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GESCHICHTE
DER EISENBAHNEN
DER ÖSTERR.- UNGAR. MONARCHIE.
I. BAND.
II. THEIL.
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GESCHICHTE
DER EISENBAHNEN
DER
OESTERREICHISCH -UNGARISCHEN
MONARCHIE.
I. BAND.
II. THEIL.
WIEN • TESCHEN * LEIPZIG.
KARL PROCHASKA
K. U. K. HOFBUCHHANDLUNQ & K. U. K. HOFBUCHDRUCKEREI.
MDCCCXCVIII.
"* "^ i*Jsyfe^'tw:s
ZUM
FÜNFZIGJÄHRIGEN REGIERUNGS-JUBILÄUM
SEINER KAISERLICHEN UND KÖNIGLICH-
APOSTOLISCHEN MAJESTÄT
FRANZ JOSEPH I.
UNTER DEM PROTECTORATE UNTER BESONDERER FÖRDERUNO
SR. EXC. DES K. U. K. OEHEIMEN RATHES HERRN SR. EXC. DES K. U. K. OEHEIMEN RATHES HERRN
DR. LEON RITTER v. BILlSJSKI FML EMIL RITTER v. OUTTENBERO
MINISTER A. D. ETC. ETC. MINISTER A. D. ETC. ETC.
UNTER MITWIRKUNO
DES K. U. K. REICHSKRIEGSMINISTERIUMS
UND
HERVORRAGENDER FACHMÄNNER
HERAUSGEGEBEN
VOM
OESTERREICHISCHEN EISENBAHNBEAMTEN-VEREIN.
UNTER MITWIRKUNG DER FACHREFERENTEN:
WILHELM AST, K. K. REGIERUNGSRATH,
HANS KAROL, K. K. MINISTERIALRAT!! A. D., DR. FRANZ LIHARZIK, K. K. SECTIONSCHEF
UND DES REDACTIONS-COMITES :
FRANZ BAUER, ALFRED BIRK, THEODOR BOCK, KARL OÖLSDORF, FRANZ MÄHLINO,
JOSEF SCHLÜSSELBEROER
REDIGIRT
VON
HERMANN STRACH.
54796
ALLE RECHTE, DAS OESAMMTE WERK BETREFFEND,
BEHALTEN SICH DAS REDACTIONS-COMITE UND DIE VERLAGSHANDLUNG VOR.
Geschichte der Eisenbahnen
Oesterreichs.
Vom Jahre 1867 bis zur Gegenwart.
Von
Ignaz Konta,
k. k. Hofrath.
Geschichte der Eisenbahnen
Oesterreichs 1867 — 1897.
DIE Kindheit des österreichischen
Eisenbahnwesens war keine freud-
volle, dessen erste Auferziehung
eine recht mühsame. Von dem Augen-
blicke an, da der k. k. Baudirector
Ferdinand Mayer seine Vorschläge für
die Herstellung einer Eisenbahn von
Linz nach Lambach an die k. k.
Landesregierung vorlegte [1818]; bis
F. A. v. Gerstner, der würdige Sohn
seines berühmten Vaters, dessen Ideen
verwirklichend, die erste für den öffent-
lichen Verkehr bestimmte Eisenbahn
auf dem europäischen Festlande — die
Linz-Budweiser Pferde-Eisenbahn — ins
Dasein rief; bis der weitblickende
Chef des Hauses S. M. v. Rothschild
mit Hilfe und nach den Plänen und
Eingebungen des Professors Franz
Riepl dem Zeit und Raum besiegenden
»Dampfrosse« die ersten Wege in
Oesterreich schuf; bis der Jünger und Nach-
folger Gerstner's, Mathias Schönerer, als
Bauführer der Gloggnitzer Bahn, im hohen
Gedankenfluge die erste Trace über den
Semmering zog [1839]; bis Meister Karl
Ghega sein kühnes, von der ganzen Welt
angestauntes Werk, die erste Ueber-
schienung der Alpen vollführte [1848 bis
1854]; bis der Grosshändler H. D. Lind-
heim mit dem Projecte Wien-Linz-Salz-
burg und der geistige Mitbegründer
der Kaiser Ferdinands-Nordbahn Hein-
rich Sichrovsky mit seinem »Memoran-
dum« über die Herstellung einer Eisen-
bahn Stockerau-Linz-Salzburg zum An-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Thei).
Schlüsse an die bayerischen Bahnen
hervortrat [1855]; bis die hochmögenden
j Fürsten Leo Sapieha und Johann Adolf
I Schwarzenberg zwei grosse Projecte,
j ersterer jenes der Carl Ludwig-Bahn,
I letzterer jenes der Kaiser Franz Josef-
Bahn der Verwirklichung zuführten [1857
und 1865]; bis wackere Männer der
Arbeit, wie die Gebrüder Klein, Adalbert
I Lanna, Karl Schwarz u. A., alle diese
Schienenstrassen erbaut hatten, — diese
ganze lange Zeit war fast vollends aus-
gefüllt von den Mühsalen der Bewältigung
von Hindernissen und Widrigkeiten.
Die Schöpfer des österreichischen
Eisenbahnwesens begegneten allenthalben
Vorurtheilen, Unglauben hinsichtlich der
Nützlichkeit und Misstrauen in den dauem-
I den Bestand des neuzeitigen Verkehrs-
mittels. Sein Organismus, nur Wenigen ge-
nauer bekannt, erfuhr eine oft wechselnde
Heranbildungsweise, die nicht immer die
richtige gewesen. Das Privatcapital, das
sich zuerst herangewagt, den Neuling zu
pflegen, wurde bald wieder zaghaft,
weil es vielerlei, mitunter recht herbe
Enttäuschungen erlitt. Daraufhin in
die eigene Obhut des Staates über-
nommen [a. h. Entschliessung vom
19. December 1841], gebrach es der
jungen, jedoch schon in ihrer vollen
Wichtigkeit erkannten Einrichtung zwar
nicht mehr an einer gedeihlichen Regel-
mässigkeit der Ausgestaltung, wohl aber
immer noch an der Beschleunigung der-
selben. Mannigfache anderweitige Erfor-
Ignaz Konta.
dernisse des Staatshaushaltes beengten
den Aufwand für den Bau von Schienen-
strassen schliesslich in einem Masse, dass
er abermals der Privatthätigkeit über-
lassen wurde [a. h. EntSchliessung vom
8. September 1854].
Das raschere Wachsthum des öster-
reichischen Eisenbahnnetzes begann daher-
erst, nachdem seit der Gründung seiner
ersten Dampfbetriebslinie bereits ein
Vierteljahrhundert verflossen war. Unauf-
gehalten blieb indes die Entfaltung auch
weiterhin nicht. Enge verknüpft mit den
Geschicken und abhängig von der all-
gemeinen Lage des Reiches hat, wenn
diese sich verdüsterte, stets auch jene
einen Rückschlag erlitten, so namentlich
: aus Anlass der finanziellen Erschütte-
rungen im Jahre 1857 und der äusseren
Verwicklungen im Jahre 1859.
Eine der heftigsten Störungen ver-
i ursachten die Ereignisse des Jahres 1 866 ;
: denn diese hatten, wie auf allen wirth-
\ -schaftlichen Gebieten, so auch auf jenem
des Eisenbahnbaues einen nahezu völligen
Stillstand zur Folge.
Als jedoch die Waffen niedergelegt
j und die Völker wieder zu friedlicher
' Arbeit zurückgekehrt waren, kam bald
frisches Leben auch in den Entwicklungs-
gang des österreichischen Eisenbahn-
wesens.
I.
Decennium 1867 — 1876.
Die erste und wirkungsvolle Anregung
zu neuem Thun und Schaffen gab das,
gleich am ersten Haltepunkte der Kaiser-
reise in die vom Kriege am meisten heim-
gesuchten Kronländer, nämlich in Brunn,
an den Ministerpräsidenten Grafen Belcredi
erlassene Allerhöchste Handschreiben vom
18. October 1866, womit Seine Majestät
den a. h. Wunsch aussprach, es möge, »um
den durch die Kriegscalamitäten in der
Markgrafschaft Mähren hervorgerufenen
Nothstand thunlichst zu lindern und der
arbeitenden Classe in möglichst um-
fassender und anhaltender Weise Be-
schäftigung zu geben, der Bau der
Mährischen Landes - Eisenbahnen *) mit
Aufgebot aller Kräfte in der Art beschleu-
nigt werden, dass mit dem Unterbau
derjenigen Linien, welche die durch den
Krieg am meisten beschädigten Gegenden
durchziehen, noch im Laufe dieses Jahres
begonnen werden kannc.
Die > Mährischen Landesbahnen«, als
welche damals hauptsächlich die Linien :
Brunn - Iglau, Brunn - Olmütz - Sternberg,
Brünn-Ungarische Grenze [gegen Trencsin]
und Tecitz - Znaim - Maissau gegolten
hatten, waren nämlich schon längere
Zeit hindurch Gegenstand eifrigen Be-
mühens der Handelskammern Brunn und
*)Vgl. Bd. I, I.Theil. H. Strach, Eisen-
bahnen mit Zinsengarantie. S. 407.
Olmütz, der Mährisch-Schlesischen Acker-
bau-Gesellschaft sowie des Landtages
und, Dank den von Letzterem be-
willigten Geldmitteln, auch in den tech-
nischen Vorarbeiten bereits so weit ge-
diehen, dass mindestens einzelne ihrer
Strecken sogleich hätten in Angriff ge-
nommen werden können. Dahin zielte
auch der weitere Wortlaut des Aller-
höchsten Handschreibens, indem dieser
nicht nur dem Unternehmen einen Staats-
vorschuss in Aussicht stellte, »wenn sich
ein Consortium gebildet haben wird,
welches im vorgeschriebenen Wege die
förmliche Eisenbahn-Concession erlangt
hat und hinlängliche Garantieen bietet,
j dass mit Hilfe eines verhältnismässigen
: Staatsvorschusses der Ausbau der con-
i cessionirten Bahn vollkommen sicher-
' gestellt sei«, sondern schliesslich auch
! nachdrücklich betonte, es seien »nach
'' Massgabe des Zutreffens jener Voraus-
setzungen die Einleitungen derart zu
. treffen, dass noch im Laufe des Jahres
der Betrag von Einer Million Gulden für
Mährische Nothstands-Eisenbahnbauten
zur effectiven Verwendung gelange«.
Diese a. h. Willenskundgebung fand
sofort kräftigen Wiederhall. Zahlreiche
Persönlichkeiten aus den vornehmsten
Kreisen des Landes und seiner Hauptstadt
vereinigten sich mit dem Comite, welches
schon im Anfange des Jahres 1866 die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
Zustandebringung der Linie Brunn-
Olmütz-Sternberg unternommen hatte,
zu einem grossen Consortium, das nun
um die definitive Concession für eben
diese Linie nebst einer Abzweigung nach
Prerau einschritt und, in Anhoffung des
Staatsvorschusses sowie einer Subvention
aus Landesmitteln beabsichtigte, den Bau
noch im Spätherbste zu beginnen. Weiter-
hin machte sich das Consortium an-
heischig, auch die Linien von Sternberg
einerseits über Römerstadt und Jägerndorf
nach Leobschütz, andererseits
über Hannsdorf und Grulich
nach Mittelwalde, nebst einer
Abzweigung nach Freiwaldau
auszuführen. Es verlangte für
diese Linien eine Staatsgarantie
und machte in dem Gesuche
geltend, dass die erwähnten
Fortsetzungen und die durch
sie zu erzielenden wichtigen
Anschlüsse an das Preussisch-
Schlesische Bahnnetz ihren
Zweck nur dann vollständig
erfüllen würden, wenn für die
Mährischen Landesbahnen eine
eigene Gesellschaft gebildet
und hiedurch auch eine den
Verkehrsinteressen des Landes
wohlthätige Concurrenz ge-
schaffen werden möchte. ai
Anfänglich schien die An-
gelegenheit wirklich den vom
Consortium gewünschten Verlauf zu
nehmen; mindestens konnten die am 23.
December 1866 gefassten Beschlüsse des
Mährischen Landtages, mit welchen den
Landesbahnen eine Capitals-Subvention
[durch Uebemahme von Actien al pari
im halben Betrage der seitens des Staates
gewährten Subvention] bewilligt wurde,
in jenem Sinne gedeutet werden, weil darin
namentlich in Betreff der Linie Brünn-
Sternberg nebst der Abzweigung nach
Prerau, der Ausbau durch ein Consortium
als erste Bedingung der Subventionirung
aufgestellt erscheint.
Mit einem Male erfuhr jedoch die Sach-
lage eine vollständige Aenderung dadurch,
dass die Kaiser Ferdinands-Nord-
b a h n, welche, trotz aller ihrer Gegen-
anstrengungen und Verwahrungen, in der
Frage des Ergänzungsnetzes der Staats-
eisenbahn-Gesellschaft unterlegen war
und sich nicht sofort wieder einem neuer-
lichen Privilegiums - Streite aussetzen
mochte, nun auch ihrerseits in die Be-
werbung um die Linie Brünn-Sternberg
eintrat, und das Handelsministerium es
vorzog, zunächst diesen Anträgen näher
zu treten. Die betreffende Verständigung
ging der Nordbahn unterm 4. Januar
1867 zu und die alsbald begonnenen
Verhandlungen nahmen einen so gün-
stigen Fortgang, dass der Concessions-
Station Raussnitz [im Bau] mit dem Kaiser
Josef-Denkmal.
Entwurf nicht nur binnen Kurzem ver-
einbart, sondern auch mit a. h. Ent-
schliessung vom 1 1 . März 1 867 grund-
sätzlich genehmigt wurde.
Derselbe hatte eigentlich nur die
Linie von Brunn über Wischau, Pross-
nitz und Olmütz nach Sternberg nebst
einer Abzweigung nach Prerau [im
Ganzen i40-6 km] zum Gegenstande,
machte aber die Nordbahn verbind-
lich , auf Verlangen der Regierung,
auch die Fortsetzungslinie Sternberg-
Reichsgrenze, zum Anschlüsse an das
preussisch - schlesische Bahnnetz, auszu-
führen, woraus sich zugleich folgern lässt,
warum die Gesellschaft, obzwar sie den
Ausbau dieser Fortsetzungslinie lediglich
als eine fernliegende Eventualität be-
trachtete [Bericht an die Generalversamm-
lung vom 15. April 1867], dennoch die
Ignaz Konta.
Abb. 2. Durchstich bei Lultsch [1868].
Bezeichnung »M ährisch -Schlesische
Nordbahn« für das neue Unternehmen
wählte. Das auf beiläufig 14,000.000 fl.
veranschlagte Anlage-Capital für die so-
gleich auszuführenden mährischen Linien
sollte, gemäss der mit dem Finanz-
ministerium getroffenen Vereinbarung
vom 13. April 1867, mittels fünfprocen-
tiger, zum Curse von 85 zu begebender
Prioritäts-Obligationen aufgebracht, die
bezügliche Vorsorge für den etwaigen
Fortsetzungsbau aber einer besonderen
Uebereinkunft vorbehalten werden.
Nun blieb noch die Zustimmung der
Actionäre einzuholen und als dieselbe
durch die ausserordentliche Generalver-
sammlung vom 15. April 1867 ertheilt war,
konnte sich die Nordbahn fortan als Be-
sitzerin der neuen Linie Brünn-Stemberg
nebst der Abzweigung nach Prerau an-
sehen. Die definitive Concession wurde
unterm 6. Mai 1867 ausgefertigt. Sie lautete
für die vorerwähnten Linien und auf die
Dauer von 99 Jahren, bestimmte für das neue
Unternehmen eine vollständig gesonderte
Rechnungslegung, gewährte demselben
eine zehnjährige Steuerfreiheit sowie die
staatliche Garantie jenes Jahresbetrages,
welcher zur Verzinsung und Tilgung des
Anlage-Capitals nothwendig war,*) räumte
*) Das am 22. Mai 1867 im Nachhange
zur Concessions - Urkunde abgeschlossene
Uebereinkommen zwischen dem Finanzmini-
sterium und der Kaiser Ferdinands-Xordbahn
berechtigt dieselbe, sämmtliche Geldmittel
der Staatsverwaltung das Recht
ein, die neuen Linien nach Ab-
lauf von 30 Jahren [gerechnet
vom Tage der Betriebseröffnung]
jederzeit einzulösen, umgrenzte
die Höhe der Maximaltarife,
setzte für den Baubeginn einen
Termin von sechs Wochen und
für die Bauvollendung einen
solchen von längstens drei Jahren
fest.
Die pünktliche Einhaltung
dieser Fristen war keine leichte
Aufgabe; denn in der kurzen
Zeit vom Beginn der Con-
cessions-Verhandlungen bis zur
^^^1 anberaumten Inangriffnahme
des Baues konnten genaue Pro-
jecte unmöglich erstellt werden
— und als dieselben dann [grösstenteils
schon während des Baues selbst] voll-
ständig ausgearbeitet worden waren, zeigte
sich, dass die neuen Linien weitaus höher
als 14,000.000 fl., nämlich mitsammt den
Auslagen für die Erweiterung der Einmün-
dungsstationen und dem durch Terrain-
Rutschungen verursachten Mehraufwande,
etwa 24,000.000 fl. kosten würden.
Einer anderen Unternehmung wären
aus solchen Zwischenfällen wahrschein-
lich bedrohliche Verlegenheiten erwach-
sen. Die Nordbahn aber kam, vermöge
ihrer technischen Leistungsfähigkeit und
ihres festgegründeten Credites, glatt
darüber hinweg. Die Bedachtnahme auf
diese — unter den damaligen Verhält-
nissen besonders wichtigen — Factoren
dürfte denn auch von bestimmendem
Einflüsse darauf gewesen sein, dass die
Regierung bei der Concessionirung der
Linie Brünn-Sternberg von den Bewerbun-
gen des Landes-Consortiums völlig absah
und sich für die alte Nordbahn entschied.
Hiedurch wurde allerdings die Aus-
führung der von Seite dieses Con-
sortiums geplanten übrigen Strecken in
die Ferne gerückt und für absehbare
Zeit das Gegengewicht aufgehoben,
welches die einheitliche Concessionirung
für die neuen Linien, durch Ausgabe von
Prioritäts-Obligationen zu beschaffen, welche
unter den in der Concession festgesetzten
Begünstigungen zu fünf Procent verzins-
lich sind.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
des ganzen angestrebten Netzes an eine
neue Unternehmung dem vorhandenen
Zustande geboten hätte. Da aber die
Mährisch - Schlesische Nordbahn eben-
falls eine directe Verbindung zwischen
der Landeshauptstadt und Olmütz, be-
ziehungsweise Prerau, dem Knotenpunkte
der nördlichen Verkehrsrichtungen, her-
stellte und den fruchtbarsten Gegenden
[Hanna] sowie mehreren Städten Mährens
die langentbehrte Einbeziehung in den
Eisenbahn- Verkehr brachte, so nahm das
Land auch mit dem zunächst Erreichten
gerne vorlieb, umsomehr als die, bald
und kräftigst in Gang gesetzten Bauten
den breiten Schichten der Bevölkerung-
Thal, dann eine kleine Wasserscheide und
bei N'imlau die March übersetzt. Erheblichere
Schwierigkeiten bereiteten jedoch nur die in
den Einschnitten bei Lultscn und Eiwanowitz
wiederholt eingetretenen Rutschungen, welche
auch noch nach der Betriebseröffnung leidige
Störungen verursachten. [Abb. I— 4.)
Die Eisenbahnbauten in Mähren,
welche sohin als die Einleitung der neuen
Schaffensära gelten konnten, erstreckten
sich auch auf das am 1. December 1866
concessionirte, insgesammt 205 -5 km lange
Ergänzungsnetz der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft, dessen mährischer
Theil : [Brunn-] Stf elitz-Grussbach-Landes-
grenze und Grussbach-Znaim mittelbaren
Ersatz bietet für die in dem ursprüngli-
reichliche Gelegenheit zu Arbeit und
Verdienst gaben und, wie die kaiserliche
Fürsorge dies bezweckt hatte, dem Noth-
stande steuerten.
Die Linie Brünn-Nezamislitz nebst der
Zweigbahn nach Prerau gelangte bereits
im Jahre 1869 [30. August], der Rest der
Hauptbahn im Jahre 1870 [1. Juli, be-
ziehungsweise I. August] zur Eröffnung.
Die Trace der Mährisch-schlesischen Nord-
bahn geht von Brunn überRaussnitz — knapp
vorbei an der ewig denkwürdigen Stelle, wo
Josef II. mit eigener Hand den Pflug ge-
führt — in den Thälern des Hügellandes
zwischen der Schwarzawa und der March,
dann über die secundäre Wasserscheide bei
Lultsch nach Wischau. Eiwanowitz und
Nezamislitz und von da einerseits über
Kojetein [Marchüberbrückung] nach Prerau,
andererseits über Prossnitz und Olmütz nach
Sternberg. In diesem letzteren Tracenzuge
wird hinter Prossnitz die Anhöhe von Wra-
howitz erstiegen, bei Wrbatek das Blatta-
chen Programme der » Mährischen Landes-
bahnen« enthalten gewesene directe Linie
Brünn-Znaim.
Wahrscheinlich aus diesem Grunde
oder aber gleichfalls aus Nothstandsrück-
sichten schreibt die Concessions-Urkunde
[§ 3, Schlussalinea] ausdrücklich vor, dass
diese Verbindung so schnell als möglich
hergestellt werde ; deshalb wurden denn
auch die Erdarbeiten noch im Winter
1866/67 an mehreren Punkten zugleich
begonnen.
Hernach griff die Thätigkeit auf den bis
Wrien und Marchegg reichenden, nieder-
österreichischen Theil dieses Netzes über.
Jede seiner Strecken erforderte einen be-
sonderen Aufwand an Arbeitskräften, theils
wegen der eben erwähnten Dringlichkeit,
theils weil namhafteTerrainschwierigkeiten
zu bewältigen und auch viele Kunstbauten
auszuführen waren. Erstere kamen haupt-
Ignaz Konta.
Abb. 4. Viaduct bei Nemojan [im Bau, 1868}.
[Nach einer Photographie von Q. Trapp in Brunn.]
sächlich bei Znaim [Uebergang über das
Leska-Thal] und zwischen Laa und Stfelitz
vor, wo drei Wasserscheiden zu über-
setzen und die Hügelketten des mährischen
Mittelgebirges an vier Stellen mittels
Tunnels [137 — 266 m lang] zu durch-
brechen waren. Die Unterbauobjecte
häuften sich [abgesehen von diesen
Tunnels] zumeist im Donau- und im
Thayagebiete und in der Trace der
Brünner Verbindungsbahn. Besonders
hervorzuheben sind : die 789 m lange
Eisenbrücke [continuirliche Gitterträger,
fünf Felder] über den Donaustrom bei
Stadlau, welche die erste stabile Donau-
brücke ist,*) und der Viaduct über das
Iglava-Thal [Eisenconstruction, Gitter-
balken, Mittelpfeiler aus gusseisernen mit
Beton ausgegossenen und auf Steinsockeln
aufsitzenden Röhren], dessen ebenso sehr
gepriesene als andererseits auch ange-
fochtene, von Nördling erfundene Bau-
art hier zum ersten Male in Oesterreich
angewendet wurde.
Die Baukosten dieses Netzes betrugen
im Zeitpunkte der Vollendung seiner
ersten Herstellung [rund] 40,000.000 fl.,
erfuhren aber späterhin eine namhafte
Steigerung, die sich, nach dem Hinzu-
kommen des Aufwandes für verschiedene
Zweig- und Verbindungslinien in und bei
Wien, auf mehr als 10,000.000 fl. belief.
Die Trace der Linie Wien-Stadlau-
Grussbach-Strelitz zweigt ausserhalb des
*) Vgl. Bd II, J. Zuffer, Brückenbau,
sowie die betreifenden Abbildungen jenes
Capitels.
Wiener Hauptbahnhofes in weitausholen-
den Bogen von der alten Haupttrace Wien-
Bruck ab, durchzieht nach Uebersetzung
des Wiener-Neustädter Canals die Simme-
ringer Haide, tritt dann über den Donau-
canal hinweg . in den Wiener Prater ein,
dessen Hauptallee auf einem Viaduct über-
setzt wird, und gelangt, nachdem auch
der Donaustrom mittels einer mächtigen
Brücke passirt wird, nordwärts durch
das Donauthal bis Stadlau. Von Stadlau
weiter zieht die Trace in gerader nord-
westlicher Richtung durch das Marchfeld,
übersetzt bei Süssenbrunn die Nordbahn,
hernach bei Poysdorf und Staatz zwei
durch Ausläufer "des Mannharts-Gebirges
gebildete Wasserscheiden, um in die Tief-
ebene der Thaya und bis Grussbach zu ge-
langen. Hier das Thal übersetzend zieht
diese Linie an den Abhängen des Mäh-
rischen Mittelgebirges bis zur höchstge-
legenen Station Kromau und von hier aus,
die Hügelketten an vier Stellen mittels Tunnels
durchbrechend und das Iglava-Thal [zwischen
dem zweiten und dritten Tunnel] auf dem bereits
erwähnten, grossen Viaducte übersetzend,
nach Stfelitz, wo sie in die Trace der Brünn-
Rossitzer Eisenbahn einmündet. [Abb. 5 und 6.]
DieZweigbahn nach Znaim mündet
in Grussbach aus der Hauptlinie des Ergän-
zungsnetzes aus, und führt über Possitz, Hönitz
und Mühlfraun nach Znaim zum Anschlüsse
an die Oesterreichische Nordwestbahn.
Der Marchegger Flügel zweigt in
Stadlau von der Hauptbahn ab und führt in
gerader Richtung ostwärts über Gross-Enzers-
dorf, Siebenbrunn und Schönfeld nach March-
egg zum Anschlüsse an die südöstliche Linie
der Staatseisenbahn.
Die Terrain verhältnisse der beiden letzte-
ren Strecken boten, mit Ausnahme des Ueber-
ganges über das Leska-Thal bei Znaim,
keinerlei Schwierigkeiten.
Dadurch, dass die Brünn-Rossitzer Eisen-
bahn das Bindeglied zwischen den beiden
Netzen der Staatseisenbahn-Gesellschaft
wurde, war es auch nothwendig geworden,
der Strecke Stf elitz-Brünn eine ihrer neuen
Bestimmung entsprechende Ausgestaltung
zu geben. Es wurde die Trace bei Brunn
umgelegt, um die Benützung der Nord-
bahnstation Ober-Gerspitz entbehrlich zu
machen, ferner in Brunn selbst der Bahn-
hof der Rossitzer Bahn mit jenem der
Staatsbahn durch Geleise verbunden, und
ersterer, nachdem die Staatseisenbahn-
Gesellschaft zur Zeit der Vollendung ihres
Ergänzungsnetzes auch den Betrieb der
Rossitzer Bahn übernommen hatte, in
einen Frachtenbahnhof [der Staatsbahn]
umgewandelt. Der Vertrag über die ge-
dachte Betriebsführung wurde am 15. Juni
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
1870 vorerst auf die Dauer von zehn
Jahren abgeschlossen. Seitdem galt die
Brünn-Rossitzer Eisenbahn mehrentheils
schon als ein Bestandtheil der Linien der
Staatseisenbahn-Gesellschaft, welche denn
auch stets die Mittel zur Deckung der Er-
fordernisse der Rossitzer Bahn vorstreckte,
bis die Generalversammlung des Jahres
1872 der letzteren durch die Aufnahme
eines Prioritäts-Anlehens von nominale
1,800.000 fl. für die Refundirung sorgte.
Zwischenfragen finanzieller Natur
hemmten jedoch die volle Ingangsetzung
der noch im Spätherbste 1866 von
den Concessionären selbst begonnenen
Arbeiten. Die Bauunternehmung Ge-
brüder Klein und Adalbert Lanna, die
auf Grund des mit den Concessionären
abgeschlossenen Bauvertrages vom 27. De-
cember 1866 die Fortsetzung und Voll-
endung des Baues der Strecke Pilsen-
Budweis sowie den Bau der Prager
Abb. 5. Viaduct der Staatseisenbahn über die Prater-Hauptallee in Wien.
[Nach einem Original im Besitze des Ober-Inspectors A. Paul der Staatseisenbahn-Gesellschaft.]
In Böhmen umfassten die damaligen
Eisenbahnbauten nur die am 23. October
1866 in Angriff genommenen, 142-3 km
langen Strecken der Böhmischen Nordbahn,
dann die 26*4 km lange Fortsetzung des
Schwadowitzer Flügels der Süd-norddeut-
schen Verbindungsbahn bis zur Reichs-
grenze bei Königshain und die 3-2 km
lange Verbindung Prag [Sandthor]-Bubna
[Staatsbahnhof] der Buscht6hrader Bahn.
Umso freudiger wurde dem Zuwachse
entgegengesehen, welcher vom Baue der
Kaiser Franz Josef- Bahn, deren am
1 1 . November 1 866 concessionirte Linien
vorwiegend [mit 460 km] in Böhmen
liegen, zu erwarten stand.*)
*) Bezüglich der Vorgeschichte dieser
Bahnen vgl. Bd. I, I. Theil, H. Strach, Ge-
schichte der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns
von den ersten Anfängen bis zum Jahre 1867.
Verbindungsbahnen, um die Pauschal-
vergütung von 17,024.200 fl. [darunter
die Staatsvorschüsse im Baarbetrage von
6,500.000 fl.] übernommen hatte, war
nämlich gesonnen, auch alle übrigen
Strecken auszuführen ; zuvor aber wollte
sie, um das Risico des sodann erweiterten
Baugeschäftes zu verringern und den
Werth sowie die Marktgängigkeit der
wieder in Zahlung zu nehmenden gesell-
schaftlichen Titel zu erhöhen, die Bahn
mit neuerlichen staatlichen Beneficien
[abermaligem Vorschuss, Verlängerung der
Steuerfreiheit, Erhöhung des Baucapitals
etc.] ausgestattet sehen.
Die Concessionäre ihrerseits schlössen
sich diesen Wünschen gerne an, da ihnen
ebensowohl die Erlangung neuer Be-
günstigungen, als auch die Uebertragung
der gesammten Bauten an eine so leistungs-
IO
Ignaz Konta.
fähige und vertrauenswürdige Unter-
nehmung nur willkommen sein konnte.
Vielleicht war ihnen auch ein anderes
Vorgehen benommen, weil die Bauunter-
nehmung, theils als Mitconcessionär, theils
ob ihres grossen Titelbesitzes, eine mass-
gebende Stimme hatte. Sie überreichten
also die ihnen unterm 5., beziehungsweise
15. Mai 1867 zugegangenen Angebote der
Bauunternehmung dem damaligen Finanz-
minister und zugleich Leiter des Handels-
ministeriums, Freiherrn von Becke. Die
Angebote lauteten — die Erfüllung jener
zwar: Ein weiterer unverzinslicher Staats-
vorschuss von fünf Millionen Gulden gegen
Refundirung in Actien zum Pari-Curse ;
Auflassung des besonderen Personen-
Bahnhofes in Wien am Franz Josefs-Quai,
vorbehaltlich der Bestimmung des Punktes
für die Anlage eines concentrirten Per-
sonen- und Frachtenbahnhofes in Wien
nach dem Ergebnisse der politischen Be-
gehung ;*) Erweiterung der Steuerfreiheit ;
Verringerung des präliminirten Fahr-
parkes auf den wirklichen Bedarf.
Wiewohl nun schon die blosse
Anwartschaft auf
jene Beneficien
zum Abschlüsse
eines Additional-
Vertrages mit den
Bauunternehmern
führte [24. Juli
1867], kraft des-
sen ihnen unter
gleichartigen Be-
stimmungen wie
im alten Vertrage
und gegen Aus-
händigung weite-
rer 24,907.000 fl.
in Actien und
39,645.400 fl. in
Prioritäts-Obliga-
tionen der Bau
und die vollstän-
dige Ausrüstung
der ganzen Bahn
übertragenwurde,
so war dadurch,
dass ihnen zugleich freigestellt werden
musste, den Bau der Strecken Gmünd-
Prag und Pilsen-Eger erst dann auszu-
führen, bis jene Begünstigungen wirklich
erlangt sein würden, auch mit dem
Abb. 6. Iglava-Viaduct bei Eibenschitz [im Baue].
[Nach einer photographischen Aufnahme von F. Seifert, im Besitze Sr. Excellenz des
Eisenbahn-Ministers Dr. Ritter v. Wittek.]
Begehren vorausgesetzt — auf Ausfüh-
rung der ganzen Bahn, gegen Ueber-
nahme sämmtlicher Actien und Priori-
täten. Da aber bis zur endgiltigen Erledi-
gung der Angelegenheit geraume Zeit
verstrich, so erwuchsen hieraus Verzö-
gerungen in der Vergebung, beziehungs-
weise allgemeinen Inangriffnahme der
Bauten.
Ein Bescheid vom 28. Juni 1867
verständigte die Concessionäre, dass das
Finanzministerium mit a. h. Entschlies-
sung vom 27. Juni 1867 ermächtigt wurde,
im verfassungsmässigen Wege ein Ge-
setz zu erwirken, womit der Kaiser Franz
Josef-Bahn mehrere Begünstigungen und
Erleichterungen bewilligt werden, und
*) Bei den Begehungs-Commissionen am
16 , 25. und 29. November 1867 verlangten
die Vertreter der Stadt Wien, dass der Haupt-
bahnhof oder, falls dies nicht thunlich wäre,
wenigstens der Personen-Bahnhof möglichst
nahe an der inneren Stadt, also etwa in dem
Baron Puthon'schen Garten [IX. Bezirk] an-
gelegt werde. Die Gesellschaft ihrerseits
hielt aber das ursprüngliche Project, den
grossen Bahnhof auf dem in der Nähe der
Ferdinands - Wasserleitung [Nüssdorf] ge-
wählten Platze zu errichten, sowohl aus bau-
und betriebstechnischen, wie aus öcono-
mischen Rücksichten, überdies aber auch aus
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
II
Additional-Vertrage eigentlich nur die
Sicherung des Baues der Strecke Budvveis-
Wien neu erzielt.
Die Geldbeschaffung für diese Strecke
und für die schon ursprünglich vergebene
Strecke Pilsen-Budweis hatte mittlerweile
die österreichische Credit - Anstalt auf
I waltungsrath der am 31. August 1867 mit
| einem aus 160.083 Actien ä 200 fl. und
247.800 Prioritäts-Obligationen ä 200 fl.
zusammengesetzten Anlage-Capitale von
nominal 81,576.000 fl. constituirten Ge-
sellschaft: »K. k. pri v. K aiser Franz
Josef-Bahn« die Concessionäre und
Abb. 7. Johann Adolf Fürst zu Schwarzenberg.
[Nach einem Originale aus der k. u. k. Fideiconiiniss-Bibliothek.]
Grund des Vertrages vom 31. Mai 1867
übernommen.
In diesem Stadium löste der Ver-
der Ursache aufrecht, weil dann die Mög-
lichkeit bestünde, den Bahnhof mittels einer
Pferdebahn über die Rossauer Lände
und dem Franz Josef-Quai unmittel-
bar mit dem Hauptzollamte, somit
auch mit der Nord- und der Südbahn
in Verbindung zu setzen, wodurch der
einschlägigen Bestimmung der Concession
[§ 4, alinea 3] einstweilen in provisorischer
Weise entsprochen würde. [Bericht an die
I. ordentliche Generalversammlung.] Die
Entscheidung fiel zu Gunsten der Commune
aus, die aber einen Theil der Mehrkosten
übernahm [siehe Seite 12].
deren Executiv - Comite in der Ge-
schäftsführung ab. An die Spitze des-
selben trat als Präsident der um das
Zustandekommen dieser Unternehmung
besonders verdienstvolle Johann Adolt
Fürst zu Schwarzenberg. [Abb. 7.]
Die Leitung der gleichzeitig errichteten
General-Direction übernahm der bereits am
6. December 1866 von den Concessionären
zum General-Director ernannte, frühere
General-Secretär der Böhmischen West-
bahn, kaiserlicher Rath Heinrich Koger er,
ein altbewährter Eisenbahnfachmann.
' Also bereits unter der Aegide des
Verwaltunp-srathes wurde am 1 1 . No-
12
Ignaz Konta.
vember 1867 ein Theil der gesellschaft-
lichen Titel [30.000 Actien zum Curse
von 70% = 140 fl. und 30.000 Prio-
ritäts-Obligationen zum Curse von 84°/,,
= 168 fl.] zur öffentlichen Zeichnung
aufgelegt. Der hiebei erzielte, an sich
bedeutende Erfolg, scheint aber auf die
obschwebenden gesellschaftlichen An-
gelegenheiten keinen oder nicht den er-
warteten Einfluss genommen zu haben;
vielmehr wurde der Verwaltungsrath gar
bald inne, dass das am 30. December
1 867 ins Amt getretene Cabinet Auers-
perg [Carl] einer Gewährung der von
der früheren Regierung verheissenen
Beneficien abhold sei. Der Verwaltungs-
rath trachtete daher die Bauunterneh-
mung zu vermögen, dass sie ohne Rück-
sicht auf die im Additional-Bauvertrage
enthaltene aufschiebende Bestimmung
hinsichtlich der Inangriffnahme der Stre-
cken Pilsen-Eger und Gmünd-Prag, sich
bereit erkläre, »den Bau dieser beiden
Strecken zugleich und unverweilt zu
beginnen und, statt innerhalb der con-
cessionsmässigen Baufrist, binnen drei
Jahren zu vollenden, sobald die ange-
strebten Begünstigungen auf verfassungs-
mässigem Wege Gewährung gefunden
haben«.
Der Verwaltungsrath wollte nämlich
mit der im allseitigen Interesse gelegenen
bedeutenden Abkürzung der Bauzeit
eine Handhabe erlangen, um auch die
neue Regierung den Wünschen der Ge-
sellschaft geneigter zu machen. Die
Bauunternehmung willigte in die Er-
klärung und der Verwaltungsrath über-
reichte dem Ministerium am 23. October
1 868 die bezügliche Eingabe, auf welche
hin die Angelegenheit jetzt thatsächlich
in rascheren Pluss kam, ohne jedoch
eine bessere Aussicht auf das volle Ge-
lingen der gesellschaftlichen Bestrebungen
zu eröffnen.
Das Ergebnis der wiederholt gepflo-
genen Verhandlungen war schliesslich,
dass die Regierung sich dazu verstand,
der Gesellschaft noch einen Staats-
vorschuss von 4'/4 Millionen Gulden
sowie eine Erhöhung der Staatsgarantie
um denjenigen Betrag zu gewähren, der
zur Verzinsung und Tilgung des Mehr-
aufwandes für den Wiener Bahnhof, für
die stabile Brücke über die Donau bei
Tulln und die Umlegung der Prager
Verbindungsbahn ausreichte, — hingegen
forderte die Regierung, dass der Bau
der Strecken Pilsen-Eger und Gmünd-
Prag sogleich in Angriff genommen
und die Vollendung aller concessionirten
Linien bis spätestens Ende 1871 durch-
geführt werde, ferner eine auch mit
einem Stege für Fussgeher versehene
stabile Donaubrücke bei Tulln hergestellt
werde, deren Pfeiler überdies für eine
mit ihr zu verbindende Strassenbrücke
verbreitert sein müssten. Diese Stipula-
tionen sowie eine besondere Bestimmung,
derzufolge die Gesellschaft, gegen ent-
sprechende Erhöhung der Staatsgarantie,
auch die Flügelbahn Absdorf- Krems
baldigst ausführen sollte, waren in die
Form eines Uebereinkommens gekleidet,
über dessen unbedingte Annahme der
Verwaltungsrath sich im Vereine mit
der Bauunternehmung binnen acht Tagen
zu erklären hatte. Die betreffende Auf-
forderung ging dem Verwaltungsrathe
am 1. Februar 1869 zu.
Es galt also eine weittragende Ent-
scheidung zu treffen. Die Bauunter-
nehmung gab ohneweiters, der Ver-
waltungsrath nach einigem Zögern und
vorbehaltlich der Genehmigung seitens
der Generalversammlung die Zustim-
mung. Dass ihm dieselbe schwer fiel, ist
begreiflich ; denn während die erlangten
Zugeständnisse weit hinter den Hoffnun-
gen der Gesellschaft zurückblieben, legte
ihr das Uebereinkommen manche über die
ursprünglichen Concessions-Bedingungen
hinausgehende Verpflichtungen auf, welche
eine die Rentabilität der Bahn berührende
Erhöhung ihres Anlage - Capitals er-
heischten.
Die Anordnungen bezüglich des
Wiener Bahnhofes trafen die Gesell-
schaft — abgesehen von dem grösseren
Aufwände an Capital — weniger, da
die Regierung, im Hinblicke auf die
erfolglos gebliebenen langwierigen Ver-
handlungen, eine Einigung dahin ver-
mittelte, dass der Bahnhof, nicht wie
ursprünglich projectirt gewesen, an der
Nussdorfer Linie, sondern, wie die Com-
mune es verlangte, innerhalb des Wiener
Burgfriedens, und zwar im IX. Bezirke
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
13
am rechten Ufer des Donaucanals errichtet
werde, wogegen die Gemeinde einen Bau-
beitrag von 500.000 fl. leisten oder die
zur Verzinsung und Tilgung dieses Be-
trages erforderliche Annuität von 25.315 fl.
auf Concessionsdauer garantirt. Die staat-
liche Zinsengarantie wurde hiedurch nicht
berührt, weil die Regierung selbst die
Annuitäten-Zahlungen der Gemeinde in
Empfang zu nehmen hatte. Der Gemeinde-
rath entschied sich in seiner Sitzung vom
26. October 1 868 für die Garantieleistung.
Vorstellung zu erheben sowie auch
auf die in dem Uebereinkommen mit
Stillschweigen übergangenen früheren An-
suchen der Gesellschaft, insbesondere
wegen der Zugestehung eigener Tarife
für die Prager Verbindungsbahn, aufmerk-
sam zu machen; er kam aber damit nicht
zum gewünschten Ziele. Die Regierung
legte das Uebereinkommen nebst einem
Gesetze über den sofortigen Ausbau
der Kaiser Franz Josef-Bahn dem Reichs-
rathe vor, welcher hierüber zunächst
Abb. 8. Die erste Donaubrücke der Kaiser Franz Josef-Bahn bei Tulln.
Anders stand es jedoch hinsichtlich der
Donaubrücke bei Tulln ; denn dieselbe war
anfänglich als definitives Object beantragt,
wurde dann von der Regierung und dem
Reichsrathe, eben im Interesse einer Ver-
ringerung des Anlage-Capitals, zur Aus-
führung in Holz bestimmt und musste
nun doch in definitiver Weise und überdies,
wie oben erwähnt, nicht blos als Eisen-
bahnbrücke hergestellt werden. Zudem
wurde, wegen der Kürze der Baufrist,
eine hölzerne Nothbrücke erforderlich, die
allerdings zugleich als Werksbrücke zu
dienen hatte [Abb. 8].
Der Verwaltungsrath unterliess darum
nicht, gelegentlich seiner am 8. Fe-
bruar 1869 überreichten Zustimmung
zu dem Uebereinkommen neuerliche
in der Sitzung des Abgeordnetenhauses
vom 27. April 1869 verhandelte und hiebei
nur insoferne an den Vorlagen etwas
änderte, als er die Bestimmung wegen der
baldigen Ausführung der Flügelbahn
Absdorf-Krems aus dem Uebereinkommen
wegliess und sie mit Begrenzung der
betreffenden Staatsgarantie in der Höhe
einer Annuität für ein Capital von nominale
750.000 fl. pro Meile als Art. II in das
Gesetz selbst aufnahm, welches, nach
Passirung auch des Herrenhauses, am
20. Mai 1869 die a. h. Sanction erhielt.
Das Gesetz ermächtigt die Regierung
zum Abschlüsse des Uebereinkommens
sowie zur Beauftragung der Gesellschaft,
dass sie, gemäss Art. II der Concessions-
Urkunde und gegen Erhöhung der Staats-
M
Ignaz Konta.
garantie im obigen Ausmasse, die Flügel-
bahn Absdorf-Krems bis spätestens drei
Monate nach der Eröffnung der Haupt-
bahnstrecke Wien-Absdorf herstelle.
Der definitive Abschluss des Ueberein-
kommens erfolgte am 2. und die Auf-
forderung zum Baue der Flügelbahn nach
Krems am 6. Juni 1869. Die Actionäre
genehmigten das Uebereinkommen in der
Generalversammlung vom 26. Juni 1869.
Jetzt erst war der Werdeprocess der
Kaiser Franz Josef-Bahn im Wesentlich-
sten zu Ende gediehen, zwar nicht ganz
so wie die Gesellschaft es erwartet hatte,
immerhin aber mit dem Ergebnisse, dass
sie einer neuerlichen staatlichen Beihilfe
theilhaftig geworden, der rasche Ausbau
der Bahn vollends gesichert erschien und
die Arbeiten nunmehr auf allen Strecken
in Angriff genommen werden konnten. Dies
geschah denn auch in so ausgedehntem
Masse, dass die mehr als zweijährige
Verzögerung des allgemeinen Baube-
ginnes vollkommen wett gemacht wurde.
Es gelangten zur Eröffnung:
ßud\veis-Pilsen[l35-8£m] am I.September 1868,
Eggenburg-Budweis [134-6 km] am I. No-
vember 1869 und
Wien-Eggenburg [78-7 km] am 23. Juni 1870,
Gmünd-Cerean [143 -o km] am 3. September
. 1871,
Cercan-Prag [40-5 km] am 14. December 1871,
Absdorf-Krems [31 km] am 10. Januar 1872,
Pilsen-Eger [106-0 km] am 28. Januar 1872.
Eine Verspätung war nur rücksichtlich
der Prager Verbindungsbahn [$-8 km]
eingetreten, welche erst am 15. August
1872 zur Eröffnung gelangte; dafür aber
wurde die Flügelbahn Absdorf-Krems,
deren Pläne die Regierung wiederholt
abgeändert und erst am 9. Mai 1870
genehmigt hatte, in der kurzen Zeit von
neun Monaten vollendet. Die stabile
Donaubrücke bei Tulln wurde am 30. Mai
1874 dem Verkehre übergeben.
Inzwischen hatte die Gesellschaft
gleich den übrigen fünf in Wien ein-
mündenden Bahnen, also mit einem Sechs-
theile, an dem zum Preise von 2,000.000 fl.
vollzogenen Ankaufe der Wiener Ver-
bindungsbahn theilgenommen [20. Fe-
bruar 1870], ferner die o-g km lange, am
I. März 1873 eröffnete Schleppbahn zur
Donau bei Klosterneuburg ausgeführt
und über Verlangen der Regierung
[25. November 1873] auch die 36-3 km
lange Linie Budweis- Wessely, zu
deren Herstellung sie gemäss § 2 der
Concessions - Urkunde verpflichtet war,
sobald die Umwandlung der Linz-Bud-
weiser Pferdebahn in eine Locomotiv-
bahn zur Durchführung kam, erbaut und
am 8. Juni 1 874 eröffnet. Ihre Ausführung
hatten, im Wege der bezüglichen Offertver-
handlung vom 10. August 1872, die Unter-
nehmer Anton Haudek und Franz Neubauer
erstanden. Die für diese Linie sowie zur
Deckung der anderweitigen Erfordernisse
[Absdorf-Krems, Mehrkosten des Wiener
Bahnhofes, Tullner Brücke, Prager Ver-
bindungsbahn] nöthigen Geldmittel waren
zufolge Beschlusses der Generalversamm-
lung vom 28. Juni 1871, beziehungsweise
26. Juni 1873 durch eine neue Ausgabe
von 52.000 Actien ä 200 fl. und von
20.000 Prioritäts-Obligationen ä 200 fl. be-
schafft worden, wobei rücksichtlich der
nicht von den alten Actionären al pari be-
zogenen Actien, ebenso wie rücksichtlich
der Obligationen ein Aufgeld erzielt wurde.
Mit Ende des Jahres 1874, als jenem
der Vollendung des ganzen Netzes der
Kaiser Franz Josef-Bahn, betrugen die
Baukosten desselben 96,695.476 fl.
Die von Wien ausgehende eingeleisige
Haupttrace der Kaiser Franz Josef-Bahn führt
am rechten Ufer des Donaucanals nach Xuss-
dorf,dann über Klosterneuburg und St. Andrä
[Tullnerfeld] nach Tulln, wo der Donaustrom
mittels einer in derselben Weise wie die
Stadlauer Staatsbahnbrücke construirten,
459 'S i" langen eisernen Gitterbrücke [fünf
Felder], deren Pfeiler nicht nur für zwei
Bahngeleise, sondern auch für eine daran-
gefügte Strassenbrücke angelegt sind, über-
setzt wird. Am linken Donauufer angelangt,
zieht die Trace über Absdorf [Abzweigung
nach KremsJ und Maissau gegen Eggenburg,
Sigmundsherberg und Göpfritz, woselbst sie
einen Ausläufer des Mannhartsberges ersteigt,
um sodann über Schwarzenau nach Gmünd
[Abzweigung der Linie nach Prag] zu ge-
langen und bei Böhmdorf in das Königreich
Böhmen einzutreten. Von der Landesgrenze
an zunächst sanftes Hügelland und, bei
Gratzen, ein ausgebreitetes Teichgebiet durch-
ziehend, führt die Trace dann auf die Höhe von
Zaluii, von wo aus sie sich in das Moldau-
Thal herniedersenkt, daselbst den Knotenpunkt
Budweis [Abzweigung nach Wessely], her-
nach bei dem gleichnamigen fürstlich Schwar-
zenberg'schen Lustschlosse die Station Frauen-
berg erreicht, weiterhin aber nach Protivin
abbiegt, um über Strakonitz und Horaidiovitz
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
15
auf die Wasserscheide bei VolSan, sodann
hinab in das Thal des Uslava-Flusses und
denselben entlang über Nepomuk, Biowitz,
Stiahlau und Pilsenetz über die Radbuza
[Eisenbrücke] nach Pilsen zum Anschlüsse an
die Böhmische Westbahn zu gelangen. Ausser-
halb dieser Station, einige Profile weit mit der
Böhmischen Westbahn parallel bleibend, lenkt
die Trace der Kaiser Franz Josef-Bahn dann
in das Miesthal ein und zieht über Mies-
Kladrau, Plan-Tachau und Kuttenplan nach
Marienbad, sodann an Sandau vorüber in das
Egerthal hinab, wo sie in Eger ihren Endpunkt
erreicht, beziehungsweise Anschluss an die
Buschtährader Bahn [Richtung nach Karlsbad]
schaft [Hrabovka] und der Böhmischen West-
bahn [Smichov] durch die Prager Verbindungs-
bahn bewerkstelligt wird. Letztere besteht aus
zwei Ausästungen, deren eine am Fusse
des £iikaberges in die Geleise der Staats-
eisenbahn-Gesellschaft einmündet, während
die andere in entgegengesetzter Richtung nach
Vysehrad und von da auf einer 296 m langen
Eisenbrücke über die Moldau nach Smichov
führt.
Die Abzweigung Absdorf-Krems mün-
det hinter der Station Absdorf aus der Haupt-
linie aus, zieht dann längs der Stocker-
auer Strasse nach Kirchberg, hernach süd-
lich gewendet über Wagram und, nach Ueber-
Abb. 9. Provisorischer Bahnhof der Kaiser Franz Josef-Bahn in Wien.
und an die bayerische und sächsische Staats-
bahu findet. [Vgl. Abb. 8—13.] [Abb. 9 zeigt
den provisorisch angelegten, bis zum 4. Juni
1872 in Verwendung gestandenen ersten
Wiener Bahnhof.]
Die Linie Gmünd-Prag zweigt, wie oben
erwähnt wurde, in Gmünd aus der Linie Wien-
Eger ab, folgt dem Laufe des Lasnitz-Flusses,
berührt die Orte Suchenthal, Wittingau,
Lomnitz, Wessely, Sobcslau und Tabor, er-
steigt sodann den Höhenzug von Stüpcitz,
zieht von hier über Konopist und Beneschau
in das Sazava-Thal hinab, sodann eine zweite
Höhe bei Straneitz empor, und gelangt an
feican und Oufinoves vorüber bei stetem Ge-
fälle nach Nusle und von da durch einen
114OW1 langen, die »Königlichen Weinberge«
unterfahrenden Tunnel nach Prag, wo der An-
schluss andieLinie derStaatseisenbahn-Gesell-
setzung des Kamp-Flusses, bis Hadersdorf,
sodann wieder parallel mit der Fahrstrasse
über Hadersdorf nach Krems, vor welcher
Stadt der Krems-Fluss übersetzt wird.
Die Zweiglinie Budweis- Wessely bil-
det die directe Verbindung der beiden Statio-
nen, nach welchen sie benannt ist. Ihre Trace
folgt im Allgemeinen der Fahrstrasse und
zieht über Zamost zur Wasserscheide bei
Schmiedgraben hinan, fällt hernach rasch ab,
tritt bei öevetin in das Teichgebiet von Lhota
und Horusitz ein und gelangt im Bereiche
desselben, nach wiederholter Uebersetzung
der Flüsse Luznitz undNeiarka, nach Wessely
zur Einmündung in die Linie Gmünd-Prag.
Aehnliche Gründungsphasen wie die
Kaiser Franz Josef-Bahn hatte auch die
mit ihr an einem Tage concessionirte
16
Ignaz Konta.
Kronprinz Rudolf-Bahn durchzu-
machen, deren Bau den Alpenländern
neue verdienstgebende Regsamkeit brin-
gen sollte. Insbesondere wegen dieses
letzteren Zweckes war, über a. h. Ent-
schliessung vom 21. November 1866, auch
ihr ein in Actien al pari zurückzuzahlender
Staatsvorschuss von fünf Millionen Gulden
bewilligt worden ; jedoch unter der im
Art. II des bezüglichen Uebereinkommens
vom 12. December 1866 seitens der Re-
gierung ausdrücklich angeführten Bedin-
gung, dass der Bau der Hauptbahn-
strecken St. Valentin - Steyr und
St. Michael- Villach sofort begonnen
und binnen längstens zwei Jahren
vollendet werde. Gleichwohl begann der
Bau in ausgiebigerer Weise erst im Früh-
jahre 1867 und auch dies nur zufolge einer
vorläufigen Uebereinkunft mit der Bau-
unternehmung Thomas Brassey, Ge-
brüder Klein und Karl Schwarz, während
der Abschluss eines definitiven Bauver-
trages noch von einer vorherigen Re-
gelung der finanziellen Grundlagen der
ganzen Bahn abhängig blieb.
Den Schlüssel zu dieser Regelung bil-
dete die ziffermässige Feststellung des
Anlage - Capitals, da die Concessions-
Urkunde [§ 17] nur besagt, dass der Staat
»ein jährliches 5percentiges Reinerträgnis
von dem aufgewendeten und gehörig nach-
zuweisenden Capitale nebst der zur Til-
gung dieses Capitales erforderlichen jähr-
lichen Quote in Silber für die Dauer der
Concession garantirt . . .«, während die
Concessionäre , wie nicht minder die
Anglo-österreichische Bank, als das von
ihnen erwählte Finanzirungs-Institut, und,
nachdem hier ebenfalls eine Pauschal-
vergebung beabsichtigt war, auch die
Bauunternehmung vor Allem Klarheit
darüber gewinnen wollten, welche Summen
auf die Anlage der Bahn verwendet
werden könnten und dürften. Sie be-
mühten sich darum allesammt, jene Fest-
stellung zu erzielen; im Vordergründe
blieben jedoch die Concessionäre, für
welche der aus ihrer eigenen Mitte an
die Spitze der schon am 1. Januar 1867
errichteten Verwaltung getretene General-
Director, Georg Aichinger, das Wort
führte.
Diese wendeten sich an die Regierung
und erwirkten auch, dass mindestens das
Capital für die schon im Bau befindlichen
Strecken genau beziffert wurde. Es geschah
dies mittels des Finanzministerial-Erlasses
vom 23. Februar 1867, welcher dasselbe
mit 30,000.000 fl. feststellte, unter der Be-
dingung, dass die auf diesen Betrag hälf-
tig auszugebenden Actien und Prioritäts-
Obligationen sogleich in feste Hände über-
zugehen hätten. Die Erfüllung dieser Bedin-
gung begegnete keinen Schwierigkeiten,
da die Anglo-österreichische Bank, wie ge-
sagt,mit den Concessionären liirt war. Sie
übernahm die Werthe, abzüglich der zur
Refundirung des Staatsvorschusses be-
stimmten 25.000 Actien, verpflichtete
sich hiefür die, einschliesslich der Inter-
calarzinsen, 21, 350.000 fl. betragende Bau-
summe an die Concessionäre, beziehungs-
weise Bauunternehmung baar auszu-
bezahlen [Uebereinkommen vom 27. Fe-
bruar 1867] und veranstaltete in den
Tagen vom 26. bis 28. März 1867 die
Ausgabe der Actien, zum Curse von 65°/o
= 130 fl., wobei eine bedeutende Ueber-
zeichnung stattfand.
Angesichts der so weit flüssigen
Geldmittel ging auch die Bauunter-
nehmung rasch in den Abschluss eines
definitiven Vertrages ein, der ihr den
Bau und die Ausrüstung der Strecken
St. Valentin - Steyr und St. Michael-
Villach gegen die Pauschalvergütung von
21,350.000 fl. übertrug und sie verpflich-
tete, diese Strecken sammt und sonders
bis längstens 12. December 1868 betriebs-
fähig zu übergeben. Das Ministerium ge-
nehmigte den Vertrag am 15. Juni 1867.
Während der Einleitung gleicher
Massnahmen für die Bestimmung des
Baucapitals der übrigen Strecken, erfolgte
am 19. Juli 1867 die staatliche Genehmi-
gung der Gesellschafts-Statuten und am
20. Juli 1867 die Constituirung der Actien-
Gesellschaft : »K. k. p r i v. Krön-
I prinz Rudolf-Bahn«, deren Fond
vorerst auf 30,000.000 fl., bestehend aus
75.000 Actien ä 200 fl. Silber und
50.000 Prioritäts-Obligationen ä 300 fl.
Silber bestimmt war. Von den letzteren
wurden 15.000 Stück am 29. October 1867
zum Curse von 8o°/0 = 240 fl. mit
bestem Erfolge zur öffentlichen Zeichnung
aufgelegt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
17
Die neuen, nunmehr vom Verwaltungs-
rathe angeknüpften Verhandlungen mit
der Regierung zogen sich bis in den
Spätherbst hinein, fanden aber einen be-
friedigenden Abschluss, indem ein Finanz-
ministerial-Erlass vom 23. December 1867
das garantirte Anlage - Capital für die
Strecken Steyr - Weyer, Rottenmann - St.
Michael, St. Veit-Klagenfurt, Launsdorf-
Mösel mit 25,940.449 fi. und jenes für
die Strecken Weyer - Rottenmann mit
21,417.403 fl. bezifferte.
9. Februar 1868 vorgenommenen und am
16. März 1868 vom Ministerium ge-
nehmigten Vergebung waren die gleichen
wie bei den ursprünglich vergebenen zwei
Strecken, nur trat jetzt der Charakter
der Bauunternehmung als General-Entre-
prise dadurch noch deutlicher hervor,
dass ihr für die pauschalsten Leistungen
die Bausumme von nominale 25,940.449 fl.
in gesellschaftlichen Werthen [zur einen
Hälfte in Actien, zur andern in Prioritäts-
Obligationen] übergeben wurde, welche
Abb. 10. Bau der Brücke über die Donau bei Tulln.
Da hiedurch die finanzielle Grund-
lage der ganzen Bahn, mit Ausnahme
des Flügels Klein-Reilling-Amstetten, allen
Betheiligten offenkundig geworden und
dem Anscheine nach auch jeder Grund
einer Verzögerung entfallen war, glaubte
man allenthalben die weitere Vergebung
der Arbeiten je eher gewärtigen zu können.
Sie vollzog sich auch wirklich bald nach-
her, jedoch wieder nur theilweise, und
zwar blos rücksichtlich der erstgenannten
Strecken. Die Modalitäten dieser am
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
übrigens sogleich an die Anglo-öster-
reichische Bank übergingen, die ihrer-
seits wieder die Actien [50.000 Stück]
am 4. Mai 1 868 zum Curse von 65 °/0
= 130 fl. emittirte und hiebei aber-
mals eine starke Ueberzeichnung er-
zielte. *)
*) Von den Obligationen gelangten
20.000 Stück ä 300 fl. am 9. November 186S
zum Curse von 210 fl. [70°/o] zur Ausgabe;
auch hiebei fand eine namhafte Ueber-
zeichnung statt.
Ignaz Konta.
Die eben besprochene Bauvergebung
umfasste auch die neu hinzugekommene,
auf Grund des Gesetzes vom 17. Juni 1868
mit einem Anlage- Capitale von 2,038.000 fl.
ausgestattete und der Gesellschaft am
20. Juli 1868 concessionirte kleine Strecke
St. Michael-Leoben, die im Zu-
sammenhange mit der ebenfalls von den
Gründern der Kronprinz Rudolf-Bahn pro-
jectirten, aber seither der Südbahn con-
cessionirten Strecke Leoben-Bruck a. M.,
die Verbindung dieser beiden Bahnen
im nördlichen Theile Steiermarks
herstellt.
Um dieselbe Zeit befasste sich der
Verwaltungsrath, trotz der Sorge um die
restliche Sicherstellung des Baues der
alten Strecken, noch mit dem Projecte
einer zweiten, an die Südbahn an-
schliessenden neuen Linie. Er war den
Verhandlungen über die Concessionirung
der Linie L a i b a c h-T a r v i s , deren Aus-
führung die Regierung in Anbetracht der
gedrückten wirthschaftlichen Lage des
Landes Krain ehestens sichern wollte,
beigezogen worden, und trat in die Be-
werbung ein, obzwar oder vielleicht weil
ein Zusammenhang dieser Linie mit dem
gesellschaftlichen Bahnnetze nur durch die
seitens der Gesellschaft schon von Anfang
her angestrebte Fortsetzung der Kronprinz
Rudolf-Bahn zu erzielen war.
Das ganze Vorhaben glückte übrigens
nicht alsobald ; denn obschon der Reichs-
rath die am 1 8. Mai 1 868 im Abgeordneten-
hause eingebrachte Regrierungfsvorlap'e
ohne Verzug und sehr wohlwollend, näm-
lich unter Erhöhung des Anlage-Capitals
auf durchschnittlich 1,200.000 fl. pro Meile,
erledigte, konnte die Concessionirung doch
nicht mehr im Jahre 1868 erfolgen, weil
zuvor die Südbahn befragt werden musste,
ob sie von ihrem concessionsmässigen
Vorrechte auf die Linie Laibach-Tarvis
Gebrauch machen wolle; die Frist zur
Beantwortung der unterm 8. August 1868
diesfalls an sie ergangenen Aufforderung
erstreckte sich über vier Monate und
überdies verliefen die sohin erst nach
dem 8. December 1868 eingeleiteten
eigentlichen Concessions - Verhandlungen
nicht so einfach.
Die Südbahn hatte sich nicht ernstlich
gemeldet, hingegen waren der Kronprinz
Rudolf-Bahn in einem Laibacher Con-
sortium, ferner in dem Bauunternehmer
G. Pankratz hartnäckige Concurrenten
erstanden und sie vermochte das Feld
schliesslich nur dadurch zu behaupten, dass
sie sich mit einem um 5000 fl. pro Meile
geringeren Anlage - Capitale begnügte.
Die ihr [auf Grund des Gesetzes vom
9. Juli 1868] am 23. Februar 1869 ertheilte
Concession enthält im Allgemeinen gleiche
Bestimmungen wie für die übrigen gesell-
schaftlichen Linien mit dem Unterschiede,
dass das Anlage-Capital ziffermässig, näm-
lich mit 1,195.000 fl. pro Meile bestimmt
und die Bauzeit für die ganze Linie mit
drei Jahren bemessen wurde. Den Bau
übernahm auf Grund des, ebenfalls erst
nach langwierigen Verhandlungen, am
20. September 1869 zustande gekommenen
Vertrages, wieder die General-Unterneh-
mung Thomas Brassey, Gebrüder Klein
und Karl Schwarz gegen Ueberlassung
der für diese Linie auszugebenden gesell-
schaftlichen Werthe, von welchen die
Actien [40.689 Stück ä 200 fl.] in den
Tagen vom 20. bis 28. December 1869
zum Curse von 160 fl. emittirt wurden.
Inzwischen war es der Gesellschaft end-
lich gelungen, den Bau der schwierigsten
aller alten Linien, d. i. jener von Weyer
nach Rottenmann, sicherzustellen. Die
ausserordentliche Verzögerung dieser An-
gelegenheit ist auf folgende Umstände
zurückzuführen : Der Verwaltungsrath Hess
gegenüber dem ursprünglichen Projecte
ein zweites, geringere Anlagekosten er-
heischendes Bauproject ausarbeiten, wel-
chem aber das Ministerium erst nach
langem, durch technische Rücksichten
hervorgerufenen Widerstreben zustimmte
[März 1 869] ; dann verursachte die Wahl
der Bauunternehmung noch einen weiteren
Aufschub. Sei es, dass die alte General-
Unternehmung vermeinte, mit der um
1,117.403 fl. herabgeminderten Bausumme
nicht das Auslangen zu finden, oder dass die
Anglo-österreichische Bank von der Lust
angewandelt wurde, auch an dem Bau-
geschäfte selbst einen Antheil zu haben, —
Thatsache ist, dass nach weitwendigen
Verhandlungen die Bank, als General-
Unternehmung, den Bau und die Ausrü-
stung der Strecke, um die hiefür bestimm-
ten Actien und Prioritäts - Obligationen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
19
in dem herabgeminderten
Betrage von nominale
20,300.000 fl. übernahm.
Der Vertrag wurde am
30. Juni 1869 ausgefertigt
und am 12. Juli 1869 vom
Ministerium mit der Vidi-
rungsclausel versehen. Am
selben Tage brachte die
Bank die ihr neu überlasse-
nen 50.75oActienzumCurse
von 162 fl. pro Stück zur
Ausgabe. Wie sich später-
hin zeigte, erfuhr die Anglo-
österreichische Bank bei
diesem Baugeschäfte arge
Enttäuschungen ; sie hatte
die Arbeiten an die fran-
zösische Unternehmung Ro-
man, Lönry & Gobbert in
Subaccord gegeben, wurde
aber von dieser im Stiche
gelassen und musste den
Bau unter schweren Opfern
in eigener Regie vollenden.
Die Bahngesellschaft
gerieth jedoch dabei nicht
in Mitleidenschaft ; ihre
Thätigkeit für die Sicher-
stellung des Baues der alten
Linien, ausgenommen den
kurzen Flügel Klein-Reif-
ling-Amstetten, war, nach-
dem darüber fast drei Jahre
dahingegangen, endlich zum
Abschlüsse gelangt ; sie
konnte sich daher jetzt mit
Fug und Recht der Er-
gänzung des gesellschaft-
lichen Bahnnetzes zu-
wenden.
Hiefür traten natürlich
jene Projecte in den Vorder-
grund, deren bereits in der
Concessions-Urkunde vom
11. November 1866 vorge-
sehene Verwirklichung nur
von der betreffenden An-
ordnung der Regierung ab-
hängig geblieben war. Nach-
dem aber das eine, das
die Verbindung der Kron-
prinz Rudolf-Bahn mit der
Kaiser Franz Josef-Bahn
20
Ignaz Konta.
betraf, durch die mittlerweile seitens
der Kaiserin Elisabeth - Bahn eingegan-
gene Verpflichtung zur Herstellung der
Anschlussstrecke Wartberg - St. Valentin
gegenstandslos geworden war, beschäf-
tigte sich der Verwaltungsrath um so
nachhaltiger mit dem anderen, die Fort-
setzung der Kronprinz Rudolf-Bahn be-
zweckenden Projecte.
Folgend einem Beschlüsse der
ersten ordentlichen Generalversammlung
[14. December 1868], hatte der Verwal-
tungsrath zunächst die Verlängerung der
Bahn bis an die Reichsgrenze gegen Udine
ins Auge gefasst,beim Ministerium die poli-
tische Begehung zumindest der Theil-
streckeVillach-
T a r v i s nach-
gesucht, die jetzt
auch als Binde-
glied zwischen
der Linie Lai-
bach-Tarvis und
dem alten Bahn-
netze der Gesell-
schaft zu dienen,
somit doppelte
Wichtigkeit
hatte. Als ihm
hierüber ledig-
lich die Aus-
arbeitung eines
neuen Operates anheimgegeben wurde,
brachte der Verwaltungsrath das letztere
am 26. November 1869 in Vorlage.
Im Hinblicke auf die einschlägige
Resolution des Abgeordnetenhauses vom
10. Juni 1868 und auf die am 13. März
1869 an den Reichsrath gelangte, jedoch
am 29. April 1869 wieder zurück-
gezogene Gesetzesvorlage über die Er-
gänzung des österreichischen Eisenbahn-
netzes, welche auch die Verbindung
der in Villach zusammentreffenden Bah-
nen mit dem Meere behandelte, hatte
der Verwaltungsrath sich ferner bemüht,
eine neuerliche Entscheidung der Re-
gierung über den Weiterbau der Bahn
von Tarvis nach dem Süden hervor-
zurufen, um der schon in den ersten Be-
rathungen über die Gründung der Kron-
prinz Rudolf-Bahn aufgestellten Devise
»jusque ä la mer« gerecht zu werden
und, wie der Bericht an die zweite Ge-
Abb. 12. Station Budweis. [1868.]
neralversammlung sich ausdrückt, »die
Bahn nicht in Villach »verenden« zu
lassen, sondern sie zu einer europäischen
Verkehrsstrasse auszugestalten.
Die Generalversammlung vom 29. No-
vember 1869 stimmte alledem zu, er-
mächtigte den Verwaltungsrath zur Er-
werbung der Concession für das Ver-
bindungsstück Villach - Tarvis und er-
neuerte gleichzeitig die Beschlüsse hin-
sichtlich des Ausbaues der Bahn bis
an das Adriatische Meer. Gestützt auf
dieses Mandat erging sich nun der Ver-
waltungsrath in stets dringenderen Vor-
stellungen beim Ministerium, bis dasselbe
eine wärmere Empfänglichkeit für die alt-
gehegten Wün-
sche der Gesell-
schaft insoferne
bekundete, als es
die legislative Si-
cherstellung der
StreckenVillach-
Tarvis und Tar-
vis-Görz einlei-
tete. Allein die
am 3. März 1870
im Abgeordne-
tenhause einge-
brachten Gesetz-
entwürfe waren
keineswegs ge-
der Gesellschaft
stimmen ; denn
be-
eignet, die Hoffnungen
um Vieles höher zu
der eine die Strecke Villach-Tarvis
treffende Gesetzentwurf, zog neben der
Concessionirung an die Kronprinz Rudolf-
Bahn — unter Gewährung einer Staats-
garantie von 85. OCX) fl. pro Meile —
auch die allfällige Erbauung auf Staats-
kosten in Betracht, und der zweite lautete
überhaupt nur auf Herstellung einer staat-
lichen Linie von Tarvis über den Predil
nach Görz.
Es dämmerte eben schon das wieder-
auflebende Staatsbahn-System, und für
die Kronprinz Rudolf- Bahn erschien
dadurch ebensowohl ihre unmittelbare
Ausmündung am Meere, als auch ein er-
heblicher Zuwachs der eigenen Linien in
dieser Gegend nahezu ausgeschlossen.
Die Vertagung des Reichsrathes vereitelte
die Erledigung dieser Vorlagen. Daraus
und aus dem alsbald eingetretenen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
21
Abb. 13. Bestandene Holzbrücke über die Mies [zwischen Schweissing und Josefihütte],
[Aus der Bauzeit der Kaiser Franz Josef-Bahn.]
Ministerwechsel entwickelte sich für die
Gesellschaft eine etwas günstigere Sach-
lage.
Der neue Leiter des Handelsmini-
steriums, Freiherr v. Pretis, Hess die
Predil-Frage vorderhand ganz offen und
brachte rücksichtlich der Strecke Villach-
Tarvis am 8. November 1870 eine
zweite Regierungsvorlage ein, die zwar
gleiche finanzielle Bedingungen wie der
erste Gesetzentwurf, aber nicht die
Alternative des Baues auf Staatskosten
enthielt. Auch der Reichsrath hatte
auf dieselbe nur für den Fall zurück-
gegriffen, als die mit der Gesellschaft
zu führenden Concessions- Verhandlungen
zu keinem befriedigenden Ende führen
würden. Der Eisenbahn-Ausschuss des
Abgeordnetenhauses beschränkte die
Staatsgarantie auf den Höchstbetrag von
260.000 fl. jährlich und schaltete die
Bestimmung ein, dass die Bauarbeiten
im Wege der Offertausschreibung ver-
geben werden sollten. In dieser Fas-
sung wurde das Gesetz am 24. Fe-
bruar, beziehungsweise 28. März 1871
von beiden Häusern des Reichsrathes
angenommen und am 24. April 1871
sanctionirt.
Nun trat aber ein neues Hemmnis ein.
Die Gesellschaft wollte die Trace am
linken Ufer des Gailitzbaches [auf der
»Sonnseite«] über Goggau nach Ober-
Tarvis führen, das Ministerium hingegen
sie auf das andere Bachufer verlegen.
Es wurden also nochmalige, zeitraubende
Studien vorgenommen, welche schliess-
lich die Zweckmässigkeit des alten
Projectes vollauf bekräftigten und ihm
die ministerielle Genehmigung ver-
schafften [15. October 1871], worauf
dann am 25. November 1871 die Er-
theilung der Concession folgte. Dieselbe
enthält die in den vorerwähnten Gesetzes-
Bestimmungen ausgesprochenen Bedin-
gungen, erklärt die Strecke Villach-
Tarvis als einen integrirenden Bestand-
theil der Linie Laibach-Tarvis und
begrenzt die Bauzeit mit zwei Jahren.
Der Bau wurde am 12. April 1872 an
die bei den Offertverhandlungen min-
destfordernde Unternehmung Fritsch
und Theuer um die Pauschalsumme
von 2,427.530 fl. für den Unterbau,
dann 3 fl. pro Currentmeter Oberbau
[exclusive Material] und 201.283 fl. für
die Maurerarbeiten an den Brücken
vergeben.
22
Ignaz Konta.
Ausser dieser Strecke fiel der Gesell-
schaft im Jahre 1871 noch eine kleine
Linie, jene von Hieflau nach Eisen-
erz zu, welcher wegen der von ihr er-
warteten Erleichterung und Verwohlfeilung
der Erzverbringung und Roheisenerzeu-
gung, sohin auch Hebung der inlän-
dischen Eisenindustrie und insbesonders
rücksichtlich des Frachtenverkehrs der
Kronprinz Rudolf - Bahn, grössere Be-
deutung beigemessen wurde.
sicherte er ihr nebst der Bewilligung zur
Bildung einer eigenen Actien-Gesellschaft
der »Innerberger Hauptgewerkschaft« auch
die zum Baue einer »Bergwerks-Eisenbahn
von Eisenerz einerseits, nach Hieflau, an-
dererseits nach Leoben« zu [25. September
1868]. Sodann überliess er der Unter-
nehmung das von der k. k. General-
Inspection der österreichischen Eisen-
bahnen ausgearbeitete Project für die
Strecke Eisenerz-Hieflau um den Kosten-
Abb. 14.
Der Gedanke, diese Schienenstrasse
anzulegen, war ein alter ; die Staats-
verwaltung, als sie noch Besitzerin der
Innerberger Hauptgewerkschaft gewesen,
verfolgte ihn schon Jahrzehnte hindurch,
wobei sie allerdings vorwiegend nur die
Herstellung einer Bergwerksbahn im Auge
hatte. Um die Schätze des Erzberges
dem Eisenbahn- Verkehre zugänglicher zu
machen, wurde auch die Trace der
Kronprinz Rudolf- Bahn von Admont
aus nicht geradwegs, sondern über Hieflau
nach St. Valentin geführt.
Nachdem der Staat seine 99 27/ioo An-
theile an der Innerberger Hauptgewerk-
schaft an die Credit-Anstalt verkauft hatte,
betrag von 5500 fl. [10. August 1869].
Statt die Sache sogleich weiter in die
Hand zu nehmen, Hess sich jedoch die
Innerberger Hauptgewerkschaft andere
Projectanten zuvorkommen, Projectanten,
die obendrein eine für den allgemeinen
Verkehr bestimmte Bahn anstrebten, auf
deren Zustandekommen die Regierung
umsomehr Gewicht legen musste, als
inzwischen noch andere Bergwerksbesitzer
im Erzbachthale die Belehnung zum Berg-
baue auf sehr ausgedehnten Flächen
erhalten hatten und es sich nun darum
handelte, auch den Erzen aus diesem
Reviere billige und ungehemmte Ver-
frachtung zu sichern.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
23
Die Concession für die Strecke Vor-
dernberg- Leoben war am S.Juli 1869 dem
Consortium des Grafen Meran, die Vor-
concession für die Strecke Hieflau-Eisen-
erz am 27. April 1870 dem Consortium
Hirsch-Rossiwal zutheil geworden.
Erst diese letztere Verleihung scheint die
Bestrebungen der Hauptgewerkschaft frisch
angefacht zu haben. Diese legte das Project
für die Bergwerksbahn von Hieflau-Eisen-
erz-Vordernberg vor, verlangte die Bau-
bewilligung und verfocht fortan mit grosser
Beharrlichkeit ihr vermeintliches Recht
auf die Ausführung dieser Bahn. Da aber
in die Thalenge zwischen
Eisenerz und Hieflau zwei
Bahnen nur mit übermäs-
sigem Kostenaufwande
hätten eingebaut werden
können und das Ministe-
rium, in Wahrung des all-
gemeinen Interesses, auf
die Sicherstellung einer
öffentlichen Bahn bedacht
bleiben musste, verstän-
digte es die Hauptgewerk-
schaft, dass für den Fall,
als sie gleichwohl die An-
sprüche auf eine lediglich
ihren eigenen Zwecken
dienende Bergwerksbahn
aufrecht hielte, die letztere
nur in einer Weise ange-
legt werden dürfte, welche
den Bau einer öffentlichen
Bahn nicht beirre.
Daraufhin machte die
Hauptgewerkschaft sich erbötig, die Berg-
werksbahn in beschränktem Masse auch
dem allgemeinen Verkehre nutzbar zu
machen. Die in den Tagen vom 29. Novem-
ber bis 1. December 1870 geführte Com-
mission hatte für die Hauptgewerkschaft
kein günstiges Ergebnis, indem alle fach-
männischen Theilnehmer der Commission
die Herstellung einer Bergwerksbahn an
Stelle der öffentlichen Bahn geradezu
als einen »beispiellosen volkswirthschaft-
lichen Missgriff« erklärten.
Während so die Hauptgewerkschaft
mit ihren Anschauungen und Ansprüchen
allein geblieben war, theilte jetzt auch
die öffentliche Meinung des Landes
den Standpunkt der Regierung. Diese
forderte daher zunächst die Hauptgewerk-
schaft auf, die Herstellung einer öffent-
lichen Bahn zu übernehmen und zog,
nachdem die Aufforderung erfolglos ge-
blieben, die Bewerbungen der Leoben-
Vordernberger Bahn und der Kronprinz
Rudolf- Bahn in näheren Betracht; erstere
verlangte eine dreissigjährige Steuer-
freiheit, letztere beanspruchte dagegen in
erster Linie eine Staatsgarantie.
Die Leoben-Vordernberger Bahn, als
ein kaum erst entstandenes Unternehmen,
das ohnehin mit mannigfachen Schwierig-
keiten zu kämpfen hatte, schien aber
Abb. 15. Stadt Steyr.
[Xach einer Photographie Ton J. Reiner, Klagenfurt.]
minder geeignet, noch eine zweite, vor-
aussichtlich für lange Zeit ohne Ver-
bindung mit der ursprünglichen Linie
bleibende Bahn zu bauen und zu be-
treiben, während die Kronprinz Rudolf-
Bahn nicht nur einen bereits gesicherten
Anschluss, sondern auch bessere Gewähr
für die Durchführung des Baues und
für eine beiderseits vortheilhafte Betriebs-
führung bot.
Das Ministerium unterbreitete demnach
am 2. Mai 187 1 dem Reichsrathe eine die
Concessionirung an die Kronprinz Rudolf-
Bahn betreffende Vorlage, welche nach vor-
ausgegangener verfassungsmässiger Be-
handlung am 16. Juli 1871 die Sanction als
Gesetz erhielt, das nun die Grundlage der am
24
Ignaz Konta.
23. Juli 1871 der Kronprinz Rudolf- Bahn
verliehenen Concession bildete, deren
hauptsächliche Bestimmungen folgende
sind : für die Bahn von Hieflau nach
Eisenerz gelten dieselben Bedingungen
wie für die alten Linien der Gesellschaft;
die Staatsgarantie ist mit 100.000 fl. be-
messen ; das diesem Betrage entsprechende
Anlage-Capital [von höchstens nominale
2,000.000 fl.] bildet mit dem garantirten
Capitale der anderen gesellschaftlichen
Linien ein Ganzes; die Bauarbeiten sind
im Offertwege zu vergeben und binnen
Jahresfrist zu vollenden, wobei noch vor-
gesorgt werden muss, dass die Bahn
schon früher soweit fahrbar sei, um
wenigstens Erze und andere Bergwerks-
producte zu befördern.
Letztere Anordnung wurde mit Rück-
sicht auf die Innerberger Hauptgewerk-
schaft getroffen, die unausgesetzt daran
mahnte, dass sie grossen Schaden er-
leiden würde, wenn sie ihre neuen
Hochofen-Anlagen in Hieflau und Schwe-
chat mangels einer ausreichenden Erz-
zufuhr nicht rechtzeitig in Betrieb setzen
könnte. Dessenungeachtet verzögerte sich
die Vergebung des Baues bis 3. De-
cember 1 87 1 ; Ersteher desselben gegen
die Pauschalsumme von 759.208 fl. für
den Unterbau und 5 fl. 35 kr. für die Cur-
rentklafter Oberbau [excl. Material] blieben
bei der an diesem Tage vorgenommenen
Offertverhandlung der Fabriksbesitzer
Josef Wemdl in Steyr und der Eisenbahn-
Ober-Ingenieur Josef Beyer in Wien ; die
Hochbauten etc. gelangten auf Grund
von Einheitspreisen zur Vergebung. Der
am 22. Januar 1872 abgeschlossene Bau-
vertrag wurde am 16. März 1872 vom
Ministerium genehmigt. Die Actionäre
ertheilten die Zustimmung zur Erwerbung
der beiden neuen Concessionen in der Ge-
neralversammlung vom 5. December 1871.
Bei den Erörterungen über die Con-
cessionirung der Eisenbahn Hieflau-Eisen-
erz an die Kronprinz Rudolf-Bahn kam
auch die endliche Inangriffnahme der
Strecke Klein-Reifling-Amstetten
eindringlich zur Sprache. Der Verwal-
tungsrath entschuldigte die Verzögerung
mit den nothwendig gewesenen vielfachen
Tracirungen und mit der aus diesem
Grunde hinausgeschobenen politischen
Begehung. Als aber diese Amtshandlung
in den Tagen vom 16. bis 21. Mai 1870
stattfand, erwies sich das Project noch
immer nicht als ein entsprechendes; es
wurde daher nur bedingungsweise und
erst nach einer nochmaligen Abänderung
am 15. December 1870 endgiltig ge-
nehmigt. Die Offertverhandlung für die
Bauvergebung erfolgte am 22. Februar
1871, nahm aber auch keinen glatten
Verlauf, weil der Verwaltungsrath nicht
dasjenige Angebot, welches bei der Offert-
eröffnung sich als das billigste heraus-
stellte, sondern eine seitens der Unter-
nehmungen Diem-Reinhart und Gebrüder
Klein nachträglich überreichte, um 1 1 .000 fl.
günstigere Offerte berücksichtigen wollte,
welchen Vorgang das Ministerium hin-
gegen verwehrte. Der Bauvertrag wurde
also am 4. April 1871 mit der Unterneh-
mung Fritsch und Theuer abgeschlossen,
die übrigens ihr ursprüngliches Bestgebot
aus freien Stücken noch um 12.000 fl.
ermässigte und die bis Ende August 1872
zu vollendende Herstellung des Unterbaues
sammt allen Nebenleistungen um die
Pauschal Vergütung von 2,767.838 fl. über-
nahm. Für die Legung und Beschotterung
des Oberbaues erhielt sie 5 fl. 50 kr. pro
Currentklafter ; die Lieferung des Eisen-
und Schwellenmaterials besorgte die
Gesellschaft selbst, desgleichen die Grund-
einlösung. Die Hochbauten wurden zu
Einheitspreisen vergeben.
So war denn endlich, 41;3 Jahre
nach ihrer Concessionirung und nach-
dem der niederösterreichische Landtag
bereits die Anwendung von Zwangs-
massregeln gegen die Gesellschaft ver-
langt hatte [Abendsitzung vom I . September
1870], auch der Bau dieser letzten alten
Strecke sichergestellt.
Die Beschaffung des, unter Gutheissung
der Regierung [Handels-Ministerial-Erlass
vom 12. Januar und 7. Februar 1872], mit
18,723.800 fl. veranschlagten Anlage-
Capitals*) der letztbesprochenen drei
Baustrecken war wieder der Anglo-öster-
reichischen Bank übertragen, die aber bis
zum Schlüsse des Jahres 1872 nur Werthe
im Betrage von 7,184.800 fl. wirklich
•) Dasselbe vertheilte sich wie folgt: Klein-
Reifling-Amstetten 11,632.100 iL; Eisenerz-
Hieflau 1,966.500 fl.; Villach-Tarvis 5,125.200 fl.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
25
emittirte; der Rest kam durch freihändigen I
Verkauf auf den Markt.
Um wie viel früher die Kronprinz I
Rudolf-Bahn bei besserer Ausnützung der |
Zeit im ganzen Umfange dem Verkehre [
hätte nutzbar sein können, das erhellt aus
der Thatsache, dass trotz aller Säumnisse |
das alte Netz genau ein Jahr vor Ablauf der j
hiefür concessionsmässig festgesetzten,
allerdings reich bemessenen Frist voll-
Laibach-Tarvis, 102 km, am 14. December 1870;
Küpfern [Weyer]-Rottenmann, 84S km, am
20. August "1872 ;
Klein-Reifling-Amstetten, 43-5 /fcm, am II. No-
vember 1872;
Hieflau-Eisenerz, 14-6 km, am 6. Januar 1873;
Villach-Tarvis nebst der Verbindung mit der
Südbahn in Villach, 30- 1 km, am 25. No-
vember 1873.
Das Betriebsgebiet der Gesellschaft
[vgl. Karte, Abb. 14] umfasste über-
Abb. 16. Tunnel bei Altenmarkt.
endet war. Von den einzelnen Strecken
wurden eröffnet:
St. Valentin-Steyr,20 3&m, am 15. August 1868;
St. Michael- Villach, 175 fem, am !9.0ctoberl868;
St. Michael-Leoben nebst der Verbindungs-
Curve bei St. Michael, 116 km, am I. De-
cember 1868;
Glandorf [St. Veit]-Klagenfurt, 17-4 km, am
15. April 1869;
St. Michael-Rottenmann, 55-2 km, am 29. und
Launsdorf-Mösel, 24-3 km, am 30. Sep-
tember 1869;
Stevr-Küpfern [Weyer], 41-1 km, am 7. Oc-
töber 1869;
! dies noch die beiden im Jahre 1870
1 in Pacht genommenen Bergwerksbahnen
Mösel-Hüttenberg, 5 km lang,
und Zelt weg- Föhn s dorf, yg km
lang. Erstere war Eigenthum der Hütten-
I berger Eisenwerks-Gesellschaft in Klagen-
furt, wurde am 6. October 1870 für
den Montan-Güterverkehr eröffnet und
steht zufolge a. h. Bewilligung vom
12. November 1870 seit 10. März 1871
auch für den Personenverkehr in Be-
nützung; die zweitgenannte Bahn, der
26
Ignaz Konta.
Alpinen Montangesellschaft [als Nachfol-
gerin der steiermärkischen Eisenindustrie-
Gesellschaft] gehörig, wurde am 8. April
1870, beziehungsweise in der Fortsetzung
bis zum Antonischacht, am 29. Februar
1871 eröffnet .und dient ebenfalls dem all-
gemeinen Verkehre, ohne dass sie jedoch
jemals als öffentliche Bahn concessionirt
oder erklärt worden wäre.
Am Ende des Jahres 1874, als des
ersten vollen Betriebsjahres aller damaligen
[eigenen] Linien der Kronprinz Rudolf-
Bahn [620 km], haben die Anlagekosten
derselben 110,045.320 fl. betragen, später-
hin aber sich noch um mehr als vier
Millionen Gulden erhöht.
Die eingeleisige Kronprinz Rudolf-Bahn
mündet an zwei Stellen aus der Hauptlinie
der Kaiserin Elisabeth-Bahn aus: inAmstetten,
von wo sie entlang der Ybbs und nach zweima-
liger Uebersetzung dieses Flusses [Eisen-
brücken] nach Waidhofen, Oberland [kleine
Wasserscheide] und Weyer, sodann über die
Enns [Eisenbrücke] nach Kastenreith und Klein-
Reifling führt, ferner in St. Valentin, von wo
sie im Ennsthale über Steyr, Dürnbach,
Reichramming und Grossramming nach
Küpfern [Wever], dann in einem Felsentunnel
durch den Kastenreithberg und weiterhin
theils in Felsen eingeschnitten, theils in die
Enns eingebaut dem Vereinigungspunkte
[Kastenreith, beziehungsweise Klein-Reifling]
entgegenzieht. In derTheilstreckeKastenreith-
Klein-Reifling haben die beiden Ausgangs-
linien eine gemeinsame Trace. Hinter Klein-
Reifling beginnt der landschaftlich schöne, aber
auch technisch schwierige Theil der Bahn. Sie
steigt zunächst an den Berglehnen bis zum
Lausabache [Grenze zwischen Oberösterreieh
und Steiermark], senkt sich dann zur Station
Weissenbach-St. Gallen und passirt auf diesem
Wege den Klausbach-Viaduct [Eisenconstruc-
tion] und drei Tunnels. Nachher stetig an-
steigend, über den Weissenbach hinweg und
nach abermaliger Durchfahrung dreier Tunnels
wird die Station Gross-Reifling, sodann unter
gleichgearteten Verhältnissen [4 Tunnels,Enns-
brücke, Erzbachbrücke] die Station Hieflau
[Abzweigung nach Eisenerz] erreicht, für
welche das Terrain nur durch bedeutende
Felsenabsprengungen und Einbauten in die
Enns gewonnen werden konnte. Nunmehr
die bisher eingehaltene südliche Richtung
verlassend und sich direct nach Westen
wendend, tritt die Bahn in die unter dem
Namen »Gesäuse« bekannte hochromantische
Schlucht ein, zieht, immer ansteigend, durch
die Felswand Ennsmauer, dann durch einen
zweiten Tunnel unter der Fahrstrasse »am
Hochsteg« dahin, setzt im »Kümmere auf
das linke Ennsufer über, gelangt daselbst
zu der in prachtvoller Gebirgslandschaft
liegenden Station Gstatterboden, dann zum
Gesäuse-Ausgang, wo sie nochmals das Enns-
ufer wechselt und durch einen Tunnel in das
herrliche Ennsthal bei Admont austritt. In
massiger Steigung wird hernach die Station
Liezen erreicht, von wo aus die Bahn auf
weitem Wege zurück nach Osten, über Rotten-
mann, Gaishorn, Wald [Wasserscheide] und
Mautern nach St. Michael führt. Hier zweigt
die kurze, in dem stellenweise sehr eingeeng-
ten Murthale, ohne Zwischenstation, angelegte
Anschlusslinie nach Leoben ab, und anderer-
seits nimmt die Hauptlinie ihren Fortgang,
zuerst in südlicher Richtung, entlang der 3lur,
die zweimal übersetzt wird, über Kraubach
nach Knittelfeld, dann westwärts gewendet
überZeltweg [Abzweigung der Bergwerksbahn
nach Fohnsdorfj und Judenburg nach Unz-
markt. Fortan in südlicher Richtung empor
zu der mächtigen Wasserscheide bei Schauer-
feld, dann im steten Gefälle weiterziehend,
gelangt die Bahn über Neumarkt, Frie-
sach, Hirt, Treibach und Launsdorf [Ab-
zweigung nach Mosel], nach St. Veit an der
Glan, wo sie sich in zwei Arme theilt, deren
einer die über Glandorf, Zollfeld und Annabichl
nach Klagenfurt führende Zweiglinie bildet,
der andere aber die Hauptlinie in westlicher
Richtung, über Feldkirchen, Steindorf und
die am Össiacher See gelegenen Ortschaften,
nach Villach |Anschluss an die Südbahn]
fortsetzt. Daselbst schliesst die Ergänzungs-
linie nach Tarvis an, deren letztes Stück,
welches, ober sich die Reichsstrasse mit
ihren vielen Kunstbauten, unter sich die
tiefeingerissene Schlitza-Schlucht, besonders
romantisch ist. Von Tanns aus nach Süd-
osten hin, im Savethal, geht die weitere
Fortsetzung der Bahn über Assling, Rad-
mannsdorf, Krainburg, Bischoflack, Zwi-
schenwässern und Yizmarje nach Lai-
bach [Anschluss an die Südbahn]. Auf
diesem Zuge übersetzt die Trace die
Wasserscheide bei Ratschach, mehrere
Thäler und Gewässer, so die Save [wieder-
holt], den Zeyerfluss, den Weissenbach
u. a. m.
Die Flügelbahn Hieflau-Eisenerz führt
durch einen, unmittelbar hinter der Ab-
zweigestation beginnenden Tunnel in den
Rangirbahnhof [der Flügelbahn] und dann
bei fortwährender Steigung über Radmer
und Münichthal nach Eisenerz. Sie über-
setzt dreimal den Erzbach und einmal
den Felsbach Der Platz für den Rangir-
bahnhof Hieflau musste ebenso wie jener
für die Station Radmer durch grossartige
Felsensprengungen gewonnen werden.
Die Nebenlinie zu dem kärntnerischen
Erzberge bei Mosel zweigt in Launsdorf
ab, übersetzt die Gurk und führt in nörd-
licher Richtung längs des Gertschitzbaches,
dessen Ufer viermal gewechselt werden
[Holzbrücken], über Brückl, Eberstein und
Klein-St. Paul nach Mosel, wo die Berg-
werksbahn nach Hüttenberg anschliesst.
[Vgl. Abb. 15-30.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
27
Zurückkehrend zu dem chronologischen
Ausgangspunkte dieser .Mittheilungen,
ist vor Anderem der a. h. Entschliessung
vom 25. März 1867 zu gedenken, mit
welcher die schon in dem früheren Ab-
schnitte*) besprochenen, als Anhang zu
den Concessions-Urkunden der damaligen
>jungen Bahnen« zwischen diesen und
der Regierung vereinbarten Verträge
sowie deren von den ersteren Compaciscen-
ten nachträglich erbetenen Abänderungen
a. h. Genehmigung vom 9. April 1867
[beziehungsweise vom 30. Juni 1866]
zwischen der Regierung und der S U d b a h n
abgeschlossenen Vertrage vom 13. April
1867 ihren Ausdruck fanden. Diese Ge-
sellschaft besass bis dahin die staatliche
Garantie eines 5-2°/0igen Reinerträg-
nisses, war aber verpflichtet, die Hälfte
desselben, falls und soweit es 7% des
Anlage-Capitales übersteigt, vom Jahre
1870 an zur Abzahlung des Kaufschillings-
Abb. 17. Gross-Reifling. [1869.]
endgiltig genehmigt und sohin die un-
erquicklichen Garantie-Streitigkeiten bei-
gelegt wurden, unter denen jene Bahnen
[Elisabeth-Bahn, Theissbahn, Süd-nord-
deutsche Verbindungsbahn, Böhmische
Westbahn] seit dem Jahre 1863 viel zu
leiden hatten. — [Finanzministerial-Erlass
vom 24. April 1867.]
Sodann müssen wir bei den Trans-
actionen verweilen, welche in dem mit
*) Vgl. Bd. I, I. Theil, H. Strach, Ge-
schichte der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns
von den ersten Anfängen bis zum Jahre 1867.
Seite 470 n. ff.
restes für die ihr überlassenen ehemaligen
staatlichen Linien zu verwenden [vgl.
Bd. I, Theil 1, Seite 434]; nun verzichtete
die Südbahn auf die Netto- Garantie und
tauschte hiefür sowie für einige neu über-
nommene Verpflichtungen ein : die Garantie
eines Brutto-Erträgnisses von 100.000 fl.
pro Meile und die Verbindlichkeit zur Ab-
stattung des Kaufschillingsrestes mit einem
Zehntel des Brutto-Erträgnisses, soweit es
107.000 fl., beziehungsweise einem Viertel,
soweit es 1 10.000 fl. pro Meile übersteige,
jedoch mit der Einschränkung, dass in dem
Falle, als die Gesellschaft vom 1. Januar
1880 an die Einkommensteuer zu entrichten
28
Ignaz Konta.
haben sollte, die Zahlung des Zehntels,
beziehungsweise Viertels an den Staat
insolange und in dem Masse nicht statt-
finde, als es zur Entrichtung der Ein-
kommensteuer in Anspruch genommen
werden müsste;*) ferner die Verlänge-
rung der Concessionsdauer um 14 Jahre
[nämlich auf 99 Jahre vom I. Januar 1870
an] und der Steuerfreiheit um 1 1 Jahre
[nämlich bis I. Januar 1880] — und die
Enthebung von der Obliegenheit des
Baues der Strecke Marburg-Pettau.
Die hauptsächlichsten der neu einge-
gangenen Verpflichtungen der Gesellschaft
waren : die Ausführung des Hafenbaues in
Triest für Rechnung des Staates gegen ein
Entgelt von 13,500.000 fl. ; die Herab-
setzung der Frachttarife für grössere Ent-
fernungen ; das gänzliche, beziehungsweise
vorübergehende Aufgeben des conces-
sionsmässigen Vorrechtes auf verschiedene
*) Aus diesen Bestimmungen [Artikel 10
und 12 des Vertrages] entwickelte sich in dem
Augenblicke, als die Steuerfreiheit aufhörte,
ein Rechtsstreit, der fünfzehn Jahre andauerte.
Das Finanzministerium verlangte, obwohl das
Brutto-Erträgnis nach Abzug der Einkommen-
steuer und der verschiedenen Zuschläge nicht
mehr jene Höhe hatte, die einen Anspruch des
Staates begründete, dennoch eine Kaufschil-
lingsrate, weil die Südbahn die Einkommen-
steuer zum Theile auf die Prioritäre über-
wälzt hatte und die obige Vertragsbestim-
mung sich angeblich gar nicht auf die »auto-
nomen« Steuerzuschläge beziehe. Die Ge-
sellschaft hingegen lehnte die Forderung,
unter Hinweis auf den Wortlaut des Ver-
trages, beharrlich ab, worauf sie von der
Staatsverwaltung zuerst beim Handelsgerichte
und, als dieses sich für incompetent erklärt
hatte, bei dem zuständigen Schiedsgerichte
geklagt wurde. Eine Entscheidung kam da-
mals nicht zustande. Die Anträge der Süd-
bahn blieben unerledigt und die ganze Sache
gerieth ins Stocken bis anlässlich der in der
jüngsten Zeit geführten Verhandlungen über
die von der Gesellschaft beabsichtigte Auf-
nahme eines Investitions-Anlehens die Regie-
rung die Austragung dieses Rechtsstreites
zur Vorbedingung machte. Daraufhin wurde
das Schiedsgericht von beiden Streittheilen
übereinstimmend ersucht, das unterbrochene
Verfahren wieder aufzunehmen und das Ur-
theil zu fällen. Dies geschah durch den
Schiedsspruch vom 24. Februar 1897, womit
zu Recht erkannt wurde:
Es habe für die Auslegung und Anwen-
dung des dritten Absatzes des Art. 12 des
Uebereinkommens vom 13. April 1867, R.-G.-
Bl. 69, der Grundsatz zu gelten, dass das
nach Absatz 2 des Art. 12 des bezogenen
Linien; die Verpflichtung zum Baue einer
Bahn von Kottori [Kanizsa] nach Bares
und einer Zweiglinie von Brück a. d.
Mur nach Leoben.
Dass diese Abmachungen für die Ge-
sellschaft gewinnbringend gewesen seien,
ja sogar dass sie dabei auch nur
volle Gleichwerthigkeit der eingetauschten
Rechte und Pflichten erzielt hätte, wurde
seither von ihren Interessenten wiederholt
angezweifelt. In der Generalversamm-
lung vom 30. April 1867 theilten jedoch
die Actionäre die Befriedigung, welche
der Verwaltungsrath über den Vertrags-
schluss zu erkennen gab, ebenso wie sie
mit Genugthuung die hoffnungsreiche
Schilderung der Zukunft ihres Unter-
nehmens vernahmen. Dieselbe hat sich
allerdings anders gestaltet; daran ist aber
fast ausschliesslich die übermässige Kost-
spieligkeit der ersten Geldbeschaffungen
Uebereinkommens zur Abstattung des Rest-
betrages der laut § 15 derConcessions-Urkunde
vom 23. September 1858 zu zahlenden Ab-
lösungssumme bestimmte Zehntel des Brutto-
erträgnisses, soweit dasselbe 107.000 fl., be-
ziehungsweise Viertel des Bruttoerträgnisses,
soweit dasselbe 1 10.000 fl. pro Jahr und Meile
übersteigt, zunächst zur Äbstattung der der
Gesellschaft obliegenden Zahlung der vollen
staatlichen Einkommensteuer sammt staat-
lichen Zuschlägen sowie zur Zahlung der
Hälfte der nichtärarischen Umlagen und Zu-
schläge zur Einkommensteuer zu verwenden
i ist, ohne Rücksicht darauf, ob die Gesell-
schaft in Anwendung des den Steuerträgern
! in § 23 des Einkommensteuer-Patentes vom
j 29. October 1849 eingeräumten Rechtes die
Steuer von den Passivzinsen ihren Gläubigern
in Abzug bringt oder nicht; dass somit nur
| der allenfalls verbleibende Rest zur allmäh-
: liehen Abstattung des noch aushaftenden
Restbetrages der Ablösungssumme an die
Staatscasse abzuführen ist.
Die auf Grund dieses Schiedsspruches
für die Jahre 1880 bis einschliesslich 1895
fällig gewordene Abschlagszahlung auf
den Kaufschillingsrest für die Linie Wien-
Triest zuzüglich der 6°/0igen Verzugszinsen
bis zum Zahlungstage [3 f. März 1897] be-
trug 1,669.949 fl. 78 kr., welche Summe aus
dem Erlöse des 4% igen Mark-Anlehens
bedeckt wird.
Die unverzinsliche Kaufschillingsrestschuld
für die Linie Wien-Triest und weiters auch
jene für die lombardisch-venetianischen Linien,
welch letztere nach vollständiger Tilgung der
ersteren Schuld nach den gleichen Grund-
sätzen abzustatten ist, betragen sohin noch
32,707.791 fl. 53 kr. [Vgl. Geschäfts-Bericht
der Südbahn pro 1896.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
29
schuld, welche die Höhe des Anlage-
Capitals verdoppelten.
Die auf Grund des Vertrages auszu-
führenden zwei neuen Linien, hatten
schon darum vermehrte Wichtigkeit
für die Gesellschaft, weil beide den
übrigen gesellschaftlichen Linien reich-
haltige Lager guter Kohle erschliessen,
Anlage an anderer Stelle bereits ausführ-
lich geschildert wurde,*) bildet mit ihren
Steigungs- und Krümmungsverhältnissen
und den vielen Kunstbauten ein würdiges
Seitenstück zur Semmeringbahn ; sie besitzt
zwar keinen Scheiteltunnel, dafür aber
eine grössere Anzahl und Gesammtlänge
an Tunnels [22 mit zusammen 5233 in
Abb. 18. Ennsraauer-Tunnel.
und zwar die ungarische Linie das
Fünfkirchner, die österreichische das
Leobner Becken. Ihr Bau hat im Sep-
tember 1867 begonnen und war nach
Jahresfrist vollendet. Die Eröffnung fand
am 1. September 1868 statt.
Wenige Tage vor der Inangriffnahme
dieser beiden Linien, am 24. August 1867,
wurde die »Brennerbahn« dem Betriebe
übergeben. Diese schwierige, von dem
gesellschaftlichen Baudirector Karl von
Etzel vorbereitete, im Jahre 1864 begon-
nene und von Achilles Thommen im Ver-
ein mit Pressel vollendete Bahn, deren
Länge], davon zwei mit Kehren, welche
hier zum ersten Male in Anwendung
kamen.
Während des Jahres 1867 verpflanzte
sich die neue Eisenbahn-Bauthätigkeit
auch in die östlichsten Gemarkungen
Oesterreichs, da sowohl die Carl Ludwig-
Bahn, als auch die Lemberg-Czerno-
*) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Ge-
schichte der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns
von den ersten Anfängen bis 1867. Seite
415 u. ff.
3°
Ignaz Konta.
witzer Bahn am 15. Mai 1867 die Con-
cession zur Fortsetzung ihrer Linien
erhielten und beide Gesellschaften unver-
weilt zur Ausführung des Weiterbaues
schritten.
Die Strecke Lemberg-Brody-
Russische Grenze war schon in
der ersten Concession für die Carl
Ludwig-Bahn [1857] inbegriffen; die
Concessionirung dieser Linie wurde
jedoch auf Ansuchen der Gründer dieser
Bahn wieder fallen gelassen und ihnen
in der abgeänderten Concession vom
7. April 1858 nur das Vorrecht vor
dritten Bewerbern vorbehalten. Als nun
Jahre vergingen, ohne dass die Gesell-
schaft sich um den Fortsetzungsbau
weiter bekümmerte, nahm die Brodyer
Kaufmannschaft sich dieses Projectes
rührig an und gab damit den Anstoss
zu mehreren interessant gestalteten Be-
werbungen, die ebensowohl die Brodyer
als wie die ostgalizische Strecke nach
Tarnopol zum Gegenstande hatten.
Neben dem emeritirten Ober-Ingenieur
der Carl Ludwig-Bahn Ladislaus Z a p a 1 o-
wicz, der auf Grund der Bewilligung vom
26. September 1864 eingehende Vor-
arbeiten durchgeführt hatte, befasste sich
der Ingenieur Giles von der englischen
Bauunternehmung der Lemberg-Czerno-
witzer Bahn mit dem Projecte und gleich-
zeitig bildete der Präsident der Carl
Ludwig-Bahn, Leo Fürst Sapieha, in Ge-
meinschaft mit dem General - Secretär
dieser Gesellschaft, Dr. Johann Ritter
von Herz, und dem Grafen Severin Bor-
kowski ein Consortium, das eine eigene
Gesellschaft für die neuen Strecken
gründen wollte und sich bereits von Seite
der alten Bahn sowohl des Verzichtes
auf ihr diesbezügliches Vorrecht als auch
der Betriebführung auf jenen Strecken
vergewissert hatte. Diesem Consortium
traten die österreichische Credit- Anstalt
in Verbindung mit dem Bankhause To-
desco, das ebenfalls im Verwaltungsrathe
der Carl Ludwig-Bahn vertreten war,
und schliesslich noch eine andere Ver-
einigung gegenüber, an deren Spitze sich
der Fürst Sanguszko, Graf Alfred Potocki
und das Mitglied des Verwaltungsrathes
der Carl Ludwig-Bahn Graf Wladimir
Borkowski befanden.
Diese Constellation blieb nicht un-
beachtet ; denn angesichts der durch
den Wettbewerb dreier mit der Ver-
waltung der Carl Ludwig- Bahn in Be-
rührung stehenden Gruppen erwiesenen
Bedeutung der Fortsetzungsstrecken, warf
sich von selbst die Frage auf, warum
die Concession nicht von dem hiezu ohne-
hin bevorrechteten Stammunternehmen
angestrebt werde. Daher erschien es
blos als naturgemäss, dass der Fürst
Sapieha und der General-Secretär von
Herz, wie auch die Gruppe der Credit-
Anstalt wieder von der Bewerbung zu-
rücktraten [1866]. Die anderen früheren
Genossen des Fürsten Sapieha, unter
nunmehriger Führung des Grafen Severin
Borkowski, und das Consortium des
Fürsten Sanguszko hielten jedoch die
Concurrenz aufrecht und setzten sie
eifriger denn je fort. Beide riefen die
Unterstützung der Landeshauptstadt an,
unter dem Versprechen, den neuen Bahn-
hof innerhalb der Stadt zu errichten,
wie der Gemeinderath dies unablässig
wünschte und, in Anhoffung der baldigen
Sicherstellung des so rege umworbenen
Bahnbaues, auch durch eine eigens ent-
sendete Deputation an den Stufen des
Thrones erbeten hatte [December 1866].
Nun gab aber die Verwaltung der
Carl Ludwig-Bahn denn doch die Zurück-
haltung auf, in der sie — laut des Be-
richtes an die XI. ausserordentliche
Generalversammlung — lediglich wegen
des bislang in Zweifel gestandenen An-
schlusses an die russischen Bahnen ver-
harrt hatte ; sie machte in einem directen
Concessions-Gesuche ihr Vorrecht geltend
[März 1867] und gewann damit die
Oberhand, wenngleich um den Preis
einer namhaften Ermässigung der Tarife
auf allen ihren Linien.
Die Gesellschaft erhielt, wie schon
oben erwähnt, am 15. Mai 1867 die
Concession zum Weiterbau von Lern-
b e r g einerseits nach B r o d y, andererseits
nach Tarnopol und, im Falle des
Ausbaues der russischen Bahnen b i s a n
die Reichsgrenze, zum Anschlüsse
an die letzteren, unter Zusicherung eines
Reinerträgnisses von 50.000 fl. pro Meile
und Gewährung einer neunjährigen Steuer-
freiheit. Die Baufrist war auf längstens
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
31
Abb. IQ. Rangirbahnhof in Hieflau. [1S69.]
drei Jahre, gerechnet vom 15. Januar
1868, festgesetzt.
Da die [XL] ausserordentliche General-
versammlung vom 15. Mai 1867 die Er-
werbung dieser Concession genehmigte
und den Verwaltungsrath zur Aufbringung
des Baufondes im vorläufigen Betrage
von 15,000.000 fl. ermächtigte, konnte
sogleich zur Durchführung des Projectes
geschritten werden.
Die Geldbeschaffung erfolgte durch
Ausgabe von 20.000 Actien [Emission
II] ä 210 fl., welche bis auf 4000 Stück
von den Besitzern der älteren Actien
bezogen wurden, sowie ferner durch eine
grossentheils an die Credit-Anstalt be-
gebene [IL] Emission fünfprocentiger
Prioritäts-Obligationen im Betrage von
10,800.000 fl.
Die Vergebung des Baues der Strecke
Lemberg-Krasne-Brody ging am 1 7. Juli
vor sich; Ersteher blieb ein galizisches
Consortium mit dem Fürsten Adam
Sapieha an der Spitze, welches für
eine Pauschalvergütung von 4,176.374 fl.
sich verpflichtete, die Grundeinlösung
und die gesammten Bauarbeiten zu be-
werkstelligen und die Bahn bis I. Octo-
ber 1868 dem Betriebe zu übergeben.
Die Schienen, den Fahrpark und die
Ausrüstungsgegenstände beschaffte die
Gesellschaft selbst.
Der Bau begann im Monate August
und trug viel zur Linderung des Noth-
standes bei, welcher infolge der in den
ersten Julitagen eingetretenen grossen
Ueberschwemmungen in Galizien unter
der Landbevölkerung herrschte. Gleich-
fairs noch im Monate August fanden die
von den beiderseitigen Regierungen ein-
geleiteten commissionellen Verhandlungen
in Betreff des Anschlusses der öster-
reichischen und russischen Bahnen bei
Woioczyska statt, welche das durch
32
Ignaz Konta.
spätere Ministerial-Erklärungen ratificirte
Uebereinkommen vom 8. und 20. August
1867 zum Ergebnisse hatten und die
Weiterführung der Tarnopoler Strecke
bis an die Reichsgrenze sogleich ermög-
lichten. Den Bau der kurzen Theilstrecke
Krasne-Zloczöw übernahm gleichfalls das
Consortium des Fürsten Sapieha gegen
eine Pauschalvergütung von 770.OOO fl.
und im Uebrigen gleiche Bedingungen
wie bei den früher erstandenen Arbeiten ;
die restliche Strecke Zloczöw-Tarnopol-
Podwoloczyska wurde erst im December
1868, in Lose getheilt, an vier Unter-
nehmer gegen Pauschalvergütung von
zusammen 5,614.0400. [exclusive Grund-
einlösung] vergeben.
Unvorhergesehene Hindernisse der ver-
schiedensten Art — Mangel an Arbeits-
kräften, ungünstige Witterungsverhält-
nisse, zumeist aber die vielen Schwierig-
keiten, welche allenthalben der Grundein-
lösung bereitet wurden — verzögerten die
Bauarbeiten so sehr, dass die Strecken
Lemberg-Krasne-Brody und
Krasne-Zloczöw, zusammen H7'3 km,
erst am 12. Juli 1869, die Strecke Zlo-
czöw-Tarnopol, 64 km [für den
Gesammtverkehr], am 1. August 1871*)
und die Endstrecke Tarnopol-Podwo-
loczyska-Reichsgrenze, 52*9 km,
am 4. October 1871 eröffnet werden
konnten.
Inzwischen waren mit Ermächtigung
der Generalversammlungen vom 24. Mai
1869 und vom 8. Mai 1871 weitere
Actien und Prioritäten im Betrage von
16,000.000 fl. zum Zwecke der Be-
deckung des Bauaufwandes ausgegeben,
beziehungsweise den Besitzern der älteren
Titel zum Bezüge überlassen worden.
Der Bau der 7-3 km langen Theilstrecke
von B r o d y bis an die russische
Grenze bei Radziwilöw wurde zwar
schon im Sommer 1870, d. i. gleich
nachdem die Kiew -Brester Bahn den
Yerwaltungsrath der Carl Ludwig-Bahn
benachrichtigt hatte, dass die russische Re-
gierung jene Gesellschaft zur Herstellung
der Verbindungsstrecke Radziwilöw-
*) Für den Güterverkehr wurde diese
Strecke am 22. December 1870 in Benützung
genommen.
Oesterreichische Grenze verpflichtete,
vollständig vorbereitet, seine Inangriff-
nahme aber, wegen der lange aushaftend
gebliebenen Ratification des bezüglichen
internationalen Uebereinkommens vom
9. und 21. November 1870, bis in den
Sommer 1872 hinausgeschoben.
Er wurde von der Unternehmung
Wenzel Breiter und J. Gomulinski aus-
geführt und in Jahresfrist vollendet; die
Betriebseröffnung fand am 27. August
1873 statt, also gerade noch zur rechten
Zeit, um den damals aus Russland zu-
geströmten Getreidetransporten die zweite
Äbfuhrstrasse zu erschliessen. Die Kosten
des Baues wurden aus den Geldmitteln be-
deckt,welche die auf Grund des Beschlusses
der Generalversammlung vom 6. Mai 1872,
für verschiedene gesellschaftliche Zwecke
[zumeist Xachschaffungen und Recon-
structionen] auf den alten Linien, erfolgte
neuerliche Ausgabe von Actien und
Prioritäts - Obligationen im Gesammtbe-
trage von 14,000.000 fl. einbrachte.
Damals hatte das Gesellschaftscapital die
Höhe von nominale 82,080.000 fl., wogegen
die Anlagekosten der Linie Krakau-
Lemberg 46,254.000 fl. und jene der
Fortsetzungsstrecken 32,766.000 fl. be-
trugen.
Die Trace der Linie Lemberg-Podwolo-
czyska zieht von dem alten Bahnhofe in
Lemberg um die Stadt nach Podzamcze,
übersetzt mittels Eisenbrücken den Thalein-
schnitt und den Peltewbach, um nach Krasne
[Abzweigung nach Brody] und dann über
Kniaie, Zloczöw, Pluchöw, Zboröw, Jezierna,
HJuboczek wielki nach Tarnopol zu gelangen,
von wo aus sie im Hügellande an die Reichs-
grenze bei Podwoloczyska führt, wo jenseits
des Grenzflusses Zbrucz der Anschluss an
die russischen Bahnen [Balta, Odessa] statt-
findet. Der Brodyer Flügel zweigt in Krasne
ab, übersetzt auf einer Eisenbrücke den Bug-
fluss und führt, mehr nördlich gewendet, über
Ozydöw, Zablotce und Brody an die Reichs-
frenze bei Radziwilöw zum Anschlüsse an
ie Kiew -Brester Bahn. Zwischen Brody
und Radziwilöw liegt neben dem normal-
spurigen auch ein breitspuriges Geleise, damit
die beiderseitigen Fahrbetriebsmittel bis in
die genannten Grenzstationen verkehren
können.*) Ausser hohen Dämmen und tiefen
Einschnitten zwischen Lemberg-Podzamcze
[bei Kleparöw] und hinter Zloczöw [im coupirten
*) Die meisten russischen Bahnen haben
bekanntlich eine Spurweite von 1*524 [5' engl.].
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
33
Terrain bei Plchöw] waren keine besonders
schwierigen Bauanlagen auszuführen. [Vgl.
Abb. 31-37]
Wesentlich rascher und einfacher als
der Weiterbau der Carl Ludwig-Bahn
kam jener der Lemberg-Czernowitzer
Bahn zustande, die, eingedenk des Her-
ganges ihrer eigenen Gründung, und stets
bemüht an Ausdehnung und Selbständig-
Gewährleistung eines jährlichen Reiner-
trägnisses von 700.000 fl. sowie einer neun-
j ährigen Steuerfreiheit verliehen wurde.
Unmittelbar darnach übernahmen die
Anglo-österreichische Bank die vorläufige
Beistellurtg der Geldmittel und der Unter-
nehmer Thomas Brassey die Bauarbeiten.
Letzterer verpflichtete sich, den Bau und
die Ausrüstung, mit Ausnahme der Ge-
Abb. 20. Gesäuse-Eingang. [Nach einer photographischen Aufnahme von E. Scherner, Villach.]
keit zu gewinnen, jede hiezu sich bietende
Gelegenheit, auch ohne fremde Da-
zwischenkunft, mit wahrem Eifer erfasste.
Sie versuchte also, nachdem das Vor-
haben, ihre Linie auf russischem Gebiete
bis an das Schwarze Meer zu führen, an
dem Widerstreben der russischen Re-
gierung gescheitert war, den Weg dahin
über Rumänien zu finden und strebte
zunächst für die österreichische Strecke
Czernowitz-Suczawa die Concession
an, welche ihr am 15. Mai 1867, mit
dem Rechte zum eventuellen Ausbaue
der Bahn bis an die Reichsgrenze, unter
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Theil.
bäude und des Fahrparkes, für eine
Pauschalvergütung von 7,295.000 fl. zu
vollführen und die ganze Linie bis läng-
stens Ende 1869 betriebsfähig fertig zu
stellen.
Der Bau wurde concessionsgemäss
noch im Herbste 1867 begonnen, um der
von einer Hungersnoth heimgesuchten
Bevölkerung der Bukowina ehestens Er-
werb zu schaffen.
Als hierauf die Generalversamm-
lung vom 27. April 1868 alle diese
Massnahmen genehmigt und für die
bleibende Bedeckung der Baukosten
34
Ignaz Konta.
durch eine Prioritäten-Emission von nomi-
nale 12,000.000 fl. vorgesorgt hatte, wen-
dete sich der Yerwaltungsrath den weit-
reichenden ausserösterreichischen Plänen
zu, indem er, wegen der augenblicklichen
statutarischen Unzulässigkeit, eine fremd-
ländische Concession für die bestehende
Gesellschaft zu erwerben, durch ein aus
seinen österreichischen und Londoner Mit-
Bahn von der österreichischen Grenze
nach Jassy, Galatz und Bukarest ertheilt.
Allein eine plötzliche Auflösung der
Kammern verschleppte die Angelegenheit,
deren Erledigung sich so günstig ange-
lassen hatte. Es stellten sich auch Con-
currenten ein; der preussische Bauunter-
nehmer Dr. Bethel Henry Strausberg im
Vereine mit den Herzogen von Ratibor
Abb. 21. Tunnel am Gesäuse-Eingang.
gliedern und dem Bauunternehmer Brassey
zusammengesetztes Consortium mit der
rumänischen Regierimg in Unterhandlung
trat.
\Yäre es bei dem ersten Ergebnisse
derselben verblieben, so hätte das Con-
sortium sich bald am Ziele seiner
Wünsche gesehen ; denn vorbehaltlich
der Zustimmung der Kammern, welche
für Beginn November zu einer ausser-
ordentlichen Session einberufen worden
waren, hatte die rumänische Regierung dem
Consortium bereits die Concession einer
und von Ujest wollte das ganze moldau-
walachische Bahnnetz, — die englische
Unternehmung Gebrüder Waring & Chap-
man die Linien Michaileny-Jassy-Galatz-
Bukarest ausführen.
Das gab der rumänischen Regie-
rung die Möglichkeit, günstigere Be-
dingungen und, durch die Auftheilung
des Bahnnetzes an verschiedene Unter-
nehmungen, eine schnellere Herstellung
desselben zu erzielen. So fiel denn mit
Zustimmung der im Mai 1868 neuerlich
zusammengetretenen Kammern nur die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
35
Concession für die Linie Suczavva-Jassy
mit den Flügelbahnen nach Botosani
und Roman dem österreichischen Con-
sortium zu, unter der Bedingung, dass
die unverzüglich in Angriff zu nehmenden
Bauten binnen zwei Jahren vollendet
werden, wogegen die Regierung den
Concessionären das Expropriationsrecht,
eine Bausubvention von 40.000 Francs
ischen Linien sowie zu deren Vollendung
bis längstens im Sommer 1870 ver-
pflichtete und hiefür die Bausubvention
der rumänischen Regierung und gesell-
schaftliche Titel im Betrage von nomi-
nale 25,600.000 fl. in Zahlung nahm.
Der Werth der rumänischen Con-
cession für die Lemberg - Czernowitzer
Bahn war unverkennbar; denn obzwar
Abb. 22. Brücke über den Wagenbach und Tunnel bei Goggau.
pro Kilometer, eine zehnjährige Einfuhr-
zoll- und Steuerfreiheit gewährte und ein
jährliches 71/2°/o'&es Reinerträgnis von
einem Capitale von 3,743.250 Francs =
I>497-3°° A- Silber garantirte.
Die Ausfertigung der Concessions-
Urkunde erfolgte am 7. und 19. Juni 1868,
sodann am 13. Juli der Abschluss des
Bauvertrages mit dem Unternehmer
Thomas Brassey, der sich in analoger
Weise wie rücksichtlich der Suczawaer
Bahn, zur Ausführung auch der moldau-
sie das gesellschaftliche Project der
Pontusbahn nicht verwirklichte, bewahrte
sie doch die österreichische Linie davor,
eine Sackbahn zu bleiben und überdies
bot diese Concession ergiebige finanzielle
Hilfsmittel, die allein schon den Theil-
habern gute Einkünfte dauernd sicherten.
Die ausserordentliche Generalversamm-
lung vom 15. October 1868 beschloss da-
her glattweg, diese Concession sammt allen
Rechten und Pflichten in den Besitz der
bestehenden Gesellschaft zu übernehmen,
36
Ignaz Konta.
Abb. 23. Leoben [1869]-
deren bisherige Statuten demgemäss ab-
zuändern, ihr fortan die Firma: »Lern-
berg-Czernowitz -Jassy- Eisen-
bahn« zu geben und das Baucapital
für die moldauischen Linien durch Aus-
gabe von 50.000 Actien [II. Emission]
ä 200 fl. und 52.000 Prioritäts-Obliga-
tionen [III. Emission] ä 300 fl. zu be-
schaffen. Vermöge eines weiteren Ab-
kommens erwarb die Anglo-österreichische
Bank diese Titel von dem Unternehmer
Brassey und überliess die Actien den
Besitzern der alten Lemberg - Czerno-
witzer Actien zum Preise von 140 fl.
pro Stück; die Prioritäten aber wurden
theils freihändig begeben, theils zum
Curse von 6o,0/0 zur öffentlichen Zeichnung
aufgelegt.
Die österreichische Strecke Czerno-
witz-Suczawa-Reichsgrenze[8o/9&?H]
wurde, wiewohl ihre Terrainverhältnisse
ungünstige gewesen und bedeutende Erd-
arbeiten bedingten, am 28. Qctober 1869
eröffnet.
Diese Trace geht in gerader Verlängerung .
der Linie Lemberg-Czernowitz von letzterer
Station durch den sogenannten Judengraben
auf die benachbarte Hochebene, dann über
einige Bäche und die Kaiserstrasse hinweg
ins Dereluithal, und in diesem stetig an-
steigend bis Kuczurmare, hernach wieder über
mehrere Bäche in die gebirgige Gegend bei
Kiczera und Hliboka, welche in tiefen Ein-
schnitten und auf grossen Dünen passirt wird,
um schliesslich im Sereththale nach Czerep-
koutz zu gelangen. Nach Uebersetzung des
Serethflusses [Eisenbrücke] steigt die Bahn zur
Wasserscheide bei Baince hinan, gewinnt in
Hadikfalva die Ufer der Suczawa, entlang deren
sie an der Seite der Kaiserstrasse bis Itzkanv
zieht, wo die Grenzstation Suczawa errichtet
ist, weil dies in der nebengelegenen Stadt
gleichen Namens nicht ausführbar war.
Die rumänische Fortsetzungsstrecke
Suczawa-Roman [102^9 km] wurde am
15. December 1869 und ihre Ausästung
von Pascani nach Jassy [76-6 km] am
1. Juni 1870 eröffnet. Dagegen konnte
der Flügel Veresti-Botosani [44' 5 km]
erst am 1. November 187 1 dem Betriebe
übergeben werden.
Noch immer nach einer thunlichst
unmittelbaren Verbindung mit dem
Schwarzen Meere ausblickend, machte
sich die Gesellschaft, als die Strecke
Pascani-Jassy der Vollendung entgegen
ging, die Erlangung der Concession für die
Linie Jassy-Kischeneff zur Aufgabe. Nicht
minder wollte sie ihre Expansionslust auch
auf heimatlichem Boden befriedigen und
von Lemberg aus, einerseits nach Norden
bis an die russische Grenze bei Tomaszöw,
andererseits nach Süden über Stryj und
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
37
Skole bis an die ungarische Grenze am
Beskid, Schienenwege bauen.
Vielleicht wären ihr auch diese gross
angelegten und von der Generalversamm-
lung vom 28. April 1870 gutgeheissenen
Pläne geglückt, wenn nicht damals schon
jene späterhin eingetretenen Gescheh-
nisse, welche der Gesellschaft so viele
Widerwärtigkeiten bereiteten, ihre ersten
Schatten vorausgeworfen hätten.
Wiederholte, öffentlich vorgebrachte
Beschwerden über Verkehrsstörungen
und mangelhafte Sicherheit des Be-
triebes veranlassten die staatliche Auf-
sichtsbehörde zu ernsten Mahnungen
und einige Monate darauf sogar zur
Entsendung eines eigenen Commissärs,
der bevollmächtigt war, die genaue Aus-
führung der vom Ministerium angeord-
neten Reconstructionen an Ort und Stelle
zu überwachen, etwaige ungeeignete Ver-
fügungen der gesellschaftlichen Organe
zu sistiren und erforderlichenfalls die
nothwendigen Arbeiten selbst zu ver-
anlassen [November 1870].
Die nächste Sorge und Thätigkeit
der Gesellschaft musste also darauf ge-
richtet sein, ihre vorhandenen Linien
gehörig in Stand zu setzen und das all-
gemeine Zutrauen zu bewahren, be-
ziehungsweise wieder zu gewinnen.
Ausser den bisher bereits besprochenen
Bahnlinien gelangten im gleichen Zeit-
abschnitte noch einige, schon früher con-
cessionirt gewesene Strecken, zur Ausfüh-
rung, beziehungsweise Vollendung, so na-
mentlich : die Fortsetzung der Aussig-
Tep litzer Bahn nach Dux [io'i km], der
Schwadowitzer Flügel [26'5 km] der Süd-
norddeutschen Verbindungsbahn,
die Strecke Oderberg-Teschen [31 '6 km]
der unter grossen Mühseligkeiten zustande
gekommenen Kaschau-Oderberger
Bahn, die Linien der Böhmischen Nord-
bahn [142-5 km]*) und die bald nach ihrer
Eröffnung aus der Zugehörigkeit zum
österreichischen Bahnnetze ausgeschiede-
nen Strecken der Siebenbürger Bahn
und der Ungarischen Nordbahn.**)
*) Es wurden eröffnet am 14. November
1867 Bakov-B.-Leipa [448 km]; am 16. Januar
1868 B.-Leipa-Rumburg [46 km], Bodenbach-
Tannenberg [401 km], Kreibitz-Neudörfel-
Warnsdorf [11-4 km].
*•) Vgl. Bd. I, I. Theil, H. Strach,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreich-
Ungarns von den ersten Anfängen bis 1867.
Abb. 24. Villach [i96g|.
38
Ignaz Konta.
Die Anfangsperiode des vierten Jahr-
zehntes der österreichischen Locomotiv-
Eisenbahn-Aera gewann jedoch nicht allein
durch die während derselben wieder-
erstandene und fast über das ganze Reich
ausgebreitete Eisenbahn - Bauthätigkeit
eine epochale Bedeutung für den Entwick-
lungsgang unseres Eisenbahnwesens,
sondern auch durch die Zweitheilung,
die dasselbe aus Anlass der damaligen
tiefgreifenden Aenderungen in dem poli-
tischen Gefüge der Monarchie erfahren
hat.
Die staatsrechtlichen Auseinander-
setzungen mit Ungarn hatten zu einem
»Ausgleiche« geführt, kraft dessen die
Länder der ungarischen Krone nun ein
mit eigener Regierung und Gesetzgebung
ausgestatteter selbständiger Staat — das
Königreich Ungarn — sind, der mit den
übrigen, ebenfalls einen gesonderten Staat
— das Kaiserthum Oesterreich — bil-
denden, cisleithanischen Königreichen und
Ländern bündnismässig mancherlei An-
gelegenheiten — hauptsächlich die aus-
wärtigen einschliesslich der diplomati-
schen und commerziellen Vertretung,
ferner die internationalen Verträge, das
Kriegswesen mit Inbegriff der Kriegs-
marine, die Zollgesetzgebung, das Münz-
wesen, das Wehrsystem etc. — hin-
sichtlich des Eisenbahnwesens aber nur
jene gemeinsam hat, die das Interesse
beider Reichshälften berühren. [Gesetz
vom 21. December 1867.] Es ging sohin,
bald nachdem die Einsetzung der könig-
lich ungarischen Regierung stattgefunden
[17., beziehungsweise 20. Februar 1867],
zunächst die Ueberwachung des Baues
und Betriebes der in Ungarn gelegenen
Bahnlinien in die, vorerst mit Beihilfe
österreichischer Kräfte und als Expositur
der österreichischen Aufsichtsbehörde
errichtete »Königlich Ungarische
Eisenbahn-Inspection« [1. Juli
1867], dann aber, fortschreitend mit
der Ausgestaltung der königlich unga-
rischen Centralstellen, allmählich die Ge-
sammtheit der ungarischen Eisenbahn-
Agenden in das Ressort des dortigen
Communications - Ministeriums
über.
Entsprechend dieser Wandlung, wie
auch der in dem a. h. Handschreiben
vom 14. November 1868 verkündeten
Bezeichnung des Gesammtreiches als
»Oesterreichisch-Ungarische Mon-
archie«, gruppirten sich die Eisen-
bahnen desselben fortan in österrei-
chische, ungarische und gemein-
same, d. h. solche, deren Linien in
beiden Staatsgebieten liegen. Diese ge-
meinsamen Bahnen nahmen, laut
Uebereinkunft der beiderseitigen Regie-
rungen, das Domicil in der Hauptstadt
desjenigen Staates, in welchem die Aus-
dehnung der betreffenden Linien eine grös-
sere war. Demgemäss verblieb damals die
oberste Leitung der Staatseisenbahn-Ge-
sellschaft und der Südbahn in Wien,
während die Kaschau-Oderberger Bahn
ihren Sitz nach Budapest verlegte, wohin
alsbald auch dieVerwaltungen der Theiss-
Bahn, Siebenbürger Bahn und Alföld-
Bahn übersiedelten. Im Jahre 1870
war die neue Ordnung der Dinge voll-
endet.
Den österreichischen Landen brachte
die neue Gliederung der Monarchie die
Wiederherstellung der am 20. September
1865 sistirten Verfassung und die Ein-
berufung des Reichsrathes [20. April 1 867],
dessen überaus fruchtbare Thätigkeit im
Anbeginne wohl nur eine fast durchaus
politische gewesen; sobald jedoch die
am 21. December 1867 verlautbarten
neuen Staatsgrundgesetze geschaffen
waren, wendete man sich in hervor-
ragendem Masse auch dem wirthschaft-
lichen Leben zu, insbesondere nach-
dem das Ministerium B e u s t, das am
7. Februar 1867 an die Stelle des
Cabinets Belcredi getreten, von dem
Ministerium Auersperg — dem so-
genannten Bürgerministerium — abgelöst
worden war [30. December 1867].
Die ersten wieder zur verfassungs-
mässigen Behandlung gelangten Eisen-
bahnfragen betrafen die Concessionirung
des »n ord westlich -böhmischen
Bahnnetzes« und der »Oesterreichi-
schen Nordwestbahn«.
Die bezüglichen Gesetzesvorlagen
wurden am 16. December 1867 im Abge-
ordnetenhause eingebracht und von diesem
zwei Tage später dem volkswirtschaft-
lichen Ausschusse mit dem Auftrage zuge-
wiesen, »die Berathung zu beschleunigen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
39
Abb. 25. Bahnhof Tarvis. [1870.]
und in den nächsten Sitzungen nach
Wiederaufnahme der Berathungen des
Reichsrathes Bericht zu erstatten«. Dabei
gewann die Behandlung der Vorlage über
das nordwestlich -böhmische Bahnnetz
einen kleinen Vorsprung.
Den Namen »nordwestlich-böh-
misches Bahnnetz« oder »Böhmi-
sche Nordwestbahn« trugen die
Linien P r a g-S aaz-Komota u-W e i p e rt-
Sächsische Grenze gegen Annaberg
und Pries en-Karlsbad-Eger, die
in ihren Hauptzügen bekanntlich schon
früher einmal, und zwar Kacic-Weipert
am 25. August 1865 an Hermann Oehme
und Bruno Hempel und Prag-Rakonitz-
Falkenau-Eger nebst Zweigbahn Janessen-
Karlsbad am 26. August 1865 an das
Consortium des Grafen Eugen Czernin
concessionirt waren, jedoch, weil die
Unternehmer das erforderliche Capital
nicht aufzubringen vermochten, unausge-
führt blieben und jetzt neuerlich ange-
strebt wurden. *) Ein Engländer Hr. Eaton,
*) Vgl. Bd I, I. Theil, H. Strach, Eisen-
bahnen ohne Zinsengarantie, Seite 360.
der im Saazer und Egerer Kreise auf
Kohlen schürfte und mit den Conces-
sionären der Linie Kacic-Weipert in
Beziehungen gestanden, bemühte sich um
die Vorarbeiten, ohne dass bekannt wurde,
ob er dies im eigenen oder für wessen
Interesse sonst thue. Auch Graf Czernin
machte Anstrengungen um die Aufrecht-
erhaltung oder Erneuerung der ihm ver-
liehenen Concession. Die Buschtöhrader
Bahn, die schon im Jahre 1861 die Vor-
concession für eine Verlängerung ihrer
Lana'er Linie nach Rakonitz sowie
i späterhin auch jene für die Weiperter
| Linie erhalten, jedoch die Vorarbeiten
j im Hinblicke auf die vorerwähnten Con-
| cessionirungen unterbrochen hatte, voll-
endete sie nun und schritt sodann um
die Eröffnung der Concessions-Verhand-
lungen rücksichtlich eben dieser Linien
i ein, während ein von Functionären der-
selben Gesellschaft [Verwaltungsrath
Dr. Josef Tragy und Director Josef
| Kress] vertretenes Consortium sich um
die Saaz-Egerer Bahn bewarb und in
einer die Vortheile der Zusammen-
fassung dieser Linien mit jenen der
40
Ignaz Konta.
Buschtßhrader Bahn darlegenden Peti-
tion an das Abgeordnetenhaus [über-
reicht 20. Juli 1867], die Verleihung
der Concession an diese Gesellschaft
und ihre Verbündeten erbat. Weitere
Bewerber waren noch : die Sächsisch-
böhmische Industrie- und Bergbau-Ge-
sellschaft und Graf Emil Wimpffen, zu
dessen Gunsten die erstere wieder Ver-
zicht leistete.
Als aber die Regierung sich gleich-
falls zu der Anschauung bekannte,
dass die Vereinigung der sämmtlichen
projectirten Linien unter eine Verwal-
tung wünschenswerth sei, überreichte
die Buschtßhrader Bahn, der damals die
Bauunternehmer Gebrüder Klein und
A. Lanna zur Seite standen, am 3. No-
vember 1867 das Gesuch um die Con-
cession für das ganze Netz und bean-
spruchte für die Linie Prag-Sächsische
Grenze die Gewährung eines Staatsvor-
schusses von 4,000.000 fi., für die Linie
Saaz-Komotau-Eger hingegen die Zinsen-
garantie für das mit 850.000 fl. pro
Meile berechnete Baucapital. Die Re-
gierung, darauf bedacht, den Staats-
schatz so wenig als möglich zu be-
lasten und bei einem einheitlich zu con-
cessionirenden Bahnnetze nicht zweier-
lei staatliche Begünstigungen in Anwen-
dung zu bringen, nahm für dasselbe
nebst einer zwanzigjährigen Steuerfrei-
heit eine Betheiligung des Staates mit
5,000.000 fl. und erst in zweiter Reihe
die Gewährung einer Zinsengarantie in
Aussicht.
Auf diese Bedingungen war denn
auch diö am 16. December 1867 im
Abgeordnetenhause eingebrachte Gesetzes-
vorlage aufgebaut, und die mit derselben
einverstandene Gesellschaft glaubte nun
ihrem Ziele — der Befreiung ihres
Unternehmens aus seiner bisherigen
Isolirtheit — umso sicherer nahe zu sein,
als die im Jahre 1865 verliehenen Con-
cessionen für die Weiperter und die
Egerer Bahn, über a. h. Entschliessung
vom 14. December 1867, für verfallen
erklärt wurden.
Da erstand aber der Gesellschaft
ganz unvermuthet in der Firma Gebrüder
Klein, die nunmehr in Verbindung mit
der österreichischen Credit-Anstalt die
Concession selbständig erwerben wollte,
ein mächtiger Widerpart, der trotz seiner
hohen Anforderungen an den Staat —
Zinsengarantie für ein Anlage-Capital von
beiläufig 900.000 fl. pro Meile — viele
Parteigänger sowie bei einem namhaften
Theile der Publicistik eifrige Unter-
stützung gefunden hatte. Insbesondere
von letzterer Seite wurde der Buscht6-
hrader Bahn hart zugesetzt ; man machte
ihr den Anwurf, dass sie gar nicht wirk-
lich bauen, sondern die Concession nur
zu erlangen trachte, um andere Bewerber
zu verdrängen und auf diese Weise das
im Bunde mit dem » Kohlen verschleiss-
V ereine« geschaffene »Monopol der Ver-
sorgung Prags und des mittleren Böhmens
mit mineralischem Brennstoff« und den
hieraus fliessenden »übermässigen Ge-
winn« sich möglichst lange zu sichern.
In die Vertheidigung der Gesellschaft
theilten sich eine ganze Reihe der von
den projectirten Linien berührten Ge-
meinden und, mit seltener Ueberein-
stimmung, die Journale des Landes.
Allesarnrnt verwiesen auf den grossen
Unterschied zwischen den Angeboten der
beiden concurrirenden Bewerber und
sagten es rund heraus, dass die Anfor-
derungen des Consortiums Klein-Credit-
Anstalt ein geschäftliches Gepräge an
sich trügen, während jene der Buschtö-
hrader Bahn jedweden Finanzgewinn von
selbst ausschlössen. Von gegnerischer Seite
erfolgten dann Angriffe auf die Tarife der
Buschtöhrader Bahn, doch auch diese
Angriffe fanden schnelle, überzeugende
Abwehr. Die Fürsprecher der Gesellschaft
berechneten, dass die von dem Con-
sortium Klein-Credit-Anstalt zugesagten
verbilligten [sogenannten Enquete-] Tarife,
bei Zuschlag der gleichzeitig für die
erste Zeit verlangten 2O0/uigen Erhöhung,
im Wesentlichen den von der BuschtÖ-
hrader Bahn vorgeschlagenen glichen —
und führten wieder die Höhe des von
dem Consortium veranschlagten Anlage-
Capitals ins Treffen, die eine Anwen-
dung jener Tarife gar nicht oder nur
ausschliesslich auf Kosten des garan-
tirenden Staatssäckels zulassen würde.
Diese gelungene Defensive und mehr
noch das offene Eintreten der Handels-
kammern in Prag und Eger sowie des
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
41
böhmischen Landesausschusses, der Stadt-
gemeinde Prag und der böhmischen
Statthaltern für die Buschtt'hrader Bahn
gaben derselben eine kräftige Stütze.
vermöge deren die Gesammtlänge der Bahn
um zwei Meilen und dementsprechend
das Anlage-Capital auf 38,000.000 fl. ver-
ringert erschien, hatte zur Folge, dass
Abb. 26. Brücke über die Schlitza-Schlucht.
[Nach einer Photographie von Alois Beer in Klagenfurt.]
Das letzte Wort war aber noch lange
nicht gesprochen. Eine, knapp vor Beginn
der Verhandlungen des Reichsrathes,
dem Handelsministerium überreichte neue
Offerte des Consortiums, welche nebst
Anderem eine Tracenänderung vorschlug,
der Meinungszwiespalt sich noch ver-
grösserte und bis ins Parlament drang.
Schon die Berathungen des volkswirth-
schaftlichen Ausschusses lieferten kein
einheitliches Ergebnis; die Majorität be-
antragte mit Zustimmung des Ministeriums
42
Ignaz Konta.
Abb. 27. Weissenbach-Viaduct.
[Nach einer Photographie von Prof. Reiner in Klagenfurt.]
eine staatliche Unterstützung in Form
einer Zinsengarantie von 850.000 fl. pro
Meile, die Minorität hingegen, unter
Aufrechthaltung der alten Fassung des
Gesetzentwurfes, auch den »Subventions-
modus* ; weiters wollte die erstere eine
völlige Neugestaltung des Tarifsystems,
letztere dagegen die Annahme der nie-
drigsten Ziffern der allgemein in Gel-
tung stehenden Tarife. In gleicher Weise
spitzten sich die Gegensätze im Abge-
ordnetenhause selbst zu. Die Berathungen
wären daher noch langwieriger gewor-
den, vielleicht sogar ganz unfruchtbare
geblieben, wenn nicht der Handels-
minister v. Plener vermittelnd einge-
griffen hätte. Er gab die Erklärung ab,
dass die Regierung den von ihrer Vor-
gängerin eingebrachten Gesetzentwurf,
obzwar er ihr wenig zusagte, im Interesse
der Beschleunigung der Angelegenheit
nicht zurückgezogen und, mit Rücksicht
auf die Lage der Staatslinanzen, von
einer Baarsubvention abgerathen habe,
jedoch sich mit derselben
befreunden wolle, soferne
der Staatsverwaltung bei
der Concessions - Verlei-
hung die Concurrenz meh-
rerer Bewerber offen bleibe
und darauf gesehen werde,
dass nicht solche Bestim-
mungen in das Gesetz
aufgenommen würden, die
nur einem Bewerber ange-
nehm, für den anderen
aber unerfüllbar seien.
So wurden denn beide
Unterstützungsarten zuge-
lassen, dabei allerdings
die Zinsengarantie auf
890.000 fl. pro Meile er-
höht, die Tarife theils nach
dem Majoritäts-, theils
nach dem Minoritäts-
antrage des Ausschusses
angesetzt und die Flügel-
bahnen nach Rakonitz und
Franzensbad definitiv zur
Ausführung bestimmt. In
dieser Fassung ging das
Gesetz an das Herrenhaus,
erfuhr jedoch daselbst
einige kleine Abände-
rungen, weshalb es nochmals an das Ab-
geordnetenhaus zurückgeleitet werden
musste, wo es am 25. Mai 1868 endgiltige
Annahme fand. Die a. h. Sanction ward
ihm am 3. Juni 1868 zutheil.*)
Nun setzte das Handelsministerium
die Verhandlungen mit den Bewerbern •
fort, wobei das Consortium Klein-Credit-
Anstalt zwar von seiner ursprünglichen
Offerte noch weiter herabging, doch an der
Garantie eines 5"2°/0igen Reinerträgnisses
festhielt — die Buschtehrader Bahn aber
sowohl hinsichtlich der Erfolglassung
*) Im Artikel V, Zahl 7, dieses Gesetzes
sind sowohl für den Personen- als auch für
den Güterverkehr, insbesondere aber für
Massenartikel neue, d. h. billigere Maxi-
m a 1-T a r i f e festgesetzt, die nicht blos in
die Concession der »Böhmischen Xordwest-
bahn«, sondern auch bei späteren Conces-
sionirungen zur Geltung gebracht wurden.
Dieses Gesetz brachte daner eine wichtige
Neuerung auf dem Gebiete des Tarifwesens.
[Näheres vgl. Bd. III, A. Pauer, Frachten-
Tarife.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
43
und Rückzahlung des Staatsvorschusses,
als auch in Betreff der Tarife, ins-
besondere für Massengüter, Zugeständ-
nisse machte und hiedurch den ent-
scheidenden Sieg errang.
Sie erhielt am I. Juli 1868 die auf
90 Jahre lautende Concession für die
Linie von Prag [Smichow] an die säch-
sische Grenze zum Anschlüsse an die
Actien des ganzen Netzes, und zwar zum
Emissionscurse derselben rückzuzahlender
Baarvorschuss im Betrage bis 5,000.000 fl.,
ferner für zwölf Jahre die volle und für
weitere acht Jahre die halbe Steuer-
freiheit.
Die ausserordentliche Generalver-
sammlung vom 7. Juli 1868 genehmigte
die Erwerbung dieser Concession, und
Abb. 28. Arbeitsprovisorium über die Save. [Nach einer photographischen Aufnahme aus der Bauzeit.]
Chemnitz-Annaberger Bahn nebst einer
Flügelbahn nach R a k o n i t z, dann für die
Linie von Priesen durch das Egerthal
über K a r 1 s b a d nach E g er nebst Zweig-
bahn nach Franzensbad, mit der Ver-
pflichtung, diese neue Strecke mit den
alten gesellschaftlichen Linien in Verbin-
dung zu bringen, den Bau binnen zwei
Monaten zu beginnen und binnen drei
Jahren zu vollenden. Als staatliche Unter-
stützung wurden der Gesellschaft in
dieser Concession zugesichert: ein in
beschloss rücksichtlich ihrer Durchführung
folgende Massnahmen : Die Strecke
Kac-ic-Priesen sowie die Flügelbahn
nach Rakonitz und die Verbindung
Hostivic-Smichow gelten als Erweiterung
des bisherigen Unternehmens, dagegen
die Strecken Priesen-Sächsische Grenze,
Priesen-Eger und die Flügelbahn nach
Franzensbad als ein »weiteres« Unter-
nehmen der Gesellschaft. Demnach solle
der Baufond beschafft werden : durch
Vermehrung des bestehenden Actien-
44
Ignaz Konta.
capitals um 1,615.950 fl. [3078 Stück
ä 525 A-]> dann durch Ausgabe von
38.000 Actien lit. B ä 200 fl.
[= 7,600.000 fl.] und von 5°/0igen Priori-
täts-Obligationen im Gesammtbetrage von
15,000.000 fl. ; die Actien sollten zum
vollen Nennwerthe begeben werden und
wäre rücksichtlich jener der lit. A in erster
Reihe den Besitzern der alten Actien
das Bezugsrecht einzuräumen.
Da die so hart erstrittene Concession
alle die Anschlüsse, nach welchen die
Gesellschaft jahrelang gestrebt hatte,
nicht nur gesichert, sondern ihr in die
Abb. 29. Launsdorf.
eigene Hand gegeben und dadurch mit
einem Schlage auch ihre früher gehegte
Sorge, ob bei andauernder Vereinsamung
des alten Theiles der Buschtöhrader
Bahn ein Kostenaufwand für die Um-
und Ausgestaltung der Pferdebahn ge-
rechtfertigt wäre, behoben hatte, ging der
Verwaltungsrath nun vor Allem daran,
den Obliegenheiten gerecht zu werden,
welche die Gesellschaft noch auf Grund
der ihr am 1 1 . Januar 1 867 [an Stelle
des Privilegiums vom Jahre 1827 und
der Concession vom Jahre 1855] ver-
liehenen Concession zu erfüllen hatte.*)
Die Gesellschaft war, wegen der eben
erwähnten Besorgnis, bis dahin nicht über
*) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Eisen-
bahnen ohne Zinsengarantie, S. 362.
die Ausführung der am 27. April 1868
eröffneten Verbindung Prag - Bubna
[3-3 km] hinausgekommen. Es wurde
daher am 6. Juli 1868 der Umbau der
Pferdebahn in Angriff genommen. Zwei
Monate später [1. September] begannen
aber auch schon die Bauarbeiten auf
dem neuen Netze und es herrschte fortan
auf fast allen Baulinien rege Thätigkeit.
Am 19. December 1868 fand zum
Zwecke der Revision der Gesellschafts-
Statuten eine ausserordentliche General-
versammlung statt. Die von dieser be-
schlossenen neuen Satzungen brachten
die Gliederung des
gesellschaftlichen Un-
ternehmens in zwei
gesonderte Gruppen
[lit. A und lit. B]
zum vollen Ausdrucke;
denn sie verfügen
die Auseinanderhal-
tung der Bau- und
Betriebsrechnungen
beider Gruppen und
die getrennte Verthei-
lung ihrer Erträgnisse,
insoferne dieselben
nicht 10% des be-
treffenden Actiencapi-
tals übersteigen, wo-
gegen ein etwaiges
Mehrerträgnis zur
Hälfte an die Besitzer
der anderen Actien-
gattung zuzuweisen ist.
Mit diesen Massnahmen bekundete die
Gesellschaft von Neuem ihr geringes Ver-
trauen in die Ertragsfähigkeit der zur
Gruppe B vereinigten Linien sowie die
Inschutznahme der Rente des alten Unter-
nehmens gegen eine Schmälerung durch
die befürchtete Unzulänglichkeit der Er-
gebnisse der neuen Linien. Viele Jahre
hindurch schien es auch wirklich, als ob
dies eine richtige Voraussicht gewesen
wäre; in der neueren Zeit aber bereitete
die glänzende Entwicklung des Verkehrs
auch dieser Linien eine angenehme Ent-
täuschung.
Die Geldbeschaffung für die Neubauten
erfolgte nicht auf einmal ; von den Obliga-
tionen, deren Vertrieb die Allgemeine Cre-
dit-Anstalt in Leipzig übernommen hatte,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
45
Abb. 30. Eberstein.
fanden bei den öffentlichen Zeichnungen
im Juli 1868 und Februar 1869 Theil-
beträge von je zwei Millionen Thaler zum
Curse von 77 1ja Silber und der Rest im
freihändigen Verkaufe reissenden Absatz ;
von den 3078 Actien lit. A waren 1408
Stück im September 1868 seitens der
bisherigen Actionäre zum vollen Nenn-
werthe bezogen, die übrigen 1670 Stück
zur theilweisen Refundirung des Staats-
vorschusses zurückgelegt worden. Von
den Actien lit. B wurden 20.616 Stück
gleichfalls dem letzteren Zwecke zuge-
führt, 2000 Stück für Rechnung der
alten Buschtehrader Bahn übernommen,
die restlichen Stücke aber Ende Ja-
nuar 1870 im Wege der öffentlichen
Zeichnung begeben.
Der Anwerth, den ihre Titel gefunden,
veranlasste die Gesellschaft, eine aber-
malige Erweiterung ihres Netzes in Aus-
sicht zu nehmen ; sie wollte gemeinsam
mit der Aussig- Teplitzer Bahn einen
die beiderseitigen Linien verbindenden
Schienenweg von Preschen [Aussig-
Teplitzer Bahn] über Laun nach Kunowa
ausführen, um die damals mehrseitig ge-
plante Prag-Duxer Bahn überflüssig zu
machen, ferner beabsichtigte sieden Flügel
Kladno-Schlan zu bauen, die Komotauer
Linie am Kamm des Gebirges von Krima
aus bis an die sächsische Grenze gegen
Raitzenhain zu verlängern und, mit Zu-
stimmung der ausserordentlichen General-
versammlung vom 10. December 1870,
welche hiezu die Ausgabe von Prio-
ritäts-Obligationen bis zum Betrage von
3,867.950 fl.*) bewilligte, eine Anzahl
von Schleppgeleisen zu den im Bereiche
des eigenen Netzes liegenden Gewerken
herzustellen. Einige Monate später pro-
*) Diese Prioritäten übernahm die Union-
bank, welche sie am 22. Februar 1871 zur
öffentlichen Zeichnung auflegte. Dabei war
dieUeberzeichnung so gross, dassReductionen
bis zu 40°'0 stattfinden mussten.
46
Ignaz Konta.
jectirte die Buschtehrader Eisenbahn
überdies die Verbindung Komotau-
Brunnersdorf sowie die Linien Falkenau-
Graslitz, eventuell Klingenthal, Rakonitz-
Jechnitz-Scheles und Rakonitz-Beraun.
Für diese letztere Serie neuer Bahnen
und zugleich auch für die Ausrüstung
des alten Netzes beschloss die ausser-
ordentliche Generalversammlung vom I
5. October 1871 eine nach Massgabe
des Bedarfes vorzunehmende Emission
von 8882 Actien lit. A, 26.000 Actien
lit. B und 98.600 Prioritäts-Obligationen,
also insgesammt von Werthen im Betrage
von 24,653.000 fl.
Es kam jedoch damals nur die Linie
Komotau-Brunnersdorf zustande, die \
eine bedeutende Wegkürzung zwischen
der Aussig - Teplitzer Bahn und der
Karlsbad - Egerer Route bewirkt ; sie
wurde auf Grund des Gesetzes vom
15. Juni 1871, am 4. August 1871 als
ein integrirender Bestandtheil des neuen
Netzes der Buschtehrader Bahn con-
cessionirt und war binnen Jahresfrist zu
vollenden.
Die neuerliche Geldbeschaffung be-
schränkte sich daher auf die für diese
kleine Linie, dann für die Ausrüstung des
alten Netzes erforderlichen Mittel. Es
gelangten demnach Ende November 1871
zur Ausgabe 5059 Actien lit. A =
2,655.975 fl. sowie 19.000 Actien lit B
= 3,800.000 fl., die sämmtlich durch die
Besitzer älterer Actien bezogen wurden,
und Prioritäts-Obligationen im Betrage
von 4,500.000 fl., welche die Allgemeine
böhmische Bank übernahm, hernach aber
zum Curse von 87% Silber mit bestem
Erfolge zur Subscription auflegte.
Im Jahre 1872 erhielt die Gesellschaft
auch noch die Concession für die vor-
genannte Linie Krima-Raitzenhain.
Dieselbe beruht auf dem Gesetze vom
28. Juni 1872, datirt vom 12. November
1872, erklärt auch diese Zweigbahn als
einen integrirenden Bestandtheil des schon
früher concessionirten gesellschaftlichen
Bahnnetzes und bestimmt als Eröffnungs-
termin den Tag der Inbetriebsetzung der
sächsischen Anschlussstrecke Raitzenhain-
Chemnitz. Aus Anlass dieser Ausdehnung
ihres Bahngebietes vermehrte die Gesell-
schaft ihre Fonds, indem sie Ende De-
cember 1872 den Rest der Actien- Emission
vom Jahre 187 1, nämlich 3823 Actien
lit. A und 7000 Actien lit. B, an die
Besitzer der älteren Werthe hinausgab,
und zwar die ersteren zum Preise von
700 fl., die letzteren zum Preise von
210 fl. für je ein Stück.
Zu jener Zeit war der Bau des
am 1. Juli 1868 concessionirten »nord-
westlich-böhmischen Bahnnetzes« sowie
die Umgestaltung der Pferdebahn im
Grossen und Ganzen beendet. Es wurden
eröffnet :
Wejhybka-Lana, als Locomotivbahn, 12-gkm,
am "22. April 1869.
Karlsbad-Eger, 53-4 km, am 19. September 1870.
Lana-Priesen-Komotau, 83-8 km, am 4. Fe-
bruar 1871.
Luzna-Rakonitz [provis.Station], 6-3 km, am
5. Juni 1871.
Priesen - Karlsbad, 57-3 km, für den Güter-
veikehr am 9. November 1871; für den
Gesammtverkehr am 9 December 1871.
Tirschnitz - Franzensbad, 33 km, am 9. De-
cember 1871.
Wejhybka-Duby, 69 km, für Güter, am
25. Februar 1872.
Komotau-Weipert-Sächsische Grenze, 577 km,
für den Güterverkehr am 12. Mai 1872; für
den Gesammtverkehr am I. August 1872.
Smichow-Hostiwitz, 19-3 km, für den Güter-
verkehr am 3 Juli 1872 ; für den Gesammt-
verkehr am 16. September 1872.
Eine erhebliche Ueberschreitung des
concessionsmässig festgesetzten Eröff-
nungstermins trat daher nur rücksichtlich
der beiden letztgenannten Strecken ein,
doch fand sie ihre Rechtfertigung.
Technische Hemmnisse hatten den Bau
der Weiperter Strecke verlangsamt, und als
diese zu Beginn des Jahres 1872 endlich
vollendet war, stand es ausser Zweifel,
dass infolge der eingetretenen grossen
Abrutschungen auf der sächsischen An-
schlussstrecke Weipert-Annaberg die ein-
heitliche Eröffnung der ganzen Linie
Komotau- Annaberg unmöglich sei. Darum
wartete die Buschtöhrader Bahn mit der
Eröffnung ihrer Weiperter Strecke bis
zum Frühjahre, um den Schwierigkeiten
der Inbetriebsetzung einer Gebirgsbahn
während der rauhen Jahreszeit auszu-
weichen. Auf der Smichower Strecke
aber hatten mannigfache Anstände bei
der Grundeinlösung, dann die HluboJeper
Thalübersetzung und nicht minder die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
Abb. 31. Bauanlagen der Carl Ludwig-Bahn im Jahre 1869. [Nach photographischen Aufnahmen
aus der Bauzeit von Jos. Eder in Leinberg.]
48
Ignaz Konta.
langwierigen Verhandlungen über die von
der Regierung angestrebte Anlage eines,
allen in Smichow einmündenden Bahnen
gemeinschaftlichen Bahnhofes, die Ein-
haltung der Baufrist vereitelt.
Die am I. November 1871 in Angriff
genommene Verbindung Komotau-
Brunnersdorf [12 km] wurde am
1. März 1873 dem Betriebe übergeben,
ebenso vier Tage später das Fragment
Rakonitz [provisorisch] — Rakonitz [defi-
nitiv], beziehungsweise die ganze Linie
Luzna-Rakonitz für den Gesammtverkehr.
Die Zusammenfassung all der vorge-
nannten Strecken zu einem Gesammtnetze
veranschaulicht seine reiche Verzweigung
und die damit erzielten Verbindungen.
Den Grundstock der Buschtöhrader
Bahn bildet demnach die von Prag
[Sandthor] ausgehende, ursprünglich als
Pferdebahn erbaute, späterhin aber bis
Wejhybka, beziehungsweise bis Lana in
eine Locomotivbahn umgewandelte Linie,
welche anlässlich dieser Umgestaltung,
von Hostiwitz aus, mit der Station Prag
[Bubna] der Staatseisenbahn-Gesellschaft
verbunden wurde. Zunächst kam dann,
gleichfalls von Hostiwitz aus, die Einmün-
dung in Prag-Smichow hinzu, wo damals
auch die Böhmische Westbahn und die
Franz Josef-Bahn zusammentrafen. Seit-
dem galt der Bahnhof in Prag-Smichow
CS O
als eigentliche Ausgangsstation der Busch-
tchrader Bahn.
Beide Anfangsstrecken liegen in Steigung ;
die alte führt von Bubna in einem überwölb-
ten Einschnitte und durch den »Baumgarten«
zum Prager Sandthor-Bahnhofe, dann über
den unter dem Namen «Sternthiergarten«
bekannten Ausflugsort nach Hostiwitz; die
neue übersetzt unweit Smichow auf Via-
ducten zweimal das Hluboceper Thal, passirt
dann bedeutende Felseinschnitte, erreicht bei
ftepy eine Tiefstelle des gegen die Moldau
abfallenden Hochplateaus des Weissen Berges
und dann den Gabelpunkt Hostiwitz, von
wo aus die alte, umgebaute Linie nach Wej-
hvbka [Abzweigung nach Kralup] und Lana
führt. Hier beginnt der neue Theil des
Buschtehrader Bahnnetzes, dessen Hauptlinie,
gleich dem letzten, noch bis I. October 1873
bestandenen Reste der Pferdebahn, zunächst
gegen Rinholec zieht. Bei diesem Dorfe ge-
langt sie zu dem Neustraschitzer Hochplateau,
dann durch einen [488 m langen] Tunnel
nach Rene und Luzna [Abzweigung nach
Rakonitz]. Nun, statt der bisherigen west-
lichen die nordwestliche Richtung einschla-
gend, entwickelt sich die Trace abwechselnd
in Steigungen und Gefällen, an Miloätin und
Satkau vorüber, gegen das Goldbachthal, in
welches sie nach Durchbruch eines mächti-
gen Weisssteinfelsens bei Schellesen eintritt,
um bei Michelob auf einer 18 m hohen
Brücke auf das linke Bachufer zu übersetzen,
auf dem sie, nordwärts gewendet, bis Trno-
van verbleibt, wo sie ins Egerthal gelangt.
Unterhalb Saaz wird die Eger übersetzt
[Eisenbrücke] und, alsbald wieder eine mehr
westliche Richtung gewinnend, passirt die
Bahn von Priesen an [Abzweigung nach
Weipert] das Komotauer Braunkohlenbecken
bis Kaaden-Brunnersdorf [Abzweigung nach
Komotau]. Von hier aus im Egerthale nach
Westen ziehend und bei Klösterle und Warta
das Flussufer wechselnd, bleibt die Bahn dann
am linken Egerufer bis sie hinter Wickwitz,
nach Durchbruch schroff hervortretender
Basaltfelsen, in das Wistritzbachthal einbiegt,
um über Schlackenwerth in Serpentinen auf
das Hochplateau bei Neudau, dann hinab zur
Zettlitzer Höhe zu gelangen, auf welcher die
Station Karlsbad angelegt ist. Hier tritt die
Bahn in das Falkenauer Braunkohlenbecken,
verlässt aber das Egerthal, in welches sie
vor Falkenau wieder zurückkehrt, um dann
in sanften Steigungen den weiteren Theil
jenes Kohlenbeckens bis Dassnitz zu durch-
ziehen und, nach abermaliger Uebersetzung
der Eger bei Tirschnitz [Abzweigung nach
Franzensbad] in dem Grenzbahnhofe Eger
[Anschluss an die Franz Josef-Bahn, baye-
rische und sächsische Bahnen] ihren End-
punkt zu erreichen.
Ausästungen zählte die Buschtchrader Bahn
zur Zeit der gänzlichen Vollendung des Um-
und Neubaues fünf oder, mit Einrechnung der
Verbindung Komotau -Brunnersdorf, sechs.
Von Wejhybka führt eine Linie durch das
Kladno-Buschtehrader Schwarzkohlenbecken
über Duby, Buschtehrad, Brandeisl und Zako-
lan hinab nach Kralup zum Anschlüsse an
die Turnau-Kraluper Bahn [jetzt Böhmische
Nordbahn] und die Bodenbacher Linie der
Staatseisenbahn-Gesellschaft. In Duby zweigt
der kleine Flügel nach Kladno ab, und in
Alt-Kladno besteht eine Verbindung mit der
Nucitzer Erzbahn. Von Luzna-Lischan aus
geht die kurze Seitenlinie nach Rakonitz
1 in das gleichnamige Schwarzkohlenbecken.
i Von Priesen führt eine Linie durch das
! dortige Braunkohlenbecken zu dem Knoten-
'■ punkte Komotau, dann in grossen Windungen
empor auf das Plateau des Erzgebirges,
beziehungsweise zur Wasserscheide bei
j Schmiedeberg und hernach in den Grenz-
| bahnhof Weipert hinab, wo sie an die säch-
| sische Bahn anschliesst. Von Komotau aus
; durchschneidet die in Kaaden-Brunnersdorf
| wieder in die Hauptlinie einmündende Weg-
i kürzung das Komotauer Braunkohlenbecken.
' Von Tirschnitz aus ist ohne Zwischenstation
I die Verbindung mit Franzensbad [Anschluss
an die bayerischen und sächsischen Bahnen]
i hergestellt. [Vgl. Abb. 38—42.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
49
Abb. 32. Brücke über die Kleparöwer Schlucht [Carl Ludwig-Bahn 186g].
Mit Ende des Jahres 1874, als ersten
vollen Betriebsjahres des ganzen eben
beschriebenen Bahnnetzes betrugen die
Anlagekosten desselben, ausschliesslich
der Montan - und Industrie - Bahnen,
52,205.171 fl. ; davon entfielen auf das
alte Unternehmen 4,870.251 fl., auf die
neuen Linien lit. A 20,893.903 fl. und
auf jene lit. B 26,441.017 fl.
Unmittelbar nach der Erledigung der
Vorlage über das nordwestlich-böhmische
Bahnnetz, begannen im Reichsrathe die
Verhandlungen über die »Oesterrei-
chische Nord westbahn«, als welche,
gemäss der Ueberschrift des bezüglichen
Gesetzentwurfes, anfänglich nur die Linie
»von Pardubitz über Deutschbrod, Iglau
und Znaim an einen Punkt der Franz
Josef- Bahn mit der Zweigbahn von
Deutschbrod über Kolin nach Jung-
bunzlau« gemeint war. Die erste An-
regung zum Baue einer grossen Strecke,
dieser dem alten Handelszuge von
Hamburg und Leipzig, beziehungs-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
weise von Stettin und Berlin über Dres-
den nach Wien folgenden Eisenbahn,
fällt in das Jahr 1839; denn schon
damals hatte die mährische Stadt Iglau
mit gleichgesinnten Prager Interessenten
sich dafür verwendet, dass die ge-
plante Linie Brunn - Prag auf dem
kürzesten Wege, d. h. über Iglau, Deutsch-
brod, Kolin oder Pardubitz geführt werden
möge.
Wie berechtigt dies gewesen, be-
zeugte die Thatsache, dass noch lange,
nachdem schon Eisenbahnen Dresden
und Berlin mit Wien verbanden,
ein ansehnlicher Theil des Frachtenver-
kehres sich auf jener Reichsstrasse be-
wegte, sowie dass hiebei die Frachtsätze
nicht theurer und die Lieferfristen nicht
länger waren, als auf den concurrirenden
Bahnlinien.
Die genannte Stadt hat es auch
nachmals nicht daran fehlen lassen, die
Bemühungen um die Erlangung der ihr
bei der Schaffung der ersten nördlichen
50
Ignaz Konta.
Eisenbahnen verloren gegangenen Einbe-
ziehung in das österreichische Schienen-
netz bei jeder passenden Gelegenheit
zu erneuern. Freilich kam sie dazu erst
nach Verlauf fast dreier Decennien.
Anfangs der Sechziger-Jahre war zum
ersten Male wieder von der Eisenbahn-
Verbindung Kolin-Iglau die Rede. Auch die
Staatseisenbahn-Gesellschaft hat bekannt-
lich bei ihren damaligen Erstlingsver-
suchen, sich der Abhängigkeit von der
Nordbahn zu entledigen, in die Bewer-
bung um das ihre nördliche und südliche
Linie unmittelbar verbindende Ergän-
zungsnetz, die Linie Gross-Enzersdorf-
Kolin einbezogen und die betreffende
Concession am 8. März, beziehungsweise
12. September 1863 in Aussicht gestellt
erhalten, jedoch wegen der hiebei aus-
gesprochenen Einschränkung des Ver-
kehres der Strecke Znaim-Teöic auf den
Localverkehr, die Angelegenheit wieder
fallen gelassen.*) Hiedurch unbeirrt, viel-
leicht sogar erst recht angeregt, ver-
banden sich die südöstlich von Kolin
gelegenen böhmischen Bezirke und Städte
mit den dort ansässigen Grossgrund-
besitzern und Industrieen zur Zustande-
bringung der Eisenbahn Kolin-Iglau
eventuell Znaim, nachdem hinsichtlich
der Linie Kolin-Jungbunzlau ein Gleiches
von Seite der dortigen Zuckerfabriken
im Vereine mit den Städten Nimburg und
Pod6brad geschehen war. Gleichzeitig
gewannen aber durch die damals schon
in bestimmter Aussicht gestandene Fort-
setzung des Schwadowitzer Flügels der
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn bis
Königshain die zu gewärtigenden Kohlen-
zufuhren aus dem Schatzlarer und
Waldenburger Reviere, als auch die
überdies die kürzeste Verbindung mit
Berlin [über Reichenberg und Görlitz]
herstellende Linie Pardubitz-Iglau-Znaim,
erhöhte Bedeutung.
Die Süd-norddeutsche Verbindungs-
bahn bemühte sich also, diese südliche
Fortsetzung und mittels derselben auch
die Unabhängigkeit von der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft zu erlangen. Während
sie nun auf Grund der Vorconcession
*) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Eisen-
bahnen mit Zinsengarantie, Seite 402 u. ff.
vom 7. Februar 1865 die Vorarbeiten
ausführen Hess und sodann im Novem-
ber 1866 um die definitive Concession
ansuchte, nahmen die vorerwähnten Ge-
meinschaften eine festere Gestalt an.
In Caslau bildete sich unter Führung
des Altgrafen Franz Salm-Reifferscheidt
ein Consortium für die Linie Kolin-
Iglau [2. Januar 1867] und in Nimburg
ein solches unter der Obmannschaft
des Fürsten Hugo Thurn - Taxis für
die Linie Jungbunzlau-Kolin [13. Januar
1867]. Beide Consortien erhielten am
18. Februar 1867 die betreffende Vor-
concession.
Begreiflicherweise sahen die be-
treffenden Gegenden mit Ungeduld dem
Reifen der Projecte entgegen. Das Eisen -
bahn-Comit6 der Stadt Iglau berief auf
den 16. December 1866 eine Versamm-
lung aller Stadtvertretungen, Grossgrund-
besitzer und Industriellen derjenigen Be-
zirke ein, die sich für den Bau einer
über Iglau gehenden Bahn interessirten.
Die Versammlung war sehr zahlreich
besucht, gelangte jedoch zu keinem
einheitlichen Beschlüsse, weil in der
Frage, ob die Bahn von Iglau aus die
Richtung nach Kolin oder Pardubitz
einschlagen solle, die Meinungen der
Vertreter der Städte und Bezirke Böhmens
auseinander gingen, was übrigens für
die Stadt Iglau selbst nicht ausschlag-
gebend war und sie nicht behinderte,
durch Petitionen an die Regierung
und den Reichsrath für das Zustande-
kommen der Bahn überhaupt weiter
thätig zu sein.
Am 18. December 1866 wies der
böhmische Landtag den Landesausschuss
an, das Project der Eisenbahn Pardubitz-
Iglau durch Sachverständige vorberathen
zu lassen und auf Grund dessen der
Regierung sein Gutachten über dieses
Landesanliegen vorzutragen. Die auf den
5. Februar 1867 zusammenberufene fach-
männische Commission äusserte sich dahin,
dass sowohl die Linie Kolin-Deutschbrod-
Iglau, als auch die Linie Pardubitz-
Deutschbrod-Iglau nicht nur nützliche,
sondern auch nothwendige, ja geradezu
unentbehrliche Verkehrswege darstellen,
daher von der Regierung möglichst gleich-
zeitig geschaffen und, weil sie theilweise
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
51
gleiche Tracen haben, beide in eine
Hand gelegt werden mögen, weshalb
vorzugsweise diejenige Unternehmung zu
begünstigen sei, die beide Linien zugleich
ausführe ; im Falle einer getrennten Sicher-
stellung wäre jedoch die Linie Iglau-
Kolin, mit Rücksicht auf die freie Con-
currenz, erst in zweiter Reihe an die
Staatseisenbahn-Gesellschaft zu vergeben.
wie volkswirthschaftlich nicht zu recht-
fertigen wäre, vereinigten sich die Con-
sortien Salm und Thurn-Taxis im Sep-
tember 1867 zur Schaffung eines, die
beiderseitigen Projecte umfassenden ein-
heitlichen Unternehmens.
Bei stetiger Fortdauer hätte diese
Concurrenz den Bestrebungen der Süd-
norddeutschen Verbindungsbahn gefähr-
Abb. 33. Peltewbrücke [Carl Ludwig-Bahn, 1869].
[Nach einer photographischen Aufnahme von Jos. Eder in Lemberg.]
Diese Gesellschaft war nämlich am
3. December 1866 vom Handelsministe-
rium aufgefordert worden, »eine bindende
schriftliche Erklärung über die Ausführung
der Linie Kromau-, eventuell Znaim-Kolin
abzugeben«, hatte aber ablehnend geant-
wortet und das Verlangen gestellt, >dass
ihr die Concession für die Linie Znaim-
Iglau-Kolin im Voraus zugesichert werde,
falls sie darum ansuchen sollte«.
Veranlasst durch das oben verzeich-
nete fachmännische Votum und erken-
nend, dass die Führung zweier Bahnen
über Znaim nach Deutschbrod technisch
lieh werden können ; denn das vereinigte
Consortium bestand vorzugsweise aus
Grossgrundbesitzern und Industriellen der
von den angestrebten Schienenwegen
durchzogenen Gegenden und erfreute
sich des vollsten Vertrauens sowie der
nachhaltigsten Unterstützung aller be-
theiligten Kreise. Aus den Nebenbuhlern
wurden jedoch alsbald Genossen; das
Consortium verständigte sich mit der
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn zur
gemeinsamen Bewerbung um die Con-
cession für ein unabhängiges Bahnnetz,
welches aus den Linien von einem
4*
52
Ignaz Konta.
geeigneten Punkte der Kaiser Franz Josef-
Bahn über Znaim, Iglau und Deutsch-
brod nach Pardubitz sowie von Deutsch-
brod über Kolin nach Jungbunzlau, be-
ziehungsweise Bakov bestehen und unter
dem Namen : »Oesterreichische
Nordwestbahn« ins Leben gerufen
werden sollte.
Inzwischen war die Regierung am
I. October 1867 im Abgeordnetenhause
wegen der Einbringung eines diese Bahn
betreffenden Gesetzentwurfes interpellirt
und am 5. November 1867, mit Rück-
sicht auf die von der Stadtgemeinde
Iglau und den Grossgrundbesitzern des
Znairher und Iglauer Kreises überreich-
ten Petitionen, aufgefordert worden, die
Vorlage »noch in der gegenwärtigen
Session einzubringen«. Das Handelsmi-
nisterium entsprach dieser Aufforderung
am 17. December 1867, indem es einen
die Sicherstellung der eben genannten
Linien bezweckenden Gesetzentwurf vor-
legte, der Tags darauf dem volkswirth-
schaftlichen Ausschusse zur schleunigsten
Berathung überwiesen wurde.
Nun trat die Staatseisenbahn-Gesell-
schaft auf den Plan, obzwar sie am 5. De-
cember 1867 mit ihrem früheren Verlangen
nach einer sozusagen unbedingten Zusiche-
rung der Concession für die Linie Znaim-
Kolin insoferne abgewiesen worden war,
als das Ministerium erklärte, im Hinblicke
auf ein ihm vorliegendes anderes Con-
cessions-Gesuch, mit ihr keine Verhand-
lungen pflegen zu können. Gestützt auf
das ihr in der Concession vom 1. De-
cember 1866 eingeräumte Mitbewerbungs-
recht für alle Anschluss- und Fortsetzungs-
bahnen des eigenen Netzes, suchte sie
jetzt bei der Regierung ganz formgerecht
um die Concession für jene Linie an
und erbat in einer Petition an das Ab-
geordnetenhaus dessen Einflussnahme auf
die Neuanknüpfung der vom Handels-
ministerium abgelehnten weiteren Ver-
handlungen. Diese wurden denn auch
während der damaligen Vertagung des
Reichsrathes wieder aufgenommen und
gediehen so weit, dass die Gesellschaft
hinsichtlich des ganzen in der Regierungs-
vorlage bezeichneten Netzes Anbote
machte, darunter einen Garantieanspruch
von jährlich 1,855.000 fl. oder pro Meile
39.053 fl., der gegen die betreffende An-
forderung des Consortiums [2,568.000 fl.
für 50-4 Meilen] um 2780 fl. pro Meile
geringer war und derselben auch dann,
als Letzteres in einer Nachtragserklärung
auf 2,385.000 fl. für 61-4 Meilen [inclu-
sive Wien-Znaim] herunterging, noch so
ziemlich die Wage hielt.
Dies allein war jedoch für die Ent-
scheidung nicht massgebend; die an
dem Zustandekommen der neuen Linien
interessirten Gegenden perhorrescirten
die »französische Gesellschaft« und be-
stürmten den Reichsrath um die Schaffung
einer »vollständig unabhängigen« Unter-
nehmung. Diesen Petitionen schlössen
sich überdies noch der böhmische Landes-
ausschuss, die Prager Handelskammer,
die patriotisch-öconomische Gesellschaft
sowie mehrere andere Körperschaften an
und als die Staatseisenbahn-Gesellschaft
sich dagegen zur Wehre setzte, entbrannte
aus dem in die Oeffentlichkeit getragenen
Streite ein heftiger Federkrieg, der nicht
zu Gunsten der Gesellschaft ausschlug. In
Flugschriften und Zeitungsartikeln fand
die Frage: »Wem gebührt die Conces-
sion für die österreichische Nordwest-
bahn?« eine leidenschaftliche Erörterung,
welche auf Seite der vielen Gegner der
Staatsbahn stets in den Kehrreim: »Con-
currenz gegen diese Gesellschaft, Unab-
hängigkeit der neuen Linien und Befrei-
ung der Süd-norddeutschen Verbindungs-
bahn« ausklang.
Noch während der Fehde zog der
volkswirtschaftliche Ausschuss des Ab-
geordnetenhauses die Regierungsvorlage
in Berathung, wobei gleich der erste
Artikel eine wesentliche Abänderung
dadurch erfuhr, dass im Einvernehmen
mit der Regierung eine Erweiterung des
in der Vorlage angeführten Netzes um
die 13 Meilen lange Strecke Wien-Znaim,
ferner um die etwa 1 1 Meilen lange
Strecke von einem geeigneten Punkte
der Jungbunzlau -Koliner Linie nach
Trautenau vorgenommen wurde, »weil
die hervorragende Wichtigkeit der Nord-
westbahn die Gründung einer ganz selb-
ständigen Unternehmung rechtfertigt,
diese aber nur dann gesichert erscheint,
wenn dieselbe ihren Ausgangspunkt von
Wien aus, dem Knotenpunkte des öster-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
53
Abb. 34. Einschnitt nächst der Brzezanyer Chaussee wahrend des Baues [Carl Ludwig-Bahn, 1869].
[Nach einer photographischen Aufnahme von Jos Eder in Lemberg.]
Abb. 35. Meteniower Einschnitt während des Baues [Carl Ludwig-Bahn, 1869].
[Nach photographischen Aufnahmen von Jos. Eder in Lemberg.]
54
Ignaz Konta.
reichischen Eisenbahnnetzes, nimmt« —
und weil die Notwendigkeit der seitens
der industriereichen Gegenden von Hohen-
elbe, Arnau und Trautenau dringend
erbetenen Eisenbahn -Verbindung nicht
verkannt werden konnte.
Diese Aenderung bedingte natürlich
eine andere Garantiebemessung; auch
sonstige Bestimmungen, namentlich jene
über die Tarife erhielten eine neue Fas-
sung und am Schlüsse des Gesetzes wurde
ein eigener Artikel [V] eingeschaltet,
enthaltend die Ermächtigung der Regie-
rung: zum Baue der Bahn auf Staats-
noch mit einer Schrift : »Die dritte Linie
Wien-Znaim« an die Oeffentlichkeit und
mit einer Petition an das Herrenhaus,
welches jedoch am 16. Mai 1868 den
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses voll-
inhaltlich beipflichtete, worauf dann das
Gesetz am 1. Juni 1868 die a. h. Sanction
erhielt.*)
Während der verfassungsmässigen
Behandlung desselben hatten die ver-
einigten Gegenbewerber der Staatsbahn
um die Bewilligung der Vorarbeiten für
die Strecken Wien-Znaim und von Trau-
tenau an einen Punkt der Linie Kolin-
Abb. 36. Aufnahmsgebäude in Tarnopol [1S70]. [Nach einer photographischen Aufnahme von
Jos. Eder in Lemberg.]
kosten, falls es ihr nicht gelingen sollte,
die Concession auf Grund eben dieses
Gesetzes binnen drei Monaten zu er-
theilen.
Für die Staatseisenbahn- Gesellschaft
hatte jedoch nur die ersterwähnte
Abänderung eine ausschlaggebende Be-
deutung; denn sobald die Bedingung,
dass die Bahn in Wien auszumünden
hat, wirkliche Gesetzeskraft erlangte,
erschien die Gesellschaft, weil ohnehin
schon im Besitze einer Linie Wien-Znaim,
von der weiteren Bewerbung so gut wie
ausgeschlossen. Darum wendete sie sich,
nachdem das Abgeordnetenhaus am
2. Mai 1868 die Anträge des Ausschusses
in dritter Lesung angenommen hatte,
Jungbunzlau angesucht und nach Voll-
endung der Projecte auch diese Strecken
in ihr Concessions - Gesuch miteinbe-
zogen. Die Entscheidung fiel am 8. Sep-
tember 1868, als dem Tage der a. h.
Entschliessung, auf Grund welcher der
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn und
den mit ihr vereinigten Bewerbern : Hugo
Fürst Thurn und Taxis, Franz Altgraf
zu Salm - R eif fe r scheid, Louis von
Haber und Friedrich Schwarz die
Concession für eine Locomotiv-Eisen-
bahn [mit der Benennung: »Oester-
reichische Nordwestbahn«],
*) Auch hier gilt die in der Note auf
Seite 42 bezüglich der neuen Maximaltarife
gemachte Bemerkung.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
55
ausgehend von Wien ^über Znaim,
Iglau, Deutschbrod, Caslau, Kolin
nach Jungbunzlau mit Zweigbahnen
von Znaim an die Franz Josef-Bahn,
von Deutschbrod nach Pardubitz und
von einem geeigneten Punkte der
Kolin-Jungb unzlauer Strecke nach Trau-
tenau, verliehen wurde, welche den
Concessionären »für den Fall, als ihnen
die über Jungbunzlau erzielte indirecte
Verbindung mit der Böhmischen Nord-
bahn nicht genügen sollte, die Berech-
tigung gibt, von einem Punkte der Jung-
bunzlau-Koliner Linie eine Abzwei-
gung nach Bakov zum unmittelbaren
Anschlüsse ihrer Linien an die Böh-
mische Nordbahn — jedoch ohne An-
spruch irgend einer finanziellen Begün-
stigung — herzustellen und in Betrieb
zu setzen«. Diese Concession gewährt
dem Unternehmen die staatliche Ga-
rantie eines jährlichen 5°/o'Sen Rein-
erträgnisses des Anlage-Capitals, welches
985.000 fl. pro Meile nicht übersteigen
darf, nebst der entsprechenden Tilgungs-
quote und die Steuerfreiheit für neun
Jahre nach der Betriebseröffnung der
ganzen Bahn.
So war denn nach vielen Mühen
und heissem Ringen auch diese grosse
Bahn, welche den lange unbenutzt ge-
bliebenen, geradesten und kürzesten Weg
von Südost nach Nordwest wieder be-
leben sollte, gesichert.
Als Termin für die Vollendung des
ganzen Netzes waren fünf Jahre ge-
geben ; der Bau hatte binnen drei Mo-
naten zu beginnen. Er wurde auch
thatsächlich in der Strecke Pardubitz-
Chrudim am 16., beziehungsweise bei
Caslau am 25. November 1868 in An-
griff genommen und anfänglich von
den Concessionären in eigener Regie
geführt, bis er auf Grund des Ge-
neral-Bauvertrages vom 3. April 1869
[vom Ministerium genehmigt am 23.,
beziehungsweise 31. Mai 1869] an
die Unternehmung G. Bucher über-
ging, welche für die Herstellung und
erste Einrichtung der Bahn eine Pau-
schalvergütung von 56,700.000 fl. er-
hielt.
Das gesammte Anlage-Capital war
auf nominale 80,000.000 fl. [und zwar
36,000.000 fl. in Actien, 44,000.000 fl.
in 5°/0igen Prioritäten] veranschlagt. Zur
Beschaffung desselben wurden am 27.
und 28. October 1868 zunächst 60.000
Actien ä 200 fl. zum Curse von 7O°/0,
dann am 17. April 1869 eine Serie
5°/0iger Prioritäts-Obligationen im Nenn-
werthe von 8,000.000 fl. [40.000 Stück
ä 200 fl.] zum Curse von 88°/0 durch die
österreichische Credit-Anstalt mit glän-
Abb. 57. Bahnhof Podwoloczyska im Jahre 1871. [Nach einer photographischen Aufnahme von
Jos. Eder in Lemberg.]
56
Ignaz Konta.
' > IT 9H
">J%^k;
Abb. 38. Erster Hluboceper Yiaduct.
[Nach einer photographischen Aufnahme aus der Gegenwart von
Jos. Gaube, Beamten der Buschtehrader Eisenbahn.]
zendem Erfolge zur öffentlichen Zeich-
nung aufgelegt.
Ungefähr in dieselbe Zeit fiel die
Organisirung der Geschäftsleitung; zum
Baudirector wurde der beim Baue der
Brennerbahn in hervorragender Weise
thätig gewesene Ingenieur Wilhelm Hell-
wag*) [Abb. 43], zum General-Secretär
*) Wilhelm H eil wag war als der zweite
Sohn eines grossherzoglich Oldenburgischen
Regierungsrathes am 18. September 1827 zu
Eutin geboren und erhielt im Vaterhause
unter Fürsorge hochgebildeter Eltern schon
in früher Jugend volle gei-
stige Anregung; im Jahre 1848
absolvirte er das damals elf-
classige Gymnasium in Eutin,
obwohl er durch den Verlust
des rechten Auges [infolge
einer Verletzung] fast drei
Jahre kränkelte.
Schon rüstete er zum Ab-
gange auf die Universität, als
am 24. März 1848 die Kunde
von der Erhebung Schleswig-
Holsteins die jugendlichen
Abiturienten von den Schul-
bänken zu den Fahnen rief;
mit dem Kieler Studenten-
corps zog Hellwag gegen die
Dänen, wurde mit der Mehr-
zahl der jungen Kämpfer nach
dem unglücklichen Gefechte
bei Bau gefangen genommen
und bis zum 6. September
auf dem Kriegsschiffe »Dron-
ning Maria« internirt. Noch
im selben Jahre bezog Helhvag
[später Betriebs-Director]
der frühere Vorstand des
commerziellen Dienstes der
Staatseisenbahn-Gesell-
schaft, Hermann Ritters-
hausen, und zum ober-
sten Chef der gesammten
Direction [General-Director]
der Director der Süd-nord-
deutschen Verbindungs-
bahn, kaiserlicher Rath Dr.
Gustav Gross, ernannt.
Aus dieser letzteren Be-
rufung ergab sich gleichsam
von selbst die Folgerung,
dass die alte »Pardubitzer«
mit der eben geschaffenen
neuen Bahn verschmolzen
werden solle. Es war dies
auch thatsächlich geplant
und in der vielfachen Inter-
essengemeinschaft der beiden Unterneh-
mungen begründet, konnte aber nicht
verwirklicht werden. Zuerst bis zum
Aufhören der Inanspruchnahme der Staats-
garantie seitens der Süd-norddeutschen
Verbindungsbahn, beziehungsweise bis
zum Abschlüsse eines die Refundirung
der Staatsvorschüsse betreffenden Ueber-
die Universität Kiel, um sich ganz dem Studium
von Mathematik und Naturwissenschaften zu
widmen; allein schon im März 1849 trieb ihn,
wie seine Collegen, der wieder ausgebrocherie
Krieg in die Reihen der Ingenieur-Truppen.
Abb. 39. Bahnhofs-Gebäude Priesen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
57
einkommens zwischen dieser Gesellschaft
und der Regierung wiederholt vertagt,
sodann, als in die Fusion noch andere
Bahnen einbezogen wurden, an dem
Widerstände der Actionäre der Süd-nord-
deutschen Verbindungsbahn [1874], her-
nach auch an jenem des Reichsrathes ge-
scheitert [1875], gab die Nordwestbahn
das Project einer Verschmelzung beider
Unternehmungen ganz auf und es ver-
blieb lediglich bei der schon anfangs
vollzogenen Vereinigung der beiderseiti-
gen Geschäftsleitungen.
Gleich schleppend, jedoch schliesslich
mit gutem Ausgange entwickelte sich die
Erwerbung des Stockerauer Flügels der
Nordbahn, dessen Ankauf die Nordwest-
bahn sich angelegen sein liess, um des
für diese beiden Unternehmungen, wie
auch für den garantirenden Staatsschatz,
Abb. 40. Egerbrücke bei Klösterle während ihrer Verstärkung im Jahre 1888. [Nach einer photographischen
Aufnahme von N. Eckert, Prag.]
Als gewöhnlicher Pionnier leistete er Feld-
dienst, machte die Schlacht bei Kolding und
die Belagerungsarbeiten vor der Festung
Fridericia mit, benützte aber den Waffen-
stillstand sofort, um die von höheren Officieren
geleitete Mineur- und Sappeur-Officiersschule,
um den Curs in Taktik und Geniewesen
durchzumachen. Zum Lieutenant in der
deutschen Ingenieur-Truppe ernannt, erhielt
Hellwag bei den grossartigen Arbeiten zur
Befestigung der Festung Rendsburg die Bau-
leitung eines grösseren Werkes, später die
Baufünrung einer grossen und befestigten
Schiffsbrücke über die Schley bei Missunde,
deren energische und fachlich umsichtige
Vollendung unter fortgesetzten Kämpfen mit
den Dänen dem dreiundzwanzigjährigen Offi-
cier die Anerkennung und Beglückwünschung
des commandirenden Generals mit den Worten
eintrug: »Von Ihnen hoffe ich eine Brücke
nach Alsen bauen zu lassen.e
Noch nahm Hellwag an Kämpfen, Stür-
men, Befestigungs- und Barackenbauten leb-
haften Antheil, bis im Frühlinge 185 1 die
Auflösung der deutschen Bundes-Armee auch
sein Schicksal entschied: Seine umfassende
und praktische Ausbildung als Militär-Inge-
nieur bestimmte ihn, statt neuerlich die Uni-
versität zu beziehen, sich mit allem Eifer
den Studien an der königlichen polytechni-
schen Schule in München zuzuwenden, wo
die ausgezeichneten Vorträge des Professors
Bauernteind und die von demselben gelei-
teten Uebungen für Hellwag die Anregung und
Quelle seiner späteren Bethätigung wurden.
Im August 1853 verliess Hellwag die
polytechnische Schule und fand sofort eine
Anstellung bei Oberbaurath Karl von Etzel
^8
Ignaz Konta.
unerspriesslichen Baues einer mit jenem
Flügel parallel laufenden Strecke über-
hoben zu sein. Das Geschäft war be-
reits im Jahre 1870 vereinbart, konnte
aber wegen der Bedingungen, welche
beim Baue der schweizerischen Centralbahn.
Welche Meinung dieser Riese unter den
Ingenieuren des technischen Jahrhunderts
über den jungen Hellwag hatte, geht aus
einer mehrere Seiten langen Aeusserung her-
vor, die Etzel im August 1864 an den gross-
herzoglich Oldenburgischen Regierungs-Prä-
sidenten abgab, der Hellwag zu einer hohen
Stellung im Oldenburger Baudienste berufen
wollte; leider ist es versagt, auch nur die
springenden Punkte dieses Urtheils anzu-
führen, das neben der eminenten geistigen
Begabung Hellwag's, dessen theoretische und
praktische Ausbildung, seine allgemeine
Geistesbildung sowie endlich seine Energie
unter festen, höchst ehrenhaften Grundsätzen
rühmt.
Hellwag folgte dem Rufe in eine hohe,
reich dotirte Stellung selbst in seinem
Heimatlande nicht, weil ihn, den stets Wissens-
und Thatendurstigen, die interessanteren Auf-
gaben beim Brenner festhielten ; aus gleichem
Grunde lehnte er eine ihm in ehrenvollster
Weise im Jahre 1865 angebotene Professur
am königlichen Polytechnicum in Stuttgart ab.
Dagegen folgte Hellwag nach Vollendung
der Brennerbahn freudig dem Rufe einiger
scharfblickender Finanziers, die ihn zum
Baudirector der neugegründeten Oesterrei-
chischen Nordwestbahn ausersehen hatten.
Und nun zeigte er in kurzer Frist sein gross
angelegtes Organisationstalent.
Fast gleichzeitig mit der Concessions-
Ertheilung wurden die zwölf Ingenieur-Ab-
theilungen für die ganze Linie geschaffen,
war der Centraldienst in strammer Organi-
sation errichtet; alte und junge Ingenieure,
grosse und kleine Unternehmer, Industrielle
aus aller Herren Länder drängten sich um
die Fahne Hellwag's und in Allen erweckte
sein sicherer, klarer, weitausschauender Blick,
sein wohlwollendes und zugleich energisches
Wesen, vor Allem aber seine gewinnende
Persönlichkeit, eine solche Begeisterung, dass
es ihm nur durch diese und seine Führung
gelingen konnte, trotz der gewaltigen Störun-
gen, die der deutsch-französische Krieg ver-
ursachte, den Bau der Nordwestbahn kraft-
voll zu fördern.
Auf den Kreis der Ingenieure wirkte
Hellwag bildend und schulemachend. Das
unter seiner Anregung und Leitung entstan-
dene Normalienwerk der Oesterreichischen
Nordwestbahn gab durch lange Zeit die besten
Vorlagen für alle Ausführungen im Eisen-
bahn-Unter- und -Brückenbaue, für den Ober-
bau und die mechanischen Einrichtungen so-
wie für den Eisenbahn-Hochbau. Für die Ein-
richtung des durch besondere Umstände
ausnehmend erschwerten Grundeinlösungs-
der Nordbahn von Seite der Regie-
rung hinsichtlich des Kaufschillings von
1,000.000 fl. gestellt wurden, erst im
Jahre 187 1 endgiltig abgeschlossen wer-
den. Die auf dem Gesetze vom 21. Juni
dienstes schuf Hellwag, immer unter dem
Drängen zum raschen Baue, die schleunigste
Abwickelung im Auge behaltend, Anord-
nungen und Typen, die von anderen Bahnen
als mustergiltig angenommen wurden; und
endlich gestaltete er das Rechnungs- und
I Controlwesen für den Baudienst so, dass er
I trotz der angespannten Bauthätigkeit und
J des complicirten Lieferungs-Apparates stets
I Klarheit über die Budgetirung behalten
i konnte.
In mächtig ausgreifenden Schritten er-
stieg Hellwag den Zenith seines Ruhmes und
nicht blos im Kreise seiner Fachgenossen
galt er als einer der hervorragendsten Inge-
nieure Mittel-Europas, sondern in vielen m-
! dustriellen und Finanz - Unternehmungen
wurde Hellwag's Stimme, seine nüchterne und
stets scharf zutreffende Meinung, seine
strengen Grundsätze geschätzt.
Es war demnach natürlich, dass man auf
Hellwag's Berufung verfiel, da man für das
ins Stocken gerathene Gotthardbahn-Unter-
nehmen einen Mann suchte, der nicht blos
als Techniker, sondern auch als Unterhändler,
Finanzmann und Administrator energisch die
Rettung bringen sollte.
Hellwag war sich der ganzen Bedeutung
dieses Rufes, wie der Schwierigkeit der ihm
gestellten Aufgabe bewusst ; und nur die
Ueberzeugung, dass eine Ablehnung ihm als
Mangel an Selbstvertrauen, ja, wie er sich
selbst ausdrückte, als Abdication von seinem
Ansehen gedeutet werden musste, zwang
ihn, anzunehmen, wiewohl ihm und seiner
Familie Oesterreich ganz und bis ins innerste
Herz hinein zur zweiten Heimat geworden
war. Hellwag schied im Frühling 1875 von
Wien, mit ihm ein Stab von ihm ausgewähl-
ter Ingenieure und Hilfsbeamten, die in
seiner Schule herangewachsen waren.
Auch in der Schweiz stellte Hellwag
wieder und vor Allem eine grundlegende
und vollständige Organisation des gesammten
Tracirungs- und Baudienstes in unglaublich
kurzer Zeit her; sodann ging er daran, die
Schäden des krankenden Unternehmens an
der Wurzel zu suchen und zu fassen. Sein
»Bericht über die Ausmittlung der Bahnachse
und des Längenprofils der Gotthardbahn etc.«
vom Jahre 1876 ist als Muster klarer und
umfassender technischer Darstellung und
gründlicher Veranschlagung in Fachkreisen
bekannt. Tracirung und Bau gingen nun
ebenso stetig vorwärts, wie die äussere Re-
construction des Unternehmens — bis zu dem
Zeitpunkte, da kleine Differenzen Hellwag's
mit den massgebenden Schweizer Persönlich-
keiten zu hellem Kampfe aufloderten und
endlich zum Bruche und Processe führten, in
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
59
1871 beruhende staatliche
Genehmigung des Vertra-
ges erfolgte am 2 1 . August
1871, die Uebernahme der
bezüglichen Strecke [Jedle-
see-Stockerau, ic/8 km] in
das Eigenthum der Xord-
westbahn aber schon am
1. Juli 1871, wiewohl der
Betrieb noch drei Monate
von der Nordbahn besorgt
wurde.
Um diese Zeit war der
mit seltener Rührigkeit ge-
führte Bau, wie aus den
weiter unten verzeichneten
Eröffnungsdaten näher er-
sichtlich ist, schon weit vor-
geschritten, nachdem die in
der Concessions - Urkunde
nicht ausdrücklich genann-
ten Aus- und Einmündungs-
punkte einiger Seitenlinien
so rechtzeitig bestimmt
worden waren, dass dar-
aus keinerlei Verzögerung
erstand. Mit dem Erlasse
des Handelsministeriums
vom 18. März 1869 wurde
angeordnet, dass die Linie
nach Trautenau von der
Station Gross-Wossek [der
Strecke Kolin-Jungbunzlau]
über Chlumetz, Neubid-
schow, Paka, Arnau und
Trautenau nach Parschnitz
zum Anschlüsse an den
Königshainer Flügel der
Süd-norddeutschen Verbin-
Abb. 41. Ueberfahrtsbrücke der Buschtehrader Eisenbahn.
[Strecke Luzna-Lischau-Rakonitz.] [Nach einer photographischen Auf-
nahme aus der Gegenwart von Jos. Gaube, Beamten der Buschtehrader
Eisenbahn.]
Abb. 42. Grenzbrücke der Buschtehrader Eisenbahn. [Weipert-Annaberg.]
[Nach einer photographischen Aufnahme aus der Gegenwart von Jos . Gaube,
Beamten der Buschtehrader Eisenbahn.]
dem Hellwag schliesslich obsiegte. Hellwag
war, im Vollbewusstsein seines reinen Charak-
ters, seines geraden und festen Zuschreitens auf
das Ziel, seiner grossen Fähigkeiten und
seiner die Gefolgschaft immer hinreissenden
Persönlichkeit von Oesterreich her gewohnt
gewesen, zu führen! Nicht um persönlicher
Eitelkeit willen, sondern im Geiste der ihm
gestellten Aufgabe, vermochte er nicht, mit
Misstrauen unu Nörgeleien zu kämpfen.
Im Herbste 1880 kehrte er mit dem Ge-
fühle bitterer Enttäuschungen nach Wien
zurück, wo es ihm an freundlichem Empfange
und zahlreichen Versprechungen nicht fehlte ;
da diese unerfüllt blieben, wendete sich
Hellwag verschiedenen Bauunternehmungen
zu, die jedoch, mit geringem persönlichen
Erwerbssinne aufgenommen, ihm ebenso viele ■
Sorgen, als Nachtheile brachten.
Im Herbste 1881 erkrankte Hellwag und
am 5. Januar 1882 hauchte er seine edle
Seele aus. Der ihm von treuen Freunden,
Collegen und Jüngern gesetzte Grabstein
[auf dem Matzleinsdorfer evangelischen Fried-
hofe] trägt die schlichte Legende:
»Rastlos schaffend — reich begabt —
grosser Gedanken voll — hat Wilhelm
Hellwag 1862— 1868 als Bau-Inspector der
Südbahn thätigen Antheil am Baue der
Brennerbahn gehabt; 1868— 1875 als
Bau-Director die Oesterre i c h i s ch e
Nordwestbahn und die Elbethalbahn
erbaut; 1875 — 1881 als Ober-Ingenieur den
Bau der Gotthardbahn geleitet.«
6o
Ignaz Konta
dungsbahn geführt werde, und dass
an Stelle des Umweges, welchen die
Trace nach dem ursprünglichen Projecte
gemacht hätte, die drei Ausästungen :
Trautenau - Freiheit, Pelsdorf - Hohenelbe
und von einem Punkte [laut Erlass
vom 17. Juli 1869: Wostromer] nach
Jiöin herzustellen seien ; ferner wurde mit
dem Erlasse des Handelsministeriums
bestimmt, dass die Flügelbahn von
diese Verbindung kam jedoch nicht zur
Ausführung.
Die Errichtung der mit einem Actien-
capitale von 36,000.000 fl. [180.000
Actien ä 200 fl.] ausgestatteten Gesell-
schaft: »K. k. priv. Oesterreichische
Xordwestbahn« ging am 26. Juli 1870
vor sich ; an diesem Tage gaben auch
die Concessionäre die oberste Leitung
der Unternehmung an den Verwaltungs-
Abb. 43. Wilhelm Hellwag.
Znaim zur Franz Josef-Bahn, weil sie
in der Strecke Znaim-Zellerndorf mit der
Trace der Hauptbahn zusammenfallen
würde, in Zellerndorf abzweigen und in
Sigmundsherberg - Hörn an die Franz
Josef- Bahn anschliessen solle. Mit dem
Ministerial-Erlasse vom 21. September
1870 endlich wurde die directe Ver-
bindung der Nordwestbahn mit der
Wiener Verbindungsbahn, an deren An-
kauf durch die in Wien einmündenden
Bahnen die erstere sich ebenfalls bethei-
ligt hatte [25. Januar 1870], genehmigt;
rath ab und befassten sich nun mit der
Elbethalbahn, für welche sie soeben
die Concession erhalten hatten. Hierüber,
wie auch über die Angliederung dieser
neuen Linien an die Nordwestbahn soll
jedoch erst später berichtet werden, um
dem chronologischen Gange der damit
im Zusammenhange stehenden ander-
weitigen Begebenheiten nicht gar zu weit
vorauseilen zu müssen. Darum mag die
Aufzählung; der Eröffnungsdaten des ur-
sprünglich concessionirten Netzes der
Nordwestbahn den Abschluss des ersten
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
61
Abb. 44. Nordwestbahnhof in Wien.
Abschnittes der Mittheilungen über dieselbe
bilden. Es wurden dem Betriebe übergeben :
Kolin-Goltsch-Jenikau, 31-3 fem, 6. December
1869.
Kolin-Jungbunzlau, 543 Ä'«i, 29. October 1870.
Deutschbrod-Goltsch-jenikau, 42-9 km, 21. De-
cember 1870.
Gross -Wossek-WostromcT, 48-8 km, 21. De-
cember 1870.
Parschnitz-Pelsdorf, 31-6 km, 21. December
1870.
Deutschbrod-Iglau, 256 km, 25. Januar 1871.
Iglau-Znaim, 98 5 km, 23. April 1871.
Deutschbrod-Pardubitz, 923 km, I. Juni 1871.
Wostromer-Pelsdorf, 480 km, I. Juni 1871.
Pelsdorf-Hohenelbe, 4-4 fem, I, October 1871.
Stockerau-Znaim, 73-8 fem, I. November 187 1.
Trauten au-Freiheit, 9-8 fem, 17- December 1871.
Wostromef-Jicin, 17 4 fem, 17. December 1871.
Wien-Jedlesee, 6 4 fem, für den Güterverkehr
1. Juni 1872; für den Gesammtverkehr
I. Juli 1872.
Jedlesee-Stockerau [als Nordwestbahn-Str ],
19-9 km, 1. Juli 1872.
Zellerndorf-Sigmundsherberg-Horn, 197 fem,
1. Juli 1872.
Die eingeleisige Trace der Oesterreichi-
schen Nordwestbahn nimmt ihren Aus-
fangspunkt von dem im II. Bezirke, nach dem
ntwurfe des Professors W. Bäumer erbauten
Wiener Bahnhofe und übersetzt den Donau-
strom und dessen Inundationsgebiet auf den
nach Entwürfen von Hellwag & Gerlich herge-
stellten Eisenbrücken [Strombrücke 4 Oeffnun-
gen ä 80 m, Inundationsbrücke 14 Oeffnungen
ä30 m lang] und gelangt nach Jedlesee, wo die
durch Kauf erworbene alte »StockerauerBahn«
anschliesst. Von Stockerau gelangt die Bahn
über Hollabrunn bis Zellerndorf, wo westlich
der Flügel nach Sigmundsherberg-Horn zum
Anschlüsse an die Franz Josef-Bahn abzweigt.
Ueber Retz und vor Senattau, die mährische
Grenze überschreitend, gelangt die Bahn durch
einen tiefen Einschnitt und über den gross-
artigen Viaduct über die Thaya [45 m hoch über
der Thalsohle mit einer Länge von 220 m] un-
mittelbar nach Znaim, wo der Staatsbahn-
flügel von Grussbach anknüpft. Von Znaim
weiter entwickelt sich die Trace in einer
fast constanten Steigung von 1 : 100 bis zu
der durch Ausläufer des mährischen Höhen-
plateaus gebildeten Wasserscheide bei Schön-
wald und erreicht, mit wechselnden Steigungs-
verhältnissen über Mährisch - Budwitz und
Jarmeritz ziehend , nahe bei Trebitsch
ihren höchsten Punkt [527*5 Meereshöhe].
Hinter Oki-iäko gelangt die Bahn ins Iglavva-
62
Ignaz Konta.
Thal, übersetzt nahe vor Iglau die Iglava und
tritt hinter der genannten Station auf böhmi-
sches Gebiet. In einer Meereshöhe von
5037 in erreicht sie ebenda die bedeutende
Wasserscheide zwischen der Donau und der
Elbe und zieht dann zumeist im sanften Ge-
fälle ins Schlapanka- und Sazawa-Thal bis
Deutsch-Brod, wo der Flügel nach Rossitz
[bei Pardubitz] abzweigt, durch den der An-
schluss an die Süd-norddeutsche Verbindungs-
bahn bewerkstelligt wird.
Von Deutsch-Brod längs der Sazawa,
diesen Fluss bei Chlistov übersetzend und
das Thal bei SvStla verlassend, führt die
Haupttrace [von Svetla aus wieder in leichten
Steigungen] bis zur Wasserscheide bei Lesch-
tina [461 in Meereshöhe] und von da im Ge-
fälle von 1 : 100 bis Caslau, dann in sanfte-
rem Gefälle über Kuttenberg bis zu dem mit
der Staatseisenbahn gemeinschaftlichen Bahn-
hofe Kolin, nachdem sie vor dieser Station
die Staatsbahnlinie gekreuzt hat. Jenseits
Kolin wird die Elbe auf einer eisernen Brücke
[132 in] übersetzt und durch die sandige
Ebene der Elbeniederungen geht es weiter
bis Gross-Wossek [wo der eigene Flügel
nach Altpaka und Parschnitz abzweigt und
die damals im Bau begriffene »Elbe.thalbahn«
ihren Anfangspunkt nimmt]. Vor Jungbunzlau
tritt die Haupttrace in das Iserthal, übersetzt
den Iserfluss mittels einer 101 m langen eiser-
nen Brücke und findet bei der Einmündung
in die Turnau-Kralup-Prager Eisenbahn bei
Jungbunzlau ihren Abschluss.
Die Flügelbahn von Zel lern dorf nach
Hörn führt in durchschnittlicher Steigung
von 1 : 100 über Pulkau nach Sigmunds-
herberg-Horn zu dem mit der Franz Josef-
Bahn gemeinschaftlichen Bahnhofe.
Der Flügel Deutsch - Brod-Rossitz
übersetzt nächst Deutsch-Brod die Sazawa,
feht in Steigungen über Hlinsko bis zur
ortigen Wasserscheide [5902 in], von wo
aus die Bahn in starkem Gefälle [1 : 100] über
Skuc nach Chrast und von da ab in massi-
gerem Gefälle bis gegen Pardubitz hinabsteigt.
Statt die Einmündung in die Süd-norddeutsche
Verbindungsbahn bei Pardubitz zu bewerk-
stelligen, wurde aus betriebstechnischen Rück-
sichten der Flügel nach Rossitz geführt und
neben der Holzbrücke der Süd-norddeutschen
Verbindungsbahn die 140 m lange eiserne
Brücke der Nordwestbahn über die Elbe
angelegt. Erst von Rossitz aus war der An-
schluss mit der Süd-norddeutschen Verbin-
dungsbahn und durch diese in Pardubitz jener
mit der Staatseisenbahn hergestellt.
Der Flügel Gross-Wossek-Parsch-
nitz, der die Hauptlinie der Nordwestbahn
mit der Süd-norddeutschen Verbindungsbahn
einmal bei Altpaka zum zweitenmale in der
Station Parschnitz [zwischen Schwadowitz
und Königshain] verbindet, zieht längs des
Cidlinaflusses bis Wostromef, wo der kurze
Flügel nach Jicin abzweigt. Von Wostromef
geht die Trace in nördlicher Richtung gegen
Neupaka, wo die Gebirgseinsattlung in einer
Höhe von 439 in Seehöhe durch einen 420 in
langen Tunnel durchbrochen wird. Üeber
Altpaka kommt sie zu ihrem nördlichsten
Punkte Starkenbach, wendet sich östlich, ins
Elbethal eintretend, nach Pelsdorf und Arnau,
die Elbe dreimal übersetzend bis Neustadtl,
dort in ein kleines Seitenthal eintretend,
lieber Pilnikau und Trautenau gelangt sie
dann nach Parschnitz.
Der Flügel Pels dorf -Hohe n elb e
bringt den industriereichen Ort Hohenelbe
und der Flügel Trautenau-Freiheit den
bekannten Badeort [Johannesbad] mit dem
übrigen Bahnnetz in Verbindung.
Die Erdarbeiten waren meist schwierig
und vermöge der Terrainhindernisse sehr be-
deutend. So waren beispielsweise beim Wiener
Bahnhofe bedeutende Anschüttungen [32 in
auf 470.000 ?hs] und grosse Dammanschüt-
tungen beim Thava-Viaducte nothwendig.
Vor und hinter Znaim, zwischen Okfisko
und Iglau, bei Deutschbrod und Svetla
und auf der Wostromef-Parschnitzer Gebirgs-
strecke und bei Skue mussten bedeutende
Sprengungen und Erdarbeiten durchgeführt
werden.
Die Kunstbauten wurden [mit Ausnahme
des bestandenen an die grosse Donaubrücke
anschliessenden hölzernen Provisoriums] aus
Stein oder aus Stein und Eisen erbaut und
die grossen Objecte mit Ausnahme des
Thaya-Viaductes bei Znaim im Mauerwerk für
Doppelgeleise ausgeführt [vrgl. Abb. 44—48].
Die staatlichen Einrichtungen für
das Eisenbahnwesen erwiesen sich schon
in mancher Beziehung als mit sei-
nem fortschreitenden Wachsthum und
seiner sich rasch mehrenden Einwirkung
auf die Verhältnisse des bürgerlichen und
geschäftlichen Lebens nicht mehr im
Einklänge stehend. Regierung und Ge-
setzgebung suchten darum das Fehlende
oder Unzureichende zu schaffen, bezie-
hungsweise zu ergänzen.
Die bereits im März 1856 organisirte
technisch-administrative Aufsichtsbehörde,
die k. k. General-Inspection der
österreichischen Eisenbahnen,
wurde einer durchgreifenden Reorgani-
sation unterzogen und ihr Beamtenstand
durch neue Kräfte, die dem Personale
der Eisenbahnen entnommen wurden,
wesentlich vermehrt.*)
Anlässlich einiger in jener Zeit vorge-
kommener Eisenbahn-Unfälle, namentlich
aber infolge jenes auf der Böhmischen
Westbahn bei Hofowitz [10. November
*) Näheres vgl. Bd. I, 2. Theil, Dr. Alfr.
Freiherr von Buschman, Verwaltungs-
Geschichte der österreichischen Eisenbahnen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
63
1868], sah sich die Regierung bemüssigt,
ein eigenes Haftpflicht-Gesetz für
Eisenbahnen [Gesetz vom 5. März 1869]
zu schaffen. *)
Dem vielseitigen Verlangen nach Er-
mässigung der Tarife suchte die Regierung
im legislativen Wege [Regierungsvorlage
vom 6. Mai 1868] und später durch Ein-
berufung einer eigenen Enquete zu ent-
sprechen. Das Ergebnis dieser Verhand-
grösserte, desto fühlbarer wurde der
Mangel eines Behelfes zur Erlangung
der Kenntnis jenes neuen wirthschaft-
lichen Factors. Diese in der Fachliteratur
bestandene Lücke auszufüllen, versuchte
eine zu Beginn des Jahres 1868 unter
dem Titel »Oesterreichisches
Eisenbahn -Jahrbuch« erschienene
Publication, welche eine systematisch ge-
gliederte Sammlung der wissenswerthesten
Abb. 45. Bau der Nordwestbahnbrücke über die Donau bei Wien.
lungen lieferte ein werthvolles Materiale,
aus dem im Jahre 1870 der Reform-
Tarif hervorging, der zuerst auf den
Linien der Staatseisenbahn-Gesellschaft
zur Anwendung kam.**)
Aber auch die österreichische Fach-
literatur des Eisenbahnwesens war bereits
zu weiterer Ausdehnung und höherer
Bedeutung gelangt.
Je mehr das Eisenbahnnetz der
Monarchie an Ausbreitung gewann und
der Kreis seiner Interessenten sich ver-
*) Näheres vgl. Bd. I, 2. Theil, Dr. Victor
Roll, Entwicklung der österreichischen
Eisenbahn - Gesetzgebung.
**) Näheres vgl. Bd. III, Alb. Pauer,
Frachten-Tarife.
geschichtlichen, finanziellen und tech-
nischen Daten über die heimischen Eisen-
bahnen enthielt. Der Versuch glückte;
das Werk konnte — Dank der Förderung
von Seite zuerst aller, sodann nur der
österreichischen und gemeinsamen Bahnen,
wie auch der Centralbehörden — sich
immer besser ausgestalten und als
> Eisenbahn-Jahrbuch der österreichisch-
ungarischen Monarchie«, über ein Viertel-
jahrhundert hinaus fortgesetzt werden.
Seine alljährlichen Zusammenfassungen
der jeweiligen allgemeinen Vorkommnisse
auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens
der Monarchie und die Monographieen der
einzelnen Unternehmungen, seine Ge-
schichtstafeln und statistischen Nach-
64
Ignaz Konta.
Weisungen, die theils vollständigen, theils
auszugsweisen Wiedergaben der Con-
cessions- und sonstigen wichtigen Ur-
kunden, Generalversammlungs-Beschlüsse
etc., gestalteten es zu einer verlässlichen
Grundlage für eine künftige Eisenbahn-
Geschichtsschreibung.
Als naturgemässe Ergänzung dieser
Publication sollte auch eine Sammlung
der Constitutiv-Urkunden aller damals
bestandenen österreichischen und unga-
rischen Eisenbahnen erscheinen. Die
Yerlagshandlung gerieht aber, nachdem
sie das vollständige Manuscript bereits
übernommen hatte, in Concurs. Während
der hiedurch eingetretenen Verzögerung
waren jedoch die ersten Hefte der
vortrefflichen, zwar nicht auf die unga-
rischen Bahnen ausgedehnten, jedoch
in überaus gediegener und auch amtli-
cher Weise bearbeiteten >Sammlung
der das österreichische Eisen-
bahnwesen betreffenden Ge-
setze, Verordnungen, Staatsver-
träge und Constitutiv-Urkunden«
von Josef Polanetz, k. k. Ministerial-
Secretär, und Dr. Heinrich Edlem von
Wittek, k. k. Ministerial - Concipisten,
erschienen [1870], ein dem Fachmanne
unentbehrliches Werk, das rasch allge-
meine Würdigung und Verbreitung fand
und gegenwärtig von dem k. k. Sections-
rathe Dr. Schuster Edler von B p n n o t
in Gemeinschaft mit dem k. k. Ministerial-
Secretär Dr. Weber in einer neuen Be-
arbeitung ausgegeben wird.
An Stelle des im Ministerium für
Handel und Volkswirthschaft redigir-
ten >Xotizenblatt für Eisenbahn- und
Dampfschiffahrt - Unternehmungen « , das
bis zum Jahre 187 1 als Beilage des
Verordnungsblattes für den Dienstbereich
des österreichischen Finanzministeriums
erschien, trat vom Jahre 1 862 eine eigene
officielle Zeitschrift, das trefflich redigirte
Centralblatt für Eisenbahnen
und Dampfschiffahrt in Oester-
reich.
Die Statistik der österreichischen
Eisenbahnen war bis zum Jahre 1 863 auf
die dankenswerthen, immerhin aber spär-
lichen Daten der von der k. k. statisti-
schen Central - Commission alljährlich
veröffentlichten Zusammenstellungen und
Mittheilungen aus dem Gebiete der Sta-
tistik angewiesen. Auf Anregung des
Handelsministeriums stellte die k. k.
statistische Central-Commission in ihrer
Sitzung vom 5. Juni 1863 die von einem
Special-Comite, welchem auch Vertreter
der grösseren Eisenbahn-Gesellschaften
zugezogen wurden, berathenen Formu-
larien für eine umfassende Statistik der
österreichischen Eisenbahnen fest. In-
folgedessen wurde durch das genannte
Ministerium auch die Vorlage der nach
diesen Formularien verfassten Nachwei-
sungen der Eisenbahn-Gesellschaften für
das Jahr 1864 verfügt
Erst zwei Jahre später lagen die
letzten dieser, vielfach noch mangelhaft
ausgefertigten Nach Weisungen vor, auf
deren Grundlage im Jahre 1868 die erste
grössere statistische Zusammenstellung
dieser Art [»Die österreichischen Eisen-
bahnen und ihr Betrieb im Jahre 1864«]
erschien.
In Ausführung der Bestimmungen
des § 14 des provisorischen Ueberein-
kommens zwischen den Regierungen
beider Staatshälften [vom 29. Juli und
21. August 1868] in Bezug auf die
Behandlung der Eisenbahn-Angelegen-
heiten in beiden Staatsgebieten wurde
die amtliche Statistik der österreichischen
und ungarischen Eisenbahnen eingerichtet,
deren Ergebnis im Jahre 1870 zum ersten
Male erschien.
Die Uebereinkommen, welche die
Regierung auf Grund der Gesetze vom
20., beziehungsweise 23. Mai 1869 hin-
sichtlich der »Refundirung der Staats-
vorschüsse« mit der Kaiserin Elisabeth-
Bahn und der Böhmischen Westbahn
abgeschlossen hatte, verwischten die
letzten Spuren der ehemaligen Garantie-
Streitigkeiten mit diesen Unternehmun-
gen.
Für die räumliche Weiterentwicklung
des österreichischen Eisenbahnnetzes ge-
dachte die Regierung durch eine die
Vervollständigung desselben betreffende,
am 13. März 1869 im Abgeordnetenhause
eingebrachte Vorlage in ergiebigem Masse
vorzusorgen. Dieser Gesetzentwurf war
von einer Denkschrift begleitet, welche,
ohne ein eigentliches Programm zu ent-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
halten, doch alle die Linien aufzählte,
deren Ausführung bereits als nothwendig
oder wünschenswerth galten, und auch
die Grundsätze entwickelte, die bei der
Sicherstellung der neuen Schienenwege
eingehalten werden sollten. Die Mehrzahl
Unternehmungen [auch der Bau auf Staats-
kosten blieb nicht ausgeschlossen] con-
cessionirt werden sollten, je nach ihrer
Wichtigkeit und Dringlichkeit in Aussicht
genommen : Die bisher üblich gewesenen
Zugeständnisse, nämlich Staatsgarantie
Abb. 46 Thaya-Viaduct bei Znaim [im Bau].
derselben hatte die Bestimmung, volks-
wirthschaftlichen oder [wie insbesondere
die ungarisch-galizischen] gesammtstaat-
lichen Interessen zu dienen, oder Ver-
bindungen mit dem Auslande oder den
Provinzen unter sich herzustellen. Als
staatliche Begünstigungen waren für die
einzelnen Bahnen, sofeme sie als Privat-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Tbeil.
oder Betheiligung des Staates an der
Capitalsbeschaffung nebst neunjähriger
Steuerfreiheit [in diesen beiden Fällen],
oder blos eine dreissigjährige
Steuerfreiheit.
Gerade diese letztere Neuerung,
welcher die Bedeutung einer dem Staats-
schatze Schonung bringenden Aenderung
5
66
Ignaz Konta.
des Systems bei Concessionirung von
Eisenbahnen innewohnte, begegnete aber,
weil die Regierung die Ermächtigung zur
Anwendung der neuen Begünstigungsart
ein für allemal verlangte, so heftigem
Widerstände, dass die Vorlage am
29. April 1869, »mit Rücksicht auf die
Kürze der Zeit, in welcher der Schluss
der gegenwärtigen Session bevorsteht«,
zurückgezogen wurde, und das Ministerium
sich begnügte, die Sicherstellung einiger
besonders wichtigen Linien mittels Special-
gesetzen zu bewirken.
Damit jedoch die Gesetzgebung nicht
der Vorwurf treffe, dass sie jenes gross-
angelegte Gesetz ablehnend behandelte,
und dadurch nicht nur das Zustande-
kommen so mancher Eisenbahnen ver-
hinderte, sondern auch den Versuch »ein
neues S3*stem der Concessionirung auf-
zufinden«, vereitelte, — brachte der Ab-
geordnete Steffens am 1. Mai 1869 ein
Gesetz auf Steuerbefreiung für
neue Eisenbahnlinien in Vor-
schlag, das aber nur bis zum Zu-
sammentritte des nächsten Reichsrathes
Geltung haben und Gelegenheit bieten
sollte, das neue System zu erproben.
Dieses Gesetz wurde am 10. Mai
1869 vom Abgeordnetenhause, sodann
binnen wenigen Tagen auch vom Herren-
hause angenommen, und erhielt am
20. Mai 1869 die a. h. Sanction.
Zu denjenigen Linien, welche im Jahre
1869 auf Grund von Specialgesetzen ins
Leben gerufen wurden, zählen, ausser den
schon vorher besprochenen Ergänzungen
[Laibach-Tarvis] der Kronprinz Rudolf-
und [Absdorf-Krems] der Kaiser Franz
Josef-Bahn, vor Allem die Fortsetzungen
der Südbahn von V i 1 1 a c h nach Fran-
zensfeste [Pusterthal-Bahn] und von
St. Peter nach Fiume, deren erste die
Aufhebung der Abgeschiedenheit der
Tiroler Bahn von dem übrigen Netze der
Gesellschaft sowie die ebensowohl aus
commerziellen als aus militärischen Rück-
sichten wichtige, südliche Verbindung mit
Tirol, die zweite hingegen die Eröffnung
eines zweiten grossen Hafens für den
österreichischen Handel bezweckte.
Die Wichtigkeit dieser Linien veran-
lasste die Regierung gleich nach den
Ereignissen des Jahres 1 866, die Südbahn,
die, in Gemässheit der Concessions-
Urkunde vom 23. September 1858, zum
Bau derselben verpflichtet war,*) wenn
die Staatsverwaltung ein Dritttheil der
Herstellungskosten des Unter- und Ober-
baues [mit Inbegriff der Grundeinlösung]
auf sich nähme, zur Erfüllung ihrer Ob-
liegenheit aufzufordern und, über Ein-
schreiten der Gesellschaft, die Geneigtheit
zur Gewährung günstigerer Bedingungen
zu bekunden. Eine Verständigung kam
jedoch weder damals, noch beim Ab-
schlüsse des Vertrages vom 13. April
1867 zustande. Etwas später gelang es
zwar die Hauptpunkte einer Vereinbarung
festzustellen, die darauf hinausgingen,
dass die Regierung eine Subvention in
der ungefähren Höhe des Dritttheiles der
Baukosten und, behufs Erleichterung der
Geldbeschaffung, die Aufnahme eines
Specialanlehens bewilligte, »auf dessen
Obligationen die Staatsgarantie erwähnt
werden würde«. Thatsächlichen Erfolg
aber hatte auch dies nicht ; das Ministerium
holte vielmehr mittels einer eigenen
Regierungsvorlage [13. März 1869] beim
Reichsrathe die Ermächtigung ein, die
Südbahn von der Verpflichtung zum Baue
jener beiden Linien zu entheben, und die
Ausführung derselben unter Zugestehung
der Garantie eines 5°/(,igen Reinerträg-
nisses von dem wirklich aufgewendeten
Anlage-Capitale [bis zur Höhe von
1,450.000 fl. pro Meile der Fiumaner,
beziehungsweise 1,250.000 fl. pro Meile
der Pusterthal-Bahn] sicherzustellen, be-
ziehungsweise in dem Falle, als die
Staatsverwaltung von dieser Ermächtigung
keinen Gebrauch machen, sondern die
Südbahn zur Erfüllung ihrer Verpflichtung
verhalten wollte, den concessionsmässigen
Staatsbeitrag mit einer Summe von
höchstens 13,000.000 fl, zu pauschaliren
oder auch ein 5%iges Reinerträgnis des
wirklich aufgewendeten Anlage-Capitals
zuzusichern. Erst dieses von den beiden
Häusern des Reichsrathes glatt erledigte
*) In der Concessions - Urkunde vom
23. September 1858 ist zur Verbindung der
Kärntner mit der Tiroler Bahn die Linie
Villach-Brixen vorgesehen; in dem Ueber-
einkommen vom 27. Juli 1869 ist die Führung
derselben nach Franzensfeste [statt nach
Brixen] festgestellt worden.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
67
Abb. 47. Zu, um.
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Abb. 48. Trautenau.
68
Ignaz Konta.
und am 20. Mai 1869 a. h. sanctionirte
Gesetz führte zu der gewünschten Ueber-
einkunft [27. Juli 1869], vermöge deren
die Südbahn den Bau der beiden, einen
integrirenden Bestandtheil des österreichi-
schen Netzes der Gesellschaft bildenden
Bahnen gegen einen mit 13,000.000 fl.
pauschalirten, in sieben Halbjahrsraten ab
2. Januar 1870 zahlbaren Staatsbeitrag
übernahm und ermächtigt wurde, das
nöthige Capital durch ein Special- Anlehen
zu beschaffen, auf dessen Obligationen
die Staatsgarantie in entsprechender Weise
ersichtlich gemacht ist.
Da die Baufrist knapp [bis 1. Juli,
beziehungsweise 1. September 1872]
bemessen und das Bauproject längst
vorbereitet war, folgte dem Abschlüsse
des eben erwähnten Uebereinkommens
mit der Regierung sogleich die Ver-
gebung des Baues. Denjenigen der
Linie St. Peter-Fiume erstand die Unter-
nehmung Gobbert, Roman & Comp.,
jenen der Strecke Villach- Lienz die
Unternehmung Gouin & Comp., und zwar
beide im Pauschalaccorde ; in gleicher
Weise wurde am 9. October 1869 auch
die Strecke Lienz-Franzensfeste an die
Unternehmung Hügel, Sager und Anger-
mann vergeben.
Ein Theilbetrag des Specialanlehens,
nämlich 40.000 Stück 5%iger Obliga-
tionen ä 200 fl. gelangte zum Curse von
9O°/0 schon am 2 1 . Juni 1 869 im Wege
der öffentlichen Subscription zur Aus-
gabe, wobei im Ganzen 5,669.919 Obli-
gationen gezeichnet wurden.
Die 2og"2 km lange Linie Villach-Fran-
zensfeste wurde binnen 26 Monaten voll-
endet und am 30. November 1 87 1 eröffnet.
Die technische Leitung der Puster-
thal-Bahn, deren Bauausführung abermals
einen bedeutenden Fortschritt der öster-
reichischen Eisenbahn - Technik nach-
wies, lag in Händen des Directors Karl
Prenninger; die Ausführung der Hoch-
bauten leitete der bewährte Architekt der
Südbahn, Director Wilhelm Flattich.
Der Bau der 54-4 km langen, gleich-
falls sehr schwierigen Linie St. Peter-
Fiume erlitt dagegen infolge Insolvenz
der unfähigen, den schwierigen Bauaus-
führungs-Verhältnissen nicht gewachsenen
französischen Bauunternehmung eine Ver-
zögerung, welche die Südbahn durch
die alsbald bewerkstelligte Weiterfüh-
rung der Arbeiten in eigener Regie mög-
lichst wettzumachen suchte ; die Ver-
langsamung der Fiumaner Hafenbauten,
und grosse Dammrutschungen in der
Bittinje - Schlucht verursachten jedoch
neue Hemmnisse, so dass die Bahn erst
am 25. Juni 1873 dem Betriebe über-
geben werden konnte.
Zu Ende jenes Jahres betrugen
die Anlagekosten der ersteren Linie
27,324.216 fl. und jene der letzteren Linie
11,850.640 fl., erhöhten sich aber weiter-
hin noch um 1 bis ilj2 Millionen Gulden.
Die Pusterthal - Bahn Vill ach-Fran-
zensfeste durchzieht ein an Naturschön-
heiten reiches Gebiet. Sie trägt in der
Strecke Villach-Lienz den Charakter einer
Thalbahn, von Lienz bis Franzensfeste hin-
gegen ganz ausgesprochen den einer Gebirgs-
bahn.
Das Xeigungsverhältnis der Villach-
Lienzer Strecke übersteigt nicht I : 200,
während auf derLienz-Franzensfester Strecke
Steigungen bis I : 40 vorkommen.
Von Villach bis Lienz läuft die Bahn
in dem von mächtigen Bergen umschlossenen
Thale beinahe durchaus am linken Ufer der
Drau. Hier waren sehr bedeutende Ufer-
schutzbauten nothwendig. An grösseren
Objecten kommen in dieser Theilstrecke
sieben Gitterbrücken vor, worunter die über
den Lienzfluss bei Spital und über die Drau
bei Oberdrauburg die bedeutendsten sind.
Von Lienz aufwärts läuft die Linie an-
fänglich noch im Thale, bis sie vor Lienz die
Lehne erreicht und mit einer Steigung von
1 : 40 durch die Gebirgsschlucht bei Abfalters-
bach geführt wurde. Die Bahn übersetzt
sodann die Drau, wird bis Unter- Vierschach
am rechten Ufer derselben geführt, geht hier
abermals auf das linke Ufer über und erreicht
bei Toblach die Wasserscheide zwischen der
Drau und der Rienz. Von hier geht die
Bahn in der Thalsohle der Rienz bis Wels-
berg und sodann an der Lehne bis Bruneck,
vor welchem Orte die Rienz mittels eines
Viaductes übersetzt wird.
Von Bruneck bis Mühlbach den Cha-
rakter der Thalbahn tragend, verlässt die
Linie unterhalb des letztgenannten Ortes das
Rienzthal und biegt über die sogenannte
Schabserhöhe in das Eisackthal ein, wo sie
endlich nach Uebersetzung des Eisack und
nach Passirung der äusseren Forts der
Festung Franzensfeste in die Brennerbahn
einmündet.
In der Strecke Lienz - Franzensfeste
kommen an bedeutenderen Objecten fünf
Tunnels und sechzehn Gitterbrücken vor.
Unter den Tunnels sind der Lamprechtburger
Tunnel unter den Ruinen der gleichnamigen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
69
Burg bei Bruneck, 300 m lang, und der
Ochsenhügel -Tunnel bei Schabs, die her-
vorragendsten. Die grössten Gitterbrücken
sind jene bei der Uebersetzung der Eisack
bei Franzensfeste mit sieben Oeffnungen,
der Viaduct beim Ausgang aus der
Franzensfeste mit sechs Oeffnungen, die
Wallerbach-Brücke bei Mühlbach und end-
lich die Rienzübersetzung bei Percha.
Aus strategischen Rücksichten mussten
die Gitterbrücken vor und hinter der
Franzensfeste zum Einziehen eingerichtet
werden.
Die Strecke Lienz-Franzensfeste enthält
auch mehrere gewölbte Brücken von grösse-
rer Spannweite, unter denen jene über den
Furkelbach bei Ollang hervorzuheben ist.
In dieser Strecke waren ferner auch längs
der Drau und Rienz Uferschutzbauten und
Flusscorrectionen von bedeutendem Umfange
nothwendig. [Vgl. Abb. 49—56, die Bilder
aus der Bauzeit nach photographischen Auf-
nahmen im Privatbesitze des technischen
Consulenten der Südbahn, k. k. Oberbaürath
Karl Prenninger.]
Die Linie St. Peter-Fiume zweigt in
der Station St. Peter [auf der Wasserscheide
der Poik und Recca, beziehungsweise der
Save und dem Adriatischen Meere] von der
Südbahn ab, führt mehrere Kilometer weit
über steriles Karstgebirg, durchschneidet hier-
auf mehrere Seitenthäler des Reccathales und
zieht dann durch dieses selbst bis zur Station
Dornegg. Der Bahnbau in dieser Strecke ist
: infolge der Terrainverhältnisse und der un-
günstig abfallenden Schichtungen der quer
durchschnittenen Sandstein- nnd Mergelforma-
tion ein überaus schwieriger und kostspieliger
| gewesen. Er erheischte drei Tunnels, viele
bedeutende Einschnitte und hohe Dämme,
1 von welchen letzteren der über die Bittinje-
: Schlucht führende, eine Maximalhöhe von
I 52 m erreicht. Von Dornegg aus führt die
Trace über den Freistritzbach und die
! Recca, steigt dann sanft das Loccathal hinan
' und erreicht bei Maloberzhe die Wasser-
scheide zwischen der Recca und Bruzna,
welche zugleich die Landesgrenze zwischen
Krain und dem Küstenlande bildet. Diese
Wasserscheide wird mittels eines 624' I in
langen Tunnels durchfahren, durch welchen
die Bahntrace in das Bruznathal gelangt.
Hier geht die Tafelformation wieder plötz-
lich in die Karstformation über und nach
einem nur etwa 2 km langen Laufe ver-
schwindet der Bruznabach in einer Karst-
höhle. Unweit derselben ist die Station
Sapiane gelegen, von welcher aus die Trace
wieder bis nach Jurdani über steriles Karst-
gestein dahinzieht.
Abb. 49. Der Bau der Pusterthal-Bahn in der Lienzer Klause.
jo
Ignaz Konta.
Hinter der Station Jurdani beginnt die
Absenkung des Terrains in das Littorale von
Fiume und mit dieser die Abweichung von
der bis hieher ziemlich geraden Richtungs-
linie derTrace. Diese ward erforderlich, um die
vorgeschriebene Maximalsteigung von I : 40
nicht überschreiten zu müssen. Unter diesen
Xeigungsverhältnissen erreicht die Bahntrace
die Station Mattuglie und schliesslich Fiume,
woselbst sie in den [von der königlich
ungarischen Regierung erbauten] Bahnhof der
Carlstadt-Fiumaner Bahn [königlich unga-
rische Staatsbahn] einmündet.
Zwischen Jurdani und Mattuglie befindet
sich der 3107 m lange Rukawac -Tunnel.
In letzterer Theilstrecke waren wieder be-
deutende Felsarbeiten nothwendig, von
welchen die beiden grossen Einschnitte nächst
Fiume am bemerkenswerthesten sind.
In der Reihenfolge der Sanctionirung
der auf österreichische Eisenbahnbauten
bezüglichen, damals erlassenen Gesetze
folgte als zweites jenes vom 23. Mai 1869,
das die Umgestaltung der Linz-Budweiser
Pferdebahn in eine Locomotivbahn betraf.
Diese Linie der »ersten österreichi-
schen Eisenbahn« entsprach schon lange
nicht mehr den Anforderungen des Ver-
kehres und die Regierung hatte darum
schon am 8. Juni 1867 die Kaiserin Elisa-
beth-Bahn, welche als Besitzerin der
Pferdebahn zur Umgestaltung derselben bis
spätestens zum Ablauf des ursprünglichen
Privilegiums, nämlich bis 7. September
1874, verpflichtet war, zur Vornahme
der technischen Vorarbeiten aufgefordert.
Das Ergebnis der letzteren führte nun zu
der Ueberzeugung, dass aus Verkehrs-
und staatlichen Rücksichten ein zwei-
facher südlicher Anschluss mit je beson-
derem Donauübergange, nämlich bei Linz
und unterhalb Mauthausen, unerlässlich
sei. Auch das Abgeordnetenhaus hatte bei
seiner Entschliessung vom 26. September
1867, mittels deren es die Regierung
um eheste Bewirkung des Umbaues an-
ging, den Doppelanschluss in Aussicht
genommen, der so gedacht war, dass
die Hauptbahn Budweis über Wartberg
nach Linz und eine Zweigbahn von
Wartberg über Mauthausen nach St.
Valentin zum Anschlüsse an die Kron-
prinz Rudolf-Bahn führen solle. In diesem
Sinne wurden denn auch die Verhand-
lungen über die Bedingungen des Baues
und Betriebes dieser Linien mit der
Kaiserin Elisabeth-Bahn gepflogen.
Am 18. Juni 1868 forderte das Abge-
| ordnetenhaus die Regierung auf, die Ver-
handlungen zu beschleunigen und »die
Gesetzesvorlage hierüber noch in dieser
Session einzubringen«. Das war nun
leichter gewünscht als vollbracht; denn
die Regierung wollte die Verhandlungen
auch zur endlichen Herbeiführung der
gleichfalls schon seit Langem in Schwebe
gewesenen Refundirung der Garantie-Vor-
schüsse der Kaiserin Elisabeth - Bahn
benützen und jede der beiden Fragen
bot Schwierigkeiten genug. Es gelang
jedoch immerhin, die Vereinbarung noch
knapp vor Schluss des Reichsrathes zu
erzielen und der verfassungsmässigen
Behandlung zuzuführen. Das am 1. Mai
1869 dem Abgeordnetenhause vorgelegte
und ■ von diesem sogleich dem volks-
wirtschaftlichen Ausschusse zur Vorbe-
rathung überwiesene Uebereinkommen
setzte die Trace der neuen Linien fest,
bemass die Frist für die Vollendung des
ehestens zu beginnenden Baues mit
vier Jahren und das Anlage-Capital
derselben mit einem Höchstbetrage von
1,340.000 fl. pro Meile, sicherte ein
5%iges Reinerträgnis sowie eine neun-
jährige Steuerfreiheit zu, regelte die
Führung des Baucontos und der Betriebs-
rechnung, die in den ersten neun Be-
triebsjahren von jener des alten Netzes
gesondert bleiben sollte, und enthielt im
Wesentlichen noch folgende Bestimmun-
gen: Die Gesellschaft ist verpflichtet,
die bei ihr noch aushaftenden Staats-
vorschüsse sammt 4°/0 Zinsen im Laufe
des Jahres 1869 zu refundiren, wobei
ihr ein Sechstheil der Schuld nachge-
sehen und gestattet wird, die übrigen fünf
Sechstheile in gesellschaftlichen Actien
zum vollen Nennwerthe zu begleichen ;
das hiezu erforderliche [Actien-] Capital
darf dem garantirten Anlage - Capitale
des alten Netzes zugerechnet werden;
zur Abstattung etwaiger künftiger Vor-
schüsse ist nur die Hälfte und, falls nach
der Auflassung der getrennten Betriebs-
rechnung noch Vorschüsse aushaften
würden, welche ausschliesslich von den
neuen Linien herrühren, blos ein Dritt-
theil des Reinerträgnisses zu verwenden,
! so dass der Gesellschaft die Hälfte, be-
I ziehungsweise zwei Dritttheile des letzteren
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs
71
zur freien Verfügung bleiben; der Kauf-
schilling für die alte Linz-Budweiser
Bahn [3,500.000 fl.] wird auf das An-
lagekapital der neuen Linien übertragen ;
die Dauer der Concession der alten und
der neuen Linien der Kaiserin Elisabeth-
Bahn wird gleichmässig auf 85 Jahre,
gerechnet vom Tage der Betriebseröff-
nung der neuen Linien, festgestellt.
die Regierung zum definitiven Abschlüsse
desselben ermächtigte, am 23. Mai 1869
die a. h. Sanction. Die Generalversamm-
lung vom 16. Juni 1869 stimmte dem
Uebereinkommen vollinhaltlich zu, worauf
es am 30. Juni 1869 endgiltig ausge-
fertigt wurde — zum Nutzen beider
Theile. Die Regierung erzielte damit
den sofortigen Umbau der für den neu-
Abb. 50. Station Innicbcn [im Bau].
Die Erledigung dieser Vorlage war
eine sehr beschleunigte. Am 8. Mai
wurde sie in zweiter und dritter Lesung
vom Abgeordnetenhause angenommen,
allerdings unter Herabminderung des
Anlage-Capitals der neuen Linien auf
1,200.000 fl. pro Meile — eine Aende-
rung, welche jedoch das Herrenhaus in
seiner Sitzung vom 12. Mai milderte,
indem es sich für einen Betrag von
1,280.000 fl. entschied, was schliesslich
auch das Abgeordnetenhaus that. In
dieser Fassung erhielt das Ueberein-
kommen, wie auch das Gesetz, welches
zeitigen Verkehr nicht mehr tauglichen
alten Pferdebahn sowie die dem Staats-
schatze willkommene Rückerstattung
der gesellschaftlichen Vorschussschuld,
welche nach Abschlag von Steuern
und des nachgesehenen Sechstheiles
noch immer 4,751.766 fl. 30 kr. be-
trug; der Kaiserin Elisabeth-Bahn brachte
es die seit vielen Jahren angestrebte
freie Verfügung über ihre Erträgnisse,
I unmittelbare finanzielle Vortheile und
! eine mittelbare Verlängerung der Con-
cessionsdauer der alten Linien um elf
\ Jahre.
72
Ignaz Konta.
Abb. 51. Toblach.
Nun schritt die Gesellschaft unverweilt
zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten ; sie
tilgte die Vorschussschuld durch Ueber-
gabe von 22.627 Actien ä 210 fl. aus
den Beständen der im Jahre 1857 zurück-
gekauften ursprünglichen Actien, und
96 fl. 30 kr. in Baarem an die Staatsver-
waltung, beschaffte sich vorläufig einen
Theil des Anlage-Capitals für die neuen
Linien durch Ausgabe von 10,000.000 fl.
in Actien [50.000 Stück ä 200 fl.] und
5,000.000 fl. in Prioritäts:Obligationen
[25.000 Stück ä 200 fl.], welche Werthe
zumeist von den Besitzern der älteren
Actien bezogen wurden, und vergab am
14. August, im Offertwege, den Bau an
die »Allgemeine österreichische Bau-
gesellschaft«, welche die gesammte Her-
stellung der Bahn, ausschliesslich der
beiden Donaubrücken bei Steyregg und
Mauthausen, um die Pauschalvergütung
von 7,497.426 fl. übernahm, mit der
Verpflichtung, den ganzen Bau bis
spätestens 31. Juli 1872 zu vollenden.
Die Herstellung der beiden Donau-
brücken, deren Kosten mit 3,022.000 fl.
veranschlagt gewesen, wurde mittels des
am 10. December 1869 genehmigten
Vertrages, gegen Bezahlung von
2,160.585 fl., an die Witkowitzer Ge-
werkschaft im Vereine mit der Unter-
nehmung Gebrüder Klein, Schmoll und
Gärtner übertragen. Am 18. August 1869
begonnen, machten die Bauarbeiten an-
fänglich rasche Fortschritte; späterhin
begegneten sie jedoch grossen Schwierig-
keiten [andauernde Rutschungen der
Dämme und Einschnitte bei Gaisbach etc.]
und wurden überdies durch Elementar-
Ereignisse gestört. Schliesslich verliess
die Bauunternehmung am 13. Juni 1873
in Vertragsbrüchiger Weise den Bau,
und die Bahngesellschaft sah sich ge-
nöthigt, denselben in eigener Regie zu
Ende zu führen, gegen die Unternehmung
aber einen Process anzustrengen, der
sich sehr lange hinschleppte. Die Linie
Budweis - St. Valentin konnte zur Gänze
erst am 2. December 1872 und die Strecke
Linz-Gaisbach gar erst noch ein Jahr
später in Betrieb gesetzt werden.
Es wurden eröffnet :
Zartelsdorf-Summerau, lyg km , 1. December
1871.
Summerau-Freistadt, 9'4 km, 6. November 1872.
Freistadt-St. Valentin, 45 8 km, für den Güter-
verkehr, 6. November 1872; für den Ge-
sammtverkehr, 2. December 1872.
Linz-Gaisbach [Wartberg], 24*4 km, 20. De-
cember 1873.
Der Betrieb mit Pferden auf den
letzten Strecken der alten Linz-Budweiser
Bahn ist erst am 15. December 1872
gänzlich eingestellt worden.
Am Schlüsse des ersten vollen Be-
triebsjahres der neuen Linien haben die
Anlagekosten derselben, einschliesslich
des Kaufschillings für die alte
Pferdebahn [3,500.000 fl.], im Ganzen
25,891.438 fl. betragen; in der Folge
erhöhten sie sich aber noch um mehr
als 1,500.000 fl. Zur Bedeckung dieses
Aufwandes wurden ausser den gleich
im Jahre 1869 ausgegebenen Werthen
im Nominalbetrage von 15,000.000 fl.
über Beschluss der Generalversammlung
vom 17. Mai 1871 noch 56.000 Prioritäts-
Obligationen ä 200 fl. = 11,200.000 fl.
emitrirt, beziehungsweise den Actionären
zum Curse von 97°/0 überlassen.
[24. Mai bis 3. Juni 1871.]
Die Linie St. Valentin-Budweis mündet
am nordöstlichen Ende der Station St.
Valentin aus, setzt bei Mauthausen — unweit
der Ennsmündung — über die Donau, zieht
dann an den Ausläufern des dortigen Granit-
ge'oirges in das Poneggerthal, passirt mittels
eines tiefen Einschnittes die Wasserscheide
und trifft in Gaisbach [Wartberg] mit dem
von Linz aus hieher führenden Bahnflügel
zusammen
Von Gaisbach [Wartberg] führt die Trace
nach Pregarten, hinter welcher Station die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
73
Aist übersetzt wird, und hernach theils auf,
theils längs dem Gehänge der Feidaist, über
Käfermarkt, oberhalb welcher Station die Aist
zum zweiten Male übersetzt wird, nach Frei-
stadt und von da nach Summerau. Von hier
aus sich zumeist den Ausläufern des dor-
tigen Granitgebirges anschliessend, führt die
Trace über Böhmisch-Hörschlag, in dessen
Nähe die Landesgrenze zwischen Oesterreich
und Böhmen überschritten wird, nach Zartles-
dorf, erklimmt sodann die grosse Wasser-
scheide [zwischen dem Donau- und Moldau-
Gebiete] bei Trojern, um, zumeist die Trace
der ehemaligen Pferdebahn verfolgend, über
Kaplitz, Weleschin [Krumau], Holkau und
Steinkirchen nach Budweis zum An-
schlüsse an die Franz Josef-Bahn zu ge-
langen.
Die Terrainverhältnisse waren äusserst
schwierige, es mussten Einschnitte bis zu einer
Tiefe von etwa 18 m [hierunter manche in
Granitfels, wie beispielsweise ausserhalb der
Stationen Pregarten und Freistadt] und Auf-
dämmungen bis zu 15 m Höhe hergestellt und
ausserdem sehr kostspielige Schutz- und Ver-
sicherungsbauten ausgeführt werden.
Eine dritte, mittels Specialgesetzes
sichergestellte und mit Staatsgarantie
und
die
des
ausgestattete Eisenbahn war die Linie
Bludenz-Bregenz nebst den Ab-
zweigungen Feldkirch-Buchs
Lautrach-St. Margarethen,
schon vorlängst, in- und ausserhalb
eigenen Landes, als »Vorarlberger
Bahn« bezeichnet wurde und diesen
Namen hernach auch amtlich beigelegt
erhielt. Als Ausgangs-, beziehungsweise
Endstück der schon zur Zeit der ersten
Ministerschaft des genialen Brück ge-
planten und von diesem für hochwichtig
anerkannten Schienenstrasse zur Verbin-
dung des Bodensees mit der Adria, ge-
hört sie zu den ältesten österreichischen
Eisenbahn-Projecten. Urheber des Gedan-
kens, jene Verbindung zu bewerkstelli-
gen, war, wie an anderer Stelle*) er-
wähnt wurde, der wackere Präsident
der Feldkircher Handelskammer, Karl
*) Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreich-
Ungarns von den ersten Anfängen bis 1867.
S. 496.
Abb. 52. Tunnel-Eingang bei der Lamp rechts bürg [im Bau],
74
Ignaz Konta.
Ganahl, der auch fast ein Vierteljahr-
hundert lang für die Verwirklichung seiner
Idee thätig gewesen. Nachdem das
Project der »Bodensee-Gürtelbahn« in
die Brüche gegangen war, trat der
unermüdliche Ganahl neuerdings in
Thätigkeit, indem er die vollständigen
Pläne für die Linie Innshruck-Feldkirch *)
einreichte und um die Concession für
eine von der Landeshauptstadt Tirols bis
an den Bodensee reichende Eisenbahn
in Bewerbung trat [Februar 1868]. Da
kamen aber wieder die von Bozen aus-
gegangenen Gegenbestrebungen dazwi-
schen, welche eine — für österreichische
Begriffe zumindest recht eigenartige —
Verbindung der Adria mit dem Bodensee,
beziehungsweise Vorarlbergs mit dem
grossen Verkehre, nämlich die Linie
[Venedig-] Treviso - Bassano - Valsugana-
Trient - Bozen-Meran-Glurns-Chur-Boden-
see zum Zwecke hatten. Das war übri-
gens bald abgethan. Die Hauptsache,
um welche es sich den Boznern handelte
— der Linie Bozen-Meran-Chur einen
Platz unter den Eisenbahn-Projecten zu
verschaffen — war, allerdings für eine
fernere Zukunft, erreicht, und das übrige
Beiwerk konnte gegenüber dem altehr-
würdigen natürlichen Projecte Innsbruck-
Arlberg-Bodensee überhaupt nicht, ge-
schweige denn als Ersatz desselben,
ernstlich in Betracht kommen. Es war
in der weitreichenden Gesetzesvorlage
vom 13. März 1869 mitenthalten, und
nach ihrer Zurückziehung brachte der
Handelsminister am 1. Mai 1869 ein die
Linie Bludenz-Feldkirch-Bregenz-Bayeri-
sche Grenze [bis Laiblach] nebst den Ab-
zweigungen von Feldkirch nach Buchs
und von Lautrach nach St. Margarethen
betreffendes Specialgesetz im Abgeord-
*) Diese Pläne liess Ganahl auf Grund
der Vorconcession, welche er anlässlich der
Inangriffnahme der Brennerbahn erbeten und
im Vereine mit den Firmen: Getzner, Mutter
& Comp., Sysi, Duglas u. A. am 9. April
1865 erhalten hatte, ausarbeiten, und zwar
von dem Bauführer der Brennerbahn Achilles
Thommen. Für den Arlberg-Uebergang war
entweder die Tunnellirung oder die Leber-
setzung mittels einer FeTl'schen Eisenbahn
vorgesehen. Die Pläne für die Linie Feld-
kircn-Bregenz waren längst fertig und auch
schon früher einmal der Regierung vor-
gelegen.
netenhause ein, das sammt der vom
volkswirthschaftlichen Ausschusse bean-
tragten und vom Abgeordnetenhause er-
gänzten Resolution : » Die Regierung: wird
aufgefordert, in der nächsten Session ein
Gesetz zum Zwecke der Sicherstellung
einer directen Bahnverbindung auf öster-
reichischem Gebiete von Bludenz nach
Innsbruck und von da über St. Johann
[im Pongau] nach Salzburg und Rotten-
mann einzubringen« — binnen zwölf
Tagen die Zustimmung der beiden Häuser
des Reichsrathes fand.
Dieses am 20. Mai 1869 a. h. sanctio-
nirte Gesetz ermächtigte die Regierung,
jene Vorarlberger Linien unter Ge-
währung einer neunjährigen Steuerfreiheit
sowie der staatlichen Garantie eines
5%igen Reinerträgnisses von dem wirk-
lich aufgewendeten Anlage-Gapitale, das
jedoch den Nominalbetrag von 1,200.000 fi.
pro Meile nicht übersteigen darf, zu con-
cessioniren, oder den Bau auf Staats-
kosten auszuführen, in welchem Falle ihr
für das laufende Jahr eine Baudotation
von 2,000.000 fi. bewilligt ist.
Bei den sohin eröffneten Concessions-
Verhandlungen stellten sich neben dem
Consortium Ganahl, das inzwischen mit
der Credit-Anstalt und einigen Bauunter-
nehmungen in Verbindung getreten war,
auch ein Consortium Erlanger-Pongraz
und Achilles Thommen als Bewerber
ein. Das letztgenannte Consortium er-
wies sich als mindestforderndes und
erhielt denn auch am 17. August
1869 die Concession für die oben ge-
nannten Vorarlberger Linien bis an die
Reichsgrenze zum Anschlüsse an die
bayerischen und schweizerischen Eisen-
bahnen, mit der Verpflichtung, den Bau
noch im Jahre 1869 zu beginnen und
binnen drei Jahren, gerechnet vom Datum
der Concessions-Urkunde, zu vollenden
und mit der Zusicherung eines 5%'&en
Reinerträgnisses von dem Nominalcapi-
tale von 1,110.000 fl. pro Meile nebst
der erforderlichen Tilgungsquote, dann
einer neunjährigen Steuerfreiheit.
Einen integrirenden Bestandtheil dieser
Concession bilden die am 25. August 1869
abgeschlossenen zwei Protokollar- Verein-
barungen über verschiedene bauliche
Ausführungen sowie über die Modali-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
75
täten der Abtretung der Bahn, zu welcher
die Concessionäre sich verpflichteten für
den Fall, als künftighin eine Fortsetzung
der Bahn von Bludenz nach Innsbruck
durch einen anderen Unternehmer aus-
geführt werden sollte.
Diese Verpflichtung im Zusammen-
hange mit dem oben verzeichneten Wort-
laute der Resolution des Reichsrathes
klang dem Lande wie eine Verheissung
Für die Geldbeschaffung traf die
auch als Mitconcessionärin an dem
Unternehmen betheiligte Credit-Änstalt
Vorsorge ; den Bau unternahmen, mittels
Vertrages vom 28. Mai 1870, die bei
diesem Anlasse aus der Reihe der
Mitconcessionäre ausgetretenen Firmen :
Thomas Brasse}-, Gebrüder Klein und
Karl Schwarz als General-Unternehmung
gegen Ueberantwortung des ganzen von
Abb. 53. Brücke über den Gaderbach bei St. Lorenzen. [Aus der Bauzeit der Pusterthal-Bahn. ]
der baldigen Verbindung mit den öster-
reichischen Schienenstrassen und erhöhte
darum die helle Freude, die es ob
der Concessionirung der wenn auch
vorerst nur mit Anschlüssen an fremde
Verkehrswege ausgestatteten Bahnanlage
durch Vorarlberg empfand und die es in
warmen Dankeskundgebungen für die
Regierung, die Gesetzgebung und den
für die Zustandebringung der Bahn rast-
los thätig gewesenen Handelskammer-
Präsidenten Karl Ganahl zum Ausdrucke
brachte.
der Staatsverwaltung garantirten Nomi-
nal-Anlage-Capitals in Actien und Prio-
ritäts-Obligationen. Bis zur ministeriellen
Genehmigung des Bauvertrages verstrich
jedoch nahezu ein Jahr, weil das Mini-
sterium verschiedene Mehrleistungen for-
derte, über welche das Einverständnis
erst am 9. März 1871 endgiltig erzielt
wurde.
Dies hatte übrigens nicht gehindert,
dass die Bauarbeiten schon früher in
Angriff genommen und insbesonders
seit Mitte 1870 in vollen Gang gesetzt
76
Ignaz Konta.
wurden. Zur selben Zeit erfolgte auch
die Vereinbarung des an die Stelle des
Staats Vertrages vom 5. August 1865 ge-
setzten neuen Staatsvertrages ddto. Bre-
genz, 27. August i870[ratificirt 21. Januar
1871], der die Anschlüsse der Vor-
arlberger Bahn an die bayerischen und
schweizerischen Bahnen regelte und noch
darum von Wichtigkeit war, weil die
vom Canton St. Gallen schon am 1. De-
cember 1869 ertheilte Concession für die
auf schweizerisches Gebiet fallenden
Strecken der Zweigbahnen Lautrach-
St. Margarethen und Feldkirch-Buchs,
und der bayerischerseits auszuführende
Bau der Theilstrecke Lindau-Laiblach
eben von der Revision jenes früheren
Staatsvertrages abhing und erst nach
Durchführung derselben in Kraft treten
konnte. Zufolge dieses Vertrages führt
die Vorarlberger Bahn den Betrieb auch
auf den Strecken von der Reichsgrenze
einerseits bis Lindau, andererseits bis Mar-
garethen.
Die Concessionirung der Liechten-
stein'schen Theilstrecke fand am 15.
Januar 1870 statt. Die Gesellschafts-
Statuten erhielten am 9. Juni 1871
die staatliche Genehmigung, worauf die
Constituirung der »k. k. p r i v. Vor-
arlberger Bahn«, deren Gesellschafts-
Capital aus 6,000.000 fl. in Actien
[30.000 Stück ä 200 fl.] und 7,396.600 fl.
in Prioritäts-Obligationen [36.983 Stück
ä 200 fl.] zusammengesetzt gewesen,
am 3. Juli 1881 vor sich ging. Die
mit Ende des Jahres 1870 in Wien er-
richtete »Bau- und Betriebsleitung«,
deren Vorstand der Inspector Wilhelm
Paravicini gewesen, wurde ein Jahr
darnach zu einer Direction ausgestaltet,
nach dem Ableben des Directors Para-
vicini aber wieder aufgelassen. In Wien
verblieb ein administratives Central-
bureau mit dem General-Secretär Dr.
Ferdinand Zehetner an der Spitze ; für
den executiven Dienst wurde in Feld-
kirch eine Betriebs-Direction errichtet,
welcher der Director Rudolf Clement
vorstand.
Der Bau der Hauptlinien Bludenz-
Bregenz-Bayerische Grenze [62*4 km]
wurde noch vor der concessionsmässigen
Frist vollendet und am 1. Juli 1872 dem
Betriebe übergeben ; etwas später ge-
langten auch die Flügelbahnen zur Er-
öffnung, und zwar Feldkirch-Buchs,
17*9 km [sowie die fremde Anschluss-
strecke Laiblach-Lindau], am 24. October
und Lautrach-St. Margarethen, 9'6 km,
am 23. November 1872. Die Anlage-
kosten beliefen sich auf 13.257.000 fl.
Im letzten Stadium des Baues der
Vorarlberger Bahn schien es, als sollte
ihre Fortsetzung nach Innsbruck nun
zur Thatsache werden. Der Handels-
minister, Dr. Banhans, legte, nach vor-
heriger Begutachtung des von der k. k.
General-Inspection ausgearbeiteten Pro-
jectes durch eine fachmännische Exper-
tise, am 22. März 1872 dem Abgeord-
netenhause einen die Herstellung der
Linie Innsbruck - Bludenz betreffenden
Gesetzentwurf vor und unterstützte die
Angelegenheit auf das Lebhafteste. Das
erweckte in allen betheiligten Kreisen
frohe Hoffnungen, die aber leider nur
zu bald wieder in nichts zerflossen. Das
Uebelwollen des damaligen Führers der
Verfassungspartei begrub die Vorlage
im Ausschusse, und die Vorarlberger
Bahn blieb zu ihrem, wie nicht minder
zum grossen Schaden des garantirenden
Staatsschatzes und des öffentlichen Inter-
esses noch gar lange Zeit von den
übrigen Eisenbahnen Oesterreichs isolirt.
Die Trace der Vorarlberger Bahn
beginnt in der Mitte des die Grenze zwischen
Bayern und Vorarlberg bildenden Laiblach-
baches, geht eine kurze Strecke an den
flachen Lffern des Bodensees entlang, bis zu
jenem Punkte, wo der See den Fuss des
Pfändlerberges bespült, und ist, hart neben
der Reichsstrasse laufend, in den Bodensee
eingebaut, welchen sie, den Hafen durch-
schneidend, erst hinter Bregenz verlässt.
Von da ab verfolgt die Trace auf eine kurze
Strecke die südwestliche Richtung, wendet
sich dann gegen Süden, erreicht ansteigend
und einen Ausläufer des Gebhardtsberges
durchbrechend, das Flussgebiet derBregenzer
Ache, übersetzt diesen Gebirgsfluss mittels
einer 2276 m langen Brücke und tritt, den
OrtLautrach durchschneidend, in das Rhein-
thal. Von Lautrach wendet sich die Vorarl-
berger Hauptbahn südöstlich, führt bei dem
Orte Schwarzbach vorüber, geht, die ent-
gegengesetzte Richtung einschlagend, in
günstigem Terrain und massigen Krümmun-
gen, Dornbirn, den industriereichsten und
I bevölkertsten Ort Vorarlbergs berührend,
I bis zur Dornbirner Ache, übersetzt diesen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
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Abb. 54. Viaduct über den Eisack-Fluss bei Franzensfeste [im Bau].
Abb. 55. Franzensfeste.
78
Ignaz Konta.
Gebirgsbach mittels einer 72 m langen Eisen-
brücke und gelangt mit einer unbedeutenden
Wendung nach Hohenems und von da durch
Torfmoor nach Götzis. In der weiteren Fort-
setzung von Götzis ab führt die Bahn über
Moorgründe und, indem sie sich nach kurzem
Laufe mehr südöstlich wendet, errreicht sie an-
steigend den durch den Frutzbach ange-
schwemmten Schuttkegel, übersetzt diesen
Wildbach und erreicht Rankweil. Diesen
Ort durchschneidend senkt sich die Bahn in
das von dem Ardezenberge und den Aus-
läufern des Hoch-Gerachs begrenzte Thal und
gelangt bei den Orten Altenstadt und Lewis
vorbei nach Feldkirch. Hier wendet sich die
Bahn in einem scharfen Bogen nach Osten,
zieht an dem östlichen Theile der Stadt Feld-
kirch vorbei, durchfährt in einem Tunnel die
sogenannte Schattenburg und führt an steilen
Berglehnen entlang in das unter dem Namen
Feldkirchner Defile bekannnte und strategisch
wichtige Flussgebiet der Hl. Innerhalb senk-
rechter Felswände eingeengt, ist die Bahn
daselbst, hart an der Reichsstrasse fortlaufend,
in den Illfluss eingebaut und zieht längs
steilen Fels- und Berglehnen ansteigend, am
rechten Illufer nach Satteins. Von da geht
die Bahn auf das linke Illufer über und ge-
langt, theilweise im Flussgebiete der 111 an-
gelegt, nach Xenzing. Nach Ueberschreitung
des Mengbaches wendet sich die Bahn nach
kurzem Laufe und nach Durchschneidung eines
vorspringenden Hügels dem rechten Illufer zu
und erreicht die Station Strassenhaus. Von
hier ab geht die Bahn stetig ansteigend ihrem
Endpunkte Bludenz zu.
Die Flügelbahn Lautrach-St. Margarethen
zweigt von der Station Lautrach westlich ab,
führt über ebenes Terrain bei den Orten Haard
und Fussach vorüber und gelangt, vorher die
Dornbirner Ache übersetzend, bei dem Orte
Haag zum Rhein, welchen sie, abermals die
westliche Richtung einschlagend, mittels einer
l89-6 ni langen Brücke überschreitet, um so-
dann in der Station St. Margarethen an die
vereinigten Schweizer Bahnen anzuschliessen.
Die Flügelbahn Feldkirch-Buchs zweigt
in Feldkirch von der Hauptbahn ab, läuft in
nördlicher Richtung mit der Hauptbahn
parallel bis Altenstadt, wendet sich nach
Westen • und gelangt , nachdem sie den
Ardezenberg mit einem langen Bogen um-
fahren hat, hart am Fusse dieses Gebirgs-
stockes zur 111, überschreitet diesen Fluss mit
einer 37-9 vi langen Brücke und erreicht nach
Durchbrechung einer vorgeschobenen Felsen-
kuppe nächst den Orten Tisis und Gallmist
die Grenze des Fürstenthums Liechtenstein.
Die Terrainverhältnisse waren grossen-
theils sehr schwierige. Die Bahn musste
streckenweise durch Moore und Sumpf land
geführt werden, wiederholt den Rhein und
mehrere Wildbäche überschreiten, und an
manchen Orten in die Gebirgswässer selbst
eingebaut werden. Auch die Bauten am
Bodensee bereiteten Schwierigkeiten. [Vgl.
Abb. 57-59-]
Die letzte der im Jahre 1869 unter
Gewährung staatlicher Zinsengarantie
wirklich concessionirten Bahnen war die
Linie Przemyäl-tupköw, d. i. der
österreichische Theil der Ersten un-
garisch-galizischen Eisenbahn.
Die Nothwendigkeit einer Ueberschie-
nung der Karpathen, welche auf eine
Länge von mehr als 800 km die Grenze
und, wegen der mangelnden Verbindun-
gen, auch eine förmliche Scheidewand
zwischen Ungarn und Galizien bildeten,
war schon frühzeitig erkannt; sie fand
bereits in dem am 10. November 1854
amtlich verlautbarten Entwürfe eines
österreichischen Eisenbahnnetzes und her-
nach bei der Concessionirung der Theiss-
bahn [1856] deutlichen Ausdruck. Die
letztere hat denn auch, im Hinblicke auf
das ihr eingeräumte Vorrecht »für die
Fortsetzung ihrer Linien von Kaschau
nach Galizien zum Anschlüsse an die
dortige Hauptbahn« ein Project aus-
arbeiten lassen, das aber infolge der
damaligen Finanzzustände unausgeführt
: blieb.
Im Jahre 1864 suchten sowohl der
galizische Landesausschuss als die Lem-
: berger Handelskammer und die Land-
\ wirthschaftliche Gesellschaft bei der Re-
gierung um ehemöglichste Concessionirung
einer galizisch-ungarischen Verbindungs-
! bahn an, als welche sie, gestützt auf
fachmännische Urtheile von Militär- und
technischen Autoritäten, die Linie Kaschau-
Eperies-Dukla mit Abzweigungen gegen
Przemysl einer- und Tarnöw andererseits
befürworteten. Etliche Monate später
unternahmen die Grafen Johann Wald-
stein und Erwin Schönborn - Buchheim
den Versuch, ein ganzes Eisenbahn-
netz, welches Munkacs zum Knoten-
punkte haben und zur Verbindung der
i ungarischen mit den galizischen Bahnen
eine Linie über Skole und Stryj nach
Tarnopol, die andere von Kaschau aus
über Eperies nach Tarnöw entsenden
sollte, zustande zu bringen. [Vorconcession
vom 7. Februar 1865.]
Bei der Berathung der Gesetzes-
1 vorläge über die Concessionirung der
Kaschau-Oderberger Bahn kam die Frage
einer imsrarisch-galizischen Eisenbahn-
I Verbindung gleichfalls eingehend zur
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
79
Sprache, so zwar, dass die beiden
Häuser des Reichsrathes den Beschluss
fassten, die genannte Bahn solle über
Eperies-Dukla an die Carl Ludwig-
Bahn in Przemysl angeschlossen und
das bezügliche Gesetz im Jahre 1866
der Legislative vorgelegt werden.
Als die Ereignisse des Jahres 1866 das
Fehlen dieser Verbindung so augenfällig
gemacht hatten, beauftragte das Handels-
ministerium einige Ingenieure der General-
Inspection mit der Ausmittlung einer
zweckentsprechenden Linie von Kaschau
nach Przemysl. Diese Tracirungs-Com-
mission nahm ihren Sitz in Kaschau, be-
gann noch während des Herbstes die
Arbeiten und kam zu dem Ergebnisse,
dass die Bahn durch das Laborczthal
über Lupköw anzulegen sei. Damit war
aber die Traceführung noch beiweitem
nicht entschieden; das zeigte sich an-
lässlich der damaligen Concessionswer-
bung zweier Consortien. Eines derselben
mit dem Fürsten Adam Sapieha an der
Spitze bewarb sich um die Linie Prze-
myäl-Dukla-Kaschau, das zweite, von
den Grafen Adam Potocki und Aladär
Andrässy vertreten, strebte die Linie
Przemysl-Lupköw-Kaschau an und jedes
bekämpfte in der damals üblichen Weise,
d. h. in Publicationen aller Art, das
Project des anderen , wobei für die
Duklaer Linie ihre Eigenschaft als ur-
alte Communication und
Heerstrasse zwischen
Ungarn und Galizien,
für die Lupköwer Linie
hingegen die leichtere
und billigere Ausführbar-
keit geltend gemacht
wurden [1867].
Zu einer endgiltigen
Wahl der Trace kam es
jedoch erst im Jahre 1 868,
nachdem das Reichs-
Kriegsministerium bei
den beiderseitigen Regie-
rungen die nicht weiter
aufschiebbare Sicherstel-
lung einer galizisch-unga-
rischen Verbindung mit
dem Ausgangspunkte
Przemyäl dringendst ur-
girt hatte und die von
den Regierungen veranlasste nochmalige
Untersuchung der Tracen gleichfalls zu
Gunsten der Lupköwer Linie ausgefallen
war. In dem über die gemeinsamen
Berathungen ausgefertigten Protokolle
vom 3. November 1868 ist verzeichnet,
dass der Vertreter des Reichs-Kriegs-
ministeriums sich unbedingt für die
directe Verbindung Przemysls mit Ungarn
über Chyröw und Lisko, ohne nähere
Bezeichnung des Karpathen-Ueberganges,
jedoch gegen eine Linie durch das San-
thal ausgesprochen und der Delegirte
der königlich ungarischen Regierung er-
klärt hat, er könne bei dem Umstände,
als vorerst nur eine einzige Verbindung
sicherzustellen möglich sei und es sich
dabei in erster Reihe um strategische
Interessen handle, nur den Aeusserungen
des Vertreters der Kriegsverwaltung bei-
pflichten, aber etwas weitergehend, d. h.
die leichter ausführbare und günstigere
Betriebsverhältnisse bietende Trace von
Zombor [Theissbahn] über Sätoralja-
Ujhely, Valejte [Anschluss nach Kaschau],
Töke-Terebes, Legenye-Mihäly, Homonna,
Mezö-Laborcz, Lupköw, Lisko und Chyröw
nach Przemysl empfehlen. Das stimmte
rücksichtlich des galizischen Theiles der
Bahn und des Uebergangspunktes voll-
ständig mit den vorerwähnten Ergeb-
nissen der österreichischen Ausmittlungen
vom Jahre 1866 überein; da überdies
Abb. 56. Station Franzensfeste.
8o
Ignaz Konta.
die königlich ungarische Regierung noch
im Jahre 1868 [29. November] einen
Gesetzentwurf über die Concessionirung
der ungarischen Strecke Mihäly-Eiupköw
vor die Legislative brachte, war die
Frage der Traceführung nun auch für die
österreichische Regierung gelöst. Sie
brachte daher im Reichsrathe am 13. März
1869 neben der allgemeinen Vorlage über
die Ergänzung des österreichischen Eisen-
bahnnetzes, in welche nicht weniger als
fünf ungarisch -galizische Verbindungs-
linien Aufnahme gefunden, eine Special-
vorlage ein, welche die für den Augen-
blick dringendste Linie Przemysl-tupköw
betraf. In dieser Vorlage war eben-
sowohl die Concessionirung unter Ge-
währung einer Staatsgarantie von 50.000 fl.
pro Meile, als auch gegebenen Falles,
nämlich wenn es bis drei Monate nach
der Sicherstellung der ungarischen An-
schlussstrecke nicht gelingen sollte, die
Concession zu ertheilen, der Bau auf
Staatskosten vorgesehen.
Die verfassungsmässige Behandlung
der beiderseitigen Vorlagen ging nicht sehr
glatt vonstatten. Im Reichsrathe traten
vorwiegend die Anhänger der Dukla-Linie
als Gegner auf, die aber zu sehr in der
Minderheit waren, um die Annahme des
Gesetzes vereiteln zu können ; dieselbe
fand im Abgeordnetenhause am 7. Mai,
im Herrenhause am 12. Mai statt, worauf
dann am 20. Mai 1869 die a. h. Sanc-
tionirung des Gesetzes folgte. Im un-
garischen Reichstage, der aus Zeitmangel
die sachliche Berathung erst in der
1869er Session vornahm und bis dahin
mit vergleichenden Studien der verschie-
denen Tracen versehen sein wollte, war
die Gegnerschaft mehr von persönlichen
Abneigungen gegen die »Familienbahn«
[so benamst wegen der Concessions-
werber] getragen; doch geschah auch
dort der Sache kein wesentlicher Ein-
trag. Es wurde die Staatsgarantie auf
40.000 fl. pro Meile herabgemindert,
im Uebrigen aber die Vorlage am 12.,
beziehungsweise 13. Juli angenommen
und hernach am 14. Juli 1869, als
Gesetz- Artikel VI vom Juli 1869 sanc-
tionirt, womit zugleich die Concessio-
nirung an das Consortium Adam Graf
Potocki, Aladär Graf Andrässy, August
Fürst Sulkowski, Gabriel v. Lonyay u. A.
verbunden war. Dasselbe Consortium er-
hielt am 1 1 . September 1 869 auch für die
galizische Strecke die Concession, welche
dem Unternehmen eine neunjährige Steuer-
freiheit und die Garantie eines fünfpro-
centigen Reinerträgnisses nebst der Til-
gungsquote von nominale 955.000 fl.
pro Meile gewährt. Die Baufrist wurde auf
längstens drei Jahre festgesetzt. Gemäss
einer von den Concessionären am 28. Au-
gust 1869 beim Handelsministerium pro-
tokollarisch abgegebenen Erklärung hatte
eine gesonderte Rechnungsführung für die
beiden Strecken platzzugreifen.
Nach der Dringlichkeit, welche die
Regierungen der beiden Reichshälften
dem endlichen Zustandekommen dieser
Bahn beigelegt, ebenso nach den eifer-
vollen Bemühungen, welche die Con-
cessionäre an die Erlangung der Con-
cession gewendet hatten ; nach den vielen
der Concessionirung vorausgegangenen
technischen Untersuchungen und Begut-
achtungen wurde allenthalben gewärtigt,
dass die Durchführung der Concessionen
sich in normaler Weise abwickeln werde,
zumal als die Credit-Anstalt die Geld-
beschaffung übernommen und die Actien
[62.000 Stück ä 200 fl.] Anfangs Juni
1870, ohne alle Zwischenmassnahmen,
mit Leichtigkeit an der Börse selbst ver-
äussert hatte.
Allein schon die Bauvergebung stiess
auf Hindernisse; eine ganze Reihe von
Bauunternehmungen, mit denen Unter-
handlungen gepflogen worden waren,
erklärte es für unmöglich, den Bau mit
den concessionsmässig gegebenen Geld-
mitteln regelrecht auszuführen, und als
die Concessionäre dann im März 1870
um desto bereitwilliger mit dem Grafen
Karl Mier, hinsichtlich der galizischen, und
mit den Gebrüdern Braun, hinsichtlich der
ungarischen Strecke, » General- Accorde«
abschlössen, weil diese Unternehmer mit
jenen Mitteln auslangen wollten, blieb noch
immer der Bau des Grenztunnels unver-
geben, den schliesslich die Concessionäre
selbst in Gemeinschaft mit den genannten
zwei Unternehmungen übernahmen. Der
am '12. März 1870 auf der ungarischen
und sechs Tage später auf der galizischen
Strecke begonnene Bau ging unter der
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
Leitung des von den Concessionären aus
ihrer Mitte erwählten engeren Ausschusses,
dem der Baudirector Rudolf Gune seh zur
Seite stand, eineZeitlangbestens vonstatten.
Die Sorge um die Bewältigung'
der weiterhin eingetretenen Schwierig-
keiten fiel bereits dem Yerwaltungsrathe
der Actien-Gesellschaft zu, die sich auf
Grund der am 19. November 1870
behördlich genehmigten Statuten am
17. December 1870 mit einem Capitale
1 : 70] sich für die Rampe von Mezö-
Laborcz aufwärts als unhaltbar erwies,
die königlich ungarische Regierung aber
erst nach wiederholten neuerlichen Unter-
suchungen der Trace und nach abermals
eingeholter Zustimmung der Legislative
die Anwendung von Steigungen bis 1 : 40
gestattete, und auch dann nur unter der
Bedingung, dass die Gesellschaft sich ver-
pflichtete, die Theilstrecke Vidränyi-Lan-
desgrenze im Unterbau doppelgleisig her-
Abb. 57. Bregenz mit der Trajectanlage.
von 31,500.000 fl. [62.500 Actien und
95.000 Prioritäts-Obligationen zu je 200 fl.]
und der Firma : «Erste ungarisch-gali-
zische Eisenbahn« constituirt hatte.
Die auf lange hinaus letzte Annehmlich-
keit bereitete ihr die am 18. April 1871
seitens der Credit-Anstalt, im Wege der
öffentlichen Zeichnung und zum Curse von
87°/,,, erfolgreich bewerkstelligte Ausgabe
von 40.000 Prioritäts-Obligationen.
Das Ungemach begann, als die in
der ungarischen Concession festgesetzte
Begrenzung der Steigungen [1 : 60 bis
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Tbeil.
zustellen, die Kosten des zweiten Geleises
derselben jederzeit bereit zu halten und
der Staatsverwaltung Actien im Nominal-
betrage von 180.000 fl. als Vergütung für
die durch die grösseren Steigungen verur-
sachte, die Garantie Erfordernisse beein-
flussende Erhöhung der Betriebskosten
zu übergeben, was in finanzieller Be-
ziehung die Lage der Gesellschaft gewiss
nicht verbesserte.*)
*| Näheres vgl. Bd. III, J. Gonda, Die
Eisenbahnen Ungarns vom Jahre 1867 bis
zur Gegenwart.
6
82
Ignaz Konta.
Dies nahm sich jedoch fast wie unbe-
deutend aus gegen die argen Verlegen-
heiten, welche der Gesellschaft daraus er-
wuchsen, dass Graf Mier sich bei Anbruch
des Winters 1 87 1 weigerte, den übernom-
menen Bau der galizischen Strecke zu Ende
zu führen. Die ebenso rasche als nach-
drückliche Dazwischenkunft des Handels-
ministers verhütete zwar eine voll-
kommene Einstellung des Baues und be-
wirkte die Beilegung dieser unerquicklichen
Angelegenheit in der Weise, dass die
Credit- Anstalt von ihrem bei der Begebung
der Titel der ungarisch-galizischen Eisen-
bahn bereits erzielten Gewinne einen Be-
trag von 600.000 fl. zur Fortsetzung des
Baues widmete, Graf Mier — gegen
Verzicht auf die von ihm nachgewiesene
Forderung an die Gesellschaft in der bei-
läufigen Höhe von gleichfalls 600.000 fl.
— aus dem Vertragsverhältnisse entlassen
wurde, und die Gesellschaft die Weiter-
führung des Baues in die eigene Regie
nahm. Aber die Gesellschaft, welche bei
der Eingehung dieses, mittels der Proto-
kollar- Vereinbarungen vom 6. und 12. De-
cember 1871, beziehungsweise 29. Januar
1872 abgeschlossenen Vergleiches eigent-
lich nur von zwei Uebeln das kleinere
wählte, da die Einstellung des Baues und
die Austragung des Falles im Process-
wege ihr gewiss noch grössere Opfer
auferlegt haben würde, hatte damit eine
schwere Last auf sich genommen ; denn
die zurückgelassenen Verbindlichkeiten
des Grafen Mier überstiegen eine Million
Gulden, die Intercalarzinsen erhöhten
sich durch die Bauverzögerung um etwa
800.000 fl., und verschiedene auf die Ge-
sellschaft übergegangene Ersatzleistungen,
dann die Behebung der durch Frost und
Nässe verursachten Schäden an den im
unvollendetenZustande verlassenen Bauten
erforderten noch weitere namhafteSummen.
Zur Deckung dieser Erfordernisse con-
trahirte der Verwaltungsrath mit Zustim-
mung der Generalversammlung vom 27.
Juni 1872 eine schwebende Schuld im Be-
trage von 2,300.000 fl., und wendete sich
zugleich an die Regierung um Vergütung
der bewirkten Mehrleistungen, wie auch um
Erhöhung der Staatsgarantie auf den im
Concessions-Gesetze [vom 20. Mai 1869]
bestimmten Höchstbetrae. Das letztere
Zugeständnis wurde der Gesellschaft bald
zutheil, da die Regierung schon früher
an die Gewährung dieses Zugeständnisses
gedacht zu haben schien und die be-
treffende a. h. Genehmigung bereits am
21. December 1869 erflossen war. Sie be-
willigte also mittels Erlasses vom 21. Juni
1 87 2 die Garantie-Erhöhung, welche gleich-
bedeutend war mit einer Vermehrung des
Capitals um 45.000 fl. pro Meile, und
der Gesellschaft die weitere Ausgabe von
1698 Actien und 1465 Prioritäts-Obli-
gationen zu je 200 fl. [= nominale
632.600 fl.] ermöglichte.
Die durchgreifende Ordnung ihrer Ver-
hältnisse blieb aber der Gesellschaft noch
lange versagt. Ihre Bedrängnis nahm daher
mit jedem Tage zu, insbesondere nach-
dem auch der Bauunternehmung der
ungarischen Strecke eine sehr bedeutende
Aufbesserung gewährt werden musste,
um ihr die Fortführung der Arbeiten zu
ermöglichen.
Gleichwohl gelang es der Gesell-
schaft, die Bahn im Jahre 1872,
mit Ausnahme des Grenztunnels, fertig-
zustellen, bis zu dessen Vollendung ein
eigens eingerichteter Messageriedienst die
Verbindung der beiden Strecken ver-
mittelte. Diese Vollendung zog sich
aber immer weiter hinaus. Der starke
Druck des durchfahrenen Gebirges,
namentlich auf der ungarischen Seite,
machte die Ausmauerung des Tunnels
nothwendig, und als diese unternommen
wurde, da zeigte es sich, dass das hiezu
den Karpathen entnommene Steinmaterial
keine genügende Widerstandskraft besass.
Es mussten Granitquadern aus Böhmen
und Oberösterreich herbeigeschafft werden.
Nicht genug daran, brach auch noch eine
Cholera-Epidemie aus, welche viele Ar-
beiter dahinraffte und noch mehr von
der Baustelle verscheuchte.
Erst im Mai 1874 war es möglich,
den Tunnel und mit ihm die ganze Bahn
dem Betriebe zu übergeben. Von den ein-
zelnen Strecken derselben wurden eröffnet :
Legenve-Mihalyi-Homonna, 646 km, am
25. December 1871.
Przemysl - Chyröw, 332 km, für Güter am
8. Mai 1872, für den Gesammt verkehr am
13 Mai 1872.
Chyröw-Kroscienko, 194 km, am 1. Juli 1872.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
83
Kroscienko-Ustrzyki, 8 I km, am 3. Septem-
ber 1872
Ustrzyki-Komancza, 702 km, am 12. Novem-
ber 1872.
Komancza-tupköw, 137 km, am 18. Decem-
ber 1872.
Homonna-Grenztunnel,*) 554 km, am 12. Juni
1873.
Grenztunnel, 16 km, am 30. Mai 1874.
Der unvorhergesehene, so übermässige
Kostenaufwand für den Tunnel brachte
natürlich die finanziellen Verhältnisse der
Gesellschaft auf einen noch viel tieferen
Stand ; sie musste neuerdings eine schwe-
bende Schuld aufnehmen und war für
den Fall, als dies nicht gelingen sollte,
nothgedrungenerweise auch schon be-
reit, einen Theil der auf die Actien ent-
fallenden Staatsgarantie zur Beschaffung
eines fundirten Anlehens zu verwenden
[Beschlüsse der ausserordentlichen Gene-
ralversammlungen vom 14. März, 25. Octo-
ber und II. November 1873].
So weit kam es nun allerdings nicht.
Die beiderseitigen Regierungen sahen ein,
dass es unzulässig sei, eine Gesellschaft,
die im Vertrauen auf die von den staat-
lichen Organen gepflogenen Erhebungen
und Berechnungen, aus denen die Ab-
striche an den Voranschlägen der Con-
cessionäre hervorgegangen waren, die
Ausführung der Bahn übernommen hatte,
für alles das, was an jenen Calculationen
sich als unzutreffend herausstellte, allein
aufkommen zu lassen — und sorgten
nicht nur für die Bedeckung der beim
Tunnelbau aufgelaufenen Mehrkosten von
3,600.000 fl., sondern verhalfen der Ge-
sellschaft überdies zu einer grossen Bei-
hilfe von Seite der Credit-Anstalt. Die
österreichische Regierung gewährte näm-
lich, auf Grund des Gesetzes vom 5. Juni
1885, der Gesellschaft einen Staatsvor-
schuss von 1,800.000 fl. für den Fall,
als die ungarische Regierung ihr eine
gleiche Unterstützung biete und auch
die Credit-Anstalt, als Finanzirungs-
Institut und als Hauptgläubigerin der
Gesellschaft, derselben zur Bedeckung
*) Diese Strecke war schon im August
1872 betriebsfähig, konnte jedoch, weil hiezu
[wegen der Staatsgarantie] die Genehmigung
der königlich ungarischen Regierung, be-
ziehungsweise des ungarischen Reichstages
eingeholt werden musste, erst zehn Monate
später eröffnet werden.
des Capitalsabganges einen Beitrag von
2,500.000 fl. leiste; die ungarische Re-
gierung schloss sich diesem Vorgehen
an, indem sie unter denselben Cautelen
eine der österreichischen Unterstützung
gleichwerthige Erhöhung der Staats-
garantie um jährlich 139.836 fl. eintreten
Hess, und auch die Credit-Anstalt erfüllte die
seitens der beiden Regierungen gestellte
Bedingung. Wohl aber verblieb auch
den Theilhabern der Gesellschaft die
Aufgabe, den noch immer bedeutenden
Schuldrest aus Eigenem zu tilgen, was
jedoch in der wenig empfindlichen Weise
geschah, dass [wie später noch eingehen-
der berichtet werden wird] einige Actien-
coupons nicht in Baarem, sondern in
Prioritäten II. Emission eingelöst wurden.
Im Zeitpunkte der Hilfsaction für
die Erste ungarisch -galizische Eisen-
bahn bezifferten sich die Anlagekosten,
welche die Concessionäre ursprünglich
mit 41,624.000 fl. veranschlagt, die
beiderseitigen Regierungen, beziehungs-
weise Legislativen aber mit 32,180.000 fl.
bemessen hatten, in Wirklichkeit mit
38,342.000 fl.
Gleichwie man nun den an der
Hilfsthätigkeit betheiligt gewesenen Fac-
toren Dank weiss, muss man anderer-
seits auch die Selbstverleugnung der
Gesellschaft, die Ausdauer, mit der sie
sich um die Vollendung und Festigung
ihres Unternehmens bemühte, und die
Vertrauensseligkeit, mit der sie, während
der ärgsten Bedrängnis, die Erwerbung-
neuer Linien ins Auge fasste, würdigen.
Die Generalversammlung vom 27. Juni
1872 ermächtigte den Verwaltungsrath :
»Die Concession von in Galizien west-
wärts der gesellschaftlichen Bahn zu er-
bauenden Eisenbahnlinien und die Con-
cession einer von Przemysl aus in der
Richtung gegen Tomaszöw gehenden
Eisenbahnlinie sowie die Concession
einer den ungarischen Theil der gesell-
schaftlichen Linie mit den andern dorti-
gen Bahnen verbindenden Eisenbahn ....
zu erwerben.« Unmittelbaren Erfolg er-
zielte sie damit nicht; doch wurde die
Erste ungarisch - galizische Eisenbahn
vermöge der eifrigen Strebsamkeit des
im März 1874 zum Director ernann-
ten früheren gesellschaftlichen Central-
6*
84
Ignaz Konta.
Inspectors Max Pich ler als Mittelpunkt
von Projecten für die Vereinigung
der galizischen Bahnen gedacht und,
nachdem diese Projecte scheiterten,
mit der Betriebsführung staatlicher Linien
betraut.
Die Trace der Ersten ungarisch-galizischen
Eisenbahn geht von Przemysl grösstenteils
in südlicher Richtung zunächst durch Flach-
land bis Chyröw an die Vorberge der Kar-
pathen Ueber Ustrzvki gelangt sie zur grossen
Wasserscheide bei Üstianowa zwischen dem
Schwarzen Meere und der Ostsee [Dniestr und
San]. Abgesehen von einer örtlichen Gegen-
steigung zwischen Olszanica und Zaluz geht
die Bahn im steten Gefälle bis in das San-
thal, bei Zagörz den Fluss übersetzend. Am
linken Ufer des Sanflusses beginnen wieder die
Steigungen und über Zagörz geht die Trace
längs des Ufers der Ostawa, und später
des Ostawica-Flusses, zieht bis Komancza
und erreicht nächst Lupköw die ungarische
Grenze und den Kamm derKarpatheti, welch
letzterer durch den 416 m langen Tunnel
durchbrochen wird.
Auf ungarischem Gebiete geht es im
Gefälle von I : 40 bis Sidrany und in sanf-
terem Gefälle bis Mezö-Laborcz. Im Thale
des Laborcz-Flusses geht es bis zur Station
Homonna, bis im engen Defile von Barkö die
Ebene erreicht wird. Ueber Nagy-Mihäly,
Banocz, Töke-Terebes gelangt die Bahn, auf
ihrem Wege sanfte Hügelketten übersetzend,
bis Legenye-Mihäly, der Anschlussstation der
ungarischen Nordostbahn.*) Die Herstellung
der Bahn war, abgesehen von dem grossen
Tunnel, noch überdies durch zahlreiche Ueber-
brückungen, bedeutende Erdarbeiten und
Felssprengungen, insbesondere aber durch
vielfache Rutschungen in der Karpathen-
strecke wesentlich erschwert.
Ohne jede staatliche Begünstigung
kam im Jahre 1869 die Ostrau-Fried-
lander Bahn zustande. Urheber der-
selben waren der Bergbaubesitzer Ignaz
Wondraöek, der Director der Zöptauer
und Stefanauer Eisenwerke Alois Scholz,
Dr. Max St einer und Anton Hon very. Die
Bewilligung zu den Vorarbeiten erhielten
die beiden Letztgenannten am 15. Juni
1868; desgleichen am 19. Juli 1868
die Kaiser Ferdinands - Nordbahn, die
aber nicht weiter in den Wettbewerb
trat. Als nun die gepflogenen Erhebun-
gen erwiesen, dass die Bahnverbindung
zwischen dem Ostrauer Kohlenreviere
*) Näheres vgl. Bd. III, J. Gonda, Die
Eisenbahnen Ungarns von 1867 bis zur Ge-
genwart.
und Friedland für all die vielen Industrieen
jenes Bezirkes, insbesonders die erzbischöf-
lichen Eisenwerke nächst Friedland und
die erzherzoglichen Eisenwerke in Lipina
[Karlshütte] und Baschka von augenschein-
licher Bedeutung sei, und dass der schon
damals vorhanden gewesene Frachten-
verkehr dieser Route eine gute Rente für
ein entsprechendes Anlage-Capital er-
warten lasse, überreichte das Consortium
am 25. September 1868 das Gesuch um
die definitive Concession. Diese wurde
ihm, da es keinerlei Ansprüche an
die Staatsverwaltung stellte, bereits
am 2. Januar 1869 auf die Dauer von
80 Jahren und mit der Verpflichtung
verliehen, die ganze Bahn binnen läng-
stens zwei Jahren dem Betriebe zu
übergeben.
Für die Ausführung der Bahn
wurde von den zwei ermittelten Tracen
die auf dem schlesischen Ufer der
Ostrawitza befindliche und von Ostrau
über Kunzendorf, Paskau, Lipina, Friedek,
Mistek nach Friedland gehende gewählt,
weil sie sich als minder schwierig
und kostspielig herausstellte, überdies
aber die mährische Trace eine Unter-
stützung von Seite der vorgenannten
Werke nicht zu erwarten hatte. Den
Bau übernahm mittels Vertrages vom
30. März 1869 die Unternehmung
Gebrüder Klein, wobei das Anlage-
Capital der 4J/2 Meilen langen Bahn
mit nominale 2,900.000 fl. und die
Beschaffung desselben je zur Hälfte in
Actien und Prioritäts-Obligationen fest-
gestellt wurde. Diese Stipulationen über-
gingen auch in das Gesellschafts-Statut,
dessen behördliche Genehmigung am
15. Mai 1869 erfolgte.
Nach der Verlautbarung des Ge-
setzes vom 20. Mai 1869, betreffend
die Steuerbefreiungen . für neue Eisen-
bahnlinien, hatte neben anderen ebenfalls
ohne jede staatliche Begünstigung
concessionirten Bahnen [Leibnitz-Eibis-
wald, Wiener - Neustadt - Grammat - Neu-
siedl] auch die Ostrau -Friedlander
Bahn beim Handelsministerium die Zu-
wendung der in jenem Gesetze vorge-
sehenen Begünstigungen nachgesucht.
Da aber die klare Fassung des Gesetzes
dessen Anwendung; auf bereits conces-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
85
sionirte Bahnen ausschloss, sah sich das
Ministerium bemüssigt, das Begehren ab-
zulehnen [17. Juni 1869], wonach der
am 1 . Juli 1 869, unter der Firma :
»K. k. priv. Ostrau-Friedlander
Bahn« constituirten Actien-Gesellschaft
nichts anders erübrigte, als sich in die
bestehenden Verhältnisse zu schicken.
Der Bau wurde am 18. August 1869
begonnen und mitjahresschluss 1870 voll-
endet; die Eröffnung der 32-9 km lan-
gen Bahn fand am 1. Januar 1871 statt,
Freiberg-Stramberg stand die Gesellschaft
schon in ernstlicher Unterhandlung, die
aber daran scheiterte, dass das Mini-
sterium nicht einmal die Steuerfreiheit
zugestehen mochte.
Die O s t r a u-F r i e d 1 a 11 d e r B a h n mündet
aus dem Kohlenbahnhof der Station Mährisch-
Ostrau der Kaiser Ferdinands-Xordbahn aus,
kreuzt die Montanbahn und läuft mit dieser
parallel bis Ostrau-Witkowitz, kreuzt sodann
den Witkowitzer Flügel der Montanbahn und
tritt nach Uebersetzuhg des Ostrawitza-
flusses aus dem mährischen Gebiete nach
Abb. 58. Trajectanlage in Bregcnz.
[Nach einer Photographie von W. Högler in Bregenz.J
doch musste für die Einfahrt in die Sta-
tion Ostrau, bis 21. Mai 1871, das Geleise
der Ostrauer Montanbahn benutzt wer-
den. Den Betrieb führt, auf Grund des
diesfalls am 26. October 1869 zunächst
für die Dauer von drei Jahren abge-
schlossenen [nachher immer erneuerten]
Vertrages die Kaiser Ferdinands-Xord-
bahn, welche auch die Fahrbetriebsmittel
beistellt.
Verschiedene Fortsetzungsprojecte,
mit denen sich die Gesellschaft im
Jahre 1870 und auch späterhin wieder
befasste, verliefen im Sande. Wegen der
Linien von Friedek einerseits nach Dzie-
dzitz, andererseits nach Xeutitschein, dann
Schlesien. Ueber Kunzendorf, Paskau und
längs der Ostrawitza über Karlshütte und
Friedek-Mistek führt die Trace nach Baschka,
und nachdem noch einmal die Ostrawitza
überbrückt wird, gelangt die Bahn bis Fried-
land.
Die Einfachheit der bei dem eben
besprochenen kleinen Unternehmen an-
gewendeten Concessionirungsweise hebt
sich scharf ab, nicht nur von den bis-
her in Uebung gestandenen reichlichen
Zuwendungen staatlicher Begünstigungen
an die Eisenbahnen, sondern auch von
denjenigen, mit welchen, in der Form
86
Ijjnaz Konta.
von langjährigen Steuerbefreiungen, auf
Grundlage des Gesetzes vom 20. Mai
1869, die Schaffung neuer Schienenwege
künftighin gefördert werden sollte; sie
hält, in weitem Umrisse genommen, die
Mitte ein zwischen diesen beiden Con-
cessionirungs-Arten und bildet gleichsam
die Brücke vom alten zum neuen
Systeme, das — abgesehen von einzelnen
Nachzüglern — jetzt allgemeine Geltung
gewann.
Der Uebergang vollzog sich rasch
und ohne jede Stockung, als ob es
in Oesterreich niemals staatliche Ga-
rantie- oder Vorschussleistungen gege-
ben hätte.
Die infolge reichen Erntesegens
in Ungarn und einigen österreichi-
schen Provinzen, dann der vermehrten
Kohlenproduction in Böhmen und des
Aufblühens vieler heimischen Industrie-
zweige gesteigerten Transporte und
Einnahmen der älteren Bahnen, erhöhten
immer mehr den Anreiz zur Schaffung
neuer Linien. Jeder Tag brachte neue
Projecte, die sogleich und, ohne dass da-
bei eine andere staatliche Unterstützung,
als die Steuerfreiheit, in Anspruch ge-
nommen wurde, viel umworben waren.
Die Regierung kam daher in die ange-
nehme Lage, ohne unmittelbare Bela-
stung des Staatsschatzes, die Maschen
des Eisenbahnnetzes verdichten, viele
Lücken ausfüllen und Mängeln abhelfen
zu können, die sich für das wirthschaft-
liche oder gesammtstaatliche Interesse
fühlbar gemacht hatten. Während der
ersten Geltungsperiode des Gesetzes über
die Steuerbefreiungen für neue Eisen-
bahnen wurden auf Grund desselben
acht, zusammen beiläufig 380 km lange
Bahnen concessionirt, welche im Nach-
stehenden eine nähere Erörterung finden.
Leoben-Vorder nberger Bahn.
Um die vorzügliche Leobener Kohle in
den allgemeinen Verkehr zu bringen,
dachte man schon im Jahre 1854 ernst-
lich daran, von der Südbahnstation Brück
an der Mur eine Zweiglinie nach Leoben
zu führen und dieselbe bis Vordernberg
zu verlängern. Trotz mehrfacher An-
läufe zur Schaffung dieses kurzen
Schienenweges, blieb er noch lange un-
gebaut. Leoben und den dortigen
Kohlenwerken brachte der zwischen Re-
gierung und Südbahn am 13. April 1867
geschlossene Vertrag die ersehnte Bahn-
verbindung, deren Ausführung die Süd-
bahn übernommen und mit I. September
1868 vollendet hatte. Vordernberg aber
sah sich noch immer auf die alte Fahr-
strasse angewiesen. Die dortigen Indu-
striellen erneuerten darum umso eifriger
die Bemühungen, »auch ihren Werken
jenes Transportmittel zu verschaffen, ohne
welches eine Massenproduction auf die
Dauer nicht concurrenzfähigbleiben kann«.
Greifbare Gestalt begannen diese Be-
mühungen jedoch erst dann anzunehmen,
als der Bürgermeister der Stadt Leoben,
Josef Herzog, und dessen Genossen im
October 1868 um die definitive Concession
für die Linie Leoben-Vordernberg, für
welche der Eisen werksbesitzer Franz Mayr
von M e 1 n h o f bereits am 29. November
1867 die Vorconcession erhalten hatte,
ansuchten. Die Bewerbung schlug aller-
dings fehl, weil damit das Verlangen
nach eben solchen Begünstigungen, wie
sie der Kronprinz Rudolf -Bahn zuge-
standen wurden, verknüpft gewesen.
Aber der Weg war gezeigt, der nun
eingeschlagen werden sollte.
Das Consortium des Grafen Franz
von Meran, welches am 23. Decem-
ber 1868 die Vorconcession für einige
Vicinalbahnen in Steiermark, darunter
auch jene von Leoben nach Vordern-
berg, erhalten hatte, schritt gleich
nach Vollendung der technischen Vor-
arbeiten um die definitive Concession für
die genannte Linie ein, vermied dabei
grosse Anforderungen an die Staatsver-
waltung, und kam damit zu dem ge-
wünschten Erfolge. Es erhielt am 8. Juli
1869 die auf dem Steuerbefreiungs-Ge-
setze vom 20. Mai 1869 beruhende, mit
einer fünfzehnjährigen Steuerfreiheit aus-
gestattete Concession, unter der Ver-
pflichtung, die Bahn binnen längstens
zwei Jahren dem Betriebe zu übergeben.
Das Statut der Actien-Gesellschaft »k. k.
priv. Leoben -Vordernberger Eisen-
bahn«, mit dem Sitze in Graz und einem
Capitale von 1 ,600.000 fl., zu % in Actien
[3200 Stück ä 200 fl.] und zu s/5 m Prio-
ritäts-Obligationen [3200 Stück ä 300 fl.],
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
87
wurde am 8. Januar 1870 behördlich
genehmigt, worauf dann am 16. desselben
Monats die Constituirung vor sich ging.
Vorläufig gelangten jedoch nur Titel im
Betrage von 1,350.000 fl. zur Ausgabe,
und zwar sind die Actien von den Gründern
selbst, die Prioritäten von dem Wiener
Wechselhause Weiss & Fischhof über-
nommen worden. Je 500 Stück der beiden
Werthgattungen behielt die Gesellschaft
in Reserve.
Den Bau übernahm und begann im
Frühjahre 1870 der Unternehmer H. Fröh-
lich. Anfänglich rasch fortschreitend, er-
litten die Arbeiten durch unvorhergesehene
Grundeinlösungs-Schwierigkeiten so be-
deutende Verzögerungen, dass eine Er-
streckung des Vollendungstermines nach-
gesucht werden musste, doch wurde auch
die mit 1. Januar 1872 abgelaufene neue
Frist nicht eingehalten, sondern die 1 5-2 km
lange Bahn erst am 18. Mai 1872 eröffnet.
Den Betrieb und die Beistellung der Be-
triebsmittel übernahm, mittels Vertrages
vom 12. November 187 1, die Südbahn
auf die ganze Dauer der Concession [der
Leoben- Vordernberger Bahn], jedoch mit
dem beiden Theilen vorbehaltenen Rechte
der Aufkündigung nach Ablauf der ersten
zehn Betriebsjahre.
So weit ging Alles ziemlich glatt, wenn
auch die Vermehrung der Intercalarzinsen
aus Anlass der verspäteten Betriebseröff-
nung und die Mehrauslagen für die Grund-
einlösung die Veräusserung der reservirten
Titel nothwendig machte — ■ und die Gesell-
schaft mit ihren, gegen Ende 1870 unter-
nommenen Schritten wegen einer Fort-
setzung ihrer Bahn über Eisenerz nach
Hieflau [siehe Rudolf-Bahn] nicht weit kam.
Alsbald brachen aber schwere Sorgen
über die Gesellschaft herein ; die Erträgnisse
blieben weit hinter den gehegten Er-
wartungen zurück, die Prioritäten-Coupons
konnten nur mit Hilfe von Wechselschulden
eingelöst werden, dann wurden auch diese
letzteren eingeklagt und die Bahn gerieth
in Calamitäten, denen sie sich erst nach
etlichen Jahren völlig zu entwinden ver-
mochte.
Die Leoben-Vordernberger Bahn
zieht vom Südbahnhofe in Leoben aus am
linken Ufer der Mur entlang, bis sie hinter
Waasen den Vordernberger Bach übersetzt;
Abb. 59. Bludenz.
Ignaz Konta.
hierauf gewännt sie mit einer Steigung von
I : 65 die Station Donawitz, übersetzt dann
abermals den Yordernberger Bach und geht
in gerader Richtung bis zur Station St. Peter
Freienstein am linken Ufer des Yordern-
berger Baches, wo sie einen Engpass erreicht
und sich mit einer Steigung von I : 40 gegen
die Station Trofaiach empcrwindet Nächst
Trofaiach übersetzt dieselbe den Gössbach,
geht hierauf mit einer continuirlichen Steigung
von 1 140 inmitten des Thaies, nachdem sie den
Krumpenbach übersetzt hat, in den Eng-
pass zwischen Hafring und Friedau^Yerk,
wo sie sich zwischen Felsen und Bach bis
zur Station Friedau-Werk hinschlängelt. Yon
hier aus geht sie in ziemlich gerader Rich-
tung und einer Steigung von I : 40 in der
Mitte des Thaies bis zur Station Yordern-
berg. Die Bahn überwindet in einer Länge
von 15225 km 231 m Steigung.
Dux-Bodenbacher Bahn. In
dem irrigen Glauben, dass sie den Kohlen-
transport aus dem Duxer Becken, so sehr
er auch von Jahr zu Jahr anwuchs, stets
allein werde bewältigen und in der eigenen
Hand behalten können, befasste sich die
Aussig- Teplitzer Bahn selbst dann, als sie
überhaupt an eine Erweiterung ihres
Unternehmens dachte, mit weitgehenden
Projecten, aber nie mit der Nothwendig-
keit der Schaffung lediglich einer zweiten
Abfuhrstrasse zur Elbe, beziehungsweise
zum Anschlüsse an die norddeutschen
Bahnen. Diese Zurückhaltung übte
auf die Grubenbesitzer und andern Be-
obachter der fortwährenden Ausbreitung
des norddeutschen Absatzgebietes für die
Braunkohle die Wirkung einer Heraus-
forderung zur Selbsthilfe. In kurzer
Frist tauchten mehrere Projecte auf,
welche sämmtlich dahin zielten, das
Duxer Becken auf einem zweiten Wege
mit dem norddeutschen Bahnnetze in
Verbindung zu setzen, so insbesondere
jene für die Linien : Dux-Klingenberg,
Mariaschein-Bodenbach, Dux-Pirna und
Dux-Bodenbach.
Das letztere, von dem k. k. Notar
Dr. Franz S t r a d a 1 in Teplitz ange-
regte Project, sagte der Regierung
am besten zu, weil es sich dabei um
eine minder schwierige, daher auch mit
geringerem Kostenaufwande herzustellende
Linie handelte, die aus dem eigent-
lichen Mittelpunkte des Kohlenbeckens un-
mittelbar nach Bodenbach führt und in
diesem Grenzorte nicht nur dreifachen
Bahnanschluss, darunter einen an die
sächsischen Staatsbahnen, findet, sondern
auch die Elbe trifft. Dr. Stradal hatte
am 1. September 1868 die Vorconcession
erhalten, bald danach auch ein über ge-
nügende Geldmittel verfügendes Con-
sortium gebildet und das Gesuch um die
definitive Concession überreicht. Er wurde
zwar ob dieser That von dem Zorne der
Aussig-Teplitzer Bahn getroffen, die ihn
aus ihrer Verwaltung, welcher er viele
Jahre hindurch angehört hatte, rundweg
ausschloss ; er liess sich jedoch dadurch
nicht beirren, blieb seinem Vorhaben
treu und erntete binnen Kurzem den Er-
folg seiner Bemühungen, indem er im
Vereine mit Rudolf Stradal und den
Firmen Otto Seebe, C. B. Eisentraut,
Johann Liebieg & Comp., am 9. Juli
1869 die angestrebte Concession erhielt.
Dieselbe beruht auf dem Gesetze vom
20. Mai 1869, gilt für die Linie Dux-
Bodenbach mit Anschluss an die nörd-
liche Staatseisenbahn daselbst und für
eine Schleppbahn von Bodenbach zur Elbe,
gewährt dem Unternehmer eine zwanzig-
jährige Steuerfreiheit und verpflichtet die
I Concessionäre, den Bau binnen drei
Monaten zu beginnen und binnen läng-
stens zwei Jahren zu vollenden. Als
1 zu dieser Concession gehörig ist der
Handelsministerial-Erlass vom 16. Juli
1869 anzusehen, welcher anordnet, dass
gegen entsprechende Ueberfuhrgebühr,
; beziehungsweise Frachten- Garantie seitens
der betreffenden Grubenbesitzer und In-
dustriellen, die Bahn in die Nähe des
Grubenfeldes »Britannia« zu rücken, einen
• Flügel zu den Kohlenbauen des Grafen
Westphalen und der Karbitzer Kohlen-
bergbau-Gewerkschaft »Saxonia« sowie
von Bünaburg in die Graf Thun'sche
Spinnerei und von Bodenbach in die
dortige Brauerei herzustellen hat.
So rasch als die Concessionäre in
den Besitz der Concession gelangt waren,
gingen sie an die Ausführung derselben.
I Am 7. August 1869 legten sie den
mittels Prioritäts - Obligationen zu be-
schaffenden Theil des Anlage-Capitals,
nämlich Titel im Betrage von 3,000.000 fl.
zum Curse von 75s/i% zur öffentlichen
Zeichnung auf und, nachdem diese
bestens geglückt war, am 1. September
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
89
1869, auch die 17.000 Actien ä 200 fl.
[=3,400.000 fl.] zum Curse von 178 fl.
Banknoten, welche nicht minder stark
überzeichnet wurden. Ebenfalls im Monate
August 1869 wurde der an den Unter-
nehmer C. Zacharias vergebene Bau in
Angriff genommen. Am 8. September
1869 erhielten die Statuten der »k. k.
priv. Dux-Bodenbacher Eisen-
bahn« die behördliche Genehmigung,
worauf, genau einen Monat später, die
Constituirung der Gesellschaft stattfand.
[Capital 6,400.000 fl., Sitz in Bodenbach.]
Zum Director des Unternehmens wurde der
frühere Transport-Inspector der Südbahn,
Johann Pechar, ein rühriger Vorkämpfer
für ermässigte Frachtsätze, ernannt.
dem Hause Liebieg propagirten Vereini-
gung der Dux-Bodenbacher [und der
Bielathal-] Bahn mit der Aussig-Teplitzer
Bahn geneigter zu machen, lässt sich
nicht mit Bestimmtheit angeben. That-
sache ist, dass der Verwaltungsrath der
Aussig-Teplitzer Bahn den ihm übermittel-
ten Fusionirungs- Entwurf am 19. März
1871 ablehnte, hingegen die am 31. März
1871 zu Wien abgehaltene General-
versammlung der Dux-Bodenbacher Bahn
sich dafür aussprach, die Concession
für die Linie Ossegg-Komotau selbst
mit Verzichtleistung auf die Steuer-
befreiung, also sozusagen um jeden Preis
anzustreben, und dass die Verwaltung
der letztgenannten Gesellschaft sich erst
.-' f-'-rr^-;-.
iiä^J^aa^
4SfiSH£«SawBUWE£-'»- -
Abb. 60. Station Königswald [Dux-Bodenbach].
[Nach einer Federzeichnung nach der Natur von F. Wachsinann/
Kaum unter Dach und Fach gebracht,
sah sich die Dux-Bodenbacher Bahn von
ihrem Gründer getrennt. Stradal und
mit ihm die Mehrheit des Verwaltungs-
rathes waren der Ansicht, dass die Ge-
sellschaft sich um die Concession für die
Linien Prag-Dux und Dux-Olbernhau be-
werben solle, begegnete aber hiebei dem
Widerstände des Hauptactionärs Baron
Liebieg, der bereits selbständig um die
Concession für die Prag-Duxer Bahn in
Bewerbung getreten war. Als nun die in
Prag abgehaltene erste ausserordentliche
Generalversammlung vom 26. März 1870
sich gleichfalls gegen die Bewerbung aus-
sprach, legte Stradal seine Verwaltungs-
raths-Stelle nieder. Etwas von seiner Ten-
denz war jedoch bei der Dux-Bodenbacher
Bahn zurückgeblieben, die jetzt ihr Augen-
merk auf die Linie Ossegg-Komotau
richtete.
Ob dies gleich von vornherein ernst
gemeint war oder blos dazu dienen
sollte, die Aussig-Teplitzer Bahn der von
daraufhin mit vermehrtem Eifer um die Er-
langung der neuen Concession bemühte.
Natürlicherweise sah die Aussig-
Teplitzer Bahn dem weiteren Vordringen
ihrer Concurrentin nicht müssig zu, son-
dern machte gleich dieser alle Anstren-
gungen, die Concession zu erlangen. Sei
es nun, dass sie zu spät zum Rechten
gesehen, sei es, dass sie ungünstigere
Bedingungen stellte oder dass der Protest,
welchen zahlreiche Gemeinden aus dem
Erzgebirge gegen die Verleihung der
Concession an die Aussig-Teplitzer Bahn
erhoben hatten, ihrer Erwerbung Eintrag
gethan ; sei es, dass die Erwägung, die
Dux-Bodenbacher Bahn könne erst durch
ihre Verlängerung bis Komotau volle Pro-
sperität gewinnen, zu Gunsten der letzteren
Gesellschaft den Ausschlag gegeben, —
diese blieb Siegerin und erhielt am
20. Mai 187 1 die Concession für die von
Komotau nach Ossegg zum Anschlüsse
an die Buschtehrader Bahn führende
Fortsetzungsstrecke, welche einen inte-
9°
Ignaz Konta.
grirenden Bestandtheil der Dux-Boden-
bacher Bahn zu bilden hat.
Eine staatliche Begünstigung wurde
der neuen Linie nicht zutheil, hingegen
gestattet, dass die Steuerfreiheit der älteren
Linie in der Weise gehandhabt werde,
dass die Gesellschaft die Steuern und Ge-
bühren nach Massgabe des Längenver-
hältnisses der beiden Linien entrichtet.
Die Baufrist der neuen Linie war mit
zwei Jahren bemessen. Auch diesmal
wurde sogleich zur Durchführung der
Concession geschritten und wieder mit
der Geldbeschaffung der Anfang gemacht.
Dieselbe umfasste aber nicht blos die mit
3,950.000 fl. veranschlagten Mittel für
die neue Linie, sondern auch die Be-
deckung des Mehrerfordernisses von
488.000 fl. für die alte Linie und der
[rund] 600.000 fl. betragenden Anlage-
kosten mehrerer Schleppbahnen, ferner
den Kaufschilling für das gräflich Wald-
stein'sche Kohlenwerk in Dux, dessen
Erwerbung die Generalversammlung vom
12. August 1871, zugleich mit der Emis-
sion von 16.000 Actien lit. B ä 200 fl.
und von 46.000 Obligationen ä 150 fl.,
genehmigte.
Das Haus Liebieg, welches alle
Actien und 33.544 fl. Obligationen,
und zwar beiderlei Werthe zum Curse
von 6g°/0 auf feste Rechnung genommen
hatte, räumte den Besitzern der Stamm-
actien [für die Tage vom 23. bis 30. No-
vember 1871] das Bezugsrecht auf 8500
Actien zum Curse von 189 fl. und auf
8500 Obligationen zum Curse von
129 fl. Banknoten ein, legte die restlichen
7500 Actien am 2. Februar 1872 zum
Curse von 76°/,, zur öffentlichen Zeich-
nung auf und übernahm späterhin auch
die übrigen 12.456 Obligationen zum
Curse von 87°/,,.
Den Bau der Linie Ossegg-Komotau
hat bei der am 5. November 187 1
durchgeführten Offertverhandlung der
Ober-Ingenieur Franz R z i h a erstan-
den. Mittlerweile hatte am 2. October
1871 die Eröffnung der 50-4 km langen
Linie Dux-Bodenbach stattgefunden, wel-
cher am 19. December 1892 auch jene
der 36 km langen Linie Ossegg-
Komotau folgte. — Ein bis dahin ein-
getretener weiterer Zuwachs an Schlepp-
bahnen, die Vermehrung des Fahrparkes,
die Vergrösserung der Werkstätte und
sonstige Erfordernisse erheischten neue
Geldmittel, welche die Gesellschaft sich
durch Aufnahme einer schwebenden
Schuld von 2,000.000 fl. verschaffte. Das rief
aber öffentliche Betrachtungen ihres finan-
ziellen Standes hervor, deren abfälligen
Ausklang der Verwaltungsrath in seinem
Geschäftsberichte pro 1872 mit folgen-
dem Satze beantwortete: »Die Dux-
Bodenbacher Bahn stellt sich zwar als
ein in seiner Anlage nicht billiges Unter-
nehmen dar, dieselbe ist aber weit über
die ihr ursprünglich gesetzten Grenzen
hinausgewachsen und nunmehr ein werth-
volles Object und mit allen Mitteln aus-
gerüstet, um die auf sie gestellten Hoff-
nungen erfüllen zu können.« Das beruhte
auf Wahrheit ; jedoch in der Zeit, bis es
buchstäblich zutraf, erlebte die Dux-
Bodenbacher Bahn gar wechselvolle
Schicksale.
Die Trace der Dux- B od enb ach er Bahn
zieht von dem Ausgangspunkte Dux gegen
das Ossegger Stift hinan, biegt dann nach
rechts ab gegen Hageholz, gelangt mit einem
stetigen Gefälle nach Kosten und hierauf,
an den Ortschaften Zuckmantel und Klein-
Augest vorüber, in den sogenannten Kuh-
busch, ein Eichenhain mit der Station Teplitz.
Von da führt die Bahn bei steter Steigung
nach Rosenthal, dann weiter am Fusse des
Erzgebirges bis Hohenstein und von hier über
den historisch bekannten Ort Kulm empör
zur Wasserscheide bei Klein-Kahn. Hinter
der Wasserscheide gelangt die Bahn in das
reizende Eulauthal, wo sie bis Bodenbach
verbleibt. In diesem Thale waren sehr be-
deutende Schwierigkeiten zu überwinden,
welche die Anwendung eines Gefälles von
1 : 50 und einen langen und tiefen Einschnitt
bedingten, durch welch letzteren die Bahn
nach Königswald und Eulau gelangt.
Vor Eulau zieht die Trace in einem sehr
rutschigen Terrain nach Bünaburg und von
da nach der Endstation Bodenbach, wo sie an
die dort einmündenden Bahnen aaschliesst.
Von Dux bis Teplitz durchschneidet die
Bahn das Terrain von zwanzig grossen Kohlen-
werken.
Die Ossegg-Komotauer Bahn zweigt
in der Xähe von Dux aus der Dux-Bodenbacher
Linie ab, um sofort zur Station Ossegg zu ge-
langen. Von hier aus steigt die Trace gegen
Dorf und Station Brück und weiterhin bis
zur Station Oberleitensdorf empor. Im fer-
neren Laufe schmiegt sich die Trace dem
Gefälle des Terrains an, berührt den Ort
Einsiedl und breitet sich in Obergeorgenthal
wieder zu einer Station aus. Fortwährend
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
91
Abb. 61. Bodenbach.
[Nach einer Federzeichnung nach der Natur von F. Wachsniann.]
fallend gelangt die Trace sodann nach Eisen-
berg, um von da ab, wieder stetig ansteigend,
über Görkau nach der Endstation Komotau
zu gelangen. In der Nähe des Alaunsees über-
setzt die Trace die Aussig-Teplitzer Bahn.
Am Endpunkte der Bahn — in Komotau
— schliesst dieselbe an die Geleise der
Buschtehrader Bahn an. [Abb. 60—63.]
Neratovic-Prag. Gleich bei ihren
ersten Berathungen über die Schaffung
einer directen Verbindung zwischen
Reichenberg und Prag, beziehungsweise
dem Buschtöhrad-Kladnoer Kohlenbecken
und dem Reichenberger Industriegebiete
[1856], hatten die betreffenden Inter-
essenten an eine »Turnau-Prager Bahn«
gedacht.*) Das von ihnen entsendete
engere Comitö, welches die Angelegenheit
genau erwägen und weiterführen sollte,
wählte aber, wie schon erwähnt wurde,
von den drei vorgeschlagenen Tracen
von Turnau nach Prag, Befkovic oder
Kralup, die letztere, ebensowohl um der
Kohlenverfrachtung nach Reichenberg hin
den Weg thunlichst zu kürzen, als auch
in der Annahme, dass es gelingen würde,
die Buschtöhrader Bahn zur Herstellung
der Linie Turnau-Kralup zu vermögen.
Dieser letztere Beweggrund war wohl
sehr bald in Wegfall gekommen, da die
Buschtöhrader Bahn den bezüglichen An-
trag in ihrer Generalversammlung vom
15. Februar 1862 ablehnte; das nun
wieder auf sich selbst angewiesene Grün-
dungscomite erachtete jedoch auch das erst-
erwähnte Motiv für wichtig genug, um an
dem Projecte Turnau-Kralup festzuhalten.
Immerhin aber blieb es bei der Erwerbung
der Concession für diese Bahn darauf
bedacht, derselben das Vorrecht für eine
Einmündungslinie nach Prag zu sichern.
*) Vgl. Bd. I, i.Theil, H. Strach, Eisen-
bahnen ohne Zinsengarantie, S. 367 u. ff.
Als nun die Böhmische Nordbahn,
deren Verkehr mit Prag die Turnau-
Kraluper Bahn vermittelt, vollendet war
und die letztere mittels der damals
schon in Ausführung gestandenen Prager
Verbindungsbahn Anschluss an die in
Prag einmündenden Bahnen linden konnte,
traf der Verwaltungsrath die Voreinleitun-
gen für die Herstellung der Linie
Neratovic-Prag [1868] und trat sodann
mit Zustimmung der Generalversammlung
vom 22. Mai 1869 in Bewerbung um
die definitive Concession.
Die Verhandlungen mit der Regierung
währten, da die Gesellschaft keine Staats-
garantie beanspruchte, nur kurze Zeit;
am 20. August war sie bereits im Be-
sitze der erbetenen Concession für die
von der Stammbahn bei Neratovic
ausgehende Linie nach Prag zum
Anschlüsse an die Kaiser Franz Josef-
Bahn, eventuell an die nördliche Linie
der priv. Oesterreichischen Staats-
eisenbahn-Gesellschaft. Die Con-
cession gewährte der neuen Linie, die
einen integrirenden Bestandtheil der
Turnau- Kraluper Bahn zu bilden hat,
auf Grund des Gesetzes vom 20.
Mai 1869 eine zwanzigjährige Steuer-
befreiung, die auch in der Weise aus-
geführt werden kann, dass die Ent-
richtung der Einkommensteuer für die
alte Linie nach Massgabe des Verhält-
nisses der Meilenlänge der letzteren zur
ersteren stattfindet. Die Baufrist war
mit längstens einem Jahre nach der Voll-
endung der Linie Gmünd -Prag der
Kaiser Franz Josef-Bahn festgesetzt.
In einer Beziehung war jedoch die Con-
cession minder günstig für die Gesell-
schaft ; sie setzte nämlich, sowohl für die
alte als für die neue Linie ziffermässig um-
92
Ignaz Konta.
grenzte Tarife fest und hob daher die freie
Tarifbestimmung auf, welche die Turnau-
Kraluper Bahn bis dahin besessen hatte.
Das mit 3,500.000 fl. veranschlagte
Anlage-Capital wurde durch Ausgabe
5 °/0iger Prioritäts-Obligationen im Betrage
von 1,999.950 fl. [13.333 Stück ä 150 fl.]
und 7500 Actien ä 200 fl. beschafft. Die
ersteren wurden von der >Allgemeinen
deutschen Credit-Anstalt« in Gemeinschaft
mit der »Allgemeinen böhmischen Bank«
übernommen und am 28. December 1 869 im
Wege der öffentlichen Zeichnung, zum
Curse von 76% glatt weiter begeben ;
die Actien wurden von den Besitzern der
älteren Titel und von den Eigenthümern
der an der Bahn gelegenen Zuckerfabriken
eine bedeutende Verzögerung. Die Eröff-
nung dieser 19-4 km langen Strecke und
zugleich der ganzen Linie für den Gesammt-
verkehr erfolgte am 28. October 1872.
Zur selben Zeit bewerkstelligte die
Gesellschaft auch eine, durch die Ver-
kehrszunahme nothwendig gewordene, er-
hebliche Vermehrung des Fahrparkes so-
wie die Ausgestaltung der alten Linie
und erbaute, ihren günstigen Verhältnissen
entsprechend, ein eigenes Directions-
Gebäude in Prag. Zur Beschaffung
der hiefür erforderlichen Geldmittel be-
willigte die Generalversammlung vom
25. Mai 1872 eine weitere Erhöhung
des Gesellschafts-Capitals auf nunmehr
13,000.000 fl. durch Ausgabe von 5000
Abb. 62. Station und Schloss Eisenberg [Dux-Bodenbach].
[Nach einer Federzeichnung nach der Natur von F. Wachsmann.]
zum vollen Nennwerthe bezogen. Die im
Juli 1870 begonnenen Bauarbeiten waren
in drei Lose getheilt, deren erstes
[Neratovic-Lieben] an die Unternehmung
Solch & Tichy pauschaliter vergeben,
das zweite [Lieben-Prag] von der Gesell-
schaft, deren Director Georg Low ein
vorzüglicher Techniker und Administrator
gewesen, in eigener Regie — unter Mit-
wirkung des im Tunnelbau wohlerfahrenen
Ober-Ingenieurs F. R z i h a — ausgeführt,
das dritte, blos mindere Arbeiten um-
fassende, einem kleinen Unternehmer gegen
Einheitspreise vergeben wurde.
Der Bau nahm einen ungleichmässigen
Fortgang. Während die 14' 7 km lange
Strecke Neratovic-Cakovic bereits am
23. October 1871 für den Güterverkehr
in Benützung genommen werden konnte,
erlitt die Vollendung der Strecke C'akovic-
Prag durch geologische Hindernisse,
welche die Tunnelirung des Zizkaberges
erschwerten, und durch die sehr umfang-
reichen Aufschüttungsarbeiten bei Lieben,
Actien ä 200 fl. und 10.000 Prioritäts-
Obligationen ä 1 50 fl. ; wirklich begeben
wurden jedoch damals nur die Prioritäten,
und zwar an die Leipziger Discont-Gesell-
schaft zum Curse von 93 ; die Actien
oder richtiger die hernach statt derselben
emittirten Prioritäten kamen erst später
zur Begebung.
Die Trace Prag-Neratovic hat ihren
Anfangspunkt in Prag, wo sie aus dem mit
der Kaiser Franz Josef-Bahn gemeinschaft-
lichen Bahnhofe ausmündet. Sie schlägt eine
nordöstliche Richtung ein und tritt durch den
Zizkaberg-Tunnel in das Liebenerthal ein.
Hier wird zuerst an der linkseitigen Lehne
die Staatseisenbahn übersetzt und weiter das
Liebenerthal und die Oesterreichische XorJ-
westbahn quer überschritten. Sodann ver-
folgt die Bahnlinie die rechtseitigen Lehnen
des Liebenerthaies, um in steter Steigung
die Wasserscheide zwischen der Moldau
und der Elbe bei Sattalitz zu ersteigen. Von
diesem Plateau aus senkt sich die Trace bis
an die Ufergehänge der Elbe herab und
mündet in Xeratovic, wo ein eigener Bahn-
hof errichtet wurde, in die alte Linie der
Turnau-Kraluper Bahn ein.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
93
Abb. 63. Koinotau. [Nach einer Federzeichnung nach der Natur von F. Wachsmann.]
Wiener- Neustadt - Grammat-
Neusiedler Bahn. Diese schon zu
Beginn der Sechziger-Jahre von mehreren
Fabriksbesitzern geplante, den Hauptsitz
der niederösterreichischen Mühlen- und
Spinnerei-Industrie durchziehende Verbin-
dungslinie zwischen der alten Raaber und
Gloggnitzer Bahn war bereits einmal,
nämlich am 30. September 1864, einer
Gemeinschaft von Industriellen [Alexander
v. Schoeller, Hermann Wittgenstein u. A.]
concessionirt, und hätte spätestens im
Jahre 1868 dem Betriebe übergeben
werden sollen. Trotz der bekannten
Wohlhabenheit der Concessionäre und
ihrer Mitinteressenten wollte jedoch die
Aufbringung des Capitals nicht gelingen.
Nach wiederholt erhaltener Verlängerung
des Termines für den Baubeginn, und
• nachdem ihnen der Versuch, eine Steuer-
befreiung auf Grund des Gesetzes vom
20. Mai 1869 hinterher zu erlangen, miss-
glückte [17. Juni 1869], legten die Con-
cessionäre die Concession ganz zurück.
Das Project aber blieb nicht eine Stunde
lang verwaist. Aus dem Kreise der
Interessenten traten sofort andere Be-
werber auf, und am 20. August 1869
erhielten der Grosshändler Gustav
Schoeller in Gemeinschaft mit dem
Fabriksbesitzer Alfred Skene die mit
einer fünfzehnjährigen Steuerbefreiung
ausgestattete Concession für die Linie
Wiener- Neustadt - Grammat-
Neusiedl nebst eventueller Zweigbahn
nach Neufeld. Jetzt ging die Angele-
genheit auch rascher vonstatten. Der
»Wiener Bankverein« übernahm den
Bau oder [wie es nach aussen be-
zeichnet wurde] gesellte sich, behufs
der Ausführung des Baues in eigener
Regie, den Concessionären bei, stellte
auch einstweilen, d. h. bis zur Ausgabe
der Titel, die Geldmittel zur Verfügung,
und wendete den Bauarbeiten solchen
Eifer zu, dass dieselben, obschon ihre
Inangriffnahme durch Grundeinlösungs-
Schwierigkeiten bis in den Herbst 1870
verzögert wurde, rechtzeitig zu Ende ge-
diehen und die Eröffnung der 33 '7 km
langen Bahn am 1. September 1871 statt-
finden konnte.
Inzwischen hatte das Handelsmi-
nisterium am 18. Mai 1871 die Bau-
bewilligung für den österreichischen und
die königliche ungarische Regierung
am 21. Juni 1871 die Concession für den
ungarischen Theil [095 km] der kurzen
Zweigbahn vonEbenfurth nach Neu-
feld [im Ganzen 2-3 km lang] ertheilt,
welche alsbald gebaut und am 20. März
1872 dem Betriebe übergeben wurde.
Die ursprünglich mit beiläufig I — I '/2
Millionen Gulden veranschlagt gewesenen
Anlagekosten stellten sich thatsächlich
auf nominale 4,000.000 fl. — Die Betriebs-
führung übernahm die Südbahn. Die
Wiener - Neustadt - Grammat - Neusiedler
Bahn blieb übrigens nicht lange ein selb-
ständiges Unternehmen, da sie im Jahre
1874 in die dem Wiener Bankvereine
concessionirte Wien - Pottendorfer Bahn
[s. d.] aufging.
Die Wiener-Neustadt - Grammat-
Neusiedler Bahn, zieht von Wiener-Neu-
stadt durch das Centrum der niederöster-
reichischen Mühlen- und Spinnerei-Industrie,
berührt die Orte Ober-Eggendorf, Eben-
furth, Pottendorf [Landegg], Unter-Walters-
dorf und Mitterndorf [Moosbrunn} und mün-
det in Grammat-Neusiedl in die Neu-Szönyer
Linie der Staatseisenbahn ein. Die Flügelbahn
von Ebenfurth nach Neufeld führt bis zu den
fürstlich Esterhazy'schen Kohlengruben bei
Neufeld. Die Terrainverhältnisse waren gute,
technische Schwierigkeiten waren nicht vor-
handen.
Salzburg-Halleiner Bahn. Ebenso
wie in dem ersten, seitens der Regierung
bereits im Jahre 1842 verfolgten Projecte
einer Eisenbahn zwischen Salzburg und
Brück an der Mur, war die Strecke Salz-
burg-Hallein auch in dem zweiten Pro-
jecte inbegriffen, mit welchem die Re-
gierung sich befasste, als der Staats-
94
Ignaz Konta.
vertrag mit Bayern, ddto. 21. Juni 1851,
ihr den Bau einer Verbindung zwischen
Stei ermark und Salzburgzur Pflicht machte.
Als aber am 21. April 1856 ein anderer
Staatsvertrag mit Bayern geschlossen und
darin blos die Herstellung einer »directen
Bahn von Wien nach Salzburg* stipulirt
wurde, blieb sammt dem ganzen erst-
erwähnten Projecte auch dessen Theil:
Salzburg-Hallein unausgeführt. Für sich
allein war dieser Theil in der Ausdehnung
bis Golling, als ein kleines Unternehmen
im Jahre 1863 von dem Ingenieur Julius
Kitzler geplant, ohne jedoch über die
ersten Anfänge hinauszukommen. Vier
Jahre später richtete das Handelsministe-
rium an die Kaiserin Elisabeth-Bahn die
Aufforderung zur Bekanntgabe der Be-
dingungen, unter welchen sie geneigt
wäre, den Bau und Betrieb der Flügel-
bahn von Salzburg nach Hallein zu über-
nehmen.
Diese Gesellschaft verlangte nun,
dass in den Halleiner Salzsudwerken
die Kohlenfeuerung eingeführt und die
Kohlentransporte dahin ebenso wie die
Salztransporte von Hallein nach Salzburg
der neuen Linie zugesichert werden
sollen. Das Alles sagte dem Finanz-
ministerium nicht zu. Ueberdies fügte
das Handelsministerium dem ablehnen-
den Bescheide noch die Bemerkung bei,
»dass die Strecke Salzburg-Hallein einen
Bestandtheil jener grossen Linie bilde,
welche seinerzeit Tirol, Salzburg und
Steiermark durchwegs auf österreichischem
Gebiete zu verbinden bestimmt sei, wes-
halb man sich die Vereinigung der zu-
nächst zur Ausführung zu bringenden
Halleiner Flügelbahn mit dem erwähnten
grossen Unternehmen, im Falle des Zu-
standekommens des Letzteren, jedenfalls
vorbehalten müsse«. Auf das hin nahm
die Kaiserin Elisabeth-Bahn sich nicht
weiter der Sache an, die nun, obzwar
die Landtage der Alpenländer in den
Jahren 1867 und 1868 dringendst nach
den Linien Innsbruck-Rottenmann, be-
ziehungsweise Salzburg verlangten und
der Gründer der Vorarlberger Bahn,
Karl Ganahl, seine damaligen Bemühun-
gen um die Zustandebringung der Arlberg-
Bahn auch den vorgenannten Linien zu-
wendete, dennoch nicht von der Stelle
rückte, bis der Bauunternehmer Karl
Schwarz im Jahre 1 869 die Concession
für die Linie Salzburg - Hallein nach-
suchte und am 7. September 1869 auch
erhielt.*)
Beruhend auf dem Gesetze vom
20. Mai 1869 gewährte sie dieser Bahn
eine fünfzehnjährige Steuerfreiheit ; ver-
pflichtete aber den Concessionär, wenn
späterhin eine andere aus Steiermark oder
Tirol über Hallein nach Salzburg führende
Eisenbahn concessionirt werden sollte,
dem Concessionär dieser letzteren die
Bahn gegen eine von demselben zu
leistende Entschädigung abzutreten, deren
Höhe der Vereinbarung beider Theile
überlassen blieb, oder, wenn die letztere
nicht zustande käme, von der Staatsver-
waltung, nach den für die concessions-
mässige Einlösung der Bahn festge-
stellten Grundsätzen,*) bestimmt werden
sollte.
Der Bauvollendungstermin war auf
den 7. Juni 1871 angesetzt.
Die Arbeiten, mit deren Ausfüh-
rung die Unternehmung Fritsch, Theuer
& Comp, betraut gewesen, wurden Ende
April 1870 begonnen und binnen
fünfzehn Monaten vollendet. Die Er-
öffnung der 17*5 km langen Bahn fand
am 15. Juli 1871 statt. Die Betriebs-
führung übernahm auf Grund des Ver-
trages vom 8. August 1871 die Kaiserin
Elisabeth-Bahn.
Gestützt auf die Credit- Anstalt, welche
ihm auch bei der Herstellung der Linie
Salzburg-Hallein finanzielle Beihilfe ge-
leistet, trat der Concessionär der letzteren
in die Reihe der Bewerber um die
Concession für die Bahn nach Rotten-
mann und Innsbruck ein, nachdem er die
bezügliche Vorconcession schon am
11. April 1870 erhalten hatte. Die erst
im Spätherbst 1872 getroffene Entschei-
dung fiel jedoch nicht zu seinen Gunsten
aus. Die grosse neue Linie [Salzburg-
*) Thatsächlich ausgehändigt wurde die
Concessions-Urkunde erst, nachdem der Con-
cessionär sich mittels Eingabe vom 12. März
1870 bereit erklärt hatte, die ihm mit den
Handelsministerial-Erlässen vom 25. October
1869 und 8. März 1S70 bekannt gegebenen
Bestimmungen über die Art der Entschädi-
gungsleistung im Falle der Abtretung der
Bahn, anzunehmen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
95
Tiroler Bahn] fiel der Kaiserin Elisabeth-
Bahn zu, die sohin auch die Salzburg-
Halleiner Bahn einlöste [August 1875].
Die Bahn mündet in Salzburg ausserhalb
des Frachtenbahnhofes der Elisabeth-Bahn
aus, umkreist den Kapuzinerberg an der
nördlichen und östlichen Seite desselben und
nähert sich dann der Salzach, an deren
rechtem Ufer sie bis Hallein zieht. Auf
dem Wege dahin werden die Orte Aigen
und Puch berührt. Die Terrainverhältnisse
waren günstige.
Hohenstadt-Zöptauer Bahn.
Nicht weniger als ein Zeitraum von 24
Jahren liegt zwischen dem ersten Plane
und der wirklichen Ausführung dieser
kleinen Bahn. Sie wurde nämlich schon
im Jahre 1846 von Franz Klein, dem
Theilhaber der Bauunternehmung Gebrü-
der Klein, in Anregung gebracht, der, nach
damaliger Gepflogenheit, auch sogleich
eine Subscription zur Sicherung des er-
forderlichen Capitals eingeleitet hatte,
jedoch dabei kein zureichendes Ergebnis
erzielt haben mag; denn nach einer
kurzen Frist war von dem Projecte
nicht mehr die Rede, bis im Jahre 1853
neuerliche Bestrebungen den Ingenieur
Schebeck veranlassten, dasselbe vollstän-
dig auszuarbeiten. Ein Erfolg ging aber
auch daraus nicht hervor. Ende 1862
und hernach wieder im Jahre 1867 pro-
jectirten die Gebrüder Klein eine Linie
Hohenstadt -Zöptau - Altstadt-Goldenstein-
Freiwaldau-Neisse, dann im Jahre 1869
der Graf Karl Althann und das Schön-
berger Comite die Linie Sternberg-Nieder-
lipka mit Zweigbahnen von Schönberg
einerseits nach Hohenstadt, andererseits
nach Zöptau. Im selben Jahre, nach der
Verlautbarung des Gesetzes über die
Steuerfreiheit für neue Eisenbahnen, be-
warben sich auch die Gebrüder Klein um
die Concession für die Linie Hohenstadt-
Zöptau allein, und es glückte ihnen jetzt
das Project, welches sie vor mehr als
zwei Jahrzehnten zuerst in Anregung ge-
bracht hatten, zu verwirklichen. Sie
erhielten am 6. December 1869 die
Concession für die Bahn von Hohen-
stadt im Anschlüsse an den Olmütz-
Trübauer Flügel der Oesterreichischen
Staatseisenbahn-Gesellschaft über Mäh-
risch-Schönberg nach Zöptau zu
den dortigen Eisenwerken. Der Bau war
binnen drei Monaten in Angriff zu nehmen
und binnen weiteren zwei Jahren zu voll-
enden. Auf Grund des vorerwähnten
Gesetzes vom 20. Mai 1869, war dem
Unternehmen eine zwanzigjährige Steuer-
freiheit zugestanden.
Der im Frühjahre 1870 begonnene, von
den Concessionären selbst ausgeführte Bau
ging ungestört vor sich; die Eröffnung
der 22-2 km langen Bahn fand am
1. October 1871 statt. Den Betrieb über-
nahm die Staatseisenbahn -Gesellschaft,
führte ihn jedoch nur zw^ei Jahre, da er ab
15. October 1873 von der damals ins
Leben getretenen MährischenGrenz-
b a h n, an welche der Besitz der Hohen-
stadt-Zöptauer Bahn übergegangen, in
eigener Regie besorgt wurde. Die Bau-
kosten waren mit 1,400.000 fl. veran-
schlagt, stellten sich aber höher; die
Mährische Grenzbahn entrichtete einen
Kaufpreis von nominale 2,000.000 fl.
Die LinieHohenstadt-Zöptauhat ihren
Ausgangspunkt am Stationsplatze in Hohen-
stadt, wendet sich von da nordwestlich, über-
setzt den Sazawafluss und nimmt unter
günstigen Steigungen ihren Lauf nach Heilen-
dorf. Hinter dieser Station übersetzt die
Bahn den Marchfluss und steigt bis Blauda,
geht weiter bis Mährisch-Schönberg, über-
setzt dann den Thessfluss, das Thessthal
bis in die Nähe von Reitendorf weiter
verfolgend und gewinnt sodann im Merta-
thale die Station Petersdorf.
Von da aus führt sie eine kurze Strecke
parallel mit der Aerarialstrasse, übersetzt
dieselbe mit einer Rampe, dann weiter den
Mertabach mit einer Brücke und erreicht
an der rechten Lehne des Mertabaches die
Endstation Zöptau, in deren Nähe sich die
bekannten Eisenwerke befinden, welche durch
zwei Werkbahnen mit dem Stationsplatze in
Verbindung stehen.
Ebensee-I schier Eisenbahn. Je
mehr die Beliebtheit und der Besuch des
Salzkammergutes, insbesondere der reizen-
den Sommerfrische Ischl, zunahm, desto
häufiger kam auch die Anlage eines
Schienenweges von Gmunden nach Ischl
zur Sprache. Zuerst war der Bau einer
Pferdebahn in Aussicht genommen, und
zwar von dem Vertreter einiger auslän-
dischen Firmen in Wien, Rudolf Stetcke
[1867], sowie hernach von dem Spezerei-
händler Ludwig Bresanyi, dem sich später
96
Ignaz Konta.
die Wiener Bankhäuser Ed. Fürst und
Weiss & Fischhof und die Verwaltungs-
räthe der Kaiserin Elisabeth-Bahn Alfred
Lenz und August Kaulla beigesellten
[1868]. Gegen diese Projecte erhob
die Gemeindevertretung von Ischl Ein-
sprache, weil sie dieselben überhaupt
für ungenügend , überdies aber auch
als dem Strassenverkehre und dem Zu-
standekommen einer Locomotivbahn hin-
derlich erachtete. Das Handelsministerium
fand jedoch, dass diese Einwände jeder
sachgemässen Begründung entbehren und
ertheilte dem Consortium Bresanyi am
1 1 . März 1 869 die auf die Dauer von
35 Jahren giltige Concession für eine,
unter Benützung der Reichsstrasse zu
erbauende Pferdebahn amerikanischen
Systems von Ebensee nach Ischl, aller-
dings mit der ausdrücklichen Schlussbe-
merkung, dass diese Concession »keines-
wegs ein ausschliessliches Recht be-
gründet, und namentlich nicht hindern
kann, dass eine die Orte Ebensee und
Ischl verbindende andere Transport-
unternehmung, z. B. eine Locomotiv-
Eisenbahn, concessionirt und hergestellt
werde«.
Zu Beginn des Jahres 1869 war jedoch
auchdasProjecteinerLocomotiv-Eisenbahn
Ebensee-Ischl schon auf die Tagesordnung
gestellt. Der Ischler Badearzt, kaiserlicher
Rath Dr. Josef Ritter von Brenner-Felsach,
in Gemeinschaft mit vielen Notabilitäten
Ischl's, erhielt nach mehrmonatlicher Be-
werbung am 9.December 1869, unter Zu-
gestehung einer fünfundzwanzigjährigen
Steuerfreiheit die bezügliche Concession
[auf Grund des Gesetzes vom 21. Mai
1869] mit der Verpflichtung, vom
Ischler Bahnhofe eine Pferdebahn zum
dortigen Salzsudwerke herzustellen, die
Strecke Ebensee-Ischl binnen längstens
zwei und die Strecke Ischl-Steg binnen
weiteren drei Jahren zu vollenden. Zu-
gleich wurde, wegen der allfälligen Er-
richtung eines Trajectdienstes auf dem
Traunsee, die Anwendung der jeweiligen
Spurweite der Lambach-Gmundner Bahn
angeordnet.
Es gab jetzt also mit einem Male
zwei concessionirte Bahnen nach Ischl,
Lebensbedingungen jedoch nur für
eine derselben ; die Pferdebahn, als
voraussichtlich schwächerer Rivale, Hess
es auf einen Kampf gar nicht an-
kommen, sondern räumte sogleich das
Feld. Allein den Ischlern gereichte dies
nicht zum Vortheil ; denn auch die Loco-
motivbahn blieb ungebaut und Ischl noch
ein weiteres Jahrzehnt ohne Eisenbahn-
verbindung.
Nach verschiedenen fruchtlosen Geld-
beschaffungs-Versuchen, verkaufte das
Consortium die Concession dem Engländer
J. Sharp, der nun in Verbindung mit
der Wiener Wechslerbank im November
1871 die Actien-Gesellschaft : »k. k. priv.
Ebensee- Ischl -Steger Eisenbahn« mit
einem in 9000 Actien ä 200 fl. und 9000
Prioritäts-Obligationen ä 300 fl. geglie-
derten Capitale von 4,500.000 fl. errich-
tete. Die Wechslerbank bemühte sich
vergebens, die Prioritäten in feste Hände
zu bringen. Mr. Sharp, der sämmtliche
Actien und auch den Bau übernommen
hatte, führte den letzteren zum bedeuten-
den Theile aus, musste ihn aber auf-
geben, nachdem die Wiener Wechsler-
bank, welche der Bahngesellschaft noch
1,500.000 fl. für übernommene Priori-
täten schuldete, zugrunde ging [1873].
Am 23. Juli 1874 erklärte das Handels-
ministerium die Concession als erloschen.
Die Trace, und was von den Bauten
und Materialien der Ebensee-Ischl-Steger
Eisenbahn hiezu tauglich gewesen, fand
später bei der ' Salzkammergut - Bahn
[s. w. u.] Verwendung.
Ausser den im Vorstehenden bespro-
chenen Eisenbahnen, ist auf Grund des
Gesetzes vom 20. Mai 1869, auch die
Linie Lobositz-Dux-Niklasberg, und zwar
am 7. Juli 1869, einem von dem Prinzen
Arthur Rohan gebildeten Consortium,
unter Gewährung einer zwanzigjährigen
Steuerfreiheit concessionirt worden. Diese,
auch »Böhmisch-sächsische Eisen-
bahn« benannte Linie ist, anlässlich
der Berathungen des Abgeordnetenhauses
über die Erneuerung jenes Gesetzes, von
dem Berichterstatter unter den im Jahre
1869 blos mit Gewährung zeitlicher
Steuerfreiheit concessionirten Bahnen auf-
gezählt und auch im »Centralblatt für
Eisenbahnen und Dampfschiffahrt« pro
1869, als bereits der a. h. Genehmi-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
97
gung theilhaftig, angegeben. Verlaut-
bart wurde die Concession jedoch nicht,
ebensowenig den Concessionären ausge-
folgt, wahrscheinlich weil dieselben die
Sicherstellung für die genaue Erfüllung
der concessionsmässigen Obliegenheiten
nicht leisten konnten. In dem Motiven-
berichte zu dem am 7. Juni 1872 im
Reichsrathe eingebrachten Gesetzentwurfe
über die Sicherstellung der Linie Brüx-
Mulde ist die Linie Lobositz-Xiklasberg
einfach als nicht zustande gekommen
bezeichnet. Darum braucht dieser An-
gelegenheit auch hier nicht weiter ge-
dacht zu werden.
Obgleich im Herbste 1869 heftige
Fieberschauer den Geldmarkt durchrüt-
telten, welche seitens einer Minderzahl
von Bedächtigen bereits als Anzeichen
eines aufkeimenden schweren wirtschaft-
lichen Uebels gedeutet wurden, erfreute
sich die räumliche Weiterentwicklung
des österreichischen Eisenbahnnetzes auch
im Jahre 1870 neuerlicher Fortschritte.
Die Projectirungen mehrten sich täglich
und mit ihnen die Bewerbungen um
neue Concessionen. Die Regierung stand
also in dieser Hinsicht fast noch besseren
Verhältnissen gegenüber als im Vorjahre ;
sie war jedoch an der Fortsetzung
der Concessionirungs - Thätigkeit da-
durch behindert, dass die Giltigkeit des
Steuerbefreiungs-Gesetzes vom 20. Mai
1869 mit dem Wiederzusammentritte des
Reichsrathes [11. December 1869] auf-
hörte und zur Einbringung, beziehungs-
weise Erledigimg von Specialgesetzen
die nöthige Zeit mangelte, was sich an-
lässlich der am 3. März 1870 erfolgten
Vorlage von Gesetzentwürfen in Betreff
der Sicherstellung einiger mit Staats-
garantie auszustattenden Linien [Lemberg-
Stryj-Skole, Villach-Tarvis, Tarvis-Görz
und Wildenschwert - Mittelwalde], die
sämmtlich unerledigt gelassen wurden,
unverkennbar erwies.
Die Pause währte aber nicht lange.
Der Urheber jenes Gesetzes, der Abge-
ordnete Steffens, verhalf demselben zu
einer Erneuerung; er beantragte am
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
3. März 1870 die abermalige Schaffung
eines derartigen, wieder nur für die Zeit,
in welcher der Reichsrath nicht ver-
sammelt ist, geltenden Gesetzes und fand
hiemit besten Anklang. Sowohl bei der am
8. März vorgenommenen ersten, als auch
bei der zweiten und dritten Lesung des
neuen Gesetzes über Steuerbefreiungen für
neue Eisenbahnen, am 28. März, wurde
von dem Antragsteller ausgeführt, dass das
Gesetz sich als nützlich erwiesen habe
und der damit unternommene Versuch
als gelungen zu betrachten sei ; dass
ferner, »wenn es immerhin noch Eisen-
bahnen gebe, die infolge von Terrain-
schwierigkeiten ein grösseres Anlage-
Capital in Anspruch nehmen oder deren
Rentabilität sich nicht mit jener Gewiss-
heit gleich beim Beginne des Betriebes
nachweisen lässt, welche das Capital
veranlassen kann, sich denselben unbe-
dingt hinzugeben, die aber dennoch ein
so grosses Interesse fördern, dass der Staat
veranlasst werden kann, zu deren Zu-
standekommen Opfer zu bringen, — die
Zahl derselben durch die Reactivirung
des Gesetzes doch jedenfalls beträchtlich
vermindert wird«. Das neue Gesetz wurde
angenommen, am 6. April auch vom
Herrenhause, und erhielt am 13. April
1870 die a. h. Sanction.
Indessen ist übrigens, als Nachzügler
vom Jahre 1869, eine Concession mit
Staatsgarantie denn doch ertheilt worden,
nämlich für den österreichischen Theil
der »Ungarischen Westbahn«.
Diese, ursprünglich » Raab-Grazer« , be-
ziehungsweise »Stuhweissenburor - Raab-
Grazer Eisenbahn« benannte Unterneh-
mung ist eine derjenigen, welche in der
Denkschrift zur 1869er allgemeinen Vorlage
über die Vervollständigung des österreichi-
schen Eisenbahnnetzes, nicht blos als für
den Anschluss der ungarischen an die öster-
reichischen Bahnlinien wünschenswerth,
sondern auch als eine Verbindung be-
zeichnet ist, die für die Versorgung
Obersteiermarks mit Getreide von grosser
Wichtigkeit sei und bei Fortsetzung der
Graz-Köflacher Bahn bis an die Kron-
prinz Rudolf-Bahn das Mittelglied der
aus Ungarn in westlicher Richtung durch
die österreichischen Gebirgsländer führen-
den kürzesten Bahnlinie bilden würde.
98
Ignaz Konta
Ihre erste Projectirung fällt jedoch
bereits in das Jahr 1862; denn damals
wurde , nachdem das Project Raab-
Keszthely im Sande verlief, sogleich
ein anderes zur Verbindung des grossen
Getreideplatzes Raab mit der Südbahn
gesucht. Am zweckentsprechendsten hie-
für erwies sich das von dem Fabriks-
besitzer Friedrich Hoffmann im Ver-
eine mit einigen Ingenieuren entwor-
fene und im Jahre 1865 in Aus-
arbeitung genommene Project Graz-Raab
mit der eventuellen Fortsetzung über die
Donau bis nach Sillein; doch erging es
ihm nicht besser als seinem Vorläufer.
Darum stockte die Angelegenheit, bis die
königlich ungarische Regierung Ende Oc-
tober 1867 den Entwurf eines ungarischen
Eisenbahnnetzes veröffentlichte, der auch
eine Linie Raab-Molnäri-Steirische Grenze
[gegen Graz] enthielt und zur bezügli-
chen Bewerbung Anregung gab. Sowohl
in Raab als auch in Graz [hier unter
Mitwirkung des Landesausschusses] bil-
dete sich ein Consortium für die Linie
Raab-Päpa-Graz ; dem folgten das Con-
sortium Graf Waldstein-Baron Todesco
für die Linie Stuhlweissenburg-Veszprim-
Molnäri-Graz, ein Eisenburger Comite, das
Consortium Ungarische Creditbank-Wei-
kersheim und noch andere Vereinigungen.
Das letztgenannte Consortium erwies sich
bei den am 25. November 1868 im könig-
lich ungarischen Communications-Mini-
sterium durchgeführten Concessions- Ver-
handlungen als Bestbieter, da es sich an-
heischig machte, die Linie Stuhlweissen-
burg - Veszprim - Klein - Zell - Steirische
Grenze nebst der Zweigbahn von Klein-
Zell nach Raab mit einem garantirten
Reinerträgnisse von 36.400 fl. pro Meile
auszuführen.*) Es erhielt denn auch die
definitive Concession zugesichert unter
der Bedingung, dass es auch für die
steirische Strecke die Concession erlangt,
und bemühte sich daher, der letzteren
ebenfalls theilhaftig zu werden.
Auch diese Verhandlungen scheinen
glatt verlaufen zu sein, denn am
23. März 1869 legte schon das k. k.
•) Näheres vgl. Bd. III, J. Gonda, Ge-
schichte der Eisenbahnen Ungarns von 1867
bis zur Gegenwart.
Handelsministerium dem Abgeordneten-
hause einen bezüglichen Gesetzentwurf
vor. Hier haben sich wohl bei der
am 8. Mai 1869 vorgenommenen zweiten
und dritten Lesung des Gesetzes grössere
Auseinandersetzungen ergeben, doch that
dies der raschen Erledigung der Vorlage
keinen Eintrag.
Die Meinungsverschiedenheiten be-
trafen vor Allem die Wahl der Trace.
Es waren nämlich zwei Tracen vor-
geschlagen, die auch ausserhalb des
Parlamentes in den damals veröffent-
lichten Streitschriften beide ihre Ver-
tretung fanden. Die eine Trace galt
der Linie von Graz über Gleisdorf [bis
wohin beide Varianten übereinstimmen]
durch das Raabthal bis zur ungarischen
Grenze, die andere hingegen der nach
Ueberschreitung eines zweiten Berg-
rückens ins Feistritzthal bis Fürstenfeld
führenden Linie. Für diese Trace hatten
sich der Landesausschuss, die Statthalterei
und die Grazer Handelskammer ausge-
sprochen, während die Regierung und
der volkswirtschaftliche Ausschuss des
Abgeordnetenhauses sich für die Raabthal-
Linie entschieden, weil sie bei geringeren
Anlagekosten eine grössere Leistungs-
fähigkeit bot.
Einen zweiten Streitpunkt bildete die
Höhe der Staatsgarantie ; die Regierungs-
vorlage hatte dieselbe mit 34.000 fl. pro
Meile, d. i. fünfprocentige Verzinsung und
Tilgung eines Capitals von 680.000 fl.
pro Meile bemessen ; der Ausschuss
erhöhte die Capitalsziffer auf 800.000 fl. ;
einzelne Abgeordnete wollten bewilligen,
was Ungarn zugestanden, nämlich eine
Garantie von 36.400 fl. [= 728.000 fl.
Capital] pro Meile; andere wollten viel
tiefer herabgehen und nur die Ziffer der
Vorlage bewilligen.
Schliesslich wurde die Führung der
Bahn durch das Raabthal und eine Staats-
garantie von 36.400 fl. [= 728.000 fl.
Capital] pro Meile genehmigt. In dieser
Fassung wurde das Gesetz auch vom
Herrenhause angenommen [12. Mai] und
am 20. Mai 1869 a. h. sanctionirt. Wenn
nun, obzwar Legislative und Regierung
Werth darauf legten, dass beide
Strecken in die Hände eines Consortiums
kommen, dennoch die Concession für die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
99
österreichische Strecke dem Consortium
Ungarische Creditbank - Weikersheim,
welches die ungarische Concession am
14. Juli 1869 definitiv erhalten hatte,
nicht alsbald, sondern erst am 2. Fe-
bruar 1870 verliehen, beziehungsweise
6. März 1870 ausgefolgt wurde, so
mag dies dadurch verursacht wor-
den sein, dass das Handelsministerium
das garantirte Anlage-Capital noch unter
die im Gesetze vorgesehene Ziffer, nämlich
auf den Betrag von nom. 719.800 fl.
pro Meile herabminderte, wozu sich das
Consortium aber nicht leicht verstehen
wollte, zumal ihm mittels der protokolla-
rischen Vereinbarung vom 24. Januar
1870*) eine Reihe von baulichen Mehr-
leistungen [Geleiseanlagen u. dgl.] auf-
erlegt wurde.
Einmal im Besitze der Concession, be-
eilte sich das Consortium mit ihrer Durch-
führung, da nach den Bestimmungen des
Artikels 3 der Concessions-Urkunde die
Bahn binnen 21j2 Jahren vollendet sein
musste. Der Bau wurde gleich jenem
der ungarischen Strecke im Pauschal-
accorde an die Unternehmung Weikers-
heim & Comp, und die Finanzirung
an die Ungarische Creditbank im Ver-
eine mit der Anglo-österreichischen Bank
und der Oesterreichischen Credit-Anstalt
übertragen, welche die Hälfte des Actien-
capitals, nämlich 37.500 Actien ä 200 fl.,
gleich am 30. März 1870 zum Curse von
83% m^ ausserge wohnlichem Erfolge
[5,452.178 gezeichnete Stücke] zur Sub-
scription auflegte. Etliche Wochen
darnach, am 18. Mai 1870, fand auch
— auf Grund der am 5. Mai 1870
behördlich genehmigten Statuten — die
Errichtung der mit einem Capitale von
36,000.000 fl. [75.000 Actien und 105.000
Prioritäts-Obligationen zu je 200 fl.] aus-
gerüsteten Actien-Gesellschaft »Unga-
rische Westbahn« statt, zu deren
Director der schon von den Concessionären
*) In diesem Protokolle ist auch die Be-
stimmung enthalten, dass die Betriebsrech-
nungen für die steirische und die unga-
rische Linie abgesondert geführt werden
müssen und dass die Garantiesummen für
beide Linien ein untrennbares Ganzes bil-
den, daher nur eine Actien-Gesellschaft zu
gründen ist, die einheitliche Werthe zu emit-
tiren hat.
berufene General-Secretär Karl Ritter von
F a c k h ernannt wurde.
Der Bau erfuhr jedoch unerwarteter-
weise eine bedeutende Verzögerung
dadurch, dass die Regierung Project-
änderungen verlangte, die mit erheblichen
Mehrkosten verbunden waren, deren Ver-
gütung die Gesellschaft noch vor dem
Beginne des Baues sicherstellen wollte,
beziehungsweise musste, weil die Bau-
unternehmung jede über den Pauschal-
accord hinausgehende Mehrleistung ab-
lehnte. Es handelte sich dabei einerseits
um die Verlegung der Trace zwischen
Hofstätten und Feldbach ganz auf das
linke Raabufer, andererseits um die Aus-
mündung der Bahn statt im Grazer Süd-
bahnhofe, wohin sie von Liebenau in fast
senkrechter Richtung gelangen sollte, in
der Schönau, woselbst nun die eigentliche
Station Graz anzulegen war, und um die
Verbindung der letzteren durch ein
Schleppgeleise mit dem Südbahnhofe.
Namentlich die letztere Aenderung er-
forderte wegen der kostspieligen Grund-
einlösung und der Anlage einer eigenen
Station' grosse Auslagen. Die Sache
wurde, nach mehrfachen und lang-
wierigen Verhandlungen, in der Weise
geschlichtet, dass der Gesellschaft, zu-
folge a. h. Entschliessung vom 2. Juni
1872, die Erhöhung des garantirten
Anlage-Capitals auf den im Gesetze
vom 20. Mai 1869 festgesetzten Höchst-
betrag von 728.000 fl. pro Meile zuge-
standen wie auch gestattet wurde, den
Güterdienst in ihrem eigenen Bahnhofe
zu besorgen und die hiedurch erzielte
Ersparnis an den Kosten der Mitbenützung
des Südbahnhofes, in dem ausgemittelten
Betrage von jährlich 22.000 fl., zur Be-
streitung des Mehraufwandes für die
Schönauer Stationsbauten zu verwenden,
derart, dass sie diesen Betrag, als Ver-
zinsung und Tilgung einer für die ge-
dachten Zwecke aufzunehmenden schwe-
benden Schuld, in die Betriebsrechnung
einstellt. [Handelsministerial-Erlässe vom
28. Mai und 10. Juni 1872.] Jetzt machte
die Gesellschaft alle Anstrengungen, den
Bau ehemöglichst zu vollenden ; sie stellte
auch wirklich im Jahre 1872 die Theil-
strecke von der Landesgrenze bis zur
Raab fertig, da aber die Regierung [mit
7*
IOO
Ignaz Konta.
Rücksicht am die Staatsgarantie] eine
nur theihveise Eröffnung nicht zuliess,
konnte die ganze "ji'6 km lange Strecke
von der ungarischen Grenze bei Jenners-
dorf bis Graz erst am i. Mai 1873 dem
Betriebe übergeben werden.
Der auf österreichischem Gebiete befind-
liche Theil der Trace geht von Graz aus, wo
sie mit dem Bahnhofe der Südhahn durch ein
Anschlussgeleise verbunden wurde, im steieri-
schen Hügellande über Messendorf, Lassnitz,
Gleisdorf, Studenzen nach Fehring im Thale der
Raab nach Ungarn, wo die Ungarische West-
bahn über Steinamanger nach Stuhlweissen-
burg und Raab weiterzieht. Der steiermärkische
Theil der Bahn zeigt mehrfach den Charakter
einer Gebirgsbahn; bei Lassnitz wurde der
sogenannte Rosenhügel durch einen Tunnel
durchbrochen, und zwischen Gleisdorf und
Messendorf eine Wasserscheide überschritten.
Ohne die Reactivirung des Gesetzes
über die Steuerbefreiung für neue Eisen-
bahnen wäre die Concessionirung der
Ungarischen Westbahn wohl im Jahre
1870 die einzige geblieben. Parlamen-
tarische Zerwürfnisse hatten die Mandats-
niederlegung vieler polnischen und anderer
slavischen Abgeordneten sowie den Rück-
tritt des Ministeriums [4. April] und die
Vertagung des Reichsrathes [12. April
1870] herbeigeführt, welch letztere bis
zum 15. September währte. In dieser
Periode würde die Concessionirungs-
Thätigkeit ebenso unmöglich gewesen sein,
wie dies nach der Wiedereröffnung des
Parlaments durch die inzwischen ange-
häufte Menge anderer legislativer Arbeiten
der Fall gewesen ist.
Der in dem Ministerium P o t o c k i
vorerst zum Leiter, dann zum Chef
des Handelsamtes berufene Sections-
Vorstand desselben, Sisinio Freiherr von
Pretis, der schon in seiner bisherigen
Amtswirksamkeit die Erfordernisse des
Eisenbahnwesens gründlich kennen gelernt
hatte, ergriff daher sogleich die Handhabe,
welche ihm durch das mehrerwähnte Gesetz
geboten war, und brachte in rascher Reihen-
folge, sowohl die schon von der früheren
Regierung vorbereiteten, als auch die neu
spruchreif gewordenen Concessionirungen
zum Abschlüsse. Dieselben betrafen sieben
neue Eisenbahn-Unternehmungen und eine
Zweiglinie der Kaiserin Elisabeth-Bahn,
die sämmtlich im Nachstehenden ihre
Besprechung finden.
Mährisch-SchlesischeCentral-
bahn. Zugleich mit den »Mährischen
Landesbahnen« gelangten auch die schle-
sischen zur öffentlichen Erörterung, und
zwar ebenfalls zunächst und zumeist im
Landtage. Dabei standen im Vordergrunde
die Linien Troppau-Jägerndorf-
Reichsgrenze gegen Neisse und Ol-
mütz-Troppau- Reichsgrenze ge-
gen Leobschütz. Der mährische Landes-
ausschuss betraute schon am II. August
1864 den Ingenieur Czermak mit Studien
zur Ausfindigmachung geeigneter Verbin-
dungen zwischen den mährischen und den
preussischen Bahnen in der Richtung
nach Neisse und Glatz. Das nach Be-
endigung der Vorerhebungen im Jahre
1865 erstattete Gutachten dieses Ver-
trauensmannes lautete jedoch dahin, dass
vor Allem ein vollständiges Project für
eine Bahn von Olmütz über Gross-
Wisternitz, Bärn und Freudenthal nach
Jägerndorf vorliegen, beziehungsweise aus-
gearbeitet werden müsste, weil dann erst
die richtige Trace für eine geeignete Ver-
bindung zwischen Olmütz und den
preussischen Bahnen, mindestens über
Leobschütz, ausgemittelt werden könnte.
Der Landesausschuss ging darauf nicht ein.
Das grosse Brünner Consortium
aber, welches sich nach der Kaiserreise
durch Mähren im Herbste 1866, behufs
der Zustandebringung der »Mährischen
Landesbahnen«, gebildet hatte, nahm auch
die Linien von Sternberg einerseits über
Römerstadt und Jägerndorf nach Leob-
schütz, andererseits über Hannsdorf und
Grulich nach Mittelwalde nebst der Ab-
zweigung nach Freiwaldau in sein Pro-
gramm auf [s. S. 5].
Dessenungeachtet ertheilte der schle-
sische Landtag in seiner Sitzung vom
18. December 1866, anlässlich einer
neuerlichen Berathung der Frage, dem
Landesausschusse die Ermächtigung, die
Vorconcession für mehrere schlesische
Bahnlinien, darunter auch die von Troppau
über Jägerndorf und Zuckmantel nach
Leobschütz, von Olmütz oder Stephanau
über Sternberg und Römerstadt nach Freu-
denthal sowie auch von Freudenthal nach
Jägerndorf, zu erwerben und sodann die Bil-
dung eines Consortiums von Grossgrund-
besitzern und Industriellen anzustreben.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
ior
Daraufhin entstanden, nachdem die
»Mährisch - Schlesische Nordbahn« der
Kaiser Ferdinands-Nordbahn concessionirt
worden war und infolgedessen das Brünner
Consortium, an welches immerhin auch
von schlesischer Seite grosse Erwartun-
gen geknüpft wurden, sich aufgelöst
hatte, mehrere Consortien und Comitös,
die sich die Zustandebringung der ver-
schiedenen in der Concession für die
»Mährisch-Schlesische Nordbahn« nicht
enthaltenen mährischen und schlesischen
Linien zur Aufgabe machten.
In Freiwaldau bestand ein Comite
von Grossindustriellen und anderen Per-
sönlichkeiten, das insbesonders für die
Linie Hohenstadt-Hannsdorf-Goldenstein-
Freiwaldau-Neisse wirken wollte und im
Jahre 1867 den Ober-Ingenieur Braun
mit den ersten Vorarbeiten betraute.
In Troppau etablirte sich ein Central-
Comite, dessen Bestrebungen dahin gingen,
diese Stadt zum Mittelpunkte des schlesi-
schen Bahnnetzes zu machen; es beschloss
daher [Juli 1869]: >mit allen gesetzlichen
Mitteln dahin zu wirken, dass vor Fest-
stellung eines behördlich genehmigten
schlesischen Eisenbahnnetzes mit dem
Baue irgend einer in Schlesien gelegenen,
noch nicht concessionirten Strecke nicht
begonnen werden darf«, sowie dass die
vielen von ihm projectirten Linien [darunter
zumeist die schon oben erwähnten], mit
Ausnahme der von Hohenstadt über Frei-
waldau an die Reichsgrenze, »nur an Ein
Consortium, und zwar an jenes vergeben
werden sollten, welches für den sicheren
und reellen Ausbau aller genügende
Garantie zu bieten vermag«. In Mährisch-
Schönberg widmete sich ein Comite der
Zustandebringung der letztbezeichneten
Linie und der Verbindung mit Mittelwalde.
Angesichts dieser vielen Bestrebungen
beauftragte auch das Handelsministe-
rium am 30. März 1868 die Kaiser
Ferdinands-Nordbahn, die Vorarbeiten für
die im § 2 der Concession für die
Mährisch-Schlesische Nordbahn vorge-
sehene Fortsetzung dieser Bahn von
Sternberg bis zur Reichsgrenze sogleich,
und zwar womöglich in der Richtung
gegen Römerstadt, Freudenthal und Zuck-
mantel vorzunehmen. Weiters bat der
schlesische Landesausschuss, als er davon
Kenntnis erhielt, dass die Kaiser Ferdi-
nands-Nordbahn wenig Eifer bei der Sache
zeige, das Handelsministerium mittels
Eingabe vom 21. October 1868, die
Kaiser Ferdinands-Nordbahn zum Aus-
baue der Linie Sternberg-Freudenthal-
Reichsgrenze zu verhalten.
Der geringe Erfolg dieser Massnahmen
bestärkte nun das Troppauer Central-
Comite in seinem eigenen, weitreichenden
Vorhaben. Es wurde aber von dem
Olmützer Consortium: Graf Robert Lich-
nowsky, Max Machanek, Eduard
Böhm und Genossen überflügelt. Das-
selbe hatte die Czermak'sche Idee
weiter verfolgt und erhielt am 10. August
1869 die nachgesuchte Concession für
die Linie Olmütz-Freudenthal-Jägemdorf-
Reichsgrenze, eventuell zum Anschlüsse
an das preussische Bahnnetz in der
Richtung gegen Leobschütz, und mit
den Flügelbahnen : Jägerndorf - Troppau,
Jägerndorf-Olbersdorf-Reichsgrenze, even-
tuell zum Anschlüsse an die preussischen
Bahnen in der Richtung gegen Neustadt-
Neisse, Breitenau-Würbenthal und Kriegs-
dorf-Römerstadt. Darob herrschte nun in
Troppau, das seine Interessen nicht ge-
nügend gewahrt meinte, grosser Unmuth,
der sich in lauten Kundgebungen äusserte,
sogar gegen den verdienstvollen Bürger-
meister der Stadt, der an der Sache ganz
unbetheiligt war und auf die Concessio-
nirung keinerlei Einfluss nehmen konnte.
Diesem Zwischenfalle wurde es denn auch
zugeschrieben, dass die Concessions-
Urkunde nicht zur Verlautbarung ge-
langte ; man glaubte, sie würde nach den
Wünschen des Central-Comit6s abgeändert
werden. Bewahrheitet hat sich jedoch
nur die Abänderung als solche. Veran-
lasst wurde dieselbe aber dadurch, dass die
Concessionäre die Caution nicht erlegten,
weil die »Agrarbank«, welche die Finan-
zirung übernehmen und den Sicher-
stellunssbetrag vorstrecken sollte, damals
selbst zu sehr beengt gewesen, und die
Unionbank, die aus der Vereinigung der
Agrarbank und einiger anderen kleinen
Banken hervorging, daher auch mitfrischen
Geldmitteln versehen war, an dem schon
früher von der Agrarbank gestellten Ver-
langen nach völliger Uebertragung der
Concession und insbesondere nach Los-
102
Ignaz Konta.
Zählung von dem Baue der Würbenthaler
und Römerstadter Flügelbahn festhielt.
Die Concessionäre bemühten sich also,
die Befreiung von der Verpflichtung zum
Baue der genannten Flügelbahnen zu
erwirken. Da sie aber mit diesem Be-
gehren nicht durchdrangen und mittler-
weile durch neue Terrainstudien eine
bessere Trace sowohl für die Hauptlinie
als auch für die Flügelbahn von Jägern-
dorf zur Reichsgrenze gegen Neisse ge-
wählthatten, erbaten sie unterm 5. Februar
1870 folgende Aenderungen : hinsichtlich
der letzterwähnten Flügelbahn möge die
Richtung [statt mit Neustadt-Neisse] ein-
fach mit Neisse, ferner hinsichtlich der
Würbenthaler Flügelbahn [statt Breitenau]
nur ein [unbestimmter] Punkt der Haupt-
linie als Abzweigungsstelle angegeben und
[im § 3] die Vollendungsfrist anders fest-
gesetzt werden, nämlich für die Hauptlinie
und die beiden Flügelbahnen von Jägern-
dorf einerseits nach Troppau, anderer-
seits nach Olbersdorf mit drei Jahren und
für die beiden Flügelbahnen nach Wür-
benthal und Römerstadt mit jenem Zeit-
punkte, in welchem die ersterwähnten
Linien ein Reinerträgnis von 6°/0 des
Actiencapitals geliefert haben.
Das Ministerium verwarf indes auch
diese Hinausschiebung ins Ungewisse,
ebenso wie die von den Concessionären am
16. Februar 1870 vorgeschlageneMilderung
jenes Begehrens durch den Zusatz: »jeden-
falls aber binnen sieben Jahren nach voll-
ständiger Inbetriebsetzung der Hauptlinie
Olmütz -Jägerndorf«, und Hess nur ein Inter-
vall von vier Jahren nach der Eröffnung der
Hauptlinie, also eine Frist von im Ganzen
sieben Jahren zu. Den übrigen Wünschen
wurde stattgegeben und demgemäss über
a. h. Entschliessung vom 21. April 1870
die neue, nunmehr auf dem Gesetze vom
13. April i87oberuhende, mit einer dreissig-
j ährigen Steuerfreiheit ausgestattete Con-
cession ertheilt. Bis zur Durchführung
derselben, insbesondere bis zur Inangriff-
nahme des Baues verstrichen jedoch noch
sieben Monate. Die Caution von 1 00.000 fl.
wurde zwar über Andrängen und durch
eigenes Hinzuthun der Concessionäre
Ende April 1870 erlegt, im Uebrigen traf
die Unionbank aber erst dann Anstalten,
die Angelegenheit vorwärts zu bringen,
als ihr dieselbe völlig überantwortet
worden war. Mittels Vertrages vom
1 . Mai 1 870 übertrugen die Concessionäre
die Concession sammt allen daran haftenden
Rechten und Pflichten an die Unionbank
sowie trotz- oder ausserdem noch am
9. Mai 1870 auch noch insbesondere den
Bau der Bahn, welchen diese Bank im
Pauschal -Accorde um 9,000.000 fl. im
Baaren und um sämmtliche Prioritäten über-
nahm; am 23. Mai 1870 erhielt die Union-
bank statt der 9,000.000 fl. in Baarem die
45.000 auf je 200 fl. lautenden Actien der
Mährisch -Schlesischen Centralbahn und
bildete nun ein Syndicat zur Verwerthung
aller dieser Titel, wobei die Höhe des
Prioritäten-Capitals auf 13,500.000 fl. fest-
gestellt wurde.
Diesem nach wurde in den Statuten
der »Mährisch-Schlesischen Cen-
tralbahn« der Gesellschaftsfond mit
vorerst 22, 500. ooofl., nämlich 9,000.000 fl.
in Actien [45.000 Stück ä 200 fl.] und
13,500.000 fl. in Prioritäts - Obliga-
tionen [45.000 Stück ä 300 fl.] fest-
gestellt. Die Statuten erhielten am 2 1 . Mai
1870 die behördliche Genehmigung,
worauf dann am 24. Mai 1870 die Con-
stituirung der Gesellschaft stattfand. Das
Syndicat, welches die vorbezeichneten Titel
sämmtlich auf feste Rechnung genommen
hatte, brachte am 20. Juni 1870 einen Theil-
betrag von 10,000.000 fl., nämlich je
20.000 Stück Actien und Prioritäten durch
die Unionbank zur öffentlichen Zeichnung,
wobei als Emissions-Curse 63°/,, für die
Actien und 75% fur die Prioritäten an-
gesetzt und sehr bedeutende Ueberzeich-
nungen erzielt wurden.
Der Posten eines General - Direc-
tors fiel dem Concessionär Max
Machanek zu; mit seiner Stellver-
tretung, beziehungsweise mit dem Posten
eines General-Secretärs wurde der Secre-
tär der Unionbank Dr. Moriz N i t z e 1-
berger betraut. Am 23. Juli 1870 vergab
die Unionbank den Bau und die Aus-
rüstung der Bahn an die Unternehmung
Gebrüder Klein um den baaren Pauschalbe-
tragvon 12,750.000 fl. und am 25. Juli 1870
überliess diese Unternehmung die Grund-
einlösung sowie die Beschaffung des Fahr-
parkes und der Verbrauchs-Materialien,
Gebäude-Einrichtung; etc. um den Betrag
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
I03
von 2,785.000 fl. an die Bahngesellschaft
selbst.
Nach der Abwicklung dieser Kette
von Vereinbarungen kam es endlich zur
Einleitung, beziehungsweise am 22. No-
vember 1870 zur wirklichen Inangriff-
nahme des Baues, der unter der Leitung
des Ober-Inspectors Wilhelm Ast, von
dem auch das eigentliche Bauproject
herrührte, einen raschen und ungestörten
Fortgang nahm, so zwar, dass alle Linien,
mitsammt den österreichischen Grenz-
strecken zu den, mittels des Staatsver-
trages ddto. Berlin 21. Mai 1872 endgiltig
geregelten Anschlüssen an die preussi-
schen Bahnen, lange vor dem concessions-
mässigen Termine vollendet wurden.
Es gelangten also in Betrieb : die Linien
Olmütz-Freudenthal -Jägerndorf
[86-9 km] und Jägernd orf- Henner s-
dorf [21-6 km] am i.October 1872 für den
Frachten-, beziehungsweise am 15. Octo-
ber 1872 für den Gesammt verkehr,
und die Strecke Jägerndorf-Troppau
[27-8 km] am 1. November 1872. Jene
Grenzstrecken konnten aber wegen der
verzögerten Fertigstellung der preussi-
schen Linien erst später, nämlich Jägern-
dorf-Reichsgrenze gegen Leobschütz
[3'3 km] am 25. September 1873 und
Hennersdorf- Reichsgrenze gegen
Neisse [4 km] gar erst am 1. December
1875 eröffnet werden.
Im Jahre 1871 trat der General-
Director Machanek in den Verwal-
tungsrath ein und an seine Stelle der
Betriebs-Inspector der Nordbahn, Ernst
Bühler,jedoch nur als Director und eben-
falls nur auf kurze Zeit ; denn am 20. Juli
1873 wechselte auch er seinen Posten
mit einem Sitze im Verwaltungsrathe.
Die Mährisch-Schlesische Central-
is ahn hat ihren Anfangspunkt in Olmütz,
wo sie aus dem Personen-Bahnhofe der
Kaiser Ferdinands-Nordbahn [an der Bystritza-
Brücke] ausmündet. Die Bahn folgt dem Laufe
der Bystritza und ersteigt an deren Ufer-
gehängen bei Dittersdorf die Höhe der Su-
deten. Zwischen Hombok und Domstadtl hat
die Bystritza einen sehr scharf gewundenen
Lauf mit unregelmässigen Gefällen und ge-
ringer Thalbreite, welcher Umstand die zwei-
undzwanzigmalige Uebersetzung des Flusses,
§ rosse Felsarbeiten, die Anwendung starker
teigungen und vieler Krümmungen noth-
wendig machte. Von der Hauptwasserscheide
zwischen March und Oder bei Dittersdorf,
die den höchsten Punkt der Bahn bildet, senkt
sich die Trace in das Mohrathal herab. Nach
Ueberschreitung desselben ersteigt die Trace
rechts von Kriegsdorf und links von Kotzen-
dorf die Höhe, auf welcher die Landesgrenze
zwischen Mähren und Schlesien läuft. Von
der schlesischen Grenze ab fällt die Bahn,
einem kurzen Seitenthale folgend, in das
Schwarzbachthal herab, welches knapp bei
Freudenthal übersetzt wird, und steigt dann
am linken Ufer des Schwarzbaches auf das
Plateau an der Troppauer Strasse. Von diesem
Plateau, welches zugleich die secundäre
Wasserscheide zwischen der Mohra und Oppa
bildet und die Stationsanlage Freudenthal
enthält, senkt sich die Bahnanlage an den
Gehängen des Spillendorfer Seitenthaies bis
an die Ufergehänge der Oppa herab. Der
Eintritt in dieses Thal erfolgt bei Erbersdorf
durch einen Tunnel, hierauf zieht die Bahn
die rechtseitigen Lehnen des Oppathales
bis Jägerndorfentlang, wo der Hauptbahnhof
des Bahnnetzes angelegt wurde. Aus dem
nördlichen Ende dieses Bahnhofes münden
dann drei Abzweigungen aus, nämlich:
1. Die Flügelbahn nach Troppau, welche
der Thalsohle der Oppa flussabwärts folgt.
2. Die kurze Flügelbahn zum Anschlüsse
an die preussische Bahn von Leobschütz,
welche die Goldoppa übersetzt und, das
Mohrathal verfolgend, bei dem Mauthhause
die Reichsgrenze erreicht
3. Die Flügelbahn nach Hennersdorf,
welche in der Thalsohle der Goldoppa fluss-
aufwärts hinzieht, dieselbe in Olbersdorf über-
setzt und dann über Röwersdorf und Henners-
dorf an die Reichsgrenze zum Anschlüsse an
die damals projectirte Bahnverbindung mit
Neisse führt.
Die Erdarbeiten, zumeist Felsspren-
gungen, waren auf der Hauptlinie von Olmütz
nach Jägerndorf bedeutend.
Die Stammlinien der Mährisch-Schle-
sischen Centralbahn waren noch im Baue,
als die Gesellschaft schon die Erwer-
bung neuer Linien unternahm ; sie wollte
von Troppau aus einerseits nach Klingen-
beutel, andererseits in südlicher Richtung
bis an die ungarische Grenze beim Vlara-
passe weiterbauen. Das letztere Project
war ihr von ihren Mitgründern Dr. Karl
Dietrich und Max Machanek überkommen,
deren erster früher dem vom Präsidenten
der schlesischen Handelskammer, Eduard
Zentzytzki, geführten Consortium für die
Linie Troppau-Trencsin angehörte, hernach
aber dasselbe verliess, um im Vereine
mit Machanek das gleiche Project zu
verfolgen [April 1870]. Beide glaubten
anfangs nicht nur ihrer Sache sicher zu
104
Ignaz Konta.
sein, sondern vielmehr auch die Staats-
garantie erlangen zu können.
Als aber das ersterwähnte Consortium
neue Theilnehmer sowie auch die Vorcon-
cession für die ungarische Strecke und, ver-
möge seiner rührigen Bewerbung, bessere
Aussicht auf ein Gelingen gewonnen hatte,
suchten auch dessen Rivalen [Dietrich -
Machanek] Bundesgenossen und fanden
dieselben in dem Verwaltungsrathe der
Mährisch-Schlesischen Centralbahn, der
sich wieder auf die Unionbank stützte.
Letzterer kaufte also das Dietrich-Macha-
nek'sche Projects-Elaborat, trat selbst in
die Concessionswerbung für die Linie
Troppau-Vlarapass mit der Abzwei-
gung nach Klingenbeutel ein und verzich-
tete sogar auf die Steuerbefreiung, um nur
obzusiegen, was ihm denn auch glückte.
Die Gesellschaft erhielt unter den für
ihre übrigen Linien geltenden Bestim-
mungen, mit Ausnahme der Steuer-
befreiung, am 6. October 1872 die Con-
cession für die Linien von Troppau über
Neutitschein bis an die ungarische Grenze
am Vlarapasse und eventuell von Troppau
bis zur Reichsgrenze gegen Ratibor. Die
am 29. October 1872 abgehaltene erste
ordentliche Generalversammlung ge-
nehmigte die Erwerbung dieser Conces-
sion und zugleich die Ausgabe neuer
Werthe im Betrage von 22,500.000 fl.,
nämlich 45.000 Actien ä 200 fl. und
45.000 Prioritäts-Obligationen ä 300 fl.
und die Unionbank übernahm die Geld-
beschaffung. Es konnte daher auch so-
gleich zur Ausführung des neuen Unter-
nehmens geschritten werden, was mit der
Titelausgabe begann ; die Actien wurden
Mitte December 1872 zum Curse von
139 fl. und die Prioritäten Ende Januar
1873 zum Curse von 88'/3 % emittirt,
beziehungsweise den Actionären zum Be-
züge angeboten.
Hier versagte aber der Apparat; das
Bezugsrecht wurde nur in geringem Masse
ausgeübt, die stetig zunehmende Ver-
schlechterung des Geldmarktes vereitelte
auch jede anderweitige Begebung und
die Gesellschaft, welche durch das unzu-
reichende Erträgnis der alten Linien bereits
wegen der Verzinsung der Prioritäten erster
Emission von bangen Sorgen gequält war,
gerieth nun in thatsächliche Bedrängnis;
sie hatte an den Folgen der verwickelten
Verhältnisse ihrer Gründung genug zu tra-
gen und war jetzt mit neuen Verpflichtun-
gen belastet, die sie nicht erfüllen konnte.
Der fast verzweifelte Versuch, die neue
Linie trotz alledem auszuführen, scheiterte;
denn die Anschaffungen und der bruch-
stückweise in der Strecke Troppau-Zauchtl
in Ausführung genommene Bau musste
eingestellt werden, sobald die aus dem
theilweisen Absätze der neuen Titel ge-
flossenen Geldmittel und die nur noch
spärlich sickernden Creditquellen der
Gesellschaft erschöpft waren. Sie sah
sich daher gar bald gezwungen, die neue
Concession, die sie um jeden Preis er-
werben zu müssen geglaubt hatte, wie-
der aufzugeben, um sich die Situation
etwas zu erleichtern. Die Regierung
kam ihr dabei zu Hilfe, indem sie unter
Gewährung der Staatsgarantie auf die
Dauer von 20 Jahren, für eine ander-
weitige Sicherstellung der Linie Vorsorge
traf [Gesetz vom 3. Mai 1874]; allein
dies bewahrte die Gesellschaft nur vor
dem Cautionsverluste ; denn auch die
neuen Bedingungen zogen keine Bewer-
ber an, und eine Staatsgarantie auf die
ganze Dauer der Concession verweigerte
die Regierung. So blieb denn die Linie
Troppau-Vlarapass ungebaut und das für
sie bereits aufgewendete Capital von
4,700.000 fl., bis auf die aus dem Erlöse
für verkaufte Inventar- und Material-
bestände rückgeflossenen Beträge, verlo-
ren. Aus der Bedrängnis kam die Gesell-
schaft, wie späterhin noch dargethan wird,
erst dann heraus, als sie mit ihren Obli-
gationären sich verglichen hatte ; ein noth-
leidendes Unternehmen blieb sie aber, so
lange ihr Bestand als Privatbahn währte.
P ilsen - Pri es en er Bahn. Die
erfreulichen Fortschritte, welche die Er-
gänzung des Eisenbahnnetzes in allen
übrigen Theilen Böhmens machte, Hessen
die Ungunst, der die westlichen und süd-
westlichen Gegenden dieses reichgeseg-
neten Landes, hinsichtlich der Erbauung
von Eisenbahnen, verfallen waren, umso
greller hervortreten. Bis in die Sechziger-
Jahre waren diese Gebiete von der Unter-
nehmungslust gänzlich unbeachtet, dann
befasste sich dieselbe wohl mit einzelnen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
I05
einschlägigen Projecten, die aber grössten-
theils Verbindungen mit Sachsen [in der
Richtung nach Schwarzenberg] zum Ge-
genstande hatten. Erst als eine Anzahl I
bayerischer Grossgrundbesitzer und In- ,
dustrieller in Verbindung mit böhmischen l
Standesgenossen [Baron Liebieg, Louis
von Haber u. A.] die Bahnlinie Rosen-
heim - Deggendorf- Taus-Klattau anstreb-
ten [1868], begann sich das Augenmerk j
Consortiums A. v. Stark, Graf Czernin etc.
die Linie Pilsen-Saaz, welche damals auch
von der Böhmischen Westbahn und von
dem Gründer der Dux-Bodenbacher Bahn,
Dr. Stradal, zur Fortsetzung der be-
treffenden Bahnen ausersehen schien.
Ernst und rasch ging indes nur das
genannte Consortium vor, welches denn
auch am 21. April 1870 die, auf Grund
des Gesetzes vom 13. April 1870, mit
Abb. 64. Einschnitt bei Gastorf [Oesterreichische Nordwestbahn ]
auch dem Südwesten zuzuwenden, und
zwar jetzt mit einem Male in recht aus-
giebigem Masse.
Zunächst blos als Zweiglinien der
grossen, von dem Baurathe Karl Schwarz,
wie auch von dem Amerikaner Emil
Samson, zu Beginn des Jahres 1869
geplanten Transversalbahn Sillein-Furth
[oder Taus] gedacht, wurden die Strecken
Pilsen-Priesen und Pilsen-Eisenstein, fast
gleichzeitig von dem Bergwerksbesitzer
J. R. Eaton auch als selbständiges Unter-
nehmen in Aussicht genommen, des-
gleichen im Sommer 1869 von Seite des
einer zwanzigjährigen Steuerfreiheit aus-
gestattete Concession für die Linie
Pilsen-Priesen [Komotau] nebst Abzwei-
gungen nach Brüx und Dux erhielt, mit
der Verpflichtung, die Bahn, über Ver-
langen der Staatsverwaltung, von Pilsen
über Klattau an die österreichisch-baye-
rische Grenze bis Eisenstein fortzusetzen,
wenn von bayerischer Seite der Bau
einer Linie von Deggendorf über Zwiesel
nach Eisenstein gesichert sei.
Die Concessionäre legten ihrer Bahn,
als voraussichtlicher Vermittlerin des
Kohlentransportes, des Durchzugs- und
io6
Ignaz Konta.
eines lebhaften Localverkehres, grosse Be-
deutung bei. Das Anlage-Capital für die
ganze [sammt den Abzweigungen] 22-5
Meilen lange Bahn war mit 18,972.885 fl.
veranschlagt und sollte durch die Franco-
bank beschafft werden. In den am 1 1. De-
cember 1871 behördlich genehmigten
Statuten, auf Grund deren am 7. Februar
1872 die Constituirung der Actien-Gesell-
schaft: »K. k. priv. Eisenbahn Pilsen-
Priesen [Komotau]« stattfand, ist aber
das Actiencapital mit 9,000.000 fl. [60.000
Actien ä 150 fl.] festgesetzt und, in
Uebereinstimmung mit der Concessions-
Urkunde, gesagt, dass Prioritäts- Obliga-
tionen nur. bis zur Höhe von drei Fünf-
theilen des gesammten Anlage-Capitals
ausgegeben werden dürfen. In dem später-
hin von der Gesellschaft ausgegebenen
Geschäftsbericht erscheinen die durch
Prioritäts - Obligationen aufgebrachten
Geldmittel mit 12,000.000 fl. [80.000
Obligationen ä 150 fl.] und das gesammte
Anlage-Capital mit 21,000.000 fl. aus-
gewiesen.
Wie aus den Mittheilungen der Con-
cessionäre an die constituirende General-
versammlung hervorgeht, wurde dasselbe
»von der Firma A. Lanna in der nöthi-
gen Höhe angeschafft«, was, mit anderen
Worten ausgedrückt, wohl so viel heisst,
dass diese Firma die sämmtlichen Titel
als Pauschal-Entlohnung für den ihr über-
tragenen Bau erhalten und dann auf ihre
eigene Rechnung irgendwie weiter be-
geben hat.
Der Bau begann erst im Januar 1 87 1 ,
und zwar eigenthümlicherweise zunächst
auf den Abzweigungen und hernach auf
verstreuten Partieen der Hauptlinie, was
zur Folge hatte, dass die zuerst in Betrieb
gelangten Strecken untereinander monate-
lang nicht in Verbindung standen.
Programmgemäss hätte der Bau im Früh-
jahre 1873 gänzlich beendet sein sollen,
weil die Gesellschaft hoffte, dass bis
dahin so manche der zahlreichen, noch
von den Concessionären entworfenen
Fortsetzungspläne gereift sein würden.
Jene Pläne betrafen die am 21. und
23. September 1871 vorconcessionirten
sieben Linien : von Strakonitz über Klattau
zum Anschlüsse in Fürth a. W. ; von
Plass oder Mlatz einerseits über Karlsbad
an die sächsische Grenze bei Johann-
Georgenstadt, andererseits über Plan an
die bayerische Grenze gegen Wermberg ;
von Postelberg über Laun nach There-
sienstadt, dann über Auscha nach War-
tenberg und Reichenberg; von Laun über
Luzna nach Beraun ; von Plass nach
Pürglitz ; von Pilsen an die bayerische
Grenze bei Eisenstein ; von Priesen über
Komotau an die sächsische Grenze zum
Anschlüsse an die Flöhathalbahn.
Da sich aber bald zeigte, dass es nicht
leicht anging, mehrere dieser fast ins Un-
gemessene gehenden Projecte gleichzeitig
der Reife, geschweige denn der Ver-
wirklichung zuzuführen, wurden die Be-
mühungen allesammt vorerst auf die Er-
reichung der Anschlüsse an die baye-
rischen Bahnen bei Eisenstein, bezie-
hungsweise an die sächsischen Bahnen
bei Johann- Georgenstadt gerichtet. Rück-
sichtlich des ersteren war die Gesellschaft
i so ziemlich alleinige Bewerberin ; denn
J ausser dem bald wieder zurückgewiche-
nen Gutsbesitzer Heinrich Polland und
dem Consortium Graf Gatterburg-Dr. Karl
Schierl, welches die Linie Pilsen-Eisen-
stein erst nachträglich in seine Bewer-
I bung um die Linie Pilsen-Johann-Geor-
i genstadt einbezog, jedoch, wie sofort
! zur Sprache kommen wird, gleich mit
! dem ursprünglichen Vorhaben einen Er-
| folg nicht aufzuweisen hatte, war kein
i Concurrent aufgetreten.
Ueberdies kam ihr der Umstand zu-
statten, dass sie kraft Artikel 2 der alten
. . ...
Concession ohnehin zum Baue dieser Linie
I bedingungsweise verpflichtet gewesen
[s. o.], und dass die Regierung, im Hinblicke
j auf einen Beschluss der bayerischen Kam-
| mer, wonach der bayerischen Ostbahn die
Ausführung der Linie Landau-Cham er-
lassen, dagegen jene der Linie von Landau
über Deggendorf und Zwiesel an die
österreichische Grenze aufgetragen wurde,
nunmehr den Zeitpunkt für gekommen
erachtete, den Bau der Linie Pilsen-
Eisenstein von der Gesellschaft zu ver-
langen.
Rücksichtlich des, seit seiner Ab-
lehnung durch das Gründer-Consortium
der Kaiser Franz Josef- Bahn [1864]
schon wiederholt in Anregung gekomme-
nen Anschlusses an die sächsischen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
I07
Bahnen bei Johann-Georgenstadt*) stand
die Sache nicht so einfach ; denn
Graf Ferdinand Gatterburg in Gemein-
schaft mit Dr. Karl Schierl und Genossen,
welche zu Beginn des Jahres 1870 in
die Bewerbung um die Linie Pilsen-Karls-
bad-Schwarzenberg eingetreten waren,
hatten sich so rührig umgethan und in
den Abgeordneten der an dem Zustande-
kommen der Bahn interessirten Gegenden
eine so kräftige Unterstützung gefunden,
dass sie zur Zeit, da die Pilsen-Priesener
Bahn erst die einleitenden Schritte unter-
nahm, schon sowohl vom österreichischen,
als auch vom sächsischen Ministerium die
Zusage der Concessionirung besassen,
daher nicht gut übergangen werden
konnten. Auch war noch ein anderes
Consortium [Haydt-Noback] auf der Bild-
fläche erschienen, mit dem allerdings
weniger gerechnet wurde.
Ein Minister wechsel wendete jedoch das
Blatt zu Gunsten der Pilsen-Priesener Bahn.
Der Handelsminister Dr. Banhans huldigte
dem Grundsatze, dass neue Linien wo-
möglich den schon bestehenden Unter-
nehmungen anzugliedern seien. Weiters
fiel ins Gewicht, dass nach dem Projecte
der letztgenannten Gesellschaft die neue
Linie nicht in Pilsen, sondern in Mlatz
ihren Ausgang nahm, mithin die schwie-
rige und kostspielige Bahnhofs-Anlage
in Pilsen überflüssig machte und die
Baulänge um zwei Meilen [Pilsen-Mlatz]
verringerte , woraus allein schon eine
Kostensumme von mehr als 2,300.000 fl.
resultirte.
Da nun das Vorhandensein von
Bewerbern um die in Rede stehende
Linie an und für sich schon die Sicher-
stellung derselben bedingte, weil die
Regierung vermöge des Staatsvertrages
mit Sachsen vom 24. December 1870
verpflichtet war, die Concession zu er-
theilen, sobald sich Unternehmer hiefür
fänden, so legte das Handelsministerium
*) Mitte der Sechziger-Jahre hatte das Co-
mite der Leipzig-Chemnitz-Glauchauer Bahn
sich um das Project angenommen, hernach
— im Jahre 1868 — der Bergwerksbesitzer
J. R. Eaton [s. o.] die Linie Pilsen-Karlsbad
und der Fabriksbesitzer Max Unger die Linie
Karlsbad-Georgenstadt geplant, ferner im
Jahre 1869 ein sächsisches Comite ebenfalls
die Linie Pilsen-Karlsbad-Schwarzenberg.
am 22. März 1872 dem Abgeordneten-
hause einen Gesetzentwurf vor, dessen
Begründung damit schloss, dass wegen
der eben erwähnten Capital- Ersparnis und
der durch die Vereinigung der neuen Linie
mit einer schon concession irten Bahn sich
sonst noch ergebenden öconomischen Vor-
theile, »an dem Projecte der Pilsen-
Priesener Bahn festgehalten werden
muss«.
Den Gesetzentwurf in Betreff der
Linie Pilsen-Eisenstein brachte das Mini-
sterium am 3. Juni 1872 im Abgeordneten-
hause ein. Die Denkschrift zu dieser
Vorlage Hess nicht minder erkennen,
dass für diese, wie für jene Linie die
Pilsen-Priesener Bahn als Concessionär
in bestimmte Aussicht genommen sei;
sie verwies nämlich auf die diesfalls
sozusagen schon bestehende Verpflichtung
der Gesellschaft [§ 2 der alten Concessions-
Urkunde] und betonte, dass die beiden
Linien sich gegenseitig ergänzen, be-
ziehungsweise »für den internen und
internationalen Verkehr eine erhöhte Be-
deutung verleihen«.
Als staatliche Begünstigung war den
beiden Linien Steuerfreiheit im Sinne
des bereits wieder ausser Geltung getre-
tenen Gesetzes vom 13. April 1870 zu-
gedacht, jedoch nur auf die Dauer von
zehn Jahren, »indem eine derartige Ein-
schränkung nach den derzeitigen günsti-
geren Verhältnissen des Geldmarktes
zulässig erscheint und für die Aufbrin-
gung der zum Bahnbaue erforderlichen
Geldmittel voraussichtlich genügen wird«.
Die beiden Gesetze haben nach Passirung
der beiden Häuser des Reichsrathes, am
28. Juni 1872, die a. h. Sanction und
daraufhin, am 13. November 1872, die
Pilsen-Priesener Bahn die, wie eben
erwähnt, mit zehnjähriger Steuerfreiheit
ausgestattete Concession für die Linie von
Pilsen über K 1 a 1 1 a u und N e u e r n
an die böhmisch -bayerische
Grenze bei Eisenstein, ferner von
Mlatz über Schau b, Karlsbad und
Neudek an die böhmisch-säch-
sische Grenze bei Johann-Geor-
genstadt erhalten, welche Linien als
integrirende Bestandtheile der Pilsen-
Priesener Bahn zu betrachten und zu
behandeln sind.
io8
Ignaz Konta.
Zum Baue kam es jedoch noch j
lange nicht ; erst hiess es, die Gesellschaft |
wolle abwarten bis die Ungewissheit i
hinsichtlich des Anschlusses an die ;
bayerischen Bahnen behoben sei, was
vermöge des am 30. März 1873 abge-
schlossenen Staatsvertrages zwischen
Oesterreich-Ungarn und Bayern voll-
kommen der Fall gewesen; dann wurde
einbekannt, dass ohne die Mithilfe des j
Staates der Baufond nicht zu beschaffen sei.
Die Staatsverwaltung hat denn auch,
wie aus dem späteren Abschnitte dieser ]
Mittheilungen zu ersehen sein wird, in
bedeutendem Masse an der Aufbringung ,
der Geldmittel theilnehmen müssen, um j
nur eine der neuen Linien thatsächlich
sicher zu stellen ; die zweite [nämlich jene
nach Johann-Georgenstadt] blieb bis auf
die Gegenwart ungebaut.
Die Stammlinie der Gesellschaft
wäre wahrscheinlich schon im Jahre j
1872, also viel früher als zum con-
cessionsmässigen Vollendungstermin, er-
öffnet worden, wenn nicht die Bauten
infolge der zu Ende Mai 1872 ein- j
getretenen grossen Ueberschwemmung j
arge Schäden und Störungen erlitten i
hätten. Der Bergsturz bei Podworow
verursachte die Auflassung einer fast 1
fertigen, circa 5 km langen Strecke und j
den Bau einer neuen noch etwas längeren I
Strecke am anderen Ufer des Pfehof-
baches ; das Reissen des Teichdammes !
bei Mlatz zerstörte die bereits vollendet
gewesene Strecke im Stfolathale in einer j
Ausdehnung von circa 7 km. Der Ge-
sammtschaden belief sich auf rund
2,880.000 fl., wovon die Bauunternehmung
die Summe von 1,622.000 fl. zu tragen
hatte. Abgesehen von zwei Theilstrecken,
konnten daher die Eröffnungen erst im
Jahre 1873 stattfinden. Es wurden dem \
Betriebe übergeben:
Saaz-Obernitz, 28-9 km, 16. September 1872.
Obernitz-Brüx, 6 km, 16. September 1872.
Obernitz-Bilin, io-l km, für den Güterverkehr,
24. October 1S72.
Pilsen-Plass, 323 km, für den Güterverkehr,
21. Januar 1873.
Obernitz-Bilin, Pilsen-Plass, für den Gesammt-
verkehr, I. Mai 1873.
Plass-Schaboglück, 66-9 km, 8. August 1873.
Schaboglück-Priesen, 104 km, 8. August 1873.
Schaboglück-Saaz, 7-1 km, 7. September 1873.
Bilin-Dux-Ladowitz, 36 km, für den Güter-
verkehr, 27. October 1873; für den Ge-
sammtverkehr, I. April 1874.
Die Hauptlinie der Eisenbahn Pilsen-
Priesen [Komotau] nimmt ihren Aus-
gang in der gemeinschaftlichen Station Pilsen
und wendet sich gegen Norden, übersetzt das
Beraunthal und erreicht sodann die Station
Tfemosna, hinter welcher das Tfemosnathal
übersetzt und die Höhen von Jalocin gewonnen
werden. Von da ab fällt die Trace bis zur Station
Kaznau. In ihrem weiteren Verlaufe übersetzt
die Trace die Schlucht bei Ribnitz mit einem
T57'5 in langen und 40 m hohen Viaduct,
und erreicht unweit Plass das Stiolathal,
welchem sie eine kurze Strecke folgt, dann
durch zwei Tunnels führt und den Stfolafluss
dreimal mit Brücken übersetzt. Das Thal
des Sti-olaflusses verlassend, nimmt die Trace
eine nordöstliche Richtung an und ersteigt
hinter Scheles die Wasserscheide, welche
4746 m über dem Adriatischen Meere liegt.
Sodann senkt sich die Linie gegen den Gold-
bach hinab, den sie mit einer Brücke über-
setzt, berührt in ihrem weiteren Verlaufe die
Ortschaften Rüdig, Podersam und Kaschitz
und mündet in die Station Schaboglück ein,
nachdem sie den Leskabach bei Knöschitz
und das Aubachthal bei Cejkowitz übersetzt
hat. In Schaboglück gabelt sich die Bahn,
indem daselbst die Zweigbahn nach Priesen
ausästet. Die Hauptbahn führt weiter in das
Aubachthal, übersetzt dasselbe zum zweiten
Male bei Libocan, und wendet sich sodann
gegen die Station Saaz, nachdem sie den
Egerfluss mittels einer Brücke überschritten
hat. Von Saaz aus verfolgt die Bahn die bereits
von Schaboglück eingeschlagene nordöstliche
Richtung bis gegen die Station Postelberg,
übersetzt gleich hinter derselben das Thal des
Komotauer Baches mit einem Viaducte von
38 m Spannweite und 10 m Höhe, wendet sich
sodann gegen Norden und erreicht das Thal
der Serpina, in welchem sie sich bis zurStation
Obernitz entwickelt. Vor dieser Station, und
zwar bei dem Orte Sedlitz, trifft die Trace jene
der Prag-Duxer Bahn, mit welcher sie nun auf
einem gemeinschaftlichen Bahnkörper parallel
weiterzieht. Von der Station Obernitz aus
verfolgt die Hauptbahn das Thal der Bieia
bis Bilin. Hier das Bielathal verlassend,
erreicht sie die Endstation Dux-Ladowitz,
wo sie an die Aussig-Teplitzer Bahn und an
die Dux-Bodenbacher Bahn Anschluss hat.
Die Zweigbahn Schaboglück - Priesen,
welche eine zweite Anknüpfung der Haupt-
linie mit der Buschtehrader Bahn und hiedurch
wieder über Weipert die Verbindung mit der
sächsischen Staatsbahn nach Chemnitz, Leip-
zig u. s. w. herstellt, hat eine nordwestliche
Richtung; sie übersetzt das Egerthal mit einer
Brücke von zwei Oeffnungen ä 57 m Spann-
weite und erreicht alsdann die Station Priesen.
Von der Station Obernitz ausgehend,
übersetzt die Linie Obernitz-Brüx den Biela-
fluss, und erreicht nach einiger Entwicklung
im Thale dieses Flusses die Station Brüx.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
IO9
4
-*»-..
^'i
Abb. 65. Elbe-Brücke bei Aussig [Oesterreichische NordwestbahnJ.
Hetzendorf - Donaulände bei
Albern. Ein bedeutender Theil des
Güterverkehres der Kaiserin Elisabeth-
Bahn entstammt den Transporten, welche
ihr aus Ungarn zu Schiffe zugehen oder
welche sie zur Uebergabe an die Schiff-
fahrt nach Wien bringt. Nun hafteten aber
dem Zustreifdienste zwischen dem Wiener
Bahnhofe der Kaiserin Elisabeth-Bahn
und der Donaulände, insbesondere bei
ungünstiger Witterung und zur Winters-
zeit, Uebelstände an, die sich nach-
gerade als unbesiegbar erwiesen. Trotz
der zunehmenden Preissteigerung des
Strassenfuhrwerkes war weder eine Regel-
mässigkeit der Zu- und Abfuhr, noch eine
Sicherung der Frachten gegen Beschädi-
gung und Entwendung zu erzielen.
Die Kaiserin Elisabeth-Bahn hatte
darum seit Langem danach getrachtet,
der Abhängigkeit von dem Achstrans-
porte durch Wien völlig ledig zu werden.
Im Jahre 1868 entschloss sie sich einen
Schienenweg zur Donaulände anzustreben, ;
Hess zu diesem Zwecke das Project für
eine Verlängerung ihrer Penzing-Hetzen- |
dorfer Verbindungsbahn bis hinter Kaiser-
Ebersdorf ausarbeiten, traf die nöthigen
Vereinbarungen mit der Donauregulirungs-
Commission, und überreichte, nachdem sie
die Verzinsung der auf die kaum 2 !/2 Meilen
lange Fortsetzungsstrecke aufzuwendenden
Kosten von rund 1,200.000 fl. als fest-
stehend erachtete, das Gesuch um die
Concession.
Die Generalversammlung vom 16. Juni
1869 billigte dieses Vorgehen und er-
mächtigte den Verwaltungsrath, die
Concession für die Linie Hetzendorf-
Kaiser-Ebersdorf, eventuell mit der Ver-
längerung bis an den Donau-Quai bei
Wien, »zu den best erreichbaren Bedin-
gungen« zu erwerben, und dann den Bau
sofort in Ausführung zu bringen. Gerade
wegen der Bedingungen verzögerten sich
aber die Verhandlungen. Die Gesellschaft
glaubte auf andere Begünstigungen rechnen
zu dürfen, während die Regierung nur eine
Steuerbefreiung zugestehen mochte, aller-
dings schliesslich auf die Dauer von
zwanzig Jahren. Als nun die bezügliche
Einigung erzielt war, erhielt die Kaiserin
HO
Ignaz Konta.
Elisabeth-Bahn am 24. Juni 1870 die auf
85 Jahre [vom Tage der Eröffnung] giltige
Concession für die binnen Jahresfrist zu
vollendende Linie Hetzen dorf-D onau-
lände bei Albern;welchezunächst nur dem
Frachtenverkehre und erst bei sich er-
gebendem Bedürfnisse auch dem Personen-
verkehre dienen sollte, und auf Grund des
Gesetzes vom 13. April 1870 mit der
erwähnten zwanzigjährigen Steuerfreiheit
bedacht wurde. In einem am 5. Juni
1870 errichteten Protokolle zu den ver-
einbarten Concessions-Bedingungen wurde
überdies festgesetzt, dass die Gesell-
schaft berechtigt sein werde, den Per-
sonenverkehr auf dieser Linie lediglich
mittels gemischter Züge, und während
der Zeit, in welcher die Schiffahrt unter-
brochen ist, blos bis Klederling zu führen,
dagegen auch verpflichtet sei, im Falle
der Einführung des Personenverkehrs auf
der Linie Hetzendorf-Donaulände, den-
selben über Verlangen der Regierung
auch auf die schon bestehende Penzing-
Hetzendorfer Verbindungsbahn auszu-
dehnen.
Der Bau wurde mittels Vertrages
vom 2. August 1870 dem Unternehmer
Franz Kraus übertragen , auch als-
bald eingeleitet, jedoch durch Grund-
einlösungs-Schwierigkeiten so sehr beein-
trächtigt, dass die Gesellschaft eine Er-
streckung der Vollendungsfrist nachsuchen
musste, die ihr, über a. h. Entschliessung
vom 31. Januar 1872, bis Ende April
1872 gewährt wurde. [Handelsministerial-
Erlass vom 9. Februar 1872.] Die Er-
öffnung der 10/9 km langen Linie hat
am 1. Mai 1872 stattgefunden. Das Bau-
capital wurde einstweilen im Wege einer
schwebenden Schuld beschafft.
Elbethal-Bähn [Ergänzungsnetz der
Oesterreichischen Nordwestbahn]. Um
der Oesterreichischen Nordwestbahn eine
grösstmögliche Unabhängigkeit bleibend
zu sichern, waren die Concessionäre der-
selben, welchen sich zu diesem Behufe,
an Stelle der Süd-norddeutschen Ver-
bindungsbahn, das Haus Joh. Liebieg
& Comp, angeschlossen hatte, seitdem
sie die Durchführung der Concession für
die erstbezeichnete Bahn in Vollzug ge-
setzt, darauf bedacht, der letzteren eine
Verbindung mit der Hauptstadt Böhmens
und einen unmittelbaren Anschluss an
die sächsischen Eisenbahnen zu ver-
schaffen. Sie Hessen also, nachdem
ihnen am 24. December 1869 die bezüg-
liche Vorconcession zutheil geworden,
das Bauproject für die Linie Nimburg-
Tetschen nebst Zweigbahn nach Prag
ausarbeiten und suchten bei seiner Vor-
lage an das Ministerium zugleich um
die definitive Concession an.
Sie begegneten jedoch, wie bei der Be-
werbung um die Oesterreichische Nord-
westbahn, auch jetzt wieder einer heftigen
Nebenbuhlerschaft. Die Aussig-Teplitzer
Bahn, deren Stillleben damals durch die ihr
bereits erstandenen und noch drohenden
Concurrenzen [Dux-Bodenbacher Bahn,
Bielathal-Bahn etc.] so gründlich gestört
war, dass sie allen Ernstes den Versuch
machte, wenigstens die wichtigeren der
verschiedenerseits projectirten neuen Ab-
fuhrstrassen für die Kohle aus den
Dux-Komotauer Revieren in die eigene
Hand zu bekommen, strebte neben an-
deren Verbindungen vornehmlich jene
von Aussig, einerseits an die Grenze
bei Tetschen, andererseits in südlicher
Richtung bis nach Nimburg an, und zwar
mit einer Emsigkeit und Geschicklichkeit,
welche die hiedurch ängstlich gewordenen
Nordwestbahn-Concessionäre bestimmte,
ihr die Bewerbung in guter Gemein-
schaft anzubieten , was die Aussig-
Teplitzer Bahn aber ganz siegesgewiss
ablehnte.
Da ergab sich bei der seitens
der Regierung eingeleiteten Sicherstellung
einer von dem hier in Rede stehenden
Projecte ziemlich fernab gelegenen Linie
ein merkwürdiger Zwischenfall, welchen
die Nordwestbahn-Concessionäre sich
flugs zunutze zu machen wussten. Die
Regierung war nämlich durch den Prager
Frieden, beziehungsweise die Ministerial-
Erklärung vom 27. August 1866, welche
als Annex dem Friedensvertrage bei-
gegeben ist, sowie durch den am
5. August 1867 abgeschlossenen Staats-
vertrag [Artikel III] zwischen Oester-
reich und Preussen verpflichtet, die
Herstellung der Bahn von Wildenschwert
an die preussische Grenze bei Mittel-
walde in der Richtung auf Glatz, binnen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
III
sechs Monaten, nachdem ihr die Sicher-
stellung der preussischen Theilstrecke
notificirt wird, zu sichern oder die
Concession für dieselbe dem Unter-
nehmer der preussischen Anschlussstrecke,
eventuell der königlich preussischen Re-
gierung zu überlassen. Es musste ihr
also naturgemäss auch daran gelegen
sein, dass die österreichische Linie eine
österreichische Unternehmuno: bleibe.
j bahn nach Zöptau und zogen nun auch
die Linie Wildenschwert-Mittelwalde in
die Bewerbung mit ein.
Die Regierung erkannte das Project
der Staatseisenbahn-Gesellschaft als das
sowohl in technischer wie auch in volks-
wirtschaftlicher Beziehung zweckdien-
lichere an, pflog daher nur mit dieser
Gesellschaft die Concessions-Verhand-
lungen, wobei ihr die staatliche Garantie
Abb. 66. Tetschen.
Das war auch leicht zu erzielen, da
genug Bewerber zur Hand gewesen,
so namentlich der Graf Michael Karl
Althann, das Eisenbahn - Comite in
Mährisch-Schönberg, der Baurath Karl
Schwarz, die Staatseisenbahn - Gesell-
schaft etc. Letztere bewarb sich le-
diglich um die Linie Wildenschwert-
Mittelwalde [1869], das Schönberger
Comit6 und der Graf Althann hin-
gegen [späterhin in Gemeinschaft] be-
warben sich schon seit dem Jahre 1867
um die Linien Hohenstadt-, beziehungs-
weise Sternberg-Niederlipka nebst Zweig-
eines Reinerträgnisses von 70.000 fl.
pro Meile zugesichert wurde, und brachte
aus Anlass der am 1. August 1869 er-
folgten Notification, dass preussischerseits
die Linie Breslau - Glatz - Landesgrenze
gegen Wildenschwert concessionirt wurde,
am 3. März 1870 den Gesetzentwurf in
Betreff der Concessionirung der Linie
Wildenschwert-Landesgrenze bei Mittel-
walde an die Staatseisenbahn-Gesellschaft
im Abgeordnetenhause ein.
Da sprang, knapp vor Beginn der
Berathungen über diese Vorlage, das
Schönberger Comite mit dem über-
112
Ignaz Konta.
raschenden Anbote dazwischen, die Bahn
gegen Gewährung einer Staatsgarantie
von nur 35.000 fl. pro Meile auszu-
führen, und verursachte damit die Zurück-
ziehung der Vorlage.
Bevor aber eine neue eingebracht
werden konnte, trat die Vertagung des
Reichsrathes ein.
In dieser für die Regierung unangeneh-
men Situation erklärten nun die Nordwest-
bahn-Concessionäre die Herstellung der
Linie Wildenschwert-Reichsgrenze ohne
alle Staatsgarantie zu übernehmen, wenn
ihnen gleichzeitig die Concession für die
Elbethal-Bahn verliehen würde. Dies half
der Regierung aus der Verlegenheit und
dem gegenüber konnten auch die Be-
strebungen der Aussig-Teplitzer Bahn,
soweit sie auch schon gediehen waren,
nicht mehr Stand halten.
Die Nordwestbahn-Concessionäre ge-
wannen also die Partie und erhielten
am 25. Juni 1870 die Concession für die
ursprünglich angestrebte Linie von Nim-
b u r g an die sächsische Grenze bei
Tetschen nebst der Abzweigung nach
Prag, wie auch für die Linie Wilden-
schwert-Preussis che Grenze bei
Niederlipka und für die Verbindungen
dieser neuen Linien mit dem Netze der
Oesterreichischen Nordwestbahn [Gross-
Wossek-Chlumetz-Geiersberg und Wil-
densch wert-Hlinsko] .
Als staatliche Begünstigung wurde da-
bei die Steuerfreiheit in dem auf Grund
des Gesetzes vom 13. April 1870 zuläs-
sigen Höchstausmasse, nämlich auf die
Dauer von dreissig Jahren gewährt.
Für den Fall, als die Erfordernisse des
Verkehres es erheischen sollten, kann in
der Folge eine kürzere Verbindung
zwischen Nimburg und Chlumetz her-
gestellt werden, dagegen obliegt den
Concessionären, sobald die Regierung
dies verlangt, die Verbindung der Linie
Nimburg-Tetschen von Melnik aus mit
der Turnau-Kraluper Bahn bei Neratovic
am rechten Elbeufer sowie bei Aussig
die Herstellung eines Anschlusses an die
Eisenbahnen am linken Ufer der Elbe.
Die Vollendungsfristen waren fol-
gendermassen festgesetzt : Nimburg-
Tetschen sammt Zweigbahn Lissa-
Prag, vier Jahre; Niederlipka - Wilden-
schwert, der Zeitpunkt, in welchem
die preussische Anschlussstrecke aus-
gebaut wird [das ist nicht vor Ende 1872];
eine der Verbindungen mit der Nord-
westbahn binnen zwei, die anderen
binnen vier Jahren nach der Eröffnung
der Wildenschwerter Linie.
Wie aus der Concession das Recht
zur Vereinigung der neuen Linien mit
der Nordwestbahn, ist den Concessionären
aus dem am 20. Juni 1870 errichteten
Protokolle zu den Concessions-Bedingun-
gen die Pflicht erwachsen, diese Fusion
» wirksam anzustreben » . In diesem Pro-
tokolle haben sie sich auch anheischig
gemacht, die Abzweigung nach Prag
auf Verlangen der Regierung derart zu
führen, dass die Uebersetzung der Elbe
nächst Altbunzlau-Brandeis erfolge.
Da es von ihnen seit jeher beabsich-
tigt gewesen, die beiden Unternehmungen
zu vereinigen, überliessen die Conces-
sionäre ihre neue Concession alsbald
an die Nordwestbahn, welcher die
wichtige und werthvolle Ergänzung des
alten Netzes überaus willkommen war.
Formaliter wurde die Uebernahme
seitens der am 15. Mai 1871 dieserwegen
abgehaltenen ausserordentlichen General-
versammlung der Nordwestbahn- Actionäre
beschlossen, welche den Verwaltungsrath
auch mit den Vollmachten zur Durch-
führung der Concession, insbesonders zur
Beschaffung der Geldmittel durch Aus-
gabe von 150.000 Actien lit. B. ä 200 fl.
[= 30,000.000 fl.] und 149.000 Priori-
täts - Obligationen lit. B ä 200 fl.
[= 29,800.000 fl.] versah, und die hie-
durch bedingten Statuten-Aenderungen
genehmigte. Die behördliche Bestätigung
der letzeren erfolgte am 2. Juni 1871.
Für die neuen Linien wurde die Bezeich-
nung »Ergänzungsnetz« gewählt und
ist eine völlig gesonderte Rechnung zu füh-
ren, wiewohl sie im Uebrigen einen inte-
grirenden Bestandtheil der Nordwestbahn
bilden.
Den Bau und die Ausrüstung des Er-
gänzungsnetzes übernahm auf Grund
der noch mit den Concessionären geschlos-
senen Verträge der Wiener Bankverein,
dem hiefür die sämmtlichen neuen Titel
behändigt wurden und der hie von in den
Tagen vom 12. bis 17. Juni 1871 vorerst
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
113
90.000 Actien lit. B zum Curse von
178 fl. emittirte, beziehungsweise den
Besitzern der alten Actien überliess.
Mit den Bauarbeiten wurde im Sommer
1871 begonnen; im Verlaufe derselben er-
fuhr jedoch das ursprüngliche Programm
insoferne eine Aenderung, als die Ver-
bindung Wildenschwert-Hlinsko [an der
Linie Deutschbrod-Pardubitz] wegen ihrer
Kostspieligkeit und minderen Ertrags-
fähigkeit vorerst fallen gelassen, hingegen
die Aussiger Verbindungsbahn sogleich
in den Bau miteinbezogen wurde. Diese
Aenderung brachte noch andere mit sich ;
erstens : Die Auflösung des Vertrages mit
dem Wiener Bankverein, als General-
Bauunternehmung und die Weiterführung
des Baues in eigener Regie der Gesell-
schaft, zweitens: Die Verschiebung der
finanziellen Grundlage des Ergänzungs-
netzes, da dem Wegfalle des für die Linie
Wildenschwert-Hlinsko mit 4,500.000 fl.
veranschlagten Capitales nur die Kosten
für die Aussiger Verbindungsbahn [ein-
schliesslich der Elbebrücke] im Belaufe
von 1,000.000 fl. gegenüberstanden, sohin
3,500.000 fl. verfügbar blieben, welche
mit Zustimmung der Generalversamm-
lung vom 27. Juni 1872 theilweise zur
Deckung von Erfordernissen des alten
Netzes verwendet wurden.
Die Gesellschaft hatte nämlich an
den Bauunternehmer des alten Netzes
für Mehrleistungen etc. eine im Ver-
gleichswege vereinbarte Summe von
5,940.000 fl., ferner ihren Antheil an
dem Kaufschillinge und an den Kosten
des Umbaues der Wiener Verbin-
dungsbahn im Gesammtbetrage von
600.000 fl. zu entrichten und für den
Jedlesee'er Rangir-Bahnhof aufzuwenden
— besass aber von dem Capitale des
alten Netzes nur die, hauptsächlich aus
dem Aufgeben der Verbindung vom
Wiener Nordwestbahnhofe zum Praterstern
resultirende Summe von 3,733.000 fl.
Sie nahm darum von dem erübrigten
Capitale des Ergänzungsnetzes den Betrag
von 2,960.838 fl. zu Hilfe und überwies
die restlichen 539.163 fl. den Reserven
des letzteren Netzes.
Dadurch erhöhte sich das Anlage-
Capital des alten [garantirten] Netzes
auf 80,310.000 fl., während jenes des
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theit.
Ergänzungsnetzes sich eigentlich auf
56,840.000 fl. verringerte. Zu diesen
Capitalien kam damals noch eine
zum Baue von Arbeiter- und Beamten-
Wohnhäusern bestimmte Specialanleihe
von 2,000.000 fl. hinzu.
Damals trug sich die Gesellschaft
neuerdings mit mehreren Fortsetzungs-
plänen, darunter insbesonders jenen für
die Linien : Tetschen-Schandau, eventuell
Dresden, Jedlesee-Pressburg, Trebitsch-
Brünn, und für eine Verbindungsbahn
vom Wiener Bahnhofe der Nordwestbahn
zur Südbahn und Westbahn ; sie blieben
jedoch allesammt nur Projecte. ■
Der Bau des Ergänzungsnetzes erlitt
keine namhaften Störungen; es wurden
eröffnet :
Nimburg-Lissa-Prag, 48*5 km, 4. October 1873.
Chlumetz-Königgrätz,27-8^jn, 4-October 1873.
Lissa-Schreckenstein, 936 km, I.Januar 1874.
Aussiger Verbindungsbahn, P5 km, I. Januar
1874.
Königgrätz- Geiersberg -Lichtenau, 828 km,
14. Januar 1874.
Schreckenstein-Tetschen-Mittelgrund, 28 8 km ,
5. October 1874.
Geiersberg-Wildenschwert, 13 gkm, 5. October
1874.
Wichstadtl-Lichtenau-Reichsgrenze, 24 km,
15. October 1875.
[Am 10 , beziehungsweise 22. September
1874 wurde auch die zum alten Netze ge-
hörende Schleppbahn von Korneuburg zur
Donaulände, l-5 km lang, eröffnet.]
Die Bahn von N i m b u r g nach Tetschen
zieht von der Station Nimburg der Haupt-
bahn nach Lissa, von wo der Prager
Flügel abzweigt, übersetzt den Iserfluss
bei Laubendorf mit einer 90 m weiten
eisernen Brücke, berührt die Punkte Alt-
Bunzlau, Dfis und Vsetat [Piivor] in der
Weise, dass die Turnau-Kralup-Prager Eisen-
bahn, bei letzterem Orte mittels einer Rampe
überfahren und die Anlage eines mit dieser
Bahn gemeinschaftlichen Bahnhofes ohne
Geleiseüberschreitung im Niveau ermöglicht
I wurde. Im weiteren Verlaufe der Trace
I werden die dem Elbethal parallel liegenden
Thäler, deren niederste Wasserscheide die-
; jenige bei Klein -Aujezd [182 m absolute
: Meereshöhe] ist, durchzogen, und geht die
Bahn an Melnik vorüber, schmiegt sich
später auf eine Länge von 2700 m dem Laufe
des Elbestromes vollkommen an, weshalb
der Bahnkörper an der Wasserseite mit
massiven einfüssigen Steinsätzen gegen den
Einfluss der Hochwässer, die das Üferterrain
in einer Mächtigkeit von durchschnittlich
5 m überdecken, geschützt werden musste,
und erreicht die Station Liboch.
114
Ignaz Konta.
In der nordwestlichen Fortsetzungslinie
gegen Kieschitz wurde das scharfe Knie,
welches die Elbe südlich gegen Raudnitz
bildet, dadurch abgeschnitten, dass derRücken,
welcher das Elbethal von dem Parallelthal
des Obertkabaches nächst Gastorf trennt,
mittels eines 1200 m langen und 12 m tiefen
Einschnittes durchbrochen wurde; hiebei
werden die Orte Wegstädtl, Gastorf und
Polepp berührt.
Von Kieschitz ab folgt der Zug der Bahn,
mit Abschneidung der Flusskrümmung bei Ca-
lositz, jenem der Elbe bis gegen Schreckenstein.
Besondere Schwierigkeiten hatte der Bau
dieser Strecke beiLeitmeritz gefunden, welche
Stadt theilweise mit einem 296 m langen
Tunnel unterfahren werden musste, ferner
bei den steilen Felslehnen zwischen Cernosek
und Libochovan.
Vom Bahnhofe Schreckenstein zieht die
Bahn, sich fortwährend dem Laufe der Elbe
anschmiegend, über Schwaden nach Gross-
Priesen, von da ohne erhebliche Schwie-
rigkeiten nach Tichlowitz, durchfährt den
Jungfernstein in einem 68 m langen Tunnel,
übersetzt nach einer scharfen Einbiegung
in das Pulsnitzthal die Böhmische Nord-
bahn und den Pulsnitzfluss und mündet
in die 2000 m lange, zur Zollmanipulation
eingerichtete, in der unmittelbaren Nähe der
Stadt Tetschen mit dem Bahnhofe der
Böhmischen Nordbahn verbundene Station
Tetschen ein. Vom Bahnhofe Tetschen ab
fährt die Bahn mit einem 430 in langen,
auf eine Länge von 150 m durch schwim-
mendes Terrain führenden Tunnel durch
den Quaderberg und übersetzt die Elbe auf
einer grossen Gitterbrücke von 200 111 Spann-
weite. Zum Anschlüsse an die sächsischen
Staatsbahnen wurde am linken Elbeuferhinter
der Brücke die Rangirstation Mittelgrund
erbaut, welche damals den nördlichen Ab-
schlusspunkt desErgänzungsnetzes der Oester-
Teichischen Nordwestbahn bildete.
Der Flügel Lissa-Prag von der Station
Lissa der Elbethalbahn ausgehend, übersetzt
die Elbe auf einer Fachwerkbrücke zu vier
Oeffnungen ä 40 in Stützweite nächst der
Station Celakowitz, zieht über Mstetic und
Chwäla-Pocernic, indem sie bei letzterem
Orte die Wasserscheide zwischen Moldau
und Elbe [282 in Meereshöhe] überschreitet;
sodann schliesst sie sich an den Bahnkörper
der Neratowitzer Linie der Turnau-Kralup-
Prager Eisenbahn an, verlässt dieselbe
erst unterhalb des mit dieser Bahn gemein-
schaftlich erbauten Bahnhofes Wysocan und
unterfährt dieselbe sodann vor dem Orte
Lieben; hierauf folgt sie bis zur Einfahrt in
den Bahnhof Prag der Moldau und übersetzt
vor Prag durch eine 70 m weite, sehr schräg
festeilte Brücke den Prag-Karolinenthaler
chiffahrts- und Landungscanal.
Die 1 km lange Aussiger Verbin-
dungsbahn vom Bahnhof Schreckenstein
ausgehend überschreitet den Elbestrom und die
Staatsbahn mit einer 3106 in langen, für den
Strassen- und Eisenbahn -Verkehr bestimmten
Fachwerkbrücke und mündet, nachdem der
Bielafluss mit einer sehr schräg gestellten,
50 in weiten Eisenbrücke passirt ist, in den
Bahnhof Aussig der Aussig-Teplitzer Bahn ein.
Die Linie C h 1 u m e t z-L i c h t e n a u [Mittel-
walde] beginnt in der Station Chlumetz der
Gross-Wossek-Trautenauer Flügelbahn und
übersetzt den Cidlinafluss. Bis Königgrätz ist
die Trace im günstigen Terrain meist gerade
gezogen.
In Königgrätz findet der Anschluss an
die Süd-norddeutsche Verbindungsbahn statt
und hierauf die Ueberschreitung des Elbe-
flusses, mit einer 50 m weiten Brücke, der
noch eine 20 in weite Inundationsbrücke
beigegeben wurde.
An Hohenbruck, Tynilt und Adler-
Kosteletz vorbei gelangt die Bahn ohne be-
sondere Schwierigkeiten längs des wilden
Adlerflusses bis Doudleb, von wo ab das
Terrain den Charakter der Bahn bedeutend
ändert; die Construction des Bahnkörpers
erforderte namentlich in der Nähe des
Lititzer Tunnels, wo sich die Bahn bis 30 in
über die Thalsohle erhebt und an den steilen
Lehnen geführt werden musste, die An-
wendung ziemlich kostspieliger Stütz- und
Futtermauern und grösserer Kunstbauten in
den hohen Dämmen, von denen die Ueber-
setzung des Thaies der Stillen Adler bei
Pottenstein, die bedeutendste ist.
Der nun folgende Gebirgsrücken zwischen
der Wilden und Stillen Adler wird bis Geiers-
berg mit der grösstvorkommenden Steigung
von 1:90 [n'Voo] und dem Radius 300 in
[Station Senftenberg4i5 m absolute Meeres-
höhe] überschritten und übersetzt die Bahn
in ihrer Fortsetzung gegen Lichtenau zwei-
mal die vielfach gekrümmte Stille Adler mit
eisernen Fachwerksbrücken zu je 20 m Licht-
weite, und zwar bei Wetzdorf und nächst
Wichstadtl. In der günstigen Einsattlung
zwischen den Orten Lichtenau und Nieder-
lipka tritt die Bahnlinie aus dem Adlerthale
in das Flussgebiet der Neisse. Von Lichtenau
aus erreicht die Bahn in einer Entfernung
von r8 km die österreichisch - preussische
Grenze und die nach Glatz führende
oberschlesische Eisenbahn; 1300 m hinter der
Station Lichtenau findet sie Anschluss an die
nach Grulich und Sternberg führende Mäh-
rische Grenzbahn.
Die Strecke Geiersberg-Wilden-
schwert tritt nach Ueberschreitung der
Adler in das Thal der Stillen Adler und wendet
sich, nachdem sie diesen Fluss übersetzt,
westlich, um in den mit der Staatseisenbahn
gemeinschaftlichen Bahnhof Wildenschwert
einzumünden. [Abb. 64 — 66.]
Prag-Duxer Eisenbahn. Was
in Hinsicht auf die Ausfuhr der Braun-
kohle aus dem Duxer Becken, zur Grün-
dung der Dux-Bodenbacher Bahn Ver-
anlassung gegeben, nämlich die Schaf-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
"5
fung einer neuen Abfuhrsstrasse, hatte in
Betreff der Verfrachtung jener Kohle nach
dem Innern Böhmens auch das Project
der Prag-Duxer Bahn gezeitigt. Man er-
achtete den aus der Aussig-Teplitzer Bahn
[Komotau-Dux-Aussig] und der Strecke
Aussig - Prag der Oesterreichischen
Staatseisenbahn-Gesellschaft bestehenden
Schienenweg, wegen der Ueberlastung
der erstgenannten Bahn, als unzureichend
— den aus den Linien Dux-Komotau der
Aussig-Teplitzer Bahn und Komotau-
Prag der Buschtöhrader Bahn zusammen-
gesetzten zweiten Schienenweg aus dem
Duxer Braunkohlen-Reviere nach Prag aber
nicht für zweckentsprechend und unab-
hängig genug, weil die Buschtöhrader
Bahn auch dem Buschtehrad-Kladno'er
Reviere dient, und wollte darum noch
eine dritte Bahn haben.
Die vielen Bewerbungen um diese Bahn
konnten, soweit sie nicht etwa auf die da-
mals schon sehr merklich gewesene Con-
cessions-Hascherei zurückzuführen waren,
als ein Beweis dafür gelten, dass sie ein
Bedürfnis sei. Nicht weniger als sieben
Concurrenten standen fast gleichzeitig auf
dem Plane, nämlich die Consortien : Graf
Thun-Hohenstein und Genossen, Fink-
Sladkovsky und Schier-Küstner- Solch,
ferner die Firma Johann Liebieg & Comp.,
Dr. Franz Stradal, die Böhmische West-
bahn und die Buschtöhrader Bahn in Ge-
meinschaft mit der Aussig-Teplitzer Bahn.
Angesichts dessen hatte das Handels-
ministerium, das am 25. Februar 1870
einen Gesetzentwurf
betreffend die Conces-
sionirung dieser Bahn
im Abgeordneten-
hause einbrachte, je-
doch am 3. März
wieder zurückzog, —
zur Bethätigung seiner
vollen Objectivität
eine förmliche Offert-
verhandlung veran-
staltet und die Ein-
bringung der Ange-
bote auf den 5. Mai
1870 anberaumt.
Dies veranlasste
die genannten Bahn-
gesellschaften von der
Sache abzustehen ; die Böhmische West-
bahn wollte zu den Berechnungen nicht ge-
nügend Zeit gefunden haben und die beiden
anderen Bahnen, denen es eigentlich um
die Linie Preschen [Aussig-Teplitzer Bahn]-
Laun-Kunova [Buschtöhrader Bahn] zu
thun gewesen wäre, fanden kein Gefallen
an einer neuen directen Linie Prag-Dux.
Da weiters auch Dr. Stradal, der nicht eine
einzelne Linie sondern ein ganzes Bahn-
netz anstrebte, die Bewerbung fallen liess
und das Consortium Schier- Küstner-Sölch
auch die seine aufgegeben, waren zuletzt
nur noch die Consortien Thun-Hohen-
stein und Fink - Sladkovsky, die sich
aber in letzter Stunde verständigt haben
sollen, und das Haus Liebieg im Wett-
bewerbe, bei welchem das Angebot des
Consortiums Thun-Hohenstein und
Genossen sich als das günstigste erwies.
Der Sieg fiel also diesem, auch
von der Sympathie der betheiligten Be-
völkerung getragenen Consortium zu,
und das Haus Liebieg mag nun bedauert
haben, dass es im Verwaltungsrathe der
Dux-Bodenbacher Bahn, beziehungsweise
in deren Generalversammlung vom 26.
März 1870, den Stradal'schen Antrag:
»es sei zu Händen der Dux-Bodenbacher
Bahn um die Concession für eine Eisen-
bahn von Dux nach Prag und von Dux
nach Olbernhau einzuschreiten«, wegen
der eigenen [Liebieg'schen] Bewerbung
zu Falle gebracht hatte, was übrigens, wie
sich alsbald zeigte, der Dux-Bodenbacher
Bahn nur zum Heile gereichte, wenn
Abb. 67. Prag-Duxer Eisenbahn. [Egerbrücke bei Laun.]
n6
Ignaz Konta.
anders ihr Project nicht etwa viel besser
und billiger gewesen wäre, als jenes des
Grafen Thun-Hohenstein.
Die Concessions- Verhandlungen mit
dem Consortium des Grafen Thun-Hohen-
stein und der ihm damals noch beige-
tretenen Anglobank fanden am 3. Juni
1870 ihren Abschluss. Die ihnen am
25. Juni 1870 zutheil gewordene Con-
cession für die Linie von Prag [Smi-
chov] nach Dux mit einer Zweigbahn
nach B r ü x gewährte diesem neuen
Unternehmen, auf Grund des Gesetzes
vom 13. April 1870, eine zwanzigjährige
Steuerfreiheit und verpflichtete die Con-
cessionäre, die Bahn binnen drei Monaten
in Bau zu nehmen und dann längstens
innerhalb dreier Jahre zu vollenden.
Der erste dieser Termine konnte
nicht eingehalten werden, weil die
durch den Ausbruch des deutsch-fran-
zösischen Krieges verschlechterte Lage
des Geldmarktes die Emission der Titel
verzögerte. Ueber a. h. Entschliessung
vom 9. October 1870 wurde der I. April
1871 als neuer Termin bewilligt. Die
Zwischenzeit ging übrigens nicht nutz-
los verloren.
Es wurde die Strittigkeit wegen
der mit dem Tracenzuge der Pilsen-
Priesener Bahn sich deckenden Theil-
strecken Sedlitz-Dux und Obernitz-Brüx
ein vernehmlich, wie auch mit a. h.
Genehmigung vom 2. December 1870,
dahin geschlichtet, dass die den beiden
Unternehmungen gleichmässig conces-
sionirte Strecke, zum gemeinsamen Be-
triebe und auf gemeinsame Kosten, doppel-
geleisig hergestellt werde ; ferner wurde
die Geldbeschaffung endgiltig mit der
Anglobank, welche die sämmtlichen
Titel übernahm, vereinbart, und die
Vorconcession erworben [25. October]
für eine Fortsetzung der Bahn von B r ü x
über Klostergrab bis an die sächsische
Grenze bei Mulde [gegen Freiberg],
welche ebenso wie die Verbindung gegen
Pirna hin in dem zwischen Oesterreich-
Ungarn und Sachsen am 24. December
1870 abgeschlossenen Staatsvertrage vor-
gesehen ist.
Zu Beginn des Jahres 1 871 fand die
Vorlage der Statuten und nachdem
dieselben am 25. Februar 1871 die
behördliche Genehmigung erhalten hatten,
am 1. März 1871 die Constituirung der
Actien-Gesellschaft: »K. k. priv. Prag-
Duxer Eisenbahn« [Sitz in Prag] statt,
deren Capital vorerst mit 8,100.000 fl.
in Actien [54.000 Stück ä 150 fl.] und
12,150.000 fl. in Prioritäts-Obligationen
[81.000 ä Stück 150 fl.] festgesetzt
wurde. Von diesen Werthen legte die
Anglobank am 16. März 1871 einen
Theilbetrag von 9,000.000 fl., nämlich
je 30.000 Actien und Prioritäts-Obliga-
tionen, erstere zum Curse von 66°/0,
letztere zum Curse von 71%, zur öffent-
lichen Zeichnung auf, welche ein gutes
Ergebnis lieferte. Zur Führung der
Geschäfte wurde eine General-Direction
errichtet und an die Spitze derselben
der Central-Inspector der Böhmischen
Westbahn, Franz M r ä z, gestellt.
Der in der Strecke Prag-Sedlitz an die
Unternehmer Karl Schnabel, Johann
und Wenzel Muzika, in den übrigen
Strecken an die Unternehmer Adalbert
von Lanna, Johann Schebeck und
Max Grobe vergebene Bau wurde am
1. April 187 1 in Angriff genommen und
so eifrig geführt, dass im Jahre 1872
schon mehr als 40 km Bahn vollendet
waren.
Inmitten dieser Thätigkeit sah die
Gesellschaft auch ihr Fortsetzungsproject
der Verwirklichung entgegen gehen.
Ihre eigene Bemühungen, wie auch
das Interesse, welches die Leipzig-
Dresdener Bahn damals für die Ver-
bindung Brüx - Freiberg an den Tag
legte, bestimmten das Ministerium, dem
vorerwähnten Staatsvertrage gleich jetzt
gerecht zu werden. Es legte am 7. Juni
1872 dem Abgeordnetenhause zwei Ge-
setzentwürfe über die Sicherstellung des
österreichischen Theiles einerseits der
Freiberger, andererseits der Pirnaer Ver-
bindung vor, von denen die erstere mit
Zustimmung der k. sächsischen Regie-
rung als Ersatz für die in dem Staats-
vertrage ausdrücklich bezeichnete, jedoch
nicht zustande gekommene Linie Lobo-
sitz-Dux-Freiberg galt und geradewegs
zur Concessionirung an die Prag-Duxer
Bahn in Aussicht genommen war.
Nachdem diese Vorlagen rasch er-
ledigt, beziehungsweise am 28. Juni
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
117
1872 der a. h. Sanction theilhaftig ge-
worden waren, erhielt die Gesellschaft
am 4. September 1872 die Concession
für die Linie Brüx-Ossegg-Kloster-
grab-Niklasberg-Sächsi sehe Grenze
bei Mulde, unter der Verpflichtung, auch
eine Verbindungsbahn von Neustadt
an die sächsische Grenze zum Anschlüsse
an die Müglitzthal-Bahn herzustellen,
sobald die Regierung dies verlangt und
die bezüglichen Modalitäten festgestellt
haben würde. Beide Verbindungen sollten
integrirende Bestandtheile der Prag-
Duxer Bahn sein. Als staatliche Begünsti-
gung für die Linie Brüx-Mulde wurde
eine zehnjährige Steuerfreiheit gewährt,
auch in der Weise, dass die Ent-
richtung der Steuer nach Massgabe des
Verhältnisses der Meilenlänge der alten
zu der neuen Linie stattfindet. Die Bau-
fristen wurden bestimmt : für die Strecke
Brüx - Klostergrab mit zwei, für die
weitere Strecke mit längstens drei Jahren,
wenn nicht die sächsische Anschluss-
strecke von Freiberg an die böhmische
Grenze früher eröffnet wird, wo dann
gleichzeitig mit dieser auch die Strecke
Klostergrab-Mulde in Betrieb zu setzen
wäre.
Die am 15. October 1872 abgehaltene
ausserordentliche Generalversammlung
genehmigte nicht nur die Uebernahme
dieser Concession, sondern ermächtigte
auch den Verwaltungsrath, hinsichtlich
der Verbindung Klostergrab-Sächsische
Grenze gegen Pirna, gleichfalls geeig-
nete Schritte zu unternehmen und zum
Zwecke der Vollziehung der Concession
vom 4. September 1872 alles Erforder-
liche vorzukehren , insbesondere die zur
Deckung -des Baufonds nöthigen Geld-
mittel im Betrage von effectiv 5, 192.81 7 fl.
durch Ausgabe neuer Actien und Obliga-
tionen zu beschaffen.
Der Form nach war dies bald gesche-
hen ; drei Geldkräfte : die Dresdener Bank
und das Bankhaus Erlanger im Vereine
mit der Deutsch-österreichischen Bank in
Frankfurt a. M. theilten sich in die Auf-
gabe der Geldbeschaffung; erstere über-
nahm die Prioritäts-Obligationen im Be-
trage von nom. 3,900.000 fl. und die
letztere Gemeinschaft die Actien im Be-
trage von nom. 2,600.000 fl. »zur
Placirung«. Der Bau wurde der Unter-
nehmung Xowak & Teirich übertragen,
welche die Arbeiten im Frühjahre 1873
in Gang setzte.
In Wirklichkeit aber schlug die Geld-
beschaffung fehl und brachte sohin auch
den Bau ins Stocken. Erst nach Jahren
und mit Beihilfe der Regierung konnte
er wieder aufgenommen und in der Theil-
strecke Brüx-Klostergrab auch zu Ende
geführt werden. Das Glück, welches
den Gründern geleuchtet hatte, war der
Gesellschaft untreu geworden; sie verfiel
einem finanziellen Siechthum, das immer
Abb 68. Prag-Duxer Eisenbahn [bei St. ProcopiJ.
mehr zunahm, je weniger die Betriebs-
ergebnisse ausreichten, die Verzinsung der
Prioritäts-Obligationen, geschweige denn
die gesammten hohen Anlagekosten zu
decken. Die alte Linie wurde jedoch
vollendet, bevor noch der jähe Wechsel
der gesellschaftlichen Lage allgemein
bekannt geworden. Es gelangten zur Er-
öffnung :
Chlumcan-Obernitz-Brüx, 316 km [für den
Güterverkehr], am 21. November 1872.
Obernitz-Bilin, 10 km [für den Güterverkehr],
am 21. November 1872.
Dieselben Strecken für den Gesammtver-
kehr am 2. Januar 1873.
Chlum<$an-Schlan, 38 km, am 2. Januar 1873.
Schlan-Prag, 54- 1 km, am 12. Mai 1873.
Bilin-Dux [Ladowitz], 2-5 km, für den Güter-
verkehr am 1. November 1873; für den
Gesammtverkehr am I. April 1874.
Die Prag-Duxer Bahn, die auf ihrem
ganzen Zuge von der Hauptstadt Böhmens
n8
Ignaz Konta.
bis an die sächsische Grenze eine nordwest-
liche Richtung einhält, hat ihren Ausgangs-
punkt in dem mit der Böhmischen Westbahn
gemeinschaftlichen Bahnhofe Smichov, der
ausserdem auch mit der Buschtßhrader Bahn
und der Kaiser Franz Josef-Bahn in unmittel-
barer Verbindung steht.
Die Trace zieht eine kurze Strecke auf
gemeinschaftlichem Bahnkörper mit der Böh-
mischen Westbahn dahin, wendet sich dann
rechts in das Hluboceper Thal, unterfährt
hier zweimal vor der Station Hluboäep die
Linie Smichov-Hostiwitz der Buschtehrader
Bahn, führt weiter in der Thalrichtung und
erreicht zwischen den Stationen Dusnik und
Litowitz auf der westlich von Prag gelegenen
Hochebene ihren höchsten Punkt [4019 m
Seehöhe].
Von hier aus die nördliche Richtung ver-
folgend, führt sie über Litowitz, Herrendorf
nach Nautonitz, verlässt hier das Plateau und
erreicht das Kovärer und Zäkolaner Thal.
Die Buschtehrader Bahn wird in dieser Strecke
von der Prag - Duxer Bahn zweimal [bei
Litowitz und Zäkolan] übersetzt. Auf ihrem
weiteren Zuge über Schlan übersetzt sie bei
PodleMn das Jemnik-Kraluper Thal mittels
eines Viaductes, in der Strecke Schlan-
Zlonitz das Krälowitzer Thal mittels einer
eisernen Fachwerkbrücke, geht sodann von
Zlonitz nordwestlich über Klobuk ansteigend
auf das Hochplateau von Perutz [351 '2 m
Seehöhe], sodann im Gefälle über Vrbno und
Chlumcan nach Laun, übersetzt hier mittels
einer eisernen Fachwerkbrücke mit zwei
Oeffnungen ä 40 m, zwei Inundationsbrücken
ä 20 m derselben Construction und einem
längeren Damm den Egerfluss und das Eger-
thai, steigt dann wieder nördlich zur Wasser-
scheide des Böhmischen Mittelgebirges empor.
Von hier aus zieht die Trace im sanften
Gefälle nach Hochpetsch, trifft bei Sedlitz
die von Saaz kommende Eisenbahn Pilsen-
Priesen und geht mit dieser auf gemein-
schaftlichem Bahnkörper nach Brüx und Dux.
Zunächst der gemeinschaftlichen Station
Obernitz erreichen beide Bahnen das Biela-
thal, übersetzen den Bielafluss und führen
thalaufwärts in nordwestlicher Richtung nach
Brüx.
Der von der Hauptbahn in Obernitz
thalabwärts nördlich abzweigende, mit der
Pilsen - Priesener Bahn gemeinschaftliche
Flügel Obernitz-Bilin-Ladowitz [Dux]
endigt in dem Bahnhofe Ladowitz [Dux], ist
jedoch mit dem Bahnhofe Dux der Aussig-
Teplitzer Bahn in unmittelbarer Schienen-
verbindung. [Abb. 67—69.]
Bielathal-Bahn [Aussig-Bilin].
Nicht zufrieden damit, der Aussig-Teplitzer
Bahn oberhalb eine Parallelbahn [die
Dux-Bodenbacher Bahn] hart an die Seite
gerückt und durch die eigene Bewerbung
auch das Project der Prag- Duxer Bahn
gefördert zu haben, wollte das Haus
Johann Liebieg & Comp, der erstge-
nannten Unternehmung auch noch unter-
halb eine Concurrenzlinie schaffen, näm-
lich in der Richtung von Bilin durch
das Bielathal nach Aussig, die ins-
besondere den reichen Kohlenlagern bei
Bilin und Schwaz zunutze kommen sollte.
Seine Bewerbung fand beim Ministerium
Anklang und, da bei derselben nur zeit-
liche Steuerbefreiung in Anspruch ge-
nommen wurde, auch baldige Will-
fahrung.
An dem gleichen Tage, der dem Con-
sortium Thun-Hohenstein die von jenem
Hause vergeblich angestrebte Concession
für die Prag-Duxer Bahn brachte, am
25. Januar 1870, erhielt die Firma Johann
L i e b i e g & Comp, die Concession für die
Linie von Bilin im Anschlüsse an die
Prag-Duxer Bahn durch das Bielathal
nach Aussig zur Verbindung mit der
nördlichen Linie der Staatseisenbahn-
Gesellschaft, dann an die Elbe mittels
einer Schleppbahn und eventuell zum
Anschlüsse an die auf dem rechten Elbe-
ufer befindliche Eisenbahn [Elbebahn].
Diese neue, circa 30 km lange, mit
einer zwanzigjährigen Steuerfreiheit be-
dachte Linie, deren Anlage-Capital mit
nom. 1,000.000 fi. pro Meile bemessen
war, sollte binnen drei Monaten in An-
griff genommen und binnen zwei Jahren
vollendet werden. Keiner dieser Termine
wurde eingehalten. Das Haus Liebieg
hegte nämlich eine wahre Sehnsucht,
seine Gründungen an die Aussig-Teplitzer
Bahn anzugliedern, sei es um sie bei
dieser alten wohlbestellten Unternehmung
sicher zu bergen, sei es um der letzteren
darzuthun, dass nicht Feindseligkeit gegen
sie, sondern die [von ihr gar nicht oder
zu spät eingesehene] Nothwendigkeit einer
Vermehrung der Abfuhrstrassen für die
Braunkohle, jene Gründungen veranlasst
haben. Diese Fusionsbestrebungen nahmen
jedoch viel Zeit in Anspruch.
Die ersten, auf Zusammenlegung der
Dux-Bodenbacher und der [damals noch
gar nicht concessionirten] Bielathal-Bahn
mit der Aussig-Teplitzer Bahn lautenden
Liebieg'schen Anträge gingen dem Ver-
waltungsrathe derselben im Februar 187 1
zu, wurden aber sofort abgelehnt, ohne
dass die 1871er Generalversammlung ihn
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
119
darob getadelt hätte, obzwar dies von
den Anhängern und Vertretern des
Hauses Liebieg mit einem grossen Auf-
gebote von Actien vorbereitet gewesen.
Dann benützte das Haus Liebieg
die von damals her in seinen Händen
vereinigten Actien [und Stimmen] der
Aussig- Teplitzer Bahn dazu, um die
letztere wenigstens zur Eingehung eines
Freundschafts- Verhältnisses zu vermögen,
dessen Unterpfand die Uebernahme und
tungsrathe der Aussig-TeplitzerBahn. Bis
diese Vereinbarungen abgeschlossen und
die Uebertragung der Concession sowie
die an die Uebernahme der letzteren
geknüpften Bedingungen der Aussig-
Teplitzer Bahn von Seite der Regierung
genehmigt waren, verstrichen mehr als
achtzehn Monate.
Was die Aussig-Teplitzer Bahn ver-
langte, war : erstens, dass statt des für
sie kostspieligen und unzweckdienlichen
Abb. 69. Prag-Dmer Eisenbahn. [Uebersetzung der Buschtehrader Eisenbahn bei Zäkolan.]
Durchführung der Concession für die
Bielathal-Bahn bildete. Die Besiegelung
dieses Einvernehmens erfolgte in der
am 20. December 1871 abgehaltenen
ausserordentlichen Generalversammlung
der Aussig-Teplitzer Bahn, welche zu-
gleich die Erhöhung des Gesellschafts-
fonds um 3,507.00011. zu dem Zwecke be-
schloss, die Gesellschaft mit den zum Baue
der Bielathal-Bahn sowie auch zur Aus-
dehnung der Schleppbahnen und zur Ver-
mehrung des Fahrparkes erforderlichen
Geldmitteln zu versorgen. Natürlich ge-
wann das Haus Liebieg bei diesem Anlasse
auch eine ausgiebige Vertretung im Verwal-
Anschlusses der neuen Linie in Aussig
derjenige in Türmitz gewählt, und zweitens
dass die Herstellung einer Elbe-Schlepp-
bahn von Aussig stromaufwärts in der Rich-
tung nach Prag, welche Anlage ihr, eben
wegen der Bielathal-Bahn, bisher verwei-
gert worden war, nunmehr gestattet werde.
Mittels Kundmachung des Handels-
ministeriums vom 21. Januar 1872 wurde
nun die Concession für die Bielathal-Bahn
über a. h. EntSchliessung vom 20. No-
vember 1871 an die Aussig-Teplitzer Bahn
mit der Abänderung übertragen, dass die
Einmündung der ersteren in die letztere
Bahn bei Türmitz zu erfolgen habe, und
120
Ignaz Konta.
die neue Linie gleichzeitig mit der in
Aussig anschliessenden Strecke der Oester-
reichischen Nordwestbahn dem öffentlichen
Verkehre zu übergeben sei. Da in dieser
Verfügung auch eine bedeutende Er-
streckung der Vollendungsfrist gelegen
war, brauchte die neue Besitzerin der
Concession sich mit der Inangriffnahme
des Baues nicht sonderlich zu beeilen.
Für die Zwecke desselben brachte die
Gesellschaft am i. April 1872 einen
Theil der oberwähnten, in der ausser-
ordentlichen Generalversammlung vom
20. December 1871 beschlossenen Actien-
Emission [16.700 Stück ä 210 fl.] zur
Begebung, indem sie 8350 Actien den
Besitzern der älteren Titel in der Zeit
vom 1. bis 30. April zum Bezüge al pari
überliess. Die Bauarbeiten, deren Aus-
führung an die Unternehmung Schön &
Wessely vergeben war, haben jedoch erst
im Jahre 1873 begonnen und im Frühling
1874 ihre Vollendung gefunden.
Die Eröffnung der 26' 1 km langen
Bahn fand am 6. Juni 1874 statt. Ihre
Anlagekosten beliefen sich auf nom.
3,753.450 fl. und wurden, so weit sie
über die eben erwähnte Actien-[Theil-]
Emission hinauslangten, durch die Be-
gebung von 13.333 Prioritäts-Obligationen
ä 150 fl. gedeckt. Mit dieser kleinen
Linie hatte, abgesehen von den Schlepp-
bahnen, die Bauthätigkeit der Aussig-
Teplitzer Bahn ihr Ende erreicht.
Die Bielathal-Bahn tritt, von Türmitz
ausgehend, in das Bielathal ein, übersetzt
den Schönfelder Bach und zieht am Biela-
schachte vorüber bis Kosten.
Von hier aus geht sie in vorherrschend
westlicher Richtung, welche sie bis zu ihrem
Ende beibehält, in dem hier sehr engen
Bielathale, übersetzt die Biela und führt an
dem Sagenreichen Staditz vorüber, in dessen
Nahe sie den Potokenbach überbrückt, durch-
schneidet dann das sogenannte Königsfeld,
wobei sie in der Nähe des Piemysl-Monu-
mentes vorüberzieht und erreicht Tschochau-
Hlinai. Von hier geht die Bahn in dem
erweiterten Bielathale, meist dem Terrain
sich anschmiegend, bis Hertine. Am Aus-
gange dieser Station übersetzt die Bahn den
Mühlbach, überschreitet noch die Biela nächst
dem Dorfe Welboth und geht, den Sau-
bach übersetzend, bis Auperschin. Von hier
zieht die Bahn in einem grossen Bogen an
der Berglehne gegen Liessnitz und erreicht,
nachden sie die Biela noch zweimal und den
Mühlbach übersetzt, die in einem Basalt-
I einschnitte gelegene Haltstelle Liessnitz
und geht weiter bis Wohontsch. Hinter
dieser Station überbrückt sie noch zweimal
die Biela, kreuzt die Schwazer Zweigbahn
rechtwinkelig im Niveau und erreicht Schwaz-
Kuttowitz, von welcher Station aus sie durch
einen Bogen mit der Schwazer Zweigbahn
in Verbindung gebracht ist. Nun tritt die
Bahn in die Ebene zwischen dem Mittel-
und Erzgebirge, geht nahezu parallel mit
der Aerarialstrasse und erreicht kurz vor der
Uebersetzung des Grundbaches ihren höch-
sten Punkt [1874 m über dem Meere]. Nun
fällt sie auf eine kurze Strecke und erreicht
die horizontal gelegene Station Bilin.
Lundenburg-Grussbacher Bahn.
Nachdem die Kaiser Ferdinands-Nordbahn
; in ihrem Privilegiums-Streite mit der
Staatseisenbahn - Gesellschaft unterlegen
war und letztere die Concession für das
Ergänzungsnetz erhalten hatte, sann die
erstere nach Mitteln zur Abwehr oder
doch zur Abschwächung der ihr ent-
standenen Concurrenz.
Vorerst trat sie, als die Frage der
nordwestlichen Bahnlinien in Anregung
gekommen und deren einheitliche Lösung
noch nicht entschieden war, in Bewerbung
um die Strecke Wien-Znaim, und dann
projectirte sie, um der Staatseisenbahn-
Gesellschaft noch weiter in die Quere zu
kommen, die Linie von Lundenburg nach
Grussbach, dem Schnittpunkte der neuen
Verbindung Brunn-, beziehungsweise
Znaim-Wien.
Als jedoch die Linien, aus denen
die Oesterreichische Nordwestbahn be-
steht, trotz aller Gegenanstrengungen der
Staatseisenbahn-Gesellschaft, nicht dieser
zugefallen, sondern zu einem selbständi-
gen Unternehmen zusammengefasst worden
waren, und sie, während dieses Ereignis
sich vorbereitete, das damals in der
Oeffentlichkeit vielbesprochene [einerseits
als eine Aussöhnung geradehin, anderer-
seits als eine solche zu Ungunsten der
Kaiser Franz Josef-Bahn und der werden-
den Nordwestbahn gedeutete] Tarifs-, be-
ziehungsweise Instradirungs - Ueberein-
kommen mit der Kaiser Ferdinands-
Nordbahn abschloss, welches weitere
Massnahmen der Nordbahn gegen die
Staatseisenbahn - Gesellschaft überflüssig
machte, ging für jene auch das frühere
Interesse an der Linie Lundenburg-
Grussbach verloren.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
121
Um so reger wurde dasselbe aber jetzt
bei anderen Projectanten. Der Graf Alceo
Bulgarini plante eine Linie Lundenburg-
Laa-Zellerndorf; der Grosshändler Fer-
dinand Figdor und Genossen gingen noch
weiter, indem sie eine Linie Lundenburg-
Laa-Zellerndorf-Horn anstrebten, während
die damals bestandene Vicinalbahn-Gesell-
schaft und ebenso der Gutsbesitzer Karl
Kammel von Hardegger das Project
Lundenburg-Grussbach aufrecht hielten.
Diese im Sommer 1869 zu Tage ge-
tretenen Bestrebungen, namentlich die
letzterwähnte, fanden im Jahre 1870 den
Beifall und die Befürwortung des mähri-
schen Landtages wie nicht minder der
Fürsten Liechtenstein und Mennsdorf,
deren Besitzungen an die projectirte
Linie zu liegen kamen. Die Concessions-
Verhandlungen mit dem Gutsbesitzer
Kammel und den ihm beigetretenen Mit-
bewerbern Josef Müller, Dr. Adolf Weiss
und Dr. Maximilian Steiner nahmen da-
her einen raschen Fortgang und wurden,
da die beiden Erstgenannten aus dem
Consortium austraten, mit den zwei
Letztgenannten zum Abschlüsse gebracht.
Dieselben erhielten am 4. September 1870
die auf Grund des Gesetzes vom 13. April
1870, mit einer zwanzigjährigen Steuer-
freiheit ausgestattete Concession für die
bis längstens 4. März 1872 fertig zu stel-
lende Eisenbahn von Lundenbufg im
Anschlüsse an die Nordbahn über Nikols-
burg nach Grussbach zur Verbindung
mit dem Ergänzungsnetze der Oester-
reichischen Staatseisenbahn-Gesellschaft.
Einmal so weit gediehen, erwachte neu-
erdings das Interesse der Nordbahn für die
kleine Querbahn. Aeusseren Anlass hiezu
bot der Umstand, dass die Regierung den
Verkauf des Stockerauer Flügels der Nord-
bahn an die Oesterreichische Nordwestbahn
nur dann zugeben wollte, wenn ein Theil
des bezüglichen Erlöses [von 1,000.000 fl.],
als Aequivalent für den schon im Jahre
1890 eintretenden Heimfall jenes Flügels
an den Staat, dem Aerare zugewiesen,
beziehungsweise wenn — gemäss der
über die Vorstellung der Nordbahn er-
flossenen späteren Entscheidung der Re-
gierung — jener ganze Erlös auf die
Herstellung einer an die Nordbahn an-
schliessenden neuen Linie verwendet
1 würde, als welche letztere die Lunden-
burg-Grussbacher Bahn sowohl in dem
betreffenden Erlasse des Handels-
ministeriums vom 27. Juli 1870, als auch
in dem Motivenberichte zu der Gesetzes-
vorlage über den Verkauf des Stockerauer
Flügels ausdrücklich bezeichnet war.
Die Nordbahn ging jetzt sogar so weit,
sich an dieser Bahn freiwillig mit dem
Betrage von 1,000.000 fl. zu betheiligen,
um deren Ausführung zu beschleunigen,
was aus diesem Grunde, wie auch weil
der gedachte Kaufschilling nun wieder
für eine andere neue Linie frei wurde,
natürlich der Regierung sehr willkommen
war.
Das betreffende, am 21. Mai 1871
getroffene Uebereinkommen der beiden
Bahnen besagte im Wesentlichen : Die
Nordbahn übernimmt Titel der Lunden-
burg- Grussbacher Bahn im Betrage von
1,000.000 fl., wogegen ihr der Betrieb
dieser Bahn [einschliesslich der Bei-
stellung der Fahrbetriebsmittel] gegen
entsprechende Vergütung auf zehn Jahre
übertragen, die Ausübung einer Ingerenz
bei der Bauvergebung, Geldbeschaffung
und Tarifirung zugestanden, wie auch
das Recht zur Ernennung zweier Mit-
glieder des Verwaltungsrathes einge-
räumt wird.
Nun wickelten sich auch alle weiteren
Massnahmen sehr glatt ab. Auf Grund-
lage der am 18. Juli 1871 behördlich
genehmigten Statuten constituirte sich
am 27. Juli 1871 die Actien-Gesellschaft:
»K. k. priv. Lundenb urg-N iko ls-
burg-Grussbacher Bahn«, deren
auf 4,500.000 fl. festgesetztes Capital
zur einen Hälfte aus Actien [11.250
Stück ä 200 fl.], zur anderen Hälfte
aus Prioritäts-Obligationen [7500 Stück
ä 300 fl.] bestand, wovon die Wiener
Wechslerbank im Vereine mit dem
Bankhause Weiss & Fischhof, am 2. Au-
gust 1871 7000 Actien zum Curse
von 721/3°/o unc* 54°° Prioritäts-Obliga-
tionen zum Curse von 74°/0 mit Erfolg
zur öffentlichen Zeichnung auflegte.
Der Bau, welchen die Concessionäre
selbst übernommen hatten, begann alsbald
nach der am 17. November 1871 erflosse-
nen Baubewilligung und wurde im Jahre
1872 beendet; die Eröffnung der 41" 1 km
122
Ignaz Konta.
langen Linie fand am 30. December 1872
statt. Die zur Anschaffung des Fahr-
parkes bestimmt gewesene Summe von
375.000 fl. wurde von der Bauunterneh-
mung in gesellschaftlichen Actien zurück-
gelassen und ist nachher in einen eigenen
Reservefonds hinterlegt worden. Die Besor-
gung der Administrations - Geschäfte
wurde dem Central-Bureau der gleichfalls
im Betriebe der Nordbahn stehenden
Ostrau-Friedlander Bahn übertragen.
In der Zwischenzeit brachte der Ge-
neral -Director der Nordwestbahn, Dr.
Gustav G r o s s, im Vereine mit der Firma
Gebrüder G u t m a n n und dem Mitconces-
sionär der Lundenburg-Grussbacher Bahn,
Dr. Maximilian Steiner, die Fortsetzung
derselben bis an die Nordwestbahn in An-
regung [Vorconcession vom 2 7. April 1872].
Da aber hinsichtlich der Strecke Laa-
Zellerndorf das Consortium Dr. Ludwig
Schanzer, Josef Thomas und Josef
Langthaler schon früher in Bewerbung
getreten war, vereinigten sich die beiden
Consortien zu gemeinsamem Vorgehen
und erhielten, da sie keinerlei staatliche Be-
günstigung beanspruchten, am 14. August
1872 die Concession für eine Eisenbahn
von Zellerndorf im Anschlüsse an die
Oesterreichische Nordwestbahn über Laa
nach Neusiedl zum Anschlüsse an die
k. k. priv. Staatseisenbahn und die Lun-
denburg-Grussbacher Bahn.
Sohin vor die Frage gestellt, ob
sie von der Nordwestbahn durch eine
fremde Linie getrennt bleiben oder
diese erwerben solle, entschied sich
die Lundenburg-Grussbacher Bahn für
das Letztere und trat deswegen mit
den Concessionären der Zellemdorfer
Linie in Unterhandlung. Dieselben er-
klärten sich zur Abtretung der Conces-
sion bereit; da weiters die am 13. Sep-
tember 1872 abgehaltene Generalver-
sammlung der Lundenburg-Grussbacher
Bahn die Uebernahme der neuen Con-
cession, dann die zu deren Durchführung
erforderliche Erhöhung des Gesellschafts-
Capitales um den Betrag von 6,650.000 fl.
[*/5 in Actien, 3.5 in Prioritäts-Obliga-
tionen], wie auch die nöthige Statuten-
änderung beschloss, und die Regierung
alldem zustimmte [26. September 1872],
so bildete die Neusiedl-Zellerndorfer Linie
fortan einen integrirenden Bestandtheil
der Lundenburg-Grussbacher Bahn.
Den Bau übernahmen die Concessionäre
der Fortsetzungslinie gegen Ueberantwor-
tung der sämmtlichen Titel [2,600.000 fl.
in Actien und 2,990.000 fl. in Prioritäts-
Obligationen], wovon jedoch Actien im
Betrage von 525.000 fl. für die seiner-
zeitige Anschaffung eigener Fahrbetriebs-
mittel und im weiteren Betrage von
532.000 fl. für etwaige Nacharbeiten reser-
virt blieben. Ueber die Art der Begebung
der neuen Titel ist Verlässliches nicht
bekannt geworden ; die Prioritäten sollen
angeblich in Berlin zum Curse von 8o3/4
zur Subscription gelangt sein.
Die Bauarbeiten wurden im Februar
1873 begonnen und noch vor Ablauf
desselben Jahres beendet, so dass die
neue, 50-5 km lange Linie am 8. Decem-
ber 1873 zur Eröffnung kam; die Füh-
rung ihres Betriebes übernahm gleichfalls
die Nordbahn.
Kaum in Betrieb gesetzt, traf die
Lundenburg - Grussbacher Bahn das-
selbe Schicksal, von welchem damals
so viele neue Bahnen ereilt wurden ;
Frequenz und Einnahmen Hessen Alles
zu wünschen übrig. Der Abglanz der
Nordbahn, der bei ihrer Gründung auf
sie gefallen, verblasste in demselben
Augenblicke, als der erste Prioritäten-
Coupon nothleidend geworden. Das ge-
schah am 1. März 1874; sie hatte jedoch
vor vielen ihrer Leidensgefährten das
Eine voraus, dass ihre Bitternisse, aber
allerdings auch ihre Selbständigkeit schon
im Jahre 1876 aufhörten.
Die Lundenburg-Nikolsburg-
Grussbacher Bahn zieht von Lundenburg
aus eine kleine Strecke weit neben dem
Bahnkörper der Xordbahn hin, überschreitet
hiebei das Inundationsgebiet der Thaya und
die Landesgrenze zwischen Mähren und
Niederösterreich, führt dann durch die Liech-
tenstein'schen Forste nach Feldsberg und
von da aus, wieder nach Mähren eintretend,
in fast gerader Richtung nach Nikolsburg.
Von dieser Station weiter geht die Trace
nach Neusiedl, übersetzt zum zweiten
Male die Thaya, wendet sich dann gegen
Norden und mündet nächst Schönau in die
Station Grussbach-Schönau der Staatseisen-
bahn ein.
Die Linie Zelle rndorf-Laa-Neu sie dl
geht von Zellerndorf im Pulkauthale zumeist
entlang des Pulkaubaches, biegt sodann
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
123
südwärts ab, übersetzt nächst Laa die
Staatsbahn, um in Neusiedl [Dürnholz] an
die Lundenburg-Grussbacher Bahn anzu-
schliessen, nachdem sie auf diesem Zuge
die Stationen: Haugsdorf, Kadolz-Mailberg,
Pernhofen-Wulzeshofen und Laa berührt hat.
Dniester Bahn. Die nach dem Jahre
1866 aufgetauchten Projecte für ungarisch-
galizische Eisenbahn- Verbindungen und für
die Vermehrung der Schienenwege Gali-
ziens überhaupt, hatten mehrfach auch
Ausästungen oder grosse, bis an die Ost-
grenze des Landes führende Linien zum
Gegenstande, deren Trace die Richtung
von Chyröw nach Stryj einhielt; so bei-
spielsweise die in den Jahren 1868 und
1869 von der Boryslawer Petroleum-
Compagnie, den Consortien der Grafen
Goluchowski und Potocki geplanten Linien
Przemysl-Chyröw-Stryj-Stanislau, ferner
die in den Jahren 1869 und 1870 von
der Vicinalbahn-Gesellschaft, dem Doctor
Clemens Raczynski, dem Grafen Krasicki
und Anderen angestrebten Zweigbahnen
von der Station Chyröw der Ersten
Ungarisch-Galizischen Eisenbahn nach
Drohobycz, beziehungsweise Stryj.
Auch das damals von der Lem-
berg-Czernowitzer Bahn verfolgte Pro-
ject Lemberg-Stryj-Beskid umfasste zwei,
nach Osten und Westen führende
Seitenlinien, deren letztere von Stryj
aus über Drohobycz den Anschluss an
die Erste ungarisch-galizische Eisen-
bahn in Chyröw herstellen sollte.
Die Denkschrift zu der am 13. März
1869 vor den Reichsrath gelangten all-
gemeinen Gesetzesvorlage über die Ver-
vollständigung des österreichischen Eisen-
bahnnetzes legte der Fortsetzung der
Przemysl - Lupköwer Linie von Chy-
röw über Stryj an die Ostgrenze die
grösste Wichtigkeit bei, »weil sie am
Fusse der Karpathen fruchtbare Gegen-
den durchzieht, die Salinen, die Ca-
meralgüter, die Tabakfabriken berührt,
die Verwerthung der reichen Holzbe-
stände und anderer Naturproducte er-
möglicht und auch die dort vorkommen-
den Petroleumquellen dem Bahnver-
kehre näher bringt«. Darum, und »weil
sie die beiden ungarisch-galizischen Ver-
bindungslinien unter sich verbindet«, be-
sagte die Denkschrift weiter, »verdiene
diese gedachte Querlinie die Zuwen-
dung besonderer staatlicher Begünsti-
gungen « .
Wahrscheinlich aus dem Grunde, dass
keine der damaligen Bewerbungen Linien
betrafen, die thatsächlich bis an die Ost-
grenze reichten, zog die Regierung vorerst
nur jene für die Strecke Chyröw-Stryj
und auch von diesen wieder nur die-
jenigen in Berücksichtigung, welche sich
mit einer zeitlichen Steuerfreiheit be-
gnügten.
Abb. 70. Boryslaw [1873"). [Nach einer Photographie von Josef Edcr in Leinberg.]
124
Ignaz Konta.
So erhielt denn das Consortium des
Grafen Johann Krasicki am 5. September
1870 die mit einer dreissigj ährigen Steuer-
freiheit und mit sehr langen Baufristen
ausgestattete Coricession für die Eisenbahn
Chy row - Drohob ycz - S tryj nebst
Zweigbahn von Drohobycz nach Bo-
ryslaw. Beim Abschlüsse der Conces-
sions- Verhandlungen sind in den Tagen
vom 25. bis 28. August 1870 protokolla-
rische Vereinbarungen zwischen der Re-
gierung und den Concessionären getroffen
•worden, wonach die erstere sich anheischig
machte, bei der Ersten Ungarisch-Galizi-
schen Eisenbahn tarifarische Erleichterun-
gen für die Uebergangsfrachten der
Dniester Bahn zu erwirken [25. August],
wogegen die Concessionäre der letzteren
sich verpflichteten, das Anlage-Capital
für die ganze Bahn innerhalb des Höchst-
betrages von 12,000.000 fl. zu halten
[26. August], und mit der concessions-
mässigen Caution von IOO.OOO fl. nicht blos
für die Einhaltung der Baufristen, sondern
auch dafür zu haften, dass binnen längstens
sechs Monaten der Nachweis über die er-
folgte Leistung einer mindestens 4O0/0igen
Einzahlung auf das gesammte Actien-
capital erbracht wird [28. August].
Dessenungeachtet währte es ein Jahr,
bis die Geldbeschaffung und der Bau
sichergestellt waren, da der Geldmarkt
erst nach dem Aufhören des deutsch-
französischen Krieges wieder zugänglicher
wurde. Im Sommer 1871 übernahm die
Vereinsbank die Begebung der Titel, und
am 29. August 1871 kam der Bauvertrag
mit dem Baurathe Karl Ritter v. Schwarz
und Dr. Adolf Weiss zustande.
Die behördliche Genehmigung der
Statuten sowie zugleich auch die Consti-
tuirung der Actien-Gesellschaft »k. k.priv.
Dniester Bahn« erfolgte am 30. August
1871. Das auf 12,000.000 fl. festgesetzte
Capital derselben gliederte sich in 24.000
Actien ä 200 fl. und in 24.000 Prioritäts-
Obligationen ä 300 fl. ; alle diese Werthe
wurden am 12. September 1871 zur öffent-
lichen Zeichnung aufgelegt, die Actien
zum Curse von 62°/0, die Prioritäts-
Obligationen zum Curse von 72°/0; von
einer Ueberzeichnung hat nichts verlautet.
Zum Director der Bahn wurde der
Rechtsconsulent der Kaiser Ferdinands-
Xordbahn, Dr. Albert Speil Ritter von
i Ostheim, ernannt.
Anfangs April 1872 hatte endlich
'■ auch der Bau begonnen, der aber jetzt
i mit einem so grossen Kräfteaufgebote
. geführt wurde, dass sowohl die ioo-5 km
lange Hauptlinie Chyrö w-S tryj, als
auch die 1 1 '3 km lange Zweigbahn
I Drohobycz-Boryslaw noch im sel-
I ben Jahre zur Vollendung, beziehungs-
weise am 31. December 1872, also lange
j vor dem concessionsmässigen Termine,
zur Eröffnung gelangte.
Damals schien der Gesellschaft ihre
1 Zukunft so aussichtsvoll, dass sie nicht
! nur die ihr seitens der benachbarten
Ungarisch-Galizischen Eisenbahn zuge-
gangenen Fusionsanträge ablehnte, son-
dern vielmehr grossen Fortsetzungsplänen
nachhing; sie wollte ihre Unterneh-
! mung ostwärts von Stryj bis Husiatyn
i und westwärts von Chyröw bis Biala aus-
dehnen, sohin zu einer ganz Galizien
durchziehenden Hauptbahn erweitern, wo-
mit die Generalversammlung vom 2 1 . Juni
1873 sich vollkommen einverstanden er-
klärte.
Man muss annehmen, dass die Ge-
sellschaft diese ihre Hoffnungen aus den
protokollarischen Vereinbarungen vom
23. und 26. August 1871 und dem be-
züglichen Handelsministerial-Erlasse vom
28. August 187 1 ableitete; denn eine
der gedachten Vereinbarungen, welche
überdies nachträglich zur Concessions-
Urkunde angemerkt wurden, lautete dahin,
dass die Gesellschaft die Xordwestbahn-
Tarife einzuführen haben wird, wenn die
Regierung binnen längstens sechs Jahren
vom Tage der Betriebseröffnung in die
Lage kommen sollte, eine 5°/0ige Staats-
garantie für das von der Staatsverwaltung
genehmigte Anlage-Capital zu gewähren,
— was auch nach aussen hin den Eindruck
machte, dass bei jenen Vereinbarungen
eine allfällige Concessionirung neuer Linien
[vielleicht die in der erwähnten allgemeinen
Gesetzes vorläge vom 13. März 1869 be-
zeichnete Querlinie] unter Gewährung der
Staatsgarantie in Erörterung gestanden
haben mag.
Ihre Pläne auf die eigenen Hilfsmittel
stützen zu können, wird die Gesellschaft
damals wohl kaum mehr gedacht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
125
haben ; denn wenige Tage nach jener
Generalversammlung — am 1. Juli 1873
— war sie schon genöthigt, die Hilfe
der Bauunternehmung in Anspruch zu
nehmen, um den Prioritäten-Coupon ein-
lösen zu können. Dasselbe wiederholte
sich am nächsten Coupontermine, und die
Lage wurde bereits eine bedrohliche, da
die Einnahmen nicht einmal zur Deckung
der Betriebskosten hinreichten. Die Mass-
nahmen zur Verringerung der Spesen, die
Auflassung der Wiener Direction, die
Herabminderung des Personalstandes etc.
erwiesen sich als fast wirkungslos, ebenso
wie alle die wegen Erlangung staatlicher
Unterstützung unternommenen Schritte.
So hatte auch diese Unternehmung eine
mehrjährige Leidensgeschichte durchzu-
machen, bis sie schliesslich unter Einbusse
von 5/6 ihres Capitals vom Schauplatze
verschwand.
Die Dniester Bahn nimmt ihren Aus-
gang in der Station Chyröw der Ersten Unga-
riscn-Galizischen Eisenbahn und folgt dem
Laufe des Flusses Striwiacz bis unweit Sambor,
übersetzt hier die Wasserscheide zwischen
den Flüssen Striwiacz und Dniester und senkt
sich gegen Sambor, überschreitet ausserhalb
dieser Station den Dniester und ersteigt, die
östliche Richtung beibehaltend, zwischen
Sambor und Dublany-Kranzberg den höchsten
Punkt der Bahn, die Wasserscheide zwischen
dem Dniester und dem Bystrzycaflusse bei
Kulczyce, und fällt dann zur Station Dublany-
Kranzberg ab. Unweit dieser Station über-
schreitet die Dniester Bahn den Bystrzycafluss
und immer noch die östliche Richtung bis
Dobrowlany beibehaltend, wendet sich die-
selbe hinter der letztgenannten Station süd-
wärts, übersetzt die Wasserscheide zwischen
den Bystrzyca- und Tysmenicaflüssen und
erreicht die Station Drohobycz, wo der Flügel
nach Borj'slaw abzweigt. Ausserhalb der
Station Drohobycz nimmt die Linie wieder
die östliche Richtung an und behält dieselbe
bis zur Station Stryj bei. Zwischen diesen
beiden Stationen wird noch die Station Gaje
wvine berührt und nächst dieser letzteren die
Wasserscheide zwischen dem Tysmenica- und
dem Stryjflusse übersetzt.
Die Flügelbahn nach Boryslaw
zweigt in der Station Drohobycz der Haupt-
bahn ab, wendet sich sofort südlich und zieht
mit einer continuirlichen Steigung zur Station
Boryslaw hinan. [Abb. 70—71.]
Für den unbehinderten Fortgang der
Ergänzung des österreichischen Eisen-
bahnnetzes traf es sich sehr gut, dass
zwischen der Concessionirung der zuvor
besprochenen neuen Linien und dem
Eintritte des nachher über sie gekom-
menen Ungemaches eine Spanne Zeit ein-
geschaltet gewesen; denn der klägliche
Ausgang mancher jener Gründungen
hätte die Unternehmungslust gar bald
erkalten lassen, die vorderhand nicht
nur andauernd blieb, sondern sich noch
steigerte.
Was jetzt einigen Aufenthalt ver-
ursachte, war das Ausserkrafttreten des
Steuerbefreiungs-Gesetzes vom 13. April
1870, aus Anlass der Wiederaufnahme
der Sitzungen der VI. Session des
Reichsratb.es am 8. November 1870
nach längerer Vertagung. Der Leiter des
Handelsministeriums, Freiherr von Pretis,
welcher am 7. Juni 1870 ein Promemoria
veröffentlichen Hess, das die Ergänzung
des Eisenbahnnetzes als eine hochwichtige
und unaufschiebbare Aufgabe der neu-
gewählten Reichsvertretung bezeichnete
und darauf hinwies, dass es nunmehr hohe
Zeit sei, auch die Lösung von Problemen
in Angriff zu nehmen, deren Bedeutung
zum grossen Theile den Schwierigkeiten
ebenbürtig ist, welche die Gestaltung des
Bodens der Ausführung dieser Communi-
cationswege entgegenstellt, — wollte so-
hin die Thätigkeit der Legislative in An-
spruch nehmen, um wenigstens die drin-
gendsten der schwierigen Linien sicher-
zustellen.
Zu diesen gehörten, nach dem Prome-
moria, in handelspolitischer Beziehung: die
galizische Strecke der Eisenbahn von
L e m b e r g über S t r y j nach M u n k ä c s
mit den Abzweigungen Stryj-Chyröw
[welche seitdem als Dniester Bahn con-
cessionirt wurde, siehe oben] und Stryj-
S t a n i s 1 a u, ferner Villach-Tarvis
und Tarvis-Görz, und die Arlberg-
Bahn; in politischer Beziehung aber:
die Linie von Pola durch I Strien zum
Anschlüsse an die Südbahn und die
dalmatinischen Bahnen.
Ausserdem wäre die Mitwirkung der
Legislative noch erforderlich geblieben für
die Verbindung der Salzburg - Halleiner
Bahn über Salzburg, einerseits mit der
Nordtiroler Bahn, andererseits mit der
Rudolf-Bahn bei Rottenmann, dann eine
126
Ignaz Konta.
VerbindungWestgaliziensmitderKaschau-
Oderberger Bahn in der Richtung gegen
Eperies.
Freiherr von Pretis begann seine Action
damit, dass er von den am 3. März 1870
im Abgeordnetenhause eingebrachten,
jedoch unbehandelt gebliebenen Gesetz-
entwürfen, zwei, nämlich die in Betreff der
Linien Lemberg-Stryj-Skole- Ungarische
Grenze am Beskid und Villach-Tarvis, am
8. November 1870 neuerlich in Vorlage
brachte. Auf den dritten jener Gesetz-
entwürfe, nämlich den, welcher die Linie
Tarvis-Görz zum Gegenstande hatte, wurde
einstweilen nicht zurückgegriffen, und der
vierte war durch die Einbeziehung der
Linie Wildenschwert-Mittelwalde in die
Concession für die Elbethal-Bahn gegen-
standslos geworden. Die Berathung der
erneuerten Vorlagen fand jedoch nicht
mehr im Jahre 1870 statt und Freiherr von
Pretis war dabei nicht mehr betheiligt.
Bevor wir nun in das Jahr 187 1 ein-
treten und die Schilderung des weiteren
Wachsens des österreichischen Schienen-
netzes fortsetzen, scheint es geboten, die-
jenigen Linien in Betracht zu nehmen,
die schon seit Längerem concessionirt
gewesen, aus mannigfachen Ursachen aber
erst jetzt in volle Ausführung kamen.
Die Neum ark t-Ried-Braunauer
Bahn, deren Concession vom 22. August
1865 datirt, konnte erst dann als wirk-
lich gesichert gelten, bis auch die baye-
rische Anschlussstrecke Braunau- München
sichergestellt und über den Anschluss
der beiderseitigen Bahnen ein Staatsyer-
trag zwischen der österreichischen und
bayerischen Regierung abgeschlossen war.
Durch die Ereignisse des Jahres 1866
verzögert, kam dieser Vertrag erst am
4. Juni 1867 zustande; dafür brachte er
der Bahn eine Verlängerung der Steuer-
freiheit [von fünf] auf zwanzig Jahre. Die
Concessionäre gingen also, nach langem
Harren, jetzt umso freudiger ans Werk,
was aber die Kaiserin Elisabeth-Bahn,
die sich dem neuen Unternehmen bislang
recht abhold gezeigt hatte, veranlasste,
die Braunauer Linie nunmehr für ihr
eigenes Netz zu verlangen und des-
wegen den Beistand des Reichsrathes
anzurufen.
Natürlicherweise kam sie mit diesem
eigenartigen Begehren nicht weit; das
Abgeordnetenhaus übermittelte die be-
treffende Petition dem Handelsmini-
sterium, mit der Aufforderung: die Aus-
führung der Neumarkt - Ried - Braunauer
Bahn »nach Massgabe der bereits er-
theilten Concession« thunlichst zu fördern.
Auf ihr gutes Recht vertrauend, Hessen
sich übrigens die Concessionäre durch
das Auftreten der Kaiserin Elisabeth-Bahn
nicht beirren, und vereinbarten mit
Theodor v. Cramer-Klett und der Bank
für Handel und Industrie in Darmstadt
einen Bauvertrag, ferners mit der bayeri-
schen Regierung einen Betriebsvertrag;
dieser wurde am II., jener am 13. No-
vember 1868 endgiltig abgeschlossen.
Am letzteren Tage fand auch, auf Grund
des am 2. November 1868 behördlich
genehmigten Statutes, die Constituirung
der »k. k. priv. A ctien-Gesellschaft
der Neumark t-Ried-Braunauer Bahn«
statt, als deren Sitz Ried bestimmt und deren
Capital mit nom. 6,400.000 fl., je zur
Hälfte in Actien und in Prioritäts-Obli-
gationen [ä 200 fl.], bemessen war. Das Alles
verfehlte nicht, die Zuversicht zu dem
Unternehmen zu steigern; bis I. Januar
1869 hatten der oberösterreichische Lan-
desausschuss und, seinem Beispiele fol-
gend, die übrigen Interessenten 9000
Actien zum vollen Nennwerthe gezeichnet.
Die übrigen 7000 Actien mitsammt den
Einzahlungen auf die gezeichneten Actien
sowie die Prioritäts - Obligationen ab-
züglich eines Betrages von nom.
900.000 fl., welcher für Fahrbetriebs-
mittel und andere Sonderleistungen be-
stimmt war, erhielten die Bauunter-
nehmer an Zahlungsstatt für die Her-
stellung der Bahn.
Die sodann auf den 1 8. Januar 1 869 nach
Linz einberufene erste Generalversamm-
lung bestätigte die Constituirung der Ge-
sellschaft und die vorerwähnten Verträge,
von denen der mit der königlich bayeri-
schen Regierung abgeschlossene, sehr
werthvolle Bestimmungen für die Gesell-
schaft enthielt ; denn nebst der Führung des
Betriebes und der Beistellung der Fahr-
betriebsmittel, gegen blosse Vergütung
der Selbstkosten, übernahm die königlich
bayerische Regierung die Herstellung
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
127
Abb. 71. Station Drohobycz [1873]. [Nach einer Photographie von Josef Eder in Lemberg.]
der Grenzstrecke Braunau-Simbach ein-
schliesslich der Innbrücke gegen massige
Verzinsung [2°/n ansteigend bis 472U/o]
und allmähliche Tilgung des halben Kosten-
aufwandes, und überdies machte sie sich
anheischig, der Linie Neumarkt-Braunau
»denjenigen Antheil am grossen Verkehre
zu sichern, der ihr, als der kürzesten
Verbindung zwischen Wien und München,
gebührt«.
Dieser letztere Punkt war es denn
auch, der die Aufmerksamkeit der
Kaiserin Elisabeth-Bahn in besonderem
Masse fesselte; sie ward sich bewusst,
dass bei der um 6% Meilen geringeren
Länge und den, zumal auf bayerischem
Gebiete, günstigeren Terrainverhältnissen
der neuen Route ein Tarifkampf zur
Abwehr der Concurrenz auf die Dauer
unmöglich wäre, sie daher entweder den
Verkehr nach München und den Durch-
zug nach Westen verloren geben oder Ver-
fügung über die neuen Linien gewinnen
müsse. Sie trat darum, als die Fort-
schritte des mit Ende März 1869 in An-
griff genommenen Baues der Neumarkt-
Braunauer Bahn immer sichtbarer wurden,
wegen der käuflichen Erwerbung der ge-
nannten Linie mit dem Verwaltungsrathe
derselben in Beziehungen, die sehr bald
zu dem Ergebnisse führten, dass die
Eigenthümer der Neumarkt - Braunauer
Bahn, den ihnen angebotenen, in Priori-
täten der Kaiserin Elisabeth-Bahn zahl-
baren Kaufpreis von 6,400.000 fl. an-
nahmen.
Die bezüglichen Verträge mit der Bau-
unternehmung als Besitzer der meisten
Titel und dem Verwaltungsrathe als
Vertreter der Neumarkt-Braunauer Bahn
wurden am II., beziehungsweise 16. Juli
1870 abgeschlossen, am 29. Septem-
ber, beziehungsweise I. October 1870
von den beiderseitigen Generalversamm-
lungen genehmigt und seitens der
Regierung am 23. October 1870, unter
gleichzeitiger Bewilligung der Concessions-
Uebertragung bestätigt, worauf dann am
1. November 1870 die Liquidation der
Neumarkt-Braunauer Bahn und die Ein-
lösung ihrer Titel begann. Die Actio-
näre erhielten die auf die Actien ge-
leisteten Einzahlungen nebst 5°/0 Zinsen
[bis 1. November] rückerstattet und über-
dies ein Aufgeld von 15 fl. pro Actie.
Die Eröffnung der 58 km langen
Neumarkt-Braunauer Bahn hat am
20. December 1870 stattgefunden; die
bayerische Fortsetzungsstrecke, welche,
laut des bezüglichen Vertrages mit der
bayerischen Regierung, am 1. Mai 1871
dem Betriebe übergeben werden sollte,
wurde aber infolge des deutsch-franzö-
sischen Krieges erst am 1. Juni 1871
eröffnet. Die Abmachungen wegen der
128
Ignaz Konta.
bezüglichen Schadloshaltung seitens der
bayerischen Regierung waren bereits
eigene Sache der Elisabeth-Bahn, die
den Besitz der Xeumarkt-Braunauer Bahn,
deren unmittelbare Erwerbung sie ur-
sprünglich von der Hand gewiesen, nun-
mehr aber im Wege des Kaufes an sich
gebracht, auch sogleich mit allen Rechten
und Pflichten angetreten hatte.
Diese Flügelbahn zweigt in Xeumarkt
von der Wels-Passauer Linie der Elisabeth-
Bahn ab und zieht über Pram-Haag, Ried,
Gurten, Altheim und Minning bis Braunau,
wo sie am rechten Innufer an die bayerische
Ostbahn anschliesst.
Unvergleichlich schwieriger gestaltete
sich der Werdeprocess der Kaschau-
Oderberger Bahn. Schon ihre Con-
cessionirung: nahm einen ungewöhnlichen
Gang.*) Das Gesetz vom 10. August
1865 hatte für diese Bahn eine Staats-
garantie von 2,450.000 fi. bestimmt; die
Concessionäre [Gebrüder Riche und Graf
Anton Forgach], denen andere Bewerber
nicht gegenüberstanden, verlangten aber
noch mehr als in der Regierungsvorlage,
aus welcher jenes Gesetz entsprungen,
vorgesehen war [2,516.000 fl.]. Thatsäch-
lich bekamen sie mittels der ihnen in
der Sistirungsperiode am 26. Juni 1866
ertheilten Concession 2,683.200 fl. zuge-
standen. Auch damit noch nicht zufrieden,
oder, wie ihre Angabe lautete, ausser
Stande das Auslangen finden, beziehungs-
weise das Baucapital beschaffen zu kön-
nen, begehrten und erhielten sie weitere
namhafte Begünstigungen. Das am 22.
Juni 1867 vereinbarte Additional-Ueber-
einkommen zur Concessions - Urkunde
gewährte nämlich dem Unternehmen
einen in gesellschaftlichen Actien al pari
zurückzuzahlenden Staatsvorschuss von
5,000.000 fl., ferner die Erhöhung der
Staatsgarantie auf 2,948.390 fl., die Aus-
dehnung der Steuerfreiheit [von zwei] auf
neun Jahre und die Bewilligung zur Aus-
gabe von Prioritäts-Obligationen im dop-
pelten Betrage des Actiencapitals.
In solchem Masse ausgestattet, hielten
die Concessionäre nun auch ihrerseits das
*)Vgl.Bd.I,l.Theil,H.Strach,Geschichte
der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns von den
ersten Anfängen bis zum Jahre 1867. S. 487.
! Stadium der Concessionirung für abge-
schlossen und begannen mit den Vor-
kehrungen zur Durchführung der Con-
I cession, indem sie sozusagen mit sich
\ selbst, nämlich mit Hektor Riche, dem
\ Chef des Hauses Gebrüder Riche, am
I 28. Juni 1867 einen Bauvertrag errichteten,
| der ihnen den Bau und die vollständige
Ausrüstung der Bahn, gegen eine Pau-
schalentlohnung von 36,000.000 fl. in
baarem Gelde, übertrug. Dieser Ver-
trag wurde jedoch vom Finanzministerium
beanstandet, sowohl wegen der Unzu-
träglichkeit, dass der Bauunternehmer
zugleich Hauptconcessionär sei, als
auch wegen der Stipulationen, wonach
den Gebrüdern Riche noch vor der In-
angriffnahme des Baues beträchtliche
Summen ausgefolgt werden sollten.
Das war den Concessionären sehr un-
willkommen ; denn die Nichtgenehmigung
des Vertrages brachte einen Aufschub der
Wirksamkeit des Additional - Ueberein-
kommens, daher auch der Flüssigmachung
des Staatsvorschusses, mit sich. Sie er-
klärten darum in einer am 13. August 1867
beim Finanzministerium, unter Beiziehung
eines Delegirten der königlich ungarischen
Regierung, stattgefundenen Conferenz, jene
Stipulationen aus dem Vertrage zu strei-
chen und gaben auch ihre Eigenschaft
als Concessionäre auf, indem sie am
31. August 1867 die Concession sammt
allen daran haftenden Rechten und
Pflichten an den Grafen Andre Langrand-
Dumonceau, beziehungsweise an die von
demselben gegründete »Banque de credit
foncier et industriel« in Brüssel cedirten,
wogegen diese den Bau neuerlich an
die Gebrüder Riche übertrug.
Auf Grund dieser, am 3. Septem-
ber 1867 dem ungarischen Finanz-
ministerium vorgelegten Abmachungen
erbaten sich die Concessionäre die Ge-
nehmigung der an Stelle des früheren Bau-
vertrages aufgestellten »Baubedingnisse«
und die Flüssigmachung des Staatsvor-
schusses, zur einen Hälfte sobald 3O°/0
des Actiencapitals eingezahlt sind, zur
anderen Hälfte nach Massgabe des Bau-
fortschrittes. Dem wurde stattgegeben.
Allein die im October 1867 in Brüssel
versuchte Begebung der Actien miss-
glückte. Nichtsdestoweniger machten die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
129
verbündeten Bank- und Bauunternehmer
alle Anstrengungen, leistungsfähig zu
erscheinen ; der Bau der kurzen öster-
reichischen Strecke wurde im Spät-
herbste 1867 in Angriff genommen.
Da sie aber nicht einmal hiezu die
Mittel aus Eigenem beistellen konnten,
wurde die Situation gar bald unhaltbar,
weshalb die Banque de credit am
29. April 1868 die Concession an die
»Society de credit foncier international«
[eine andere Langrand'sche Gründung]
aber der mangelhaften Herstellung wegen
in der Zeit vom 15. März bis 5. Mai
1 869 für den Personenverkehr geschlossen
bleiben und erforderte auch späterhin noch
umfassende Nacharbeiten. Inzwischen
war die letzte, mit 15. Februar 1869
endigende Frist, binnen welcher die Con-
cessionäre den Nachweis eines verfügbaren
Capitals von mindestens 8,000.000 fl.
erbringen sollten, fruchtlos verstrichen.
Graf Langrand-Dumonceau und seine
Affiliirten suchten daher, so viel sie
Abb. 72. Oderberg [Kaschau-Oderberger Bahn]. [Nach ein
von Erdelyi, Budapest.]
^bischen Aufnahme
weiter cedirte, die es übernahm, die Ver-
pflichtungen ihrer Vorgängerin zu erfüllen.
Diese neue Abmachung sowie zu-
gleich auch das Statut für die zu
errichtende Actien-Gesellschaft der Ka-
schau-Oderberger Eisenbahn erhielten
zufolge der a. h. EntSchliessung vom
10. August 1868 die ministerielle Ge-
nehmigung, woraufhin die Constituirung
der letztgenannten Gesellschaft oder,
richtiger gesagt, blos die Einsetzung
eines Verwaltungsrathes vor sich ging;
denn auch das zweite Langrand'sche
Finanzinstitut war nicht im Stande, die
Actien an Mann zu bringen.
Der Bau wurde jedoch recht und
schlecht weitergeführt ; die 3 1 '6 km lange
Strecke Oderberg- Teschen gelangte am
I. Februar 1869 zur Eröffnung, musste
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
konnten, aus dem Schiffbruche zu retten
und die Concession, deren Verfall bereits
drohte, in andere Hände zu bringen.
Die Anglo-österreichische Bank erklärte
sich am 12. Februar 1869 zu dieser
Uebernahme bereit. Es begannen nun
unter Mitwirkung der beiderseitigen
Regierungen Verhandlungen, deren Er-
gebnis das Uebereinkommen ddto. Pest,
21. April 1869, war, vermöge dessen
die Societe de credit foncier internatio-
nal alle ihre aus der Concession für
die Kaschau-Oderberger Bahn hervorge-
gangenen Rechte und Verbindlichkeiten,
mit Genehmigung der beiderseitigen Re-
gierungen, an die Anglo-österreichische
Bank übertrug, welche wieder den Bau
und die Ausrüstung der Bahn den durch
Cession der Brüder Riche an die Stelle
130
Ignaz Konta.
der letzteren getretenen, solidarisch ver-
pflichteten Bauunternehmern : Ignaz
Deutsch und Sohn, Adolf Tafler, Hein-
rich Kohner und Bruder, Brüder Fischl,
Heinrich Brühl und Söhne, Wahrmann
und Söhne und Friedrich Müller überliess
und sich anheischig machte, je eher eine
Neubildung der Kaschau-OderbergerEisen-
bahn - Gesellschaft, beziehungsweise des
Verwaltungsrathes derselben zu bewirken.
Die Anglo-österreichische Bank ging
sogleich ans Werk. Nach Vollzug der
Uebergabe der Bauten an die neuen
Unternehmer, nahm sie die Organisirung
der Geschäftsleitung vor, wobei — unter
gleichzeitiger Auflösung der Wiener Be-
triebs-Direction — eine General-Direction
für die allgemeine Geschäftsführung und
eine Baudirection zur Ueberwachung
des Baues, beide mit dem Sitze in Pest,
errichtet und der Ober-Inspector der
Staatseisenbahn-Gesellschaft, Arthur Vi-
comte de M a i s t r e, zum General-Director
und der Bau-Inspector der Südbahn,
Wilhelm Renschier, zum Baudirector
ernannt wurden; dann begab sie die
Actien [exclusive der zur Refundirung
des Staatsvorschusses zurückbehaltenen
25.000 Stück, also 72.000 Stück ä 200 fl.]
zum Curse von 85% auf offenem Markte
[Ende Juni 1869], ferner legte sie von
den Prioritäts-Obligationen im Gesammt-
betrage von 38,825.000 fl. einen Theil-
betrag von 5,000.000 fl. [25.000 Obli-
gationen ä 200 fl.] zum Curse von 88°/0
mit bestem Erfolg zur öffentlichen Zeich-
nung auf [16. December 1869] und berief
schliesslich eine ausserordentliche General-
versammlung für den 28. Februar 1870
nach Pest ein, deren Tagesordnung
die Neubildung des Verwaltungsrathes
und der betreffenden Statutenänderung
umfasste, welch' letztere noch in sessione
durch den Regierungsvertreter die Ge-
nehmigung erhielt.
Durch diese tiefgreifenden Mass-
nahmen gleichsam von Grund auf neu
errichtet, von den Fictionen, in die sie
verstrickt war, befreit und bewährten
Unternehmern anvertraut, konnte die
Kaschau-Oderberger Bahn jetzt endlich
den bestehenden Bahnen zugezählt
werden. Freilich kamen für sie späterhin
noch einmal schwere Zeiten, doch haben
die betreffenden Geschehnisse, bei denen
es sich fast ausschliesslich um Angelegen-
heiten der ungarischen Linie handelte,
zwar die Actienrente zu schmälern, keines-
wegs aber den Bestand des Unternehmens
zu erschüttern vermocht.
Die Strecke Teschen - Sillein, von
welcher 32*2 km auf österreichischem
Gebiete liegen, wurde am 8. Januar 1871
eröffnet. Die Entwickelung des Verkehres
der österreichischen Linie war alsbald eine
erfreuliche und stetig zunehmende, so
zwar, dass sie in der verhältnismässig
kurzen Zeit von acht bis neun Jahren schon
der Staatsgarantie nicht mehr bedurfte.
Der österreichische Theil der Kaschau-
! Oderberger Bahn geht von derAnschluss-
; Station Oderberg über eine secundäre Wasser-
! scheide und durch die Kohlengebiete von
1 Dombrau und Karwin nach Teschen und ge-
langt durch das Olsathal über Trzynietz nach
JabTunkau, von wo die Bahn durch das Lomna-
thal zur Hauptwasserscheide zwischen dem
Donau- und Odergebiete heransteigt, die gleich-
zeitig auch die Grenze zwischen Schlesien und
! Ungarn bildet. Ueber den Jablunkapass führt
die Bahn nach Ungarn.*) [Abb. 72 und 73 ]
In der Concessions-Urkunde für die
Böhmische Nordbahn vom 6. Octo-
\ her 1865 wurde dieser Unternehmung
auch die Verbindung von B e n s e n durch
das Pölzen thal nach Böhmisch-Leipa
bedingungsweise zugesichert, beziehungs-
weise die Verpflichtung zur Herstellung
| dieser Linie auferlegt, für den Fall als
! eine directe Bahn von Aussig nach
Böhmisch-Leipa nicht zustande käme
und die Staatsverwaltung jene Verbin-
dung im Interesse der Industrie für noth-
wendig erachte.
Die zur selben Zeit wie die Böhmische
Nordbahn concessionirte directe Linie
Aussig-Böhmisch-Leipa-Liebenau blieb
: unausgeführt und die Regierung forderte
; darum am 7. Januar 1869 die Böhmische
Nordbahn auf, für den Bau der Ver-
bindungslinie durch das Polzenthal Vor-
sorge zu treffen. Die Gesellschaft kam
dieser Aufforderung willig nach und er-
i klärte sich am 22. Februar 1869 bereit,
' die gedachte Verbindung ein Jahr nach
der Eröffnung der Linie Jungbunzlau-
*) Betreffs der ungarischen Strecke vgl.
III. Bd., J. Gonda, Geschichte der Eisen-
bahnen Ungarns von 1867 bis zur Gegenwart
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
131
Abb. 73. Teschen. [Kaschau-Oderberger Bahn.] [Nach einer photographischen Aufnahme von Erdelyi, Budapest.]
Kolin [Oesterreichische Nordwestbahn]
dem Betriebe zu übergeben.
Auch die Generalversammlung vom
31. Mai 1869 sprach sich für die rasche
Vollführung des Baues aus und ermächtigte
den Verwaltungsrath zur Beschaffung der
nöthigen Geldmittel, was allerdings keine
schwierige Aufgabe war, da die Gesell-
schaft — Dank der umsichtigen Leitung
des Baues ihrer Stammlinie — von dem
Anlage-Capitale derselben eine Summe
von rund 2,000.000 fl. erspart hatte und
die Kosten der neuen Linie nicht viel
höher veranschlagt waren. Da ferner
die neue Linie auch darum besondere
Wichtigkeit für die Gesellschaft besass,
weil nach ihrer Eröffnung die Kohlen-
tarife von Bodenbach bis Böhmisch
Leipa und bis Haida nach den wirk-
lichen und nicht mehr nach der im § 1 1
der [alten] Concessions-Urkunde hiefür
bedungenen kürzeren Entfernungen be-
rechnet werden konnten, wurden rasch
alle Vorkehrungen für den Bau getroffen.
Die definitive Bewilligung erfolgte
jedoch erst am 16. December 1869. So
kam es, dass die Inangriffnahme der
Arbeiten sich bis zum Frühjahre 1870
verzögerte. Dieselben begannen an dem
von der Gesellschaft in eigener Regie
ausgeführten Tunnel durch den Scharfen-
stein, fanden alsbald ihre Fortsetzung auf
den an die Unternehmer Georg Solch und
Adolf Tichy im Pauschale vergebenen
übrigen Strecken und waren binnen zwei
Jahren vollendet. Die Eröffnung der
20-2 km langen Linie fand am 4. Juli 1872
statt; ihre Anlagekosten bezifferten sich
auf 2,556.560 fl. Die älteren Strecken
der Böhmischen Nordbahn waren bekannt-
lich schon seit 14. November 1867 [Bakov-
Böhmisch-Leipa], beziehungsweise seit
16. Januar 1869 [Böhmisch-Leipa-Rum-
burg, Bodenbach-Tannenberg, Kreibitz-
Neudörfel -Warnsdorf ] im Betriebe.
Die Böhmische Nordbahn geht von
der Station Bakov aus, folgt in ihrem Zuge
gegen Tannenberg dem Iserthale bis Klein-
weisel und wendet sich hierauf in das Thal
des Weissbaches, in welchem sie bis zur
Station Weisswasser verbleibt. Von da ab
bis zu der secundären Wasserscheide am
Stationsplatze Bösig läuft dieselbe in einem
ziemlich steilen und engen Thale grössten-
theils an der Seite des »Waldsteinruhe —
Thiergartensc. Bei Böhmisch-Leipa übersetzt
die Bahn das Polzenthal und hat nunmehr
stetige Steigung bis zu ihrem höchsten Punkte,
der Wasserscheide auf der »Antonienhöhe«
nächst der Glashütte und der Station Tannen-
berg. Von da aus führt die Bahn einerseits
über Bensen und Tetschen nach Bodenbach
zum Anschlüsse an die Staatsbahn und die
sächsischen Bahnen, andererseits aber über
Schönfeld, Kreibitz und Schönlinde nach
Rumburg, resp. in der Verlängerung bis an
die Gersdorfer Strasse, d. i. bis zu jenem
Punkte, von wo aus die Fortsetzung gegen
9*
132
Ignaz Konta.
Sachsen projectirt war. Von Kreibitz
führt eine Seitenlinie über Niedergrund nach
Warnsdorf. Vor Rumburg übersetzt die Bahn-
trace das Mandauthal.
Die Trace der Strecke Tannenberg-
Boden bach hat stetes Gefälle. Sie zieht
durch das Hillemühl- und Kamnitzbachthal bis
Rabstein, auf welchem Zuge die interessante
Felsschlucht bei dem »wüsten Schlosse« pas-
sirt wird. Bei Rabstein geht die Bahn durch
das Anspachthal und längs des Polzenflusses,
welcher wiederholt übersetzt wird, bis Bensen
[dem Abzweigungspunkte der Verbindungs-
strecke durch das Polzenthal nach Böhmisch
Leipa] und Tetschen und von da nach aber-
maliger Uebersetzung des Polzenflusses, dann
der Elbe und des Eulaubaches nach Bodenbach.
Die Verbindungsstrecke Böhmisch-
Leipa-Bensen geht über Politz-Sandau und
Franzensthal durchwegs im Polzenthale nach
Bensen, zwischen den letzteren Stationen
einen 357 m langen Tunnel passirend.
Die Terrain-Verhältnisse waren so über-
aus schwierige, dass man die Böhmische
Nordbahn seinerzeit als eine unmittelbar nach
der Semmering- und Brennerbahn rangirende
Gebirgsbahn bezeichnete. [Vgl. Abb. 74 — 77
sowie Abb. 315—320 im 1. Theile des Bd. I.]
Warum und wodurch die gänzliche
Ausführung der Fortsetzungsstrecke T e p-
litz-Dux-Komotau, welche der
Aussig-Teplitzer Bahn am 10. Mai 1866
concessionirt worden war,*) verzögert
wurde, ist eigentlich bis heute noch nicht
klargestellt. Gemäss § 2 der betreffenden
Concessions-Urkunde war die Gesellschaft
verpflichtet, die neue Strecke in der Aus-
dehnung bis Dux binnen Jahresfrist und
den weiteren Theil spätestens ein Jahr
nach Inbetriebsetzung der Eisenbahn
von Komotau in der Richtung gegen
Annaberg, Prag oder Karlsbad zu voll-
enden. Die 10 km lange Theilstrecke bis
Dux wurde am 14. Juli 1867 eröffnet; mit
dem Weiterbau aber scheint die Gesell-
schaft zugewartet zu haben, bis jene in der
Concession vorgesehene Voraussetzung
zugetroffen, beziehungsweise der Bahn in
Komotau ein Anschluss gesichert war.
Dieses Abwarten passt zwar nicht ganz
zu der Dringlichkeit, mit welcher die
Gesellschaft sich wiederholt um die ge-
nannte Fortsetzung beworben hatte,
dürfte jedoch der richtige Erklärungs-
grund für die Verzögerung sein ; denn
•1 Vgl. Bd. I, 1. Theil, H. Strach, Ge-
schichte der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns
von den ersten Anfängen bis 1867, S. 367.
als das Abgeordnetenhaus, bei den Ver-
handlungen über die Sicherstellung der
Böhmischen Nordwestbahn, den Ausbau
der Linie Dux-Komotau urgirt und das
Ministerium die Berücksichtigung dieses
Verlangens dem Verwaltungsrathe der
Aussig-Teplitzer Bahn nahegelegt hatte,
Hess sich dieser seitens der Generalver-
sammlung vom 30. Mai 1868 ausdrücklich
ermächtigen, die Geldmittel für den Bau
zu beschaffen und denselben »so zu be-
ginnen, dass die neue Linie gleichzeitig
mit einer der von Komotau nach Prag,
Eger oder Sachsen projectirten Bahn-
linie eröffnet werden kann«.
Diese Generalversammlunghatte gleich-
zeitig auch das Vorhaben, eine Zweigbahn
von Dux nach Schwaz zu führen, ge-
nehmigt. Das Ministerium ertheilte am
7. November 1868 die Bewilligung zu
dieser kleinen Anlage, welche übrigens
noch später als die Komotauer Linie zur
Ausführung kam.
Die Geldmittel für die erwähnten
Neubauten sowie zugleich auch für
Vervollständigungen der alten Linie,
beschaffte die Gesellschaft gegen Ende
1868, und zwar durch Wiederaus-
gabe der im Jahre 1858 aus dem Ver-
kehre gezogenen 5000 Stammactien
ä 210 fl., dann durch Emission von 1700
neuen Actien ä 210 fl. und durch Auf-
nahme eines Prioritäts-Anlehens im Be-
trage von 2,700.000 fl. [18.000 Obliga-
tionen ä 1 50 fl.] ; die ersteren Titel wur-
den den Besitzern der älteren Actien al
pari überlassen, die Obligationen hin-
gegen zum Curse von 86°/0 an die All-
gemeine deutsche Credit- Anstalt in Leipzig
begeben.
Der Bau selbst hat jedoch erst im
Sommer 1869 begonnen und die Er-
öffnung der 3Ö-9 km langen Strecke Dux-
Komotau am 8. October 1870 stattge-
funden. Nachher gelangte auch die 4* 1 km
lange Verbindung Dux-Schwaz zur
Ausführung und am 24. März 1871 zur
Eröffnung.
Von Interesse ist der Umstand, dass
die Aussig-Teplitzer Bahn, zur Zeit ihres
bedächtigen Zuwartens mit dem Baue
der Dux-Komotauer Linie, grosse ander-
weitige Bahnprojecte verfolgte, nämlich :
Preschen-Straschitz [in Gemeinschaft mit
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
133
der Buschtehrader Bahn], Tetschen-Nim-
burg und, etwas später, Ossegg-Komotau.
Sie brachte jedoch keines derselben zu-
wege; das erstgenannte gab sie selbst
auf [5. Mai 1870].
Die Fortsetzung der Aussig-Teplitzer
Eisenbahn von Dux nach Komotau durch-
schneidet das am Fusse des Erzgebirges ge-
legene mächtige Braunkohlenlager des nord-
westlichen Böhmens. Mit dem Gebirgszuge
nahezu parallel ziehend geht sie in einem
durchwegs wellenförmigen Terrain, das Biela-
thal bei Brüx übersetzend, bis Komotau, wo
sie gleichzeitig auch ihren höchsten Punkt
findet. Weder hier -noch auf dem kurzen,
über die Biela führenden Flügel D u x - S c h w a z
waren ausser einigen bedeutenderen Auf-
dämmungen und Einschnitten und der Biela-
brücken nennenswerthe Bauwerke auszu-
führen.
Zur weiteren Ergänzung des That-
sachen-Materiales aus dem besprochenen
Zeitabschnitte ist auch noch Folgendes
anzuführen :
Wie die Kaiserin Elisabeth-Bahn hatte
auch die Böhmische Westbahn im
Jahre 1869, bei gleichzeitiger Erhöhung
ihres Anlage-Capitals durch Emission von
Prioritäts-Obligationen im Betrage von
3,000.000 fl., ihre Garantieschuld an den
Staat getilgt und ihr Abhängigkeits-
verhältnis zum Staate abgestreift; sie
zahlte für die Schuld von 1,515.353 fl.
25 kr. sammt aufgelaufenen 4% Interessen,
1,500.000 fl. in Prioritäten [Uebereinkunft
vom 24. Juni 1869].
Sowohl die Staatseisenbahn-Ge-
sellschaft, als auch die
Südbahn hatten allen
Ernstes beabsichtigt, den
Bau und Betrieb der türki-
schen Bahnen oder blos den
letzteren zu übernehmen,
und deswegen eingehende
Studien, auch an Ort und
Stelle, vornehmen lassen ; sie
gaben jedoch das ganze Vor-
haben wieder auf, nachdem
die mit dem Concessionär
jener Bahnen, Baron Hirsch,
und dem Vertreter der Ho-
hen Pforte, Daud Pascha, in
Paris gepflogenen Verhand-
lungen eine gedeihliche
Vereinbarung nicht in Aus-
sicht Stellten [1869— I870]. [Nach einer4
Die Brünn-Rossitzer Bahn trat,
nachdem sie den Nachweis geliefert, dass
sie anlässlich des Anschlusses des Er-
gänzungsnetzes der Staatseisenbahn-Ge-
sellschaft einen Betrag von 300.000 fl.
aufgewendet habe, zufolge Erlasses des
Handelsministeriums vom 13. November
1869, beziehungsweise auf Grund des
Uebereinkommens vom 1. December 1866,
ab 1. Januar 1870 in den Genuss der
staatlichen Garantie eines jährlichen
Reinertrages von 175.000 fl.
Die Wien er Verbindungsbahn,
welche bis dahin Eigenthum des Staates
gewesen, wurde zufolge a. h. EntSchliessung
vom 21. Januar 1870, beziehungsweise
auf Grund des Uebereinkommens vom
25. Januar 1870, an die sechs in Wien ein-
mündenden Bahnen [und zwar Südbahn,
Staatsbahn-Gesellschaft, Nordbahn, Nord-
westbahn, Franz Josef-Bahn, Elisabeth-
Bahn] auf 90 Jahre concessionirt und,
mittels des gleichzeitig vereinbarten, jedoch
erst am 20. Februar 1870 abgeschlossenen
Kauf- und Verkaufsvertrages, zu gleichen
Antheilen um den Preis von 2,000.000 fl.
verkauft.
Das Jahr 1871 schien sich seinen
letzten Vorgängern würdig anreihen zu wol-
len. Die Projectirungen und Concessions-
Werbungen nahmen neuerdings zu und das
Handelsministerium traf Zurüstungen, um
den grossen Geschäftsandrang glatt be-
Bühmisch Leipa. [Böhmische Nordbahn.]
photographischen Aufnahme von A. Schmeykal.]
134
Ignaz Konta.
wältigen, wie auch um über genügendes
Personale zur technischen Untersuchung
und Bearbeitung der in dem Promemoria
des Freiherrn von Pretis namhaft ge-
machten Probleme verfügen zu können.
Mit I. Januar 187 1 trat die am
6. December 1870 a. h. genehmigte
Organisation der k. k. General-Inspec-
tion der österreichischen Eisenbahnen in
Wirksamkeit, wobei diese Behörde in
zwei selbständige Abtheilungen gegliedert
wurde. Ausser den hiedurch bedingt ge-
wesenen, traten damals noch andere
wichtige Personalvermehrungen im Han-
delsministerium ein.
Der am 6. Februar 1871 als Handels-
minister in das Cabinet Hohenwart be-
rufene Universitätsprofessor Dr. Albert
Schäffle wollte nämlich technische Be-
rather zur Seite haben und trug eine solche
Vertrauensstellung seinem Landsmanne,
dem vortheilhaft bekannten ehemaligen
Baudirector der Südbahn, Wilhelm
Pres sei an, der aber, wegen seiner
Engagements bei orientalischen Eisen-
bahn-Projecten einen anderen Landsmann,
seinen Jugendfreund und Studiengenossen
Wilhelm von Nördling vorschlug,
der nun als Hofrath und bautechnischer
Consulent ins Ministerium einzog, ebenso
wie Max Maria Freiherr von Weber als
betriebstechnischer Consulent.
Ebenso rührig wie die Ordnung der Per-
sonalien, hatte der neue Minister auch so-
fort die Sichtung der Concessions-Gesuche
in die Hand genommen, um die spruchreifen
Projecte ihrer Finalisirung, die halbreifen
der Vervollkommnung und alle übrigen
der raschen Untersuchung und Bear-
beitung zuzuführen. Trotz dieser Vor-
sorgen und seines redlichen Willens war
es ihm nicht gegönnt, Erkleckliches zu
schaffen. Der klaffende Riss, der sich
damals zwischen der Regierung und der
Mehrheit des Reichsrathes aufgethan,
vereitelte jegliches harmonische Zusam-
menwirken. So lange es sich um die
beiden noch von der früheren Regierung
herrührenden Gesetzentwürfe oder um
die wenigen, im ersten Halbjahre 1871
eingebrachten kleinen neuen Vorlagen
handelte, nahm deren legislative Erledi-
gung wenigstens äusserlich den gewöhn-
lichen Gang ; als aber die reine Vertrauens-
frage ins Spiel kam, da brach die Zwie-
tracht hervor.
Am 8. Juni 187 1 legte das Ministerium
dem Abgeordnetenhause ein Gesetz in
Betreff der Steuerbefreiungen für neue
Eisenbahnen [analog dem Gesetze vom
13. April 1870] vor, das am 15. Juni
1871 dem Finanzausschusse überwiesen
und von diesem am 28. Juni 1871 ab-
gelehnt wurde, mit der unzweideutigen
Begründung, dass die Analogie zwischen
dieser Vorlage und dem früheren Steuer-
befreiungs-Gesetze fehle, überdies, weil
für die kurze Zeit, bis zu welcher der
Reichsrath wieder zusammentreten müsse,
die Ertheilung einer solchen Vollmacht
an die Regierung nicht erforderlich sei,
als auch weil das Abgeordnetenhaus,
als es aus seiner Initiative das frühere
Gesetz beschloss, der damaligen Regie-
rung einen Beweis grossen Vertrauens
entgegenbrachte. Da nun am 11. Juli 1871
die Vertagung des Reichsrathes eintrat,
konnte die Regierung bis zum Wieder-
zusammentritte desselben mit keiner Con-
cessionirung selbständig vorgehen, mithin
das Jahr nicht halten, was es bei seinem
Beginne hoffen liess.
Jene beiden älteren Gesetzesvorlagen
betrafen die bereits besprochene Linie
Villach- Tarvis und die Linie Lemberg-
Stryj-Beskid mit dem Flügel Stryj-
Stanislau, die später den Namen
»ErzherzogAlbrecht-Bahn« erhielt.
Die ersten Projectirungen dieser Bahn,
beziehungsweise einzelner ihrer Strecken
fielen mit denjenigen der Ersten ungarisch-
galizischen und der Dniester Bahn zu-
sammen [s. d.]. Als selbständiges Unter-
nehmen in der obbezeichneten Ausdeh-
nung wurde sie zum ersten Male in dem
am 3. März 1870 vor das Abgeordneten-
haus gelangten Gesetzentwurfe behan-
delt,*) nachdem sie schon in der am
29. April 1869 zurückgezogenen allgemei-
nen Regierungsvorlage [vom 13. März
*) In den Ausschussberichten über die
Vorlagen vom 3. März und vom 8. November
1870 ist eingangs immer von einer gleichen,
schon im Jahre 1869 im Abgeordnetenhause
eingebrachten, beziehungsweise am 9. Decem-
ber 1869 dem Ausschusse zugewiesenen Vor-
lage die Rede. Das beruht auf irgend einem
grossen Irrthum. Jene Session wurde übrigens
überhaupt erst am 14. December 1869 eröffnet.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
135
1869] über die Vervollständigung des
österreichischen Eisenbahnnetzes an erster
Stelle genannt und in der Denkschrift
zu dieser Vorlage als besonders wichtig
bezeichnet war.
Die Vertagung und hernach Auflösung
des Reichsrathes verhinderte zwar die Be-
rathung des Gesetzentwurfes vom 3. März
1870, er wurde jedoch nach der Eröffnung
des neugewählten Abgeordnetenhauses
durch die Vorlage vom 8. November 1870
Goluchowski und Borkowski im Jahre
1869 geplant war und die Linien
Przemysl-Stryj-Stanislau und Stryj-Lem-
berg umfasste — oder das von der
Lemberg-Czernowitzer Bahn im Jahre
1870 verfolgte Project: Lemberg-Stryj-
Ungarische Grenze nebst Abzweigun-
gen von Stryj einerseits nach Chyröw,
andererseits nach Stanislau, oder aber
welches sonstige Project vorlag — erscheint
nirgend angegeben. Der Ausschuss, dem
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Klein-Semmering mit dem Tannenberg. [Böhmische Nordbahn nächst Schönfeld.]
ersetzt, zu deren Begründung die Regie-
rung anführte, dass ebensowohl handels-
politische, als gesammtstaatliche Gründe,
wie nicht minder die Wünsche Galiziens,
die nunmehrige Sicherstellung dieser
Bahn nothwendig machten und dass das
Handelsministerium, weil die ihm vor-
gelegenen Projecte sich als unzuverlässig
erwiesen, durch seine eigenen Organe
im Sommer 1870 Erhebungen an Ort
und Stelle pflegen Hess, deren Ergebnis
auch die genauere Bezifferung des
Anlage-Capitals ermöglichten.
Wessen Projecte dies gewesen, ob etwa
diejenigen für die » Galizische Südostbahn « ,
welche von Seite derConsortien der Grafen
die Vorlage am 1 1. November zuge-
wiesen worden, erstattete unterm 12. März
187 1 seinen Bericht und schloss sich
hiebei in Betreff der Garantie von
42.000 fl. pro Meile dem Regierungs-
entwurfe an, beantragte jedoch dieselbe
pauschaliter im Betrage von 1,430.000 fl.
zu gewähren und verlangte, dass die
Concessionirung im Concurswege er-
folgen, eventuell, wenn dies nicht recht
gelingen sollte, der Bau auf Staatskosten
unternommen und hiefür ein Credit von
3,000.000 fl. eröffnet werde.
Mit diesen Aenderungen wurde die Vor-
lage, nach eingehender Erörterung am 2 1 .
März vom Abgeordnetenhause, dann am
136
Ignaz Konta.
27. April vom Herrenhause angenommen
und am 25. Mai 1871 als Gesetz a. h.
sanctionirt, auf Grund dessen das Mini-
sterium nun die Offertverhandlung aus-
schrieb, die am 16. August stattfand. Es
langten zu derselben acht Angebote ein,
deren höchstes [die ganze im Gesetze
festgestellte Garantie von 1,430.000 fl.
beanspruchendes] von der Dniester Bahn
unter Gewähr der Credit-Anstalt, und
deren billigstes [eine Garantie von
1,280.000 fl. nebst 25.900 fl. jährlich
für die Bahnhofmiethe in Lemberg und
Stanislau anforderndes] von dem Fürsten
Calixt Poninski im Vereine mit der Oester-
reichischen allgemeinen Bank eingebracht
worden war. Die erwartete Betheiligung
der Lemberg-Czernowitzer Bahn war aus-
geblieben.
An dem Wesen und Zwecke einer
solchen Verhandlung festhaltend, Hess
die Regierung dem billigsten Ange-
bote ihre Würdigung angedeihen, wie-
wohl auch bei diesen Bewerbungen wie-
der der Wettkampf nicht fehlte und
insbesondere das Consortium des Grafen
Borkowski, das sich bereits als
Concessionär der ungarischen Fort-
setzungsstrecke betrachtete, alle Anstren-
gungen machte, das Feld zu behaupten.
Das Consortium des Fürsten Calixt
Poninski erhielt am 22. October 1871 die
Concession für die Eisenbahn von Lem-
berg über Stryj undSkole bis an die
ungarische Grenze am Beskid, zur Ver-
bindung mit der von Munkäcs dahin in
Ausführung kommenden ungarischen
Strecke, und eine Zweigbahn von Stryj
über Bolechöw, Dolina und Kaiusz nach
Stanislau zum Anschlüsse an die
Lemberg-Czernowitzer Bahn.
Die Bestimmungen dieser Concession
waren sehr reichhaltige ; sie schrieben
den Tracenzug und die Einmündungs-
punkte, das Höchstausmass der Steigun-
gen und Krümmungen sowie sonstige Ein-
zelheiten für die Bauausführung und die
Beschaffung des Fahrparkes vor, ver-
fügten in Betreff des Grenztunnels am
Beskid, dass derselbe ganz von der
königlich ungarischen Regierung aus-
geführt werde und die Concessionäre blos
einen Kostenbeitrag von 614.500 fl. zu
leisten haben, und wahrten der Staats-
verwaltung das Recht, die Herstellung
eines zweiten Geleises jederzeit gegen
entsprechende Erhöhung der Staats-
garantie vorzuschreiben.
Ebenso räumten sie der Staatsver-
waltung das Recht ein, die Bahn schon
nach Ablauf von zehn Jahren einzulösen
und, in dem Falle, als die Betriebs-
einnahmen die Betriebsauslagen nicht
decken oder die jährlichen Staatszuschüsse
nicht unter die Hälfte der garantirten
Reineinnahmen sinken sollten, den Betrieb
in die Verwaltung des Staates zu nehmen
oder zu verpachten.
Die Staatsgarantie war mit jähr-
lich 1,280.000 fl. bemessen und hatte
für die Sectionen Lemberg-Stryj und
Stryj -Stanislau je mit dem Tage der
Eröffnung, hinsichtlich der Section Stryj -
Beskid aber nicht früher, als bis auch
die ungarische Anschlussstrecke dem
Verkehre übergeben wird, in Wirksam-
keit zu treten. Eine mittelbare Erhöhung
erfuhr diese Garantie dadurch, dass den
Concessionären gestattet wurde, dieMiethe
für die gemeinschaftliche Benützung der
Bahnhöfe in Lemberg und Stanislau,
bis zum Betrage von 25.900 fl. in die
jährliche Betriebsrechnung einzustellen.
Als Eröffnungstermine wurden fest-
gesetzt : für die Strecke Lemberg-Stryj
längstens 1 '/2 Jahre, für die Strecke Stryj -
Stanislau längstens 2]/2 Jahre, gerechnet
vom Concessionsdatum, und für die Strecke
Stryj-Beskid der Zeitpunkt der Inbetrieb-
setzung der ungarischen Strecke Beskid-
Munkäcs.
Angesichts dieser bis dahin noch nicht
oft angewendeten Cautelen, aus denen
die besondere Bedachtnahme wiederspie-
gelte, welche die Regierung dieser neuen
Bahn widmete, mögen die Concessionäre
sich etwas beengt gefühlt haben ; wenig-
stens hiess es allgemein, dass sie noch
nachträglich einige Erleichterungen, be-
ziehungsweise Begünstigungen anstrebten.
Von einem Erfolge in dieser Hinsicht ist
jedoch nichts bekannt geworden, viel-
mehr konnte man wahrnehmen, wie gut
auch die Concessionäre die gegebenen
Thatsachen zu würdigen wussten. Sie
trieben keine Zauderpolitik, sondern
trachteten die Concession rasch in Aus-
führung zu bringen und vor Allem eine
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
137
Abb. 70. Polzenbrücke bei Franzenthai. [Böhmische Nordbahn.'
Actien-Gesellschaft zu errichten. Dies ge-
schah am 17. Februar 1872, auf Grund
des am 12. Februar behördlich genehmig-
ten Statutes.
Die Gesellschaft, welche die Firma:
»K. k. priv. Erzherzog Albrecht-
Bahn« annahm und ihr Anlage-Capital
auf nom. 25,299.200 fl., zerlegt in
50.599 Actien ä 200 fl. und in 50.598
Prioritäts-Obligationen ä 300 fl., fest-
setzte, schrieb am 27. April 1872 die
Offertverhandlung für die Vergebung des
Baues der Strecke Lemberg-Stryj aus,
die am 1 1 . Mai stattfand und zum Er-
gebnisse hatte, dass die Bauarbeiten
der genannten Strecke pauschaliter an
die »Banca di construzione« in Mailand
übertragen wurden [Vertrag vom I . Juni
1872]; die Beistellung der Oberbau-
Eisen- und Holzmaterialien sowie die
gesammte Ausrüstung der Bahn behielt
die Gesellschaft in eigener Regie.
Nun ging es an die Geldbeschaffung,
welche der Hauptconcessionär der Bahn,
d. i. die Oesterreichische allgemeine Bank,
sich schon am 14. December oder, nach
einer anderen Lesart, sogar schon am
1. October 187 1 gesichert hatte und jetzt
eigentlich nur nach aussen abgewickelt
wurde, nachdem die Gesellschaft, be-
ziehungsweise der Verwaltungsrath, am
18. Februar 1872 ohne weiters in die
bezüglichen Verträge eingetreten war.
Die Oesterreichische allgemeine Bank hatte
der Gesellschaft einen Baarbetrag von
17,480.000 fl. gutgeschrieben und hiefür
die sämmtlichen gesellschaftlichen Titel
erhalten, was also einen Uebernahmscurs
von durchschnittlich 69% oder, bei Hin-
zuzählung der von ihr zu decken gewe-
senen Intercalarien einen Curs von 74°/o
ergibt. Am 15. Mai 1872 brachte sie dann
einen Betrag von nom. 12,000.000 fl.,
je zur Hälfte in Actien und in Prioritäts-
Obligationen — erstere zum Curse von
8o°/0, letztere zum Curse von 84'/2°/0 —
mit vollem Erfolge zur öffentlichen Zeich-
nung.
An den Folgen dieser keineswegs
zum Vortheile der Gesellschaft ausge-
schlagenen Verwerthung ihrer Titel, hatte
sie denn auch bald und schwer genug
zu tragen. Vorerst nahm jedoch Alles
einen ruhigen Fortgang. Es wurde in
Lemberg eine technische Direction er-
richtet, zum Vorstande derselben der
Ober - Inspector der Oesterreichischen
Staatseisenbahn- Gesellschaft, Ladislaus
von Szczepanowski, ernannt. Der
am 1. Juli 1872 begonnene Bau wurde
noch im selben Jahre auch auf die
Strecke Stryj-Stanislau ausgedehnt, nach-
dem derselbe, mittels Bauvertrages vom
2. November 1872, trotz der damals be-
reits offenkundigen Saumseligkeit der
Mailänder Baubank, wieder an diese
Unternehmung vergeben worden war.
Die 73'5km lange Strecke Lemberg-
Stryj gelangte am 16. October 1873,
d. i. zwar um fast sechs Monate später,
als ausbedungen gewesen, aber immer-
hin noch ohne besonderen Zwischenfall
zur Eröffnung; die 107-5 km lange Strecke
Stryj-Stanislau, welche ein Jahr nach
der ersteren, nämlich am 22. April 1874,
hätte vollendet sein sollen, konnte hin-
138
Ignaz Konta.
gegen erst am i. Januar 1875 dem
Betriebe übergeben werden, weil die
Bauunternehmung vertragsbrüchig ge-
worden, so zwar, dass die Gesellschaft,
da selbst die versuchten Zwangsmittel
versagten, sich schliesslich genöthigt sah,
die Arbeiten in eigener Regie zu Ende
zu führen. An den Bau der Strecke
Stryj-Beskid war damals überhaupt nicht
mehr zu denken ; denn einerseits war die
Hauptbedingung desselben, nämlich die
Ausführung der ungarischen Anschluss-
strecke in die Brüche gegangen, und
andererseits würden der Gesellschaft auch
die ausreichenden Geldmittel gemangelt
haben.
Aus dem Vertragsbruche der Bau-
unternehmung war der Gesellschaft ein
Verlust von beiläufig 1,742.000 fl. er-
wachsen ; sie selbst hatte den Voran-
schlag [insbesondere für die Grundein-
lösung] um 775.OOO fl. überschritten, was
allein schon einen Mehrverbrauch an
Capital von rund 2,517.000 fl. ausmachte.
Ausserdem blieb noch die Frage der
Deckung bedeutender Mehr- und Nach-
arbeiten sowie ein Betriebsausfall von etwa
400.000 fl. eine offene, beziehungsweise
strittige.
Wären die für die Strecke Stryj-
Beskid bestimmt gewesenen Titel in der
Höhe von 7,500.000 fl. erst im Zeit-
punkte des wirklichen Bedarfes ausge-
geben worden, dann hätte wenigstens die
Verzinsung eines unverwendeten Capi-
tals die Gesellschaft nicht bedrückt.
Die Sorge um die Befreiung von dieser
grossen Last bevvog den Verwaltungs-
rath, mit Zustimmung der Regierung, zum
Rückkaufe gesellschaftlicher Werthe im
obigen Betrage, nämlich 3,000.000 fl. in
Actien und 4,500.000 fl. in Obligationen
[17. bis 27. December 1873]. Aber auch
hiebei hatte er eine unglückliche Hand,
indem der Rückkauf nicht zu dem mit
der Oesterreichischen allgemeinen Bank
vereinbarten Curse von 74, sondern in
Wirklichkeit zum Curse von 78 erfolgte,
was gegenüber der ursprünglichen Be-
gebung wieder einen Schaden von
719.500 fl. brachte. Zu alldem kam noch,
dass der Verwaltungsrath eine mit IO°/0
verzinsliche Schuld bei der Oester-
reichischen allgemeinen Bank aufgenom-
men hatte, die zum Schlüsse des Jahres
1874 die Höhe von 2,182.300 fl. er-
reichte.
So stand es um die Erzherzog
Albrecht - Bahn kaum drei Jahre, nach-
dem sie unter besonderen Bedingungen
concessionirt worden war. Der am
1. Januar 1875 fällig gewesene Actien-
coupon kam nur mit 2 fl. 95 kr. [statt
mit 5 fl.] zur Einlösung; späterhin trat
eine noch grössere Kürzung ein. Die
nun angerufene Hilfe der Regierung
wurde, wie wir alsbald sehen werden,
allmählich zum bedeutenden Theile er-
langt; die Bahn vollständig auf ihre ur-
sprüngliche Grundlage zurückzuführen,
wollte jedoch nie mehr gelingen ; die
Wirkung der Gründungslymphe blieb
eine nachhaltige.
Die Linie Lemberg - Stryj nimmt
ihren Ausgang von der Station Lemberg der
Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn, zieht an-
fänglich in südwestlicher Richtung, gewinnt
aber nach Ueberschreitung der Wasserscheide
nächst Lemberg eine sudliche Richtung und
gelangt ohne nennenswerthe Schwierigkeiten
mit continuirlichen Gefällen über Szczerzec
nach Uebersetzung des gleichnamigen Baches
nach Mikolajöw.
Bei Mikolajöw wird der Dniester über-
brückt und durchschneidet die Bahn sein
Inundationsgebiet, daher auf dieser Bahn-
strecke eine grössere Anzahl von Inundations-
Objecten herzustellen war.
Von da weiter führt die Bahn in süd-
licher, fast gerader Richtung bis Wolica und
erreicht, sich mehr nach Südwest wendend,
mit fortwährender sanfter Steigung Stryj.
Die Linie Strvj-Stanislau zweigt
von der Station Strvj in südwestlicher
Richtung ab, umfährt Im weiten Bogen die
Stadt, übersetzt den Stryjfluss und gelangt
mit fast vollkommen südlicher Richtung über
Morszyn nach Uebersetzung der Wasser-
scheide und des Sukielflusses nach Bole-
chöw. Von hier führt die Bahn in südöst-
licher Richtung bei fortwährender Steigung
nach Dolina und übersetzt bei Hoszöw den
Swicafluss.
Kurz vor der Station Dolina erreicht
die Bahn ihren höchsten Punkt [34165 m
Seehöhe].
Von Dolina führt die Bahn in vollkom-
men östlicher Richtung mit continuirlichem
Gefälle und unter ungünstigen Richtungs-
verhältnissen über Krechowice nach Katusz
und läuft von hier im Thale des Lomnica-
flusses bis Wistowa, wo derselbe übersetzt
wird.
Von Wistowa bis fast unmittelbar vor
Stanislau sind die Steigungs- und Richtungs-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
139
Verhältnisse sehr ungünstig, indem die Bahn
mehrere Bergthäler übersetzen muss, so dass
eine grössere Tracen-Entwicklung auf den
Berglehnen nothwendig war.
Nachdem die Bahn die rechte Lehne des
Jamnicathales überschritten, gelangt dieselbe
in das Bystrzycathal und läuft hier 2-5 km
weit parallel mit der Lemberg-Czernowitz-
Jassv-Bahn, übersetzt unmittelbar vor Sta-
nislau den Bystrzycarluss und findet in der
Station Stanislau ihren Endpunkt.
Beim Bau dieser Strecke ergaben sich
besondere Schwierigkeiten, da bedeutende
Erdarbeiten und grössere Objecte herzu-
stellen waren, wobei noch in Betracht kommt,
dass während des Baues grössere Rutschun-
gen eintraten, die grosse Consolidirungs-
und Entwässerungs Anlagen erforderten, Ar-
beiten, die an manchen Stellen bis zum Jahre
1877 dauerten. [Abb. 78 und 79.]
Von denjenigen Linien, deren Con-
cessionirung auf Gesetzen beruhte, wel-
che die neue Regierung im Jahre 1871
zur legislativen Behandlung gebracht
hatte, sind drei, nämlich : Die Zweigbahn
Komotau-Brunnersdorf des Busch-
töhrader Netzes, dann die Seitenlinie
J Hieflau-Eisenerz der Kronprinz
i Rudolf-Bahn und die Fortsetzungsstrecke
I Ossegg-Komotau der Dux-Boden-
! bacher Bahn gleichfalls schon früher be-
I sprachen; die restlichen drei finden im
! Nachstehenden ihre Erörterung.
Lieboch-Wies. Um die Mitte der
Fünfziger-Jahre war neben der Graz-Köf-
| lacher auch die Schwanberg- Leibnitzer
; Bahn projectirt; erstere um die Braun-
I kohle des Lankowitzer und Voitsberger
Reviers nach Graz zu bringen, letztere
zu gleichem Zwecke hinsichtlich der
] Kohle von Steyregg, Kalkgrub, Schwar-
zenbach, Eibiswald etc. Jene wurde am
26. August 1856 an die Voitsberg-Köf-
lach - Lankowitzer Gewerkschaft, diese
erst zehn Jahre später, am 1 1 . Juni 1 866,
an das Consortium der Grazer Zucker-
raffinerie concessionirt. Die Leibnitz-
Eibiswalder Bahn kam jedoch auch
damals noch nicht zur Ausführung;
ihre Concession ward vielmehr über a. h.
Entschliessung vom 27. Februar 187 1
für erloschen erklärt [Kundmachung des
Abb. 77. Bodenbach. [Nach einem Aquarell von F. Kopallik.]
140
Ignaz Konta.
Handelsministeriums vom II. März 1871].
Schon etwas früher, als nämlich die
Aussicht auf das Zustandekommen dieser
Bahnverbindung ernstlich zu schwinden
begann, hatte die fortgesetzt zunehmende
Kohlennoth in Graz eine andere Ver-
einigung, nämlich das Consortium Ehren-
fest, Hewitt-Stepsky, veranlasst, die Ver-
wirklichung des alten Projectes anzustre-
ben [1870].
Die Graz-Köflacher Bahn, welcher also,
an Stelle des heimgehenden, ein neuer Ri-
vale erstand, sah nun nicht müssig zu, son-
dern stellte das Gegenproject Lieboch-
[Graz - Köflacher Bahn] Wies auf und
fand damit, obwohl sie als .Monopolistin
verschrieen war, vielseitige Zustimmung.
Ihre eigenen Theilhaber sprachen sich
in der ausserordentlichen Generalver-
sammlung vom 28. Februar 187 1 für
die Erwirkung der Concession aus und er-
mächtigten zugleich den Verwaltungsrath,
das zur Herstellung der neuen Linie
erforderliche Capital von 4,560.000 fl.
durch Ausgabe von 8400 Prioritäts-
Obligationen ä 300 fl. und 15.200 Actien
ä 200 fl. [wovon jedoch 5000 Stück
für allfällige anderweitige Verwendung
aufbewahrt werden sollten] zu be-
schaffen.
Wie dem steiermärkischen Landesaus-
schusse, der Grazer Handelskammer, den
Bezirksvertretungen und anderen Körper-
schaften, welche das Project der Graz-
Köflacher Bahn befürworteten, erschien
dasselbe auch der Regierung zweck-
dienlicher. Ueberdies rechnete sie darauf,
bei den Concessions-Verhandlungen Zu- j
geständnisse in Betreff der alten Graz-
Köflacher Bahn, die volle Tariffreiheit
genoss, zu erzielen.
Das Handelsministerium brachte also
am 3. Juni 1871 eine Gesetzesvorlage in Be-
treff der Linie Lieboch-Wies nebst einer
Abzweigung nach S t a i n z im Abgeord-
netenhause ein, dessen Ausschuss dieser
Bahn ebenfalls das Wort redete, weil sie
eine grössere Strecke Landes für den Ver-
kehr erschliesse, leicht einen Flügel nach
Stainz entsenden könne und ein zweites
Kohlenrevier in den Bereich von Graz
bringe, wodurch das Monopol der Graz-
Köflacher Bahn, falls es wirklich besteht,
abgeschwächt werde.
Die Vorlage wurde sohin [mit einigen
Zusätzen hinsichtlich der Zulänglichkeit
des Fahrparkes und der Einmündung von
Industriebahnen] am 28. Juni vom Ab-
geordnetenhause, am 5. Juli vom Herren-
hause in letzter Lesung angenommen,
erhielt am 21. Juli 1871 die a. h. Sanc-
tion und bildete dann die Grundlage
der am 8. September 1871 der Graz-
Köflacher Bahn verliehenen Conces-
sion. Diese gilt für die, einen integrirenden
Bestandtheil der alten [Graz-Köflacher]
Bahn bildende Linie von Lieb och über
St. Florian und Deutsch-Landsberg nach
Wies mit einer Abzweigung nach Stainz,
welch' letztere übrigens erst dann in
Ausführung kommen sollte, wenn für
dieselbe eine Frachtmenge von 2,000.000
Zoll-Centner jährlich, nach dem Er-
kenntnisse des Handelsministeriums, in
Aussicht genommen werden kann.
Als staatliche Begünstigung wurde der
neuen Linie eine zwanzigjährige Steuer-
freiheit gewährt, die mittelbar auch der
alten Linie zugute kam, weil die Befreiung
derart durchgeführt werden konnte, dass
die Entrichtung der Einkommensteuer für
die bestehende Bahn nach Massgabe des
Verhältnisses der Meilenlänge der alten
zur neuen Linie stattfindet. Ebenso wirkten
noch zwei andere Bestimmungen auf die
alte Linie zurück, nämlich die Umgrenzung
der Tarife und die Dauer der Concession,
welch' letztere für beide Linien gleich-
massig auf 85 Jahre, gerechnet vom Tage
der auf spätestens den 8. September 1873
anberaumten Eröffnung der Linie Lieboch-
Wies, festgesetzt wurde. Der Erlangung
der Concession folgte sogleich die Durch-
führung derselben.
Die Wirksamkeit der neuen Tarife
auf der alten Linie begann am 20. Septem-
ber 1871; der Bau wurde mittels Ver-
trages vom 25. October 1871 an die
Unternehmung Gebrüder Pongratz ver-
geben, die Emission der 10.200 Actien
[durch Ueberlassung derselben an die
Besitzer der Actien I. Emission] in den
Tagen vom 15. October bis II. November
1871 bewerkstelligt, und der Bau zu
Beginn des Frühjahres 1872 in Angriff
genommen.
Während desselben kaufte die Gesell-
schaft, vorwiegend wegen der besseren
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
141
Alimentirung der neuen Linie, die Steyr-
egger und Wieser Kohlenwerke an, zu
welchem Zwecke, über Beschluss der
ausserordentlichen Generalversammlung
vom 4. April 1872, weitere Prioritäts-
Obligationen im Betrage von 3,000.000 fl.
ausgegeben und 3700 Stück der ober-
wähnten reservirten Actien verwendet
wurden. Die restlichen 1300 Stück der-
selben erhielt, zufolge des Vertrages vom
18. Juni 1872, die Bauunternehmung,
weil die Kosten der Linie Lieboch-
Wies sich durch die, wegen Erzielung
besserer Steigungsverhältnisse, vorgenom-
mene Längerstreckung der Trace erhöht
hatten.
Aus der am 9. April 1873 er-
folgten Eröffnung dieser 51 km langen
Linie nahmen die Interessenten des
Stainzer Flügels Veranlassung, seinen
Ausbau noch dringender als bisher zu
verlangen, was aber die Gesellschaft
nicht bewog, diese Leistung zu voll-
führen bevor die concessionsmässigen Be-
dingungen derselben [genügende Fracht-
menge] erfüllt waren. Hingegen be-
fasste sie sich eifrigst mit dem grossen
Projecte Wien-Novi, das sie aber ebenso-
wenig verwirklichte wie jene kleine Aus-
ästung nach Stainz. Die Anlagekosten der
Linie Lieboch-Wies betrugen 5,728.500 fl.
Die Trace der Linie Lieboch-Wies,
anfänglich neben der Linie nach Köflach
laufend, übersetzt in der Richtung nach
Süden das Kainachthal in einer Höhe von
7 m über der Sohle, durchschneidet sodann
den von Nordwest nach Südost streifenden
Gebirgszug, um in das Oisnitzthal zu ge-
langen, in welchem die Bahn theils an den
Lehnen, theils im Thale selbst südwärts in
das Thal der Lassnitz gelangt, zu welchem
Zwecke der bei Wolfsdorf vorspringende
Gebirgsrücken durchschnitten wird. Im
Lassmtzthale führt die Trace aufwärts in west-
licher Richtung über Gross-Florian nach
Deutsch-Landsberg, umzieht im Bogen diesen
Ort, um dann die nördliche Abdachung der
Leibenfelder Hochebene zu ersteigen, be-
ziehungsweise mittels eines 11 50 m langen
und 80 m tiefen Einschnittes zu erreichen
Von diesem Plateau aus fällt die Trace
in südlicher Richtung gegen das Thal der
schwarzen Sulm, welches vor Schwanberg in
der Gemeinde Trag zugleich mit dem dortigen
kohlenführenden Terrain erreicht wird. Von
da folgt die Trace in der Richtung nach
Osten der schwarzen Sulm. Dieselbe über-
schreitend und theilweise in der nördlichen
Abdachung des, die Thäler der schwarzen
und der weissen Sulm scheidenden Aus-
läufers der Alpen geführt, durchschneidet
sie deren Vorkopf bei Gasseisberg mit einem
7 5 in tiefen Einschnitt, erreicht das Thal
der weissen Sulm und führt aufwärts des-
selben in der Richtung nach Westen bis
zum Endpunkte Wies.
Rumburg-Schluckenau, Rum-
burg-Georgswalde [Ebersbach]. Um
dem dichtbevölkerten, industriereichen, im
nördlichsten Theile Böhmens liegenden
Bezirke Schluckenau-Hainspach die so-
lang entbehrten Vortheile des Eisenbahn-
verkehrs überhaupt, insbesondere aber
auch die Einbeziehung in das öster-
reichische Eisenbahnnetz zu erschliessen,
legte die Regierung, nachdem sie das
im Jahre 1868 von einem Comit6 in
Schluckenau entworfene Project für die
Linie von Schandau '[in Sachsen] über
Wölmsdorf, Hainspach und Schluckenau
nach Bautzen, nebst einer Verbindung
mit Rumburg, ausser Betracht lassen
musste, weil dessen Verwirklichung die
böhmische Elbeschiffahrt wie nicht minder
auch die Böhmische Nordbahn beein-
trächtigt hätte, der letztgenannten Ge-
sellschaft nahe, die eigene Linie bis nach
Schluckenau zu verlängern.
Dem entsprechend bewerkstelligte die
Böhmische Nordbahn im Jahre 1870
die Vorarbeiten und machte sich dann an-
heischig, die österreichische Theilstrecke
der nun ihrerseits projectirten Linie
Rumburg - Schluckenau - Bautzen
spätestens bis Ende 1872 zu vollenden,
und zwar selbst ohne Rücksicht auf die
noch ungesicherte Fortsetzung bis Bautzen,
wenn ihr die Concession bis Ende Mai
1871 verliehen würde. Das Handels-
ministerium legte demnach am 25. April
1871 dem Abgeordnetenhause einen be-
züglichen Gesetzentwurf vor, wonach
der neuen Linie eine zwanzigjährige,
allenfalls auch der bestehenden Linie
[nach Massgabe des Längenverhältnisses]
zugute kommende Steuerfreiheit gewährt,
und die Dauer der Concession der ge-
sammten Böhmischen Nordbahn auf 90
Jahre, gerechnet vom Tage der Eröffnung
der neuen Linie, festgesetzt, beziehungs-
weise erstreckt werden sollte, weil sie
ohne eigenes Verschulden bis jetzt die
Anschlüsse an die sächsischen Bahnen
entbehren musste.
142
Ignaz Konta.
78. Ursprüngliche Szczerzec-Brücke. [Erzherzog Albrecht-Bahn.]
[Nach einer photographischen Aufnahme aus der Bauzeit.]
Der Ausschuss, dem die Vorlage
am 2. Mai 1871 zugewiesen wurde,
empfahl dieselbe mit dem Abänderungs-
vorschläge, dass die Gesellschaft zu
verpflichten sei, »nach der Realisirung
der Anschlüsse an die sächsischen Bahnen
in den drei Richtungen gegen Zittau,
Löbau und Bautzen, eine Flügelbahn von
Schluckenau bis Wölmsdorf herzustellen«.
Mit allen diesen Bestimmungen wurde
die Vorlage nach Passirung der beiden
Häuser des Reichsrathes [24. Mai und
27. Juni] am 17. Juli 1871 a. h. sanctionirt
und die auf ihr beruhende Concession vom
9. September 1871 ausgefertigt. Der im
Offertwege an den Unternehmer Franz
Rziha vergebene Bau der 0/9 km langen
Linie wurde im Jahre 1872 beendet; ihre
Eröffnung fand am 8. Januar 1873 statt.
Der am 29. September 1869 abge-
schlossene Staatsvertrag zwischen Oester-
reich und Sachsen regelt die Anschlüsse
der österreichischen an die sächsischen
Bahnen bei Weipert, Gross-Schönau
und Georgswalde. Der erstgenannte
betrifft die BuschtöhraderBahn, die beiden
anderen gehen die Böhmische Nordbahn
an, einer derselben, nämlich der zwischen
Gross-Schönau und Warnsdorf, jedoch
nur in wirthschaftlicher Beziehung, da
die königlich sächsische Regierung es
übernahm, das kleine, über österreichisches
Gebiet führende Fragment von Gross-
Schönau über Warnsdorf nach
Seifhennersdorf, selbst herzu-
stellen.
Die Ausführung der Ver-
bindung Rumbur g-G e o r g s-
walde, zum Anschlüsse an die
Süd-Lausitzer Staatsbahn bei
Ebersbach, fiel aber der B ö h-
mischenNordbahn zu, wo-
gegen die königlich sächsische
Regierung auch ihrerseits eine
Abzweigung der Löbau-Zit-
tauer Bahn von Löbau aus eben-
falls nach Ebersbach zu führen
hatte. Da die Böhmische Nord-
bahn die 2'2 km lange Theil-
strecke Rumburg - Gersdorfer
Strasse schon seit 29. October
1869 [für den Kohlenverkehr]
eröffnet hatte, brauchte sie jetzt
nur noch die 4-5 km lange Theil-
strecke Gersdorfer Strasse-Georgswalde
[Ebersbach] zu bauen. Diese und zu-
gleich die ganze 67 km lange Strecke
Rumburg-Georgswalde-Ebersbach
wurde am 1. November 1873 dem allge-
meinen Verkehre übergeben.
Zur Deckung der Kosten aller dieser
hier besprochenen Bauten diente das
über Beschluss der Generalversamm-
lung vom 22. Mai 1871 aufge-
nommene Prioritäts-Anlehen von nom.
4,500.000 fl., das allmählich an die Allge-
meine deutsche Credit-Anstalt in Leipzig
begeben wurde. Mit Zustimmung der-
selben Generalversammlung bewarb sich
die Gesellschaft um die Concession für
die Fortsetzung der Linie Rumburg-
Schluckenau auf sächsischem Gebiete bis
Bautzen ; die Angelegenheit wurde jedoch,
nachdem ihretwegen schon viele Ver-
handlungen stattgefunden hatten, dadurch
hinfällig, dass die königlich sächsische
Regierung sich dafür entschied, jenen
Bau auf Staatskosten auszuführen.
Die Linie Rumburg- Schluckenau
zweigt vom westlichen Ende der Station
Rumburg ab und zieht längs des Mandau-
baches hin.
Mit der Uebersetzung der Bezirksstrasse
nach Nixdorf verlässt sTe das Mandauthal
und steigt zur Wasserscheide nächst der
Waldecke, von wo selbe, nach einer Hori-
zontalen von 231-2 in Länge, in einem con-
tinuirlichen Gefälle von I : 75 im Walde gegen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
143
Schluckenau sich in mehrfachen Krümmungen
hinzieht.
Die Linie Rumburg-Landesgrenze-
Ebersbach bildet die Verlängerung der
alten Linie Bakov-Rumburg bis an die Lan-
desgrenze gegen Löbau zum Anschlüsse an
die sächsische Staatsbahn in der Station
Ebersbach, die bereits auf sächsischem Ge-
biete liegt. Ihre Trace führt von Rumburg
aus an die Gersdorfer Strasse, wo für den
Kohlenverkehr die Haltestation Gersdorf-
Aloisburg errichtet wurde, und dann direct
an die böhmisch -sächsische Grenze, be-
ziehungsweise nach Ebersbach, wo sie in
die sächsische Staatsbahn einmündet. Ausser
den ziemlich ungünstigen Neigungsverhält-
nissen waren beim Bau keine nennenswerthen
Schwierigkeiten zu überwinden.
Mährische Grenzbahn. Während
der Ausmittlung der Tracen für die nörd-
liche Staatsbahn hatte die Einwohner-
schaft der Industrialorte in den Thälern
der March, Thess und Oskava sich in
den Gedanken hineingelebt, dass die
Brünner Linie dieser Bahn über Prag an
die sächsische Grenze, die Olmützer Linie
hingegen über Hohenstadt an die preussi-
sche Grenze gehen oder doch eine
Abzweigung nach Mittelwalde erhalten
werde. Der Gedanke war auch hier ein
Kind des Wunsches, und als dieser nicht
in Erfüllung gegangen, bemächtigte sich
der Bevölkerung der bezeichneten Gegen-
den eine sehr merkliche Verstimmung.
Unter dem Eindrucke derselben entstan-
den mancherlei Projecte für örtliche Schie-
nenwege, die aber bald wieder der Ver-
gessenheit anheimfielen, so namentlich
das im Jahre 1846 zum ersten Male in
Anregung gekommene Project Hohen-
stadt - Zöptau, welches erst zwanzig Jahre
später, und zwar abermals aus Anlass
von Bestrebungen um die Gewinnung
der preussischen Grenze wiedererstand.
Die Zeit, Art und Träger aller jener Be-
strebungen sind schon in den oben voraus-
gehenden Mittheilungen über die Mährisch-
schlesische Nordbahn, die Mährisch-schle-
sische Centralbahn, die Hohenstadt-Zöp-
tauer Bahn und das Ergänzungsnetz der
Oesterreichischen Nordwestbahn [Linie
Wildenschwert - Mittelwalde] ausführlich
angegeben. Darum mag — des Zusam-
menhanges wegen — hier blos daran er-
innert sein, dass das Schönberger Eisen-
bahn-Comite sich am Schlüsse der Sech-
ziger-Jahre im Vereine mit dem Grafen Karl
Althann um die Linien Sternberg-Mährisch-
Schönberg-Hannsdorf-Niederlipka-Reichs-
grenze gegen Mittelwalde und von Nieder-
lipka nach Wildenschwert, dann von
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Abb. 79.
Ursprüngliche Inundationsbrücke der Erzherzog Albrecht-Bahn bei Mikolajöw.
[Nach einer photographischen Aufnahme aus der Bauzeit.]
144
Ignaz Konta.
Schönberg einerseits nach Hohenstadt,
andererseits nach Zöptau beworben und
im Jahre 1870 die Concessionirung der
Linie Wildenschwert - Mittelwalde an
die Staatseisenbahn-Gesellschaft vereitelt
hatte, indem es die Garantie-Anforderung
der letzteren [70.000 fl. pro Meile] um
die Hälfte unterbot, jedoch mit diesem
Schachzuge nicht viel für sich erzielte.
Rücksichtlich der Linie Wildenschwert-
Mittelwalde war das Consortium der
Nordwestbahn - Concessionäre, dem sie
zugleich mit der Elbethal-Bahn zufiel,
der gewinnende Dritte und rücksichtlich
der Linie Sternberg- Mittelwalde war dem
Comite nur der Trost geblieben, dass der
Ausschuss des Abgeordnetenhauses, an-
lässlich des vorerwähnten Zwischenfalles
das Schönberger Project, beziehungs-
weise dessen Goncessionirung unter Ge-
währung einer Staatsgarantie von 35.000 fl.
pro Meile, eventuell den Bau auf Staats-
kosten empfahl [Ausschussbericht vom
4. April 1870].
Würde der Reichsrath damals nicht
vertagt worden sein, dann hätte das
Eintreten des Ausschusses dem alten
Projecte auch greifbaren Vorschub ge-
leistet ; so aber musste das Comitö,
dessen Rührigkeit übrigens nicht nach-
liess, die Bewerbung von Neuem be-
ginnen. Es verband sich zu diesem
Zwecke mit der Bauunternehmung Ge-
brüder Klein, stellte sich unter die Füh-
rung des dortigen Reichsraths-Abgeord-
neten Eduard Oberleithnerund sammelte
bei den Aemtern und Behörden zahl-
reiches statistisches Material über die
voraussichtlichen Verkehrs- und Rentabili-
täts - Verhältnisse der Linie Sternberg-
Mittelwalde, welche, nachdem die Linien
Wildenschwert - Mittelwalde und Hohen-
stadt-Zöptau inzwischen schon concessio-
nirt worden waren, jetzt von dem alten Pro-
jecte noch übrig geblieben.
Das Ergebnis jener Erhebungen be-
stärkte nicht nur die Zuversicht des
Comites in die Ertragsfähigkeit der Bahn
neuerdings in so hohem Masse, dass
es bei den nunmehrigen Verhandlun-
gen mit der Regierung glaubte, noch
unter den Garantieanspruch von 35.000 fl.
pro Meile herabgehen zu können, son-
dern es brachte auch der Regierung die
Meinung bei, dass die Staatsgarantie hier
als eine nominelle zu betrachten sei, da
schon in den ersten Betriebsjahren ein
Reinerträgnis von 731.826 fl. jährlich
gewärtiget werde.
Unter diesen günstigen Voraussetzun-
gen brachte nun das Handelsministe-
rium, dem das Abgeordnetenhaus am
12. Mai 1871 wieder zwei einschlägige
Petitionen »zur eingehendsten Würdi-
gung und besonderen Berücksichtigung«
empfohlen hatte, am 29. Mai 187 1
einen die Concessionirung der Eisen-
bahnen von Sternberg im Anschlüsse an
die Mährisch-schlesische Nordbahn über
Mährisch-Neustadt, Mährisch-Schönberg,
Hannsdorf und Grulich an einen Punkt
der Linie Wildenschwert - Mittelwalde
nächst der Reichsgrenze betreffenden
Gesetzentwurf zur verfassungsmässigen
Behandlung, in welchem dieser Bahn
eine Staatsgarantie von jährlich 336.000 fl.
und eine fünfzehnjährige Steuerfrei-
heit zugedacht war. Auch der am
6. Juni 1871 zur Vorberathung des Ge-
setzentwurfes eingesetzte Ausschuss des
Abgeordnetenhauses erklärte es für un-
zweifelhaft, »dass die neue Linie zu den
rentabelsten österreichischen Bahnen ge-
zählt werden dürfte und nur deshalb der
staatlichen Begünstigung bedarf, weil
die Bedeutung der Bahn in weiteren
Kreisen, namentlich auf den grösseren
Geldmärkten noch nicht hinreichend be-
kannt ist und die Geldbeschaffung durch
eine theilweise Zinsengarantie wesentlich
erleichtert wird«.
Die Erledigung des Gesetzes ging
daher rasch von Statten; es wurde
am 21. Juni vom Abgeordnetenhause,
am 27. Juni vom Herrenhause in letzter
Lesung angenommen und am 14. Juli
1871 a. h. sanctionirt. Am 2. August
1871 fanden sodann die letzten Ver-
handlungen des Ministeriums mit dem
nunmehr zu einem Consortium ausgestal-
teten Comitö statt, wobei dasselbe sich
protokollarisch verpflichtete, die Ziffer
des Nominal-Anlage-Capitals sowie den
Begebungscurs der Titel der Genehmi-
gung des Handelsministeriums zu unter-
werfen, gleich die erste Anlage der
Stationsplätze für einen grösseren Zugs-
verkehr einzurichten, etc., hingegen die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
145
unmittelbare Verbindung mit .Mittelwalde,
soweit sie auf österreichischem Gebiete
gelegen ist, grundsätzlich ' zugesichert
erhielt. Am II. September 1871 erfolgte
die Concessionirung der genannten Linie
an die Firma Gebrüder Klein, Eduard
Oberleithner, Karl Oberleithner,
etc. etc. unter den oberwähnten sowie
ferner unter den Bedingungen, dass die
Vergebung der Bauarbeiten und der Liefe-
rungen der Controle des Ministeriums
unterliegen und die Bahn spätestens
binnen drei Jahren vollendet sein müsse.
Nach jahrelangen Bemühungen der
örtlichen Interessenten war sohin jetzt
endlich auch dem wohlhabenden und
industriereichen nördlichsten Landstriche
Mährens die ersehnte Eisenbahn -Verbin-
dung gesichert.
Bei den Voreinleitungen für die Aus-
führung derselben hatten die Gebrüder
Klein, als Eigenthümer der Hohenstadt-
Zöptauer Bahn , mit den Concessionären
der neuen Linie die Zusammenlegung
der beiden ineinander greifenden Unter-
nehmungen vereinbart, um nicht jede
derselben mit den Spesen einer eigenen
Verwaltung belasten zu müssen. Da
also bei dieser Transaction keinerlei
geschäftliche Absichten vorwalteten, hielt
sich der Ankaufspreis für die Hohenstadt-
Zöptauer Bahn einfach auf der Höhe der
von ihren Erbauern auf sie verwendeten
Selbstkosten, die in Titeln der neuen
Bahn, und zwar nom. 1,000.000 fl.
in Actien und nom. 1,000.000 fl. in
Prioritäts - Obligationen rückzuvergüten
waren. Demnach wurde das Anlage-
Capital der vereinigten Linien auf nom.
17,000.000 fl., nämlich 9 Millionen in
Actien und 8 Millionen in 5°/0igen
Prioritäts-Obligationen, festgesetzt.
All dies geschah im Einvernehmen mit
dem Wiener Bankverein — der die säfnmt-
lichen auszugebenden Titel zu einem durch-
schnittlichen Curse von rund 8o0/0 auf feste
Rechnung nahm — und wurde am 15.
Februar 1872 in Vertragsform gebracht.
Daran schloss sich die am 16. April 1872,
auf Grund des am 3. März 1872 be-
hördlich genehmigten Statutes, vollzogene
Constituirung der Actien - Gesellschaft
»k. k. priv. MährischeGrenzbahn«,
sodann die Einrichtung der Geschäfts-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
leitung, wobei der Bureauchef der Süd-
bahn, Ignaz K o n t a, zum General-Secretär,
der Bauführer der Hohenstadt-Zöptauer
Bahn, Theodor Rodler, zum bauleitenden
Ober-Ingenieur und [etwas später] der Be-
triebs-Inspector der letztgenannten Bahn,
Franz Schaff er, zum Betriebsleiter er-
nannt wurden.
Am 20. Juni 1872 erfolgte die
Vergebung des Baues an die Wiener
Eisenbahn-Baugesellschaft, die am 31. Juli
1872 mit den Arbeiten begann. Mittler-
weile hatte am 1. Juli die Uebernahme
der Hohenstadt-Zöptauer Bahn in das
Eigenthum der Mährischen Grenzbahn,
wie auch, am 18. Juli 1872, die Emission
der sämmtlichen Actien und Obligationen,
erstere zum Curse von 174, letztere zum
Curse von 186, im Wege der öffentlichen
Zeichnung stattgefunden.
Der Bau nahm anfänglich einen
guten Fortgang, erfuhr jedoch nachher
dadurch einige Verzögerung, dass die
Wiener Eisenbahn - Baugesellschaft zu
Beginn des Jahres 1873 in Liqui-
dation kam und der Bau anderweitig
sichergestellt werden musste, was
übrigens bald bewerkstelligt war, da
die Unternehmung Gebrüder Klein in
alle Rechte und Pflichten des Pauschal-
vertrages mit der früheren Bauunter-
nehmung eintrat, daher die Ausführung
der sämmtlichen Bauarbeiten übernahm,
während die Ausrüstung der Bahn und
die Beschaffung des Fahrparkes, nach
wie vor, eigene Sache der Gesellschaft
blieb. Der am 27. März 1873 abge-
schlossene neue Bauvertrag erhielt am
8. April 1873 die Genehmigung des
Ministeriums.
Die neue, bestbewährte Unternehmung
hatte auch hier wieder eine Probe
ihrer längst bekannten und anerkannten
Leistungsfähigkeit geliefert, indem sie die,
nach Befund der staatlichen Aufsichts-
organe, ganz musterhaft ausgeführte
Bahn schon mit Ende September 1873
bis Grulich betriebsfähig vollendete. Dies
bestimmte den Verwaltungsrath, die
80/9 km lange Linie Sternberg-
Grulich, wenn auch vorerst noch
für Rechnung des Baues, sogleich dem
Betriebe zu übergeben ; ihre Eröffnung
sowie zugleich auch die Uebernahme des
10
146
Ignaz Konta.
bis dahin von der Staatseisenbahn-
Gesellschaft besorgten Betriebes der
Hohenstadt-Zöptauer Bahn in die eigene
Regie der Mährischen Grenzbahn erfolgte
am 15. October 1873. Die 2*9 km
lange Theilstrecke von Grulich bis zur
Einmündung in die Nordwestbahn bei
Lichtenau wurde erst am 14. Januar
1874 eröffnet und zunächst von dieser
Anschlussbahn betrieben, die damals
ihr Ergänzungsnetz ebenfalls schon bis
Lichtenau dem Verkehre übergeben, aber
die Verbindungen nach Mittelwalde und
Wildenschwert noch nicht fertiggestellt
hatte.
Sechs Monate später hörte der so-
genannte Baubetrieb auf und es begann
mit dem fernerhin auf Rechnung der
Gesellschaft gehenden Betriebe auch die
Wirksamkeit der Staatsgarantie, die sich
alsbald nicht nur als nothwendig, sondern
vielmehr als unzureichend erwies, da der
Verkehr andauernd ein nur spärlicher
blieb.
Aus dieser schon während des Bau-
betriebes wahrnehmbar gewordenen Er-
scheinung, die zu den günstigen Aus-
sichten und Erwartungen, unter denen
die Mährische Grenzbann ins Leben ge-
rufen wurde, so sehr im Gegensatze
stand, erkannte der Verwaltungsrath,
dass eine Vorsorge für die Sicherung der
Zukunft des gesellschaftlichen Unter-
nehmens dringend noth thue ; er befasste
sich daher mit der Frage der ehemög-
lichsten Erzielung eines directen An-
schlusses der eigenen Linie an das
preussische Bahnnetz, wie auch mit Pro-
jecten für die Erweiterung ihres Verkehrs-
gebietes, unter denen die Linie Mährisch-
Neustadt-Gaya, beziehungsweise Göding
die erste Stelle einnahm.
Inzwischen war aber die Nordwestbahn
— sei es weil sie auch hier der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft und der Nordbahn näher
an den Leib rücken mochte, sei es weil ihre
Geldkräfte auch diejenigen der Mährischen
Grenzbahn waren und diese die letztere
bei Zeiten stützen wollten — mit einem
Fusionirungsantrage hervorgetreten, wo-
nach sie [die Nordwestbahn] die Priori-
tätsschuld der Grenzbahn vollständig
und deren Actien zum Preise von nom.
140 fl. pro Stück, zahlbar in Nordwest-
bahn-Actien lit. A, übernehmen würde.
Der Verwaltungsrath legte nun die An-
gelegenheit der am 25. Juni 1874 abge-
haltenen ersten ordentlichen General-
versammlung vor, und diese ermächtigte
ihn, den Fusion s vertrag abzuschliessen,
wie auch, im Falle des Nichtzustande-
kommens der Vereinigung Concessionen
für Fortsetzungslinien der Mährischen
Grenzbahn zu erwerben. Es kam jedoch
weder zu dem einen noch zu dem anderen ;
die Fusion strandete, wie wir weiterhin
noch genauer erfahren werden, im Ab-
geordnetenhause, und die Fortsetzungs-
projecte scheiterten an der Verschlimme-
1 rung sowohl der allgemeinen als auch
I der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Desgleichen missglückten die nach-
mals noch unternommenen Hilfsversuche ;
1 die Gesellschaft blieb auf sich selbst und
ihre eigene Kraft angewiesen, die jedoch
trotz aller auf die Hebung der Einnahmen
und auf eine öconomische Gebarung
verwendeten Sorgfalt nicht erstarkte.
Der mit fast unwiderlegbarer Gewissheit
vorausgesagte grosse Verkehr wurde
vergebens erwartet und angestrebt ; er
zeigte sich nur ab und zu, wenn die
mächtigen Nachbarbahnen just im Streite
lagen, sonst aber war er überhaupt nicht
vorhanden oder er konnte nicht über
die von den letzteren gebildete Um-
klammerung der Grenzbahn hinweg bis
zu dieser gelangen.
Dadurch kam es, dass diese junge
Schöpfung, die weder mit Gründungs-
machenschaften noch mit einem Bau-
deficite behaftet war, vielmehr, un-
beschadet einer vorzüglichen Ausfüh-
rung, nahezu 1,000.000 fl. vom Bau-
capitale erübrigt hatte und anerkannter-
massen mit der strengsten Sparsamkeit
verwaltet wurde, verkümmern musste.
So lange jene Ersparnis vorhielt,
die Staatsgarantie bis zur Höhe des
Erfordernisses für den Prioritätendienst
zu ergänzen, erlitt wenigstens die Ver-
zinsung dieser Titel keinen Abbruch ;
als jedoch der letzte Groschen hinge-
opfert war, sank auch die Mährische
Grenzbahn, welcher prophezeit gewesen,
dass sie »eine der rentabelsten österrei-
chischen Bahnen« sein werde, in die Reihe
der nothleidenden Unternehmungen hinab.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
147
[Nach
Die Mährische
Grenzbahn hat ihren An-
fangspunkt am Stations-
platze Sternberg der Mäh-
risch-schlesischen Nordbahn.
Von da aus führt die Bahn
in nordwestlicher Richtung
gegen Mährisch-Neustadt,
übersetzt daselbst den Os-
lawabach und steigt nun
gegen Treublitz, wo sie ihre
Richtung in eine nördliche
ändert, und erreicht die
Wasserscheide oberhalb Ra-
bersdorf [4083 m Seehöhe]
und geht im Gefälle nach
Frankstadt. Diesen Ort durch •
schneidend, verändert die
Bahn weiterhin wieder ihre
Richtung in eine südöstliche
und erreicht das Hohen-
stadt-Zöptauer Geleise, so-
mit auch das Thessthal.
Gleich nachdem sich beide
Schienenstränge vereinigt
haben, übersetzen sie den
Thessfluss mit zwei neben-
einander gelegenen Brücken
und münden in den Stations-
platz Mährisch-Schönberg
ein. Vom Stationsplatz Mäh-
risch-Schönberg gehen wieder die beiden
Schienenstränge parallel, im Thessthale in
südlicher Richtung im Gefälle bis Blauda,
von wo aus das rechtsseitige Schienen-
Eaar das Geleise der Hohenstadt-Zöptauer
inie verlässt, um ins Marchthal einzubiegen.
Das linke Marchufer in westlicher Rich-
tung verfolgend, verändert die Bahn bei
Klösterle abermals ihre Richtuog in eine
nordwestliche, übersetzt bei Eisenberg den
Marchfluss und geht am rechten Marchufer
bis Märzdorf, gewinnt dort wieder das linke
Marchufer und geht bis Hannsdorf, wo der
Marchfluss zum dritten Male übersetzt wird.
Gleich hinter Hannsdorf verändert die Bahn
wieder ihre Richtung in eine nordwestliche,
die sie nunmehr bis zu ihrem Endpunkte bei
Lichtenau beibehält, und entwickelt sich an-
steigend an den steilen Lehnen des links-
seitigen Marchufers, durchfährt zwei vor-
springende Bergnasen mittels zweier Tunnels
von zusammen 244 m Länge, übersetzt zwei-
mal nacheinander die March und verlässt
das linke Ufer erst hinter Grumberg-Mohrau.
Bei Rothfioss übersetzt die Bahn zum letzten
Male die March und überschreitet gleich-
zeitig hier die Landesgrenze zwischen Mähren
und Böhmen.
Unmittelbar nachdem die Bahn das
Marchthal verlassen, erreicht sie mit einer
Steigung von 1 : 60 die europäische Wasser-
scheide zwischen der Neisse und Adler, und
somit ihren höchsten Punkt, 599/08 in über
dem Meeresspiegel. Von* da an fällt die
Bahn, an der linken Lehne der Stillen Adler
sich entwickelnd, bis zum Stationsplatz Gru-
Abb. 80. Viaduct bei Bernsdorf,
einer Original-Aufnahme von Erwin Pendl.]
lieh. Von hier aus theilt sich die Bahn, doch
laufen die Geleise noch eine kurze Strecke
nebeneinander her. Das rechtseitige Geleise
zweigt gegen die österreichisch-preussische
Reichsgrenze zum Anschlüsse an die Ober-
schlesische Bahn ab und das linke Geleise
zieht bis nach Lichtenau weiter, um daselbst
in die Oesterreichische Nordwestbahn ein-
zumünden.
Sieht man von dem, eine Verlän-
gerung der Süd-norddeutschen Verbin-
dungsbahn bis an die Reichsgrenze bei
Seidenberg [nebst Abzweigung nach Tann-
wald] bezweckenden Gesetze vom 19. Juli
1871 vorläufig ab, weil dasselbe erst im
darauffolgenden Jahre praktische Anwen-
dung gefunden, dann bildet das Gesetz
vom 11. Juli 1871, welches die staat-
liche Genehmigung des Verkaufes der
Nordbahnstrecke Jedlesee-Stockerau an
die Oesterreichische Nordwestbahn zum
Gegenstande hat, den Abschluss der
für das österreichische Eisenbahnwesen
entfalteten legislativen Thätigkeit im
Jahre 1871.
Mittels dieses Gesetzes wurde die Re-
gierung ermächtigt, aus Anlass der kauf-
weisen Erwerbung der genannten Strecke
[Stockerauer Flügel] durch die
Oesterreichische Nordwestbahn, auf das
10*
148
Ignaz Konta.
dem Staate zufolge des Privilegiums
[für diesen Flügel] vom 28. März 1840
zustehende Heimfallsrecht zu verzichten,
wie auch keinen Anspruch auf den Kauf-
schilling zu erheben und die Einbeziehung
jener Strecke in die Oesterreichische Nord-
westbahn als integrirenden Bestandtheil
der Linie Wien-Znaim zuzugestehen, wenn
die Kaiser Ferdinands-Nordbahn sich
verpflichtet, den ihr aus diesem Verkaufe
zufliessenden Kaufschilling im Betrage
von mindestens 1,000.000 fl. innerhalb
des Termines von fünf Jahren zur Her-
stellung einer neuen, an die Kaiser Fer-
dinands-Nordbahn anschliessenden Eisen-
bahnlinie zu verwenden. Das schon
seit dem Jahre 1 869 vorbereitet gewesene
Kaufgeschäft ist übrigens gleich, nachdem
die Gesetzesvorlage den Reichsrath
passirt hatte, nämlich am 1. Juli 187 1
endgiltig abgeschlossen und der bezüg-
liche Vertrag am 21. August 1871 von
der Staatsverwaltung genehmigt worden.
Unter Einem mit dem Vertrags- Abschlüsse
erfolgte auch die Uebernahme der Strecke
in das Eigenthum der Oesterreichischen
Nordwestbahn, für deren Rechnung der
Betrieb bis 1. November 1871, d. i. dem
Tage der Eröffnung der [Nordwestbahn-]
Strecke Stockerau - Znaim noch von der
früheren Eisenthümerin fortgeführt wurde.
Der am 27. December 1871 eröffnete
neue Reichsrath fand auch ein neues
Ministerium vor. Das Blatt hatte sich
wieder zu Gunsten der Verfassungspartei
gewendet, aus deren Reihen am 25. No-
vember 1871 das Cabinet Fürst Adolf
Auersperg hervorging , in welchem
Dr. Anton B a n h a n s das Handelsamt inne
hatte. Es kehrte also die Eintracht zwischen
Regierung und Parlament zurück und
die hiedurch frisch belebte legislative
Schaffensfreudigkeit kam auch dem Eisen-
bahnwesen zugute. Nicht weniger als
zwanzig, die Vervollständigung des
Bahnnetzes bezweckende Gesetzentwürfe
brachte der Handelsminister im Laufe der
VII. Parlaments-Session, die bis zum
23. April 1873 währte, zur verfassungs-
mässigen Behandlung und mit Ausnahme
von dreien, welche allerdings die schon oft
und vielseitig begehrten Linien über den
Arlberg und den Predil sowie die Bahnen
für den Localverkehr in und um Wien,
also besonders wichtige Schienenwege
betrafen, fanden alle diese Vorlagen
auch die gewünschte Erledigung. Gleich
zahlreich waren dann die Concessio-
nirungen, da die Regierung neben den
auf Grund jener, nun Gesetz gewordenen
Vorlagen ertheilten Concessionen noch
einige andere verlieh, zu denen, weil
sie mit keinerlei staatlichen Begünsti-
gungen ausgestattet waren, die Mitwir-
kung der Legislative nicht erforderlich
gewesen.
Auch für die innere Ausgestaltung
des österreichischen Eisenbahnwesens
entfaltete der neue Handelsminister so-
gleich eine besondere Emsigkeit; er
führte die durch staatliche und Sicher-
heitsrücksichten immer nothwendiger ge-
wordene einheitliche Signal isirung
ein [Verordnung vom 16. Juni 1872]
und setzte an Stelle des bisherigen pri-
vaten, weil von den Eisenbahn -Verwal-
tungen selbst geschaffenen, ein staat-
liches Betriebs- Reglement in
Wirksamkeit [Verordnung vom I. Juli
1872], das den Wünschen des Handels-
standes, wie sie in der von der Wiener
Handelskammer im Jahre 1871 veran-
stalteten Transport-Enquete zum Aus-
drucke kamen, möglichst Rechnung trug,
zugleich aber die erste Grundlage für die
gleichfalls vom Minister Dr. Banhans ein-
geleitete Vereinbarung mit Deutschland
bildete, aus welcher das für die beider-
seitigen Reichsgebiete geschaffene, ein-
heitliche Betriebs- Reglement vom Jahre
1874 hervorging. Er wirkte auch
dahin, dass im Interesse der raschen
Popularisirung der im Gesetze vom
23. Juli 1871 vorgeschriebenen, ab
1. Januar 1876 obligatorischen neuen
Mass- und Gewichtsordnung, das Meter-
mass und -Gewicht schon vom
I. Januar 1873 an beim Baue und Be-
triebe der Eisenbahnen in Anwendung
komme. [Verordnung vom 26. October
1872.]
Leider blieb ein grosser Theil der
gesetzgeberischen und Concessionirungs-
Thätigkeit ganz fruchtlos. Die beispiel-
lose Agiotage in den Werthen unzähliger
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
149
Neugründungen auf dem Gebiete des
Bankwesens und der Bauindustrie nahm
das Capital so völlig in Anspruch, dass
die Geldbeschaffung für neue, insbeson-
dere ungarantirte Eisenbahn-Unterneh-
mungen fast zur Unmöglichkeit wurde.
Während im Jahre 187 1 Titel neuer Eisen-
bahnen in der Höhe von 73,000.000 fl.
flotten Absatz fanden, konnte im Jahre
1872 kaum die Hälfte dieser Summe und
im Jahre 1873 [Januar] nur noch ein Be-
trag von 5,000.000 fl. stabil untergebracht
werden.
Noch misslicher gestalteten sich die
Dinge, nachdem das Kartenhaus, das
fälschlich die Bezeichnung »volkswirth-
schaftlicher Aufschwung« trug, in Wirk-
lichkeit aber auf einer wahnwitzigen
Spielwuth fusste , zusammengebrochen
war und in seinem Sturze den grössten
Theil der Capitalien, welche an gewagte
Unternehmungen und an die himmel-
stürmende Speculation gebunden waren,
vernichtete ; denn wo noch gesunde Ver-
mögen übrig geblieben, flohen sie nun
das Associations- Wesen, und alles, was
Actie hiess, blieb auf lange Zeit hinaus
geächtet. Ernste Anzeichen der nahen-
den Krisis machten sich schon im Herbste
1872 bemerkbar, doch hielt der Taumel
noch weiter an; erst Anfangs April 1873,
als die »Vorsichtigen« den schwanken
Bau zu verlassen anfingen, trat einige
Ernüchterung ein, die aber bald in Angst
und Schrecken umschlug; die Curse
sanken jählings in die Tiefe und am
9. Mai 1873 brach die Katastrophe
herein.
Hatte also im Jahre 1872 die wilde
Jagd nach billigem Gewinne den neuen
Eisenbahn -Unternehmungen den Geld-
markt verschlossen, so war es nach dem
Ausbruche der Krisis das allgemeine
Misstrauen, welches ihnen die finanziellen
Hilfsmittel unzugänglich machte. An
diesen Zuständen ging denn auch die
Mehrzahl der Erstlingsfrüchte der Thätig-
keit des Handelsministers Dr. Banhans,
gleich nach ihrem Entstehen wieder zu-
grunde. Von den unter seiner Amts-
führung bislang ertheilten Concessionen,
und zwar:
Datum der
Concession
Für die Linie
Länge
der pro-
jectirten
Bahn
Ertheilt auf
Grund des Ge-
setzes vom
I.
-.
3.
4-
>
6.
7-
>S
9-
10.
n
[2
13
I)
IS
10.
'7
31. März 1872
4. Mai 1872
4. Juni 1872
10. August 1872
10. August 1872
14. August 1872
4. Septemb. 1872
10. Septemb. 1872
14. Septemb. 1872
14. Septemb. 1872
16. Septemb. 1872
8. October 1872
10. November 1872
12. November 1872
J13. November 1872
7. Januar 1873
Reichenberg-Seidenberg nebst Ab-
zweigung nach Tannwald ....
Nussdorf-Kahlenberg [Plateau] . . .
St. Wolfgang-Schafbergspitze . . .
Brüx-Mulde
77 Ml.
4'9 »
90 »
06 »
08 »
64 »
54 »
4-9 ,
14-3 »
37 '
176 »
679 ,
341 •
19 »
131 >\
140 »j
3-8 »
19. Juli 1871
28. Juni 1872
28. Juni 1872
28. Juni 1872
10 April 1872
28. Juni 1872
28. Juni 1872
Chotzen-BraunaunebstAbzweigungen
Liebenau-Kuschwarda sammt Zweig-
bahn [Böhmische Südwestbahn]
Selzthal-Wörgl und Bischofshofen-
Hallein [Salzburg- Tiroler Bahn]
[Mlatz-Karlsbad-Joh. Georgenstadt
zusammen
oder
2101 Ml.
15938 km
ISO
Ignaz Konta.
Abb. Sl. Süd-norddeutsche Verbindungsbahn. [Schloss Friedland.]
sind die unter Nr. 3, 5, IO — 12 und 16 — 17
angeführten Linien in der Gesammtlänge
von ii7-7 Meilen = 892-9 km überhaupt
nicht, die unter Nr. 1 angeführte erst
nach Erhöhung der Staatsgarantie, end-
lich die unter Nr. 7 und 15 angeführten
erst nach Gewährung von staatlichen
Bauvorschüssen [erstere sogar dann noch
nur theihveise] zur Ausführung ge-
kommen.
Auch die übrigen in der VII. Reichs-
raths-Session geschaffenen Eisenbahn-
Gesetze traf kein freundlicheres Los.
Das zugleich mit einigen anderen Vor-
lagen am 28. Juni 1872 sanctionirte Ge-
setz für die Concessionirung der Linie
Klostergrab-Pirna unter Gewährung einer
zehnjährigen Steuerfreiheit blieb undurch-
führbar; das Gesetz vom 29. Juni 1872,
das eine dreissigjährige Steuerfreiheit
für die Linien Tarnöw-Gryböw-Leluchöw,
Gryböw-Zagörz, Sandec-Saybusch-Bielitz
und Saybusch-Csäcza vorgesehen hatte,
wurde dadurch gegenstandslos, dass zu
der am 9. December mit der Einreichungs-
frist bis 28. December 1872 ausgeschrie-
benen Offertverhandlung für die Ver-
gebung der Concession kein einziges
Angebot beim Handelsministerium ein-
langte; ebensowenig war es gelungen,
für die, zufolge der Gesetze vom 1. April,
beziehungsweise 7. und 17. Mai 1873
mit einer 20 bis 25 jährigen Steuer-
freiheit bedachten Linien Czernowitz-
Xowosielica, Knittelfeld-Gonobitz-Steiri-
sche Grenze und Wien-Radkersburg-
Steirische Grenze
sammt Zweigbah-
nen Bewerber zu
linden oder die schon
vorhanden gewese-
nen festzuhalten ; so-
gar das Gesetz vom
30. April 1873, wel-
ches für die Linie
Spalato-Knin-Croa-
tische Grenze nebst
Abzweigung nach
Zara eine Staats-
garantie von
47.300 fl. pro Meile
bewilligte, versagte,
weil einzelne Bedin-
gungen desselben,
namentlich die Begebung der Titel zum
Durchschnitts-Curse von mindestens 85°/,,
und die Verbindung der Hauptbahn mit
dem croatisch-ungarischen Bahnnetze,
unerfüllbar waren ; das Gesetz vom
7. Mai 1873, mit welchem die Linien
Rakonitz-Jechnitz und Falkenau-Graslitz
unter Gewährung einer Steuerfreiheit bis
zu zwanzig Jahren sichergestellt werden
sollte, kam nur zur Hälfte, nämlich rück-
sichtlich der letztgenannten Linie und
auch da erst, nachdem durch ein späteres
Gesetz [30. April 1874] für dieselbe ein
Bauvorschuss von 1,500.000 fl. bewilligt
worden war, zur Durchführung.
Aehnlich erging es auch dem Gesetze
vom 22. April 1873 ; dasselbe bewilligte für
die westgalizischen Linien, denen schon
das Gesetz vom 29. Juni 1872 gegolten
hatte, nunmehr eine Staatsgarantie von
50.300 fl. pro Meile [jedoch ausschliess-
lich der Linie Bielitz-Saybusch-Csäcza,
der wieder nur eine zwanzigjährige Steuer-
freiheit zugestanden wurde], eventuell
die Ausführung der Linie Tarnöw-Lelu-
chöw auf Staatskosten, bei der es denn
auch sein Bewenden hatte, weil sich
jetzt ebensowenig ein Bewerber ein-
gestellt hatte wie bei der Offertverhand-
lung im December 1872.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
151
Vollends aufrecht blieb somit nur das
Gesetz vom 3. März 1873, weil es für
die Linie Divacca-Pola nebst Zweig-
bahn nach Rovigno die Concessionirung
mit einer Staatsgarantie von 43.800 fl.
pro Meile oder aber den Bau auf
Staatskosten zuliess und die Regierung
sich unter den obwaltenden Verhältnissen
gleich entschloss, von der letzteren
Facultät Gebrauch zu machen.
Ohne weitere Rücksichtnahme auf
die vorbezeichneten, zwar concessionirten
aber gleichwohl nicht ins Dasein getre-
tenen neuen Unternehmungen sowie
auch auf diejenigen der oben aufgezählten
neuen Linien, welche als Fortsetzungen
älterer Bahnen schon früherhin in Er-
örterung gezogen waren, nämlich : die
Linien Zellerndorf-Neusiedl [Seite 122],
Brüx-Mulde [Seite 117], Troppau-Vlara-
pass [Seite 104], Krima-Raizenhain
[Seite 46], Pilsen-Eisenstein und Mlatz-
foh. -Georgenstadt [Seite 107], ist an dieser
Stelle blos auf die restlichen sechs Con-
cessionen aus dem Jahre 1872 näher
einzugehen.
Reichenberg-Seidenberg nebst
Flügelbahn von Eisenbrod nach
Tannwald. Um die Ertragsfähigkeit
ihrer Stammlinien zu steigern, hatte die
Süd-norddeutsche Verbindungsbahn
schon seit Langem danach getrachtet, von
Reichenberg aus einen Anschluss an das
preussische Bahnnetz bei Görlitz zu er-
langen. In förmliche Bewerbung um die
Concession für diesen Fortsetzungsbau
trat sie jedoch erst im Jahre 1869. Da-
mals liefen auch zahlreiche Bittgesuche
von Industriellen des Reichenberger
Handelskammerbezirkes bei der Regie-
rung ein, in denen sie angegangen wurde,
dem unnatürlichen Zustande, dass der j
Verkehr zwischen der preussischen Lau-
sitz und Böhmen den grossen Umweg
über Zittau und Löbau nehmen müsse,
ein Ende zu machen.
Das Handelsministerium kam darum
den Bestrebungen der Bahngesellschaft
desto bereitwilliger entgegen, verlangte
aber die gleichzeitige Ausführung der ■
Zweigbahn von Eisenbrod nach Tann wald,
welche richtiger schon im Jahre 1857 hätte j
in die Trace der Süd-norddeutschen Ver-
bindungsbahn aufgenommen werden sollen,
weil sie durch industriebeflissene Gegen-
den und nicht, wie die dermalige Trace
jener Bahn, durch unwirthliche Gebiete
führt.
Die Süd-norddeutsche Verbindungs-
bahn entsprach diesem Verlangen und
bezog auch die Abzweigung in ihr Con-
cessions-Gesuch ein, jedoch ohne damit
etwas augenblicklich gewonnen zu haben;
denn das ganze Vorhaben stand noch
vor einem gewaltigen Hindernisse, näm-
lich dem Staatsvertrage mit Sachsen vom
24. April 1853, vermöge dessen die öster-
reichische Regierung gehalten war, inner-
halb eines Zeitraumes von 25 Jahren, ge-
rechnet vom Tage der Ertheilung der Con-
cession für die Zittau-Reichenberger
Bahn [19. September 1857], einen an-
deren unmittelbaren Bahnanschluss der
Stadt Reichenberg an die sächsischen
oder preussischen Bahnen, weder selbst
auszuführen, noch durch Andere ausführen
zu lassen [Art. 1, Abs. 6]. Die Regie-
rung konnte daher, erst nachdem diese
sonderbare Bestimmung durch den Staats-
vertrag mit Sachsen vom 24. December
1870 ausser Geltung gesetzt worden war,
den Gesetzentwurf über die Concessio-
nirung der Linie Reichenberg - Reichs-
grenze bei Seidenberg nebst der Zweig-
bahn von Eisenbrod nach Tannwald im
Reichsrathe einbringen. Dies geschah am
18. April 1871.
Das Abgeordnetenhaus nahm aber
sehr einschneidende Aenderungen an
der Regierungsvorlage vor, angesichts
deren die Gesellschaft sofort erklärte,
unter den nun gegebenen Bedingun-
gen die Concession nicht annehmen
zu können ; es war nämlich die Staats-
garantie von 55.200 fl. auf 51.600 fl.
pro Meile verringert und eine Bestim-
mung [Art. V] in das Gesetz eingeschaltet
worden, wonach die Gesellschaft, so-
bald die Regierung dies verlange, zur
Verlängerung der Flügelbahn von Tann-
wald über Gablonz bis Reichenberg und
zur Herstellung einer neuen Verbindung
mit der Nordwestbahn in der Richtung
von Neuschloss nach Tremosna ver-
pflichtet sein sollte. Das Herrenhaus, bei
welchem die Gesellschaft um die Ab-
lehnung jener neuen Verpflichtung peti-
152
Ignaz Konta.
tionirte, Hess nur die Linie Neuschloss-
Tremosna fallen und das Abgeordneten-
haus trat dieser Modification bei [3. Juli
1871]; die Verpflichtung zur allfälligen
Verlängerung der Flügelbahn über Ga-
blonz nach Reichenberg kam sohin auch
in dem Gesetze vom 19. Juli 1871 zum
Ausdrucke. Als Begründung hiefür wurde
der verlängerten Flügelbahn die Eigen-
schaft eines zweiten Geleises der Strecke
Eisenbrod- Reichenberg beigelegt.
Da aber weder der Verkehr eine
solche Ausgestaltung der Hauptbahn
erforderte, noch die finanzielle Lage
der Gesellschaft ihr diesen Luxus ge-
stattete, nahm sie Anstand, die ihr blos
als eine unnütze Belastung des Unter-
nehmens dünkende Verpflichtung einzu-
gehen. Aus diesem Umstände, wie nicht
minder auch deshalb, weil die Ueber-
prüfung der Bauprojecte, insbesonders
desjenigen, welches ein Comite von In-
dustriellen in Tannwald für die Flügel-
bahn Eisenbrod- Tannwald angefertigt und
nun der Gesellschaft überlassen hatte, die
Unzulänglichkeit der in dem erwähnten
Gesetze bewilligten Staatsgarantie ergab,
ging eine neuerliche Verzögerung der
Angelegenheit hervor. Erst nach lang-
wierigen Verhandlungen, bei denen u. A.
vereinbart wurde, dass die Regierung
den Ausbau der Strecke Tannwald-
Reichenberg keinesfalls früher verlangen
könne, als bis die Linien Eisenbrod-Tann-
wald und Reichenberg -Görlitz eröffnet
sein würden, dass sodann eine die neu zu-
gewachsenen Anlagekosten vollkommen
deckende Erhöhung der Staatsgarantie
platzgreifen solle [Z. IN des Protokolles
vom 19. November 1871], und dass bis
zur Eröffnung der letztgenannten Linie,
beziehungsweise längstens bis Ende 1874
noch die alten Personentarife*) einge-
hoben werden können [Handelsministerial-
1872], erklärte
zur Uebernahme
die ihr nun über
vom 3 1 . März
*). Anlässlich der Concessionirung der
Oesterreichischen Nordwestbahn wurde die
Süd-norddeutsche Verbindungsbahn als Mit-
concessionär der ersteren verpflichtet, die für
diese festgesetzten Tarife, und zwar die
Frachttarife ab I. Januar 1869, die Personen-
tarife sofort nach Eröffnung der Oesterreichi-
schen Nordwestbahn einzuführen [Handels-
ministerial-Erlass an die Concessionäre der
Oesterreichischen Nordwestbahn vom 3. Octo-
ber 1868].
Erlass vom 13. Februar
sich die Gesellschaft
der Concession bereit,
a. h. Entschliessung
1872 zutheil wurde.
Dieselbe gilt für die von Reichen-
berg über Friedland bis zur Reichs-
grenze bei Seidenberg führende
Fortsetzung der Hauptbahn und für die
Flügelbahn von Eisenbrod .nach Tann-
w a 1 d, welche Linien eine Staatsgarantie
bis zum Höchstbetrage von 51.600 fl.
pro Meile geniessen, verpflichtet aber die
Gesellschaft auch, über Verlangen der
Regierung, die Flügelbahn von Tannwald
über Gablonz bis Reichenberg zu ver-
längern, in welchem Falle die Staats-
garantie auf verfassungsmässigem Wege,
entsprechend den wirklichen Bau- und
Geldbeschaffungskosten erhöht wird. Im
Uebrigen enthält die Concessions-Urkunde
noch folgende wesentliche Bestimmungen :
Hinsichtlich der Staatsgarantie und der
Concessionsdauer werden die neuen Linien
als ein integrirender Bestandtheil der Süd-
norddeutschen Verbindungsbahn betrach-
tet ; die Steuerfreiheit währt neun Jahre und
kann diese Befreiung auch in der Weise
ausgeführt werden, dass die Entrichtung
der Einkommensteuer für die Süd-nord-
deutsche Verbindungsbahn nach Massgabe
des Verhältnisses der Länge der bestehen-
den Linie zu den neuen Strecken stattfindet;
die Vergebung der Bauarbeiten hat im
Wege der Offertausschreibung stattzufin-
den ; die Genehmigung desEmissionscurses
ist der Staatsverwaltung vorbehalten, er
darf jedoch keinesfalls 9O°/0 unter-
schreiten ; so lange die Gesellschaft noch
mit Rückzahlungen für Staatsvorschüsse
aushaftet, dürfen bei der Bemessung der
Frachtpreise die Strecken der Flügelbahn
Eisenbrod-Tannwald mit der I V« fachen
Länge gerechnet werden. Die vorläufig
offen gebliebene Vollendungsfrist für die
Hauptbahn wurde im Artikel I des am
21. Mai 1872 zu Berlin abgeschlossenen
Staatsvertrages mit dem Deutschen Reiche
auf spätestens den I. Juli 1874 anbe-
raumt; hinsichtlich der Flügelbahn war
sie mit zwei Jahren, gerechnet vom Tage
der Baubewilligung, festgesetzt.
Mit alldem war jedoch die Sicher-
stellune der neuen Linie noch immer nicht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
'53
vollständig erzielt ; die von Seite der Be-
gehungs-Commissionen geforderte • Ver-
mehrung derStationsanlagen, wie auch die
seit der Aufstellung des ersten Kosten-
voranschlages [1869] bedeutend in die
Höhe gegangenen Materialpreise und
Arbeitslöhne, machten es augenscheinlich,
dass mit der Staatsgarantie von 5 1.600 fl.
pro Meile, beziehungsweise mit dem
Nun erst waren auch die finanziellen
Schwierigkeiten, an denen der Bau zu
scheitern drohte, beseitigt.
Das Handelsministerium forderte sonach
mittels Erlasses vom 9. Mai 1873 die Ge-
sellschaft auf, die Bauarbeiten ungesäumt
in Angriff zu nehmen, mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln zu beschleunigen und
»nach Umständen binnen einer zu präci-
Abb. 82. Süd-norddeutsche Verbindungsbahn. [Abzweigung bei Eisenbrod.
[Nach einer photographiscben Aufnahme von H. Brix.]
durch sie bedeckten Anlage - Capitale
von 7,409.100 fl. das Auslangen nicht zu
finden sei, und veranlassten die Gesell-
schaft, beim Ministerium deswegen Vor-
stellungen zu erheben.
Erfreulicherweise ging dadurch nicht
neuerdings viel Zeit verloren ; Re-
gierung und Parlament konnten sich
der Richtigkeit der Thatsachen nicht
verschliessen ; jene brachte am 3. April
1873 einen die Erhöhung der Garantie
auf 59.800 fl. pro Meile bezweckenden
Gesetzentwurf ein und dieses erledigte
ihn so rasch, dass derselbe schon am
4. Mai 1873 als Gesetz sanctionirt wurde.
sirenden Erstreckung der, kraft des Staats-
vertrages vom 21. Mai 1872, mit I.Juli
1874 ablaufenden Baufrist zu vollenden«.
Der Verwaltungsrath legte, nachdem er
den Bau, auf Grund der am 20. Februar
1873 unter Mitwirkung der Regierung
durchgeführten Offertverhandlung, am
25. Mai 1873 losweise vergeben hatte,
die Bauverträge fünf Tage später dem
Ministerium vor und erwirkte hiebei die
Erstreckung des Vollendungstermines um
ein Jahr. Der Bau wurde auf der
Hauptlinie am 16. Juli, auf der Flügel-
bahn am 23. Juni 1873 begonnen und
rechtzeitig beendet ; die Eröffnung beider,
154
Ignaz Konta.
insgesammt S7"2 km langen Linien fand
termingemäss am I. Juli 1875 statt.
Das Bau-Capital wurde in dem ur-
sprünglich festgesetzten Betrage von effec-
tiv 7,409.100 fl. durch Ausgabe 5°/oi»er
Prioritäts- Obligationen beschafft, welche
ein Consortium [Liebieg & Comp., Dis-
conto-Gesellschaft], M. A. v. Rothschild
& Söhne, etc.] gleich im Jahre 1872 zum
Curse von g6-g°j0 auf feste Rechnung an
sich nahm. Für den auf Grund der
Garantie-Erhöhung noch zu beschaffenden
Ergänzungsbetrag von effectiv 1 ,488.606 fl.
gelangten im Jahre 1876 Gold-Prioritäten,
und zwar 7000 Stück ä 400 Reichsmark
zum Curse von 90 in Silber, beziehungs-
weise 95 in Banknoten zur Ausgabe.
Die Baukosten erreichten die Höhe von
9,700.000 fl.
Im Beginne ihrer Bewerbung: um die
eben besprochene Linie hatte die Süd-
norddeutsche Verbindungsbahn, wie be-
reits früher erwähnt [S. 37], die Fort-
setzungsstrecke Schwadowitz-Königshain-
Reichsgrenze eröffnet und zwar: Schwa-
dowitz-Königshain am I. August 1868,
Königshain-Reichsgrenze am 29. Decem-
ber 1869, deren Tracebeschreibung hier
nachgetragen wird.
Die Ergänzungsstrecke Schwadowitz-
Königshain-Reichsgrenz e liegt durch-
wegs in gebirgigem Terrain. Sie übersetzt das
Riesengebirge, beziehungsweise die Wasser-
scheide zwischen der Aupa und dem Bober-
flusse bei Königshain. Bedeutende Erdarbeiten
und Felssprengungen erschwerten den Bau.
Grössere Objecte [Viaducte] waren erforder-
lich bei Parschnitz, Gabersdorf, Krinsdorf und
Bernsdorf. Bei Saugwitz musste die Bahn
durch den Ruprechtsfelsen in einem Tunnel
geführt werden. [Abb. 80.]
Die Linie Reichenberg - Landes-
grenze [gegen Seidenberg] bildet die natür-
liche Fortsetzung der alten Hauptlinie Par-
dubitz-Keichenberg. Sie führt von Reichen-
berg aus etwa 2'4 km weit auf dem für zwei
Geleise angelegten Unterbaue der Zittau-
Reichenberger Bahn, und folgt dann nach
Uebersetzung des Neisseflusses dem Zuge
der Bezirksstrasse nach Friedland und erreicht
unter Anwendung einer Maximalsteigung von
14 3°/00 und mit Berührung des Ortes Einsiedel
die Wasserscheide des »Hemmrich«, zwischen
dem Gebiete der Neisse und Wittig in einem
Rücken des Isergebirges, der mit einem 528 m
langen Tunnel in einer Meereshöhe von
4l8'8 m übersetzt wird. Von hier fällt die
Trace bis Raspenau-Liebwerda und senkt
sich dann in das Thal des Wittigflusses,
welcher hinter der Station Friedland zweimal
überbrückt wird. Bei Weigsdorf ist die Bahn
bereits in die Niederungen der Wittig gelangt.
Nach nochmaliger Uebersetzung des ge-
nannten Flusses bei Bunzendorf und nach
Passirung der Haltestelle Tschernhausen, in
einer Meereshöhe von 2149 »«, zieht sie an
die Landes-, beziehungsweise Reichsgrenze,
um mit der 2"o66£m langen, fremden, jedoch
von der Süd-norddeutschen Verbindungsbahn
pachtweise betriebenen Fortsetzungsstrecke
nach Seidenberg zum Anschluss an die Berlin-
Görlitzer Bahn zu gelangen. [Abb. 81.]
Die Flügelbahn Eisenbrod - Tann-
wald zweigt in der Station Eisenbrod der
Hauptbahn ab, läuft mit dieser in östlicher
Richtung auf eine Strecke von vg km parallel,
übersetzt den Iserfluss und geht dann nördlich
im Thale des Kamenitzflusses in wechselnden
Steigungen und mit zweimaliger Ueber-
brückung des vielgekrümmten Flusses bis
zur Station Tannwald am Desselbach. In
dieser Strecke werden zwei Tunnels passirt
und Eugenthal undNawarow, dann die Station
Swarow berührt. [Abb. 82 — 84.]
Braunau - Strasswalchner
Bahn. Die für die Local-Interessen
des betriebsamen und an Naturproducten
reichen Mattigthales sowie als Wegkür-
zung für den Verkehr zwischen Braunau
und Salzburg, beziehungsweise auch
allen übrigen Stationen der Strecke
Salzburg-Lambach, und zumindest örtlich
wichtige Verbindung Braunau-Strasswal-
chen war ursprünglich in einem, dem
altgeplanten Projecte München-Salzburg-
Bruck a. M. [185 1] nachempfundenen
neueren Projecte [Braunau-Strasswalchen-
Salzkammergut-Bruck a. M.], welches die
Ingenieure J. Kitzler und H. Schellhorn
im Jahre 1864 ausgearbeitet hatten, mit-
enthalten. Als eine bis zum Anschlüsse
an die damals gleichfalls projectirt gewe-
sene »Mondsee-Bahn« verlängerte, selbst-
ständige Linie wurde sie im Sommer
1870 von dem Breslauer Handelshause
R e i s e w i t z und ein Jahr später auch von
der Industrie- und Commerzialbank für
Ober-Oesterreich projectirt, welcher letz-
teren sich hernach der Bauunternehmer
Karl Freiherr von Schwarz zugesellte.
Diese heimischen Bewerber, für welche
der Ingenieur Kitzler ein modificirtes
Project verfasste, beschränkten jedoch,
als ihnen nicht nur die angehoffte
25jährige Steuerfreiheit, sondern über-
haupt jede staatliche Begünstigung ver-
sagt blieb, das am 13. Januar 1872 über-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs
155
reichte eigentliche Concessions-Gesuch
lediglich auf die Linie Braunau-Strass-
walchen und nahmen die Fortsetzung
über Mondsee nach Ischl für späterhin
in Aussicht.
Gemäss des Protokolles vom 9. März
1872, mit welchem die Concessions-Ver-
handlungen ihren Abschluss fanden, hatten
die genannten Bewerber sich anheischig
gemacht, die Projecte für diese, nach dem
Auftrage des Handelsministeriums normal-
oder schmalspurig auszuführende Fort-
setzung binnen sechs Monaten vorzulegen.
In der vom 4. Mai 1872 datirenden Con-
cession selbst [§ 15] ist den Conces-
sionären auf die Dauer eines Jahres das
Vorrecht auf den Weiterbau eingeräumt ;
andererseits aber [§ 19 1 die Verpflichtung
auferlegt, die concessionirte Linie, wenn
die Staatsverwaltung dies »für noth wen-
dig oder zweckmässig erachten sollte,
über deren Verlangen an eine andere
Bahnunternehmung gegen Entschädigung
abzutreten«.
Die Durchführung der Concession
ging schnell und glatt von Statten. Das
Statut erhielt am 30. Juni 1872 die
behördliche Genehmigung, worauf dann
am 12. Juli 1872 die Constituirung der
Actien-Gesellschaft »k. k. priv. Brau-
nau-Strasswalchner Eisenbahn«
erfolgte. Das auf 5,000.000 fl. festgesetzte,
in 10.000 Actien ä 200 fl. und in 10.000
Prioritäts-Obligationen ä 300 fl. geglie-
derte Gesellschafts-Capital wurde von
dem Wiener Bankhause Weiss & Fischhof
im Vereine mit der Frankfurter Wechsler-
bank und der preussischen Creditbank
übernommen, hernach aber [Mitte Januar
1873] bis auf die für Fahrbetriebsmittel
reservirt gebliebenen 1750 Actien zur
öffentlichen Zeichnung [die Actien zu
75%, die Prioritäten zu 79ll2°lo] auf-
gelegt.
Den Bau hatte der Mitconcessionär, Karl
Freiherr von Schwarz, beziehungsweise
die von ihm errichtete »Oesterreichische
Eisenbahn-Baugesellschaft« pauschaliter
übernommen, im Juli 1872 begonnen und
in etwas mehr als Jahresfrist vollendet.
Die Eröffnung der 37-4 km langen Bahn
fand am 10. September 1873, also lange
vor Ablauf des concessionsmässigen Ter-
mines, statt. Die Führung des Betriebes
wurde an die Kaiserin Elisabeth-Bahn
übertragen, welche auch den Fahrpark
beistellte.
Noch während des Baues schritt die
Gesellschaft, unter Vorlage der Projecte,
um die Concession sowohl für eine normal-
spurige, als auch für eine schmalspurige
Eisenbahn von Strasswalchen über Mond-
see nach Ischl ein ; hiebei musste sie es
aber auch bewenden lassen, da die Auf-
rechthaltung des Stammunternehmens ihr
genug zu thun gab. Unvorhergesehene,
gar nicht für Bahnzwecke bestimmte
Mehrleistungen verursachten ein Bau-
deficit, welches, trotz der vom Handels-
ministerium diesfalls bewilligten Erhöhung
des Anlage-Capitals [12. Februar 1874]
um »vorläufig« 500.000 fl., nicht bedeckt
werden konnte, weil seit dem Ausbruche
der Krisis ungarantirte Titel keine Ab-
nehmer fanden.
Ueberdies liessen die Verkehrsverhält-
nisse Alles zu wünschen übrig; die Ein-
nahmen reichten nicht einmal an die Aus-
gaben hinan und, nachdem es aus dem
eben angeführten Grunde jetzt unmöglich
geworden, die zurückgelegten 1750 Actien
zur Anschaffung eigener Fahrbetriebsmittel
zu verwerthen, war die Gesellschaft ausser
Stande, den Betrieb in die eigene Hand
zu nehmen oder doch die Kosten der
fremden Betriebsführung herabzudrücken,
sondern blieb auf Gnade und Ungnade der
Kaiserin Elisabeth-Bahn überantwortet,
die nicht die mindeste Lust und nicht
das geringste Interesse hatte, sich zu
Gunsten der kleinen Concurrenzbahn, sei
es hinsichtlich der Ueberlassung von
Transporten, sei es hinsichtlich der Be-
triebskosten, irgend ein Opfer aufzuerlegen.
In der Anfangsperiode des Betrie-
bes half das Finanzirungs-Consortium
über die Schwierigkeiten hinweg, dann
aber ging es rasch abwärts. Für die Ein-
lösung des am I.Juli 1874 fällig gewor-
denen Prioritäten-Coupons konnten die
Geldmittel nicht mehr aufgebracht wer-
den. Weder der Verwaltungsrath noch
die am 22. Juni 1874 abgehaltene erste
ordentliche Generalversammlung wussten
Rath zu schaffen; jener erschöpfte seine
Weisheit darin, dass er den Platz räumte
und die Actionäre durften an sich und
an ihrem Unternehmen die Bitternisse
1.6
Ignaz Konta.
der Unterstützungs-Werbung und Bedürf-
tigkeit sowie nachher der »Sanirung«
erfahren.
DieTrace der B r au nau-Strasswa Ich-
ner Eisenbahn geht von der Station
Braunau der Elisabeth-Bahn über denMattig-
bach in fast stetem Gefälle in südöstlicher
Richtung über St. Georgen, Mauerkirchen,
Mattighofen, Munderfing, Friedburg nach
Steindorf - Strasswalchen wieder zur Ein-
mündung in die Elisabeth-Bahn. Die Terrain-
verhältnisse waren für den Bau überaus
günstige.
Kahlenberg-Bahn. Inmitten des
Hastens und Drängens nach Eisenbahn-
Projecten, welches zu Beginn der Sieb-
ziger-Jahre ein fast allgemeines war, ge-
langten auch solche zur Geltung, deren
Verwirklichung nicht eben wirthschaft-
lichen Bedürfnissen entsprach, sondern
vielmehr der Annehmlichkeit dienen sollte.
So wurde denn auch, angeregt durch die
Erfolge der Rigibahn, das System der-
selben nach Oesterreich verpflanzt, und
die Anlage von Zahnradbahnen auf die
Sophienalpe, die Raxalpe, den Schneeberg,
die Schmittenhöhe, den Schafberg und
den Kahlenberg in Anregung gebracht.
Bis zur Concessionirung sind aber damals
nur die beiden letztgenannten gediehen.
Zur Ausführung kam nur die Kahlenberg-
Bahn, um deren Zustandebringung sich
der Ingenieur der Staatseisenbahn-Gesell-
schaft, Karl M a a d e r, seit dem Jahre
1871 bemüht hatte.
Mit ihm in Verbindung standen die
Erbauer der Rigibahn, Nikolaus Riggen-
b a c h und Olivier Zschokke, ferner
der Baurath Achilles Thommen und der
Advocat Dr. Josef Wini warter. Sodann
befasste sich noch ein zweites, von Victor
V. Ofenheim gebildetes Consortium mit
einem gleichen Projecte, machte jedoch
binnen Kurzem gemeinsame Sache mit
den ersten Bewerbern, denen schliesslich
auch die Unionbank beigetreten war.
Die Concessionirung erfolgte auf Grund
der a. h. EntSchliessung vom 6. Juli 1872,
mittels deren der Handelsminister er-
mächtigt wurde, »die von der Unionbank
in Verbindung mit den Consortien des
Nikolaus Riggenbach und des Victor
Ritter von Ofenheim angesuchte Con-
cession zum Baue und Betriebe einer
Locomotivbahn mit Zahnradbetrieb von
Nussdorf auf den Kahlenberg zu ertheilen
und auch in Zukunft für ähnliche
Bergbahn- Unternehmungen mit
der Bewilligung zum Baue und
Betriebe vorzugehen«. Es war
also das Maader'sche Project, welches
den Eisenbahnen dieser Gattung in
Oesterreich Eingang verschaffte.
Leicht gemacht war ihnen das Zustan-
dekommen übrigens nicht ; denn während
sie selbstverständlich zu den grösstmög-
lichsten Sicherheits- Vorkehrungen sowie
dazu verpflichtet wurden, alle Bauten so-
gleich definitiv aus Eisen und Stein herzu-
stellen, und auch verschiedene Leistungen
nach Art der anderen Eisenbahnen auf sich
nehmen mussten, erfreuten sie sich keiner
staatlichen Begünstigung, ja nicht einmal
des Enteignungsrechtes.
Die Kahlenberg - Bahn hat diesen
Mangel schwer empfunden; denn die
Anrainer derselben machten sich ihn
weidlich zunutze, und die Unionbank
nahm ihn zum Vorwande, die über-
nommene Finanzirung des Unternehmens
wieder zurückzulegen, wodurch der Bau
erheblich verzögert wurde. Derselbe
begann erst im April 1873, nachdem der
Baseler Bankverein und die Bank von
Winterthur ihn um das auszugebende
Actiencapital von 2,000.000 fl. über-
nommen hatte. Die Constituirung der
»Kahlenberg -Eisenbahn -Gesell-
schaft, System Rigi« mit einem Grund-
Capitale von, wie gesagt, 2,000.000 fl.,
zerlegt in 20.000 Actien ä 100 fl., fand aut
Grund der am 20. April 1873 behördlich
genehmigten Statuten am 10. Mai 1873
und die Eröffnung der 5-5 km langen
Bahn am 7. März 1874 statt. Mit Ende
eben dieses Jahres betrugen ihre Anlage-
kosten 1,796.950 fl.
Weitere Angaben, insbesondere über
die technische Ausführung der Bahn,
sind einem späteren Capitel, welches
ausschliesslich den kleineren, örtlichen
Schienenwegen gewidmet ist, vorbehalten.
Wien - Pottendorfer Eisen-
bahn. Zuerst als Ausgangsstrecke der
im Jahre 1 869 von Stephan T ü r r ge-
planten grossen Schienenstrasse gedacht,
welche von Wien über Pottendorf und
Oedenburg bis hinab an die türkische
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
157
Grenze zum Anschlüsse an die orienta-
lischen Bahnen führen sollte, sodann in
dem Graf Barthenheim'schen Projecte
Wien-Ebenfurth-St. Polten und in anderen
zur selben Zeit [1869 — 1871] in der
Richtung gegen die ungarische Grenze
projectirt gewesenen kleinen Schienen-
wegen inbegriffen, wurde die Linie Wien-
Pottendorf das Object mannigfacher Be-
werbungen, deren Zahl allmählich bis auf
13 anwuchs. Von allen diesen Projecten
erwiesen sich jedoch nur drei als wirklich
brauchbar, nämlich jenes des Wiener
Bankvereines [Wien-Ebenfurth-Ungarische
Grenze], dann des Freiherrn von Erlanger
[Inzersdorf-Ebenfurth] und des Consor-
tiums Schoeller-Liebieg [Wien-Ebenfurth-
Ober-Piesting, eventuell Gutenstein].
Gegen den Wiener Bankverein eifer-
ten aber die Wiener Handelskammer und
einige Tagesblätter, weil er Beziehungen
zur Südbahn habe, was auch wirklich der
Fall gewesen sein mag. Für die Regierung
konnte dies aber umsoweniger einen
Ausschliessungsgrund bilden, als die Süd-
bahn, vermöge ihres concessionsmässigen
Vorrechtes, ohnehin eines oder das an-
dere Project hätte selbst verwirklichen
können.
Andere Stimmen wieder machten
zu Gunsten des Wiener Bankvereines
geltend: seine Capitalskraft, welche die
sichere Ausführung der Bahn verbürgte,
ferner die Bereitwilligkeit der Südbahn,
einen Betriebs vertrag mit ihm einzugehen
und der neuen Linie jene Frachtmengen
zuzuwenden, welche die alte Strecke
Wien -Wiener -Neustadt zu ihrer Ent-
lastung abzugeben vermag, was als eine
Gewähr für den guten Bestand der neuen
Unternehmung volle Beachtung verdiente.
Die Südbahn hat eben, im Gegensatze
zu anderen grossen Bahnen [z. B. der
Kaiserin-Elisabeth-Bahn in Ansehung
Abb. 83. Süd-norddeutsche Verbindungsbahn. [Nawarow, Strecke Eisenbrod-Tannwald.]
153
Ignaz Konta.
der Neumarkt-Braunauer oder gar der
Braunau-Strasswalchner Bahn], die un-
abwendbar gewordenen kleinen Con-
currenzlinien nicht bekriegt, vielmehr
dieselben rechtzeitig als Hilfsrouten für
sich zu gewinnen und zu benützen ge-
wusst.
Der Wiener Bankverein erhielt also
am 10. September 1872 die Conces-
sion für eine von Wien über Inzers-
d o r f nach Pottendorf und an die
ungarische Grenze gegen Oedenburg
führende Eisenbahn, deren Bau binnen
acht Monaten zu beginnen und bis
längstens 10. Mai zu vollenden war.
Eine staatliche Begünstigung genoss die
Bahn nicht ; sie gelangte aber bald zu
einer Art mittelbaren Zinsengarantie.
Der Wiener Bankverein hatte nämlich
die noch im Jahre 1872 mit den Conces-
sionären der Wiener-Neustadt-Grammat-
Neusiedler Bahn [siehe Seite 93] verein-
barte Verschmelzung dieser mit der Wien-
Pottendorfer Bahn zu einem Unternehmen,
auf Grund deram 10. April i873erflossenen
principiellen Genehmigung des Handels-
ministeriums durchgeführt und bei diesem
Anlasse die Verpachtung des Betriebes
der vereinigten Bahnen an die Südbahn
auf die ganze Dauer der Concession
und gegen einen unabänderlichen
Pachtschilling von jährlich 550.OOO fl.,
d. i. eines Betrages, welcher die
5°/0ige Verzinsung und Tilgung des mit
10,770.000 fl. bemessenen Anlagekapi-
tals deckt, zuwege gebracht.
Die Verhandlungen über die genaue
Festsetzung aller Einzelheiten des Betriebs-
vertrages und der hiernach einzurichtenden
Statuten der vereinigten Bahnen zogen sich
zwar in die Länge, thaten aber der ganzen
Transaction als solcher keinerlei Eintrag.
Die Statuten erhielten am 30. März 1874
die behördliche Genehmigung, worauf dann
am 6. Juni 1874 die Constituirung der
Actien-Gesellschaft » W i en-P ottendorf
— Wiener-Neustädter Bahn« vorsieh
ging ; der Vertrag über die Verpachtung
des Betriebes wurde [nach vorausge-
gangener Zustimmung seitens der ausser-
ordentlichen Generalversammlung der
Südbahn vom 3. Juni 1874] am 21.
und 22. Juni 1874, mit Wirksamkeit
vom 1. Januar 1875, definitiv abge-
schlossen*) und am 7. August 1874
staatlich genehmigt.
Von dem Anlage-Capital der neuen
Gesellschaft, welches, wie erwähnt,
10,770.000 fl. beträgt [21.950 Actien
! ä 200 fl. und 31.900 Prioritäts - Obli-
gationen ä 200 fl.], wurden 26.400 Priori-
täts-Obligationen am 25. November 1874
durch die Allgemeine Oesterreichische
Bodencredit- Anstalt zum Curse von 89°/,,
zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt.
Den Bau führte die Unternehmung Hügel
und Sager, unter Aufsicht der Baudirection
der Südbahn, in der Zeit vom Mai 1873
bis Ende April 1874 soweit aus, dass
die 26-1 km lange Linie M e i d 1 i n g-
Pottendorf und die 1 -3 km lange V e r-
; bindungzur Donaulände bei Mitbe-
nützung einer 3-7 km langen Theilstrecke
der Donauländebahn dem Betriebe über-
geben werden konnte. Die Eröffnung der
restlichen eigenen, 5 km langen, Strecke
Meidling-Inzersdorf und mit ihr jene
der ganzen Linie [ohne weitere Mitbe-
nützung der genannten fremden Bahn]
fand am 3. November 1875 statt.
Bis dahin war es der Gesellschaft auch
gelungen, eine Gleichstellung ihrer beiden
, Concessionen zu erzielen ; dieselbe er-
, folgte mittels des Gesetzes vom 24. März
1875, welches die der Wiener-Neustadt-
Grammat-Neusiedler Bahn zugestandene
fünfzehnjährige Steuerfreiheit aufhob, hin-
gegen der vereinigten Wien-Pottendorf-
*) Der Vertrag enthält u. A. die folgen-
den hauptsächlichen Bestimmungen: Die
Pachtlinien werden der Südbahn in einem
| vollkommen betriebsfähigen und ausgerüste-
| ten Zustande übergeben und sie kann die-
selben so benützen, als ob sie deren Eigen-
thümerin wäre, muss aber auch alle Betriebs-,
Erhaltungs- und Erneuerungskosten, Steuern
und sonstige Lasten allein tragen. Für die
Besorgung des Dienstes der allgemeinen
\ Verwaltung erhält sie jährlich 1500 fl. und
als Betriebs -Reserve 200.000 fl ein für alle
Mal von der verpachtenden Gesellschaft,
1 auch werden ihr 750 Actien der Wien-Potten-
dorf-Wiener-Xeustädter Bahn überantwor-
J tet Die Südbahn hingegen entrichtet in Seme-
stralraten [Januar — Juli] einen unveränder-
lichen Pachtschilling von jährlich 550.000 fl ,
der in keinem Falle, auch nicht wegen ausser-
ordentlicher Unglücksfälle, eine Schmälerung
erleiden darf. Ausserhalb der Vertrags-
bestimmungen hat die Südbahn weitere
100.000 fl. als Specialreserve für etwaige
künftige Reconstructionen erhalten.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
159
Wiener - Neustädter Bahn eine sieben-
jährige Steuerfreiheit zusprach und die
Concessionsdauer für beide Bahnen ein-
heitlich auf neunzig Jahre, gerechnet vom
1. Januar 1875 an, festsetzte.
Anlässlich der Verlautbarung dieser
abgeänderten Concessions-Bestimmungen
wurde die Gesellschaft überdies von der
Verpflichtung zum Ausbaue der Theil-
strecke Pottendorf-Ungarische Grenze »bis
auf Weiteres« enthoben [Kundmachung des
Handelsministeriums vom 3. Juli 1875].
Solcherart nach innen und aussen aller
Sorge überhoben, führt die Gesellschaft
ein still-behagliches Dasein.
Die Linie Meidling-Pottendorf
zweigt am südlichen Ende der Station Meid-
ling aus der Südbahnhauptlinie ab, durch-
schneidet in südwestlicher Richtung, und zwar
in einem 1200 m langen, bis 9 in tiefen
Einschnitte den Wienerberg, wendet sich
dann gegen Osten und läuft längs des
Wienerberges fort bis zu dem Punkte, wo
sie die Donaulände-Bahn der Elisabeth-Bahn
übersetzt; dann wendet sich die Trace wieder
fegen Süden, um die Hauptrichtung fortan
is zur Einmündung in die Linie Wiener-
Neustadt-Grammat-Neusiedl bei Wampers-
dorf beizubehalten.
Die Trace, welche nur kleine, der Donau
zumessende Gewässer übersetzt, berührt die
Ortschaften: Inzersdorf, Hennersdorf, Achau,
Münchendorf und Ebreichsdorf.
Die Bauausführung war, besonders in
der Strecke Meidling -Inzersdorf, wo ein
mächtiger Damm herzustellen war, eine ziem-
lich schwierige.
Chotzen-Neusorge nebst Flü-
gel bahnen. Gestützt auf die bei den
Friedensverhandlungen in Prag getroffene
und in der Ministerial - Erklärung vom
27. August 1866 [P. 2] zum Ausdrucke ge-
brachte Vereinbarung, dass es der preussi-
schen Regierung gestattet sein solle, die
schlesische Gebirgsbahn auf österreichi-
schem Gebiete, nämlich über Braunau [in
Böhmen] nach Glatz zu führen, haben die
benachbarten preussischen Haandelskam-
mern sogleich und mit grossem Uebereifer
die Herstellung einer Eisenbahn durch das
»Braunauer Ländel« befürwortet, jedoch
ohne Erfolg, weil die preussische Regie-
rung es vorzog, die Fortsetzung der
schlesischen Gebirgsbahn auf durchwegs
preussischem Gebiete zu bewerkstelligen.
Die Stadt Braunau und das »Ländel«
brauchten sich aber darob nicht zu
grämen ; denn alsbald begann daheim eine
Rührigkeit, welche ihnen die Einbeziehung
in das vaterländische Eisenbahnnetz ver-
schaffte.
Im Jahre 1869 projectirte der Brau-
nauer Fabrikant Johann Schroll die Ver-
bindung Chotzen-Braunau und später hat
das Consortium des Fürsten Johann
Colloredo-Mannsfeld erst allein, nachher
in Gemeinschaft mit der Breslau-Schweid-
nitz-Freiburger Bahn, eine von Otten-
dorf über Braunau, Neusorge, Nachod,
Opoöno und Tyniät nach Chotzen [mit
einer Variante von Opoöno über Reichenau
nach Wildenschwert] führende Eisenbahn
nebst Anschlüssen an die preussischen
Bahnen von Ottendorf nach Neurode
und von Neusorge nach Friedland, wie
auch einer Flügelbahn von Nachod nach
Skalitz, eventuell von Neustadt nach
Josefstadt angestrebt. Im Jahre 187 1
bewarb sich um diese Linien auch
die Staatseisenbahn-Gesellschaft,
welche zum Ersätze für die ihr entgan-
gene Linie Wildenschwert-Mittelwalde
einen anderen Anschluss an das preus-
sische Bahnnetz suchte und ebenfalls von
der vorbezeichneten preussischen Gesell-
schaft — die damals zur Verlängerung
ihrer Linien nördlich bis Stettin und
Swinemünde und südlich bis zur böhmi-
schen Grenze ermächtigt worden war —
die Einladung zur Verbindung der bei-
derseitigen Bahnnetze erhalten hatte
oder, nach einer anderen Version, weil
sie vom Handelsministerium zur Bewer-
bung aufgefordert war und bewog das
genannte Consortium, zu ihren Gunsten
zurückzutreten, was dasselbe am 16. Juli
1872 auch wirklich that
Daraufhin fanden die Concessions-
Verhandlungen mit der protokollarischen
Vereinbarung vom 25. Juli 1872 ihren
Abschluss. Die Staatseisenbahn-Gesell-
schaft nahm, gleichwie vor ihr das Con-
sortium, keinerlei staatliche Begünsti-
gung in Anspruch und bewilligte über-
dies, einem Verlangen des Ministe-
riums entgegenkommend, die Zulassung
eines landesfürstlichen Commissärs zur
Ueberwachung ihres Unternehmens, die
sie, weil durch die Concessionen für ihre
älteren Linien hiezu nicht verpflichtet,
bislang immer abgelehnt hatte.
i6o
Ignaz Konta.
Die Staatseisenbahn - Gesell-
schaft erhielt demnach am 14. Septem-
ber 1872 die Concession für die Linie
C h o t z e n-N e u s o r g e mit Anschlüssen
einerseits über B r a u n a u gegen N e u r o d e,
andererseits gegen Waidenburg und
einer Zweigbahn von der Strecke Neu-
stadt-Nachod an einen geeigneten
Punkt der Süd-norddeutschen Verbindungs-
bahn, und gewann damit eine gegenüber
allen Concurrenzlinien kürzeste Route
für den Verkehr mit Berlin sowie von
Pest ab auch mit Breslau und darüber
hinaus. Die neue Linie, deren Bauzeit
auf längstens drei Jahre festgesetzt war,
gilt im Allgemeinen als ein integrirender
Bestandtheil des alten gesellschaftlichen
Netzes, doch muss [gemäss § 9 der Con-
cessions-Urkunde] für sie eine abgeson-
derte Betriebsrechnung geführt werden,
wenn die Gesellschaft in die Lage kommt,
die für die älteren Linien gewährte Staats-
garantie wirklich in Anspruch zu nehmen.
Die ausserordentliche Generalversamm-
lung vom 23. Mai 1873 gab dem Ver-
waltungsrathe, bei gleichzeitiger Geneh-
migung der Concessions-Erwerbung, die
Ermächtigung zur Beschaffung des für
die neue Linie erforderlichen Capitals
von 15,000.000 fl. durch eine Prioritäten-
Emission, und dieser entschied sich
für die Ausgabe von 75.000 Stück
5 °/0 iger [ungarantirter] Obligationen
ä 200 fl., welche im November 1873
durch die Credit-Anstalt zum Curse von
ioo1/^ an die Darmstädter Bank be-
geben wurden.*)
*) Eine weitere und zu Beginn des Jahres
1875 von denselben Banken, jedoch zum Curse
von 1031/», übernommene Serie 5%iger [un-
garantirter] Prioritäts-Obligationen im Nomi-
nalbetrage von 16,000.000 fl. gelangte über
Beschluss der ausserordentlichen General-
versammlung vom 18. Juli 1874 zur Ausgabe.
Diese Emission diente zur Deckung von Er-
fordernissen des alten Netzes, insbesondere
aber zur Ablösung der »Gründerrechte«,
welche, fussend auf einer merkwürdigen Be-
stimmung [Art. 45] der ursprünglichen Statuten
der Staatseisenbahn-Gesellschaft, den
Gründern der letzteren vorweg eine lo°/0ige
8uote der jährlichen Reinerträgnisse des
nternehmens zusprachen. [Vgl. hierüber auch
Bd. I, 1. Theil, S. 325 und 385 u. ff.] Etwa den
vierten Theil dieses Tributes bezog die Societe
generale de credit mobilier, welche sich diesen
werthvollen Genuss durch ihre ursprüngliche
Der Bau, dessen Vergebung an
die Unternehmung Hügel & Sager
in zwei Partien, nämlich rücksicht-
lich der Strecke Chotzen - Bodisch
nebst Flügelbahn Wenzelsberg-StarkoC
[87-4 km] am 2. Mai, rücksichtlich der
Strecken Bodisch-Halbstadt und Otten-
dorf [21-3 km] am 19. December 1873
erfolgte, begann auf der ersteren Anfangs
August 1873, auf der letzteren im' Früh-
jahre 1874 und nahm einen ungestörten
Fortgang; es wurden eröffnet: die Linie
Chotzen - B raunau- Ottendorf
[103-2 km] am 26. Juli 1875 und die
Flügelbahn Wenzelsberg-Starkoc
[2-3 km] am I. Februar 1876 für den
Güter-, beziehungsweise am 5. Februar
1876 für den Gesammtverkehr.
Dadurch dass der zur Regelung der
gegenseitigen Eisenbahn - Verbindung
Chotzen - Halbstadt - Friedland - Altwasser
erforderlich gewesene Staatsvertrag
zwischen Oesterreich-Ungarn und dem
Deutschen Reiche erst am 2. März 1877
zum Abschlüsse kam und die ganze
Route erst am 15. Mai 1877 für den
internationalen Verkehr aufgeschlossen
wurde, konnte bis dahin die Chotzener
Linie vorerst nur dem Localverkehre
dienen. Am letztbezeichneten Tage ge-
langte auch die Grenzstrecke Halbstadt-
Neusorge [nebst Verbindungsgeleise
3-2 km lang] zur Eröffnung; ihr Be-
trieb ist der fremden Nachbarbahn über-
lassen, welche hiefür sowie für die Mit-
benützung des Bahnhofes Halbstadt eine
der Verzinsung des betreffenden Anlage-
Capitals entsprechende Vergütung leistet.
Zeichnung gesellschaftlicher Titel und durch
spätere Erwerbungen verschafft hatte. Diese
guote wurde schon im Jahre 1869 um den
etrag von 2,000 000 Francs eingelöst. Gleich
damals ermächtigte die Generalversammlung
den Verwaltungsrath, die, eigentlich schon
im Jahre 1857 versuchte Einlösung fortzu-
setzen, was anlässlich des Ablebens des
Herzogs von Morny [1870], der 1j,„ der An-
theile besass, geschah. Um nun jener lästigen
Verpflichtung vollends ledig zu werden,
widmete die Generalversammlung vom 13.
Juni 1871 diesem Zwecke den dritten Theil
der damals beschlossenen Emission von
150.000 Actien. Die Gründer lehnten aber
den Bezug der Actien, beziehungsweise den
Verzicht auf ihre Rechte ab So wurde denn
jetzt die Einlösung mit Hilfe der Prioritäten-
Emission bewerkstelligt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
161
Zu jener Zeit hatten die Anlagekosten
der Linie Chotzen-Neusorge nebst Flügel-
bahn die Höhe von 15,884.450 fl. erreicht.
Die Linie Chotzen-Braunau-Neu-
sorge [und Neurode] besteht aus der Haupt-
linie Chotzen-Halbstadt-Landesgrenze gegen
Neusorge und den Abzweigungen einerseits
von Halbstadt über Braunau nach Ottendorf
an die Grenze gegen Neurode und anderer-
seits von Wenzelsberg nach StarkoC. Die
Trace nimmt ihren Ausgangspunkt in der
Station Chotzen ; führt bei einer anfänglichen
Höhe von 268 in über dem Adriatischen
Meere an Oujezd, C'erma-Jeleni und Boro-
hradek vorüber nach TyniSt [Anschluss an
die Nordwestbahn] an den Lehnen längs
des Adlerflusses unter günstigen Terrain-
verhältnissen. Vor dieser Station wird der
genannte Fluss übersetzt. Ab Tynis't läuft die
Bahn bis in die Nähe von Bolehöät parallel
mit der Nordwestbahn, übersetzt dann die
letztere und zieht in weniger günstigem
Terrain über Opocno und Bohuslavic nach
Neustadt an der Mettau, die Mettau über-
setzend. Von dieser Station an, sich zur aus-
gesprochenen Gebirgsbahn entwickelnd, zieht
die Trace mit theilweisen Steigungen von
1 : 70 zur Wasserscheide auf dem Wenzelsberg
[369 in über dem Meere] empor, berührt
dann die Stationen Nachod und Hronov und
durchfährt nächst Politz einen 289 in langen
Tunnel, passirt die weiteren Stationen
Matha-Mohren und Weckelsdorf und ge-
winnt bei Ueberschreitung der Wasserscheide
bei Bodisch [479 in über dem Meeresspiegel]
den höchsten Punkt der Bahn, von welchem
aus sie wieder abfällt, um über Halbstadt
einerseits zum Anschlüsse an die Breslau-
Schweidnitz-Freiburger Bahn bei Neusorge
und andererseits über Braunau nach Otten-
dorf und die Landesgrenze gegen Neurode
zu gelangen.
Die Abzweigung von Wenzelsberg nach
StarkoS stellt die Verbindung mit der Süd-
norddeutschen Verbindungsbahn her.
Salzburg-Tiroler Bahn. Salz-
burg mit Steiermark zu verbinden, hatte
die Regierung schon im Jahre 1842,
also gleich nachdem sie die weitere
Schaffung von Eisenbahnen in die eigene
Hand genommen, beabsichtigt. Der nach-
malige Erfinder des Kettenbrücken-
Systems für Locomotivbahnen, Friedrich
Schnirch*) [geboren im Jahre 1791 zu
Patek in Böhmen], war mit den ersten
Studien der Tracen betraut; er »recognos-
cirte« zwei von der südlichen Staatsbahn
gegen Westen zum Anschlüsse an die bay-
rischen Bahnen führende Linien, eine von
*) Vgl. Bd. I, 1. Theil, S. 315, Abb. 298.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Wien, die andere von Brück a. M. aus-
mündend; desgleichen einige Neben-
varianten. Nach Beendigung seiner
Aufgabe, befürwortete er eine von Wien
über Klosterneuburg, St. Polten, Melk,
Amstetten, Linz und Salzburg an die
Reichsgrenze zu erbauende Linie und
erklärte die Linie Brück a. M.-Radstadt-
Salzburg, sowohl wegen ihrer Kostspie-
ligkeit, als auch wegen ihrer nur geringen
Anwartschaft auf gute Erträgnisse, für
nahezu unausführbar.
Das verschlug jedoch nicht, dass die
QuerlinieBruck a.M. -Salzburg noch weiter-
hin bevorzugt blieb und auch in dem Staats-
vertrage mit Bayern, vom 2 1 . Juni 1 8 5 1 , aus-
drücklich als diejenige bezeichnet wurde,
die zunächst gebaut werden sollte. Ver-
muthlich war hiefür die kleinere Bau-
länge und etwa auch die Meinung: mass-
iv ö
gebend, dass für die südliche und die
westliche Route eine gemeinsame Aus-
mündungsstrecke [Wien - Brück a. M.]
genüge. Neuerliche, sehr eingehende
Untersuchungen der Trace führten aber
alsbald zu der Ueberzeugung, dass, in-
solange die directe Verbindung Salz-
burgs mit Linz und dem Donauthale
bis Wien fehle, die Zeit zum Baue einer
Eisenbahn von Salzburg durch die Berge
hinab zur Südlinie noch nicht gekommen
sei, schon aus dem Grunde, weil diese
Gebirgsbahn auch einen verhältnismässig
viel zu grossen Geldaufwand in An-
spruch nehmen müsste. Es wurde daher
mit Bayern eine neue Vereinbarung
getroffen [Staatsvertrag vom 21. April
1856], wonach der österreichischen Re-
gierung lediglich die Verpflichtung zur
Herstellung einer »directen Bahn von
Wien nach Salzburg« zufiel.
Seitdem ward der » Salzburgischen
Gebirgsbahn« nicht mehr viel gedacht,
bis die Landtage von Steiermark, Tirol
und Salzburg nach ihr zu verlangen anfin-
gen [1867 — 1869]. Damals waren die
Schienenstränge von Brück a. M. aus schon
bis Rottenmann vorgedrungen, und Karl
Ganahl, der mit seinen eifrigen Bestrebun-
gen um die Arlberg-Bahn nun auch jene um
die Linien von Innsbruck über Mittersil und
St. Johann nach Rottenmann, ferner von
St. Johann nach Salzburg verknüpfte,
fand bei den genannten Vertretungskörpern
11
IÖ2
Ignaz Konta.
eine lebhafte Unterstützung seines Pro-
jectes, die übrigens den nachher auf-
getauchten Concurrenzprojecten*) auch
nicht vorenthalten blieb. Die Wünsche
wurden also immer lauter und dringen-
der, Regierung und Gesetzgebung mit
Petitionen der Landesausschüsse, Handels-
kammern, Gemeinden und Industriellen
überschüttet. Dazu kamen weiter die
alten Klagen, dass der einzige Eisenbahn-
weg von Salzburg nach Tirol über aus-
ländisches Gebiet führe.
Natürlich konnte und wollte die Re-
gierung alldem nicht gleichgiltig gegen-
überstehen ; sie würdigte vollauf die Bedeu-
tung der vielverlangten Linie, sowohl als
einer unmittelbaren, durchwegs über inlän-
disches Gebiet führenden Eisenbahn -Ver-
bindung zwischen Tirol, Salzburg und
Steiermark, wie auch als Anschluss der
Nordtiroler Linie der Südbahn an das
innerösterreichische Bahnnetz, beziehungs-
weise als Verbindung der Kaiserin Elisa-
beth-Bahn und der Kronprinz Rudolf-Bahn
mit der Nordtiroler Bahn und als Mittel zur
Förderung der industriellen Entwicklung
und des Fremdenverkehres der berührten
Gebirgsgegenden. Sie hatte darum schon
in der Gesetzes vorläge vom 13. März
1869 [Art. II, Z. 4, lit. b und c] be-
zügliche Linien unter denjenigen Bahnen
aufgezählt, deren Sicherstellung »in erster
Reihe aus allgemeinen staatlichen und
volkswirthschaftlichen Gründen« zu be-
wirken sei; sie hatte ferner, nach der
Zurückziehung dieser Vorlage, noch im
selben Jahre die Salzburg-Halleiner Bahn
[s. S. 93] auf Grund des Steuerbefreiungs-
Gesetzes vom 20. Mai 1869 concessionirt
und hiebei Bestimmungen getroffen, die
ihren Vorsatz, auch die Fortsetzungslinien
nach Tirol und Steiermark sicherzustellen,
deutlich bekundet.
Aber es fehlten ihr die Hilfskräfte zur
Ueberprüfung oder auchVervollständigung
*) Nach Ganahl hatten proiectirt: der
General-Director der Kronprinz Rudolf-Bahn
Georg Aichinger eine Verbindung zwischen
Obersteiermark, Salzburg und Tirol, die aber
von Reifling aus auch bis Wien reichen sollte
[1868], und die Grafen Gatterburg und Barth-
Barthenheim eine Salzburg-Tiroler Bahn
mit Verlängerungen durch Böhmen, Mähren
und Schlesien bis an die preussische Grenze
[1869].
von grossen und schwierigen Eisenbahn-
Projecten. Die gründlicheVornahme dieser
Arbeit war erst möglich geworden, als der
Handelsminister Dr. Seh äff le im Jahre
1871 einen eigenen Nachtrags-Credit für
diese Zwecke erwirkt hatte. Bis dahin
war auch der Concessionär der Salzburg-
Halleiner Bahn, Karl Ritter von Schwarz,
in die Bewerbung um die Linien von
Rottenmann nach Salzburg und Tirol
eingetreten, mithin die Zahl der bezüg-
lichen Projecte wieder gewachsen, und
nachdem dieselben, wenn auch hinsicht-
lich der Hauptrichtung der Trace überein-
stimmend, so doch in den Einzelheiten
vielfach verschieden und mangelhaft
waren, dauerte es bis in den Spätherbst
des Jahres 1871, bevor die General-
Inspection das für die genaue Be-
urtheilung der entsprechendsten Aus-
führungsmodalitäten erforderliche Operat
erstellt hatte.
Nun beeilte sich die Regierung, den
vielen Urgenzbeschlüssen der Landtage,
und insbesondere der gleichgearteten,
am 15. Juni 1871 vom Abgeordneten-
hause beschlossenen Resolution gerecht
zu werden, indem sie einen, die Sicher-
stellung jener Linien betreffenden Ge-
setzentwurf vorbereitete und am 23.
Januar 1872 dem Abgeordnetenhause
vorlegte. Derselbe lautete im Wesent-
lichsten dahin, dass die Regierung er-
mächtigt werde, die gedachten Linien
entweder auf Staatskosten auszuführen
oder zu concessioniren, und im letzteren
Falle für die ganze Bahn, einschliesslich
der seitens des neuen Concessionärs ein-
zulösenden Salzburg-Halleiner Bahn, eine
Staatsgarantie von 56.990 fl. pro Meile
zu gewähren, die einem Nominal-Anlage-
Capital von 1 , 1 39.840!!. entspricht, welches
wieder [laut der Denkschrift zum Gesetz-
entwurfe] sich auf die von der General-
Inspection mit effectiv 30,790.684 fl. oder
bei Hinzuzählungf der Geldbeschaffungs-
kosten [2O°/0] und der Intercalarzinsen
etc. mit nom. 40,806.307 fl. berechneten
Gesammtkosten der 35 -8 Meilen langen
Bahn stützte.
Das Abgeordnetenhaus stimmte der
I Vorlage im Allgemeinen zu [1. März],
verringerte jedoch, weil es den Bege-
I bungscurs der Werthe höher veran-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
163
schlagte, die Garantieziffer auf 54.400 fl.
pro Meile ; auch nahm es in das Gesetz
eine Bestimmung auf [Art. VI], wonach
Bau und Geldbeschaffung getrennt von
einander im Concurrenzwege vergeben
werden sollten, um auf die Gepflogen-
heiten bei den Finanzirungen einen heil-
samen Druck zu üben. Das Herrenhaus
pflichtete alldem bei [25. März], worauf
Nachbarbahnen der sicherzustellenden
Linien. Die Kaiserin Elisabeth-Bahn hatte
in richtiger Erfassung der Wichtigkeit,
welche den neuen Linien, sei es als
Ergänzung, sei es anderen Falles als
Concurrenzroute ihres [der Kaiserin
Elisabeth - Bahn] alten Netzes, inne-
wohne, diesmal rechtzeitig und nicht
in negativem Sinne sich umgethan, und,
Abb. 84. Salzburg-Tiroler Bahn in den Salzach-Klammen.
dann das Gesetz in dieser geänderten
Fassung am 10. April 1872 die a. h.
Sanction erhielt.
Mit Rücksicht auf die grossen An-
forderungen, welche die Ausführung auf
Staatskosten an den Staatsschatz gestellt
hätte, schlug die Regierung zunächst
den Weg der Concessionirung ein, der
sie auch wirklich zu dem gewünschten
Ziele führte. Infolge der Offert-Aus-
schreibung vom 6. Juli langten innerhalb
der anberaumten Einreichungsfrist [31.
Juli] sieben Angebote beim Handels-
ministerium ein, darunter zwei von
nachdem sie durch eine Vereinbarung
mit der Bauunternehmung Karl Freiherr
von Schwarz und der Oesterreichischen
Eisenbahn - Baugesellschaft die Verge-
wisserung gewonnen, dass der Bau und
die Geldbeschaffung im Rahmen des Ge-
setzes vom 10. April 1872 ausführbar
sei, unter den Bedingungen des letzteren
die Offerte auf die Gesammt-Concession
überreicht. Ebenso hatte die unablässig
auf eine Ausbreitung ihres Netzes hin-
arbeitende Kronprinz Rudolf-Bahn sich
beeilt, ein gleiches Angebot zu stellen,
das hinsichtlich der Anlagekosten sogar
11*
IÖ4
Ignaz Konta.
etwas günstiger war, jedoch auch unzu-
lässige Xebenansprüche [z. B. Ausgabe
von Prioritäten des alten Netzes für die
neuen Linien] aufwies. Diesen Angeboten
reihten sich ferner an : jenes der Allge-
meinen österreichischen Baugesellschaft
auf den Bau der ganzen Bahn um
17,983.000 fl. und jenes der Allgemeinen
österreichischen Bank auf die Geld-
beschaffung zum Curse von 8o/6°/0,
welche beide gleichfalls der Ziffer nach
recht günstige, hingegen in den sonstigen
Ausführungen ganz unzutreffende waren.
Alle übrigen, von Bauunternehmungen
ausgegangenen Offerten griffen über die
von dem erwähnten Gesetze gesteckten
Grenzen hinaus.
Strenge genommen hatte also das
Handelsministerium keine grosse Aus-
wahl, zumal als die Kronprinz Rudolf-
Bahn, statt die gestellten Nebenbedin-
gungen fallen zu lassen, es vorzog, gänz-
lich zurückzutreten [14. September 1872].
Da aber durch die Offerte der Kaiserin
Elisabeth-Bahn allein schon die Con-
cessionirung ermöglicht war, hielt das
Ministerium an derselben fest und pflog
mit dieser Gesellschaft die weiteren Ver-
handlungen, welche am 1. October 1872
ihren Abschluss fanden. Nachdem am
selben Tage die wegen der etwaigen
Geltendmachung ihres concessionsmässi-
gen Vorrechtes befragte Südbahn mit
einer Verzichterklärung geantwortet hatte,
mithin auch in dieser Beziehung der
Concessionirung ein Hindernis nicht ent-
gegen stand, erhielt die Kaiserin
Elisabeth-Bahn am 10. November
1872 die auf dem Gesetze vom 10.
April 1872 beruhende Concession für
die Linie von Selzthal nächst Rotten-
mann im Anschlüsse an die Kronprinz
Rudolf - Bahn über Radstadt nach
Bischofshofen und von da durch das
Pongau und das Pinzgau über Zell
am See, Saalfelden, St. Johann und
Kitzbühel in Tirol nach Wörgl zur
Verbindung mit der Nordtiroler Linie
der k. k. priv. Südbahn-Gesellschaft so-
wie von Bischofshofen nach Hallein
und Salzburg zum Anschlüsse an die
k. k. priv. Kaiserin Elisabeth-Bahn in deren
Bahnhof zu Salzburg. Diese Concession
verpflichtet die Gesellschaft zur Einlösung
der Salzburg-Halleiner Bahn sowne zur
Fertigstellung und Eröffnung des ganzen
neuen Bahncomplexes binnen längstens
drei Jahren und zur Führung einer ge-
trennten Betriebsrechnung für den letzteren,
jedoch, nach der Vollendung der Arlberg-
Bahn oder aber längstens nach dem ab-
gelaufenen achten Betriebsjahre des
neuen Netzes, auch auf dessen voll-
ständige Vereinigung mit dem alten
Netze hinzuwirken. Als staatliche Be-
günstigungen wurden dem neuconcess'io-
nirten Unternehmen eine Staatsgarantie
von 54.400 fl. pro Meile und eine neun-
jährige Steuerfreiheit gewährt.
Die Actionäre der Kaiserin Elisabeth-
Bahn genehmigten in der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 10. De-
cember 1872 die Erwerbung dieser Con-
cession, wie auch die Beschaffung der
zu ihrer Durchführung erforderlichen
Geldmittel durch Ausgabe von 80.000
Actien [Emission III] ä 200 fl. =
16,000.000 fl. und von 5°/oigen Priori-
täts-Obligationen im Nominalbetrage von
rund 24,000.000 fl. Alle diese Werthe
übernahm die Bauunternehmung selbst,
überliess hievon aber 50.000 Actien
zum Curse von 188 den alten Actio-
nären der Kaiserin Elisabeth-Bahn durch
die Credit-Anstalt, welche diesfalls ein
Garantie-Syndicat gebildet hatte [18.
bis 28. Februar 1873]. Mittlerweile wurde
der Präliminar-Bauvertrag am 8. Februar
1873 vom Handelsministerium genehmigt
und darauihin am 14. Februar 1873 end-
giltig abgeschlossen.
Hiemit waren die wichtigen Bahn-
verbindungen, denen früherhin der
Name »Gisela-Bahn« zugedacht ge-
wesen, jetzt aber, weil sie kein selb-
ständiges Unternehmen geworden, ein-
fach die Bezeichnung »Salzburg-
TirolerBahn« beigelegt wurde, nun-
mehr vollkommen sichergestellt und die
altgehegten Wünsche der daran be-
theiligten drei Alpenländer erfüllt.
Der im Frühjahre 1873 in vollen
Gang gebrachte Bau wurde mög-
lichst beschleunigt, um die neuen
Linien schon während der Reise-
zeit des Jahres 1875 benutzbar zu
machen. Dies wäre auch gelungen, wenn
nicht ein Absturz des Untersteinberges
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
16.=
Abb. 85. Salzburg-Tiroler Bahn. [Bahnhof und Schloss Werfen.]
den Tunnel zwischen Taxenbach und
Lend eingedruckt und verschüttet hätte.
Das ereignete sich in den Morgen-
stunden des 10. Juni 1875 und drohte
eine ähnliche Katastrophe herbeizuführen,
wie die im Jahre 1794 fast an der
gleichen Stelle'jan der »EmbacherPlaike«]
eingetretene grosse Abrutschung, welche
die Salzach so vollkommen absperrte,
dass die angestauten Wässer bis gegen
Taxenbach hin einen bis zu 32 m tiefen
See bildeten.
Wäre es dazu gekommen, dann
hätte ein grosser Theil der Bahn-
trace, unter schweren Verlusten von
Zeit und Geld, gänzlich verlegt wer-
den müssen. Glücklicherweise erfolgte
kein »Nachschub« und die Bahn Hess
sich mit Hilfe eines um den Bergvorkopf
herum ausgeführten Provisoriums so
rasch wieder fahrbar machen, dass sie
am 17. Juli von dem deutschen Kaiser
anlässlich seiner Reise nach Gastein be-
nützt werden konnte. Vierzehn Tage
später fand auch schon die feierliche
Eröffnung der ganzen Bahn statt ; ihre
Uebergabe an den öffentlichen Verkehr
ging jedoch erst am 6. August 1875 vor
sich, weil die Regierung für den Fall, als
durch das Provisorium auf dem Unter-
steinberge irgend eine Betriebsstörung
eintreten würde, die Staatsgarantie für
die ganze Strecke sperren wollte, und
erst nach dringender Vorstellung, so-
wohl seitens der Gesellschaft, als auch
der Bauunternehmung, sich damit be-
gnügte, die Gesammtgarantie auf die Dauer
des Provisoriums um einen Betrag von
jährlich 60.000 fl., welcher der Bauunter-
nehmung zur Last fiel, zu kürzen.
Die Salzburg-Halleiner Bahn, deren Be-
trieb schon seit ihrer Eröffnung [15. Juli
187 1] von der Kaiserin Elisabeth-Bahn ge-
führt wurde, ging nach Massgabe der hie-
für in ihrer eigenen sowie in der Con-
cessions-Urkunde für die Salzburg-
Tiroler Bahn vorgesehenen Bestimmungen
gleich am Tage der Eröffnung dieser
letzteren in den Besitz der Kaiserin
Elisabeth-Bahn über. Die definitive Strecke
i66
Ignaz Konta.
sammt dem neuen, weiter in den Berg
hinein verlegten Tunnel bei Taxenbach,
dessen Kosten im Betrage von beiläufig
600.000 fl. die Gesellschaft und die
Bauunternehmung im Wege des Ver-
gleiches hälftig auf sich nahmen, gelangte
erst am 9. Mai 1878 in Betrieb.
Am Schlüsse eben dieses Jahres betru-
gen die Anlagekosten der ganzen Salzburg-
Tiroler Bahn 41,284.098 fl. ; der Mehr-
aufwand wurde durch die Führung der
Trace direct über Kitzbühel verursacht
und darum von der Regierung anerkannt
[Protokoll vom 6. Februar 1877].
Mit der Vollendung der Salzburg-
Tiroler Bahn fand zugleich die langjährige
verdienstliche Thätigkeit des gesellschaft-
lichen General-Directors ihren würdigen
Abschluss. Hofrath Ritter von Keissler
trat am 1. September 1875 in den Ruhe-
stand und nun übernahm sein bisheriger
Stellvertreter, Sections-Chef Alois Czedik
von Bründelsfeld, die selbständige
Leitung der Geschäfte, von der aus er
nach etlichen Jahren zu hochragender
Bedeutung im österreichischen Eisenbahn-
netze emporstieg.
Der neue General-Director hatte zu-
nächst die letzten Unebenheiten zu
glätten, welche in den materiellen Ver-
hältnissen der Gesellschaft durch Verluste
beim sogenannten Kostgeschäfte*) im
Jahre 1873 entstanden waren; sodann
brachte er die, gleich nach seinem Ein-
tritte in die Dienste der Gesellschaft
[1873] angebahnten Reformen der ver-
schiedenen Geschäftszweige zur vollen
Durchführung und berief neue Kräfte
an seine Seite. Zum Director des Ver-
kehrs- und commerziellen Dienstes wurde
der General -Inspector der königlichen
ungarischen Staatsbahnen, August Ober-
mayer, und zum Vorstande des ge-
*) Die Verwaltung der Kaiserin Elisabeth-
Bahn hatte, um ihren Cassenbeständen gute
Verzinsung zu verschaffen, Börse - Effecten
lombardirt, wobei ihr infolge des Curssturzes
nach dem Ausbruche der wirthschaftlichen
Krisis ein namhafter Schaden erwuchs. Der-
selbe bezifferte sich zur Zeit der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 15. Decem-
ber 1874, welche diese Angelegenheit beilegte,
mit rund 600.000 fl., nachdem das Effecten-
Depöt wieder einen Curswerth von 419.760 fl.
erlangt und die Gesellschaft von dritter Seite
Ersatzleistungen von 240.000 fl. erhalten hatte.
sammten Bahnerhaltungdienstes der Chef-
Ingenieur beim Baue der Ungarischen
Westbahn, Friedrich B i s c h o f f, ernannt.
Die Linie von Salzburg nach Bi-
schof shofen-Wörgl geht in der bereits
beschriebenen Trace der Salzburg-Halleiner
Bahn [vgl. S. 95] bis Hallein, dann nach
Ueberschreitung des Tangelbach.es nach Kü-
chel und weiter nach Golling. Ausserhalb
Golling wird die Lammer, hernach die Salz-
ach mittels eiserner Brücken übersetzt und
fast gleich darauf der den Pass Lueg bil-
dende Gebirgsrücken mittels eines 923-3 m
langen Tunnels durchfahren, dann aber-
mals die Salzach mit einer eisernen Brücke
von 63 m Spannweite übersetzt. Wieder
auf dem rechten Ufer der Salzach an-
gelangt, zieht die Trace nunmehr theils
stark in den Fluss eingebaut, theils an die
sehr steilen Wände des Tennengebirges sich
anlehnend, in fortwährenden Serpentinen den
Stationen Sulzau, Werfen und Bischofshofen
zu. Auf diesem Zuge werden zwei Wild-
bäche, der Fritzbach und der Nothgraben,
1 und vor der Station Bischofshofen auch noch-
mals die Salzach — sämmtlich durch Eisen-
brücken — übersetzt. In der Station Bischofs-
hofen gabelt sich die Bahn und während die
eine Trace nach Steiermark zieht, nimmt die
zweite ihren Lauf nach Tirol.
Der Flügel gegen Tirol führt in dem
nun erbreiterten Salzachthaie über St. Johann
im Pongau, dann in westlicher Richtung nach
Schwarzach (-St. Veit), vor welcher Station
die Salzach abermals übersetzt wird. Hinter
Schwarzach schneidet sich die Salzach wieder
tief ein, so dass die Bahn sich an den Lehnen
längs des Flusses serpentinartig fortschlingend
und an einer Stelle, wo die Ufer durch senk-
rechte Felsvorköpfe gebildet sind, einen der-
selben mittels eines 128»» langen Tunnels durch-
setzen muss, um den unausweichlichen Ueber-
gang auf das linke Salzachufer und auf diesem
die Station Lend-Gastein zu gewinnen, von
welcher aus die Strasse nach dem weltbe-
kannten Badeorte Gastein führt. Bisher den
Pongau durchziehend, lenkt die Trace nun
in den Pinzgau ein und führt, immer an den
tiefeingeschnittenen Salzachufern, überTaxen-
bach nach Gries und von da in dem nun
wieder allmählich sich verbreiternden Thale
nach Brück [ — Fusch], dem Einmündungs-
punkte der Strasse in die Fusch. In dieser
Strecke waren die Salzach, und zwar zweimal
zwischen Lend und Taxenbach und einmal vor
der Station Brück zu übersetzen und zwei Berg-
vorköpfe, einer bei Unterstein, der zweite
bei Taxenbach, mittels Tunnels von 135 m,
beziehungsweise 277 m Länge zu durch-
fahren. Auch hat in dieser Strecke das Stei-
gungsverhältnis bis 1 : 80 zugenommen. Aus-
serhalb der Station Brück wird die Salzach
zum neunten und letzten Male übersetzt und
es wendet sich nun die Linie, das Salzach-
thal verlassend, nordwärts in das zwischen
diesem und dem Saalthale befindliche Ver-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
167
bindungsthal, in welchem der Zeller See liegt
und dann längs desselben der Station Zell
am See zu, die auf einem Schubkegel situirt
und von einer Fülle landschaftlicher Reize
umgeben ist. Von Zell weiter zieht die Bahn
mit massiger Steigung die Wasserscheide bei
Maishofen hinan [7613 in Seehöhe], fällt dann
wieder ab und erreicht nach zweimaliger
Ueberschreitung der Saal die Station Saal-
felden. Von da ab gestaltet sich die Bahn
zur eigentlichen Gebirgsbahn; sie zieht, das
Saalthal verlassend, in westlicher Richtung
mit einer Steigung bis I : 50 und, an den ott
sehr tief angeschnittenen Berglehnen ange-
schmiegt, zu der Wasserscheide zwischen der
Leoganger und Pillersee-Ache empor, die sie
bei der Station Hochfilzen, zugleich mit dem
höchsten Punkte der Bahn [963 in Seehöhe],
erreicht. Auf diesem Zuge werden viele Wäs-
ser, wie: der Saalbachgraben, die Saal, Leo-
ganger Ache, der Birnbach, Weissenbach und
Griesenbach mit Eisenbrücken übersetzt und
die Station Leogang berührt. Vor Hoch filzen
tritt die Trace vom Salzburger auf das Tiro-
ler Gebiet über. Nach Ueberschreitung der
Wasserscheide bei Hochfilzen zieht die Bahn
im Gefälle bis I : 44, grösstenteils am rech-
ten Ufer der Pillersee-Ache und durch Ein-
schnitte bis zu 17 tn Tiefe über Fieberbrunn
nach St. Johann in Tirol, auf diesem Wege
die genannte Ache und den Moosbach
überschreitend. Von St. Johann aus steigt
die Bahn wieder massig an, geht mittels
eines starken Bogens in das Kitzbühler
Achenthai und am rechten Ufer dieser Ache
in die Station Kitzbühel. Von der Station an,
die ganze Stadt umziehend und die Kitzbühler
Ache übersetzend, bildet die Trace hier eine
grosse Schlinge, führt sodann an der Berg-
lehne des linken Ufers mit einer Steigung
von 1 : 60 über den zwischen der Kitzbühler
und Aschauer Ache sich hinziehenden Berg-
rücken, fällt wieder massig bis zur Aschauer
Ache ab und steigt nach Uebersetzung der
letzteren sofort wieder stark, um die Wasser-
scheide zwischen der Aschauer und Brixen-
thaler Ache in der Station Kirchberg zu er-
reichen. Auf dieser Wasserscheide läuft die
Linie mehr als 800 in weit über Torfgrund
und fällt von da an continuirlich im Ver-
hältnis von 1 : 44 bis Brixenthal und Hopf-
garten [Aufstieg zur hohen Salve]. Hinter der
Station Brixenthal geht die Trace mittels eines
scharfen Bogens und eines 208 in langen
Tunnels aus dem Brixen- in das Windau-
thal über, in welchem sie sich entwickelt
und eine grosse Schlinge bildet, um dann
durch einen zweiten 325-4 m langen Tunnel
wieder in das Brixenthal zurückzukehren,
die Windau Ache überbrückend. Von Hopf-
garten zieht die Bahn in massigem Gefälle
über die Brixenthaler Ache und durch den
45'9 m langen Itter-Tunnel in das Unterinn-
thal und erreicht am linken Ufer der Ache
in der Station Wörgl den Endpunkt.
Die Linie Bischof shofen-Selzthal
verbindet die eben beschriebene Linie der
Salzburg-Tiroler Bahn mit der Kronprinz
Rudolf-Bahn. Ihre Trace zweigt aus der
Station Bischofshofen in östlicher Richtung
ab, steigt sofort im Verhältnis von 1 : 45 an,
übersetzt die Salzach mit einer 58 in weiten
eisernen Brücke und geht, indem sie den
zwischen dem Salzach- und Fritzbachthal be-
findlichen Bergrücken mit einem 710 in lan-
gen Tunnel durchsetzt, in das Fritzbachthal
über, berührt die Station Hüttau und erreicht
in der Station. Eben den höchsten Punkt
[851 in Seehöhe]. In dieser Strecke begegnete
der Bau sehr grossen Schwierigkeiten. Der
Fritzbach musste [in einer Strecke von 16 km]
neun Mal mittels eiserner Brücken, von
welchen die letzte 24 in hoch und 20 in weit
ist, übersetzt, der erwähnte grosse Tunnel
und noch zwei kleinere von 59, resp. 98 in
Länge angelegt, dann bedeutende Fluss- und
Strassencorrectionen ausgeführt und An-
schnitte im Rutschterrain bis zu einer Höhe
von 35«» vorgenommen werden. Von Eben aus
in das Ennsthal übergehend, fällt die Bahn
continuirlich und führt, stets am linken
Ufer der Enns über Radstadt nach Mand-
ling, passirt hinter dieser Station die Salz-
burg-Steierische Grenze und tritt vor der
Station Haus wieder auf das rechte Fluss-
ufer über, auf welchem sie bis Gröbming
und Oeblarn verbleibt. Hinter letzterer Station
setzt die Trace wieder auf das linke Ufer
über, berührt auf demselben die Stationen
Steinach-Irdning, Wörschach und Lietzen,
kehrt unterhalb dieser Station wieder auf
das rechte Ufer zurück und erreicht in der Sta-
tion Selzthal ihren Endpunkt. Der Bau der Salz-
burg-Tiroler Bahn gehört zu den schwierig-
sten, die in Oesterreich ausgeführt wurden.
[Abb. 84 — 93 nach photographischen Auf-
nahmen von O. Kramer.]
An die Salzburg- Tiroler Bahn knüpft
sich ein denkwürdiges Moment ; sie war
die letzte aller jener vor dem Ausbruche
der Krisis concessionirten Linien, die
auch wirklich zur Ausführung gelangten
und bildet daher gleichsam den Schluss-
punkt der grossen Concessionirungs-
Thätigkeit in den Jahren 1868— 1872,
welcher das österreichische Eisenbahn-
netz die ebenso rasche als bedeutende
Erweiterung um circa 5840 km verdankte.
Dass bei so reicher Aussaat da und
dort auch ein Unkraut spriesste, dass in
dem Gründungstreiben jener Periode
der Schwindel auch an das Eisenbahn-
wesen heranschlich, manchem faulen
Projecte die Maske strotzender Gesund-
heit lieh und manches kerngesunde
Unternehmen mit überwucherndem Schma-
rotzerthum umrankte, kann wohl nicht
verwundern. Beklagt muss aber werden,
i68
Ignaz Konta.
dass die Folgen dieser Geschehnisse
so schwere und tiefgehende waren und
werden konnten. Wie friiherhin das über-
schäumende Vertrauen, beherrschte 'jetzt
ein grenzenloses Misstrauen alle Kreise.
Nicht nur für ungarantirte, auch für
staatlich garantirte Bahnen fehlte es an
Bewerbern ; auf die Privatthätigkeit zur
Weiterentwicklung des Eisenbahnnetzes
war kaum mehr zu rechnen.
Wäre es möglich gewesen, sofort mit
kräftiger, aber auch offener Hand einzu-
greifen, zu Tage getretene Schäden zu
heilen, insbesonders den ungarantirten
Bahnen, die hauptsächlich daran krankten,
dass sie durch die kostspielige Geld-
beschaffung und die ihnen für nicht com-
merzielle Zwecke auferlegten Leistungen
mit übermässig hohen Anlage-Capitalien
belastet waren, ausgiebige Hilfe zu brin-
gen, dann hätte zumindest auf dem Ge-
biete des Eisenbahnwesens das Zutrauen
sich bald wieder eingefunden und von
da aus allmählich weiter verbreitet; wäre
es wenigstens möglich gewesen, die
grossen Linien, deren Nothwendigkeit
längst anerkannt war, unter Ausnützung
der nun wieder gesunkenen Lohn- und
Materialpreise, eine um die andere in
Angriff zu nehmen, dann hätten diese
Linien um so vieles billiger hergestellt
und ihrem Zwecke um so viel früher dienst-
bar gemacht werden können. Dies wäre
auch noch in anderer Beziehung von
wohlthätiger Wirkung gewesen ; denn es
hätte fortgesetzt und in erheblichem
Masse Arbeit und Verdienst geschaffen,
beziehungsweise erhalten und so ein
wirksames Mittel geboten, um die wirth-
schaftlichen Kräfte wieder aufzurichten.
Der böse Irrthum, dass die Krisis nur
ein »Börsenkrach« sei, der eine Interven-
tion des Staates weder erheische noch
zulasse, wurde jedoch erst erkannt, als
die Verheerungen schon zu weit um sich
gegriffen hatten. Man übersah oder wollte
nicht erkennen, dass jede Schädigung
des Eisenbahn-Credites, bei dem ja ein
nahmhafter Theil des Nationalvermögens
in Betracht kommt, auch dem öffentlichen
Credite eine Wunde schlage ; man wähnte
die Eisenbahnen ihrem Schicksale über-
lassen zu dürfen, da die bereits gebauten Li-
nien einmal vorhanden seien und um ihre
Theilhaber und Gläubiger sich Niemand zu
kümmern brauche, — der Bau neuer Linien
aber hinausgeschoben werden könne.
Vielen galt darum schon die Schaf-
fung des Gesetzes vom 13. December
1873, »betreffend die Benützung des öffent-
lichen Credites zur Beischaffung der
Mittel für die Förderung des Eisenbahn-
baues und für Errichtung von Vorschuss-
cassen«, als eine grosse That; denn dieses
Gesetz ermächtigte die Regierung zur
Aufnahme eines Anlehens im Höchst-
betrage von 80,000.000 fl., welches
zum Theile dem Eisenbahnbaue zu-
gedacht war. Da aber die Verwendung
dieser Quote erst durch besondere Ge-
setze verfügt und in dieselbe auch die
Summe eingerechnet werden sollte, welche
im Jahre 1874 für den Bau der Istrianer
und Tarnöw-Leluchöwer Bahn zur Aus-
gabe gelangt [Artikel 2], bot das »Noth-
standsanlehen« der Regierung einen nur
kleinen Spielraum für die Hilfsthätigkeit
auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens.
Die Wirkung alles dessen begann sich
bald zu zeigen. Keine einzige neue Linie
konnte im Jahre 1873 sichergestellt wer-
den ; manche der früher ertheilten Con-
cessionen wurden theils fraglich [z. B.
jene für die Linie Troppau-Vlarapass,
deren Bau mangels der hiezu erforder-
lichen Gelder eingestellt werden musste],
theils schon wirklich hinfällig, wie die
mittels Kundmachung des Handelsmini-
steriums vom 25. October 1873 als er-
loschen erklärte Concession für die Schaf-
bergbahn ; die finanziellen Verlegenheiten
der ungarantirten Bahnen steigerten sich
von Tag zu Tag und zwangen dieselben,
soweit für sie Darlehen überhaupt noch
erhältlich waren, ruinöse schwebende
Schulden einzugehen oder gar, wie es
bei der Leoben- Vordernberger Bahn ge-
schehen, die Zahlungen einzustellen und
hernach in Concurs zu gerathen, ein
Fall, der bis dahin in Oesterreich noch
nicht dagewesen und glücklicherweise
— trotz der schweren Bedrängnis vieler
Eisenbahn-Unternehmungen — vereinzelt
geblieben ist.
Der einzige Lichtblick in dem ver-
hängnisvollen Jahre war das grosse
Völkerfest, zu dem Oesterreich alle
Nationen des Erdballes geladen — die
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
169
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ßa • C *^?^SlAw \.
V -
Abb. 86. Bischofshofen.
Weltausstellung in Wien, welche
an Grossartigkeit und Reichhaltigkeit ihrer
Beschickung schier unübertrefflich ge-
wesen, der geistigen und wirtschaft-
lichen Thätigkeit, dem künstlerischen und
gewerblichen Schaffen Oesterreichs wahre
Triumphe brachte und in ihrem ganzen
glänzenden Verlaufe weit über ihr Pro-
gramm hinausragte, indem sie, ohne als
solche genannt zu sein, zu einer gleich
schönen als würdigen, von jedem Oester-
reicher freudigst mitbegangenen Feier
des fünfundzwanzigjährigen Regierungs-
Jubiläums Sr. Majestät des Kaisers Franz
Joseph I. emporwuchs. Das österreichische
Eisenbahnwesen hatte sich mit einer Fülle
von mustergiltigen technischen und admini-
strativen Einrichtungen und literarischen
Leistungen an dem friedlichen Wett-
kampfe der Culturstaaten betheiligt und
hiebei Ehr und Preis geerntet.
Im Jahre 1874 gestaltete sich die Lage
des österreichischen Eisenbahnwesens
noch ernster als im Vorjahre. Die
Regierung bemühte sich, die Bauthätig-
keit aufrecht zu erhalten und für deren
Fortsetzung sogar neue Objecte zu
schaffen ; allein sobald sie hiebei andere
als die durch das Gesetz vom 13. De-
cember 1873 gebotenen Hilfsmittel in
Anspruch zu nehmen gedachte, musste
sie den vorwiegend auf Nichtbelastung
des Staatsschatzes gerichteten Intentionen
des Reichsrathes Rechnung tragen. Um
nun weder völlig zum Baue auf Staats-
kosten überzugehen, noch auf das alte
Garantie -System zurückzugreifen, ver-
suchte sie es, obwohl die Concessionirung
ohne vollständige Staatsgarantie schon
im Vorjahre gründlich fehlgeschlagen
hatte, jetzt mit einer zwar auf das Ge-
sammt-Anlagecapital, nicht aber auf die
ganze Concessionsdauer sich erstreckenden
Staatsgarantie.
Die am 10. Februar 1874 im Abge-
ordnetenhause eingebrachten Regierungs-
vorlagen, betreffend die Gewährung
einer zwanzigjährigen Staatsgarantie
170
Ignaz Konta.
von 57.800 fl. pro Meile für die Salz-
kammergut-Bahn, beziehungsweise von
51.800 fl. pro Meile für die ehedem ohne
jede staatliche Begünstigung concessionirt
gewesene Linie Troppau- Vlarapass, fanden
auch wirklich eine ziemlich glatte Erledi-
gung und wurden, kraft der a. h. Sanction
vom 3., beziehungsweise 6. Mai 1874, Ge-
setze, blieben jedoch wieder ganz erfolglos ;
denn sie führten zu keiner Concessio-
nirung.
Einer neuen Linie, nämlich der
von Lemberg nach Netreba [Tomaszöw],
welche schon wiederholt in Anregung und
stets Gegenstand eifrigen Wettbewerbes
der Carl Ludwig-Bahn und der Lemberg-
Czernowitz - Jassy - Eisenbahn gewesen,
wollten übrigens Regierung und Parla-
ment sogar eine volle Staatsgarantie
im Betrage von 42.000 fl. pro Meile
zugestehen ; der bezügliche, ebenfalls am
10. Februar 1874 dem Abgeordneten-
hause vorgelegte Gesetzentwurf wurde
nach vorheriger verfassungsmässiger
Behandlung am 24. Mai 1874 zum Gesetze
sanctionirt; es blieb aber auch dies
fruchtlos, entweder weil die letztgenannte
Gesellschaft, welcher gemäss des Wort-
lautes des Gesetzes die Concession ver-
liehen werden sollte, wegen der bei ihr
damals vorwaltenden Verhältnisse sich
zur Durchführung der Concession nicht
befähigt erachtete oder nicht bereit fand,
oder aber weil die als nahe bevorstehend
geschienene Verbindung der neuen Linie
mit dem russischen Bahnnetze wieder
in die Ferne rückte und die Regierung
die Concessionirung nicht vornehmen
wollte, bevor jener Anschluss thatsäch-
lich gesichert war.
Demnach verblieben zur Förderung
der Eisenbahn-Bauthätigkeit nur die
»Nothstandsbauten«, zu deren Inan-
griffnahme das Nothstandsanlehen die
Mittel bieten sollte. Zu denselben zählten in
erster Reihe die, wie zuvor erwähnt ist,
ganz auf Staatskosten auszuführenden
Linien Tarnöw-Leluchöw und
DivaCa-Pola sammt Zweigbahnen,
ferner jene fünf Linien, rücksichtlich
deren das Handelsministerium die bezüg-
lichen Specialgesetze gleichfalls an dem
so vorlagereichen 10. Februar 1874 im
Abgeordnetenhause einbrachte. Davon
betrafen vier Privatbahnen, nämlich :
die bereits concessionirten Strecken
Falkenau-Graslitz, Pilsen-Eisen-
stein, Rakonitz-Protivin, und die
erst zu concessionirende Niederöster-
reichische Südwestbahn, denen
sämmtlich staatliche Bauvorschüsse zu-
gedacht waren — eine Vorlage hingegen
betraf die als Staatsbahn herzustellende
Linie Spalato - Siveric sammt
Zweigbahn; alle begegneten man-
cher heftigen Gegenströmung, gingen
jedoch im Wesentlichen unversehrt aus
der legislativen Behandlung hervor, nur
wurde die Strecke Rakonitz - Protivin,
welche ein Stück der im Jahre 1872 con-
cessionirten, aber bis dahin unausgeführt
gebliebenen Böhmischen Südwestbahn
gewesen, nicht mehr als eine mit staat-
licher Hilfe auszuführende Privatbahn
gelten gelassen, sondern zum Baue auf
Staatskosten bestimmt, was natürlich
ihrem Stammunternehmen die Hoffnung
auf ein Wiedererstehen benahm.
Nachdem diese Vorlagen Gesetzes-
kraft erlangt hatten, schritt die Regie-
rung unverweilt zur Durchführung der-
selben ; es gelang ihr auch die Bauten
alsbald in Gang zu bringen, doch aber
blieb ihr, wie die nachfolgenden Einzel-
darstellungen zeigen, nicht erspart, für
die genannten Privatbahnen noch wieder-
holt eintreten, sie abermals unterstützen
zu müssen.
Als eine zweite, vorwiegend dem
westlichen Galizien zustatten kommende
Verbindung dieses Landes mit Ungarn,
wurde die Linie Tarn 6 w- L e Iu c hö w dem
österreichischen Bahnnetze eingefügt. Ur-
sprünglich war sie die erste und einzige
hiefür ausersehene Schienenstrasse ; ihr
galt das von der Theissbahn ausgear-
beitete Project Kaschau-Tarnöw [1856],
das schon in dem am 10. November
1854 amtlich kundgemachten Entwürfe
des österreichischen Eisenbahnnetzes vor-
gesehen war. Nach zehnjähriger Ver-
schollenheit nahmen sich die galizi-
schen Vertretungskörper dieses Projectes
an, wählten aber Przemysl als Ausgangs-,
beziehungsweise Endpunkt der Bahn und
mit dieser Abänderung kam es anlässlich
der Concessionirung der Kaschau-Oder-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
171
berger Bahn auch im Reichsrathe zur
Sprache [1865]. Seitdem standen die
beiden Projectirungen in Concurrenz, bis
im Jahre 1869 die Erste ungarisch-ga-
lizische Eisenbahn [Przemysl - Lupköw]
den Vorrang gewann. Darum hörte aber
die Linie Tarnöw-Leluchöw keineswegs
auf, noch weiterhin Gegenstand mannig-
facher Projectirungen zu sein, zumal als
auch die Regierung das Interesse an der-
selben in der Denkschrift zu der grossen,
am 13. März 1869 im Abgeordneten-
hause eingebrachten Eisenbahn-Vorlage
bekundet hatte. Im Jahre 1871 machte
ihr die Erzherzog Albrecht-Bahn, bezie-
hungsweise deren Strecke Stryj-Skole-
Beskid den zweiten Platz in der
Reihenfolge der ungarisch -galizischen
Eisenbahn- Verbindungen streitig, welchen
sie dadurch, dass diese Strecke unaus-
geführt geblieben, nun doch einzunehmen
berufen ward. Indes kostete ihre Sicher-
stellung viele Mühen.
Die allgemeine Richtung der Trace
wurde am 8. Mai 1870 und der An-
schluss an die ungarischen Bahnen in
Leluchöw am 31. August 1871 im Ein-
vernehmen mit der königlich ungarischen
Regierung festgestellt, welche die Con-
cession für die Linie von der ungarischen
Grenze nächst Leluchöw bis Eperies
schon am 7. Mai 187 1 der Unionbank
ertheilt hatte. Währenddessen und im
Verlaufe des Jahres 1871 liess die öster-
reichische Regierung die ihr vorgelegenen
Privatprojecte überprüfen oder, besser
gesagt, völlig umarbeiten, weil dieselben
vielfache Unrichtigkeiten aufwiesen. Das
hiedurch erstellte neue, bedeutend ver-
besserte Project diente als Unterlage für
den Gesetzentwurf, welchen das Handels-
ministerium am 5. März 1872, behufs
Sicherstellung der Linie Tarnöw-Lelu-
chöw dem Äbgeordnetenhause vorlegte.
Dieser Entwurf umfasste nebst dieser Linie
noch die Zweigbahn Gryböw-Zagörz und
sollte auch die Möglichkeit erschliessen,
eine weitere Zweigbahn von Neu-Sandec
an die Kaiser Ferdinands -Nordbahn in
der Richtung gegen Bielitz oder allen-
falls an die Kaschau - Oderberger Bahn
mit in Ausführung zu bringen. Das
Anlage-Capital der ersterwähnten, zu-
sammen 34-744 Meilen langen Linien
war mit effectiv 24,731.538 fl. veran-
schlagt und die Staatsgarantie mit
48.000 fl. pro Meile bemessen.
Damals war die Unternehmungslust,
daher auch die Bewerbung um jene Linien
eine sehr rege. Daraus meinte der zur
Vorberathung des Gesetzentwurfes einge-
setzte Ausschuss des Abgeordnetenhauses
Nutzen ziehen zu sollen. Er schlug
also vor: nicht nur die Linie Tarnöw-
Leluchöw sammt der Zweigbahn Gryböw-
Zagörz, sondern zugleich auch schon die
anderen, in die südgalizische »Transver-
salbahn« fallenden Linien Neu Sandec-
Saybusch-Bielitz und Saybusch-Csäcza
unmittelbar in das Gesetz aufzunehmen,
überdies die früher seitens der Regierung
beabsichtigte E ventual-Sicherstellung eben
dieser letzteren Linien nun auf die Linien
Tarnöw-Sandomir und Stanislau-Husiatyn
zu übertragen, jedoch für die definitiv
sicherzustellenden Linien nur eine dreissig-
jährige Steuerfreiheit oder, falls dies allein
nicht genügen sollte, der Linie Tarnöw-
Leluchöw eine Staatsgarantie im Betrage
von 43.870 fl. pro Meile, eventuell bei
gleichzeitiger Concessionirung auch der
Linien nach Sandomir und Husiatyn,
eine Garantie von 24.000 fl. pro Meile,
dann aber nur zwanzigjährige Steuer-
freiheit zu gewähren. Im weiteren Ver-
laufe der Berathung wurde die blos für
die Linie Tarnöw-Leluchöw zu gewährende
Garantie mit 43.000 fl. und der Minimal -
Begebungscurs der Titel mit 87 fest-
gesetzt sowie angeordnet, dass die Ver-
gebung sowohl des Baues, als der Geld-
beschaffung im Offertwege stattfinden
solle und dass die Regierung, wenn sie
dies für zweckdienlich erachte, den
Bau der Linie Tarnöw-Leluchöw aut
Staatskosten ausführen könne, wozu ihr
pro 1 872 eine Baudotation von 2,000.000 fl.
bewilligt sei. In dieser wesentlich ge-
änderten Fassung erhielt das Gesetz am
29. Juni 1875 die a. h. Sanction.
Die Erwartungen, welche die Legis-
lative an die Umwandlung der Regie-
rungsvorlage geknüpft hatte, erfüllten
sich aber nicht. Vordem waren die Ge-
brüder Klein und die Oesterreichische
Credit- Anstalt, das Consortium des Alt-
grafen Salm-Reifferscheid, ein englisches
und ein französisches Consortium eifrige
172
Ignaz Konta.
Bewerber um die geplanten galizischen
Linien ; angesichts der neuen Concessions-
Bedingungen traten sie allesammt zu-
rück und andere fanden sich nicht ein ;
auch die nachher mit der Einreichungs-
frist bis 28. December 1872 ausge-
schriebene Offertverhandlung für die
Vergebung der Concession brachte dem
Ministerium kein einziges Angebot.
Ebenso vergeblich blieb die dann ver-
suchte Sicherstellung des kleineren, die
Linien Tarnöw-Sandomir und Stanislau-
Husiatyn nicht umfassenden Complexes.
Aus diesen Enttäuschungen ergab
sich von selbst, dass ohne Gewährung
der vollen Staatsgarantie die Concessio-
nirung der westgalizischen Bahnen nicht
zu erzielen sei. Da aber die wirthschaft-
lichen und allgemeinen staatlichen Be-
weggründe, welche für die ehethunlichste
Ausführung dieses Netzes sprachen, un-
geschwächt fortbestanden, sogar dadurch,
dass die ungarische Strecke der Linie
Tarnöw-Eperies bereits der Vollendung
entgegenging, noch vermehrt wurden,
trat die Regierung ungescheut nochmals
an den Reichsrath heran, und beantragte
mittels der am 15. Februar 1873 im
Abgeordnetenhause eingebrachten Vor-
lage eine Abänderung des Gesetzes vom
29. Juni 1872 dahin, dass von den
Linien Tarnöw-Sandomir und Stanislau-
Husiatyn vorläufig abgesehen und le-
diglich für die Sicherstellung der west-
galizischen Linien gesorgt werde, denen
jedoch die kleine Linie Sucha-Krakau
noch anzufügen sei, andererseits aber das
Anlage-Capital für eben diese Linien ent-
sprechend den gesteigerten Eisenpreisen
erhöht und mit der vollen Garantie
ausgestattet werde. Das Abgeordneten-
haus, welches seine Anschauungen zum be-
deutenden Theile aufrecht hielt, änderte
auch diese Vorlage ab, indem es jetzt
zwar eine Garantie von 50.300 fl. pro
Meile zugestand, aber wieder nicht für
das ganze Netz, sondern mit Aus-
schluss der Linie Bielitz - Saybusch-
Csäcza, welche nur mit einer zwanzig-
jährigen Steuerfreiheit bedacht blieb.
Die a. h. Sanction dieses Gesetzes er-
folgte am 22. April 1873.
Gleich darauf brach die Krisis aus
und was früher nicht glücken wollte,
wurde nun vollends zur Unmöglichkeit.
Die Regierung musste daher die Frage
der Sicherstellung des westgalizischen
Bahnnetzes einstweilen ruhen lassen und
sich darauf beschränken, für die durch
besondere öffentliche Rücksichten dringend
gebotene Ausführung lediglich der Linie
Tarnöw-Leluchöw zu sorgen, wozu ihr
die auch in das Gesetz vom 22. April
1873 aufgenommene Ermächtigung zum
Baue dieser Linie auf Staats-
kosten immerhin noch Gelegenheit liess.
Eine laute Mahnung, von dieser Er-
mächtigung Gebrauch zu machen, war
die am 1. Mai 1873 vollzogene Er-
öffnung der ungarischen Anschluss-
strecke in der Ausdehnung von Eperies
bis Orlö.
Die Regierung scheint sich nicht
leicht oder doch nicht sogleich zur
Wiederaufnahme des seit fast zwanzig
Jahren aufgegebenen staatlichen Eisen-
bahnbaues entschlossen zu haben ; denn
die a. h. Anordnung der Inangriffnahme
des Baues der Linie Tarnöw-Leluchöw
auf Staatskosten erfolgte erst am 28. Juli
1873. Sobald aber die Entscheidung ge-
troffen war, nahm die Sache einen
raschen Fortgang.
Während noch die weiteren Vorein-
leitungen zum Baue getroffen wurden,
hatten am 4. September 1873 schon
die Arbeiten am Zegiestöwer Tunnel
begonnen, welche für sich allein an die
Unternehmer Koller und Gregersen ver-
geben worden waren. Die übrigen Ar-
beiten wurden in 1 1 Lose getheilt
und, nachdem die politische Begehungs-
Commission in der Zeit vom 2. Decem-
ber 1873 bis Mitte Januar 1874 statt-
gefunden hatte, am 3. März 1874 im
Wege einer Offertverhandlung zu Ein-
heitspreisen an mehrere kleine Unter-
nehmer übertragen. Diese begannen ihre
Thätigkeit im Frühjahre 1874 und voll-
endeten dieselbe im Sommer 1876 so-
weit, dass die ganze, 1457 km lange
Linie, am Tage des Geburtsfestes
Sr. Majestät des Kaisers, das ist am
18. August eröffnet werden konnte. Gleich-
zeitig wurde auch die 5-2 km lange
Grenzstrecke Leluchöw-Orlö der unga-
rischen Anschlusslinie Eperies- Leluchöw
dem Betriebe übergeben.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
173
Wie entfernt man damals noch davon
gewesen, den staatlichen Eisenbahnbau,
geschweige denn Betrieb zum Systeme
zu erheben, das lehrt der Umstand, dass
die Linie Tarnöw-Leluchöw, noch ehe
sie ausgebaut war, schon wieder, näm-
lich im Wege der am 16., beziehungs-
weise 27. November 1875 zwischen der
Regieruns und der Lemberg;-Czernowitz-
strecke Leluchöw - Orlö , welche von
ihrer Eigenthümerin, der »Eperies Tar-
nöwer Bahn«, [ungarischer Theil] mittels
Vertrages vom 3. August 1876 auf
die ganze Concessionsdauer an die
k. k. Tarnöw - Leluchöwer Bahn, be-
ziehungsweise deren betriebführende Ver-
waltung in der Weise überlassen wurde,
dass der Betrieb dieser kleinen Strecke für
Abb. 87. Schwarzach-Tunnel [Strecke Bischofshofen-Hochfilzen].
Eisenbahn- Gesellschaft vereinbarten so-
genannten galizischen Fusion [siehe
weiter unten] um den in Actien al pari zu
entrichtenden Kaufpreis von 16,000.000 fl.
an die genannte Gesellschaft veräussert
werden sollte, und, als der Reichsrath
die bezügliche Gesetzesvorlage abgelehnt
hatte [1. März 1876], der Ersten ungarisch-
galizischen Eisenbahn gegen Vergütung
der Selbstkosten in Betrieb gegeben wurde.
Der betreffende, am 10. April 1876
abgeschlossene Betriebsvertrag erstreckte
sich auch auf die ungarische Grenz-
Rechnung der Eigenthums-Gesellschaft
besorgt, und der letzteren für den von
ihr selbst zu versehenden Gemeinschafts-
dienst in Orlö eine entsprechende Ver-
gütung seitens der galizischen Linie ge-
leistet werde. Die fremde Betriebsführung
auf der Linie Tarnöw-Leluchöw währte
bis zur Errichtung der k. k. General-
Direction der österreichischen Staats-
bahnen [1. August 1884].
Die Änlagekosten der Linie Tarnöw-
Leluchöw haben 13,322.136 fl. oder
91.420 fl. pro Kilometer betragen.
174
Ignaz KoDta.
81
Aus dem Bahnhofe Tarnöw gegen Osten
ausmündend, schlägt die Trace der Tarn öw-
Leluchöwer Bahn alsbald die südliche
Richtung in das Bialathal ein und zieht 6 km
weit durch die breite Ebene dahin, ohne
irgend welchen Schwierigkeiten zu begegnen.
Alsbald verengt sich aber das Thal und die
Bahn führt, nachdem sie das Flussufer
wechselt, entlang den sanft geneigten
birgsabhängen bis Tuchöw. Von da bis
Zimnawodka. wo die Trace wieder auf
das rechte Ufer des Bialaflusses zurück-
kehrt, ist das Terrain ebenfalls günstig. Bei
Jezöw wird das Thal wieder breiter und ver-
bleibt so bis etliche Kilometer vor Gryböw,
wo die Trace das Plateau zu ersteigen hat,
auf welchem die Station Gryböw angelegt ist.
Die Trace übersetzt, nachdem sie vom
Bahnhofe Gryböw ansteigt, mittels eines
22 m hohen, gemauerten Viaductes, den
Bialafluss, schlägt dann die westliche Richtung
ein und zieht im Strylawkathale bis zu einer
kleinen Thalerweiterung, wo sie sich wendet,
und auf der anderen Lehne des Thaies bis nahe
an Grvböw zurückkehrt, um dann abermals zu
wenden und auf dem südlichen Abhänge
des Bergrückens bis zum Sattel in Ptaszkowa
zu gelangen. Der Bau dieses Theiles der
Bahn war wegen des petroleumführenden,
sehr rutschigen Terrains mit grossen Schwie-
rigkeiten verbunden.
Nachdem die Ptaszkowaer Wasserscheide
[zugleich der höchste Punkt der Bahn] mit
einem massigen Einschnitte durchbrochen ist,
fällt die Bahn, dem Terrain sich thunlichst
anschmiegend , als hoher Lehnenbau bis Ka-
mionka herab, durchschneidet dort eine scharfe
Bergnase mit einem 170 m langen Tunnel
und gelangt dann, allmählich den Charakter
einer Thalbahn annehmend, in die weite
Ebene von Neu-Sandec, welche eine breite
Terrasse zu dem tiefer eingeschnittenen Bette
des Dunajecflusses bildet. Nächst der Ein-
mündung des Popradflusses in den Dunajec-
fiuss wird der erstere übersetzt und die Alt-
Sandecer Ebene gewonnen.
Die lange Strecke von Rvtro in süd- und
südöstlicher Richtung über Piwniczna bis zu
dem Tunnel bei Zegiestöw ist die Bahn fort-
während im Popradufer eingeschnitten, be-
ziehungsweise in den Fluss eingebaut. Zu-
nächst der ungarischen Ortschaft Kacsa musste
die Bahn, wegen Vermeidung eines längeren
Tunnels, über eine auf ungarischem Gebiete
liegende Schotterinsel im Popradflusse ge-
führt werden. Der Tunnel bei Zegiestöw,
der im weiteren Verlaufe der Trace eine be-
deutende Thalserpentine abschneidet, kostete
harte Arbeit, da er in seinem nördlichen
Theile durch geschichteten Sandstein und
am Ausgange durch stark durchnässten Lehm
getrieben ist.
Von diesem Tunnel bis Milik läuft die
Trace in günstigem Terrain; hinter dem ge-
nannten Orte musste sie aber wieder in den
Fluss eingebaut und entlang einer bewegten
Schuttlehne geführt werden. Auch vor Mu-
szyna gab eine anscheinend feste Felswand,
die sich aber als ein vollkommen zerklüfteter,
in sich selbst zusammensinkender Schuttkörper
erwies, Veranlassung zu einer gänzlichen
Verlegung der Trace in den Poprad.
Nächst Muszyna biegt die Trace zu einem
weiten Bogen nach Osten und zurück gegen
Südwest aus, in welchem sie an die Landes-
grenze bei Leluchöw, beziehungsweise bis
in die Station Orlö des ungarischen Theiles
der Eperies - Tarnöwer Bahn, führt.
Vorwiegend allgemein staatliche Rück-
sichten verhalfen auch der Istrianer
Bahn zu ihrem Dasein. Pola als Haupt-
station und Depötplatz der österreichischen
Kriegsmarine durfte nicht ohne eine rasche
und gesicherte Verbindung mit dem Hinter-
lande bleiben. Dieses Postulat machte
sich schon im Jahre 1859 geltend; trotz-
dem vergingen aber noch anderthalb De-
cennien, bis es Erfüllung gefunden. In
der Oeffentlichkeit war von einer Ein-
beziehung Polas in das österreichische
Eisenbahnnetz zum ersten Male im Jahre
1863 die Rede. Damals handelte es sich
um die Linie Triest-Pola, welche der
Triester Civil-Ingenieur Dr. Ludwig Buzzi
projectirte, ohne jedoch damit über die
gewöhnlichen Voreinleitungen hinaus zu
kommen. "
In einer grellen Beleuchtung zeig-
ten die Ereignisse des Jahres 1866
die bedenkliche Wirkung des Mangels
einer von Pola nach dem Innern des
Reiches führenden Schienenstrasse. Eine
hervorragende Zeitschrift, die »Oester-
reichische Revue«, brachte denn auch im
October jenes Jahres einen Aufsatz >über
das Eisenbahnnetz der österreichischen
Monarchie«, welcher die Einbeziehung
der Haupthäfen in das Eisenbahnnetz
sowie deren Verbindung unter einander,
und demzufolge die Herstellung einer
Eisenbahn nach Pola, mit Rücksicht auf
die Vertheidigung des Reiches, dringend
empfahl. Der Aufsatz war mit »B. v. W.«
unterzeichnet und rührte, wie ebenso all-
gemein als widerspruchslos behauptet
wurde, von dem Freiherrn v. Wüllerstorff-
Urbair, also dem damaligen Handels-
minister und früheren Admiral,her. Auch der
sieggekrönte Seeheld Freiherr von Tegett-
hoff befürwortete wärmstens diese Bahn.
Auf diese gewichtige Anregung hin
bildeten der Marine-Oberingenieur Alfons
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
175
Lorenz, Hugo Graf Henckel-Donnersmark
u. m. A. ein Consortium für die Herstellung
einer mitten durch Istrien zu führenden
Bahn von Triest nach Pola nebst Aus-
ästung an die Linie St. Peter -Fiume
[Vorconcession vom 24. Juni 1867]. Da
aber dieses Consortium eine Art Vorrecht
für sich beanspruchte, was nach den
gesetzlichen Vorschriften nicht gewährt
werden konnte, stellte es seine Thätigkeit
alsbald wieder ein.
Die Angelegenheit ruhte nun abermals,
bis die Denkschrift zu der am 13. März
1869 vom Handelsminister v. Plener im
Abgeordnetenhause eingebrachten, jedoch
am 29. April wieder zurückgezogenen
Vorlage über die Vervollständigung des
Eisenbahnnetzes, bei der Besprechung der
Linie St. Peter-Fiume eine spätere Ab-
zweigung der letzteren nach Pola in
Aussicht stellte, und hiedurch mittelbar
Veranlassung gab, dass beide Häuser des
Reichsrathes am 8., beziehungsweise 12.
Mai 1869 übereinstimmend die Resolution
fassten : »Die Regierung wird aufgefordert,
das Zustandekommen einer Eisenbahn von
Pola nach Istrien an das österreichische
Eisenbahnnetz mit allen ihr zu Gebote
stehenden Mitteln zu fördern.«
So nachdrucksvoll dieses Verlangen
sich auch anhören mochte, war seine
Erfüllung doch noch sehr ferne ; denn die
vielen, den Bau vertheuernden Terrain-
schwierigkeiten und die nur spärlich
vorhandenen Grundlagen für eine ent-
sprechende Ertragsfähigkeit der Bahn
hielten die Bewerbung um dieselbe nach
wie vor in sehr engen Grenzen.
Im Jahre 1 869 traten der Feldmarschall-
Lieutenant Freiherr von Kudriaffsky und
Genossen, im Jahre 1870 die Verwaltungs-
räthe der Franco-österreichischen Bank
J. M. Pfeiffer und Koloman Reisch, als
Projectanten, beziehungsweise Bewerber
auf; erstere hatten am 11. November 1869
die Vorconcession für eine zwischen
St. Peter und Nabresina aus der Südbahn
ausmündende Bahn nach Pola mit Abzwei-
gungen nach Triest und Rovigno, letztere
am 1 1 . April 1 87 1 die Vorconcession für
die Linie Triest-Pola erhalten. Die Er-
gebnisse der beiderseits unternommenen
Vorarbeiten kamen jedoch auf ein und
dasselbe Project hinaus, nämlich auf das
für die Linie Divaöa-Pola nebst der
Abzweigung nach Rovigno.
Obzwar die Istrianer Bahn auch von
dem damaligen technischen Consulenten
des Handelsministeriums, k. k. Hofrath
von Nördling, anlässlich seiner im Jahre
187 1 unternommenen Bereisung Istriens,
zur Ausführung empfohlen wurde, konnte
die Entscheidung noch immer nicht ge-
troffen werden, weil jene Projecte sich
als unzureichend und ihre etwaige Aus-
führung als zu kostspielig erwiesen hatten.
Die Regierung musste darum, wenn sie
die nun auch schon vom Istrianer Land-
tage und den sonstigen Vertretungskörpern
des Landes lebhaft begehrte Sicherstellung
dieses Bahnbaues nicht einem neuerlichen
Aufschübe ins Ungewisse aussetzen wollte,
die technischen Vorarbeiten selbst voll-
führen. Das kam ihr aber insoferne schwer
an, als die zur Vornahme dieser Arbeiten
berufene Behörde [k. k. General-Inspection]
gerade zu jener Zeit durch die Ueber-
prüfung der zahlreichen, aus allen Theilen
des Reiches zusammenströmenden Eisen-
bahn-Projecte vollauf in Anspruch ge-
nommen war.
Das Handelsministerium griff also
zu dem Auskunftsmittel, einige mit
genauen Weisungen versehene Privat-
ingenieure zur Aufnahme des Terrains zu
entsenden und das Ergebnis dieser Arbeiten
zur Vervollständigung oder Abänderung
der Projecte zu verwerthen. Die Kosten
dieses aussergewöhnlichen Verfahrens
lohnten sich reichlich ; denn es verschaffte
der Regierung ein in technischer Beziehung
vollkommenes und den Bau um mehr als
200.000 fl. pro Meile verwohlfeilendes
Project. Nach Massgabe desselben sollte
nämlich die Herstellung der insgesammt
19*2 Meilen langen Bahn einen Aufwand
von effectiv 12,910.000 fl. oder 671. ßoofl.
pro Meile, beziehungsweise mit Einrech-
nung der Hafenanlagen in Pola und
Rovigno 13,536.150 fl. oder 703.870 fl.
pro Meile erfordern.
Nun erst hielt die Regierung die An-
gelegenheit reif genug für die legislative
Behandlung. Der am 3. März 1873 dem
Abgeordnetenhause vorgelegte Gesetz-
entwurf lautete auf Concessionirung der
genannten Linie unter Gewährung einer
Staatsgarantie von 43.800 fl. pro Meile,
176
Ignaz Konta.
eventuell Ausführung auf Staatskosten
und, letzteren Falles, Ertheilung einer
Baudotation von 2,000.000 fl. für das
Jahr 1873. Beide Häuser des Reichsrathes
nahmen das Gesetz unverändert an,
worauf dasselbe am 30. April 1873 die
a. h. Sanction erhielt.
Allein jetzt kam wieder die am 9. Mai
1 873 ausgebrochene wirtschaftliche Krisis
störend dazwischen. Die alten Projectanten
waren vom Schauplatze abgetreten ; die
im Sommer 1873 von einigen istrischen
Handelshäusern und Advocaten, unter
Führung des Dr. Giuseppe Basilico in
Rovigno, unternommene Bildung einer
heimatlichen EisenbahnGesellschaft blieb
ein vergeblicher Versuch, und anderweitige
vertrauenswürdige Bewerber stellten sich
nicht ein.
Das Küstenland fürchtete daher, die
ersehnte Schienenstrasse noch länger ent-
behren, überdies aber auf die von ihrem
Baue erhoffte Linderung des durch
Misswachs hervorgerufenen Nothstandes
verzichten zu müssen. Die Besorgnis
steigerte sich, je mehr das Jahr seinem
Ende zuschritt. Zahlreiche Gemeinden
erbaten, und der Landesausschuss sowie
auch die Statthalterei befürworteten darum
die ehemöglichste Inangriffnahme des
Baues. Die Regierung fasste demnach
Anfangs December den Entschluss, die
Bahn entsprechend der zweiten Alterna-
tive des Gesetzes vom 30. April 1873 auf
Staatskosten auszuführen und schritt
auch unverzüglich ans Werk. Es wurde
die Lieferung der Schienen und Schwellen
ausgeschrieben, die Voreinleitung für
die Grundeinlösung getroffen und am
17. December 1873 zu Pisino der erste
Spatenstich in feierlicher Weise vorge-
nommen. Tags darauf, am 18. December
1873, erfloss auch die a. h. Genehmigung
des Baues auf Staatskosten.
Damit war auch die Sicherstellung
der Istrianer Bahn endlich zur Thatsache
geworden. Bis zur Aufnahme der Arbeiten
längs der ganzen Linie vergingen jedoch
noch etliche Monate. Die Grundein-
lösungs-Commission wurde am 18. Januar,
die Bauleitung am 20. März 1874 er-
richtet; erstere hatte den k. k. Statt-
haltereirath Wilhelm Ritter von Zettmar,
letztere den damaligen Commissär der
General-Inspection Gustav Gerstel zum
Vorstande. Die allgemeine Vergebung
des Baues erfolgte im Wege der am
28. März 1874 ausgeschriebenen Offert-
verhandlung, an welcher sich 3 1 Offerenten
betheiligten. Ersteher blieb der Unter-
nehmer M. Fröhlich in Graz, der die
günstigsten Einheitspreise anbot. Die poli-
tische Begehungs-Commission fand in
den Tagen vom 19. April bis 13. Mai
1874 statt.
Einige während des Baues angeordnete
Aenderungen der Trace, mehr noch aber
die an einzelnen Stellen, insbesonders bei
der sogenannten Raspadaliza, zu über-
winden gewesenen Schwierigkeiten hatten
eine kleine Ueberschreitung der Vollen-
dungsfrist zur Folge. Die Eröffnung der
122-3 km langen Hauptlinie Diva 6 a-
P o 1 a und der 2 1 km langen Zweigbahn
Canfanaro-Rovigno ging nicht, wie
ursprünglich beabsichtigt war, am 10. Au-
gust, sondern erst am 20. September
1876 vor sich.
Mit der Führung des Betriebes hatte
die Staatsverwaltung die Südbahn betraut,
die hiefür auf Grund des mit ihr vor-
läufig für die Dauer von drei Jahren
abgeschlossenen Vertrages vom 16. August
1876 eine jährliche Pauschalvergütung
von 275.000 fl. [exclusive Bahnerhaltung]
erhielt. Dieser Vertrag war bald Gegen-
stand der öffentlichen Kritik, sowohl in
finanzieller Beziehung, als auch weil die
Ueberantwortung des Betriebes der
Istrianer Bahn an die Südbahn für gegen-
sätzlich erachtet wurde zu der Tendenz
jener Resolution, mit welcher der Reichs-
rath, anlässlich der Berathung des Ge-
setzes über die Sicherstellung der Istrianer
Bahn, die Regierung aufgefordert hatte,
»darauf Bedacht zu nehmen, dass der
Anschluss dieser Bahn an eine von der
Südbahn unabhängige, in nördlicher
Richtung führende Eisenbahn nicht er-
schwert werde«.
Der Reichsrath selbst beschäftigte sich
jedoch vorwiegend nur mit der öco-
nomischen Seite des Betriebsvertrages
und fasste sohin in der Sitzung des Ab-
geordnetenhauses vom 16. März 1878 die
Resolution : Die Regierung möge die
Kündigung des Vertrages sobald als
möglich veranlassen und, wenn es nicht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
177
Abb. 88. Der Unterstein nach dem Bergsturze im August 187g.
gelingen sollte, wesentlich bessere Bedin-
gungen zu erzielen, den Staatsbetrieb
einführen. Das Handelsministerium ent-
sprach dieser Aufforderung, kündigte den
Vertrag mit Ende des Jahres 1878 ein-
jährig, schloss aber, vermöge der dann
erzielten günstigeren Bedingungen, am
25. November 1879 einen neuen Vertrag
ab, auf Grund dessen die Istrianer Bahn
dann noch bis zum Jahre 1883 im Be-
triebe der Südbahn verblieb.
Im Jahre 1878 wurde die 1*3 km
lange Schleppbahn von Pola zum
dortigen Seearsenale ausgeführt; ihre
Eröffnung fand am 28. September 1878
statt.
Um jene Zeit haben die Baukosten
der Istrianer Bahn 12,760.469 fl., oder
88.970 fl. pro Kilometer, betragen ; eine
nennenswerthe Erhöhung derselben ist
auch weiterhin nicht eingetreten.
Die Hauptlinie der Istrianer Bahn
zweigt am Südende der Station Divaea von
der Südbahn ab und führt alsbald mit einer
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Steigung von 1 : 50 zu dem höchsten Punkte
der Bahn, der Wasserscheide bei Rodik
[539 *• Seehöhe], wendet sich dann gegen
Westen und erreicht die auf nacktem Karst-
plateau*) gelegene Station Herpelje-Kozina.
Von hier zieht die Trace an der sogenannten
Klanizaer Lehne, deren Steilheit die Anlage
der Rampen und Wächterhäuser wesentlich
erschwerte, im schwachen Gefälle zur
Station Podgorje. Den tief eingerissenen
Klüften des Schiefergesteines ausweichend,
ersteigt sie das Plateau von Rakitovic — den
zweithöchsten Punkt der Bahn [530 m See-
höhe] — und erreicht mittels zweier durch
einen wellenförmigen Bergrücken führenden
Felseneinschnitte die Station Rakitovic, von
welcher aus sie dann in vielfachen Windungen
und mittels eines 1000 m langen, nur durch
Dohnen unterbrochenen Einschnittes auf der
Lehne bei Pinguente an die Grenze der
Schiefer- und Karstformation gelangt. Der
*) Bemerkenswerth ist für die eigenthüm-
liche Thalbildung und für den Charakter
dieses Karstgebietes, in welchem fast das
ganze dort auffallende Regenwasser ver-
sickert, dass auf der ganzen 8 km langen
Strecke bis zur Wasserscheide nur fünf
Wasserdurchlässe nothwendig waren, wovon
die zwei grössten nur 2 m Spannweite hatten.
12
I78
Ignaz Konta.
Weg von da zur Station Pinguente konnte
wieder nur mühsam, meist durch grossartige
Felsensprengungen gewonnen werden.
Hinter Rozzo trifft die Trace, nach
Durchbruch eines vorgeschobenen hohen
Schotterrückens, den gefährlichsten Punkt
der ganzen Anlage, den Raspadaliza ge-
nannten gewaltigen Bergsturz. Jeder Regen
verursachte neue Rutschungen und mussten
sehr' umfassende Entwässerungs-Vorrichtun-
gen getroffen werden, um die Bahn hier
gegen Katastrophen zu sichern. Auch in der
weiteren Strecke bis Rozzo haben die zerris-
senen Schluchten die Ausführung vieler
kostspieligen Schutzbauten nothwendig ge-
macht. Von der Station Rozzo fällt die Bahn
bis zu der bei der gleichnamigen Ortschaft
befindlichen Thalmulde, um sich dann auf
das mit Pinguente gleich hohe Karstplateau
von Lupoglava zu erheben, wobei bedeutende
Anschüttungen und massenhafte Rutschungen
zu bewältigen waren. Hinter Lupoglava
beginnt abermals die Schieferformation.
Einschnitte bis zu 29 m Tiefe und Dämme
bis 37 m Höhe folgen einander im raschen
Wechsel und nur mühsam windet sich die
Bahn durch wilde, tief eingerissene Schiefer-
schluchten in vielfachen Krümmungen zu
der Wasserscheide des Quieto- und Foiba-
gebietes empor, welche mittels eines 340 in
iangen Tunnels durchbrochen wird. Die Trace
führt weiter längs des Foibathales, an der
Statipn l'erovglie vorbei nach Pisino.
Pisino verlassend gelangt die Bahn durch
einen 18 m tiefen Felseinschnitt auf das süd-
liche Karstgebiet, auf welchem sie nun bis
zu ihrem Endpunkte verbleibt. Auf dem Wege
über St. Pietro in Selva bis nach Canfanaro
[Abzweigung der Flügelbahn nach Rovigno]
bedingten die tiefen, gegen das westlich ge-
legene Dragathal sich hinziehenden Mulden
grosse Schleifen und Entwicklungen.
Von Canfanaro über Zabronich dahin-
ziehend, führt die Bahn in stetem Gefälle
nach Dignano und gelangt in vielfachen
Krümmungen in den Hafen von Pola, wo
ein Theil der Station in die das Hafenbassin
von Pola bildende Meeresbucht hineingebaut
wurde. [Abb. 94.]
Die Flügel bahn nach Rovigno hat
•denselben Charakter wie die letzte Strecke
der Hauptlinie, aus welcher sie in Canfanaro
mit einer Schleife abzweigt. Sie führt längs
dem Canale di Lerne zur Station Sossich
und von da in vielfachen Krümmungen
nach der am Meere angelegten Endstation
Rovigno.
Die Istrianer Bahn ist eine wahre Kunst-
bahn, deren Herstellung durch die Terrain-
verhältnisse, die geologische Beschaffenheit
des Bodens und die \Vasserarmuth des Landes,
welch letztere nicht blos weitläufige Wasser-
versorgungs-Anlagen für den Betrieb, sondern
schon beim Baue sehr oft die Herbeitragung
des Wassers zur Mörtelbereitung aus ent-
fernten Niederungen nothwendig machte,
sehr erschwert war.
Unter den Privatbahnen, welchen zum
Zwecke des Baues Staatshilfe zutheil
geworden, steht, sowohl der Zeit, als
dem Aufwände nach, die Linie Pilsen-
Eisenstein obenan. Diese Linie wurde
zugleich mit jener von Mlatz nach Johann-
Georgenstadt, am 13. November 1872,
der Eisenbahn Pilsen - Priesen
[Komotau] concessionirt [s. S. 105],
wäre aber gleich ihrer Zwillingsschwester
unausgeführt geblieben, wenn nicht die
Staatsverwaltung, in Anbetracht ihrer
aus dem Staatsvertrage mit Bayern vom
30. März 1873 hervorgehenden Ver-
pflichtung zur Förderung des Zustande-
kommens dieses Anschlusses an die
bayerische Ostbahn sowie ferner in Be-
rücksichtigung der volkswirthschaftlichen
Bedeutung der Bahn und des Nothstan-
des im südlichen Böhmen, dieselbe in
die staatliche Hilfsaction einbezogen
hätte.
Ein Gleiches auch hinsichtlich der
Linie Mlatz-Johann-Georgenstadt zu thun,
erachtete die Regierung nicht für unum-
gänglich nothwendig, weil ihr vermöge
des Baues der Linien Brüx-Mulde [Moldau],
Krima-Reitzenhain und Falkenau-Graslitz,
die Herstellung noch einer vierten neuen
Verbindung mit den sächsischen Bahnen
minder dringlich erschien, was übrigens
die Interessenten gerade dieser Verbin-
dung keineswegs zugeben wollten; diese
glaubten vielmehr, mit der Recrimination
antworten zu dürfen, dass nicht nur die
Linie Mlatz-Johann-Georgenstadt, sondern
auch ihre sächsische Fortsetzung schon
im Betriebe stünden, wenn die Conces-
sion im Jahre 1871 dem Consortium des
Grafen Gatterburg, das bereits eine
sichere Anwartschaft darauf zu haben
wähnte, ertheilt worden wäre.
Die Gesellschaft hatte, als ihr durch
die Krisis hervorgerufenes Unvermögen,
die Mittel zum Baue der neuen Linie zu
beschaffen, zweifellos geworden, die staat-
liche Unterstützung erbeten und, um die-
selbe zu erhalten, so ziemlich allen seitens
der Regierung aufgestellten Bedingungen
und Cautelen zugestimmt; sie Hess die
Linie Mlatz-Johann-Georgenstadt ausser
Erörterung, verpflichtete sich, den Bau der
Linie Pilsen-Eisenstein sofort in Angriff
zu nehmen und in der Strecke Pilsen-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
179
Klattau bis 1. Mai 1876, in der weiteren
Strecke bis Eisenstein aber innerhalb
der concessionsmässigen Frist, d. i. bis
13. November 1876, zu vollenden, wenn
ihr ein unverzinslicher, in Actien al pari
zu refundirender Staatsvorschuss im Be-
trage von 7,000.000 fl. gewährt werde,
zu dessen Sicherstellung sie dem Staate
das erste und ausschliessliche Pfandrecht
auf alle Bauten und Materialien dieser Linie
einräumen, überdiess sich allen Control-
massnahmen der Regierung unterwerfen
und der letzteren auch eine Vertretung
im Verwaltungsrathe zugestehen wollte.
Aus alldem wurde nun ein Ueber-
einkommen formulirt und die Regierung,
die mit der Vorschussertheilung nur
insoweit Vorsorge treffen wollte, bis die
Gesellschaft durch die Ausgabe von
Prioritäts-Obligationen den Rest des auf
14,410.000 fl. veranschlagten Anlage-
Capitals »ohne ungerechtfertigte Opfer
wird aufbringen können«, legte das
Uebereinkommen nebst einem einschlägi-
gen Gesetzentwurfe am 10. Februar 1874
dem Abgeordnetenhause vor, zugleich
betonend, dass bei der beabsichtigten
Hilfeleistung: alle Voraussetzungen des
Gesetzes vom 13. December 1873 [Noth-
standsanlehen] zutreffen. Die Vorlage
begegnete zwar einer nicht geringen
Gegnerschaft, wurde aber schliesslich
angenommen und sodann am 10. April
1874 als Gesetz sanctionirt.
Noch im selben Monate, am 23. April
1874, fand der definitive Abschluss des
Uebereinkommens, etwas später auch die
Vergebung des Unterbaues sowie der
Legung des Oberbaues an die Unter-
nehmung A. Lanna, Schebeck und Grobe
und am 8. Juni 1874 die Inangriffnahme
der Arbeiten statt. Den Hochbau, die
Beistellung des Oberbau-Materiales, der
Fahrbetriebsmittel und der sonstigen
Ausrüstungs- Gegenstände hatte die Ge-
sellschaft in eigene Regie genommen.
Die am 6. September 1874 zusammen-
getretene erste ordentliche Generalver-
Abb. 8g. Tunnel bei Taxenbach und der Eingang in das Rauriserthal.
12*
i8o
Ignaz Konta.
Sammlung der Eisenbahn Pilsen- Priesen
[Komotau] genehmigte alle diese vom Ver-
waltungsrathe getroffenen Massnahmen,
beschloss die Ausgabe neuer Actien im Be-
trage von 6,999.900 fl., dann neuer Priori-
täts-Obligationen im Betrage von nom.
11,999.850 fl., welch letztere zum be-
deutenden Theile auch zur Deckung von
Erfordernissen der alten Linie dienen
sollten, und die entsprechende Abände-
rung der Statuten. Die ministerielle Ge-
nehmigung des Bauvertrages erfolgte
am 5. November 1874.
So lange die vom Staate beigestellten
Mittel vorhielten, schien der Zweck des
Vorschusses erfüllt, als sie jedoch zur
Neige gingen, ohne dass es der Gesell-
schaft gelungen war, den Rest des Bau-
capitals zu beschaffen, d. h. die Priori-
täts-Obligationen zu begeben , da trat
neue schwere Sorge, weit mehr noch an
die Regierung, als an die Gesellschaft
heran; denn diese war im Grunde ge-
nommen an dem neuen Unternehmen
materiell fast gar nicht betheiligt, jene
aber sah sich vor die unangenehme Wahl
gestellt, den Bau und die dafür schon
verausgabten Summen preiszugeben oder
ihm weitere Staatsgelder zuzuwenden.
Natürlicherweise durfte die Regierung
sich nur für das Letztere entscheiden,
wiewohl sie keinen Augenblick darüber
im Zweifel sein konnte, dass sie mit
dieser zweiten Anforderung vor dem
Parlamente einen noch schwierigeren
Stand haben werde.
Das Ministerium hatte zufolge ihrer
neuen Unterstützungsgesuche vom 14.
October und 3. November 1875, mit
der Gesellschaft eine Abänderung des
ersten Uebereinkommens dahin vereinbart,
dass die Staatsverwaltung von den vor-
erwähnten Prioritäten II. Emission 69.999
Obligationen ä 150 fl. zum Curse von 75%
übernimmt, mithin für den Nominalwert!}
von 10,499.850 fl. einen Baarbetrag von
7,874.887 fl. 50 kr. flüssig macht, zu-
gleich aber von der Verpflichtung, für
die früheren Vorschüsse [7,000.000 fl.]
Actien al pari in Zahlung zu nehmen
entbunden wird, nachdem diese alte
Vorschussforderung fortan als Darle-
hen zu gelten habe, welches innerhalb
dreissig Jahren unkündbar und mit 5°/0
verzinslich sein soll, wie auch das in der
bücherlichen Einlage für die Linie Pilsen-
Eisenstein am ersten Platze einverleibte
Pfandrecht ungeschmälert behalten, je-
doch nur dann und in dem Masse wirk-
lich verzinst werden soll, als die Linie
Pilsen-Eisenstein nach der vollständigen
Bedeckung des Erfordernisses für die
Prioritäten II. Emission noch Ueber-
schüsse ergebe.
Dieses neue Uebereinkommen wurde
sammt dem Entwürfe eines die Regierung
zum Abschlüsse desselben ermächtigenden
Gesetzes am 25. Januar 1876 im Abge-
ordnetenhause eingebracht, wo es, wie
vorauszusehen war, eine wenig freundliche
Aufnahme fand. Man erhob dagegen
dreierlei Bedenken, nämlich: die besondere
Fürsorge gerade für diese Gesellschaft,
was aber durch die Unerlässlichkeit der
Vollendung des mit Staatsmitteln be-
gonnenen Baues, dessen Preisgebung, wie
der Abgeordnete Dr. Brestel treffend be-
merkte, »keine Sparsamkeit, sondern Ver-
schwendung wäre«, entkräftet wurde;
ferner die Verwendung von Prioritäten
der II. Emission für Zwecke der alten
Linie, was wieder mit der zweitmaligen
Herstellung der durch die Ueberschwem-
mung im Mai 1872 zerstörten Bauten
der alten Linie, deren Baucapital bereits
verbraucht war, begründet und für die
Gebarung der neuen Linie dadurch un-
schädlich gemacht wurde, dass das Ueber-
einkommen [§ 3] einen Zusatz erhielt,
wonach »für die Verzinsung und Tilgung
der an die Bauunternehmung der alten
Linie übergebenen Prioritäten II. Emission
im Betrage von nom. 1,500.000 fl. in
erster Reihe die Erträgnisse der alten
Linie aufzukommen haben« ; endlich die
noch weitere Belassung der nunmehr
vollends mit Staatsmitteln auszubauenden
neuen Linie in den Händen der Gesell-
schaft, was allerdings ohne erschöpfende
Widerlegung blieb.
Trotz der daran geübten Kritik erhielt
jedoch das Uebereinkommen mit der bereits
erwähnten sowie mit der weiteren Ab-
änderung, dass die Verzinsung des alten
Vorschusses schon einzutreten habe, wenn
die Reineinnahmen, nicht blos der neuen
Linie, sondern des Gesammtnetzes, über
das Erfordernis für den Prioritätendienst
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
181
Abb. 90. Zell am See.
hinausreichen, die Zustimmung desReichs-
rathes, und das bezügliche Gesetz am
17. April 1876 die a. h. Sanction. Der
definitive Abschluss des Uebereinkommens
erfolgte am 1. Mai 1876, nachdem der
Verwaltungsrath die Ermächtigung hiezu
schon von der ausserordentlichen General-
versammlung am 26. März 1876 er-
halten hatte, welche zugleich die aber-
malige Aenderung der Statuten, insbe-
sondere die Verringerung des Actien-
capitals um den nun als Darlehen geltenden
ersten Staatsvorschuss von 7,000.000 fl.,
d. i. auf den ursprünglichen Betrag von
9,000.000 fl., genehmigte.
Dem Abschlüsse folgte sogleich auch
die Durchführung des Uebereinkommens;
die staatliche Geldquelle begann von
Neuem zu fliessen und die Bauten nahmen
unter der vorzüglichen Leitung des Chef-
Ingenieurs Alois S t a n ö einen erfreulichen
Fortgang. Die bedungenen Vollendungs-
fristen konnten aber nicht eingehalten
werden; die62-5fe»w lange Strecke Pilsen-
Neuern wurde am 20. September 1876,
und zwar ohne die i-8 km lange, erst
am 20. Mai 1877 dem Betriebe über-
gebene Einmündung in den Personen-
Bahnhof Pilsen, eröffnet; die 33^9 km
lange Strecke Neuern-Eisenstein, in
welcher ausser dem grossen Spitzberg-
Tunnel [1747 m] noch zwei andere
Tunnels auszuführen waren, gelangte am
20. October 1877 zur Eröffnung.
Dank der besonderen Fürsorge der
Staatsverwaltung war nun wenigstens die
eine Hälfte der Verpflichtungen, welche
die Gesellschaft mit der Concessions-
Urkunde vom 13. November 1872 über-
nommen hatte, erfüllt. Geordneter Ver-
hältnisse konnte sich die Pilsen-Priesener
Bahn aber noch lange nicht erfreuen.
Wenn auch die Stille, mit der sie die
Frage des Baues der Linie Mlatz-Johann-
Georgenstadt zu umgeben wusste, nicht
unterbrochen wurde, traten dafür die Ver-
langen nach Erfüllung anderweitiger Ver-
bindlichkeiten umso lauter an sie heran.
Die unzureichenden Erträgnisse des
alten Netzes hatten die Gesellschaft ver-
anlasst, zur Einlösung der Prioritäten-
Coupons schwebende Schulden aufzu-
nehmen, deren Höhe mit Ende 1876
bereits auf 3,559.400 fl. angeschwollen
war und unerschwingliche Kosten ver-
ursachte. Um dieselben nicht noch weiter
182
Ignaz Konta.
zu steigern, sah sich die Gesellschaft
bemüssigt, die Einlösung der Coupons
ab I. Juli 1877 zu sistiren. Das rief
gerichtliche Klagen hervor, angesichts
deren auch die Gläubiger der schwe-
benden Schuld sich meldeten. Der all-
seitig erkannte Ernst der Lage führte
dann zwar zu einem Vergleiche, wonach
die Gläubiger sich mit einer percentuellen
Auftheilung der Betriebsüberschüsse zu-
frieden gaben*) und für die Zeit bis Ende
1882 auf alle Rechtsmittel verzichteten,
aber das war eine verhältnismässig nur
kurze Frist, und gleich im Beginne der-
selben gerieth die Gesellschaft auch mit
der Bauunternehmung der neuen Linie,
aus Anlass von Forderungen für Mehr-
leistungen, in Streitigkeiten, die erst durch
Intervention der Regierung Beilegung
fanden [13. Februar 1879].
An sich schon genug misslich, waren
diese Thatsachen für die Gesellschaft wie
auch für die Regierung noch dadurch
unerquicklich, dass sie von den Gegnern
der Staatshilfe immer wieder dazu benützt
wurden, die grosse Betheiligung des
Staates an einem Unternehmen der Pilsen-
Priesener Bahn, beziehungsweise die Er-
haltung der aus Staatsmitteln erbauten
Linie Pilsen-Eisenstein als Privatbahn,
zu bemängeln. Beide mögen es darum
unangenehm empfunden haben, dass die
Erwerbung der ganzen Bahn durch den
Staat, zu der es ja schliesslich doch
kam, nicht gleich damals zur Ver-
wirklichung gelangte, als die Regierung
ihre Geneigtheit hiezu in dem Handels-
ministerial-Erlasse vom 15. Januar 1876
zu erkennen gegeben hatte.
*) Nach dem Vergleichs -Vertrage vom
13. September 1878 [curatelsbehördhch ge-
nehmigt am 13. November 1878], erhielten für
die Zeit vom I. Januar 1877 bis 31. December
1878 die Besitzer von Prioritäten I. Emission
statt der bedungenen 5% Zinsen eine 750/0ige,
und die Inhaber der schwebenden Schuld eine
25°/oige Quote der verfügbaren Betriebsüber-
schüsse; vom I. Januar 1879 an hatten von
diesen ueberschüssen zu erhalte
n:
„ . . __ . . die Besitzer
Bei einem Ueberschusse TOrl Obli-
von bis . gationen
I. Emission
die Inhaber
der
schwebenden
Schuld
300.000 fl. 350 000 fl. 70°/0
35O.OOO » 400.000 > 65%
4OO.OOO > ohne weitere ÖO0/,,
307.
357t
407.
Begrenzung
Mit Ende 1878 betrugen die Anlage-
kosten der alten Linien 23,611.482 fl.
und jene der Linie Pilsen - Eisenstein
16,468.857 fl.
Die Linie Pilsen-Eisenstein führt
von Pilsen auf einer mit sechs Geleisen [im
Unterbau] hergestellten Brücke über die
dortige Aerarialstrasse und überschreitet, an
die beiden Nachbarbahnen sich anlehnend, mit
diesen die Radbuza mittels einer Brücke
[18 in Höhe und 65 in Spannweite] und dann
25 km von ihrem Ausgangspunkte entfernt
die Franz Josef-Bahn sowie die Böhmische
Westbahn mittels einer Ueberfahrt von
194 m Spannweite, schlägt sodann eine
völlig südliche Richtung ein und führt, dem
Laufe des Radbuzathales folgend, in die
Station Littitz, wo die nach Nürschan führende
Kohlenbahn abzweigt. Hinter der Station
Littitz wird ein Querthal mittels einer 13 vi
hohen Brücke [von 20 in Spannweite] und
sodann die Radbuza übersetzt. Nunmehr
steigt die Trace, um die Wasserscheide zwi-
schen Radbuza und Angel zu erreichen.
Zwischen den Stationen Dobfan und Pfestitz
geht die Trace ins Angelthal und übersetzt
den Fluss das erste Mal bei Roth-Pofic
[Eisenconstruction, drei Oeffnungen ä 35 in),
ein zweites Mal bei Beno, endlich ein drittes
Mal hinter der Station Janowitz. Auf diesem
Zuge werden die Stationen Luian, Schwihau,
Tocnik und Klattau passirt. Von der Station
Janowitz aus führt die Bahn steigend zu der
am Fusse der Böhmerwald-Gebirgsstrecke
gelegenen Station Neuern.
Hier wechselt der Charakter der Linie
vollständig; denn während er bisher ganz
einer Thalbahn entsprach, weist die nunmehr
mit 1 : 60 bis I : 66 ansteigende Linie oft bis
ins Thal hinunterreichende Dämme und in
bedeutender Höhe ausholende Einschnitte
auf, welche ihr im Vereine mit der starken
Entwicklung der Trace den Charakter einer
Gebirgsstrecke verleihen. Zwischen Neuern
und der Station Grün [nächst Motowitz] geht
die Bahn durch einen 130 in langen Tunnel.
Von Grün aus weiter ansteigend führt die
Trace über Hammern-Eisenstrass zu der
Wasserscheide zwischen Elbe und Donau em-
por, welche in der Seehöhe von 838 m mittels
des 1730 in langen Tunnels durchbrochen
wird, an dessen südlichem Ende die Station
Spitzberg liegt. Von da weiter zieht die Bahn
mit einem Gefälle von I : 55 der Reichsgrenze
zu, die nach Passirung eines 160 in langen
Tunnels in der Mitte der Endstation Eisen-
stein erreicht wird. [Abb. 95 und 96.]
Aeusserlich mannigfach verwandt mit
den Hauptstadien der Sicherstellung des
eben besprochenen Bahnbaues sind jene
der staatlichen Unterstützung des Baues
der Linie Falkenau-Graslitz, für
welche die Buschtöhrader Bahn
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
183
am 30. October 1873 die Concession
erhalten hatte. Auch hier handelt es sich
um eine Linie, die, wenn auch noch nicht
thatsächlich, so doch schon principiell
mit einer zweiten zusammen concessionirt
und einen neuen Anschluss an das
deutsche [sächsische] Bahnnetz zu be-
Scheles zum Anschlüsse an die Pilsen-
Priesener Bahn und Falkenau-Graslitz
[sächsische Grenze] zu concessioniren, und
zwar wie aus den Einzelbestimmungen
desselben deutlich hervorging, an die
Buschtöhrader Bahn, deren Bewerbung
um diese Linien bis in das Jahr 1871
Abb. 91. Salzburg-Tiroler Bahn bei Hopfgarten. [Hohe Salve und der Wasserfall.]
werkstelligen bestimmt war; auch hier
blieb eine der beiden Linien ungebaut
und die Ausführung der zweiten von der
wiederholten Hilfeleistung des Staates
abhängig.
Die Concession vom 30. October 1873
beruht nämlich auf dem Gesetze vom
7. Mai 1873, das die Regierung er-
mächtigte, die Linien Rakonitz-Jechnitz-
zurückreichten und so ernstliche waren,
dass die ausserordentliche Generalver-
sammlung vom 5. October 1871 bereits für
die Beschaffung des betreffenden Bau-
capitals Vorsorge traf. Durch den lang-
samen Gang der Concessions-Verhand-
lungen und die darob bis zum Her-
einbruche der wirthschaftlichen Krisis
verzögerte legislative Behandlung der
184
Ignaz Konta.
Angelegenheit, erlitt aber die Grundlage
der letzteren eine wesentliche Verrückung.
Ein namhafter Theil der von der er-
wähnten ausserordentlichen Generalver-
sammlung bewilligten Geldmittel musste
für unvorgesehene, der Gesellschaft neu
auferlegte Ausgestaltungen älterer Linien
verausgabt werden ; ein anderer wurde
bei der Vermehrung der gesellschaft-
lichen Montan- und Industriebahnen, in-
folge der Vertheuerung von Lohn- und
Material, über die Voranschläge hinaus
verbraucht; was dann noch erübrigte,
reichte beiweitem nicht mehr für den Bau
der beiden neuen Linien aus ; zur Beschaf-
fung frischer Geldmittel inmitten der
Krisis wollte die Gesellschaft sich nicht
verstehen, sondern lieber auf die Con-
cession für die Linie Rakonitz-Scheles
verzichten und bemühte sich, auch die
Regierung für dieses Vorhaben einzu-
nehmen.
Dem Handelsministerium, das nun
einmal die Concessionirung der beiden
neuen Linien vor die Legislative gebracht
hatte und durch das Gesetz vom 7. Mai
1873 gesichert glaubte, erschien dagegen
jene Zumuthung als eine ungerechtfer-
tigte ; es gab derselben überhaupt eine
ganz andere Auslegung, die in dem von
Seite des Handelsministers Dr. Banhans
späterhin gegen die Gesellschaft er-
hobenen Vorwurfe, »dass sie zuerst alles
Mögliche aufbiete, damit niemand An-
derer als sie Concessionen bekomme, nach
der Beseitigung der anderen Bewerber
aber nicht bauen will« [Abgeordnetenhaus-
Sitzung vom 29. April 1874], herben
Ausdruck fand.
Die Verhältnisse erwiesen sich jedoch
stärker als die Meinungen ; der Geldstand
der Gesellschaft und die allgemeinen wirth-
schaftlichen Zustände verschlechterten sich
immer mehr, so zwar, dass der Verwal-
tungsrath im October 1873 erklärte, nun
auch auf die Concession für die Linie
Falkenau-Graslitz verzichten zu müssen,
wenn die Durchführung derselben nicht
hinausgeschoben würde.
Trotzdem kam nach längeren, am
12. November 1873 beendeten Verhand-
lungen, eine Vereinbarung zustande, wo-
nach die Gesellschaft die Concession ledig-
lich für die Linie Falkenau-Graslitz
erhalten und sich zur unverweilten
Ausführung derselben verpflichten, die
Regierung aber zu diesem Baue einen
unverzinslichen, in Actien lit. B al pari
rückzahlbaren Staatsvorschuss im Betrage
von 1,500.000 fi. gewähren sollte.
Bei der Einholung der legislativen
Genehmigung hiezu ging die Regierung
wieder von den Voraussetzungen des
Gesetzes vom 13. December 1873 aus,
da die Linie Falkenau-Graslitz als eine
volkswirthschaftlich wichtige erkannt und
die Förderung ihres Ausbaues geeignet
war, in erheblichem Masse zur Linderung
des Nothstandes im Erzgebirge beizu-
tragen. Die Vorlage wurde am 10. Fe-
bruar 1874 im Abgeordnetenhause ein-
gebracht; ihre parlamentarische Be-
handlung war am 31. März beendet
und das Gesetz am 30. April 1874
sanctionirt.
Fünf Tage nachher erfolgte die Verlaut-
barung der vom 30. October 1873 datirten
Concessions-Urkunde für die Linie Fal-
kenau-Graslitz [sächsische Grenze], welche
als integrirender Bestandtheil der älteren
gesellschaftlichen Linien gelten, nach den
Bestimmungen der Concession vom 1 . Juli
1868 [Böhmische Nordwestbahn] behan-
delt werden und bis 31. October 1875
vollendet sein sollte. Die Regelung des An-
schlusses an das sächsische Bahnnetz und
des Gemeinschaftsdienstes in der Grenz-
station blieb dem diesfalls abzuschlies-
senden Staatsvertrage mit Sachsen vor-
behalten.
Die Theilhaber der Gesellschaft ge-
nehmigten in der Generalversammlung
vom 30. Mai 1874 sowohl die Erwerbung
der Concession, als auch das Ueberein-
kommen, unter gleichzeitiger Ermäch-
tigung des Verwaltungsrathes, die laut
Beschluss der Generalversammlung vom
5. October 1871 [für den allfälligen Bau
der Linie Rakonitz-Beraun] zurückbehal-
tenen Prioritäts-Obligationen im Betrage
von 3,000.000 fi. nunmehr nach Bedarf
für die Linie Falkenau-Graslitz zu ver-
werthen und zum gleichen Zwecke auch
7500 neue Actien lit. B ä 200 fl. auszu-
geben, beziehungsweise der Staatsverwal-
tung einzuhändigen, worauf dann das
Uebereinkommen am 3. Juni [zu Prag],
beziehungsweise 8. Juni 1874 [zu Wien]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
185
Abb. Q2. Der grosse Einschnitt bei Eben. [Bischofshofen-Selzthai.]
definitiv abgeschlossen und der von der
Gesellschaft in eigener Regie geführte
Bau am 23. Juni 1874 in Angriff ge-
nommen wurde.
Kaum ein Jahr nach dieser vermeint-
lichen Sicherstellung des nunmehr un-
behinderten Ausbaues der Linie Falkenau-
Graslitz stand aber die Gesellschaft
neuerdings vor einer leeren Baucasse,
da es bei der fortgesetzt gedrückten
Lage des Geldmarktes sogar der gut
accreditirten Buschtehrader Bahn nicht
gelang, jenen kleinen Posten von Prio-
ritäts-Obligationen zu annehmbaren Prei-
sen zu veräussern. Dazu mag allerdings
nicht wenig der Umstand beigetragen
haben, dass sie mit Ende 1873 bemüssigt
gewesen, die Einlösung der Coupons
der Actien lit. B zu sistiren, was ihr
auch die süddeutschen Plätze, auf welche
sie sonst immer zählen konnte, vorüber-
gehend abwendig machte ; über die That-
sache selbst, konnte sie jedoch nicht
hinwegkommen.
Eine Weile hindurch suchte sie sich
mit der Aufnahme schwebender Schulden
fortzuhelfen, als diese aber immer kost-
spieliger und schwieriger wurde, er-
übrigte der Gesellschaft wieder nur die
Anrufung der Staatshilfe. Das bezüg-
liche am 19. Juni 1875 überreichte Ge-
such lautete einerseits auf Erstreckung
der am 31. October 1875 endigenden
Vollendungsfrist, andererseits auf käufliche
Uebernahme gesellschaftlicher Titel im
Betrage von 4,437.225 fl. zum vollen
Nennwerthe oder doch Gewährung eines
weiteren unverzinslichen und in Actien
lit. B al pari rückzahlbaren Vorschusses
von 2,000.000 fl. Bei den hierüber ge-
führten Verhandlungen mit der Regie-
rung schränkte die Gesellschaft schliess-
lich ihr Ansuchen dahin ein, dass ihr
mindestens die Bedeckung des nach Ab-
schlag aller bereits aufgelaufenen Bau-
kosten von 2,157.870 fl. noch verbleiben-
den Erfordernisses von rund 1,700.000 fl.
vorgestreckt werden möge.
Dem willfahrte die Regierung unter
der Bedingung, dass der neue Vorschuss
nicht ganz, sondern nur mit 800.000 fl.
in Actien lit. B, im Uebrigen aber
i86
Ignaz Konta.
in Prioritäts-Obligationen [6000 Stück
ä 150 fl.] rückgezahlt werde. Ausserdem
musste die Gesellschaft hinsichtlich der
Tarife, der Leistungen für die Post- und
die Militärverwaltung etc. verschiedene
Zugeständnisse machen, wie auch eine
kleine Näherrückung des Termines für
die Inkrafttretung des staatlichen Ein-
lösungsrechtes zugeben [Protokoll vom
29. September 1875].
Der erste Theil dieser Vereinbarung
bildete die Grundlage des am 25. Januar
1876 im Abgeordnetenhause eingebrach-
ten Gesetzentwurfes, welcher daselbst
zwar die Abänderung erfuhr, dass der
neue Vorschuss durchwegs in Prioritäts-
Obligationen [11.333V3 Stück ä 150 fl.]
al pari zu tilgen sei, sonst aber ziem-
lich glatt erledigt wurde und nach
Zustimmung auch des Herrenhauses,
am 20. März 1876 die a. h. Sanction
erhielt.
Der zweite Theil der Vereinbarung
wurde sammt den Bestimmungen des eben
erwähnten Gesetzes in das Uebereinkom-
men ddto. Prag 6. April, beziehungsweise
Wien 21. Mai 1876 aufgenommen, das
übrigens nicht sehr lange zu Recht
bestand, sondern anlässlich der im Jahre
1882 erfolgten baaren Rückzahlung des
[2.] Vorschusses wieder ausser Geltung
trat.*)
Nachdem die Generalversammlung
vom 31. Mai 1876 das neue Ueberein-
kommen genehmigt und den Verwaltungs-
rath zur Vornahme einer auch die Mittel
zur gelegentlichen Abstossung der schwe-
benden Schuld bietenden Prioritäten-
Emission [IV] im Betrage von 3,550.65ofl.
ermächtigt hatte, hörten die Geldver-
legenheiten der Gesellschaft auf; die
Bauten wurden rührig fortgesetzt und
pünktlich zum erstreckten Termine voll-
endet.
*) Durch die baldige Rückzahlung des
zweiten Vorschusses und den später hohen
Curs ihrer dem Staate zur Deckung des
ersten Vorschusses übergebenen Actien,
hebt sich die Buschtehrader Bahn vortheil-
haft ab von anderen zur selben Zeit mit
Staatshilfe bedachten Unternehmungen. —
Das Uebereinkommen vom Jahre 1876 ist,
vielleicht nur wegen des ihm schon von
vornherein beigemessenen nur kurzen Be-
standes, nicht verlautbart worden.
Die Eröffnung der 20-9 km langen
Linie Falkenau-Graslitz fand am 1. Juni
1876 statt.*) Leider blieb sie zehn Jahre
lang eine Sackbahn, hauptsächlich darum,
weil die beiderseitigen Regierungen zu
keiner Einigung darüber gelangen konn-
ten, ob die Grenzstation in Graslitz oder
auf sächsischem Gebiete in Klingenthal
errichtet werden solle. Die Entscheidung
brachte erst der Staatsvertrag mit Sach-
sen vom 5. Mai 1884, vermöge dessen
Klingenthal als Wechselstation bestimmt
wurde. Eine weitere Verzögerung ver-
ursachte nachher noch die unter den
Localinteressenten bestandene Meinungs-
verschiedenheit über die Situirung des
definitiven Bahnhofes in Graslitz. Die
Eröffnung der 6 km langen Grenzstrecke
und sohin auch des Anschlussverkehrs
mit den sächsischen Bahnen erfolgte am
1. October 1886. Den Betrieb bis Klin-
genthal führt die Buschtehrader Bahn,
zufolge ihres mit den königlich sächsi-
sehen Staatsbahnen geschlossenen Ver-
trages vom 20. October 1886.
Dazumal zählte die Buschtehrader
Bahn bereits wieder zu den bestfundirten
und ertragreichsten österreichischen Eisen-
bahnen.
Die Linie Falkenau-Graslitz-
Reichsgrenze hält sich von der Ausgangs-
station Falkenau zunächst der nach Eger
führenden Hauptbahn bis zur Brücke über
den Zwodaufluss. Hier trennen sich die
beiden Linien und die Bahn nach Graslitz
wendet sich nach Nordwesten, um bei Davids-
thal in das in nordwestlicher Richtung gegen
die Landesgrenze in mannigfachen Windun-
gen sich hinziehende Zwodauthal einzutreten.
Dem Laufe des Flusses folgend, sich theils
hart an dessen Ufer haltend, theils die vor-
tretenden Berglehnen durchschneidend, er-
reicht die Bahn am Fusse des Schlosses
Hartenberg die gleichnamige Station. Von
hier aus zieht die Trace, theils stark in
den Fluss eingebaut, theils an die steil ab-
fallenden Berglehnen sich anschmiegend, in
fortwährenden Serpentinen nach Bleistadt, wo
Torfablagerungen dem Bahnbaue erhebliche
Schwierigkeiten verursachten. Auf der wei-
teren Strecke bis Annathal-Rothau passirt
*) Ein Jahr vorher, am 23. August 1875,
wurde die 133 £w lange Flügelbahn Krim a-
Reitzenhain, welche schon Ende 1874 bis
zur sächsischen Grenze vollendet gewesen,
dem Betriebe übergeben, nachdem die staat-
lichen Verhandlungen über den Grenzdienst
endlich ihren Abschluss gefunden hatten.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
I87
die Bahn einen 177 m langen Tunnel. Gegen
Unter-Graslitz erweitert sich dann das Thal
derart, dass die Trace in sanften Richtungs-
verhältnissen zu dieser Station gelangt. Von
Falkenau bis Unter-Graslitz musste der
Zwodaufluss siebenmal überbrückt werden.
Im Zwodauthale zieht die Bahn dann
über Ober-Graslitz, in der Thalenge beim
Grenzorte Markhausen in Felsen eingesprengt,
dann an der flacher werdenden Berglehne
weiter der Reichsgrenze zu und erreicht
jenseits der Grenze den sächsischen Grenz-
und Wechselbahnhof Klingenthal.
Die Flügelbahn Krima-Reitzenhain
zweigt von der Flügelbahn Komotau-Weipert
in der Station Krima-Neudorf ab, übersetzt
bei Sebastiansberg die Wasserscheide, bald
darauf die böhmisch-sächsische Grenze und
schliesst in der gemeinschaftlichen Grenz- und
Wechselstation Reitzenhain an die Chemnitz-
Komotauer Bahn an.
Die dritte Privatbahn, welcher eine
Unterstützung aus dem »Nothstands-
anlehen« zutheil geworden, war die seit
der Vollendung der Kaiserin Elisabeth-
Bahn vielfach angestrebte und, eben mit
Hilfe jener staatlichen Antheilnahme, im
Jahre 1874 endlich zustande gekommene
directe Verbindung der genannten Bahn
mit der Südbahn.
Ihre ersten Projectirungen hatten mit
dem ursprünglichen Plane für die »West-
bahn« [1842] den Grundgedanken gemein,
nämlich die Einmündung in Brück a. M. ;
so brachten im Jahre 1862 der Vice-
bürgermeister von Steyr, Dr. Jakob
Kompass, die Linie Wels-, beziehungs-
weise Enns-Bruck a. M. und zwei Jahre
später die Ingenieure Julius Kitzler und
H. Schellhorn die Linie [Braunau-] Strass-
walchen-Salzkammergut-Bruck a. M. in
Anregung. Im Jahre 1869 schlugen
aber der Gutsbesitzer Adolf Freiherr
von Pittel in Gemeinschaft mit dem
Bauunternehmer Peter Giacomozzi die
viel näher gegen Wien gerückte Ver-
bindung Leobersdorf-St. Polten
vor, auf die später, trotz der vielen
während der sogenannten Gründungs-
periode aufgetauchten Gegenprojecte,
wieder zurückgegriffen wurde.
Zu den letzteren zählten vornehmlich
die mit mehr oder minder reicher Ver-
zweigung ausgestatteten Linien Tulln-
St. Polten -Mürzzuschlag, St. Polten-,
respective Krems-Bruck a. M., St. Pölten-
Egydi,Tulln-St.Pölten-Ebenfurth u. dgl. m.
Bevorzugt schien die Linie St. Polten -
Mürzzuschlag, um welche sich vom Jahre
1870" an insbesondere die Consortien
Baron Korb-Weidenheim und Moriz Ritter
von Trebersburg, dann Ernst Graf Hoyos-
Sprinzenstein und Dr. Hermann Rössler
sowie Emil Seybel und Victor Ritter von
Ofenheim bewarben. Ersteres trat jedoch
am 7. December 1871 von der Bewerbung
zurück und die beiden anderen vereinigten
sich, um dann ihr Concessions-Gesuch
auch auf die Fortsetzungsstrecke St. Pölten-
Sigmundsherberg-Iglau und dieZweigbahn
Terz-Aspach auszudehnen.
Da sie keinerlei staatliche Begünsti-
gung in Anspruch nahmen und, dem
Wunsche des Ministeriums nachkommend,
die Strecke Sigmundsherberg-Iglau aufga-
ben — überdies die Südbahn schon unterm
3. August 1870 auf das ihr zustehende Vor-
zugsrecht verzichtet hatte, winkte ihnen
der Erfolg — doch nur für kurze Zeit.
Ueber a. h. Entschliessung vom 12. Mai
1872 erhielt das vereinigte Consortium die
Concession für die »Niederösterreichisch-
steierische Eisenbahn« ; die Aushändigung
| derselben war aber an die Bedingung ge-
knüpft, dass die vollends bewerkstelligte
Geldbeschaffung bis längstens Ende 1872
nachgewiesen werde; das gelang nicht,
und am II. Februar 1873 wurde die Con-
cession schon wieder für erloschen erklärt.
Nachfolger dieses Consortiums wurden
die damals entstandene »Gesellschaft für
österreichische Verbindungsbahnen« und
deren Director A. Köstlin, welcher ein
ganzes Netz von Verbindungslinien in
Niederösterreich und Steiermark projec-
tirte, darunter auch Tulln-St. Pölten-
Mariazell-Mürzzuschlag, Gutenstein-Leo-
bersdorf-Ebenfurth, Altenmarkt-Gaming-
Waidhofen a. d. Y., Altenmarkt-Heiligen-
kreuz-Liesing-Wien etc., welche allesammt
nach Art der Secundärbahnen und unter
Betheiligung der Interessenten binnen zehn
Jahren ausgeführt werden sollten.
Obzwar dieses Project ein noch viel
ausgreifenderes war, als die früheren,
fand die Regierung doch besonderen Ge-
fallen daran ; einmal weil es vornehmlich
den mit Naturproducten und Industrien ge-
segneten südwestlichen Gegenden Nieder-
österreichs die entbehrten Schienenwege
zudachte, und ferner weil mit seiner
i88
Ignaz Konta.
Verwirklichung auch eine in Oesterreich
noch neue, technische und finanzielle
Ausführungsweise von Eisenbahnen er-
probt werden konnte.
Bei der näheren Erwägung des Pro-
jectes gelangte die Regierung aber zu der
Anschauung, dass die sogleiche Con-
cessionirung jenes ganzen Netzes der
» Niederösterreichischen Südwestbahnen «
denn doch nicht angezeigt erscheine,
»weil einerseits nicht alle seine Linien
einen derart localen Charakter haben, um
als Secundärbahnen hergestellt zu werden,
andererseits eine so lange Vollendungs-
frist, welche lediglich ein Vorrecht auf
die Dauer von zehn Jahren involviren
würde, nicht gewährt werden kann«,
zudem aber für die Anlage eines so
grossen Complexes von Secundärbahnen
noch keine ausreichenden Erfahrungen
vorhanden waren.
Die Concessionswerber wurden also
vermocht, vorerst eine oder die andere
der von ihnen projectirten Linien zur
versuchsweisen Ausführung als Secundär-
bahn zu wählen, nebst diesen aber auch
die vielseitig begehrte und befürwortete
Linie St. Pölten-Leobersdorf sammt der
Abzweigung nach Schrambach als Haupt-
bahn herzustellen, und zwar unbeschadet
der vorläufigen Einführung eines Secundär-
betriebes auf dieser Abzweigung. Nach-
dem die Wahl zu Versuchsbahnen auf
die Linien Pöchlarn-Lunz und Leobersdorf-
Gutenstein gefallen war, begannen die
eigentlichen Concessions -Verhandlungen,
bei denen die Regierung sich anheischig
machte, dem Unternehmen eine zwanzig-
jährige Steuerfreiheit und einen in Actien
al pari rückzahlbaren Bauvorschuss von
2,500.000 fl. zu gewähren, unter der Be-
dingung, dass die Concessionäre dieübrigen j
Actien ebenfalls zum Paricurse oder einem
diesem nahekommenden Curse bei den
Interessenten, Anrainern etc. unterbringen,
wie überhaupt für die weitere Beschaffung
des im Ganzen mit effectiv 10,500.000 fl.
bemessenen Anlage-Capitals selbst Sorge
tragen und die Hauptbahnlinien binnen
längstens drei Jahren, gerechnet vom Tage
der Concessionirung, vollenden.
Auch die Legislative zeigte sich dem
Unternehmen, als einem »ersten Schritte
zur Schaffung billiger Localbahnen«, wohl-
geneigt; das Abgeordnetenhaus, dem der
Gesetzentwurf über die Bedingungen und
Zugeständnisse für die Sicherstellung der
Eisenbahnlinie Leobersdorf - St. Polten
sammt Zweigbahnen am 10. Februar 1874
vorgelegt wurde, wollte sogar, unter An-
erkennung der in der Beitragsleistung
der Adjacenten gelegenen wichtigen
Neuerung, den Staatsvorschuss noch be-
deutend erhöhen, damit die Bahn von
St. Polten aus bis Traismauer oder gar
Mautern geführt würde, begnügte sich
jedoch mit der Ermächtigung der Re-
gierung zur Ertheilung eines weiteren
Vorschusses von 300.000 fl. für den Fall
der ersterwähnten Fortsetzung, ■ — und
das Herrenhaus pflichtete alledem bei.
Die a. h. Sanction des abgeänderten Ge-
setzentwurfes erfolgte am 16. Mai 1874.
Zur allgemeinen Verwunderung Hess
aber die Concessionirung noch lange auf
sich warten. Uneinigkeiten im Consortium,
die auch einen theilweisen Wechsel seiner
Mitglieder herbeiführten, Schwierigkeiten
bei der Unterbringung der Actien und
mancherlei Projectsänderungen verzöger-
ten die Ertheilung der Concession bis
zum 3. November 1874 und die Hinaus-
gabe, beziehungsweise Verlautbarung der-
selben gar bis zum 6. März 1875. Die-
selbe nennt als Concessionäre den Grafen
Victor Wimpffen im Vereine mit Adolf
Horst, Leopold Hutterstrasser,
Alexander Cur ti und August Köstlin;
gilt für die Linien Leobersdorf-
St. Polten mit der Zweigbahn von
Scheibmühl nach Schrambach,
eventuell Freiland, fernerLeobersdorf-
Gutenstein und Pöchlarn-Gaming.
Die Concessionäre wurden verpflichtet,
sobald die Staatsverwaltung es verlange
und die Bedingungen feststellt, auch
die Fortsetzungsstrecken Leobersdorf-
Ebenfurth und St. Pölten-Trais-
m a u e r, eventuell nach Mautern, und
zwar sämmtlich, mit Ausnahme der
Linie Leobersdorf-St. Polten und deren
Abzweigung, als Secundärbahnen zu
erbauen. Für die Hauptbahn wurde der
3. Januar 1877, für die beiden schon con-
cessionirten Secundärlinien der 3. Januar
1878 als Vollendungsfrist bestimmt, und
als staatliche Begünstigung für alle drei
eine zwanzig] ährige Steuerfreiheit gewährt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
189
Abb. 93. Bahnhof Selzthal.
Nebstdem nahm die Staatsverwaltung, auf
Grund des Gesetzes vom 16. Mai 1874
und des zugleich mit der Concession ver-
öffentlichten Uebereinkommens vom 31.
Januar 1875, durch Ertheilung eines in
Actien al pari rückzuzahlenden Vor-
schusses im Betrage von 2,500.000 fl.,
an der Geldbeschaffung Theil.
Um den Baubeginn zu beschleunigen,
Hess das Handelsministerium die Detail-
projecte für die Linie Leobersdorf-
St. Polten sammt Zweigbahn von Or-
ganen der General-Inspection, für Rech-
nung der künftigen Gesellschaft, aus-
führen und gestattete auch, dass hin-
sichtlich der beiden Secundärlinien ein
Gleiches von Seite des Concessionärs
August Köstlin geschehe. Die politischen
Begehungs-Commissionen konnten daher
in der Zeit vom 19. Mai bis 13. No-
vember 1875 vorgenommen werden. Je
nach ihrer Beendigung begannen auf den
einzelnen Theilstrecken auch sogleich die
Arbeiten.
Dieselben waren gegen Pauschal-
vergütung an drei Unternehmungen ver-
geben, und zwar Leobersdorf-St. Polten
sammt Zweigbahn an Carlo Ronchetti
und Pietro Ganazzini, Leobersdorf-
Gutenstein an Karl Hofbauer & Comp.,
Pöchlarn-Gaming an Franz Kraus, Johann
Prokop und Georg Schlechter ; die Hoch-
bauten, die Lieferung des Eisenmaterials
für den Oberbau sowie der Fahrbetriebs-
mittel etc. wurden gesondert vergeben.
Sämmtliche Unternehmer und Liefe-
ranten nahmen für einen Procentsatz
ihrer Verdienstsummen Actien al pari
oder zum Curse von 95 in Zahlung.
Davon wurde, wie auch von den sonsti-
gen Actienzeichnungen, mancher Betrag
hinfällig ; immerhin verblieben aber Actien
im Nennwerthe von 1,100.000 fl. dauernd
untergebracht. Mehr zu guten Preisen
zu placiren waren die Concessionäre
nicht im Stande ; ebensowenig gelang
ihnen die Begebung der Obligationen.
Eine staatliche Zinsengarantie voraus-
iqo
Ignaz Konta.
gesetzt, bot man ihnen für Goldprioritäten
8o°/0 und für Titel in österreichischer
Währung 72°/o des Nominalbetrages.
Solche Anbote waren nicht darnach an-
gethan, der Regierung neue Neigung
zum Garantiesysteme einzuflössen. Wäh-
rend sie sich also in dieser Beziehung
durchaus ablehnend verhielt, schenkte
sie andererseits dem von den Concessio-
nären an sie gerichteten Hilferufe als
solchen, volle Würdigung.
Bis die Bethätigung derselben mög-
lich geworden, gerieth aber sowohl der
Bau, als auch die Errichtung der Gesell-
schaft ins Stocken. Das Statut hatte wohl
am 5. October 1875 die behördliche
Genehmigung erhalten und die Einbe-
rufung der constituirenden Generalver-
sammlung war bereits auf den 18. De-
cember 1875 anberaumt; sie unterblieb
jedoch infolge der noch mangelnden
festen Grundlage für den Bestand der
Gesellschaft.
Die Verhandlungen mit den Con-
cessionären über die ihnen zu gewährende
Unterstützung begannen Mitte Januar
1876. Zuvor hatte das Handelsmini-
sterium durch gepflogene Erhebungen
festgestellt, dass für den Bau und die
Ausrüstung der Bahn ein Capital von
effectiv 9,309.000 fl. erforderlich, hievon
aber [durch den Staatsvorschuss und die
anderweitig untergebrachten Actien] nur
ein Betrag von 3,592.800 fl. gedeckt
sei. Mittels der Protokolle vom 19. und
20. Januar, beziehungsweise auch 7. Fe-
bruar 1876 wurde nun vereinbart, dass
die Staatsverwaltung sämmtliche Obli-
gationen des Prioritäts-Anlehens in seiner
nunmehr festgesetzten Höhe von nom.
7,622.000 fl. zum Curse von 75°/0,
also um den Kaufpreis von 5,716.5000.
unter der Bedingung übernimmt, dass
das Actiencapital um den nicht bege-
benen Betrag von nom. 590.000 fl.,
also von nom. 4,200.000 fl. auf
3,610.000 fl. herabgemindert, ferner der
Regierung nebst allen herkömmlichen
Sicherheiten auch vier Stellen im Ver-
waltungsrathe der künftigen Gesellschaft
und eine weitgehende Einflussnahme auf
die Gebarung eingeräumt werden, die
Constituirung der Gesellschaft ehestens
erfolge u. s. w.
Die bezügliche Gesetzesvorlage wurde
am 15. Februar 1876 im Abgeordneten-
hause eingebracht, jedoch keineswegs
mehr so freundlich aufgenommen, wie
die in Betreff des ersten Staatsvor-
schusses. Den damaligen vereinzelten
Gegnern gesellten sich nun viele neue
hinzu; man eiferte gegen den feurigen
Localpatriotismus, verlangte, dass der
Krankheit »morbus ferro viaticus« Ein-
halt gethan, der Bau der Seitenbahnen
sistirt und die Hauptlinie als Secundär-
bahn ausgeführt werde, wie auch, dass
wenn schon der Staat fast sämmtliche
Baulasten trage, er auch der alleinige
Bauherr sein soll. Nur die Beredsamkeit
und der Einfluss des Abgeordneten
Dr. Herbst, dessen Ausspruch: >man
dürfe nicht vor den Thoren der Reichs-
haupt- und Residenzstadt Eisenbahn-
ruinen entstehen lassen«, schon im Aus-
schusse die Ablehnung- der Vorläse ver-
hütet hatte, bewahrte sie auch jetzt vor
diesem Lose ; sie wurde nach einer
heftigen Debatte am 29. Februar vom
Abgeordnetenhause angenommen. Das
Herrenhaus stimmte diesem Beschlüsse
noch knapp vor der Vertagung des
Reichsrathes bei, worauf am 12. März
1876 die a. h. Sanctionirung des Ge-
setzes erfolgte, auf Grund dessen sodann
am 9. Mai 1876 das neue Ueberein-
kommen mit den Concessionären ab-
geschlossen wurde.
Nun kam der Bau auf allen Linien
in vollen Gang; auch die Constituirung
der Gesellschaft: »K. k. priv. nieder-
österreichische Süd-West-Bahnen«
mit dem neu festgesetzten Capitale von
nom. 11,232.000 fl. [davon 3,610.000 fl.
in Actien] fand, wenngleich abermals ver-
spätet, am 19. October 1876 statt;
eine Gesundung der Verhältnisse dieses
eigenartig zusammengefügten Eisenbahn-
Unternehmens war jedoch, wie sich nur zu
bald herausstellte, noch keineswegs erzielt.
Die oben bezifferten Geldmittel reichten
nicht aus zur vollkommenen Fertigstellung
der Bahn und für das Mehrerfordernis
von 621.129 fl- konnte die Bedeckung
nicht gefunden werden, überdies blieben
auf die von Privaten gezeichneten Actien
Einzahlungen in der Höhe von 1 73.390 fl.
aushaftend.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
I9I
Unter dem Drucke dieses Deficites
suchte die Gesellschaft, nicht ganz eilf
Monate nach ihrer Errichtung, neuer-
dings Zuflucht bei der Regierung, von
der sie am 7. September 1877 die noch-
malige Gewährung unmittelbarer Staats-
vorschüsse oder die Unterstützung des
gesellschaftlichen Credites durch Ein-
räumung des Vorgangsrechtes vor den
zuschlagen ihr schon bei der Be-
rathung des Gesetzes vom 12. März 1876
im Abgeordnetenhause nahegelegt worden
war: sie entschloss sich zur Erwerbung
der Bahn durch den Staat.
Die hierüber geführten Verhandlun-
gen mit dem Verwaltungsrathe gediehen
unter den obwaltenden Verhältnissen
bald zu Ende. Am 19. October 1877
Abb. 04. Pola. [Xach einer photographischen Aufnahme von A. Beer in Klagenfurt. J
im Staatsbesitze befindlichen Prioritäts-
Obligationen oder allenfalls die Bürg-
schaftsleistung für eine aufzunehmende
schwebende Schuld erbat.
Dadurch gerieth aber auch die Re-
gierung in eine unangenehme Lage;
denn ebensowenig als sie der Gesell-
schaft noch weitere Staatsmittel zuwen-
den mochte, konnte sie ein Unternehmen,
an welchem der Staatsschatz bereits in
bedeutendem Masse betheiligt gewesen,
dem ohne ihre Dazwischenkunft unver-
meidlichen Concurse verfallen lassen.
Um aus diesem Dilemma herauszukommen,
betrat sie nun den Weg, welchen ein-
wurde protokollarisch vereinbart, dass
die Bahn mit allen concessionsmässigen
und sonstigen Rechten, dem gesammten
beweglichen und unbeweglichen Zugehör
und Vermögen, wie auch sämmtlichen
in Händen der Gesellschaft befindlichen
Actien an den Staat übergehen soll,
wogegen dieser die Vollendung und
Inbetriebsetzung der Bahn übernimmt,
in die mit staatlicher Genehmigung
geschlossenen Verträge der Gesell-
schaft eintritt, die hieraus erwachsenden
Verbindlichkeiten sowie alle sonstigen
gesellschaftlichen Schulden selbst be-
gleichen und für jede voll eingezahlte
192
Ignaz Konta.
Actie eine Baarzahlung von 35 fl. leisten
soll. Bei diesen Abmachungen wurde
die, anlässlich der Concessions-Ertheilung
von den Concessionären erlegte Caution
von 50.000 fl., die gemäss § 3 des Ueber-
einkommens vom 9. Mai 1876 auch zur
Sicherstellung der vollständigen Einzah-
lung der von Privaten gezeichneten Actien
zu dienen hatte, als verfallen erklärt.
Soweit es an den Actionären gelegen
war, begegnete das Protokollar-Ueber-
einkommen vom 19. October 1877 keinem
nachhaltigen Widerspruche. Einzelne be-
klagten sich zwar in der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 27. No-
vember 1877 darüber, dass kein Unter-
schied gemacht werde zwischen den-
jenigen, welche für die Actien volle
Baarzahlung geleistet oder vollwerthiges
Aequivalent gegeben, und denjenigen,
welche [als Unternehmer, Lieferanten etc.]
die Actien »gewissermassen nur als freie
Prämie erhalten haben« ; die Versamm-
lung als solche, in der ja auch der
staatliche Actienbesitz vertreten war,
beschloss jedoch die Annahme des Ueber-
einkommens, da auch den lautesten
Opponenten ein Rückempfang von i7°/0
der Einzahlungen besser dünkte, als der
unzweifelhaft gänzliche Verlust im Falle
des Concurses.
Dem Parlamente aber gefiel nur das
Grundsätzliche der Vereinbarung; der
Einlösungspreis für die Actien schien
ihm hingegen viel zu hoch bemessen.
Das Abgeordnetenhaus, welchem der
Entwurf des Gesetzes über die Erwer-
bung der Niederösterreichischen Süd-
West-Bahnen am 10. November 1877
vorgelegt wurde, oder richtiger gesagt,
schon der Eisenbahn-Ausschuss setzte das
Entgelt für die Actien auf 10 fl. pro
Stück herab, und dabei verblieb es auch.
Das Plenum des Abgeordnetenhauses
erklärte sich am 17. Juni 1878 mit
diesem Antrage sowie mit der Begrün-
düng desselben, dass nämlich die Actien
auf lange hinaus keine Aussicht auf ein
Erträgnis, daher auch gar keinen Werth
hätten, mithin die 10 fl. nur eine Ent-
schädigung seien für den Verzicht der
Actionäre auf den ihnen zustehenden
Antheil an der Verwaltung der Bahn,
einverstanden ; das Herrenhaus trat diesen
Beschlüssen am 20. Juni bei, und am
5. Juli 1878 erhielt das Gesetz, kraft dessen
die Regierung unter den, wie vorerwähnt
geänderten Bedingungen, zur Erwerbung
der Niederösterreichischen Süd - West-
Bahnen ermächtigt, wie auch mit einem
Specialcredite von 900.000 fl. ausgestattet
wurde, die a. h. Sanction.
Wegen des verringerten Einlösungs-
preises für die Actien musste die An-
gelegenheit nochmals einer Beschluss-
fassung der Actionäre unterzogen werden.
Das geschah bereits in der ersten und
zugleich letzten ordentlichen General-
versammlung vom 28. Juni 1878 und
endete, trotz heftigen Widerstrebens von
Seite einiger * Meistbetroffenen«, mit der
Ermächtigung des Verwaltungsrathes
zum Abschlüsse des Uebereinkommens
mit der Regierung unter den Bedingun-
gen der neuen Gesetze sowie zur Auf-
lösung der Gesellschaft.
Der Vollzug dieser Beschlüsse war
inzwischen überaus dringend geworden,
da immer mehr Schuldbeträge fällig und
die Gläubiger der Gesellschaft ungedul-
dig wurden. Es folgte darum rasch
nach einander: am 20. Juli 1878 der
Abschluss des Uebereinkommens ; am
3. August 1878 die Uebergabe der Bahn
an den Staat und zugleich die Kund-
machung des Handelsministeriums, mittels
welcher die Concessions-Urkunde vom
3. November 1874 ausser Kraft ge-
setzt, der Bahn die neue Bezeichnung
»K. k. niederösterreichische Staats-
bahnen« gegeben und für die Ver-
waltung eine mit den Functionen des
bisherigen Verwaltungsrathes betraute
Ministerial-Commission errichtet wurde,
schliesslich am 6. August 1878 der Beginn
der Thätigkeit dieser Commission und zu-
gleich auch die letzte Sitzung des Ver-
waltungsrathes.
Hiemit hörte der vier Jahre hindurch
i künstlich aufrechterhaltene Bestand der
: Bahn als Privatunternehmen auf, und
begann ihr Dasein als das, was sie durch
! die Natur des überwiegend grössten
Theiles ihres Anlage-Capitals und die
staatliche Einflussnahme auf ihre Grün-
dung und Ausführung eigentlich schon
\ vom Anbeginne gewesen, nämlich als
i Staatsbahn.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
'93
Abb. 05. Klattau. [Pilsen-Eisenstein.]
Die nachträgliche Umwandlung- legte
übrigens dem Staatsschatze keineswegs
grössere Opfer auf, als wenn die Bahn
gleich ursprünglich und ausschliesslich
auf seine Kosten in Angriff genommen
worden wäre ; denn die Erwerbung und
Vollendung der I54"i79#w langen Bahn
kam der Staatsverwaltung auf insgesammt
baar 9,100.000 fl. zu stehen, d. i. 59.050 fl.
pro Kilometer, während der Bau und die
Ausrüstung effectiv 9,210.590 fl., oder
59.740 fl. pro Kilometer, gekostet und
andere Bahnen ähnlicher Art einen Auf-
wand von durchschnittlich 63.800 fl. er-
fordert haben.
Der neue Eigenthümer der Bahn und
die von ihm eingesetzte Verwaltung der-
selben fanden schon alle Linien im Be-
triebe stehend vor; es wurden nämlich
eröffnet :
Leobersdorf-Kaumberg, 31-6 £in, 1 September
l877- . " „
Leobersdorf-Gutenstein, 32-8 km, 1. September
1877.
Kaumberg-St. Polten, 438 km, 3. October 1877.
Pöchlarn-Kienberg [Gaming], 376 km, 22. Oc-
tober 1877.
Scheibmühl-Schrambach, 84km, I.Juni 1878.
Die Nacharbeiten für die gänzliche
Vollendung und Ausrüstung der Bahn,
wie nicht minder die Abrechnungen mit
den Unternehmern und die Austragung
der mitunter sehr verwickelten Grund-
einlösungs- Angelegenheiten, gaben jedoch
der Ministerial-Commission noch genug
zu schaffen. Die Einlösung der Actien
und sohin auch die Liquidation der Ge-
sellschaft war erst mit Ablauf des Jahres
1881 beendet.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Zum Director der Bahn ernannte die
Ministerial-Commission alsbald nach dem
Beginne ihrer Wirksamkeit den Betriebs-
leiter der Xiederösterreichischen Süd-West-
Bahnen, Karl Z e i n e r, der voll treuer
Pflichterfüllung auf diesem Posten ver-
blieb, bis die Bahn im Jahre 1882 in die
Verwaltung der damals errichteten »k. k.
Direction für Staatseisenbahn-Betrieb in
Wien« überging.
Die Hauptlinie Leobersdorf-St.
Polten zweigt in der Südbahnstation
Leobersdorf in südwestlicher Richtung ab,
umfährt, sich nach Nordwesten wendend,
den Ort Leobersdorf und führt in dieser
Richtung im Thale der Triesting, diesen Fluss
fünfmal übersetzend, zu den Stationen: En-
zesfeld, St. Veit a. d. Triesting, Triesting-
hof, Berndorf, Pottenstein a. d. Triesting,
Weissenbach a. d. Triesting, Altenmarkt-
Thenneberg und Kaumberg. Unmittelbar hinter
der Station Kaumberg beginnt die Bahn mit
25°/00 zur Wasserscheide der Triesting und
Gölsen emporzusteigen, welche sie unmittel-
bar vor der Ausweichstation Gerichtsberg
mit einem 169 in langen Tunnel [Seehöhe
56628 m] unterfährt. Von Gerichtsberg fällt
die Bahn mit 25°/00 in das Thal der Gölsen
bis zur Station Hainfeld. Von hier aus führt
die Trace im Thale der Gölsen und Traisen
zu den Stationen St. Veit a. d. Gölsen, Scheib-
mühl, Wilhelmsburg und mündet sodann in
St. Polten in die Elisabeth-Bahn ein. Vor der
Station Wilhelmsburg wird der Traisenfluss
übersetzt.
Die Linie Scheibmühl-Schrambach
zweigt in der Station Scheibmühl von der
Hauptlinie Leobersdorf-St. Polten in südöst-
licher Richtung ab, wendet sich dann nach
Südwesten und steigt, den Gölsentiuss mit
einer Brücke übersetzend, im Thale der
Traisen bis Schrambach. Ausser der letzt-
genannten Station zählt diese Linie noch die
Haltestellen Traisen und Marktl, Stangenthal
und die Station Lilienfeld. [Abb. 99.]
13
i94
Ignaz Konta.
Die Linie Leobersdorf-Gutenstein
zweigt von der Hauptbahn Leobersdorf-St.
Polten in der currenten Strecke [bei Wittmanns-
dorf] in südlicher Richtung ab, erreicht bei
Steinabrückl das Thal des Kalten Ganges und
führt, sich westwärts wendend, in diesem
Thale, den Kalten Gang mit Brücken neunmal
übersetzend, zu den Stationen: Wöllersdorf,
Piesting,Ober-Piesting,Waldegg,Oed,Pernitz-
Muckendorfund Gutenstein. [Abb. ioound 101.]
Die Linie Pöc hlarn-Kienberg führt
von der Station Pöchlarn der Elisabeth-Bahn
vorerst in westlicher Richtung und auf
etwa l-2 km Länge auf gemeinschaftlichem
Bahnkörper mit der Elisabeth-Bahn, wendet
sich dann nach Süden und führt im Thale
der grossen Erlauf zu den Stationen : Erlauf,
Wieselburg a. d. Erlauf, Purgstall, Scheibbs,
Neubruck und Kienberg-Gaming. Hinter der
Station Erlauf wird der Erlauffluss und hinter
der Station Wieselburg der kleine Erlauffluss
übersetzt. [Abb. 102.]
Noch eine andere Privatbahn, be-
ziehungsweise die Strecke einer solchen,
deren Inangriffnahme die Regierung
durch einen Staatsvorschuss zu bewirken
gedachte, war die Linie Rakonitz-
P r o t i v i n, die aber noch, bevor es zu
dieser Hilfeleistung kam, die Meta-
morphose zur Staatsbahn durchmachte.
Die Linie Rakonitz-Protivin lag mitten
in der grossen, »Böhmische Südwestbahn c
benannten Eisenbahn Liebenau - Kusch-
warda [nebst Abzweigung], welche mehrere
Projecte verwirklichen sollte, die theils
als eigene Unternehmungen, theils als
Ergänzungen bestehender Bahnen, schon
seit dem Jahre 1868 geplant und um-
worben waren, nun aber vom Handels-
ministerium zu einem einheitlichen Ganzen
zusammengefasst und als solches ver-
meintlich sichergestellt wurden.
Zu letzterem Zwecke hatte die Re-
gierung am 22. März 1872 dem Abge-
ordnetenhause einen Gesetzentwurf vor-
gelegt, der zwar gerade deshalb, weil er
die vielseits gewünschte Vertheilung der
einzelnen Strecken der Böhmischen Süd-
westbahn an die nachbarlichen Bahnen
ausschloss, auf erhebliche Gegnerschaft
stiess, trotzdem aber, infolge der
eindringlichen Fürsprache des Handels-
ministers Dr. Banhans für die einheitliche
Vergebung des ganzen Netzes [15. Juni
1872], vom Reichsrathe angenommen
wurde, sodann am 28. Juni 1872 die
a. h. Sanction erhielt und auch die Grund-
I läge der Concession bildete, welche —
j nachdem keine der Nachbarbahnen sich
i um das ganze Netz bewerben mochte —
am 8. October 1872 den vereinigten
Consortien des Fürsten Johann Adolf
Schwarzenberg und des Grafen Edmund
Hart ig verliehen wurde.
Diese Concession galt für die Eisen-
bahn von Liebenau über Böhmisch-Leipa,
Leitmeritz, Postelberg, R a k o n i t z, Beraun,
Pfibram, Bresnic und Pisek zum Anschlüsse
an die Kaiser Franz Josef- Bahn in Ra/ic
oder Protivin, nebst Flügelbahnen von
Postelberg nach Komotau, von Reichstadt
oder Böhmisch-Leipa in der Richtung über
Zwickau und Gabel gegen Zittau, und
von Bresnic über Strakonitz, Wollin und
Winterberg bis an die bayerische Grenze
bei Kuschwarda mit der Richtung gegen
Passau ; sie gewährte diesem Netze eine
zehnjährige Steuerfreiheit, verpflichtete
die Concessionäre den Bau binnen sechs
Monaten zu beginnen, sodann bis längstens
8. October 1877 zu vollenden, und für die
Erfüllung dieser Verpflichtung durch den
Erlag einer Caution von 500.000 fl. Sicher-
stellung zu leisten. Schon früher, nämlich
in dem Concessionirungs-Protokolle vom
6. September 1872, hatte das Handels-
ministerium, entsprechend den bei der
Berathung des vorbezeichneten Gesetzes
im Abgeordnetenhause laut gewordenen
Verlangen, die Bestimmung getroffen, dass
diejenigen Strecken, welche in den von
der Ueberschwemmung [Mai 1872] heim-
gesuchten Gegenden liegen, bezüglich der
Reihenfolge der Bauführungen vorzugs-
weise zu berücksichtigen seien. Zu diesen
Strecken zählte vornehmlich jene von
Beraun nach Rakonitz.
Der Ausbruch der wirthschaftlichen
Krisis vereitelte jedoch die Geldbe-
schaffung auch für diese blos mit einer
überdies nur kurzen Steuerfreiheit aus-
gestattete Eisenbahn. Die Concessionäre
sahen die Unmöglichkeit, den Bau ohne
staatliche Unterstützung auszuführen,
schon im Sommer 1873 ein, und erbaten
sich einen Vorschuss von 3,000.000 fl.
zur Inangriffnahme der Theilstrecke Zditz-
Pfibram, wurden aber abgewiesen. So-
dann machte die fortwährend zunehmende
Verschlechterung des Geldmarktes das Zu-
standekommen der Bahn immer fraglicher.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
195
Aus diesem Anlasse erhoben sich
Stimmen gegen die Regierung, weil sie
der stückweisen Vergebung der neuen
Bahn an die bestehenden Nachbarbahnen
widerstrebt hatte. Diese Vorwürfe waren
jedoch sehr unzutreffende ; denn die hiebei
zunächst in Betracht kommenden nach-
barlichen Unternehmungen, nämlich die
Buschtöhrader und die Pilsen- Priesener
Bahn, waren zu jener Zeit selbst nicht
im Stande, die ihnen bereits obgelegenen
concessionsmässigen Verpflichtungen zu
erfüllen [siehe Falkenau - Graslitz und
Pilsen-Eisenstein] und würden dies hin-
sichtlich der ihnen etwa neu zuge-
befriedigenden Ergebnisse führten, ist bis
heute noch nicht recht bekannt geworden
Die Freunde der Gesellschaft lobten es,
dass der Verwaltungsrath, unter den
schwierigen finanziellen Verhältnissen,
dem alten Netze nicht neue Lasten auf-
bürden wollte für eine Linie, »deren Er-
tragsfähigkeit ungewiss erscheine und
zum bedeutenden Theile jener der Linie
Gmünd - Prag Abbruch thun würde« ;
Andere hingegen setzten die Zurück-
haltung auf Rechnung der persönlichen
Beziehungen massgebender Mitglieder des
Verwaltungsrathes zu den Concessionären
der Böhmischen Südwestbahn.
Abb. 96. Montirung der Eisenbahnbriicke über den Angelfluss bei Roth-Pofiö. [Pilsen-Eisenstein."
wachsenen Baustrecken noch weniger
vermocht haben. Die Böhmische West-
bahn aber, die mit den Concessionären
enge verbunden und, durch die Theil-
nahme an den Verhandlungen, wie auch
durch die Mitfertigung des Protokolles
vom 6. September 1872, ein besonderes
Interesse an der Böhmischen Südwestbahn
zu nehmen schien, ging jetzt der Sache
ganz aus dem Wege.
Die Regierung hielt sich denn auch
nicht an jene Controverse, sondern viel-
mehr an die Nothvvendigkeit, den Bau
wenigstens in den von den Hochwasser-
schäden betroffenen Bezirken ehestens zu
beginnen, als sie wegen der Herstellung
und Angliederung der Strecke Rakonitz-
Protivin an die Kaiser Franz Josef-Bahn
im Januar 1874 mit dem Verwaltungs-
rathe der letzteren Verhandlungen an-
knüpfte. Warum dieselben zu keinem
Angesichts der Fruchtlosigkeit jener
Anknüpfungen verhandelte die Regierung
nun wieder mit den letztgedachten Con-
cessionären; es kam am 21. Januar
1874 eine Vereinbarung zustande, wonach
die Staatsverwaltung zum Zwecke des
sofortigen Beginnes und der Durchführung
der Strecke Rakonitz-Protivin einen unver-
zinslichen Baarvorschuss von 8,000.000 fl.
gewähren und hiefür Actien der zu er-
richtenden Gesellschaft zum vollen Nenn-
werthe in Zahlung nehmen sollte, die Con-
cessionäre hingegen sich verpflichteten, den
Bau gleich nach Erhalt der Baubewilligung
zu beginnen und binnen längstens 2 l/a Jah-
ren zu vollenden, wie auch die Gesellschaft
ehestens, und zwar spätestens binnen sechs
Monaten, zu errichten. Der Haftung hiefür,
welche übrigens keine persönliche sein
sollte, lag die Voraussetzung zugrunde,
dass es gelingen werde, die Prioritäts-Obli-
13*
iq6
Ignaz Konta.
gationen in einem entsprechenden Zeit-
räume zum Curse von mindestens 8o°/0
zu begeben. In dem Protokolle vom
gleichen Datum wurde das effective Bau-
capital für die ganze 20"3 Meilen lange
Strecke mit 18,000.000 fl. bemessen.
Die Vereinbarung und der Gesetz-
entwurf in Betreff des definitiven Ab-
schlusses desselben wurden am 10. Fe-
bruar 1874 im Abgeordnetenhause ein-
gebracht, jedoch gleich im Eisenbahn-
Ausschusse wesentlich abgeändert. Dieser
verlangte nämlich weitgehendere Cautelen
und Bedingungen für die Ausführung der
Bahn, beziehungsweise den Bau auf
Staatskosten, woraufhin die Regierung
— nachdem die Concessionäre bei einer
mit ihnen nochmals gepflogenen Ver-
handlung erklärt hatten, die neuen Be-
dingungen nicht annehmen zu können,
vielmehr auf die Concession zu ver-
zichten — einen den Staatsbau be-
zweckenden neuen Gesetzentwurf un-
mittelbar dem Eisenbahn- Ausschusse vor-
legte, von wo aus er befürwortet an das
Abgeordnetenhaus gelangte.
In ihrer neuen Fassung lautete die
Vorlage dahin, dass die Linie Rakonitz-
Protivin auf Staatskosten erbaut und
zu diesem Zwecke der Regierung ein
Credit von 8,000.000 fl. pro 1874 aus
dem Nothstands-Anlehen eröffnet werden
solle, dass ferner die von den Concessio-
nären gedeckten Vorauslagen und be-
schafften Materialien für diese Linie im
Schätzungswerthe vergütet werden dürfen,
und dass die Concession vom 8. October
1872 für erloschen erklärt werde, jedoch
unter Einräumung des Vorrechtes auf
alle darin bezeichneten Linien an die bis-
herigen Concessionäre auf die Dauer
von zwei Jahren. Das Abgeordnetenhaus
nahm am 29. April 1874 den Gesetz-
entwurf an und beschloss zugleich die
Resolution : Es mögen vor Allem die
Theilstrecken Rakonitz-Beraun und Zditz-
Pfibram in Bau genommen werden. Das
Herrenhaus sprach am 5. Mai 1874 seine
Zustimmung aus und die a. h. Sanction
erhielt das Gesetz am 16. Mai 1874.
Auf diese Weise also geschah es,
dass auch die Linie Rakonitz-Protivin auf
Staatskosten gebaut wurde und, nach-
dem weder die früheren Concessionäre
von ihrem Vorrechte Gebrauch gemacht,
noch andere Bewerber sich eingestellt
hatten, eine staatliche Linie blieb.
Die Vergebung des Baues erfolgte
im Offertwege am II. Juni 1874; Er-
steher desselben blieb, gegen einen
Pauschalbetrag von 11,373.000 fl., Karl
Freiherr von Schwarz, der die Ausführung
an die Unternehmung J. Muzika & Comp,
übertrug. Schienen, Schwellen, Fahrbe-
triebsmittel etc. hatte die Staatsverwaltung
selbst beschafft. Der Bauconsens wurde
am 13. Juni ertheilt und hernach der Bau
sofort begonnen; als Vollendungstermin
war der 25. December 1876 festgesetzt.
Trotz der durch neuerliche Elementar-
ereignisse verursachten Schäden und
Störungen ist jedoch die ioi-6 km lange
Strecke Zditz-Protivin schon am 20. De-
cember 1875 und die 42 km lange Strecke
Rakonitz-Beraunam30. April i87Ödem
Betriebe übergeben worden. Die 9/2 km
lange Zwischenstrecke Beraun-Zditz ge-
langte nicht zur Ausführung, vielmehr
statt derselben die gleiche Strecke der
Böhmischen Westbahn in Mitbenützung,
wofür die Staatsverwaltung auf die Dauer
des bezüglichen Vertrages vom 6., respec-
tive 13. Mai 1876 an die genannte Ge-
sellschaft nebst einem Präcipuum von
10.000 fl. einen — nach dem Verhältnis der
von beiden Bahnen in dieser Strecke ge-
führten Achsen ermittelten — jährlichen
Beitrag zu den Kosten der Capital s-
Verzinsung sowie der Bahnerhaltung
und Bewachung zu leisten hatte. Die
hiedurch in Wegfall gekommenen, mit
500.000 fl. veranschlagt gewesenen Bau-
kosten der genannten Zwischenstrecke er-
höhten das Ersparnis an Capital auf rund
1 ,000.000 fl. ; die Anlagekosten betrugen
nämlich im Ganzen nur 16,021.623 A-
Den Betrieb führte nicht die Staats-
verwaltung selbst ; er wurde, da keine
der Nachbarbahnen diesfalls annehmbare
Bedingungen stellte, zuerst der weit-
abliegenden Dux-Bodenbacher Bahn, um
deren Sanirung das Ministerium damals
bemüht war, sodann vom I.Januar 1877
an, der Aussig-Teplitzer Bahn, in welche
die Dux - Bodenbacher Bahn aufgehen
sollte und, nachdem die letztere wieder
selbständig geblieben, schliesslich mittels
Vertrages vom 26. Februar 1877 [ab
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
197
1. März 1877] der Böhmischen Westbahn
übertragen, welche ihn, bis zu seiner am
1. Januar 1884 erfolgten Uebernahme in
die Staatsregie, für Rechnung des Staates
führte, und zwar lediglich gegen Ver-
gütung der Selbstkosten und einen im
Verhältnisse der beiderseits zurückge-
legten Zugskilometer stehenden Beitrag
zu den Verwaltungsspesen. Für die
Dauer dieses Vertrages wurde jener
vom 6., respective 13. Mai 1876 ausser
Kraft gesetzt.
Wasserregulirungen wechseln rasch ab und
verursachten vielfache Bauschwierigkeiten.
Die Richtung nach Süden nehmend, passirt
die Trace unmittelbar bei Stadtl den 217 in
langen Bassa-Tunnel, gleich darnach den
154 in langen Königsteig-Tunnel und etwa
600 in weiter den 235 m langen Buda-Tunnel,
vor welchem auf freier Bahn die Haltestelle
»Burg Pürglitz« errichtet wurde In der
gleichen Richtung weiterziehend, führt die
Trace, in die steil abfallende Felslehne
eingeschnitten, zur Einmündung des Ra-
konitzbaches in den Beraunnuss. Das
Thal wird mittels eines hohen und langen
Steindammes, der Fluss mittels einer 150 in
Abb. 97. Südportal des Tunnels bei Lindenbammer. [Strecke Falkenau-Graslitz.]
[Nach einer photographischen Aufnahme von Franz Sommer.]
Die Rakonitz-Protiviner Bahn, be-
stehend aus den zwei nicht zusammenhän-
genden, aber durch das zur Böhmischen
Westbahn gehörige Zwischenstück [Beraun-
Zditz] mit einander verbundenen Strecken
Rakonitz-Beraun undZditz-Proti vin,
nimmt ihren Ausgang von Rakonitz und zieht
an den Thalgehängen des gleichnamigen
Baches in südöstlicher Richtung und im Gefälle
gegen Stadtl, auf diesem Wege den Rakonitz-
bach viermal übersetzend. Die zahlreichen
Windungen dieses Baches erforderten scharfe
Biegungen der Trace und bedingten überdies
die Anlage eines 80 m langen Tunnels bei
dem Dorfe Chlum sowie zahlreiche Regu-
lirungen des Baches. Von Stadtl ange-
fangen ist das Thal vielfach gewunden,
sehr enge und von steilen Lehnen einge-
schlossen. Tunnels, hohe Dämme, Bach- und
weiten und in einem Radius von 375 in ge-
legten Eisenbrücke übersetzt und hernach
die Station Pürglitz erreicht. Dem nach
Norden gewendeten Beraunthale folgend,
führt die Trace nun in stetigem Gefälle
und nach Passirung des 32 m langen
Stfibrny- Tunnels in die Station Zbeöno,
vor welcher sie aus der nördlichen in
die südliche Richtung gelangt. Nach Durch-
fahrung eines langen und tiefen Ein-
schnittes wieder die südöstliche Richtung
gewinnend, übersetzt die Bahn, in un-
mittelbarer Nähe des Ortes Zloukovic,
mit einer 150 in langen eisernen Gitter-
brücke, auf das linke Flussufer, woselbst
sie Neuhütten erreicht. Von da aus mit
sanftem Gefälle in dem sich immer mehr
erbreiternden Beraunthale südostwärts weiter-
gehend, gelangt die Trace zur Station
198
Ignaz Konta.
Althütten und dann, sich vom Flusse
entfernend, auf bedeutenden Dämmen
und durch tiefe Einschnitte in südlicher
Richtung zur Stadt Beraun, die sie im
weiten Bogen umfährt, um wieder an das
Ufer und nach Uebersetzung des Flusses
in die Station Beraun der Böhmischen West-
bahn zu gelangen.
Der südliche Theil der Bahn führt von
der Station Zditz die Litava entlang in das
interessante Brdy-Gebirge, das sie fast genau
in südlicher Richtung durchschneidend, erst
hinter Pribram wieder verlässt. Ueber Lo-
howitz, dann durch die als Fundgrube von
Petrefacten bekannt gewordenen Einschnitte
bei der Station Jinec, gelangt die Bahn
zur altberühmten Bergstadt Pribram. Von
Pribram aus zieht die Trace, unter Passi-
rung des I km langen Broder Einschnittes,
der Wasserscheide des Litava- und Vlcava-
Gebietes entgegen, wo zugleich in einem
7 in tiefen Satteleinschnitte der höchste
Punkt der Bahn [558 111 über dem Meeres-
spiegel] erreicht wird. Aus dem sich gegen
Süden öffnenden Einschnitte tritt die Bahn
in die Region des böhmisch -mährischen
Plateaus, das an das eben verlassene Brdy-
Gebirge anschliesst. Das plötzliche Abfallen
des Terrains bedingte hier die Anbringung
einer langen Schleife, in welcher die Station
Milin liegt. Von hier aus fällt die Bahn bis
zur Station Tochowic und zieht in gerader
südwestlicher Richtung gegen Poiic, um mit
einer neuerlichen Steigung einen Bergrücken
zu gewinnen, und dann, nach der in be-
deutender Höhe ausgeführten Uebersetzung
der Vlcawa auf deren östliches Ufer ab-
fallend, in die Station Bfesnic zu gelangen.
Ab Bfesnic gewinnt die Bahn wieder
den Charakter einer Thalbahn; sie führt
in starkem Gefälle gegen den Badeort Gut-
wasser, wendet sich an der Ruine Hradek
gegen Südosten, übersetzt wieder die Vleava
mittels einer eisernen Gitterbrücke und
felangt durch tiefe Einschnitte und über
ohe Dämme zur Station Mirowic und von
da, stets am rechten Ufer der Vleava [hier
Skalice genannt], zur Station Cimelic. Hinter
Cimelic verlässt die Bahn das Gebiet der
Vleava, führt in südlicher Richtung durch
dichte Waldbestände in den Bereich des
Lomnitzbaches, passirt die Station Vrä2 und
hinter derselben die seeundäre Wasser-
scheide zwischen dem Wotava- und Lomnitz-
bach-Gebiete und tritt nach Passirung der
Station CiSovä in die Thalerbreiterung der
Wotava ein, wo der Fluss mit einer 120 m
weiten Eisenbrücke übersetzt wird, um in
die eigentliche Station Pisek zu gelangen.
Hier kommt die Trace in das Gebiet des
Blanitzflusses, berührt, etwas gewendet, die
Station Putim, dreht sich dann nach Süd-
osten, übersetzt den Blanitzfluss und den
Blanitzarm mittels Eisenbrücken und gewinnt
dann mit einerlangen, über eine ausgedehnte
Wiesenfläche dahinziehenden Geraden die
Station Protivin. [Abb. 103 und 104]
Als das letzte der aus den Regierungs-
Vorlagen vom 10. Februar 1874 hervor-
gegangenen thatsächlichen Ergebnisse für
die Vermehrung der. österreichischen
Schienenwege, ist der auf Staatskosten
unternommene Bahnbau in Dal-
matien anzuführen, der, wenngleich nur
von geringer Ausdehnung und darum die
alten Pläne nur in bescheidenem Masse
verwirklichend, dennoch besondere Wür-
digung verdient, weil bis dahin Dalmatien
das einzige »eisenbahnlose« Land der
ganzen Monarchie gewesen.
Die ersten Anregungen zu Eisenbahn -
Anlagen in Dalmatien reichen bis in
die Anfangsperiode unseres Bahnwesens
zurück und gingen, in Rücksichtnahme
auf Fiume, von den ungarischen Behörden
und Landtagen [1843 und 1847/48] aus.
Mitte der Fünfziger-Jahre und seitdem
noch lange Zeit machten die genannte
Hafenstadt sowie die dortige Handels-
kammer mannigfache Anstrengungen um
die Zustandebringung einer Eisenbahn-
Verbindung mit Dalmatien. Zu Ende des
Jahres 1861 projeetirte auch der Engländer
Charles Boyd eine von Triest über Fiume
nach Zara und von da durch ganz Dal-
matien bis Cattaro führende Schienen-
strasse mit Fortsetzungen nach Belgrad
etc., erhielt aber nicht die Bewilligung
zu den Vorarbeiten.
Im Lande selbst beschäftigte sich
zuerst der Bürgermeister von Spalato,
Dr. Anton Bajamonti, mit der Angelegen-
heit; er projeetirte im Jahre 1862 eine,
laut seines damals veröffentlichten Pro-
memorias, von Spalato aus, Dalmatien in
der mittleren Breite durchschneidende
Linie an die bosnische Grenze gegen
Livno [und Fortsetzung bis Belgrad] und
erhielt am 10. December 1862 die be-
zügliche Vorconcession. Ihm folgten : die
Stadtgemeinde Zara mit dem Projecte
Zara-Knin [-Bosnien] -Esseg und die Han-
delskammer von Spalato mit dem Pro-
jecte Spalato-Knin [Vorconcession 12. Juni
1864].
Begreiflicherweise fanden diese Bestre-
bungen die wärmste Theilnahme und Be-
fürwortung; der wiederholt kundgegebene
einmüthige Wunsch der Landesvertretung
sowie der bedeutendsten Gemeinden und
Körperschaften des Landes, Hess das Zu-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
199
standekommen der Bahn als
ein wahres Bedürfnis er-
kennen. Dies war noch mehr
und auch vom Standpunkte
des Gesammtreiches der Fall,
nachdem die Ereignisse des
Jahres 1866, gleichwie bezüg-
lich Istriens auch hier den
Mangel einer Eisenbahn-
Verbindung empfindsam vor
Augen führten.
Die Regierung entschloss
sich demnach zur Verwirk-
lichung der dalmatinischen
Bahnprojecte dadurch beizu-
tragen, dass sie die tech-
nischen Vorarbeiten auf Ko-
sten des Staates bewerkstel-
ligen und noch im Jahre 1866
mit den Höhenmessungen
beginnen Hess. Diese Pro-
jectsarbeiten wurden im Jahre
1 869 beendet.Währenddessen
tauchten übrigens von pri-
vater Seite neue Projecte auf,
so namentlich jene des Gra-
fen Eugen Zichy und des
Engländers Ralph Earle, von
denen das erstere die Linie
von Pest über Neusatz durch
die Militärgrenze bis Spalato,
das zweite hingegen ein
ganzes dalmatinisches Bahn-
netz zum Gegenstande hatte
[1868], ferner dasjenige der Gebrüder
Pongratz für die Linie Barcs-Xovi-
Knin-Dernis-Spalato und das von Stefan
Türr auch in seiner Denkschrift über
die Verbindung des ungarischen Donau-
thales mit der Adria vertretene Project
einer Eisenbahn von Essegg über Brod
nach Bosnien und Dalmatien bis Spalato,
Sebenico und Zara [1869].
Ein zweites Mal legte die Regierung
ihr Interesse an die dalmatinischen Bahnen
dadurch offen an den Tag, dass sie in
ihre, die Vervollständigung des öster-
reichischen Eisenbahnnetzes bezweckende
Gesetzesvorlage vom 13. März 1869 auch
eine Bahn von Spalato über Knin in der
Richtung gegen Krain aufnahm und zur
Begründung dieses Vorschlages hervorhob,
wie nothwendig es sei, Dalmatien mittels
einer Schienenstrasse enger an das Innere
Abb. 98. Brücke über die Zwodau bei Lindenhammer.
[Strecke Falkenau-Graslitz. [Nach einer photographischen Aufnahme
von Franz Sommer.]
der Monarchie zu knüpfen. Diese Vorlage
hatte, obwohl sie schon am 29. April
1869 wieder zurückgezogen wurde, nicht
verfehlt, die öffentliche Aufmerksamkeit
von Neuem für die »Einbeziehung Dal-
matiens in die Reihe der mit Eisen-
bahnen bedachten Kronländer« wach-
zurufen. Dr. Bajamonti bildete ein Con-
sortium für die Verbindung Barcs-Sissek-
Spalato nebst Zweigbahnen von Knin
nach Sebenico und Zara, von Otocac
nach Zengg sowie von Ogulin nach
Brod ; Stephan Türr plante noch eine
Eisenbahn von der Narentamündung über
Fort Opus nach Bosnien, die allerdings
nur zum kleinsten Theile Dalmatien zu-
gute gekommen wäre; die Stadtgemeinde
Zara projectirte ein ganzes Bahnnetz für
Dalmatien, Slavonien und die Militär-
grenze ; ein griechisch-französisches Con-
200
Igmaz Konta
sortium endlich beabsichtigte die Durch-
stechung der Landenge von Korinth und
die Herstellung eines von dort ausgehen-
den Bahnnetzes längs der Küste des
Adriatischen Meeres bis nach oder auch
durch Dahnatien. Die bezüglichen Vor-
concessionen wurden fast sämmtlich im
Mai 1870 ertheilt.
So schön und grossangelegt alle
diese Vorhaben auch waren, vielleicht
sogar gerade weil sie zu weitreichende
gewesen, blieben sie doch nur Projecti-
rungen. Als nun deren Unfruchtbarkeit
offenbar wurde, und die Unruhen im
Gebiete von Cattaro sowie die unter
Hinweis auf dieselben im Reichsrathe
gestellten Interpellationen wegen des
Bahnbaues in Dalmatien, an die Dring-
lichkeit des letzteren mahnten, liess die
Regierung das im Jahre 1869 von der
k. k. General-Inspection vollendete Project
für die Linie von Spalato über Knin zur
Fortsetzung durch die Militärgrenze bis
Carlstadt und mit Abzweigungen nach
Trau, Sebenico und Zara, einer durch-
greifenden Umarbeitung unterziehen, weil
dessen Verwirklichung sonst zu kostspielig
gewesen wäre. Es wurde jetzt die Linie
Spalato -Perkovic-Dernis-Knin-Croatische
Grenze [bei Pasic) mit Abzweigungen
von Perkovic nach Sebenico und von
Ocestovo nach Zara gewählt und in-
folge des inzwischen begonnenen Baues
der croatischen Linie Carlstadt-Fiume,
der Anschluss an diese bei Touin in
Aussicht genommen. Das Ergebnis der
im Jahre 1871 beendeten Umarbeitung
war : eine günstigere Entwickelung der
Trace, die Einbeziehung der Braunkohlen-
lager von Siveric in die Hauptlinie und
eine Verringerung der Baulänge [um
7-3 Meilen] auf 30^8 Meilen und der
effectiven Baukosten [um 15.730.000 fl.]
auf 21,481.000 fl.
Dieses neue Project, an welchem
übrigens im Jahre 1872 noch einige Nach-
besserungen vorgenommen wurden, bil-
dete nun die Grundlage für den am 17. De-
cember 1872 im Abgeordnetenhause ein-
gebrachten Gesetzentwurf, vermöge des-
sen die Regierung ermächtigt werden
sollte, die vorgenannten dalmatinischen
Bahnlinien entweder auf Staatskosten
auszuführen [für welchen Fall sie pro
1873 eine Baudotation von 3,000.000 fl. in
Anspruch nahm] oder unter Gewährung
einer Staatsgarantie im Höchstbetrage
von 44.500 fl. pro Meile zu conces-
sioniren.
Das Abgeordnetenhaus hatte die Vor-
lage im Grundsätzlichen wohlwollend
behandelt und, folgend den Anträgen
seines Ausschusses, sogar die Garantie-
ziffer auf 47.300 fl. pro Meile erhöht,
doch aber von dem Baue auf Staats-
kosten »aus staatsrechtlichen Gründen«
völlig abgesehen und die Concessionirung
der dalmatinischen Linien von der Siche-
rung ihres Anschlusses an das öster-
reichisch-ungarische Bahnnetz abhängig
gemacht, weil ein isolirtes dalmatinisches
Netz weder den mit seiner Ausführung
angestrebten Zwecken entsprechen, noch
den Aufwand für dasselbe rechtfertigen
würde [1. April 1873].
Vom Herrenhause am 1 7. April mit
den gleichen Aenderungen angenommen
und sodann am 30. April 1873 a. h.
sanctionirt, war wohl jetzt ein Gesetz
über die Sicherstellung der dalmatinischen
Bahnlinien geschaffen, seine Durchführung
erwies sich jedoch als unmöglich ; denn
der Ausbruch der wirtschaftlichen Krisis
und insbesondere die Ungewissheit hin-
sichtlich der Erzielung des Anschlusses,
vereitelten die Concessionirung.
Damals hiess es, die königlich unga-
rische Regierung habe sich bereit erklärt,
eine Verbindungslinie von der Carlstadt-
Fiumaner Bahn bis zur croatischen Grenze
zwischen Pasic und Pribudic zu bauen ;
zur Erfüllung dieser Zusage kam es je-
doch nicht. Welche Umstände dies hin-
derten, ist noch unbekannt ; man wird
jedoch schwerlich fehlgehen, wenn
man ihnen die Besorgnis wegen einer
Concurrenzirung Fiumes durch die dal-
matinischen Häfen zuzählt. Jedenfalls
bleibt es eine bedauerliche Thatsache,
dass die Lösung der Anschlussfrage, die
fremden Nachbarstaaten gegenüber so
oft schon geglückt, just hier nicht
gelingen wollte und auch für weiterhin
aussichtslos erscheint, nachdem die Militär-
grenz-Bahnen, bei welchen zum letzten
Male auf die Verbindung Ogulin-Pasic
[dalmatinische Grenze] Bedacht genom-
men war, wesentlich anders ausgeführt
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
20 1
wurden, als sie vom Chef der Militär-
grenz-Verwaltung, Feldzeugmeister Frei-
herrn von Mollinary, in den Jahren 1873
bis 1876 projectirt und mit seltener
Ausdauer und Ueberzeugungstreue ver-
fochten worden waren.
Sollte nun der alte Zustand nicht
neue Fortdauer gewinnen, dann musste
die Regierung eine andere Vorsorge für
den Bahnbau treffen. Sie entschloss sich
hiezu umso rascher, als Dalmatien im
Jahre 1873 von einer Missernte betroffen
verlangten das ganze Netz und, wenn
dessen Verbindung mit den ungarisch-
croatischen Bahnen nicht möglich sei,
seine Ausweitung gegen Banjaluka hin
und klagten, dass nicht einmal die
Hauptstadt des Landes in den Eisen-
bahn-Verkehr einbezogen werde. Wäre
es auf diese Abgeordneten allein an-
gekommen, dann hätte die Vorlage wahr-
scheinlich eine ungünstige Erledigung
gefunden und Dalmatien noch länger
jedweder Schienenstrasse entbehrt. Zum
Abb. 99. Lilienfeld. [K. k. Diederösterreichische Staatsbahnen, Scheibmühl-Schrambach.J
wurde, und es daher auch galt, der noth-
leidenden Bevölkerung Hilfe zu bringen.
Der Handelsminister Dr. Banhans legte
also am 10. Februar 1874 dem Ab-
geordnetenhause einen, die staatliche
Ausführung der Linie Siveric-Spalato
nebst Abzweigung nach Sebenico sowie
die Ertheilung eines ersten Baucredites
von 1,000.000 fl. bezweckenden Gesetz-
entwurf vor, damit, ohne Rücksicht auf
den mangelnden Anschluss, der Bau
alsbald in Angriff genommen werden
könne. Das Ministerium erachtete näm-
lich die genannte Linie an und für sich
als befähigt und berufen, einem Ver-
kehrsbedürfnisse zu genügen und wollte
darum mit ihr nur den Anfang machen.
Damit waren jedoch die dalmatini-
schen Abgeordneten nicht befriedigt; sie
Glücke für das Land fasste die Mehrheit
des Hauses die Sachlage ganz anders,
nämlich dahin auf, dass das neue Gesetz
das alte keineswegs aufhebe. Der Gesetz-
entwurf wurde also am I. Mai 1874 vom
Abgeordnetenhause angenommen und,
nach der am 6. Mai erfolgten Zustim-
mung des Herrenhauses, am 16. Mai
1874 a. h. sanctionirt.
Dass Regierung und Reichsrath bei
der Schaffung dieses Gesetzes unentwegt
an dem Gedanken festhielten, sobald als
thunlich auch die übrigen dalmatinischen
Linien in Ausbau zu bringen, erhellt
insbesonders noch aus zwei Momenten.
Das Handelsministerium begleitete die
neue Vorlage mit Erläuterungen, die
deutlich bekundeten, dass dieselbe that-
sächlich darauf abziele, den Bau des
202
Ignaz Konta.
beim Eintritte günstigerer Verhältnisse
gänzlich auszuführenden Bahnnetzes in
Dalmatien endlich einmal zu beginnen —
und das Abgeordnetenhaus fasste bei
der Annahme des neuen Gesetzes zu-
gleich eine Resolution, durch welche die
Regierung aufgefordert wurde, das Zu-
standekommen der Anschlussvereinbarung
mit der königlich ungarischen Regierung
zu beschleunigen und überhaupt jene
Hindernisse ehestens zu beheben, welche
die »vollständige Realisirung des Gesetzes
vom 30. April 1873« und die »Gesammt-
sicherstellung des dalmatinischen Eisen-
bahnnetzes« behindern. Allerdings bestand
das Haupthindernis darin, dass jene Ge-
setzes-»Realisirung« nach wie vor an die
Lösung des Anschlussproblems gebunden
blieb.
Gleichzeitig mit der Sanction des
Gesetzes vom 16. Mai 1874 war auch
die a. h. Bewilligung zur Inangriffnahme
des Baues erfolgt, der nun fast unverweilt,
nämlich Mitte Juni 1874 bei Spalato wie
auch an zwei anderen Stellen begonnen und
vorerst provisorisch von den Unternehmern
Paul Palese und Dörr & Trigari geführt,
nachher aber am 31. December 1874 im
Offertwege an die Unternehmung Baja-
monti, Trigari, Knauer und Gross zu
Einheitspreisen vergeben wurde ; des-
gleichen im Juni 1876 die Hochbauten
an die Triester Firma Peter Palese.
Schienen, Schwellen, Fahrbetriebsmittel,
Ausrüstungs-Gegenstände etc. hatte die
Staatsverwaltung selbst beschafft. An-
lässlich der Bauvorbereitung erhielt die
Strecke Siveric-Perkovic-Spalato [83-3 km]
die Bezeichnung »Hauptlinie«, die Strecke
Perkovic-Sebenico [21 '7 km] die Bezeich-
nung »Flügelbahn« der Dalmatiner
Staatsbahn; erstere sollte am 1. De-
cember 1876, letztere am 1. Juli 1877
vollendet sein. Mannigfache Schwierig-
keiten benahmen jedoch die Möglichkeit
zur Einhaltung dieser Fristen. Die Theil-
strecke Siveric-Sebenico ist vom 22. Mai
1877 an in provisorischer Weise zur Ab-
fuhr der Kohle aus den Werken auf dem
Monte promina benützt worden ; die Er-
öffnung der ganzen Bahn [105 km] für
den öffentlichen Verkehr fand, unter leb-
haften Freude- und Dankeskundgebungen
der Bevölkerung, am 4. October 1877,
als am Tage des Namensfestes Sr. Ma-
jestät des Kaisers, statt.
Beide Linien wurden als Bahnen
zweiten Ranges erbaut, dem Terrain
möglichst angeschmiegt und in der
kürzesten Trace geführt, die nament-
lich in der Strecke von Castel vecchio
bis an die Cicola-Lehne ein ganz unwirk-
liches Karstgebiet durchzieht. Grosse Er-
schwernisse bereitete überdies der Mangel
an Unterkunft, an gangbaren Wegen und
an Wasser. Um das letztere in ausreichen-
der Menge auch für den Betrieb zu be-
schaffen, mussten mit einem Kostenauf-
wande von 549.534 fl. eigene Wasser-
versorgungs-Anlagen hergestellt werden,
von denen insbesonders die Fassung der
Quelle des Jadroflusses und die Wieder-
instandsetzung der alten römischen Wasser-
leitung bei Spalato, ferners die Hebe-
werke und Leitungen im Kerkathale zu
erwähnen sind. Die Ueberwindung aller
dieser Mühsale fand ihren Lohn in
einem bedeutenden Kostenersparnis, das
allerdings zum grossen Theile auch da-
durch erzielt wurde, dass zufolge des
Gesetzes vom 14. April 1877 [betreffend
die Eröffnung von Crediten pro 1877
für die Staatsbahnbauten] verschiedene
technische Erleichterungen zur Anwen-
dung kamen. Das Anlage-Capital war mit
12,369.700 fl. veranschlagt; die wirk-
lichen Ausgaben betrugen jedoch nur
10,972.230 fl. [= 104.500 fl. pro Kilo-
meter].
Der Betrieb, welcher nach der ursprüng-
lichen Absicht der Regierung im Con-
cessionswege an eine Privat-Unterneh-
mung übertragen werden sollte, ver-
blieb mit a. h. Bewilligung vom 21. Juni
1877 denn doch in der eigenen Regie
der Staatsverwaltung. Mit ihm begann
also die Wiederaufnahme des
staatlichen Eisenbahnbetrie-
bes inOesterreich, es war dies
ein bescheidener Anfang, denn die Ein-
richtungen und Leistungen des Betrie-
bes der Dalmatiner Staatsbahnen waren
die denkbar einfachsten. Nach der Eröff-
nung der Bahn verkehrten auf der Haupt-
linie wöchentlich vier Züge in jeder
Richtung und auf der Flügelbahn stets
zwei Anschlusszüge zu jedem Zuge der
Hauptlinie. Vom 15. Februar 1878 an,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
203
trat auf einzelnen Theil-
strecken eine kleine Vermeh-
rung der Zugszahl ein. Trotz
aller Sparsamkeit blieben je-
doch die Ergebnisse unzurei-
chende, was hauptsächlich der
Isolirtheit der Bahn zuzu-
schreiben ist. Die Betriebs-
Direction hatte ihren Sitz in
Spalato ; zu ihrem Vorstande
wurde der vormalige Betriebs-
chef der Gotthard-Bahn, Frie-
drich Neumann, ernannt, der,
nach seiner am 25. Februar
1880 erfolgten Berufung zum
Stellvertreter des k. k. Be-
triebsverwalters der Kronprinz
Rudolf-Bahn, den Commissär
j 1 , s~. , r • Abb- I0°-
der k. k. General-Inspection,
Gustav Gerstel, zum Nach-
folger erhielt.
Die Betriebs-Direction Hess nichts un-
versucht, den Verkehr zu heben und be-
zeichnete, gleich nach Beginn ihrer
Wirksamkeit, ganz freimüthig die Weiter-
führung der Bahn mindestens bis Knin,
wo fünf Strassen einmünden und die
Güter aus Bosnien ihren Stapelplatz
haben, als das geeignetste Mittel zur
Besserung der Verhältnisse. Auch das
Land und seine Vertreter begehrten ohne
Unterlass den Ausbau der Bahn und die
Verwendung des beim ersten Baue er-
übrigten Capitals zur Verlängerung der
Hauptlinie bis Knin. Diese Fortsetzung
kam nach vielen Jahren wirklich zu-
stande ; alles Uebrige ist noch der Zukunft
vorbehalten.
Die Hauptlinie der k. k. Dalmatiner
Staatseisenbahn beginnt an einer
ausserhalb des Hafens von Spalato gelegenen
seichten Bucht des Canals von Brazza, führt
von dort durch einen II bis 13 m tiefen
Felseinschnitt zur Station Spalato, deren
Plateau beinahe vollständig durch Verschüt-
tungen im Hafen von Spalato gewonnen
wurde. Sogleich nach dem Austritte aus der
Station Spalato windet sich die Bahn in
einem 749 m langen, durchschnittlich 4 — 5 tu,
stellenweise aber bis zu 15 m tiefen, grössten-
teils aus dem Felsen gesprengten Einschnitte
mit drei Gegenkrümmungen von 250 m
Radius zwischen den Gebäuden der Vorstadt
Lucaz und dann in einer längeren Geraden
durch die Vorstadt Manus hindurch, wendet
sich dann gegen Osten, bis sie in einem
langen Bogen das östliche Ende der Meeres-
Piesting. [K. k. niederösterreichische Staatshahnen,
Leobersdorf-Gutenstein.]
bucht von Vraniza umfährt und die dortige
300 m breite Felsrippe durchschneidet. Sodann
übersetzt sie den Jadrofluss genau an seiner
Mündung ins Meer und gelangt kurz darauf
zu der theilweise durch Verschüttung einer
kleinen Meeresbucht gewonnenen Station
Salona. Dort verlässt die Bahn die Küste und
betritt den mit Wein und Oliven reich be-
bauten unteren Theil der Lehne des Berges
Kossiak und führt längs derselben in west-
licher Richtung zur Station Castelvecchio.
Mit Steigungen von I : 40 an Felsrippen
und durch vier Tunnels gelangt die Bahn
weiter zu der 361 in über dem Meeresspiegel
liegenden Station Labin, die sich bereits im
Karstgebiete befindet, welches erst beim Ein-
tritte in das Thal der Cicola bei Derniä
wieder verlassen wird. Von Labni aus zieht
sich die Bahn in offener Karstgegend etwa
31/, km weit bis zum Rande des steil ab-
fallenden, 160 »11 tiefen Thalkessels von Dolae.
Von dort wieder [mit zumeist 1 :40] ansteigend,
erreicht sie die Wasserscheide gegen das
Thal von Perkovic und von dort aus im
Gefälle die Station Perkovic-Slivno. Von
hier geht die Bahn durch ein breites Karst-
thal, steigt durch nicht unbeträchtliche Ein-
schnitte zur Station UneSic und von dieser
auf den höchsten Punkt der Dalmatiner
Bahn [Cote 373 m]. Von da ab senkt sich
die Trace, um von Zitnic aus mit einer
leichten Steigung, den senkrecht abstür-
zenden Felswänden der Cicolaschlucht aus-
weichend, an der von Dernis flussaufwärts
führenden Lehne, die Thalsohle zu erreichen
und den Cicolafluss und dessen Fluth-
öffnung zu übersetzen. In weiteren Stei-
gungen von 1 : 50 wird über Dernis die Sta-
tion Siveric erreicht.
Die Flügelbahn Perkovic- Sebenico
zweigt bei der Station Perkovic unter einem
sehr spitzen Winkel ab, übersetzt den Tor-
204
Ignaz Konta.
rente Dabar und erreicht mit Gefällen von
I : 60 bis 1 : 45, unter ziemlich ungünstigen
Richtungsverhältnissen, die Station Verpolje
und läuft dann von hier mit geringen Stei-
gungen und Gegensteigungen, ohne [mit
Ausnahme eines einzigen grösseren Ein-
schnittes] bedeutende Arbeiten erfordert zu
haben, bis etwa 900 m vor die Station Sebe-
nico. Die Theilstrecke bis zu dieser Station
jedoch sowie das Stationsplateau von Sebe-
nico, welches 174 m über dem Meeresspiegel
auf einer durchaus unebenen, mit Felsen-
trümmern besäeten Fläche herzustellen war,
und die etwa 250 m vor Beginn der Station
Sebenico abzweigende »Rivabahn«, die mit
einem 616 m langen Gefälle von I : 40 un-
mittelbar zu einer Ufermauer am Meere führt,
verursachten sehr beträchtliche Erd- und
Felsarbeiten. [Abb. 105—107.]
Die im Vorhergehenden erörterten,
als Nothstandsbauten in Ausführung ge-
kommenen Linien von zusammen 722^2 km
oder, wenn man die Linie Pilsen-Eisenstein
gleichfalls wie ein ganz neu geschaffenes
Unternehmen mit hinzuzählen will, von
8i9"6£>M Länge, machen also den Fort-
schritt aus, welchen das Jahr 1874 der
Entwicklung des österreichischen Bahn-
netzes brachte. Selbst dieses Ergebnis,
das im Hinblick auf die damalige Zer-
rüttung der wirthschaftlichen Verhältnisse
immerhin noch als ein beträchtliches
gelten konnte, erfuhr aber eine Schmäle-
rung dadurch, dass ihm die Annullirung
mehrerer Concessionen,*) somit der Weg-
fall eines bereits für gesichert gegoltenen
Bahncomplexes von rund 602 km gegen-
überstand.
Weit mehr als der Rückschlag, den
die räumliche Ausbreitung des Bahn-
netzes erlitten, verdüsterte indes die
finanzielle Bedrängnis, in welcher sich
die meisten ungarantirten Bahnen be-
fanden, die allgemeine Lage des öster-
reichischen Eisenbahnwesens. Eine ganze
*) Es wurden für erloschen erklärt die
Concessionen für die Eisenbahnen:
Bozen-Meran, 28' I km, mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 14. Juli 1874.
Ebensee-Ischl, 303 km, mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 23. Juli 1874.
Altheim-Schärding, 28*8 km, mittels Kund-
machung des Handelsministeriums vom
4. December 1874.
Liebenau-Kuschwarda [Böhmische Südwest-
bahn], 515 km, mittels des Gesetzes vom
16. Mai 1874; — zusammen 602 2 km.
Reihe von Unternehmungen, die schon
vom Baue her verschuldet gewesen oder
durch das Ausbleiben der erhofften Be-
triebserträgnisse mit Deficiten zu kämpfen
oder unter diesen beiden Uebeln zu leiden
hatten, geriethen ausser Stand, ihren Ver-
pflichtungen nachzukommen, und wären
sicher dem Gant verfallen, wenn nicht
das sogenannte Curatoren-Gesetz*)
vom 24. April 1874 sie vor diesem Lose
bewahrt hätte.
Der erste Abschnitt dieses Gesetzes
verfügt nämlich, dass in Angelegenheiten,
welche gemeinsame Rechte der Besitzer
von Theilschuld-Verschreibungen [Priori-
täts-Obligationen u. dgl.] betreffen, die
einzelnen Besitzer ihre Rechte nicht
selbständig geltend machen können,
vielmehr in allen Fällen, bei denen es
sich ergibt, dass die Rechte dieser Be-
sitzer durch Verzug gefährdet oder die
Rechte eines Anderen in ihrem Gange
gehemmt würden, ein gemeinsamerCurator
zur Vertretung der Rechte der Besitzer von
Theilschuld-Verschreibungen vom Gerichte
zu bestellen ist, wodurch also etwaigen
Zwangsmassregeln seitens einzelner Obli-
gationen-Besitzer vorgebeugt, zugleich aber
ein Organ zur gemeinsamen Vertretung
ihrer Rechte geschaffen wurde, mit
welchem die bedrohten Gesellschaften
ihre Schuldenangelegenheiten auf güt-
lichem Wege regeln können. In seinem
zweiten Abschnitte behandelt das Gesetz
die bücherliche Eintragung des Pfand-
rechtes für die Besitzer der gedachten
Theilschuld-Verschreibungen, und es steht
damit im Zusammenhange das eigens
geschaffene Gesetz vom 19. Mai 1874,
»betreffend die Anlegung von Eisen-
bahn-Büchern, die Wirkung der an
einer Eisenbahn eingeräumten Hypothekar-
rechte und die bücherliche Sicherung der
Pfandrechte der Besitzer von Eisenbahn-
Prioritäts-Obligationen <■, wodurch wieder
*) Der Titel dieses Gesetzes lautet:
»Gesetz, betreffend die gemeinsame Ver-
tretung der Rechte der Besitzer von auf
Inhaber lautenden oder durch Indossament
übertragbaren Theilschuld -Verschreibungen
und die bücherliche Behandlung der für
solche Theilschuld-Verschreibungen einge-
räumten Hvpothekarrechte.« [Näheres vgl.
Bd. I, 2. Theil, Dr. V Roll, Entwicklung der
Eisenbahn-Gesetzgebung ]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
205
für die bis dahin gänzlich fehlende Inta-
bulation jener Pfandrechte gesorgt wurde.
In der Folge ist die ordnende und
das Vertrauen zu den Eisenbahn-Obli-
gationen stärkende Wirkung dieser legis-
lativen Vorkehrungen deutlich hervor-
getreten ; zur Zeit, da sie getroffen wurden,
äusserte sich jedoch ihr Nutzen, wie ge-
sagt, vornehmlich nur in den ihnen ent-
stammten weitreichenden Stundungen für
die nothleidenden Unternehmungen, die
aber, weil anderer Hilfe bar, im Uebrigen
fortkrankten.
Am schlimmsten waren jene daran,
welche [wie z. B. die Lundenburg-Gruss-
bacher und die Braunau-Strasswalchner
Bahn u. s. w.] ohne Besitz eines eigenen
Fahrparkes die Betriebführung an Nach-
barbahnen übertragen hatten, jetzt aber
infolge der geringen Einnahmen weder
die Kosten des Betriebes decken, noch
ihn selbst übernehmen konnten, daher
pefahr liefen, den Verkehr einstellen zu
müssen und dann sequestrirt zu werden
oder gar die Concession zu verlieren.
Betriebsabgänge waren übrigens auch
bei einigen garantirten Bahnen zu einem
chronischen Uebel geworden, das für diese,
wenngleich minder bedrohlich, so doch
immer noch folgenschwer genug war,
weil es eine Häufung der Schulden oder
Kürzung der Actienrente nach sich zog
und das Vertrauen zu der Garantie
herabdrückte.
Dem Allen ist es zuzuschreiben, wenn
die Eisenbahn- Papiere, welche bislang
gegen die Verheerungen der Krisis gefeit
schienen und sich wie ein Schutzwall
gegen das Weitergreifen des allgemeinen
Niederganges ausnahmen, jetzt ebenfalls
einer heftigen Entwerthung anheimfielen
und die Schrecknisse der wirthschaftlichen
Verwüstung mehrten und steigerten.
Nun erst erwärmte sich auch der
Reichsrath einigermassen für den Ge-
danken, dass zur Eindämmung des Ver-
falles oder, nach anderer Lesart, zur
Neuregelung des Eisenbahnwesens etwas
geschehen müsse. Zum Ausdrucke ge-
langte diese Regung aber wieder nur in
ganz platonischer Weise : der Reichsrath
verlangte von der Regierung und diese
versprach ein ausführliches Programm
[24. November 1874].
Draussen hatte indes die Publicistik
nicht aufgehört, den Ernst der Lage
zu besprechen — an die Dringlich-
keit einer Sanirungsaction zu mahnen.
Ueber die Art derselben, gingen freilich
die Meinungen weit auseinander. Fu-
sion, Aufrechthaltung und Unterstützung
der bestehenden Unternehmungen, rück-
haltslose Staatsgarantie, allgemeiner
Staatsbau und Staatsbetrieb, wurden in
bunter Abwechslung empfohlen. Ueber-
einstimmung zeigte sich nur in dem Be-
gehren nach Klarstellung der Frage
wegen Deckung der Betriebsdeficite bei
garantirten Bahnen durch den Staat.
An Stimmen, welche eine Unter-
suchung und Läuterung der inneren Ver-
hältnisse des Eisenbahnwesens heischten,
fehlte es gleichfalls nicht.
Neues, beziehungsweise Ursprüng-
liches wiesen jedoch diese Rathschläge
nur wenig auf, einige waren sogar schon
von Massnahmen der Regierung ganz
oder theilweise überholt; denn der Bau
auf Staatskosten hatte bereits bei etlichen
neuen Linien [den sogenannten Nothstands-
bauten] seine erste Wiederanwendung
gefunden ; für die Zusammenlegung einer
Anzahl von Gesellschaften sowie zur
Bedeckung der Betriebsdeficite garan-
tirter Unternehmungen war, wie alsbald
folgt, ein erster Schritt schon unter-
nommen und die Prüfung der technischen
und administrativen Zustände einzelner
Bahnen Hess die Aufsichtsbehörde seit
Jahr und Tag sich besonders angelegen
sein.
Was die Oeffentlichkeit von dieser
Obsorge erfuhr, betraf allerdings nur
zum geringeren Theile die in der soge-
nannten Gründungszeit entstandenen
Schäden; für die Eindringlichkeit des
Vorgehens lieferten aber die damaligen
Geschehnisse bei den alten galizischen
Bahnen einen eclatanten Beweis.
Vielfache, auch im Reichsrathe wieder-
holt vorgebrachte Beschwerden über Ver-
kehrsstörungen und Unsicherheit des
Betriebes auf der Lemberg-Czerno-
witz-Jassy -Eisenbahn hatten das
Handelsministerium schon im Jahre 1870
zur Anordnung einer gründlichen tech-
nisch-administrativen Untersuchung der
Bahn, dann [28. November] zur Entsen-
2o6
Ignaz Konta.
düng eines diesfalls mit besonderen Voll-
machten versehenen Commissärs [s. S. 37]
und schliesslich [14. December] auch dazu
veranlasst, dem Verwaltungsrathe eine
durchgreifende, der Betriebs-Direction in
Lemberg ausreichende Befugnisse zu
raschem und kräftigem Handeln ein-
räumende Reorganisation des Verwaltungs-
und Betriebsdienstes aufzutragen.
Anstatt für die pünktliche Befolgung
der an sie ergangenen Weisungen zu
sorgen, gefielen sich Vervvaltungsrath
und General-Direction darin, dieselben zu
kritisiren und mit Verwahrungen zu be-
antworten, deren Ton überdies dem
Ministerium sehr missfiel. Die Gegensätze
verschärften sich
mit jeder neuen
Anordnung, und
zu solchen fand
die Aufsichtsbe-
hörde immer wie-
derVeranlassung.
Die Actionäre
hatten von diesen
jahraus jahrein
sich fortspinnen-
den Vorgängen
keine Kenntnis.
Noch in der Gene-
ralversammlung
vom 29. April
1872 folgten sie
ganz sorglos den
Anträgen des Verwaltungsrathes, be-
schlossen zum Zwecke der Abstos-
sung schwebender Schuldposten wie
auch zur Schaffung eines genügenden
Betriebs - Capitals, eine vierte Priori-
täten-Emission im Betrage von nom.
5,400.000 fl. und gaben zur Verzin-
sung und Tilgung dieses Anlehens 2°/0
von der bis dahin aus den Staatsgarantieen
genossenen 7°/0igen Actienrente ab. Die
neuen Obligationen wurden zum Curse von
751/» an ein Berliner Consortium begeben
und von diesem am 6. und 7. August mit
vorzüglichem Erfolge zum Curse von 80
zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt.
Kein äusseres Anzeichen verrieth daher,
dass die Lemberg-Czernowitzer Bahn
einem Geschicke entgegengehe, wie es
vordem in Oesterreich noch keiner Eisen-
bahn-Unternehmung widerfahren war.
Abb. IOI. Waldegg. [K. k. niederösterreichische
Staatsbahnen, Leobersdorf- Gutenstein.]
Um desto grösser war die Ueber-
raschung aller Theilhaber der Gesellschaft,
als der Handelsminister am 7. October
1872, auf Grund des § 12 des Eisenbahn-
Concessions-Gesetzes vom 14. September
1854, die Sequestration ihrer öster-
reichischen Linien anordnete. Dem Ver-
waltungsrathe selbst konnte aber diese
Massregel nicht so ganz unvermuthet ge-
kommen sein ; denn abgesehen von Allem,
was schon vorausgegangen, wusste er,
dass ihm mittels Erlasses vom 4. Sep-
tember 1872 die un verweilte Ausführung
einer Reihe von Weisungen in Betreff
einer sparsameren Einrichtung des ge-
sellschaftlichen Haushaltes, namentlich
durch Verringe-
rung bestimmter
Personalunkosten
[Bezüge des Ge-
neral-Directors
und zweier ande-
ren Oberbeamten,
Diäten, Wagen-
auslagen etc.], bei
sonstiger Verhän-
gung der Seque-
stration aufgetra-
gen war, und
dass er auch die-
sen Weisungen
nicht nachkam,
vielmehr gegen
dieselben zuerst
in der Sitzung vom 23., dann mittels Ein-
gabe vom 25. September 1872 heftig
remonstrirte.
In dem Sequestrations-Decrete war
zugleich die Bestellung des k. k. Regie-
rungsrathes Karl Barychar zum Se-
quester und des k. k. Inspectors Ferdinand
Perl zum Sequester-Stellvertreter ausge-
sprochen, der Amtsantritt des Sequesters
gleich auf den 8. October 1872 anbe-
raumt und von diesem Tage an die
statutarische Wirksamkeit der General-
versammlung, des Verwaltungsrathes und
des General-Directors, rücksichtlich des
österreichischen Theiles der gesellschaft-
lichen Unternehmung, aufgehoben.
Vor dem Beginne der Verwaltungs-
raths-Sitzung vom 7. October, in welcher
der landesfürstliche Commissär die Seque-
stration verkündete, nahm der General-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
207
Director Victor Ritter von Ofenheim, der
nicht wie das gesammte übrige Personal,
unter die Amtsgewalt des Sequesters
treten mochte, seinen Abschied. Da
bald darauf auch der technische Director
und der Vorstand des finanziellen Dienstes
zurücktraten, hatte der Sequester bei
der von ihm sogleich ins Werk gesetzten
Neueinrichtung des Dienstes Gelegenheit,
auf wichtige Posten Personen seines
Vertrauens zu stellen. Zum Betriebs-
Director wurde der Ober-Ingenieur der
Kaiserin Elisabeth-Bahn, Adolf L a u d a,*)
ernannt, der nun in Gemeinschaft mit
den bautechnischen Abtheilungen vor
machte sich bei der Besprechung der-
selben, soweit sie sich nicht völlig gegen
den Verwaltungsrath kehrte, eine auf-
fallende Zurückhaltung bemerkbar, und
zwar nicht blos jetzt, sondern auch, mit
ganz vereinzelten Ausnahmen, in der am
26. April 1873 abgehaltenen General-
versammlung für die rumänischen Linien
der Gesellschaft.
Das Verhältnis dieser zu den seque-
strirten österreichischen Linien gestaltete
sich nun wie zwischen zwei fremden
Unternehmungen. Für die ihm ver-
bliebene »Gestion« richtete der Ver-
waltungsrath einen gesonderten Dienst
Allem auf die gute Instandsetzung des | ein, dessen Leitung der zum General-
Bahnkörpers und
die Erzielung eines
ungestörten Be-
triebes hinwirkte.
Unterdessen
wendete sich der
Verwaltungsrath
an die Oeffentlich-
keit. Mittels einer
am 10. December
1872 ausgegebe-
nen, sammt ihren
Beilagen einen 195
Seiten starken
Quartband bilden-
den Denkschrift,
zog er sowohl
die Nothwendig-
keit als auch die Berechtigung der Se-
questration in Erörterung oder auch in
Zweifel und rief das Urtheil aller un-
parteiisch Denkenden, inbesonders der
Fachleute, darüber an, 5 ob der Regierung
keine andere, weniger einschneidende
Massregel zu Gebote stand, um die durch
Sequestration angestrebten Zwecke zu
erreichen«.
Die Wirkung dieser Publication war
jedoch nicht die seinerseits erwartete.
Trotz des Aufsehens, das die Angelegen-
heit allenthalben hervorgerufen hatte,
Abb. 102. Peutenburg bei Kienberg-Gaming.
[K. k. niederösterreicbiscbe Staatsbabnen, Pöcblara-
Kienberg-Gaming.]
*) Im Jahre 1874 kehrte Lauda wieder
in die Dienste der Kaiserin Elisabeth-Bahn
[als Yerkehrs-Director] zurück und erhielt
den Vorstand des commerziellen Departements
der Lemberg - Czernowitz - Jassy -Eisenbahn,
Julius Schreiber, zum Nachfolger in Lem-
berg.
Secretär ernannte
frühere Präsidial-
Secretär der Ge-
sellschaft, Gustav
K ü h n e 1 1 , inne
hatte. Einem alt-
gehegten Verlan-
gen der rumäni-
schen Regierung
nachkommend,
wurde mit Zu-
stimmung der eben
erwähnten Gene-
ralversammlung
nunmehr auch eine
Art Trennung der
Gesellschaft voll-
zogen, nämlich in
der Weise, dass für die rumänische
Linie ein aus der Mitte des Verwaltungs-
rathes gewähltes »Comit6 dirigeant« in
Bukarest eingesetzt und in Jassy eine
eigene Betriebsleitung errichtet wurde.
Dies Alles behinderte aber keines-
wegs, dass der Verwaltungsrath sich
ohne Unterlass bemühte, der Wiederkehr
normaler Zustände die Wege zu ebnen ;
seine, wie nicht minder auch die von
den englischen Actionären unternommenen
Annäherungsversuche blieben jedoch
fruchtlos. Das Ministerium Hess mehrere
dahinzielende Eingaben ohne Erledigung.
Der Abgesandte des, schon seit der
Gründung der Gesellschaft, gleichsam
zur Vertretung des bei ihr investirten
Capitals, bestehenden Comites [von Mit-
gliedern des Verwaltungsrathes] in Lon-
don, Sir William Drake, wurde zwei-
208
Ignaz Konta.
mal vom Handelsminister empfangen,
zuerst am 30. October 1872, dann am
3. October 1873; Alles was er dabei
erreichte, bestand indes nur in einem
ihm am 30. November 1873 zugemittelten
Verzeichnisse der für nothwendig er-
kannten Reconstructionen und Nach-
schaffungen und der hiefür erforderlichen
Geldmittel im Gesammtbetrage von
5,183.391 fl.
Anfangs des Jahres 1874 glaubte der
Verwaltungsrath, beim Ministerium end-
lich einige Geneigtheit zur Anbahnung
von Verhandlungen wahrgenommen zu
haben. Er überreichte daher wieder ein
Gesuch um Aufhebung der Sequestration,
worauf ihm am 4. Februar 1874 der
Bescheid zuging, dass der Sequester an-
gewiesen wurde, in Verhandlungen ein-
zutreten. Dieselben begannen auch wirk-
lich am 8. Februar und fanden in dem
Protokolle vom 16. März 1874 ihren
Abschluss. Die aufgestellten Punctatio-
nen gingen dahin, dass die Gesellschaft
sich verpflichten solle, für Herstellungen
und Anschaffungen 2,000.000 fl. zu ver-
wenden und auf alle Ansprüche gegen
die Regierung zu verzichten, wogegen
ihr gestattet würde, zur Ordnung der
finanziellen Lage des Unternehmens ein
Nominal-Capital von 7,400.000 fl. zu
emittiren und den für die Verzinsung
und Tilgung desselben erforderlichen
Betrag von jährlich 135.000 fl. in die
Betriebsrechnung einzustellen. Das Proto-
koll wurde dem Ministerium vorgelegt,
brachte aber die Angelegenheit noch
immer nicht in weiteren Fluss.
Der Sequester waltete daher viel
länger seines Amtes, als allgemein voraus-
gesetzt war, und er hatte viel zu schaffen,
um alle die Mängel zu beheben, welche
sowohl bei der schon am 30. Sep-
tember 1872 vom Handelsminister ange-
ordneten, gleich nach Eintritt der Seque-
stration begonnenen und im Frühjahre
1873 beendeten Collaudirung der ganzen
Bahn, als auch bei der Ausübung des
Betriebes sich herausgestellt hatten.
Nach der Collaudirung und auf Grund
ihrer Ergebnisse fand auch eine Prüfung
der Baurechnungen statt, welche dazu
führte, dass die Regierung gegen den
ehemaligen General- Director einen Straf-
1 process anhängig machte. Am 16. De-
cember 1873 wurden v. Ofenheim und
zwei andere Oberbeamte der Gesellschaft
in Haft genommen ; nach sieben Wochen
zwar auf freien Fuss gesetzt, ver-
blieben dieselben noch weiter in Unter-
suchung. Hatte schon die Sequestration
Aufsehen genug verursacht, so rief das
neue Ereignis geradezu eine Erregung
hervor, ähnlich derjenigen, von welcher
die Oeffentlichkeit im Jahre 1860, an-
lässlich des Strafverfahrens gegen den
Creditanstalts-Director Richter ergriffen
war; der Process Ofenheim endete jedoch
nicht so tragisch wie jenes.
Die Gerichtsverhandlung begann am
4. Januar 1875 und dauerte nahezu zwei
volle Monate; sie war ein mächtiges
geistiges Ringen zwischen Anklage und
Vertheidigung, die sich mit einem grossen
Aufgebot von Zeugen und Sachverstän-
digen gegenüberstanden, und einander
mit den schärfsten Waffen der Beredsam-
keit, des juristischen und technischen
Wissens bekämpften. In der ersten Nach-
mittagsstunde des 27. Februar 1875 zogen
sich die Geschworenen zur Berathung der
ihnen vorgelegten zahlreichen Schuld-
fragen zurück, und um 6 Uhr Abends
gaben sie ihr Verdict ab, das durch-
gehends auf nichtschuldig lautete. Hierauf
vom Gerichtshofe sogleich freigesprochen,
gingv. Ofenheim ganz heil und an seiner
Ehre unverletzt aus dem Processe hervor;
aber von der thätigen Betheiligung am
Eisenbahnwesen, dem er schon unter
Ghega, also seit einem Vierteljahrhundert,
gedient hatte, zog er sich für immer
zurück. Gegen die beiden anderen,
gleichfalls in Untersuchung gestandenen
Oberbeamten wurde das Verfahren nicht
fortgesetzt.
Ungemein verschiedene, eine ganze
Scala von Gefühlsäusserungen — tiefe
Entrüstung bis lautesten Beifall — um-
fassende Kundgebungen begleiteten den
Ausgang des Processes. Für die Lemberg-
Czernowitzer Bahn ward ihm doppelte
Bedeutung beigemessen; denn fürs Erste
hätte die Wucht und Art der vom öffent-
lichen Ankläger gegen ihren obersten
Beamten erhobenen Anschuldigungen,
wenn dieselben aufrecht geblieben wären,
auch das Ansehen der Gesellschaft nicht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
2CX)
Abb. 103. Tunnel bei Pürglitz [Strecke Rakonitz-Beraunl. [Nach einer Photographie von
H. Eckert & J. Müllern.]
unberührt gelassen, und fürs Zweite
konnte sie die Wiedereinsetzung in alle
ihre Rechte jetzt sicherer erhoffen, weil
eben der Process, vor dessen Beendigung,
laut einer persönlichen Bemerkung des
Handelsministers Dr. Banhans, an eine
Aufhebung der Sequestration überhaupt
nicht zu denken war, nunmehr seinen
Abschluss gefunden hatte.
Der Verwaltungsrath, dem daran ge-
legen war, schon die nächste ordentliche
Generalversammlung nicht abermals nur
für die Gestion der rumänischen Linien
einberufen zu müssen, erneuerte deshalb
seine Vorstellungen, und erfreute sich
nun von Seite des damals interimistisch
mit der Leitung des Handelsministeriums
betrauten Ackerbauministers von Ghlu-
mecky eines Bescheides [vom 31. März
1875], in welchem die Geneigtheit
ausgesprochen war, in Verhandlungen
einzutreten, sobald der Verwaltungsrath
seitens der Generalversammlung mit den
nöthigen Vollmachten ausgestattet sein
werde. Dem weiteren Ersuchen um die
sogleiche Eröffnung der Verhandlungen
konnte, infolge der Theilnahme des
Ministers an der Kaiserreise nach Dal-
matien, nicht willfahrt werden. Die
Geschichte der Eisenbahnen. I Band, 2. Theil.
ordentliche Generalversammlung vom
30. April 1875 trug daher noch ganz
dasselbe Gepräge wie ihre beiden Vor-
gängerinnen, immerhin aber Hess die
eingehende und freimüthige Erörterung
auch der Angelegenheiten der öster-
reichischen Linien bereits erkennen, dass
zu Gunsten der letzteren eine Wendung sich
vorbereite. Eigentliche Vollmachten hatte
diese Versammlung demVerwaltungsrathe
nicht ertheilt; sie sprach jedoch, »um ihm
eine Stütze gegenüber der Regierung zu
geben«, den einhelligen Wunsch aus, das
Ergebnis der bevorstehenden Verhand-
lungen möge dem Aufsichtsrathe so recht-
zeitig zur Prüfung mitgetheilt werden,
dass er sein Gutachten hierüber der
nächsten Generalversammlung erstatten
könne.
Am 21. Mai 1875 übersandte das
Ministerium dem Verwaltungsrathe die
»principiellen Grundlagen« für die Ver-
handlungen und bald danach auch die
Einladung zu der auf den 18. Juni an-
beraumten ersten Besprechung. Diese
wurde durch den Minister selbst eröffnet,
dann in mehreren Sitzungen fortgesetzt.
Die Verhandlungen bewegten sich nicht
auf dem Boden des Protokolles vom
14
2IO
Ignaz Konta.
Abb. 104. Pfibrani.
16. März 1874; von der Gewährung
einer Staatsgarantie für das auf die
Reconstruction und Nachschaffungen
verwendete Capital [bis Ende 1874
4,200.000 fi.] wollten die Vertreter der
Regierung nichts mehr wissen. Das
erschwerte natürlich die Auseinander-
setzungen, da die Delegirten des Ver-
waltungsrathes neben der Ordnung aller
schwebenden Fragen auch die Sicher-
stellung der bisherigen Actienrente [5%]
anstrebten. Desungeachtet kam schliess-
lich doch die Einigung zustande, und
die Unterfertigung des Protokolls vom
10. Juli 1875 beurkundete die Beilegung
des Zwistes.
Die Hauptpunkte der Vereinbarung
lauteten also dahin, dass die Gesellschaft
dem Sequester hinsichtlich seiner Ge-
schäftsführung und der von ihm bis Ende
1874 gelegten Rechnungen das Absolu-
torium ertheile, wogegen die Regierung
ihrerseits, infolge der vom Sequester be-
wirkten Herstellungen und Neuanschaffun-
gen, die sequestrirten Linien mit Ende
1874 als in vollkommen concessions-
mässigem Zustande betrachte, daher auch
gestatte, die vom Sequester seit 1. Januar
1875 etwa für derartige Leistungen noch
gemachten Auslagen in die Garantie-
Rechnung einzustellen ; die Sequestration
sollte am Schlüsse desjenigen Monats auf-
gehoben werden, in welchem die General-
versammlung dem Uebereinkommen zu-
stimme. Von den übrigen Stipulationen
sind noch hervorzuheben : die nachträgliche
Genehmigung früherhin nicht anerkannter
Posten der Betriebsrechnung im Gesammt-
betrage von 554.372 fl. und die damit
im Zusammenhange gestandene Neube-
zifferung der gesellschaftlichen Garantie-
schuld an den Staat.
Der Verwaltungsrath beeilte sich nun,
auf den 30. Juli eine ausserordentliche
Generalversammlung einzuberufen, und
die englischen Actionäre, deren grosser
Titelbesitz immer schwer in die Wag-
schale fiel, für den Friedensschluss zu
gewinnen. Mit dieser heiklen Mission
waren der Vicepräsident und der General-
Secretär der Gesellschaft betraut. Sie
hatten einen harten Stand bei den erbosten
Briten, und waren des Erfolges erst dann
sicher, als der Vertreter des Londoner
Comites, Sir William Drake, sich ihnen
an die Seite stellte und [mittels eines
Rundschreibens, in welchem rundweg
gesagt war, dass es sich um ein Com-
promiss handle, welches zwar den Rechten
der Gesellschaft wenig genüge, gleichwohl
aber zur Annahme empfohlen werden
müsse, weil es unter den gegebenen Ver-
hältnissen das Beste sei, was im Interesse
der Actionäre erzielt werden konnte] die
Mehrheit der englischen Theilhaber ver-
mochte, dem Verwaltungsrathe ihre Voll-
machten zur Generalversammlung zu
überlassen.
Dieselbe verlief denn auch ganz ruhig.
Nachdem der Verwaltungsrath seihen
Bericht und der Revisions - Ausschuss
sein Gutachten über die mit der Regie-
rung getroffene Vereinbarung erstattet
hatte, genehmigte die Versammlung
ohne jede Debatte das Protokollar-
Uebereinkommen und ermächtigte den
Verwaltungsrath zur Beschaffung eines
Capitals von 3,260.000 fl. zur Deckung
der über die vorhandenen Mittel hinaus-
reichenden Erfordernisse von insgesammt
5,032.200 fi. Gleich nach Schluss der
Versammlung löste die Regierung den
Bann, mit welchem sie die Gesellschaft
belegt hatte. Das Amtsblatt vom 31. Juli
1875 verlautbarte die [vom 30. datirte]
Kundmachung des Handelsministers, dass
»die Sequestration mit 31. Juli 1875 auf-
gehoben ist«, der Sequester und dessen
Stellvertreter von ihren diesfälligen Func-
tionen entkleidet, der Verwaltungsrath und
die Generalversammlung aber wieder in
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
211
ihre volle statutenmässige Wirksamkeit
eingesetzt werden.
Tags darauf, am I. August 1875,
fand die Rückübergabe der Verwaltung
der sequestrirt gewesenen Linien an den
Verwaltungsrath statt, der sofort die
Neubesetzung der obersten Dienstposten
vornahm. Hiebei erfuhren die früherhin
vom General-Director versehenen Ge-
schäfte eine Zweitheilung, ähnlich wie
bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn.
Diese Einrichtungen und Personalien,
denen sichtlich ein versöhnendes Princip
innewohnte, bezeichneten das Ende
des Ausnahmszustandes, in welchem
die Lemberg-Czernowitzer Bahn sich
fast drei Jahre lang befunden hatte.
Da beide Parteien bestrebt waren, die
Erinnerung an denselben zu verwischen,
senkten sich allmählich die Schleier der
Vergessenheit über die ganze Episode
und deren Begleiterscheinungen. Die
Abb 105. Stadt- Einschnitt Spalato. [Dalmatiner Staatsei Seilbahnen.]
Zur Leitung des Bau- und Betriebs-
dienstes wurde in der Person des k. k.
Regierungsrathes Claudius Ritter von
Klaudy [bis dahin Ober-Inspector der
k. k. General-Inspection] ein General-
Inspector berufen, hingegen jene aller ad-
ministrativen Angelegenheiten in die Hände
des General-Secretärs Anton K ü h n e 1 1
gelegt. Auch im Verwaltungsrathe selbst
vollzogen sich einige Aenderungen. An die
Stelle einzelner älterer Mitglieder traten
neue und nebstdem erhielt er durch Coop-
tirungen [darunter jene des früheren tech-
nischen Directors Emanuel Ziffer], dann
durch die Aufnahme eines von der Regierung
entsendeten Mitgliedes frischen Zuwachs.
Verwaltung und die neue Geschäfts-
leitung wetteiferten fortan in der Pflege
des wiederhergestellten Einvernehmens
mit den vorgesetzten Behörden, so zwar,
dass die Gesellschaft schon wenige
Monate nach ihrer Rehabilitirung hoch
genug in der Gunst stand, um dazu
ausersehen zu werden, den Grundstock
der damals von der Regierung geplanten
Eisenbahn- Vereinigung in Galizien zu
bilden, wovon später noch besonders die
Rede sein wird.
Während des über die Lemberg-
Czernowitzer Bahn niedergegangenen
Ungewitters fuhr ein Blitzstrahl auch in
14*
212
Ignaz Konta.
das Nachbarhaus — die Carl Ludwig-
Bahn. Hier kam es jedoch zu keinem
hellauflodernden Brande; der Zünd-
stoff war bald aufgefunden und die
gesellschaftliche Verwaltung sofort be-
müht, die Flammen abzudämpfen. Das
dräuende Gewölke nahm die Richtung
zur Carl Ludwig-Bahn hinüber, als die
Aufsichtsbehörde, welche, durch mehrere,
schon im Herbste 1872 erschienene
Zeitungsartikel förmlich dazu aufgefordert,
bei der Prüfung: der Garantie-Rechnung
pro 1872 mit besonderer Eindringlich-
keit zu Werke ging, auch thatsächlich
ganz aussergewöhnliche Mängel ent-
deckte. Einerseits waren dem Betriebe des
neuen Netzes Ausgaben angelastet, die
gänzlich oder doch zum Theile die, eine
Staatsgarantie nicht in Anspruch nehmende
alte Linie angingen; andererseits ent-
hielten die Rechnungen Posten, die
lediglich Privatsachen des General-
Directors betrafen und daher überhaupt
nicht mit der gesellschaftlichen Gebarung
vermengt sein sollten.
Dies hatte zur Folge, dass der
Handelsminister am 29. Juli 1873 eine
Disciplinar-Untersuchung [nach § 85 der
Betriebs-Ordnungvom 1 6. November 185 1]
gegen den vorerwähnten Functionär ver-
fügte und das Finanzministerium mittels
Erlasses vom 13. September 1873 an
den Rechnungen eine Reihe von Ab-
strichen vornahm. Damit war nun auch
für die Verwaltung der Carl Ludwig-
Bahn ein sehr ernster Moment gekom-
men ; denn schon war davon die Rede,
beide Nachbarbahnen unter eine Ver-
waltung zu nehmen, d. h. dem Sequester
der Lemberg-Czernowitzer Bahn zu unter-
stellen, und die Ergebnisse der gegen
den General-Director geführten Unter-
suchung an das Landesgericht zu leiten.
Der rasche Entschluss des Verwaltungs-
rathes, sich einer Austragung der Be-
mängelungen willig zu unterziehen, wie
nicht minder der Umstand, dass der Gene-
ral-Director Dr. Johann Ritter von Herz
schon im ersten Stadium der gegen ihn
geführten Untersuchung in Trübsinn ver-
fiel und am 9. December 1873 aus dem
Leben schied, und dass die Erben alle
ihn treffenden Ersatzleistungen mit dem
im Vergleichswege festgestellten Betrage
von rund 1 20.000 fl. auf sich nahmen,
ermöglichten jedoch eine geräuschlose
Abwicklung der peinlichen Angelegenheit,
die übrigens die Enthebung des Central-
Directors Louis de Lens und den Rücktritt
einiger Verwaltungsräthe nach sich zog.
An die Spitze der Geschäftsleitung
berief der Verwaltungsrath den General-
Secretär der Böhmischen Westbahn, Dr.
Eduard Sochor, der mit I.Januar 1874
seinen neuen Posten in der Eigenschaft
eines Central-Directors übernahm, nach
etlichen Wochen aber zum General-
Director ernannt wurde und den früheren
Director der Dniester-Bahn Albert Speil
Ritter von Ostheim [als Central-Inspec-
tor, sodann administrativen Director] zum
Stellvertreter erhielt.*
Den Actionären umfassenden Auf-
schluss über das Vorgefallene zu geben,
enthielt sich der Verwaltungsrath ; er
beschränkte sich darauf, im Eingange
des Berichtes an die Generalversamm-
lung vom 21. Mai 1874 zu erwähnen,
dass in der Amtsführung des früheren
General-Directors »hinsichtlich der Be-
streitung von Anschaffungen« Unregel-
mässigkeiten vorgekommen seien, die
aber dem Verwaltungsräthe, der stets
eine sorgfältige Controle übte, nicht zur
Last gelegt werden können, ferner dass
die Gesellschaft entschädigt wurde, und
dass Einrichtungen getroffen seien,
»welche die Wiederholung eines ähnlichen
Gebarens insoweit unmöglich machen,
als dies durch organische Diensteseinrich-
tungen überhaupt erzielt werden kann«.
Einzelne Actionäre plänkelten zwar gegen
den Verwaltungsrath, indem sie das hohe
Ausmass seiner Tantieme anfochten, sie
blieben aber in verschwindender Minder-
heit. Seitdem deckte Grabesstille Alles,
was man die »AffaireHerz« genannt hatte.
Das Hineinleuchten in verworrene
und unlautere Verhältnisse, das Streben
nach Ordnung und Sühne derselben, hatte
dem Handelsminister Dr. Banhans zahl-
reiche Dankesbezeugungen eingetragen,
ihm aber auch eine grosse Gegner-
schaft zugezogen, die sein Vorgehen oder
zumindest die Art desselben, nicht anders
denn als Fehler gelten lassen wollte und
in diesem Sinne sich sehr vernehmlich
machte, besonders anlässlich der Ende
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
213
Februar 1875 krankheitshalber erfolgten
Beurlaubung des Ministers, deren Zu-
sammentreffen mit - dem Abschlüsse
des Processes Ofenheim dem Gerede
Vorschub leistete. Etliche Pfeile wurden
ihm sogar noch nachgesandt, als er —
wegen fortdauernd gestörter Gesundheit
— sein Amt schon niedergelegt und beim
Eintritte in den Ruhestand sich der a. h.
vollen Anerkennung der »mit patriotischer
Hingebung und eifriger Pflichterfüllung ge-
leisteten treuen und vorzüglichen Dienste«
erfreut, also eine glänzende Rechtfertigung
gefunden hatte. —
Die a. h. Handschreiben, welche den
Ministerwechsel vollzogen, erflossen am
19. Mai 1875. Dem neuen Chef des Han-
delsamtes, Johann Ritter von C h 1 u m e c k y,
waren die Geschäfte dieser Centralbehörde
bereits geläufig, da ihre Leitung ihm
schon seit der Beurlaubung des früheren
Handelsministers anvertraut war. Trotz-
dem hatte das ihm zugefallene Erbe
eine Unsumme von Sorge und
Mühsal über ihn gebracht;
denn wohin sein Auge sich
wandte, begegnete es einem
Nothstande, der dringende Ab-
hilfe heischte, nirgend aber
einem Ausblicke auf deren bal-
dige Ermöglichung. Die erste
Ueberzeugung davon mochte er
schon während der Vertretung
des früheren Handelsministers
gewonnen haben.
Eine der damals besonders
brennenden Fragen war, weil
das Vertrauen in die Wirkung
der Staatsgarantie tief berüh-
rend, diejenige hinsichtlich der
Deckung der Betriebsdeficite
bei garantirten Bahnen. Diese
Unternehmungen und mit ihnen
weite Kreise der Bevölkerung
hingen dem Glauben an, dass
der Staat, sobald er die 5%ige
Verzinsung des genehmigten
Anlage-Capitals oder ein be-
zügliches Erträgnis gewähr-
leistet habe, auch für allfällige
Betriebsabgänge aufkommen
müsse, da von einem Erträg-
nisse nicht die Rede sein, be-
ziehungsweise die volle Ver-
zinsung des Capitals nicht eintreten
könne, wenn und insoweit die Betriebs-
kosten des Unternehmens nicht gedeckt
seien. Die Regierung hingegen hatte den
Grundsatz aufgestellt und bereits wieder-
holt, namentlich bei den Budgetdebatten,
vertreten, »dass die bei dem Betriebe
garantirter Bahnen sich ergebenden Be-
triebsausfälle keinen Gegenstand der
staatlichen Garantie-Leistung bilden«. Die
betreffenden Bahnen sahen sich daher
vor die Nothwendigkeit gestellt, entweder
den Verpflichtungen, zunächst gegen ihre
Theilhaber, untreu zu werden oder, zum
Zwecke der Aufrechthaltung der ur-
sprünglich zugesicherten Zinsrate, sich
in aufreibende Schulden zu stürzen.
Besondere Aufmerksamkeit lenkte in
dieser Beziehung die Vorarlberger
Bahn auf sich, die infolge sowohl ihrer
Abgeschiedenheit von dem österreichi-
schen Schienennetze als auch der Con-
currenz der nachbarlichen fremden Ver-
Abb. 106. Einschnitt bei Cera. [Dalmatiner Staatseisenbahnen.]
214
Ignaz Konta.
kehrsanstalten, keine rechte Entwicklung I
nehmen konnte, andererseits aber, auf
Grund von Staatsverträgen, zu bedeu-
tenden, die Betriebskosten vermehrenden
Leistungen im Anschlussdienste verpflich-
tet war, also unter Verhältnissen litt,
deren Abänderung oder Beseitigung nicht
im Machtbereiche der eigenen Verwaltung
lag. Rücksichtlich dieser einen Bahn, I
bei welcher so ausserordentliche Um-
stände vorwalteten, machte die Regierung
eine Ausnahme. Nachdem sie der Ge- ]
Seilschaft auf Grund der a. h. Entschliessung
vom ii. September 1874 die Erhöhung
der concessionsmässigen Garantie [5% :
Reinertrag für nom. 1,110.000 fl. pro
Meile] bis zu dem im Gesetze vom I
20. Mai 1869 festgesetzten Maximum
[5°/o Reinertrag für nom. 1,200.000 fl.
pro Meile] und hiemit die Erhöhung des
garantirten Anlage-Capitals für die ganze
1 1 -943 Meilen lange Bahn von 13,257.00011.
bis zum Höchstbetrage von 14,331.600 fl.
zugestanden hatte, um ihr die Vornahme
von Erweiterungsbauten und die Nach-
schaffung von Fahrbetriebsmitteln zu er-
möglichen [Handelsministerial-Erlass vom
15. September 1874] legte die Regie-
rung am 24. November 1874 dem Ab-
geordnetenhause einen die Gewährung
von Staatsvorschüssen zur Deckung der
Betriebsdeficite dieser Bahn bezwecken-
den Gesetzentwurf vor.
Obwohl der Motivenbericht zu dieser
Vorlage wieder die vorhin erwähnte Sen-
tenz, dass Betriebsausfälle keinen Gegen-
stand der staatlichen Garantieleistung
bilden sowie überdies noch den Beisatz
enthielt, dass die Regierung »in Ueber- I
einstimmung mit der Reichsvertretung«:
an jenem Grundsatze festhalte, kam doch
allenthalben die Meinung zum Ausdrucke, I
das Parlament werde nicht umhin kön-
nen die ganze Frage aufzurollen und
zur Lösung zu bringen. Diese Erwar-
tung ging jedoch nur zur Hälfte in Er-
füllung. Bei der Berathung des Gesetz-
entwurfes am 15. März 1875 führten
einige angesehene Abgeordnete eine all-
gemeine Erörterung der Frage herbei, 1
beleuchteten dieselbe sowohl vom recht-
lichen als auch insbesondere vom volks- j
wirtschaftlichen Standpunkte aus, und
wollten sie zu Gunsten aller betreffenden
Bahnen einheitlich erledigt wissen; die
Mehrheit des Hauses hielt aber an den
Anträgen des Eisenbahn-Ausschusses fest,
welche sich nur mit der Vorarlberger
Bahn befassten und hauptsächlich darauf
hinausgingen, dieselbe durch fallweise
Staats Vorschüsse zu unterstützen, soweit
der zur Erschöpfung des im Gesetze vom
20. Mai 1869 festgesetzten Garantie-
Maximums für diese Bahn noch verfüg-
bare Betrag von rund 911. 000 fl. langen
würde. Die Gesellschaft hatte nämlich,
seitdem ihr die Garantie-Erhöhung zutheil
geworden, vorerst nur 163.900 fl. neu
verausgabt, daher noch den vorbeziffer-
ten Rest frei, der für die Zeit bis zur
Besserung der Verkehrsergebnisse als
ausreichend erachtet wurde, zumal
nach weiteren Anträgen des Eisenbahn-
Ausschusses auch Bestimmungen in
den Gesetzentwurf aufgenommen wur-
den, vermöge deren die Tilgung der
Actien bis zum Aufhören der Betriebs-
abgänge unterbleiben und die vom Mi-
nisterium schon am 15. September 1874
vorläufig genehmigte Erhöhung der
Personen-Tarife dauernde Geltung haben
sollte.
Das so eingerichtete Gesetz erhielt
am 28. März 1875 die a. h. Sanction;*)
die Actionäre der Vorarlberger Bahn
nahmen in der Generalversammlung vom
14. Juni 1875 die einschlägige Statuten-
änderung vor und ermächtigten den Ver-
waltungsrath zur Vermehrung des An-
lage-Capitals um den für die obenbe-
zeichneten Erfordernisse verausgabten
Betrag von 139.600 fl., was durch Ver-
äusserung von 698 gesellschaftlichen
Prioritäts-Obligationen ä 200 fl. geschah.
Die Staatsverwaltung sorgte fortan für
die Deckung der Betriebskostenabgänge.
Der Vorarlberger Bahn war also ge-
holfen, die allgemeine Frage wegen der
Betriebsdeficite blieb aber nach wie vor
offen.
*) Auf Grund dieses Gesetzes eine be-
sondere Vereinbarung mit der Gesellschaft
einzugehen, erachtete die Regierung nicht für
nothwendig und brachte dies mit dem Han-
delsministerial-Erlasse vom 13. Juni 1875 dem
Verwaltungsrathe zur Kenntnis. [Vgl. die
österreichische Eisenbahn- Gesetzsammlung
von Pollanetz und Wittek, Band V, Abthei-
lung 2, S. 467.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
215
atz und Rivabahn Sebenico. [Dalmatiner Staatseisenbahn.]
Fast noch weiter in den Vordergrund
gerückt erschien zur selben Zeit die durch
den allgemeinen Ruf nach Eisenbahn-
bauten, die kaum länger aufschiebbare Vor-
sorge für eine zielbewusste Vervollstän-
digung des Bahnnetzes. Es gebrach aber
noch an einem Plane für die Reihen-
folge und für das System der Sicher-
stellung neuer Linien ; den sollte erst
das zugesagte Programm bringen. Für
den Augenblick stand nur eine Linie in
Behandlung, nämlich die Salzkammer-
gut-Bahn, die schon im Jahre 1874
Gegenstand eines Specialgesetzes [s. S. 1 70]
und noch früher in ihren Theilen bereits
einmal concessionirt war. Und selbst
die Zustandebringung dieser einen Linie
gelang nur mit Hilfe der Wieder-
anwendung der vollen Staats-
garantie.
Die südliche Strecke wurde, wie bereits
erwähnt, nachdem die am II. März 1869
concessionirte Pferdebahn Ebensee-Ischl
zu Gunsten des gleichzeitig in Anregung
gekommenen gleichen Locomotivbahn-
Projectes aufgegeben worden war, als
schmalspurige »Eisenbahn Ebensee-Ischl-
Steeg« am 9. December 1869 dem Con-
sortium des Ischler Badearztes Dr. Johann
Ritter von Brenner-Felsach, concessionirt,
welches jedoch, weil es die Geldmittel
nicht beschaffen konnte, die Concession
dem englischen Unternehmer J. Sharp
verkaufte [1871]. Diesem gelang es
zwar, eine Gesellschaft zu bilden und
die Wiener Wechslerbank für die
Finanzirung zu gewinnen, gleichwohl
aber nicht den ganzen Baufond aufzu-
bringen. Die Actien [1,800.000 fl.]
blieben in seiner eigenen Hand und
der Erlös für die Prioritäts - Obliga-
tionen [nom. 2,700.000 fl.] ungefähr zur
Hälfte bei der Wechslerbank aushaftend.
Mit den spärlichen Zuflüssen und den
von ihm selbst beigestellten Mitteln
wurden die Arbeiten im Jahre 1872 end-
lich in Angriff genommen und bis zur
Vollendung des Unterbaues der Strecke
Ebensee-Ischl fortgesetzt; dann brach die
wirthschaftliche Krisis aus, die Wechsler-
bank ging unter und begrub in ihrem
Sturze auch die von ihr »finanzirte«
Eisenbahn.
Die nördliche Endstrecke der neuen
grossen Bahn umfasst einen Theil der
am 7. Januar 1873 dem Baurathe Karl
Freiherrn von Schwarz in Gemeinschaft
mit der Industrie- und Commerzialbank
für Oberösterreich ohne jegliche staatliche
Begünstigung concessionirte, infolge der
Krisis aber überhaupt nicht in Angriff
genommene, 3-8 Meilen lange »Altheim-
Schärdinger Eisenbahn«.
Das Mittelstück — die eigentliche
»Salzkammergut-Bahn« — wurdeEnde
1870 von der Stadtgemeinde Ried in Ver-
bindung mit der Wolfsegg-Traunthaler
Kohlengewerkschaft, dem Bürgermeister
2l6
Ignaz Konta.
von Ischl u. A. projectirt. Sie war ge-
plant, um die Kohlenflötze des Hausruck
mit den Salinen in unmittelbare Ver-
bindung zu bringen, das Absatzgebiet
dieser Kohle zu erweitern, die Verfrachtung
des Salzes sowie die Verwerthung der
Holzbestände der staatlichen Forste des
Koppen zu erleichtern und den Fremden-
verkehr in das an Naturschönheiten reiche
Salzkammergut zu steigern. Ihre Trace
sollte von Passau oder Schärding über
Ried, Timmelkam, Kammer, Ischl, Aussee
und St. Martin nach Steinach zum An-
schlüsse an die Salzburg-Tiroler Bahn
führen. Bei der Prüfung des Projectes
hatte sich jedoch herausgestellt, dass aus
öconomischen und technischen Gründen
die Führung der Bahn über Attnang und
Gmunden nach Ischl vortheilhafter sei.
Dadurch kam sie aber mit dieser Strecke
in die Trace der Ebensee-Ischler Bahn
zu liegen, was für die letztere den Nutzen
hatte, dass ihre aufgelassenen Bauten,
soweit sie für die normalspurige Bahn
verwendbar blieben, wieder einen Werth
erhielten. DieConcessionswerber stimmten
dieser Aenderung zu, Hessen auch das
Begehren nach staatlicher Unterstützung,
als welche sie hauptsächlich eine Ueber-
nahme von Actien oder Steuerfreiheit
erbeten hatten, fallen und erhielten am
9. April 1873 die Concession. Die Durch-
führung derselben scheiterte gleichfalls an
der Unmöglichkeit der Geldbeschaffung.
Wegen der wirthschaftlichen Be-
deutung der Bahn auf deren vielseits
befürwortete Sicherstellung weiter be-
dacht, suchte nun das Handelsministerium
neue Anhaltspunkte hiefür zu gewinnen ;
es verhandelte zunächst mit den bis-
herigen Concessionären [Protokoll vom
29. Januar 1874], bewilligte eine zeit-
liche Staatsgarantie, die in dem Ge-
setze vom 6. Mai 1874 mit 57.000 fl.
pro Meile auf die Dauer von zwanzig
Jahren festgesetzt wurde,*) und trat, nach-
dem jene Concessionäre die Angelegenheit
gewissermassen aufgegeben hatten, un-
mittelbar mit der Kronprinz Rudolf-
Bahn in Concessions -Verhandlungen ein
[Protokoll vom 27. Mai 1874], welche
*) In der Regierungsvorlage vom 10. Fe-
bruar 1874 war eine 25jährige Dauer der
Staatsgarantie in Aussicht genommen.
Gesellschaft sogleich mit allem Eifer an
die Sache ging, weil sie in der Erwerbung
der neuen Linie ein geeignetes Mittel
erblickte, die Umklammerung seitens der
Südbahn und Elisabeth-Bahn wenigstens
nach einer Richtung hin zu durchbrechen.
Da aber, wo sie auch anklopfte, die
Finanzirung abgelehnt wurde, insolange
die Staatsgarantie nicht für die ganze
Dauer der Concession zugesichert war,
entschloss sich die Regierung, eine be-
zügliche Abänderung des Gesetzes vom
6. Mai 1874 zu bewirken, was durch
das aus der Vorlage vom 24. Februar
1875 hervorgegangene Gesetz vom 28.
März 1875 geschah. Nun wurden die
Concessions -Verhandlungen endgiltig zum
Abschlüsse gebracht [Protokoll vom 13.
und 29. April], hiebei die Uebernahme
der verwendbaren Entitäten der Ebensee-
Ischl-Steger Bahn*) geregelt, wie auch —
infolge des NichtZustandekommens der
Altheim-Schärdinger Bahn **) — nicht
Andiesenhofen, sondern Schärding als
nördlicher Endpunkt der Bahn bestimmt,
ferner die Intervention der Regierung in
Betreff der Mitbenützung der zur Ver-
bindung mit dem alten Netze der Rudolf-
Bahn dienenden Elisabeth-Bahn-Strecke
Selzthal-Steinach zugesichert, und hierauf
am 27. Mai 1875 die neue Concession
für die Salzkammergut-Bahn***) an die
Kronprinz Rudolf- Bahn hinausge-
geben.
Dieselbe umfasst die Linie von
Stein ach über Aussee, Ischl, Ebensee,
Attnang und Ried nach Schär ding
sowie die Flügelbahnen von A c h 1 e i t e n
nach Thomasroith und von Eben-
see zu den dortigen Salinen und zum
Traunsee, gewährt diesem Unterneh-
men für die ganze, mit 90 Jahren be-
messene Concessionsdauer eine Staats-
*) und **) Die Concession für die Ebensee-
Ischl-Steger Bahn wurde über a. h. Ent-
schliessung vom 23. Juni, und jene für die
Altheim-Schärdinger Bahn über a. h. Ent-
Schliessung vom 19. November 1874 als er-
loschen erklärt [Kundmachung des Handels-
ministeriums vom 23. Juni und vom 4. De-
cember 1874].
***) Die Annullirung der alten, vom 9. April
1873 datirenden Concession brauchte nicht
kundgemacht zu werden, weil dieselbe weder
thatsächlich ausgefertigt noch verlautbart
worden war.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreiclis.
217
garantie von 57.800 fl. pro Meile und
bestimmt den 1. Juli 1875 als Termin für
die Inangriffnahme, beziehungsweise den
27. November 1878 als spätesten Termin
für die Vollendung des Baues.
Zum Zwecke der Geldbeschaffung
ermächtigte die Generalversammlung
vom 26. Juli 1875 den Verwaltungsrath j
dahin zu wirken, dass mit Genehmigung [
der Regierung allenfalls statt der Silber- I
später [10. und 11. November] zum
Curse von 883/4 erfolgreich zur öffent-
lichen Zeichnung auflegte.
Bis dahin war im Wege einer be-
schränkten Offertverhandlung auch schon
der Bau vergeben worden, und zwar an
den Unternehmer Karl Freiherrn von
Schwarz, der sich zur Herstellung, Aus-
rüstung und rechtzeitigen Vollendung der
Bahn um die Summe von 385.000 fl.
Steinach-Irdning.
titel [27,740.000 fl.] solche in Gold aus-
gegeben werden dürfen, weil das aus-
ländische Capital, auf welches allein
damals gezählt werden konnte, sich von
den Silberwerthen völlig abgewendet
hatte. Die Regierung liess der Gesell-
schaft freie Hand, machte jedoch den
ausdrücklichen Vorbehalt, dass »derStaats-
schatz lediglich die gesetzliche, in Silber
garantirte Annuität als Maximum seiner
Leistungen anerkenne«. So hat denn
die Gesellschaft 5%'ge Goldprioritäten
im Betrage von nom. 25,220.000 fl. aus-
gegeben, welche ein durch den Wiener
Bankverein vertretenes Finanzconsortium
zum Curse von 88°/o theils [*/5] in feste
Rechnung, theils in Option nahm und
pro Meile verpflichtete. Der Vertrag er-
hielt am 2. November 1875 die Genehmi-
gung des Handelsministeriums. Nach-
träglich betheiligte sich auch die Firma
Klein an dem Baue.
Die gesellschaftliche Bauleitung versah
der Ober-Inspector August Platte, der
[nachdem der General • Director Georg
Ritter von Aichinger im Herbste 1873
wieder in den Verwaltungsrath, aus dem
er hervorgegangen, eingetreten war] als
General - Director - Stellvertreter fungirte,
bis der Director der Ebensee-Ischl-Steger
Bahn, Moriz M ora witz, der auch die
technischen Projecte der Salzkammergut-
Bahn ausgearbeitet und die Concessions-
Verhandlungen geführt hatte, an die
218
Ignaz Konta.
Spitze der Geschäftsleitung der Kron-
prinz Rudolf-Bahn berufen wurde.
Unter der Obhut dieser bewährten
Techniker machte der Bau rasche Fort-
schritte, so zwar, dass die Hemmung,
welche durch die seitens des Bankver-
eines unterlassene Ausübung der Option
auf einen Rest des Goldanlehens entstan-
den und erst durch die Belehnung des-
selben von Seite der Bodencredit- Anstalt
behoben war,*) fast unbemerkt blieb und
die ganze, 170/5 km lange Bahn schon
am 23. October 1877, also mehr als ein
Jahr vor dem concessionsmässigen Voll-
endungstermine eröffnet wurde. Die An-
lagekosten betrugen nach Ablauf des
ersten Betriebsjahres 24,896.416 fl., er-
höhten sich jedoch allmählich auf den
bei der Concessionirung veranschlagten
Höchstbetrag von 25,220.000 fl.
Der am 18. Juni 1877 abgeschlossene
und am 14. August 1877 vom Handels-
ministerium genehmigte Peage- Vertrag
[der erste in Oesterreich] sicherte der
Gesellschaft die freie Mitbenützung der
zwischen dem alten Netze der Rudolf-
Bahn und der Linie Steinach-Schärding
liegenden, 18-4 km langen Elisabeth-
Bahn-Strecke Selzthal-Steinach [-Irdning].
Was jedoch hievon, beziehungsweise von
dem Hinzukommen der Salzkammergut-
Bahn zum Bahngebiete der Rudolf-Bahn
erwartet worden war — eine ansehnliche
Besserung ihrer Ertragsverhältnisse —
ist nicht zugetroffen ; die Gesellschaft
war vielmehr auch weiterhin bemüssigt,
die Staatsgarantie in hohem Masse in
Anspruch zu nehmen.
Die Hauptlinie der Salzkammergut-
Bahn, welche, der Bauart nach, zu den
schwierigeren Gebirgsbahnen gezählt werden
muss, verbindet in ihrem Zuge durch die
Strecke Steinach-Irdning-Gmunden die rei-
zendsten Punkte des von Naturfreunden und
der Touristenwelt wohlgewürdigten Salz-
kammergutes.
Von der Station Steinaeh-Irdning ausge-
hend, zieht die Bahn in westlicher Richtung,
*) Es handelte sich da um einen An-
lehensrest von nom. 8,865.200 fl., den die
Bodencredit-Anstalt mit 6,000.000 fl. belehnte,
späterhin aber zum Curse von 8r2 theils in
feste Rechnung, theils in Commission nahm;
der letzte Posten dieser Prioritäten wurde
erst im November 1878 [an französische Geld-
kräfte] verkauft
durch den 185 in langen Unterburger- und
335 in langen Burgstallerwand-Tunnel, über-
brückt den Wallerbach und Grimmingbach
und erreicht bei Klachau ihre höchste Er-
hebung. [833 in Seehöhe.] Die Bahn durch-
schneidet nun das hier erstiegene, die Wasser-
scheide zwischen Enns und Traun bildende
Hochplateau, auf welchem sich die Station
Mitterndorf und an dessen Ende sich die
Station Kainisch befindet, führt dann in nord-
westlicher Richtung im Gefälle bis gegen Aus-
see hin. Vor der Station Aussee wird der Kai-
nischtraunfluss übersetzt. Von hier weiter geht
die Trace im Allgemeinen in südwestlicher
Richtung am linken Ufer der Traun am
Fusse des Koppengebirges — wegen des
gewaltigen Lawinenganges vom Koppen über
das Haslingerriff, mit Benützung zweier
Traunbrücken, auf die Länge von einigen
hundert Metern das Ufer wechselnd — dann
wieder am linken Traunufer die Landes-
grenze von Steiermark und Oberösterreich
überschreitend, im wilden, höchst romanti-
schen Koppenthaie mittels starken Krüm-
mungen und stetem Gefälle in schwierigem
Lehnenbau durch den 56 m langen Mühl-
werkstein-Tunnel, übersetzt hier nochmals
den Traunfluss und gelangt hierauf in ein
kleines Seitenthal, an dessen am Hallstätter
See gelegenen Ende die Ortschaft und der
StationspTatz Obertraun liegt. Von der
Station Obertraun zieht die Bahn in einer
nahezu nördlichen Richtung nach Ueber-
setzung des Wehrgrabens, in den 165 in
langen Wehrgraben-Tunnel, auch Saarstein-
Tunnel genannt, und nach dem Austritte aus
demselben längs des östlichen Ufers des
Hallstätter Sees, in einer Höhe von 13 m
über dem Seespiegel nach Steeg. Von da
weiter an Goisern, Anzenau und Laufen
vorüber zieht die Bahn fortwährend nördlich,
die Ufer des Traunflusses wechselnd, im Traun-
thale mit massigem Gefälle und günstigen
Richtungsverhältnissen, durch den 69 m langen
Ischler Tunnel, bis nach Ischl. In dieser
Strecke wird die Traun dreimal überbrückt.
Indem die Trace nun den reizend gelegenen
Curort Ischl und den an der Traun gele-
genen Bahnhof verlässt, übersetzt dieselbe
knapp darauf wieder den Traunfluss, und
geht von nun ab über Mitterweissenbach
bis Ebensee in nordöstlicher Richtung mit
massigem Gefälle, in ziemlich zahlreichen
Krümmungen sich dem Laufe des Traun-
flusses anschmiegend, am rechten Ufer des-
selben fort. In dieser Strecke wurden die
Traun, der Redtenbach und Frauenweissen-
bach überbrückt. Von der am südlichen Ufer
desTraunsees gelegenen Station Ebensee zieht
die Trace nach Uebersetzung des Traunflusses
und Aussendung zweier kleinen Industrie-
geleise [zum Traunsee und zur Saline], in
schwierigem Gebirgsbaue in nördlicher Rich-
tung, zuerst längs des langgestreckten westli-
chen Ufers des Traunsees nach Traunkirchen,
dann in einiger Entfernung vom Seeufer,
in zahlreichen Krümmungen, an Ebenzweier
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
219
Abb. ioq. Brücke über die Traun bei Aussee.
vorüber nach dem reizend gelegenen Städt-
chen und klimatischen Curorte Gmunden.
Diese Strecke bot in dem nur 65 km
langen Theile zwischen Ebensee und Traun-
kirchen die meisten Bauschwierigkeiten, weil
hier die Trace mit stets wechselnden Stei-
gungsverhältnissen in schwierigem Lehnen-
baue dahinzieht und in rascher Folge die
Durchfahrung von fünf Tunnels erfordert.
Die Tunnels sind: der 1428 m lange Sonn-
stein-Tunnel,*) der 224 m lange Siegesbach-
Tunnel, der in m lange Forst-Tunnel, der
159 m lange Calvarienberg-Tunnel und der
90 m lange Stein-Tunnel.
Von Gmunden aus den Charakter einer
schwierigen Gebirgsbahn verlierend, steigt
die Trace massig bis zur Höhe von Pinsdorf
[historisch bekannt aus dem Bauernkriege],
fällt von da an und zieht im Aurachthaie über
Aurachkirchen, bis gegen gegen Puchheim,
übersetzt dann den Agerifuss und mittels
anschliessendem Damm das gleichnamige
Thal, um dann Attnang zu erreichen, von
wo aus die Trace zum Theile auf dem Bahn-
körper der hier vormals bestandenen schmal-
spurigen Kohlenbahn Attnang-Thomasroith
*) Beim Baue des Sonnstein-Tunnels ge-
langte die vom Ingenieur Alfred Brandt
erfundene Bohrmaschine, welche auch später
am Arlberge die vorzüglichsten Dienste
leistete, zum erstenmale in Oesterreich zur
Anwendung. [Näheres S. Bd. II, A. Birk,
Tunnelbau.]
in ziemlich starker Steigung und vielen
Krümmungen zur Station Manning-Wolfsegg
[Anfang des Hausruck-Kohlenreviers] und
von da am Abhänge des Hausrucks weiter
zur Station Holzleithen gelangt. Diese Sta-
tion ist Abzweigungsstation für die 5-816 /fe»i
lange Flügelbahn nach Thomasroith. Von
Holzleithen steigt die Bahn bis zur Ein-
fahrt in den Hausruck-Tunnel. Vom Tunnel
aus führt die Bahn in stetem Gefälle über
die Haltestelle Hausruck nach der Station
Eberschwang, wo sie die Grenze des Haus-
rucker Kohlenreviers erreicht und dann
immer in starkem Gefälle und in vielfachen
Krümmungen bis Ried. Von dieser Station
aus zieht die Bahn an den Stationen Aurolz-
münster und St. Martin vorüber nach An-
diesenhofen, auf diesem Zuge immer dem
natürlichen Gefälle des Andiesenthales sich
anschmiegend, übersetzt den Andiesenbach
knapp vor dessen Mündung in den Inn und
führt sodann im Innthale zur Station Suben
und von da nach Uebersetzung des Pram-
flusses in der Nähe des Ortes Pramersdorf
bis Schärding, dem Endpunkte der Salz-
kammergut-Bahn. [Abb. 108— 115.]
Von den anderen Vermächtnissen des
früheren Handelsministers konnten ein-
zelne erst später nutzbar gemacht werden,
wie beispielsweise die Beschlüsse des
Reichsrathes hinsichtlich der Gewährung
2 20
Ignaz Konta.
einer Unterstützung an die Erste unga-
risch-galizische Eisenbahn und das Gesetz
vom 28. März 1875 über die Zugeständ-
nisse für die Sicherstellung einer Secun-
därbahn von der Station Elbogen-Neu-
sattl zur Stadt Elbogen — oder sie wurden
völlig gegenstandslos, wie die Fusions-
verhandlungen und das Gesetz vom
28. März 1875, welches in Abänderung
des Gesetzes vom 3. Mai 1874 die für die
Linie Troppau-Vlarapass zugestan-
dene Staatsgarantie von 51.800 fl. pro
Meile unter gewissen Bedingungen, nun-
mehr für die ganze Dauer der Concession
gewährte, beziehungsweise die Regierung
ermächtigte, im Falle des Nichtgelingens
der Concessionirung, vorerst den Bau der
Strecke Troppau-Neutitschein auf Staats-
kosten in Angriff zu nehmen. Dies
letztere Gesetz war insoferne erfolglos,
als hiedurch weder eine Concessionirung
der genannten Bahnlinie, noch deren Bau
als Staatsmann erreicht wurde.
Seine eigene Thätigkeit richtete der
Handelsminister von Chlumecky gleich
von vornherein darauf, die Heilung
des im Eisenbahnwesen eingerissenen
Siechthums, welche das am 20. März 1875
auf Ferien gegangene Parlament so ganz
und gar der Initiative der Regierung
überlassen hatte, nach Möglichkeit zu
bewirken. Unter den hiefür ins Auge
gefassten Massnahmen war dem Eisen-
bahnbaue auf Staatskosten und der
Einführung zeitgemässer Neuerungen auf
administrativem Gebiete ein hervorragen-
der Platz eingeräumt. Darum Hess er
sich, theilweise schon während seiner
provisorischen Amtsführung, die Gewin-
nung neuer Hilfskräfte angelegen sein.
Zu Ostern 1875 zog Wilhelm von
Nördling, der mit a. h. EntSchliessung
vom 25. März 1875 zum Sectionschef
und General-Director des österreichischen
Eisenbahnwesens ernannt worden war,
zum zweitenmale in das Handels-
ministerium ein,*) mit erhöhtem Range
und vielumfassendem Wirkungskreise.
*) Von 187 1 bis April 1872 fungirte von
Nördling als Hofrath und bautechnischer
Consulent im k. k. Handelsministerium [s. S.
134], hernach war er bis zu seiner Wieder-
berufung in dasselbe General-Director der
Theissbahn.
Fünf Monate später erfolgte auf Grund der
a. h. Entschliessung vom 16. August 1875
die Reorganisation derk. k. Ge-
neral-Inspectio n,*) wobei dieselbe
in fünf gleichgestellte, je von einem
General-Inspector [mit dem Range eines
Hofrathes oder Regierungsrathes] geleitete
Abtheilungen gegliedert wurde, — und
die Errichtung einer Direction
für die Staatseisenbahn -Bauten,
welche neue Behörde den Baudirector
der ungarischen Ostbahn, Julius L o 1 1,
zum Vorstande erhielt.
In die Zwischenzeit fielen ein er-
quickliches und ein neuerdings herab-
stimmendes Geschehnis.
Das erstere war die vollständige Wieder-
aufrichtung der Leoben-Vordernber-
ger Bahn, welche am 16. Januar 1874,
infolge des strengen Vorgehens einzelner
Wechselgläubiger, plötzlich in Concurs ge-
rathen war [s. S. 87], aber, Dank dem Zu-
sammenwirken aller Interessenten, vor
dem Untergange bewahrt blieb. Es hatte
sich, gleich nach der ersten Tagfahrt
zur Anmeldung der Schuldforderungen,
ein Ausgleichs-Comit6 gebildet, welches
auf Grund folgender Vorschläge einen
aussergerichtlichen Vergleich zustande
brachte : Die Hauptgläubiger nehmen
für ihre Forderungen gesellschaftliche
Prioritäts-Obligationen III. Emission zum
Curse von 9O°/0 in Zahlung; zu diesem
Zwecke werden solche Prioritäten im
Betrage von nom. 300.000 fl. aus-
gegeben, wovon 75.000 fl. in Reserve
verbleiben ; die Prioritäten-Besitzer willi-
gen in die Nichteinlösung der 1874er
Coupons und die Sistirung der Tilgung
in den Jahren 1874 — 1877. Sämmtliche
Vorschläge fanden die Zustimmung der
Gläubiger, wie auch der Curatelsbehörde
[22. September 1874] und der Regierung,
worauf der Concurs aufgehoben und,
seitens des nun wieder in Function ge-
tretenen Verwaltungsrathes, eine ausser-
ordentlliche Generalversammlung ein-
berufen wurde. Diese fand am 15. No-
vember 1874 statt, genehmigte den
Ausgleich sowie die neue Prioritäten-
*) Die neue Organisirung wurde mittels
Verordnung des Handelsministeriums vom
26. August 1875 verlautbart.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
221
Emission, zu welcher hernach auch die
Regierung, unter gleichzeitiger Verlaut-
barung der diesfalls erforderlich gewese-
nen und mit a. h. EntSchliessung vom
3. Januar 1875 bewilligten Abänderung
der Concessions-Bestimmungen über das
Verhältnis des Actien- zum Priori-
täten-Capitale [Kundmachung des Han-
delsministeriums vom 5. Januar 1875],
die definitive Zustimmung ertheilte. Da
auch die Südbahn [als Betriebsführerin]
auf ihr Compensationsrecht verzichtet
hatte und die Befriedigung der Gläubiger
mit den neuen Prioritäten ungestört vor
sich ging, fand die Generalversammlung
vom 20. Juni 1875 die Gesellschaft be-
reits wieder in geordneten Verhältnissen,
die sich weiterhin allmählich zu glänzen-
den gestalteten.
Jenes andere Geschehnis betraf die
Braunau-Strasswalchner Bahn,
die gleich nach ihrer Eröffnung zu den
allernothleidendsten Unternehmungen ge-
hörte [s.S. 155]. Unvermögend, die Priori-
täts-Obligationen zu verzinsen, kam sie
schon im Juli 1874 unter Curatel, und mit
einem täglich wachsenden Betriebs-
deficite belastet, war sie ausser Stande,
der Elisabeth-Bahn, welche den Betrieb
besorgte, volle Vergütung zu leisten.
Die Folge davon waren Unterstützungs-
gesuche an die Regierung und, nachdem
dies nichts gefruchtet hatte, eine Bitte
an die Elisabeth-Bahn um Stundung
ihrer Forderung. Die Antwort hier-
auf war eine Kündigung des Betriebs-
vertrages [11. Juli 1874].
Ohne Mittel zur Anschaffung eines
Fahrparkes und zur Führung des Betriebes
in eigener Regie, trat die Gesellschaft
nun mit Verkaufsanträgen an die Elisa-
beth-Bahn heran, die aber an dem ge-
ringen Anbote scheiterten.
Der Verwaltungsrath und der
Curator hatten einen Kaufpreis von
2,000.000 fl. und dann, in einer am
6: August 1875 im Handelsministerium
abgehaltenen Conferenz, 1,500.000 fl. ver-
langt, die Elisabeth - Bahn aber nur zu-
erst 700.000 fl., dann 800.000 fl. ge-
boten, und ehe der Curator noch Zeit
gefunden, die bereits für den 9. September
einberufenen Prioritäre wegen etwaiger
anderer Verkaufsbedingungen zu befragen,
stellte sie [die Elisabeth-Bahn] in den
Abendstunden des 31. August den Betrieb
Abb. 110. Wehrgrabenbrücke und Tunnel während der Montirung. [Salzkammergut-Bahn.]
222
Ignaz Konta.
der Braunau-Strasswalchener Bahn ein, |
worauf das Handelsministerium am i. Sep-
tember 1875 über dieselbe die Seque- |
stration verhängte und den k. k. Sections-
rath Dr. Wilhelm Leddihn zum Sequester
bestellte. Letzterer vereinbarte sofort mit
der Elisabeth-Bahn die Wiederaufnahme I
des Betriebes, der nun am 3. September
neuerdings begann.
Angesichts dieser Vorgänge be-
schloss die am 9. September abge-
haltene Prioritären - Versammlung den :
Verkauf der Bahn um den Preis !
von 1,000.000 fl. ; jetzt wollte die Elisa-
beth-Bahn aber nur mehr 500.000 fl.
geben. Das Hangen und Bangen der ;
Gesellschaft währte dann noch zwei j
Jahre; denn erst im Jahre 1877 kam der j
Verkauf [und zwar an den Staat] zu-
stande. Bis dahin dauerte die Seque-
stration und wurde der Betrieb einfach 1
für Rechnung des Sequesters besorgt.
Zehn Tage nach dem Wiederzusammen-
tritte des Reichsrathes, am 29. October
1875, brachte der Handelsminister v. C h 1 u-
mecky den Entwurf eines Gesetzes über
den Bau neuer Eisenbahnlinien auf
Staatskosten ein, und entwickelte bei
diesem Anlasse in einer ebenso ge-
diegenen als inhaltreichen Rede alle j
jene »Gesichtspunkte, welche die Regie-
rung bei den Reformen auf dem Gebiete '
des Eisenbahnwesens künftig leiten sollenc.
Dieses Programm legte vorerst die
Lückenhaftigkeit und ungleiche Ver- |
theilung des Bahnnetzes dar, wies die
Sorge für die Ausführung der Haupt-
bahnen in erster Reihe der Regierung,
hingegen diejenige für das Zustande-
bringen von Nebenlinien vorwiegend den
Interessenten zu und befürwortete, zum
Zwecke derVerminderung der Anlagekosten
von rein örtlichen, in schwierigem Terrain
gelegenen Schienenwegen, die Anwendung
der Schmalspur; dann zog es die be-
stehenden Uebelstände und deren Ur-
sachen*) in Betracht, bezeichnete als
Mittel zur Behebung der Schäden einer-
seits administrative und legislative Re-
formen [rasche aber richtige Prüfung der
Garantie- Rechnungen, Abänderung des
Concessions-Gesetzes, der Betriebs-Ord-
nung und des Enteignungs- Verfahrens,Frei-
lassung der Betriebsrechnungen von Aus-
gaben für Ergänzungsbauten und Nach-
schaffungen etc.], andererseits die »Ver-
einigung kranker Unternehmungen, unter
Zugrundelegung ihres wahren, also des
zu ermittelnden commerziellen Werthes
unter einer entsprechenden Capitalsreduc-
tion miteinander und mit anderen Eisen-
bahnen«. Die Frage, ob Staats- oder
Privatbau wurde jedoch nur im All-
gemeinen berührt und dahin beantwortet,
dass ihre Entscheidung jeweils davon
abhängen soll, ob der Staat oder die
betreffende Gesellschaft sich das nöthige
Capital zu besseren Bedingungen be-
schaffen kann.
Eben im Hinblicke auf den damals
viel besseren Staatscredit hatte die Regie-
rung in der vorerwähnten Gesetzesvor-
lage nur den Staatsbau in Aussicht
genommen, und zwar der Hauptbahnen :
von der Wiener Verbindungsbahn zum
Anschlüsse an die Kaiser Franz Josef-
Bahn nebst Abzweigung entlang der
regulirten Donau [Donau-Uferbahn], von
Innsbruck nach Bludenz [Arlberg-Bahn]
und von Tarvis nach Görz [Predil-Bahn],
ferners der normalspurigen Localbahnen:
Bozen-Meran, Kriegsdorf-Römerstadt und
Czernowitz-Nowosielica, und der schmal-
spurigen [i m] Localbahnen: Mürzzu-
schlag - Neuberg, Cilli - Unterdrauburg,
Unterdrauburg-Wolfsberg und Freuden-
thal-Saubsdorf. Für alle diese Linien
*) Neben den von ausserhalb des Eisen-
bahnwesens herüberwirkenden ungünstigen
Einflüssen [Nothwendigkeit der Heranziehung
theuren, fremdländischen Capitals, Vertheue-
rung des Baues und Betriebes durch die
grossen Terrainschwierigkeiten, Verkümme-
rung der wirthschaftlichen Verhältnisse durch
die Krisis etc.] waren als Ursachen der einge-
rissenen Schäden auch Mängel in den ad-
ministrativen und legislativen Massnahmen
angegeben und diesen zugezählt: Ungenau-
igkeit bei der Veranschlagung der Anlage-
kosten, geringe Voraussicht über die Ertrags-
und Entwicklungsfähigkeit der einzelnen
Bahnen, Zulassung kleiner an sich lebens-
unfähiger Gesellschaften, Nichthintanhaltung
der gewinnsüchtigen Speculation und der
durch sie verursachten riesigen Gründungs-
kosten, Unzulänglichkeit der Eisenbahn-Ge-
setzgebung und der Staatsaufsicht etc.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
223
in der Gesammtlänge von 530 km waren
die Kosten mit 76,540.000 fl. veranschlagt
und hievon pro 1876 ein Betrag von
12,350.000 fl. gefordert, überdies für die
bereits im Baue befindlichen staatlichen
Linien ein Betrag von 11,342.720 fl.
Die Bevölkerung begrüsste freudig
das nunmehrige kräftige Eingreifen der
Regierung, von dem die Besserung wenig-
stens auf einem der wichtigsten wirth-
Widerspruche gestandenen Ansicht, Hess
er sich auch dann nicht abbringen, als
der Handelsminister mit gewissenhafter
Ueberzeugung die Gegenerklärung ab-
gab, die Finanzlage des Staates sei
keineswegs so erschüttert, dass er nicht
die zum Ausbaue seines Eisenbahnnetzes
erforderlichen Geldmittel zu beschaffen
vermöchte. Das Schicksal der Vorlage
war also schon besiegelt, ehe noch ihre
Brücke über die Traun bei Laufen. [Salzkammergut-Bahn.j
schaftlichen Gebiete erhofft wurde. Der
Reichsrath aber beharrte noch weiter in
seiner schier heiligen Scheu vor jedem
grösseren Aufwände, und als das Ab-
geordnetenhaus, um in der Sache denn
doch nicht ganz müssig zu bleiben, daran
ging, einige der vorbenannten Local-
bahnen zu bewilligen, sprach dessen
Eisenbahn-Ausschuss gleich in seinem
ersten hierüber erstatteten Berichte die
Ansicht aus, dass »in der derzeitigen
wirthschaftlichen Situation nicht davon
die Rede sein kann, neue Weltverkehrs-
linien zu schaffen«. Von dieser, mit
der gesammten öffentlichen Meinung im
Berathung eigentlich begonnen hatte.
Nicht genug daran, verhielt sich das
Abgeordnetenhaus auch dem Programme
gegenüber kühl bis ans Herz hinan. Die
Anwendung der Schmalspur wurde gleich
von vornherein abgelehnt und die Idee
der Fusionirungen auf das Heftigste be-
kämpft. In dieser Frage stand jedoch
das Parlament im Einklänge mit einem
grossen Theile der Oeffentlichkeit, freilich
aus sehr verschiedenen Beweggründen.
Was in England, dessen Eisenbahnen
seit jeher vollständig unabhängige, in
Entstehung und Betrieb lediglich auf
freier Concurrenz beruhende Privatunter-
224
Ignaz Konta.
nehmungen gewesen, schon im Jahre
1845 begonnen und mehr als dreissig
Jahre hindurch unaufhörlich fortgesetzt
wurde, um die Auswüchse des wilden
Wettbewerbes zu beseitigen ;*) was in
Frankreich, wo der Staat die vollste Ein-
flussnahme auf das Eisenbahnwesen be-
sitzt, dazu gedient hatte, die Verwaltung
des letzteren, gleich jener der staatlichen
Dienstzweige, streng centralistisch zu
gestalten, und in den Jahren 1852 — 1857
das Monopol aufzurichten, das Bahnnetz
unter sechs grosse Gesellschaften zu
vertheilen ;**) was sodann in grösserem
oder geringerem Masse und zu ähnlichen
Zwecken auch in einigen anderen Staaten
Nachahmung gefunden, die Fusion,
wurde nun in Oesterreich zur Heilung
der durch die Krisis verursachten Uebel,
nebenbei aber auch zur Schaffung von
neuen grossen Netzen ausersehen, welche
den altbestehenden mächtigen Unter-
nehmungen Concurrenz bieten konnten.
Anfänglich, d. h. insolange den zur
Aufgehung in die benachbarten grossen
Bahnnetze bestimmten Linien eine
schonende Behandlung in Aussicht ge-
standen, allenthalben als Wundermittel
betrachtet und gepriesen, büsste die
»Fusion« die Zuneigung des Publicums
immer mehr ein, je weniger die Interessen
der kranken und schwachen Unter-
nehmungen gewahrt erschienen, also ins-
besondere nachdem die Theorie vom
»commerziellen Werthe« in die Praxis
Eingang gefunden hatte. Und der Reichs-
rath seinerseits wollte weder eine Macht-
vermehrung der grossen Bahnen, noch
»Sanirungen« in diesem Sinne und Stile
zugeben, am allerwenigsten aber dem
Staate dieserwegen bleibende Lasten auf-
erlegen.
*) Vgl. Dr. Gustav Cohn »Die Entwick-
lung der Eisenbahn-Gesetzgebung in England«,
Leipzig 1874; »Zur Beurtheilung der eng-
lischen Eisenbahn-Politik«, Leipzig 1875; »Die
englische Eisenbahn-Politik der letzten zehn
Jahre«, Leipzig 1883; ferners H. Schwabe
»Ueber das englische Eisenbahnwesen, Reise-
Studien«, Wien 1877, und M. M. Freiherr
v. Weber »Nationalität und Eisenbahn-
Politik«, Wien 1876.
**) Vgl. Alfred Picard »Les chemins
de fer francais», tome deuxieme, Paris 1884,
und die zuvor erwähnte Schrift von M. M.
Freiherrn v. Weber.
Der erste Versuch wurde mit der soge-
nannten »Nordwestbahn - Fusion«
unternommen, welche die Vereinigung
der Süd-norddeutschen Verbindungsbahn,
dann der Mährischen Grenzbahn und der
Lundenburg-Grussbacher Bahn mit den
beiden Netzen der Oesterreichischen Nord-
westbahn bezweckte. Die Oesterrei-
chische Nordwestbahn bot hiezu
gerne die Hand; von ihren eigenen oder
auch von den grundsätzlichen Gegnern
der Fusionen wurde dies jedoch nicht
blos auf ihre offenkundige Expansionslust
zurückgeführt ; man bezeichnete sie viel-
mehr als selbst einer Kräftigung dringend
bedürftig, da sie, nach dem Ausbruche
der Krisis, festbegebene Actien und Obli-
gationen des Ergänzungsnetzes im Ge-
sammtbetrage von 12,212.000 fl. 'vom
Wiener Bankvereine zurücknehmen
musste, die seitens der Generalversamm-
lung vom 26. Juni 1874 beschlossene
anderweitige Finanzoperation [Verringe-
rung des Actiencapitals lit. B von 30
auf 24 Millionen und Aufnahme eines
Goldanlehens von 28 Millionen Reichs-
mark] aber noch nicht bewerkstelligen
konnte ; man nahm den Umstand, dass
von diesem Anlehen zwei Millionen
Reichsmark zur Ergänzung des Capitals
des garantirten Netzes bestimmt waren,
zum Anlasse, die Ertrags- und Rechts-
verhältnisse der beiden Netze näher zu
erwägen und die Fortdauer der unge-
schmälerten Verzinsung der
Actien in Zweifel zu ziehen,
sich um die Begebung des
lehens handelte, war jedoch in Wirklich-
keit nur der von den Curatoren geführte
Streit um die Rangordnung der bücher-
lichen Eintragung der verschiedenen An-
lehen Ursache der Verzögerung. Nach dem
Vollzuge der Intabulation übernahm die
Deutsche Vereinsbank in Frankfurt a. M.
das Anlehen zum Curse von 91 fl. 75 kr. für
200 Reichsmark, theils in feste Rechnung,
theils in Option. *) Die sonstigen Be-
denken aber erwiesen sich bald als be-
garantirten
Soweit es
neuen An-
*) Bis Ende 1875 hatte das Consortium
bereits Prioritäten im Betrage von 10,550.000
Reichsmark bezogen ; ein Theil hievon wurde
am 14. und 15. April 1875 zum Curse von
i 97 7°/o in Bankvaluta zur öffentlichen Zeich-
1 nung aufgelegt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
225
Abb. 112. Ischl.
gründete. Dies berührte jedoch noch in
keiner Weise den Gang der zwischen der
Regierung und der Oesterreichischen Nord-
westbahn, und zwischen dieser und den
Verwaltungen der anderen Bahnen ge-
pflogenen Fusionsverhandlungen, nach
deren Beendigung die ausserordentliche
Generalversammlung vom 18. Juli 1874
den Verwaltungsrath zum Vollzuge der
Fusion, beziehungsweise zur Erwerbung
der oben genannten Bahnen für die Oester-
reichische Nordwestbahn ermächtigte.
Die Süd-norddeutsche Verbin-
dungsbahn, deren Vereinigung mit
der Oesterreichischen Nordwestbahn schon
bei der Concessionirung der letzteren in
bestimmte Aussicht genommen, nachher
bei verschiedenen Anlässen, so namentlich
bei den im Jahre 1869 geführten Ver-
handlungen über die Rückzahlung der
Garantie-Vorschüsse, seitens der Regierung
verlangt worden war, jedoch immer wieder
verschoben werden musste, weil die Staats-
garantie stets von Neuem in Anspruch
genommen wurde, sollte nunmehr ohne
Rücksicht auf diesen Umstand zum Voll-
zuge kommen, und zwar unter folgenden
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Modalitäten : Die Oesterreichische Nord-
westbahn übernimmt die Prioritätsschuld
der Süd-norddeutschen Verbindungsbahn
zur Selbstzahlung, desgleichen die Ver-
pflichtung zur Rückerstattung der dieser
Bahn bis Ende 1873 zutheil gewordenen
Garantie- Vorschüsse nebst 4°/0 Zinsen
[c/6 Millionen] mit dem Betrage von
4,580.000 fl. [in zwei Jahresraten] und
erfolgt den Actionären für je 1 1 Actien
der eigenen Bahn 9 Actien lit. A der
Oesterreichischen Nordwestbahn. Dieses
Verhältnis, welches darauf beruhte, dass
die ersteren Actien eine staatlich garantirte
Verzinsung von nur 9 fl. Banknoten, die
letzteren dagegen eine solche von 10 fl.
Silber geniessen, wurde jedoch von den
Theilhabern der Süd-norddeutschen Ver-
bindungsbahn in der Generalversammlung
vom 27. Juni 1874 so heftig bekämpft,
dass dieselbe geschlossen und erst auf den
26. September zu einer neuen Tagung
einberufen wurde. Bis dahin war eine
Einigung dadurch herbeigeführt worden,
dass die Oesterreichische Nordwestbahn
sich verbindlich machte, jede der 75.000
Actien der Süd-norddeutschen Verbin-
15
226
Ignaz Konta.
dungsbahn gegen je eine 5°/oige auf
200 fl. Bankvaluta lautende Prioritäts-
Obligation der Oesterreichischen Nord-
westbahn auszutauschen.
Auf die Mährische Grenzbahn,
als einen das Ergänzungsnetz bis Stern-
berg und Hohenstadt, also bis mitten in
das nordmährische Verkehrsgebiet der
Nordbahn und Staatseisenbahn-Gesell-
schaft, fortsetzenden Schienenweg, hatte
die Oesterreichische Nordwestbahn längst
ein Auge geworfen. Schon während des
Baues der beiderseitigen Linien fanden
zwischen massgebenden Betheiligten der
beiden Unternehmungen stille Annäherun-
gen statt, welche gleich damals auf die
Fusionirung abzielten und eine der wesent-
lichsten Ursachen waren, dass der Aus-
bau der Mährischen Grenzbahn bis nach
Mittelwalde unterblieben ist. Als nun
die Erträgnisse dieser Bahn weit hinter
den Erwartungen zurückblieben, strebten
auch die Hauptactionäre der Mährischen
Grenzbahn und mit ihnen die beiderseits
betheiligten Geldinstitute die Fusion an,
was der Regierung insoferne nicht un-
willkommen war, als sie dadurch der
ohne jedes eigene Verschulden in eine
üble Lage gerathenen Unternehmung auf
billige Weise die verdiente Hilfe bieten
konnte. Die Mährische Grenzbahn litt
einzig und allein darunter, dass alle
Factoren sich in der Verkehrsergiebigkeit
derselben getäuscht hatten, dass demzu-
folge die als überhaupt für überflüssig
gegoltene Staatsgarantie zu karg be-
messen wurde [336.000 fl. jährlich, d. i.
4°/„ für das Prioritäten-Capital] und nun
nicht einmal die volle [5%ige] Verzinsung
der Obligationen gesichert war. Die Ver-
einigung sollte daher in der Weise vor
sich gehen, dass die Prioritätsschuld
der Mährischen Grenzbahn gänzlich
[8,000.000 fl.] und die Actien im Ver-
hältnisse von 10 [Mährische Grenzbahn]
zu 7 [Oesterreichische Nordwestbahn lit. A]
von der Oesterreichischen Nordwestbahn
übernommen werden sollten, womit die
Generalversammlung vom 25. Juni 1874
sich einverstanden erklärte.
Die Lundenburg-Grussbacher
Bahn war schwer nothleidend. Durch die
infolge der Krisis unterbliebene Aus-
führung der ungarischen Anschlusslinie
Lundenburg-Tyrnau lediglich auf den
zusammengeschrumpften Local verkehr an-
gewiesen, brachte sie nicht einmal so
viel ein, um die Kosten des Betriebes
zu decken. Im Jahre 1873 konnte die
Verzinsung der Prioritäten-Coupons nur
mehr mit fremder Beihilfe geschehen.
Der am 1. März 1874 fällige Coupon
blieb dagegen schon uneingelöst, was
natürlich die Einsetzung der Curatel nach
sich zog. Die Fusion sollte ihr nun die
Sanirung oder, richtiger noch, die Er-
lösung Dringen ; der Preis, um welchen
die Oesterreichische Nordwestbahn sie
übernehmen wollte, war mit Zustimmung
der Generalversammlung vom 27. Juni
1874 auf 5,350.000 fl. in 5°/o'gen un"
garantirten Obligationen lit. C der Oester-
reichischen Nordwestbahn festgesetzt, wo-
von 650.000 fl. auf die Actionäre ent-
fielen. Bevor jedoch die Angelegenheit
noch irgendwie spruchreif geworden, war
die Gesellschaft von der gänzlichen Ein-
stellung des Betriebes bedroht, indem
die Kaiser Ferdinands-Nordbahn wegen
des stetig wachsenden Betriebsdeficites
der Lundenburg-Grussbacher Bahn die
Führung des Betriebes auf derselben am
14. Juli 1874 zurücklegte und die Oester-
reichische Nordwestbahn ihn erst über
Intervention des Handelsministeriums
übernahm.
Der Gesetzentwurf über die Vereini-
gung aller dieser Unternehmungen wurde
vom Ministerium am I. Mai 1874
im Abgeordnetenhause eingebracht ; er
war im Wesentlichen auf den vorstehend
erwähnten Bedingungen aufgebaut, dachte
daher der Oesterreichischen Nordwestbahn
eine Erhöhung der Staatsgarantie in dem
Masse zu, dass dadurch die von dieser
Gesellschaft zum Zwecke der Fusion und
zur Rückzahlung der Garantieschuld
der Süd-norddeutschen Verbindungsbahn
hinauszugebenden garantirten Titel ge-
deckt erschienen. Ziffermässig ausge-
drückt war dies eine für das alte Netz
lit. A der Oesterreichischen Nordwestbahn,
dann für die Süd-norddeutsche Verbin-
dungsbahn und die Mährische Grenzbahn
insgesammtmit6759fl. 50 kr. pro Kilometer
bemessene Garantie. Ausserdem war eine
Ausdehnung der Garantie auch auf die
Erfordernisse für Erweiterungsbauten und
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
227
Nachschaffungen des garantirten Netzes
und, speciell für die Linie Grussbach-
Zellerndorf, dieselbe Steuerfreiheit wie
für die Linie Lundenburg - Grussbach
[20 Jahre] vorgesehen.
Allein es waltete ein eigener Unstern
über dieser Vorlage. Der Reichsrath wurde
am 7. Mai 1874 vertagt; sie konnte also,
wie sehr auch der Handelsminister Dr.
Banhans sich dafür einsetzte, nicht mehr
in Behandlung genommen werden ; dann
machte die Aufbesserung der Umtausch-
bedingungen, welche die Actionäre der
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn in
der Generalversammlung vom 26. Sep-
tember 1874 erzielt hatten, beziehungs-
weise die daraus entspringende weitere
Garantie-Erhöhung eine Abänderung der
einschlägigen Bestimmungen des Gesetz-
entwurfes nothwendig. Die bezügliche
Novelle gelangte wieder sehr verspätet,
am 24. Februar 1875, vor das Abgeord-
netenhaus und stiess schon im Eisenbahn-
Ausschusse auf heftigen Widerstand. Die
Mehrheit der Ausschussmitglieder war
schliesslich geneigt, die Fusion zu ge-
nehmigen, und zwar unter folgender Ab-
änderung des Gesetzes: die Refundirung
der Garantieschuld der Süd-norddeutschen
Verbindungsbahn erfolgt mit dem Betrage
von 5,000.000 fl. und der Umtausch der
Actien der Mährischen Grenzbahn in dem
Verhältnisse von 10:4; die verlangte
Mehrgarantie ist mit der Ziffer von jähr-
lich 679.134 fi. begrenzt; auf sämmtlichen
Fusionslinien sollen die Tarife der Oester-
reichischen Nordwestbahn eingeführt
werden. Eine Minderheit, an deren Spitze
aber der einflussreiche Führer der da-
mals tonangebenden Verfassungspartei,
Dr. Herbst, stand, verwarf hingegen das
Fusionsproject, weil es einen mit dem
angestrebten und auch auf anderem Wege
erreichbaren Zwecke in keinem Verhältnisse
stehenden Aufwand nach sich ziehe, die
Rechtsverhältnisse der Oesterreichischen
Nordwestbahn noch verwickelter gestalte,
jede einzelne Grundbuchseinlage des ver-
einigten Netzes mit Prioritätsschulden
überlaste, und die Verzinsung der Actien
lit. A der Oesterreichischen Nordwestbahn
einer stärkeren Schmälerung aussetze,
was nicht durch einen Act der Gesetz-
gebung herbeigeführt werden solle.
Dr. Herbst bekämpfte in der Vollverhand-
lung vom 19. März 1875 mit ätzender
Schärfe den Gesetzentwurf wie auch die
Vorschläge der Ausschussmehrheit und
beantragte Uebergang zur Tagesordnung.
Für den Handelsminister von Chlumecky
war es eine ebenso schwierige als unan-
genehme Aufgabe, die Vorlage, an der
er sogar nicht Theil hatte, zu vertheidi-
gen ; er that es jedoch mit aller Hin-
gebung. Dadurch gerieth nun die Majo-
rität des Abgeordnetenhauses in die miss-
liche Lage, entweder sich von dem Führer
abzuwenden oder das gleichfalls der
eigenen Partei angehörende Ministerium
im Stiche zu lassen. Um dies zu ver-
meiden, entschied sie sich für die Ver-
tagung, welche übrigens — da eben
wieder der Sessionsschluss bevorstand —
gleichbedeutend war mit Begrabung der
Angelegenheit, zumal als auch die Nord-
westbahn sie allmählich ganz aufgab.
Thatsächlich erfolgte am 29. October
1875 die Zurückziehung der Vorlage.
Das Fehlschlagen des ersten Ver-
suches hielt indes die Regierung nicht
ab, noch andere zu unternehmen, denen
der General-Director des österreichischen
Eisenbahnwesens zu Gevatter gestanden
und die Pathenbriefe in Form zweier,
das Wesen und die Erspriesslichkeit
der Fusionen behandelnden Broschüren*)
mitgegeben, beziehungsweise vorausge-
schickt hatte. Zunächst kam jetzt die so-
genannte »g alizische Fusion« an
die Reihe, um welche sich die Verwal-
tung der Ersten ungarisch-galizi-
schen Eisenbahn oder, richtiger ge-
sagt, der rührige Director dieser Unterneh-
mung, Max P ichler, schon seit dem Jahre
1874 bemühte, weil ihnen die Verschmel-
*) Es waren dies: »Ueber die zur Ent-
[ wicklung des französischen Eisenbahnnetzes
angewendeten Mittel« von Leon Aucoc,
deutsch herausgegeben von Wilhelm von
Nördling, Wien, 1875; ferner »Du regime
des traveaux publics en Angleterre« von
I Ch. de Franqueville; Auszug hieraus
übersetzt von Victor Wilke und unter dem
! Titel «Eisenbahn Concurrenz und Eisenbahn-
Fusionen in England« deutsch heraus-
gegeben von Wilhelm von Nördling,
i Wien, 1875. Diesen Broschüren gleichsam
gegenübergestellt hat M. M. Freiherr von
! Weber seine Schrift «Werth und Kauf der
: Eisenbahnen«, Wien, 1876.
15*
228
Ignaz Konta.
zung der jungen galizischen Bahnen und
die Vereinigung der staatlichen Linie Tar-
nöw-Leluchöw mit den fusionirten Linien
als für die Entwicklung des Verkehres
aller dieser Bahnen unumgänglich noth-
wendig erschien und das Wachsen des-
selben die Ungarisch-galizische Eisen-
bahn von dem sie schwer belastenden
Betriebs- Deficite befreien könnte. Da-
durch, dass diese Gesellschaft damals
auch von der Sorge um die Bedeckung
eines Baudeficites von mehr als sieben
Millionen Gulden hedrückt war, Hess sie
für eine Weile die Fusionsbestrebungen
ruhen. Nachdem aber die beiderseitigen
Regierungen und die österreichische
Credit-Anstalt sie von jener Sorge
grossentheils befreit hatten [s. S. 83],
wendete sich die Gesellschaft sogleich
wieder der Fusionsfrage zu. Sie über-
reichte im Frühjahr 1875 dem Ministerium
eine Denkschrift, in welcher die Lage
der jungen galizischen Bahnen geschil-
dert, die Monopolisirung des ganzen
Eisenbahn- Verkehres in Galizien bekämpft
sowie auch die Uebernahme des Be-
triebes der allenfalls ohne Verbindung
mit den fusionirten Linien bleibenden
Staatsbahn Tamöw-Leluchöw angeboten
wurde, und erhoffte nun eine baldige
günstige Erledigung. Es ging jedoch
nicht nach ihrem Wunsche; sie blieb
sogar völlig ausgeschaltet aus dem ganzen
Vereinigungs-Projecte.
Die Bestimmung, den Stamm der
»durch Fusion zu gründenden neuen
Unternehmung« zu bilden, fiel der erst
vor Kurzem wieder zu Ehren gekom-
menen Lemberg-Czer no witz-Jass3r-
Eisenbahn zu, die mit grösster Be-
reitwilligkeit auf das Vorhaben der Re-
gierung einging, weil sie dadurch, nebst
anderen Vortheilen, alle Anwartschaft
auf den Besitz des ganzen südgalizi sehen
Bahnnetzes und auf die freie, von der
Carl Ludwig-Bahn ungehemmte Ent-
wicklung des Verkehres zu gewinnen
hoffte. Die bezüglichen Verhandlungen
fanden mit den Protokollar- Vereinbarun-
gen vom 16. und 27. November 1875
ihren Abschluss, vermöge deren die
Gesellschaft nicht nur die unmittelbar
anschliessende Albrecht-Bahn und die
mit dieser im Zusammenhange stehende
i Dniester-Bahn, sondern auch die fernab
liegende staaüiche Linie Tarnöw-Lelu-
chöw zu den im Nachfolgenden einzeln
angegebenen Preisen von insgesammt
i 38,379-400 fl. käuflich erwerben und
hiefür eigene Actien und Prioritäts-
Obligationen ausgeben und dieserwegen
einer weiteren Staatsgarantie von jähr-
lich 1,957.349 fl. theilhaftig werden sollte.
Ferner waren der Gesellschaft zuge-
sichert: die Gestattung einer zur Con-
solidirung der eigenen schwebenden
Schuld bestimmten Actien-Emission im
Betrage von 4,500.000 fl.*) und, als Ver-
gütung für das [zum Behufe der Durch-
führung der ganzen "Transaction] auf-
gegebene concessionsmässige Recht der
Deckung ihres eigenen Geldbedarfes zu
zwei Dritttheilen in Prioritäten, ein Be-
trag von 450.000 fl. aus dem Kauf-
schillinge für die Staatsbahn Tamöw-
Leluchöw.**) Ausserdem winkte der Ge-
sellschaft die Erlangung der Concession
für die Linien : Czernowitz-Nowosielica,
Stryj-Beskid, Lemberg-Tomaszöw, Gry-
böw-Zagörz und Neu-Sandec-Oswiecim
und des Mitbenützungsrechtes für die
Strecke Chyröw-Gryböw der Ersten un-
garisch-gahzischen Eisenbahn.***) Ange-
sichts alles dessen zögerten natürlich
! auch die Theilhaber der Gesellschaft
keinen Augenblick, dem Uebereinkommen
vollinhaltlich beizupflichten. Es geschah
dies in der ausserordentlichen General-
versammlung vom 22. December 1875.
Was nun die einzelnen oben be-
nannten Fusionsbahnen anbelangt, so
befanden sich zwei derselben in arger
Bedrängnis. Die Erzherzog Albrecht-
Bahn krankte an einem, grossentheils
aus den ihr auferlegten Mehrleistungen
und der Verrragsbrüchigkeit der Bau-
unternehmung entstandenen Baudeficite,
| zu dessen Deckung schwebende Schulden
i aufgenommen wurden [s. S. 138], deren
Anwachsen und Kostspieligkeit dazu
führten, dass am 1. Januar 1875 der
Actiencoupon statt mit 5 fl. nur mit
2 fl. 95 kr. eingelöst wurde, was natür-
lich den Credit der Gesellschaft be-
deutend erschütterte, so zwar, dass sie,
*) **) und ***) Vergleiche die Artikel
X. XII und XXIII des Protokolls vom
16 November 1875
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
229
verfolgt von zahlreichen Wechselklagen,
Ende März 1875 im Begriffe stand, die
Eröffnung des Concurses selbst herbei-
zuführen. Vorausgegangen war ein
Ansturm der Actionäre, welche in der
ersten ausserordentlichen Generalver-
sammlung vom 15. Februar 1875
die Anträge des Verwaltungsrathes auf
Stornirung der rückgekauften Titel
[s. S. 138] und Beschaffung frischer
Geldmittel zur Deckung aller Erforder-
nisse ablehnten und ein Comite zur
Wege der Fusion bis längstens 31. Octo-
ber bewerkstelligt, für welchen Fall dann
noch eine weitere Erhöhung der Garantie bis
zudem im Gesetze vom 25. Mai 187 1 fest-
gesetzten Höchstbetrage von 1,430.000 fl.
eintreten könnte. Trotz dieser Zusage
verschlimmerte sich die Lage von Stunde
zu Stunde, bis es durch Einwirkung der
Regierung am 22. März 1875 gelan&>
mit dem Frankfurter Hause Erlanger
eine Uebereinkunft dahin zu treffen, dass
dasselbe der Gesellschaft für den Augen-
Abb. 113. Traunbrücke bei Ebensee. [Salzkammergut-Bahn '
Prüfung der Lage der Gesellschaft und
der ganzen bisherigen Geschäftsführung
einsetzten. Nun wurde auch die Regie-
rung noch öfter und dringender als bis
dahin um eine Unterstützung angegangen,
man erreichte aber nur, dass das
Handelsministerium mittels Erlasses vom
8. März 1875 eine Vergütung der
baulichen Mehrleistungen zusagte. Die-
selbe sollte in Form einer Erhöhung
der Staatsgarantie um den Betrag von
63.000 fl. erfolgen, wenn die Gläubiger
der Gesellschaft sich verpflichten, bis
mindestens Ende October keinerleiZwangs-
massregeln zu ergreifen und die Gesellschaft
die Ordnung ihrer finanziellen Lage im
blick mit Vorschüssen aushalf, dann die
auf Grund der ersterwähnten Garantie-
Erhöhung auszugebenden Prioritäten im
Betrage von 1,200.000 fl. auf feste Rech-
nung nahm und auch Second-Prioritäten
im Betrage von nom. 4,000.000 fl.
für die Zeit bis 31. October mit 5o°/0
belehnte, wogegen die Regierung die Er-
höhung der Garantie um 63.000 fl. gleich
eintreten Hess, und die weitere [um
noch 42.000 fl.] neuerlich zusicherte. Da-
durch war eine kurze Frist gewonnen.
Am 5. April 1875 fand abermals eine
ausserordentliche Generalversammlung
statt, in welcher das Prüfungscomit6 die
Lage der Gesellschaft getreulich schilderte,
230
Ignaz Konta.
das selbst nach der Garantie-Erhöhung
und der auf Grund derselben vorzuneh-
menden Prioritäten - Vermehrung noch
unbedeckt bleibende Erfordernis mit
1,993.289 fl. bezifferte und, in ziemlicher
Uebereinstimmung mit dem Verwaltungs-
rathe, folgende Anträge stellte: Fusio-
nirung mit einer Nachbarbahn, Ausgabe
von 4,000.000 fl. in Second-Prioritäten,
Genehmigung des bereits erfolgten Rück-
kaufes der Titel [s. o.] und der Reduction
des Actiencapitals um 3,000.000 fl.,
d. i. auf 7,119.800 fl. All dies wurde
fast einhellig angenommen und zugleich,
um mit der Vergangenheit völlig zu
brechen, auch ein neuer Verwaltungs-
rath gewählt. Die Zukunft gestaltete
sich aber nicht besser; die seitens der
Gesellschaft unternommenen Fusions-
versuche misslangen,*) und die von der
Regierung angesetzte Frist eilte dem
Ende zu. Da nahm nun das Ministerium
die Sache selbst in die Hand und schloss
am 10. September 1875 mit dem Ver-
waltungsrathe ein Protokollar-Ueberein-
kommen, wonach die gesellschaftlichen
Linien an eine im Wege der Fusion zu
bildende neue Unternehmung abgetreten
werden sollten, welche die Garantie-
Vorschussschuld und die Prioritäten
I. Emission der Erzherzog Albrecht-Bahn
im ganzen ursprünglichen Betrage von
nom. 15,179.400 fl. zu übernehmen und
der letzteren, nach vorausgegangener Stor-
nirung ihres ganzen Actiencapitals und
der Second-Prioritäten ein Entgelt von
4,000.000 fl. in garantirten Prioritäten
[der neuen Unternehmung] zu leisten
haben würde. Wie viel hievon für die
Actionäre erübrigt hätte, war nicht ziffer-
mässig bestimmt, weil die Gesellschaft
für ihre übrigen Verbindlichkeiten selbst
aufkommen sollte und auch zur Bildung
eines Reserve- und Erneuerungsfondes
verpflichtet gewesen wäre. Trotzdem
stimmte die ausserordentliche General-
versammlung vom 11. November 1875
auch diesem Uebereinkommen zu ; es
war dies eben vermeintlich ihr letzter
Ausweg.
*) Die Vereinigung mit der Dniester-Bahn
missfiel der Regierung und die Verhandlun-
fen mit der Carl Ludwig-Bahn führten über-
aupt zu keinem greifbaren Ergebnisse.
Noch schlimmer stand es um die
Dniester-Bahn. Seit der am 1 . Juli
1874 erfolgten Nichteinlösung der Priori-
täten-Coupons unter Curatel befindlich,
mit Betriebsdeficiten kämpfend und von
schwebenden Schulden bedrückt, wollte
auch diese Gesellschaft ihr Heil in der
Fusion suchen, fand aber gleichfalls nir-
gend eine willkommene Aufnahme. Die
Carl Ludwig-Bahn hätte sie vielleicht
gewährt, wenn nicht die Lemberger
Handelskammer, der galizische Landtag
und andere Körperschaften jeder Macht-
erweiterung dieser grossen Unternehmung
in den Weg getreten wären. Damals
betrugen die Einnahmen der Dniester-
Bahn 19.277 fl. pro Meile; der Priori-
tätendienst allein erforderte aber eine jähr-
liche Reineinnahme von 24.300 fl., be-
ziehungsweise eine Roheinnahme von
60.750 fl. pro Meile. Die Hoffnung auf
eine Verzinsung des Prioritäts-Capitals er-
schien daher in weite Ferne gerückt, und
der Curator versuchte nun die Umwand-
lung der Prioritäts-Obligationen in Prio-
ritäts-Actien bei gleichzeitiger Abstempe-
lung der Hälfte des Nennwerthes der
Stammactien. Merkwürdigerweise ver-
schmähten die Prioritäre diesen guten
Rath des Curators; sie lehnten es in
ihrer Versammlung vom 24. Juni 1875
ab, statt Gläubiger Eigenthümer der
Bahn zu werden, worauf dann der
Curator, Dr. Freiherr v. Hainberger, an-
gesichts der stetig wachsenden Nothlage,
sich mit einem Verkaufsangebote an die
Regierung wendete, welche sich bereit
fand, die Bahn um den Preis von
2,100.000 fl. zu erwerben und das be-
zügliche Uebereinkommen am 8. Novem-
ber 1875 abschloss. Eine Woche später
gab der Curator dem Verwaltungsrathe
hievon Kenntnis, wobei er zugleich die
unverzügliche Einberufung einer ausser-
ordentlichen Generalversammlung ver-
langte und nachdrücklichst betonte, dass
er jeden Widerstand oder auch nur Ver-
schleppungsversuch mit der Einleitung
von Zwangsmassregeln beantworten
müsste. Der Verwaltungsrath fügte sich
hilf- und willenlos ; hingegen nicht so
ganz die am 31. December 1875 ab-
gehaltene ausserordentliche Generalver-
sammlung. Dieselbe erging sich in Ver-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
231
Währungen und Ausfällen, genehmigte
aber dennoch das inzwischen auch von
der Curatelsbehörde gutgeheissene Ver-
kaufs-Uebereinkommen und beschloss die
Liquidation der Gesellschaft. Da zu
jener Zeit der Schuldenstand der Gesell-
schaft 300.000 fl. betrug und den
Actionären schenkungsweise I fl. 50 kr.
pro Actie zugedacht war, verblieben von
dem Kaufschilling nur 1,764.000 fl. für
die Prioritäten-Besitzer. Diese büssten
daher 73'7°/oi die Actionäre qo/25°/0 des
Capitals ein.
Der Kaufpreis für die 10/4 Meilen lange,
auf Kosten des Staates in Ausführung
gestandene Linie Tarnö w- Leluchöw
sammt dem von der Staatsverwaltung
beizustellenden Fahrparke war im Ar-
tikel IV des Uebereinkommens vom
16. November 1875 mit 16,000.000 fl.,
zahlbar in Actien al pari der Lemberg-
Czemowitz-Jassy-Eisenbahn, festgesetzt,
wovon jedoch die Gesellschaft 500.000 fl.
zu Cassendotirungen und Materialanschaf-
fungen sowie auch den bereits weiter
oben bezeichneten Betrag von 450.000 fl.
in Abzug bringen konnte [Artikel VI
und XII desselben Uebereinkommens].
Seinem ganzen Umfange nach wurde
dieses Fusionsproject erst am n. Januar
1876, als dem Tage, an welchem die
betreffende Gesetzesvorlage vor das Ab-
geordnetenhaus gelangte, allgemein be-
kannt und auch sogleich einer eingehenden
Erörterung unterzogen. Ausserhalb des
Parlamentes, zumal in Finanzkreisen, wo
die Fusionen, wegen der von denselben er-
hofften Heilwirkung bislang angestrebt und
gewünscht worden waren, gab sich nun, ob
der Einschätzung der Fusionsbahnen nach
ihrem commerziellen Werthe, eine förm-
liche Bestürzung kund und innerhalb des
Parlamentes machten sich viele Bedenken
gegen das Fusionswerk geltend. Der
Eisenbahn-Ausschuss des Abgeordneten-
hauses fand weder den Verkauf der Linie
Tarnöw-Leluchöw, deren Verbindung mit
den übrigen fusionirten Linien den Bau
der fehlenden Zwischenstrecken, also die
Schaffung einer vollständigen Parallel-
bahn der Carl Ludwig-Bahn bedingen
würde, noch auch die beabsichtigte
Unterstützung der Erzherzog Albrecht-
Bahn für angezeigt und kam zu dem
Beschlüsse : der Staat soll die Tarnö w-
Leluchöwer Bahn behalten, die Dniester-
Bahn erwerben, beide in Staatsbetrieb
nehmen oder etwa benachbarten Unter-
nehmungen in Betrieb geben, rücksicht-
lich der Albrecht- Bahn aber dahin trachten,
>mit einigem Wohlwollen das zu erzielen,
was sie durch die bedeutende Erhöhung
der Staatsgarantie und mit der Fusion
erstrebt«. Demzufolge wurde die Vorlage
am 1. März 1875 vom Abgeordneten-
hause abgelehnt und nur der Ankauf der
Dniester-Bahn genehmigt. Das bezüg-
liche Gesetz erhielt am 18. März 1876
die a. h. Sanction.
Die wieder allein gebliebene Erz-
herzog Albrech t-B ahn war hiedurch
noch manchen Fährlichkeiten ausgesetzt,
namentlich beim Ablaufe der Frist, bis
zu welcher das Haus Erlanger die Second-
Prioritäten belehnt hatte. Nachdem sie
aber beim Handelsministerium insoferne
eine Unterstützung gefunden, dass es
ihr zu einem anderweitigen Belehnungs-
Credite [beim Wiener Bankverein] verhalf,
wie auch hinsichtlich der Bildung von
Reserven erhebliche Nachsicht angedeihen
Hess, und nachdem sie die Einlösung der
Actiencoupons auf Jahre hinaus theil-
weise oder gänzlich sistirte, vermochte
sie sich immerhin noch aufrecht zu er-
halten.
Ehe das Jahr 1875 zu Ende gegangen,
hatte die Regierung auch die Vorbereitun-
gen zur Ersetzung der gescheiterten Nord-
westbahn-Fusion getroffen. Sie sah sich
hiezu hauptsächlich dadurch veranlasst,
dass die Lage der Lundenburg-Gruss-
bacher Bahn nun geradezu unhaltbar
geworden war. Der über Intervention
der Regierung verlängerte Betriebsvertrag
mit der Nordwestbahn lief am 15. April
1876 ab, und die finanziellen Verhält-
nisse verschlechterten sich immer mehr;
die Gesellschaft stand also vor dem gänz-
lichen Zusammenbruche. Da traten die
Curatoren mit der Regierung in Ver-
kaufsverhandlungen ein und vereinbarten
mit ihr die Abtretung der I2'5 Meilen
langen Lundenburg - Grussbacher Bahn
sammt und sonders und gänzlich lastenfrei
um den Preis von 1,700.000 fl. [Protokoll
vom 20. December 1875]. Der Verwal-
232
Ignaz Konta.
tungsrath lehnte es ab, den Vertrag mitzu-
fertigen, da er »die Verantwortlichkeit
nicht theilen wollte, ein Unternehmen mit
einem Anlage-Capitale von 1 1,000.000 fl.
um den Preis von 1,700.000 fl. hintanzu-
geben« ; dessungeachtet-nahm die An-
gelegenheit den gleichen Verlauf wie
bei der Dniester-Bahn. Es wurde eine
ausserordentliche Generalversammlung
einberufen ; diese fand am 27. Januar
1876 statt, gab die Einwilligung zu dem
Verkaufe der Bahn und beschloss die
Liquidation der Gesellschaft. Dafür er-
hielten die Actionäre ein Entgelt von 2 fl.
pro Actie.
Um der Mährischen Grenzbahn
beizustehen, vereinbarte die Regierung,
mit ihr neuerlich die Abtretung des ge-
sammten Unternehmens an eine von der
Staatsverwaltung zu bezeichnende Unter-
nehmung, und zwar unter Bedingungen,
die sich von den für die »Nordwestbahn-
Fusion« festgestellt gewesenen haupt-
sächlich dadurch unterschieden, dass die
Actionäre jetzt nur ein Entgelt von
3,000.000 fl.*) erhalten sollten [Pro-
tokoll vom 2. Januar 1876], was die-
selben übrigens nicht abhielt, in der
ausserordentlichen Generalversammlung
vom 5. Januar 1876 auch dem neuen
Uebereinkommen glattweg zuzustimmen.
Zum Grundstocke der Fusion war
diesmal die Mährisch - schlesische Nord-
bahn, beziehungsweise die K a i s e r F e r d i-
n a n d s-N o r d b a h n erkoren, welche, an-
lässlich ihrer Bewerbung um die Con-
cession für die Linie Bielitz-Saybusch,
sich zum Ankaufe der Lundenburg-Gruss-
bacher Bahn erboten und die Vereinigung
der Mährischen Grenzbähn mit der
Mährisch -schlesischen Nordbahn ange-
regt hatte. Darum bezeichnete man dieses
Fusionsproj ect geradehin als »Nordbahn-
Fusion«. Das Interesse, welches die
Kaiser Ferdinands-Nordbahn an demselben
hatte, erklärt sich von selbst. In der
Mährischen Grenzbahn konnte die Mäh-
risch-schlesische Nordbahn ihre natür-
liche Fortsetzung einerseits bis Hohen-
*) Das war kaum halb soviel als anläss-
lich des ersten Fusionsversuches vereinbart
gewesen und blieb noch um 600.000 fl. hinter
dem Betrage zurück, den der Eisenbahn-
Ausschuss dazumal bewilligen wollte.
Stadt [Staatseisenbahn-Gesellschaft], an-
dererseits bis Grulich-Wichstadtl [Nord-
westbahn], eventuell bis Mittel walde[Ober-
schlesische Eisenbahn] finden, und mit der
Lundenburg-Grussbacher Bahn, an der die
Kaiser Ferdinands-Nordbahn aus Con-
currenzrücksichten ohnehin schon mit
1,000.000 fl. betheiligt war, konnte die letz-
tere, für den Fall, dass die [Waagthal-
Bahn] Linie Tyrnau - Lundenburg doch
noch zustande käme, dass Mittelglied
einer zukunftsreichen Exportroute nicht nur
vollständig, sondern jetzt auch sehr billig
erwerben. Vorsichtsweise strebte sie übri-
gens die Staatsgarantie für die Lunden-
burg-Grussbacher Bahn an, Hess jedoch
hievon wieder ab, nachdem das Handels-
ministerium mit Erlass vom 30. Januar
1876 erklärt hatte, diese Bahn ohne-
weiters an eine andere Gesellschaft
verkaufen zu können. Die Kaiser Ferdi-
nands-Nordbahn schloss also mit der
Regierung zwei Protokollar - Ueberein-
kommen ab; das eine am 16. Januar
1876, betreffend die Erwerbung der
Mährischen Grenzbahn für die Mährisch-
schlesische Nordbahn um den Preis von
3,000.000 fl., und Eintritt der Kaiser
Ferdinands-Nordbahn als Selbstschuldnerin
für die Prioritäten und Garantie- Vorschüsse
der Mährischen Grenzbahn gegen ent-
sprechende Erhöhung der Staatsgarantie
für diese Bahn, nämlich von 336.000 fl.
auf 561.938 fl. jährlich, — das zweite
am 5. Februar 1876, betreffend den An-
kauf der Lundenburg-Grussbacher Bahn
um den Preis von 1,700.000 fl. Die
Actionäre der Kaiser Ferdinands-Nordbahn
genehmigten in der ausserordentlichen
Generalversammlung vom 16. Februar
1876 die sämmtlichen Vereinbarungen,
mithin auch die Erwerbung und Durch-
führung der Concession für die Linie
Bielitz-Saybusch.
Der legislativen Behandlung wurden
die Vereinbarungen am 4., beziehungs-
weise 8. Februar 1876, und zwar in drei
getrennten Vorlagen zugeführt. Im Eisen-
bahn-Ausschüsse [des Abgeordneten-
hauses] widerfuhr ihnen kein Leid ; der-
selbe würdigte es vielmehr, dass die
Vereinigung der Mährischen Grenzbahn
mit der Mährisch-schlesischen Nordbahn
eine erheblich geringere Staatsgarantie
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
233
Abb. 114 Sonnsteinlehne. [Salzkammergut-Bahn zwischen Ebensee und Traunkirchen j
erfordere, als die früher geplante Fusion
mit der Oesterreichischen Nordwestbahn,
und für den Staatsschatz auch noch des-
halb entsprechender sei, weil die von der
jetzt vorgeschlagenen Zusammenlegung
der Bahnen erhoffte Steigerung der Er-
trägnisse beiderseits nur garantirten
Linien zugute käme. Im Abgeordneten-
hause selbst theilte jedoch die Fusions-
vorlage alsbald das Schicksal ihrer Vor-
gängerinnen. Noch heftiger als diese
letzteren bekämpft, weil, nach Meinung
der Einen, das »zum Dogma gewordene
Princip der Fusionirung und Sanirung
von kranken Bahnen auf Kosten des
Staates und der Steuerträger« dem Be-
rufe des Staates keineswegs entspricht,
und, nach Meinung der Anderen, »der
Staat alle kranken Bahnen unter Bedin-
gungen der Billigkeit an sich ziehen und
den Selbstbetrieb übernehmen soll« —
wurde die Vorlage, trotz bester Befür-
wortung von Seite des Berichterstatters
und auch des Handelsministers, welcher
überdies die drei Vorlagen als untrenn-
bares Ganze bezeichnete, in der sehr
erregten Sitzung vom 23. Februar 1876
abgelehnt. Der Geldmarkt beantwortete
diese Abstimmung mit einem drängenden
Ausgebote von österreichischen Eisen-
bahnwerthen ; das vermochte aber an
den gegebenen Thatsachen nichts mehr
zu ändern.
Gleichsam als wollte sie ihre Ab-
neigung gegen die Fusionen noch deut-
licher hervorkehren, Hess die Mehrheit
der Reichsvertretung unmittelbar nach
der Ablehnung jener einen Vorlage den
beiden anderen, in glattester Weise, eine
zustimmende Erledigung angedeihen. Die-
selben erhielten am 12. März 1876 die
a.h. Sanction und gelangten auch sogleich
zum Vollzuge. —
Die Mährische Grenzbahn bildete
nun fortan ein grosses Fragezeichen. Weder
sie selbst noch das Ministerium wusste,
was mit ihr oder für sie geschehen
solle. Der Verwaltungsrath liess sich noch
geraume Zeit hindurch alljährlich von der
Generalversammlung ermächtigen, im
Wege einer Fusion oder auch in sonstiger
Weise eine Sanirung zu bewirken ; er
fand jedoch keine Gelegenheit mehr, von
dieser Vollmacht Gebrauch zu machen.
Im Jahre 1878, da der Rest ihrer beim
Baue ersparten Fonds, aus denen sie
234
Ignaz Konta.
seither das von der Staatsgarantie unbe-
deckte fünfte Procent des Prioritäten-
Coupons bezahlte, zur Neige ging, wendete
sie sich wieder an die Regierung, welche
auch wirklich eine die Erhöhung der
Garantie auf 410.057 fl. bezweckende
Gesetzesvorlage im Reichsrathe ein-
brachte. Dieser bewilligte aber nur einen
Vorschuss von 75.000 fl. zur Volleinlösung
des Prioritäten-Coupons im Jahre 1879
[Gesetz vom 21. April 1879]. Weiterhin
auf sich selbst angewiesen, konnte sie
ab 1. März 1880 den Prioritäten-Coupon
nur mehr mit 4 fl. einlösen, kam daher
unter Curatel und fristete sich dann noch
mühselig fort, bis sie im Jahre 1894 vom
Staate eingelöst wurde.
Unbeirrt von den keineswegs er-
muthigenden Erfahrungen, welche die
Regierung mit ihren bisherigen Fusions-
vorlagen gemacht hatte, trat sie im Jahre
1876 nochmals mit einer solchen an den
Reichsrath heran. Die Dux- Boden-
bacher Bahn, deren Verkehr sich in
ungeahnt mächtiger Weise entwickelte,
jedoch auch bedeutende Erweiterungs-
bauten und Vermehrungen der Fahr-
betriebsmittel erheischte, war durch die
allgemeine Verschlechterung des Geld-
marktes ausser Stand gesetzt, ihre Er-
fordernisse im Wege der Erhöhung des
Anlage-Capitals zu beschaffen und suchte
sich mit Creditoperationen zu helfen.
Von den Staatsvorschusscassen hatte
sie, gegen Verpfändung von Prioritäten
III. Emission, Darlehen im Betrage von
1,210.000 fl. erhalten, im Uebrigen aber
schwebende Schulden aufgenommen, deren
Kostspieligkeit ihr verderblich zu werden
drohte.
Die wachsende Gefahr erkennend,
richtete der Verwaltungsrath an die
Regierung die Bitte um eine finanzielle
Unterstützung oder eine unmittelbare
Betheiligung des Staates an dem Unter-
nehmen, durch Uebernahme von Actien
im Betrage von fünf Millionen Gulden.
Dieses Begehren erschien dem Ministerium
»ebensowohl der Form als dem Umfange
nach zur Berücksichtigung nicht geeignet«;
immerhin aber wurde der Verwaltungs-
rath eingeladen, zu Verhandlungen über
die Bedingungen, unter welchen die er-
betene Unterstützung gewährt werden
könnte, Vertreter zu entsenden [Handels-
ministerial-Erlass vom 8. Juni 1875].
Gleich beim Beginne dieser am 21. Sep-
tember 1875 eröffneten Verhandlungen
wurde nun den Delegirten der Gesell-
schaft verkündet, dass nach dem Pro-
gramme, welches die Regierung sich für
die Unterstützung nothleidender Bahnen
aufgestellt habe, auch die Dux-Boden-
bacher Bahn eine Hilfeleistung nur dann
erwarten könne, wenn sie ihren nach dem
commerziellen Werthe abzuschätzenden
Besitz im Wege der Fusion an eine
andere Unternehmung oder zu diesem
Zwecke vorerst an den Staat übertrage.
Die Abgesandten der Gesellschaft
wehrten und verwahrten sich gegen die
Anwendung jenes Programmes auf ein
so kräftig entwickeltes und zukunftreiches
Unternehmen wie die Dux-Bodenbacher
Bahn. Da aber die Regierung an ihren
Principien unabänderlich festhielt, kam
am 28. September 1875 ein Protokollar-
Uebereinkommen zustande, wonach das
gesammte Eigenthum der Dux-Boden-
bacher Bahn an eine von der Regie-
rung namhaft zu machende andere
Unternehmung übergehen, diese aber
alle Schulden der aufhörenden Gesell-
schaft auf sich nehmen und den Actionären
der letzteren ein Entgelt von nom.
1,650.000 fl. [also etwas mehr als ein
Fünftel ihres Stamm-Capitales] in garan-
tirten Prioritäts-Obligationen leisten sollte.
Bezeichnenderweise hat auch die so-
gleich auf den 30. October 1875 ein-
berufene ausserordentliche Generalver-
sammlung das Uebereinkommen zwar
scharf kritisirt, dasselbe eine »gewaltsame
Enteignung« genannt, aber fast einhellig
angenommen. Nun hielten beide Theile
die Angelegenheit bereits für vollends
abgeschlossen. Die Regierung setzte bei
der Bahn einen eigenen Commissär ein
und übertrug derselben, als einer nun-
mehr dem Staate gehörenden Linie, den
Betrieb der auf Staatskosten ausgeführten
Rakonitz - Protiviner Bahn [December
1875], und die Gesellschaft ihrerseits be-
trachtete sich bereits als in Liquidation
stehend.
Gleichwohl kam die Transaction nicht
zustande; sie hätte sich nach dem Plane
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
235
der Regierung noch auf andere hilfs-
bedürftige böhmische Bahnen erstrecken
sollen, scheiterte aber an dem Wider-
stände der letzteren. So manche Theil-
haber der Dux-Bodenbacher Bahn freuten
sich darob, weil sie wegen des augen-
blicklichen Nothstandes nicht an dem
wahren Werthe und dem künftigen
weiteren Aufblühen ihres Unternehmens
verzweifeln mochten ; sie vermeinten
schon mit dem Gewinne an Zeit etwas
für die Besserung ihres Loses erreicht
zu haben. Das war jedoch insoferne irrig,
als das Drängen der Gläubiger ein Ab-
warten kaum zuliess und eine Hilfe,
welche den Actionären nicht schwere
Opfer auferlegt hätte, damals nirgends
zu erhoffen stand.
Der Verwaltungsrath, dem jedes
Zögern gefährlich schien, wendete sich
abermals an die Regierung, und diese
wollte nun, gestützt auf die unter Mit-
wirkung ihres Specialcommissärs aufge-
nommene Vermögens-Inventur der Ge-
sellschaft, eine Unterstützung durch Ueber-
nahme neu auszugebender Prioritäts-
Actien im Betrage von 4,000.000 fl. ge-
währen, unter der Bedingung, dass die
Gesellschaft ihr altes Actiencapital durch
Abstempelung von 6,600.000 fl. auf
1,650.000 fl. [also auf den vierten Theil]
herabmindere und das Prioritäts-Anlehen
III. Emission [1,599.000 fl.] bis auf eine
Quote von 400.000 fl. gänzlich zurück-
ziehe [Protokoll vom 24. Januar 1876].
Dass durch diese Vorsichten jede
Verlustgefahr für den Staat ausgeschlossen,
ihm vielmehr ein guter Gewinn geradezu
sicher war, lag klar zu Tage. Dessunge-
achtet ist in der Unruhe und Aufregung,
welche die Verwerfung der »Nordbahn-
Fusion« bei den Abgeordneten selbst
verursacht hatte, eine Stunde später auch
die mit jener Vorlage gleichzeitig [8. Fe-
bruar] eingebrachte Vorlage über die Be-
theiligung des Staates an der Dux-Boden-
bacher Bahn untergegangen [23. Februar
1876].
Hiedurch zu den äussersten Mass-
nahmen gezwungen, sistirte der Verwal-
tungsrath die Einlösung der Prioritäten-
Coupons, was sofort die Aufstellung eines
Curators zur Folge hatte, und dann
stellte er überhaupt alle nicht den Betrieb
betreffenden Zahlungen ein, was natür-
lich die Eröffnung des Concurses nach
sich hätte ziehen müssen, wenn nicht
durch Hinzuthun der Regierung und des
Curators noch im letzten Augenblicke
ein für die Zeit vom 15. März bis
15. December 1876 giltiges vorläufiges
»Arrangement« getroffen worden wäre.
Vermöge desselben stundete die Regierung
die Schuld an die Vorschusscassen und
die Firma Klett & Comp, ihre eigene
Wechselforderung [2,240. 586 Reichsmark],
ferners übernahm diese Firma Wechsel-
schulden der Gesellschaft im Betrage von
672.420 fl. zur Selbstzahlung und eröffnete
ihr überdies einen Credit von 460.000
Reichsmark, wogegen die Gesellschaft,
mit der Zustimmung der Curatel, der
genannten Firma 4,500.000 fl. verschrieb
und das bücherliche Pfandrecht vor
den Prioritäts-Gläubigern einräumte.
Wie traurig es damals selbst um die
vorzüglichsten Unternehmungen, wenn
sie sich in Verlegenheiten befanden, be-
stellt war, wird, mehr noch als durch
die vorstehenden Ziffern, dadurch be-
wiesen, dass der Verwaltungsrath, um
auch eine dauernde Ordnung zu bewirken,
nunmehr mangels irgend einer ander-
weitigen Hilfe genöthigt war, sich der
seit dem Bestand der Dux-Bodenbacher
Bahn ihr feindlich gegenüberstandenen
Aussig-Teplitzer Bahn in die Arme zu
werfen. Diese Gesellschaft verstand es,
die gute Gelegenheit zu nützen. Nach
einigem Stolziren erbot sie sich am
17. September 1876, die Dux-Boden-
bacher Bahn [ohne die Kohlenwerke]
um den Preis von 9,276.900 fl., zahlbar
in Actien und Prioritäten [der Aussig-
Teplitzer Bahn], zu erwerben. Knapp vor
seiner Entscheidung erhielt der Verwal-
tungsrath auch von der Anglo- öster-
reichischen Bank ein Sanirungs-Angebot,
das zwar in materieller Beziehung
etwas günstiger, in den Nebenbedin-
gungen aber weit über das Ziel hinaus-
greifend war.
Die Regierung, welcher die beiden
Offerten am 6. November 1876 vorgelegt
wurden, empfahl darum neuerliche Ver-
handlungen mit der Aussig-Teplitzer
Bahn, die sich nun zur Erhöhung des
Kaufpreises auf 10,000.000 fl. verstand,
236
Ignaz Konta.
falls ihr verschiedene staatliche Begün-
stigungen, so namentlich : Steuerfreiheit
für sämmtliche Linien bis 8. October 1890,
einheitliche Gestaltung der Concessionen,
Gebühren- und Steuerfreiheit für alle
aus der Fusion erwachsenden Rechts-
geschäfte und Emissionen, gewährt würden.
[Protokoll vom 27. November 1876.]
Ueberdies ward bedungen, dass die Forde-
rung der staatlichen Vorschusscassen an die
Dux-Bodenbacher Bahn auf 600.000 fl.
herabgesetzt und den Actionären der letz-
teren das Wahlrecht eingeräumt werde, der
Regierung für diese verringerte Schuld
entweder das gesellschaftliche Kohlen-
werk oder Actien der Aussig-Teplitzer
Bahn zum Curse von 270 fl. pro Stück
in Zahlung zu geben. Den Actionären
sollte von dem Kaufschillinge ein Be-
trag von mindestens 840.000 fl. erübrigen.
Hinterher langte auch noch ein
Angebot von dem Wiener Bankhause
S. M. Reitzes ein, das aber gleichfalls
weder von der Regierung noch vom
Curator genehm gehalten wurde. Erstere
erklärte sich vielmehr bereit, die vorer-
wähnten Fusionsbedingungen der ver-
fassungsmässigen Behandlung zuzuführen
und dahin zu wirken, dass die Firma
Klett & Comp, bis 31. Januar 1877 keine
Zwangsmittel gegen die Gesellschaft in
Anwendung bringe.
Von diesem Sachverhalte an sich,
noch mehr aber von den absprechenden
Urtheilen, mit welchen die Oeffentlichkeit
ihn begleitet hatte, heftig erregt, Hessen
die Actionäre der Dux-Bodenbacher Bahn
in der ausserordentlichen Generalver-
sammlung vom 16. December 1876 dem
Unmuthe die Zügel schiessen. Sie er-
gingen sich stundenlang in bitteren An-
klagen, bekämpften die Anträge des Ver-
waltungsrathes und verlangten von ihm,
selbst auf jede Gefahr hin, die Auf-
suchung eines anderen Ausweges aus
der Zwangslage; als es jedoch zur Ab-
stimmung kam, da hatte sich der Wind
plötzlich gedreht, und der Pact mit der
Aussig-Teplitzer Bahn wurde mit 460
gegen 69 Stimmen en bloc angenommen.
Nun brachte die Regierung am
19. December 1876 die Fusionsvorlage
im Abgeordnetenhause ein. Dieselbe wurde
im Eisenbahn-Ausschusse nur hinsichtlich
der Steuerbefreiung einigermassen ge-
ändert, sonst aber zur Annahme empfoh-
len. Dessungeachtet blieb ihr die Mehr-
heit des Hauses abgeneigt, theils aus den
schon bei allen früheren Fusionsvorlagen
geltend gemachten Gründen, theils auch
wegen der von zahlreichen Prioritäten-
Besitzern überreichten Petitionen um
Schutz gegen die Beeinträchtigung ihrer
verbrieften Rechte. Die Entscheidung
fiel in der Vollsitzung vom 16. Februar
1877; nach einer geradezu mit Leiden-
schaftlichkeit geführten Erörterung: wurde
auch diese Fusion, trotz ihrer besonderen
Vertheidigung seitens des Handelsmini-
sters, der hiebei sogar die bedeutsame
Erklärung einfliessen Hess, dass er, » wenn
diese Vorlage ebenfalls fallen sollte, kaum
noch etwas für die Sanirung von Eisen-
bahnen zu thun vermöchte«, mit 103
gegen 101 Stimmen abgelehnt.
Für die Verwaltung der Dux-Boden-
bacher Bahn kehrten damit die Verlegen-
heiten zurück, denen sie bereits für immer
entronnen zu sein wähnte ; sie nahm am
1. März 1877 den vor zwei Monaten
an die Aussig-Teplitzer Bahn abgege-
benen Betrieb der eigenen Bahn*) wieder
an sich, schaute überallhin nach Hilfe
aus und berief ein um das andere Mal
die Actionäre zusammen, um sich Raths
zu erholen. Die eigentliche Drangsal
hörte jedoch gar bald auf, da sich jetzt
mit einem Male Darlehens- und Sani-
rungsangebote in auffälliger Menge ein-
stellten, darunter auch ein den gegebenen
Verhältnissen am besten angepasstes
klares Anerbieten der Societe beige de
chemin de fer, welches denn auch ange-
nommen wurde. Diese belgische Ge-
sellschaft, die eben damals einen erheb-
lichen Theil ihrer finanziellen Thätigkeit
nach Oesterreich verlegt hatte, stellte
nämlich ein zur Deckung der dringend-
sten Fälligkeiten und sonstigen Erforder-
nisse ausreichendes, durch zwei Jahre
gar nicht, dann aber halbjährig künd-
bares Darlehen von effectiv 4,500.000
Reichsmark in Gold zu 7°/0 und gegen
primo loco Sicherstellung zur Verfügung,
*) Die Führung des Betriebes auf der
k. k. Staatsbahn Rakonitz-Protivin hatte die
Regierung mittels Vertrages vom 27. Februar
1877 der Böhmischen Westbahn übertragen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
237
unter der Bedingung, dass die Dux-
Bodenbacher Bahn bis zur erfolgten
Rückzahlung dieses Darlehens den Be-
trieb ihrer Linien keinem Dritten über-
lassen dürfe und der Curator sich für die
Dauer von 2 '/» Jahren des Rechtes begebe,
die Forderungen der Prioritäre geltend
zu machen. Der bezügliche Vertrag
wurde am 24. April 1877 abgeschlossen,
noch am selben Tage von der Regierung
und drei Tage später von der Curatel
genehmigt.
mögenstheiles die volle Selbständigkeit
bewahrt. Darum galt seither sowohl den
Prioritären gleichwie den Actionären
dieser Bahn das Scheitern der Fusion
als ein wahrer Glücksfall.
Die Regierung hingegen konnte aus
dem Schicksale ihrer Vorlagen die Ueber-
zeugung schöpfen, dass in Oesterreich
weder die Fusion als solche, noch ihre
Benützung zu Sanirungszwecken, Boden
zu finden vermag, am allerwenigsten
aber, wenn ihr die nicht einmal die
Abb. 115. Bau der Salzkammergut-Bahn. [An der südlichen Mündung des Sonnenstein-Tunnels zwischen
Ebensee und Traunkirchen.]
Die Dux - Bodenbacher Bahn hatte
also genügend Zeit und Mittel gewon-
nen, um ihre Verhältnisse in Ruhe ord-
nen zu können. Freilich galt es noch
über mancherlei Wirrnisse, die jetzt
mehrentheils nur von den wegen des
Sanirungsgeschäftes einander bekriegen-
den Finanzinstituten verursacht wurden,
hinwegzukommen; aber ehe die zwei
Jahre um waren, hatte das Unternehmen
sich selbst geholfen und, wie in einem
späteren Abschnitte dieser Mittheilungen
noch des Näheren zu besprechen bleibt,
ohne Hinopferung irgend eines Ver-
Rechte der Gläubiger schonende Theorie
vom commerziellen Werthe zugrunde
gelegt ist.
Thatsächlich sind denn auch von all
den angestrebten »Fusionen« nur zwei,
und zwar solche verwirklicht worden,
bei denen weder eine Werthverminderung
in Frage kam, noch der Staat eine,
geschweige gar neue Leistung auf sich
zu nehmen hatte. Es waren dies : die
schon bei der Constituirung der »Wien-
Pottendorf- Wiener-Neustädter
Bahn« [s. S. 158] vollzogene, jedoch
erst auf Grund des Gesetzes vom
238
Ignaz Konta.
24. März 1875 völlig geregelte Vereini-
gung der Wiener- Xeustadt-Gram-
mat -Neusiedler Bahn und der
Meidling - P ottendorfer Bahn,
wobei die beiden Concessionen gleich-
gestellt, deren Dauer auf 90 Jahre ab
I. Januar 1875 festgesetzt, die Steuer-
freiheit der Grammat-Xeusiedler Bahn
für die Zeit von sieben Jahren hälftig
auf beide Linien übertragen und, zufolge
a. h. Entschliessung vom 7. December
1874, beziehungsweise 30. April 1875,
die Pottendorfer Bahn von der con-
cessionsmässigen Verpflichtung zum Aus-
baue der Theilstrecke Pottendorf-Unga-
rische Grenze entbunden wurde [Kund-
machung des Handelsministeriums vom
3. Juli 1875], ferner die auf Grund des
Gesetzes vom 7. Juni 1877 ins Werk
gesetzte gänzliche Verschmelzung der
Brünn-Rossitzer Bahn mit der
Oesterreichischen Staatseisen-
bahn-Gesellschaft, durch welche
eigentlich nur die Legitimirung des
zwischen diesen beiden Unternehmungen
schon seit der Concessionirung des Er-
gänzungsnetzes [der Staatseisenbahn- Ge-
sellschaft] bestandenen Verhältnisses be-
wirkt wurde. Weil nun die Kaiser Fer-
dinands-Nordbahn auch bei diesem An-
lasse wieder ihre Privilegialrechte geltend
zu machen suchte, bedurfte diese Ver-
einigung noch einer besonderen Ge-
nehmigung, welche erst am 15. Decem-
ber 1878, und zwar von Seite des Mini-
steriums des Innern ertheilt wurde. Der
Vertragsabschluss über die Vereinigung
der beiden Unternehmungen*) erfolgte am
II. März 1878 und die Verlautbarung
der mit a. h. Entschliessung vom 14. De-
cember 1879 bewilligten Uebertragung
*) Die Oesterreichische Staatseisenbahn-
Gesellschaft übernahm die Brünn-Rossitzer
Bahn sammt allem Zubehör, trat dafür hin-
sichtlich der Prioritäts-Anlehen von zusam-
men 2,250.000 fl. als Selbstschuldnerin ein
und bezahlte für jede der 10.290 Prioritäts-
Actien [ä 200 fl.] den Baarbetrag von 175 fl.
Mehr als die Hälfte dieser Actien sowie die
sämmtlichen Stammactien [252 Stück ä 525 fl.]
hatte die Staatseisenbahn-Gesellschaft übri-
gens schon zur Zeit ihrer ersten Bewerbung
um die [Wien]-Znaim-Tecicer Linie [1863]
an sich gebracht, um sich einen ausreichen-
den Einfluss auf die Rossitzer Bahn zu sichern.
[Siehe Bd. I, I. Theil, Seite 402 u. fl".]
des Privilegiums, mittels Kundmachung
der Handelsministeriums vom 21. Decem-
ber 1879. —
Was aus dem Schiffbruche der
Fusionsprojecte gerettet wurde, fand bal-
dige Bergung. Auf Grund des Gesetzes
vom 18. März 1876 hatte der Staat gleich
am 1. April 1876 von der Dniester-
Bahn Besitz ergriffen, deren Betrieb er
an die Erste ungarisch-galizische
Eisenbahn übertrug, die densel-
ben vorerst einfach für Rechnung des
Staates, dann aber, zufolge des Betriebs-
vertrages vom 10. April 1876, gegen
Vergütung der Selbstkosten führte, bis
er im Jahre 1884 in die eigene Regie
der Staates übernommen wurde. Die
Liquidation der Gesellschaft und die
Flüssigmachung des Kaufschillings begann
im Juni; die Ausserkraftsetzung der
Concessions-Urkunde erfolgte durch die
Kundmachung des Handelsministeriums
vom 8. August 1876.
Vermöge des eben erwähnten Betriebs-
vertrages übernahm die Erste ungarisch-
galizische Eisenbahn auch den Betrieb
der k. k. Staatsbahn Tarnöw-Lelu-
chöw, der gleichfalls erst acht Jahre
später an die Staatsverwaltung zurück-
kam.
Die Lundenburg - Grussbach er
Bahn ging am 15. April in den Be-
sitz und Betrieb der Kaiser Ferdi-
nands-Nordbahn über. Die con-
cessionsmässigen Befugnisse wurden je-
doch erst mittels Kundmachung des
Handelsministeriums vom 23. August
1876 an die Kaiser Ferdinands-Xordbahn
übertragen und bei diesem Anlasse auch
einige Bestimmungen der beiden Con-
cessions-Urkunden der erstgenannten Bahn
ausser Kraft und hiefür die im Ueber-
einkommen vom 5. Februar 1876 [Ar-
tikel III bis XVI] enthaltenen einheit-
lichen Bestimmungen in Wirksamkeit
gesetzt.*) Das Ergebnis der Liquidation
*) Diese Abänderungen betreffen im
Wesentlichsten: Tarifnormirungen, Pauscha-
lirung des steuerbaren Reinerträgnisses der
Linie Lundenburg-Grussbach für die ganze
Dauer der Steuerfreiheit [behufs Ermögli-
chung der Führung einer gemeinschafdichen
Betriebsrechnung], Verlängerung der Con-
cessionsdauer auf 90 Jahre vom 6 Mai
1876 an etc.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
239
der nun aus der Reihe der selbständigen
Unternehmungen geschiedenen Lunden-
burg-Grussbacher Bahn war ein geradezu
klägliches, denn die Begleichung der
Betriebsforderungen der Nordvvestbahn,
dann die Abfindung der Actionäre
mit 2 fl. pro Actie und die Befriedigung
verschiedener Gläubiger Hess von dem
Kaufschillinge nur noch so viel übrig,
dass die Prioritäten I. Emission [7484
Stück ä 300 fl.] blos mit 44"39°/0 und
jene der II. Emission [13.300 Stück
ä 300 fl.] gar nur mit i375°/o des
Nennvverthes eingelöst werden konnten.
Das Gelderfordernis zum Ankaufe der
Lundenburg-Grussbacher Bahn, ferners
zum Baue der nachfolgend besprochenen
Linie Bielitz-Saybusch und zur Vervoll-
ständigung der Hauptbahn, deckte die
Kaiser Ferdinands-Nordbahn, über Be-
schluss der Generalversammlung vom
3. Mai 1876, durch ein Prioritäts-Anlehen
im Betrage von nom. 7,5000.00 fl.,
wovon jedoch vorerst nur die Hälfte,
und zwar an die eigenen Actionäre, zum
Curse von 88°/oi begeben wurde.*) Einer
etwaigen besonderen Vorsorge für die
Verzinsung und Tilgung dieses Anlehens
war die Gesellschaft gleich von vorn-
herein überhoben, da ihr schon die im
*) Zur Vervollständigung; der Daten über
das Anlage-Capital der KaiserFerdinands-
Nordbahn muss hier beigefügt werden,
dass dieselbe seit dem Jahre 1866 ausser
den Prioritäten für die Mährisch-schlesische
Nordbahn im Gesammtbetrage von 24,000.000 fl.
noch 12.934 Actien zum Curse von 150 für
je 100 fl. C.-M. und Obligationen im Nenn-
werthe von 18,150.000 fl. ausgegeben hat. Die
Haupt-Emission [6777 Actien und 14,400.000 fl.
in Prioritäten] fand im Jahre 1872 statt.
Aus dieser wurden auch die Kosten der
stabilen Brücke über die Donau [Abb.
Il6] und der Tracenumlegung zwischen
Wien und Floridsdorf — einschliesslich
der zehn Durchfahrtsbrücken für die künftige
>Donaustadt« — ■ gedeckt.
Das Glück lächelte der Nordbahn auch
beim Baue der neuen Donaubrücke; derselbe
konnte »im Trockenen«, d. h. bevor noch der
Strom in sein neues Bett geleitet war, voll-
führt werden. Die neue Strecke Wien-Florids-
dorf wurde am 26. März 1874 dem allge-
meinen Verkehre übergeben, nachdem sie
anlässlich der Kaiserreise nach Russland am
11. Februar eröffnet und am 23. Februar dem
Personenverkehr dienstbar gemacht worden
war.
Jahre 1876 überflüssig gewordene weitere
Dotirung des vor 31 Jahren gegründeten
und nun bis zur Höhe von 10,226.274 fl.
angewachsenen Reservefondes A reich-
liche Mittel verfügbar machte.
Die auf dem Gesetze vom 12. März
1876 beruhende Concession für die
Linie Bielitz-Saybusch gelangte
am 30. Mai 1876 zur Ausfertigung. Ihre
Bestimmungen sind mit den für die
Mährisch-schlesische Nordbahn geltenden
in Einklang gesetzt, nur geniesst die
neue Linie keine Staatsgarantie, sondern
eine 25jährige Steuerfreiheit, welche
[zwecks der Ermöglichung einer gemein-
schaftlichen Betriebsrechnung für sämmt-
liche ungarantirten Linien der Kaiser
Ferdinands-Nordbahn] auf ihre ganze
Dauer mit jährlich 80.000 fl. pauschalirt
ist. Der Baubeginn war auf den
30. November 1876 anberaumt, die
Vollendungsfrist mit längstens zwei Jahren
bemessen.
Zum ersten Male hatte die Kaiser
Ferdinands-Nordbahn das Project einer
Verlängerung ihrer Dzieditz - Bielitzer
Flügelbahn nach Saybusch ins Auge
gefasst, als bei Ablauf der Sechziger-
Jahre die Bestrebungen um die Ausge-
staltung des galizischen Bahnnetzes und
dessen Verbindung mit den ungarischen
Bahnen sich geltend zu machen begannen.
Die Vorconcession für die ungarische
Strecke von der galizischen Grenze bis
Csäcza erhielt sie am 17. Juli 1868. Da
jene Bestrebungen damals fruchtlos ge-
blieben, Hess auch die Nordbahn ihr
Project ruhen, bis im Jahre 1871 die
Linie Bielitz-Saybusch-Csäcza von dritter
Seite [Ingenieur Gentilli u. A.] in An-
regung kam, und alsbald auch in die
damals erstmalig zur legislativen Behand-
lung gelangte Galizische Transversalbahn
einbezogen wurde [s. S. I71]-
Das allein schon war Grund genug,
sich des Projectes ernstlich anzunehmen.
Es lag aber jetzt noch ein zweiter vor.
Das Gesetz vom II. Juni 1871 ver-
pflichtete die Gesellschaft, den Erlös für
die an die Nordwestbahn verkaufte Flügel-
bahn [s. S. 57] binnen längstens fünf
Jahren zur Herstellung einer neuen an
die Nordbahn anschliessenden Linie zu
verwenden. Sie konnte also mit Erfüllung
240
Ignaz Konta.
dieser Obliegenheit zugleich auch die
altgeplante Verlängerung der Dzieditz-
Bielitzer Zweigbahn bewirken, und sie
wollte dies nunmehr, nachdem die
wegen der Investirung jenes Erlöses
[1,000.000 fl.] vollführten mannigfachen
Studien dargethan hatten, dass der
gedachte Weiterbau, sowohl in An-
sehung der Verkehrsbedeutung, als auch
der zu gewärtigenden Ertragsfähigkeit,
den übrigen geprüften Projecten weit
voraus sei. *)
Die Regierung stimmte dem bei, doch
verlangte sie statt der von der Kaiser
Ferdinands-Nordbahn beabsichtigten An-
lage einer Kopfstation in Bielitz einen
unmittelbaren Anschluss der alten an die
neue Linie, was die Unterfahrung eines
Theiles der Stadt bedingte und die ur-
sprünglich mit 1,894.000!!. veranschlagten
Baukosten bedeutend erhöhte. Daran wäre
das Vorhaben wieder gescheitert, wenn
nicht die Güterverwaltung des Erzherzogs
Albrecht sich im Interesse der an der
projectirten Linie liegenden erzherzog-
lichen Besitzungen mit einem Betrage
von 500.000 fl. an dem neuen Unter-
nehmen, »auf Gewinn und Verlust«, be-
theiligt hätte.
Nachdem sie diese Partnerschaft ge-
funden, erklärte die Kaiser Ferdinands-
Nordbahn am 20. Januar 1876 proto-
kollarisch, die mit dem Handelsministerium
schon früher vereinbarte Concession über-
nehmen zu wollen und erhielt dieselbe,
wie bereits oben dargelegt erscheint. Die
Ausarbeitung der Detailpläne, von denen
insbesondere jene für die 268 m lange,
tunnelirte Unterfahrung der Stadt Bielitz
die grösste Sorgfalt erforderten, nahm
längere Zeit in Anspruch. Darum konnte
die Vergebung des Baues erst am 1 1 .
December 1876 stattfinden; sie erfolgte
auf Grund von Mindest-Einheitssätzen im
Wege einer Offertverhandlung, an der
sich fünfzehn Baufirmen betheiligten. Er-
steher blieb die Unternehmung F. Soukup.
Einzelne Arbeiten wurden übrigens schon
*) Laut des Berichtes an die ausser-
ordentliche Generalversammlung vom 16. Fe-
bruar 1876 Hess die Nordbahn insbesondere
noch folgende Projecte untersuchen: Göding-
Gaya, Bisenz-Gaya, Hullein-Kremsier und
Napagedl-Kremsier-Kojetein.
am 30. November in Angriff genommen.
Die Eröffnung der ganzen 20-8 km langen
Linie fand 4x/8 Monate vor dem con-
cessionsmässigen Vollendungstermine,
nämlich am 18. August 1878, statt.
Die Strecke Bielitz-Saybusch zweigt
unmittelbar hinter dem Aufnahmsgebäude in
Bielitz rechts ab und führt nach Kreuzung
der Bahnhofs-Zufahrtsstrasse in einem Bogen
von 400 in Radius durch die Stadt Bielitz.
Die Höhenlage der Stadt bedingte hiebei die
Herstellung eines über 900 in langen, an
seiner tiefsten Stelle 125 m tiefen Ein-
schnittes, der auf eine Länge von 268 in
eingewölbt werden musste. Besondere Schwie-
rigkeiten machte bei der Ausführung dieses
Bauwerkes die Ueberführung des Nipper-
und des Mühlbaches, besonders jene des
ersteren, dessen Sohle unter den Scheitel des
Object-Gewölbes reichte, und deshalb mit
Hilfe einer schmiedeeisernen genieteten
Röhre von 125 in Lichtweite und gleicher
Höhe, deren Unterkante unter den innern
Gewölbsscheitel reicht, bewirkt werden
musste. Der Mühlbach wurde in einem ge-
mauerten Gerinne über den gewölbten Ein-
schnitt hinweggeführt.
Gleich ausserhalb des gewölbten Ein-
schnittes übersetzt die Trace den Bialafluss.
Um die für die Ueberbrückung erforderliche
Höhe zu gewinnen, war es nöthig, eine Stei-
gung von l4-286°/00 einzulegen. Nach Ueber-
setzung des Bialaflusses gelangt die Bahn
auf galizisches Gebiet und zieht zunächst
am rechten Bialaufer, dann weiter entlang
des Mesnabaches in continuirlichen Stei-
gungen, bis sie die Höhe der Wasser-
scheide zwischen dem Biala- und Solagebiete
erreicht. Auf diesem Zuge, der an indu-
striellen Anlagen und malerisch gelegenen
Gehöften durch ein von schön bewaldeten
Bergen beiderseits eingerahmtes Thal stetig
aufwärts führt, werden mehrere Zuflüsse
der Biala überbrückt, welche mit Rück-
sicht darauf, dass diese Gewässer durchaus
Wildbäche sind, grössere Objecte erforder-
ten. Die Ueberschreitung der Wasserscheide
erfolgt mittels eines Einschnittes von 450 m
Länge und 5' 151 m Maximaltiefe. Im Ge-
fälle geht die Trace in das weite Thalbecken
des Solagebietes und zieht entlang des Zim-
nikbaches, der auf eine Länge von nahezu
600 in regulirt und überbrückt werden
musste. Ueber einen Mühlbach und den Zilka-
bach an Lodygowice vorüber den Kalnabach
übersetzend, gelangt die Bahn in das ausge-
dehnte Inundationsgebiet des Solaflusses,
dem sie wiederholt so nahe rückt, dass sie
durch Anlage von Faschinenbauten vor Unter-
waschungen geschützt werden musste. Von
da ab zieht die Trace zum Endpunkte der
Bahn, der Station Saybusch, hinan.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
241
Abb. 116. Brückenfelder der Nordbahnbrücke über die Donau bei Wien. [Nach einer photographischen
Aufnahme Ton August Navratil.]
Von den vorhin aufgezählten, in der
Gesetzesvorlage vom 29. October 1875
zur Ausführung auf Staatskosten vorge-
schlagenen Hauptbahnen kam bislang
nur die Donauuferbahn in Wien
zustande, deren Herstellung eigentlich ;
schon in dem ursprünglichen Programme
ftr die Donauregulirung vorgesehen war,
das auf die Verbindung aller in Wien
einmündenden Bahnen untereinander und
mit den einzelnen Landungsplätzen am
neuen Stromufer ausdrücklich Bedacht
genommen hatte.
Daraus entsprangen in der »Grün-
dungszeit« zahlreiche einschlägige Pro-
jecte, *) die aber allesammt vor der im
Jahre 1870 und seitdem noch wiederholt
eingetretenen Concessionswerbung der
Donauregulirungs - Gommission zurück-
wichen. Diese wollte eine vom Sporne
bei Nussdorf zu den Uferbahnhöfen der
Wiener Bahnen sowie zu den Anlagen
der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft
und bis zum Winterhafen oberhalb der
neuen Mündung des Donaucanales füh-
rende, doppelgeleisige Bahn erbauen und
die bezüglichen Kosten aus dem Erlöse
der durch die Donauregulirung gewon-
nenen Grundflächen decken.
Der Ausbruch der wirthschaftlichen
Krisis machte aber den Verkauf der
»Donaugründe« unmöglich und nachdem
ihr andere Geldmittel zum Bahnbaue
mangelten, musste auch die Donauregu-
lirungs-Commission die Bewerbung um
*) Im Jahre 1867 plante das Consortium
des Grafen Hugo Henckel-Donnersmark eine
»Wiener Gürtelbahn«, welche auch die in
Wien einmündenden Bahnen mit dem pro-
jectirten Donauhafen verbinden sollte; im
Jahre 1869 projectirten : der Fürst Ernst
Windischgrätz und Genossen ein »Central-
Eisenbahnnetz in Wien und Umgebung«,
dann die Wiener Bank in Gemeinschaft mit
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, ?. Theil.
dem Baurathe Karl Schwarz »Eisenbahnen
in und um Wien«. Diese Projecte hatten,
gleich dem damals auch vom Grafen Kasimir
VVlodecki aufgestellten, nebst anderen Ver-
bindungen auch diejenige der Wiener Bahn-
höfe und Landungsplätze zum Zwecke. Im
Jahre 1872 kamen noch andere derlei Projecte
dazu, so von Seite des Wiener Bankvereins,
der Gesellschaft für Industrie-, Forst- und
Montanbahnen u. m. A.
16
242
Ignaz Konta
die Concession aufgeben. Statt der letzteren
erbat sie sodann die Ausführung der
Donauuferbahn auf Staatskosten, welche
Bitte vom Lande Niederösterreich und
der Stadt Wien, als den neben dem
Staate noch an der Donauregulirung be-
theiligten Curien, lebhaft unterstützt
wurde.
Die Regierung nahm sich darum
wärmstens des Projectes an, meinte jedoch,
dasselbe, weil die Kaiserin Elisabeth-Bahn
bereits eine Verbindung zur Donau [bei
Albern] besass, auf eine eingeleisige,
schon bei der Stadlauer Brücke der
Staatseisenbahn - Gesellschaft endigende
Linie beschränken, hingegen eine Fort-
setzung der Wiener Verbindungsbahn
vom Nordbahnhofe zur Nordwestbahn
und zu den Geleisen der Kaiser Franz
Josef- Bahn in Nussdorf in Anregung
bringen zu sollen. Hienach würden die
von der Donauregulirungs - Commission
mit 500.000 fl. veranschlagten Kosten
der Donauuferbahn sich auf 230.OOO fl.
verringert und die Ergänzung der Wiener
Verbindungsbahn einen Aufwand von
970.000 fl. erfordert haben.
In dieser Anordnung war also das
Project in die am 29. October 1875 vor
den Reichsrath gelangte Gesetzesvorlage
über den »Bau neuer Eisenbahnlinien
auf Staatskosten und die Eröffnung von
Special crediten für das Jahr 1876«, und
zwar an oberster Stelle aufgenommen
worden. Der Budgetausschuss des Abge-
ordnetenhauses, welcher bald darauf mit
der Regierung übereingekommen war,
für die einzelnen in der Vorlage ange-
führten Bahnen und Credite Special-
gesetze zu schaffen, brachte dieses Ver-
fahren gleich bei der Donauuferbahn in
Anwendung, liess jedoch die Fortsetzung
der Wiener Verbindungsbahn vorläufig
fallen, empfahl dafür die doppelgeleisige
Anlage der Donauuferbahn vom Nuss-
dorfer Sporn bis zur Stadlauer Brücke
sowie die Herstellung einer im Oberbaue
vorerst eingeleisigen Verbindung der
Kaiser Franz Josef-Bahn [von Nussdorf
aus] mit der Donauuferbahn und — zu
Zwecken dieser beiläufig 1,004.000 fl.
erfordernden Bauten — schon pro 1876
die Eröffnung eines Credites von 600.000 fl.
Das Abgeordnetenhaus nahm diese Vor- |
schlage an [10. Februar 1876], die, nach
Zustimmung auch des Herrenhauses, am
11. März 1876 die a. h. Sanction zum
Gesetze erhielten.
Nun fertigte die k. k. Direction für
Staatseisenbahn - Bauten mit aller Be-
schleunigung die Detailpläne an, so
zwar, dass der Bau der 4^3 km langen
Strecke vom Quai-Bahnhof der Nordbahn
bis zur Stadlauer Brücke bereits am
23. August 1876 begonnen werden konnte.
Derselbe war an den Unternehmer Josef
Urban vergeben und binnen sieben
Wochen vollendet worden. Die Eröffnung
dieser Strecke fand am 26. October 1876
statt.
Den Betrieb übernahm damals, zu-
folge eines am 12. October 1876 einge-
gangenen Vertrages, die Kaiser Ferdi-
nands-Nordbahn gegen ein Pauschale
von 6000 fl. jährlich für den Stations-
dienst und Vergütung ihrer übrigen
Leistungen nach den wirklich aufge-
laufenen Kosten.
Die 4 km lange Fortsetzungsstrecke
vom Quai-Bahnhof der Nordbahn bis zur
Station Nussdorf konnte wegen ver-
schiedener Strittigkeiten erst im Sommer
1877 in Angriff genommen werden. Sie
wurde von der Unternehmung Redlich &
Berger innerhalb elf Monaten fertigge-
stellt und am 24. August 1878 dem
Betriebe übergeben.
Fast unmittelbar danach kündigte das
Handelsministerium den Betriebsvertrag
mit der Kaiser Ferdinands-Nordbahn und
betraute ab I. Januar 1879 die kurz vorher
errichtete Verwaltung der k. k. nieder-
österreichischen Staatsbahnen mit der
Betriebsführung. Den Zugförderungsdienst
versah von diesem Zeitpunkte an die
Staatseisenbahn-Gesellschaft.
Mannigfache Einschränkungen der
Bahnanlagen, insbesonders die mit a. h.
EntSchliessung vom II. August 1876
genehmigte einstweilige Weglassung des
zweiten Geleises und Erleichterungen be-
züglich der Sicherheits- Vorkehrungen, ver-
ringerten die Baukosten um fast 300.000 fl.
Dieses Ersparnis diente später zur weiteren
Fortsetzung der Donauuferbahn von der
Stadlauerbrücke bis zur Donaulände-Bahn
der Kaiserin Elisabeth-Bahn bei Kaiser-
Ebersdorf.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
243
Die Donauuferbahn zweigt am süd-
lichen Ende der Station Nussdorf in einem
Bogen von 183 in Radius ab, erreicht nach
einer kurzen Steigung von 8°/0o auf der
Donaucanal - Brücke [89 m Stützweite] die
Höhe von 9 tu über dem örtlichen Xullwasser-
stand, übersetzt auf der in einem Winkel
von 400 schief gelegten Brücke den Donau-
canal und geht sodann mit einem Gefälle
von 12 '/j bis 8°/00 bis zum Donau-Quai. Im
weiteren Verlaufe zieht die Bahn in einer
Entfernung von 673 m von der Uferkante
den Donau-Quai entlang und findet im
Quai-Bahnhof" der Nord bahn an diese und
an der Stadlauerbrücke an die Staats-
eisenbahn Anschluss. [Abb. 117.]
Zwar nicht durch die schon wieder-
holt erwähnte grosse Gesetzesvorlage
selbst, doch aber aus Anlass derselben
wurde noch die sogenannte »Pontebba-
Bahn« Tarvis-Pontafel ins Dasein
gerufen. Der Handelsminister v.Chlumecky
hob in der bedeutungsvollen Rede, mit
welcher er am 29. Octöber 1875 jene Vor-
lage mündlich einbegleitete, ausdrücklich
hervor, dass die genannte Verbindungs-
linie nur darum keine Aufnahme in den
Gesetzentwurf gefunden, weil die Aus-
führung der . italienischen Anknüpfungs-
strecke sehr im Rückstande und daher
der Anschluss in Pontafel noch nicht
sobald zu gewärtigen war, dass jedoch
die Regierung für die rechtzeitige Her-
stellung der österreichischen Strecke sor-
gen wolle, wenn die Vorkehrungen auf
der italienischen Seite gestatten werden,
rücksichtlich der Bewerkstelligung des
Anschlusses mit einem bestimmten Zeit-
punkte zu rechnen. Das Abgeordneten-
haus erachtete jedoch diesen Termin
schon als gekommen, da gelegentlich
der Eröffnung der Theilstrecke Udine-
Ospedaletto [16. November 1875] die
Vollendung der übrigen Strecken von
Seite der italienischen Regierung für
Ende 1877 in Aussicht gestellt wurde.
Es verlangte daher in dringendster
Weise die »Erschliessung des alten Ver-
kehrsweges nach Italien«, und die
Regierung entsprach nunmehr diesem
Wunsche.
Die Vorgeschichte der Pontebba-Bahn
reicht weit zurück und hat bemerkens-
werthe Momente aufzuweisen. Ursprüng-
lich war eine von Villach zum Anschlüsse
an die Linie Verona-Triest führende
Eisenbahn, als Flügel der am 9. Januar
1875 concessionirten »Kärntner Bahn«,
vorgesehen. Nach der am 23. September
1858 erfolgten Zurücklegung dieser Con-
cession und nachdem in der am selben
Tage ertheiltenConcession für die Südbahn
blos die Linie Marburg- Villach Aufnahme
fand, hatte es auch von der südlichen
Fortsetzung jener Linie dauernd sein
Abkommen, wiewohl in Kärnten und in
Triest die Bestrebungen um dieselbe
eigentlich nicht mehr aufhörten. Freilich
blieben sie nicht lange einheitliche. Bis
zum Jahre 1864, und insbesondere noch
zur Zeit der Projectirung der Kronprinz
Rudolf-Bahn, traten, gleich den Handels-
kammern von Steiermark, Kärnten etc.,
auch jene von Triest und Görz für die
Linie Haag - Leoben - Villach - Udine ein,
nachher aber setzten sie dem Projecte
Villach-Tarvis-Udine jenes der »Predil-
Bahn« Villach-Görz entgegen. Die Con-
cession für die Kronprinz Rudolf- Bahn
nahm insoferne auf das erstere Project
Bedacht, als sie [§ 2] die Concessionäre
verpflichtete, auf Verlangen und nach
Abb. 117. Brücke der Donauuferbahn über den Donaucanal bei Nussdorf.
16*
244
Ignaz Konta.
Wahl der Staatsverwaltung auch eine
von Villach nach Triest oder einem ande-
ren Küstenpunkte, mit Einschluss einer
Linie bis zur Reichsgrenze in der Rich-
tung gegen Udine, führende Eisenbahn
herzustellen.
Im Schlussprotokolle zu dem am
23. April 1867 zwischen Oesterreich
und Italien abgeschlossenen Handels-
und Schiffahrts -Vertrage hatten die bei-
derseitigen Regierungen, in theilweiser
Ausführung der Bestimmungen [Art. XIII]
des Friedenstractat.es vom 3. October
1866, sich gegenseitig verpflichtet, »den
Bau derjenigen Eisenbahnstrecken zur
directen Verbindung der österreichischen
mit den italienischen Eisenbahnlinien
zu begünstigen und zu concessioniren,
welche von einer der beiden Mächte bis
zur Grenze bei Primolano auf der einen
und bis zur Grenze Friauls bei Pontebba
auf der anderen Seite concessionirt oder
gebaut würden ...... Mit der Her-
stellung der Strecke Tarvis-Pontafel war
also fortan auch die Erfüllung einer
völkerrechtlichen Verpflichtung verbunden.
Der Ausbau der italienischen Linie Hess
jedoch lange auf sich warten. Vorerst
der Allgemeinen Römischen Bank zuge-
dacht, wurde dieselbe dann der Ober-
italienischen Eisenbahn-Gesellschaft con-
cessionirt, welche im October 1873 die
Arbeiten in der Theilstrecke Udine-
Tricesimo begonnen, aber wenig be-
schleunigt hatte, was nun — wie gesagt
— der österreichischen Regierung Ver-
anlassung bot, mit der Sicherstellung des
Baues von Tarvis nach Pontafel, den sie,
wenn nicht anders, so doch jeden Augen-
blick durch die Kronprinz Rudolf-Bahn
[s. o.] bewirken konnte, immerfort zuzu-
warten.
Währenddessen drängten die Alpen-
länder immer ungestümer nach Verwirk-
lichung des alten Projectes, und stemmten
sich die Anhänger der Predil-Bahn gegen
dasselbe. Die Gegensätze steigerten sich
bis zum offenen Streite, welchen zu 'ent-
scheiden der Reichsrath wiederholt durch
Petitionen angerufen wurde [1868, 1872
und 1874]. Die Regierung selbst schien
der Predillinie den Vorzug zu geben ;
denn mit Ausnahme des binnen Kurzem
wieder zurückgezogenen Gesetzentwurfes
vom 13. März 1869 [s. S. 20], der
auch eine Verbindung der in Villach
zusammentreffenden Bahnen mit dem
Meere und den venetianischen Eisen-
bahnlinien vorgesehen hatte, handelten
alle späteren einschlägigen Vorlagen
[3. März 1870, 22. März 1872 und
29. October 1875] nur von der Predil-
linie. Dadurch gerieth sie aber in Wider-
spruch mit den Anschauungen des Reichs-
rath es.
Im Jahre 1874 hatte der Eisenbahn-
Ausschuss, anlässlich der Berathung der
an das Abgeordnetenhaus gelangten
Petitionen um den Bau der Strecke
Tarvis-Pontebba, sich zu Gunsten dieser
Begehren entschieden und eine Resolution
beantragt, durch welche die Regierung
aufgefordert wurde, wegen des An-
schlusses der beiderseitigen Bahnlinien
ungesäumt Verhandlungen mit der ita-
lienischen Regierung zu pflegen, und
sodann zur Sicherstellung des Ausbaues
der Kronprinz Rudolf-Bahn von Tarvis
bis Pontafel noch im Laufe der Session
1874/75 Vorlagen einzubringen, damit die
Inbetriebsetzung dieser Strecke gleich-
zeitig mit jener der italienischen Linie
Udine-Pontebba erfolgen könne. Das
Abgeordnetenhaus berieth hierüber am
25. und 27. Januar 1875 und nahm, nach
einer heftigen Auseinandersetzung mit
den in kleiner Minderheit gewesenen
Vertheidigern des Predil, die Resolution
an, nur ohne die Worte: »noch im Laufe
der Session 1874/75.« Eine ähnliche,
allerdings beide Verbindungen betreffende
Resolution wurde am 24. Februar 1875
auch vom Herrenhause gefasst.
Als nun die Gesetzesvorlage vom
29. October J875, mit welcher die Re-
gierung zahlreiche neue Linien sicher-
stellen wollte, abermals die Pontebba-
Bahn nicht umfässte, brachte dies im
Abgeordnetenhause eine merkliche Ver-
stimmung hervor, welche, troti der oben
erwähnten mündlichen Darlegungen des
Handelsministers, dazu führte, dass das-
selbe am 1 1. Januar 1876 eine im Budget-
Ausschusse beantragte und von dem
Specialberichterstatter [als welcher damals
der Führer der Majorität, Dr. Herbst,
fungirtej in gereizten Worten begründete,
neuerliche Resolution annahm, mittels
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
245
deren die Regierung angegangen wurde,
den Gesetzentwurf über die Sicherstellung
der Strecke Tarvis-Pontafel jedenfalls
noch im Laufe der Wintersession zur
verfassungsmässigen Behandlung zu
bringen. Diesmal setzte das Parlament
seinen »einmüthig kundgegebenen Willen«
durch.
Bereits am 25. Januar 1876 gelangte
eine Gesetzesvorlage vor das Abge-
Triest, aufforderte. In letzterer Beziehung
hatten die Bemühungen der Regierung
den gewünschten Erfolg ; *) in die Her-
stellung einer gemeinsamen Wechsel-
station auf österreichischem Gebiete
wollte die italienische Regierung nicht
willigen, weshalb sowohl in Pontafel als
auch in Pontebba je ein Grenzbahnhof
angelegt wurde.
Die Vergebung des Baues geschah
Abb. 118. Malborgeth. [Tarvis-Pontafel.]
ordnetenhaus, welche den Bau der Strecke
Tarvis-Reichsgrenze und die Bewilligung
eines Specialcredites von 400.000 fl. pro
1876 bezweckte. Sie wurde, unter Ver-
dopplung derCreditsumme, am 22. Februar
1876 erledigt und, da auch das Herren-
haus nicht mit der Zustimmung zögerte,
am 12. März 1876 a. h. sanctionirt. Zu-
gleich mit dem Gesetze nahm der Reichs-
rath auch zwei Resolutionen an, deren
eine darauf abzielte, dass der Grenz-
bahnhof auf österreichischem Gebiete er-
richtet werden möge, während die zweite
die Regierung zur Erwirkung aller zu-
lässigen Erleichterungen des Durchzugs-
verkehres, insbesondere von und nach
im Wege der Offertverhandlung vom
4. April 1877, an der sich nicht weniger
als 41 Unternehmer betheiligten. Ersteher
desselben blieb das Consortium Fischer,
Kranz & Kurz mit einem Preisnachlasse
von 25-5°/0, welcher ebenso wie die grosse
Zahl der Bewerber um einen so kleinen
Bahnbau [24-7 km] das treue, aber keines-
wegs erfreuliche Spiegelbild der damaligen
wirtschaftlichen Verhältnisse bot. Die
sogleich in Angriff genommenen Arbeiten
machten rasche Fortschritte, so zwar, dass
*) Vgl. Art. 19 derUebereinkunft zwischen
Oesterreich-Ungam und Italien vom 2. Octo-
berl879, betreffend die Eisenbahn-Anschlüsse
bei Cormons, Ala und Pontafel.
246
Ignaz Konta.
die Eröffnung der Bahn für Ende Juli
1879 in Aussicht genommen war. Kärnten
harrte mit Sehnsucht dieses Augenblickes ;
denn dort lagen schon grosse Gütermengen
zur Verfrachtung auf der neuen Verkehrs-
route bereit.
Das Land musste sich aber noch weiter
gedulden, da dieVerhandlungen mit Italien,
welche alle drei österreichisch-italienischen
Eisenbahn-Anschlüsse zum Gegenstande
hatten, sich hinzogen, und die Regierung
dem Ansuchen der kärntnerischen Handels-
kammer, dass die österreichische Strecke,
ohne Rücksicht auf die internationalen
Verhandlungen, dem Betriebe übergeben
werden möge, nicht leicht willfahren
konnte. Wie sehr übrigens die Regierung
sich angelegen sein Hess, die Verhand-
lungen mit Italien zu beschleunigen,
erhellt daraus, dass deren Zuendeführung
dem Handelsminister v. Chlumecky auch
nach seinem Rücktritte [s. w. u.] anver-
traut blieb, »damit nicht durch den Per-
sonenwechsel eine Störung oder weitere
Verzögerung eintrete«. In der That ge-
lang es den Bemühungen dieses Staats-
mannes, die »Uebereinkunft, betreffend
die Eisenbahn-Anschlüsse bei Cormons,
Ala und Pontafel«, am 2. October 1879
zum Abschlüsse zu bringen, worauf dann
am II. October die 247 km lange Bahn
für den localen und am 30. October 1879
auch für den internationalen Verkehr
eröffnet wurde.
Den Betrieb führte, auf Grund des
mit ihr schon am 5. März 1879 abge-
schlossenen Vertrages, die Kronprinz
Rudolf-Bahn, die sich aber dessen nicht
lange zu erfreuen hatte, da auch ihre
eigenen Linien am I. Januar 1880 in den
Staatsbetrieb übergingen.
Die Anlagekosten der Strecke Tarvis-
Pontafel-Reichsgrenze haben im Ganzen
3,565.3256". oder pro Kilometer 144.135 fl.
betragen.
Die Linie Tarvis-Pontafel führt,
indem sie bis an ihren Endpunkt immer die
westliehe Richtung verfolgt, zunächst auf
starken, meist hohen Stützmauern an steile
Berglehnen angebaut, an der Ortschaft Unter-
Tarvis vorüber zur Haltestelle Ober-Tarvis,
dann aber auf das andere Ufer des Bartolo-
baches übergehend zur Station Saifnitz em-
por, die auf der 805 in über der Meeresfläche
liegenden Wasserscheide zwischen dem
Adriatischen und dem Schwarzen Meere ge-
legen ist. Hinter Saifnitz gewinnt die Bahn
mittels eines starken Bogens und in steter
Steigung die Berglehne, überbrückt den
Fuchsgraben und zieht sodann im Gefälle
theils an der Lehne, theils in der Thalsohle
längs des Fellaflusses zur Station Uggowitz,
ausserhalb welcher der Ugwabach und der
Fellafluss übersetzt wird. Entlang dieses
rasch zur Adria eilenden Flusses im steten
Gefälle gelangt die Bahn in die Haltestelle
Malborgeth, die gegenüber der kleinen
Grenzfeste gleichen Namens angelegt ist.
Nach dem Verlassen dieses Punktes wird
der Ranegraben und vor Lussnitz der Gra-
nudabach überbrückt. Nachdem die Trace
nunmehr stets dem rechten Ufer des Fella-
flusses sich anschmiegt und einen starken
Schuttkegel durchbricht [gewölbter Einschnitt
von 38-2 in Länge], erreicht sie die stattliche
Anlage der Endstation Pontafel. Die bei-
läufig I Hectometer lange Theilstrecke
von der Ausmündung aus dem Bahnhofe
Pontafel bis zu der in der Mitte des Ponte-
banaflusses liegenden Reichsgrenze ist doppel-
geleisig ausgeführt. Die Brücke über diesen
Fluss [Eisenconstruction von 33 in lichter
Weite, doppelgeleisig] fällt zur einen Hälfte
auf österreichisches, zur anderen Hälfte auf
italienisches Gebiet. [Abb. 118 u. 119.]
Diese Strecke war [abgesehen von
winzigen Ergänzungen] auf geraume Zeit
hinaus die letzte dem österreichischen
Schienennetze zugewachsene »Haupt-
bahn«. Alle sonstigen Linien, welche in
dem hier behandelten Zeitabschnitte noch
geschaffen wurden, gehörenden »Local-
b ahnen« an, die jetzt in den Vorder-
grund zu rücken begannen und späterhin
eine Hauptrolle in der Vervollständigung
unseres Bahnnetzes übernahmen.
Oesterreich folgte hierin dem Beispiele
Ungarns, welches — zurückgreifend auf
die von seinem Landes - Culturvereine
schon früher gegebenen Anregungen
und unterstützt von der Staatseisenbahn-
Gesellschaft — bereits im Jahre 1870
»Secundärbahnen« zu schaffen begonnen
und damit auf dem Continente blos
Frankreich voraus hatte. Will man
jedoch die »Erste österreichische Eisen-
bahn« [Budweis-Linz-Gmunden] und die
ehemalige Prag-Lanaer Pferdebahn blos
als Nebenbahnen in derzeitigem Sinne
betrachten, dann besitzt Oesterreich
auch hinsichtlich solcher Anlagen die
Priorität.
Publicistisch war hier der General-
Inspector [nachmals General-Director]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
247
Abb. 119. Pontafel.
der Südbahn, Friedrich Schüler, zuerst
für dieselben eingetreten, indem er in
seiner Broschüre »Ueber die Erbauung
von Localbahnen in Oesterreich« [Wien,
1867] die Notwendigkeit des Baues
solcher Bahnen darlegte, »welche in die
eigentlichen Werkstätten der Production
eindringen, den bereits bestehenden
Eisenbahnlinien [manchmal auch Flüssen
und Canälen] die Erzeugnisse und Pro-
ducte einzelner Länderstrecken zuführen
und Rohstoffe herbeischaffen oder um-
gekehrte.
Es währte auch gar nicht lange,
dass diese Frage Actualität gewann.
Altbewährte Bauunternehmer [Gebrüder
Klein, Karl Schwarz u. A.] nahmen
Stellung zu derselben und in der Maien-
zeit der Gründungsära entstanden ver-
schiedene neue Unternehmungen, die sich
— wie z. B. die »Vicinalbahn-Gesell-
schaft«, die »Gesellschaft für öster-
reichische Verbindungsbahnen«, die »In-
dustrie-, Forst- und Montanbahn-Gesell-
schaft« u. A. — die Pflege des Local-
bahnwesens zur Aufgabe machten. Die
letztgenannte Gesellschaft wollte sich
insbesonders mit schmalspurigen Bahnen
befassen, die schon damals Fürsprecher
gefunden, darunter den technischen Con-
sulenten des Handelsministeriums, Wil-
helm von Nördling,*) und auch bereits
unter den vielen, in jener Zeit zahl-
reich aufgetauchten Projecten für Local-
verbindungen in und um Wien ver-
treten waren.
Im Reichsrathe kam die Frage —
nachdem die Vorlage über die »Sicher-
stellung von den Localverkehr in Wien
und Umgebung vermittelnden Eisen-
bahnen« [April 1873] unerledigt geblie-
ben — erst im Jahre 1874 anlässlich
der Berathung des Gesetzes über die
Sicherstellung der Leobersdorf-St. Pöltener
und der Dalmatiner Bahn eingehender
zur Erörterung.
Unmittelbar zur Schaffung von Bahnen
minderer Ordnung führte — abgesehen
von dem Gesetze über die Elbogener
Secundärbahn [28. März 1875], die je-
doch erst im Jahre 1877 wirklich con-
*) Siehe dessen »Stimmen über schmal-
spurige Eisenbahnen«, Wien, 1871.
248
Ignaz Konta.
cessionirt wurde — die grosse Gesetzes-
vorlage vom 29. October 1875, durch
welche diese bis dahin sehr verschieden
benannten Verkehrswege die Bezeichnung
»Localbahnen« erhielten.
Da die umfassende Schilderung des
gesammten Localbahnwesens und seines
Entwicklungsganges einem eigenen Ca-
pitel vorbehalten ist,*) dürfen wir uns
hier mit den vorstehenden Bemerkungen
begnügen, wie auch weiterhin auf die
blosse Registrirung der jeweils zu-
stande gekommenen Localbahnen und
der auf sie Bezug habenden Daten
allgemein eisenbahngeschichtlicher Natur
beschränken.
Demnach kommt an dieser Stelle
nur noch zu verzeichnen, dass im Jahre
1876, auf Grund der Gesetze vom 12. und
13. März 1876, folgende Linien als
eigentliche Localbahnen zur Ausführung
auf Staatskosten sichergestellt wurden:
Benennung
Länge!
km
Eröffnungs-Datum
Anmerkung
Kriegsdorf- Römerstadt
Erbersdorf- Würbenthai
Mürzzuschlag-Neuberg
Unter-Drauburg- Wolfsberg
13-8
20-5
12-3
38-0
84-6
15. October 1878
5. December 1880
1. December 1879
4. October 1879
ursprünglich an die Mäh-
risch -schlesische Central-
bahn concessionirt gewesen
ursprünglich in der Conces-
sion für die Linie St. Pölten-
Mürzzuschlaginbegriffen ge-
wesen
Mit Einrechnung dieser Linien und bei
Ausserachtlassung aller hinfällig gewor-
denen Concessionen, gelangten während
des Zeitabschnittes, dem unser Rückblick
bisher gegolten hat, nicht weniger als
[die im Vorangehenden ausführlich be-
sprochenen] siebzig Bahnen in der
Gesammtlänge von rund 7000 km
zur Sicherstellung, beziehungsweise Aus-
führung, und es gewann hiedurch das
österreichische Eisenbahnnetz fast eine
Verdreifachung seines Standes
vom Jahre 1866.
*) Siehe Bd. I, 2.
calbahnen.
Theil, C. Wurmb, Lo-
Das ist eine mächtige und bleibende
Errungenschaft. Schon ihrethalben, nicht
minder aber auch wegen der Mühen und
Kämpfe, die sie gekostet, wegen der
lehrreichen Begleiterscheinungen sowohl
des grossartigen Aufstieges, als wie des
ihm nachgefolgten heftigen Rückschlages
und insbesonders auch wegen der mannig-
fachen Neuerungen und Verbesserungen,
welche es unserem Eisenbahnwesen ge-
bracht hat — darf das Decennium
1867 — 1876 stets einen hervor-
ragenden Platz in der österreichi-
schen Eisenbahn-Geschichte be-
anspruchen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
249
II.
Decennium 1877 — 1886.
Der Tiefstand, auf welchen die Ent-
wicklung des österreichischen Eisenbahn-
wesens seit dem Jahre 1873 zurück-
gegangen war, blieb leider ein anhaltender.
Die Nachwirkungen der wirtschaftlichen
Krisis äusserten sich wohl nicht mehr
in acuten Bedrohnissen der einzelnen
Unternehmungen ; denn was schwer krank
gewesen — war entweder schon vom
Schicksale ereilt oder mühselig so weit
gestützt, dass es noch halbwegs fort-
bestehen konnte ; was aber nur von
einer vorübergehenden, sei es wirklichen,
sei es angedichteten Kränklichkeit oder
Schwäche befallen gewesen , hatte in-
zwischen Zeit gefunden, allmählich von
innen heraus zu gesunden und zu erstarken.
Chronische Folgeübel machten sich je-
doch noch fortgesetzt geltend. Das Ver-
trauen wollte nicht zurückkehren, die
Unternehmungslust nicht wieder er-
wachen.
Darunter litt natürlich zuerst und im
erheblichsten Masse die Vervollständi-
gung des Bahnnetzes; private Unter-
nehmer meldeten sich nicht und hinsicht-
lich des Baues auf Staatskosten begeg-
nete die Regierung auf Schritt und Tritt
der Zurückhaltung des Parlamentes, ins-
besonders gegenüber den »grossen Pro-
blemen«.
Auch die programmatische Gesetzes-
vorlage vom 29. Octoberi875 [siehe Seite
222] blieb bis auf einzelne aus demProjecte
losgelöste kleine Bruchstücke ohne Ergeb-
nis, so zwar, dass die Regierung, welche
nicht mehr hoffen konnte, die mit dieser
Vorlage angestrebten grossen Ziele zu
erreichen, dieselbe am 10. Januar 1877
ganz zurückzog.
Hiedurch entstand aber in Betreff
des Ausbaues unserer Schienenstrassen
nochmals eine grosse Leere, infolge deren
die Sicherstellung neuer Linie nun wieder
jahrelang fast gänzlich ruhte.
Zu den wesentlichsten Ursachen der
Vertrauenslosigkeit zählte auch nach wie
vor die Erschlaffung des Eisenbahn-Cre-
dites, welche wieder zum nicht geringen
Theile auf die von der Regierung bislang
versagte Deckung der Betriebsdeficite
garantirter Bahnen zurückgeführt wurde.
Diese Frage war bekanntlich eine strittige.
Regierung und Parlament verneinten jeg-
liche Verpflichtung des Staates für die
Betriebskosten - Abgänge aufzukommen,
während die Oeffentlichkeit eine völlig
entgegengesetzte Meinung vertrat [siehe
Seite 213].
Weil die rechtliche Seite der Ange-
legenheit, vermöge des Wortlautes der
bezüglichen Concessions-Urkunden, denn
doch nicht als eine ganz unzweifelhafte
erschien, unternahm der um die Auf-
richtung und Fortentwicklung des Eisen-
bahnwesens rastlos bemühte Handels-
minister v. Chlumecky auch die
Schlichtung dieser Frage. Dabei wollte
er jedoch der Regierung, für das Auf-
geben ihres bisherigen Standpunktes,
einen erhöhten Einfluss auf die betreffen-
den Bahnen sowie überhaupt neue, weit-
reichende Befugnisse zum Schutze des
garantirten Staatsschatzes verschaffen.
Der Handelsminister hatte am 10. De-
cember 1876 dem Abgeordnetenhause
einen Gesetzentwurf vorgelegt, dessen
Wortlaut — kurz zusammengefasst —
Folgendes besagte : Die Regierung wird
ermächtigt, den garantirten Bahnen
Vorschüsse zur Deckung etwaiger Be-
triebsdeficite zu gewähren [Artikel I];
mit der Zusicherung oder Leistung sol-
cher Vorschüsse erwirbt sie aber das
Recht, den Betrieb der betreffenden
Bahnen bis zur erfolgten Rückzahlung
jener Vorschüsse, ganz oder theilweise
selbst zu übernehmen oder von einer
anderen Unternehmung besorgen zu lassen
[Artikel II] ; wenn Bahnen mindestens
fünf Jahre hindurch mehr als die Hälfte
der Staatsgarantie in Anspruch nehmen
oder aus diesem Titel eine Summe
schuldig geworden sind, welche minde-
stens 5o°/0 vom Nennwerthe des garan-
tirten Actiencapitals erreicht, ist die
Staatsverwaltung berechtigt, den Betrieb
dieser Bahnen an sich zu nehmen
250
Ignaz Konta.
und bis zur erfolgten Rückzahlung
mindestens der Hafte der Garantieschuld
zu behalten [Artikel IV] ; Bahnen, welche
den Staatsschatz durch fortgesetzte In-
anspruchnahme von Garantie- Vorschüssen
erheblich belasten oder deren finanzielle
Lage dringend einer Regelung bedarf, kann
der Staat erwerben, in welchem Falle er
die gesammte Prioritätsschuld zu seinen
Lasten zu übernehmen und den übrigen
vereinbarten Kaufschilling in 4°/oigen tilg-
baren Eisenbahn-Schuldverschreibungen
zu entrichten haben würde [Artikel V].
Wer etwa aus dem blossen Texte
des Gesetzentwurfes sich der Bedeutung
desselben nicht bewusst geworden, der
konnte aus dem umfassenden Motiven-
berichte, gleichwie aus der nach Form
und Inhalt vortrefflichen Rede, mit wel-.
eher der Handelsminister auch diese Vor-
lage einbegleitete, vollste Klarheit ge-
winnen.
Es handelte sich um nichts Gerin-
geres, als um die Schaffung ganz neuer
Grundlagen für die Ordnung und künf-
tige Gestaltung des Eisenbahnwesens.
Die Garantieschuld der Bahnen an den
Staat hatte- im Jahre 1876 schon die
Höhe von 100,000.000 fl. überschritten
und die Erfordernisse aus diesem Titel
drohten den Staatshaushalt immer mehr
zu überbürden. *) Dem vorzubeugen
waren jedoch die Gerechtsame, welche der
Staatsverwaltung gegenüber den garan-
tirten Bahnen bis nun zugestanden, unzu-
reichende. Ausgehend von der Ueber-
zeugung, dass garantirte Unternehmungen,
deren Erträgnisse hinter den Ausgaben weit
zurückstehen oder welche tief verschuldet
sind, kein Interesse mehr an der Ver-
besserung ihrer wirthschaftlichen Lage
nehmen, sondern nur auf Gefahr und
Kosten des Staates arbeiten, erachtete
die Regierung es für nothwendig, die
Selbständigkeit solcher Bahnen aufzu-
heben oder dieselben völlig zu erwerben.
Daraus musste sich aber ganz von selbst
eine Neuordnung ergeben und der Han-
delsminister durfte mit gutem Rechte ver-
künden, dass die legislative Genehmigung
*) Siehe den Motivenbericht [Nr.589 der Bei-
lagen zum stenographischen Protokolle der
VIII. Session] und die ihm beigegebenen Ta-
bellen.
dieser Massnahmen »einen Wende-
punkt auf dem Gebiete der Eisen-
bahn-Politik« herbeiführen würde.
Die Tendenz und Fassung der Vor-
lage blieb indes nicht unangefochten.
Man nannte sie »Sequestrations-Gesetz« ;
| man warf ihr vor, dass sie sich über
; die Constitutiv-Urkunden der garantirten
Bahnen hinwegsetzen und in die wohl-
j erworbenen Rechte derselben »gewalt-
| sam eingreifen wolle, daher nur neue
I Missstäride und Wirren zur Folge haben
j müsse ; und gar manche Streitschrift sol-
chen Inhaltes wurde [auch vom Ausland
her] gegen sie ins Feld geschickt, so —
um nur eine der rückhaltslosesten zu
: nennen — • die im Januar 1877 bei
L. C. Zamarski in Wien herausgegebene,
: welche »die Ansichten eines patriotischen
Fachmannes, der die ganze Geschichte
i der österreichischen Eisenbahnen seit
i ihrem Entstehen mitgemacht hat«, zum
| Ausdrucke brachte.
Der Reichsrath stand jedoch diesmal
in überwiegender Mehrheit ganz auf
Seite der Regierung. Dies zeigte sich
zunächst im Eisenbahn-Ausschusse. Der-
selbe hatte zwar die Vorlage »ins Mil-
dere amendirt«, indem er die Zulässig-
keit der Sequestration für den Fall der
Ueberschuldung [50% des Actiencapi-
tals] ausschloss und die Bedingungen,
unter welchen das von der Regierung
sonst noch vorgesehene Sequestrations-
recht wieder erlöschen sollte, ermässigt
[statt fünf nur drei Jahre der Nichtinan-
spruchnahme des Staatsschatzes] — im
Uebrigen aber die in dem Gesetzent-
wurfe aufgestellten Grundsätze, ausge-
nommen die Uebertragung des Betriebes
an eine andere Privatbahn, gutgeheissen
hatte, und es geradezu als eine Pflicht der
finanziellen Selbsterhaltung bezeichnet,
wenn der Staat seine Hoheitsrechte in
strammere Ausübung bringe. Sodann
trat der Berichterstatter jenes Ausschusses,
Dr. Russ, wie in seinem mit grosser
Sachkenntnis verfassten und mit reichem
Ziffernmateriale ausgestatteten schrift-
lichen Berichte, auch bei den am 5. Juni
1877 begonnenen Berathungen des Ab-
geordnetenhauses mit aller Wärme für
die Vorlage ein. Den Anträgen des
Ausschusses traten alsbald viele Abge-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
251
a 5
I S
252
Ignaz Konta.
ordnete bei, einige jedoch auch entgegen.
Diese letzteren bezeichneten die Gesetzes-
vorlage als einen bedenklichen Versuch und
als einen unberechtigten Bruch mit dem an
sich richtigen, jedoch schlecht angewen-
deten Garantie-Systeme. Ihnen antwor-
tete mit durchschlagendem Erfolge der
Handelsminister und , nachdem noch
Minister Dr. Josef Unger den Rechts-
standpunkt entwickelt hatte, gelangte der
Entwurf, dessen Berathung vier Sitzungen
hindurch dauerte, am 15. Juni 1877 in
zweiter und sogleich auch in dritter
Lesung zur Annahme. Wegen einiger,
zumeist nur formaler Aenderungen, wel-
che er im Herrenhause erfahren, musste
er jedoch nochmals an das Abgeordneten-
haus geleitet werden, das ihn nun am
14. December 1877 endgiltig erledigte;
zehn Tage später erhielt er die a. h.
Sanction als »Gesetz, die garantir-
ten Bahnen betreffend.«*)
Am 14. December 1877 wurde also
die Fahne der Eisenbahn-Ver-
staatlichung zum zweiten Male
in Oesterreich entrollt; bis zur
Umsetzung des Programms in die That
verstrich aber noch geraume Zeit, und
die Regierung, unter welcher es geschaffen
ward, hatte an der Anwendung des neuen
Gesetzes kein Theil mehr. Alsbald von
«rossen Fragen der inneren und äusseren
Politik vollauf in Anspruch genommen,
blieb ihre Mitwirkung an der Verstaat-
lichung nur noch auf den mit jenem
Gesetze in keinem Zusammenhange ge-
standenen Ankaufe zweier kleinen Bahnen
beschränkt.
Eine derselben war die schon seit
1. September 1875 sequestrirte Braunau-
Strasswalchener Bahn [siehe Seite
221], welche, die Unhaltbarkeit ihrer Lage
erkennend und von Zwangsmassregeln des
Gurators bedroht, nun selbst in die Arme
der Staatsverwaltung flüchtete. Die Ge-
sellschaft verlangte und die Regierung
bewilligte einen Kaufpreis von nom.
1,000.000 fl. in Prioritäten der Kaiserin
Elisabeth-Bahn oder 875.000 fl. in Barem",
*) Der §6 dieses Gesetzes ermächtigt die
Regierung, auch hinsichtlich nicht verschul-
deter garantirter Bahnen vorläufige Verein-
barungen über den Ankauf derselben zu
treffen.
das bezügliche Protokollar - Ueberein-
kommen wurde am 25. April 1876 ab-
geschlossen, und, nachdem der Curator
demselben beigetreten war, durch die
Generalversammlung vom 20. Juli 1876
genehmigt, welche auch sogleich die
Liquidation der Gesellschaft beschloss.
Die legislative Genehmigung des An-
kaufes erfolgte durch das aus der Re-
gierungsvorlage vom 1. December 1876
hervorgegangene Gesetz vom 7. April
1877, worauf dann am 31. Mai die Bahn
in das Eigenthum des Staates über-
nommen, hiebei auch die Sequestration
aufgehoben, und, mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 21. Juni
1877, die Concessions - Urkunde vom
4. Mai 1872 ausser Kraft gesetzt wurde.
Dass bei diesem Ankaufe noch an die
Wiederveräusserung der Bahn gedacht
war, zeigte nicht blos die unbestimmte
Weise, in welcher das Uebereinkommen
von dem »Erwerber« sprach, sondern
auch die ihm offen gelassene Wahl der
Entrichtung des Kaufschillings. Da aber
die Zahlung in Barem geleistet wurde,
mögen inzwischen andere, vielleicht schon
von der Annahme des Verstaatlichungs-
Gesetzes beeinflusste Absichten Geltung
gewonnen haben. Die Belassung des
Betriebes in den Händen der Kaiserin
Elisabeth-Bahn geschah lediglich aus öco-
nomischen Gründen. Der neue, beiderseits
halbjährig kündbare und auf Grundlage
der Vergütung der Selbstkosten errichtete
Betriebsvertrag trat am I. August 1877
in Wirksamkeit. Am selben Tage ver-
ständigte der Prioritäten - Gurator, Dr.
Max Burian, die Prioritäten-Besitzer,
dass ihnen für jede Obligation ä 300 fl.
vorläufig ein Betrag von 74 fl. zur Aus-
zahlung gebracht werde. Von einer
weiteren Zahlung hat nichts mehr ver-
lautet ; es kann daher die Einbusse an
Prioritäten-Capital mit 7O-83°/0 des Nenn-
werthes oder 62-iü/0 vom Emissions-Curse
[233 fl. 50 kr.] beziffert werden. DasActien-
capital [1,650.000 fl.] ging gänzlich ver-
loren.
Die andere, um ein Jahr später
durch den Staat angekaufte Bahn, war
j die »Niederösterreichische Südwestbahn«,
I deren Bestand als Privatunternehmen
| ohnehin nur ein figürlicher gewesen,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
253
nachdem ihr Anlage-Capital fast ganz
aus Staatsmitteln beigestellt worden ist.
Davon sowie von den Bedingungen und
dem Vollzuge des Ankaufes wurde jedoch
schon früher [Seite 190] ausführlich ge-
sprochen ; es genügt also, hier daran zu
erinnern, dass die Bahn bei ihrem Ueber-
gange in den Besitz des Staates den
Namen »K. k. niederösterreichische Staats-
bahnen « erhielt und ihr Betrieb fortan
vom Staate selbst geführt wurde.
Was hingegen vor und während der
Erschliessung der neuen Richtung sonst
noch an Reformarbeiten unternommen
wurde, gedieh ungestört zu Ende und
auch zur praktischen Verwerthung. Hiezu
gehören vornehmlich : Die Verordnung
vom 10. Februar 1877, betreffend die
Einführung einer neuen einheit-
lichen S i g n a 1 o r d n u n g ;*) das Gesetz
vom 15. Juli 1877 über die »Maximal-
tarife für die Personen-Beförde-
rung und einige allgemeine Transport-
Bestimmungen«, welches die Fahrpreise
gleichartig gestaltete und für manche
Bahnen um ein Geringes aufbesserte;**)
das Gesetz vom 5. December 1877
[Novelle zum Curatoren-Gesetz],
welches den Eigenmächtigkeiten der
Curatoren, wie solche bei den damaligen
Verkäufen ungarantirter Bahnen vorge-
kommen sind, Schranken setzt, den
Obligations-Besitzern das Recht und die
Möglichkeit bietet, bei wichtigen Fragen
von dem Curator gehört zu werden, ihre
Meinung geltend zu machen, dessen
Massnahmen durch freigewählte Ver-
trauensmänner zu beaufsichtigen und
allenfalls auch anzufechten; das Gesetz
vom 18. Februar 1878, betreffend die
»Enteignung zum Zwecke der
Herstellung und des Betriebes
von Eisenbahnen« [Expropriations-
Gesetz], welches das Recht der zwangs-
weisen Enteignung nun auch den Schlepp-
bahnen und Tramways einräumt, der
ganzen Grundeinlösung einen öffentlichen
Charakter verleiht, das Verfahren ab-
kürzt u. s. w. ; endlich die Aufräumung
*) Vgl. Bd. III, G Gerstel: Mechanik
des Zugsverkehrs, und L. Kohlfürst:
Signal- und Telegraphenwesen.
**)Näheres hierüber: Bd. III,Th. Englisch :
Personentarife.
der Rückstände in den Garantie-Abrech-
nungen und die Austragung der um
sich gegriffenen Zwistigkeiten
hinsichtlich der Auslegung von
Garantie - Bestimmungen, welche
letzteren wichtigen Erfolge dem emsigen
Walten der ordnenden Hand Nördling's
zu danken sind.
Auch die Umgestaltung der Süd-
bahn in eine rein inländische Unter-
nehmung wurde, nachdem die Trennung
ihrer beiden Netze seit 1 5 Jahren
anhängig und Gegenstand der Bemühungen
von fünf österreichischen Handelsministern
gewesen, nunmehr verwirklicht. Der Ur-
sprung und erste Hergang dieser lang-
wierigen Angelegenheit ist schon an
früherer Stelle besprochen;*) ihr weiterer
Verlauf war, in kurzen Umrissen ge-
schildert, folgender: Als im Jahre 1866
die österreichisch-italienische Grenze eine
weitere Verrückung erfahren hatte, und
die nunmehr noch unabweislicher ge-
wordene Sonderung des Bahngebietes der
Südbahn einen ausdrücklichen Vertrags-
punkt [Artikel XII] im Wiener Frieden
vom 3. October 1866 bildete, begann die
Regierung zum zweiten Male auf den
Vollzug dieser Massnahme hinzuwirken.
Schon in dem Vertrage vom 15. April
1867 [Artikel 15] verpflichtete sie die Ge-
sellschaft, die Trennung sogleich vorzu-
nehmen, und die finanzielle Auseinander-
setzung binnen fünf Jahren durchzuführen.
Gerade diese gestaltete sich aber zu einem
geradezu unüberwindlichen Hindernisse,
da ein rechter Schlüssel für die Theilung
des Capitals nicht gefunden, und die
gemeinsame Haftung für die Prioritäts-
schuld nicht aufgelassen werden konnte.
Weder die Gesellschaft, noch die von
der Regierung berufenen Experten und
eingesetzten Commissionen vermochten
dieser Schwierigkeit beizukommen. Ueber
sie verbreitete sich denn auch das Memo-
randum, welches der General-Consulent
der Gesellschaft, Paulin Talabot, im
October 1871 dem Handelsministerium
überreichte, mit der Bitte, dass die An-
gelegenheit einer gemeinsamen Berathung,
an der auch Vertreter der Regderunoren
*) Siehe Bd. I, I. Theil, H. St räch:
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreich-
Ungarns bis zum Jahre 1867.
254
Ignaz Konta.
theilzunehmen hätten, unterzogen werden
möge.
Es wurde nun vor Allem die Er-
ledigung des internationalen Theiles der
Angelegenheit angestrebt. Da kam wieder
der damals von dem königlich ungarischen
Finanzminister, Grafen Lonyay, propa-
girte Ankauf der ungarischen Südbahn-
linien dazwischen [1872], was österreichi-
scherseits nicht ungern gesehen wurde,
weil die zur Ermöglichung der Separation
ins Auge gefasste Verstaatlichung blos
der österreichischen Linien nicht genügt
und auch zu Verwicklungen mit Ungarn
geführt hätte. Die ungarische Regierung
ersuchte um den Aufschub der Ver-
handlungen, und der italienische Delegirte,
Cambray-Digny, unterliess seine Reise
nach Wien. Mit dem Scheiden Lonyay's
aus der ungarischen Regierung war auch
dessen Project gefallen ; die österreichische
Regierung musste also gleichfalls den
Gedanken an die Erwerbung der öster-
reichischen Linien aufgeben, und blieb
darauf angewiesen, die Gesellschaft aber-
mals und nachdrücklich an die Erfüllung
ihrer Verpflichtung zu mahnen.
Freiherr von P r e t i s, der als Leiter
des Handelsministeriums die Gesellschaft
bereits im Jahre 1870 zur Vorlage eines
Trennungsplanes gedrängt hatte, knüpfte
jetzt, als Finanzminister, seine am 21.
December 1872 der Gesellschaft ertheilte
Bewilligung zu einer weiteren Ausgabe
3°/0iger Obligationen an die Warnung,
dass ihr keine Geldaufnahme mehr ge-
stattet würde, bevor nicht die Trennung
vollzogen ist, — und der Handelsminister,
Dr. B a n h a n s, trug ihr am 24. April
1873 auf, den betheiligten Regierungen
binnen sechs Monaten ein vollständiges
Trennungs-Programm vorzulegen.
Dem entsprach die Gesellschaft; ihre
Denkschrift lehnte sich aber an das
Talabot'sche Memorandum an, und über-
liess der Regierung die Ermittlung der
auf jedes Netz entfallenden Quote der
3°/0igen Prioritäten. Die Schwierigkeiten
bestanden also fort; ihre Ueberwindung,
so fraglich sie auch erschien, wurde
jedoch immer dringender; denn die
Lasten des italienischen Netzes steigerten
sich fortwährend, die öffentliche Meinung
eiferte dagegen, dass die guten Erträg-
nisse der österreichischen Linien noch
länger dem Moloch des italienischen
Besitzes geopfert werden, — und das
Abgeordnetenhaus forderte, mittels der
ziemlich ungestümen Resolution vom
6. Mai 1874, die Regierung auf, für den
schleunigsten Vollzug der Trennung zu
sorgen.
Ueberdies begann jetzt die Gesell-
schaft ihrerseits ungeduldig zu werden ;
der Coupon ihrer Actien war im November
1874 theilweise, im Mai 1875 gänzlich
nothleidend geworden ; die Fälligkeit ihrer
Bons [36,000.000 fl.] rückte heran [1876
bis 1878] ; ihre schwebende Schuld [damals
44,297.500 fl.] wurde immer drückender,
— und die Ordnung ihrer Verhältnisse
hing fast vollständig von der Durch-
führung der Trennung ab. Es war daher
gar nicht abzusehen, was nun werden
sollte.
Da fügte es sich besonders günstig,
dass in Italien eben die Verstaatlichung
der Eisenbahnen auf die Tagesordnung
gelangt, und die Lust zur Erwerbung
auch der oberitalienischen Bahnen rege
geworden war. Die bezüglichen Er-
öffnungen gingen zwar der Gesellschaft
vorerst nur mittelbar zu, sie ermangelte
aber gleichwohl nicht, dieselben unver-
weilt in Betracht zu ziehen, weil sie sehr
richtig erkannte, dass der Verkauf des
italienischen Netzes den gordischen Knoten
der Trennung mit einem Schlage zu lösen
vermöchte.
Die Verhandlungen wurden Ende
September 1875 zu Luzem eröffnet und
von dem Präsidenten des Pariser Comites
der Gesellschaft, Baron Alfons v. Roth-
schild einerseits, und dem Bevollmäch-
tigten der italienischen Regierung, Ritter
Quintino Sella [Mitglied des italienischen
Parlaments, früher italienischer Finanz-
minister und seither Träger der Ver-
staatlichungs-Idee] andererseits, gepflogen.
Sie waren der Grossartigkeit des ge-
planten Geschäftes entsprechend lange
und schwierige. Alle ihre Einzelheiten
zu schildern würde aber viel zu weit
führen, darum mag hier nur ihrer Haupt-
phasen und Ergebnisse gedacht sein.
Nach kurzer Unterbrechung, in Basel
wieder aufgenommen, schlössen die, Ver-
handlungen vorläufig mit dem Vertrage
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
255
vom 17. November 1875, der sogenannten
»Baseler Convention«. Dies Alles blieb in-
des geheim gehalten, bis die Zustimmung
der Regierung eingeholt und die Sache reif
genug war, auch den Actionären zur
Beschlussfassung vorgelegt zu werden.
Die staatlichen Vereinbarungen nahmen
jedoch nicht den gewünschten raschen
Fortgang; die auf den 27. Januar 1876
einberufene ausserordentliche General-
wurden am 25. Februar abgeschlossen;
die Generalversammlung fand am 28.,
die Unterzeichnung des Staatsvertrages
am 29. Februar 1876 statt.
Nun ward auch die Baseler Con-
vention veröffentlicht. Ihre wichtigsten
Bestimmungen lauteten dahin, dass Italien
die auf seinem Gebiete liegenden gesell-
schaftlichen Linien um den Preis von
752.375.618 Francs erwirbt, für denjenigen
Abb. 121. Hochwasserkatastrophe nächst dem Bannberger Anger. [Ansicht gegen Thulseitc
an der Pusterthal Bahn. 1882.]
Versammlung musste um einen Monat ver-
tagt werden, Sella kam erst am 22. Februar
nach Wien und es bedurfte dann des
eifrigsten Zusammenwirkens aller Be-
theiligten, um die grosse physische und
geistige Arbeit, deren die Abmachungen
erheischten, rechtzeitig zu bewältigen. Das
Protokollar-Uebereinkommen der Gesell-
schaft mit der österreichischen und der
ungarischen Regierung, ferner ein zwischen
Sella und Baron Rothschild vereinbarter
Zusatzvertrag zur Baseler Convention,
Theil dieses Capitals, weicherden von Seite
der Gesellschaft auf den Bau oder Ankauf
der verschiedenen Linien verwendeten
Summen entspricht [613,252.478 Francs],
eine feststehende Jahresrente in Gold
bezahlt, die bis Ende 1954 jährlich
33,160.211 Francs, sodann bis Ende 1968
jährlich 13,321.008 Francs beträgt, jedoch
der Einkommensteuer unterliegt ; für den
zweiten, dem Werthe des Fahrparkes
und sonstigen Betriebs-Inventars ent-
sprechenden Theil des Kaufschillings
2^6
Ignaz Konta.
[139,123.139 Francs] aber eine Quote von
20,000.000 Francs der gesellschaftlichen
Schuld an die Mailänder Sparcassa über-
nimmt und weiters eine den Capitalsrest
von 1 19,123.139 Francs vollends deckende
Menge von Titeln der fünfprocentigen
italienischen consolidirten Rente erfolgt.
Die Materialvorräthe sollten besonders
vergütet werden.
In dem Zusatzvertrage vom
25. Februar 1876 gelangten die Sicherstel-
lungen zum Ausdrucke, welche die öster-
reichische Regierung begehrt hatte, um
der nun eine rein inländische Unter-
nehmung werdenden Südbahn das aus
den italienischen Annuitäten - Zahlungen
fliessende Einkommen ungeschmälert zu
erhalten. Es wurde nämlich die Steuer-
leistung pauschalst, demzufolge die Höhe
der Annuitäten für die erste Periode mit
29,569.887 Francs und für die zweite
Periode mit 12,774.751 Francs bemessen
und ausdrücklich festgesetzt, dass diese
Beträge »von jeder weiteren directen oder
indirecten Steuer und von jeder Beitrags-
leistung zu Zwangsanleihen in Italien
frei sein werden und in keinem Falle
aus welchem Grunde immer reducirt
werden können« [Art. IV].
Das zwischen der österreichischen
Regierung [unter Beitritt der ungarischen]
und der Gesellschaft geschlossene P r o-
tokollar-Uebereinkommen vom
25. Februar i87Öumfasstdie Bedingungen,
unter welchen die Regierung die Baseler
Convention genehmigte, sowie die infolge
der Trennung nothwendig gewordenen
Aenderungen an dem Vertrage vom
13. April 1867 und dem am selben Tage
geschlossenen Uebereinkommen über die
Abstattung der restlichen Ablösungs-
summe für die lombardisch-venetianischen
Eisenbahnen. Dasselbe bestimmt also
vornehmlich, dass sowohl die etwa vom
Staate zu leistenden Garantie- Vorschüsse,
als auch die von der Gesellschaft aus
ihren Ertragsüberschüssen abzustattenden
Kaufschillingsreste [siehe Seite 27], nicht
mehr auf Grundlage der vereinigten Roh-
erträgnisse sämmtlicher Linien, sondern
derart ermittelt werden sollen, dass das
Roherträgnis der österreichisch - ungari-
schen Betriebslinien durch die Kilometer-
zahl der letzteren getheilt un(j sodann in
Ansehung der Garantie der etwaige Ab-
gang von dem mit 1 00.000 fl. pro Meile,
beziehungsweise 13.182 fl. pro Kilometer
garantirten Roherträgnisse, in Ansehung
der Zahlung auf die Kaufschillingsreste
aber der über ein Roherträgnis von
107.000 fl., beziehungsweise 1 10.000 fl.
pro Meile oder 14.100 fl., beziehungsweise
14.500 fl. pro Kilometer hinausgehende
Betrag in Rechnung genommen werde.
Ferner wurde die Gesellschaft verpflichtet,
die ihr zufliessenden Kaufschillinge für
die italienischen Linien vor Allem zur
Tilgung der schwebenden Schuld und
der Bons zu verwenden und die alten
dreiprocentigen Prioritäten ehethunlichst
gegen neue auf die Firma »K. k. priv.
Südbahn-Gesellschaft« lautende
Obligationen auszutauschen, welche die
ausdrückliche Zusicherung erhalten sollen,
dass für deren Verzinsung und Tilgung
auch die von der italienischen Regierung
zu zahlenden Annuitäten haften.
Der am 29. Februar 1876 abgeschlos-
sene Staatsvertrag zwischen Oester-
reich-Ungarn und Italien gibt der ganzen
Abmachung die völkerrechtliche Sanction
und erkennt an, dass mit dem auf Grund-
lage der Baseler Convention und des Wiener
Zusatzvertrages beruhenden Trennungs-
acte dem Artikel XII des Wiener Friedens
vom 3. October 1866 Genüge geschehen,
daher die ganze Angelegenheit geregelt
erscheint.
Die Beschlüsse der ausserordentlichen
Generalversammlung vom 28. Februar
1876 sprachen die Genehmigung der vor-
erwähnten Rechtshandlungen der Gesell-
schaft aus, wie auch die Ermächtigung des
Verwaltungsrathes die hinsichtlich der
Trennung erforderlichen Vereinbarungen
mit der österreichisch - ungarischen Re-
gierung zu treffen und die sodann noth-
wendig werdende Statuten-Aenderung vor-
zunehmen. Eine Erörterung der Angele-
genheit wurde vermieden, einerseits in der
Erkenntnis, dass die so vorbereitete Tren-
nung der beste Ausweg sei, »aus lästigen
Verhältnissen und aus der bedrohlichen
Lage herauszukommen«, andererseits weil
die Verträge noch die Parlamente der be-
theiligten Staaten zu passiren hatten.
In der That waren Kauf und Trennung
noch lange nicht gesichert. Die »Toscaner«,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
257
eine mächtige Partei des italienischen
Parlamentes, bekämpften die Verstaat-
lichung und insbesondere die Baseler
Convention mit solcher Wucht, dass darob
die Stellung des Ministeriums Minghetti
erschüttert wurde; es fiel am 18. März,
neun Tage nach der Vorlage der Con-
vention. Das neue Cabinet Depretis
stand derselben scheinbar gleichgiltig ge-
genüber, war aber sehr zufrieden, als
die Mehrheit der Kammer -Ausschüsse
sich am 4. April gegen die Berathung
der Angelegenheit aussprach, denn es
konnte andere Kaufbedingungen stellen.
Und darum mag ihm zumeist zu thun
gewesen sein, denn trotz jenes Votums
der Kammer- Ausschüsse machte das Mini-
sterium sich anheischig, für die Convention
einzutreten, wenn die Gesellschaft einen
ausgiebigen Preisnachlass gewährte und
den Betrieb noch einige Zeit fortführte.
Die neuen Unterhandlungen wurden
zwischen dem Delegirten der italienischen
Regierung, Staatsrath Correnti, und
dem Präsidenten des Pariser Comites der
Gesellschaft, Baron Alfons v. Rothschild,
gepflogen und waren keine angenehmen,
denn sie bestanden vorwiegend in einem
hartnäckigen Markten. Bei dem Nach-
lasse von 12,000.000 Lire angelangt, er-
klärte der Vertreter der Gesellschaft, nun
keinen Schritt mehr zurückzuweichen,
sondern eher von der ganzen Sache ab-
zustehen. Das wirkte ; die italienische
Regierung gab sich mit den errungenen
12,000.000 Lire zufrieden und, nachdem
die Gesellschaft gegen die Weiterführung
des Betriebes bis I. Juli 1877 oder
I.Januar 1878 keine Einwendung erhob,
wurde über die neuen Abmachungen am
II. Juni 1876 zu Paris eine Urkunde aus-
gefertigt, welche den Titel »Compromis«
erhielt. Dadurch, dass die Gesellschaft
den abgelassenen Betrag einfach der
italienischen Regierung zur Verfügung
stellte, konnte die Baseler Convention un-
verändert bleiben. Die amtliche Be-
glaubigung des Compromisses erfolgte
durch die zu Rom errichtete »Additional-
Acte« vom 17. Juni 1876.
Die Trennung und die einzig gedeih-
liche Durchführungsweise derselben war
also neuerdings vollkommen vereinbart,
für gesichert wollte sie der Verwaltungs-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
rath jedoch erst dann ansehen, wenn der
Vorlage die legislative Genehmigung zu-
theil geworden. In Italien geschah dies
am 30. Juni 1876, in Oesterreich neun
Monate später. Der Entwurf des Gesetzes
»über die theilweise Abänderung der mit
der Südbahn-Gesellschaft abgeschlossenen
Verträge« gelangte am 1. December 1876
vor das Abgeordnetenhaus und wurde
vom Handelsminister v. Chlumecky gleich
in seiner grossen Rede, mit welcher er
die damaligen Regierungsvorlagen ein-
begleitete, der besonderen Aufmerksam-
keit des Reichsrathes empfohlen. Der
Eisenbahn-Ausschuss und ihm folgend
auch die Mehrheit des Abgeordneten-
hauses erklärten sich für die Vorlage, die
nun am 2. März 1877, wenn auch nicht
ganz widerspruchslos, angenommen wurde,
das Herrenhaus stimmte am 23. März zu
und am 6. April 1877 erhielt sie die
a. h. Sanction.
Nun erst waren alle Zweifel und Sorgen
gebannt, alle Bedingungen für die Lösung
der schwierigen Frage erfüllt und nur
noch die letzten Vollzugsmassnahmen zu
treffen, welche der Verwaltungsrath
übrigens genügend vorbereitet hatte. Die
Actionäre, denen schon in der General-
versammlung vom 28. Juni 1876*) um-
fassende Aufklärungen über die Natur
des Pariser Compromisses gegeben wurden,
ertheilten demselben in der ausserordent-
lichen Generalversammlung von 9. August
1876 die Zustimmung ; die an die Stelle
des revidirten Statutes vom Jahre 1862
tretenden neuen Statuten hatten bereits
am 18. November 1876 die staatliche
Genehmigung erhalten und hierauf die
handelsgerichtlichen Eintragungen der
wieder einfach »K. k. priv. Südbahn-
Gesellschaft« lautenden Firma, ihres
Sitzes in Wien etc., am 28. November
1876 stattgefunden.
Der Hauptact der Trennung wurde am
1. Juli 1876, als dem Tage, an welchem
die italienischen Linien in den Besitz
*) Diese Versammlung hatte auch beschlos-
sen, dass die für die Obligationen in Frankreich
und Italien zu entrichtenden Steuern [Coti-
rungs-, Einkommen- und Gewinnsteuer] nicht
mehr den Actionären zur Last fallen, sondern
vom 1. Januar 1877 an, durch einen Abzug
von 1 Franc [50 Cts. von jedem Prioritäten-
Coupon] gedeckt werden sollen.
17
2-.S
Ignaz Konta.
ihres neuen Eigenthümers übergingen,
vollzogen. Gleichzeitig begann der ge-
sellschaftliche Pachtbetrieb auf denselben,
der bis zur Mitternachtsstunde des 30. Juni
1878 währte. Die Abrechnungen und
finanziellen Auseinandersetzungen mit der
italienischen Regierung zogen sich jedoch
bis zum Herbst 1881 hinaus. Das zählte
jedoch nur mehr zu den inneren Ange- ,
legenheiten.
Nach aussen war das Trennungswerk
vollendet und gekennzeichnet, als am |
30. Juni 1877 die Generalversammlung
zum ersten Male nach 16 Jahren wieder
in Wien tagte. Das endliche Gelingen
der Loslösung des grössten inländischen
Eisenbahn -Unternehmens von fremder
Botmässigkeit ; das Aufhören des un-
natürlichen Zustandes, in welchem die
Gesellschaft sich so lange befunden hatte ;
die finanzielle Erleichterung, welche ihr
der Verkauf des italienischen Netzes
brachte, — all dies fand begreiflicher-
weise nicht blos bei den unmittelbar
Betheiligten, sondern auch bei der All-
gemeinheit lebhaften Beifall.
Wie jeder bedeutenden Angelegenheit,
fehlte es jedoch auch dieser nicht an
Kritikern ; sie malten die Zukunft der
Gesellschaft nicht in hellen Farben, und
nahmen dabei, nebst der Höhe des Ge-
sellschaftsfonds, auch das Verhältnis des
Actiencapitals zur Schuldsumme und die
Differenz zwischen Nennwerth und ge-
lieferten Erlös der Titel zum Untergrunde.
Laut Bilanz pro 1876 bezifferte sich
nämlich der Stand des Capitals mit
nom. 1.045,972.200 fi., beziehungsweise
effectiv 602,583.497 fl., und gliederte
sich in :
750.000 Actien ä 200 fl. =
4,139.861 Stück 3°/0ige Prioritäts-Obligat.
250.000 » 5°/oige » »
90.000 » 6°/0ige Bons
Die Aufgabe, die neue Ordnung der
Dinge zu festigen und auszugestalten,
fiel in Bälde einer neuen Geschäftsleitung
zu, da der General - Director, Eugen
B o n t o u x, welcher 1 8 Jahre im Dienste
der Gesellschaft gestanden, infolge einer
politischen Aeusserung, zu der er sich
in der französischen Kammer hinreissen
liess, am 24. Januar 1878 zurücktrat, und
in dem bisherigen gesellschaftlichen Be-
triebs-Director, Friedrich Julius Schüler,
der schon seit Langem die Seele des
commerziellen und Betriebsdienstes ge-
wesen, am 1. Juli 1878 einen ausge-
zeichneten Nachfolger erhielt.
Dieser Wechsel kam der Gesellschaft
nicht ungelegen, ' da sie einer leitenden
Persönlichkeit bedurfte, deren Thatkraft
ganz ungetheilt dem gesellschaftlichen
Unternehmen zugewendet blieb ; denn zu
den kaum überblickbaren laufenden kamen
immer noch wichtige aussergewöhnliche
Angelegenheiten hinzu. Um davon nur
einige, die anderweiti g nicht mehr
erwähnt werden, hervorzuheben, seien
hier angeführt : die Uebernahme des Be-
triebes der k. k. Staatsbahnen Unterdrau-
nominal fl.
. . . 150,000.000
ä200fl. 827,972.200
kooFrcsl 50,ooo.ooo
boorrcs.j l8oo0-000
effectiv fl.
150,000.000
395,180.920
42,831.221
14,571.456
1.045,972.200 602,583.497
bürg- Wolfsberg und Mürzzuschlag-Neu-
berg [27. August 1879]; die Abtretung
der 49"7 km langen Linie Agram-
Carlstadt an den ungarischen Staat,
gegen eine, während der ganzen Con-
cessionsdauer, das ist bis 31. December
1968 von der königlich ungarischen
Regierung an die Gesellschaft zu ent-
richtende, unwandelbare und ganz steuer-
freie Rente von jährlich 240.000 fl. in
Gold*) [Vertrag vom II. März 1880,
beziehungsweise Gesetzartikel XLIV
vom Jahre 1 880] ; die Errichtung
einer Betriebs-Direction in Buda-
pest, zu deren Vorstand der Verkehrs-
leiter der ungarischen Südbahnlinien,
Max Bram, königlicher Rath, ernannt
wurde ; endlich die Belegung der Prio-
ritäten-Zinsen mit einem Steuer-
abzug von 1 Franc pro Coupon, nachdem
*) Zugleich verlängerte die königlich
ungarische Regierung die Steuerfreiheit für
die ungarischen Linien der Südbahn auf zehn
Jahre, das ist vom I.Januar 1880 bis 31. De-
cember 1889. Die Uebergabe der abgetretenen
Strecken an den ungarischen Staat erfolgte
am 1. Juli 1880.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
259
eine Verlängerung der Steuerfreiheit auch
für die österreichischen Linien nicht
mehr erreicht werden konnte und die
Actionäre nicht die ganze Steuerlast auf
sich nehmen mochten.
Eine ganz besondere Thätigkeit und
einen sehr grossen Geldaufwand, welcher
auch die Consolidirung der Gesellschaft
erheblich verlangsamte, ist derselben aus
den umfangreichen Schäden erwachsen,
welche die am 15. und 16. September
Behebung der Schäden auf den übrigen
Strecken. Mehr als 8000 Mann wurden
in Thätigkeit gesetzt und alle Hilfsmittel
in Anwendung gebrächt, um die Wieder-
aufnahme des Verkehres je früher zu er-
möglichen. Gleichwohl konnte dies auf
der Tiroler Bahn erst am 19. December
1882 und auf der Pusterthalbahn gar erst
am 27. Januar 1883 erzielt werden, und
zwar grossentheils mit Hilfe von Provi-
sorien. Die Fertigstellung der definitiven
Abb. 122. Einschnitt in Krinsdorf zur Bauzeit [Brüx-KlostergrabJ.
1882 über Kärnten und Tirol hereinge-
brochenen Hochwässer den gesell-
schaftlichen Linien zufügten. Vom Bahn-
körper wurden 139 Stellen in einer Ge-
sammtlänge von 1 5'7 km gänzlich und
weitere 6-3 km theilweise, ferners 40
Brücken und Durchlässe und sonstige Ob-
jecte zerstört. [Abb. 120 und 121.] Am
ärgsten war die Strecke in dem engen Drau-
thale zwischen Abfaltersbach-Thal und
Lienz, dann die Strecke Toblach- Bruneck
und die Südtiroler Linie betroffen. Der ver-
dienstvolle Erbauer der Pusterthalbahn,
Director Karl Prenninger, arbeitete
mit Riesenanstrengung an der Wieder-
herstellung;; seines Werkes und an der
Bauten und der Schutzvorkehrungen gegen
die Wiederholung solcher Verheerungen
dauerte bis in das Jahr 1885. Ausser
diesen Arbeiten hatte die Gesellschaft
über Wunsch der Interessenten auch
die Reconstruction der öffentlichen Ob-
jecte in den von der Bahn durch-
zogenen Gegenden gegen blosse Ver-
gütung der Selbstkosten ausgeführt.
Für alle diese . Leistungen ernteten die
Gesellschaft und deren Organe allge-
meine Würdigung und auch a. h. Aus-
zeichnungen. Die Kosten der Wieder-
herstellungsbauten beliefen sich auf bei-
nahe 4,000.000 fl., wovon jedoch */s den
Betrieb belasteten.
17*
200
Ignaz Konta.
Das Prioritäts - Anlehen vom Jahre
1885 im Betrage von 40,000.000 Mark,
dessen erste Hälfte am 9. und 10. Juli
zum Curse von 94/5 durch die Rothschild-
gruppe begeben wurde, hatte ganz an-
deren Zwecken [Refundirungen, Stärkung
der Reserven etc.] zu dienen.
Neben einer so grossartigen Trans-
action und so bedeutenden Geschehnissen
wie die eben besprochenen, nehmen sich
gewöhnliche Begebenheiten fast unschein-
bar aus. Gleichwohl muss, der Zeitfolge
nach, hier die Erörterung einer verhältnis-
mässig kleinen Sanirung, als Ausgangs-
punkt unserer weiteren Betrachtungen,
angereiht werden.
Bald nach Beginn des Baues ihrer
Linie Brüx-Mulde [1873] widerfuhr der
Prag-Duxer Bahn das Ungemach,
dass die mit der Titelbegebung für diese
Linie betrauten Bankhäuser [s. S. 117]
vertragsbrüchig wurden und es einzu-
richten wussten, dass die Gesellschaft
sich mit einem Reugelde abfinden Hess.
Der Verwaltungsrath glaubte diesen
»Modus« einer Processführung vorziehen
zu sollen. Wie hoch das Pönale ge-
wesen, hat er jedoch nicht verlautbart;
keineswegs konnte es die Gesellschaft
auch nur annähernd schadlos halten für
die Verluste und bitteren Verlegenheiten,
die ihr aus der nicht rechtzeitigen Be-
gebung des grössten Theiles jener Werthe
erwachsen sind. Was das Reu- oder
Strafgeld an Baarmitteln geliefert hatte,
wurde ebenso wie der Betriebsüberschuss
der alten Linie auf den Neubau ver-
wendet, hielt aber nur für eine Weile vor.
Nicht genug daran, blieben auch die
Erträgnisse der alten Bahn hinter den
gehegten Erwartungen gar weit zurück.
Am 1. Juli 1874 konnte der Prioritäten-
Coupon nicht mehr eingelöst werden.
Das drückte natürlich den Werth der
gesellschaftlichen Titel noch tiefer herab
und machte die Begebungen für die neue
Linie vollends zur Unmöglichkeit. Die
Gesellschaft befand sich also in zwei-
facher Nothlage. Eine derselben wurde
durch den Prioritäten-Curator [Dr. Anton
Lederer, Landesadvocat in Prag] selbst
gemildert, der in der richtigen Ueber-
zeugung, dass er mit der Schonung und
Unterstützung der Gesellschaft die von
ihm vertretenen Interessen am besten
wahre, von der Stunde an eine wohl-
wollende Haltung gegen dieselbe einnahm.
Die zweite aber gestaltete sich immer
peinlicher, da die Unterstützungsgesuche
an die Regierung erfolglos waren.
In ihrer Verlassenheit trat die Gesell-
schaft in Beziehungen zur Leipzig-
Dresdener Bahn, die sich den Anschein
gab, die Concession und die bereits aus-
geführten Bauten der Linie Brüx-Mulde
um den Preis von 1,000.000 fl. erwerben
zu wollen, hinterher aber die unglaub-
lichsten Bedingungen stellte, an denen
die Sache nach Jahr und Tag scheiterte.
Das eigenthümliche Vorgehen der Leipzig-
Dresdener Bahn Hess den Verdacht auf-
kommen, dass sie auf die Bedrängnis der
Prag-Duxer Bahn speculirte, um gegebenen
Falles das ganze Unternehmen der letzteren
zum Buchpreise an sich zu bringen.*)
Aber auch die Regierung konnte Aeusse-
rungen des Staunens darüber vernehmen,
dass sie den Verkauf einer österreichi-
schen Bahnlinie an eine ausländische
Gesellschaft zulassen, ja sogar — wie
aus dem im Prag-Duxer Geschäftsbericht
pro 1874 citirten Handels-Ministerialerlass
vom 21. April 1875 hervorging — darauf
hinwirken wollte.
Als die Verhandlungen mit der Leip-
zig-Dresdener Bahn ins Stocken gerathen
waren, erneuerte die Gesellschaft ihre
Unterstützungsgesuche an die Regierung
und wendete sich im December 1874
auch an den Reichsrath, welcher die
flehentliche Petition am 20. März 1875
der Regierung zur eingehendsten Prüfung
und WTürdigung übermittelte, nachdem
der Eisenbahn-Ausschuss auch die all-
fällige Anbahnung einer Fusion der
Prag-Duxer Bahn mit einer bereits im
Betriebe stehenden böhmischen Bahn an-
geregt hatte. Beim Herannahen der
Bauperiode des Jahres 1875 machte der
Verwaltungsrath noch einen letzten Ver-
such bei der Regierung, indem er für
den Augenblick nur einen Vorschuss von
*) Vgl. die im Juli 1875 erschienene Denk-
schrift des Dresdener »Comite zur Vertretung
der Interessen der Inhaber von Prioritäten
der Prag-Duxer Bahn« und das von dem
Anwalte Schraps in Crimitschau an die
Prioritäre versendete Rundschreiben Nr. 5.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
2ÖI
*) Bei den bezüglichen Erörterungen
wurde aus dem Schosse der Versammlung
die Frage nach der Ursache der beharrlichen
Verweigerung jedweder Staatshilfe aufge-
worfen, was übrigens früher schon auch von
Seite der öffentlichen Meinung geschehen
war; doch ward hiefür weder da noch dort
eine Antwort gefunden. Die Tagesblatter
haben je nach ihrem Parteistandpunkte eines-
theils die im Gegensatze zur Regierung
stehenden politischen oder nationalen Ten-
denzen einzelner Mitglieder des Verwaltungs-
rathes, anderntheils die Sühne heischenden
Gründungssünden, oder die Zweifel an der
Bestandsfähigkeit des Unternehmens, als
jene Ursache bezeichnet und zur Bekräftigung
der ersterwähnten darauf hingewiesen, dass
die benachbarte Dux-Bodenbacher Bahn ein
grosses Darlehen aus den staatlichen Aus-
hilfscassen bekam.
250.000 fl. zur Fortsetzung des Baues
der halbfertigen Strecke Brüx-Kloster-
grab erbat, in welcher bereits baare
1,560.000 fl. investirt waren. Da auch
dieser Versuch misslang, schwang sich
der Verwaltungsrath zu dem Gedanken auf,
der Gesellschaft durch das Zusammen-
wirken ihrer Theilhaber und Gläubiger
aufzuhelfen. Die Generalversammlung
vom 26. Juni 1875 stimmte dieser Idee j
sogleich bei. *) Auch der Curator war
dem Projecte zugethan und bereit, einer
aufzunehmenden schwebenden Schuld im
Betrage von 1,000.000 fl. die Sicher-
stellung im Vorrange vor den Priori-
täten einzuräumen, was aber die Priori-
täre in deren am 29. Juli 1875 zu Dres-
den abgehaltenen Versammlung ablehnten.
Wieder um eine Hoffnung ärmer,
machte der Verwaltungsrath geradezu
verzweifelte Anstrengungen, um irgendwo
Hilfe zu finden und die Gesellschaft vor
dem Zusammenbruche zu bewahren; er
beschäftigte sich mit den verschiedensten
Finanzprojecten und mit dem von Priori-
täten-Besitzern angeregten Verkaufe der
Bahn an ein von diesen eigens gebildetes
Consortium. Während dessen tauchte
vor der Gesellschaft das Gespenst des
»commerziellen Werthes« auf; sie kam
jedoch mit dem blossen Schrecken davon.
Die Regierung, deren Fusionirungs-
thätigkeit sich damals den nothleidenden
böhmischen Bahnen zugewendet hatte
[s. Seite 234 — 235], war mit dem Cura-
tor übereingekommen, dass die Bahn,
auf Grund ihres commerziellen Werthes,
um den Preis von 4,284.000 fl., zahlbar
in 5"/o'gen garantirten Prioritäten einer
neu zu gründenden Unternehmung, vom
Staate übernommen werden solle. Die
Curatelbehörde veranlasste aber, einem
Antrage des Curators folgend, die Er-
mittlung des Werthes der Bahn durch
einige der Regierung fernestehende Sach-
verständige und das Ergebnis dieser
Expertise war die Bemessung des com-
merziellen Werthes der gesellschaftlichen
Betriebslinien mit 8,668.000 fl. Daraufhin
verlangte der Curator von der Regierung
eine Aufbesserung ihres Anbotes ; er
wurde aber abgewiesen und damit hatte
es von diesem Verkaufe, wie überhaupt
mit der Fusion der böhmischen Bahnen,
sein Bewenden.
Der Verwaltungsrath war bei den
vorerwähnten Verhandlungen der Regie-
rung mit dem Curator abseits gestanden,
daher von ihrem Fehlschlage nicht nur
nicht unangenehm berührt, sondern viel-
mehr zu neuer Unterstützungswerbung
angeeifert worden. Auch der Curator
willigte, im Hinblicke auf das günstige
Ergebnis der Expertise, nunmehr ganz
bestimmt in die Aufnahme eines der
Prioritätenschuld vorangehenden Anlehens
von 1,000.000 fl. und leistete so den
Bestrebungen des Verwaltungsrathes be-
deutenden Vorschub, denn auf eine so
gute Hypothek Geld zu beschaffen,
konnte der Gesellschaft nirgendmehr
schwer fallen. Der Verwaltungsrath wen-
dete sich jedoch zunächst wieder an die
Regierung und dann auch an den Reichs-
rath [Februar 1876] mit der Bitte um
einen Vorschuss von 1,000.000 fl. zur
Consolidirung des Unternehmens und zur
Fertigstellung der Strecke Brüx-Kloster-
grab sowie um Erstreckung der Voll-
endungsfrist für die Strecke Klostergrab-
Mulde bis Ende 1880.
Nun änderte sich die Situation. Der
Handelsminister y. Chlumecky dachte,
wie anderen Bahnen, ohne alle Vorein-
genommenheit auch der Prag-Duxer
Bahn die erbetene Hilfe zu. Bereits am
8. April 1876 fand im Beisein und unter
Zustimmung des Prioritäts-Curators der
Abschluss des Protokollar-Uebereinkom-
mens statt, in welchem die Bedingungen,
unter denen im Falle der Genehmigung
2Ö2
Ignaz Konta.
des Reichsrathes der Vorschuss ertheilt
werden sollte, festgestellt waren. Die-
selben lauten im Wesentlichen dahin, dass
die Vorschuss-Summe mit 5°/0 verzinst
und in 24 gleichen halbjährigen Raten
ab 1. Juli 1880 getilgt werde und das
bücherliche Pfandrecht vor den Priori-
täten geniesse ; dass der Curator, unter aus-
drücklicher Verzichtleistung auf Zwangs-
massregeln, sich verpflichte, bis zur
gänzlichen Tilgung des Staatsvorschusses
nur die nach den Abstattungen auf letz-
teren erübrigenden Betriebsvorschüsse für
sich in Anspruch zu nehmen ; dass die
Gesellschaft von ihren übrigen Gläubi-
gern Zufristungen erlange, welche die
Gefahr einer Executionsführung und Con-
curseröffnung mindestens bis Ende 1876
vollständig beseitigen ; endlich dass der
Bau der Strecke Brüx-Klostergrab späte-
stens mit 1. Mai 1876 wiederaufgenommen
und noch innerhalb desselben Jahres
vollendet werde.
Schon der blosse Abschluss dieses
Uebereinkommens verschaffte der Gesell-
schaft einen billigen Acceptatiqnscredit
von 520.000 fl. bei der Anglo-Oesterreichi-
schen Bank und sohin die Mittel zur
sofortigen Fortsetzung des Baues. Eine
den vorstehenden Bedingungen entspre-
chende Uebereinkunft mit dem Curator,
in welcher er sich übrigens die weit-
gehendste Controle der ganzen gesell-
schaftlichen Gebarung sicherte, ward
auch bald erzielt und am 15. August
1876 in Vertragsforrn abgeschlossen. Da
weiters die Auseinandersetzungen mit den
•übrigen Gläubigern jetzt gleichfalls keinen
Schwierigkeiten begegneten, konnte die
Gesellschaft nunmehr ruhig auf die legis-
lative Entscheidung über die Gewährung
des Staatsvorschusses warten.
Die bezügliche Regierungs- Vorlage
gelangte am 1. December 1876 vor das
Abgeordnetenhaus und am 13. März 1877
zur zweiten Lesung, welche zwar nicht
sehr glatt verlief, aber doch mit der An-
nahme der Vorlage endete. Sie passirte
alsbald auch die dritte Lesung und das
Herrenhaus und erhielt am 16. April 1877
die a. h. Sanction als Gesetz. Mittler-
weile war die Strecke Brüx - Kloster-
grab, deren erster grösserer Theil
bis Ossegg [i3-8 km] schon am 18. De-
cember 1876 eröffnet wurde, auch in
dem zweiten Theile bis Klostergrab
[4-1 km] vollendet und am 15. Mai 1877
dem allgemeinen Verkehre übergeben
worden. Hiebei hatte sich herausgestellt,
dass die Gesellschaft zu den Zwecken,
welchen der Staatsvorschuss zu dienen
hatte, nur 900.000 fl. benöthige: sie
nahm also blos diesen Betrag in
Anspruch [Ende Juni 1877], deckte da-
mit die Schuld an die Anglobank sowie
andere schwebende Posten, schliesslich,
im Vergleichswege, auch eine Nachtrags-
forderung der Bauunternehmung der alten
Linie und befand sich dann seit 1878
in einer ungefährdeten Lage.
Diese Wendung, welche deutlich
zeigte, wie leicht der Gesellschaft zu
helfen war und auch schon früher hätte
geholfen werden können, gab ihr also
wieder einen festen Halt. Für die voll-
ständige Regelung ihrer Verhältnisse
blieb jedoch noch viel zu thun, bis zur
Befriedigung der Prioritäten-Besitzer und
gar erst der Actionäre, noch ein weiter
Weg zurückzulegen; denn all dies hing
von einer bedeutenden Besserung der
Erträgnisse ab, die aber ohne den directen
Anschluss der Prag-Duxer Bahn an das
sächsische Bahnnetz kaum zu gewärtigen
stand. Der Verwaltungsrath und der
Curator, unterschiedliche Comites, die
sich zur Vertretung und Wahrung der
Interessen der Prioritäre, beziehungsweise
Actionäre [in Sachsen] gebildet hatten,
Ingenieure, die Projecte für eine billigere
Ausführung der Strecke Klostergrab-
Mulde ausgearbeitet hatten, Kohlenge-
werkschaften und sonstige Interessenten
suchten darum unablässig, den Ausbau
dieser kurzen, aber schwierigen Strecke
zu ermöglichen.
Alle diese Bemühungen blieben indes
erfolglos, weil das erforderliche Baucapital
überhaupt nicht oder nur unter Bedin-
gungen erhältlich gewesen wäre, auf
welche die Gesellschaft nicht eingehen
durfte. Der Verwaltungsrath musste sich
sohin einstweilen begnügen, .durch sorg-
same Pflege des Verkehres und thun-
lichste Verringerung der Betriebskosten
die Ertragsverhältnisse zu heben. In
ersterer Beziehung traf er mit der Curatel
ein Abkommen, wonach von den Ueber-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
263
Schüssen, ab 1878, jährlich 30.000 fl.
insolange zur Vermehrung des Fahr-
parkes verwendet werden durften, bis die
NachschafFung von 100 Kohlen- und 50
Güterwagen bewerkstelligt war und aus
Sparsamkeitsgründen kam er mit der
Verwaltung der Pilsen-Priesener Bahn
überein, dass vom Jahre 1880 an der
Betrieb der Strecke Dux-Brüx nicht mehr
durchwegs von beiden Gesellschaften,
sondern in der Theilstrecke Dux-Ober-
nitz nur von der Pilsner-Priesener Bahn
Zinsengarantie für das Baucapital nicht
zustande kam. So vergingen auch weiter-
hin noch viele Jahre, bis die oftgenannte
Strecke dem Betriebe übergeben wurde
und die von ihr erwartete Steigerung der
Erträgnisse auch wirklich eintrat.
Die Trace der Zweiglinie Brüx-Mulde
[Moldau] unterfährt bei ßrüx die Aussig-
Teplitzer Bahn, führt über Oberleutendorf
nach Bruch, wo sie die Hauptlinie der Dux-
Bodenbacher Bahn übersetzt und dann an
dieselbe anschliesst. Ueber Ossegg am Fusse
des Erzgebirges weiterziehend übersetzt sie
Abb. 123. Viaduct bei Krinsdorf im Bau [Brüx-Klostergrab].
und in der Theilstrecke Obernitz-Brüx
ausschliesslich von der Prag-Duxer Bahn
geführt werde. Ferner brachte er mit Be-
willigung des Handelsministeriums vom
15. September 1880 auf der Strecke
Brüx-Klostergrab den Secundärbetrieb in
Anwendung.
Im selben Jahre wurde die Geld-
beschaffung für den Ausbau der Strecke
Klostergrab- Mulde neuerdings versucht,
jedoch wieder erfolglos, da die Prioritäre
sich weigerten, ihr Vorgangsrecht aufzu-
geben und die von dritter Seite vor-
geschlagene Bildung einer Gemeinschaft
von Prioritären, Bergwerksbesitzern und
sonstigen Interessenten zur Leistung einer
das Krinsdorfer Thal [Abb. 122 und 123] und
erreicht Klostergrab, von wo aus die Fort-
setzungsstrecke bis Mulde die Verbindung
mit den Königlich Sächsischen Staatsbahnen
über Freiberg herstellen sollte.
Durch die Unmöglichkeit, unter den
damaligen Zuständen des Geldmarktes
neue Titel zu begeben, war noch eine
ganze Reihe von Eisenbahnen [auch
garantirte] genöthigt, zur Deckung ihres
Geldbedarfes schwebende Schulden auf-
zunehmen, die ihnen später sehr drückend,
nicht selten auch bedrohlich wurden und,
da eine Aenderung der allgemeinen Ver-
hältnisse nicht sobald zu erwarten stand,
schliesslich dazu führten, dass die Actionäre
264
Ignaz Konta.
und Prioritäten - Besitzer zusammen-
wirkten, um ihre Unternehmungen vor
tiefgreifender Schädigung oder, wo es
bereits schlecht genug bestellt gewesen,
vor dem völligen Untergange zu bewahren.
Dass bei diesen Anstrengungen die grösste
Last auf die Schultern der Actionäre zu
liegen kam, ist natürlich. Dies entsprach
auch den von Seite der Regierung und
des Parlaments vielfach geäusserten An-
schauungen und wurde »Selbstsani-
rung« genannt.
Begreiflicherweise prallten bei diesen
Proceduren die Interessen - Gegensätze
heftig aneinander, es fehlte fast nirgends
an Weiterungen mit der Curatel, an Ein-
wendungen einzelner Prioritäre oder
Gruppen von solchen, an Auflehnungen
der Actionäre, endigte aber dann mit
Vergleichs-Abschlüssen. Um nicht diese
meistens sich gleichenden Vorgänge,
rücksichtlich jeder der betreffenden Ge-
sellschaften, einzeln erzählen und dadurch
in allzu ofte Wiederholungen verfallen
zu müssen, wurde, anknüpfend an das
eben Vorausgeschickte, hier blos ein
Verzeichnis derjenigen Unternehmungen
beigegeben, welche ihre Gesundung, sei es
ohneweiters, sei es erst in der letzten Phase
der Verlegenheiten, durch das eigenste
Hinzuthun und unbeirrt von speculativen
Nothhelfern, bewerkstelligt haben :
Benennung
der Bahn
Betrag
Bezeichnung
Jahr j Art und Weise
des zu decken gewesenen
Erfordernisses
der unternommenen Sanirung
Kaschau-Oder-
berger Bahn .
Oesterr. Nord-
westbahn . .
Buschtehrader
Bahn
fl.
4,600.000
3,766.440**)
3,700.000
Entschädigung der
Bauunternehmung
für Mehrleistungen
Ergänzung des
Bauaufwandes für
das garantirte Netz
und Betheiligung
am Ankaufe der
Wiener Verbin-
dungsbahn
Schwebende Schuld
1876/79
1877
1877
Kürzung der Actiencoupons*) um
je 1 fl. für alle Zeit
Kürzung der Coupons der [garant]
Actien lit. A um jährlich höch-
stens 2 fl.
Von 1877— 1886 Tilgung der Priori-
täten nicht durch Verlosung son-
dern durch börsenmässigen Rück-
kauf; Einlösung der Prioritäten-
Coupons lediglich in Silber; ferner
Bezahlung der Actien -Dividende
in Prioritäten III. Emission zum
Curse von 84%
*) ZurR
Bahn anlässlic
der Eperies-Tt
gewährt, hingi
193-577 A. 59 "k
artikel XXXV]
anlehen von n
Curse von 87
nichts zu scha
Protokollar-Ve
war, die Ansp
Regierung dies
Garantielast d
Bahnlänge nu
stitionszwecke
Grunde des G
welcher die 50
deckt. Die hi
Prioritäten hat
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I vom Jahr
om. 6,828.00
in Noten
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r 511.598 fl
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n eine Separat-Gara
prüngliche [concess
r zu Lasten der Actic
e 1879]. Auf Grundl
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übernahm. Die ös
afolge der zwischen
vom 23. December
lauunternehmung zi
n der im Ganzen 2,4
on 540.000 fl. auf sie
auf die Österreich
■en Strecke aber g
20. Juni 1879 die 1
sung und die Tilgur
ier Gesellschaft in
>ank im Januar 1880
egenheit
t der Et
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age der
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terreichi.
den beid
[875 die
x schlich
J8.390 fl.
;h genon
sehe Sti
ewährte
Erhöhung
ig eines
eben dl
zum Cu
en wurde der Kaschau-Oderberger
Werbung des ungarischen Theiles
jährlich 346.618 fl. 85 kr. in Gold
ige] Garantie in Silber um jährlich
■abgemindert [ungarischer Gesetz-
Separat-Garantie wurde ein Gold-
Anglo-Oesterreichische Bank zum
sehe Regierung hatte mit alledem
en Staatsverwaltungen getroffenen
ungarische Regierung verpflichtet
ten, nachdem die österreichische
betragenden concessionsmässigen
imen, obzwar im Verhältnisse der
ecke entfallen wären. Für Inve-
die österreichische Regierung im
• der Garantie um einen Betrag,
Nominalbetrages von 1,200.000 fl.
eser Höhe ausgegebenen Silber-
rse von 87-05 B.-N. übernommen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
265
Benennung
der Bahn
Betrag
Bezeichnung
des zu decken gewesenen
Erfordernisses
Jahr
Art und Weise
der unternommenen Sanirung
Böhm. - Nord-
bahn
Süd -norddeut-
sche Verb.-
bahn
Erste Ungar.-
Galiz. Eisen-
bahn
Pilsen- Priese-
ner Bahn . .
Tumau-Kralup-
PragerBahn
Kronprinz Ru-
dolt-Bahn . .
Ungar. West-
bahn
1,250.000
2,384-386
2,882.321
3,804.925
1,920.400
1,882.800
373-510
Schwebende Schuld
und Anlegung von
Reserven
Ueberschreitung
des garantirten Ca-
pitals
Restliche Bau-
schuldf) und unbe-
deckte Betriebs-
kosten
Schwebende Schuld
Schwebende Schuld
und Anlegung von
Reserven
Schwebende Schuld
Schwebende Schuld
1877
1878
1878
1878
1878/79
1881
Bezahlung von Zins und Capital
der Anlehen lediglich in Silber;
Sistirung der Prioritäten-Tilgung
bis längstens 1885; Verzicht der
Actionäre auf die Dividende inner-
halb desselben Zeitraumes***)
Kürzung der Actiencoupons um
je 1 ft. und Einlösung derselben
vom I. Juli 1879 bis zum I. Ja-
nuar 1882 in Prioritäten al pari
Einlösung der Actiencoupons vom
1. Juli 1878 bis zum I. Juli 1882
in Prioritäten II. Emission, und
zwar für 36 Coupons eine Obli-
gation ä 200 fl.
Sistirung der Prioritäten-Tilgung
und normalen Verzinsung bis
längstens Ende 1882; statt der
Letzteren sowie zur Abstossung
der schwebenden Schuld werden
die verfügbaren Ueberschüsse ver-
theilt: mit 75°/0 [später 70] an die
Prioritäre und mit 25°/0 [später 20]
an die Inhaber der schwebenden
Schuld
Verzinsung undTilgung der Priori-
täten nur in Silber; Verzicht der
Actionäre auf die Dividende bis
längstens 1884-)-)-)
Kürzung des Juli - Coupons der
Actien um 1 fl. durch neun Jahre
ab 1881
Kürzung des Actiencoupons um
je 1 fl. 25 kr in den vier Halb-
jahren vom 1. Juli 1885 bis I. Ja-
nuar 1887
Für die Investitions-Erfordernisse der ungarischen Linien hat die ungarische Regierung
gesondert vorgesorgt.
**) Früher war das Capitalconto des Ergänzungsnetzes mit diesem Betrage be-
lastet. Die Klarstellung der Rechtsverhältnisse zwischen den beiden gesellschaftlichen
Netzen machte aber die Uebernahme der ganzen Post auf das garantirte Netz und,
nachdem eine Garantie-Erhöhung unerreichbar gewesen, die Bedeckung zu Lasten der
Actionäre nothwendig.
***i Die Sanirung war bereits im Jahre 1881 beendet.
f) Ein bedeutender Theil des Mehraufwandes wurde schon früher von den beider-
seitigen Regierungen und von der Credit- Anstalt gedeckt [siehe Seite 83].
-J— {-j Die Sanirung war schon im Jahre 1881 beendet.
Wo aber Finanzkünste, welche auf
Sanirungs- oder »Entgründungs« - Ge-
schäfte abzielten, die Oberhand gewonnen
hatten, oder zu erringen bestrebt waren,
da spielten sich ganz andere Vorgänge
ab und mussten die Actionäre weitaus
grössere Opfer bringen, mitunter das
Eigenthum oder doch die Rente ihres
Besitzes fast ganz hingeben.
Solches widerfuhr beispielsweise den
Theilhabern der Graz - Köflacher
Bahn, deren Missgeschick aus einem
Erfordernisse von 1,000.000 fl. entstanden
war. Sie hatte die Kosten des Baues
266
Ignaz Konta.
der Linie Lieboch-Wies [siehe Seite 140]
und der Aufschliessung neu erworbener
Kohlenwerke [Steieregg] zu gering ver-
anschlagt, die in den Jahren 1873 und
1874 nachträglich ausgegebenen Titel
aber nicht mehr an Mann gebracht, ob-
zwar ihre Actien damals noch eine
Dividende von 7 ]/2 °/0 bezogen. Die
» schwebende Schuld« ward also auch
hier das leidige Auskunftsmittel.
Im Jahre 1875 wurde jedoch die
Placirung der Wechsel immer schwieriger
und es musste nun je eher getrachtet
werden, dieselben auf lange Sicht zu
stellen und in feste Hände zu bringen.
Dies gelang mit Hilfe des benachbarten
Gewerken August Z a n g, der vorerst
800.000 fl., dann im Jahre 1876 weitere
200.000 fl. gegen öy^/ßige Verzinsung
und Sicherstellung auf dem gesammten
Besitze der Gesellschaft herlieh, alsbald
aber auf andere Gedanken kam, noch im
selben Jahre die ganze Schuld kündigte
und hartnäckig jede Stundung verweigerte.
Damit begann das Unheil.
Für den ersten Augenblick half die
Oesterreichische Sparcasse in Wien mit
Vorschüssen aus, dann sistirte die Ge-
sellschaft die Zinsenzahlung auf die
Prioritäten und erwirkte von den sohin
eingesetzten Curatoren ein für unbestimmte
Zeit geltendes, achttägig kündbares Mora-
torium. Von der Vertretung der Priori-
täten-Besitzer war also vorläufig nichts
zu befürchten, umsomehr hingegen von
der im Juni 1877 anhängig gewordenen
Zang'schen Klage. Um einer zwangs-
weisen Sequestration vorzubeugen, ver-
einbarte der Verwaltungsrath mit den
Curatoren die freiwillige Aufstellung
eines Sequesters, und zwar in der
Person des Betriebs-Directors der Oester-
reichischen Nordwestbahn, Hermann Ritter
v. Rittershausen, der am 26. Juni
sein Amt antrat. Sequester, Curatoren
und Verwaltungsrath bemühten sich nun
gemeinsam der von Seite Zang's drohenden
Execution Einhalt zu thun und Zeit und
Mittel zur Befriedigung dieses Gläubigers
zu gewinnen, da die Aeusserung, welche
die schon früher von den Curatoren ent-
sendete Sachverständigen - Commission
über den Besitzstand umd die Ertrags-
fähigkeit des gesellschaftlichen Unter-
nehmens abgegeben hatte, den Sturz
desselben geradezu als Frevel erschienen
liess.
Mit welchen Absichten sich Zang trug,
wurde in authentischer Weise nicht klar-
gestellt; man muthete ihm zu, dass er
den gesellschaftlichen Besitz unter den
Hammer bringen und dann an sich
reissen wolle. Das mag denn doch,
wenigstens dem vollen Umfange nach,
nicht richtig gewesen sein; denn schliess-
lich gab er sich mit Frachtermässigungen
für seine Kohlensendungen zufrieden und
willigte hiefür — unter Vorbehalt der
Executionsführung blos auf die Wieser
Werke — in ein Moratorium bis Ende
November 1877.
Nun, da wieder Zeit gewonnen war,
ging es an die Entwerfung von Sanirungs-
plänen. Der Verwaltungsrath selbst, so-
wie nachher auch der Wiener Bank-
verein machten bezügliche Vorschläge,
die aber, weil sie die Prioritäten-Besitzer
zu stark getroffen hätten, dem Wider-
stände der Curatel begegneten. Während
dessen machte die Soci6te beige de
chemins de fer, welche damals allent-
halben in Oesterreich nach einem guten
Fischzuge auslugte, sich an die Sache
heran. Die Verhandlungen dauerten aber
so lange, dass darüber die Zang'sche
Zufristung verstrich und wieder Gefahr
im Verzuge war und die Gesellschaft
sich nothgedrungen an den ihr von den
Belgiern gereichten Strohhalm klammerte.
Die Prioritäten-Besitzer kamen dabei
verhältnismässig gut, die Actionäre aber
um desto schlimmer weg; denn der am
22. November 1877 mit der Societe beige
geschlossene Vertrag lautete im Wesent-
lichen dahin, dass die Baarzahlung der
Prioritätenzinzen je nach dem Range der
Obligationen um ein bis drei Jahre
hinausgeschoben und inzwischen durch
eine Vergütung in neuen 2°/0igen Priori-
täten ersetzt werde, ferner dass alle un-
begebenen Actien zu vernichten und alle
im Umlaufe befindlichen [32.798 Stück
ä 200 fl.] einzuziehen, statt dieser aber
34.000 neue Actien ä 200 fl. auszugeben
seien, wovon 5467 Stück zur Einlösung
der alten Actien im Verhältnis von einer
neuen auf je sechs alte dienen, 167 Stück
zur Auswechslung; der Caution bei der
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
267
Credit-Anstalt verwendet und die rest-
lichen 28.366 Stück im Nennwerthe von
5,673.200 in das Eigenthum der Societe
beige übergeben werden sollten, welche
hiefür die Zang'sche Forderung und
die Schuld an die Sparcasse im Ge-
sammtbetrage von 3,224.308 fl. tilgt
und sodann die als Pfand bei der Spar-
casse hinterlegten unbegebenen Priori-
täten und Actien an die Gesellschaft
zurückstellt. Ueberdies hatte die Societe
beige auf die Dauer von neun Jahren
[1878 bis 1886] jenes Reinerträgnis,
welches als Dividende zu vertheilen
käme, für sich in Beschlag genommen
und die Aufhebung der Sequestra-
tion ausbedungen. [Letztere erfolgte am
31. December 1877.]
Vor die Alternative gestellt: Concurs
oder Vertrag mit der Societe beige,
wählten die Actionäre in der ausser-
ordentlichen Generalversammlung vom
19. December 1877 den Vertrag als das
kleinere Uebel und räumten den Belgiern
auch sofort drei Stellen im Verwaltungs-
rathe ein. Jetzt zu einem Häuflein der »übri-
gen Actionäre« zusammengeschrumpft,
wurden die vorhin mit Recht beneideten
ehemaligen Vollbesitzer der Graz-Köf-
lacher Eisenbahn- und Bergbau-Gesell-
schaft sich denn doch allmählich ihrer
neuen Lage bewusst. Das alte Unter-
nehmen war wohl aufrecht erhalten, aber
fünf Sechstheile des Eigenthums daran war
ihnen — gelinde gesagt — entschwunden
und bezüglich des letzten Sechstheiles kein
genügender Einfluss verblieben.
Einzelne der alten Actionäre forderten
also, anlässlich der Generalversammlung
vom 28. Juni 1878, die Bestellung eines
Comit6 zur Erforschung der Ursache
des grossen Capital-Verlustes, andere
hingegen verlegten sich aufs Bitten um
Zugestehung einiger Einflussnahme und
Zuwendung wenigstens eines Bruch-
theiles der Erträgnisse noch vor Ablauf
der neunjährigen Sperre — woraufhin
die Belgier sofort versicherten, stets »in
loyaler Weise vorgehen« zu wollen. Ob
ihnen nun mit jener Zusicherung wirk-
lich ernst oder nur darum zu thun war,
beschwichtigend einzuwirken — jedenfalls
hatten sie das Letztere erreicht und
auch guten Grund hiefür gehabt.
Auf der Tagesordnung dieser General-
versammlung stand nämlich die Beschluss-
fassung über die Uebertragung des
Betriebes an die Südbahn auf die
Dauer von fünfzig Jahren, wie sie die
Societe beige noch vor der Eingehung
des Vertrages mit der Graz-Köflacher
Bahn schon mit der Südbahn verabredet
hatte und nun ins Werk setzen wollte.
Nach den Präliminarien war der Südbahn
für die vollständige Versehung des Be-
triebsdienstes, einschliesslich der Erhal-
tung und Erneuerung der Bahn, des
Fahrparkes und des Inventars, eine Ver-
gütung von 4O°/0 der Roheinnahme in-
solange dieselbe den Betrag von
1,050.000 fl. nicht übersteigt, für den
über diesen Betrag hinausgehenden
Ueberschuss bis zu 100. 100 fl. 45°/o un&
für weitere Ueberschüsse 5O°/0 zugesagt.
Die Vergütung durfte aber nie weniger
als 320.000 fl. pro Jahr betragen ; auch
sollte die Südbahn berechtigt sein, für
Erweiterungsbauten und Vermehrung des
Betriebsmaterials io°/0 von dem Betrage,
um welchen die jährliche Roheinnahme
über 1,200.000 fl. hinausreicht, vorweg
in Abzug zu bringen und die Fahr-
betriebsmittel wie ihre eigenen zu ver-
wenden. Das Personale sollte auch
weiterhin dem Pensionsfonds der Graz-
Köflacher Bahn angehören, die Südbahn
aber jene statutenmässigen Leistungen
auf sich nehmen, welche bisnun der
Graz-Köflacher Bahn oblagen.
Die Generalversammlung genehmigte
— *■ man möchte fast sagen selbstverständ-
lich — auch dieses Vorhaben der Societe
beige und der Betrieb überging am
I. September 1878 an die Südbahn, wie-
wohl der Betriebsvertrag selbst erst am
5. September, als dem Tage der Zu-
stimmung der Regierung endgiltig abge-
schlossen wurde. Die »alten« Actionäre
hatten also nicht nur den grössten Theil
ihres Capitals, sondern jetzt auch die
eigene Führung des Betriebes verloren.
Das war der Schlusspunkt einer »Sani-
rung«, die stets an jene trübe Zeit er-
innern wird, in der es möglich ge-
wesen, dass eine vorzügliche, daher
auch bald wieder zu neuem Wohl-
stande gelangte Unternehmung mit
einem gut fundirten Capitale von
268
Ignaz Konta.
13,280.000 fl.,*) wegen einer anfang-
lichen Schuld von 800.000 fl. fast dem
Untergange verfallen und einem Ge-
schicke, wie das eben geschilderte,
preisgegeben sein konnte.
Uebrigens erwies sich die Society
beige sehr fürsorglich um das Gedeihen
der nun sozusagen ihr gehörenden Graz-
Köflacher Unternehmung; sie streckte
Geld vor zum Ankauf zweier neuer
Kohlenwerke und suchte sich auch in
der Verwaltung nützlich zu machen. Als
die vermehrte Production und Verfrach-
tung der Kohle eine erhebliche Steigerung
der Erträgnisse in nahe Aussicht stellte,
fühlte sie sogar ein menschlich Rühren
für die alten Actionäre, zu deren Gunsten
sie nun, gegen entsprechende Vergütung,
die Vertheilüng einer Dividende freigeben
wollte. Das meinte sie in der Weise zu
veranstalten, dass 15.000 Seconde-Actien
ä 200 fl. ausgegeben und ihr [der SocieteJ
in Ablösung aller ihrer Ansprüche über-
antwortet werden.
Die Generalversammlung vom
28. Mai 1880 ging ohneweiters hierauf
ein; die Regierung aber liess die Ab-
machung nicht zu [Erlass vom 12. Juni
1881], weil die mit einem gleichen
Stimmrechte, wie die Stammactien, aus-
gestatteten Seconde-Actien, die ersteren
vollends erdrücken konnten. Es wurde
also ein anderer Plan entworfen : die
Societe beige verzichtet auf den ferneren
Einbehalt der Reinertragnisse, wenn ihr
dafür sowie als Zahlung für die ob-
erwähnten [neuen] Darlehen von etwa
800.000 fl., gesellschaftliche Debitoren
mit 400.000 fl. und 2000 Stück neue,
mit den alten vollkommen gleichwerthige
Actien al pari übergeben werden. Der
Verwaltungsrath holte hierüber in der
ausserordentlichen Generalversammlung
vom 7. November 1881 die »Willens-
meinungc der Actionäre ein, die natür-
lich bejahend ausfiel und zugleich, unter
Widerrufung früherer Beschlüsse, die
*) Nach der Sanirung hatte das Gesell-
schafts-Capital hingegen die Höhe von
14,262.850 fl. und gliederte sich in 34.000
[neue] Actien ä 200 fl. = 6,800.000 fl., die
alten [drei] Prioritäts-Anlehen von zusammen
6.720.000 fl. und das neue 2'/0ige Anlehen
von 743-850 fl.
Erhöhung des Actiencapitals durch Aus-
gabe von 4000 Actien guthiess, wovon
2000 Stück an die Societe beige ausge-
folgt, die anderen 2000 Stück aber für
Investitionszwecke aufbewahrt werden
sollten. Auch die Regierung genehmigte
noch vor Ablauf des Jahres 1881 die
neue Vereinbarung.
Im Jahre 1882 erfreuten sich die
Actionäre nun wieder des Bezuges einer
Dividende, welche, nach den Beschlüssen
der Generalversammlung vom 28. April
gleich, diesmal 11 fl. betrug. Demzufolge
wurden die Actien wieder >mit Zinsen
gehandelt« und gingen bald über pari.
Das benützte die Societe beige, um einen
Posten von 24.000 Stück aus ihrem
Actienbesitze an die Unionbank und deren
Consorten zu verkaufen. Nimmt man
an, dass dies zu einem Preise ge-
schah, welcher dem 1882er Jahres-
Durchschnittscurse der »Köflacher«
gleichkam [217 fl. 95 kr.], dann hatten
die Belgier einen Erlös von rund
5,230.000 fl. und sohin, gegenüber
ihrem ersten Aufwände, einen baaren
Gewinn von mehr als 2,000.000 fl. er-
zielt, ungerechnet die ihr noch ver-
bliebenen 6366 Actien, welche damals
einen Werth von 1,387.500 fl. besassen
und ungerechnet die Eingänge von den
übernommenen Debitoren [400.000 fl.],
woraus sie sich allerdings noch für den
zweiten Aufwand von 800.000 fl. bezahlt
zu machen hatte.
Da die Gesellschaft keinen Eisenbahn-
betrieb mehr zu führen hatte, trat ihr
langjähriger und verdienstvoller General-
Director, Reinhold Eisl, welcher unter
den Misslichkeiten und Aufregungen der
letzten Jahre bedeutenden Schaden an
seiner Gesundheit erlitten, am 1. Juli
1882 in den Ruhestand. Zu seinem Nach-
folger wurde der gesellschaftliche Berg-
director, Josef Rochlitze r, berufen.
Beinahe wäre es wie der Graz-Köf-
lacher auch der Dux-Bodenbacher
Bahn ergangen, der ebenfalls die Societe
beige, und zwar zunächst mit einem
7°/0igen, primo loco sichergestellten, aber
auch durch zwei Jahre gar nicht und später
nur halbjährig kündbaren Darlehen von
4,500.000 Reichsmark zu Hilfe gekommen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
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270
Ignaz Konta.
Bis zu diesem Stadium sind die Drangsale
der Gesellschaft schon an früherer Stelle
besprochen [siehe Seite 234 f.] ; wir
brauchen uns also nurmehr mit der letzten
Etape zu beschäftigen. Als aus jenem
Darlehen die Schuld an Klett & Comp, im
Betrage von 3,814.290 Reichsmark getilgt
war, ging der Verwaltungsrath, der bereits
zwei Vertreter jener Geldgeberin in seine
Mitte aufgenommen hatte, daran, das
Sanirungs-Pro visorium ehemöglichst durch
eine dauernde Regelung der finanziellen
Verhältnisse der Gesellschaft zu ersetzen.
Zugleich begann die Societe beige
auch hier ihre Netze weiter auszuwerfen
und schlug vor: das Darlehen möge in
ein 5°/0iges Prioritäts - Anlehen umge-
wandelt werden, das sie al pari über-
nimmt ; an Stelle der bestehenden Priori-
täts-Anlehen seien je nach ihrer Rang-
ordnung — A°lolSe und 3 %ige Obligationen
auszugeben ; der Staatsvorsehuss von
1,200.000 fl. sei gleichfalls in 3°/oigen
Prioritäten zurückzuzahlen; von den be-
stehenden 33.000 Actien ä 200 fl. sollen 8500
Stück eingezogen und vernichtet, ebenso-
viele den Actionären belassen, die übrigen
16.500 Stück aber der Societe beige aus-
geliefert werden. Die Prioritäten-Besitzer
sollten also nicht blos an die zweite Stelle
rücken, sondern auch Zinsen einbüssen,
die Actionäre aber mit einem Schlage
drei Viertheile ihres Capitals verlieren.
Dass diese sich dagegen sträubten und,
selbst nachdem die Societe beige ihren
»Vorschlag« etwas verbessert hatte, den-
selben in der ausserordentlichen General-
versammlung vom 27. December 1877
[zweite Sitzung] ablehnten, scheint die
Belgier beleidigt zu haben, denn sie zogen
ihren Antrag stolz zurück. Sie hatten aber
Schule gemacht; die Dresdener Bank in
Gemeinschaft mit den Gebrüder Sulzbach,
das Bankhaus Erlanger u. A. traten mit
ähnlichen Propositionen hervor, brachten
jedoch damit nichts anderes zu Wege,
als eine neuerliche Vermehrung der
schier zahllosen Generalversammlungen
und Conferenzen.
Inzwischen war aber die Frage, ob
denn die Dux-Bodenbacher Bahn über-
haupt noch sanirungsbedürftig sei, auf-
geworfen und von der öffentlichen
Meinung sofort in lebhafte Erörterung
gezogen worden, was freilich den Sani-
rungswerbern wenig passte. Die General-
versammlungen vom 21. und 27. Decem-
ber 1877 sollten am 31. Januar 1878
ihre dritte Fortsetzung . finden und in
dieser Gelegenheit bieten zur neuerlichen
»Berathung und Beschlussfassung über
die definitive Regelung der finanziellen
Verhältnisse der Dux-Bodenbacher Bahn«.
Gleichzeitig lud auch das »Dresdener
Comite der Prioritäten- Besitzer« diese
auf den 21. Januar zu einer Versamm-
lung in Dresden ein. Für die letztere
hatten — ■ sehr bemerkenswerther Weise
— die Anmeldungen bei der Dresdener
Bank zu geschehen. Für die erstere Ver-
sammlung rief der Publicist und uner-
schrockene Vertheidiger bedrohter Ac-
tionär-Interessen, Ludwig Schönberger
in Wien, der schön die Fusion mit der
Aussig-Teplitzer Bahn heftig bekämpft
hatte, zur regen Betheiligung auf. Und
während so die Spannung sich zusehends
steigerte, führte der gesellschaftliche
Director, Johann Pechar, in einer Denk-
schrift den Beweis, dass die Sanirungs-
frage, »wenn man sie überhaupt für
begründet halten will, sicherlich keine
dringende sei, demnach die Unternehmung
besser sich selbst überlassen bleibe bis
zu dem unmöglich ferneren Zeitpunkte,
in welchem die Regelung ihrer Verhält-
nisse ohne Hinopferung des Vermögens
oder der Selbständigkeit der Gesellschaft
möglich geworden«.
Trotzdem, wie auch entgegen der von
den Curatoren in der Dresdener Versamm-
lung der Prioritäre abgegebenen Er-
klärung, dass »eine Verkürzung der Zinsen,
insbesondere eine dauernde, ganz und gar
nicht erforderlich sei«, sprach sich die
Versammlung zu Gunsten der Kürzung
aus, wenn die Wiederaufnahme der Zinsen-
zahlung sogleich erfolge. Dieses Votum
sah einer Befürwortung der Offerte, welche
die Dresdener Bank jetzt zu stellen im
Begriffe war, zum Verwechseln ähnlich;
denn das am 30. Januar 1878 thatsäch-
lich dem Verwaltungsrathe zugekommene
Angebot [dessen vollständige Wiedergabe
viel zu umständlich wäre] lief im Wesent-
lichen auf eine bleibende Herabsetzung der
Prioritäten-Verzinsung und auf die Annul-
lirung des halben Actiencapitals hinaus.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
271
Noch überraschender war die Ver-
leugnung der Pechar'schen Denkschrift
von Seite des Verwaltungsrathes, welcher
dieselbe, ohne auf sie näher einzugehen,
in der Generalversammlung vom 3 I.Januar
1878 als eine Privatarbeit des Directors
hinstellte, was gewiss mit dazu beitrug,
dass die Offerte der Dresdener Bank
angenommen wurde, welche letztere sich
daher schon als neue Machthaberin der
Gesellschaft wähnte, und auch, zusammen
mit dem Verwaltungsrathe, sofort die
Reducirung des alten Actiencapitals sowie
die Einladung der Actionäre zum Bezüge
der neuen Titel verlautbarte.
Da trat aber derCurator der Prioritäten
IL und III. Emission, Dr. Golitschek,
dazwischen, indem er sowohl bei der
Curatel-Behörde, als auch beim Handels-
ministerium Einsprache erhob, was sofort
zur Folge, hatte, dass das Kreisgericht
Leitmeritz die Prioritäten -Besitzer zur
Einvernehmung über die Sanirung ein-
berief. Die Tagfahrten fanden am 3. und
4. April statt, lieferten aber kein ent-
scheidendes Ergebnis, weil die neuerlich
ausgesprochene Annahme der Dresdener
Offerte nochmals von der Curatel ab-
lehnend beantwortet wurde ; hingegen
brachten sie einen interessanten Zwischen-
fall. Die Belgier liessen ihre Minen
springen, um der Dresdener Bank das
Sanirungs-Geschäft zu entwinden oder
doch zu verderben ; sie thaten entrüstet,
dass bei der »vollständig solventenc Dux-
Bodenbacher Bahn eine Verkürzung der
Gläubiger sollte vorkommen dürfen, ' und
machten sich ihrerseits anheischig, mannig-
fache Erleichterungen, insbesondere die un-
verweilte Wiederaufnahme der Prioritäten-
Verzinsung eintreten zu lassen, falls die
Dresdener Offerte abgelehnt würde, was
die Behörde sofort zu Protokoll nahm.
Hiemit und mit einer gleich darnach
gestellten neuen, sehr gewundenen Offerte,
in der sie aber an dem Verlangen, dass
die Actionäre der »vollständig solventen«
Bahn die Hälfte ihres Besitzes einbüssen
sollen, fast gar nichts änderten — glaubten
die Belgier wieder das Heft in ihre Hände
zu bekommen. Die Dresdener Bank über-
bot sie aber durch Zusatzanträge zur
eigenen Offerte, gewann damit die
Majorität der Generalversammlung vom
6. Mai 1878, und bewirkte mit Hilfe
derselben eine völlige Neuwahl des Ver-
waltungsrathes, was gleichbedeutend war
mit einem förmlichen Ausschlüsse der
Belgier. Diese gaben sich aber nicht
geschlagen, sondern lösten in aller Stille
dem Staate seine Forderung an die Gesell-
schaft zum vollen Werthe von 1,200.000 fl.
ab, um gegen die letztere ein neues
Pressionsmittel zu gewinnen. Es war
daher kaum abzusehen, zu welchen
weiteren Sonderbarkeiten diese Kämpfe
und Ränke noch führen mochten. Zum
Nutzen der Gesellschaft fanden sie jedoch
ein jähes Ende, indem die Curatel-Behörde
mit Bescheid vom 8. Juni 1878 die ge-
sammte Offerte der Dresdener Bank
»wegen Rechts Verkürzung der Prioritäten-
Besitzer« verwarf.
Die bitteren Erfahrungen, welche die
Theilhaber und Gläubiger der Gesellschaft,
namentlich in der letzten Zeit, mehr als
zur Genüge gemacht hatten, schlössen
dieselben enger aneinander, und vereinigten
sie endlich zur Verwerthung und Aus-
nützung der eigenen Kraft. Kurze Zeit
hindurch bestanden zwar noch Meinungs-
verschiedenheiten über die Durchführung
der Selbsthilfe; als jedoch derCurator
Dr. Golitschek einen Plan ersann, der
die Gegensätze thunlichst ausglich, ging
die Sache nunmehr rasch von Statten.
Jener Plan beruhte im Wesentlichen
auf folgenden Grundlagen: »Die Forde-
rung der Societe beige von 4,500.000
Reichsmark wird aus den vorhandenen
Betriebs-Ueberschüssen bis 1. November
1879 bezahlt, das etwa Fehlende im
Wege einer Anleihe beschafft ; am 1 . No-
vember 1879 wird die Verzinsung und
Tilgung der Prioritäten aller Emissionen
wieder aufgenommen ; die an die Societe
beige übergegangene Forderung des
Staates von 1,200.000 fl. wird durch
Aufnahme einer höchstens mit 6°/0 ver-
zinslichen und den Prioritäten-Dienst
nicht beeinträchtigenden schwebenden
Schuld bis Ende October 1879 zurück-
gezahlt; zur Fundirung dieser Schuld
werden die bei der Society beige ver-
pfändeten und nun zurückfliessenden
Goldprioritäten im Betrage von nom.
1,599.900 fl. verwendet; die verfallenen
Prioritäten-Coupons werden gegen 5°/o'ge
272
Ignaz Konta.
Prioritäts-Actien zum Curse von 90 ein-
gelöst.
Der Plan wurde am 16. November
1878 vom Verwaltungsrathe, und am
18. Februar 1879 von der Curatel-
Behörde genehmigt. Mittlerweile war
mit den Belgiern [die noch mit einem
Recurse an das Obergericht gegen die
neue Sachlage anstürmen wollten, den-
selben aber alsbald zurücknahmen] ein
Abkommen hinsichtlich der Empfang-
nahme der Zahlungen getroffen, und eine
beschränkte Offertverhandlung wegen der
Begebung der vorerwähnten Goldpriori-
täten ausgeschrieben worden, auf welche
hin zwei Angebote einliefen, von denen
jenes der Dresdener Bank und Consorten
mit dem Curse von 72% in Gold ange-
nommen wurde.
Im selben Masse als dieser Stand der
Dinge grundverschieden war von der
unerquicklichen, oft auch bedrohlichen
Lage, in welcher die Gesellschaft sich
jahrelang befunden hatte, war jetzt auch
die Stimmung der Actionäre eine andere.
»Freude über die glücklich überstandenen
Drangsale und froher Muth zum Eintritte
in eine neue bessere Aera« sprach sich
im ganzen Verlaufe der Generalversamm-
lung vom 8. Mai 1879 aus; alle die vor-
erwähnten Massnahmen, wie auch die
Vereinbarungen mit den Curatoren fanden
einhellige Zustimmung, und als der
Publicist Schönberger in einer kernigen
Rede ausführte, wie mit eben diesen
Beschlüssen »die Krönung des Gebäudes
der Selbstsanirung erfolgt sei — einer
Sanirung, welche er allen bedrängten
österreichischen Eisenbahnen als Vorbild
hinstellen möchte — und zu deren Er-
zielung wesentlich beigetragen zu haben,
ihm zur besonderen Genugthuung ge-
reiche«, da erntete er allseitige Dankes-
bezeugung.
Die eingetretene Wandlung, so sehr
sie auch der Ausfluss blosser Natürlich-
keit gewesen, erschien dennoch allen
Betheiligten wie ein Wunder. Vor drei
Jahren mit etwas über neun, dann gnaden-
weise mit zehn Millionen bewerthet,
gleich darauf als dem Concurse verfallen
angesehen und von keinem heimischen
Finanzinstitute einer loyalen Hilfeleistung
werth gehalten, nachher zum Spielball
geschäftslüsterner Ausländer geworden,
stand die Dux-Bodenbacher Bahn nun mit
einem Male gesund und kräftig da, sich
selbst zurückgegeben, mit intactem Capi-
tale und wohl ausgerüstet für den ihr
zukommenden grossen Verkehr. Die Ver-
suche der Krankmachung und Wieder-
herstellung dieser Unternehmung und
die dabei zu Tage getretenen Machen-
schaften und Seltsamkeiten, müssen daher
gleichfalls allen Eisenbahn- Verwaltungen
eine laute Mahnung und Warnung bleiben.
Am 7. Juni 1879 erhielten die Sta-
tu ten-Aenderungen die behördliche Geneh-
migung ; am 2 1 . Juni wurde der Vertrag
mit den Curatoren abgeschlossen, am
18. October der Umtausch der gestunde-
ten Prioritäten-Coupons gegen Prioritäts-
Actien ins WTerk gesetzt, am 31. October
die letzte Schuldpost an die Societe beige
gezahlt und am 9. December 1879 die
Curatel aufgehoben. Pro 1880 genossen
auch die Stammactien bereits wieder
eine 4%ige Dividende und pro 1881 so-
gar schon eine i°/0ige Superdividende,
die dann stetig zunahm. Im selben Ver-
hältnisse bewegte sich der Curs der
Actien nach aufwärts ; er stieg noch im
Jahre 1879 von 45 auf io2-8o, erreichte im
Jahre 1881 die durchschnittliche Höhe von
302*36 und im Jahre 1883 jene von 377.
Der Capitalstand der Gesellschaft
war bei ihrem Eintritte in die neue Aera
folgender : 33.000 Stammactien ä 200 fl.
= 6,600.000 fl., 16.119 Prioritäts-Actien
a 100 fl. = 1,61 1.900 fl., 46.000 Silber-
prioritäten ä 150 fl sa 9,900.000 fl.,
J3-333 Goldprioritäten ä 150 fl. =
1,999.950 fl., insgesammt 20,111.880 fl.
Ein wesentlich anderes Bild zeigten
die Fortsetzungen der Sanirung der Erz-
herzog Albrecht-Bahn, die aber
i gleichwohl an dieser Stelle ihre Bespre-
I chung finden mögen. Wir sind ihnen
j bereits bis zur 5Ou/0igen Belehnung der
j Second-Prioritäten im Betrage von nom.
4,000.000 fl. durch das Haus Erlanger
■■ und den gescheiterten Fusionsversuchen
: gefolgt [siehe Seite 220 f.] und können
nun dort anknüpfen. Die Belehnungsfrist
nahte kaum ihrem Ende, als das Haus
Erlanger schon Zahlung verlangte. Es
| wäre also gleich jetzt wieder zu ernsten
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
273
Verlegenheiten gekommen, wenn nicht
die Regierung den Wiener Bankverein
vermocht hätte, die Belehnung zu
übernehmen. Auf die von der Gesell-
schaft nachgesuchte Erhöhung der Staats-
garantie bis zu dem im Gesetze vom
25. Mai 1871 vorgesehenen Maximal-
betrage, das ist um noch 42.000 fl. jähr-
lich, wie dies für den Fall der Fusio-
nirung in Aussicht genommen war, ging
die Regierung aber nicht ein. Die Gesell-
schaft musste sich mit einigen ander-
weitigen Zugeständnissen, wie mit der
Austragung der Collaudirungs-Mängel zu
Lasten des Betriebes, dann der Herab-
minderung der ihr obliegenden Verpflich-
tung zur Hinterlegung von Reserven
[Protokoll vom 23. October 1876] begnü-
gen und sich dadurch forthelfen, dass sie
die Actiencoupons seit 1875 nur mit je
I fl. oder überhaupt gar nicht einlöste.
Letzteres war auch hinsichtlich des
Juli-Coupons vom Jahre 1878 der Fall,
obzwar die Regierung auf Grund des
Gesetzes vom 14. December 1877 die
in den Jahren 1873 — 1875 aufgelaufenen
Betriebsdeficite anerkannt und zufolge
des Protokolls vom 18. Mai 1878 zur
Bedeckung in dem vereinbarten Betrage
von 245.5480. 79 kr. übernommen hatte;
denn derselbe wurde der Gesellschaft
nicht zur freien Verfügung überlassen,
sondern für Brücken- Reconstructionen,
für Reserven und mit 105.000 fl. zur
Zahlung an die Mailänder Baubank
[respective deren Concessionärin] be-
stimmt, da die Gesellschaft, nach langem
Hader mit dieser vertragbrüchigen Unter-
nehmung, sich zu einem Vergleiche ver-
stand, wonach dieselbe mit 190.000 fl.
abgefunden wurde, wovon die Summe
von 100.000 fl. vom 1. Juli 1878, der
Rest sammt 5"/0 Zinsen in fünf gleichen
Halbjahrsraten zu entrichten war.
So schleppte sich die Sanirungsfrage
hin, bis endlich im ersten Drittel des
Jahres 1879 die Begebung der Second-
Prioritäten gelang. Die Allgemeine öster-
reichische Boden-Creditanstalt und der
Wiener Bankverein stellten im Februar
das gemeinsame Angebot auf Uebernahme
jener Prioritäten [4,000.000 fl. in Gold]
zum Curse von 8o°/0, besserten dann
Vi0/0 zu, worauf mit Genehmigung der
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Regierung der Zuschlag erfolgte und die
Generalversammlung vom 26. Mai 1879
zur Kenntnis nehmen konnte, dass »für
die Actionäre nunmehr der Zeitpunkt
gekommen sei, in welchem sie über jene
Rente verfügen können, welche ihnen
nach der Bedeckung des Erfordernisses
für die Verzinsung und Tilgung der
Prioritäten von der Staatsgarantie er-
übrigt«. Thatsächlich wurden die Actien-
coupons fortan regelmässig mit I — 2 fl.
eingelöst.
Wichtiger für den Bestand der Gesell-
schaft war jedenfalls, dass sie nun
schuldenfrei war. Mit dem Erlöse für
die Prioritäten wurde nämlich sofort die
Schuld an die Sparcasse mit 2,300.000 fl.
getilgt und die vertragsmässige Dotirung
der Fonds [für Brückenbau mit 750.000 fl.,
für allgemeine Reserven mit 200.000 fl.]
vorgenommen. In dieser Beziehung
konnte die Sanirung jetzt wirklich als
beendet gelten. Eine Erhöhung der
Actienrente stand nicht mehr zu erwarten,
so lange das durch die Second-Priori-
täten gesteigerte Erfordernis für den
Titeldienst keine Aenderung erfuhr.
Zugleich mit der Ordnung der finan-
ziellen Verhältnisse trat auch eine Aen-
derung in der Geschäftsleituno; der Ge-
sellschaft ein, indem statt des bisherigen
General-Secretärs der Vice-Secretär im
Handelsministerium, Dr. Franz Liharzik,
der als Stellvertreter des landesfürstlichen
Commissärs der Erzherzog Albrecht-Bahn
deren Verhältnisse genau kannte, auf
diesen Vertrauensposten berufen wurde.
Die Gesellschaft kam jedoch nicht mehr
dazu, weitergehende Reformen einzu-
führen ; denn schon nach Jahresfrist ver-
fügte die Regierung auf Grund des § 22
der Concessions-Urkunde die Uebernahme
des Betriebes der Erzherzog Albrecht-
Bahn in die Verwaltung des Staates
und brachte diese Verfügung, nachdem
die Uebernahms-» Modalitäten« am 17. Juli
1880 protokollarisch festgestellt worden
waren, am I. August 1880 zum Voll-
zuge. Hiebei ernannte sie den Director der
Ersten Ungarisch-Galizischen Eisenbahn,
Regierungsrath Max Pichler, zum k. k.
Betriebsverwalter und den obenerwähnten
gesellschaftlichen General -Secretär zum
Betriebs Verwalter -Stellvertreter.
18
274
Ignaz Konta.
Diesen Massnahmen wurde von Seite der
Oeffentlichkeit sofort eine symptomatische
Bedeutung beigelegt; man folgerte daraus,
da nunmehr schon vier jüngere galizi-
sche Bahnen sozusagen unter einer Ver-
waltung vereinigt waren, auf ein Wieder-
aufleben des Transversalbahn-Projectes.
Indessen vergingen bis zur Verwirklichung
desselben noch einige Jahre.
Weiterhin gab es also eigentlich nur
noch zwei nothleidende Bahnen, die
Mährische Grenzbahn, welche, nach-
dem ihr im Jahre 1879 statt der von der
Regierung vorgeschlagenen Garantie-Er-
höhung blos ein Vorschuss von 75.000 fl.
[siehe Seite 234] zur noch einmaligen Voll-
zahlung der Prioritätenzinsen — und auch
dieser unter parlamentarischem Donner
und Blitz — gewährt worden war, fortan
sich selbst überlassen blieb, und die
Mährisch-Schlesische Central-
bahn, deren Geschicke wir bis zum
Aufgeben des Baues der Linie Trop-
pau - Vlarapass schon früher kennen
lernten [siehe Seite 100 ff.]. Von da an
ging es mit der Gesellschaft rasch ab-
wärts.
Weder das Gesetz vom 3. Mai 1874,
welches zur neuen Sicherstellung dieser
[ursprünglich ohne jede staatliche Be-
günstigung concessionirten] Linie eine
Staatsgarantie von 51.800 fl. pro Meile
auf die Dauer von 20 Jahren gewährte,
noch das Gesetz vom 28. März 1875,
welches die Garantie auf 90 Jahre zu-
gestand, führte zur Wiederaufnahme des
Baues. Die Concessionäre der Waagthal-
bahn, auf deren Bewerbung gehofft wurde,
waren selbst in Bedrängnis gerathen,
andere Unternehmer fanden sich nicht
ein, die eigene Bewerbung der Mährisch-
Schlesischen Gentralbahn blieb erfolglos,
weil die Regierung garantirte und un-
garantirte Linien nicht mehr in eine
Hand geben wollte, und der Staatsbau,
den das letzterwähnte Gesetz, für den
Fall, als eine Concessionirung nicht zu-
stande käme, vorgesehen hatte, wurde
nicht unternommen. Die von der Ge-
sellschaft bereits vollführten Leistungen
auf der Strecke Troppau - Zauchtl ver-
loren aber immer mehr an Werth, je
fraglicher ihre Wiedernutzbarmachung
sich gestaltete.
Das verschlimmerte natürlich die Lage
der Gesellschaft, denn die betreffenden
Kosten überstiegen den Betrag von
4,500.000 fl. und mit dem Schwinden
ihres Werthes nahm auch die Sicher-
stellung der für sie ausgegebenen Titel*)
ab. Eine Bedrohlichkeit war eingetreten,
als am 1. Juli 1874 der Prioritäten-Coupon
uneingelöst blieb, dieselbe wurde jedoch
durch einen mit dem zum Curator be-
stellten Hof- und Gerichts- Advocaten
Dr. Karl G a b e r abgeschlossenen Ver-
gleich und als dieser über Recurs
ausländischer Besitzer von Prioritäten
I. Emission wieder aufgehoben werden
musste, durch ein Sich erstellungs-Protokoll
vorübergehend abgewendet. Sie lebte in-
des bald wieder auf; die Prioritäten-
Besitzer, auch hier durch ausländische
Comitis gegängelt, wollten die Bahn
kurzweg an sich nehmen, die Obligationen
in Prioritäts-Actien umwandeln, allenfalls
sogar das ganze Unternehmen zwangs-
weise veräussern [Herbst 1876].
Die Gesellschaft ihrerseits wehrte sich
so gut sie konnte. Dabei kam ihr zu
Statten, dass das Consortium des Grafen
August Breuner [Waagthalbahn], trotz
der Schwierigkeiten, mit denen es selbst
zu kämpfen hatte, denn doch die Anwart-
schaft auf die Concession der Linie Troppau-
Vlarapass erlangt und daraufhin auch
schon eine Anzahlung von 80.000 fl. auf
die zu übernehmenden Entitäten dieser
Linie an die Gesellschaft geleistet hatte
sowie ferner, dass der infolge des russisch-
türkischen Krieges [1877] eingetretene
rege Begehr nach Fahrbetriebsmitteln,
den Abverkauf einiger Maschinen und
*) Nach der Einstellung des Baues hatte
die Unionbank, als finanzirendes Institut, von
den für die Linie Troppau - Vlarapass aus-
gegebenen Werthen 28.000 Actien und 40.000
Prioritäten zurückgekauft, so dass von ersteren
nur noch 17.000 Stück ä 200 fl., von letzteren
5000 Stück ä 300 fl. im Umlaufe waren.
Mittels Schiedsspruches des Handelsmini-
steriums vom 29. Juli 1875 wurden die noch
verwendbaren Bauten und Materialien dieser
Linie mit 1,035.000 fl. bewerthet, ungerechnet
jedoch die Troppauer Bahnhof Anlagen im
Herstellungswerthe von 730.000 fl. und der
Fahrbetriebsmittel im Anschaffungspreise von
618.000 fl.; diese sollten in Verwendung, be-
ziehungsweise imEigenthume derGesellschaft
verbleiben.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
275
IS*
276
Ignaz Konta.
Wagenserien aus dem für die neue Linie
bestimmt gewesenen Fahrparke, zu gutem
Preise ermöglichte und schliesslich ein
Vergleich mit der Bauunternehmung, aus
welchem der Gesellschaft ein Betrag von
1 5.000 fl. zufloss. Diese Einnahmen boten
nämlich die Mittel zur vergleichsweisen
Befriedigung der Gemeingläubiger [aus-
genommen die Unionbank mit der For-
derung von 375.OOO fl.] und zur Einlö-
sung des kleinen Restes der Prioritäten
II. Emission.
Allein diese letztere Tilgung war er-
schwert durch Meinungsverschiedenheiten
der Curatoren, deren die Gesellschaft
schon seit Ende 1875 drei besass. *)
Erst nach vielfachen Verhandlungen
kamen die Curatoren zu einer Einigung,
die aber in den seitens der Curatel-
Behörde auf den 27. und 29. Juli 1878
ausgeschriebenen Tagfahrten zur An-
hörung der Prioritäre, von diesen oder,
richtiger gesagt, nur von den Besitzern
der Obligationen I. Emission abgelehnt
wurde. Während nämlich die anderen
Prioritäre sich mit der Ablösung ihrer
Titel um den Preis von 61 fl. pro Stück
grundsätzlich einverstanden erklärten,
verwarfen die ersteren den Vergleichs-
entwurf und ermächtigten die zugleich
gewählten Vertrauensmänner zu neuer-
lichen Verhandlungen. Ursache dieser
Haltung waren die Absichten, welche
ihr Special-Curator mit dem Vergleiche
verband und auch offen darlegte.
Dr. J o h a n n y hatte in einer vorzüglich
ausgeführten, mit zahlreichen Actenstücken
belegten Denkschrift nicht nur die Vor-
gänge bei der Gründung der Mährisch-
Schlesischen Centralbahn in ein grelles
*) Der eigentliche Curator, Dr. Gab er,
wollte damals wegen der von Lieferanten
angestrengten oder angedrohten gerichtlichen
Klagen gegen die Gesellschaft, diesen mit
einer Executionsführung zuvorkommen, be-
theiligte sich jedoch über Vorstellung des
Verwaltungsrathes, der schon auch seiner-
seits die Concurs-Eröffnung herbeizuführen
. gedachte, an der Vereinbarung eines Ver-
gleiches mit sämmtlichen Gläubigern, welcher
aber von der Curatel-Behörde nicht genehmigt
wurde, sondern dieselbe veranlasste, für
jede der beiden Prioritäten-Gattungen einen
Curator ad actum zu bestellen, und zwar
Dr. Lothar Johann y für die I. und Dr. Hein-
rich Jacques für die II. Emission.
Licht gestellt, sondern auch unumwunden
dargelegt, dass die neben der Ablösung
der Prioritäten II. Emission zu be-
wirkende Erwerbung der Bahn durch
die Besitzer der sodann wieder allein
bestehenden Besitzer der Prioritäten
I. Emission, das richtigste Mittel zur
Wahrung ihrer Interessen darstelle und
daher von ihm in Antrag gebracht werde.
Damit mochten aber seine Curanden sich
nicht befreunden, sie wollten [im Gegen-
satze zu der obenerwähnten Propaganda
der fremden Comites] immer noch lieber
Gläubiger als Theilhaber eines auch dann
noch keineswegs ungefährdeten Unter-
nehmens sein.
Es kam also nur zur Uebergabe des
zur Einlösung der restlichen 4238 Priori-
täten II. Emission erforderlichen Be-
trages von 258.500 fl. an den Special-
Curator Dr. Jacques, und zu einem von
dem gemeinsamen Curator Dr. Gaber
angestrengten Process über die Ab-
grenzung der Machtbefugnisse der anderen
Curatoren. Im Uebrigen blieb vorläufig
Alles beim Alten, es sei denn, dass die
von Dr. Johanny eingeleitete, jedoch von
der Curatel - Behörde nicht zugelassene
Belangung der Unionbank wegen Ersatz
von 2,800.000 fl. für Schädigung, welche
— seines Erachtens — die Gesellschaft
bei ihrer Gründung erlitten habe, eine
Abwechslung bildete.
Die Auspicien der Gesellschaft besserten
sich auch nicht, als ihr mittels der be-
züglichen Verträge vom 17. September
1878 die auf Staatskosten erbaute und am
15. October 1878 eröffnete, lySkm lange
Secundärbahn Kriegsdorf - Römerstadt
[siehe Seite 248] von der Regierung in
Betrieb gegeben wurde. Die Vergütung
hiefür bestand lediglich in einem theils
pauschalsten, theils in Procenten der Ein-
nahmen bemessenen Ersätze der Selbst-
kosten.
Am 11. Februar 1879 starb der Be-
triebs - Director der Gesellschaft, Otto
Maria Raynoschek. *) Die General-
versammlung vom 17. Juni 1879 ehrte
das Andenken dieses trefflichen Mannes,
*) Director Raynoschek war bis zum
Eintritte des Genefal-Secretärs, Dr. Nitzel-
berger in den Verwaltungsrath [3. Novem-
ber 1875] Stellvertreter dieses Functionärs.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
277
der inmitten aller Wirrsal und Bedroh-
nisse den Betrieb der Bahn und alle
damit zusammenhängenden Geschäfte im
besten Gange erhielt. Sein Nachfolger,
der bisherige General-Secretär [vordem
Bauleiter der Gesellschaft] Wilhelm Ast,
war gleichfalls nicht zu beneiden, da die
Verhältnisse immer düsterer wurden.
Noch im selben Jahre gab es wieder
Anträge hinsichtlich der Sanirung und
auch des Ausgleiches mit der Unionbank,
sie lauteten auf Herabminderung des
Nennwerthes der Prioritäten von 300 fl.
auf IOO fl. und ihrer Verzinsung von 5°/0
auf 3°/0 und auf Abfindung der Union-
bank mit 100.000 fl. in neuen 3°/0igen
Prioritäten ; von diesen Anträgen ge-
nehmigte die Curatel-Behörde aber nur
den letzteren Theil und nun bemächtigte
sich die Societe beige auch hier der
Situation.
Wie sie in der Prioritären-Versamm-
lung vom 29. Juli 1878 die Wahl eines
ihrer Vertreter zum Vertrauensmanne der
Prioritäten-Besitzer durchzusetzen wusste,
verstand sie es, sich durch eigenen und
erborgten Actienbesitz die Mehrheit in
der Generalversammlung vom 23. Juni
1880 zu verschaffen, mit Hilfe derselben
den alten Verwaltungsrath zu verdrängen
und sofort ihr eigenes Regime zu in-
stalliren. Das Erste, was sie nun unter-
nahm, war, dass sie, sei es aus geschäft-
lichen Gründen, sei es um Stimmung zu
machen, die Einlösung des ältesten der
nothleidenden Prioritäten-Coupons [ I.Juli
1874] veranlasste, und hiezu die aufgesam-
melten Ueberschüsse der Jahre 1874 bis
1 880, sowie den Erlös für die aus dem Fahr-
parke der Linie Troppau-Vlarapass an die
Wien-Aspang-Bahn [eine Gründung der
Sociöte beige, siehe Seite 280] verkauften
Waggons verwendete. Dann brachte sie,
beziehungsweise die mit ihr verbundene
Austro-belgische Eisenbahn-Gesellschaft,
die Forderung der Unionbank um den Preis
von 75.000 fl. an sich, allerdings nicht
ohne diese ihre auch bei der Dux-Boden-
bacher Bahn angewendete Taktik dadurch
zu beschönigen, dass sie es der aller
Mittel baren Mährisch-Schlesischen Cen-
tralbahn anheim gab, jene Schuld bis
Ende 1881 mit dem gleichen Betrage
[nebst Zinsen etc.] zu tilgen.
Diese neueste Ansiedlung der Belgier
I hatte aber einen ebenso unfruchtbaren
| als heissen Boden. Fast von der ersten
I Stunde an mit dem Curator in argem
Zwiste lebend, mussten sie einen langen
Vertheidigungskrieg führen, dessen Schil-
derung ein eigenes Stück Geschichts-
schreibung erfordern würde. Der Curator
widersetzte sich der sporadischen Coupon-
Einlösung, wollte auch die Bahn auf eigene
Faust sequestriren lassen [11. August 1 88 1 ],
und unter Preisgebung des ganzen Actien-
sowie 2/3 des Prioritäten-Capitals an den
Staat verkaufen [9. Juli 1881]. Die von
der Soei6t6 beige geleiteten Actionäre
und Prioritäre hingegen bekämpften die
Eigenmächtigkeit des Curators. Er unter-
lag auch schliesslich, doch konnten die
Belgier ihres Sieges nicht froh werden,
denn die Reibungen hörten nicht auf,
und an die nunmehr unbehindert be-
gonnene Einlösung einzelner Prioritäten-
Coupons [2. Januar 1882] knüpften sich
keinerlei geschäftliche Erfolge.
Welcher Art die Societe beige sich
solche vorgedacht hatte, ist eigentlich
niemals mit Sicherheit festgestellt worden.
Einen unmittelbaren »Finanzgewinn«
konnte sie hier unmöglich erwarten, und
ihre zuerst in Gemeinschaft mit der
Ersten Ungarisch-Galizischen Eisenbahn,
dann, unter Beiseiteschiebung der letzteren,
selbständig verfolgten Pläne hinsichtlich
der Galizischen Transversalbahn [1879 bis
1881] Hessen sich ebensowenig wie ihre
damaligen Absichten in Betreff einer Linie
Saybusch-Teschen-Olmütz-Wien in erklär-
lichen Zusammenhang bringen mit der
Mährisch-Schlesischen Centralbahn. Eher
noch wäre diesfalls ihr Project Bärn- oder
Gross -Wisternitz -Vlarapass begreiflich
gewesen, weil jene Ausgangspunkte
Stationen der Mährisch-Schlesischen Cen-
tralbahn waren ; dieses wurde aber an-
gesichts der Schicksale der Linie Troppau-
Vlarapass von keiner Seite ernst ge-
nommen. Es mag sich daher nur darum
gehandelt haben, der Nordbahn Con-
currenzen zu bereiten oder vorzumalen,
um sie hiedurch zum Ankaufe der ihr
seit jeher unangenehmen Nachbarlinie zu
bestimmen. Thatsächlich wurde damals
allgemein behauptet, die Soci6t6 beige
habe lediglich einen »Vorkauf» ausgeführt,
278
Ignaz Konta.
und der Beweis hiefür wurde auch darin
gesucht, dass die Mährisch-Schlesische
Centralbahn zu Beginn des Jahres 1883
die Nordbahn mit einem das Vordringen
der oberschlesischen Kohle erleichternden
billigen Tarife überraschte.
Dieser Vorgang hatte nicht verfehlt,
grosses Aufsehen zu erregen ; die von
ihm erhofften Vortheile, insbesondere für
die Soci6t£ beige als solche, blieben aber
aus. Die Nordbahn verharrte den Belgiern
gegenüber in Unzugänglichkeit und beant-
wortete den Concurrenztarif der Mährisch-
Schlesischen Centralbahn mit scharfen
Gegenmassregeln [Durchwiegung und
Umladung der auf ihre Linien über-
gehenden Sendungen oberschlesischer
Kohle, Kündigung der Mitbenützung
ihrer Bahnhöfe in Olmütz und Troppau
etc.].
Nun einsehend, dass ihre Combinationen
hier sämmtlich fehlschlugen, verkaufte die
Society beige nicht nur alle in ihrem
Besitze gewesenen Titel der Mährisch-
Schlesischen Centralbahn, sondern auch
die von der Unionbank erworbene Schuld-
forderung an den Wiener Bankverein,
und zog ab wie sie gekommen war [1883].
Als Andenken hinterliess sie blos die am
2. Januar 1882 mit dem Juli-Coupon vom
Jahre 1874 begonnene Einlösung der rück-
ständigen Prioritäten-Coupons mit 7 fl.
65 kr. [15 kr. als Verzugszinsen], die
alljährlich mit je einem Coupon fortge-
setzt wurde — und die darob jeweils
erhobenen Einwendungen des Curators.
Trotz der langen Campagne der
Belgier hatte sich also an den Verhält-
nissen der Mährisch-Schlesischen Central-
bahn fast nichts geändert; sie blieben
auch im selben Stande, bis die Bahn nach
Verlauf weiterer zehn Jahre, unter Auf-
rechthaltung des Nominal-Capitals der
Prioritäten und Vergütung von 14 fl. 70 kr.
pro Actie, an den Staat überging. Von
Sanirungs- Angelegenheiten wird daher
nicht mehr viel die Rede sein.
Hingegen wird jetzt unsere Aufmerk-
samkeit von einer anderen Frage in An-
spruch genommen, die ein Jahrzehnt
hindurch den österreichischen Eisenbahn-
Gesellschaften, ohne deren Schuld oder
Veranlassung, grosse Unbill verursachte,
ihnen förmlich zur Geissei wurde.
Das neuerstandene Deutsche Reich
hatte im Grunde seiner Gesetze vom
4. December 1871 und vom 9. Juli 1873
die Goldwährung eingeführt, bei diesem
Anlasse seinem Silberthaler den Werth
von drei Mark Gold beigemessen, und
den österreichischen Silbergulden, der
dort bislang als eine beliebte, weil be-
queme Theilmünze im Umlauf gewesen,
ausser Curs gesetzt. Nun enthielten
aber viele österreichische Eisenbahn-
Obligationen, die auf Gulden öster-
reichischer Silberwährung lauteten, auch
vergleichende Angaben ihres Schuld-
werthes in Thalern, süddeutscher Währung
etc., und speculative Köpfe schnitzten sich
hieraus eine Handhabe zu der Anforde-
rung, dass die betreffenden Gesellschaften
ihnen Capital und Zins in Gold zahlen,
also mehr leisten sollen, als sie ursprüng-
lich zugesagt hatten. Dies führte den
sogenannten Währungsstreit herbei,
der arge Misslichkeiten nach sich zog.
Aus Opportunität, vielleicht unbedacht-
samer Gutmüthigkeit, Hessen sich einige
Bahnen [namentlich böhmische] wirklich
in Goldzahlungen ein ; sie kehrten jedoch
bald zur alten Uebung zurück, da
finanzielle Schwierigkeiten oder, wo die
Staatsgarantie in Mitleidenschaft gerieth,
die feste Umgrenzung derselben,*) den
betreffenden Gesellschaften verwehrten,
neue, nicht bedungene Lasten auf sich
zu nehmen. Die bisher Begünstigten
wollten aber die Annehmlichkeit der un-
verhofften Mehrempfänge nicht mehr
missen, sondern trachteten jetzt, sie zu
erzwingen und betraten den Rechtsweg.
Die österreichischen Eisenbahnen ver-
trauten ihrem guten Rechte; denn alle Welt
wusste, dass, gleichwie die Prioritäts-
Gläubiger niemals ahnten, etwas anderes
als Silber zu erhalten, deren Schuldner
*) Die k k. Staatsverwaltung hatte amt-
lich verlautbart, »dass sie, an den Concessions-
Gesetzen festhaltend, nie etwas mehr oder
etwas Anderes als Silbergulden österreichi-
scher Währung zahlen werde und sie kann
aus dem Umstände, dass in einem Nachbar-
reiche mit einer Umwandlung der Landes-
währung vorgegangen worden, keine nach-
theiligen Folgen für die Schuldtitel ziehen,
welche von Seiten der österreichischen Eisen-
bahn-Gesellschaften auf Silberwährung lau-
tend ausgegeben worden sind«.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
279
[d. i. die Bahnen], zur Zeit der Ausgabe
der betreffenden Titel, keines anderen
Willens waren, als in Silber zu zahlen.
Die österreichischen Gerichte ent-
schieden auch stets in diesem Sinne,*)
die deutschen hingegen meistens zu Un-
gunsten der Bahnen. Als dies in weiteren
Kreisen bekannt geworden, begannen
Wechsler und streit- und erwerbslustige
Anwälte die »Coupon-Processe« ganz
geschäftsmässig zu betreiben. Es gab
[zumal in Berlin] bestimmte »Firmen«,
welche immer österreichische Prioritäten-
Coupons eigens aufkauften, um dann
auf Goldzahlung zu klagen, und je
mehr diese neue Industrie in Schwung
kam, desto hässlichere Blüthen trieb sie.
Die österreichischen Eisenbahn-Gesell-
schaften hatten immer ärgere Gewalt-
thätigkeiten zu erdulden ; ihre Gut-
habungen in Deutschland wurden aus-
gespürt und gepfändet, ihre über die
deutsche Grenze rollenden Fahrbetriebs-
mittel »beschlagnahmt« und alle ihre
dagegen erhobenen Einwendungen un-
berücksichtigt gelassen, selbst nachdem
anerkannte wissenschaftliche Autoritäten
Deutschlands, wie der Heidelberger Pan-
dektist Professor E. J. B e k k e r,**) Pro-
fessor Soetbeer u. A. sich der Sache
angenommen hatten.
Zur Abwehr ergriffen die Gesell-
schaften die verschiedensten Massregeln,
als : Präjudicial-Klagen vor den heimat-
lichen Gerichten, deren Erkenntnisse
jedoch in Deutschland keine Wirkung
übten ; Ausgabe neuer Couponsbogen
[anlässlich des Ablaufes der alten] unter
Entfernung der ausländischen Werth-
bezeichnungen, was aber nur einzelnen
Bahnen [beispielsweise der Kaiser Franz
Josef-Bahn] sehr zu Statten kam; Fern-
haltung des Wagenparkes von dem
Verkehre mit Deutschland ; Auflassung
der Cassen in den Grenzstationen ; rech-
nerische Vorkehrungen hinsichtlich der
*) Die wichtigsten dieser Judicate sind
in Konta's Eisenbahn-Jahrbüchern, und zwar
Jahrg. XI, S. 126 u. 315, XII, S. 361, XIII,
S 31 u. 117, XIV, S. 314, XV, S. 119, XVI,
S. 42 möglichst wortgetreu enthalten.
**) Ernst Immanuel Bekker: »Ueber die
Coupon-Processe der österreichischen Eisen-
bahn-Gesellschaften und über die internatio-
nalen Schuldverschreibungen« [Weimar 1881].
Guthabungen bei deutschen Bahnen u. s. w.
Im Allgemeinen hatten sie jedoch damit
nur wenig erzielt. Auch der am 16. De-
cember 1878 abgeschlossene neue Handels-
vertrag zwischen Oesterreich-Ungarn und
Deutschland, dessen Artikel 17 die Be-
schlagnahme von Fahrbetriebsmitteln
weiterhin ausschloss, half augenblicklich
noch nicht viel, weil damit die Exequir-
barkeit der von deutschen Gerichten
geschöpften Urtheile in Oesterreich im
Zusammenhange stand.*)
Ein Versuch, den peinlichen Zustän-
den durch Ausgleiche mit den Priori-
täten-Besitzern ein Ende zu machen,
wie es im Jahre 1880 von der Kaiserin
Elisabeth-Bahn unternommen und im
Wesentlichen auch erzielt wurde, schei-
terten daran, dass trotz der Intervention
des k. u. k. Ministeriums des Aeussern,
die Rechtsgiltigkeit des Vergleiches für
die deutschen Gerichte in der bedun-
genen einjährigen Frist nicht erwirkt
werden konnte.
Die Misere bestand also fort, bis die
Eisenbahnen ihre Schuldtitel durch neue,
anders lautende, auch minder verzinsliche,
ersetzten. Wir müssen uns versagen,
auf die vielfach erörterte rechtliche Natur
und die wirthschaftliche Wirkung dieser
Umwandlungen näher einzugehen, weil
dies ausserhalb des Rahmens unserer
Betrachtungen liegt. Es mag daher hier
nur verzeichnet werden, dass die C o n-
vertirungen anfangs auch nicht un-
angefochten blieben, vielmehr als Wort-
brüchigkeit, Verkürzung der Gläubiger etc.
hingestellt wurden, allmählich aber durch
die den Titelbesitzern gebotenen Auf-
zahlungen [zumal bei den »freiwilligen«
Umtauschen] immer besseren Anklang
fanden und schliesslich sehr glatt von
Statten gingen, wozu nicht wenig der
allgemein sinkende Zinsfuss und der sich
häufende Goldüberfluss beitrug. Die Re-
gierung ihrerseits förderte das Umwand-
*) Die vollständige Freizügigkeit der
Eisenbahn-Fahrzeuge wurde erst durch die
kaiserliche Verordnung vom 19. September
1886 gesichert, welche die Bedingung der
Gegenseitigkeit, wie sie in dem mit 1. Juni
1886 für das Deutsche Reich in Wirksamkeit
getretenen Gesetze über die Unpfändbarkeit
von Fahrbetriebsmitteln fremder Bahnen vor-
gesehen war, erfüllte.
28o
Ignaz Konta.
lungs-System — dessen Verallgemeine-
rung das wirksamste Mittel bot, den
Währungsstreit aus der Welt zu schaffen
— durch verschiedene Gebühren-Er-
mässigungen [Gesetz vom II. Juni 1880,
erneuert und erweitert am 25. Mai 1883J
und die Finanzinstitute legten sich in
den Convertirungen alsbald einen neuen
Geschäftszweig zurecht.
Die erste Prioritäten-Convertirung
in Oesterreich wurde im Jahre 1880 von
der Aussig-Teplitzer Bahn bewerkstelligt,
welche, Dank ihrer günstigen finanziellen
Lage, die Zinsen ihrer 5%igen Silber-
anlehen gleich vom Jahre 1874 an in
Gold bezahlte, nun aber jene Anlehen in
ein einheitliches 472%'Kes Goldanlehen
von 26,700.000 Mark umwandelte. Ihrem
Beispiele folgte im Jahre 1881 die Carl
Ludwig-Bahn und dann, wie die nach-
stehende Tabelle zeigt, eine ganze Reihe
anderer Bahnen. [Siehe Seite 281.]
Nach diesen, wegen des Zusammen-
hanges und der grösseren Zusammen-
fassung, etwas vorausgegriffenen Angaben,
wieder den chronologischen Gang unserer
Mittheilungen aufnehmend, sehen wir,
dass alle die eben besprochenen Mass-
nahmen zur Regelung der inneren Ver-
hältnisse der Eisenbahnen nicht vermocht
hatten, die räumliche Weiterentwicklung
derselben zu beleben. Im Jahre 1877
wurdenurSchirnding-Eger, als io-2 km
lange Theilstrecke einer Abzweigung der
bayerischen Fichtelgebirgs-Bahn,
und zwar auf Grund des Staatsvertrages
mit Bayern, vom 16. Mai 1877, be-
ziehungsweise des Gesetzes vom 5. August
1877 sichergestellt, ferner am 25. Januar
die 5-3 km lange Elbogener Local-
bahn, an die Stadt Elbogen im Vereine
mit Heinrich Böhm und Hermann von
Schwind und am 28. November die
[ohne die Peage-Strecke Felixdorf- Wiener-
Neustadt] 79'9 km lange Localbahn
Wien-Aspang an die Societe beige
concessionirt, hiebei aber die Concession
für die 68-8 km lange schmalspurige
Bahn Wien-Blumau-Pitten,*) in deren
Trace die Aspangbahn theilweise zu
liegen kam, annullirt. Die erstgenannte
Localbahn wurde am 15. October 1877,
die Aspangbahn im Jahre 1881 [7. August
bis 28. October] eröffnet. Das Jahr 1878
ging ganz leer aus.
In diese Oede fiel wie ein glückver-
heissender Himmelsstrahl die hehre Feier
der silbernen Hochzeit Ihrer
Majestäten des Kaisers und der
Kaiserin. Das ganze Reich überquoll
von Beweisen der Huldigung und freudig-
ster Theilnahme und obenan stand hie-
bei die Reichs-Haupt- und Residenzstadt.
Immer Eines Herzens und Sinnes, wenn
es gilt, dem allverehrten Monarchen die
Liebe und Treue zu bekunden, veran-
staltete die Bürgerschaft Wiens einen
Festzug [26. April 1879], wie er in
solcher Grossartigkeit und Pracht noch
niemals gesehen worden. Angeordnet nach
den genialen Entwürfen Hans Makart's
und ausgeführt unter Betheiligung aller
Stände, bot er ein sinnberückendes, über-
wältigendes Schauspiel. Natürlich waren
darin auch die Eisenbahnen würdig vertre-
ten ; sie bildeten eine eigene Gruppe in fol-
gender Zusammenstellung : Sechs in roth-
schwarzes Costüme gekleidete Banner-
träger mit Eisenbahn-Emblemen ; zwei
Herolde zu Pferde und unmittelbar darauf
der von acht Rappen gezogene, mit Sammt
und geschnitzten Ornamenten, Frauen-
gestalten mit Posaunen und dem Flügel-
rade, Feuergnomen und Nixen, rauchen-
den Opfergefässen etc. reichgeschmückte
»Triumphwagen*) des Feuergottes, wel-
cher sich eben mit einer Wassem3'mphe
vermählt« und vor dessen Throne sechs
Damen in heraldischen Costümen einzelne
Länder des Reiches versinnlichten ; aber-
mals Bannerträger zu Pferde , zahlreiche
Eisenbahn- Arbeiter mit ihren Geräthen und
Werkzeugen. [Abb. 124.] — In den damali-
gen Berichterstattungen wurde dieser präch-
tigen lebensvollen Gruppe einstimmig
die Palme zuerkannt. — Auch eine Huldi-
orunss-Gabe, bestehend aus einer Samm-
*) Die Linie Wien-Blumau-Pitten nebst
Abzweigung von Steinabrückl nach Wöllers-
dorf wurde am 4. Juni 1872 an die erste
österreichische Schi ffahrts-Ca nal-Actien-Ge-
sellschaft concessionirt; ihre Spurweite sollte
I m betragen.
*) Der Festwagen [11 m lang, 4*8 m hoch]
war nach Makart's Entwürfe vom Bildhauer
i Rudolf W e y r erbaut und plastisch ausge-
schmückt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
28l
Uebersicht des Fortganges der ersten Prioritäten-Convertirungen in Oesterreich
1880— 1890.
Benennung der
Bahn
o
> bfl
E 5 c
S>u.J
u
Nennwerth der zur
Convertirung ge-
langten 5°/„igen
Obligationen in
fl.*)
hfl
■ c
Nominal-
summe
Währung
Anmerkung
der neuen [Convert,-] Anlehen1
Aussig -Teplitzer
Bahn
Carl Ludwig-Bahn
Böhm. Nordbahn
Kaiserin Elisabeth-
Bahn
Kronprinz Rudolf-
Bahn
Vorarlberger Bahn
Kaiser Franz Josef-
Bahn
Pilsen-Priesen-
[Komotau]
Prag-Duxer Bahn
Lemberg-Czemo-
witz-Jassy-Bahn
Böhm. Westbahn
Aussig - Teplitzer
Bahn
Kaiser Ferdinands-
Nordbahn
Kaschau - Oderb.
Bahn
Carl Ludwig-Bahn
1880
1881
1882
1883
1884
1884
1884
1884
1884
1884
1884
1885
1886
1887
1889
1890
111,291.100
[ 2,100.000 [Gold]
37,282.200
15,023.100
81,354300
154,926.100
(25,103.200 [Gold]
8,237.600
57,214.200
11,940.000
13,206.600
43,639.200
I 12,792.000
1 961.800 [Gold]
13,089.000
[4 '/«•/.] [Gold]
16,418.775
13,362.700
23,729.500
39.r49.800
6,735.600 [Gold]
45,006.300
10
45
4-5
4-—
26,782.000
40,650.000
30,046.000
(108.291.600
l 54,i45-8oo
70,194.600
58,156.000
9,851.200
69,048.600
11,940.000
26,413.000
(•14,280.000
[38,475.000
14,303.000
1,999.800
26,178000
17,351600
15,767.000
24,440.000
47,140.800
16,541.400
49,699300
R-Mark
Guld ö. W.
Silb.
R.-Mark
R.-Mark
R.-Mark
Guld ö. W.
Silb.
R.-Mark
Guld ö. W.
Silb.
Guld. ö W.
Silb.
Guld ö. W.
Silb.
R.-Mark
Guld. ö. W.
Silb.
Guld. ö. W.
Silb.
R.-Mark
R.-Mark
Guld. ö. W.
Silb.
Guld. ö. W.
Silb.
Guld. ö. W.
Silb.
Guld. ö. W.
Silb.
R.-Mark
Guld. ö. W.
Silb.
Diese Con-
vertirung als
eine völlig
»freiwillige«
ging nur sehr
langsam von
Statten,
steuerfrei
steuerpflichtig
I einschliesslich
| 1,681.209 fl zur
1 Deckung der
I schwb. Schuld
einfach umge-
tauscht
steuerpflichtig
steuerfrei
C unter Ent-
j richtung einer
b°/oigen Prämie
zugl. wurden
3,000.000 fl.
für die Mähr-
| Schles. Nordb.
I aufgenommen
zuzüg.vorstehd.
3,000.000 fl.
zugleich wurde
ein neues Anleh.
aufgenommen.
zugleich wurde
einneuesAnleh.
aufgenommen
*) Bei denjenigen Bahnen, deren Prioritäten-Einlösungstermin auf den I. Januar
fällt und daher die bezügliche Tilgungsquote in der Bilanz des vorausgegangenen Jahres
nicht berücksichtigt erscheint, können mitunter die Summen der in Umlauf gewesenen
Titel mit den zur Convertirung gelangten Beträgen um die Ziffer der letzten Tilgungs-
quoten differiren, was jedoch für diese Zusammenstellung bedeutungslos ist.
282
Ignaz Konta.
lung künstlerisch ausgeführter Ansichten
bemerkenswerther Landschaften und Bau-
werke an ihren einzelnen Linien Hessen
die Eisenbahn- Verwaltungen durch eine
Deputation überreichen, welcher am
1 8. April die Ehre zutheil ward, von Sr. Ma-
jestät huldvollst empfangen zu werden.
Manchen Industriezweigen erblühte
wirklich von damals an die lang ver-
misste Regsamkeit. Die Zurüstungen zu den
grossen Festlichkeiten hatten vielen Be-
völkerungskreisen Arbeit und Verdienst
gebracht ; der allgemeine Geschäftsgang
begann sich zu beleben und Handel und
Wandel sich wieder aufwärts zu bewegen.
Von dem Gebiete des Eisenbahnbaues
aber wollte der Bann noch immer nicht
weichen.
Im ganzen Jahre 1 879 ist blos die 5 -2 km
lange Fortsetzungsstrecke Stadiaue r-
brücke-Kaiser-Ebersdorf der Donau-
uferbahn in Wien neu hinzugekommen;
ihre Ausführung geschah, zufolge des
Gesetzes vom 1. Juni 1879, gleich dem
älteren Theile der Donauuferbahn [siehe
Seite 241] auf Staatskosten, jedoch unter
Leistung eines Beitrages von Seite der
Kaiserin Elisabeth-Bahn, welche das leb-
hafteste Interesse hatte, die durch die
Donauregulirung verlorene Verbindung
mit dem Hauptstrome wieder zu ge-
winnen und sich daher mittels Vertrages
vom 15. December 1879 zur Leistung
eines Beitrages von 150.000 fl. verpflich-
tete, hiefür aber gegen jährliche Bezah-
lung von 10.000 fl. die Mitbenützung der
neuen Strecke gewann. Diese galt
darum vom Tage ihrer Eröffnung [am
12. October 1880] in administrativer Be-
ziehung als eine Verlängerung der Donau-
ländebahn Hetzendorf- Kaiser - Ebersdorf.
Zur Deckung ihrer mit 450.000 fl. ver-
anschlagt gewesenen Anlagekosten dienten
die beim Baue des älteren Theiles er-
zielten Ersparnisse von 300.000 fl. und
die vorerwähnte Beitragleistung.
Eine gleichfalls der Verbindung: des
Eisenbahn-Transportes mit der Schiffahrt
dienende Anlage hatte damals die O es t er-
reichische Nordwestbahn in
Laube geschaffen. Sie errichtete dort
einengrossen Elbe-Umschlagplatz
[Abb. 125], führte eine Schleppbahn nach
Tetschen und vereinbarte sowohl mit den
österreichischen Nachbarbahnen, als auch
mit den Elbe-Schiffahrts-Unternehmungen
directe Tarife, wodurch dem österrei-
chischen Handel ein billiger Weg für
die mittels der Elbe zu erreichenden
Relationen eröffnet wurde. Die Gesell-
schaft versprach sich von diesen Ein-
richtungen eine bedeutende Steigerung
des Verkehres auf dem Ergänzungsnetze,
die wirklich bald eintrat und eine nam-
hafte Erhöhung des vordem weit unter
pari gestandenen Curses der Actien
lit. B mit sich brachte, welche es er-
möglichte, dass die noch im Portefeuille
gewesenen 5000 solcher Titel Ende 1880
zum Preise von 227 fl. 27 kr. pro Stück
begeben werden konnten. In dem be-
züglichen Erlöse fanden auch die Kosten
der neuen Anlage ihre Deckung. Der
Aufschwung Laubes und des Elbe Verkehres
und gar erst die nicht ohne Hinzuthun der
Nordwestbahn errichtete »Oesterreichische
Nordwest -Dampfschiffahrts- Gesellschaft»
erregte in hohem Masse das Missfallen
der Preussischen Staatsbahnen und riefen
einen Tarifconflict mit den
deutschen Eisenbahnen überhaupt
hervor, der erst durch das am I. Juli
1883 in Kraft getretene »Uebereinkommen
der Verwaltungen des deutsch-österrei-
chisch-ungarischen Seefahrer- Verbandes «
seine Beilegung gefunden.*) Während
desselben ging der Curs der Actien
lit. B wieder so sehr zurück, dass die
Gesellschaft die schon in der General-
versammlung vom 7. Juni 1882, zu
Zwecken der Nachschaffung von Fahr-
betriebsmitteln etc. beschlossene Ver-
mehrung des A ctiencapitales
um 6,000.000 fl. erst im März 1883
theilweise bewerkstelligen konnte. Die
Deutsche Bank in Berlin übernahm
damals 15.000 Actien lit. B zum Curse
von 2 26l/4. Die Umschlagstelle in Laube
und die 1/9 km lange Verbindung mit
Tetschen wurden am I. März 1880 dem
Betriebe übergeben ; letztere war, als
»Schleppbahn«, keine eigentliche Er-
weiterung der gesellschaftlichen Linien.
*) Eingehende Mittheilungen über die
Entstehung und den Verlauf des Streites
sind in Konta's Eisenbahn-Jahrbuch, Jahr-
gang XVI, Seite 18 und XVII, Seite 14 f.
enthalten.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
283
Die früher erwähnte Fortdauer der
Stockung in der räumlichen Entwicklung
des österreichischen Bahnnetzes hatte
jetzt ihren Hauptgrund in dem gespannten
Verhältnisse der Regierung zum Parla-
mente, welches darob von jeder ausser-
politischen Thätigkeit fast ganz abkam.
riums nicht glückte, blieb das alte noch
weiter im Amte, bis es am 16. Februar
1879 von dem Cabinet Stremayr abge-
löst wurde, in welchem übrigens die
meisten der bisherigen Minister ver-
blieben. Dies war jedoch auch nur ein
Provisorium. In den Monaten Juni und
Abb. 126. Julius Lott.
Das Cabinet Auersperg stand schon seit
dem Jahre 1877 nicht mehr auf gutem Fusse
mit der Verfassungspartei, also mit der da-
maligen Mehrheit des Abgeordnetenhauses,
und gab wiederholt seine Entlassung;
zum zweiten Male am 13. Juli 1878, nach
dem Abschlüsse des Berliner Vertrages,
weil eben die Occupation Bosniens eine
der Hauptursachen des Zwistes war. Da
aber die Zusammensetzung eines von der
Parlaments-Majorität getragenen Ministe-
juli fanden die Neuwahlen in den Reichs-
rath statt; die Verfassungspartei gerieth
in die Minderheit und am 12. August
1879 traten die meisten der früheren
Minister, mit ihnen auch der wegen
seiner ausgezeichneten Fähigkeiten, seiner
unermüdlichen Thätigkeit und seines
concilianten Wesens überaus geschätzte
Handelsminister v. Chlumecky, zurück.
Am selben Tage wurde das Cabinet
Taaffe ernannt. Damit erst hatten
284
Ignaz Konta.
die krisenhaften Zustände ihr Ende ge-
funden; es war eine hochwichtige poli-
tische Wendung eingetreten.
So schwerwiegend und nachhaltig deren
Folgen für die früheren herrschenden
Parteien und die von ihnen verfochtenen
Principien sich gestalteten, dem Eisen-
bahnwesen brachte sie einen frischen
Entwicklungsgang, neben diesem aber
auch die gänzliche Umgestaltung.
Die Anregung zur Wiederentfaltung
regerer Bauthätigkeit ging, wie im Jahre
1866, unmittelbar von allerhöchster Stelle
aus. Die Thronrede, mit welcher am 8. Oc-
tober 1879 der neue Reichsrath eröffnet
wurde, verhiess die vollste Aufmerksam-
keit der Regierung für die Entwicklung
des Eisenbahnwesens, insbesondere auch
den »Bau der immer wichtiger
wer denden Ar lb ergb ahn«, und der
neue Handelsminister, Karl Freiherr
Korb - Weidenheim, schritt unge-
säumt zur Vorbereitung dieses grossen
Werkes. Er berief eine technische En-
quete zur Prüfung der Frage, welches
der beiden damals neu vorgelegenen
Projecte für die Tunnelirung des Arl-
berges den Vorzug verdiene, und Hess
alsbald auch die Regierungs - Vorlage
ausarbeiten.
Die Enquete tagte am I. und 2. Oc-
tober 1879 und sprach sich, wie es auch
die Expertise vom 22. Februar 1872
schon gethan hatte, für den längeren
»unteren« Tunnel aus. Der General-Direc-
tor des österreichischen Eisenbahnwesens,
v. Nördling, der seit dem Jahre 1875
unablässig die »obere« Tunnelanlage be-
fürwortete, beharrte auch jetzt auf seinen
Anschauungen und kam dadurch zu Falle.
Der Handelsminister hatte sich nämlich
für den von so vielen hervorragenden
Fachmännern empfohlenen unteren Tunnel
entschieden, und der Sectionschef hieraus
die Consequenzen gezogen. Vielleicht war
auch der erregte Verlauf der Enquete mit
eine Veranlassung zu dem jähen Bruche.
Wilhelm v. Nördling gab nun seine amt-
liche Thätigkeit in Oesterreich für immer
auf und, obzwar er mit manchem seiner
Vorhaben, insbesondere den Fusionirun-
gen und den Erwerbungen von Bahnen
nach dem »commerziellen Werthe« einer
ebenso zahlreichen als erbitterten Gegner
schaft begegnete, blieb ihm doch — wie
dies bereits an anderer Stelle hervor-
gehoben wurde — das unleugbare Ver-
dienst, die aus den Garantie-Verhältnissen
entstandenen Verwicklungen entwirrt und
der Säumnis in den Garantie-Abrechnun-
gen ein Ziel gesetzt zu haben.
Nicht minder rasch, wie für die Ingang-
bringung des Eisenbahnbaues trug Korb-
Weidenheim auch Sorge für die Wieder-
aufnahme des Staatsbetriebes
im grossen Stile, indem er dem bis-
nun brach gelegenen Gesetze vom 14. De-
cember 1877 lebendige Wirksamkeit gab.
Es fand seine erste Anwendung bei der
Kronprinz Rudolf- Bahn, welche
bereits ein Jahrzehnt hindurch die Staats-
garantie überaus [bis Ende 1879 mit
47,557.282 fl.] in Anspruch genommen
und auch sonst noch das Augenmerk
der Aufsichtsbehörde seit Langem auf
sich gelenkt hatte.
Nach den damaligen, unwidersprochen
gebliebenen öffentlichen Mittheilungen
soll die plötzliche, ohne Einvernehmen
mit dem Ministerium verfügte Enthebung
des gesellschaftlichen General-Directors,
Regierungsrathes Morawitz, das Mass
vollgemacht haben. Thatsache war aller-
dings, dass dieser anspruchslose, ehren-
hafte und pflichtgetreue Fachmann, unter
dessen Leitung die Zustände der Bahn
sich wesentlich zu bessern begannen, man-
chen Strauss mit dem Verwaltungsrathe,
namentlich mit dem früheren General-
Director, der zur Zeit des grossen Läu-
terungs-Processes in den Verwaltungsrath
zurückgetreten war, zu bestehen hatte.
Die gewaltsame, allenthalben scharf kriti-
sirte Lösung des Dienstverhältnisses er-
folgte am 9. December 1879. Zwei
Wochen nachher — am 24. December —
wurde die Gesellschaft vom Handels-
minister verständigt, dass die Staats-
verwaltung im Sinne des § 4 des vorer-
wähnten Gesetzes, den Betrieb der Bahn
ab 1. Januar 1880 für Rechnung der Ge-
sellschaft führen werde ; am 29. December
fand die Feststellung der bezüglichen
Modalitäten, Tags darauf die amtliche
Kundmachung der Uebernahme des Be-
triebes in die Verwaltung des Staates sowie
die Ernennung des General-Inspectors
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
285
der österreichischen Eisenbahnen, k. k.
Regierungsrathes Ferdinand Ritter Perl
von Hildrichsburg, zum k. k. Betriebs-
verwalter statt, dessen Amtsgewalt sich
auf alle Dienststellen und das Gesammt-
Personale der Gesellschaft erstreckte.
Bahn gelangte auch der von ihr besorgte
Betrieb der Linie Tarvis- Pont af el
in die eigene Verwaltung des Staates.
Mittlerweile war der Gesetzentwurf
über den Bau der Arlbergbahn vollendet
worden, welchen der Handelsminister nun
Abb. 127. Das Lott-Denkmal auf dem Arlberge.
Am Neujahrstage 1880, also genau
ein Vierteljahrhundert nach dem ersten
Abverkaufe von österreichischen Staats-
bahnen an Privat-Gesellschaften, begann
ernstlich die Zurückführung des Eisen-
bahnwesens zu dem damals verlassenen
Principe, und die Kronprinz Rudolf-Bahn
war die erste grössere Privatbahn, mit
welcher die Verstaatlichungs-Thätigkeit
eröffnet wurde. Zugleich mit dieser
am 24. Januar 1880 der Legislative vor-
legte. Diese und die von ihm bereits
am 29. November 1879 im Abgeordneten-
hause eingebrachte Vorlage über die
Zugeständnisse und Begünstigungen für
Localbahnen bildeten einen erheblichen
Theil der ersten wirthschaftlichen Thä-
tigkeit der neuen Reichsrathssession.
Erforderte auch die letztere Vorlage eine
kräftige Vertretung, so kam dieselbe
286
Ignaz Konta.
doch kaum in Anschlag gegenüber den
grossen Anstrengungen, deren die auf-
rechte Erledigung der nun zum dritten
Male dem Parlamente vorgelegenen Arl-
bergfrage erheischte. Dank den gedie-
genen Ausführungen des Handelsministers,
der sowohl im Ausschusse als in der
Vollsitzung des Hauses mit wahrem
Feuereifer für die Vorlage eintrat, glückte
es jedoch die meisten ihrer gewese-
nen Gegner zu bekehren und über die
Fährlichkeiten, von denen späterhin
noch ausführlicher die Rede sein wird,
hinweg zu kommen. Der Erfolg war
ein vollständiger. Das Gesetz, betref-
fend den Bau der Arlbergbahn,
gen *) und die schon während seiner ver-
fassungsmässigen Behandlung gegründete,
beziehungsweise am 8. Mai 1880 errich-
tete »O est e rreich is che Localeisen-
bahn- Gesell schaft«, welche fortan
eine rege Thätigkeit auf dem Gebiete
des Localbahnwesens entwickelte.
Zwei Localbahnen wurden übrigens
noch auf Grund von Specialgesetzen
concessionirt, nämlich die 31 "6 km lange
Bozen-Meraner Bahn, welcher das
Gesetz vom 11. März 1876 einen Staats-
vorschuss von 1,000.000 fi. zugesichert
hatte, an den Grafen Anton Brandis in
Gemeinschaft mit dem Ingenieur Heinrich
Böhm, und auf Grund des Gesetzes vom
Abb. 128. Längenschnitt der Arlbergbahn.
erhielt am 7. Mai, und jenes hinsichtlich
der Bedeckung des im Jahre 1880 ein-
tretenden Erfordernisses für diesen Bau
[2,100.000 fl.] am 30. Mai, jenes über
die Zugeständnisse und Begünstigungen
für Localbahnen am 25. Mai die a. h.
Sanction.
Das letztere [kurzweg «Localbahn-
Gesetz« benannte], mit einer Giltig-
keit bis 31. December 1882 ausgestat-
tete Gesetz ermächtigte die Regierung,
bei Concessionirung neuer Localbahnen
mannigfache Erleichterung in Bezug
auf die Vorarbeiten, den Bau und
Betrieb eintreten zu lassen und eine
dreissigjährige Steuerfreiheit zu ge-
währen. Im Zusammenhange damit
stand die Verordnung vom 29. Mai
1880, in welcher jene Erleichterungen
näher angegeben und auseinanderge-
setzt wurden. Die Folge desselben wa-
ren zahlreiche Concessions-Bewerbun-
I. Juni 1879 die 20-i km lange Linie
Caslau-Zawratetz nebst Abzwei-
gung Skowitz-Buöic an die Bau-
unternehmung Schön & Wessely in
Gemeinschaft mit dem Ingenieur Hermann
Ritter v. Schwind. [Die erstgenannte
Bahn gelangte am 5. October 1881 und
die letztgenannte Linie streckenweise
vom 1. November 1880 bis 14. Februar
1882 zur Eröffnung.]
Um einer allfälligen Sicherstellung
der von der Pilsen-Pries ener Bahn
unausgeführt gelassenen Linie Mlatz-
J ohann- G eorgenstadt , als Local-
bahn, Raum zu schaffen, erklärte die Kund-
machung des Handelsministeriums vom
6. Mai 1880 die Concession für diese
Linie [siehe Seite 107] als erloschen.
*) Ueber die auf Grund des Localbahn-
Gesetzes concessionirten Linien folgt im Ab-
schnitte »Localbahnwesen in Oesterreich«
von P. F. Kupka eine Gesammtnach Weisung.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
287
Abb. 129
[Nach einer photogr. Aufnahme
Alle sonstigen Vorbereitungen zu
weiterem rührigen Schaffen blieben für
den Freiherrn v. Korb nutzlos, da er
schon am 26. Juni 1880 zurücktrat.
Sein am selben Tage ernannter Nach-
folger, Alfred Ritter v. Krem er- Aurode,
vollzog am 17. Juli 1880 die Uebernahme
der Erzherzog Albrecht-Bahn in
den Staatsbetrieb [siehe Seite 273], con-
cessionirte etliche Localbahnen und führte
zu Ende des Jahres 1880 die Vergebung
des Baues des Arlberg-Tunnels sowie
die Verhandlungen mit der Kaiserin Elisa-
beth-Bahn durch, aus denen das Ueber-
einkommen vom 24. December 1880 her-
vorging, welches die Betriebsübernahme
und die eventuelle Einlösung dieser Bahn
durch den Staat zum Gegenstande hatte.
Mehr für das Eisenbahnwesen zu vollbrin-
gen ward ihm nicht beschieden ; denn
neuerliche Verschiebungen in den Partei-
verhältnissen des Abgeordnetenhauses
veranlassten auch ihn, sein Amt, das er
kaum erst sechs Monate inne hatte, am
14. Januar 1881 niederzulegen.
Der innerhalb so kurzer Zeit dritte
Handelsminister, Felix Freiherr von Pino-
Friedenthal, stand hingegen gleich vom
Brücke über die Oetzthaler Ache. [Innsbruck-Landeck.]
aus der Bauzeit der Arlbergbahn.j
Tage seiner Ernennung [14. Januar] an,
nicht auf schwankem Boden ; das Cabinet
war nunmehr ein homogenes, und fand
seine Stütze in einer festgeschlossenen
und [wie ihr Führer, Graf Hohen-
wart, sich ausdrückte] »als grosse Partei
organisirtet Mehrheit des Abgeordneten-
hauses. Freiherr von Pino konnte daher
mit Aussicht auf guten Erfolg eine rege
Thätigkeit entfalten und that dies auch
in vollstem Masse.
Zunächst widmete er sich der von
seinem Amisvorgänger eingeleiteten
Verstaatlichung der Kaiserin
Elisabeth- Bahn. Dieses grosse Vor-
haben hatte seinen Ursprung erstens : in
der Noth wendigkeit, das in den Staats-
betrieb übergegangene Netz der Kronprinz
Rudolf-Bahn und die auf Staatskosten
zur Ausführung gelangende Arlbergbahn
durch staatliche Linien sowohl unterein-
ander, als auch mit der Hauptstadt des
Reiches in Verbindung zu bringen ;
zweitens : in dem Streben nach Verwirk-
lichung des Gedankens, welcher dem
Gesetze vom 14. December 1877 zu
Grunde gelegen, d. h. der Zurückführung
des Eisenbahnwesens in die Eigenver-
288
Ignaz Konta.
waltung des Staates, wie dies, neben
vielen anderen wirtschaftlichen und
politischen Umgestaltungen, insbesondere
in Deutschland mit seinem aus dem
grossen siegreichen Kriege gewonnenen
Macht- und finanziellen Mitteln kräftigst
ins Werk gesetzt — und auch schon
in Ungarn zum Principe erhoben wurde.
Der Handelsminister v. Kremer hatte
zu diesem Zwecke die Verstaatlichung der
Südbahn geplant, und, nachdem diese sich
als unthunlich erwies, den Zusammen-
schluss der Kronprinz Rudolf-Bahn mit
den Niederösterreichischen Staatsbahnen,
bei gleichzeitiger Verlängerung der letz-
teren bis an die allenfalls auch zu ver-
staatlichende Wien- Aspang- Bahn. Als
jedoch auch dieses Project, theils an der
minderen Zweckdienlichkeit, theils an dem
Kostenpunkte, scheiterte, fasste er die
Verstaatlichung der Kaiserin Elisabeth-
Bahn ins Auge, und lud die Verwaltung
derselben am 13. November 1880, unter
Hinweis auf § 6 des Gesetzes vom 14.
December 1877 [siehe Seite 252 ], zu Ver-
handlungen ein, denen folgende Anträge
der Regierung zur Grundlage dienen
sollten : Uebernahme des ganzen Netzes
der Kaiserin Elisabeth-Bahn mit I. Januar
1881 vorderhand in den staatlichen Be-
trieb ; Leistung der garantiemässigen
Annuitäten für die Verzinsung und Tilgung
der Prioritäten ; Gewährung einer jähr-
lichen Rente von 1 1 fl. Banknoten für
jede Stammactie, beziehungsweise 10 fl.
Silber für jede Actie II. und III. Emission ;
vollständige Erwerbung der Bahn durch
den Staat, sobald die Währungsstreitig-
keiten mit den Prioritäten-Besitzern bei-
gelegt sind, und sodann Umtausch der
gesellschaftlichen Titel gegen staatliche
Goldobligationen.
Die Gesellschaft hatte damals gerade
sehr viel unter jenen Streitigkeiten zu
leiden, und war eben im Begriffe, mit
den Prioritären einen kostspieligen Aus-
gleich einzugehen, dessen Zustande-
kommen jedoch von der schwierigen
Bedingung abhängig blieb, dass seine
Rechtsgiltigkeit für die deutschen Gerichte
staatlich gewährleistet werde. Die Mög-
lichkeit der Fortdauer der Coupon-Processe
und der Unsicherheit in dem Ausmasse
der Actienverzinsung stimmte den Ver-
waltungsrath recht willig zum Eintritte
in die Verhandlungen mit der Regierung,
von denen er übrigens eine Erhöhung
der Actienrente und die Uebernahme der
Valuta-Differenzen zu Lasten des Staates
erhoffte. In ersterer Beziehung zeigte
sich die Regierung entgegenkommend,
indem sie die Rente um einen halben
Gulden pro Actie der I. und IL Emission
erhöhte; die Tragung der aus dem Coupon-
streite etwa hervorgehenden Mehrzahlun-
gen lehnte sie aber rundweg ab, und
gestattete schliesslich nur die Heran-
ziehung der gesellschaftlichen Reserve-
fonds zu diesen Leistungen.
Auf diesen Grundlagen wurde das
Uebereinkommen vom 24. December 1 880
aufgebaut, welches auch schon die Be-
dingungen für die gänzliche Erwerbung
der Bahn umfasste, nämlich: Die Be-
rechtigung des Staates zur jederzeitigen
Einlösung der Bahn; Gebrauchmachung
von diesem Rechte erst dann, wenn der
Prioritäten-Dienst keine Mehrlasten ver-
ursacht [d. h. nach der Beilegung der
Coupon-Processe] ; Eintritt des Staates
als Selbstschuldner für die Prioritäts-
Anlehen von nom. 87,782 000 fl. ; Aus-
tausch der Actien gegen staatliche, mit
50,0 in Gold verzinsliche, binnen 85 Jahren
rückzahlbare Eisenbahn-Schuldverschrei-
bungen im Gesammt-Nennwerthe von
59,000.000 fl. ö. W. Gold, wobei je eine
Stammactie mit 190 fl., eine Actie
IL Emission mit 168 fl., und eine
Actie III. Emission mit 160 fl. be-
werthet und den einzelnen Actionären
freigestellt wird, den Fortbezug der oben-
erwähnten Renten für die Zeit bis zur
Tilgung des Titels zu wählen;*) Ueber-
nahme des gesammten Dienstpersonals
unter Wahrung seiner erworbenen Rechte.
Gleich nach dem Abschlüsse des
Uebereinkommens berief der Verwaltungs-
rath eine ausserordentliche Generalver-
sammlung auf den 31. Januar 1881 ein,
deren Verlaufe allenthalben mit grosser
Spannung entgegengesehen wurde, weil
aussergewöhnlich zahlreiche Anmeldungen
einliefen. Ebenso gross war die Ent-
*) Die Regierung hatte sich vorbehalten,
statt der 5%'gen nur 4°/„ige Schuldverschrei-
bungen im Nominalbetrage von 74,000.000 fl.
Gold zu erfolgen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
289
Abb. 130. Die Arlbergbahn bei Roppen [Roppener Wasserleitung],
täuschung, als die erschienenen 90 Actio
näre, welche 55.731 Actien und 1378
Stimmen vertraten, den Bericht des Ver-
waltungsrathes lautlos anhörten, das
Uebereinkommen ohne jede Frage und
Antwort mit allen gegen drei Stimmen
annahmen, und, für den Fall der Ein-
lösung der Bahn, die Liquidation der
Gesellschaft beschlossen. Man wollte
diese Erscheinung darauf zurückführen,
dass Finanz-Institute, welche sich der
Regierung gefällig erweisen wollten, viele
^ Stücke« [so z. B. die Länderbank allein
bei 24.000] und »Actionäre« beigestellt
hatten. Dies kann jedoch wenigstens
insoferne nicht für zutreffend gelten, als
unter den vielen Anwesenden sich denn
doch Jemand gefunden hätte, um Ein-
sprache zu erheben, wenn diese berechtigt
gewesen wäre. Von Ergebung oder Unter-
würfigkeit konnte also nicht die Rede sein.
Die Theilnehmer wussten vielmehr genau,
was sie thaten, indem sie gerne auf den
Glücksfall manchmaliger höherer Dividen-
den verzichteten, um sich dafür eine gute,
unter Garantie des Staates stehende Rente
zu sichern; sie hatten alle Ursache, mit dem
Uebereinkommen wohl zufrieden zu sein.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Aus diesem Umstände schmiedeten
nun aber die neuen oppositionellen Parteien
des Abgeordnetenhauses manche Waffe
gegen das Uebereinkommen, welches am
22. Februar 1881 vor den Reichsrath
gelangte. Der besonders ausführliche
Motivenbericht zu dieser Vorlage zählte
alle die Gründe auf, welche die Regierung
vermocht hatten, auf dem in Gemässheit
des Gesetzes vom 14. December 1877
eingeschlagenen Wege in so bedeutsamer
Weise vorzuschreiten ; er besprach ins-
besondere die Noth wendigkeit, »Eisen-
bahnen, an welchen der Staat in über-
wiegendem Masse finanziell betheiligt ist,
und welche Verkehrsrichtungen verfolgen,
denen eine besondere staatswirthschaft-
liche und handelspolitische Wichtigkeit
zukommt, der unmittelbaren Verfügung
des Staates zu unterstellen, wie dies in
den Nachbarstaaten bereits in der Haupt-
sache geschehen ist« ; er wies weiters
den Fortgang der Eisenbahn-Verstaat-
lichung in jenen Staaten ziffermässig
nach, desgleichen die Ersparnisse und
sonstigen wirthschaftlichen Vortheile der
Vereinigung der Kaiserin Elisabeth- Bahn,
der Kronprinz Rudolf-Bahn, der Linie
19
290
Ignaz Konta.
Tarvis-Pontafel, der Niederösterreichischen
Staatsbahnen, der Donauuferbahn, der
Braunau-Strasswalchener Bahn, der Arl-
bergbahn und der Vorarlberger Bahn zu
einem einheitlichen Staatsbahnnetze ; er
legte dar, wie sehr dieses Netz die Tarif-
politik des Staates fördere und dem Durch-
zugsverkehre nach dem Westen zustatten
käme und erklärte unumwunden, dass
» die Erwerbung der Kaiserin Elisabeth-
Bahn eine wichtige und nothwendige
Ergänzung jener Massnahmen sei, von
deren rechtzeitiger Durchführung es ab-
hängt, ob in Oesterreich die Institution
des Staats-Eisenbahnbetriebes sich wieder
dauernd einbürgern oder nur die Zahl
der vorübergehenden Versuche vermehren
soll, die nach wechselnden Tagesströ-
mungen auf verkehrspolitischem Gebiete
einander in rascher Folge abgelöst
haben«.
Trotzdem wurde die Vorlage, wie
gesagt, heftig bekämpft. Parteien und
Personen, die früher bei den Erörte-
rungen der verschiedenen Sanirungs-
und Fusionsvorlagen immer wieder die
Verstaatlichung verlangt hatten, kehrten
sich jetzt gegen dieselbe, theils aus
grundsätzlichen , theils aus finanziellen,
vorwiegend aber aus politischen Be-
weggründen. Dies geschah zunächst
im Eisenbahn-Ausschusse, dessen Mit-
glieder, soweit sie überhaupt der Ver-
staatlichungs - Action zugethan waren,
weitergehendere Cautelen gegen etwaige
aus den Valuta - Schwankungen sich
ergebende Mehrleistungen im Falle der
gänzlichen Einlösung der Bahn, sowie
Bestimmungen verlangten, welche den
Zweck der Action im Gesetze selbst
zum Ausdruck bringen und vorbeugen
sollten, dass die Regierung den Betrieb
wieder aus den Händen gebe. Als die
letztere sich mit den Aenderungen ein-
verstanden erklärt und der Ausschuss
die Vorlage endlich angenommen hatte
[23. März], erfuhr dieselbe sodann im
Abgeordnetenhause selbst womöglich noch
schärfere Angriffe. Die Berathungen, bei
denen die politischen Parteien sich in
geschlossenen Reihen gegenüberstanden,
währten vom 5. bis 7. April sozusagen
Tag und Nacht, Hessen mitunter recht
deutlich erkennen, dass der Widerstand
auch hier einen mehr politischen Hinter-
grund habe, und endeten bei der nament-
lichen Abstimmung mit der Annahme des
Gesetzes.
Damit war jedoch nicht wie sonst schon
das Meiste gewonnen; denn im Herren-
hause besass die Verfassungspartei noch
die Mehrheit und was gewärtigen Hess,
dass sie den Kampf ihrer im Abgeord-
netenhause unterlegenen Parteigenossen
fortsetzen werde. Dies war auch wirklich
der Fall und zeigte sich gleich bei den
Vorberathungen in der Eisenbahn- und
Finanz - Commission, welche zwar er-
klärte, keineswegs gegen die Verstaat-
lichung zu sein, doch aber das Ueber-
einkommen sowohl wegen der darin
festgesetzten Goldzahlung, wie auch im
Hinblicke auf die noch andauernden
Coupon-Processe, als ein für den Staat
viel zu ungünstiges bezeichnete. [2. Juni.]
Die Entscheidung des Herrenhauses war
also leicht vorauszusehen ; es kam
jedoch vorläufig zu keiner solchen, da
der Reichsrath am 4. Juni plötzlich ver-
tagt wurde.
Die Regierung pflog nun neuerliche
Verhandlungen mit der Gesellschaft, um
dieselbe zu bewegen, dass sie von der
bedungenen Goldzahlung des Staates ab-
sehen und sich mit einer etwas erhöhten
Zahlung in Silber begnügen möge. Dies
misslang und die Verhandlungen hatten
blos die Verlängerung der am 30. Juni
ablaufenden Giltigkeit des Uebereinkom-
mens bis Ende 1881 zum Ergebnisse.
Das hierüber ausgefertigte Protokoll vom
28. Juni wurde seitens der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 30. Juli
188 1 genehmigt.
Das ganze Vorhaben und mit ihm
auch das Verstaatlichungs-Princip selbst
erschien nun gefährdet, so zwar, dass
bereits ein Verkauf der Kronprinz Rudolf-
Bahn oder etwa deren Auftheilung an
die Nachbarbahnen nicht blos von aussen
angeregt, sondern auch an massgebender
Stelle in Betracht gezogen wurde. Die
Raben der Societe beige flatterten wieder
auf und die von der noch jugendfrischen
Länderbank damals geplante »Eisenbahn-
betriebs-Gesellschaft« für die schon ver-
staatlichten oder auf Grund des Seque-
strations-Gesetzes noch vom Staate zu
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
29I
übernehmenden Bahnen hörte auf, ein
blosses Phantom zu sein.
Knapp vor der Wiedereröffnung des
Reichsrathes bemühte sich der Handels-
minister die eigens einberufene Eisenbahn-
Commission des Herrenhauses zur Er-
neuerung ihrer Verhandlungen zu bewegen
{18. November], sie lehnte dies ab. Zwei
Tage später verlautbarte das Amtsblatt
die Ernennung einer Reihe neuer Mit-
glieder des Herrenhauses und nach weiteren
zwei Tagen wurde die Vollsitzung des-
selben zur Berathung der Vorlage an-
beraumt. Sie sollte am 11. December
beginnen, wurde aber infolge der Ring-
Eisenbahnbetrieb in Wien« und
die Ernennung des — schon 1881 in
den Verwaltungsrath gewählten und
in der eben erwähnten Verwaltungs-
raths-Sitzung [ab I. Januar 1882] in
den Ruhestand getretenen — General-
Directors der Kaiserin Elisabeth -Bahn,
Sectionschef Alois von Czedik, zum
provisorischen Vorstande dieser Direction,
mittels Kundmachung des Handesmini-
steriums vom 27. December 1881 ver-
lautbart wurde.
Am 1. Januar 1882 ward also die
Schaffung eines grossen staatlichen Be-
triebsnetzes zur vollendeten Thatsache.
Abb. 131. Landeck.
theater - Katastrophe auf den Abend des
12. December verschoben und am 13. fort-
gesetzt, beziehungsweise abgeschlossen.
Die Debatten waren überaus erregte und
gaben Zeugnis von dem schroffen Gegen-
satze der politischen Parteien. Die Abstim-
mung ergab indessen die Ablehnung des
Commissions-Antrages und die Annahme
der Vorlage, welche dann durch die a. h.
Sanction vom 23. December 1881 zum
Gesetze erwuchs.
Nun traf die Regierung alle Vor-
kehrungen zur raschen Durchführung des-
selben. Am 24. December erhielt der
Verwaltungsrath, bei gleichzeitigem Aus-
drucke der dankenden Anerkennung für
seine vieljährigen, erspriesslichen Lei-
stungen, die Verständigung von der
Uebernahme des Betriebes durch den
Staat, welche gleichwie die Bestellung
einer »K. k. Direction für Staat s-
Am selben Tage traten auch die Ver-
einbarungen über die gesellschaftliche
Betriebsführung auf der Braunau-Strass-
walchner Bahn [siehe Seite 222] und die
Mitbenützung der neuen Strecke der
Donauuferbahn [siehe Seite 282] ausser
Kraft.
Die weitere Organisirung des Staats-
betriebes fand im ersten Halbjahre 1882
statt, ihre Grundlage bildete das mit
a. h. Entschliessung vom 24. Februar ge-
nehmigte und mittels Verordnung des
Handelsministeriums vom 26. Februar
1882 kundgemachte Statut, das zwar nur
den Titel »Grundzüge für die Organi-
sation des Staatsbetriebes auf den west-
lichen Staatsbahnen und vom Staate be-
triebenen Privatbahnen« führte, gleich-
wohl aber umfassende Satzungen für die
neue Institution enthielt, von denen jedoch
hier nur die zur Umrahmung des Ganzen
19*
292
Ignaz Konta.
gehörenden Hauptbestimmungen hervor-
gehoben sein sollen, da sie anderen Orts
ausführlicher erörtert werden. *)
Das Statut bestimmt zunächst, dass
zur Führung des Betriebes der oben ee-
nannten Bahnen eine ausserhalb des
Handelsministeriums stehende, jedoch dem-
selben unmittelbar untergeordnete Central-
Verwaltungsstelle mit dem Sitze in Wien
errichtet werde, welche die »K. k. Direction
für Staats-Eisenbahnbetrieb in Wien« sowie
den »Staats - Eisenbahnrath« in sich
schliesst und einen von Sr. Majestät dem
Kaiser ernannten Präsidenten zum Vor-
stande, beziehungsweise Vorsitzenden hat;
es bezeichnet ferner diejenigen Ver-
waltungs- Angelegenheiten, welche dem
Handelsministerium selbst vorbehalten
bleiben, regelt den Wirkungskreis der
einzelnen Factoren der Central - Ver-
waltungsstelle, wie auch die Zusammen-
setzung des Staats-Eisenbahnrathes, dann
den Wirkungskreis der Direction und die
Gliederung des Executiv - Dienstes, zu
dessen Besorgung die »K. k. Ober-Bahn-
betriebsämter« eingesetzt wurden.
Während die Einrichtung der letzteren
und der Dienststellen der Direction zu
Ende gedieh, übertrug das Handelsmini-
sterium mittels Kundmachung vom 19. Juni
1882 die Befugnisse, welche dem k. k.
Betriebsvervvalter der Kronprinz Rudolf-
Bahn und der Ministerial - Commission
für die Verwaltung der k. k. Nieder-
österreichischen Staatsbahnen [sammt der
Donauufer - Bahn] eingeräumt gewesen
waren, an die Direction, und mit a. h.
Entschliessung von 24. Juni erfolgte die
Ernennung ihres provisorischen Vor-
standes, Alois C z e d i k von Bründelsberg,
zum Präsidenten.
Da inzwischen — auf Grund des
Gesetzes vom 14. December 1877 und
des Protokollar-Uebereinkommens vom
25. August 1869 [siehe Seite 74], welches
*) Näheres im Abschnitte »Verwal-
tungs-Geschichte der österreichischen Eisen-
bahnen« von Dr. Alfr. Freiherr Buschman.
Eine Analyse der Administration ist auch
in der »Geschichte des Eisenbahnwesens«
von Dr. Theodor Haberer, Wien 1884, ent-
halten, ebenso im XVI. Jahrgang von Konta's
Eisenbahn-Jahrbuch ein Abdruck der wesent-
lichen Punkte der Verordnung vom 26. Fe-
bruar 1882.
seit der Inangriffnahme der Arlbergbahn
Actualität erlangt hatte — auch die
Uebernahme der Vorarlberger
Bahn in den Staatsbetrieb verfügt
und, ebenfalls am 24. Juni, amtlich kund-
gemacht worden war, fiel auch diese
Bahn schon unter die am 1. Juli 1882
pünktlich und regelrecht begonnene Wirk-
samkeit der k. k. Direction für Staats-Eisen-
bahnbetrieb. Nach Aussen hin war ihre
erste That eine Herabsetzung der Fahr-
preise auf allen Linien der westlichen
Staatsbahnen.
Die Meinung, dass der wiedererstandene
staatliche Eisenbahnbetrieb nunmehr jeden
Zweifel an den Neubeginn der Herrschaft
des Staatsbahn -Principes ausschliesse,
wurde gar bald, wenn auch nur vorüber-
gehend, erschüttert, und zwar durch den
am 5. April 1881 vor das Abgeordneten-
haus gelangten Gesetzentwurf über die
Sicherstellung der Galizischen Trans-
versalbahn, mit welchem abermals auf
die Concessionirung zurückgegriffen
wurde. Das allgemeine Staunen hierüber
war umso grösser, als in diese Bahn
bereits bestehende staatliche Linien zu
liegen kamen und dieselbe neben den
wirthschaftlichen auch bedeutenden ge-
sammtstaatlichen Interessen zu dienen be-
stimmt war. Es waren jedoch die Betrach-
tungen über die auffällige Erscheinung
kaum in vollen Gang gekommen, als
schon der Umschwung eintrat. Der Eisen-
bahn-Ausschuss verlangte gleich von
vornherein den Staatsbau; der Handels-
minister erklärte sich sofort mit der
Aenderung einverstanden und vertrat die-
selbe auch im Parlamente, welches —
wie später des Näheren dargelegt wird —
die Vorlage nach heftigen Erörterun-
gen annahm. Auch diese erhielt noch
vor Ablauf des Jahres 1881, nämlich
am 28. December die a. h. Sanction
und wurde, als Gesetz betreffend den
Ausbau der Galizischen Trans-
versalbahn — unverweilt kundge-
macht. Dasselbe verfügte, dass die zu
dieser Bahn noch fehlenden Strecken :
Saybusch-Neu-Sandec, Gryböw-
Zagörz, Stanislau-Husiatyn [letz-
tere als Localbahn] mit einem Aufwände
von höchstens 24,000.000 fl. auf Kosten
des Staates ausgeführt werden. Rück-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
293
sichtlich der grossen Bahnen blieb also
die Concessionirung vermieden.
Jene der Localbahnen nahm hingegen
einen immer grösseren Aufschwung. Von
allen Seiten strömten " die Bewerber um
Concessionen von Localbahnen herbei
und mannigfache Bauunternehmungen
widmeten sich fast ausschliesslich der
Pflege dieses neuen Zweiges des Eisen-
bahnwesens; eine derselben — Johann
M u z i k a und Karl Schnabel — bildete
im Vereine mit der Länderbank und noch
regung zum Baue einer von Wien nach
diesen Ortschaften führenden Dampf-
tramway gegeben und sich auch um
die bezügliche Concession beworben.
Der Handelsminister entsendete nun eine
eigene Commission nach Italien, wo zu
jener Zeit schon ganze Netze solcher
Anlagen bestanden, um das Wesen und
die Nützlichkeit derselben an Ort und
Stelle zu erheben. Der Bericht dieser
Commission*) lautete so günstig, dass
fortan auch mit dieser Gattung- von Eisen-
g£ag§&:
Abb. 132. Uebersetzung des Innthales bei Landeck. [Original-Aufnahme von Anton Hlavaöek.]
anderen Finanzinstituten eine eigene Ge-
sellschaft zum Baue von »Verbindungs-
bahnen in Böhmen«, die bei ihrer am
3. November 1881 erfolgten Constituirung
die Firmabezeichnung »Böhmische
Commerzialbahnen« wählte, mit
einem Stammcapitale von 4,560.800 fl.
ausgestattet war und ihre Thätigkeit so-
gleich eröffnete.
Damals reiften auch die ersten Pro-
jecte der D ampf tr am w ay s in Oester-
reich. Die Münchener Locomotivfabriks-
Firma Krauss & Comp, hatte, zurück-
greifend auf die alten Bestrebungen, für
die Schaffung guter Verbindungen zwi-
schen Wien und seinen ausserhalb des
Eisenbahn- Verkehres gebliebenen Um-
gebungen, insbesondere auf die schon
in den Jahren 1872 und 1873 vorcon-
cessionirt gewesenen Linien Wien-Mauer-
Mödling, beziehungsweise Brühl, die An-
bahnen zu rechnen blieb. Mancherlei
Schwierigkeiten [der Protest der Südbahn,
die Neuheit des Systems, die Führung
der Bahn mitten durch die Ortschaften
etc.] verzögerten jedoch den Beginn der
Versuche. Krauss & Comp, erhielt erst
am 30. Juli 1882 die Concession für die
iO'4 km lange Linie Hietzing-Perchtolds-
dorf, die am 27. October 1883 eröffnet
*) »Bericht über die Concessionirung, den
Bau und Betrieb der Dampftramways in
Italien. Mit besonderer Berücksichtigung der
Dampftramways in den Umgebungen von
Florenz und Mailand. Infolge Auftrages
des k. k. Handelsministeriums erstattet von
Franz Schulz, k. k. Regierungsrath und
Ober-Inspector der k. k. General-Inspection
der österreichischen Eisenbahnen, Julius
Glück, Inspector der k. k. General-Inspection
der österreichischen Eisenbahnen, Dr. Max
Freiherr von Buschman, k. k. Ministerial-
Vice-Secretär im Handelsministerium.« [Wien,
1882.I
294
Ignaz Konta.
wurde. In den Jahren 1885 und 1886
kamen dann die Ergänzungsstrecken
Wien-Hietzing [3-3 km], Perchtoldsdorf-
Mödling [3-3 km] und Hietzing - Ober-
St. Veit [2*4 km] hinzu, nachdem die-
selbe Firma am 3. April 1884 auch für
die 26' 1 km lange Linie Wien-Stammers-
dorf-Gross-Enzersdorf die Concession er-
halten hatte. Diese Linie wurde am
7. Juni 1886 eröffnet. Das waren, wie
gesagt, die ersten Dampftramways in
Oesterreich, die bald vielfache Nach-
ahmung fanden.
Eine der wesentlichsten Schwierig-
keiten, welche der Dampftramway Wien-
Perchtoldsdorf entgegen gestanden, war
die Bedachtnahme auf die Wiener
Stadtbahn, welche zu jener Zeit
gleichfalls von Neuem projectirt wurde,
und zwar vornehmlich von den Eng-
ländern Ed. Jenkins, Josef Fogerty
und James C. Bunten. Man brachte
diesem Projecte allseitig das lebhafteste
Interesse entgegen und freute sich, als
Fogerty am 25. Januar 1883 die Con-
cession für die »Wiener Gürtelbahn« er-
hielt. Als jedoch die Detailpläne bekannt
geworden waren und gezeigt hatten,
dass diese Bahn nicht einmal recht zu
den Vororten hinausreiche, also die von
ihr erhoffte Aufschliessung neuer An-
siedlungsbezirke nicht biete und oben-
drein durch ihre Führung auf eisernen
Viaducten die Schönheit der Stadt beein-
trächtigen sollen, da wurde sie über die
Massen angefeindet. Das vereitelte auch
die Finanzirung. Schliesslich ging Alles in
die Brüche; die Caution von 1,000.000 fi.
verfiel und die »Stadtbahn« blieb noch
weitere fünfzehn Jahre ungebaut.
Der stetig zunehmenden Localbahn-
Bewegung sahen auch die alten Haupt-
bahn-Unternehmungen nicht müssig zu;
die Prag-Duxer Bahn erwarb am
30. September 1881 die Concession für
die Secundärbahn Zlonic-Hospozin, 8 km
lang, und am 23. December 1882 jene
für die nunmehr als Localbahn auszu-
führende Strecke Klostergrab-Mulde [siehe
Seite 262], 15-9 km lang; die Bus cht ö-
hrader Bahn*) erwarb am 17. Mai 1882
*) Am 14. Novemb. 1S81 verlor die Buschte-
hrader Bahn durch das Ableben des General-
Directors Josef Ritter von Kress ihren lang-
die Concession für die 12-3 km lange
Localbahn Krupa - Kolleschowitz ; die
Südbahn erwarb am 21. Juni 1882
die Concession für die 6-7 km lange
Localbahn Liesing'- Kaltenleutgeben, am
23. August 1882 jene für die 4*5 km
lange Secundärlinie Mödling-Hinterbrühl
— die erste elektrische Bahn in
Oesterreich und am 2. Juni 1884 jene für
die 30-9 km lange Localbahn Spielfeld-
Radkersburg; die Carl Ludwig-Bahn
übernahm am 1 1. Juli 1882 die am 22. No-
vember 1881 dem Consortium des Fürsten
Adam S a p i e h a verliehene 1 46-9 km lange
Localbahn Jaroslau-Sokal; die Böhmi-
sche Nordbahn erwarb am 4. August
und beziehungsweise 26. December 1885
die Concessionen für die 4*5 km lange
Localbahn ■ Böhmisch-Kamnitz — Stein-
schönau und für die 4*8 km lange Lo-
calbahn Röhrsdorf —Zwickau ; die Lern-
berg-Czernowitz-J assy-Eisenbahn
erwarb am 8. Januar 1886 die Concession
für die 88 -4 km lange Localbahn Lem-
berg-Belzec [Tomaszöw], für die sie aber
nachher eine eigene Gesellschaft errich-
tete; die Staatseisenbahn-Gesell-
schaft erwarb am 21. August 1881, be-
ziehungsweise 28. December 1882,11. März
1883, 15. Januar, 3. Juli und 22. October
1884, 6. Januar und 5. November 1886
die Concessionen für siebzehn Localbahnen
in der Gesammtlänge von 397 km.
Die letzterwähnten Concessionirungen
umfassten auch die Linien Segen Gottes-
Okfisko und Brünn-[Schimitz-]Vlarapass,
welche mit der Zweitheilung der
österreichischen Staatseisen-
bahn-Gesellschaft im Zusammen-
hange standen. Dieses wichtige Ge-
schehnis hatte seinen Ausgang in den
schon vorlängst eingetretenen Zerwürf-
nissen zwischen der Gesellschaft und der
königlich ungarischen Regierung, welch
letztere in dem Streben, nach »Verselbst-
] ständigung der Verkehrsinteressen des
i Landes«, stets dem Widerstände jener
! begegnete. Die Rückwirkung dessen
äusserte sich insbesonders darin, dass
I die Gesellschaft keines ihrer grösseren
jährigen Geschäftsleiter; an seine Stelle
trat am 22. December 1881 der bisherige
gesellschaftliche Betriebs-Director Wilhelm
Kretschmer.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreicljs.
295
ungarischen Eisenbahn-Projecte [Kikinda-
Belgrad, Budapest-Semlin, Ofen-Raab-
Wien] mehr durchzusetzen vermochte,
sogar den schon vollzogenen Ankauf der
Waagthalbahn fallen lassen musste.*) An-
fangs März 1882 gewann es den An-
schein, als ob der seit Jahren im Stillen
fortgeführte Kampf endlich aufhören
solle. Die Ge-
sellschaft be-
warb sich da-
mals neuer-
dings um die
Concession für
die Linie Ofen-
Uj-Szöny nebst
Abzweigung
zum Graner
Kohlenbecken,
verzichtete hie-
bei auf die
Staatsgarantie
und machte
sich erbötig,
der Regierung
die freie Tarif-
bestimmung
für diese Linie
zu überlassen.
Nur zu bald
zeigte sich je-
doch, dass die
Hoffnung auf
eine nunmeh-
rige Besserung
des Verhältnis-
ses eine trüge-
rische gewe-
sen und die Re-
gierung ernst-
lich an den
Bau einer Pa-
rallelbahn denke.
Darob in Schrecken versetzt, machten
die Pariser Grossactionäre mit Hilfe einer
kleinen Palastrevolution dem bedrohlichen
Zustande ein Ende. Sie traten, mit
Umgehung der Wiener Geschäftsleitung,
in Beziehungen zur königlich unga-
rischen Regierung und vereinbarten mit
derselben, nach kurzen vertraulichen
Abb. 133.
*) Vgl. Bd. III, J. G o n d a : Geschichte der
Eisenbahnen in Ungarn seit 1867, S. 404 und ff.
Verhandlungen, binnen drei Tagen
einen Vertrag, welcher den Frieden
mit der ungarischen Regierung her-
stellte, aber auch die Einheitlichkeit des
Unternehmens aufhob und die alten
Traditionen der Gesellschaft hinweg-
wischte. Die von Seite der letzteren
Hauptbetheiligten an diesen Vorgängen
waren der Fi-
nanzier Edm.
Joubert, der
über die Mehr-
heit der Actien
verfügte, dann
der Secretär
desPariserCo-
miteA.Ronna
und der Bau-
director Aug.
de S er res.
Am 17. April
kamen die
Punctationen
zu Stande und
am 21. April
wurde die ferti-
ge Abmachung
dem nicht we-
nig überrasch-
ten Verwal-
tungsrathe wie
auch der
Oeffentlichkeit
mitgefheilt,
worauf der Ge-
neral - Director
Emil Kopp
sofort zurück-
trat.
Abgesehen
von denjeni-
gen Bestim-
mungen, deren Erörterung ausschliesslich
in das Capitel über die ungarischen
Eisenbahnen gehört, umfasste der Vertrag
noch die folgenden Hauptpunkte: Er-
richtung eines selbständigen Verwaltungs-
rathes und einer ebensolchen Direction
für die ungarischen Linien mit dem
Sitze in Budapest; Berechtigung der
königlich ungarischen Regierung, das
staatliche Einlösungsrecht rücksichtlich
der ungarischen Linien unabhängig von den
österreichischen schon vom 1. Januar 1895
Aquäduct unter der Rauriser Muhre bei Strengen.
[Arlbergbahn.]
296
Ignaz Konta.
an jederzeit ausüben zu können : Aus-
tausch der Linie Brück - Uj - Szöny gegen
die Waagthalbahn; Gleichhaltung der
Tarifs - Einheitssätze der Strecke Wien-
Bruck mit denjenigen, welche die Königlich
Ungarischen Staatsbahnen für die Strecke
Uj-Szöny-Bruck einführen; Vereinbarung
von Cartellen über die Theilung des
Verkehrs ; gegenseitige Einstellung jeg-
licher Concurrenz.
Kaum bekannt geworden, erregte die
Abmachung ebenso grosses Aufsehen als
arge Befürchtungen hinsichtlich der
Handelsinteressen der westlichen Reichs-
hälfte und insbesondere des Wiener
Platzes. In den öffentlichen Blättern, im
Reichsrathe und im Wiener Gemeinde-
rathe, in der Wiener Handelskammer
und Mehl- und Fruchtbörse, in Ver-
sammlungen und Vorträgen wurde die
Gefährlichkeit des Vertrages eingehendst
erwogen und die k. k. Regierung zum
Schutze der bedrohten Interessen auf-
gerufen. Dem gerecht zu werden, war
keine leichte Aufgabe; denn die k. k.
Regierung befand sich vor einer voll-
endeten Thatsache und konnte nur
noch vermöge des Mitbestimmungsrechtes
bezüglich der für die Umgestaltung der
Gesellschaft erforderlichen Statutenände-
rung einwirken. Das Handelsministerium
wusste jedoch dieses Recht kräftig zu
handhaben.
Gleich in der ausserordentlichen
Generalversammlung vom IO. Juni 1882,
die sich über den zwei Tage vorher
nun auch urkundenmässig ausgefertigten
Vertrag mit der königlich ungarischen
Regierung aussprechen sollte und, wie
bei dem Stimmenaufgebote der fran-
zösischen Actionäre vorauszusehen war,
glattweg zustimmend aussprach, wurde
der Verwaltungsrath durch einen be-
sonderen Erlass des Handelsministers
mit den Bedingungen vertraut gemacht,
an deren Erfüllung die österreichische
Regierung ihre Zustimmung zu den
Statutenänderungen knüpfte. Sie verlangte
vor Allem: Xeufeststellung der Garantie-
verhältnisse des Ergänzungsnetzes und
gleichartige Festsetzungen sowohl hin-
sichtlich des staatlichen Einlösungsrechtes
als auch in Betreff der Verkehrsbegün-
stigungen für das österreichische wie
i für das ungarische Netz, verschiedene
! Cautelen in Ansehung des Prioritäten-
| Capitals etc. Die Gesellschaft wusste
j also, noch bevor der »ungarische Ver-
trag« rechtskräftig geworden, woran sie
sei und der Präsident des Verwaltungs-
1 rathes betheuerte noch in der General-
versammlung selbst, auch der Forderun-
gen der österreichischen Regierung be-
reitwilligst zu entsprechen.
Die bezüglichen Verhandlungen be-
gannen gleich, nachdem der General-
Director Kopp definitiv ausgeschieden
und die Geschäftsleitung an den Stell-
vertreter desselben, Oskar Linder, oder,
richtiger gesagt, an den fortan allein mass-
gebenden Baudirector de Serres über-
gegangen war. Die erste Conferenz
fand am 5., die zweite am II. Juli
statt; die weiteren Besprechungen aber
folgten nicht mehr so rasch und gestal-
teten sich mitunter recht schwierig, weil
das Handelsministerium an seinen For-
derungen unabänderlich festhielt. Es
währte daher bis in den Herbst, ehe die
Delegirten der Gesellschaft sich voll-
ständig fügten. Das eigentliche Ueber-
einkommen kam sogar erst am 12. No-
vember 1882 zum Abschlüsse.
Die Regierung erzielte damit »eine
vollkommene Gleichstellung der commer-
ziellen Interessen beider Reichshälften;
besondere Zugeständnisse für den öster-
reichischen Verkehr und für die Approvi-
sionirung Wiens sowie in Betreff der
Concurrenz mit den staatlichen Linien
•und auch der Kaiser Franz Josef-Bahn ;*)
das Recht zur Einlösung sämmtlicher
österreichischer Linien, sobald die könig-
lich ungarische Regierung die dortigen
Linien ab I. Januar 1895 wann immer
einlöse; die Mitwirkung der Gesellschaft
beim Ausbaue der Böhmisch-Mährischen
Transversalbahn durch die Ausführung
der Linie Segen Gottes-Okf isko und
deren Fortsetzung bis an die ungarische
Grenze gegen den Vlarapass ; die Be-
rechtigung zur Mitbenützung [Peage]
sowohl der Linie nach Okfiäko als
*) In der Fürsorge für diese Bahn wollte
man nicht blos eine Bedachtnahme auf den
garantirenden Staatsschatz, sondern auch
schon eine solche auf die Ausdehnung der
Verstaatlichungs-Thätigkeit erkennen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
297
auch »der an dieselben anschliessenden
gesellschaftlichen Strecken bis zu jenem
Punkte, wo in dieselben etwa künftig
dem Staate gehörige oder im Staats-
betriebe befindliche Bahnen einmünden
werden, welche im Zusammenhange mit
jenen Strecken eine Bahnverbindung des
Nordostens der Monarchie mit OkriSko
[Iglau] darstellen« [§ 8 des Ueberein-
kommens]; die tarifarische Verfügung
auch über die Strecke Wien-Brünn für
Verkehre nordöstlicher Richtung [ab
Brunn] vor und nach den etwa künftig
anschliessenden, staatlichen Betriebslinien
[§ 9 des Uebereinkommens] ; die Siche-
rung einer
Reihe noch .- ■ —
anderer Lo- /£o
calbahnen.
Das Handels-
ministerium
erntete hie-
für das Lob,
dass dieses
Uebereinkom
men » den
bestgelunge-
nenVertrags-
abschlüssen «
beizuzählen
sei.
Aber auch
die Gesell-
schaftbrauch-
te sich nicht
zu beklagen ; sie konnte nun den Ver-
trag mit der königlich ungarischen
Regierung zur Durchführung bringen
und die bezügliche Statutenänderung
unbehindert vornehmen ; sie hatte neue
Anwartschaft auf die Ausbreitung auch
ihres österreichischen Netzes und stand
nicht mehr unter dem Verdachte einer
Beeinträchtigung des österreichischen
Interesses. Die ausserordentliche General-
versammlung vom 21. December 1882
genehmigte das Uebereinkommen und
die Statutenänderung, auf welcher die
dualistische Gestaltung der Gesellschaft
und deren nunmehrige Firma: »Priv.
Oesterreichisch-Ungarische
Staaatseisenbahn-Gesellschaft« beruhte,
ferner die Geldbeschaffung für den Bau
und die Erwerbung neuer Linien im Wege
Abb. 134. St. Christof auf dem Arlberge.
der Ausgabe neuer Prioritäten [100.000
Stück 3°/<)ige ä 500 Francs sowie 4°/0ige
im Gesammtbetrage von 45,000.000 fl.
in Gold] und wählte den neuen, für jedes
der beiden Netze gesonderten, Vorstand
der Gesellschaft, dessen Wirksamkeit am
19. März 1883 begann.
Vorher schon, nämlich am 28. De-
cember 1882, hatte sie die Concession
erhalten für die mit einer 30-jährigen
Steuerfreiheit ausgestattete Linie Segen
Gottes-Okfisko nebst Zweigbahn
nach Gross-Meseritsch, deren erste
»vorläufig«, die letztere aber dauernd als
Secundärbahn auszuführen bis späte-
stens 1. Sep-
tember 1885
zu vollenden
und sodann
für den Staat
jederzeit ein-
lösbar waren.
Die Eröff-
nung dieser
Linien fand
am 4. und
13. Juni 1886
statt.
Bei allen
Jenen, welche
davon absa-
hen, diese
Concessioni-
rung als den
Anfang der
Sicherstellung der lang ersehnten, vom
Vlarapass bis an die bayerische Grenze
reichende Querbahn zu begrüssen, er-
weckte sie wenig Befriedigung ; denn seit
zwanzig Jahren war diese Bahn, als eine
grosse handelspolitische Verkehrsstrasse,
geplant und angestrebt, *) und, nachdem
das Staatsbahn-Princip wieder auf den
Schild gehoben war, als ein würdiges
Object der staatlichen Eisenbahn-Bau-
thätigkeit angesehen. Das Ueberein-
kommen mit der Staatseisenbahn-Gesell-
schaft bot Gelegenheit, und das Gesetz
vom 26. December 1882, über die Ver-
längerung der Wirksamkeit des
Localbahn - Gesetzes bis Ende
*) Siehe die späterhin folgenden, umfas-
senderen Mittheilungen über die »Böhmisch-
Mährische Transversalbahn«.
298
Ignaz Konta.
1884, die Handhabe, noch weitere Trans-
versalbahn-Strecken an diese Gesellschaft
zu concessioniren. Sie erhielt auch that-
sächlich am 22. October 1884 die Con-
cession für die vorläufig als Secundär-
bahn herzustellende Linie Schimitz-
[Brünn]V 1 a r a p a s s, nebst eventuellen
Abzweigungen nach Koritschan und
O s t r a, und zwar unter Einbeziehung
der ihrerseits angekauften Localbahnen
Hradisch-Ungarisch-Brod und Bisenz-
Gaya, wovon Brünn-Gaya am 10. October
1887, die Endstrecken aber erst Ende
October 1888 eröffnet wurden.
Das machte diese Transversalbahn
zu einem merkwürdigen Gebilde ; denn
wenngleich ihre, nach diesen Concessio-
nirungen noch übrigen Strecken auf
Staatskosten zu Ausführung kamen, war
dabei doch das System der blossen
Lückenausfüllung aufrecht erhalten ge-
blieben. Das am 25. November 1883
a. h. sanctionirte Gesetz, betreffend
den Bau der Böhmisch- Mähri-
schen Transversalbahn, gilt näm-
lich den im Artikel II genannten, west-
wärts von Iglau auf Staatskosten mit
einem Aufwände im Höchstbetrage von
27,300.000 fl. auszuführenden fünf Zwi-
schenstrecken [s. w. u.].
Die auf Seite der Regierung anfänglich
beabsichtigt gewesene Zustandebringung
der beiden Transversalbahnen im Wege
der Concessionirung dürfte am richtigsten
als eine Reflexwirkung der alten Principien
bezeichnet werden. Da diese Erscheinung
aber die öffentliche Meinung beirrt und
förmlich dazu gedrängt hatte, den lauten
Wunsch nach einer genauen Bestimmung
der wirklich geltenden eisenbahnpoliti-
schen Grundsätze zu erheben, so konnten
die von der Regierung nun der Reihe
nach getroffenen anderweitigen Mass-
nahmen als eine das Festhalten an der
Verstaatlichung bekundende Anwort auf
jenes Verlangen gelten. Sie wusste sich
das sofort oder binnen Kurzem wirksam
werdende Recht zur Einlösung noch
einiger Privatbahnen zu erwerben, be-
wirkte den Uebergang etlicher Staats-
bahnen in den Eigenbetrieb des Staates,
und sorgte auch für die Fortsetzung dreier
staatlicher Linien.
In ersterer Beziehung handelte es sich
zunächst um die Turnau - Kraluper
Bahn und die Böhmische Nord-
bahn. Diese Bahnen waren auf Geheiss
des hiebei keineswegs zu Schaden ge-.
kommenen Bankhauses Reitzes, welches
durch Ankauf von Actien *) dieser zu-
kunftsreichen Unternehmungen überwie-
genden Einfluss auf dieselben gewonnen
hatte, eine Verschmelzung einge-
gangen, und zwar in der Weise, dass
die ältere Turnau-Kraluper Bahn von der
jüngeren Böhmischen Nordbahn angekauft
wurde. Diese Form wurde gewählt, weil
letztere Gesellschaft noch genügend Spiel-
raum zu einer Prioritäten-Emission besass,
daher den Kaufpreis durch eine die Bahn-
Erträgnisse weniger in Anspruch nehmende
Geldbeschaffung zu decken vermochte. Die
Böhmische Nordbahn übernahm daher alle
Passiven der Turnau-Kraluper Bahn, und
vergütete für jede auf nom. 200 fl. lautende
Actie der letzteren einen Barbetrag von
175 fl. und eine Actie der Böhmischen
Nordbahn ä 150 fl., oder, nach Wahl
der Actionäre, statt des Barbetrages von
175 fl. nur 75 fl. bar und 100 fl. in
Actien der Böhmischen Nordbahn al pari.
Die Kraluper Actien wurden nichts weniger
als überzahlt; denn pro 1880 hatten sie
ein Erträgnis von 14 fl., und pro 1881
ein solches von 17 fl. geliefert, während
der Reingewinn der Böhmischen Nord-
bahn damals noch dem Sanirungs-Conto
zufloss. Anlässlich der Vereinigung wurde
auch die Convertirung der beiderseitigen
5°/0igen Prioritäts-Anlehen in ein 4°/0iges
Goldanlehen vorgesehen.
Zu diesen Transactionen war jedoch
die Genehmigung der Staatsverwaltung
erforderlich, welche hiefür Gegenleistungen
beanspruchte und erhielt, darunter gewisse
Leistungen für Post und Telegraph, Tarif-
Zugeständnisse, die Herstellung derLocal-
bahn Schluckenau-Wölmsdorf und das
Recht, die vereinigten Bahnen ab I . Januar
1884 jederzeit einlösen zu können, gegen
Zahlung eines Entgeltes, welches der auf
den 1. Januar des Einlösungsjahres mit
4'/2°/0 discontirten, aus den drei letzt-
jährigen Erträgnissen in der üblichen
*) Es hatte im Vereine mit der Unionbank
auch die im Besitze der gemeinsamen Staats-
Activen gewesenen 27.000 Actien der Böhmi-
schen Nordbahn ange'kauft [Februar 1882].
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
299
Weise ermittelten, jedoch mindestens ein
Reinerträgnis von 1,700.000 fl. zur Grund-
lage habenden Rente*) gleichkomme, und
in 41.'2%i&en> binnen 85 Jahren al pari
rückzahlbaren Staats-Schuldverschreibun-
gen zu entrichten sei. Das bezügliche
Protokollar-Uebereinkommen der Regie-
rung mit den beiden Gesellschaften wurde
am 26. Mai 1882 abgeschlossen und
seitens der Generalversammlungen vom
29., beziehungsweise 30. Juni 1882 ge-
nehmigt, wobei die Actionäre der Turnau-
Die Prag-Duxer Bahn, der es im Jahre
1878 mühselig gelungen war, ihren Fort-
bestand zu sichern [siehe Seite 262], durfte
darum noch keineswegs der Ruhe fröhnen ;
denn wie die durchgreifende Ordnung
ihrer Verhältnisse, stand auch der Aus-
bau nach Mulde, von dem die Hebung
ihrer Ertragsfähigkeit abhing, noch in
weitem Felde. Sie arbeitete also unab-
lässig an der Erreichung dieser Ziele.
Dem wendete aber die bereits wieder
im vollen Aufblühen begriffene Dux-
Abb. 135. St. Anton, Ostportal des Arlbergtunnels mit dem Lott-Denkmal.
Kraluper Bahn zugleich die Auflösung
ihrer Gesellschaft, andererseits aber jene
der Böhmischen Nordbahn die Vermehrung
des Actiencapitals auf 1 2,999.950 fl. durch
Ausgabe von 33.333 neuen Actien ä 150 fl.
und die Convertirung der 5°/0igen Anlehen
in ein 4°/0iges Goldanlehen von nom.
43,500.000 Reichsmark beschlossen. Mit
I.Januar 1883 ging die Turnaa-Kraluper
Bahn in die Böhmische Nordbahn auf.
Aus ähnlichem Anlasse gewann die
Regierung auch die .Naherückung der
Einlösbarkeit der beiden Duxer Bahnen.
*) Für die Zeit bis 1895 war noch ein per-
centualer, je nach der hinausgerückten Einlö-
sungszeit stufenweise abfallender Zuschlag zur
Rente [1885: 6°/0, 1895: I°/„] gewährleistet.
Bodenbacher Bahn das vollste
Augenmerk zu, weil sie von der ge-
sundeten und gut ausgerüsteten Prag-
Duxer Bahn eine scharfe Concurrenz be-
fürchtete, zumal nach dem Ausbau der
Strecke Klostergrab-Mulde [recte Moldau],
welche den Weg der Kohlensendungen
nach Deutschland namhaft abkürzt. Der
kluge Director der Dux-Bodenbacher Bahn
ersann nun einen Plan, wonach die Prag-
Duxer Bahn*) auf die Dauer von zwanzig
*) Am 7. April 188 1 starb der General-
Director der Prag-Duxer Bahn, Franz M r a z ;
am 17. November 1881 wurde der gesellschaft-
liche Inspector Ludwig Komrs, der bis dahin
provisorisch mit der Leitung der Geschäfte be-
traut gewesen, zum Betriebs-Director ernannt.
30O
Ignaz Konta.
Jahren, gegen einen percentuellen Antheil
an den Roheinnahmen, in den Betrieb
der ersteren übergehen sollte. Zugleich
trat die an der Dux-Bodenbacher Bahn
betheiligte Dresdener Bank mit neuer-
lichen Sanirungs-Anträgen an die Prag-
Duxer Bahn heran. Die beiden Projecte
sollten einander ergänzen und fördern ;
sie wurden jedoch vom Verwaltungsrath
der letztgenannten Bahn alsbald abgelehnt
[30. April 1881]; der Sanirungs -Vor-
schlag insbesondere, weil er sehr com-
plicirt war und der Gesellschaft nicht
einmal einen augenblicklichen finanziellen
Vortheil bot.
Am 30. September 1881 erhielt die
Prag-Duxer Bahn die Concession
für die 8 km lange Localbahn Zlonic-
Hospozin [siehe Seite 294], welche am 17.
Juli 1882 dem Betriebe übergeben wurde.
Dieser kleine Bau kostete blos 137.000 fl.;
allein die Umständlichkeiten, welche die
Bedeckung eines verhältnismässig so ge-
ringfügigen Betrages ihr bereitete, führte
der Gesellschaft die Beengtheit ihrer Lage
wieder vor Augen. Daraufhin, wie auch
weil die noch immer erhoffte Staatshilfe
sich nicht einstellen wollte, wurde nun
der Verwaltungsrath viel zugänglicher
für Sanirungs-Anträge, und die Dresdener
Bank war mit solchen rasch zur Hand.
Sie hatte in Gemeinschaft mit dem Wiener
Bankverein und noch anderen Finanz-
Instituten neue Vorschläge gemacht, die,
als der Ausbau der Strecke Klostergrab-
Moldau darin an erster Stelle Aufnahme
gefunden, zu der gewünschten Einigung
führten.
Dieselbe erfolgte am 17. Juni 1882
und umfasste folgende Hauptpunkte : Die
Strecke Klostergrab-Moldau solle auf Grund
einer neuen Concession hergestellt werden,
welche die im Localbahn-Gesetze vor-
gesehenen Begünstigungen gewährt; die
hiezu sowie zur Tilgung der schwebenden
Schulden erforderlichen Geldmittel werden
durch Ausgabe 5°/o'ger Goldprioritäten
im Nennwerthe von 5,000.000 fl. be-
schafft, welche seitens des Banken-Con-
sortiums zum Curse von 1 1 1 fl. Noten
für 100 fl. Gold übernommen werden ;
die Einlösung der rückständigen Priori-
täten-Coupons geschieht durch 4%'ge
Vorzugs-Äctien im Gesammtbetrage von
nom. 4,996.500 fl. ; die von der ursprüng-
lichen Emission für die Linie Brüx-Mulde
[Moldau] noch unbegebenen Titel werden
vernichtet; das Banken - Consortium
garantirt für die Dauer von vier Jahren
die Verzinsung der gesammten Prioritäts-
Anlehen ; als Gegenleistung erhält es von
den Prioritären unentgeltlich die Hälfte
der vorerwähnten Vorzugs-Actien. Die
Actionäre genehmigten diese Vereinba-
rungen in der Generalversammlung vom
27. Juni 1882.
Nun galt es die neue Concession für
die Strecke Klostergrab-Moldau zu er-
wirken. Dies ergab die Gelegenheit,
bei welcher die Regierung sich das Recht
sicherte, das ganze Unternehmen der
Prag-Duxer Bahn vom 1. Januar 1890
jederzeit einlösen, den Betrieb derselben
aber schon vom 1 . Januar des auf die
Eröffnung der Strecke Klostergrab-Moldau
folgenden Jahres übernehmen zu können.
Ueber die bezügliche Entschädigung der
Gesellschaft wurde viel verhandelt, schliess-
lich einigte man sich dahin, dass die
Regierung im Falle jener Einlösung eine
aus dem Durchschnittsergebnisse der letzten
drei Jahre zu ermittelnde Rente im
Mindestbetrage von 1,410.000 fl. und im
Falle der Betriebsübernahme ein Er-
trägnis garantirt, welches dem mittleren
wirklichen Ertrage der nächstvoraus-
gegangenen zwei Jahre zuzüglich stufen-
weise abfallender Zuschläge von 10 — 6%*)
gleichkommt. Das betreffende Protokollar-
Uebereinkommen wurde am 21. und
30. September 1882 abgeschlossen und
infolgedessen die Concession vom 4. Sep-
tember 1872, rüchsichtlich der Strecke
Klostergrab-Mulde, mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 23. October
1882 annullirt.
Die Prioritäten-Besitzer genehmigten
in ihrer Versammlung vom 27. November
die vereinbarte Sanirung und die Actionäre
in der ausserordentlichen Generalversamm-
lung vom 28. November 1882 das Ueber-
einkommen mit der Regierung. Hierauf
erhielt die Gesellschaft am 23. December
*) Die Scala war folgende: pro 1887
lO°/0, für jedes der Jahre 18^8-1890 8°/0 und
pro 1891— 1894 je 6°/0. Der für das Jahr 1894
ermittelte Garantiebetrag behielt für alle
folgenden Betriebsjahre Geltung.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
30I
Abb. 136. Langen [Tunnel-Ausgang],
1882 die neue, auf dem Localbahn-Gesetze
beruhende, mit einer 30jährigen Steuer-
freiheit ausgestattete und [unbeschadet
der früheren Einlösung] bis 1. November
1963 giltige Concession für die Strecke
Klostergrab-Moldau, deren Bau auch
sofort an die Unternehmung Schön &
W e s s e 1 y vergeben und am 1 . April
1883 in Angriff genommen wurde. Die
Eröffnung dieser Strecke für den Kohlen-
verkehr fand am 6. December 1884, jene
für den Gesammtverkehr am 18. Mai
1885 statt.
Was die Dux-Bodenbacher Bahn
mit Besorgnis erfüllt hatte, war also
wirklich eingetreten, nämlich die voll-
kommene Sanirung der Prag-Duxer Bahn
und deren Ausbau nach Moldau ; über-
dies lag jetzt noch deren Uebereinkommen
mit der Regierung vor. Die erstere Gesell-
schaft kam darum jetzt umso eifriger
auf die Idee der Vereinigung der beiden
Bahnen zurück ; diesmal mit Erfolg, da
nunmehr bei der einen wie bei der anderen
Unternehmung dieselben Geldkräfte be-
theiligt waren. Gleichwohl zogen sich
die Verhandlungen hinaus, erst am 1 8. De-
cember 1883 wurden die betreffenden
Uebereinkommen unterfertigt. Eines hatte
den Ankauf der Prag-Duxer durch die
Dux-Bodenbacher Bahn zum Gegenstande,
das zweite hingegen die Bedingungen, unter
welchen die Regierung dieser Vereinigung
zustimmte. Dass hierunter die Berechti-
gung zur jederzeitigen Uebernahme des
gesammten Unternehmens in den Staats-
betrieb ab I.Januar 1885, beziehungs-
weise zur gänzlichen Einlösung vom
I.Januar 1892 an, in erster Reihe stand,
kann im Hinblicke auf die von der Prag-
Duxer Bahn schon früher erworbene gleiche
Gerechtsame, als selbstverständlich gelten.
Eine Aufzählung der bezüglichen Einzel-
bestimmungen ist jedoch hier entbehrlich,
weil das ganze Vorhaben an formalen
Schwierigkeiten scheiterte.
Gemäss Artikel II des vorerwähnten
Uebereinkommens vom 18. December 1883
sollte nämlich in den Vorzugsrechten der
Prioritäts-Actionäre eine Beschränkung
eintreten, die aber vergeblich angestrebt
wurde, weil die seitens der ausserordent-
lichen Generalversammlung der Prag-
Duxer Bahn vom 28. October 1882,
gleichzeitig mit der Genehmigung des
Uebereinkommens mit der Regierung,
beschlossene Statutenänderung, für künf-
tige Aenderungen Stimmeneinhelligkeit
vorschrieb, diese jedoch bei der zu-
tage getretenen erheblichen Opposition
gegen die Vereinigung, nicht zu er-
zielen war.
302
Ignaz Konta.
Es mussten also, wenn nicht die Sache
völlig aufgegeben werden wollte, neue
Vereinbarungen getroffen werden. Diese
hatten das Protokoll vom 22. April 1884
zum Ergebnisse, wonach die Dux-Boden-
bacher Bahn der Prag-Duxer Bahn für
die Ueberlassung ihres Betriebes ein
jährliches Reinerträgnis von je 950.000 fl.
pro 1885 und 1886, 1,000.000 fl. pro
1887, je 1,050.000 fl. pro 1888 und 1889
und je 1,100.000 fl. pro 1890 und die
folgenden Jahre zusicherte und die Prag-
Duxer Bahn der Dux-Bodenbacher Bahn
das Recht einräumte, die erstere vom
I.Januar 1885 an jederzeit, gegen Ueber-
nahme aller Passiven sowie Zahlung eines
Pauschalpreises von baren 8,000.000 fl.
käuflich zu erwerben ; ausserdem ver-
pflichtete sich die Prag-Duxer Bahn ihre
5%igen Silberprioritäten in ein 4°/0iges
Goldanlehen zu convertiren. Nebstdem
wurde am 26. April 1884 ein förmlicher
Betriebsvertrag abgeschlossen.
Gleichfalls am 26. April 1884 kam
auch ein neues Uebereinkommen mit der
Regierung zustande, durch das sie in
ähnlicher Weise wie bei allen frühern
derartigen Vereinbarungen insbesondere
erwarb : das Recht zur Uebernahme
des Betriebes der vereinigten Unter-
nehmungen [mit Ausnahme der Dux-
Bodenbacher Kohlenwerke] vom I.Januar
1886 an wann immer, gegen Garantie
eines Pauschalbetrages, welcher für jedes
der Jahre 1887 — 1894 dem Durchschnitte
der in den nächstvorausgegangenen zwei
Jahren wirklich erzielten Ueberschusse
beider Unternehmungen nebst einem Zu-
schlage gleichzukommen hat, der pro
1887 6%, pro 1888— 1890 je 5°/0 und
pro 1891 — 1894 je 4°/0 jenes Durch-
schnittes beträgt*); das Recht, vom
I. Januar 1892 an, die beiden Unter-
nehmungen einzulösen, gegen Zahlung
einer aus den wirklich erzielten Ueber-
schüssen der vorausgegangenen drei Jahre
speciell zu ermittelnden Rente von min-
*) Der für das Jahr 1894 ermittelte garan-
tirte Betriebsüberschuss hatte als solcher für
alle folgenden Jahre zu gelten. Die vom
Staate geleisteten Garantiezahlungen waren
als Vorschüsse [nebst 4°,'0 Zinsen | rückzu-
vergüten, sobald in späteren Jahren die
wirklich erzielten Ueberschusse den garan-
tirten Pauschalbetrag übersteigen sollten.
destens 3,100.000 fl., wovon vorerst auf
die Dux-Bodenbacher Bahn 1,690.000 fl.
und 1,410.000 fl. auf die Prag-Duxer
Bahn als fixe Quote entfallen und etwaige
Reste aufgetheilt werden sollen.
Die Generalversammlungen der beiden
Gesellschaften vom 29. und 30. Mai
1884 genehmigten vollinhaltlich diese Ver-
einbarungen und ebneten sich hiedurch
einen neuen Weg zu ihrer Vereinigung.
Die Regierung aber hatte ein weiteres
Mittel zur Bildung der angestrebten staat-
lichen Durchzugsroute Bodenbach-Prag-
Budweis-St. Valentin-Laibach-Triest ge-
wonnen und konnte nun für die Ver-
bindungen Bodenbach - Prag nach freier
Wahl die Böhmische Nordbahn oder die
beiden Duxer Bahnen benützen.
Die Convertirung der 5°/0igen Silber-
prioritäten der Prag-Duxer Bahn wurde
im August 1884 bewerkstelligt, nachdem
die Finanzgruppe des Wiener Bankvereines
das Convertirungs-Anlehen [4%'Se Gold-
prioritäten] von nom. 13,206.600 fl. über-
nommen und zum Curse von 92°/o im
Wege der öffentlichen Zeichnung begeben
hatte. Damit entfiel auch der Grund zum
Fortbestande der Curatel.
Während der nicht eben sehr glatten
Abwicklung aller dieser Angelegenheiten
kündigte die Regierung die Betriebsver-
träge hinsichtlich der Istrianer, Rako-
nitz- Pfotiviner, Tarnöw-Lelu-
c h 6 w e r und DniesterBahn, infolge-
dessen die erstere ab 1. Januar 1883, die
übrigen ab I.Januar 1884 indenEigen-
betrieb des Staates übergingen.
Am 1. Juni 1883 gelangten auch die
beiden Linien der Mährisc henGrenz-
bahn in den Staatsbetrieb, und
zwar die garantirte auf Grund des
Sequestrations-Gesetzes vom i4.December
1877, die ungarantirte zufolge des Proto-
kollar-Uebereinkommens vom 15, April
1883. Zum k. k. Betriebs Verwalter der-
selben wurde der in gleicher Eigenschaft
auch bei der Erzherzog Albrecht-Bahn
eingesetzte Regierungsrath Max Ritter
v. Pich ler, zu dessen Stellvertreter der
gesellschaftliche General-Secretär, Re-
gierungsrath Ignaz Konta ernannt; ihre
diesfällige Thätigkeit dauerte jedoch nur
vom 1. Juni bis Ende December 1883.
Mit dem Neujahrstage 1884 übernahm
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
303
die zur Verwaltung der Dniester- und
Tarnövv-Leluchöwer Staatsbahn, der Erz-
herzog Albrecht-Bahn und der Mähri-
schen Grenzbahn eigens errichtete k. k.
Ministerial-Commission die Füh-
rung des Betriebes aller dieser Bahnen,
einschliesslich der 8-5 km langen Secun-
därlinie D o 1 i n^ - W y g o d a, welche seit
der Eröffnung [2. Juli 1882] von der
k. k. Betriebsverwaltung der Erzherzog;
Die vorhin angedeutete Fortsetzung
dreier staatlicher Linien wurde bewirkt
durch das Gesetz vom 28. Februar 1883
über die Herstellung von Abzweigun-
gen der Galizischen Transver-
sa 1 b a h n einerseits von S u c h a nach
Oswi§cim und Podgörze, anderer-
seits von Saybusch an die Landesgrenze
gegen Csäcza; durch das Gesetz vom
1. Juni 1883 über die Herstellung einer
Abb. 137. Langen.
Albrecht-Bahn mitbetrieben wurde. Die
14* 1 km lange Localbahn W i 1 1 m a n n s-
dorf-Ebenfurth [eröffnet 23. August
1883], welche die westlichen Staatsbahnen
mit dem ungarischen Bahnnetze verbin-
det, übergab ihren Betrieb mittels Ver-
trages vom 2. August 1883 an die k. k.
Direction für Staatseisenbahn-Betrieb in
Wien; desgleichen die am 1. Mai 1882
eröffnete, 8-8 km lange Localbahn V ö c k 1 a-
bruck-Kammer, zufolge des noch mit
der Kaiserin Elisabeth-Bahn abgeschlos-
senen Betriebsvertrages vom 31. Decem-
ber 1881. .
Abzweigung der Istrianer Bahn
von Herpelje nach T r i e s t, welches der
Regierung auch das Recht einräumt, sich
die freie Mitbenützung der Südbahnstrecke
Laibach-Divaöa im Enteignungswege zu
verschaffen, wenn es nicht gelingen sollte,
diesfalls bis Ende 1884 ein Uebe rein-
kommen mit der Südbahn abzuschliessen ;
ferner durch das Gesetz vom 5. Juni 1883
über den Ausbau der Dalmatiner
Bahn von Siveric nach Knin.
Füglich könnte in diese Rubrik auch
die mittels des Gesetzes vom 4. Juni
1883 genehmigte Errichtung einer Tra-
3<H
Ignaz Konta.
jectanstalt auf dem Bodensee
eingereiht werden, weil damit gewisser-
massen eine über den Bodensee hinüber-
führende Fortsetzung der Linie Inns-
bruck-Bregenz geschaffen ward. Aehn-
liches gilt von dem am 7. Juni 1883
zwischen der Südbahn und der k. k.
Direction für Staats-Eisenbahnbetrieb ab-
geschlossenen P 6 a g e- V e r t r a g hinsicht-
lich der Strecke Wörgl-Innsbruck,
weil derselbe dem Staatsbetriebe das
Recht einräumt, diese 58'7 km lange
Strecke, welche die Arlbergbahn mit den
übrigen Linien des westlichen Staats-
bahnnetzes verbindet, gegen Entrichtung
eines Bahngeldes,*) wie ein selbstän-
diger Betriebsunternehmer [jedoch aus-
schliesslich des Localverkehres] mitzu-
betreiben.
Den in Galizien liegenden Staats-
bahnen wurde um dieselbe Zeit die
79-3 km lange Strecke Stryj-Beskid
neu angefügt, welche ehemals der Erzherzog
Albrecht-Bahn concessionirt war und nun
auf Grund des Gesetzes vom 7. Juni 1883
vom Staate selbst in Ausführung ge-
nommen wurde.
Hätte das Alles noch nicht genügt,
das Festhalten an der Verstaatlichung
des Eisenbahnwesens zu bekräftigen,
dann musste dies den in Bälde nach-
gefolgten gänzlichen Erwerbungen von
Privatbahnen für den Staat sicher ge-
lingen. Ehe wir uns diesen neuen Be-
gebenheiten zuwenden, haben wir uns
jedoch mit den Monographien der seit dem
Jahre 1880 vom Staate selbst zur Aus-
führung gebrachten Linien zu befassen.
Arlbergbahn. Die Genesis der
Linie Innsbruck-Bregenz erreicht, wie
schon in dem »Eisenbahn-Jahrbuch der
Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie«
[Jahrgang III, Seite 402 f.] dargethan und
von dort in zahlreiche Publicationen über-
*j Das Bahngeld setzt sich zusammen
aus dem im Verhältnisse der von den beider-
seitigen Zügen in der Peage-Strecke zurück-
gelegten Achskilometer zu berechnenden
Antheile an der 5'2°/0igen Verzinsung des
Baucapitals, dann aus den Antheilen an den
Kosten der Bahnerhaltung, des Verkehrs-
dienstes, der Elementarschäden etc., welche
letzteren Antheile nach bestimmten Schlüs-
seln ermittelt werden.
gegangen ist, bis in das Jahr 1847 zu-
rück; sie fällt mit jener der Vorarlberger
Bahn [siehe Seite 73] zusammen, gleich-
wie beide in Karl Ganahl ein und den-
selben geistigen Urheber haben. Der
weitblickende Handelsminister v. Brück
war für die Herstellung der Eisenbahn-
Verbindung zwischen Adria und Bodensee
überaus eingenommen. Mit seinem erst-
maligen Scheiden aus dem Ministerium
[23. Mai 185 1] fiel jedoch die Ange-
legenheit in Vergessenheit, aus der sie
auch sein Wiedereintritt in dasselbe
[10. März 1855] nicht befreite; denn
jetzt war er Finanzminister und, als Hüter
des Staatsschatzes, ausser Stande, jene
Unterstützungen zu gewähren, ohne welche
die Privatthätigkeit, der die Weiterent-
wicklung des Eisenbahnnetzes nun wieder
überlassen war, an einen so schwierigen
und kostspieligen Bau sich nicht heran-
wagte.
Es wurde nun vorerst an die Zu-
standebringung der Vorarlberger Bahn
gedacht; doch auch diese wollte nicht
so bald gelingen. Zunächst war das von
französischen Geldkräften [Consortium :
Talabot-Wirth-Sand] entworfene, nach
etlichen Jahren aber kläglich gescheiterte
Project einer »Bodensee-Gürtelbahn«*) und
nachher das Auftauchen von Plänen für
Bahnverbindungen über den Lukmanier
oder von Innsbruck über Reutte nach
Kempten, hindernd dazwischen gekommen.
Diese Pläne wurden freilich von den
mittlerweile wiedererstandenen Landtagen
Tirols und Vorarlbergs heftig bekämpft,
die Fernbahn überdies von Bayern selbst
vereitelt, worauf dann die Regierung be-
reits in der Denkschrift zu dem im Jahre
1864 veröffentlichten »Entwürfe eines
neuen Eisenbahnnetzes der österreichi-
schen Monarchie«, welche auch die
Linie Innsbruck-Imst-Feldkirch-Dornbirn
enthielt, das Project Innsbruck-Bregenz
nachdrücklichst befürwortete; allein von
weiteren Erfolgen war dies nicht begleitet.
Gleichwohl setzte Ganahl seine Be-
mühungen fort. Im Vereine mit der Blu-
denzer Firma Getzner, Mutter & Comp.
*) Siehe Bd. I, I. Theil, H. Strach: Ge-
schichte der Eisenbahnen in Oesterreich-Un-
garn bis 1867, Seite 246.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
305
und anderen Genossen Hess er, auf Grund
der Vorconcession vom 9. April 1865,
durch Achilles Thommen, den Erbauer
der Brennerbahn, Vorarbeiten ausführen,
bei welchen sowohl auf die Durchfahrung
des Arlberges, als auch auf dessen Ueber-
schreitung mittels einer Fell'schen Steil-
bahn, wie sie damals vorübergehend beim
Mont-Cenis in Verwendung gestanden,
Bedacht genommen war. Allein auch
damit wurde nichts weiter erzielt, als
dass die Regierung, unter Ablehnung
des Systems Fell, sich für die Tunnel-
lirung des Arlberges aussprach.
statteten Berichte über die von den Han-
delskammern in Innsbruck und Feldkirch
überreichten Petitionen um den Bau der
Arlbergbahn deren hohe Bedeutung er-
örterte und zu dem Schlüsse gelangte,
die Regierung möge noch im Laufe der-
selben Session eine diese Bahn sicher-
stellende Vorlage einbringen.
Da auch dies nichts gefruchtet hatte,
gingen die genannten Landtage in der
Herbstsession des Jahres 1868 daran, die
Concessionirung wenigstens der beider-
seitigen Thalstrecken bis zum Arlberge
zu erwirken und hiedurch zugleich das
Abb. 138. Pumpenhaus in Langen.
Die Interessenten drängten indes die
heimatlichen Vertretungskörper zu that-
kräftigerem Vorgehen, was zur Folge
hatte, dass die Landtage von Tirol und
Vorarlberg am 5., beziehungsweise 20. De-
cember 1866 eine Vorstellung bei der
Regierung beschlossen und Ganahl, als
Mitglied des letzteren Landtages, diese
Gelegenheit erfasste, um zu beantragen,
es sei die Bahn auf Staatskosten auszu-
führen, wenn sich nicht auf Grundlage einer
zu erwirkenden Zinsengarantie alsbald
Privatunternehmer fänden.
Im Reichsrathe kam die Frage am
17. December 1867 zum ersten Male
zur Sprache, als der Abgeordnete Frei-
herr von Kübeck in seinem, im Namen
des volkswirthschaftlichen Ausschusses er-
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
zur selben Zeit stark im Schwange ge-
wesene Fernbahn-Project zu beseitigen.
Dies gelang, da — wie bereits erwähnt
wurde — die bayerische Regierung selbst
dem gedachten Projecte mit tödtlicher
Eifersucht entgegentrat. Auch die eine
der beiden Thalstrecken, nämlich die
Vorarlberger Bahn, wurde am 17. August
1869 concessionirt, nachdem der am
13. März 1869 vom Handelsminister
v. P 1 e n e r im Reichsrathe eingebrachte
Gesetzentwurf über die Vervollständigung
des Eisenbahnnetzes, welcher [sub Art.
II, Zahl 5] auch die Linien von Inns-
bruck bis zum Anschlüsse an die schweize-
rischen und bayerischen Bahnen, als
solche bezeichnet hatte, die wegen ihrer
grossen Wichtigkeit unter staatlicher Bei-
306
Ignaz Konta.
hilfe oder völlig auf Kosten des Staates
ehestens auszuführen sei — alsbald wieder
zurückgezogen worden war. [Siehe Seite
64 f.]
Bei der dritten Lesung des Gesetzes
über die Concessionirung der Vorarl-
berger Bahn forderte das Abgeordneten-
haus die Regierung nochmals zur Vor-
lage eines die Sicherstellung der Linie
Innsbruck-Bludenz bezweckenden Gesetz-
entwurfes auf, weil es sich wohl bevvusst
war: einerseits der schon vielfach be-
tonten, ebensowohl politisch wie wirth-
schaftlich hochwichtigen Bedeutung dieser
Linie und andererseits der nur kümmer-
lichen Existenz, welche der ohne Zu-
sammenhang mit dem übrigen Bahnnetze
der Monarchie dastehenden Vorarlberger
Bahn beschieden war. Die Regierung
selbst mag dessen nicht minder inne
gewesen sein, denn sie verpflichtete die
Concessionäre dieser Bahn zur Abtretung
der letzteren an die künftige Fortsetzungs-
linie nach Innsbruck [siehe Seite 74 f.]
und rechnete hiebei auch mit einem Zeit-
räume von nicht einmal fünf Jahren. Sie
musste also vermeint haben, den Bau
binnen Kurzem ins Werk setzen zu
können.
Das erwies sich abermals als irrig.
Weit mehr als die finanzielle hat die
technische Seite der Frage deren Lösung
hinausgeschoben. Noch immer wollte die
endgiltige Entscheidung über die Her-
stellungsweise nicht reifen, wiewohl die
Regierung sich schon früher für die
Durchfahrung des Arlberges ausgesprochen
und nunmehr für die Richtigkeit dieser An-
schauung eine schier unanfechtbare fach-
männische Bestätigung erhalten hatte.
Es war ihr nämlich von dem Ingenieur
Ernst Pontzen eine Denkschrift zu
Gunsten der Durchbohrung des Gebirges
überreicht worden, welche das Handels-
ministerium dem Oesterreichischen
Ingenieur- und Architekten-Ver-
eine zur Begutachtung übermittelte
und dieser, nach sorgfältiger Berathung
durch ein aus den hervorragendsten öster-
reichischen Eisenbahn-Technikern gebil-
detes Comit6, mit dem Bemerken guthiess,
dass »bei der Wichtigkeit der Arlbergbahn
o fc>
und der darum besonders nothwendigen
Sicherung der Ungestörtheit ihres Be-
triebes, nur dieDurchfahrungdes Arlberges
mittels eines tiefen Tunnels und die
Anwendung einer Steigung von höchstens
35n/00 empfohlen werden kann.«
Mächtige Geschehnisse, überaus ge-
eignet, die Dringlichkeit der Inangriff-
nahme des Baues ins hellste Licht zu stellen,
bewirkten gleichwohl keine wesentliche
Beschleunigung. Der deutsch-französische
Krieg hatte in den kriegführenden Staaten
Ausfuhrverbote zur Folge und Vorarlberg,
das auf drei Seiten vom Auslande um-
geben, auf der vierten aber nur mittels
eines schwierigen Alpenüberganges mit
Tirol verbunden war, gerieth dadurch in
völlige Abgeschiedenheit; es drohte ihm
eine Hungersnoth*) und die Regierung
konnte diese Gefahr nur durch mühsam
erwirkte Ausnahmsverfügungen Bayerns
beseitigen. Das niederdrückende Gefühl
solcher Abhängigkeit einer österreichi-
schen Provinz vom Auslande, zitterte
noch lange nach. — Dieser ernsten
Mahnung folgten bald zwei andere, aber
handelspolitische: am 25. December 1870
die Durchbohrung des Mont-Cenis und
am 31. October 1871 der Abschluss des
Staatsvertrages zwischen Deutschland,
Italien und der Schweiz über die Aus-
führung der Gotthardbahn.
Das Handelsministerium, welchem die
bereits vorhandenen Projecte weder ver-
lässlich noch vollständig genug erschie-
nen, beauftragte im Sommer 1871 die
k. k. General-Inspection der österreichischen
Eisenbahnen mit der Ausarbeitung eines
neuen umfassenden Projectes für die
Gebirgsstrecken, veranlasste überdies die
geologische Untersuchung des Arlberges
sowie meteorologische Beobachtungen
während des Winters 1871/72. Die auf
den sorgfältigen Erhebungen des Geolo-
gen Heinrich Wolf fussenden neuen
Projectirungs- Arbeiten waren unbeschadet
ihrer allseitig anerkannten Vollständigkeit
und Genauigkeit schon am Schlüsse des
Jahres 1871 vollkommen fertig. Sie um-
fassten eigentlich zwei Bauprojecte, näm-
lich für eine directe Linie Bludenz-Stu-
ben-St. Anton und von da »sonnseitigr«
*) Vgl. »Die Arlbergbahn.EineDenkschrift.«
Wien, 1872. [Anonym herausgegeben von Dr.
Ferdinand Z eh etner, damals General-Secre-
| tär der Vorarlberger Bahn.]
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
307
bis Landeck sowie für eine von Bludenz
über Langen- mit Schleifen nach Stuben-
St. Anton und von da »schattenseitig«
bis Landeck führende Linie, ferner fünf
Varianten für die Durchbohrung des Arl-
berges selbst, betreffend zwei hochliegende,
zwei tiefliegende Tunnels und einen
tiefstliegenden Tunnel mit Längenunter-
schieden von 5-51 5 km bis 12-400 km,
Kostenunterschiede von 14,818.200 fl. bis
24,361.500 fl. [bei eingeleisiger Anlage]
und Bauzeiten von sieben bis elf Jahren.*)
der ersten Sitzung den technischen Theil,
indem sie sich fast einhellig für den
tiefsten Tunnel, für dessen zweigeleisige
Anlage und für die doppelspurige Her-
stellung des gesammten Unterbaues aus-
sprach. Die zweite Sitzung sollte den
finanziellen Theil erledigen ; hiezu fehlte
es aber an einer statistischen Unterlage.
Der Experte Eugen Bontoux, General-
Director derSüdbahn, übernahm es, dieselbe
zu beschaffen und betraute den Verfasser
dieser geschichtlichen Rückschau, der
Abb. 139. Die Arlbergbahn im Klosterthale. [Original-Aufnahme von Antoa Hlavacek ]
Wegen dieser Varianten, doch auch
um die gesammte Ausführungs weise
und die zu erwartenden finanziellen Er-
gebnisse der Bahn auf ein fach-
männisches Gutachten stützen zu können,
berief der Handelsminister Dr. Banhans
eine Expertise. Dieselbe trat am 22. Februar
1872 zusammen und erledigte gleich in
*) Vgl. »Technischer Bericht über das
Project der Arlbergbahn [Bludenz-Landeck]
sammt Beilagen und zugehörigen Acten-
stücken. Herausgegeben im Auftrage des
k. k. Handelsministers von der Bauabtheilung
der k. k. General-Inspection der österreichi-
schen Eisenbahnen« [Wien 1872].
damals Beamter der Südbahn war, mit
der Erstellung einer Statistik des voraus-
sichtlichen Verkehrs der Arlbergbahn.
Die Aufgabe war, mangels ausreichen-
den Materials, keine leichte. Nach einer
zwei Tage und Nächte hindurch darauf
verwendeten Arbeit gelang es jedoch, an
der Hand der Verkehrsergebnisse be-
stimmter Relationen der Südbahn und
Kaiserin Elisabeth-Bahn den Nachweis
zu liefern, dass die anfängliche Fracht-
menge mit 415.000 t jährlich zu veran-
schlagen sei. Diese Ziffer, welche mit
einer kleinen Aufrundung auch bei den
nachherigen Gesetzvorlagen benützt und
20*
3o8
Ignaz Konta.
späterhin durch die Thatsachen bestätigt
wurde, scheint aber die am 26. Februar
1872 wieder zusammengetretene Expertise
enttäuscht zu haben ; denn die Rentabilität
erfuhr jetzt eine Erörterung, als ob es
sich lediglich um ein Erwerbsunternehmen
und nicht um ein unabweisliches Staats-
erfordernis gehandelt hätte. Bemerkens-
werth war dabei auch der Umstand,
dass trotz des absprechenden Urtheils
über die Ertragsfähigkeit der Bahn den-
noch ihre Sicherstellung durch Conces-
sionirung verlangt und der Staatsbau
nur von den zwei nichtösterreichischen
Experten, Bontoux und Thommen, empfoh-
len wurde. In dem einen Punkte, dass
keine Zeit mehr zu verlieren sei, war
jedoch die ganze Expertise wieder voll-
kommen einig.
Dies hat denn auch seine Wirkung
nicht verfehlt. Der Handelsminister legte
am 22. März 1872 dem Abgeordneten-
hause einen Gesetzentwurf vor über
die Ausführung der Arlbergbahn auf
Staatskosten mit einem Aufwände von
beiläufig 42,000.000 fl. einschliesslich des
tiefliegenden, 12.400 m langen Tunnels
und des durchwegs für Doppelspur her-
zustellenden Unterbaues. Der Motiven-
bericht zu dieser Vorlage enthielt neuer-
dings zahlreiche Beweisgründe für die
Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser
Bahn; er betonte, dass sie das letzte
Glied zur Vollendung einer die westliche
Reichshälfte von deren äussersten Gren-
zen durchziehende Ausfuhrstrasse nach
der Schweiz und nach Frankreich bilde —
dass sie auch für den Norden Oester-
reichs sowie für den Güteraustausch
zwischen den westlichen Nachbarländern
der Monarchie und dem Oriente von
hoher Bedeutung sei — also dem ganzen
Reiche zugute komme, und ihre Aus-
führung daher keinen weiteren Aufschub
vertrage. Der Eisenbahn-Ausschuss trat
auch wirklich sofort in die Vorberathung
des Gesetzes ein. Das bedeutete jedoch
nicht viel, sondern war nur der Anfang
der langen parlamentarischen Leidens-
geschichte der Arlbergbahn.
Mit einem Male erhoben sich Stim-
men dafür, die Bahn von Innsbruck durch
das Lechthal an den Bodensee zu führen
und verlangten die nochmalige Befragung
der Experten, die aber natürlicherweise
ihr früheres Gutachten aufrecht hielten
[22. Mai 1872]. Trotzdem liess das
Handelsministerium schleunigst Traci-
rungen im Lechthale vornehmen, deren
Ergebnisse die Benützung desselben
geradezu ausschlössen [Wiener Zeitung
vom 9. Juli 1872]. Ebenso ging es mit
den im Ausschusse laut gewordenen
finanziellen Bedenken. Der Finanz-
minister Freiherr v. Pretis zerstreute die-
selben indem er darauf verwies, dass
sich die Auslagen auf eine Reihe von
Jahren vertheilen und bei einer Angele-
genheit von solch volkswirthschaftlicher
Bedeutung das finanzielle Moment nicht
ausschlaggebend sein könne. Schliess-
lich kam auch noch die Heranziehung
Ungarns zu Beitragsleistungen in Anre-
gung, die aber vom Handelsminister mit
Erfolg bekämpft wurde. Der zum Be-
richterstatter gewählte Abgeordnete
Fürth verfasste nun einen ebenso gründ-
lichen, als der wichtigen Sache, der er
gegolten, wohlwollenden Bericht, dessen
Ausgabe am 4. Juni 1872 erfolgte.
Wie bitter musste aber seine Ent-
täuschung gewesen sein, wenn er etwa
der Meinung war, der Vorlage einen
Weg geschaffen zu haben. Er ward ihr
versperrt von dem verneinenden Geiste,
der damals das Abgeordnetenhaus be-
herrschte, und in der Abendsitzung vom
6. Juni 1872 wurde ihr vom Ausschusse
der Fortgang benommen. Dr. Herbst
erklärte sich als ihr Gegner ; es gab hef-
tige Auseinandersetzungen mit dem Mini-
ster Lasser und mit denjenigen Ab-
geordneten, welche gleichfalls für die
Vorlage eintraten, dann einigte man sich
auf Vertagung. Die verlangten Ergän-
zungsdaten über den zu gewärtigenden
Verkehrsmengen wurden geliefert ; der
Berichterstatter arbeitete auf Grund der-
selben einen Nachtragsbericht aus, der
am 15. Februar 1873 vertheilt wurde
und allgemeinen Anklang fand; er wies
überdies, unter namentlicher Bezeichnung
der einzelnen Abgeordneten, das Vor-
handensein einer Majorität für die Vor-
lage nach ; der Vorarlberger Abgeord-
nete v. Froschauer urgirte am 23. April
1873 die Angelegenheit, erhielt aber die
Antwort: »Die Arbeiten seien noch nicht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
309
Abb. 140, Lawinenschutz-Anlagen zwischen Kiösterle und Danöfen. [Aus der Bauzeit.]
vollendet«, und der Reichsrath ging aus-
einander, ohne den Gesetzentwurf, dessen
Einbringung er vor vier Jahren vom
Bürgerministerium dringendst gefordert
hatte, zu erledigen.
Die Erstarrung des wirtschaftlichen
Lebens, welche nach dem Ausbruche der
Krisis vom Jahre 1873 immer weiter um
sich gegriffen, wäre wieder eine ernste
Mahnung gewesen, das alte Project end-
lich der Verwirklichung zuzuführen. Alle
Welt rief nach Arbeit und Verdienst ;
die Schaffung derselben wäre eine rettende
That gewesen, hätte den verheerenden
Folgen der Katastrophe Einhalt gethan ;
der Eisenbahnbau war das beste Mittel
hiezu, weil er den breiten Schichten der
Bevölkerung, den mannigfachsten Ge-
werben und Industrien Beschäftigung
gibt ; er würde damals infolge der ge-
sunkenen Preise von Lohn und Material,
mindestens geraume Zeit hindurch, viel
billiger zu bewerkstelligen gewesen sein ;
die Arlbergbahn war vollkommen reif
zu Inangriffnahme, auch längst schon
als drindend nothwendig erkannt, also
wohlgeeignet, das erste Object der neu
anzufachenden Thätigkeit zu sein. Das
Alles verfing jedoch nicht. Man hatte
die »Vermeidung grosser Ausgaben zum
obersten Grundsatze erhoben« und sah
nicht, wie hiedurch die Versumpfung
des wirthschaftlichen Gebietes und die
Entwerthung des Volksvermögens ge-
steigert wurde.
Es kann darum nicht verwundern,
wenn die fortgesetzten Wünsche und
Bitten der unmittelbaren Interessenten
der Arlbergbahn ungehört verhallten, die
unterschiedlichen, im Jahre 1874 gestellten
Interpellationen und versuchten Betreibun-
gen wirkungslos blieben und dies die
Stimmung in Tirol und Vorarlberg ver-
bitterte, so zwar, dass der Landeshaupt-
mann Dr. Jussel in der Eröffnungs-
sitzung des Vorarlberger Landtages am
6. April 1875 »den Gerechtigkeits- und
Billigkeitssinn der Brudervölker Oester-
reichs« in dieser Sache anrief. Aehnliches
konnte der Handelsminister v. Chlu-
3io
Ignaz Konta.
m e c k y bei seiner im Herbste 1875 unter-
nommenen Bereisung Tirols dortselbst
vernehmen. Er hat denn auch in dem
am 29. October 1875 vor das Parlament
gebrachten Eisenbahn-Programm die Arl-
bergbahn in die erste Reihe gestellt. Wie
es dieser Vorlage ergangen, ist schon
früher mitgetheilt worden. [Siehe Seite
222 f. und Seite 249.] Was jedoch die
Arlbergbahn an und für sich betrifft, so
wurde ihr Bau abermals vereitelt; jetzt
vielleicht nicht so sehr durch die Scheu
in Wirklichkeit nur ein »Product der
Zifferngruppirung« sei und kehrte sich
in markigen Worten gegen die Vertretung,
welche die Regierung der Sache ange-
deihen liess ; er schlug die Neuerung aus
dem Felde und hätte vielleicht damit
die Vorlage in Betreff der Arlbergbahn
gerettet. Allein die Regierung wollte auch
die Predilbahn erzwingen, äusserte durch
den Mund des Finanzministers, Freiherrn
von Pretis, »ohne Predil kein Ariberg*
und machte so jede weitere Verhandlung
Abb. 141. Aquäduct beim Wilden Tobel
[Nach einer photographischen Aufnahme von C. Wolf, Hofphotograph in Konstanz.]
vor den Ausgaben, als durch ein neues
von N ö r d 1 i n g entworfenes, »billigeres«
Project mit blos eingeleisiger Trace, Stei-
gungen bis 3O°/00 und einem kurzen
[6-740 km langen] aber 141 5 m hoch
gelegenen Tunnel — - und durch die
verhängnisvolle Zusammenkoppelung der
Arlberg- mit der Predilbahn.
In die Bresche, welche die Nördling-
sche Aenderung in das alte, bereits all-
seitig gutgeheissene Project gelegt hatte,
trat zur Vertheidigung des letzteren, der
Abgeordnete Fürth, und zwar wieder
als Berichterstatter. Er bekämpfte in der
glänzenden Darlegung vom 22. Februar
1876 die Neuerung, bewies, dass die an-
gebliche Verbilligung um 7,700.000 fl.
zu nichte. Die ganze Vorlage wurde am
28. Januar 1877 zurückgezogen.
Nun ruhte die Frage völlig, bis nach
zwei Jahren die neue Zoll- und Handels-
politik Deutschlands, welche einer förm-
lichen Grenzsperre gegen Oesterreich
gleichkam, es augenscheinlich machte,
wie sehr es zu beklagen sei, dass die
Bahn nicht schon längst gebaut war.
Die Kärntner Handelskammer rüttelte
das öffentliche Interesse an der Sache
wach; sie beschloss, am 26. Mai 1879,
anzustreben, dass dem nun bitter empfun-
denen Mangel einer unabhängigen Ver-
bindung Oesterreichs mit der Schweiz
und durch diese mit Frankreich schleunigst
abgeholfen werde ; sie erbat von den
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
311
Handelskammern der Nachbarprovinzen |
eifrige Unterstützung, insbesondere in
dem Sinne, dass dieselben bei den be-
vorstehenden Reichsrathswahlen für die
endliche Sicherstellung der Arlbergbahn
wirken mögen — und sie erzielte mit
der von ihr hervorgerufenen Bewegung
einen günstigen Erfolg. Die Innsbrucker
Handelskammer eröffnete am 7. Juli 1879
den Petitionssturm dieser Vertretungs-
körper; die Angelegenheit gewann einen
acuten Charakter und die Regierung;
jetzt ganz geraden [das heisst nicht
polygonal gebrochenen], darum auch nur
mehr 10.270 tn langen doppelgeleisigen,
und dem Nördling'schen »oberen« eben-
falls geraden, 7000 tn langen eingeleisigen
Tunnel. Für die Entscheidung sollte das
Gutachten einer abermals einberufenen
Enquete massgebend sein. Dieselbe sprach
sich nach zweimaliger Berathung [1. und
2. October 1879] mit überwiegender
Mehrheit wieder für den unteren Tunnel
aus und erklärte eine Vergleichung der
Abb. 142. Die Arlbergbahn bei Wald.
schickte sich von Neuem an, ihr gerecht
zu werden.
Diese Regierung war aber nicht mehr
die frühere und das Abgeordnetenhaus,
dem sie gegenüberstand, ein frischge-
wähltes, in seinen Parteiverhältnissen
wesentlich anders zusammengesetztes.
Der als Nachfolger v. Chlumecky's
am 12. August 1879 ins Amt getretene
neue Handelsminister, Freiherr von Korb,
suchte vor Allem Klarheit über die vor-
handenen Projecte zu gewinnen und die
sodann vorzubereitende Regierungsvorlage
von jedem verwirrenden Beiwerke frei zu
halten. Es galt hauptsächlich die Wahl
zu treffen zwischen den beiden Tunnel-
Alternativen, nämlich dem »unteren«
bezüglichen Kosten für unthunlich, weil
auch der obere [billigere] Tunnel, falls
er überhaupt für zulässig erachtet würde,
doppelgeleisig angelegt werden müsste,
was natürlich mit einer Erhöhung seiner
Kosten, beziehungsweise bedeutenden
Verringerung des Kostenunterschiedes
[30*6 - gegen 35' 16 Millionen] verbunden
wäre.
Dem Vorsitzenden der Enquete, Wilh.
von Nördling, kam es schwer an, dieses
Votum, welches seinem [das heisst dem
Nördling'schen] Projecte den Boden ab-
grub, durch formgerechte Abstimmung
festzustellen. Das verschärfte die Gegen-
sätze und trug mit dazu bei, dass der
Handelsminister, der sich nun auch für
312
Ignaz Konta.
die wiederholt und von so hervorragenden
Fachmännern empfohlene untere Trace
entschied — den General-Director von
Nördling und dessen Project fallen liess.
Der Verlauf und Ausgang der Enquete
machte noch lange von sich reden; sie
fand auch in dem nachgefolgten, ge-
sprochenen und geschriebenen Meinungs-
austausch v. Nördling's mit seinen Geg-
nern *) eine Art öffentlich geführter
Fortsetzung ; allein diese übte keinen
hemmenden Einfluss mehr.
Die a. h. Thronrede, mit welcher der
neugewählte Reichsrath am 8. October
1879 eröffnet wurde, gedachte des Baues
der »immer wuchtiger werdenden Arlberg-
bahn«, und verhiess — wie einige Wochen
später auch der Bescheid an die Depu-
tation, welche der Vorarlberger Landes-
*) Den Reigen eröffnete die von Sections-
chef v. Nördling — gleichsam als »Minori-
täts-Gutachten« — herausgegebene Broschüre :
»Die Alternativ -Tracen der Arlbergbahn«
[Wien, Waldheim, 1879]. Diese Schritt rief
eine ganze Reihe von Kritiken und Gegen-
schriften hervor, deren schärfsten eine, betitelt:
»Die Alternativ-Tracen der Arlbergbahn und
die Broschüre des Herrn v. Nördling, k. k.
Sectionschef und General-Director des öster-
reichischen Eisenbahnwesens a.D., vom Stand-
punkte eines Experten der Majorität bei der
Enquete im October 1879 — von Franz Ritter
v. S t o ck e rt, k. k. Regierungsrath und Central-
Inspector der Kaiser Ferdinands-Nordbahn«,
im Januar 1880 bei Faesy & Frick in Wien
erschien; darauf folgte ein von dem Bahn-
Director der Südbahn, Karl v. Prenninger,
am 14. Februar 1880 im Oesterreichischen
Ingenieur- und Architekten- Verein gehaltener
Vortrag: »Der Bau der Arlbergbahn« [im
Druck erschienen bei Lehmann & Wentzel
in Wien] ; an diesen Vortrag knüpfte sich
eine Discussion, welche mehrere Vereins-
versammlungen hindurch währte ; hierüber
verbreitete sich die Broschüre: »Die Arlberg-
bahn und die Frage der Stellung derTechniker
im staatlichen und socialen Leben im Oester-
reichischen Ingenieur- und Architekten- Ver-
ein. Reden und Beiträge der Herren C.
Büchelen, A. Thommen, W. v. Nördling,
F. Rziha, W. v. Engerth, F. v. Stocken,
A. Friedmann, J. Riedel und M. Könyves-
Töth. Herausgegeben von Wilhelm v. N örd-
ling, k. k. Sectionschef und General-Director
des österreichischen Eisenbahnwesens« [Wien,
1880]. Ausserdem ist hervorzuheben die Bro-
schüre: »Die Arlbergbahn, von Markovits«
[Wien, Gerold & Sohn]. Vom Standpunkte
des Geologen wurde das Nördling'sche Project
in der Schrift : Die Tunnelfrage bei der Arl-
bergbahn, von Dr. Gustav Adolf Koch [Wien,
1880], bekämpft.
ausschuss wegen der Arlbergbahn an
Se. Majestät entsendet hatte — baldige
Gesetzesvorlagen zu deren Sicherstellung.
Die Regierung trachtete nun, von Ungarn
Beitragsleistungen oder » Compensationen »
zu erlangen, weil die neue Schienenstrasse
für den ungarischen Export von besonderem
Nutzen sei, und, nachdem ein Einver-
nehmen hierüber insofern erzielt war, dass
Ungarn den Bau der Linie Sissek-Novi
sowie die Regulirung der Donau bei
Gönyö und am Eisernen Thore zusagte,
legte der Handelsminister, Freiherr von
Korb, am 24. Januar 1880 dem Abge-
ordnetenhause einen Gesetzentwurf »be-
treffend den Bau der Arlbergbahn« vor,
der schon nach zwei Tagen dem Eisen-
bahn-Ausschuss zur Vorberathung über-
wiesen wurde.
Der Text dieser neuesten [dritten]
Arlberg- Vorlage war kurz und bündig.
Der erste und wichtigste seiner vier
Artikel lautete auf Ermächtigung der
Regierung zur Herstellung einer von
Innsbruck über Landeck und
durch den Arlberg bis zum An-
schluss an die Vorarlberger
Bahn führende Eisenbahn auf
Staatskosten, mit einem Aufwände
von höchstens 35,600.000 fl. »Der Bau
hat noch im Jahre 1880 zu beginnen.«
Der Motivenbericbt hingegen war sehr
umfassend. Er schilderte die Bedeutung
und staatliche Nothwendigkeit der Bahn,
ihre Trace und ihren voraussichtlichen
Verkehr, die zu erwartenden Gegen-
leistungen Ungarns, das Bauprogramm
etc., und lieferte zu einzelnen der Dar-
legungen ein reiches Ziffernmateriale. Von
alldem kann jedoch hier nur hervorgehoben
werden, dass die neue Projectirung
zwischen den beiden früheren die Mitte
einhielt, indem sie »mit dem zweigeleisigen,
geraden und tiefliegenden Tunnel [Cul-
minationshöhe 13 10 m] von 10.270 m
Länge, dann den eingeleisigen Zufahrts-
strecken ohne Schleife und der Gesammt-
kostenziffer von 35,600.000 fl. die Vorzüge
der früheren Projecte zu verbinden suchte,
ohne den Boden der neuesten praktischen
Erfahrung zu verlassen«. Die Bauzeit
war für den grossen Tunnel mit fünf bis
sechs Jahren, für die offene Strecke mit
vier Jahren angenommen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
313
In ihren Anfangsstadien nahm die
Vorberathung einen günstigen Fortgang.
Dazu hatte wesentlich beigetragen : die
seitens des commerziellen Vorstandes der
k. k. General-Inspection, Regierungsrathes
Steingraber, mit besonderer Geschick-
lichkeit und unter Hinzuthun des Bundes-
rathes bewirkte Vereinbarung mit den
schweizerischen Bahnen, wodurch die
Arlbergbahn vor Concurrenzen thunlichst
geschützt und bei allen Verkehren mit
den meistbegünstigten fremden Bahnen
Regierung die Beseitigung jener Hinder-
nisse erwirkt werde, welche [wie ins-
besondere das Fehlen verschiedener Bahn-
anschlüsse, die Schiffahrtshindernisse in
der Donau etc.] die gesammten Ver-
kehrsinteressen des Reiches schädigten.
Eine Partei wollte sogar einschlägige
Bestimmungen in das Gesetz selbst auf-
genommen wissen. Das war gleich-
bedeutend mit einer nochmaligen Hinaus-
schiebung oder gar, wie es durch ähn-
liche Verclausulirungen bei der Dalmatiner
Abb. 143. Radonnatobel-Brücke im Bau. [Arlbergbahn.]
in gleiche Reihe gestellt wurde, ferner
der durch die geänderte handelspolitische
Lage hervorgerufene Umschwung der
Gesinnung bei Vielen, die früher nicht
zu den Freunden des Projectes zählten, —
Allem voraus aber die überzeugende Be-
fürwortung, welche der Handelsminister
mit glücklicher Beredsamkeit dem grossen
Vorhaben widmete.
Am 22. Februar 1880 war die Vor-
lage bereits vom Ausschusse grundsätzlich
gutgeheissen. Dann thürmten sich aber die
Schwierigkeiten. Es wurde eine Resolution
beantragt, dass noch vor Ausführung des
Arlbergbahn-Gesetzes bei der ungarischen
Bahn der Fall gewesen [siehe Seite 200 f.],
Vereitelung des Baues. Der Handels-
minister bemühte sich darum, jene Partei
zu bewegen, von dem bedrohlichen Ver-
langen abzustehen. Es gelang ihm dies
in der Ausschuss-Sitzung vom 26. Februar,
in welcher der Vorlage nun vollends
zugestimmt wurde. Die Berichterstattung
blieb wieder dem alten Kämpen für die
Arlbergbahn, Josef Fürth, übertragen,
der sich seiner Aufgabe abermals mit
gewohntem Eifer hingab. Am IO. März
1880 forderte die Regierung einen
Credit für den Bauaufwand im Jahre
1880, und an eben diesem Tage begann
3 M
Ignaz Konta.
auch die zweite Lesung der Arlberg-
Vorlage.
Je näher die wichtige Entscheidung
rückte, desto heftiger wurden die Angriffe
in- und ausserhalb des Parlamentes. Die
Gegnerschaft fühlte sich bereits sehr in
der Minderheit und bediente sich darum
der wuchtigsten Waffen, von denen so-
gar manche im Auslande geschmiedet
waren. Man bezeichnete die Bahn als
überflüssig, wenn nicht gar in mancher
Beziehung als eine Gefahr [z. B. für
Triest] ; man kam auf die Frage der
Rentabilität zurück, forderte Herabminde-
runo; der Kosten durch Anwendung des
Zahnradsystems*) und benützte fremd-
ländische Schriften**) und Zeitungsartikel
zum letzten Anstürme. Auch die unent-
schiedene Haltung der galizischen Ab-
geordneten, welche sich mehr um die
Transversalbahn zu kümmern schienen,
war ein bedenkliches Symptom.
Glücklicherweise gelang es den treff-
lichen Ausführungen des Handelsministers,
des Berichterstatters ' und der Abgeord-
neten Gustav Gross und Hausner, dem
Reichsinteresse zum Siege zu verhelfen.
Der Minister appellirte am Schlüsse
seiner glänzenden Rede directe an die
Vaterlandsliebe des Parlamentes, welches
»jene Opfer, die die Verhältnisse und
die Sache selbst erheischen, bringen und
sein Votum in die Worte zusammen-
fassen möge : die Arlbergbahn muss ge-
baut werden, und zwar so rasch als
möglich « ; der Abgeordnete Gross ver-
folgte einen gleichen Gedankengang und
sagte schliesslich : »Wenn die Erzeugnisse
unseres heimischen Fleisses, unseres
*) Dazu mag die Broschüre: »Die Arl-
bergbahn als Zahnradbahn und die daraus
sich ergebenden Ersparnisse. Eine technische
Skizze von Ingenieur Rudolf R. v. Gunesch«
[Wien, 1880] den Anstoss gegeben haben;
denn sie behauptete, dass dieses System
ausreichen und eine Ersparnis von 10,000.000 fl.
bieten würde.
**) A. Memminger [Oswald Stein], vor-
mals Bureauchef der Schweizer Bahnen, hatte
sich in seinem Buche: »Die Alpenbahnen und
deren Bedeutung für Deutschland und Oester-
reich, mit besonderer Beziehung auf Gott-
hard, Brenner, Arlberg und Fern [Zürich,
1878]« sehr abfällig über das Arlberg-Project
ausgesprochen, späterhin aber eine Art
Widerruf geleistet.
vaterländischen Bodens durch das Alfenz-
thal nach Vorarlberg rollen, dann mag
man auf das Westportal des Arlberges
die stolzen Worte setzen : Austriae im-
perium saxa loquuntur« ; der Abgeordnete
Hausner beleuchtete die verschiedenen
Ansichten über die Rentabilitätsfrage und
meinte kurz und bündig: »es sei mög-
lich, dass man sich mit der Arlbergbahn
irre, dies sei aber besser, als wenn gar
nichts geschehe und unser Export von
der Erlaubnis des Deutschen Reiches ab-
hängig bleibe« — und der treuherzige Be-
richterstatter geisselte die fremdländische
Fürsorge um unsere Finanzen, rieth den
Triestern, vor der Arlbergbahn keine
Furcht zu hegen und nur »einen anderen
[das heisst guten] Geist bei sich ein-
ziehen zu lassen« und verwahrte sich
dagegen, als ob er für eine »Weltbahn«
und nicht »für eine österreichische Bahn
plaidire, eine Bahn, die bestimmt sei,
Oesterreich politisch und wirthschaftlich
frei und unabhängig zu machen. « — Diese
Reden zündeten, der Patriotismus siegte,
die Vorlage wurde am 1 3. März in zweiter
und dritter Lesung angenommen, des-
gleichen am 2. Mai vom Herrenhause,
welches vorerst noch das Verlangen nach
der »Compensation« Sissek-Novi aus-
merzte, und am 7. Mai 1880 erhielt das
Gesetz die a. h. Sanction.
Nun erdröhnte Tirol und Vorarlberg
von Jubel und Dank. Freudenfeuer er-
glänzten auf den Bergen ; Alles wett-
eiferte in Dankeskundgebungen. Am
II. Mai war grosser Festtag in Innsbruck
und im alten Rathhause fand eine feier-
liche Gemeinderathssitzung statt, in wel-
cher begeisterte Ansprachen die Weihe
des Tages verkündeten und dem unaus-
löschlichen Danke an Se. Majestät den
Kaiser Ausdruck gaben. Nach 32 Jahren
hörte die Arlbergbahn auf, eine Frage zu
sein ; der Ruf sie gelöst, das alte
wichtige Project der Verwirklichung zu-
geführt und damit eine grosse That voll-
bracht zu haben, fiel dem Cabinet Taaffe
und dem neuen, in seiner Mehrheit so
ganz anders zusammengesetzten Parla-
mente zu.
Sollte die frühere Säumnis noch irgend-
wie wettgemacht, dem Gotthard kein gar
zu grosser Vorsprung gegönnt werden,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
315
Abb. 144. Radonnatobel-Brücke bei Dalaas.
dann musste man ungesäumt und mit
aller Kraft ans Werk gehen. Das geschah
denn auch. Das Gesetz vom 9. Mai
1880 bewilligte einen ersten Credit von
2,100.000 fl., am 16. Mai erfolgte die |
a. h. Anordnung der Inangriffnahme des
Baues, mit dessen Leitung das Handels-
ministerium schon Tags vorher die k. k.
Direction für Staats-Eisenbahnbauten be-
traut hatte. Nach dem von ihr sofort
aufgestellten Bauprogramme sollten die
Thalbahn Innsbruck- Landeck [7r8 km]
im Herbste 1882, die beiden Zufahrt-
strecken [53-2 km] im Sommer 1884, der
grosse Tunnel [io-2 km] aber im Herbste
1885 vollendet und bis dahin der Ver-
kehr über den Arlberg, wie seinerzeit
am Semmering, mittels Achsfuhrwerk be- !
werkstelligt werden. Am 14. Juni 1880 j
begannen an der Ost-, am 22. Juni an 1
der Westseite die Arbeiten an den Vor-
einschnitten und am 24., beziehungsweise
25. Juni der Vortrieb von Hand beim
grossen Tunnel, und zwar einstweilen auf
Grund kündbarer Accorde.
Weiter als bis hieher sein Werk
zu geleiten, war dem Handelsminister
Freiherrn von Korb nicht gegönnt;
er trat am 26. Juni 1880 zurück.
Sein Nachfolger, Alfred Ritter von
Krem er, konnte schon am 10. August
die von dem Vorstande der leitenden
Baubehörde, k. k. Oberbaurathe Julius
Lott*) [Abb. 126] schleunigst vorberei-
*) Als Sohn des nachmals als Professor an der
philosophischen Facultät in Wien rühmlichst
bekannten Dr. Fr. C. Lott, am 25. März 1836
in Wien geboren, erhielt Julius Lott seine
erste Ausbildung in Göttingen, wo sein Vater
als Universitäts-Professor thätig war. Nach
dessen im Jahre 1849 erfolgter Berufung an
die Universität in Wien besuchte Julius Lott
das k. k. akademische Gymnasium und nach
Absolvirung desselben die technische Hoch-
schule in Wien. Die technischen Studien
vollendete er im Jahre 1859 in Karlsruhe,
woselbst er sodann auch durch kurze Zeit
als Supplent Professor Keller's und im
badischen Staatsdienste beim Eisenbahnbau
Verwendung fand.
Im Jahre 1861 wurde Lott durch
Etzel' zu den Projectirungs - Arbeiten
für die Brennerbahn herangezogen, und
sodann mit der Ausführung der Strecke
Patsch-Matrei — einer der schwierigsten der
ganzen Bahn — betraut. Er bewährte sich
dort in solchem Masse, dass der Bauleiter der
Brennerbahn, Achilles Thommen, bald
nachdem dieser die Stelle des Bau-Directors
der Ungarischen Staatsbahnen angetreten
hatte, Lott die Leitung der Tracirung der
Strecke Karlstadt-Fiume [1867] und Gross-
wardein - Klausenburg [1868] übertrug. Im
Jahre 1869 wurde er in die Direction der Unga-
rischen Staatsbahnen berufen, wirkte daselbst
als Ober-Inspector bei den Staatsbahnbauten
und nachher als Vorstand der Bau-Ueber-
wachungsabtheilung für die concessionirten
Bahnen.
Als im Jahre 1871 der Bau der Ungarischen
Ostbahn infolge Vertragsbruches der
General-Unternehmung ins Stocken gerieth
und die Gesellschaft den Bau weiterfuhren
3i6
Ignaz Konta.
teten Profilstypen für den Albergbahn-Tun-
nel genehmigen. Sodann wurden alle Detail-
projecte sowie das Operat für die eigent-
liche Vergebung des Tunnelbaues aus-
gearbeitet; am 23. December 1880 fand
die Offertverhandlung statt. Ersteher
blieben die Unternehmer G. Ceconi
und Brüder Läpp mit einem Aufgebot
von 2°/0 für die westliche und 5°/0 für
die östliche Hälfte. Für die erstere waren
Kosten mit 6,028.403 fl., für die letztere
mit 5,960.103 fl. und für die 1400 m
langen Ausmündungen mit 107.688 fl.
veranschlagt; die Vollendungsfrist war
auf Mitte August 1885 anberaumt, das
Pönale für die Ueberschreitung derselben
mit 800 fl. pro Tag und die Prämie für
musste, berief sie Lott zum Bau-Director.
Die glänzende Art, in der er die vielen und
grossen hier angehäuft gewesenen Schwierig-
keiten bewältigte, begründete seinen Ruf als
ausgezeichneter Bautechniker, und wendete
ihm mit der allgemeinen Aufmerksamkeit auch
jene des damaligen General-Directors der
Theissbahn, Wilhelm v. Nördling zu,
welcher sodann als Sectionschef und General-
Director des österreichischen Eisenbahnwesens
bei der Reorganisirung des österreichischen
Staatseisenbau-Dienstes und Errichtung der
k. k. Direction für Staats-Eisenbahnbauten,
Lott zum Vorstande dieser Behörde erwählte
[1875]. Sein gediegenes technisches Wissen,
seine reichen Erfahrungen und sein weiter
Blick auch für alle administrativen Fragen,
behüteten ihn davor, seine Aufgaben ledig-
lich aus dem Gesichtspunkte technischer
Probleme lösen zu wollen. Dadurch aber
erwarb er sich nur noch rascher das Vertrauen
aller massgebenden Persönlichkeiten des ihm
vorgesetzten k. k. Handelsministeriums.
Beim Amtsantritte Lott's standen die Ra-
konitz -Protiviner, die Tarnöw - Leluchöwer,
die Istrianer und Dalmatiner Bahn im Baue;
später kamen die Localbahnen Kriegsdorf -
Römerstadt, Unterdrauburg - Wolfsberg und
Mürzzuschlag - Neuberg hinzu. Für die erste-
ren waren noch die damaligen Normalien für
Hauptbahnen massgebend, rücksichtlich der
Localbahnen aber galt es, der damals eben
zum Durchbruche gelangenden Strömung Gel-
tung zu verschaffen, welche dahin zielte,
Bahnen von geringerer Bedeutung mit mög-
lichster Einfachheit und geringem Kostenauf-
wande herzustellen. Die Gediegenheit der
damals von Lott verfassten Projecte dieser
Art machte dieselben mustergültig, so zwar,
dass die von ihm zur Durchführunggebrachten
Grundsätze später auch bei den von Privat-
unternehmern ausgeführten Secundär- und Lo-
calbahnen vielfach zur Anwendung gelangten.
Ausser den bereits erwähnten Linien
kamen unter Lott's Leitung noch die Local-
jeden Tag Zeitgewinn ebenso hoch be-
messen.
Die Accord- Unternehmung [Redlich
und Ceconi], welche mit den Tunnelarbeiten
vorläufig betraut gewesen, räumten ihren
Platz am 12. Januar 1881 der neuen Unter-
nehmung ein, die sogleich mit grösstem
Fleisse weiter arbeitete. Auf der Ostseite
wurde für den maschinellen Betrieb das
Stossbohrsystem Ferroux mit Lufttrans-
mission, auf der Westseite das vorzügliche
Brandt'sche Drehbohrsystem mit Wasser-
transmission, welches hier zum ersten Male
seine praktische Nutzanwendung fand, für
die Installation bleibend, angenommen.*)
Dank den von der Direction**) getroffenen
Vorkehrungen und der Thatkraft der Bau-
bahn Erbersdorf - Würbenthai und die Haupt-
bahnen : Donauuferbahn und Tarvis - Pon-
tafel zur Ausführung.
Die grösste und wichtigste Aufgabe fiel
jedoch der Staatseisenbahn-Baudirection und
ihrem unermüdlichen Vorstande im Jahre
1880 zu; dieselbe umfasste die Aufstellung
des endgiltigen Projectes für die Arlbergbahn
und sodann die Installation dieses auf Staats-
kosten unternommenen gigantischen Bauwer-
kes. Lott widmete sich mit ganzer Seele
diesem epochalen Vorhaben und nahm daran
vollsten Antheil, als er schon von schwerer
Krankheit befallen war. Es ward ihm nicht
vergönnt, die Vollendung seiner letzten und
bedeutendsten Arbeit zu erleben.
Im Laufe des Jahres 1882 nahm auch
noch die Projectirung und Bauvergebung der
Galizischen Transversalbahn die Thätigkeit
Lott's in hervorragender Weise in Anspruch.
Dass die ausgezeichnete Wirksamkeit
Lott's auch die verdiente Anerkennung ge-
funden, ist nur natürlich. Im Jahre 1880 er-
folgte seine Ernennung zum k. k. Oberbaurathe
bei gleichzeitiger Stabilisirung im Staats-
dienste, und zu Ende des Jahres 1882 erhielt
er den Orden der eisernen Krone; diese Aus-
zeichnung traf ihn bereits auf dem Kranken-
lager. Er starb am 24. Mai 1883.
Seine Jünger und Freunde errichteten
ihm vor dem Ostportale des Arlbergtunnels
ein Denkmal [Abb. 127] und widmeten den
Rest der hiezu eingeflossenen Beiträge zu
einer den Namen Lott's tragenden Stiftung
für hilfsbedürftige Witwen und Waisen nach
Beamten der k. k. Staatsbahnen.
*) Näheres über den Bau des Arlberg-
tunnels siehe Bd. II, A. Birk: Tunnelbau
S. 236 und die. Abb. 97— 101 in jenem Ab-
schnitte.
**) Vorstände der technischen Directions-
Abtheilungen und als solche am Baue der
Arlbergbahn in hervorragendem Masse be-
theiligt waren: für Unterbau und Brücken:
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
3'7
leitung, an deren Spitze derk. k. Inspector,
Adolf Doppler, und, als dessen Stell-
vertreter, der k. k. Commissär Wilhelm
Wraschtil gestanden; Dank ferner der
Emsigkeit der Bauunternehmung und ihres
einträchtigen Zusammenwirkens mit den
staatlichen Organen, machten die Leistun-
gen gleich von Stund an erfreuliche Fort-
schritte, welche, geschützt und gefördert
von einem gütigen Geschicke, sich stetig
und bis zu einem ungeahnten Masse
steigerten.
Eine förm-
liche Bauge-
schichte hier
aufzunehmen,
ist nicht mög-
lich.*) Uns
kommt nur zu,
die wichtig-
sten Momente
hervorzuhe-
ben und fest-
zuhalten. Am
25. Juni 1881
waren bereits
die ersten
1000 in Tun-
nel vollendet.
Die Feier die-
ses Ereignis-
ses fand in An-
wesenheit des
Handelsministers, Freiherrn von Pino,
und des Vorstandes der Direction der
Staats - Eisenbahnbauten, k. k. Ober-
baurathes Julius Lott, statt. In den
Tagen vom 10. bis 13. August be-
suchte Se. Majestät der Kaiser die
Baustätte und drückte wiederholt Seine
a. h. Zufriedenheit über das Gesehene aus.
Mit Ende des Jahres erreichten die auf-
gefahrenen Richtstollen eine Gesammt-
Abb. 1^5-
Ludwig Huss, k. k. Inspector; für Oberbau,
Mechanik und Fahrbetriebsmittel: Gustav
Platte, k. k. Inspector; für Hochbau und
Ausrüstung: Friedrich Setz, k. k. Ober-
Ingenieur.
*) Eine solche ist vorhanden in den von
der k. k. Direction für Staats-Eisenbahn-
bauten und nachher von der k. k. General-
Direction der österreichischen Staatsbahnen,
veröffentlichten »Denkschriften über den
Fortschritt derProjectirungs-und Bauarbeiten
der Arlbergbahn« [Wien, 1881, 1882 und 1890.]
länge von 3220 in und die Bohrarbeit
im Jahre 1881 nicht weniger als 2574 m,
was nach Abrechnung der Zeitverluste
durch Nivellements einem Tagesfort-
schritte von durchschnittlich 3-6 m gleich-
kam. Angesichts der überaus günstigen
Arbeitsergebnisse wurden nun auch die
Einleitungen für die Inangriffnahme der
Aussenstrecken beschleunigt.
Nachdem während des Sommers
und bis in den Herbst hinein die
verschiedenen
Begehungs-
Commissio-
nen vorge-
nommen wor-
den waren,
fand am I. Oc-
tober 1881 die
Offertaus-
schreibungfür
die Vergebung
des Unterbaues
und der Ober-
baulegungder
Thalstrecke
Innsbruck-
Landeck statt.
Es liefen 43
Angebote ein,
von denen je-
doch nur zwei
Berücksichti-
gung fanden, nämlich jenes einervon meh-
reren Unternehmern gebildeten »Tiroler
Eisenbahn-Bau Unternehmung« rück-
lich der ersten drei Lose und jenes der
Unternehmung Brüder Redlich Berger
riicksichtlich der übrigen sieben Lose,
wobei Preisnachlässe von i2-4°/0 bis
I7'7°/o und hiedurch ein Kostenersparnis
von 426.600 fl. erzielt wurden. Die Be-
schaffung der Schienen und Schwellen
erfolgte gesondert, ebenso die Vergebung
der Hochbauten, deren Ersteher ebenfalls
die letztgenannte Unternehmung war
[31. December], und zwar wieder ver-
möge eines Angebotes von I3"7%-
Der Bau der Thalbahn hat am 15.,
beziehungsweise 21. November 1881
begonnen und zehn Monate später auch
schon jener der beiden Rampenstrecken,
nachdem die bezüglichen Vergebungen
am 6. August 1882 erfolgt waren. Er-
Arlbergbahn bei dem ehemaligen Gipsbruche
bei Dalaas.
3i8
Ignaz Konta.
Steher blieben hier von 14 Offerenten
die nachbenannten Unternehmungen : G e-
brüder Redlich & Berger, M.
Casagranda und E. Benuzzi, A.
Kiss, M. Bisztak und C. Pollak.
Von allen wurden Preisnachlässe [von
7"7°/0 — n-50/o] und hiedurch wieder eine
Kostenersparnis von 540.000 fl. erzielt.
Mit Jahresschluss 1882 waren bereits
6813 vi des Tunnels durchbohrt; es
stellte sich also damals der Stollenfort-
schritt auf durchschnittlich 0/85 m pro
Tag, d. i. beinahe doppelt so gross als
ursprünglich angenommen wurde. Auch
auf den offenen Strecken gediehen die
Arbeiten sehr rasch, zumal rücksichtlich
der Fluss- und Uferschutzbauten, denen
der milde und trockene Winter 1881/82
wohl zustatten kam und einen Vorsprung
ermöglichte, der sich umso werthvoller
erwies, als der Sommer ein regnerischer
und an Wasserschäden sehr reicher war.
Damals lag der Director des Baues,
Ober-Baurath Julius Lott, schon schwer
krank darnieder ; er starb, wie bereits er-
wähnt, am 24. Mai 1883. Sein Stellver-
treter Friedrich Dieterle war ihm am
15. November 1882 im Tode vorange-
gangen. Der Handelsminister berief nun
den Ober-Inspector der k. k. General-In-
spection, Johann P o s c h a c h e r, zur Lei tun g
derk. k. Baudirection,*) dem fortan auch die
Weiterführung des Arlbergbaues zufiel.
Im Sommer 1883 gelangte die yi'Skm
lange Thalbahn zur Vollendung. Am
30. Juni, 8 Uhr Abends, ging in fest-
lichem Traueraufzuge die letzte Wagen-
post von Innsbruck nach Landeck
ab, und am I . Juli fuhr das Dampfross auf
der neuen Schienenstrasse dorthin. Zu-
gleich begann, auf Grund des Peage- Ver-
trages vom 7. Juni 1883 [siehe Seite 304],
die Mitbenützung der 58*7 km langen
Südbahnstrecke Wörgl-Innsbruck. Diese
Eröffnung kam gerade recht; denn gar
bald hatte die neue Linie schon die
Zufuhren des Materials und der Aus-
*) Als Baudirector-Stellvertreter fungirte
der kaiserliche Rath Dr. Franz Liharzik,
welcher neben seinen Obliegenheiten als
General-Secretär und k. k. Betnebsverwalter-
Stellvertreter der Erzherzog Albrecht-Bahn
auch die Besorgung der administrativen
Agenden der k. k. Baudirection übernommen
hatte.
rüstungs-Gegenstände für die eigentlichen
Arlbergstrecken zu besorgen. Am 10.
August wurden auf der Westseite die
Schüsse von der Ostseite zum ersten
Male gehört, und drei Monate später —
am 13. November, 3 Uhr 30 Minuten
Nachmittags — beim Abschiessen auf
der Westseite zwei Bohrlöcher der Ost-
seite biosgelegt.
Sofort trug der Telegraph nach allen
Richtungen die frohe Kunde, dass die
Riesenarbeit vollbracht, das grosse Werk
gelungen ist. Die Absprengung der noch
verbliebenen i"j m dicken Steinmasse
wurde aber auf den 19. November ver-
schoben ; die Tunnelbau-Unternehmung
hatte eine Ehre darein gesetzt, den Durch-
schlag als ein kostbares und seltenes
Namenstags-Angebinde Ihrer Majestät
der Kaiserin darzubringen, und mit einer
der Bedeutung des Ereignisses würdigen
Feierlichkeit vorzunehmen. Es hatte sich
hiezu eine auserlesene Festversammlung
eingefunden: Der Handelsminister Frei-
herr v. Pino mit den obersten Beamten
der Eisenbahn-Section und der Directionen
für den Staats-Eisenbahnbau und -Betrieb,
die Spitzen der Behörden und autonomen
Körperschaften Tirols und Vorarlbergs,
zahlreiche Fachmänner, Abgeordnete und
sonstige geladene Gäste, die am Baue
betheiligten Ingenieure, die Arbeiterschaft
etc. Allesammt begaben sich in freudiger
Erregung durch das geheimnisvolle Dunkel
der »langgedehnten Röhre« zu dem unter-
irdischen 1 Festplatze« und harrten
spannungsvoll des epochalen Augen-
blickes, in welchem der letzte Rest des
mächtigen Hindernisses fallen sollte,
welches bislang verhindert hatte, dass
das industriereiche, treue, westliche Grenz-
land Oesterreichs mit dem Herzen der
Monarchie in unmittelbare Verbindung
trete.
Um die Mittagsstunde des Elisabeth-
Tages entlud der Handelsminister den
zu den Minen geleiteten elektrischen
Strom — und die Durchbohrung
des Arlberges war eine vollendete
Thatsache, die Scheidewand beseitigt,
welche dem unbehinderten Verkehre
zwischen Vorarlberg und den übrigen
Ländern des Kaiserstaates — zwischen
Ost und West — entgegengestanden. Der
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
319
Durchschlag erfolgte, fast auf den Tag
genau, drei Jahre nach der ersten
maschinellen Inangriffnahme, und um
1372 Monate früher als bedungen war.
Die ganz unvergleichliche Leistung, die alle
bisher erzielten derlei Erfolge weit hinter
sich lässt, und vollführt wurde ohne die
vielen Opfer an Menschenleben, welche
frühere Tunnelbauten gefordert hatten,
verdiente und fand mit Recht allseitige
Anerkennung. Der Handelsminister durfte
darum bei seinen in eine Huldigung für
320
Ignaz Konta.
Se. Majestät den Kaiser Franz
Joseph I. ausgeklungenen Festreden
mit Stolz betonen, dass '»österreichi-
sche Wissenschaft, Österreich i-
scherMuth und österreichischer
Fl eis s dies zu Stande gebracht«, und dass
der Jubel über das grosse Ereignis in der
ganzen Monarchie und weit über ihre
Grenzen hinaus wiederhalle »zur Ehre
der österreichischen Arbeit«.
»Ehre der Arbeit« lautet auch der
Spruch, der auf den Denkmünzen prangt,
welche zur Erinnerung an den fortan mit
unvergänglichen Lettern in den Annalen
der österreichischen Culturgeschichte ver-
zeichneten 19. November 1883 an Ort
und Stelle des Durchschlages vertheilt
wurden. Dass es an heller Festesfreudig-
keit und inniger Beglückwünschung aller
an dem Baue Betheiligten, insbesondere
der anlässlich der Feier mit a. h. Aus-
zeichnungen Bedachten, nicht fehlte,
braucht nicht ersfr erwähnt zu werden.
Wohl aber bleibt besonders zu ver-
zeichnen, dass in tiefempfundenen Worten
auch der beiden Männer gedacht wurde,
denen ein neidisches Geschick verwehrte,
die Vollendung des grossen Werkes zu
schauen, an das sie die erste Hand gelegt :
des Freiherrn von Korb -Weidenheim,
dessen thatkräftiges Einstehen für die Ver-
wirklichung des alten Arlberg-Projectes
bewirkte, dass der Gedanke zur That
geworden, — und Julius Lott's, der zur
Ausführung dieser Schöpfung berufen
gewesen, und bis zu seinem letzten
Athemzuge ihr mit Liebe und Begeiste-
rung, mit allen Fasern seines reichen
Wissens und Könnens anhing.
Als die Feierlichkeiten*) vorüber und
die »ersten Menschen, welche die Reise
nach Vorarlberg und zurück durch den
Arlberg zurückgelegt hatten«, wieder
von dannen gezogen waren, nahmen die
Arbeiten ihren weiteren Fortgang, wo-
möglich noch frischer und fröhlicher als
zuvor. Bei Ablauf des Jahres 1883
*) Eine ausführliche Beschreibung der
Festlichkeiten findet sich in der Schrift:
>D:e Festfeier am Arlberge anlässlich des
Tunneldurchschlages am 19. November 1883.
Dargestellt von den k. k. Ministerial-Secre-
tären Dr. Franz Meissl und Dr. Josef Ritter
v. K ü c h 1 e r. «
waren 85'7°/0 des Vollausbruches und
82-7°/0 der Mauerung des Tunnels voll-
endet. Auf den offenen Strecken wurde
gleichfalls mit vollster Kraftentfaltung
gearbeitet. Die Vollendung der neuen
grossen Schienenstrasse rückte also mit
Riesenschritten näher. Darum begann
jetzt auch unten am Bodensee ein rühri-
ges Schaffen; denn die mit dem Gesetze
vom 4. Juni 1883 genehmigte Herstellung
einer Trajectanstalt musste sehr beschleu-
nigt werden, um den Schiffsdienst gleich-
zeitig mit der Arlbergbahn in Betrieb
setzen zu können. Zur Besorgung jenes
Dienstes wurde in Bregenz eine der staat-
lichen Eisenbahn-Verwaltung unterste-
hende »K.k. Bodensee-Schi ff ahrts-
Inspection« errichtet und mit 1. De-
cember 1883 activirt. Die Ausführung
der technischen Einrichtungen und des
Schiffparkes [zwei Dampfboote ä 80
Pferdekräfte, vier Trajectkähne, ein Salon-
dampfer] hatte die österreichische Bau-
gesellschaft im Vereine mit der Firma
Es eher Wyss in Zürich um den Betrag
von 540.000 fl. erstanden. Die Gesammt-
kosten der Anlage waren mit 820.000 fl.
bemessen.
Für die Arlbergbahn selbst trat ein
Mehrerfordernis von 5,700.000 fl. ein,
theils durch die grosse Prämienzahlung
an die Tunnelbau-Unternehmung theils
durch die nothwendig gewordenen Maue-
rungen im Tunnel, welche vermöge der
geologischen Untersuchungen, die einen
Ausbruch im festen Gestein erwarten
Hessen, gar nicht in Anschlag ge-
bracht worden waren. Das Parlament
genehmigte ohneweiters diesen Mehrauf-
wand und das aus der bezüglichen Re-
gierungsvorlage [14. Februar 1884] her-
vorgegangene Gesetz vom 5. April 1884
verfügte einfach die Erhöhung der ur-
sprünglich mit 35,600.000 fl. festgesetz-
ten Baukosten der Arlbergbahn auf
41,300.000 fl.
Nun glichen die Baustrecken bald
einem gigantischen Bienenstocke. Im
Tunnel standen durchschnittlich bis zu
5000, auf den offenen Strecken bis zu
11.000 Arbeiter täglich in Verwendung.
Am 14. Mai 1884 wurde der letzte
Stein in den Tunnel eingemauert. Ende
August fanden die Brückenproben statt ;
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
321
am 3. September durchlief der erste Zug
die ganze Strecke von Landeck bis Bludenz
und am 6. September begann die Be-
nützung der Bahn vorerst für den Güter-
verkehr. Es sollten eben, wiewohl die
am 7. September im Beisein des Handels-
ministers vorgenommene technisch-poli-
zeiliche Prüfung der Bahn durchwegs
die glänzendsten Ergebnisse geliefert
hatte, keinerlei
Vorsichten aus-
ser Acht gelas-
sen und auch
dem Personale
Zeit gegeben
werden, sich
mit den beson-
deren Betriebs-
verhältnissen
dieser Bahn ver-
traut zu ma-
chen, bevor die-
selbe dem all-
gemeinen Ver-
kehre überge-
ben wurde. Dies
sollte erst am
31. September
geschehen.*)
»Kaum in I
die Oeffentlich-
keit gelangt,
hat diese
Nachricht
allerorten
die freudig-
ste Stim-
mung er-
weckt ; denn
die längst er-
sehnte, vom
Auslande unabhängige Schienenverbin-
dung zwischen den Gestaden des Boden-
sees und dem Innern der Monarchie,
stand fertig da. Nicht blos einzelne
Kreise oder Länder äusserten darob
ihre Freude, sondern das ganze Reich
Abb. 147. Schmiedtobel-Brücke bei Dalaas.
*) Hinsichtlich der Eröffnung glaubt der
Verfasser hier nur wiederholen zu sollen, was
er, als ein Theilnehmer der Eröffnungsfahrt,
unter dem mächtigen Eindrucke der selbst-
geschauten Feierlichkeiten schon im XVIII.
Jahrgange seines Eisenbahn-Jahrbuches ge-
schrieben hat.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
und alle seine Völker feierten das
grosse Werk, das für alle Zeit ein un-
vergängliches Denkmal bleibt : der Re-
gierung, die es ins Leben gerufen, und
all der wackeren Werkleute, deren gei-
stige oder physische Kraft es zur Aus-
führung brachte.
Die Freudes- und Dankeskundgebun-
gen mehrten sich mit jedem Tage und
steigerten sich
biszumjubel, als
es bekannt wur-
de, dass die Er-
öffnung der Arl-
bergbahn eine
festliche sein
und Seine Ma-
jestät der Kaiser
daran theilneh-
men werde.
Ihren Höhe-
punkt erreich-
ten sie aber in
Vorarlberg, als
am 20. Septem-
ber von Inns-
bruck aus die
feierliche Er-
öffnungsfahrt
n ach Bregenz
stattfand. Es
war da, als ob
ein breiter,tiefer
Strom von Freu-
de und Dank-
barkeit sich in
ein Meer von
Patriotismus er-
gösse und das
ganze Volk sich
herandrängte,
zu bekunden, wie glücklich es sich
fühle, aus der Abgeschiedenheit von
den übrigen Provinzen der Monarchie
endlich erlöst zu sein. So gestaltete
sich diese Eröffnungsfahrt zu einer
epochalen Feier, sowohl in Ansehung
auf die grosse wirtschaftliche Bedeutung
des Ereignisses, dem sie gegolten, a.ls
auch durch die sie verherrlichende An-
wesenheit Sr. Majestät des Kaisers
der, begleitet vom Handelsminister und
anderen Räthen der Krone, dem Präsi-
denten der k. k. General - Direction
21
322
Ignaz Konta.
der österreichischen Staatsbahnen, meh-
reren Functionären der obersten Staats-
behörden sowie des staatlichen Eisen-
bahnbaues und -Betriebes, vielen Reichs-
rathsabgeordneten etc. etc. — gekommen
war, dem glücklich vollendeten Riesen-
werke die Weihe zu geben und, umbraust
von den Huldigungen der Bevölkerung,
Zeuge gewesen der Erschliessung des
neuen österreichischen Handelsweges nach
dem Westen Europas.«
Am 2 1 . September fand die Eröffnung
für den allgemeinen Verkehr statt, und
während in Bregenz die Festlichkeiten
ihren glanzvollen Verlauf nahmen, die
Mitglieder der Regierung, insbesondere
der Handelsminister, mit Glückwünschen
zu dem errungenen Erfolge überhäuft
wurden und die hochverdienten Bauorgane
die kaiserliche Anerkennung ernteten —
rollten schon oben durch den Arlberg
die Personenzüge, dichtbesetzt mit Rei-
senden, die von allen Seiten herbeieilten,
das Meisterwerk der österreichischen
Ingenieure zu bewundern. Die am 22. Sep-
tember aus Bregenz zurückkehrenden
Festgäste machten in St. Anton kurze
Rast, um das Andenken Lott's zu ehren
und der Uebergabe seines Denkmals in
die Obhut der Verwaltung der k. k. Staats-
bahnen beizuwohnen. Die Feier fand beim
Standorte des Denkmals vor dem Ost-
portale des grossen Tunnels statt. [Siehe
Abb. 127 und 135.]
Die k. k. Bodensee-Schiffahrt hatte
schon am 15. September 1884 ihren
Dienst begonnen. Der neue österreichische
Handelsweg stand also, nachdem er ein
Menschenalter hindurch blosses Project
gewesen und sodann in der kurzen Zeit
von vier Jahren erbaut wurde, als ein
wohlvollendetes Ganzes da, nicht blos bis
an das »Schwäbische Meer« sondern
noch über dasselbe hinüberreichend, ein
neuer mächtiger Lorbeer im Ruhmes-
kranze der Austria.
Die Gesammtkosten der Arlbergbahn
haben beim Abschlüsse der Baurechnung
41,299.920 fl. oder 305.495 fl. pro km be-
tragen, wovon 19,082.641 fl. auf den
Arlbergtunnel entfielen.
Die Trace der Arlbergbahn ist in baulicher
Beziehung in zwei Partieen gesondert: in die
Thalstrecke Innsbruck- Landeck und die
Gebirgsstrecke Landeck-Bludenz. [Vgl.
Abb. 128.] Das bezeichnende Merkmal der
ganzen Bahn bildet die beinahe ausschliess-
liche Verwendung von Bruchsteinen für das
Mauerwerk und die Ausführung der vielen
technisch hochinteressanten Viaducte und
gewölbten Brücken aus diesem Materiale.
Der Lauf der ganzen Trace folgt fast
genau der Richtung von Ost nach West. In
geographischer Hinsicht liegt der grössere
Theil dieser Bahn [10579 &jh] m Tirol und nur
ein kleineres Stück [30-97 km] in Vorarlberg.
Vom Bahnhofe Innsbruck [5808 m Seehöhe]
abzweigend, gelangt die Trace nach Ueber-
setzung des Sillcanales auf die Südseite der
Stadt Innsbruck und nähert sich dem Inn-
flusse. Von Innsbruck bis Landeck [km o — 734]
bleibt die Bahn im Innthale, von Landeck bis
St. Anton im Stanzerthale [kiifjyq — 10013],
von St. Anton bis Langen [km I00-I3— 11038]
im Innern des Arlberges und endlich von
Langen bis Bludenz [km 11038 — 13676] im
Klosterthale, das der Alfenzbach durchfliesst.
Im Innthale an der Voelserlehne und bei
dem sogenannten bösen Ranggen musste
der Raum für den Bahnkörper theils dem
Innbette abgerungen, theils durch Ein-
schneiden der Lehnen gewonnen werden. Im
Uebrigen führt dieTrace im Thalboden zumeist
parallel mit dem Flusse zu den Stationen
Voels, Kematen, Zirl, Flaurling, Telfs und
Silz und erreicht die Station Oetzthal, welche
in der etwa 5 km langen, colossale Gneis-
findlinge bergenden Schutthalde errichtet
ist, die einstens bei einer grossartigen
Naturrevolution durch die Oetzthaler Ache
in das Innthal geworfen worden sein muss,
und in welche sich im Laufe der Zeit so-
wohl der Inn als auch die Oetzthaler Ache
wieder 20 m tief eingeschnitten haben. Von
der in wildromantischer Gegend gelegenen
Station Oetzthal geht die Trace in einen
800 in langen und bis zu 10 m tiefen Ein-
schnitt zur Oetzthaler Ache und übersetzt die-
selbe auf einer Eisenbahnbrücke von 80 m
Lichtweite und 18 111 Höhe [Abb. 129, vgl. auch
Bd. II, S. 293, Abb. 152] und gelangt im Ge-
fälle nach Poppen und in das 35 km lange
Defile, in welchem der Inn zwischen 30 m
hohen Felswänden fliesst. An dieser Stelle
waren die bedeutendsten Bauschwierigkeiten
der ganzen Thalstrecke zu überwinden und
musste der Raum für die Bahn den Felswänden
und dem Flusse abgerungen werden. [Abb. 130.]
Der von Süden einmündende Pitzbach wird
mit einer 40 m langen Eisenbrücke über-
setzt. Die lana;e Felsengalerie, die die Bahn
durchfährt, zählt zu ihren bedeutendsten
Kunstbauten. Beim Austritt der Bahn aus dem
Defil6 liegt die Station Imst. Von hier ab
zwängt sich die Trace wieder zwischen dem
rechten Innufer und den anschliessenden
Berglehnen hindurch, erreicht die Imsterau
und nach Passirung noch einer Thalenge die
Station Schönwies. Im weiteren Zuge geht
es noch durch einige Thalengen, dann um-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
323
fährt die Bahn den Schuttkegel vor der
Kronburg, hinter welchem bedeutende Fluss-
correctionen ausgeführt werden mussten.
Bei der Haltestelle Zams tritt die Bahn in
ein erweitertes Thalbecken und erreicht
Landeck [776-5 m Seehöhe], [Abb. 131].
Die Strecke Landeck-Bludenzist bau-
lich wieder in drei Theilstrecken gegliedert:
Landeck -St. -Anton [Ostrampe], St. -Anton-
Langen [Tunnelstrecke] und Langen-Bludenz
[Westrampe]. Der Unterbau in den beiden
Rampenstrecken wurde zum grössten Theil
unter sehr schwierigen Verhältnissen her-
gestellt, die Steilheiten der Lehnen und die
wechselnde Gebirgsbeschaffenheit nöthigten
hier zur Anwendung oft sehr hoher
Futtermauern und Lehnenviaducte, da
es galt, ein, nur geringe Cohäsion be-
sitzendes Gebirge zu stützen. Die Ein-
schnitte bei der Ostrampe waren theils in
Glimmerschiefer, theils in den, denselben
überliegenden Verwitterungsproducten zu
führen, andererseits waren mächtige Kalk-
schuttbildungen zu durchsetzen. Ausserhalb
der Station Landeck steigt die Trace sofort
bedeutend an [25°/00] und führt auf einem
bis zu 10 m hohen Damm zur Uebersetzungs-
stelle des Innthales, über welcher ein 23 in
hoher, im Lichten 157 m weiter Viaduct in
zehn Oeffnungen hinüberführt [Vgl. Abb. 132
und Bd. II, Seite 297, Abb. 156.] Nach Durch-
bruch eines Plateaus diluvialer Natur gelangt
die Bahn in das Stanzerthal, ein Seitenthal
des Inns, welches vom Rosannabach durch-
flössen wird, der sich mit dem aus dem süd-
lich gelegenen Patznaunerthal kommenden
TrisannabacheVereinigt und alsSannafluss bei
Landeck in den Inn mündet. Von Landeck bis
Pettneu fährt die Bahn, ein kurzes Stück bei
Flirsch ausgenommen, auf dem südlichen,
von Pettneu bis St. Anton jedoch auf dem
nördlichen Gehänge des Rosannathaies, wobei
sich ihre Nivellette bei Wiesberg bis zu einer
Höhe von 86 in über die Sohle des Sanna-
flusses erhebt, während sie sonst im Mittel nur
in einer Höhe von 40 in über die Thalsohle hin-
zieht. Im Stanzerthal zieht die Trace vorerst
längs einer circa 3 km langen, von den Verwitte-
rungsproducten des Urgebirges gebildeten, mit
zahlreichen Wasseradern durchzogenen Lehne
dahin und übersetzt den Zapplbach mittels
eines Viaductes von drei Oeffnungen ä 8 «1. In
dieser Strecke war die Erdbewegung bereits
eine bedeutende, da Einschnitte bis 8 in Tiefe
und Aufdämmungen bis 12 in Höhe auszu-
führen waren. Im weiteren Zuge gelangt die
Bahn fortwährend ansteigend, mit Aufdäm-
mungen bis zu 18 in und Einschnitten bis zu
20 m zur Station Pians [9107 in Seehöhe],
deren Plateau durch Abgrabung eines Berg-
sturzes gewonnen wurde. Gleich ausserhalb
dieser Station wird der Ganderbach mit einem
Viaducte von vier Oeffnungen ä 10 in Licht-
weite übersetzt und dieTrace gelangt,zweiFels-
rücken durchbrechend, an die felsige Lehne der
»Mayenwand«, an welcher Trockenmauern bis
zu 40 in Höhe, drei Viaducte und Felsein-
schnitte bis zu 24 in Höhe ausgeführt wer-
den mussten. Nach Passirung des Schlier-
tobels und an dem romantisch gelegenen
Schlosse Wiesberg vorüber, wird die Trisanna-
schlucht [Ausmündung des Paznaunerthales
in das Stanzerthal] erreicht, welche mittels
eines grossartigen Bauwerkes übersetzt wird.
Es ist dies die höchste Brücke Oesterreichs,
derTrisanna-Viaduct [vgl. Bd. II, Abb. 128, 150
und 151], der eine Mittelöffnung von 115-4 m
Lichtweite hat, woran sich einerseits drei, an-
dererseits vier gewölbte Oeffnungen k 9 in
anschliessen, dessen beide Hauptpfeiler eine
Höhe von 58-2, respective 54-9 in Höhe und in
Schwellenhöhe [87-4«! über der Thalsohle] eine
Breite von 77 m und eine Dicke von 4-5 in haben.
[Gesammtlänge des Viaductes 231-6 m.) Nach
Uebersetzung der Trisanna nimmt die Trace
statt der ab Landeck eingehaltenen südwest-
lichen Richtung eine nordwestliche an und ge-
langt, stetig steigend, durch den 212-4 '» langen
Weinzierl-Tunnel an den schwierigsten Tneil
der Ostrampe, die sogenannte »Strengener
Lehne«, welche zumeist mit Verwitterungs-
producten des Urgebirges bedeckt ist und
der zahlreichen Wasserrisse und Muhrgänge
wegen entweder mittels Aquäducten unter-
fahren [Abb. 133] oder mittels Viaducten
übersetzt werden musste, ausserdem aber
auch Futtermauern bis zu 10 m Höhe und
Trockenmauern bis zu 20 in Höhe nothwen-
dig machte. Weiter ansteigend und durch
den Moltertobel-Tunnel [75-0 in lang] hindurch
und über den Oberen Geigertobel-Viaduct
erreicht die Bahn die Station Strengen
[ 10279 in Seehöhe und30 in über der Thalsohle].
Gleich hinter dieser Station wird ein Schutt-
kegel mittels einer mächtigen Abgrabung
umfahren. Nach Uebersetzung des unteren
Klausbaches folgen mehrere Anschnitte,
die den Einbau von hohen Futtermauern
erforderten, sodann ein 20 111 langer Aquä-
duct, mittels dessen der obere Klausbach
unterfahren wird, und nach Durchbrechung
eine Felsrückens mittels eines 15 in tiefen
Einschnittes, sowie nach Umfahrung der
colossalen Ablagerungen des Ganderbaches
die Station Flirsch [1122-2 111 Seehöhe].
Ausserhalb Flirsch übersetzt die Trace den
Rosannabach mit einer 26 in weiten Brücke,
ferner den Flirschbach und sodann, um den
alljährlich am linken Rosannaufer zu Thal
kommenden Muhren auszuweichen, abermals
den Rosannabach mit einer 35 in weiten
Brücke und führt nunmehr am rechten Ro-
sannaufer zwischen Bach und Lehne, wes-
halb dort bedeutende Correctionen und Fluss-
bauten erforderlich waren. Etwa 500 in von
der letzten Rosannabrücke entfernt, wird die
bisher continuirliche Steigung von 25°/0a unter-
brochen,beziehungsweise auf l3'4°/oo verringert.
Bei dem Dorfe Schnann gelangt die Trace in ein
offenes Thalbecken, ändert hier die bisherige
nordwestliche Richtung in eine nahezu west-
liche, durchzieht die Schnannerau, übersetzt
dann nochmals die Rosanna [36 in weit] und
nähert sich nach Passirung der Station Pettneu
2t*
324
Ignaz Konta.
Abb. 148. Westportal des Engelwand-Tunnels. [Arlbergbahn.]
[Nach einer Zeichnung von Nieriker aus der Bauzeit.]
1 1957 vi Seehöhe] der Reichsstrasse [Landeck-
Bludenz], kreuzt dieselbe am Ende der Gan-
derau im Niveau, steigt hernach wieder stark
an, schlägt die südwestliche Richtung ein,
durchbricht nach zweimaliger Uebersetzung
sowohl des Rosannabaches, als auch der
Reichsstrasse, das Defile zwischen St. Jakob
und St. Anton mittels eines 200 vi langen
und 18 m tiefen Einschnittes und gelangt
sodann zur Station St. Anton [13027 m See-
höhe], dem Ausgangspunkte der »Tunnel-
strecke«. Dieselbe kreuzt am Stationsende
die Reichsstrasse, wendet sich dann in einem
Bogen von 300 m R. nach Westen und zieht
mit einer Steigung von 2%0 durch das »Ost-
portal« in den I0.249'9 m langen zweigeleisi-
gen Arlbergtunnel ein, in welchem, 4 100 »«vom
Ostportale entfernt, der höchste Punkt der
Bahn [13109 m Seehöhe] erstiegen wird.
Derselbe liegt 487 m unter dem höchsten
Punkte der Arlbergstrasse bei St. Christof.
[Abb. 134.] Sodann wird mit einem Ge-
fälle von I5°/C0 der Rest des Tun-
nels passirt und nach Ueber-
setzung der am Ausgange der-
selben situirten Alfenzbachbrücke
die Station Langen [1216-9 *• See-
höhe] erreicht. [Abb. 135—137]
Ueber den Bau des Tunnels
selbst, ist bereits an anderer Stelle
das Nähere gesagt. [Siehe Seite
318 und Bd. II, A^Birk: Tunnel-
bau] Für den maschinellen Be-
trieb waren auf der Ostseite der
Rosannabach, auf der Westseite
der Alfenzbach mit seinen ober-
halb von Langen gelegenen Ne-
benflüssen benützt. Abb. 138
stellt das Innere des Pumpen-
hauses für den Bohrbetrieb wäh-
rend der Bauzeit dar.
Von Langen aus wendet sich
die Trace der nördlichen [sonn-
seitigen] Lehne des Klosterthales
zu [Abb. 139]. unterfährt nach
Passirung eines tiefen Ein-
schnittes den Simastobel mit
einem gewölbten Aquäduct und
entwickelt sich unter stetiger An-
wendung des Maximalgefälles
von 29°/00 auf den anfangs
noch massig geneigten Leh-
nen, geht durch einen erst später
neu gebauten 460 m langen
Tunnel durch den Schuttkegel des
grossen Tobel. [Siehe Seite 326.]
Zum Schutze der Bahn gegen die
an dieser Stelle aus dem darunter-
liegenden Thalkessel häufig her-
vorbrechenden Lawinen*) wurde
seinerzeit, circa 300 m oberhalb
der Bahn, eine gemauerte Klause
in das Bachbett eingebaut,
von welcher aus ein seit-
her reconstruirtes Leitwerk aus
Trockenmauern in sanftem Bogen
gegen die bei km m-6 mit einem
1 hohen Damme übersetzte Terrainmulde zu-
1 rückführt, in der die Schneemassen der
Lawinen sich unschädlich für die Bahn
ablagern können. Bald nach der Passirung
des grossen Tobeis tritt die Bahn an die nun
steil abfallende Berglehne, überschreitet in ra-
scher Folge zwei gewölbte Viaducte von 70 vi
und 33 vi Länge und gelangt unmittelbar nach
Ueberbrückung eines Lawinenganges an die
tief eingeschnittene Felsschlucht des Wäldli-
tobels, welche mit einem kühn gewölbten, ge-
mauerten Bogen von 41 m Spannung in
der Höhe von 35 in über der Bachsohle
in der Gesammtlänge von 625 vi über-
brückt wird. [Vgl. Bd. II, Abb. 127 a und
127 b.] An den steilen Berglehnen stets
im Gefälle weiterziehend und das im Thal-
grunde in anmuthiger Lage sich ausbrei-
*) Ueber Lawinenschutz - Anlagen auf
der Arlbergbahn siehe Bd. II, A. B i r k :
Eisenbahnbau, Seite 220 ff.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
325
tende Dorf Klösterle fast 100 tn unter sich
lassend, passirt die Bahn eine besonders
lawinengefährdete Strecke unter zwei star-
ken Schutzdächern [Abb. 140, vgl. auch Bd. II,
Abb. 83], unterfährt nach mehrfachen Krüm-
mungen den Lawinengang am wilden Tobel
mit einem gewölbten Aquäduct [Abb. 141]
und gelangt, nach einigen scharfen Contre-
curven, wobei eine breite Thaleinbuchtung
mit einem 15 m hohen Damme übersetzt
und der Spreubach überbrückt wird, in
die Kreuzungs-
station Danöien
{1073-6 m See-
höhe]. Von hier
aus zieht die
Bahn mit einem
Gefälle von
29°/00in weitaus-
holendem Bogen
umdiedemThal-
gehänge vorge-
lagerten mächti-
gen Schuttkegel
des Glong- und
Stelzistobels
herum, übersetzt
diese zwei Bach-
läufe, wendet
sich sodann wie-
der der steilen
Thallehne zu
und entwickelt
sich längs der-
selben, rechts in
die Felswände
tief einschnei-
dend und links
zumeist auf
mächtigen Tro-
ckenmauern ge-
stützt, an der
Ortschaft Wald
vorüber [Abb.
142] bis zur Aus-
mündung des
Seitenthaies des
Radonnatobels,
welches auf ei-
nem im Bogen
von 350 m ange-
legten Viaducte
mit einer ge-
wölbten Mittel-
öffnung von 20»!
Weite und beiderseits anschliessenden, je
zwei 10 tn weiten Seitenöffnungen in
der Höhe von 14 8 tn über der Bachsohle
übersetzt wird. [Abb 143 und 144.] Hernach
zieht die Bahn in einem tiefen Einschnitte
durch einen vorgelagerten Rücken, unterfährt
unter vielfacher Anwendung complicirter,
zumeist aus Mauern bestehender Kunst-
profile einen vorspringenden Felskopf,
passirt einen gewölbten Viaduct mit an-
schliessender, auf Bögen gestellter, 68 tn
langer Stützmauer, hernach den Lawinen-
Abb. 149. Brunnentobel-Viaduct.
[Nach einer Zeichnung von Nieriker aus der Bauzeit.]
gang am Mühlentobel sowie noch einen
zweiten Lawinengang und die Stelle, wo die
vormalige Schutthalde eines früher bestan-
denen Gipsbruches mit einem mächtigen
Damm [Inhalt 62.000 wis] überschüttet wurde.
[Abb. 145] Nun tritt die Bahn, nach Unter-
fahrung eines Lawinenganges, abermals in
sehr steil geneigte Lehnenpartien, über-
windet die ihr dort entgegenstehenden
Schwierigkeiten durch fast continuirliche An-
wendung hoher Wandmauern und erreicht
nach einer schar-
fen Wendung
oberhalb der
Kirche der Ort-
schaft Dalaas,
das flachge-
neigte Vorland
des sich hier
plötzlich kessel-
artig erweitern-
den Thaies und
die hier errich-
tete Station Da-
laas [9316 tn
Seehöhej.Im Be-
reiche dieser
Station musste
eine sehr kost-
spielige, über
500 m lange ab-
gepflasterte Ge-
rinnsanlage für
die Durchfüh-
rung des Mut-
tertobels, wie
auch eine 38 m
weite eiserne
Brücke über die
Station herge-
stellt werden.
Von Dalaas aus
überschreitet die
Bahn in einer
schon in der
Station begin-
nenden scharfen
Wendung und
in starkem Ge-
fälle den Thal-
kessel des Höl-
lentobels auf
einem gewölb-
ten Viaducte
[drei Mittelöff-
nungen von 22 tn lichter Weite und zwei
Nebenöffnungen von 15 m und 8 tn Spannung]
mit beiderseits anschliessenden mächtigen
Aufdämmungen in der Höhe von 24 in über
der Bachsohle, durchfährt dann einen tiefen
Einschnitt sowie eine kurze Thaleinbuchtung,
zu deren Ausfüllung eine 44 m hohe Aut-
dämmung erforderlich war, und gelangt nach
Passirung des 68 in langen Röckentunnels
in ein Terrain, in welchem sich die Schwie-
rigkeiten und die zu deren Bewältigung aus-
geführten Bauten zu einer Grossartigkeit
326
Ignaz Konta.
steigern, die bei keiner der bis dahin ausge-
führten Gebirgsbahnen ihresgleichen finden.
[Abb. 146.] Zunächst zieht die Bahn über
längere, 13 in hohe Stützmauern dahin,
durchbricht dann, zu einer scharfen Contre-
curve ausholend, einen Felskopf mittels des
94 in langen Schmiedtobel-Tunnels und über-
setzt bald nach ihrem Austritt aus demselben,
in einer Höhe von 54-5 m über der Bachsohle
die grossartige Felsschlucht des Schmiedtobeis
auf dem gleichnamigen, in einem Korbbogen
von 250, respective 500 m Radius ausge-
führten gewölbten Viaduct [drei Mittel-
öffnungen mit 22 in Spannung und je eine
12 m weite Seitenöffnung, Abb. 147], um-
fährt hernach in einer scharfen Wendung
nach der entgegengesetzten Richtung die
steil abfallenden Felswände der sogenannten
Engelwand [Abb. 148] und tritt, nach Ge-
währung eines schaurig-schönen Ausblickes auf
die unter der Bahn gähnenden Abgründe in
einen Tunnel, mittels dessen die restliche Masse
des Engelwandfelsen durchfahren wird und
welcher sammt der an seinem Ausgange an-
gebauten tunnelartigen Gallerie zum Schutze
der Bahn gegen die an dieser Stelle häufig
vorkommenden Steinabstürze, eine Länge von
247 in hat. In ihrem weiterenZ uge übersetzt
die Bahn auf einem 76 m langen bis 247 in
hohen Viaduct die Thaleinbuchtung am Brun-
nentobel [Abb. 149], umfährt dann — angesichts
der wildromantischen Felswände der gegen-
überliegenden Thalseite und eines schönen,
über eine hohe Felswand abstürzenden
Wasserfalles [Abb. 150] — die steilen Fels-
wände am sogenannten Engelwäldchen in
einer scharfen Krümmung, zu deren Be-
wältigung Felsanschnitte bis zu 40 in senk-
rechter Höhe mit einer Massenbewegung
von über 53.000 m% erforderlich waren und
gelangt durch einen 209 m langen Tunnel
an die steilen Wiesen der sogenannten
Bratzerhalde, deren Terrain bis auf erheb-
liche Tiefen nur aus lockerer Erde besteht
und die Anwendung hoher und sehr wider-
standskräftiger Wandmauern erforderte.
Nach dem Verlassen dieses höchstschwie-
rigen Terrains erreicht die Bahn, nachdem
sie noch einen 78 m langen gewölbten Ein-
schnitt zu durchfahren hat, die Kreuzungs-
station Hintergasse [824-2 m Seehöhe]. Die
Anlage dieser Station begegnete eben-
falls sehr grossen Schwierigkeiten, da wegen
der losen Bodenbeschaffenheit viele Vorsichts-
massregeln zu treffen waren. Die Station
liegt nur zum Theile auf Naturterrain, zum
anderen Theile aber auf drei Viaducten mit
zusammen 14 Oeffnungen von 10 — 12 m
Spannung, an und zwischen welche sich
Stützmauern anschliessen, die auf Bögen fun-
dirt und mit Strebepfeilern verstärkt sind. [Abb.
151.] Von der Station Hintergasse aus neuer-
dings in das Maximalgefälle von durchschnitt-
lich 30°/00 übergehend, übersetzt die Bahn
alsbald das tiefeingeschnittene Seitenthal des
Schanatobels mit einer 40 m weiten Eisencon-
struction und j e einer gewölbten Seitenöffnung
von 10 m Spannung, in der Höhe von 188 m
über der Bachsohle [Abb. 152], geht dann
eine längere Strecke über Trockenmauern
von 7 — II m Höhe und in rascher Folge durch
zwei Tunnels von 97 und 153 in Länge,
einen gewölbten Viaduct durch einen dritten
Tunnel [146 m lang] und einen 32 in
langen überwölbten Einschnitt, verlässt
hernach am Masonbach, welcher mit einer
12 111 weiten Eisenconstruction überbrückt
ist, die steile Berglehne, um nun in den vor-
gelagerten Hügelzügen und in den sich immer
mehr verflachenden Vorländern dem Thal-
boden zuzueilen. Hier verliert die Bahn all-
mählich den ausgesprochenen Charakter einer
Gebirgsbahn. Sie hat jedoch noch mehrere
tiefe Einschnitte zu passiren, einen auf dem
Scheitel seines mächtigen Schuttkegels schnell
dahinfliessenden gefährlichen Wildbach, den
Mühlentobel, unter einem Winkel von 740
zu unterfahren [gewölbter Aquäduct 13 in
breit], [Abb. 153], eine breite Thalbildung
mittels eines über 400 in langen, im Mittel
13 in hohen Dammes und einen Wildbach
mittels einer Eisenconstruction von 14-4 in
Weite zu übersetzen, ehe sie die Station Bratz
[704-4 in Seehöhe] und mit dieser die
vorletzte Thalstufe erreicht. Von da weiter,
mit starkem Gefälle, übersetzt die Bahn die
Reichsstrasse und das tief eingeschnittene
Rinnsal des Grubsertobels und erreicht end-
lich den Thalboden. In diesem zieht die
Bahn auf massigen Aufdämmungen und
im Gefälle von l6°/0„, der Reichsstrasse
entlang und tritt, nachdem sie die west-
liche Richtung aufgegeben und sich nach
Nordwesten gewendet hat, in den vollkom-
men ebenen Thalboden, auf welchem sie
mit einer längeren Geraden und einem Ge-
fälle von 6o°/00 in die Station Bludenz
[558-44 in Seehöhe], der schon seit dem
Jahre 1872 im Betriebe stehenden Vorarl-
berger Bahn einmündet.
DerArlberg zählt zu den umvirthlichsten
Gebirgspässen Tirols und die Gefahren, wel-
chen die Bahnanlage durch Lawinen, Mur-
gänge, Steinschlag und dergleichen ausgesetzt
erscheint, waren wohl schon bei der ersten
Anlage erkannt, doch machte die Aufeinan-
derfolge von Elementarereignissen und Be-
wegungserscheinungen mehrfache Recon-
structionen des Bahnkörpers nothwendig.
So mussten bereits im Jahre 1885 die
Schanatobel-Brücke reconstruirt, zwischen
Wiesberg und Strengen Schutzbauten gegen
Steinschlag ausgeführt und die Strecke
Dalaas- Hintergasse gegen Ausbrüche des
Schmiedtobel geschützt werden. Im grossen
Tunnel selbst mussten einige Mauerringe re-
construirt werden. Durch einen am 9. Juli 1892
im Gebiete des grossen Tobel erfolgten
Bergsturz wurde die Bahn in einer Länge
von 240 in vollständig zerstört. Um die neue
Linie in dieser, derartigen Gefahren häufig
ausgesetzten Strecke zu schützen, wurde die
Bahn unterirdisch im Gehänge und Muhren-
schutt des grossen Tobel durch den gleich-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
327
namigen neuen, 446 m langen Tunnel ge-
führt.«)
Sofort nach der Betriebseröffnung musste
im Arlbergtunnel das zweite Geleise, dessen
Ausführung erst für einen späteren Zeitpunkt
in Aussicht genommen war, gelegt werden.
Die Erfahrung lehrte, dass das gewählte
eiserne Oberbau-System unter den chemi-
schen Einwirkungen im Tunnel zu sehr
litt und während
der Jahre 1893
und 1894 wurde
dieser Oberbau
im Tunnel durch
einen hölzernen
ersetzt.
Die schwie-
rige Aufgabe,
den Lawinen
und Bergstür-
zen und den da-
mit verbunde-
nen Gefahren
für die Bahnan-
lage zu begeg-
nen, wurde
durch die seit-
her in ausge-
dehnter Weise
durchgeführten
Schutz -Verbau-
ungen in befrie-
digender Weise
zu lösen ver-
sucht. **) Die
Verbauung hat
den Zweck, die
sich ansammeln-
den und in Be-
wegung gera-
thendenSchnee-
massen zu thei-
len und die aus
höher gelege-
nen, nicht ver-
bauten Stellen
abrutschenden
Schneemassen
in ihrem Ab-
gange aufzu-
halten. Die ur-
sprünglich an-
gewendeten,un-
zulänglichen
Verpfändungen
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Abb. 150.
werden nunmehr durch Trockenmauern,
Schneebrücken und Schneerechen ersetzt und
die hiedurch geschützten Flächen durch Auf-
forstung noch weiter gesichert. [Abb. 154, 155
und 156]. Immerhin bringt die Lage der
Bahn es mit sich, dass ihre Gefährdung
durch Elementarereignisse, Wildbäche, Stein-
schläge Rutschungen, Muhrungen, Bergstürze
und Lawinen keineswegs zu den Seltenheiten
zählt. [Vgl. Abb.
157.] Die genann-
te Denkschrift
der Staatsbahn-
Direction Inns-
bruck bringt
eine interessan-
te Zusammen-
stellung der Be-
triebs- und Ele-
mentarereignis-
se auf der Arl-
bergbahnin den
ersten zehn Jah-
ren ihres Betrie-
bes unddie statt-
liche Reihe die-
ser Vorkomm-
nisse lehrt, wie
schwierig sich
in dieser Hin-
sicht der Betrieb
dieser Bahn ge-
staltet und wel-
cher Aufwand
von Vorsorge
und Achtsam-
keit dazu ge-
hört, die mit sol- •
chen Elementar-
ereignissen ver-
bundenen Ge-
fahren abzu-
wenden.
Um die Ein-
richtung des Be-
triebes der Arl-
bergbahn hat
sich der derma-
lige k. k. Gene-
ral-Inspectorder
österreichischen
Eisenbahnen,
Gustav Gerstel,
besondere Ver-
dienste
Wasserfall des Masonbaches. [Nach einer Zeichnung
von Nieriker.]
*) Ausführliche Mittheilungen über die
Bauanlage und die erfolgten Reconstructionen
enthält die 1896 ausAruass des zehnjährigen
Betriebes erschienene Denkschrift »Die Arl-
bergbahn« der k. k. Staatsbahn-Direction in
Innsbruck.
**) Näheres hierüber siehe Bd. II, Alfred
Birk: Eisenbahnbau, Seite 223, und die Denk-
schrift »Die Arlbergbahn«, herausgegeben
von der k. k. Staatsbahn-Direction Innsbruck
1896.
ben. Die Betriebsführung im Tunnel erfor-
derte Massnahmen, für welche noch geringe
Erfahrungen vorlagen und jene des Mont-
Cenis undGotthard nur zum geringsten Theile
verwerthet werden konnten. Die ausserge-
wöhnlichen Betriebsverhältnisse in dem nahe-
zu beständig mit Rauch und Gas erfüllten
langen Tunnel erheischten besondere, unter
allen Umständen verlässliche Betriebsein-
richtungen. Ueberdies erforderte die Be-
triebsführung der ganzen Gebirgsbahn be-
sondere Vorkehrungen für die Aufrechter-
32S
Ignaz Konta.
Haltung eines gefahrlosen, regelmässigen Be-
triebes. Gerstel, der im August 1884 die
Leitung der Betriebs-Direction Innsbruck
übernommen hatte, traf die gesammten Yor-
einleitungen und später die gesammte Be-
triebsorganisation und Betriebsdurchführung
in verkehrstechnischer Beziehung.*) Als ganz
specifische Einführung mag ein von Gerstel
unter schweren Kämpfen dort in Anwendung
gebrachtes System der Zugbremsung seitens
des Zugspersonales erwähnt werden, welches
sich allmählich als Norm für alle schwierigen
Gebirgsstrecken der österreichischen Staats-
bahnen Geltung verschaffte und damit den Zug-
trennungen wie dem Durchgehen von Zügen
auf steilen Rampen ein Ziel setzte. In welch
trefflicher Weise die Frage einer rationellen
und sicheren Betriebsführung auf der Arl-
bergbahn durch Gerstel gelöst wurde, be-
weist der Umstand, dass die damals ge-
troffenen Dispositionen im Wesentlichen bis
heute keine weitreichende Aenderung erfahren
haben und die Arlbergbahn ihre Aufgabe,
eine der wichtigsten Linien des Weltver-
kehres zu bilden, voll und ganz zu erfüllen
in der Lage ist
Galizische Transversalbahn.
Einzelne Strecken dieser Bahn begreifen
recht alte Projecte. An O^wiecim-Pod-
görze war schon im Jahre 1854 gedacht ;
Stanislau-Husiatyn figurirte bereits als
ein Theil der im Jahre 1868 geplanten
»Galizischen Südostbahn*; ebenso Bielitz-
oder Krakau-Saybusch-Csäcza seit dem
Jahre 1869 in mannigfachen Vorconces-
sionen. Diese beiden Strecken hörten
auch die ganze Zeit über nicht mehr
auf, Gegenstand eifriger Bewerbung zu
sein. Chyröw-Stryj, die nachmalige
»Dniester-Bahn« [siehe Seite 123], und
Stryj-Stanislau, die »Erzherzog Albrecht-
Bahn« [siehe Seite 134], waren gleichfalls
seit dem Jahre 1868 wiederholt in An-
regung. Von der Strecke Gryböw-Zagörz
und von der Herstellung der ganzen
Transversalbahn war im Jahre 1872,
anlässlich der Sicherstellung der Linie
Tarnöw-Leluchöw [siehe Seite 170], zum
ersten Male die Rede.
Das Parlament wollte damals statt
der letztgenannten Linie gleich alle noch
fehlenden Strecken der Transversalbahn
*) Vgl. hierüber den Vortrag Gerstel's im
Club österr. Eisenbahnbeamten am 27. März
1888, abgedruckt in der »Oesterreichischen
Eisenbahn-Zeitung«, Jahrgang 1888, und die
wiederholt genannte Denkschrift der k. k.
Betriebs-Direction Innsbruck über die Arl-
bergbahn.
sicherstellen und meinte dies mit einer
geringen Staatsgarantie [24.000 fl. pro
Meile] bewirken zu können. Das bezüg-
liche Gesetz [vom 29. Juni 1872] blieb
aber, gleichwie das spätere vom 23. April
1873, erfolglos, weil sich keine Bewerber
meldeten. Die Regierung führte daher
blos die Linie Tarnöw-Leluchöw, und
zwar auf Staatskosten aus.
Zum zweiten Male kam die Trans-
versalbahn bei Gelegenheit der im "Winter
1875/76 versuchten »Galizischen Fusion«
[siehe Seite 227] in Erörterung. Der Eisen-
bahn-Ausschuss des Abgeordnetenhauses
mochte aber, im Gegensatze zu seinen Be-
richterstattungen vom Jahre 1872 und 1873,
jetzt von der Transversalbahn, als einer
Parallelbahn der Carl Ludwig-Bahn,
nichts wissen und selbst galizische Ab-
geordnete nahmen Partei für diese Ge-
sellschaft.*) Die Vorlage wurde also ab-
gelehnt, das nordwestliche Endstück der
Transversalbahn, nämlich die Strecke
Saybusch-Bielitz, aber nunmehr an die
Nordbahn concessionirt [siehe Seite 239].
Einige Zeit hindurch blieb es dann ganz
still von dem Transversalbahn- Projecte,
jedoch nur nach Aussen hin ; in Wirk-
lichkeit wurde um das östliche Endstück
derselben heftig gerungen und dabei
auch auf die Verwirklichung des Gesammt-
projectes abgezielt. Die Carl Ludwig-
Bahn strebte die- Strecke Tarnopol-
Husiatyn, die Lemberg-Czernowitz-Jassy-
Eisenbahn hingegen die Strecke Dubowce-
[Halicz-] oder Stanislau-Husiatyn an.
Letztere Gesellschaft gewann die Ober-
hand, so zwar, dass sie zufolge ihres
Concessions-Gesuches vom 3. November
1879 schon vermeinte, sich auf bestimmte
Zusagen stutzen zu können, namentlich
in Betreff einer staatlichen Betheiligung
mit etwa einem Dritttheile der auf
5,000.000 fl. veranschlagten Kosten.
In die Rivalität traten dann noch
ein : die Erste Ungarisch-Galizische
Eisenbahn, indem sie am 20. Januar 1880
dem Handelsministerium eine Denkschrift
überreichte, welche die Vortheile des
Ausbaues der Strecke Stanislau-Husiatyn
sowie der Vereinigung dieser neuen mit
*) Vgl. die Broschüre: »Zur Fusions-
Geschichte der galizischen Eisenbahnen«
[Wien, L. Rosner, 1875].
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
329
den schon bestehenden jungen galizischen
Bahnen darlegte und wahrscheinlich
den Zweck hatte, eben dieser Gesellschalt
eine führende Rolle bei der Neugestaltung
des südgalizischen Eisenbahnnetzes zu
verschaffen ; — ferner die überall auf-
tauchende Societe beige, welche früher
eine Verbündete der vorgenannten Ge-
sellschaft war, nachher aber ohne und
gegen dieselbe vorging.
Dies that jedoch den Bestrebungen
der Lemberg - Czernowitz - Jassy - Eisen-
bahn keinen Eintrag. Anlässlich der
Der Handelsminister v. Kremer, welcher
entgegen dem unausgesetzten Verlangen
der bei den Neuwahlen im Jahre 1879
geradezu mit der Verpflichtung zur
Sicherstellung der Transversalbahn vom
Lande entsendeten Abgeordneten, nur
die Strecke Stanislau-Husiatyn conces-
sioniren, alles Uebrige aber einer späteren
Zeit vorbehalten wollte, trat am 14. Januar
1881 zurück und sein Nachfolger, Frei-
herr v. P i n o, sah sich veranlasst, dem
Begehren des einflussreichen Polenclubs
Rechnung- zu tragen.
5P>,
l^0mt^'^
Abb. 151. Station Hintergasse im Bau. [Nach einer Zeichnung von Nieriker aus der Bauzeit.]
Tracenrevision der beiden Projecte [4. bis
10. März 1880] wurde der Strecke
Stanislau-Husiatyn insoferne der Vorzug
eingeräumt, dass der galizische Landes-
ausschuss, die Lemberger Handelskammer
und der Vertreter der Militärverwaltung
ausdrücklich erklärten, der Bau der
Strecke Tarnopol-Husiatyn müsse unter-
bleiben, wenn derselbe das Zustande-
kommen der Strecke Stanislau-Husiatyn
beeinträchtigen sollte ; die Lemberg-
Czernowitz-Jassy-Eisenbahn beschränkte
ihr Concessions - Gesuch nurmehr auf
diese Strecke und verzichtete schliesslich
auch auf die Betheiligung des Staates,
was ihre Position noch mehr festigte.
Mit einem Male nahm die Angelegen-
heit jedoch eine ganz andere Wendung.
An Materiale für die Sicherstellung
der ganzen Transversalbahn hatte er
vorgefunden : die bereits erwähnte Denk-
schrift der Ersten Ungarisch-Galizischen
Eisenbahn, ferner ein Memorandum der
Societe beige, welches gleichfalls die
Vereinigung aller schon bestehenden
jungen galizischen Bahnen sowie deren
Zusammenschliessung durch den Ausbau
der fehlenden Zwischenstrecken vorschlug,
zu deren Ausführung sehr beträchtliche
Zuwendungen begehrte und bei Erlan-
gung derselben die Bildung einer eigenen,
mit einem Capitale von 51,000.000 fl. aus-
zustattenden Gesellschaft in Aussicht
stellte, — endlich die Beschlüsse des
galizischen Landtages vom 23. und
24. Juli 1880, wonach das Land sich
33Q
Ignaz Konta.
anheischig machte, 1,000.000 fl. zur
Grundeinlösung und 100.000 fl. zu den
Kosten der Strassenumlegungen beizu-
tragen und Befreiung von allen Um-
lagen auf die Dauer der staatlichen
Steuerfreiheit zu gewähren.
Von diesen Zusagen des Landes
nicht befriedigt und von der Regierung
wegen der geplanten Titelausgabe von
51,000.000 fl. für einen Bauaufwand von
etwa 30,000.000 fl. förmlich zurecht-
gewiesen, zogen die Belgier sich in den
Schmollwinkel zurück. Unterdessen war
ihnen aber in der Länderbank ein mäch-
tiger Concurrent erstanden. Auch sie
bewarb sich um die Concession für die
Transversalbähn [14. Februar 1881], ar-
beitete jedoch im jugendlichen Ungestüme
überdies an der Errichtung einer grossen
»Eisenbahnbetriebs-Gesellschaft«, welche
sämmtliche Staatsbahnen sowie alle schon
in den Staatsbetrieb übernommenen oder
noch zu übernehmenden Bahnen betreiben,
hiefür aber die Garantieschulden der be-
treffenden Bahnen dem Staate sogleich
zurückzahlen sollte. Sie setzte dieses
Project in einer Denkschrift auseinander,
welche namentlich bei der Finanzverwal-
tung freundliche Aufnahme fand und
danach angethan schien, die Verstaat-
lichungs-Thätigkeit in Frage zu stellen.
Zumindest war die Länderbank jetzt ein
Factor, mit dem gerechnet wurde, und
zwar zunächst in Sachen der Transversal-
bahn.
Da aber die Lemberg-Czernowitz-Jassy-
Eisenbahn schon von früher her Zu-
sicherungen hinsichtlich der Strecke Sta-
nislau-Husiatyn besass und ihrer Haltung
ein gewisser Einfluss auf das Gedeihen
der Transversalbahn beigemessen ward, so
versuchte man die Combination, dass die
Länderbank den Bau und die Finan-
zirung, die Lemberg- Czernowitz-Jassy-
Eisenbahn hingegen den Betrieb der
ganzen Transversalbahn übernehme.
Zwischen beiden Gesellschaften kamen
am 16. März 1881 zwei Vereinbarun-
gen zustande. Die eine besagte, dass
die Lemberg - Czernowitz - Jassy - Eisen-
bahn sich an dem neuen Unternehmen
mit einem Beitrage von 2,400.000 fl. be-
theilige, wogegen ihr der Betrieb sämmt-
licher Linien der Transversalbahn auf
Concessionsdauer, jedoch unbeschadet
des staatlichen Einlösungsrechtes über-
tragen würde. Die andere sicherte der
Länderbarik einen in Actien al pari rück-
zahlbaren Staatsvorschuss zum Baue der
Linien Saybusch — Neu-Sandec, Gryböw-
Zagörz und Stanislau-Husiatyn zu, ver-
pflichtete sie aber zur Uebernahme der noch
weiter auszugebenden Titel [4,000.000 fl.
in Actien und 24,000.000 fl. Gold in
Prioritäten], sowie zu verschiedenen Rück-
lässen im Betrage von 1,770.000 fl. Zu-
gleich wurden ihr technische Erleichte-
rungen, 30jährige Steuerfreiheit und das
Vorrecht auf mehrere Seitenlinien für die
Dauer von zwölf Jahren gewährleistet.
Aus diesen Vorgängen mag es sich
erklären, dass inmitten oder doch neben
der Verstaatlichungsthätigkeit wieder die
Concessionirung einer grossen Bahn be-
wirkt werden sollte. Die bezügliche
Gesetzvorlage kam am 5. April 1881
vor den- Reichsrath, gelangte aber nicht
weiter als bis in den Eisenbahn-Ausschuss
des Abgeordnetenhauses; denn gleich
dort wurde der Bau auf Staatskosten und
die einschlägige Abänderung der Vorlage
beschlossen. Der Berichterstatter v. Koz-
1 o w s k i unterzog sich rasch und willig
dieser Aufgabe. Schon nach zwei Tagen
legte er den neuen Entwurf vor, welcher
dahin lautete, dass die genannten drei
Strecken binnen 3J/2 Jahren mit einem
Aufwände von höchstens 24,000.000 fl.
auf Staatskosten auszuführen seien, falls
Galizien die Beisteuer von 1,100.000 fl.
leiste. Ausserdem war darin jetzt auch
schon der Staatsbau der Fortsetzungs-
strecken nach Csäcza, Podgörze und
Os'wigcim und die Bewilligung eines
Credites von 60.000 fl. für die sogleiche
Vervollständigung der Projecte vorge-
sehen.
An dieser Ausweitung der Vorlage
nahmen aber die czechischen Abgeordneten
Anstoss, weil sie diese augenscheinlich
nothwendigen Ergänzungsstrecken gleich-
sam als Faustpfand für die ebenfalls schon
längst erstrebte Böhmisch - Mährische
Transversalbahn behalten wollten. In
der sonach abermals geänderten Fassung
wurde die Vorlage, trotz des Wider-
standes, dem sie bei der »Linken« be-
gegnete, am 21. Mai 1881 von der
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
331
eine fest geeinigte Mehrheit bildenden
»Rechten« des Abgeordnetenhauses an-
genommen. Weiterhin erging es ihr aber
wie der Vorlage über die Verstaatlichung
der Kaiserin Elisabeth-Bahn [siehe Seite
290 und f.]; sie kam erst im Winter
nach dem »Pairs-Schube« im Herrenhause
zur Verhandlung und wurde dann am
14. December erledigt. Die a. h. Sanction
erhielt sie am 28. December 1881, ebenso
wie das Landesgesetz über die Beitrags-
leistung seitens Galiziens.
332
lgnaz Konta.
Da mittels Artikel III des eben er-
wähnten Gesetzes vom 28. December i
1881 ein Credit von 2,500.000 fl. zum
Zwecke der Vorarbeiten für den An-
schluss an die Kaschau-Oderberger Bahn
eröffnet war, rücksichtlich der beiden
anderen Ergänzungsstrecken aber eine
Resolution des Parlamentes die Revision
der Vorarbeiten verlangt hatte, brauchte
die Regierung auch bezüglich dieser
Strecken nicht müssig zu bleiben. Sie
traf also schleunigst die nöthigen Vor-
kehrungen, und, nachdem sie inzwischen
auch den Gesetzentwurf über die Böhmisch-
Mährische Transversalbahn vorbereitet
hatte, konnte sie mit aller Beruhigung
nunmehr auch die Vorlage über die oben
genannten Ergänzungsstrecken einbringen.
Diese kam am 27., jener am 28. März
1882 vor den Reichsrath. Die Verhand-
langen über die Nachtrags- Vorlage wären
ganz glatt verlaufen, wenn nicht die
Frage, ob der Anschluss an die Kaschau-
Oderberger Bahn auf österreichischem
Gebiete bei Mosty, oder auf ungarischem
Gebiete bei Csäcza zu bewirken sei, er- ;
hebliche Meinungsverschiedenheiten her-
vorgerufen hätte. Für den ersteren
sprachen verkehrspolitische, für den
letzteren öconomische und gesammtstaat-
liche Gründe. Die Regierung neigte
diesem zu. Ungarn verlangte jedoch für
die Mittragung der Kosten Gegenleistungen
commerziellerNatur[Cartelle], die geeignet
waren, die freie Verkehrsbewegung auf
der Transversalbahn zu schmälern.
Der Eisenbahn-Ausschuss entschied
sich darum für den Anschluss in Most}'
und änderte die Vorlage in diesem Sinne
ab. Sein am 20. Mai 1882 hierüber
erstatteter Bericht blieb aber infolge Ver-
tagung des Parlaments unerledigt. Beim
Wiederzusammentritt desselben waren
indes die Verhältnisse wesentlich andere
geworden ; einerseits dadurch, dass die
Staatseisenbahn - Gesellschaft anlässlich
ihrer Dualisirung die Waagthalbahn
erworben und den Ausbau der Strecke
Csäcza-Galizische Grenze übernommen
hatte,*) andererseits dadurch, dass sich
*) Rücksichtlich des Zwischenstückes
Csäcza-Sillein schloss die Staatseisenbahn-
Gesellschaft einen Mitbenützungs -Vertrag
mit der Kaschau-Oderberger Bahn.
Bewerber um eine von Saybusch über
Teschen und Wallachisch-Meseritsch bis
an die Böhmisch-Mährische Transver-
salbahn führende Linie einstellten, und
hiemit Aussichten auf eine die Selb-
ständigkeit der Galizischen Transversal-
bahn sichernde zweite westliche Ver-
bindung erschlossen.
Als nun der Handelsminister dem
Abgeordnetenhause am 26. Januar 1883
hievon umfassende Mittheilung machte,
trug es dem Ausschusse eine neue Be-
richterstattung auf. Diese erfolgte am
28. Januar mündlich und gipfelte in dem
Antrage: Die Regierung werde ermächtigt,
Abzweigungen der Galizischen Trans-
versalbahn von Sucha über Skawina
einerseits nach Podgörze, andererseits
nach Oswiecim, ferner von Saybusch bis
zur ungarischen Grenze in der Richtung
nach Csäcza, mit einem Aufwände von
höchstens 1 1,500.000 fl. auf Staatskosten
herzustellen. In dieser Fassung wurde
das Gesetz angenommen und am 28.
Februar 1883 a. h. sanctionirt. Zum
Zwecke der Beschleunigung des Baues
verlangte die Regierung alsbald zu dem
ihr in diesem Gesetz eröffneten Anfangs-
Credit von 100.000 fl. einen weiteren von
2,000.000 fl., der ihr mittels Gesetz vom
10. Juni 1883 ertheilt wurde.
Damals standen die Hauptstrecken
schon in vollem Baue. Seine Vergebung
hatte am 25. Juli 1882 stattgefunden, und
zwar im Pauschalaccorde. Es waren fünf
Angebote eingelaufen, von denen jenes
des Consortiums Schwarz [Karl Freiherr
v. Schwarz, Knaur & Gross, Löwenfeld's
Witwe & Comp.] sich als das mindest-
fordernde erwies und angenommen wurde.
Das Consortium erbot sich nämlich,
die Bahn um ■ den Pauschalpreis von
20,984.000 fl. oder, bei Anwendung von
Holzbrücken, um 20,284.000 fl. und, für
den Fall der Einbeziehung der Stadt
Gorlice in das Netz der Transversalbahn,
die bezügliche Ausästung um 1 10.000 fl.
herzustellen. Nachträglich hat dasselbe,
gegen verschiedene Bauerleichterungen,
einen Nachlass von 580.000 fl. zuge-
standen. Als Vollendungstermine waren
festgesetzt: für die Strecke Gryböw-
Zagörz der 30. Juni, für die übrigen
Strecken der 31. October 1884. Der erste
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
333
Spatenstich erfolgte am 17. October 1882
in Sporysz bei Saybusch.
Das Zurückgreifen auf die seit Langem
verpönt gewesene General - Entreprise
und deren Anwendung bei einem Staats-
baue hatten viel von sich reden gemacht ;
eine unwiderlegliche Erklärung des Vor-
ganges wird sich auch schwer finden
lassen. Um desto unangenehmer machte
sich der Bodensatz bemerkbar, den er
zurückgelassen, nämlich : die sogenannte
Kaminski-Angelegenheit, umfassend Pro-
visions-Ansprüche an die Unternehmung
3
CO
X
Gryböw-Zagörz, 114-2*»«, am 20.August,
Stanislau-Buczacz, 717 km, am I. No-
vember für Güter-, am 15. November
für den allgemeinen Verkehr,
Saybusch-Neu-Sandec, 1466 km, am
16. December,
Buczacz - Kopyczynce, 516 km, am
31. December,
Kopyczynce - Husiatyn, 2ri km, am
31. December für Güter.
Oswiecim-Skawina-Podgörze, 64-0 km,
am I. August,
Saybusch-Zwardoii, 37,3&i«, am 3. No-
vember für den Personen-, am 15.
November für den Gesammt-Verkehr,
Sucha-Skawina, 456 km, am 22. Decbr.
Abb. 153. Mühlentobel-Aquäduct. [Nach einer Zeichnung aus der Bauzeit.'
— und andererseits die von der letzteren
erhobenen Nachtragsforderungen, die
eigentlich bis heute noch nicht endgiltig
abgethan sind.
Der Bau der Abzweigungen wurde
am 10. Mai 1883 in kleinen Losen ver-
geben. Da 20 Offerte vorlagen, konnten er-
hebliche Abschläge [zusammen 435. 250 fl.]
erzielt werden. Die Arbeiten begannen
im Juni 1883.
Trotz der Störungen, welche der Bau
durch die im Juni 1884 eingetretenen
Hochwässer erlitten hatte, gelangten
sämmtliche Strecken, mit Ausnahme der
kleinen Ausästung nach Gorlice [4-2 km],
noch in der zweiten Hälfte des Jahres
1884 zur Eröffnung, und zwar:
Für den allgemeinen Verkehr wurde
die Strecke Kopyczynce-Husiatyn am
1. Februar 1885 eröffnet. Zwei Monate
später, am 8. April 1885, folgte auch die
Eröffnung der 4'2 km langen Ausästung
Zagörzany-Gorlice, deren Bau erst im
Juni 1884 begonnen hatte, weil die Stadt-
gemeinde Gorlice bis dahin mit dem zu-
gesicherten Beitrage von 5000 fl. im Rück-
stande geblieben war. Mit der Inbetrieb-
setzung der Strecke Gryböw-Zagörz
hat auch die Mitbenützung der 64*3 km
langen Strecke Zagörz-Chyröw der Ersten
Ungarisch - Galizischen Eisenbahn be-
gonnen, wenngleich der bezügliche P6age-
Vertrag erst am 25. November 1884
förmlich abgeschlossen wurde. Derselbe
334
Ignaz Konta.
beruhte im Hauptsächlichen auf denselben
Grundlagen wie jener über die Mit-
benützung der Strecke Wörgl-Innsbruck
[siehe Seite 304] und war das in der
Peage - Strecke inverstirte Capital mit
5,300.000 fl. berechnet. Das 4 km lange,
der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn
Abb. 154. Verbauung im Längentobel bei km III,3/j.
[Arlbergbahn.]
angehörende Zwischenstück von Stanislau
bis Chryplin [dem eigentlichen Aus-
mündungspunkte der Endstrecke nach
Husiatyn] wurde als Verlängerung der
Gemeinschafts-Station Stanislau betrachtet
und behandelt.
So war denn Galizien eigentlich schon
mit Ablauf des Jahres 1884 im Besitze
der so lange erstrebten, den ganzen
Süden des Landes durchziehenden Eisen-
bahn, die ihm die Unabhängigkeit von
der Carl Ludwig-Bahn und die leichtere
Verwerthung und Verfrachtung seiner
Boden-, Forst- und Industrie- Erzeugnisse
bringen sollte. Freilich mochte die alte
Bahn ihre bisherige uneingeschränkte
Herrschaft nicht widerstandslos aufgeben,
es bedurfte daher vielfacher commerzieller
Massnahmen, um ein friedliches Neben-
einanderwirken der beiden Längsbahnen
zu ermöglichen und dauernd zu sichern.
Die Kosten der Galizischen Trans-
versalbahn beliefen sich rücksichtlich der
Hauptbahn - Strecken auf 24,099.214 fl.
und rücksichtlich der Abzweigungen auf
11,299.9850., von den ersteren fanden
1,100.000 fl. in den Beiträgen des Landes
ihre Bedeckung, so dass zu Lasten des
Staates 22,999.214 fl. verblieben.
Die Strecke Zwardon - Saybusch,
mittels deren die Galizische Transversalbahn
an die von der Oesterreichisch-Ungarischeri
Staatseisenbahn-Gesellschaft gleichzeitig her-
gestellte Strecke Zwardon-Csäcza und durch
diese wieder an die Kaschau - Oderberger
Bahn, beziehungsweise an das ungarische
Bahnnetz anschüesst, hat ihren Ausgangs-
Eunkt an der die ungarisch - galizische
andesgrenze bildenden europäischenWasser-
scheide [zwischen Donau und Weichsel] in
der Nähe des Dorfes Zwardon. Die Ueber-
setzung dieser Wasserscheide, welche nicht,
wie ursprünglich projectirt gewesen, mit
einem Tunnel, sondern mittels eines Ein-
schnittes von l3-2 m Maximaltiefe in günstiger
Weise [662 m ü. d. M.] bewirkt wurde, liegt
auf dem höchsten Punkte nicht nur der Theil-
strecke Zwardon-Savbusch, sondern der gan-
zen Galizischen Transversalbahn. Von der
in einsamer Höhe liegenden Station Zwardon
führt die Bahn, mit der Maximalneigung von
l8°/0o abfallend, durch Waldgebiet, und senkt
sich dann an der Berglehne zum Thalboden
des Czernabaches, woselbst die Station
S61 errichtet ist. Im steten Gefälle durch
das Thal des Slanicabaches, denselben
übersetzend, geht sie hierauf über ein
breites, meist sumpfiges Wiesenterrain auf
die linksseitige Berglehne über. Am Fusse
der mächtigen, zu Abstürzen und Rutschun-
fen sehr geneigten Berglehne führt die
race, gesichert einerseits durch starke Ufer-
schutzbauten, und andererseits durch um-
fangreiche Entwässerungsanlagen, hart am
Ufer und theilweise im Flussbette der Sola,
Abb. 155. Steinschlag-Schutzbau im Schnänn auf der
Arlbergbahn. [Nach photographischen Aufnahmen
im Besitze der k. k. Staatsbahn-Direction Innsbruck.]
nach Raycza. Durch mächtige Steinbau-
ten längs des Flusses geschützt, gelangt
die Bahn nach Uebersetzung desselben
zur Station Milöwka. Mit dem sich er-
weiterten Sölathale stetig fallend, trifft die
Bahn noch einmal den Sölafluss, übersetzt
den Zabnicabach und gelangt unmittelbar
hierauf zu der auf einem Zwischenplateau
liegenden Station Wegierska-Görka. Unter-
halb des Dorfes Ciecina wird der Sölafluss zum
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
335
zweiten Male übersetzt, an dessen linkem Ufer
die Bahn nun in dem breiten fruchtbaren
Sölathale die Station Saybusch-Zablocie er-
reicht, welche vordem Eigenthum der Kaiser
Ferdinands - Nordbahn war, nunmehr aber
dem Staate gehört.
Bei dem letzten Wechsel der Station Say-
busch beginnt die Strecke Sa ybusch-Neu-
Sandec. Die Trace übersetzt den Sölafluss
und erreicht die Station Friedrichshütte. Von da
tritt die Bahn an eine felsige, steil ansteigende
bewaldete Lehne, an welcher sie, zum Theil in
hoch hinaufreichenden Anschnitten, meist un-
mittelbar am Ufer des zweimal überbrückten
Koszarawaflusses da-
hinführt und die Sta-
tion Jelesnia erreicht.
Hinter derselben be-
ginnt sie die Rampe
zur Wasserscheide
von Hucisko im Thale
des Pewelkabaches
anzusteigen und er-
reicht die unmittelbar
an der Wasserscheide
liegende Station Hu-
cisko [550-80 m See-
höhe]. Nach Ueber-
setzung der Wasser-
scheide im 8 m tiefen
Einschnitte senkt sich
die Bahn mit dem
Maximalgefälle von
l8°/00, umgeht in schar-
fen Bögen einen vor-
springenden Berg-
rücken,übersetzt dann
weiter mittels eines
13 m hohen Viaductes
und eines daran an-
schliessenden Dam-
mes von 400 ;;; Länge
das Thal des Lachöw-
kabaches und erreicht
nach Passirung des
Dorfes Lachöwice die
gleichnamige Station.
Ausserhalb derselben
wendet sie sich ge-
meinsam mit der
Reichsstrasse in das Thal des Stryszawka-
baches, gelangt bis Sucha, nächst welcher die
Linie nach Skawina, respective Oswiecim und
Podgörze abzweigt. Von dem Gabelungs-
punkte rechts abschwenkend, steigt die Trace
nun im Skawathale an, übersetzt gleich darnach
denSkawafluss und gelangt nach Maköw. Von
da weiter ansteigend, wendet sich die Bahn
im scharfen Bogen gegen den Skawafluss,
setzt wieder auf das linke Ufer über, er-
reicht hier ein kleines Plateau, nach dessen
Ueberschreitung der aus einem romantischen
Seitenthale heraustretende Skawicafluss über-
setzt wird und tritt an eine steile, felsige
Lehne, an derem Fusse die Bahn nun
hart am Ufer des Skawaflusses weiter zieht,
bis sie vor dem Dorfe Osielec wieder den
Abb. 156. Steinschlag-Schutzbau auf der Arlbergbahn
im Scbnänn [Felskopf nach der Verbauung].
[Nach photographischen Aufnahmen im Besitze der k. k.
Staatsbahn-Direction Innsbruck.]
Thalboden gewinnt und von da aus zur
Station Osielec hinansteigt. Gleich hinter
dieser Station kehrt die Trace mittels
einer Brücke auf das rechte Skawaufer
zurück, durchdringt mit einem II in tiefen
und 200 m langen Einschnitt einen vor-
springenden felsigen Bergrücken, tritt aus
diesem unmittelbar in das Bett des ver-
legten Skawaflusses, führt dann im Thal
weiter, den Skawafluss einigemale über-
setzend, bis sie nach Jordanöw gelangt, wo
derFluss dann zum siebentenMale überbrückt
wird. Sie gelangt sodann zur Wasserscheide,
welche mittels eines nur etwa 5 m tiefen
Einschnittes [496 m
über dem Meeres-
spiegel] passirt wird.
Von da an abfallend,
erreicht die Bahn das
Rabathai, wo sie den
Rabafluss übersetzt,
um zur Station Cha-
böwka zu gelangen,
welche die Eingangs-
station des bis an das
Tatragebirge sich er-
streckenden, an Na-
turschönheiten über-
aus reichen Neumark -
ter Bezirkes bildet.
Von Chaböwka zieht
die Trace in dem sich
erbreiternden Thale
stufenweise abfallend
weiter, gelangt zu der
Haltestelle Rabka, in
deren Nähe das heil-
kräftige Bad gleichen
Namensliegt. ImThale
abwärts gehend, nä-
hert sie sich bald
darauf dem Rabka-
flusse, längs welchem
sie hinzieht, übersetzt
denselben und er-
reicht die Station Za-
ryte. In der Thalsohle
überschreitet dieTrace
noch vier, bedeutende
Geschiebe führende
Wildbäche, wechselt hernach dasRabauferund
erreicht Mszana dolna, hinter welcher Station
der Mszanabach übersetzt wird und der Anstieg
zur Wasserscheide beginnt. Sie wendet sich
dem nördlich gelegenen Sattel der Wasser-
scheide zu, durchfährt den zwischen dem
Slomka- und Kasinathale liegenden Rücken
in einem Einschnitte von 8 m Tiefe, über-
setzt hierauf den Kasinabach auf einem
12-5 m hohen Viaducte und erreicht Kasina
wielka, von wo aus die Trace sich in
den wildromantischen Gehängen des Snicz-
nica-Berges entwickelt, um ihren höchsten
Punkt [Cöte 595'5] zu erreichen. Nun ab-
fallend, durchbricht die Trace eine vorge-
schobene Bergmasse und erreicht die schon
im Gefälle liegende Wasserscheide [Cöte
336
Ignaz Konta.
Abb. 157. Polygonträger des Glongtobel-Objectes durch die
Lawine ins Thal geworfen. [2. Februar 1893.]
539'3]> welche sie in einem Einschnitte von
47 m Tiefe passirt. Von der Station
Dobra aus entwickelt sich die Trace auf
dem gegen Süden abfallenden Gehänge des
Dobrzankathales, übersetzt hiebei die Plas-
kön-Schlucht mit einem 25 m hohen Viaducte
und nachdem sie noch den Jasnabach auf
einem 13-6 m hohen Viaduct passirt, er-
reicht sie die Thalsohle. In dieser führt die
Bahn zu der malerisch gelegeneu Station
Tymbark, übersetzt dann den Lososinafluss,
folgt demselben durch theilweise versumpftes
Terrain, dessen Entwässerung während des
Baues vorgenommen wurde, und steigt zur
Station Limanowa hinan. Unmittelbar nach
dem Austritte aus dieser Station beginnt der
weitere Anstieg zu der auf einem kahlen
Rücken der Wasserscheide liegenden Station
Pisarzowa. Von da an fällt die Trace, über-
setzt mehrere Schluchten mittels Dämmen
von bedeutender Höhe und zieht zu der im
Gefälle angelegten Station Mecina. Das Seiten-
thal des Klodniankabaches übersetzend, er-
reicht sie die Thalsohle des Smolnikbaches,
über welchen hinweg sie in das Dunajecthal
und in diesem zur Station Marcinkowice
gelangt. Auf einer Brücke von 300 111 Licht-
weite deriDunajecfiuss [Abb. 158] übersetzend,
führt die Bahn zu der im grossen Sandecer
Plateau besonders schön liegenden Station
Neu-Sandec der Tarnöw-Leluchöwer Staats-
bahn.
Gryböw-Zagörz nebst der Aus-
ästung nach Gorlice. Die Strecke Gry-
böw-Zagörz nimmt in der zu diesem
Zwecke errichteten Station »Ströme« derk. k.
Staatsbahn Tarnövv - Leluchöw ihren Aus-
gang, steigt in nordöstlicher Richtung zu
der secundären Wasserscheide bei Szalowa
hinan, wo sie die höchste Cöte der ganzen
Strecke [376 m] erreicht.
Von da an in östlicher Rich-
tung abwärts führend, ge-
langt sie zur Station Wola
luzanska und dann in viel-
fachen Krümmungen in
die Niederung des Wolski-
baches. Hier erhält die Bahn
den Charakter einer Thal-
bahn und liegt bis zur Ropa-
brücke ununterbrochen in
einem sanften Gefälle. Die
nächste Station ist Zagö-
rzany, an derem südwestli-
chem Ende die 4-2 km
lange Ausästung nach
Gorlice abzweigt.
Die Fortsetzung der
Hauptlinie tritt bei Zagö-
rzany in das Thal des Ropa-
flusses. Sie berührt die Sta-
tion Biecz und schlägt bei
Siepietnica die südöstliche
Richtung ein, welche sie bis
Skolyszyn und Trzcinica
beibehält. Den Ropafiuss
und Wislokafluss über-
setzend, erreicht sie Jasto. Von da aus über die
Station Tarnowiec bis zum Jasiolkatiusse eine
rein östliche Richtung einhaltend, durchzieht
die Bahn das Inundationsgebiet des Jasiolka-
flusses, den sie überbrückt und gelangt durch
einen ziemlich langen Einschnitt auf die
Höhe der Station Jedlicze. Ueber Krosno und
Iwonicz zieht die Bahn in günstigem Terrain
der Station Rymanöw zu und senkt sich von
da in das kurze Inundationsgebiet des Kom-
pachabaches und des Morawaflusses, welche
beide übersetzt werden. Nachdem der Wislok-
fluss übersetzt wird, steigt die Trace hinter
der Station Zarszyn, um die Höhe der Station
Nowosielce-Gniewosz [Cöte 317-6] zu gewin-
nen. Bis Sanok liegt die Bahn in starkem
Gefälle, weshalb auch die hier vorkommenden
kurzen Dämme und Einschnitte von relativ
namhafter Höhe, respective Tiefe sind, ge-
langt nun in das Thal des Sanflusses und steigt
schliesslich die steilen Abhänge hinan, auf
deren Höhe die Station Neu-Zagörz [Cöte
303-3] theilweise in einem 10 m tiefen Ein-
schnitte situirt ist.
Stanislau-Husiatyn. Diese östliche
Endstrecke der Galizischen Transversalbahn
beginnt nicht unmittelbar in Stanislau,
sondern in der daselbst anschliessend an
den Körper der Lemberg - Czemowitzer
Bahn errichteten Station Chryplin. Von hier
führt die Trace in gerader östlicher Richtung
zur Station Tysmienica, nimmt dann eine
nordöstliche Richtung an, übersetzt den Wo-
ronafluss und erreicht die erste Wasserscheide
[Cöte 330 mj. auf welcher die Station Tlumacz-
Pafahicze situirt ist. Ueber Oleszöw und
Nizniöw, hinter welcher Station eine nörd-
liche Richtung eingeschlagen wird, gelangt die
Bahn in das Thal des Dniesters, übersetzt
diesen Fluss mit einer Brücke von 324 -8 m
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
337
Lichtweite tritt in das Thal des Wyczulki-
baches und gelangt zur Station Korosciatyn.
Auf ihrem weiteren Zuge übersteigt die Bahn
eine zweite Wasserscheide [Cöte 381].
Nachdem der Koropiecrluss übersetzt wird,
gelangt die Bahn ins ebene Terrain, auf
welchem die Station Monasterzyska situirt
ist. Nun steigt die Bahn zur dritten und
höchsten Wasserscheide hinan [Cöte 395-871.
Sodann abwärts ziehend und mit einer nord-
östlichen Richtung in die Niederung eines
Seitenthaies einbiegend, gelangt sie zur
Station Jezierzany, bewegt sich dann in
einer Thalmulde aufwärts, um die vierte
Wasserscheide [Cöte 38420J zu übersetzen
und gelangt hernach mit sanftem Ge-
Thalsohle des Serethflusses, übersetzt diesen
in nördlicher Richtung und ; gelangt in
die Ebene bei Czortköw. Hier schlägt die
Trace eine nördliche Richtung ein, folgt ein
kurzes Stück dem Ufer des Serethflusses, be-
ginnt dann zu steigen, übersetzt mit einem
gewölbten Viaducte das Puchlathal, biegt
in östlicher Richtung in die Puchlaschlucht
ein, erreicht mit fortgesetzter Maximal-
steigung wieder ein Hochplateau, wendet
sich da erst nach Südosten, dann wieder
nach Nordosten und führt zur Station Hadyn-
kowce und hernach, mehrere Bäche über-
schreitend, zur Station Kopyczynce. Von hier
nimmt die Bahn eine östliche Richtung, über-
setzt einen 200 m breiten Sumpf und erreicht
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y',K^/AT/4^|Mi;|n|r*;l,k fc ':-* mu
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158. Reconstruction der Dunajec-Brücke bei Neu-Sandec. (Strecke Saybusch-Xeu-Sandec der
Galizischen Transversalbahn.]
fälle auf das Plateau, wo die Station Buczacz
errichtet ist. Von hier zieht die Bahn
in das Strypathal hinab, übersetzt den
Potokbach, durchfährt sodann mittels eines
Tunnels von 260 m Länge einen Bergrücken,
übersetzt den Strypafluss und steigt an der
linken Strypalehne zur fünften Wasserscheide
[Cöte 365 25] hinan. Von der Wasserscheide
abfallend durchschneidet die Bahn einen
langgestreckten Teich und zieht dann östlich
bis Pyszkowce. Sodann führt die Trace in
südöstlicher, fast gerader Richtung, auf ein
sanft geneigtes Plateau und zur Station
Dzuryn, von wo aus die Bahn, über das
Hochplateau in östlicher Richtung weiterzieht
und die Station Kalinowszczyzna erreicht.
Von hier hält die Trace erst eine südöstliche
Richtung ein, entwickelt sich sodann im
Gefälle in nördlicher, dann östlicher Rich-
tung an einer steilen, durch kurze aber tiefe
Schluchten unterbrochenen Lehne in das
Sereththal. In diesem Zuge übersetzt die Bahn
die Biaiaschlucht mit einem 29 m hohen
Viaducte von 75 m Lichtweite, kommt an die
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Theil.
über Wasylkowce die an der russischen
Grenze gelegene Station Husiatyn. [Cöte
284-20.]
Such a-S k a wi n a. Von Sucha abzweigend
geht die Trace dieser Verbindungsstrecke
in eine nördliche Richtung über, und tritt
in das Inundationsgebiet der Skawa, dann
in ein steil abfallendes, felsiges Terrain,
das sie mit der Strasse und stellenweise auch
mit dem Flusse zu theilen hat. In der Ebene
weiterziehend, übersetzt sie den Tarnawka-
Wildbach und erreicht das Inundationsgebiet
der Skawa, beziehungsweise den Fluss selbst,
in welchem sie weit eingebaut ist. Nunmehr
eine nordöstliche Richtung einschlagend,
führt die Bahn in stetem Gefälle und ge-
schützt durch starke Dammversicherungen
streckenweise im alten Flussbett dahin, bis
sie mit einer Wendung nach Norden Skawce
erreicht. Hinter dieser Station wird der Skawa-
fluss mittels einer eisernen Brücke von drei
Oeffnungen ä37-l3 m Lichtweite [schief unter
7030] in einer Höhe von 5-6 m übersetzt.
[Abb. 159.] Aus dem Inundationsgebiete in
22
338
Ignaz Konta.
nordöstlicher Richtung aufwärts weiter-
ziehend , übersetzt die Bahn den Stry-
szöwkabach und später ein enges Seiten-
thal und den Porzycebach mittels eines 7 m
hohen Dammes und erreicht Stryszöw. Gleich
ausserhalb dieser Station beginnt die Bahn
zur Wasserscheide hinanzuziehen. Mehrere
Seitenthäler übersetzend gelangt die Bahn
zum höchsten Punkte der Zweigbahn, zur
Station Stronie [294 m Seehöhe]. Von hier
aus die östliche Richtung einschlagend, fällt
die Bahn und passirt ein sehr schwieriges
Terrain, welches ihr den ausgesprochensten
Charakter einer Gebirgsbahn verleiht. Un-
mittelbar hinter der Station Stronie durch-
setzt die Bahn den 5 m hohen Satteleinschnitt
der secundären Wasserscheide zwischen dem
Skawa- und dem Skawinkaflusse , dann
gegen Nordost gewendet, eine breite Mulde
mit einem 16 in hohen Damme über einen tiefen
Wasserriss, um nach nochmaliger Durch-
brechung von Felsgestein in scharfer Krüm-
mung und auf einem darnach folgenden, 7 m
hohen Damme die nordwestliche Richtung
und die Lehne eines breiten Seitenthaies des
Cedranbaches zu gewinnen. Unter öfterem
Wechsel der Richtung, Passirung eines grös-
seren Einschnittes und mehrerer Wasserläufe
erreicht sie den Kalwarjaberg, den sie in einem
6 m tiefen Einschnitte durchfährt, über welchen
auf eiserner Ueberfahrtsbrücke der Wallfahrts-
weg [Kreuzweg] hinweg geführt ist. Nun zu-
meist die nordöstliche Richtung einhaltend,
übersetzt die Bahn noch vier tiefe Seiten-
thälermitS — 13 m hohen Dämmen, durchbricht
drei grössere Lehmeinschnitte ehe sie die Sta-
tion Kalwarja erreicht. Alsdann an der linken
Lehne des Cedronbaches sich allmählich in das
Inundationsgebiet desselben niedersenkend,
Sassirt die Bahn auf einem 10 in hohen
'amme einen Wasserriss und hernach auf
einem 9 in hohen Damme ein breites sumpfiges
Seitenthal des Cedronbaches und gelangt
nach wiederholtem Wechsel der Richtung in
die Thalsohle, in welcher sie parallel mit
dem Bache einherzieht, bis sie Lencze er-
reicht. Im Inundationsgebiet des Skawinka-
flusses abfallend, erhebt sich die Bahn so-
dann auf den bei Radziszöw befindlichen Ter-
rainrücken, passirt ein Rutschgebiet und trifft,
ohne weiteren Schwierigkeiten zu begegnen,
an derSkawinkabrücke mit der von Oswiecim
nach Podgörze führenden Linie zusammen,
mit welcher sie parallel in die Endstation
Skawina einzieht.
Oswiecim-Skawina-Podgörze. Der
Ausgangspunkt dieser fast ausschliesslich
von Ost nach West sich entwickelnden
Bahnlinie ist die der Nordbahn und der
Oberschlesischen Bahn gemeinsam dienende
Station Oswiecim. In scharfem Bogen wen-
det sich die Trace zur senkrechten Ueber-
brückung des Sölaflusses und durchzieht das
sumpfige Inundationsgebiet der Weichsel.
Nächst Dwory verlässt die Trace das Inun-
dationsgebiet der Weichsel, um auf günstigem
Terrain nach Przeciszöw zu gelangen, von
wo nach Durchfahrung einer an Raseneisen-
stein reichen Niederung mit freundlichem
Ausblicke auf die jenseits der Weichsel ge-
legene Burg Lipowiec alsbald auch die im
Einschnitte befindliche Station Zator erreicht
wird. Nun gelangt die Trace in das Inun-
dationsgebiet der Skawa und übersetzt diesen
Fluss mittels einer schiefen Eisenbrücke,
ersteigt ein Hochplateau, passirt Ryczöw
und folgt weiterhin ohne Schwierig-
keiten dem Fusse des in die Weichselniede-
rung abfallenden Plateaus. An den Höhen
von Kossowa und Nowe Dwory vorüber, er-
reicht die Trace die für den Pilgerzug nach
dem Wallfahrtsorte Kalwarja wichtige Station
Brzeznica und führt sodann zur Station
Wielkie Drogi. Von da weiter passirt die
Bahn eine secundäre Wasserscheide und
vereinigt sich dann mit der, aus dem Ska-
winkathale kommenden Linie Sucha-Skawina,
übersetzt in Gemeinschaft mit derselben den
Skawinkafluss und zieht mit ihr in die den beiden
Linien gemeinsam dienende Station Skawina
ein. Von hier aus steigt die Bahn auf die Höhe
von Sidzina hinauf und fällt zur Station
Swoszowice ab, in deren Nähe sich das
Schwefelbad gleichen Namens befindet. Von
dieser Station weiter führt die Bahn in vielfach
gewundenem Zuge unter Uebersetzung des
Wilgabaches in die Kalkfelsenpartie
Krzemionki, welche im Gefälle mittels
eines 1300 in langen, bis" zu 106 m tiefen
und etwa 150 in weit in den Felsen
eingesprengten Einschnittes durchsetzt wird
und erreicht auf 7'5 m hohem Damme
in dem mit einer Erdbewegung von 200.000 m3
hergestellten Anschlüsse an die Carl Ludwig-
Bahn die Endstation Podgörze.
Böhmisch -Mährische Trans-
versalbahn. Wie ihre Hauptbenennung,
hat diese Bahn mit der vorangehend be-
sprochenen auch manche Schicksale ge-
mein. Beide waren schon längst projectirt,
zumal in den Endstrecken, beide kamen
mühselig und stückweise zu Stande und
entbehrten daher des einheitlichen Ge-
präges, beide waren bis knapp vor der
gänzlichen Sicherstellung immer als Privat-
unternehmungen gedacht und sind schliess-
lich auf Staatskosten ausgebaut worden.
Eine der nunmehrigen westlichen End-
strecke ähnliche, jedoch directe Ver-
bindung Taus-Klattau-Horazd'ovic zählte
zu denjenigen »Böhmischen Landes-
bahnen,« deren Bau schon die im Jahre
1863 vom böhmischen Landtage ein-
gesetzte Eisenbahn - Commission befür-
wortet hatte. Ebenso gehörte die östliche
Endstrecke Brunn - Ungarische Grenze
[Trencsin] zu den »Mährischen Landes-
bahnen,« welche der mährische Landtag
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
339
und mit ihm noch andere Körperschaften
des Landes, sowie auch das »Comite' für
die mährischen Eisenbahnen«, um die
Mitte der Sechziger -Jahre eifrigst er-
strebten. Diese Strecke war auch eine
derjenigen, denen das a. h. Handschreiben
vom 18. October 1866 [siehe Seite 4]
insbesondere gegolten hatte. Am 23. De-
cember 1866 bewilligte der mährische
Landtag für dieselben eine Subvention
im halben Betrage der nach jener a. h.
Willenskundgebung auch vom Staate zu
erwarten gewesenen Beihilfe.
Infolge der Concessionirung der
Mährisch-Schlesischen Nordbahn und des
rischerseits geplanten Linie Rosenheim-
Deggendorf-Zwiesel auf böhmischem Ge-
biete, sich wieder um die Strecke Taus-
Horazdovic angenommen, ohne übrigens
damit über die ersten Vorarbeiten hinaus-
zukommen. Im Jahre 1869 befasste sich
die Nordbahn mit dem Projecte Hradisch-
Vlarapass ; desgleichen die Credit- Anstalt
und Andere. Auch für die Strecke
Brünn-Ungarische Grenze fanden sich
neue Bewerber, so namentlich die Con-
sortien des Freiherrn v. Weidenheim und
des Fürsten Alfred Windischgrätz.
All dies wurde jedoch in den Hinter-
grund geschoben durch die nun aufge-
Abb. 159. Brücke über den Skawafluss. [Strecke Sucha-Skawina der
Galizischen Transversalbahn.]
Ergänzungsnetzes der Staatseisenbahn-Ge-
sellschaft [siehe Seite 6,und Bd.1, 1 .Th., Seite
407] löste sich jedoch das Landescomite
auf und die Ausführung aller ausserhalb der
eben erwähnten Concessionirungen verblie-
benen Strecken fiel wieder der Ungewiss-
heit anheim. Der Präsident der Brünner
Handelskammer, Ernst Johann Her ring,
der auch das erste mährische Consortium
gebildet hatte, bewirkte zwar den Zu-
sammentritt eines neuen Consortiums für
die Verbindung Brünn-Trencsin, das am
9. December 1867 die bezügliche Con-
cession nachsuchte ; allein die Einsprache
der Nordbahn und die in massgebenden
Kreisen eingetretene Aenderung in den
Anschauungen über die Nothwendigkeit
jener neuen Verbindung, führte die Ab-
lehnung des Gesuches herbei [a. h. Ent-
schliessung vom 22. Juli 1868].
Unterdessen hatte Johann Freiherr
v. Lieb ig in Verbindung mit anderen
Interessenten der Fortsetzung der baye-
tauchten Projecte für die ganze Querbahn,
unter denen jenes des Bauunternehmers
Karl Schwarz den ersten Platz einnahm.
Dasselbe umfasste ursprünglich nur die
Linie Sillein-Brünn-Iglau-Tabor-Klattau-
Taus oder Fürth, wurde aber mit Rück-
sicht auf die Concurrenz-Projecte nach-
träglich auch auf die Strecken Klattau-
Deggendorf und Brünn-Vlarapass ausge-
dehnt. Das ganze Unternehmen sollte
den Namen: »B öhmis ch-M ähri s.che
Ostbahn« führen und, wiesein Projectant
beanspruchte, die Staatsgarantie gemessen.
Die vollständigen Pläne gelangten im
Mai 1872 zur Vorlage.
Die erheblichste Concurrenz bereiteten
die Projecte Iglau-Budweis-Kuschwarda
und Brunn - Pilsen, zumal für dieselben
keinerlei Staatshilfe in Anspruch genom-
men wurde. Da aber Mähren immer
dringender die directe Verbindung mit
den ungarischen Bahnen am Vlarapasse
verlangte und auch der Landtag sie
22*
340
Ignaz Konta.
neuerdings urgirte [3. December 1872],
so ordnete das Handelsministerium die
technisch - militärische Revision des
Schwarz'schen Projectes an, welche am
8. Januar 1873 begonnen, aber keine be-
friedigenden Ergebnisse geliefert hat, wes-
halb die k. k. General-Inspection der
österreichischen Eisenbahnen am 27. April
1874 mit einer Neuaufnahme der ganzen
Linie von Fürth über Tabor, Iglau und
Brunn bis zum Vlarapasse betraut wurde.
Auch das Jahr 1875 ging nicht zu Ende,
ohne dass der mährische Landtag mah-
nend und drängend für die Bahn ein-
getreten wäre.
Im Jahre 1874 bezeichnete der Ab-
geordnete Steudl anlässlich der De-
batte über Rakonitz-Protivin [29. April]
die Ausführung der genannten Transversal-
bahn als eine richtige Hilfsaction, weil sie
weitgestreckte, unter der Krisis leidende
Bezirke vom Nothstande befreien würde.
Ein Jahr darauf brachte der Abgeord-
nete Dr. Sturm im Abgeordnetenhause
einen directen Antrag auf den Bau dieser
Bahn ein, erzielte aber damit gleichfalls
keine Wirkung. Im selben Jahre Hessen
fremde Geldkräfte die Linien Brunn -
Iglau und Brünn-Hradisch traciren und
machten sich anheischig, dieselben auch
ohne Staatsgarantie zu bauen, falls die
Regierung weitgehende technische Er-
leichterungen bewillige [Februar 1876],
was jedoch abgelehnt wurde. Dasselbe
widerfuhr einem Antrage der mit ihren
Fangarmen überallhin ausgreifenden
Societö beige, die gegen volle Staats-
garantie oder grosse Betheiligung des
Staates an der Geldbeschaffung, den Bau
ausführen wollte. Dann gerieth die An-
gelegenheit völlig ins Stocken, wiewohl
unzählige Petitionen und fortwährende
Interpellationen im Reichsrathe und in
den Landtagen, das Verlangen der Be-
völkerung nach dieser Bahn immer ver-
nehmlicher zum Ausdrucke brachten.
Erst nachdem der Graf Sigmund
Berchtold im Jahre 1880 ein Consortium
für die »Mährische« Transversalbahn
gebildet, und dem Zustandekommen der-
selben seinen Einfluss und seine eifrige
Thätigkeit zugewendet hatte, kam die
Frage wieder in Fluss. Allein gleichwie
die im Jahre 1877 zu Tage getretene
Spaltung unter den Interessenten des
böhmischen Theiles der Bahn [die Einen
hielten an der alten Trace fest, die Anderen
wollten dieselbe von Iglau über Budweis
und Krumau an die bayerische Grenze
geführt sehen] die Nothwendigkeit der
grossen Querlinie in Zweifel setzten, that
jetzt die Beschränkung der Bestrebungen
blos auf den mährischen Theil der Bahn
ihrer Einheitlichkeit schweren Abbruch,
— und die zugleich beabsichtigte Her-
stellung der einzelnen Strecken als
Secundärbahnen benahm der ganzen
Linie die ihr seit jeher und auch von
fachlicher Seite beigemessene Bedeutung
für den grossen Durchzugsverkehr. *)
Das Consortium wollte die Strecken
Vlarapass— Ungarisch-Hradisch— Kfenowitz
nebst Abzweigung Snowidek-Gaya, und
die Strecke Segen Gottes-Startsch nebst
Abzweigung Wladislau— Gross- Meseritsch
j als Secundärbahnen ausführen, welche
mit den dazwischenliegenden Strecken
Kfenowitz-Brünn der Mährisch-Schlesi-
schen Nordbahn und BrUnn-Segen Gottes
der Rossitzer Bahn eine von der ungari-
schen Grenze bis an die Oesterreichische
Nordwestbahn reichende Mährische Traris-
versalbahn gebildet haben würden. Für
dieses Unternehmen wurden vom Staate
eine Zinsengarantie von 175.000 fl. [820 fl.
pro Kilometer], vom Lande eine Sub-
vention von jährlich 47.775 fl., von den
zehn durch die Bahn berührten Strassen-
bezirken jährliche Beiträge von 1000 bis
3000 fl., und von den Anrainern eine
Betheiligung an der Geldbeschaffung
durch Uebernahme von Prioritätsactien
oder Naturalleistungen beansprucht. Die
Consorten und deren Vertreter gewannen
vermöge einer in Wort und Schrift**) be-
triebenen Propaganda alsbald viele An-
hänger — aber auch Nachahmer.
An den verschiedensten Orten bildeten
sich Comites, deren Pläne jedoch weit
*) Vgl. B. Wüllersdorff: »Das Eisen-
bahnnetz im westlichen Theile der öster-
reichisch-ungarischen Monarchie«, Wien, 1875.
**) Eduard Ritter vonB'eldegg: »Prüfung
der Rentabilität projectirter Bahnen, mit be-
sonderer Anwendung auf die Mährische
Transversalbahn« [Wien, 1880], und Dr. M.
Zach und Eduard Ritter von Feld egg:
»Die Mährische Transversalbahn und ihre
Interessenten« [Brunn, 1881].
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
341
auseinander gingen. Ein einziges hielt
noch an dem alten Projecte Sillein-Taus
fest, und veröffentlichte eine Denkschrift
über die längst bekannte Wichtigkeit
dieser Bahn. Alle übrigen suchten blos
die ihren eigensten Bedürfnissen ent-
sprechenden Linien zustande zu bringen.
Ein Projectant, Richard Clemens Heller
in Iglau, wollte überdies ein ganzes Netz
von »Böhmisch - Mährischen Secundär-
bahnen« schaffen, welches auch Strecken
der Transversalbahn umfassen sollte. In
Böhmen bemühte sich Graf Ferdinand
Chotek um die altprojectirten Strecken,
wobei er die Unterstützung der czechischen
Abgeordneten fand, die ihre Zustimmung
von der ungarischen Grenze über Hradisch,
Brunn, Iglau und durch Böhmen bis an
die bayerische Grenze führenden Trans-
versalbahn noch im Jahre 1881 im Reichs-
rathe einzubringen. Die Besprechung fand
am 3. April 188 1 statt, förderte jedoch
wieder nur grosse Meinungsverschieden-
heiten zutage. Die czechischen Abge-
ordneten hielten treu an dem alten ein-
heitlichen Projecte fest; der Abgeordnete
Dr. Herbst hingegen wollte die Bahn
lediglich als ein Netz örtlicher Verbin-
dungen gelten lassen, sprach sich über-
dies gegen den Anschluss an die unga-
rischen Bahnen aus und befürwortete blos
die Strecke Iglau-Neuhaus-Wessely ; die
Abb. 160. Bau des Viaductes und der Brücke über den Igelfluss in Iglau. [Böhmisch-
Mährische Transversalbahn]. Nach einer Photographie von Johann Haupt in Iglau.
zum Bau der Galizischen Transversalbahn
von bindenden Zusagen für die Ausfüh-
rung der Böhmisch -Mährischen Trans-
versalbahn abhängig machten [siehe
Seite 330].
Angesichts der grossen Zerfahrenheit
lud der Handelsminister die hervor-
ragendsten Abgeordneten von Böhmen
und Mähren zu einer Besprechung, um
die Meinungen, welche sie selbst über
die ganze Angelegenheit hegten, genau
kennen zu lernen. Es war dies auch
darum dringend geboten, weil der Eisen-
bahn-Ausschuss aus Anlass der Behand-
lung der zu Häuf vorgelegenen ein-
schlägigen Petitionen eine Resolution
beantragt hatte, wonach die Regierung
aufgefordert werden sollte, eine Gesetzes-
vorlage zur Sicherstellung der ganzen,
czechischen Abgeordneten erklärten sich
für den Staatsbau, alle anderen zunächst
für die Concessionirung.
Das Abgeordnetenhaus nahm die vor-
erwähnte Resolution am 1. Juni, das
Herrenhaus eine etwas allgemeiner ge-
fasste am 17. December 1881 an. Die
Regierung legte nun am 28. März 1882
einen Gesetzentwurf vor, der zwar den
verschiedenen Wünschen rücksichtlich der
einzelnen Strecken angepasst war, von
der Einheitlichkeit der Bahn aber Um-
gang nahm, daher vorwiegend nur die
zwischen den schon bestehenden Bahnen
einzufügenden Strecken zum Gegenstande,
und von diesen wieder etliche, darunter
auch die östlichen Endstrecken, in die
zweite Reihe gestellt hatte. Dieselben
sollten als Localbahnen im Wege der
342
Ignaz Konta.
Concessionirung, oder, soweit diese nicht
gelänge, auf Staatskosten geschaffen
werden, wenn die Interessenten und die bei-
den Länder entsprechende Beiträge leisten.
Der Eisenbahn- Ausschuss unterzog die
Vorlage sofort einer Abänderung; er wollte
der Bahn ihren einheitlichen Charakter
noch möglichst wahren, sie ausdrücklich
» Böhmisch - Mährische Transversalbahn «
benennen, und ihre östlich von Brunn
gelegene Trace genau bestimmt wissen.
Der neue Entwurf besagte also, dass die
zur Eisenbahn- Verbindung von der unga-
rischen bis zur bayerischen Grenze noch i
fehlenden Strecken mit dem veranschlagten
Kostenbetrage von 43,198.000 fl. aus
Staatsmitteln innerhalb sechs Jahren her-
zustellen seien, wenn Böhmen 2, 500.000 fl.,
Mähren 1,900.000 fl. beisteuere, und auch
die Interessenten sich entsprechend be-
theiligen. Für mehrere Seitenlinien waren
allfällige Staatsunterstützungen in Aus-
sicht genommen. Damit der Transversal-
bahn, trotz ihrer stückweisen Zusammen-
fügung, die Eigenschaft einer einheitlichen
Verkehrslinie gesichert bleibe, wurde in
den Entwurf überdies eine Bestimmung
aufgenommen, des Inhalts, dass dem
Staate das Recht zustehen solle, die Mit-
benützung der in die Gesammtrichtung
der neuen Bahn fallenden, schon be-
stehenden Strecken als Servitut im
Enteignungswege in Anspruch
zu nehmen, sofern es nicht gelingen
sollte, mit den betheiligten Bahnverwal-
tungen ein Uebereinkommen zu treffen,
vermöge dessen dem Staate gegen Ent-
richtung einer zu ermittelnden fixen
Entschädigung die freie Mitbenützung
jener Strecken eingeräumt würde.
Diese wichtige, hier zum ersten '
Male erscheinende gesetzliche Anord- |
nung, welche in der ausländischen —
insbesondere der englischen, preussischen
und französischen — Gesetzgebung Vor-
bilder hatte,*) machte viel von sich reden. ,
Die aufgetauchten Zweifel über die Zu-
lässigkeit der Anwendung der Expro-
priation auf die Mitbenützung von Bahn-
strecken, wurden jedoch bei den betreffen-
den Debatten im Parlamente von den Ver-
*) Vgl. den am 5. März 1883 erstatteten
Bericht des Eisenbahn-Ausschusses.
tretern der Regierung, als welche zwei
der ausgezeichnetsten Juristen, nämlich
die Ministerialräthe Dr. von W i 1 1 e k und
Dr. Steinbach fungirten, mit dem Hin-
weise auf das allgemeine bürgerliche
Gesetzbuch [§ 365] behoben, da auch
das auf einem Privilegium beruhende
ausschliessliche Benützungsrecht, kein
Hindernis für die aus Rücksichten des
öffentlichen Wohles, gegen Entschädigung,
stattfindende Beschränkung des Privilegial-
rechtes bilden könne. Gleichwohl war
diese Frage auch im Herrenhause Gegen-
stand eingehendster Erörterung und die
vom Referenten der Eisenbahn-Commis-
sion, Dr. Habietinek [vormals Justiz-
minister], hierüber erstattete Aeusserung,
sprach der Neuerung keineswegs das
Wort, sondern wollte sie nur darum
gelten lassen, weil die Regierung erklärt
hatte, unter der Mitbenützung lediglich
ein Peage- Verhältnis zu verstehen.
Da der Reichsrath noch vor der gänz-
lichen Ausfertigung jenes neuen Entwurfes
vertagt [26. Mai 1882] und in der Zeit
bis zu seinem Wiederzusammentritte
[5. December] das Uebereinkommen mit
der Staatseisenbahn - Gesellschaft vom
12. November 1882 abgeschlossen wor-
den war, wonach dieselbe unter Anderem
die Ausführung der Strecke Segen Gottes-
Okf iüsko übernahm und sich zur Fortsetzung
derselben bis an den Vlarapass verpflichtet
hatte [siehe Seite 296] — musste die Vor-
lage nochmals geändert werden. Der
Eisenbahn-Ausschuss übertrug diese Auf-
gabe am 2. Januar 1883 dem Abgeord-
neten Hladik, der bereits am 1. Februar
den neuen Entwurf vorlegte. Dieser be-
traf blos die restlichen, westwärts von
Iglau gelegenen fünf Strecken : Iglau-Ober-
Cerekve- Neuhaus - Wessely, HoraScTovic-
Schüttenhofen - Klattau, Ober - Cerek ve-
Pilgram-Tabor, Tabor-Mühlhausen-Pisek-
Razice, Janovic-Neugedein-Taus, welche
nach und nach mit einem Aufwände von
höchstens 27,300.0001!. auf Staatskosten
ausgeführt werden sollten, wenn nicht,
wie schon die Regierungsvorlage besagte,
die Concessionirung einer oder der anderen
Strecke gelingen sollte. Der Eisenbahn-
Ausschuss nahm noch die Strecke Budweis-
Salnau unter die Hauptbahnstrecken auf
und kürzte die Baufrist um ein Jahr.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
343
Die Berathungen im Abgeordneten-
hause begannen am 10. April; kein ein-
ziger von den vielen Rednern trat gegen
die Bahn auf; Anfechtungen erfuhr nur
die vorerwähnte Bestimmung über die
allfällige Erwirkung der Mitbenutzung
im Enteignungswege ; sie wurde jedoch
am 13. April wie Tags darauf das ganze
Gesetz mit Mehrheit angenommen. Eben-
so wickelten sich die Debatten im Herren-
hause ab [16. Mai]. Nachdem alles so-
weit gediehen war, handelte es sich noch
um die Beitragsleistungen. Die Landtage
hielten sich an die Beschlüsse des Reichs-
rathes ; der böhmische sicherte am
17. Juli 1,250.000 fl., der mährische am
18. October 115.000 fl. als 5 °/0 igen Bei-
trag zu den betreffenden Kostensummen
zu. Die Zeichnungen der Anrainer wur-
den im October von einer Regierungs-Com-
mission aufgenommen. Sodann erfolgte
am 25. November 1883 die a. h. Sanc-
tion des Gesetzes und drei Monate später,
am 28. Februar 1884, die a. h. Anordnung
der Inangriffnahme des Baues.
Derselbe umfasste jedoch [als Staats-
bau] nur die ursprünglich vorgesehenen
fünf Linien, da jene von Budweis nach
Salnau an die Oesterreichische Local-
Eisenbahn - Gesellschaft concessionirt
wurde [30. August 1884]. Die Daten
über die Vergebung, den Beginn und
die Vollendung der Arbeiten sind aus
der nachstehenden Tabelle ersichtlich:
Strecke
Länge in
km
Datum der
Bau-Unternehmer
Vergebung
Inangriffnahme
Betriebs-
des Baues
Eröffnung
Iglau -Wessely
Janovic-Taus .
HoraSd'ovic-
Klattau. . . .
Ober-Cerekve-
Tabor-Ra/.ice .
923
317
57-8
68-8'
617
24./11. 1885
23/8. 1886
16./10. 1886
I2./6. 1887
I22./11.1887
l 3/4- 1888
15., bzw. 2I./I2. 1885
20. und 21./9. 1886
10., bzw. 17./11. 1886
13., bzw. 27-/6. und
8./7. 1887
9./ 12. 1887
Mold.-Viad. 18/4. 1888
3-/H- 1887
I./I0. 1888
I./lO. 1888
17./ 12. 1888
I2I./II.1889
| Redlich & Berger
l Ciwotski & Comp.
[ Hock & Epstein,
{ resp. Kiss u. Lob;
( J. Krulis.
( Rabas, Gall und
J Rosenthal;
' E. Chocholousek.
| Ronchetti u. Rent-
( meister; G.Ceconi.
f Kiss und Lob;
\ Redlich & Berger.
Die Verzögerung bei der letztgenann-
ten Strecke ward dadurch verursacht,
dass die Interessenten-Beiträge lange auf
sich warten liessen. Es musste denn
auch eine Erstreckung der, laut des Ge-
setzes vom 25. November 1883, mit
1. Januar 1889 endigenden Baufrist er-
wirkt werden ; das geschah mittels des
Gesetzes vom 29. Juni 1888, welches
den Termin bis Ende 1889 hinausrückte.
Da zu jener Zeit auch die von der
Staatseisenbahn - Gesellschaft erbauten
Strecken Segen Gottes-Okfisko undBrünn-
[Schimitz] Vlarapass gleichfalls schon im
Betriebe standen, so hatten nunmehr
auch Böhmen und Mähren ihre, wenn-
gleich eigenartig zusammengefügte Quer-
bahn. Die Kosten derselben beliefen
sich im Ganzen auf 25,674.226 fl. oder
82.187 fl- Pro Kilometer. Es wurden
also 1,625.770 fl. erspart, infolgedessen
Mähren nur 115.000 fl. und Böhmen
nur 1,168.710 fl. beizutragen hatte.
Die Interessentenleistungen waren mit
538.340 fl. eingeschätzt.
Die Böhmisch-Mährische Trans-
versalbahn schliesst inlglau an die Oester-
reichische Nordwestbahn an. Von Iglau bis
Kardasch Rede liegt die Bahn auf dem
Plateau des böhmisch-mährischen Grenz-
gebirges, vorerst im Thale der Igel [Iglava],
welche hier die Grenze zwischen Böhmen
und Mähren bildet. Um die Verbindung des
neu angelegten Bahnhofes der k. k. Staats-
bahnen [»Stadt Iglau«] mit der Nordwestbahn
herzustellen, musste ausser dem Viaducte
344
Ignaz Konta.
beim Nordwestbahnhofe [vgl. Bd. II,
Abb. 129], das Igelthal üoerbrückt werden
[Abb. 160]. Vom Bahnhofe der k. k. Staats-
bahnen zieht dann die Trace in grossem Bogen
durch die sogenannte Zigeunerleiten, wo die
im tief eingeschnittenen Thale fliessende Igel
nahe an den Bahnkörper herankommt. Im
Igelthale hat die Bahn den Fluss häufig zu
überbrücken und befindet sich daher ab-
wechselnd bald auf mährischem, bald auf
böhmischem Gebiete. Nachdem die Trace die
stellenweise schroff abfallenden Lehnen bei
Fussdorf verlassen hat, tritt sie auf die
linke Seite des Flusses, wo sie bis Wolframs-
Cejl bleibt. Von hier bis zur Haltestelle
Unter-Cerekwe wird der Fluss dreimal über-
brückt und die vorspringende Lehne des
Spielberges durchschnitten. Am linken Igel-
flussufer, der an den Thalabhängen dahin-
ziehenden Strasse folgend, gelangt die Bahn
bis Battelau, wo dieselbe aus der bisher
eingehaltenen südwestlichen Richtung in die
westliche übergeht. Bis Ober-Cerekve wird
diese Richtung beibehalten, von dort ab
aber, nachdem der Schlossteich übersetzt 1
wurde, die südliche Richtung eingeschlagen. 1
Bei Ober-Cerekve zweigt der Flügel gegen I
Tabor ab. Durch das von kleinen Hügelzügen :
begrenzte Igelthal ansteigend, gelangt der nach I
Wessel v führende Flügel über Oberndorf an |
der rechten Lehne zur Wasserscheide zwischen
der Donau und Moldau, wo Ihlavka-Katha-
rinenbad in einer Seehöhe von 658 in als
die höchstgelegene Station der ganzen Strecke i
in baumloser Gegend liegt. In Schlangen-
windungen, an den bewaldeten Hügeln
eingeschnitten, fällt die Trace über Wilimetsch ■
zur Station Poeatek-Serowitz und weiter !
durch zahlreiche lange Einschnitte über |
Popelin nach Gross - Bernharz, von wo j
sie im weiten Bogen zur Station Jareschau, i
sodann die Lehne des Pihalberges durch-
schneidend, in das Thal des Nezärkabaches
bis Neuhaus gelangt. Ausserhalb Neuhaus den
Bach übersetzend, führt die Trace das
Thal verlassend, längs der Strasse nach
Diebling und dann im coupirten Terrain
durch den St. Barbarawald nach Kardasch-
Reeic. Von hier bis Wessel}" durchfährt die
Bahn die Fläche eines in vorhistorischer
Zeit eingetrockneten Sees, an zahlreichen
Teichen vorüber, einzelne derselben sowie
mehrere Bäche der wasserreichen Gegend
übersetzend Zwischen dunklen Wäldern ge-
langt die Bahn über Donow bis Wessely-
Mezimosti, dem Knotenpunkte, wo die Trace
Anschluss an die Linien nach Wien, Budweis
und Prag findet.
Die Strecke Ober-Cerekve-Tabor-
Pisek-Razice zweigt ausserhalb der Station
Ober-Cerekve im scharfen Bogen nach Norden
ab und hält bis Pilgram eine wesentlich nord-
östliche Richtung ein. Durch Hügellandschaft
zieht die Trace vorerst bis Dobrawoda und von
dort gemeinschaftlich mit der Bezirksstrasse
durch ein hübsches, schluchtenartiges Thal zur
Haltestelle Rinarec, von wo aus im reizenden
Thale des Bielabaches, nachdem derselbe
überbrückt worden, parallel mit der Strasse
Pilgram erreicht wird. Auf hohem, anstei-
gendem und in scharfen Curven geführtem
Damme verlässt die Bahn Pilgram und, die
westliche Richtung einschlagend, gelangt sie
zur Haltestelle Wlasenitz. nächst welcher das
Thal des Hejlovbaches überbrückt wird, so-
dann durch kleine Nadelwälder ansteigend,
zur Station Neu-Cerekve, nachdem auch der
gleichnamige Bach übersetzt wurde. An der
mächtig aufragenden Ruine Kamen vorüber,
zur Haltestelle Leskowitz ansteigend, durch
grosse Einschnitte und verhältnismässig hohe
Viaducte, welche die Querthäler des Trnawa-
und Neuhoferbaches überbrücken, gelangt
die Bahn nach Patzau, wo sie längs der
Trnawa aus der nordwestlichen in die
südwestliche Richtung übergeht. Das an-
muthige Trnawathal verlassend, dann am
Patzauerwald vorüber, gelangt die Bahn bis
Wobratain-Cernowitz und durch den langen
Obeina-Einschnitt und nach Uebersetzung des
Leickowbaches nach Kladrub - Porin. Auf
grossem Viaducte das Thal des Chociner-
baches übersetzend, geht die Trace bis
Chejnow. Ausserhalb dieser Station wird aber-
mals auf mächtigem Viaducte der Chejnow-
bach überbrückt und durch Nadelwälder führt
die Bahn thalabwärts bis Dobronitz. Auf
grosser, eiserner Brücke das Thal des
Chotovinskvbaches übersetzend, gelangt die
Bahn durch den Hüttenwald nach Tabor,
wo sie in den Bahnhof der ehemaligen Kaiser
Franz Josef-Bahn einmündet.
Vom Bahnkörper der Hauptstrecke
am Ende des tief unter dem Bahnniveau
gelegenen Jordanteiches abzweigend, geht
die Trace gegen Drazice-Wejrec und durch
viele Einschnitte und über Viaducte nach
Jistebnic-Bazejovic und Sepekau, wo der
Smutnabach [Abb. 161] übersetzt wird,
und weiter über einen mächtigen steiner-
nen Viaduct, der das Thal des Mühl-
hausenerbaches überbrückt, nach Mühlhausen.
Hier wendet die Bahn sich gegen Südwesten
und gelangt über Weselicko-Branic durch
ausgedehnte Waldungen nach JetStitz, hinter
welcher Ortschaft sie eine streng südliche
Richtung nimmt, um dann in scharfer Curve in
der Nähe des Moldautbales nach Norden
einzubiegen. Durch Einschnitte und Wald führt
die Bahn in sanftem Bogen über den berühmten
Cervena -Viaduct [67-4 m hoch], die zweit-
höchste Brücke Oesterreichs, deren Montirung
unter der Leitung Ludwig Huss' zum ersten
Male in Oesterreich ohne Anwendung von
Gerüsten in geradezu genialer Weise durch
die Erste Böhmisch - Alährische Maschinen-
fabrik in Prag durchgeführt wurde. [Abb. 162]*)
Zwei Gedenktafeln an den Pfeilern dieses
Bauwerkes künden in gutgemeinten Reimen
von den Mühen seiner Herstellung:
*) Vgl. auch Bd. II, J. Zuffer: Brücken-
bau, S. 296 und Abb. 159 a und 159 b.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
345
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Abb. 161.
Smutnabach-Viaduct [im Baul. [Böhmisch-Mährische Transversalbahn,
Strecke Tabor-Pisek.]
»Vieles Mannes Wissen,
Vieles Mannes Fleiss,
Vieles Mannes Mühe,
Vieles Mannes Schweiss
Schuf dieses Bauwerk
Hoch und hehr
Zu unser aller Ehr.«
»Fest auf Fels das Fundament,
Starker Stein und gut Cement,
Eisen zäh, Nietung dicht,
Trau auf Gott und schwanke nicht.«
Ueber Wlastetz durch ziemlich bedeu-
tende Einschnitte geht es nach Zahofic und
in weitem Bogen nähert sich die Trace dem
Wottawaflusse, biegt aber in scharfer Curve
wieder nach Südwest, fällt abermals in
scharfer Biegung nach Süden ab, um in
einer grossen Doppelcurve nach Pisek zu
gelangen. Von Pisek geht es in südlicher
Richtung nach Putim, hinter welcher Station
vor der Uebersetzung des Planitzflusses die
Bahn nach Protivin abzweigt, während die
Transversalbahn bis Ra/.ice fortführt, um von
hier aus den Anschluss über Strakonitz
nach Pilsen herzustellen.
Die Theilstrecke H o r a i So w i c-K 1 a 1 1 a u
zweigt von der Hauptstrecke Budweis-Pilsen
bei der Station Horazdbvic-Babin ab. In west-
licher Richtung gelangt die Trace nach Horaz-
d'ovic Stadt und an der Wottawa aufwärts
zur Station Hicic, durch das Wottawathal
nach Zichowic - Räby. [Abb. 163.] Am rechten
Wottawaufer tritt die Bahn mehr in das
coupirte hügelige Terrain und unmittelbar
vor der Station die Wottawa überbrückend,
gelangt sie nach Schüttenhofen. In ziemlich
günstigem Gelände führt die Bahn über Hradek,
Mokrosuk, Kolinec, Malonitz, Nemilkau [Abb.
164] in westlicher, dann in nordwestlicher und
endlich in nördlicher Richtung über Beschin,
Nesnaschau und Teinitzl nach Klattau.
Die Theilstrecke Janowi c-Taus zweigt
bei Janowic aus der Linie Pilsen-Eisenstein
ab und zieht längs des linken Ufers des
Choden-Angelbaches im breiten Thale, hart
am Bache aufwärts. Bald nach Passirung der
Haltestelle Auborsko wendet sie sich nach
Westen, verlässt das Thal und zieht nach
Norden in ein von Nordwest nach Südost
verlaufendes Seitenthal zur Station Putzeried.
Die Bahn hält sich am östlichen Rande des
Thaies und gelangt nach Lautschim. Ein
kurzes Stück nach Westen ziehend, übersetzt
die Bahn die Strasse und beschreibt einen
scharfen Bogen, um am westlichen Thalrande
zur Station Neugedein zu gelangen. In mehr-
fachen Curven zieht sie dann über Kauth
nach Taus, wo der Anschluss an die Böh-
mische Westbahn hergestellt ist.
Herpelje-Triest. Bei den par-
lamentarischen Verhandlungen über die
Arlbergbahn und die Transversalbahnen
hatten die Vertreter Triests ihre
Wünsche, hinsichtlich der Abkürzung des
Weges aus dem Innern der Monarchie
nach Triest und seiner Befreiung von
dem ausschliesslichen Einflüsse der Süd-
bahn, dem Reichsrathe oftmals nahe
gelegt. Sie verlangten die Verbindung
des Emporiums mit der Kronprinz Rudolf-
Bahn. Die Regierung suchte auch diesen
Wünschen nach Möglichkeit gerecht zu
werden. Durch die Lage der Staats-
finanzen gezwungen, sich grosse Zurück-
haltung aufzuerlegen, wollte nun die Re-
346
Ignaz Konta.
gierung zunächst die Strecke Herpelje-
Triest, durch welche der zu Ungunsten
Triests bislang vorhandene Längen-
unterschied gegenüber der Route St. Peter-
Fiume behohen wurde, sogleich auf
Staatskosten sicherstellen, für die Ver-
bindung mit der Kronprinz Rudolf-Bahn
aber die Vorarbeiten bewerkstelligen,
wenn und in dem Masse als ihr die
vorläufig in der Höhe von 40.000 fl.
angeforderten Mittel hiezu zu Gebote
stünden.
Dahin lautete denn auch der Gesetz-
entwurf, den die Regierung am 27. März
1882 dem Reichsrathe vorlegte, doch war in
dem Motivenberichte die Linie Di vaca-Laak
als die Verbindung mit der Kronprinz Ru-
dolf-Bahn schon bestimmt angegeben. Dies
missfiel aber dem Eisenbahn-Ausschusse
des Abgeordnetenhauses, wahrscheinlich
weil er gewillt war, die Entscheidung
über die Richtung, welche der gedachten
Verbindung gegeben werden solle, noch
vollständig offen zu lassen. Er hielt es
für zweckdienlicher, Herpelje-Triest als
eine Zweiglinie der Istrianer Bahn, be-
ziehungsweise als ein von der späteren,
etwaigen völlig selbständigen Verbindung
der Kronprinz Rudolf-Bahn mit Triest
unabhängiges Bauobject zu behandeln.
Um aber doch einen, wenngleich blos
unselbständigen Zusammenhang zwischen
der Kronprinz Rudolf-Bahn und der
neuen Istrianer Zweiglinie und durch
diese mit Triest selbst herzustellen, griff
der Ausschuss zu dem Auskunftsmittel,
welches diesfalls bei der Böhmisch-
Mährischen Transversalbahn zum ersten
Male Anwendung gefunden, d. h. zu
einer Einschaltung in das Gesetz, wo-
nach der Regierung das Recht eingeräumt
wurde, die freie Mitbenützung der Süd-
bahnstrecke Laibach -Di vaöa im Ent-
eignungswege zu erwirken, wenn es
nicht gelingen sollte, dieserwegen bis
zum Ablaufe des Jahres 1884 ein Ueber-
einkommen mit der Südbahn abzu-
schliessen. Doch wurden hiebei jene An-
schauungen berücksichtigt, welche sich
bei der Behandlung des Gesetzes über
die Böhmisch-Mährische Transversalbahn
im Herrenhause geltend gemacht hatten ;
die enteigenbare Mitbenutzung durfte
nur hinsichtlich des Durchgangsver-
kehrs platzgreifen. Auch die beson-
dere Beitragsleistung der Interessenten,
als welche hier die Stadt Triest fungirte,
wurden aus jenem Gesetze herüber-
genommen.
Für die selbständige Verbindung
Triests mit der Kronprinz Rudolf-Bahn
glaubte der Ausschuss genug gethan zu
haben, wenn er eine Resolution bean-
tragte, welche die Regierung zur unge-
säumten Vornahme der hiefür etwa noch
erforderlichen Studien und sodann thun-
lichst baldiger Einbringung entsprechen-
der Gesetzes vorlagen aufforderte. In
dieser Anordnung und Geleitung kam der
Entwurf nach Jahr und Tag — am 5. Mai
1883 — wieder vor das Abgeordneten-
haus und daselbst am 7. Mai, im Herren-
hause am 18. Mai zur Annahme. Die
a. h. Sanction wurde ihm am I. Juni
1883 zutheil.
Die mit drei Jahren bemessene Baufrist
konnte nicht eingehalten werden, weil
Triest die Leistungsfähigkeit der blos
als Secundärbahn projectirten Linie er-
höht wissen wollte, was sowohl an und
für sich als auch mit Rücksicht auf
die gesetzlich festgestellte Bausumme
[3,340.000 fl.] immer neue Studien noth-
wendig machte und die Vergebung der
Arbeiten bis zum 18. September 1885
verzögerte. Ersteher derselben blieb
von neun Offerenten die Unternehmung
A. Bianchi & Comp., welche den Bau
am 26. October 1885 begann, jedoch die
versäumte Zeit unmöglich einzubringen
vermochte. Die Regierung Hess sich
daher den Vollendungstermin um ein
Jahr erstrecken [Gesetz vom 7. Juli 1886];
allein auch dies reichte noch nicht
vollends aus, weil infolge der Cholera die
Arbeiten vom 8. August bis 16. Septem-
ber 1886 eingestellt bleiben mussten.
Die ganze Linie, einschliesslich der erst
zu Beginn des Jahres 1887 in Angriff
genommenen, 2 '8 km langen Rivabahn
von St. Andrea bis zu den Triester Hafen-
geleisen, wurde am 5. Juli 1887, unter
Betheiligung des Handelsministers Frei-
herrn v. Pino und zahlreicher Festgäste
feierlich eröffnet und unmittelbar danach
dem allgemeinen Verkehre übergeben.
Einen Monat früher, am 7. Juni 1887,
kam nach langen und schwierigen Ver-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
347
handlungen der P6age-Vertrag über die
Mitbenützung der Südbahnstrecke Laibach-
Divaca zum Abschlüsse, der in manchen
Stücken von jenem bezüglich der Strecke
Wörgl-Innsbruck [siehe Seite 304] ab-
weicht, z. B. darin, dass der Personen-
verkehr vorläufig ganz der Südbahn über-
lassen, ferner die Peagirung des Güter-
verkehres ohne Doppeldienst, d. h. nur
Im ersten Halbjahre 1889 wurde auf
Rechnung der k. k. Seebehörde die 4/3 km
lange Schleppbahn von Triest [St. Andrea]
zum Petroleumhafen [in St. Sabba] her-
gestellt; ihre Eröffnung fand am 23. Juli
1889 statt. Die gesammte Linie Herpelje-
Triest ist dem Bahngebiete der Istrianer
Bahn [siehe Seite 174] zugezählt, deren
Betrieb schon vom 1. Januar 1883 an
Abb. 162. Montirung des Moldau-Viaductes bei Öervena. [Böhmisch-Mährische Transversalbahn,
Strecke Tabor-Pisek.]
durch die Zugskraft und das Personale
der Südbahn zu bewerkstelligen blieb,
hingegen die Verzinsung und Tilgung
des in der Peage - Strecke investirten
Capitals [20,457.300 fl.] nur mit 5Vi6°/o
bemessen ward, u. s. w. Allein er machte
die Anwendung des Enteignungsverfahrens
überflüssig und ermöglichte auch ohne
dasselbe eine mittelbare Verbindung
der Kronprinz Rudolf-Bahn mit Triest,
welche nunmehr eine zweite von Triest
in das Innere des Reiches führende
Schienenstrasse bildet.
vom Staate selbst übernommen wurde.
Die Baukosten der Linie Herpelje-
Triest haben insgesammt 3,336.584 fl.
oder 155.233 fl. pro Kilometer betragen,
jene der letzterwähnten Schleppbahn be-
liefen sich auf 220.000 fl.
Herne lje-Tri est. Die Bahn hat in der
Station Herpelje-Kozina [49071 m Seehöhe]
ihren Ausgangspunkt, wo sie sofort in das
fast continuirhch bis Triest beibehaltene Maxi-
malgefälle von 3O°/o0 übergeht und in einer
scharfen, gegen Westen ausholenden Curve
das Karstplateau überquerend, sich der steilen
Felslehne des Bottacbaches zuwendet. Halb
348
Ignaz Konta.
in Felsen gehauen, halb auf der Anschüttung
geführt, folgt sie, nachdem sie nun die Haupt-
richtung nach Westen angenommen, der Con-
figuration der Lehne, übersetzt auf einem
20 m hohen gewölbten Viaduct den Nasirski-
Potok, welcher gleichzeitig die Formations-
grenze zwischen dem Karstkalk und dem
thonschieterartigen oberen Eocän bildet. In
ihrem weiteren Verlaufe übersetzt die
Trace zwei grössere Schluchten mit vollen
Dämmen, durchbricht mit einem 16 tu tiefen
Einschnitt den scharf vorgeschobenen Ge-
birgsrücken, übersetzt den Krvavi - Potok
und erreicht Draga, übersetzt sodann den
Skrokelca -Potok auf einem 16 m hohen
gewölbten Viaduct, geht von da wieder in
die Karstformation über, greift in einer
scharfen Wendecurve nach Osten aus und
durchzieht die flache, mit reichem Cultur-
boden bedeckte Seitenthalmulde bei Draga,
um an dieser Ortschaft und — nach einer
abermaligen, der früheren entgegengesetzten
Wendung — auch an der Ruine Tabor vor-
über — wieder das hier einen schluchtartigen
Charakter annehmende Bottacbach-Thal zu
gewinnen. In diesem Zuge hat die Trace alle
Merkmale einer Gebirgsbahn angenommen.
Sie führt hoch über der Thalsohle, in den
Felswänden eingeschnitten [Abb. 165], an
dem Weiler Bottac vorbei, durchbricht in vier
Tunnels von 22 3, 47, 822 und 97'5 m Länge die
vorspringenden Felsköpfe, übersetzt tiefe, mit
Gebirgsschutt ausgefüllte Felsrisse und ge-
langt wieder in die Thonschieferformation,
welche nun nicht mehr verlassen wird. Auf
ihrem weiteren Zuge führt die Bahn durch
einen tiefen Einschnitt unter den Häusern
von Horvati vorbei und erreicht die Station
Borat [21829 Seehöhe]. Die Bahn überschreitet
auf einem 21 m hohen, gewölbten Viaduct
den Potok Zesti, sowie zugleich die Landes-
grenze zwischen der Markgrafschaft Istrien
und dem Gebiete der Stadt Triest, durchbricht
mittels eines 224 m langen Tunnels den Berg-
rücken, übersetzt dann die tief eingerissene
Schlucht des Corrente Longera auf einem 32 in
hohen und 1337 m langen, gemauerten Viaducte
von neun Öeffnungen [6 ä 10, 3 ä 12 m]
[Abb. 166] sowie die Schlucht bei Cattmära
auf einem 12 in hohen, gewölbten Viaduct von
sechs Öeffnungen ä 10 in Spannweite und tritt
hier in das Freihafengebiet von Triest ein.
Sich fortwährend dem coupirten Terrain
anpassend, übersetzt die Bahn unterhalb von
Rosminovic den Posar-Potok auf einem 28 m
hohen, gemauerten Viaducte und vor dem
Weiler Lorencich mittels eines 1333 in langen
und 195 m hohen Viaductes den Srane-
Potok, durchfährt dann in einem tiefen, beider-
seits mit Futtermauern versehenen Einschnitte
den vorgenannten Weiler und erreicht als-
bald die in der Nähe der Friedhöfe gelegene
Haltestelle St. Anna [819 in Seehöhe] und
hernach die reichcultivirte Umgebung der
Stadt Triest, überbrückt die Reichsstrasse
nach Istrien. durchschneidet — nachdem vor-
her noch ein tiefer Einschnitt und ein lang-
festreckter hoher Damm passirt wurde —
ie südliche Spitze des Stadtviertels von St.
Giacomo, in rascher Aufeinanderfolge drei
Strassen auf Eisenconstructionen übersetzend,
nähert sich nun rasch dem Lloyd-Arsenale
und läuft parallel zur Strasse von Servola
in einem über 300 m langen tieferen Ein-
schnitt hin, unterfährt in einem 4b in langen
überwölbten Einschnitte diese Strasse und er-
reicht unmittelbar ausser derselben das 25 m
über dem Meeresspiegel gelegene Stations-
plateau von Triest-St. Andrea, welches zum
grössten Theile erst dem Meere abgerungen
werden musste.
Die am westlichen Ende dieser Station
beginnende Rivabahn umfährt in scharfen
Curven längs der von früher vorhan-
denen Quaimauern die Spitze von St. An-
drea, tangirt das k. k. Artillerie-Arsenal,
durchschneidet die nunmehr zwischen Bahn
und Strasse angeschüttete Sacchetta della
rada und folgt, von da an ins Strassenniveau
gelegt, dem Zuge der langgedehnten Riva,
übersetzt auf einer mit Rücksicht auf den
Eisenbahn-Verkehr umgestalteten und be-
deutend verstärkten eisernen Drehbrücke den
Canal grande und verbindet sich endlich mit
den Geleisen der neuen Hafenanlage am
Südbahnhofe Triest.
Siverie - Knin. [Fortsetzung der
Dalmatiner Bahn.] Zehn Jahre nach der
Eröffnung der Dalmatiner Bahn [siehe
| Seite 198 f.] erhielt die letztere ihre Fort-
! Setzung von Siverie nach Knin, es ge-
schah dies nicht urplötzlich, sondern nach
vielem Drängen seitens der Bevölkerung
und, zum nicht geringen Theile auch
in der Absicht und Hoffnung, den frag-
würdigen Ertragsverhältnissen der alten
Strecken einigermassen aufzuhelfen.
Einen neuen Bittgang um diesen Fort-
setzungsbau eröffnete der Abgeordnete
Dr. Monti mit seinem am 14. November
1 879 diesfalls im Reichsrathe eingebrachten
Antrage, der jedoch schon im Eisenbahn-
Ausschusse zur Ruhe gebettet wurde.
Der Bericht vom 19. December 1879
sagte hierüber : Der Zeitpunkt für den Bau
sei noch nicht gekommen, zuerst seien
gute Strassen nothwendig, damit die Bahn
alimentirt werde. Das stand nun aber
gar nicht im Einklänge mit der anderer-
seits vorgebrachten Klage, dass die [alte]
Bahn unter der Concurrenz des Achs-
fuhrwerkes und der Tragthiere so sehr
zu leiden habe. Des Weiteren wollte
man jetzt, infolge der Occupation Bosniens,
den Anschluss nicht mehr in Ogulin
sondern nach Novi oder Banjaluka
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
349
anstreben, was jedoch gleichfalls nicht
einspruchslos bleiben konnte, weil der
Weg zu jedem dieser Anschlüsse richtiger
Weise über Knin führen musste und es
daher geboten war, vorläufig bis zu
diesem Knotenpunkte fünf wichtiger
Strassenzüge, der zugleich Einbruchstation
des bosnischen Verkehres mit dem Meere
ist, zu gelangen. Die Sache wurde ver-
tagt.
Nun versuchte der Abgeordnete Dr.
Klaic sozusagen den Ausschuss beim
Worte zu nehmen und stellte zu Beginn
des Jahres 1881
den Antrag auf
Verbindung der
Dalmatiner
Bahn mit dem
österreichisch-
ungarischen
Bahnnetze bei
Novi »durch das
Unnathal über
Knin« etc. Al-
lein auch dies
hatte nur die
sehr allgemein
gehaltene Reso-
lution zur Folge:
die Regierung
möge die nöthi-
gen Erhebun-
gen und Verhandlungen pflegen, wie
die gedachte Verbindung hergestellt
werden könnte und »in dem Falle, dass
mit der ungarischen, beziehungsweise
bosnischen Regierung ein Einverständnis
erzielt wird«, entsprechende Anträge zu
stellen. Zugleich wurde auch der alte
Monti'sche Antrag formgerecht abgelehnt
[I.Juni 1881].
Die Dalmatiner fanden hierin natür-
lich nichts weniger denn Beruhigung.
Dr. Monti befragte darum im März 1882
neuerdings den Handelsminister über den
Stand der Angelegenheit und, als der
letztere im Herbste desselben Jahres
Dalmatien bereiste, konnte er im Lande
selbst die dringenden Bitten der Be-
völkerung vernehmen, ebenso aber auch
von den kläglichen Verhältnissen des dort
vorhandenen Bahnrumpfes sich über-
zeugen.
Das verfehlte seine Wirkung: nicht.
Abb. 163. Aufnahmsgebäude der Böhmisch-Mährischen Trans
versalbahn in Zichowic-Räbi.
Kaum heimgekehrt, veranlasste der Han-
delsminister die Vorbereitung eines Ge-
setzentwurfes über die Fortsetzung der
Dalmatiner Bahn nach Knin auf Staats-
kosten, und brachte denselben am 3. März
1883 im Reichsrathe ein. Zur allge-
meinen Ueberraschung verlief die Ver-
i handlung ziemlich glatt. Das Abgeord-
| netenhaus beschloss wieder eine Reso-
lution wegen der zu pflegenden Anschluss-
Verhandlungen mit der ungarischen und
bosnischen Regierung, nahm jedoch den
Gesetzentwurf am 7. Mai 1883 in letzter
Lesung an und
am 5. Juni 1883
erhielt er die
a. h. Sanction.
Wiederholte
Projectsänderun-
gen verzögerten
die Inangriff-
nahme des Bau-
es ; seine Ver-
gebung fand erst
am 7. Septem-
ber 1885 statt,
und zwar an die
von sechs Offe-
renten mindest-
fordernde Unter-
nehmung Alois
[Strecke HorazJowlc-Klattau.] Meichsner
und Julius Dreossi in Sebenico. Die Ar-
beiten begannen am 4. October, nahmen
anfänglich einen normalen Fortgang, be-
gegneten aber später in dem sumpfigen
Inundationsgebiete des Kerkaflusses bedeu-
tenden Schwierigkeiten; es traten daselbst
wiederholt Dammsetzungen ein, welche
eine ausserordentliche Vermehrung der ver-
anschlagten Arbeiten und eine Verlang-
samung des Baues verursachten. Die Er-
öffnung der 197 km langen Strecke fand
am 7. Juni 1 888 statt. Ihre Kosten be-
trugen 1,626.474 fl. °der 82.5630. pro
Kilometer.
Jetzt bleibt abzuwarten, wie bald und
in welcher Weise die Verbindung der
Dalmatiner Bahn mit dem österreichisch-
ungarischen Bahnnetze bewerkstelligt
wird. Die dalmatinischen Abgeordneten
hörten nicht auf, die öffentliche Auf-
merksamkeit für diese Frage rege zu er-
halten.
35°
Ignaz Konta.
Die Trace der Strecke Siveric-Knin als
Fortsetzung der bereits beschriebenen [Seite
203] Linie Spalato — Perkovic-Slivno — Siveric
führt von Siveric über einen Sattel, der die
stellenweise versumpfte Thalebene »Petrovo
Polje« von dem nördlich gelegenen mächtigen
Thalbecken von Knin trennt, zu der am
Fusse des Monte Promina gelegenen Station
Kossowo [243 m Seehöhe]. Die Haltestelle
Kalderma passirend gelangt die Bahn, die
Kerka und unmittelbar auch einen kleinen
Nebenfluss derselben übersetzend, bis Knin.
Stryj -Beskid. Auf den älteren
Theil der Geschichte dieser Linie hier
nochmals näher einzugehen, ist überflüssig,
da er bereits in den ersten Mittheilungen
über die Erzherzog Albrecht-Bahn ent-
halten ist [siehe Seite 134 f.]. Immerhin
mag jedoch daran erinnert sein, dass
diese Gesellschaft den Ausbau der Linie
Stryj-Beskid unterlassen hatte, weil die
im Jahre 1871 schon für gesichert ge-
goltene ungarische Anschluss - Strecke
Beskid-Munkacs nicht zu Stande ge-
kommen war, und dass die Regierung
davon Umgang nahm, die Erzherzog
Albrecht-Bahn zur Erfüllung ihrer con-
cessionsmässigen Verpflichtung zu verhal-
ten, weil eine in den Karpathen endi-
gende Sackbahn .fast keinen Zweck ge-
habt, ihr Bau und Betrieb aber die auch
sonst schon arg bedrängt gewesene Ge-
sellschaft vollends zugrunde gerichtet
hätte.
Eine neuerliche Concessionirung der
Linie Stryj -Beskid nahm die Regierung
anlässlich der im Jahre 1875 geplanten
»galizischen Fusion« [siehe Seite 228] in
Aussicht ; die Ablehnung der bezüglichen
Vorlage vereitelte aber das Vorhaben.
Gleiches geschah auch hinsichtlich der
im Jahre 1881 getroffenen Vereinbarun-
gen mit der Länderbank und der Lem-
berg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn, welche
die Concessionirung der Galizischen Trans-
versalbahn etc. betrafen und ebenfalls
auf die Linie Stryj-Beskid Bedacht ge-
nommen hatten [siehe Seite 330].
Nun Hess aber das gesammtstaatliche
Interesse, welchem hauptsächlich zu
dienen diese Linie bestimmt war und
welchem die vielen russischen Eisenbahn-
bauten eine erhöhte Actualität gaben, ein
weiteres Hinausschieben des wichtigen
Bahnbaues nicht zu. Die Regierungen
beider Reichshälften einigten sich daher
in einem anfangs Februar 1883 abge-
haltenen Ministerrathe zu gemeinsamem
Vorgehen und beschlossen, dass jedes
der beiden Staatsgebiete seinen Theil der
Linie Stryj-Beskid-Munkäcs auf
Staatskosten ausführe.
Oesterreichischerseits, wo das noch
von der Erzherzog Albrecht-Bahn er-
stellte Project vorhanden war, konnte
bald zur That geschritten werden. Das
Handelsministerium Hess dasselbe einer
genauen Ueberprüfung unterziehen und
legte am 2. März 1883 dem Reichsrathe
einen Gesetzentwurf über den Bau der
Linie Stryj-Beskid vor. Die neue Sicher-
stellung dieser Linie begegnete keinem
Widerstände ; die Vorlage wurde sowohl
vom Abgeordnetenhause [8. Mai], als
auch vom Herrenhause [15. Mai] unver-
ändert angenommen und am 7. Juni 1883
a. h. sanctionirt. In Ungarn hingegen
musste erst ein Project ausgearbeitet
werden, was auch die verfassungsmässige
Erledigung der Angelegenheit hinaus-
rückte. Dieselbe erfolgte mittels des
Gesetzartikels VIII vom Jahre 1884
[29. März]. Jetzt erst konnten auch die
Verhandlungen über den Anschlusspunkt
und über die Betriebsführung auf der
Grenzstrecke zu Ende geführt werden.
Die bezüglichen Protokolle vom 7. und
8. Mai 1884 setzten fest, dass die Wech-
selstation auf österreichischem Gebiete
in Lawoczne errichtet, der Betrieb von
der ungarischen Grenze bis dahin aber
mit jenem der ungarischen Linie dienst-
lich vereinigt werden soll, und dass als
spätester Eröffnungstermin der beider-
seitigen Linien der I. April 1887 zu
gelten habe. Wegen der grösseren Länge
des ungarischen Antheiles am Grenz-
tunnel war der Beginn der Arbeiten dort
auf den 1. August 1884, in Oesterreich
aber auf den 1. April 1885 anberaumt.
Die österreichische Regierung Hess
jedoch schon viel früher einzelne Objecte
und den Stollenbau am Beskid-Tunnel
durch die vorläufig bestellten Unterneh-
mungen Fritz Müller & Comp, und
A. Bianchi& Comp, in Angriff nehmen.
Die eigentliche und gesammte Vergebung
des Baues erfolgte am 24. Mai 1885.
Ersteher blieben [von 13 Offerenten] :
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
351
Godlowski & Szymberski rück-
sichtlich der Strecke Stryj-Skole und
M. von Fröhlich rücksichtlich der
Strecke Skole - Beskid ; beide über-
nahmen ihrerseits die Arbeiten anfangs
Juni 1885. In der ersteren Strecke
machten dieselben so rasche Fortschritte,
dass sie binnen Jahresfrist vollendet
waren ; in der zweiten Strecke hingegen
konnten sie wegen der Unwirthlichkeit
der Gegend und der äusserst ungünstigen
klimatischen Verhältnisse nur mühselig
bewältigt werden. Im Beskid -Tunnel
wurde am 20. April mit dem Sohlen-
stollen die Landesgrenze erreicht und
am 29. April 1886 der Durchschlag be-
werkstelligt. Am 4. April 1887 unter-
nahmen die Vertreter des Handelsmini-
steriums und der k. k. General-Direction
der österreichischen Staatsbahnen im
Vereine mit vielen geladenen Gästen
eine feierliche Befahrung der 79*3 km
langen Bahn bis zur Landesgrenze, wo
sie mit den Theilnehmern der ungari-
schen Eröffnungsfeierlichkeiten zusammen-
trafen.
Die Eröffnung der ganzen Bahn für
den allgemeinen Verkehr fand am 5. April
1887 statt. Die Linie Stryj-Beskid[- Mun-
käcs] bildete die dritte über die Karpathen
führende, unmittelbare Eisenbahn-Verbin-
dung zwischen Galizien und Ungarn.
Ihre Kosten stellten sich österreichischer-
seits auf 7,239.887 fl. oder 91.286 fl.
pro Kilometer.
Die k. k. Staatsbahnlinie Stryj-Beskid
muss in baulicher Hinsicht in zwei Linien
gesondert werden, nämlich in die Thalstrecke
Stryj-Lawoczne und in die Gebirgsstrecke
Lawoczne-Beskid [Landesgrenze].
Stryj-Lawoczne. Die in ihrem Zuge
fast ununterbrochen ansteigende Trace die-
ser Strecke zweigt von Stryj ab, verfolgt —
von der südwestlichen Richtung nur wenig
abweichend — das breite und flache Stryjthal,
gelangt zur Station Lubience; übersetzt die
von Strjj nach Munkacs führende Reichs-
strasse, deren Richtung sie bis zur Ueber-
setzung des Stryjflusses beibehält; bald dar-
nach durchbohrt die Trace einen schmalen,
das Stryjthal und das Oporthal scheidenden
Rücken »Miedzybrody« genannt, mit einem
Tunnel von 130 m Länge, übersetzt gleich
hinter diesem Tunnel den Oporfluss und ge-
langt nach Synowödzko wyzne. Von da am
linken Oporufer weiterziehend, passirt sie die
Thalenge von Skole und erreicht sodann
die Station Skole. Unmittelbar nach dieser
Station nimmt die Bahn nun bleibend
ihren Lauf durch das Oporthal, in welchem
der Fluss achtmal sowie mehrere Neben-
bäche auf Eisenbrücken übersetzt und die
Stationen Hrebenöw, Tuchla, Slawsko und
Lawoczne [Abb. 167] erreicht werden, welch
letztere die Grenze zwischen der Thal- und
Gebirgsstrecke bildet.
Lawoczne-Beskid. Diese kurze
Strecke verfolgt weiter das Oporthal und
steigt an dessen linker Lehne zur Station
Beskid [789-9 m Seehöhe] hinan, nach-
dem sie das Oporthal auf einem Viaducte
mit sechs Oeffnungen ä 40 m Lichtweite und
332 m Lichthöhe [Abb. 168], verlassen hat und
in jenes des Popid-ruski-Czertyszbaches über-
gegangen ist, in welchem auch ein Seitenthal
übersetzt wird. Von der Station Beskid an,
etwas mehr westlich schwenkend und an-
steigend, durchbohrt die Trace den zwischen
Galizien und Ungarn lagernden Karpathen-
rücken, hier »Beskid« genannt, mit einem
Tunnel, dessen Länge auf der galizischen
Seite 7l3-56 in beträgt und erreicht bei einer
Höhe von 792191 in über dem Meere die
Landesgrenze, allwo die Bahn an die unga-
rische Linie Munkacs-Beskid anschliesst. Die
Gesammtlänge des Beskid-Tunnels beträgt
I74Ö'56 m.
Die eben besprochenen Neubauten
vermehrten den staatlichen Eisenbahn-
besitz um H28'8 km. Einen weitaus
grösseren Zuwachs erhielt er durch die
im Jahre 1884 vollführten Erwerbun-
gen schon bestandener Privat-
bahnen. Diese Thätigkeit umfasste eines-
theils solche Unternehmungen, welche
sich bereits im Staatsbetriebe befanden,
anderntheils Unternehmungen, die damals
noch ganz selbständig waren.
Zu den ersteren zählte vor Allem die
Kaiserin Elisabeth-Bahn, deren
Betrieb der Staat seit 1. Januar 1882
für seine eigene Rechnung führte und
deren gänzliche Erwerbung schon ver-
möge des Uebereinkommens vom 24. De-
cember 1880 festgestellt war [siehe Seite
288 und 291]. Den Zeitpunkt des Voll-
zuges konnte die Staatsverwaltung
wählen, sobald der Staatsschatz [als
Uebernehmer der gesellschaftlichen Priori-
täts-Schuld] aus den Währungsstreitig-
keiten, welche damals den österreichischen
Bahnen arge Unbill zufügten, keine
Mehrbelastung zu fürchten hatte. Der
vielen vergeblichen Ausgleichs- und sonsti-
gen Versuche zur Gewinnung friedlicher
Beziehungen zu den Prioritäten müde
352
Ignaz Konta.
geworden, unternahm die Gesellschaft
die Convertirung ihrer Silberanlehen
in eine Goldschuld, welche — wie die
Regierung schliesslich genehmigt hatte
[3. Mai 1883] — mit 4°/0 verzinslich
und rücksichtlich der an die Stelle der
alten, binnen 29 Jahren rückzahlbaren
Titel [Emission 1860/62] tretenden Obli-
gationen von 54,417.000 Reichsmark
steuerpflichtig, rücksichtlich aller übrigen,
binnen 73 Jahren rückzahlbaren Obliga-
tionen von 108,291.600 Reichsmark aber
steuerfrei sein sollte. Den Umtausch, bei
welchem nom. 190 Mark für je 100 fl.
gegeben wurden, besorgten die Organe
der Direction für Staatseisenbahn-Betrieb
mit bestem Erfolge. Am 2. Juli 1883
war die Operation im Grossen und
Ganzen vollendet. Im September schritt
dann der Verwaltungsrath um die gänz-
liche Einlösung der Bahn ein, die
nun mittels Kundmachung des Handels-
ministeriums vom 24. Juni 1884 vollzogen
wurde. Die am 4. December 1884 be-
gonnene Liquidation der Gesellschaft
war am 21. December 1887 beendet.
Aus Anlass einer Geldbeschaffung
zum Zwecke der Ausrüstung der Vorarl-
berger Bahn für den ihr mit der Er-
öffnung der Arlbergbahn bevorstehenden
grossen Verkehr, hatte die Verwaltung
der ersteren bei der Regierung eine Er-
höhung der Staatsgarantie, im Rahmen
des ihr schon ursprünglich zugedachten
Garantie-Maximums [siehe Seite 74] nach-
gesucht. Die Regierung willfahrte dem
am 19. October 1883, knüpfte jedoch
hieran [unter Anderem] die Bedingung,
dass die nun auszugebenden 4205 neuen
Obligationen ä 200 fl. Silber einem etwa
aufzunehmenden Convertirungs - Anlehen
nachstehen sollen. Es war also schon
damals an eine Convertirung gedacht,
und zwar vornehmlich im Interesse der
Verhütung eines Währungsrisicos des
Staates im Falle des Ankaufes der Bahn.
Dieser wieder war im Grundsätzlichen
schon durch das Protokoll vom 25. August
1869 [siehe Seite 74] vorbereitet und lag
jetzt nahe, weil die dort angegebenen Vor-
aussetzungen für die Abtretung der Bahn,
nämlich die Ausführung der Arlbergbahn
durch eine andere Unternehmung bereits
zugetroffen und überdies der Staat selbst
jene »andere Unternehmung« war. Die
Regierung hatte denn auch sozusagen in
Fortsetzung der Verhandlungen über die
zuvor erwähnte Capitalsvermehrung,
solche über die Erwerbung der Bahn
eingeleitet. Dieselben führten zum Ab-
schlüsse des Uebereinkommens vom
11. December 1883, das auf folgenden
Hauptpunkten beruhte : Die Staatsverwal-
tung kann vom I.Juli 1874 an die Bahn
wann immer erwerben und übernimmt
dann sämmtliche Verbindlichkeiten der
Gesellschaft, insbesondere der Prioritäts-
Obligationen von insgesammt nom.
8,237.600 fl., zur Selbstzahlung; ferner
gibt der Staat den Actionären für ihre
Titel im Gesammt-Xominalbetrage von
5,988.000 fl., 5%'ge> steuerfreie und bis
längstens 1962 zum vollen Nennwerthe von
200 fl. rückzahlbare Eisenbahn-Schuldver-
schreibungen ; eine Rückzahlung der Garan-
tie- und Betriebsdeficit- Vorschüsse findet
nicht statt; die Gesellschaft ist ver-
pflichtet, ihre Prioritätsschuld nach den
Weisungen der Regierung zu convertiren.
Das Uebereinkommen fand ohneweiters
die Zustimmung der ausserordentlichen
Generalversammlung vom 8. Januar 1 884,
und sodann mittels des Gesetzes vom
8. April 1884 die Genehmigung der
Legislative. *) Währenddessen ging,
vom 1. April an, die an die Boden-
Creditanstalt übertragene Convertirung
vor sich, wobei für je nom. 100 fl. des
5u/oigen, 117 fl. des neuen 4°'0igen An-
lehens gegeben wurden. Durch ver-
schiedene Formalitäten etwas aufgehalten,
übernahm der Staat die Bahn erst Ende
1885 in sein Eigenthum. [Kundmachung
des Handelsministeriums vom 20. De-
cember 1885.] Die Liquidation der Ge-
sellschaft wurde in der Zeit vom 4. Mai
1886 bis 26. Juni 1888 abgewickelt.
Um nicht inmitten des staatlichen
Betriebsnetzes eine blos sequestrirte, also
noch gesellschaftlichen Einflüssen aus-
gesetzte und bedeutende societäre Aus-
lagen verursachende, grosse Privatbahn
auf die Dauer fortbestehen zu lassen,
*) Die Bewilligung zur Uebertragung des
Eigenthums der auf schweizerischem Gebiete
gelegenen Theilstrecken an die österreichische
Staatsverwaltung erfolgte auf Grund des
Bundesbeschlusses vom 31. März 1884.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
353
entschloss sich die Regierung auch zur
käuflichen Erwerbung der Kronprinz
Rudolf- Bahn. Das Handelsministerium
berief also Vertreter der Gesellschaft zur
Wiederaufnahme der bezüglichen Ver-
handlungen, welche schon im voraus-
gegangenen Jahre angeknüpft, jedoch an
der Meinungsverschiedenheit über das
Ausmass der Actionär- Rente gescheitert
waren. Von Seite der Gesellschaft wurden
nämlich zuerst 10 ft, dann 9 fl. 75 kr.
beansprucht, von Seite der Regierung
aber nur 9 fl. zugestanden ; ersteres mit
der Begründung, dass die schwebende
Schuld in we-
nigen Jahren
getilgt sein und
dann die Kür-
zung des Cou-
pons *) aufhö-
ren würde letz-
teres hinwieder
darum, weil für
den Staat nicht
blos die schwe-
bende Schuld,
sondern auch
die ihm bei der
Verzinsung
und Tilgung
der Goldobli-
gationen mög-
licherweise zu-
fallenden be-
sonderenAgio-
Abb. 164. Aufnahmsgebäude der Böhmisch-Mährischen Transversal
bahn in Nemilkau. [Strecke Horazctowic-KIattau.]
lasten in Betracht kämen.
Bei den neuerlichen Verhandlungen
einigte man sich auf den Betrag von
9 fl. 75 kr., und schloss am 11. December
1883 ein Uebereinkommen ab, wonach,
vom 1. Januar 1884 an, die Bahn auf
Rechnung des Staates betrieben, und von
diesem wann immer eingelöst werden
konnte. Bis dahin hatte der Staat die
für den Prioritäten-Dienst und zur Deckung
der Actienrente erforderlichen Beträge
beizustellen, im Falle der Einlösung der
. Bahn aber die gesammte Prioritäts-Schuld
von nom. 57,910.500 fl. in Silber und
25,220.000 fl. in Gold zur Selbstzahlung
zu übernehmen, und den Theilhabern der
Gesellschaft für ihre Actien im Nominal-
*) Vgl. die Tabelle auf Seite 264 und 265.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band. 2. Theil.
betrage von 55,585.800 fl. [inclusive der
schon getilgten] Eisenbahn - Schuldver-
schreibungen im gleichen Nennwerthe zu
übergeben, die mit 43/4°/o verzinslich,
steuerfrei und bis längstens i960 rück-
zahlbar sein sollen. Auch hier ward die
Gesellschaft zur Convertirung der Priori-
täten verpflichtet, von der Rückzahlung
der Garantie-Vorschüsse entbunden, und
ihr die Uebernahme des Personals [wie bei
der Kaiserin Elisabeth-Bahn] zugesichert.
Da die Vorschuss-Schuld sich auf
72,774.987 fl. belief, daher das Actien-
capital um 17,189.1871!. überstieg, durften
die Actionäre, denen gleichwohl ihr Capital
völlig und die Rente nahezu ungeschmälert
erhalten blieb, mit der Verstaatlichung
wohl zufrieden
sein. Sie gaben
denn auch in
ihrer ausser-
ordentlichen
Generalver-
sammlungvom
29. December
1883 dem
Uebereinkom-
men die vollste
Zustimmung.
Nicht so glatt
erging es ihm
im Parlament;
dort wurde die
Garantie-
schuld gar sehr
erwogen, die Höhe der Rente ange-
fochten, und an den wirthschaftlichen
Verhältnissen der Gesellschaft Kritik geübt.
Schliesslich erhielt aber das Ueberein-
kommen auch die legislative Genehmi-
gung. [Gesetz vom 8. April 1884;
s. w. u.] Mittels Erlasses vom 7. Juni
1884 verständigte das Handelsministerium
die Gesellschaft, dass der Betrieb ihrer
Linien fortan und auch rückwirkend auf
die Periode seit 1. Januar 1884 für
Rechnung des Staates geführt wird.
Die Convertirung wurde von den-
selben Geldkräften, zur selben Zeit und
unter den gleichen Bedingungen wie bei
der Vorarlberger Bahn bewirkt, und hiebei
die schwebende Schuld mit 1,633.900 fl.
in das neue 4%ige [Convertirungs-] Silber-
anlehen miteinbezogen, wodurch dieselbe
23
354
Ignaz Konta.
sofort getilgt werden konnte. Ebenfalls
wegen der mannigfachen Förmlichkeiten
[Löschungen, Eintragungen etc.] kam die
Einlösung der Bahn erst 1887 zum Voll-
zuge. [Kundmachung des Handelsmini-
steriums vom 28. August 1887.] Gleich-
wohl muss die Transaction der Verstaat-
Iichungs-Thätigkeitimjahrei884zugezählt
werden. Die Liquidation der Gesellschaft
dauerte zwei Jahre, vom 13. December
1887 bis 11. December 1889.
Vierundzwanzig Stunden nach dem
Abschlüsse der Uebereinkommen über die
vollständige Verstaatlichung der beiden
letztbesprochenen Bahnen waren auch die
Verhandlungen über die Erwerbung
der Kaiser Franz Josef- Bahn
durch den Staat zu Ende gediehen.
Dass diese Bahn nicht lange mehr ein
Privatunternehmen bleiben würde, galt
von dem Augenblicke an, in welchem
das Staatsbahn-System wiedererstanden
war, als ausgemachte Sache ; einmal weil
auch diese Unternehmung die Staats-
garantie erheblich in Anspruch genommen
hatte, und weiters weil seit der Errichtung
des staatlichen Betriebsnetzes die Noth-
wendigkeit, ihm ein selbständiges Ver-
kehrsgebiet in Böhmen zu sichern, sich
von selbst ergab, und die Kaiser Franz
Josef-Bahn nicht nur ein solches bereits
gut betreutes Gebiet besass, sondern mit
ihren bis Prag und Eger reichenden
Linien den Staatsbetrieb in den Stand
setzte, auch »auf die anderen, den Transit
aus und durch Böhmen nach dem Süden,
namentlich den Alpenländern, vermitteln-
den Bahnen sofort einen massgebenden
Einfluss zu üben«.
Wie frühe die Regierung ihr Augen-
merk hierauf gerichtet, das geht aus den
bereits mitgetheilten Massnahmen zur Er-
langung der Berechtigung zur Inbetrieb-
nahme und beziehungsweise baldigen Ein-
lösung einiger böhmischen Bahnen sowie
hinsichtlich gewisser Verkehrsbeziehungen
der Staatseisenbahn-Gesellschaft zu den
k. k. Staatsbahnen und zur Kaiser Franz
Josef-Bahn [siehe Seite 296, 298, 300 und
302] deutlich hervor. Und dass auch die
Bevölkerung die Verstaatlichung dieser
Bahn wünschte, ward durch die einschlä-
gige Resolution desStaats-Eisenbahnrathes
vom 28. April 1883 ausser Zweifel gestellt.
Eigentliche Verhandlungen mit der
Gesellschaft hatten am 27. December
1882 begonnen; dieselben betrafen zu-
nächst die Ueberlassung des Betriebes
an den Staat, gingen aber bald weiter,
nachdem die Delegirten der Gesellschaft
sich nur zu einer sogleich vollständigen
Abtretung der Bahn verstehen wollten.
Aus diesem Grunde, wie auch wegen
des erheblichen Unterschiedes zwischen
der seitens der Regierung angebote-
nen und der gesellschaftlicherseits ver-
langten Actionär - Rente [9-50:1 1*50 fi.]
verliefen die Verhandlungen damals
erfolglos.
Nach Jahresfrist benachrichtigte das
Handelsministerium die Gesellschaft, dass
die Regierung nunmehr geneigt sei, mit
dem Betriebe auch das Eigenthum der
Bahn zu erwerben und bei diesem An-
lasse für eine Prioritäten-Convertirung
zu sorgen, welche jede Belastung der
Actionäre ausschliesse. Die Verhandlungen
wurden also am 26. November 1883 von
Neuem angeknüpft, blieben aber, obwohl
die Regierung jetzt eine Rente von
10-50 fl. anbot, nochmals ohne bestimmtes
Ergebnis. Mit der Zukunft des Unter-
nehmens rechnend, beharrten die gesell-
schaftlichen Vertreter auf einer Rente
von 11 -50 fl. ; die Regierung hingegen
meinte über ihr Angebot nicht hinaus-
gehen zu dürfen, weil selbst in dem
Falle, als die Bahn etwa in der Zukunft
mehr als 5°/o abwerfen sollte, der über-
schiessende Betrag zur Tilgung der hoch
angewachsenen Garantieschuld verwendet
werden müsste, daher für lange Zeit
nicht den Actionären zugute kommen
könnte.
Der Verwaltungsrath ging in seiner
getreuen Wahrnehmung der gesellschaft-
lichen Interessen so weit, dass er auch
die seitens der Regierung gewünschte
Befragung der Actionäre ablehnte, bis
er denselben das richtige »Substrat«,
worunter er hauptsächlich die Zusicherung
der seinerseits angesprochenen Rente ver-
stand, vorlegen könnte. Die Regierung
vermied es, mit Hilfe der im Besitze
ihrer Fonds gewesenen und ihr sonst
noch zur Verfügung gestandenen Actien
die Einberufung der Generalversammlung
zu erzwingen; sie übermittelte der Gesell-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
355
schaft am 30. November 1883 den Ent-
wurf eines Uebereinkommens, erneuerte
hiebei den Wunsch nach Einbe-
rufung der Actionäre, bemerkte aber
ausdrücklich, dass es dem Verwaltungs-
rathe unbenommen bleibe, ihnen seine
etwa von dem Angebote der Regierung
abweichende Ansicht rückhaltslos zum
Ausdrucke zu bringen.
Daraufhin fand am II. December 1883
eine nochmalige Unterhandlung und
mens,*) mit der einzigen Abänderung, dass
der Präclusivtermin für die legislative Ge-
nehmigung des Uebereinkommens eine
Kürzung um sechs Monate erfuhr.
Die Regierung fasste nur dieses und
die mit der Vorarlberger und der Kron-
prinz Rudolf- Bahn abgeschlossenen Ueber-
einkommen in eine Gesetzesvorlage zu-
sammen [wahrscheinlich zur Abkürzung
des Verfahrens] und brachte dieselbe am
22. Januar im Reichsrathe ein. Der Eisen-
mmmBtsofst
#v
Abb. 165. Fels-Partie bei Bottac. [K. k. Staatsbahn Herpelje-Triest.]
Tags darauf der Abschluss des Ueber-
einkommens statt, allerdings noch immer
unter dem Vorbehalte des Verwaltungs-
rathes, seinerseits den Actionären die
Beanspruchung einer 51/2°/o 'Sen Rente in
Vorschlag zu bringen [Protokoll vom
12. December 1883]. Hiezu kam es jedoch
eigentlich gar nicht, weil in der nunmehr
auf den 21. Januar 1884 ausgeschriebe-
nen ausserordentlichen Generalversamm-
lung das Angebot der Regierung einer
jährlichen Rente von 10 fl. 50 kr. zuerst
zur Abstimmung gebracht und sogleich
angenommen wurde, desgleichen der
ganze übrige Theil des Uebereinkom-
bahn-Ausschuss des Abgeordnetenhauses
befürwortete sie und letzteres selbst folgte
dem, wiewohl der Führer der Linken,
Dr. Herbst, dagegen war. Da die finan-
ziellen Verhältnisse der Vorarlberger und
der Kaiser Franz Josef-Bahn wohlge-
ordnete und unanfechtbare gewesen, kehrte
Dr. Herbst sich zumeist gegen jenederKron-
*) Auch dieses Uebereinkommen enthielt
die Bestimmung;, dass der Gesellschaft eine
Pflicht zur Rückzahlung der Garantie- Vor-
schüsse [21,042.356 fl.] nicht mehr obliegt,
sowie dass der Staat das gesammte gesell-
schaftliche Personal unter Wahrung der er-
worbenen Rechte übernehme.
23*
356
Ignaz Konta.
prinz Rudolf-Bahn und gegen das Ausmass
der Rente für die Actionäre der beiden
letztgenannten Gesellschaften. Die Mehr-
heit des Parlamentes stimmte aber der
Vorlage vollinhaltlich zu, die sodann am
8. April 1884 die a. h. Sanction zum
Gesetze erhielt.
Bis dahin hatte die auch mit der
Convertirung der Prioritäten der Kaiser
Franz Josef-Bahn [57,214.400 fl.] betraute
Boden-Creditanstalt diese Operation unter
den gleichen Bedingungen wie bei den
beiden anderen Bahnen bereits zum Voll-
zuge gebracht. [15. Februar bis I. März.]
Die Regierung konnte daher unaufgehalten
zur Durchführung des Uebereinkommens
schreiten. Mittels Kundmachung des
Handelsministeriums vom 29. April wurde
die Uebernahme der Bahn durch den
Staat auf den 1. Mai anberaumt und
mit Erlass vom 31. Mai die Auflösung
der General-Direction der Kaiser Franz
Josef-Bahn, sowie die Unterstellung des
gesammten Unternehmens ab 1. Juli 1884
unter die k. k. Direction für Staats-Eisen-
bahnbetrieb verfügt. Der verdienstvolle
General-Director, Hofrath Heinrich Ritter
von Kogerer, trat in den Ruhestand. Die
Liquidation der Gesellschaft wurde in
der Zeit vom 27. Januar 1885 bis 5. Juni
1888 abgewickelt.
Eine natürliche Folge des Ankaufes
der Kaiser Franz Josef-Bahn war die
Erwerbung der Eisenbahn Pilsen-
Priesen [Komotau] durch den
Staat; denn diese galt schon immer als
eine Ergänzung jener, und bot überdies
dem Staatsbetrieb die Möglichkeit, einen
Einfiuss auch auf ihre vielen Anschluss-
bahnen zu gewinnen. Nebstdem fiel aber
noch ins Gewicht, dass die jüngere der
beiden gesellschaftlichen Linien, nämlich
die von Pilsen nach Eisenstein, ganz aus
Mitteln des Staates erbaut wurde [siehe
Seite 178], der Staat aber gleichwohl einer
Ingerenz auf deren Betriebsführung ent-
behrte und dieser Zustand sich mit dem
neuen System schlecht vertrug.
Das Handelsministerium, welches schon
seit Langem mit der Gesellschaft in Ver-
handlungen über die Regelung ihrer ver-
wickelten Verhältnisse gestanden, kam
nun auf seine bereits mit dem Erlasse
vom 15. Januar 1876 angeregte Ueber-
lassung der ganzen Bahn an den Staat
zurück und zog auch die beiden Priori-
täten-Curatoren den weiteren Auseinander-
setzungen zu. Ausschlaggebend war je-
doch, da die Prioritäten II. Emission
ohnehin zumeist dem Staate gehörten,
die Haltung des Curators der Prioritäten
I. Emission. Dieser war, obzwar er das
mit Ende 1882 abgelaufene Vergleichs-
Uebereinkommen mit der Gesellschaft
[siehe Seite 182] am 20. December 1882
auf die Zeit bis Ende 1892 erneuert hatte
und daher wieder ein Jahrzehnt hindurch
keine Zwangsmittel anwenden konnte,
dennoch wenig willfährig und erst dann
zum Abschlüsse bereit, als die Regierung
sich erbötig machte, jene Prioritäten,
wovon noch nom. 11,940.000 fl. im Um-
laufe waren, zur Selbstzahlung zu über-
nehmen, allerdings nur mit einer von
50/„ auf 4% herabgesetzten Verzinsung.
Auch der Verwaltungsrath machte
anfänglich bedeutende Schwierigkeiten ;
er wollte nur die Linie Pilsen-Eisenstein
ohneweiters abtreten, für die alte Linie
aber den Actionären eine allmählich
steigende Rente zugesichert haben.
Schliesslich kam eine Einigung dahin
zustande, dass die Regierung einen
Zahlungsbetrag von nom. 7,157.600 fl.
in 4°/0igen, steuerfreien und bis längstens
1. Juli 1963 zu tilgenden Staatsschuld-
verschreibungen zusagte und der Gesell-
schaft ihr Braunkohlenwerk, wie auch
die Deggendorfer Schleppbahn sammt
der dortigen Umschlagsanlage und die
damit zusammenhängende Schiffahrts-
Unternehmung beliess. Letztere, die »Süd-
deutsche Donau- Dampfschiffahrt«,
hatte ihre Thätigkeit am 20. März 1883
begonnen und sollte, zum Zwecke der
Hebung des Verkehres auf den gesell-
schaftlichen Linien, die über dieselben
nach Deggendorf verfrachtete böhmische
Braunkohle donauabwärts nach Wien,
Budapest etc. bringen. Der Werth
dieser Investitionen war Ende 1883 mit
2,186.412 fi. ausgewiesen.
Der als Aequivalent für die Ver-
zinsung seines Besitzes an gesellschaft-
lichen Prioritäten II. Emission dem
Staate zukommende Antheil an den an-
gesammelten Erträgnissen der Linie Pilsen-
Eisenstein [sammt Zinsen im Ganzen
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
357
1,511.274 fl.] wurde vergleichsweise auf
1,310.000 fl. festgesetzt und der Gesell-
schaft zur Barzahlung am I. Juli 1884
aufgegeben. Auf seine übrigen Rechte
als Gläubiger der Gesellschaft, sowohl
hinsichtlich der Bauvorschüsse von
7,000.000 fl., als auch hinsichtlich der
übernommenen Prioritäten II. Emission
im Betrage von nom. 10,499.850 fl.,
leistete der Staat Verzicht. Wegen der
358
Ignaz Konta.
Uebernahme des Personals ging er
analoge Verpflichtungen ein, wie bei
den vorausgegangenen Verstaatlichungen.
Die Menge und verwickelte Natur
der Verhandlungspunkte zogen die ein-
verständliche Erledigung derselben in die
Länge, so zwar, dass der Abschluss des
Uebereinkommens erst am 26. April 1884
erfolgte. Jetzt musste aber auch noch
die Zustimmung der Actionäre und
Prioritäre eingeholt werden. Das geschah
in der ausserordentlichen Generalver-
sammlung vom II. Mai und in der Ver-
sammlung der Prioritäre [I. Emission]
vom 1 5. Mai ; rücksichtlich der Prioritäten
II. Emission, die ohnehin zumeist [87-5°/0]
im Besitze des Staates waren, ertheilte
die Curatel-Behörde gleich am 8. Mai
den Zustimmungsbescheid. Nun erst war
die Angelegenheit auch zur legislativen
Behandlung reif.
Diese ging überraschend schnell von
statten. Der bezügliche Gesetzentwurf
wurde am 17. Mai im Reichsrathe ein-
gebracht und erhielt bereits am 8. Juni
1884 die a. h. Sanction. Ebenso rasch
gelang die Durchführung des Gesetzes.
Am 15. Juni erliess das Handelsministe-
rium die Kundmachung, dass die Bahn
vom Staate übernommen sei, und am
1. Juli 1884 ging dieselbe in die Ver-
waltung der k. k. Direction für Staats-
Eisenbahnbetrieb über.
Bei diesem Anlasse trat der gesell-
schaftliche Director, kaiserlicher Rath
Karl Claudy, der, als Nachfolger des
früheren Directors Karl Hladik, im Jahre
1879 die Leitung der Geschäfte über-
nommen hatte, in den Ruhestand und
wurde mit dem Titel eines Regierungs-
rathes ausgezeichnet.
Die Convertirung der Prioritäten
I. Emission vollzog sich in der aller-
einfachsten Weise, nämlich durch blossen
Umtausch der 5°/0igen Obligationengegen
die gleiche Anzahl der neuen 4°/0igen,
abzugfreien Titel [15. December 1884
bis 15. Januar 1885]. Der nicht im Be-
sitze des Staates gewesene Theil der
Prioritäten II. Emission [1,500.000 fl.]
wurde mittels eines gleich hohen Betra-
ges der als Entgelt für die alte Linie
herausgegebenen Staatseisenbahn-Schuld-
verschreibungren eingelöst.
Dadurch verblieben der Gesellschaft
von diesem Entgelte nur noch nom.
5,657.600 fl. ; hieraus musste sie die
schwebende Schuld tilgen, welche Ende
1883 mit 3,936.803 fl. zu Buche stand.
Falls dies zum vollen Werthe geschah,
erübrigten dann für jede der 60.000
Actien ä 150 fl. etwa 30 fl. Ausserdem
hatten sich dieselbe in den Werth der
vorerwähnten, im Besitze der Gesellschaft
verbliebenen Investitionen zu theilen. Die
Liquidation fand in der Zeit vom 5. Januar
1885 bis Ende November 1887 statt. Die
Curatel hörte am 7. April 1887 auf.
Mit der Eisenbahn Pilsen-Priesen
[Komotau] ging auch die 9^9 km lange
Kohlenbahn Littitz-Nürschan in
das Eigenthum der Staates über. Die-
selbe setzte sich aus verschiedenen in
den Jahren 1867 und 1870 erbauten
Schleppbahnen zusammen, welche seitens
der Gesellschaft im Jahre 1877 ange-
kauft und in den Jahren 1877 und 1881
weiter ausgestaltet wurden. Die staat-
liche Eisenbahn- Verwaltung hat dieselbe
vom 1. Januar 1887 an den öffentlichen
Bahnen zugezählt.
Nach dieser grossen Ausbreitung des
staatlichen Bahngebietes in Böhmen, trug
die Regierung Sorge, demselben auch
den Weg bis an die Elbe und zu dem
für viele Verkehrsrelationen, insbesondere
den Transit zwischen Triest und den
nördlichen Hafenplätzen wichtigen Aus-
gangspunkt Bodenbach zu erschliessen.
Sie bediente sich hiezu der beiden Dnxer
Bahnen, deren Uebernahme in den Staats-
betrieb, allerdings erst vom I. Januar
1886 an, schon in dem Uebereinkommen
vom 26. April 1884 [siehe Seite 302] vor-
gesehen und genau umschrieben war — ■
und liess die k. k. Direction für Staats-
Eisenbahnbetrieb, ein zeitweiliges Ueber-
einkommen mit der Dux- Bodenbacher
und mit der Prag-Duxer Bahn treffen
vermöge dessen dieselben schon vom
I.Juli 1884 an in den Staatsbetrieb
übergeben wurden. Diese Abmachung
erfolgte am 17. Mai 1884 für die Zeit
bis zum I.Januar 1886,*) binnen welcher
die legislative Genehmigung des erst-
*) Am 7. December 1885 fand die ein-
vernehmliche Hinausrückung dieses Termines
um sechs Monate statt.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
359
erwähnten Uebereinkommens erwirkt wer-
den sollte. Da aber auch während des
Provisoriums der Betrieb nicht für Rech-
nung des Staates zu gehen hatte, blieb
den Verwaltungen der beiden Gesell-
schaften noch eine erkleckliche Einfluss-
nahme eingeräumt und ihrem Director,
Johann P e c h a r, der überdies zum Leiter
des Prager k. k. Oberamtes ausersehen war,
die unmittelbare Versehung des Dienstes
noch weiter übertragen.
Das Anwachsen des staatlichen Be-
triebsnetzes rückte die Frage, ob und
inwiefern seine Verwaltung einer Aende-
rung zu unterziehen sei, in den Vorder-
grund. Die Nothwendigkeit einer Neu-
einrichtung stand bald allenthalben ausser
Zweifel, über die Art derselben gingen
jedoch die Meinungen weit auseinander.
Die nationalen Parteien wünschten und
auch Fachmänner befürworteten eine
Theilung mindestens nach zusammen-
hängenden Complexen. Dieser Gedanke
schien wirklich Anklang gefunden zu
haben ; denn geraume Zeit war viel davon
die Rede, dass zwei Verwaltungstellen,
eine für das westliche, die andere für
das nordöstliche Netz errichtet werden.
Man bekam sogar schon die Namen von
Persönlichkeiten zu hören, welche für die
Leitung des letzteren in Betracht kämen.
Von anderer einfiussreicher Seite, die hie-
bei auch im Kreise der damals bestandenen
Verwaltungsstelle kräftige Unterstützung
gefunden, wurde jedoch das Festhalten
an der Einheitlichkeit des ganzen Orga-
nismus und seiner Vorstehung so ernst
und dringend als unerlässlich bezeichnet,
dass dies schliesslich massgebend blieb
und allen widerstrebenden Anstrengun-
gen ein Ziel setzte.
Das am 8. Juni 1884 a. h. genehmigte
und mittels Verordnung des Handels-
ministeriums vom 23. Juni 1884 verlaut-
barte Statut für die neue Organi-
sation der Staatseisenbahn-Ver-
waltung bestimmte nämlich, dass >die
Führung des Betriebes auf den in eigener
Verwaltung des Staates befindlichen
Staatsbahnen und vom Staate betriebenen
Privatbahnen, wie auch die Führung des
Staatseisenbahnbaues unter der Ober-
aufsicht des Handelsministers, durch eine
demselben unmittelbar unterstehende ein-
heitliche Dienststelle erfolge, welche un-
abhängig von den sonstigen Eisenbahn-
Agenden des Handelsministeriums fungirt,
die Bezeichnung: K. k. Genera 1-
Direction der österreichischen
Staatsbahnen führt, und in den An-
gelegenheiten ihres Geschäftskreises als
Executiv - Organ des Handelsministers
fungirt«. Im Sonstigen lehnte sich das
Statut an die bereits in den Grundzügen
für die erste Organisation aufgestellten
Principien an, gab aber — wie anderen
Orts ausführlich dargethan ist *) — der
neuen leitenden Dienststelle eine grössere
Selbständigkeit und einen wesentlich
erweiterten Wirkungskreis, und machte
den Staat s-E isenbahnrath, der vor-
dem einen Theil der Central- Verwaltungs-
stelle bildete zu einem dem Handels-
minister beigegebenen Berathungskörper.
Die Versehung des äusseren Dienstes
übertrug die neue Anordnung eigenen,
der k. k. General - Direction untergeord-
neten Dienststellen, und zwar die Leitung
des localen Betriebsdienstes den k. k.
Eisenbahn-Betriebsdirectionen,
die Besorgung des Traject- und Schiff-
fahrtdienstes auf dem Bodensee der k. k.
Bodensee- Schiffahrts-Inspection
und die Ausführung neuer Staatsbahnen
den k. k. Bauleitungen.
An die Spitze der k. k. General-
Direction wurde mit a. h. Entschliessung
vom 12. Juli 1884 der bisherige Präsident
der Direction für Staats - Eisenbahnbetrieb,
Alois Freiherr Czedik v. Bründels-
b e r g, berufen. Dann folgte die Besetzung
der übrigen höheren Posten [Directoren,
General - Directionsräthe etc.] und am
1. August 1884 begann die neue Ver-
waltung ihre Thätigkeit, nachdem das
Handelsministerium ihre Activirung sowie
zugleich die Auflösung der k. k.
Direction für Staats-Eisenbahn-
betrieb und der k. k. Minis terial-
Commission für die Verwaltung der
Mährischen Grenzbahn und der galizi-
schen Linien, mittels Kundmachung vom
*) Vgl. den Abschnitt »Verwaltungs - Ge-
schichte der österreichischen Eisenbahnen«
von Dr. Alfred Freiherr v. Buschman; sowie
auch: Dr. Theodor Haberer »Das österrei-
chische Eisenbahnrecht« [Wien 1885] und
Ko n t a'sEisenbahn-Jahrb.Jahrg.X VIII, S.201 ff.
360
Ignaz Konta.
27. Juli 1884 verfügt und verlautbart
hatte. *)
Seit dem Anbeginne der zweiten Hälfte
des Jahres 1884 also stand Oesterreich,
nach manchem Schwanken in Sachen der
Verstaatlichung und nachdem es dann
viele Mühen und Opfer auf sie ver-
wendet hatte, im Besitze eines grossen,
mehrentheils geschlossenen und die Haupt-
adern des Verkehres mit dem Westen
umfassenden, staatlichen Betriebsnetzes,
welches mit seinem noch zu Ende des-
selben Jahres erreichten Umfange von
mehr als 5100 &w« ein gebietender Factor
in den volkswirtschaftlichen, verkehrs-
und handelspolitischen Fragen war.
Man glaubte nun, dass ihm selbst,
wie nicht minder der staatsfreundlichen
Strömung, der er, nach den vortrefflichen
Ausführungen eines unserer hervor-
ragendsten Reichsboten, **) sein Entstehen
hauptsächlich verdankte, Schwerkraft ge-
nug innewohne, um eine nochmalige Ab-
weichung im Entwicklungsgänge des
neuen Systems zu verhindern. Doch
gleich die nächste, allerdings harte Probe
führte zum Beweise des Gegentheils.
Der herannahende Ablauf des Privi-
legiums der ältesten und mächtigsten
Locomotiv-Eisenbahn der Monarchie —
der Kaiser Ferdinands-Nordbahn
■ — heischte baldige Entscheidung über
die Zukunft dieses Unternehmens. Die
eigenen Interessenten desselben strebten
die Erneuerung des Privilegiums an, die
Bevölkerung wünschte sein Aufhören her-
bei und im Reichsrathe hatten sich schon
frühzeitig Stimmen für die Verstaatlichung
erhoben. Die erste einschlägige An-
regung ging anlässlich der Budgetdebatte
am 16. Mai 1881 von dem Abgeordneten
Friedmann aus. Für die Regierung mag
es gewiss auch verlockend gewesen sein,
die gute Gelegenheit zu nützen und die
ertragreichste, überdies mitten zwischen
den beiden staatlichen Betriebsnetzen ge-
legene Eisenbahn für den Staat zu erwerben.
*) Die Auflösung der k. k. Direction für
Staatseisenbahnbauten erfolgte erst nach
der Vollendung der Arlbergbahn, nämlich
am 1. October 1884.
**) »Die Verstaatlichung der Eisenbahnen
in Oesterreich von Dr. Josef Kaizl, Professor
an der k. k. Böhmischen Karl Ferdinands-
Universität in Prag« [Leipzig 1885].
Allein beim näheren Hinzusehen fand sie,
dass einem solchenVorhaben viele, mitunter
sogar kaum zu überwindende Schwierig-
keiten entgegen stünden.
Zu den bedeutendsten derselben
zählten : erstens die eigentliche Rechts-
frage, die darin wurzelte, dass der Artikel
10 des Privilegiums vom 4. März 1836*)
die Erneuerung desselben verhiess, wenn
die Unternehmung sich »als nützlich be-
währt hätte« — was die Gesellschaft
natürlich behauptete, aber auch durch eine
pragmatische Geschichte der Entwicklung
und der Leistungen der Kaiser Ferdinands-
Nordbahn unter Beweis stellte ; zweitens
die Frage, wie der Werth der »Real-
und Mobiliar-Zugehörungen, mit welchen
die Gesellschaft »als Eigenthümer frei
schalten konnte« [ebenfalls Artikel 10],
bei der etwaigen Ablösung zu ermitteln
sei. Die Fachliteratur und neben ihr die
mannigfachsten Berufskreise beschäftigten
sich eingehendst mit diesen Fragen ; das Er-
gebnis der Erörterungen war aber nur einer
Reihe von einander widersprechenden
Schlussfolgerungen, wiewohl sie zum
Theile von gelehrten Körperschaften —
beispielsweise vom juridisch-politischen
Lesevereine, der schon am 9. Februar 1881
das Aufhören oder den Fortbestand der
Nordbahn-Gesellschaft in den Kreis seiner
»Besprechungen« gezogen hatte — oder
sonst berufenen Fachmännern ausgingen.
Die einen bejahten, die anderen ver-
neinten entschieden, dass der Gesellschaft
ein Recht auf Erneuerung des Privilegiums
zustehe; und hinsichtlich des Bahneigen-
thumes, das so ziemlich allgemein der
Gesellschaft unbestritten zuerkannt wurde,
wollte man einerseits den vollen Ge-
brauchs- und Nutzwerth, andererseits
blos den Bruchwerth und auf dritter
Seite einen im Enteignungswege festzu-
stellenden Schätzungswerth gelten lassen.
Während so dieser Meinungsstreit
immer weiter um sich gegriffen, ent-
brannte auch jener über die Vortheile
der Belassung der Nordbahn als Privat-
Unternehmen oder ihrer Verstaatlichung,
wobei nach den verschiedenen Partei-
standpunkten das Lob der Gesellschaft
gesungen oder die Schädlichkeit ihres
*) Siehe Bd., I, 1. Th., S. 134 u. ff.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
361
Monopols arg beklagt wurde. Letzteres
geschah insbesondere auf Seite vieler
Handelskammern, Industriellen und sonsti-
gen Kohlen-Consumenten und des Ge-
meinderathes der Reichshauptstadt.
Die beiden Hauptbetheiligten hatten
sich jedoch die ganze Zeit über zuwartend
verhalten und blos Rechtsgutachten ein-
geholt. Die Regierung bestellte eine
eigene, aus Vertretern der Ministerien
des Handels, der Finanzen und der Justiz
zusammengesetzte Ministerial-Commission
zur Prüfung der rechtlichen Tragweite
des Nordbahn-Privilegiums. Das von dieser
erstattete Gutachten besagte im Haupt-
sellschaft, indem sie der Regierung am
16. Mai ein auf den vorerwähnten Ar-
tikel 10 gestutztes Gesuch um Erneuerung
des Privilegiums überreichte. Dem waren
Veränderungen in der gesellschaftlichen
Direction vorausgegangen. Der nach dem
Rücktritte des Präsidenten Josef S tu m m e r
Ritter von Traunfels, der diesen
Posten seit 1843 inne hatte, zu dessen
Nachfolger gewählte Simon Freiherr
von Winterstein [1882], schied
gänzlich aus der Direction, ebenso alsbald
auch der Freiherr M. von Königs-
warter. Dass dies mit der angestrebten
Lösung der »Nordbahnfrage« in Zu-
Lawoczne. [K. k. Staatsbahn Stryj-Beskid ]
sächlichen : Die Bahn gehört nach dem
Ablaufe des Privilegiums unbestreitbar
der Gesellschaft ; aus demselben folgt
jedoch keineswegs, dass die Staatsverwal-
tung verpflichtet ist, das Privilegium
ohneweiters zu verlängern, sondern die
Berechtigung hat, an seine Wiederver-
leihung Bedingungen zu knüpfen und,
wenn eine Einigung nicht zustande komme,
entweder die Bahn selbst zu betreiben
oder durch Andere betreiben zu lassen,
nachdem der gesellschaftliche Besitz im
Wege des freien Uebereinkommens oder
mittels Enteignung erworben worden ist.
Der Weg der Vereinbarung war es
denn auch, den beide Betheiligten nachher
einschlugen, die Regierung jedoch nicht
um die Bahn sogleich zu erwerben, son-
dern um die strittigen Punkte durch klare,
bündige Vertragsbestimmungen voll-
kommen zu ordnen und so den künftigen
zwistlosen Heimfall der ganzen Unter-
nehmung an den Staat vorzubereiten.
Betreten wurde dieser Weg im Jahre
1883; den ersten Schritt machte die Ge-
sammenhang stand, wollte nicht zu-
gegeben werden. Unbestritten blieb
jedoch, dass der neue Vicepräsident [und
vom Jahre 1884 an Präsident], Julius
Herz, sowie das neugewählte Directions-
Mitglied Dr. Philipp Mauthner,
welche beide die Gesellschaft bei den
Verhandlungen mit der Regierung ver-
treten haben, Vertrauenspersonen des
Hauptactionärs der Gesellschaft, nämlich
des Hauses Rothschild wären.
Beiläufig ein Jahr lang hatten die
Verhandlungen gedauert, ehe ihre erste
Frucht — das Uebereinkommen vom
IO. April 1884 — das Tageslicht er-
blickte. Seine Bestimmungen gingen im
Wesentlichen dahin, dass die Gesellschaft
eine neue, das gesammte Netz als eine
einheitliche Unternehmung umfassende
Concession auf die Dauer von achtzig
Jahren [bis 31. December 1965] erhält,
hingegen der Staatsverwaltung die volle
Ausübung der Aufsicht sowie das Recht
einräumt, das ganze Netz vom 1. Januar
1904 an jederzeit einzulösen [unter den
3Ö2
Ignaz Konta.
üblichen Bedingungen], ferner dass die
Nordbahn sich verpflichtet : das gesammte
Actiencapital innerhalb der Concessions-
dauer zu tilgen,*) die Garantie- Vorschüsse
für die Mährisch-Schlesische Nordbahn
[7,655.657 fl. nebst Zinsen] — unbeschadet
des allerdings nur bedingten Fortbestandes
der Staatsgarantie — sogleich zurück-
zuzahlen, die Tarife der westlichen Staats-
bahnen und überdies für Kohle einen be-
sonderen Zonentarif einzuführen, alle Tarife
und Refactien zu veröffentlichen, die
fehlenden Strecken der Linie von Bielitz
über Teschen und Wall.-Meseritsch bis zur
Böhmisch - Mährischen Transversalbahn,
wie auch einen Circumvallationsflügel
bei Krakau zu erbauen, innerhalb der
nächsten zehn Jahre die Summe von
10,000.000 fl. auf den Bau von Local-
bahnen zu verwenden, allen Ansprüchen
aus dem Privilegium zu entsagen u. s. w.
Die Actionäre der Kaiser Ferdinands-
Nordbahn hatten in ihrer ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 7. April
1884, unter bitteren Klagen über die ihr
auferlegten drückenden Bedingungen,
also gleichsam nur der Macht weichend,
das Uebereinkommen gutgeheissen und
den von einem Opponenten gestellten
Antrag auf Einsetzung eines Actionär-
Comites zur Ueberprüfung des Ueber-
einkommens abgelehnt.**) Die Regierung
ihrerseits meinte das Beste gethan und
erreicht zu haben; denn das Ueberein-
kommen entwirrte die verwickelte Rechts-
frage, bereitete den lastenfreien Heimfall
wie auch eine regelrechte Einlösung der
Bahn vor und brachte dem Staate zu-
*) Bislang hatte eine Actien-Tilgung nicht
stattgefunden, weil die Bahn sammt den
Zugehörungen nach Ablauf des Privilegiums
Eigenthum der Gesellschaft blieb.
**) Derselbe Antragsteller, Ed. Beer,
schlug auch vor, es möge mit Rücksicht
darauf, dass »die Actionäre heute vielleicht
zum letzten Male auf Grund des alten Privi-
legiums tagen, des Gründers der Nordbahn
in einer würdigen Weise gedacht und be-
schlossen werden: es sei als Servitut des
Nordbahnhofes grundbücherlich zu ver-
zeichnen, dass das Standbild weiland Salomon
y. Rothschild's den Platz, welchen es jetzt
im Bahnhofgebäude einnimmt, für immer-
währende Zeiten einnehmen soll«. Dieser
Vorschlag wurde mit Stimmeneinhelligkeit
zum Beschlüsse erhoben.
gleich noch andere Vortheile wirthschaft-
licher und finanzieller Art ein.
Nicht so zufrieden gaben sich die
vielen Gegner der Gesellschaft und der
Privatbahnen überhaupt, und noch weniger
das Parlament, dem das Uebereinkommen
am 24. April vorgelegt wurde. Selten
noch begegnete eine Vorlage solchen
Anfeindungen und Gegenströmungen und
die Folge dayon war, dass der Eisen-
bahn-Ausschuss sich nicht sowohl mit
ihr selbst als mit den andrängenden An-
trägen auf Verstaatlichung oder Abschluss
eines neuen günstigeren Uebereinkommens
beschäftigte. Durch die Vertagung des
Reichsrathes wurde das Uebereinkommen
übrigens gegenstandslos, da die Gesell-
schaft nicht weiter gebunden war, wenn
es nicht bis 1. Juli 1884 die legislative
Erledigung erlangte.
Die ganze Frage stand nun wieder
auf dem alten Punkte und die Gesell-
schaft abermals vor einem ungewissen
Lose; ihre Theilhaber nahmen in der
Generalversammlung vom 25. Juni 1884
eine förmliche Kampfesstellung gegen
die Anfeindungen der Gesellschaft ein
und erklärten unumwunden, sich in der
Vertretung ihrer Rechte durch keinerlei
Hetze beirren zu lassen. Draussen breiteten
sich aber sowohl die Bewegung zu
Gunsten der Verstaatlichung als auch
jene Erscheinungen aus, welche der An-
gelegenheit schliesslich auch noch einen
ausgesprochen politischen Anstrich gaben.
Die förmliche Zurückziehung der ersten
Vorlage erfolgte am 4. December 1884.
Inzwischen hatte die Regierung ein
neuerliches Rechtsgutachten von »autori-
tativer juristischer Seite«, nämlich von
dem Präsidium des Obersten Gerichts-
hofes eingeholt. Dasselbe kam in seinen
streng sachlichen Darlegungen zu dem
Schlüsse, dass die Gesellschaft auch nach
dem Ablaufe des Privilegiums Eigen-
thümerin der Privilegiallinien bleibt, der
Staat aber im Principe berechtigt sei, sie
zum Zwecke ihres ungestörten Fort-
betriebes auch im Wege der Expropriation
zu erwerben ; nur müssten die Normen,
wann und in welcher Weise die Ent-
eignung bestehender Eisenbahnen über-
haupt platzgreifen kann, erst durch ein
; Gesetz festgestellt werden, dessen Be-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
363
Stimmungen jedoch keineswegs gegen
die Vorschriften des allgemeinen bürger-
lichen Gesetzbuches Verstössen dürften,
wonach der Enteignete für alle durch die
Enteignung erlittenen vermögensrecht-
lichen Nachtheile schadlos zu halten ist.
Dieses Gutachten nun, dessen Ver-
öffentlichung auch die Wogen des
Meinungskampfes wesentlich glättete, be-
stärkte die Regierung in ihrer Ansicht,
dass die Erwerbung der Nordbahn unter
den bisherigen Rechtsverhältnissen, in
Rücksicht auf den Staatsschatz, nicht
geboten sei — und bestimmte sie, neuer-
liche Verhandlungen mit der Nordbahn
zu eröffnen. Bei diesen hatte für die
Gesellschaft schon ihr neuer General-
Secretär, Regierungsrath Richard J e i t-
t e 1 e s [bis dahin Vorstand der Ab-
theilung für Garantie - Abrechnungs -
wesen bei der k. k. General - Inspection
der österreichischen Eisenbahnen], mit-
gewirkt, der am 1. October 1884 in die
Dienste der Kaiser Ferdinands - Nordbahn
übertrat und zuerst den damals in den
Ruhestand übernommenen, altgedienten
General-Secretär, Hofrath J. Ritter von
Jacobi, ersetzte, nachher aber zum Ge-
neral-Director aufstieg.
Am 10. Januar 1885 kam ein zweites
Uebereinkommen zustande, welches sich
von dem früheren hauptsächlich in Fol-
gendem unterschied: Die Dauer der zu
ertheilenden einheitlichen Concession endet
schon am 31. December 1940, also um
25 Jahre früher; bis dahin müssen nicht
blos das Actiencapital, sondern auch die
Prioritäts-Anlehen getilgt sein; die Ge-
sellschaft bezahlt dem Staate den Betrag
von 1,314.732 fl. als Aequivalent für den
Aufschub des Heimfallrechtes an den
Strecken Floridsdorf-Jedlesee, Gänsern-
dorf-Marchegg und Oderberg- Annaberg ;
die gesammte Tarifbestimmung ist dem
Staate vorbehalten ; alle Tarife [daher
jetzt auch die Personen tarife] werden
vom Handelsministerium nach den Sätzen
der westlichen Staatsbahnen festgesetzt,
doch soll dabei in Betracht kommen, dass
der Reinertrag der öffentlichen Bahnen
nicht unter jenen Betrag sinke, der einer
Dividende von 1 1 2 fl. für jede der 74.5 1 1 1/i
Actien entspricht; das dem Staate einge-
räumte Peagerecht wird auch auf die bis
Brunn führende Strecke der Mährisch-
Schlesischen Nordbahn ausgedehnt ; die
Gesellschaft baut nebst den früher be-
stimmten fünf noch weitere fünf Local-
bahnen u. s. w.
Nachdem die Nordbahn - Direction
diesmal davon abgesehen hatte, das
Uebereinkommen schon vor seiner legis-
lativen Behandlung vor die Actionäre zu
bringen, konnte es unverweilt dem Ab-
geordnetenhause vorgelegt werden. [20.
Januar 1885.] Die Aufnahme daselbst
war wieder keine freundliche ; die Mehr-
heit des vorberathenden Eisenbahn-Aus-
schusses kam zwar bald von der Ver-
staatlichung ab, gab aber noch manchen
Bedenken Raum, die eine abermalige
Abänderung zu Ungunsten der Gesell-
schaft nach sich zogen, so namentlich
die Begrenzung der Dividende mit 105 fl.,
nachher sogar nur mit 100 fl., und die
Ueberlassung der Hälfte des darüber
hinausgehenden Reinertrages an den
Staat. Die Minorität des Ausschusses
war jedoch auch damit noch nicht zu-
frieden, setzte sich noch weiter für die
Verstaatlichung ein und bekämpfte die
Vorlage auch im Vollhause, wo sie am
21. März 1885 zur Berathung gelangte.
Die Debatten waren überaus erregte.
Als Hauptkämpfer standen sich die beiden
Berichterstatter des Ausschusses gegen-
über, für die Majorität Dr. v. Bilinski,
für die Minorität Dr. Herbst; ausser-
dem sendeten die beiden Parteien noch
andere ihrer gewiegtesten Redner ins
Treffen. [Dr. Rieger, Dr. Russ etc.] Der
Kampf währte vier Sitzungen hindurch,
da immer noch neue Anträge vorgebracht
und erörtert wurden, hauptsächlich in
Betreff der Kohlentarife und der Rech-
nungslegung. In der denkwürdigen Abend-
sitzung vom 27. März 1885 kam es zur
Abstimmung; dieselbe ergab die An-
nahme der Vorlage, der am 20. April
auch das Herrenhaus zustimmte.
Nun hatte die Gesellschaft sich zu
entscheiden. Das geschah in der gleich-
falls denkwürdigen ausserordentlichen
Generalversammlung vom 20. August
1885. Bis dahin hatte die Direction
sich selbst in der neuen Sachlage zurecht-
gefunden, die Anträge für die Actionäre
vorbereitet und die letzten Vereinbarungen
364
Ignaz Konta.
mit der Regierung getroffen. Diese kamen
am 17. Juli zum Abschlüsse und hatten,
nebst den Entwürfen der Concessions-
Urkunden für das künftige einheitliche
Netz der Nordbahn und [gleichsam als
Normale für die Concessionen der übrigen
Localbahnen] auch jener für die Local-
bahn Bielitz-Wadowice, noch zum Er-
gebnisse : die endgiltige Feststellung des
Uebereinkommens nach den vom Reichs-
rathe daran vorgenommenen Aenderungen,
welches darum fortan »Uebereinkommen
vom 10. Januar und 17. Juli 1885« be-
titelt ward; ferner die Feststellung der
vorzunehmenden Statuten - Aenderungen
sowie der Bedeckung des Geldbedarfes und
der Convertirung der alten Prioritäts-
Anlehen etc.
Die ausserordentliche Generalversamm-
lung vom 20. August 1885 nahm einen
der Tragweite der zu fassenden Be-
schlüsse würdigen Verlauf: sie nahm die
von der Direction gegebenen Anhalts-
punkte für die Beurtheilung der Situation
ruhig entgegen, allerdings nicht ohne
darzuthun, dass ihr das Ueberein-
kommen nichts weniger denn Freude be-
reite, vielmehr nur als das zu wählende
kleinere Uebel erscheine; sie bedankte
ferner die Ausdauer und Treue der Direc-
tion in dem für die Actionäre geführten
»bitteren und peinlichen Kampfe« und
beschloss in voller Genehmigung der
Directionsanträge : die Annahme des Ueber-
einkommens sowie der durch dasselbe be-
dingten neuen Gesellschafts-Statuten, die
Ermächtigung der Verwaltung zur Er-
wirkung der Concession sowohl für die
schon im Betriebe stehenden, als auch
für die vertragsgemäss zu bauenden
Linien ; ferner zur allfälligen Erwer-
bung der in die Linie Bielitz-Bistritz
[Städtebahn] fallenden Strecken Bistritz-
Hullein-Kremsier und Weisskirchen-Wsetin
und zum Ankaufe der Rothschild'schen
Montanbahn Dombrau - Michalkowitz ;
dann zur Durchführung aller mit der Neu-
gestaltung der Gesellschaften zusammen-
hängenden Abrechnungen, Refundirungen
und Geldbeschaffungen, wie auch zur
Convertirung der alten Anlehen.
Am 6. September 1885 erfolgte dann
die a. h. Sanctionirung des Gesetzes über
die »Bedingungen für die zum Be-
triebe der Kaiser Ferdinand s-
Nordbahn zu ertheilende neue
Concession und die Ausübung
I der hienach dem Staate vorzu-
haltenden Einlösungsrechte«. Von
diesem Tage bestand also das Ueberein-
kommen für beide Vertragsgenossen zu
Recht und hatte die »Nordbahnfrage«
ihre endgiltige Lösung gefunden. Der
grosse Streit war ausgetragen und der
Gesellschaft, unter neuzeitigen Bedingun-
gen, ein Fortbestand auf 18 — 25 Jahre
eingeräumt.
Noch im letzten Viertel des Jahres 1885
begann die Gesellschaft die Erfüllung
ihrer vertragsmässigen Obliegenheiten
und die Vorbereitung für ihre Um-
formung ; sie führte die neuen Kohlen-
tarife ein, vollzog den Ankauf der Mon-
] tanbahn [1. October], leistete die Rück-
zahlung der Garantie- Vorschüsse für die
Mährisch-Schlesische Nordbahn, erwei-
terte aus Anlass der bevorstehenden
Bauten die bezüglichen Dienstabtheilun-
gen und berief an deren Spitze den
! als wohlerprobten Fachmann bekannten
Director der Mährisch-Schlesischen Cen-
tralbahn, Wilhelm Ast. Damals war
der gesellschaftliche General-Inspector,
Hofrath Wilhelm Freiherr v. Eichler,
■ der seit 15. Juni 1864 oberster Chef der
; technischen Dienstzweige der Nordbahn
gewesen, nach einer fast fünfzigjährigen,
ausgezeichneten Thätigkeit im Eisenbahn-
wesen, in den Ruhestand getreten.
In ihre neuen Verhältnisse trat die
i Gesellschaft am 1 . Januar 1 886 ein ;
, denn an diesem Tage erhielt sie die
neue Concession und erloschen nicht
; nur das Privilegium vom 4. März 1836,
| sondern auch alle ihr seither zutheil ge-
wordenen Concessionen und zugestan-
| denen »Exemtionen, Sonderrechte und
Befreiungen«. Diese neue, vorwiegend
; nurmehr auf dem Concessions-Gesetze vom
Jahre 1854 beruhende Concession gibt
! der Gesellschaft, deren Firma fortan:
»K.k.priv. Kaiser Ferdinands-Nord-
b a h n « zu lauten hat [vordem hiess sie » Aus-
schliesslich privilegirte« . . .], das Recht
zum Betriebe aller bisher von ihr er-
bauten oder erworbenen, dem öffent-
lichen Verkehre dienenden Eisenbahnen,
, sowie zum Baue und Betriebe der Linien
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
365
Bielitz-Bistritz, Kremsier-Koje-
t e i n und des Circumvallations-
Flügels bei Krakau, gewährt diesen
letzteren binnen 2J/3 Jahren zu vollen-
denden Linien eine dreissigjährige Steuer-
freiheit, hebt die gesonderte Rechnungs-
führung für die Mährisch -Schlesische
Nordbahn auf, bestimmt, dass deren
Staatsgarantie nur für den Fall wirksam
bleibt, als zur Verzinsung und Tilgung
ihres Anlage-Capitals die gesammten Ein-
nahmen und das Vermögen der Gesell-
schaft nicht ausreichen sollte — und gilt
wie bei den anderen österreichischen
Bahnen, die eigentliche Geschäftsleitung
fungirte. Die neue Einrichtung derselben
hatte indes schon am 1. Februar statt-
gefunden, bei welcher Gelegenheit
der nunmehrige Director Hofrath
Richard Jeitteles mit dem Vorsitze in
der Direction betraut wurde.
Diese Generalversammlung beging
zugleich die Feier des fünfzigjährigen
Jubiläums der Nordbahn und des Ein-
trittes dieser ältesten Locomotivbahn
Oesterreichs in die künftigen Decennien
Abb. 168. Bau des Opor-Viaductes. [K. lt. Staatsbahn Stryj-Beskid.]
unbeschadet des mit I. Januar 1904 in
Wirksamkeit tretenden staatlichen Ein-
lösungsrechtes für die Dauer bis 31. De-
cember 1940, wo dann das gesammte,
den Gegenstand der Concession bildende
Unternehmen sammt und sonders an den
Staat übergeht; und zwar : die Bahn
lastenfrei, der Fahrpark gegen eine zu
vereinbarende oder im Schätzungswege
zu ermittelnde Vergütung.
Die Neuconstituirung der Ge-
sellschaft ging auf Grund der am
2. Februar 1886 behördlich genehmigten
neuen Statuten in der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 17. Fe-
bruar 1886 vor sich. Dieselbe wählte
einen zwölfgliedrigen Verwaltung s-
rath, während als »Direction« fortan,
ihres Bestandes. Es war dies jedoch
keine rauschende, prunkvolle Festlichkeit.
Die Theilhaber der Gesellschaft ehrten
das Andenken der Gründer der Nord-
bahn, Franz Xaver Riepl's und Salomon
von Rothschilds, bedachten den treuen
Mitarbeiter des letzteren, Moriz Ritter
von Goldschmidt, welcher der Verwal-
tung seit 1 836 ununterbrochen angehörte,
mit Kundgebungen des Dankes und der
Verehrung, sprachen dem Freiherrn Albert
von Rothschild die Anerkennung für die
Förderung des gesellschaftlichen Unter-
nehmens aus — und widmeten aus den
allgemeinen Reserven 200.000 fl. zu
einem Unterstützungsfonds für unter-
geordnete hilfsbedürftige Bedienstete und
deren Witwen und Waisen.
366
Ignaz Konta.
Die gewöhnliche Geschäftsthätigkeit
begann die neue Verwaltung, in der
übrigens die früheren Directoren wieder
Platz gefunden, mit der Aufnahme einer
4°/0igen Anleihe von nom. 62,700.000 fl.,
wovon jedoch einstweilen nur 40,260.500!!.
wirklich ausgegeben wurden, die theils
zu Refundirungen und den Zahlungen an
den Staat dienten, theils für die Neu-
bauten und zur Convertirung der alten
5°/0igen Anlehen [von denen noch
16,418.775 fl. in Umlauf waren]. Emission
und Convertirung erfolgten zum Curse
von 950 0 in den Tagen vom 10. bis
24. März unter lebhafter Betheiligung
der Actionäre, denen ein Bezugsrecht auf
die neuen Obligationen zugestanden war.
Am 4. Juni 1886 erhielt die Gesell-
schaft auch die Concession für die ur-
sprünglich nur bis Wadowice projectirt
gewesene, nun aber im Interesse des
Anschlusses an die Galizische Trans-
versalbahn um beiläufig 17 km verlän-
gerte Localbahn Bielitz-Kalwarj a,
deren Vollendung gleichfalls auf längstens
den 30. Juni 1888 festgesetzt war.
Nun wurde zur Inangriffnahme der
Bauten geschritten und hiebei mit dem
»Circumvallations-Flügel« : Krakau-Pod-
görze - Bonarka der Anfang gemacht
[Ende 1886, Unternehmung: Redlich und
Berger]. Die übrigen Linien kamen erst
im Frühjahre 1887 daran: der Einheitlich-
keit wegen, mag jedoch Alles zusammen
gleich hier näher besprochen werden.
DieLinieBielitz-Bistritz, welche im
Zusammenhange mit der Kremsierer Bahn
und der Ergänzungsstrecke Kremsier-
Kojetein die früher geplant gewesene
Linie Bielitz-Teschen-Olmütz oder -Brunn
ersetzt und zugleich auch das alte Project
der »Schlesischen Städtebahn«*) verwirk-
licht [deren Trace wieder grossentheils
mit jener zusammenfiel, die schon ur-
*) Abgesehen von einzelnen kleineren
Strecken waren projectirt: Teschen-Friedek-
Neutitschein-Leipnik [oder Olmütz] im Jahre
1869 von Otto Schüler und Genossen: die
eigentliche »Städtebahn« Krakau-Bielitz-
Teschen - Friedek - Wallachisch - Meseritsch
Holleschau-Hullein im Jahre 1870 von einem
Comite in Teschen im Vereine mit der Stadtge-
meinde daselbst. Letzteres Project begegnete
der Gegnerschaft der erzherzoglichen Cameral-
Verwaltung Und mehrerer Concurrenzen
insbesonders jener der Ostrau-Friedlander
sprünglich der Nordbahn zugedacht ge-
wesen, aber vermöge der damaligen feind-
lichen Haltung der Städte gegen die
Eisenbahn, aufgegeben werden musste]
kam nicht der ganzen Länge nach neu
zur Ausführung. Dies war vielmehr nur
rücksichtlich der Strecken Bielitz-Friedek
[67-7 km], Friedland-Krasna [30/6 km],
Wallachisch-Meseritsch-Bistritz am Ho-
stein [25^3 km] und Kremsier-Kojetein
[8 -8 km] der Fall. Die dazwischen liegen-
den Strecken hat die Gesellschaft an-
gekauft oder in Mitbenützung genommen
[Friedek-Friedland]. Infolge dieser Er-
werbungen mussten die Projecte wieder-
holt geändert werden, was den Beginn
und die Ausführung des Baues verzögerte.
Derselbe wurde erst am 7. April 1887
vergeben, und zwar: Kremsier-Kojetein
an Peter Kraus ; Bilawsko-Hotzendorf
an Mattoni und die Uniori-Baugesell-
schaft; Hotzendorf-Friedland und Friedek-
Bielitz an Redlich und Berger.
Neben der Einleitung des Baues
gingen die Verhandlungen wegen der
Erwerbimg der vorerwähnten Zwischen-
strecken einher. Zuerst kam der An-
kauf der Kremsierer Bahn*) zu
Bahn und der Mährisch-Schlesischen Central-
bahn, welche damals mit bedeutenden Fort-
setzungsplänen umgingen. Dann kam die
Societe beige mit einem, »wie bei dieser Ge-
sellschaft üblich« ganz unbestimmten »ohne
Anfangs- und Endpunkte aufgestellten«
Projecte, gegen welches das Comite in
Teschen heftig agitirte [1881]. Schliesslich
Erojectirte auch noch die Länderbank die
inie Bielitz- oder Saybusch-Brünn [als Con-
currenz der Nordbahn].
*) Die Kremsierer Bahn, seit dem Jahre
1868 wiederholt projectirt, wurde am 30. Juni
1880 rücksichtlich der Strecke Hullein Krem-
sier an die Stadtgemeinde Kremsier und
deren Genossen concessionirt, welche am
2. Mai 1881 eine Gesellschaft errichteten.
Diese erhielt am 4. August 1881, 26. Februar
1882 und 14. Februar 1883 die bezüglichen
Concessionen für die Fortsetzungsstrecken
Kremsier-Zborowitz, Hullein-Bistritz, Bistritz-
Wallachisch-Meseritsch ; letztere Concession
ward jedoch vom Handelsministerium für erlo-
schen erklärt Zur Eröffnung gelangten : Hul-
lein-Kremsier, dkm, 15. December 1880; Krem-
sier-Zborowitz, 165 km, I, November 1881 ;
Hullein-Holleschau, 7-5 km, 24. September
und Holleschau-Bistritz, 107 km, 15. Novem-
ber 18S2. Die nicht für die Städtebahn ver-
wendete Strecke Kremsier-Zborowitz gehört
jetzt zu den Localbahnen.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
367
Abb. 169. Einschnitt bei Przikas-Osiczko. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn,
Strecke Hullein-Wallachisch-Meseritsch.j
Stande, nicht gar leicht, weil die Nord-
bahn anfänglich nur die in die Trace
der Städtebahn fallenden Strecken Krem-
sier-Hullein-Bistritz erwerben, die Be-
sitzerin derselben aber den kleinen
Rest [Kremsier-Zborowitz] allein nicht
behalten wollte. Der am 7. Januar 1887
abgeschlossene Kaufvertrag betraf jedoch
die ganze [sammt der Unterbrückung bei
Hullein, 1/2 km] 41-9 km lange Krem-
sierer Bahn. Der Kaufpreis betrug
2,100.000 fl. Bis zu der auf den Tag
der Eröffnung der Städtebahn, längstens
aber den 1. Juli 1888 anberaumten
Uebernahme des Eigenthums besorgte
die Nordbahn den Betrieb der Krem-
sierer Bahn für Rechnung ihrer früheren
Besitzerin.
Gleichfalls nur mühsam gelang auch
die Erwerbung der Linie Weiss-
kirchen -W s e t i n.*) Hier bildeten haupt-
sächlich die hohen Anforderungen der
Oesterreichischen Localeisenbahn-Gesell-
schaft, welche in jener Linie den Kern von
verschiedenen künftigen Concurrenzrouten
*) Eine Eisenbahn von Weisskirchen über
Wsetin nach Sillein war schon am 18. Sep-
tember 1863 concessionirt, und zwar an Emil
Kaikem in Wsetin und J. B. Even in Brüssel ;
da sie aber ungebaut blieb, verfiel die Con-
cession [29. März 1871]. Zehn Jahre später
wurden die Linien Pohl-, respective iS'eu-
titschein-Wsetin projeetirt. Für die erstere
[nebst Abzweigung nach Krasna] erhielt
die Oesterreichische Localeisenbahn-Gesell-
der Nordbahn zu besitzen vermeinte.
Die Einigung erfolgte schliesslich in der
Weise, dass die Nordbahn, auf Grund
der bezüglichen Verträge vom 12. Sep-
tember 1887, jene Linie sammt deren
Flügelbahnen um den in 4°/0igen Local-
bahn-Prioritäten [der Nordbahn] zu ent-
richtenden Preis von 2,580.000 fl. an-
kaufte, vorläufig jedoch nur den Betrieb
ab 1. October 1887 in Pacht nahm.
Dieses Verhältnis währte übrigens nur
etliche Wochen, da schon am 24. De-
cember 1887 auch die Eigenthumsüber-
nahme vollzogen wurde.
Die Einigung wegen der M i t b e-
nützung der Strecke Friede k-
Friedland [iO'i km] der Ostrau- Fried-
lander Bahn glückte gar erst, nachdem
die Nordbahn sich durch Ankauf eines
bedeutenden Postens von Actien jener
Gesellschaft erheblichen Einfluss auf die-
selbe verschafft hatte; denn auch ihr
hatten Zukunftspläne vorgeschwebt, die
auf eine Concurrenzirung der Nordbahn
hinausliefen. Der Peage-Vertrag, welcher
den Bau der Parallel-Strecke überflüssig
schaft am 27. Juli 1882 die Concession, welche
am 12. December 1884 für Weisskirchen-
Wsetin abgeändert wurde. Eröffnungsdaten :
Weisskirchen-Krasna, 249 km, I. November
1884; Krasna-Wsetin, 194 km, 1. Juli 1885.
In die Trace der Städtebahn fällt nur die
Theilstrecke Krasna-Wallachisch-Meseritsch,
ri km; der übrige Theil ist jetzt in das
Localbahnnetz eingereiht.
368
Ignaz Konta.
machte, wurde am 5. Februar 1888 ab-
geschlossen.
Damals waren die Neubauten schon
weit vorgeschritten, theilweise sogar
bereits vollendet. Es gelangten zur Er-
öffnung: der Circumvallations-
Flügel bei Krakau [sammt den Ver-
bindungscurven 7-9 km lang] am I.Januar,
die Städtebahn [exclusive der P6age-
Strecke iÖ7-3 km lang] und die Local-
bahn Bielitz-K al warj a [sammt den
Verbindungscurven 59-9 km lang] am
I. Juni 1888.
Der Bau der letzteren kam zugleich
mit jenem der Städtebahn zur Vergebung;
Ersteher desselben blieben die Unter-
nehmer R. von P i s c h o f rücksichtlich
der Strecke Biala-Wadowice und Epstein
& Blau rücksichtlich der Strecke Wado-
wice-Kalwarja.
Die »Städtebahn« Kojetein-Bielitz berührt
in ihrem Zuge die bedeutenderen Stadtge-
meinden Kremsier, Hullein, Bistritz am
Hostein, Wallachisch - Meseritsch, Krasna,
Frankstadt, Friedland, Friedek - Mistek,
Teschen, Skotschau und mündet in Bielitz in
die altbestandene Bahnstrecke Dzieditz-Say-
busch der Nordbahn ein.
Die bei der Traceführung in einem zu-
meist den Charakter des Mittelgebirges
führenden Gelände unausweichliche Kreuzung
zahlreicher Wasserscheiden und Flussthäler
gestaltete das Längenprofil der Bahn zu
einem weit bewegteren, als es die sonstigen
Hauptstrecken der Kaiser Ferdinands-Nord-
bahn aufweisen.
Von Kojetein bis Kremsier und noch
über letztere Station hinaus, führt die Bahn
durch das Inundationsgebiet des Marchflusses,
dessen Hauptgerinne mit einer 50 m weiten
Brücke übersetzt wurde. Vor der Station
Hullein wurde die Linie auf 36 km neu
hergestellt, um die directe Durchfahrt der
Züge in dieser Station zu ermöglichen, in
welcher die Anlage eines Inselbahnhofes
durchgeführt wurde. Auf den bis Bistritz am
Hostein beibehaltenen Theilen der Kremsierer
Localbahn wurde die Umstaltung der meist
aus Holz ausgeführten Brücken und sonstigen
Unterbauobjecte, die Auswechslung des
leichten Localbahn-Oberbaues gegen das
Schienensystem der neuen Hauptbahn sowie
die Ergänzung der alten Localbahn durch
Wächterhäuser, Schranken und Einfriedungen
durchgeführt. Von der Station Bistritz am
Hostein, welche zur Gewinnung günstiger
Neigungs- und Richtungsverhältnisse verlegt
werden musste, führt die Bahn am Fusse
der nördlichen Abdachungen der kleinen
Karpathen im Mittelgebirge weiter.
Nach Ersteigung eines Hochplateaus fällt
die Trace wieder zum Thale des Betschflusses
[Abb. 170] und erreicht nach dessen Ueber-
brückung die Station Wallachisch-Meseritsch
der bestandenen Localbahn Mährisch- Weiss-
kirchen-Wsetin, von welcher die PI km lange
| Strecke bis Krasna in die neue Bahnverbin-
dung einbezogen wurde.
Von Krasna an ersteigt die Bahn unter
Anwendung einer langen Rampe die Wasser-
scheide zwischen der Donau und Oder und
\ erreicht die Station Hotzendorf[ Abb. 171], von
welcher die Flügelbahn nach Neutitschein ab-
1 schwenkt. Im weiteren Anstiege bis zum Sattel
bei Wernsdorf erreicht die Trace das Lomna-
i thal, durchquert dasselbe bis zum Sattel bei
1 Gross-Kuntschitz und fällt sodann gegen das
: Thal der Ostrawitza ab,welches sie bei Fnedland
1 erreicht. Diese frühere Endstation der Ostrau-
Friedlander Bahn erhielt wesentlich grössere
Geleise-Anlagen und ein neues Aufnahms-
gebäude.
In der der Ostrau-Friedlander Bahn ge-
hörigen Peage-Strecke von Friedland bis
Friedek wurden bedeutendere Reconstruc-
tions-Arbeiten an den Brücken und Uferver-
sicherungen gleichzeitig mit dem Neubau
der Anschluss-Strecken der Nordbahn durch-
geführt und sind besonders die neuen Ueber-
brückungen über den Ostrawitza - und
Morawkafluss an Stelle der daselbst be-
standenen hölzernen Jochbrücken er -
wähnenswerth.
Der wesentlich erweiterten und vervoll-
ständigten Station Friedek folgt die Ersteigung
eines von vielen grösseren Bächen durch-
furchten Hochplateaus, von welchem die
Bahn dann wieder in das Thal der Olsa
hinabfällt, wo die Kaschau-Oderberger Bahn
mittels Ueberfahrt gekreuzt und die Station
Teschen erreicht wird. In letzterer erfolgte
die Herstelluno; neuer Geleise-Anlagen und
eines mit der Kaschau-Oderberger Bahn ge-
meinsamen neuen Aufnahmsgebäudes. Nach
Uebersetzung des Olsaflusses mit einer im
Ganzen 60 m weiten Brücke, ersteigt die
Bahn im Thale des theilweise regulirten und
verlegten Boberbaches die Wasserscheide
zwischen Oder und Weichsel bei Golleschau,
in welche Station die Flügelbahn zu dem im
Weichselthale liegenden Eisenwerke Ustron
einmündet Im weiteren Abfalle der Bahn
gegen die Weichsel wird die Station Skotschau
erreicht, hierauf nach der im Ganzen 80 m
weiten Ueberbrückung der Weichsel mit Be-
nützung vorhandener Thalfurchen das Hoch-
plateau bei Heinzendorf erstiegen, von wo
die Bahn nach Kreuzung zahlreicher grösserer
Bäche noch bis zur Wasserscheide nächst
Lobnitz ansteigt und dann gegen Bielitz zu
wieder fällt, welche Station nach Ueber-
setzung der Bahnstrecke Dzieditz- Bielitz
mittels einer Ueberfahrtsbrücke mit einem
längeren Bogen erreicht wird. Von der
Station Alt-Bielitz vermittelt eine zweite
Verbindung ohne Berührung der Station
Bielitz den directen Uebergang der von
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
369
Teschen auf die Localbahn Bielitz-Kalwarja
geführten Züge. In dieser Endstation der
Städtebahn wurden wesentliche Umstaltungen
und überdies ein grosses neues Aufnahms-
gebäude errichtet. [Abb. 172.]
Die 7-6 km lange Circumvallations-
linie in Krakau verbindet die Endstation
Krakau der Kaiser Ferdinands-Nordbahn
mit der k. k. Staatsbahnlinie Oswiecim-Pod-
görze, indem sie die Stadt Krakau im Süden
und Osten umkreist [wobei ein bestandener
Festungswall als Bahndamm benützt wird],
dann che Weichsel »in deren Fluthen sich
der Wawel mit seinem berühmten Schlosse
und der historischen Domkirche spiegelte über-
brückt, und in der neuhergestellten Station
Podgörze-Bonarka an die oben genannte
Staastbahnlinie anschliesst. Ein 05 km langer
Eine neben der Weichselbrücke gelegene
Haltestelle »Zwierzyniec« dient für den Per-
sonenverkehr der zunächst gelegenen Theile
der Stadt Krakau.
Am Schlüsse des ersten Jahres ihres
neuen Bestandes hatte das Anlage-Capital
der Kaiser Ferdinands-Nordbahn die Höhe
von nom. 160,276.612 fl. und gliederte
sich wie folgt: 74.51 1V4 Actien ä 1000 fl.
C.-M. = 78,236.812 fl. ö. W., 5°/0ige
Prioritäten vom Jahre 1872 14,400.000 fl.,
5°/0ige Prioritäten der Mährisch-Schle-
sischen Nordbahn 24,000.000 fl., 4°/oige
Prioritäten vom Jahre 1886 40,531.500 fl.,
Abb. 170. Betschbrücke bei Wall.-Meseritsch. [Kaiser Ferdinands-Xordbahn]
Verbindungsbogen vermittelt den directen
Anschluss an die Linie Wien-Krakau in der
Richtung gegen Wien. An seiner Anschluss-
stelle wurde ein Rangirbahnhof im Zuge
der Hauptbahn hergestellt.
Ein zweiter 0-5 km langer Verbindungs-
bogen in Podgörze dient dem directen An-
schlüsse an die k. k. Staatsbahnen in der
Richtung gegen Lemberg und somit ist jeder
Endpunkt dieser Bahnlinie mit der Anschluss-
bahn in beiden Richtungen verbunden.
Zahlreiche Objecte mit einer Gesammt-
lichtweite von 367 vi dienen zur Aufrecht-
haltung der Communicationen als Durch-
fahrten für die von der Stadt radial aus-
gehenden Strassen, oder als Durchlässe für
die Hochwässer der Weichsel, deren Inun-
dationsgebiet die Bahn durchquert. Bei der
Ueberbrückung der Weichsel musste auch
für die Ueberführung eines Strassenzuges
gesorgt werden und ruhen die beiden für
Bahn und Strasse getrennten Constructionen
auf gemeinsamen, 19-5 m langen, pneumatisch
fundirten Pfeilern.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Krakau- Oberschlesische Titel 3,108.300 fl.
Hievon waren bereits verlost : von den
verschiedenen Prioritäten - Emissionen
1,845.200 fl. und von den Krakau-Ober-
schlesischen Werthen 1,035.900 fl.
Obwohl die Lösung, welche die Nord-
bahnfrage gefunden, im Lager der Gegner
nicht anders betrachtet wurde, als ein dem
Verstaatlichungs-Principe gethaner Ab-
bruch — gethan, wenngleich oder weil
die staatsfreundliche Strömung sich dies-
mal auf der linken Seite des Parlamentes be-
funden hatte und obwohl die Anhänger je-
nes Principes auch daraus Besorgnis schöpf-
ten, dass der vom Eisenbahn- Ausschusse
erstattete Mehrheitsbericht über die Nord-
bahn-Vorlagenachdrücklich betonte, dieses
Princip beruhe noch auf keiner abstracten
legislativen Genehmigung — deuteten
24
3/^
Ignaz Konta.
Abb. 171. Hotzendorf. [Kaiser Ferdinands-Kordbahn.]
doch alle Anzeichen darauf hin, dass
dem Verstaatlichungs-Gedanken die Vor-
herrschaft gesichert bleiben solle.
Das Gesetz vom 26. December 1884,
welches erst viel später und in geänder-
ter Form zur Durchführung kam, sollte
schon im ersteren Zeitpunkte die voll-
ständige Einlösung der Erzherzog
Albrecht-Bahn bewirken ; das am
11. December 1884 geschlossene Ueber-
einkommen mit der Böhmischen
Westbahn und das bezügliche Gesetz
vom 4. April 1885, beide betreffend die
Neufestsetzung der Staatsgarantie aus
Anlass der vorzunehmenden Convertirung
der gesellschaftlichen Prioritäten,*) ent-
j hielten vorsorgende Bestimmungen für
die Einlösung und eine kleine Näher-
! rückung des Termines für den Beginn
der staatlichen Berechtigung hiezu ; das
am 28. December 1884 geschlossene
Uebereinkommen mit der Oesterrei-
chischen Nordwestbahn und das
bezügliche Gesetz vom 19. November
1885 in Betreff der Erhöhung der Staats-
garantie um den Betrag von jährlich
474.260 fl. zum Zwecke von Refundirun-
gen,*) wobei der Beginn des staatlichen
Einlösungsrechtes in Ansehung des garan-
tirten Netzes um 3^ Jahre näher ge-
rückt, nämlich auf den I. Januar 1895
festgesetzt wurde; die Protokollar-Ver-
*) Der bei der Convertirung sich erhö-
hende Nominalbetrag der Prioritäts-Anleihe
machte eine Ausdehnnng der Tilgungsfrist
und dies wieder eine Verschiebung im Aus-
masse der Staatsgarantie nothwendig. Die-
selbe wurde nun für die Zeit von 1885 bis
1948 mit 1,248.000 fl. und pro 1949 ""* 840.738 fl.
festgesetzt, wogegen die Gesellschaft sich
verpflichtete, die Tilguno; der Actien, die
nach den alten Tilgungsplänen erst im Jahre
1917 zu beginnen hatte, schon vom Jahre
1885 eintreten zu lassen, ferner die aus der
Convertirung erwachsende Verringerung der
Jahreslast um rund 100.000 fl. nicht zur Er-
höhung der Dividende, sondern für Bahn-
zwecke zu verwenden und die Hälfte dieser
Ersparnis von der Einlösungsrente abrechnen
zu lassen. Der Beginn des Einlösungsrechtes
wurde auf den 30. Juni 1892 vorgerückt. Die
Convertirung erfolgte in den Tagen vom
18. bis 31. December 1884. wobei für je
nom. 100 fl. der 5%igen Silberprioritäten,
nom. III fl. der 4°/0igen Anleihe von nom.
14303.000 fl. und für ioo R.-M. der 5°/0igen
Goldprioritäten, 105 R.-M. 4°/0ige gegeben
wurden.
*) Der Bau des garantirten Netzes hatte
nom. 80,310.000 fl. gekostet : die Staatsgarantie
betrug 985.000 fl. pro Meile, deckte daher
ein Capital von nom. 81,368.170 fl. Der hie-
von erübrigte Rest [900.570 fl] reichte für
die nachträglichen Investitionen nicht aus;
diese Kosten wurden also mit Zustimmung
der Regierung in die Betriebsrechnung einge-
stellt. Die bezüglichen Posten hatten mit
Ende 1883 die Höhe von 1,830.840 fl. erreicht
und waren für die nächsten Jahre mit noch
7,834.000 fl. veranschlagt. Zur definitiven
Bedeckung dieser Erfordernisse wurde nun,
nach Herabminderung der künftigen Inve-
stitionen auf den Betrag von nur 6,780.000 fl ,
vereinbart, dass die Gesellschaft auf Grund-
lage der obbeziflerten Garantie-Erhöhung
ein 4%iges Prioritäts-Anlehen von nom.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
371
einbarung mit der Aussig-Teplitzer
Bahn vom 23. November 1 885, betreffend
die Convertirung des gesellschaftlichen
472°/o'gen Goldanlehens in ein 4°/0iges,
womit zugleich der Beginn des staat-
lichen Einlösungsrechtes auf den 25. Juni
1900 festgesetzt und eine Reihe von An-
ordnungen hinsichtlich der Einlösungs-
rente getroffen wurde; die im October
1884, beziehungsweise Juni 1885 den
Verwaltungen der Carl Ludwig-
Bahn und der Süd- norddeutschen
Verbindungsbahn von Seite des
Ministeriums ertheilten Weisungen hin-
sichtlich der Rechnungslegung und Ver-
mögensnachweisung, im Hinblicke auf
die herannahende [1886 — 1888] Inkraft-
Abschluss von Verträgen, vermöge deren
einige hiezu concessionsgemäss nicht
verpflichtete Localbahnen ab 1. Januar
1887 in den Staatsbetrieb überzugehen
hatten, konnten als bedeutsame Merkmale
dafür gelten, dass ein weiteres Ab-
gehen von der auf dem Verstaatlichungs-
Principe fussenden Eisenbahn-Politik aus-
geschlossen erscheine.
Alle die vorbereitenden Massnahmen
und ebenso die mittels der Gesetze vom
28. December 1884 und vom 29. Juni
1886 bewilligte Verlängerung der
Giltigkeit des Localbahn - Ge-
setzes bis 1. Juli, beziehungsweise
31. December 1886, ferner die mittels
des Gesetzes vom 8. November 1885 aus-
Abb. 172. Bahnhof Bielitz. [Kaiser Ferdinands-Nordbahn.]
tretung des staatlichen Einlösungs-
rechtes , und auch die nun fast
regelmässig in die Concessions-Urkunden
für die Localbahnen aufgenommene
Bestimmung bezüglich der Betriebs-
führung durch den Staat*) sowie der
11,000.000 fl. aufnehme, aus dem Erlöse der-
selben die zu Lasten des Betriebes verrech-
neten Investitionskosten dem Staate bar ver-
güte und die künftigen Erfordernisse decken
solle. Die ausserordentliche Generalver-
sammlung vom 29. December 1884 stimmte
dem zu. Nachdem das Uebereinkommen
durch das obenerwähnte Gesetz legislative
Genehmigung erhalten hatte, wurde Ende
1885 eine Quote von nom. 3,650.000 fl. zum
Curse von 88-25 an die Boden-Creditanstalt
begeben.
*) Seit dem Jahre 1884 waren noch
folgende Localbahnen in den Staatsbetrieb
übergegangen: St. Pölten-Tulln, 45-8 km;
Asch-Rossbach, 15 km; Fehring-Fürstenfeld,
20 km; Wels-Aschach, 20-3 km.
gesprochene Erstreckung der Wirk-
samkeit des Gesetzes [vom 25. Mai
1883] betreffend die Gebühren-
erleichterungen bei Conver-
tirungen von Eisenbahn-Prioritätsobli-
gationen begegneten keinerlei Schwierig-
keiten.
Bei dem nächsten Versuche, ein grösse-
res Vorhaben in die That umzusetzen,
stiess die Regierung jedoch abermals
auf den Widerstand der sie bekämpfenden
politischen Parteien. Die Spannung war
eben eine hochgradige. Das Handels-
ministerium hatte das am 26. April 1884 »in
Betreff der Betriebsübernahme und der
eventuellen Einlösung der Dux-Boden-
b ach er und der Prag-D uxer Bahne
mit diesen Gesellschaften . geschlossene
Uebereinkommen [siehe Seite 302], am
25. Januar 1885 der Reichsvertretung
vorgelegt, um ' mit der legislativen Ge-
24*
372
Ignaz Konta.
nehmigung desselben die Handhabe zur
bleibenden Einverleibung dieser Bahnen
in das staatliche Betriebsnetz zu ge-
winnen. Das »sterbende Abgeordneten-
haus« wollte aber nach den Aufregungen,
welche die Nordbahn -Debatte hervor-
gerufen hatte, nicht in die Behandlung
der Vorlage eintreten, sondern dieselbe
dem neu zu wählenden Parlamente über-
lassen.
War schon dies von keiner guten
Vorbedeutung, so liess die, anlässlich
der Neuwahlen eingetretene Verschärfung
der politischen Gegensätze noch weniger
einen ruhigen Gang der parlamentarischen
Erörterungen gewärtigen, umsoweniger
als der Führer der Linken bereits bei
jener Debatte sich auch mit den Duxer
Bahnen befasste und der bezüglichen
Vorlage eine eingehendere Würdigung
verheissen hatte. Es kam auch wirklich,
gleich nachdem der Gesetzentwurf am
2. October 1885 dem neugewählten Ab-
geordnetenhause vorgelegt und von diesem
an den Eisenbahn-Ausschuss überwiesen
worden war, zu heftigen Auseinander-
setzungen, die bei den am 16. Februar
1886 begonnenen Berathungen im offenen
Hause bis zu Angriffen persönlicher Art
gegen den Handelsminister auswuchsen.
Die ganze Vergangenheit der Prag-
Duxer Bahn und die Entstehung ihres
Verhältnisses zur Dux-Bodenbacher Bahn
wurde aufgerollt, das Uebereinkommen
als für den Staat schädlich bezeichnet
und eine Reihe privater Angelegenheiten
in Erörterung gezogen, was die Erregung
immerfort steigerte.
Der Handelsminister wies natürlich
die gegen ihn selbst erhobenen Vor-
würfe entrüstet und mit Schärfe zurück ;
die Regierungsvertreter legten mit über-
zeugenden Worten die Erspriesslichkeit
der Einbeziehung der beiden Duxer Bahnen
in das staatliche Betriebsnetz dar, wie
auch die vortheilhafte Weise, in welcher
dies vermöge des Uebereinkommens be-
wirkt wurde und die Redner der Majorität
bemühten sich zur Geltung zu bringen,
dass es sich um eine nützliche Fort-
setzung der, seitens der Gegenpartei an-
lässlich der Nordbahn-Debatte so dringend
befürworteten Verstaatlichungs-Thätigkeit
und nicht [wie Dr. Rieger voll Unmuth
ausrief] um den »Ankauf von Vor-
geschichten« handle.
Dessenungeachtet dauerte es drei
Sitzungstage, bis die Redeschlacht aus-
getobt hatte und die Debatte wieder auf
das sachliche Gebiet zurückgeführt war.
Dann ergab sich auch rasch die Annahme
der Vorlage [26. Februar], welche nun
am 11. April 1886 die a. h. Sanction
zum Gesetz erhielt, und in der am
27. April verfügten, beziehungsweise am
1. Mai 1886 vollzogenen bleibenden
Uebernahme der beiden Bahnen in den
Staatsbetrieb sogleich ihre praktische
Nutzanwendung fand.
Das Verstaatlichungs - Princip stand
also wieder auf vollkommen festem Boden,
den es seither auch nicht mehr verlassen
hat. Allein die Vorgänge, unter denen
es den wichtigen Sieg errungen, ver-
leideten dem Handelsminister, Felix Frei-
herrn von P i n o, sein Amt ; er trat am
16. März 1886 zurück. Seine Verdienste
um das österreichische Eisenbahnwesen
aber blieben für immer unbestreitbare ;
denn unter seiner mehr als fünfjährigen
Amtsführung wurden die Arlbergbahn
und die Galizische Transversalbahn
gebaut, und die Böhmisch - Mährische
Transversalbahn sichergestellt, hat das
Localbahnwesen seine erste Ausbreitung
erhalten und die Verstaatlichung ihren
ersten grossen Weg zurückgelegt.
Die letzte von diesem Minister ver-
tretene Eisenbahn- Vorlage betraf die Ver-
mehrung des Fahrparkes der k. k. Staats-
bahnen [Gesetz vom 26. Juli 1886], von
welcher im nächsten Abschnitte ausführ-
licher die Rede sein wird.
Vorübergehend war nun die Leitung
des Handelsministeriums dem Sections-
chef Karl Freiherrn von P u s s w a 1 d
anvertraut, der hiemit seine langjährige,
an Arbeit und Mühen, aber auch an
Erfolgen und Ehren reiche Beamtenlauf-
bahn abschloss, von welcher 36 Jahre auf
den Eisenbahndienst, beziehungsweise auf
die Amtsthätigkeit in der Eisenbahn-
Abtheilung des Handelsministeriums ent-
fielen, wo er die ganze Stufenleiter vom
Concepts-Adjuncten bis zum Sectionscher
erstieg, sich allseitige Hochachtung und
Werthschätzung erwarb, und wiederholter
a. h. Auszeichnungen zu erfreuen hatte.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
373
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Abb. 173. Tieferlegung der Wiener Verbindungsbahn und Bau des Tunnels im Jahre 1873.
[Nach einer photographischen Aufnahme aus der Bauzeit.]
Die kurze Zwischenverwaltung endete
am 26. Juni 1886 als dem Tage der
Ernennung des Marquis Olivier von
Bacquehem zum Handelsminister, der
sein allseits gerühmtes Können und
Wollen sofort auch der Betreuung des
Eisenbahnwesens widmete. Er hatte
dabei voraus, dass die Wege bereits
geebnet waren, doch harrten auch seiner
noch grosse Aufgaben.
Die Hinwegräumung der Schäden und
Trümmer aus der Gründungs-Aera und
der ihr nachgefolgten Krisis — diese
schwere Arbeit, welche bis weit in das
Decennium i877bisi886 hinein angedauert
hatte — war nahezu vollbracht, und das
Verstaatlichungswerk, welches diesem
Jahrzehnt die Signatur gegeben, schon
zu ansehnlicher Mächtigkeit gediehen,
dessen Ausbau aber noch gar lange nicht
vollendet.
Von dem beim Ablaufe des Jahres
1886 auf 13.656 km angewachsenen
österreichischen Eisenbahnnetze gehörten
dem Staate nur 26-3 °/0 = 3592 km [Bau-
länge], und die Ausdehnung der da-
mals im Staatsbetriebe gestandenen
eigenen und fremden Linien [zusammen
5229 km Betriebslänge] betrug noch
nicht ganz 38-3°/0 des vorbezifferten
Umfanges des Gesammtnetzes. Es blieb
also schon hier genug zu thun übrig,
nicht minder aber auch auf dem Gebiete
des Localbahnwesens, dessen üppiges
Emporkeimen dem Jahrzehnt seine zweite
Denkwürdigkeit verliehen hat.
374
Ignaz Konta.
III.
Decennium 1887 — 1896.
Der Zeitabschnitt, in den wir nun-
mehr eintreten, gehört erst der Halb-
vergangenheit an ; Personen und Dinge
stehen noch in frischen Farben vor uns.
Dies erleichtert den Aussenanblick, er-
schwert aber in mancher Beziehung das
Urtheil über das Wahrgenommene. Wir
müssen also bemüht bleiben, unseren
Betrachtungen die Unbefangenheit zu
wahren.
Auf die mannigfachen Rechtshand-
lungen und Gesetzgebungs- Acte, aus denen
die zweite Verstaatlichungs-Aera in Oester-
reich hervorgegangen, aber — durch die
Neuconcessionirung der Kaiser Ferdi-
nands-Nordbahn — auch dem Privat-
betriebe eine bis mindestens 1904 ge-
sicherte Lebensdauer erwachsen ist,
folgten zunächst Massnahmen zur ge-
hörigen Ausrüstung des Staatsbetriebes.
Die früheren Eigenthümer der meisten
seiner Linien waren nämlich theils wegen
ihrer beengten finanziellen Verhältnisse,
theils aus Ursache der bereits ange-
strebten oder vorgeahnten Verstaatlichung
recht zurückhaltend in den Ausgaben für
Nachschaffungen und Vervollständigungen
gewesen, so dass jetzt der Staat für diese Er-
fordernisse aufkommen musste. Auch sind
dadurch, dass die neue Institution »im
ersten Jugendfeuer allen Wünschen des
Publicums in uneingeschränktem Masse
nachzukommen« bestrebt war, bedeutende
Unkosten entstanden.
Der Mangel an Fahrbetriebsmittel,
insbesondere auf den galizischen Linien,
hatte sich sehr bald und empfindlich
fühlbar gemacht. Anfänglich glaubte man,
ihm durch Anmiethung von Maschinen
und Wagen abhelfen zu können; dies er-
wies sich aber als unzureichend und zugleich
unwirthschaftlich. Es wurden daher die
nöthigen Nachschaffungen eingeleitet,
deren Kosten allmählich die Höhe von
5,403.000 fl. erreichten. Zur Bedeckung
derselben, wollte die Verwaltung des
Staatsbetriebes sich des Pensionsfonds
ihrer Angestellten bedienen, in der Weise,
dass der Fonds die Fahrbetriebsmittel be-
zahle und sie gegen eine Leihgebühr,
welche einer jährlichen Verzinsung der
Anschaffungskosten mit i°/0 über dem
jeweiligen Bankzinsfuss [für Escompte],
mindestens aber 5% an den Staatsbetrieb
vermiethe, unter Einräumung der Be-
fugnis dieses Rollmaterial nach und nach
um den Selbstkostenpreis anzukaufen.
Der Fonds hatte bereits 971 Wagen bei-
geschafft und weitere grosse Ankäufe
vorbereitet. Als aber die Angelegenheit
vor den Reichsrath kam,*) bemängelte
er daran : die erst nachträglich einge-
holte verfassungsmässige Genehmigung
und die Heranziehung eines Versorgungs-
Institutes zu derlei Transactionen,**)
was wohl das Geschäft grossentheils
rückgängig machte, im Uebrigen aber
glimpflich verlief. Das Gesetz vom
26. Juli 1886 bewilligte die ganze Summe
von 5,403.000 fl. und die k. k. General-
Direction konnte die Nachschaffungen
unbehindert vollenden.
Nun handelte es sich noch um die
Erlangung der Indemnität für die seitens
der Verwaltung des Staatsbetriebes in
der Zeit von 1881 — 1885 gleichfalls auf
eigene Hand bewerkstelligten baulichen und
sonstigen Vervollständigungen im Kosten-
betrage von wieder mehr als 5,000.000 fl.
Diese ihm nicht willkommene Aufgrabe
*) Die Vorlage war schon am 21. Februar
1885 und nachdem sie damals unerledigt ge-
blieben, am 2. October 1885 zum zweiten
Male eingebracht worden. Zur Verhandlung
gelangte sie erst am 25. Februar 1886. Des
Zusammenhanges wegen wurde die bezüg-
liche Mittheilung jedoch hier herüberge-
nommen.
**) Diese Transactionen gaben den ersten
Anstoss zu der noch im selben Jahre [29. Oc-
tober] aus einem anderen Anlasse [Ankauf
des Itzlinger Sägewerkes durch den Pensions-
fonds] von dem Abgeordneten Dr. Keil, im
Wege einer Interpellation vorgebrachten An-
regung: dass »bei der Fructificirung der Fonds-
capitalien die jeweils für die Anlage von
Pupillargeldern bestehenden gesetzlichen Vor-
schriften Anwendung finden sollen«, was
nachher thatsächlich in den Fondsstatuten
festgesetzt wurde.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
375
fiel schon dem neuen Handelsminister
Marquis von Bacquehem zu. Er unterzog
sich derselben gleich bei seinem ersten
Erscheinen vor dem Reichsrathe, nämlich
in der Eröffnungssitzung der Herbst-
session vom Jahre 1886 [29. September].
Die offenherzige Rede, mit der er den
damals vorgelegten gegenständlichen Ge-
setzentwurf einbegleitete, die Sachlage
schilderte und die getroffenen Vorkehrun-
gen gegen eine Wiederholung so nam-
hafter Ueberschreitungen darlegte, ver-
fehlte ihre Wirkung nicht. Und als er
bei der zweiten Lesung der Vorlage
(21. Mai 1887] dieselbe mit gleicher
Wärme vertrat, erlangte sie — wenn
auch nebst mehreren Resolutionen in
Betreff der künftigen Aufstellung und
Einhaltung der Voranschläge u. s. w. —
die Zustimmung des Abgeordnetenhauses.
Am 5. Juni 1887 erhielt sie die a. h.
Sanction zvim Gesetze. Dasselbe be-
willigte »zur nachträglichen Ausgleichung
der Mehrerfordernisse« einen Betrag von
5,222.000 fl. und bereinigte hiemit zur
Gänze die erste fünfjährige Periode des
Staatsbetriebes.
Sobald dies erzielt war, widmete sich
der neue Handelsminister einer zweiten
von früher her anhängig gewesenen
Frage, und zwar der Schaffung eines
neuen Localbahn-Gesetzes, wel-
ches die, seit der Ausserkrafttretung des
mehrmals erneuten Localbahn-Gesetzes
vom Jahre 1880, entstandene Lücke aus-
füllen sollte und täglich dringender wurde,
weil die Ergänzung des österreichischen
Eisenbahnnetzes sich fortan zumeist auf
dem Gebiete des Localbahnwesens voll-
ziehen zu wollen schien. Seit dem Jahre
1880 waren damals bereits 1500 km
Localbahnen concessionirt und der Wett-
bewerb um die Zustandebringung solcher
Schienenwege hahm fortwährend zu. Die
Regierung strebte denn auch seit Langem
die Ersetzung des provisorischen durch
ein dauernderes Localbahn- Gesetz an ;
sie brachte schon am 14. März 1884
eine hierauf abzielende Vorlage im Reichs-
rathe ein und erneute dieselbe [da sie
in der damaligen Session unerledigt ge-
blieben] am 18. Juni 1886.
Beide Gesetzentwürfe stimmten hin-
sichtlich der Bau-, Betriebs- und An-
schluss - Erleichterungen, dann der Be-
nützung öffentlicher Strassen als Bahn-
körper und der gegen billige Vergütung
zu übernehmenden Betriebsführung seitens
der Anschlussbahn, im Wesentlichen
überein. Der zweite Entwurf umfasste
aber alle Arten der für den öffentlichen
Verkehr bestimmten Localbahnen [aus-
genommen die in einer gleichzeitig ein-
gebrachten anderen Vorlage gesondert be-
handelten Strassenbahnen mit Pferdebe-
trieb] und Hess die in der a. h. Thronrede
vom 26. September 1885 betonte Fürsorge
für die »Erleichterung des Zustande-
kommens von localen Schienenwegen«
noch viel deutlicher erkennen, sowohl
durch weitere Zugeständnisse in Bezug
auf staatliche Beihilfe, die Tarife, die
Leistungen für öffentliche Zwecke [Post,
Telegraph, Militär etc.], die Gebühren-
befreiung u. s. w., als auch durch die Aus-
dehnung der zu gewährenden Steuerfreiheit
[von 20] bis zu 30 Jahren und die Verrin-
gerung der Einschränkungen hinsichtlich
der Ausgabe von Prioritäts-Obligationen.
Wie der frühere hat indes auch der
zweite Entwurf kein besonderes Entgegen-
kommen, vielmehr eine Erledigung über-
haupt erst dann gefunden, als der Handels-
minister, der für ihn wiederholt [im Eisen-
bahn-Ausschusse und im Abgeordneten-
hause] bestens eingetreten war, sich
mannigfachen Abänderungen, insbesondere
der Bestimmung, dass die Wirksamkeit
des Gesetzes am 31. December 1890
wieder erlöschen solle, anbequemte. Nach
dem Ausspruche des Berichterstatters,
Dr. v. B i 1 i n s k i, scheiterte die dauernde
Regelung des Localbahnwesens daran,
dass über die gesetzliche Definition des
1 Begriffes »Localbahnen«, über die Um-
j grenzung des Rechtes zur Benützung
nichtärarischer Strassen, namentlich unter
Anwendung der Enteignung, und über
die grundsätzliche Ordnung der ganzen
Finanzirung solcher Bahnen eine Einigung
nicht erzielt werden konnte. Das nach
den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses
vom 27. Mai zustande gekommene und
am 17. Juni 1887 a. h. sanctionirte neue
Localbahn-Gesetz war also wieder nur
ein provisorisches.
Da es aber die alten Vollmachten der
Regierung nicht nur wieder aufleben liess,
376
Ignaz Konta.
sondern immerhin auch erweiterte, trug
es bald gute Früchte, allerdings nicht
mehr im Jahre 1887, in welchem über-
haupt keine Concessionirung stattfand.
Die in diesem Jahre verlautbarten Con-
cessionen stammten sämmtlich aus dem
letzten Abschnitte des Jahres 1886 und
beruhten noch auf dem alten Localbahn-
Gesetze.
Eine ihrer wichtigsten war die am
29. December 1 886 an die Carl
Ludwig - Bahn auf die Dauer von
65 Jahren verliehene Concession für die
Localbahn von Dembica nach Xad-
b r z e z i e nebst Abzweigung nach R o z-
w a d 6 w, welche so rasch durchgeführt
wurde, dass die ganze Anlage [io7"2 km]
bereits am30.und3i. October 1887 zur Er-
öffnung gelangte. Den Bau führte die Unter-
nehmung Fröhlich aus; zur Deckung
der bezüglichen Kosten von 3,500.000 fl.
und sonstiger Erfordernisse diente ein
4°/0iges, am 24. Juni 1887 zum Curse
von 95 "3 an die Unionbank begebenes
Prioritäts-Anlehen von nom. 4,999.800 fl.
Die Gesellschaft erhoffte von dieser, schon
seit einigen Jahren geplanten, in das
>Einmündungsgebiet der San in die
Weichsel« führenden Linie eine Stärkung
des Verkehres der Hauptbahn, was sie
auch mit der Localbahn Jaroslau-Sokal
[siehe Seite 294] angestrebt, jedoch nur in
geringem Masse erzielt hatte, aber weid-
lich benöthigte; denn vom Jahre 1885
an war ihr Wohlstand immer mehr ab-
wärts geglitten. Die Theilnahme der
Galizischen Transversalbahn an der
Güterbewegung, die vordem ganz der
alten Bahn zugefallen ; die unausweichlich
gewordene Ermässigung der Tarife; die
verkehrshemmenden Folgen der Zoll-
erhöhungen — alle diese Umstände
trugen dazu bei, dass die bislang ertrag-
reiche Unternehmung nun ihre Actien
kaum mit 5°/0 und nachher gar nur mit
4% verzinsen konnte, und der Preis der
letzteren von hoch über dem Nennwerthe
[im Jahre 1884 noch 294 bis 267] unter
denselben herabging.
Starken Cursabschlägen unterlagen
im Jahre 1887 auch die Actien der Süd-
bahn, und wurde dies auf Rechnung der
P6age- Verträge gesetzt, welche die
Gesellschaft am 7. Juni 1887 hinsichtlich
der Strecke Laibach-Divaca mit der öster-
reichischen Regierung [siehe Seite 347],
! und am 29. October 1887 hinsichtlich
der Strecke Sissek - Agram mit der
königlich ungarischen Regierung abge-
schlossen hatte. Man wollte nämlich die
aus diesen Verträgen fliessenden Peage-
j Gebühren weitaus nicht als Aequivalent
für den bezüglichen Verkehrsentgang
gelten lassen und besorgte einen erheb-
lichen Ausfall am Erträgnisse.
Im Gegensatze hiezu setzten die
Werthe der Kaiser Ferdinand s-
Xordbahn die Aufwärtsbewegung fort,
obzwar diese Gesellschaft den Geldmarkt
jetzt noch bedeutend in Anspruch zu
nehmen hatte. Im Jahre 1887, und zwar
gleich zu Beginn desselben, bewirkte sie
die Convertirung sowohl der noch
im Umlaufe gewesenen 5°/0igen Priori-
täten der Mährisch-Schlesischen Xordbahn
[23,729.500 fl.] als auch des 5°/0igen
Hauptbahn- Anlehens vom Jahre 1872
[13,362.700 fl.] in 4%ige Anlehen von
nom. 24,440.000 fl. und 15,767.000 fl.
Rücksichtlich der ersteren wurden den
Prioritären nom. 115 fl. [garantirt] und
rücksichtlich des letzteren nom. 1 1 8 fl.
für je 100 fl. der alten Anlehen ange-
boten, und, wiewohl die ganze Operation
keine zwangsweise war, gelang dieselbe
fast vollständig schon innerhalb der an-
beraumten Anmeldefrist. [10. Januar bis
7. Februar.] Mit der Convertirung war
auch die Aufnahme von nom. 3,000.000 fl.
zur Deckung des Mehraufwandes für die
Mährisch-Schlesische Nordbahn verbun-
den. Die Capital-Beschaffung für den
Bau der Localbahnen, die Dotirung der
Baureserven für das alte Unternehmen
und für die Herstellung des zweiten Ge-
leises in der 72 km langen Strecke
Oswiecim-Oderberg folgte binnen Kurzem
nach.
Infolge der damaligen Trübung der
äusseren Lage des Reiches war die Frage
der Herstellung von Doppelgeleisen, wie
überhaupt die Aufgabe, ihre Linien so
auszugestalten, dass dieselben unter allen
Umständen den staatlichen Anforderungen
vollauf gerecht zu werden vermögen, auch
an andere Eisenbahn - Unternehmungen
herangetreten. So vor Allem an die
Erste Ungarisch-Galizische Eisen-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
377
bahn, welche das zweite Geleise legen,
den Fahrpark vermehren, die Stations-
Anlagen erweitern sollte u. s. w. Die
Mittel hiezu musste die Staatsverwaltung
mit einer Garantie-Erhöhung aufbringen
helfen. Die bezüglichen Verhandlungen
mit der Regierung reichten eigentlich
bis in das Jahr 1886 zurück, wurden
aber dadurch gehemmt, dass für die
ungarische Strecke gleiche Auslagen zu
machen waren, die Bedeckung aber ein-
heitlich erfolgen sollte.
Die königlich ungarische Regierung
wollte zwar das zweite Geleise vorläufig
nur in der 4 km langen Theilstrecke
Mezö Laborcz-Vidräny ausgeführt, hin-
gegen die Refundirung älterer Posten
wie auch die Deckung der in den nächsten
zehn Jahren nothwendig werdenden In-
vestitionen in die Geldbeschaffung mit-
einbezogen wissen, und diesfalls eine die
Verzinsung und Tilgung 4°/0iger Priori-
täten im Betrage von nom. 2,200.000 fi.
deckende Garantie-Erhöhung um jährlich
92.903 fl. 80 kr. gewähren.
Erst nachdem das bezügliche Ueber-
einkommen am 21. Januar 1887 abge-
schlossen worden war, konnten die Ver-
handlungen mit der österreichischen
Regierung fortgesetzt und beendet werden.
Dieselben gingen jedoch jetzt über den
ursprünglichen Rahmen hinaus, weil auch
die österreichische Regierung zugleich für
die Fundirung sowohl der früheren als
auch der noch nachfolgenden Investitionen
vorzusorgen wünschte. Es wurde ver-
einbart, dass die österreichische Garantie
um den Betrag von jährlich 481.410 fl.
60 kr. erhöht werde, und dass das auf
Grund dieser Annuität aufzunehmende
4°/o'Se Prioritäts - Anlehen von nom.
1 1,400.000 fl. zu Rückzahlungen im Ge-
sammtbetrage von 3,209.592 fl. 82 kr.
[darunter den Staatsvorschuss von
1,800.000 fl. aus dem Jahre 1875] sowie
zur Deckung der Kosten des zweiten
Geleises, dann der Fahrpark- Vermehrung
und künftiger Investitionen dienen solle.
Auch hatte die Regierung sich die Ab-
änderung einiger Concessions-Bestimmun-
gen ausbedungen, so namentlich, dass
beim Erlöschen der Concession auch das
gesammte bewegliche Zugehör der Bahn
unentgeltlich an den Staat überzugehen
habe. [Uebereinkommen vom 10. Juni
1887.]
Nachdem diese Vereinbarungen die le-
gislative Genehmigung erhalten hatten,
und zwar ungarischerseits mittels des am
6. Juni a. h. sanctionirten Gesetzartikels
XXXIII vom Jahre 1887 und österrei-
chischerseits mittels des Gesetzes vom
13. Juni 1887, traf die Gesellschaft Vor-
sorge für die Begebung des aufzuneh-
menden 4°/0igen Prioritäts- Anlehens im
Gesammtbetrage von nom. 13,600.000 fl.,
welche am 22. September 1887 im Wege
einer Offertverhandlung bewerkstelligt
wurde. Ersteher blieb die Gruppe Anglo-
O esterreich ische Bank und Niederösterrei-
chische Escomptebank mit dem von
ihr angebotenen Uebernahmscurse von
87'57V2 für Je nom. 100 fl.*) Der An-
lehenserlös stellte sich also etwas höher
als veranschlagt gewesen, nämlich auf
11,910.200 fl., wovon der Gesellschaft
nach Begleichung der Schuldigkeiten
[3>5OI-565] und Bedeckung der im Jahre
1887 bewerkstelligten Anschaffungen und
Bauten [3,623.275 fl.] noch 4,785.757 fl.
pro 1888 und die folgenden Jahre ver-
blieben. Die Kosten der nachträglich
verfügten Legung des Doppelgeleises in
der ganzen ungarischen Strecke hat die
königlich ungarische Regierung aus der
auf Grund des Gesetzartikels XVII vom
Jahre 1888 für mehrere Bahnen aufge-
genommenen Sonderanleihe gedeckt.**)
Bei der Herstellung des Doppel-
geleises auf der österreichischen Strecke
war die Mitwirkung der Gesellschaft nur
eine geringe ; denn über Anordnung des
Handelsministeriums besorgte die k. k.
General-Direction der Oesterreichischen
Staatsbahnen die Ausführung, damit die
Gesellschaft überhoben sei, für die kurze
Zeit dieser Arbeiten ein eigenes Bau-
personale aufzunehmen. Die letzteren
waren in Losen an mehrere Unternehmer
vergeben und mit aller Beschleunigung
*) Im Mai 188S legten die Banken das
Anlehen zum Curse von 8825 zur öffent-
lichen Zeichnung auf, wie damals behauptet
wurde, mit gutem Erfolge.
**) Die Erste Ungarisch-Galizische Eisen-
bahn erhielt eine neue Garantiequote von
jährlich 301.980 Reichsmark und demzufolge
einen Darlehensbetrag von 6,230.800 Reichs-
mark zugeschieden.
J/<
Ignaz Konta.
vollendet worden, so zwar, dass die
Doppelspur in der Strecke Przemysl-
Chyröw-Zagörz [98 km] am 13. Januar
und in der Strecke Zagörz-Lupköw [48 km]
am 5. Juli 1888 eröffnet werden konnte.
Auf der ungarischen Strecke leitete die
Gesellschaft selbst den Bau, der in dem
Fragmente bis Vidräny [4 km] schon
am 1. December 1887 und in der übrigen
Strecke bis Legenyi-Mihälyi [115 km]
binnen sechs Monaten [1. Juni bis 29. No-
vember 1888] beendet wurde.
Rücksichtlich der anderen Bahnen,
welche derlei Ausrüstungen in grösserem
Massstabe vorzunehmen hatten, wird die
betreffende Mittheilung späterhin, an zeit-
gerechter Stelle folgen.
Hier sind noch mehrere Vorkomm-
nisse des Jahres 1887 besonders hervor-
zuheben, und zwar : Der Uebergang
einer weiteren Anzahl von Local-
bahnen in den Staatsbetrieb;*)
der Beginn der Wirksamkeit der inter-
nationalen Vereinbarungen über die
»technische Einheit im Eisen-
bahnwesen«, nachdem die in der
Berner Conferenz vom 15. Mai 1886
beschlossenen Normen hinsichtlich der
Spurweite der Geleise, der Construction
der Fahrbetriebsmittel und der zollsiche-
ren Einrichtungen der Eisenbahnwagen
am 1., beziehungsweise 10. Februar
1887 amtlich verlautbart worden waren
[Kundmachung des Handels- und be-
ziehungsweise Finanzministeriums] ; die
mittels Gesetzes vom 19. März 1887 er-
folgte Regelung der Steuerp flicht
der Oesterreichischen Staats-
bahnen, wonach dieselben , falls sie
nicht zeitliche Steuerbefreiung geniessen,
der Ervverb- und Einkommensteuer zu
unterziehen und hiedurch zur Entrichtung
der Gemeinde- und Landessteuern ge-
halten sind; die auf Grund der. kaiser-
lichen Verordnung vom 19. September
[und Kundmachung des Gesammtmini-
steriums vom 8. November] 1886, be-
*) Es waren dies die der Oesterreichi-
schen Local-Eisenbahn-Gesellschaft angehör-
ten Linien: Elbogea-Neusattel, 53 km, Cho-
dau-Neudek, 137 km, Kaschitz-Radonitz,
4 km, Nusle-Modfan, 12- 1 km, Olmütz-Celle-
chowitz, 35-8 km, Böhmisch Leipa-Niemes,
183 km, ferner Potscherad- Wurznies, 17-2 km.
treffend die Unpfändbarkeit der
Fahrbetriebsmittel erfolgte und
mittels Verordnung des Justizministeriums
vom 31. März 1887 verlautbarte Aus-
wechslung von Reciprocitäts-Erklärungen
mit dem Deutschen Reiche, durch welche
die Freizügigkeit der beiderseitigen Eisen-
bahn-Fahrzeuge gewährleistet und der
speculativen Industrie der Couponprocesse
[siehe Seite 279] das Hässlichste ihrer
Zwangsmittel entwunden wurde. Eine
gleiche Vereinbarung mit Italien enthält
der Handels- und Schiffahrts-Vertrag
vom 27. December 1887.
Auch die Reform der Vor s chri f-
ten für den Bau von Eisenbahn-
b rücken brachte das Jahr 1887, und
zwar mittels der Verordnung des Handels-
ministeriums vom 15. September, »be-
treffend die Sicherheitsrücksichten, welche
bei Eisenbahnbrücken, Bahnüberbrückun-
gen und Zufahrts-Strassenbrücken zu be-
obachten sind«.
Im ersten Jahrestheile verursachten
Todesfälle Personal- Veränderungen in den
obersten Posten zweier Bahnen. Nach
langer Krankheit verschied am 30. April
der vieljährige Director der Aussig-
Teplitzer Bahn, Friedrich Edler v. Em-
p erger, zu dessen Nachfolger am
19. Juli der Ober-Inspector, Leonhard
Seh weigert ernannt wurde. An den
Folgen eines kurz vorher erlittenen Ab-
sturzes in einem Maschinenraum starb
am 8. Mai 1887 der General-Director
der Böhmischen Nordbahn, Georg Loew,
der seit der Gründung dieser und der
jetzt mit ihr vereinigten Tumau-Kralup-
Prager Bahn an der Spitze ihrer Ge-
schäftsleitungen gestanden und sich auch
in weiteren Kreisen grosser Beliebtheit
erfreut hatte. Seine Stelle blieb fast ein
Jahr lang unbesetzt. In dieser Zeit führte
der Ober-Inspector Franz L a t die Ge-
schäfte. Am 17. April 1888 wurde der
frühere General-Director der Kaschau-
Oderberger Bahn, Regierun gsrath Arthur
Vicomte de M a i s t r e, der aus Anlass eines
allen Beamten die vollkommene Kennt-
nis der magyarischen Sprache vorschrei-
benden Erlasses der königlich ungarischen
Regierung [2. October 1887] dort seine
Demission nehmen musste, zum General-
Director der Böhmischen Nordbahn be-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
379
rufen. Ihn ersetzte bei der Kaschau-
Oderberger Bahn der Ober-Inspector der
königlich ungarischen General-Inspection,
Peter Räth, in der Eigenschaft eines
»geschäftsführenden Directors?, da die
General-Director-Stelle aufgelassen wor-
den war.
Am Schlüsse des Jahres hat das von
dem Professor Dr. Lorenz Ritter v. Stein
gegründete und seit einem Vierteljahr-
hundert herausgegebene »Central-
blatt für Eisenbahnen und Dampfschiff-
fahrt« [siehe Seite 64] zu bestehen auf-
gehört, nachdem das Handelsministe-
rium mittels Kundmachung vom 22. No-
vember 1887 anordnete, dass die vor-
geschriebene Verlautbarung von Tarif-
begünstigungen im Eisenbahn-Güterver-
kehre etc. nunmehr in dem amtlichen,
vom I.Januar 1888 erscheinenden »Ver-
ordnungsblatt desk. k. Handels-
ministeriums für Eisenbahnen
und Schiffahrt« zur Veröffentlichung
gelangen sollen, welches zugleich zur
Verlautbarung auch anderer amtlichen
und sonstigen Mittheilungen in Eisenbahn-
und Schiffahrts- Angelegenheiten zu dienen
hat. Zur weiteren Pflege des wissen-
schaftlich-literarischen Theiles des früheren
Centralblattes gab Professor v. Stein hierauf
die »Zeitschrift für Eisenbahnen
und Dampfschiffahrtc heraus.
Mit dem Jahre 1888 begannen die
Concessionirungen auf Grund des neuen
Localbahn-Gesetzes, die drei Jahre hin-
durch ungestört ihren Fortganpf nahmen
und vielen altgehegten Wünschen die
Erfüllung brachten- Den Anfang machte
die Steyrthalbahn, welche die erste
dem allgemeinen Verkehre dienende
Schmalspurbahn Oesterreichs ist und
als »Sinnbild des im Einklänge mit dem
Regierungsprogamme vom Jahre 1885
stehenden Bruches mit dem starren Fest-
halten an der Normalspur« eine be-
sondere Bedeutung gewann. Dann folgte
eine grosse Reihe anderer Localbahnen,
darunter zehn, zu deren Ausführung die
Kaiser Ferdinands - Nordbahn
sich in ihrem Uebereinkommen mit der
Regierung vom 10. Januar, beziehungs-
weise 17. Juli 1885 [siehe Seite 364]
verpflichtet hatte, ferner zwei kleine Ver-
bindungsstrecken der Staatseisen-
bahn-Gesell seh aft, u. s. w. Auch
auf Grund von Special-Gesetzen fanden
Concessionirungen von Localbahnen statt,
von denen hier nur jene der Linie
Eisenerz - Vordernberg hervor-
gehoben wird, *) weil bei derselben, wegen
ihrer Wichtigkeit für die um den Erz-
berg gruppirte Eisenindustrie, zum ersten
Male nach langer Zeit wieder die Ge-
währung einer Staatsgarantie in An-
wendung kam.
Die Kaiser Ferdinands-Nord-
bahn, deren Bauthätigkeit sich nun aut
die Localbahnen erstreckte, sorgte un-
verweilt für die bezügliche Geld-
beschaffung. Nach den Beschlüssen der
ausserordentlichen Generalversammlung
vom 20. August 1885 sollte zum Zwecke
der Erwerbung der Linie Weisskirchen-
Wsetin [siehe Seite 367] und des Baues
von Localbahnen ein 4°/0iges Prioritäts-
Anlehen im Betrage von nom. 1 2, 300. 000 fl.
aufgenommen werden. Da aber durch
die Verlängerung der Linie Bielitz-
Wadowice bis Kalwarja [siehe Seite 366]
und durch die vermehrte Anzahl der in
Aussicht genommenen Localbahn-Bauten
das Erfordernis gewachsen war, beschloss
die Generalversammlung vom 26. Mai
1888 jenes Anlehen in der Summe von
nom. 20,000.000 fl. aufzunehmen. Der
Verwaltungsrath vollzog diesen Beschluss
und begab am I.Juli 1888 einen Theil-
betrag von 8,000.000 fl. zum Curse von
98^ an die Actionäre der Gesellschaft.
Zur Deckung der schon früher erwähnten
sonstigen Erfordernisse [Legung des
Doppelgeleises in der Strecke Oderberg-
Os'wiecim, Dotirung der Baureserven etc.]
bewilligte dieselbe Generalversammlung
die Aufnahme eines anderen 40,0igen
Anlehens im Betrage von nom.
15,000.000 fl., welches jedoch erst im Juli
1891 emittirt und wieder im Theilbetrage
von 7,500.000 fl. an die Actionäre der Ge-
sellschaft zum Curse von 98% begeben
wurde. Die am 10. Juli 1888 an die
Unternehmungen Brüder Redlich und
Berger, Pischof und Löwenthal über-
tragene Herstellung des gedachten zweiten
*) Vgl. auch im Bd. I, 2. Th., den Ab-
schnitt über »Oesterreichs Localbahnen« von
P. F. Kupka.
38o
Ignaz Konta.
Geleises gelangte grossentheils noch im
Jahre 1888 zur Vollendung.
Bedeutende Ausrüstungen musste aus
der obenerwähnten Ursache auch die
Kaschau-Oderberger Bahn be-
werkstelligen. Die Grundlage zur Geld-
beschaffung hiefür gaben jedoch in ähn-
licher Weise und unter analogen Be-
dingungen, wie bei der Ersten Ungarisch-
Galizischen Eisenbahn die beiderseitigen
Staatsverwaltungen. Die königlich unga-
rische Regierung gewährte in Gemässheit
des Gesetzartikels XVII vom Jahre 1888
und des Uebereinkommens vom 8. Juni
1888 eine Special-Garantie von jährlich
362.292 Reichsmark und vermöge dieser
eine Zuweisung von nom. 7,477.000
Reichsmark aus der von ihr selbst zum
Curse von 9i'36°/0 übernommenen In-
vestitions- Anleihe. Daraus deckte die
Gesellschaft die Rückzahlungen der von
der königlich ungarischen Regierung er-
haltenen Vorschüsse [1,615.960 fl.] sowie
anderweitige Schulden im Betrage von
837.000 fl. und die Kosten der In-
vestirungen. Oesterreichischerseits erhielt
die Gesellschaft auf Grund des Ueber-
einkommens vom 3. Mai und des Ge-
setzes vom 25. Juni 1888 eine Erhöhung
der Staatsgarantie um jährlich 232.778 fl.,
welche die Unterlage für ein 4°/0iges
Prioritäts-Anlehen von nom. 5,500.000 fl.
bildete. Dasselbe wurde von der Gruppe
der Allgemeinen österreichischen Boden-
Creditanstalt zum Curse von 9i°/0 fest
übernommen. Aus dem Erlöse zahlte
die Gesellschaft die restlichen Garantie-
Vorschüsse für die österreichische Strecke
[einschliesslich der Zinsen] von 2, 5 30. 1 43 fl.
zurück,*) desgleichen sonstige Schulden
im Betrage von 495.668 fl., wo ihr dann
noch 1,979.19011. für die Investitions-
Erfordnisse verblieben.
Die genannte Bankengruppe vollführte
auch die Convertirungen der gesellschaft-
lichen Anlehen, nachdem die bezüglichen
Verhandlungen sich seit Jahr und Tag
*) Für die österreichische Strecke wurde
die Staatsgarantie schon seit dem Jahre 1879
nicht mehr in Anspruch genommen; vielmehr
leistete die Geseilschaft aus dem Anlehen
vom Jahre 1879 schon eine Abstattung von
173 1/2 fl. Siehe Bd. II, Dr. Ritter v. Wittek,
»Oesterreichs Eisenbahnen in der Staatswirth-
schaft« S. 23.
hingezogen hatten. Eine erste Verein-
barung war schon am 29. Mai 1886 zu-
stande gekommen ; doch blieb ihr die
Genehmigung der königlich ungarischen
Regierung versagt, welche günstigere und
minder verwickelte Bedingungen verlangte,
nach anderer Lesart aber, auch weil sie
die vom königlich ungarischen Finanz-
minister Grafen Sz ap äry damals geplante
| »grosse ungarische Convertirung« nicht
I durch gleichartige private Operationen be-
I einflussen lassen wollte. Dies hatte zur
i zur Folge, dass die Gesellschaft die
Couponstempel-Gebühr für die Prioritäts-
1 Obligationen, deren sie anlässlich der
Convertirung ledig zu werden hoffte,
j noch weiter aus Eigenem tragen musste,
da die versuchte Ueberwälzung auf die
j Prioritäten - Besitzer nicht gelang. Die
Convertirung wurde thatsächlich erst
I dann möglich, als die königlich unga-
rische Regierung die Umwandlung der
5°/0igen staatlichen Schuldtitel in minder
verzinsliche Werthe schon zum bedeuten-
den Theile bewirkt hatte. Nach einigen
taktischen Wendungen stellte die ge-
nannte Bankengruppe, der übrigens auch
die letzterwähnte grosse Operation an-
vertraut gewesen, neue Anträge, aut
Grund deren nun am 26. October 1888
die endgiltigen Convertirungs-Verein-
barungen abgeschlossen wurden, vermöge
welcher die neu auszugebenden Obliga-
tionen volle Stempel- und Gebühren-
freiheit geniessen, die Banken von dem
Convertirungs-Gewinn einen Betrag von
1,600.000 fl. an die beiderseitigen Re-
gierungen, beziehungsweise der Gesell-
te o ' £•
Schaft überlassen sollten, letztere aber
sich verpflichtete, die Stempelfreiheit der
Prioritäten-Coupons zu erwerben, was ihr
durch Entrichtung einer mit 194.000 fl.
vereinbarten Pauschal-Abfindung an die
königlich ungarische Regierung gelang.
Daraufhin erfolgte mittels des aus der
Vorlage vom 26. Februar 1889 hervor-
gegangenen Gesetzartikels X vom Jahre
1889 die Bewilligung der Gebühren- und
Stempelfreiheit für die neuen Titel und
gleich einen Tag nach der a. h. Sanc-
tionirung desselben, also am 28. April
1 889 die Convertirungs - Verlautbarung
mit der Anmeldefrist bis 7. Mai 1889
und mit dem Angebote von nom. 1 10*50 fl.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
381
4°/0ige für je nom. 100 fl. alte 5°/o'Se
Silberprioritäten, beziehungsweise nom.
2i0'40 Reichsmark 4°/0ige für je nom.
100 fl. 5°/0ige Goldobligationen. Für die
noch im Umlaufe gewesenen 5°/0igen
Silberobligationen vom Jahre 1868 und
1879 im Gesammtbetrage von nom.
39,149.800 fl. und die 5°,'0igen Gold-
obligationen vom Jahre 1879 im Betrage
von nom. 6,735.600 fl. wurden 4°/0ige
Titel von nom. 47,140.800 fl., beziehungs-
weise nom. 16,541.400 Reichsmark aus-
gegeben. Angeregt von dem Erfolge
dieser Convertirung hat die Gesellschaft
im Juni 1891 auch die 5°/o'gen Silber-
prioritäten der Eperies-Tarnöwer Bahn
[im ursprünglichen Betrage von nom.
4,285.200 fl.] und ihre Antheile an der
5, beziehungsweise 4,/2°/0igen ungarischen
Goldinvestitions-Anleihe vom Jahre 1876
und 1888 in 4%ige Anlehen gleicher
Währung umgewandelt.
Verhandlungen grundsätzlicher Natur
pflog die Regierung im Jahre 1888 auch
mit der Oesterreichisch - Ungarischen
Staatseisenbahn-Gesellschaft.
Gegenstand derselben war die Revision
der Formel für die Ermittlung des Rein-
erträgnisses des Ergänzungsnetzes, nach-
dem die Geltungsdauer des im Jahre 1883
für die Zeit von fünf Jahren festgesetzten
Coefficienten abgelaufen war. Die Ver-
handlungen fanden damit ihren Abschluss,
dass in dem Protokollar-Uebereinkommen
vom 30. December 1888 ein für die
Jahre 1888 — 1892 geltender neuer
Schlüssel zur Berechnung der Betriebs-
Ausgaben aufgestellt, für die Brünn-
Rossitzer Bahn aber die Rückzahlung
aller noch aushaftenden Garantie - Vor-
schüsse bedungen wurde.
Ungleich mehr als diese glatt abge-
wickelte Angelegenheit beschäftigte da-
mals das seit zwanzig Jahren unablässig
verfolgte Orientbahn-Project die Gesell-
schaft. Obzwar die alten Pläne einer
Fortsetzung ihrer ungarischen Linien bis
und durch Serbien, beziehungsweise Ru-
mänien zum Anschlüsse an die türkischen
Bahnen und einer Pachtung der letzteren
längst gescheitert waren, hatte sie sich
des Gedankens an die Erwerbung des
Besitzes oder doch Betriebes jener Bahnen
noch immer nicht zu entschlagen vermocht.
Im Mai 1887 versuchten der Verwaltungs-
raths- Präsident Ed. J o u b e r t und der Di-
rector de Serres neuerdings in Constan-
tinopel Verbindungen anzuknüpfen, von
denen sie Vieles erhofften. Hierin ge-
täuscht traten sie nachher mit dem Haupt-
interessenten der türkischen Bahnen, Baron
Hirsch, in Verhandlungen ein, welche die
Erwerbung der Actien der Betriebs-Ge-
sellschaft dieser Bahnen und deren Um-
wandlung in eine österreichisch-unga-
rische Unternehmung bezweckten.
Dem widersetzte sich zwar das Pariser
Comite der Staatseisenbahn-Gesellschaft
und verlangte, dass zugewartet werde, bis
die zwischen der Pforte und Baron Hirsch
schwebenden Streitigkeiten ihren Austrag
gefunden haben würden. Sowie dies durch
den Schiedsspruch Professor G n e i s t's
geschehen und die Lage geklärt war,
dünkte dem Verwaltungsrathe der Ab-
schluss des Geschäftes so nahe gerückt,
dass er eine ausserordentliche General-
versammlung zur Beschlussfassung über
dasselbe einberief. Sie wurde aber nicht
abgehalten und erst im August 1889
kam ein Vorvertrag zu Stande, welcher
die finanziellen Bedingungen, bei denen
es sich um die Beschaffung eines Capi-
tales von 85,000.000 Francs handelte,
feststellte und der Staatseisenbahn-Ge-
sellschaft die Rolle der Betriebs-Gesell-
schaft der Orientbahnen zudachte, wofür
sie Actien dieser neuen Gesellschaft im
Betrage von 25,000.000 Francs überneh-
men sollte.
Als jedoch die österreichischeVereins-
commission, welche wegen der Abän-
derung der Statuten der Staatseisenbahn-
Gesellschaft befragt werden musste,
Schwierigkeiten machte und überdies
Baron Hirsch noch mit dem Verlangen
nach Sicherung der 5%igen Verzinsung
der Prioritäts-Actien hervortrat, zerschlug
sich die Sache abermals und endgiltig.
Nun wurde sie in der Oeffentlichkeit
lediglich als eine fehlgeschlagene Privat-
Angelegenheit Joubert's bezeichnet. Ob
damit der Gesellschaft ein Dienst erwie-
sen wurde, muss wohl dahingestellt blei-
ben, denn es konnte ihr nicht gleich-
giltig sein, als williges Werkzeug eines
Speculanten zu erscheinen. Hört aber —
wie nicht anders möglich — jeder Zweifel
382
Ignaz Konta.
darüber auf, dass die Gesellschaft mit
ihren vieljährigen Bestrebungen nur dem
eigenen Interesse dienen wollte, dann
dürfte sie den Misserfolg umso härter
empfunden haben, als die grosse Schienen-
strasse nach dem Goldenen Hörn inzwi-
schen gänzlich vollendet worden war.
Es hatte lange gedauert und viele
Verhandlungen erfordert, bis die »Con-
ference ä quatre« die Ausführung der
im Berliner Vertrage vom 8. Juli 1878
enthaltenen Bestimmungen über den Aus-
bau der Orientbahnen zu Wege brachte.
Serbien kam seinen Verpflichtungen willig
nach. Bulgarien und die Türkei säumten.
Erst nach endlosen Bemühungen der
»Conference« gelang es auch, diese Län-
der zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten
zu bewegen ; sie verpflichteten sich in
der Convention vom 9. Mai 1883 zur
Fertigstellung ihrer Linien bis 15. Octo-
ber 1886. Der serbisch-bulgarische Krieg
und die inneren Wirren in Bulgarien ver-
ursachten neue Verzögerungen. Während
Serbien schon am 14. September 1884
die erste Linie [Belgrad-Nisch] dem öffent-
lichen Verkehre übergab, folgten Bul-
garien und die Türkei erst im Jahre 1888
nach. Am 18. Mai fand die Eröffnung
der Linie [Nisch-]Vranja-Uesküb-Salonichi
statt; am 12. August 1888 vereinigte ein
von der bulgarischen Regierung zur Weihe
des weltgeschichtlichen Ereignisses ver-
anstaltetes glänzendes Fest, die aus Wien,
Budapest, Belgrad und Constantinopel in
der Hauptstadt Bulgariens eingetroffenen
Gäste — und Tags darauf, am 13. August
1888, ging von Sophia aus der erste di-
recte Zug nach Constantinopel ab. Der
Traum: »Morgen- und Abendland mit
einem Schienenstrange zu verknüpfen«,
war nun verwirklicht.
Um die neuerschlossenen grossen Ver-
kehrswege dem Handel der österreichisch-
ungarischenMonarchie bestmöglichst nutz-
bar zu machen, hatten die beiderseitigen
Staatseisenbahn-Verwaltungen es unter-
nommen, sowohl die technischen als ins-
besondere auch die commerziellen Ein-
richtungen des Betriebes der ganzen, von
den äussersten Grenzen Oesterreich-Un-
garns bis Constantinopel und Salonichi
reichenden Transitroute einheitlich zu ge-
stalten. Ein Erfolg wurde jedoch sogleich
nur in ersterer Beziehung erzielt. Nach
Jahresfrist gelang dann noch, die hierzu-
lande geltenden Transport -Vorschriften
[inclusive Warenclassification, Betriebs-
reglement etc.] auf den orientalischen
Bahnen einzubürgern ; die Erstellung
wohlfeiler Tarife für den Durchzugsver-
kehr wollte jedoch nicht glücken und die
alten Wasserwege konnten die Concurrenz
behaupten. Die von der neuen Welt-
strasse erwarteten, umfassenden Vortheile
blieben also hinsichtlich des Güter-Tran-
sits vorläufig aus, und auch von einer
dominirendenEinflussnahme auf denselben
fiel den österreichischen und ungarischen
Staatsbahnen nur wenig zu.
Im heimatlichen Bereiche erhielt da-
gegen der österreichische Staatsbetrieb
zu- jener Zeit eine weitere Ausbreitung.
Am 26. Februar, beziehungsweise I. Oc-
tober 1888 übergingen concessions-
gemäss die eben eröffneten Strecken
Nieder-Lindewiese-Ziegenhals [25-4 km]
und Nieder-Linde wiese-Hannsdorf[30-5&»M]
der von der Oesterreichischen Localeisen-
bahn-Gesellschaft mit staatlicher Unter-
stützung erbauten Localbahn Hannsdorf-
Ziegenhals, welche zufolge des Staats-
vertrages mit dem Deutschen Reiche vom
14. März 1885 *) in Ziegenhals an das
preussische Bahnnetz anschliesst, in den
Staatsbetrieb — und nach Kündigung der
betreffenden Betriebsverträge gelangten
auch die staatlichen Localbahnen [siehe
Seite248]Mürzzuschlag-Neuberg[ii'4Äw]
und Unter-Drauburg- Wolfsberg [38 km],
welche von der Südbahn, dann Erbers-
dorf- Würbenthai [20'5 km] und Kriegs-
dorf-Römerstadt [i3'8 km], welche von
der Mährisch-Schlesischen Centralbahn
betrieben wurden, ab I. Januar 1889 in
die eigene Regie des Staatsbetriebes.
Ueberdies begann auch die Fort-
setzung der Ver st aatli chungs-
thätigkeit, welche - — bedeutsamer
Weise — jetzt »gemeinsame«, nämlich
solche Bahnen betraf, die in beiden
Reichshälften gelegen waren, jedoch ein
einheitliches Capital und eine einheitliche
Verwaltung besassen nnd dieserwegen,
*) Mittels dieses Staatsvertrages sind auch
die Anschlüsse : Mittelstein - Ottendorf
[Braunau], Barzdorf-[Heinersdorf]Ottmachau
und Ratibor-Troppau gesichert worden.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
383
wie auch weil sie als das »eiserne Band«
der beiden Staatsgebiete gegolten hatten,
gegen jede vorzeitige, das heisst vor Ab-
lauf der concessionsmässigen Fristen ein-
tretende Trennung und Einlösung gefeit
schienen.
Als die k. ungarische Regierung das
gemeinschaftliche Vorgehen in Anregung
brachte, war in der That blos die Ueber-
nahme des Betriebes auf Grund der Se-
questrations-Gesetze beabsichtigt, und
Staatsgarantie die Vorbedingungen für
die Anwendung der Sequestrations-Gesetze
längst erfüllt hatten Wohl aber brachte
die Erste Ungarisch-Galizische Eisenbahn
am 28. September 1888 ihre völlige Ver-
staatlichung in Vorschlag.
Die beiden Regierungen stimmten
demselben zu und wendeten ihn auch
auf die Ungarische Westbahn an. Oester-
reicbischerseits wurde nun darein ge-
willigt, dass die in Galizien, beziehungs-
Abb. 174. Wiener Verbindungsbahn nächst dem Süd- und Staatsbahnhofe nach dem Umbau im Jahre 1873.
die Erlässe vom 19. August 1888, mit
welchen die Regierungen der beiden
Staatsgebiete, nach vorausgegangener
grundsätzlicher Einigung, -sowohl der
Ersten U ngarisch - G alizischen
Eisenbahn als auch der Ungarischen
Westbahn den Verstaatlichungs-Be-
schluss verkündeten, sprachen nur von
einer solchen aus »betriebsökonomischen
und eisenbahnpolitischen Erwägungen«
gebotenen Betriebsübernahme. Jede der
beiden Regierungen wollte die in ihrem
Territorium befindlichen Strecken für
Rechnung der betreffenden Gesellschaft
in Verwaltung nehmen. Ein rechtlicher
Einwand dagegen konnte nicht erhoben
werden, nachdem beide Unternehmungen
durch reichliche Inanspruchnahme der
weise Steiermark liegenden Strecken der
beiden Bahnen ab 1. Januar 1889 vom
Staate gegen Leistung der garantirten
Annuitäten übernommen und für dessen
eigene Rechnung betrieben werden. Mit
der Ungarischen Westbahn ward ausser-
dem vereinbart, dass sie zur Deckung
der bereits vorgenommenen sowie der
noch zu bewirkenden Investitionen über
Verlangen der Regierung ein 4°/0iges
Prioritäts-Anlehen von nom. 1,500.000 fl.
ausgeben solle, dessen Verzinsung und
Tilgung vom Staate mit einer Annuität
von 63.632 fl. garantirt oder zur Selbst-
zahlung übernommen werden würde.
Ungarischerseits wurde die sogleiche
Einlösung der dortigen Strecken gegen
Zahlung der auf dieselben entfallenden
3«4
Ignaz Konta.
Quoten zur Verzinsung und Tilgung
der Actien und Prioritäten vorgezogen,
jedoch mit dem Vorbehalte, dass die
Erwerbung des unbedingten Eigen-
thumsrechtes erst dann nachfolgen könne,
bis der Staat die ihm freigestellte jeder-
zeitige Einlösung aller auf die ungarischen
Strecken entfallenden Actien vollzogen
habe. Beide Regierungen hatten den
Gesellschaften die Rückzahlung der aus
dem Titel der Staatsgarantie und der
Bedeckung der Betriebskosten - Abgänge
erhaltenen Vorschüsse*) erlassen und die
Uebernahme des Personals, unter Wahrung
seiner erworbenen Rechte, zugesichert.**)
Auf diesen Grundlagen bauten sich
die betreffenden Uebereinkommen auf,
welche die österreichische Regierung am
20. December 1888 mit der Ersten Unga-
risch - Galizischen Eisenbahn und am
22. December 1888 mit der Ungarischen
Westbahn abgeschlossen hatte***) und die
Schlussbestimmung enthielten, dass, wenn
die legislative Genehmigung derselben
nicht bis Ende Juni 1889 erfolgen sollte,
die staatliche Betriebsführung nach den
Bestimmungen des Sequestrations - Ge-
setzes vom 14. December 1877, also für
Rechnung der Gesellschaften stattfinden
würde. Dies trat nicht ein. Am I. Januar
1889 wurde der Betrieb der Ersten
Ungarisch - Galizischen Eisen-
bahn und der Ungarischen West-
bahn von den Staatsverwaltungen
übernommen; die Actionäre der beiden
Gesellschaften stimmten in ihren ausser-
ordentlichen Generalversammlungen vom
9., respective 17. Februar 1889 den Ueber-
einkommen zu, und die beiderseitigen
Legislativen genehmigten dieselben mittels
des ungarischen Gesetzartikels XIV vom
Jahre 1889 und des österreichischen Ge-
setzes vom 25. Mai 1889.
*) Die Erste Ungarisch-Galizische Eisen-
bahn schuldete damals 16,176.285 ff, die Un-
garische Westbahn 4,929.438 fl. an den öster-
reichischen Staatsschatz.
**) Wegen des von jeder der beiden
Regierungen zu übernehmenden Personal-
standes hatten dieselben untereinander be-
sondere Vereinbarungen getroffen.
***) Der Abschluss der Uebereinkommen
zwischen der königlich ungarischen Regie-
rung und diesen beiden Gesellschaften fand
am 22., beziehungsweise 23. December 1888
statt.
Seitdem führen die beiden Gesell-
schaften nur noch ein Scheindasein; sie
sind Eigenthümer ihrer Linien, haben
aber keinerlei Befugnisse über dieselben.
Dieses Verhältnis wird dauern, solange
die betreffenden Actien bestehen; denn
selbst dann, wenn die österreichische
Regierung von dem ihr, zufolge jener
Uebereinkommen, schon vom I. Januar
1889 an zustehenden Einlösungsrechte
Gebrauch machen würde, hätte sie die
Prioritäts-Anlehen — nach Massgabe der
! mit der königlich ungarischen Regierung
zu treffenden Vereinbarung — - zur Selbst-
zahlung zu übernehmen, den Actionären
aber bis zum Ablaufe der Concessions-
i dauer eine bestimmte Annuität zu ent-
richten ; es sei denn, dass die letztere im
| discontirten Capitalswerthe auf einmal
zur Abstattung käme.
Die sonst noch getroffenen Vor-
kehrungen für die Erweiterung des staat-
lichen Bahngebietes erstreckten sich
zunächst auf die Ausarbeitung eines Ge-
setzentwurfes, betreffend die Sicherstellung
der Linie Jaslo-Rzeszöw und der Vor-
lage desselben an den Reichsrath. Die
Frage der Verbindung Jasto's mit der
Carl Ludwig-Bahn an sich war jedoch
schon eine alte; denn sie spielte bereits
im Jahre 1864 einmal, als der galizische
Landesausschuss eine ungarisch-galizische
Eisenbahn von Kaschau über Eperies und
Dukla einerseits nach Przemysl und
andererseits nach Tarnöw anstrebte, ferner
in den Jahren 1865 und 1867 anlässlich
ähnlicher Projectirungen seitens des Grafen
Johann Waldstein und des Fürsten
August Sulkowski [siehe Seite 78].
Infolge der andersartigen Gestaltung des
galizischen Bahnnetzes gerieth sie aber
immer mehr in den Hintergrund, aus dem
sie erst in der neueren Zeit wieder her-
vorgeholt wurde. Fürst Eustach San-
guszko plante 1884 bis 1887 die Linie
Dembica-Jasto- Ungarische Grenze, und
der Ingenieur Leopold Ritter von M a c i e-
j o w s k i ein Jahr später die Linie Rzeszöw-
Jaslo-Dukla-Ungarische Grenze. Viele Ge-
meinden petitionirten aber um die Linie
JasJo-Dembica.
Im Jahre 1888 Hess die Oesterreichische
Credit-Anstalt die Vorarbeiten für eine
Localbahn von Rzeszöw nach Tarnowice
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
385
[nächst JasJo] oder Jedlicze ausarbeiten,
worauf der Fürst Sanguszko sein Project
ebenfalls in dieser Weise abänderte.
Beide Projecte wurden Ende August 1888
der Tracenrevision unterzogen, wobei der
Wunsch zum Ausdruck kam, die neue
Linie aus einer mehr östlich gelegenen
Station der Transversalbahn [Jedlicze oder
Krosno] ausmünden zu lassen. Die Regie-
rung wählte aber Jaslo zum Abzweigungs-
punkte, und holte nun sowohl bei der
Credit-Anstalt, als auch bei dem vom
Fürsten Sanguszko inzwischen gebildeten
»Landesconsortium« Erkundigungen über
die Sicherstellung des Baues ein. Beide
stellten Anforderungen, welche dessen
unmittelbare Ausführung auf Staatskosten
als vortheilhafter erscheinen Hessen.
Die Regierung legte nun am 12. März
1889 dem Reichsrathe einen Gesetzentwurf
vor, wonach die Linie Jaslo-Rzeszöw als
Localbahn mit einem Kostenaufwande von
höchstens 5,500.000 fl. aus Staatsmitteln
erbaut werden solle, und der nächste
Geldbedarf hiefür durch Veräusserung der
im Besitze des Staates befindlichen 7500
Actien lit. B der Buschtehrader Bahn*)
zu decken sei. Während der Berathung
dieser Vorlage wurden noch mannigfache
Begehren nach Aenderungen der Trace
vorgebracht, die aber keine Annahme
fanden ; vielmehr erhielt das Gesetz in der
von der Regierung beantragten Fassung
am 20. Mai 1889 die a. h. Sanction.
Drei Monate später fand die losweise
Vergebung des Baues statt; Ersteher
blieben [von 29 Bewerbern] die Unter-
nehmungen Frei und Genossen und
Prokowicz, Kiss & Gall. Die am
23. September 1889 begonnenen Arbeiten
waren binnen Jahresfrist vollendet, so dass
die jokm lange Linie am 12. October 1890
dem Betriebe übergeben werden konnte.
Ihre Anlagekosten haben 5,237.700 fl.
betragen.
Nicht ganz einen Monat, nachdem
die eben besprochene Gesetzesvorlage
vom Abgeordnetenhause angenommen
*) Diese Actien ä 200 fl. hatte der Staat
im Jahre 1874 für den zum Baue der Linie
Falkenau-Graslitz gewährten Baarvorschuss
al pari in Zahlung genommen [siehe Seite 184];
bei der Einbringung des oben erwähnten Ge-
setzentwurfes war ihr Cursstand 335.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band. 2. Theil
worden war, brachte die Regierung
daselbst einen die vollständige Rück-
erwerbung der Wiener Verbin-
dungsbahn bezweckenden Gesetzent-
wurf ein [7. Mai 1889]. Zwei Einsechstel-
Antheile derselben waren mit der Kaiserin
Elisabeth-Bahn und der Kaiser Franz
Josef-Bahn an die Staatsverwaltung zu-
rückgelangt; einen dritten solchen An-
theil hatte sie von der Kaiser Ferdinands-
Nordbahn auf Grund des Uebereinkom-
mens vom IO. Januar und 17. Juli 1885
[siehe Seite 364] und, zufolge der be-
züglichen Ankündigung vom 2. October
1 886, um den Pauschalpreis von 600.000 fl.,
mit Wirksamkeit vom 1. Januar 1887
erworben ; folglich handelte es sich nur
noch um drei ['/«-[Antheile. Von den
Besitzern derselben [siehe Seite 133]
waren die Staatseisenbahn - Gesellschaft
und die Oesterreichische Nordwestbahn
sogleich zur Abtretung bereit, und zwar
gegen Jahresrenten, welche bis Ende 1959
laufen und für die erstere 28.000 fl., für
die letztere aber 39.000 fl. betragen
sollten. Rücksichtlich der Südbahn, wel-
cher eine Jahresrente von 33.000 fl. zuge-
dacht war, erwartete die Regierung eine
gleiche Bereitwilligkeit.
Darum lautete der Gesetzentwurf auf
die Erwerbung aller drei Antheile. Er'
war vornehmlich damit begründet, dass
Rücksichten volkswirthschaftlicher und
verkehrspolitischer Natur dafür sprechen,
eine Verkehrsader, welche die bedeutend-
sten Bahnnetze der Monarchie verbindet
und zugleich 4as Weichbild der Reichs-
Hauptstadt durchzieht, wieder der un-
mittelbaren Verfügung des Staates zu
unterstellen. Der Reichsrath würdigte
diese Motive und erledigte die Vorlage
so rasch, dass dieselbe schon am 30. Mai
1889 die a. h. Sanction zum Gesetz er-
halten konnte. Dies führte jedoch vor-
läufig nur zu der am 26. Juni 1889 voll-
zogenen Erwerbung weiterer zwei An-
theile ; denn mit der Südbahn kam die
bezügliche Vereinbarung erst im Jahre 1 894
zustande. Die Kosten der Rückerwerbung
der Wiener Verbindungsbahn stellten
sich auf 3,826.460 fl. ; *) sie waren daher
*) Dieser Betrag setzt sich zusammen:
aus dem Werthe der beiden Antheile der
Kaiserin Elisabeth- und Kaiser Franz Josef-
25
386
Ignaz Konta.
um 1,826.460 fl. höher als der Erlös,
welchen der Staat im Jahre 1870 erzielt
hatte. Dafür bekam er aber jetzt eine voll-
kommen reconstruirte und in der Strecke
Arsenal-Matzleinsdorf völlig umgelegte
Linie*) zurück. Die früheren Eigen-
thümer hatten auf diese baulichen Aen-
derungen 1,867.180 fl. verwendet.
Der Betrieb wurde jedoch, auch hin-
sichtlich des am 1. September 1881 noch-
mals und bleibend eingeführten Personen-
verkehres,**) selbst nachdem der Staat
schon das gesammte Eigenthum an der
Wiener Verbindungsbahn erworben hatte,
noch weiter zwischen der Südbahn und
Nordbahn getheilt. Das wird wahrschein-
lich so bleiben bis die Wiener Stadtbahn
in Matzleinsdorf einmündet oder die dor-
tigen Anlagen auch ohnedies umgestaltet,
beziehungsweise erweitert werden.
Fortfahrend in der zuvor bezeichneten
Thätigkeit, langte die Regierung nun bei
der Verstaatlichung der L e m b e r g-
Czernowi tz -Ja s sy- Eisenb ahn an,
welche auch rücksichtlich der Linie
Lemberg-Czernowitz schon fünf Jahre hin-
durch ununterbrochen mehr als die Hälfte
der Staatsgarantie in Anspruch genommen
hatte, daher nach dem Sequestrations-
Gesetze vom Jahre 1877 [siehe Seite 252]
zur Uebernahme in die Verwaltung; des
Bahn [1,289.060 fl.], dann der Pauschalver-
gütung an die Nordbahn [600.600 fl.] und dem
für die Zeit bis Ende 1959 zu 5% capitali-
sirten Werthe der obenerwähnten Renten
von zusammen 100.000 fl. [das ist 1,937.4001!.].
*) Die neue Strecke ist nächst dem
Arsenale tiefer gelegt, dann mittels eines
Tunnels unter den Anlagen der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft hindurch zu einem vor
dem Südbahnhofe errichteten Stationsplatze
und von hier aus, beim Viaducte über die
Himberger und Laxenburger Strasse, mittels
eines zweiten Tunnels unterhalb der Südbahn
auf die Stadtseite der letzteren geführt, um
dann auf einer Rampe zum Frachtenbahn-
hofe Matzleinsdorf hinanzusteigen und dort
die Verbindung mit der Südbahn zu ge-
winnen. Den Anschluss an die Geleise der
Staatseisenbahn-Gesellschaft vermittelt ein
von ihrem Hauptbahnhofe aus zu dem vor-
erwähnten Stationsplatze [der Verbindungs-
bahn] führender Schienenstrang. [Abb. 173
und 174.]
**) Zum ersten Male war der Personen-
verkehr anlässlich der Wiener Weltausstellung
am 15. Mai 1873 eingeführt, jedoch nach kaum
acht Wochen wieder aufgelassen worden.
I Staates vollends reif geworden war und
! — infolge der bereits früher eingetretenen
i Loslösung ihrer rumänischen Linien —
[ der Anwendung jenes Gesetzes in keiner
| Weise mehr eine Schwierigkeit bereiten
konnte.
Die Abtrennung der rumänischen Li-
nien, bezüglich deren schon 1884 und
1885 Verhandlungen zwischen der ru-
mänischen Regierung und der Gesell-
schaft stattgefunden hatten, kam im Jahre
, 1887 nochmals zur Sprache; diesmal
jedoch nur in Betreff der Ueberlassung
des Betriebes an die rumänische Staats-
verwaltung. Dem gleichen Zwecke galten
i die im Sommer 1888 mit dem könig-
lichen rumänischen Bautenminister, an-
lässlich seiner Anwesenheit in Wien, ge-
pflogenen Besprechungen. Gleichwohl
vollzog sich die Scheidung oder doch
der erste Act derselben nicht im gegen-
seitigen Einvernehmen. Am 23. October
verlautbarte • der »Monitorul Official« ur-
j plötzlich ein am 7. October erlassenes
königliches Decret, welches die Seque-
stration des Betriebes der rumänischen
Linien der Gesellschaft für den 30. Oc-
\ tober 1888 [12 Uhr Mittags] anordnete.
Diese nach den Bestimmungen der Con-
cessions-Urkunde weder für möglich noch
, für zulässig gegoltene Massregel verur-
sachte allenthalben grosses Aufsehen und
! die öffentlichen Blätter unterzogen sie
einer eingehenden Kritik. Allein weder
die Schärfe dieser Erörterungen noch die
vom Verwaltungsrathe eingelegten Ver-
wahrungen gegen den Regierungsbeschluss
vermochten daran etwas zu ändern.
Alles was die schleunigst nach Bu-
karest gereisten Vertreter der Gesellschalt
dort erzielten, bestand darin, dass die
rumänische Regierung amtlich kundmachte,
ihrer Garantieverpflichtung wie bisher
pünktlich nachkommen zu wollen. Die
Sequestration wurde also am 30. October
vollzogen. Die Gesellschaft musste dem-
nach mit den gegebenen Thatsachen
rechnen und eine neue Regelung ihres
Verhältnisses zum rumänischen Staate
anstreben. Es geschah dies mit raschem
Erfolge, da ein Wechsel in der Person
des Bautenministers die Verständigung
erleichterte. Der Verwaltungsrath hatte
verschiedene Vorschläge erstattet sowie,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
387
infolge einer Einladung der rumänischen
Regierung, Bevollmächtigte nach Bukarest
entsendet, und diese brachten, trotz aller
Schwierigkeiten, schon in etlichen Tagen
ein Uebereinkommen zuwege, wonach
die Sequestration aufhören, der Staat den
Betrieb ganz auf eigene Rechnung führen
und der Gesellschaft für die ganze Con-
cessionsdauer oder bis zum Ankaufe der
Bahn die garantirte Jahressumme von
3,865.173 Francs in Gold, ohne irgend
einen Steuer- oder sonstigen Abzug, halb-
jährlich [April-October] bezahlen sollte.
Die Ausfertigung des Uebereinkom-
mens fand am 22. [10.] Januar, gleich
darauf auch die legislative Genehmigung
und am 4. März [20. Februar] 1889 seine
Sanctionirung statt. Zugleich wurden die
strittig gewesenen Rechnungsposten aus
der Zeit von 1880 — 1887 ausgetragen
und für das auf den rumänischen Linien
verwendete Personal sowie für die Tren-
nung des Pensionsfonds entsprechende
Vorsorge getroffen. Nun schwieg aller
Groll. Die Generalversammlung vom
30. April 1889 nahm den Bericht über
das Arrangement einfach zur Kenntnis
und hiemit Abschied von dem äusseren
Besitze ihrer rumänischen Linien.
Ein Gleiches auch hinsichtlich ihrer
österreichischen Linien zu thun, blieb ihr
nicht lange erspart, da — wie schon
weiter oben in Kürze erwähnt ist — die
k. k. Regierung den Betrieb jener Linien
an sich nahm. Hier ging dies aber in
ganz normaler Weise vor sich. Am
20. Mai 1889 verständigte das Handels-
ministerium den Verwaltungsrath, dass
unabweisbare betriebsöconomische und
eisenbahnpolitische Beweggründe die An-
wendung des Gesetzes vom 14. December
1877 erheischen, die näheren Moda-
litäten der auf den 1. Juli 1889 an-
beraumten Uebernahme des Betriebes
sowohl der eigenen Linien der Gesell-
schaft, als auch der von ihr betriebenen
Localbahnen, jedoch einvernehmlich er-
örtert werden können. Die Besprechungen
fanden am 12. Juni im Handelsministerium
statt, worauf dann die festgesetzten »Be-
stimmungen«, in welchen den Wünschen
der gesellschaftlichen Vertreter, »soweit
dies mit Rücksicht auf die bestehenden
rechtlichen und thatsächlichen Verhältnisse
zulässig erschiene, Rechnung getragen
war, am 19. Juni hinausgegeben, zugleich
auch die Anordnungen hinsichtlich der
Betriebführung durch die k. k. General-
Direction der österreichischen Staats-
bahnen amtlich kundgemacht, und am
1 . Juli 1889 die österreichischen Linien
der Lemberg - Czernowitz - Jassy - Eisen-
bahn nebst den von ihr betriebenen Local-
bahnen *) in das staatliche Betriebsnetz
einbezogen wurden.
Von diesem Tage an erlosch jede
Ingerenz des Verwaltungsrathes auf die
Agenden des Betriebes und auf das unter
die Amtsgewalt der k. k. General-Direction
getretenen Personales. Gleichwohl hat
er, Gebrauch machend von der ihm frei-
gestellten Wahl, ein eigenes Bureau für
den Verkehr mit der rumänischen Re-
gierung und die Besorgung der societären
Angelegenheiten beibehalten.
Die Sequestration dauerte, bis die
Regierung auf Grund des Gesetzes vom
22. Juni 1894 und des durch dasselbe
genehmigten Uebereinkommens vom
8. März 1894 die Führung des Betriebes
der Linien Lemberg-Czernowitz-Suczawa
für Rechnung des Staates, und zwar mit
Wirksamkeit schon vom I.Januar 1894
an, übernahm. Massgebend hiefür waren:
einerseits die Nothwendigkeit von Investi-
tionen zur Erhöhung der Leistungsfähig-
keit der Bahn und die Vorsorge für die
Deckung der bezüglichen Kosten, deren
Tragung nicht der Gesellschaft auferlegt
werden konnten ; andererseits dieErspriess-
lichkeit der Vereinfachung des Rechtsver-
hältnisses des Staates zur Gesellschaft. Es
wurde also diesfalls ein ähnlicher Vor-
gang gewählt wie bei der Ersten Unga-
risch-Galizischen Eisenbahn [siehe Seite
377]. Der Staat übernahm es, der Gesell-
schaft das ganze garantirte Reinerträgnis,
*) Es waren dies folgende Bahnen : B u k o-
winaer Localbahnen mit den Linien
Czernowitz -Nowosielica [312 km], Hliboka-
Berhometh sammt Zweigbahn nach Czudin
[7l7/t);i],Berhometh-Mezebrody [9^>«],Hatna-
Kimpolung [675 km], Wama-Russ-Molda-
witza [20 lern], Hadikialva-Radautz [8-1 km];
Kolomeaer Localbahnen mit den Linien
Kolomea-Szczepanowski [14-1 km], Nadwor-
nianski - Kniazdwör [7-I km], Peczeniiyn-
Stoboda rungunska - Kopalnia [109 km] ;
Lemberg-Belzec [Tomaszöw] 88-4 km.
25*
388
Ignaz Konta.
nämlich insgesammt 2,200.000 fl. jährlich
als feste Rente bis zum Ablaufe der Con-
cessionsdauer oder bis zur concessions-
mässigen Einlösung auszuzahlen und zur
Deckung der Investitions-Auslagen eine
Annuität von 438.543 fl. oder 877.086
Kronen zu leisten, beziehungsweise für
das hiedurch fundirte, 4°/0ige Prioritäts-
Anlehen von nom. 10,000.000 fl. oder
20,000.000 Kronen als Selbstzahler ein-
zutreten, — während die Gesellschaft
dem Staate die Betriebsführung auf dessen
eigene Rechnung überliess, ferner sich
zur Aufnahme des gedachten Anlehens
sowie auch dazu verpflichtete, aus dem
Erlöse desselben die bisher zu Lasten
des Betriebes, beziehungsweise der Garan-
tierechnung bewirkten Investitionen [Ende
1893 beiläufig 3,400.000 fl.] dem Staats-
schatze rückzuvergüten,*) die neuen
Leistungen zu decken und aus dem Reste
einen Investitionsfond **) zu bilden, dessen
Verwaltung und Verwendung dem Staate
vorbehalten blieb.
Die Theilhaber der Gesellschaft gaben
in der Generalversammlung vom 3 1 . März
1894 dem Uebereinkommen ihre Zustim-
mung; von Seite der Regierung wurde
dasselbe gleich nach der a. h. Sanctio-
nirung des Gesetzes vom 22. Juni 1894
perfectionirt. Seitdem ist die Gesellschaft
eigentlich nur mehr Besitzerin der Renten,
die sie von der österreichischen und von der
rumänischen Regierung bezieht ; sie befindet
sich jedoch dabei sehr wohl und vertheilt,
insbesondere mit Hilfe der rumänischen
Goldzahlungen, auch Superdividenden.
Das Investitions-Anlehen wurde im
Januar 1885 zum Curse von 98°/,, an
die Niederösterreichische Escompte-Ge-
sellschaft begeben.
*) Diese ausserordentliche Einnahme des
Staates erhielt laut Artikel III des Gesetzes
vom 22. Juni 1894 die Bestimmung, zur theil-
weisen Deckung der Kosten der zufolge Ge-
setzes vom 26. December 1893 aus Staats-
mitteln herzustellenden Linie Halicz-Oströw
[sammt Abzweigung] zu dienen.
**) Nach dem Motivenberichte zu dem
Entwürfe des vorstehend erwähnten Gesetzes
wie auch nach den eigenen Bestimmungen
desselben [Artikel III] soll der Investitions-
fond auch zur Unterstützung von neuen, in
Ostgalizien auszuführenden Localbahnen,
welche an die Linie Lemberg:Czernowitz-
Suczawa anschliessen, herangezogen werden.
Der in Oesterreich seltene Fall, dass
Verkehr und Ertrag zur Ursache der Le-
gung des Doppelgeleises wurden, ereignete
sich bei der Aussig-TeplitzerBahn.
Dank ihrer immer reicher fliessenden
Frachtenquelle — dem Kohlentransporte
— überschritten die jährlichen Rohein-
nahmen dieser glücklichen Unternehmung
die Summe von 1 50.000 fl. pro Meile und
die Staatsverwaltung nahm hieraus Ver-
anlassung, die Gesellschaft zur Erfüllung
der nun eingetretenen concessionsmässigen
Verpflichtung hinsichtlich der Herstellung
des zweiten Geleises aufzufordern [28. Fe-
bruar 1888]. Der Verwaltungsrath Hess
also das im Laufe der früheren Jahre
bereits von Aussig bis Dux [28-2 km]
gelegte Doppelgeleise bis nach Komotau
[weitere 36-8 km] fortsetzen. Die Ar-
beiten waren schwierige, weil der neue
Schienenstrang — wegen der eigen-
artigen Trace der Bahn und der zahl-
reichen Abzweigungen zu den Kohlen-
schächten — bald auf der einen, bald
auf der anderen Seite des alten Geleises
angelegt werden musste und der Betrieb
nicht durch den Bau behindert sein sollte.
Gleichwohl gedieh der letztere innerhalb
15 Monaten zur Vollendung und wurde
die neue Anlage am 4. October 1889
eröffnet.
Zur Deckung der bezüglichen Kosten
wie auch des mit 480.220 fl. veranschlagten
Aufwandes für den damals noch unter-
nommenen Bau eines zweiten Hafens in
Aussig: bewilligte die ausserordentliche
Generalversammlung vom 31. Juli 1889
die Erhöhung des Actiencapitals um den
Betrag von 2,421.000 fl. In der Art und
Weise, wie diese Vermehrung des Gesell-
schafts-Fonds bewerkstelligt wurde, spie-
gelte sich der glänzende finanzielle Stand
des Unternehmens; denn die Einzahlungen
[90 fl. auf jede der 25.442 Actien] ge-
schahen mit 2,004.843 fl. aus den nach
Vertheilung der Superdividenden aufge-
sparten Erträgnisresten pro 1887 und
1 888, im Uebrigen aber aus den sonstigen
Baarbeständen der Gesellschaft und fanden
in einer Abstempelung der Actien auf
den Betrag von 300 fl. ihren Ausdruck.
Welchen Werth der Geldmarkt diesen
Titeln beilegte, das zeigte ihr Cursstand,
der von 660 zu Ende des Jahres 1886
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
389
auf 1200 im Jahre 1889, 1500 im Jahre
1890 und 1600 im Jahre 1895 stieg.
Auf dem staatlichen Bahnnetze kamen
im selben Zeitpunkte gleichfalls bedeutende
Vervollständigungsbauten zur Ausführung,
darunter das am 15. December 1889
vollends eröffnete Doppelgeleise in der
33 '3 km langen Strecke Wien-Tulln,*)
zahlreiche Brückenauswechslungen, Sta-
tionserweiterungen, Sicherungsanlagen etc.
Ausserdem sorgte die Staatseisenbahn-
Verwaltung für eine neuerliche Ver-
mehrung der Falirbetriebsmittel, nachdem
ihr das Gesetz vom 14. Januar 1889 den
hiezu erforderlichen Credit von 4,62 5.000 fl.
bewilligt hatte.
Eine kleine aber wichtige Ausgestaltung
erfuhr auch die Oesterreichische
Nordwestbahn durch die Erbauung
der längst geplanten Verbindung zwischen
dem Hauptbahnhofe und der Donau-
uferbahn in Wien; denn sie gewann
damit einen neuen, sehr günstig gelegenen
Umschlagplatz und die freie, nicht mehr
auf die Benützung der Nordbahnstrecke
Jedlesee -Wien gebundene Ueberleitung
des Durchzugverkehres von und nach
den übrigen in Wien einmündenden
Bahnen. Die Eröffnung der blos vi km
langen Strecke fand am 1. März 1890
statt; ihre Kosten beliefen sich auf bei-
läufig 280.000 fl.
Zu denjenigen Linien, auf deren
bessere Ausrüstung im gesammtstaat-
lichen Interesse Werth gelegt ward,
zählte auch die Carl Ludwig-Bahn,
und zwar handelte es sich da vornehmlich
um die Legung des zweiten Geleises.
Die Gesellschaft plante diese Vervoll-
ständigungsbauten schon im Jahre 1877,
verschob aber die Ausführung immer
wieder, weil die russischen Gütersendun-
gen nach dem Westen andere Wege ein-
zuschlagen begannen. Ein Zwang konnte
auf die Gesellschaft umsoweniger aus-
*) Dieser Bau war ursprünglich als selb-
ständige Localbahn gedacht und als solche
in der Concessions-Ürkunde für die Linie
St. Pölten-Tulln sammt Zweigbahn [12. Mai
1884] mitenthalten, wurde aber später infolge
von Anfechtungen seitens des Parlamentes
wieder aus jener Concession ausgeschieden
[Kundmachung des Handelsministeriums vom
13. December 1886] und auf Staatskosten
ausgeführt.
geübt werden, als sie zu jener Leistung
concessionsmässig erst dann verpflichtet
war, wenn der einjährige Rohertrag die
Ziffer von 250.000 fl. pro Meile über-
steigen würde. Als nun die Gesellschaft
sich mit der Absicht trug, ihre 41/8°/0igen
Prioritäts-Anlehen in 4°/0ige zu conver-
tiren, nahm die Regierung diese Gelegen-
heit wahr, um hinsichtlich des zweiten
Geleises eine Vereinbarung zu erzielen.
Die Verhandlungen gingen jedoch nur
langsam von Statten und fanden erst in
dem Uebereinkommen vom 30. Juli 1889
ihren Abschluss.
Dasselbe bestimmte im Wesentlichen
Folgendes: Die Gesellschaft führt den Bau
ehemöglichst aus und trägt zu den mit
effectiv 18,000.000 fl. veranschlagten
Kosten desselben nicht nur die Hälfte
des Convertirungs-Gewinnes, mindestens
aber 1,500.000 fl. bei, sondern widmet
auch zur Verzinsung und Tilgung des
weiteren Aufwandes die Hälfte jener
Reinertrags-Ueberschüsse ihres Gesammt-
unternehmens, welche den zur Vertheilung
einer 4°/oigen Actiendividende erforder-
lichen Betrag übersteigen; die Staats-
verwaltung hingegen deckt das übrige
Erfordernis für die Verzinsung und Til-
gung desjenigen Theiles der neuen An-
leihe von nom. 20,000.000 fl., welcher
nebst der gesellschaftlichen Capitalszuwen-
dung noch für die Herstellung des Doppel-
geleises verausgabt wurde. Bei der con-
cessionsmässigen Einlösung der Bahn
übergeht dasselbe mit an den Staat,
welcher hiefür an die Gesellschaft jene
Annuitäten bezahlt, die zur Verzinsung
und Tilgung der Kostenquote nothwendig
sind, deren Deckung nicht der Gesell-
schaft obliegt.
Um nicht ein ganzes Baujahr unbe-
nutzt verstreichen zu lassen, hatte die
Gesellschaft — gestützt auf die ihr für
alle Fälle zugesicherte Schadloshaltung —
die Arbeiten sofort in Angriff genommen,
was derselben gut zustatten kam und ihre
Vollendung mit 1. Juli 1891 ermöglichte.
Die Genehmigung des Uebereinkommens
begegnete indess keinen Schwierigkeiten.
Die Actionäre gaben ihm in der ausser-
ordentlichen Generalversammlung vom
28. October die Zustimmung, und der
Reichsrath erledigte den bezüglichen Ge-
390
Ignaz Konta.
setzentwurf im März 1890; die a. h.
Sanction desselben erfolgte am 22. März
1890. Sein Inhalt stand insoferne nicht
völlig im Einklänge mit dem Ueberein-
kommen, als er die Höhe der Staats-
Zuschüsse zu den Baukosten von den
gesellschaftlichen Zuwendungen unab-
hängig machte und auf die Dauer bis
1957 mit einem jährlichen Betrage von
höchstens 862.290 fl. in Silber festsetzte,
bei gleichzeitiger Zuweisung der gesell-
schaftlichen Giebigkeiten an den Staats-
schatz. Den Kern der Uebereinkunft
hatte dies aber nicht berührt.
Das neue einheitliche [4%i»e] An-
lehen im Betrage von nom. 75,000.000 fl.,
wovon 49,699.300 fl. zur Convertirung der
4I/i°/0igenPrioritäten [45,006.30011.], ferner
5,000.000 fl. zur Unificirung der bereits
4°/0igen Anleihe vom Jahre 1887 und
20,000.000 fl. für das zweite Geleise dienten,
wurde schon früher an die Gruppe der
Unionbank begeben, welche einen Theilbe-
trag von nom. 40,000.000 fl. am 14. Mai
1890 zum Curse von 96 [sowohl gegen
Baarzahlung als auch im Umtausche]
zur öffentlichen Zeichnung auflegte.
An die Bedachtnahme auf die Ver-
mehrung der Leistungsfähigkeit und Sicher-
heit des Betriebes reihte sich jene auf
die Förderung der Reiselust und des
Güteraustausches, insbesondere durch
Verwohlf eilung der Fahr- und
Frachtpreise. Hiebei schritt der
Staatsbetrieb voran. Aelteren einschlä-
gigen Publicationen, *) namentlich aber
der vom Abgeordneten Siegmund am
9. April 1889 beantragten Erstellung
eines Zonentarifes **) vollste Aufmerk-
*) Dr Eduard Engel: »Eisenbahnreform«
[Wien 1885 und Jena 1888]; Dr. Theod. Herzka
»Das Personenporto. EinVorschlag zur Durch-
führung eines billigen Eisenbahntarifes im
Personenverkehr der Eisenbahnen» [Wien
1885]. Weit früher hat Dr. Perrot diese Frage
in seinen Schriften: »Die Reform des Eisen-
bahntarifwesens im Sinne des Pennv-Portos«
[1867] und »Die Anwendung des Pennv-Porto-
svstems auf den Eisenbahntarif und das
Packet-Porto« [Rostock 1872] behandelt.
**) Dieser anlässlich der Budgetdebatte
gestellte Resolutions-Antrag lautete im We-
sentlichen : Die Regierung möge beim Deut-
schen Eisenbahn-\ ereine und bei den Ver-
waltungen der übrigen continentalen Bahnen
dahin wirken, dass die Personentarife einer
Reform in der Richtung unterzogen werden,
samkeit zuwendend, brachte die k. k. Ge-
neral-Direction der österreichischen Staats-
bahnen am 1 . Juli 1 889 zunächst auf ihren
Wiener Localstrecken eigene, für bestimmt
abgegrenzte Entfernungen und die in den-
selben liegenden Stationen geltende, zu-
gleich im Preise neuerdings ermässigte
Fahrkarten zur Ausgabe. Sodann nahm
die Staatseisenbahn- Verwaltung aus den
bei diesem Versuche gewonnenen Er-
fahrungen hinsichtlich der Vereinfachung
des Fahrkartenwesens und der praktischen
Anwendung des Zonensystems, wie auch
im Hinblicke auf die über Antrag des
Abgeordneten Dr. R u s s*) gefassten Be-
schlüsse der Herbstsession 1889 desStaats-
Eisenbahnrathes Veranlassung noch viel
weiter zu gehen und, unbeirrt von dem
Lobe und Tadel, den die ähnlich gear-
tete, am 1. August 1889 auf den
königlich ungarischen Staatsbahnen in
Wirksamkeit gesetzte grosse Tarifreform
gefunden hatte, am 16. Juni 1S90 den
sogenannten »Kreuzer-Zonentarif«
einzuführen, der eine abermalige [also
schon die dritte] Herabminderung der
Fahrpreise um durchschnittlich 36°/,, in
sich fasste [allerdings bei gleichzeitiger
Aufhebung des Freigepäcks] und zufolge
des Gesetzes vom 25. Mai 1890, oder
auch aus Concurrenzrücksichten allmäh-
lich von vielen Privatbahnen angenommen
wurde.**) — Ein Jahr später, am I.Juli 1891,
trat auf dem staatlichen Betriebsnetze ein
neuer Gütertarif in Geltung, der sich
von dem früheren einerseits durch eine
günstigere Classification, andererseits
durch billigere Grundtaxen, und insbe-
sondere durch die Einführung eigener
Wagenladungs-ClassenfürdenSammelgTit-
dass vermittels »Aufstellung eines einheit-
lichen und einfachen, wenn auch mehrstufi-
gen Zonentarifes allen, somit auch den un-
bemittelten Classen der Bevölkerung die mög-
lichst billige Benützung der Eisenbahnzüge
auch zur Benützung grösserer Strecken er-
möglicht werde«.
*) Dr. Victor Russ hat am 25. Novem-
ber 1889 über dieses Thema auch einen Vor-
trag in der »Gesellschaft der österreichischen
Volkswirthe« gehalten, an den sich eine leb-
hafte Erörterung und am 16. December 1889
ein weiterer Vortrag des Privatdocenten Dr.
Julius von Roschmann-Hörburg knüpfte.
**) Siehe auch Bd. III, den Abschnitt über
Personentarife von Th. Englisch.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
391
Verkehr und für Massenartikel unter-
schieden hatte. *) Auch diese Neuerung
fand bei den Yerkehrs-Interessenten leb-
haften Beifall, und beim Staatseisenbahn-
Rathe, in dessen Sitzung vom 20. April
1891 der Vorstand des commerziellen
Dienstes der k. k. Staatsbahnen, Hofrath
Dr. Franz L i h a r z i k, das Wesen und
Ziel der Reform erläuterte, dankende
Anerkennung, nicht so ganz aber in
denjenigen parlamentarischen Kreisen,
welche von der Frachtverbilligung eine
ungünstige Rückwirkung auf die Bahn-
erträgnisse, daher in weiterer Linie auch
auf den Staatsschatz besorgten. [Budget-
debatte vom 10. Juli 1891.]
Inmitten dieser Reformthätigkeit blieb
das Augenmerk auch der Fürsorge für
das Personale zugewendet. Mancher
Schritt zur Verbesserung der materiellen
Lage desselben und zur Erleichterung
des ebenso anstrengenden als verant-
wortungsvollen Dienstes wurde gethan,
und der Flügelschlag der neuen Zeit nicht
überhört, die neue Einrichtungen heischte.
Die Eisenbahn- Verwaltungen vereinigten
sich sowohl zur gemeinsamen Durch-
führung der Unfallversicherung
nach dem Gesetze vom 28. December
1887 und zur freiwilligen Ausdehnung
derselben auf das nicht unter dieses
Gesetz fallende Personal, als auch zu
einermöglichst einheitlichen Kranken-
versicherung der Arbeiter nach dem
Gesetze vom 30. März 1888, wobei viele
der neuen, beziehungsweise umgewan-
delten Eisenbahn-Krankencassen grössere
als die vom Gesetze vorgeschriebenen
Leistungen auf sich nahmen. Ein von
den Bahnverwaltungen eingesetztes sieben-
gliedriges Comite,**) dessen Vorsitz und
Geschäftsführung die k. k. General-
Direction der österreichischen Staats-
bahnen übernommen hatte, entwarf in
der kurzen Frist vom 2. Mai bis 6. August
1888 das Musterstatut für die Eisenbahn-
Krankencassen und das Statut für eine
*) Näheres siehe Bd. III im Abschnitt
Frachtentarife von A. Pauer.
**) Ueber die Zusammensetzung dieses
Comites [Bahnverwaltungen und Personen]
sowie über die Arbeitsteilung in demselben
enthält Konta's Eisenbahn- Jahrbuch, Jahr-
gang XXI, S. 42, genaue Angaben.
»Berufsgenossenschaftliche Un-
fallversicherungs -Anstalt der
österreichischen Eisenbahnen«,
und legte diese Entwürfe nach erfolgter
Zustimmung der Bahnverwaltungen am
27. September 1888 der Regierung vor.
Das ersterwähnte Musterstatut fand bal-
dige Erledigung; die Bahnen konnten
daher die neuen Krankencassen pünkt-
lich am I. August 1889 in Wirksam-
keit setzen. Das andere Statut erhielt
erst nach längeren Verhandlungen über
die Anwendung des Umlage - Systems
[statt des Capitaldackungs -Verfahrens],
über die Beisteuer J zum gemeinsamen
Reservefond aller staatlichen Versiche-
rungs-Anstalten und über den Termin
der freiwilligen Ausdehnung der Ver-
sicherung — am 20. October 1889 die
definitive staatliche Genehmigung. Das
behinderte zwar nicht, dass die genannte
Versicherungs-Anstalt an dem für die
übrigen territorialen Anstalten diesfalls
anberaumten Termine, nämlich am 1. No-
vember 1889, in Thätigkeit trat, doch war
der Vorstand bis zu der am 1 8. December
i889abgehaltenenconstituirendenGeneral-
versammlung ein provisorischer. Vermöge
des Gesetzes vom 20. Juli 1894 und des
hiernach abgeänderten, am II. December
1894 staatlich genehmigten Statutes er-
folgte die Ausdehnung der Versicherung
auf sämmtliche Betriebe, beziehungsweise
Bedienstete der Eisenbahnen.*)
Eine Serie anderer administrativer
Einwirkungen der Regierung galt der
allgemeinen Herbeiführung einer richtigen
und die finanzielle Gebarung klar aus-
weisenden Rechnungslegung der Privat-
bahnen sowie der thatsächlichen und
ausreichenden Dotirung der Reserven.
Die meisten Verwaltungen kamen den
Wünschen der Aufsichtsbehörde bereit-
willigst entgegen, und bei den übrigen
halfen Verhandlungen nach. Solches war
beiderOesterreichisch-Ungarischen
Staatseisenbahn - Gesellschaft der
Fall, in deren Bilanz pro 1888 einige
Posten bemängelt wurden, z. B. die be-
reits auf 800.000 fl. angewachsen ge-
wesenen Vorschüsse zur Verzinsung: und
*) Siehe auch Bd. III, E. Engelsberg,
Wohlfahrtseinrichtungen der österreichischen
Eisenbahnen.
392
Ignaz Konta.
Tilgung der Prioritäten der Böhmischen
Commerzialbahnen; Annuitäten für Schie-
nenerneuerungen, deren Kosten das Mini-
sterium sogleich getilgt sehen wollte; zu
Lasten des Baues verrechnete Betriebs-
ausgaben u. s. w.
In dem Verhältnisse der Gesellschaft
zu den Böhmischen Commerzialbahnen
trat übrigens einige Aenderung dadurch
ein, dass die letzteren die Linie Brandeis-
Mochow und die Schleppbahn Neratovic-
Elbekosteletz an die erstere förmlich ver-
kauften, den Kaufschilling von i ,200.000 fl.
in den eigenen, d. h. Commerzialbahn-
Prioritäten aus dem Portefeuille der
Staatseisenbahn-Gesellschaft bezahlt er-
hielten und hievon blos 536.970 fl. zu
Investitionen verwendeten, den Rest von
663.000 fl. aber vernichteten, um die
Prioritätsschuld herabzumindern. Die
Jahreslast für diese Anlehensschuld erfuhr
sodann vermöge der im Einvernehmen
mit der Staatseisenbahn-Gesellschaft, als
der Besitzerin sämmtlicher Titel der
Commerzialbahnen, bewerkstelligte Um-
wandlung der 5°/o'Sen Gold- in 4%ige
Xoten-Prioritäten eine erhebliche Ver-
ringerung. Da ferner die Staatseisenbahn-
Gesellschaft von dem über die Annuität
für den Prioritätendienst der Commerzial-
bahnen hinausreichenden Erträgnisse der-
selben jeweils 25% als Gewinnantheil
und 75% als Abstattung auf die oben-
erwähnte • Zinsenschuld vertragsmässig
bezog, so war auch für deren allmähliche
Tilgung gesorgt. Die Uebertragung der
Concession für die 12 km lange Local-
bahn Brandeis-Mochow auf die Staats-
eisenbahn - Gesellschaft wurde mittels
Kundmachung des Handelsministeriums
vom 18. Juli 1890 bewilligt. Die Con-
cession für die Verbindungsstrecke Pofiöan-
Mochow und die Verlängerung von Bränd-
eis nach Neratovic erhielt die Gesellschaft
[auf Grund des Gesetzes vom 15. März
1890] am 21. Juni 1890.
An den Bilanzbemänglungen hatte
auch die königlich ungarische Regierung
sich lebhaft betheiligt und dadurch zur
Regelung der Angelegenheit wesentlich
beigetragen ; sie stellte jedoch zugleich
noch andere Forderungen, so namentlich
in Betreff der Theilung des Wagenparkes
und Bahnfundus sowie der Trennung der
J gesellschaftlichen Directionen für den
Baudienst und die Domänen nach den
beiden Netzen. Da die Domänen keinen
Bestandtheil des Eisenbahn-Unternehmens
bilden, wahrte sich die Gesellschaft die
Einheitlichkeit der bezüglichen Ver-
\ waltung; in den übrigen Punkten hin-
! gegen fügte sie sich fast durchwegs dem
Begehren der königlich ungarischen
' Regierung. Hievon wurde gerade die-
jenige Persönlichkeit getroffen, welche
in hervorragender Weise an der Duali-
sirung der Gesellschaft mitgewirkt hatte ;
denn Baudirector wie auch Präses des
Directoriums für die österreichischen
Linien war August de S e r r e s und, weil
ihm die Einengung seines Wirkungs-
kreises nicht zusagte, trat er am 1. April
1890 gänzlich aus dem gesellschaftlichen
Dienste.
Der Zufall fügte es, dass um dieselbe
Zeit auch der Verwaltungsraths-Präsident
Edmund J o u b e r t, der bei der Zwei-
theilung der Gesellschaft sozusagen die
Hauptrolle gespielt hatte, seine Stelle
niederlegte. Dies hing nicht mit den ge-
sellschaftlichen Angelegenheiten, sondern
mit den Verwicklungen zusammen, in die
er durch die Betheiligung an dem grossen
»Kupferringe« gerathen war; die end-
! liehe Berücksichtigung der altgehegten
Wünsche, dass an der Spitze der Ge-
sellschaft und auf den Dienstposten der-
selben nur Angehörige der österreichisch-
ungarischen Monarchie stehen mögen,
hatten diese Demissionen jedenfalls er-
leichtert. An die Stelle de Serres' wurde
mit Verwaltungsraths - Beschluss vom
14. März 1890 der k. k. Hofrath Rudolf
I G r i m u s Ritter von G r i m b u r g berufen
und bei der Constituirung des Verwal-
tungsrathes nach der Generalversamm-
lung Excellenz Dr. Sisino Freiherr von
Pretis-Cagnodo zum Präsidenten des
vereinigten Vervvaltungsrathes gewählt;
der letztgenannte Functionär starb jedoch
am 15. December 1890 und erhielt dann
in dem Vicepräsidenten Theodor Ritter
von T a u s s i g einen Nachfolger.
Die Auflösung der Baudirection, die
1 Theilung des Zugförderungs- und Werk-
stättendienstes und die bezüglichen
Aenderungen in der Geschäftsführung
I traten mit I.Juni 1890 in Wirksamkeit.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
393
Die königlich ungarische Regierung gab
sich jedoch damit nicht lange zufrieden,
sondern wollte alsbald die Verstaat-
lichung der auf ungarischem Ge-
biete gelegenen Linien der Ge-
sellschaft. Nach dem Vertrage vom 8. Juli
1882 [siehe Seite 295 f.] wäre sie hiezu
erst vom 1 . Januar 1 895 an berechtigt ge-
wesen ; die Gesellschaft setzte jedoch dem
ihr deutlich zu erkennen gegebenen Willen,
die Erwerbung je früher zu bewirken,
keinen Widerstand entgegen. So kam
denn — um dies gleich hier zu er-
wähnen — nach längeren Verhandlungen
ein am 7. Juni 1891 definitiv abge-
schlossener Vertrag zustande, der in
der Hauptsache Folgendes bestimmt:
Die königlich ungarische Regierung löst
die ungarischen Linien der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft mit Wirksamkeit vom
I.Januar 1891 ein*) und bietet als Entgelt
hiefür eine durch 75 Jahre zahlbare
Annuität von 10,665.000 fl. ö. W., welche
nach Abschlag einer nicht erhöhbaren
io°/0igen Steuer, mit dem jährlichen
Nettobetrage von 9,598.500 fl. **) in zwei
gleichen Semestralraten [Januar — Juli]
gänzlich abzugfrei zu entrichten ist ; wenn
ein Monat vor dem Fälligkeitstermine
einer Annuitätsrate der durchschnittliche
Goldcurs an der Wiener Börse höher ist
als 117%, so leistet die königlich unga-
rische Regierung zu der betreffenden
Rate ein Aufgeld, welches der procen-
tuellen Curssteigerung auf einen Gold-
guldenbetrag von 3,250.000 fl. gleich-
kommt; zur Vollendung ihrer noch im
Baue befindlichen Strecken gibt die Ge-
sellschaft dem ungarischen Staate einen
Vorschuss von 5,000.000 fl., dessen Ver-
zinsung und Rückzahlung durch eine
seitens des ungarischen Staates vom
*) Der bilanzmässige Werth dieser Linien
in der Betriebslänge von 1499-4 &»j [exclusive
Lissava-Anina mit 235 km] sammt Inventar
und Materiale betrug 165,086.867 fl. ; ihr Fahr-
park bestand aus 326 Locomotiven, 468 Per-
sonen-, 6054 Güter-, 247 Gepäckswagen,
5 Dampfern, 25 Schleppern und 7 Landungs-
schiffen.
**)DieseRente entspricht einer 5'8l5°/0igen
Verzinsung des effectiven, oder S'04S"lo des
Nominal-Anlage-Capitals, oder 4-45°/0 bei Be-
rechnung des Goldagios bei den Geld-
beschaffungskosten mit l5°/0.
Jahre 1891 bis einschliesslich 1965 zu
zahlende, völlig abzugfreie Annuität von
250.000 fl. erfolgt; die Annuitäten und
der Vorschuss werden auf den erworbenen
Linien intabulirt; das Personal wird über-
nommen, der Pensions- und auch der
Provisionsfonds entsprechend getheilt.
Von Seite der Actionäre erhielt der
Vertrag in der ausserordentlichen General-
versammlung vom 9. Juli 1891 die Zu-
stimmung, und von Seite der ungarischen
Legislative mittels des Gesetzartikels
XXXVIII vom Jahre 189 1, worauf dann
der Besitzwechsel vor sich ging und die
gesellschaftliche Direction in Budapest
am 18. August 1891 ihre Thätigkeit ein-
stellte. Die Domänen, Berg- und Hütten-
werke blieben natürlich von alldem un-
berührt und nach wie vor freies Eigen-
thum der Gesellschaft, nur war sie ge-
halten, bis spätestens 1. Juli 1892 eine
Domänen-Direction in Budapest zu er-
richten. *)
Auf die Rechtsverhältnisse des öster-
reichischen Netzes der Gesellschaft hatte
die Lostrennung ihrer ungarischen Linien
vorerst keine Rückwirkung geübt. Die
k. k. Regierung machte von der ihr zu-
gegangenen Einladung, gemeinsam mit
der ungarischen in die Verstaatlichungs-
Action einzutreten, keinen Gebrauch, son-
dern zog es vor, zuzuwarten, bis sie die
ihr aus dem November-Uebereinkommen
vom Jahre 1882 [siehe Seite 296 f.]
erwachsenen Einlösungsrechte verwerthen
kann. Nur insoferne scheint die geänderte
Sachlage nicht ohne Einfluss geblieben
zu sein, dass die Gesellschaft [wahr-
scheinlich wegen der nahegerückten Mög-
lichkeit der Verstaatlichung auch der öster-
reichischen Linien] den früher schwung-
haft betriebenen Bau von Localbahnen
einstellte.
Das Localbahnwesen im Allgemeinen
hörte indess nicht auf, gute Fortschritte
zu machen. Eine vom Herzogthum
Steiermark unternommene besondere För-
derung des Baues von Localbahnen Hess
sogar eine neue bedeutende Entwicklung
desselben erhoffen. Der steiermärkische
Landtag, welcher schon immer den Local-
*) Siehe auch Bd. III, J. Gonda, Ge-
schichte der Eisenbahnen in Ungarn von
1867 bis zur Gegenwart, Seite 410.
394
Ignaz Konta.
bahnen seines Landes reichliche Unter-
stützung zugewendet hatte, beschloss
nämlich am 18. November 1889, die
letztere fortan in ein System zu brin-
gen, wonach die Localbahnen möglichst
unter die Obhut des Landes genommen,
auf die Mittel und den Credit desselben
gestützt und hiedurch vor der Vertheue-
rung der Geldbeschaffung und des Baues
behütet werden sollten. *)
Ueber die hieraus hervorgegangenen
Schöpfungen in Steiermark gibt der das
österreichische Localbahnwesen behan-
delnde Abschnitt weiteren Aufschluss; eine
zutreffende Darstellung des damit ver-
knüpften Erfolges wird erst nach Verlauf
mehrerer Jahre möglich sein; hingegen ist
schon an dieser Stelle zu verzeichnen, dass
zunächst die Königreiche Böhmen und Ga-
lizien und nachher auch noch andere Pro-
vinzen sich dem Vorgehen Steiermarks
insoferne anschlössen, als auch sie die För-
derung örtlicher Schienenwege in erhebli-
chem Masse und nach genau umschriebenen
Regeln unternahmen. Doch geschah dies
weder auf ebenso breiter finanzieller
Grundlage noch mit der Absicht, Con-
cessionär oder Eigenthümer von Local-
bahnen zu werden ; die Unterstützung
blieb vielmehr auf die Gewährung von
Zinsengarantien oder Darlehen, die Ueber-
nahme von Titeln oder die Leistung von
Beiträgen ä fonds perdu beschränkt,
was aber gleichwohl nicht verfehlte, auf
die Schaffung von Localbahnen günstigen
Einfluss zu üben.
Die Regierung ihrerseits sorgte durch
die Bevvirkung wiederholter Erstreckungen
der Giltigkeit des Localbahn-Gesetzes
vom 17. Juni 1887 [siehe Seite 375] da-
für, dass sie in der Concessionirung von
Nebenbahnen, in der Fortgewährung der
in jenem Gesetze vorgesehenen Bau- und
Betriebserleichterungen, finanziellen Be-
günstigungen etc. nicht gehemmt würde.
Diese Erstreckungen reichten vermöge des
Gesetzes vom 28. December 1890 bis Ende
1893 und vermöge des Gesetzes vom27. De-
cember 1893 noch weiter bis Ende 1894.
*) Ausführliche Mittheilungen über die
Einzelheiten des Systems und die zu
seiner Durchführung getroffenen Massnahmen
sind in Konta's Eisenbahn-Jahrbuch, Jahr-
gang XXI, Seite 10 ff., enthalten.
Eine Localbahn, nämlich die von
Schrambach nach Kernhof, gelangte
; damals ganz auf Staatskosten zur Ausfüh-
rung, um dem Flügel Scheibmühl-Schram-
| bach der Niederösterreichischen
j Staatsbahnen, ein Stück jener Fort-
! setzung zu geben, welche ihm schon
ursprünglich von den »Niederösterreichi-
schen Südwestbahnen« zugedacht, aber
infolge des finanziellen Unvermögens
dieser vormaligen Privat-Unternehmung
unterblieben war. Nach dem alten Pro-
jecte sollte der Flügel über Terz einer-
seits nach Mariazell, andererseits nach
[Neuberg-] Mürzzuschlag gehen [siehe
Seite 187 f.]. Auch die Regierung nahm,
als sie sich mit der Frage des gedachten
Ausbaues zu beschäftigen begann, die-
i selben Tracen in Aussicht und Hess auf
Grund der ihr mittels Gesetzes vom
30. Juni 1888 zutheil gewordenen Er-
mächtigung die bezüglichen Pläne aus-
arbeiten. Aus diesen erhellte, dass der
gesammte Bau mindestens 5,922.000 fl.
kosten würde. Darum wurde beschlossen,
einstweilen nur die Thalstrecke von
Schrambach über Freiland und St. Egyd
nach Kernhof auszuführen, zu deren
Kosten von beiläufig 1,400.000 fl. Inter-
essentenbeiträge in der Werthhöhe von
mindestens 1 00.000 fl. sicher gewärtigt
werden konnten. Der Handelsminister
legte also am 25. April 1890 dem Reichs-
rathe einen die Herstellung dieser Strecke
auf Staatskosten bezweckenden Gesetz-
' entwurf vor, der — nach unbehinderter
Erledigung — schon am I. Juni 1890
die a. h. Sanction erhielt. Wiederholte
Projectsänderungen verlangsamten den
zu Ende 1890 an die Unternehmer Josef v.
Rauchberge r, Vincenz Gottscheber
und Karl Schmits in Losen vergebenen
und im Jahre 1891 begonnenen Bau; die
Eröffnung der 2 5 '6 km langen Strecke
fand am 2. Juni 1893 statt. Die Anlage-
kosten betrugen 1,387.100 fl.
Die Trace dieser Linie zieht von Schram-
bach stets in südlicher Richtung dem Laufe
der Traisen folgend, vorerst bis Freiland, wo
sich das Thal in das Türnitzer und Hohen-
egger Traisenthal scheidet. Durch das letztere
■ vom steilen Bergabhange eingeengte Thal
führt die Bahn, indem sie die rasen dahin-
\ fliessende Traisen vorher überbrückt, zur
Haltestelle Innerfahrafeld und von da durch
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
395
das sich erbreiternde Thal, den Fluss bei
Furthof abermals übersetzend, nach Hohen-
berg. Noch zweimal über die Traisen, dann
prächtige Waldpartien und Felseinschnitte
passirend, gelangt die Bahn zu der durch
die dortigen Eisenwerke bekannten Station
St. Egydi am Neuwald. An der nächst dem
fleichriamigen Markte gelegenen Haltestelle
t. Egydi vorüber zieht die Bahn sodann in
starken Steigungen mitten durch einen herr-
lichen Naturpark zur Station Kernhof, welche
mit dem vielbesuchten Wallfahrtsorte Maria-
zell einen regen Verkehr hat.
Auf den Umstand, dass die oben er-
örterten Zurüstungen für die Förderung
des Localbahnwesens fast sämmtlich erst
in einer späteren Zeit wirksam wurden,
mag es zurückzuführen sein, dass das
Jahr 1891 gar keine Concessionirung auf-
zuweisen hatte. Dagegen brachte es einen
weiteren Fortgang der Verstaat-
lichung. Die kaiserliche Thronrede,
welche am 11. April 1891 die neue
[XI.] Session des Reichsrathes einleitete,
wies auf »die bezüglich mehrerer Privat-
bahnen nahegerückten Termine der Ein-
lösbarkeit durch den Staat hin, welche
die Regierung veranlassen werden, den
successiven Fortgang der Eisenbahn-
Verstaatlichung in eingehende Erwägung
zuziehen und nach reiflicher Prüfungjedes
einzelnen Falles in verkehrspolitischer
und finanzieller Beziehung die geeigneten
Anträge zu stellen«. Dies war auch wirk-
lich der Fall und, wenngleich nicht
Alles sofort zutraf, was damals in der
Oeffentlichkeit für nahe bevorstehend be-
zeichnet ward [so namentlich die Ein-
lösung der Oesterreichischen Nordwest-
bahn,*) Staatseisenbahn, Südbahn, Kaiser
*) Bei der Oesterreichischen Nord-
westbahn war damals, aus Anlass des am
24. December 1890 erfolgten Ablebens des Ge-
neral-Directors, Hofrathes Dr. Gustav Gross,
der seit der Gründung der Gesellschaft die
Geschäfte derselben geführt hatte, die General-
Direction aufgelassen und an deren Stelle ein
Directions-Collegium eingesetzt worden, in
welchem das Verwaltungsraths-Mitglied, Ober-
baurath Achilles Thommen, den Vorsitz
führte. Da mit Ende des Jahres 1890 auch
der Betriebsdirector Hermann Ritter von
Rittershausen aus dem activen Dienste
geschieden ist, hingegen derGeneral-Secretär,
Regierungsrath Dr. Alex. Eger, zum Director
und der Betriebsdirector-Stellvertreter Moritz
Wilhelm zum Subdirector ernannt wurde,
bestand das Collegium aus eben diesen beiden
Functionären, dann aus dem Maschinen-
Ferdinands-Nordbahn*) etc.], die Verstaat-
lichungs-Thätigkeit als solche begann
rührig fortzuschreiten.
Vorerst wurde die im Jahre 1884 be-
gonnene, jedoch wieder ins Stocken ge-
rathene Einlösung der Erzherzog
Albrecht-Bahn zu Ende geführt. Hiezu
war die Beseitigung der Hemmnisse
erforderlich, welche den Vollzug des
[Einlösungs-]Gesetzes vom 11. December
1884 [siehe Seite 370] behindert hatten und
hauptsächlich in der Ungleichartigkeit der
gesellschaftlichen Anlehenslasten [Gold-
und Silber-Obligationen mit verschiedenen
Rückzahlungsfristen], dann in der wegen
des Goldagios veränderlichen Relation
zu dem garantirten Reinerträgnisse und
in der aus ersterer Ursache entsprun-
genen Unmöglichkeit einer gleichmässigen
Annuität für die gegen Staatsschuldver-
schreibungen auszutauschenden Actien
bestanden. Eine von dem Bankhause E r-
langer und Söhne**) in Frankfurt a. M.
der Gesellschaft angebotene freiwillige
Prioritäten-Convertirung lieferte nun die
Handhabe zur Behebung der erwähnten
Schwierigkeiten; denn laut jener Offerte
sollten die beiden Prioritäten-Gattungen
durch ein 4°/0iges und bis Ende 1964
rückzahlbares Silberanlehen im Betrage
von nom. 18,700.000 fl. ersetzt***) werden,
wodurch die Frage des Goldagios ge-
bannt und auch die Erzielung einer
gleichmässigen Annuität für das Actien-
Director, kaiserlichen Rath Johann Langer
und dem Baudirector Wenzel Hohe n egg er.
Diese Einrichtung währte jedoch nicht lange;
es wurde wieder ein leitender Director
eingesetzt und der Director Alexander Eger
auf diesen Posten berufen.
*) Bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn
hatte zu Beginn des Jahres 1890 gleichfalls
eine Aenderung in der obersten Geschäfts-
leitung stattgefunden, indem die gesammte
Direction einem General-Director unter-
stellt, der bisherige Directions- Vorsitzende,
Hofrath Richard Jeitteles, auf den neuen
Posten berufen und die ganze Geschäfts-
leitung in zwölf Sectionen gegliedert wurde.
**) Diese Firma war durch ihren bedeuten-
den Besitz von Actien und Obligationen der
Erzherzog Albrecht-Bahn [siehe Seite 229]
an derselben stark betheiligt
***) Nach der Verlosung am I. Mai 1890
befanden sich noch im Umlaufe : 5°/0ige Silber-
prioritäten im Betrage von nom. 1 1,622.900 fl
und 5°/0ige Goldprioritäten im Betrage von
nom. 3,748800 fl.
396
Igaaz Konta.
capital möglich geworden wäre. Der ge-
plante Titelumtausch sollte im Verhält-
nisse von 115 fl-, beziehungsweise 135 fl.
in neuen 4°/0igen, für je 100 fl. nom.
der alten 5%igen Silber-, respective Gold-
Obligationen vor sich gehen.
Der Regierung war die Sache recht
willkommen ; gleichwohl aber machte
sie, im Hinblicke auf die aus der Con-
vertirung den Actionären erwachsenden
Vortheile, die Genehmigung der Trans-
action davon abhängig, dass die Gesell-
schaft dem Staate das Einlösungsrecht
unter günstigeren als den concessions-
mässigen Bedingungen einräume und das
Actiencapital auf die Hälfte herabmindere.
Dementsprechend kam also am 4. Juli
1890 ein Uebereinkommen zum Ab-
schlüsse, wonach der Betrieb vom I . Januar
1892 an vom Staate für dessen eigene
Rechnung geführt werden und dieser
hiefür ein Entgelt von 954.137 fl. pro
Jahr bis zum Ablaufe der Concessions-
dauer und ausserdem eine Annuität für
die 4°/0ige Verzinsung und die Tilgung
der zu Investitionszwecken dienenden
Erhöhung des neuen Anlehens auf nom.
20,000.600 fl. entrichten sollte ; ferner
die Gesellschaft sich verpflichtete, das
nunmehr vom Jahre 1891 an binnen 74
Jahren zu tilgende Actiencapital um die
Hälfte, das ist auf die Summe von
3i559-90° A- herabzumindern und dem
Staate das Recht einräumte, die Bahn
jederzeit einzulösen unter der Bedingung,
dass er die Prioritätsschuld zur Selbst-
zahlung übernimmt und jede ungetilgte
Actie gegen eine 4%ige steuerfreie Eisen-
bahn-Schuldverschreibung im Betrage von
nom. 100 fl. umtauscht, bis zum Vollzuge
des Umtausches aber die Actiencoupons
mit dem Betrage von 2 fl. Steuer- und
stempelfrei einlöst. Von der Rückerstattung
der Staatsvorschüsse aus dem Titel der
Zinsengarantie und der Betriebs-Deficite so-
wie der 4°/0igen Zinsen hierauf [zusammen
19,508.740 fl.] wurde abgesehen.
Nachdem die ausserordentliche Gene-
ralversammlung vom 31, Juli 1890 dem
Uebereinkommen zugestimmt hatte, führte
die Regierung dasselbe der legislativen
Behandlung zu. Die Vorlage an den
Reichsrath erfolgte am 18. December
1890 und dann in der neuen Session
desselben ein zweites Mal am II. Mai
1891 in einer etwas geänderten Fassung,
welche jedoch nicht das Uebereinkommen
betraf. Mittlerweile hatte in der Zeit
vom 9. bis 24. Februar die Convertirung
stattgefunden und die ausserordentliche
Generalversammlung vom II, April 1891
die Frist für die Verbindlichkeit des Ueber-
einkommens bis Ende 1891 erstreckt.
Das Abgeordnetenhaus nahm den Ge-
setzentwurf am 10. Juli an und am 28.
August 1891 erhielt er die a. h. Sanction.
Da vermöge des guten Fortganges der
Convertirung die ganze Sachlage wesent-
lich vereinfacht wurde, brauchte die Re-
gierung nicht erst ein Zwischenstadium
eintreten zu lassen, sondern konnte die
Bahn gleich völlig einlösen, was sie denn
auch mit I. Januar 1892 that und mittels
Kundmachung des Handelsministeriums
vom 11. December 1891 amtlich verlaut-
barte.
Nachher kam die Carl Ludwig-
Bahn an die Reihe, rücksichtlich deren
die Verstaatlichungs-Begehren schon seit
Jahr und Tag von allen Seiten herange-
drängt und im Staatseisenbahn-Rathe wie
auch im Parlamente lebhafte Unter-
stützung gefunden hatten. Das Abgeordne-
tenhaus bethätigte dies dadurch, dass es
— einer vom Eisenbahn-Ausschusse vom
19. Februar 1890 gegebenen Anregung
folgend — bei der Annahme des Ge-
setzes über die Herstellung des zweiten
Geleises [siehe Seite 391] an die Regie-
rung die Aufforderung richtete, alle Vor-
bereitungen zu treffen, dass diese Bahn im
Zeitpunkte der Vollendung des Doppel-
geleises vollständig oder mindestens hin-
sichtlich des Betriebes vom Staate über-
nommen werden könne.
Die Regierung entsprach bereitwilligst
dieser Resolution, da auch sie die Ein-
beziehung der gesellschaftlichen Linien
in das staatliche Betriebsnetz, »aus volks-
wirtschaftlichen und eisenbähnpolitischen
Rücksichten«, für unausweichlich erach-
tete. Das Handelsministerium Hess also
am 29. April 1891 dem Verwaltungs-
rathe die bezügliche Verständigung zu-
gehen, gab hiebei der Erwartung Aus-
druck, dass es gelingen werde, eine freie
Vereinbarung über den Einlösungspreis
zu erzielen, erklärte jedoch zugleich, dem
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
397
Letzteren nur die wirkliche Ertragsfähig-
keit der Bahn zugrunde legen zu können
und gegebenen Falles »auch ohne vor-
herige Verhandlung zur Einlösung zu
schreiten«.
Das concessionsmässige Recht hiezu
stand der Regierung hinsichtlich der
Strecke Krakau-Przemysl und der beiden
Localbahnen jederzeit, hinsichtlich der
Strecke Przemysl-Lemberg vom 4. No-
vember 1891 an zu; hinsichtlich der
übrigen Strecken war dies zwar erst vom
15. .Mai 1897 an der Fall, auf diese fand
aber, zufolge der erheblichen Inanspruch-
nahme der Staatsgarantie, das Sequestra-
tions-Gesetz Anwendung. Wenn die Re-
gierung trotzdem von der »uneinge-
schränkten Ausnützung ihrer Befugnisse«
absehen wollte, so geschah dies zur Ver-
meidung von Rechtsstreitigkeiten, die
immerhin aus der ungenauen Fassung
mancher Bestimmungen der alten Con-
cessions-Urkunden hervorgehen konnten.
Der Verwaltungsrath seinerseits wieder
wusste dem vorerwähnten Ministerial-
Erlasse die richtige Deutung zu geben
und das Anerbieten einer »freien Ver-
einbarung« wohl zu würdigen. So wurden
denn Verhandlungen eingeleitet und etliche
Wochen hindurch gepflogen ; sie gestal-
teten sich mitunter recht schwierig, da
die Regierung zum ersten Male vor einer
concessionsmässigen Einlösung stand und
für den Fall, als es zu keiner Einigung
käme, um desto sorgsamer bedacht sein
musste, jedwedem Präjudice vorzubeugen,
der Verwaltungsrath aber begreiflicher
Weise die gesellschaftlichen Interessen
vertheidigte. Erst gegen Ende Juni wurde
eine vollständige Uebereinstimmung er-
reicht.
Der Verwaltungsrath, dem es darum
zu thun war, die Actionäre ehebaldigst
von der Angelegenheit zu benachrichti-
gen, hatte schon früher eine ausseror-
dentliche Generalversammlung auf den
27. Juni einberufen und konnte ihr nun
den Entwurf des mit der Regierung ab-
zuschliessenden Uebereinkommens vor-
legen. Dasselbe umfasste insbesondere
folgende Hauptpunkte: Der Staat über-
nimmt mit I.Januar 1892 das gesammte
Eigenthum und alle Verbindlichkeiten
der Gesellschaft und tritt daher rück-
sichtlich der Prioritäts-Anlehen als Selbst-
schuldner ein ; die Actionäre erhalten
pro 1891 eine 4%'Se Verzinsung, vom
Jahre 1892 an aber eine jährliche Rente
von 10 fl. [das ist rund 4-76°/0 von 2iofl.];
die Actien werden vom 31. Januar 1893
an zu Staatsschuldverschreibungen abge-
stempelt, vom 1. Januar 1900 an inner-
halb 90 Jahren oder auch früher zum
vollen Nennwerthe von 210 fl. getilgt;
die Staatsverwaltung kann das Actien-
capital auch vor dem 1. Januar 1900 mit
220 fl. pro Stück zurückzahlen ; das ge-
sammte Dienstpersonal wird unter Wah-
rung der erworbenen Rechte vom Staate
übernommen ; die Gesellschaft trifft keine
Rückzahlungspflicht hinsichtlich der er-
haltenen Garantievorschüsse.*)
Etliche, jedoch schrill klingende Stim-
men erhoben sich gegen die Vereinba-
rung; die Mehrheit der Actionäre aber
genehmigte sie vollinhaltlich und ermäch-
tigte zugleich den Verwaltungsrath zur
Invollzugsetzung, worauf zunächst am
30. Juni 1891 die Ausfertigung des Ueber-
einkommens erfolgte. Dem Reichsrathe
wurde es am 13. October 1891 vorge-
legt; auch dort stiess es auf nicht ge-
ringen Widerstand, den aber sowohl die
Beweisgründe, welche der Handelsminister
: noch mündlich für die Erspriesslichkeit
i der Vorlage entwickelte, als auch die
glänzende Dialectik des Berichterstatters
! Dr. Ritter von Bilinski rasch bewäl-
J tigten. Das Abgeordnetenhaus nahm das
• Uebereinkommen und den bezüglichen
Gesetzentwurf am 18. November an, wel-
cher, nach Zustimmung auch des Herren-
hauses, schon am 25. November 1891
die a. h. Sanction erhielt.
Nun hatte der Verwaltungsrath die
letzten Massnahmen für die Durchfüh-
rung des Uebereinkommens, insbesondere
für die Uebergabe der Bahn zu treffen.
I Die Regierung ihrerseits verlautbarte
mittels Kundmachung des Handelsmini-
steriums vom 9. December 1891 den
Uebergang der Bahn an den Staat, ver-
fügte die Führung des Betriebes durch
die k. k. General-Direction der österreichi-
schen Staatsbahnen und vollzog am
*) Diese ungedeckte Schuld aus diesem
Titel betrug onne die Zinsen [beiläufig
5,925.160 fl.] rund 18,116000 fl.
39«
Ignaz Konta.
I. Januar 1892 die Uebernahme. Bei j
diesem Anlasse traten der General-
Directork. k. Hofrath Dr. Eduard S o c h o r
Freiherr von Friedrichsthal, der
administrative Director k. k. Regierungs-
rath Albert Ritter Speil von Ostheim,
der Betriebs -Director k. k. Regierungsrath
Wenzel Sladk owski und einige andere j
Oberbeamte in den Ruhestand, wobei die J
zwei Letztgenannten mit dem Hofraths- j
titel ausgezeichnet wurden. Für das Ge- j
schäft der Bauabrechnung des Doppel-
geleises verblieb beim Verwaltungsrathe
ein kleines Bureau, welches erst sechs
Monate später aufgelöst wurde.
Sodann vollzog die Regierung die
Einlösung der D ux- Bodenbacher
und der Prag-D uxer Bahn, wozu sie
durch das Gesetz vom 11. April 1886
[siehe Seite 372] ermächtigt und vermöge
des Uebereinkommens vom 26. April 1884
[siehe Seite 304] berechtigt war.
Die Dux-Bodenbacher Bahn hatte, ob-
zwar sie es als sicher annehmen konnte,
dass die Staatsverwaltung gleich bei Ein-
tritt des vertragsmässigen Termines von
ihrem Einlösungsrechte Gebrauch machen
werde, sich angeschickt und in der ausser-
ordentlichen Generalversammlung vom
29. Juli 1889 beschlossen, die Prag-Duxer
Bahn mit 1. Januar 1890 anzukaufen und
zur Beschaffung des Kaufschillings von
8,000.000 iL neue Actien lit. B und lit. C
auszugeben, beziehungsweise ihren Finanz-
Instituten gegen Baarzahlung zu überlassen,
welche wider die Weiterbegebung an die
Actionäre der beiden Gesellschaften zu-
sagten. Dieselbe Generalversammlung
beschloss ferner die freiwillige Conver-
tirung der 5°/0igen Prioritäten sowohl
der eigenen, als — nach dem Ankaufe
der Prag-Duxer Bahn — auch dieser
Gesellschaft in 4°/0ige Anlehen, sei es
durch Abstempelung, sei es durch Aus-
gabe neuer Titel.
Die Prag-Duxer Bahn, welche zufolge
der Vereinbarungen vom Jahre 1884
[siehe Seite 302] an die Dux-Bodenbacher
Bahn gebunden und dem Einflüsse der-
selben Geldkräfte unterworfen war, musste
sich einfach fügen ; der gerade damals
bei manchen Actionären, durch die wach-
senden Erträgnisse der Bahn, rege ge-
wordene Wunsch nach Wiedergewinnung
der Selbständigkeit der Gesellschaft, blieb
wirkungslos.
Das Vorhaben der Dux-Bodenbacher
Bahn, insbesondere der finanzielle Theil
des Geschäftes fand indess eine sehr ver-
schiedenartige Beurtheilung und die min-
dest günstige dort, wo unter Hinweis auf
die zu gewärtigende Einlösung beider
Bahnen jede weitere Transaction für über-
flüssig gehalten, wenn nicht gar als
Mittel zum Zwecke der Erzielung von
Finanzgewinnen stigmatisirt wurde. Auch
die Regierung verhielt sich nicht gleich-
giltig, sondern sprach sich gegen die
Ausgabe ungleichartiger Actien aus, weil
insbesondere den Actien lit. C kaum ein
innerer Werth zukäme und daher ihre
Ausnützung zu Speculationszwecken zu
besorgen stünde. Ueberdies machte der
bezügliche Erlass [30. November 1889]
auf den Ablauf der Steuerfreiheit und
auf die in den nächsten Jahren eintre-
tenden Investitions-Erfordernisse aufmerk-
sam, welche die Erträgnisse nicht unbe-
rührt lassen dürften.
Daraufhin kam von den erwähnten
Beschlüssen der Actionäre der Dux-Boden-
bacher Bahn lediglich derjenige zur
Durchführung, welcher die Convertirung
betraf, jedoch durch die seitens der Regie-
rung genehmigten Beschlüsse der General-
versammlung vom 15. Mai 1891 eine
Aenderung dahin erfuhr, dass die Con-
vertirung nicht durch Abstempelung,
sondern durch Ausgabe neuer Titel zu
bewerkstelligen und dabei auch für die
Deckung der Investitions-Erfordernisse *)
vorzusorgen sei. Es wurden also 4°/0ige
Titel im Betrage von nom. 15,000.000 fl.
Silber und 3,999.900 Reichsmark ausge-
geben ; davon dienten zum Umtausche
gegen die alten noch im Umlaufe ge-
wesenen 5% igen Obligationen: nom.
8,846.550 fl. Silber und 1,864.350 fl.
*) Es waren zu decken: Die Kosten des
zweiten Geleises, weil die concessionsmässige
Voraussetzung für diese Herstellung [Brutto-
Einnahmen von 140.000 fl. pro Meile in zwei
auf einander folgenden Jahren] bereits ein-
getreten war, ferner die Kosten verschiedener
Erweiterungsbauten und der Nachschaffung
von Fahrbetriebsmitteln. Auf den mit bei-
läufig 5,600.000 fl. veranschlagten Bedarf hatte
die Gesellschaft eine Summe von 3,750.000 fl.
an die Regierung abgestattet.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
399
Gold [= 2,728.700 Reichsmark]. Die
Convertirung geschah in der Zeit vom
14. bis 30. Juli 1891 und gegen eine
bare Aufzahlung von 10% des Nenn-
werthes der eingelieferten 5%igen Priori-
täten.
Die Prag-Duxer Bahn nahm ebenfalls
im Jahre 1891 ein neues 4°/0iges Gold-
anlehen von 15,000.000 Reichsmark auf,
welches nach den Beschlüssen der Gene-
ralversammlung vom 27. Mai 1891 so-
wohl zur Convertirung der 5ü/0igen Gold-
prioritäten, als auch zur Deckung von
Investitions - Erfordernissen *) bestimmt
war. Die Convertirung ging, als eine
blos freiwillige, langsam von Statten ; es
befanden sich alte Obligationen noch im
Umlaufe, als die Gesellschaft im Jahre
1896 eine neuerliche Umwandlung ihrer
Prioritätsschuld, diesmal in eine 3%ige,
unternahm.
Während die beiden Gesellschaften
mit der Durchführung der Convertirungen
beschäftigt gewesen, wurden sie mittels
des Handelsministerial - Erlasses vom
22. September 1891 in die Kenntnis ge-
setzt, dass die Regierung beschlossen
habe, beide Unternehmungen mit I.Januar
1 892 gegen Ausbezahlung der vereinbarten
Einlösungsrente [mindestens 3,100.000 fl.]
in das Eigenthum des Staates zu über-
nehmen und bereit sei, etwaige »aus der
Einlösungs - Operation sich ergebende
Detailfragen im Einvernehmen mit den
beiden Gesellschaften baldthunlichst zur
Austragung zu bringen«. Für die letztere
ergab sich auch wirklich genügender
Stoff; dies behinderte jedoch nicht den
Einlösungsact, der mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 25. Decem-
ber 1891 verlautbart und mit Jahresschluss
vollzogen wurde.
Die wichtigsten der seitens der Ge-
sellschaften vorgebrachten Wünsche und
Anregungen galten zumeist einer ge-
naueren Feststellung der Einlösungsrente,
führten aber trotz wiederholter Be-
sprechungen zu keiner Einigung, wes-
halb das Handelsministerium jene Rente,
nach Massgabe der pro 1889 — 1891 auf
den gesellschaftlichen Linien erzielten
Betriebsüberschüsse, zunächst und vor-
behaltlich künftiger Vereinbarung mit
3,308.163 fl. bezifferte [Erlass vom 17. Juni
1892]. Darauf fanden neuerliche Ver-
handlungen statt, welche nun das Pro-
tokollar - Uebereinkommen vom 25. Juli
1892 zum Ergebnisse hatten, welchem
zufolge die Einlösungsrente nach Abzug
der iO°/0igen Einkommensteuer bestimmt
wurde : für die Dux-Bodenbacher Bahn
mit 1,710.000 fl. und für die Prag-Duxer
Bahn mit 1,489.400 fl., und zwar letztere
in der Weise, dass nach dem Erforder-
nisse für den Prioritätendienst noch für
jede Actie eine steuerfreie Dividende von
4 fl. verbleibe. Gleichzeitig ist die Re-
ducirung des Actiencapitals bei der
Prag-Duxer Bahn durch Abstempelung*)
um ein Dritttheil [von 150 fl. auf IOO fl.
pro Stück] und bei der Dux-Bodenbacher
Bahn durch Rückkauf und Abstempelung
auf ein Viertheil [2,040.000 fl. getheilt in
40.800 Actien ä 50 fl.] festgesetzt und
der letzteren Gesellschaft gestattet worden,
ihren Actionären »ä raison des abge-
stempelten Actiencapitales« Obligationen
auszufolgen, die auf der Einlösungsrente
pfandrechtlich sichergestellt werden. Diese
Vereinbarungen fanden in den ausser-
ordentlichen General versammlungenfPrag-
Dux] vom 9. August und [Dux-Boden-
bach] vom 12. November 1892 die Zu-
stimmung der Actionäre und gelangten
dann allmählich zur Durchführung —
die Emission der 3°/0igen Dux-Boden-
bacher Anleihe von 25,600.000 fl. Gold
bereits im Jahre 1893 und zum Curse
von 76%.
Nun war endlich der Knäuel der seltsam
gesponnenen Fäden, welche sich ein Jahr-
zehnt lang durch die Geschicke der
beiden Duxer Bahnen hinzogen, fast ganz
abgewickelt; der kleine Rest desselben
ging das finanzielle Gebiet und nur noch
uneigentlich das Eisenbahnwesen an. Die
Verstaatlichung hatte auch hier einem
*) Diese Erfordernisse umfassten eine
Pauschalabstattung von 1,200.000 fl. an die
Regierung und die Tilgung der gleichfalls
für Investitionen aufgenommenen schweben-
den Schuld von 734.570 fl.
*) Diese Abstempelung berührte in keiner
Weise das Recht der Stamm-Actionäre aut
den ihnen nach dem ursprünglichen Nominal-
betrage der Actien zustehenden verhältnis-
mässigen Antheil an dem Gesellschafts-
Vermögen.
400
Ignaz Konta.
weitgedehnten aber nicht immer erquick-
lichen Capitel der österreichischen Eisen-
bahn-Geschichte zu einem gedeihlichen
Schlüsse verholfen.
Das stetige Anwachsen des staatlichen
Eisenbahn-Besitzes und Betriebes fachte die
seit der ersten Organisirung des letzteren
immer fortglimmende Frage der Centrali-
sirung oder Decentralisirung der staat-
lichen Eisenbahn-Verwaltung von Neuem
an. Die politischen Parteien schürten
die Glut ; auf der einen Seite wurde
die Vereinigung der Machtbefugnisse in
einem Mittelpunkte als unerlässlich be-
zeichnet, auf der anderen hingegen mit
allem Eifer eine Theilung verlangt. Vor-
läufig kam es aber zu keiner vollständigen
Umwälzung; die k. k. General-Direction
als solche blieb aufrecht erhalten, musste
aber eine Reihe von Agenden an die
k. k. Betriebs-Directionen abgeben, welchen
die zufolge a. h. Entschliessung vom
7. December 1891 erlassene Novelle
zur Organisation der Staats-
eisenbahn-Verwaltung [Verordnung
des Handelsministeriums vom 15. De-
cember 1891] eine namhafte Erweiterung
ihres Wirkungskreises zutheil werden
liess und auch eine erhebliche Mit-
wirkung bei Angelegenheiten der allge-
meinen Verwaltung einräumte. Zugleich
erfuhren die Satzungen für den Staats-
eisenbahn-Rath mehrfache Aenderungen.*)
Zwiespältigkeiten, die damals zu Tage
getreten, führten jedoch einen Wechsel
im Präsidium der k. k. General-
Direction herbei. Die hervorragende
Persönlichkeit, welche seit der Errichtung
einer Direction für den Staatsbetrieb die
Leitung desselben inne hatte und eben-
sowohl mit eiserner Willensstärke, als
wie mit nie rastender Emsigkeit an der
Organisirung, Pflege und Ausgestaltung
der neuen Institution arbeitete, Freiherr
v. Czedik, zog sich in den Ruhestand
zurück, bei welchem Anlasse ihm mit
a. h. Entschliesung vom 7. Januar 1892
»in Anerkennung seiner ausgezeichneten
*) Mittels Verordnung des Handels-
ministeriums vom 18. Januar 1893 erhielt der
von der Zusammensetzung des Staatseisen-
bahnrathes handelnde § 17 der Novelle vom
15. December 1891 neuerdings eine geän-
derte Fassung.
Dienste« das Grosskreuz des Franz
Josef-Ordens verliehen wurde. Mit
einer anderen a. h. Entschliessung vom
selben Tage erfolgte die Ernennung des
Professors an der Universität in Lem-
berg, Dr. Leon Ritter v. Bilinski,
zum Sections-Chef im Handelsministerium
und zum Präsidenten der General-
Direction der österreichischen Staats-
, bahnen.
Die Abschiednahme des früheren und
j der Amtsantritt des neuen Präsidenten
ging am 9. Januar 1892 in feierlicher
Weise vor sich. Dabei wurden nicht
blos die üblichen Reden getauscht. Der
neue Präsident entwickelte sein Pro-
gramm, in welchem die »finanzielle Sani-
rung der Staatsbahnen« einen ersten
Platz einnahm und als Mittel zur Er-
reichung dieses Zieles vornehmlich be-
zeichnet waren: Hebung des Rein-
ertrages, damit aus demselben die
Deckung der Erfordernisse für die Ver-
besserung der Lage des Personales und
für die weitere Ausrüstung der staatlichen
Linien geschöpft werden könne und die
in den Staatseisenbahnen investirte
Milliarde nicht auf die Dauer ohne ent-
sprechendes Erträgnis bleibe; die stete
Klarstellung der finanziellen
Lage, genauere Budgetirung und Ein-
haltung der Voranschläge, einfache
und durchsichtige R e c h n u n 2 s-
abschlüsse, »damit auch jeder Laie,
als idealer Miteigenthümer der Staats-
bahnen, über deren finanziellen Stand
genügenden Ausschluss finde« ; die thun-
lichste Bedächtigkeit in der Tarifpolitik,
Verhütung von Tarifsätzen, die
unter die Selbstkosten herab-
reichen und eine allfällige Abänderung
der Gütertarife zu Gunsten des Staats-
schatzes.
Es konnte nicht verwundern, dass
diese Eröffnungen die allgemeine Auf-
merksamkeit auf sich zogen; denn
Dr. Leon Ritter v. Bilinski war vermöge
seiner eben erst aufgegebenen, vieljährigen
parlamentarischen Thätigkeit gleich sehr
mit den Bedürfnissen der Staatsfihanzen
wie mit den Eisenbahnfragen, deren
wichtigste durch seine Hände gegangen,
und auch mit den Anschauungen der
Reichsvertretung wohl vertraut. Die
Geschichte der Eisenhahnen Oesterreichs.
4OI
Stimmen der öffentlichen Meinung
sprachen sich fast sämmtlich in günsti-
gem Sinne über das Programm aus,
das nach etlichen Monaten auch von
Seite des Finanzministers eine gewichtige
Bekräftigung erhielt. Dr. Steinbach
[seit 2. Februar 1891 der Nachfolger
Julian v. Dunajewski's], ein vorzüglicher
Vertreter der neuzeitigen staatswirth-
schaftlichen Auffassung und erklärter
Anhänger, aber auch scharfer Beobachter
des Staatseisenbahnwesens, hatte den
finanziellen Verhältnissen desselben in der
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
5. November 1892 sehr ernste Worte
gewidmet ; er sagte : wenn die Ausgaben
fortwährend steigen und die Einnahmen
zu stark herabgesetzt werden, müsse
»das Staatsbahnwesen in seinen Erfolgen
in einer bestimmten Zeit compromittirt
sein, und falls dies lange währt, der
Moment eintreten, dass das Finanzressort
— mag es vertreten, wer da will — j
darauf dringen wird, die Staatsbahnen
wieder abzustossen. «
Unterdessen hatte übrigens weder die
Vorbereitung und beziehungsweise Durch-
führung weiterer Verstaatlichungs-Opera-
tionen noch die Inangriffnahme neuer
Staatsbauten einen Stillstand erfahren.
Die günstige Lage des Geldmarktes
veranlasste die Verwaltung der Süd-
norddeutschen Verbindungs-
bahn nun ebenfalls einen Umtausch
ihrer 5%igen Prioritäten in geringer
verzinsliche Titel zu bewerkstelligen.
Da hiezu die Genehmigung der Regie-
rung erforderlich war, stellte dieselbe
ihre Bedingungen ; sie verlangte die
Erhöhung des Convertirungs-Anlehens
um den Betrag von nom. 7,132.000 fl.
zum Zwecke der Refundirung aller bis-
her zu Lasten der Garantierechnung
vorgenommenen und zur Rücklage für
künftige Investitionen, gegen Erhöhung
der Staatsgarantie um rund 325.250 fl.
jährlich ; ferner Entschädigung des Staates
mit 206.000 fl. für den Entgang von
Stempel und Gebühren durch die Steuer-
freiheit des neuen Anlehens und auch,
für den Fall der concessionsmässigen
Einlösung der Bahn, die unentgeltliche
Uebergabe nicht nur der aus der er-
wähnten Anlehensquote gedeckten In-
Gescbichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
vestitionen, sondern auch aller zu Lasten
der Betriebsrechnung nachgeschafften
Betriebsmittel an den Staat, wogegen
in jenem Falle die erhöhte Garantie als
Minimal-Einlösungsrente zu gelten habe.
Das auf diesen Grundlagen abge-
schlossene Uebereinkommen vom 27. April
1892 erhielt in der Generalversammlung
vom 30. April 1892 die Zustimmung
der Actionäre und mittels des, aus der
Regierungsvorlage vom 17. Mai hervor-
gegangenen Gesetzes vom 28. Juni 1892,
auch die legislative Genehmigung. Ar-
tikel IV des letzteren ermächtigte die
Regierung überdies, das staatliche Ein-
lösungsrecht, in Gemässheit der Con-
cessions-Bestimmungen und des vor-
erwähnten Uebereinkommens, zu dem
ihr geeignet erscheinenden Zeitpunkte
auszuüben, wodurch nun die Süd-nord-
deutsche Verbindungsbahn in gleicher
Weise wie die anderen jiingsthin einge-
lösten Bahnen, im Grundsätzlichen, zur
Verstaatlichung völlig bereitgestellt er-
schien.
Die Convertirung und zugleich Neu-
Emission wurde von der Finanzgruppe
der Credit-Anstalt in den Tagen vom
8. bis 19. Juli 1892 ausgeführt. Das Ge-
sammt-Anlehen betrug nom. 24,000.000 fl.,
wovon nom. 16,867.800 fl. zur Conver-
tirung der 5°/0igen Prioritäten dienten
und nom. 7,132.200 fl. die Investitions-
Anleihe ausmachten.
Nicht blos hiezu bereitgestellt, son-
dern gleich wirklich vom Staate über-
nommen wurde die 19^5 km lange Local-
bahn Eisenerz -Vordernberg, welche,
nachdem sie schon seit dem Jahre 1864
zu den als nothwendig anerkannten
Projecten gezählt hatte, auf Grund des
Gesetzes vom 5. Juli 1888 der Oester-
reichischen Alpinen-Montan-Gesellschaft
am 10. October 1888, theils als Ad-
häsions-, theils als Zahnstangenbahn
[i4"6 km] nach dem Systeme Abt con-
cessionirt und am 15. September 1891
dem Betriebe übergeben worden war. *)
*) Umfassende geschichtliche Mittheilun-
gen über diese Localbahn finden sich in
Ronta's Eisenbahn -Jahrbuch XXI, Seite
1007 ff. Technische Einzelheiten und Abbil-
dungen siehe im Abschnitte über das Local-
bahnwesen in Oesterreich v. P. F. Kupka.
26
402
Ignaz Konta.
Um die endliche Zustandebringung dieser
für Steiermark und seine Eisenindustrie
wichtigen Eisenbahn zu ermöglichen,
gewährten der steierische Landtag in
seiner Sitzung vom 21. Januar 1887 dem
Unternehmen eine in 20 Jahresraten zu
je 20.000 fl. zu leistende Subvention
von 400.000 fl. und die Regierung,
nebst einer 30jährigen Steuerfreiheit, nach
langen Jahren zu ersten Male wieder, eine
Zinsengarantie im Betrage von jährlich
166.687 fl- f"r die ersten 75 Jahre und
von jährlich 89.941 fl. für die letzten
15 Jahre der Concessionsdauer. Für die
Aufbringung des Anlage-Capitals sorgte
die am 8. Mai 1889 unter der Firma:
»Localbahn Eisenerz -Vorder n-
berg« errichtete Actien - Gesellschaft
durch Ausgabe von 3500 Stamm- und
5000 Prioritäts-Actien ä 200 fl. und von
4°/0igen Prioritäts-Obligationen im Nomi-
nalbetrage von 3,000.000 fl. Die Stamm-
actien übernahm zum vollen Werthe die
Concessionärin, die übrigen Werthe hin-
gegen die Länderbank, und zwar die
Prioritäts-Actien zum Curse von 8o°/0,
die Obligationen zum Curse von 92*05%.
Der Erlös für sämmtliche Titel betrug
also 4,261.500 fl. Die Anlagekosten waren
mit 4,200.000 fl. veranschlagt.
Unvorhergesehene, durch die ausser-
ordentlich ungünstige Gebirgsbeschaffen-
heit, wie auch durch Wassereinbrüche
in die Tunnelbauten unerlässlich ge-
wordene Verstärkungen von Stützmauern,
Pfeilern etc. verursachten jedoch Mehr-
auslagen im Belaufe von 1,875.700 fl.,
zu deren Deckung nur der bei der Titel-
ausgabe erzielte Mehrerlös von 61.500 fl.
vorhanden war. Die Regierung, unter
deren eigenen Aufsicht der Bau vollführt
wurde, entschloss sich nun, die Staats-
garantie um jährlich 85.490 fl. zu erhöhen
und damit eine Unterlage für die Aus-
gabe von weiteren Prioritäts-Obligationen
im Betrage von nom. 2,000.000 fl. zu
bieten. Gleichzeitig zog sie aber auch
die Erwerbung der Bahn in Betracht
und die hierüber gepflogenen Vorverhand-
lungen hatten den Erfolg, dass die Alpine
Montan- Gesellschaft die unentgeltliche
Abtretung sämmtlicher Stammactien an
den Staat zusagte und es ergab sich
die Möglichkeit, die Prioritäts-Actien
[1,000.000 fl.] zum Curse von höchstens
9O°/0 einzulösen und an deren Stelle
auf Grundlage ihrer Garantiequote Obli-
gationen im gleichen Nennwerthe in Umlauf
zu bringen. Auch hatte der steierische
Landtag in seiner Sitzung vom 31. März
1892 beschlossen, für den Fall der Ver-
staatlichung der Bahn den ihr zuge-
sicherten Landesbeitrag in eine einmalige,
mit Ende 1894 fällig werdende Capitals-
zahlung von 330.OOO fl. umzuwandeln.
Die Gesetzes vorläge vom 3. Mai
1892, mit welchem die Regierung die
legislative Ermächtigung sowohl zur Er-
: höhung der Garantie, als auch zur Er-
[ Werbung der Bahn einholte, passirte am
6. Juli das Abgeordnetenhaus und erhielt
am 28. Juli 1892 die a. h. Sanction. Zwei
Monate später, am 10. September, be-
j schloss eine ausserordentliche General-
, Versammlung der Actionäre der Eisenerz-
I Vordernberger Bahn, ihre Unternehmung
unter den in jenem Gesetze vorgesehenen
Modalitäten an den Staat zu überlassen
und in Liquidation zu treten. Der Abschluss
des bezüglichen Uebereinkommens mit
der Staatsverwaltung zog sich jedoch bis
! zum 31. October 1893 hinaus und die
Kundmachung der erfolgten Einlösung
erfolgte erst am 5. November 1893.
Weitere Förmlichkeiten waren nicht er-
forderlich, weil die Bahn sich ohnehin
im Staatsbetriebe befand. Der Staat war
jedoch schon mit I.Januar 1892 für die
beiden 4°/0igen Prioritäts-Anlehen von
je 3,000.000 fl. als Selbstzahler einge-
| treten. Von dem Anlehen der II. Emission
dienten 900.000 fl. zur Einziehung der
Prioritäts - Actien, welche gleich den
Stammactien vernichtet wurden.
Vollends als Staatsbau wurde im
Jahre 1892 die Linie S tanislau-Woro-
j nienka gesichert, welche gleichsam
Ersatz für die seit 1862 und bis in die
Achtziger-Jahre, zumal auf ungarischer
Seite, ebenso beharrlich als fruchtlos an-
gestrebte Verbindung der Märamaros
mit der Bukowina bieten soll. Sowohl
im gesammtstaatlichen Interesse, als auch
zur Hebung der wirthschaftlichen Ver-
hältnisse der betreffenden Gegenden,
kamen die beiderseitigen Regierungen
im Jahre 1891 überein, statt der —
mindestens für die Gegenwart — nicht
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
403
für gut befundenen Zusammenschliessung
der ungarischen mit den Bukowinaer
Bahnlinien, eine dem letztgenannten Lande
möglichst nahe gerückte Verbindung auf
Staatskosten auszuführen, und zwar unga-
rischerseits die Strecke von Märamaros-
Sziget bis Körösmezö, beziehungsweise
an die Grenze nächst Woronienka, und
österreichischerseits von Stanislau bis an
den eben genannten Grenzpunkt.
Das Handelsministerium brachte also
am 19. Januar 1892 im Reichsrathe einen
Gesetzentwurf ein, vermöge dessen die
Regierung ermächtigt werden sollte, die
vorbezeichnete österreichische Strecke mit
einem Kostenaufwande von höchstens
9,800.000 fl. aus Staats-
mitteln herzustellen. Da
zu Gunsten der Vorlage
auch der wichtige Um-
stand sprach, dass die
neue Linie dem Staats-
gute Nadworna und der
Verwerthung seiner
riesigen Waldbestände
besonders zu Statten
käme, votirte das Ab-
geordnetenhaus schon
am 1 1. Februar das
Gesetz ; die weitere Er-
ledigung desselben ver-
zögerte sich aber infolge einer Unter-
brechung der Parlaments-Sitzungen, so
dass es erst am I. Juli 1892 die a. h.
Sanction erhielt.
Der Bau des zehnten Bauloses mit
dem Wasserscheide-Tunnel an der Landes-
grenze wurde am 3. October 1892 an die
Unternehmung Gross & Comp, ver-
geben und am 20. October in Angriff
genommen ; auf den übrigen, erst zu Ende
des Jahres 1892, und zwar an die Unter-
nehmungen ligner, Radwanski &
Dlugozewsti, Blau & Epstein,
Keller & Simberski und abermals
Gross & Comp, vergebenen neun Losen
begannen die Arbeiten im Februar 1893.
Der ganze Bau war in zwei Jahren soweit
vollendet, dass die 94- 1 km lange Strecke
Stanislau- [Chryplin-]W oronienka
am 20. November 1894 dem Betriebe
übergeben werden konnte. Die nur 1 -4 km
lange Grenzstrecke gelangte jedoch in
Gemeinschaft mit der 14-8 km langen
Abb. 175. Przemiska-Brücke
[Stanislau- Woronienka.]
ungarischen Theilstrecke von der Grenze
bis Körösmezö erst am 15. August 1895
zur Eröffnung. Die Betriebsführung bis
in diese ungarische Wechselstation hat,
auf Grund der bezüglichen Anschluss- und
Betriebs vertrage vom 3. April 1893, be-
ziehungsweise 17. Mai 1894, die Ver-
waltung der österreichischen Staats-
bahnen inne. Die Anlagekosten betrugen
im Zeitpunkte der gänzlichen Vollendung
9,470.827 fl., dürften sich aber noch um
beiläufig 335.000 fl. erhöht haben.
Die Bahn Stanislau- Woronienka
zweigt in südöstlicher Richtung vom Stanis-
lauer Bahnhofe ab; ist anfangs parallellaufend
mit der Czernowitzer Bahn, überschreitet
auf einer eisernen Brücke
die Nadwornianka-By-
strzycza, führt bis zur
Station Chryplin und
schwenkt sodann in süd-
westlicher Richtung ab.
Im weiteren Laufe be-
rührt sie die Ortschaf-
ten Bratkowce, Tysmie-
niczany,Tarnowica le«na,
gelangt nach Ueber-
schreitung des Strymba-
fiusses zur Stadt Nad-
worna, führt gegen Osten
und übersetzt in einer
bedeutenden Steigung die
Wasserscheide zwischen
der Bystrzyca und dem
Pruth, das Flüsschen Wo-
rona, schwenkt wieder gegen Süden ab bis zur
Ortschaft und Station Lojowa. Unmittel-
bar vor der Station Lojowa berührt die
Bahn die Reichsstrasse, welche von Sta-
nislau nach Körösmezö führt; immer in
südlicher Richtung fortschreitend, neigt sie
sich thalwärts zum Pruth, und mit einem
Viaduct das Flüsschen Lubiinia übersetzend,
erreicht sie das Städtchen Delatyn und die
Station gleichen Namens. Von "hier ange-
fangen, liegt das Bahngeleise ununterbro-
chen im Pruththale, vorwiegend am linken
Flussufer, geht mittels eiserner Brücke über
den Bach Przemyska [Abb. 175], überschreitet
in der Nähe der Ortschaft Dora auf einer
grossen gemauerten Brücke den Bach
Kamionka und führt in den Ort Jaremcze,
Station Dora-Jaremcze.
Unmittelbar nach dieser Station über-
schreitet die Bahn den Pruth auf einer grossen
gemauerten Brücke von 65 in Spannweite
und 28 in Höhe mit gemauerten Viaducten zu
beiden Seiten der Brücke [vgl. Bd. II, Seite 272,
Abb. 133a], übersetzt dann auf das rechte
Ufer des Flusses, in östlicher Richtung und
nochmals den Pruth auf einer Brücke von
48 m Spannweite und 20 m Höhe und kehrt
zum linken Ufer wieder zurück. Nach dieser
Brücke, welche gleichfalls zu beiden Seiten
26*
404
Ignaz Konta.
gemauerte Viaducte hat, geht die Bahn
in der Nähe der Ortschaft Jamna durch einen
524 in langen Tunnel [vgl. Bd. II, Seite 271,
Abb. 132 b] und später in südlicher Richtung
in der Nähe von Narywne, durch den Berg
Buköwna, mittels eines 224 in langen Tunnels,
und läuft endlich in die Station Mikuliczvn
ein. Hier macht sie Windungen in südwest-
licher, dann wieder in südlicher Richtung,
übersetzt schliesslich einige Bäche, über
welche sich gemauerte Brücken spannen,
und erreicht die Ortschaft Tartaröw und die
Station gleichen Namens.
Nach dieser Station überschreitet die
Bahn die Strasse, dann die Gebirgsbäche
Prutec, Jablonica und zum dritten Male den
Pruth und erreicht die Station Worochta.
[Vgl Abb. 176 und 177.]
Von hier an steigt die Bahn stetig mit
einer Steigung von I : 66, umkreist die Ort-
schaft Worochta in westlicher Richtung, setzt
zum vierten Male auf gemauerter Brücke über
den Pruth, geht in das Thal des Flusses
Paradczvn über und fährt über einen 125 m
langen Viaduct [Abb. 178] nach langer Steigung
endlich in die Station Woronienka ein.
Nach dieser Station übersetzt die Bahn die
Wasserscheide und die Landesgrenze mittels
eines I22T4 in langen Tunnels, von dem 653 in
auf galizischem Gebiete liegen. Die Höhe der
Bahn im Tunnel beträgt 83655 in über dem
Meeresspiegel.
Diese Bahn gehört sowohl in Bezug auf
ihre Lage, als auch auf die Art des Baues zu
den interessantesten Bahnen Galiziens.
Die Brücken sind fast sämmtlich aus Stein
und bilden wahre Wunderwerke der Brücken-
baukunst. Dieselben wurden nach den grund-
sätzlichen Verfügungen des Baudirectors
v. Bischoff, nach den Plänen von Ludwig
Huss unter Leitung des Inspectors Ritter
v. Kosinski ausgetührt. Die Brücke bei
Jaremcze ist derzeit die weitestgespannte
gewölbte Eisenbahnbrücke der Welt.*)
Die andere, gleichfalls vermöge eines
Gesetzes vom Jahre 1 892 und aus öffent-
lichen .Mitteln in Ausführung gebrachte
Bahn war die einen Theil der grossen
Wiener Verkehrsanlagen [Stadtbahn, Wien-
fluss-Regulirung, Anlage von Sammel-
canälen beiderseits des Wienfiusses und
des Donaucanals und Umwandlung des
letzteren in einen Handels- und Winter-
hafen] ausmachende Wiener Stadt-
bahn.**) Schon seit der sogenannten
Gründungsära [1869 — 1873], welcheauch
zahlreiche Projectirungen von Ring-,
*) Vgl. auch Band II, Brückenbau v. J.
Zuf fer.
**) Ausführliches über die Wiener Stadt-
bahn enthält der derselben gewidmete Ab-
schnitt im Bd. I, 2. Theil
Local- und Verbindungsbahnen für Wien
und dessen Umgebung zu Tage gefördert
hatte [siehe Seite 241 und 247], hofften die
Bewohner der Reichshaupt- und Residenz-
stadt von Jahr zu Jahr auf eine zeit-
gemässe Verbesserung und Bereicherung
der dortigen Verkehrsmittel. Nach langem
Harren schien endlich die Erfüllung der
Wünsche dadurch nahegerückt, dass ein
von dem englischen Ingenieur und Unter-
nehmer Josef F o g e r t y entworfenes Stadt-
bahn-Project im Jahre 1883 bis zur that-
sächlichen Concessionirung heranreifte.
Allein die Freude hierüber währte nicht
lange ; denn eine heftige Gegnerschaft der
technischen Seite des Projectes und die
missglückte Capitalsbeschaffung brachte
dasselbe zum Scheitern [siehe Seite 294].
Dann verstrichen abermals viele Jahre, bis
die wichtige Frage nochmals greifbare Ge-
stalt gewann, und es muss dahingestellt
bleiben, ob dies überhaupt in absehbarer
Zeit geschehen wäre, wenn nicht Se. M aj e-
stät der Kaiser auch hier wieder
das »Werde!« gesprochen hätte.
Anlässlich der Eröffnung des Parkes
auf der Türkenschanze am 30. September
1888 gab der Monarch in seiner huld-
vollen Erwiderung auf die Empfangs-
Ansprache dem a. h. WTunsche Ausdruck,
»dass mit dem Blühen und Gedeihen
dieses jungen Gartens auch der erfreuliche
Aufschwung der Vororte, welche, sobald
dies möglich sein wird, auch keine
physische Grenze von der alten Mutter-
stadt scheiden soll, stets zunehmen, und
dass der Anblick Wiens und der Vor-
orte, welcher sich von hier aus bietet,
den echten Bürgersinn, den wahren
Patriotismus und die Liebe zur Heimat unter
dem Schutze des Allmächtigen stets neu
beleben möge.« In dieser vielbejubelten
Verheissung des Fallens der »Linien-
wälle« lag auch die sichere Gewähr für
das Wiederaufleben und die baldige
Lösung der Stadtbahn- Frage, weil die
Schaffung von »Gross-Wien« auch jene
einer grossangelegten Communication zur
Verbindung der Vororte unter einander
und mit der alten Stadt naturnothwendig
bedingte. Nachdem das Reichsgesetz
vom 10. Mai 1890, betreffend die
»Aenderung der Wiener Linien -Ver-
zehrungssteuer« sowie das hinsichtlich
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
405
der »Vereinigung mehrerer Gemeinden
und Gemeindetheile mit Wien« erlassene
Landesgesetz vom 19. December 1890
die zweite Wiener Stadterweite-
rung in Vollzug gesetzt hatten, ver-
kündete die kaiserliche Thronrede, mit
welcher am II. April 1891 die neue
Session des Reichsrathes eröffnet wurde,
dass »der Frage der Wiener Stadtbahn
die eingehendste Aufmerksamkeit zu-
wurfes durchberieth und die Vereinbarung
eines vollständigen Programmes für die
finanzielle Sicherstelluns: und die Aus-
führung der »Wiener Verkehrsanlagen«
■ zum Ergebnisse hatte.
Auf dieses, vom niederösterreichischen
Landtage am 15. und vom Wiener Ge-
meinderathe am 27. Januar 1892 im
Allgemeinen gutgeheissene Programm
I stützte sich die am 6. Februar 1892 im
Abb. 176. Pruthbrücke bei Worochta mit anschliessendem Viaducte. [Stanislau-Wcronienka.]
gewendet wird, und dass ihre Verwirk-
lichung den Gegenstand besonderer Für-
sorge der Regierung bildet«.
Dank diesen a. h. Einflussnahmen
begannen denn auch sogleich die ein-
gehendsten Studien über die Sicher-
stellung eines Wiener Stadtbahnnetzes.
Dabei stellte sich heraus, dass dieselbe
nur im engsten Zusammenhange mit der
Ausführung der schon oben erwähnten
anderen grossen Anlagen zweckmässig
und öconomisch erfolgen könne. Es fand
also, nach einigen Vorverhandlungen, in
der Zeit vom 5. October bis 16. No-
vember 1891 eine von den betheiligten
Centralstellen, von der Stadt Wien, dem
niederösterreichischen Landesausschusse
und der Donauregulirungs-Commission
beschickte Enquete statt, welche alle
einschlägigen Fragen auf Grund eines
von der Regierung vorgelegten Ent-
Reichsrathe eingebrachte Gesetzesvorlage,
mit welcher die Regierung die legislative
Genehmigung des Programmes und zu-
gleich die Ermächtigung einholte, sich
in Gemässheit desselben an der Durch-
führung der Verkehrsanlagen und an der
Beschaffung des für sie erforderlichen
Capitals zu betheiligen. Soweit es sich
um die Stadtbahn handelte, veranschlagte
das Programm deren Kosten, sofern nicht
einzelne, als Localbahnen gedachte Linien
im Wege der Concessionirung zur Aus-
führung kämen, mit effectiv 90,000.000 fl.,
wovon der Staat 87-5°/,,, die Stadt 7-5%
und das Land Niederösterreich 5% zu
tragen hätten.*) Die Herstellung sollte
*) Für den Fall der Ausführung, auch der
Locallinien durch die drei Curien selbst, war
die Beitragsleistung folgendermassen be-
stimmt: Staat 85°/0, Niederösterreich 5°/0 und
Stadt Wien io'/,.
406
Ignaz Konta.
in drei Bauperioden [1893 — 1897, 1897
bis 1900 und 1900 — 1903] unter der
Leitung einer eigenen, aus Vertretern
der genannten Curien zusammenzusetzen-
den >Commission für Verkehrsanlagen in
Wien« erfolgen und war diesfalls, bei
Ausscheidung der Locallinien, der An-
theil des Staates an den Auslagen in
der ersten Bauperiode mit 41,000.000 fl.
bemessen. Stadt und Land brachten nach-
träglich noch mancherlei Wünsche hin-
sichtlich der Beitragsleistung vor, was
aber an den Grundsätzen des Programmes
nichts mehr änderte. Auch die vom
Budget-Ausschusse des Abgeordneten-
hauses vorgeschlagene Aufnahme der
Percentualsätze der staatlichen Beitrags-
leistung und einer näheren Umschreibung
der letzteren in das Gesetz selbst, berührte
nur wenig das Wesen des Programmes.
Das Abgeordnetenhaus beschäftigte
sich sechs Sitzungen hindurch mit der
Vorlage, welche dort mannigfachen, zum
erheblichen Theile auch reiner Miss-
gunst entsprungenen Anfechtungen aus-
gesetzt war. Der Handelsminister Marquis
von Bacquehem trat gleich in der ersten
Debatte [am IO. Mai] mit einer grossen,
die Noth wendigkeit der Anlagen hell
beleuchtenden und alle Phasen der be-
züglichen Vorbereitungen darlegenden
Rede für die gute Sache ein, ebenso zu
wiederholten Malen der Regierungs-Ver-
treter Sections - Chef Dr. Ritter von
W i 1 1 e k, der ihr auch in seinen späteren
höheren Stellungen ein eifriger Förderer
gewesen. Im Uebrigen wusste der Be-
richterstatter Dr. R u s s mit Unterstützung
der Wien freundlich gesinnten Abge-
ordneten die Vorlage durch die Klippen
zu steuern; die Annahme erfolgte am
21. Mai, und nach Zustimmung auch
des Herrenhauses erhielt das Gesetz am
18. Juli 1892 die a. h. Sanction.
Eine Woche später, am 25. Juli 1892,
fand bereits die Constituirung der »Ver-
kehrs-Commission« statt, die nun rührig
daran ging, das grosse Unternehmen
ins Dasein zu rufen. Die mit einer
dreissigj ährigen Steuerfreiheit und neunzig-
jährigen Geltungsdauer [ab 1. Januar 1893]
ausgestattete Concession für die Haupt-
bahnlinien [Gürtellinie, Donaustadtlinie,
Vorortelinie] wurde der Commission am
18. December 1892 verliehen und von
dieser unverweilt in Durchführung ge-
bracht, da die Vollendungsfrist für be-
stimmte Strecken der oben genannten
* Linien nur bis Ende 1897 reichte. Die
i eigentlichen Bauarbeiten begannen am
16. Februar 1893 an der Station Michel-
' beuern der Gürtellinie. Zur Deckung
des ersten Geldbedarfes begab die
Commission von der zu emittirenden
[ 4°/0igen Wiener Verkehrsanleihe von
I 146,400.000 Kronen, welcher mittels
Gesetzes vom 4. April 1893 noch be-
sonders die Befreiung von jeder Steuer
und der Entrichtung der Coupon-Stempel-
gebühren bis 1. Januar 1928 eingeräumt
und die Eignung zu pupillarmässigen
Capital-Anlagen zuerkannt wurde, Theil-
beträge von zusammen 18,500.000 Kronen
zum Curse von 98 an einige öffentliche
Fonds [Postsparcassen, Versorgungs-
! Institute der Staatsbahnen etc.]. Die
I eigentliche Emission erfolgte jedoch erst
am 20. März 1894 durch die Finanz-
gruppe der Unionbank, welche von den
Anlehen 80,000.000 Kronen zum Curse
von 96-5 °/o erstanden und nur die Hälfte
dieses Betrages zum Curse von 98-5%
zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt hatte.
Inzwischen war von der Commission
eine neue Anordnung des Programmes
getroffen worden, nachdem die in Aus-
sicht gestandene Concessionirung der
Locallinien an eine Privat-Unternehmung
sich zerschlagen hatte, weil die letztere,
als welche die » Dampftramway-Gesell-
schaft vormals Krauss & Comp.« aufge-
treten war, nach langen, in Gemeinschaft
mit der Länderbank geführten Verhand-
lungen schliesslich die Erklärung abgab,
dass sie den überhaupt nur auf die Wien-
thal- und die Donaucanallinie zu be-
schränkenden Bau nur dann ausführen
könne, wenn ihr die Staatseisenbahn-
Verwaltung das mit dem Betriebe dieser
Linien verbundene Risico durch Pachtung
derselben abnehmen würde. Da ein
solcher Vorgang das gerade Gegentheil
dessen bewirkt hätte, was mittels der
Concessionirung an eine Privat-Unter-
nehmung angestrebt werden sollte, ent-
schloss sich die Commission in ihrer Voll-
versammlung vom 16. Januar 1894, jene
Linien ebenfalls selbst auszuführen und
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
407
zugleich die Fortsetzung der Wienthal-
linie bis Hütteldorf, unter Einbeziehung
der einzulösenden und entsprechend um-
zubauenden Dampftramway-Strecke Gau-
denzdorf-Hietzing*), sogleich herzustellen
sowie auch die Strecke Westbahnhof-
Gumpendorf der Matzleinsdorfer-Linie in
die erste Bauperiode aufzunehmen, hin-
gegen die innere Ringlinie vorläufig und
die Verbindung Gürtel-Penzing gänzlich
aufzugeben, wodurch das Auslangen mit
der im Programme veranschlagten Kosten-
summe noch immer gesichert bliebe.
noch 1 7,680.000 fl. hinzuzukommen hätten.
Eine weitere Aenderung des Programmes,
wonach die Locallinien als Hauptbahnen
gebaut, die provisorische Donaustadt-
linie entfallen, hingegen die Vororte-
strecke Hernals-Penzing in die erste
Baüperiode einbezogen und die für die
letztere zu Lasten des Staates gehörende
Anlehensquote um noch 13,107.200 fl.
erhöht werden sollte, wurde mittels Ge-
setzes vom 23. Mai 1896 genehmigt.
Währenddessen war der Bau bereits
kräftigst in Gang gesetzt worden. Um
Abb. 177. Bau der Linie Stanislau-Woronienka bei Worochta. [Nach einer photographischen
Aufnahme aus der Bauzeit von T. Abty chowsk i in Stanislau.]
Die legislative Genehmigung dieser
neuen Anordnungen erfolgte mittels des,
aus der Regierungsvorlage vom 3. März
1894 hervorgegangenen Gesetzes vom
9. April 1894, welches auch bestimmte,
dass zu dem im Gesetze vom 18. Juli
1 892 zu Lasten des Staates vorgesehenen
Anlehensbetrage von 41,000.000 fl. jetzt
*) Diese Strecke wurde nachher unter
günstigeren als den concessionsmässigen
inlösungsbedingungen erworben ; die Ge-
sellschaft erhielt auf Concessionsdauer eine
Annuität von 22.000 fl. und eine Pauschal-
entschädigung für den Nutzentgang während
der Zeit des Umbaues.
Wiederholungen zu vermeiden, kann je-
doch rücksichtlich der Einzelheiten der
1 Bauvorbereitungen, Vergebungen und
Ausführungen nur auf das weiter folgende
Capitel »Wiener Stadtbahn« hin-
I gewiesen und hier blos noch verzeichnet
werden, dass die rühmliche, dem Sections-
> Chef Friedrich Bischoff Edlen von
Klammstein, früher als Baudirector
1 der k. k. Staatsbahnen und derzeit als
Vorstand der Baudirection der Wiener
Stadtbahn anvertraute Aufgabe der Bau-
führung bislang in gediegenster Weise
vollführt wurde, und dass die festliche
| Eröffnung der ersten [Gürtel-, Vororte-
408
Ignaz Konta.
und obere Wienthal-] Linien am 9. Mai 1 898,
in Anwesenheit der Minister sowie zahl-
reicher Würdenträger der drei Curien und
unter a. h. Betheiligung S r. Maje-
stät des Kaisers unter spontanen,
grossartigen Huldigungen für den erha-
benen Initiator des epochalen Werkes, statt-
gefunden hat.
Den Einleitungen für die Sicherstel-
lung der Wiener Verkehrsanlagen theils
vorausgegangen, theils nachgefolgt, wa-
ren eisenbahngeschichtliche Begebenheiten
allgemeiner Art, deren Besprechung —
zeitgerecht — an dieser Stelle einzu-
reihen ist.
Infolge einer von der Direction der
königlich ungarischen Staatsbahnen ge-
gebenen Anregung hatte die am 3. No-
vember 1888 zu Wien stattgefundene
gemeinsame Oesterreichisch-Ungarische
Eisenbahndirectoren-Conferenz die Ein-
führung einer einheitlichen Zeitrechnung
beschlossen und sich nachher mit dieser
Frage an den Verein Deutscher Eisen-
bahn-Verwaltungen gewendet, welcher
dieselbe einer Beschlussfassung durch die
vom 30. Juli bis 1 . August 1 890 in Dresden
getagten Generalversammlung dieses Ver-
eines unterzog. Das Votum war ein
zustimmendes und lautete dahin, dass
die vorgeschlagene »Stunden-Zonenzeit«
im innern Eisenbahn-Dienste schon zu
Beginn der nächstjährigen Sommerfahr-
plan-Periode einzuführen sei. Die Ein-
holung der Genehmigung der verschie-
denen Regierungen verzögerte die Ver-
wirklichung um ein halbes Jahr. Den
österreichischen Bahnen gestattete der
Handelsministerial-Erlass vom 6. Januar
1891 die Neuerung mit Beginn derWinter-
fahrordnung, und zwar sowohl für den
inneren als auch für den äusseren Dienst ;
unterdessen hatte die Berliner Sommerfahr-
plan-Conferenz vom 14. und 15. Januar
1891 vorgeschlagen, für die neue einheit-
liche Zeit den Ausdruck »Mitteleuropäische
Zeit [abgekürzt M. E. Z.]« zu gebrauchen,
was rücksichtlich der österreichischen
Eisenbahnen mittels des Handelsmini-
sterial-Erlasses vom 31. September 1891
genehmigt wurde. Diesemnach erfolgte
die Einführung der »Mitteleuro-
päischen Zeit« am 1. October 1891.
Dieselbe wird nach dem 15. Meridian be-
stimmt, der über die niederösterreichische
Stadt Gmünd geht, und weicht von der
früher in Anwendung gewesenen »Prager
Zeit« um zwei Minuten ab.
Eine zweite, in Gemeinschaft mit dem
Auslande getroffene Einrichtung, bildete
das »Internationale Ueberein-
kommen über den Eisenbahn-
Frachtverkehr«, welches nach lang-
jährigen, zum ersten Male schon in den
Tagen vom 13. Mai bis 4. Juni 1878 zu
Bern gepflogenen Conferenzen, *) eben-
daselbst am 14. October 1890 endgiltig
abgeschlossen, jedoch in Oesterreich erst
kraft des Gesetzes vom 2 7 . October 1 892 **)
wirksam und gleichzeitig mit diesem ver-
lautbart wurde. Die Regierung erhielt
nämlich erst durch das erwähnte Gesetz
die Ermächtigung, alle zur Durchführung
des Uebereinkommens erforderlichen Be-
stimmungen, wie auch die entsprechende
Abänderung des Betriebs-Reglements im
Verordnungswege zu treffen.
Dementsprechend verfügte der Han-
delsminister im Einvernehmen mit dem
Justizminister mittels Verordnung vom
10. December 1882 das Ausserkrafttre-
ten des Betriebs-Reglements vom Jahre
1874 mit allen seinen Nachträgen und,
ab 1. Januar 1893, die Einführung
eines neuen Betriebs-Reglements,
welches mit demjenigen Ungarns gleich-
lautend und ebensowohl mit dem inter-
nationalen Uebereinkommen, als auch mit
dem nunmehr »Verkehrsordnung für die
Eisenbahnen Deutschlands« genannten
Betriebs-Reglement Deutschlands best-
möglichst in Einklang gebracht war.
Im Zusammenhange damit standen auch
die mittels Kundmachung des Handels-
ministeriums vom 20. December 1892
verlautbarten erleichternden Vor-
schriften für den wechseis ei tigen
Verkehr zwischen den Eisenbah-
nen Oesterreich-Ungarns und
Deutschlands rücksichtlich der »be-
dingungsweise zur Beförderung zuge-
lassenen Gegenstände in Gemässheit des
*) Ausführlicheres über den Gang dieser
Verhandlungen ist in Konta's Eisenbahn-
Jahrbuch, Jahrgang XX, Seite 18, und XXI,
Seite 41, enthalten.
**) Dieses Gesetz war schon im Juli 1891
vom Reichsrathe angenommen worden.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
409
§ 1 der Ausführungsbestimmungen zum
internationalen Uebereinkommen.« Solche
Erleichterungen wurden auch später wie-
der kundgemacht, z. B. am I. Februar
1894, 15. Februar 1895, u. s. w., des-
gleichen andere einschlägige Verfügungen.
Dieweitere Periode brachte den öster-
reichischen Staatsbahnen einer-
seits bedeutende Mittel zur neuerlichen
Verm ehrung des Fahrparkes, näm-
lich : mittels Gesetzes vom 23. April 1893
einen Credit von 5,500.000 iL, mittels
Gesetzes vom 29. August 1895 einen solchen
von 10,000.000 fl. und andererseits erheb-
lichen Gebietszuwachs durch weitere Ver-
staatlichungen. Letztere umfassten zu-
nächst Localbahnen ; doch begann auch
rücksichtlich dieser der Vollzug erst nach
dem Jahre 1893, weil selbst die im Laufe
desselben zur Vorlage gelangten, ein-
schlägigen Gesetzentwürfe mit Ausnahme
eines einzigen [Laibach-Stein] nicht vor
Ende December ihre Erledigung fanden.
Grossentheils verursachten parlamen-
tarische Uneinigkeiten die Verzögerung.
Die Wahlreform-Anträge des Grafen
Taaffe hatten ihm die Gefolgschaft der
bisher festgefügten Majorität des Abge-
ordnetenhauses entzogen ; er legte die
seit 14 Jahren innegehabte Minister-
Präsidentschaft nieder und mit ihm de-
missionirte das ganze Cabinet, an dessen
Stelle am 11. November 1893 das vom
Fürsten Windisch-Graetz gebildete
»Coalitions-Ministerium« trat, in welchem
der Graf Gundaker Wurmbrand das
Handelsportefeuille erhielt, während der
Marquis v. Bacquehem, der als »Lieb-
ling aller Parteien« zahlreiche Erfolge
auch auf dem Gebiete des Eisenbahn-
wesens errungen, das Ministerium des
Innern übernahm.
Der neue Handelsminister wendete
sein Augenmerk in bedeutendem Masse
der Localbahn-Action, die er schon als
Landeshauptmann von Steiermark eifrigst
gefördert hatte [siehe Seite 394], und
der Verstaatlichungs-Thätigkeit zu. Im
Interesse der ersteren schuf er mit a. h.
Genehmigung vom 4. Mai 1894 eine
eigene Geschäftsabtheilung für
das Localb ahn wesen [Localbahn-
Amt] im Handelsministerium und bei der
General-Inspection der österreichischen
Eisenbahnen, wobei der Director des
steiermärkischen Landes-Eisenbahnamtes,
kaiserlicher Rath Karl Wurmb, in
der Eigenschaft eines Ministerialrathes,
zum General- Inspector des österreichischen
Localbahnwesens und Consulenten des
Handelsministers in technisch-commer-
ziellen Angelegenheiten des Localbahn-
wesens sowie zum Vorstande des tech-
nisch-commerziellen Bureaus des Local-
bahn-Amtes, und der Ministerialrath
Ludwig Wr'ba zum Vorstande des
legislativ-administrativen Bureaus ernannt
wurde.
Auch die ersten Vorlagen, welche
Graf Wurmbrand im Reichsrathe ein-
brachte [23. November 1893] Hessen
schon die oben angedeutete Richtung
seiner Wirksamkeit deutlich hervortreten ;
denn sie betrafen die Verlängerung der
Giltigkeit des Localbahn-Gesetzes bis
Ende 1894 [siehe Seite 394], den Bau
sowohl privater als auch staatlicher
Localbahnen und die Erwerbung solcher
Bahnen durch den Staat.
Gleichzeitig gelangte auch eine Vor-
lage über die neuerliche Aus dehnung
der Wirksamkeit des Gesetzes vom
25. Mai 1883, betreffend Gebühren-
erleichterungen anlässlich der
Convertirung von Eisenbahn- Priori-
täts-Obligationen [siehe Seite 280 und 371]
vor das Abgeordnetenhaus, das diese Vor-
lage alsbald annahm, so dass ihr schon
am 26. December 1893 die a. h. Sanction
zutheil werden konnte.
Uebergehend nun zur Besprechung
der aus jenen Vorlagen resultirten weite-
ren Erwerbungen vonLocalbahnen
durch den Staat ist vor Allem der
schon früher verfassungsmässig genehmig-
ten Einlösung der Localbahn Lai-
bach-Steinzugedenken. Diese 2yikm
lange Linie wurde am 14. April 1889
dem Baron Oskar Lazarini in Gemein-
schaft mit Alois Praschniker concessio-
nirt, am 28. Januar 189 1 eröffnet und vom
Staate in Betrieb genommen. An der
Geldbeschaffung hatten sich das Land
Krain, die Stadt Laibach sowie andere
Local-Interessenten und, zufolge des Ge-
setzes vom 1. Mai 1885, auch der Staat
[mit 200.000 fl.] betheiligt. Die Con-
cessionäre, beziehungsweise Bauunter-
4io
Ignaz Konta.
nehmer, welche Forderungen für unvor-
gesehene Mehrleistungen im Betrage von
80.000 fl. erhoben hatten, erklärten sich
nun bereit, hierauf zu verzichten, wenn
ihnen statt der in Zahlung genomme-
nen 5u/o'Sen Vorzugsactien im Betrage
von nom. 566.700 fl. garantirte 4°/0ige
Prioritäts-Obligationen eingetauscht wür-
den. Da diese Transaction sich für die
Staatsverwaltung als Besitzerin von
2000 Stammactien vortheilhaft erwies,
nahm die Regierung die Gewährung der
Staatsgarantie, zugleich aber auch die
Einlösung der Bahn in Aussicht, zumal
für den Fall, dass die in fremdem Be-
sitze befindlichen Stammactien [ 1 40.000 fl.]
gegen ein Entgelt von höchstens 5O°/0
des Nennwerthes eingezogen werden
könnten. Das Handelsministerium holte
mit der Gesetzesvorlage vom 16. März
1893 die legislative Ermächtigung ein,
sowohl zur Gewährung der Garantie für
das an die Stelle der Vorzugsactien zu
setzende und, aus Vorsorge für künftige
Investitionen, auf den Betrag von nom.
800.000 fl. zu erhöhende 4°/0ige Priori-
täts-Anlehen [daher einer Annuität von
33.452 fl.], als auch zu dem gedachten
Ankaufe der Stammactien und sodann
zur Einlösung der Bahn. Das Gesetz
wurde am 22. März vom Abgeordneten-
hause angenommen und erhielt am 1 2. April
1893 die a. h. Sanction. Bis zur völli-
gen Austragung der Angelegenheit ver-
strich aber noch geraume Zeit; die Ge-
sellschaft wusste es sehr wohl zu würdi-
gen, welchen Werth der Wegfall der
5°/0igen Vorzugsactien sowie die Auf-
gebung jener Bauschuld für die Stamm-
actionäre habe, und beschloss darum in
der ausserordentlichen Generalversamm-
lung vom 27. April 1893 die Aufnahme
eines 4°/0igen Prioritäts-Anlehens von
nom. 800.000 fl. und die Erfüllung der
übrigen im Gesetze festgestellten Bedin-
gungen für die Gewährung der Staats-
garantie. Auch die Bauunternehmer
wünschten möglichst bald in den Besitz der
leichter und besser begebbaren Obliga-
tionen zu gelangen. Allein bis die letz-
teren emittirt, die in fremdem Besitze
gestandenen Stammactien zurückgekauft
und alle Förmlichkeiten erfüllt waren,
gingen die Jahre 1893 und 1894 zu Ende.
Bis dahin war blos die Staatsgarantie in
Wirksamkeit gestanden ; der Abschluss
des Uebereinkommens über die Einlösung
der Bahn erfolgte erst am 13. December
1894, dann aber auch sogleich mittels
Kundmachung des Handelsministeriums
vom 20. December 1894 der Vollzug der
Einlösung, wobei der Staat das Priori-
täts-Anlehen von 800.000 fl. zur Selbst-
zahlung übernahm und 70.000 fl. auf den
Rückkauf von Stammactien verwendete.
Einem wesentlich anderen Beweg-
grunde entsprang der vom Staate be-
wirkte Ankauf der 31 "2 km langen
LocalbahnCzernowitz-Nowosie-
! litza, welche am 5-Juni 1883 dem Consor-
1 tium des Alexander Freiherrn von P e t r i n o
| concessionirt und von einer Actien-Ge-
1 Seilschaft ausgeführt wurde, die ur-
sprünglich eine mit der Bahn gleich-
namige Firmabezeichnung trug, im Jahre
1885 aber sich in die Gesellschaft der
»Bukowinaer Localbahnen» um-
I wandelte. Der Staatsschatz hatte sich [auf
Grund des Gesetzes vom 24. April 1883]
i durch Uebernahme von Stammactien im
Betrage von 350.000 fl. an der Geldbe-
schaffung betheiligt, desgleichen die Lem-
berg-Czernovvitz -Jassy- Eisenbahn durch
Uebernahme von 50.000 fl. in Stamm-
und 450.000 fl. in Prioritäts-Actien.
Letzterer Gesellschaft war auch die Be-
triebführung vom Tage der Eröffnung
[12. Juli 1884] auf die Dauer von
20 Jahren übertragen. Als dieselbe nun in-
I folge der zwischen Oesterreich- Ungarn und
Russland am 2./ 14. Januar 1893 abge-
geschlossenen und am 31. Mai 1893
ratificirten Eisenbahn-Convention über
den Anschluss der beiderseitigen Eisen-
bahnen bei Nowosielitza, für die Her-
stellung der Grenzstrecke, beziehungs-
weise die Deckung der bezüglichen Kosten
zu sorgen hatte, zog sie es vor, dem
Staate die unbeschränkte Verfügung über
die ganze Linie Czernowitz-Nowosielitza
zu verschaffen. Concessionsgemäss er-
mittelt hätte die Einlösungsrente 91.535 fl.
betragen, jedoch auch mit dem zu 5°/0
capitalisirten Werthe derselben, das ist mit
1,792.727 fl., auf einmal bezahlt werden
können. Bei den hierüber gepflogenen
Verhandlungen mit der Gesellschaft wil-
ligte dieselbe in die Abtretung der Bahn
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
411
gegen eine Pauschalentschädigung von
rund 1,790.000 fl. und in die Emission eines
4°/0igen, vom Staate zur Selbstzahlung
zu übernehmenden Prioritäts-Anlehens
im Betrage von nom. 2,500.000 fl. oder
5,000.000 Kronen, aus dessen Erlös
das Entgelt an die Gesellschaft und die
erforderlichen Investitionen gedeckt wer-
den sollten. Das bezügliche Ueberein-
kommen wurde am 26. Juni 1893 abge-
schlossen, seitens der Actionäre der
Bukowinaer Localbahnen in deren General-
versammlung vom 30. Juni 1893 ge-
nehmigt und am 23. November der
vorgesehenen, von Lindewiese aus zum
Anschlüsse an die preussischen Staats-
bahnen bei Barzdorf [Heinersdorf] führen-
den Flügelbahn der Linie Hannsdorf-
Ziegenhals, welche gleichfalls an die
preussischen Staatsbahnen anschliesst —
und um die Gewinnung des Eigenbe-
sitzes dieser Verbindungen; in anderer
Beziehung wieder lag es auf der Hand,
dass manche der gesellschaftlichen Linien,
wie z. B. St. Pölten-Tulln, Herzogenburg-
Krems und Hadersdorf-Sigmundsherberg,
wichtige Ergänzungen des staatlichen Bahn-
netzes bilden und dem Staate bei völlig
Abb
legislativen Behandlung zugeführt. Die-
selbe ging glatt von Statten und am
27. December 1893 erhielt die Vorlage
bereits die a. h. Sanction, worauf der
Staat mit I. Januar 1894 in den Genuss
und Besitz der Bahn eintrat.
Aehnliche Motive wie diejenigen,
welche zu der vorangehend besprochenen
Verstaatlichung den Anstoss gegeben,
und nebstdem noch verkehrspolitische Rück-
sichten bestimmten die Regierung auch
zur Erwerbungsämmtlicher Linien
der Oesterreichischen Local-
eisenbahn - Gesellschaft durch
den Staat. In ersterer Beziehung han-
delte es sich um die Sicherstellung der
im Staatsvertrage mit dem Deutschen
Reiche vom 14. März 1885 [siehe Seite 382]
178. Paradczyn-Viaduct. [Stanislau-Woronienka.]
freier Disposition über dieselben wesent-
liche Dienste bei commerziellen und Ver-
kehrs-Anordnungen leisten würden. Die
Verhandlungen erstreckten sich daher
alsbald auf das gesammte Bahneigen-
thum der Gesellschaft*) und führten dann
zu dem Uebereinkommen vom 31. Mai
1893, vermöge dessen die Gesellschaft
alle ihre Linien sammt dem ganzen Zu-
gehör dem Staate mit 1. Januar 1894
* ) Die Gesellschaft besass damals folgende
Linien: Elbogen- Neusattel, 5-3 km; Mo-
cowic-C'aslau-Zawratetz nebst Zweigbahn,
24-4 km ; Kaschitz-Schönhof-Radonitz, lblkm;
Chodau-Neudek, 137 km; NusleModfan,
12-1 km; Königshan-Schatzlar, 57 km; Ol-
mütz-Cellechowitz und Abzweigung ,35 8 km ;
Böhm.Leipa-Niemes,l8-3£m;StPöTten-Tulln,
46'! km; Budweis-Salnau, 715 km; Hanns-
412
Ignaz Konta.
verkaufsweise übertrug, ferner zur
Deckung des Aufwandes für die nun auf
Staatskosten auszuführenden Strecken
L indewiese-Barzdorf und Niklas-
dorf-Zuckmantel sowie für Investitio-
nen auf den bestehenden Linien einen Bar-
betrag von 3,800.000 fl. zur Verfügung
stellte und auf das ihr in Gemässheit des
Gesetzes vom 8. April 1884 zugesicherte
Aerarial-Darlehen zum Baue der Linie
Budweis-Salnau verzichtete. — Der Staat
hingegen übernahm den noch ungetilgten
Betrag des gesellschaftlichen 4°/0igen
Goldanlehens von 5,000.000 fl., sowie eine
seitens der Gesellschaft neu aufzu-
nehmende 3°/ftige Prioritäts-Anleihe von
70,000.000 Kronen = 35,000.000 fl. zur
Selbstzahlung und erliess der Gesellschaft
die Rückerstattung des noch aushaften-
den Restes von dem ihr zum Baue der
Linie Hannsdorf- Ziegenhals gewährten
Darlehen. Alle societären Abwicklungen,
Abrechnungen mit den Bauunternehmun-
gen, die Tilgung der schwebenden
Schulden und des nicht vom Staate zu
übernehmenden 41/2°/0igen Prioritäts-An-
lehens III. und IV. Serie [ebenfalls
5,000.000 fl.] blieben Sache der Gesell-
schaft, welcher auch oblag, das Actien-
capital auf den fünften Theil [3,100.000 fl.]
zu reduciren, im Uebrigen aber freige-
stellt war zur allfälligen Aufnahme einer
neuen Thätigkeit fortzubestehen.
Die Actionäre stimmten in ihrer
Generalversammlung vom 20. Juni 1893
dem Uebereinkommen zu und die Legis-
lative genehmigte dasselbe mittels des aus
der einschlägigen Regierungsvorlage vom
23. November 1893 hervorgegangenen
Gesetzes vom 27. December 1893, welches
die Regierung auch ermächtigte, die Ab-
zweigung von Lindewiese bis zur Reichs-
grenze bei Barzdorf [Heinersdorf] und die
Strecke Niklasdorf- Zuckmantel mit einem
Aufwände von höchstens 1,700.000 fl.
und beziehungsweise 570.000 fl. auf
Staatskosten auszuführen. Der gesammte
dorf-Ziegenhals 559 km; Herzogenburg-
Krems, tg-gkin; Hadersdorf-Sigmundsherberg,
43- 4 km. Von diesen insgesammt 368-2 km
langen Linien standen zwei [Mo<Sowic£aslau-
Zawratetz und Königshan-Schatzlar] im Be-
triebe der angrenzenden Privatbahnen, alle
übrigen im Staatsbetriebe. [Vgl. die Anmer-
kungen auf Seite 371 und 378]
Bahnbesitz der Oesterreichischen Local-
eisenbahn-Gesellschaft war laut Kund-
machung des Handelsministeriums vom
3. Juni 1894, mit Geltung vom I.Januar
1894, an den Staat übergegangen, der
jedoch den Betrieb derjenigen zwei
Linien, welche bisher von der Oester-
reichischen Nordwestbahn, beziehungs-
weise Süd-norddeutschen Verbindungs-
bahn betrieben wurden, denselben noch
weiter beliess. Die Oesterreichische Local-
eisenbahn-Gesellschaft besteht zwar noch,
scheint aber die Hoffnung auf die Er-
öffnung einer neuen Thätigkeit bereits
aufgegeben zu haben, denn die ausser-
ordentliche Generalversammlung vom
12. November 1896 beschloss schon die
Liquidation.
In weiterer Ausführung des eben
erwähnten Gesetzes vom 27. December
1893 [Artikel II] liess die Regierung
die beiden Abzweigungen von Nieder-
Lindewiese bis zur Reichsgrenze bei
Barzdorf [Heinersdorf] und von
Niklasdorf nach Zuckmantel in
Angriff nehmen, sobald die Interessenten-
Beiträge in Gemässheit jenes Gesetzes,
das heisst in der Höhe von mindestens
200.000 fl. und beziehungsweise 70.000 fl.
gesichert waren. Der Bau der ersteren
Strecke wurde am 20. December 1894 an
die Unternehmung R. Minar und P. G.
Piatti vergeben und im Februar 1895 be-
gonnen ; der Bau der letzteren Strecke
wurde am 17. Juni 1895 an die Unterneh-
mung E. Skoda vergeben und vier Wochen
später in Angriff genommen. Zur Eröff-
nung gelangte die 26'2 km lange Strecke
Nieder-Lindewiese -Barzdorf am
2. Juli 1896 und die 8-8 km lange Strecke
Niklasdorf-Zuckmantel am3i.Oc-
tober 1896.
Die Trace der Strecke Nieder-Linde-
wi ese-Barz dorf zweigt in der Station Nie-
der-Lindewiese von der Linie Hannsdorf-Zie-
genhals ab, führt an den Höhenrücken, die
zum Reichensteiner Gebirge gehören, in nörd-
licher Richtung über Setzdorf und Friede-
berg, gelangt dann in das Thal des Weiden-
baches, übersetzt bei Haugsdorf-Weidenau
diesen Bach und die Weidenauer Strasse, die
bisher ihre treue Begleiterin war; von hier geht
die Bahn in westlicher Richtung bis Barzdorf,
von wo aus einkurzes Bahnstück nach Heiners-
dorf an die preussische Grenze führt.
Die Strecke Niklasdorf-Zuckmantel
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
413
zweigt von der Linie Hannsdorf - Ziegen-
hals in südlicher Richtung ab und folgt im
Thale des Elsnitzbaches genau der Richtung
der Strasse, die von Ziegenhals nach Zuck-
mantel führt, biegt bei der Haltestelle
Endersdorf in scharfer Curve nach Osten
ein, um Zuckmantel zu erreichen.
Unter den Regierungsvorlagen vom
23. November 1893 befand sich auch
eine, welche die auf Kosten des Staates
und als Hauptbahn auszuführende Linie
Halicz-Oströw [Tarnopol] sammt
Abzweigungen nach Brzezany und
Podhajce zum Gegenstande hatte.
Das bezügliche Project glich zum grös-
seren Theile ungefähr demjenigen, mit
welchem die Lemberg-Czernowitz-Jassy-
Eisenbahn sich zu Beginn der Achtziger-
Jahre eingehend befasst hatte. Sie suchte
damals Ersatz für die ihr seitens der
Carl Ludwig-Bahn vereitelte Verbin-
dung mit den nördlichen Gegenden und
projectirte die Linie Chodoröw-Tarnopol-
Podwoloczyska, welchem Vorhaben aber die
Carl Ludwig-Bahn wieder mit ihrem, übri-
gens zu jener Zeit auch nicht zur Ver-
wirklichung gelangten und dermal der
»Ostgalizischen Localbahn« angehörenden
Projecte Zadworze-Monasterzyska in die
Quere kam. *)
Die Bedeutung der genannten Linie als
mittelbare Fortsetzung jener von Stanislau
nach Woronienka und als wichtige Er-
gänzung des galizischen Bahnnetzes, ihr
Zweck dem südlich und westlich von
Stanislau einbrechenden Verkehre nach
dem Nordosten fortan den rund 280 km
langen Umweg über Lemberg nach Tar-
nopol zu ersparen, wie auch das weite dicht-
bevölkerte und fruchtbare Gebiet zwischen
den genannten drei Städten endlich dem
Handel und Wandel zu erschliessen —
und endlich die Nothwendigkeit der neuen
Linie Hessen sich so wenig verkennen, dass
die Annahme des Gesetzes schon von vorn-
herein als gesichert gelten konnte. Sie
erfolgte denn auch sehr rasch und am
26. December 1893 erhielt das Gesetz
bereits die a. h. Sanction. Dasselbe er-
mächtigte die Regierung, die genannten
Linien mit einem Aufwände von höchstens
10,000.000 fl. aus Staatsmitteln und
längstens bis zum Jahre 1897 herzu-
stellen — die beiden Abzweigungen
jedoch nur unter der Bedingung, dass
von dem Königreiche Galizien und von
den Interessenten Beiträge von zusammen
1 ,000.000 fl. geleistet würden. *) Nach-
dem die Voreinleitungen getroffen waren,
verfügte das Handelsministerium am
24. Juli 1894 die Inangriffnahme der
Hauptlinie, für welche nun die Bauoperate
ausgefertigt und sodann die Arbeiten am
19. März 1895 in sieben Losen [an die
Unternehmungen Czeczowiczka &
Weiner, F. G a m s k i, L. R a d w a n s k i,
E. Uderski] vergeben, beziehungsweise
im Mai 1895 begonnen wurden. Die
72*3 km lange Strecke Oströw-Pod wy-
sokie diente bereits vom 25. Januar 1897
an dem Localbetriebe ; am 1 . Juni 1 897
fand auch die Eröffnung der 29*3 km
langen Strecke Podwysokie-Halicz
und zugleich des Hauptbahn-Betriebes
auf der ganzen Linie statt. Von Oströw
bis Tarnopol [9 km] ward die Linie Ko-
pyczynce-Tarnopol der Ostgalizischen Lo-
calbahnen in Mitbenützung genommen.
Die Abzweigungen [von Potutory] einer-
seits nach Brzezany [7 km] andererseits
nach Podhajce [23 km] verblieben noch
im Stadium der Vorbereitung.
Dagegen kam nun auch die 42*7 km
lange Strecke Chodoröw-Podwy-
s o k i e hinzu, zu deren Ausführung auf
Staatskosten — mit einem Höchstbetrage
von 3,650.000 fl. — das aus der bezüg-
lichen Vorlage vom 15. Februar 1896
hervorgegangene Gesetz vom 1 . Juni 1 896
die Regierung ermächtigte, unter der Be-
dingung, dass »vom Königreiche Galizien
aus Landesmitteln ein nicht rückzahlbarer
Beitrag zu den Kosten in jener Höhe ge-
leistet werde, welcher erforderlich ist, um
die von den Interessenten zu leistenden,
ebenfalls nicht rückzahlbaren Beiträge auf
1 ,000.000 fl.zu ergänzen« — eineBedingung,
die durch den Beschluss des galizischen
*) Vgl. Konta's Eisenbahn - Jahrbuch
Jahrgang XV, Seite 144 und 159, XVI, Seite
212 und 226, XVII, Seite 223.
*) Der galizische Landtag hatte in seiner
Sitzung vom 19. Mai 1893 beschlossen »in
Würdigung der Nützlichkeit und Wichtigkeit
der bezeichneten Bahnlinien, zur Herstellung
derselben eine unter Beisteuer der Localinter-
essenten aufzubringende Landes-Subvention
von 1,000.000 fl. zu leisten^.
414
Ignaz Konta.
Landtages vom 8. Februar 1895 erfüllt er-
scheint. Der Bau wurde am 1 4. August 1 896
in fünf Losen an die Unternehmer Karl und
Emanuel Tauber, Ludwig Radwanski
und Felix Ilnicki, Kalm. Freuden-
heim & Comp, vergeben und innerhalb
14 Monaten vollendet. Die Eröffnung
der Bahn fand am 29. November 1 897 statt.
Die Trace der Linie Halicz-Oströw
geht von Halicz nördlich über Bolszowce, Sko-
morochy stare, Lipica dolna bisPodwysokie,
schlägt die östliche Richtung ein, berührt die
Stationen Mieczyszczöw,Potutory, überbrückt
bei Krzywe die Zlota lipa, einen Nebenfluss
des Dniester und gelangt in gerader östlicher
Richtung über Kozowa, Sfoboda-Teofipolka,
Denysöw - Kupczyrice, Chodaczköw - wielki
nach Oströw-ßerezowica, von wo aus die
Verbindung mit Tarnopol hergestellt . ist.
Die Strecke Chodorö w-Pod wy sokie
zweigt von der Halicz -Oströwer Trace bei
Podwysokie westlich ab und stellt über
Puköw, Rohatyn, Potok und Psary eine zweite
Verbindung der Oströwer Linie mit der ehe-
maligen Lemberg-Czernowitzer Eisenbahn
bei Chodoröw her.
Ein Jahr früher war in Böhmen eben-
falls eine Hauptbahnstrecke auf Staats-
kosten zur Ausführung gelangt, nämlich die
zur Verbindung der Böhmischen Westbahn
mit der Prag - Duxer Bahn bestimmte,
15-3 km lange Strecke Beraun-Duänik,
zu deren Kosten im Höchstbetrage von
1,950.000 fl. das Königreich Böhmen und
die Interessenten eine Beisteuer von zu-
sammen 150.000 fl. ä fonds perdu zu
leisten hatten. Die legislative Ermächti-
gung zu diesem Staatsbau erfolgte mittels
Artikel XIII des Gesetzes vom 19. Juni
1 895 [betreffend die im Jahre 1 895 sicher-
zustellenden Bahnen niederer Ordnung].
Der am 29. August 1896 an den Unter-
nehmer Franz Schön vergebene Bau ge-
langte im December 1897 zur Vollendung
und sodann am 18. desselben Monates
die Bahn zur Eröffnung.
Die Trace der Linie von Beraun nach
Dusnik führt nordwestlich über Beraun-
Zävodi durch eine stimmungsvolle Land-
schaft zur Station Vräz-St. Johann, über-
setzt nächst Lodenitz das von hohen, fast
senkrechten weissen Kalkfelsen gebildete
Thal des Kacicerbaches, der in die Beraun
fliesst, und gelangt über Hofelitz nach Dusnik.
Im Jahre 1896 wurde mit der Linie
Marienbad - Karlsbad auch eine
Hauptbahn [II. Ranges] als Privatbahn,
unter Gewährung einer 25jährigen Steuer-
freiheit und einer Staatsgarantie in der
Höhe der zur 4°/0igen Verzinsung und zur
Tilgung eines Anlehens von nom.
4,050.000 fl. erforderlichen Annuität, con-
cessionirt. *) Namensträger der Concession
vom 21. Mai 1896 waren: der Bezirks-
obmann in Teplitz Prälat Alfred Cle-
ment so, der Advocat Dr. Anton Stöhr
in Wien, der Stadtrath in Karlsbad Dr.
Ferdinand Fleischner, der Bürger-
meister vonMarienbadDr.AugustHerzig,
der Bürgermeister von Teplitz Dr. Josef
Zintl und der Bezirksobmann in Petschau
Ernst Veit. Die Durchführung dieser
Concession erfolgte jedoch erst in der
schon ausserhalb des Rahmens dieser
Rückschau liegenden Zeit. Die Eröffnung
der Bahn wurde gegen Ende 1898 ge-
wärtigt.
Diese Linien waren die letzten der im
Decennium 1887 — 1896 sichergestellten
Hauptbahnen. Alle übrigen umfassten nur
Localbahnen, zu deren Förderung das auf
breiten Grundlagen beruhende, dem Staate
die Leistung reicherer Beihilfe ermögli-
chende und mit einer Giltigkeitsdauer von
zehn Jahren ausgestattete, alle Arten »Bah-
nen niederer Ordnung« [auch die soge-
nannten Klein- oder Tertiärbahnen] umfas-
sende neue Localbahn-Gesetz vom
31. December 1894 geschaffen wurde, an
welches sich sodann alljährlich die Ge-
setze über die in jedem der betreffenden
Jahre sicherzustellenden Bahnen niederer
Ordnung anschlössen.**)
Seitdem war abermals die Verstaat-
lichungsthätigkeit in den Vordergrund ge-
treten. Vorläufer derselben waren einige
»Präparationen« . DieBuschtöhrader
Bahn hatte am 20. Juni 1891 die Be-
willigung einer neuen einheitlichen Priori-
*) Aus diesem Anlasse wurde mit a. h.
Genehmigung vom 21. Mai 1896 die alte, am
25. December 1886 dem Ingenieur W. Daniel
in Pilsen ertheilte, jedoch unausgeführt ge-
bliebene Concession für eine Localbahn von
Marienbad nach Karlsbad etc., für erloschen
erklärt. [Kundmachung des Handelsministe-
riums vom 13. Juni 1896.]
**) Ausführlicheres hierüber siehe Dr. V.
Roll »Die Entwicklung der österr. Eisenbahn-
Gesetzgebung« und P. F. Kupka »Das Local-
bahnwesen in Oesterreich«.
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
415
täts- Anleihe von 60,000.000 fl., zum
Zwecke der Convertirung der alten An-
lehen und zur Deckung von Investitions-
Erfordernissen beim Handelsministerium
angesucht und nach langwierigen Ver-
handlungen mit der Regierung das Ueber-
einkommen vom 22. October 1893 abge-
schlossen, dessen Hauptbestimmungen im
Folgenden gipfelten : Die Gesellschaft ver-
bindet mit der Convertirung auch die
Schaffungeines Investitionsfonds und erhöht
darum die neue Anleihe, welche eine 4°/0ige
Kronen-Anleihe sein soll, auf den Betrag
auf 136,000.000 Kronen = 68,000.000 fl. ;
der Investitionsfonds wird abgesondert ver-
rechnet ; die Hälfte des Betrages, welcher
dem capitalisirten Werthe der infolge der
Convertirung eintretenden Ersparnisse an
den Jahreslasten entspricht, hat nach An-
ordnung des Handelsministeriums zur Er-
weiterung des gesellschaftlichen Unter-
nehmens, insbesondere auch zur Betheili-
gung an der Capitals-Beschaffung für an-
schliessende Zweig- und Flügelbahnen zu
dienen ; wenn dieser Hälftebetrag zur Zeit
der Einlösung der Bahn noch nicht auf-
gebraucht ist, wird der bezügliche Rest
von dem Einlösungspreise, soweit derselbe
das concessionsmässige Minimum über-
steigt, in Abzug gebracht ; der Beginn
des concessionsmässigen Einlösungsrechtes
wird für beide Netze mit Ende 1897 fest-
gesetzt. Letztere Bestimmung erhielt [nebst
einigen neuen gesellschaftlichen Verpflich-
tungen in Betreff der Leistungen für die
Post, der Zugeständnisse für anschlies-
sende Localbahnen etc.] Aufnahme in
die mit a. h. Genehmigung vom 19. Juli
1894 erfolgte und mittels Kundmachung
des Handelsministeriums vom 8. August
1894 verlautbarte Abänderung der be-
züglichen Concessions-Urkunden. Da die
Convertirung grösstentheils nur eine frei-
willige sein konnte, vollzog sich dieselbe
nur allmählich, ebenso die Begebung
für Investitionszwecke nur nach dem je-
weiligen Bedarfe. Mit Ende 1 896 waren von
der neuen Anleihe erst 75,373.800 Kronen
emittirt und von den alten 5 und 472%igen
Anlehen noch 5,851.000 fl. im Umlaufe.
Aus Anlass einer Prioritäten-Conver-
tirung wurde auch mit der Leoben-Vor-
dernberger-Bahn eine Vereinbarung ge-
troffen [20. Juni 1893], wonach diese
Bahn vom 8. Juli 1899 angefangen jeder-
zeit und unter neu festgesetzten Bedin-
gungen vom Staate eingelöst werden
kann. Die Verlautbarung der betreffenden
Abänderung der Concessions-Urkunde ge-
schah mittels Kundmachung des Handels-
ministeriums vom 4. August 1893. — Die
4°/0ige Convertirungs-Anleihe von nom.
1,200.000 fl. ist von der steiermärkischen
Escomptebank zum Curse von 96 7.4 °/o
übernommen worden.
Rücksichtlich der Böhmischen
W e s t b a h n gelangte die schon seit dem
Jahre 1889 anhängig gewesene Frage der
Verlängerung des Flügels C h r a s t-O b e r-
S t u p n o [Radnitz] zum endlichen Austrage.
Die Verpflichtung der Gesellschaft zu
diesem Fortsetzungsbaue ging aus der
Concessions-Urkunde hervor, deren § 7
ausdrücklich besagt, dass die Bestimmung
des Zeitpunktes, wann der Flügel nach
Radnitz und Wegwanow zu vollenden
sei, dem Ministerium vorbehalten bleibe.
Die Gesellschaft vermeinte jedoch den
Bau unterlassen zu können, wiewohl
auch der Ministerial-Erlass vom 18. Mai
1862, mit welchem ihr gestattet wurde,
statt der ursprünglich concessionirten
Abzweigung von Holoubkau über Ober-
Stupno nach Wegwanow jene von Chrast
nach Ober-Stupno [Radnitz] auszuführen,
die Gesellschaft neuerlich verpflichtete,
die Strecke Ober-Stupno-Wegwanow auf
Verlangen der Regierung zu bauen, so-
bald ihre Reinerträgnisse das Erfordernis
für die Verzinsung und Tilgung des An-
lage-Capitals um 192.000 fl. überstiegen.
Sie sträubte sich, den auch von den poli-
tischen Behörden unterstützten Wünschen
der Interessenten zu entsprechen und zog
die Angelegenheit hinaus, bis das Handels-
ministerium zu Beginn des Jahres 1893
die endgiltige Entscheidung traf, dass
obzwar die Verpflichtung zu dem Baue
ausser Zweifel stehe, die Gesellschaft
vorläufig blos die Theilstrecke O b e r-
S t u p n o-B f a s-R a d n i t z ausführen solle.
Das geschah denn auch und am 1. De-
cember 1893 fand die Eröffnung dieses
6-6 km langen Fragmentes statt.
Die nun ins Werk gesetzten Haupt-
bahnen-Verstaatlichungen began-
nen mit der schon weiter vorne mitge-
4i6
Ignaz Konta.
theilten Einlösung der österreichischen
Linien der Lemberg-Czernowitz-Jassy-
Eisenbahn. [Siehe Seite 387.] Dieser folgte
alsbald die Erwerbung der Böhmi-
schen Westbahn. Vielseitig verlangt,
durch das Uebereinkommen vom 1 1 . De-
cember 1884, beziehungsweise das Gesetz
vom 4. April 1885 [Siehe Seite 370]
schon mit Ende Juni 1892 möglich ge-
worden und von Seite des Handelsmi-
nisters in der Budgetausschuss-Sitzung
vom 7. März 1894 förmlich angekün-
digt — stand diese Action sozusagen
stündlich bevor. Wenn sie gleichwohl
erst im Herbste 1 894 eintrat, war dies dar-
auf zurückzuführen, dass die Regierung
warten wollte, bis die in Schwebe ge-
wesenen älteren Angelegenheiten, darunter
die oben besprochene Verlängerung der
Flügelbahn und die Heranziehung der
Gesellschaft zur Mittragung der Kosten
des Umbaues der Station Pilsen, er-
ledigt waren. Die hierauf eingeleiteten
Verhandlungen mit der Gesellschaft führten
zu dem Uebereinkommen vom 4. October
1894, dessen Hauptpunkte, im Einklänge
mit den concessionsmässigen und den im
Gesetze vom 4. April 1885 festgesetzten
Einlösungsbestimmungen, dahin lauten,
dass die Bahn mit Geltung ab I . Januar
1894 in den Besitz des Staates übergeht,
der hiefür die gesellschaftlichen 4°/0igen
Prioritäts-Anlehen nach dem Stande vom
I. Januar 1895 [13,720.000 fl. Silberund
999.900 fl. Gold= 1, 096.347 fl. Noten] so-
wie ein von der Gesellschaft neu zu emitti-
rendes 4°/0iges Anlehen von 26,500.000 fl.
oder 53,000.000 Kronen zur Selbstzah-
lung übernimmt,*) von welch letzteren
23,550.800 fl. zur Ausschüttung an die
Actionäre, die restlichen 2,949.200 fl.
aber dem Staate zu Investitionszwecken
*) Die Jahreslast für die als eigentliches
Einlösungsentgelt zählenden Anlehensbeträge
von zusammen 38,367.147 fl. stellte sich auf
1,683.370; das Reinerträgnis pro 1893 betrug
1,719.239 fl. oder, nach Ausscheidung nicht
wiederkehrender Reconstructions - Kosten,
I>79°-5°8; dieses letzte gesellschaftliche Be-
triebsjahr gehörte jedoch, wie das ihm vor-
ausgegangene, zu den ungünstigsten der bei
der Ermittlung der Einlösungsrente in Be-
tracht gekommenen sieben Jahre 1887 — 1893;
die nach dem Durchschnitts - Ertrage der
übrigen fünf Jahre berechnete Rente bezifferte
sich mit 1,738000 fl.
und zur Leistung der noch im Abrech-
nungswege zu ermittelnden Vergütungen
für Material- Vorräthe etc. dienen sollen ;
die Special- und Reservefonds verbleiben
Eigenthum der Gesellschaft; das ge-
sammte Personal wird unter Wahrung
der erworbenen Rechte vom Staate über-
nommen. Nachdem die Actionäre in
ihrer ausserordentlichen Generalversamm-
lung vom 24. October 1894 dem Ueber-
einkommen zugestimmt hatten, wurde
dasselbe mittels der Gesetzesvorlage vom
5. November 1894 der legislativen Be-
handlung zugeführt.
Unter einer Flagge mit der » hoch-
wertigen« Böhmischen Westbahn se-
gelten dem Hafen der Verstaatlichung
auch die Mährisch - Schlesische
Centralbahn und die Mährische
Grenzbahn entgegen, da in die oben
erwähnte Vorlage auch jene Vereinbarungen
miteinbezogen waren, welche die Regie-
rung mit diesen, seit vielen Jahren noth-
leidenden Bahnen getroffen hatte. Die
Schicksale derselben sind bereits in frü-
heren Abschnitten dieser Mittheilungen
eingehend geschildert ; *) es erübrigt da-
her nur, hier noch den Schluss anzufügen.
Das Interesse der Regierung an dem
Besitze der M ä h r i s c h-S chlesischen
Centralbahn entsprang vornehmlich
dem Umstände, dass mittels dieser Bahn
die Verbindung der bislang räumlich
getrennten staatlichen Betriebslinien in
Mähren und Schlesien zu einem zusam-
menhängenden Netze ermöglicht wurde ;
ausserdem war der Regierung auch daran
gelegen, den im Staats vertrage mit dem
Deutschen Reiche vom 14. März 1885
[siehe Seite 382] vorgesehenen Anschluss
Troppau-Ratibor rechtzeitig sicherzustellen
und sowohl diesen, als auch die
übrigen Anschlüsse der Mährisch-Schle-
sischen Centralbahn an die preussischen
Bahnen in eigene Verwaltung zu
nehmen. Die Gesellschaft und noch mehr
ihre Prioritäts-Gläubiger konnten aber in
dem Verkaufe der Bahn an den Staat nur
eine Erlösung aus einer gleich uner-
quicklichen wie aussichtslosen Lage er-
blicken. Darum gediehen die mit der
*) Siehe Seite 100 ff., 146, 220, 226, 232 f.,
274 ff-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
417
Gesellschaft und dem Prioritäten-Curator
gepflogenen Verhandlungen bald zu einem
gedeihlichen Abschlüsse, der in dem
Uebereinkommen vom 7. Juni 1894 seinen
Ausdruck fand. Die wesentlichsten Ver-
tragsbestimmungen besagten Folgendes :
Die Bahn geht mit 1. Januar 1895 in
das Eigenthum des Staates über; die Ge-
sellschaft hat jedoch noch unverweilt den
Bau des österreichischen Theiles der Ver-
bindung Troppau-Ratibor sowie die be-
zügliche Erweiterung ihres Troppauer
Bahnhofes einzuleiten und verpflichtet
sich auch zur Aufnahme eines 4°/0igen
Prioritäts-Anlehens von nom. i6,50o.ooofl.
oder 33,000.000 Kronen, wogegen der
Staat dieses Anlehen zur Selbstzahlung
übernimmt, aus demselben das Entgelt
von 14,228.400 fl. für die Eigenthums-
übertragung an die Gesellschaft entrichtet,
den Rest von 2,27 1.600 fl. aber zu Inve-
stitionszwecken sowie zur Vergütung der
Kosten jenes Baues und sonstiger Ab-
rechnungs-Saldi behält; die Gesellschaft
verpflichtet sich, aus dem ihr zufliessenden
Entgelt einen Betrag von nom. 1 3,467.000 fl.
zur Befriedigung der Ansprüche der Be-
sitzer der 44.890 alten 5°/0igen Obliga-
tionen ä 300 fl. in der Weise zu verwen-
den, dass denselben für je eine solche
Obligation eine neue 4°/0ige ä 300 fl.
oder 600 Kronen ausgefolgt wird ; die ihr
nachher verbleibenden 761.400 fl. haben
zur Tilgung schwebender Verbindlich-
keiten und zur Vertheilung an die Ac-
tionäre zu dienen; das Personale wird
unter Wahrung der erworbenen Rechte
vom Staate übernommen. Die Theil-
haber der Gesellschaft erklärten sich in
der ausserordentlichen Generalversamm-
lung vom 5. Juli 1894 mit dem Ueber-
einkommen einverstanden und die Cura-
telsbehörde genehmigte dasselbe am
10. August 1894.
Für die endliche Ordnung auch derVer-
hältnisse der schon seit 1 883 vom Staate
betriebenen Mährischen Grenzbahn
sprachen neben verkehrspolitischen und be-
triebsöconomischen Erwägungen, einiger-
massen noch die Rücksichten aufdenEisen-
bahn-Credit ; denn diese Unternehmung ge-
noss eine theilweise Staatsgarantie und die
gleichwohl um ein ganzes Procent [von den
zugesicherten 5°/0 auf 4%] herabgesetzte
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band. 2. Theil.
Verzinsung der Prioritäten warf noch immer
ihre Schatten, ganz abgesehen von der nie-
mals eingetretenen Zahlung einer Divi-
dende auf die Actien. Nach den dies-
falls schon früher wiederholt gemachten
Erfahrungen war an eine >Sanirung«
im alten Sinne des Wortes nicht mehr
zu denken. Die erreichbare Behebung
der kranken Zustände wurde aber da-
durch verzögert, dass der Verwal-
tungsrath oder die Geldkräfte, welche
ihn eingesetzt hatten, stets vermeinten,
mehr erringen zu können, was
natürlich auch dem Prioritäten-Curator
erwünscht gewesen wäre. Erst als die
richtige Erkenntnis der Sachlage Geltung
gewonnen und der Curator engere Füh-
lung mit der Regierung gesucht hatte,
begannen die gedeihlichen Verhandlungen
über die Lösung des Knotens. Es kam
das Uebereinkommen vom 4. Juli 1893
zu Stande, das auch in der General-
versammlung vom 16. August 1893 die
Zustimmung der Actionäre erhielt, jedoch
wegen fruchtlosen Ablaufes der zu seiner
Perfectionirung festgesetzt gewesenen Frist
[15. Februar 1894] wieder erlosch
und nachher durch das fast gleichlautende
Uebereinkommen vom 23. October 1894
ersetzt wurde. Dasselbe erstreckt sich
sowohl auf die garantirte Linie Stern-
berg-Grulich als auch auf die ungarantirte
Linie Hohenstadt-Zöptau, nimmt ebenfalls
Bedacht auf die Schaffung eines Investi-
tions-Fonds und bestimmt im Wesent-
lichen folgendes : Das gesammte Eigen-
thum der Gesellschaft und ebenso ihr
gesammter Lastenstand übergehen an
den Staat, der hiefür ein Entgelt von
nom. 9,028.600 fl. in Titeln eines von
der Gesellschaft neu aufzunehmenden
4°/0igen Prioritäts-Anlehens von nom.
12,000.000 fl. oder 24,000.000 Kronen
zur Selbstzahlung übernimmt und den für
künftige Investitionen bestimmten Restbe-
trag von 2,971.400 fl. oder 5,942.800
Kronen zur freien Verfügung behält ; aus
der Entgelt-Summe erfolgt der Staat den
Prioritären für die noch umlaufenden
38.708 Obligationen ä 200 fl. des alten
5°/0igen Anlehens ebenso viele Titel
ä 200 fl. des neuen Anlehens und über-
dies für die Verzichtleistung auf das ihnen
ursprünglich zugesicherte fünfte Procent
27
4i8
Ignaz Konta.
für je 20 alte eine neue Obligation,
ferner den Actionären für je 10 Actien
ä 200 fl. eine Obligation ä 200 fl. und
nebstdem für je eine Actie einen Bar-
betrag von 40 Kreuzern, endlich den
Besitzern von »Restcoupons«*) aus dem
Jahre 1880 [weil schon gekündigt] je
1 fl., für die später ausgegebenen aber
je 15 Kreuzer pro Stück; die aus dem
Titel der Staatsgarantie und der Deckung
von Betriebskosten-Abgängen an die Ge-
sellschaft ertheilten Vorschüsse sammt
Zinsen [insgesammt 6,419.834 fl.] werden
abgeschrieben. Diesem Uebereinkommen
stimmten die Actionäre in der ausserordent-
lichen Generalversammlung vom 27. Octo-
ber 1 894 zu, nachdem auch die Curatelsbe-
hörde mittels Bescheides vom vorherigen
Tage die Genehmigung ertheilt hatte.
Da im Reichsrathe grundsätzliche
Einwendungen gegen die Vorlage nicht
erhoben wurden, ging sie aus demselben
sehr bald als Gesetz hervor und erhielt
am 11. December 1894 die a. h. Sanction,
worauf dann das Handelsministerium,
mittels der bezüglichen Kundmachungen
vom 19. December 1894, alle drei Bahnen
als mit dem 1. Januar 1895 vom Staate
übernommen erklärte.
Den Theilhabern der Böhmischen
Westbahn fiel es schwer, sich von
ihrem alten, ertragsreichen Besitze zu
trennen und die Tagesblätter wussten
von manchen rührenden Momenten in
den letzten Sitzungen des Verwaltungs-
raths zu erzählen. Auch den langge-
dienten Beamten kam der Wechsel des
Dienstverhältnisses hart an. Der Betriebs-
director, Hofrath Heinrich Ritter von
J a r s c h,**) und der General-Secretär, Re-
gierungsrathDr. AngeloRitter von K u h,***)
*) Die »Restcouponsc wurden als künd-
bare Anweisungen auf Zahlung des bei der
Einlösung der Prioritäten-Coupons schuldig
gebliebenen fünften Procentes ausgegeben.
**) Heinrich v. Ja r seh, bis zum Jahre
1871 Ober-Inspector und Betriebs-Director-
Stellvertreter der Gesellschaft, rückte damals
an die Stelle des zur Prag-Duxer Bahn über-
getretenen Betriebs- Directors Fr. Mräz vor.
***) Dr. v. Kuh, früher Central-Inspector
der Kaiser Ferdinands-Nordbahn, kam als
Nachfolger des im Jahre 1874 zur Carl
Ludwig-Bahn übergetretenen General-Secre
tärs Dr. Ed. R. v. Sochor zur Böhmischen
Westbahn, diente ihr daher 21 Jahre.
traten in den Ruhestand, wobei der
Letztgenannte mit dem Titel eines Hof-
rathes ausgezeichnet wurde.
Die Liquidation ergab für jede Actie ä
200 fl. einen Nominalbetrag von 800 Kronen
= 400 fl. und für jeden Genussschein nom.
400 Kronen — 200 fl. aus der neuen
4°/0igen Anleihe sowie überdies für jedes
der beiderlei Papiere einen Barbetrag
von 21 fl. 30 kr.
Auf die Actionäre der Mährisch-
Schlesischen Centralbahn entfiel
bei der Liquidation Alles in Allem nom.
24 Kronen = 12 fl. aus dem 4%igen
Kronen- Anlehen und 2 fl. 70 kr. im Baren
für jede Actie ä 200 fl. ; die Actionäre
der Mährischen Grenzbahn er-
hielten die im Uebereinkommen festge-
setzte Abfindung, das ist den zehnten Theil
ihres Capitals. Seit der Verstaatlichung
dieser beiden Unternehmungen gab es
in Oesterreich keine nothleidenden Bahnen
mehr.
Der noch von der Mährisch-Schle-
sischen Centralbahn eingeleitete, be-
ziehungsweise auch vergebene Bau der
2 km langen österreichischen Theilstrecke
der Verbindung Troppau-Ratibor
wurde von dem Ersteher desselben, J.
L und wall, im Spätsommer 1893 in
Angriff genommen. Seit I. Januar 1895
übernahm die General - Direction der
österreichischen Staatsbahnen die Füh-
rung des Baues ; die Eröffnung dieses
2 km langen Bahnstückes fand zugleich
mit jener der preussischen Fortsetzungs-
strecke am 20. October 1895 statt. Der
Betrieb ist an die Verwaltung der könig-
lich preussischen Staatsbahnen übertragen.
Die eben erörterten Verstaatlichungen
galten allgemein nur als Anfang der,
anlässlich der Berathungen des Budget-
Ausschusses am 7. März 1894, vom
Handelsminister in Aussicht gestellten
Action, welche zunächst noch die
O est erreichische Nordwestbahn
sammt der Süd-norddeutschen
Verbindungsbahn und — den
damals gegebenen Andeutungen nach
— bei eintretender Möglichkeit auch
andere Bahnen umfassen sollte. Ein
bezügliches Programm aufzustellen, er-
klärte Graf Wurmbrand aber für un-
thunlich, solange die wichtigsten Bahnen,
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
419
das ist die Südbahn und die Kaiser Fer-
dinands-Nordbahn, nicht in dasselbe ein-
bezogen werden könnten.
Während des Sommers schien jedoch
ein gut Theil gerade der weitergehen-
deren Pläne, nämlich der auf die Ver-
staatlichung der Süd bahn abzielende,
gereift zu sein. Der General-Director
derselben, Friedrich Schüler, der als
treuer Hüter ihrer Interessen, sich die
Pflege guten Einvernehmens der Gesell-
schaft mit den beiderseitigen Regierungen
zur Aufgabe gemacht, zugleich aber auch
die Selbständigkeit des seiner Leitung
anvertrauten grossen Unternehmens mit
aller Zähigkeit vertheidigt hatte, war am
29. Mai 1894 gestorben;*) die königlich
ungarische Regierung, welche — seit die
zwischen ihr und der Gesellschaft ver-
handelten Verkehrs- und Tariffragen aus-
getragen waren — den Gedanken an
die Erwerbung der ungarischen Südbahn-
linien aufgegeben hatte, nahm denselben
wieder auf, und die österreichische Re-
gierung hielt es an der Zeit, schon jetzt
dem Staatsbetriebe die nach dem Meere
führende Schienenstrasse einzuverleiben.
Die »Ministerberathungen« hierüber
fanden in den Tagen vom 16. bis 18. Sep-
tember 1894 zu Budapest statt, ergaben,
wie das sogleich verlautbarte CommuniqutS
besagte, ein vollständiges Einverständnis
und hatten alsbald zur Folge, dass die
Gesellschaft seitens beider Regierungen
die Aufforderung erhielt: für den 10. No-
vember 1894 Delegirte zu dem formellen
Beginne der Verstaatlichungs- Verhand-
lungen zu entsenden. Auch diese Ver-
handlungen nahmen einen guten Fort-
gang, so zwar, dass die Südbahn sich
bereits anschickte, ihr Haus zu bestellen**)
und die Staatseisenbahn-Verwaltung schon
*) Bis Ende 1896 führte provisorisch der
General-Director-Stellvertreter und Verkehrs-
Director, Hofrath Heinrich Pfeiffer Ritter
von Wellheim, die Geschäfte. Anlässlich
dessen Eintrittes in den Ruhestand, erfolgte
dann die Ernennung des Directors der Oester-
reichischen Nordwestbahn, Hofrathes Dr.
Alexander Eger, zum General-Director der
Südbahn, welchen Posten er mit I. Januar
1897 antrat. Sein Nachfolger bei der Nord-
westbahn wurde der Ministerialrath Anton
Kühnelt.
**) Von den bezüglichen Massnahmen
waren verschiedene Personal-Einrichtungen,
in Graz nach einem passenden Admini-
strations-Gebäude für die dort zu er-
richtende staatliche Betriebs - Direction
Umschau hielt. Mit einem Male trat jedoch
eine Wandlung ein. Die Verhandlungen,
welche das Handelsministerium, unbeirrt
von den zuweilen sehr heftigen Angriffen
seitens der Oeffentlichkeit, den ganzen
Winter über mit der königlich ungari-
schen Regierung fortgesetzt hatte, stockten
plötzlich an einigen von der königlich
ungarischen Regierung aufgeworfenen —
die österreichischen Verkehrs-Verhältnisse
tief berührenden — »principiellen Fra-
gen«, und da es der österreichischen
Regierung unmöglich war, insbesondere
in die ungarischerseits verlangten Tarif-
Zugeständnisse zu willigen, hörte dann
auch die bis nun bestandene sonstige
Uebereinstimmung auf. Dies ging ganz
deutlich aus den Reden hervor, mit
welchen der österreichische Handels-
minister am 22. April 1895 und Tags
darauf auch der Finanzminister Dr. von
Plener in den Sitzungen des Budget-
Ausschusses die Anfragen über den Stand
der Angelegenheit beantworteten und
womit die Verstaatlichung der Südbahn
als aufgeschoben erklärt ward. Auf wie
lange das gleichbedeutend ist mit »auf-
gehoben«, muss abgewartet werden.
Nicht viel anders endete auch der
übrige Theil der weitgreifend angelegt
gewesenen Action. In der Budget-Aus-
schusssitzung vom 2. April 1895 bezeich-
nete der Handelsminister die Staats-
eisenbahn-Gesellschaft als »in
das Studium bezüglich der Verstaat-
lichung« neu einbezogen. Dies wurde
allenthalben so aufgefasst, dass, nebst
der schon im Vorjahre in Aussicht ge-
stellten Einlösung der Oesterreichischen
Nordwestbahn und Süd - norddeutschen
Verbindungsbahn, jetzt auch jene des
Netzes der Staatseisenbahn-Gesellschaft
sicher zu gewärtigen sei. Mehrere her-
vorragende Mitglieder des genannten
Ausschusses fanden kein Gefallen an
der Erwerbung zweier Concurrenz- Unter-
insbesondere die Einführung des Gehalts-
Schemas der österreichischen Staatsbahnen,
sofort in die Oeffentlichkeit gedrungen und
viel bemerkt worden.
27*
420
Ignaz Konta.
nehmungen*) und traten derselben gleich
von vornherein entgegen.**) Die Börse
schloss sich jedoch der ersteren Meinung
an, betrachtete sogar das Vorhaben schon
als Thatsache und trieb ein wildes Spiel
mit den Actien der > Verstaatlichungs-
bahnen«, was ihr und ihren Zuläufern
bald schwere Verluste, überdies aber
auch den Vorwurf des Selbstverschuldens
einbrachte; denn der Widerwillen, der
sich im Parlamente eben wegen jenes
Treibens gegen die Action kundgab,
war zum erheblichen Theile Mitursache
des Aufgebens derselben und des darauf
gefolgten Rückschlages in den Cursen
der betreffenden Actien. Mit der Er-
klärung der Minister vom 22. und 23. April
1895 [s. o.] hatte es auch von der
Erwerbung des Netzes der Staatseisen-
bahn-Gesellschaft sein Abkommen und
der Rest der ganzen Action ward bis auf
Weiteres zurückgestellt.
Eine fernere Mitwirkung an derselben
fiel dem bisherigen Handelsminister Grafen
Wurmbrand nicht mehr zu. Die
^Coalition« der politischen Parteien war in
die Brüche gegangen, das Cabinet, welches
ihren Namen trug, am 19. Juni 1895 durch
das Ministerium Graf Kielmansegg
[Beamten-Ministerium] ersetzt und hiebei
die Leitung des Handelsministeriums dem
Sections - Chef Dr. Heinrich Ritter von
Wittek anvertraut worden.***)
Die Vertretung des Budgets seines
Ressorts in der Vollsitzung des Ab-
geordnetenhauses vom 16. Juli 1895 gab
dem neuen Leiter des Handelsministeriums
Veranlassung und Gelegenheit, sich in
*) Ausserhalb des Parlamentes gelangte
die Meinung zum Ausdrucke, dass infolge
des überwiegenden Einflusses, den eine und
dieselbe Geldkraft, beziehungsweise Persön-
lichkeit, bei beiden Unternehmungen besitze,
die eine ohne die andere Bahn nicht leicht
oder doch nur zu minder günstigen Bedin-
gungen erhältlich sein würde-
**) Vgl. die Reden der Abgeordneten Dr.
Russ, Dr. Beer, Dr. Kaizl, Dr. Menger
etc. in der oben erwähnten Ausschuss-Sitzung
vom 22. April 1895.
***) Graf Wurm brand erhielt bei seiner,
mittels a. h. Handschreibens vom 19 Juni 1895
erfolgten Enthebung, in Anerkennung der
'treuen, mit voller Hingebung geleisteten
Dienste«, den Orden der Eisernen Krone
I. Classe.
ausführlicher Weise über wichtige Punkte
des Eisenbahnwesens auszusprechen. Ohne
ein Programm zu . sein, Hessen diese
Darlegungen doch erkennen, was Dr. Ritter
von Wittek als seine Aufgabe be-
trachtete : Förderung der Local-
bahnen mit Beihilfe der Länder, wohl-
überlegte Vertheilung der Lasten und
Arbeiten auf längere Zeit, doch aber das
Ziel, »dass so viel als möglich vor-
wärts gebracht werde« ; Einflussnahme
auf die Verwaltungen aller Bahnen —
staatliche wie private — dahin, dass die
Administration »eine möglichst
gute sei, möglichst im Interesse der
Bevölkerung stattfinde und das öffentliche
Interesse dabei gewahrt werde«; Sorg-
same Wahrnehmung der Rechte,
welche der Staat gegenüber den Privat-
bahnen hat, auch insoweit sie sich auf
die Einlösung beziehen ; Klarstellung
dieser Rechte, wo sie getrübt oder
verdunkelt sind und allfällige Ausübung
derselben »nicht vom Gesichts-
punkte einer grossen Verstaat-
lichungs-Action sondern von dem
bescheideneren Standpunkte einer pflicht-
gemässen Administration« und vor Allem
unter Wahrung der Interessen des Staats-
schatzes ; Bedachtnahme auf eine mas-
sige Aufbesserung der Tarife
der Staatsbahnen, um die Erträgnisse
derselben zu steigern, ohne die volks-
wirthschaftlichen Anforderungen zu be-
einträchtigen ; Vorsorge für die Hinauf-
hebung der Personal- Vorschriften der
Privatbahnen auf das Niveau der Dienst-
pragmatik der Staatsbahnen.
Wie sehr der Leiter des Handels-
ministeriums mit diesen bedächtigen und
doch so bedeutsamen Worten das Richtige
getroffen, das zeigte der allseitige, leb-
hafte Beifall, den sie gefunden hatten.
Zur Durchführung seiner zielbewussten
Vorsätze, unter der vollen eigenen Ver-
antwortung, war ihm aber damals keine
Zeit gelassen. Sein erstes, grösseres Be-
ginnen war die in der halbamtlichen
Wiener Abendpost vom 10. September
angekündigte Ausübung des staat-
lichen Einlösungsrechtes hinsichtlich der
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn und
des garantirten Netzes der Oesterreichi-
schen Nordwestbahn. Darüber hinaus
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
42I
konnte er aber nicht mehr gelangen. Das
Beamten-Ministerium wurde am 29. Sep-
tember 1895 von dem Cabinet des Grafen
Kasimir Badeni abgelöst und Dr. Ritter
von Wittek kehrte- tagsdarauf vor-
läufig wieder auf seinen früheren Posten
zurück, ausgezeichnet durch die ihm
mittels eines besonderen a. h. Hand-
schreibens zu Theil gewordene Kund-
gebung des a. h. Dankes und der vollen
Anerkennung für die, während der
wichtigen Verwendung als Leiter des
Handelsministeriums, »mit treuer Hin-
gebung und bewährter Fachkenntnis ge-
leisteten ausgezeichneten Dienste«.
Anlässlich des Cabinetswechsels wurde
am 30. September 1895 der Freiherr
Hugo von Glanz-Eicha zum Handels-
minister und der Präsident der öster-
reichischen Staatsbahnen, Dr. Leon Kitter
von B i 1 i n s k i, zum Finanzminister
ernannt. Letztere Berufung hatte auch
einen abermaligen Wechsel im Präsidium
der Staatsbahnen zur Folge. Der 3. Octo-
ber 1895 brachte dem Personale die herbe
Stunde der Trennung von dem wohl-
wollenden, gutherzigen Chef, dem es so viel
Gutes verdankte. Etwa 2000 Beamte und
Bedienstete beiderlei Geschlechtes und aller
Grade waren aus den Bureaux der Cen-
trale und der Betriebs-Directionen, von
der Strecke und aus den Werkstätten
herbeigekommen und drängten sich in
die festlich geschmückte Gepäckshalle
des Westbahnhofes, um dem edlen Manne
Lebewohl zu sagen, der ihnen vor vier
Jahren als ein Fremder gegenüber ge-
standen und seitdem zum fürsorglichen
Vater geworden war. Laute Zustimmung
begleitete die Dankesworte, welche der
Sprecher der grossen Versammlung, Hof-
rath v. Bisch off, unter Aufzählung all
der wohlthätigen Neuerungen und Ver-
besserungen an den Personal-Einrichtun-
gen, dem gewesenen Präsidenten und nun-
mehrigen Finanzminister widmete ; herz-
liche Zurufe folgten der Beglückwünschung
zu seiner neuen hohen Stellung und, als es
nach einer liebenswürdigen Erwiderung
seitens des Ministers zum wirklichen
Abschiede kam, war manches Auge feucht
geworden.
Am 4. October 1895 erschien der
Finanzminister Dr. Ritter v. Biliiiski
noch einmal im Sitzungssaale der Ge-
neral-Direction, um seinem Nachfolger,
dem mit a. h. Entschliessung vom 2. Oc-
tober 1895 zum Leiter der General-
Direction der österreichischen Staats-
bahnen ernannten Sections-Chef Dr. Ernst
v. Koerber, die Dienst vorstände und
Oberbeamten vorzustellen und das ge-
sammte Personal angelegentlichst zu
empfehlen. Dabei ward zum ersten Male
in amtlicher Weise der bevorstehenden
neuen Organisation der Staatseisenbahn-
Verwaltung gedacht. Beiläufig erwähnt
wurde sie schon im Laufe der Budget-
berathungen der letzten Zeit und aus dem
Parlamente war die Kunde von ihrer
Gewärtigung auch in anderweitige Er-
örterungen übergegangen.
Wie weit die Aenderungen gehen
würden, das wusste aber noch Niemand
zu sagen. Die Frage der Centralisation
oder Decentralisation schien nicht zu be-
stehen, da in letzterer Beziehung schon
im Jahre 1891 viel geschehen war. In
politischen Kreisen soll mit Rücksicht
auf den Fortgang der Verstaatlichungen
der Gedanke an eine Theilung der Ge-
schäftslast der Centralverwaltung durch
Errichtung dreier General-Directionen,
und zwar je einer für die östlichen, nord-
westlichen und westlichen Staatsbahnen,
vorgewaltet haben. Nach dem was that-
sächlich geschah zu schliessen, ist jedoch
die Mission, welche der Sections-Chef
v. Koerber diesfalls bei seiner Berufung
zum Leiter der General-Direction erhalten
hatte, gleich von vorneherein eine ganz
andere gewesen. Es wurde denn auch
bereits im Spätherbste bekannt, dass die
Loslösung der Eisenbahn- Angelegenheiten
vom Handelsministerium ins Auge ge-
fasst und der Grund hiefür nicht nur in
der Ueberbürdung des Handelsministe-
riums, sondern auch darin gelegen sei,
dass die bestehende Organisation der
Staatsbahnen bei dem fortwährenden
Zuwachse neuer Linien an Elasticität
einbüsse. Ungefähr in diesem Sinne
lautete auch eine Mittheilung, welche
der neue Handelsminister damals dem
Budgetausschusse gemacht hatte. Mit
den einschlägigen, unter seiner unmittel-
baren Leitung zu bewerkstelligenden
Ausarbeitungen wurde vom Sections-
422
Ignaz Konta.
Chef v. Koerber der Stellvertreter des
administrativen Directors der österreichi-
schen Staatsbahnen, Regierungsrath Dr.
Alfred Freiherr v. Buschman, beauftragt.
Schon während dieser Vorbereitungen
war die geplante neue Centralstelle
Gegenstand eingehender Debatten im
Abgeordnetenhause. Dem Einen handelte
es sich um das Wesen und die Um-
grenzung des zu schaffenden Ressorts,
um die Frage ob es lediglich ein Eisen-
bahn- oder Verkehrs- [Communications-]
Ministerium sein und, letzteren Falles,
ob ihm auch die Schiffahrt unterstellt
werden solle. Den Anderen lag mehr die
verfassungsrechtliche Frage am Herzen,
ob ein neues Ressort ohne Befragung,
beziehungsweise Zustimmung, der Legis-
lative geschaffen werden könne. Im Ab-
geordnetenhause hatte der Abgeordnete
Dr. Russ am 12. December 1895 [bei
der Berathung des Staatsvoranschlages
pro 1896] diese Fragen aufgeworfen,*)
welche selbst dann noch, als schon die
vollendete Thatsache vorhanden war,
lebhaft forterörtert wurden.**)
Dies hielt jedoch, wie eben ange-
deutet wurde, den Gang der Ereignisse
nicht auf. Das Organisations-Elaborat war
kaum beendet, als auch schon die neue,
lediglich für das Eisenbahnwesen be-
stimmte Centralstelle zum Dasein gelangte.
Seine Majestät der Kaiser genehmigte
mit a. h. EntSchliessung vom 15. Januar
1896 die Errichtung eines Eisen-
bahn-Ministeriums sowie zugleich
auch ein neues Organis atio~ns-
statut für die staatliche Eisenbahn-
verwaltung, und die amtliche »Wiener
Zeitung« vom 18. Januar 1896 verlaut-
*) Dabei erinnerte Dr. Russ daran, dass
er schon im April 1876 eine Rede zu Gunsten
der Theilung des Handelsministeriums ge-
halten habe.
**) Der Abgeordnete Dr. Kaizl stellte
in der Abgeordnetenhaus-Sitzung vom 17. Fe-
bruar 1896 den Dringlichkeitsantrag, die Re-
gierung aufzufordern, sie möge die gesetz-
lichen Argumente mittheilen, durch welche
sie angesichts der Bestimmungen des Staats-
grundgesetzes die im Verordnungswege er-
folgte Errichtung eines Eisenbahn-Ministe-
riums zu rechtfertigen vermag. Die Dringlich-
keit dieses Antrages wurde jedoch abgelehnt
und auch dessen geschäftsordnungsmässige
Erledigung war schliesslich eine negative.
barte die a. h. Handschreiben, mittels
deren die Ernennung des Feldmarschall-
Lieutenants Emil Ritter v. Guttenberg
zum Eisenbahn-Minister, ferner
die Enthebung des Sections - Chefs
v. Koerber von der Leitung der
General-Direction und die Verleihung der
Würde eines geheimen Rathes an diesen
nunmehr als Sections-Chef in das Mini-
sterium des Innern berufenen Functionär
erfolgte.
Drei Tage später erschien die Kund-
machung des Handelsministers und des
Eisenbahn-Ministers vom 19. Januar 1896,
welche den Beginn der Wirksamkeit des
neuen Ministeriums und das Ausscheiden
aller Eisenbahn-Agenden aus dem Han-
delsministerium auf den 19. Januar 1896
anberaumte und das neue Organisations-
Statut zur öffentlichen Kenntnis brachte
mit dem Beifügen, dass dieses Statut mit
1. August 1896 voll in Wirksamkeit zu
treten habe.
Am 23. Januar 1896 nahm der Eisen-
bahn-Minister im Administration Gebäude
am Westbahnhofe die Vorstellung der
Beamtenschaft entgegen. DieBegrüssungs-
Ansprache hielt der Sections-Chef Dr.
Ritter von W i 1 1 e k, der hiebei die Bedeut-
samkeit des Momentes, in dem der erste
Eisenbahn-Minister Oesterreichs an die
Spitze seines Personales trete, hervorhob
und der Versicherung Ausdruck gab, dass
Alle sich mit gesteigerter Hingebung
ihren Obliegenheiten weihen würden, um
den Intentionen des als ausgezeichneten
Fachmannes bekannten Ministers zu ent-
sprechen und mitbeizutragen zur Erfül-
lung der hohen Berufsaufgaben des neuen
Ressorts gleichwie dazu, dass dasselbe
sich auch innerlich nach seinem geistigen
Gehalte den älteren Ministerien eben-
bürtig ausgestalte.
Der Minister dankte für den Will-
kommgruss, dem Sections-Chef Dr. Ritter
von W i 1 1 e k aber insbesondere auch
dafür, dass er sich bereit erklärt habe,
seine vorzüglichen Dienste auch dem
neuesten Kinde unter den Ministerien zu
weihen, er ersuchte dann um freundliche
Unterstützung im Amte, welches führen
zu dürfen ihn mit Stolz erfülle, kennzeich-
nete ferner als Hauptaufgaben der Eisen-
bahn-Verwaltung: die Befriedigung
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
423
des Public ums bezüglich eines siche-
ren und den Bedürfnissen entsprechenden
Personen- und Güterverkehres, die Unter-
stützung von Handel und Industrie durch
eine gesunde Tarifpolitik, die Wah-
rung der gesam m tst aa tli chen
Interessen — und empfahl stramme Di-
sciplin, gute Kameradschaft und kräftiges
Zusammenwirken zum Wohle des Staates
und der Bevölkerung.
Das grossgewachsene österreichische
Eisenbahnwesen besass nun seine eigene,
selbständige Centralstelle und diese in
dem Eisenbahn-Minister — der durch seine
langjährige Stellung an der Spitze des
Eisenbahnbureaus des Generalstabes, wie
nicht minder als Mitglied des Staatseisen-
bahnrathes und des ständigen Beirathes
des Präsidenten der General-Direction,
den Eisenbahndienst vollkommen kennen
gelernt hatte — einen überaus fachkundigen
Chef. Es war also in eine neue Phase
der Entwicklung getreten, an einem be-
deutsamen Wendepunkte seiner Geschichte
angekommen.
Ausführliche Mittheilungen über die
neue Organisation sind einem besonderen
Abschnitte *) vorbehalten. Darum mag
hier blos mitgetheilt sein, dass in dersel-
ben weder die General-Direction noch
eine andere zwischen dem Aussendienste
und der Centrale liegende Dienststelle
Platz gefunden hat, vielmehr den an die
Stelle der Betriebs-Direction getretenen,
zum Theile wieder mit erweitertem Wir-
kungskreise ausgestatteten Staatsbahn-
Directionen und, rücksichtlich der Neu-
bauten, den Eisenbahn-Bauleitungen
der unmittelbare Verkehr mit dem Eisen-
bahn-Ministerium eingeräumt ist, und dass
als Hilfsorgane des letzteren die G e n e-
ral-Inspection der österreichischen
Eisenbahnen [Aufsichtsbehörde] und
das Central -Wagendirigirungs-
Amt fungiren.**)
Die ersten bedeutenderen Gesetzesvor-
lagen, welche das Eisenbahn-Ministerium
im Reichsrathe einbrachte, betrafen »wei-
*) Siehe Bd. IV, >Geschichte der Ver-
waltung der österreichischen Eisenbahnen*
von Dr. Alfred Freiherrn von Buschman.
**) Nachträglich ist noch das »Tarif-Er-
stellungs-und Abrechnungs-Bureau« hinzuge-
kommen.
tere Bestimmungen über die Ausführung
öffentlicher Verkehrsanlagen in Wien«,
ferner den auf Staatskosten auszuführen-
den »Bau der Linie Chodoröw-Pod-
wysokie« und den »Ankauf der Oester-
reichischen Nordwestbahn und
der Süd-norddeutschen Verbin-
dungsbahn durch den Staat«. Die
beiden erstangeführten fanden eine glatte
Erledigung [siehe Seite 407 und Seite 413],
hingegen blieb die letzterwähnte Vorlage
erfolglos.
Eingeleitet wurde diese Verstaatlichung
schon im Herbste 1895. Die Verwaltungen
der beiden Gesellschaften erhielten am
10. September 1895 die Verständigung von
dem bezüglichen Regierungs - Beschlüsse
und zugleich die Einladung zur Bekannt-
gabe etwaiger Wünsche hinsichtlich des
Ueberganges aus dem bisherigen in das
neue Verhältnis. Die hierauf gepflogenen
Verhandlungen gediehen bei Ablauf des
Jahres 1895, dem Grundsätzlichen nach,
zu Ende; denn ein Communique der
halbamtlichen »Wiener Abendpost« vom
3. Januar 1896 meldete die bereits erzielte
Uebereinstimmung. Bis zum Abschlüsse
förmlicher Uebereinkommen vergingen
jedoch noch fünf Wochen ; er erfolgte
am 10. Februar 1896. Vor den Reichs-
rath kamen dieselben mittels der am
27. März im Abgeordnetenhause einge-
brachten Gesetzesvorlage ; sie begegnete
aber gleich bei der ersten Lesung
[14. April] zahlreichen Anfechtungen, zu-
meist wegen des Umstandes, dass die
Regierung auch das nicht garantirte Netz
der Oesterreichischen Nordwestbahn schon
jetzt in die Action miteinbezogen und
für das garantirte Netz eine gleich hohe
Rente [11 fl. 75 kr. und später 12 fl.]
zugestanden hatte, wie für das ertrags-
reichere nicht garantirte. Die Berathungen
im Eisenbahn-Ausschusse [6. Mai] Hessen
sich noch ungünstiger an und endeten
mit einer Vertagung, die gleichbedeutend
war mit Ablehnung, da die Frist, wäh-
rend welcher die vertragschliessenden
Theile an die Uebereinkommen gebunden
waren, mit 15. Mai 1896 ablief.*)
*) Wenngleich die Angelegenheit seitdem
nicht wieder aufgenommen wurde und viel-
leicht bis zum Eintritte des concessions-
mässigen Einlösungsrechtes auch für das
424
Ignaz Konta.
Gedeihlichere Ergebnisse lieferte
wieder die Behandlung, welche ein vierter
von dem jungen Ministerium am 13. Mai
vorgelegter Gesetzentwurf, gefunden
Dieser galt den »im Jahre 1896 sicher
zustellenden Bahnen niederer Ordnung«
wurde vom Reichsrathe angenommen
erhielt am 21. Juli 1896 die a. h. Sanc-
tion und gab der Regierung die Mög-
lichkeit, beziehungsweise Ermächtigung
nichtgarantirte Netz der Oesterreichischen
Nordwestbahn [25. Juni 1900] ruhen wird,
erscheint es — der Vollständigkeit wegen —
geboten, hier mindestens die wichtigsten
Punkte der Uebereinkoramen vom 10. Februar
1896 anzuführen:
Oesterreichische Nordwestbahn:
Uebergang beider Netze sammt allen Rechten
und Pflichten an den Staat, der hiefür die
gesellschaftlichen Prioritäts Anlehen im ur-
sprünglichen Nominalbetrage von 79.764.800A.
Silber und 13,999.800 fl. Gold [von ersteren
11,000.000 fl. 4°/0ig] zur Selbstzahlung über-
nimmt und der Gesellschaft bis zum Beginne
der Liquidation [längstens 1901] eine Jahres-
rente von 3,743.690 fl. zahlt, aus welcher für
jede Actie [lit. A und B] eine Jahresdividende
von 11 fl. 75 kr. fliessen soll. Mit Beginn
der Liquidation erhält die Gesellschaft vom
Staate zur Ausschüttung an die Actionäre
einen Nominalbetrag von 191,347.600 fl. in
4°/0igen Eisenbahn- Staatsschuld-Verschreibun-
gen [das ist nom. 300 fl. = 12 fl. Dividende
für jede Actie]. Die Gesellschaft verpflichtet
sich zur Convertirung ihrer Obligationen in
zwei 3°/„ige Anlehen von nom. 195,000.000
Kronen und 40,500.000 Reichsmark. Der bei
der Convertirung sich ergebende Ueberschuss
an 3°/0igen Obligationen [das heisst der Con-
vertirungs-Gewinn] fällt mit 60% [das ist
etwa 3,000.000 fl.'| dem Staate zu ; die Staats-
vorschüsse aus dem Titel der Zinsengarantie
werden abgeschrieben [die bezügliche Schuld
hatte damals sammt den Zinsen eine Höhe
von rund 30,620.000 fl.], das Personal wird
unter Wahrung der erworbenen Rechte vom
Staate übernommen.
Süd - norddeuts che Verbindungs-
bahn. Als Entgelt für die Uebertragung des
gesammten gesellschaftlichen Eigenthumes an
den Staat, übernimmt derselbe die Prioritäts-
Anlehen und alle sonstigen Verbindlichkeiten
der Gesellschaft zur SeTbstzahlung und folgt
ihr einen Nominalbetrag von 34,500.000 fl in
4"/0'genEisenbahn-Staatsschuld-Verschreibun-
gen zur Ausschüttung an die Actionäre aus
[230 fl. mit 9 fl 20 kr. Jahreszinsen pro Actie];
die Liquidation tritt gleich nach Perfectio-
nirung des Uebereinkommens ein ; Auflassung
der Staatsvorschüsse aus dem Titel der
Zinsengarantie [sammt den Zinsen circa
30,400.000 fl] und Uebernahme des Personales,
wie vorstehend.
zur Sicherstellung einer neuen Reihe
von Localbahnen, darunter fünf auf
Staatskosten herzustellender Strecken,
nämlich Grulich -Schildberg, Bärn-
Hof, Olbersdorf - Hotzenplotz,
B arzdorf-Jauernig [52 km] und
Haugsdorf -Weiden au [4^5 km]. Diese
beiden wurden auch alsbald in Angriffen
genommen.
Unterdessen ging die Abwicklung der
Agenden der General-Direction und die
Hinüberführung der Verwaltungsgeschäfte
in das Eisenbahn-Ministerium vor sich.
Alle Organe wetteiferten, die grosse Auf-
gabe innerhalb der kurz bemessenen
Frist zu bewältigen, und wiewohl gar
Manche wussten oder fühlten, dass ihnen
die Pforten des neuen Ressorts ver-
schlossen bleiben, hielten sie doch in
voller Hingebung aus, widmeten ihr gan-
zes Können und W'ollen den ihnen anver-
trauten Obliegenheiten und gaben bis zur
letzten Stunde Zeugnis altgewohnter
treuer Pflichterfüllung. So konnte denn
die neue Organisation »pünktlich«, das
heisst am I. August 1896, voll in Wirk-
samkeit treten ; die General-Direction der
Oesterreichischen Staatsbahnen aber hatte
genau vierzehn Jahre nach dem Beginne
ihrer Thätigkeit, zu bestehen aufgehört.
Was sich von da ab auf dem Ge-
biete des österreichischen Eisenbahn-
wesens begeben hat, liegt bereits ausser-
halb des unserer Rückschau gesteckten
Zieles. Einzelnes davon ist gleichwohl
in den vorangehenden Mittheilungen er-
wähnt ; dem wäre — um vollends zur
Gegenwart zu gelangen — noch anzu-
fügen, dass mit der durch die politischen
Vorgänge im November 1897 veran-
lassten Demission des Cabinets B a d e n i
auch die Enthebung des Eisenbahn-Mi-
nisters Ritter von Guttenberg ver-
bunden war, und dass in dem neu be-
rufenen Cabinete G a u t s c h der Sections-
Chef Dr. Heinrich Ritter von Wittek,
mittels a. h. Handschreibens vom 30. No-
vember 1897, zum Eisenbahn-Mi-
nister ernannt wurde, welches Amt er
auch in dem dermaligen Cabinet [Graf
T h u n] beibehielt. Das a. h. Handschreiben
[ebenfalls vom 30. November 1897], mit
welchem dem früheren Eisenbahn - Mi-
nister Ritter von Guttenberg die Be-
Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs.
425
willigung der erbetenen Enthebung zu
Theil geworden, gedachte »mit voller
Anerkennung«- der von dem scheidenden
Minister »mit hingebungsvollem Eifer
geleisteten Dienste« und brachte ihm
auch die Verleihung des Ordens der
Eisernen Krone I. Classe.
In Ziffern ausgedrückt, veranschaulicht
sich der Stand des österreichischen Eisen-
bahnnetzes mit Ende 1896 wie folgt:
Eisenbahnen mit Locomotiv- Betrieb :
Bau- Betriebs-
länge länge
hievon
doppel-
Kilometer
geleisip;
A. Im Staatsbetriebe:
7.2827
1,7417
53'5
7-4 151
I-764-4
53'4
791-6
1460
19-3
B. K. k. Staatsbahnen im fremden Betriebe:
1 K. k. Staatsbanken und Bahnen im Staatsbetriebe . . .
Zusammen A -f- B
C. Privatbahnen im Privatbetriebe
D. Ausländische Bahnen auf österreichischem
Gebiete
9.077-9
7.582-9
994
9.2329
7.6227
994
9569
16038
60
Zusammen A-\- B-\- C + D .
16.7592
16.9550 25667
Die Eigenthumslänge [Baulänge] ist da-
her gegen den Stand am Schlüsse des vori-
gen Jahrzehnts [13.656 km] um 3103 &w
oder 227 °/0 gewachsen ; der Umfang des
staatlichen Betriebsnetzes [9.232 km] hat
um 4.003 km oder 76-5 °/0 zugenommen.
Diese kleine statistische Uebersicht*) ;
beendet die uns gestellte Aufgabe. Be-
vor wir jedoch die Feder niederlegen, [
gestatten wir uns- noch ein kurzes
Schlusswort:
Zur Zeit der Thronbesteigung Sr.
Majestät des Kaisers Franz Joseph I.
war das österreichische Eisenbahnwesen
kaum noch in den ersten Anfängen vor-
handen ; jetzt steht es in mächtiger Ent-
faltung da. Unter vielen Mühen und
Opfern, schwerer Arbeit und zuweilen
herben Drangsalen hat es sich empor-
gerungen zu dem heutigen achtung-
gebietenden Stande seiner Entwicklung.
*) Eine ausführliche Darstellung des
Standes der österreichischen Eisenbahnen zu
Ende des Jahres 1896 enthält der IV. Band
dieses Werkes.
Oesterreich hat die erste, für den
öffentlichen Verkehr bestimmte Eisenbahn
auf dem europäischen Festlande ge-
schaffen [Linz-Budweis], desgleichen die
von der ganzen Welt bewunderte erste
Ueberschienung der Alpen [Semmering-
bahn] und zugleich die Construction der
ersten Berglocomotiven für Adhäsions-
Betrieb ; Oesterreich war es daher, welches
dem Eisenbahn-Verkehre Wege erschloss,
die für denselben vordem als unzugäng-
lich galten und Oesterreich war es,
welches mit diesem kühnen Vorgehen
dem Eisenbahnbaue eine neue Richtung
gab und die bezügliche Ingenieurkunst auf
eine früher ungeahnt hohe Stufe hob.
Späterhin kamen noch andere mächtige
Ausführungen hinzu, bei denen die Er-
rungenschaften der Technik in immer
neuem Glänze erstrahlten. Die Karst-
linien, die Brennerbahn, die Pusterthal-
bahn, die Bahnbauten an den Karpathen
und die Arlbergbahn sind unvergängliche
Denkmale der Meisterschaft unserer
wackeren Ingenieure.
Und nachdem das Netz der Haupt-
bahnen schon ein weit ausgebildetes
426
Ignaz Konta.
gewesen, begann die Entstehung der ört-
lichen Schienenwege, welche — Dank
ihrer regen Förderung von Seite des
Staates und der Länder — nunmehr
überall hervorwachsen und so die Vollen-
dung des Gesammtnetzes in hohem Masse
beschleunigen.
Gleichen Gang mit den baulichen
Schöpfungen hielten die Neuerungen und
Vervollkommnungen in der Construction
der Fahrbetriebsmittel, in den Ein-
richtungen für die Sicherheit und Regel-
mässigkeit des Betriebes sowie in jenen
für die Beschleunigung und Verwohl-
feilung des Verkehres.
Bedeutende Fortschritte machte auch
die Gesetzgebung und Verwaltung, die
Pflege der Verbände und der grossen
internationalen Vereinbarungen, die Uni-
ficirung der Tarife sowie der Transport-
und Betriebsvorschriften, die Freizügig-
keit der Fahrbetriebsmittel, die Fürsorge
für das Personale, die Regelung der
Dienst- und Lohnverhältnisse, die Schaffung
und Ausgestaltung der Unfall- und Kran-
kenversicherung u. s. w.
Es ist also Vieles und Grossartiges
geleistet worden ; doch bleibt noch immer
genug zu wirken und manches Problem
zu lösen übrig. Die Tauernbahn und
die zweite Verbindung mit dem Meere,
von der Triest sein Heil erwartet, stehen
bereits im Vordergrunde der Erörterung,
der Ausbau der Dalmatiner Bahn und
deren Anschluss an das Bahnnetz der
Monarchie harren seit Langem der Ver-
wirklichung; die Localbahn-Bewegung
ist in erfreulichem Wachsthum begriffen,
und die technische Vervollkommnung der
schon vorhandenen Schienenwege muss
stets fortgesetzt werden.
Ebenso wird es auf dem weiten Ge-
biete der Administration stets Neues zu
schaffen geben, sowohl im inneren Eisen-
bahndienste, als auch zur Befriedigung
der Wünsche der Bevölkerung und zur
Austragung der aus dem Zuge der Zeit
hervorgehenden wirtschaftlichen und
sonstigen Fragen.
Was da zu vollbringen kommt, wird
zunächst die Arbeit der Generation in
Anspruch nehmen, welche sich jetzt dem
Dienste des Eisenbahnwesens widmet.
Mögen darum die jungen Kräfte liebevoll
erhalten und verwalten, was die Alten ge-
schaffen, es rührig fortentwickeln, Schiene
an Schiene und Linie an Linie reihen,
bis die Eisenstrassen in die fernsten
Winkel des theuren Vaterlandes reichen
und die Segnung der Cultur, den
Wohlstand und die Zufriedenheit all-
überallhin tragen unter den schirmenden
Fittigen des ruhmreichen österreichischen
Doppelaars !
Die Wiener Stadtbahn.
Von
Hugo Koestler,
k. k. Banrath im Eisenbahn-Ministerium.
Vorgeschichte.
Der Mangel an Verkehrsmitteln
machte sich in Wien schon zur
Zeit der Stadterweiterung beson-
ders fühlbar, da sich durch die gesteigerte
Bauthätigkeit in den damaligen Vororten
die Entfernungen der an der Peripherie
gelegenen Bezirke vom Centrum der Stadt
nach und nach bedeutend vergrössert
hatten.
Bereits damals wurde der Versuch ge-
macht, diesem Mangel durch Ausführung
einer Stadtbahn abzuhelfen und es war
ein Project vom Grafen Hugo Henckel-
Donnersmark vorgelegt worden, dem
im Jahre 1 869 ein weiteres, vom Baurathe
Karl Schwarz verfasstes Project folgte ;
doch wurde keines derselben einer be-
hördlichen Behandlung unterzogen.
Im Jahre 1865 hatte der Bau von
Pferdebahn-Linien in Wien begonnen, und
obwohl die Länge der Betriebsstrecke
im Jahre 1873 erst 37*1 km betrug, war
die Personenfrequenz in diesem Jahre
schon auf 31 Millionen Fahrgäste ge-
stiegen, wozu allerdings die Periode des
» volkswirtschaftlichen Aufschwunges «
sehr viel beigetragen hatte. Die damaligen
Verhältnisse hatten eine Steigerung der
Bauthätigkeit zur Folge gehabt, und die
plötzlich erwachte Unternehmungslust
hatte sich auch der Stadtbahn- und Wien-
regulirungs-Frage bemächtigt. Im Jahre
1873 wurden nicht weniger als 23 auf
diesen Gegenstand bezughabende Projecte
dem k. k. Handelsministerium vorgelegt.
Dieses übermittelte zunächst sämmtliche
Projecte der Gemeinde Wien zur Begut-
achtung mit dem Bedeuten, dass die
Anlage von Locomotivbahnen im Planum
von Strassen absolut unzulässig sei.
Gleichzeitig trat die Regierung auch an
das Parlament heran. Am 3. April 1873
ging demselben eine Regierungsvorlage,
betreffend die Bedingungen und Zuge-
ständnisse für die Sicherstellung von
Localbahnen, welche den Verkehr in
Wien und Umgebung vermitteln sollten,
zu, welcher Entwurf aber niemals Ge-
setzeskraft erlangte. Im März 1874 brachte
der damalige Bürgermeister von Wien, Dr.
Cajetan Ritter von Felder, die vom Ge-
meinderathe in der fraglichen Angelegen-
heit gefassten Beschlüsse zur Kenntnis
des Handelsministers.
Die Gemeinde bezeichnete unter den
23 Entwürfen jenen des Baurathes Karl
Freiherrn von Schwarz und Consorten
als das den öffentlichen Interessen am
besten entsprechende Project. Dasselbe
bezweckte die Ableitung des Wienflusses
von der Meidlinger Brücke längs des
Linienwalles in den Donaucanal bei der
Staatsbahnbrücke, die Ausführung eines
Central-Bahnhofes bei der Aspernbrücke,
von welcher eine Untergrundbahn einer-
seits nach Baumgarten anschliessend an die
Kaiserin Elisabeth-Bahn, andererseits längs
desDonaucanalesbiszumFranzJosef-Bahn-
hof und von dort längs dem Linienwalle
bis zum Rennweg an die Verbindungsbahn
führen sollte. An Stelle des Wienfluss-
bettes waren Boulevards bis nach Schön-
43 o
Hugo Koestler.
brunn geplant, von den angeführten Linien
aber Abzweigungen zu den übrigen be-
stehenden Bahnhöfen vorgesehen.
Die Baukosten des 31 "8 km langen
Bahnnetzes waren mit 20,000.000 fl., jene
der längs der Wien vorgesehenen Sammel-
canäle mit 11,000.000 fl. und endlich die
Wienfluss- Ableitung mit 13,500.000 fl.
veranschlagt. Eine in Angelegenheit der
Stadtbahn im Jahre 1874 einberufene
Conferenz, an welcher auch die Vertreter
der in Wien einmündenden Bahnen theil-
nahmen, kam zu dem Ergebnisse, dass
mit Rücksicht auf die herrschenden Ver-
hältnisse der Ausbau von Localbahnen
in Wien der Zukunft vorbehalten werden
müsse, jedoch der Linienplan sofort fest-
zustellen sei, damit durch die fortschrei-
tende Verbauung die Ausführung der
Stadtbahn-Projecte nicht weiter erschwert
werde.
Der Oesterreichische Ingenieur-
und Architekten -Verein hatte schon
im Februar 1874 einen Ausschuss einge-
setzt, dem die Aufgabe oblag, sein Gut-
achten über die vorliegenden Stadtbahn-
Projecte abzugeben. Dieser Ausschuss
kam in seinem im April 1875 erstatteten
Berichte zu dem Schlüsse, dass keines der
vorliegenden Projecte eine so vollständige
Lösung der Localbahn-Frage enthalte, dass
es sich als Grundlage für weitere ernste
Studien eignen würde, und empfahl zu-
nächst die Aufstellung eines General-
Regulirungsplanes für Wien, der unbe-
dingt und dringend erforderlich sei, wenn
diese Frage in Zukunft einer gedeihlichen
Lösung zugeführt werden solle.
Durch die nach dem Jahre 1873 ein-
getretenen ungünstigen Verhältnisse wurde
das Interesse für die Stadtbahn-Frage der-
art in den Hintergrund gedrängt, dass
erst im Jahre 1881 neuerdings drei Projecte
dem k. k. Handelsministerium zur Be-
urtheilung eingereicht wurden, und zwar :
1. Das Project Fogerty.
2. Das Project der Wiener Bau-
gesellschaft und des Wiener Bank-
Vereines.
3. Das Project Atzinger, Bühler
und Grave.
Die Vorführung dieser drei Projecte
gab zunächst im November 1881 im
Oesterreichischen Ingenieur- und Archi-
tekten-Verein zu einer sehr lebhaften,
acht Abende füllenden Discussion An-
lass, welche auch dadurch bemerkens-
werth bleibt, dass in derselben der durch
das Project Fogerty angeregte Meinungs-
streit zwischen Hoch- und Tiefbahn zum
ersten Male lebhaft zum Ausdruck kam.
Namens der damals in Wien führen-
den, für die bauliche Ausbildung der
Residenz so hochverdienten Architekten
Schmidt, Hansen und F e r s t e 1, griff
der letztere in die Discussion ein, indem
er seiner Freude Worte lieh, dass durch
das Project einer, die Ringstrasse über-
setzenden Hochbahn der ästhetische Sinn
der Wiener Bevölkerung plötzlich zum
Bewusstsein gelangt sei, jedoch auch be-
tonte, dass angesichts der grossen Vor-
theile, welche die Einführung eines so
grossartigen Verkehrsmittels für die Stadt
zur Folge haben müsse, ästhetische Rück-
sichten allein nicht massgebend sein
dürfen und auch eine Hochbahn so ausge-
führt werden könne, dass sie vom schön-
heitlichen Standpunkte zulässig erscheine.
Im Schlussworte zu dieser Discussion
aber konnte der damalige Vereins-
vorsteher, Oberbaurath Prenninger,
feststellen, dass, trotz der verschie-
denen Ansichten der Redner über die
Ausführung der Bahn, alle in der An-
schauung übereinstimmten, die Anlage
einer Stadtbahn in Wien sei angesichts
der höchst ungenügenden Verkehrs-
mittel unbedingt nothwendig.
Von den drei erwähnten Projecten
verdient jenes der englischen Civil-
Ingenieure James Bunten und Josef
Fogerty besondere Erwähnung, weil
dasselbe das einzige war, welches von
allen, dem gegenwärtig in Ausführung
begriffenen Stadtbahn-Projecte vorange-
gangenen, bis zum Stadium der Conces-
sions-Ertheilung gelangte.
Die Projectanten beabsichtigten die
Ausführung einer normalspurigen doppel-
geleisigen Gürtelbahn, ganz ähnlich, wie
dies im heutigen Projecte der Fall ist,
nebst Abzweigungen zu sämmtlichen in
Wien einmündenden Bahnen mit directen
Geleise-Anschlüssen und einer Abzwei-
gung nach Hietzing.
Im Zuge der Donaucanallinie war
nächst dem Kaiserbad die Anlage eines
Die Wiener Stadtbahn.
431
Centralbahnhofes, ferner beim Gumpen-
dorferSchlachthause eine grössere Stations-
anlage für die Wienthallinie vorgesehen,
von welcher der Flügel nach Hietzing
mit einer Seitenverbindung zur Kaiserin
Elisabeth-Bahn, ferner jener zur Südbahn
abzweigen sollte. [Vgl. Beilage, Karte der
Wiener Stadtbahn.] Die Ausführung
des etwa i2-g km langen Ringes war
entlang der Böschungen des Donau-
canals und Wienflusses als Hochbahn
auf eisernen Viaducten, in der Gürtel-
strasse mit Rücksicht auf die Boden-
gestaltung theils als Viaduct, theils als
offener oder gedeckter Einschnitt geplant.
Die Flügellinien sollten sämmtlich als
Hochbahnen zumeist auf Viaducten her-
gestellt werden. Auf eine Verbesserung
der sanitären Verhältnisse im Wienthale
hatte Fogerty nicht Bedacht genommen.
Die Baukosten dieser Stadtbahn waren
nach dem vorgelegten allgemeinen Pro-
jecte auf 35,970.0003. veranschlagt, und
forderte Fogerty keinerlei finanzielle Unter-
stützung seitens des Staates oder der
Gemeinde. Die Gemeinde Wien erhob
gegen dieses Project sofort ernstliche
Einwendungen, die sich nicht nur gegen
die Grundprincipien wendeten, sondern
überhaupt die Zustimmung zu jedem
Stadtbahn- Projecte von der befriedigenden
Lösung einiger Vorfragen principieller
Natur abhängig machten. Zunächst sollte
auf die Wienfluss-Regulirung Rücksicht
genommen werden, ferner sprach sich die
Gemeinde entschieden gegen die Führung
der Linie als Hochbahn aus, und zwar
einerseits wegen der Ueberschreitung der
Ringstrasse nächst der Aspernbrücke, der
Verunstaltung des Prospectes an der
Schwarzenbergbrücke und andererseits
wegen der Verbauung des Donaucanal-
Ufers. Am 17. März 1882 fasste der
Gemeinderath von Wien nach langen
Debatten folgenden Beschluss: »Die An-
lage einer Wiener Stadtbahn kann nur
dann gutgeheissen werden, wenn zugleich
mit derselben auch die Regulirung des
Wienflusses und die Auflassung der
Linienwälle erfolgt. Da weiterhin die
bezüglich der Concessionirung von Eisen-
bahnen dermalen geltenden Gesetze und
Verordnungen, insbesondere bezüglich der
Expropriation und der Bauführungen auf
und an Eisenbahnen, die Interessen der
Gemeinde nicht in hinreichendem Masse
wahren, so erklärt der Gemeinderath,
keinem der vorliegenden Projecte seine
Zustimmung ertheilen zu können. Der
Gemeinderath spricht sich jedoch im
Principe für die Anlage einer Stadtbahn
aus.« Ungeachtet dieser Aeusserung der
Gemeinde befürworteten die übrigen Mit-
glieder der Tracenrevisions-Commission
die Annahme des Fogerty'schen Projectes
mit gewissen, die Grundprincipien der
Anlage nicht berührenden Modifikationen.
Thatsächlich erhielt Fogerty am 28. Januar
1883 die a. h. Concession für den Bau
der Stadtbahn.
Das Wiener Stadtbauamt hatte jedoch
mittlerweile ein Project für die Stadtbahn
in Verbindung mit der Wienfluss-Regu-
lirung ausgearbeitet, welches vom Ge-
meinderath angenommen wurde. Auf
Grund dieses Beschlusses erhoben nun
die Vertreter Wiens ihren Protest gegen
die Ausführung des Fogerty'schen Pro-
jectes. Es ist begreiflich, dass diese
Vorgänge auf die Concessionäre ent-
muthigend wirken mussten, umsomehr,
als die Haltung der Commune die Geld-
beschaffung für das Unternehmen er-
schwerte. Auch hatten sich die Ver-
hältnisse des englischen Geldmarktes
inzwischen wesentlich verschlechtert, und
die Concessionäre, welche bereits eine
Caution im Betrage von einer Million
Gulden bei der österreichischen Staats-
verwaltung erlegt hatten, waren eines
Tages genöthigt, das Project, das mehrere
Jahre lang die Bevölkerung Wiens so
lebhaft beschäftigt und den Gegenstand
heftiger Kämpfe gebildet hatte, aufzugeben
und die Caution verfallen zu lassen.
Das vorerwähnte Stadtbahn-Project
des Wiener Stadtbauamtes wurde im
Februar 1883 gelegentlich einer Dis-
cussion über die Wienfluss-Regulirung
von dem um die bauliche Entwicklung
der Stadt Wien hochverdienten Stadtbau-
Director, Oberbaurath Franz B e r g e r,
im Oesterreichischen Ingenieur- und
Architekten-Vereine erörtert, und bleibt
dasselbe insoferne von Interesse, als darin
schon ein Theil jener Linien vorgesehen
war, welche nunmehr thatsächlich aus-
geführt werden.
432
Hugo Koestler.
Gegenüber dem Projecte Fogerty's
bestand ein wesentlicher Unterschied in
der Linienführung des Stadtbauamt-
Projectes hauptsächlich in der Strecke
vom Schikanedersteg bis zur Augarten-
brücke, weil in letzterem eine längs des
Donaucanals geführte Linie fehlte, wo-
gegen eine Tief bahn am westlichen Um-
fange der inneren Stadt in Vorschlag
gebracht war.
Noch während die Verhandlungen
mit Fogerty im Zuge waren, trat die
Firma Siemens & Halske mit einem
Project für eine schmalspurige elektrische
Bahn vom Praterstern zum Westbahn-
hofe auf, das im Jahre 1 885 von der ge-
nannten Firma durch den Entwurf einer
normalspurigen Locomotivbahn ersetzt
wurde, die dem Donaucanal entlang ge-
führt, auch die Franz Josef-Bahn mit der
Wiener Verbindungsbahn verbinden sollte.
Im April und Mai 1886 wurde im
Oesterreichischen Ingenieur- und Archi-
tekten-Verein abermals eine Discussion
über die Stadtbahn-Frage abgehalten,
wyelche der Architekt Ritter v. Flattich
durch Vorführung seines gemeinschaftlich
mit den Herren von Prangen und von
G u n e s c h verfassten Projectes eröffnete.
Dieses enthielt eine Verlängerung der
Verbindungsbahn längs des Donaucanals
bis zur Franz Josef- und Nordwestbahn,
eine Bahn im Wienthal bis nach Penzing,
endlich eine Linie über den Gürtel zur
Verbindung der Südbahn mit der Franz
Josef-Bahn, und als Ergänzungslinie eine
Bahn von der Elisabeth-Brücke bis Dorn-
bach. Am Hauptzollamt war ein Central-
bahnhof gedacht; die Donaucanallinie
sollte als Hochbahn, die übrigen Linien
zum Theil als Tief-, zum Theil ebenfalls
als Hochbahnen ausgeführt werden.
Der letzte Vorgänger des nunmehr
in Ausführung begriffenen Stadtbahn-
Projectes war ein im Jahre 1890 vorge-
legter Entwurf der Dampftramwa y-
Gesellschaft vormals Krauss & Comp.,
welcher zunächst die Verbindung der
beiden dieser Gesellschaft gehörigen
Dampftramway-Bahnen durch eine Linie
von Gaudenzdorf längs der Wien bis
zum Praterstern und eine Tiefbahn längs
dem Donaucanale bezweckte. Ausser-
dem war noch eine Linie unter der Ring-
strasse von der Elisabethbrücke zum
Anschlüsse an die Donaucanallinie beim
Kaiserbade und ein Flügel vom Gumpen-
dorfer Schlachthause bis zum Westbahn-
hofe vorgesehen.
Obwohl auch dieses Project als unvoll-
ständig erkannt wurde, fand dasselbe von
vielen Seiten thatkräftige Unterstützung;
es wird sich in den weiteren Auseinander-
setzungen Gelegenheit finden, auf die
endgiltige Entscheidung bezüglich dieses
Projectes zurückzukommen.
Die gesetzlichen Grundlagen für die
Wiener Stadtbahn.
Am 12. April 1891 eröffnete Se. Ma-
jestät Kaiser Franz Joseph I. die Session
des Reichsrathes mit einer Thronrede,
welche folgende Sätze enthielt:
»Die Vereinigung Meiner Haupt- und
Residenzstadt mit den Vororten hat Mich
mit lebhafter Befriedigung erfüllt, und
Ich erhoffe von derselben wesentliche
Vortheile für alle Theile des vergrösser-
ten Wien. Der Frage der Wiener Stadt-
bahn wird die eingehendste Aufmerksam-
keit zugewendet, und ihre Verwirklichung
bildet den Gegenstand besonderer Für-
sorge Meiner Regierung. <
Diese denkwürdigen Worte erklären
auch zum Theil die gänzlich veränderte
Sachlage für die Stadtbahn- Frage, wie sie
durch das niederösterreichische Landes-
gesetz vom 19. December 1890, be-
treffend die Vereinigung der Vororte mit
den bisherigen zehn Bezirken der Stadt
Wien, geschaffen wurde ; sie sind aber
auch ein Beweis der nimmer ruhenden
Fürsorge unseres erhabenen Monarchen
für die Interessen der Bevölkerung, ins-
besondere jene der Reichshaupt- und Re-
sidenzstadt Wien. Das Gemeindegebiet
der Stadt war durch den Fall der Linien-
j
Die Wiener Stadtbahn.
433
wälle und die Einverleibung der Vororte
von 55'49 auf 178-9 km2 erweitert, die
grösste Entfernung von einem Punkte des
Weichbildes zum anderen von 12 km auf
25 km, endlich die Bevölkerungszahl von
800.000 auf 1,300.000 angewachsen.
Waren die vorhandenen Verkehrs-
mittel schon vor dieser Erweiterung des
Stadtgebietes als unzureichend erkannt
worden, so musste befürchtet werden,
hatte sich vom Jahre 1870 bis zum Jahre
1890 von I2'5 auf 42*8 Millionen und bis
zum Jahre 1895 sogar auf 56-8 Millio-
nen Fahrgäste gesteigert. *) Ist schon
die absolute Ziffer ein Beweis von der
ausserordentlichen Zunahme des Ver-
die Vermehrung der
auf den Kilometer be-
''7° 576.000, im Jahre
kehres, so zeigt
Frequenz, welche,
zogen, im Jahre ii
1895 aber 710.000 Fahrgäste betragen
Abb. 17g. Schnitt durch die Viaductstrecke.
dass dieser Mangel sich nach der Hinaus-
schiebung der Stadtgrenzen noch fühl-
barer machen und voraussichtlich sogar
zu einer Calamität herausbilden würde.
In dieser Beziehung führt der Motiven-
bericht der Regierung zu dem Gesetz-
entwurf über die Wiener Verkehrsanlagen,
der später besprochen werden soll, sta-
tistische Daten an, welche wohl geeignet
sind, diese Ansicht sehr nachdrücklich
zu unterstützen.
Der Verkehr auf den Linien der
Wiener Tramway, deren Streckenlänge
von 21S km auf 72-6 km gestiegen war,
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band. 2. Theil.
hat, in welcher Weise das Bewegungs-
bedürfnis der Bevölkerung zugenommen
hatte. Aehnliche Verhältnisse finden wir
bei der Neuen Wiener Tramway, deren
Verkehr von 7'2 Millionen im Jahre 1886
auf ii*i Millionen im Jahre 1 895 ge-
wachsen war; die Personen-Frequenz auf
der Wiener Verbindungsbahn, die im
Jahre 1882 nur 192.083 Fahrgäste be-
tragen hatte, erhöhte sich im Jahre 1 890
schon auf 950.000 Fahrgäste. Der ge-
*) Vgl. hierüber im Bd. I, 2. Theil, den
Abschnitt über Strassenbahnen von F. R.
Engel.
28
434
Hugo Koestler.
sammte Personenverkehr in Wien, aus-
schliesslich der mittels Omnibussen,
Fiakern und Einspännern beförderten
Fahrgäste betrug nach dem Motiven-
berichte im Jahre 1885 rund 50/3 Millionen,
im Jahre 1890 aber schon 60/9 Millionen
und dürfte 1896 schon über 80 Millionen
betragen haben.
Die Entwicklung der Verkehrsmittel
hatte aber mit dieser Zunahme des Ver-
kehres nicht gleichen Schritt gehalten und
die fortwährenden Klagen, welche in dieser
Richtung laut wurden, lieferten den Be-
weis, dass die vorhandenen Verkehrs-
mittel dem -Bedürfnisse der Bevölkerung
nicht mehr genügten ; ferner musste aber
auch in Betracht gezogen werden, dass
an eine Verbauung der gegen den Um-
fang der Stadt gelegenen Bezirke nicht
zu denken war, so lange nicht für
Transportwege gesorgt wurde, welche es
der Bevölkerung ermöglichen, bequem
und rasch die vom Mittelpunkte der
Stadt entlegenen Bezirke zu erreichen.
Ueberdies ward mit Recht darauf hin-
gewiesen, dass die bauliche Entwicklung
Wiens zum Theil von der Feststellung
des Linienplanes der Wiener Stadtbahn
abhängig sei, aber andererseits durch die
fortschreitende Verbauung die für dieStadt-
bahn verfügbaren Grundflächen stetig
vermindert würden, wodurch die Anlage
des Eisenbahnnetzes erschwert, vor Allem
aber wesentlich vertheuert werde. Die
fortwährend steigenden Miethpreise
Hessen es ferner wünschenswerth er-
scheinen, der Bevölkerung die Möglich-
keit zu bieten, Wohnstätten in solchen
Stadttheilen aufzusuchen, in denen gün-
stigere Lebensbedingungen vorhanden
sind, zu welchem Zwecke aber eine
bessere Ausgestaltung der Verkehrs-
wege unbedingt als erforderlich erkannt
wurde.
In Erwägung dieser Umstände fand
sich die Regierung bewogen, eingehende
Studien über die Feststellung des Linien-
Programms der Stadtbahn durchführen
zu lassen, welche aber zunächst zu dem
Ergebnisse führten, dass die Sicherstellung
der Stadtbahn nur im Zusammenhange
mit der Wienfluss-Regulirung, der Aus-
führuno; von Sammelcanälen längs der
Wien und dem Donaucanale und der
Ausgestaltung des letzteren in einen Han-
dels- und Winterhafen erfolgen könne.
Der unleugbar vorhandene Zusammen-
hang der angeführten öffentlichen Arbeiten
hat den Entschluss veranlasst, die Aus-
führung derselben durch das Zusammen-
wirken des Staates, des Landes und
der Gemeinde sicherzustellen und für
die einheitliche Leitung der Projecte und
Bauarbeiten eine besondere Centralstelle,
die »Commission für Verkehrs-
anlagen in Wien«, zu schaffen.
So ist denn nach eingehenden Be-
rathungen der betheiligten staatlichen
Centralstellen, unter Mitwirkung von
Vertretern des Landes und der Ge-
meinde ein Programm für die finanzielle
Sicherstellung der oben angeführten An-
lagen entstanden, und am 6. Februar
1892 legte die Regierung dem Reichs-
rathe einen umfangreichen Gesetzentwurf
über die Ausführung der Verkehrsan-
lagen in Wien vor.
Dieser Gesetzentwurf ist von beiden
Häusern des Reichsrathes nahezu unver-
ändert angenommen worden und erhielt
am 12. Juli 1892 die a. h. Sanction.
Nach diesem Gesetze war das in
Wien auszuführende Stadtbahnnetz in
zwei grosse Gruppen getheilt, und zwar
in Hauptbahnen, welche den Ueber-
gang sämmtlicher Fahrbetriebsmittel der in
Wien einmündenden Bahnen gestatten und
Anschlüsse an dieselben erhalten sollen,
und in Localbahnen, auf welchen die
Möglichkeit, dass die Fahrbetriebsmittel
der Hauptbahnen übergehen können, nur
bedingungsweise vorhanden, Anschlüsse
an die übrigen Bahnen aber überhaupt
nicht in Aussicht genommen waren. Es
sollten sofort folgende Hauptbahnen aus-
geführt werden:
1. Die Gürtellinie von Heiligenstadt
bis an die Südbahn in Matzleinsdorf mit
einer Abzweigung an die Kaiserin Elisa-
beth-Bahn in Penzing.
2. Die Donaustadtlinie vom Prater-
stern zur Donauuferbahn und entlang
derselben bis Nussdorf.
3. Die Vorortelinie von Penzing über
Ottakring und Hernais bis Heiligenstadt.
Ausserdem sollten die nachstehenden
Localbahnen in der ersten Bauperiode
ausgeführt werden :
Die Wiener Stadtbahn.
435
i. Die Wienthallinie vom West-
bahnhofe über den Gürtel zum Schlacht-
hause und von dort zum Hauptzollamte.
2. Die Donaucanallinie vom
Hauptzollamte bis nach Heiligenstadt.
3. Die innere Ringlinie, abzwei-
gend von der Wienthallinie und entlang
der Museen und dem Schottenring bis
zum Anschluss an die Donaucanallinie.
Nach eintretendem Verkehrsbedürfnisse,
waren in einer späteren Periode noch
folgende Linien vorgesehen :
1. Eine Hauptbahn längs des Donau-
canals zur Verbindung der Franz Josef-
Bahn mit der Verbindungsbahn.
sitzender der damalige Handelsminister
Olivier Marquis von Bacquehem war,
dem im November 1893 Graf Wurm-
brand-Stuppach, sodann als interi-
mistischer Leiter des Handelsministeriums
Sections-Chef Dr. Ritter von Wittek,
nach ihm der Handelsminister Frei-
herr Glanz von Eicha und am
1. Januar 1896 der erste Eisenbahn-
Minister Oesterreichs, Feldmarschall-Lieu-
tenant Ritter von Guttenberg, im
December 1897 aber dessen Nachfolger,
der k. k. Eisenbahn-Minister Dr. Heinrich
Ritter von Wittek, im Vorsitze folgten,
dem schon seit Constituirung der Com-
Abb. 180. Monierbrücke.
2. Die Ausführung der Donaustadt-
linie als Hochbahn vom Rangirbahnhof
nächst der Nordbahn stromauf und
stromab auf die Länge der Donaustadt.
Ausser diesen Linien waren noch fol-
gende Localbahnen in Aussicht genommen :
1. Eine Linie, abzweigend von der
Wienthallinie zum Central-Friedhof unter
Benützung der Aspangbahn.
2. Abzweigungen von der inneren
Ringlinie zur Gürtel- und Vorortelinie
mit Fortsetzungen gegen Dornbach und
Pötzleinsdorf.
3. Zwei Radialbahnen durch die innere
Stadt, für welche von vorneherein der
elektrische Betrieb vorgesehen war. [Vgl.
Beilage, Karte der Wiener Stadtbahn.]
Am 25. Juli 1892 erfolgte die Con-
stituirung der Commission für Ver-
kehrsanlagen, deren erster Vor-
mission die Stellvertretung im Vorsitze
und die ständige Leitung der Geschäfts-
führung übertragen war. Seiner ausser-
ordentlichen Umsicht, Energie und rich-
tigen Beurtheilung der oft sehr ver-
wickelten Verhältnisse, vor Allem aber
seinem warmen Interesse für die Wiener
Verkehrsanlagen war es zu danken,
dass so manche anfangs unüberwindlich
geschienene Schwierigkeit überwunden
werden konnte und die Beschlüsse und
Entscheidungen der Commission nicht nur
fast immer einstimmig, sondern auch mit
jener Raschheit erfolgten, welche für die
Förderung der Bauarbeiten unumgänglich
erforderlich war.
Nachdem die Commission dem bei
den Concessions-Verhandlungen im k. k.
Handelsministerium einvernehmlich fest-
gesetzten Concessions-Entwurfe für die
28*
436
Hugo Koestler.
von ihr auszuführenden Hauptbahnlinien
der Wiener Stadtbahn in der Vollver-
sammlung vom IO. December 1892 zu-
gestimmt hatte, erfolgte die a. h. Conces-
sions-Verleihung am 18. December 1892.
Die Concessions-Bedingnisse wurden auf
Grund des Commissions-Beschlusses vom
1 . Juli 1 893 vom k. k. Handelsministerium
am 24. Juli 1893 festgestellt.
Der Bau der Hauptlinien der Wiener
Stadtbahn war in Gemässheit des gesetz-
lich genehmigten Programms der k. k.
General-Direction der österreichischen
Staatsbahnen übertragen. Nach der Auf-
lösung der Letzteren im August 1 896 wurde
für diesen Zweck eine Abtheilung im k. k.
Eisenbahn-Ministerium, die »K. k. Bau-
Direction für die Wiener Stadt-
bahn« ins Leben gerufen und deren
Leitung dem k. k. Sections-Chef Friedrich
Bisch off Edlen von Klammstein als
Baudirector übertragen.
Die generellen Projecte der Haupt-
bahnen waren einstweilen von der k. k.
General-Inspection der österreichischen
Eisenbahnen, jene der Localbahnen von
der sich um die Concession bewerbenden
Dampftramway-Gesellschaft vor-
mals Krauss & Comp, aufgestellt worden,
und konnten diese Vorprojecte in der
Zeit vom 30. Mai bis 9. Juli 1892 der
Tracenrevision unterzogen werden.
Am 27. October 1892 erfolgte die Ent-
scheidung des k. k. Handelsministeriums
über die bezüglichen Commissions-Gut-
achten in dem Sinne, dass mit Ausnahme
des damals zur Ausführung für spätere
Zeit in Aussicht genommenen, zwischen
Hernais und Heiligenstadt gelegenen
Theiles der Vorortelinie und der Strecke
Ferdinandsbrücke-Hauptzollamt der Do-
naucanallinie die Traceführung sämmt-
licher Linien die Genehmigung erhielt.
Gleichzeitig ordnete das k. k. Handels-
ministerium an, dass die Fortsetzung der
Wienthallinie bis Hütteldorf in das Detail-
project einzubeziehen sei.
Nachdem die Commission für Ver-
kehrsanlagen in ihrer Vollversammlung
vom 28. November 1892 den Beschluss
gefasst hatte, den Bau der Vorortelinie
von Heiligenstadt zu beginnen, wurde
das bezügliche Project im Januar 1893
der Tracenrevision unterzogen und im
März 1893 vom k. k. Handelsministerium
genehmigt.
Am 1. August 1892 waren die drei
für die Ausführung der Stadtbahn be-
stimmten Bauleitungen ins Leben getreten
und an deren Spitze die k. k. Ober-Bau-
räthe Millemoth, Gatnar und Oel-
w e i n berufen worden.
Am 7. November 1892 wurde mit
der Abtragung des im Zuge der Gürtel-
linie liegenden Wasser-Reservoirs der
Kaiser Ferdinands-Wasserleitung vor der
Westbahnlinie begonnen, und ist es daher
dieser Tag, an welchem der erste Spaten-
stich auf der Wiener Stadtbahn statt-
gefunden hat. Ein denkwürdiger Tag
in der Geschichte dieses grossartigen
Bauwerkes !
Mit den eigentlichen Bauarbeiten
wurde am 16. Februar 1893 in der Station
Michelbeuern der Gürtellinie begonnen ;
nachdem ferner in der Zeit vom 3. bis
29. Mai 1893 die politische Begehung
der Strecke Michelbeuern-Heiligenstadt-
Brigittenau durchgeführt worden war,
wurden am 7. August 1893 die Unter-
Bauarbeiten auch in dieser Strecke der
Gürtellinie aufgenommen.
Im December 1893 wurden weiter
noch die Unterbauarbeiten in der Strecke
Heiligenstadt-Gersthof der Vorortelinie
vergeben und in Angriff genommen.
In den Vollversammlungen der Com-
mission für Verkehrsanlagen vom 3. und
5. Juni 1891 waren einstweilen auch die
Concessions-Bedingnisse für dieLocalbahn-
linie der Wiener Stadtbahn von der Ver-
kehrs-Commission berathen und angenom-
men worden ; die im k. k. Handelsmini-
sterium mit der Unternehmung vormals
Krauss & Comp, geführten Verhandlungen
hatten aber gezeigt, dass die Finanzirung
dieser Linien nur im Falle der Ueber-
nahme der auszuführenden Linien in den
Staatsbetrieb und unter Bedingungen
möglich gewesen wäre, welche dem Effecte
nach der Garantie einer Jahresrente durch
den Staat in der Höhe des voraussicht-
lichen Reinertrages gleich gekommen
wäre. Es ist nun der Initiative des da-
maligen Handelsministers Grafen Wurm-
brand zu danken, dass in der Vollver-
sammlung der Commission für Ver-
kehrsanlagen am 16. Januar 1894 ein
Die Wiener Stadtbahn.
437
einhelliger Beschluss der drei Curien
dahingehend gefasst wurde, auch diese
Localbahnen durch die Commission aus-
zuführen.
Dieser Beschluss wurde aber an fol-
gende, das bisherige Programm theilweise
ändernde Modalitäten geknüpft :
a) Die Ausführung der inneren Ring-
linie sollte einstweilen der Vorsorge im
Wege der Concessions-Ertheilung an eine
Privat-Unternehmung vorbehalten bleiben,
wobei diese Linie nach dem Ermessen
der Regierung mit elektrischem Betriebe
ausgeführt werden könne ;
b) statt der im Programme an erster
Stelle vorgesehenen, vom Westbahnhofe
im Zuge der Gürtelstrasse und parallel
mit der Gürtellinie bis zum Gumpen-
dorfer Schlachthause
führenden Strecke der
Wienthallinie wäre die
laut Programm »erst
bei eintretendem Be-
dürfnisse« in Aussicht
genommene Fort-
setzung vom Schlacht-
hause im Wienthale
aufwärts zum An-
schlüsse an die Kaise-
rin Elisabeth-Bahn bei
Hütteldorf sofort zur
Ausführung zu brin-
gen und in dieselbe die abzulösende und
entsprechend umzubauende Dampftram-
way-Strecke Gumpendorf-Hietzing einzu-
beziehen ;
c) die im Programme »bei eintreten-
der Notwendigkeit« vorgesehene directe
Verbindung derGürtellinie mit der Kaiserin
Elisabeth-Bahn, etwa in der Station Pen-
zing, hätte gänzlich zu entfallen ;
d) der nach dem Programme erst der
zweiten Bauperiode nach Ende 1897 vor-
behaltene Bau der Strecke Westbahnhof-
Matzleinsdorf der Gürtellinie wäre bezüg-
lich der Theilstrecke Westbahnhof-Gum-
pendorferlinie in die erste Periode ein-
zubeziehen und gleichzeitig eine Verbin-
dungs-Curve von der Gumpendorfer Linie
an die Wienthallinie in der Richtung
gegen die Stiegerbrücke zur Ausführung
zu bringen ;
e) die Commission für Verkehrsan-
lagen in Wien hätte an Stelle der Dampf-
181. Fünfachsigi
der Wiener
tramway-Gesellschaft vormals Krauss &
Comp, in das von dieser letzteren mit
der Gemeinde Wien am 29. April 1893
getroffene Uebereinkommen hinsichtlich
der Grundsätze für die Vertheilung der
Kosten jener Anlagen einzutreten, welche
sowohl die Localbahn als die Wienfluss-
Regulirung und die Sammelcanäle betreffen
und hätte die Commission demgemäss
alle hieraus entspringenden Rechte und
Pflichten gegenüber der Gemeinde Wien
zu übernehmen.
Im Sinne dieser Anträge waren die wei-
teren Schritte eingeleitet worden, welche
den Erfolg hatten, dass mit dem Gesetze
vom 9. April 1894, R.-G.-Bl. Nr. 73, dem
obigen Beschlüsse entsprechend, weitere
Bestimmungen über die Ausführung öffent-
licher Verkehrsanlagen
in Wien getroffen wur-
den.
Mit Allerhöchster
Entschliessung vom 3.
August 1894, R.-G.-Bl.
Nr. 185, ward demzu-
folge die Concession zum
Bau und Betrieb der
Wienthal- und Do-
naucanallinie an die
Commission für Ver-
kehrsanlagen verliehen.
Bei Berathung des
bezüglichen Gesetzentwurfes hatte das
Herrenhaus bezüglich der Localbahnlinien
folgende Resolution angenommen :
»Das Herrenhaus spricht den Wunsch
und die Erwartung aus, dass die in Rede
stehenden Eisenbahn-Anlagen, um den
sicheren Uebergang normaler Fahrbetriebs-
mittel zu ermöglichen, den Bedürfnissen
des Vollverkehrs entsprechend, und dass
insbesondere deren Kunstbauten durch-
wegs in lichter Höhe von 4-8 m ausge-
führt werden.«
Unter Berücksichtigung dieses Be-
schlusses musste nun zunächst eine voll-
ständige Neuaufstellung des Detailpro-
jectes für die Wienthal- und Donaucanal-
linie erfolgen, da das von der Dampf-
tram way - Unternehmung ausgearbeitete
Project dieser Forderung nicht entsprach.
Insbesondere war auch eine wesent-
liche Erweiterung der Anschlussbahnhöfe
in Hütteldorf und Heiligenstadt noth-
: Tenderlocoinotive
Stadtbahn.
438
Hugo Koestler.
wendig geworden ; die grösste Ver-
änderung ergab sich jedoch beim
Hauptzollamts - Bahnhofe, welcher nach
dem von der Privat - Unternehmung her-
rührenden Projecte in seiner seit-
herigen Höhenlage belassen und nur
in bescheidener Weise wegen des An-
schlusses der Localbahnen umgebaut
worden wäre.
Hiebei hätte sich nicht nur keine
Abhilfe gegen die bisher auf diesem
Bahnhofe und hinsichtlich der in dessen
Bereiche liegenden Strassen bestehenden
Uebelstände ergeben, vielmehr wäre eine
Verschärfung derselben kaum vermeidlich i
gewesen. Nach Uebertragung des Baues
der Localbahnlinie der Stadtbahn an die
Commission für Verkehrsanlagen musste
daher im Einklänge mit der Aenderung
der gesammten Ausführungsweise dieser
beiden Linien auch eine derartige Erwei-
terung des Hauptzollamts-Bahnhofes ins
Auge gefasst werden, dass derselbe allen
aus dem Anschlüsse der Wienthal- und
Donaucanallinie an die Wiener Verbin-
dungsbahn sich ergebenden Verkehrsauf-
gaben vollkommen genügte. Eine solche
Erweiterung ohne Verschlechterung des
bisherigen Zustandes hat sich aber
nur bei einer weitgehenden Aenderung
der Wiener Verbindungsbahn durch Sen-
kung des Hauptzollamts-Bahnhofes unter
das Niveau der denselben kreuzenden
Strassen als möglich erwiesen. Das auf
dieser Grundlage ausgearbeitete Stations-
project beseitigt alle früheren Uebel-
stände im Betriebe des Bahnhofes sowie
an den Unterführungen der Landstrasser
Hauptstrasse, der Ungargasse und Hin-
teren Zollamtsstrasse. Dasselbe trägt
nicht nur den derzeitigen Verkehrsbe-
dürfnissen, sondern auch der Entwicklung
der letzteren Rechnung und bietet der
Gemeindeverwaltung dieGelegenheit, auch
die Marxergasse über den Bahnhof ge-
gen die Innere Stadt fortzuführen und
hiedurch einem schon längst schwer em-
pfundenen Uebelstände für den angren-
zenden Theil des III. Wiener Bezirkes
abzuhelfen. Angesichts solcher Vortheile
hat das Project ungeachtet der bedeu-
tenden Mehrkosten von 2,354. ioo fl. die
einhellige Zustimmung aller betheiligten
Factoren gefunden.
Für diese Mehrkosten musste aber
eine Bedeckung gefunden werden. Es
wurde daher eine Aenderung des Pro-
grammes in Aussicht genommen, welche
übrigens auch schon deshalb nothwendig
gewesen wäre, weil wichtige Rücksichten
des Betriebes und des Verkehres sowie
insbesondere jene der Rentabilität mit
allem Nachdrucke dafür geltend gemacht
worden waren, dass die der zweiten
Bauperiode [1898 — 1900] vorbehaltenen
Strecken Hernals-Penzing der Vorortelinie
sowie womöglich auch Gumpendorf-Matz-
leinsdorf der Gürtellinie schon in der ersten
Bauperiode zur Ausführung zu bringen
seien. Hingegen zeigte sich die Möglich-
keit, von der Ausführung der nach dem
gesetzlich genehmigten Programme in der
ersten Bauperiode vorgesehenen provi-
sorischen Donaustadtlinie Abstand zu
nehmen, da die Trace und Niveaulage
dieser Linie von allen Seiten Einwürfen
begegnete, wogegen das Ergebnis der
durchgeführten Studien die Aussicht auf
eine weit günstigere definitive Lösung
eröffnete. Diese sollte in der Führung
der gleichnamigen definitiven Linie durch
den Nordbahnhof unter Verbindung des-
selben mit dem Nordwestbahnhofe und
der Station Brigittenau der Donauufer-
bahn bestehen. Die Verwirklichung die-
ses erst in seinen generellen Grundsätzen
vorbereiteten Projectes hängt wesentlich
von dem Entgegenkommen der Kaiser
Ferdinands-Nordbahn ab, deren Wiener
Bahnhof einen gänzlichen Umbau erfahren
musste. Die Ausführung ist selbstver-
ständlich erst für eine spätere Zeit ins
Auge gefasst.
Die auf Grundlage der Detailprojecte
aufgestellten Kostenberechnungen ergaben,
dass zur Deckung des Mehraufwandes, der
aus den angedeuteten Aenderungen der
ursprünglichen Projecte und des gesetz-
lich genehmigten Programmes erwächst,
aller Voraussicht nach jener Betrag von
13,800.000 fl. ausreichen werde, welcher
in der Regierungsvorlage zu dem Gesetze
vom 18. Juli 1892 als Erfordernis der
zweiten Bauperiode [1898 — 1900] be-
zeichnet erscheint.
Entsprechend dieser Sachlage fasste
die Commission für Verkehrsanlagen
am 11. Juli 1895 mit Stimmenein-
Die Wiener Stadtbahn.
439
Abb. 182. Haltestelle Breitensee und Tunnel gegen Ottakring.
helligkeit der drei Curien die bezüglichen
Beschlüsse und wurde insbesondere fest-
gestellt, dass der Bau der provisorischen
Donaustadtlinie gänzlich zu entfallen habe,
dagegen der Ausbau der Vorortestrecke
Hernals-Penzing und eventuell der Gürtel-
strecke Gumpendorferstrasse - Matzleins-
dorf noch innerhalb der ersten Bauperiode
zu bewirken sei.
Nach erfolgter Zustimmung von Ge-
meinde und Land wurde seitens der Re-
gierung ein bezüglicher Gesetzentwurf
eingebracht, vom Reichsrathe genehmigt
und am 23. Mai 1896 sanctionirt.
Mit diesem Gesetze war die finanzielle
Grundlage für die in Ausführung be-
griffenen Stadtbahnlinien geschaffen. Ein-
schliesslich der Fahrbetriebsmittel er-
scheinen die Kosten der einzelnen Linien
wie folgt veranschlagt:
Gürtellinie 21,137.000 fl.
Gumpendorf- Matzleinsdorf 4,691.000 »
Definitive Donaustadtlinie 6,600.000 »
Vorortelinie 11,371.000 »
Wienthallinie 13,460.700 »
Bahnhof-Hauptzollamt . . 4,444.200 »
Drittes Geleise Zollamt-
Praterstern 825.000 fl.
Donaucanallinie .... 6,233.100 »
Ergänzung für Fahrbe-
triebsmittel 1,845.000 »
Zu diesen Kosten ist noch
ein Betrag von . . . 133.000 »
welcher bereits für die pro-
visorische Donaustadt-
linie verausgabt war,
ferner ein Betrag von 2,145.700 »
für die Verbindungs-Curve
zwischen der Gürtel-
und Donaucanallinie, von
welcher später die Rede
sein wird, zu rechnen.
Es sind somit die Ge-
sammtkosten der
Wiener Stadtbahn mit
dem Betrage von . . . 72,885.700 »
veranschlagt und beträgt die Beitrags-
leistung des Staates zu diesen Kosten
87-5°/oj beziehungsweise 85°/,,, je nach-
dem es sich um Hauptbahnen oder
Localbahnen handelt, während der Rest
gesetzmässig von Land und Stadt aufzu-
bringen ist.
440
Hugo Koestler.
Im Verlaufe des Jahres 1894 wurden
die Detailprojecte für den grössten Theil
der Linien fertiggestellt; nach Durch-
führung der bezüglichen Amtshandlungen
erfolgten nach und nach die Bauver-
gebungen und Ende des Jahres waren
die Bauarbeiten bereits in der ganzen
Strecke Heiligenstadt- Westbahn, Heiligen-
stadt-Hernais und Hütteldorf- Hietzing
im Zuge.
Die hervorragende Bedeutung der
Wiener Stadtbahn als Bauwerk und ihr
Einfluss auf die bauliche Entwicklung der
von ihren Linien durchzogenen Stadttheile
liessen es geboten erscheinen, innerhalb
des durch die verfügbaren Mittel be-
grenzten Rahmens der Ausgestaltung
dieser Anlagen in ästhetisch - künstleri-
scher Hinsicht ein erhöhtes Augenmerk
zuzuwenden. Als am besten zum Ziele
führender Weg wurde vom damaligen
Vorsitzenden der Verkehrs-Commission,
Handelsminister Grafen Wurmbrand,
die Heranziehung eines Mitgliedes der
Genossenschaft der bildenden Künstler
Wiens als künstlerischer Beirath der
Commission für Verkehrsanlagen er-
kannt, welcher die von der bauleitenden
Stelle verfassten Projectsoperate der zu-
meist ins Auge fallenden Bauten vom
künstlerischen Standpunkte zu beurtheilen
hätte und zu diesem Zwecke von Fall zu
Fall den Berathungen der Commission
beizuziehen sei.
Der von der Genossenschaft der bil-
denden Künstler Wiens, welche der Ein-
ladung des Handelsministers mit dankens-
werter Bereitwilligkeit entsprach, auf
Grund einstimmiger Wahl in Vorschlag
gebrachte k. k. Oberbaurath und Pro-
fessor Otto Wagner wurde in der
Vollversammlung vom 25. April 1894
als künstlerischer Beirath der Commission
vorgestellt, und es hat derselbe von
diesem Zeitpunkte an die Beistellung
der Entwürfe für die architektonische
Ausstattung der Bauobjecte sämmtlicher
Linien übernommen.
Im Juli 1895 wurde seitens der Com-
mission für Verkehrsanlagen dem Detail-
projecte für die Umgestaltung und Tiefer-
legung des Hauptzollamts-Bahnhofes unter
der Bedingung zugestimmt, dass die für
die Bahnanlage erforderlichen Theile des
Eislaufplatzes dem Stadtbahn - Unter-
nehmen seitens der Gemeinde Wien un-
entgeltlich abgetreten würden. Dagegen
erklärte sich die Commission für Verkehrs-
anlagen bereit, der Gemeinde Wien das
Recht einzuräumen, den Tief bahnhof be-
hufs Ausdehnung der Grossmarkthalle in
dem erforderlichen Umfange zu überbauen
und behufs Ueberführung der Marxer-
gasse zu überbrücken, und es sagte die
Commission der Gemeinde Wien auch
in Bezug auf die technische Ausführung
dieser Anlagen das thunlichste Entgegen-
kommen zu.
Gleichzeitig wurde in Aussicht ge-
nommen, den Bau der Strecke Gumpen-
dorferstrasse-Matzleinsdorf der Gürtellinie
erst dann zur Ausführung zu bringen,
wenn die Beziehungen der Südbahn zum
Staatseisenbahn - Betriebe endgiltig ge-
regelt sein werden.
Das Project für den Hauptzollamts-
Bahnhof wurde im September 1895 be-
gangen und es ward ermöglicht, noch im
December desselben Jahres mit den Bau-
arbeiten zu beginnen.
Ende 1895 waren die Bauarbeiten an
der Gürtellinie bereits in der Strecke
Gumpendorferstrasse-Heiligenstadt-Brigit-
tenau im Zuge. Dagegen beschränkte
sich die Bauthätigkeit auf der Vororte-
linie auf die Strecke Hernais-Heiligen-
stadt, auf der Wienthallinie auf die
Strecke Hütteldorf-Hietzing.
Im Verlaufe des Jahres 1896 wurden
auf der Gürtellinie einige wichtige und
umfangreiche Canalverlegungs - Arbeiten,
Strassenverlegungen und die Umlegung
der Hochquellen- Wasserleitung am Neu-
bau-, Hernalser- und Währingergürtel,
ferner die Stollenbauten unter der Schön-
brunnerstrasse und Feiberstrasse voll-
endet und waren die meisten Viaduct-
pfeiler der Hochbahnstrecke aufgemauert,
viele Tragwerke der eisernen Strassen-
überführungen oben fertig montirt worden.
Theilweise wurde 1896 auch mit
den Hochbauten und Ende des Jahres
am Bahnhofe in Heiligenstadt mit den
Oberbau-Arbeiten begonnen. Auch auf
der Vorortelinie war ein wesentlicher
Arbeitsfortschritt zu verzeichnen, nach-
dem im Juni die Vergebung der Unter-
bau-Arbeiten in der Strecke Hernais-
Die Wiener Stadtbahn.
441
Penzing erfolgt war. Mit Ende desselben
Jahres war der Unterbau in der Strecke
Heiligenstadt-Gersthof nahezu vollendet
und auch ein Theil der Hochbauten bereits
unter Dach gebracht.
Die Bauarbeiten auf der Wienthal-
linie aber wurden in diesem Jahre auch
in der Strecke Hietzing-Meidling-Haupt-
strasse begonnen, in der Strecke Hüttel-
dorf- Hietzing jedoch die Unterbau -Ar-
beiten nahezu vollendet.
Beim Bahnhofe Hauptzollamt erfolgte
am 30. Juni 1896 die Eröffnung des im
März desselben Jahres begonnenen
Provisoriums, wonach sofort die Demo-
sowie der Reichsraths- und Landtags-Ab-
geordneten von Wien in der Strecke West-
bahnhof-Heiligenstadt-Ottakring mit dem
bestenErfolge unternommen werden konnte.
Die Wienthallinie war im Jahre 1 897
bereits in ihrer ganzen Länge im Bau ;
die Unterbau - Arbeiten für die obere
Wienthallinie wurden in diesem Jahre
nahezu vollendet, auch die Hochbauten
so weit gefördert, dass deren gänzliche
Vollendung im Frühjahre 1898 bewerk-
stelligt werden konnte.
Die Bauarbeiten der unteren Wienthal-
linie konnten nur unter Berücksichtigung
der durch die Wienfluss-Regulirung sich
5 > ■■WTfffifh
Abb. 183. Aufnahmsgebäude Hernais und Brücke über die Hernalserstrasse.
lirungs-Arbeiten auf dem alten Bahnhofe
in Angriff genommen wurden.
Im Jahre 1897 wurden die Unterbau-
Arbeiten in der Strecke Heiligenstadt-
Gumpendorferstrasse der Gürtellinie nahe-
zu vollendet ; die Hochbauten waren bis
auf einzelne Detailarbeiten im Innern der
Gebäude fertig. Die Oberbau-Arbeiten,
ferner die Anlagen für das Fahren in
Raumdistanz wurden in der ganzen Strecke
von der Haltestelle Westbahnhof - Hei-
ligenstadt-Brigittenau soweit gefördert,
dass diese Strecke schon Ende October
fahrbar war.
Auch auf der Vorortelinie sah man
sämmtliche Bauarbeiten in der Strecke
Heiligenstadt - Ottakring bis zu diesem
Zeitpunkte so weit gefördert, dass am
8. November eine Besichtigungsfahrt der
Commission für Verkehrsanlagen, unter
Betheiligung des Wiener Gemeinderathes
darbietenden Verhältnisse und unter
ziemlicher Behinderung durch verschiedene
eingetretene Hochwässer zur Durchfüh-
rung gelangen, und es war der Stand der-
selben mit Ende des Jahres ein derartiger,
dass der voraussichtliche Eröffnungstermin
für diese Linie auf das Frühjahr 1899
verschoben werden musste.
Das Project für die Donaucanallinie
war schon im November 1895 der politi-
schen Begehung zugeführt worden ; diese
Linie war in der Strecke von der Ferdi-
nandsbrücke bis zur Augartenbrücke
als Galleriebahn, von dort aber bis
Heiligenstadt als Hochbahn projectirt,
und das bezügliche Detailproject nicht
nur von der Verkehrs-Commission, son-
dern auch von der Donauregulirungs-
Commission und der Gemeinde Wien
noch vor Einleitung der politischen Be-
gehung gutgeheissen worden.
442
Hugo Koestler.
Auch gelegentlich dieser Amtshandlung
wurden weder von Seite der Behörden
noch der Gemeinde und der Privat-
interessenten Einwendungen gegen die
Führung der Donaucanallinie in der
Strecke Augartenbrücke-Heiligenstadt als
Hochbahn erhoben ; nachdem auch im
Allgemeinen das Ergebnis derCommission
ein anstandsloses war, kam die Ertheilung
des Bauconsenses zum Ausspruch, so dass
mit der Ausarbeitung der Vergebungs-
Elaborate begonnen werden konnte.
Da tauchte einige Zeit später eine leb-
hafte Agitation auf,
welche die Ausfüh-
rung der Strecke
Augartenbrücke-
Heiligenstadt als
Tief-, beziehungs-
weise Gallerie-
bahn forderte. Da
trotz der vorher
zum ursprüngli-
chen Projecte be-
reits ausgespro-
chenen Zustim-
mung nun auch die
Gemeinde die For-
derungen jener In-
teressenten unter-
stützte, ward sei-
tens der Com-
mission für Ver-
kehrsanlagen die Ausarbeitung eines Tief-
bahn - Projectes für diese Strecke und
die commissionellen Erhebungen über
dasselbe verfügt.
Diese Erhebungen fanden im August
1896 statt, wurden im October desselben
Jahres, nachdem seitens der k. k. Bau-
direction für die Wiener Stadtbahn ein
Alternativ-Project, in welchem die Station
Brigittabrücke dicht an die Lände gerückt
erscheint, vorgelegt worden war, fort-
gesetzt und am 22. December 1806 zum
Abschlüsse gebracht.
Nach dem Ergebnisse der durch-
geführten Verhandlungen ward die Aus-
führung der Donaucanallinie längs der
Rossauerlände als Tiefbahn sowohl vom
Standpunkte der öffentlichen als privaten
Interessen als wünschenswerth bezeichnet.
Nur hinsichtlich der Lage der Station
Brigittabrücke und bezüglich der Aus-
Abb. 184. Tunnelprofil.
gestaltung der Verbindungscurve zur
Gürtellinie ergaben sich Meinungsver-
schiedenheiten.
Mit Rücksicht auf diese Differenzen
musste seitens des k. k. Eisenbahn-
Ministeriums eine Entscheidung getroffen
werden. Dasselbe trat zunächst, um eine
baldige Inangriffnahme der Bauarbeiten zu
ermöglichen, mit der Gemeinde Wien
wegen gewisser Zugeständnisse, durch
welche die bedeutend höheren Baukosten
der Tiefbahn vermindert, die Lage der
Station Brigittabrücke endgiltig festge-
stellt und noch ver-
schiedene andere
Zugeständnisse er-
reicht werden soll-
ten, in Verhand-
lung. Da diese
Verhandlungen im
Juli 1897 soweit
gediehen waren,
dass ein günstiges
Ergebnis dersel-
ben erhofft werden
konnte, wurde
nunmehr das De-
tail-Project für die
Tiefbahnstrecke
und die Verbin-
dungscurve
Donaucanallinie-
Gürtellinie ausge-
und die Gemeinde Wien ein-
ihre endgiltige Aeusserung so-
über das Project selbst, als
über alle die Ausführbarkeit des-
Zugeständnisse abzu-
arbeitet
geladen,
wohl
auch
selben sichernden
geben.
Eines dieser Zugeständnisse betraf die
Frage der Bedeckung des mit 3,018.900 fl.
veranschlagten Mehrerfordnisses für die
Ausgestaltung der Donaucanallinie als
Tiefbahn und die Ausführung der Ver-
bindungscurve von der Donaucanallinie
zur Gürtellinie ; die Bedeckung dieses
Mehrerfordernisses sollte aus dem für den
Bau der Linie Gumpendorf-Matzleinsdorf
gesetzmässig genehmigten Credite von
4,691.000 fl. erfolgen, weshalb die Zu-
stimmung der Gemeinde dazu erforderlich
war, dass die Ausführung dieser Linie
vorläufig unterbleibe. Durch den Ge-
meinderathsbeschluss vom I. Juni 1898
Die Wiener Stadtbahn.
443
Abb. 185. Aufnahmsgebäude des Bahnhofes Heiligenstadt.
wurde endlich allen Forderungen ent-
sprochen, welche seitens des k.k. Eisenbahn-
Ministeriums als Bedingungen für die Aus-
führung der Donaucanallinie als Tief bahn
gestellt worden waren, und hat daher die
Commission für Verkehrsanlagen in der
Vollversammlung vom 27. Juni 1898 mit
Stimmeneinhelligkeit der Curien den Be-
schluss gefasst, das Project für die Tief-
bahn zu genehmigen und die Deckung
der erwachsenden Mehrkosten dieses Pro-
jectes und jenes der Curve zur Gürtellinie
in der Höhe von 3,018.900 fl. aus dem
für die vorläufig zurückgestellte Strecke
Gumpendorf - Matzleinsdorf reservirten
Betrag von 4,691.000 fl. zu bewirken.
Es wurde nunmehr die politische Be-
gehung dieses Projectes durchgeführt und
im Herbste 1898 die Vergebung der Bau-
arbeiten eingeleitet, deren Vollendung im
Laufe des Jahres 1 900 zu gewärtigen ist.
Die Bauarbeiten waren einstweilen
auf der Vororte-, Wienthal- und Gürtel-
linie energisch gefördert worden. Schon
Mitte Februar 1898 war die Geleiselage
für die Vorortelinie so weit vollendet,
dass die Strecke der ganzen Länge nach
von Materialzügen befahren werden
konnte. Auch die Strecken Gumpen-
dorferstrasse-Heiligenstadt und Hütteldorf-
Meidling-Hauptstrasse waren Ende März
bereits fahrbar, die schwierigen Arbeiten
auf der dazwischen liegenden Strecke
wurden aber durch das energische Zu-
sammenwirken der k. k. Bauleitungen
und den mit der Ausführung der Unter-
bau-, Hochbau- und Oberbau-Arbeiten
betrauten Bauunternehmungen so rasch
gefördert, dass schon am 2. Mai 1898
Eisenbahn-Minister Dr. Ritter von Witte k
in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der
Commission für Verkehrsanlagen die ganze
Vororte-, Gürtel- und obere Wienthallinie
befahren konnte. Am 3. Mai 1898 fand
die technisch-polizeiliche Prüfung der
Vorortelinie, am 5. Mai die Vorrevision
der Gürtel- und oberen Wienthallinie mit
einem vollkommen günstigen Ergebnisse
statt.
Am 9. Mai 1898 hat in feierlicher
Weise die Eröffnung der vollendeten
Linien der Wiener Stadtbahn durch
Se. Majestät den Kaiser stattgefunden.
Es gestaltete sich diese Feier zu einer
imposanten Huldigung für den Monarchen,
dessen gnädiger Fürsorge die Stadt Wien
das neue und wichtige Verkehrsmittel
verdankt. [Vgl. Abb. 198, Seite 463.]
Der Eröffnungsact fand in der Station
Michelbeuern, also an derselben Stelle,
444
Hugo Koestler.
an welcher auch der erste Spatenstich
erfolgt war, statt. Dem Acte wohnten
ausser dem a. h. Hofe die Vertreter der
ausländischen Mächte, die Spitzen sämmt-
licher Central-Behörden, viele Abgeord-
nete, Gemeinderäthe etc., ferner die
bauführenden Ingenieure und Bauunter-
nehmer bei.
Auf die von Seiner Excellenz dem
Eisenbahn-Minister namens der Verkehrs-
Commission, vom Landmarschall Freiherrn
von Gudenus namens des Landes, und
von dem Bürgermeister Dr. Karl L u e g e r
namens der Stadt Wien gehaltenen An-
sprachen geruhte Se. Majestät Folgendes
zu erwidern :
»Gerne bin Ich der Einladung der
Commission für Verkehrsanlagen gefolgt,
an der feierlichen Eröffnung der ersten
vollendeten Strecke der Wiener Stadt-
bahn theilzunehmen.
Durch das einträchtige Zusammen-
wirken der autonomen Curien und des
Staates geschaffen, wird dieser Bahnbau
— wie Ich zuversichtlich hoffe —
der Bevölkerung mannigfache Vortheile
bringen und die Mir am Herzen liegende
gedeihliche Entwicklung Wiens wirksam
fördern.
Ich danke den Herren für die kund-
gegebenen loyalen und patriotischen Ge-
sinnungen und spreche den bau-
führenden Organen für ihre, der
österreichischen Technik zur
Ehre gereichenden Leistungen,
deren künstlerische Ausgestaltung wohl-
thuend hervortritt, Meine volle An-
erkennung aus.«
Nachdem Seine Majestät die Vor-
stellung einer Reihe von Persönlichkeiten,
welche in der Commission für Verkehrs-
anlagen beim Zustandekommen der Stadt-
bahnbauten mitgewirkt hatten, und einer
Anzahl der mit der Durchführung der
Bauarbeiten betrauten Ingenieure und
Bauunternehmer entgegen genommen
hatte, erfolgte mittels Hofseparatzuges die
Bereisung der vollendeten Strecken unter
dem Jubel der Bevölkerung, die dem
Monarchen längs der ganzen Strecke be-
geisterte Ovationen darbrachte.
In der Geschichte der Stadt Wien
wird dieser Tag ein glänzendes Merk-
zeichen bilden, für die österreichischen
Techniker aber wird die Eröffnung der
Wiener Stadtbahn durch die besonders
ehrende Form in der Anerkennung ihrer
Leistungen stets eine denkwürdige und
stolze Erinnerung bleiben.
Am II. Mai 1898 erfolgte die Er-
öffnung des Betriebes auf der Vororte-
linie, am 1. Juni aber auf der Gürtel-
und oberen Wienthallinie, und der über-
raschend grosse Verkehr, welcher sich auf
diesen Linien seither entwickelt hat, be-
weist wie dringend das Bedürfnis nach
einem grossstädtischen Verkehrsmittel,
als welches die Stadtbahn projectirt und
ausgestaltet ist, in Wien war, und wie
rasch die Bevölkerung die ihr durch ein
derartiges Verkehrsmittel gebotenen Vor-
theile zu würdigen weiss.
Baubeschreibung.
Allgemeines.
Sämmtliche Stadtbahnlinien sind nor-
malspurig und zweigeleisig ausgeführt,
eine Ausnahme bildet die Vorortelinie
insoferne, als der Unterbau zwar auch
für beide Geleise hergestellt, der Ober-
bau aber ursprünglich nur für ein Ge-
leise gelegt wurde ; da die Erfahrungen
im ersten Halbjahre des Betriebes zeigten,
dass mit einem Geleise auf dieser Linie
das Auslangen nicht gefunden werden
kann, wurden sofort die Einleitungen für
die Legung des zweiten Geleises getroffen,
und dürfte dasselbe im Juni 1899 in Be-
nützung genommen werden können.
Die Fahrgeschwindigkeit der Züge
wurde mit 40 km pro Stunde festgesetzt.
Die grösste Neigung beträgt bei der
Hauptbahn 2O°/00, bei den Localbahnen
aber 2$°l00, der kleinste Halbmesser der
Bögen in der currenten Strecke ist mit
150 m festgesetzt, und es ist nur bei
Verbindungs-Curven nächst den Stationen
in einzelnen Fällen ein Krümmungs-Halb-
messer von 1 20 m zur Anwendung gebracht.
Die Wiener Stadtbahn.
445
446
Hugo Koestler.
Alle Objecte und sonstigen im Unter-
bau vorkommenden Bauwerke, ferner die
Aufnahmsgebäude und die für den Zug-
förderungs-Dienst und die Unterbringung
des Bahnpersonales in den Stationen und
Haltestellen bestimmten Hochbauten wur-
den in definitiver Weise hergestellt; bei
solchen in Eisen ausgeführten Hochbahn-
Constructionen, deren Lage es wünschens-
werth erscheinen Hess, die Schallwir-
kungen des Zugsverkehrs thunlichst abzu-
schwächen, wurde die Fahrbahn mit
Buckelplatten abgedeckt und der Oberbau
wie gewöhnlich eingeschottert, wodurch
die beabsichtigte Wirkung thatsächlich
erreicht worden ist.
Mit besonderer Sorgfalt ist die Ent-
wässerung und Abdeckung der Viaduct-
gewölbe durchgeführt. Die Gewölbsnach-
mauerung wurde mit einer 8 cm starken
Betonschichte in Portland-Cement über-
deckt, auf die eine 20 mm starke Schichte
aus Natur- Asphalt und dann ein liegendes
Ziegelpflaster aufgetragen ist.
Die Abdeckung hat, wie aus Abb. 179
ersichtlich ist, gegen die in den Pfeilern
angeordneten Entwässerungs - Schächte
eine Neigung von 5°/0; in diese Schächte
mündet ein 4»« langes Rohr aus Gusseisen,
in welch letzteres wieder das bis in den
Abflusscanal reichende Rohr aus verzink-
tem Eisenblech eingesetzt ist. Die Oeff-
nung über dem Rohre ist durch einen
bis zur Schwellenhöhe reichenden guss-
eisernen Hut, welcher glockenförmig er-
weitert und durchbrochen ist, geschlossen ;
nach Entfernung dieses Hutes kann das
verzinkte Abflussrohr an seinen Hand-
haben herausgezogen undgereinigtwerden.
Auch die Entwässerung der be-
schotterten eisernen Bahnbrücken ist
sorgfältig durchgeführt, indem eiserne
Längs- und Querrinnen das Tropfwasser
aus den Buckelplatten, welche zu diesem
Zwecke an ihren tiefsten Punkten durch-
locht und mit Ansatzröhrchen versehen
sind, aufnehmen und gegen die Wider-
lagen führen, woselbst eiserne Abfall-
rohre die Weiterleitung des Wassers in
die Strassencanäle besorgen.
Die Viaducte sind meist in Ziegel-
mauerwerk mit Eckverkleidungen und Ge-
simsplatten aus Stein ausgeführt. Dagegen
ist für die Stütz- und Futtermauern in
den offenen und gedeckten Einschnitten
ausschliesslich lagerhaftes Bruchstein-
Mauerwerk zur Anwendung gekommen.
Die Fundamente der Kunstobjecte
und Hochbauten wurden häufig betonirt,
und haben Monier- und Beton-Construc-
tionen vielfache Anwendung gefunden.
So wurden z. B. die meisten der Strassen-
überfahrten auf der Vorortelinie mittels
Moniergewölben bis zu einer Lichtweite
von 2CV25 m ausgeführt. [Abb. 180.] Für
die Canäle, Entwässerungsgräben und
ähnliche Bauwerke kam ausschliesslich
Beton zur Verwendung, aus welchem
Materiale bei den Eindeckungen der Tief-
bahnstrecken sowie bei einigen Bahn-
brücken mit nahegerückten Trägern auch
Auflags- und Deckquadern ausgeführt
wurden.
Auf dem grössten Theile der hoch-
geführten Gürtellinie sowie auf einem
Theile der Viaductstrecke der Vororte-
linie erscheint der obere Abschluss der
Bahnobjecte wagrecht durchgeführt, was
bei geneigter Bahn durch die stufen-
förmige Anlage der Abkrönung erzielt
wurde. Auch die Ausbildung der grössten
Anzahl der eisernen Bahnbrücken ent-
spricht dem Bestreben des Architekten,
die wagrechte Linie soviel wie möglich
einzuhalten. Demgemäss lagern die, zu-
meist parallele Gurtungen zeigenden
Blech- und Gitterbrücken horizontal auf
und lassen die etwa geneigte Bahn
zwischen den äusserlich verzierten Haupt-
wänden auf schiefer Ebene abgleiten.
[Vgl. Abb. 187.]
Nur bei der Uebersetzung der Döblinger-
strasse und Heiligenstädterstrasse durch
die Gürtellinie, sowie der Richthausen-
strasse und Nussdorferstrasse durch die
Vorortelinie ruht die Bahn auf kräftigen
eisernen Bogenbrücken, deren schöne
Formen dem Auge eine wohlthuende
Abwechslung bieten. Dort aber, wo die
Stadtbahn zur Unterpflasterbahn wird,
wie an vielen Stellen der Wienthallinie und
einem grossen Theile der Donaucanallinie,
bilden eiserne Träger mit dazwischen lie-
genden Stampfbeton-Wölbungen die Decke
für das Strassenplanum.
Der Oberbau ist auf Holzquerschwellen
mit 1 2 • 5 m langen Flussstahlschienen dessel-
ben Profiles mit 35-4/?^ pro Meter, welches
Die Wiener Stadtbahn.
447
auf den von Schnellzügen befahrenen
Linien der k. k. Oesterreichischen Staats-
bahnen angewendet wird, hergestellt.*)
Eine Abweichung ist nur in dem Sinne
erfolgt, dass statt der normalen Stossver-
bindungen die Stossfangschiene eingeführt
wurde ; abgesehen von der Schonung der
Schienen an den Stössen, welche dadurch
herbeigeführt wird, dass die Spurkränze
der Fahrbetriebsmittel nicht über die
Stosslücke, sondern über das neben der
kehr, als auch dem Post-, Gepäcks- und
Güterverkehr und hat bezüglich des Letz-
teren besonders der Approvisionirungs-
Verkehr Berücksichtigung zu finden.
In erster Linie musste natürlich für
die bequeme und rasche Abwicklung
des Personenverkehres gesorgt werden,
zu welchem Zwecke entsprechende Ein-
richtungen in den Stationen und Halte-
stellen, ferner an den Fahrbetriebsmitteln
getroffen werden mussten.
Abb. 188. Brücke über die Döblinger Hauptstrasse.
Fahrschiene liegende Schienenstück ge-
führt werden, ist durch diese Einrichtung
auch eine wesentliche Verminderung des
so lästigen Hämmerns beim Befahren
der' Stösse erzielt, was mit Rücksicht
auf die langen Strecken, welche durch
offene gedeckte und überwölbte Ein-
schnitte führen, gewiss sehr vortheil-
haft ist.
Sämmtliche Linien der Wiener Stadt-
bahn dienen sowohl dem Personenver-
*) Vgl. Bd. II, Abschnitt Oberbau von
Prof. Alfr. Birk und die dort befindliche
Beilage, auf welcher auch die auf der Stadt-
bahn eingeführte Weichenconstruction Sy-
stem Heindl dargestellt erscheint.
Um das Aus- und Einsteigen von
und in die Waggons thunlichst bequem
zu machen, wurde die Höhe der Perrons
in den Stationen und Haltestellen mit
o-5 m über der Schienenhöhe gewählt,
und zur leichten Ueberwindung der Höhe
von 07 m bis zum Wagenfussboden drei
Stufen von entsprechender Breite eingelegt,
so dass beim Wiener Stadtbahnwagen drei
Stufen von je 23 cm, beim Berliner Stadt-
bahnwagen aber nur zwei Stufen von je
35 cm vorhanden sind, wodurch das Aus-
und Einsteigen dem Publicum in Wien
jedenfalls bedeutend erleichtert wurde.
Was die Wagen selbst anbelangt, so
sind bekanntlich auf den Stadtbahnen in
448
Hugo Koestler.
Berlin und London Coupewagen einge-
führt; jene Stadtbahn aber, welche den
grössten Verkehr zu bewältigen hat,
nämlich die Hochbahn in New -York, ist
mit Intercommunications -Wagen ausge-
rüstet und betragen die Zugsaufenthalte
in New- York höchstens 15 Secunden,
während dieselben in Berlin und London
mit 20 Secunden bemessen sind. In dieser
Beziehung steht daher der Intercommuni-
cations-Wagen dem Coupewagen nicht
nach. Da aber bei der Wiener Stadt-
bahn die Einleitung des Zugsverkehrs von
vorneherein in der Weise gedacht war,
dass ein Theil der Züge die Fahrt direct
in die Localstrecken der Staatsbahnen
fortsetzt, musste dafür gesorgt werden,
dass das Publicum jene Bequemlichkeiten
vorfindet, die für solche Fahrten, welche
eine Stunde und darüber dauern, zum
Bedürfnisse geworden, beim Coupewagen-
System aber entweder gar nicht oder
nur mit Schwierigkeiten und Kosten er- 1
reichbar sind.
Es wurde daher ein 10 m langer und
an beiden Enden mit einem I m breiten
Plateau versehener Intercommunications-
Wagen gewählt ; *) dieser Wagen gestattet
zunächst eine intensivere Beleuchtung als
der Coupewagen, bietet dem Publicum
die Möglichkeit, den Wagen während der
Fahrt zu wechseln, und ist im Winter
viel leichter warm zu halten, weil nur
zwei nach aussen führende Thüren vor-
handen sind. Diese Wagentype ermöglicht
weiter, dass der Fahrgast die Closets,
die nur in einzelnen Wagen des Zuges
eingerichtet werden können, leicht zu er-
reichen vermag. Der Hauptvortheil aber
ist der, dass bei Massenandrang das Pu-
blicum sich in den Wagen des Zuges
während der Fahrt vertheilen kann, dass
also eine weit bessere Ausnützung der
Züge eintritt, die Beförderung des Publi-
cums daher rascher möglich ist.
Die Stadtbahn-Locomotive [Abb. 181]
ist eine Tendermaschine der schwersten
Gattung, welche auf fünf Achsen ruht
und so leistungsfähig ist, dass sie auf
einer Steigung von 2O°/00 noch zehn
vollbesetzte Stadtbahnwagen, deren Ge-
sammtgewicht 150 t beträgt, mit einer
Geschwindigkeit von 35 km pro Stunde
befördern kann.
Die Construction dieser Locomotive
ist derart durchgeführt, dass der Funken-
wurf vermieden, die Rauchentwicklung
möglichst vermindert und die Belästigung
durch ausströmenden Dampf und Rauch
thunlichst hintangehalten wird.
Für den Fahrpark der Wiener Stadt-
bahn waren 52 Locomotiven und 600 Per-
sonenwagen vorgesehen und die An-
schaffungskosten hiefür mit 3,700.000 fl.
veranschlagt ; mit Rücksicht auf die
Verkehrsverhältnisse musste aber nach-
träglich eine Vermehrung der Locomo-
tiven und Wagen vorgenommen werden.
Sämmtliche Stadtbahnlinien sind für
das Fahren in Raumdistanz eingerichtet ;
ferner werden, mit Ausnahme gewisser
Weichen in den Nebengeleisen, alle
Weichen central gestellt und in die
Sicherungsanlage einbezogen. Auch in
dieser Richtung war man bestrebt, das
Neueste und Beste zu wählen, und es
wurde daher die elektrische Weichen-
stellung System Siemens und Halske ein-
geführt, die ausserordentliche Vortheile
bietet, vor Allem aber die Sicherheit auch
beim dichtesten Verkehr gewährleistet.
Nur auf der Vorortelinie wurden die Sta-
tionen mit der mechanischen Weichen-
stellung durch die Firma Stefan v. Götz
in derselben Weise ausgerüstet, wie dies
bisher bei allen Staatsbahnlinien der
Fall war.
Grosse Schwierigkeiten waren im
Hochbau zu überwinden, weil mit Rück-
sicht auf die Anforderungen des Verkehrs
und aus baulichen und localen Gründen
kein Gebäude dem anderen nachgebildet
werden konnte, die Anzahl der zu
schaffenden Entwürfe daher eine ausser-
ordentlich grosse war. *)
Der Hauptsache nach sind für die
Haltestellen der Stadtbahn, je nachdem
eine Untergrund- oder eine Hochbahn-
strecke vorliegt, zwei Typen zu unter-
scheiden. In den ersteren wurde der
Raum über dem Bahneinschnitt als
Vestibüle ausgebildet, an welches stirn-
*) Siehe auch im Bd. II, Abschnitt Wagen-
bau von J.v.Ow, Seite 522 und Abb. 333 a.a.O.
*) Näheres Siehe Bd. II, im Abschnitte
Hochbau von H. Fi sc hei, Seite 420 und ff.
Die Wiener Stadtbahn.
449
seitig die Personencassen und zu beiden
Seiten die Abgangsstiegen angelegt sind.
Am Eingang zu den Stiegen ist die
Fahrkarten-Controle angebracht. In der
Verlängerung der Stiegen liegen die für
jede Fahrtrichtung gesondert angelegten
Perrons, von denen circa 70 m überdeckt
sind und circa 50 m unbedeckt bleiben.
In den Aufnahmsgebäuden für die
Hochbahn-Haltestellen wurden die noth-
wendigen Betriebsräume durch seitliche
Anbauten an den Viaduct geschaffen.
Im Strassengeschoss ist in der Mitte ein
grosses, von beiden Strassenseiten erreich-
bares Vestibüle mit den Personencassen
und den nöthigen Nebenräumen für die
Abwickelung des Personenverkehrs sowie
der Aufgang zu den ebenfalls für jede
Fahrtrichtung getrennt angelegten Per-
rons. Vor dem Eingang zum Perron in der
Höhe des Bahngeschosses ist die Fahr-
karten-Controle angeordnet. Ausser dem
Perron sind daselbst noch kleine Warte-
räume und je ein Dienstzimmer für Be-
amte und Diener vorhanden.
In den grossen Anschlussbahnhöfen
Hütteldorf-Hackingund Heiligenstadt wur-
den in der Mitte der erbauten neuen
Aufnahmsgebäude grosse architektonisch
reich ausgestattete Vestibules angelegt,
von denen die Stiegen zu den Personen-
tunnels führen. Von diesen führen wie-
der doppelarmige Stiegen zu den nach
Fahrtrichtungen getrennt angelegten Per-
rons von 120 — i8ow Länge, welche
in einfacher WTeise überdacht sind.
In der Station Hauptzollamt ist der Tief-
bahn wegen die grosse Eintrittshalle mit
den übersichtlich angeordneten Dienst-
und öffentlichen Räumen im Strassenge-
schosse angeordnet; von der Mittelhalle
führt eine Treppe zum Hauptperron ; die
Verbindung zu den Zwischenperrons wird
durch eine breite, in der Längenachse
des Vestibules angeordnete überdeckte
Brücke und doppelarmige ebenfalls über-
dachte Abgangsstiegen bewerkstelligt.
Rücksichtlich der architektonischen
Ausgestaltung der Gebäude ist zu be-
merken, dass Oberbaurath Professor Otto
Wagner bemüht war, den Aufnahms-
gebäuden der Untergrundstrecken eine
leichte, gefällige, pavillonartige Ausgestal-
tung zu geben, während die übrigen
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
29
4?o
Hugo Koestler.
Aufnahmsgebäude im Anschluss an die
Viaducte und Brücken ernstere, mehr auf
massige Wirkung berechnete Formen in
einfacher aber solider Durchbildung er-
halten haben [vp1- Abb. 183 und 185 und
Bd. H, Tafel VII, S. 421].
Die Beleuchtung der Bahnhöfe, Sta-
tionen und Haltestellen der Wiener Stadt-
bahn erfolgt im Innern der Gebäude im
Allgemeinen mittels Gasglühlicht, theil-
weise aber auch mit elektrischem Licht.
Die Geleise-Anlagen der Bahnhöfe und
Stationen sind mittels Bogenlampen, die
auf 12 m hohen eisernen Masten ange-
bracht sind, die Perrons, Stiegen und Tun-
nels aber zum Theil unter Verwendung
von elektrischen Glühlichtern, zum Theil
aber ebenfalls mit Bogenlampen in glän-
zender Weise erleuchtet, während in den
grossen Vestibules und an den Eingängen
der Aufnahmsgebäude durchwegs wieder
kräftige Bogenlampen angebracht sind,
die auch die Personencassen und die
Kartencontrolen beleuchten; die Firma
R. Bartelmus & Comp, in Brunn hat
diese Anlagen in zufriedenstellender
Weise ausgeführt.
Die I 'orortelin ie.*)
Diese Linie [vgl. die beigegebene
Karte der Wiener Stadtbahn] bildet den
Abschluss des die Stadt Wien nahe der
Peripherie einschliessenden Bahnnetzes :
sie beginnt in der Station Penzing der
Linie Wien-Salzburg, in welche die Ge-
leise derart eingebunden sind, dass ein
directer Zugsverkehr sowohl nach Hüttel-
dorf, als auch nach St. Veit und in wei-
terer Fortsetzung nach Meidling und
Schwechat möglich ist.
Nach Verlassen der Station Penzing
steigt die Bahn mit l5°/oo an-> übersetzt
die Linzer Reichsstrasse und schneidet
sich sodann in den Höhenrücken bei
Breitensee ein. Die Hütteldorferstrasse
wird unterfahren und erreicht die Bahn
*) Eine weitergehende Beschreibung der
einzelnen Linien mit besonderer Berücksich-
tigung der für den Fachmann besonders be-
merkenswerthen Einzelnheiten der baulichen
Anlagen enthält die von der Commission
für Yerkehrsanlagen vorbereitete Denkschrift
über den Bau der Wiener Stadtbahn.
sodann die Haltestelle Breitensee [Abb.
182], nach welcher ein 746 tn langer
Tunnel folgt, der zum grössten Theil in
einer Steigung von l6°'00 liegt. Am nörd-
lichen Ende des Tunnels beginnt die
Station Ottakring, welche für den Frachten-
verkehr eingerichtet ist und mittels einer
Schleppbahn mit der k. k. Tabak-Haupt-
fabrik Ottakring verbunden wurde. Zum
Theil als Hochbahn, zum Theil aber im
Einschnitt und Damm, läuft die Vororte-
linie bis zur Station Hernais weiter, welche
ebenfalls für den Frachtenverkehr einge-
richtet ist Hierauf wird die Hernalser-
strasse mittels einer 52-2 m weiten impo-
santen Bogenbrücke übersetzt [Abb. 183];
auf 10 tn hohen Damm- Anschüttungen
durchquert die Bahn den Aisbachgraben
und erreicht die Richthausenstrasse, über
welche drei mächtig wirkende Bogen-
brücken mit 29-35 tn, 36*3 tn und 18-45 tn
lichter Weite gespannt sind. Der nun
folgende Höhenrücken bis zur Station
Gersthof wird mittels tiefer Einschnitte
durchfahren. Vom höchsten Punkt, den
die Vorortelinie in Ottakring erreicht hat,
bis nach Gersthof wechseln horizontale mit
schwach geneigten Strecken; von hier aber
fällt die Bahn mit zwischen I2°.'00 bis
i8°/00 betragendem Gefälle nahezu con-
tinuirlich gegen den Bahnhof Heiligen-
stadt der Stadtbahn ab. In dieser Strecke
liegen die Personen-Haltestellen Ober-
Döbling und Unter-Döbling ; die wich-
tigsten Bauobjecte sind aber die beiden
212 tn und 688 tn langen Tunnels unter
der Türkenschanze, an die sich ein langer
Einschnitt, welcher bis unter die Hohe-
wartstrasse reicht, schliesst. Die Xormal-
tvpe dieser Tunnels ist in der Abb. 184
dargestellt. Nach Uebersetzung des Krot-
tenbaches führt die Bahn im Viaduct bis
Heiligenstadt, nachdem sie vorher die Hei-
ligenstädterstrasse mittels einer 22-7 tn
weiten Bogenbrücke, welche ausseror-
dentlich leicht und gefällig wirkt, über-
setzt hat.
Im Sinne der Concessions-Urkunde
ist die Vorortelinie vorerst hauptsächlich
für den Güterverkehr und die Bedürfnisse
der Industrie bestimmt; dem Personen-
verkehr auf dieser Linie ist daher eine
bescheidenere Rolle als auf den übrigen
Stadtbahnlinien zugedacht.
Die Wiener Stadtbahn.
451
Im Allgemeinen ist mit Rücksicht auf
den Zweck die bauliche Ausführung der
Vorortelinie in ähnlicher Weise bewirkt
worden, wie dies bisher bei den Staats-
eisenbahnen üblich war; der fortwährende
Wechsel zwischen Dämmen, tiefen Ein-
schnitten, Viaducten, Tunnels und mäch-
tigen Brücken aber verleiht dieser Bahn-
linie, deren Ausführung in sorgfältiger
Weise erfolgte, den Charakter eines hoch-
interessanten technischen Bauwerkes,
während der malerische landschaftliche
Hintergrund, besonders aber der nahezu
überall vorhandene Ausblick auf das
Kahlengebirge, der Fahrt über diese Bahn-
strecke auch
einen eigenen
Reiz verleiht.
Die
Gürtellinie .
Den Anfangs-
punkt dieser so-
wie der Donau-
canallinie bildet
der zwischen
dem Kaiser
Franz Josef-
Bahnhofe und
der Station
NussdorfderLi-
nie Wien-Eger
gelegene Bahn-
hof Heiligenstadt.
Nachdem dieser Bahnhof, ausser den
beiden vorgenannten Stadtbahnlinien, die
Vorortelinie und die beiden Geleise der
Kaiser Franz Josef-Bahn aufzunehmen
und weiters die Aufgabe zu erfüllen hat
als einer der Endpunkte für den Stadtbahn-
Verkehr zu dienen, war die Schaffung einer
umfangreichen Anlage erforderlich.*) In
Durchführung des Principes, dass für jede
Fahrtrichtung ein eigenes Geleise und
demgemäss auch ein eigener Perron vor-
handen sein muss, gelangten fünf Perrons
dem Auf-
Personen-
Abb. 190. Ueberwölbter Einschnitt.
zur Ausführung, welche mit
nahmsgebäude durch einen
Tunnel verbunden sind.
Wegen der über 1 km betragen-
den Länge dieses Bahnhofes ist ferner
ungefähr in der Mitte desselben eine
12 m weite und 155 m lange Durch-
fahrt hergestellt, welche durch einzelne
in der Höhe der Geleise angeordnete
Oberlichten beleuchtet wird. Da der
Bahnhof auch dem Frachtenverkehr dient,
ist eine grössere Frachtenanlage mit
Magazin und Kohlenrutschen vorhanden ;
für Zugförderungszwecke wurde eine kreis-
runde Locomotivremise mit 19 Ständen,
ein Cokesschupfen, endlich eine Wasser-
versorgungs-Anlage mit einer sehr bedeu-
tenden stündlichen Leistungsfähigkeit er-
baut. Daserfor-
1 derliche Nutz-
wasser wird
dem Donauca-
nal entnommen
und mittels kräf-
tiger Pumpen in
ein hochliegen-
des, in Beton
ausgeführtes
Feld - Reservoir
mit einem Fas-
sungsraum von
1500 ma ge-
drückt. Der
Bahnhof Hei-
ligenstadt ist
durch ein über
denDonaucanal
führendes Ge-
leise mit dem Rangirbahnhof Brigittenau
verbunden, welches Geleise vorläufig nur
für den Güterverkehr bestimmt war, jedoch
schon gleichzeitig mit der Eröffnung der
Gürtellinie für den Personenverkehr zur
Jubiläums- Ausstellung im Prater Ver-
wendung gefunden hat.*)
Von Heiligenstadt steigt die Gürtel-
linie nahezu constant bis zur Haltestelle
Josefstädterstrasse an, und kommen in
dieser Strecke Neigungen zwischen 2 und
2O°/00 vor; dieser Theil der Gürtellinie
ist durchwegs als Hochbahn ausgeführt,
wodurch die Möglichkeit geschaffen wurde,
der Forderung, dass alle für den Verkehr
wichtigen Strassenzüge unter der Bahn
*) Siehe auch Bd. II, Abschnitt Bahnhofs-
anlagen von E. R eitler.
*) Die im Zuge dieser Linie gelegene Brücke
über denDonaucanal ist in Abb. 192 dargestellt.
29*
452
Hugo Koestler.
durchgeführt und die für das Strassen-
fuhrwerk nothwendigen lichten Höhen
vorhanden sein sollten, zu entsprechen.
Von der Haltestelle Josefstädterstrasse bis
zur Einmündung in die Wienthallinie in
der Haltestelle Meidling - Hauptstrasse
wechseln Steigungen mit Gefällen, wobei
aber die letzteren bedeutend überwiegen
und das Gesammtgefälle 31 "26 m beträgt.
Nach Verlassen des Bahnhofes Heiligen-
stadt übersetzt die Gürtellinie die Geleise
der Franz Josef-Bahn und gelangt zur
Heiligenstädterstrasse, über welche eine
56 m weite und im Scheitel i2-5 m hohe
Bogenbrücke gespannt ist.
Blechwand verkleidet ist und drei Oeft-
nungen für die Währingerstrasse und
Schulgasse besitzt. [Abb. 189.]
Nun folgt die Station Michelbeuern,
die aber nicht für den Personenverkehr,
sondern ausschliesslich für den Approvisio-
nirungs -Verkehr bestimmt ist. Diesem
Zwecke entsprechend, enthält das Be-
triebsgebäude, ausser den Räumen für die
Abwicklung des Güter- und Verzehrungs-
steuer-Dienstes, eine geräumige Markt-
halle mit den erforderlichen Kühl- und
Depoträumen, die der Gemeinde Wien
miethweise überlassen wurde. Knapp an
die Station Michelbeuern schliesst sich die
Abb. 191. Wienbrücke der Stadtbahn im Zuge der Gürtellinie. [Gaudenzdorf.]
Auf mächtigen Viaducten [Abb. 186
und 187] setzt sich die Bahn fort und
erreicht die Döblinger Hauptstrasse, welche
mit einer ebenfalls sehr schön wirkenden
Bogenbrücke von 33 m lichter Weite
übersetzt wird. [Abb. 188.] An dieser
Stelle erreicht die Bahn den Gürtel, in
welchem sie nun ununterbrochen bis
zur Uebersetzung der Wien zwischen
der Haltestelle Gumpendorferstrasse und
Meidlinger Hauptstrasse fortgeführt wird.
Wir sind nun auch zu der ersten Hoch-
bahn-Haltestelle »Nussdorferstrasse« ge-
langt, welcher in nur 700 m Entfernung
die in ganz gleicher Weise ausgebildete
Haltestelle Währingerstrasse folgt. Un-
mittelbar an diese schliesst sich eine
auf architektonisch reich ausgestatteten
Pfeilern ruhende Fachwerkbrücke, welche
strassenseitig: mit einer reich verzierten
Haltestelle Aiserstrasse, die an der Gabe-
lung der Hernalser- und Ottakringerstrasse
situirt ist ; in einer Entfernung von 600 m
folgt dann die letzte Hochbahn-Haltestelle
Josefstädterstrasse, deren Lage so ge-
wählt ist, dass sie von den wichtigen
Radialstrassen : Lerchenfelderstrasse, Neu-
stiftgasse und Josefstädterstrasse bequem
erreicht werden kann.
Von dieser Haltestelle fällt dieNivellette
mit 2O°/00, und schneidet die Bahn zwischen
der Menzelgasse und Hasnerstrasse das
Strassenterrain, worauf sich die Gürtellinie
als Tiefbahn fortsetzt. Die Hasnerstrasse
ist die einzige von den wichtigeren in den
Gürtel einmündenden Strassen, welche an
dieser Stelle infolge des Ueberganges der
Hochbahn in die Tiefbahn in ihrer Fort-
setzung gegen die innere Stadt durch den
Bahnkörper abgeschnitten wird.
Die Wiener Stadtbahn.
453
Abb. ig2. Donaucanalbrücke der Wiener Stadtbahn. [Strecke Heiligenstadt-Brigittenau.]
Schon die nächste Haltestelle Burg-
gasse liegt in der Tiefbahn, ebenso die
gegenüber dem Kopfgebäude des West-
bahnhofes situirte Stadtbahn-Haltestelle
Westbahnhof. Die Strassen werden zum
Theil mittels Monierbrücken, zum Theil
aber auf gewölbten Brücken oder endlich
auf eisernen Trägern, zwischen denen
Betonbögen gespannt sind, über die Bahn
geführt. Von der Haltestelle Burggasse
bis zu dem grossen Platz vor der Fünf-
hauser Kirche ist die Bahn mit geringen
Unterbrechungen entweder eineewölbt
oder eingedeckt; sie steigt dann wieder
mit 2O°/00 an, so dass die nächst der
aufgelassenen Gumpendorferlinie erbaute
Haltestelle Gumpendorferstrasse wieder
in der Hochbahn liegt. [Die Type für
die überwölbten Einschnitte ist in der
Abb. 190 dargestellt.]
Die Bahn erreicht nun, immer am Gür-
tel als Hochbahn weiterführend, den Wien-
fluss und ist an dieser Stelle zur Ueber-
setzung der künftigen Quaistrasse, des
Sammelcanals und der Wien selbst die
Anordnung von drei, zusammen 127-5 m
weiten Brücken nothwendig geworden,
welche infolge ihrer reichen architek-
tonischen Ausstattung dem freien Platze,
der hier entstehen soll, zur Zierde ge-
reichen werden. [Abb. 191.]
Auf einer Reihe von mächtigen Bögen
setzt sich nach Ueberschreiten der Wien die
Gürtellinie am rechten Ufer flussaufwärts
fort und erreicht endlich, stetig fallend,
die Station Meidling-Hauptstrasse der
Wienthallinie. Von den schwierigen und
umfangreichen Arbeiten, welche in dieser
Strecke auszuführen waren, sollen die wäh-
rend des Baues erfolgten Aufnahmen [Abb.
193 und 194] einen theilweisen Begriff
geben.
Gegen die Führung der Gürtellinie als
Hochbahn wurden im Laufe des Jahres
1895, also zu einem Zeitpunkte, in welchem
die Bauarbeiten schon weit vorgeschritten
waren, seitens verschiedener Interessenten
und Corporationen Einwendungen erhoben,
die ihre Bestrebungen dahin richte-
ten, mindestens die Ausführung des
Streckentheiles von Michelbeuern gegen
die Burggasse als Tiefbahn durchzusetzen.
Weder bei der Tracenrevision noch
bei der politischen Begehung waren An-
stände gegen die Hochbahn erhoben
worden. Für die Wahl der Letzteren waren
aber in erster Linie die Beschlüsse des
Wiener Gemeinderathes vom 23., 24.,
25. und 27. Mai 1892 massgebend, nach
welchen gefordert wurde, dass bei den
Bahnanlagen darauf Rücksicht genommen
werde, dass alle derzeit bestehenden Com-
municationen aufrecht bleiben sollten und
dass auch in Zukunft die von der Ge-
meinde als nothwendig erkannten Com-
municationen anstandslos hergestellt wer-
den könnten, sowie dass bei Einschnitten
durchgehends eine Ueberbrückung der
454
Hugo Koestler.
Bahn im bestehenden Niveau ausgeführt,
bei Hochbahnen hingegen entsprechend
breite und hohe Durchlässe im Bahn-
körper angelegt werden könnten. In
ganz ähnlicher Weise hatte sich die Wiener
Handels- und Gewerbekammer geäussert,
welche ausserdem noch eine Frachten-
station zwischen Westbahnhof und Heili-
genstadt als nothwendig bezeichnete.
Diesen Bedingungen konnte nur durch
Anlage einer Hochbahn entsprochen wer-
den ; thatsächlich wurden mit Ausnahme
der Hasnerstrasse alle übrigen auf den
Gürtel einmündenden Strassenzüge offen
erhalten, während bei Ausführung einer
Tiefbahn eine bedeutende Anzahl der-
selben hätte unterbunden werden müssen.
Nachdem auch öconomische Gründe für
die Hochbahn sprachen, wurde auf die
vorerwähnten Einwendungen keine Rück-
sicht genommen und der bereits be-
gonnene Bau der Viaductbögen in der
Strecke Michelbeuern - Josefstädterstrasse
planmässig weitergeführt.
Die Führung der Bahn über die
Gürtelstrasse machte die Einlösung einer
Reihe von ziemlich umfangreichen Ob-
jecten erforderlich, aber auch historisch
interessante Bauten, wie z. B. das einst-
malige Jagdschlösschen nächst der Gum-
pendorferlinie, welches zuletzt im Besitze
des Malers A m e r 1 i n g war, fielen dem
Bau zum Opfer.
Durch die Entfernung dieser Objecte,
von denen die meisten vor den ehe-
maligen Linien situirt waren, wurde die
Regulirung und Durchführung der Gürtel-
strasse, welche früher an diesen Stellen
unterbrochen war, wesentlich gefördert ;
diese wird nach ihrem vollständigen
Ausbau nicht nur ein sehr wichtiger
Verkehrsweg sein, sondern im Verein
mit den musterhaft ausgeführten Bau-
werken der Gürtelbahn auch vom schön-
heitlichen Standpunkte aus der Stadt Wien
gewiss zur Zierde gereichen.
Die Wienthallinie.
Diese Stadtbahnlinie schliesst sich
im Bahnhof Hütteldorf an die k. k. Staats-
bahnlinie Wien-Salzburg an ; zu diesem
Zwecke hat der frühere kleine Bahnhof
eine bedeutende Erweiterung nach dem-
selben Principe, welches im Bahnhofe
Heiligenstadt durchgeführt wurde, erfahren
und er besitzt nunmehr für die Personen-
aufnahme zwei Empfangsgebäude, zwi-
schen denen vier, durch einen Personen-
tunnel verbundene Inselperrons liegen.
Da dieser Bahnhof ebenfalls für die
Einleitung von Stadtbahnzügen dient, ist
I derselbe mit den entsprechenden Zug-
! förderungs - Anlagen und Wagenaufstel-
lungs-Geleisen ausgestattet. Das erforder-
| liehe Locomotivspeise- und Nutzwasser
wird der Wienthal -Wasserleitung ent-
j nommen, in ein 20 m ober dem Bahnhof-
Niveau in Hacking gelegenes Feldreservoir
geleitet und von dort über die Wienbrücke
den Verbrauchsstellen zugeführt.
Die Wienthallinie übersetzt nach der
Ausfahrt aus dem Bahnhofe Hütteldorf
die Quaistrasse, den Wienfiuss und die
Franz Karl-Strasse ; nach dieser letzteren
Uebersetzung fällt die Nivellette mit 20°/0o
und schon die erste Haltestelle Ober-St.
Veit liegt in der Tiefbahn, deren Gefälls-
verhältnisse von da an bis zum Bahn-
hofe Hauptzollamt günstige sind, nach-
dem nur mehr eine ganz kurze Strecke
in der Neigung von 2O°/00 und I2%0
bleibt, sonst aber meist Neigungen von
nur 5°/oo vorkommen. Von dieser Halte-
stelle an bis zum Stadtpark läuft die
Wienthallinie fortwährend parallel zur
regulirten Wien und ist die südliche
Quaimauer des Wienflusses gleichzeitig
die linksseitige Mauer der Bahn.
Die Wien wird von der Gemeinde-
grenze bis zur Einmündung des Lainzer-
baches im offenen Gerinne zwischen ge-
böschten Ufern und Stützmauern geführt,
von diesem Punkte an soll ein einheitlich
verlaufendes Durchflussprofil bis zur
Tegetthoffbrücke zwischen Widerlagern
und einem Sohlengewölbe derart herge-
stellt werden, dass es in der Strecke
Schikanedersteg- Stadtpark sofort, in den
übrigen Theilen aber nach Bedarf ein-
gewölbt werden kann, um über dieser
Einwölbung einen breiten Boulevard
ausführen zu können. Auch die Bahn
ist in jenem Theile, der sofort eingewölbt
werden soll, vollständig überdeckt, wäh-
rend sonst nur an allen jenen Punkten,
wo Strassenüberführungen nothwendig
sind, Eindeckungen ausgeführt werden.
Die Wiener Stadtbahn.
455
Dadurch hat die Wienthallinie grossen-
theils den Charakter einer gedeckten
Tiefbahn erhalten, und es sind sämmtliche
Haltestellen nach der Type der Unter-
grund-Stationen ausgeführt.
Abb. 195 zeigt das Querprofil der
Wienthallinie und der Wieneinwölbung in
der Strecke zwischen dem Schikaneder-
steg und dem Stadtpark.
Ausser der schon erwähnten Halte-
stelle Ober-St. Veit bestehen noch fol-
gende Haltestellen: Unter-St. Veit-Baum-
garten, Braunschweiggasse, Hietzing mit
einem eigenen Pavillon für den a. h.
oft eingetretenen Hochwässer, unter
denen besonders jenes vom 30. Juli
1897 empfindliche Schäden brachte,
stark beeinflusst und häufig unterbro-
chen worden. Dies war mit eine der
Ursachen, wegen deren sich die Voll-
endung der Wienthallinie wesentlich ver-
zögerte und nur die Theilstrecke von
Meidling - Hauptstrasse bis Hütteldorf
gleichzeitig mit der Gürtel- und Vor-
ortelinie dem Betriebe übergeben werden
konnte, während die restliche Strecke
erst im Jahre 1899 vollendet werden
dürfte.
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Abb. lg). Stadtbahnpartie bei Gaudenzdorf im Bau. [October 1897.]
Hof, Schönbrunn, Meidling-Hauptstrasse,
wo die Gürtellinie einmündet, Marga-
rathengürtel, Pilgramgasse, Ketten-
brückengasse, Akademiestrasse und Stadt-
park ; auf die io-8 km lange Strecke vom
Ende des Bahnhofes Hütteldorf bis zum
Beginn des Bahnhofes Hauptzollamt, in
welchem Bahnhof die Wienthallinie die
Wiener Verbindungsbahn erreicht, sind
daher elf Haltestellen angeordnet, so dass
die durchschnittliche Entfernung dersel-
ben von einander nicht ganz einen Kilo-
meter beträgt.
Infolge der gelegentlich der Regu-
lirung des Wienflusses angestrebten theil-
weisen Verlegung des Flusslaufes war
die Fundirung der südlichen Quaimauer
meist mitten im Flussbett auszuführen,
es sind daher die Arbeiten an dieser
Mauer durch die während der Bauzeit
Der Bahnhof Hauptzollatnt.
Der Umbau des Bahnhofes Haupt-
zollamt der Wiener Verbindungsbahn war
schon längst zum dringenden Bedürfnis
geworden ; der Bau der Stadtbahn brachte
die erwünschte Gelegenheit, den be-
rechtigten Wünschen der Bevölkerung zu
entsprechen und den bisherigen Bahnhof,
welcher ein schwer empfundenes Hindernis
für den Verkehr zwischen dem dritten
Bezirke und der inneren Stadt bildete,
um 5 "6 m tiefer zu legen, so dass es
möglich war, die Strassen über den-
selben, und zwar ohne Anwendung von
steilen Rampen, zu führen und ausser den
bestehenden noch neue Verbindungen
zwischen dem ersten und dritten Bezirke
zu schaffen.
456
Hugo Koestler.
Die Umgestaltung dieses Bahnhofes er-
forderte sehr schwierige und kostspielige
Arbeitsleistungen [vgl. Abb. 197], weil die
Verhältnisse an dieser Stelle besonders ver-
wickelte waren und, wegen der Wichtigkeit
des täglich an 300 Wagenladungen um-
fassenden Verbindungsbahn-Verkehrs und
der Offenhaltung des Zollamts- und
iMarkthallen-Verkehrs, der Betrieb des
Bahnhofes, wenigstens in Ansehung der
Gütertransporte, während des Umbaues
aufrecht erhalten werden musste.
Diesen Bedingungen war nur durch
Ausführung eines an den bestehenden
Bahnhof in demselben Niveau an-
schliessenden Holzprovisoriums zu ent-
sprechen, welches im December 1895 be-
gonnen und Dank der äusserst energi-
schen Thätigkeit der Bauunternehmung
Redlich & Berger schon im Früh-
jahre 1896 in Benützung genommen
werden konnte.
Kurz nach Beginn der Bauarbeiten
traten einerseits infolge von Hindernissen
beim Baue des den Bahnhof kreuzenden
Sammelcanales, andererseits aber durch
Schwierigkeiten bei der Umlegung des
Wiener-Neustädter Canales solche Ver-
zögerungen ein, dass die Vollendung
des Bahnhofes sich um ein Jahr gegen-
über dem ursprünglich in Aussicht ge-
nommenen Termin verspätete.
Die Züge der Wienthallinie passiren
den Bahnhof Hauptzollamt in der Rich-
tung gegen die Donaucanallinie und den
Praterstern, welch letztere Station der
Wiener Verbindungsbahn zu Lasten des
Baufonds der Wiener Stadtbahn derart
umgestaltet wurde, dass im Bedarfsfalle ein
Verkehr in Intervallen von drei Minuten
möglich ist und Geleise für die Depo-
nirung von drei Zugsgarnituren vor-
handen sind.
Da den Bahnhof Hauptzollamt nicht
nur die Stadtbahnzüge sondern auch
die Personenzüge der Verbindungsbahn
passiren müssen, sind ausser dem Perron
am Aufnahmsgebäude noch zwei durch
einen Steg verbundene Inselperrons vor-
handen. Die Geleiseanlage für den
Güterverkehr wurde, soweit dies der
äusserst beschränkte Raum gestattete,
dem Bedürfnisse entsprechend ausge-
staltet und für den Frachtenabgabs-
Dienst ein geräumiges Frachten-Magazin
hergestellt.
Das Niveau des neuen Bahnhofes liegt
an der Kreuzung mit der Landstrasser
Hauptstrasse um 6-8 in tiefer als jenes
des alten Bahnhofes, was dadurch er-
reicht wurde, dass die Neigung von 2O°/00
der Verbindungsbahn - Strecke in der
Richtung von der Neulinggasse um 484 in
fortgesetzt ist. In der Richtung gegen
den Praterstern steigt die Bahn von der
Kreuzung mit der Hinteren Zollamtsstrasse
mit 2O°/00 an und erreicht bei der Löwen-
gasse wieder das Niveau der Ver-
bindungsbahn. Dadurch wurde allerdings
die Auflassung der Durchfahrt für die
Hetzgasse erforderlich, an deren Stelle
ein Durchgang mit nur 2"5 in Höhe her-
gestellt ist. Dagegen werden nun die
Ungargasse, die Landstrasser Haupt-
strasse, die Marxergasse und die Hintere
Zollamtsstrasse derart über die Bahn
geführt, dass diese Strassen sich nahezu
eben bis zur Ringstrasse fortsetzen.
Nachdem eine bauliche Umgestaltung
des Hauptzollamt-Gebäudes durch den
Umbau des Bahnhofes nicht beabsichtigt
war, blieb auch die Geleise-Anlage in die-
sem Gebäude ungeändert. Es besteht daher
ein Niveau-Unterschied von 5'6jm zwischen
den Geleisen des neuen Bahnhofes und
jenen im Zollamte. Es müssen demnach
die mit Zollgütern beladenen Eisenbahn-
Wagen aus dem Bahnhofs - Niveau in
jenes der Zollamts-Geleise gehoben werden,
zu welchem Zwecke vor dem Zollamts-
Gebäude zwei Waggonaufzüge mit elek-
trischem Antriebe für eine Tragfähigkeit
von je 35 t und mit einer Bühnenlänge von
I4'5 m ausgeführt wurden, mittels welchen
auch die schwersten und längsten der
ankommenden Wagen in das Zollamt
befördert werden können.
Zur Heranholung der Wagen von den
Gütergeleisen dienen elektrische, nach der
Construction des Ingenieurs A. Freissler
in Wien ausgeführte Gangspillen.
Das Locomotiv - Speisewasser liefert
eine elektrisch angetriebene Pumpe; der
zu diesem Zwecke aufgestellte Elektro-
motor wird automatisch durch einen
Schwimmer ein- und ausgeschaltet und
betreibt gleichzeitig die Wasserreinigungs-
Anlage nach System Weh renfennig.
Die Wiener Stadtbahn.
457
Abb. 194. Wienthal- und Gürtellinie bei der Stiegerbrücke im Bau. [October 1897.]
Die Donaucanallinie.
Vom Bahnhofe Hauptzollamt an unter-
fährt die Donaucanallinie im gedeckten
Einschnitte den Platz vor dem Haupt-
zollamts-Gebäude und die Lastenstrasse,
übersetzt die regulirte Wien mittels einer
Fachwerkbrücke mit zwei Oeffnungen
von je 15 m Spannweite, worauf die
Ringstrasse ebenfalls im gedeckten Ein-
schnitte unterfahren wird. Beiderseits der
Ferdinandsbrücke werden die Perrons für
die gleichnamige Haltestelle angeordnet,
deren architektonische Ausbildung sich
jenem Projecte anpassen wird, welches
über Anregung der Commission für
Verkehrsanlagen vom k. k. Oberbau-
rathe Otto Wagner für die Ausgestal-
tung des Platzes an der Ferdinandsbrücke
und des Quais am Donaucanale aufge-
stellt wurde und seitens der Gemeinde
die principielle Zustimmung erhalten hat.
Von der Ferdinandsbrücke führt die
Donaucanallinie als eine gegen den Canal
zu offene Galeriebahn bis zur Station
Brigittabrücke fort. Das Querprofil Abb.
196 gibt ein Bild der geplanten Anlage
mit dem Quai und dessen Anschlüssen.
Die Neigungs- Verhältnisse der Bahn
sind in dieser Strecke sehr günstige
und erfordert nur die Rampe bei Ueber-
setzung der Wien und des Alserbaches
die Anwendung von Neigungen bis i8°/00.
An der Stelle, wo sich bisher das
Kaiserbad befand, wird die Haltestelle
Schottenring erbaut, zwischen der Moser-
gasse und der Georg Siegigasse ist die
Haltestelle Rossauerlände, neben der
Brigittabrücke aber die gleichnamige
Station situirt.
Vor der letzteren wird der Alserbach-
Canal mit einer Eisenconstruction über-
setzt, deren Höhenlage im Einvernehmen
mit der Gemeinde so bestimmt wurde,
dass der Abfluss der Hochwässer in diesem
Canale ungehindert erfolgen kann. Die
Station Brigittabrücke liegt in einem
offenen Einschnitte mit beiderseitigen
Stützmauern und die Geleise-Anlage der-
selben ist so eingerichtet, dass vom Haupt-
zollamte ankommende Züge ohne Be-
hinderung des Verkehres durchlaufender
Züge abgestellt oder aber zurückgeleitet
werden können.
In dieser Station zweigen auch die Ge-
leise der Verbindungscurve zur Gürtellinie
ab, welche vom Ende derselben mit 2O°/00
ansteigen, während die Donaucanallinie
mit einem Gefälle von I4%0 im offenen
Einschnitte bis zur Unterfahrung der
458
Hugo Koestler.
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Bahsr^i
Spittelauerlände weiter ge-
führt wird, von diesem Punkt
an aber mit 2O°/00 und später
1 2°/0o ansteigt, um das Niveau
des Heiligenstädter Bahnho-
fes zu erreichen. Die Ver-
bindungscurve wird bei der
Abzweigung von der Donau-
canallinie zunächst zwischen
Stützmauern, dann auf Via-
ducten geführt, umfährt die
Pumpstation der Kaiser Fer-
dinands-Wasserleitung, über-
setzt sodann den Kaiser
Franz Josef- Bahnhof und
die Heiligenstädterstrasse
und erreicht endlich vor der
Brücke über die Döblinger-
strasse die Gürtellinie, in
welche sie auf der offenen
Strecke einmündet.
Vergebung
und Ausführung der
Bauarbeiten.
Die Vergebung der Bau-
arbeiten und Lieferungen er-
folgte durch die General-
Direction der k. k. Oesterrei-
chischen Eisenbahnen, bezie-
hungsweise durch die im
Jahre 1896 an deren Stelle
getretene k. k. Baudirection
der Wiener Stadtbahn meist
im Wege öffentlicher Aus-
schreibungen und mit Zu-
stimmung der Commission
für Verkehrsanlagen in der
Regel derart, dass der bevoll-
mächtigte Vertreter der Letz-
teren der Offertverhandlung
beiwohnte.
Die Bauarbeiten und Lie-
ferungen wurden grundsätz-
lich dem billigsten Offeren-
ten zugeschlagen ; dabei aber
auch auf den schon bei der
parlamentarischen Behand-
lung der Vorlage über die
Die Wiener Stadtbahn.
459
Wiener Verkehrsanlagen zum Ausdruck
gekommenen Wunsch Bedacht genommen,
dass die Betheiligung der kleineren Unter-
nehmungen, soweit es mit den gebotenen
Rücksichten auf eine fachlich richtige und
öconomische Bauführung vereinbarlich
war, durch Untertheilung der Unter- und
Hochbauarbeiten in kleinere Lose zu er-
möglichen sei. Zu dem Zwecke wurde
die Gürtellinie in neun, die Vorortelinie
in fünf, die Wienthallinie ebenfalls in
Aufgeboten erstanden. In dem Zeitab-
schnitte März 1895 bis Ende 1897
wurden die Unterbau-Arbeiten an nach-
folgende Unternehmungen vergeben : W i e-
ner Baugesellschaft, die Allge-
meine ös terreichische Bauge Seil-
schaft, Doderer, Göhl & Sager;
Brüder Redlich & Berger, Rabas &
Rummel, Union-Baugesellschaft,
Josef Prokop, Gettwert & Dittel. Die
Aufgebote bewegen sich in diesem Zeit-
Abb. 197. Bahnhof Hauptzollamt. [Ausführung der Erdarbeiten auf dem südlichen Ende.]
fünf und die Donaucanallinie in drei Lose,
einzelne Lose aber wieder in kleinere
Arbeitsstrecken untertheilt.
Die Vergebung der Unterbau-
Arbeiten mit Ausschluss der eisernen
Brücken erfolgte in den Jahren 1893
und 1894 an die Unternehmungen: Josef
Prokop, die Union - Baugesell-
schaft, Brüder Redlich & Berger,
P. Krauss & Comp., dann C. Gross &
Comp., durchwegs gegen Abgebote,
welche zwischen 23°/,, und 7'2°/0
schwankten.
Vom Februar 1895 an wurden mit
wenigen Ausnahmen die Arbeiten mit
abschnitte zwischen i9"7°/0 und 3"5%.
Die Vergebung der eisernen Brücken
erfolgte gegen Pauschalsummen, und
zwar an folgende Firmen : Eisenwerk
Zöptau, Industrial-Ver waltung
in Teschen, Alpine Montan-
gesellschaft, Gewerkschaft Wit-
kowitz, Prager Brückenbau- An -
stalt, Prager Maschinenbau-
A c t i e n-G esellschaft; an die Wiener
Firmen : R. P. W a a g n e r, Albert
Milde, Anton Biro, Ignaz Gridl,
weiters an die Gebrüder Praäil&Comp.
in Lieben und E. Skoda in Pilsen. Bis
Ende des Jahres 1896 waren auf der
460
Hugo Koestler.
Gürtel-, Vororte- und oberen Wienthallinie
rund 16.000 t eiserne Brücken montirt.
Von geringfügigen, mit den Unter-
bauarbeiten zusammenhängenden Hoch-
bauherstellungen abgesehen, begann die
eigentliche Hochbauthätigkeit und
die Vergebung der einschlägigen Arbeiten
in der zweiten Hälfte des Jahres 1896.
Diese Arbeiten wurden den Unternehmun-
gen : Christian S p e i d e 1, Josef P r o k o p,
Brüder Redlich & Berger, Wiener
Baugesellschaft, Allgemeine
österreichische Baugesellschaft,
Gettwert &Dittel, Karl Brodhag,
Friedrich Haas, Heinrich S i k o r a, J.
Stättermayer, Rabas & Rummel,
Schuhmacher, Doderer und Hans
Schätz zugeschlagen.
Einundzwanzig dieser Vergebungen
erfolgten mit Aufgeboten, die zuletzt zu-
geschlagenen Arbeiten wurden jedoch
ausnahmslos mit Abgebeten erstanden.
Die Oberbauarbeiten auf der Gürtel-,
Vororte- und Wienthallinie hat die Bau-
untemehmung J. B u r i a n und Consorten
ausgeführt : die Sicherungs- Anlagen für
die Vorortelinie wurden der Firma Stefan
von Götz & Söhne, jene der übrigen Li-
nien der Firma Siemens & Halske über-
tragen. Die Ausführung der motorischen
Anlage der Wasserstation in Heiligen-
stadt sammt den Druck- und Sauglei-
tungen erfolgte durch die Firma J.
Friedländer in Wien, die Liefe-
rung und Legung der Krahnleitungen
in Hütteldorf und Heiligenstadt durch
die Firma Teudloff & Dittrich in
Wien.
Interessant ist, dass die Wochen-
und T a g 1 ö h n e der Arbeiter und Hand-
werker vom Jahre 1893 bis inclusive 1896
wesentliche Erhöhungen erfahren haben.
Für den zehnstündigen Arbeitstag wurden
folgende Löhne bezahlt:
Bei Polieren
> Aufsehern
aj Wochenlöhne:
im Jahre 1894: im Jahre 1896:
zwischen 16 und 35 fl. 20 und 35 fl.
» 14 > 18 > 16 » 35 »
b)
Für Maurer:
Bei Ziegelmauerwerk zwischen
» Bruchsteinmauerwerk »
Für Steinmetze
» Zimmerleute
» Gerüster >
» Erdarbeiter
» Mineure >
» Handlanger :
Bei Ziegelmauerwerk »
» Bruchsteinmauerwerk
Für erwachsene Frauenspersonen
Die Ursache dieses bedeutenden
Ansteigens der Lohnpreise ist ledig-
lich in dem Umstände zu suchen,
dass gleichzeitig mit den Bauarbei-
ten für die Stadtbahn andere sehr
umfangreiche bauliche Anlagen in
Wien ausgeführt wurden, und dass
erst nach und nach Arbeitskräfte in
erforderlicher Zahl herangezogen werden
konnten.
Taglöhne:
im Jahre
1894
im Jahre
1896:
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Trotz dieser schwierigen Verhältnisse
haben aber sämmtliche mit den Arbeiten
an der Stadtbahn betrauten Unterneh-
mungen die ihnen übertragenen Aufgaben
anstandslos durchgeführt und dadurch
den Beweis geliefert, dass Oesterreich und
speciell Wien über eine grosse Anzahl von
Unternehmungen verfügt, welche auch
den schwierigsten Aufgaben vollkommen
gewachsen sind.
Die Wiener Stadtbahn.
461
Betriebsprogramm.
Der Umstand, dass es nicht möglich
war, sämmtliche Stadtbahnlinien gleich-
zeitig zu eröffnen, hatte zur Folge, dass
das für den Stadtbahn - Verkehr ur-
sprünglich in Aussicht genommene Be-
triebsprogramm auf den dem Verkehr
übergebenen Linien nicht sofort zur Aus-
führung gelangen konnte.
Die Grundzügedes gegenwärtigen, zwi-
schen der betriebführenden Staatsbahn-
Verwaltung und der Commission für
Verkehrsanlagen vereinbarten Betriebs-
planes sind folgende:
1. Auf der Vorortelinie wird in der |
Zeit von 5 Uhr Früh bis 1 1 Uhr Abends
durchschnittlich jede Stunde ein Zug
mit Personenbeförderung verkehren.
2. Auf der oberen Wienthal- und
Gürtellinie werden Personenzüge in der
Zeit von 5 Uhr Früh bis 1 1 Uhr Abends
mit Intervallen, welche nach dem Fre-
quenz-Bedürfnisse abgestuft sind [vorläu-
fig 15 bis 30 Minuten] verkehren und
nach Bedarf weitere Züge eingeschaltet
werden, was insbesondere für die Sonn-
und Feiertage in Aussicht genommen ist.
Hiedurch kann die mit 102 angenommene
Tagesleistung bis auf 130 Züge gestei-
gert werden. Erst nach Eröffnung der
unteren Wienthal- und Donaucanallinie
wird auf dem ganzen Stadtbahnnetze der
volle Stadtbahn - Verkehr zur Durch-
führung gelangen und sollen selbstver-
ständlich die Erfahrungen, welche im
Laufe des ersten Betriebsjahres gesam-
melt werden, bei endgiltiger Aufstellung
des Betriebsplanes für das ganze Stadt-
bahnnetz Berücksichtigung finden. Es ist
aber sehr wahrscheinlich, dass diese Er-
fahrungen keinen Anlass geben werden,
das Princip, auf dem das vorgesehene
Betriebsprogramm aufgebaut ist und nach
welchem der Stadtbahn- Verkehr sich nicht
auf die Stadtbahnlinien allein, sondern
auch auf die anschliessenden Local-
strecken der Linien Wien-Salzburg und
Wien-Eger erstrecken soll, wesentlich zu
ändern.
Dieses nachstehend auszugsweise mit-
getheilte Betriebsprogramm bezieht sich
daher nicht nur auf die beschriebenen
Stadtbahnlinien, sondern auch auf die
Strecken Hütteldorf-Neulengbach und
Heiligenstadt-Tulln der k. k. Staatsbahnen.
Die in den Stadtbahnbetrieb einbezogenen
Linien sind daher folgende :
a) Stadtbahnlinien:
Localbahnen. Länge
Wienthallinie mit den Strecken :
Hütteldorf-Hauptzollamt . 11 '441 km
Hauptzollamt-Praterstern . 1*290 »
Donaucanallinie : Hauptzoll-
amt-Heiligenstadt . . 5'07i »
Hauptbahnen.
Gürtellinie: Heiligenstadt-
Meidling-Hauptstrasse . 8^422 »
Vorortelinie: Heiligenstadt-
Penzing 9'5I5 >>
b) Anschlusslinien:
Hütteldorf-Neulengbach . . 32-100
Heiligenstadt-Tulln [Absdorf-
Hippersdorf] 30^200
98*039 km
Wie sich aus nachstehendem Pro-
gramme ergibt, ist für die einzelnen
Stadtbahnstrecken eine andere, möglichst
einfache Bezeichnung eingeführt worden,
und sollen diese Bezeichnungen in Hin-
kunft nicht nur im internen Dienste,
sondern auch zur leichteren Uebersicht
und Bequemlichkeit für das Publicum
dienen. Die neuen Bezeichnungen lauten :
Obere Wienthallinie, Strecke :
Hütteldorf-Meidling-Hauptstrasse.
Untere Wienthallinie, Strecke :
Meidling-Hauptstrasse-Hauptzollamt.
Quai li nie, Strecke: Hauptzollamt-
Heiligenstadt.
Gürtellinie, Strecke : Meidling-
Hauptstrasse-Heiligenstadt.
Vorortelinie, Strecke : Heiligen-
stadt-Penzing, beziehungsweise Hüttel-
dorf.
Nordringlinie, Strecke: Hauptzoll-
amt-Praterstern-Heiligenstadt ; vorläufig
462
Hugo Koestler.
bis zum Ausbau der Donaustadtbahn
als Praterlinie bezeichnet.
Südringlinie [im Betriebe der Süd-
bahn], Strecke: Hauptzollamt- Meidling-
Hütteldorf.
Friedhoflinie [im Betriebe der
Eisenbahn Wien- Aspang], Strecke : Haupt-
zollamt-Aspangbahn-Schwechat.
Als Anfangs-, beziehungsweise End-
punkte des Stadtbahn -Verkehres, in
welchen Zugseinleitungen und Zugs-
auflösungen stattfinden, sind folgende
Stationen, beziehungsweise Haltestellen
bestimmt, und zwar :
1. Für den Sommerfrischen-
Verkehr.
a) auf der Westbahnlinie der k. k.
Staatsbahnen: Neulengbach, Rekawinkel,
Purkersdorf;
b) auf der Franz Josef-Bahn der
k. k. Staatsbahnen: Tulln, St. Andrä-
Wördern, Kritzendorf, Klosterneuburg.
2. Für den äusseren Stadtbahn-
Verkehr:
Hütteldorf und Heiligenstadt.
3. Für den inneren Stadtbahn-
Ve r k e h r :
Meidling - Hauptstrasse, Brigitta-
brücke, Praterstern.
Es werden in Verbindung damit
folgende directe Zugsverkehre, und zwar
in beiden Richtungen, bestehen :
a) Von Hütteldorf oder den vorgelegenen
Westbahnstationen :
[Route 1] über die obere und
untere Wienthallinie entweder
1 a) via Quailinie nach Heiligenstadt
oder darüber hinaus, oder
I ß) nach der Praterlinie [Nordring].
b) Von Hütteldorf oder den vorge-
legenen Westbahnstationen :
[Route 2] über die obere Wien-
thallinie, Gürtellinie und Heiligen-
stadt.
c) Von Heiligenstadt:
[Route 3] über Penzing mit
Peagirung der westlichen
Staatsbahnlinie einerseits nach
Hütteldorf, andererseits nach
St. Veit, Meidling [Südring]
oder Klein-Schwechat.
d) Im Peage -Verkehre:
[Route 4] von j ( 4 et) Quailinie
Meidling, via Haupt- [Brigitta-
eventuell von / Zollamt \ Brücke]
Schwechat nach I 4 ß) Praterlinie
E. W. A. J l [Nordring]
Die vorbezeichneten Zugsverkehre ad
a) und b) werden mit Rücksicht auf die
nothwendige Verminderung der Zugs-
dichte in jenen Strecken der Stadtbahn,
welche keine so lebhafte Frequenz ge-
wärtigen lassen, zum Theile ihren End-
punkt schon in der Haltestelle Brigitta-
brücke für die Richtung Quailinie-Heili-
genstadt und in der Haltestelle Meidling-
Hauptstrasse für die Gürtel- und untere
Wienthallinie erhalten, beziehungsweise
; in der Gegenrichtung von dort ausgehen.
Der Zugs verkehr ad c) und d) ist ein
einfacher Pendelverkehr, welcher mit dem
übrigen Stadtbahn -Verkehre in keinem
directen Zusammenhange steht.
Die Züge des Vororte verkehres werden
jedoch späterhin in Penzing auch An-
schluss an die bestehenden Personenzüge
vom Westbahnhof bis Schwechat [Kaiser-
ebersdorf], und in St. Veit, beziehungs-
weise Meidling Anschluss an die Züge der
Dampftramway, beziehungsweise der Süd-
bahn, ferner die über den Südring [ad dj]
fahrenden Züge im Hauptzollamte an die
von der Stadtbahn geführten Züge finden
können.
Insolange die Dampftramway St. Veit-
Mödling in ihrer dermaligen Ausführung
besteht, erfolgt bei den Zügen der
Route 1 und 2 für die Fortsetzung der
Fahrt gegen Mödling ein Umsteigen in
Hietzing.
Sobald die Dampftramway als Voll-
bahn ausgebaut ist, wird ein Theil der
Züge der unteren Wienthallinie, in den
Routen I und 2, welche derzeit ihren Aus-
gangspunkt oder Endpunkt in der Halte-
stelle Lobko witz-Brücke haben, über die Ab-
Die Wiener Stadtbahn.
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Hugo Koestler.
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zweigung von der Wienthallinie bei
St. Veit nach Mödling fortgesetzt werden.
Da in den Concessions-Bedingnissen
der Wiener Stadtbahnlinien eine Bestim-
mung über die Ausführung von Leichen-
transporten enthalten, somit auch ande-
rerseits ein Personenverkehr zum Central-
friedhof in Aussicht genommen ist, wird
ein directer Zugsverkehr von den Stadt-
bahnlirrien [Quailinie und Praterlinie
(Nordring)] nach dem Centralfriedhofe,
beziehungsweise Schwechat vorgesehen
werden. Dieser directe Zugsverkehr wird
durch die Fortsetzung der Züge der
Aspangstrecke [Schwechat- Wien E. W. A.]
über Hauptzollamt bis Brigittabrücke oder
Praterstern und vice versa, soweit diese
Bahnverwaltung hiefür ein Bedürfnis er-
kennt, mit den Fahrbetriebsmitteln der
Eisenbahn Wien-Aspang und deren Per-
sonal erreicht werden.
Durch das Ineinandergreifen der voran-
geführten verschiedenen Zugsverkehre
wird sich die Möglichkeit bieten, auch
in jenen Relationen, in welchen ein
directer Verkehr überhaupt nicht oder nur
in grösseren Zeitintervallen durchführbar
ist, durch Umsteigen in möglichst kurzer
Zeit von und zu einem beliebigen
Punkte dieses Bahnnetzes eine Verbin-
dung zu finden.
Die Ueberleitung von Fernzügen auf
die Stadtbahnlinien ist mit Rücksicht auf
die bereits durch den Localverkehr erfor-
derlich gewordene intensive Ausnützung
dieser Linien, abgesehen von Schwierig-
keiten, welche diese Ueberleitung wegen
der verzehrungssteueramtlichen Behand-
lung in den Einbruchstationen und wegen
des Gepäcksverkehres haben würde, vor-
erst nicht in Aussicht genommen.
Der auf den Stadtbahnlinien exclusive
der Vorortelinie durchzuführende Güter-
und Approvisionirungs- Verkehr wird des
Nachts abgewickelt ; nur auf der Vororte-
linie wird derselbe gleichzeitig mit oder
neben dem Personenverkehre durchgeführt
werden.
Die Tabelle auf Seite 464 zeigt die
in Aussicht genommene Vertheilung
der Züge auf die einzelnen Tagesstunden.
Der Minimalverkehr findet in der Zeit
von 9 Uhr Früh bis 4 Uhr, beziehungs-
weise auf der Gürtellinie bis 5 Uhr, auf
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
der Praterlinie bis 3 Uhr Nachmittags
statt. Dieser Minimalverkehr, welcher
drei bis sechs Züge in der Stunde
umfasst, erfährt gegen die Morgen- und
Nachmittags-, beziehungsweise Abend-
stunden mit Rücksicht auf den Verkehr
aus und in die Sommerfrischen eine ent-
sprechende Verdichtung, welche je nach
der Jahreszeit verschieden ist und dem
jeweiligen Verkehre anzupassen sein wird.
Der Maximalverkehr umfasst zehn
Züge in der Stunde und wickelt sich
daher in Intervallen von sechs Minuten
ab. Nach 8 Uhr Abends nimmt der Ver-
kehr allmählich ab, mit Ausnahme auf
der Praterlinie. Gegen 1 1 Uhr Abends
laufen die letzten Züge von den Aus-
gangspunkten aus und es findet noch
zwischen 11 und 12 Uhr Nachts der
nöthige Wagenzugs- und Maschinen-
austausch statt, welcher jedoch nicht
als Leerverkehr gedacht ist, sondern vom
Publicum ausgenützt werden soll. Ins-
gesammt sollen im normalen Wochen-
tagsverkehr auf der Wienthallinie 510,
auf der Quailinie 270, auf der Gürtellinie
190, auf der Nordringlinie 120, auf der
Vorortelinie 40 Züge — beide Richtungen
zusammengenommen — verkehren.
Eine sehr bedeutende Verstärkung er-
erfährt selbstverständlich der Sonn- und
Feiertagsverkehr, indem nebst den fahr-
planmässigen Zügen bei günstiger Witte-
rung auch noch Erforderniszüge einge-
schoben werden. An Sonntagen wird in
erster Reihe dem Verkehre nach den Som-
merfrischen Rechnung getragen, während
der interne Stadtverkehr mehr zurück-
treten wird. Es sollen an Sonntagen
die folgenden Maximal-Zugsdichten gel-
ten : Auf der oberen Wienthallinie 20
Züge, auf der unteren Wienthallinie 15
Züge, auf der Quailinie 10 Züge, auf
der Praterlinie 10 Züge, auf der Gürtel-
linie 5 Züge in der Stunde.
Die Stadtbahnzüge bestehen aus je
acht Wagen III. Classe und zwei Wagen
IL Classe ; Wagen I. Classe werden also
nicht geführt und demgemäss wurde
diese Wagenclasse auch in den Local-
strecken der Staatsbahnen aufgelassen.
Die Wiener Stadtbahn bildet vorläufig
die letzte grossartige Bauanlage, welche
das österreichische Eisenbahnwesen auf-
30
466
Hugo Koestler.
zuweisen hat. In der Periode, mit der
unsere historischen Betrachtungen enden,
bildet dieser Bau einen würdigen Ab-
schluss. Würdig reiht er sich den Monu-
mental-Bauten an, welche die österreichi-
sche Eisenbahntechnik aufzuweisen, hat.
In ihrer Vollendung wird die Wiener
Stadtbahn ein unvergängliches Denkmal
sein der Fürsorge eines gütigen Mon-
archen, der sie schaffen Hess, zum Nutzen
seiner Reichshauptstadt, zum Wohle der
Bevölkerung, ja des ganzen Reiches, das
aus der immer weiterschreitenden Ver-
vollkommnung der Verkehrsmittel direct
und indirect bedeutende wirthschaftliche
Vortheile erlangt.
Das Localbahnwesen in Oesterreich.
Von
kais. Rath P. F. Kupka.
Das Localbahnwesen
in Österreich.
Gleichwie die Schlagadern und
Haargefässe zur Ernährung des
menschlichen Körpers dienen, so
sind die Haupt- und Nebenstrassen eines
Landes die lebenspendenden Arterien der
Volkswirthschaft.
Die eigentlichen Hochwege des Ver-
kehrs bilden die Eisenstrassen, von der
grossen leistungsfähigen Hauptlinie herab
bis zur anspruchslosen Schmalspurbahn,
die, in die eigentlichen Werkstätten der
Erzeugung eindringend, neues Leben im
entlegenen Gebirgsthal schafft und dieses
in den Weltverkehr einschaltet.
Der Staat und der private Unter-
nehmungsgeist richteten naturgemäss zu-
erst ihr Augenmerk auf den Ausbau der
Hauptbahnen, also der verkehrspolitisch
und wirthschaftlich wichtigsten Linien,
die auch gleichzeitig die rentabelsten
waren ; nach der Anlage des Hauptnetzes
wendete man sich den Nebenbahnen als
Verbindungen oder Zubringern der Haupt-
linien zu und knüpfte damit die Maschen
des Netzes enger.
Einen Markstein unserer anfänglichen
Eisenbahn-Periode bildet der Bau der
Linz-Budweiser Bahn, die Gerstner
als eine Linie von grösster handels-
politischer Bedeutung auszugestalten be-
absichtigte; um ihr »eine wahrhaft ewige
Dauer zu versprechen« sollte sie auf
» massiven Mauern« geführt und mit
Höchststeigungen von I : 20 und kleinsten
Krümmungshalbmessern von 600 Fuss
[190 m] angelegt werden. Die be-
deutenden, für die Gesellschaft un-
erschwinglichen Kostenüberschreitungen
veranlassten Schönerer, aus Ersparungs-
rücksichten eine gründliche Aenderung
der ganzen Bauanlage vorzuschlagen
und auszuführen. Die Errichtung ge-
mauerter Dämme wurde aufgegeben,
die zulässigen Steigungen mit I : 46
und die Krümmungen mit 60 Fuss
[19 m] festgesetzt, was allerdings gleich-
bedeutend war mit einem Verzicht auf
den Dampfbetrieb.
Die Linz - Budweiser Bahn wurde
sonach, wenn man will, die erste
Secundärbahn Oesterreichs und gleich-
zeitig auch des ganzen Continents.
Ein anderes frühzeitiges Beispiel einer
mit Dampf betriebenen Schmalspurbahn
ist die 1855 umgebaute Lambach-
Gmundener Bahn, die freilich nicht
im Stande war, die Zuneigung des reisen-
den Publicums zu gewinnen, woran aber
keineswegs das System, sondern die
äusserst zeitraubende und umständliche
Betriebsführung die Schuld trugen.
Politische sowie ungünstige finanzielle
Verhältnisse griffen wiederholt störend
ein, so dass die Entwicklung der öster-
reichischen Schienenwege nicht den ge-
wünschten Fortschritt aufwies und der
Staat seine ganze Kraft dem Bau der
noch fehlenden Hauptlinien zu widmen
sich veranlasst fand.
In der Mitte der Sechziger -Jahre
wurden verschiedene Stimmen laut, welche
die Anlage von Nebenbahnen forderten, die
47Q
P. F. Kupka.
entweder von bereits bestehenden Linien
abzweigen, oder diese untereinander ver-
binden, endlich in Gegenden führen
sollten, deren Bodenwirthschaft, Industrie
und Handel ohne Anschluss an die Haupt-
verkehrsadern nicht gedeihen und blühen
konnten. Eine Schrift empfahl damals eine
gewisse Ärbeitstheilung, wobei der Staats-
verwaltung die Sorge für die Hauptlinien
zu übertragen, der Privat-Unternehmung
dagegen der Bau von Nebenlinien anheim-
zustellen sei. Eine andere Stimme be-
schäftigte sich schon eingehend mit der
Frage, ob Staat, Land oder Gemeinde
eigentlich zum Bau von Nebenlinien oder
zur Beitrag-
leistung ver-
pflichtet, dann
wie die Geld-
beschaffung
auf die ver-
schiedenen
Interessenten
aufzutheilen,
endlich, in
welcher Form
der Bau und
Betrieb zu re-
geln wäre.
Doch blieben
Abb. 190. Seebenstein.
diese Stimmen noch ziemlich lange blos
rein akademische Erörterungen.
Die grosse Bedeutung der Neben-
bahnen behufs Pflege des örtlichen Ver-
kehrs wurde allenthalben anerkannt, und
es machte sich auch überall das Be-
streben geltend, die Bedingungen für das
Zustandekommen solcher Bahnen grund-
sätzlich festzulegen ; man war sich be-
wusst, dass hier, wo es sich nicht darum
handeln konnte, aus dem Baucapital
Gewinn zu ziehen, sondern wobei Haupt-
zweck war, das Bedürfnis der Auf-
schliessung einer Gegend zu befriedigen,
vielleicht sogar diesem Bedürfnis vor-
anzueilen, die gegebenen Bedingungen
und Verhältnisse eben ganz anders lagen.
Ueber Ziel und Zweck herrschte
Klarheit, nicht aber über die Mittel und
Wege jene zu erfassen und zu erreichen.
Schon die unterschiedlichen schwan-
kenden Bezeichnungen, wie Local-, Neben-,
Secundär-, Vicinal-, örtliche Bahnen,
Bahnen niederer oder minderer Ordnung,
von untergeordneter Bedeutung u. dgl.
erzeugten eine gewisse Unsicherheit, da
das Wort einen feststehenden Begriff
nicht umschloss. Schon etwas einschrän-
kender war die Bezeichnung Schmalspur-
bahnen, für welche deren Vertheidiger
mit aller Macht kämpften.
Die Frage der Spurweite war es
also, die, gleichwie schon einmal in der
Mitte der Vierziger-Jahre, abermals die
technische Welt dauernd in Athem hielt,
wieder vielumstritten auf der Bildfläche
erschien und eine ganze Literatur zeitigte.
Der einzige Unterschied war nur, dass
es sich damals um eine, gegenüber
der Vollspur
[1-435 w] »er-
weiterte«,
jetzt aber um
eine »abge-
minderte«
Spur handelte.
In O ester-
reich stand
der General-
Director des
österreichi-
schen Eisen-
bahnwesens
[Eisenbahn Wien-Aspang.j -^ v N Ö r d-
1 i n g an der Spitze der Vertheidiger der
Schmalspur, während Hofrath M. M. v.
Weber die Fahne der Vollspur auf-
pflanzte.
Die Anhänger der Schmalspur führten
unter Anderem aus, ihre grossen Vortheile
beständen in der Möglichkeit scharfer
Krümmungen, grösserer Steigungen, Ver-
wendung leichter Schienen und Fahrzeuge,
bequemerer Umgehung der Boden-
schwierigkeiten ; es sei damit eine wohl-
feilere Herstellung erreichbar, d. h. es
wäre ein geringeres Anlage-Capital und
eine bescheidenere Rente zulässig, und
die Schmalspurbahn eigne sich besonders
für Gegenden, die sonst noch lange eines
Schienenweges entbehren müssten.
Sie wiesen mit grosser Genugthuung
auf die 7 km lange Oldenburg'sche
Secundärbahn [075 cm Spurweite] Ocholt-
Westerstede hin, die unter den kärg-
lichsten Verkehrsverhältnissen bei einer
kilometrischen Einnahme von nur
2487 Mark eine 5%ige Verzinsung des
Localbahnwesen.
471
aufgewendeten Capitals abwerfe. Sie be-
riefen sich auf die 19 km lange Bröhl-
thalbahn [Rheinpreussen] mit 0-785 cm
Spurweite, die erste, bei deren Anlage
schon die Hochstrasse in umfassender
Weise mitbenutzt wurde und die ihr
Anlage-Capital mit 5'75°/0 verzinse.
Die Hauptrolle spielte aber immer
wieder die Festiniogbahn von 22-8 km
Länge und 50/5 cm Spurweite, welches
»Kinderspielzeug« Herrn v. Nördling nach
seinen eigenen Worten mit grössterUeber-
[16.300 fl.] und der Staatseisenbahn-
Gesellschaft [18.200 fl.] übertroffen.
Aber auch die 1879 eröffnete Bosna-
bahn wurde als classisches Beispiel an-
geführt.
Die Verfechter der Vollspur erklärten
dagegen die Leistungsfähigkeit der Voll-
bahnen als eine unvergleichlich grössere ;
der Uebergang des Fahrparkes von der
Hauptlinie sei thunlich, wodurch das
zeitraubende und kostspielige Umladen
entfalle; bei einer späteren Verlängerung
Abb. 200. Station Aspang. [Eisenbahn Wien-Aspang.]
raschung und Staunen erfüllte; 1832 als
Pferdebahn gebaut, wurde diese Bahn
erst vom Jahre 1876 ab mit Locomotiven
betrieben und gleichzeitig die Personen-
beförderung, anfänglich unentgeltlich, ein-
geführt; ihre Züge verkehrten mit einer
Geschwindigkeit von 50 km. Die kilo-
metrischen Einnahmen, welche eine
i2-5°/0ige Verzinsung ergaben, stellten
sich im Jahre 1880 auf 13.600 fl., das
war dreizehn Mal so viel, als auf den
Dalmatiner und Istrianer Staatsbahnen,
sechs Mal so viel, als auf der Tarnöw-
Leluchöwer, mehr als auf der Franz
Josef- und Nordwestbahn, und dieses Er-
gebnis wurde damals nur von der Südbahn
und Mündung in eine Hauptbahn sei ein
Uebergangs- und Durchgangsverkehr er-
möglicht. Hartwich [Deutschland]
führte aus, dass die überaus gering-
fügigen Ersparnisse bei der Schmalspur
durch die Nachtheile der Betriebser-
schwernisse und Betriebsstörungen weit-
aus aufgewogen würden. Leichte Voll-
spurbahnen könnten, wenn nöthig, später
ohne besondere Schwierigkeit und ohne
Betriebsstörung mit massigen Kosten
in leistungsfähige Vollbahnen umge-
wandelt werden, was bei schmalspu-
rigen nicht der Fall sei ; diese hätten
auch nur in stark wechselndem Ge-
lände Berechtigung.
472
P. F. Kupka.
v. Weber fragt unter Anderem, welche
Spurweite bei den vielen dazwischen liegen-
den Abstufungen von amerikanischen
Schmalspurbahnen mit l"245 tn bis zur
Festiniogbahn mit 50/5 cm denn das eigent-
liche Kriterium für eine Schmalspurbahn
bilde ? Die Schmalspurbahnen gestatteten
keine stärkeren Steigungen, denn diese
seien durch ein unabänderlichesNaturgesetz
begrenzt. Die Herstellungskosten verhielten
sich bei gleicher Bauausrüstung eben wie
die Spurweiten. Die Schmalspur gestatte
schärfere Krümmungen, und das sei der
Hauptfactor bei der Herabminderung der
Baukosten. Der Oberbau der Schmal-
spurbahn müsse desto stabiler sein, je
kleiner die Spur wäre ; aus demselben
Grunde sei die Unterhaltung des Ober-
baues theurer, wenn seine Leistung, das
heisst die darüber bewegten Mengen, in
Betracht kommen, desgleichen seien die
Betriebskosten im Verhältnis zur Trans-
portmenge und die Kosten der Zugkraft,
beziehungsweise der Nettolast, höhere,
überdies die Betriebssicherheit eine ge-
ringere.
Die Festiniogbahn arbeite unter ganz
aussergewöhnlichen Verhältnissen, ihr
ganzer Verkehr gehe zu Thal, ein Ver-
gleich sei daher nicht statthaft.
So wogte der Kampf für und wider.
Eine Lösung des Ueberganges von der
Schmal- auf die Vollspur scheint, freilich
erst in jüngerer Zeit, gefunden zu sein; die
widerstreitenden Ansichten haben sich
längst geklärt, die Gegensätze gemildert,
so dass heute Voll- und Schmalspur ihren
Platz angewiesen erhalten. Es ist hier
nicht der Ort, diese interessante Streit-
frage noch bis in ihre Details zu verfol-
gen, doch musste ihrer als wesentliches
Moment Erwähnung geschehen. In einem
Gutachten, das Hofrath v. Nördling als
bautechnischer Consulent im Handels-
ministerium über diese Frage abzugeben in
der Lage war, und das für unsere Zwecke
wichtig erscheint, wird unter Anderem
ausgeführt , dass die schmalspurigen
Bahnen »allein im Stande sind, das jetzt
an alle Staaten herantretende Problem
der Vicinalbahnen öconomisch zu lösen«.
Trotzdem spricht sich der Verfasser ent-
schieden gegen ihre Anwendung bei den
beabsichtigten Bahnen Istriens, Dalmatiens,
über den Arlberg u. s. w. aus. Er ist
aber bezüglich der im Salzkammergut
bereits concessionirten oder angestrebten
Linien der Ansicht, dass »die steilen und
zackigen Ufer des Traunsees dem Bau
einer ununterbrochenen normalspurigen
Bahn finanziell unübersteigliche Hinder-
nisse in den Weg legen. . . .« »Eine
schmalspurige Bahn mit Curven von
50 statt 250 m Halbmesser würde die
Schwierigkeiten des Traunsee-Ufers leicht
überwinden. . . .« »Aehnliches lässt sich
von der *Bahn anführen. Mit der nor-
malen Spur gehört diese Linie zu den
schwierigen Gebirgsbahnen, deren hohes
Anlage-Capital sich auch nicht rentiren
dürfte und die der garantirten * Bahn nur
auf Kosten des Staatsschatzes Concurrenz
machen könnte. Mit dem schon oben
erwähnten schmalspurigen Halbmesser
dagegen liessen sich technische Siege
erringen, die man zum Voraus kaum
auszusprechen wage.«
Bezüglich der Anwendung des Fairlie-
Systems [achträderige Doppellocomotive
für Krümmungen bis zu 15 m Halbmesser
mit einer 5O°/0igen Brennmaterial- Er-
sparnis] lautet das Gutachten weniger
bestimmt.
In Oesterreich hatte sich gegen Ende
der Sechziger-Jahre das Privatcapital
mit Vorliebe dem Eisenbahnbau zuge-
wendet. In dieser Periode des wirth-
schaftlichen Aufschwunges entstand eine
Reihe neu gegründeter Baugesellschaften,
welche eine grosse Zahl unreifer Projecte
verfassten, die zu jeder anderen Zeit das
Lächeln sowohl des Ingenieurs als auch
des Geldmannes hervorgerufen hätten.
Unter den vielen Goncessions-An-
suchen betraf eines der ernsteren Pro-
jecte die Anlage von »Localbahnen
in Wien«. Am 3. April 1873 brachte
die Regierung einen Gesetzentwurf, »be-
treffend Bedingungen und Zugeständnisse
für die Sicherstellung von den Local-
verkehr in Wien und Umgebung ver-
mittelnden Eisenbahnen« ein. Es sollten
behufs Verbindung sämmtlicher in Wien
mündender Eisenbahnen doppelgeleisige
Vollbahnen, im übrigen zumeist schmal-
spurige, mit einer dritten Schiene für die
Localbahnwesen.
473
Vollspur versehene Linien mit theilweisem
Locomotiv- und Pferdebetrieb ausgeführt
werden. Für den Bau eines Central-
bahnhofes war der Naschmarkt [Freihaus]
in Aussicht genommen.
Der Artikel I des Gesetzentwurfes er-
theilte der Regierung die Ermächtigung,
bei Concessionirung des Baues und Be-
triebes solcher Bahnen »die Steuer- und
Gebührenfreiheit im ganzen Umfange,
und zwar bezüglich der zeitlichen Be-
freiungen bis zur Maximaldauer von
höchstens 30 Jahren zuzugestehen«.
Auf verschiedene Anfragen wegen Er-
leichterungen bei Anlage von für den localen
Verkehr bestimmten Secundärbahnen er-
theilte das Handelsministerium unter
dem 19. April 1875 folgende Weisung:
» Wegübergänge im Niveau können bei
derlei Bahnen überall gestattet werden,
wo sie ohne wesentliche Verschlechterung
der Strassen und Wege ausführbar sind,
und auch gegen die Anlage solcher Bahnen
längs gewöhnlicher Fahrstrassen nach
Art der Tramway könne vom Sicherheits-
standpunkte aus im Allgemeinen keine
Abb. 201. Unter-Drauburg. [Vnter-Drauburg-Wolfsberg.]
[Nach einer photographischen Aufnahme von Alois Beer in Klagenfurt.]
Auch dieser Plan wurde ein Opfer
des finanziellen Zusammenbruches vom
Jahre 1873. Gleich einer Sturmfluth
schwemmte die wirthschaftliche Krise alle
guten und schlechten Projecte mit sich
fort und zerstörte jegliches, früher in über-
schwänglichem Masse entgegengebrachte
Vertrauen. Die Entwicklung des Eisen-
bahnnetzes stockte gänzlich, weshalb die
Regierung sich gezwungen sah, hier helfend
einzugreifen, indem sie dem Reichsrathe
verschiedene Projecte für Localbahnen
unterbreitete. Allmählich fasste auch das
Privatcapital wieder Vertrauen und so
entstanden mehrere auf Staatskosten
sowie von Privat-Unternehmungen erbaute
Linien, sogenannte Xothstandsbauten,
die eigentlich nicht als Localbahnen an-
gesehen werden können.
Einwendung gemacht werden. Weg-
übergangs-Schranken und Einfriedungen
sowie die Aufstellung von Wächterhäusern
sind hier nicht obligatorisch und nur dort
auszuführen, wo ganz besondere Umstände
dieselben nöthig machen. Die Stationen
sind in geringer Ausdehnung und mit
sehr öconomischer Hochbau-Anlage aus-
zuführen, und unterliegt es keinem An-
stände, bei industriellen Etablissements,
welche einen grösseren Frachtenumsatz
besitzen, Ladestellen in freier Bahn aus-
zuführen.«
Der Anlage von Secundärbahnen
gegenüber verhielten sich die Eisenbahn-
Gesellschaften im Allgemeinen ablehnend,
die meisten aus Besorgnis vor dem Wett-
bewerb, andere wegen ihrer eigenen
Finanzlage.
474
P. F. Kupka.
Abb. 202. Miesbrücke bei Unter-Drauburg. [Unter-Drauburg- Wolfsberg.]
[Nach einer photographischen Aufnahme von Alois Beer in Klagenfurt.]
Als sogenannte Localbahnen und
schon von vorneherein für den Secundär-
betrieb eingerichtet, wurden nach-
stehende Linien auf Grund von Sonder-
gesetzen gebaut :
Elbogener Localbahn, 5 km [Ge-
setz 28. März 1875].
Eisenbahn Bozen-Meran, 32 km
[Gesetz 11. März 1876].
Staatsbahn Erbersdorf- Würbe n-
thal, 21 km [Gesetz 12. März 1876].
Staatsbahn Mürzzuschlag- Neu-
berg, 11km [Gesetz 12. März 1876].
StaatsbahnUnter-Drauburg-Wolfs-
berg, 38 km [Gesetz 12. März 1876].
Staatsbahn Kriegsdorf- Römer-
stadt, 14 km [Gesetz 13. März 1876].
DalmatinerStaatsbahn, 105 km
[Gesetz 14. April 1877].
Donauuferbahn, 13-5 km [Gesetz
14. April 1877].
Wien-Aspang-Bahn, 80 km [Ge-
setz 8. Juli 1877].
Niederösterreichische Staats-
bahnen, ursprünglich als Niederöster-
reichische Südwestbahnen concessionirt
und durch Gesetz 5. Juli 1878 vom Staate
angekauft: Leobersdorf-Gutenstein, 33 km,
Pöchlarn - Kienberg - Gaming, 38 km,
Scheibmühl-Schrambach, 9 km [Gesetz
14. Mai 1874, 5. Juli 1878].
Eisenbahn Chodau-Neudeck, \\km
[Gesetz 1. Juni J879].
Eisenbahn Caslau-Zawratetz,
ig km [Gesetz i.Juni 1879].
Die Anlage dieser Bahnen war mit
Rücksicht auf den Zweck eine zu kost-
spielige ; so kostete beispielsweise das
Kilometer Bahn bei Wolfsberg - Unter-
Drauburg 54.000 fl., bei Mürzzuschlag-
Neuberg 58.000 fl. und bei Erbersdorf-
Würbenthal gar 80.000 fl. Die Einnahmen
standen damit auch in keinem Ver-
hältnisse.
Gleichzeitig stellte sich das praktische
Bedürfnis heraus, einigen schon im Be-
triebe befindlichen Bahnen auf einzelnen
Flügelstrecken die Einführung des S e -
cundärbetriebes zu gestatten. Die
Genehmigung wurde regierungsseitig unter
der Bedingung ertheilt, dass die fest-
gesetzten ermässigten Geschwindigkeiten
auch eingehalten würden. Damit wurde
ein doppelter Zweck verbunden, und zwar
eine namhafte Ersparnis für den gewähr-
leistenden Staat, andererseits die Prüfung,
wie weit mit den Erleichterungen beim
Secundärbetrieb gegangen werden könne.
In allen diesen Fällen blieben jedoch die
concessionsmässigen Verpflichtungen der
Bahngesellschaften im vollen Umfange
aufrecht.
So wurde der Secundärbetrieb bei der
Buschtöhrader Bahn auf fünf, bei der Kron-
prinz Rudolf- und Nordwestbahn auf je
vier Strecken, bei der Aussig -Teplitzer,
Kaiserin Elisabeth-, Prag - Duxer und
Süd-norddeutschen Verbindungsbahn auf
je einer Strecke eingeführt.
Aber auch Hauptbahnen erschien es
schon in den Siebziger-Jahren wünschens-
Localbahnwesen.
475
werfh, ihren örtlichen Personenverkehr
durch Secundärzüge besorgen zu lassen ;
das war unter Anderem bei der Kaiserin
Elisabeth-, Oesterreichischen Nordwest-,
Südbahn und Staatseisenbahn-Gesellschaft
der Fall.
Worin besteht eigentlich das Wesen
des Secundärbetriebes ? Einfach in der
Ersparnis bei den Bau- und Betriebs-
kosten — das ist natürlich nur bei neu
angelegten, nicht aber bei schon be-
stehenden Bahnen der Fall — infolge
In Deutschland war es Bayern,
das zuerst der Anlage von Vicinalbahnen
Rechnung trug.
Das Gesetz vom 29. April 1869 be-
trifft »die Ausdehnung und Vervoll-
ständigung der bayerischen Staatsbahnen,
dann die Erbauung von Vicinalbahnen«,
das sind »Bahnverbindungen von localer
Wichtigkeit, die vom Staate oder Privat-
Unternehmungen hergestellt werden ; sie
sollen nur unter der Voraussetzung Aus-
sicht auf Unterstützung haben, wenn für
Abb. 203. Lavantbrücke bei Kollnitz. [Unter-Drauburg- Wolfsberg.]
[Nach einer photographiscben Aufnahme von Alois Beer in Klagenfurt/
der ermässigten Fahrgeschwindigkeit ;
eine allgemein giltige gesetzliche Fest-
stellung dieser Geschwindigkeit erschien
für die Praxis als unzulässig und hemmend ;
als man einsah, dass die gewöhnlich mit
12 — 15 km bemessene Fahrgeschwindig-
keit nur eine gänzlich ungenügende Aus-
nützung des Personals und des Roll-
materials gestatte, erhöhte sie die Regierung
in den einzelnen Fällen und ging bis zu
30 km.
Eine Lösung der Localbahn - Frage
war das allerdings nicht.
Das stetig zunehmende Bedürfnis nach
Localbahnen und der Einlauf zahlreicher
Projecte drängte die Regierung zur Er-
lassung eines Localbahn-Gesetzes.
Werfen wir nun einen flüchtigen
Blick auf andere Länder, die um jene
Zeit mit der Lösung der gleichen Frage
sich beschäftigten.
dieselben die Grunderwerbung und die
Herstellung der Erdarbeiten ohne In-
anspruchnahme von Staatsfonds gesichert
ist«; ferner heisst es: »Was die Ver-
zinsung des von Gemeinden oder anderen
Interessenten zugeschossenen Capitals
betrifft, so ist in der Regel gesetzlich
festzustellen und mit den Interessenten
zu vereinbaren, dass erst dann, wenn die
Roheinnahmen aus dem Transport das
dreifache der 41/2°/o'Sen Zinsen des aus
Staatsmitteln bestrittenen Aufwandes über-
steigen, aus dem Ueberschuss eine Ver-
zinsung und Amortisation des für die
Grunderwerbung und Erdarbeiten auf-
gewendeten Capitals bis zu 5% gewährt
werden kann, beziehungsweise gewährt
wird.«
Zu diesem Zwecke wurde ein be-
sonderer Baufonds aus den Erträgnissen
der Staatsbahnen gebildet.
476
P. F. Kupka.
Auf Grund dieser allgemeinen Be-
stimmungen und durch Sondergesetze
kamen bis 1876 14 Vicinalbahnen von
1 67 km Länge zur Ausführung.
Die sieben vom Staate betriebenen voll-
spurigen Vicinalbahnen von 71*1 km Länge
mit 1 : 70 Höchststeigungen, 200 m Krüm-
mungshalbmesser und 27-2 kg Schienen-
gewicht verursachten einen Kostenaufwand
von 5,985.000 .Mark, hierunter allein für
Gründe 1,052.000 Mark, oder 84.200 Mark
für das Kilometer ; sie wurden nahezu
gleich den Hauptlinien ausgestattet und,
mit Ausnahme zweier, durch deren schwere
Locomotiven betrieben ; sie unterschieden
sich von den Hauptbahnen eben nur
dadurch, dass sie fast keinen Verkehr
hatten und dementsprechend waren auch
die Ergebnisse. Nur zwei der Vicinal-
bahnen deckten ihre Betriebsauslagen,
ohne jedoch dem Staate oder den Ge-
meinden irgend welche Rente abzuwerfen,
die übrigen waren gänzlich passiv.
Unter solchen Verhältnissen war
eine Neuregelung des Vicinalbahnwesens
dringend geboten.
Das neue Gesetz vom 28. April 1882
Hess denLocalbahn-Interessenten die Wahl,
entweder auf ihre Ansprüche bezüglich
der Ueberschüsse gegen Rückerstattung
des Aufwandes für die Erdarbeiten Ver-
zicht zu leisten, oder sich mit der Hälfte
zu begnügen und ein neues Ueberein-
kommen mit der Regierimg wegen Ver-
theilung des Ueberschusses zu treffen.
Das Gesetz bestimmte weiters, dass der
Staat Localbahnen nur dann zur Aus-
führung bringe, wenn die Interessenten
mindestens den Grund unentgeltlich bei-
stellten, sowie dass bei entsprechenden
Leistungen seitens der Interessenten nicht
rückzahlbare Staatszuschüsse an Privat-
Unternehmungen zulässig seien.
Auch Baden schuf bereits 1869 ein
Gesetz, betreffend Local-, Zweig- und
Verbindungsbahnen, demzufolge Staats-
beiträge in Aussicht gestellt wurden, wenn
die Betheiligten mindestens die Kosten
für den Grunderwerb und die Erdarbeiten
übernähmen.
In Sachsen gestand die Regierung
die thunlichsten Verkehrserleichterungen
zu behufs Förderung von Localbahnen,
welche die entlegensten Gegenden bequem
erreichbar machen, als Verbindungslinien
dienen, die Hauptbahnen befruchten und
ihnen hie und da die Last des Orts-
verkehrs abnehmen sollten.
Diesem Lande gebührt unstreitig das
Verdienst, die Schmalspur in Deutschland
volksthümlich gemacht zu haben. Im
Januar 1876 und im October 1877 legte
die Regierung die Gründe dar, welche
für die vorteilhafte Anwendung der
Schmalspur sprachen und brachte mehrere
Staatsbahnlinien in Vorschlag. Trotzdem
erfolgte wegen der bedeutenden Vorein-
genommenheit die Ablehnung der Vor-
lage, deren Annahme erst 1879 erlangt
werden konnte.
In Preussen reifte erst allmählich
die Localbahnfrage der Entscheidung
entgegen. Am 10. Mai 1877 erliess das
Ministerium der öffentlichen Arbeiten
eine »Sicherheitsordnung für normalspu-
rige Eisenbahnen Preussens«, bei denen
vermöge ihrer untergeordneten Bedeutung
Abweichungen von den Bestimmungen
der bestehenden Eisenbahn-Verordnungen
für zulässig erachtet würden; der Staat
wollte sich jedoch hiebei weder selbst
betheiligen, noch auch den Selbstver-
waltungskörpern die Sorge für die Local-
bahnen überlassen. Auf eine Anfrage
im Abgeordnetenhause erklärte Minister
v. A c h e n b a c h, dass er sich für das
Gedeihen der Localbahnen lebhaft inter-
essire, doch habe das Publicum noch nicht
genügend begriffen, »dass auf solchen
Bahnen der complicirte Personenbetrieb
dem einfacheren Güterbetrieb nachstehen
müsse«. Obzwar schon früher der west-
preussische Landtag sowie die Provinzial-
Landtage von Posen und Westfalen,
später die Provinzial- Ausschüsse von
Schlesien und Schleswig-Holstein gegen
die Secundärbahnen sich ausgesprochen
hatten, und zwar aus dem Grunde, weil
Begriff und Rechtszustand der Secundär-
bahnen gesetzlich noch nicht bestimmt
seien, weil der Staat selbst zur Frage der
finanziellen Beihilfe noch keine Stellung
genommen habe und es fraglich sei, ob
die den Provinzen überwiesenen Dis-
positionsfonds zur Erfüllung der Aufgabe
ausreichten, wies das preussische Handels-
ministerium die Eisenbahn-Gesellschaften
an, Vorarbeiten für Secundärbahnen ein-
Loealbalmwesen.
477
zuleiten. Erst mit dem Beginne der Ver-
staatlichungs - Action der Hauptbahnen
[1879] wurde den Localbahnen eine wohl-
wollendere Behandlung zutheil.
Am 30. October 1879 legte die Regie-
rung dem Landtage einen Gesetzentwurf
vor behufs Bewilligung der Mittel, theils
für die Herstellung einer Reihe von
Bahnen minderer Ordnung, theils für die
Betheiligung von Privat-Unternehmungen,
welche wirthschaftliche Nebenbahnen im
eigentlichen Sinne des Wortes seien und
auch technisch als solche angelegt und
betrieben werden sollten.
Zufolge einer Denkschrift zum Gesetz-
entwurfe sollte der Staat auf die Herstel-
lung eines Netzes von Localbahnen in zwei-
facher Richtung hinwirken, undzwar durch
entsprechende Erleichterungen derjenigen
Normen, Bedingungen und Auflagen, an
welche die Eisenbahn - Unternehmungen
geknüpft sind, dann durch thatsächliche
Betheiligung am Bau solcher Bahnen.
Das könne geschehen entweder durch die
Herstellung auf Staatsrechnung, unter
Betheiligung der Ortsinteressenten, oder
durch finanzielle Unterstützung bei der
Ausführung durch dritte Personen.
Im
J
"N_~.
Abb. 204. Lavantbrücke bei Woltsberg. [Unter-Drauburg-Woifsberg.]
Dieser Gesetzentwurf fusste auf den
durch die technische Commission des
Vereines Deutscher Eisenbahn - Verwal-
tungen festgelegten »Grundzügen für die
Gestaltung der secundären Eisenbahnen«,
Hannover 1876. »Als Secundärbahnen
sind solche zu betrachten, an welche in
Beziehung auf Fahrgeschwindigkeit und
Bequemlichkeit geringere Ansprüche ge-
stellt werden und welche daher billiger
hergestellt und billiger betrieben werden
können, als die Hauptbahnen.«
Es wurden unterschieden Secundär-
bahnen, welche an die Hauptbahnen an-
schliessen :
I. Spur i"435 m, zulässige Geschwin-
digkeit 12 — 30 km.
II. Spur i'435 m, Fahrgeschwindigkeit
höchst 12 km.
III. Spur 1 m oder CV75 m.
Die Ortsinteressenten hätten dem
Staate mindestens den erforderlichen
Grund und Boden in natura oder durch
Ersatz der Beschaffungskosten zu über-
weisen ; bilde diese Forderung eine zu
hohe Belastung, so könne staatlicherseits
ein entsprechender, nach der Bahnlänge
zu bemessender Zuschuss zu den Grund-
erwerbskosten geleistet werden, vorkom-
mendenfalls auch neben der Gestellung
des Geländes noch ein unverzinslicher
nicht rückzahlbarer Bauvorschuss zu den
Baukosten gefordert werden.
Die Form der staatlichen Beihilfe
besteht dann entweder in der Betheiligung
am Actien-Betrage, in der Gewährung
von Darlehen unter billigen Bedingungen
oder Bürgschaftsleistung, in Prämien, durch
Uebernahme des Betriebes oder der Ver-
waltung, durch Mitbenützung staatlicher
478
P. F. Kupka.
Anlagen und Einrichtungen, Ueberweisung
von Areal und Material für den Bau
u. s. w. Eine gesetzliche Regelung der
für die Concessionirung und staatliche
Subventionirung der Secundärbahnen auf-
zustellenden Grundsätze erscheine der
Staatsverwaltung zur Zeit nicht rathsam
und eine Definition zu geben, sei sehr
schwer; deshalb müsse nach genauer
Untersuchung in jedem Einzelfalle ent-
schieden werden.
Eine zweite Denkschrift zum Gesetz-
entwurfe erläuterte die »Normal-Conces-
sions-Bedingungen« für die mit Vollspur
[Schmalspur blieb ausser Betracht] ange-
legten und für den Uebergangs- Verkehr
einzurichtenden Localbahnen. Für acht
von den neun zum Ausbau empfohlenen
Bahnen war die unentgeltliche Einräu-
mung des Mitbenützungsrechtes von
Strassen und öffentlichen Wegen, inso-
weit es die Aufsichtsbehörde für zu-
lässig erachte, zugesprochen.
Die Ministerial - Verordnung vom
8. März 1881 gestattete grundsätzlich
die Mitbenützung öffentlicher Wege be-
hufs Anlage von Bahnen untergeordneter
Bedeutung, was wohl belebend auf die
Unternehmungslust einwirkte, doch wur-
den hiebei Zugeständnisse bezüglich des
Verhältnisses zur Post- und Militär-Ver-
waltung vermisst.
Es folgte seit 1880 noch eine Reihe
verschiedener Sondergesetze und Verord-
nungen, unter denen sich das Nebenbahn-
wesen mächtig entwickelte, so dass
Preussen heute das ausgedehnteste Netz
von Localbahnen besitzt. Durch Privat-
Gesellschaften kamen nur wenige, zu-
meist Schmalspurbahnen zustande.
In Italien wurde die Regierung
durch das Gesetz vom 29. Juni 1873
zum Bau einer Anzahl von Nebenbahnen
unter besonderen Zugeständnissen bezüg-
lich der Anlage sowie zur Gewährung
jährlicher Unterstützungen von 1000 Lire
für das Kilometer durch 35 Jahre er-
mächtigt, wobei die Bildung von Syndi-
caten in den Provinzen und Gemeinden
anzustreben sei.
Die mit Rücksicht auf dieses Gesetz
gehegten Erwartungen erfüllten sich je-
doch nicht und die Regierung sah sich zu
ausgiebigeren Zugeständnissen veranlasst.
Mit dem Gesetze vom 29. Juli 1879
wurde der Bau von 1530 km Neben-
bahnen [ferrovie secondarie] von rein ört-
lichem Interesse beschlossen, unter Ein-
haltung der Bedingung, dass die bethei-
ligten Körperschaften die Leistung eines
entsprechenden Beitrages nachzuweisen
hätten, der für die ersten 80.000 Lire des
Gesammtaufwandes mit 0-4, von den
nächstfolgenden 70.000 Lire mit 0-3 und
von den restlichen Erfordernissen mit o- 1
bemessen war. Die Anwendung der
Schmalspur sowie die Mitbenützung der
öffentlichen Strassen war gestattet. Die
Concessionirung erfolgte fallweise durch
ein königliches Decret.
Bald überzog sich insbesondere Nord-
italien mit einem dichten Netz von Dampf-
strassenbahnen, obgleich die von den Inter-
essenten übernommenen Verpflichtungen
noch als drückende empfunden wurden;
diese erhielten eine wesentliche Einschrän-
kung mit dem Inkrafttreten der Betriebs-
Convention [1. Juli 1885], derzufolge
die Pachtgesellschaften der italienischen
Staatsbahnen es übernommen hatten, die
in den Gesetzen bezeichneten Linien, in-
soweit sie in ihr Verkehrsgebiet fallen,
unter Bürgschaft des Staates auszubauen,
zu betreiben und deren Gesammtanlage-
kosten durch Ausgabe von Obligationen
zu decken.
Spätere Gesetze ermächtigten die Re-
gierung zum Bau von neuen Nebenbah-
nen [1000 km, Kosten 90 Millionen Lire]
und erhöhten weiters den Unterstützungs-
beitrag von 1000 auf 3000 Lire für das
Kilometer sowie die Dauer der Concession
von 35 auf 90 Jahre.
Frank reich schuf infolge Zusam-
menwirkens von Staat, Departements, Ge-
meinden und Interessenten anfangs der
Sechziger-Jahre im Elsass Vicinialbahnen
von einfachem Bau und Betrieb ; die Re-
gelung ihrer Verhältnisse geschah auf
Grund des Vicinal-Strassengesetzes vom
21. Mai 1836 und des allgemeinen Eisen-
bahn-Gesetzes.
Im Jahre 1861 setzte die Regie-
rung einen Ausschuss ein zur Vor-
berathung eines Gesetzes über die »Che-
mins de fer d'intöret local«, dessen Be-
schlüsse zwei Jahre darnach veröffentlicht
wurden.
Localbahnwesen.
479
Der Schwerpunkt des später geschaf-
fenen Gesetzes vom 12. Juli 1865 [Loi
relative aux chemins de fer d'int£ret
local] lag darin, dass der Staat solche
Localbahnen nach vorausgegangener An-
erkennung der utilitd publique durch den
Staatsrath mit nicht rückzahlbaren Zu-
Der Erfolg war keineswegs ein gün-
stiger, denn der weitreichende Einfluss
der Departements- und Generalräthe auf
die Concessions-Bedingungen und die An-
lage der Bahn schuf eine grosse Zahl
lebensunfähiger, mit den Hauptbahnen so-
gar im Mitbewerb stehender Localbahnen,
Abb. 205. Ramsaubach-Viaduct. [Eisenerz-Vordernberg.]
[Nach einer photographischen Aufnahme von C. Weighart in Leoben/
Schüssen ausstattete, und zwar bis zu einem
Drittel von dem die Departements,
Gemeinden und Interessenten belasten-
den Kostenaufwande ; das Gesetz erlaubte
in ärmeren Departements bis auf die
Hälfte hinaufzugehen, wohlhabenderen
jedoch nur bis zu einem Viertel zuzuge-
stehen. Der Gesammtbetrag der Staats-
beihilfe durfte aber 6,000.000 Francs nicht
überschreiten.
deren Anlagekosten mit den voraussicht-
lichen und erzielten Einnahmen ausser
Verhältnis standen und die später [1878]
thatsächlich vom Staate übernommen wer-
den mussten. Bestrebt, das Localbahn-
wesen auf eine, alle Missbräuche aus-
schliessende Grundlage zu stellen, fasste
man vorerst die Verwendung von öffent-
lichen Strassen [l'accötement des routes]
ins Auge, was auch in dem am 17. März
480
P. F. Kupka.
1875 von Cailloux der Nationalver-
sammlung unterbreiteten Gesetzentwurf,
sowie in der Vorlage Freycinet's
[. . . voies ferrees etablis sur les voies pu-
bliques] vom 29. April 1878 zum Ausdrucke
gebracht wurde, und womit gleichzeitig
den Localbahnen Staatsunterstützungen —
einen gleich hohen Beitrag seitens der
Departements und Gemeinden vorausge-
setzt — von 5000 Francs und bei Linien,
auf welche Wagen der Hauptbahn über-
gehen konnten, 6000 Francs für das Kilo-
meter auf 20 Jahre zugesichert ward.
Ein neues Localbahn-Gesetz [11. Juni
1880] übertrug den Departements und
Municipien die Feststellung der Conces-
sions-Bedingungen, verlangte jedoch die
Genehmigung zur Ausführung und Aner-
kennung der öffentlichen Nützlichkeit im
Wege eines Gesetzes, worauf bei Be-
theiligung der Departements und Gemein-
den die Zuwendung eines staatlichen
Ertragszuschusses erfolgen könne. Behufs
rascherer Erreichung des Zieles zog die
Regierung [1882] auch die sechs grossen
Eisenbahn-Gesellschaften zur Mitwirkung
heran, womit ein mächtiges Netz von
Localbahnen sichergestellt wurde. Frank-
reich besass nun wohl ein ausgedehntes
Localbahnnetz, doch waren seine finan-
ziellen und öconomischen Verhältnisse
keineswegs erfreuliche. Trotz der nam-
haften Unterstützungen von Seite des
Staates und der angrenzenden grossen
Eisenbahn-Linien wiesen die Localbahnen
nur eine äusserst bescheidene Entwicklung
auf, sie leisteten dem Lande verhältnis-
mässig nur geringe Dienste und verzins-
ten das Anlage-Capital gar nicht.
Belgien. Das Gesetz vom 9. Juli
J875 gestattete die Anlage des Bahn-
körpers unmittelbar zur Seite der Land-
strassen und in gleicher Ebene, stellte
aber keine finanzielle Unterstützung in
Aussicht ; es blieb daher ein todter Buch-
stabe ohne jegliche Wirkung.
Im Mai 1877 empfahl der Senat das
angelegentliche Studium dieser Frage der
Regierung, die ihrerseits erklärte, von
den betheiligten Ortschaften die erste
Anregung zu erwarten, wobei dann die
finanzielle Seite keine unübersteiglichen
Schwierigkeiten bilden solle; das Gesetz
erheische jedenfalls eineVervollständigung.
Es wurde die Bildung einer Gesell-
schaft in Anregung gebracht, welche den
Gemeinden das zum Bau und Betrieb
nöthige Geld zu verschaffen, überall der
grössten Sparsamkeit sich zu befieissen und
speculative Gewinne hintanzuhalten habe.
Das Eingreifen des Staates sei aber ebenso
nothwendig als gerechtfertigt, schon um
das Capital unter günstigen Bedingungen
zu erhalten, denn hier liege ein grosses
öffentliches Interesse vor. Die Gegen-
leistung an den Staat bestände in einer
namhaften Ersparnis bei der Erhaltung
der Strassen, in einer Verbesserung des
Post- und Telegraphenwesens sowie der
Einnahmen der Staatsbahnen und das
ohne Erhöhung der Ausgaben. Der Vor-
schlag fand im Lande die beifälligste
Aufnahme.
Zieht man in Betracht, dass der bel-
gische Staat die Einlösung der Privat-
bahnen unter dem Drucke der öffentlichen
Meinung und durch Bewilligung verhält-
nismässig hoher Renten vollzog, so musste
er insbesondere darauf bedacht sein, je-
den ungerechtfertigten Mitbewerb mit
seinen Linien zu vermeiden, der Lage
der Staatsfinanzen stets Rechnung zu
tragen und andererseits bei aller Aner-
kennung der Bedeutung der Vicinal-
bahnen auch auf diesem Felde seinen
Einfluss geltend zu machen.
Erst im Juni 1880 ging der aus Ver-
tretern der beiden Kammern und der
Ministerien zusammengesetzte Ausschuss
an die Prüfung des Antrages ; im April
des nächsten Jahres lag das Ergebnis
der Berathungen vor und im Mai 1882
wurde ein bezüglicher Gesetzentwurf in
der Abgeordnetenkammer eingebracht,
aus welchem das Gesetz vom 28. Mai
1884 hervorging. Die ins Leben geru-
fene >Societe nationale des chemins de
fer vicinaux« unternahm es, unter Mithilfe
des Staates, der Provinzen, Gemeinden
und sonstigen Betheiligten, Vicinalbahnen
im grossen Stil anzulegen. Es sind dies
mit wenigen Ausnahmen schmalspurige
[1 »»], an die niederländischen Strassen-
und Nebenbahnen sich anschliessende
Linien, welche alle mehr einen tramway-
artigen Charakter aufweisen.
Grossbritannien. Das Gesetz vom
31. Juli 1868 »An Act to amend the Law
Localbahnwesen.
481
Abb. 206. Weiritz-Viaduct. [Eisenerz- Vordernberg/
[Nach einer photographischen Aufnahme von C. Weighart in Leoben.]
relating Railways« betraf auch die »Light
Railways <* [leichten Eisenbahnen], die
durch den festgesetzten Achsdruck von
höchstens 8 t und durch eine höchste
Fahrgeschwindigkeit von 25 miles [40 km]
technisch abgegrenzt erscheinen ; mit den
anderweitig fallweise zu bestimmenden
Bedingungen wurde das Handelsamt
[Board of trade] betraut.
Charakteristisch für die englische Ge-
setzgebung ist es, dass das Gesetz für den
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Fall einer stärkeren Achsbelastung oder
grösseren Fahrgeschwindigkeit und für
jeden Tag, während eine derartige Ueber-
schreitung platzgreift, eine Strafe von
25 £, und für jede Person, welche die
Uebertretung herbeiführt, Gefängnis mit
harter oder ohne harte Strafe bis zu zwei
Jahren androht.
Das Gesetz vom 30. August 1889,
betreffend die »Light Railways« für
Irland, hat mehr einen finanziellen
3i
482
P. F. Kupka.
Charakter, und enthält keinerlei Bestim-
mungen über Anlage oder Betrieb solcher
Bahnen. Die »Economic Railways«
Schottlands sind zumeist kleine, durch
Parlamentsacte genehmigte, von unab-
hängigen Bahngesellschaften und ohne
jede Staatsunterstützung erbaute Zweig-
linien, die nur dort entstanden, wo ein
Bedürfnis und Aussicht auf eine einträg-
liche Rente vorhanden war. Die erste
Linie, Edinburgh-Peebles [30 km], wurde
1855 eröffnet.
Schweden hat kein allgemeines,
die Localbahnen betreffendes Gesetz, und
trotzdem ist das System ausserordentlich
entwickelt und entspricht vollkommen den
Anforderungen des Landes. Bis 187 1
wurden den einzelnen Unternehmungen
von Fall zu Fall vom Reichsrathe Dar-
lehen bis zu 2/s der Gesammtausgaben
bewilligt, von da ab jedoch der Regierung
für eine fünfjährige Finanz - Periode
ein Credit im Betrage von 10,000.000
Kronen bewilligt, über deren Vertheilung
die Regierung fallweise entschied.
Aus dem Vorstehenden ist zu ent-
nehmen, dass die in den verschiedenen
Staaten zur Erreichung des gleichen
Zieles angewandten Mittel verschiedene
waren. Der Wunsch, der Staat möchte
den Nebenbahnen seine Hilfe in dem-
selben Masse wie den Hauptlinien zu-
wenden, fand nicht überall bei Regierungen
und Volksvertretungen das gleiche Ent-
gegenkommen; Localbahnen befriedigen
ja in erster Reihe nur örtliche Inter-
essen, während die staatswirthschaftliche
Wirkung für die Allgemeinheit eigentlich
verschwindet, mindestens nicht leicht un-
mittelbar nachzuweisen ist.
Beantwortet waren allenfalls die
Fragen über die technische Anlage,
Betrieb und Verwaltung, nicht so jene
über die Capitalsbeschaffung. Bayern,
Italien, Frankreich, später auch Preussen
gewährten finanzielle Unterstützungen in
verschiedener Form, entweder von Fall
zu Fall oder auf Grund allgemeiner Zu-
sicherungen. Aufgabe des Staates blieb
es, eine Wechselwirkung und Verbindung
des allgemeinen mit dem örtlichen Interesse
herbeizuführen, und seine Fürsorge musste
eine doppelte sein, wenn er sich im Be-
sitze eines eigenen Bahnnetzes befand;
er konnte auch die Anlage von Neben-
bahnen nicht ganz der Privatthätigkeit
überlassen, ohne sich damit des be-
stimmenden Einflusses zu begeben.
Das waren in Kürze die Anschauungen
oder Erfahrungen anderer Länder zu der
Zeit [wenngleich bei der Besprechung
hie und da einigermassen vorgegriffen
wurde, um ein übersichtlicheres Bild zu
gewinnen], als Oesterreich sich der
Localbahn-Frage zuwendete.
Im Nachstehenden soll nun versucht
werden, den geschichtlichen Werdegang,
man könnte beinahe sagen Leidensweg
und die Entwicklung des österreichischen
Localbahnwesens in seinen Hauptzügen
zu schildern.
Die erste Anregung ging von 30 Mit-
gliedern des Abgeordnetenhauses aus,
welche am 14. October 1879 einen Antrag
betreffend den Bau von Localbahnen in
den vom Nothstande betroffenen
Gegenden einbrachten. Die Regierung
möge, hiess es darin, in einem Gesetze
die Bedingungen feststellen, unter welchen
der Staat denjenigen Gebieten, die durch
den Bau von Secundärbahnen dem wirth-
schaftlichen Niedergange entrissen würden,
die Herstellung solcher Bahnanlagen er-
möglichen könnte ; sie dienten den Zwecken
der Industrie wie der Landwirthschaft ;
nur durch solche Bahnen würden die
ackerbautreibenden Districte in die
Lage gesetzt, ihre Producte rascher
und in grösserer Menge auf den Markt
zu bringen als bisher. Die Notwen-
digkeit der Herstellung von Local-
bahnen werde von allen Parteien gleich-
massig anerkannt ; die Meinungen gingen
nur darüber auseinander, wie es mög-
lich sein werde, derartige Bahnen in
grosser Anzahl und mit der gebotenen
Raschheit ins Leben zu rufen. Nicht
blos vom finanziellen Standpunkte,
auch vom Standpunkte der Gerechtig-
keit sei die Herstellung von Local-
bahnen nothwendig, denn es würde dem
österreichischen Reichsgedanken dadurch
der richtige Ausdruck gegeben, dass in
dieser Angelegenheit alle Theile des
Localbahnwesen.
483
Reiches eine gleich wohlwollende Be-
handlung erführen.
Dieser Antrag wurde 36 Mitgliedern
zur Berichterstattung zugewiesen und
gelangte am II. November in den Eisen-
bahn-Ausschuss ; daselbst fand die An-
sicht Ausdruck, dass eine Commission
ein ausführliches Gutachten darüber zu
erstatten habe, welche Systeme bei der
Anlage von Secundärbahnen in Oester-
von Korb -Weidenheim, dass die
Regierung vollständig auf dem Stand-
punkte dieser Anträge stehe; denn es
handle sich hier »nicht allein darum,
localen Bedürfnissen Rechnung zu tragen,
sondern die Localbahnen sind auch das
geeignete Mittel, die Hauptbahnen zu
befruchten, um also namentlich jene
Bahnen, welche der Staat Subventioniren
müsse, rentabler zu machen ; das für
Abb. 207. Weinzettelgraben-Partie. [Eisenerz-Vordernberg.]
[Nach einer photographischen Aufnahme von C. Weighart in Leoben.]
reich in Anwendung gebracht werden
sollten, ferner sei auf Grund der Ergebnisse
der Entwurf einer Bau- und Betriebs-
ordnung für Secundärbahnen auszu-
arbeiten, endlich ein Unter-Ausschuss
einzusetzen, der die Ausarbeitung eines
Concessions-Gesetzes in Angriff nehme.
Nach längerer Berathung einigte man
sich jedoch dahin, vorerst die Ansicht
der Regierung hierüber einzuholen.
In der nächsten Ausschusssitzung
erklärte der Handelsminister Freiherr
Secundärbahnen anzuwendende System
müsse aber in jedem einzelnen Falle
auch das richtige, d. i. den speciellen
Verhältnissen angemessene sein, es müsse
also zu verschiedenen Systemen
gegriffen werden; . . . .« andererseits
seien aber »entwicklungsfähige Linien
gleich von vorneherein nach einem
solchen System zu bauen, welches mit
Rücksicht auf die zu gewärtigende Stei-
gerung des Verkehrs auf der betreffen-
den Linie auch die nöthige Erweiterung
3i*
484
P. F. Kupka.
und Entwicklung derselben möglich ma-
chen würde.«
Damit war den Bestrebungen, der
Schmalspur zum alleinigen Siege zu
verhelfen, vorläufig der Boden entzogen.
Alle Redner, bis auf einen, waren
einig, dass ein Erfolg nur dann zu ver-
zeichnen sein werde, wenn die materielle
Mitwirkung des Staates gesichert sei. In
der Weise, wie bisher in Oesterreich
Eisenbahnen gebaut worden wären, könne
nichts zustande kommen, weil man zu
theuer gebaut habe. Bei manchen Bahnen
bezifferten sich z. B. die Finanzirungs-
kosten und Intercalarzinsen auf 5o°/0 des
ganzen Anlage- Capitals; ein billiger Bau
sei jetzt Hauptbedingung.
Der Handelsminister gab die bestimmte
Erklärung ab, dass er ein Concessions-
Gesetz für Secundärbahnen, welches alle
Zugeständnisse und Begünstigungen ent-
halten werde, die der Staat bei dem Bau
von Secundärbahnen nach Auffassung der
Regierung einzuräumen in der Lage sei,
schon in allernächster Zeit vor das Haus
bringen werde.
Die blosse Ankündigung eines bezüg-
lichen Gesetzes rief allenthalben die leb-
hafteste Befriedigung wach und hatte
eine grosse Zahl von Concessions-
Werbungen im Gefolge.
Am 29. November 1879 übermittelte
der Handelsminister den angekündigten
Gesetzentwurf »betreffend die Zuge-
ständnisse und Begünstigungen
für L ocalb ahnen« zur verfassungs-
mässigen Behandlung.
Die Regierung wird ermächtigt, heisst
es dort, bei Concessionirung neuer Local-
bahnen [Secundärbahnen, Vicinalbahnen
und dergleichen] nicht nur in Bezug auf
den Bau und die Ausrüstung alle thun-
lichen Erleichterungen zu gewähren, son-
dern auch in Bezug auf den Betrieb von
den in der Eisenbahnbetriebs -Ordnung
und den einschlägigen Nachtragsbestim-
mungen vorgeschriebenen Sicherheits-
Vorkehrungen insoweit Umgang zu
nehmen, als die mit Rücksicht auf die
besonderen Verkehrs- und Betriebsver-
hältnisse, insbesondere die festgesetzte
ermässigte Fahrgeschwindigkeit nach dem
Ermessen des Handelsministeriums zu-
lässig erscheint. Die Unternehmungen
von Localbahnen werden von der in der
Eisenbahnbetriebs-Ordnung, beziehungs-
weise im Eisenbahn-Concessions-Gesetz
ausgesprochenen Verpflichtung zur unent-
geltlichen Beförderung der Post u. s. w.
enthoben.
Gleichartige Erleichterungen in Bezug
auf den Bau und Betrieb können nach
dem Ermessen des Handelsministeriums
auch für schon bestehende Eisenbahnen
zugestanden werden, wenn auf denselben
oder einzelnen Zweig-, beziehungsweise
Verbindungslinien der Localbahnbetrieb
mit ermässigter Fahrgeschwindigkeit ein-
geführt wird.
Die beim Betriebe der Localbahnen
nicht zu überschreitende Fahrgeschwin-
digkeit ist nach Beschaffenheit des ein-
zelnen Falles jeweilig durch die Regie-
rung festzusetzen. Die Benutzung von
Reichsstrassen wird gestattet, insoweit
nicht durch den Bahnbetrieb die Sicher-
heit des Strassenverkehrs gefährdet er-
scheint. Zulässigkeit und Bedingungen
der Strassenbenützung sind durch die
Strassenverwaltung im Einvernehmen mit
den Eisenbahn-Aufsichtsbehörden festzu-
stellen. Unbeschadet der aus dem Be-
stände des Mauthgefälles erwachsenden
Verbindlichkeit ist für die Strassenbe-
nützung ein besonderes Entgelt nicht zu
entrichten. Die Kosten der ordnungs-
mässigen Erhaltung des benützten Strassen-
theiles, sowie etwaige, durch die frag-
liche Benützung veranlasste Mehrkosten
der Strassenerhaltung überhaupt, des-
gleichen die Kosten für alle zur Hintan-
haltung einer Störung oder Gefährdung
i des Strassenverkehrs erforderlichen be-
sonderen Vorkehrungen treffen die Local-
bahn-Unternehmung. Andere öffentliche
Strassen können mit Zustimmung der
zur Erhaltung Verpflichteten zur Anlage
von Localbahnen in Anspruch genommen
werden.
Im Falle der Concessions-Ertheilung
können noch nachstehende Begünstigungen
gewährt werden :
a) Die Befreiung von den Stempeln
und Gebühren für alle Verträge, bücher-
lichen Eintragungen, Eingaben und
sonstigen Urkunden zum Zwecke der
Capitals- Beschaffung und Sicherstellung
der Capitals-Verzinsung, sowie des Baues
Localbahnwesen.
485
und der Instruirung der Bahn bis zum
Zeitpunkte der Betriebseröffnung ;
b) die Befreiung von Stempeln und
Gebühren für die erste Ausgabe der
Actien- und Prioritäts- Obligationen mit
Einschluss der Interimsscheine und für die
bücherliche Eintragung der Prioritäts-
Obligationen, sowie von der bei der
Grundeinlösung auflaufenden Ueber-
tragungsgebühr ;
zugestanden werden, wird in jedem ein-
zelnen Falle ein besonderes Gesetz be-
stimmen.
Das Gesetz tritt mit dem Tage seiner
Kundmachung in Wirksamkeit und er-
lischt mit 31. December 1882.
In der Begründung der Vorlage
war vor Allem die erhöhte Be-
deutung der Localbahnen in der Gegen-
wart und deren Wichtigkeit für die
Abb. 208. Eisenerz-Vordernberg [km 10*2 — io*8J.
[Nach einer photographischen Aufnahme von C, Weighart in Leoben.]
c) die Befreiung von der Erwerbs-
und Einkommensteuer, von der Entrich-
tung der Coupon - Stempelgebühren so-
wie von jeder neuen Steuer, welche etwa
durch künftige Gesetze eingeführt werden
sollte, auf die Dauer von höchstens 30
Jahren, vom Tage der Concessions-Er-
theilung. Inwiefern für einzelne Local-
bahnen etwa weitergehende finanzielle
Unterstützungen seitens der Staatsverwal-
tung durch Gewährung eines Beitrages
aus Staatsmitteln oder auf sonstige Weise
localen Verkehrs-Interessen, für die an-
schliessenden Hauptbahnen und für die
Eisenbahn-Bauthätigkeit im Allgemeinen
anerkannt ; sie dienten zur Befriedigung
localer Verkehrs-Interessen, zur Befruch-
tung der anschliessenden Hauptbahnen,
endlich zur Hintanhaltung eines Still-
standes in der Bauthätigkeit und würden
mit Recht nicht als blosses Schlagwort,
sondern als ein wahres Bedürfnis der
Zeit angesehen. Die bei Anwendung des
Localbahn-Systems resultirende erhebliche
486
P. F. Kupka.
Herabsetzung der Bau- und Betriebs-
kosten erscheine ausschlaggebend, um
das Zustandekommen neuer Bahnan-
lagen in Landestheilen zu ermöglichen,
welche wegen der hohen Kosten für
Hauptbahnen auf eine Eisenbahn- Ver-
bindung verzichten müssten. Die Auf-
schliessung neuer Verkehrsgebiete werde
dem Verkehr und den Einnahmen der
bestehenden Hauptbahnen sowie bei
garantirten Eisenbahnen mittelbar auch
dem garantirenden Staatsschatze zum
erheblichen Vortheil gereichen.
Als eine wichtige Aufgabe weit-
blickender Eisenbahn - Ve r waltungen
erscheine es, die auf die Herstellung an-
schliessender Localbahnen abzielenden
Bestrebungen der Interessenten ihrerseits
nach Kräften zu fördern, was in vielen
Fällen selbst ohne nennenswerthe mate-
rielle Opfer für die Hauptbahnen und
doch mit ausschlaggebendem Einflüsse
auf die Rentabilität der Localbahnen
möglich sein dürfte.
Die Aufrechterhaltung einer gewissen,
wenn auch beschränkten Eisenbahn-
Thätigkeit, für welche dem Staate nur
ganz ausnahmsweise weitere Opfer zu-
gemuthet werden können, sei wünschens-
werth, nicht nur zur Beschäftigung des
technischen, Hilfs- und sonstigen Arbeits-
personales, sondern auch im Interesse der
betheiligten Industriezweige, welche durch
den Ausbau des Hauptbahnnetzes einen
wichtigen Absatzkreis verloren hätten.
Aus allen diesen Erwägungen ergebe
sich für die Regierung die Aufgabe, nicht
nur die einzelnen Pläne von Fall zu
Fall nach Möglichkeit zu unterstützen,
sondern das Zustandekommen von Local-
bahnen durch allgemeine, administrative,
und soweit diese nicht ausreichten, auch
durch legislative Massnahmen nach
Thunlichkeit zu fördern.
Die gesetzliche Normirung gewisser
allgemeiner Bestimmungen und Voraus-
setzungen für die finanzielle Betheiligung
der Staatsverwaltung an Localbahn-
Unternehmungen wurde wegen prin-
cipieller Bedenken, insbesondere im Hin-
blick auf die überaus verschiedenen Pro-
ductions- und Verkehrsbedingungen der
einzelnen Kronländer bisher nicht als
zweckmässig und zulässig erachtet.
Auch für die Zukunft sei die gesetzliche
Uebernahme einer allgemeinen Verbind-
lichkeit der Staatsverwaltung, abgesehen
von den obigen Erwägungen, welche
gegen jede Schematisirung sprächen,
schon mit Rücksicht auf die namhafte
dauernde Belastung des Staatsschatzes
wie nicht minder in Anbetracht der der-
maligen Finanzlage im Allgemeinen un-
bedingt ausgeschlossen. Es genüge, der
Regierung im Wege der Gesetzgebung
die allgemeine Ermächtigung zur
Gewährung der bisher für Localbahnen
fallweise zugestandenen Begünstigungen
sowie von Erleichterungen beim Bau und
Betrieb und Einräumung der üblichen
Steuerfreiheit zu ertheilen.
Eine gesetzliche Beschränkung der
Fahrgeschwindigkeit habe sich in der
Praxis nicht bewährt.
Es ist hieraus ersichtlich, dass die
Regierung von allem Anfang an das
Bestreben hatte, das Privatcapital heran-
zuziehen.
Die erwartete rasche parlamentarische
Behandlung blieb aus. Schon im Eisen-
bahn-Ausschuss erhoben sich unter An-
derem Stimmen, welche den Heimfall einer
aus Mitteln des Landes, der Bezirke und
Gemeinden erbauten oder von diesen
unterstützten Bahn nicht an den Staat,
sondern an das Land forderten, welchem
Anspruch derRegierungsvertreter,Sections-
chef v. P u s s w a 1 d, mit dem Hinweise auf
das Goncessions-Gesetz vom Jahre 1854
begegnete. Der der Mehrheitspartei an-
gehörige Berichterstatter legte sogar einen
selbständigen Gesetzentwurf vor, dem-
gemäss [nach französischem Muster]
Concessionen für Localbahnen, welche
die Grenze eines Landes nicht über-
schritten, oder nicht in Grenzbezirken
lägen und vom Staate keine finanzielle
Unterstützung beanspruchten, nicht von
der Regierung oder dem Parlament,
sondern von der Statthalterei im Ein-
vernehmen mit dem Landesausschuss er-
theilt werden sollten. Im Falle für eine
solche Bahn eine Unterstützung aus
Landesmitteln gewährt würde, sollte die
Concessionirung durch ein Landesgesetz
erfolgen, während dem Ministerium in
allen Fällen das Einspruchsrecht gewahrt
bliebe.
Localbahnwesen.
487
Dieses Zugeständnis an die Landes-
Autonomie entfesselte den lebhaftesten
Widerspruch und so wurde nach länge-
rer Berathung die Regierungsvorlage zur
Grundlage der Specialdebatte angenom-
men, nachdem der Referent seinen Antrag
zurückgezogen und die Berichterstattung
niedergelegt hatte.
sohin verhindert werden ; überdies fehlten
die Definition des Begriffes einer Local-
bahn sowie Bestimmungen, welche die
Bahnen vor der »Tyrannei und Ausbeutung«
der Hauptbahnen schützten, auch sei das
Heimfallsrecht an den Staat unbegründet.
Der neue Berichterstatter hob her-
vor, dass ein solcher Verzicht vom Hause
Abb. 209. Vordernberg. [Eisenerz- Vordernberg.]
[Nach photographischen Aufnahmen von C. Weighart in Leoben.]
Im Hause selbst wurde der Gesetz-
entwurf abermals von mehreren Seiten
angegriffen ; er wurde als Curiosum und
als mangelhaft bezeichnet. Die Er-
mächtigung an die Regierung, alle thun-
lichen Erleichterungen gewähren zu
können, sei für drei Jahre zu weitgehend
und überhaupt ein Verzicht auf die Prä-
rogative des Hauses ; der Bau jeder der
Regierung »missliebigen Bahn« könne
geleistet werden müsse, wenn die Re-
gierung überhaupt etwas Zweckmässiges
zustande bringen solle. Eine Begriffs-
bestimmung sei grundsätzlich vermieden
worden, weil gerade damit der Anlass
gegeben sei, dass alles nach der Scha-
blone behandelt und das, was in dieselbe
nicht hineinpasse, von den Begünstigungen
ausgeschlossen bleibe; der Ausschuss
habe gerade bezweckt, dass das Gesetz
488
P. F. Kupka.
überall da Anwendung finden solle, wo die
Verhältnisse eine solche gestatten. Be-
züglich des Heimfallsrechtes an den
Staat hoffe der Berichterstatter, dass die
Regierung die Fälle bezeichnen werde,
in welchen dieses Recht ohne Schaden
aufgelassen werden könne.
Der Regierungsentwurf wurde mit
geringen Abänderungen angenommen, er
erhielt am 25. Mai die kaiserliche Geneh-
migung und trat am 5. Juni 1880, als dem
Tage seiner Kundmachung, in Kraft. *)
Eine wesentliche Ergänzung erhielt
das Gesetz vom 25. Mai 1880 noch
durch die Verordnung des Handels-
ministeriums vom 29. Mai 1880, womit
tiven Verfahrens. Die technisch formellen
Forderungen, wie die Aufstellung und
Vorlage eines Vorprojectes — das
Ansuchen um Fristverlängerung für
technische Vorarbeiten, wenn nachge-
wiesenermassen mit denselben noch nicht
begonnen wurde oder nicht begonnen
werden konnte, das Beibringen des General-
Längenprofiles für Bahnen unter 30 km
Länge bei Vorlage des General-Projectes
und Anderes wurden fallen gelassen.
Durchgreifende Neuerungen betrafen
aber das Gebiet der commissionellen Be-
handlung. Gegenüber den drei Com-
missionen [Tracenrevision, Stationscom-
mission und politische Begehung] bean-
1100
Abb. 210. Zahnrad-Locomotive. [System Abt.]
in theilweiser Abänderung der Verordnung
vom 25 Januar 1879 »Erleichterungen
hinsichtlich der Verfassung und
concessionsmässigen Behandlung
derProjecte fürLocalbahnen und
Schleppbahnen« zugestanden wurden.
Das Ministerium verschluss sich nicht
der Erkenntnis, dass der starre Formalis-
mus der älteren Verordnung in seinem
ganzen Umfange nicht nothwendig und
die Schwerfälligkeit des Geschäftsganges,
der eine rasche Behandlung ausschliesse,
fürdie Localbahnen geradezu gefährlich sei;
es war darauf bedacht, einigen Bestim-
mungen eine schärfere Fassung zu geben
und legte das grösste Gewicht auf die
Aenderungen des weitläufigen administra-
*) Näheres über die Gesetzgebung auf
dem Gebiete des Localbahnwesens siehe
Bd. IV, Dr. V. Roll, Die Entwicklung der
Eisenbahn - Gesetzgebung in Oesterreich
[Seite 80 und ff.]
spruchte die neue Verordnung nur zwei
Commissionen, die, wenn keine Varianten
in Frage standen, auch zu einer vereinigt
werden konnten ; die politische Begehung
allein soll genügen, wenn bezüglich der
Trace und Stationen unter Mitwirkung der
Interessenten volle Klarheit herrsche.
Die Zeit für die Aufstellung besonderer
Projects vorlagen, deren Prüfung und An-
ordnung bei Ausschreibung von Amts-
handlungen, sowie die Fristen für die
Auflage derProjectspläne wurden wesent-
lich abgekürzt. Die commissionellen
Amtshandlungen sollen binnen längstens
vier Wochen durchgeführt und die
Protokolle binnen längstens acht Tagen
dem Handelsministerium vorgelegt werden.
Aber auch die Zusammensetzung der
Commission selbst erfuhr wesentliche
Aenderungen und Einschränkungen.
Die Vortheile an Zeitersparnis waren
daher sehr beträchtliche. Die an den
Localbahnwesen.
489
Abb. an. Viaduct bei Morchenstern. [Reichenberg-Gablonz-Tannwald.]
Einfluss des Gesetzes geknüpften Erwar-
tungen erfüllten sich auch; es entwickelte
sich, unterstützt durch einen sehr günstigen
Geldmarkt im Inlande und durch Zuzug
von ausländischem, zumeist deutschem
Capital, bald eine lebhafte Eisenbahn-
Bauthätigkeit. Während im Jahre 1880
nur 100 km Localbahnen concessionirt
wurden,*) stiegen die Concessions-Wer-
bungen im Jahre 1881 auf 502 km und
im nächstfolgenden Jahre auf 344 km.
Das war Veranlassung genug, um die
Verlängerung der Giltigkeit des Ge-
setzes in Anregung zu bringen.
Am 5. December 1882 unterbreitete
die Regierung dem Abgeordnetenhause
eine bezügliche Vorlage und begrün-
dete sie mit dem Hinweise, dass Con-
cessionen für 40 Localbahnen von rund
844 km Gesammtlänge ertheilt und bis
Ende November 1882 bereits 415 km dem
Betriebe übergeben worden wären. Der
Nennwerth der ausgegebenen oder zur
Ausgabe kommenden Werthpapiere er-
reiche die Ziffer von 32,947.000 fl., davon
21,622.000 fl. in Antheilscheinen und
1 1,325.000 fl. in Prioritäten. Der Regie-
rung läge aber noch eine Anzahl von
Projecten vor, deren volkswirthschaftliche
Berechtigung und Nützlichkeit ausser
Zweifel stände, und es wären weitere Con-
cessionswerbungen zu erwarten. Es sei
daher Pflicht der Regierung, rechtzeitig
*) Bezüglich der Concessionirungen, Er-
öffnungen u s. w. von Localbahnen wird auf
die am Schlüsse gegebenen Zusammenstel-
lungen verwiesen. [Siehe Seite 510 und ff.]
für eine entsprechende Verlängerung des
Gesetzes vorzusorgen.
Die Vorlage, welche die Erstreckung
bis zum 31. December 1884 bezweckte,
wurde am 13. December vom Abgeord-
netenhause und am 16. December vom
Herrenhause zum Beschluss erhoben und
erhielt am 26. December 1882 die a. h.
Sanction.
Obgleich eine grössere Zahl von
Eisenbahnen niederer Ordnung, die von
Interessenten seit Jahren vergeblich ange-
strebt worden waren, zustande kam, war
doch ein gewisser Rückschritt erkennbar,
denn im Jahre 1883 gelangten nur 147 km
zur Concessionirung. Das Privatcapital
blieb, nachdem die eine Rente in Aussicht
stellenden Linien gesichert waren, zurück-
haltend und die Regierung, der wieder-
holt eine unrichtige Anwendung des Ge-
setzes vorgehalten wurde, nahm die ge-
gebene Sachlage zum Anlass, um auf
die Schaffung eines erweiterten Local-
bahn-Gesetzes hinzuwirken ; sie stand nun-
mehr vor der Wahl, entweder den Aus-
bau der Linien selbst in die Hand zu
nehmen, oder ihn durch Gewährung von
Unterstützungen und Bürgschaften zu
fördern. Ihre Bestrebungen waren, um
die kaum zur Entwicklung gelangte Eisen-
bahn-Thätigkeit nicht ins Stocken gerathen
zu lassen, nun dahin gerichtet, einerseits
durch Unterstützungen, andererseits durch
Verträge mit einzelnen Eisenbahn-Gesell-
schaften den Bau von Localbahnen
kräftigst zu fördern. Dem letzteren
Zwecke entsprachen der Vertrag vom
49°
P. F. Kupka.
i. November 1882 mit der Prag-Duxer
Eisenbahn bezüglich des Ausbaues der
Linie Klostergrab-Mulde, das Ueberein-
kommen vom 10. und 12. November 1882
mit der Staatseisenbahn-Gesellschaft, wo-
mit diese sich bereit erklärt »unter Vor-
aussetzung entsprechender Betheiligung
der Interessenten« die Ausführung von
zehn Localbahnen zu übernehmen, dann
das spätere Uebereinkommen vom 10. Ja-
nuar und 12. Juli 1885 anlässlich der
Ertheilung der neuen Concession mit der
Kaiser Ferdinands-Nordbahn, welche sich
verpflichtete, »unter der Voraussetzung,
dass bei Ertheilung der einschlägigen
Concessionen, die jeweilig für Localbahnen
gesetzlich zulässigen Erleichterungen be-
willigt werden, zehn Localbahnen auszu-
führen«.
Am 13. März 1884 brachte die Re-
gierung eine neue Vorlage betreffend
Zugeständnisse und Begünstigungen für
Localbahnen zur verfassungsmässigen
Behandlung ein, die am 15. März dem
Eisenbahn-Ausschuss zugewiesen wurde ;
sie lehnte sich im Allgemeinen an das
bestehende Gesetz an, enthielt aber doch
einige wesentliche Aenderungen [Peage-
recht, Ausgabe von Prioritäts-Obligationen,
Benützung öffentlicher Strassen und An-
deres]. Die Regierung wollte auch jetzt
ihre viel angefochtenen Befugnisse nicht
nur nicht eingeschränkt, sondern auf un-
begrenzte Dauer verlängert und die Re-
gelung der finanziellen Verhältnisse ihr
überantwortet wissen ; eine staatswirth-
schaftliche Frage solle nicht zu einer
blossen Zuständigkeitsfrage herabge-
drückt werden.
Die Vorlage wurde damit begründet,
dass bei sorgfältigem Studium und auf
Grund der bisher gewonnenen Erfahrun-
gen sich herausgestellt habe, dass die
derzeit in Kraft stehenden gesetzlichen
Normen mit den nach dem bestehenden
Localbahn-Gesetze zulässigen Erleichte-
rungen im Allgemeinen vollkommen aus-
reichten, um Eisenbahnen minderer Ord-
nung aller Art bis herab zu den soge-
nannten Dampftramways in zweckmäs-
siger und öconomischer Weise sicherzu-
stellen.
Die Normen erschienen sogar wegen
ihrer allgemeinen Fassung und des Abgan-
ges schablonisirender technischer und son-
stiger Detailbestimmungen bei sachge-
mässer und zugleich möglichst coulanter
Durchführung von Seite der competenten
Verwaltungs-Behörden vorzugsweise ge-
eignet, bei der Concessionirung den Beson-
derheiten der betreffenden Verkehrsmittel
Rechnung zu tragen.
Es konnte und musste demnach von
einer durchgreifenden neuen gesetz-
lichen Regelung umsomehr Umgang ge-
nommen werden, als die eisenbahn-
politischen Verhältnisse, welche sich
I in mehrfacher Beziehung als ein Ueber-
gangsstadium darstellten, hiezu wenig
I geeignet erschienen und gerade auf jenem
Gebiete, bezüglich dessen eine neue Con-
cessionsnorm als wünschenswerth be-
1 zeichnet wurde, das ist bezüglich der
j Dampftramways [Dampfstrassenbahnen]
I für Oesterreich noch zu wenig Erfahrunsren
i vorlagen, während die einfache Ueber-
; tragung der im Auslande [insbesondere
j Oberitalien] gemachten Erfahrungen auf
I inländische Verhältnisse nicht thunlich
erschien.
Der Gesetzentwurf beschränkte sich
j demnach mehr oder weniger darauf,
1 das bestehende Gesetz bezüglich der
i durch die Regierung zu gewährenden
finanziellen Begünstigungen und sonstigen
Erleichterungen durch einige sachlich
; gebotene Ergänzungen und Abänderungen
: zu erweitern.
Durch die bei der Bezeichnung »Lo-
calbahnen« in Klammern beigefügten Aus-
drücke: »Secundärbahnen, Vicinalbahnen,
Dampftramways u. dgl. sollte ange-
deutet werden, dass die Bestimmungen
des Gesetzentwurfes nicht nur auf Local-
bahnen im engeren Sinne, sondern auch
auf alle Bahnsysteme minderer Ordnung
Anwendung zu finden hätten.
Das Gesetz sollte vom Tage seiner
Kundmachung an in Wirksamkeit treten
und am 31. December 1887 erlöschen.
Nachdem der Sessionsabschnitt bereits
sehr vorgerückt war und bei der vor-
handenen Stimmung des Hauses auf eine
rasche Erledigung des Entwurfes nicht
gerechnet werden konnte, sah sich die Re-
gierung genöthigt, um eine abermalige
Verlängerung des mit Ende 1884 ab-
laufenden Localbahn-Gesetzes, und zwar
Localbahnwesen.
491
bis zum I.Juli 1886 nachzusuchen; sie
hoffte, dass bis dahin der neue Ent-
wurf schon zum Gesetze erhoben sein
werde.
Am 4. December 1884 brachte die
Regierung die Vorlage ein und am
10. December stand sie bereits im Eisen-
bahn-Ausschuss in Verhandlung.
Der damalige Handelsminister Freiherr
von Pino hatte einen überaus schweren
und des Verkehrszweckes als Localbahn
im eigentlichen Wortsinne zur Aus-
führung komme. Jedenfalls könne hiefür
die Kilometerzahl nicht den Ausschlag
geben.« Ferner, sagte er, wurde bean-
tragt, der Regierung die Bewilligung von
solchen Eisenbahnen zu entziehen, die
auch wesentlich dem Transitverkehre
zu dienen bestimmt seien, sowie solche,
welche sich als Parallelgeleise einer
Abb. 212. Lopio-See. [Localbahn Mori-Arco-Riva.]
Stand ; er wurde gefragt, ob es richtig
sei, dass auf Grund des Localbahn-Ge-
setzes eine 200 km lange Concurrenzlinie
zur Galizischen Transversalbahn, die
Eisenbahn Stryj-Chodoröw-Podwoloczyska
concessionirt wurde; man werde aus
diesem Vorgange der Regierung bei der
Debatte über das Localbahn - Gesetz
Schlüsse ziehen. Ministerialrath Dr. von
Wittek gab zunächst Aufklärung über
den Zeitpunkt, in welchem die Qualifi-
cation einer Bahn als Localbahn erst
beurtheilt und entschieden werden könne.
»Es sei ganz wohl denkbar, dass auch
die fragliche Bahn nach Art der Anlage
bestehenden Hauptbahn darstellten und
endlich solche, die zwei Hauptbahnen
verbänden. Alle diese Fälle, welche
die Antragsteller ausnehmen wollten,
seien seither bei Concessionirungen
vorgekommen und hätten vorkommen
müssen.
Der Führer der Minderheit beanständete
die Concessionirung der Bahn Tulln-
St. Polten als einer zweiseitig an Haupt-
bahnen anschliessenden Linie, wobei sehr
harte Worte, wie »Missbrauch« und »Preis-
gebung der Staatsinteressen«, fielen, was
vom Handelsminister entschiedenst zurück-
gewiesen wurde.
492
P. F. Kupka
Abb. 213. Stützmauer mit Sparbögen und Viaduct Celva. [Yalsugana-Bahn.]
Im Hause erregte selbst der vor-
geschlagene Giltigkeitstermin, I.Juli 1886,
Anstoss; man wollte wissen, weshalb
eine so lange Frist begehrt werde. Die
einfache Verlängerung des Localbahn-
Gesetzes, erklärte ein Oppositions-Redner,
welches der Regierung zu solchen Be-
günstigungen die Vollmacht gebe, sei
nicht möglich. Das ganze Gesetz sei
überhaupt nicht nothwendig, so lange
das Abgeordnetenhaus tage, denn keine
einzige Bahn werde beim Wegfall dieses
Gesetzes ungebaut bleiben.
Der Regierungsvertreter erklärte,
dass es schwierig sei, der Anforderung,
Bahnen nicht als Localbahnen zu be-
trachten, welche wesentlich für den Transit-
verkehr bestimmt sind, in der Praxis zu
entsprechen; denn der Begriff »wesent-
lich« sei doch ein ausserordentlich
relativer, und es müsste in jedem Falle
gefragt werden, ob denn die Bahn als
eine für den Transitverkehr wesentliche
angesehen werden könne oder nicht. Unter
den österreichischen Bahnen sei es eigent-
lich nur das ungarantirte Ergänzungs-
netz der Oesterreichischen Nordwestbahn,
bei dem der Transitverkehr 6o°/0 des
Gesammtverkehrs betrage ; bei der Oester-
reichisch-ungarischen Staatseisenbahn be-
trage er nicht mehr als 4O°/0, und es
entstehe die Frage, ist es wesentlich,
wenn der Transitverkehr 40% aus-
macht oder ist es erforderlich, dass er
mehr als 5O°/0 ausmacht? Die Regie-
rung solle aber auch in Zukunft ge-
hindert sein, Parallel geleise als Local-
bahnen zu concessioniren, eine Bestim-
mung, die mit Rücksicht auf § 9 lit. b
des Eisenbahn-Concessions-Gesetzes nicht
nothwendig wäre, denn dieses Gesetz be-
stimme schon, dass Parallelbahnen nicht
gebaut werden dürfen. Der dritte Theil
des Antrages beziehe sich auf solche
Bahnen, welche zwei Hauptbahnen ver-
binden. In dieser Richtung sei hervor-
zuheben, dass von der Gesammtzahl
der durch das Gesetz vom Jahre 1880
concessionirten Localbahnen nicht weni-
ger als 54% solche wären, die an
beiden Endpunkten an bestehende Haupt-
bahnen anschliessen, oder die doch im
Hinblick und zum Zwecke eines solchen
Anschlusses erbaut worden seien. Es
dürfte also eine den bisherigen Auffas-
sungen und dem Bedürfnisse der Be-
völkerung nach Vervollständigung der
Schienenwege wenig zusagende Beschrän-
kung darin liegen, dass der Anschluss
an zwei Punkte von Hauptbahnen als
ein mit dem Begriffe der Localbahn nicht
zu vereinbarender Bau hingestellt wird.
Wenn in jedem einzelnen Falle eine Vor-
lage an das hohe Haus einzubringen
sei, dann wäre nicht einzusehen, wozu
eigentlich das Gesetz über Localbahnen
geschaffen worden und wozu dasselbe
auch noch jetzt für eine Gruppe von
Bahnen aufrecht bleiben solle.
Nach äusserst langwierigen Berathun-
gen wurden die Anträge der Minderheit
abgelehnt, die Verlängerung der Wirk-
samkeit des Gesetzes vom 25. Mai 1880
bis I. Juli 1886 angenommen und die
Beschlüsse beider Häuser am 28. De-
cember 1884 a. h. sanctionirt.
Der Gesetzentwurf vom 13. März 1884
wurde jedoch dem neugewählten Reichs-
rathe nicht wieder unterbreitet, sondern
die Regierung unterzog denselben einer
Localbahnwesen.
493
sorgfältigen Ueberprüfung und nahm theil-
weise auch, infolge von im Hause ge-
gebenen Anregungen, Abänderungen bei
mehreren Bestimmungen vor. Am 1 8. Juni
1 886 unterbreitete sie zwei Gesetzentwürfe,
von denen der erste die Anlage und den
Betrieb von Localbahnen, der zweite
die Strassen bahnen*) [Tramways]
betraf. Damit beabsichtigte die Regie-
rung eine abschliessende Regelung des
Localbahnwesens in weitem Sinne, sowie
die gesetzliche Feststellung des Strassen-
benützungsrechtes gegen den Willen der
zur Erhaltung nichtärarischer Strassen
Verpflichteten.
I Zuge und es lägen noch 50 Projecte für Lo-
calbahnen in der Gesammtlänge von
etwa 1600 km mit einem veranschlagten
Kostenaufwande von rund 8o,ooo.ooofl. vor.
Eine Erledigung dieses Gesetzentwurfes
zwischen dem 18. Juni und 1. Juli, mit
welchem Tage die Wirksamkeit des
Localbahn-Gesetzes ihr Ende erreichte,
konnte nicht gut angenommen werden,
weshalb der Eisenbahn-Ausschuss selbst
eine abermalige Verlängerung des früheren
Gesetzes in Antrag brachte. Die Minorität
erklärte, dass die Ertheilung so umfas-
sender Ermächtigungen den Charakter
eines Vertrauensvotums habe ; aber abge-
Abb. 214. Brücke und Tunnel ^Cantaughelf. Portal gegen Tezze. [Valsugana-Ba
In der Begründung wird ausgeführt,
dass es zweckmässig erscheine, die beiden
Gruppen von Verkehrsmitteln, nämlich
die Localbahnen und die Strassenbahnen
getrennt zu behandeln und die letzteren
zum Gegenstande einer besonderen Re-
gierungsvorlage zu machen. Bezüglich
der allgemeinen grundsätzlichen Gesichts-
punkte erachte die Regierung die ein-
schlägigen Ausführungen bei Einbringung
der Vorlage vom Jahre 1884 auch der-
zeit noch als zutreffend ; auf Grund der
Gesetze seien Local- und Secundärbahnen
[bis Juni 1886] in derGesammtausdehnung
von 1 964' 5 km concessionirt worden, ausser-
dem wären Vorverhandlungen behufs
Sicherstellung des Baues von 307-8 km im
*) Näheres hierüber siehe im Abschnitte
»Kleinbahnen« von Fr. Engel, sowie »Die
Entwicklung der Eisenbahn-Gesetzgebung
in Oesterreich« von Dr. V. Roll.
sehen davon, sei die beständige Verlän-
gerung der Vollmachten positiv schädlich,
weil hiedurch das Zustandekommen eines
definitiven Gesetzes ausserordentlich er-
schwert werde. Dem Bedürfnisse werde
vollkommen Genüge geleistet, wenn be-
züglich jener Bahnen, welche schon nahe
der Concessionirung seien, die Regierung
die Ermächtigung zur Bewilligung jener
erhalte. Die Majorität glaubte mit Rück-
sicht darauf, dass in der Zwischenzeit auch
noch für andere als die namhaft gemachten
Localbahnen die Concessionirung ange-
strebt werden könnte, die Verlängerung
des Gesetzes überhaupt, und zwar bis
Ende 1886, beantragen zu sollen.
Beide Häuser stimmten diesem Vor-
schlage bei, welcher Beschluss am 29. Juni
1886 die a. h. Sanction erhielt.
Der Eisenbahn-Ausschuss, aut das
baldige Zustandekommen eines dauernden
494
P. F. Kupka.
Localbahn-Gesetzes den grössten Nach-
druck legend, wählte den Abgeordneten
Dr. Ritter v. B i 1 i 11 s k i als Referenten,
welcher sofort bei Wiederzusammentritt
des Reichsrathes [October] Bericht zu
erstatten hatte.
In den folgenden Berathungen des
Eisenbahn-Ausschusses wurden zu dem
Gesetzentwürfe mehrere Aenderungen
beantragt. So solle beispielsweise die
Unterstützung seitens der Regierung auch
durch eine Erträgnis- oder Zinsengarantie
zum Ausdrucke gelangen ; die Einsetzung
einer Commission für die Fällung des
Enteignungs-Erkenntnisses bei Benutzung
nichtärarischer Strassen sei unbedingt
nothwendig; der Staat hätte sich des
Heimfallsrechtes bei den Localbahnen zu
begeben. Handelsminister Marquis von
Bacquehem übernahm es, die vielfachen
gegen die Regierungsvorlage geäusserten
Bedenken zu zerstreuen ; die Regierung
sei, führte er aus, bemüht gewesen, das
bestehende Localbahn-Gesetz nach den
gegebenen Erfahrungen zu ergänzen und
überhaupt das Localbahnwesen thunlichst
zu fördern. Den berührten Mängeln des
Concessions-Gesetzes gegenüber habe die
Praxis sich zu helfen gewusst. Die Er-
tragsgrenze für Tarif-Reductionen werde
in der Concessions-Urkunde in der Regel
mit 7°/0 normirt, und der Beginn der
90jährigen Concessionsdauer nicht mit
dem Tage der Bauvollendung, sondern
mit jenem der Concessions-Ertheilung
festgesetzt. In der dies ermöglichenden
Elasticität des Concessions-Gesetzes sehe
der Minister einen Vortheil. Die Hinder-
nisse bei dem Zustandekommen von
Localbahnen wären immer finanzielle,
nämlich wegen der Placirung jenes Capi-
talstheiles, der kein Erträgnis erwarten
lasse. Ueberdie Bestimmungen desGesetzes
werde man sich noch leichter einigen,
als über eine in das Gesetz aufzunehmende
Definition der Localbahnen ; solcher liege
etwa ein Dutzend vor. Bei Berathung
bezüglich der Abgrenzung der Local-
von den Strassenbahnen herrschte grosse
Meinungsverschiedenheit. *) Gegenüber
*) Bezüglich der Localbahnen im engeren
Sinne hatte die Techniker-Versammlung des
Vereines Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen
nachstehendeBegriffsbestimmung beschlossen:
den bezüglich der Betriebsverträge ge-
machten Einwendungen errinnerte der
Minister an die für die Hauptbahnen
erwachsenden Obliegenheiten. [Kaiser
Ferdinands-Nordbahn.] Die Staatsverwal-
tung, welche da nicht zurückbleiben,
sondern sogar etwas mehr thun solle, sei
oft hiezu umso leichter befähigt, als sie
den grossen Apparat ihrer Centralver-
waltung besässe. Bisher wurde stets die
Bedeckung der Selbstkosten durch eine
pro Kilometer bemessene Minimalver-
gütung gefordert. Die Frage stehe jetzt
so, ob die Gesetzgebung einen Schritt
weiter gehen wolle ; der Entschluss, diese
Betriebsführung selbst mit einem kleinen
Opfer zuzulassen, hänge eben von dem
Masse des Wohlwollens ab, welches die
Regierung nicht für sich, sondern für die
Localbahnen beanspruche.
Die meisten Bedenken erhoben sich
immer wieder gegen die zwangsweise
Benützung der nichtärarischen Strassen.
Es müsse eine Grenze geben, meinte der
Ausschuss, um das Recht der Communen
auf den mit grossen Kosten hergestellten
Strassen zu wahren, es müsse auch dem
Begehren Wiens und den auf dem öster-
reichischen Städtetage zum Ausdrucke ge-
langten Wünschen in dieser Richtung
Rechnung getragen werden.
Mit Ende 1886 war die Wirksamkeit
des Localbahn-Gesetzes abgelaufen.
Die Regierung hatte sich beeilt, alle
weiter vorgeschrittenen Projecte noch
Zu den Eisenbahnen untergeordneter Be-
deutung gehören:
a) Nebeneisen bahnen [Spurweite
I'435 m], welche zwar mit ihrem Oberbau
mit den Hauptbahnen im Wesentlichen über-
einstimmen, auf welche daher sowohl Wagen
als auch Locomotiven der Hauptbahnen über-
gehen können, bei welchen aber die Fahr-
geschwindigkeit von 40 km in der Stunde
an keinem Punkte der Bahn überschritten
werden darf, und für welche, dem auf ihnen
zu führenden Betriebe entsprechend, erleich-
ternde Bestimmungen platzgreifen dürfen.
b) Localeisen bahnen [Spurweite
i'335 »" oder kleiner], welche dem öffent-
lichen Verkehre, jedoch vorwiegend dem
Localverkehr zu dienen haben, mittels Dampf-
kraft durch Adhäsionsmaschinen betrieben
werden, bei welchen ferner der grösste Rad-
druck in der Regel nicht mehr als 5000 kg
beträgt und die Fahrgeschwindigkeit von
30 km in der Stunde an keinem Punkte der
Bahn überschritten werden darf.
Localbahnwesen.
495
vor Ablauf des Jahres zur Concessioni-
rung zu bringen. Bis dahin waren con-
cessionirt 86 Local- und Secundärbahnen
in der Gesammtausdehnung von rund
2400 km. Von diesen kamen 77 Bahnen
mit rund 2000 km ohne directe Staats-
unterstützung zustande. Für die ersten
Monate des Jahres 1887 lagen aus leicht
begreiflichen Gründen keine conces-
sionsreifen, oder wenigstens nicht so weit
die speciellen Ermächtigungen der Re-
gierung enthalte.
Der Ausschuss entschloss sich nun,
um den dringendsten Bedürfnissen des
Verkehres Rechnung zu tragen, mangels
einer gesetzlichen Abgrenzung des Be-
griffes der Localbahnen sowohl nach
oben als auch nach unten, ferner mangels
einer Regelung des Benützungs-
rechtes nichtärarischer Strassen und
Abb. 215. Viaduct Nr. I der Valsugana-Bahn.
gediehene Projecte vor, dass sie in ein
Gesetz aufgenommen werden konnten.
Würden alle Ansuchen aufgenommen,
meinte der Minister, so würden Hoffnungen
erweckt werden, die sich dann nicht erfüllen
könnten, zöge man den Kreis enger, so prä-
judicire man die nicht aufgenommenen
Linien. Die Concessionirung der Bahnen
sei wegen verschiedener Hindernisse
erst mit Ende, bestenfalls Mitte Juni
zu erwarten und bis dahin alle Aus-
sicht vorhanden, jenen Theil des
Localbahn - Gesetzes zu erledigen, der
der grundsätzlichen Regelung der ganzen
Finanzirung der Localbahnen, vorerst
jene Artikel der Regierungsvorlage, wo-
mit Bestimmungen über die Anlage und
den Betrieb von Localbahnen getroffen
werden und die die gewöhnlichenVollmach-
ten für die Regierung enthalten, dem Hause
zur Beschlussfassung vorzulegen. Die Vor-
lage über die Strassenbahnen [Tramways]
wurde gänzlich fallen gelassen. Die Regie-
rung erklärte sich mit diesem Vorschlage
einverstanden, und so wurde das Rumpf-
gesetz vom Abgeordnetenhause am 27.,
496
P. F. Kupka.
Abb. 216. Donaubrücke bei Krems. ,'Localbahn Herzogrenburg-Krems."
vom Herrenhause am 3 I.Mai angenommen,
erhielt am 17. Juni 1887 die a. h. Sanc-
tionirung und trat am 23. Juni 1887 mit
der Wirksamkeit bis 31. December 1890
in Kraft.
Das neue Gesetz [1887] hat gegenüber
jenem vom Jahre 1880 in einigen Artikeln
eine genauere Fassung, insbesondere
rücksichtlich des Verhältnisses zur Finanz-
verwaltung, erhalten.*)
In der Form einer Resolution wurde
die Regierung noch aufgefordert, »die
Frage der principiellen Regelung der
Finanzirung von Localbahnen unter Fest-
haltung einer Betheiligung des Staates,
der Länder, Bezirke, Gemeinden und der
sonstigen Interessenten und unter even-
tueller Berücksichtigung des Annuitäten-
Principes in reifliche Erwägung zu ziehen
und eine entsprechende Gesetzvorlage
einzubringen«.
Das Gesetz vom Jahre 1887 trug
wenig zur Entwicklung des Localbahn-
netzes bei, denn gerade zu jener Zeit
ist eigenthümlicherweise ein Stillstand
wahrzunehmen ; so wurde beispielsweise
im Jahre 1887 keine Concession ertheilt.
Am 4. December 1 890 ward eine Vor-
lage wegen Verlängerung der Wirksam-
keit dieses Gesetzes bis 3 1 . December 1 893
eingebracht. Die Regierung war der An-
sicht, dass dasselbe bisher seinem Zwecke
entsprochen habe, dass jedoch den fort-
dauernden Bedürfnissen noch lange nicht
in vollem Masse Genüge geschehen sei,
was den Gegenstand fortgesetzter staat-
licher Fürsorge bilden müsse. Die bisher
erzielten, immerhin beachtenswerthen Er-
folge Hessen eine weitere gedeihliche Ent-
wicklung erwarten, zumal wenn es ge-
*) Näheres hierüber siehe im Abschnitte
»Die Entwicklung der Eisenbahn - Gesetz-
gebung in Oesterreich« von Dr. V. Roll.
[Seite 82 und ff.]
länge, durch rationelle Organisirung des
Bausystems, Anwendung der schon mehr-
fach mit Vortheil benützten Schmal-
spur und durch stricteste Gebarungs-
Oeconomie die Anlagekosten thunlichst
zu ermässigen und wenn die Landesver-
tretungen fortfahren würden, diese Be-
strebungen materiell zu fördern.
Die Vorlage gelangte ohne Debatte in
beiden Häusern zur Annahme und erhielt
am 28. December 1890 die a. h. Sanction.
Im Reichsrathe war man jedoch mit
der Entwicklung der Localbahnen nicht
zufrieden ; man gab der Ansicht Aus-
druck, dass die Gesetzgebung Manches
zu wünschen übrig lasse und hinter jener
des Auslandes zurückstehe. Ueberdies
wirke auch die Stockung, welche jetzt
in der Verstaatlichung der Eisenbahnen
eingetreten sei, schädigend auf die Local-
bahnen ein. Es wurde eine bezügliche
Resolution vorgeschlagen und in der
Sitzung vom 9. März 1893 angenommen.*)
Mittlerweile hatte die Regierung eine
Vernehmung der zuständigen Vertretungs-
körper sowie der Fachkreise, welche sich
berufsmässig mit dem Bau von Local-
bahnen befassen, eingeleitet, um zu er-
fahren, auf welche neu einzuführende Er-
leichterungen und Zugeständnisse in
diesen Kreisen ein besonderes Gewicht
gelegt werde. Einerseits lag das Ergebnis
der Umfrage noch nicht vollständig vor,
andererseits war die Bearbeitung des
umfangreichen Stoffes noch nicht be-
wältigt worden, so dass die Regierung
sich ausser Stande sah, mit fertigen Vor-
schlägen an den Reichsrath heranzu-
treten. Sie unterbreitete deshalb am
23. November 1893 eine Vorlage behufs
*) Den Wortlaut derselben siehe im
Abschnitt »Die Entwicklung der Eisenbahn-
Gesetzgebung in Oesterreich« von Dr. V.
Roll. [Seite 88.1
Localbahnwesen.
497
neuerlicher Verlängerung des Gesetzes,
giltig bis 31. December 1894.
In den letzten drei Jahren — heisst
es u. A. in der Begründung — wurden 20
Localbahnen in der Gesammtlänge von
510 km und mit einem Anlage-Capital
von 15,240.000 fl. sichergestellt, darunter
13 Localbahnen von 171 km Länge ohne
jede finanzielle Unterstützung seitens des
Staates.
wurde eine Reihe von normalspurigen
Localbahnen [Lindewiese-Barzdorf, Ni-
klasdorf-Zuckmantel, Trient-Tezze, sowie
die schmalspurige Ybbsthalbahn in der
Gesammtlänge von 1 70 km und mit einem
Kostenanschlag von 11,520.000 fl.] ge-
setzlich sichergestellt.
Mit dem Jahre 1894 ward behufs plan-
mässiger Ergänzung und Vervollständi-
gung des heimischen Eisenbahnnetzes
Abb. 217. Viaduct und Brücke bei Waidhofen a. d. Ybbs. [Ybbsthalbahn.]
Die Vorlage erhielt am 27. Decem-
ber 1893 die a. h. Sanction.
Der in der Resolution ausgesproche-
nen Aufforderung kam die Regierung
theils durch besondere Gesetzesvorlagen
theils durch eine Reihe von Verwaltungs-
Massregeln nach, wie eine solche u. A.
die auf Grund der a. h. EntSchliessung
vom 4. Mai 1894 erfolgte Errichtung
eines Localbahn-Amtes im Handels-
ministerium und bei der General-Inspec-
tion der österreichischen Eisenbahnen,
zum Zwecke der beschleunigten Behand-
lung von Eingaben, war. Auf Grund
des Gesetzes vom 27. December 1893
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Theil.
durch Bahnen niederer Ordnung unter
Zugrundelegung des gemeinsamen Zu-
sammenwirkens von Staat, Land und
Interessenten eine Thätigkeit entfaltet,
welche sowohl im Reichsrathe als auch
in der Bevölkerung die freundlichste Auf-
nahme fand.
Am 5. April 1894 hat die Regierung
einen Gesetzentwurf eingebracht für die
Sicherstellung von 15 [mit zwei Alter-
nativen], zum grössten Theile als Local-
bahnen auszuführenden Eisenbahnen in
der Gesammtlänge von 531 km, be-
ziehungsweise 544 km mit einem Ge-
32
498
P. F. Kupka.
sammtkosten-Aufwande von 31,31 6.000 fl.,
beziehungsweise 31,896.000 fl. Die Aus-
wahl der in Vorschlag gebrachten
16 Bahnen beruhte grösstentheils auf
den mit den Landesausschüssen von
Böhmen und Steiermark getroffenen Ver-
einbarungen und bezog sich auch auf
Kärnten, Mähren und Niederösterreich.
Hiebei nahm der Staat in Form einer
Erträgnisgarantie und Subventionsleistung,
beziehungsweise in der sofortigen Einlösung
der fertiggestelltenBahnen, die Beschaffung
der Capitals-Beträge von 13,843.000 fl.,
beziehungsweise 13, 301. ooofl. oder 44-7°/0,
beziehungsweise 44-2°/0 des gesammten
Bauaufwandes auf sich, woraus sich eine
nominelle Jahreslast von 588.795 fl., be-
ziehungsweise 566.613 fl. ergab, die aber
mit Rücksicht auf die zu erhoffenden Er-
trägnisse der Bahnen voraussichtlich schon
in den ersten Betriebsjahren nur eine
wirkliche Belastung von rund 93.5000., be-
ziehungsweise 1 Ol. OOO fl. erwarten liess.
Werden hier noch die von Böhmen
und Steiermark ohne finanzielle Beihilfe
des Staates ausgeführten, oder zur Aus-
führung bestimmten Localbahnen sowie
die mit einer Staatssubvention sicherge-
stellte Murthalbahn einbezogen, so ergibt
dies — die beiden Alternativen in abge-
rundeten Durchschnittsziffern zusammen-
gefasst — ein Gesammtnetz von 750 km
Ausdehnung mit einem Anlage-Capital
von 40,000.000 fl., wovon 14,000.000 fl.
oder 35°/o "ü* einer voraussichtlichen
wirklichen Jahreslast von nur 1 20.000 fl.
auf den Staat entfallen.
Nach längerer Berathung wurde die
Vorlage mit geringen Abänderungen an-
genommen und erhielt am 22. Juni 1894
die a. h. Sanction ; hiemit wurden sicher-
gestellt die Linien : 1 . Karlsbad-Johann-
Georgenstadt, 2. Beneschau - Wlasim,
3. Neuhaus- Xeubystritz, 4. Zwittau-
Polifka, 5. Ceröan-Modfan mit Abzwei-
gung, 6. Rakonitz-Mlatz, 7. Rakonitz-
Pladen, 8. Pladen-Buchau, 9. Protiwitz-
Petschau, IO. Brüsau-Poliöka, 1 1. Zeltweg-
Wolfsberg, 12. Unter- Drauburg -Wöllan,
13. St. Georgen-Landesgrenze, 14. Neu-
berg-Maria Zell, 15. Mährisch-Budwitz-
Jamnitz, 16. Schwarzenau-Zwettl.
Von diesen waren Karlsbad-Johann-
Georgenstadt, Zelt weg- Wolfsberg und
Unter-Drauburg- Wöllan als Hauptbahnen
zweiten Ranges, Neuhaus-Neubystritz und
Neuberg-Maria Zell [letztere sollte nach
Vollendung und Inbetriebsetzung vom
Staate erworben werden] als schmalspurige,
alle übrigen als normalspurige Localbahnen
herzustellen.
Anlässlich der Berathung dieser Local-
b ahn- Vorlage gab die Regierung unter
allseitiger Zustimmung die Absicht kund,
alljährlich einen grösseren Complex
von Localbahn-Projecten der Sicher-
stellung zuzuführen, was durch die in den
einzelnen Ländern geschaffenen Gesetze
behufs Förderung des Eisenbahnwesens
niederer Ordnung ermöglicht erschien.
Die im April 1895 eingebrachte Re-
gierungsvorlage betreffend die im Jahre
1895 sicherzustellenden Bahnen niederer
Ordnung bezog sich auf 23 Linien [in
Böhmen, Galizien , Niederösterreich und
Salzburg] in einer Länge von zusammen
8i8-8 km mit einem Kostenaufwande von
38,780.000 fl. Davon wurden jedoch
sieben Linien, 130*5 km gleich I5'9%, mit
einem Anlage-Capital von 8,600.000 fl.
ohne staatliche Beihilfe gebaut.
Von den Gesammtkosten sollten
10,541.00011. oder 26-6°/o durch den Staat,
20,092.000 fl. oder 53'4% durch die Länder
und 7,894.000 fl. oder 20% durch die
Interessenten aufgebracht werden.
An der Capitalsbeschaffung für die
mit Unterstützung des Staates auszufüh-
renden 16 Linien von 607 "3 km Länge und
einem Anlage-Capital von 30,979.000 fl.
betheiligte sich der Staat mit 10,541.000 fl.
oder 34°/0, die Länder mit 15,434.000 fl.
oder 49°/0 und die Localinteressenten mit
4,977.000 fl. oder 17%. Die staatliche
Betheiligung betrug für Böhmen 47-i°/o,
für Niederösterreich i2"i°/0, für Salzburg
i7"9°/o und für Galizien i7-5°/0. Die
nominelle Jahreslast, welche sich hieraus
ergab, belief sich auf rund 445.000 fl., sie
dürfte sich jedoch mit Rücksicht auf
die Erträgnisse auf rund 78.000 fl.
ermässigen, durch welche Jahreslast
demnach ein Liniencomplex von 819 km
Länge sichergestellt war.
Mit dem a. h. sanctionirten Gesetz
vom 19. Juni 1895 wurden nachstehende
Linien sichergestellt: 1. Marienbad-Karls-
bad, 2. Schönwehr-Elbogen, 3. Wodnian-
Localbahnwesen.
499
,;J
Hl Sr^ ' "*ir ' ff ,U
Abb. 218. Trestlc-Works der Strecke Lunz-Gaming *»« 61*/,. [Ybbsthalbahn.]
Abb. 219. Trestle-Works der Strecke Lunz-Gaming km 6j''a. [Ybbsthalbahn.]
Moldautein, 4. Cercan - Kolin mit Ab-
zweigung, 5. Strakonitz-Bfesnitz, 6. Neu-
hof-Weseritz, 7. Absdorf-Stockerau, 8.
Wiener-Neustadt-Schneeberg, 9. St. Pöl-
ten-Kirchberg a. P., 10. Zell a. S. -Krimini,
11. Trzebinia-Skawce, 12. Pila-Jaworzno,
13. Chaböwka - Zakopane, 14. Borki
wielkie-Grzymalöw, 15. Kolomea-Zale-
szczyki, 16. Beraun-Duänik.
Bei fünf Bahnlinien, nämlich Schön-
wehr-Elbogen, Absdorf-Stockerau, Trze-
binia-Skawce, Pila-Jaworzno undKolomea-
Zaleszczyki wurde der Nachweis über
die gesetzlich bedungenen Interessenten-
Beiträge nicht erbracht und bei der Local-
bahn Chabowka-Zakopane hatten sich
technische, noch zu lösende Meinungs-
verschiedenheiten ergeben.
Für das Jahr 1896 ward nun gemäss
den mit den Ländern getroffenen Ver-
einbarungen die Sicherstellung einer
Gruppe von 25 Localbahnen mit 551 km
32*
5°°
P. F. Kupka.
Länge, einem Kostenaufwand von
24,397.000 fl. und einem Anlage-Capital
von 24,832.000 fi. in Antrag gebracht.
Von dieser Summe sollten 10,804.000 fi.
auf Grund der vom Staate zu gewährenden
Reinertrags-Garantien, 4,630.000 fl. auf
Grund der gleichartigen Garantien der
betheiligten Länder, 2,123.000 fl. durch
Beiträge, beziehungsweise Capitals-Auf-
wendungen des Staates, 1,942.000 fl. durch
Subventionen der Länder und 5,333.000 fl.
durch Beiträge der Interessenten auf-
gebracht werden.
Die nominelle Jahresverpflichtung,
welche der Staat infolge der Betheiligung
zu übernehmen hatte, beträgt rund
550.000 fl., das wirkliche Opfer im Hin-
blick auf die zu gewärtigenden Erträg-
nisse jährlich rund 175.000 fl., welcher
Betrag auch noch eine namhafte Herab-
minderung erfahren dürfte.
Wie in den Vorjahren, so konnten
auch diesmal bei der Aufstellung des in
dem Gesetzentwurfe niedergelegten Linien-
programms mehrere Bahnprojecte von
anerkannt wirthschaftlicher Nützlichkeit
nicht berücksichtigt werden, da die
Bedingungen, von welchen die staatliche
Hilfeleistung abhängig gemacht werden
musste, seitens der betreffenden Landes-
vertretungen und Interessenten entweder
gar nicht, oder nicht im vollen Umfange
erfüllt wurden. Es gilt dies insbesondere
von der seit längerer Zeit projectirten,
auch seitens der Regierung als bauwürdig
anerkannten Vintschgaubahn.
Eine Einschränkung des Programms
musste auch schon wegen der zu Tage
tretenden starken Nachfrage nach Arbeits-
kräften und Baumaterialien vorgenommen
werden, eine Erscheinung, wie sie schon
wiederholt beobachtet wurde und die in
der Durchführung der gross angelegten
Action auf diesem Gebiete zu einem ver-
langsamten Tempo mahnte. »Es wird
übrigens auch zu erwägen sein«, heisst es,
»ob in Ansehung grösserer Bahnbauten
von dem in den letzten Jahren eingehaltenen
Vorgange, solche in ein gemeinsames
Sich erstellungs- Gesetz aufzunehmen, der
Bedeutung des Gegenstandes entsprechend
nicht wieder abgegangen und auf die
vordem übliche Form einzelner Gesetz-
vorlagen zurückgegriffen werden soll.«
Die in den Entwurf einbezogenen
22 Localbahnen lassen sich nach der
Form ihrer finanziellen Sicherstellung in
drei Gruppen scheiden.
Die erste Gruppe umfasste elf Local-
bahnen von 300 km bei einem Nominalauf-
wand von 13,820.000 fl., wovon der Staat
für den bevorrechteten Theil der Anlage-
kosten eine Reinertrags-Garantie für den
Gesammtbetrag von 10,804.000 fl. ge-
währen sollte, diese waren : Deutschbrod-
Saar, Skuc-PoliCka, Prachatic- Wallern,
Winterberg - Wallern, Gstadt - Ybbsitz,
Wolframs - Teltsch, Mauthausen - Grein,
Bregenz - Bezan, Görz - Haidenschaft,
Laibach-Oberlaibach und Treibach-Klein-
Glödnitz.
Eine Neuerung hiebei war die Er-
mächtigung der Regierung, staatlich
garantirte Localbahnen, welche sich gegen-
seitig ergänzen oder fortsetzen, im Wege
der Zusammenfassung der den ein-
zelnen Linien zugesicherten Ertrags-
Garantien zu einem einheitlichen Ganzen
mit gemeinsamer Betriebsrechnung und
Verwaltung zu vereinen ; weiters konnte
eine verhältnismässige Herabminderung
der bedungenen Beitragsleistungen zu
Gunsten der Interessenten zugestanden
werden, wenn bei Durchführung des
Baues nach dem Ermessen der Regierung
Ersparnisse an den veranschlagten Bau-
kosten mit Grund zu gewärtigen waren.
Die zweite Gruppe umfasste sechs,
mit einer einzigen Ausnahme, auf die
Reinertrags - Garantien der betreffenden
Länder zu fundirenden Linien in einer
Gesammtlänge von 126 km und einem
Anlage-Capital von 5,487.000 fl., an deren
Finanzirung der Staat durch Uebernahme
volleingezahlter Stammactien im Betrage
von 484.000 fl. sich betheiligte. Diese
waren : Ht. Tf eban-Lochowitz, Blatna-
Nepomuk, Breznitz-Rozmital, Karlsbad-
Merkelsgrün, Ober Grafendorf- Mank und
Jenbach-Mairhofen.
Die dritte Gruppe umfasste fünf, zu-
sammen 62 km lange, einen Gesammtauf-
wand von 2,288.000 fl. erheischende Local-
bahnen, die unmittelbar an Staatsbahnlinien
anschlössen und deren Baukosten bezüglich
des Theilbetrages von 1,639.000 fl. zu La-
sten der für die Anschlusslinien gebildeten
Investitionsfonds und bezüglich des Restes
Localbahnwesen.
50I
durch Beitragsleistung der Länder und
Interessenten äfonds perdu bedeckt werden
sollten. Diese waren : Grulich-Schildberg,
Bärn-Hof, Olbersdorf-Hotzenplotz, Barz-
dorf-Jauernig und Haugsdorf -Weidenau.
Weitere Bestimmungen sollten die
Regierung ermächtigen, die mit dem Gesetz
vom 22. Juni 1894 vorgesehene Betheili-
gung des Staates an den Eisenbahnen
Zeltweg- Wolfsberg und Unter-Drauburg-
Wöllan, d. i. die 4°/0ige Reinertrags-Ga-
rantie auf das gesammte Vorzugscapital
im Betrage von 272.000 fl. auszudehnen.
Die Vorlage erhielt am 21. Juli 1896
die a. h. Sanction.
Diese, sowie die Localbahnvorlage
Bau von Localbahnen unter gleichzeitiger
entsprechender Betheiligung des Staates
und der übrigen Interessenten in ausgiebiger
Weise zu fördern, und zwar durch Bethei-
ligung an der Capitalsbeschaffung. Auf
Grund principieller Beschlüsse wurden für
eine Reihe von Localbahnen erhebliche
Unterstützungen zugesichert [Fehring-
Fürstenfeld, Gleisdorf-Weiz, Spielfeld-
Radkersburg, Radkersburg - Luttenberg,
Fürstenfeld-Hartberg], ohne jedoch hiemit
den immer dringenderen Wünschen des
Landes Genüge geleistet zu haben. Be-
werber traten ohne Detailpläne, Kosten-
voranschläge, oft mehrmals an den Landtag
heran, um sich vorerst Beiträge zu sichern.
Abb. 220. Pruthbrücke zwischen Xepolokoutz und Berbestie. [Bukowinaer Landesbahnen.]
vom Vorjahre fussten bereits auf dem
Reichsgesetze vom 31. December 1894.
Um nun die bei Schaffung dieses Ge-
setzes massgebend gewesene Bewegung in
den einzelnen Ländern, wenn auch nur
flüchtig zu kennzeichnen, müssen wir wieder
bis vor das Jahr 1890 zurückgreifen. Einer-
seits die Haltung der Regierung, anderer-
seits die als unzureichend angesehenen Be-
stimmungen des bestehenden Gesetzes, so-
wie das Zögern des nur auf Gewinn gerich-
teten Privat-Capitales bewogen einzelne
Länder, welche rückhaltlos anerkannten,
dass der Eisenbahnbau behufs Entfaltung
einer wirtschaftlichen Thätigkeit von
grösster Wichtigkeit und ein unabweis-
liches Bedürfnis sei, aus eigener Kraft
Landesbahnen zu schaffen.
Allen voran steht Steiermark.
Bereits in den Jahren 1882 und 1883
erklärte dei Landtag es für seine Pflicht, den
Diesen sich mehrenden Ansprüchen
und ungeregelten Anforderungen gegen-
über sollten die vom Lande jährlich zu
leistenden Beträge von vorneherein fest-
gestellt werden, umsomehr, als trotz der
in Aussicht gestellten reichlichen Unter-
I Stützung doch nur wenige Localbahnen
( zur Ausführung gelangten, und zwar aus
'. dem einfachen Grunde, weil die Be-
! Schaffung des übrigen zum Bau erfor-
derlichen Capitals nicht nur mit grossen
Schwierigkeiten, sondern auch mit hohen
Kosten verbunden war.
Ein Uebelstand machte sich hiebei
besonders bemerkbar, nämlich der, dass das
Bau- und Finanzgeschäft zumeist in einer
Hand vereinigt war. »Ist ein Vorproject für
eine Localbahn ausgearbeitet« — wir folgen
hier im Wesentlichen dem Bericht des steiri-
schen Landesausschusses an den Land-
tag 1889 — »so wird an die interessirten
502
P. F. Kupka.
Länder, mitunter auch an den Staat
wegen Uebernahme von Stammactien zum
Nennwerthe herangetreten. Der auf die-
sem Wege zu erreichende Beitrag beläuft
sich selten auf mehr als % des Bau-
erfordernisses, und nun obliegt es dem
Concessionswerber, für die weitere Be-
deckung Vorsorge zu treffen. Diese er-
folgt in der Regel durch Ausgabe von
Prioritätsactien, für welche weder eine
Garantie vorhanden, noch eine Zinsen-
deckung aus dem Bahnerträgnis sicher-
gestellt ist. Die Uebernehmer solcher
Titres sind ganz bestimmte Finanzgruppen,
die mit dem Concessionswerber, wenn
er nicht selbst Bauunternehmer ist, ein
Uebereinkommen erst dann treffen, wenn
entsteht. In den seltensten Fällen verfügt
nun der Unternehmer über ein Capital,
um aus Eigenem den Erfordernissen zu
entsprechen, und ist sonach gezwungen,
sich einen Barcredit zu verschaffen, wo-
bei je nach seiner Vertrauenswürdigkeit
weitere io°/0 verloren gehen.
»Ein anderer Uebelstand liegt darin,
dass mit einer Vorzugsdividende von 5 °/0
nicht ausgestattete Vorzugsactien entwe-
der gar nicht oder nur schwer an Mann
gebracht werden können, wonach denn
den Stammactien ein so hohes Zinsen-
und Tilgungserfordernis voransteht, dass
diese in den seltensten Fällen ein Er-
trägnis abwerfen ; ihr Werth sinkt dann
zumeist derart, als hätte der Besitzer
Abb. 221. Dniester-Viaduct bei Zaleszczyki. [Bukowinaer Localbahnen.]
ein der Gruppe zusagender Unternehmer
gefunden ist ; die Gruppe sucht selbst-
redend ihren Nutzen in -einem Curs-
gewinne, indem sie für die zu überneh-
menden Titres einen möglichst geringen
Betrag zugesteht. Das Angebot ist ein
umso niedrigeres, je kleiner die zu be-
gebende Summe, je geringer die commer-
zielle Bedeutung der Linie und je schwie-
riger ein Rentabilitätsnachweis zu erbrin-
gen ist. Im alkrgünstigsten Falle werden
die Vorzugsactien mit 85°/0 des Nenn-
werthes übernommen, was einem Zuschlag
von 15% für etwa 2/s des Baucapitales
gleichkommt.
»Gelingt es nicht, sämmtliche Stamm-
actien unmittelbar an die Interessenten
abzugeben, so wird der Bauunternehmer
seinen Gewinn je nach der Höhe des
zu übernehmenden Stammactien-Betrages
statt mit 5°/0 mit IO — 15°/0 veranschla-
gen, wodurch ein neuerlicher Verlust
gleich von Haus aus ä fonds perdu ge-
zeichnet.
»Zu dieser Vertheuerung der Local-
bahnen gesellt sich noch der Umstand,
dass die massgebenden Factoren und
betriebführenden Verwaltungen vielfach
gezwungen sind, gleich anfänglich grössere
Forderungen rücksichtlich der Stations-
anlagen und Fahrbetriebsmittel zu stellen
— Investitionen, die erst nach Jahren
durch die Verkehrsentwicklung oder etwa
denEintrittmilitärischerEreignisse gerecht-
fertigt wären — weil nach Vollendung des
Baues die Mittel für Erweiterungen und
Anschaffungen in der Regel erschöpft sind.
» Die Betriebführung erfolgt mit Rück-
sicht auf die seitens des finanzirenden
Institutes aufzustellende Ertragsrechnung
zumeist durch die anschliessenden Haupt-
bahnen auf Grund einer pauschalsten
Vergütung, welche wieder so gestellt ist,
dass unter allen Umständen damit das
Localbahnwesen.
503
Abb. 222. Elbebrücke bei Lobositz. [Teplitz-Reichenberger Localbahn.]
Auslangen gefunden wird. Endlich ver-
schlingt die Verwaltung einer Localbahn
gewöhnlich einen unverhältnismässig
hohen Betrag.
»Aus dem Vorstehenden ergibt sich,
dass heute im Grossen und Ganzen die
Localbahnen unöconomisch, theuer ge-
baut und ebenso verwaltet werden, und
daher kaum lebensfähige Unternehmungen
sind.
»Die Erwägung dieser Verhältnisse
führte zur Erkenntnis, dass Localbahnen
nur dann eine wirthschaftliche Berechti-
gung besitzen, wenn sie bei dem möglichst
geringen Geldaufwand die Verkehrs-
bedürfnisse thunlichst befriedigen, welches
Ideal wie bei den öffentlichen Strassen
erreicht wird, wenn die Beistellung der
erforderlichen Mittel gänzlich durch die
Betheiligten erfolgt, das heisst, eben wie
bei den Strassen, nicht nur durch die
Ortsinteressenten, sondern auch durch
Land und Reich.
»Das Land soll nicht mehr wie bisher
den Localbahnen Beiträge widmen, für
welche eigentlich kein reeller Gegenwerth
eingetauscht wird, sondern die Errichtung
von Localbahnen, sofern sie nicht im
Wege der Privatspeculation entstehen,
selbst in die Hand nehmen, als
Concessionär und Bauherr auftreten, die
Finanzirung unter Ausnützung seines
guten Credits selbst besorgen, sich
einen gewissen Einfluss auf die Anlage
wahren und Linien schaffen, welche
allen Anforderungen der Oeconomie ent-
sprechen.«
Mit dem hier auszugsweise wiederge-
gebenen Bericht wurde gleichzeitig ein
Gesetzentwurf unterbreitet, der vom
Landtage am 18. November 1889 ein-
stimmig angenommen wurde und am
11. Februar 1890 die a. h. Sanction erhielt.
Mit diesem Gesetze wurde das Land
behufs Förderung der Localbahnen zur
Aufnahme eines in 90 Jahren rückzahl-
baren Landeseisenbahn-Anlehens im Be-
trage von 10,000.000 fl. mit dem Zins-
fusse von 4°/0 und dazu ermächtigt,
den Erlös für die Ausführung von zu-
nächst vier, im allgemeinen Landes-
interesse gelegenen Localbahnen [Cilli-
Wöllan 39-2 km, Preding- Wieselsdorf
11 3 km, Pöltschach-Gonobitz I4'8 km,
Kapfenberg-Seebach 22-g km] zu ver-
wenden, falls die dabei betheiligten Inter-
essenten ausser Stande sein sollten, die
erforderlichen Geldmittel aufzubringen,wo-
bei die Bau- und Betriebs-Concessionen ent-
weder von der Landesvertretung selbst er-
worben oder die von Privat-Unternehmun-
gen erworbenen Concessionen zur Durch-
führung gebracht werden sollten. Der Local-
eisenbahn-Fonds sollte zum Bau von Local-
bahnen nur dann herangezogen werden,
wenn die Interessenten und der Staat oder
beide zusammen wenigstens ein Drittel
des Gesammterfordernisses als Beiträge
ä fonds perdu, oder die Uebernahme von
Stammactien zum vollen Nennwerthe zu-
sicherten oder wenn von denselben auf
Concessionsdauer die Verpflichtung über-
nommen werde, für den Fall, dass die
Betriebsüberschüsse der Localbahnen zur
504
P. F. Kupka.
Abb. 223. Höllengrund und Helenenthal- Viaduct.
[Teplitz-Reichenberger Localbahn.}
4%igen Verzinsung sowie zur Tilgungs-
quote nicht hinreichen, Zuschüsse von
mindestens drei Achtel des Gesammt-
erfordernisses zu leisten. Die unmittelbare
Ueberwachung des Betriebes solle durch
das auf Grund des Gesetzes errichtete Local-
eisenbahn- Amt, unbeschadet des den Staats-
organen gesetz- und concessionsmässig
zustehenden Aufsichtsrechtes, erfolgen.
Der Betrieb solcher Localbahnen sei in
der Regel durch die angrenzenden Bahn-
verwaltungen oder in eigener Regie
zu führen.
Zu den ursprünglich in Aussicht ge-
nommenen Linien traten später noch die
Localbahnen Unzmarkt - Mauterndorf,
Zeltweg-Wolfsberg, Unter-Drauburg-Wöl-
lan und St. Georgen-Sauerbrunn-Landes-
grenze.
Das für Böhmen erlassene, am
17. December 1892 a. h. sanctionirte
Gesetz lehnt sich an das steirische an,
weicht jedoch insoferne von diesem ab,
als das Land nur ganz ausnahmsweise
als Concessionär oder Bauunternehmer
auftritt. Nach diesem Gesetze kann
die Ausführung von Eisenbahnen niede-
rer Ordnung vom Lande gefördert
werden, wenn seitens der Interessenten
und des Staates oder seitens einer
der beiden Theile Beträge zu dem Bau-
aufwande in der Höhe von wenigstens
25°/0 ä fonds perdu oder gegen Ueber-
lassung von Stammactien zugesichert,
oder bei unzureichenden Betriebsergeb-
nissen Zuschüsse bis 3/8 des
Gesammterfordernisses auf
die Dauer der Concession
geleistet werden. Das Land
kann entweder eine Gewähr
bis zu 4°/0 für die Zinsen
und Tilgung der Prioritäts-
Obligationen, oder ein ver-
zinsliches, sicherzustellendes
Darlehen bis zu höchstens
7O°/0 des Bauaufwandes ge-
ben, ferner einen bestimmten
Zinsenertrag der Vorzugs-
actien zusichern, endlich an
der Uebernahme von Vor-
zugs- oder Stammactien sich
betheiligen. Zu diesem
Zwecke wurde die Aufnahme
eines Landes-Eisenbahnan-
lehens im Betrage von 10,000.000 fl. ab-
geschlossen, ferner mit der Landesbank ein
Abkommen getroffen, demgemäss diese
Anstalt 4°/o'ge Darlehen gewährt, und im
folgenden Jahre der Eisenbahnrath ein-
gesetzt.
Galizien erachtete schon im Jahre
1893 die Errichtung eines Eisenbahn-
Bureaus und die Einsetzung eines Eisen-
bahnrathes für nothwendig ; gleichzeitig
wurde der Landesausschuss angewiesen,
behufs Unterstützung von Eisenbahnen
niederer Ordnung ab 1894 jährlich durch
30 Jahre je 300.000 fl. im Landesbudget
einzusetzen. Auf Grund des am 1 7. Juli 1 893
a. h. sanctionirten Gesetzes können I. ver-
zinsliche Darlehen, 2. die Uebernahme von
Actien gewährt oder 3. die Durchführung
des Baues von Eisenbahnen in eigener
Verwaltung des Landes sichergestellt
werden, wenn die Nützlichkeit oder
Notwendigkeit des Eisenbahnbaues durch
Beschluss des Landtages anerkannt wird,
oder wenn seitens der interessirten
Factoren die Deckung von mindestens 1/3
des Anlage-Capitals der betreffenden Bahn
durch Beiträge ä fonds perdu, beziehungs-
weise die Uebernahme von Stammactien
im Nennwerthe zugesichert oder 1j3 der
Jahresrenten für Verzinsung und Tilgung
übernommen wird. Die galizische Landes-
bank ist zur Vermittlung der Aufbringung
der erforderlichen Geldmittel berufen.
Am 25. December 1893 richtete der
Handelsminister Graf Wurmbrand an die
Localbahnwesen.
505
Landesausschüsse von Niederösterreich,
Oberösterreich, Mähren, Schlesien, Tirol
und der Bukowina ein Rundschreiben,
womit denselben empfohlen wird, nach
dem Vorbilde des steirischen Landes-
gesetzes vom 11. Februar 1890 die ent-
sprechenden Schritte einzuleiten. Von
einer Aufforderung an die Länder Salz-
burg, Kärnten, Krain, Görz und Gradisca
sowie Triest und Istrien wurde Umgang
derung von zehn Localbahnen höherer
Ordnung. Das Land hatte bis 1894 einer
grösseren Anzahl von Localbahnen [u. A.
Ottrokowitz - Wisowitz, Littau - Polißka,
Olbersdorf-Hotzenplotz, Station Auspitz-
Stadt, Römerstadt -Rabersdorf, Anders-
dorf-Bärn, Budwitz-Jamnitz] Unterstützun-
gen bewilligt und fasste auf Antrag des
Landesausschusses die gesetzliche Orga-
nisation des Localbahnwesens ins Auge.
Abb. 224. St. Gilgen und der Zwülferkogel. [Localbahn Ischl-St. Wolfgang.]
genommen, da dort nur eine finanzielle
Unterstützung einzelner bestimmter Bahn-
projecte aus Landesmitteln in Betracht
kommen konnte und die allgemeine Or-
ganisation des Localbahnwesens voraus-
sichtlich eine praktische Bedeutung nictit
erlangen würde.
Der mährische Landtag ermäch-
tigte mit Beschluss vom 31. October
1889 den Landesausschuss, behufs Aus-
führung von zunächst sechs Localbahnen
bezüglich der Anlagekosten mit den
nächstbetheiligten Interessenten in Ver-
handlungen zu treten und empfahl der
Regierung die thunlichst kräftige För-
Der 1895 vorgelegte Gesetzentwurf sah
ab von der eventuellen Concessions-
werbunsr oder Führung des Baues und
Betriebes durch das Land, gleichwie von
der Errichtung eines Eisenbahnamtes,
empfahl jedoch die Einsetzung eines
Eisenbahnrathes. Das am 16. Mai 1895
a. h. sanctionirte Gesetz gestattet:
1. Die Garantirung eines jährlichen Rein-
erträgnisses behufs 4°0iger Verzinsung
und Tilgung von Prioritäts-Obligationen
[Eisenbahn - Schuldverschreibungen] der
Hypothekar-Darlehen. 2. Die Gewährung
eines 4°/0igen rückzahlbaren Darlehens
eventuell gegen Refundirung in Prioritäts-
=;oo
P. F. Kupka.
Obligationen, in beiden Fällen bis zu |
7O°/0 des vom Landesausschuss aner-
kannten Bauaufwandes. 3. Die Ge-
währung nichtrückzahlbarer Beiträge.
4. Eine Reinertrags-Garantie.
Niederösterreich hatte für die
Ybbsthalbahn, Göpfritz-Gross-Sieghardts,
später für Schwarzenau - Zwettl und
andere Linien erhebliche Unterstützungen
bewilligt, wollte aber, bevor es an
die Landesgesetzgebung schreite, den
Beschluss des im Zuge befindlichen
Localbahn-Reichsgesetzes abwarten. Der
hierauf vorgelegte Gesetzentwurf wurde
am 25. Januar 1895, gleichwie das
Organisationsstatut für den Landes-
Eisenbahnrath zum Beschluss erhoben und
erhielt am 28. Mai 1895 die a. h. Sanc-
tion. Demgemäss bestehen die an Unter-
nehmungen zu gewährenden Unterstützun-
gen 1. in einer Reinertrags - Garantie ;
2. in 4°/0igen Darlehen; 3. der Ueber-
nahme volleingezahlter Prioritäts- oder
Stammactien ; 4. in Beiträgen ä fonds
perdu und 5. in der Vornahme tech-
nischer und commerzieller Erhebungen,
Anfertigung von Projecten sowie Durch-
führung des Baues und Uebernahme der
Verwaltung.
Der Landtag Oberösterreichs
verhielt sich gegenüber dem Aus-
bau von Localbahnen ablehnend ; er
beauftragte am 10. Januar 1894 den
Landesausschuss, die Thätigkeit und
Erfolge der Landesvertretungen Steier-
marks, Böhmens und Galiziens einem
eingehenden Studium zu unterziehen
und hierüber in der nächsten Session
Bericht zu erstatten, was auch geschah.
Die Ausschussmehrheit sprach sich jedoch
sowohl gegen die Gründung eines Local-
bahn-Fonds, als auch gegen die Einsetzung
eines Eisenbahnrathes aus. Die Vorlage
wurde am 14. Februar 1895 angenommen
und erhielt am 22. Juni 1895 die a. h.
Sanction.
Obzwar Schlesien 1894 seine Be-
theiligung bei jeder einzelnen Localbahn
im Wege der Landesgesetzgebung fest-
zustellen beschlossen hatte, sorgte es
doch für eine allgemeine gesetzliche Re-
gelung, und zwar durch das Gesetz vom
5. Februar 1895, das am 3. Juni 1895 die
a. h. Sanction erhielt.
Aehnliche Gesetze schufen noch die
Länder Salzburg [12. Mai 1895] und
Krain [17. Januar 1896]. Tirol fand
hiezu keine Veranlassung, »da eine
Notwendigkeit nicht vorhanden sei, das
Localbahnwesen einer gesetzlichen Rege-
lung zuzuführen, bevor nicht die Er-
fahrungen in anderen Ländern dafür
sprechen; es reiche vielmehr die Ver-
handlung von Fall zu Fall aus«. Die
gleiche Ansicht herrschte auch in Vor-
arlberg und beide Länder gewährten
einzelnen Linien Unterstützungen.
Dem Bukowinaer Landtag wurde
auf Grund einer Enquete des Landes-
ausschusses für den Ausbau eines Local-
bahnnetzes eine Vorlage unterbreitet
und diese am 19. Mai 1893 angenommen.
Es handelte sich dabei um vier Local-
bahnen [Luzan - Zaleszczyki 42-8 fem,
Czudyn, beziehungsweise Radautz in das
obere Suczawathal 40 km, von Hliboka
oder Ruda nach Sereth 16 km, alle drei
normalspurig, und Nepolokoutz-Wiznitz
45 km schmalspurig], die als einheitliches
Ganze behandelt wurden und vom Lande
durch einen io°/0igen Beitrag zu den
Baukosten, und zwar durch Uebernahme
der entsprechenden Zahl von Stammactien
im Höchstbetrage von 500.000 fl. eine
Unterstützung fanden.
Nach diesen Ausführungen kehren
wir wieder zur Besprechung der weiteren
Entwicklung der Reichs-Gesetzgebung für
Localbahnen zurück.
Am 27. October 1894 brachte der
Handelsminister Graf Wurmbrand im
Hause der Abgeordneten einen Entwurf
ein, »womit Bestimmungen für die An-
lage und den Betrieb von Localbahnen
und Kleinbahnen getroffen werden«.
Für die Ausarbeitung des Entwurfes
waren die auf Grund des Rundschreibens
vom 8. Juni 1883 eingesandten Gutachten
des »Vereines zur Förderung des Local-
undStrassenbahn wesens«, des »Verbandes
der österreichischen Localbahnen«, ferner
jene vom niederösterreichischen und vom
steirischen Landesausschusse erstatteten
Eingaben [letztere von dem damaligen
Landeseisenbahn-Director verfasst], sowie
andere Vorschläge und die auswärtige
Gesetzgebung von hervorragendem Ein-
fluss.
Localbahnwesen.
507
Es erscheint zweckdienlich, die An-
träge und Wünsche der einzelnen Körper-
schaften wenigstens in ihren Grundzügen
hier anzuführen.
Der »Verband der österrei-
chischen Localbahnen« empfahl
[Juli 1893] jene Bahnen, die nur theil weise
dem öffentlichen Verkehr, das ist nur dem
Personen- und Güterverkehre behufs Ver-
frachtung bestimmter Artikel, oder privaten
Zwecken dienen, in »Bahnen unterster
ärarischen Strassen ward eine Reihe
von Bestimmungen in Vorschlag ge-
bracht.
Der »Verein für die Förderung
des Local- und Strassenbahn-
wesens« wies auf die hauptsächlichsten
Ursachen hin [August 1893], weshalb das
Local- und Strassenbahnwesen nicht in
wünschenswerther Weise sich entwickle.
Die bisher hergestellten Localbahnen
seien grösstentheils eigentliche Neben-
Abb. 225. Schneebergbahn.
Ordnung« [Tertiärbahnen] zusammen-
zufassen und einer abweichenden Be-
handlung und besonderen gesetzlichen
Regelung zu unterziehen. Die Begün-
stigungen hinsichtlich der Steuer- und
Stempelgebühren sollten als jeder Local-
bahn von vorneherein unbedingt zu-
gestanden, im Gesetz zum Ausdruck
gebracht und nicht durch die Regierung
von Fall zu Fall gewährt werden. Die
Bestimmung, dass eine Bahn wann
immer eingelöst werden könne, wirke
lähmend bei ihrer Gründung, weshalb
diese Berechtigung erst nach 20 Jahren in
Kraft zu treten habe. Auch bezüglich
der Benützung der Reichs- und nicht-
bahnen, die nur zum geringsten Theile
den örtlichen Bedürfnissen entsprängen,
dagegen vornehmlich anderen Zwecken
zu entsprechen hätten, wobei solche An-
forderungen in bau- und betriebstechni-
scher Beziehung gestellt würden, dass
an eine angemessene Rentabilität nicht
zu denken wäre ; es sei daher nicht unbe-
greiflich, dass das Privatcapital den
Localbahnen gegenüber sich ablehnend
verhalte. In den massgebenden Kreisen
glaube man, Normen zu Gunsten einer
öconomischen baulichen Gestaltung, der
einfachen Betriebsführung und Beweglich-
keit der Tarife nicht zugestehen zu
können. Die bisherigen Begünstigungen
5o8
P. F. Kupka.
für Localbahnen wären nicht verlockend
genug, um sich dem Bau solcher Bahnen
mit Erfolg zu widmen. Mit den Erleich-
terungen und Begünstigungen solle bis
an die äusserste Grenze gegangen wer-
den, es seien die Localbahnen von allen
Herstellungen, Leistungen und Kosten zu
befreien, welche nicht für die eigenen
Zwecke erforderlich und auch nicht pro-
ductiver Natur sind. Die Erwartungen
rücksichtlich einer ausgedehnten Ver-
breitung der Strassenbahnen für
den öffentlichen Personen- und Güter-
verkehr hätten sich nicht erfüllt. Von 1880
bis 1893 seien nur 10$ km, also jährlich
im Durchschnitt nur 8 km gebaut worden,
davon dienten 36 km dem Personen-
und Güterverkehr und 69 km blos dem
Personenverkehr, letztere wären also nur
Tramways und keine Localbahnen. Es
müssten für die Benützung der öffentlichen
Strassen gesetzliche Bestimmungen er-
lassen, die Bahnen unterster Ordnung,
denen die grösste Freiheit beim Bau und
Betrieb zu gewähren sei, ausgeschieden
und auf das Recht der Einlösung durch
den Staat, sowie das Heimfallsrecht ver-
zichtet werden.
Der niederösterreichische
Landesausschuss regte eine gemein-
same Besprechung des Ministerialerlasses
vom 8. Juni 1893 an, zu welchem Zwecke
Vertreter von Steiermark, Böhmen, Mähren
und Niederösterreich sich einfanden. Hiebei
trat die führende Stellung Steiermarks
zu Tage, denn die trefflichen, auf eine
langjährige Erfahrung gestützten Aus-
führungen des Directors des steirischen
Landes-Eisenbahnamtes bildeten den
Angelpunkt der Erörterungen und brachten
eine Fülle fruchtbarer Anregungen.
Die Note des niederösterreichischen
Landesausschusses vom 3. August 1893
unterstützte insbesondere die fach-
gemässen Ausführungen des steirischen
Landesausschusses aufs Wärmste und
empfahl weiters mit Rücksicht auf die
fortschreitende Entwicklung der Eisen-
bahntechnik bautechnische Bestimmungen
in das Gesetz nicht aufzunehmen, be-
fürwortete die weitestgehende Zuwendung
von Begünstigungen, sowie Vereinfachung
des Enteignungsverfahrens und gab
noch der Meinung: Ausdruck, dass es
nur recht und billig sei, wenn der Staat,
dem durch die Localbahnen ansehnliche
Vortheile erwachsen, auch an der Beitrags-
leistung für solche Bahnen sich be-
theilige.
Der steiermärkische Landes-
ausschuss glaubte, dass das neue
Gesetz nur dann zur Förderung und
Entwicklung der Bahnen beitragen könne,
wenn der Wirkungskreis der Regierung
beträchtlich erweitert werde und nicht
die jeweilige Zuwendung finanzieller Be-
günstigungen, ja sogar der Abschluss der
Betriebs-Pachtverträge der legislativen
Genehmigung vorbehalten bleibe; das
Zustandekommen von Localbahnen sei
häufig durch den langwierigen Weg der
Vorlagen unterbunden und überdies von
der politischen Constellation abhängig,
wobei vielfach die augenblickliche günstige
Gestaltung des Geldmarktes verloren
gehe. Es sollten den Unternehmungen
im Verwaltungswege solche Begünsti-
gungen zugewendet werden können, die
keine eigentliche Belastung des Budgets
darstellen. Bei der technischen Anlage
und dem Betriebe sollten die weitest-
gehenden Erleichterungen zugestanden,
die Mitbenützung der Reichsstrassen nicht
wie bisher erschwert und das Tarifwesen
in thunlichst einfacher Weise ausgestaltet
werden, damit es sich der geänderten
Handelsconjunctur rasch anzupassen ver-
möge. Die sonstigen im Verwaltungswege
zu gewährenden finanziellen Begünsti-
gungen wären zu theilen in solche, welche
a) unter allen Umständen und ohne Zeit-
beschränkung und b) nur vorübergehend,
insofern die eigenen Erträgnisse nicht
ausreichen, bewilligt werden. Das staat-
liche Peageverhältnis dürfe den Local-
bahnen gegenüber nicht zu Concurrenz-
zwecken ausgenützt werden, endlich sei
die Ausgabe von Prioritäten unter ge-
wissen Bedingungen zu gestatten.
Das Handelsministerium fasste das
Ergebnis seiner Umfrage in nachstehende
Sätze zusammen :
1. »Der in der österreichischen Local-
bahn-Gesetzgebung von Anbeginn fest-
gehaltene Grundsatz der Allgemeinheit
der für Localbahnen geltenden Normen
und ihrer Anpassungsfähigkeit an die
besonderen Fälle hat sich vollauf be-
Localbahnwesen.
509
währt und wäre derselbe daher auch in
dem neu zu erlassenden Gesetze aufrecht
zu erhalten.
2. Es erscheint wünschenswerth, dass
künftighin bei der administrativen Be-
handlung projectirter oder schon im
Betriebe stehender Localbahnen eine
schärfere Individualisirung und die weitest-
gehende Vereinfachung, insbesondere im
Sinne der Einschränkung der bau- und
betriebstechnischen Anforderungen auf
das geringste, nach den concreten Ver-
kehrsverhältnissen zulässige Mass, platz-
greife, weshalb es sich empfiehlt, das Lo-
calbahnwesen
vom Haupt-
bahnwesen
grundsätzlich
zu trennen und
für ersteres
einen selbstän-
digenOrganis-
mus im Rah-
men der Auf-
sichtsbehörden
zu schaffen.
3. Das an-
gestrebte Ziel
der baldigen
intensiven
Vervollkomm-
nung des hei-
mischen Lo-
calbahnwesens kann aber nur dann er-
reicht werden, wenn der Staat sowie
die Länder und sonstigen autonomen
Körperschaften sich zur Uebernahme
von finanziellen Risken und Opfern
entschliessen, welche das bisher übliche
Ausmass beträchtlich übersteigen und
wenn zugleich das durch die legisla-
tive Behandlung erschwerte Verfahren
bei Erwirkung staatlicher Beihilfen durch
eine angemessene Erweiterung des admi-
nistrativen Wirkungskreises der Regie-
rung thunlichst vereinfacht und be-
schleunigt wird.«
Laut dem vom Handelsminister Graf
Wurmbrand am 27. October 1894 ein-
gebrachten Entwürfe »für die Anlage und
den Betrieb von Local- und Kleinbahnen«
sollte das beantragte Reichsgesetz gemäss
den Schlussbestimmungen unter gleich-
zeitiger Ausserkraftsetzung des Gesetzes
Abb. 226. Etschbrücke der Localbahn Bozen-Kaltern.
vom 27. December 1893, mit 1. Januar
1895 in Kraft treten. Von einer Beschrän-
kung der Dauer des Gesetzes ward mit
Rücksicht auf die geplante dauernde
Regelung der in demselben behan-
delten Fragen Umgang genommen.
Die Vorlage selbst zerfällt in drei Ab-
schnitte, und zwar : A. Localbahnen
[Artikel I — XV], deren Begriff ebenso-
wenig wie früher definirt wird, B. Klein-
bahnen [Tertiärbahnen] [Artikel XVI
bis XXI], das sind »jene für den öffent-
lichen Verkehr bestimmten Localbahnen
von ganz untergeordneter Bedeutung
[normal- oder
schmalspurige
Zweigbahnen,
Strassenbah-
nenmitDampf-
oder elektri-
schem Betrie-
be, anderen
mechanischen
Motoren oder
animalischer
Kraft, Seilbah-
nen u. s. w.],
welche ohne
Verbindung
mit einer Ei-
senbahn höhe-
rer Ordnung
oder lediglich
mit einseitigem Anschlüsse an eine solche
Eisenbahn ausschliesslich den örtlichen
Verkehr in einer Gemeinde oder zwischen
benachbarten Gemeinden vermitteln . .« ;
endlich C. Schlussbestimmungen
[Artikel XXII bis XXIV].
Der Entwurf gelangte mit geringen
Aenderungen im Abgeordnetenhause am
12. December, im Herrenhause am
21. December zur Annahme und erhielt
durch die a. h. Sanction am 31. Decem-
ber 1894 Gesetzeskraft.*)
Die Regierung war ernstlich bestrebt,
mit diesem Gesetze nicht nur weitgehen-
den Wünschen der Bevölkerung nach-
zukommen und für eine grosse Zahl
schwieriger Fragen die Lösung zu rinden,
*) Näheres über die Bestimmungen dieses
Gesetzes siehe Bd. IV, Dr. V. Roll »Ueber
die Entwicklung der Eisenbahn-Gesetzgebung
in Oesterreich«.
5io
P. F. Kupka.
sondern auch einen kräftigen Anstoss
zur rascheren Entwicklung des als äusserst
wichtig anerkannten Localbahnwesens
zu geben.
Mögen die Erfolge die verdienst-
lichen Bemühungen vollauf lohnen !
Verzeichnis
der auf Grund des Gesetzes vom 25. Mai
1880, R.-G.-Bl. Nr. 56, betreffend die Zuge-
ständnisse und Begünstigungen für Local-
bahnen sowie der späteren einschlägigen
Gesetze concessionirten Localbahnen.
Im Jahre 1880.
1. Hullein-Kremsier 6'l
2. Linz-Kremsmünster 355
3. Kaschitz-Schönhof 4-1
4 Peeek-Zasmuk mit Abzweigungen
«^Bosic-KaufimundöjBosic-Karls-
thal 249
5. Smidar-Hochwessely 7-8
6 Chodau-Neudeck ...... 137
7. Zauchtl-Neutitschein . . . . . §'4
zusammen . . 1005
Im Jahre 1881.
8. Königgrätz-Wostromöf mit Ab-
zweigung Sadowa-Smifitz . . . 44-7
9. Nimburg-Jicin und Abzweigungen
a) Kfinec-Königstadtl und b) Ko-
pidlno-Libau 569
10 Nezvestic-Miröschau 19 4
11. Nusle-Modian 126
12. Stauding-Stramberg 186
13. Caslau-Mocovic 4-4
14. Vöklabruck-Kammer 85
15. Königshan-Schatzlar sammt Ab-
zweigung vonLampersdorf-Kohlen-
schächten 7-0
16. Kremsier-Zborowitz i6"5
17. Chotzen-Leitomischl 220
18. Preloue - Hefmanmestetz - Kalk-
Podol und Abzweigung nach Pra-
chowitz 212
19. Poiican-Sadska 6'2
20. Kralup-Welwarn 98
21. Lobositz-Libochowitz 13-8
22. Olmütz-Cellechowitz 35 9
23. Ungarisch Hradisch - Ungarisch
Brod 2T0
24. Zlonitz-Hospozin 8'0
25. Potscherad-Wurzmes 17-2
26. Brandeis a. E.-Celakowitz-Mochow I2'l
27. Jaroslau-Sokal I40'3
zusammen . . 5021
Im Jahre 1882.
28. Sedletz - Kuttenberg - Kuttenberg
Stadt 28
29. Hullein-Holleschau-Bistritz a. H. 18-8
30. Schönhof-Radonitz 119
31. Libau - Bakov mit Abzweigung
Detenitz-Dobrowitz 47-5
32. Krupa-Kolleschowitz 123
33. Schwechat-Mannersdorf .... 287
34. Liesing-Kaltenleutgeben .... 67
35. Pohl [Weisskirchenj-Wsetin sammt
Abzweigung a) zur Glasfabrik in
Krasna und b) Krasna-Roznau . 58-1
36. Hietzing-Perchtoldsdorf .... io-3
37. Bisenz-Gaya 17-0
38. Wittmannsdorf-Ebenfurth . . . 15-2
39. Mödling-Vorderbrühl-Hinterbrühl 4-5
40. Kremsmünster-Michldorf . . . 2 10
41. Klostergrab-Mulde 160
42. Segen Gottes-Okfiäko mit Abzwei-
gung Studenetz-Gross-Meseritsch 73-4
zusammen . . 344'2
Im Jahre 1883.
43. Bistritz am Hostein-Wallachisch-
Meseritsch 270
44. Wiener Gürtelbahn [Project Fo-
gerty, Concession erloschen] . . 28'0
45. Dolyna-Wygoda ....... 8'2
46. Minkowitz - Swolenowes, Sadska-
Nimburg mit Abzweigung Schwarz-
bach-Littau und Verbindungslinie
Nimburg-Velelib 2TI
47. Böhmisch Leipa-Niemes [183] mit
Flügel Reichstadt-Neu-Reichstadt 21-3
48. Czernowitz-Nowosielitza-Russische
Grenze 3I"4
49. Swolenowes-Smecna 10*3
zusammen . . 1473
Im Jahre 1
50. Brünn-Tischnowitz und Rudels-
dorf-Landskron 32-1
51. Elbogen-Giesshübl [nicht gebaut] 28-0
52. Wien-Stammersdorf . . 1067
Floridsdorf-Gross-Enzersdorf 14-90 25'6
53. St. Pölten-Tulln 46- 1
54. Spielfeld-Radkersburg .... 3f0
55. Fehring-Fürstenfeld 2l-o
56. Asch- Rossbach I5'0
57. Budweis-Salnau I7'5
58. Schimitzf- Brunn] -Vlarapass mit
Abzweigungen a) Nemotiz-Korit-
schan und b) [nicht gebaut]
Wessely-Strassnitz . . . ■ ■ I5Q'5
zusammen . . 4208
Localbahnwesen.
511
62.
63-
64.
65.
Im Jahre 1885.
59. Wien-Wiener-Neudorf .... 126
60. Hannsdorf-Ziegenhals 559
61. Salzburg - St. Leonhard - Reichs-
grenze I3'2
Böhmisch Kamnitz-Steinschönau 4-5
Hatna-Kimpolung .... 67-53
und Hliboka-Berhometh a/S 52-92
mit Abzweigungen:
a) Karapczina. S.-Czudyn 1884
b) Hadikfalva-Radautz . 813 147-4
Wels-Aschbach 203
Kofomea-Stoboda rungurska 251
sammt Abzweigungen :
a) Nadwordnaer Vorstadt-
Kniazdwör 7'l
b) Pruthübersetzung-Tablo-
nöw [nicht gebaut] . . I5'5 47 7
66. Röhrsdorf-Zwickau . . . . . . 4-8
zusammen . . 3064
Im Jahre 1886.
67. Enzersdorf bei Staatz-Pois-
dorf 9-4
und Jensovic-Luzec .... 32 126
68 Lemberg-Belzec [Tomaszöw] . . 884
69. Gaisberg Zahnradbahn .... 5-3
70. Perchtoldsdorf-Mödling .... 33
71. Bielitz-Kalwarya 57-3
72. Linz-Urfahr-Aigen[MühlkreisbahnJ 578
73. Prossnitz-Triebitz mit Flügel Kor-
nitz Opatowitz 88-1
74. Reichenberg-Gablonz 130
75. Unter-Rohr-Bad Hall 4-2
76. Herzogenburg-Krems und Haders-
dorf-Sigmundsherberg .... 633
77. Zasmuk - Gross - Becvär sammt
Schleppbahn zur Zuckerfabrik
Becvär 40
78. Dembica -Nadbrzezie mit Abzwei-
gung nach Rozwadöw .... 107-1
79. Hietzing-Ober St. Veit .... 2-4
80. Marienbad-Karlsbad mit Flügel
Schönwehr-Elbogen [Concession
erloschen erklärt] 705
81. Steinbauergasse-Central viehmarkt
[nicht gebaut] 60
82. Wiener-Neudorf-Guntramsdorf . 4-6
83. Wien-Inzersdorf a. W. Berg [nicht
gebaut] 3-6
zusammen . . 591 5
Im Jahre 1887.
Keine Concession ertheilt.
Im Jahre 1888.
84. Steyr [Garsten]-Unter- Grünburg
mit Fortsetzung bis Klaus [aus-
gebaut bis Agonitz, 322 km] . . 41-0
Drösing-Zistersdorf . . . . II'3
Göding-Tabakfabrik ... 1-4
Rohatetz-Strassnitz . . . .116
Hotzendorf-Neutitschein . io-I
und Golleschau-Ustron . . 5-4 398
Gleisdorf-Weiz 14-6
Michldorf-Klaus 9-0
Eisenerz-Vordernberg 19-5
Kosteletz-Czellechowitz .... 2-7
90. Jenbach-Achensee 6-4
91. Station Lemberg-Kleparöw-Lem-
berg sammt Zweiglinien .... 17-5
92. Verbindungsbahn Schimitz-Brünn 20
86
h
88
89
zusammen
152-5
Im Jahre 1889.
93. Laibach-Stein 23-1
94. GrossPriesen-Wernstadt mit Ab-
zweigung nach Auscha
95. Stauding-Wagstadt . .
96. Innsbruck-Hall i. T.
97. Mori-Arco-Riva . . .
98. Cilli-Wöllan
24-4
75
I2-I
24'5
37'5
zusammen . . 129- 1
Im Jahre 1890.
99. Ischl-Salzburg 63-9
nebst Abzweigung a) Mond-
see-Steindorf [nicht gebaut]
und b) Zahnradbahn auf den
Schafberg 5-7
100. Schwarzenau-Waidhofen a. Th. .
101. Radkersburg-Luttenberg ....
102. Zauchtl-Bautsch .... 38831
Zauchtl-Fulnek 9'448
Troppau-Bennisch . . . 29-660
103. Fürstenfeld-Hartberg sammt Ab-
zweigung nach Neudau ....
104. a) Hoi-an [Pofican]-Mochov 12-3
und b) Brandeis a. d. Elbe
-Neratowitz [Concession er-
loschen] 112
105. Steyr [Pergern]-Bad Hall . . .
zusammen . . 257-9
Im Jahre 1891.
106. Unterkrainer Bahnen 1326
Im Jahre 1892.
107. Wels-Unter-Rohr 24-9
108. Strakonitz- Winterberg 32-7
109. Wodnian-Prachatitz 274
110. Pöltschach-Gonobitz 14-9
in. Wieseldorf-Stainz 11-5
112. Baden- Vöslau 50
113. Castolowitz-Sollnitz [Kwasnay] . 153
114. Kapfenberg-Seebach [Au] . . . 230
115. Salzburg-Parsch 17
116. Tlumacz-Palahicze-Tlumacz. . . 67
zusammen . . 1631
696
7-2
254
77-9
387
235
15-6
;i2
P. F. Kupka.
117
118,
119
120
121
1-4
66
76 3
166
166
25-3
305
119
Im Jahre 1893
Belvedere-Bubenö . .
Morchenstern-Josefsthal
U nzmarkt-M auterndorf
Wotic-Selcan ....
Monfalcone-Cervignano
122. Deutschbrod-Humpoletz
123. Arnoldstein-Hermagor .
124. Plan-Tachau ....
zusammen . . 1852
Im Jahre 1894.
125. Ostgalizische Localbahnen . . . I97-5
126. Göpfritz-Gross-Siegharts ... 83
127. Trient-Tezze [Valsuganabahn] . . 65' 1
128. Station Auspitz-Stadt Auspitz . 6 8
129. Welchau - Wikwitz - Giesshübel-
Puchstein 80
130. Pfivoz-Mähr.-Ostrau 6-I
131. Station Gmunden-Stadt Gmunden 26
132. Localbahnlinien der Wiener Stadt-
bahn:
a) Wienthallinie 109
b) Donaucanallinie .... 5*2
c) Verbindungscurve ... 12 173
133. Branowitz-Pohrlitz und Rohrbach-
Seelowitz-Seelowitz Stadt . . . II 7
134. Nakfi-Netolitz-Netolitz Stadt . . 132
135. Mähr.-Budwitz-Jamnitz .... 207
136 Zwittau-Policka ....... 192
137. Postelberg-Laun 106
138. Schwarzenau-Zwettl . ... 21-3
139. Waidhofen a. d. Ybbs-Kienberg-
Gaming [Ybbsthalbahn] .... 706
140. Beneschau-Wlaschim 22 6
141. Neuhaus-Neubystritz 308
zusammen . .
Im Jahre 1895.
142. Salzburg-Lamprechthausen . . .
143. Kojetein-Tobitschau
144. Teplitz-Eichwald .... . .
145. Modfan-Oerean mit Abzweigung
Mechenic-Dobris
146. Prag-Vyso<5an mit Abzweigung zum
Liebener Schlosse
147. Lemberg-Janöw
148. Bielitz-Zigeunerwald
149. Rakonitz-Pladen-Petschau mit Ab-
zweigung Proti vitz [Luditz-Buchau]
150. Stramberg-Warnsdorf
151. Graz-Fölhng .
152. Schlackenwörth-Joachimsthal . .
153. Wr. Neustadt-Schneeberg mit Ab-
zweigung nach Wöllersdorf . .
154. Bukowinaer Landesbahnen
a) Luzan-Zaleszczyki . . . 43'°
b) Hhboka-Sereth .... 14 2
c) Radautz-Frassin .... 427
d) Nepolokoutz-Wifcnitz . 446
e) Itzkany-Suczawa . . . 5'0
155. Wodnian-Sloldauthein ....
156. Karlsbad-Reichsgrenze a^Karlsbad-
Xeurohlau und b) Neudeck-Grenze
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157. Melnik-Mäeno mit Abzweigung
a) Lhotka-Stfedenitz und 6,) Melnik-
Elbe 305
158. RoveretoRavazzone 46
159. Borki wielkie-Grzymalöw . . . 31-0
160. Mseno-Unter-Cetno 15 2
161. Zell am See-Krimml [Pinzgauer
Localbahnj 530
162. Teplitz [Settenz]-Reichenberg . . 1280
163. Kleinbahnen in Pilsen 103
164. St. Pölten-Kirchberg a. d. Pielach 312
165. Kleinbahnen in Czernowitz . . . 67
166. Petrowitz-Karwin io-o
167. Saitz-Göding 38 o
mitAbzweigungnachDubnian 40 420
168. Prag [Smichow]-Kosir 28
169. Strakonitz-Bfeznitz 497
170. Neuhof-Weseritz 243
171. Lupköw-Cisna 271
172. Kleinbahn in Reichenberg . . 3-4
zusammen . . 4698
Die nachstehenden Tabellen geben
ein Bild der Entwicklung des österrei-
chischen Localbahnwesens. Aus der Zu-
sammenstellung auf Seite 513 ist zu
ersehen, in welcher Weise sich dessen
Ausgestaltung in den einzelnen Kron-
ländern von Jahr zu Jahr vollzogen hat.
Die Zusammenstellung auf Seite 514
zeigt, wie sich die Eigenthumsverhältnisse
der Localbahnen in den einzelnen Kron-
ländern Ende 1896 gestalteten. Es ergibt
sich die Thatsache, dass zu dieser Zeit
von 3785.1 \\km Localbahnen, 689.496 km
Staatseigenthum und 3095.618 km Privat-
eigenthum waren.
Von dem auf 44,708.000 bezifferten
Gesellschafts-Capital jener Privat-Local-
bahnen, bei denen eine Betheiligung
seitens des Staates, des Landes oder
seitens anderer Interessenten stattfand,
erscheint mehr als die Hälfte, und zwar
25,015.900 durch diese Factoren aufge-
bracht. Der Staat allein hat zu diesen
Localbahnen 7,905.000 fl. beigetragen,
die Landesfonds 3,246.300 fl. und andere
Interessenten 13,864.600 fl.
Ueber die allmähliche Entwicklung der
österreichischen Localbahnen, sowie über
ihre Vertheilung je nachdem sie im Staats-
oder Privatbetriebe stehen, gibt die Zu-
sammenstellung auf Seite 515 entspre-
chenden Aufschluss.
Localbahnwesen.
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—
—
—
187786
187-786
1882
344-2
211-295
399-081
8-782
—
8-782
80*247
310-052
390299
1883
1473
219-278
618359
31428
—
31-428
—
11 1-353
475578
586931
1884
4208
28571 1
904070
55-38i
—
55-381
—
330-643
518046
848689
1885
306-4
165- 167
1069-237
136-508
—
136-508
—
416 281
516448
932 729
1886
5915
294-388
1363-625
157067
—
157-067
—
52I-4I9
685139
1206-558
1887
—
342 550
1706-175
270795
—
270795
—
743157
692223
1435380
[888
1525
463-346*
2169-521
326073
—
326073
—
1092 078
751370
1843448
1889
129 I
229957
2399-478
793-650
793650
—
11 19582
486246
1605828
1890
257-9
80419
2479-897
793650
—
793-650
—
1139712
546-535
1686-247
189 1
132-6
292586
2772-483
914-283
—
914283
—
II87-555
670645
1858-200
1892
1631
108 166
2880649
929-700
277-287
1206-987
—
976.587
697075
1673662
1893
185-2
224504
3I05-I53
1065-767
296785
1362552
—
976134
766-467
1742-601
[894
5319
273813
3378966
881-177
684-229
1565-406
9949
976134
827-477
18 13560
i895
5"-6
133 527
3512-493
965-278
684300
1649578
9949
998340
854626
1862-915
1896
4698
277-374
3789867
1127-581
684300
i8ir88i
9-949
998-343
969694
1977-986
•) Darunter die in Preussen
gelegen
5 Theilstr
ecke der
Localbahn Hannsdorf-
Ziegenhals mit 4753 km.
Technischer Charakter der österreichischen
Localbahnen.
Wie auf seinen Hauptbahnen, hat
Oesterreich auch auf den Linien, die als
Localbahnen zustande kamen, in techni-
scher Beziehung Hervorragendes geleistet.
Auch hier stellte in vielfacher Beziehung
die Bodenbeschaffenheit dem Ingenieur
die Aufgabe, in schwierigem Gelände zu
bauen und obzwar mit Rücksicht auf den
Kostenpunkt die Anlage bedeutender
Kunstbauten bei Nebenbahnen im Inter-
esse ihrer Rentabilität vermieden werden
soll, infolge der besonderen Verhältnisse
mancher österreichischer Localbahnen
Kunstbauten aufzuführen, die in techni-
scher Beziehung ohneweiters mit jenen der
Hauptbahnen in Wettbewerb treten können.
Es würde zu weit führen, alle bedeu-
tenderen Bauwerke, die Oesterreichs
Localbahnen insbesondere in den Gebirgs-
strecken aufweisen, aufzuzählen, oder gar
im Bilde zu geben, weshalb im Nach-
folgenden nur einige der bemerkens-
wertheren Localbahnen in aller Kürze
besprochen werden mögen.
Nicht ihrer technischen Bedeutung
wegen, sondern vielmehr um Anlagen
33*
5i6
P. F. Kupka.
einer der älteren österreichischen Local-
bahnen darzustellen, haben Abbildungen
der Wien-Aspang-Bahn, die als normal-
spurige Localbahn am 28. November 1877
der »Societe beige des chemins de fer«
concessionirt wurde und am 7 . August 1 88 1
von Wien bis Pitten, am 28. October bis
Aspang dem Verkehr übergeben wurde,
Aufnahme gefunden. [Vgl. Abb. 199
und 200.]
In technischer Hinsicht bemerkens-
werther ist die auf Staatskosten erbaute
und am 4. October 1879 eröffnete Secundär-
bahn von Unter-Drauburg nach
Wolfsberg [Lavantthalbahn] 37-9 km.
[Abb. 201 bis 204.]
Sie zweigt von der Pusterthallinie der
Südbahn bei Unter-Drauburg ab und führt
nordwestlich in der Richtung nach Wolfs-
berg. Ihre grösste Steigung beträgt
1 1 -4°/o, der kleinste Krümmungshalbmesser
130 m. Ausser der Uebersetzung des
Miesbaches und der Drau und dreimaliger
Ueberbrückung des Lavantflusses waren
schwierige Bahnbauten durchzuführen.
Bei den abgebildeten Lavantbrücken ge-
langten Schwedler- Träger zur Anwendung.
Die Brücke über die Drau mit 80 m Licht-
weite hat Parallelträger und dient sowohl
der Eisenbahn als auch dem Strassen-
fuhrwerke auf derselben Fahrbahn.
Durch Brücken mit bedeutenden
Spannweiten sind die Localbahnen Segen-
Gottes, Okfiäko [Chvoinitza-Viaduct bei
Rappotitz und Trebitscher Viaduct über
das Startscher Thal, vgl. Bd. II, Seite 300
und Abb. 161 des gleichen Bandes],
Hadersdorf-Sigmundsherberg [Kampffluss-
brücke eine Oeffhung ä 70-6 m], Postelberg-
Laun [Egerbrücke], Budweis-Salnau [Mol-
daubrücke mit zwei Oeffnungen ä 50 m]
und Radkersburg-Luttenberg [Murbrücke
mit zwei Oeffnungen ä 55 m Lichtweite
Halbparabelträger] bemerkenswerth.
Die technisch interessanteste Local-
bahn Oesterreichs ist unstreitig die Erzberg-
bahn von Eisenerz nach Vorder n-
berg [i9-9 km]. Am 10. October 1888
der Alpinen Montan-Gesellschaft con-
cessionirt, stellt sie die kürzeste Verbin-
dung zwischen Oberösterreich und Böhmen
einerseits und Steiermark andererseits her,
indem sie die Station Eisenerz [69 r6 m
Seehöhe] der Flügelbahn Hieflau-Eisenerz
über den Erzberg und Prebichl mit Vor-
dernberg [7Ö7-9 in Seehöhe] verknüpft. *)
Als normalspurige Adhäsions- und Zahn-
radbahn nach dem System Abt erbaut,
war sie die erste Bahn dieses Systems
in Oesterreich. **) Die Maximalsteigung
beträgt 7i°,'00, die Radien sind zumeist
mit 200 m angelegt.
In Eisenerz beginnend, geht die
Linie durch das Krumpen thal als Ad-
häsionsbahn. Hinter der gleichnamigen
Verladestelle beginnt jedoch die starke
Steigung und das Zahnrad tritt in Wirk-
samkeit, bis die Station Erzberg [1070»«
Seehöhe] erreicht ist. Dort tritt die Bahn
in den 1393 m langen Platten - Tunnel,
den sie als Adhäsionsbahn durchzieht ;
beim nördlichen Tunnelportal greift das
Zahnrad wieder ein bis zum kurzen
Prebichl-Tunnel, den die Trace abermals
als Adhäsionsbahn passirt und an dessen
Ende die Station Prebichl liegt. Von
Prebichl ab bis Vordernberg gelangt in
massigem Gefälle durchaus die Zahnstange
zur Anwendung, mit Ausnahme eines
kurzen Stückes bei Vordernberg, wo die
Linie nur als Adhäsionsbahn ange-
legt ist.
Die bemerkenswerthesten Objecte
der Bahn sind: Gleich hinter der
Station Eisenerz beim historischen Schicht-
thurm des Marktes Eisenerz derSchicht-
thurm-Tunnel, 143 m lang, der den
vorspringenden Berghang gerade unter
dem Schichtthurm durchfährt. Hinter der
Verladestelle Krumpenthal, wo die Bahn
im scharfen Anstiege ist, wird der 245 m
lange Klamm wald-Tunnel durch-
fahren, unmittelbar darnach der eng ein-
geschnittene Ramsaugraben auf dem stei-
nernen, IOO m langen Ramsaubahn-
Viaduct mit acht Bogenöffnungen, 3 1 m
über der Thalsohle übersetzt [Abb. 205] ;
dann folgen der Kressenberg-Tunnel,
150 vi lang, beim Franzosenbühel, hier-
auf einige tiefe Einschnitte und mehrere
*) Ueber die Geschichte der Erzbergbahn
vgl. Bd. I, 2. Theil, Geschichte der Eisen-
bahnen Oesterreichs etc. von J. Konta,
S. 401 u. ff.
**) Die früher gebauten Zahnradbahnen
waren nach dem System Riggenbach ein-
gerichtet. [Vgl. hierüber den Abschnitt »Klein-
bahnen« von F. R. Engel.]
Localbahnwesen.
517
hohe Anschüttungen, der Sauerbrunn-
graben - V i a d u c t, 20 m hoch, gleich-
falls mit acht Oeffnungen, und der
117 m lange, 31 m hohe Weiritz-
graben-Viaduct mit 10 Bogenöffnun-
gen. Die Bahn hat inzwischen eine Kehre
vollführt und bei der Station Erzberg
eine absolute Höhe von 379 in über-
wunden.
Unmittelbar hinter der Station Erzberg
tritt die Bahn in ihren längsten Tunnel,
den Platten-Tunnel, ein, steigt jen-
seits des Tunnels im Feistergraben wieder
beträchtlich, übersetzt den Hochdruck-
graben auf dem 108 in langen, 32 m
hohen achtbogigen Hochdruckgrabe n-
V i a d u c t, dem folgt der Weinzettel-
graben-Viaduct, mit sechs Bogen-
öffnungen 7 2 m lang, der den gleichnamigen
Graben und die Prebichler Reichsstrasse
überbrückt. Alsbald tritt die Bahn in den
590 m langen Prebichl-Tunnel ein
und erreicht inmitten desselben den Scheitel-
punkt der Bahn in 1204 in Seehöhe. Ab-
wärts gegen Vordernberg zu wären her-
vorzuheben der fünfbogige Rötzgraben-
V i a d u c t, ferner der Rebenburghof-
Viaduct mit sechs und der Vordern-
bergerbach-Viaduct mit vier Oeff-
nungen, der die Reichsstrasse noch ein-
mal zum dritten Male überbrückt [Abb.
205—209].
Die Bahn wurde am 15. September
1891 dem Betriebe übergeben. Zur Ver-
wendung gelangen combinirte Abt'sche
Locomotiven [Abb. 210], welche äusser-
lich den gewöhnlichen Adhäsionsmaschi-
nen mit aussenliegenden Dampfcylindern
gleichen. Zwischen den Rahmen ist aber
ein zweites Cylinderpaar angeordnet, das
ohne Vorgelege, also unmittelbar mittels
Kreuzkopf und Querstange, zwei unter-
einander gekuppelte Zahnradachsen in Be-
wegung setzt. Die Adhäsionsmaschine
arbeitet ununterbrochen an jeder Stelle
der Bahn, während der Zahnradmecha-
nismus eingestellt wird, sobald die Zahn-
stange aufhört.
Versuche lehrten, dass eine solche
Maschine eine Nettolast von 99-2 t und
ein Rohgewicht von 150 t zu befördern
im Stande ist.
Reichenberg-Gablonz-Tann-
wald, concessionirt 2. Juli 1886 und
15. März 1893, ist eine Gebirgsbahn im
wahrsten Sinne des Wortes, hier wech-
seln tiefe Einschnitte mit hohen Dämmen,
Viaducten und Tunnels [einer von 412 in
Länge]. Die Station Morchenstern wurde
thatsächlich ganz den Felsen abgenommen.
Die grossen technischen Schwierigkeiten
des Baues stellten ebenso grosse finan-
zielle Anforderungen. Eines der Haupt-
punkte ist der sogenannte Bettelgrund-
Viaduct bei Morchenstern. [Abb. 211.] Die
Strecke Reichenberg - Gablonz wurde am
26. November 1888, die Fortsetzung bis
Tannwald und der Flügel Morchenstern-
Josefsthal-Maxdorf am 10. October 1894
eröffnet. Den Betrieb führt die Süd-nord-
deutsche Verbindungsbahn.
Mori-Arco-Riva. Die am 23. No-
vember 1889 concessionirte 24-5 km
lange schmalspurige [76 cm] Bahn ist
wohl eine der landschaftlich schönsten
und technisch schwierigsten Localbahnen
Oesterreichs. Sie führt von Mori [Süd-
bahnstation] im I73'4 m Seehöhe west-
lich, erreicht stets ansteigend die Station
Loppio [224*2 m] in der Nähe des gleich-
namigen einsamen Gebirgssees [Abb. 212],
umfährt diesen, zieht vorerst in nördlicher,
dann in südlicher Richtung, beschreibt
abermals eine grosse Schlinge zum Ueber-
gang in die nördliche Richtung, über-
schreitet in km 11 die Wasserscheide
[269-2 in] und senkt sich in einem grossen
westlichen Bogen allmählich zur Station
Nago [221*9 ntl herab; sie hat eine karst-
ähnliche Felswildnis mit geklüftetem Ge-
stein und überhängenden Wänden durch-
quert und eröffnet nach dem Verlassen des
Gebirgsdefilees einen herrlichen Blick auf
den Gardasee und Riva. In Gefällen von
165— 26°/oo erreicht sie Arco [86*8 m]
und die Endstation Riva [66-6 in]. Die
Bahn wurde am 29. Januar 1891 eröffnet.
Die Valsugana-Bahn Trient-
Tezze [65 km] wurde am 11. Januar
1894 concessionirt und am 27. April
1896 eröffnet und strebt die kürzeste
Verbindung zwischen Südtirol und Venedig
an. Obzwar als Localbahn in Aussicht
genommen, gleicht sie in ihrer heutigen
Anlage einer normalspurigen grossen
Gebirgsbahn, indem sich ein Kunstbau
an den anderen reiht. [Abb. 213—215.]
Von der Station Trient [1925 km See-
5i8
P. F. Kupka.
höhe] fährt sie in südöstlicher Richtung
über Dämme und gemauerte Viaducte,
einen mit 48 Oeffnungen ä 8 m lichte
Weite, einen zweiten mit 74 Oeffnungen
ä 8 )» und 1 Oeffnung mit 10 tn lichte
Weite, in die linksseitige Etschthalebene,
wendet sich behufs Längengewinnung
nach Süden, dann nach Durchfahrung
des S. Roccotunnels [373 tn Länge]
nach Norden und schlägt bei der Halte-
stelle Povo wieder eine nordöstliche
Richtung ein, von wo sie im Thale der
Fersina dem linken Ufer des Wildbaches
auf Dämmen, Stützmauern, Viaducten und
durch Tunnels von 376-6, 126-2, i66-2
und 81 "5 m Länge folgt. Bei Pergine
überschreitet sie die Wasserscheide in
km 17*7 und 471 tn Seehöhe und zieht
im Gefälle südlich zum Caldonazzosee, um-
fährt diesen, erreicht die Station Levico
in km 30*4, folgt in östlicher Richtung
dem Laufe der Brenta, diese selbst zwei-
mal übersetzend und erreicht über Strigno
und Grigno die Reichsgrenze bei Tezze.
Monfalcone-Cervignano, oder
Friaulerbahn, 22. Mai 1893 concessionirt
und 10. Juni 1894 eröffnet. Diese i6'4 km
lange normalspurige Linie ist nicht nur
von erheblicher Bedeutung für die frucht-
bare friaulische Tiefebene, sondern bildet
auch die kürzeste Verbindung zwischen
Triest und Venedig. Das bemerkens-
wertheste Object ist die Halbparabel-
träger-Eisenbrücke über den Isonzo mit
7 Oeffnungen von je 50 m lichte Weite,
die einen Kostenaufwand von 400.000 fl.
verursachte. [Vgl. Abb. 153 a und 153 b
im Bd. II, Seite 293 und 294.]
Die Localbahn Herzogenburg-
Krems-Sigmundsherberg, 61-3 km
lang, wurde am 12. October 1866 con-
cessionirt und am 16. Juli 1889 eröffnet.
Die grosse eiserne Donaubrücke bei
■Krems hat vier Oeffnungen zu 80 m und
zwei Oeffnungen zu 60 m lichte Weite.
[Abb. 216 und Abb. 160 im Bd. II,
Seite 304.] Per Betriebsdienst wird vom
k. und k. Eisenbahn- und Telegraphen-
Regiment besorgt.
Ybbsthalbahn. Diese am 22. Octo-
ber 1894 concessionirte schmalspurige,
[76 cm], mit einer 4°/0igen Staatsgarantie
ausgestattete Localbahn verbindet Waid-
hofen a. d. Y. mit Lunz, eine Station der
Linie Pöchlarn-Gaming. Von Kunstbauten
sind zu nennen : der Viaduct bei Waid-
hofen mit 8 Oeffnungen ä 7 m lichte
Weite, nebst einer Parallelträgerbrücke
von 28 m, einer Fischbauchträgerbrücke
von 50 tn lichte Weite und einen Viaduct
von 5 Oeffnungen ä 7 tn lichte Weite
[Abb. 217 sowie Abb. 157 im Bd. II,
Seite 298]. In der derzeit noch nicht eröff-
neten Strecke Lunz-Gaming kamen zum
ersten Male auf dem Continente soge-
nanntes Trestle-Work [Gerüstwerk], wie
solches in Amerika schon seit Beginn
des Bahnbaues in ausgedehntester An-
wendung steht, hier jedoch als Eisen-
construction zur Ausführung. [Abb. 218
und 219.] Beide Viaducte haben eine
Länge von etwa 100 tn und eine von
29 tn, beziehungsweise 24 m und liegen
im Bogen von 60 tn Halbmesser.
Bukowinaer Landesbahnen.
An hervorragenden Kunstbauten sind hier
zu erwähnen, und zwar auf der Linie
Nepolokoutz-Wiznitz, die hölzerne Pruth-
brücke mit 37 Oeffnungen ä II w lichte
Weite [Abb. 220], dann die ebenfalls in
Holz ausgeführte Czeremoszbrücke mit
33 Oeffnungen ä 11t»; ferner der Linie
Lu£an-Zaleszczyki, die eiserne Brücke
über den Dniester mit zweimal 4 Oeff-
nungen ä 60 und ä 30 tn als Fischbauch-
und Parallelträger, deren Mittelpfeilerhöhe
über Niederwasser etwa 30 tn beträgt
[Abb. 221 sowie Abb. 155 im Bd. II,
S. 296]. Die Anlage so grosser Holz-
brücken erklärte sich durch den Holz-
reichthum des Landes, beziehungsweise
den niedrigen Preis dieses Materials.
Teplitz-Reichenberg. Im Zuge
dieser Linie sind bemerkenswerth : die
Elbebrücke bei Lobositz, 3 Stromöffnun-
gen ä 72-3 tn lichte Weite [Halbparallel-
träger], 4 Inundations-Oeffnungen ä 25 tn
lichte Weite [Parallelträger Abb. 222];
ferner der Höllengrund - Viaduct mit
3 Oeffnungen ä 40 tn lichte Weite in
Parallelträgern - Eisenconstruction und
3 gewölbten Oeffnungen ä 12 m lichte
Weite ; endlich der Helenenthal - Viaduct
mit einer gewölbten Oeffnung ä 12 tn und
einer Eisenconstruction [Parallelträger]
ä 40 m lichte Weite. [Abb. 223.]
CerSan-Modran-DobfiS. Das
hervorragendste Kunstwerk ist hier die
Localbahnwesen.
519
Moldaubrücke bei M6chenitz mit einer
Oeffhung [Halbparallelträger] von 66-6 m
lichte Weite nebst vier Oeffnungen ä
367, 37'2, 37-3 und 12'8 m Stützweite;
letztere vier Oeffnungen im Bogen von
280 m Halbmesser. [Abb. 162 in Bd. II,
Seite 306.]
Die Salzkamm ergut-Loc albahn
ist nicht nur wegen ihrer herrlichen land-
schaftlichen Lage als auch in technischer
Beziehung bemerkenswerth. Als Schmal-
spurbahn mit 76 cm Spurweite erbaut,
umfasst sie die Strecken Ischl-Strobl-
Mondsee-Salzburg nebst der Abzweigung
Mondsee-St. Lorenz und die Zahnradbahn
auf den Schafberg.
Die Bahn wurde am 1. Januar 1890
concessionirt und Ischl-Strobl [9'55 km]
am 5. August 1890, Mondsee-Salzburg
[31-31 km] am 28. Juli 1891, Strobl-
St. Lorenz [22-5 km] am 20. Juni 1893
und die Schaf bergbahn*) am 1. August
1 893 eröffnet. Die Bahnen sind Eigenthum
der Salzkammergut-Actiengesellschaft.
Der Bau der Bahn bot wesentliche
Schwierigkeiten infolge der Herstellung
von Brücken, Viaducten, Tunnels und Ein-
schnitten an den Berghängen. [Abb. 224.]
Die bedeutenderen Objecte dieser Bahn
sind : Traunbrücke bei Ischl, Eisencon-
struction, zwei Oeffnungen ä 30TJ m ;
Kaltenbach-Viaduct, Eisenconstruction,
continuirlicher Träger mit Balancepfeilern,
fünf Oeffnungen ä 20*0 m ; Zinkenbach-
Brücke, Eisenconstruction, eine Oeffhung
ä 50-0 m ; St. Gilgner-Viaduct, gewölbt
vier Oeffnungen zusammen 28,o m.
Die grösste Steigung beträgt auf den
Strecken Ischl-Strobl, Mondsee-Salzburg,
Strobl-St. Lorenz 25°/oo> der kleinste
Krümmungshalbmesser 60 m, beziehungs-
weise auf der Strecke Mondsee-Salzburg
75 »t-
Die Schneebergbahn. Diese Linie
zerfällt in zwei Theile, und zwar in die
normalspurige vom 15. April 1897 er-
öffnete ÄdhäsionsstreckeWiener Neustadt-
Puchberg nebst Zweiglinie nach Wöllers-
dorf und in die am I. Juni 1897 eröff-
nete schmalspurige [1 m] Zahnradbahn
*) Ueber die Schaf bergbahn bringt der
Abschnitt «Kleinbahnen« nähere Mitthei-'
lungen.
nach System Abt. Von ihrer Ausgangs-
station Wiener-Neustadt führt die Trace
östlich durch das sogenannte Steinfeld,
dann südöstlich über Fischau; beiWöllers-
dorf beginnt die Bergstrecke der Adhä-
sionsbahn mit Steigungen bis zu 4O°/00,
übertrifft demnach jene der Semmering-
bahn, erreicht Grunbach und fällt lang-
sam gegen das Puchbergerthal ab, wo sie
die Station Puchberg in km 28 und in der
Seehöhe von 576 m erreicht. [Abb. 225.]
Hier schliesst sich die Zahnradbahn an, die
auf den Schneeberg [1795 m Höhe] führt;
sie hat demnach einen Höhenunterschied
von 12 19 m bei 9-5 km Länge in Höchst-
steigungen bis zu 2OO°/00 zu überwinden.
Der gänzliche Mangel an Wasser und die
Anlage zweier Tunnels von 145, bezie-
hungsweise 1 19 m Länge gestaltete den
Bau zu einem ungewöhnlich schwierigen.
Bei Steigungen bis zu 8o°/00 gelangte
die eintheilige, über 8o70o die zweitheilige
Abt'sche Zahnstange zur Verwendung.
Die Bahn wurde von der Eisenbahn-
Bau- und Betriebs-Unternehmung Leo
Arnoldi erbaut und ist Eigenthum
dieser auf dem Gebiete des Kleinbahn-
wesens verdienstvoll wirkenden Unter-
nehmung.
In technischer Hinsicht besonders be-
merkenswerth sind auch die Objecte der
Localbahn Salzburg - Lamprechtshausen,
die sämmtlich [gewölbt und offen] aus
Beton hergestellt wurden, ein Vorgang,
den mit glücklichem Erfolge zuerst der
Baudirector der Kaiser Ferdinands-Nord-
bahn Wilhelm Ast bei Objecten mit
grösserer Spannweite auf der Localbahn
Branowitz-Pohrlitz zur praktischen Aus-
führung gebracht hatte.*)
Auch in allerjüngster Zeit wurden
auf Localbahnen bedeutende Bauobjecte
hergestellt. Auf den derzeit noch in Bau
begriffenen Linien : Rakonitz-Mlatz sind
der Javornice-Viaduct mit 55 m Licht-
weite, auf der Linie Trzebinia-Skawce
die Weichselbrücken und die beiden
Brücken über die Skawa [sämmtlich
Eisenträger mit Lichtweiten bis zu
55 m], auf der Linie Bozen-Kaltern die
Etschbrücke bei Siegmundskron [Abb. 226]
*) Vgl. hierüber Bd. II, Brückenbau von
J. Zuffer, S. 276 und Abb. 134 und 135.
520
P. F. Kupka.
[Halbparallelträger, eine Oeffnung ä 76-5 m
Lichtweite] beachtenswerthe Leistungen
der modernen Eisenbahn-Bautechnik.
Diese wenigen Beispiele erbringen
den vollgiltigen Beweis, dass Oesterreichs
Techniker auch auf dem Gebiete des
Localbahnwesens Mustergiltiges schufen
und alle Ursache haben, mit voller Be-
friedigung auf ihre Leistungen zu ver-
weisen.
Die Kleinbahnen in Oesterreich.
Von
F. R. Engel,
Inspector der Oesterreichischen Nordwestbahn.
Die
Kleinbahnen in Oesterreich
DER Begriff der Kleinbahnen [Tertiär-
bahnen] ist in Oesterreich erst seit
sehr kurzer Zeit enger umschrie-
ben. Seine Einführung in die heimische
Gesetzgebung brachte das Gesetz vom
31. December 1894 über Bahnen niederer
Ordnung, dessen Abschnitt B [Artikel XVI
bis XXI] eine gesetzliche Regelung des
Kleinbahnwesens in Oesterreich durch-
führte. Die gesetzliche Definition der
Kleinbahnen umfasst jene für den öffent-
lichen Verkehr bestimmten Localbah-
nen, welche für den allgemeinen Eisen-
bahn-Verkehr von geringer Bedeutung
sind [normal- oder schmalspurige Zweig-
bahnen, Strassenbahnen mit Dampf- oder
elektrischem Betriebe, anderen mechani-
schen Motoren oder animalischer Kraft,
Seilbahnen etc.]. » Insbesondere sind Klein-
bahnen« — heisst es im Gesetze — *in der
Regel solche Bahnen, welche hauptsäch-
lich den örtlichen Verkehr in einer Ge-
meinde oder zwischen benachbarten Ge-
meinden vermitteln, sowie alle Bah-
nen, welche nicht mit Dampf betrieben
werden. «
Unter der Unbestimmtheit elementarer
Rechtsverhältnisse hatte die bedeutendste
Gruppe der Bahnen niederster Ordnung,
die Strassenbahnen [Tramways], seit deren
Bestände zu leiden, und die Geschichte
fast jeder einzelnen der älteren Strassen-
bahnen ist ausgefüllt mit Rechts- und
Competenzstreitigkeiten.
Die Bewilligung zur Herstellung von
Pferde - Eisenbahnen auf gewöhnlichen
Strassen- oder Hipposidirbahnen, wie sie
zu jener Zeit auch genannt wurden, er-
folgte früher lediglich auf Grundlage der
a. h. Entschliessung vom 25. Februar
1859. [Handelsministerial-Act, Zahl 598.]
Es wurde nämlich für die Anlage sol-
cher Bahnen ein eigenes Concessions-
Gesetz nicht für nöthig erachtet, der
Handelsminister jedoch ermächtigt,
vorkommenden Falles solche Unterneh-
mungen versuchsweise zu gestatten.
Hiebei war aber ausdrücklich bemerkt,
dass jedes Privatrecht und jeder Privat-
anspruch vollkommen unbeschädigt zu
bleiben habe, somit auch eine zwangs-
weise Expropriation nicht stattfinden
dürfe, dass keinerlei Entschädigungs-
oder Garantie-Anspruch an das Staats-
ärar zu bewilligen sei, und dass die aus
der Anlage von »Hipposidirbahnen« zwi-
schen deren Unternehmern und Privaten
entstehenden Entschädigungs- Ansprüche
gänzlich nach den Civil-Gesetzen zu be-
handeln seien ; endlich, dass ohne äusserste,
jedesmal gründlich nachzuweisende Noth-
wendigkeit keine Zollbegünstigung, nicht
einmal die Gestattung zur Verwendung
von ausländischem Materiale a. h. Ortes
beantragt werden dürfe.
Mit dem Handelsministerial-Erlasse
vom 8. Juli 1868 [Zahl 8858/1 155] wurde
anlässlich vorgekommener Gesuche um
Bewilligung zu Vorarbeiten und um Con-
cessionirung für derartige Bahnen den k. k.
Statthaltereien bekanntgegeben, dass bei
Pferde-Strassenbahnen [Tramways], d. i.
524
F. R. Engel.
solchen Spurwegen, deren Schienen nicht
derart über das Niveau hervorragen,
dass der Verkehr anderer Fuhrwerke
gestört werde, die Bewilligung zu tech-
nischen Vorarbeiten nicht erforderlich
sei. Die wirkliche Ausführung einer
Pferde - Eisenbahn müsse dem Einver-
ständnisse der Unternehmer mit den
Eigenthümern der betreffenden Strassen
anheimgestellt bleiben, und dieses Ueber-
einkommen müsse auch die »durch be-
sondere locale Rücksichten gebotenen
Modalitäten« feststellen.
In ähnlicher Weise wurde das Handels-
ministerium auch zur Concessionirung
einer zweiten Art von Kleinbahnen, der
Zahnradbahnen, ermächtigt. Als es sich
nämlich um die Concessionirung der
Kahlenberg-Eisenbahn, einer Zahnradbahn
nach dem System Rigi, handelte, ermäch-
tigte die a. h. Entschliessung vom 6. Juli
1872 das Handelsministerium, ausser dieser
Bahn auch andere gleichartige Bahnen
fallweise zu concessioniren.
Durch das Gesetz vom 1 8. Februar 1878
wurde bestimmt, dass auch einer Pferde-
bahn-Unternehmung ein Enteignungsrecht
zugestanden werden könne, wenn seitens
der staatlichen Verwaltungsbehörde die
Gemeinnützigkeit des Unternehmens an-
erkannt wird.
Schon im Jahre 1884 wollte die Re-
gierung ihre Absicht, das Localbahn-
Gesetz auch auf die Tramways auszu-
dehnen, verwirklichen — ; der Versuch
scheiterte*) und die Regierung sah sich
veranlasst, am 18. Juni 1886 mit einem
Gesetzentwurf über die Localbahnen einen
zweiten, der die Anlage und den Betrieb
von Strassenbahnen regeln sollte, dem
Abgeordnetenhause vorzulegen. Die Vor-
lage vertrat den Standpunkt, dass die
Strassenbahnen unter die concessionirten
Gewerbe, und zwar unter die Unter-
nehmungen periodischer Personentrans-
porte einzureihen sind. Bei den Ver-
handlungen traten so viele Meinungs-
verschiedenheiten in der Scheidung der
Begriffe »Localbahnen« und »Strassen-
bahnen« zu Tage, dass nur die Annahme
*i Näheres hierüber siehe Bd. IV im
Abschnitte über Eisenbahn-Rechtsgeschichte
von Dr. V. Roll, Seite 84.
des Localbahn-Gesetzes durchgesetzt wer-
den konnte.
Erst durch das erwähnte Gesetz vom
31. December 1894 wurden die Klein-
bahnen als eine durch ihre untergeordnete
Bedeutung für den öffentlichen Verkehr
charakterisirte Unterart der Local-
bahnen erklärt, »die sohin bezüglich
ihrer Rechtsverhältnisse unter Bedacht-
nahme auf ihre specifische Eigenthüm-
lichkeiten, im Uebrigen aber in gleicher
Weise wie die Localbahnen zu behandeln
sind«.
Dementsprechend finden die Bestim-
mungen des Localbahn-Gesetzes auf die-
selben unter Beschränkungen Anwendung,
die in dem genannten Gesetze [Abschnitt B]
ausdrücklich bezeichnet werden.
Die staatliche Einflussnahme auf den
Bau und Betrieb von Kleinbahnen [Tertiär-
bahnen] hat sich lediglich zu beschränken :
1. Auf die Genehmigung der all-
gemeinen Anlage und Tracenführung der
Bahn;
2. auf die Wahrung der sicherheits-
polizeilichen Rücksichten ;
3. auf den Schutz der Bahnanrainer
und sonstiger Interessenten vor Feuers-
gefahr und sonstigen Beschädigungen
infolge der Anlage und des Betriebes.
Die Kleinbahnen sind nur in dem
Masse, als es ihre Betriebseinrichtungen
zulassen, zu Leistungen zu Gunsten der
Militärverwaltung verpflichtet, im Uebri-
gen aber von allen unentgeltlichen
Leistungen für öffentliche Zwecke [d. i.
Post- und Telegraphenwesen, Polizei,
Finanzwache etc.] enthoben, mit Aus-
nahme der unentgeltlichen Beförderung der
Staatsaufsichts-Organe im Dienste.
Das freie Tarif-Bestimmungsrecht ist
nur durch den Vorbehalt der Staats-
verwaltung beschränkt, die Tarife — nach
Anhörung der Unternehmung — herabzu-
setzen, wenn die Bahn durch drei auf-
einanderfolgende Jahre das nicht durch
Prioritäts-Obligationen beschaffte Anlage-
Capital zu 6°/0 verzinst hat.
Die Steuerbefreiung für Kleinbahnen
ist auf 15 Jahre beschränkt, doch kann
die Regierung in berücksichtigenswerthen
Fällen eine Steuerbefreiung bis zur Grenze
von 25 Jahren bewilligen.
Kleinbahnen.
525
Die an Stelle des Fahrkartenstempels
bei Localbahnen fallweise einzuräumende
Begünstigung der 3°/0igen Gebühr wurde
bei Kleinbahnen auf i°/0 des Fahrpreises
herabgesetzt.
Die Regierung ist überdies ermächtigt,
auf das staatliche Einlösungsrecht und
Heimfallsrecht zu verzichten. Dieser
Verzicht ist autonomen Körperschaften
gegenüber ohneweiters gewährleistet.
Die unter der Bezeichnung »Klein-
bahnen« zusammengefassten Unterneh-
mungen, soweit sie dem öffentlichen
Verkehre dienen, scheiden sich nach der
auf schon vorhandenen Strassen bewegt, so
müssen die hiezu dienenden Geleise sich
auch diesen möglichst anpassen, vor Allem
im Zuge derselben liegen. Infolgedessen
kann aber selten die Forderung nach der
directesten Verbindung erfüllt werden. Eine
weitere Eigenschaft dieser Bahnen bildet
die sehr enge Begrenzung der Fahrge-
schwindigkeit sowie die Häufigkeit, bezie-
hungsweise die geringe gegenseitige Ent-
fernung der Haltepunkte. Demgemäss ist
eine ungleich grössere Beweglichkeit des
Betriebes erforderlich ; letzterer weist nur
dort wieder grössere Stabilität auf, wo
Abb. 227. Wagen der Wiener Tri
Art der Anlage und ihres Betriebes in
die Gruppen :Strassenbahnen [Tram-
ways], die wieder in jene mit Pferde-
oder Motorenbetrieb [Dampftramways,
elektrische Strassenbahnen etc.] sich glie-
dern, Zahnradbahnen, Draht-
seilbahnen und in die besondere
Gruppe der elektrisch betriebenen
Eisenbahnen, die sich von den elektrischen
Strassenbahnen durch die Art ihrer An-
lage unterscheiden.
Als älteste Vertreter der Klein-
bahnen in Oesterreich sind die Strassen-
bahnen mit Pferdebetrieb in erste Reihe
zu stellen.
Strassenbahnen [TramwaysJ.
Da der Verkehr, den diese Art von
Kleinbahnen zu vermitteln hat, zumeist
nur im Personen-Transport, und zwar in
Städten besteht, welcher Verkehr sich daher
way. [Ende der Sechziger-Jahre.J
sich eine Fortsetzung in längere Linien
mit schwächerem Verkehre findet, wo
demnach Secundär-, beziehungsweise
Tertiärbahnen an die eigentliche Strassen-
bahn sich anschliessen.
Begreiflicherweise ist die Geschichte
der Strassenbahnen wesentlich an die
Entwicklungs-Geschichte der Städte selbst
geknüpft und in erster Linie mit jener der
Grossstädte verwebt, da diese mit
ihrem verdichteten und hastenden Ver-
kehre das Bedürfnis nach ausreichenderen
Vorkehrungen schaffen. Weil aber die
Tramways so innig mit dem allgemeinen
Verkehr zusammenhängen, bildet die Pro-
sperität derselben zugleich ein Spiegelbild
im Kleinen des Verkehrs im Grossen.
Im Jahre 1864 trat an den Wiener
Gemeinderath die Nothwendigkeit heran,
über die Frage der Zulassung von Pferde-
bahnen schlüssig zu werden. Nach ein-
gehenden Debatten wurde in der denk-
würdigen Sitzung vom 2 1 . October 1 864 be-
526
F. R. Engel.
schlössen, der k. k. niederösterreichischen
Statthalterei zu empfehlen, vorerst eine
Probelinie, und zwar vom Schottenring
nach Hernais zu bewilligen, ehe die de-
finitive Concession für ein Netz ertheilt
werde.
Zum Verständnis dieses Beschlusses
muss man sich vergegenwärtigen, dass zu
jener Zeit Erfahrungen über Pferdebahn-
Unternehmungen im Innern der Städte
überhaupt sehr wenige, in Oesterreich
noch gar keine, vorlagen. Wien als Reichs-
haupt- und Residenzstadt, welche that-
sächlich den regsten Verkehr besass,
musste wohl den Anfang machen, aber
auch das Studienmaterial für alle anderen
Städte abgeben. Es ist begreiflich, dass
die Stadtväter, deren Leben zum Theil
noch in der Periode vor 1848 wurzelte,
nur zagend und Viele sogar widerstre-
bend an diese »grosse Aufgabe« heran-
traten. Musste ja doch auch genau wieder
ein Menschenalter vergehen, bis Wien
abermals, und zwar vor einem ähnlich
grossen Ereignisse stand : der probe-
weisen Einführung des elektrischen Be-
triebes — wie derselbe in Amerika schon
längst viele Tausend Kilometer umfasst !
Um den immerhin relativ hohen Grad
der Entwicklung des Strassenbahnwesens
in der Reichshauptstadt beurtheilen zu
können, erscheint es zweckmässig, einen
Blick auf die Verhältnisse zu werfen,
die in Bezug auf den internen Verkehr
Wiens noch im Jahre 1848 herrschten.
Derselbe wurde damals durch 680
Fiaker, 24 Einspänner, 18 Landkutschen,
17 Stadtlohnkutschen, 100 Gesellschafts-
wagen, 800 Steyrer oder sogenannte
»Zeisel wagen« und kleinere Fuhrwerke
besorgt; ausserdem vermittelten einige
wenige Gesellschaftswagen den Verkehr
von und zu den Bahnhöfen, sowie vom
und zum Dampfschiffe.
Vorübergehend bestand im Jahre 1 840
eine schmalspurige Pferdebahn von der
heutigen Ferdinandsbrücke in das ehe-
malige »Universum« — das an der Stelle
stand, wo heute ungefähr der Nordwest-
bahnhof sich befindet — sowie später eine
solche für den Post-Frachtendienst zwi-
schen der »Hauptmauth« [gegenwärtig
»Hauptzollamt«] und dem Hauptpostamt
auf der Dominikanerbastei.
Die Steinwälle, welche die innere
Stadt einengten, ebenso die Linienwälle,
welche die Vorstädte zusammenschnürten,
hemmten jede grössere bauliche Ent-
wicklung und damit auch jeden- Verkehrs-
aufschwung, umsomehr, als sich dieser
Verkehr täglich durch acht Thore aus
dem Stadtinnern durchdrücken musste.
Da kam am 20. December 1857 das
erlösende, von edelster Humanität ge-
tragene Machtwort des erhabenen jugend-
lichen Monarchen, das den Fall der
Stadtmauern verfügte. Die erste Stadt-
erweiterung war inaugurirt. Der steinerne
Gürtel sollte gesprengt, das Glacis
verbaut werden ; damit war auch
die Grundbedingung zur Anlage von
Verkehrsmitteln im grösseren Stile ge-
geben. Auch die hiezu unerlässliche
Vorbedingung, die Vereinigung der
»Stadt« mit den Vorstädten zu einem
einigen Gemeindegebiete, war bereits
erfüllt, sämmtliche Strassen waren im
Jahre 1855 endlich mit Gasbeleuchtung
versehen. Am 1. September 1859 wurde
der Erweiterungsplan genehmigt, am
1. December 1859 trat schon eine neue
Bauordnung mit verschiedenen Erleichte-
rungen ins Leben.
Bereits 1860 standen die ersten Ring-
strassenhäuser, allmählich gestaltete sich
die Ringstrasse aus, die im Mai 1865
vollendet, beziehungsweise eröffnet wurde ;
auch in den Vorstädten regte es sich.
Die Geschäfts- und Geldverhältnisse so-
wie die Unternehmungslust Wiens lagen
aber danieder. Namentlich litt auch der
mit dem Emporblühen der Industrie, be-
ziehungsweise des Handels innigst ver-
bundene Stand der Techniker durch die
trostlose Stagnation, und gar Manche
von ihnen waren zur Auswanderung
oder zur Veränderung des Berufes ge-
zwungen.
Unter diesen war auch ein junger
Wiener Techniker, welcher sich bei-
zeiten — glückliche zufällige Beziehun-
gen ausnützend — nach Genf wandte.
Der damals etwa 27jährige G. von
Drey hausen suchte 1863 die dort seit
den Vierziger-Jahren ansässige ange-
sehene Bau - Unternehmung S c h ä c k-
Jaquet & Comp, auf, um irgend ein
Unterkommen zu finden. Die Chefs der
Kleinbahnen.
527
Firma waren Oesterreicher und stammten
aus Eger. Als im Jahre 1863 die alte
Umwallung Genfs fiel, da waren es die
Gebrüder Schäck, welche zum grössten
Theile diese Arbeit durchführten und eine
englische Firma baute auf den nun neu
gewonnenen Gründen die Tramwaylinie
Genf-Carouge.
Von da empfingen nun die Herren
Schäck-Jaquet & Comp, die Anregung,
eine ähnliche Pferdebahn in Wien zu bauen,
zu welchem Behufe sie beschlossen, den
beschäftigungslosen G. von Dreyhausen
als Vertreter zu verwenden.
Alsbald — zu Beginn 1864 — wurde
auch der junge Dreyhausen nach Wien ge-
sandt, mit dem
Auftrage, ge-
eignete Ver-
handlungen
einzuleiten,was
derselbe mit
Energie in die
Hand nahm.
Von dem denk-
würdigen er-
stenBeschlusse
des Gemeinde-
rathes vom 2 1 .
October 1864,
die Probelinie
der k.k. nieder-
österreichischen Statthalterei zur Con-
cession zu empfehlen, bis zur Genehmi-
gung [30. Mai 1865] verflossen immerhin
sieben Monate, bis zur Eröffnung der ersten
Probestrecke Schottenring-Hernals, die am
4. October 1 865 stattfand, fast ein Jahr.
Das Unternehmen, dessen Leitung
Dreyhausen und J. G. Seidel*)
übernahmen, hatte all den rigorosen, vom
Gemeinderathe gestellten Anforderungen
in Bezug auf die anstandslose Durchführ-
barkeit sowie in Bezug auf die Gemein-
nützigkeit vollkommen entsprochen und
das günstige Ergebnis bewog die rührige
Firma Schäck-Jaquet, nachdem die Ver-
längerung bis Dornbach [24. April 1866]
hergestellt war, die in Aussicht befind-
liche Concessionirung des ganzen Pferde-
bahnnetzes anzustreben.
Abb. 228. Wagen der Wiener Tramway mit Mittelgang [1895].
*) Derselbe ist heute noch Chef des
finanziellen Dienstes der Wiener Tramway-
Gesellschaft.
Wieder aber brachen schwere Zeiten für
Oesterreich, vornehmlich daher auch für
Wien herein. Der kurze, aber so ver-
hängnisvolle Krieg von 1866 brachte
abermals Stockungen und eine wirt-
schaftliche schwere Depression hervor.
Nach dem Wiedereintritt geordneter
Verhältnisse und dem Abschluss der
Sistirungs-Aera [Februar 1867] begann
allerdings wieder der Aufschwung, wel-
cher noch ganz wesentlich durch eine
beispiellose Ernte in Ungarn begünstigt
ward. Die Bauthätigkeit in Wien erhielt
wieder neuen Impuls, der Zuzug aus der
Provinz nahm grössere Dimensionen an
und mit dem allgemein erhöhten Verkehr
steigerte sich
auch das Be-
dürfnis nach
Communica-
tionen, umso-
mehr, als auch
das Wachs-
thum der weit
ausserhalb ge-
legenen Bezir-
ke, zum Bei-
spiel von Bri-
gittenau und
Favoriten,
mächtig zu
werden begann.
Nun wurde auch seitens des k. k. Han-
delsministeriums der Firma Schäck-
Jaquet zunächst die definitive Concession
für die bisher eingeleisige Probestrecke
Schottenring-Dornbach, ferner eine solche
für die Linien Ringstrasse-Prater
sowie Mariahilf er strasse-Penzing,
und zwar auf die Dauer von 30 Jahren
ertheilt.
Man sah nun die Pferdebahn wagen
[Abb. 227] flott in Wien verkehren.
Allein mit dieser Concessions-Erthei-
lung erachtete der Wiener Gemeinde-
rath seine autonomen Rechte geschädigt
und es begann daher ein längerer Com-
petenz-Confüct, der seinen vorläufigen
Abschluss dadurch fand, dass die Besitzer
der a. h. Concessions-Urkunde sich dem
Gemeinderathe unterwarfen und von die-
sem die Bewilligung zum Bau und Be-
trieb der vorgenannten beiden Linien
erbaten.
>28
F. R. Engel.
Da die günstigen Ergebnisse der bis-
herigen Probestrecke die Unternehmungs-
lust für Tramwaylinien erweckt hatten,
so fanden sich mehrere Offerenten, be-
ziehungsweise drei Consortien für die Er-
bauung von weiteren Tramwaylinien ein,
die sich, um zum Ziele zu gelangen, an An-
strengungen und Zugeständnissen über-
boten. Aus den hiebei vorgelegten Be-
dingungen wurde nun seitens der Tram-
way-Commission des Gemeinderathes ein
eigenes Bedingnisheft angefertigt und
auf dessen Grundlage für den 30. Sep-
tember 1867 eine Offertverhandlung aus-
geschrieben.
Wegen der schwer zu erfüllenden
Bedingungen, welche von keinem der
Offerenten unbedingt angenommen wur-
den, verlief diese resultatlos und es muss-
ten neuerlich Berathungen im Gemeinde-
rathe gepflogen werden; das Ergebnis
derselben bildete der Vertrag vom 7. März
1868 mit der, im November 1867 aus
den drei Offerenten hervorgegangenen
Actien-Unternehmung : »WienerTram-
way- Gesellschaft«, die am 8. Mai
1 868 den Betrieb der bestehenden Pferde-
bahnlinie übernahm und deren erste Ge-
neralversammlung am 24. März 1869
stattfand. Das Programm dieses Unter-
nehmens war ein grossangelegtes; war
doch auch die Verbindung der Pferdebahn
mit den in Wien einmündenden Locomotiv-
bahnen zum Zwecke eines Frachten-
Transportes ins Auge gefasst und aus
diesem Grunde die normale Spurweite
gewählt. Obwohl in dieser Richtung
bereits 1869 Verhandlungen mit den be-
theiligten Verwaltungen gepflogen wurden,
kam es niemals zur Ausführung dieses
Planes.
Der notorische Widerwille einiger
Gemeinderäthe gegen die Errichtung von
Pferdebahnen brachte es mit sich, dass
verschiedene Härten im Vertrage Auf-
nahme fanden, welche sich nachträglich als
verhängnisvoll erwiesen. Die Gemeinde
stand namentlich wegen des Ausbaues der
vertragsmässigen Linien stets mit der
Gesellschaft im Kampfe, die letztere da-
gegen war vermöge ihrer auf Gewinn
berechneten Tendenz darauf bedacht, durch
die weitestgehende Einschränkung aller
Ausgaben die grössten Erträgnisse zu er-
zielen. Dementsprechend war die Haltung
des Unternehmens von vorneherein eine
streng vorgeschriebene : jene der con-
servativen Festhaltung am »Bewährten«,
eine gewisse Abgeneigtheit gegen Ein-
führung von durchgreifenden Reformen.
Als weitere Complication trat der er-
wähnte Competenz-Conflict hinzu, welcher
sich beständig wie ein rother Faden durch
die Geschicke der Wiener Tramway-
Gesellschaft hindurchzieht. Der-
selbe hatte einmal sogar zur Folge, dass
sich Statthalterei und Gemeinderath ge-
genseitig in Forderungen an das Unter-
nehmen überboten. Auch die Schaffung
des ersten Localbahn - Gesetzes [1880]
führte noch keine volle Klärung des Com-
petenz-Verhältnisses herbei.
Der erwähnte Vertrag, welcher zu-
nächst nur auf 35 Jahre geschlossen
ward, bestand in seiner Wesenheit darin,
dass die Gemeinde das Recht hatte,
nach Ablauf dieser Frist die Bahn einfach
zu übernehmen — oder aber die Gesell-
schaft wäre gehalten, auf ihre Kosten
die Geleise zu entfernen und die Strassen
in deren früheren Zustand zu bringen —
dass ferner alle Angelegenheiten des Be-
triebes, des Tarifes und hauptsächlich des
Ausbaues eines bestimmten Netzes der
Controle des Gemeinderathes unterstellt
waren.
Bei der letzteren Bedingung, betreffend
die Errichtung von neuen Linien, hatte die
Angelegenheit der Häusereinlösung, mit
Rücksicht auf den Mangel eines Expro-
priationsrechtes, die weittragendste Bedeu-
tung. Angesichts der Kürze der Amortisa-
tionsfrist [35 Jahre] und bei dem Abgang
jeglichen Grundeigenthumsrechtes, da ja
die Strassen nur zur Benützung dienen
durften, muss die Bedingung der Häuser-
einlösung, um die erforderliche Strassen-
breite zu erreichen, thatsächlich als eine
besondere Erschwernis bezeichnet werden,
an welcher der Umstand wenig änderte,
dass für den Ausbau des Netzes drei
Perioden vorgesehen waren.
Bei der ersten Bauausführung, den
Linien : Prater - Ring - Quai, namentlich
aber jener nach Penzing und Döbling,
welche der starren Forderung des Ge-
meinderathes zufolge, alle doppelgeleisig
ausgeführt werden mussten, also sehr
Kleinbahnen.
529
weitreichende Häusereinlösungen beding-
ten, machte die Gesellschaft bereits
schlimme Erfahrungen.
Nachdem nämlich diese Linien, zu-
sammen 2i-8 km, mit den dazu gehö-
renden »Linienämtern« ausgebaut waren
— Ende 1870 — zeigte sich, dass für die-
selben an 5,000.000 fl. verbraucht worden
waren, also pro Kilometer 229.358 fl. *)
somit mehr als das Zehnfache jenes Be-
trages, um welchen thatsächlich ein Doppel-
geleise hergestellt werden konnte. **)
Namentlich die äusserst kostspielige
Durchführung in Mariahilf bei dem ehe-
nahmen nicht im erforderlichen Masse
anwuchsen und auch ganz bedeutende
Steuerlasten zu tragen waren, sah sich
die Gesellschaft gezwungen, den weiteren
Ausbau neuer Linien vorläufig einzu-
stellen. Durch diesen Stillstand aber ward
der Streitpunkt mit dem Gemeinde-
rathe geschaffen. Die ablehnende Hal-
tung der Gesellschaft erbitterte umso-
mehr, als sie schon im Jahre 1870 um Re-
vision des Vertrages eingeschritten war.
Thatsächlich anerkannten sowohl der
Magistrat wie auch die gemeinderäthliche
Tramway-Commission die Härten des
Abb. 229. Motor- und Anhängewagen auf der Transversallinie [1897].
maligen »Goldenen Kreuz« und »Weintrau-
benhaus« [heute »Hotel Kummer«] stellte
sich relativ ebenso theuer wie die Sem-
mering-Eisenbahn, da die Meile auf j
2,000.000 fl. zu stehen kam. Auch die Linie \
Schottenring- Döbling erforderte sehr hohe
Kosten ; — wer den früheren traurigen Zu-
stand dieser Gegenden mit dem heutigen
vergleichen kann, wird daher begreifen,
dass die so durchgeführten Häusereinlö-
sungen, beziehungsweise Demolirungen
allein beiläufig die Hälfte des Actien-
capitals verschlangen. Da aber die Ein-
*) Da der freie Raum zu beiden Seiten
der Geleise genau vorgeschrieben ist, anderer-
seits aber das Gesuch der Wiener Tramway-
Gesell schaft um Expropriation abgewiesen
worden war, so nützten die Hausbesitzer die
Situation weidlich aus und verlangten enorme
Preise.
**) Im Allgemeinen werden die Baukosten
für I km Tramway exclusive Häusereinlösung
und Pflasterung mit 20.000 fl. berechnet.
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 2. Theil.
Vertrages, infolgedessen die letztere in
der Sitzung vom 25. October 1870 be-
auftragt ward, bezügliche Vorschläge zu
erstatten. Wiewohl die Verhandlungen
über 1 3/4 Jahre dauerten, so fand doch eine
definitive und durchgreifende Aenderung
desselben nicht statt; indessen wurde
wenigstens die vertragsmässig zu lei-
stende Abgabe von 5% der Brutto-Ein-
nahme an die Stadt in einen Pauschal-
betrag umgewandelt, dessen Höhe von
fünf zu fünf Jahren vom Gemeinderathe zu
bestimmen war. Gleichzeitig aber [16.
Februar 1872] wurde die Gesellschaft
aufgefordert, sich bezüglich des Ausbaues
sogenannter »Weltausstellungs-Linien« zu
äussern. In der That versprach die für
Wien so bedeutungsvolle Ausstellung
vom Jahre 1873 eine grosse Hebung des
Verkehrs zu bringen, überdies aber war
die verhängnisvolle Periode der Grün-
dungen angebrochen, die Gesellschaft
34
53°
F. R. Engel.
durfte hoffen, durch Benützung dieser bei-
den Umstände in die Lage zu kommen,
neue Actien auszugeben.
In Escomptirung dieser beiden That-
sachen willigte sie denn auch in den
vom Gemeinderathe geäusserten Wunsch
ein und baute die Linien:
i . Schwarzenbergplatz - Gusshaus -Fa-
voritenstrasse-Südbahn.
2. Favoritenstrasse abzweigend, Matz-
leinsdorf.
3. Rennweg-Simmering.
4. Aspernbrücke-Sofienbrücke.
5. Sofienbrücke-Ausstellung.
6. Praterstern-Wallensteinstrasse-
Nussdorferstrasse.
7. Schwimmschulallee- Ausstellung.
8. Ma3-erhofgasse-Matzleinsdorfer-
strasse.
Diese kamen zumeist im Mai 1873 zur
Eröffnung. Hievon wurden jedoch nachher
wieder einige Theile ausser Betrieb ge-
setzt, und zwar die beiden Endstücke
der Praterlinien [5 und 7] schon Ende
1873, die Mayerhof- und die Gusshaus-
Trace einige Jahre später, 1880 bis
1881.
Zur Ausführung des Bauprogramms
hatte Ende 1872 die Gründung der
»Tramway-Baugesellschaft« stattgefun-
den, welche sich mit der Tramwa3*-
Gesellschaft cartellirte, wodurch letztere
in den Besitz von 5,000.000 fi. Actien-
capital gelangte, somit in den Stand ge-
setzt war, die genannten Linien herzu-
stellen.
Ausserdem aber beabsichtigte die
Gesellschaft im Prater ein grösseres Eta-
blissement zu errichten und erstand vom
Bürgerspitals-Fonds einen ausgedehnten
Complex, wofür eine Caution von
400.000 fl. entrichtet werden musste.
Da brach die grosse wirthschaftliche
Katastrophe des Jahres 1873 herein;
dieselbe, im Anfang unterschätzt, begann
mit einer allerdings beispiellosen Börsen-
deroute, bald aber zeigte es sich, dass
das Verhängnis hier nicht Halt mache;
vielmehr trat eine tiefeingreifende De-
pression auf allen Gebieten des Handels
und Verkehrs ein. Die Rückäusserung
auf die Tramway-Einnahmen blieb nicht
aus und brachte das Unternehmen in
eine äusserst schwierige Lage.
Zunächst ergab sich aus dem Zu-
sammenbruch der Tramway-Baugesell-
schaft ein Barverlust von fast 2,000.000 fl.,
ausserdem aber ein weiterer in der ge-
nannten Caution von 400.000 fl. durch die
nothwendig gewordene Stornirung des
Ankaufes der Pratergründe ; der Verlust
musste abgeschrieben werden und so
wurden die auf 200 fl. nom. lautenden
Actien auf 170 fl. abgestempelt. Dennoch
bemühte sich die Gesellschaft, ihren Ver-
pflichtungen nachzukommen, beziehungs-
weise dieselben sogar zu überbieten ; so
wurden 1874 die vertragsmässige Linie
Wollzeile - Landstrasse - St. Marx - Sim-
mering, aber auch die nicht vertrags-
mässige Linie Simmering-Centralfriedhof
eröffnet. Im Jahre 1877 wurde sodann
die Strecke Kärntnerring-Hundsthurm
hergestellt.
Ferner wurden auch die im Vertrage
nicht vorgesehenen Strecken von der
Favoritenlinie im X. Bezirk und von den
Praterremisen zu den neuen Communal-
bädern in Betrieb gesetzt. Somit waren Ende
1877 45"2 km dem Verkehre übergeben.
Allein die finanzielle Lage wollte
sich noch immer nicht bessern. Die
Frequenz war von 439 Personen des
Jahres 1872, auf 3-05 im Jahre 1876 und
sogar auf 2-o,2 im Jahre 1877 pro Fahrt-
kilometer gesunken. Erst mit dem Jahre
1878 stellte sich wieder eine geringe
Aufwärtsbewegung ein. Diese offenkun-
dige Thatsache des Niederganges hatte
denn auch den Gemeinderath bewogen,
eine entgegenkommendere Haltung ein-
zunehmen und so wurde die erwähnte
Pauschalsumme, welche an Stelle der
5°/0igen Brutto-Einnahmen für die Periode
1872 — 1877 auf 70.000 fl. festgesetzt
gewesen, für die Jahre 1878 — 1880 auf
50.000 fi. jährlich herabgemindert. Auch
gestatteten Regierung und Gemeinderath
- ab 15. Juli 1875 die Erhöhung des Tarifes
I von 10 auf 12 kr.
Bald aber änderte sich wieder die
1 Haltung des Gemeinderathes, indem zu-
; nächst eine Erhöhung der Abgaben ge-
i fordert und im Jahre 1880 thatsächlich
; eine solche um 40.000 fl. decretirt wurde.
Wiewohl die Gesellschaft es nicht
j an Vorstellungen fehlen Hess, so brach
doch eine Zeit der ernstesten Conflicte
Kleinbahnen.
531
herein und die emporstrebende anticapita-
listische Partei des Gemeinderathes liess
es nicht an Angriffen des schwersten Ca-
libers fehlen, wobei dieselbe hauptsäch-
lich die Ueberfüllung einerseits und die
Höhe des Tarifes andererseits zum Ge-
genstande ihrer Angriffe wählte.
Wien war wieder im Wachsthum be-
griffen. Mit dem Jahre 1878 hatte sich auch
auf finanziellem Gebiete, das heisst in
den allgemeinen Verdienst- Verhältnissen
der Bevölkerung, eine Besserung einge-
stellt, welche sich alsbald in den Ein-
um 26-6% — zugenommen hatten, so
musste allerdings eine wesentliche Be-
schränkung in der Bequemlichkeit des
fahrenden Publicums eingetreten sein.
Die Klagen wegen der Wagen-Ueber-
füllung nahmen daher immer mehr zu
und kamen nicht mehr zum Schweigen.
Um die ablehnende Haltung der Ver-
waltung in der Frage des Ausbaues ihres
Netzes zu verstehen, muss man die
frühere ziemlich verworrene Lage in Be-
tracht ziehen. Nach dem Börsenkrach des
Jahres 1873 suchten die Leiter des Unter -
Plolzscliwellen-Oberbau.
1665
107*
1877
Gewicht der Schiene 177 kg.
Gewicht der Schiene
16 kg. 20 kg.
Eisen-Oberbau.
«JuuvM«i<M*w.. t
9t
h4\U/X
1685
1667
Gewicht des Oberbaues 798 kg. Gewicht des Oberbaues 90-43 kg.
Abb. 230. Oberbau-Systeme der Wiener Tramway.
nahmen der Tramway-Gesellschaft wider-
spiegelte.
Die Verwaltung unterliess es jedoch
vorläufig noch, an den weiteren Ausbau
von Linien zu gehen und so blieb die
Länge der Geleise seit 1877 bis 1882
unverändert bei 45*2 km stehen. Dem-
gemäss nahm auch die Zahl der ge-
leisteten Fahrtkilometer nur unbedeutend
zu — von 6,440.000 auf nicht ganz
7,500.000. Die pro 1 Fahrtkilometer er-
zielte Einnahme stieg nun von 31 '92
Kreuzer [1877] auf 3472 Kreuzer im
Jahre 1881 bei gleichgebliebenem Tarife.
Da die Zahl der geleisteten Fahrtkilo-
meter nur um I4'4%> die Zahl der be-
förderten Fahrgäste dagegen um 32°/0 —
bei einem Wachsthum der Einnahmen
nehmens dasselbe, wie erwähnt, auf alle
Weise zu kräftigen : eine Dividenden-Aus-
zahlung hatte selbst nach der Abstempe-
lung der Actien für die Jahre 1 874 bis inclu-
sive 1877 gänzlich unterbleiben müssen.
Schon waren auch grössere Neu-Anschaf-
fungen an Pferden und Waggons erfor-
derlich geworden. Von der Vertragsdauer
waren mehr als zehn Jahre abgelaufen, ohne
dass eine nennenswerthe Verminderung
der Actien durch Amortisation etc. statt-
gefunden hätte. Ausserdem drückten noch
schwere Verpflichtungen aller Art auf
das Unternehmen, so waren sehr be-
deutende Summen für Pflasterungen,
ferner für Steuern und Abgaben, zu ent-
richten. Letztere z. B. hatten während
der Periode von 1868 — 1880 über
34*
532
F. R. Engel
3,070.000 fl. betragen. Weiters erwuchs
der Gesellschaft noch ein Verlust durch
das Provisorium der durch die Guss-
hausstrasse geführten Linie in der Höhe
von etwa 147.348 fl., ausserdem aber
hatte sich der Betrieb hiebei ziemlich
ungünstig gestaltet. Endlich musste die
Strecke von der Prater-Remise zu den
alten Strombädern aufgerissen und eine
neue Bahn zu den Communalbädern im
neuen Gebiete erbaut werden. Um das
Mass voll zu machen, traten in jener
Zeit wieder vielversprechende Projecte
einer Stadtbahn [Fogerty u. A.] auf,
welche ernstlich in Erwägung gezogen
wurden.
Die Tram way -Verwaltung glaubte,
namentlich auch angesichts der Um-
werbung des Gemeinderathes seitens ver-
schiedener Consortien, zunächst wieder auf
ihre Sicherung bedacht sein zu müssen,
und versuchte daher beständig, eine Ver-
längerung ihres mit 1903 ablaufenden
Vertrages zu erringen. Zu diesem Be-
hufe wurden die programmmässig noch
zu erbauenden Linien selbst als Kampf-
mittel benützt. Einzelne derselben waren
nämlich nur der Verwaltung nicht genehm,
andere nicht durchführbar, wie jene durch
die Heugasse oder Burggasse, bei welch'
letzterer seitens der Hauseigenthümer
wieder geradezu exorbitante Forderungen
gestellt wurden. Der Gemeinde gegen-
über wurde nun seitens der Gesellschaft
der beste Wille zu bauen gezeigt, falls
diese die Enteignung vornehmen würde.
Die übertrieben hoch gestellten Preis-
offerte der Hausbesitzer wurden ihr im
Gegenüberhalt zum Schätzungswerthe
bekanntgegeben ; überdies bekundete die
Gesellschaft die Absicht, andere Linien
sofort zu bauen, jedoch nur auf Grund
einer jedesmalig neu auszusprechenden
Vertragsdauer von 35 Jahren; einzelne
Bezirke wurden durch besondere Bereit-
willigkeit zu gewinnen gesucht, für die
Burggasse wurde das Anerbieten eines
provisorischen Omnibusdienstes bis zur
Ringstrasse gestellt. Wie wenig gerecht-
fertigt im öffentlichen Bedürfnisse indes
manche Linien waren, möge der Umstand
beweisen, dass selbst heute noch nicht
alle damaligen Programmlinien ausge-
baut sind, beziehungsweise dass meh-
rere*) derselben fallen gelassen wurden,
und dass trotzdem der Friede — wenig-
stens bezüglich dieser Frage — ■ endgiltig
geschlossen ward.
Bereits in der Eingabe vom Jahre 1871
erbat die Gesellschaft wenigstens einen
Aufschub für den Bau derselben, indem
sie ausführte, dass es sich hiebei um
ihre Existenz handle. Allein ausser
der bereits erwähnten Erleichterung in
der Brutto- Abgabe erfolgte eine weitere
Entscheidung nicht, obwohl die gefährdete
Lage im Jahre 1874 eine Lösung als
absolut nothwendig erscheinen Hess und
es auch später sich nicht möglich zeigte,
die vielen für den Ausbau erforderlichen
Millionen aufzutreiben. Die Einnahmen
deckten kaum die Auslagen, und die wei-
tere Existenz war unter den bestehenden
harten Vertragsbestimmungen und den
obwaltenden Umständen, namentlich bei
der allgemeinen Depression, thatsächlich
in Frage gestellt.
Infolge aller dieser ungünstigen Ver-
hältnisse war der Preis der Actien weit
unter Pari — 170 fl. — gesunken und hielt
sich 1875 zwischen 80 und 90 fl. Diesen
Umstand hatten einige grosse Banquiers,
welche die Verhältnisse studirten, zum An-
kauf benützt und gelangten so mit Leichtig-
keit in die Stellung von Gross-Actionären,
welche nun ihrerseits dem Verwaltungs-
rath und der Direction die Haltung stricte
vorschrieben. Um den beabsichtigten
Cursgewinn zu erzielen, durften keine
besonderen Investitionen vorgenommen,
keine Reformen eingeführt werden, selbst
dann nicht, als der Gemeinderath anfing,
dieselben energisch zu fordern und mit
Gewaltmassregeln zu drohen.
Thatsächlich stiegen in wenigen Jahren
die Actien stark im Preise und erreichten
den Curs bis nahe an 250. Diesen Zeit-
*) Es sind dies die Linien durch die
1. Pragerstrasse, III. Bez.
2. Lastenstrasse, » >
3. Invalidenstrasse, » »
4. Gr. Stadtgutgasse, II. Bez.
5. Berggasse, Rossauerlände, IX. Bez.
6. Weissgärberlände, Rasumovsky-
gasse, III. Bez.
7. Windmühlgasse, Mollardgasse, VI. B.
8. Nach Zwischenbrücken, II. Bez. —
welche nun mehr oder minder unverändert in
dem derzeit mit Siemens und Halske abge-
schlossenen Vertrage vorgesehen sind.
Kleinbahnen.
533
punkt [1883 — 1884] benützten die Gross-
actionäre, um sich ihres Besitzes zu ent-
ledigen. Dass unter solchen Umständen
keine grosse und leitende Idee zum
Durchbruch kommen konnte, ist begreif-
lich. Mittlerweile hatte der Gemeinderath
den Kampf aber schon nach zwei Seiten hin
wieder erröffnet : rücksichtlich des Tarifes
und des Ausbaues. Die Gesellschaft
verschanzte sich neuerdings hinter die
»Oberhoheit des Staates«. Nun entbrannte
zum zweiten Male die Entrüstung der
Commune wegen dieses »Eingriffs in ihre
Rechte«. Der Ge-
meinderath ging so-
weit, einen Beschluss
des Verwaltungsge-
richtshofes zu provo-
ciren. Derselbe, vom
12. Juni 1885 datirt,
anerkannte das Eigen-
thums-, beziehungs-
weise Verfügungs-
recht des Gemeinde-
rathes über die Stras-
sen Wiens in vollstem
Masse, so dass einer-
seits die Tramway-
Gesellschaft die Zu-
stimmung der Ge-
meinde zur Benützung
der Strasse einzuholen
habe, andererseits die
Regierung »weder aus dem Titel des Con-
cessionsrechtes, noch als oberste Wegbe-
hörde, noch aus dem Titel der Staatsauf-
sicht competent war, die von der Gemeinde
formulirten vertragsmässigen Bedingungen
zu umgehen«. Durch diesen Beschluss
war somit das Unternehmen dem Wohl-
wollen des Gemeinderathes überliefert.
Nach der grossen Pause von 1877 bis
1882, wobei der Neubau von Linien trotz
aller Bemühungen des Gemeinderathes
vollständig geruht hatte, kam nun wieder
eine erhöhte Bauthätigkeit, und so wurden
bis 1887 im Ganzen elf Linien von bei-
nahe 17 km Gesammtlänge eröffnet. Bei
jeder einzelnen wurde systematisch Sturm
zu laufen versucht wider jene verhängnis-
volle Vertragsbestimmung, welche die
Concession auf das Jahr 1903 beschränkte.
Endlich, im Jahre 1887, gelang der grosse
Wurf, der das Unternehmen von dem
Abb. 231. Wilhelm v, Lindheim
Drucke der kurzen Amortisationsfrist be-
freien sollte. Um den enormen Preis von
1,550.000 fl., welche sofort bar an die
Gemeinde Wien erlegt werden mussten,
kam am 30. April 1887 ein Vertrag zu
Stande, demzufolge die langerstrebte Ver-
längerung des Strassenbenützungsrechtes
bis 31. December 1925 [conform der staat-
lichen Concession] zugestanden wurde.
Die Länge der vor diesem Vertrage
vollendeten Strecken betrug 61-562 km,
während nach Abschluss des neuen Ver-
trages nur mehr i8-9I5 km [neun Linien]
hinzukamen.
Mittlerweile hatte
die k. k. Statthalterei
von ihrem Tarif-Ober-
hoheitsrechte ausgie-
bigen Gebrauch ge-
macht, indem dieselbe
den seit 1875 gelten-
den Preis der Fahr-
karte von 12 auf 9 kr.
— ab 1. Mai 1884 —
und später auf 8 kr.
herabsetzte.
Doch auch damit
war noch immer kein
eigentlicher ganzer
Friede erreicht ; ver-
möge des immer noch
bestehenden Tarif-
Oberhoheitsrechtes
der Regierung hatte diese letztere es sich
vorbehalten, eine weitere Tarifreduction
eintreten zu lassen und trug nun der Tram-
way-Gesellschaft anlässlich der Concessio-
nirung neuer Linien auf, wegen eines mög-
lichst einheitlichen, bequemen Tarifes mit
dem Gemeinderathe ins Einvernehmen sich
zu setzen. Infolgedessen wurde auf Grund
eines Gutachtens des k. k. Handels-
ministeriums eine Art Zonen-Staffeltarif
mit den Sätzen von 5, 7 und 10 kr., und
den Specialtarifen von 12, 15 und 20 kr.
durch den Gemeinderath am 30. October
1888 beschlossen, welcher heute noch in
Geltung ist. Bei diesem Anlasse war auch
die Bedingung eingefügt worden, dass
eine Tarifreduction dann eintreten solle,
wenn das Brutto- Erträgnis in drei auf-
einanderfolgenden Jahren 60.000 fl. pro
Kilometer übersteigen sollte, wobei aller-
dings zugesagt wurde, auf die der Gesell-
534
F. R. Engel.
schaftinfolge des erhöhtenVerkehrs erwach-
senden Mehrauslagen Bedacht zu nehmen.
Zu Beginn des Jahres 1886 hatte ein
Grosscapitalist die Majorität des Actien-
besitzes an sich gebracht und begann
abermals mit einschneidenden Reformen,
d. h. Ersparungen vorzugehen, welche
zwar vom kaufmännischen Standpunkte
vollste Anerkennung verdienen, aber für
die Technik des Betriebes von grösstem
Nachtheil sich erwiesen. Wieder ward der
Verwaltungsrath erneuert, beziehungs-
weise in seinem Wirken reducirt, und es
wurden nur solche Männer hineinberufen,
welche sich des unbedingten Vertrauens
des Grossactionärs erfreuten. —
Thatsächlich wickelte sich, aller Vor-
stellungen und Ermahnungen ungeachtet,
der Betrieb bis vor Kurzem noch fast
genau nach der alten Schablone wie vor
30 Jahren ab. Die Klagen wegen Ueber-
füllung — schon vorher zumeist be-
rechtigt — stiegen ins Ungeheuerliche.
Allen Forderungen gegenüber verhielt
sich die Verwaltung trotz aller Enqueten,
Ermahnungen etc. vollkommen passiv und
Hess es geschehen, dass in Vereinen, in
der Journalistik und allerorten schonungs-
loseste Kritik an ihren Vorkehrungen oder
vielmehr über den Mangel entsprechender
Massnahmen geübt wurde. Wiederholt
wurden daher die den Behörden zur
Genehmigung vorgelegten Fahrpläne zu-
rückgewiesen, mit dem bestimmten Auf-
trage, für entsprechende Vermehrung der
Touren Sorge zu tragen. Nebenher aber
liefen überdies auch directe Hetzereien,
welche die Tendenz hatten, das Personal
gegen die Verwaltung aufzubringen und
letztere in der Oeffentlichkeit herab-
zusetzen. Die Verwaltung hatte es früher
nicht verstanden, ihr Personale an dem
Emporblühen des Unternehmens zu inter-
essiren — obwohl ein bezüglicher Antrag
bereits im Jahre 1878 beim Verwaltungs-
rathe eingebracht wurde — und züchtete
sich so in jedem der zu stark in Anspruch
genommenen Bediensteten einen neuen
Ankläger, einen neuen erbitterten Feind.
In einem allgemeinen Strike der Kutscher
kam zu Ostern 1889 der Unwille zum
Durchbruch, und nun sah endlich die Ver-
waltung sich genöthigt, die Lage der
Bediensteten in dem Sinne zu bessern,
j dass eine kürzere Dienstzeit und eine
1 geänderte Entlohnung gewährt wurde.
', Die Sympathie des Publicums begleitete
! die Bestrebungen der Bediensteten, welche
in kürzester Zeit fast alle ihre Forderun-
gen durchgesetzt hatten.
Abermals durch die Grossherzigkeit
: unseres Monarchen wurde eine Umge-
i staltung Wiens ins Werk gesetzt, die
zweite Stadterweiterung im Jahre 1890,
welche an Grösse ihres Gleichen sucht;
| dieselbe machte neuerdings eine gründ-
liche Erweiterung der Verkehrsmittel im
Allgemeinen nothwendig. Durch den
Wegfall des Linienwalles sind alle nach
aussen strebenden Strassen und Gassen
— nahezu hundert! — aufgeschlossen
worden, und es machte sich mit einem
Male das Lückenhafte unseres Verkehrs-
netzes so recht fühlbar.
Den höchsten Unwillen des fahrenden
Publicums erzeugte es daher, als im Jahre
1893 eine allzu tief einschneidende Ein-
schränkung des Verkehrs auf den gesell-
schaftlichen Linien vorgenommen wurde.
Die Zahl der täglich verkehrenden
Wagen ward durchschnittlich um zehn ver-
ringert und es ergab sich eine um 6-4°/0
geringere Fahrtleistung als wie im Vor-
jahre.*) Die allgemeine Entrüstung zeigte
I sich derart, dass die Wiener Tramway-
; Gesellschaft sich veranlasst fand, eine
I Zählung der Passagiere hinsichtlich der
1 Ueberfüllung vorzunehmen, woraus be-
\ wiesen werden sollte, dass die Zahl der
I Ueberfüllungen nur eine geringe sei. **)
Der Energie des Statthalters von
1 Nieder-Oesterreich, Grafen Kielmans-
! eSS-> 'st es zu danken, dass endlich, im
\ Mai 1895, Ordnung hier geschaffen wurde.
*) Die auf I km Bahnlänge entfallende
Zahl der Fahrtkilometer sank auf 157.603 und
näherte sich dadurch der Ziffer, wie sie das
Jahr 1880 zeigte; für das Jahr 1897 entfielen
211.531 Fahrtkilometer auf I km Betriebslänge.
**) Eine in Wien neu erschienene Zeitung
[»Neues Wiener Journal«] schrieb sogar einen
Preis von 500 Kronen für die beste Lösung
der Tramwayfrage aus. In der hierauf ein-
gegangenen, mit dem Preise gekrönten Ar-
beit fanden sich eine Reihe von Vorschlägen
vor, deren Realisirung nunmehr zum Theil ein-
getreten ist, und zwar die Trennung des Ring-
strassen- vom Radialverkehr, Einführung des
Correspondenzdienstes und des mechani-
schen Betriebes, sowie Ausbau des Netzes.
Kleinbahnen.
535
Der Gesellschaft wurde einfach mit der
Entziehung der Concession gedroht, wenn
sie nicht die verlangte Vermehrung der
Fahrten und Verlängerung der täglichen
Betriebsdauer durchführen würde.
Ueberdies wurde ein strenges Ueber-
füllungsverbot, zuerst für eine bestimmte
Wagengattung [Abb. 228] publicirt, welche
sodann Ende 1896 auf sämmtliche Wagen
ausgedehnt ward.
Begreiflicherweise versuchte die Ver-
waltung der Wiener Tramway-Gesell-
Welt geschafft und eine wesentliche
Klärung der Situation für die Zukunft
herbeigeführt.
In der Zwischenzeit hatte sich ein
abermaliger grosser Besitzwechsel in den
Actien vollzogen. Der frühere Gross-
actionär, welcher durch seine conser-
vative, zielbewusste Politik allgemeines
öffentliches Aergernis erregt hatte, traf
mit dem Wiener Bankverein ein Arrange-
ment, demzufolge mehrere Tausend
Stück Actien in den Besitz des letzteren
Abb. 232. Wagen der Neuen Wiener Tramway aus den Siebziger-Jahren.
schaft gegen diese scharfe Massregelung
sich zu wehren und ergritf alle hiezu
möglichen Rechtsmittel der Recurse,
sogar bis zum Verwaltungsgerichtshofe.
Dieser erkannte nun in seinem Votum
vom 13. April 1 897 endgiltig dahin, dass die
Pferdebahnen unter das Eisenbahn-Gesetz
fallen, dass somit die k. k. Statthalterei
in ihrem vollsten Rechte gehandelt habe,
als sie die Vermehrung der Fahrten anord-
nete und das Ueberfüllungsverbot erliess.
Hiemit war ein alter Streit endgiltig
und grundsätzlich ausgetragen, eine wich-
tige, das öffentliche Interesse intensiv
berührende Frage für immer aus der
! übergingen. Nun wurde der Verwaltungs-
I rath abermals gewechselt, wieder wurde
| reorganisirt und auch die Frage des elektri-
schen Betriebes in ernste Erwägung ge-
zogen. *)
*) Das Bestreben, an Stelle von Pferden
mechanische Motoren zur Einführung zu
bringen, ist fast so alt wie die Strassen-
bahnen selbst. In der »Allgemeinen Vor-
geschichtec [Bd. I, I. Theil dieses Werkes]
wurden die vielfachen Versuche mit Strassen-
Locomotiven eingehend dargestellt. Auch
Wien bekam 1834 eine von Hancock
[England] gelieferte Strassen-Locomotive zu
sehen. Es vergingen jedoch einige Jahr-
zehnte, ohne dass bei Tramway- wie bei
536
F. R. Engel.
Behufs Einführung des mechanischen
Betriebes wurden früher schon seitens
der Wiener Tramway-Gesellschaft ein-
zelne Versuche mit nachstehenden Loco-
motiv-Systemen angestellt, und zwar:
1872 mit einer Locomotive, welche
oscillirende Cylinder nach amerikanischem
Muster besass. Dieselbe bewährte sich
trotz einer 1875 vorgenommenen Recon-
struction des Kessels ganz und gar nicht
und erwies sich im Betriebe zu theuer.
Im Juli und
August 1876
wurde sodann
mit zwei aus
England ge-
kommenen Lo-
comotiven von
Merry w e a-
t h e r im Ge-
wichte von
3 1jit und einem
Tramway-
Dampfwaggon
[Grantham
Steam-Car]
der Versuch
gemacht, 1879
mit der feuer-
losen Heiss-
wasser-Locomotive von Lamm-Frank, 1879
mit der gewöhnlichen kleinen Tramway-Lo-
comotive von Krauss & Comp, und 1895
Abb. 233. Darnpftrainway-Locomotive System Krauss & Comp.
mit dem Serpollet'schen Dampfwagen. 1896
[Mai-Juni] wurde mit einem elektrischen
Accumulator- Wagen experimentirt.
Alle diese Versuche mit Dampf-
motoren scheiterten mehr oder minder
an dem principiellen Uebelstande des
Wiener Hügel -Terrains einerseits, sowie
an dem damals zu schwachen Oberbau
andererseits. Erst die successive Aus-
wechselung der ursprünglichen, recht
schwachen Schienen, namentlich aber die
im Jahre 1885
begonneneEin-
führung des
eisernen Ober-
baues machte
die Anwen-
dung schwerer
Motoren mög-
lich. Dass Letz-
tere factisch
übermässig
stark, bezie-
hungsweise
gewichtig sein
mussten, hatte
seinen Grund
eben in den
zahlreichen
Steigungen,
die im Maximum bis zu I .-25 betragen.
Bei dem elektrischen Betriebe hingegen
ist die Adhäsion an sich schon etwas
Strassen-Locomotiven ein nennenswerther
Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre. Durch
das Eintreten Amerikas in den Wettbewerb,
beziehungsweise durch -das Anwachsen der
dortigen Städte, mehrten sich aber dieVersuche.
So wurden auf der Cincinnati - Tramway
durch die mit dem Wagen verbundene
Maschine von A. B. Latta zuweilen 80 Per-
sonen befördert. Nun wurden in rascher
Aufeinanderfolge mehrere amerikanische
Tramways mit Motoren verschiedener Con-
struction ausgerüstet, unter welchen jene
vonGrice & Long [1859] und G. F. Train
[1860], beide mit Zahnrad-Uebersetzung, be-
sondere Erwähnung verdienen. 1870 wurde
in Chicago ein Ammoniak-Motor für die dortige
Tramway von Dr. Lamm versucht 1871 — 1874
liefen Tramway-Locomotiven von L. Jennet
— ohne Rauch- ud Dampfentwicklung — mit
verhältnismässig grossem Wasserraum, nach
dem sogenannten Accumulator-System, um
das Einieuern während der Fahrt zu ersparen,
ferner ein Dampf-Omnibus von Nairn
mit drei Cylindern, 1872 [in New - York]
die Remington - Hochdruck - Locomotive, mit
dem Wagen combinirt; im selben Jahre ver-
suchte auch Fairlie sein Svstem der sechs-
rädrigen Doppelmaschinen mit separatem
Motor auf -Tramways anzuwenden. Gran-
tham versuchte einen Locomotiv- Omnibus
zum Vor- und Rückwärtsfahren, mit dem
Kessel und dem Mechanismus in der Mitte.
1873 construirte Dr. Lamm in Chicago
eine feuerlose Locomotive mit überhitztem
Dampfe ; im selben Jahre erbaute Robinson
einen Tramway-Motor nach dem Heisswasser-
System und mit Condensation — mit dem
Kessel am Dache, welcher sich bei Steigun-
gen in die richtige Lage einstellte.
1874 wurde die Tramway-Hochdruck-
Locomotive von P e r k i n s mit etwa 35 Atmo-
sphären Dampfdruck und Luft-Oberflächen-
Condensation, ferner das System Scott-Mont-
crierT mit comprimirter Luft, welche durch Ex-
Bansion auf vier Cylinder wirkte und hiebei im
irucke von 21 auf i1/» Atmosphären [in den
Cylindern] herabgebracht wurde, geprobt.
Auch eine rotirende Dampfmaschine ward
um diese Zeit durch Cramp zur Fortbe-
wegung mittels Kette und Zahnrad versucht.
Kleinbahnen.
537
Abb. 234 a. Dainpftramway-Locomotive System Krauss & Comp.
[Serie B.J
Abb. 2346. Dampftramway-Locomotive
System Krauss & Comp. [Serie B.]
grösser, daher erfolgt namentlich die
Ueberwindung von Steilrampen leichter ;
Wien mit seinen zahlreichen Boden-
wellen und Thalfurchen ist demnach zum
elektrischen Betriebe geradezu
prädestinirt.
Wiewohl schon 1890 dem Wiener
Gemeinderathe ein förmliches Vorproject
für die allgemeine Umgestaltung auf elektri-
schen Betrieb vorgelegt wurde, so kam
doch daraufhin keine Ausführung zu
Stande. Die am 28. Januar 1897 zur
Hiebei ward auch dem Abdampf beson-
dere Sorge zugewendet, um sein geräusch-
loses Entweichen zu erzielen. Ebenso ver-
suchte man bei Todd's separatem Motor
mit Hilfe eines eigenen Apparates den lästi-
gen Abdampf zu vernichten. Auch dieser Er-
finder benützte einen sogenannten Accumu-
lator-Kessel theilweise nach dem Füllofen-
Princip. Die Societe metallurgique et char-
bonniere beige versuchte um diese Zeit eben-
falls Tramway-Locomotiven mit, wenn auch
nur leicht überhitztem Dampfe und mit Ober-
flächen-Condensation [separater Motor mit
drei Cylindern].
1876 baute Brunner in Winterthur
einen grösseren mit der Maschine ver-
bundenen Dampfwagen für Tramways. Im
selben Jahre ward auf der Pariser Tramway
das System mit comprimirter Luft von
Mekarski versucht [Maschine und Wagen
ebenfalls verbunden] Dasselbe hat sich
später in einigen Städten Eingang verschafft
und bewährte sich bisher ganz gut. So-
dann wurde durch Vaucamp wieder das
Perkins'sche Svstem mit Modifikationen an
versuchsweisen Durchführung gelangte
Methode besteht in je einem Motor- mit
einem Anhängewagen [Abb. 229]. Diese
vom Publicum so sehnsüchtig herbei-
gewünschte neue Betriebsart, welche auf
einer peripheren Linie von der Wallgasse
zur Prater-Remise in der Länge von 9^4 km
durchgeführt wurde, ist das Hamburger
[Trolley-JSystem »Thomson-Houston« und
beruht auf der oberirdischen Stromzu-
leitung. Zu diesem Zwecke wird über dem
Geleise ein Leitungsdraht von 8 1j4 mm
Details versucht. Eine Besonderheit zeigte
die Tramway- Locomotive von Rolin und
A. Buret. indem die beiden Räder je einer
Seite durch Riemen miteinander gekuppelt
wurden. Auch hier ward dem Abdampf be-
sondere Sorgfalt gewidmet. Dalifol baute
einen rauchverzehrenden Tramway-Dampf-
omnibus mit vier Cylindern, mit Zahnrädern,
Kette und Oberflächen -Condensation. Pro-
fessor Bede construirte wieder einen feuer-
losen Tramway -Motor mitHeisswasser von 1850
[II Atmosphären], welches in sechs Kesseln,
wovon vier unter den Sitzen vertheilt sind,
mitgeführt ward. Die dreicylindrige Maschine
war hiebei mit dem Wagen vereinigt. Ein
ähnlicher Tramway - Omnibus wurde von
Todd construirt, wobei jedoch die zwei
Cylinder in den Heisswasser-Reservoirs lagen.
Leon Francq construirte ebenfalls einen
Eesonderten Heisswasser-Motor nach System
amm.
1876 versuchte sich auch die Firma M e rry-
weather mit kleinen gesonderten Tram-
way-Locomotiven nach System Harding zu-
erst in Paris, sodann, wie erwähnt, in Wien. In
538
F. R. Engel.
Stärke gespannt, unter welchem eine durch
Federkraft angedrückte Rolle hingleitet,
die von einer schräg vom Wagendache
ausgehenden Stange gehalten wird. Der
elektrische Strom — von 500 Volt
Spannung — circulirt somit vom Leitungs-
drahte in die Rolle durch die Stange in
die [Secundär-] Dynamomaschinen — je
zwei Stück von je 20 Pferdekräften pro
Wagen — welche die Räder des Motor-
wagens in Drehung setzen. Die Rück-
leitung des Stromes erfolgt theils durch
die Schienen, theils durch zwei, bei der
Augarten- und Brigittabrücke von den
Geleisen abzweigende Kabel. Zur Fest-
haltung des Zuleitungsdrahtes ist ein
ganzes System von Spanndrähten er-
forderlich, welche ihrerseits durch 310
grosse Mäste aus Mannesmann- Röhren,
sowie auch durch 366 Wandrosetten
gehalten werden.
Die ganze Strecke ist in 17 Aus-
schalte-Sectionen von je 500 m Länge
abgetheilt und erhält ihre Speisung an
drei Punkten, wozu eigene Kabel dienen.
Vorläufig befinden sich 40 Motorwagen
mit je einem Beiwagen — den früheren
Einspännerwagen, welche mit Central-
Buffern ausgerüstet wurden — im Betriebe ;
hiezu ist ein Kraftaufwand einer Dampf-
maschine von 600 Pferdestärken für die
sogenannte primäre Dynamomaschine er-
forderlich. Ausserdem ist eine »Buffer-
maschine« zur Ausgleichung der Spannung
vorhanden.
letzterer Stadt ward ihr die Ueberwindung der
starken Steigung von I : 258 auf der Bellaria
sowie der enge Radius von 18 in zu schwierig.
Fast zur selben Zeit fand auch die Erprobung
eines Grantham'schen, von der Firma Star-
buck [England] gelieferten Dampfwaggons
auf der Wiener Tramway, und zwar mit
ungefähr dem gleichen Misserfolge statt.
1876 wurde auch auf einigen Tramways
Englands und Schottlands das System Hughes
mit Condensation und besonderer Vorrich-
tung für den Abdampf sowie restringirter
Einfeuerung versucht, welches ziemlich den
Bedingungen entsprach. Auf der Tramway
von Kopenhagen wurden mittlerweile von
Smith & Mygind Locomotiven, und zwar
nach dem Compound-System [mit zwei un-
gleich grossen Cylindern] und mit Conden-
sation eingeführt. In Amerika versuchte
Mathewson den Kessel mit Gas zu heizen
und gab, um das Scheuen der Pferde vor der
Maschine zu verhüten, seiner Locomotive das
Ansehen eines Pferdes.
Die neue Beförderungsart hat sich —
trotz einzelner Unfälle — im Sturme die
Gunst des Wiener Publicums errungen.
Viel trägt hiezu die bequeme und elegante
Ausstattung sowie die reichliche [elektri-
sche] Beleuchtung der Wagen, vor-
nehmlich aber die erhöhte Geschwindig-
keit bei.
Infolge dieser raschen Beliebtheit
wurden die zwei zur Kaiser-Jubiläums- Aus-
stellung [1898] im Prater führenden Linien
für elektrischen Betrieb eingerichtet. —
Aus dem ursprünglichen Anfange
der Linie Schottenring-Hernals, 3-96 km
[eröffnet 4. October 1865], ist 1897,
nach 32 Jahren, ein gewaltiges weit-
verzweigtes Bahnnetz von 8o'76 km mit
zusammen I58'338&>« Geleiselänge ge-
worden, dasselbe hat sich demnach ver-
zwanzigfacht ! Anstatt der ursprünglich
eingeleisigen Strecke sind durchgehends
Doppelgeleise vorhanden, mit Ausnahme
der kurzen und wenigen »Engpässe«, wo
eine Einlösung nicht möglich war. Aus der
ursprünglich vorhandenen Zahl von 44 Pfer-
den wurde ein durchschnittlicher Tages-
stand von 3736 Stück, die Zahl der beför-
derten Passagiere stieg von 265 .000 j ährlich
auf etwas über 64,000.000, der Wagenpark
von 22 auf 730 ; welche Entwicklung der
Oberbau durchmachte, ist aus den
Abb. 230 ersichtlich. Das Gewicht des
Oberbaues ist im Laufe der Jahre auf
mehr als das Fünffache des ursprünglichen
gestiegen.
1877 trat nun Krauss in München mit
seinen kleinen Tramway-Locomotiven mit
Condensation und seitlicher Feuerung auf,
deren eine auch die auf der Wiener Tramway
1879 erprobte war. Im J. 1877 wurden auf den
Tramways zu Genf, später in Mailand, Strass-
burg, Hamburg, Berlin und Köln etc. Loco-
motiven von Brown in Winterthur nach dem
Accumulator- und Füllofen-Princip und mit
Oberflächen-Condensation versucht, welche
ziemlich zufriedenstellende Resultate ergaben.
Mitte der Neunziger-Jahre tauchte in
Paris das System S erpoll et auf, welches
auch in Wien, wiewohl ohne Erfolg, erprobt
wurde. Das Charakteristische dieses Systems
gegenüber anderen Dampf-Locomotiven be-
steht in der Art der Dampferzeugung, indem
stets nur ein Minimum von überhitztem
Dampf gebildet wird. Hiezu dienen sehr enge
Circulationsrohre, in welche Wasser auto-
matisch unter sehr hohem Druck eingepumpt
wird. In diesem Vortheil des geringen Dampf-
und Wasservorrathes liegt aber auch zugleich
Kleinbahnen.
539
Abb. 235. Station Berg Isel. [Innsbruck-Hall.]
Hinsichtlich des Betriebes vollzog sich
im Jahre 1897 eine gründliche Ver-
besserung, beziehungsweise Umformung
nach zwei Richtungen hin : die Elektri-
cität ersetzt — allerdings erst mit dem
Antheil von i7-60/0 — das Pferd, die
kurze Tour, die »Pendelfahrt«, tritt
endlich, wiewohl noch zögernd, an Stelle
der Nachtheil, indem kein bedeutendes Kraft-
reservoir vorhanden ist. Dagegen verdient
die Oeconomie und das Compendiöse dieses
Systems alle Anerkennung. —
Auch die Kabelbahnen haben sich keinen
allgemeineren Eingang verschaffen können.
Dagegen scheint in allerneuester Zeit
das System der Gasbahnen, wie dasselbe
von Lührig in Dessau und in einigen
anderen Orten in England, Amerika, Holland
und seit April 1897 für die Strecke Hirschberg-
Warmbrunn sowie Hermsdorf eingeführt
wurde, grosse Aussichten zu besitzen. Auch
Motoren mit Benzinheizung wurden in Ver-
such genommen. Selbstredend kann dieses
neue System destoweniger gegen die Elek-
tricität als Betriebskraft aufkommen, je dichter
der Verkehr ist.
Wären die Umgestaltungs-, beziehungs-
weise Anlagekosten des elektrischen Betriebes
nur einigermassen geringer, so wäre die Ver-
breitung eine noch viel allgemeinere Es lässt
sich aber nicht übersehen, dass zum Beispiel ein
der langen Fahrt — nachdem alle dem frü-
heren Verwaltungsrathe in dieser Be-
ziehung schon 1885 und früher vorgelegten
Anträge einfach verworfen wurden. Der
frühere Vertrag enthielt u. A. auch die
drückende Bedingung, dass die Fahrt von
einem Endpunkte einer Linie zum anderen
ohne Umsteigen stattfinden könne. Diese
grosser Accumulator-Wagen über 13.000 fl.
und dass das Kilometer Oberleitung bei
zweigeleisiger Bahn bis zu circa 15.000 fl.,
ebenso das Kilometer bei unterirdischer Lei-
tung bis 55.000 fl. kostet !
Obwohl heute, nachdem der Versuch in
Wien als vollkommen geglückt zu betrachten
ist, die allgemeinere Verbreitung des elektri-
schen Betriebes mit Sicherheit zu erwarten
steht, lässt sich noch keineswegs schon die
engere Wahl des Systems als eine endgiltige
bezeichnen. Es ringen mehrerlei Durchfüh-
rungsarten um die Herrschaft. Ganz abge-
sehen von der unterirdischen Führung der
Trace mit ebensolcher elektrischer Stromzu-
leitung theilen sich die oberirdischen Bahnen
in folgende Arten ein, und zwar mit:
a) oberirdischer Stromzuleitung allein,
welche überdies nach mehrfachen construc-
tiven Untertheilungen sich gliedern;
b) oberirdischer Stromzuleitung und
gleichzeitigem Accumulatoren-Betrieb, wobei
letzterer a> durch locomobile Batterien oder
540
F. R. Engel.
Bestimmung, welche den ursprünglichen
kleinlichen Verhältnissen entsprechen
konnte, eignete sich längst nicht mehr
für die gross entwickelte Beförderung
einer Millionenstadt, wo sich förmliche
Menschenströme in einer nach den ver-
schiedenen Tageszeiten stark wechseln-
den Intensität ergiessen — oftmals
geradezu entgegengerichtet den Touren,
wie sie eine schablonenhaft zusammen-
gestellte Fahrordnung darbietet.
Abb. 236. ZahnradlAbttÄotive. [System Riggenbach]
Dass von den ursprünglichen Ver-
kehrsbestimmungen, welche vor drei Jahr-
zehnten massgebend waren, heute fast
keine mehr aufrechterhalten werden kann,
ergibt sich Wohl am besten aus einem
Vergleiche der gigantischen Verkehrs-
leistung von Jetzt gegen jene von Einst.
Als im Jahre 1866 zum ersten Male
der ganzjährige Betrieb aufgenommen
| wurde, betrug die Zahl der geleisteten
| Fahrtkilometer an 500.000. Pro 1897 be-
i trägt dieselbe 14,606.442 km im Pferde-
: betriebe, wozu noch 2,477.070 km elek-
| trischenBetriebes hinzukommen, zusammen
17,083.512 km. Dies entspricht ungefähr
I jener Ziffer, welche durch die auf der
! Oesterreichisch-Ungarischen Staatseisen-
i bahn-Gesellschaft geleisteten Anzahl Loco-
motiv-Kilometer repräsentirt wird.
Denkt man sich an Stelle der täg-
lich circulirenden vielen Wagen *) nur
einen solchen, so müsste derselbe, um
dieser Wegleistung zu entsprechen, un-
gefähr 427 Mal im Jahre, also täglich
mehr als einmal um den Aequator
herumgefahren sein.
Selbstverständlich vervielfachten sich
auch alle mit den gesteigerten Lei-
stungen zusammenhängenden Lasten ganz
erheblich und es erreichen in der Betriebs-
rechnung einzelne dahingehörende Beträge
eine ganz stattliche Höhe. So betrugen pro
1897 z. B. die diversen Steuern 559.952 fl.
53 kr. Aus folgender Tabelle Seite 541
ist die Entwicklung zu ersehen, welche
die Wiener Tramway-Gesellschaft seit
ihrem Bestand als Actien-Unternehmen,
somit seit genau 30 Jahren genommen hat.
Zur Aufrechthaltung des Betriebes ist
die Zahl von 3813 Beamten und Bedien-
steten erforderlich, welche sich auf 2266
Kutscher und Conducteure, 659 Personen
£) durch eine ständige Batterie mit separater
Zuleitung bewirkt wird;
c) Accumulatoren-Betrieb allein, ohne
jede Stromzuleitung;
d) unterirdische Stromzuleitung.
Jedes dieser Systeme hat gewichtige
Gründe für und gegen sich; allen aber ist
der principielle Vortheil eigen des raschen
Anfahren s, der starken Kraftentfaltung im
Erfordernis falle, namentlich bei Steigungen,
und der bedeutenden Expansionsfähigkeit des
Betriebes überhaupt, sowie der grösseren
Geschwindigkeit — gegenüber dem Betriebe
mit Pferden, zum Theil auch gegenüber dem
Locomotiv-Betriebe. Im Vergleiche mit dem
letzteren tritt noch überdies der Wegfall des
Feuers, die Rauch- und Geruchlosigkeit, das
zumeist geringere todte Gewicht hinzu,
während gegenüber dem ersten die ge-
ringere Inanspruchnahme des Strassenraumes
[infolge Wegfalles der Pferde], die Emanci-
pation von der Hafer-Coniunctur, von Pferde-
krankheiten, die grössere Zeitausdehnung des
täglichen Betriebes, endlich die grössere Rein-
haltung der Strassen, der Wegfall jeglicher
Thierquälerei etc. in Betracht kommt, lauter
Momente, welche umso höher anzuschlagen
kommen, je dichter der Verkehr sich gestaltet.
Inwieweit diese Vortheile durch die Nach-
theile höherer Kosten, — im Vergleiche
selbst zu anderen mechanischenBetriebs-
arten — und zwar nicht allein hinsichtlich
des Betriebes, sondern auch hinsichtlich Ver-
zinsung und Amortisation etc. aufgewogen
werden, lässt sich bei der geringen Beobach-
tungsdauer des Betriebes elektrischer Bahnen
überhaupt im Allgemeinen noch nicht be-
stimmen. Es bildet dies vielmehr Gegen-
stand besonderer Erwägungen und Unter-
suchungen. Als ein allgemein giltiges Princip
lässt sich nur aufstellen, dass durch elek-
trischen Betrieb eine fast unbegrenzte Stei-
gerungsfähigkeit der Einnahmen zu erzielen
ist, gegen welche der Nachtheil eines be-
ständig grösseren Arbeitsaufwandes wohl
mehr oder weniger in den Hintergrund tritt.
*) Im Jahre 1897 betrug die Gesammt-
zahl der täglich verkehrenden Wagen im
Durchschnitt und auf das ganze Jahr redu-
cirt 4886.
Kleinbahnen.
541
Wiener Tramway- Gesellschaft.
Jahr
Ein-
gezahltes
Actien-
capital
Strecken-
länge
in Kilo-
metern
Betriebs-
Einnahmen
Gesammt-
Personen-
Frequenz
Anmerkung
Mill. Guld.
Mill. Guld.
Millionen
1868
18
H-6
o-35
3-3
In Betrieb waren die Linien : Dornbach —
Ringstrasse und Prater.
In Betrieb kamen die Linien : Franz Josefs-
1869
36
I9'3
077
7'3
Quai, Penzing— Hotel Kummer, Schotten-
ring— Nussdorfer Linie.
1870
21-8
In Betrieb kamen die Linien : Nussdorfer-
50
i-3i
12-5
Linie — Döbling, Hotel Kummer- Bellaria.
1871
53
218
1-58
i5-i
1872
56
218
1-94
18-8
In Betrieb kamen die Linien: Aspern-
1873
b rücke— Sophienbrücke — Weltausstellung,
5"5
37-2
330
311
Schwimmschulallee — Weltausstellung,
Wallensteinstrasse, Südbahn — Matzleins-
dorf und Rennweg.
In Betrieb kamen die Linien : St. Marxer-
1874
5"5
42-4
2-26
22'6
Linie - Centralfriedhof, Wollzeiie- Land-
strasse - St. Marxer-Linie.
1875
7-8
419
220
209
1876
78
42-6
209
187
In Betrieb kam die Linie: Praterstern —
Communalbäder.
1877
78
45-i
2-05
187
In Betrieb kam die Linie: KärntnerriDg —
Hundsthurm.
1878
78
45-1
224
20'9
1879
7-8
453
2-40
225
1880
7-8
45-2
2 52
23'8
1881
7'8
452
260
247
In Betrieb kamen die Linien: Porzellan-
1882
7-8
48-3
282
269
gasse — Franz Josef - Bahnhof, Tabor-
strasse— Nordwestbahuhof.
In Betrieb kamen die Linien: Augarten-
1883
77
55 0
3-14
298
strasse, Praterstern— Rotunde, Währing—
Lerchenfelderstrasse.
In Betrieb kam die Linie: Währing-
1884
77
560
339
36-2
Hauptstrasse.
In Betrieb kamen die Linien: Baben-
1885
7-6
60-3
3'39
40-0
bergerstrasse, Kaiser Josefstrasse, Hunds-
thurm - Schönbrunn— Penzing.
1886
7'5
603
3'42
40-1
In Betrieb kam die Linie: Josefstädter-
1887
9'8
62-0
3-38
39 7
strasse.
In Betrieb kam die Linie: Spittelauer-
1888
109
627
3-60
419
gasse.
In Betrieb kamen die Linien : Erdberg-
1889
12-0
655
349
400
strasse, Himbergerstr.— Altes Landgut.
In Betrieb kamen d. Linien : Spitalgasse—
1890
I2'0
72-5
378
42-8
Kaiserstrasse - Wallgasse, Kinderspital-
gasse— Aisbachstrasse und Ungargasse.
In Betrieb kamen die Linien : Reinprechts-
1891
130
8o-o
376
427
dorferstrasse, Fasangasse - Südbahnhof,
Gumpendorferstrasse und Burggasse.
1892
128
801
4 30
47-5
1893
126
801
446
496
1894
12-5
801
481
537
1895
123
804
507
56-8
1896
133
807
536
601
1 1897
807
64- 1
28. Januar elektrischer Betrieb auf der
Transversallinie eingeführt.
13-0
571
542
F. R. Engel.
für den Stalldienst, 282 Individuen für den
Bahnerhaltungsdienst, 280 Werkstätten-
arbeiter und 326 Uebrige [Beamte] ver-
theilen.
Der Wagenverkehr wird von sieben
Etablissements : Penzing, Dornbach, Dö-
bling, Währing, Südbahn, Simmering und
Prater geleitet.
Trotz der, wie erwähnt, ganz bedeu-
tenden Fahrtleistung, welche jener von
Berlin relativ gleichkommt, erscheint aber
den Anforderungen noch lange nicht ent-
sprochen, da die Mittel zur Massenbeför-
derung vorläufig noch gänzlich mangeln.
Ueberdies fehlen aber dann noch zwei wei-
tere Hauptbedingungen : Das Eindringen
in die innere Stadt, sowie die Verbindung
mit den Sommerfrischen der Umgebung,
welchen sich als dritte Forderung die
Verbindung der verschiedenen Linien
untereinander zum Behufe der Abkür-
zungen anreiht. *)
Es war naheliegend, dass infolge der
so lange — bis 1865 — zurückgehaltenen
Lösung der Wiener Verkehrsfrage end-
lich rasche Schritte nach vorne gethan
werden mussten, um das Versäumte ein-
zuholen. Das eine Unternehmen erwies
sich alsbald als gänzlich unzureichend
und so nahm in Kurzem die Idee einer
Ausgestaltung, beziehungsweise Verviel-
fältigung der Wiener Pferdebahnen, greif-
bare Gestalt an.
Als die Wogen der Gründungszeit
hoch gingen, bildete sich sofort ein
Parallel-Unternehmen, die Vororte- oder
Neue Wiener Tramway-Gesell-
schaft, und zwar unter Führung des-
selben G. v. Dreyhausen, der die
Wiener Tramway-Gesellschaft gegründet
hatte, aber aus dieser schon 1871 aus-
getreten war. Auch dieses Unternehmen
war grossartig gedacht, fusste jedoch
wesentlich auf dem Verkehre ausserhalb
der Stadt.
Im Vereine mit der Wiener Bau-
Gesellschaft wurde im September 1871
die Concession angesucht, und zwar
für ein System von Strassenbahnen,
welches mit der Gürtelstrasse bei Nuss-
*) Diesen Forderungen soll der im Jahre
1898 nunmehr mit Siemens und Halske abge-
schlossene Vertrag gerecht werden.
dorf beginnend, längs der Linienwälle
sich fortziehend, eine ganze Reihe von
[Vororte-] Linien umfasste. Am 26. Mai
1872 erhielt das Consortium die defini-
tive Concession für einen Theil der pro-
jectirten Radiallinien. 1873 wurde mit der
Bauausführung begonnen und es kamen
nun in rascher Aufeinanderfolge bis zum
Jahre 1875 vier Linien zur Eröffnung,
und zwar :
1 . Lerchenfelderlinie- Alt-Ottakring.
2. Westbahnlinie-Breitensee.
3. Lerchenfelderlinie-Mariahilferlinie.
4. Lerchenfelderlinie-Hernalserlinie.
Hierauf trat ein Stillstand von sieben
Jahren ein und erst 1882, nachdem sich
auch hier ein tiefeinschneidender Besitz-
wechsel in den Actien vollzogen hatte,
begann wieder eine grössere Bau-Aera.
Im Zeiträume vom 13. August 1882, an
welchem Tage die Strecke Hernalserlinie-
Währingerlinie zur Eröffnung gelangte,
bis zu Ende des Jahres 1887 kamen so-
dann zwölf Linien in Betrieb, darunter die
Localbahn Gaudenzdorf-Wiener Neudorf,
welch letztere sodann abgetrennt wurde
und gegenwärtig ein selbständiges Unter-
nehmen bildet. [Siehe Seite 55°-]
Im Jahre 1885 wurde der Dampfbe-
trieb auf den Strecken Westbahnlinie-
Baumgarten [1892 bis Hütteldorf ver-
längert], Sternwartegasse-Nussdorf, sowie
sporadisch auf der Strecke Mariahilferlinie-
Döbling, während der Sonn- und Feiertage
im Sommer, eingeführt. Die hiezu dienen-
den Maschinen sind kleine Tramway-Lo-
comotiven nach System Krauss, welche
sich ganz vorzüglich bewährt haben.
Der Dampfbetrieb nimmt heute un-
gefähr den vierten Theil der Leistung in
Anspruch, indem z. B. im Jahre 1897
mittels Dampf 809.110 Fahrt-Kilometer,
mittels Pferdebetrieb dagegen 2,432.152,
zusammen 3,241.262 Fahrt-Kilometer ge-
leistet worden sind.
Die Einführung des Dampfbetriebes
erwies sich nebenher auch sehr vortheil-
haft für den Bau der Stadtbahn, bei
welchem diese Locomotiven im Jahre 1895
Verwendung fanden.
Dieser Gesellschaft, welche sich auch
sonst einen rationellen Betrieb angelegen
sein liess, gebühren unstreitig grosse
Kleinbahnen.
543
Verdienste vor der ungleich älteren und
besser gestellten grossen »Wiener Tram-
way-Gesellschaft«; sie legten aber zu-
gleich Zeugnis ab von der energischen,
zielbewussten Leitung unter dem leider
zu früh verstorbenen eifrigen Unternehmer
und Förderer auf dem Gebiete des öster-
reichischen Localbahnwesens, Wilhelm von
Lindheim*) [Abb. 231], welcher an deren
Spitze stand. Hauptsächlich sind es die Ein-
beziehung des Meidlinger
Bahnhofes in ihr Netz
[31. Mai 1884], — eine
Verbindung, welche der
Verwaltungsrath der [al-
ten] Wiener Tramway-
Gesellschaft seinerzeit
abgelehnt hatte, — die
Einführung des Dampf-
betriebes und nicht zu
allerletzt die Anwendung
des 5 kr. - Zonentarifs
[August 1882], endlich,
1894 auch die versuchs-
weise Einführung des
elektrischen Accumula-
toren-Betriebes auf der
Hütteldorferstrasse, wel-
che ihr die allgemeinen
Sympathien zuwandten.
Dennoch, beziehungs-
weise zum Theil infolge
dieser Einführungen ist die
finanzielle Situation der-
selben lange nicht so gün-
stig wie die gegenwärtige
der älteren Unternehmung-.
Abb. 237. Partie der Gaisbergbahn
Auch hier spielte die Ueberspeculation
in Baugründen — und die darauf
folgende Depression eine Hauptrolle, so
dass die Verlustabschreibung auch hier
unerlässlich wurde.
Die wirthschaftliche Krise des Jahres
1873 hatte zur Folge, dass die Baugründe
an der Gürtelstrasse lange Jahre in förm-
licher Werthlosigkeit stagnirten. Die
Ansiedelung längs dieser Trace, welche
den Zweck des Ankaufs
gebildet hatte, ging nur
langsam vor sich, der
Verkehr blieb infolge-
dessen auch sehr
schwach und die Ab-
stossung der Gründe
fand nur in sehr un-
genügendem Masse statt.
Im Jahre 1884 trat
dieses Unternehmen in
engere Verbindung mit
der Kahlenbergbahn, in
der Erwartung, dass sich
durch einen Anschluss
an diese ein intensiverer
Verkehr gegen Nussdorf
entwickeln werde. Zu
diesem Behufe ward der
Dampfbetrieb nach Nuss-
dorf bis unmittelbar zur
Zahnradbahn eingeführt
[1885]. Doch auch diese
Hoffnung erfüllte sich
nur zum geringen Theil,
indem die stärkere Villen-
Verbauung des herrlichen
*) Wilhelm v. Lindheim, Sohn des ver-
storbenen Geheimen Commerzienrathes Her-
mann v. Lindheim [Siehe Bd. I, i.Th., S. 447],
war zu Ullersdorf, Grafschaft Glatz, am 4. Mai
1835 geboren. Im Jahre 1885 erlangte er
die österreichische Staatsbürgerschaft. Nach
absolvirtem Gymnasium setzte derselbe seine
Studien am polytechnischen Institute in Han-
nover fort und erreichte die Reife als Ingenieur
im Maschinen- und Baufach. Er widmete sich
sodann der Leitung der väterlichen Fabriken.
Seit dem Jahre 1867 wendete Lindheim seine
Schaffenskraft dem Eisenbahnbau zu. Nach
f lücklich zurückgelegtem Feldzuge gegen
rankreich, der ihm das eiserne Kreuz 2. Classe,
einbrach te,mit welchem der damaligeKronprinz
Friedrich von Preussen ihn eigenhändig de-
corirte, betheiligte er sich in Oesterreich und
Russland bei dem Baue mehrerer Bahnen und
bei anderen industriellen Unternehmungen.
In Oesterreich hat v. Lindheim eine Reihe
von Localbahnen ausgeführt und sich bei
vielen industriellen Unternehmungen be-
theiligt. Er ist der Schöpfer der Brünner
Localbahn, der Neuen Wiener Tramway, der
Teplitzer Eichwald- und Pressburger Local-
bahn etc. — Er baute die Grosswardeiner
und Debrecziner Strassenbahn, die Localbahn
Vinkovce-Brcka, die Savebrücke bei Gunja,
die Kolorr.eaer Localbahn sowie die Reichen-
berg-Gablonz-Tannwalder Eisenbahn. Un-
zählig sind die Projecte, die er noch ins Auge
gefasst; so unter Anderem eine elektrische
Bahn in Meran nach Schloss Tirol, eine
elektrische Bahn von Klosterneuburg nach
Weidling etc. Er starb, an Ehren und Aus-
zeichnungen reich, als königlich rumänischer
Generalconsul, am 6. Januar 1898. Trotz
seiner ausgedehnten Berufspflichten war von
Lindheim auch unermüdlich literarisch thätig.
544
F. R. Engel.
Kahlenberges, wie eine solche im gross-
artigen Stile 1 87 1/72 geplant war, sich selbst
heute immer noch nicht einstellen will.
Die Krise des Jahres 1873 vereitelte auch
dieses Project, und mittlerweile geht über-
dies der »Zug« der Wiener in die weiterge-
legenen Sommerfrischen. Ausserdem erfüll-
ten sich die übrigen auf die Entwicklung
der Vororte gesetzten Hoffnungen ebenfalls
nur theilweise und sehr langsam, so dass
namentlich die Linien nach Döbling, ebenso
jene nach Baumgarten [von Breitensee],
dieses für den Aussenverkehr Wiens so
wichtige Verkehrs-Institut durchgemacht
hat.
Indes wird der eigentliche Aufschwung
wohl erst eintreten, wenn auch auf diesem
Netze der elektrische Betrieb, wie dies
übrigens bereits projectirt ist, zur Durch-
führung gelangt sein wird. — —
Erst wenn der elektrische Betrieb auf
den beiden Wiener Pferdebahnen allgemein
eingeführt sein wird, erst dann befindet
sich die beispiellos schöne Reichshaupt-
Abb. 23S und 239. Achenseebahn. [Burgeck und Anstieg gegen Eben.]
schliesslich auch nach Wiener-Neudorf
[von Gaudenzdorf] — welch letztere we-
sentlich dem Frachten -Verkehre dient —
nur sehr schwach frequentirt waren.
Die ursprüngliche Waggon - Type ist
aus [Abb. 232] zu ersehen, welche zu-
gleich die Ueberfüllung, wie sie an Sonn-
und Feiertagen zumeist auch hier eintrat,
zum Ausdruck bringt.
Trotz aller dieser Misshelligkeiten
arbeitete sich aber doch die Neue Wiener
Tramway-Gesellschaft in den 25 Jahren
ihres Bestandes zu einer achtunggebie-
tenden Stellung hinauf. Aus nachste-
hender Tabelle [Seite 545] ist der Ent-
wicklungsgang zu erkennen, welchen
und Residenzstadt auch auf der Höhe der
praktischen Einrichtungen.
Im Jahre 1897 wurden bereits an
76,000.000 Fahrgäste durch die beiden
Pferdebahnen zusammen befördert. Es
unterliegt keinem Zweifel, dass sodann die
Zahl 100,000.000 Fahrgäste pro Jahr ganz
leicht erreicht werden kann ; *) damit wird
*) In Paris werden die pro Jahr durch
Tramways und Omnibusse beförderten Per-
sonen auf 300,000.000 geschätzt. Da sich
auch dort die Verkehrsmittel als gänzlich
unzureichend erwiesen haben, so wurde der
Bau einer Stadtbahn beschlossen unter Zu-
grundelegung einer Anzahl von 460,000.000
Fahrgästen pro Jahr. — Der Londoner Strassen-
verkehr beträgt 880,000.000 Personen.
Kleinbahnen.
545
Neue Wiener Tramway- Gesellschaft [inclusive Strecken mit Dampfbetrieb].
Jahr
Ein-
gezahltes
Actien-
Capital
Kilometer
Strecken-
länge
Betriebs-
Einnahmen
Gesammt-
Personen-
Frequenz
Anmerkung
Mill. Guld.
Mill. Guld.
Millionen
1873
4-00
5-2
0043
041
In Betrieb waren die Linien : Westbahn-
linie— Breitensee, Lerchenfelderlinie —
Ottakring.
1874
280
6-4
0-113
120
In Betrieb kam die Linie : Lerchenfelder-
linie— .Mariahilf erlinie.
1875
200
7-085
0147
1-55
In Betrieb kam die Linie : Lerchenfelder-
linie - Hernalserlinie.
1876
175
7085
0-133
1-42
1877
169
7-085
0-115
1-25
1878
169
7-085
0-u8
1-30
1879
1-69
7-085
01 24
136
1880
169
7085
0 128
1-42
1881
169
7-085
0-143
1-58
1882
169
7-846
0165
1-88
In Betrieb kam die Linie : Hernalser-
linie - Währingerlinie.
1883
181
9-761
0-268
3-14
In Betrieb kamen die Linien : Währinger-
linie-Nussdorferlinie, Sternwartestrasse —
Döbling | Hirschengasse], Mariahilfer-
linie — Gumpendorf erlinie.
1884
246
12-9
0-384
4-40
In Betrieb kam die Linie : Gumpendorfer-
linie— Meidlinger Bahnhof.
1885
276
17-392
0482
5-58
In Betrieb kamen die Linien: Breiten-
see Baumgarten, Nussdorferl. — Nussdorf,
Schottenring— Linienwalldurchbruch.
1886
4-10
23-050
0-637
741
1887
1888
4-10
4'56
24-105
26-832
0-686
0-728
810
907
In Betrieb kamen die Linien: Währing -
[WendlJ Döbling — Theresienplatz, Sechs-
schimmelgasse, Opernring — Steinbauer-
gasse.
1889
1890
4 56
4' 56
26-832
27-411
0761
0787
9-59
9-96
In Betrieb kam die Linie : Matzleinsdorfer-
strasse.
In Betrieb kam die Peage-Strecke : Stein-
bauergasse—Matzleinsdorferstrasse.
1891
4 56
28-374
0-783
9-87
In Betrieb kam die Linie : Grinzinger-
strasse-Heiligenstadt.
1892
409
29090
0776
971
In Betrieb kam die Linie: Baumgarten-
HUtteldorf.
1893
4-06
30-130
0-835
1024
Am 15. Januar 1803 wurde die Linie : Stein-
bauergasse-Meidlinger Bahnhof von der
Actien-Gesellschaft der Wiener Local-
bahnen übernommen.
1894
4-03
30-137
0-855
1050
Am 16. October 1894 : Beginn des Peage-
Verkehres in der Alserbachstrasse.
1895
401
30-089
0003
iro8
1896
39<>
30089
0-939
n-55
1897
396
30-089
0-966
11-82
Geschichte der Eisenbahnen. I. Band, 1. Theil.
35
546
F. R. Engel.
Abb. 240. Locomotive der Achenseebahu.
Wien in mächtigen Schritten eingeholt
haben, was unserem öffentlichen Leben
bisher abging, was gleichwohl aber die
Grundlage jedes industriellen und com-
merziellen Aufschwunges bildet : geord-
neten Verkehr!
Aus den Daten beider Tramway-
Gesellschaften ergibt sich, dass bei einer
vereinigten Streckenlänge von rund 1 1 1 km
auf je 100.000 Einwohner in Wien eine
Länge von circa 7 km Tramway entfallen.
Thatsächlich muss dies ein unbefriedi-
gendes Resultat*) genannt werden, wenn
man in Betracht zieht, dass für Berlin
ungefähr um die Hälfte mehr, nämlich
ii'43Äw zu rechnen sind. Dabei tritt
aber noch in Berlin die Stadtbahn mit
ihrem Riesenverkehre hinzu. Es er-
gibt sich somit hieraus, dass in Wien
noch ein sehr weiter Spielraum für die
Entwicklung der Strassenb ahnen vorhan-
den ist. Die nunmehr durch den neuen
Tramway- Vertrag mit Siemens und Halske
gesicherte Vergrösserung des Netzes von
80 auf 200 km wird dann einem Satze
von 15*3 km pro 100.000 Einwohner
entsprechen.
Ungleich ungünstiger gestaltet sich
aber der Vergleich mit Budapest, welches
auf je 100.000 Einwohner 21 km Strassen-
bahnen aufweist, und somit wohl den
*) In Hamburg zeigt sich sogar das
Verhältnis von 193 km auf je 100.000 Ein-
wohner, also mehr als das doppelte von Wien,
ebenso ergibt sich in Köln das Verhältnis von
15-9 km, in München und Dresden je circa
10 km, in Frankfurt a. M. 192 km u. s. w.
meisten, wenn nicht allen europäischen
Städten in dieser Hinsicht überlegen ist.
Auch in den übrigen Städten Cis-
leithaniens Hess die Errichtung von
Strassenbahnen, nachdem einmal der
Bann gebrochen, nicht mehr allzu lange
auf sich warten. In keiner derselben
begegnete die Ausgestaltung aber der-
artigen Schwierigkeiten wie in Wien.
Nachstehende Städte, in absteigender
Reihenfolge nach der Zahl der Einwohner
geordnet, besassen 1896, Pferde-, bezie-
hungsweise elektrische Strassenbahnen :
Prag, 365.000 Einwohner, eröffnet*)
23. September 1875, 19753 km
Pferde- und 3^37 km elektrischen
Betrieb, Capital 2,960.930 fi. [vor-
läufig noch Belgische Gesellschaft,
welche durch die Stadtgemeinde ab-
gelöst werden wird] ;
Triest, 162.000 Einwohner, eröffnet
30. März 1876, 11 '950 km Pferde-
betrieb, Capital 1,500.000 fl.;
Lemberg, 135.000 Einwohner, eröff-
net 5. Mai 1880, 5 '874 km Pferde-
und 8'33 km elektrischen Betrieb
[Filialen der Societä Triestina Tram-
way];
Graz, 120.000 Einwohner, eröffnet
9. Juni 1878, 10-815 km Pferde-
betrieb, Capital 700.000 fl. ;
*) Das Eröffnungsdatum bezieht sich
hier und bei den folgenden Unternehmungen
auf die Eröffnung der ersten Theilstrecke.
Kleinbahnen.
547
Krakau, 80.000 Einwohner, eröffnet
1. November 1882, 2-769 km Pferde-
betrieb, *) Capital 240.000 fi. ;
Linz-Urfahr, 50.000 Einwohner, er-
öffnet 1. Juli 1880, 2-961 km elek-
Salzburg, 30.000 Einwohner, eröffnet
4. August 1892, 3-130 km*) Pferde-
betrieb, Capital 2,330.000 fl. ;
Klagenfurt, 20.000 Einwohner, eröffnet
5. Juli 1891, 5-800 km Pferdebetrieb.
Abb. 241. Partie der Schafbergbahn.
trischen Betrieb, — in Umwandlung
zu einer Actien-Gesellschaft begriffen
mit 1,750.000 fl. zum Zweck des Be-
triebes der Pöstlingbergbahn und
in Verbindung damit der elektri-
schen Beleuchtung der Stadt ;
*) Wird demnächst in elektrischen Betrieb
umgewandelt.
Von den übrigen Städten, welche
elektrische oder Pferdebahnen theils schon
im Betriebe, theils in Ausführung be-
sitzen — die jedoch zumeist in die Um-
*) Einschliesslich einer >Mixte«-Betriebs-
strecke [Dampf- und Pferdebetrieb] von
I-644/bn derDampftramway Bahnh. [Salzburg-]
Bayrische-Grenze[Drachenloch].SieheSeite76.
35*
548
F. R. Engel.
gebung führen und auch zum Theil für
Gütertransport bestimmt sind — wären
hervorzuheben: Czernowitz, Reichenberg,
Gablonz, Teplitz, Bielitz, Gmunden, Baden,
Mödling, Pilsen u. s. w.
Strassenbahnen mit Dampfbetrieb
[Dampf tramways] .
Die Dampftramways vertheilten sich
1896 in Oesterreich auf sieben Unter-
nehmungen, und zwar:
1. Brünner Localeisenbahn-
Gesellschaft icvi km
2. Pfivoz - Mährisch - Ostrau-
Witkowitz 7*7 »
3. Linien der Dampftramway-
Gesellschaft vormals Krauss
& Comp 4i'6 •
4. Neue Wiener Tramway, be-
ziehungsweise Kahlenberg-
bahn io-5 »
5. Salzburger Eisenbahn- und
Tramvvay-Gesellschaft . . 39-2 »
6. Actien - Gesellschaft der
Wiener Localbahn . . . 17*0 »
7. Localbahn Innsbruck - Hall
in Tirol [schmalspurig] . i2-o »
138-1 km
Brünner Localeisenbahn-Ge-
sellschaft. Von der ursprünglich am
23. Februar 1869 concessionirten und in
der Zeit bis zum 18. October 1870
streckenweise eröffneten BrünnerTram way,
die trotz des auf die Sommerzeit be-
schränkten Betriebes stets nothleidend blieb
und deren traurige Verhältnisse im Jahre
1872 die Liquidation der Actien-Gesell-
schaft herbeiführten, verblieben die "j'gkm
langen Strecken Karthaus - Alt - Brünn-
Schreibwald im Betriebe, deren Conces-
sion an die Stadtgemeinde Brunn über-
tragen war. Die neue Eigenthümerin
betraute den Director der Prager Tram-
way, Bernhard K oll mann, mit der
Betriebsführung, welcher im Jahre 1879
Versuchsfahrten mit Tramway - Loco-
motiven vornehmen liess, deren Er-
gebnis mit Rücksicht auf den schlechten
Zustand des Bahnkörpers ein ungün-
stiges war.
Am 21. September 1882 erhielt die
Commune Brunn eine neue Concession
für den Bau und Betrieb einer für den
Personen- und Frachten verkehr bestimmten
Tramway und schloss mit Wilhelm v.
Lindheim ein Uebereinkommen, auf
dessen Grundlage die Linie Karthaus-
Schreibwald und die Abzweigung von der
Ugartestrasse zum Centralfriedhof als
Dampftramway neu hergestellt wurde. Die
Linie Karthaus-Schreibwald wurde am
29. Mai, die Linie zum Centralfriedhof am
1. November 1884 mit Locomotivbetrieb
eröffnet.
Aus diesem Unternehmen ging die
»Brünner Localeisenbahn-Gesell-
schaft« hervor, die sich am 20. Juli
1885 als Actien-Gesellschaft constituirte.
Die Gesellschaft stand Ende des Jahres
1896 im Besitze von 17-8 km Bahnen,
von denen 77 km auf die Dampftramway
Pfivoz-Mährisch-Ostrau-Witkowitzsammt
den dortigen Verbindungs-Geleisen ent-
fielen, die auf Grund eines Beschlusses
der Generalversammlung vom Jahre 1894
von der Localbahn-Gesellschaft Pfivoz-
Mährisch - Ostrau - Witkowitz erworben
wurde. Den Betrieb auf den Ostrauer
Tramwaylinien führt die Eisenbahnbau-
und Betriebs- Unternehmung Leo Arnoldi
in Wien.
Dampftramway -Gesellschaft
vormals Krauss & Comp. Nach
Schaffung des Localbahn-Gesetzes vom
Jahre 1880 griff die Locomotivbau-Gesell-
schaft Krauss & Comp, in München
und Linz das alteProject auf, eine, die süd-
westlich von Wien gelegenen Ortschaften
unmittelbar berührende Localbahn zu
schaffen und erwarb im Jahre 1881 die
Bewilligung zur Vornahme technischer
Vorarbeiten für eine Localbahn [Dampf-
tramway], ausgehend vom Linienwalle in
Wien über Hietzing, Lainz, Speising,
Mauer, Kalksburg, Rodaun, Perchtolds-
dorf, Brunn a. G., Maria - Enzersdorf,
nach Mödling und in die Hinterbrühl
nebst Zweiglinien von Hietzing nach
Hacking und von Rodaun nach Kalten-
leutgeben, ferner für eine solche Bahn
vom Wiener Linienwalle zur Elisabeth-
brücke, eventuell zur Radetzkybrücke. Die
Südbahn jedoch erhob Protest und nahm
nun den Bau der Strecken Liesing-Kalten-
leutgeben sowie von Mödling in die
Brühl selbst in die Hand.
Kleinbahnen.
549
Auch sonst hatte das Krauss'sche
Unternehmen vielfache Schwierigkeiten zu
besiegen. Erst als eine nach Mailand und
Florenz entsendete Commission zum Stu-
dium der dortigen Dampftramways die
Vortheile eines derartigen Betriebes be-
Hietzing zum Ausgangspunkte der Bahn
gewählt. Das Auftauchen des Fogerty-
schen Projectes verzögerte gleichfalls die
Erledigung der Concessionswerbung der
Dampftram way und erst am 30. Juli 1882
erhielt die Firma Krauss & Comp, die Con-
Abb. 242. Schafbergbahn.
stätigte, war das wesentlichste Hemmnis,
das dem Unternehmen entgegenstand,
beseitigt. Um einer Concurrenz der im Ge-
biete der Stadt Wien gelegenen Strecken
mit dem um dieselbe Zeit aufgetauchten
Projecte der Wienthal- und Stadtbahn-
strecken auszuweichen, wurde einstweilen
cession für eine normalspurige Localbahn
[Dampftramway] von Hietzing nach
Perchtoldsdorfmit der Berechtigung
zur Fortsetzung nach Gaudenzdorf [Wien],
falls nicht eine Verbindung Wien-Hietzing
als Theilstrecke der Stadtbahn binnen
Jahresfrist gesichert wäre. Am 27. October
55o
F. R. Engel.
1883 wurde mit dieser Linie die erste
Dampftramway in Oesterreich eröffnet.
Am 30. Juli 1885 erhielt die Unterneh-
mung die Bewilligung zum Ausbaue der
Strecke Wien-Hietzing und 1 886 die
Concession für die Strecken Perchtolds-
dorf-Mödling und Hietzing-Ober-
St. Veit.
Gleichzeitig mit dem Ausbau dieser
Linien bewarb sich die Unternehmung
um die Concession einer Dampftramway
von Wien nach Floridsdorf und
Stammersdorf sowie von Florids-
dorf nach Gross-Enzersdorf und
erhielt dieselbe am 3. April 1884 mit
der Verpflichtung, auf Verlangen der Re-
gierung auch Fortsetzungen von Gross-
Enzersdorf nach Orth und Abzweigungen
von Kagran einerseits nach Wien, anderer-
seits nach Leopoldau herzustellen.
Im Jahre 1 888 ertheilte die Re-
gierung der Firma Krauss & Cie. die
Bewilligung zur Errichtung einer Actien-
Gesellschaft, die sich alsdann als
»Wiener Da mpftramway-Unter-
nehmung v o rm als Krauss& Comp.«
mit einem Gesellschafts - Capital von
3,600.000 constituirte.
Die nördlichen Linien Wien-[Stephanie-
brücke-] Stammersdorf und Floridsdorf-
Gross-Enzersdorf wurden am 7. Juni 1886,
die südlichen Linien Wien-[Schönbrunner-
linie-]Hietzing am 22. September 1886,
Perchtoldsdorf-Mödling am 12. Mai 1887
und Hietzing-Ober-St. Veit am 19. Sep-
tember 1887 eröffnet. Ende 1896 umfasste
das Netz der Gesellschaft 41-6 km.
In der Strecke Schönbrunnerlinie-
Hietzing wurde der Betrieb am 1. Januar
1895 eingestellt und diese Strecke an
die Commission der Wiener Verkehrs-
anlagen abgetreten. Infolge des Baues
der Wiener Stadtbahn hat der Bahnhof
in Hietzing eine Verlegung und Ver-
grösserung erfahren.
Auf der nördlichen Linie ist aus-
schliesslich das Oberbau-System Hartwich,
auf der südlichen Linie theils dieses, theils
das hölzerne Querschwellen- und theils
auch das eiserne Langschwellen-System
in Anwendung. Ueber die Construction
der hiebei in Verwendung gebrachten Loco-
motiven System Krauss & Comp, geben die
Abb. 233 sowie 234a und 2346 Aufschluss.
Die Neue Wiener Tramway-
Gesellschaft hat nachstehende Linien
als Dampftramways im Betriebe: West-
bahnlinie-Breitensee seit 2. Februar
1885, Breitensee-Baumgarten seit
4. Juli 1885, Baumgarten-Hüttel-
dorf seit 1. Mai 1892, Sternwarte-
strasse-Nussdorf [zur Zahnradbahn]
seit 20. Juli 1885, Abzweigung Nuss-
dorferstrasse-Heiligenstadt seit
26. Mai 1891. Die beiden letzteren
Strecken wurden formell der Kahlenberg-
Eisenbahn concessionirt, die Concessions-
Uebertragung an die Neue Wiener Tram-
way-Gesellschaft ist jedoch seit längerer
Zeit eingeleitet.
Anlässlich der Regelung ihrer finan-
ziellen Verhältnisse beschloss die Neue
Wiener Tramway-Gesellschaft als Con-
cessionärin der Wiener Localbahn Wien-
Wiener-Neudorf-Guntramsdorf sowie von
Fortsetzungen dieser Strecken diese Con-
cessionen an eine zu gründende eigene
Actien-Gesellschaft zu übertragen. Mit Ge-
nehmigung der Regierung constituirte sich
die »Actien-Gesellschaft der Wie-
ner Localb ahnen« am 22. März 1888.
Die neue Gesellschaft übernahm somit
die am 10. März 1885 concessionirte
und am 29. September 1886 in Betrieb
gesetzte Linie Wi en-Gaudenzdorf-
Wiener-Neudorf. Am 1 . Mai 1 893
wurde die Fortsetzungsstrecke vom Matz-
leinsdorfer Viaducte bis Meidling [Süd-
bahnhof] eröffnet und im nächsten Jahre
der Betrieb aller dieser Linien, den bisher
die Neue Wiener Tramway für Rechnung
der neuen Actien-Gesellschaft geführt hatte,
an die Unternehmung Leo Arnoldi & Cie.
übertragen, wodurch die vollständige
Trennung beider Unternehmungen erreicht
war. Die Fortsetzung bis Guntrams-
dorf wurde am 27. Januar 1895 eröffnet.
Salzburger Eisenbahn- und
Tramway-Gesellschaft. Der Director
der Linzer Tramway-Gesellschaft, Alexan-
der Werner, nahm im Jahre 1883 das von
Franz K r e u t e r zehn Jahre vorher verfasste
Project auf, eine Localbahn von Salzburg
zur Reichsgrenze gegen Berchtesgaden
zu erbauen und erhielt am 21. April
1 885 die Concession für diese als Dampf-
tramway auszuführende Linie. Noch
während des Baues wurde die Concession
Kleinbahnen.
551
an das Bankhaus Jakob Landau und die
Nationalbank für Deutschland in
Berlin übertragen, die im Jahre 1886 die
Bewilligung zur Errichtung einer Actien-
Gesellschaft erhielten, welche sich unter der
Firma »Salzburger Eisenbahn- und
Tramway-Gesellschaft« constituirte.
Am 29. November 1886 wurde die iß'2 km
lange Strecke Salzburg-Drachenloch
[bayerische Grenze] eröffnet.*)
Schwind am 18. September 1889 con-
cessionirt. In der Concession wurden die
Unternehmer verpflichtet, über Verlangen
der Regierung die Bahn von der Stadt
Innsbruck zum dortigen Bahnhofe und
nach Wüten [Berg Isel, vgl. Abb. 235]
weiterzuführen. Bei der politischen Be-
gehung machte die Regierung von diesem
Rechte Gebrauch. Die I2"i km lange
Strecke wurde am 1. Juni 1891 eröffnet.
Abb. 243. Fahrbetriebsmittel der Schafbergbahn.
Im Jahre 1893 kamen die Linien
Karolinenbrücke - Parsch [5. Mai
1893] und im Jahre 1896 Salzburg-
Oberndorf - Lamprechtshausen
hinzu [16. Mai 1896].
Die schmalspurige [1;»] Dampf-
tramway Innsbruck-Hall, welche
die Industriestadt Hall mit der Hauptstadt
Tirols verbindet, wurde den Herren
A. Prantl, L. Hirsch und H. v.
*) Am 2 Juli 1888 erwarb die Actien-
Gesellschaft auch die Concession für die
Drahtseilbahn auf die Festung Hohensalz-
burg [Siehe Seite 557.]
Mit Erlass des k. k. Ministeriums des
Innern vom 28. März 1893 wurde den
Concessionären die Errichtung einer Actien-
Gesellschaft unter der Firma »Local-
bahn Innsbruck-Hall« bewilligt. Das
Gesellschafts-Capital beträgt 500.000 fl.
Zahnradbahnen.
Die in Oesterreich bestehenden Zahn-
radbahnen dienen, mit Ausnahme der
bereits an anderer Stelle besprochenen
Eisenerz - Vordernberger Localbahn, die
;o^
F. R. Engel.
theihveise auch für Zahnstangen-Betrieb
eingerichtet ist und die ihrer Bedeutung
und gesammten Anlage wegen nicht den
Kleinbahnen zugerechnet werden kann,
dem Touristenverkehr.
Kaum drei Jahre später, als die erste
Zahnradbahn in Europa, jene auf den
Rigi, erbaut worden war, hatte auch schon
Oesterreich seine erste Zahnradbahn, jene
auf den Kahlenberg. Ihre Anregung
verdankt diese Bahn dem Ingenieur Karl
Maader, der bereits im Herbste 1871
das Project dieser Bahn verfasste und
sich mit den Erbauern der Rigibahn, den
Ingenieuren Riggenbach und Olivier
Zschokke, ferner mit Achilles Thommen
und Dr. J. v.Wini warter in Verbindung
setzte. Genau an demselben Tage wie
dies Consortium, erhielt auch Victor von
Ofenheim in Verbindung mit Arthur
Mayer von A lsö-Russbach die Vor-
concession für dieselbe Bahn. Die beiden
Concurrenten vereinigten sich bald und
erhielten mit a. h. EntSchliessung am
10. August 1872 die Concessions-Urkunde.
Der Umstand, dass der Unternehmung
kein Expropriationsrecht zugestanden war,
verzögerte die Ausführung der Bahn, da zur
Befriedigung der Grundeigenthümer bedeu-
tende Geldopfer erforderlich wurden. Die
Finanzirung hatten, nachdem die Unionbank
aus dem vorerwähnten Grunde die Durch-
führung derselben zurücklegte, der Baseler
Bankverein und die Bank von Winterthur
übernommen. Am 7. März 1874 wurde
die Zahnradbahn eröffnet.
Ober- und Unterbau der nach dem
Vorbilde der Rigibahn [System Riggen-
bach] erbauten Zahnradbahn ist zweige-
leisig hergestellt, die Neigungsverhält-
nisse variiren zwischen I : 30 und 1 : 10.
Die Curven haben durchwegs den glei-
chen Radius von 1 80 tn. Jedes Geleise
besteht aus zwei Schienen und einer
in der Mitte liegenden Zahnstange, in
welche das Zahnrad der Locomotive ein-
greift. Die Maschinen sind im Allgemeinen
jenen der Rigibahn gleich, besitzen jedoch
im Gegensatze zu letzterer, die ihre ersten
Maschinen mit stehenden Kesseln aus-
gerüstet hatte, liegende Kessel. [Abb. 236.]
Die Verkehrsverhältnisse waren ur-
sprünglich keine günstigen, doch haben
sie sich wesentlich gebessert, seitdem durch
1 die Strassenbahnen Schottenring-Xuss-
dorferstrasse - Zahnradbahnstation eine
unmittelbare Verbindung mit dem Wiener
Stadtgebiete hergestellt ward. Anfangs
hatte das Unternehmen auch gegen die
: Concurrenz einer Drahtseilbahn anzu-
kämpfen, von der es sich durch Ankauf
und Auflassung derselben befreite.
Am 20. Januar 1 885 hatte die Gesell-
schaft die Concession erhalten für eine von
1 Wien [Schottenring] zum Bahnhofe der
Kahlenbergbahn in Xussdorf und mittels
I eventueller Abzweigung nach Heiligen-
stadt führende Trambahn, welche ausser-
! halb des [damaligen] Stadtgebietes mit
' Locomotiven betrieben werden kann.
Hinsichtlich der Durchführung der Con-
cession traf die Gesellschaft mit der
Xeuen Wiener Tramway ein Ueberein-
kommen, vermöge dessen der letzteren
Unternehmung nicht nur der Bau, sondern
J auch der Betrieb für die ganze Dauer
der Concession überlassen wurde. Da-
durch war die wegen der ungünstigen
■ Verkehrsergebnisse in schwierigen Ver-
hältnissen befindliche Kahlenbergbahn-
Gesellschaft jeder Sorge um die Geldbe-
schaffung enthoben und die Xeue Wiener
Tramway - Gesellschaft hatte ein lang-
! ersehntes Ziel, ihren Betrieb bis in das
Innere der Stadt Wien auszudehnen, trotz
I des Widerstandes der auf ihre Rechte
sich stützenden älteren »Wiener Tram way-
Gesellschaft« erreicht [1886.]
Eine damals geplante Fusion der
Kahlenbergbahn - Gesellschaft mit der
Xeuen Wiener Tramway-Gesellschaft kam
nicht zustande und die seit Jahren ge-
; plante Uebertragung der concessionirten
Tramwavlinien an diese Gesellschaft be-
gegnet bedeutenden Schwierigkeiten.
Ausser der besprochenen normal-
spurigen Zahnradbahn standen Ende 1 896
in Oesterreich noch drei [schmalspurige]
Zahnradbahnen im Betrieb :
die Gaisbergbahn,
die Achenseebahn und
die Schafbergbahn.
Die Gaisbergbahn ist eine auf
, die Spitze des Gaisbergs [bei Salzburg]
1 führende Bergbahn nach dem System
I Riggenbach. Xach vergeblichen Be-
mühungen des unternehmungslustigen
Kleinbahnen.
553
Tirolers Josef Cathrein, der schon seit
1871 den Bau einer Zahnradbahn auf
den Gaisberg verfolgt hatte, Hess im
Jahre 1885 die Firma Sönderop &
Cie., nachdem sie mit dem Besitzer des
Gaisbergs einen Vertrag abgeschlossen
hatte, das Project für die Gaisbergbahn
ausarbeiten und erhielt am 24. März 1886
die Concession für den Bau und Betrieb
einer als schmalspurige Zahnradbahn
auszuführenden Locomotivbahn von der
nächst Salzburg gelegenen Haltestelle
P a r s c h der Staatsbahnlinie Salzburg-
Wörgl über die Zistelalpe auf den Gipfel
des Gaisbergs. Durch den Vertrag vom
25. Mai 1887 wurde die Concession einer
Betriebe [Adhäsion und Zahnstangen-
Betrieb System Riggenbach]. Merk-
würdigerweise begegnete das Project der-
selben in Tirol heftigen Widersachern.
Namentlich zeichneten sich die Jenbacher
darin aus, dass sie das Zustandekommen
dieser Bahn mit allen Mitteln zu bekämpfen
trachteten. Es ist ein unleugbares Verdienst
des wackeren Begründers der Dampfschiff-
fahrt auf dem Achensee, des Benedictiner-
Prälaten Fiecht, die Vorurtheile gegen
das Unternehmen in der Bevölkerung
beseitigt zu haben.
Am 25. Juli 1888 erwarb der k. u. k.
Consul Theodor Freiherr von Dreyfus
die Vorconcession und setzte sich mit
Abb. 244. Zahnstange. System Abt. [Einfahrtssttick.^
Abb. 245. Oberbau mit Zahnstange. System Abt.
Actien-Gesellschaft mit dem Sitz in Salz-
burg übertragen.
Mitte Juli 1886 begann der eigent-
liche Bau, welcher so energisch betrieben
wurde, dass schon am 25. Mai 1887 die
Eröffnung stattfinden konnte. Der Betrieb
ist auf die Monate April bis October
beschränkt.
Die mit 1 in Spurweite angelegte Bahn
führt von Parsch in östlicher Richtung
zum Fusse des Gaisbergs, sodann über den
Judenberg und die Zistelalpe zur Höhe
des eine entzückende Fernsicht bieten-
den Gaisbergs. [Vgl. Abb. 237.]
Von der Gesammtlänge [5*35 km]
liegen etwa 1800 in in der zugelassenen
grössten Steigung von 2 500/oo t1 : 4]- ^)'e
zu ersteigende Höhe beträgt 848 in. Die
zur Anwendung gekommenen Bogen haben
Krümmungshalbmesser von 150 — 200 in.
Die Achenseebahn, die von Jen-
bach an den reizvollen Achensee führt,
ist eine schmalspurige mit gemischtem
den Unternehmern der Gaisbergbahn in
Verbindung. Auf Grund der am 1. August
1888 ertheilten Concession kam die Bahn
zustande, welche am 15. April 1889 zum
ersten Male befahren wurde. Am 8. Juni
erfolgte die Eröffnung der ganzen 6-37 km
langen Strecke. Am 3. April 1889 con-
stituirte sich die Actien-Gesellschaft unter
der Firma »Achenseebahn-G esell-
schaft« mit dem Sitze in Salzburg.
Die nach den Plänen und unter Ober-
leitung des Ingenieurs H. Schröder,
dem Erbauer und Betriebsleiter der Gais-
bergbahn, hergestellte Achenseebahn be-
ginnt in der Station Jenbach [532 in
Seehöhe] der Südbahnlinie Kufstein-Inns-
bruck und führt als Zahnschienenbahn
von 3-3 km Länge bei i6o°/00 Steigung
— vorwiegend in nördlicher Richtung
von Burgeck nach Eben [973 m See-
höhe] und von dort als gewöhnliche
Adhäsionsbahn über Maurach bis an das
Südufer des Achensees [931 in Seehöhe],
[Abb. 238 und 239]. Die Achenseebahn
554
F. R. Engel.
war die erste dem Localbahn -Verkehre I Die in jüngster Zeit eröffnete Zahn-
dienende Bahn, die das gemischte System
einführte. Die Locomotiven [Abb. 240]
sind derart eingerichtet, dass sie so-
wohl auf der Adhäsions-, als auch auf der
Zahnradstrecke verwendet werden können.
Die Schafbergbahn führt vom
Markte St. Wolfgang im Salzkammer-
gute nach dem Gipfel des Schafberges
[17801«]. Die ersten Projecte für diese
Bahn tauchten gleichzeitig mit jenen für
dieKahlenbergbahnauf und am 10. August
1872 erhielten Berthold Curant und Karl
Peusens eine Concession, die aber in-
folge der Krisis vom Jahre 1873 nicht
verwerthet werden konnte. Am 13. Januar
1890 wurde die Bahn neuerlich conces-
sionirt und die Salzkamm er gut-L o-
calbahn-Gesellschaft eröffnete am
1. August 1893 die 5-86 km lange
Bahn.
Im ersten Kilometer führt die Trace
theils zwischen Feldern und Wiesen, theils
durch die romantische Dietlbachwildnis
und entwickelt sich dann an der bewalde-
ten südlichen Abdachung des Schafber-
ges, bis zur Ausweich- und Wasser-
station » Schaf bergalm«. Von hier aus
verlässt sie die Waldregion und ändert in
grossem Bogen die Hauptrichtung, um
an der kahlen Felsenlehne [mit freier
Aussicht nach Süden] anzusteigen. Bei
km 5-4 macht die Bahn durch einen
im Bogen gelegenen Tunnel von 90 m
Länge die letzte Hauptwendung und
erreicht sodann die Endstation »Schaf-
bergspitze«, wo der Reisende mit einer
unvergleichlichen Fernsicht überrascht
wird. [Abb. 241 — 243.]
Die Anfangsstation der Schafberg-
bahn »St. Wolfgang« liegt 542 m und
die Endstation »Schafbergspitze« 1734»?
über dem Meeresspiegel, so dass der
bewältigte Höhenunterschied 1 192 »»be-
trägt. Die geringste Steigung ist 44%o>
die grösste 25O°/00 [1 : 4]. Der kleinste
Krümmungshalbmesser beträgt 80 m, die
Spurweite I m. Die Zahnradbahn ist
nach dem System Abt ausgeführt. In den
Steigungen bis zu 8o°/00 liegt eine ein-
fache Zahnstange, in den Steigungen über
8o°/fl0 eine doppelte Zahnstange. [Abb.
244 und 245.]
radstrecke der Schneebefgbahn, die als
Localbahn concessionirt wurde, fand
bereits an anderer Stelle Erörterung.*)
Elektrische Eisenbahnen.
Kurze Zeit, nachdem Siemens und
H a 1 s k e die erste elektrisch betriebene
Eisenbahn, die im Jahre 1881 eröffnete
schmalspurige Verbindungsbahn vom Ber-
lin-Anhalter-Bahnhof zum Cadettenhaus
in Lichterfelde dem öffentlichen Verkehre
übergeben hatten, beschäftigte sich Fried-
rich Schüler, der verdienstvolle Gene-
ral-Director der Südbahn, mit dem Ge-
danken, auch im Bereiche seiner Unter-
nehmung, für die er schon so vielfache
treffliche Neuerungen geschaffen, eine
elektrische Eisenbahn einzurichten.
Seinen Bemühungen verdankt sohin die
erste elektrische Eisenbahn, welche auf eine
grössere Länge ausgeführt wurde, ihr Ent-
stehen, die im Jahre 1883 von der k. k.
priv. Südbahn-Gesellschaft erbaute schmal-
spurige Bahn von Mödling in die Brühl,
dem beliebten Ausflugsorte der Wiener.
Am 23. August 1882 war bereits die
Concession erworben und am 22. October
1883 rollte auf der Strecke Mödling-
Klausen der erste elektrisch betriebene
Wagen. Am 6. April 1884 wurde die
Fortsetzung in die Vorderbrühl und am
14. Juli 1885 jene bis in die Hinterbrühl
[zusammen 4-5 km] eröffnet. Die Spur-
weite der Bahn beträgt 1 m, die Zulei-
tung des Stromes erfolgt von der auf
dem Bahnhofe in Mödling erbauten Cen-
tralstation aus oberirdisch, mittels ge-
schlitzter Röhren. Auch die Rückleitung
erfolgt oberirdisch. [Abb. 246.] Zur Strom-
erzeugung dienen sechs primäre Dynamo-
maschinen von 120 Kilowatt Betriebskraft.
Die Bau- und Anlagekosten der Bahn
wurden aus dem Gesellschaftsvermögen
bestritten und betrugen 520.OOO fl., be-
ziehungsweise 116.324 fl. pro Kilometer.
Die Anlage hat im Jahre 1895 das
Anlage-Capital mit 3-42°/0 verzinst.
*) Vgl. Bd. I, 2. Theil, P. F. Kupka,
Das Localbahnwesen in Oesterreich.
Kleinbahnen.
555
Trotz des gelungenen Versuches, die
elektrischen Bahnen einzuführen, blieb das
Vorgehen der Südbahn ziemlich lange
ohne Nachahmung. Erst in der alier-
jüngsten Zeit trat ein lebhafteres Interesse
königlichen Thiergarten in Bubenßund
durch die Urkunde vom 2. Februar 1893
die definitive Concession für diese Linie
sowie für deren Fortsetzung bis zum
königlichen Lustschlosse in Bubenc. Die
Abb. 246. Elektrische E
für elektrische Eisenbahnen in Oester-
reich zu Tage.
Am 11. Mai 1891 erhielt der In-
genieur Franz K J i z i k vom Handels-
ministerium die vorläufige Bewilligung
zur Herstellung und zum Betriebe einer
elektrischen Eisenbahn von der B e 1-
vedere-Anhöhe in Prag bis zu dem
isenbahn Mödling-Hinterbrühl.
erste Strecke ward am 1 8. Juli 1 89 1 , die
Ergänzung am 1. September 1893, er-
öffnet. [Zusammen 1-5 km.]
Die normalspurig angelegte Bahn
wird durch zwei Dynamomaschinen [von
je 48 Kilowatt] betrieben. Die Strom-
zuführung erfolgt durch oberirdische
Trolley-Leitung.
556
F. R. Engel.
Derselbe Concessionär erhielt am
16. März 1895 die Bewilligung zum Bau
einer normalspurigen elektrischen Bahn
von Prag nach VysoGan mit der Ab-
zweigung Palmovka-Lieben [zusammen
5-139 km] die am 19. März, beziehungs-
weise 4. October 1896 dem Betriebe
übergeben wurden.
Eine weitere normalspurige elek-
trische Bahn, die zur Zeit, mit welcher
dieser Rückblick abschliesst [Ende 1896],
im Betriebe stand, hat ihren elektrischen
Betrieb dem Umstände zuzuschreiben,
dass man, als es sich darum handelte,
die elektrische Beleuchtung des Curortes
Baden bei Wien einzuführen, bedacht
war, eine weitergehende Ausnützung der
nothwendigen elektrischen Centralstation
zu schaffen und aus diesem Grunde die
bereits bestehende Pferdebahn für elek-
trischen Betrieb einrichtete. Darauf ist
auch dienormaleSpurweite zurückzuführen,
die beibehalten werden musste, weil eine
Einstellung des Betriebes zum Umbau
der mit 1*435 in angelegten Pferdebahn
unzulässig erkannt wurde.
Die elektrische Bahn von Baden nach
V ö s 1 a u, welche diese in der Nähe Wiens
so schön gelegenen und berühmten Curorte,
beziehungsweise Sommerfrischen verbin-
det, dankt ihre Entstehung als elektrische
Bahn der Thatkraft des Wiener Elektro-
technikers Franz Fischer. Vorerst wurde
die ehemalige Pferdebahn Baden-Hele-
nenthal [3-24 km] am 16. Juli 1894 als
elektrische Bahn eröffnet und am 22. Mai
1895 die Linie B a d e n - V ö s 1 a u [4-88 km]
dem Betriebe übergeben. Das ursprüng-
liche Project einer Ringbahn um den Cur-
ort Baden musste wegen der ablehnenden
Haltung des dortigen Gemeinderathes auf-
gegeben werden. Die Stromzuführung er-
folgt oberirdisch [Trolle}-- Leitung].
Ausserdem standen 1896 noch vier
weitere schmalspurige elektrische Eisen-
bahnen im Betriebe, so dass sich im
Ganzen acht verschiedene Unternehmun-
gen dieser Art ergeben, und zwar:
Strecke
Concessionirt
Eröffnet
1
Länge
km
Spur-
weite
; Baden-Helenenthal . . . 1
Baden-Vöslau J
Belvedere-[Prag]-Bubenc .
I Abzwg. : Palmovka-Lieben . |
' Bielitz-Zigeunerwald . . .
j Gmunden Station — Gmun-
j Lemberger Strassenbahn .
' Mödling-Hinterbrühl . . .
Teplitz-Eichwald ....
29. Juli 1892
29. Juli 1892
11. Mai 1891
2. Februar 1893
16. März 1895
5. Mai 1895
13. Juni 1894
21. Juni 1893
23. August 1883
28. Februar 1895
16. Juli 1894
22 Mai 1895
18. Juli 1891
1. September 1893
19. März 1896
4. October 1896
11. December 1895
13. August 1894
31. Mai 1894
30. October 1894
12. December 1894
22. October 1883
6. April 1884
14. Juli 1885
25. Juli 1895
7. August 1895
14. October 1895
25. December 1896
3 174
4865
1-377
3950
1 189
4-848
2530
8333
4431
8938
Normal
»
1 m
I »
1 »
1 »
1 »
Zusammen 43635
1 1 : ü
Kleinbahnen.
557
Ende des Jahres 1896 waren in Oester-
reich 2,680.000 fl. in elektrischen Bahnen
angelegt, die bei einer Gesammtlänge
von 43-Ö35 km über 63 Motorwagen und
28 Beiwagen verfügten.*)
Ueber den Stand der Drahtseil-
bahnen in Oesterreich [zusammen
O'gij kw], die sämmtlich mit einer Spur-
weite von 1 m angelegt sind, gibt nach-
stehende Zusammenstellung Aufschluss:
Drathseübahnen.
Unternehmung
Datui
Concession
71 der
Eröffnung
Länge
km
Höhen-
unterschied
der End-
stationen m
Sicherheitsvor-
richtungen
1. Schlossbergbahn-
Zahnstange Sy-
Gesellschaft in
Graz, Drahtseilbahn
19. März
1893
25. Novem-
ber 1894
0-21
IO90
stem Riggenbach
mit gemeinschaft-
auf den Schlossberg*)
licher Mittel-
schiene ausserhalb
2. Salzburger-Eisen-
der Ausweiche
bahn- und Tram-
way-Gesellschaft,
2. Juli
1. August
0 20
962
dto.
Salzburg - Festung -
Hohensalzburg
1888
1892
3. Stadtgemeinde
Prag, Kaiser Franz -
Josef Brücke-Laurenzi-
8. August
1890
31 Mai
1891
011
34-6
Zahnstange Sy-
stem Abt
berg in Prag
4. Genossenschaft
der Petiinwarte
in Prag, Kleinseite -
Laurenziberg in Prag
24. Decem-
ber 1890
25. Juli
1891
0-397
104
Zahnstange Sy-
stem Abt mit ge-
meinschaftlicher
Mittelschiene
ausserhalb der
gbahn in Gra
i den übrig
len Wagen b
ausgerüstet.
z wirkt eine
sn Seilbahnei
enützt wird.
stabile Da
1 das Ue
Die Wage
mpfmasch
jergewich
1 sind zu
Ausweiche
ine als bewegende
t der mit Wasser
fiesem Behufe mit
*) Bei der Schlossber
Kraft, während hiezu be
belasteten, abwärts gehem
entsprechenden Behältern
Neben der dem öffentlichen Verkehre
dienenden Kleinbahnen mögen schliess-
lich an dieser Stelle noch jene Bahnen
Erwähnung finden, die, obzwar sie nur
privaten Interessen dienen, doch wichtige
Vermittler des Verkehres bilden:
Die Schleppbahnen.
Eine genaue Feststellung der Zahl
und Länge der den besonderen Zwecken
der Industrie dienenden Schleppbahnen
[Industriebahnen] wurde in Oesterreich
officiell erst im Jahre 1876 vorgenommen.
*) Hier sind die Längen und elektrischen
Betriebsmittel der erst später für elektrischen
Betrieb eingerichteten Strecken der Wiener
Tramway-Gesellschaft nicht eingerechnet.
Die bis dahin veröffentlichten Daten sind
unvollständig und unzuverlässig. Die von
Strach im ersten Bande dieses Werkes
[1. Theil, Seite 497 und 501] veröffent-
lichte Zusammenstellung über den Stand
der Montan- und Industriebahnen im Jahre
1867 lässt erkennen, wie spärlich noch zu
jener Zeit diese Hilfsmittel der heimat-
lichen Industrie zur Verfügung standen.
Das Verkehrsgebiet von elf Haupt-
bahnen umfasste zu jener Zeit in Oester-
reich zusammen 162 km an Montan- und
Industriebahnen. Auf Grund der von der
k. k. statistischen Central-Commission
veröffentlichten Daten waren im Jahre
1876 erst 489 km Schleppbahnen, 1886
jedoch 784 km und Ende des Jahres 1896
schon 1 135'5 km solcher Bahnen vor-
558
F. R. Engel.
banden. Dieselben vertheilten sich zu
diesem Zeitpunkte, und zwar:
bei den Bahnen im Betriebe der
k. k. Staatsbahnen . . . 353"2 km
» » k. k. Staatsbahnen im
Privatbetriebe 3'6 »
» » Privatbahnen anschlies-
send an :
a) Hauptbahnen . . . 728^9 »
b) Localbabnen . . . 32-7 »
c) Zahnradbahnen . . o-5 »
d) Dampftram ways . 13' I »
» » ausländischen Bahnen auf
österreichischemGebiete 3^5 »
11355ÄW
* *
*
Der vorliegende Ueberblick über das
Kleinbahnwesen Oesterreichs lässt er-
kennen, dass wir hier ein Gebiet be-
leuchtet haben, das erst am Beginn seiner
Entfaltung steht. Das, was unser Vater-
land bisher an Kleinbahnen aufzuweisen
hat, kann unmöglich den immer steigen-
den Verkehrsbedürfnissen entsprechen,
und dem privaten Unternehmungsgeiste
steht hier ein dankbares Feld offen.
Ein Vergleich Oesterreichs mit an-
deren Ländern zeigt deutlich, wie viel
es hier einzubringen gilt und die That-
sache, dass Ungarns Local- und Klein-
bahnen beinahe die doppelte Länge der
österreichischen erreichen, ist markant
genug, als dass es noch weiterer Hin-
weise bedürfen würde.
Aber mit Befriedigung kann allüberall
der Durchbruch eines regeren Schaffungs-
geistes festgestellt werden.
Von der Reichshaupt- und Residenzstadt
abgesehen, welche endlich ihre Strassen-
bahnen erweitert und auf elektrischen
Betrieb umgestaltet, macht namentlich der
Bau elektrischer Bahnen in den Provinz-
städten und auf dem flachen Lande, be-
ziehungsweise die Umgestaltung der alten
Pferdebahnen in elektrische Strassen-
bahnen rüstige Fortschritte.
Es steht zu erwarten, dass bald jedes
Gemeinwesen, jeder Ort in das grosse
Getriebe der eisernen Verkehrswege ein-
geschaltet sein wird, dass die in der
Umgebung der Grossstädte als Dampf-
tramways führenden Proviantirungs- und
Ausflugslinien baldigst durch die rascher
verkehrenden und daher weit leistungs-
fähigeren elektrischen Bahnen ersetzt
werden.
Ganz besonders aber bleibt in dem
alpenreichen Oesterreich auf dem Gebiete
der Bergbahnen [Zahnradbahnen] Viel
zu leisten übrig.
Da auch die Industrie den Werth der
Kleinbahnen längst erkannt hat, so ist
es wohl nur eine Frage der Zeit, dass
jedes Industrie-Etablissement, ja jeder
Meierhof seine Kleinbahn erhält, welche
ihn an das grosse Schienennetz anschliesst,
das seine Zweige in alle Welt hinaus-
sendet, ihn an den Weltverkehr an-
schliesst.
INHALT
des I. Bandes [II. Theil].
Seite
J. KONTA, Geschichte der Eisenbahnen Oesterreichs vom Jahre 1867 bis zur
Gegenwart I
H. KOESTLER, Die Wiener Stadtbahn 427
P. F. KUPKA, Das Localbahmvesen in Oesterreich 467
F. R. ENGEL, Die Kleinbahnen in Oesterreich 521
K. U. K. HOFBUCHDRUCKEREI KARL PROCHASKA IN TESCHEN.
CHROMOLITHOGR. ANSTALT, BUCHBINDEREI.
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