunfos de San
Miguel El rayo de Andalucia. Los desagravios de Christo. El
invisible principe del baul. Los muñecas de Marcela. El Señor
de noches buenas. El Amor como ha de ser. La tragedia del
Duque de Verganza.
— 381 —
fonberer Neigung dem Anmuthigen und Lteblicen, der Schil⸗
derung inniger, hingebenber Liebe widmete. Diefem Rreife
gehören feine beften Werke an, al8 welche namentlih Las
muñecas de Marcela und La perfecta casada zu bezeichnen
find. Sn bem erften diefer Stüde fft mit großer Feinheit das
erfte Auffeimen bes Liebesgefühles in bem Herzen eines eben zur
Jungfrau aufblühenden Kindes gefchilbert, eS Tiegt über dem Bilde
Diefer Marcela der Haud) einer zarten ſchwärmeriſchen Sentimens
talitát, der doch wieder von frifcher Lebensfreude und Naive⸗
tät durchdrungen wird und eine ungemein anzicehende Wirfung
ausübt. Mit gleicher Holpfeligfeit ift die Heldin des zweiten
der genannten Schaufpiele ausgeftattetz die göttliche Gefin-
nung, die Reinheit des Herzens und der Sitte, die in Ver:
fuchung, Erniedrigung und Verfennung immer heller ftrahlt,
find vielleicht nie fo verherrlicht worden. Beiden Dichtungen
den Stempel der Vollendung aufzudrüden, dient der ſchöne,
flare Strom ber Sprache, die Lieblichfeit und gefállige Hars
monie bes Versbaues. — Auch wo pipchologifche Schilde⸗
rungen nicht fo in den Vordergrund geftellt find, liebt Alvaro
Cubillo es, die. fittlihe Stärfe, die ausharrende Geduld im
Unglúd, die Treue und aufopfernde Hingebung in Liebe und
Freundſchaft hervorzuheben, und er thut dies in einer Weife,
die ihm vor der Mehrzahl feiner Zeitgenoffen ganz vorzugs-
weife angehört, indem er die unmittelbare Spradhe ber Ema
pfindung redet und fo eine tiefere Rührung erweckt, ald wenn
er, wie die meiften anderen Spanier, das Gefühl erft durch
den Verftand und die Phantafie hindurchgehen Tiefe. In diefer
Beziehung fel noch auf das ſchöne und ergreifende Drama
El Amor como ha de ser verwiefen. — Unter den übrigen
Schauſpielen unferes Dichters, in denen freilich bie hervor:
gehobene Eigenthümlichfeit weniger ſichtbar iſt und die mehr
— 382 —
in ben allgemeinen Charafter der fpanifchen Bühnenftüde über:
geben, feien noch folgende genannt. El invisible principe
del baul, ein geíftooll erfonnenes, wahrhaft humoriftifches
Luftfpiel, das fich etrva bem Amar por señas des Tirfo de
Molina vergleichen läßt. — El vencedor de si mismo,
aus dem Sagenfreife Karl's ves Großen. — Los desagra-
vios de Christo, die 3erftdrung von Jeruſalem burd Titus.
— El Conde de Saldaña, zwei Theile; vielleicht bie befte
Behandlung der Geſchichte des Bernardo de Carpio und bier
jenige, welche fi am lángften auf der Bühne behauptet hat.
— El Rayo de Andalucia; ber Held iſt der vielgefeierte
Baftard Mubarra.
Juan de la H03''°),
Juan de la Hoz Mota, aus einer in Burgos anfäffigen
Familie flammend, wurde im Sabre 1620 zu Madrid geboren,
erhielt im Jahre 1653 das Ritterfleid von St. Gago, dann
die Stelle eines Regidor's von Burgos und zulegt bie cines
Práfidenten des Vermögensraths von Gaftilien. Er Tebte noch
bis gegen bag Ende des fiebzehnten Jahrhunderts. Unter den
vielfachen Sefchäften, welche ihm die hohen Aemter, die er
befleivete, aufbürveten, fand er nod Mufe zu bichterifchen
Arbeiten. Seine Dramen find jedoch nicht zahlreich. Vorzüge
tien Ruhm hat ifm El castigo de la miseria erworben.
Diefe Comödie wurde in der Zeit, al8 man treffende Geiße⸗
lung beftimmter Schwächen und Lafter für die wefentlichfte
Eigenfchaft eines guten Luſtſpiels erflárte, als eins der beften
Erzeugniffe der ſpaniſchen Bühne angepriefen; die Runftans
) Hijos ilustres de Madrid por Baéna.
— 3888 —
ficht ber Gegenwart, welche in diefer Hinſicht nod) andere
Anforderungen ftellt, fann biefem Urtheil nicht beitreten und
höchftens bie Luftigfeit einiger Situationen fo wie die Eler
ganz ber Sprache rühmen; ber Eharafter des ſchmutzigen Geiz
balfes Don Marcos, eines zehnfachen Harpagon, fann nur
Widerwillen erregen, und die Antrigue, wie eine ſchlaue Abens
teurerin ihn durdy dia Vorfpiegelung unermeßlicher Reichthü⸗
mer, die fie befige, in ihren Negen fängt, ift von ziemlich
gewöhnlihem Schlage. Ein ungleíd) höher ftehendes Schau⸗
fpiel von La Hoz ift El Montañes Juan Pascual y pri-
mer Asistente de Sevilla. Wir dürfen nicht verfäumen,
den Inhalt diefes merfwürdigen Stüdes anzugeben. König
Pedro der Rechtspfleger, oder nach bem befannteren Ausdruck
der Graufame, hat fi auf der Jagd in der Umgegend von
Sevilla verírrt. Ein Greis, bem er begegnet und bem er fi
nicht zu erfenmen gibt, bietet ihm für bie Nacht ein Unters
fommen in feinem Haufe an und führt ihn in eine einfache,
aber geräumige und von Wohlhabenheit zeugende Wohnung.
Bald entfpinnt ſich zwiſchen Beiden eine Iebhafte Unterhals
tung, und ber Wirth, der ſich als einen zwar nicht adligen, aber
aus altschriftlichem Geſchlechte entfproffenen Grundbefiger, Nas
mens Juan Pascual, zu erfennen gibt, fpricht fi) mit größtem
Freimuth ebenfo über die Fehler bes Königs, wie über bie
Unruhen, die fein Reid) zerrütten, aus. Die Haupturfache
diefer Zerrüttung fteht er in dem Mangel einer weile gebanbs
habten Gerechtigkeit. „Eine Züchtigung, fagt er, erweckt eine
heilfame Furcht, eine Hinrichtung iſt eine nützliche Lehre; aber
wenn das Schwert immer erhoben und mit Blut befledt (ft,
fo verwandelt fih der Zorn, ben man gegen die Schuldigen
empfinden follte, in Mitleid, und daraus entftehen Unzufrie⸗
denbeit und Unruhen, Die Gerechtigkeit ift ein Attribut: der
— 384 —
Gottheit und, fo rte biefe, müffen diejenigen, welche fie aus⸗
üben, Achtung, aber feinen Abfcheu einflößen. Wenn der Rós
nig einen Mann wie mich an feiner Seite hätte, um mit &ifer
über feinen Ruhm und über das Wohl des Staates zu wachen,
fo würde Sevilla bald beruhigt fein.” Pedro hat diefen Reden
mit gefpannter Aufmerffamteit und mit Wohlgefallen zugebört.
Das Eintreten einiger Rítter von feinem Gefolge läßt den
Juan Pascual erkennen, wer der Saft ift, mit dem er fid
fo vertraulich unterhalten hat. Der König aber fpricht den
Wunſch aus, fein Wirth, deffen Weisheit und Charafter-Unab-
hängigfeit ihm Achtung eingeflößt babe, möge die Stelle als
Affiftente oder .erfie Magiftratsperfon von Sevilla annehmen.
Juan Pascual macht anfänglich einige Schwierigkeiten wegen
der Annahme des ihn angebotenen Poſtens, allein Pedro läßt
nicht ab, in ihn zu dringen.
Juan Pascual. Aber bedenkt wohl, Señor, ich bin
hartnäckig, und einen Rechtsſpruch, den ich einmal gefällt habe,
werde ich ſelbſt auf höheren Befehl nicht zurücknehmen.
König. Alles, was Ihr anorbnet, werde ich gutheißen.
Juan Pascual. Wilfet wohl: wen ich ſchuldig bes
finde, den werde ich züchtigen und babei feine Ausnahme
machen, noch erlauben, daß man die Strenge bes Defeges
durd) irgend eine Ausflucht umgehe.
König. Ihr braucht felbft mein eigenes Haus nicht zu
verfehonen. Iſt eS genug?
Juan Pascual. Nun wohl, wenn es nicht anders
fein kann, fo nehme ich die Stelle an.
In den ihm beftimmten Poften eingefebt, wird Juan
Pascual durd die Energie feiner Juſtizverwaltung, durch vie
Weisheit und Mäßigung feiner Gerechtigfeitspflege bald ber
Schreden der Verbrecher‘ und die Hoffnung aller Wohlgeſinn⸗
— 385 —
ten. Ganz Sevilla gewinnt ein anderes Anfehen; aber ber
Affiftente pat nicht allein mit den Uebelthátern zu thun, auch
der König felbft macht tbm zu fchaffen, denn Pedro erfchernt
in Ddiefem Stüde nicht, wie bei Calderon und Moreto, vors
zugsweiſe als Rechtöpfleger, fondern mehr mit ben büftern
Zügen eines argwöhnifchen und launenhaften Tyrannen. Im⸗
mer glaubend, daß feine Gegner, ja feine Verwandten felbft
mit verrätherifchen Plänen gegen ihn umgehen, will er fein
Leben durch ihren Tod zu fichern fuchen; das Blut feiner
Nebenbuhler foll ihm einen günftigeren Erfolg in feinen Pie-
besintriguen verfchaffen; in anderen Augenbliden aber will
er wieder Schuldige, die der Affiftente verdammt hat, befreien.
Juan Pascual, immer pflidhtgetreu und gewiffenhaft, aber
doch zugleich geſchmeidig, weiß inveffen den ungeftümen Tyran-
nen, in welchem trog aller Wildheit feines Charakters nod)
ein Reſt von Gerechtigkeit geblieben ift, gewöhnlich im Zaum
zu halten und feiner befferen Einficht unterwürfig zu machen.
Um diefes Motiv, um die Confliete zwifchen der Unterthanens
pflicht und der Gerechtigfeit, in weldhe Juan Pascual geräth,
und um bie Art, wie er fid burd Charakterfeftigfeit und
Gewandtheit aus den unzähligen Schwierigfeiten feines Amtes
zu ziehen weiß, dreht fi nun das Stüd, deffen faftifches
Hauptintereffe fih an Folgendes Fnüpft. Don Pedro faßt,
feiner Liebe für Marta Padilla vergeffend, eine Tebhafte Nei⸗
gung zu Juan Pascual’8 eigener Tochter, und macht den Ver:
ſuch, ſich bei Nacht in die Wohnung ves Affiftenten einzus
fehleichen. AIS ihm ein Diener den Eintritt wehren will,
ftößt er diefen mit dem Dolche nieder, entrinnt aber, bevor
die Nachbaren, durch den Lärm geweckt, herbeifommen. Nies
mand weiß, wer der Moórber fei. Juan Pascal Täft alle
Bewohner der Strafe, in welcher das Verbrechen begangen
Geſch. d. Lit, in Spanien. III. Do, 25
— —
—
— 388 —
Mexifo. Auf dem Höhenpunfte feines Ruhmes als Staats» _
mann, Geichichtichreiber und Dichter, fußte Solis ploglid)
ben Entfchluß, der Welt zu entfagen und in ben geiftlichen
Stand zu treten. Er empfing, 57 Sabre alt, die Pricfter=
weihe, entfernte fih von allen Geſchäften und entfagte der
Dictfunft und dem Theater für immer. Ein begonnenes
Schaufpiel Amor es arte de amar, ließ er unvollendet. Er
ftarb am 19ten April 1686. Seine nicht fehr zahlreichen
Scaufpiele erfchienen zufammen in einem Bande unter dem Titel
Comedias de Don Antonio de Solis y Ribadeneyra zu
Madrid 1687, und von neuem ebendafelbft 1716. Einige
Load und Saynetes von ihm, fo wie das Fragment des un-
vollendet gelaffenen Luftfpiel® Amor es arte de amar fin:
ben fid) in den Varias Poesias sagradas y profanas que
dexó escritas D. A. de Solis, recogidas por Don Juan
de Goyeneche, Madrid 1692,
Die Comödien biefes Dichterd haben in ber Zeit, als
ſich patriotifhe Spanter ihres Nationaltheaters. gegen die An-
feindungen ber Gallieiften annahmen, und, um ihren Geg⸗
nern nicht allzu heftigen Anftoß zu geben, befonderd die Stüde
zu Begenftänden ihres Lobes wählten, welche am wenigften
gegen die Boileau'ſchen Regeln verftießen, einen großen Ruf
erlangt. Einige Comedias de capa y espada von Solís
nämlich befigen die Eigenheit, daß ihre Handlung in viers
undzwanzig Stunden verläuft; was Wunder, daß man fie
den Anbetern ver Einheiten vorhielt, um ihnen zu zeigen,
daß man aud in Spanien nit Immer ganz fo barbarifh
gewefen fei, wie fie es behaupteten. Bei vielen Schriftftellern
des vorigen Sahrhunderts figurirt daher Solís als einer der
erften fpanifchen Theaterdichter und noch bei Bouterwef und
Schlegel wird ihm, wenn aud nit aus biefem Grunde,
— 389 —
fo doch auf überlieferte Urthelle bin, ein unverhältnißmäßig
hoher Rang angemwiefen. Aber nur in Rüdfiht auf die Ele
ganz des Styls und die Glätte des Dialogs entfprecdhen feine
Schaufpiele ihrem Rufe; es find niedliche Mintaturgemálbe,
fauber und zierlih ausgeführt, aber wer nicht geneigt if,
Seinheit und gebildete Technif ber Darftellung für bie vors
züglichſten Qualitäten bichterifcher Werfe zu halten, wer zu’
deren Beurtheifung nod) höhere Anforderungen mitbringt, der
wird fte ziemlich unbefriedigt aus der Hand legen. In Bes
zug auf Erfindungsgabe und Einbildungskraft und überhaupt
auf jenen inneren Kern, aus weldem die ächte Pocfie hers
vorblüht, fann das Talent des Soli nur ein fehr unterges
ordnete genannt werden, und wir glauben, daß man bie:
fen Dichter felbft dann noch faft zu viel Ehre erweift, wenn
man fín unter die Dramatifer vom zweiten Range, und fo:
mit etwa mit Guevara und Matos Fragofo auf gleiche Linie
ſtellt.
Hiermit ſoll Solis nur von der hohen, von ihm uſur⸗
pirten Stellung auf ben beſcheideneren Platz, der ihm ges
bührt, zurückgewieſen werben; feiner Geſchicklichkeit im /Er⸗
ſinnen und Anordnen eines Plans, der Lebhaftigkeit, mit
welcher er Sitten und Charaktere aufzufaſſen und darzuſtellen
weiß, der eleganten Präciſion ſeiner Sprache und der Fein⸗
heit feines Witzes ſoll das gebührende Lob nicht verſagt wer⸗
den. Bei der Nennung ſeiner einzelnen Dramen beginnen
wir, wie billig, mit demjenigen, welches in Spanien von jeher
am meiften gefchäßt worden ift, námlid) mit dem Alcazar
del Secreto. Diefeg Stúd iſt dem Entwurfe nad höchſt
geiftvoll und in der Ausführung, wiewohl man fie etwas
weniger opernhaft wünſchen möchte, Far und verftändig.
Der Schauplag ift die Infel Eppern, und ſchon viefes Local,
— 390 —
das von ben ſpaniſchen Dichtern häufig gewählt wird, wenn
fie für phantaftifche Begebenheiten einen entfprechenden, von
dem Nimbus des Wunderbaren umfloffenen Boden fuchen,
deutet an, was wir hier zu erwarten haben. Sigismund,
Prinz von Epirus, hat den Sohn des Fisberto, Königs von
Cypern, im Zweikampfe getóbtet. Die Schwefter des Ermor⸗
beten, Diana, wird von ihrem Bater wegen einer Weiſſa⸗
gung, welche ihr verfünvet, daß fie fih in ihren ärgften
Feind verlieben werde, in einem, von allen Seiten verfdlofs
fenen Palafte gefangen gehalten, und zugleich demjenigen zur
Ehe verfprochen,, der den Mörder ihred Bruders tödten werbe.
Sigismund Tandet nun, durch einen Sturm verichlagen, an
der Küfte von Cypern, wo er burd) einen unterirdifchen Gang
Zutritt zu Dianen’s Palaft erhält, biefelbe fieht und ſich in
fie verliebt; die von ihn früher verübte That aber und ber
Unftand, daß Dianen'8 Hand der Preis feiner eigenen Ers
mordung fein foll, nöthigen ihn, feinen Namen zu verbergen
und fich für Rugero, Prinzen von Ereta, auszugeben. Man
fiebt, daß ſchon in diefen Berhältniffen der Keim zu einer
fehr intereffanten Bermwidelung liegt; fügen wir hinzu, daß
ber Dichter nun auch nod) den wahren Rugero, der fic) in
ein Bildniß von Sigismund's Schwefter verliebt hat, und
ebenfo die Legtere nach Eypern führt, fo wie daß er zwiſchen
den Liebespaaren eine, theild auf die Verwedfelung der Nas
men gegründete, theild durch andere Umftände gerechtfertigte
Eiferfucht entíteben Täßt und alle diefe verſchiedenen Fáben
mit größter Ueberlegtheit zu leiten weiß: fo ift hiermit fon
das Urtheil ausgefproden, daß die Vorzüge des finnreichen
Gedichte dem großen Rufe deffelben nicht inadäquat feien.
Von der Gitanilla de Madrid des Solis, welche, wie
fhon der Titel anzeigt, auf die gleichnamige Novelle des Eer-
— 39 —
Vantes, aber aufierdem auf ein áltereg Drama von Mental:
Han gegründet -ift, fagt Signorelli, ber fonft die Spanier
sicht eben mit gúnftigen Blicken anſieht: „Diefes von Celano
in's Stalienifche überjegte Stúd ift im Gaftilianifchen von
höchſter Anmuth. Die gewöhnlichen Leidenfchaften, die Eifer:
fucht, die Liebe, die Zwiftigfeiten und die Wiederausfühnung
Haben darin ein graziöfes und neues Colorit. Die Dauer ber
Dandlung geht nicht viel über vierundzrvanzig Stunden hin⸗
aus. Wegen der VBerwidelung und der Schilderung der all:
gemeinen Leidenfchaften ift diefe Comödie aud) auf den italie⸗
niſchen Theatern mit Vergnügen gefehen worven; aber es iſt
unmöglich, auferhalb Spanien’ die originellen Züge in dem
Gemälde der Andalufifhen Zigeuner beizubehalten, welche
durch die Darftellung von Eingeborenen nod höheren Reiz
erhalten. Mehr als einmal habe ich bie Rolle ber Preeioſa
pon der vortrefflihden Schaufpielerin Pepita Huerta, welche
nun feit Jahren todt ift, und von der Carreras, die fich im
Sahre 1783, ald ich Spanien verließ, fchon von ver Bühne
zurüdgezogen hatte, fptelen fehen. Beide führten diefe Partie
unter gleichem Beifall, aber in verfchievener Trefflichfeit, aus.
Die Erfte ward wegen der natürlichen und edlen Grazie be
wundert, welche fie inmitten der Zigeuner-Sprade und Sit-
ten entfaltete; diefe fehöne Mifchung von Orazíe, Geift und
Adel paßt vortrefflih für ein begabtes und Iebhaftes, aber
fprödes und launiges Mädchen, von welchem fic) ¿ulegt ent
det, daß es vie Tochter vornehmer Eltern ifl. Die Carre:
vag dagegen war in ber treuen Nachahmung des Wefend und
Seins jener Menfchenflaffe unverbefferlich ''?).” Dieje Reize,
229) Signorelli, Storia critica de’ Teatri. Neue Ausgabe, Neapel
1813. T. VII. pag. 107.
— 392 —
welche die Comödie durch die Darftellung erhalten fann, müf-
fen wir uns binzudenfen, um ben Beifall zu begreifen, mit
bem diefelbe in Spanien von jeher überfchüttet worben ift.
Dem ruhigen Lefer erfcheint die Gitanilla als -ein ziemlich
ordinäres Theaterftüd, welche die Reize der herrlichen No—
velle des Cervantes nur in fehr verblaßten Farben wieder
gibt.
El Doctor Carlino lehnt fih an eine ältere, unvollens
det gebliebene Comödie von Gongora. Der Held tft ein fchlechter
Arzt, ungefähr wie jener, von dem Tirfo de Molina fagt:
Er hat mehr Seelen in den Himmel fpedirt, als ein Calígula
oder Nero; wenn er vorübergeht rufen Alle: da kommt bie
legte Delung '?9. “ Diefer Hypofrates befchäftigt ſich zugleich
mit der Kunft, jungen Leuten bei Liebesangelegenheiten bes
búlflid zu jein, fieht fid) aber in feinen Bemühungen bes
ftändig durch bie Dummheit und Schwaphaftigfeit feiner Frau
gehindert, fo daß er neue Ránfe und Rügen aufbieten muß,
um Die angefponnenen Sntríguen zum Ziele zu führen. Das
hierdurch hervorgebrachte Imbroglio ift Iuftig, aber ein höhe-
rer Werth gebt ber Poffe ab. — Sn Un Bobo hace ciento
haben wir drei ſich freuzende Liebſchaften, Täuſchungen, Mifs
verftändniffe, Eiferfucht, aber dies Alles in einer fo wenig
neuen und finnvollen Weife behandelt, daß man die Berech—⸗
tigung des Autors, ein fo abgenuptes Thema abermald Hors
zunehmen, nicht recht abſieht. — Weit rühmender dagegen
dürfen wir von Amparar el enemigo und El Amor al
uso reden; jenes ift eine fehr in Calderon's Manier gehal«
120) Tiene mas almas en el cielo
Que un Caligula 6 un Neron;
Donde pasa todos gritan
Allä va la estrema uncion.
— 393 —
tene Comödie, in welcher ein wunderbarer Zufall ein faft
humoriſtiſches Spiel mit Lebensverhältniffen treibt, die an
fih fon zu den complicirteften gehören; El Amor al Uso
aber fipilvert-in anmutbig ſcherzender Weife das Icictfertige
Treiben und die Slatterhaftigfeit zweier jungen Leute, welche
fid gegenfeitig die glühendfte Leivenfchaft heucheln, von denen
aber Jeder nebenher nod) andere Liebichaften hat.
Salazar.
Aguſtin de Salazar y Torres, aus vornehiner,
mit den erften Häufern Spanien’d verwandter Famille ſtam⸗
mend und zu Soria in Gaftílien (in ber Gegend des alten
Numantia) geboren, fiedelte in feinem fünften Sabre mit
einem Oheim, der ſich feiner angenommen hatte, nad) Ames
rifa über und erhielt feine erfte Erziehung in dem Sefuiten-
eollegium zu Merxifo. In den Sünglingsfahren nad Spanien
zurüdgefehrt, fand er am Hofe Philipp’s IV. eine freundliche
"Aufnahme und erwarb fidy durch feine Gewichte und Schau⸗
fpiele den Beifall und die Freundichaft des Calderon. Später
ging er im Gefolge des Herzogs von Albuquerque nad St
cilien, wo: er die Stelle eines Capitan be Armas ber Pros
vinz Girgentt erhielt. Nach feiner Wieverfehr in das Baters
land lebte er von neuem am Hofe. Er flarb zu Madrid fm
Sabre 1675. Seine gefammelten Werfe wurden von Vera
Taſſis, den wir ſchon al8 Herausgeber des Calderon Fennen,
in zwei Bänden zum Drud befördert """), ber zweite ents
hält die Comödien. —
121) Cythara de Apolo. Varias poesias divinas y humanas
que escrivió D. Agustin de Salazar y Torres y saca a luz D,
Juan de Vera Tasis y Villaroel, su mayor amigo, I» parte, Madrid
— 396 —
digpten, und über die Saminlungen fpanifcher Komödien eins
gefchaltet worden.
Die Partei der Gelchrten, welche zu Anfang des fieb*
zehnten Jahrhunderts fo lebhaft gegen die Nationalform bes
Schaufpiel® geeifert und bie NRüdfehr zu den Oefegen ber
Alten, gepredigt hatte, verftummte ſchon gegen bas Ende von
Lopes Lebenszeit faft gänzlih. Der legte Schriftfteller von
Belang, ber eine Annäherung an das antife Drama als
wünfcenswerth aufitellte, war Juſepe Gonzalez de
Salas (geft. 1651). Die Auslegung der Ariftotelifhen Poe:
tif, welche diefer gebildete und geiftvolle Dann im Fabre 1633
unter dem Titel Nueva Idea de la Tragedia herausgab,
beichäftigt fich in ben erften dreizehn Abfchnitten mit der Theo⸗
rie des Trauerfpield nad) den Regeln ves alten Philofophen
wie aud mit ber äußeren Einrichtung ber griedhifchen Bühne
den Schluß des Werfes bildet ein Auffag: El Theatro sce-
nico a todos los hombres, eine Schutzrede für das Theater
- im Allgemeinen. Seitenbemerfungen auf die fpanifche Bühne
fommen nur wenige vor, und auch biefe wenigen find Feines-
wegs von jener gehäffigen und vornehm abfprechenden Art,
wie die in den früher erwähnten Werfen des Cäscales und
Figuerva; der Autor wünfcht bem Drama feiner Nation mehr
Regelmäßigfeit und firenge Form; aber er fieht daſſelbe troß
dem in einem fo günftigen Lichte, daß er fagt, das fpanifche
Luftfpiel ftehe auf einer Stufe, zu welcher das der Alten bei
weitem nicht hinaufreiche. — Die im Sahre 1639 gebrudte
Idea de la Comedia de Castilla von Joſeph Pellicer be
Galas de Tovar íft mir nur dem Titel nad) befannt, ben
Berfaffer aber fenne id) aus ben Denfichriften auf Lope als
einen eifrigen Anhänger des Lebteren und ber nationalen
Schaufpielform. — Aus dem ganzen weiteren Berlauf bes
— 397 —
fiebzehnten Jahrhunderts Táft fich Feine einzige dramaturgiſche
Schrift von einiger Erheblichfeit anführen; die wenigen, welche
oorfommen, find nichts alg Streitfchriften für und wider die
politifhe und religtófe Erlaubtheit des Theaters; dahin gehört
die Iateinifche Differtation De hodierna Hispana Comedia
in des Juriften Ramos del Manzano Commentar über bie
Lex Julia et Papia (1678); eben dahin aud) eine im Sabre
1682 verfaßte Apologíe ber fpanifchen Comödien, und ng:
beſondere der Ealderon’fchen, von dem Doft. Manuel Guerra!?®),
Die fritifchen Urtheile, welche Nicolas Antonio in feiner Bi-
bliotheca hispana (Rom 1672 ff.) über fpanifhe Dramatifer
gibt, find (mas einem fo gelehrten Manne befonders hoch ans
gerechnet werden muß) durchaus frei von dem Vorurtheil,
weldyes allein in der befchränften Form des Alterthums Heil
erblidt. N. Antonio geht fo weit, zu fagen, das ganze Alter:
thum und aud) die neueren Sahrhunderte hätten Niemand, der
den Lope de Vega gleichgeftellt zu werben verdiene; denn
diefem verdante die fpanifche Komödie, welche nad Abredhs
nung einiger geringfügiger Fehler gegen ihre größeren Bor:
züge unftreitig für die vortrefflichfte der Welt zu erachten fei,
ihren Urfprung.
Zeigt das Obige, daß die bem romantifchen Schaufpiel
feindliche Partei durch die allgemeine Stimme der Nation
völlig vernichtet worden war, fo Tiefert die geringe Zahl und
die kümmerliche Geftalt der in dieſer Periode noch verfuchten
Dramen im antifen Styl benfelben Beweis in anderer Art,
Sn der That fann hier faum ein anderes Stüd genannt wer-
den, als der im Sahre 1651 gedrudte Hercules furente y
122) (Es ift dies derſelbe Schriftfteller, welcher oben Seite 45 unrich-
tig bloß Manuel genannt worden ift.
— 398 —
Oeteo von bem Lyrifer Francisco Lopez de Zarate. ES
(ft klaͤglich, zu fehen, wie ber Dichter diefes g;:14 mißrathenen
Trauerfpield (in welchem zwei Tragödien des Seneca übel
verbunden find) mit ängftlichem Fleiße die Unnatur. ; ‚And den
ESprachbombaſt des Lateiners nachgeahmt und bie matte Fabel
durch endloſe Weitläuftigfeit der Rede nod) langweiliger ge
macht hat. Dennoch ward dies erbärmliche Produkt eines geift-
loſen, der herrlichen Zeit und Umgebung, in welcher er lebte,
unwürdigen Pedanten von ben Oallíciften bes achtzehnita
Jahrhunderts als eine Zierde der ſpaniſchen Literatur ge
prieſen. — Die „Trojanerinnen“ des ſchon erwähnten Gon-
zalez de Salas ſind nichts als eine Ueberſetzung ver gleich⸗
namigen Tragödie des Seneca.
„Einem künftigen Geſchichtſchreiber des ſpaniſchen Thea⸗
ters — ſagt Boutwerek — wird es obliegen, bibliographiſche
Nachrichten von den verſchiedenen und verſchiedenartigen S a mms
lungen fpanifcher Schaufpiele von mehreren Verfaffern zu ges
ben.“ Diefe Pflicht übernehmen wir hiermit. — Dem Be:
triebsgeifte ver Buchhändler fonnte der Vortheil nicht entgehen,
welchen die Vorliebe des Publifums für das Theater dem⸗
jenigen verhieß, der die zerftreuten Comödien fowohl befannter
Dichter al8 auch impgenannter Verfaffer gefammelt in feine
Hände brádte. Solchen Gollectionen konnte, wenn fie aud)
nicht ben gleihmäßigen Werth befafien, wie die Gefammt-
ausgaben der berühmteften Autoren, doch der Reiz der Mans
nichfaltigfeit nicht entgehen. Eobald das fpantfche Theater in
Blüthe fam, tauchten daher auch dergleihen Sammlungen auf,
und wir haben fon im vorigen Bande einige derfelben, wie
3. BD. die beiden Bände Comödien Balencianifcher Verfaffer
fennen prlernt; auch der dritte und fünfte BVand des Lope de
Vega yehört hierher. In viel größerer Zahl aber erfchienen
— 39 —
Ähnliche, zum Theil fehr bándereihe Werke in der fpäteren
Lebenszeit Lope. und von da an bis zum Schluffe des fiebs
zehnten Sahrhunderts. Die beiden größter Sammlungen diefer
Ar fü, in folgende Titel: Comedias de diferentes Auto-
res, gebrudt zu Valencia und zu Saragoffa, der grófierer
Zahl ber Bände nad fchon in der erften Hälfte des ſiebzehn⸗
ten Sahrhunderts. Nicht Teicht möchte es eine größere biblio:
araphiſche Seltenheit geben, als ein vollſtändiges Exemplar
dieſes Werks; mir iſt ein ſolches nie vorgekommen, und nur
einzelne Bände find mir bekannt, z. B. ein 29fter, Valencia
1636, ein 32fter, Saragoffa 1640, ein 44fter, ebenbafelbft
1652. Sie zweit⸗ greße Sammlung ſpaniſcher Comödien be:
gann 1652 unter dem Titel: Comedias nuevas escogidas
de los mejores ingenios de España in Madrid zu erfdyeis
nen, und wurde an bemfelben Drudort bis zum 48ften Bande
(erſchienen 1704) fortgefegt 122). Wohl zu bemerfen ift, daß
nicht alle Bände benfelben Titel führen; fo heißt ¿. B. der 4te
Laurel de Comedias, ber 14te Pensil de Apolo, ber 31fte
Minerva comica, welcher Umſtand einige Citeratoren zu dem
Srrifum verleitet hat, die Eriftenz von eben fo vielen befons
deren Sammelwerfen anzunehmen, als jenes große einzelne
Theile mit befonderen Titeln hat. — Eine minder umfaffende
Auswahl von Comödien findet fid) in El mejor de los me-
jores libros que han salido de Comedias nuevas, dado
a luz por Thomas de Alfay, Madrid 1653 sqq., 10 Bánve,
anderer fleínerer Colleetionen nicht zu gedenfen. Ale viefe
Sammlungen (in denen es Regel wurde, daß ein Band: im-
mer 12 Stüde enthielt) haben als reichhaltige Repertorien
123) Siehe weiter unten bas vollftändige Snhalteverz “dig diefer
Sanımlung.
— 400 —
ber fpanifchen Bipnenliteratur ihren entfchievenen Werth; aber
wir glauben nicht, daß, wie Bouterwek meint, der Geſchicht⸗
fehreiber des ſpaniſchen Nationalgefhmads fie benugen fónne,
um zu entdeden, welche Schaufpiele zu einer gewiffen Zeit
in Spanien die beliebteften gewefen feien; benn alle find durch⸗
aus ohne Auswahl gemacht, enthalten Mittelmäßiged und
Schlechtes neben dem Bortrefflihften, und geben kund, daß
die Buchhändler ohne weitere Rüdficht auf Werth und Ruf
bie Stüde gebrudt haben, welche ihnen gerade zur Hand
waren.
x
Die Schaar ber Dichter, welche außer ben Genannten
zur Zeit Philipp's IV. und Karl's IL für das Hoftheater fo:
wohl als für die Volfsbühnen von Spanien arbeiteten, war
außerordentlich groß. „Nie wohl — fagt Bouterwek — iſt ein
dramatifcher Dichter auf einer fo langen Laufbahn von einer
folden Anzahl von Nebenbuhlern, Freunden und Nachahınern
begleitet worden, wie Galberon; genau das halbe Jahrhun⸗
‘ bert, während beffen er unermübdet für das Theater thätig
war, brachte den größten "Theil der fpanifchen Schaufpiele
hervor, deren Menge befannter, als ihr Verdienft if.” Schwer:
lid) jedoch hatte unfer Literarbiftorifer einen vollfommen ¿us
reichenden Begriff von dem quantitativen Reichthum des fpas
nifchen Theaters, denn nur ein fehr geringer Theil felbft der
berühmteften Dramatifer wird von ihm genannt, und zwar
aud nur einfach genannt; und wenn er dann dieſe Wenigen,
welche faum ben zwanzigften Theil ihrer nach bemfelben Ziele
ftrebenden Zeitgenoffen ausmachen, in Bezug auf ihre Zapl
und Productivität mit ben franzöftfchen und italienifchen Lufts
fpieldichtern zufammenftellt, fo muß man biefen Vergleich ganz
— 401 —
umftatthaft nennen. Es iſt wahr, die Menge der Bühnen-
fehriftfteller, welche. von "den Brüdern Parfaft und in ber
Dramaturgie bes Lone Allaccí verzeichnet werden, iſt groß;
aber fie fommt erftens ber der ſpaniſchen Dramatiker allein
aus ber Zeit Philipp's IV. nicht gleich, unb zweitens wird
fein einziger Branzofe oder Stalfener genannt, der fih an
Fruchtbarkeit ben Spaniern aud nur angenähert hätte. Man
Darf es daher als eine unbeftreitbare Wahrheit aussprechen,
was fihon der Italiener Riccobont und nach ibm Dieze ges
fagt hat, bag die Spanter mehr Comödien befigen, alg bie
Staltener und Franzofen ¿ufammengenommen, ja daß man
noch ein Paar Völker binzufegen fónnte, ohne in's Ueber:
triebene zu fallen. Hiermit fol nur diefer Punft in das rechte
Licht geftellt werben; wir find ‚dagegen weit entfernt, großes
Gewicht auf denfelben zu legen, over ber fpanffchen Schau:
(pielliteratur blog in Nücficht auf das Numerifche einen Vors
zug vor denen der übrigen Nationen einzuräumen. ES fet
gerne ¿ugeftanden, daß der Strom von Theaterftüden, der ſich
zu Calderon'3 Zeit in immer größerer Breite ergoß, viele
geringfügige und werthlofe Productionen mit ſich geführt habe.
Gewiß ſchwellt mandyer feichte und mittelmäßige Kopf, der
die dramatifche Laufbahn mehr aus Eitelkeit und Geminnfucht
als aus Beruf betrat, das Berzeichniß der Bühnendichter an ;
gewiß haben auch die Begabteren ihren dauernden Ruhm oft
dem flüchtigen Beifall der Menge zum Opfer gebracht und
durd die Eilfertigfeit, mit ver fie fhrieben, die Runft zum
Handwerk erniedrigt. Eben fo unbeftreitbar aber fft, daß bie.
hochausgebildete Technik, die beftimmte, unabänderlich feftfteh-
ende und durch große Talente allfeitig geregelte Form ſelbſt
den geringeren Werfen biefer Periode einzelne Vorzüge mit:
theilte und daß ber individuellen Begabung oft aufs Glück⸗
Geſch. d. Lit. in Spanien. II. Bd. 26
— 402 —
lichſte durch den poetiſchen Sinn, ber einmal in dem gamen
Bolte verbreitet war, nachgeholfen wurde. Der Einzelne wurde
durch die Gefammtheit Aller gehoben, das fchwächere Talent
entzündete fi an der Flamme ber großen Meifter und wurde,
wenn es nicht mit eigenem Olanze zu leuchten vermochte,
doch wenigſtens zum Spiegel, der diefen und jenen Strahl in
ungetrübter Schönheit auffing. In diefer Rückſicht hat Schlegel
ganz richtig gelagt, „daß Alles, was aus der Blüthenperiode
des ſpaniſchen Theaters berrühre, ohne Ausnahme Aufmerfs
ſamkeit verdiene.” Diefe Aufmerffamfeit mag hier und da auf
ein ganz werthlofes Produft ftofen (denn zu Feiner Zeit wird
es an folchen fehlen, bie fi auf ein Feld drängen, für das
ihnen aller Beruf abgeht); eben fo oft wird fie aber auch da,
wo fie es am allerwenigften erwartet, bei ganz umberühmten
oder gar anonymen Autoren einzelnes höchſt Bemerfenswerthe
finden. — Nach diefer Anbeutung verdienen denn ſämmtliche
-Dramatífer aus der Zeit des Calderon unftreitig eine genaue
Beachtung. Als wir eS unternahmen, dad Ganze der dramas
tifchen Literatur der Spanter zu bearbeiten, mußten wir jedoch
von vorn herein die Gränzen unferer Arbeit abfteden; nicht
alle Dichter Fonnten mit der Ausführlichfeit, bie ihnen an fid)
gebührt, betrachtet werden, nod) war eine Analyfe oder Jn:
balt8angabe aud nur der bemerfenswertheften unter ihren
zahlloſen Werfen ftatthaft, wofern biefe Gefchichte des fpani-
fhen Theaters nicht über ales Maaß ausgedehnt werden
follte. Bürchten wir doch fchon burd das Gegebene dem Sn:
tereffe bes Publifums für ein fo entlegenes Gebiet allzu viel
zugemuthet zu baben! Deffen eingedenf, führen wir von jegt
an die noch nicht erwähnten Mitglieder der Schule, alg deren
Hauptvertreter Calderon, Moreto und Rofas anzufehen find,
in gedrängterer Kürze, und nur bier und da ein Verweilen
geftattend, vorüber.
|
— 408 —
Sn jeder Hinficht einer ber bedeutendſten unter ben nod)
anguführenden Dichtern ft Francisco de Leyba aus ber
oornehmen Familie der Ramirez de Arellano. Man muß ihn
freilid) als einen Nachahmer des Calderon bezeichnen, Den er
namentlih im Styl fehr genau copirte; allein dieſe Rad)”
ahmung ift feine fflavifipe, fondern Die eines begabten und
geiſtoollen Mannes, der fih viele Vorzüge feines Mufters
wahrhaft anzueignen weiß. In faft allen Stüden des Leyba
findet ſich Tüchtigfeit der Erfindung und kunſtvolle Vers
Tchlingung wie Löfung ver Begebenheiten; faft überall ent-
fpricht die Sorgfalt der Ausführung dem Retchthum der An-
Sage. Gewiß dürften daher die Werfe dieſes Dichters eine
nähere Prüfung fordern; nur die uns auferlegten Schran-
fen verhindern uns, auf eine foldhe einzugehen. Leyba’s bes
tanntefte Stüde find die Luftfpiele Cuando no se aguarda und
La dama presidente, das erfte burdy reiche Laune und große
Kraft der Komik, bas zweite durch die glückliche, immer ges
fteigerte Berwidelung, welche die Erwartung des Zuſchauers
aufs höchſte reizt, ausgezeichnet; allein es iſt nod Vieles
von ihm vorhanden, was gleicher Aufmerffamfeit werth iſt,
3. B. bas Intriguenfpiel El honor es lo primero, weldjes
im Scharffinn bes Plans und der Durhführung mit ähn⸗
lichen von Calderon wetteifert; das wunderbare, von reicher
Phantafie zeugende und einige Achnlichfeit mit dem „Leben ein
Traum“ barbietende Drama Cueva y castillo del Amor,
namentlich aber das mit wahrhaft. tragifchen Momenten aus:
geftattete Schaufpiel Los hijos del dolor, weldyes die Bes
fchichte des Johannes CEaftriot und feines Sohnes, des bes
fannten Sfanberbeg, behandelt.
Beſonders berühmt durch fein komiſches Talent und ben
Reichthum feines Wiges machte fih Gerönimo Cancer,
26 *
— ——
— 404 —
ein am Hofe Philipp's IV. gern gefehener Mann. Seine
Burlesfen Mocedades del Cid und La muerte de Bal-
dovinos find von ausgelaffener Ruftigfeit und gehören zu dem
Beften, was das fpanifche Theater in Diefer Art befist ).
Wie fie fid) ſchon durch die Titel alg Parodien ernfter und
heroiſcher Süjets anfündigen, fo erfiheinen in ihnen Die Hel⸗
den und Könige der Ritterfage durch Alles, was fie fprechen
und thun, und burd) die Situationen, in welchen fte ſich bes
finden, in Tächerlihem Lichte. Man fieht fi gleihfam in
eine verkehrte Welt geführt, in welcher Alles, was man fonfl
als groß und erhaben zu denfen gewohnt ift, zur Kleinigkeit
und Thorheit wird. Burleske Vorfälle, niedrig-komiſche Res
densarten, Sprichwörter und Der Dialekt der unterften Volfs-
klaſſen werden aufgeboten, um bie Zufchauer in einem beftän-
‚ digen Gelächter zu erhalten. Daß auch Poffenreißerei bei biefen
feden Sprüngen des Witzes und des Muthwillens nicht aus-
bleibt, läßt fid) denken; allein es tft wohl zu beachten, daß
ber höchſt cultivirte Vers auch den derbften Spüßen eine ge-
wife Grazie leíbt. So zeigt und denn der Dichter in
biefen, in ihrer Art meifterhaft gelungenen Stüden mit ges
níalem Uebermuthe bie Kehrfeite des Heroismus, und wir
laffen es ung gerne gefallen, bie Helden, die wir fo oft im
höchſten Pathos des Zragifchen gefehen, hier einmal in bem
verzerrenden Spiegel des Grotesf-Romifchen zu erbliden. —
Bon Cancer tft auch das, in Einzelheiten vortreffliche, Luft
fpiel Dineros son calidad, welches bier und da dem Lope
de Vega zugeichrieben wird; außerdem kommt fein Name nod)
häufig auf den Titeln von Stüden vor, die er in Gemein-
12) Sie ftehen in den Obras da D. Geronimo Cáncer, Madrid
1651, wiebergebrudt Lisboa 1657. |
— 405 —
ſchaft mit anderen Dichtern verfaßt hat. So fehrieb er Im
Bereín mit Moreto und Matos Fragofo die beiden Dramen
El Bruto de Babylonia (die Gejchichte des Nebufadnezar )
und Hacer remedio el dolor. — Im Fade der Burlesfen zeich⸗
nete fid) ferner nod Francisco Feltr de Montefer aus,
deffen Caballero del Olmedo mit Recht vorzüglich gefchägt
wird. Ueberhaupt fei bei diefer Gelegenheit erwähnt, daß diefe
Gattung von Stüden zur Zeit Philipp's IV. fehr belicht
war und daß fi) in den Sammlungen fpanifcher Schaufpiele
viele Comedias burlescas ungenannter Verfaffer finden, die
an heiterer Laune und fherzender Komik nichts zu wünſchen
übrig Taffen.
Sleißig für die Bühne arbeiteten die Brüder Diego
und Jofé de Figuerva y Córdoba, Ritter der Orden
von Alcantara und Calatrava. Die meiften ihrer Schaw
fpiele find von Beiden in Gemeinfchaft verfaßt. Sn denfel-
ben verräth fih nur wenig Eigenthümlichfeit und felbftftän-
diges Dichterifches Streben; bie Erfindung will mehrentheils
nicht viel bedeuten, ber Reminifcenzen aus früheren Stüden
fommen ſehr viele vor, und nur die Lebhaftigfeit und Eleganz
der Ausführung verdient Lob. Wo diefe Dichter einen höheren
Auffhwung in das Reich der Poefie nehmen wollen, da era
weifen ſich ihre Kräfte als durchaus unzulánglid), aber in.
- ber mittleren Region, auf welche ihr Talent hingewiefen war,
haben fie Erfreufiches hervorgebracht, Mentir y mudarse á
un tiempo ift eine glüdlihe Nachahmung von Alarcon's
Verdad sospechosa, La hija del Mesonero wohl die befte
Dramatifirung der Ilustre Fregona des Cervantes. Befon-
deres Intereffe hat und La dama capitan eingeflößt,. die
Geſchichte einer Nonne, welche aus Ueberbruf an bem ein-
fórmigen Leben und aus Drang, die Welt zu fehen, ihrem
— 406 —
Klofter entflieht, Münnertracht annimmt, fid unter einem
Truppencorp$ anwerben läßt, mit dieſem nad den Niederlan⸗
den geht und dort bi8 zum Hauptmann avancirt, bis fie der
Macht der Liebe unterliegt und von der Gewalt berfelben
gezwungen wird, bem Geliebten ihre weiblide Natur zu ent
decken. Höchft wahrfcheinlich ltegt dem Stüde ein wahres Er⸗
nignif zum Grunde; daß dergleichen Begebenheiten, welche
Manchen alg romanbafte Erfindungen gelten mögen, in Spas
nien wirflich vorfielen, zeigt die neuerdings von Joaquin be
Serrer herausgegebene Gefchichte ver Dorta Catalina de Eraufo
oder der „Nonne Fähnrich” (Monja Alferez).
Sehr beträchtlich ift die Anzahl von Schaufpielen, welche
gernando de Zarate (nicht zu verwechieln, wie es ges
ſchehen fft, mit dem Lyrifer Francisco Lopez de Zarate) den *
Brettern gab. Diefelben zeugen mehr von Berftand und Ges
ſchicklichkeit in Verarbeitung eines gegebenen Stoffes, ald von
eigentlich dramatifhem Oente und von Phantafte. Wie reich
fie auch an gelungenen Einzelheiten find, wie feinen Kunft-
finn fie auch verrathen, fo hinterlaffen fie doch tm Ganzen
einen unbefriedigenden Eindrud, und wir möchten ihnen fogar
Nüchternheit und Monotonte vorwerfen. Am berühmteften und
vorzüglichften darunter ift La Presumida y la Hermosa,
und es ift wahr, diefes Stüd verbindet eine fehr beluftigende
Intrigue mit der Icbendigen Charafterzeichnung zweier Schwer
ftern, von denen die ältere eine anmaßende und gezierte Thö⸗
rin ift, die jüngere durch ihre natürliche Anmuth und Holds
feligfeit jedes Herz gewinnt; allein wir vermiffen auch bier
den dichterifchen Hauch, der die einzelnen wohlgetruffenen Züge
erft verfehmelzt und ihnen wahrhaftes Leben gibt. Neben dem
genannten haben unter Zarate’d Stüden Mudarse por me-
jorarse und El maestro de Alejandro den meiften Ruf.
— 407 —
Antonio Coello oder Cuello ftand zuerft in Dienften
des Herzogs von Albuquerque, ward dann Capitán der Ins
fanterie und Ritter des St. Jago⸗Ordens, und ftarb im Jahre
1652. Er ſchrieb mehrentheils im Vercín mit anderen Dichs
tern, und die Zahl der Stüde, an denen er auf diefe Weife
Theil hat, ift nicht unbeträchtlih. Ihm allein legen alte
Sueltas die Comödie Dar la vida por su dama 6 el Conde
de Sex bei, und dieſe Bezeichnung wird auch wohl die richtige
fein, nicht jene neue, ganz willführlihe und auf gar feine
Gründe geftüpte Annahme, welche fie Philipp dem BVierten
zufchreibt. Das Stück hat mehr durch Zufall und wegen ber
angebeuteten Suppofition, al8 durch irgend ein hervorſtechen⸗
des poetifches Verdienft, großen Auf erlangt; da Leffing in
ber Dramaturgie eine weitläuftige Analyfe beffelben gegeben
bat, fo wollen wir auf letztere vermeifen und lieber auf
einige Dramen aufinerffam machen, die Eoello in Gemeins
ſchaft mit Rofas und Luis Velez de Guevara verfaßt pat.
Unter diefen ift Tambien la afrenta es veneno in feinen
beiden eriten Aften meifterhaft, aud) der dritte hält fi) ans
fänglich noch auf derfelben Höhe, aber der Schluß fällt zu
ſehr in's Uebertriebene. El Catalan Serralonga enthält
eine Iebendige Schilverung ber Parteifämpfe, welche Barces
Tona im Mittelalter verheerten; der Held tft eine fehr ans
¿ichende Figur, ein urfprünglich edler Menſch, der Durch den
Drang der Verhältniffe zum Verbrechen getrieben wird und
dann im zerftörenden Rampfe wider die ganze Menfchheit unter
ber Laft der erften Schuld dem Abgrunde des Verderben$ entge-
genwanft. Die Comóbie La Baltasara ift ſchon bei Gelegenheit
der Schaufpielerin, von welcher fie den Titel führt, genannt
worden. Mehr wegen ihrer Curiofítát, alg wegen des poes
tifchen Werthes, der nur gering ift, fommen wir bier auf
— 408 —
biefelbe zurüd. Der Inhalt if, daß bie gefeterte Baltafara
inmitten der Triumpbe, welche fie auf dem Theater feiert,
plöglich den Entfchluß. faßt, fi von den Brettern zurückzu⸗
ziehen und als Einfieblerin ein gottgeweihtes Leben zu führen.
Der erfte Aft hat wegen der lebendigen Schilderung bes
foanifchen Bühnenweſens jener Zeit Intereffe. Die Schau⸗
fpielertruppe des Heredia fpielt in Valencia im Corral be la
Dlivera. Juerft tritt ein Bedienter auf und Flebt. einen Ans
fhlagzettel, der die Aufführung einer neuen Comödie ans
fündigt, an die Straßenede. Dann erfcheint das Innere des
Theaters, und man ficht im Patio die Verkäufer, wie fie
Nüſſe, aragonifche Aepfel, Mandelfuchen u. f. w. anbieten;
Laftträger bringen die Kleiverkoffer der Comöbdianten; Baltas
ſara und die Graciofa finden ſich ein; die Zuſchauer verlangen
ungebuldig den Anfang des Schaufpield und rufen: Salgan,
salgan, empiezen! Baltafara erfcheint zu Pferde in ber
Rolle einer Sultanin. Inmitten ihrer Rede geräth fie in
Verwirrung und ftellt moralifche Betrachtungen an, melde
nicht zu ihrer Rolle gehören. Endlich, von fronmer Begeiftes
rung bingeriffen, bricht fie in die Worte aus: „Hinweg, ihr
Zierden der Welt, hinweg thörichter Schmuck, der mir in dies
fer trügerifchen Farce nur zum Zeugen des Verbrechens ges
dient bat!“ wirft ihr Theaterfoftüm ab und eilt davon. Die
Zuſchauer verlangen ihr Wiederauftreten; der Eine ruft aus
den Apofentos, der Andere von den Gradas; der Oraciofo
(ver Mann der Baltafara) und ber Director Heredia treten
auf, um das Publiftum zu beruhigen, und fo endet der erfte
Alt. Sm zweiten und dritten wird dann die Buße der Bal:
tafara gejchildert, fo wie die Anfechtungen, mit welchen ber
Teufel fie, obgleich vergebens, zum Rüdfall in ihr früheres Leben
zu bewegen fucht.
— 409 —
Geronimo de Enellar ftand bet Philipp IV. hoch in
Gunſt und ward 1650 mit bem Ritterfleibe von St. Fago
begnadigt, fpáter zum Secretatr der militäiriſchen Orden er-
nannt. Die Mehrzahl der Stúde von ihm madt fid chen
Durch feine befonderen Trefflichfeiten bemerkbar; aber mit fets
nem Namen haben wir in alten Druden El pastelero de
Madrigal bezeichnet gefunden, ein höchſt originelles und in viel
facher Hinficht bemunberungsmirdiges Schaufpiel, das eine
nähere Betrachtung verdient. Nach dem Untergange des Rós
nigs Sebaftian und der Unterwerfung von Portugal an Phi
Tipp IL Hat der Prior von Derato, der nádfte Seitenvers
wandte bes Verftorbenen, eine Intrigue angefpunnen , durch
Die er auf den Thron zu gelangen hofft. Von einem feiner
Agenten ift ein junger Paftetenbäder gefunden worden, der
dem Sebaftian zum Verwechſeln ähnlich fieht. Auf dieſen
Umftand wird der Plan gegründet. ES werden Gerüchte aus»
gefprengt, der vielbetrauerte König fei in der Schlacht von
Alcazar nur ſchwer verwundet worden, bann in ‚maurifche
Gefangenſchaft gerathen und ¿ulegt nad Europa entflohen, er
babe aber nicht fogleich gewagt, fofort unter feinen, von Spas
nien aus argwöhniſch bewachten Unterthanen zu erfiheinen,
fondern harre, in niedere Tracht verhüllt, auf den günftigen
Augenblid, um fich wieder auf den Thron feiner Väter zu
fegen. Wenn nun auf diefe Weife die Gemüther der Portu-
giefen hinlänglich aufgeregt fein werden, foll der Pafteten=
bäder al8 König Sebaftian hervortreten. Der junge Menfch,
der Geift, Verſchlagenheit und Muth für die ihm ¿ugedadhte
Rolle zu befigen feheint, geht auf ben Plan ein, von dem er
glaubt, daß er ihn zum Throne führen werde, erfährt aber
nicht, daß er bloß als Werkzeug gebraucht werden foll, um
einen Volksaufſtand zu erregen, und dag man ihn fpäter füls
— 410 —
len laffen will, um ben Prior von Derato als König auss
zurufen. Der Agent bes Priors unterrichtet den fungen Aben⸗
teurer in allen den Einzelheiten, welche er für Die beabfichtigte
Täuſchung geeignet glaubt, und führt ihn einfimeilen nad)
Madrigal, einer Heinen Caftilianifchen Stadt, wo eine Baje
bes wahren Sebaftian, Anna von Deftereih, ald Nonne in
einem Klofter lebt. Er ftellt ihn der Prinzeffin vor, und Diefe,
durd) das Ausfehen und bie Reden ihres vorgeblidhen Vers
wandten bethórt, geht vollfommen in die Schlinge, verfpricht
ihre Beipúlfe zu dem entivorfenen Plane und ftellt fogleid)
ihr ganzes Vermögen zur Verfiigung des Betrügers. Mit
diefer mächtigen Hülfe hat der Plan ben beften Fortgang.
Der falfhe Sebaftian tritt mit großer Behutfamfeit auf;
vor einem Theil des Publikums ift er nichts als der Paftes
tenbáder, aber indem er fein niedriged Gefchäft durch Diener
ausüben läßt, fucht er ſich Durch freigebigfeit beliebt zu machen
und zugleich durch ritterliche Mebungen, die fo wenig zu feinem
Stande paffen, die Vermuthung zu erregen, daß er feinen
wahren Stand nur verberge. Bor anderen Perfonen gibt er
fih für einen Gaftiltanifchen Edelmann aus, und in Diefer
Dualität verführt er eine junge und reiche Dame; in ben
Augen verfchiedener, in Mabrigal wohnender Portugiefen, fo
wie in denen der Prinzeffin endlid) ift er ver König Sebas
ftian, welcher im Begriffe fteht, fein Königreich wieder zu
erobern. Schon find geheime Emiffäre nad Portugal gefandt
worden und haben ihn großen Anhang erworben; fon
firómen zahlreiche Portugiefen nad Madrigal, um ihren wie-
dererftandenen König zu begrüßen, und ber vorgebliche Mos
nar empfängt fte in einem entlegenen Gemache, das für
dieſen Zwed eigens mit aller Pracht ausgerüftet tft; dort
erzählt ex ihnen feine wunderbaren Erlebniffe und ftellt ihnen
r
|
— — zz — — —. —
— 411 —
eine Meine Tochter, die ihm von feiner Buhlerin geboren
worden tft, alg feine Erbin vor. Die Aehnlichkeit des Betrús
gers mit dem verftorbenen Sebaftían, und mehr nod) die uns.
glaublihe Schlauheit und Sicherheit in feinem Benehmen,
wachen, daß Alle auf feine Identität mit dem geliebten Lis
nige ſchwören möchten, und‘ geloben, ihm mit Leib und Leben -
beizuftehen. Aber bald verändert ſich die Sabe. Philipp IL,
Der von ber angezettelten Verſchwörung Kunde erhalten bat,
eilt, fie im Relm zu erftiden. Ein Alcalve ift im Geheimen
in Mabrígal eingetroffen, um die Wahrheit zu erforfchen und
die Schuldigen zu beftrafen. Gabriel (dies tft der wahre Name
des falfchen Sebaftian) wird mit einer großen Anzahl feiner
Anhänger verhaftet, al8 er gerade ein Feftmahl gibt, bei bem
er feine Treuen noch mehr zum Eifer für feine Sade zu
ermuthigen fucht. Die Unterfuhung beginnt fogleidh, und der
Magiftrat bringt nad) einander alle Berhafteten zum Verhör.
Alle betheuren einftimmig, der Abenteurer fei der König Ses
baftlan, und die Verfuche des Alcalden, fie vom Oegentheik
zu überzeugen, bleiben fruchtlos. Nur Gabriel felbft betheuert,
er fei nichts als ein gewöhnlicher Paftetenbäder; aber ber
Ton, in dem er dies fagt, fein würdevolles Benehinen und
fein dringendes Begehren, vor Philipp IL, ben er zu fennen
vorgibt, geführt zu werben, serwirren den Alcalden fo fehr,
daß diefer num felbft nicht mehr glauben will, einen Menfchen von
jo niederem Stande vor fich zu haben, fondern ihn, wenn nicht
wirflih für den König Sebaftian, Doch für eine andere hobe
und bedeutende Perfon hält. Nachdem diefe Verwirrung eine
Zeit lang obgeſchwebt hat und während ber Alcalde nicht
weiß, was er thun und laffen foll, gefteht ber Agent des
Priors von Derato, in der Hoffnung, ſich fo der drohenden
Strafe zu entziehen, plöglich Das ganze Dautelfpiel ein. Das
— 412 —
briel, obgleich auf diefe Art verrathen, fommt doch nicht aufer
daffung; er befennt fcheinbar den Betrug, und ſchon glauben
bie Richter, die Wahrheit ergründet zu haben, alg ber uner-
ſchrockene Abenteurer fie ploglid durd feine Reden wieder
trre macht, fo daß fie zweifeln, ob er nicht doch wirklich der
König fei, und daß aud) feine Anhänger wieder glauben, er
habe feinen wahren Charakter fälfchlih verläugnet. Diefe
Zweifel find au, als er zum Schaffot geführt wirb, nod)
nicht vollkommen beſchwichtigt, und feine eigene Faffung und
Ruhe bei der Hinrichtung tft größer, alg bie ber Richter,
welche ihn dazu verurtheilen. „Es tft wohl unnöthig, zu fagen,
bemerkt 2. Biel=-Caftel 12%), wie viel Ergreifendes und tief
Dramatifches in dieſer Sombination liegt. Der Charafter des
Paftetenbäders von Mabrigal ift einer der merfwürbigften
und originalften, die je auf die Bühne gebracht worden find.
Die Runft, mit welcher der Dichter den Cffeft berechnet hat,
tft fo groß, daß ber Zufchauer, namentlich wenn ‚Die Rolle
gut gefpielt wird, zu Zeiten bie Zweifel des Alcalden theilen
mufi, obgleich er von Anfang an von der wahren Bewandts
niß unterrichtet ift. Verwundert muß man ſich fragen, wess
halb der Verfaffer dieſes Drama's bas Intereffe einer fo
durchaus neuen Conception nicht noch durd ein von Anfang
über die Perfon des falíchen Sebaftian gebreitetes Geheimnig
erhöht habe. Vielleicht fürchtete er, es könne fcheinen, als wolle
er hierdurch die Rechtmäßigkeit der Anfprüde Philipp’s IL
auf den fpanifchen Thron in Zweifel ziehen.“
125) ch habe biefes Schaufpiel in Spanien aufführen fehen, den:
noch würde ich, da mir ein Druck befielben nicht zur Hand ift, Den In⸗
halt aus ber Erinnerung nicht mehr haben zufammenbringen fónnen,
wenn mir nicht bie von dem genannten Schriftfteller herrührende Analyfe
bes Stüds in ber Revue des deux Mondes zu Hülfe gefommen wäre.
|
|
|
1
— 4183 —
Luis Duifiones de Benavente, aus Toledo ges
bürtig, machte fi beſonders durch feine Entremejes beliebt.
Manche derſelben verfaßte er mit fpecicller Rüdficht auf das
Theater von Buen Retiro, und biefer Umfland mag wohl
ver Grund fein, weshalb fie eine weniger ausgelaffene Luſtig⸗
feit verrathen, als bie mebrften übrigen Stüde diefer Bats
tung, vielmehr größtentheild eine fehr urbane Sprache führen.
Die Sammlung diefer Entremefes, in welcher ſich auch einige
Loas, , Tanzliever und dergleichen Fleine ſcherzhafte Eompofís
tionen finden, tft fihon im vorigen Bande S. 145 angeführt
worden.
Mehr durch feine Perfönlichfeit und durch die Ergießun⸗
gen ſeines Gefühls in lyriſchen Gedichten, als durch einige
von ihm herrührende Comödien machte ſich der Graf von
Villamediana, mit vollem Namen D. Juan de Tarſis
p Peralta Graf von V., berühmt. Dieſer elegante und tas
lentvolle, einem der angeſehenſten ſpaniſchen Geſchlechter an⸗
gehörende Cavalier, Oberpoſtmeiſter des Königreichs, galt für
eine der vorzüglichſten Zierden von Philipp's IV. Hofe. Die
Liebeslieder, die ibm fein für weibliche Schönheit ſehr empfaͤng⸗
liches Gemüth eingab gingen von Mund zu Munde. Zu ſei⸗
nem Ungfüd hatte er fein Auge aud auf die Königin gewors
fen und feierte fie unter erbichteten Namen, aber mit nur zu
deutlichen Anfpielungen in feinen Gedichten. Hiermit nicht
zufrieden, wählte er bei einem Turnier ein mit Realen befegs
tes Kleid zu feiner Tracht und führte dabei im Schilve das
Motto: Mis amores son reales. Solche Kühnheit fonnte
der König nicht ungeabnbet laffen. Der Graf wurde bald
nad) jenem Turnier Nachts auf der Straße in feinem Wagen
ermordet, und der allgemeine Verdacht fiel auf Philipp IV.
alg den Anftifter diefer That. Das Jahr von Billamediana’s
— 414 —
Tode finden wir nirgends genau angegeben; es fcheint bald
nach bem Sabre 1630 zu fallen. Eine erfte. Ausgabe feiner
oft gedrudten Obras poetichs erſchien noch bei Lebzeiten des
Berfaffers zu Madrid 1629, eine fpátere voflftándigere eben-
dafelbft 1643. In diefem Bande finden fih aud die Dramas
tiſchen Stüde.
Juan de Zavaleta,. Chronift Philipp’s IV., erblindet
1664, verfaßte, aufier manden Werfen in Profa (Obras en
prosa, Madrid 1667, 4°), ſowohl allein, al8 im Vereín mit
Anderen eine große Anzahl Comödien. Wer die Titel Der bes
rühmteften berfelben wiffen will, ben verweilen wir auf das
diefem Bande angehängte Inhaltsverzeichniß der großen Samm⸗
lung fpanifcher Schaufpiele. Dasfelbe fei mit Bezug. auf bie
übrigen, bier zufammengeftellten Theaterdichter gefagt.
Roman Montero de Espinofa, Hauptmann eines
fpanifchen Truppencorps in Flandern, von 1656 an in er
Combardeí, 1660 zum Ritter des Ordens von Alcantara
ernannt.
Ambrofío de Arce, oder wie fein vollſtändiger Name
heißt, Ambrofio de los Reyes Arce, geftorben 1661 im bes
ften Mannesalter.
Gabriel Bocangol y Unzueta, gebürtig aus Mas
drid, Bibliothekar des Infanten Ferdinand von Defterreich
und Chronift von Caſtilien, geftorben 1658.
Juan Velez de Guevara, Sohn bes im vorigen
Bande befprochenen Luis Velez de Guevara, geboren 1611,
geftorben 1675, zuerft in Dienften des Herzogs von Vera:
gua, fpäter Beifiger des Gerichtshofes von Sevilla , betrat
biefelbe Laufbahn wie fein Vater, jedoch mit geringerem Er»
folge. Er gab außer verfchievenen Comödien einen Band
Entremejes, Madriv 1664, heraus.
— 45 —
Bon Antonto Manuel del Campo ff} unter anderen
El vencimiento de Turno, ein feltíames allegoriſches Drama,
worin unter Aeneas Ehriftus, unter Turnus ber Teufel, un-
ter Lavinia die Seele verftanden tft. Weit höher fleht ein
anderes Schaufpiel desfelben Werfaffers, Los desdichados
dichosos, eine mit tieffinniger Kunft in Calderons Geift
behandelte Legende von ber Gründung des Klofterd von Mon⸗
ferrate , welche erzählt ift in folgendem alten Volksbuch:
"Historia de Nuestra Señora de Monserrate y Condes
de Barcelona con los sucesos de la Infanta Riquilda y
el Ermitaño fray Juan Guarin.
Einen zweiten Theil des legtgenannten Stüds unter bem
Titel La Estrella de Monserrate fchrieb Ehriftoval de
Morales, von dem man außerdem nod) verſchiedene, vors
nämlich geiftliche Stüde pat.
Surinto Cordero, gewöhnlidh der Fähnrich (Alferez)
gubenannt, fhon im Beginn biefer Periode für. bie
Bühne thätig 0% , und hätte vielleicht fon im
vorigen Bande genannt werden müffen. Ein Band Combbien
son ihm fol zu Batencia. erfchienen fein. Das einzige feiner
Stüde, das uns befannt geworben iſt, El hijo de Jas ba-
tallas, zeugt von wenig Fünftlerifher Bildung, aber von einer
reichen, wenn auch wild umberfpringenden Phantafie.
Bon Juan Bautifta Villegas Hat man unter ans
deren das Schaufpiel El Sol a media noche y las estrel-
las a medio dia, teles Pellicer feltfamer Weiſe jenem
älteren Villegas, ber in ber „unterhaltenden Reife” des Agu-
fin de Rojas genannt wird, zugefchrieben hat. Das Argus :
ment des Stücks ¡ft aus den Evangelien, hebt mit der Vers
fündigung der Marla an, und endigt mit der Anbetung der
Könige. |
— 416 —
Unter ben Dramen, welhe Antonio Martinez fos
wohl allein, als in Geſellſchaft Anberer fchrieb, fet beſonders
El Arca de Noe hervorgehoben, weil eS bie ungeheure
Kühnheit zeigt, mit welcher die Spanier felbft die widerſtre⸗
bendften Stoffe — hier die ganze Geſchichte der Sündfluth —
zu Dramatifiren unternahmen. An legterem Stüde hat auch
Pedro Rofete Niño, ein anderer fruchtbarer Thea⸗
terdichter diefer Zeit Theil.
Eine beträchtliche Anzahl von Autos, namentlich Autos”
al nacimiento , verfaßte der Licenciat Cosme Gomez
Terada de lus Reyes. Ein Theil berfelben wurde ¿us
fammengedrudt in bem Bande Noche buena, autos al na-
cimiento del Hijo de Dios. Madrid 1661. |
Bon Ebriftobal de Rozas, beffen Name aber auch
bisweilen Roxas geſchrieben wird, hat man unter anderen
eine Dramatiſirung ber Novelle von Romeo uno Julie,
welche zu denen von Lope de Vega und Francisco de Roxas
als dritte hinzukommt.
Antonio Enriquez Gomez. Das erſte Schauſpiel,
welches dieſer Dichter ſchrieb, war Engañar para reinar '?°);
in dieſem mittelmäßigen Stück wird dargeſtellt, wie. ein Rós
nig von Ungarn, der durch ſeinen Stiefbruder vom Throne
geſtoßen worden iſt, ſich durch Verkleidungen und Betrüge⸗
reien aller Art wieder in Beſitz der Königswürde ſetzt; er
ſcheut, um ſein Ziel zu erreichen, ſelbſt die ſchlechteſten Streiche
nicht, ſo z. B. verſpricht er einer reichen Dame die Ehe,
obgleich er im Geheimen ſchon vermählt iſt, Alles dies, weil
126) Die Schlußworte lauten:
Y aqui el Poeta da fin
A su comedia, notando
Ser la primera que ha hecho,
|
— 47 —
eS erlaubt ſei, zu betrügen, um zu regieren. Weit beffer {fl
die Prudente Avigail vesfelten Verfaffers, eine Dramatiff-
rung ber altsteftamentlichen Gefchichte von David und Abi⸗
gatl; die erfte Scene enthält bas Zufammentreffen von Saul
und David in der Höhle (1 Samuel 24, 4), die legte die Ver:
lobung von David und Abigafl. (1 Samuel 25, 42). Eine befons
dere Eigenthümlichkeit des Enriquez Gomez in der Form iſt es,
daß er fi) fehr häufig der Endechas oder dreifüßigen Trodäen
mit Affonanzen bedient.
Pedro Francisco Lanini Sagredo, BVerfaffer
von vielen, befonders hiftorifchen und geiftlichen Comödien.
Ob diefer Dichter mit dem in den Sammlungen vorfommens
den Pedro Francisco Lanini Balencia identiſch fet, vermag
ich nicht zu fügen.
Juan Coello Artas, Bruder des Antonio Coello,
Ritter von St. Fago.
Geronimo de Villaizan, getauft im Jabr 1604,
Surift und Advocat in Madrid.
Bartholome de Ancifo oder Enctfo, nicht zu vers
wechfeln mit dem im vorigen Bande befprocdhenen Diego
Ximenez de Encifo.
Bon Juan Cabeza, einem Aragonefen, hat man einen
erſten Theil Comödien, Zaragoza 1662.
Von Francisco Bernardo de Duiros, beffen
Schauſpiele auch in den allgemeinen Sammlungen nicht felten
find, fteben einige Dramen in den Obras de D. F. B. de
Quiros, Alguacil proprietario de la casa y corte de su
magestad, Madrid 1656.
Unter den Stüden des Francisco be la Torre
macht fich beſonders La confesion con el demonio burd)
Geſch. d. Lit. in Spanien, TIL Br. 21
— 48 —
den wild⸗phantaſtiſchen Ebarafter bemerflich. Die Heldin iR
eine Rindesmörberin, welche bie entfeglicdhe That auf den Ans
trieb ves Teufels begeht und nachher von biejem immer ties
fer in ben Abgrund hinabgeriffen wird.
Der allgemeine , beinahe epivemifche Drang biefer Zeit,
Schauſpiele zu ſchreiben, veranlaßte auch Männer, deren Tas
lente für andere Fächer waren, fih in dieſem zu verfuchen.
So ſchrieb ver alg Maler, Lyrifer und Ueberfeber des Aminta
mit Recht geihägte Juan de Jauregui (geftorben 1650)
mehrere Somödien, weldye aber feinen Beifall fanden, und,
wie es fcheint, nicht gedrudt worden find; als eine derſelben
in Madrid aufgeführt aber ausgepfiffen wurde, rief ein 3us
fhauer: „Wenn Sjauregui will, daß feine Combbien gefallen
follen, fo muf er fie malen.» — So lich fid) aud der hoch⸗
geftellte Dichter und Fürſt Francisco de Borja y Esqui-
lache, Bicefönig von Peru und Ritter des goldenen Bliefes
(geftorben 1658) bewegen, zur Berherrlihung eines großen
Hoffeftes ein Drama zu bidten; fo hat man von dem Pors
tugiefen Francisco Manuel Mello (geb. zu Liffabon
1611, geftorben ebendafelbft 1666), bem fehr fruchtbaren
Berfaffer vieler theologifchen , Hiftorifchen und moralifchen
Schriften, mehrere fpanifhe Schaufpiele, und ebenfo glaubte
der, an Philipps IV. Hofe fehr belichte lyriſche Dichter
Luis de ÚlToa in die Schranfen treten zu müffen, in denen
nun einmal alle geiftvollen Köpfe jener Tage ihr Talent be
währen wollten.
Unter den Dramatifern ber Zeit Karl's II. ift auch Don
Nernando de Valenzuela zu nennen, fener gervanbte Abenteus
rer, der bei der Königin Mutter, María Anna von Defters
reich, fo Hoch in Gunft fand. Die Gräfin d'Aunoy fagt von
ihm (nad) der alten deutſchen Ueberfegung): „Er war von
— 419 —
Natur ein trefflicher Poet, wie denn feine Verſe vol artiger
Affefte und viele davon burd den Drud herausgefommen,
unter welchen Yornämlich die Komödien berühmt fini, die er
damals, als er bet ber Füniglichen Frau Mutter in Gnade
fam, zu ihrer Ergógung vorftellen laffen. — ES Tieß aud
diefer Favorit unterfchledlihe von ihm felbft verfertigte Eo
möbien aufführen, welche ein Feder umfonft mit anfehen durfte;
und gewiß, es war nichts fo mächtig, der Spanter Herzen
auf feine Seite zu bringen, als eben dieſes, indem fie unges
meine Liebhaber von folchen Schaufpielen find, und eher das
Geld an ihrem und ihrer armen Weib und Kinder Maul
erfparen , damit fie hierin ihre Luft búfen und auf das Feſt
einen theuren Plag miethen mögen» '?7),
Aud) dramatiſche Dichterinnen haben wir anzuführen,
namentlich die Andalufterín Anna Cars und die Merifas
nerin Suana Inez de la Cruz, welde beide von ihren
Berebrern „die zehnte Mufe” genannt wurden. Von der ers
ften hat man unter anderen eine Dramatifirung bes Ritters
romand vom Grafen Partinuples, welche von einem nicht
gemeinen Auffhwunge der Phantafie zeugt. Die zweite, Nonne
eines Rlofters in Mexico, fehrieb eine Reihe allegorifcher
Loas und ein Auto facramental El divino Narciso '?®),
Daß diefes Auto fhön und romantifh ausgeführt fei, geben
wir Bouterwef, ber es befprochen Hat, zu, aber nicht fo rich⸗
tig ift feine Behauptung, daß es alle ähnlichen Werfe bes
Lope be Vega übertreffe und bag eine fo gemwagte Umklei—⸗
12) Spaniſche Staatsgefchichte, befchrieben von der Oráfin d’Munoy,
Leipzig 1703. ©. 51 und 62.
128) Sie fiehen in ber Sammlung ihres Gedichte: Poemas de la
unica Poetisa Americana, Soror Juana Inez de la Cruz, von wels
cher die dritte Ausgabe in Barcelona 1691 erfchienen if.
47°
— 42% —
dung der Fatholifchen Reltgionsiveen in bas Gewand der grics
hifchen Mythologie bis dahin in Spanten nod nicht befamnt
geweſen⸗ſei; denn in biefer Hinficht hat es nichts vor unzäßs
figen anderen Stüden diefer Gattung voraus.
Die Namen der übrigen am häufigften vorfommenden
Schaufptelvichter aus der Zeit Philipp's IV. und Karl’s 1.
find in folgendem PVerzeichniffe enthalten:
Sebaftian de Villaviciofa.
Francisco de Avellanaba.
Fernando de Abila.
Carlos ve Arellano.
Suan de Apala.
Manuel Freyre de Andrade.
García Aznar Belez.
Francisco Gonzalez de Buftos.
Andres be Bacza.
Joſef de Bolea.
Salvador de la Eueba.
Antonio de la Cueva.
Suan de la Calle.
Francisco Ximenez de Cisneros.
Miguel Gonzalez de Cunedo.
Geronimo de Cifuentes,
Ambroſio de Cuenca y Arguello.
Suan Hurtado Cisneros.
Antonio Gartona.
Diego Calleja.
Geronimo Cru.
Gabriel bel Corral.
Suan Antonio Correa.
Bartolomé Cortés.
— — —
— 491 —
Pedro Correa.
Francisco Cañizares.
Antonio de Caſtro.
Suan Delgado.
Diego la Dueña.
Pedro Deftenoz y Lodofa.
Diego Enríquez.
Rodrigo Enriquez.
Andres Gil Enriquez.
D. Antonio Francisco.
Diego Gutierrez.
Licenciado Manuel Gonzalez.
Francisco Salado Garcés.
Luis de Guzman.
Juan de Horo3co.
Sacínto Hurtado.
Francisco de Llanos y Valdes.
Maeftro Leon y Calleja.
Gaspar Lozano Montefinos.
Manuel Mordon,
Geronimo Malo de Molina.
Suan Maldonado.
Doctor Francisco de Malafpina.
Jacinto Hurtado de Mendoza.
Jacinto Alonfo Maluendas. .
Blas de Meia.
Felipe de Milan y Aragon.
Roman Montero.
Antonio de Nanclares.
D. Tomas Offorio.
Sebaftian de Olivares.
— 422 —
Luis de Oviedo.
Alonfo de Offuna.
Marco Antonio Ortíz.
D. Francisco Polo.
Doctor Martin Pegion y Dueralt.
Tomas Manuel de la Paz.
Sofeph de Ribera.
Juſepe Rojo.
Joſeph Rulz.
El maeftre Roo.
Maeftro Gray Diego de Ribera.
Bernardino Rodriguez.
Felipe Sicarbo.
Bartolome de Salazar y Luna.
Vicente Suarez.
Fernando de la Torre.
Gonzalo de Ulloa y Sandoval.
Manuel de Vargas.
Pranciseo de Victoria.
Francisco de Villegas. .
Melchor de Valdes Baldivieffo.
Fernando de Vera y Mendoza.
Francisco Bances Candamo (geboren zu Gas
bugo in Afturien 1662, geftorben 1709) befiplieft "nicht uns
würdig bie Reihe der Dichter aus der Blüthenepoche des
fpanifchen Theaters, in welche wir ihn (ba die Zeit feiner
Wirkſamkeit ſchon mehr in bie folgende Periode bineinreicht) -
mehr wegen des Gehalts feiner Werke, al8 nach chronologi-
fer Genauigfeit ftellen. In der That erbliden wir in feinen
Dramen, wenn aud feine großen eigenthümlichen Vorzüge,
doc einen fhönen Abglanz von deuen des Calderon; fie zei-
— 43 —
gen, was felbft ein Didter von geringeren Mitteln Teíften
fann, wenn er fih mit Liche und Hingebung nach einem
großen Mufter bildet. Faft alle Schaufpiele des Candamo *?”)
haben entſchiedenen Werth und verdienen eine nähere Betrach⸗
tung ‚aber der befchränfte Raum verftattet und nur, ein Paar
berfelben zu erwähnen. Am vorzüglichtten möchte Por su rey
y por su dama fein, zu weldem Stüde ein berühmtes Ers
eigniß aus der Regierungszeit Philipp’s IL, die Einnahme von
Amiens, den Stoff hergegeben hat. Candamo fingirt, ber
tapfere Porto Carero fei in die Tochter des erften Civilbe⸗
amten von Amiens verliebt und diefe Leidenſchaft fporne ihn
an, die Eroberung eines feften Plages von diefer Stärfe zu
verfuchen. So vollbringt er denn, um feiner Qeltebten zu
beweifen, daß Der Liebe nichts unmöglich fei, eine Reihe von
Thaten, beren eine immer nod) fíbner, verwegener und ros
manbafter, al8 die andere if. In der Scenenfolge, die- fic)
aus dieſem Motiv entípinnt, wird nun die Theilnahme immer
mächtiger gefpannt und das ganze Drama ift von einem los
dernden euer der Friegerifchen Begeifterung durdhglüht, das
auf der anderen Seite wieder durch den Ton der feinften
Galanterie gedämpft wird und fid mit ihn zu einem höchſt
129, Sie fiehen in der Sammlung: Poesias comicas, opras post
humas de D. F, Bances Candamo. Madrid 1722.
T. I. Quien es quien premia al amor. La restauracion de
Buda. Duelos de ingenio y fortuna. La virgen de Guadalupe. La
piedra filosofal. Qual es afecto mayor, lealtad o sangre o amor.
Por su rey y por su dama. El vengador de los cielos, T. II. La
Xarretiera de Inglaterra. El Austria en Jerusalem. El esclavo en
grillos de oro El Sastre del Campillo.
Mas vale el hombre que el nombre. El duelo contra su dama.
S, Bernardo Abad. El Español mas amante y desgraciado Macias
und mehre autos und Zwiſchenſpiele.
e
— 4% — Ä
anziehenden Totaleffeft verſchmilzt. — Ald Ganzes weniger
zu loben, wenn auch keineswegs ohne fihöne Einzelheiten, if
El duelo contra su dama. @ine amuzonenhafte Dame
läßt fih von ihrem Geliebten, über deffen Untreue fie fic)
zu beflagen hat, ſchwören, daß er fie in einer Verfleíoung,
welche anzunehmen fie geziwungen fei, nicht verrathen wolle.
Hierauf begibt fte fih in der Tracht eines Prinzen an ben
Hof ihrer Nebenbublerin und fordert ihren Geliebten zum
Zweifampf. Diefer ficht fid) nun in der Lage, entweber: ges
gen die Geliebte kämpfen zu müffen, oder als ein Feigling
dDazuftehen, oder ben geleifteten Schwur zu brechen. Da ihm
die Wahl der Waffen freiftebt, fo wählt er den Ausweg, fich
ohne Schild und Rúftung und mit bloßer Bruft auf dem
Kampfplag einzufinden. Durch biefen Kunftgriff wird Die
rachbegíerige Schöne entwaffnetz zu gleicher Zeit hat ber Ge-
liebte, welcher nur deshalb gegen jene lau geworben war,
weil er jie treulos geglaubt hatte, fid) durd Thatfachen von
der Srrigfeit feines Wahnes überzeugt, und reiht ihr als
Gatte die Hand. — Befonderd dauernden und allgemeinen
Beifall fheint unter den Dramen des Bances Cändamo El
esclavo en grillos de oro erhalten zu haben. Die Zabel
diefes eleganten und anmutbigen Stüdes läßt fid mit wer
nigen Worten erzählen. Camillus, ein fich weiſe dünkender
und yon den abftraften Lehren der Philoſophen verblendeter
Römer, hat, unzufrieden mit ber Regierung des Trajan,
eine Verſchwörung gegen diefen angezettelt. Der Raifer ente
deckt den verrätherifchen Plan, Täßt den Senat zufammenbe-
rufen und ben Verbrecher vorführen, um ihm das Urtheil
zu fprechen; wie groß aber ift bas Erftaunen der verfams
melten Menge, alg der Schuldige, flatt, wie man erwartete,
zum Tode verdammt zu werden, von Trajan zu feinen Mit:
ii — ——
— 425 —
regenten ernannt wird! Der weife und milde Smperator
glaubt den Bethörten nicht beffer züchtigen zu fónmen, als
auf diefe Art. Samillus wird durch feine neue Stellung ge-
nöthigt, ftet8 nur der Regierungsforgen zu gedenfen, muß allen
Freuden, deren Privatleute genießen, entfagen , fieht jede feiner
Handlungen vielfachen Tadel unterliegen, muß befennen, daß
er unfähig fei, Die ihn aufgebürdete Laft zu tragen und bittet zu-
Icgt den Trajan, ihn von derfelben zu befreien. Der Raifer,
zufrieden mit diefer Demüthigung des Empörers, verzeiht ihn.
Nur mit einem Worte fei nun endlich noch der beinahe
zahliufen Comödien anonymer Verfaffer gedacht, weche der
Zeit des Calderon angehören und zum Theil auf uns gefom-
men find. Meifterwerfe mögen fid) unter diefen Comedias
de un ingenio wohl nicht viele finden, einzelne poetifche
Funken, wie fie durd die Reibung fo vieler Kräfte erzeugt
wurden, glänzen aber aud in ihnen, und fie legen Zeugniß ab
pon dem allgemeinen dichterifchen Geifte, der im damaligen
Spanien - waltete. Auf einzelne diefer Stüde einzugehen, tft
ung, da felbft Hunderte yon namhaften Autoren herrührender
Comödien unberüdfichtigt bleiben mußten, nicht verftattet.
So, bald länger verweilend, bald flüchtiger vorüber-
gehend, haben wir das beinahe unüberfehbare Gebiet der
fpantichen Dramatif während ihrer Blüthenperiode durchwan⸗
dert. Möchte es uns gelungen fein, dem Xefer einen leben-
digen Einblid in diefe bisher allzu wenig beachtete Region zu
gewähren und die Aufmerffamfeit yon neuem auf ein reiche
Ernte und vielfachen Genuß verfprechendes Feld der Poeſie
binzulenfen! Hier, am Endpunfte der Epoche, welche den bei
weitem wichtigften Theil unferer ganzen Aufgabe bildete, werde
es ung denn auch vergónnt, noch einmal einen Rückblick auf die
durchmeffene Strede zu werfen.
12
— 426 —
Während cines Jahrhunderts — denn ungefähr dieſe
Ausdehnung pat der Zeitraum vom Auftreten Des Lope be
Vega bis zu den jüngeren Zeitgenoffen und unmittelbaren
Nachfolgern des Calderon — befaßen die Spanier ein volks⸗
thümlich felbftftánbiges Drama, das ihnen im glänzenden
Zauberbilde der Poefie alle großen Momente ihres National»
ſeins, ihres geiftigen und weltlichen Lebens vorbielt. Aus
der Wurzel der Volksdichtung hatte ſich biefes Drama als
bie eigentliche Fortfegung derfelben erhoben; ein riefiger Baum. -
ragte es durch die ganze Welt der Erſcheinung hindurch bis
in den höchſten Himmel des Wunderbaren, feitwärts feine
vielverzweigten Aefte ausbreitend über drei Generationen, Die
fich in feinem Schatten Tabten ; ein prismatifcher Spiegel, fing es
alle zerftreuten Strahlen, alle verhallenden Klänge der Dichtung
auf, um fie in Bild und Wort Iebendig zu erhalten. In vol
len Zügen aus dem Duell ber einheimifchen Tradition und
Gefchichte ſchöpfend, machte es die thaten= und geftaltenreiche
Borzeit zur Gegenwart und führte in lebendigfter Wirklich⸗
feit die Helden der Bergangenheit vor, die halbmpthifchen
Kunden ber altergraueften Zeit wie die Thaten und Geſchicke.
der fpäteren Jahrhunderte, bie mehr und mehr in ben Tag
der Geſchichte treten; den ſchönen Sagen von ritterlichen
Kämpfen und Abenteuern, von Liebe und Verrath, von Minnes
dienft und Feindeshag lieh e8 neues, lebenvolles Sein; durch
Bilder eherner, unzerbrechlicher Charaktere, gewaltiger, uns
gebeurer Frevel und Tugenden, jáben Sturzes vom Gipfel
der Macht und der Größe, erfihütterte und erhob es Die
Hörer, indem es ihnen im rafchen Wechſel von Glück und
Leid den furchtbar gerechten Donnergang des Schieffals zeigte.
Mit wie viel höherer Begeifterung, ald dem Romanzenfánger,
mußte der Spanier dem dramatifchen Dichter lauſchen, da
— AN —
diefer die Helden bes Epos von dem Hintergrunde ber Jets
ten ablöfte und fie ihm, ben vollen, ftarfen Klang ber epifchen
Leier mit bem füßen Ton ber Lprif verbindend, in ber voll
enbetíten Form ber Poefie unmittelbar vor Augen bradhte.
Aber auch das Leben der Gegenwart in allen feinen Bezie⸗
bungen, in der ganzen Mannichfaltigfeit feiner Verhältniſſe
wußte diefes Drama in glanzvollen, farbenreichen, von dem
Zauber der Dichtkunſt verflärten Gebilden darzuſtellen, ſo
daß die Wirklichkeit, von den Zufälligkeiten ihrer unmittel⸗
baren Erfcheinung geläutert, zu höherer Bedeutſamkeit erhos
ben wurde; und dann wieder flürgte es fich hinweg aus bem
engen Jegt und Hier in die fernften Zonen und Zeiten, um
in der Sage und Gedichte aller Völfer zu ſchwelgen, oder
in das grángentofe, wunderbare Rei ber Phantafie, um
„dem luftigen Nichts eine Wohnflätte und einen Namen zu
geben ;“ oder es rif die Schranten des Enblichen ein, öffs
nete die Pforten des Himmels und der Hölle, ließ die Engel
und Hetligen, ja die felige Himmelsfönigin felbft perabfteis
gen, rief bie düſteren Geiler des Abgrundes empor, und
zeigte die Kämpfe der Menfchheit mit den Mächten der Fins
fterniß, aber broben den waltenden Schub des göttlichen
Geifted. Alle Gefühle, von dem höchſten Adel der Gefinnung
und der fanfteften Zärtlichfeit an, bis herab zu ber verwil⸗
derten Leidenfchaft und dem bitterfien Haffe wußte es auf's
überzeugendfte zu fehildern, alle Charaftere und Typen ber
Menfchheit in úberzeugender Wahrheit hinzuftellen und fo ein
umfaſſendes Bild der hervorragendften Erſcheinungen des Le:
beng aufzuftellen. Das Dafein mit allen feinen Regungen,
mit dem unendlihen Reichthum feiner Zuflände, das ges
faminte Treiben der Gegenwart wie die ganze ungeheure Vers
gangenheit in feinen Kreis ziehend, aber zugleich hinweiſend
— — — —
_ 498 —
auf die Ewigfeit und hineinragend in die Zufunft, war bas
fpanifche Schaufpiel ein univerfelles , nicht auf biefe oder jene
Elaffe, nicht auf die Gelehrten oder fogenannten Gebildeten,
oder Hinwieberum auf ben rohen Haufen, fondern auf bie
Totalitát ber Nation berechnetes; und fo fympathifirte es
mit dem Charakter, dem Glauben, der Denkweiſe, der Phans
tafierichtung, der Sitte und dem Geſchmack der Nation, in-
dem eS, zuerft das Produft aller biefer Elemente, nachher
ihr zweiter Schöpfer und Bilbner wurde. „Unfer altes Drama
— fagt ein patriotifher Spanier (Aguftin Duran) — war
für uns, was die Bibel für die Hebräer, was die Iliade und
die Odyſſee für die Griechen, das heißt ein Archiv des hiſto—
rifchen, politifchen, religiöfen und moralifchen Wiffend der
Nation, eine Uhr, deren Zeiger ihre wechfelnden Schidfale,
ihren Ruhm und ihre Unglüdsfülle andeutete. In ihn vers
einigten fih alle Töne und Abftufungen der Poeſie; eS vers
ſchmolzen fih in ihm die Tragödie, das Luftfpiel, die bite:
gerlihe und die novellenartige Comödie, ja die niedere Farce,
indem alle Stände ber Gefellfchaft, vom höchſten bis zum
geringften, Plab fanden, ohne bag deshalb ein Uebelftand
oder ein Mifverhältniß in bie Theile. des Ganzen gefommen
wäre.“ — Diefen Drama hatte eine Reihe von Sahrhun-
derten auf dem Urboden aller Poefie, dem Geifte und Leben
des Volkes, ein Fundament gelegt; auf ſolchem Grunde er:
riptete bann Lope de Vega, unterflügt von einer Schaar
rüftiger Gefellen, ein wohlgefügtes , innerlich gegltedertes und
allen feindlichen Angriffen trogendes Gebäude; ihm nad) aber
folgte eine jüngere Generation und thürmte in confequenter
Durchführung des erften Planes einen neuen Bau auf den
alten, daß er fi kühn und himmelftrebend , Kuppel auf Ruy:
pel über jenem erhob. War nun Madrid, ale der Punft, wo
— 429 —
fih alle Macht und aller Glanz der Nation concentrirte, ber
erfte und Hauptſchauplatz der dramatifchen Kunft, fo entitans
den doch nad) allen Seiten hin Pflanzichulen, welche die von
der Hauptftadt ausgegangenen Anregungen in eleftrifchen
Schlägen weiter leiteten und die Schöpfungen der großen
Dichter zum Gemeingut des ganzen Volkes machten. Von den
andalufifchen Küften an bis zu dem Fufe der Pyrenäen, vom
Mittelmeere, wo eS den ratalonifchen Strand befpült, bis an
den weftlichen Drean faßen die Spanier mit Teuchtendem
Blid und hochklopfendem Herzen vor Bühnen, auf denen fle
ihr eigenftes Sein in tdealer Bollfommenheit und Energie
erblidten, auf welchen ihnen in Fühnen Bildern die großen
Thaten ihrer Bäter, die erhabenen Erinnerungen ihrer De:
fchichte entgegen traten, und ebenfo auch die ganze Breite,
der gegenwärtigen Wirklichfelt ale glänzendes Panorama vor
ihnen aufgerollt ward; und nie läſſig waren fie, den Tribut
ihres Danfes darzubringen an die Dichter, welche ihnen bald
mächtige Aufregungen ber Phantafte barboten, bald ihren
Geift mit Tieblichen Träumen umganfelten, fie bald auf bem
Flügel der Andacht emporhoben in überirbifhe Regionen,
bald in Humor und heiterem Scherz mit ihnen tändelten.
Cine ganz andere und vollere Beifallsfpende war hier zu ers
warten, al8 in unferen Tagen; nicht von verfchledenen Elaf:
fen, nicht von den höheren Ständen oder bem Pöhel, von
den Rritifern oder der ungelehrten Menge ging fie aus, nein,
ein ganzes Volf ftimmte im Chore zufammen, um fie zu er-
theilen; zwifchen Dichter und Zuhörern fand eine Tebenbige
Mechfelbeziehung Statt, weldhe jenen befeuerte, während fie
diefe hob; ein freier und frifcher, die gefunde, allfeitige Aus:
bildung befördernder und franthaften Richtungen vorbeugen-
"der Lebensathem durchzog die Dramatifche Runft; und fo ers
— 48 —
füllte das Theater feine höchfte Beſtimmung, — es ward eine
Nationalanftalt, der Lehrer und Bildner des Volks, der Abs
drud und zugleich das Vorbild der Nation,
Nicht ohne Trauer werden wir nun dic Grenze übers
fehreiten können, fenfeitd deren der Berfall bes ſpaniſchen
Drama’s eintritt; benn die Wahrnehmung biefes Berfalls
zeigt uns zugleich die Auflöfung des Volksgeiſtes, aus dem
daffelbe hervorgeblüht war und feine Nahrung gezogen hatte.
Mögen wir nun auch annehmen, (und die Betradjtimg kann
allein Hierin einen Troft finden), daß der Geiſt einer Nation
nach dem Abwerfen feiner bisherigen Geftalt einer höheren
Entwidelung entgegengebe, fo tft es doch gewiß, daß zwiſchen
der Auflöfung des früheren und der Bildung des neueren
Zuftandeg ſtets cine Periode ber Unficherheit, des Schwan⸗
feng und ber Lethargie Tiegt, bei welcher ber Beobachter
nicht mit Freude verweilen Tann.
Wie im vorigen Bande Notizen über die berühmteſten
Schauſpieler des dort behandelten Zeitabfchnitted gegeben wurden,
fo tft dies nun für die zweite Hälfte der Blüthenperiode des
fpanischen Theaters zu wiederholen. Um ben Lefer zunächſt noch
einmal in die Mitte des fpanifchen Comödiantenlebens zu vers
fegen, geben wir hier auszugsmweife ein um bas Jahr 1649
gefchriebenes Gedicht von unbefanntem Verfaffer, welches von
fatirtfhen Ausfällen auf das Schaufpielwefen diefer Zeit und
namentlich auf. die Bühnenheldinnen und beren Teichtfertige
Berehrer wimmelt 139), |
„Die, weldhe jih bem Hfftrionenftande widmet und zu
120) Pellicer, Tratado histórico etc., pag. 239. Wir geben bier
nur bas Hervorflechendfte von dem Inhalte Diefer weitläuftigen Satire,
ohne uns Schritt für Schritt an ben Tert zu halten.
— 431 —
fingen oder mit den Caſtagnetten zu flappern weiß, möge ſich,
wenn fie nur beweglich wie Duedfilber ift und Tieblich zu
lächeln oder durch anmuthige Geberven zu reizen weiß, für
die Gebieterin biefer Welt halten. (ES iſt gar nicht nöthig,
daß fie fehön feiz genug, daß fte cine Schaufpfelerin iſt; wer
follte einer Schaufpielerin nicht zu Füßen fallen?" So fung
der zweiföpfige Gott Janus, und kaum vernahm es Mens
guilla, ein nievliches Mädchen, das beftimmt war, eine Dels
lige zu werben, als fie ihr härenes Gewand bei Seite warf,
wieder die Basquiña anlegte und unter eine Comödiantens
Bande ging. Sogleid warb fie von der ganzen fauberen Sipp⸗
ſchaft umringt und, nadjbem man ein ftrenged Examen mit
ihr angeftellt, für würdig proclamtrt, eine Waiwodin zu fein.
Dann aber ftieg ein Oraciofo auf einen Koffer und hielt ihr
folgende Anrede: ¡Señora Doña Menga, fei Sie uns will-
fommen! Aber wenn Sie glaubt, hier bei und Rofen zu
pflüden, weil Sie ung mit Flitterſtaat angethan fieht, fo irrt
Sie ſich gewaltig; denn das Leben, das wir führen, iſt wahr-
Baftig fein Leben zu nennen, das wird Sie gleich in der erften
Mode an Ihrem Solbe, am Mittags» wie am Nachteffen
fpüren. Früh Morgens wird Sie aufftehen und einen ganzen
Stoß Rollen einftudieren müffen, und wenn es auch bei uns
feine Klofter-Claufur gibt, fo darf Sie fih tod) nidt einbil-
den, daß Sie deshalh freier fein werde; Stiyphus an feinem
Felſen ift nicht gebunbener, al8 wir, denn nie haben wir an
irgend einem Orte Ruhe, außer an. ben allerelenveften; oft
múffen wir mit leerem Magen marfchiren, und felbft im fat:
teften Winter gönnt man uns feine Raft. Aber freilich, das
ift wahr, fobald wir in eine volfreihe Stadt fommen, flárt
fi der Himmel auf; dort, holde Dora, werdet Ihr vor Ab:
lauf des dritten Tages Liebeserflärungen in Profa und Vers
— 432 —
fen erhalten; vor Allem in Mabrib, diefer Stadt ber Fúrften,
wird man Euch in Sílber faffen: glaubt jedoch nicht, daß
Ihr deshalb in Luft und Behagen tverdet leben können; bas
Spielen ift eine fo múblame Sade, daß uns nad) dreiſtündi⸗
ger Peín auf bem Theater bas Hirn fehwindelt; das Aus:
wendiglernen nimmt und bie Morgen hin, zur Zeit der Siefta
müffen wir uns fchminfen und zum Effen und Edplafen fürs
den fi faum Augenblide. Auf dies Alles, mein Mädchen,
mufit Du Dich gefaßt machen, wenn Du bei bem Entfchluffe,
in unferen Stand zu treten, beharrft; und dabei habe ich noch
nicht die Gänge in den Palaft und zu vornehmen Herrn ges
zäblt, welche mehr läftig als einträglich find; welche Wein!
wenn wir eben erft einen Kampf mit taufend wilden Beftien
beftanden haben, fo ftebt uns ein neuer mit nod fchlimmeren
bevor! Hieraus entnimm denn, mein Rind, wie wenig ädht
das Gold ift, das deine Bliever umhüllt!- So ſprach Der
Graciofo mit gemeffenem Ton, und die junge Schöne wech⸗
felte ihr Antlig nicht, vielmehr Flatfchte fie ihm mit ber übe
rigen Schaufpielerverfammlung Beifall zu; als aber der Ap⸗
plaus verhallt war, fprad fie mit rebfeliger Zunge: „Herr
Pater, ih weiß wohl, daß Ihr mid) in guter Abficht von
diefem Pfade ablenken wollt; aber ich bin geharnifcht gegen
alle Mühfal und vertraue auf meinen Liebreiz, der mir in
meiner blühenden Jugend Ruhm eintragen und für fpäter
eine glänzende Zufluchtsftätte bereiten foll, wenn es mir ges
língt, mir einen Grafen zum Lebensgefährten zu fapern. Mein
Geſicht — febt ber, es ift nicht gefchminft — verfpridht mir
einen guten Ertrag, und das gefchicdte Saínete meiner Füße
ift der ficherfte Liebespfeil; wenn ich aber erft die Eaftagnets
ten zu filagen anfange, fo werde ich Stoff zu taufend Nos
vellen geben, und felbft ein Karthäufer wird mir nicht wider⸗
— 433 —
fteben. Boblan denn, meine Prinzeffinnen, da mid) das Schick⸗
fal zu Eurer Genoffin macht, fo gebt mir fogleich meine Rolle;
ich fann den Augenblid des Auftretens nicht erwarten! Sos
bald fid) mir die Schranfen öffnen, will ich das Theater zu
einem Rampfplag machen, in welchen mir Feine Seele unge.
troffen bleiben fol; und Euere Bühne foll Dinge frhauen, wie
mon fie bis auf den heutigen Tag von Thule bis nach Baftra
noch nicht erlebt hat. Man fordere, was und wen man fehen
wolle, ich bin bereit, Alles, was irgend verlangt werben Tann,
in glänzender Sprade, Handlung und Oeberbe zu zeigen!
. Den Meder, den Perfer, den Macedonier und den Gothen
findet man auf ver Bühne in befferer Geftalt, alg in ber
Geſchichte; fie drängt in nicht einmal vier volle Stuns
ven Begebenheiten zujammen, welche fonft lange Annalen
füllen, und die Paufen ber Hebe werben noch von fonoren
Harmonien erfüllt, welche bem Winde Wohllaut leihen. Bas
alfo willft du, böswilliger Tadler, der du did) von fo vielem
Entzüden abwendeſt? Sei überzeugt, wenn id als SInfantin
geboren und nachher Schaufpielerin geworden wäre, 1d) würde
glauben, meinen Stand gebeffert zu haben! Wie aber kann
man erft an Ordensregel und Nonnenfchleier Gefallen finden!
Dort ift man immer von Spähern umgeben, unb bas Sprach’
gitter läßt nicht die Eleinfte Aeußerung von Luft durchſchlüpfen;
hier aber, ihr Blumen, fteht ihr im freien, und beftánbiger
Thau ſchmückt euch mit frifchem Grim. Dies überlegend, ente
ſchloß ich mich, meinen Wohnort zu verändern und die Wüfte
mit dem frifehen Duell zu vertaufchen. Zwar weiß ich wohl, daß
bies nicht der Weg zu dem Ziele ift, nad) bem wir fireben follen,
daf er vielmehr zum Abgrunde führt: aber, Freundinnen, fo
lange wir jung find, laßt uns lieben und leben; fpäter mag der
Himmel es fügen, dafi wir dasfelbe werden, was bie Baltafara.*
eich. d, Lit. in Spanien, M1. Bo. 23
— 44 —
Hiermit endigte Menguilla ihr Geſchwaͤtz, und die ganze Bande
ftaunte erfreut und verwundert ihre Nede an; dann drängten
fih Alle im Kreife um fie ber unb riefen fie zu ihrer Köni⸗
gin aus; vier Männer erhoben fie auf ihren Schultern und
ftelíten fie unter Muftf und Gefang auf einen hohen Schranf;
der Director der Truppe aber fprad), wie folgt: „Welcher
Glücksfall, ihr Freunde, den ich mit meiner Beredtſamkeit nicht
genugfam preifen fann! Sn fo zarten Jahren fo viel Berftand,
und bei fo reifem Urtbeil fo grofie Schönheit! Eurer Ehre
bin ich es fopuldig, daß ich dies Mädchen in Eure Mitte aufs
nehme. Hunderttaufend Dinge fónnen wir mit ihr anfangen.
Als Schaufpielerin kann fie agiren, und als Tänzerin, bie
Daumen mit Caftagnetten bewaffnet, fid) in Millionen Wir:
bein drehen; das wird die Theaterbefucher entzüden und bes
ftimmen, nachher zu Taufenden wiederzufommen, und fo ter:
den wir unfere Caffen füllen. a, ich bin ficher, daß unfere
Kleine mit der Stimme, mit den Süßen und mit ven Ges
berden Siege davontragen wird; dafür liefert ſchon die Probe,
die fie ung heute gab, einen glänzenden Beweis, Wohlan denn, .
Freunde, gebt ihr zu thun, daß fie mit Worten und Tánzen
alle Schaufpielerinnen befiege. Für's Erfte fcheint es mir jegt
am angemeffenften, daß wir, bevor wir die Rejidenz betreten,
einen Durchzug durch das Königreich halten und die Stüde,
welche unfere Kleine einftudirt, in den geringeren Ortfchaften
aufführen; von dort aus wird dann ihr Ruhm fich weiter
und weiter verbreiten, wie eine Blaſe, die unter dem Hauche
der Rinder anfchmwillt, und fo werden wir endlich, wenn Alles
nad Wunfd ausfällt, Gott den gelobten Danf abftatten und
der Welt ein Schnippchen fchlagen, weil wir ihr bas Befte
entführt haben.” "
Mande ergögliche Züge aus ber fpanifchen Hiftrionen
— 435 —
welt ließen ſich noch aus den Load und Zwilchenfpielen bes
fehon genannten Benavente fammeln. Sn einer Loa biefes
Dichters z. B. läßt der Schaufpieldireftor Roque de Figueroa
alle Mitglieder feiner Gefellfchaft nad) einander aufmarſchiren,
indem er ein jedes beſonders charafterifirt; am Schluffe müfs
fen auch der Souffleur , der GarderobesAuffeher, der Eaffen-
einnehmer und die Theaterbedienten ericheinen, und enplich
werden gar die Koffer und Kleider der ſämmtlichen Hiftrionen
bervorgeholt, um dem Publifum ihre Reverenz zu machen. Sn
einer anderen findet ſich folgende Anrede an die Zuhörerfchaft:
„Senat, Auditorium, Hörer, Amphitheater, Coliſeum, Balane,
Damen, Dienſtmädchen, Vornehme, Edle, Plebejer, Hauben,
Kappen, Kaputzen, Musteten, nicht Musketiere, euch Alle bitten
wir um Berzeihung *?!) lu Gn einer dritten fagt ein ¿aghafter
Schaufpieler: „Ad! ich fterbe, meine Herren, denn ich fepe
Bifionen, fehe fchon die Musfetiere, wie fie die Pfeifen an
die Zungenfpite fepen ???),-
Viele der Schaufpieler aus ber Zeit des Lope de Vega,
bie fchon im vorigen Bande genannt worden find, lebten nod)
bis fo tief in bas fiebzehnte Sahrhundert hinein, daß fie auch
131) Senado, Auditorio, Oyentes ,
Amfiteatro, Colisco,
Galanes, damas, fregonas,
llustres, nobles, plebeyos ,
Tocas, Gorras, Caperuzas,
Mosquetes, no mosqueteros,
Todos pedimos perdon.
137, Ay que me muero, señores
Porque veo ya visiones,
Veo á los Mosqueteros,
Que en el pico de la lengua
Tienen ya los silvos puestos,
28 *
— 436 —
noch in ben Dramen bes Calderon und feiner Zeitgenoffen
auftreten fonnten. Den früher verzeichneten Namen fónnte
nun noch eine beträchtliche Lifte von folchen hinzugefügt wer-
den, welche vorzugsweiſe oder ausfchließlich der Zeit Philipp's IV.
und Karl's Tl. angehören; aber nur von den wenigften diefer
Schauſpieler und Schaufpielerinnen find uns irgend erhebliche
Nachrichten aufbewahrt worden, und das bloße Aufzáblen von
Namen ermübdet; wir beichränfen ung daher im Folgenden
auf Hervorhebung der allerberühmteften.
‚ Sebaftian de Prado, eben fo wegen feines vortreff-
lihen Spiel und feiner Körperfchönpeit auf den Brettern
gerne gefeben, al8 auch wegen der Eleganz feiner Sitten und
wegen feines edlen Charakters im Privatleben geachtet. Sein
Rollenfady war das der Galane oder erften Liebhaber, und in
dieſem fland er dem Alonfo de DImedo (dem Sohne des
ſchon im vorigen Bande genannten Olmedo) alg Nebenbuhler
gegenüber. Jm Sabre 1659 ging er mit Ludwig’ XIV. Ges
mahlin Daría Terefa, der Tochter Philipp’s IV., als An⸗
führer eine Comödtantentruppe nad Paris und gab dafelbft
längere Zeit hindurch Vorftellungen. Mit reihlicher Ernte von
Geld und Beifall nad Spanien zurüdgefehrt und auch hier
wieder mit Enthuflasmus begrüfit, faßte er doch ben Ent:
ſchluß, den Schauplag feiner Triumpbe zu verlaffen, und wurde
im Jahr 1675 Mönch in einem Madriver Klofter. Auf einer
Reife nad) Rom, die er in Gefchäften feines Ordens unter:
nahm, ftarb er zu Livorno 1685.
Maria Calderon, die -berühintefte, durch ihre Ver⸗
bindung mit bem Könige felbft in ber politifchen Gefchichte
Spaniens eine Rolle fpielende Actrice aus ber Zeit Philipp's
IV. Es unterliegt feinem Zweifel, daß diefer Zürft ein Liebes⸗
verhältniß mit der fchönen, von vielen Berehrern umſchwärm⸗
— 4 —
ten Maria unterhalten Bat; tn einem Spottverfe, ben bie
Gräfin d'Aunoy mittheilt, heißt es fehr bitter:
Un Fraile y una Corona,
Un Duque y un Cartelista
Anduvieron en la lista
De la bella Calderona.
Ein Sprößling diefer föniglichen Liebe war ber befannte, feis
nem älteren Namensverwandten fo unähnliche, Don Juan von
Defterreich, der fid) nach dem Tode feines Vaters in den Pas
laft-3ntriguen zwifchen der Königin Mutter, dem Pater Netos
hart, bem Admiral von Caftilien und. anderen Großen fo bes
merflih madte. Maria Calderon trat bald nach der Geburt
diefes Sohnes (1629), um bie Febltritte ihres früheren Lebens
gut zu machen, in ein Nonnenflofter, welchem fie fpäter, all
gemein geachtet, alg Aebtiffin vorftand.
Barbara Coronel, gewöhnlih „die Amazonew ges
nannt, weil fie, unzufrieden mit der Schwäcdhlichfeit ihres
Geſchlechts, faft Immer Männerfleidung trug und felten ans
vers, alg zu Pferde gefehen wurde. Beſonders zeichnete fie ſich
in folhen Rollen aus, welche ihrem wilden und mannbaften
Charafter zufagten. Sie ftarb 1691, nicht ohne den Verdadt
mit in's Grab zu nehmen, daß fie ihren Mann vergiftet habe.
Srancisca Bezon, cine der gefelertfien Künftferin-
nen, welche je die fpanifchen Bretter betreten haben. Sie hieß
mit wahrem Namen nicht Bezon, fondern war, nach dem
Ehroniften der mehrgenannten Brüderſchaft, „die Tochter eines
der berühmteften und ebelften unter den Dichtern, welche zur
Zeit Philipps IV. die Theater mit Comödien verfahen 93), «
und wurde im Geheimen von Juan Bezon, einem Schaus
122) Dielleicht des Calderon?
— 4338 —
fpieler in ber Gefeflfchaft des Epriftoval de Avendaño, erzo-
gen. Früh betrat fie die Bretter, und ſchon in fehr jungen
Sahren galt fie in ben Rollen ber erften Mebhaberin für un-
übertrefflih. Später ging fie mit der Truppe des Sebaftían
de Prado nach Frankre ich und fplelte dafelbft etlf Jahre Tang
- unter allgemeinem Beifall.
Den folgenden Namen der gepriefenften und am häufigften
genannten Comödianten und Comödiantinnen aus der Zeit Phi⸗
lipp's IV. und Karl's IL fónnen wir theils gar Feine, theilg nur
wenige flüchtige Notizen hinzufügen; Vellicer, aus dem wir
mit Hinzuziehung ber Zwifchenfpiele von Benavente fchöpfen,
theilt zwar allerhand über biefelben mit, aber faum irgend
Etwas, was von befonderem Intereffe wäre.
Lorenzo Hurtado, nod einer von den Gründern
der im vorigen Bande fo oft erwähnten Cofradie de Nue-
stra Señora de la Novena, ber aber die übrigen Stifter
diefer Briiderfchaft' um ein Langes überlebt zu haben ſcheint
und auf dem Buen=NHetiros Theater eine bedeutende Rolle
fpielte. — Anna, Feliciana und Micaela de Andrade,
drei al8 Sängerinnen und Schaufpielerinnen berühmte Schwe⸗
ftern, denen von tiren Verehrern der Beiname Der drei Gra⸗
¿len gegeben wurde. — Vicente Domingo, ein beliebter
Graciofo. Bon ihm erzählt man folgende Anefoote. Er’ hatte
früher al8 Trompeter in dem fpanifchen Heere gedient und
behielt die Liebe zu diefem Inftrumente bet; ald er nun einſt
mit einer Hiftrionentruppe das Land durchzog, gewahrte er
in der Ferne eine Räuberfchaar, forderte feine Begleiter auf,
fih mit fammt ihren Pferden und Maulthieren in Reihe und
Glied zu ftellen, und ſtieß auf militairifche Art in die Trompete;
dies erfchredte denn die Banditen dergeftalt, daß fte die Flucht
ergriffen. — Die Brüder Torrella, welche fid fo ähnlich
— 439 —
faben, daß man fie faum von einander unterfchefden fonnte,
und durd) biefen Umftand das Publifum befonders bei ber
Ausführung ber Rollen des Briiderpaars in Lope's Palacio
confuso ergógten. Sie fpielten in ber Truppe des im vorigen
Bande genannten Roque de Figueroa. — Bartolomé Ros
mero. — Dierez. — Franci8co Lopez. — Pebro A8s
canto. — Antonto de Prado. — Anna de Barrios,
eine geborene Neapolitanerin. — Clara Camado, eine
Balencianerin, von welcher erzählt wird, fie fet bei der Darftels
lung eines Auto plöglih fo von Andacht ergriffen worden,
daß fie befchloffen habe, der Welt zu entfagen. — Antonia
Infante. — Eufrafia Maria de Reyna. — Joſefa
Morales. — Ines Gallo. — Manuela de Acuña.
— Manuela Escamilla, aus einer Familie, welche meh-
rere ausgezeichnete Schaufpieler und Schaufpielerinnen her⸗
vorgebradht hat. — Marta de los Reyes. — Martana
Romero. — Micaela Fernandez.
Nod) haben wir Einiges über den Einfluß bes fpants
ſchen Theaters auf die Bühnen des übrigen Europa zu fagen.
Diefer Einfluß gab fid gegen die Mitte und von da abwärts
bis an das Ende des fiebzebnten Jahrhunderts in nod) viel
größerer Ausdehnung und Stärfe fund, alg während der im
vorigen Bande unferer Gefchichte behandelten Periode; wir
wollen uns jedoch nicht fireng an die Grängen des vorliegen-
den Zeitabfchnittes binden, fonbern ſowohl Einiges, was bie-
her übergangen wurde, nachholen, alg auch jogleich tn bas
achtzehnte Jahrhundert mit hinübergretfen.
Hören wir zunächſt, toas der mit dem Theaterweſen von
ganz Europa fo genau befannte Riccobont ſchon vor mehr als
- — — — —
— 440 —
hundert Jahren über dieſen Gegenſtand ſagte: „Das ſpaniſche
Theater beſitzt eine unzählbare Menge von IntriguenStücken,
aus denen die Dichter aller Nationen als aus unverfiegbaren
Duellen fchöpfen fónnen. Die fpanifchen Dramen, welche durd)
den Abel der darin vorfommenden Perfonen oder durch die
Art der Verwidelung und Handlung einer höheren Gattung
angehören, fünnen alg Mufter. der Tragícomobie und Tragós
die bienen, und Staliener wie Franzofen” haben fie fehr bes
nugt. Die fpanifche Bühne hat daher trog ihrer Regellofigs
feit den Ruhm, fowohl durd die Originalität ihrer Ideen,
alg burd) bie erftaunliche Anzahl und Mannichfaltigfeit der
Süfets, welche ihr ausſchließlich angehören, die große Lehre
rin aller Dichter und das große Mufter aller Theater von
Europa gewefen zu fein. — Schon aus den Nachahmungen
der fpanifchen Stüde erfennt man Teicht, wie eigenthümlich
die Ideen in ihnen find und mit welcher Leichtigkeit Die fpas
nischen Dichter Ihre Sújets erfinden. (ES iſt fehr felten, daß
man unter der großen Zahl ihrer Comödien eine findet, deren
Idee andersiwoher genommen wäre; im Gegentheil haben die
Spanter alle Dichter von Europa mit ihren Erfindungen vers
feben 134) 4
Der Geſchmack an ſpaniſchen Schaufpfelen ward in Stas
Hen fójon gegen den Ausgang des fechszehnten Jahrhunderts
febr herrſchend. „Anfänglid — fagt Salfi — wurben bie
fpantíchen Comödien vornämlich in ben italienifchen Provins
zen geipielt, in welchen Spanten politifch wie Titerarifch Des
fege gab; aber allnälig verfchaffte ihnen die Langeweile ber
Staliener an dem Hergebrachten und die Sucht nad) bem
3) Riccoboni, Réflexions sur les divers théatres de l'Enrope-
pag. 65 et 58.
— — — — _
— 3441 —
Neuen ein breiteres Terrain, und fie begannen, dad romans
tifche Spftem auf den Ruinen bes claffifchen aufzupflanzen.
Um das Ende des fechszehnten Jahrhunderts erfchienen mit
glücklichem Erfolg: La Donna Costante und L’amante fu-
rioso von Naffaele Borghini, L’Erofilomachia, La pri-
gione d’Amore und Imorti vivi!°®) yon Sforza d'Odi, fo
wie nod) andere ähnliche Stüde. Sn biefen Comödien fah
man bald ein verzweifelndes Mädchen, das ſich Ichendig bes
graben láfit, um einer verhaßten Heirath zu entgehen, bald
einen unglüdlichen Liebhaber, der fich ald Dieb zum Galgen
führen läßt, weil er fein anderes Mittel weiß, um die Ehre
feiner Dame zu retten 19%). Sm fiebzehnten Sahrhundert
nahm diefe Richtung des Geſchmacks immer mehr überhand,
und flatt regelmäßiger Tragödien und Comödien fah man in
Italien nur nod) die Azioni, welche gewöhnlich reali, reali
comiche oder tragiche-comiche genannt wurden und fámmts
lid) knechtiſche Ueberfegungen over übertriebene Nachahmungen
ſpaniſcher Schaufpiele waren 7).“
Gehen wir zu dem uns hier zunächft befchäftigenden Zeit:
raume fort, fo könnten wir cine beträchtliche Lifte von italie-
niſchen Dramen liefern, weldhe den Caſtilianiſchen Urfprung
deutlich und unzweifelhaft verrathen; wir begnügen uns jedoch
mit folgenden Anführungen. Die zwifchen 1652 und 1672
erichtenenen Comödien des Neapolitaners Gtambattifta Pasca :
Il Cavalier trascurato, La Taciturnitá loquace, Il Figlio
della battaglia (nad) dem Hijo de las Batallas von as”
cinto Gorbero), La falsa accusa data alla Duchessa di
235) Nad Lope's Muertos vivos.
226) Dies fpielt vermuthlich auf eine Nachahmung von Montalvan’s
No hay vida como la honra an.
2125 Salfı, Saggio Storico critico della Commedia italiana.
— 42 —
Sassonia (nad Guevara? Camplir dos obligaciones) find
ſämmtlich Nachahmungen fpanifcher Originale; ebenfo bie
gleichzeitigen Schaufpiele von Raffaele Tayro: Le ingelosite
speranze, La Contessa di Barcellona (wohl nad More
t0’8 Desden con el desden), Fingere per vincere, Isa-
bella o la Donna piú costante, La falsa Astrologia (mad)
Calderons Astrologo fingido). Lionardo de Lionardi$ gab
1674 feinen Finto Incanto nad) dem Encanto sin encanto
- des Calderon's. Der Ranonifus Carlo Celano (geb. zu Neapel
1617 und geftorben 1693 (lteferte verſchiedene Bearbeitungen
fpanifeper Comödien, wie: L’ardito Vergognoso, L’Infanta
villana, Chi tutto vuol tutto perde (wohl nad Lope?s
Quien todo lo quiere), La Forza del sangue (vermuthlich
nad) Guillen de Gaftro), La Zingaretta de Madrid (nad)
Montalvan oder Solí8), Proteggere Plnimico (nad Solis),
11 Consigliere del suo male. Angela d'Orſo's Con chi
vengo, vengo (Ferrara und Bologna 1669) tft eine Úcbers
fegung von Calderon's Con quien vengo vengo, und Wu»
felbe Stüd tft außerdem noch unter demfelben Titel von Mis
dele della Marra (Napoli 1665) für die italieniſche Bühne
bearbeitet. worden. Gleichfalls Ueberfegungen oder NRachahmun-
gen ſpaniſcher Originale find die Mehrzahl der Schaufpiele
bes Tosfaners Pifani, des Neapolitaners Ignazio Capaccio,
des Eatanefen Pietro Eapaccio, des Amalfitaners Tommafo
Saffl, des Onofrio di Caſtro und des Andrea Perrucci. Der
Letztere úberfegte ihm Sabre 1678 den Burlador de Sevilla
von Tirfo de Molina, ein Stüd, das übrigens ſchon früher
in Stalien befannt gewefen fein muß, da es nah Riccobont
(Hist. du theatre italien I. 85) zuerſt durch italienifche
Scaufpieler nad Parts gebracht worden ift. Auch die im
provifirenden Hiftrionen der Commedia del arte bemädhtig-
— 443 —
ten ſich der ſpaniſchen Schauſpielſtoffe und ſetzten ſie nach
ihrer Weiſe in die Scene, fo daß, nad) Signorelli, ver Graf
von Saldafa und Bernardo de Carpio zwiſchen Arlecchin
und Pantalon fígurirten*??). Dieſe Vorliebe für die Erfin⸗
dungen der Spanter 309 fic in Stalien bis in's achtzehnte
Jahrhundert hinüber, und nod) 1740 fügte ber mit ver Büh⸗
nenliteratur feines Landes fehr vertraute Riccoboni : „Seit
Hundert und breißig Jahren find die Dramatifchen Werfe der
Staliener faft nichts als Ueberfegungen ſpaniſcher Schaufpiele.
Der Geſchmack an dem fpanifhen Theater, welches allerdings
feine großen Vorzüge hat, iſt in Stalien biS zum äußerften
Grade der Ertravaganz getrieben worden, und die Menge ber
italieniſchen Schaufptele diefer Gattung tft unzählbar!?”).” Oft
gingen fpanifche Stüde durch Vermittelung bes italieniſchen
Theaters in Paris auf die franzöftfche Bühne über; ſo Cal⸗
deron’d „Leben ein Tramm”, das zuerft 1717 in einer Profas
Ueberfegung von den Stalienern gefpielt, dann von Gueulette
22 Sranzöfifche überfegt und 1732 von Boiffy in Aleran=
Drinern verfificirt wurde 9, Der Alcalde de Zalamea
wurde zur italieniſchen Oper verarbeitet un, die Casa con
dos puertas al8 Impromptú auf die Parife. * italienifche
Bühne gebracht +. Später drängten bie Luftfpiele „hlari’8
und Goldon?’s die fpanifchen Comödien in den Hintergrund ;
aber der größte bramatifche Dichter, den Italien je hervor⸗
gebracht, Carlo Gozzi, wußte die ſchon fo vielfach ausgebeu-
135 Signorelli, Storia critica de’teatri, Napoli 1813, Tom.
Vi. pag. 344 ff.
139) Riccoboni, Réflexions historiques sur les divers théatres
de l'Europe, pag. 20 unb 59. |
40) Riecoboni, Histoire du Theatre italien, T. UL p. 507.
142) id. Réflexions etc., pag. 64.
— 44 —
tete Fundgrube von nenem und nicht ohne Glück zu benuten;
feine Due notte affanose find nad) Galberon'8 Gustos y
disgustos son no mas que imaginacion; feín Pubblico
secreto und fein Eco e Narcisso geben ſich ſchon burd) den
Titel als Nachahmungen von Stüden beffelben Dichters Fund;
feine Principessa filosofa ift nad Moreto’d Desden con
el desden; auch von Tirſo's Zelos con zelos se curan
gab er eine Bearbeitung.
Waren fon Lope de Vega und beffen Zeitgenoffen in Franf-
reich ſehr ftarf benugt worben, fo war der Gebrauch, ben man das
felbft von Calderon und den Späteren machte, Doch nod) viel aus⸗
gedebnter. Die mehrften der Dichter, die fich auf dieſe Art jenfeits
der Pyrenáen zu bereichern wußten, find fehon Im vorigen Banbe
genannt worden; aber nod) viele Andere fchloffen fich an biefe an,
und man fann ohne Uebertreíbung behaupten, daß nur wenige
franzöfifhe Dramatifer des fiebzehnten Jahrhunderts fein
möchten, die nicht aus jener Duelle gefchöpft hätten. Man
hat gefagt, Ragine habe, ber einzige unter den älteren Schaus
fpieldichtern Frankreichs, die Spanier gar nicht gefannt, wenige
ftens gewiß feinen Einfluß von ihnen erfahren. Wir vermögen
das Gegentheil, daß er unmittelbar aus bem Spanifchen ges
fhöpft habe, nicht zu beweifen; allein es tft gewiß, daß er
den Rotrou flarf benugt und die Motive zu ganzen Scenen
aus ihm genommen bat; da mun Rotrou's Dramen faft ſämmt⸗
ih Bearbeitungen fpanifcher Stüde find, fo wird Ragçine
hierdurch, wenigſtens mittelbar, den Spantern gleichfalls vers
pflichtet'**). — In Bezug auf unferen Gegenftand im Allge-
7), Da es hier nicht ber Ort if, durch Analyfe ganzer Scenen zu
zeigen, in wie ausgebehntem Maaße Rotrvu bem Ragine zum Borbilbe
gedient bat (f. Darüber Raynouard im Journal des Savans, 1823), fo
mögen nur folgende einzelne Verfe, Die ber fpätere Dichter entiveder als
— 45 —
meinen faffen wir den fonft für feine Nation fo fehr einges
nommenen Linguet reden. „Die Sranzofen — fagt er — vers
danfen den Spantern hundertmal mehr, ald allen andern Euros
Reminifcenzen oder abfihtlich von bem früheren aufgenommen hat, unfere
Behauptung im Allgemeinen bewahrheiten:
Rotrou: On ne repasse point le noir fleuve des morts.
(L’heureux naufrage, acte Il, sc. 5.)
Racine: On ne voit point deux fois le rivage des morts
(Phédre, acte II, sc. 5.)
Rotrou: D'éternel entretien á la race future.
(L'innocente, infidélité, acte V., sc, 8.)
Ragine: L'éternel entretien des siécles á venir.
(Iphigénie, acte I, sc. 5.)
Rotrou: Heureux qui satisfait d'une basse fortune.
(Crisante, acte Il, sc. 1.)
- Raqine: Heureux qui satisfait de son humble fortune.
(Iphigénie, acte Il, sc. 1.)
Rotrou: Sait trouver .. . . le chemin de ton coeur.
(Agésilas de Colcos, acte V, sc. 8,)
Racine: Aricie a trouvé le chemin de son coeur.
(Phédre, acte IV, sc. 6.)
Rotrou: Et vous pouvez avoir des passe-temps plus doux.
(Célie, acte HL sc. 4.)
Racine: Eh quoi! n'avez-vous pas des passe-temps plus doux?
(Athalie, acte II, sc. 7.)
Rotrou: S'il vous souvient pourtant que je suis la premiere
Qui vous ait appel& de ce doux nom de pére.
(Iphigenie, acte IV, sc, 4.)
Racine: Fille d’Agamemnon, c'est moi que la premiere,
Seigneur, vous appelai de ce doux nom de pere.
(Iphigénie, acte IV, sc, 4.)
Rotrou: C'est étre criminel que d'étre soupconné.
(Bélisaire, acte V, sc. 6.)
Racine: Des qu'on leur est suspect on n'est plus innocent.
(Athalie, acte ll, sc. 5)
Viertes Bud,
Verfall des fpanifchen Theaters im achtzehnten Iahr-
hundert. Einbrehen und Herrſchaft des franzöfifchen
Geſchmacks. Menefte Beſtrebungen.
Der ganzen Anlage dieſes Werfes nach fol ble Gefchichte
bes Berfall8 der dramatifchen Literatur und Kunſt in Spanien
bier mehr nur ffigzirt, al8 ausführlich erzählt werden; denn
nur auf bem merbenden und waſſerreich in feinen Ufern ein
berraufchenden, nicht auf bem verfiegenden Strome Tann der
Dlid mit Freude ruhen. Was bie neueren Beftrebungen, dem
Nationaltheater wieder zu Glanz und Anfepen zu verhelfen,
betrifft, fo “tft bie Zeit zu einem abfchliegenden Endurtheil
über diefe noch nicht gefommen, und wir müffen uns mit eini⸗
gen Andeutungen begnügen.
ES ift Schon gefagt worben, daß der Zeitpunkt, mit wels
Hem der Verfall der ſpaniſchen Bühne beginnt, ſich nicht mit
chronologiſcher Genauigkeit beftimmen läßt und nur im Als
gemeinen in die legten Sabre der Regierung Karl's II. vers
fegt werben fann. — Sn ben zwei Sahrhunderten, ‚welche
zwiſchen der Thronbefteigung Ferdinand's und ber Sfabelle
und der des Tegten Monarchen aus dem öfterreichifchen Haufe
liegen, hatte bie ſpaniſche Nation ihre Periode ver Unabhän-
gigfeit, des Ruhms und der Iiterarifchen Größe durchlebt;
bie Spannfraft des Geiftes, mit weldyer das Volf lange der
ſeit Philipp II. eingeriffenen Willfür und Tyrannei der Nes
gierung ein Gegengewicht gehalten hatte, begann nun zu ers
lahmen, und ihre Erfhöpfung mußte in der Literatur einen
Abruf finden. Die Gefühle, welche die Duelle der vorzüg⸗
— 460 —
lichſten und eigenthümlichften Schönheiten ber caftilianifchen
Poefie gerefen waren, der Delft des Ritterthums, bie Gluth
der romantifchen Liebe, der Enthufiasmus für den Ruhm bes
Baterlandes, für ven Glauben und die Ehre erfhöpften fi
alímáblig, und wie ber belebende Funte erlofch, blieb bie
früher jugendfriſche Deftalt nur noch eine Ruine ihrer felbft.
Das berühmte Teftament Karl’s IL, welches einen frans
zöftichen Prinzen auf ben fpanifchen Thron berief, befiegelte
gleihfam die Todesalte der ſpaniſchen Nationalbühne; erſtlich
indem es durch feine nächfte Folge, ben zwölfjährigen Suc:
ceffionsfricg, dem Fortgebeihen ber Bühne unmittelbar und
von außen ber hinderlich war, dann indem es im Gefolge
der franzöftfchen Dynaſtie eine Fluth von neuen, dem fpanis
fhen Charakter gänzlich fremden been und in deren Gefolge
die verkehrten und proſaiſchen Kunftanfichten der Boileaufchen
Schule über die Pyrenien brachte. Man fann vielleicht eins
wenden, die fpantfche Poeſie habe ihre Bahn befchloffen ges
habt, innerhalb des einmal gezogenen Kreifes fei feine weitere
Varlation mehr móglid geweſen und bas in Sethargte ver⸗
funtene Bolf würde auch ofne das Hinzutreten jener ungüns
ftigen Umftände außer Stande gewefen fein, eine neue Schöp-
fung aus fi zu erzeugen. Wir geben die Nichtigfeit dieſes
Einwandes zu; aber wenn das volksthümliche Drama fchon
an fic) nur nod) als ſchwaches Flämmchen mit immer mattes
rem Schein glänzte, mußte es nicht unter dem Tumult Der
Waffen und dann in der Zugluft einer frembartigen Civili⸗
fation völlig erlöfhen? Ganz befonders fommt hier nod) ein
anderer Punkt, der wohl erwogen fein will, in Betracht. Ein
unſchaͤtzbarer Vorzug für die älteren Dichter war es gervefen
(und ohne ihn hätte fi) die dramatiſche Poefle nie zu jener
Höhe erheben können), daß fie eine Nation vor ſich hatten,
— 461 —
in welcher das Vol! und die höheren Stände im Wefentlichen
der Anfichten und des Charakters, des Geiftes und der Sitte
übereinftimmten, und in welcher daher Fein Zwieſpalt des Des
ſchmackes entftehen, feine Berüdfichtigung von entgegengefegten
Anfprichen erfordert werben fonnte. AIS nun dies aufhörte,
als eine neue und fremde Bildung in die oberen Cfaffen ber
Geſellſchaft eindrang, mußte bie eigentliche Nationalpoefie auf
der Bühne erlöfchen; die gebildeten oder ſich für gebilbet
haltenden Dichter wandten fid) vornehm ab von dem Bole,
biefes aber ward von handwerksmäßigen Poeten mit rohen
Schauſtücken unterhalten, und fo traten an die Stelle der früs
heren wahrhaft volksthümlichen Dichtung eine gelehrte und
eine populäre, welche beide nichts taugten.
Nach den Oefegen der Stetigfeit, welche alles Irdiſche
regieren, fonnte der Berfall der Literatur und Bühne nicht
plóglid und auf einmal, wie die hereinbrechende Nacht, eins
treten. Die alten Nationaldidhter waren bem Volfe zu theuer
geworden, als daß es diefelben fo bald hätte vergeffen- fónnen;
die Schaufpiele des Calderon und der anderen Meifter ter
jimgft vergangenen Zeit blieben auf dem Repertoire und auch
in den Werfen einiger jüngeren Dichter, Die ſich von bem eins
mal in Bewegung begriffenen Strome forttragen ließen, ers
hielt ſich noch ein Schwacher Wiverfchein des alten Glanzes.
Ebenfo bedurfte es ber Zeit, bis fid ber franzöſiſche Ges
ſchmack unter einer, bis dahin fo ganz anderen Richtungen
zugethanen, Nation Bahn zu brechen vermochte. Die been,
bie Politif, die Sitten der nordifchen Nachbaren fanden zu⸗
nächſt nur am Hofe und bei den in unmittelbarer Berührung
mit demfelben ftehenden Perfonen Eingang, und erft von bier
aus drang der neue Geift nach und nad in andere Schichten
der Gefellfchaft ein. So entftanden zwei Parteien in Spanien,
— 4602 —
deren eine auf Reform bes alten Gefchmade im Sinne ber
nüchternen Eleganz und verfländigen Reflerion drang, die ans
dere dagegen von feiner Neuerung wiffen wollte und flarr an
der alten Trabition fefthielt. Diefer Kampf zieht fid) durch
das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch und zeigt fidh in
zwei verſchiedenen Phaſen; in ber erſten Hälfte des Jahr⸗
hunderts behielt die Nationalpartei die Oberhand, in der zwei⸗
ten neigte ſich der Sieg mehr und mehr auf die Seite der
Galliciſten.
An die Darſtellung dieſer entgegengeſetzten Beſtrebungen
haben wir die Geſchichte des ſpaniſchen Theaters im achtzehn⸗
ten Jahrhundert anzuknüpfen; zunächſt aber mag es den rich⸗
tigen Blid in das Folgende fördern, wenn gleich hier zwei,
biftorifch nicht unmichtige, Bemerkungen vortveggenommen
werben. Erftlich drängt es ſich dem Beobachter bei dieſem
Theile unferes Vorwurfes auf, daß die Rritif der Franzofen
mit der Production, die in ihrem Dienfte fland, in Spanien
gar nicht hätte zu Einfluß fommen fönnen, wenn nicht bie
Nationalfraft gebrochen und der romantifche Geift mit bem
poetifchen Gefühle im Erlöfchen gewefen wäre. Hätte Diele
Zeit nod) einen Lope oder Calderon hervorzubringen vermodt,
fo würde ein folder die alte Flamme wieder aus ber Afche
bervorgerufen, der romantifchen Form des Drama’s zu neuen
Siegen verholfen und die ſeichte Kritif zu Boden gefchmettert
haben. Während dagegen das Volk mehr aus Gewohnheit, als
aus inniger Liebe, an den alten Schaufpielformen fefthielt
und mebrenthcil8 nur untergeoronete Talente, vie bloß bie
Mebertreíbungen und Fehlerhaftigfeiten ihrer Vorgänger nad)
ahmten, für die Nationalbühne thätig blieben, wurde den Be:
- ftrebungen der Neuerer in die Hände gearbeitet und ihrem
Tadel in den Augen derer, welche bie entartete Willfür mit
—
— 488 —
ber erlaubten Freiheit verwechſelten, nur zu viel ſcheinbare Rich⸗
tigfett gegeben. Auf biefe Art begünftigte der Verfall die
Neuerung, biefe aber trug wieder dazu bei, jenen reifienber
zu machen.
Ein anderer Vunft, ben wir ferner im Voraus bervor-
heben wollen, ift, daß die Partei, welche in der Kritif den
Ton angab, felbft in ber Zeit ihrer größten Macht nie zur
ausfchließlichen oder nur überwiegenden Herrichaft auf dem
fpanifchen Theater gelangt (ft; fie vermochte nur zu zerrütten,
nicht zu fiegen. Die Schaufptele der alten Meifter, wie fehr
fie aud) von den Krittlern geſchmähr wurben, verſchwanden
doch nie ganz von der Bühne; eine ununterbrochene Reihe
von Darftellungen derfelben zieht fi) von Lope de Vega an
bis auf ben heutigen Tag. Auf der anderen Seite wurden
bis gegen Ende bes fiebzehnten Jahrhunderts nod) fortwährend
neue Dramen gefchrieben und aufgeführt, welche die Form
und Manier der alten wenigftens noch in roben Umriffen bes *
wahrten, wenngleich fie von deren Geift völlig entblößt waren.
Indem nun aber zwei heterogene und unvereínbare Gattungen
von Stüden auf derfelben Bühne gefehen wurden, Rad
ahmımgen und Ueberfegungen von franzöfifchen Trauers und
Luftfpielen neben Comödien im alten fpanifchen Stpl, fo kann
von einem eigentlichen Nationaltheater, als dem Gefammts
ausbrud bes Bolfsgeiftes und Geſchmacks in einer beftimmten
Form, während diefer Periode nicht mehr die Rede fein, wer
nigftens nit von bem Zeitpunfte an, wo jener Zwieſpalt
hervortrat. Aber die Verſchiedenheit der fich auf den fpanifchen
Bretten umbertreibenden Stüde ging allmählig nod viel
weiter und führte in jenes Chaos, das gegenwärtig auf allen
europätichen. herricht und für die Wiedergeburt eines eigen-
thämlihen Drama’d fo wenig Hoffnung läßt.
— 461 —
Wir wenden und von biefen einleitenden Bemerkungen
zur Erzählung deffen, was von ben Schidfalen des ſpaniſchen
Theaters in dieſer fpäteren Zeit am bemerfenswertheflen
ſcheint.
Unter den Dichtern, die in den letzten Jahren von
Karl's II. Regierung und dam bis in das achtzehnte Jahr⸗
hundert hinein für das Theater arbeiteten, nimmt der ſchon
im vorigen Buche beſprochen Bances Candamo die vor⸗
züglichſte Stelle ein. Minder bedeutend ſind die mit ihm
etwa gleichzeitigen Antonio Tellez de Acevedo, Juan
de Vera y Billamel und Mel Hor Fernandez de
Leon?) Die Scaufpiele bes Lebtgenannten werden von
Blas Nafarre (Pról. a las Comedias de Cervantes, pag.
49) febr gepriefen, obgleich fie unferes Bediinfens nichts Aus-
gezeichnetes haben; das berühmtefle darunter ift El Sordo y
el Montañes, ein Figurirſtück, weldes La Huerta, es für
eine ber vorzüglichften Jierben des fpanifchen Theaters auss
gebend, in feine Sammlung aufgenommen hat. Bon Juan de
Bera íft Cuanto cabe en hora y media, ein nidyt úbles
Luftfpiel, in bem bie fogenannte Einheit ber Zeit fo genau
beobachtet wird, daf die Handlung in berfelben Frift ablaufen
muß, wie die Darftellung, und in dem eine auf der Bühne
befindliche Uhr beftändig bie fchon verronnene und die nod)
ferner verftattete Zeit angibt. — Weit Länger, alg die Erwähn-
ten, und noch bi8 gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhun⸗
derts blieben Cañizares und Zamora in Tpätigfeit, zwei
bier mit Adtung zu nennende Männer. Beide hätten wegen
1) Moratin fegt Die Arbeiten diefer Dichter in bem Prolog zu fei-
nen Gumóbien fámmtlid) in das achtzehnte Jahrhundert; aber dies if
irrig, denn mehrere derfelben find ſchon in den fiebziger Jahren bes vor-
hergebenden gedrudt.
— 465 —
ihrer Talente verdient, in ber früheren befferen Bett geboren
zu werben. Da ihnen aber das Schidfal diefen Vorzug nicht
gönnen wollte und da fie trog ſchöner Gaben nicht die felbft-
ftändige Geiftesfraft und den fchöpferifchen Genius befaßen,
um ihr Zeitalter au beherrfchen, fonnten fie ben üblen Ein:
flüffen der verderbten und erfchlafften Periode, in welcher fie
Iebten, nit entgehen. In ihren Comödien behielten fie ben
Nationalftyl bet; aber wenn felbft von den geringeren ber
früheren Dichter meiften® gefagt werben Fonnte, daß fie mit
den großen Meiftern der fpanifchen Bühne aus berfelben Duelle
getrunfen, fo muß man diefe fpäteren Dagegen ſchon entſchieden
al8 Nachahmer bezeichnen. Faſt durchgehende bekundet bet
ihnen eine gewiffe innere Mattigfeit und Lauheit den Mangel
an urfprünglicher Begeifterung; was fie Gutes haben, ift
größtentheild nur ein ſchwacher Wieverhall aus früheren Wer-
fen, und nur ihre Fehler fónnen für ihr volles Eigenthum
gelten. Ganz befonders bildeten fie die Formen des Dra-
mas aus, in denen ſich, wie bereits bemerft wurde, ſchon
während der Blüthenperiode des fpanifchen Theaters ber her:
annahende Verfall angekündigt hatte. Wir meinen hier vor:
námlid) dle Comedias de Figuron, welder Gattung .die
berühmteften Stüde des Cañizares und Zamora angehören.
Schon bei Rojas und Moreto fanden wir die Zerrbilber,
welche das charafteriftiiche Merkmal diefer Stüde ausmachen,
aber bei ihnen wurde doch nod) immer der Abel ber Poeſie
aufrecht erhalten, das Kleinlihe, Engherzige und Verkehrte
wurde im Sinne der ächten komiſchen Dichtung als mit dem
Höheren, mit der unendlichen Freiheit und Bewegung bes
Dufeins im Widerfpruche fichend, aufgefaßtz bei ben bier in
Rede ftehenden Comöpienfchreibern dagegen hat das Fragen:
Hafte ganz das Uebergewicht, wir werden in: eine Welt von
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Bo, 30
— 467 —
Opernſtyls; bie bel weitem größte Zahl lehnt fih durchaus
an das alte Nationaldrama. Alle diefe Werfe zeigen grofie
Gemwandtheit des Talents, eine ungemeine Beherrſchung aller
technifchen Mittel der Darftellung, aber wenig Originalität und
fchöpferifche Kraft. Faft zu jedem der Stüde des Cañizares und zu
allen interefJanten Scenen in denfelben Taffen ſich bei einiger
Kenntniß der früheren Dramatifer die Vorbilder Teicht erfen-
nen, und wir möchten ven Autor in diefer Hinficht mehr einen
Dofatfarbeíter, als einen Dichter nennen. Daß feine geiftlichen
Comddien in hohem Grave ſchwach find, wird Niemand bes
ftreiten wollen; in Santa Gertrudis, San Vicente Ferrer
und anderen finden wir die ganze Zügellofigfeit der früheren
- Stüde diefer Gattung aus ber Zeit des Lope de Vega ohne
auch nur einen Theil ihrer Schönheiten, und man begreift
nicht, wie ein geiftreicher Mann, der doch ben Calderon ges
Iefen hatte, fich einer fo durchgehends grob matertaliftifchen
Auffaffung ber Religion hingeben Fonnte. Einige glüdtichere
Griffe that Cañizares im hiftorifhen Schaufpiel, und man
fann feinen Cuentas del Gran Capitan, feinem Enrique
el Enfermo und feinem Picarillo en España Sntereffe
und Lebenbigfeit ver Darftellung nicht abfprechen; aber nur
fehr wenig von dem, was bie Schönheit diefer Stüde aus:
macht, tft Original. Der meifte Beifall tft feinen Comedias
de figuron zu Theil geworben, und unter diefen namentlich
bem Domine Lucas. Daß fid) hier großes Talent zur komi⸗
fhen Schilderung übertriebener Lächerlichfeiten und Fehler
zeige, kann gar nicht in Abrede geftellt werden; es ift recht
eigentlich ein Stüd zum Todtladhen, und Denen, welche vom
Luſtſpiel nichts weiter verlangen, als eine tüchtige Erfchüttes
rung des Zwerchfells, beſtens zu empfehlen; der höhere Sinn
bleibt aber freilich, felbft bei nur mäßigen Anſprüchen, ohne
30%
— 468 —
alle Befriedigung. Anmuthiger und feiner hat Sañtizares in
De los hechizos de Amor la musica es el mayor zu
fherzen verftanden, und dieſes Luftfptel fcheint und auch durch
die fehr kunſtreich angelegte Berwidelung die befte feiner
Arbeiten zu fein.
Zeitgenoffe des Vorígen und, gleich ihm, während eines
langen Lebens raftlos für die Bühne thätig, war Antonio
de Zamora, Kammerherr in Dienften Philipp's V. Em
erfter Theil feiner Comödien erſchien im Sahre 1722. In ber
Vorrede flagt er über den tiefen Verfall des Theaters feiner
Zeit, und fagt in Bezug auf feine eigenen Beftrebungen: „Es
würde eine Kühnheit fein, wenn ich behaupten wollte, ich hätte
das Vorbild des größten Meifters ber dramatifhen Runft,
unferes berühmten Calderon, nachzuahmen verftanden; aber
fo viel darf ih wohl ausfprechen, daß ich mid) bemüht habe,
demfelben zu folgen.“ Diefes edle Streben drückt fi unver
fennbar in feinen Werfen aus, und daffelbe ward von einer
achtungswerthen Begabung unterftiigt. Zamora arbeitete mit
mehr Ernft und Gewiffenhaftigfeit, alg Cañizares, mit bem
übrigens fein, vorzüglich in ber lebendigen Auffaffung der
Sitten und Charaktere und in ber natürlichen Leichtigkeit des
Styls ausgezeichnetes, Talent große Achnlichfeit hat; feine
Werke find daher in ber inneren Geftaltung und Durchbildung
benen feines Zeitgenoffen mehrentheild überlegen; um aber
mit den Meiftern der früheren Zeit wettelfern zu können,
fehlte ihm die Fülle der Begeifterung, die Tiefe der Seele und
des Gemüthes, aus ber allein die höhere Kunft hervorblüfen
kann; er fonnte fih die mehr äußerlichen Vorzüge von
Calderon's Dichtungen zu eigen maden , nicht aber das,
was ihren innerften Gehalt und eigentlihen Werth aus
macht. Sn Mazariegos y Monsalves, einem auf die Feind
— 469 —
Schaft zweier alten vornehmen Geſchlechter zu Zamora gegrün⸗
deten Stücke, hat er freilich Tüchtigkeit der Erfindung und
ächt poetiſche Behandlungsart gezeigt, aber dies ſcheint uns
ein einzelnes Werk zu ſein, in dem er ſich einmal ungewöhn⸗
Lich hoch erhoben; in der Mehrzahl feiner übrigen Schaufpiele
findet fi) zwar aud) nicht felten eine den Antheil des Lefers
reizende Verwickelung, diefe oder jene intercifante Scene, und
Die gewandte Routine des Autors verläugnet ſich nirgends;
aber fragt man nad) den eigentlichen Motiven, nad) den Tebens
fpendenden Adern der Poefie, fo ftößt man meiftens auf Kälte
und Dürftigfeit. Died Legtere gilt ganz befonders von dem
berühmten Luftfpiel El hechizado por fuerza; daß baffelbe
einen Abend recht angenehm ausfüllen fónne, dag die Intris
gue, wie ein munteres Mädchen ihrem einfältigen Vormund
glauben macht, er fei behert und fid fo feine Einwilligung
in eine von ihm nicht gewünfchte Heirath erliftet, fogar recht
Tuftig fet, mag immerhin ¿ugeftanden werden; allein wer Die
bewunderungswürdige Seinheit, den bezaubernden Duft ber
Poeſie in den Intriguenſtücken des Calderon fennt, der wird
diefem fihon ganz an der Gränze des Profaifchen ftepenben
Stüde, feinem poffenhaften Ton und feiner ſich allzu abſicht⸗
lich vordrängenden Spaßmacherei nicht vielen Geſchmack ab⸗
gewinnen können. — Noch ſei hervorgehoben, daß Zamora
die Geſchichte der Jungfrau von Orleans auf das Theater
gebracht und daß er ben ſteinernen Gaſt bes Tirſo de Mos
lina umgearbeitet hat. Diefe Umarbeitung, welche von vieler
Geſchicklichkeit zeugt, hat fon faft ganz die Geftalt, die wir
aus ber Oper fennen; bie früheren Abenteuer deS Don Juan
in Neapel find darin weggefallen, und Zamora beginnt, wie
der Verfaffer des Operntertes, mit der Ermordung des
Comthurs.
— 410 —
Sm tiefer Inferiorität unter den Lebtgenannten ſtehen
faft allen Diejenigen, welche gleichzeitig mit ihnen während
der erften Hälfte bes achtzehnten Jahrhunderts, die ſpaniſche
Bühne mit neuem Vorrath von Stúden verforgten. Die Schau
fpiele des Eugenio Gerardo Lobo, des Tomas be
Añorbe y Corregel, des Tofé de Neinofo y Quíiñtos
nes und Anderer erinnern nur nod) in den roheften Umriſſen
der äußeren Form an Die Schule Ealderon’s; der Geiſt
ift gänzlich entwichen, und ber Mangel an innerem Gehalt
wird durch gebáufte Xheaterftreiche und Wunder fchlecht vers
det. ES will uns beim Lefen derfelben bediinfen, als wem
die gröbften Materialien aus den fehlechteften Productionen
der früheren Zeit mit eigenen albernen Erfindungen ber nenes
ren Poeten zu einem Brei gefnetet und uns aufgetifcht würs
den. Duelle, Eiferſucht, Kämpfe mit der Zufliz, Hin⸗ und
Hergehen der Perfonen, Liebeserflärungen, Bermummungen,
Schiffbruch, Märtyrthum, Wundererfcheinungen und Abenteuer
aller Art drängen fid) in buntem Wirrwarr ohne Zwed und
Ziel. Bon einer irgend geregelten Compofition findet ſich faft
nirgends eine Spur, und mit pomphaften Aufzügen, Raufes
reten und feltíamen Begebenheiten wechfeln gemeine Bouffo-
nerien und efelhafte Späße in grotester Mifhung ab. Bon
diefer Art ift Reinoſo's El Sol de la fé en Marsella,
ein Stüd, das es fid zur Aufgabe gemacht zu haben fcheint,
in feinen beiden Theilen alle Ausfchweifungen, die je in den
geiftlihen Comödien gefehen worden waren, zu vereinigen;
man fíebt darin bie heilige Magdalena an der franzöfifchen *
Küfte Schiffbruch leiden, trodenen Fußes über die Wellen
dabinfchreiten, hierauf bald am Himmel unter Engeln, bald
auf der Erbe erfcheinen, um bie heidnifchen Gallier zu bete)»
ren, dann durch ihr. bloßes Wort einen Apollotempel zu Boden
— 411 —
fehmettern und ¿ulegt den umgeftürzten Säulen befehlen, fi
wieder aufzurichten; Dies Alles aber wird In einer durchaus
roúften und rohen Weife ohne eine Spur von Phantafte vors
getragen, und bie Sprache, mit allen Fchlern des Gonguries
mus behaftet, jheint oft die eines Befeffenen zu fein. — Nicht
viel günftiger fann man über die Schaufpfele urtheilen, die
der oben mit feinem ganzen Namen angeführte Lobo, Com⸗
manbant der Stadt Barcelona, ein auch burd) Iyrifche Poeſien
tm Estilo culto befannter Mann, der Bühne gab; feine
Martires de Toledo y tejedor Palomeque find ein buntes
Gemengfel von abgefchmadten Wundern und trivialen Poffen.
Ein ganz ähnliches Gepräge tragen die Schaufpiele des Detfts
lichen Añorbe, von denen acht im Sahre 1736 in einem
Dande zufammen gebrudt find. Die Heldin feiner Comödie
Princesa, ramera y martir {ft eine Fúrftin von Eppern, die
tin Tempel ber Venus ihren Leib dem erften beiten Ankömm⸗
Ing pret8gibt, ¿ulegt aber den Märtyrertod flirbt. Die
Tutora de la Iglesia fängt mit dem Briefe an, den der
König Abgarus an den Heiland gefehrieben haben foll, und
endet mit der Himmelfahrt der Jungfrau María. Glücklicher
mählte Añorbe feinen Stoff in ben Amantes de Salerno,
welchen Boccaccio's ſchöne Novelle von Guiscardo und Ghis⸗
monda zum Grunde liegt;aber aud) bier zeugt die Auffaffung
son feiner Spur von dichterffchem Talent. Sn La encanta-
.da. Melisendra rief diefer zu feiner Zeit berühmte Autor, ale
ſei es mit den bedeutungslofen Wundern in feinen geiftlichen
Schaufpielen nicht genug, zum Behuf des größeren Speftafels
auch noch die Magie zu Hülfe. Jauberftúde von diefem Schlage,
bei denen eigentlich der Dichter nur dem Mafchiniften vorzus
arbeiten hatte, find aud von Zamora (EI espiritu folleto)
und Cañizares (El Anillo de Giges) gefchrieben worden;
— 472 —
in viel größerer Entartung aber und zugleich Anzahl wur-
der dergleichen mur auf den rohen Haufen beredinete Schau⸗
fpiele von ben geringeren Bühnenfchreibern, welchen die Kunſt
durdaus ein Metier war, hervorgebracht. Unfterblihen Ruhm
bei dem Pöbel von Madrid erwarb fid) befonder3 ber Schnei-
der Juan Salvo y Bela durd feinen Magico de Salerno,
deffen erfter, mit den abfurbeften Vorfommenbeiten angefülls
ter Theil fo vielen Beifall fand, daß er fpäter nod vier
andere von wo möglich nod) gefteigerten Tollheiten wimmelnde
hinzufügte. Von den übrigen Bühnendichtern aus der erften
Hälfte des fechszehnten Sahrhunderts, als da find: Pedro
und Francisco de Scoti y Agoiz, Geronimo de
Ouevdeja y Quiroga, Rodrigo Pedro de Urrutia,
Diego de Torres y Billaroel u. f. to., fónnen wir
fhweigen; eine Betrachtung ihrer Werfe würde und in den
beften Fällen nur matte Wiederholungen von fon früher Das
gewefenem, in den fchlechten wüfte und finnlofe Pläne in
der unförmlichfien Ausführung zeigen.
Während auf diefe Art Die Volksbühne immer mehr ver:
wilderte, brad) ſich die franzöfifche Literatur und mit ihr die
Kunftanficht der Schöngeifter aus Ludwig's XIV. Zeit mehr
und mehr in Spanien Bahn. Nicht der neuen Dynaftie un-
mittelbar fann diefes Eindringen eines fremden Gefchmads
zugefchrieben werden, denn Philipp V. befümmerte ſich wenig
um Wiffenfchaft und Pocfte, und die 1714 erfolgte Gründung
der fóniglid fpanifchen Akademie nad dem Vorbilde der
franzöfifhen ift fo ziemlich das einzige Zeichen einer Theil-
nahme, die er für die geiftigen Intercffen feines Landes ges
zeigt hätte. (ES bedurfte gar Feines Einfluffes vom Throne
herab, um die franzöfifchen Sbeen in Spanien in Umlauf zu
bringen; die vermehrten Communicationen mit Sranfreich, die
— BSH se CN rra 1. -
— 473 —
Befegung vieler Hofftellen durch Ausländer bahnten ihnen von
felbft den Weg; die erfte freundliche Aufnahme fanden diefelben im
den näheren Umgebungen des Königs, bald aber breiteten fie fi)
weiter unter den höheren Ständen und unter den Gelehrten aus.
So bildete fih fon in dem erften Viertel des achtzehnten Jahr⸗
hunderts eine Partei, welche auf eine methodiſche Umbildung des
fpanifchen Theaters nad) dem Mufter des franzöfifchen hinar-
beitete, Das erfte Lebenszeichen, welches diefe Partei von fich
gab, war die 1713 erfchienene Ueberfegung von Corneille's
Cima durch ben Marques de San Juan. Bald darauf ließen.
die Herausgeber des Diario de los literatos de España eS
ſich angelegen fein, die feichte und grifttóbtende Kritif des
Boileau bei ihren Landsleuten in Aufnahme zu bringen. Aber
dies waren nur vereinzelte und ſchwache Beftrebungen, nur
leichte Plänfeleien mit den Anhängern des alten Geſchmacks;
erft Ignazio de Luzan rüdte in voller Waffenrüftung und
mit fliegenden Bahnen zu einem Hauptangriff in’s Feld. Dies
fer Mann, im Jahre 1702 zu Zaragoza geboren, hatte feine .
Bildung in Stalien erhalten und dort mit ber franzöftfchen
und italienifchen Literatur Bekanntſchaft gemadt. 1737 ers
fchien feine berühmte Poetik, welche die fpanifche Literatur
von Grund aus reformiren follte und bei den Balliciften faft
bis auf den heutigen Tag als ein Gefegbud. des guten Ge:
fhmads gegolten bat. Wenn wir fagen, baf btefe Poes
tif durchaus auf Boileau und die franzöfifchen Snterpres
tatoren des Ariftoteles gegründet iſt, fo Haben wir ihren
Geiſt im Allgemeinen hinlängli bezeichnet. Der ordinäre
Alltagsverftand war dem Luzan die Norm und Regel, Mugen
und Vergnügen ber Zweck der Dictfunft. Das Theas
ter follte nad ihm ungefähr in demfelben Sinne eine núgliche
— 466 —
Narren geführt, und das Luftfpiel geht ganz unb gar tn bie
Farce über. Die zweite Richtung, in welcher diefe Männer
das Drama dem Verberben entgegenführten, war, daß fie
Zauberei, Wundererfcheinungen, Theaterftreiche und dergleichen
auf den Beifall des Pöbels berechnete Kunftgriffe bäuften und
fo durch Speftafelftüfe den Sinn für die höhere Runft mehr
und mehr abftumpften. Auch diefe Richtung zieht ch freilich
fhon burdy die frühere Gefchichte der Bühne, aber fie war
bisher burd) edlere Productionen im Hintergrund gehalten
worden, während ihr Ueberhanpnehmen ganz fperiell die vor
liegende Periode bezeichnet. Wenn wir nun in den Werfen
ber beiden bier im Allgemeinen befprochenen Dichter fchon
offenbar die Spuren der Decadenz erbliden, fo müffen wir
ihnen doch die Gerechtigkeit widerfahren laffen, daß fie auch
ihre befferen Eigenſchaften befigen, durch welche fie hier und
da an bie alte Zeit erinnern dürfen und noch immer hoch über
den ungleih tieferen Verfall emporgeboben werben, ver fidh
in den Productionen ihrer übrigen Zeitgenoffen fund gibt und
nad) ihrem Tode nod) mehr einriß.
Joſé de Cañizares, geboren zu Mabrib 1676, ges
ftorben ebendafelbft gegen 1750, begann ſchon in feinem vier
zehnten Sabre für das Theater zu fchreiben und widmete ſich
diefer Beichäftigung während feines langen Lebens mit einer
Sruchtbarfeit, wie fie den fpanifchen Dramatifern von jeher eigen
war. Die Zahl feiner gedrudten Comödien beläuft fid auf
achtzig. ES finden fid) unter benfelben hiftorifche, religtofe,
mythologiſche, Sigurir-, Intríguens und Zauberftüde, fura,
faft ſämmtliche Arten und Abarten von Schaufpielen. Nur
in fehr wenigen zeigt ſich fchon eine Nachahmung ausländi⸗
(her Vorbilder, wie in El sacrificio de Ifigenia ber frans
zöftichen Tragödie, in Temistocles en Persia des italienifchen
— 467 —
Opernſtyls; Die bel weitem größte Zahl Tebnt ſich durchaus
an das alte Nationaldrama. Alle diefe Werfe zeigen grofie
Gewandtheit des Talents, eine ungemeine Beherrfchung aller
technifchen Mittel der Darftellung, aber wenig Originalität und
ſchöpferiſche Kraft. Faft zu jedem der Stüde des Cañizares und zu
allen intereffanten Scenen in benfelben Taffen ſich bei einiger
Kenntniß der früheren Dramatifer die Vorbilder leicht erfen-
nen, und wir möchten ben Autor in diefer Hinficht mehr einen
Mofatkarbeiter, als einen Dichter nennen. Daß feine geiftlichen
Combbien in hohem Grabe ſchwach find, wird Niemand bes
ftreiten wollen; in Santa Gertrudis, San Vicente Ferrer
und anderen finden wir bie ganze Zügellofigfeit der früheren
- Stüde diefer Gattung aus ber Zeit des Lope de Vega ohne
auch nur einen Theil ihrer Schönheiten, und man begreift
nicht, wie ein geiftreicher Mann, ber doch ben Calderon ge»
Iefen Hatte, fich einer fo durchgehends grob materialiftifchen
Auffaffung der Religion hingeben fonnte. Einige glüdlichere
Griffe that Cañizares im hiſtoriſchen Schaufpiel, und man
fann feinen Cuentas del Gran Capitan, feinem Enrique
el Enfermo und feinem Picarillo en España Sintereffe
und Lebendigfeít ver Darftellung nicht abfprechen; aber nur
fehr wenig von dem, was bie Schönheit dicfer Stüde aus:
macht, ift Original. Der meifte Beifall ift feinen Comedias
de figuron zu Theil geworben, und unter biefen namentlich
dem Domine Lucas. Daß fid hier großes Talent zur fomis
fhen Schilderung übertriebener Nächerlichfeiten und Fehler
zeige, kann gar nicht in Abrede geftellt werden; es tft recht
eigentlich ein Stúd zum Todtlachen, und Denen, welche vom
Luſtſpiel nichts weiter verlangen, als eine tüchtige Erfchüttes
rung des Zwerchfells, beftens zu empfehlen; der höhere Sinn
bleibt aber freilich, felbft bei nur mäßigen Anſprüchen, ohne
302
— 468 —
alle Befriedigung. Anmutbiger und feiner hat Cañizares in
De los hechizos de Amor la musica es el mayor zu
fherzen verftanden, und diefes Luftfpiel feheint ung auch durch
die ſehr Funftreih angelegte Verwickelung die befte feiner
Arbeiten zu fein. ,
Zeitgenoffe des Vorigen und, gleich ihm, währen eines
langen Lebens raftlos für die Bühne thätig, war Antonio
de Zamora, Kammerherr in Dienften Philipps V. Ein
erfter Theil feiner Comödien erfchien im Sabre 1722. In ber
Vorrede flagt er über den tiefen Verfall des Theaters feiner
Zeit, und fagt in Bezug auf feine eigenen Beftrebungen: „Es
würde eine Kühnheit fein, wenn td behaupten wollte, ich hätte
das Vorbilb des größten Meifters der dramatifhen Runft,
unferes berühmten Calderon, nachzuahmen verftanden; aber
fo viel darf ich wohl ausfprechen, daß ich mich bemüht habe,
demfelben zu folgen.” Diefes edle Streben brit fid) unver
fennbar in feinen Werfen aus, und baffelbe ward von einer
achtungswerthen Begabung unterftägt. Zamora arbeitete mit
mehr Ernft und Gewiffenhaftigfeit, ald Cañizares, mit bem
übrigens fein, vorzüglih in ber lebenbigen Auffaffung der
Sitten und Charaktere und in ber natürlichen Leichtigkeit des
Styls ausgezeichnetes, Talent große Achnlichfeit hat; feine
Werke find daher in der inneren Geftaltung und Durchbildung
benen feines Zeitgenoffen mehrentheils überlegen; um aber
mit den Meiftern der früheren Zeit wettelfern zu können,
fehlte ihm bie Fúlle der Begeifterung, die Tiefe ber Seele und
des Gemüthes, aus der allein die höhere Runft hervorblühen
kann; er fonnte fi die mehr äußerlichen Vorzüge von
Calderon's Dichtungen zu eigen maden , nicht aber das,
was ihren innerften Gehalt und eigentlichen Werth aus:
macht, Gn Mazariegos y Monsalves, einem auf die Feind
— 469 —
fchaft zweier alten vornehmen Gefchlechter zu Zamora gegrün⸗
deten Stücke, hat er freilich Tüchtigkeit der Erfindung und
ächt poetiſche Behandlungsart gezeigt, aber dies ſcheint uns
ein einzelnes Werk zu ſein, in dem er ſich einmal ungewöhn⸗
lich hoch erhoben; in der Mehrzahl ſeiner übrigen Schauſpiele
findet ſich zwar auch nicht ſelten eine den Antheil des Leſers
reizende Verwickelung, dieſe oder jene intereſſante Scene, und
die gewandte Routine des Autors verläugnet ſich nirgends;
aber fragt man nach den eigentlichen Motiven, nach den leben⸗
ſpendenden Adern der Poeſie, ſo ſtößt man meiſtens auf Kälte
und Dürftigkeit. Dies Letztere gilt ganz beſonders von dem
berühmten Luſtſpiel El hechizado por fuerza; daß daſſelbe
einen Abend recht angenehm ausfüllen könne, daß die Intri⸗
gue, wie ein munteres Mädchen ihrem einfältigen Vormund
glauben macht, er ſei behext und ſich ſo ſeine Einwilligung
in eine von ihm nicht gewünſchte Heirath erliſtet, ſogar recht
luſtig ſei, mag immerhin zugeſtanden werden; allein wer die
bewunderungswürdige Feinheit, den bezaubernden Duft der
Poeſie in den Intriguenſtücken des Calderon kennt, der wird
dieſem ſchon ganz an der Gränze des Proſaiſchen ſtehenden
Stücke, feinem poſſenhaften Ton und ſeiner ſich allzu abficht-
lid vordrängenden Spaßmacherei nicht vielen Geſchmack ab:
gewinnen können. — Noch ſei hervorgehoben, daß Zamora
die Geſchichte der Jungfrau von Orleans auf das Theater
gebracht und daß er den ſteinernen Gaſt des Tirſo de Mor
lina umgearbeitet hat. Dieſe Umarbeitung, welche von vieler
Geſchicklichkeit zeugt, hat ſchon faſt ganz die Geſtalt, die wir
aus der Oper kennen; die früheren Abenteuer des Don Juan
in Neapel ſind darin weggefallen, und Zamora beginnt, wie
der Verfaſſer des Operntextes, mit der Ermordung des
Comthurs.
— 410 —
In tiefer Snferioritáit unter den Lebtgenannten ſtehen
faft allen Diejenigen, telde gleichzeitig mit ihnen während
ber erften Hälfte bes achtzehnten Jahrhunderts, die ſpaniſche
Bühne mit neuem Vorrath von Stücken verforgten. Die Schau⸗
fpiele deS Eugenio Gerardo Lobo, des Tomas be
Añorbe y Corregel, des Fofé de Reinofo y QDuiñios
nes und Anderer erinnern nur nod) in den robeften Umriffen
der äußeren Form an die Schule Ealderon’s; der Geiſt
ift gänzlich entwichen, und der Mangel an innerem Gehalt
wird durch gehäufte Zheaterftreiche und Wunder, fehlecht vers
dect. (ES will uns beim Lefen berfelben bevünfen, al wenn
die gröbften Materialien aus den fchlechteften Productionen
der früheren Zeit mit eigenen albernen Erfindungen der neues
ren Poeten zu einem Brei gefnetet und uns aufgetifcht würs
den. Duelle, Eiferfuhht, Kämpfe mit der Juftiz, Hins und
Hergeben der Perfonen, Liebesertlárungen, Vermummungen,
Schiffbruch, Märtyrthum, Wundererfcheinungen und Abenteuer
aller Art drängen fid) in buntem Wirrwarr ohne Zweck und
Ziel. Von einer irgend geregelten Compofition findet fich faft
nirgends eine Spur, und mit pomphaften Aufzügen, Raufes
reien und feltfamen Begebenheiten wechfeln gemeine Bouffo-
nerien und efelhafte Späße in grotester Mifchung ab. Von
diefer Art ift Reinoſo's El Sol de la fé en Marsella,
ein Stüd, das es ſich zur Aufgabe gemacht zu haben feheint,
in feinen beiden Thetlen alle Ausfchweifungen, die je in den
geiftlichen Comödien gefehen worden waren, zu vereinigen;
man fieht darin die heilige Magdalena an ber franzöftihen *
Küſte Schiffbruch leiden, trodenen Fußes über die Wellen
babinfchreiten, hierauf bald am Himmel unter Engeln, bald
auf der Erde erfcheinen, um die heipnifchen Gallier zu befehs
ren, dann durch ihr. bloges Wort einen Apollotempel zu Boden
0
— 4 —
fehmettern und ¿ulegt den umgeſtürzten Säulen befeblen, fich
wieder aufzurichten; Dies Alles aber wird in einer durchass
wiften und roben Weife ohne eine Spur von Phantafte vors
getragen, und die Sprade, mit allen Schlern des Gonguriss
mus behaftet, fcheint oft die eines Befeffenen zu fein. — Nicht
viel günftiger fann man über Die Schuufpfele urtheilen, die
der oben mit feinem ganzen Namen angeführte Lobo, Com⸗
mandant der Stadt Barcelona, ein auch durch lyriſche Poefien
tm Estilo culto befannter Mann, der Bühne gab; feine
Martires de Toledo y tejedor Palomeque find ein buntes
Gemengſel von abgefhmadten Wundern und trivialen Poffen.
Ein ganz ähnliches Gepräge tragen die Schaufpiele des Geiſt⸗
lichen Añorbe, von denen at tm Sahre 1736 in einem
Dande zufammen gebrudt find. Die Helbin feiner Comödie
Princesa, ramera y martir fít eine Fürftin von Eppern, dle
im Tempel der Venus ihren Leib dem erften beften Anfómms
ling preisgibt, zuleßt aber den Märtyrertod flirbt. Die
Tutora de la Iglesia fängt mit bem Briefe an, ben der
König Abgarus an ben Heiland gefehrieben haben foll, und
endet mit der Himmelfahrt der Sungfrau Marla. Glüdlicher
mählte Añtorbe feinen Stoff in ben Amantes de Salerno,
welchen Boccaccio'8 fehöne Novelle von Guiscardo und Ghis⸗
monda zum Grunde liegt;aber auch bier zeugt die Auffaffung
son feiner Spur von dichteriſchem Talent. Sn La encanta-
‚da. Melisendra rief diefer zu feiner Zeit berühmte Autor, als
ſei e8 mit den bedentungslofen Wundern in feinen geiftlichen
Schauſpielen nicht genug, zum Behuf bes größeren Speftafels
auch nod) die Magie zu Hülfe. Zauberftüde von diefem Schlage,
bei denen eigentlich der Dichter nur dem Mafchiniften vorzus
arbeiten hatte, find aud von Zamora (El espiritu folleto)
und Cañizares (El Anillo de Giges) gefchrieben worden;
— 42 —
in viel größerer Entartung aber und zugleich Anzahl wur-
der dergleichen nur auf den rohen Haufen berechnete Schaus
fpiele von den geringeren Bühnenfchreibern, welchen die Kunft
durchaus ein Metier war, hervorgebracht. Unfterblichen Ruhm
bei dem Poöbel von Madrid erwarb fi) befonders ber Schnet-
der Juan Salvo y Bela durd feinen Magico de Salerno,
deffen erfter, mit ben abfurdeften Vorfummnenbeiten angefülls
ter Theil fo vielen Beifall fand, daf er fpáter nod) vier
andere von two möglich nod) gefteigerten Tollheiten wimmelnde
hinzufügte. Bon den übrigen Bühnendichtern aus der erften
Hälfte des fechszehnten Jahrhunderts, als da find: Pedro
und Francisco de Scott y Agoiz, Geronimo be
Buedeja y Duiroga, Rodrigo Pebro be Urrutia,
Diego de Torres y Villaroel u. f. w., fónnen wir
ſchweigen; eine Betrachtung ihrer Werfe würde uns in ben
beiten Fällen nur matte Wiederholungen von fehon früher Das
gewefenem, in ben fchlechten wüfte und finnlofe Pläne in
der unförmlichften Ausführung zeigen.
Während auf diefe Art die Volksbühne immer mehr ver-
wilderte, brach fich die franzöfifche Literatur und mit ihr die
Kunftanficht der Schöngeifter aus Ludwig's XIV. Zeit mehr
und mehr in Spanien Bahn. Nicht der neuen Dynaftie un:
mittelbar fann dieſes Kindringen eines fremden Geſchmacks
zugefchrieben werben, denn Philipp V. befümmerte fic wenig
um Wiſſenſchaft und Pocfte, und die 1714 erfolgte Gründung
der fóniglid ſpaniſchen Afabemie nad dem Vorbilde der
franzöfifhen ift fo ziemlich Das einzige Zeichen einer Theil-
nahme, die er für die geiftigen Intercifen feines Landes ges
zeigt hätte. ES bedurfte gar Feines Einfluffes vom Throne
herab, um die franzöfifhen Sdeen in Spanien in Umlauf zu
bringen; die vermehrten Gommunicationen mit Sranfreich, die
— 473 —
Beſetzung vieler Hofftellen durch Ausländer bahnten ihnen von
ſelbſt ben Weg; die erfte freundliche Aufnahme fanden diefelben in
den näheren Umgebungen des Rónigs, bald aber breiteten fie fich
weiter unter den höheren Ständen und unter den Gelehrten aus.
So bildete ſich ſchon in bem erften Viertel des adhtzehnten Jabrs
hunderts eine Partei, welche auf eine methodifche Umbildung des
fpanifchen Theaters nad bem Mufter des franzöfifchen hinar-
beitete, Das erfte Lebenszeichen, welches diefe Partei von ſich
gab, war die 1713 erfchienene Ueberfegung von Eorneille’s
Einna durch den Marques de San Juan. Bald darauf ließen
die Herausgeber des Diario de los literatos de España es
fih angelegen fein, die feichte und gcifttóbtende Kritif des
Boileau bei ihren Landéleuten in Aufnahme zu bringen. Aber
dies waren nur vereinzelte und ſchwache Beftrebungen, nur
Teichte Plänfeleien mit den Anhängern des alten Gefchmads;
erft Ignazio de Luzan rüdte in voller Waffenrüftung und
mit fliegenden Bahnen zu einem Hauptangriff in's Feld. Dies
fer Mann, im Jahre 1702 zu Zaragoza geboren, hatte feine
Bildung in Stalien erhalten und dort mit der franzöfifchen
und italieniſchen Literatur Befanntfchaft gemacht. 1737 ers
ſchien feine berühmte Poetif, welche die fpanifche giteratur
von Grund aus reformiren follte und bei den Galliciften faft
bis auf den heutigen Tag alg ein Gefegbud). des guten Be:
fhmads gegolten hat. Wenn wir fagen, daß Ddiefe Poes
tif durchaus auf Boileau und die franzöftfchen Interpres
tatoren des Ariftuteles gegründet tft, fo haben wir ihren
Geiſt im Allgemeinen binlänglich bezeichnet. Der ordinäre
Alltagsverftand war dem Luzan bie Normund Regel, Nußen
und Vergniigen der Zweck ber Didtfunft. Das Theas
ter follte nach ihm ungefähr in demfelben Sinne eine núglide
— 416 —
Die von Luzan und Blas Nafarre zu Marft gebrachte
Weisheit wurde 1750 von Aguftin de Montiano y
Luyando in einem Discurso sobre las tragedias españo:
las weiter verfúndigt *). Auch hier wird von den eigentlichen
Zierden der fpanifchen Bühne mit twegiwerfender Verachtung
geredet, aber auch bier fucht der Patriotismus zu bewetfen,
daß eS in Spanien an ächten und Tunftgerechten Trauerfpielen
nicht fehle; zu diefem Zwecke werden denn alle froftigen und
trodenen Nachahmungen antifer Tragódien von Perez be
Oliva an bis auf Francisco Lopez de Zarate aufgezählt und
als die eigentlichen Zierden des fpantichen Parnaffes gepries
fen. Die Urtheile der drei genannten Literatoren endlich wies
derholte Jofeph Velasquez in feinen 1754 erfchienenen
Origenes de la poesia española, indem er hinzufügte, jene
Literatoren hätten gar nicht nöthig gehabt, ſich über das fpas
niſche Nationalfchaufpiel fo zu ereifern; daffelbe fei von ges
lebrten und einfichtsyollen Leuten pon jeher verachtet worden
und habe nur bei dem unwiffenden Pöbel in Anfehen geftanden.
Das Mifverftändnig der Ariftotelifchen Poetif und die
verkehrte Beurtheilung der romantiſchen Poeſie nach Regeln,
die auf fie feine Anwendung finden, ift ziemlich eben fo alt,
wie bie neuere Literatur. So waren denn Anfichten und Urs
theife, wie die eben Dargelegten, aud) in Spanien keineswegs
neu; fon im 16ten Jahrhundert hatte Lopez Pinciano, im
17ten Suarez de Yignerva und Cäscales Achnlidhes, und mit
weit mehr Geiſt, ausgefprochen, aber dieſe Stimmen waren
ohne allen Erfolg geblieben; daß Luzan und Blas Nafarre,
bie das alte Gericht wieder aufwärmten und auf franzöſiſche
Manier zubereiteten, für ihre Waare mehr Abfag fanden,
» Diefer Discurs flieht vor dem meiter unten zu erwähnenden
Trauerfpiel Montiano's Virginia, Madrid 1750.
— 11 —
fann nur bem veränderten Sinne eines großen Theiles ber
Nation und dem Untergange des Tebendigen Gefühle für
poetiſche Schönhett zugefchrieben werben. Uebrigens glaube man
nicht, daß die neuen, oder vielmehr neu hervorgeſuchten kriti⸗
fhen Maximen unmittelbar vielen Eingang oder Einfluß ers
langt hätten; das größere Publikum kümmerte ſich anfänglich
gar nicht um fie, und auf der Bühne gab ſich bis zum Sabre
1750, ja bis darüber hinaus, nicht die mindefte Einwirkung
berfelben fund. Nur unter ben Gelehrten und Mitgliedern der
ſpaniſchen Afademie ftanden fie von Anfang an in Achtung
und wurden al8 Richtfehnur des guten Geſchmacks betrachtet,
und erft allmählig brachen fie ſich in größeren Kreifen fo viel
Bahn, daß für die beabfichtigte Reform der Bühne einige
Ausſicht auf Erfolg vorhanden zu fein fehlen.
Bevor wir die Schidfale des ſpaniſchen Theaters weiter
verfolgen, haben wir nod Einiges in Bezug auf das äußere
Bühnenweſen nachzuholen.
Im Jahre 1708 kam ein gewiſſer Bartoli, Direktor ei⸗
ner italieniſchen Schauſpielertruppe, um die Erlaubniß ein, ein
neues Schauſpielhaus in Madrid erbauen zu dürfen. Dieſes
Theater, von bem Orte, wo es errichtet wurde, Los Caños
del Peral genannt, war das erſte in Spanien, welches eine
regelmäßige Geſtalt nach Art der franzöſiſchen und italieni⸗
ſchen erhielt; Anfangs war es nur dürftig eingerichtet, aber
im Jahre 1737, als eine italieniſche Operngeſellſchaft dasſelbe
zu ihrem Locale wählte, wandte man große Koſten auf deſſen
reichere Ausſchmückung. Dieſes Beiſpiel veranlaßte die Be⸗
hörde von Madrid, nun auch an der Stelle der beiden Cor⸗
rales de la Cruz und del Principe neue Schauſpielhäuſer
nad dem nämlichen Princip zu bauen. Das de la Cruz
ward 1743, bas del Principe 1745 vollendet. Gn biefen
— 418 —
neuen Theatern war bie Anorbnung des für die Zufchauer
beftimmten Theiles mit wenigen Mobificationen ber älteren,
uns befannten, entfprechend und auch die früheren Ramen der
Pläte wurden zum Theil beibehalten; der Saal nämlich theilte
fi : 1) in die Aposentos, ¿wei Reihen Logen in dem obe⸗
ren Theif des Gebäudes; 2) in die Cazuela, die für die
Weiber beftimmte Loge in ber Tiefe des Saales; 3) in die
Gradas oder die unter den Logen amphitheatralifch erhöhten
Site; 4) in den Patio oder das Parterre; 5) in die Lune-
tas oder die vor dem Patio zunächſt der Bühne befinplichen
Gige. — Mas die Bühne anbetrifft, fo erhielt diefe nicht
fofort, fondern erft allmählig die Veränderungen im Mechas
nismus und Decorationégrejen, welche fie mehr und mehr bem
jegt auf den Bühnen von faft ganz Europa herrſchenden Sys
ftem näher brachte.
Ferdinand VI, der im Jahre 1746 ben fpanifjen Thron
beftieg, nahm toeníg oder gar fein Intereffe an bem nationa⸗
len Drama, aber er begünftigte Die ttalienifche Oper, die, wie
oben erwähnt, fehon feit bem Anfange des Jahrhunderts in
Spanien eingedrungen war. Carlo Broshi, genannt
Harinelli, ein Sänger, den ſchon Philipp V. an feinen
Hof berufen hatte, wurde mit der Direction ber Bühne von
Buen Retiro beauftragt, und unter feiner Leitung fanden auf
berfelben die glänzendſten, mit aller feenifchen Pracht ausge
rüfteten Opernvorflellungen Statt. Componfften, Sänger, Mus
fifer, Dichter und Decorateurs waren Sstaliener, doch verans
ftaltete man zum Beften der Zuhörer fpanifche Ueberfegungen,
welche gedruckt unter das Auditorium vertheilt wurden.
Unterveffen blieben die Volfsbühnen, ohne Unterftigung
vom Hofe, ganz auf fid) und auf das Publifum angewiefen.
Die Vorliebe des Volkes für das Theater war nod) immer
— 4/9 —
groß, unb feine Theflnahme an bemfelben fo lebhaft, daß fic
feit bem Sabre 1740 mehrere Parteien bildeten, Die ſich ges
genfeitig auf das Teivenfchaftlichtte befämpften. Die Parteigäns
ger des Theaters be la Cruz führten den Namen Polacos
yon ihrem Chef, dem Pater Polaco, einem Barfüßermönd),
der bei den Mosqueteros für einen großen Kunftfenner galt;
bie Anhänger des Principe hießen Chorizos, die der Cas
fos del Peral Panduras, Namen, deren Urfprung dars
zulegen zu weitläuftig fein würde. Diefe Parteten Vote fich
durch Schleifen von verſchiedenen Farben an den Hüten uns
terfchieden , befehdeten fich in der Art, daß jede die andere
herabzufegen und die von ihr begünftigten neuen Stüde auss
zuzifchen bemüht war. Ihre Benennungen haben lange fort
gedauert und find zuletzt zu Bezeichnungen der Schaufpieler
der verfchiebenen Bühnen, welche fie vertraten, geworden.
Die Comödienſchreiber, welche nad) dem Tode des Ca—
ftizares und Zamora um bie Ounft des Volkes bublten, führs
ten das Theater immer mehr ins Verderben, indem fie eS
mit närrifchen Wundergefchichten und finnlofen Zauberftüden
überſchwemmten. Man Iefe das „Ungeheuer von Barcelona” .
von Juan Htdalgo, Antonio Frumento” „Schnei-
der, König und Verbredjer, oder der Zauberer von Aftrachan”,
Juan Fernandez BDuftamantes „Schreden von Algier,
oder der Zauberer Mahomet“, um das Aeuferfte von Vers -
wilderung und Unfinn fennen zu lernen. Cine größere
Anzahl dieſer entarteten Enfel Calderon's verdient nicht in
demfelben Bande genannt zu werben, der mit dem Namen
ihres großen Ahnen geſchmückt if. Heben wir nur nod). bers
vor, daß in diefer Zeit noch eine fchlechte Gattung von Theas
terftücen fehr beliebt wurde, nämlich die fogenannten Tona-
dillas, eine Art von Vaudevilles oder Gaffenhauern. Meh⸗
— 480 —
rentheil8 befland bas Perfonal einer ſolchen Tonadilla nur
aus einer einzigen Schaufpielerin , die irgend ein Liebesaben-
teuer abfang. Eine andere Art von feinen gehaltloſen Stüden,
welche zu gleicher Zeit in Aufnahme fam, führte den Namen
Follas.
Daß diefer Zuftand des Theaters bei den Einfichtsvolle-
ren unter dem Publitum eine Reaction heroorrief, Tag Im
Lauf der Dinge und ift ein erfreuliches Zeichen von bem nod)
nicht gänzlichen Erlöfchen eines ernfteren und höheren Sinnes
in der Nation. Unglüdlicher Weile hatten die ehrenwerthen
Leute, welche die Monftrofitäten bes Tages verwerflich fan-
ben, nicht genug Unterfcheidungsfraft und poetifchen Geift,
um das gute Alte von dem fchlechten Neuen trennen zu fün-
nen. Lope und Calderon gertethen bei ihnen in diefelbe Ver:
adhtung, Die nur deren ausgearteten Nachkömmlingen gebührte,
und fie erwarteten deshalb das Heil, welches nur von einer
Reftauration des Achten Nationaltheaters kommen Fonnte, von
einer gänglichen Verdrángung der alten Schauſpielformen durch
andere von ganz entgegengefeßter Beichaffenheit. Die falfchen
Kunftanfichten der Oalliciften waren unterbeffen in Tages:
blättern und Flugſchriften fo häufig wiederholt worden, daß
fie zulegt aud bei denen Gehör fanden, die ihnen bisher das
Ohr am hartnädigften verfchloffen hatten; denn es iſt eine
befannte Wahrheit, daß auch das MWiderfinnigfte und Abfurs
befte, wenn man es nur recht häufig fagt, ¿ulegt wie ein
Evangelium geglaubt wird. Auf diefe Art ward das Terrain
für eine Ueberfiedelung der franzöfifhen Tragödie und Eo:
möbie nad) Spanien gebahnt. Seit dem Jahre 1750 begegnen
wir mehreren Ueberfegungen franzöflfcher Stúde , des Brit
tanícus von Trigueros, der Athalia von Eugenio de Llaguno,
des Luftfpiel® La raison contre la mode von Luzan. Der
E E A SEEEnn
— —
— 481 —
fehon genannte Montiano gab 1750 und 1751 zwei, ganz nad)
- franzöfifchen Muftern zugeftugte Trauerfpiele, Virginia und
Ataulfo, heraus, von denen felbft Moratín (ein Hauptver⸗
treter des Claſſicismus), der Wahrheit die Ehre gebend, ur:
theilt , fie bewiefen, daß ein Drama alle Regeln beobachten
und Dennoch umerträglic fein fónne. Aber noch wagte man
nicht, diefe Sachen zur Aufführung zu bringen. Ueberfegungen
der italieniſchen Opern, die man zuvor zu Buen Retiro ges
fpielt hatte, waren bie erften ausländifchen Stüde, die auf
ven Bolfsbühnen Eingang fanden, Hier gab es doch wenig.
feng etwas zu fehen und zu hören; mie dagegen durfte man
hoffen, daß der große Haufe, der gern an einem Abend Him-
mel und Hölle und alle fünf Welttheile durchflog, den drei
Einheiten Geſchmack abgewinnen werde ? Erft ſeitdem im
Jahre 1759 der bisherige König yon Neapel, Karl ML, em
ganz von ausländifcher Bildung durchdrungener und reformas
torifchen Beftrebungen zugethaner Prinz, den ſpaniſchen Thron
beftiegen hatte, fehlen ber Partei, weldhe in ber Kritif ben
Ton angab, ver Moment gefommen zu fein, um Ihre Tenden-
zen. in weiterem Umfange zu vealifiren. Die beiden einfluß-
reichten Staatsmänner des neuen Könige, ber Marques
Grimaldi und der Graf von Aranda, nahmen felbft die Res
form des Theaterd unter ihre befonbere Protection. Durd)
fönigliches Decret vom 11ten Juni 1765 wurde die Darftels
lung der Autos Sacramentaleg verboten, weil man fid) das
durd den Ausländern Tächerlih made. Auf Beranftaltung
des Marques Grimaldi wurden in Buen Retiro und anderen
‚Königlichen Schlöffern verſchiedene Ueberfegungen franzöftfcher
Tragödien aufgeführt; zu gleicher Zeit wandte der Graf
Aranda feine Aufmerffamfeit auf die Theater de la Cruz
und del Principe, fuchte den materiellen Theil berfelben zu
Geſch. d. Lit. in Spanien. IH. Bo. 31
verbeffern und bie Parteien, welche fie mit Tumult erfüllten,
im Zaum zu halten, Tieß aud auf ihnen Ueberfegungen Cor
neille'ſcher und Raçine'ſcher Stüde fpielen und ermunterte die
ſpaniſchen Dichter, Driginalfehaufptele in dem neuen Styl zu
ſchreiben. Diefe Aufforderung blieb nicht ofme Erfolg. Ricos
las Fernandez de Moratin bradıte 1770 feine Horme-
sinda auf die Bühne, die erfte fpanifche Tragödie in frans
zöfifehen Formen, welche wirklich zur Aufführung fam; ber
füngere Moratín urtheilt von biefem Werfe feines Vaters, es
fei mehr Iobenswerth wegen einiger guten, darin vorfommens
den Nachahmungen des Virgil, als in Betreff der Handlung.
Der Hormefinda folgte ein anderes Trauerfpicl vesfelben Vers
faffer8, Guzman el Bueno. Bald betraten verſchiedene ams
ere Dichter den nämlichen Weg, Jofé Cadahal ſo mit feinem
Santo García, in welchem durch paarweiſe Reimung der
fünffüßigen Jamben die Alerandriner nachgeahmt werben follten,
Gaspar Melhor de Jovellanos mit feinen Dunuza,
"welcher benfelben Stoff behandelte, wie bie Hormefinda,
Ignacio Lopez de Ayala mit einer Numancia destruida.
"Daß alle diefe, den franzoͤſiſchen Regeln ängftlich angepaßten
Tragödien ohne inneres "Leben und ohne didterifchen Gehalt
ſeien, wird jegt aud in Spanien ziemlich allgemein zugeftans .
ben. Alles, Sprade, Ideen und Sitten, ift in ihnen gezwuns
‚gen und unnatürlic), die Reden find aus einzelnen, von hier
"und dort mühſam herbeigeholten Worten zuſammengeflickt,
nichts zeigt Begeifterung oder Originalität, und beftánbig bes
merft man die Angft der Dichter vor dem Berftof gegen
dieſe oder jene Megel. Der Erfolg von dergleichen Stüden
bei ber Darftellung war begreiflicher Weife fehr gering, wie
fehr ſich auch die Kritiker Mühe gaben, fie ale Meifterwerfe
-anzupreffen. Sranzöftfche Luftfpiele nad Spanten zu verpflan-
— 483 —
zen, ließ ſich um die nämliche Zeit befonderd Thomas be
Iriarte angelegen fein; auch fchrieb er aus eigener Erfin-
Dung. Mehreres in bemfelben Styl, was fic) durchaus Feines
Beifalls zu erfreuen hatte. Andere Luftfpiele, voll von Regel
maͤßigkeit, aber Ieer an fonftigen guten Eigenfchaften, wurden
von dem genannten älteren Moratín, von Cándido Maria
Trigueros und Anderen verfaßt. Der Legtgenannte gab
Sid) auch die Mühe, die Estrella de Sevilla und den An-
‚zuelo de Fenisa bes Lope de Vega nad) den neu gelernten
‚Regeln umzuarbeiten. Ein Gleiches nahm Don Sebaftian
y Latre mit ber. Progne y Filomena des Rojas und mit
Moreto's Parecido en la corte vor *). Aber fo groß war
‚noch die Anhänglichkeit des Publifums an feine alten Dichter,
; Daß. es die DVerfälfchung des letzteren Stücks nicht auf der
Bühne dulbete, fondern ble Schaufpieler nöthigte, dasfelbe am
folgenden Tage in feiner urfprünglichen Geftalt qu geben.
Gn der That vermochten alle Diatriben ber Gelehrten
"mb der ihrem Volte abtrünnig gewordenen Dichter die Nas |
tionalcomödien nicht vom Theater zu vertreiben. Bine grofe
Anzahl von Stüden des Calderon, Moreto und Rojas und
vieler der anderen alten Lieblingeerhielt fid) beftändig auf Dem
Repertoire. Gn diefen Gedichten Tebte fa mit ben alten Erz
innerungen der alte Ruhm, wie hätten fie dem Spanier nicht
theuer bleiben follen! Weber manche der geiftlichen Schaufpiefe,
wie über Los zelos de San Josef von Ehriftoval de Mons
roy und über ben Cain de Cataluña von Rojas, erging
freifich „weil fie auf Degenftánde der Religion ein lächerliches
Licht würfen“, dasſelbe Berbannungsurtheil, welches ſchon
»- Bor der Ausgabe dieſer beiden Stüde, Madrid 1770, findet ſich
‚auch ein ganz inpalteleerer Ensayo sobre la Comedia española.
. 31 *
— 484 —
die Frohnleichnamsſpiele getroffen hatte; aber mit deſto größe:
rem Enthuſiasmus wurden ſtets diejenigen aufgenommen,
welche vor einer engherzigen moralifchen Anficht nod) Gnade
fanden. — Aud) an neuen Theaterftüden, die wenigftens in
den äußeren Umriffen fid) ben alten einheimifchen anfchloffen,
war fortwährend fein Mangel. Sd darf mich nicht rühmen,
viele von den zahfreihen Werfen des Fermin bel Rey,
Manuel Fermín de Llaviano, Luis Moncin, Zofe
Conha, Antonio de Vallabares y Sotomayor
und anderer hierher gehörender Schaufpielfchreiber aus ber
Zeit Karls IN. und IV. gelefen zu haben; aber nad) einigen,
víe ich ferme (3. B. el Asturiano en Madrid von Mons
ein, einer ganz rohen und widerlich poffenbaften Comedia
de Figuron, die id nod) vor wenigen Sabren zu Granada
babe fpielen fehen), und nad bem übereinftiinmenden Urtheil
aller Spanier, welcher Partei fie aud) angehören mögen, find
dieſelben durchaus von allem Kunftgehalt entblößt und ftehen
mindefteng eben fo tief unter den Probuetionen des Cañizares
und Samora, wie biefe unter denen des Ealberon. Befonderen
- Ruf erwarb fi im legten Drittel des achtzehnten Jahrhun⸗
dert8 Luciano Francisco Comella, von bem man ges
rühmt hat, „er fei bem alten Natfonalftyl näher gefommen,
als irgend ein Anderer feiner Zeit;“ aber auch feine Schar
fpiele find äußerft rob, durch Kriegslärm und melobramatifche
Effekte auf den Beifall des PObelS berechnet; von dem Geifte
over aud) nur der fpradjlichen Zierlichkeit ſelbſt der fchlechtes
ften Dichter aus Calderons Zeit ift auch Fein Schatten mehr
übrig geblieben. Diefer Somella hat namentlid) viele Ereigs
niffe der neueren Geſchichte auf die ſpaniſche Bühne gebradht.
Die nordifchen Namen in feiner Catalina II. en Cronstadt,
feinen Federico Il. en el campo de Torgau múffen den
-
— 485 —
Spaniern wunderlich geflungen haben. Aud) ein Wilhelm Tell
son ihm ift vorhanden. — Andere Comödienſchreiber, die fid)
ihm angefchloffen, find Gaspar de Zavala y Zamora
und Vincente Rodriguez de Arellano.
Sn fehr erfreulicher Weife ragt aus ber Mitte feiner
Zeitgenoffen der im Auslande zu wenig befannte Don Ras
mon de la Eruz hervor. Diefer merfwürdige Mann, der
mit vollem Namen Ramon de la Eruz Gano y Olmedilla
beißt, wurde im Sabre 1731 zu Madrid geboren und ‚vers
brachte den größten Theil feines Lebens ruhig in feiner Vas
terftabt, wo er ein nicht unbedeutendes Civilamt befleivete.
Er ftarb um ben Ausgang bes achtzehnten Sahrhunderts.
Seine Bildung blieb von den franzöfifchen Doetrinen nicht
unberührt; einige Tragódien und Comödien, die er fohrieb,
find ganz nad dem claffifchen Syſtem gemobelt. Aber fein
Talent wollte ſich nicht in die Feffeln fchmiegen, die Ihm
fein Verftand auferlegte; um einen freieren Spielraum für
die Entfaltung beffelben zu gewinnen, warf er fid auf das
Fach der Saynetes, eine Gattung, die faum zur Literatur
gezählt wurde und welcher Daher von den engherzigen Rritis
fern, die eS unter fhrer Würde hielten, fic) damit abzugeben,
noch Feine Regeln dietirt worden waren. Ramon de la Cruz
fhrieb mehrere Hundert folder Saynetes, die mit allge-
meinem Beifalle aufgenommen wurden *). Literarifche Pri:
tentionen auf Autorruhm fcheint er dabei gar nicht gemacht
%) Ein Theil derfelben wurde mit den größeren Schaufpielen des
Ramon de la Cruz zufammen zu Madrid 1786 — 91 in zehn Bändchen
gebrudt. Eine neue Ausgabe der Saynetes allein, in welche auch die uns
gebrudten aufgenommen werden follen, tft in ben legten Sahren zu Ma-
drid begonnen worden. Der exfte Band, den ich allein gefehen habe, ent:
hält $4 Stüde.
— 486 —
zu haben; ſich Telbft ein Paar heitere Stunden zu verfchaffen
und feinen Zuhörern die Luſtigkeit, die ihn ſelbſt erfüllte,
mitzutheilen, war alleın Anfchein nach fein einziger Zweck
Aber troß diefer Sorglofigfeit, mit der er arbeitete und die
fih freilich bisweilen in der mangelnden Gultur feiner Dar:
ftellung zeigt, hat er mehr in ber komiſchen Dichtung ges
leiftet, al8 irgend einer von feinen Zeitgenofjen. Bon feher
war das Sapnete feinem Begriffe nad) nicht mehr geweſen,
als die naturtreue Schilderung irgend eines komiſchen Mos
ments aus dem gewöhnlichen Leben; wie viel ober wie wer
nig eigentlich dramatifchen Charakter er ihm burd Plan und
Verwickelung geben wollte, hatte ganz im Belieben des Did»
ters geftanden. Aud) Ramon de la Eruz behielt biefe Gat-
tung bei, wie er fie überfommen hatte; er gab derfelben hier
und da eine Ausdehnung, welche fie mehr bem eigentlichen
Luftfpiel annáberte, aber er verzichtete nicht auf das Recht,
einzelne Scenen, die nur durd) fid) ſelbſt intereffiren wollen,
ohne weitere innere Berfnüpfung an einander zu reihen. Ganz
unbillig alfo ift eS, Die Saynetes unferes Dichters, wie bie
fpanifchen Kritifer gethan haben, nad) den firengen Gefeten
der dramatifchen Compofition, denen fe ſich abſichtlich ent
ziehen, zu beurtheifen, und aller Tadel, der von diefer Seite
über fie ergangen tft, hebt fich felbft auf. Nehmen wir fie
nun als bas, was fie allein fein wollen, als unmittelbar
nad) der Natur aufgefaßte Tebensbilder, fo fünnen wir ihnen
mit Bezug auf die außerordentliche Naturwahrheit, auf bie
Lebhaftigfeit der Darftellung, den Reichthum des Witzes und
die Fomifche Stärfe den entfchiedenften Beifall nicht verfagen.
Obgleich die gemeine Wirklichkeit copirt wird, fehlt es dod)
nicht an poetifchen Colorit, das fchon burd) den Phantafies
reichthum, durch das Malerifche in Sitten und Sprache des
Südländers an die Hand gegeben wurde. Die meiften und
vorzüglichiten. diefer Stüde bringen die unterften Volksklaſſen
auf die Bühne. Die Laftträger und Maulthiertreiber, die
Obſthändlerinnen und Fifchweiber werden darin, Jeber in
feinem Coftüm „und mit den ihm, eigenthümlichen Debráuden,
vorgeführt; wir. feben und bald auf einen Sahrmarft, bald
unter die Zufchauer eined Stiergefechts, bald in das innere
eines Wirthshaufes, bald in die Mitte eines Pilgerzuges,
oder zu bem Fefte irgend eines Heiligen verfegt: und alle
diefe Gemälde find mit fefter Meifterhand entworfen, zeigen
in jedem Zuge Leben und Bewegung, und in der Anordnung
der Gruppen herrſcht, troß bes Gewimmels ber Perfonen,
überfichtliche Klarheit. Mit befonderem Intereffe wird man
die Sagnetes Tefen, in welchen die Fangweiligen Tragödien
nad franzöftfchem Mufter mit ihrer froftigen Rhetorik, ihren
gemachten Affeften und ihrem Blutvergießen um nichts und
wieder nichts. parodirt find. Hierher gehören El Marido so-
focado, El Muñuelo, La Zara, Manolo. Befonders köſtlich
it Manolo, weine Tragödie zum Lachen oder ein Saynete
zum Weinen,” ganz in den fünffüßigen Samben ber Elaffts
fen Tragödie und in hochpathetifchen Style gefchrieben, der
dem Mabrider Gaffenpöbel in den Mund gelegt wird und
im Gontraft mit ber Niedrigfeit des Gegenftandes, wie im
Berein mit den hier und ba durchbrechenden gemeinen Re-
dengarten eine unfáglid Fomifche Wirkung madt. Die Handlung
tft, ebenfo wie die Sprache, eine Traveftie des regelmäßigen
Trauerfpield. Als fid der tragifche Knoten zu ſchürzen bes
ginnt, fpricht einer der Mitfpieler:
| | | — — Pier
Beginnt das Intereffe der Tragödie; |
Und, daß die Slufion vollfommen fei,
— 488 —
Mög’ ihr Apollo nidht allein bie brei
Einheiten, fondern hunderttauſend geben,
Sa lieber gleich bas ganze Einmaleins.
Am Schluffe findet ein Kampf zwifchen bem Kneipen
wirth, der Eaftanienhänbdlerin, den Strafenjangen und ben
andern Helden ähnlichen Gelichters, welche das Perfonal
bilden, Statt. Nachdem fchon die Meiften im Kampfe geblies
ben, endigt die Tragóbíe folgendermaßen:
Vater Matute.
Da fie Alle
Geftorben find, fo will ich gleichfalls fterben,
Um mir die often für die Trauerfleider
Und die Beerb’gung zu erfparen.
(Er ftirbt.)
"Remilgada.
10,
Mein Bater!
Mediodiente.
Höre mich!
Remilgada.
Ich kann nicht hören,
Denn ich muß auch in aller Eile ſterben.
(Sie ſtirbt.)
Potagera.
Und ich nicht minder, da Manolo ſtarb.
Sogleich will ich den Doctor rufen Taffen
Und Tege mich zu Bett; denn es iſt Regel,
Daß man mit Anftand fterben muf.
(Ab.)
— 489 —
Sebafttan.
Nun, Freund,
Mir bürfen, hoff’ td), doch am Leben bleiben?
Mebivdiente. :
ES Hilft die nichts, in ben Tragödien muß
Einmal geftorben fein, und Einen nur,
Den Zähften, darf der Dichter Ieben laſſen,
Um die moraliſche Sentenz zu fprechen.
Sebaftian.
So fprid fie denn, und denk', ich fei vor Lachen
©eftorben.
Mediodiente.
Alſo Acht gegeben! — Was,
Ihr Arbeitsleute, Hilft Euch all Ewr Müh'n?
Wozu iſt alle Qual der Woche nütz,
Wenn ihr nachher am Sonntag oder Montag
Den Wochenlohn in's Wirthshaus tragen wollt?
Auch die Saynetes des Ramon de la Cruz, welche im
Kreiſe der Mittel- und höheren Klaſſen ſpielen, theilen den
Vorzug naturtreuer Färbung und höchſter draſtiſcher Beweg⸗
lichkeit; zugleich verdienen dieſelben als die wahren Quellen,
aus denen die Sittengeſchichte der Zeit geſchöpft werden kann,
Aufmerkſamkeit. Sie zeigen, welchen großen Umſchwung in
Sitte und Sinnesart ein halbes Jahrhundert in Spanien
herbeigeführt hatte; denn Hunderte von Scenen begegnen uns
hier, welche der Denkweiſe und den Grundſätzen der früheren
Zeit durchaus zuwiderlaufen. Die Liebſchaften zwiſchen einem
vornehmen Herrn und einer Manola oder Madrider Griſette;
die Zudringlichkeit der Abates, die ſich bald als Hausfreunde,
bald als Muſiklehrer oder unter anderen Masken im Schooße
— 40 —
der Familien einzuniften wiffen; die Freiheit der Weiber und
enblih gar der Eortefo oder Gayaliere fervente, ber einer
jungen Frau nicht fehlen darf: dies Alles führt uns in eine
neue Welt der Sitte, in welcher von der früheren Gravität
bes Adels, von feinen Chrenbegriffen und von der alten Eis
ferfucht feine Spur mehr übrig geblieben if.
In der Rritif hatten Luzan und diejenigen, welche feine
Marimen alg Olaubensartifel verehrten, lange durchaus das
Uebergewicht behauptet ; denn zwei vom entgegengefegten Stand
punfte ausgehende Schriften über Dramaturgie *) - waren
faft fpurlos vorübergegangen. Erft in ben achtziger Jahren
begann ein patriotifher Mann, Vicente Garcia de la
Huerta, Diítglieo ber ſpaniſchen Afademie und Föniglicher
Bibliothekar (geboren 1742), die alten Dramatifer gegen die
Schmähungen der Balliciften zu vertheidigen. Ehe La Huerta
biefen Kampf unternahm, hatte er einige Dramen geichrieben,
in welchen, nur mit einigen Mobificationen der franzöftfche
Zufchnitt und die fteife Regelmäßigfeit vorherrfchen. Mit bes
fonderem Beifall war darunter die Raquel (1778) aufge-
nommen worden. Weber die Mißlungenpeit diefer Tragödie tfl
peut zu Tage wohl nur Eine Stimme; die Handlung if ganz
nah Diamante und mit Aufopferung aller Möglichfeit und
Wahrſcheinlichkeit in die drei Einheiten gezmängt; was aber
die Darftellung anlangt, fo findet ſich nichts, was von
wahrer Dichtergabe zeugte, wohl aber viel hohles Pathos
und falfche Nhetorif. Nod) weniger alg die Raquel war ber
Agamemnon vengado geeignet, den Glanz des cafliliant-
5) Discurso critico sobre las comedias de España de un in-
genio de esta corte, Madrid 1750 (der Verfaffer ift Ignacio de Loyola).
Die zweite Diefer Schriften, ein Discurso critico von Thomas 3avas-
leta, ift mir nicht befannt geworden.
— — — Men
— 49 —
fiden Drama’8 wieder Herzuftellen. Hatte nun la Huerta
wenig Anlage zum Schaufpfefdichter bewährt, fo zeigte .er faft
nod) weniger Beruf zum Rritifer. Der ehrenwerthen patrios
tifhen Geſinnung, welche ihn zur Herausgabe einer Auswahl
aus ben älteren Bühnenftüden ver Spanier beftimmte °),
ſoll die gebührende Anerfennung nicht verfagt werben; allein
vie Vorreden feined Theatro hespafiol, in denen er ben:
franzöftichen Geſchmack zu befämpfen fuchte, zeigen, daß er
nicht der Dann war, um die Nationalität mit Erfolg gegen
die Auslándereí zu vertreten. In diefen Vorreden wimmelt
es von Ausfällen gegen die Galliciften, „dieſe biffigen und
neidiſchen Kritikaſter“, gegen Racine, „biefen froftigen und
langweilig gewiffenhaften Pedanten“, und überhaupt gegen bie
„in allen ihren Theilen verachtungswerthen Tragödien und
Lufifpiele ber Franmjofen;” aber es findet fich darin nichts
Pofitives zur Vertheidigung der romantiſchen Poeſie, Feine
Spur von einer äfthetifchen Erfenntnif ihres Weſens. Auf
ber anderen Seite zeigte La Huerta, während er in
mafilofen Ausfällen gegen die antinationale Partei tobte, Doch
wieder fo viel Zaghaftigfeit, daß er in feine Sammlung nur
die altfpanifchen Stüde aufzunehmen wagte, welche am we⸗
nigften gegen die mechantfchen Regeln der Franzoſen verfties
Ben, vornämlidy alfo Sntriguenfpiele und Comedias de Fi-
guron, aber fein einziges von den fehönften Hiftorifchen und
geiftlichen Dramen Lope’s, Calderon's, Tirfo'8 oder Mores
t0’8. — Der Erfolg von La Huertas Beftrebungen mußte
inter biefen Umſtänden fehr gering fein; feine Taftif war
ſchlecht berechnet, fie verfehlte bas Ziel ihres Angriffe,
9) Theatro Hespañol, por D. Vicente Garcia de la Huerta,
Madrid 1785 sqq. 17 Bändchen.
— 492 —
und wir glauben wicht zu viel zu fagen, wenn wir behaup-
ten, das oftgenannte Theatro español habe auf die ferneren
Schidfale der fpanifhen Bühne in feiner Art eingewirkt.
Faft alle Tagesblätter, die um biefe. Zeit ſchon bedeutenden
Einfluß auf die öffentliche Meinung übten, der Pensador
(von dem befannten Clavijo), ber Censor, das Memorial
literario, die Espigadera, ftimmten in den von Luzan am
geichlagenen Ton ein, und bas Borurtheil zu Gunften ber
elaffifchen Regelmaͤßigkeit befeftigte fidy bei den literariſch Des
bildeten immer mehr.
Unterbeffen bot die Bühne das buntſcheckigſte Schaufptel
von heterogenen Formen, von Altem und Neuem, von Gus
tem und Schledhtem dar. Den einen Abend wurden die hoͤl⸗
zernen Puppen Racíne'3 und Corneille's in Bewegung ges :
fegt und man vernahm In monotonen fpanifchen Jamben das,
was bie Franzofen „gehaltene Würde des tragiichen Styls”
nennen, nämlich Tächerlihe Marionettenphrafen, wie die fol-
genden: Ä |
Mourons, mon cher Osmin, moi comme un vizir, et toi
Comme le favori d'un homme tel que moi.
(Racine, Bajazet.)
Den nádften Abend ward ein Drama von Lope ober
Galderon gefpielt, dann folgte eine Oper von Metaftafto, ein
Luftfpiel von Moliere, Regnard oder Goldoni, und den
vierten Tag ergögte fih das Publifum an einem Speftafel-
ſtück von Balladares oder Gomella. Aber die Mannichfaltigkeit
ging noch mehr in's Große; fchon 1770 Batte Gaspar de '
Sovellanos, diefer im Uebrigen um fein Vaterland hoch⸗
verdiente und geiſtvolle Mann, ein bürgerliches Drama. voll
häuslichen Jammers und bidaftifcher Tendenz, El delincuente
— 493 —
honrado gefchrieben; von dieſem Stücke mag wahr fein, was
ein Spanier ihm nachrühmt, „daß es gelunde Ideen über
Moral und Gefebgebung enthält und fich die Bekämpfung
trauriger Borurtheile angelegen fein läßt“, aber mit ber
- Poefte hat es offenbar nichts gemein. Gegen Ende des acts
zehnten Jahrhunderts famen nun nod) manche folder thránens
und moralreihen Scaufpiele aus ber Diderot'ſchen Schule
über die Pyrenáen, und Franfreid) wurde zu einem Kanal,
dur ben ſich allmaͤlig aud Melobramen fo wie englifche
und deutfche Theaterflüce ber fehlechteften Art (von Lillo und
Kogebue) nad) Spanien zogen. So ging der eigentlihe Nas
: ttonalfigl der fpanifchen Bühne denn völlig in dem Gemiſch
- verfchiedenartiger Formen verloren. Das achtzehnte Jahr⸗
hundert vererbte Dies bunte Allerlei des Repertoire's auf bas
folgende. Mehrere der ſchon genannten Schaufpielverfertiger,
wie namentlid Gaspar de Zavala y Zamora (geftorben
1806) und Vicente Rodriguez be Arellano fuhren
fort, ungefhlacdhte Comödien zu fehreiben, bie auf der Stus
fenleiter der Entartung etwa eben fo tief unter Denen bes Lope
ftehen, wie diefe über den erften Anfängen der Kunft; die
ordínáren Galliciſten gaben fchlechte Ueberfegungen und Nach⸗
abmungen franzöfifcher Werke, nod) ordinárere Fabrifarbeiter
führten, wie Martinez de la Rofa ſich ausdrückt, bie nichts»
würdigften ausländifhen Producte, wahre Contrebande ber
Kunft, in Spanien ein, und vollendeten die Verderbnif des
Geſchmacks: zwifchen allen diefen theild todten Arbeiten des
Gelehrtenfleißes, theils wüſten Mißbildungen aber gingen
noch immer beträchtlich viele der älteren Comödien, verwun⸗
dert, fich in folder Gefellfehaft zu fehen, über bie Bretter.
Wie die Schickſale des fpanifihen Theaters nad feiner
Dlithenperiode nur in allgemeinen Umriffen und ohne Vers
— 494 —
weilen bei Einzelheiten geſchildert worden find, fo fand ſich
auch feine Gelegenheit, von ben gefeiertíten Schaufpielern
des achtzehnten Jahrhunderts zu ſprechen; nur ¿wei derfelben
haben fi) fo hervorgethan, daß. ihre Namen bier nachgeholt
werben. müflen; es find: Damian de Gaftro, ein Acteur,
‚der fich befonders in den fogenannten FSiguron- Rollen auge
-zeichnete, und zwar fo fehr, daß bie meiften Comedias de
Figuron von Cañizares und Zamora für ihn gefchrieben fein
.follen; er blühte zur Zeit Karl's II. und Philipps VI; Mas
-ria Ladvenant, bie celebrirtefte Schaufpielerin ihrer Zeit,
von welcher Signorelli, der fie nod) - fpielen ſah, fagt: fie
.fet werth, unter die geiftooliften und Tebendigften Künftlerinnen
alter und neuer Zeit gezählt. zu werden; vorzüglich glänzte
-fie in den Schaufpielen pon Ealberon und Moreto; fie ftarb
1767 , exft vierundzwanzig Jahre alt.
Auf die weitere Geftaltung der fpanifchen Bühne, wirkte
durch Rritil und Production befonders .ein Mann.-ein, der,
wenn man gleich mit- feinen Principien feineswegs einver-
standen fein und auch fein Dichterifches Talent nicht eben hoch
anfchlagen kann, doch wegen feines ernften Gtrebeng und
wegen feiner hübfchen Begabung weder mit ben. geiftlofen
Pedanten, nod) mit den handwerksmäßigen Combdienfabris
fanten feiner Zeit verwechfelt werben darf. Leandro Fer⸗
‚nandez des Moratín, Sohn des fon erwähnten gleid)s
. namigen Dichters, geboren zu Madrid 1760, geftorben, nad)
„einem vielbewegten Leben, zu Paris im Jahre. 1828, richtete
fhon früh feine Aufmerffamfeit auf das Theater und machte
die Reform deffelben zur Hauptaufgabe feines Lebens. Meber
die Richtung, die er zur Erreichung biefes Ziels verfolgen
zu müffen glaubte, fpricht er fich feloft in ber Borrede zu
‚feinen gefammelten Werfen folgenbermafien aus: „Sch fab
— 498 —
von frähb an ein, Daß zur Ausrottung der eingewurzelten
Uebel, welche unſere bramatifche Poeſte in einem ſchmach⸗
vollen 3uftande von Rohheit und Ertravaganz zurüdhielten,
die bloße Kritik nicht hinreichte: eS mußten wiederholte Bets
fpiele gegeben, es mußten Schaufpiele nad ben Regen der
Kunft gefehrieben werden. Ein Eontemporiftren mit den Frets
heiten Lope's over mit ben verrvorrenen Geweben Calderon's
war dabei nit zu dulden; Beide hatten Nachfulger ohne
Zahl hervorgebracht, durch welche das ſpaniſche Drama wábs
rend zweier Sabrhunderte in einen Zufland ber äußerſten
Verderbniß verfeßt worden war; ein Mann von tüchtiger
Bildung durfte dem Irrthum feine neue Autorität leihen;
bas Uebel durfte nicht vertufcht, eS mußte von Grund aus
‚gehoben werben.” Moratin legt am angeführten Orte dann
weiter dic Grundfäße dar, welche ihn bet der Abfaffung fet
‚ner Luftfpiele (denn bie anderen Gattungen des Drama’s,
Heß er außer dem Kreife feiner kritiſchen und und Titerarifchen
. Beftrebungen) geleitet hätten. Das Luftfpiel müffe bie dialo-
giſche Nachahmung eines Vorfalls fein, der fih an einem
Drt und in wenigen Stimden unter Privatperfonen zuge⸗
tragen babe, und es miffe burd die Darftellung. Deffelben,
mittelft der angemeffenen- Schilderung von Affeften und Cha⸗
rafteren, die gewöhnlichſten Fehler und Irrthümer der Gefells
ſchaft Tächerlih machen, die Wahrheit und Tugend dagegen
empfehlen.“ Man flebt, es find hier faft eben fo viele engs
herzige Vorurtheile und Mißverſtändniſſe vorhanden, wie Worte,
ed findet fih auch nichts irgend Neues, die Boileau'ſchen
Srrthümer find nur auf die höchſte Spite getrieben. Wäre
nun Moratín nur ber beichränfte Pedant, alg welcher er in
feinen kritiſchen Ausfprüden und in dem Spflem, das er
: feinen Dramen zu Grunde legte, erfcheint, er würde nur
— 498 —
mit einen Diontíano oder Luzan den traurigen Ruhm - theilen,
Kritit und Poefte tn ein Metier verwandelt zu haben; aber
er beſaß ein Talent, das ſich trog der Bornirtheit feiner
äfthetifchen. Anfichten in erfreulicher Weife geltend zu: machen
wußte und ung die freiwillige Einengung bebauern läßt, welcher
er daffelbe unterwarf. Als Theoretiker hat er unfireitig einen
durchaus nachtheiligen ‚Einfluß geübt, indem er gerade bas,
was ganz außerhalb bes Poetifchen liegt, zur Norm ber
Poefie machte und mit engherziger Intoleranz über Alles,
was .diefem Mafftabe nicht entſprach, abımtheilte; als Lufls
fpieldichter dagegen Bat er, dus darf ihm nicht abgeſprochen
werden, zwar nicht die höheren Eigenfchaften, welche zu dem
Berufe eines folden gehören, aber einige won den unterges
orbneteren befeffen und überhaupt etwa fo viel Poeſie ent⸗
faltet, al8 mit bem Hauptzwede einer »belehrenven ‚Unter
haltung“ vereinbar ift. Erfindungsgeift und Phantafte, tiefe
Blide in das Menfchenherz und. in das Innere der Lebens
verhältniffe darf man bei ihm nicht fuchen, wohl aber treue
Schilderung der Sitten feiner Zeit, einen oft treffenden Mig
und einen eben fo fließenden als eleganten Dialog, der bel
aller Natürlichkeit bob nie in jenes triviale Geſchwätz vers
fällt, welches anderen Comödienſchreibern, 3. B. dem Gol⸗
dont, für Natur gilt. Ueber biefen berühmten Staliener, bem
Moratín in mander Hinficht etwa parallel zu ſtellen ſein
möchte, erhebt ſich der Spanier, außer durch das mehr poe⸗
tiſche Colorit der Diction, auch noch durch die ‚größere Stärfe
des Witzes; aber er ftebt ihm bedeutend nad) in der Erfindung
und Coinplication der Fabel. |
Das erfte Stüd, welches Morntin der Büpne gb, war
El viejo y la niña, aufgeführt 1790. Das inaterielle Ges
rúft der Handlung iſt, wie in allen feinen Dramen, nicht viel
— — —
— 497 —
werth, bie Verwickelung ärmlich, und die allzu fichtlich hervor⸗
tretende Tendenz, die Rachtheile einer Ehe zwiſchen Perfonen
von ungleichen Jahren anſchaulich zu machen, Täßt feine rechte
Poeſie auffommen. Die Verfe find durchgehende vierfüßige
Trochäien ınit ber Affonanz, die immer durch einen ganzen
Akt feftgebalten wird. Moratín war durch fein mißverftandes
nes Natürlichkeitsprincip zu ber Meinung verleitet worden,
die Profa oder das genannte Maaß feien, alg ber Redeweiſe
des gewöhnlichen Lebens am nächflen fommenb, allein für
das Luftfpiel geeignet. Wahrlich, es tft recht merfwürbig, zu
feben, wie eine falfche Theorie einen geiftreichen Mann fo
irre führen Fonnte, daß er freiwillig auf die Vorthefle bes
alten, bis zur Vollendung ausgebildeten Syſtems verzichtete
und ftatt deffen ein auf die Länge höchſt monoton werdendes
Metrum oder gar die ungebundene Rede abdoptírte. — Mos
ratin’8 zweites, 1792 aufgeführtes Stüd war La comedia
nueva, cin Angriff gegen bie ſchlechten Schaufpielfchreiber
des Tages (bas heißt gegen Somella und beffen Genoffen);
die vtele feichte Kunftweisheit, die hier ausgeframt wird,
ſchwaͤcht wieder bie Wirkung, die einzelne wirklich treffende
fattrifche Hiebe hervorbringen fónnten. (ES war übrigens bem
Berfaffer Ernft mit feinem Vorhaben, die fpantfche Bühne
zu reformiren. Er unternahm um diefe Zeit eine Reife nad
Frankreich, England, Deutfchland und Italien, um die Theater
diefer Länder fennen zu lernen. Die Frucht diefer Reife war
eine Ueberſetzung des Hamlet; aber dieſe zeigt, daß er in ber
Fremde nichts Neues gelernt hatte. Die Vorrebe und die An-
merkungen dazu bewelfen, wie gänzlich ihm die Fähigkeit verfagt
war, poetiſche Kunftwerfe in ihrer Totalität zu erfaffen; er
nennt darin die englifche Tragödie eine eben fo aufierordents
lihe wie monftröfe Production, deren Handlung durch uns
Geld. d. Lit. in Spanien. IL. Bo. 32
— 4098 —
paffende Vorfälle und unnúge Epifoben geſchwächt werde und
die nicht felten von der tragifchen Höhe herab tn grobe, auf
das Gelächter des Publikums berechnete Bouffonerien ver:
finfe; er vergleicht den AuSdrudf: not a mouse stirring mit
den Worten der franzöftfchen Iphigenie
Mais tout dort, et Parmée et les vents et Neptune,
um zu beweiſen, daß Racine doch ein viel erhabnerer Dichter
gewefen fet, als Shalfpeare; er macht zu ber erften Scene
des englifhen Trauerfpield folgende Bemerkung : »Horatto,
als ein gebifveter Dann, follte doch ſolchem Unfinn von Heren,
Geiſtern und Zanberet feinen Glauben fchenfen! Dies Alles
ift auf den Londoner Pobel und beffen Hang zum Wunbers
baren berechnet; aber der dramatiſche Dichter hat die Pflicht,
die Lafter zu tabeln und den Verftand aufzuflären, ftatt ber
Untoiffenheit zu ſchmeicheln;“ ferner wird gefagt, Polontus
tauge einzig zum Helden eines Zrotfchenfpiels; die Tobtens
gräberfcene fet fo gemein, daß fie faum in der robften Poffe
zu ertragen fein würde u.f. w. Doch genug von biefem Com⸗
mentar, der die Bewunberer Shaffpeare’s gewiß In die heiterſte
Laune verfegen wird. Von feinen Reifen zurüdgefehrt, wurde
Moratín von dem Gouvernement zum Mitgliede einer Junta
ernannt, welche ſich mit ber Verbefferung des Theaters bes
Thäftigen follte. In welchem Sinne er gewirft haben wird,
läßt fic) denken; aber er trat bald von biefer Stellung zurüd.
Die drei Schaufptele, welche er außer der Ueberfeßung einiger
Molierefchen Stüde nod) in den Jahren 1803, 1804 und 1806
zur Aufführung brachte, El Baron, la Mogigata und El si de
las Niñas gelten für feine beften. Gn La Mogigata tft das
Bild einer frómmelnden Heuchlerin mehr in feinen äußeren
Umriffen lebendig gezeichnet, als in feinem innerften Weſen
ergründet. Gu El si de las Niñas follen bie Gefahren ges
— 49 —
zeigt werben, weldje bamit verbunden find, wenn Eltern ihren
Töchtern in ber Wahl eines Gatten Zwang auferlegen. Doña
Francisca wird von ihrer Mutter aus bem Klofter, in welchem
fie erzogen worden tft, zurückgeholt und mit dem ſchon in
vorgerücktem Alter ſtehenden Don Diego verlobt. Dieſer
wünfcht lebhaft, aus bem Munde der Braut ſelbſt zu Hören,
daf er von ihr geliebt werde, aber die Mutter läßt die Tochter
mie zu Worte fommen. Brancisca Tiebt im Geheimen den Nefs
fen bes Diego, Don Carlos, mit bem fie ſchon von bem
Kiofter aus ein Liebesverhältniß angefnüpft hat; als fie ihn
von ihrer Lage unterrichtet, geräth er in heftige Bewegung;
da er aber erfährt, daß ber Nebenbuhler fein Onkel fet, dem
er vielfach zu Danf verpflichtet if, tritt er zurüd. So fcheint
denn das Liebespaar für immer gefchieden zu fein; aber Diego
erfährt zuletzt, daß Francisca feinen Neffen liebe, wird von
dem Edelſinn, mit welchem diefer aus Rüdficht für Ihn zurüds
getreten tft, auf's tieffte gerührt, und Tegt die Hand der De:
liebten in bie bes Don Carlos, indem er am Schluſſe die
Moral des Stüdes im folgenden Worten ausſpricht: „Da fehen
wir, wie traurige Folgen ed hat, wenn den jungen Leuten
Zwang angethan wird! Da fehen wir, mie viel man ſich auf
das Ja der jungen Mädchen verlaffen kann!“ — Leber den
Kunſtwerth diefer Stüde braucht nichts weiter gefagt zu wer⸗
den; fie zeigen bie fpärlichen Vorzüge, welche fon hervor:
gehoben murben, aber freilich in noch weit höherem Grabe
die Tähmenden Einflüffe des Joches, in das diefer Autor feinen
ſchon an fid) nicht eben hochſtrebenden Pegafus gefpannt hatte.
Wer von den Dichtungen der goldenen Periode unmittelbar
zu denen des Moratin überginge,, bem müßte zu Muthe
fein, vote etwa bem, der aus der üppigen Blüthenpracht des
Frühlings yplöglih tu eine falte Winterlandfchaft verfegt
7 32*
würde. — Die fpätere Zeit feines Lebens widmete Moratín
faft ausschließlich gelehrten Beichäftigungen und unter diefen
namentlich der Sammlung und Beleuchtung ber älteflen Dos
cumente des ſpaniſchen Drama'8. Ueber die Frucht dieſes
Studium's, die Origenes del treatro español, ift in ber
Vorrede zu dem vorliegenden Werfe gefprochen worden.
Die Luftfpiele des Moratín machten Epoche, und mit
Recht ; denn trog Allem, was uns hindert, diefelben mit ihren
unbefchränften Bervunderern für Meifterwerfe zu erklären,
fpringt doch ihr hohes Berdienft und ihre Ueberlegenbeit in
die Augen, fobald man fie mit ben übrigen Comödien ders
felben Zeit vergleicht. — Eine ähnliche Stellung zur Tragóbie,
wie Sener zum Luftfpiel, errang fid) ungefähr um biefelbe
Zeit Nicafio Alvarez de Cienfuegos, geboren zu Mas
drid 1764, geftorben zu Orthez in Frankreich 1809. Diefer
ebenfo durch den Adel feiner Geſinnung alg durch fein Dichter
talent ausgezeichnete Mann verdient eine ebrenvolle Erwaͤh⸗
nung in der Befchichte der fpanifchen Poefle und darf in Feiner
Art in die Reihe jener gelebrten Pedanten geftellt werben,
welche fid) vor ihm bemüht hatten, das franzöftfche Trauers
fpiel nad Frankreich zu verpflanzen. Daß er die gebundene
und enge Form des legteren für ein nuthwendiges Requifit
einer tragifchen Darftellung hielt, war ein Tribut, den er
dem allgemeinen Vorurtheil feiner Zeit zollte; aber es war
ibm Heiliger Ernft mit der Kunſt; er dichtete mit vollfter Seele,
mit dem Herzen und Gefühle, nicht bloß mit dem Berftanbe,
und fo gelang es ihm, feinen Tragddien Idomeneo, Zoraida,
la Condesa de Castilla und Pitaco ein inneres poetiſches
Leben mitzutheilen, das man an den meiſten Verſuchen ber
Spanier in demfelben Style fo fehr vermißt. Hohe Würde
der Geſinnung, poetifche Anfchauung, feurige Schilderung der
— $1 —
Leidenſchaften, edle Eharaftere und treffliche Gruppirung ber:
felben zeichnen die genannten Trauerfpiele aus. Das gelun«
genfte darunter möchte die Zorafde fein, welche Tragödie eine
febr Iobenswerthe Anlage und Entwidelung bes Plans und
eine wahrhaft erfchütternde Kataftropfe aufzumelfen hat; in
einer freieren Form hätte ſich freilich dem romantiſchen Stoffe
aus der Geſchichte von Granada noch ein ganz anderer Ers
trag abgewinnen laffen. — Nicht gewöhnliche Anlagen für
die Tragödie zeigte auch Manuel Jofé de Duintana
(geb. zu Madrid 1772) in feinem Pelayo, aus welchem ein
edler Geift in fráftiger und gebilbeter Rebe ſpricht. — In
- Bezug auf die Sprache aller biefer Trauerfpiele fet nod) per
vorgehoben, daß fie durchgehends in fünffüßigen Samben ohne
Reim geichrieben find. So weit verblenbete bie Verehrung
für die ausländiſchen Mufter, daß man dem fpanifchen Idiom
ein Maaß aufzwängen zu múffen glaubte, welches die ganze
Monotonie und bas Schleppende bes ftalienifchen Verso
sciolto hat und deshalb aud von ben früheren Dichtern
immer_nur in fehr eingefchränkter Weiſe angervanbt worden
war.
Man madht fi faum einen Begriff davon, in wie hohem
Grade alle, felbft bie begabteften Geifter diefer Zeit ſich durch
die verkehrten been von moralifhem Nuten, Regelrichtigfeit
u. f. w. beherrichen Tiefen, fo daß fie allein von einer gänz-
lichen Vernichtung ber Nefte des alten Nationaltheaters, die
fih nod) bis auf ihre Tage erhalten hatten, Heil für die
Bühne erwarteten. Hören wir nur, wie ber unvergefliche,
um fein Vaterland fo vielfach verdiente Sovellanos fid in
“ feiner Memoria sobre las diversiones públicas (Madrid
1812, die Schrift (ft aber fon 1790 verfaßt) in biefer Be:
ziehung ausſpricht: „Die Reform unferes Theaters muß mit
— 502 —
der Verbannung faft aller Dramen beginnen, ble heut zu
Zuge aufgeführt werben; ich rede nicht allein von benen,
weldyen man gegenwärtig einen albernen -und -barbarifchen
Vorzug gibt, von den Mißgeburten hungriger: und unwiſſender
Dichterlinge, welche allen Anftand.,. alle Wahrſcheinlichkeit,
alles Intereſſe und alle gute Sprache von der Bühne vers
bannen; dergleichen Monftrofitáten werben vor dem erften
Blicke verſchwinden, den die Vernumft und ber gefunde Mens
fihenverftand auf die Scene werfen werben: nein, id) meine
auch diejenigen, welche mit Recht bei uns berühmt find, welche
einft anderen Nationen zum Vorbilde gedient haben und welche
von dem einſichtsvollſten und erleuchtetfien Tpeile unferer Ras
tion nod) immer mit Freude und Entpufiagmus gefehen wers
den; ich werde immer ber. Erfte fein, ihre unnadhahmlichen
Schönheiten anzuerkennen, die Neuheit ihrer Erfindung, bie
Schönheit ihres Stpls, den Fluß und die Natürlichkeit ihres
Dialogs, die wunderbare Kunft ihrer VBerwidelung, das Feuer,
das JIntereffe, ven Scherz und ben anmuthigen Witz, denen
man in ihnen bei jedem Schritte begegnet: aber was hilft
dies Alles, wenn dieſe felben Dramen, bei'm Licht der Res
geln und vor Allem bei dem ber gefunden Vernunft befeben,
von Taftern und Fehlern wimmeln, welche bie Moral und bie
Holitif nicht dulden dürfen 9“
Die weitere Geſchichte des fpanifchen Theaters im neuns
zehnten Jahrhundert wird fih am füglichiten an die Ermwähs
nung ber einzelnen Dichter knüpfen. Wir fchiden bier nur
einiges Allgemeine voraus.
Durch die Werke des jüngeren Moratin und des Ciens
fuegos faßte das claffifhe Spftem (wenn man einem Gewebe
pon Vorurtheilen und Mißverſtaͤndniſſen biefen einmal pers
gebrachten Namen laffen will) auch in der Praxis immer
— 53 —
feftere Wurzeln; man kann Die. ganze Zeit von 1800 68 1834,
als die Periode von deſſen ausſchließlicher Herrſchaft bezeich⸗
nen. Einzelne Stücke in den freieren Formen ber. alten Cos
mpbien wurden zwar nod) gefchrieben (3. B. von Gaspar
de Zavala y Zamora, ber erft 1813 ftarb); auch kamen
einige ausländifche Dramen, welche das Defeg der drei Ein-
heiten nicht beobachteten, auf die fpanifche Bühne (z. B. das
nichtswürdigſte aller Schaufpiele alter und neuer Zeit, Roge
bue's Menſchenhaß und Rene): allein alle diefe Sachen wurs
den nur als Caſſenſtücke für ben Pöbel angefehen, nicht
eigentlich zur Literatur gerechnet; die Autoren, welche eine
Iiterarifche Bedeutung anſprechen wollten, glaubten fich ben
frangöfiichen Regeln unterwerfen zu müſſen. Ein Theil ber
alten Nationalcomödien erhielt fich auf dem. Theater, aber
mon fing an, willfürliche Veränderungen mit ihnen vorzus
nehmen, um fie dem neuen Spflem näher zu bringen; man
firid) die fcherzbaften Partieen, verwandelte die drei Jornadas
in fünf, fuchte bie Ortsveränderung einzufcpränfen u. ſ. w.,
ohne zu bebenten, daß hierdurch ber ganze Organismus ber
Werke zerftört würde. — Den regelrechten Tragódien einen
Succeß zu verfchaffen, den fie vielleicht burd fic) felbft nicht
erhalten haben würven, diente vorzüglich der berühmte Schaus
fpieler Ifiboro Mayquez, beffen hier ausdrücklich gedacht
werden muß. »Diefer große Künftler — fagt Martinez de la
Reja — erhob die tragifche Declamation zu einer Höhe ber
Vollkommenheit, wie fie in Europa felten tft und bis dahin
in Spanien unbefannt geweſen war; er zeigte, in wie weit
eS möglich fet, die Würde mit der Einfachheit zu verbinden,
ven Ausdruck der Leidenfchaften burd) die Stimme, bie Ge- :
berden, ja durch das Schweigen felbft wiederzugeben und ein
Ganzes von folder Schönheit und Wahrheit aufzuftellen, daß
— 52 —
der Verbannung faft aller Dramen beginnen, ble peut zu
Zuge aufgeführt werden; ich rede nicht allein von denen,
welchen man gegenwärtig einen albernen -und barbariſchen
Vorzug gibt, von den Mißgeburten hungriger und unwiſſender
Didterlinge, welche allen Anſtand, alle Wahrfcheinfichkett,
alles Intereſſe und alle gute Sprade von der Bühne vers
bannen; dergleichen Monftrofitäten werben vor bem erften
Blide verſchwinden, den die Vernimft umd ber gefunde Mens
fihenverftand auf die Scene werfen werben: nein, ich meine
auch diejenigen, welche mit Recht bei uns berühmt find, welche
einft anderen Nationen zum Borbilde gevient haben und welche
von dem einfichtsvoliften und erleudhtetften Theile unferer Ras
tion nod) immer mit Freude und Enthuſiasmus gefehen wers
den; ich werde immer ber. Erfte fein, ihre unnadhahmlichen
Schönheiten anzuerfennen, die Neuheit ihrer Erfindung, bie
Schönheit ihres Styls, den Aluß und die Natürlichkeit ihres
Dialogs, die wunderbare Kunſt ihrer VBerwidelung, das Feuer,
das Intereffe, den Scherz; und ben anmuthigen Wib, denen
man in ihnen bei jedem Schritte begegnet: aber was Hilft
dies Alles, wenn dieſe felben Dramen, bei'm Licht der Res
geln und vor Allem bei dem ber gefunden Vernunft befeben,
von Laftern und Fehlern wimmeln, welche die Moral und bie
Holitif nicht dulden dürfen Y
Die weitere Gefchichte des fpanifchen Theaters {m neuns
zehnten Jahrhundert wird fih am füglichiten an bie Erwäh⸗
nung der einzelnen Dichter knüpfen. Wir fchiden bier nur
einiges Allgemeine poraus.
Durd) die Werfe des jüngeren Moratín und des Ciens
fuegos faßte das claffifche Spftem (wenn man einem Gewebe
pon Borurtheilen und Difoerftándniffen biefen einmal pers
gebrachten Namen laffen will) auch in der Praxis immer
— 503 —
feftere Wurzeln; man kann bie ganze Zeit von 1800 bis 1834
als die Periode von deſſen ausſchließlicher Herrfchaft bezeich-
nen. Einzelne Stücke in den freieren Kormen ber. alten Cos
mödien wurden ¿war nod) gefchrieben (3. B. von Gaspar
de Zavala y Zamora, der erft 1813 flarb); auch famen
einige ausländiſche Dramen, welche das Geſetz der drei Ein-
heiten nicht beobachteten, auf die fpanifche Bühne (4. B. das
nichtewürdigfte aller Schaufpiele alter und neuer Zeit, Roge:
bue's Menſchenhaß und Rene): allein alle diefe Sachen wurs
ben nur als Caſſenſtücke für ben Pöbel angefehen, nicht
eigentlich zur Literatur gerechnet; die Autoren, welche eine
literariſche Bedeutung -anfprechen wollten, glaubten fic) ben
feangöfiichen Regeln unterwerfen zu miffen. Ein Theil ber
alten Rationalcomödien erhielt fic) auf. dem. Theater, aber
mon ‚fing an, willfürlihe Veränderungen mit ihnen vorzu⸗
nehmen, um fie bem neuen Spftem näher zu bringen; man
Aid die fcherzhaften Partieen, vertwandelte die drei Jornadas
in fünf, fuchte bie Ortöveränderung einzufchränfen u. |. w.,
ohne zu bevenfen, daß hierdurch ber ganze Organismus ber
Werke zerflört würde. — Den regelrechten Tragödien einen
Succeß zu verfchaffen, den fie vielleicht durch ſich felbft nicht
erhalten haben würden, diente vorzüglich ber berühmte Schaus
ſpieler Iſidoro Mayquez,. deffen hier ausprüdlich gedacht
werden muß. »Diefer große Súnfiler — fagt Martinez be la
Reja — erhob die tragifche Declamation zu einer Höhe ber
Bolllommenpeit, wie fie in Europa felten tft und bis dahin
in Spanien unbekannt gewelen war; er zeigte, in wie weit
es möglich fet, die Würde mit der Einfachheit zu verbinden,
den AuSbrud ber Leidenfchaften durch Die Stimme, die Ge⸗
berden, ja durch das Schweigen felbft wiederzugeben und ein
Ganzes von folder Schönheit und Wahrheit aufzuftellen, daß
_— 5 —
: €8 zugleich emtzüdte und das Herz erſchütterte. Sein mannids
faches und biegfames Talent hielt dem Publifum die volls
fommenften Werke des Theaters zur Bewunderung vor, und
felbft andere minder vollfommene erhielten vurd ihn einen
Werth, ben fie in fich nicht befaßen. Dit Bewunderung und
Zagen fahen die Zufchauer ben grofiberzigen Orosman, wie
er mit ber Eiferfucht kaͤmpfte; fie ¿itterten, wenn fie ben
Othello”) ſchweigend und das büftere Gemach mit den Blicken
meffend eintreten fapen; wenn fie Cain ®) erblicten, wie er vers -
‚ geblih mit dem verhängnißvollen Drange fämpfte, ber ihn
zum Brudermorde fortriß; wenn fie Brutus fahen, wie er
fih in feinen Mantel büllte und mit bebender Hand bas
Haupt feiner Söhne dem erhobenen Belle ber Lictoren übers
wies; mit einem Worte, fie bemunderten die hoͤchſte Vollen⸗
dung, zu welcher die Kunft gelangen kann, Indem fie in ber
Nachahmung die Natur verfehönert.«
Sp vereinigten Production, Kritif und Schaufpielfunft
ihre Kräfte, um dem riguröfen Regelbrama einen dauernden
Sieg zu ſichern.
ES iſt das nic genug zu ſchätzende Verdlenft deutſcher
Männer, namentlich des unvergeßlichen Schlegel (der das von
Leffing begonnene Werk zum Ziele führte), zuerſt die innern,
aus dem Weſen der dramatifchen Form fließenden Gefeße des -
Schaufpield und zugleih das Kindiſche und Nichtige jenes
mechanifchen Regelzwanges fhlagend und unwiderleglich dars
gethan zu haben. Der Aberglaube an die Ariftotelifchen und
Boileau'ſchen Präcepte, diefer Wahn, der die Literatur ganzer
7) Der Othello des Dúcis, überfeht von Teodoro be la Galle.
®) In La muerte de Abel von Antonio Sabiñon, nach Legouve’s
Mort d'Abel.
— 55 —
Vólter zerrüttet und von ber Bahn ber naturgemáfien (Ents
widelung abgeführt Bat, ift fo felbft bei den Nationen, welche
ihm am bartnädigften anhingen, erichüttert worden; bie bald
nad) dem Original erfähienene franzöftfche Ueberſetzung von
Schlegel's Dramaturgie Härte felbft in ber Heimath bes
modernen Claſſicismus viele Seifter über die alten Vorurtheile
auf und bereitete den fpäter erfolgten Steg ber Romantiter
vor. Aber feltfam! die fo glänzend und mit fo flegreicher
Klarheit durchgeführte Theorie des berühmten deutfchen Rrés
tikers blieb zunächſt ohne alle Ruͤckwirkung auf Spanien. Im _
glorreihen Kampfe fhüttelte die edle ſpaniſche Nation bas
politiſche Joch des Nachbarſtaates ab, aber die Abhängigkeit
von den literariſchen Defegen, die fie einft von dort empfangen
Batte, dauerte fort. So tief hatten die franzöflfchen Sdeen in
Spanien Wurzel gefaßt, ja fo fehr war ein großer Theil der
modernen Spanier feinem Vaterlande und beffen eigenthüms
lichen Erzeugniffen fremb geworden, daß ſich im Jahre 1818,
alg unfer trefflicher Landsmann Böhl von Faber die Ans
ſichten Schlegel’s über Ealberon tn fpanifcher Sprache befannt
machte, ein allgemeiner Kampf gegen diefelben erhob; biefer
Streit wurde in Tagesblättern und Flugſchriften aufs etfs
rigfte geführt, und ber Deutfche mußte darin die Sadje des
großen Eaftilianerd gegen die eigenen Landsleute bes Lepteren
vertheidigen. Nod) im Fabre 1822 ward in einer befannten,
von ſchatzbaren literarshiftorifchen Anmerkungen begleiteten Pues
til das Syſtem der Unttäten und moralifchen Tendenzen mit
derfelben Strenge eingefchärft, wie faft hundert Sahre früher
in der des Luzan, und während bie bedeutendften Theoretifer
einen fo apobiftifchen Ton anftimmten, hatten die Dichter
feine Art von Ermuthigung zur Emancipation von den drücken⸗
den Gefjeln. Erft nachdem in Frankreich die neue Schule den
— 56 —
Sieg davongetragen hatte, als fogenammte romantifche Dramen
felbft in das Heiligthum des Theatre francais eindrangen,
begannen ſich and) in Spanien einige freiere Regungen Fund
zu geben. Im Zahre 1834 ſtürzte bie Herrſchaft des Elaffi-
eismus, und die Theater von Madrid öffneten fid für Dras
men von minder gebundener Form. lm die Veränderung,
welche in Folge diefed neuen Impulſes auf der fpanifchen
Bühne vorgegangen éft, von Anfang an in das rechte Licht
zu ftellen, mäffen wir fogleid) die beiden Parteien unterſchei⸗
den, von denen die Reartion gegen das claffifche Syſtem aus⸗
ging. Die erfte und unfireitig bei weiten achtungswertheſte
ward von Solchen gebildet, welche ein Rüdlehr zu ben Nas
tionalformen und die Verbindung berfelben mit Dem Geifte
und den Anforderungen ber neuen Zeit prebigten. MIS der
würbigfte Vertreter diefer Partei tft der trefflihe Aguftin
Duran angufehen, welder in feinem Discurso sobre la
decadencia del teatro espanol, in der Borrede zur Talia
- española und in vielen Sournalartifeln mit eben fo vieler
Einficht die früheren Mißverſtändniſſe aufflärte, als mit Wärme
das alte Nationaltheater empfahl und den jüngeren Dichtern
ven Weg wies, auf welchem, nicht durch ſclaviſches Anfchlies
Ben, fondern durch freied Reproduciren zu einer Regeneration
des lepteren zu gelangen wäre, Wirklich hatte diefer ausge
zeichnete Mann die Freude, die von ihm empfohlene frucht⸗
bringende Straße bald von bedeutenden Zaleuten, unter denen
wir befonderd Breton de los Herreros nambaft machen,
betreten zu ſehen. — Nicht in gleich rühmlicher Weife fann
der großen Schaar derer gedacht werben, melde, vom Taus
mel der fogenannten romantifchen Schule in Frankreich forts
geriffen, es fid) angelegen fein ließen, bie wüſten Stüde der
Porte St. Martin nad. Madrid zu verpifanzen und Diefe in
— 307 —
eigenen Probuctionen nachzuahmen, oder welche, Die neuge⸗
wonnene Freiheit mißbraudend, Feine Hegel, Teine Schranfe
anerkennen wollten; aus biefem Rreife find in Spanien eine
Menge verwerflicher Dramen hervorgegangen, Dramen voll
unnatürlicher Verbrechen, vol Mordfeenen und Blutſchande,
Dramen, welche die widerwärtigfien Gräuel behaglich zur
Schau ftellen und ftätt wirklicher Menſchen Zerrbilder von
BDöfewichtern und Thoren zeichnen. Daß fih in manden
diefer Schaufpiele, ebenfo wie in denen des Bictor Hugo, ein
erfreulicher. poetifcher Lebensgeift rege, daß fie mehrentheils
berechtigt gewefen feien, über bie todtgeborenen Erzeugniffe
der Elafficiften zu flegen, wollen wir gar nicht Täugnen; und
die Zügellofigfeit, die grelle Farbengebung mögen zum Theil
als eine natürlihe Folge der erften gewaltfamen Reaction
gegen die Tyrannei des alten Spflems entſchuldigt werben;
aber doch müſſen wir es als- eine. ſehr glüdliche Erfcheinung
fignalifiren, daß der erfle Raufch beffen, was man in Spas
nien Romanticismus nannte, ziemlich bald verrauchte und
Daß die begabteren Geifter, welche anfänglich in feinen Wirbel
bineingezogen wurden, fid) bald aus ihm bervorarbeiteten, Die
Bahn der Befonnenheit einfchlugen, der Wildheit und den
ſchroffen Contraften entfagten und bet ihren Dichtungen Des
müth und Natur zu Rathe zogen. Auf diefe Art haben mehrere
Dichter, welche ¿uerft nur darauf ausgingen, das Publikum
durch Schilderung wilder Leidenfehaften und durch flarfe Ge⸗
müthserichütterungen in ganz anarchiſchen Gebilden zu eleftris
ſiren, mit den oben erwähnten Vertretern der beſſeren Rich⸗
tung gemeinſame Sache gemacht und verſchiedene ſehr lobens⸗
werthe Werke hervorgebracht.
Den Zuſtand der ſpaniſchen Bühne im Jahre 1835, als bie
Revolution gegen den Claſſicismus zuerſt feſtes Terrain zu finden
— 508 —
begann, können wir nicht beffer fepilbern, al8 mit ben Worten
Larra’s (in ber Revista española): „Das Chaos von Titeln
und Werfen auf unferer Bühne ift ungeheuer. Zuerft haben wir
die Comedia antigua, unter welchem allgemeinen Titel alle bras
matifchen Werke aus ber Zeit vor Eomella begriffen werben;
zweitens das Melodrama, ein Probuft unferes Titerarifchen
Snterregnums und von ber Porte St. Martin zu ums gez
bradht; drittens bas fentimentale und das gräuelvolle Drama,
älterer Bruder des vorigen und gleichfalls Ueberfegung; dann
das fogenannte clafftiche Ruftfpiel von Moliere und Moratín
mit feinem Affonanzenvers oder feiner bausbadenen Yrofa;
hierauf die claffifche Tragdpie mit ihren pomphafien Berfen
unb ihrem Zubehör von Metaphern und erhabenen Gebanfen
von Föniglichem Geblüt; weiter die bisweilen abgefchmadten,
bisweilen aber auch amüfanten Kleinigfeiten von Seribe; fos
dann das hiſtoriſche Drama, eine verfificirte Chronik in poes
tifher Profa mit altertfümlichen Trachten und Decorationen
ad hoc; endlich, wenn td) nichts vergeffen habe, das romans
tifche Drama, ein neues und originales, nie zuvor gefehenes
nod) gehörte Ding, ein Komet, der zum erften Mal mit
feinem Schwanz von Blut und Todtfchlag in bem literaris
ſchen Syſtem erfcheint, eine Entbedumg, welche allen bi8s
herigen Jabrhunderten unbefannt und ben Columbuffen des
neungehnten vorbehalten geblieben, — mit. einem Wort, bie
Natur auf den Brettern, das Lit, die Wahrheit und bie
Freiheit in der Literatur, das proclamirte Menfchenrecht, die
Anarchie, die fih zum Gefege zu geftalten firebt.«
Aus diefer Mannichfaltigkeit heterogener Formen hat fic)
nun freilich die fpantfche Bühne bi8 auf ben heutigen Tag
nod) nicht völlig zur Seloftftindigtelt in einer beſtimmten Richtung
hervorgearbeitet; noch immer öffnet fle fic) den geringfügigen
— 509 —
Tagespropuften ber Franzoſen; aber in etwas beginnt ble
frühere Buntfchedigfeit fich zu vereinfachen. Die ftrenge Regel⸗
tragödie tft faft gänzlich in ber Atmofphäre von Tangerweile,
bie fie um fich verbreitete, verbunftet, und felbft diejenigen
Schriftfteller, welche früher bem Elafficismus am entſchieden⸗
ften zugethan geweſen, haben bem alten Vorurtheil entfagt;
bie erfien Erploflonen des neuen Titerariichen Freiheitsgeiſtes
find vorüber, und immer mehr gewinnen würbige, aus edlem
Streben. hervorgegangene Originalprobuctionen die Oberhand
über den Tand bes Auskındes, wie über die einheimifchen
Mißgebilde.
Wir laſſen nun einige Notizen über die bemerkenswer⸗
theſten unter den Dichtern folgen, welche ſich ſeit Moratin
auf der ſpaniſchen Bühne hervorgethan haben. Manuel
Eduardo Goroſtiza, geboren 1790 zu Veracruz, nach
dem ſüdamerikaniſchen Unabhaͤngigkeitskriege mexikaniſcher Ge⸗
ſandter an verſchiedenen europäiſchen Höfen, machte ſich um
das Jahr 1816 zu Madrid durch mehrere, mit großem Bei⸗
fall aufgenommene Comödien bekannt. In dieſen, namentlich
in der berühmteſten darunter (Indulgencia para todos), fo
wie in ſeinem ſpäteren Luſtſpiel Contigo pan y cebolla zeigt
er ſich als geiſtvollen Nacheifexer Moratin's, dem er ſich in
der Befolgung der Regeln und in der moraliſchen Tendenz
anſchließt, aber an poetiſchem Geiſt, der hier und da ſchon
an den Schranken des Claſſicismus zu rütteln beginnt, an Laune
und komiſcher Lebendigkeit überlegen iſt. Einen großen Vorzug
vor der monotonen Form Moratin's haben dieſe Stücke ſchon
dadurch, daß fie außer der Romanze auch wieder. die fanfts
gleitende, für das Luſtſpiel wie gefchaffene, Rebondille zur
Anwendung bringen.
Francisco Martinez de la Rofa, ber berühmte
— 510 —
Stadtsmann, der, wie bie Mendozas und Esquilaches ber
früheren Zeit, den Dienft der Mufen mit der einflußreichiten
politifchen Wirkfamkeit zu verbinden gewußt hat, geboren 1789
zu Granada, richtete fchon früh feine Aufmerkfamfeit auf die
dramatifche Literatur und behielt diefelbe während feines gans
zen Lebens im Auge. Seine erften, 1812 erſchienenen Com⸗
pofitionen für die Bühne find ganz dem Syſtem angepaßt,
welches damals in Spanien .herrfihte. Zu der Tragóble La
viuda de Padilla, welche zum erften Mal zu Cadíz wäh
rend der Belagerumg biefer Stadt burd die Franzofen und
unter dem Krachen der feindlichen Bomben aufgeführt. wurde,
pat Alfteri ale Vorbild gedient. Man kann biefem Drama
nicht abſprechen, daß es das Ziel, welches fich der Verfaffer
vorftedte, erreicht hat; Martinez de la Mofa beabſichtigte, „eine
einzige Handlung ohne Epifoden und Vertraute, mit wenigen
Monologen umd einer geringen Anzahl von Perfonen zum
Ziele zu führen und die Kraft ber Gedanken, bie Energie
und Conciſion des Styles nachzuahmen, welche bei dem ttas
lieniſchen Dichter bis zu einem gewiffen Grade die Armuth
an Begebenheiten und die Nadtheit des Plans verdeden,«
Höher als dies Trauerfpiel müffen wir das gleichzeitig ers
fbienene Luftfpiel Lo que puede un empleo ftellen; aud)
bier Pat die tyranniſche Form der Entfaltung bes poetiſchen
Lebens freilich einigen Eintrag gethan, aber die Anlage tft
glücklich, der Dialog beweglih und voll komiſchen Salzes.
Spätere regelreihte und von großer Beherrſchung des Ted
nifchen zeugende Tragóbien unferes Autors find Edipo und
Morayma; ir ber legteren, welche ihren Stoff aus den Bür-
gerfriegen von Granada entlehnt, Taffen fi) einige romans
tifche Anflánge verfpüren, denen ber Dichter bei der Erinnes
rung an feine fhöne Heimath nicht auszuweichen vermochte,
— 511 —
Aber nod) dachte Martinez de la Rofa nicht daran, die Feſſeln
des Claſſicismus zu durchbrechen; tm Jahre 1822 fchärfte er
vielmehr in feiner Poetica dieſes Syftem in feiner ganzen
Strenge ein, und aud) das um dieſelbe Zeit verfaßte Luſtſpiel
La niña en casa y la: madre en la máscara iſt ganz ber
von Moratín eingeführten Befchränfung unterworfen. Uebri⸗
gens befunbet die Tefitgenannte Comödie, ebenfo wie bie etwas
fpätere Los zelos infundados, entſchiedenen Beruf zum komi⸗
[hen Dichter, eindringende Kenntniß des Menfchenherzens
und feiner Schwächen, Erfindungsfraft in komiſchen Sítuas
tionen, Birtuofität in Handhabung Der dramatiſchen Form und
vor Allem feltene Behendigfeit in der Sprache. — Erft wäh.
rend feines Aufenthaltes in Frankreich, der gerade in die Zeit
der erften Triumphe der romantifchen Schule fiel, modificirte
Martinez de la Rofa feine Anflchten über Dramaturgie, und
fam ¿u dem Entfchluffe, „bei Abfaffung. feines nächſten Stücks
jedes willkuͤrliche Syſtem zu vergeffen und nur jene Klaren,
unumflößlichen Regeln zu befolgen, welche in dem Wefen des
Drama’s felbft begründet find.” In biefem Sinne fchrieb er,
urfprünglich in franzöſiſcher Sprache für die Porte St. Mar-
tin, nachher aber auch auf ſpaniſch, das hiftorifche, ben Auf⸗
fland ber Morisfen in ben Alpufarras behandelnde Schau
fptel Aben Humeya; ganz abgerorfen ift hier ver Täftige
und unwürbige Zwang einer poeftesfeindlichen Theorie; die Hands
Tung geht frei und mit Teichter Bewegung ihren Weg, und
die mächtig Hervorfprubdelnbe bilderreiche Sprache beweiſt, daß
der Dichter den Impulſen feines Herzens und ber Begeifle-
rung gefolgt iſt, wie er denn auch bie Erinnerungen feiner
eigenen, in dem zaubervollen Granada verlebten Jugend fehr
glücklich benugt hat, um bem Ganzen eine angemeffene Locals
farbe zu geben. &in zweites Hiftorifches Drama, La Conju-
— 312 —
racion de Venecia, wurde von Martinez de la Rofa tm
Jahre 1834 auf die Madrider Bühne gebradht, und ¿war in
derfelben Woche, in welder er als Minifter bas berüßmte
Estatuto real publicirte. Auch diefem Drama mußte bas
lebhafte Intereffe, welches die Handlung erregt, und bas ers
greifende Pathos mehrere Situationen die Sympathie ves
Publifums gewinnen; beflagen muß man nur, daß der Vers
faffer, wie in bem vorigen, dem Berfe und den erhöhten
Reizen, die die Eompofition durch ihn gewonnen haben würde,
entfagt hat. — Während des Iepten Jahrzehends fcheint Mars
tinez de la Rofa durd feine gehäuften politiſchen @efchäfte
dem Dienfte der Mufen entfrembet worden zu fein, und nur
von einem fpäteren Drama von ibm, El Español en Vene-
cia 6 la cabeza encantada haben wir Kunde.
Dei weitem ber bedentendite und.einflußreichfte unter allen
modernen Dramatifern Spaniens ii Breton de log Hers
reros. Diefer ausgezeichnete, in feinem Vaterlande hochge⸗
feierte, aber außerhalb deffelben noch nicht nad Verdienft bes
fannte Dann (geboren in. der Provinz Logroño im Zahre 1800)
widmete ſich von Jugend auf der bramatifdjen Poefle. Ein
Luftfptel, das er mit ſiebzehn Jahren ſchrieb, A la vejez
viruelas, wurde mit großem Beifall aufgenommen; diefer
Erfolg ermuthigte den jungen Dichter, mit doppeltem Eifer
fortzufahren, und er arbeitete von jener Zeit an mit fo umers
müdlichem Fleiße für die Bühne, daß bis auf ben heutigen
Tag an zweihundert Dramen von ihm aufgeführt worben find.
Man fann nicht fagen, daß Breton’s Fruchtbarkeit dem Werthe
feiner Probductionen Eintrag gethan habe, vielmehr find Dies
felben burdaus mit großer Feinheit und Sorgfalt ausgears
beitet. Den meiften und verdientefien Ruhm haben ihm feine
Luſtſpiele eingetragen, und diefe werden nicht allein auf den
’ — 513 —
Diner :von Madrid, fonbern in bem ‚ganzen Lande bis in
die Hetuften Stäbtchen hinein unter allgemeinem Applanfe ge-
ſpielt. Yu ben früheren derſelben ſchniiegte ſich Breton nod
in die claſſiſchen Formen und wich nur barin von Moratín
«ab, dag er mannichfaltigere Versmaaße zur Anwendung brachte;
aber ſelbſt unter diefem Zwange mußte er ein friſches poetis
ſches Reben zu entfalten. Die Plaͤne der mehrſten Diefer Comdpien
ſind yan großer. Einfachheit und können. ben Zufchauern, welche
im Schaufpiel vornämlich Befriedigung der Neugier fuchen, wenig
gefallen; in. dem ſehr belichten und populären Stüde Marcela
o.& cual de los tres”¿. B. beſteht die ganze. Handlung daría,
daß drei Liebhaber, deren jeber feine eigenen Schwächen und
Lächerlichkeiten bat, fih um die. Hand einer jungen munteren
Wittwe bewerben. und zuletzt alle .dref ‘einen Korb erhalten;
aber bie Wendungen y Die- der Didier dieſem einfachen Plan
zu geben, die verſchiedenen Combinationen, Die er auf fin qu
gründen weiß, find fo finnreih und mannichfaltig, die Char
zaltere mit fo frappanter -Wahrheit- und Natürlichkeit gezeich⸗
net, der Wig und bie Sronie fo treffend, und die Lebendigkeit
des auf den Wogen der Iieblichften Berfification umhergau⸗
felnden Dialogs tft fo hinreißend, daß wir das Luſtſpiel nie
anders, alg unter. allgemeinem Entzüden des Publikums und
mit. von Scene zu Scene fleigendem Beifall haben aufführen
fehen. Höher nod ſteht A Madrid me vuelvo, eine von
Breton'8 . älteren Comödien, welche, ben Reiz der Irylle
mit der Feinheit des EharaftertuftipielS verbindend., Stadts
und Landleben in Contraft ſtellt. — In fpäteren Jahren ent
fagte Breton. dem Zwange der Einheiten, welchem er feine
früheren Dramen unterworfen hattez bed) iſt er. den Aus⸗
ſchweifungen der Romantiker immer fern geblieben. Das
feinere Luftfpiel blieb auch jegt der Mittelpunkt feiner Thäs
Seid. d. Lit. in Spanien. III. Br. 33
— 514 —
tigleit, amb er Pat jedes Jahr feines Lebens mit trefflichen
Leiftungen in diefem Fade gegiert, deren Grazie und. Anmuch
nicht genug gepriefen werben. können. ES if wahr, manche
biefer Lufifpiele Haben mit der Schwierigkeit zu ringen, welche
fi jedem modernen Comödiendichter entgegenftellt, mit jemer
nämlich, eine Darfiellung der Gegenwart unb bes gewöhn⸗
lichen Rebens in das Bereich der Poefie zu erheben; und wir
wollen nicht behaupten, daß biefe Schwierigleit überall völlig
überwunden fet: aber vergleichen wir ben Spanier in diefer
Hinficht mit bem berühmten Komiker der Franzoſen, mit Scribe,
wie viele Vorzüge behauptet nicht ber Erftere, wie viel mehr
hat er gethan, nicht allein feine Schilderungen alltäglidher
Berhältniffe durch ein poetiſches Colorit zu ſchmücken, fons
dern auch burd) höhere Dichtertweihe feine Stoffe innerlich zu
abeln! — Es iſt uns nicht vergönnt, auf die zahlreichen neueren
Productionen Breton's näher einzugehen unb nur. einige der⸗
felben, welche und bei ber Darftellung befonbers uwwergeßliche
Eindrúde hinterlaffen haben, mögen nambaft gemacht werben.
Das Luftfpiel Todo es, farsa en este mundo funfelt von
aͤchtem Humor, und die fatirifchen Beziehungen auf politifche
Berhältniffe rüden das. häusliche und gefellfchaftliche Leben,
das zunächft geſchildert wird, fehr glücklich - aus feiner bes
fhränften Sphäre heraus. Muérete y verás fcheint. und wegen
der Feinfeit, mit welcher der Grundgedanke durchgeführt if,
wegen der hinreißend, ſchönen Schilverung bes Charakters
der Sfabel, fo wie wegen ber weichen und reizenden Fárbung,
die in Licht und Schatten burd) bas ganze Gemälde hin treffe
lich vertheilt ifl, wahrhaft. bewundernswerth zu fein. Sn Me
voy de ‚Madrid find die fpantfchen Sournaliften und Pam⸗
phletiften und die Ertravaganzen ber romantifhen Schule auf
eben fo koſtliche Weiſe Lächerlich gemacht, wie in las Flaque-
— 55 —
zas Ministeriales die Intriguen und der Egoismus nenefler
Staatöverwaltungen. Die Berfalttät feines Talents pat Dres
ton befonder® noch in einigen ernften: hiſtoriſchen Dramen ges
zeigt, welche unter Allem, was. die neue ſpaniſche Bühne
befigt, denen ber alten Meifter am nádften kommen möchten.
Hierher gehören vornámiid dle Tragódien D. Fernando el
emplazado und Bellido Dolfos. Als ein glüdlicher Verſuch,
bie alte Sntriguencomödie in Calderon's Weiſe wieder in’s
Leben zu rufen, «ft vas Cup No ganamos para sustos
bervorzubeben.
Großen Ruf als Bahnendachier bot in: nnenefer Zeit
Antonio Gil y Zarate (geb. 1796) erhalten. Die frühes
ren dramatiſchen Arbeiten diefes; auch durch politiſche Schrif-
ten befannten Mannes waren ziemlich ſpurlos voriibergegan
gen y aber-felt ven Tagen Calderon's hat Fein Schaufpiel groͤ⸗
fieres Auffehen und allgemeineren Enthuſiasmus in ganz
Spanien erregt, als fein Carlos 'segundo el hechizado,
mit dem er ¿uerft zu den Domantilern übertrat und: der im
Jahre 1837 mehrere Monate lang uhter immer ſteigendem
Beifall faft allein das Theater einnahm. Der befonnene Ryfe
tifer fann in Bezug auf diejes Stüd dem Tirtheil des fpants
ſchen Publikums ſchwerlich beipflichten; Dasfelbe iſt zu ſichtlich
und mit Hintanſetzung höherer Rückſichten auf den Effect bes
rechnet, und zeigt das Beſtreben, in ber materíellen Wirkung
víe modernen franzöſifchen Blut⸗ und Schauderſpiele nod zu
übertreffen; qu bem Plan und zu den hervorſtechendſten Cha⸗
rafteren: hat offenbar Victor Hugo's Notre Dame de Paris
das Vorbild hergeliehen. Erfreulich iſt es, den Berfaffer, bem
ein bedeutendes Talent nicht abgefprochen werden fann, in
finen nieueften Dramen, Rosmunda (bie Geſchichte der eng-
gg"
— 6 —
Ifchen Rofamımde) und Guzman el bueno wieder zur Des
fonnenpeit zurüdgefehrt zu fehen.
Angel be Saavebra, Herzog von Rivas, geboren
1791 in Corbowa, nach vielen wechfelnden Schickſalen, bie
ihn bald zu ben höchſten Staatdämtern emporhoben, bal
Berfolgungen und die Dual des Eril8 erbulben ließen, nun⸗
mehr ſpaniſcher Geſandter am firtlianifchen Hofe, machte fü
während feines Tangjährigen Aufenthaltes in London und
Malta mit den Werfen der englifchen Dichter: bekannt, und
gewann durch diefe Studien ſchon in der Zeit, als in feinem
Vaterlande die franzöflfchen Theorien unbeſtritten herrſchten,
einen freteren BIid in das Weſen der Poefle. Sn der Bor
rede zu feinem erzáblenden Gedicht: El Moro expósito feßt
er in fehr Flarer und überzeugenber, Weiſe aus einander, wie
willkührlich und verkehrt jener ſogenannte Elafficismus fei,
ber fich wie ein Mehlthau an die Blärhen der Dichtkunſt
hänge, und die trefflihen Worte, die er hier ausſprach, haben
unftreitig nicht wenig dazu beigetengen, das hergebrachte Spr
fiem zu flürzen. Ein Drama, welches Saavedra nod) während
feiner Verbannung gefehrieben ‚hatte und nad). feiner Rücklehr
in’s. Vaterland im Jahre 1834-zu Madrid aufführen ließ, ift
ficptlid) Darauf angelegt, bie Regeln über ben Haufen zu, flos
fen; nicht ‚allein auf die Einheiten wird in dieſem Don AL
varo 6 la fuerza del Sino feine Rüdfiht genommen, nein,
was damals unerhört ſchien, auch Volksſcenen, in welchen
Zigeuner und. andaluſiſche Maulthiertreiber ihren Dialekt ves
den, kommen darin vor, und die Proſa wechſelt mit dem
Verſe. Das an großen Schönheiten reiche Gedicht ermangelt
übrigens der innern dorm; es führt die Sprache bes revos
Iutipnären Terrorismus gegen den Despotismus der alten
Bühnengefege und anullirt feine eigene Wirkung burd die
— 57 —
allzu große Häufung ſchrecklicher Kataſtrophen. — Bortrefflich
iſt das neuerdings erſchienene Luſtſpiel Solaces de un pri-
sionero, in welchem Saavedra auf glänzende Art bewiefen
bat, „daß die Comödie Lope's und Calderon's einer. Erneues
rung fähig fet, und daß die Eultur diefer alten einheimifchen
* Mlanze einen befferen Ertrag verſpreche, alg das verfrüppelte
aus bem Auslande nach- Spanien verpflanzte Geftrüpp.”
Den Genannten hat fih mun noch ein -fehr zahlreicher
Nachwuchs von jungen. Dirktern angefihloffen, welche in ven
legten zwölf bis ſechszehn Jahren ihre, zum Theil von ſchö—
nem Talent unterflügten,. Kräfte bem Theater gewidmet pas
ben. Nur diejenigen unter dieſen, welche. fig) befonbers bes
merklich gemacht, können bier namhaft gemacht werben.
- Zuan Engento Hargenbufrh, geboren zu Madrid
im Jahre 1806 von deutſchen Eltern, erregte ¿uerft durch
feine Amantes de Teruel Auffehen, in welcher Tragödie er
bem tragiſchen Stoffe noch nad) den früheren mehrfachen Bes
handlungen neue Seiten abzugewinnen gewußt, und nament-
lid) die des Montalvan, an die er ſich zunächſt ſchloß, tn der
Richtigfeit der Motive bei weitem übertroffen. hat. Sowohl
dieſes Drama, alg bie. fpäteren besfelben Verfaſſers, wte
Doña Mencia und Alfonso el Casto, find in einem durch⸗
aus edlen Style gehalten, und zeichnen ſich durch ergreifende
Situationen und feurige . Schilderungen ber Leivenfchaften aus.
Zu bedauern tft, daf der unglüdlihe Mariano Jofé
de Larra durch feinen früßzeitigen freimilligen Tod bie Er:
fallung ber Heffnungen vereitelte, welche fein großes Talent
erregt "hatte. Sein Macias, el- enamorado {if voll Glut und
wahrer Poeſie. '
‚Mehr von Gewandtheit und technſſcher Fertigteit, na⸗
wentlich in der Berfification, als von eigentlichem Dichter⸗
beruf, ſcheinen une. die zahlreichen Schaufpiele zu zeugen,
— 58 —
welche Antonto Darcía Gutierrez zur Aufführung ge
bracht bat; in bem Trovador, bem Stüde, weldjes dem funs
gen Dramatifer ¿uerft einen Namen machte, unb welches auch
von feinem feiner fpäteren Werfe übertroffen worben tft, find
bie zum Theil glücklich erfonnenen romantifhen Begebenheiten .
allzu äußerlich gefaßt und neben einander geftellt; eine inner
che, das Einzelne verfchmelzende und ¿un Ganzen geftaltenbe
Poeſie wird vermißt.
Glaͤnzend bebütirte Patricio de la EScofura mit
feinem Drama La corte del Buen Retro, einem lebendi⸗
gen und mit Eunftoollem Pinfel ausgeführten Gemälde bes
Hofes Philipp's IV. ; die hervorſtechendſten und intereffantes
ften Figuren diefes Hofes, der Herzog von Olivarez, Velas⸗
quez, Calderon u. f. w., find bier in gefchidter Weife um
den Grafen von Villantediana gruppirt,, deſſen Bermegenheit
in Liebesabenteuern und endlicher Untergang den Mittelpunkt
für das Intereſſe bildet. Die ſpäteren Productionen dieſes
vielverheißenben Dichters, wie La Aurora de Colon, Hi-
gamota u. ſ. w., find mir nicht befannt geworben. - -
Ein in ganz Spanien mit Recht fehr beliebtes Luſtſpiel
ift die Segunda Dama duende yon Ventura de la Vega,
einem Schriftfteller, der ſonſt mehrentheild nur Ueberſetzungen
aus bem Franzöftfchen geliefert hat. Diefes feine Sntriguens
ſtück (ft von Seribe in feinem Operntert Le domino noir
benußt worden. j |
Als Lyrifer, Erzähler und Dramatiker genießt gegen
wärtig Kofe Zorrilla eines Rufes, welcher den der meiften
feiner Zeitgenoffen in Schatten zu ſtellen brobt. Diefer Dichter
vermöchte bei feiner reichen Phantafle und feiner ungemeinen
Herrfchaft über die Sprache unſtreitig Ausgezeichnetes zu lets
ften, wenn er feine Kräfte concentriren und ſich mehr burd)
den Werth als dur die Menge feiner" Productionen hervor:
|
|
— 19 —
zuthun ſuchen wollte; allen. Die‘ außerordentliche Leichtigkeit,
mit der: er fchreibt, verführt ihn, alle feine Sachen nur fküich-
tig binzınverfen, und feinen Dramen merkt man biefe impros
vifirte Hervorbringung nur allzufehr an; fle enthalten: viele
glaͤnzende Partien und der VerS metieifert in Pracht und:
Reichthum nicht felten mit Lope und Ealberon: aber fie find
nicht gehörig durchgearbeitet und ¿ur vollen Reife gebracht;
auch fcheint ber Verfaſſer noch nicht zur Selbſtſtaͤndigkeit
durchgedrungen zu. fein; in einigen feiner Stüde, 3. BD. Ga-
nar: perdiendo und Cada tual con su razon, hat er das
alte Theater fo genau: nachgeahmt, dag man Intriguenſpiele
des ſiebzehnten Jahrhunderts vor ſich zu haben glaubt; tn
anberen dagegen, z. B. in Los dos Vireyes unb. El Eco
del -Torreñte hat er; wiederum bie (Effefte der modernen
Sranzofen geſucht. Obgleich nun Jorrilla, unferes Bebünfens,
bisper. den firengften Anforderungen noch nit Genüge gelets
ſtet bat, fo iſt duch gewiß, bag ſich an dieſen nod) fehr jungen
Dichter , bei feiner Strebſamkeit und feinem reihen Talent,
bie fchönften. Hoffnungen für bie Zukunft knüpfen. Ueber Ihn
fowohl, wie über die zahlreichen jungen. Dichter, weldhe ihm
zur Seite gehen, al8: Jofé de Cairo y Orozeo, Ens
genio de Tapta, Carlos Doncel, Tomas Rodris -
guez Rubí, Sofé Barcia de Villalta, Mariano
Rota de Togores, Miguel Aguftin Principe, Iſi⸗
doro Bil, Ramon Navarrete u A. m., wird erft die
Nachwelt ein abſchließendes Urtheil fällen können; uns muß
ed genug fein, mit Obigem auf bie vielen und firebfamen
fungen Kräfte. hingewieſen zu haben, welche fich gegenwärtig
in Spanien ber dramatiſchen Poefte widmen. .
Als eine ‚befonbers erfreuliche Erſcheinung tft denn auch
die Aufmerkſamkeit zu bezeichnen, welche man neuerbings wies
der dem alten Nationaltheater zuzuwenden anfängt. Die Co-
— 50 —
leccion general de Comedias escogidas, tele 1826 im:
Madrid zu erfcheinen begann und feítbem eine betraͤchtliche
Zahl von Eomöbien des Lope de Vega, Alarcon, Tirfo de
Molina, Rojas, Moreto, Guevara, Montalvan, Matos Fras
gofo, Mira ve Mefeua, Leyba, Eubillo de Aragon, Solís,
Eaftizares und Zamora geliefert hat, dann vas Teatro an-
tiguo español (Mabrív 1837, 8 Bändchen) und die nene:
Ausgabe des Tirfo de Molina (Madrid 1839, 12 Bände),
haben viele felten geivorbene Stüde der alten Meiſter voteber
fa Umlauf gebracht. Andy die Theater haben zu ben alten
Dramen, die fid trabitionell auf bem Repertoire erhalten
hatten, wieder viele hinzugefügt, welche von bemfelben vers
ſchwunden waren, und namentlich find mande ber undergleich⸗
lichen Lufifpiele ves Tirſo de Molina mit großem Erfolg
von Neuem in Scene geleßt worden. Ju bedanern iſt nur,
def man fih mit diefen Comödien oft willkürliche Veraͤnde⸗
rungen erlaubt, bie drei Afte auf fünf ausbehnt, die Rolle
des Spaßmachers ſtreicht u. f. w.; biefe umb. jene Veránbes
rung oder Abfürgung mag hier und da nicht ganz verwerflich
fein, aber man folíte das Gejchäft, dergleichen vorzunehmen, we⸗
nigftens geſchickten und poefleverfländigen Männern anvertrauen,
. nicht folchen, welche die herrlichen Dichtungen ber früheren
Zeit. ganz entftellen, wie man dies von ber Umarbeítung von
Calberon'8 El Escondido y la Tapada fagen muß, die heut
zu Tage in Madrid gefpielt wird.
Aus dem Gefagten geht wohl ¿ur Genüge hervor, daß
ſich gegenwärtig ein friiher Lebensgeiſt auf ber ſpaniſchen
Bühne regt. Hoffen wir, daß dieſe Regung nicht vorüber⸗
gehender Natur ſein, ſondern zu einer Regeneration des glor⸗
reichen alten Theaters im Geiſte und nod. ben Bedurfniſſen
der neuen Zeit führen werde!
— —
A |
——— der großen ‚Sammlung
e yon
tt
Comedias nuevas escogidas. de los mejores
| Ingenios de Espana.
(Madrid 1652 — 1704, y
Oben Seite 399 war von biefer wichuen Sammlung die Rebe,
Verſchiedene Bände derfelben führen Titel, welche von’ ber allgemeinen
Ueberfchrift bifferiren; da bei ben Exemplaren, deren ich mich" bediente,
das erfte Blatt nicht felten fehlte ober verflümmelt war, fo kann ich Diefe
Titel nur von folgenden Theilen angeben. Der 4te heißt: Laurel de
Comedias; ber 7te: Teatro- ‚poetioo; ; ber 10te: Nuevo teatro de Co-
medias; ber 13te: De los mejores el mejor ; ; Der 14te: Pensil de
Apolo; der 20fte: Comedias varias; ber Sifte: Minerva comica;
der 46fte: Primavera numerosa de muchas armonias lucientes.
Bei einigen der Bände muß auch bie Zhreezaht nuse gelafien
Tomo L (1652,
La Baltasara, de tres Ingenios, la primera Jornada de Luis
Velez de Guevara, la segunda de D. Antonio Coello, y la
tercera de D. Francisco de Rojas, . on
No siempre 16 peor es:cierto, de D. Pedro Calderon. |
Lo que puede el oir Missa,.del Doctor Mira de Mescua.
La exaltacion de la Cruz, dé D. Pedto Calderon.
Chico Baturi, y siempre es culpa la desdícha, de D. Antonio
de Huerta, D. Gerónimo Cáncer y D. Pedro Rosete. '
tub
a
sea»
— 54 —
. Mejor está que estava, de D. Pedro Calderon.
. San Franco de Sena, de D. Agustin Moreto.
. El Hamete de Toledo, de Belmonte y D. Antonio Martinez.
La Renegada de Valladolid,de Luis de Belmonte y de D.
Antonio Bermudez.
. Luis Perez el Gallego, de D. Pedro Calderon.
. El trato muda costumbre, de D. Antonio Mendoza.
. Con quien vengo vengo, de D. Pedro Calderon.
Tomo II. (1653.)
No guardas tu tu secreto, dé D. Pedro Caldero:
Juan Latino, de D. Diego Ximenez de Enciso.
Zelos, Amor y Venganza, de Luis Velez de Guevara,
La firme Lealtad, de. Diego de Splis. .
La sentencia sin firma, de Gaspar de Avila.
Fingir lo que puede ser, de.D. Roman Montero de Espinosa.
El Inobediente o la Ciudad sin Dios, de Claramonte.
La Rosa Alexandrima, de Enis' Velen de Guevara.
, El fuero de las cien doncellas, de D. Luis de Guzman.
‘No ay contra el honor poder, de Antonio. Enriquez Gomez.
. La obligacion de las mugeres, de Luis Velez de Guevara.
Amor y honor, de Luis de Velmonte, |
Tomo IH.. (1653.)
. La Llave de la Honra, de Lope de Vega.
. Mas pueden Zelos que Amor, de Lope de Vega.
Engañar con la Verdad, de Geronitno de la Fuente.
. La discreta Enamorada, de: ¡Lope de Vega.
A un Traidor dos Aleyosos ya los dos el’ mas leal, de Mi-
guel Gonzalez de Cuñedo.
. La Portuguesa y dicha del Forastero, de Lope de Vega. *
. El maestro de danzar, de Lupoe da Vega.
La Fenix de Salamanca, del Doctor Mira de Mescua.
Lo’ que está Determinado; de Lope: “' * --* : i
, La'dichá por'malos’ medios,'de Gaspar de Avila:
. San Diego de Alcalá, de' Lope: u
Los'tres señores del' mundo, de - ‘Luis’ de. Belmonse.
| Tome IV; (16585
Amigo, Amante y Leal, de. D. Pedro. Calderon.
. Oblígar con al Agrayio, de D., Erancigco: de Victoria,
— 585 —
. El Lego de Alomá, de Luis. Velez de Guevara. :
. No «ay mal que por. bien no venga, de D. Juan. Ruiz de
- Alarcon.
0 3D aNy mn
pub
ma O
m *
hab
d9 *
ON OA
. Enfermar con el: Remedio, de D. Pedro Calderon, Luis Velez
de Guevara y D. Geronimo Cancer.
. Los riesgos que tienne un coche, de D. Antonio de Mendoza.
. El respecto en el Ausencia, de Gaspar de Avila.
. El Conde. Partinuples, .de Doña Ana Caro. , _ :
. El Rebelde al beneficio, de D. Tomas Ossorio.
. El Español Juan de Urbino, del Licenciado Manuel Gonzalez.
. Lo que puede una sospecha, del Dector Mira de Mescua.
. El negro del mejor amo, del Doctor Mira de Mesena.
“Tomo V. (1053,) o
) Oponerse : a las Estrellas, de tres Ingenios.
Aman y Mardocheo, del Doctor Felipe Gadinez,
. Estados mudan costumbres, de D. Juan de Matos.
El Conde Alarcos, del Doctor Mira de Mescua. _
Donde ay agravios. no ay zelos, de D. Francisco de Rojas.
. El marido de su hermana, de Juan de Villegs. , ,
. El licenciado Vidriera, de D. Agustin de Moreto.
. Nuestra Señora" del Pilar, de Sebastian de Villaviciosa, D .
Juan de Matos y D. Agustin Moreto.
. El embuste acreditado: y el; disparate: creido, de Luis Velez
de Guevara. o
Agradecer y no amar, de D. Pedro Caldéron,
y
. No ay burlas con las mugeres, casarse y vengarse, del
Doctor Mira de Mescua,
. Los amotinados de Flandes, de Luis- Velez de Guevara.
Tomo: VI. (£654.) '
N
. No ay ser Padre siendo Rey, de, D. Francisco de Rojas.
. Cado cual A su negocio, de D. Geronimo de Cuellar.
. El burlador de Sevilla, del Maestro. Tirso de Molina.
Progae y Filomena, de D. Francisco de Rojas. .
. Los Trabajos de Job, del Doctor Felipe Godinez. .
Obligados, y, Ofendidos, de D. Francisco de Rojas.
. El Esclavo del Demonio, del Doctor Mira de Mescua.
. El Martir de Portugal, de D. Francisco de Rojas.
. La Vanda y ta Flor, de D. Pedro Calderon.
10.
12,
— 56 —
A un tiempo Rey y Vasallo, de tres ingenios.
El pleyto del Demonio con la Virgen, de tres Ingenies.
El gran Duque de Florencia, de D. Diego Ximeries de An
ciso,
Tomo VIL (1654)
. Para vencer á Amor querer vencerle, de D. Pedro Cal- .
deron.
. La Muger contra el Consejo. La primera Jornada de D. Juan
de Matos, la segunda de D. Antonio Martinez, la tercera de
D. Juan de Zavaleta.
. El buen Cavallero Maestre de Calatrava , de Juan Bautista
de Villegas.
. A su tiempo el Desengaño, de D. Juan de Matos.
. El Sol a Media Noche y Estrellas á Medio dia, de JuanBau-
tista de Villegas.
. El poder de la Amistad, de D. Agustin Moreto.
. D. Diego de noche, de D. Francisco de Rojas,
. La Morica Garrida, de Juan Bautista de Villegas.
. Cumplir dos Obligaciones, de Luis Velez de Guevara,
. La misma Conciencia acusa, de D. Agustin Moreto.
. El Monstruo de la Fortuna, de tres Ingenios.
. La Fuerza de la Ley, de D. Agustin Moreto,
Tomo VII. (1857.)
. Darlo todo y no dar nada, de D. Pedro Calderon.
Los Empeños de seis horas, de D. Pedro Calderon,
La gran Comedia de Travesuras son valor.
. Gustos y disgustos son no mas que imaginacion ‚de D.
Pedro Calderon,
Reynar por obedecer, de tres Ingenios.
. El Pastor fido, de tres Ingenios.
. La Tercerá de si misma, de D. Pedro Calderon.
, Amado y aborrecido, de D. Pedro Calderon.
. Perderse por no perdérse, de D. Alvaro Cubillo,
. Del Cielo viene el buen Rey, de D. Rodrigo: de Herrera. |
. El Agua! mansa, de D. Pedro Calderon.
. El marques de las Nabas, del Doctor Mira de Mescua.
Tomo IX. (1657.)
. Las manos blancas no.ofenden, de D. Pedro Calderon.
dub pub -
5 ay
pub.
»
SO» pasan
Da
. El Rey Enrique el Enfermo, de seis Ingenios
— m —
El mejor amigo el Muerto; de tres Ingenjes.. : « :
Las Amasonas, - : ;
, Vida y muerte de.San Lázaro, del Doctor, Mira de Mascha,
El escondido y la tapada, de D. Pedro Calderon...
La Victoria del Amor, de D, Manuel Morchon.
La Adultera Penitente, de. tres Ingenjos.
El Jo» de las Mugeres, de D. Juan de Matos.
. El Valiente Justiciero, de D. Agustin Moreto.
. La Razon busca venganza, de D. Manuel Morchon: °
. Gravedad en Villaverde, del Doctor. Juan ‚Perez de Mon-
talvan.
Tomo X. (1658,)
. La vida de San Alejo, de D. Agustin- Moreto..
El Ermitaño Galan, de D. Juan de Zavaleta. - .
Contra el amor no ay engaños, de D, Diego Enriquez.
El hijo de Marco Aurelio, de.D. Juan de Zavaleta. —.
El nieto de su padre,- de D. Guillen de Castro, _
Osar morir da la vida, de D. Juan de Zavaleta. 2:
. A lo que obliga el ser Rey, de Luis Velez,
El discreto porfiado, de tres Ingenios.
. La lealtad contra su Rey, de Juan dé Villegas.
. La mayor venganza de honor, de D. Alvaro Cubillo,
. Sufrir mas por querer menos, de D. Rodrigo Enriquez,
.. Los milagros del desprecio, de Lope de Vega. |
Tomo XL (1659.).
. El Honrador-de su Padre, de D. Juan Bautista Diamante,
El Valor Contra Fortuna, de 'D. Andres de Baeza. 7
. Hacer Remedio «el Dolor, de D. Agustin Noroto y D. Gero-
nimo Cancer.
‘4. El Robo de las Sabinas, de D. Juan Guello y Arias. a
. El Loco en la Penitencia y Tirano mas impropio; de un In-
genio de esta Corte.
. Contra su suerte Ninguno, de Geronimo Malo de Molisa. - :
. Vencerse es mayor Valor, de los Figueroas. . :
. El mas ilustre Frances San Bernardo, de D. Ast Mo.
reto. : e.
, El Escandalo de Grecia contra las Santas Imagense, de D,
Pedro Calderon. .
10.
jub.
sanenrep
— 538 —
No se pierden las Finétas, de D. Andres de Baeza.
. La Silla de San Pedro, de D. Antonio Martineg,.
18%,
La mas constante Mager, burlesca: de Juan Maldonado,
Diego la Dueña y Geronimo de Gifaonten,
- Tomo XH. (1658,)
. La dama Corregidor, de D. Sebastian de Villaviciosa y D.
Juan. de Zavaleta.
:'La Estrella de Monserrate, : de D. ‚ Christoval de Morales, o
. Amor y Obligacion, de D. Agustin Moreto.
Vengado antes que ofendido, de D, Geronimo de Cifuentes.
. La Estrella de Monserrate, de D. Pedro Calderon.
. Servir para merecer de Dismante:
. Prudente, 'Sabia y'Heúrada, de Cubillo. . ;
. El vencimiento de “Tuimo, de D. Pedro Calderon, . -
. El Hercules de Ungria, de D, Ambrosio de. Arce.
. Los desdichados dichosos, de -D.. Pedro Calderón. ..
. Mas la Amistad que la:Sangre; de D. 'Andres de Baeza. .
. Comedia :Burlesca del: Mariscal de Viron,. de D. Juan Mal-
donado. E
= omo xui. (4660).
. Pobreza, Amor y, Fortuna, de los Figueroas.
. El Conde de Saldaña, 2a. parte, de Alvaro Cabillo de Aragon.
. Triunfos de Amor y Fortuna, de D. Antonio de Solis. Loa
y Entremeses qué .Se representaron con esta Comedia a sus
-:Magestades en el Coliséo del Buen Retiro, año. de 1088.
. Fuego.de:Dios.en el querer hien, de D, Pedro Calderon..
‚Julian y: Basilisa, de: D Antonio de Hugrta, D. Pedro Ro-
sete y D. Geronimo Cancer.
. Los tres Afectos de Amor, Piedad, Desmayo y Valor de
. D. Pedro Calderon: . -: l
. El Josef de las mugeres, de D. Pedro Calderon:
. Cegar para. ver.mejor, de D. Ambrosio de Arce.
. Los Vandos de. Yizcaya,. de D..Pedro Rosete. .- :
. El-Amante mas cruel. y la amistad ya difunta, de D. Gon-
zalo de Ulloa y Sandoval.
. No. ay. Reynar.come vivir, del Dr. Mira, de 'Mescua. |
. A igual agravio no ay duelo, de D. Ambrosio de Cuenca.
29
11.
12.
DA y
— 59 —
Tomo XIV. (1661.)
. No puede ser, de D. Agustin Moreto.
. Leoncio y Montano, de D. Diego y D. Joseph de Figueroa
y Cordova,
. El Delinquente sin culpa y Bastardo de Aragon, de D. Juan
de Matos Fragoso.
Mentir y mudarse a un tiempo, fiesta que se representó
á sus Magestades en el Buen Retiro, de D. Diego y D. Jo-
sef de Figueroa y Cordova.
. Poco aprovechan avisos cuando ay mala inclinacion, de D.
Juan de Matos Fragoso.
. El valiente Campuzano, de D. Fernando de Zarate.
El Principe Villano, de Luis Belmonte Bermudez.
. Las canas en el papel y dudoso en la venganza, de D. Pe-
dro Calderon. '
. La fuerza de la verdad, del Doctor D. Francisco de Mala-
spina.
. La hija del Mesonero, fiesta que se representó á sus Ma-
gestades en Palacio, de D. Diego de Figueroa y Cordova.
El galan de su muger, de D. Juan de Matos Fragoso.
La mayor victoria de Constantino Magno, de D. Ambrosio
Arce de los Reyes.
Tomo XV. (1661.)
. El Conde Lucanor, de D. Pedro Calderon.
. Fingir y Amar, de D. Agustin Moreto.
El mejor Padre de Pobres, de D. Pedro Calderon.
. La Batalla del Honor, de D. Fernando de Zarate.
. La Fuerza del Natural, de D. Agustin Moreto.
. Los Empeños de un Plumaje y origen de los Guevaras, de
un ingenio de esta Corte.
. El Tercero de su Afrenta, de D. Antonio Martinez,
. El Eneas de Dios, de D. Agustin Moreto,
. Las Tres Justicias en Una, de D. Pedro Calderon.
. San Estanislao Obispo de Crobia, de D. Fernando de Za-
rate,
. Cada Uno para Si, de D. Pedro Calderon.
. Los Esforcias de Milan, de D. Antonio Martinez.
Geld. d. Lit. in Spanien. III. Do, Y
OIA Sa
11.
12.
Tomo XVL (1662.)
Pedir Justicia al Culpado, de D. Antonio Martinez.
Solo en Dios la Confianza, de D. Pedro Rosete.
Cada Uno con su Igual, de Blas de Mesa.
El Desden Vengado, de D. Francisco de Rojas.
El Diablo está en Cantillana, de Luis Velez.
El Diziembre por Agosto, de D. Juan Velez,
. Allá van Leyes donde quieren Reyes, de D. Guillen de Castro
Servir sin Lisonja, de Gaspar de Avila.
. El Verdugo de Malaga, de Luis Velez.
. El Hombre de Portugal, del Maestro Alfaro.
No es Amor como se pinta, de tres Ingenios.
Castigar por defender, Burlesca, de D. Rodrigo de Herrera.
Tomo XVIL (1662.)
. Dar Tiempo al Tiempo, de D. Pedro Calderon.
. Primero es la Honra, de D. Agustin de Moreto.
. La Sortija de Florencia, de D. Sebastian de Villaviciosa.
Antes que todo es mi Dama, de D. Pedro Calderon.
. Las dos Estrellas de Francia, del Maestro D. Manuel de
Leon y del Licenciado D. Diego Calleja,
, Caer para levantar, de D. Juan de Matos Fragoso, D. Gero-
nimo Cáncer y D. Agustin Moreto.
. La Verdad en el Engaño, de D. Juan Velez, D. Geronimo
Cancer y D. Antonio Martinez.
. Tambien da Amor libertad, de D. Antonio Martinez,
, Amor hace hablar los Mudos, de Villaviciosa, Matos y Za-
valeta,
. La Ofensa y la Venganza en el Retrato, de D. Juan Anto-
nio Moxica.
No ay Cosa como Callar, de D. Pedro Calderon.
Muger Llora y venceras, fiesta que se representó á sus Ma-
gestades, de D. Pedro Calderon.
Tomo XVII. (1662.)
. Dicha y desdicha del nombre, de D. Pedro Calderon.
. Euridice y Orfeo, de D. Antonio de Solis.
Seneca y Neron, de D. Pedro Calderon.
. La Paciencia en los Trabajos, del Dr. Felipe Godinez,
DY py»
oo.
10.
11.
12.
prep
*
— 531 —
. Los Medicis de Florencia, corregida y enmendada, de D.
Diego Ximenez de Enciso.
El Lindo D. Diego, de D. Agustin Moreto y Cabañas.
- Las Niñezes del Padre Roxas, de Lope de Vega Carpio, ja-
mas impressa.
. Lo que son Suegro y Cuñado, de D. Geronimo de Cifuentes,
. El Amor en Vizcaino y los Zelos en Frances, y Torneos
de Navarra, de Luis Velez de Guevara.
Amigo, Amante y Leal, de D. Pedro Calderon.
. Firmeza, Amor y Venganza, de D. Antonio Francisco.
. El Rey D. Alfonso el de la mano Horadada, Comedia bur-
lesca, de un Ingenio de esta Corte.
Tomo XIX. (1662.)
. El Alcazar del Secreto, fiesta que se representó á sus Ma-
gestades en el Buen Retiro, de D, Antonio de Solis,
Travesuras de Pantoja, de D. Agustin Moreto.
San Froylan, de un Ingenio de esta Corte.
. El Cavallero, de D. Agustin Moreto.
. El Rey Don Sebastian, de Francisco de Villegas,
. En el Sueño está la muerte, de D. Geronimo Guedeja Qui-
roga.
. Los siete Durmientes, de D. Agustin Moreto.
Los dos Filosofos de Grecia, de D. Fernando de Zarate.
. La Lealtad en las injurias, de D. Diego de Figueroa y Cor-
dova. -
La Reyna en el Buen Retiro, de D, Antonio Martinez.
Mudarse por mejorarse, de D. Fernando de Zarate,
Zelos aun del ayre matan, fiesta que se representó á sus
Magestades en El Buen Retiro, cantada.
Tomo XX. (1663.)
El Magico Prodigioso, de D. Pedro Calderon.
Callar hasta la Ocasion, de Juan Hurtado Cisneros.
Auristela y Lisidante, de D. Pedro Calderon.
Guardar Palabra á los Santos, de D. Sebastian de Olivares.
. La Difunta Pleyteada, de D. Francisco de Roxas Zorrilla.
„ El Rigor de las desdichas y Mudanzas de Fortuna, de D.
Pedro Calderon.
D. Pedro Miago, de D. Francisco de Roxas Zorrilla.
34%
8.
9.
10.
— 532 —
El Mejor Alcayde el Rey y no ay cuenta con Serranos, de
D. Antonio Martinez,
Saber desmentir sospechas, de D. Pedro Calderon,
Aristömenes Mesenio, del Maestro Alfaro.
11 y 12, El Hijo de la virtud, San Juan Bueno, del Capitan Don
tub.
IDA
Francisco de Llanos y Valdes, Dos partes.
Tomo XXI,
. Cual es mayor Perfeccion, de D, Pedro Calderon, fiesta que
se hizo a su Magestad.
Fortunas de Andromeda y Perseo, de D. Pedro Calderon.
. Quererse sin declararse, de D. Fernando de Zarate.
El Governador prudente, de Gaspar de Avila.
Las siete Estrellas de Francia, de Luis de Belmonte,
El Platero del Cielo, de Antonio Martinez,
. La Conquista de Cuenca y primera Dedicacion de la Virgen
del Sagrario, de D. Pedro Rosete.
. La Hechicera del Cielo, de D. Antonio de Nanclares,
. La Razon hace dichosos, de tres Ingenios.
. Amar sin ver, de D. Antonio Martinez.
. La Margarita preciosa, de Zavaleta, Cáncer y Calderon.
. El mas heroico Silencio, de D. Antonio Cardona.
Tomo XXII. (1665.)
Los Españoles en Chile, de D. Francisco Gonzalez de Bustos,
. Elegir al Enemigo, de D. Agustin de Salazar y Torres.
. El Arca de Noe, de D. Antonio Martinez, D. Pedro Rosete
y D. Geronimo Cancer.
La Luna de la Sagra, Santa Juana de la Cruz, de D. Fran-
cisco Bernardo de Quiros. .
Labar sin Sangre una Ofensa, de D. Ramon Montero de Es-
pinosa.
Los dos Monarcas de Europa, de D. Bartolomé de Salazar
y Luna,
La Corte en el Valle, de D. Francisco Avellanada, D. Juan
de Matos Fragoso y D. Sebastian de Villaviciosa,
. Amar y no agradecer, de D. Francisco Salgada.
. Santa Olalla de Merida, de D. Francisco Gonzalez de Bustos.
. Merecer de la Fortuna, Ensalzamientos dichosos, de D. Diego
de Vera y D. Joseph Ribera.
. Muchos Aciertos de un Yerro, de D. Josef de Figueroa.
Antes que todo es mi Amigo, de D. Fernando de Zarate.
— 333 —
Tomo XXIII. (1666.)
. Santo Thomas de Villanueva, de D, Juan Bautista de Dia-
mante.
. Los dos Prodigios de Roma, de D. Juan de Matos Fragoso.
El Redemptor Cautivo, de Don Juan de Matos y de Villa-
viciosa,
4, El Parecido, de D. Agustin Moreto.
DD 29 mn
. Las Missas de San Vicente Ferrer, de D. Fernando de Za-
rate.
. No amar la mayor fineza, de D. Juan de Zavaleta.
. Hazer fineza el desayre, del Lic. D. Diego Calleja.
. Encontraronse dos arroyuelos, de D, Juan Velez.
. La Virgen de la Fuencisla, de D. Sebastian de Villaviciosa,
D. Juan de Matos y D. Juan de Zavaleta.
. El Honrador de sus Hijas, de D. Francisco Polo.
. El hechizo imaginado, de D. Juan de Zavaleta,
. La Presumida y la Hermosa, de D. Fernando de Zarate.
- Tomo XXIV. (1666.
El Monstruo de la Fortuna, de tres Ingenios.
La Virgen de la Salceda, del Maestro Leon y Calleja,
Industrias contra finezas, de D. Agustin Moreto.
La Dama Capitan, Fiesta que se representó a su Magestad,
de los Figueroas.
. Tambien tiene el Sol Menguante, de tres Ingenios.
. Lo que puede Amor y Zelos, de un Ingenio de esta Corte.
Los Amantes de Berona, de D. Christoval de Roxas.
. El Soldado mas herido, y vivo despues de muerto, de D.
Pedro de Estenoz y Lodosa.
. El Maestro de Alexandro, de D. Fernando de Zarate.
. San Pedro de Arbues, de D. Fernando de la Torre.
Solo el Piadoso es mi hijo, de D. Juan de Matos, D. Se-
bastian de Villaviciosa y D, Francisco de Avellaneda.
La Rosa de Alexandria, la mas nueva, de D. Pedro Rosete.
Tome XXV. (1666.)
. El Letrado del Cielo, de D. Juan de Matos.
. La mas dichosa venganza, de D, Antonio de Solis.
. La fingida Arcadia, de D. Agustin Moreto.
Jah pudo
m 20032 o)
S
Jon m &
_ 534 —
Cuantas veo tantas quiero, de D. Sebastian de Villaviciosa
y D. Francisco de Avellanada.
. La Condesa de Belfor, de D. Agustin Moreto.
No ay contra el amor poder, de D. Juan Velez de Guevara.
- Sin honra no ay valentia, de D. Agustin Moreto.
. Amor vencido de amor, de D. Juan Velez de Guevara, D.
Juan de Zavaleta y D. Antonio de Huerta.
. A lo que obligan los zelos, de D. Fernando de Zarate.
. Lo que puede la crianza, de Francisco de Villegas.
- La Esclavitud mas dichosa y Virgen de los Remedios, de
Francisco de Villegas y Jusepe Rojo.
Lorenzo me llamo, de D. Juan de Matos Fragoso.
Tomo XX VL (1666.)
. El Baquero de Granada, de D. Juan Bautista de Diamante.
2. La dicha del carbonero y Lorenzo me llamo. La nueva, de
D. Juan de Matos Fragoso.
. Ay culpa en que no ay delito, de D. Roman Montero de
Espinosa.
. El Mancebo del camino, de D. Juan Bautista de Diamante.
. Los successos de tres horas, de Luis de Oviedo.
Fiar de Dios, de D. Antonio Martinez y D. Luis de Belmonte.
Desde Toledo á Madrid, del Maestro Tirso de Molina.
El amor puesto en razon, de D. Sebastian de Villaviciosa.
San Luis Bertran, de D. Agustin Moreto.
. La piedad en la justicia, de D. Guillen de Castro.
. Resucitar con el agua, de D. Joseph Ruiz, D. Jacinto Hur-
tado de Mendoza y Pedro Francisco Lanini Valencia.
. Todo cabe en lo possible, de D. Fernando de Abila,
Tomo XX VIL
Los succesos en Oran por el Marques de Ardoles, de D.
Luis Velez de Guevara.
Los vandos de Ravena y institucion de la Camandula, de
D. Juan de Matos Fragoso.
. La Cortesana en la Sierra, de tres Ingenios de esta Corte.
. Reynar es la mayor suerte, de un Ingenio de esta Corte.
. El Labyrinto de Creta, de D Juan Bautista Diamante.
La Ocasion hace al Ladron, de Juan de Matos Fragoso.
. Nuestra Señora de Regla, de D. Ambrosio de Cuenca.
— 535 —
. Amar por Señas, del Maestro Tirso de Molina,
Las Auroras de Sevilla, de tres Ingenios.
. La Cruz de Caravaca, de D. Juan Bautista Diamante.
. La Ventura con el Nombre, del Maestro Tirso de Molina.
. La Judia de Toledo, de D. Juan Bautista Diamante.
Tomo XXVIII (1667.)
. El Principe D. Carlos, del Doctor Juan Perez de Montalvan,
San Isidro Labrador de Madrid, de Lope de Vega Carpio.
El Sitio de Breda, de D. Pedro Calderon.
Los empeños de un engaño, de D. Juan de Alarcon,
El mejor Tutor es Dios, de Luis de Belmonte.
. El Palacio confuso, del Doctor Mira de Mescua.
. Victoria por el amor, del Alferez Jacinto Cordero.
La Victoria de Norlingen, de D. Alonso del Castillo Solor-
zano.
La Ventura en la disgracia, de Lope de Vega Carpio.
. San Mateo en Etiopia, del Doctor Felipe Godinez.
. Mira al fin, de un Ingenio de esta Corte.
. La Corte del Demonio, de Luis Velez de Guevara.
Tomo XXIX.
, El Iris de las pendencias, de Gaspar de Avila.
La Razon vence al Poder, de D. Juan de Matos Fragoso.
. El Vaso y la Piedra, de D. Fernando de Zarate.
. Piramo y Tisbe, de D. Pedro Rosete.
La Defensora de la Reyna de Ungria, de D. Fernando de
Zarate.
. El mejor Representante San Gines, de D. Geronimo Cancer,
D. Pedro Rosete y D. Antonio Martinez.
. Ganar por la mano el juego, de Alvaro Cubillo de Aragon.
. El primer Conde de Flandes, de D. Fernando de Zarate.
. El Hamete de Toledo, Burlesca, de tres Ingenios.
. Tetis y Peleo, fiesta que se hizo á las bodas de la Sere-
nissima Señora Doña Maria Teresa de Austria, Reyna de
Francia, de D. Joseph de Bolea.
. Nuestra Señora de la Luz, de D. Francisco Salgado.
. Como se vengan los Nobles, de D. Agustin Moreto,
mb
PIDA
m 090
— 56 —
Tomo XXX. (1668.)
. El Bruto de Babilonia, de D. Juan de Matos Fragoso, D.
Agustin Moreto y D. Geronimo de Cancer.
La Montañesa de Asturia, de Luis Velez de Guevara.
. El Premio en la misma Pena, de D. Agustin Moreto.
. Cuerdos hacen Escarmientos, de Francisco de Villegas,
Hacer del Amor Agravio, de un Ingenio de esta Corte.
El Mancebon de los Palacios, de D. Juan Velez de Guevara.
La Conquista de Mejico, de D. Fernando de Zarate.
. El Principe Viñador, de Luis Velez.
El valeroso Español y primero de su Casa, de Gaspar de
Avila,
. La Negra por el Honor, de D. Agustin Moreto.
No está en matar el Vencer, de D. Juan de Matos.
S. Antonio Abad, de D, Fernando de Zarate.
Tomo XXXL (1669.)
. Querer por solo querer, de D. Antonio de Mendoza.
. Sufrir mas por valer mas, de D, Geronimo Crux.
Mentir por razon de Estado, de D, Felipe de Milan y Aragon.
. No ay gusto como la Honra, de D. Fernando de Vera y
Mendoza.
. El Cavallero de Gracia, del Maestro Tirso de Molina.
. El Pronóstico de Cadiz, de Alonso de Ossuna.
. La Trompeta del Juizio, de D. Gabriel del Corral,
Prodigios de Amor, de Villaviciosa.
. El Amor Enamorado, de D. Juan de Zavaleta.
. El Esclavo del mas impropio dueño, del Maestro Roa.
. El Soccorro de los Mantos, de D. Carlos de Arellano.
. La Traycion en Propia Sangre, del Maestro Ribera.
Tomo XXXII (1669.)
. La Culpa mas provechosa, de D. Francisco de Villegas.
. El Vandolero Sol Posto, de Cancer, Rosete y Roxas,
. La Vida en el Ataud, de D, Francisco de Roxas,
. Los Muros de Jericó, de D. Sebastian de Olivarez.
. Las cinco Blancas de Juan de Espera en 1 Dios, de D. As-
tonio de Huerta.
pp »n
a
— 597 —
. La Virgen de los Desamparados de Valencia, de Marco An-
tonio Ortiz.
. Duelo de Honor y Amistad, de D. Jacinto de Herrera.
. Selva de Amor y Zelos, de D. Francisco de Roxas.
. El mas Piadoso Troyano, de D. Francisco de Villegas.
. Pelear hasta morir, de D. Pedro Rosete Niño.
. El legitimo Bastardo, de D. Christoval de Morales.
. El Afanador de Utrera, de Luis de Belmonte.
Tomo XXXII. (1670.)
. El Sabio ensu Retiro, de D. Juan de Matos Fragoso.
. Cuerdos ay que parecen Locos, de D, Juan de Zavaleta.
. La Romera de Santiago, del Maestro Tirso de Molina.
. Las Niñezes de Roldan , de Joseph Rojo y Francisco de Vil-
legas.
. Vida y Muerte de la Monja de Portugal, del Doctor Mira
de Mescua.
. El Voto de Santiago y Batalla de Clavijo, de D. Rodrigo de
Herrera.
. Perdida y Restauracion de la Bahia de todos Santos, de D,
Juan Antonio Correa,
. El casamiento con zelos y Rey D. Pedro de Aragon, de
Bartolomé de Anciso.
. Mateo Vizconde, de D. Juan de Ayala,
. El mas dichoso Prodigio, de un Ingenio desta Corte.
. El Fenix de Alemania, Vida y Muerte de Santa Cristina, de
. D. Juan de Matos. '
. La mas heroica Fineza y Fortunas de Isabela, de D. Juan
de Matos, D. Diego y D. Joseph de Figueroa y Córdova,
Cavalleros del Abito de Christo, Alcantara y Calatrava.
Tomo XXXIV. (1670.)
El Lazo, Vanda y Retrato, de D. Gil Enriquez.
Rendirse a la Obligacion, de D. Joseph y D. Diego de Fi-
gueroa.
El Santo Christo de Calabria, de D. Agustin Moreto.
. Pocos bastan si son buenos y Crisol de la Lealtad, de D. Juan
de Matos Fragoso.
. Verse y tenerse por muertos, de D. Manuel Freyre de An-
drade.
DAIRY
fp mb pu
BD = O
mb
80
pue judo
judo
bw
E E m 9
— 538 —
El Disparate creido, de D. Juan de Zavaleta.
. La Venganza en el Despeño, de D. Juan de Matos Fragoso.
. La Virgen de la Aurora, de D, Agustin Morete y D. Geró-
nimo Cancer.
. El Galan Secreto, del Doctor Mira de Mescua.
. Lo que le toca al Valor y Principe de Orange, del Doctor
Mira de Mescua.
. Amor de Razon vencido, de un Ingenio de esta Corte.
. El Azote de su Patria, de D. Agustin Moreto.
Tomo XXXV. (1671.)
El Defensor de su Agravio, de D. Agustin Moreto.
La Conquista de Oran, de Luis Velez de Guevara.
No ay Amar como fingir, del Maestro Leon.
En Madrid y en una Casa, de D. Francisco de Roxas.
La Hermosura y la Desdicha, de D. Francisco de Roxas.
A lo que obliga el Desden, de D. Francisco de Roxas,
. Zelos son Bien y Ventura, del Doctor Felipe Godinez.
. La Confusion de Ungria, del Doctor Mira de Mescua.
. El Sitio de Olivenza, de un Ingenio de esta Corte.
, Empezar a ser Amigos, de D. Agustin Moreto.
. El Doctor Carlino, de D, Antonio de Solis.
. La escala de la Gracia, de D. Fernando de Zarate.
Tomo XXXVI. (1671).
. Santa Rosa del Peru, de D. Agustin Moreto y D. Pedro
Francisco Lanini y Sagredo.
. El Mosquetcro de Flandes, de D, Francisco Gonzalez de
Bustos.
El Tirano castigado, de D. Juan Bautista Diamante.
Araspes y Pantea, de D, Francisco Salgado.
El Prodigio de Polonia, de Juan Delgado.
La Fenix de Tesalia, del Maestro Roa.
El Nuncio falso de Portugal, de tres Ingenios.
La Dicha por el Agravio, de D. Juan Bautista Diamante.
. El Dichoso Vandolero, de D. Francisco de Cañizares.
El Sitio de Betulia, de un Ingenio de esta Corte.
Darlo todo y no dar Nada, Burlesca, de D. Pedro Francisco
Lanini y Sagredo.
. Las Barracas del Grao de Valencia, de tres Ingenios.
|_
— 5399 —
Tomo XXXVII. (1671.)
. Un Bobo hace Ciento, de D. Antonio de Solis.
. Riesgos de Amor y Amistad, de D. Juan Velez de Guevara.
. Satisfazer Callando, de D. Agustin Moreto.
El nuevo Mundo en Castilla, de D. Juan de Matos Fragoso.
Los Prodigios de la Vara y Capitan de Israel, del Doctor
Mira de Mescua.
El Amor hace Discretos, de un Ingenio de esta Corte.
Todo es enredos Amor, de D. Diego de Cordova y Figueroa,
Poder y Amor Compitiendo, de Juan la Calle,
. La Gitanilla de Madrid, de D. Antonio de Solis,
. Escarraman, Comedia Burlesca que se hizo en el Buen Re-
tiro, de D. Agustin Moreto,
. El mejor Casamiento, de D. Juan de Matos Fragoso.
. La Desgracia Venturosa, de D. Fernando de Zarate.
Tomo XXXVII.
. El Aguila de la Iglesia, de D. Francisco Gonzalez Bustos y
D. Pedro Lanini Sagredo.
. Las Niñezes y primer Triunfo de David, de D. Manuel de
Vargas.
. Tambien se ama en el Abismo, de D. Agustin de Salazar.
. Los Muzarabes de Toledo, de Juan Hidalgo.
. La Gala del nadar es saber guardar la ropa, de D. Agustin
Moreto.
. Olvidar Amando, de D. Francisco Bernardo Quiros.
. Las tres Edades del Mundo, de Luis Velez de Guevara.
. Del mal lo menos, de un Ingenio de esta Corte,
. Vida y muerte de San Cayetano, de seis Ingenios de esta
Corte.
. El Hechizo de Sevilla, de D. Ambrosio de Arce.
. Emendar Yerros de Amor, de D. Francisco Ximenez de
Cisneros.
. El cerco de Tagarete, burlesca, con su Entremes, de D. Fran-
cisco Bernardo de Quirós.
Tomo XXXIX. (1673.)
. El mejor Par de los Doze, de D. Juan de Matos Fragoso y
D. Agustin Moreto.
ou» o
— M0 —
La Mesonera del Cielo, del Doctor Mira de Mescua.
La Milagrosa Eleccion de Pio Quinto, de D. Agustin Moreto.
. La Dicha por el Desprecio, de D. Juan de Matos Fragoso.
. El Veneno para si, de un Ingenio de esta Corte.
. El Baquero Emperador, de D. Juan de Matos Fragoso, de
D. Juan Diamante y de D. Andres Gil Enriquez.
. La Cosaria Catalana, de D. Juan de Matos Fragoso.
8. Las Mocedades del Cid, fiesta que se representó á sus Ma-
SF mp QQ ym
gestades Martes de Carnestolendas, de D. Geronino Cancer.
. Los Carboneros de Francia, del Doctor Mira de Mescua.
. Como nació San Francisco, de D. Roman Montero y D. Fran-
cisco de Villegas.
. La Discreta Venganza, de D. Agustin Moreto.
. Contra la Fé no ay respeto, de D. Diego Gutierrez.
Tomo XL.
El Medico Pintor San Lucas, de D. Fernando de Zarate.
El Rey D. Alfonso el Bueno, de D. Pedro Lanini Sagredo.
. El Fenix de la Escriptura el Giorioso San Geronimo, de D.
Francisco Gonzalez de Bustos.
. Cuando no se aguarda, de D. Francisco de Leiva Ramirez
de Arellano.
. No ay contra lealtad cautelas, del propio Autor.
. Amadis y Niquea, del propio Autor.
. Las tres Coronaciones del Emperador Carlos Quinto, de D.
Fernando de Zarate.
. De los hermanos amantes y piedad por fuerza, de D. Fer.
nando de Zarate.
. El dichoso en Zaragoza, del Dr. Juan Perez de Montalvan.
. Los Vandos de Luca y Pisa, de Antonio de Azevedo.
. La Playa de Sanlúcar, de Bartolomé Cortés,
. Origen de N. Señora de las Angustias y Rebelion de los
Moriscos, de Antonio Faxardo y Azevedo.
Tomo XLL
. Juegos Olimpicos, de D. Agustin de Salazar.
. El Merito es la Corona, del propio Autor.
. Elegir al enemigo, del propio Autor.
. Tambien se ama en el Abismo, del propio Autor
. No puede ser, de D. Agustin Moreto.
© 0 «
10.
11.
— Mt —
Hacer Fineza el Desaire, del Licenciado D. Diego Calleja.
El Cavallero, de D. Agustin Moreto.
El Alcazar del Secreto, de D. Antonio de Solis.
Antes que todo es mi Amigo, de D. Fernando de Zarate.
. El Hamete de Toledo, de Belmonte y D. Antonio Martinez.
. La Presumida y la Hermosa, de D. Fernando de Zarate.
Zelos aun del A yre matan, de D. Pedro Calderon.
Tomo XLII. (1676.)
Varios prodigios de Amor, de D, Francisco de Rojas, -
San Francisco de Borja, de D. Melchor Fernandez de Leon.
Dios hace justicia á todos, de D. Francisco de Villegas.
. Yo por vos y vos por otro, de D. Agustin Moreto.
El Luzero de Madrid, nuestra Señora de Atocha, de D. Pedro
Francisco Lanini Sagredo.
La mejor Flor de Sicilia Santa Rosalia, de D. Agustin de
Salazar.
. Como noble y ofendido, de D. Antonio de la Cueva.
. Endimion y Diana, de D, Melchor Fernandez de Leon.
Será lo que Dios quisiere, de D, Pedro Francisco Lanini
Sagredo.
El Hijo de la Molinera, de D. Francisco de Villegas.
El gran Rey Anacoreta San Onofre, de D. Pedro Francisco
Lanini Sagredo.
. El Eneas de la Virgen y primer Rey de Navarra, de D.
Francisco de Villegas y D. Pedro Francisco Lanini Sagredo,
Tomo XLIIL (1678.)
Cueva y Castillo de Amor, de D. Francisco de Leyba.
. Porcia y Tancredo, de D. Luis de Ulloa.
. Nuestra Señora de la Victoria y Restauracion de Malaga,
de D. Francisco de Leyba.
El Fenix de España, S. Francisco de Borja, de un Ingenio
de esta Corte.
El Cielo por los Cabellos, Santa Ynes, de tres Ingenios,
El Emperador Fingido, de Gabriel Bocangel y Unzueta.
La Dicha es la Diligencia, de D. Tomás Ossorio.
Fiesta de Zarzuela llamada Cual es lo mas en Amor el des-
precio 6 el favor, de Salvador de la Cueba.
—_ — —
— — —
dd mm
— 343 —
La infeliz Aurora y fineza acreditada, de D. Francisco de
Leyba.
. La nueva maravilla de la Gracia, de D. Pedro Lanini Sagredo.
. Merecer para alcanzar, de D. Agustin Moreto.
, El Principe de la Estrella y Castillo de la Vida, de tres In-
genios.
Tomo XLIV.
. Quien habla mas obra menos, de D. Fernando de Zarate.
. El Apostol de Salamanca, de D. Felipe Sicardo.
8, Dexar un Reyno por otro y Martires de Madrid, de D. Gero-
bh) m
O DM IDEAS
nimo Cancer, D, Sebastian de Villaviciosa y D. Agustin
Moreto.
. Cinco venganzas en una, de D. Juan de Ayala,
. Santa Pelagia, de D. Fernando de Zarate.
La Confession con el Demonio, de D. Francisco de la Torre.
La palabra vengada, de D. Fernando de Zarate.
El engaño de unos zelos, de D. Roman Montero de Espinosa.
. La prudencia en el castigo, de D. Francisco de Rojas.
. La Sirena de Trinacria, de D. Diego de Cordoba y Figueroa.
Las Lises de Francia, del Doctor Mira de Mescua.
El Sordo y el Montañes, de D. Melchor Fernandez de Leon
Tomo XLV. (1679.)
. Los Vandos de Berona, de D. Francisco de Rojas.
. La Sirena del Jordan S. Juan Bautista, de D. Christoval de
Monroy.
. Los Trabajos de Ulises, de Luis de Velmonte.
Hasta la muerte no ay Dicha, de un Ingenio de esta Corte.
La mudanza en el amor, de Montalvan.
. Ingrato a quien le hizo el bien, de un Ingenio de esta Corte.
. El gran Jorge Castrioto, de Velmonte,
. El fin mas desgraciado y fortuna de Seyano, de Montalvan.
. La traicion contra su sangre, burlesca, de un Ingenio de
esta Corte.
. Dejar dicha por mas dicha, de D. Juan Ruiz de Alarcon.
. Quien engaña mas a quien, de Alarcon.
El amor mas verdadero, burlesca, de un Ingenio de esta Corte.
Tomo XLVI. (1679.)
‚ La Mitra y Pluma en la Cruz, del Maestro Tomas Manuel
de Paz.
13.
sonaaun mon
— $48 —
. Cuanto cabe en hora y media, de D. Juan de Vera y Vil-
laroel.
. Al Noble su sangre avisa, del Maestro Tomas Manuel de
Paz.
. El Patron de Salamanca, con Monroyes y Manzanos, de D.
Juan de Vera y Villaroel.
Las armas de la Hermosura, fiesta que se representó á sus
Magestades, de D, Pedro Calderon.
. Perico el de los Palotes, de tres Ingenios.
. La señora y la criada, de D. Pedro Calderon.
La corona en tres hermanos, de D. Juan de Vera y Vil-
laroel.
. La conquista de las Malucas, de D. Melchor Fernandez de :
Leon.
. Mas merece quien mas ama, Fiesta que se representó & sus
Magestades, de D. Antonio Hurtado de Mendoza.
. El Veneno en la Guirnalda y la Triaca en la Fuente, Fiesta
que se representó á sus Magestades, de D. Melchor Fernan-
dez de Leon.
El Marques de Cigarral, de D. Alonso del Castillo Solor-
zano.
Tomo XLVIL
Comedias de D. Antonio de Solis.
Triunfos de Amor y Fortuna, con Loa y Entremeses.
. Euridice y Orfeo.
. El Amor al Uso.
El Alcazar del Secreto.
Las Amazonas,
El Doctor Carlino.
. Un Bobo hace ciento, con Loa.
. La Gitanilla de Madrid.
. Amparar al Enemigo.
Tomo XLVIM. (1704.)
. El Austria en Jerusalen, de D. Francisco de Bances Can-
damo.
. El Sol obediente al Hombre, de D. Garcia Aznar Belez.
. El Duelo contra su Dama, de D. Francisco de Bances Can-
damo.
— 514 —
Que es la ciencia del Reynar, de D. Garcia Aznar Belez.
. Venir el Amor al mundo, de D. Melchor Fernandez de Leon.
Cual es afecto mayor, Lealtad 6 Sangre 6 Amor, de D.
Francisco de Bances Candamo.
. Por su Rey y por su Dama, del propio Autor.
Tambien ay Piedad con Zelos, de D, Garcia de Aznar Belez,
. El Español mas Amante y desgraciado Macias, de tres In-
genios.
10. El Valor no tiene Edad, de D. Juan Bautista Diamante.
Loa y Bayle para la Comedia de Ycaro y Dédalo.
11. La gran Comedia de Ycaro y Dédalo, de D. Melchor Fernan-
dez de Leon.
ao»
o pm 2
II.
3
Verzeichniß der wichtigeren Schriften über das Ganze
oder über einzelne Theile der dramatiſchen Fiteratur
und Kunſt in Spanien.
Blas Nafarre, Vorrede zu ber zweiten Ausgabe ber Comedias y
Entremeses de Cervantes (Madrid 1749) unb Apologia del dis-
curso preliminar á las Comedias de Cervantes (Madrid 1750).
Montiano y Luyando, Discurso sobre las Tragedias Españo-
las, Madr. 1750.
Velasquez, Origenes de la Poesia Castellana, Malaga 1754.
Wiederholt in Bezug auf das Theater nur bie vorgenannten Schriften;
ſchaͤtzbare bivgraphifche und bibliographifche Iufäge enthält bie deutſche
Meberfeßung des Velasquez von Dieze, Göttingen 1769.
Lampillas, Saggio storice-apologetico della letteratura spag-
nuola, Genova 1778—81, 6 vol. (Spanifch überfeßt von Josefa Amar
y Borbon, Zaragoza 1782.) Enthält in Bezug auf das Drama nicht
Dieles von Belang.
Andres, Dell’ origine, de'progressi e dello stato attuale
d’ogni letteratura, Parma 1783— 97, 7 vol. Gleichfalld von wenig
Erheblichfeit für die Dramatifche Literatur.
, Signorelli, Storia critica dei Teatri antichi e moderni, neue
Ausgabe Neapel. 1813.
- 515 —
Riccoboni, Reflexions historiques et critiques sur les diffe-
rens Théatres de l'Europe, Paris 1738,
Du Perron de Castera, Extraits de plusieures piéces du Théa-
tre Espagnol avec des réflexions, Paris 1738, trois volumes.
Linguet, Théatre espagnol (mit Einleitung), Paris 1770, 4 vol,
La Huerta, Theatro Hespañol, Madrid 1785 sqq. 16 Tomos,
Enthält eine kritiſche Einleitung und einige Furze biographifche Artikel.
Pellicer, Tratado Historico sobre el Origen y Progresos
de la Comedia y del Histrionismo en España, Madrid 1804, Dos
tomos.
Jovellanos, Memoria sobre las diversiones públicas, Ma-
drid 1812.
Bouterwek, Gefchichte der Poefle und Beredifamteit, Dritter Band,
Göttingen 1804.
Moratin, Origenes del Teatro español. (Querft gedrudt in ben
Memorias de la Academia española, nachher in Ochoa's Tesoro
del Teatro español.) *
A. W. v. Schlegel, über das fpanifche Theater, Inder »Europa« von
Fr. Schlegel, nachher ausführlicher in ben »Borlefungen über dramatifche
Runft und Literature, 14te Borlefung ’).
1) Herr Eduard Böcking hat in den Noten zu der von ihm beforgs
ten neuen Ausgabe von Schlegel’s »fpanifchem Theater⸗, in welcher ber
oben erwähnte Auffag neu abgedrudt ift, auf Seite XII die Bemerkung
gemacht, das vorliegende Werk ftimme, Band I. ©. 852 ff., bei Ges
legenheit der acht Comoͤdien des Cervantes, fehr mit Schlegel überein,
ohne ihn zu nennen. Ein Bergleich zwifchen den 14 Seiten meines Buchs
(S. 351 — 8365), auf welchen ich ausführlich von den Ocho Comedias
handle, und den wenigen Bemerkungen, welche Schlegel a. a. O. über
diefelben gibt, zeigt das Irrthümliche Diefer Behauptung. Auf allen biefen
Seiten findet fid) auch Feine Halbe Zeile, welche irgend mit Schlegel
übereinftimmte. Jene Wahrnehmung fann ſich daher allein auf Die von mir
gebrauchten Worte »Barodien und Satiren auf den verderbten Zeitgeſchmack⸗,
"bunte Mannidyfaltigteita und „Lockerheit der Compofltion« gründen ; nun find
aber ſowohl biefe Worte als noch einiges Andere ebendafelbft (wie 14) in dem
Brockhaus'ſchen Biblisgraphifchen Anzeiger diefes Sahresin Nr, 2 näher und
mit Abdruck der Beweisftellen nachgewiefen habe) trene Ueberfekung von
Ausdrüden, beren fih die Syanter Blas Nafarre und Lampillas bedies
nen; um Die Anficht diefer Kritiker in das rechte Licht zu ftellen, mußten
ihre eigenthümlichen Ausdrücke wiederholt werden, und aus diefer Quelle
Geſch. d. Lit. in Spanien. III. Do, 85
— 548 —
Blanfenburg, Literarifche Zufäbe zu Sulzer's Allgemeiner Theorie
ber fchönen Künfte, Leipzig 1796. Enthält eine nach damaligen Hülfes
mitteln fleißig zufammengetragene Sammlung bibliographifcher Notizen.
Martinez de la Rosa, Sobre la Comedia española, alg Anhang
zu ber Poetica in ben Obras literarias, Paris 1827, T. II.
Sismondi, de la Littérature du Midi de Europe, Paris 1813,
4 vol. (Deutſch von 2. Hain, Leipzig 1816, 2 Bánbe.)
Lord Holland, Some account on the lives and writings of
Lope de Vega and Guillen de Castro. London 1817. 2 vol.
find diefelben fowohl in Schlegel’8 Buch wie in das meinige geflofien.
Mas ferner bie Anficht betrifft, Gervantes habe Stüde in der Manier Des
Zope de Vega und Feine Satiren auf diefelbe fchreiben wollen, fo if
biefe Meinung lange vor Schlegel von Signorelli, Vicente de los Riss
und von Pellicer ausgefprochen worden, ja fte Hat ſich Jedermann, außer
dem Blas Nafarre und defien Nachtretern, als bie einfachfte und natür-
lichfte von felbft Dargeboten, unb eben fo wie Schlegel hätte ich außer
den Genannten auch noch Bouterwek, Moratin, Navarrete, Arrieta, Var:
tinez de la Rofa und viele Andere citiren müflen. — Uebrigens finb die
»Borlefungen« (die mir auf ihren faum dreißig Seiten über das fpanifche
Theater allerdings Feine fehr fpecielle Hülfsquelle fein fonnten) ſchon in
der Vorrebe bes erften Bandes unter den Vorarbeiten, auf welche Diefes
Werk fih fügt, genannt worden, und fie werden es nun abermals in
obiger Lifte; ſchon biefe allgemeine Berufung würde baher, wenn an
jener Stelle wirklich, wie nicht der Fall if, Schlegel als Quelle gedient
hätte, das Eitat im Einzelnen überflüffig gemacht haben. Früheren Schrif-
ten gegenüber galt der Grundfaß, überall bie eigene Prüfung voranzu⸗
ftellen undalte Irrthümer möglichft zu berichtigen; dagegen wurde Feines:
wegs auf Roften ber Wahrheit nach Originalitát getrachtet, und fomit
ließ fidy eine Wiederholung von Diefem und jenem, was fdjon richtig ges
fagt worden war, nicht umgehen. Wenn nun eine fuldje in irgend ausge:
behnter Weife Statt fand, fo ift es immer angegeben worden; aber es
verfteht fic) von felbft, baf weber jedes Factum unb jebe Notiz, noch
jede einzelne fchon früher gemachte Bemerkung mit einem Citat belegtwerben
konnte; einmal würde Dies eine unnübe Anfchwellung der Noten herbei
geführt haben, zweitens aber wäre es mehrentheild auch unmöglich ge:
wefen, indem man nad) langer Befchäftigung mit einem Gegenftande und
ben darauf Bezug habenden Werken weber von jeber Idee zu fagen weiß,
vb man fte fich felbft oder einem Anderen verdante, noch von jedem Aus-
drucke, ob und wo berfelbe etwa ſchon früher gebraucht worden fei.
_ 47 —
(Auszugsweife deutfch vor den Schaufpielen Des Lope de Bega, übers
fest von 3. Grafen von Soden, Leipzig 1820.)
Chefs-d'Oeuvre du Theatre espagnol, 5 Bände (in der Samm⸗
lung der Chefs-d’Deuvre des Théatres étrangers (Paris 1822). In
dem 1ften diefer Bände findet fich ein fleißig gearbeiteter und mir nüß-
lich gewordener, vornämlich biographifcher, Artikel über Lupe de Bega
von einem gewiffen La Beaumelle; von geringerem Gehalt ift der über
Calderon.
Damas-Hinard, Theatre espagnol, 4 vol. Paris 1842. In ben
Einleitungen zu diefer neuen Ueberſetzung einer Auswahl aus Lope und
Galderon ift Manches aus ber vorgenannten Sammlung wiederholt, aber
auch verfchiedenes Neue hinzugefügt worden.
M. Enf, Studien über. Lope de Vega, Wien 1889, Diefe Sqchrit
beſteht aus Inhaltsüberſichten von 24 Comodien bes Lope, denen einige
äfthetifche Bemerkungen beigegeben find. Die Wahl der analyfirten Stüde
trifft nur bei vieren mit der meinigen überein.
v. d. Malsburg, Vorreden zu Der Ueberfegung von Calderon's Schau:
fpielen (Leipzig 1819 ff.) und zu » Stern, Scepter und Blume« von Lupe
de Vega (Dresden 1824).
Hciberg, de poéseos dramaticae genere Hispanico, praeser-
tim de Calderone dissertatio inauguralis, Hafniae 1817,
€. Tied, zerſtreute Bemerkungen über das fpanifche Drama in den
sdramaturgifchen Blätterne und in der Borrede zu dem »Leben bes Mar:
c08 be Obregon.«
Solger, Kritif von Schlegel's Borlefungen, in feinen »Gefammelten
Schriften“, Leipzig 1826,
WVal. Schmidts „Ueberficht und Anordnung von Ealderun’s Dramen, «
im Anzeigeblatt der Wiener Jahrbücher von 1822.
Louis Biel Caftel, mehrere Auffüge über das Spanifche Theater in
der Revue des deux Mondes von 1840. :
Coleccion general de Comedias escogidas, Madrid 1826 sqq.
Diefe Sammlung gibt hinter jedem Stüde einige äfthetifche, Eritifche und
fonftige Bemerkungen, welche nachher zum Theil durch Ochoa's Tesoro
del Teatro español weiter verbreitet worden find.
— M8 —
IH.
Einige Bufäte und Serichtiguugen 3u dem ganzen
Werke.
Gil Vicente *).
Ueber die Lebensverhaͤltniſſe Diefes portugieflfchen, aber auch für Die
eaftiltanifche Literatur wichtigen Dichters Tiefert uns bie biographifche
Arbeit, welche der neuen Ausgabe feiner Werke voranfteht, Feine erheb-
lichen neuen Daten; Wir wenden uns baher fugleich zu defien bramatifchen
Dichtungen. — Die geiftlichen Schäferfpiele Gil Vicente's, die früh:
flen feiner Compofitionen, find, wie ſchon von feinen Zeitgenoſſen bemerkt
wurde ?), denen bes Iuan del Encina nachgebildet; einige von Barreto
und Monteiro hervorgehobene Stellen und Scenen lafien hierüber feinen
3weifel; aber fchon biefe erften Berfuche des Portugiefen find von einem
lebendigeren Hauche der Poeſie durchweht, als die des Spaniers, und be:
funden mehr Fortfchritt zu einer eigentlich dramatifchen Handlung. Ves
fonbere Aufmerkfamfeit verdient das Auto de los cuatro tiempos, weil
fich Hier, wenn auch nur im erften Anfag, ſchon die Grundzüge zu den
1) Der Umftand, daß mir die Benugung von Gil Vicente's Werken
(in bem Eremplar ber Göttinger Bibliothef) nur fehr furze Zeit vers
gönnt gewefen war, hat den diefem Dichter gewibmeten Artikel im erften
Bande der vorliegenden Befchichte einigermaßen beeinträchtigt unb mich
genöthigt, mich dort mehrfach an Bouterwek zu halten. Da mir nun bie
Obras bes portugiefifchen Dichters in ber neuen Ausgabe von Barreto
Feio und Monteiro zugefommen find, fo gebe ich Hier einige ergänzende
Sufáge zu jenem Artikel.
2) Garcia be Nefenbe fagt:
E vimos singularmente
Fazer representagoes
D'estilo mui eloquente,
De mui novas invencoes :
Elle foi que inventou
Isto cá eo usou
Com mais graca e mais doutrina,
Posto que Joam del Enzina
O pastoril comegou.
— 59 —
fpäteren Autos finden; die verſchiedenen Jahreszeiten werben nämlich als
Reyráfentanten ber irdiſchen Entzweiung, des raftlofen Swiefpalts in ber
Erfcheinungswelt vorgeführt, unb zulegt erfcheint ber menfchgeworbene
Gott ale das verſöhnende Princip, dem alle die ftreitenden Mächte ber
Melt huldigen müſſen; auch die Herbeiziehung der alten Mythologie zur
Berherrlichung bes Chriftentfums kommt hier fihon vor. — In Bezug
auf Gil Vicenters geiftliche Schauſtücke von größerem Perſonal und rei⸗
cherem Inhalt haben die neuen portugiefifchen Heransgeber die Vermus
thung aufgeftellt, diefelben feien Durch Die Befauntfchaft des Dichters mit Dew
franzöfifchen Myfterien veranlaßt worben. Zur Unterflüßung diefer Annahme
berufen fie fid) auf den Umftand, daß Lucifer dort Prince des diables
und Procureur des enfers, hier Mayoral do Inferno und Meirinho
da Corte infernal genannt wird. Allein biefe, buch Eeineswegs fehr auf:
fallende Uebereinftimmung fcheint uns Die daraus gezogene Folgerung nicht
zu rechtfertigen; Benennungen, wie bie angeführten, find ganz aus Den
Vorſtellungsweiſen des Mittelalters hervorgegangen und brauchten von
bem einen Lande nicht erft bem anderen überliefert zu werden; unfere Mebera
zeugung, der Bortugiefe habe ſich an ähnliche ältere, auf ber pyrenäifchen
Halbinfel heimische Stüde gefchlofien, bleibt baher unerfchüttert. Bon
ber Beichaffenheit diefer Autos kann eine gebrángte Inhaltsanzeige bes:
jenigen, welches den Titel Mofina Mendez führt, einen Begriff geben.
Ein Mónd) beginnt mit einer langen Predigtp in welcher er viele Autor
ren, unter Anderen Boéthius de consolatione, Augustinus de angelo-
rum choris, Remigius de dignitate sacerdotum citirt. »Diefe gelebrs
ten Männer — führt er fort — fenden mid auf dies heilige Amphi⸗
theater, bamit ich die Figuren, welche fogleich auftreten werben, einführen
möge; das Werk, welches Ihr fehen follt, Heißt „Die Myſterien der Jung⸗
frau. — Nun treten vier Engel mit Mufif auf, hinter ihnen bie heilige
Sungfrau als Himmelstónigin, ungeben von vier Mädchen, der Klug-
beit, der Armuth, der Demuth und bem Glauben. Die Lebteren ſetzen
fi) und jede von ihnen beginnt eine Meiffagung auf ben erwarteten Er⸗
Löfer zu lefen. Die Jungfrau fpricht aus, wie glüdlich fie fein würde,
wenn fie "ber Mutter jenes erfehnten Heilandes auch nur als niedrigfte
ihrer Sclavinnen bienen dürfte. Da erfcheint der Engel Gabriel, ihr zu
verfündigen, wie fie felbft jene Exkorene fei, und Maria unterwirft fic)
in dankbarer Demuth dem Befehle bes Höchften. Der hintere Theil bes
Theaters, auf dem biefe Scene vorging, fhließt fich, und man erblickt
eine Anzahl Hirten, wie fie nad) vollbrachtem Tagewerk den Abend mit
Plaudereien und ländlichen Spielen Hinbringen; vorzüglich macht fich tn
ihrer Mitte die Bäuerin Mofina Mendez buch ihre munteres Weſen bes
— 50 —
merklich; fle erheitert die Hirten durch bie Lieder und Gefänge, die fie
anfführt, und nachdem biefe, auf's anmuthigfte gefchilderte Ergógung eine
Zeit lang gewährt, ſtrecken ſich Alle zum Schlafen nieder. Bon Menem
öffnet ſich ber Hintergrund; die Heilige Jungfrau Fniet anbetend vor bem
Chriftfinde, die wier in Mädchengeftalt perfonificirten Eigenfchaften fingen
einen Pfalm, und ein Engel wedt bie fchlafenden Hirten, um ihnen
die Geburt bes göttlichen Knaben zu verfinbigen. Geſang und Tanz ber
Hirten um Die Krippe befchließt dann das Auto. — Sehr richtig Hat
Bouterwef die Comedia Rubena mit Rúdficht auf die lodere Berbin-
dung der Scenen als dramatifche Novelle bezeichnet; in dem erften Theile
biefes Stüdes wird, wie fon gefagt, Die bebrängte Lage ber Rubena,
der Tochter cines Abtes, gefchildert, welche von einem jungen Geiftlichen
verführt worden ift und nun, dem Zorn des Baters entfliehend, im Freien
ihre Niederkunft hält. Eine Here Hilftihr mit Hülfe hölliſcher Geifter, die
fie beſchwoͤrt, aus der Noth und übergibt bie neugeborene Tochter, welche
den Namen Eismena erhält, Der Obhut ber Feen. Rubena verfchmwindet
ganz ans dem Perfonal, und bie folgende Scene zeigt Cismena als Hirtin
in einem abgelegenen Thale ihre Heerben hütend. Die Teen, welchen fie
zur Pflege anvertraut ift, rathen ihr, fid) in die Stadt Greta zu begeben,
weil dort ein feltenes Glück ihrer warte. Sie folgt dem Vorſchlage und
gewinnt Durd) ihre Holdfeligkeit bald das Herz einer vornehmen Dame,
welche fie an Kindes Statt annimmt. In der legten Scene ift bie mun
ganz herangewachfene Cismena burch ben Tod ihrer Pflegemutter in ben
Befitz von deren großem Vermögen gelangt und flieht fid) von vielen Be-
werbern umbrängt. Diefe Scene (ein Ausdrud, der hier fo viel wie Alt
bedeutet) ift von den früheren ganz unabhängig und fann als ein Eleines,
für fich beſtehendes Lufifpiel angefehen werden. Unter den verfchiedenen
Freiern befindet fich auch ein Prinz von Syrien, ber ſich alg Page ver:
Heidet hat und zulegt ben Sieg über feine Nebenbubler davontraͤgt. —
Unvergleichlich mehr dramatifche Nunbung hat bie Comödie El viudo,
ein allerfiebftes Stúd, welches das Talent des Gil Vicente im glánzenb:
fen Lichte zeigt. Ein Gefpräch zwifchen bem Wittwer unb feinem Ge-
vatter bildet den Eingang. Der Erftere kann fich über den Verluft feiner
Ehehälfte nicht tröften, ber Gevatter aber fagt ihm, er würde fich felig
preifen, wenn er felbft an feiner Stelle fein Eönnte und entwirft darauf
ein luftiges Gemälde von ber Noth, Die er mit feiner Frau auszuftehen
habe. Während der Wittwer ſodann einen Sang zu dem Grabe ber Ber-
fturbenen antritt, tritt zu jeinen Töchtern ein verfleideter Prinz, Namens
Rosbel; er gibt fid) ihnen für einen Dudelſackſpieler aus und bittet fte
um ihre Fürſprache bei dem Vater, daß biefer ihn in feine Dienfte neh⸗
— 551 —
men möge. Der Wittwer kehrt zurück und flellt ein ſcharfes Examen mit
bem Frembling an, der ihm verdächtig fcheint, ben er aber zulekt alg
Knecht annimmt. Roberto verrichtet alle feine Handthierungen mit großer
Pünflichkeit, fchleift Holz, melft Die Ziegen und macht inzwiſchen ben
beiden Mädchen den Hof. Seine Artigfeiten finden leicht Eingang in ihr
Herz, und als der Bater fie nöthigen will, anderen Männern bie Hand
zu reichen, verweigern fie bie Einwilligung, erflärend, nur Rosbel Lieben
zu Eönnen. Der Prinz ift einigermaßen in DBerlegenheit, weil er buch
nicht Beide heirathen Tann, und macht ihnen ben Vorſchlag, fie follten,
um ihn loofen; die Mädchen fügen fid), und die Eine wird Durch bie
Sand des Geliebten beglücdt; um Der Anderen aus ber Noth zu helfen,
muß Rosbel’s Bruder erfcheinen , welcher lange Die Welt durdhirrt hat
um den Berlorenen aufzufucjen, und fehr verwundert ift, ihn in fo niedes
ver Tracht zu finden; er reicht ber zweiten ber Schweitern feine Hand
und der Wittwer feiert am Ende durch ein von Muſik und Tanz ver,
fchönertes Feft bie Hochzeit feiner Töchter mit zwei Prinzen. — Die
Neize, welche ber portugieftfche Dichter über Diefes Fleine, in mancher
Hinficht freilich noch bic Kindheit ber Kunft verrathende Genrebilb zu
verbreiten gewußt hat, fómnen nicht genug gepriefen werden. — Unter
den Tragi-Comödien des Gil Vicente hat der Don Duardos nicht
allein bie größte Ausdehnung, er macht auch die meiften Anfprüche auf
eine eigentlich dramatifche Eompofition. Wir haben hier allen Ernftes
ein Ritterftú mit Zweifämpfen, Turnieren, tomantifchen Abenteuern,
Zaubereien und. fich freuzenden Liebjchaften, einen Amadisroman, nicht
ohne Kunft in Scenen gebradt. Don Duardos, Prinz von England,
fommt au den Hof des Raifers. Palmerin von Gonftantinopel, um deſſen
Sohn Primaleon wegen einer Beleidigung zum Rampfe auf Tod und
Leben zu fordern. Während biefes Kampfes, aus Dem er als Sieger her:
vorgeht, erblict er die Brinzeffin Florida, die Schwefter feines Gegners
und wird von ihrer Schönheit zu heftiger Liebe entflammt; da er unter
feinem wahren Namen nicht an dem feindlichen Hofe zu bleiben wagt,
faßt er auf den Rath der ihm gewogenen zauberfundigen Fürftiu Olimba
den Entfchluß, fich verkleidet unter die Gärtner der Prinzeſſin aufnehmen
zu laflen; ein Liebestranf, den feine Gönnerin bereitet, foll ihm bie Nei-
gung Slorida'8 gewinnen. Alles geht auf's Defte von Statten, bas lies
bende Baar (denn der Trank hat gute Mirfung dethan) trifft fich ‚oft im
Garten, aber nur die Vermählung ber Kaiferstuchter mit einem Gärtner
ſcheint noch eine Unmöglichkeit zu fein, da gefchieht es, daf Florida von
einem Ritter beleidigt wird, Duardos legt wieder feine Fúrftentradt an,
befiegt ben Frechen im Zweilampf, und biefe Heldenthat wird Veran:
— 592 —
lafinng, daß ber Raifer, welcher ihm erfennt, ihm ben früheren Sieg
über Primaleon verzeiht und die Hand ber Tochter in die feine legt.
Unter dem Gefang einer lieblichen Romanze verabfchiedet fih am
Schluſſe das glückliche Paar vom conftantinopolitanifchen Hofe, um
nach England heimzuziehen. — Man hat Unrecht, nach Bouterwek's
Borgange hauptfächlich die Farqen des Gil Vicente als die eigentlichen
Beweisftüde feines Talents hervorzuheben, denn fo viel Kunft in Anlage
und Durchführung eines dramatischen Plans, wie ber Don Duardo's,
verrathen Diefe nicht. Die meiften berfelben find vielmehr nur abgeriffene
Scenen aus bem gewöhnlichen Leben und zeigen nicht einmal fo viel
inneren motivirten Zufammenhang, wie bie befieren der fpäteren Entre⸗
mefes. An ber heiteren und muthwilligen Laune, an der Lebendigfeit und
Anſchaulichkeit, mit welcher bas bunte Getreibe eines beweglichen Volts
gefchilbert wird, ja an den verfchönernden Pinfelftrichen, welche die Dar:
fiellung über bie gemeine Wirklichkeit zu erheben fuchen, mag man fich
erfreuen: aber man rede nicht von einem bedeutenden Einfluß, ben Diefe
Bargen auf das fpanifche Drama geübt hätten; eine fulche Einwirkung
fónnte nur auf bie Zwifchenfpiele gedacht werden, allein Bilder des Treis
bens der Gegenwart lagen den Spaniern wie dem Portugiefen vor Augen,
and der helle Blid, um fie aufzufaflen, ift mehr Naturgabe, ale daß ee
gelernt werden fónnte; was dagegen Sache bes Lernens war, innerer
Fortſchritt der Handlung, gefchickte Verbindung der Scenen, darüber war
bei Turres Naharro viel mehr Rath zu holen, als bei Gil Vicente. Zu
Belegen für das Geſagte führen wir die Farsa do Velho da Horto und
bie dos Almocreves an; in dieſen herrfcht farm mehr gevrdneter Zuſam⸗
menhang , alg in ben zufälligen Srfcheinungen des Lebens felbfl, welche
darin gefihilbert werden; auch von ben übrigen Stücken biefer Gattung
gilt daffelbe, und nur die Inez Pereira firebt nach mehr Fünftlerifcher
Geftalt. Die Handlung diefes Lufifpiels ward ſchon in kurzem Abriß bars
gelegt, aber fie möge hier als die befte unter allen, von Gil Vicente er⸗
fundenen, noch näher entmwidelt werden. Ines, die fidy über ihren Stand
erhaben bünfende Tochter einer Frau aus dem niederen Volke, verrichtet
unmuthig ihre Arbeit. Die Mutter fchilt fie wegen ihres thörichten Hoch-
muths. Eine Gelegenheitsmacherin überbringt dem fchönen Mädchen einen
Liebesbrief von Pero Viarques, einem reichen Landmanne. Bald kommt
der Freier felbft, ein arger @infaltspinfel, der mit feinen Tölpeleien ge:
nng zu lachen gibt; Ines gibt ihm einen Korb und fagt, fie wolle lieber
gar feinen Mann, als folchen Efel. Drauf fommen zwei Juden ale Ehe⸗
ftandsmäffer und fehlagen ihr mehrere heirathsluſtige Ritter vor. Sie
erflärt, fie wolle einen munteren und aufgewedten Mann, der fingen und
— 53 —
fpieten koͤnne. Bald erfcheint auch ein. Freier, wie fle ihm wünfcht, mit
Geſang und Saitenfpiel; fte willigt ein unb die Hochzeit wird unter Feſten
md Lufibariciten gefeiert. Mber bald erhalten Die Dinge ein trüberes
Anfehen; ber Ehemann iſt argwöhnifch und despotiſch und läßt der lebens:
luſtigen Frau nicht bie minbefte Freibeit. Ines beflagt daher, daß fte
nicht Tieber dem erften dummen Yreier die Hand gegeben, unb iſt fehr
froh, als fie Durch ben unerwarteten Tod ihres Peinigers in bie Lage verfegt:
wird, das früher Verfiumte nachzuholen. Sie läßt dem reichen Vero
Marques fagen, er möge nur fommen, fte werde ihn wicht wieder ab:
weiſen; für fich rechtfertigt fle ihren Entfchluß mit dem Sprichwort;
» 34 will Lieber einen @fel, der mich trägt, als ein Pferd, das mich abs
wirft«; und fie trügt ſich nicht, benn der einfältige Landmann läßt ihr
tn jeder Hinficht freies Spiel. Nicht lange nad) der Bermählung Flopft
en @remit an Pero’s Thür; Ines geht, ihm ein Almofen zu reichen,
der Eremit aber raunt ihr zu, er fet ein Ritter, der fich ihr zu Liebe
verkleidet habe. Beide find bald einverfimden und bie junge Frau fpiegelt
ihrem Manne vor, fle wolle zu bem: Eremiten wallfahrten. Der gut:
müthige Pero lobt diefen Entfchluß feiner frommen Ines und geleitet
fle felbft einen Theil dos Bega; ale fie an einen Sing fommen, wird
das Sprichwort von dem Efel noch buchftäblicher wahr, denn der Mann
mn fic) bequemen, die Frau auf feinem Rücken Yinitber zu tragen und
fie fo mit eigener Mühſal in die Arme ihres Bublen zu fpebiren.
Band I. ©. 156, Ferd. Bolf hat kürzlich: mit fehr plaufíblen
Gründen wahrfcheinlich gemacht, daB aud der evíte Akt der Geleftina
von: Fernando de Mujas herrühre.
©. 864. Das köflliche Zwifchenfpiel des Cervantes, El Retablo
de las maravillas, gründet fich auf einen alten Volksſchwank, welcher
beutfch erzählt ift in dem Gedicht vom Pfaffen Amis (ſ. Benecke's Bei:
träge zur Kenntniß Der altd. Sprache und Literatur, 2te Hälfte, (Goͤt⸗
tingen 1832, ©. 499 ff).
Band II. S. 386. Lope's merfivirbiges Drama El Animal por-
feta ift nach einer Legende, welche fich findet Bollandi Acta Sanct.
2,974 ed. Antv. Jacebus de Voragine Legenda aurea Hist. 2
und Vincent. Bell. Spec. hist. 9,115, wie aud) in ben Gesta Roma-
norum c. 18,
Seite 623 haben wir eine zu verfümmerte Idee von Alarcon's Don
Domingo de Don Blas gegeben. Diefes Stüd zeichnet ſich befonders
— 54 —
durch bie hoͤchſt originelle unb humoriſtiſche Haltung ber Hauptperſon
aus. D. Domingo, ein ehrenwerther und feinem Könige mit Blut unb
Leben ergebener Ritter, Tiebt im Lanfe des gewöhnlichen Lebens feine
Bequemlichkeit über Alles. Der König von Leon fommt nach Zamora,
aber der gemäcdhliche Don Domingo fann fidy nicht entfchließen, ihm mit
ben anderen Gavalieren feine Aufwartung zu madjen. Der König läßt
ihn rufen, und erft num eilt er zu ihm, aber nur, um bas láftige Ge⸗
fchäft fo bald wie möglich zu beeuden. Der König fordert ihn auf, fid)
eine Gnade auszuwählen, und er erbittet bie, daß fein Gebieter ihn waͤh⸗
renb feines Aufenthaltes in Zamora mit ferneren Audienzen verfchonen
möge. Er hört in einem Hanfe Gefang, tritt ein, um fich an der Mufif
in der Nähe zu erfreuen, und fept ſich fogleich nieder; ein eiferfüchtiger
Galan fommt darüber zu und fordert ihn zum BZweilampf; er nimmt
die Ausforderung an, aber unter ber Bebingung, daß er fich ſitzend jchlagen
dürfe, Erft als die Umftände feine Thatkraft erfordern, wirft ex die Trágs
beit von ſich und fteht zulegt ale Held ba.
S. 639. Das Drama Del cielo viene el buen Rey 'von Ros
brigo de Herrera berubt auf einer Legende, welche deutſch behandelt wors
den ift in dem Gedicht »Der König im Bade.» S. bafielbe in Genthe’s
deutſchen Dichtungen des Mittelalters, B. L S. 415.
S. 641. In Antonio de Huerta'$ Cinco blancas de Juan de
Espera en Dios ift die Sage vom ewigen Juden bebanbelt.
Band TIL S, 403 ff. Die fpärlichen biographifchen Notizen über
bie einzelnen Dichter, welche bier gegeben werden, find aus Baéna's
Hijos ilustres de Madrid, aus Latafja, Limeno, NR. Antonio u. f. w.
In Bezug auf die Stellen und Scenen, weldge bier und da (ich
beziehe mid) auf Das ganze Werk) aus den Dramen hervorgehoben wurs
den, muß ich bemerken, daß dabei Feine wörtliche Ueberfepung beabſich⸗
tigt ward; biefelben follten mur bie Inhaltsanzeigen der Stüde lebens
biger machen, und deshalb ward der Dialog oft fehr abgekürzt.
SRA ARNM
Sinnftórende Druckfehler.
48 Zeile 4 v. u. lies Volkes flatt Landes.
54 lebte Beile, ift vor eine das Wort in zu ftreichen.
62 Zeile 9 y. o. fehlt Hinter göttliche das Wort nicht.
75 Zeile 3 y. o. flatt feine vollenbetften lies bie vollens
dDetften des Calderon.
89 Zeile 7 y. o. ift bas Wort und zu flreichen.
98 Zeile 15 v. o. ftatt Begriffe lies Diefe Begriffe.
118 Zelle 9 y. o. ftatt da la lies de las.
. 320 legte Zeile lies Philomela ftatt Filomena.
A A — ii —
:
“
Po.”
ve
E
zen
‘
Sorgo
2
armarios
NETTER
DES ER
Corner
a a TRET
Bun RSuomimmlman
RI
pr IE ee
DEE I 05317-802352 AEAR P
*
%
ti
IN
M
e. ..osos -
a oa E IO
EL rra A A PD ES Fre
ES E
A o
EAS a 207 E20
Pr
u vw: ES A MT ug Re
e
Kran
u! Aus IE
a Da ad
A AAA — — —— — mem 2 —— — nn nn — ee nn