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Full text of "Geschichte der Eisenbahnen der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie"

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GESCHICHTE 

DER    EISENBAHNEN 

DER  ÖSTERR.- UNGAR.  MONARCHIE. 

I.  BAND. 

II.  THEIL. 


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GESCHICHTE 


DER   EISENBAHNEN 


DER 


OESTERREICHISCH  -UNGARISCHEN 


MONARCHIE. 


I.   BAND. 

II.  THEIL. 


WIEN    •    TESCHEN    *    LEIPZIG. 

KARL  PROCHASKA 

K.  U.  K.  HOFBUCHHANDLUNQ  &  K.  U.  K.  HOFBUCHDRUCKEREI. 

MDCCCXCVIII. 


"*  "^  i*Jsyfe^'tw:s 


ZUM 

FÜNFZIGJÄHRIGEN  REGIERUNGS-JUBILÄUM 

SEINER  KAISERLICHEN  UND  KÖNIGLICH- 
APOSTOLISCHEN MAJESTÄT 

FRANZ  JOSEPH  I. 

UNTER  DEM  PROTECTORATE  UNTER  BESONDERER  FÖRDERUNO 

SR.  EXC.  DES  K.  U.  K.  OEHEIMEN  RATHES  HERRN     SR.  EXC.  DES  K.  U.  K.  OEHEIMEN  RATHES  HERRN 

DR.  LEON  RITTER  v.  BILlSJSKI  FML  EMIL  RITTER  v.  OUTTENBERO 

MINISTER  A.  D.  ETC.  ETC.  MINISTER  A.  D.  ETC.  ETC. 

UNTER  MITWIRKUNO 

DES  K.  U.  K.  REICHSKRIEGSMINISTERIUMS 

UND 

HERVORRAGENDER  FACHMÄNNER 

HERAUSGEGEBEN 
VOM 

OESTERREICHISCHEN  EISENBAHNBEAMTEN-VEREIN. 


UNTER  MITWIRKUNG  DER  FACHREFERENTEN: 

WILHELM  AST,  K.  K.  REGIERUNGSRATH, 
HANS  KAROL,  K.  K.  MINISTERIALRAT!!  A.  D.,  DR.  FRANZ  LIHARZIK,  K.  K.  SECTIONSCHEF 

UND  DES  REDACTIONS-COMITES : 

FRANZ  BAUER,    ALFRED  BIRK,  THEODOR  BOCK,   KARL  OÖLSDORF,   FRANZ  MÄHLINO, 

JOSEF  SCHLÜSSELBEROER 

REDIGIRT 

VON 

HERMANN   STRACH. 


54796 


ALLE  RECHTE,  DAS  OESAMMTE  WERK  BETREFFEND, 
BEHALTEN  SICH  DAS  REDACTIONS-COMITE  UND  DIE  VERLAGSHANDLUNG  VOR. 


Geschichte  der  Eisenbahnen 
Oesterreichs. 

Vom  Jahre   1867  bis  zur  Gegenwart. 

Von 

Ignaz  Konta, 

k.  k.  Hofrath. 


Geschichte  der  Eisenbahnen 
Oesterreichs  1867 — 1897. 


DIE  Kindheit  des  österreichischen 
Eisenbahnwesens  war  keine  freud- 
volle, dessen  erste  Auferziehung 
eine  recht  mühsame.  Von  dem  Augen- 
blicke an,  da  der  k.  k.  Baudirector 
Ferdinand  Mayer  seine  Vorschläge  für 
die  Herstellung  einer  Eisenbahn  von 
Linz  nach  Lambach  an  die  k.  k. 
Landesregierung  vorlegte  [1818];  bis 
F.  A.  v.  Gerstner,  der  würdige  Sohn 
seines  berühmten  Vaters,  dessen  Ideen 
verwirklichend,  die  erste  für  den  öffent- 
lichen Verkehr  bestimmte  Eisenbahn 
auf  dem  europäischen  Festlande  —  die 
Linz-Budweiser  Pferde-Eisenbahn  —  ins 
Dasein  rief;  bis  der  weitblickende 
Chef  des  Hauses  S.  M.  v.  Rothschild 
mit  Hilfe  und  nach  den  Plänen  und 
Eingebungen  des  Professors  Franz 
Riepl  dem  Zeit  und  Raum  besiegenden 
»Dampfrosse«  die  ersten  Wege  in 
Oesterreich  schuf;  bis  der  Jünger  und  Nach- 
folger Gerstner's,  Mathias  Schönerer,  als 
Bauführer  der  Gloggnitzer  Bahn,  im  hohen 
Gedankenfluge  die  erste  Trace  über  den 
Semmering  zog  [1839];  bis  Meister  Karl 
Ghega  sein  kühnes,  von  der  ganzen  Welt 
angestauntes  Werk,  die  erste  Ueber- 
schienung  der  Alpen  vollführte  [1848  bis 
1854];  bis  der  Grosshändler  H.  D.  Lind- 
heim mit  dem  Projecte  Wien-Linz-Salz- 
burg und  der  geistige  Mitbegründer 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  Hein- 
rich Sichrovsky  mit  seinem  »Memoran- 
dum« über  die  Herstellung  einer  Eisen- 
bahn Stockerau-Linz-Salzburg  zum  An- 
Geschichte der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Thei). 


Schlüsse     an     die     bayerischen     Bahnen 
hervortrat  [1855];  bis  die  hochmögenden 
j  Fürsten   Leo  Sapieha    und  Johann  Adolf 
I  Schwarzenberg     zwei     grosse     Projecte, 
j  ersterer    jenes    der    Carl    Ludwig-Bahn, 
I  letzterer  jenes    der   Kaiser    Franz  Josef- 
Bahn  der  Verwirklichung  zuführten  [1857 
und     1865];    bis     wackere    Männer    der 
Arbeit,  wie  die  Gebrüder  Klein,  Adalbert 
I   Lanna,    Karl   Schwarz    u.    A.,    alle  diese 
Schienenstrassen  erbaut  hatten,    —  diese 
ganze  lange  Zeit  war  fast  vollends  aus- 
gefüllt von  den  Mühsalen  der  Bewältigung 
von  Hindernissen  und  Widrigkeiten. 

Die  Schöpfer  des  österreichischen 
Eisenbahnwesens  begegneten  allenthalben 
Vorurtheilen,  Unglauben  hinsichtlich  der 
Nützlichkeit  und  Misstrauen  in  den  dauem- 
I  den  Bestand  des  neuzeitigen  Verkehrs- 
mittels. Sein  Organismus,  nur  Wenigen  ge- 
nauer bekannt,  erfuhr  eine  oft  wechselnde 
Heranbildungsweise,  die  nicht  immer  die 
richtige  gewesen.  Das  Privatcapital,  das 
sich  zuerst  herangewagt,  den  Neuling  zu 
pflegen,  wurde  bald  wieder  zaghaft, 
weil  es  vielerlei,  mitunter  recht  herbe 
Enttäuschungen  erlitt.  Daraufhin  in 
die  eigene  Obhut  des  Staates  über- 
nommen [a.  h.  Entschliessung  vom 
19.  December  1841],  gebrach  es  der 
jungen,  jedoch  schon  in  ihrer  vollen 
Wichtigkeit  erkannten  Einrichtung  zwar 
nicht  mehr  an  einer  gedeihlichen  Regel- 
mässigkeit der  Ausgestaltung,  wohl  aber 
immer  noch  an  der  Beschleunigung  der- 
selben. Mannigfache  anderweitige  Erfor- 


Ignaz  Konta. 


dernisse  des  Staatshaushaltes  beengten 
den  Aufwand  für  den  Bau  von  Schienen- 
strassen  schliesslich  in  einem  Masse,  dass 
er  abermals  der  Privatthätigkeit  über- 
lassen wurde  [a.  h.  EntSchliessung  vom 
8.  September  1854]. 

Das  raschere  Wachsthum  des  öster- 
reichischen Eisenbahnnetzes  begann  daher- 
erst,  nachdem  seit  der  Gründung  seiner 
ersten  Dampfbetriebslinie  bereits  ein 
Vierteljahrhundert  verflossen  war.  Unauf- 
gehalten  blieb  indes  die  Entfaltung  auch 
weiterhin  nicht.  Enge  verknüpft  mit  den 
Geschicken  und  abhängig  von  der  all- 
gemeinen Lage  des  Reiches  hat,  wenn 
diese    sich   verdüsterte,    stets    auch  jene 


einen  Rückschlag  erlitten,  so  namentlich 
:  aus    Anlass    der    finanziellen    Erschütte- 
rungen im  Jahre  1857  und  der  äusseren 
Verwicklungen  im  Jahre  1859. 

Eine    der   heftigsten    Störungen    ver- 

i  ursachten  die  Ereignisse  des  Jahres  1 866 ; 

:  denn  diese   hatten,   wie  auf  allen   wirth- 

\  -schaftlichen  Gebieten,  so  auch  auf  jenem 

des  Eisenbahnbaues  einen  nahezu  völligen 

Stillstand  zur  Folge. 

Als  jedoch    die  Waffen   niedergelegt 
j  und    die    Völker    wieder    zu    friedlicher 
'  Arbeit   zurückgekehrt   waren,    kam   bald 
frisches  Leben  auch  in  den  Entwicklungs- 
gang    des     österreichischen    Eisenbahn- 
wesens. 


I. 


Decennium   1867 — 1876. 


Die  erste  und  wirkungsvolle  Anregung 
zu  neuem  Thun  und  Schaffen  gab  das, 
gleich  am  ersten  Haltepunkte  der  Kaiser- 
reise in  die  vom  Kriege  am  meisten  heim- 
gesuchten Kronländer,  nämlich  in  Brunn, 
an  den  Ministerpräsidenten  Grafen  Belcredi 
erlassene  Allerhöchste  Handschreiben  vom 
18.  October  1866,  womit  Seine  Majestät 
den  a.  h.  Wunsch  aussprach,  es  möge,  »um 
den  durch  die  Kriegscalamitäten  in  der 
Markgrafschaft  Mähren  hervorgerufenen 
Nothstand  thunlichst  zu  lindern  und  der 
arbeitenden  Classe  in  möglichst  um- 
fassender und  anhaltender  Weise  Be- 
schäftigung zu  geben,  der  Bau  der 
Mährischen  Landes  -  Eisenbahnen  *)  mit 
Aufgebot  aller  Kräfte  in  der  Art  beschleu- 
nigt werden,  dass  mit  dem  Unterbau 
derjenigen  Linien,  welche  die  durch  den 
Krieg  am  meisten  beschädigten  Gegenden 
durchziehen,  noch  im  Laufe  dieses  Jahres 
begonnen  werden  kannc. 

Die  > Mährischen  Landesbahnen«,  als 
welche  damals  hauptsächlich  die  Linien : 
Brunn  -  Iglau,  Brunn  -  Olmütz  -  Sternberg, 
Brünn-Ungarische  Grenze  [gegen  Trencsin] 
und  Tecitz  -  Znaim  -  Maissau  gegolten 
hatten,  waren  nämlich  schon  längere 
Zeit  hindurch  Gegenstand  eifrigen  Be- 
mühens der  Handelskammern  Brunn  und 


*)Vgl.  Bd.  I,  I.Theil.  H.  Strach,  Eisen- 
bahnen mit  Zinsengarantie.    S.  407. 


Olmütz,  der  Mährisch-Schlesischen  Acker- 
bau-Gesellschaft    sowie    des    Landtages 
und,     Dank     den     von    Letzterem     be- 
willigten Geldmitteln,  auch  in  den  tech- 
nischen Vorarbeiten   bereits  so   weit  ge- 
diehen,   dass    mindestens    einzelne    ihrer 
Strecken  sogleich    hätten  in    Angriff  ge- 
nommen   werden    können.     Dahin    zielte 
auch    der    weitere   Wortlaut    des    Aller- 
höchsten   Handschreibens,    indem    dieser 
nicht  nur  dem  Unternehmen  einen  Staats- 
vorschuss  in  Aussicht  stellte,  »wenn  sich 
ein    Consortium    gebildet    haben     wird, 
welches    im   vorgeschriebenen  Wege  die 
förmliche    Eisenbahn-Concession    erlangt 
hat    und    hinlängliche  Garantieen  bietet, 
j  dass    mit  Hilfe    eines    verhältnismässigen 
:  Staatsvorschusses    der  Ausbau    der   con- 
i  cessionirten    Bahn     vollkommen    sicher- 
'  gestellt    sei«,    sondern    schliesslich    auch 
!  nachdrücklich    betonte,    es    seien    »nach 
''  Massgabe  des    Zutreffens   jener  Voraus- 
setzungen    die    Einleitungen     derart    zu 
.  treffen,    dass   noch    im    Laufe  des  Jahres 
der  Betrag  von  Einer  Million  Gulden  für 
Mährische      Nothstands-Eisenbahnbauten 
zur  effectiven  Verwendung  gelange«. 

Diese  a.  h.  Willenskundgebung  fand 
sofort  kräftigen  Wiederhall.  Zahlreiche 
Persönlichkeiten  aus  den  vornehmsten 
Kreisen  des  Landes  und  seiner  Hauptstadt 
vereinigten  sich  mit  dem  Comite,  welches 
schon    im  Anfange   des  Jahres   1866  die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


Zustandebringung  der  Linie  Brunn- 
Olmütz-Sternberg  unternommen  hatte, 
zu  einem  grossen  Consortium,  das  nun 
um  die  definitive  Concession  für  eben 
diese  Linie  nebst  einer  Abzweigung  nach 
Prerau  einschritt  und,  in  Anhoffung  des 
Staatsvorschusses  sowie  einer  Subvention 
aus  Landesmitteln  beabsichtigte,  den  Bau 
noch  im  Spätherbste  zu  beginnen.  Weiter- 
hin machte  sich  das  Consortium  an- 
heischig, auch  die  Linien  von  Sternberg 
einerseits  über  Römerstadt  und  Jägerndorf 
nach  Leobschütz,  andererseits 
über  Hannsdorf  und  Grulich 
nach  Mittelwalde,  nebst  einer 
Abzweigung  nach  Freiwaldau 
auszuführen.  Es  verlangte  für 
diese  Linien  eine  Staatsgarantie 
und  machte  in  dem  Gesuche 
geltend,  dass  die  erwähnten 
Fortsetzungen  und  die  durch 
sie  zu  erzielenden  wichtigen 
Anschlüsse  an  das  Preussisch- 
Schlesische  Bahnnetz  ihren 
Zweck  nur  dann  vollständig 
erfüllen  würden,  wenn  für  die 
Mährischen  Landesbahnen  eine 
eigene  Gesellschaft  gebildet 
und  hiedurch  auch  eine  den 
Verkehrsinteressen  des  Landes 
wohlthätige  Concurrenz  ge- 
schaffen werden  möchte.  ai 

Anfänglich  schien  die  An- 
gelegenheit wirklich  den  vom 
Consortium  gewünschten  Verlauf  zu 
nehmen;  mindestens  konnten  die  am  23. 
December  1866  gefassten  Beschlüsse  des 
Mährischen  Landtages,  mit  welchen  den 
Landesbahnen  eine  Capitals-Subvention 
[durch  Uebemahme  von  Actien  al  pari 
im  halben  Betrage  der  seitens  des  Staates 
gewährten  Subvention]  bewilligt  wurde, 
in  jenem  Sinne  gedeutet  werden,  weil  darin 
namentlich  in  Betreff  der  Linie  Brünn- 
Sternberg  nebst  der  Abzweigung  nach 
Prerau,  der  Ausbau  durch  ein  Consortium 
als  erste  Bedingung  der  Subventionirung 
aufgestellt  erscheint. 

Mit  einem  Male  erfuhr  jedoch  die  Sach- 
lage eine  vollständige  Aenderung  dadurch, 
dass  die  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
b  a  h  n,  welche,  trotz  aller  ihrer  Gegen- 
anstrengungen und  Verwahrungen,  in  der 
Frage  des  Ergänzungsnetzes  der  Staats- 


eisenbahn-Gesellschaft unterlegen  war 
und  sich  nicht  sofort  wieder  einem  neuer- 
lichen Privilegiums  -  Streite  aussetzen 
mochte,  nun  auch  ihrerseits  in  die  Be- 
werbung um  die  Linie  Brünn-Sternberg 
eintrat,  und  das  Handelsministerium  es 
vorzog,  zunächst  diesen  Anträgen  näher 
zu  treten.  Die  betreffende  Verständigung 
ging  der  Nordbahn  unterm  4.  Januar 
1867  zu  und  die  alsbald  begonnenen 
Verhandlungen  nahmen  einen  so  gün- 
stigen   Fortgang,   dass    der  Concessions- 


Station  Raussnitz  [im  Bau]  mit  dem  Kaiser 
Josef-Denkmal. 


Entwurf  nicht  nur  binnen  Kurzem  ver- 
einbart, sondern  auch  mit  a.  h.  Ent- 
schliessung  vom  1 1 .  März  1 867  grund- 
sätzlich genehmigt  wurde. 

Derselbe  hatte  eigentlich  nur  die 
Linie  von  Brunn  über  Wischau,  Pross- 
nitz  und  Olmütz  nach  Sternberg  nebst 
einer  Abzweigung  nach  Prerau  [im 
Ganzen  i40-6  km]  zum  Gegenstande, 
machte  aber  die  Nordbahn  verbind- 
lich ,  auf  Verlangen  der  Regierung, 
auch  die  Fortsetzungslinie  Sternberg- 
Reichsgrenze,  zum  Anschlüsse  an  das 
preussisch  -  schlesische  Bahnnetz,  auszu- 
führen, woraus  sich  zugleich  folgern  lässt, 
warum  die  Gesellschaft,  obzwar  sie  den 
Ausbau  dieser  Fortsetzungslinie  lediglich 
als  eine  fernliegende  Eventualität  be- 
trachtete [Bericht  an  die  Generalversamm- 
lung  vom   15.  April   1867],  dennoch    die 


Ignaz  Konta. 


Abb.  2.    Durchstich  bei  Lultsch  [1868]. 

Bezeichnung  »M ährisch -Schlesische 
Nordbahn«  für  das  neue  Unternehmen 
wählte.  Das  auf  beiläufig  14,000.000  fl. 
veranschlagte  Anlage-Capital  für  die  so- 
gleich auszuführenden  mährischen  Linien 
sollte,  gemäss  der  mit  dem  Finanz- 
ministerium getroffenen  Vereinbarung 
vom  13.  April  1867,  mittels  fünfprocen- 
tiger,  zum  Curse  von  85  zu  begebender 
Prioritäts-Obligationen  aufgebracht,  die 
bezügliche  Vorsorge  für  den  etwaigen 
Fortsetzungsbau  aber  einer  besonderen 
Uebereinkunft  vorbehalten  werden. 

Nun  blieb  noch  die  Zustimmung  der 
Actionäre  einzuholen  und  als  dieselbe 
durch  die  ausserordentliche  Generalver- 
sammlung vom  15.  April  1867  ertheilt  war, 
konnte  sich  die  Nordbahn  fortan  als  Be- 
sitzerin der  neuen  Linie  Brünn-Stemberg 
nebst  der  Abzweigung  nach  Prerau  an- 
sehen. Die  definitive  Concession  wurde 
unterm  6.  Mai  1867  ausgefertigt.  Sie  lautete 
für  die  vorerwähnten  Linien  und  auf  die 
Dauer  von  99  Jahren,  bestimmte  für  das  neue 
Unternehmen  eine  vollständig  gesonderte 
Rechnungslegung,  gewährte  demselben 
eine  zehnjährige  Steuerfreiheit  sowie  die 
staatliche  Garantie  jenes  Jahresbetrages, 
welcher  zur  Verzinsung  und  Tilgung  des 
Anlage-Capitals  nothwendig  war,*)  räumte 


*)  Das  am  22.  Mai  1867  im  Nachhange 
zur  Concessions  -  Urkunde  abgeschlossene 
Uebereinkommen  zwischen  dem  Finanzmini- 
sterium und  der  Kaiser  Ferdinands-Xordbahn 
berechtigt    dieselbe,    sämmtliche    Geldmittel 


der  Staatsverwaltung  das  Recht 
ein,  die  neuen  Linien  nach  Ab- 
lauf von  30  Jahren  [gerechnet 
vom  Tage  der  Betriebseröffnung] 
jederzeit  einzulösen,  umgrenzte 
die  Höhe  der  Maximaltarife, 
setzte  für  den  Baubeginn  einen 
Termin  von  sechs  Wochen  und 
für  die  Bauvollendung  einen 
solchen  von  längstens  drei  Jahren 
fest. 

Die  pünktliche  Einhaltung 
dieser  Fristen  war  keine  leichte 
Aufgabe;  denn  in  der  kurzen 
Zeit  vom  Beginn  der  Con- 
cessions-Verhandlungen  bis  zur 
^^^1  anberaumten  Inangriffnahme 
des  Baues  konnten  genaue  Pro- 
jecte  unmöglich  erstellt  werden 
—  und  als  dieselben  dann  [grösstenteils 
schon  während  des  Baues  selbst]  voll- 
ständig ausgearbeitet  worden  waren,  zeigte 
sich,  dass  die  neuen  Linien  weitaus  höher 
als  14,000.000  fl.,  nämlich  mitsammt  den 
Auslagen  für  die  Erweiterung  der  Einmün- 
dungsstationen und  dem  durch  Terrain- 
Rutschungen  verursachten  Mehraufwande, 
etwa  24,000.000  fl.  kosten  würden. 

Einer  anderen  Unternehmung  wären 
aus  solchen  Zwischenfällen  wahrschein- 
lich bedrohliche  Verlegenheiten  erwach- 
sen. Die  Nordbahn  aber  kam,  vermöge 
ihrer  technischen  Leistungsfähigkeit  und 
ihres  festgegründeten  Credites,  glatt 
darüber  hinweg.  Die  Bedachtnahme  auf 
diese  —  unter  den  damaligen  Verhält- 
nissen besonders  wichtigen  —  Factoren 
dürfte  denn  auch  von  bestimmendem 
Einflüsse  darauf  gewesen  sein,  dass  die 
Regierung  bei  der  Concessionirung  der 
Linie  Brünn-Sternberg  von  den  Bewerbun- 
gen des  Landes-Consortiums  völlig  absah 
und  sich  für  die  alte  Nordbahn  entschied. 
Hiedurch  wurde  allerdings  die  Aus- 
führung der  von  Seite  dieses  Con- 
sortiums  geplanten  übrigen  Strecken  in 
die  Ferne  gerückt  und  für  absehbare 
Zeit  das  Gegengewicht  aufgehoben, 
welches  die  einheitliche   Concessionirung 


für  die  neuen  Linien,  durch  Ausgabe  von 
Prioritäts-Obligationen  zu  beschaffen,  welche 
unter  den  in  der  Concession  festgesetzten 
Begünstigungen  zu  fünf  Procent  verzins- 
lich sind. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


des  ganzen  angestrebten  Netzes  an  eine 
neue  Unternehmung  dem  vorhandenen 
Zustande  geboten  hätte.  Da  aber  die 
Mährisch  -  Schlesische  Nordbahn  eben- 
falls eine  directe  Verbindung  zwischen 
der  Landeshauptstadt  und  Olmütz,  be- 
ziehungsweise Prerau,  dem  Knotenpunkte 
der  nördlichen  Verkehrsrichtungen,  her- 
stellte und  den  fruchtbarsten  Gegenden 
[Hanna]  sowie  mehreren  Städten  Mährens 
die  langentbehrte  Einbeziehung  in  den 
Eisenbahn- Verkehr  brachte,  so  nahm  das 
Land  auch  mit  dem  zunächst  Erreichten 
gerne  vorlieb,  umsomehr  als  die,  bald 
und  kräftigst  in  Gang  gesetzten  Bauten 
den    breiten    Schichten    der   Bevölkerung- 


Thal,  dann  eine  kleine  Wasserscheide  und 
bei  N'imlau  die  March  übersetzt.  Erheblichere 
Schwierigkeiten  bereiteten  jedoch  nur  die  in 
den  Einschnitten  bei  Lultscn  und  Eiwanowitz 
wiederholt  eingetretenen  Rutschungen,  welche 
auch  noch  nach  der  Betriebseröffnung  leidige 
Störungen  verursachten.  [Abb.  I—  4.) 

Die  Eisenbahnbauten  in  Mähren, 
welche  sohin  als  die  Einleitung  der  neuen 
Schaffensära  gelten  konnten,  erstreckten 
sich  auch  auf  das  am  1.  December  1866 
concessionirte,  insgesammt  205 -5  km  lange 
Ergänzungsnetz  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft, dessen  mährischer 
Theil :  [Brunn-]  Stf elitz-Grussbach-Landes- 
grenze  und  Grussbach-Znaim  mittelbaren 
Ersatz  bietet  für  die    in  dem  ursprüngli- 


reichliche  Gelegenheit  zu  Arbeit  und 
Verdienst  gaben  und,  wie  die  kaiserliche 
Fürsorge  dies  bezweckt  hatte,  dem  Noth- 
stande  steuerten. 

Die  Linie  Brünn-Nezamislitz  nebst  der 
Zweigbahn  nach  Prerau  gelangte  bereits 
im  Jahre  1869  [30.  August],  der  Rest  der 
Hauptbahn  im  Jahre  1870  [1.  Juli,  be- 
ziehungsweise  I.  August]  zur  Eröffnung. 

Die  Trace  der  Mährisch-schlesischen  Nord- 
bahn geht  von  Brunn  überRaussnitz  —  knapp 
vorbei  an  der  ewig  denkwürdigen  Stelle,  wo 
Josef  II.  mit  eigener  Hand  den  Pflug  ge- 
führt —  in  den  Thälern  des  Hügellandes 
zwischen  der  Schwarzawa  und  der  March, 
dann  über  die  secundäre  Wasserscheide  bei 
Lultsch  nach  Wischau.  Eiwanowitz  und 
Nezamislitz  und  von  da  einerseits  über 
Kojetein  [Marchüberbrückung]  nach  Prerau, 
andererseits  über  Prossnitz  und  Olmütz  nach 
Sternberg.  In  diesem  letzteren  Tracenzuge 
wird  hinter  Prossnitz  die  Anhöhe  von  Wra- 
howitz    erstiegen,   bei  Wrbatek    das   Blatta- 


chen  Programme  der  » Mährischen  Landes- 
bahnen« enthalten  gewesene  directe  Linie 
Brünn-Znaim. 

Wahrscheinlich  aus  diesem  Grunde 
oder  aber  gleichfalls  aus  Nothstandsrück- 
sichten  schreibt  die  Concessions-Urkunde 
[§  3,  Schlussalinea]  ausdrücklich  vor,  dass 
diese  Verbindung  so  schnell  als  möglich 
hergestellt  werde ;  deshalb  wurden  denn 
auch  die  Erdarbeiten  noch  im  Winter 
1866/67  an  mehreren  Punkten  zugleich 
begonnen. 

Hernach  griff  die  Thätigkeit  auf  den  bis 
Wrien  und  Marchegg  reichenden,  nieder- 
österreichischen Theil  dieses  Netzes  über. 
Jede  seiner  Strecken  erforderte  einen  be- 
sonderen Aufwand  an  Arbeitskräften,  theils 
wegen  der  eben  erwähnten  Dringlichkeit, 
theils  weil  namhafteTerrainschwierigkeiten 
zu  bewältigen  und  auch  viele  Kunstbauten 
auszuführen  waren.  Erstere  kamen  haupt- 


Ignaz  Konta. 


Abb.  4.    Viaduct  bei  Nemojan  [im  Bau,  1868}. 
[Nach  einer  Photographie  von  Q.  Trapp  in  Brunn.] 

sächlich  bei  Znaim  [Uebergang  über  das 
Leska-Thal]  und  zwischen  Laa  und  Stfelitz 
vor,  wo  drei  Wasserscheiden  zu  über- 
setzen und  die  Hügelketten  des  mährischen 
Mittelgebirges  an  vier  Stellen  mittels 
Tunnels  [137 — 266  m  lang]  zu  durch- 
brechen waren.  Die  Unterbauobjecte 
häuften  sich  [abgesehen  von  diesen 
Tunnels]  zumeist  im  Donau-  und  im 
Thayagebiete  und  in  der  Trace  der 
Brünner  Verbindungsbahn.  Besonders 
hervorzuheben  sind :  die  789  m  lange 
Eisenbrücke  [continuirliche  Gitterträger, 
fünf  Felder]  über  den  Donaustrom  bei 
Stadlau,  welche  die  erste  stabile  Donau- 
brücke ist,*)  und  der  Viaduct  über  das 
Iglava-Thal  [Eisenconstruction,  Gitter- 
balken, Mittelpfeiler  aus  gusseisernen  mit 
Beton  ausgegossenen  und  auf  Steinsockeln 
aufsitzenden  Röhren],  dessen  ebenso  sehr 
gepriesene  als  andererseits  auch  ange- 
fochtene, von  Nördling  erfundene  Bau- 
art hier  zum  ersten  Male  in  Oesterreich 
angewendet  wurde. 

Die  Baukosten  dieses  Netzes  betrugen 
im  Zeitpunkte  der  Vollendung  seiner 
ersten  Herstellung  [rund]  40,000.000  fl., 
erfuhren  aber  späterhin  eine  namhafte 
Steigerung,  die  sich,  nach  dem  Hinzu- 
kommen des  Aufwandes  für  verschiedene 
Zweig-  und  Verbindungslinien  in  und  bei 
Wien,  auf  mehr  als  10,000.000  fl.  belief. 

Die  Trace  der  Linie  Wien-Stadlau- 
Grussbach-Strelitz  zweigt  ausserhalb  des 

*)  Vgl.  Bd  II,  J.  Zuffer,  Brückenbau, 
sowie  die  betreifenden  Abbildungen  jenes 
Capitels. 


Wiener  Hauptbahnhofes  in  weitausholen- 
den Bogen  von  der  alten  Haupttrace  Wien- 
Bruck   ab,  durchzieht  nach  Uebersetzung 
des  Wiener-Neustädter  Canals  die  Simme- 
ringer  Haide,  tritt  dann  über  den  Donau- 
canal  hinweg .  in  den  Wiener  Prater  ein, 
dessen  Hauptallee  auf  einem  Viaduct  über- 
setzt  wird,    und    gelangt,    nachdem    auch 
der  Donaustrom    mittels  einer   mächtigen 
Brücke     passirt    wird,    nordwärts    durch 
das  Donauthal   bis  Stadlau.  Von    Stadlau 
weiter  zieht   die  Trace   in    gerader   nord- 
westlicher Richtung  durch  das  Marchfeld, 
übersetzt  bei  Süssenbrunn  die  Nordbahn, 
hernach    bei   Poysdorf   und    Staatz    zwei 
durch  Ausläufer  "des  Mannharts-Gebirges 
gebildete  Wasserscheiden,  um  in  die  Tief- 
ebene der  Thaya  und  bis  Grussbach  zu  ge- 
langen.   Hier  das  Thal  übersetzend   zieht 
diese  Linie   an    den  Abhängen   des  Mäh- 
rischen  Mittelgebirges  bis   zur  höchstge- 
legenen Station   Kromau  und  von   hier  aus, 
die  Hügelketten  an  vier  Stellen  mittels  Tunnels 
durchbrechend  und  das  Iglava-Thal  [zwischen 
dem  zweiten  und  dritten  Tunnel]  auf  dem  bereits 
erwähnten,     grossen    Viaducte    übersetzend, 
nach  Stfelitz,  wo  sie  in  die  Trace  der  Brünn- 
Rossitzer  Eisenbahn  einmündet.  [Abb.  5  und  6.] 
DieZweigbahn  nach  Znaim  mündet 
in  Grussbach  aus  der  Hauptlinie  des  Ergän- 
zungsnetzes aus,  und  führt  über  Possitz,  Hönitz 
und  Mühlfraun  nach  Znaim  zum  Anschlüsse 
an  die  Oesterreichische  Nordwestbahn. 

Der  Marchegger  Flügel  zweigt  in 
Stadlau  von  der  Hauptbahn  ab  und  führt  in 
gerader  Richtung  ostwärts  über  Gross-Enzers- 
dorf,  Siebenbrunn  und  Schönfeld  nach  March- 
egg  zum  Anschlüsse  an  die  südöstliche  Linie 
der  Staatseisenbahn. 

Die  Terrain  verhältnisse  der  beiden  letzte- 
ren Strecken  boten,  mit  Ausnahme  des  Ueber- 
ganges  über  das  Leska-Thal  bei  Znaim, 
keinerlei  Schwierigkeiten. 

Dadurch,  dass  die  Brünn-Rossitzer  Eisen- 
bahn das  Bindeglied  zwischen  den  beiden 
Netzen  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
wurde,  war  es  auch  nothwendig  geworden, 
der  Strecke  Stf  elitz-Brünn  eine  ihrer  neuen 
Bestimmung  entsprechende  Ausgestaltung 
zu  geben.  Es  wurde  die  Trace  bei  Brunn 
umgelegt,  um  die  Benützung  der  Nord- 
bahnstation Ober-Gerspitz  entbehrlich  zu 
machen,  ferner  in  Brunn  selbst  der  Bahn- 
hof der  Rossitzer  Bahn  mit  jenem  der 
Staatsbahn  durch  Geleise  verbunden,  und 
ersterer,  nachdem  die  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  zur  Zeit  der  Vollendung  ihres 
Ergänzungsnetzes  auch  den  Betrieb  der 
Rossitzer  Bahn  übernommen  hatte,  in 
einen  Frachtenbahnhof  [der  Staatsbahn] 
umgewandelt.  Der  Vertrag  über  die  ge- 
dachte Betriebsführung  wurde  am  15.  Juni 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


1870  vorerst  auf  die  Dauer  von  zehn 
Jahren  abgeschlossen.  Seitdem  galt  die 
Brünn-Rossitzer  Eisenbahn  mehrentheils 
schon  als  ein  Bestandtheil  der  Linien  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft,  welche  denn 
auch  stets  die  Mittel  zur  Deckung  der  Er- 
fordernisse der  Rossitzer  Bahn  vorstreckte, 
bis  die  Generalversammlung  des  Jahres 
1872  der  letzteren  durch  die  Aufnahme 
eines  Prioritäts-Anlehens  von  nominale 
1,800.000  fl.  für  die  Refundirung  sorgte. 


Zwischenfragen  finanzieller  Natur 
hemmten  jedoch  die  volle  Ingangsetzung 
der  noch  im  Spätherbste  1866  von 
den  Concessionären  selbst  begonnenen 
Arbeiten.  Die  Bauunternehmung  Ge- 
brüder Klein  und  Adalbert  Lanna,  die 
auf  Grund  des  mit  den  Concessionären 
abgeschlossenen  Bauvertrages  vom  27.  De- 
cember  1866  die  Fortsetzung  und  Voll- 
endung des  Baues  der  Strecke  Pilsen- 
Budweis    sowie    den    Bau     der    Prager 


Abb.  5.     Viaduct  der  Staatseisenbahn  über  die  Prater-Hauptallee  in  Wien. 
[Nach  einem  Original  im  Besitze  des  Ober-Inspectors  A.  Paul  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft.] 


In  Böhmen  umfassten  die  damaligen 
Eisenbahnbauten  nur  die  am  23.  October 
1866  in  Angriff  genommenen,  142-3  km 
langen  Strecken  der  Böhmischen  Nordbahn, 
dann  die  26*4  km  lange  Fortsetzung  des 
Schwadowitzer  Flügels  der  Süd-norddeut- 
schen Verbindungsbahn  bis  zur  Reichs- 
grenze bei  Königshain  und  die  3-2  km 
lange  Verbindung  Prag  [Sandthor]-Bubna 
[Staatsbahnhof]  der  Buscht6hrader  Bahn. 
Umso  freudiger  wurde  dem  Zuwachse 
entgegengesehen,  welcher  vom  Baue  der 
Kaiser  Franz  Josef- Bahn,  deren  am 
1 1 .  November  1 866  concessionirte  Linien 
vorwiegend  [mit  460  km]  in  Böhmen 
liegen,   zu  erwarten  stand.*) 


*)  Bezüglich  der  Vorgeschichte  dieser 
Bahnen  vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oesterreich-Ungarns 
von  den  ersten  Anfängen  bis  zum  Jahre  1867. 


Verbindungsbahnen,  um  die  Pauschal- 
vergütung von  17,024.200  fl.  [darunter 
die  Staatsvorschüsse  im  Baarbetrage  von 
6,500.000  fl.]  übernommen  hatte,  war 
nämlich  gesonnen,  auch  alle  übrigen 
Strecken  auszuführen ;  zuvor  aber  wollte 
sie,  um  das  Risico  des  sodann  erweiterten 
Baugeschäftes  zu  verringern  und  den 
Werth  sowie  die  Marktgängigkeit  der 
wieder  in  Zahlung  zu  nehmenden  gesell- 
schaftlichen Titel  zu  erhöhen,  die  Bahn 
mit  neuerlichen  staatlichen  Beneficien 
[abermaligem  Vorschuss,  Verlängerung  der 
Steuerfreiheit,  Erhöhung  des  Baucapitals 
etc.]  ausgestattet  sehen. 

Die  Concessionäre  ihrerseits  schlössen 
sich  diesen  Wünschen  gerne  an,  da  ihnen 
ebensowohl  die  Erlangung  neuer  Be- 
günstigungen, als  auch  die  Uebertragung 
der  gesammten  Bauten  an  eine  so  leistungs- 


IO 


Ignaz  Konta. 


fähige  und  vertrauenswürdige  Unter- 
nehmung nur  willkommen  sein  konnte. 
Vielleicht  war  ihnen  auch  ein  anderes 
Vorgehen  benommen,  weil  die  Bauunter- 
nehmung, theils  als  Mitconcessionär,  theils 
ob  ihres  grossen  Titelbesitzes,  eine  mass- 
gebende Stimme  hatte.  Sie  überreichten 
also  die  ihnen  unterm  5.,  beziehungsweise 
15.  Mai  1867  zugegangenen  Angebote  der 
Bauunternehmung  dem  damaligen  Finanz- 
minister und  zugleich  Leiter  des  Handels- 
ministeriums, Freiherrn  von  Becke.  Die 
Angebote  lauteten  —  die  Erfüllung  jener 


zwar:  Ein  weiterer  unverzinslicher  Staats- 
vorschuss  von  fünf  Millionen  Gulden  gegen 
Refundirung  in  Actien  zum  Pari-Curse  ; 
Auflassung  des  besonderen  Personen- 
Bahnhofes  in  Wien  am  Franz  Josefs-Quai, 
vorbehaltlich  der  Bestimmung  des  Punktes 
für  die  Anlage  eines  concentrirten  Per- 
sonen- und  Frachtenbahnhofes  in  Wien 
nach  dem  Ergebnisse  der  politischen  Be- 
gehung ;*)  Erweiterung  der  Steuerfreiheit ; 
Verringerung  des  präliminirten  Fahr- 
parkes auf  den  wirklichen  Bedarf. 

Wiewohl  nun  schon  die  blosse 
Anwartschaft  auf 
jene  Beneficien 
zum  Abschlüsse 
eines  Additional- 
Vertrages  mit  den 
Bauunternehmern 
führte  [24.  Juli 
1867],  kraft  des- 
sen ihnen  unter 
gleichartigen  Be- 
stimmungen wie 
im  alten  Vertrage 
und  gegen  Aus- 
händigung weite- 
rer 24,907.000  fl. 

in  Actien  und 
39,645.400  fl.  in 
Prioritäts-Obliga- 
tionen der  Bau 
und  die  vollstän- 
dige Ausrüstung 
der  ganzen  Bahn 
übertragenwurde, 
so  war  dadurch, 
dass  ihnen  zugleich  freigestellt  werden 
musste,  den  Bau  der  Strecken  Gmünd- 
Prag  und  Pilsen-Eger  erst  dann  auszu- 
führen, bis  jene  Begünstigungen  wirklich 
erlangt     sein    würden,      auch    mit    dem 


Abb.  6.     Iglava-Viaduct  bei  Eibenschitz  [im  Baue]. 

[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  F.  Seifert,  im  Besitze  Sr.  Excellenz  des 

Eisenbahn-Ministers  Dr.  Ritter  v.  Wittek.] 


Begehren  vorausgesetzt  —  auf  Ausfüh- 
rung der  ganzen  Bahn,  gegen  Ueber- 
nahme  sämmtlicher  Actien  und  Priori- 
täten. Da  aber  bis  zur  endgiltigen  Erledi- 
gung der  Angelegenheit  geraume  Zeit 
verstrich,  so  erwuchsen  hieraus  Verzö- 
gerungen in  der  Vergebung,  beziehungs- 
weise allgemeinen  Inangriffnahme  der 
Bauten. 

Ein  Bescheid  vom  28.  Juni  1867 
verständigte  die  Concessionäre,  dass  das 
Finanzministerium  mit  a.  h.  Entschlies- 
sung  vom  27.  Juni  1867  ermächtigt  wurde, 
im  verfassungsmässigen  Wege  ein  Ge- 
setz zu  erwirken,  womit  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn  mehrere  Begünstigungen  und 
Erleichterungen    bewilligt    werden,    und 


*)  Bei  den  Begehungs-Commissionen  am 
16 ,  25.  und  29.  November  1867  verlangten 
die  Vertreter  der  Stadt  Wien,  dass  der  Haupt- 
bahnhof oder,  falls  dies  nicht  thunlich  wäre, 
wenigstens  der  Personen-Bahnhof  möglichst 
nahe  an  der  inneren  Stadt,  also  etwa  in  dem 
Baron  Puthon'schen  Garten  [IX.  Bezirk]  an- 
gelegt werde.  Die  Gesellschaft  ihrerseits 
hielt  aber  das  ursprüngliche  Project,  den 
grossen  Bahnhof  auf  dem  in  der  Nähe  der 
Ferdinands  -  Wasserleitung  [Nüssdorf]  ge- 
wählten Platze  zu  errichten,  sowohl  aus  bau- 
und  betriebstechnischen,  wie  aus  öcono- 
mischen  Rücksichten,  überdies  aber  auch  aus 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


II 


Additional-Vertrage  eigentlich  nur  die 
Sicherung  des  Baues  der  Strecke  Budvveis- 
Wien  neu  erzielt. 

Die  Geldbeschaffung  für  diese  Strecke 
und  für  die  schon  ursprünglich  vergebene 
Strecke  Pilsen-Budweis  hatte  mittlerweile 
die    österreichische    Credit  -  Anstalt     auf 


I  waltungsrath  der  am  31.  August  1867  mit 
|  einem  aus  160.083  Actien  ä  200  fl.  und 
247.800  Prioritäts-Obligationen  ä  200  fl. 
zusammengesetzten  Anlage-Capitale  von 
nominal  81,576.000  fl.  constituirten  Ge- 
sellschaft: »K.  k.  pri  v.  K aiser  Franz 
Josef-Bahn«     die    Concessionäre    und 


Abb.  7.    Johann  Adolf  Fürst  zu  Schwarzenberg. 
[Nach  einem  Originale    aus  der  k.  u.  k.  Fideiconiiniss-Bibliothek.] 


Grund  des  Vertrages  vom  31.  Mai   1867 
übernommen. 

In    diesem    Stadium    löste    der  Ver- 


der  Ursache  aufrecht,  weil  dann  die  Mög- 
lichkeit bestünde,  den  Bahnhof  mittels  einer 
Pferdebahn  über  die  Rossauer  Lände 
und  dem  Franz  Josef-Quai  unmittel- 
bar mit  dem  Hauptzollamte,  somit 
auch  mit  der  Nord-  und  der  Südbahn 
in  Verbindung  zu  setzen,  wodurch  der 
einschlägigen  Bestimmung  der  Concession 
[§  4,  alinea  3]  einstweilen  in  provisorischer 
Weise  entsprochen  würde.  [Bericht  an  die 
I.  ordentliche  Generalversammlung.]  Die 
Entscheidung  fiel  zu  Gunsten  der  Commune 
aus,  die  aber  einen  Theil  der  Mehrkosten 
übernahm  [siehe  Seite  12]. 


deren  Executiv  -  Comite  in  der  Ge- 
schäftsführung ab.  An  die  Spitze  des- 
selben trat  als  Präsident  der  um  das 
Zustandekommen  dieser  Unternehmung 
besonders  verdienstvolle  Johann  Adolt 
Fürst  zu  Schwarzenberg.  [Abb.  7.] 
Die  Leitung  der  gleichzeitig  errichteten 
General-Direction  übernahm  der  bereits  am 
6.  December  1866  von  den  Concessionären 
zum  General-Director  ernannte,  frühere 
General-Secretär  der  Böhmischen  West- 
bahn, kaiserlicher  Rath  Heinrich  Koger er, 
ein   altbewährter  Eisenbahnfachmann. 

'  Also    bereits    unter    der  Aegide    des 
Verwaltunp-srathes    wurde    am    1 1 .    No- 


12 


Ignaz  Konta. 


vember  1867  ein  Theil  der  gesellschaft- 
lichen Titel  [30.000  Actien  zum  Curse 
von  70%  =  140  fl.  und  30.000  Prio- 
ritäts-Obligationen zum  Curse  von  84°/,, 
=  168  fl.]  zur  öffentlichen  Zeichnung 
aufgelegt.  Der  hiebei  erzielte,  an  sich 
bedeutende  Erfolg,  scheint  aber  auf  die 
obschwebenden  gesellschaftlichen  An- 
gelegenheiten keinen  oder  nicht  den  er- 
warteten Einfluss  genommen  zu  haben; 
vielmehr  wurde  der  Verwaltungsrath  gar 
bald   inne,    dass    das    am    30.  December 

1 867  ins  Amt  getretene  Cabinet  Auers- 
perg  [Carl]  einer  Gewährung  der  von 
der  früheren  Regierung  verheissenen 
Beneficien  abhold  sei.  Der  Verwaltungs- 
rath trachtete  daher  die  Bauunterneh- 
mung zu  vermögen,  dass  sie  ohne  Rück- 
sicht auf  die  im  Additional-Bauvertrage 
enthaltene  aufschiebende  Bestimmung 
hinsichtlich  der  Inangriffnahme  der  Stre- 
cken Pilsen-Eger  und  Gmünd-Prag,  sich 
bereit  erkläre,  »den  Bau  dieser  beiden 
Strecken  zugleich  und  unverweilt  zu 
beginnen  und,  statt  innerhalb  der  con- 
cessionsmässigen  Baufrist,  binnen  drei 
Jahren  zu  vollenden,  sobald  die  ange- 
strebten Begünstigungen  auf  verfassungs- 
mässigem Wege  Gewährung  gefunden 
haben«. 

Der  Verwaltungsrath  wollte  nämlich 
mit  der  im  allseitigen  Interesse  gelegenen 
bedeutenden  Abkürzung  der  Bauzeit 
eine  Handhabe  erlangen,  um  auch  die 
neue  Regierung  den  Wünschen  der  Ge- 
sellschaft geneigter  zu  machen.  Die 
Bauunternehmung  willigte  in  die  Er- 
klärung und  der  Verwaltungsrath  über- 
reichte dem  Ministerium  am  23.  October 

1 868  die  bezügliche  Eingabe,  auf  welche 
hin  die  Angelegenheit  jetzt  thatsächlich 
in  rascheren  Pluss  kam,  ohne  jedoch 
eine  bessere  Aussicht  auf  das  volle  Ge- 
lingen der  gesellschaftlichen  Bestrebungen 
zu  eröffnen. 

Das  Ergebnis  der  wiederholt  gepflo- 
genen Verhandlungen  war  schliesslich, 
dass  die  Regierung  sich  dazu  verstand, 
der  Gesellschaft  noch  einen  Staats- 
vorschuss  von  4'/4  Millionen  Gulden 
sowie  eine  Erhöhung  der  Staatsgarantie 
um  denjenigen  Betrag  zu  gewähren,  der 
zur  Verzinsung  und  Tilgung  des  Mehr- 
aufwandes für  den  Wiener  Bahnhof,  für 


die  stabile  Brücke  über  die  Donau  bei 
Tulln  und  die  Umlegung  der  Prager 
Verbindungsbahn  ausreichte,  —  hingegen 
forderte  die  Regierung,  dass  der  Bau 
der  Strecken  Pilsen-Eger  und  Gmünd- 
Prag  sogleich  in  Angriff  genommen 
und  die  Vollendung  aller  concessionirten 
Linien  bis  spätestens  Ende  1871  durch- 
geführt werde,  ferner  eine  auch  mit 
einem  Stege  für  Fussgeher  versehene 
stabile  Donaubrücke  bei  Tulln  hergestellt 
werde,  deren  Pfeiler  überdies  für  eine 
mit  ihr  zu  verbindende  Strassenbrücke 
verbreitert  sein  müssten.  Diese  Stipula- 
tionen sowie  eine  besondere  Bestimmung, 
derzufolge  die  Gesellschaft,  gegen  ent- 
sprechende Erhöhung  der  Staatsgarantie, 
auch  die  Flügelbahn  Absdorf- Krems 
baldigst  ausführen  sollte,  waren  in  die 
Form  eines  Uebereinkommens  gekleidet, 
über  dessen  unbedingte  Annahme  der 
Verwaltungsrath  sich  im  Vereine  mit 
der  Bauunternehmung  binnen  acht  Tagen 
zu  erklären  hatte.  Die  betreffende  Auf- 
forderung ging  dem  Verwaltungsrathe 
am   1.  Februar  1869  zu. 

Es  galt  also  eine  weittragende  Ent- 
scheidung zu  treffen.  Die  Bauunter- 
nehmung gab  ohneweiters,  der  Ver- 
waltungsrath nach  einigem  Zögern  und 
vorbehaltlich  der  Genehmigung  seitens 
der  Generalversammlung  die  Zustim- 
mung. Dass  ihm  dieselbe  schwer  fiel,  ist 
begreiflich ;  denn  während  die  erlangten 
Zugeständnisse  weit  hinter  den  Hoffnun- 
gen der  Gesellschaft  zurückblieben,  legte 
ihr  das  Uebereinkommen  manche  über  die 
ursprünglichen  Concessions-Bedingungen 
hinausgehende  Verpflichtungen  auf,  welche 
eine  die  Rentabilität  der  Bahn  berührende 
Erhöhung  ihres  Anlage  -  Capitals  er- 
heischten. 

Die  Anordnungen  bezüglich  des 
Wiener  Bahnhofes  trafen  die  Gesell- 
schaft —  abgesehen  von  dem  grösseren 
Aufwände  an  Capital  —  weniger,  da 
die  Regierung,  im  Hinblicke  auf  die 
erfolglos  gebliebenen  langwierigen  Ver- 
handlungen, eine  Einigung  dahin  ver- 
mittelte, dass  der  Bahnhof,  nicht  wie 
ursprünglich  projectirt  gewesen,  an  der 
Nussdorfer  Linie,  sondern,  wie  die  Com- 
mune es  verlangte,  innerhalb  des  Wiener 
Burgfriedens,    und  zwar   im  IX.  Bezirke 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


13 


am  rechten  Ufer  des  Donaucanals  errichtet 
werde,  wogegen  die  Gemeinde  einen  Bau- 
beitrag von  500.000  fl.  leisten  oder  die 
zur  Verzinsung  und  Tilgung  dieses  Be- 
trages erforderliche  Annuität  von  25.315  fl. 
auf  Concessionsdauer  garantirt.  Die  staat- 
liche Zinsengarantie  wurde  hiedurch  nicht 
berührt,  weil  die  Regierung  selbst  die 
Annuitäten-Zahlungen  der  Gemeinde  in 
Empfang  zu  nehmen  hatte.  Der  Gemeinde- 
rath  entschied  sich  in  seiner  Sitzung  vom 
26.  October  1 868  für  die  Garantieleistung. 


Vorstellung  zu  erheben  sowie  auch 
auf  die  in  dem  Uebereinkommen  mit 
Stillschweigen  übergangenen  früheren  An- 
suchen der  Gesellschaft,  insbesondere 
wegen  der  Zugestehung  eigener  Tarife 
für  die  Prager  Verbindungsbahn,  aufmerk- 
sam zu  machen;  er  kam  aber  damit  nicht 
zum  gewünschten  Ziele.  Die  Regierung 
legte  das  Uebereinkommen  nebst  einem 
Gesetze  über  den  sofortigen  Ausbau 
der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  dem  Reichs- 
rathe    vor,     welcher    hierüber     zunächst 


Abb.  8.    Die  erste  Donaubrücke  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  bei  Tulln. 


Anders  stand  es  jedoch  hinsichtlich  der 
Donaubrücke  bei  Tulln ;  denn  dieselbe  war 
anfänglich  als  definitives  Object  beantragt, 
wurde  dann  von  der  Regierung  und  dem 
Reichsrathe,  eben  im  Interesse  einer  Ver- 
ringerung des  Anlage-Capitals,  zur  Aus- 
führung in  Holz  bestimmt  und  musste 
nun  doch  in  definitiver  Weise  und  überdies, 
wie  oben  erwähnt,  nicht  blos  als  Eisen- 
bahnbrücke hergestellt  werden.  Zudem 
wurde,  wegen  der  Kürze  der  Baufrist, 
eine  hölzerne  Nothbrücke  erforderlich,  die 
allerdings  zugleich  als  Werksbrücke  zu 
dienen  hatte  [Abb.  8]. 

Der  Verwaltungsrath  unterliess  darum 
nicht,  gelegentlich  seiner  am  8.  Fe- 
bruar 1869  überreichten  Zustimmung 
zu      dem     Uebereinkommen     neuerliche 


in  der  Sitzung  des  Abgeordnetenhauses 
vom  27.  April  1869  verhandelte  und  hiebei 
nur  insoferne  an  den  Vorlagen  etwas 
änderte,  als  er  die  Bestimmung  wegen  der 
baldigen  Ausführung  der  Flügelbahn 
Absdorf-Krems  aus  dem  Uebereinkommen 
wegliess  und  sie  mit  Begrenzung  der 
betreffenden  Staatsgarantie  in  der  Höhe 
einer  Annuität  für  ein  Capital  von  nominale 
750.000  fl.  pro  Meile  als  Art.  II  in  das 
Gesetz  selbst  aufnahm,  welches,  nach 
Passirung  auch  des  Herrenhauses,  am 
20.  Mai  1869  die  a.  h.  Sanction  erhielt. 
Das  Gesetz  ermächtigt  die  Regierung 
zum  Abschlüsse  des  Uebereinkommens 
sowie  zur  Beauftragung  der  Gesellschaft, 
dass  sie,  gemäss  Art.  II  der  Concessions- 
Urkunde  und  gegen  Erhöhung  der  Staats- 


M 


Ignaz  Konta. 


garantie  im  obigen  Ausmasse,  die  Flügel- 
bahn Absdorf-Krems  bis  spätestens  drei 
Monate  nach  der  Eröffnung  der  Haupt- 
bahnstrecke Wien-Absdorf  herstelle. 

Der  definitive  Abschluss  des  Ueberein- 
kommens  erfolgte  am  2.  und  die  Auf- 
forderung zum  Baue  der  Flügelbahn  nach 
Krems  am  6.  Juni  1869.  Die  Actionäre 
genehmigten  das  Uebereinkommen  in  der 
Generalversammlung  vom  26.  Juni  1869. 

Jetzt  erst  war  der  Werdeprocess  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  im  Wesentlich- 
sten zu  Ende  gediehen,  zwar  nicht  ganz 
so  wie  die  Gesellschaft  es  erwartet  hatte, 
immerhin  aber  mit  dem  Ergebnisse,  dass 
sie  einer  neuerlichen  staatlichen  Beihilfe 
theilhaftig  geworden,  der  rasche  Ausbau 
der  Bahn  vollends  gesichert  erschien  und 
die  Arbeiten  nunmehr  auf  allen  Strecken 
in  Angriff  genommen  werden  konnten.  Dies 
geschah  denn  auch  in  so  ausgedehntem 
Masse,  dass  die  mehr  als  zweijährige 
Verzögerung  des  allgemeinen  Baube- 
ginnes vollkommen  wett  gemacht  wurde. 

Es  gelangten  zur  Eröffnung: 

ßud\veis-Pilsen[l35-8£m] am  I.September  1868, 
Eggenburg-Budweis  [134-6  km]  am  I.  No- 
vember 1869  und 
Wien-Eggenburg  [78-7  km]  am  23.  Juni  1870, 
Gmünd-Cerean  [143  -o  km]  am  3.  September 
.  1871, 

Cercan-Prag  [40-5  km]  am  14.  December  1871, 
Absdorf-Krems  [31  km]  am  10.  Januar  1872, 
Pilsen-Eger   [106-0  km]  am  28.  Januar  1872. 

Eine  Verspätung  war  nur  rücksichtlich 
der  Prager  Verbindungsbahn  [$-8  km] 
eingetreten,  welche  erst  am  15.  August 
1872  zur  Eröffnung  gelangte;  dafür  aber 
wurde  die  Flügelbahn  Absdorf-Krems, 
deren  Pläne  die  Regierung  wiederholt 
abgeändert  und  erst  am  9.  Mai  1870 
genehmigt  hatte,  in  der  kurzen  Zeit  von 
neun  Monaten  vollendet.  Die  stabile 
Donaubrücke  bei  Tulln  wurde  am  30.  Mai 
1874  dem  Verkehre  übergeben. 

Inzwischen  hatte  die  Gesellschaft 
gleich  den  übrigen  fünf  in  Wien  ein- 
mündenden Bahnen,  also  mit  einem  Sechs- 
theile, an  dem  zum  Preise  von  2,000.000  fl. 
vollzogenen  Ankaufe  der  Wiener  Ver- 
bindungsbahn theilgenommen  [20.  Fe- 
bruar 1870],  ferner  die  o-g  km  lange,  am 
I.  März  1873  eröffnete  Schleppbahn  zur 
Donau  bei  Klosterneuburg  ausgeführt 
und      über     Verlangen     der     Regierung 


[25.  November  1873]  auch  die  36-3  km 
lange  Linie  Budweis- Wessely,  zu 
deren  Herstellung  sie  gemäss  §  2  der 
Concessions  -  Urkunde  verpflichtet  war, 
sobald  die  Umwandlung  der  Linz-Bud- 
weiser  Pferdebahn  in  eine  Locomotiv- 
bahn  zur  Durchführung  kam,  erbaut  und 
am  8.  Juni  1 874  eröffnet.  Ihre  Ausführung 
hatten,  im  Wege  der  bezüglichen  Offertver- 
handlung vom  10.  August  1872,  die  Unter- 
nehmer Anton  Haudek  und  Franz  Neubauer 
erstanden.  Die  für  diese  Linie  sowie  zur 
Deckung  der  anderweitigen  Erfordernisse 
[Absdorf-Krems,  Mehrkosten  des  Wiener 
Bahnhofes,  Tullner  Brücke,  Prager  Ver- 
bindungsbahn] nöthigen  Geldmittel  waren 
zufolge  Beschlusses  der  Generalversamm- 
lung vom  28.  Juni  1871,  beziehungsweise 
26.  Juni  1873  durch  eine  neue  Ausgabe 
von  52.000  Actien  ä  200  fl.  und  von 
20.000  Prioritäts-Obligationen  ä  200  fl.  be- 
schafft worden,  wobei  rücksichtlich  der 
nicht  von  den  alten  Actionären  al  pari  be- 
zogenen Actien,  ebenso  wie  rücksichtlich 
der  Obligationen  ein  Aufgeld  erzielt  wurde. 
Mit  Ende  des  Jahres  1874,  als  jenem 
der  Vollendung  des  ganzen  Netzes  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn,  betrugen  die 
Baukosten  desselben  96,695.476  fl. 

Die  von  Wien  ausgehende  eingeleisige 
Haupttrace  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  führt 
am  rechten  Ufer  des  Donaucanals  nach  Xuss- 
dorf,dann  über  Klosterneuburg  und  St.  Andrä 
[Tullnerfeld]  nach  Tulln,  wo  der  Donaustrom 
mittels  einer  in  derselben  Weise  wie  die 
Stadlauer  Staatsbahnbrücke  construirten, 
459 'S  i"  langen  eisernen  Gitterbrücke  [fünf 
Felder],  deren  Pfeiler  nicht  nur  für  zwei 
Bahngeleise,  sondern  auch  für  eine  daran- 
gefügte Strassenbrücke  angelegt  sind,  über- 
setzt wird.  Am  linken  Donauufer  angelangt, 
zieht  die  Trace  über  Absdorf  [Abzweigung 
nach  KremsJ  und  Maissau  gegen  Eggenburg, 
Sigmundsherberg  und  Göpfritz,  woselbst  sie 
einen  Ausläufer  des  Mannhartsberges  ersteigt, 
um  sodann  über  Schwarzenau  nach  Gmünd 
[Abzweigung  der  Linie  nach  Prag]  zu  ge- 
langen und  bei  Böhmdorf  in  das  Königreich 
Böhmen  einzutreten.  Von  der  Landesgrenze 
an  zunächst  sanftes  Hügelland  und,  bei 
Gratzen,  ein  ausgebreitetes  Teichgebiet  durch- 
ziehend, führt  die  Trace  dann  auf  die  Höhe  von 
Zaluii,  von  wo  aus  sie  sich  in  das  Moldau- 
Thal  herniedersenkt,  daselbst  den  Knotenpunkt 
Budweis  [Abzweigung  nach  Wessely],  her- 
nach bei  dem  gleichnamigen  fürstlich  Schwar- 
zenberg'schen  Lustschlosse  die  Station  Frauen- 
berg erreicht,  weiterhin  aber  nach  Protivin 
abbiegt,  um  über  Strakonitz  und  Horaidiovitz 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


15 


auf  die  Wasserscheide  bei  VolSan,  sodann 
hinab  in  das  Thal  des  Uslava-Flusses  und 
denselben  entlang  über  Nepomuk,  Biowitz, 
Stiahlau  und  Pilsenetz  über  die  Radbuza 
[Eisenbrücke]  nach  Pilsen  zum  Anschlüsse  an 
die  Böhmische  Westbahn  zu  gelangen.  Ausser- 
halb dieser  Station,  einige  Profile  weit  mit  der 
Böhmischen  Westbahn  parallel  bleibend,  lenkt 
die  Trace  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  dann 
in  das  Miesthal  ein  und  zieht  über  Mies- 
Kladrau,  Plan-Tachau  und  Kuttenplan  nach 
Marienbad,  sodann  an  Sandau  vorüber  in  das 
Egerthal  hinab,  wo  sie  in  Eger  ihren  Endpunkt 
erreicht,  beziehungsweise  Anschluss  an  die 
Buschtährader  Bahn  [Richtung  nach  Karlsbad] 


schaft  [Hrabovka]  und  der  Böhmischen  West- 
bahn [Smichov]  durch  die  Prager  Verbindungs- 
bahn bewerkstelligt  wird.  Letztere  besteht  aus 
zwei  Ausästungen,  deren  eine  am  Fusse 
des  £iikaberges  in  die  Geleise  der  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft einmündet,  während 
die  andere  in  entgegengesetzter  Richtung  nach 
Vysehrad  und  von  da  auf  einer  296  m  langen 
Eisenbrücke  über  die  Moldau  nach  Smichov 
führt. 

Die  Abzweigung  Absdorf-Krems  mün- 
det hinter  der  Station  Absdorf  aus  der  Haupt- 
linie aus,  zieht  dann  längs  der  Stocker- 
auer  Strasse  nach  Kirchberg,  hernach  süd- 
lich gewendet  über  Wagram  und,  nach  Ueber- 


Abb.  9.    Provisorischer  Bahnhof  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  in  Wien. 


und  an  die  bayerische  und  sächsische  Staats- 
bahu  findet.  [Vgl.  Abb.  8—13.]  [Abb.  9  zeigt 
den  provisorisch  angelegten,  bis  zum  4.  Juni 
1872  in  Verwendung  gestandenen  ersten 
Wiener  Bahnhof.] 

Die  Linie  Gmünd-Prag  zweigt,  wie  oben 
erwähnt  wurde,  in  Gmünd  aus  der  Linie  Wien- 
Eger  ab,  folgt  dem  Laufe  des  Lasnitz-Flusses, 
berührt  die  Orte  Suchenthal,  Wittingau, 
Lomnitz,  Wessely,  Sobcslau  und  Tabor,  er- 
steigt sodann  den  Höhenzug  von  Stüpcitz, 
zieht  von  hier  über  Konopist  und  Beneschau 
in  das  Sazava-Thal  hinab,  sodann  eine  zweite 
Höhe  bei  Straneitz  empor,  und  gelangt  an 
feican  und  Oufinoves  vorüber  bei  stetem  Ge- 
fälle nach  Nusle  und  von  da  durch  einen 
114OW1  langen,  die  »Königlichen  Weinberge« 
unterfahrenden  Tunnel  nach  Prag,  wo  der  An- 
schluss andieLinie  derStaatseisenbahn-Gesell- 


setzung  des  Kamp-Flusses,  bis  Hadersdorf, 
sodann  wieder  parallel  mit  der  Fahrstrasse 
über  Hadersdorf  nach  Krems,  vor  welcher 
Stadt    der    Krems-Fluss    übersetzt    wird. 

Die  Zweiglinie  Budweis- Wessely  bil- 
det die  directe  Verbindung  der  beiden  Statio- 
nen, nach  welchen  sie  benannt  ist.  Ihre  Trace 
folgt  im  Allgemeinen  der  Fahrstrasse  und 
zieht  über  Zamost  zur  Wasserscheide  bei 
Schmiedgraben  hinan,  fällt  hernach  rasch  ab, 
tritt  bei  öevetin  in  das  Teichgebiet  von  Lhota 
und  Horusitz  ein  und  gelangt  im  Bereiche 
desselben,  nach  wiederholter  Uebersetzung 
der  Flüsse  Luznitz  undNeiarka,  nach  Wessely 
zur  Einmündung  in    die  Linie  Gmünd-Prag. 

Aehnliche  Gründungsphasen  wie  die 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  hatte  auch  die 
mit    ihr    an    einem    Tage    concessionirte 


16 


Ignaz  Konta. 


Kronprinz  Rudolf-Bahn  durchzu- 
machen, deren  Bau  den  Alpenländern 
neue  verdienstgebende  Regsamkeit  brin- 
gen sollte.  Insbesondere  wegen  dieses 
letzteren  Zweckes  war,  über  a.  h.  Ent- 
schliessung  vom  21.  November  1866,  auch 
ihr  ein  in  Actien  al  pari  zurückzuzahlender 
Staatsvorschuss  von  fünf  Millionen  Gulden 
bewilligt  worden ;  jedoch  unter  der  im 
Art.  II  des  bezüglichen  Uebereinkommens 
vom  12.  December  1866  seitens  der  Re- 
gierung ausdrücklich  angeführten  Bedin- 
gung, dass  der  Bau  der  Hauptbahn- 
strecken St.  Valentin  -  Steyr  und 
St.  Michael- Villach  sofort  begonnen 
und  binnen  längstens  zwei  Jahren 
vollendet  werde.  Gleichwohl  begann  der 
Bau  in  ausgiebigerer  Weise  erst  im  Früh- 
jahre 1867  und  auch  dies  nur  zufolge  einer 
vorläufigen  Uebereinkunft  mit  der  Bau- 
unternehmung Thomas  Brassey,  Ge- 
brüder Klein  und  Karl  Schwarz,  während 
der  Abschluss  eines  definitiven  Bauver- 
trages noch  von  einer  vorherigen  Re- 
gelung der  finanziellen  Grundlagen  der 
ganzen  Bahn  abhängig  blieb. 

Den  Schlüssel  zu  dieser  Regelung  bil- 
dete die  ziffermässige  Feststellung  des 
Anlage  -  Capitals,  da  die  Concessions- 
Urkunde  [§  17]  nur  besagt,  dass  der  Staat 
»ein  jährliches  5percentiges  Reinerträgnis 
von  dem  aufgewendeten  und  gehörig  nach- 
zuweisenden Capitale  nebst  der  zur  Til- 
gung dieses  Capitales  erforderlichen  jähr- 
lichen Quote  in  Silber  für  die  Dauer  der 
Concession  garantirt  .  .  .«,  während  die 
Concessionäre ,  wie  nicht  minder  die 
Anglo-österreichische  Bank,  als  das  von 
ihnen  erwählte  Finanzirungs-Institut,  und, 
nachdem  hier  ebenfalls  eine  Pauschal- 
vergebung beabsichtigt  war,  auch  die 
Bauunternehmung  vor  Allem  Klarheit 
darüber  gewinnen  wollten,  welche  Summen 
auf  die  Anlage  der  Bahn  verwendet 
werden  könnten  und  dürften.  Sie  be- 
mühten sich  darum  allesammt,  jene  Fest- 
stellung zu  erzielen;  im  Vordergründe 
blieben  jedoch  die  Concessionäre,  für 
welche  der  aus  ihrer  eigenen  Mitte  an 
die  Spitze  der  schon  am  1.  Januar  1867 
errichteten  Verwaltung  getretene  General- 
Director,  Georg  Aichinger,  das  Wort 
führte. 

Diese  wendeten  sich  an  die  Regierung 


und  erwirkten  auch,  dass  mindestens  das 
Capital  für  die  schon  im  Bau  befindlichen 
Strecken  genau  beziffert  wurde.  Es  geschah 
dies  mittels  des  Finanzministerial-Erlasses 
vom  23.  Februar  1867,  welcher  dasselbe 
mit  30,000.000  fl.  feststellte,  unter  der  Be- 
dingung, dass  die  auf  diesen  Betrag  hälf- 
tig auszugebenden  Actien  und  Prioritäts- 
Obligationen  sogleich  in  feste  Hände  über- 
zugehen hätten.  Die  Erfüllung  dieser  Bedin- 
gung begegnete  keinen  Schwierigkeiten, 
da  die  Anglo-österreichische  Bank,  wie  ge- 
sagt,mit  den  Concessionären  liirt  war.  Sie 
übernahm  die  Werthe,  abzüglich  der  zur 
Refundirung  des  Staatsvorschusses  be- 
stimmten 25.000  Actien,  verpflichtete 
sich  hiefür  die,  einschliesslich  der  Inter- 
calarzinsen,  21, 350.000  fl.  betragende  Bau- 
summe an  die  Concessionäre,  beziehungs- 
weise Bauunternehmung  baar  auszu- 
bezahlen [Uebereinkommen  vom  27.  Fe- 
bruar 1867]  und  veranstaltete  in  den 
Tagen  vom  26.  bis  28.  März  1867  die 
Ausgabe  der  Actien,  zum  Curse  von  65°/o 
=  130  fl.,  wobei  eine  bedeutende  Ueber- 
zeichnung  stattfand. 

Angesichts  der  so  weit  flüssigen 
Geldmittel  ging  auch  die  Bauunter- 
nehmung rasch  in  den  Abschluss  eines 
definitiven  Vertrages  ein,  der  ihr  den 
Bau  und  die  Ausrüstung  der  Strecken 
St.  Valentin  -  Steyr  und  St.  Michael- 
Villach  gegen  die  Pauschalvergütung  von 
21,350.000  fl.  übertrug  und  sie  verpflich- 
tete, diese  Strecken  sammt  und  sonders 
bis  längstens  12.  December  1868  betriebs- 
fähig zu  übergeben.  Das  Ministerium  ge- 
nehmigte den  Vertrag  am   15.  Juni  1867. 

Während  der  Einleitung  gleicher 
Massnahmen  für  die  Bestimmung  des 
Baucapitals  der  übrigen  Strecken,  erfolgte 
am  19.  Juli  1867  die  staatliche  Genehmi- 
gung der  Gesellschafts-Statuten  und  am 
20.  Juli  1867  die  Constituirung  der  Actien- 
Gesellschaft :  »K.  k.  p  r  i  v.  Krön- 
I  prinz  Rudolf-Bahn«,  deren  Fond 
vorerst  auf  30,000.000  fl.,  bestehend  aus 
75.000  Actien  ä  200  fl.  Silber  und 
50.000  Prioritäts-Obligationen  ä  300  fl. 
Silber  bestimmt  war.  Von  den  letzteren 
wurden  15.000  Stück  am  29.  October  1867 
zum  Curse  von  8o°/0  =  240  fl.  mit 
bestem  Erfolge  zur  öffentlichen  Zeichnung 
aufgelegt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


17 


Die  neuen,  nunmehr  vom  Verwaltungs- 
rathe  angeknüpften  Verhandlungen  mit 
der  Regierung  zogen  sich  bis  in  den 
Spätherbst  hinein,  fanden  aber  einen  be- 
friedigenden Abschluss,  indem  ein  Finanz- 
ministerial-Erlass  vom  23.  December  1867 
das  garantirte  Anlage  -  Capital  für  die 
Strecken  Steyr  -  Weyer,  Rottenmann  -  St. 
Michael,  St.  Veit-Klagenfurt,  Launsdorf- 
Mösel  mit  25,940.449  fi.  und  jenes  für 
die  Strecken  Weyer  -  Rottenmann  mit 
21,417.403  fl.  bezifferte. 


9.  Februar  1868  vorgenommenen  und  am 
16.  März  1868  vom  Ministerium  ge- 
nehmigten Vergebung  waren  die  gleichen 
wie  bei  den  ursprünglich  vergebenen  zwei 
Strecken,  nur  trat  jetzt  der  Charakter 
der  Bauunternehmung  als  General-Entre- 
prise  dadurch  noch  deutlicher  hervor, 
dass  ihr  für  die  pauschalsten  Leistungen 
die  Bausumme  von  nominale  25,940.449  fl. 
in  gesellschaftlichen  Werthen  [zur  einen 
Hälfte  in  Actien,  zur  andern  in  Prioritäts- 
Obligationen]    übergeben  wurde,    welche 


Abb.  10.    Bau  der  Brücke  über  die  Donau  bei  Tulln. 


Da  hiedurch  die  finanzielle  Grund- 
lage der  ganzen  Bahn,  mit  Ausnahme 
des  Flügels  Klein-Reilling-Amstetten,  allen 
Betheiligten  offenkundig  geworden  und 
dem  Anscheine  nach  auch  jeder  Grund 
einer  Verzögerung  entfallen  war,  glaubte 
man  allenthalben  die  weitere  Vergebung 
der  Arbeiten  je  eher  gewärtigen  zu  können. 
Sie  vollzog  sich  auch  wirklich  bald  nach- 
her, jedoch  wieder  nur  theilweise,  und 
zwar  blos  rücksichtlich  der  erstgenannten 
Strecken.     Die    Modalitäten     dieser    am 

Geschichte  der  Eisenbahnen.    I.  Band,  2.  Theil. 


übrigens  sogleich  an  die  Anglo-öster- 
reichische  Bank  übergingen,  die  ihrer- 
seits wieder  die  Actien  [50.000  Stück] 
am  4.  Mai  1 868  zum  Curse  von  65  °/0 
=  130  fl.  emittirte  und  hiebei  aber- 
mals eine  starke  Ueberzeichnung  er- 
zielte. *) 


*)  Von  den  Obligationen  gelangten 
20.000  Stück  ä  300  fl.  am  9.  November  186S 
zum  Curse  von  210  fl.  [70°/o]  zur  Ausgabe; 
auch  hiebei  fand  eine  namhafte  Ueber- 
zeichnung statt. 


Ignaz  Konta. 


Die  eben  besprochene  Bauvergebung 
umfasste  auch  die  neu  hinzugekommene, 
auf  Grund  des  Gesetzes  vom  17.  Juni  1868 
mit  einem  Anlage- Capitale  von  2,038.000  fl. 
ausgestattete  und  der  Gesellschaft  am 
20.  Juli  1868  concessionirte  kleine  Strecke 
St.  Michael-Leoben,  die  im  Zu- 
sammenhange mit  der  ebenfalls  von  den 
Gründern  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  pro- 
jectirten,  aber  seither  der  Südbahn  con- 
cessionirten  Strecke  Leoben-Bruck  a.  M., 
die  Verbindung  dieser  beiden  Bahnen 
im  nördlichen  Theile  Steiermarks 
herstellt. 

Um  dieselbe  Zeit  befasste  sich  der 
Verwaltungsrath,  trotz  der  Sorge  um  die 
restliche  Sicherstellung  des  Baues  der 
alten  Strecken,  noch  mit  dem  Projecte 
einer  zweiten,  an  die  Südbahn  an- 
schliessenden neuen  Linie.  Er  war  den 
Verhandlungen  über  die  Concessionirung 
der  Linie  L  a  i  b  a  c  h-T  a  r  v  i  s ,  deren  Aus- 
führung die  Regierung  in  Anbetracht  der 
gedrückten  wirthschaftlichen  Lage  des 
Landes  Krain  ehestens  sichern  wollte, 
beigezogen  worden,  und  trat  in  die  Be- 
werbung ein,  obzwar  oder  vielleicht  weil 
ein  Zusammenhang  dieser  Linie  mit  dem 
gesellschaftlichen  Bahnnetze  nur  durch  die 
seitens  der  Gesellschaft  schon  von  Anfang 
her  angestrebte  Fortsetzung  der  Kronprinz 
Rudolf-Bahn   zu  erzielen  war. 

Das  ganze  Vorhaben  glückte  übrigens 
nicht  alsobald ;  denn  obschon  der  Reichs- 
rath  die  am  1 8.  Mai  1 868  im  Abgeordneten- 
hause eingebrachte  Regrierungfsvorlap'e 
ohne  Verzug  und  sehr  wohlwollend,  näm- 
lich unter  Erhöhung  des  Anlage-Capitals 
auf  durchschnittlich  1,200.000  fl.  pro  Meile, 
erledigte,  konnte  die  Concessionirung  doch 
nicht  mehr  im  Jahre  1868  erfolgen,  weil 
zuvor  die  Südbahn  befragt  werden  musste, 
ob  sie  von  ihrem  concessionsmässigen 
Vorrechte  auf  die  Linie  Laibach-Tarvis 
Gebrauch  machen  wolle;  die  Frist  zur 
Beantwortung  der  unterm  8.  August  1868 
diesfalls  an  sie  ergangenen  Aufforderung 
erstreckte  sich  über  vier  Monate  und 
überdies  verliefen  die  sohin  erst  nach 
dem  8.  December  1868  eingeleiteten 
eigentlichen  Concessions  -  Verhandlungen 
nicht  so  einfach. 

Die  Südbahn  hatte  sich  nicht  ernstlich 
gemeldet,  hingegen  waren  der  Kronprinz 


Rudolf-Bahn  in  einem  Laibacher  Con- 
sortium,  ferner  in  dem  Bauunternehmer 
G.  Pankratz  hartnäckige  Concurrenten 
erstanden  und  sie  vermochte  das  Feld 
schliesslich  nur  dadurch  zu  behaupten,  dass 
sie  sich  mit  einem  um  5000  fl.  pro  Meile 
geringeren  Anlage  -  Capitale  begnügte. 
Die  ihr  [auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
9.  Juli  1868]  am  23.  Februar  1869  ertheilte 
Concession  enthält  im  Allgemeinen  gleiche 
Bestimmungen  wie  für  die  übrigen  gesell- 
schaftlichen Linien  mit  dem  Unterschiede, 
dass  das  Anlage-Capital  ziffermässig,  näm- 
lich mit  1,195.000  fl.  pro  Meile  bestimmt 
und  die  Bauzeit  für  die  ganze  Linie  mit 
drei  Jahren  bemessen  wurde.  Den  Bau 
übernahm  auf  Grund  des,  ebenfalls  erst 
nach  langwierigen  Verhandlungen,  am 
20.  September  1869  zustande  gekommenen 
Vertrages,  wieder  die  General-Unterneh- 
mung Thomas  Brassey,  Gebrüder  Klein 
und  Karl  Schwarz  gegen  Ueberlassung 
der  für  diese  Linie  auszugebenden  gesell- 
schaftlichen Werthe,  von  welchen  die 
Actien  [40.689  Stück  ä  200  fl.]  in  den 
Tagen  vom  20.  bis  28.  December  1869 
zum  Curse  von  160  fl.  emittirt  wurden. 
Inzwischen  war  es  der  Gesellschaft  end- 
lich gelungen,  den  Bau  der  schwierigsten 
aller  alten  Linien,  d.  i.  jener  von  Weyer 
nach  Rottenmann,  sicherzustellen.  Die 
ausserordentliche  Verzögerung  dieser  An- 
gelegenheit ist  auf  folgende  Umstände 
zurückzuführen :  Der  Verwaltungsrath  Hess 
gegenüber  dem  ursprünglichen  Projecte 
ein  zweites,  geringere  Anlagekosten  er- 
heischendes Bauproject  ausarbeiten,  wel- 
chem aber  das  Ministerium  erst  nach 
langem,  durch  technische  Rücksichten 
hervorgerufenen  Widerstreben  zustimmte 
[März  1 869] ;  dann  verursachte  die  Wahl 
der  Bauunternehmung  noch  einen  weiteren 
Aufschub.  Sei  es,  dass  die  alte  General- 
Unternehmung  vermeinte,  mit  der  um 
1,117.403  fl.  herabgeminderten  Bausumme 
nicht  das  Auslangen  zu  finden,  oder  dass  die 
Anglo-österreichische  Bank  von  der  Lust 
angewandelt  wurde,  auch  an  dem  Bau- 
geschäfte selbst  einen  Antheil  zu  haben,  — 
Thatsache  ist,  dass  nach  weitwendigen 
Verhandlungen  die  Bank,  als  General- 
Unternehmung,  den  Bau  und  die  Ausrü- 
stung der  Strecke,  um  die  hiefür  bestimm- 
ten   Actien    und    Prioritäts  -  Obligationen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


19 


in  dem  herabgeminderten 
Betrage  von  nominale 
20,300.000    fl.     übernahm. 

Der  Vertrag  wurde  am 
30.  Juni  1869  ausgefertigt 
und  am  12.  Juli  1869  vom 
Ministerium  mit  der  Vidi- 
rungsclausel  versehen.  Am 
selben  Tage  brachte  die 
Bank  die  ihr  neu  überlasse- 
nen  50.75oActienzumCurse 
von  162  fl.  pro  Stück  zur 
Ausgabe.  Wie  sich  später- 
hin zeigte,  erfuhr  die  Anglo- 
österreichische  Bank  bei 
diesem  Baugeschäfte  arge 
Enttäuschungen ;  sie  hatte 
die  Arbeiten  an  die  fran- 
zösische Unternehmung  Ro- 
man, Lönry  &  Gobbert  in 
Subaccord  gegeben,  wurde 
aber  von  dieser  im  Stiche 
gelassen  und  musste  den 
Bau  unter  schweren  Opfern 
in  eigener  Regie  vollenden. 

Die  Bahngesellschaft 
gerieth  jedoch  dabei  nicht 
in  Mitleidenschaft ;  ihre 
Thätigkeit  für  die  Sicher- 
stellung des  Baues  der  alten 
Linien,  ausgenommen  den 
kurzen  Flügel  Klein-Reif- 
ling-Amstetten,  war,  nach- 
dem darüber  fast  drei  Jahre 
dahingegangen,  endlich  zum 
Abschlüsse  gelangt ;  sie 
konnte  sich  daher  jetzt  mit 
Fug  und  Recht  der  Er- 
gänzung des  gesellschaft- 
lichen Bahnnetzes  zu- 
wenden. 

Hiefür  traten  natürlich 
jene  Projecte  in  den  Vorder- 
grund, deren  bereits  in  der 
Concessions-Urkunde  vom 
11.  November  1866  vorge- 
sehene Verwirklichung  nur 
von  der  betreffenden  An- 
ordnung der  Regierung  ab- 
hängig geblieben  war.  Nach- 
dem aber  das  eine,  das 
die  Verbindung  der  Kron- 
prinz Rudolf-Bahn  mit  der 
Kaiser    Franz     Josef-Bahn 


20 


Ignaz  Konta. 


betraf,  durch  die  mittlerweile  seitens 
der  Kaiserin  Elisabeth  -  Bahn  eingegan- 
gene Verpflichtung  zur  Herstellung  der 
Anschlussstrecke  Wartberg  -  St.  Valentin 
gegenstandslos  geworden  war,  beschäf- 
tigte sich  der  Verwaltungsrath  um  so 
nachhaltiger  mit  dem  anderen,  die  Fort- 
setzung der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  be- 
zweckenden   Projecte. 

Folgend  einem  Beschlüsse  der 
ersten  ordentlichen  Generalversammlung 
[14.  December  1868],  hatte  der  Verwal- 
tungsrath zunächst  die  Verlängerung  der 
Bahn  bis  an  die  Reichsgrenze  gegen  Udine 
ins  Auge  gefasst,beim  Ministerium  die  poli- 
tische Begehung  zumindest  der  Theil- 
streckeVillach- 
T  a  r  v  i  s  nach- 
gesucht, die  jetzt 
auch  als  Binde- 
glied zwischen 
der  Linie  Lai- 
bach-Tarvis  und 
dem  alten  Bahn- 
netze der  Gesell- 
schaft zu  dienen, 
somit      doppelte 

Wichtigkeit 
hatte.     Als   ihm 
hierüber      ledig- 
lich    die     Aus- 
arbeitung   eines 

neuen  Operates  anheimgegeben  wurde, 
brachte  der  Verwaltungsrath  das  letztere 
am  26.  November  1869  in  Vorlage. 

Im  Hinblicke  auf  die  einschlägige 
Resolution  des  Abgeordnetenhauses  vom 
10.  Juni  1868  und  auf  die  am  13.  März 
1869  an  den  Reichsrath  gelangte,  jedoch 
am  29.  April  1869  wieder  zurück- 
gezogene Gesetzesvorlage  über  die  Er- 
gänzung des  österreichischen  Eisenbahn- 
netzes, welche  auch  die  Verbindung 
der  in  Villach  zusammentreffenden  Bah- 
nen mit  dem  Meere  behandelte,  hatte 
der  Verwaltungsrath  sich  ferner  bemüht, 
eine  neuerliche  Entscheidung  der  Re- 
gierung über  den  Weiterbau  der  Bahn 
von  Tarvis  nach  dem  Süden  hervor- 
zurufen, um  der  schon  in  den  ersten  Be- 
rathungen  über  die  Gründung  der  Kron- 
prinz Rudolf-Bahn  aufgestellten  Devise 
»jusque  ä  la  mer«  gerecht  zu  werden 
und,   wie  der  Bericht  an  die  zweite  Ge- 


Abb.  12.     Station  Budweis.    [1868.] 


neralversammlung  sich  ausdrückt,  »die 
Bahn  nicht  in  Villach  »verenden«  zu 
lassen,  sondern  sie  zu  einer  europäischen 
Verkehrsstrasse  auszugestalten. 

Die  Generalversammlung  vom  29.  No- 
vember 1869  stimmte  alledem  zu,  er- 
mächtigte den  Verwaltungsrath  zur  Er- 
werbung der  Concession  für  das  Ver- 
bindungsstück Villach  -  Tarvis  und  er- 
neuerte gleichzeitig  die  Beschlüsse  hin- 
sichtlich des  Ausbaues  der  Bahn  bis 
an  das  Adriatische  Meer.  Gestützt  auf 
dieses  Mandat  erging  sich  nun  der  Ver- 
waltungsrath in  stets  dringenderen  Vor- 
stellungen beim  Ministerium,  bis  dasselbe 
eine  wärmere  Empfänglichkeit  für  die  alt- 
gehegten Wün- 
sche der  Gesell- 
schaft insoferne 
bekundete,  als  es 
die  legislative  Si- 
cherstellung der 
StreckenVillach- 
Tarvis  und  Tar- 
vis-Görz  einlei- 
tete. Allein  die 
am  3.  März  1870 
im  Abgeordne- 
tenhause einge- 
brachten Gesetz- 
entwürfe waren 
keineswegs  ge- 
der  Gesellschaft 
stimmen ;  denn 
be- 


eignet, die  Hoffnungen 
um  Vieles  höher  zu 
der  eine  die  Strecke  Villach-Tarvis 
treffende  Gesetzentwurf,  zog  neben  der 
Concessionirung  an  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  —  unter  Gewährung  einer  Staats- 
garantie von  85. OCX)  fl.  pro  Meile  — 
auch  die  allfällige  Erbauung  auf  Staats- 
kosten in  Betracht,  und  der  zweite  lautete 
überhaupt  nur  auf  Herstellung  einer  staat- 
lichen Linie  von  Tarvis  über  den  Predil 
nach  Görz. 

Es  dämmerte  eben  schon  das  wieder- 
auflebende Staatsbahn-System,  und  für 
die  Kronprinz  Rudolf-  Bahn  erschien 
dadurch  ebensowohl  ihre  unmittelbare 
Ausmündung  am  Meere,  als  auch  ein  er- 
heblicher Zuwachs  der  eigenen  Linien  in 
dieser  Gegend  nahezu  ausgeschlossen. 
Die  Vertagung  des  Reichsrathes  vereitelte 
die  Erledigung  dieser  Vorlagen.  Daraus 
und      aus     dem      alsbald     eingetretenen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


21 


Abb.  13.    Bestandene  Holzbrücke  über  die  Mies  [zwischen  Schweissing  und  Josefihütte], 
[Aus  der  Bauzeit  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn.] 


Ministerwechsel  entwickelte  sich  für  die 
Gesellschaft  eine  etwas  günstigere  Sach- 
lage. 

Der  neue  Leiter  des  Handelsmini- 
steriums, Freiherr  v.  Pretis,  Hess  die 
Predil-Frage  vorderhand  ganz  offen  und 
brachte  rücksichtlich  der  Strecke  Villach- 
Tarvis  am  8.  November  1870  eine 
zweite  Regierungsvorlage  ein,  die  zwar 
gleiche  finanzielle  Bedingungen  wie  der 
erste  Gesetzentwurf,  aber  nicht  die 
Alternative  des  Baues  auf  Staatskosten 
enthielt.  Auch  der  Reichsrath  hatte 
auf  dieselbe  nur  für  den  Fall  zurück- 
gegriffen, als  die  mit  der  Gesellschaft 
zu  führenden  Concessions- Verhandlungen 
zu  keinem  befriedigenden  Ende  führen 
würden.  Der  Eisenbahn-Ausschuss  des 
Abgeordnetenhauses  beschränkte  die 
Staatsgarantie  auf  den  Höchstbetrag  von 
260.000  fl.  jährlich  und  schaltete  die 
Bestimmung  ein,  dass  die  Bauarbeiten 
im  Wege  der  Offertausschreibung  ver- 
geben werden  sollten.  In  dieser  Fas- 
sung wurde  das  Gesetz  am  24.  Fe- 
bruar, beziehungsweise  28.  März  1871 
von  beiden  Häusern  des  Reichsrathes 
angenommen  und  am  24.  April  1871 
sanctionirt. 


Nun  trat  aber  ein  neues  Hemmnis  ein. 
Die  Gesellschaft  wollte  die  Trace  am 
linken  Ufer  des  Gailitzbaches  [auf  der 
»Sonnseite«]  über  Goggau  nach  Ober- 
Tarvis  führen,  das  Ministerium  hingegen 
sie  auf  das  andere  Bachufer  verlegen. 
Es  wurden  also  nochmalige,  zeitraubende 
Studien  vorgenommen,  welche  schliess- 
lich die  Zweckmässigkeit  des  alten 
Projectes  vollauf  bekräftigten  und  ihm 
die  ministerielle  Genehmigung  ver- 
schafften [15.  October  1871],  worauf 
dann  am  25.  November  1871  die  Er- 
theilung  der  Concession  folgte.  Dieselbe 
enthält  die  in  den  vorerwähnten  Gesetzes- 
Bestimmungen  ausgesprochenen  Bedin- 
gungen, erklärt  die  Strecke  Villach- 
Tarvis  als  einen  integrirenden  Bestand- 
theil  der  Linie  Laibach-Tarvis  und 
begrenzt  die  Bauzeit  mit  zwei  Jahren. 
Der  Bau  wurde  am  12.  April  1872  an 
die  bei  den  Offertverhandlungen  min- 
destfordernde Unternehmung  Fritsch 
und  Theuer  um  die  Pauschalsumme 
von  2,427.530  fl.  für  den  Unterbau, 
dann  3  fl.  pro  Currentmeter  Oberbau 
[exclusive  Material]  und  201.283  fl.  für 
die  Maurerarbeiten  an  den  Brücken 
vergeben. 


22 


Ignaz  Konta. 


Ausser  dieser  Strecke  fiel  der  Gesell- 
schaft im  Jahre  1871  noch  eine  kleine 
Linie,  jene  von  Hieflau  nach  Eisen- 
erz zu,  welcher  wegen  der  von  ihr  er- 
warteten Erleichterung  und  Verwohlfeilung 
der  Erzverbringung  und  Roheisenerzeu- 
gung, sohin  auch  Hebung  der  inlän- 
dischen Eisenindustrie  und  insbesonders 
rücksichtlich  des  Frachtenverkehrs  der 
Kronprinz  Rudolf  -  Bahn,  grössere  Be- 
deutung beigemessen  wurde. 


sicherte  er  ihr  nebst  der  Bewilligung  zur 
Bildung  einer  eigenen  Actien-Gesellschaft 
der  »Innerberger  Hauptgewerkschaft«  auch 
die  zum  Baue  einer  »Bergwerks-Eisenbahn 
von  Eisenerz  einerseits,  nach  Hieflau,  an- 
dererseits nach  Leoben«  zu  [25.  September 
1868].  Sodann  überliess  er  der  Unter- 
nehmung das  von  der  k.  k.  General- 
Inspection  der  österreichischen  Eisen- 
bahnen ausgearbeitete  Project  für  die 
Strecke  Eisenerz-Hieflau  um  den  Kosten- 


Abb.  14. 


Der  Gedanke,  diese  Schienenstrasse 
anzulegen,  war  ein  alter ;  die  Staats- 
verwaltung, als  sie  noch  Besitzerin  der 
Innerberger  Hauptgewerkschaft  gewesen, 
verfolgte  ihn  schon  Jahrzehnte  hindurch, 
wobei  sie  allerdings  vorwiegend  nur  die 
Herstellung  einer  Bergwerksbahn  im  Auge 
hatte.  Um  die  Schätze  des  Erzberges 
dem  Eisenbahn- Verkehre  zugänglicher  zu 
machen,  wurde  auch  die  Trace  der 
Kronprinz  Rudolf-  Bahn  von  Admont 
aus  nicht  geradwegs,  sondern  über  Hieflau 
nach  St.  Valentin  geführt. 

Nachdem  der  Staat  seine  99  27/ioo  An- 
theile  an  der  Innerberger  Hauptgewerk- 
schaft an  die  Credit-Anstalt  verkauft  hatte, 


betrag  von  5500  fl.  [10.  August  1869]. 
Statt  die  Sache  sogleich  weiter  in  die 
Hand  zu  nehmen,  Hess  sich  jedoch  die 
Innerberger  Hauptgewerkschaft  andere 
Projectanten  zuvorkommen,  Projectanten, 
die  obendrein  eine  für  den  allgemeinen 
Verkehr  bestimmte  Bahn  anstrebten,  auf 
deren  Zustandekommen  die  Regierung 
umsomehr  Gewicht  legen  musste,  als 
inzwischen  noch  andere  Bergwerksbesitzer 
im  Erzbachthale  die  Belehnung  zum  Berg- 
baue auf  sehr  ausgedehnten  Flächen 
erhalten  hatten  und  es  sich  nun  darum 
handelte,  auch  den  Erzen  aus  diesem 
Reviere  billige  und  ungehemmte  Ver- 
frachtung zu  sichern. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


23 


Die  Concession  für  die  Strecke  Vor- 
dernberg- Leoben  war  am  S.Juli  1869  dem 
Consortium  des  Grafen  Meran,  die  Vor- 
concession  für  die  Strecke  Hieflau-Eisen- 
erz  am  27.  April  1870  dem  Consortium 
Hirsch-Rossiwal  zutheil  geworden. 

Erst  diese  letztere  Verleihung  scheint  die 
Bestrebungen  der  Hauptgewerkschaft  frisch 
angefacht  zu  haben.  Diese  legte  das  Project 
für  die  Bergwerksbahn  von  Hieflau-Eisen- 
erz-Vordernberg  vor,  verlangte  die  Bau- 
bewilligung und  verfocht  fortan  mit  grosser 
Beharrlichkeit  ihr  vermeintliches  Recht 
auf  die  Ausführung  dieser  Bahn.  Da  aber 
in  die  Thalenge  zwischen 
Eisenerz  und  Hieflau  zwei 
Bahnen  nur  mit  übermäs- 
sigem Kostenaufwande 
hätten  eingebaut  werden 
können  und  das  Ministe- 
rium, in  Wahrung  des  all- 
gemeinen Interesses,  auf 
die  Sicherstellung  einer 
öffentlichen  Bahn  bedacht 
bleiben  musste,  verstän- 
digte es  die  Hauptgewerk- 
schaft, dass  für  den  Fall, 
als  sie  gleichwohl  die  An- 
sprüche auf  eine  lediglich 
ihren  eigenen  Zwecken 
dienende  Bergwerksbahn 
aufrecht  hielte,  die  letztere 
nur  in  einer  Weise  ange- 
legt werden  dürfte,  welche 
den  Bau  einer  öffentlichen 
Bahn  nicht  beirre. 

Daraufhin  machte  die 
Hauptgewerkschaft  sich  erbötig,  die  Berg- 
werksbahn in  beschränktem  Masse  auch 
dem  allgemeinen  Verkehre  nutzbar  zu 
machen.  Die  in  den  Tagen  vom  29.  Novem- 
ber bis  1.  December  1870  geführte  Com- 
mission  hatte  für  die  Hauptgewerkschaft 
kein  günstiges  Ergebnis,  indem  alle  fach- 
männischen Theilnehmer  der  Commission 
die  Herstellung  einer  Bergwerksbahn  an 
Stelle  der  öffentlichen  Bahn  geradezu 
als  einen  »beispiellosen  volkswirthschaft- 
lichen  Missgriff«   erklärten. 

Während  so  die  Hauptgewerkschaft 
mit  ihren  Anschauungen  und  Ansprüchen 
allein  geblieben  war,  theilte  jetzt  auch 
die  öffentliche  Meinung  des  Landes 
den    Standpunkt    der   Regierung.      Diese 


forderte  daher  zunächst  die  Hauptgewerk- 
schaft auf,  die  Herstellung  einer  öffent- 
lichen Bahn  zu  übernehmen  und  zog, 
nachdem  die  Aufforderung  erfolglos  ge- 
blieben, die  Bewerbungen  der  Leoben- 
Vordernberger  Bahn  und  der  Kronprinz 
Rudolf- Bahn  in  näheren  Betracht;  erstere 
verlangte  eine  dreissigjährige  Steuer- 
freiheit, letztere  beanspruchte  dagegen  in 
erster  Linie  eine  Staatsgarantie. 

Die  Leoben-Vordernberger  Bahn,  als 
ein  kaum  erst  entstandenes  Unternehmen, 
das  ohnehin  mit  mannigfachen  Schwierig- 
keiten   zu    kämpfen    hatte,    schien    aber 


Abb.  15.    Stadt  Steyr. 
[Xach  einer  Photographie  Ton  J.  Reiner,  Klagenfurt.] 


minder  geeignet,  noch  eine  zweite,  vor- 
aussichtlich für  lange  Zeit  ohne  Ver- 
bindung mit  der  ursprünglichen  Linie 
bleibende  Bahn  zu  bauen  und  zu  be- 
treiben, während  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  nicht  nur  einen  bereits  gesicherten 
Anschluss,  sondern  auch  bessere  Gewähr 
für  die  Durchführung  des  Baues  und 
für  eine  beiderseits  vortheilhafte  Betriebs- 
führung bot. 

Das  Ministerium  unterbreitete  demnach 
am  2.  Mai  187 1  dem  Reichsrathe  eine  die 
Concessionirung  an  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  betreffende  Vorlage,  welche  nach  vor- 
ausgegangener verfassungsmässiger  Be- 
handlung am  16.  Juli  1871  die  Sanction  als 
Gesetz  erhielt,  das  nun  die  Grundlage  der  am 


24 


Ignaz  Konta. 


23.  Juli  1871  der  Kronprinz  Rudolf- Bahn 
verliehenen  Concession  bildete,  deren 
hauptsächliche  Bestimmungen  folgende 
sind :  für  die  Bahn  von  Hieflau  nach 
Eisenerz  gelten  dieselben  Bedingungen 
wie  für  die  alten  Linien  der  Gesellschaft; 
die  Staatsgarantie  ist  mit  100.000  fl.  be- 
messen ;  das  diesem  Betrage  entsprechende 
Anlage-Capital  [von  höchstens  nominale 
2,000.000  fl.]  bildet  mit  dem  garantirten 
Capitale  der  anderen  gesellschaftlichen 
Linien  ein  Ganzes;  die  Bauarbeiten  sind 
im  Offertwege  zu  vergeben  und  binnen 
Jahresfrist  zu  vollenden,  wobei  noch  vor- 
gesorgt werden  muss,  dass  die  Bahn 
schon  früher  soweit  fahrbar  sei,  um 
wenigstens  Erze  und  andere  Bergwerks- 
producte  zu  befördern. 

Letztere  Anordnung  wurde  mit  Rück- 
sicht auf  die  Innerberger  Hauptgewerk- 
schaft getroffen,  die  unausgesetzt  daran 
mahnte,  dass  sie  grossen  Schaden  er- 
leiden würde,  wenn  sie  ihre  neuen 
Hochofen-Anlagen  in  Hieflau  und  Schwe- 
chat  mangels  einer  ausreichenden  Erz- 
zufuhr nicht  rechtzeitig  in  Betrieb  setzen 
könnte.  Dessenungeachtet  verzögerte  sich 
die  Vergebung  des  Baues  bis  3.  De- 
cember  1 87 1 ;  Ersteher  desselben  gegen 
die  Pauschalsumme  von  759.208  fl.  für 
den  Unterbau  und  5  fl.  35  kr.  für  die  Cur- 
rentklafter  Oberbau  [excl.  Material]  blieben 
bei  der  an  diesem  Tage  vorgenommenen 
Offertverhandlung  der  Fabriksbesitzer 
Josef  Wemdl  in  Steyr  und  der  Eisenbahn- 
Ober-Ingenieur  Josef  Beyer  in  Wien ;  die 
Hochbauten  etc.  gelangten  auf  Grund 
von  Einheitspreisen  zur  Vergebung.  Der 
am  22.  Januar  1872  abgeschlossene  Bau- 
vertrag wurde  am  16.  März  1872  vom 
Ministerium  genehmigt.  Die  Actionäre 
ertheilten  die  Zustimmung  zur  Erwerbung 
der  beiden  neuen  Concessionen  in  der  Ge- 
neralversammlung vom  5.  December  1871. 

Bei  den  Erörterungen  über  die  Con- 
cessionirung  der  Eisenbahn  Hieflau-Eisen- 
erz  an  die  Kronprinz  Rudolf-Bahn  kam 
auch  die  endliche  Inangriffnahme  der 
Strecke  Klein-Reifling-Amstetten 
eindringlich  zur  Sprache.  Der  Verwal- 
tungsrath  entschuldigte  die  Verzögerung 
mit  den  nothwendig  gewesenen  vielfachen 
Tracirungen  und  mit  der  aus  diesem 
Grunde     hinausgeschobenen     politischen 


Begehung.  Als  aber  diese  Amtshandlung 
in  den  Tagen  vom  16.  bis  21.  Mai  1870 
stattfand,  erwies  sich  das  Project  noch 
immer  nicht  als  ein  entsprechendes;  es 
wurde  daher  nur  bedingungsweise  und 
erst  nach  einer  nochmaligen  Abänderung 
am  15.  December  1870  endgiltig  ge- 
nehmigt. Die  Offertverhandlung  für  die 
Bauvergebung  erfolgte  am  22.  Februar 
1871,  nahm  aber  auch  keinen  glatten 
Verlauf,  weil  der  Verwaltungsrath  nicht 
dasjenige  Angebot,  welches  bei  der  Offert- 
eröffnung sich  als  das  billigste  heraus- 
stellte, sondern  eine  seitens  der  Unter- 
nehmungen Diem-Reinhart  und  Gebrüder 
Klein  nachträglich  überreichte,  um  1 1 .000  fl. 
günstigere  Offerte  berücksichtigen  wollte, 
welchen  Vorgang  das  Ministerium  hin- 
gegen verwehrte.  Der  Bauvertrag  wurde 
also  am  4.  April  1871  mit  der  Unterneh- 
mung Fritsch  und  Theuer  abgeschlossen, 
die  übrigens  ihr  ursprüngliches  Bestgebot 
aus  freien  Stücken  noch  um  12.000  fl. 
ermässigte  und  die  bis  Ende  August  1872 
zu  vollendende  Herstellung  des  Unterbaues 
sammt  allen  Nebenleistungen  um  die 
Pauschal  Vergütung  von  2,767.838  fl.  über- 
nahm. Für  die  Legung  und  Beschotterung 
des  Oberbaues  erhielt  sie  5  fl.  50  kr.  pro 
Currentklafter ;  die  Lieferung  des  Eisen- 
und  Schwellenmaterials  besorgte  die 
Gesellschaft  selbst,  desgleichen  die  Grund- 
einlösung. Die  Hochbauten  wurden  zu 
Einheitspreisen  vergeben. 

So  war  denn  endlich,  41;3  Jahre 
nach  ihrer  Concessionirung  und  nach- 
dem der  niederösterreichische  Landtag 
bereits  die  Anwendung  von  Zwangs- 
massregeln gegen  die  Gesellschaft  ver- 
langt hatte  [Abendsitzung  vom  I .  September 
1870],  auch  der  Bau  dieser  letzten  alten 
Strecke  sichergestellt. 

Die  Beschaffung  des,  unter  Gutheissung 
der  Regierung  [Handels-Ministerial-Erlass 
vom  12.  Januar  und  7.  Februar  1872],  mit 
18,723.800  fl.  veranschlagten  Anlage- 
Capitals*)  der  letztbesprochenen  drei 
Baustrecken  war  wieder  der  Anglo-öster- 
reichischen  Bank  übertragen,  die  aber  bis 
zum  Schlüsse  des  Jahres  1872  nur  Werthe 
im    Betrage    von    7,184.800  fl.    wirklich 

•)  Dasselbe  vertheilte  sich  wie  folgt:  Klein- 
Reifling-Amstetten  11,632.100  iL;  Eisenerz- 
Hieflau  1,966.500  fl.;  Villach-Tarvis  5,125.200  fl. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


25 


emittirte;  der  Rest  kam  durch  freihändigen  I 
Verkauf  auf  den  Markt. 

Um  wie  viel  früher  die  Kronprinz  I 
Rudolf-Bahn  bei  besserer  Ausnützung  der  | 
Zeit  im  ganzen  Umfange  dem  Verkehre  [ 
hätte  nutzbar  sein  können,  das  erhellt  aus 
der  Thatsache,  dass  trotz  aller  Säumnisse  | 
das  alte  Netz  genau  ein  Jahr  vor  Ablauf  der  j 
hiefür  concessionsmässig  festgesetzten, 
allerdings   reich   bemessenen    Frist    voll- 


Laibach-Tarvis,  102  km,  am  14.  December  1870; 

Küpfern  [Weyer]-Rottenmann,  84S  km,  am 
20.  August  "1872 ; 

Klein-Reifling-Amstetten,  43-5 /fcm,  am  II.  No- 
vember 1872; 

Hieflau-Eisenerz,  14-6  km,  am  6.  Januar  1873; 

Villach-Tarvis  nebst  der  Verbindung  mit  der 
Südbahn  in  Villach,  30- 1  km,  am  25.  No- 
vember 1873. 

Das    Betriebsgebiet    der    Gesellschaft 
[vgl.    Karte,    Abb.     14]    umfasste     über- 


Abb.  16.     Tunnel  bei  Altenmarkt. 


endet  war.     Von  den  einzelnen  Strecken 
wurden  eröffnet: 

St.  Valentin-Steyr,20  3&m,  am  15.  August  1868; 

St.  Michael- Villach,  175  fem,  am  !9.0ctoberl868; 

St.  Michael-Leoben  nebst  der  Verbindungs- 
Curve  bei  St.  Michael,  116  km,  am  I.  De- 
cember 1868; 

Glandorf  [St.  Veit]-Klagenfurt,  17-4  km,  am 
15.  April  1869; 

St.  Michael-Rottenmann,  55-2  km,  am  29.  und 
Launsdorf-Mösel,  24-3  km,  am  30.  Sep- 
tember 1869; 

Stevr-Küpfern  [Weyer],  41-1  km,  am  7.  Oc- 
töber  1869; 


!  dies  noch  die  beiden  im  Jahre  1870 
1  in  Pacht  genommenen  Bergwerksbahnen 
Mösel-Hüttenberg,  5  km  lang, 
und  Zelt  weg- Föhn  s  dorf,  yg  km 
lang.  Erstere  war  Eigenthum  der  Hütten- 
I  berger  Eisenwerks-Gesellschaft  in  Klagen- 
furt, wurde  am  6.  October  1870  für 
den  Montan-Güterverkehr  eröffnet  und 
steht  zufolge  a.  h.  Bewilligung  vom 
12.  November  1870  seit  10.  März  1871 
auch  für  den  Personenverkehr  in  Be- 
nützung;   die    zweitgenannte    Bahn,    der 


26 


Ignaz  Konta. 


Alpinen  Montangesellschaft  [als  Nachfol- 
gerin der  steiermärkischen  Eisenindustrie- 
Gesellschaft]  gehörig,  wurde  am  8.  April 
1870,  beziehungsweise  in  der  Fortsetzung 
bis  zum  Antonischacht,  am  29.  Februar 
1871  eröffnet  .und  dient  ebenfalls  dem  all- 
gemeinen Verkehre,  ohne  dass  sie  jedoch 
jemals  als  öffentliche  Bahn  concessionirt 
oder  erklärt  worden  wäre. 

Am  Ende  des  Jahres  1874,  als  des 
ersten  vollen  Betriebsjahres  aller  damaligen 
[eigenen]  Linien  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  [620  km],  haben  die  Anlagekosten 
derselben  110,045.320  fl.  betragen,  später- 
hin aber  sich  noch  um  mehr  als  vier 
Millionen  Gulden  erhöht. 


Die  eingeleisige  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
mündet  an  zwei  Stellen  aus  der  Hauptlinie 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  aus:  inAmstetten, 
von  wo  sie  entlang  der  Ybbs  und  nach  zweima- 
liger Uebersetzung  dieses  Flusses  [Eisen- 
brücken] nach  Waidhofen,  Oberland  [kleine 
Wasserscheide]  und  Weyer,  sodann  über  die 
Enns  [Eisenbrücke]  nach  Kastenreith  und  Klein- 
Reifling  führt,  ferner  in  St.  Valentin,  von  wo 
sie  im  Ennsthale  über  Steyr,  Dürnbach, 
Reichramming  und  Grossramming  nach 
Küpfern  [Wever],  dann  in  einem  Felsentunnel 
durch  den  Kastenreithberg  und  weiterhin 
theils  in  Felsen  eingeschnitten,  theils  in  die 
Enns  eingebaut  dem  Vereinigungspunkte 
[Kastenreith,  beziehungsweise  Klein-Reifling] 
entgegenzieht.  In  derTheilstreckeKastenreith- 
Klein-Reifling  haben  die  beiden  Ausgangs- 
linien eine  gemeinsame  Trace.  Hinter  Klein- 
Reifling  beginnt  der  landschaftlich  schöne,  aber 
auch  technisch  schwierige  Theil  der  Bahn.  Sie 
steigt  zunächst  an  den  Berglehnen  bis  zum 
Lausabache  [Grenze  zwischen  Oberösterreieh 
und  Steiermark],  senkt  sich  dann  zur  Station 
Weissenbach-St.  Gallen  und  passirt  auf  diesem 
Wege  den  Klausbach-Viaduct  [Eisenconstruc- 
tion]  und  drei  Tunnels.  Nachher  stetig  an- 
steigend, über  den  Weissenbach  hinweg  und 
nach  abermaliger  Durchfahrung  dreier  Tunnels 
wird  die  Station  Gross-Reifling,  sodann  unter 
gleichgearteten  Verhältnissen  [4  Tunnels,Enns- 
brücke,  Erzbachbrücke]  die  Station  Hieflau 
[Abzweigung  nach  Eisenerz]  erreicht,  für 
welche  das  Terrain  nur  durch  bedeutende 
Felsenabsprengungen  und  Einbauten  in  die 
Enns  gewonnen  werden  konnte.  Nunmehr 
die  bisher  eingehaltene  südliche  Richtung 
verlassend  und  sich  direct  nach  Westen 
wendend,  tritt  die  Bahn  in  die  unter  dem 
Namen  »Gesäuse«  bekannte  hochromantische 
Schlucht  ein,  zieht,  immer  ansteigend,  durch 
die  Felswand  Ennsmauer,  dann  durch  einen 
zweiten  Tunnel  unter  der  Fahrstrasse  »am 
Hochsteg«  dahin,  setzt  im  »Kümmere  auf 
das  linke  Ennsufer  über,  gelangt  daselbst 
zu    der    in    prachtvoller     Gebirgslandschaft 


liegenden  Station  Gstatterboden,  dann  zum 
Gesäuse-Ausgang,  wo  sie  nochmals  das  Enns- 
ufer wechselt  und  durch  einen  Tunnel  in  das 
herrliche  Ennsthal  bei  Admont  austritt.  In 
massiger  Steigung  wird  hernach  die  Station 
Liezen  erreicht,  von  wo  aus  die  Bahn  auf 
weitem  Wege  zurück  nach  Osten,  über  Rotten- 
mann, Gaishorn,  Wald  [Wasserscheide]  und 
Mautern  nach  St.  Michael  führt.  Hier  zweigt 
die  kurze,  in  dem  stellenweise  sehr  eingeeng- 
ten Murthale,  ohne  Zwischenstation,  angelegte 
Anschlusslinie  nach  Leoben  ab,  und  anderer- 
seits nimmt  die  Hauptlinie  ihren  Fortgang, 
zuerst  in  südlicher  Richtung,  entlang  der  3lur, 
die  zweimal  übersetzt  wird,  über  Kraubach 
nach  Knittelfeld,  dann  westwärts  gewendet 
überZeltweg  [Abzweigung  der  Bergwerksbahn 
nach  Fohnsdorfj  und  Judenburg  nach  Unz- 
markt. Fortan  in  südlicher  Richtung  empor 
zu  der  mächtigen  Wasserscheide  bei  Schauer- 
feld, dann  im  steten  Gefälle  weiterziehend, 
gelangt  die  Bahn  über  Neumarkt,  Frie- 
sach, Hirt,  Treibach  und  Launsdorf  [Ab- 
zweigung nach  Mosel],  nach  St.  Veit  an  der 
Glan,  wo  sie  sich  in  zwei  Arme  theilt,  deren 
einer  die  über  Glandorf,  Zollfeld  und  Annabichl 
nach  Klagenfurt  führende  Zweiglinie  bildet, 
der  andere  aber  die  Hauptlinie  in  westlicher 
Richtung,  über  Feldkirchen,  Steindorf  und 
die  am  Össiacher  See  gelegenen  Ortschaften, 
nach  Villach  |Anschluss  an  die  Südbahn] 
fortsetzt.  Daselbst  schliesst  die  Ergänzungs- 
linie nach  Tarvis  an,  deren  letztes  Stück, 
welches,  ober  sich  die  Reichsstrasse  mit 
ihren  vielen  Kunstbauten,  unter  sich  die 
tiefeingerissene  Schlitza-Schlucht,  besonders 
romantisch  ist.  Von  Tanns  aus  nach  Süd- 
osten hin,  im  Savethal,  geht  die  weitere 
Fortsetzung  der  Bahn  über  Assling,  Rad- 
mannsdorf, Krainburg,  Bischoflack,  Zwi- 
schenwässern und  Yizmarje  nach  Lai- 
bach [Anschluss  an  die  Südbahn].  Auf 
diesem  Zuge  übersetzt  die  Trace  die 
Wasserscheide  bei  Ratschach,  mehrere 
Thäler  und  Gewässer,  so  die  Save  [wieder- 
holt], den  Zeyerfluss,  den  Weissenbach 
u.  a.  m. 

Die  Flügelbahn  Hieflau-Eisenerz  führt 
durch  einen,  unmittelbar  hinter  der  Ab- 
zweigestation beginnenden  Tunnel  in  den 
Rangirbahnhof  [der  Flügelbahn]  und  dann 
bei  fortwährender  Steigung  über  Radmer 
und  Münichthal  nach  Eisenerz.  Sie  über- 
setzt dreimal  den  Erzbach  und  einmal 
den  Felsbach  Der  Platz  für  den  Rangir- 
bahnhof Hieflau  musste  ebenso  wie  jener 
für  die  Station  Radmer  durch  grossartige 
Felsensprengungen  gewonnen  werden. 

Die  Nebenlinie  zu  dem  kärntnerischen 
Erzberge  bei  Mosel  zweigt  in  Launsdorf 
ab,  übersetzt  die  Gurk  und  führt  in  nörd- 
licher Richtung  längs  des  Gertschitzbaches, 
dessen  Ufer  viermal  gewechselt  werden 
[Holzbrücken],  über  Brückl,  Eberstein  und 
Klein-St.  Paul  nach  Mosel,  wo  die  Berg- 
werksbahn nach  Hüttenberg  anschliesst. 
[Vgl.  Abb.  15-30.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


27 


Zurückkehrend  zu  dem  chronologischen 
Ausgangspunkte  dieser  .Mittheilungen, 
ist  vor  Anderem  der  a.  h.  Entschliessung 
vom  25.  März  1867  zu  gedenken,  mit 
welcher  die  schon  in  dem  früheren  Ab- 
schnitte*) besprochenen,  als  Anhang  zu 
den  Concessions-Urkunden  der  damaligen 
>jungen  Bahnen«  zwischen  diesen  und 
der  Regierung  vereinbarten  Verträge 
sowie  deren  von  den  ersteren  Compaciscen- 
ten  nachträglich  erbetenen  Abänderungen 


a.  h.  Genehmigung  vom  9.  April  1867 
[beziehungsweise  vom  30.  Juni  1866] 
zwischen  der  Regierung  und  der  S  U  d  b  a  h  n 
abgeschlossenen  Vertrage  vom  13.  April 
1867  ihren  Ausdruck  fanden.  Diese  Ge- 
sellschaft besass  bis  dahin  die  staatliche 
Garantie  eines  5-2°/0igen  Reinerträg- 
nisses, war  aber  verpflichtet,  die  Hälfte 
desselben,  falls  und  soweit  es  7%  des 
Anlage-Capitales  übersteigt,  vom  Jahre 
1870  an  zur  Abzahlung  des  Kaufschillings- 


Abb.  17.    Gross-Reifling.    [1869.] 


endgiltig  genehmigt  und  sohin  die  un- 
erquicklichen Garantie-Streitigkeiten  bei- 
gelegt wurden,  unter  denen  jene  Bahnen 
[Elisabeth-Bahn,  Theissbahn,  Süd-nord- 
deutsche Verbindungsbahn,  Böhmische 
Westbahn]  seit  dem  Jahre  1863  viel  zu 
leiden  hatten.  —  [Finanzministerial-Erlass 
vom  24.  April   1867.] 

Sodann   müssen  wir   bei    den  Trans- 
actionen    verweilen,    welche  in    dem    mit 


*)  Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oesterreich-Ungarns 
von  den  ersten  Anfängen  bis  zum  Jahre  1867. 
Seite  470  n.  ff. 


restes  für  die  ihr  überlassenen  ehemaligen 
staatlichen  Linien  zu  verwenden  [vgl. 
Bd.  I,  Theil  1,  Seite  434];  nun  verzichtete 
die  Südbahn  auf  die  Netto- Garantie  und 
tauschte  hiefür  sowie  für  einige  neu  über- 
nommene Verpflichtungen  ein :  die  Garantie 
eines  Brutto-Erträgnisses  von  100.000  fl. 
pro  Meile  und  die  Verbindlichkeit  zur  Ab- 
stattung des  Kaufschillingsrestes  mit  einem 
Zehntel  des  Brutto-Erträgnisses,  soweit  es 
107.000  fl.,  beziehungsweise  einem  Viertel, 
soweit  es  1 10.000  fl.  pro  Meile  übersteige, 
jedoch  mit  der  Einschränkung,  dass  in  dem 
Falle,  als  die  Gesellschaft  vom  1.  Januar 
1880  an  die  Einkommensteuer  zu  entrichten 


28 


Ignaz  Konta. 


haben  sollte,  die  Zahlung  des  Zehntels, 
beziehungsweise  Viertels  an  den  Staat 
insolange  und  in  dem  Masse  nicht  statt- 
finde, als  es  zur  Entrichtung  der  Ein- 
kommensteuer in  Anspruch  genommen 
werden  müsste;*)  ferner  die  Verlänge- 
rung der  Concessionsdauer  um  14  Jahre 
[nämlich  auf  99  Jahre  vom  I.  Januar  1870 
an]  und  der  Steuerfreiheit  um  1 1  Jahre 
[nämlich  bis  I.  Januar  1880]  —  und  die 
Enthebung  von  der  Obliegenheit  des 
Baues  der  Strecke  Marburg-Pettau. 

Die  hauptsächlichsten  der  neu  einge- 
gangenen Verpflichtungen  der  Gesellschaft 
waren :  die  Ausführung  des  Hafenbaues  in 
Triest  für  Rechnung  des  Staates  gegen  ein 
Entgelt  von  13,500.000  fl. ;  die  Herab- 
setzung der  Frachttarife  für  grössere  Ent- 
fernungen ;  das  gänzliche,  beziehungsweise 
vorübergehende  Aufgeben  des  conces- 
sionsmässigen  Vorrechtes  auf  verschiedene 


*)  Aus  diesen  Bestimmungen  [Artikel  10 
und  12  des  Vertrages]  entwickelte  sich  in  dem 
Augenblicke,  als  die  Steuerfreiheit  aufhörte, 
ein  Rechtsstreit,  der  fünfzehn  Jahre  andauerte. 
Das  Finanzministerium  verlangte,  obwohl  das 
Brutto-Erträgnis  nach  Abzug  der  Einkommen- 
steuer und  der  verschiedenen  Zuschläge  nicht 
mehr  jene  Höhe  hatte,  die  einen  Anspruch  des 
Staates  begründete,  dennoch  eine  Kaufschil- 
lingsrate, weil  die  Südbahn  die  Einkommen- 
steuer zum  Theile  auf  die  Prioritäre  über- 
wälzt hatte  und  die  obige  Vertragsbestim- 
mung sich  angeblich  gar  nicht  auf  die  »auto- 
nomen« Steuerzuschläge  beziehe.  Die  Ge- 
sellschaft hingegen  lehnte  die  Forderung, 
unter  Hinweis  auf  den  Wortlaut  des  Ver- 
trages, beharrlich  ab,  worauf  sie  von  der 
Staatsverwaltung  zuerst  beim  Handelsgerichte 
und,  als  dieses  sich  für  incompetent  erklärt 
hatte,  bei  dem  zuständigen  Schiedsgerichte 
geklagt  wurde.  Eine  Entscheidung  kam  da- 
mals nicht  zustande.  Die  Anträge  der  Süd- 
bahn blieben  unerledigt  und  die  ganze  Sache 
gerieth  ins  Stocken  bis  anlässlich  der  in  der 
jüngsten  Zeit  geführten  Verhandlungen  über 
die  von  der  Gesellschaft  beabsichtigte  Auf- 
nahme eines  Investitions-Anlehens  die  Regie- 
rung die  Austragung  dieses  Rechtsstreites 
zur  Vorbedingung  machte.  Daraufhin  wurde 
das  Schiedsgericht  von  beiden  Streittheilen 
übereinstimmend  ersucht,  das  unterbrochene 
Verfahren  wieder  aufzunehmen  und  das  Ur- 
theil  zu  fällen.  Dies  geschah  durch  den 
Schiedsspruch  vom  24.  Februar  1897,  womit 
zu  Recht  erkannt  wurde: 

Es  habe  für  die  Auslegung  und  Anwen- 
dung des  dritten  Absatzes  des  Art.  12  des 
Uebereinkommens  vom  13.  April  1867,  R.-G.- 
Bl.  69,  der  Grundsatz  zu  gelten,  dass  das 
nach   Absatz  2    des  Art.    12    des  bezogenen 


Linien;  die  Verpflichtung  zum  Baue  einer 
Bahn  von  Kottori  [Kanizsa]  nach  Bares 
und  einer  Zweiglinie  von  Brück  a.  d. 
Mur  nach  Leoben. 

Dass  diese  Abmachungen  für  die  Ge- 
sellschaft gewinnbringend  gewesen  seien, 
ja  sogar  dass  sie  dabei  auch  nur 
volle  Gleichwerthigkeit  der  eingetauschten 
Rechte  und  Pflichten  erzielt  hätte,  wurde 
seither  von  ihren  Interessenten  wiederholt 
angezweifelt.  In  der  Generalversamm- 
lung vom  30.  April  1867  theilten  jedoch 
die  Actionäre  die  Befriedigung,  welche 
der  Verwaltungsrath  über  den  Vertrags- 
schluss  zu  erkennen  gab,  ebenso  wie  sie 
mit  Genugthuung  die  hoffnungsreiche 
Schilderung  der  Zukunft  ihres  Unter- 
nehmens vernahmen.  Dieselbe  hat  sich 
allerdings  anders  gestaltet;  daran  ist  aber 
fast  ausschliesslich  die  übermässige  Kost- 
spieligkeit der   ersten  Geldbeschaffungen 


Uebereinkommens  zur  Abstattung  des  Rest- 
betrages der  laut  §  15  derConcessions-Urkunde 
vom    23.  September  1858   zu   zahlenden  Ab- 
lösungssumme bestimmte  Zehntel  des  Brutto- 
erträgnisses,   soweit  dasselbe  107.000  fl.,   be- 
ziehungsweise Viertel  des  Bruttoerträgnisses, 
soweit  dasselbe  1 10.000  fl.  pro  Jahr  und  Meile 
übersteigt,  zunächst  zur  Äbstattung  der  der 
Gesellschaft  obliegenden  Zahlung  der  vollen 
staatlichen    Einkommensteuer   sammt    staat- 
lichen   Zuschlägen    sowie    zur   Zahlung    der 
Hälfte  der  nichtärarischen  Umlagen  und  Zu- 
schläge zur  Einkommensteuer  zu  verwenden 
i   ist,  ohne    Rücksicht    darauf,    ob    die  Gesell- 
schaft in  Anwendung  des  den  Steuerträgern 
!   in  §  23    des  Einkommensteuer-Patentes  vom 
j   29.  October  1849    eingeräumten  Rechtes    die 
Steuer  von  den  Passivzinsen  ihren  Gläubigern 
in  Abzug  bringt  oder  nicht;    dass  somit  nur 
|   der  allenfalls    verbleibende  Rest  zur  allmäh- 
:   liehen    Abstattung    des    noch    aushaftenden 
Restbetrages    der    Ablösungssumme    an    die 
Staatscasse  abzuführen  ist. 

Die  auf  Grund  dieses  Schiedsspruches 
für  die  Jahre  1880  bis  einschliesslich  1895 
fällig  gewordene  Abschlagszahlung  auf 
den  Kaufschillingsrest  für  die  Linie  Wien- 
Triest  zuzüglich  der  6°/0igen  Verzugszinsen 
bis  zum  Zahlungstage  [3 f.  März  1897]  be- 
trug 1,669.949  fl.  78  kr.,  welche  Summe  aus 
dem  Erlöse  des  4%  igen  Mark-Anlehens 
bedeckt  wird. 

Die  unverzinsliche Kaufschillingsrestschuld 
für  die  Linie  Wien-Triest  und  weiters  auch 
jene  für  die  lombardisch-venetianischen  Linien, 
welch  letztere  nach  vollständiger  Tilgung  der 
ersteren  Schuld  nach  den  gleichen  Grund- 
sätzen abzustatten  ist,  betragen  sohin  noch 
32,707.791  fl.  53  kr.  [Vgl.  Geschäfts-Bericht 
der  Südbahn  pro  1896.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


29 


schuld,    welche    die    Höhe    des    Anlage- 
Capitals  verdoppelten. 

Die  auf  Grund  des  Vertrages  auszu- 
führenden zwei  neuen  Linien,  hatten 
schon  darum  vermehrte  Wichtigkeit 
für  die  Gesellschaft,  weil  beide  den 
übrigen  gesellschaftlichen  Linien  reich- 
haltige  Lager   guter   Kohle   erschliessen, 


Anlage  an  anderer  Stelle  bereits  ausführ- 
lich geschildert  wurde,*)  bildet  mit  ihren 
Steigungs-  und  Krümmungsverhältnissen 
und  den  vielen  Kunstbauten  ein  würdiges 
Seitenstück  zur  Semmeringbahn ;  sie  besitzt 
zwar  keinen  Scheiteltunnel,  dafür  aber 
eine  grössere  Anzahl  und  Gesammtlänge 
an    Tunnels    [22    mit   zusammen  5233  in 


Abb.  18.    Ennsraauer-Tunnel. 


und  zwar  die  ungarische  Linie  das 
Fünfkirchner,  die  österreichische  das 
Leobner  Becken.  Ihr  Bau  hat  im  Sep- 
tember 1867  begonnen  und  war  nach 
Jahresfrist  vollendet.  Die  Eröffnung  fand 
am   1.  September  1868  statt. 

Wenige  Tage  vor  der  Inangriffnahme 
dieser  beiden  Linien,  am  24.  August  1867, 
wurde  die  »Brennerbahn«  dem  Betriebe 
übergeben.  Diese  schwierige,  von  dem 
gesellschaftlichen  Baudirector  Karl  von 
Etzel  vorbereitete,  im  Jahre  1864  begon- 
nene und  von  Achilles  Thommen  im  Ver- 
ein mit  Pressel   vollendete    Bahn,    deren 


Länge],  davon  zwei  mit  Kehren,  welche 
hier  zum  ersten  Male  in  Anwendung 
kamen. 

Während  des  Jahres  1867  verpflanzte 
sich  die  neue  Eisenbahn-Bauthätigkeit 
auch  in  die  östlichsten  Gemarkungen 
Oesterreichs,  da  sowohl  die  Carl  Ludwig- 
Bahn,    als    auch    die    Lemberg-Czerno- 


*)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oesterreich-Ungarns 
von  den  ersten  Anfängen  bis  1867.  Seite 
415  u.  ff. 


3° 


Ignaz  Konta. 


witzer  Bahn  am  15.  Mai  1867  die  Con- 
cession  zur  Fortsetzung  ihrer  Linien 
erhielten  und  beide  Gesellschaften  unver- 
weilt  zur  Ausführung  des  Weiterbaues 
schritten. 

Die  Strecke  Lemberg-Brody- 
Russische  Grenze  war  schon  in 
der  ersten  Concession  für  die  Carl 
Ludwig-Bahn  [1857]  inbegriffen;  die 
Concessionirung  dieser  Linie  wurde 
jedoch  auf  Ansuchen  der  Gründer  dieser 
Bahn  wieder  fallen  gelassen  und  ihnen 
in  der  abgeänderten  Concession  vom 
7.  April  1858  nur  das  Vorrecht  vor 
dritten  Bewerbern  vorbehalten.  Als  nun 
Jahre  vergingen,  ohne  dass  die  Gesell- 
schaft sich  um  den  Fortsetzungsbau 
weiter  bekümmerte,  nahm  die  Brodyer 
Kaufmannschaft  sich  dieses  Projectes 
rührig  an  und  gab  damit  den  Anstoss 
zu  mehreren  interessant  gestalteten  Be- 
werbungen, die  ebensowohl  die  Brodyer 
als  wie  die  ostgalizische  Strecke  nach 
Tarnopol  zum  Gegenstande  hatten. 

Neben  dem  emeritirten  Ober-Ingenieur 
der  Carl  Ludwig-Bahn  Ladislaus  Z  a  p  a  1  o- 
wicz,  der  auf  Grund  der  Bewilligung  vom 
26.  September  1864  eingehende  Vor- 
arbeiten durchgeführt  hatte,  befasste  sich 
der  Ingenieur  Giles  von  der  englischen 
Bauunternehmung  der  Lemberg-Czerno- 
witzer  Bahn  mit  dem  Projecte  und  gleich- 
zeitig bildete  der  Präsident  der  Carl 
Ludwig-Bahn,  Leo  Fürst  Sapieha,  in  Ge- 
meinschaft mit  dem  General  -  Secretär 
dieser  Gesellschaft,  Dr.  Johann  Ritter 
von  Herz,  und  dem  Grafen  Severin  Bor- 
kowski  ein  Consortium,  das  eine  eigene 
Gesellschaft  für  die  neuen  Strecken 
gründen  wollte  und  sich  bereits  von  Seite 
der  alten  Bahn  sowohl  des  Verzichtes 
auf  ihr  diesbezügliches  Vorrecht  als  auch 
der  Betriebführung  auf  jenen  Strecken 
vergewissert  hatte.  Diesem  Consortium 
traten  die  österreichische  Credit- Anstalt 
in  Verbindung  mit  dem  Bankhause  To- 
desco,  das  ebenfalls  im  Verwaltungsrathe 
der  Carl  Ludwig-Bahn  vertreten  war, 
und  schliesslich  noch  eine  andere  Ver- 
einigung gegenüber,  an  deren  Spitze  sich 
der  Fürst  Sanguszko,  Graf  Alfred  Potocki 
und  das  Mitglied  des  Verwaltungsrathes 
der  Carl  Ludwig-Bahn  Graf  Wladimir 
Borkowski  befanden. 


Diese  Constellation  blieb  nicht  un- 
beachtet ;  denn  angesichts  der  durch 
den  Wettbewerb  dreier  mit  der  Ver- 
waltung der  Carl  Ludwig- Bahn  in  Be- 
rührung stehenden  Gruppen  erwiesenen 
Bedeutung  der  Fortsetzungsstrecken,  warf 
sich  von  selbst  die  Frage  auf,  warum 
die  Concession  nicht  von  dem  hiezu  ohne- 
hin bevorrechteten  Stammunternehmen 
angestrebt  werde.  Daher  erschien  es 
blos  als  naturgemäss,  dass  der  Fürst 
Sapieha  und  der  General-Secretär  von 
Herz,  wie  auch  die  Gruppe  der  Credit- 
Anstalt  wieder  von  der  Bewerbung  zu- 
rücktraten [1866].  Die  anderen  früheren 
Genossen  des  Fürsten  Sapieha,  unter 
nunmehriger  Führung  des  Grafen  Severin 
Borkowski,  und  das  Consortium  des 
Fürsten  Sanguszko  hielten  jedoch  die 
Concurrenz  aufrecht  und  setzten  sie 
eifriger  denn  je  fort.  Beide  riefen  die 
Unterstützung  der  Landeshauptstadt  an, 
unter  dem  Versprechen,  den  neuen  Bahn- 
hof innerhalb  der  Stadt  zu  errichten, 
wie  der  Gemeinderath  dies  unablässig 
wünschte  und,  in  Anhoffung  der  baldigen 
Sicherstellung  des  so  rege  umworbenen 
Bahnbaues,  auch  durch  eine  eigens  ent- 
sendete Deputation  an  den  Stufen  des 
Thrones  erbeten  hatte  [December    1866]. 

Nun  gab  aber  die  Verwaltung  der 
Carl  Ludwig-Bahn  denn  doch  die  Zurück- 
haltung auf,  in  der  sie  —  laut  des  Be- 
richtes an  die  XI.  ausserordentliche 
Generalversammlung  —  lediglich  wegen 
des  bislang  in  Zweifel  gestandenen  An- 
schlusses an  die  russischen  Bahnen  ver- 
harrt hatte ;  sie  machte  in  einem  directen 
Concessions-Gesuche  ihr  Vorrecht  geltend 
[März  1867]  und  gewann  damit  die 
Oberhand,  wenngleich  um  den  Preis 
einer  namhaften  Ermässigung  der  Tarife 
auf  allen  ihren  Linien. 

Die  Gesellschaft  erhielt,  wie  schon 
oben  erwähnt,  am  15.  Mai  1867  die 
Concession  zum  Weiterbau  von  Lern- 
b  e  r  g  einerseits  nach  B  r  o  d  y,  andererseits 
nach  Tarnopol  und,  im  Falle  des 
Ausbaues  der  russischen  Bahnen  b  i  s  a  n 
die  Reichsgrenze,  zum  Anschlüsse 
an  die  letzteren,  unter  Zusicherung  eines 
Reinerträgnisses  von  50.000  fl.  pro  Meile 
und  Gewährung  einer  neunjährigen  Steuer- 
freiheit.    Die  Baufrist  war  auf  längstens 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


31 


Abb.   IQ.     Rangirbahnhof  in  Hieflau.    [1S69.] 


drei  Jahre,  gerechnet  vom  15.  Januar 
1868,  festgesetzt. 

Da  die  [XL]  ausserordentliche  General- 
versammlung vom  15.  Mai  1867  die  Er- 
werbung dieser  Concession  genehmigte 
und  den  Verwaltungsrath  zur  Aufbringung 
des  Baufondes  im  vorläufigen  Betrage 
von  15,000.000  fl.  ermächtigte,  konnte 
sogleich  zur  Durchführung  des  Projectes 
geschritten    werden. 

Die  Geldbeschaffung  erfolgte  durch 
Ausgabe  von  20.000  Actien  [Emission 
II]  ä  210  fl.,  welche  bis  auf  4000  Stück 
von  den  Besitzern  der  älteren  Actien 
bezogen  wurden,  sowie  ferner  durch  eine 
grossentheils  an  die  Credit-Anstalt  be- 
gebene [IL]  Emission  fünfprocentiger 
Prioritäts-Obligationen  im  Betrage  von 
10,800.000  fl. 

Die  Vergebung  des  Baues  der  Strecke 
Lemberg-Krasne-Brody  ging  am  1 7.  Juli 
vor  sich;  Ersteher   blieb    ein   galizisches 


Consortium  mit  dem  Fürsten  Adam 
Sapieha  an  der  Spitze,  welches  für 
eine  Pauschalvergütung  von  4,176.374  fl. 
sich  verpflichtete,  die  Grundeinlösung 
und  die  gesammten  Bauarbeiten  zu  be- 
werkstelligen und  die  Bahn  bis  I.  Octo- 
ber  1868  dem  Betriebe  zu  übergeben. 
Die  Schienen,  den  Fahrpark  und  die 
Ausrüstungsgegenstände  beschaffte  die 
Gesellschaft  selbst. 

Der  Bau  begann  im  Monate  August 
und  trug  viel  zur  Linderung  des  Noth- 
standes  bei,  welcher  infolge  der  in  den 
ersten  Julitagen  eingetretenen  grossen 
Ueberschwemmungen  in  Galizien  unter 
der  Landbevölkerung  herrschte.  Gleich- 
fairs  noch  im  Monate  August  fanden  die 
von  den  beiderseitigen  Regierungen  ein- 
geleiteten commissionellen  Verhandlungen 
in  Betreff  des  Anschlusses  der  öster- 
reichischen und  russischen  Bahnen  bei 
Woioczyska    statt,      welche    das     durch 


32 


Ignaz  Konta. 


spätere  Ministerial-Erklärungen  ratificirte 
Uebereinkommen  vom  8.  und  20.  August 
1867  zum  Ergebnisse  hatten  und  die 
Weiterführung  der  Tarnopoler  Strecke 
bis  an  die  Reichsgrenze  sogleich  ermög- 
lichten. Den  Bau  der  kurzen  Theilstrecke 
Krasne-Zloczöw  übernahm  gleichfalls  das 
Consortium  des  Fürsten  Sapieha  gegen 
eine  Pauschalvergütung  von  770.OOO  fl. 
und  im  Uebrigen  gleiche  Bedingungen 
wie  bei  den  früher  erstandenen  Arbeiten ; 
die  restliche  Strecke  Zloczöw-Tarnopol- 
Podwoloczyska  wurde  erst  im  December 
1868,  in  Lose  getheilt,  an  vier  Unter- 
nehmer gegen  Pauschalvergütung  von 
zusammen  5,614.0400.  [exclusive  Grund- 
einlösung] vergeben. 

Unvorhergesehene  Hindernisse  der  ver- 
schiedensten Art  —  Mangel  an  Arbeits- 
kräften, ungünstige  Witterungsverhält- 
nisse, zumeist  aber  die  vielen  Schwierig- 
keiten, welche  allenthalben  der  Grundein- 
lösung bereitet  wurden  —  verzögerten  die 
Bauarbeiten  so  sehr,  dass  die  Strecken 
Lemberg-Krasne-Brody  und 
Krasne-Zloczöw,  zusammen  H7'3  km, 
erst  am  12.  Juli  1869,  die  Strecke  Zlo- 
czöw-Tarnopol,  64  km  [für  den 
Gesammtverkehr],  am  1.  August  1871*) 
und  die  Endstrecke  Tarnopol-Podwo- 
loczyska-Reichsgrenze,  52*9  km, 
am  4.  October  1871  eröffnet  werden 
konnten. 

Inzwischen  waren  mit  Ermächtigung 
der  Generalversammlungen  vom  24.  Mai 
1869  und  vom  8.  Mai  1871  weitere 
Actien  und  Prioritäten  im  Betrage  von 
16,000.000  fl.  zum  Zwecke  der  Be- 
deckung des  Bauaufwandes  ausgegeben, 
beziehungsweise  den  Besitzern  der  älteren 
Titel  zum  Bezüge  überlassen  worden. 
Der  Bau  der  7-3  km  langen  Theilstrecke 
von  B  r  o  d  y  bis  an  die  russische 
Grenze  bei  Radziwilöw  wurde  zwar 
schon  im  Sommer  1870,  d.  i.  gleich 
nachdem  die  Kiew -Brester  Bahn  den 
Yerwaltungsrath  der  Carl  Ludwig-Bahn 
benachrichtigt  hatte,  dass  die  russische  Re- 
gierung jene  Gesellschaft  zur  Herstellung 
der       Verbindungsstrecke      Radziwilöw- 


*)  Für  den  Güterverkehr  wurde  diese 
Strecke  am  22.  December  1870  in  Benützung 
genommen. 


Oesterreichische  Grenze  verpflichtete, 
vollständig  vorbereitet,  seine  Inangriff- 
nahme aber,  wegen  der  lange  aushaftend 
gebliebenen  Ratification  des  bezüglichen 
internationalen  Uebereinkommens  vom 
9.  und  21.  November  1870,  bis  in  den 
Sommer  1872  hinausgeschoben. 

Er  wurde  von  der  Unternehmung 
Wenzel  Breiter  und  J.  Gomulinski  aus- 
geführt und  in  Jahresfrist  vollendet;  die 
Betriebseröffnung  fand  am  27.  August 
1873  statt,  also  gerade  noch  zur  rechten 
Zeit,  um  den  damals  aus  Russland  zu- 
geströmten Getreidetransporten  die  zweite 
Äbfuhrstrasse  zu  erschliessen.  Die  Kosten 
des  Baues  wurden  aus  den  Geldmitteln  be- 
deckt,welche  die  auf  Grund  des  Beschlusses 
der  Generalversammlung  vom  6.  Mai  1872, 
für  verschiedene  gesellschaftliche  Zwecke 
[zumeist  Xachschaffungen  und  Recon- 
structionen]  auf  den  alten  Linien,  erfolgte 
neuerliche  Ausgabe  von  Actien  und 
Prioritäts  -  Obligationen  im  Gesammtbe- 
trage  von  14,000.000  fl.  einbrachte. 
Damals  hatte  das  Gesellschaftscapital  die 
Höhe  von  nominale  82,080.000  fl.,  wogegen 
die  Anlagekosten  der  Linie  Krakau- 
Lemberg  46,254.000  fl.  und  jene  der 
Fortsetzungsstrecken  32,766.000  fl.  be- 
trugen. 


Die  Trace  der  Linie  Lemberg-Podwolo- 
czyska  zieht  von  dem  alten  Bahnhofe  in 
Lemberg  um  die  Stadt  nach  Podzamcze, 
übersetzt  mittels  Eisenbrücken  den  Thalein- 
schnitt und  den  Peltewbach,  um  nach  Krasne 
[Abzweigung  nach  Brody]  und  dann  über 
Kniaie,  Zloczöw,  Pluchöw,  Zboröw,  Jezierna, 
HJuboczek  wielki  nach  Tarnopol  zu  gelangen, 
von  wo  aus  sie  im  Hügellande  an  die  Reichs- 
grenze  bei  Podwoloczyska  führt,  wo  jenseits 
des  Grenzflusses  Zbrucz  der  Anschluss  an 
die  russischen  Bahnen  [Balta,  Odessa]  statt- 
findet. Der  Brodyer  Flügel  zweigt  in  Krasne 
ab,  übersetzt  auf  einer  Eisenbrücke  den  Bug- 
fluss  und  führt,  mehr  nördlich  gewendet,  über 
Ozydöw,  Zablotce  und  Brody  an  die  Reichs- 

frenze  bei  Radziwilöw  zum  Anschlüsse  an 
ie  Kiew -Brester  Bahn.  Zwischen  Brody 
und  Radziwilöw  liegt  neben  dem  normal- 
spurigen  auch  ein  breitspuriges  Geleise,  damit 
die  beiderseitigen  Fahrbetriebsmittel  bis  in 
die  genannten  Grenzstationen  verkehren 
können.*)  Ausser  hohen  Dämmen  und  tiefen 
Einschnitten  zwischen  Lemberg-Podzamcze 
[bei  Kleparöw]  und  hinter  Zloczöw  [im  coupirten 


*)  Die  meisten  russischen  Bahnen  haben 
bekanntlich  eine  Spurweite  von  1*524  [5' engl.]. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


33 


Terrain  bei  Plchöw]  waren  keine  besonders 
schwierigen  Bauanlagen  auszuführen.  [Vgl. 
Abb.  31-37] 

Wesentlich  rascher  und  einfacher  als 
der  Weiterbau  der  Carl  Ludwig-Bahn 
kam  jener  der  Lemberg-Czernowitzer 
Bahn  zustande,  die,  eingedenk  des  Her- 
ganges ihrer  eigenen  Gründung,  und  stets 
bemüht  an  Ausdehnung  und  Selbständig- 


Gewährleistung  eines  jährlichen  Reiner- 
trägnisses von  700.000  fl.  sowie  einer  neun- 
j ährigen  Steuerfreiheit  verliehen  wurde. 
Unmittelbar  darnach  übernahmen  die 
Anglo-österreichische  Bank  die  vorläufige 
Beistellurtg  der  Geldmittel  und  der  Unter- 
nehmer Thomas  Brassey  die  Bauarbeiten. 
Letzterer  verpflichtete  sich,  den  Bau  und 
die  Ausrüstung,  mit  Ausnahme   der  Ge- 


Abb.  20.     Gesäuse-Eingang.     [Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  E.  Scherner,  Villach.] 


keit  zu  gewinnen,  jede  hiezu  sich  bietende 
Gelegenheit,  auch  ohne  fremde  Da- 
zwischenkunft,  mit  wahrem  Eifer  erfasste. 
Sie  versuchte  also,  nachdem  das  Vor- 
haben, ihre  Linie  auf  russischem  Gebiete 
bis  an  das  Schwarze  Meer  zu  führen,  an 
dem  Widerstreben  der  russischen  Re- 
gierung gescheitert  war,  den  Weg  dahin 
über  Rumänien  zu  finden  und  strebte 
zunächst  für  die  österreichische  Strecke 
Czernowitz-Suczawa  die  Concession 
an,  welche  ihr  am  15.  Mai  1867,  mit 
dem  Rechte  zum  eventuellen  Ausbaue 
der  Bahn  bis  an  die  Reichsgrenze,  unter 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Theil. 


bäude  und  des  Fahrparkes,  für  eine 
Pauschalvergütung  von  7,295.000  fl.  zu 
vollführen  und  die  ganze  Linie  bis  läng- 
stens Ende  1869  betriebsfähig  fertig  zu 
stellen. 

Der  Bau  wurde  concessionsgemäss 
noch  im  Herbste  1867  begonnen,  um  der 
von  einer  Hungersnoth  heimgesuchten 
Bevölkerung  der  Bukowina  ehestens  Er- 
werb zu   schaffen. 

Als  hierauf  die  Generalversamm- 
lung vom  27.  April  1868  alle  diese 
Massnahmen  genehmigt  und  für  die 
bleibende     Bedeckung      der     Baukosten 


34 


Ignaz  Konta. 


durch  eine  Prioritäten-Emission  von  nomi- 
nale 12,000.000  fl.  vorgesorgt  hatte,  wen- 
dete sich  der  Yerwaltungsrath  den  weit- 
reichenden ausserösterreichischen  Plänen 
zu,  indem  er,  wegen  der  augenblicklichen 
statutarischen  Unzulässigkeit,  eine  fremd- 
ländische Concession  für  die  bestehende 
Gesellschaft  zu  erwerben,  durch  ein  aus 
seinen  österreichischen  und  Londoner  Mit- 


Bahn  von  der  österreichischen  Grenze 
nach  Jassy,  Galatz  und  Bukarest  ertheilt. 
Allein  eine  plötzliche  Auflösung  der 
Kammern  verschleppte  die  Angelegenheit, 
deren  Erledigung  sich  so  günstig  ange- 
lassen hatte.  Es  stellten  sich  auch  Con- 
currenten  ein;  der  preussische  Bauunter- 
nehmer Dr.  Bethel  Henry  Strausberg  im 
Vereine   mit   den   Herzogen  von  Ratibor 


Abb.  21.     Tunnel  am  Gesäuse-Eingang. 


gliedern  und  dem  Bauunternehmer  Brassey 
zusammengesetztes  Consortium  mit  der 
rumänischen  Regierimg  in  Unterhandlung 
trat. 

\Yäre  es  bei  dem  ersten  Ergebnisse 
derselben  verblieben,  so  hätte  das  Con- 
sortium sich  bald  am  Ziele  seiner 
Wünsche  gesehen ;  denn  vorbehaltlich 
der  Zustimmung  der  Kammern,  welche 
für  Beginn  November  zu  einer  ausser- 
ordentlichen Session  einberufen  worden 
waren,  hatte  die  rumänische  Regierung  dem 
Consortium   bereits  die  Concession  einer 


und  von  Ujest  wollte  das  ganze  moldau- 
walachische  Bahnnetz,  —  die  englische 
Unternehmung  Gebrüder  Waring  &  Chap- 
man  die  Linien  Michaileny-Jassy-Galatz- 
Bukarest  ausführen. 

Das  gab  der  rumänischen  Regie- 
rung die  Möglichkeit,  günstigere  Be- 
dingungen und,  durch  die  Auftheilung 
des  Bahnnetzes  an  verschiedene  Unter- 
nehmungen, eine  schnellere  Herstellung 
desselben  zu  erzielen.  So  fiel  denn  mit 
Zustimmung  der  im  Mai  1868  neuerlich 
zusammengetretenen    Kammern   nur    die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


35 


Concession  für  die  Linie  Suczavva-Jassy 
mit  den  Flügelbahnen  nach  Botosani 
und  Roman  dem  österreichischen  Con- 
sortium  zu,  unter  der  Bedingung,  dass 
die  unverzüglich  in  Angriff  zu  nehmenden 
Bauten  binnen  zwei  Jahren  vollendet 
werden,  wogegen  die  Regierung  den 
Concessionären  das  Expropriationsrecht, 
eine    Bausubvention   von   40.000   Francs 


ischen  Linien  sowie  zu  deren  Vollendung 
bis  längstens  im  Sommer  1870  ver- 
pflichtete und  hiefür  die  Bausubvention 
der  rumänischen  Regierung  und  gesell- 
schaftliche Titel  im  Betrage  von  nomi- 
nale 25,600.000  fl.  in  Zahlung  nahm. 

Der  Werth  der  rumänischen  Con- 
cession für  die  Lemberg  -  Czernowitzer 
Bahn    war   unverkennbar;    denn    obzwar 


Abb.  22.     Brücke  über  den  Wagenbach  und  Tunnel  bei  Goggau. 


pro  Kilometer,  eine  zehnjährige  Einfuhr- 
zoll- und  Steuerfreiheit  gewährte  und  ein 
jährliches  71/2°/o'&es  Reinerträgnis  von 
einem  Capitale  von  3,743.250  Francs  = 
I>497-3°°  A-  Silber  garantirte. 

Die  Ausfertigung  der  Concessions- 
Urkunde  erfolgte  am  7.  und  19.  Juni  1868, 
sodann  am  13.  Juli  der  Abschluss  des 
Bauvertrages  mit  dem  Unternehmer 
Thomas  Brassey,  der  sich  in  analoger 
Weise  wie  rücksichtlich  der  Suczawaer 
Bahn,  zur  Ausführung  auch  der  moldau- 


sie  das  gesellschaftliche  Project  der 
Pontusbahn  nicht  verwirklichte,  bewahrte 
sie  doch  die  österreichische  Linie  davor, 
eine  Sackbahn  zu  bleiben  und  überdies 
bot  diese  Concession  ergiebige  finanzielle 
Hilfsmittel,  die  allein  schon  den  Theil- 
habern  gute  Einkünfte  dauernd  sicherten. 
Die  ausserordentliche  Generalversamm- 
lung vom  15.  October  1868  beschloss  da- 
her glattweg,  diese  Concession  sammt  allen 
Rechten  und  Pflichten  in  den  Besitz  der 
bestehenden  Gesellschaft  zu  übernehmen, 


36 


Ignaz  Konta. 


Abb.  23.    Leoben  [1869]- 


deren  bisherige  Statuten  demgemäss  ab- 
zuändern, ihr  fortan  die  Firma:  »Lern- 
berg-Czernowitz  -Jassy-  Eisen- 
bahn« zu  geben  und  das  Baucapital 
für  die  moldauischen  Linien  durch  Aus- 
gabe von  50.000  Actien  [II.  Emission] 
ä  200  fl.  und  52.000  Prioritäts-Obliga- 
tionen [III.  Emission]  ä  300  fl.  zu  be- 
schaffen. Vermöge  eines  weiteren  Ab- 
kommens erwarb  die  Anglo-österreichische 
Bank  diese  Titel  von  dem  Unternehmer 
Brassey  und  überliess  die  Actien  den 
Besitzern  der  alten  Lemberg  -  Czerno- 
witzer  Actien  zum  Preise  von  140  fl. 
pro  Stück;  die  Prioritäten  aber  wurden 
theils  freihändig  begeben,  theils  zum 
Curse  von  6o,0/0  zur  öffentlichen  Zeichnung 
aufgelegt. 

Die  österreichische  Strecke  Czerno- 
witz-Suczawa-Reichsgrenze[8o/9&?H] 
wurde,  wiewohl  ihre  Terrainverhältnisse 
ungünstige  gewesen  und  bedeutende  Erd- 
arbeiten bedingten,  am  28.  Qctober  1869 
eröffnet. 

Diese  Trace  geht  in  gerader  Verlängerung . 
der  Linie  Lemberg-Czernowitz  von  letzterer 
Station  durch  den  sogenannten  Judengraben 
auf  die  benachbarte  Hochebene,  dann  über 
einige  Bäche  und  die  Kaiserstrasse  hinweg 
ins  Dereluithal,  und  in  diesem  stetig  an- 
steigend bis  Kuczurmare,  hernach  wieder  über 


mehrere  Bäche  in  die  gebirgige  Gegend  bei 
Kiczera  und  Hliboka,  welche  in  tiefen  Ein- 
schnitten und  auf  grossen  Dünen  passirt  wird, 
um  schliesslich  im  Sereththale  nach  Czerep- 
koutz  zu  gelangen.  Nach  Uebersetzung  des 
Serethflusses  [Eisenbrücke]  steigt  die  Bahn  zur 
Wasserscheide  bei  Baince  hinan,  gewinnt  in 
Hadikfalva  die  Ufer  der  Suczawa,  entlang  deren 
sie  an  der  Seite  der  Kaiserstrasse  bis  Itzkanv 
zieht,  wo  die  Grenzstation  Suczawa  errichtet 
ist,  weil  dies  in  der  nebengelegenen  Stadt 
gleichen  Namens  nicht  ausführbar  war. 

Die  rumänische  Fortsetzungsstrecke 
Suczawa-Roman  [102^9  km]  wurde  am 
15.  December  1869  und  ihre  Ausästung 
von  Pascani  nach  Jassy  [76-6  km]  am 
1.  Juni  1870  eröffnet.  Dagegen  konnte 
der  Flügel  Veresti-Botosani  [44' 5  km] 
erst  am  1.  November  187 1  dem  Betriebe 
übergeben  werden. 

Noch  immer  nach  einer  thunlichst 
unmittelbaren  Verbindung  mit  dem 
Schwarzen  Meere  ausblickend,  machte 
sich  die  Gesellschaft,  als  die  Strecke 
Pascani-Jassy  der  Vollendung  entgegen 
ging,  die  Erlangung  der  Concession  für  die 
Linie  Jassy-Kischeneff  zur  Aufgabe.  Nicht 
minder  wollte  sie  ihre  Expansionslust  auch 
auf  heimatlichem  Boden  befriedigen  und 
von  Lemberg  aus,  einerseits  nach  Norden 
bis  an  die  russische  Grenze  bei  Tomaszöw, 
andererseits   nach  Süden    über  Stryj  und 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


37 


Skole  bis  an  die  ungarische  Grenze  am 
Beskid,  Schienenwege  bauen. 

Vielleicht  wären  ihr  auch  diese  gross 
angelegten  und  von  der  Generalversamm- 
lung vom  28.  April  1870  gutgeheissenen 
Pläne  geglückt,  wenn  nicht  damals  schon 
jene  späterhin  eingetretenen  Gescheh- 
nisse, welche  der  Gesellschaft  so  viele 
Widerwärtigkeiten  bereiteten,  ihre  ersten 
Schatten  vorausgeworfen  hätten. 

Wiederholte,  öffentlich  vorgebrachte 
Beschwerden  über  Verkehrsstörungen 
und  mangelhafte  Sicherheit  des  Be- 
triebes veranlassten  die  staatliche  Auf- 
sichtsbehörde zu  ernsten  Mahnungen 
und  einige  Monate  darauf  sogar  zur 
Entsendung  eines  eigenen  Commissärs, 
der  bevollmächtigt  war,  die  genaue  Aus- 
führung der  vom  Ministerium  angeord- 
neten Reconstructionen  an  Ort  und  Stelle 
zu  überwachen,  etwaige  ungeeignete  Ver- 
fügungen der  gesellschaftlichen  Organe 
zu  sistiren  und  erforderlichenfalls  die 
nothwendigen  Arbeiten  selbst  zu  ver- 
anlassen [November  1870]. 

Die  nächste  Sorge  und  Thätigkeit 
der  Gesellschaft  musste  also  darauf  ge- 
richtet   sein,     ihre    vorhandenen    Linien 


gehörig  in  Stand  zu  setzen  und  das  all- 
gemeine Zutrauen  zu  bewahren,  be- 
ziehungsweise wieder  zu  gewinnen. 

Ausser  den  bisher  bereits  besprochenen 
Bahnlinien  gelangten  im  gleichen  Zeit- 
abschnitte noch  einige,  schon  früher  con- 
cessionirt  gewesene  Strecken,  zur  Ausfüh- 
rung, beziehungsweise  Vollendung,  so  na- 
mentlich :  die  Fortsetzung  der  Aussig- 
Tep litzer  Bahn  nach  Dux  [io'i  km],  der 
Schwadowitzer  Flügel  [26'5  km]  der  Süd- 
norddeutschen Verbindungsbahn, 
die  Strecke  Oderberg-Teschen  [31  '6  km] 
der  unter  grossen  Mühseligkeiten  zustande 
gekommenen  Kaschau-Oderberger 
Bahn,  die  Linien  der  Böhmischen  Nord- 
bahn [142-5  km]*)  und  die  bald  nach  ihrer 
Eröffnung  aus  der  Zugehörigkeit  zum 
österreichischen  Bahnnetze  ausgeschiede- 
nen Strecken  der  Siebenbürger  Bahn 
und  der  Ungarischen  Nordbahn.**) 


*)  Es  wurden  eröffnet  am  14.  November 

1867  Bakov-B.-Leipa  [448  km];  am  16. Januar 

1868  B.-Leipa-Rumburg  [46  km],  Bodenbach- 
Tannenberg  [401  km],  Kreibitz-Neudörfel- 
Warnsdorf  [11-4  km]. 

*•)  Vgl.  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach, 
Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreich- 
Ungarns  von  den  ersten  Anfängen  bis  1867. 


Abb.  24.    Villach  [i96g|. 


38 


Ignaz  Konta. 


Die  Anfangsperiode  des  vierten  Jahr- 
zehntes der  österreichischen  Locomotiv- 
Eisenbahn-Aera  gewann  jedoch  nicht  allein 
durch  die  während  derselben  wieder- 
erstandene und  fast  über  das  ganze  Reich 
ausgebreitete  Eisenbahn  -  Bauthätigkeit 
eine  epochale  Bedeutung  für  den  Entwick- 
lungsgang unseres  Eisenbahnwesens, 
sondern  auch  durch  die  Zweitheilung, 
die  dasselbe  aus  Anlass  der  damaligen 
tiefgreifenden  Aenderungen  in  dem  poli- 
tischen Gefüge  der  Monarchie  erfahren 
hat. 

Die  staatsrechtlichen  Auseinander- 
setzungen mit  Ungarn  hatten  zu  einem 
»Ausgleiche«  geführt,  kraft  dessen  die 
Länder  der  ungarischen  Krone  nun  ein 
mit  eigener  Regierung  und  Gesetzgebung 
ausgestatteter  selbständiger  Staat  —  das 
Königreich  Ungarn  —  sind,  der  mit  den 
übrigen,  ebenfalls  einen  gesonderten  Staat 
—  das  Kaiserthum  Oesterreich  —  bil- 
denden, cisleithanischen  Königreichen  und 
Ländern  bündnismässig  mancherlei  An- 
gelegenheiten —  hauptsächlich  die  aus- 
wärtigen einschliesslich  der  diplomati- 
schen und  commerziellen  Vertretung, 
ferner  die  internationalen  Verträge,  das 
Kriegswesen  mit  Inbegriff  der  Kriegs- 
marine, die  Zollgesetzgebung,  das  Münz- 
wesen, das  Wehrsystem  etc.  —  hin- 
sichtlich des  Eisenbahnwesens  aber  nur 
jene  gemeinsam  hat,  die  das  Interesse 
beider  Reichshälften  berühren.  [Gesetz 
vom  21.  December  1867.]  Es  ging  sohin, 
bald  nachdem  die  Einsetzung  der  könig- 
lich ungarischen  Regierung  stattgefunden 
[17.,  beziehungsweise  20.  Februar  1867], 
zunächst  die  Ueberwachung  des  Baues 
und  Betriebes  der  in  Ungarn  gelegenen 
Bahnlinien  in  die,  vorerst  mit  Beihilfe 
österreichischer  Kräfte  und  als  Expositur 
der  österreichischen  Aufsichtsbehörde 
errichtete  »Königlich  Ungarische 
Eisenbahn-Inspection«  [1.  Juli 
1867],  dann  aber,  fortschreitend  mit 
der  Ausgestaltung  der  königlich  unga- 
rischen Centralstellen,  allmählich  die  Ge- 
sammtheit  der  ungarischen  Eisenbahn- 
Agenden  in  das  Ressort  des  dortigen 
Communications  -  Ministeriums 
über. 

Entsprechend  dieser  Wandlung,  wie 
auch    der    in    dem    a.  h.  Handschreiben 


vom  14.  November  1868  verkündeten 
Bezeichnung  des  Gesammtreiches  als 
»Oesterreichisch-Ungarische  Mon- 
archie«, gruppirten  sich  die  Eisen- 
bahnen desselben  fortan  in  österrei- 
chische, ungarische  und  gemein- 
same, d.  h.  solche,  deren  Linien  in 
beiden  Staatsgebieten  liegen.  Diese  ge- 
meinsamen Bahnen  nahmen,  laut 
Uebereinkunft  der  beiderseitigen  Regie- 
rungen, das  Domicil  in  der  Hauptstadt 
desjenigen  Staates,  in  welchem  die  Aus- 
dehnung der  betreffenden  Linien  eine  grös- 
sere war.  Demgemäss  verblieb  damals  die 
oberste  Leitung  der  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft und  der  Südbahn  in  Wien, 
während  die  Kaschau-Oderberger  Bahn 
ihren  Sitz  nach  Budapest  verlegte,  wohin 
alsbald  auch  dieVerwaltungen  der  Theiss- 
Bahn,  Siebenbürger  Bahn  und  Alföld- 
Bahn  übersiedelten.  Im  Jahre  1870 
war  die  neue  Ordnung  der  Dinge  voll- 
endet. 

Den  österreichischen  Landen  brachte 
die  neue  Gliederung  der  Monarchie  die 
Wiederherstellung  der  am  20.  September 
1865  sistirten  Verfassung  und  die  Ein- 
berufung des  Reichsrathes  [20.  April  1 867], 
dessen  überaus  fruchtbare  Thätigkeit  im 
Anbeginne  wohl  nur  eine  fast  durchaus 
politische  gewesen;  sobald  jedoch  die 
am  21.  December  1867  verlautbarten 
neuen  Staatsgrundgesetze  geschaffen 
waren,  wendete  man  sich  in  hervor- 
ragendem Masse  auch  dem  wirthschaft- 
lichen  Leben  zu,  insbesondere  nach- 
dem das  Ministerium  B  e  u  s  t,  das  am 
7.  Februar  1867  an  die  Stelle  des 
Cabinets  Belcredi  getreten,  von  dem 
Ministerium  Auersperg  —  dem  so- 
genannten Bürgerministerium  —  abgelöst 
worden  war  [30.  December  1867]. 

Die  ersten  wieder  zur  verfassungs- 
mässigen Behandlung  gelangten  Eisen- 
bahnfragen betrafen  die  Concessionirung 
des  »n  ord  westlich  -böhmischen 
Bahnnetzes«  und  der  »Oesterreichi- 
schen  Nordwestbahn«. 

Die  bezüglichen  Gesetzesvorlagen 
wurden  am  16.  December  1867  im  Abge- 
ordnetenhause eingebracht  und  von  diesem 
zwei  Tage  später  dem  volkswirtschaft- 
lichen Ausschusse  mit  dem  Auftrage  zuge- 
wiesen,  »die  Berathung  zu  beschleunigen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


39 


Abb.  25.    Bahnhof  Tarvis.    [1870.] 


und  in  den  nächsten  Sitzungen  nach 
Wiederaufnahme  der  Berathungen  des 
Reichsrathes  Bericht  zu  erstatten«.  Dabei 
gewann  die  Behandlung  der  Vorlage  über 
das  nordwestlich -böhmische  Bahnnetz 
einen  kleinen  Vorsprung. 

Den  Namen  »nordwestlich-böh- 
misches Bahnnetz«  oder  »Böhmi- 
sche Nordwestbahn«  trugen  die 
Linien  P r a g-S aaz-Komota u-W e  i  p  e  rt- 
Sächsische  Grenze  gegen  Annaberg 
und  Pries en-Karlsbad-Eger,  die 
in  ihren  Hauptzügen  bekanntlich  schon 
früher  einmal,  und  zwar  Kacic-Weipert 
am  25.  August  1865  an  Hermann  Oehme 
und  Bruno  Hempel  und  Prag-Rakonitz- 
Falkenau-Eger  nebst  Zweigbahn  Janessen- 
Karlsbad  am  26.  August  1865  an  das 
Consortium  des  Grafen  Eugen  Czernin 
concessionirt  waren,  jedoch,  weil  die 
Unternehmer  das  erforderliche  Capital 
nicht  aufzubringen  vermochten,  unausge- 
führt blieben  und  jetzt  neuerlich  ange- 
strebt wurden.  *)  Ein  Engländer  Hr.  Eaton, 


*)  Vgl.  Bd  I,  I.  Theil,  H.  Strach,  Eisen- 
bahnen ohne  Zinsengarantie,  Seite  360. 


der    im  Saazer    und    Egerer  Kreise    auf 
Kohlen    schürfte    und    mit    den  Conces- 
sionären    der     Linie    Kacic-Weipert    in 
Beziehungen  gestanden,  bemühte  sich  um 
die  Vorarbeiten,  ohne  dass  bekannt  wurde, 
ob  er  dies   im  eigenen    oder  für   wessen 
Interesse  sonst  thue.   Auch  Graf  Czernin 
machte  Anstrengungen  um  die  Aufrecht- 
erhaltung oder  Erneuerung  der  ihm  ver- 
liehenen Concession.    Die  Buschtöhrader 
Bahn,  die  schon  im  Jahre  1861   die  Vor- 
concession    für    eine  Verlängerung  ihrer 
Lana'er     Linie     nach    Rakonitz     sowie 
i  späterhin   auch    jene    für    die  Weiperter 
|   Linie  erhalten,    jedoch    die    Vorarbeiten 
j  im  Hinblicke  auf  die  vorerwähnten  Con- 
|   cessionirungen  unterbrochen  hatte,    voll- 
endete   sie    nun  und    schritt  sodann  um 
die  Eröffnung  der  Concessions-Verhand- 
lungen  rücksichtlich    eben    dieser  Linien 
i  ein,  während  ein  von  Functionären  der- 
selben     Gesellschaft      [Verwaltungsrath 
Dr.    Josef    Tragy     und    Director     Josef 
|  Kress]    vertretenes   Consortium    sich    um 
die    Saaz-Egerer    Bahn    bewarb    und    in 
einer     die     Vortheile      der     Zusammen- 
fassung    dieser    Linien     mit    jenen    der 


40 


Ignaz  Konta. 


Buschtßhrader  Bahn  darlegenden  Peti- 
tion an  das  Abgeordnetenhaus  [über- 
reicht 20.  Juli  1867],  die  Verleihung 
der  Concession  an  diese  Gesellschaft 
und  ihre  Verbündeten  erbat.  Weitere 
Bewerber  waren  noch :  die  Sächsisch- 
böhmische Industrie-  und  Bergbau-Ge- 
sellschaft und  Graf  Emil  Wimpffen,  zu 
dessen  Gunsten  die  erstere  wieder  Ver- 
zicht leistete. 

Als  aber  die  Regierung  sich  gleich- 
falls zu  der  Anschauung  bekannte, 
dass  die  Vereinigung  der  sämmtlichen 
projectirten  Linien  unter  eine  Verwal- 
tung wünschenswerth  sei,  überreichte 
die  Buschtßhrader  Bahn,  der  damals  die 
Bauunternehmer  Gebrüder  Klein  und 
A.  Lanna  zur  Seite  standen,  am  3.  No- 
vember 1867  das  Gesuch  um  die  Con- 
cession für  das  ganze  Netz  und  bean- 
spruchte für  die  Linie  Prag-Sächsische 
Grenze  die  Gewährung  eines  Staatsvor- 
schusses von  4,000.000  fi.,  für  die  Linie 
Saaz-Komotau-Eger  hingegen  die  Zinsen- 
garantie für  das  mit  850.000  fl.  pro 
Meile  berechnete  Baucapital.  Die  Re- 
gierung, darauf  bedacht,  den  Staats- 
schatz so  wenig  als  möglich  zu  be- 
lasten und  bei  einem  einheitlich  zu  con- 
cessionirenden  Bahnnetze  nicht  zweier- 
lei staatliche  Begünstigungen  in  Anwen- 
dung zu  bringen,  nahm  für  dasselbe 
nebst  einer  zwanzigjährigen  Steuerfrei- 
heit eine  Betheiligung  des  Staates  mit 
5,000.000  fl.  und  erst  in  zweiter  Reihe 
die  Gewährung  einer  Zinsengarantie  in 
Aussicht. 

Auf  diese  Bedingungen  war  denn 
auch  diö  am  16.  December  1867  im 
Abgeordnetenhause  eingebrachte  Gesetzes- 
vorlage aufgebaut,  und  die  mit  derselben 
einverstandene  Gesellschaft  glaubte  nun 
ihrem  Ziele  —  der  Befreiung  ihres 
Unternehmens  aus  seiner  bisherigen 
Isolirtheit  —  umso  sicherer  nahe  zu  sein, 
als  die  im  Jahre  1865  verliehenen  Con- 
cessionen  für  die  Weiperter  und  die 
Egerer  Bahn,  über  a.  h.  Entschliessung 
vom  14.  December  1867,  für  verfallen 
erklärt  wurden. 

Da  erstand  aber  der  Gesellschaft 
ganz  unvermuthet  in  der  Firma  Gebrüder 
Klein,  die  nunmehr  in  Verbindung  mit 
der    österreichischen    Credit-Anstalt    die 


Concession  selbständig  erwerben  wollte, 
ein  mächtiger  Widerpart,  der  trotz  seiner 
hohen  Anforderungen  an  den  Staat  — 
Zinsengarantie  für  ein  Anlage-Capital  von 
beiläufig  900.000  fl.  pro  Meile  —  viele 
Parteigänger  sowie  bei  einem  namhaften 
Theile  der  Publicistik  eifrige  Unter- 
stützung gefunden  hatte.  Insbesondere 
von  letzterer  Seite  wurde  der  Buscht6- 
hrader  Bahn  hart  zugesetzt ;  man  machte 
ihr  den  Anwurf,  dass  sie  gar  nicht  wirk- 
lich bauen,  sondern  die  Concession  nur 
zu  erlangen  trachte,  um  andere  Bewerber 
zu  verdrängen  und  auf  diese  Weise  das 
im  Bunde  mit  dem  » Kohlen verschleiss- 
V  ereine«  geschaffene  »Monopol  der  Ver- 
sorgung Prags  und  des  mittleren  Böhmens 
mit  mineralischem  Brennstoff«  und  den 
hieraus  fliessenden  »übermässigen  Ge- 
winn« sich  möglichst  lange  zu  sichern. 
In  die  Vertheidigung  der  Gesellschaft 
theilten  sich  eine  ganze  Reihe  der  von 
den  projectirten  Linien  berührten  Ge- 
meinden und,  mit  seltener  Ueberein- 
stimmung,  die  Journale  des  Landes. 
Allesarnrnt  verwiesen  auf  den  grossen 
Unterschied  zwischen  den  Angeboten  der 
beiden  concurrirenden  Bewerber  und 
sagten  es  rund  heraus,  dass  die  Anfor- 
derungen des  Consortiums  Klein-Credit- 
Anstalt  ein  geschäftliches  Gepräge  an 
sich  trügen,  während  jene  der  Buschtö- 
hrader  Bahn  jedweden  Finanzgewinn  von 
selbst  ausschlössen.  Von  gegnerischer  Seite 
erfolgten  dann  Angriffe  auf  die  Tarife  der 
Buschtöhrader  Bahn,  doch  auch  diese 
Angriffe  fanden  schnelle,  überzeugende 
Abwehr.  Die  Fürsprecher  der  Gesellschaft 
berechneten,  dass  die  von  dem  Con- 
sortium  Klein-Credit-Anstalt  zugesagten 
verbilligten  [sogenannten  Enquete-]  Tarife, 
bei  Zuschlag  der  gleichzeitig  für  die 
erste  Zeit  verlangten  2O0/uigen  Erhöhung, 
im  Wesentlichen  den  von  der  BuschtÖ- 
hrader  Bahn  vorgeschlagenen  glichen  — 
und  führten  wieder  die  Höhe  des  von 
dem  Consortium  veranschlagten  Anlage- 
Capitals  ins  Treffen,  die  eine  Anwen- 
dung jener  Tarife  gar  nicht  oder  nur 
ausschliesslich  auf  Kosten  des  garan- 
tirenden  Staatssäckels  zulassen  würde. 
Diese  gelungene  Defensive  und  mehr 
noch  das  offene  Eintreten  der  Handels- 
kammern in  Prag  und  Eger    sowie    des 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


41 


böhmischen  Landesausschusses,  der  Stadt- 
gemeinde Prag  und  der  böhmischen 
Statthaltern  für  die  Buschtt'hrader  Bahn 
gaben    derselben    eine    kräftige    Stütze. 


vermöge  deren  die  Gesammtlänge  der  Bahn 
um  zwei  Meilen  und  dementsprechend 
das  Anlage-Capital  auf  38,000.000  fl.  ver- 
ringert   erschien,    hatte   zur  Folge,    dass 


Abb.  26.     Brücke  über  die  Schlitza-Schlucht. 
[Nach  einer  Photographie  von  Alois  Beer  in  Klagenfurt.] 


Das  letzte  Wort  war  aber  noch  lange 
nicht  gesprochen.  Eine,  knapp  vor  Beginn 
der  Verhandlungen  des  Reichsrathes, 
dem  Handelsministerium  überreichte  neue 
Offerte  des  Consortiums,  welche  nebst 
Anderem  eine  Tracenänderung  vorschlug, 


der  Meinungszwiespalt  sich  noch  ver- 
grösserte  und  bis  ins  Parlament  drang. 
Schon  die  Berathungen  des  volkswirth- 
schaftlichen  Ausschusses  lieferten  kein 
einheitliches  Ergebnis;  die  Majorität  be- 
antragte mit  Zustimmung  des  Ministeriums 


42 


Ignaz  Konta. 


Abb.  27.     Weissenbach-Viaduct. 
[Nach  einer  Photographie   von  Prof.  Reiner  in  Klagenfurt.] 


eine  staatliche  Unterstützung  in  Form 
einer  Zinsengarantie  von  850.000  fl.  pro 
Meile,  die  Minorität  hingegen,  unter 
Aufrechthaltung  der  alten  Fassung  des 
Gesetzentwurfes,  auch  den  »Subventions- 
modus* ;  weiters  wollte  die  erstere  eine 
völlige  Neugestaltung  des  Tarifsystems, 
letztere  dagegen  die  Annahme  der  nie- 
drigsten Ziffern  der  allgemein  in  Gel- 
tung stehenden  Tarife.  In  gleicher  Weise 
spitzten  sich  die  Gegensätze  im  Abge- 
ordnetenhause selbst  zu.  Die  Berathungen 
wären  daher  noch  langwieriger  gewor- 
den,  vielleicht  sogar  ganz  unfruchtbare 
geblieben,  wenn  nicht  der  Handels- 
minister v.  Plener  vermittelnd  einge- 
griffen hätte.  Er  gab  die  Erklärung  ab, 
dass  die  Regierung  den  von  ihrer  Vor- 
gängerin eingebrachten  Gesetzentwurf, 
obzwar  er  ihr  wenig  zusagte,  im  Interesse 
der  Beschleunigung  der  Angelegenheit 
nicht  zurückgezogen  und,  mit  Rücksicht 
auf  die  Lage  der  Staatslinanzen,  von 
einer    Baarsubvention    abgerathen    habe, 


jedoch  sich  mit  derselben 
befreunden  wolle,  soferne 
der  Staatsverwaltung  bei 
der  Concessions  -  Verlei- 
hung die  Concurrenz  meh- 
rerer Bewerber  offen  bleibe 
und  darauf  gesehen  werde, 
dass  nicht  solche  Bestim- 
mungen in  das  Gesetz 
aufgenommen  würden,  die 
nur  einem  Bewerber  ange- 
nehm, für  den  anderen 
aber  unerfüllbar  seien. 
So  wurden  denn  beide 
Unterstützungsarten  zuge- 
lassen,  dabei  allerdings 
die  Zinsengarantie  auf 
890.000  fl.  pro  Meile  er- 
höht, die  Tarife  theils  nach 
dem  Majoritäts-,  theils 
nach  dem  Minoritäts- 
antrage des  Ausschusses 
angesetzt  und  die  Flügel- 
bahnen nach  Rakonitz  und 
Franzensbad  definitiv  zur 
Ausführung  bestimmt.  In 
dieser  Fassung  ging  das 
Gesetz  an  das  Herrenhaus, 
erfuhr  jedoch  daselbst 
einige  kleine  Abände- 
rungen, weshalb  es  nochmals  an  das  Ab- 
geordnetenhaus zurückgeleitet  werden 
musste,  wo  es  am  25.  Mai  1868  endgiltige 
Annahme  fand.  Die  a.  h.  Sanction  ward 
ihm  am  3.  Juni   1868  zutheil.*) 

Nun  setzte  das  Handelsministerium 
die  Verhandlungen  mit  den  Bewerbern  • 
fort,  wobei  das  Consortium  Klein-Credit- 
Anstalt  zwar  von  seiner  ursprünglichen 
Offerte  noch  weiter  herabging,  doch  an  der 
Garantie  eines  5"2°/0igen  Reinerträgnisses 
festhielt  —  die  Buschtehrader  Bahn  aber 
sowohl     hinsichtlich     der    Erfolglassung 


*)  Im  Artikel  V,  Zahl  7,  dieses  Gesetzes 
sind  sowohl  für  den  Personen-  als  auch  für 
den  Güterverkehr,  insbesondere  aber  für 
Massenartikel  neue,  d.  h.  billigere  Maxi- 
m  a  1-T  a  r  i  f  e  festgesetzt,  die  nicht  blos  in 
die  Concession  der  »Böhmischen  Xordwest- 
bahn«,  sondern  auch  bei  späteren  Conces- 
sionirungen  zur  Geltung  gebracht  wurden. 
Dieses  Gesetz  brachte  daner  eine  wichtige 
Neuerung  auf  dem  Gebiete  des  Tarifwesens. 
[Näheres  vgl.  Bd.  III,  A.  Pauer,  Frachten- 
Tarife.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


43 


und  Rückzahlung  des  Staatsvorschusses, 
als  auch  in  Betreff  der  Tarife,  ins- 
besondere für  Massengüter,  Zugeständ- 
nisse machte  und  hiedurch  den  ent- 
scheidenden Sieg  errang. 

Sie  erhielt  am  I.  Juli  1868  die  auf 
90  Jahre  lautende  Concession  für  die 
Linie  von  Prag  [Smichow]  an  die  säch- 
sische Grenze  zum  Anschlüsse  an  die 


Actien  des  ganzen  Netzes,  und  zwar  zum 
Emissionscurse  derselben  rückzuzahlender 
Baarvorschuss  im  Betrage  bis  5,000.000  fl., 
ferner  für  zwölf  Jahre  die  volle  und  für 
weitere  acht  Jahre  die  halbe  Steuer- 
freiheit. 

Die  ausserordentliche  Generalver- 
sammlung vom  7.  Juli  1868  genehmigte 
die  Erwerbung    dieser    Concession,    und 


Abb.  28.     Arbeitsprovisorium  über  die  Save.     [Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Bauzeit.] 


Chemnitz-Annaberger  Bahn  nebst  einer 
Flügelbahn  nach  R  a  k  o  n  i  t  z,  dann  für  die 
Linie  von  Priesen  durch  das  Egerthal 
über  K  a  r  1  s  b  a  d  nach  E  g  er  nebst  Zweig- 
bahn nach  Franzensbad,  mit  der  Ver- 
pflichtung, diese  neue  Strecke  mit  den 
alten  gesellschaftlichen  Linien  in  Verbin- 
dung zu  bringen,  den  Bau  binnen  zwei 
Monaten  zu  beginnen  und  binnen  drei 
Jahren  zu  vollenden.  Als  staatliche  Unter- 
stützung wurden  der  Gesellschaft  in 
dieser    Concession    zugesichert:    ein    in 


beschloss  rücksichtlich  ihrer  Durchführung 
folgende  Massnahmen :  Die  Strecke 
Kac-ic-Priesen  sowie  die  Flügelbahn 
nach  Rakonitz  und  die  Verbindung 
Hostivic-Smichow  gelten  als  Erweiterung 
des  bisherigen  Unternehmens,  dagegen 
die  Strecken  Priesen-Sächsische  Grenze, 
Priesen-Eger  und  die  Flügelbahn  nach 
Franzensbad  als  ein  »weiteres«  Unter- 
nehmen der  Gesellschaft.  Demnach  solle 
der  Baufond  beschafft  werden :  durch 
Vermehrung     des     bestehenden    Actien- 


44 


Ignaz  Konta. 


capitals  um  1,615.950  fl.  [3078  Stück 
ä  525  A-]>  dann  durch  Ausgabe  von 
38.000  Actien  lit.  B  ä  200  fl. 
[=  7,600.000  fl.]  und  von  5°/0igen  Priori- 
täts-Obligationen im  Gesammtbetrage  von 
15,000.000  fl. ;  die  Actien  sollten  zum 
vollen  Nennwerthe  begeben  werden  und 
wäre  rücksichtlich  jener  der  lit.  A  in  erster 
Reihe  den  Besitzern  der  alten  Actien 
das  Bezugsrecht  einzuräumen. 

Da  die  so  hart  erstrittene  Concession 
alle  die  Anschlüsse,  nach  welchen  die 
Gesellschaft  jahrelang  gestrebt  hatte, 
nicht  nur  gesichert,    sondern  ihr    in    die 


Abb.  29.    Launsdorf. 

eigene  Hand  gegeben  und  dadurch  mit 
einem  Schlage  auch  ihre  früher  gehegte 
Sorge,  ob  bei  andauernder  Vereinsamung 
des  alten  Theiles  der  Buschtöhrader 
Bahn  ein  Kostenaufwand  für  die  Um- 
und  Ausgestaltung  der  Pferdebahn  ge- 
rechtfertigt wäre,  behoben  hatte,  ging  der 
Verwaltungsrath  nun  vor  Allem  daran, 
den  Obliegenheiten  gerecht  zu  werden, 
welche  die  Gesellschaft  noch  auf  Grund 
der  ihr  am  1 1 .  Januar  1 867  [an  Stelle 
des  Privilegiums  vom  Jahre  1827  und 
der  Concession  vom  Jahre  1855]  ver- 
liehenen Concession  zu  erfüllen  hatte.*) 
Die  Gesellschaft  war,  wegen  der  eben 
erwähnten  Besorgnis,  bis  dahin  nicht  über 


*)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach,  Eisen- 
bahnen ohne  Zinsengarantie,  S.  362. 


die  Ausführung    der   am  27.  April   1868 
eröffneten      Verbindung       Prag  -  Bubna 
[3-3    km]    hinausgekommen.     Es    wurde 
daher  am  6.  Juli   1868    der  Umbau    der 
Pferdebahn  in  Angriff  genommen.    Zwei 
Monate  später  [1.  September]    begannen 
aber    auch    schon    die    Bauarbeiten    auf 
dem  neuen  Netze  und  es  herrschte  fortan 
auf  fast  allen  Baulinien  rege  Thätigkeit. 
Am    19.    December    1868    fand    zum 
Zwecke    der  Revision    der  Gesellschafts- 
Statuten    eine  ausserordentliche  General- 
versammlung statt.     Die  von   dieser   be- 
schlossenen   neuen    Satzungen    brachten 
die    Gliederung     des 
gesellschaftlichen  Un- 
ternehmens    in    zwei 
gesonderte     Gruppen 
[lit.     A    und    lit.    B] 
zum  vollen  Ausdrucke; 
denn      sie      verfügen 
die     Auseinanderhal- 
tung   der    Bau-    und 
Betriebsrechnungen 
beider   Gruppen    und 
die  getrennte  Verthei- 
lung  ihrer  Erträgnisse, 
insoferne       dieselben 
nicht     10%    des    be- 
treffenden Actiencapi- 
tals  übersteigen,   wo- 
gegen   ein     etwaiges 
Mehrerträgnis         zur 
Hälfte  an  die  Besitzer 
der    anderen    Actien- 
gattung  zuzuweisen  ist. 

Mit  diesen  Massnahmen  bekundete  die 
Gesellschaft  von  Neuem  ihr  geringes  Ver- 
trauen in  die  Ertragsfähigkeit  der  zur 
Gruppe  B  vereinigten  Linien  sowie  die 
Inschutznahme  der  Rente  des  alten  Unter- 
nehmens gegen  eine  Schmälerung  durch 
die  befürchtete  Unzulänglichkeit  der  Er- 
gebnisse der  neuen  Linien.  Viele  Jahre 
hindurch  schien  es  auch  wirklich,  als  ob 
dies  eine  richtige  Voraussicht  gewesen 
wäre;  in  der  neueren  Zeit  aber  bereitete 
die  glänzende  Entwicklung  des  Verkehrs 
auch  dieser  Linien  eine  angenehme  Ent- 
täuschung. 

Die  Geldbeschaffung  für  die  Neubauten 
erfolgte  nicht  auf  einmal ;  von  den  Obliga- 
tionen, deren  Vertrieb  die  Allgemeine  Cre- 
dit-Anstalt  in  Leipzig  übernommen  hatte, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


45 


Abb.  30.  Eberstein. 


fanden  bei  den  öffentlichen  Zeichnungen 
im  Juli  1868  und  Februar  1869  Theil- 
beträge  von  je  zwei  Millionen  Thaler  zum 
Curse  von  77 1ja  Silber  und  der  Rest  im 
freihändigen  Verkaufe  reissenden  Absatz ; 
von  den  3078  Actien  lit.  A  waren  1408 
Stück  im  September  1868  seitens  der 
bisherigen  Actionäre  zum  vollen  Nenn- 
werthe  bezogen,  die  übrigen  1670  Stück 
zur  theilweisen  Refundirung  des  Staats- 
vorschusses zurückgelegt  worden.  Von 
den  Actien  lit.  B  wurden  20.616  Stück 
gleichfalls  dem  letzteren  Zwecke  zuge- 
führt, 2000  Stück  für  Rechnung  der 
alten  Buschtehrader  Bahn  übernommen, 
die  restlichen  Stücke  aber  Ende  Ja- 
nuar 1870  im  Wege  der  öffentlichen 
Zeichnung    begeben. 

Der  Anwerth,  den  ihre  Titel  gefunden, 
veranlasste  die  Gesellschaft,  eine  aber- 
malige Erweiterung  ihres  Netzes  in  Aus- 
sicht zu  nehmen ;  sie  wollte  gemeinsam 
mit     der    Aussig- Teplitzer    Bahn     einen 


die  beiderseitigen  Linien  verbindenden 
Schienenweg  von  Preschen  [Aussig- 
Teplitzer  Bahn]  über  Laun  nach  Kunowa 
ausführen,  um  die  damals  mehrseitig  ge- 
plante Prag-Duxer  Bahn  überflüssig  zu 
machen,  ferner  beabsichtigte  sieden  Flügel 
Kladno-Schlan  zu  bauen,  die  Komotauer 
Linie  am  Kamm  des  Gebirges  von  Krima 
aus  bis  an  die  sächsische  Grenze  gegen 
Raitzenhain  zu  verlängern  und,  mit  Zu- 
stimmung der  ausserordentlichen  General- 
versammlung vom  10.  December  1870, 
welche  hiezu  die  Ausgabe  von  Prio- 
ritäts-Obligationen bis  zum  Betrage  von 
3,867.950  fl.*)  bewilligte,  eine  Anzahl 
von  Schleppgeleisen  zu  den  im  Bereiche 
des  eigenen  Netzes  liegenden  Gewerken 
herzustellen.    Einige  Monate   später  pro- 


*)  Diese  Prioritäten  übernahm  die  Union- 
bank, welche  sie  am  22.  Februar  1871  zur 
öffentlichen  Zeichnung  auflegte.  Dabei  war 
dieUeberzeichnung  so  gross,  dassReductionen 
bis  zu  40°'0  stattfinden  mussten. 


46 


Ignaz  Konta. 


jectirte  die  Buschtehrader  Eisenbahn 
überdies  die  Verbindung  Komotau- 
Brunnersdorf  sowie  die  Linien  Falkenau- 
Graslitz,  eventuell  Klingenthal,  Rakonitz- 
Jechnitz-Scheles  und  Rakonitz-Beraun. 

Für  diese  letztere  Serie  neuer  Bahnen 
und  zugleich  auch  für  die  Ausrüstung 
des  alten  Netzes  beschloss  die  ausser- 
ordentliche  Generalversammlung  vom  I 
5.  October  1871  eine  nach  Massgabe 
des  Bedarfes  vorzunehmende  Emission 
von  8882  Actien  lit.  A,  26.000  Actien 
lit.  B  und  98.600  Prioritäts-Obligationen, 
also  insgesammt  von  Werthen  im  Betrage 
von  24,653.000  fl. 

Es  kam  jedoch  damals  nur  die  Linie 
Komotau-Brunnersdorf  zustande,  die  \ 
eine  bedeutende  Wegkürzung  zwischen 
der  Aussig  -  Teplitzer  Bahn  und  der 
Karlsbad  -  Egerer  Route  bewirkt ;  sie 
wurde  auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
15.  Juni  1871,  am  4.  August  1871  als 
ein  integrirender  Bestandtheil  des  neuen 
Netzes  der  Buschtehrader  Bahn  con- 
cessionirt  und  war  binnen  Jahresfrist  zu 
vollenden. 

Die  neuerliche  Geldbeschaffung  be- 
schränkte sich  daher  auf  die  für  diese 
kleine  Linie,  dann  für  die  Ausrüstung  des 
alten  Netzes  erforderlichen  Mittel.  Es 
gelangten  demnach  Ende  November  1871 
zur  Ausgabe  5059  Actien  lit.  A  = 
2,655.975  fl.  sowie  19.000  Actien  lit  B 
=  3,800.000  fl.,  die  sämmtlich  durch  die 
Besitzer  älterer  Actien  bezogen  wurden, 
und  Prioritäts-Obligationen  im  Betrage 
von  4,500.000  fl.,  welche  die  Allgemeine 
böhmische  Bank  übernahm,  hernach  aber 
zum  Curse  von  87%  Silber  mit  bestem 
Erfolge  zur  Subscription  auflegte. 

Im  Jahre  1872  erhielt  die  Gesellschaft 
auch  noch  die  Concession  für  die  vor- 
genannte Linie  Krima-Raitzenhain. 
Dieselbe  beruht  auf  dem  Gesetze  vom 
28.  Juni  1872,  datirt  vom  12.  November 
1872,  erklärt  auch  diese  Zweigbahn  als 
einen  integrirenden  Bestandtheil  des  schon 
früher  concessionirten  gesellschaftlichen 
Bahnnetzes  und  bestimmt  als  Eröffnungs- 
termin den  Tag  der  Inbetriebsetzung  der 
sächsischen  Anschlussstrecke  Raitzenhain- 
Chemnitz.  Aus  Anlass  dieser  Ausdehnung 
ihres  Bahngebietes  vermehrte  die  Gesell- 
schaft  ihre  Fonds,    indem  sie  Ende  De- 


cember  1872  den  Rest  der  Actien- Emission 
vom  Jahre  187 1,  nämlich  3823  Actien 
lit.  A  und  7000  Actien  lit.  B,  an  die 
Besitzer  der  älteren  Werthe  hinausgab, 
und  zwar  die  ersteren  zum  Preise  von 
700  fl.,  die  letzteren  zum  Preise  von 
210  fl.  für  je  ein  Stück. 

Zu  jener  Zeit  war  der  Bau  des 
am  1.  Juli  1868  concessionirten  »nord- 
westlich-böhmischen Bahnnetzes«  sowie 
die  Umgestaltung  der  Pferdebahn  im 
Grossen  und  Ganzen  beendet.  Es  wurden 
eröffnet : 

Wejhybka-Lana,  als  Locomotivbahn,  12-gkm, 
am  "22.  April  1869. 

Karlsbad-Eger,  53-4  km,  am  19.  September  1870. 

Lana-Priesen-Komotau,  83-8  km,  am  4.  Fe- 
bruar 1871. 

Luzna-Rakonitz  [provis.Station],  6-3  km,  am 
5.  Juni  1871. 

Priesen  -  Karlsbad,  57-3  km,  für  den  Güter- 
veikehr  am  9.  November  1871;  für  den 
Gesammtverkehr  am  9   December  1871. 

Tirschnitz  -  Franzensbad,  33  km,  am  9.  De- 
cember 1871. 

Wejhybka-Duby,  69  km,  für  Güter,  am 
25.  Februar  1872. 

Komotau-Weipert-Sächsische  Grenze,  577  km, 
für  den  Güterverkehr  am  12.  Mai  1872;  für 
den    Gesammtverkehr   am  I.  August  1872. 

Smichow-Hostiwitz,  19-3  km,  für  den  Güter- 
verkehr am  3  Juli  1872 ;  für  den  Gesammt- 
verkehr am   16.  September  1872. 

Eine  erhebliche  Ueberschreitung  des 
concessionsmässig  festgesetzten  Eröff- 
nungstermins trat  daher  nur  rücksichtlich 
der  beiden  letztgenannten  Strecken  ein, 
doch  fand  sie  ihre  Rechtfertigung. 

Technische  Hemmnisse  hatten  den  Bau 
der  Weiperter  Strecke  verlangsamt,  und  als 
diese  zu  Beginn  des  Jahres  1872  endlich 
vollendet  war,  stand  es  ausser  Zweifel, 
dass  infolge  der  eingetretenen  grossen 
Abrutschungen  auf  der  sächsischen  An- 
schlussstrecke Weipert-Annaberg  die  ein- 
heitliche Eröffnung  der  ganzen  Linie 
Komotau- Annaberg  unmöglich  sei.  Darum 
wartete  die  Buschtöhrader  Bahn  mit  der 
Eröffnung  ihrer  Weiperter  Strecke  bis 
zum  Frühjahre,  um  den  Schwierigkeiten 
der  Inbetriebsetzung  einer  Gebirgsbahn 
während  der  rauhen  Jahreszeit  auszu- 
weichen. Auf  der  Smichower  Strecke 
aber  hatten  mannigfache  Anstände  bei 
der  Grundeinlösung,  dann  die  HluboJeper 
Thalübersetzung    und    nicht    minder   die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


Abb.  31.    Bauanlagen  der  Carl  Ludwig-Bahn  im  Jahre  1869.     [Nach  photographischen  Aufnahmen 
aus  der  Bauzeit  von  Jos.  Eder  in  Leinberg.] 


48 


Ignaz  Konta. 


langwierigen  Verhandlungen  über  die  von 
der  Regierung  angestrebte  Anlage  eines, 
allen  in  Smichow  einmündenden  Bahnen 
gemeinschaftlichen  Bahnhofes,  die  Ein- 
haltung der  Baufrist  vereitelt. 

Die  am  I.  November  1871  in  Angriff 
genommene  Verbindung  Komotau- 
Brunnersdorf  [12  km]  wurde  am 
1.  März  1873  dem  Betriebe  übergeben, 
ebenso  vier  Tage  später  das  Fragment 
Rakonitz  [provisorisch] — Rakonitz  [defi- 
nitiv], beziehungsweise  die  ganze  Linie 
Luzna-Rakonitz  für  den  Gesammtverkehr. 

Die  Zusammenfassung  all  der  vorge- 
nannten Strecken  zu  einem  Gesammtnetze 
veranschaulicht  seine  reiche  Verzweigung 
und  die  damit  erzielten  Verbindungen. 

Den  Grundstock  der  Buschtöhrader 
Bahn  bildet  demnach  die  von  Prag 
[Sandthor]  ausgehende,  ursprünglich  als 
Pferdebahn  erbaute,  späterhin  aber  bis 
Wejhybka,  beziehungsweise  bis  Lana  in 
eine  Locomotivbahn  umgewandelte  Linie, 
welche  anlässlich  dieser  Umgestaltung, 
von  Hostiwitz  aus,  mit  der  Station  Prag 
[Bubna]  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
verbunden  wurde.  Zunächst  kam  dann, 
gleichfalls  von  Hostiwitz  aus,  die  Einmün- 
dung in  Prag-Smichow  hinzu,  wo  damals 
auch  die  Böhmische  Westbahn  und  die 
Franz  Josef-Bahn  zusammentrafen.  Seit- 
dem galt  der  Bahnhof  in  Prag-Smichow 

CS  O 

als  eigentliche  Ausgangsstation  der  Busch- 
tchrader Bahn. 

Beide  Anfangsstrecken  liegen  in  Steigung  ; 
die  alte  führt  von  Bubna  in  einem  überwölb- 
ten Einschnitte  und  durch  den  »Baumgarten« 
zum  Prager  Sandthor-Bahnhofe,  dann  über 
den  unter  dem  Namen  «Sternthiergarten« 
bekannten  Ausflugsort  nach  Hostiwitz;  die 
neue  übersetzt  unweit  Smichow  auf  Via- 
ducten  zweimal  das  Hluboceper  Thal,  passirt 
dann  bedeutende  Felseinschnitte,  erreicht  bei 
ftepy  eine  Tiefstelle  des  gegen  die  Moldau 
abfallenden  Hochplateaus  des  Weissen  Berges 
und  dann  den  Gabelpunkt  Hostiwitz,  von 
wo  aus  die  alte,  umgebaute  Linie  nach  Wej- 
hvbka  [Abzweigung  nach  Kralup]  und  Lana 
führt.  Hier  beginnt  der  neue  Theil  des 
Buschtehrader  Bahnnetzes,  dessen  Hauptlinie, 
gleich  dem  letzten,  noch  bis  I.  October  1873 
bestandenen  Reste  der  Pferdebahn,  zunächst 
gegen  Rinholec  zieht.  Bei  diesem  Dorfe  ge- 
langt sie  zu  dem  Neustraschitzer  Hochplateau, 
dann  durch  einen  [488  m  langen]  Tunnel 
nach  Rene  und  Luzna  [Abzweigung  nach 
Rakonitz].  Nun,  statt  der  bisherigen  west- 
lichen  die    nordwestliche  Richtung  einschla- 


gend, entwickelt  sich  die  Trace  abwechselnd 
in  Steigungen  und  Gefällen,  an  Miloätin  und 
Satkau  vorüber,  gegen  das  Goldbachthal,  in 
welches  sie  nach  Durchbruch  eines  mächti- 
gen Weisssteinfelsens  bei  Schellesen  eintritt, 
um  bei  Michelob  auf  einer  18  m  hohen 
Brücke  auf  das  linke  Bachufer  zu  übersetzen, 
auf  dem  sie,  nordwärts  gewendet,  bis  Trno- 
van  verbleibt,  wo  sie  ins  Egerthal  gelangt. 
Unterhalb  Saaz  wird  die  Eger  übersetzt 
[Eisenbrücke]  und,  alsbald  wieder  eine  mehr 
westliche  Richtung  gewinnend,  passirt  die 
Bahn  von  Priesen  an  [Abzweigung  nach 
Weipert]  das  Komotauer  Braunkohlenbecken 
bis  Kaaden-Brunnersdorf  [Abzweigung  nach 
Komotau].  Von  hier  aus  im  Egerthale  nach 
Westen  ziehend  und  bei  Klösterle  und  Warta 
das  Flussufer  wechselnd,  bleibt  die  Bahn  dann 
am  linken  Egerufer  bis  sie  hinter  Wickwitz, 
nach  Durchbruch  schroff  hervortretender 
Basaltfelsen,  in  das  Wistritzbachthal  einbiegt, 
um  über  Schlackenwerth  in  Serpentinen  auf 
das  Hochplateau  bei  Neudau,  dann  hinab  zur 
Zettlitzer  Höhe  zu  gelangen,  auf  welcher  die 
Station  Karlsbad  angelegt  ist.  Hier  tritt  die 
Bahn  in  das  Falkenauer  Braunkohlenbecken, 
verlässt  aber  das  Egerthal,  in  welches  sie 
vor  Falkenau  wieder  zurückkehrt,  um  dann 
in  sanften  Steigungen  den  weiteren  Theil 
jenes  Kohlenbeckens  bis  Dassnitz  zu  durch- 
ziehen und,  nach  abermaliger  Uebersetzung 
der  Eger  bei  Tirschnitz  [Abzweigung  nach 
Franzensbad]  in  dem  Grenzbahnhofe  Eger 
[Anschluss  an  die  Franz  Josef-Bahn,  baye- 
rische und  sächsische  Bahnen]  ihren  End- 
punkt zu  erreichen. 

Ausästungen  zählte  die  Buschtchrader  Bahn 

zur  Zeit  der  gänzlichen  Vollendung  des  Um- 

und  Neubaues  fünf  oder,  mit  Einrechnung  der 

Verbindung   Komotau -Brunnersdorf,     sechs. 

Von  Wejhybka    führt    eine  Linie    durch  das 

Kladno-Buschtehrader  Schwarzkohlenbecken 

über  Duby,  Buschtehrad,  Brandeisl  und  Zako- 

lan  hinab    nach  Kralup    zum  Anschlüsse  an 

die  Turnau-Kraluper  Bahn    [jetzt  Böhmische 

Nordbahn]    und    die  Bodenbacher  Linie    der 

Staatseisenbahn-Gesellschaft.  In  Duby  zweigt 

der   kleine  Flügel    nach  Kladno    ab,    und  in 

Alt-Kladno  besteht  eine  Verbindung  mit  der 

Nucitzer   Erzbahn.    Von    Luzna-Lischan   aus 

geht    die    kurze    Seitenlinie    nach    Rakonitz 

1   in    das   gleichnamige    Schwarzkohlenbecken. 

i   Von    Priesen    führt    eine    Linie    durch    das 

!   dortige  Braunkohlenbecken  zu  dem  Knoten- 

'■  punkte  Komotau,  dann  in  grossen  Windungen 

empor    auf    das    Plateau     des   Erzgebirges, 

beziehungsweise      zur    Wasserscheide      bei 

j   Schmiedeberg    und   hernach   in    den  Grenz- 

|  bahnhof  Weipert  hinab,  wo  sie  an  die  säch- 

|   sische  Bahn  anschliesst.    Von   Komotau  aus 

;   durchschneidet    die   in  Kaaden-Brunnersdorf 

|   wieder  in  die  Hauptlinie  einmündende  Weg- 

i  kürzung  das  Komotauer  Braunkohlenbecken. 

'   Von  Tirschnitz  aus  ist  ohne  Zwischenstation 

I   die  Verbindung  mit   Franzensbad  [Anschluss 

an  die  bayerischen  und  sächsischen  Bahnen] 

i   hergestellt.  [Vgl.  Abb.  38—42.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


49 


Abb.  32.    Brücke  über  die  Kleparöwer  Schlucht    [Carl  Ludwig-Bahn  186g]. 


Mit  Ende  des  Jahres  1874,  als  ersten 
vollen  Betriebsjahres  des  ganzen  eben 
beschriebenen  Bahnnetzes  betrugen  die 
Anlagekosten  desselben,  ausschliesslich 
der  Montan  -  und  Industrie  -  Bahnen, 
52,205.171  fl. ;  davon  entfielen  auf  das 
alte  Unternehmen  4,870.251  fl.,  auf  die 
neuen  Linien  lit.  A  20,893.903  fl.  und 
auf  jene  lit.  B   26,441.017  fl. 

Unmittelbar  nach  der  Erledigung  der 
Vorlage  über  das  nordwestlich-böhmische 
Bahnnetz,  begannen  im  Reichsrathe  die 
Verhandlungen  über  die  »Oesterrei- 
chische  Nord  westbahn«,  als  welche, 
gemäss  der  Ueberschrift  des  bezüglichen 
Gesetzentwurfes,  anfänglich  nur  die  Linie 
»von  Pardubitz  über  Deutschbrod,  Iglau 
und  Znaim  an  einen  Punkt  der  Franz 
Josef- Bahn  mit  der  Zweigbahn  von 
Deutschbrod  über  Kolin  nach  Jung- 
bunzlau«  gemeint  war.  Die  erste  An- 
regung zum  Baue  einer  grossen  Strecke, 
dieser  dem  alten  Handelszuge  von 
Hamburg      und      Leipzig,      beziehungs- 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


weise  von  Stettin  und  Berlin  über  Dres- 
den nach  Wien  folgenden  Eisenbahn, 
fällt  in  das  Jahr  1839;  denn  schon 
damals  hatte  die  mährische  Stadt  Iglau 
mit  gleichgesinnten  Prager  Interessenten 
sich  dafür  verwendet,  dass  die  ge- 
plante Linie  Brunn  -  Prag  auf  dem 
kürzesten  Wege,  d.  h.  über  Iglau,  Deutsch- 
brod, Kolin  oder  Pardubitz  geführt  werden 
möge. 

Wie  berechtigt  dies  gewesen,  be- 
zeugte die  Thatsache,  dass  noch  lange, 
nachdem  schon  Eisenbahnen  Dresden 
und  Berlin  mit  Wien  verbanden, 
ein  ansehnlicher  Theil  des  Frachtenver- 
kehres sich  auf  jener  Reichsstrasse  be- 
wegte, sowie  dass  hiebei  die  Frachtsätze 
nicht  theurer  und  die  Lieferfristen  nicht 
länger  waren,  als  auf  den  concurrirenden 
Bahnlinien. 

Die  genannte  Stadt  hat  es  auch 
nachmals  nicht  daran  fehlen  lassen,  die 
Bemühungen  um  die  Erlangung  der  ihr 
bei  der  Schaffung    der  ersten  nördlichen 


50 


Ignaz  Konta. 


Eisenbahnen  verloren  gegangenen  Einbe- 
ziehung in  das  österreichische  Schienen- 
netz bei  jeder  passenden  Gelegenheit 
zu  erneuern.  Freilich  kam  sie  dazu  erst 
nach  Verlauf  fast   dreier  Decennien. 

Anfangs  der  Sechziger-Jahre  war  zum 
ersten  Male  wieder  von  der  Eisenbahn- 
Verbindung  Kolin-Iglau  die  Rede.  Auch  die 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  hat  bekannt- 
lich bei  ihren  damaligen  Erstlingsver- 
suchen, sich  der  Abhängigkeit  von  der 
Nordbahn  zu  entledigen,  in  die  Bewer- 
bung um  das  ihre  nördliche  und  südliche 
Linie  unmittelbar  verbindende  Ergän- 
zungsnetz, die  Linie  Gross-Enzersdorf- 
Kolin  einbezogen  und  die  betreffende 
Concession  am  8.  März,  beziehungsweise 
12.  September  1863  in  Aussicht  gestellt 
erhalten,  jedoch  wegen  der  hiebei  aus- 
gesprochenen Einschränkung  des  Ver- 
kehres der  Strecke  Znaim-Teöic  auf  den 
Localverkehr,  die  Angelegenheit  wieder 
fallen  gelassen.*)  Hiedurch  unbeirrt,  viel- 
leicht sogar  erst  recht  angeregt,  ver- 
banden sich  die  südöstlich  von  Kolin 
gelegenen  böhmischen  Bezirke  und  Städte 
mit  den  dort  ansässigen  Grossgrund- 
besitzern und  Industrieen  zur  Zustande- 
bringung  der  Eisenbahn  Kolin-Iglau 
eventuell  Znaim,  nachdem  hinsichtlich 
der  Linie  Kolin-Jungbunzlau  ein  Gleiches 
von  Seite  der  dortigen  Zuckerfabriken 
im  Vereine  mit  den  Städten  Nimburg  und 
Pod6brad  geschehen  war.  Gleichzeitig 
gewannen  aber  durch  die  damals  schon 
in  bestimmter  Aussicht  gestandene  Fort- 
setzung des  Schwadowitzer  Flügels  der 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  bis 
Königshain  die  zu  gewärtigenden  Kohlen- 
zufuhren aus  dem  Schatzlarer  und 
Waldenburger  Reviere,  als  auch  die 
überdies  die  kürzeste  Verbindung  mit 
Berlin  [über  Reichenberg  und  Görlitz] 
herstellende  Linie  Pardubitz-Iglau-Znaim, 
erhöhte  Bedeutung. 

Die  Süd-norddeutsche  Verbindungs- 
bahn bemühte  sich  also,  diese  südliche 
Fortsetzung  und  mittels  derselben  auch 
die  Unabhängigkeit  von  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft zu  erlangen.  Während 
sie  nun    auf  Grund    der    Vorconcession 


*)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach,  Eisen- 
bahnen mit  Zinsengarantie,  Seite  402  u.  ff. 


vom  7.  Februar  1865  die  Vorarbeiten 
ausführen  Hess  und  sodann  im  Novem- 
ber 1866  um  die  definitive  Concession 
ansuchte,  nahmen  die  vorerwähnten  Ge- 
meinschaften eine  festere  Gestalt  an. 
In  Caslau  bildete  sich  unter  Führung 
des  Altgrafen  Franz  Salm-Reifferscheidt 
ein  Consortium  für  die  Linie  Kolin- 
Iglau  [2.  Januar  1867]  und  in  Nimburg 
ein  solches  unter  der  Obmannschaft 
des  Fürsten  Hugo  Thurn  -  Taxis  für 
die  Linie  Jungbunzlau-Kolin  [13.  Januar 
1867].  Beide  Consortien  erhielten  am 
18.  Februar  1867  die  betreffende  Vor- 
concession. 

Begreiflicherweise  sahen  die  be- 
treffenden Gegenden  mit  Ungeduld  dem 
Reifen  der  Projecte  entgegen.  Das  Eisen - 
bahn-Comit6  der  Stadt  Iglau  berief  auf 
den  16.  December  1866  eine  Versamm- 
lung aller  Stadtvertretungen,  Grossgrund- 
besitzer und  Industriellen  derjenigen  Be- 
zirke ein,  die  sich  für  den  Bau  einer 
über  Iglau  gehenden  Bahn  interessirten. 
Die  Versammlung  war  sehr  zahlreich 
besucht,  gelangte  jedoch  zu  keinem 
einheitlichen  Beschlüsse,  weil  in  der 
Frage,  ob  die  Bahn  von  Iglau  aus  die 
Richtung  nach  Kolin  oder  Pardubitz 
einschlagen  solle,  die  Meinungen  der 
Vertreter  der  Städte  und  Bezirke  Böhmens 
auseinander  gingen,  was  übrigens  für 
die  Stadt  Iglau  selbst  nicht  ausschlag- 
gebend war  und  sie  nicht  behinderte, 
durch  Petitionen  an  die  Regierung 
und  den  Reichsrath  für  das  Zustande- 
kommen der  Bahn  überhaupt  weiter 
thätig  zu  sein. 

Am  18.  December  1866  wies  der 
böhmische  Landtag  den  Landesausschuss 
an,  das  Project  der  Eisenbahn  Pardubitz- 
Iglau  durch  Sachverständige  vorberathen 
zu  lassen  und  auf  Grund  dessen  der 
Regierung  sein  Gutachten  über  dieses 
Landesanliegen  vorzutragen.  Die  auf  den 
5.  Februar  1867  zusammenberufene  fach- 
männische Commission  äusserte  sich  dahin, 
dass  sowohl  die  Linie  Kolin-Deutschbrod- 
Iglau,  als  auch  die  Linie  Pardubitz- 
Deutschbrod-Iglau  nicht  nur  nützliche, 
sondern  auch  nothwendige,  ja  geradezu 
unentbehrliche  Verkehrswege  darstellen, 
daher  von  der  Regierung  möglichst  gleich- 
zeitig geschaffen  und,  weil  sie  theilweise 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


51 


gleiche  Tracen  haben,  beide  in  eine 
Hand  gelegt  werden  mögen,  weshalb 
vorzugsweise  diejenige  Unternehmung  zu 
begünstigen  sei,  die  beide  Linien  zugleich 
ausführe ;  im  Falle  einer  getrennten  Sicher- 
stellung wäre  jedoch  die  Linie  Iglau- 
Kolin,  mit  Rücksicht  auf  die  freie  Con- 
currenz,  erst  in  zweiter  Reihe  an  die 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  zu  vergeben. 


wie  volkswirthschaftlich  nicht  zu  recht- 
fertigen wäre,  vereinigten  sich  die  Con- 
sortien  Salm  und  Thurn-Taxis  im  Sep- 
tember 1867  zur  Schaffung  eines,  die 
beiderseitigen  Projecte  umfassenden  ein- 
heitlichen Unternehmens. 

Bei  stetiger  Fortdauer  hätte  diese 
Concurrenz  den  Bestrebungen  der  Süd- 
norddeutschen Verbindungsbahn    gefähr- 


Abb.  33.    Peltewbrücke  [Carl  Ludwig-Bahn,  1869]. 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Jos.  Eder  in  Lemberg.] 


Diese  Gesellschaft  war  nämlich  am 
3.  December  1866  vom  Handelsministe- 
rium aufgefordert  worden,  »eine  bindende 
schriftliche  Erklärung  über  die  Ausführung 
der  Linie  Kromau-,  eventuell  Znaim-Kolin 
abzugeben«,  hatte  aber  ablehnend  geant- 
wortet und  das  Verlangen  gestellt,  >dass 
ihr  die  Concession  für  die  Linie  Znaim- 
Iglau-Kolin  im  Voraus  zugesichert  werde, 
falls  sie  darum  ansuchen  sollte«. 

Veranlasst  durch  das  oben  verzeich- 
nete fachmännische  Votum  und  erken- 
nend, dass  die  Führung  zweier  Bahnen 
über  Znaim  nach  Deutschbrod  technisch 


lieh  werden  können ;  denn  das  vereinigte 
Consortium  bestand  vorzugsweise  aus 
Grossgrundbesitzern  und  Industriellen  der 
von  den  angestrebten  Schienenwegen 
durchzogenen  Gegenden  und  erfreute 
sich  des  vollsten  Vertrauens  sowie  der 
nachhaltigsten  Unterstützung  aller  be- 
theiligten Kreise.  Aus  den  Nebenbuhlern 
wurden  jedoch  alsbald  Genossen;  das 
Consortium  verständigte  sich  mit  der 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  zur 
gemeinsamen  Bewerbung  um  die  Con- 
cession für  ein  unabhängiges  Bahnnetz, 
welches     aus    den     Linien     von    einem 

4* 


52 


Ignaz  Konta. 


geeigneten  Punkte  der  Kaiser  Franz  Josef- 
Bahn  über  Znaim,  Iglau  und  Deutsch- 
brod  nach  Pardubitz  sowie  von  Deutsch- 
brod  über  Kolin  nach  Jungbunzlau,  be- 
ziehungsweise Bakov  bestehen  und  unter 
dem  Namen :  »Oesterreichische 
Nordwestbahn«  ins  Leben  gerufen 
werden  sollte. 

Inzwischen  war  die  Regierung  am 
I.  October  1867  im  Abgeordnetenhause 
wegen  der  Einbringung  eines  diese  Bahn 
betreffenden  Gesetzentwurfes  interpellirt 
und  am  5.  November  1867,  mit  Rück- 
sicht auf  die  von  der  Stadtgemeinde 
Iglau  und  den  Grossgrundbesitzern  des 
Znairher  und  Iglauer  Kreises  überreich- 
ten Petitionen,  aufgefordert  worden,  die 
Vorlage  »noch  in  der  gegenwärtigen 
Session  einzubringen«.  Das  Handelsmi- 
nisterium entsprach  dieser  Aufforderung 
am  17.  December  1867,  indem  es  einen 
die  Sicherstellung  der  eben  genannten 
Linien  bezweckenden  Gesetzentwurf  vor- 
legte, der  Tags  darauf  dem  volkswirth- 
schaftlichen  Ausschusse  zur  schleunigsten 
Berathung  überwiesen  wurde. 

Nun  trat  die  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft auf  den  Plan,  obzwar  sie  am  5.  De- 
cember 1867  mit  ihrem  früheren  Verlangen 
nach  einer  sozusagen  unbedingten  Zusiche- 
rung der  Concession  für  die  Linie  Znaim- 
Kolin  insoferne  abgewiesen  worden  war, 
als  das  Ministerium  erklärte,  im  Hinblicke 
auf  ein  ihm  vorliegendes  anderes  Con- 
cessions-Gesuch,  mit  ihr  keine  Verhand- 
lungen pflegen  zu  können.  Gestützt  auf 
das  ihr  in  der  Concession  vom  1.  De- 
cember 1866  eingeräumte  Mitbewerbungs- 
recht für  alle  Anschluss-  und  Fortsetzungs- 
bahnen des  eigenen  Netzes,  suchte  sie 
jetzt  bei  der  Regierung  ganz  formgerecht 
um  die  Concession  für  jene  Linie  an 
und  erbat  in  einer  Petition  an  das  Ab- 
geordnetenhaus dessen  Einflussnahme  auf 
die  Neuanknüpfung  der  vom  Handels- 
ministerium abgelehnten  weiteren  Ver- 
handlungen. Diese  wurden  denn  auch 
während  der  damaligen  Vertagung  des 
Reichsrathes  wieder  aufgenommen  und 
gediehen  so  weit,  dass  die  Gesellschaft 
hinsichtlich  des  ganzen  in  der  Regierungs- 
vorlage bezeichneten  Netzes  Anbote 
machte,  darunter  einen  Garantieanspruch 
von  jährlich    1,855.000  fl.  oder  pro  Meile 


39.053  fl.,  der  gegen  die  betreffende  An- 
forderung des  Consortiums  [2,568.000  fl. 
für  50-4  Meilen]  um  2780  fl.  pro  Meile 
geringer  war  und  derselben  auch  dann, 
als  Letzteres  in  einer  Nachtragserklärung 
auf  2,385.000  fl.  für  61-4  Meilen  [inclu- 
sive Wien-Znaim]  herunterging,  noch  so 
ziemlich  die  Wage  hielt. 

Dies  allein  war  jedoch  für  die  Ent- 
scheidung nicht  massgebend;  die  an 
dem  Zustandekommen  der  neuen  Linien 
interessirten  Gegenden  perhorrescirten 
die  »französische  Gesellschaft«  und  be- 
stürmten den  Reichsrath  um  die  Schaffung 
einer  »vollständig  unabhängigen«  Unter- 
nehmung. Diesen  Petitionen  schlössen 
sich  überdies  noch  der  böhmische  Landes- 
ausschuss,  die  Prager  Handelskammer, 
die  patriotisch-öconomische  Gesellschaft 
sowie  mehrere  andere  Körperschaften  an 
und  als  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
sich  dagegen  zur  Wehre  setzte,  entbrannte 
aus  dem  in  die  Oeffentlichkeit  getragenen 
Streite  ein  heftiger  Federkrieg,  der  nicht 
zu  Gunsten  der  Gesellschaft  ausschlug.  In 
Flugschriften  und  Zeitungsartikeln  fand 
die  Frage:  »Wem  gebührt  die  Conces- 
sion für  die  österreichische  Nordwest- 
bahn?« eine  leidenschaftliche  Erörterung, 
welche  auf  Seite  der  vielen  Gegner  der 
Staatsbahn  stets  in  den  Kehrreim:  »Con- 
currenz  gegen  diese  Gesellschaft,  Unab- 
hängigkeit der  neuen  Linien  und  Befrei- 
ung der  Süd-norddeutschen  Verbindungs- 
bahn«  ausklang. 

Noch  während  der  Fehde  zog  der 
volkswirtschaftliche  Ausschuss  des  Ab- 
geordnetenhauses die  Regierungsvorlage 
in  Berathung,  wobei  gleich  der  erste 
Artikel  eine  wesentliche  Abänderung 
dadurch  erfuhr,  dass  im  Einvernehmen 
mit  der  Regierung  eine  Erweiterung  des 
in  der  Vorlage  angeführten  Netzes  um 
die  13  Meilen  lange  Strecke  Wien-Znaim, 
ferner  um  die  etwa  1 1  Meilen  lange 
Strecke  von  einem  geeigneten  Punkte 
der  Jungbunzlau  -Koliner  Linie  nach 
Trautenau  vorgenommen  wurde,  »weil 
die  hervorragende  Wichtigkeit  der  Nord- 
westbahn die  Gründung  einer  ganz  selb- 
ständigen Unternehmung  rechtfertigt, 
diese  aber  nur  dann  gesichert  erscheint, 
wenn  dieselbe  ihren  Ausgangspunkt  von 
Wien  aus,  dem  Knotenpunkte  des  öster- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


53 


Abb.  34.    Einschnitt  nächst  der  Brzezanyer  Chaussee  wahrend  des  Baues     [Carl  Ludwig-Bahn,  1869]. 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Jos    Eder  in  Lemberg.] 


Abb.  35.     Meteniower  Einschnitt  während  des  Baues     [Carl  Ludwig-Bahn,  1869]. 
[Nach  photographischen  Aufnahmen  von  Jos.  Eder  in  Lemberg.] 


54 


Ignaz  Konta. 


reichischen  Eisenbahnnetzes,  nimmt«  — 
und  weil  die  Notwendigkeit  der  seitens 
der  industriereichen  Gegenden  von  Hohen- 
elbe,  Arnau  und  Trautenau  dringend 
erbetenen  Eisenbahn -Verbindung  nicht 
verkannt  werden  konnte. 

Diese  Aenderung  bedingte  natürlich 
eine  andere  Garantiebemessung;  auch 
sonstige  Bestimmungen,  namentlich  jene 
über  die  Tarife  erhielten  eine  neue  Fas- 
sung und  am  Schlüsse  des  Gesetzes  wurde 
ein  eigener  Artikel  [V]  eingeschaltet, 
enthaltend  die  Ermächtigung  der  Regie- 
rung:  zum    Baue    der    Bahn   auf  Staats- 


noch  mit  einer  Schrift :  »Die  dritte  Linie 
Wien-Znaim«  an  die  Oeffentlichkeit  und 
mit  einer  Petition  an  das  Herrenhaus, 
welches  jedoch  am  16.  Mai  1868  den 
Beschlüssen  des  Abgeordnetenhauses  voll- 
inhaltlich beipflichtete,  worauf  dann  das 
Gesetz  am  1.  Juni  1868  die  a.  h.  Sanction 
erhielt.*) 

Während  der  verfassungsmässigen 
Behandlung  desselben  hatten  die  ver- 
einigten Gegenbewerber  der  Staatsbahn 
um  die  Bewilligung  der  Vorarbeiten  für 
die  Strecken  Wien-Znaim  und  von  Trau- 
tenau   an   einen  Punkt    der  Linie   Kolin- 


Abb.  36.    Aufnahmsgebäude  in  Tarnopol  [1S70].     [Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von 

Jos.  Eder  in  Lemberg.] 


kosten,  falls  es  ihr  nicht  gelingen  sollte, 
die  Concession  auf  Grund  eben  dieses 
Gesetzes  binnen  drei  Monaten  zu  er- 
theilen. 

Für  die  Staatseisenbahn- Gesellschaft 
hatte  jedoch  nur  die  ersterwähnte 
Abänderung  eine  ausschlaggebende  Be- 
deutung; denn  sobald  die  Bedingung, 
dass  die  Bahn  in  Wien  auszumünden 
hat,  wirkliche  Gesetzeskraft  erlangte, 
erschien  die  Gesellschaft,  weil  ohnehin 
schon  im  Besitze  einer  Linie  Wien-Znaim, 
von  der  weiteren  Bewerbung  so  gut  wie 
ausgeschlossen.  Darum  wendete  sie  sich, 
nachdem  das  Abgeordnetenhaus  am 
2.  Mai  1868  die  Anträge  des  Ausschusses 
in    dritter    Lesung     angenommen    hatte, 


Jungbunzlau  angesucht  und  nach  Voll- 
endung der  Projecte  auch  diese  Strecken 
in  ihr  Concessions  -  Gesuch  miteinbe- 
zogen. Die  Entscheidung  fiel  am  8.  Sep- 
tember 1868,  als  dem  Tage  der  a.  h. 
Entschliessung,  auf  Grund  welcher  der 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  und 
den  mit  ihr  vereinigten  Bewerbern :  Hugo 
Fürst  Thurn  und  Taxis,  Franz  Altgraf 
zu  Salm  -  R  eif  fe  r scheid,  Louis  von 
Haber  und  Friedrich  Schwarz  die 
Concession  für  eine  Locomotiv-Eisen- 
bahn  [mit  der  Benennung:  »Oester- 
reichische      Nordwestbahn«], 


*)  Auch  hier  gilt  die  in  der  Note  auf 
Seite  42  bezüglich  der  neuen  Maximaltarife 
gemachte  Bemerkung. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


55 


ausgehend  von  Wien  ^über  Znaim, 
Iglau,  Deutschbrod,  Caslau,  Kolin 
nach  Jungbunzlau  mit  Zweigbahnen 
von  Znaim  an  die  Franz  Josef-Bahn, 
von  Deutschbrod  nach  Pardubitz  und 
von  einem  geeigneten  Punkte  der 
Kolin-Jungb unzlauer  Strecke  nach  Trau- 
tenau,  verliehen  wurde,  welche  den 
Concessionären  »für  den  Fall,  als  ihnen 
die  über  Jungbunzlau  erzielte  indirecte 
Verbindung  mit  der  Böhmischen  Nord- 
bahn nicht  genügen  sollte,  die  Berech- 
tigung gibt,  von  einem  Punkte  der Jung- 
bunzlau-Koliner  Linie  eine  Abzwei- 
gung nach  Bakov  zum  unmittelbaren 
Anschlüsse  ihrer  Linien  an  die  Böh- 
mische Nordbahn  —  jedoch  ohne  An- 
spruch irgend  einer  finanziellen  Begün- 
stigung —  herzustellen  und  in  Betrieb 
zu  setzen«.  Diese  Concession  gewährt 
dem  Unternehmen  die  staatliche  Ga- 
rantie eines  jährlichen  5°/o'Sen  Rein- 
erträgnisses des  Anlage-Capitals,  welches 
985.000  fl.  pro  Meile  nicht  übersteigen 
darf,  nebst  der  entsprechenden  Tilgungs- 
quote und  die  Steuerfreiheit  für  neun 
Jahre  nach  der  Betriebseröffnung  der 
ganzen  Bahn. 

So  war  denn  nach  vielen  Mühen 
und  heissem  Ringen  auch  diese  grosse 
Bahn,  welche  den  lange  unbenutzt  ge- 
bliebenen, geradesten  und  kürzesten  Weg 


von  Südost  nach  Nordwest  wieder  be- 
leben sollte,  gesichert. 

Als  Termin  für  die  Vollendung  des 
ganzen  Netzes  waren  fünf  Jahre  ge- 
geben ;  der  Bau  hatte  binnen  drei  Mo- 
naten zu  beginnen.  Er  wurde  auch 
thatsächlich  in  der  Strecke  Pardubitz- 
Chrudim  am  16.,  beziehungsweise  bei 
Caslau  am  25.  November  1868  in  An- 
griff genommen  und  anfänglich  von 
den  Concessionären  in  eigener  Regie 
geführt,  bis  er  auf  Grund  des  Ge- 
neral-Bauvertrages vom  3.  April  1869 
[vom  Ministerium  genehmigt  am  23., 
beziehungsweise  31.  Mai  1869]  an 
die  Unternehmung  G.  Bucher  über- 
ging, welche  für  die  Herstellung  und 
erste  Einrichtung  der  Bahn  eine  Pau- 
schalvergütung von  56,700.000  fl.  er- 
hielt. 

Das  gesammte  Anlage-Capital  war 
auf  nominale  80,000.000  fl.  [und  zwar 
36,000.000  fl.  in  Actien,  44,000.000  fl. 
in  5°/0igen  Prioritäten]  veranschlagt.  Zur 
Beschaffung  desselben  wurden  am  27. 
und  28.  October  1868  zunächst  60.000 
Actien  ä  200  fl.  zum  Curse  von  7O°/0, 
dann  am  17.  April  1869  eine  Serie 
5°/0iger  Prioritäts-Obligationen  im  Nenn- 
werthe  von  8,000.000  fl.  [40.000  Stück 
ä  200  fl.]  zum  Curse  von  88°/0  durch  die 
österreichische    Credit-Anstalt    mit    glän- 


Abb.  57.     Bahnhof  Podwoloczyska  im  Jahre  1871.     [Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von 

Jos.  Eder  in  Lemberg.] 


56 


Ignaz  Konta. 


'  >  IT  9H 

">J%^k; 

Abb.  38.    Erster  Hluboceper  Yiaduct. 

[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Gegenwart  von 

Jos.  Gaube,  Beamten  der  Buschtehrader  Eisenbahn.] 


zendem    Erfolge    zur   öffentlichen  Zeich- 
nung aufgelegt. 

Ungefähr  in  dieselbe  Zeit  fiel  die 
Organisirung  der  Geschäftsleitung;  zum 
Baudirector  wurde  der  beim  Baue  der 
Brennerbahn  in  hervorragender  Weise 
thätig  gewesene  Ingenieur  Wilhelm  Hell- 
wag*)   [Abb.  43],  zum   General-Secretär 


*)  Wilhelm  H  eil  wag  war  als  der  zweite 
Sohn  eines  grossherzoglich  Oldenburgischen 
Regierungsrathes  am  18.  September  1827  zu 
Eutin  geboren  und  erhielt  im  Vaterhause 
unter  Fürsorge  hochgebildeter  Eltern  schon 
in  früher  Jugend  volle  gei- 
stige Anregung;  im  Jahre  1848 
absolvirte  er  das  damals  elf- 
classige  Gymnasium  in  Eutin, 
obwohl  er  durch  den  Verlust 
des  rechten  Auges  [infolge 
einer  Verletzung]  fast  drei 
Jahre  kränkelte. 

Schon  rüstete  er  zum  Ab- 
gange auf  die  Universität,  als 
am  24.  März  1848  die  Kunde 
von  der  Erhebung  Schleswig- 
Holsteins  die  jugendlichen 
Abiturienten  von  den  Schul- 
bänken zu  den  Fahnen  rief; 
mit  dem  Kieler  Studenten- 
corps zog  Hellwag  gegen  die 
Dänen,  wurde  mit  der  Mehr- 
zahl der  jungen  Kämpfer  nach 
dem  unglücklichen  Gefechte 
bei  Bau  gefangen  genommen 
und  bis  zum  6.  September 
auf  dem  Kriegsschiffe  »Dron- 
ning  Maria«  internirt.  Noch 
im  selben  Jahre  bezog  Helhvag 


[später  Betriebs-Director] 
der  frühere  Vorstand  des 
commerziellen  Dienstes  der 

Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft, Hermann  Ritters- 
hausen, und  zum  ober- 
sten Chef  der  gesammten 
Direction  [General-Director] 
der  Director  der  Süd-nord- 
deutschen Verbindungs- 
bahn, kaiserlicher  Rath  Dr. 
Gustav  Gross,  ernannt. 

Aus  dieser  letzteren  Be- 
rufung ergab  sich  gleichsam 
von  selbst  die  Folgerung, 
dass  die  alte  »Pardubitzer« 
mit  der  eben  geschaffenen 
neuen  Bahn  verschmolzen 
werden  solle.  Es  war  dies 
auch  thatsächlich  geplant 
und  in  der  vielfachen  Inter- 
essengemeinschaft der  beiden  Unterneh- 
mungen begründet,  konnte  aber  nicht 
verwirklicht  werden.  Zuerst  bis  zum 
Aufhören  der  Inanspruchnahme  der  Staats- 
garantie seitens  der  Süd-norddeutschen 
Verbindungsbahn,  beziehungsweise  bis 
zum  Abschlüsse  eines  die  Refundirung 
der  Staatsvorschüsse  betreffenden  Ueber- 


die  Universität  Kiel,  um  sich  ganz  dem  Studium 
von  Mathematik  und  Naturwissenschaften  zu 
widmen;  allein  schon  im  März  1849  trieb  ihn, 
wie  seine  Collegen,  der  wieder  ausgebrocherie 
Krieg  in  die  Reihen   der  Ingenieur-Truppen. 


Abb.  39.     Bahnhofs-Gebäude  Priesen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


57 


einkommens  zwischen  dieser  Gesellschaft 
und  der  Regierung  wiederholt  vertagt, 
sodann,  als  in  die  Fusion  noch  andere 
Bahnen  einbezogen  wurden,  an  dem 
Widerstände  der  Actionäre  der  Süd-nord- 
deutschen Verbindungsbahn  [1874],  her- 
nach auch  an  jenem  des  Reichsrathes  ge- 
scheitert [1875],  gab  die  Nordwestbahn 
das  Project  einer  Verschmelzung  beider 
Unternehmungen  ganz  auf    und    es    ver- 


blieb lediglich  bei  der  schon  anfangs 
vollzogenen  Vereinigung  der  beiderseiti- 
gen Geschäftsleitungen. 

Gleich  schleppend,  jedoch  schliesslich 
mit  gutem  Ausgange  entwickelte  sich  die 
Erwerbung  des  Stockerauer  Flügels  der 
Nordbahn,  dessen  Ankauf  die  Nordwest- 
bahn sich  angelegen  sein  liess,  um  des 
für  diese  beiden  Unternehmungen,  wie 
auch  für  den  garantirenden  Staatsschatz, 


Abb.  40.    Egerbrücke  bei  Klösterle  während  ihrer  Verstärkung  im  Jahre  1888.    [Nach  einer  photographischen 

Aufnahme  von  N.  Eckert,  Prag.] 


Als  gewöhnlicher  Pionnier  leistete  er  Feld- 
dienst, machte  die  Schlacht  bei  Kolding  und 
die  Belagerungsarbeiten  vor  der  Festung 
Fridericia  mit,  benützte  aber  den  Waffen- 
stillstand sofort,  um  die  von  höheren  Officieren 
geleitete  Mineur-  und  Sappeur-Officiersschule, 
um  den  Curs  in  Taktik  und  Geniewesen 
durchzumachen.  Zum  Lieutenant  in  der 
deutschen  Ingenieur-Truppe  ernannt,  erhielt 
Hellwag  bei  den  grossartigen  Arbeiten  zur 
Befestigung  der  Festung  Rendsburg  die  Bau- 
leitung eines  grösseren  Werkes,  später  die 
Baufünrung  einer  grossen  und  befestigten 
Schiffsbrücke  über  die  Schley  bei  Missunde, 
deren  energische  und  fachlich  umsichtige 
Vollendung  unter  fortgesetzten  Kämpfen  mit 
den  Dänen  dem  dreiundzwanzigjährigen  Offi- 
cier  die  Anerkennung  und  Beglückwünschung 
des  commandirenden  Generals  mit  den  Worten 


eintrug:  »Von  Ihnen  hoffe  ich  eine  Brücke 
nach  Alsen  bauen  zu  lassen.e 

Noch  nahm  Hellwag  an  Kämpfen,  Stür- 
men, Befestigungs-  und  Barackenbauten  leb- 
haften Antheil,  bis  im  Frühlinge  185 1  die 
Auflösung  der  deutschen  Bundes-Armee  auch 
sein  Schicksal  entschied:  Seine  umfassende 
und  praktische  Ausbildung  als  Militär-Inge- 
nieur bestimmte  ihn,  statt  neuerlich  die  Uni- 
versität zu  beziehen,  sich  mit  allem  Eifer 
den  Studien  an  der  königlichen  polytechni- 
schen Schule  in  München  zuzuwenden,  wo 
die  ausgezeichneten  Vorträge  des  Professors 
Bauernteind  und  die  von  demselben  gelei- 
teten Uebungen  für  Hellwag  die  Anregung  und 
Quelle  seiner  späteren  Bethätigung  wurden. 

Im  August  1853  verliess  Hellwag  die 
polytechnische  Schule  und  fand  sofort  eine 
Anstellung  bei  Oberbaurath  Karl  von  Etzel 


^8 


Ignaz  Konta. 


unerspriesslichen  Baues  einer  mit  jenem 
Flügel  parallel  laufenden  Strecke  über- 
hoben zu  sein.  Das  Geschäft  war  be- 
reits im  Jahre  1870  vereinbart,  konnte 
aber    wegen    der    Bedingungen,    welche 


beim  Baue  der  schweizerischen  Centralbahn. 
Welche  Meinung  dieser  Riese  unter  den 
Ingenieuren  des  technischen  Jahrhunderts 
über  den  jungen  Hellwag  hatte,  geht  aus 
einer  mehrere  Seiten  langen  Aeusserung  her- 
vor, die  Etzel  im  August  1864  an  den  gross- 
herzoglich Oldenburgischen  Regierungs-Prä- 
sidenten abgab,  der  Hellwag  zu  einer  hohen 
Stellung  im  Oldenburger  Baudienste  berufen 
wollte;  leider  ist  es  versagt,  auch  nur  die 
springenden  Punkte  dieses  Urtheils  anzu- 
führen, das  neben  der  eminenten  geistigen 
Begabung  Hellwag's,  dessen  theoretische  und 
praktische  Ausbildung,  seine  allgemeine 
Geistesbildung  sowie  endlich  seine  Energie 
unter  festen,  höchst  ehrenhaften  Grundsätzen 
rühmt. 

Hellwag  folgte  dem  Rufe  in  eine  hohe, 
reich  dotirte  Stellung  selbst  in  seinem 
Heimatlande  nicht,  weil  ihn,  den  stets  Wissens- 
und Thatendurstigen,  die  interessanteren  Auf- 
gaben beim  Brenner  festhielten ;  aus  gleichem 
Grunde  lehnte  er  eine  ihm  in  ehrenvollster 
Weise  im  Jahre  1865  angebotene  Professur 
am  königlichen  Polytechnicum  in  Stuttgart  ab. 

Dagegen  folgte  Hellwag  nach  Vollendung 
der  Brennerbahn  freudig  dem  Rufe  einiger 
scharfblickender  Finanziers,  die  ihn  zum 
Baudirector  der  neugegründeten  Oesterrei- 
chischen  Nordwestbahn  ausersehen  hatten. 
Und  nun  zeigte  er  in  kurzer  Frist  sein  gross 
angelegtes  Organisationstalent. 

Fast  gleichzeitig  mit  der  Concessions- 
Ertheilung  wurden  die  zwölf  Ingenieur-Ab- 
theilungen für  die  ganze  Linie  geschaffen, 
war  der  Centraldienst  in  strammer  Organi- 
sation errichtet;  alte  und  junge  Ingenieure, 
grosse  und  kleine  Unternehmer,  Industrielle 
aus  aller  Herren  Länder  drängten  sich  um 
die  Fahne  Hellwag's  und  in  Allen  erweckte 
sein  sicherer,  klarer,  weitausschauender  Blick, 
sein  wohlwollendes  und  zugleich  energisches 
Wesen,  vor  Allem  aber  seine  gewinnende 
Persönlichkeit,  eine  solche  Begeisterung,  dass 
es  ihm  nur  durch  diese  und  seine  Führung 
gelingen  konnte,  trotz  der  gewaltigen  Störun- 
gen, die  der  deutsch-französische  Krieg  ver- 
ursachte, den  Bau  der  Nordwestbahn  kraft- 
voll zu  fördern. 

Auf  den  Kreis  der  Ingenieure  wirkte 
Hellwag  bildend  und  schulemachend.  Das 
unter  seiner  Anregung  und  Leitung  entstan- 
dene Normalienwerk  der  Oesterreichischen 
Nordwestbahn  gab  durch  lange  Zeit  die  besten 
Vorlagen  für  alle  Ausführungen  im  Eisen- 
bahn-Unter- und  -Brückenbaue,  für  den  Ober- 
bau und  die  mechanischen  Einrichtungen  so- 
wie für  den  Eisenbahn-Hochbau.  Für  die  Ein- 
richtung des  durch  besondere  Umstände 
ausnehmend    erschwerten    Grundeinlösungs- 


der  Nordbahn  von  Seite  der  Regie- 
rung hinsichtlich  des  Kaufschillings  von 
1,000.000  fl.  gestellt  wurden,  erst  im 
Jahre  187 1  endgiltig  abgeschlossen  wer- 
den.    Die  auf  dem  Gesetze  vom  21.  Juni 


dienstes    schuf  Hellwag,    immer   unter   dem 
Drängen  zum  raschen  Baue,  die  schleunigste 
Abwickelung    im    Auge    behaltend,    Anord- 
nungen und  Typen,  die  von  anderen  Bahnen 
als  mustergiltig    angenommen  wurden;    und 
endlich    gestaltete    er    das   Rechnungs-    und 
I   Controlwesen  für  den  Baudienst  so,   dass  er 
I   trotz    der    angespannten    Bauthätigkeit   und 
J   des   complicirten  Lieferungs-Apparates  stets 
I   Klarheit     über     die    Budgetirung     behalten 
i   konnte. 

In  mächtig  ausgreifenden  Schritten  er- 
stieg Hellwag  den  Zenith  seines  Ruhmes  und 
nicht  blos  im  Kreise  seiner  Fachgenossen 
galt  er  als  einer  der  hervorragendsten  Inge- 
nieure Mittel-Europas,  sondern  in  vielen  m- 
!  dustriellen  und  Finanz  -  Unternehmungen 
wurde  Hellwag's  Stimme,  seine  nüchterne  und 
stets  scharf  zutreffende  Meinung,  seine 
strengen  Grundsätze  geschätzt. 

Es  war  demnach  natürlich,  dass  man  auf 
Hellwag's  Berufung  verfiel,  da  man  für  das 
ins  Stocken  gerathene  Gotthardbahn-Unter- 
nehmen  einen  Mann  suchte,  der  nicht  blos 
als  Techniker,  sondern  auch  als  Unterhändler, 
Finanzmann  und  Administrator  energisch  die 
Rettung  bringen  sollte. 

Hellwag  war  sich  der  ganzen  Bedeutung 
dieses  Rufes,  wie  der  Schwierigkeit  der  ihm 
gestellten  Aufgabe  bewusst ;  und  nur  die 
Ueberzeugung,  dass  eine  Ablehnung  ihm  als 
Mangel  an  Selbstvertrauen,  ja,  wie  er  sich 
selbst  ausdrückte,  als  Abdication  von  seinem 
Ansehen  gedeutet  werden  musste,  zwang 
ihn,  anzunehmen,  wiewohl  ihm  und  seiner 
Familie  Oesterreich  ganz  und  bis  ins  innerste 
Herz  hinein  zur  zweiten  Heimat  geworden 
war.  Hellwag  schied  im  Frühling  1875  von 
Wien,  mit  ihm  ein  Stab  von  ihm  ausgewähl- 
ter Ingenieure  und  Hilfsbeamten,  die  in 
seiner  Schule  herangewachsen  waren. 

Auch  in  der  Schweiz  stellte  Hellwag 
wieder  und  vor  Allem  eine  grundlegende 
und  vollständige  Organisation  des  gesammten 
Tracirungs-  und  Baudienstes  in  unglaublich 
kurzer  Zeit  her;  sodann  ging  er  daran,  die 
Schäden  des  krankenden  Unternehmens  an 
der  Wurzel  zu  suchen  und  zu  fassen.  Sein 
»Bericht  über  die  Ausmittlung  der  Bahnachse 
und  des  Längenprofils  der  Gotthardbahn  etc.« 
vom  Jahre  1876  ist  als  Muster  klarer  und 
umfassender  technischer  Darstellung  und 
gründlicher  Veranschlagung  in  Fachkreisen 
bekannt.  Tracirung  und  Bau  gingen  nun 
ebenso  stetig  vorwärts,  wie  die  äussere  Re- 
construction  des  Unternehmens  —  bis  zu  dem 
Zeitpunkte,  da  kleine  Differenzen  Hellwag's 
mit  den  massgebenden  Schweizer  Persönlich- 
keiten zu  hellem  Kampfe  aufloderten  und 
endlich  zum  Bruche  und  Processe  führten,  in 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


59 


1871  beruhende  staatliche 
Genehmigung  des  Vertra- 
ges erfolgte  am  2 1 .  August 
1871,  die  Uebernahme  der 
bezüglichen  Strecke  [Jedle- 
see-Stockerau,  ic/8  km]  in 
das  Eigenthum  der  Xord- 
westbahn  aber  schon  am 
1.  Juli  1871,  wiewohl  der 
Betrieb  noch  drei  Monate 
von  der  Nordbahn  besorgt 
wurde. 

Um  diese  Zeit  war  der 
mit  seltener  Rührigkeit  ge- 
führte Bau,  wie  aus  den 
weiter  unten  verzeichneten 
Eröffnungsdaten  näher  er- 
sichtlich ist,  schon  weit  vor- 
geschritten, nachdem  die  in 
der  Concessions  -  Urkunde 
nicht  ausdrücklich  genann- 
ten Aus-  und  Einmündungs- 
punkte einiger  Seitenlinien 
so  rechtzeitig  bestimmt 
worden  waren,  dass  dar- 
aus keinerlei  Verzögerung 
erstand.  Mit  dem  Erlasse 
des  Handelsministeriums 
vom  18.  März  1869  wurde 
angeordnet,  dass  die  Linie 
nach  Trautenau  von  der 
Station  Gross-Wossek  [der 
Strecke  Kolin-Jungbunzlau] 
über  Chlumetz,  Neubid- 
schow,  Paka,  Arnau  und 
Trautenau  nach  Parschnitz 
zum  Anschlüsse  an  den 
Königshainer  Flügel  der 
Süd-norddeutschen  Verbin- 


Abb.  41.     Ueberfahrtsbrücke  der  Buschtehrader  Eisenbahn. 
[Strecke   Luzna-Lischau-Rakonitz.]     [Nach  einer  photographischen    Auf- 
nahme aus  der  Gegenwart  von  Jos.  Gaube,  Beamten  der  Buschtehrader 
Eisenbahn.] 


Abb.  42.  Grenzbrücke  der  Buschtehrader  Eisenbahn.  [Weipert-Annaberg.] 

[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Gegenwart  von  Jos .  Gaube, 

Beamten  der  Buschtehrader  Eisenbahn.] 


dem  Hellwag  schliesslich  obsiegte.  Hellwag 
war,  im  Vollbewusstsein  seines  reinen  Charak- 
ters, seines  geraden  und  festen  Zuschreitens  auf 
das  Ziel,  seiner  grossen  Fähigkeiten  und 
seiner  die  Gefolgschaft  immer  hinreissenden 
Persönlichkeit  von  Oesterreich  her  gewohnt 
gewesen,  zu  führen!  Nicht  um  persönlicher 
Eitelkeit  willen,  sondern  im  Geiste  der  ihm 
gestellten  Aufgabe,  vermochte  er  nicht,  mit 
Misstrauen  unu  Nörgeleien  zu  kämpfen. 

Im  Herbste  1880  kehrte  er  mit  dem  Ge- 
fühle bitterer  Enttäuschungen  nach  Wien 
zurück,  wo  es  ihm  an  freundlichem  Empfange 
und  zahlreichen  Versprechungen  nicht  fehlte ; 
da  diese  unerfüllt  blieben,  wendete  sich 
Hellwag  verschiedenen  Bauunternehmungen 
zu,    die  jedoch,    mit    geringem  persönlichen 


Erwerbssinne  aufgenommen,  ihm  ebenso  viele  ■ 
Sorgen,  als  Nachtheile  brachten. 

Im  Herbste  1881  erkrankte  Hellwag  und 
am  5.  Januar  1882  hauchte  er  seine  edle 
Seele  aus.  Der  ihm  von  treuen  Freunden, 
Collegen  und  Jüngern  gesetzte  Grabstein 
[auf  dem  Matzleinsdorfer  evangelischen  Fried- 
hofe] trägt  die  schlichte  Legende: 

»Rastlos  schaffend  —  reich  begabt  — 
grosser  Gedanken  voll  —  hat  Wilhelm 
Hellwag  1862— 1868  als  Bau-Inspector  der 
Südbahn  thätigen  Antheil  am  Baue  der 
Brennerbahn  gehabt;  1868— 1875  als 
Bau-Director  die  Oesterre  i  c  h  i  s  ch  e 
Nordwestbahn  und  die  Elbethalbahn 
erbaut;  1875 — 1881  als  Ober-Ingenieur  den 
Bau  der  Gotthardbahn  geleitet.« 


6o 


Ignaz  Konta 


dungsbahn  geführt  werde,  und  dass 
an  Stelle  des  Umweges,  welchen  die 
Trace  nach  dem  ursprünglichen  Projecte 
gemacht  hätte,  die  drei  Ausästungen : 
Trautenau  -  Freiheit,  Pelsdorf  -  Hohenelbe 
und  von  einem  Punkte  [laut  Erlass 
vom  17.  Juli  1869:  Wostromer]  nach 
Jiöin  herzustellen  seien ;  ferner  wurde  mit 
dem  Erlasse  des  Handelsministeriums 
bestimmt,      dass     die     Flügelbahn     von 


diese   Verbindung  kam  jedoch  nicht   zur 
Ausführung. 

Die  Errichtung  der  mit  einem  Actien- 
capitale  von  36,000.000  fl.  [180.000 
Actien  ä  200  fl.]  ausgestatteten  Gesell- 
schaft: »K.  k.  priv.  Oesterreichische 
Xordwestbahn«  ging  am  26.  Juli  1870 
vor  sich ;  an  diesem  Tage  gaben  auch 
die  Concessionäre  die  oberste  Leitung 
der  Unternehmung  an    den  Verwaltungs- 


Abb.  43.     Wilhelm  Hellwag. 


Znaim  zur  Franz  Josef-Bahn,  weil  sie 
in  der  Strecke  Znaim-Zellerndorf  mit  der 
Trace  der  Hauptbahn  zusammenfallen 
würde,  in  Zellerndorf  abzweigen  und  in 
Sigmundsherberg  -  Hörn  an  die  Franz 
Josef- Bahn  anschliessen  solle.  Mit  dem 
Ministerial-Erlasse  vom  21.  September 
1870  endlich  wurde  die  directe  Ver- 
bindung der  Nordwestbahn  mit  der 
Wiener  Verbindungsbahn,  an  deren  An- 
kauf durch  die  in  Wien  einmündenden 
Bahnen  die  erstere  sich  ebenfalls  bethei- 
ligt hatte    [25.  Januar  1870],  genehmigt; 


rath  ab  und  befassten  sich  nun  mit  der 
Elbethalbahn,  für  welche  sie  soeben 
die  Concession  erhalten  hatten.  Hierüber, 
wie  auch  über  die  Angliederung  dieser 
neuen  Linien  an  die  Nordwestbahn  soll 
jedoch  erst  später  berichtet  werden,  um 
dem  chronologischen  Gange  der  damit 
im  Zusammenhange  stehenden  ander- 
weitigen Begebenheiten  nicht  gar  zu  weit 
vorauseilen  zu  müssen.  Darum  mag  die 
Aufzählung;  der  Eröffnungsdaten  des  ur- 
sprünglich  concessionirten  Netzes  der 
Nordwestbahn  den  Abschluss  des  ersten 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


61 


Abb.  44.    Nordwestbahnhof  in  Wien. 


Abschnittes  der  Mittheilungen  über  dieselbe 
bilden.  Es  wurden  dem  Betriebe  übergeben : 

Kolin-Goltsch-Jenikau,  31-3  fem,  6.  December 
1869. 

Kolin-Jungbunzlau,  543  Ä'«i,  29.  October  1870. 

Deutschbrod-Goltsch-jenikau,  42-9  km,  21.  De- 
cember 1870. 

Gross -Wossek-WostromcT,  48-8  km,  21.  De- 
cember 1870. 

Parschnitz-Pelsdorf,  31-6  km,  21.  December 
1870. 

Deutschbrod-Iglau,  256  km,  25.  Januar  1871. 

Iglau-Znaim,  98  5  km,  23.  April  1871. 

Deutschbrod-Pardubitz,  923  km,  I.  Juni  1871. 

Wostromer-Pelsdorf,  480  km,  I.  Juni  1871. 

Pelsdorf-Hohenelbe,  4-4  fem,  I,  October  1871. 

Stockerau-Znaim,  73-8  fem,  I.  November  187 1. 

Trauten au-Freiheit, 9-8 fem,  17-  December  1871. 

Wostromef-Jicin,  17  4  fem,  17.  December  1871. 

Wien-Jedlesee,  6  4  fem,  für  den  Güterverkehr 
1.  Juni  1872;  für  den  Gesammtverkehr 
I.  Juli  1872. 

Jedlesee-Stockerau  [als  Nordwestbahn-Str  ], 
19-9  km,  1.  Juli  1872. 

Zellerndorf-Sigmundsherberg-Horn,    197  fem, 
1.  Juli  1872. 
Die  eingeleisige Trace der  Oesterreichi- 

schen  Nordwestbahn  nimmt  ihren  Aus- 


fangspunkt  von  dem  im  II.  Bezirke,  nach  dem 
ntwurfe  des  Professors  W.  Bäumer  erbauten 
Wiener  Bahnhofe  und  übersetzt  den  Donau- 
strom und  dessen  Inundationsgebiet  auf  den 
nach  Entwürfen  von  Hellwag  &  Gerlich  herge- 
stellten Eisenbrücken  [Strombrücke  4  Oeffnun- 
gen  ä  80  m,  Inundationsbrücke  14  Oeffnungen 
ä30  m  lang]  und  gelangt  nach  Jedlesee,  wo  die 
durch  Kauf  erworbene  alte  »StockerauerBahn« 
anschliesst.  Von  Stockerau  gelangt  die  Bahn 
über  Hollabrunn  bis  Zellerndorf,  wo  westlich 
der  Flügel  nach  Sigmundsherberg-Horn  zum 
Anschlüsse  an  die  Franz  Josef-Bahn  abzweigt. 
Ueber  Retz  und  vor  Senattau,  die  mährische 
Grenze  überschreitend,  gelangt  die  Bahn  durch 
einen  tiefen  Einschnitt  und  über  den  gross- 
artigen Viaduct  über  die  Thaya  [45  m  hoch  über 
der  Thalsohle  mit  einer  Länge  von  220  m]  un- 
mittelbar nach  Znaim,  wo  der  Staatsbahn- 
flügel von  Grussbach  anknüpft.  Von  Znaim 
weiter  entwickelt  sich  die  Trace  in  einer 
fast  constanten  Steigung  von  1  :  100  bis  zu 
der  durch  Ausläufer  des  mährischen  Höhen- 
plateaus gebildeten  Wasserscheide  bei  Schön- 
wald und  erreicht,  mit  wechselnden  Steigungs- 
verhältnissen über  Mährisch  -  Budwitz  und 
Jarmeritz  ziehend ,  nahe  bei  Trebitsch 
ihren  höchsten  Punkt  [527*5  Meereshöhe]. 
Hinter  Oki-iäko  gelangt  die  Bahn  ins  Iglavva- 


62 


Ignaz  Konta. 


Thal,  übersetzt  nahe  vor  Iglau  die  Iglava  und 
tritt  hinter  der  genannten  Station  auf  böhmi- 
sches Gebiet.  In  einer  Meereshöhe  von 
5037  in  erreicht  sie  ebenda  die  bedeutende 
Wasserscheide  zwischen  der  Donau  und  der 
Elbe  und  zieht  dann  zumeist  im  sanften  Ge- 
fälle ins  Schlapanka-  und  Sazawa-Thal  bis 
Deutsch-Brod,  wo  der  Flügel  nach  Rossitz 
[bei  Pardubitz]  abzweigt,  durch  den  der  An- 
schluss  an  die  Süd-norddeutsche  Verbindungs- 
bahn bewerkstelligt  wird. 

Von  Deutsch-Brod  längs  der  Sazawa, 
diesen  Fluss  bei  Chlistov  übersetzend  und 
das  Thal  bei  SvStla  verlassend,  führt  die 
Haupttrace  [von  Svetla  aus  wieder  in  leichten 
Steigungen]  bis  zur  Wasserscheide  bei  Lesch- 
tina  [461  in  Meereshöhe]  und  von  da  im  Ge- 
fälle von  1  :  100  bis  Caslau,  dann  in  sanfte- 
rem Gefälle  über  Kuttenberg  bis  zu  dem  mit 
der  Staatseisenbahn  gemeinschaftlichen  Bahn- 
hofe Kolin,  nachdem  sie  vor  dieser  Station 
die  Staatsbahnlinie  gekreuzt  hat.  Jenseits 
Kolin  wird  die  Elbe  auf  einer  eisernen  Brücke 
[132  in]  übersetzt  und  durch  die  sandige 
Ebene  der  Elbeniederungen  geht  es  weiter 
bis  Gross-Wossek  [wo  der  eigene  Flügel 
nach  Altpaka  und  Parschnitz  abzweigt  und 
die  damals  im  Bau  begriffene  »Elbe.thalbahn« 
ihren  Anfangspunkt  nimmt].  Vor  Jungbunzlau 
tritt  die  Haupttrace  in  das  Iserthal,  übersetzt 
den  Iserfluss  mittels  einer  101  m  langen  eiser- 
nen Brücke  und  findet  bei  der  Einmündung 
in  die  Turnau-Kralup-Prager  Eisenbahn  bei 
Jungbunzlau  ihren  Abschluss. 

Die  Flügelbahn  von  Zel  lern dorf  nach 
Hörn  führt  in  durchschnittlicher  Steigung 
von  1  :  100  über  Pulkau  nach  Sigmunds- 
herberg-Horn  zu  dem  mit  der  Franz  Josef- 
Bahn  gemeinschaftlichen  Bahnhofe. 

Der  Flügel  Deutsch  -  Brod-Rossitz 
übersetzt   nächst  Deutsch-Brod    die  Sazawa, 

feht  in  Steigungen  über  Hlinsko  bis  zur 
ortigen  Wasserscheide  [5902  in],  von  wo 
aus  die  Bahn  in  starkem  Gefälle  [1 :  100]  über 
Skuc  nach  Chrast  und  von  da  ab  in  massi- 
gerem Gefälle  bis  gegen  Pardubitz  hinabsteigt. 
Statt  die  Einmündung  in  die  Süd-norddeutsche 
Verbindungsbahn  bei  Pardubitz  zu  bewerk- 
stelligen, wurde  aus  betriebstechnischen  Rück- 
sichten der  Flügel  nach  Rossitz  geführt  und 
neben  der  Holzbrücke  der  Süd-norddeutschen 
Verbindungsbahn  die  140  m  lange  eiserne 
Brücke  der  Nordwestbahn  über  die  Elbe 
angelegt.  Erst  von  Rossitz  aus  war  der  An- 
schluss  mit  der  Süd-norddeutschen  Verbin- 
dungsbahn und  durch  diese  in  Pardubitz  jener 
mit  der  Staatseisenbahn  hergestellt. 

Der  Flügel  Gross-Wossek-Parsch- 
nitz,  der  die  Hauptlinie  der  Nordwestbahn 
mit  der  Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn 
einmal  bei  Altpaka  zum  zweitenmale  in  der 
Station  Parschnitz  [zwischen  Schwadowitz 
und  Königshain]  verbindet,  zieht  längs  des 
Cidlinaflusses  bis  Wostromef,  wo  der  kurze 
Flügel  nach  Jicin  abzweigt.  Von  Wostromef 
geht  die  Trace  in  nördlicher  Richtung  gegen 
Neupaka,  wo  die  Gebirgseinsattlung  in  einer 


Höhe  von  439  in  Seehöhe  durch  einen  420  in 
langen  Tunnel  durchbrochen  wird.  Üeber 
Altpaka  kommt  sie  zu  ihrem  nördlichsten 
Punkte  Starkenbach,  wendet  sich  östlich,  ins 
Elbethal  eintretend,  nach  Pelsdorf  und  Arnau, 
die  Elbe  dreimal  übersetzend  bis  Neustadtl, 
dort  in  ein  kleines  Seitenthal  eintretend, 
lieber  Pilnikau  und  Trautenau  gelangt  sie 
dann  nach  Parschnitz. 

Der  Flügel  Pels  dorf -Hohe  n  elb  e 
bringt  den  industriereichen  Ort  Hohenelbe 
und  der  Flügel  Trautenau-Freiheit  den 
bekannten  Badeort  [Johannesbad]  mit  dem 
übrigen  Bahnnetz   in  Verbindung. 

Die  Erdarbeiten  waren  meist  schwierig 
und  vermöge  der  Terrainhindernisse  sehr  be- 
deutend. So  waren  beispielsweise  beim  Wiener 
Bahnhofe  bedeutende  Anschüttungen  [32  in 
auf  470.000  ?hs]  und  grosse  Dammanschüt- 
tungen beim  Thava-Viaducte  nothwendig. 
Vor  und  hinter  Znaim,  zwischen  Okfisko 
und  Iglau,  bei  Deutschbrod  und  Svetla 
und  auf  der  Wostromef-Parschnitzer  Gebirgs- 
strecke  und  bei  Skue  mussten  bedeutende 
Sprengungen  und  Erdarbeiten  durchgeführt 
werden. 

Die  Kunstbauten  wurden  [mit  Ausnahme 
des  bestandenen  an  die  grosse  Donaubrücke 
anschliessenden  hölzernen  Provisoriums]  aus 
Stein  oder  aus  Stein  und  Eisen  erbaut  und 
die  grossen  Objecte  mit  Ausnahme  des 
Thaya-Viaductes  bei  Znaim  im  Mauerwerk  für 
Doppelgeleise  ausgeführt  [vrgl.  Abb.  44—48]. 

Die  staatlichen  Einrichtungen  für 
das  Eisenbahnwesen  erwiesen  sich  schon 
in  mancher  Beziehung  als  mit  sei- 
nem fortschreitenden  Wachsthum  und 
seiner  sich  rasch  mehrenden  Einwirkung 
auf  die  Verhältnisse  des  bürgerlichen  und 
geschäftlichen  Lebens  nicht  mehr  im 
Einklänge  stehend.  Regierung  und  Ge- 
setzgebung suchten  darum  das  Fehlende 
oder  Unzureichende  zu  schaffen,  bezie- 
hungsweise zu  ergänzen. 

Die  bereits  im  März  1856  organisirte 
technisch-administrative  Aufsichtsbehörde, 
die  k.  k.  General-Inspection  der 
österreichischen  Eisenbahnen, 
wurde  einer  durchgreifenden  Reorgani- 
sation unterzogen  und  ihr  Beamtenstand 
durch  neue  Kräfte,  die  dem  Personale 
der  Eisenbahnen  entnommen  wurden, 
wesentlich  vermehrt.*) 

Anlässlich  einiger  in  jener  Zeit  vorge- 
kommener Eisenbahn-Unfälle,  namentlich 
aber  infolge  jenes  auf  der  Böhmischen 
Westbahn    bei  Hofowitz    [10.  November 


*)  Näheres  vgl.  Bd.  I,  2.  Theil,  Dr.  Alfr. 
Freiherr  von  Buschman,  Verwaltungs- 
Geschichte  der  österreichischen  Eisenbahnen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


63 


1868],  sah  sich  die  Regierung  bemüssigt, 
ein  eigenes  Haftpflicht-Gesetz  für 
Eisenbahnen  [Gesetz  vom  5.  März  1869] 
zu  schaffen.  *) 

Dem  vielseitigen  Verlangen  nach  Er- 
mässigung der  Tarife  suchte  die  Regierung 
im  legislativen  Wege  [Regierungsvorlage 
vom  6.  Mai  1868]  und  später  durch  Ein- 
berufung einer  eigenen  Enquete  zu  ent- 
sprechen.    Das  Ergebnis  dieser  Verhand- 


grösserte,  desto  fühlbarer  wurde  der 
Mangel  eines  Behelfes  zur  Erlangung 
der  Kenntnis  jenes  neuen  wirthschaft- 
lichen  Factors.  Diese  in  der  Fachliteratur 
bestandene  Lücke  auszufüllen,  versuchte 
eine  zu  Beginn  des  Jahres  1868  unter 
dem  Titel  »Oesterreichisches 
Eisenbahn  -Jahrbuch«  erschienene 
Publication,  welche  eine  systematisch  ge- 
gliederte Sammlung  der  wissenswerthesten 


Abb.  45.    Bau  der  Nordwestbahnbrücke  über  die  Donau  bei  Wien. 


lungen  lieferte  ein  werthvolles  Materiale, 
aus  dem  im  Jahre  1870  der  Reform- 
Tarif  hervorging,  der  zuerst  auf  den 
Linien  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
zur  Anwendung  kam.**) 

Aber  auch  die  österreichische  Fach- 
literatur des  Eisenbahnwesens  war  bereits 
zu  weiterer  Ausdehnung  und  höherer 
Bedeutung  gelangt. 

Je  mehr  das  Eisenbahnnetz  der 
Monarchie  an  Ausbreitung  gewann  und 
der  Kreis    seiner  Interessenten    sich  ver- 


*)  Näheres  vgl.  Bd.  I,  2.  Theil,  Dr.  Victor 
Roll,  Entwicklung  der  österreichischen 
Eisenbahn  -  Gesetzgebung. 

**)  Näheres  vgl.  Bd.  III,  Alb.  Pauer, 
Frachten-Tarife. 


geschichtlichen,  finanziellen  und  tech- 
nischen Daten  über  die  heimischen  Eisen- 
bahnen enthielt.  Der  Versuch  glückte; 
das  Werk  konnte  —  Dank  der  Förderung 
von  Seite  zuerst  aller,  sodann  nur  der 
österreichischen  und  gemeinsamen  Bahnen, 
wie  auch  der  Centralbehörden  —  sich 
immer  besser  ausgestalten  und  als 
>  Eisenbahn-Jahrbuch  der  österreichisch- 
ungarischen Monarchie«,  über  ein  Viertel- 
jahrhundert hinaus  fortgesetzt  werden. 
Seine  alljährlichen  Zusammenfassungen 
der  jeweiligen  allgemeinen  Vorkommnisse 
auf  dem  Gebiete  des  Eisenbahnwesens 
der  Monarchie  und  die  Monographieen  der 
einzelnen  Unternehmungen,  seine  Ge- 
schichtstafeln    und     statistischen    Nach- 


64 


Ignaz  Konta. 


Weisungen,  die  theils  vollständigen,  theils 
auszugsweisen  Wiedergaben  der  Con- 
cessions-  und  sonstigen  wichtigen  Ur- 
kunden, Generalversammlungs-Beschlüsse 
etc.,  gestalteten  es  zu  einer  verlässlichen 
Grundlage  für  eine  künftige  Eisenbahn- 
Geschichtsschreibung. 

Als  naturgemässe  Ergänzung  dieser 
Publication  sollte  auch  eine  Sammlung 
der  Constitutiv-Urkunden  aller  damals 
bestandenen  österreichischen  und  unga- 
rischen Eisenbahnen  erscheinen.  Die 
Yerlagshandlung  gerieht  aber,  nachdem 
sie  das  vollständige  Manuscript  bereits 
übernommen  hatte,  in  Concurs.  Während 
der  hiedurch  eingetretenen  Verzögerung 
waren  jedoch  die  ersten  Hefte  der 
vortrefflichen,  zwar  nicht  auf  die  unga- 
rischen Bahnen  ausgedehnten,  jedoch 
in  überaus  gediegener  und  auch  amtli- 
cher Weise  bearbeiteten  >Sammlung 
der  das  österreichische  Eisen- 
bahnwesen betreffenden  Ge- 
setze, Verordnungen,  Staatsver- 
träge und  Constitutiv-Urkunden« 
von  Josef  Polanetz,  k.  k.  Ministerial- 
Secretär,  und  Dr.  Heinrich  Edlem  von 
Wittek,  k.  k.  Ministerial  -  Concipisten, 
erschienen  [1870],  ein  dem  Fachmanne 
unentbehrliches  Werk,  das  rasch  allge- 
meine Würdigung  und  Verbreitung  fand 
und  gegenwärtig  von  dem  k.  k.  Sections- 
rathe  Dr.  Schuster  Edler  von  B p n n o t 
in  Gemeinschaft  mit  dem  k.  k.  Ministerial- 
Secretär  Dr.  Weber  in  einer  neuen  Be- 
arbeitung ausgegeben  wird. 

An  Stelle  des  im  Ministerium  für 
Handel  und  Volkswirthschaft  redigir- 
ten  >Xotizenblatt  für  Eisenbahn-  und 
Dampfschiffahrt  -  Unternehmungen  « ,  das 
bis  zum  Jahre  187 1  als  Beilage  des 
Verordnungsblattes  für  den  Dienstbereich 
des  österreichischen  Finanzministeriums 
erschien,  trat  vom  Jahre  1 862  eine  eigene 
officielle  Zeitschrift,  das  trefflich  redigirte 
Centralblatt  für  Eisenbahnen 
und  Dampfschiffahrt  in  Oester- 
reich. 

Die  Statistik  der  österreichischen 
Eisenbahnen  war  bis  zum  Jahre  1 863  auf 
die  dankenswerthen,  immerhin  aber  spär- 
lichen Daten  der  von  der  k.  k.  statisti- 
schen Central  -  Commission  alljährlich 
veröffentlichten  Zusammenstellungen  und 


Mittheilungen  aus  dem  Gebiete  der  Sta- 
tistik angewiesen.  Auf  Anregung  des 
Handelsministeriums  stellte  die  k.  k. 
statistische  Central-Commission  in  ihrer 
Sitzung  vom  5.  Juni  1863  die  von  einem 
Special-Comite,  welchem  auch  Vertreter 
der  grösseren  Eisenbahn-Gesellschaften 
zugezogen  wurden,  berathenen  Formu- 
larien  für  eine  umfassende  Statistik  der 
österreichischen  Eisenbahnen  fest.  In- 
folgedessen wurde  durch  das  genannte 
Ministerium  auch  die  Vorlage  der  nach 
diesen  Formularien  verfassten  Nachwei- 
sungen der  Eisenbahn-Gesellschaften  für 
das  Jahr  1864  verfügt 

Erst  zwei  Jahre  später  lagen  die 
letzten  dieser,  vielfach  noch  mangelhaft 
ausgefertigten  Nach  Weisungen  vor,  auf 
deren  Grundlage  im  Jahre  1868  die  erste 
grössere  statistische  Zusammenstellung 
dieser  Art  [»Die  österreichischen  Eisen- 
bahnen und  ihr  Betrieb  im  Jahre  1864«] 
erschien. 

In  Ausführung  der  Bestimmungen 
des  §  14  des  provisorischen  Ueberein- 
kommens  zwischen  den  Regierungen 
beider  Staatshälften  [vom  29.  Juli  und 
21.  August  1868]  in  Bezug  auf  die 
Behandlung  der  Eisenbahn-Angelegen- 
heiten in  beiden  Staatsgebieten  wurde 
die  amtliche  Statistik  der  österreichischen 
und  ungarischen  Eisenbahnen  eingerichtet, 
deren  Ergebnis  im  Jahre  1870  zum  ersten 
Male  erschien. 

Die  Uebereinkommen,  welche  die 
Regierung  auf  Grund  der  Gesetze  vom 
20.,  beziehungsweise  23.  Mai  1869  hin- 
sichtlich der  »Refundirung  der  Staats- 
vorschüsse« mit  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  und  der  Böhmischen  Westbahn 
abgeschlossen  hatte,  verwischten  die 
letzten  Spuren  der  ehemaligen  Garantie- 
Streitigkeiten  mit  diesen  Unternehmun- 
gen. 

Für  die  räumliche  Weiterentwicklung 
des  österreichischen  Eisenbahnnetzes  ge- 
dachte die  Regierung  durch  eine  die 
Vervollständigung  desselben  betreffende, 
am  13.  März  1869  im  Abgeordnetenhause 
eingebrachte  Vorlage  in  ergiebigem  Masse 
vorzusorgen.  Dieser  Gesetzentwurf  war 
von  einer  Denkschrift  begleitet,  welche, 
ohne  ein  eigentliches  Programm  zu  ent- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


halten,  doch  alle  die  Linien  aufzählte, 
deren  Ausführung  bereits  als  nothwendig 
oder  wünschenswerth  galten,  und  auch 
die  Grundsätze  entwickelte,  die  bei  der 
Sicherstellung  der  neuen  Schienenwege 
eingehalten  werden  sollten.  Die  Mehrzahl 


Unternehmungen  [auch  der  Bau  auf  Staats- 
kosten blieb  nicht  ausgeschlossen]  con- 
cessionirt  werden  sollten,  je  nach  ihrer 
Wichtigkeit  und  Dringlichkeit  in  Aussicht 
genommen :  Die  bisher  üblich  gewesenen 
Zugeständnisse,    nämlich    Staatsgarantie 


Abb.  46      Thaya-Viaduct  bei  Znaim  [im  Bau]. 


derselben  hatte  die  Bestimmung,  volks- 
wirthschaftlichen  oder  [wie  insbesondere 
die  ungarisch-galizischen]  gesammtstaat- 
lichen  Interessen  zu  dienen,  oder  Ver- 
bindungen mit  dem  Auslande  oder  den 
Provinzen  unter  sich  herzustellen.  Als 
staatliche  Begünstigungen  waren  für  die 
einzelnen  Bahnen,  sofeme  sie  als  Privat- 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Tbeil. 


oder  Betheiligung  des  Staates  an  der 
Capitalsbeschaffung  nebst  neunjähriger 
Steuerfreiheit  [in  diesen  beiden  Fällen], 
oder  blos  eine  dreissigjährige 
Steuerfreiheit. 

Gerade  diese  letztere  Neuerung, 
welcher  die  Bedeutung  einer  dem  Staats- 
schatze Schonung  bringenden  Aenderung 

5 


66 


Ignaz  Konta. 


des  Systems  bei  Concessionirung  von 
Eisenbahnen  innewohnte,  begegnete  aber, 
weil  die  Regierung  die  Ermächtigung  zur 
Anwendung  der  neuen  Begünstigungsart 
ein  für  allemal  verlangte,  so  heftigem 
Widerstände,  dass  die  Vorlage  am 
29.  April  1869,  »mit  Rücksicht  auf  die 
Kürze  der  Zeit,  in  welcher  der  Schluss 
der  gegenwärtigen  Session  bevorsteht«, 
zurückgezogen  wurde,  und  das  Ministerium 
sich  begnügte,  die  Sicherstellung  einiger 
besonders  wichtigen  Linien  mittels  Special- 
gesetzen zu  bewirken. 

Damit  jedoch  die  Gesetzgebung  nicht 
der  Vorwurf  treffe,  dass  sie  jenes  gross- 
angelegte Gesetz  ablehnend  behandelte, 
und  dadurch  nicht  nur  das  Zustande- 
kommen so  mancher  Eisenbahnen  ver- 
hinderte, sondern  auch  den  Versuch  »ein 
neues  S3*stem  der  Concessionirung  auf- 
zufinden«, vereitelte,  —  brachte  der  Ab- 
geordnete Steffens  am  1.  Mai  1869  ein 
Gesetz  auf  Steuerbefreiung  für 
neue  Eisenbahnlinien  in  Vor- 
schlag, das  aber  nur  bis  zum  Zu- 
sammentritte des  nächsten  Reichsrathes 
Geltung  haben  und  Gelegenheit  bieten 
sollte,    das    neue    System    zu    erproben. 

Dieses  Gesetz  wurde  am  10.  Mai 
1869  vom  Abgeordnetenhause,  sodann 
binnen  wenigen  Tagen  auch  vom  Herren- 
hause angenommen,  und  erhielt  am 
20.  Mai   1869  die  a.  h.  Sanction. 

Zu  denjenigen  Linien,  welche  im  Jahre 
1869  auf  Grund  von  Specialgesetzen  ins 
Leben  gerufen  wurden,  zählen,  ausser  den 
schon  vorher  besprochenen  Ergänzungen 
[Laibach-Tarvis]  der  Kronprinz  Rudolf- 
und  [Absdorf-Krems]  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn,  vor  Allem  die  Fortsetzungen 
der  Südbahn  von  V i  1 1  a c h  nach  Fran- 
zensfeste [Pusterthal-Bahn]  und  von 
St.  Peter  nach  Fiume,  deren  erste  die 
Aufhebung  der  Abgeschiedenheit  der 
Tiroler  Bahn  von  dem  übrigen  Netze  der 
Gesellschaft  sowie  die  ebensowohl  aus 
commerziellen  als  aus  militärischen  Rück- 
sichten wichtige,  südliche  Verbindung  mit 
Tirol,  die  zweite  hingegen  die  Eröffnung 
eines  zweiten  grossen  Hafens  für  den 
österreichischen  Handel  bezweckte. 

Die  Wichtigkeit  dieser  Linien  veran- 
lasste die  Regierung  gleich  nach  den 
Ereignissen  des  Jahres  1 866,  die  Südbahn, 


die,  in  Gemässheit  der  Concessions- 
Urkunde  vom  23.  September  1858,  zum 
Bau  derselben  verpflichtet  war,*)  wenn 
die  Staatsverwaltung  ein  Dritttheil  der 
Herstellungskosten  des  Unter-  und  Ober- 
baues [mit  Inbegriff  der  Grundeinlösung] 
auf  sich  nähme,  zur  Erfüllung  ihrer  Ob- 
liegenheit aufzufordern  und,  über  Ein- 
schreiten der  Gesellschaft,  die  Geneigtheit 
zur  Gewährung  günstigerer  Bedingungen 
zu  bekunden.  Eine  Verständigung  kam 
jedoch  weder  damals,  noch  beim  Ab- 
schlüsse des  Vertrages  vom  13.  April 
1867  zustande.  Etwas  später  gelang  es 
zwar  die  Hauptpunkte  einer  Vereinbarung 
festzustellen,  die  darauf  hinausgingen, 
dass  die  Regierung  eine  Subvention  in 
der  ungefähren  Höhe  des  Dritttheiles  der 
Baukosten  und,  behufs  Erleichterung  der 
Geldbeschaffung,  die  Aufnahme  eines 
Specialanlehens  bewilligte,  »auf  dessen 
Obligationen  die  Staatsgarantie  erwähnt 
werden  würde«.  Thatsächlichen  Erfolg 
aber  hatte  auch  dies  nicht ;  das  Ministerium 
holte  vielmehr  mittels  einer  eigenen 
Regierungsvorlage  [13.  März  1869]  beim 
Reichsrathe  die  Ermächtigung  ein,  die 
Südbahn  von  der  Verpflichtung  zum  Baue 
jener  beiden  Linien  zu  entheben,  und  die 
Ausführung  derselben  unter  Zugestehung 
der  Garantie  eines  5°/(,igen  Reinerträg- 
nisses von  dem  wirklich  aufgewendeten 
Anlage-Capitale  [bis  zur  Höhe  von 
1,450.000  fl.  pro  Meile  der  Fiumaner, 
beziehungsweise  1,250.000  fl.  pro  Meile 
der  Pusterthal-Bahn]  sicherzustellen,  be- 
ziehungsweise in  dem  Falle,  als  die 
Staatsverwaltung  von  dieser  Ermächtigung 
keinen  Gebrauch  machen,  sondern  die 
Südbahn  zur  Erfüllung  ihrer  Verpflichtung 
verhalten  wollte,  den  concessionsmässigen 
Staatsbeitrag  mit  einer  Summe  von 
höchstens  13,000.000  fl,  zu  pauschaliren 
oder  auch  ein  5%iges  Reinerträgnis  des 
wirklich  aufgewendeten  Anlage-Capitals 
zuzusichern.  Erst  dieses  von  den  beiden 
Häusern  des  Reichsrathes  glatt  erledigte 


*)  In  der  Concessions  -  Urkunde  vom 
23.  September  1858  ist  zur  Verbindung  der 
Kärntner  mit  der  Tiroler  Bahn  die  Linie 
Villach-Brixen  vorgesehen;  in  dem  Ueber- 
einkommen  vom  27.  Juli  1869  ist  die  Führung 
derselben  nach  Franzensfeste  [statt  nach 
Brixen]  festgestellt  worden. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


67 


Abb.  47.     Zu, um. 


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Abb.  48.    Trautenau. 


68 


Ignaz  Konta. 


und  am  20.  Mai  1869  a.  h.  sanctionirte 
Gesetz  führte  zu  der  gewünschten  Ueber- 
einkunft  [27.  Juli  1869],  vermöge  deren 
die  Südbahn  den  Bau  der  beiden,  einen 
integrirenden  Bestandtheil  des  österreichi- 
schen Netzes  der  Gesellschaft  bildenden 
Bahnen  gegen  einen  mit  13,000.000  fl. 
pauschalirten,  in  sieben  Halbjahrsraten  ab 
2.  Januar  1870  zahlbaren  Staatsbeitrag 
übernahm  und  ermächtigt  wurde,  das 
nöthige  Capital  durch  ein  Special- Anlehen 
zu  beschaffen,  auf  dessen  Obligationen 
die  Staatsgarantie  in  entsprechender  Weise 
ersichtlich  gemacht  ist. 

Da  die  Baufrist  knapp  [bis  1.  Juli, 
beziehungsweise  1.  September  1872] 
bemessen  und  das  Bauproject  längst 
vorbereitet  war,  folgte  dem  Abschlüsse 
des  eben  erwähnten  Uebereinkommens 
mit  der  Regierung  sogleich  die  Ver- 
gebung des  Baues.  Denjenigen  der 
Linie  St.  Peter-Fiume  erstand  die  Unter- 
nehmung Gobbert,  Roman  &  Comp., 
jenen  der  Strecke  Villach- Lienz  die 
Unternehmung  Gouin  &  Comp.,  und  zwar 
beide  im  Pauschalaccorde ;  in  gleicher 
Weise  wurde  am  9.  October  1869  auch 
die  Strecke  Lienz-Franzensfeste  an  die 
Unternehmung  Hügel,  Sager  und  Anger- 
mann vergeben. 

Ein  Theilbetrag  des  Specialanlehens, 
nämlich  40.000  Stück  5%iger  Obliga- 
tionen ä  200  fl.  gelangte  zum  Curse  von 
9O°/0  schon  am  2 1 .  Juni  1 869  im  Wege 
der  öffentlichen  Subscription  zur  Aus- 
gabe, wobei  im  Ganzen  5,669.919  Obli- 
gationen gezeichnet  wurden. 

Die  2og"2  km  lange  Linie  Villach-Fran- 
zensfeste wurde  binnen  26  Monaten  voll- 
endet und  am  30.  November  1 87 1  eröffnet. 

Die  technische  Leitung  der  Puster- 
thal-Bahn, deren  Bauausführung  abermals 
einen  bedeutenden  Fortschritt  der  öster- 
reichischen Eisenbahn  -  Technik  nach- 
wies, lag  in  Händen  des  Directors  Karl 
Prenninger;  die  Ausführung  der  Hoch- 
bauten leitete  der  bewährte  Architekt  der 
Südbahn,  Director  Wilhelm  Flattich. 

Der  Bau  der  54-4  km  langen,  gleich- 
falls sehr  schwierigen  Linie  St.  Peter- 
Fiume  erlitt  dagegen  infolge  Insolvenz 
der  unfähigen,  den  schwierigen  Bauaus- 
führungs-Verhältnissen nicht  gewachsenen 
französischen  Bauunternehmung  eine  Ver- 


zögerung, welche  die  Südbahn  durch 
die  alsbald  bewerkstelligte  Weiterfüh- 
rung der  Arbeiten  in  eigener  Regie  mög- 
lichst wettzumachen  suchte ;  die  Ver- 
langsamung der  Fiumaner  Hafenbauten, 
und  grosse  Dammrutschungen  in  der 
Bittinje  -  Schlucht  verursachten  jedoch 
neue  Hemmnisse,  so  dass  die  Bahn  erst 
am  25.  Juni  1873  dem  Betriebe  über- 
geben werden  konnte. 

Zu  Ende  jenes  Jahres  betrugen 
die  Anlagekosten  der  ersteren  Linie 
27,324.216  fl.  und  jene  der  letzteren  Linie 
11,850.640  fl.,  erhöhten  sich  aber  weiter- 
hin noch  um  1  bis  ilj2  Millionen  Gulden. 

Die  Pusterthal  -  Bahn  Vill  ach-Fran- 
zensfeste durchzieht  ein  an  Naturschön- 
heiten reiches  Gebiet.  Sie  trägt  in  der 
Strecke  Villach-Lienz  den  Charakter  einer 
Thalbahn,  von  Lienz  bis  Franzensfeste  hin- 
gegen ganz  ausgesprochen  den  einer  Gebirgs- 
bahn. 

Das  Xeigungsverhältnis  der  Villach- 
Lienzer  Strecke  übersteigt  nicht  I  :  200, 
während  auf  derLienz-Franzensfester  Strecke 
Steigungen  bis  I  :  40  vorkommen. 

Von  Villach  bis  Lienz  läuft  die  Bahn 
in  dem  von  mächtigen  Bergen  umschlossenen 
Thale  beinahe  durchaus  am  linken  Ufer  der 
Drau.  Hier  waren  sehr  bedeutende  Ufer- 
schutzbauten nothwendig.  An  grösseren 
Objecten  kommen  in  dieser  Theilstrecke 
sieben  Gitterbrücken  vor,  worunter  die  über 
den  Lienzfluss  bei  Spital  und  über  die  Drau 
bei   Oberdrauburg    die    bedeutendsten    sind. 

Von  Lienz  aufwärts  läuft  die  Linie  an- 
fänglich noch  im  Thale,  bis  sie  vor  Lienz  die 
Lehne  erreicht  und  mit  einer  Steigung  von 
1  :  40  durch  die  Gebirgsschlucht  bei  Abfalters- 
bach  geführt  wurde.  Die  Bahn  übersetzt 
sodann  die  Drau,  wird  bis  Unter- Vierschach 
am  rechten  Ufer  derselben  geführt,  geht  hier 
abermals  auf  das  linke  Ufer  über  und  erreicht 
bei  Toblach  die  Wasserscheide  zwischen  der 
Drau  und  der  Rienz.  Von  hier  geht  die 
Bahn  in  der  Thalsohle  der  Rienz  bis  Wels- 
berg und  sodann  an  der  Lehne  bis  Bruneck, 
vor  welchem  Orte  die  Rienz  mittels  eines 
Viaductes  übersetzt  wird. 

Von  Bruneck  bis  Mühlbach  den  Cha- 
rakter der  Thalbahn  tragend,  verlässt  die 
Linie  unterhalb  des  letztgenannten  Ortes  das 
Rienzthal  und  biegt  über  die  sogenannte 
Schabserhöhe  in  das  Eisackthal  ein,  wo  sie 
endlich  nach  Uebersetzung  des  Eisack  und 
nach  Passirung  der  äusseren  Forts  der 
Festung  Franzensfeste  in  die  Brennerbahn 
einmündet. 

In  der  Strecke  Lienz  -  Franzensfeste 
kommen  an  bedeutenderen  Objecten  fünf 
Tunnels  und  sechzehn  Gitterbrücken  vor. 
Unter  den  Tunnels  sind  der  Lamprechtburger 
Tunnel  unter  den  Ruinen  der  gleichnamigen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


69 


Burg  bei  Bruneck,  300  m  lang,  und  der 
Ochsenhügel -Tunnel  bei  Schabs,  die  her- 
vorragendsten. Die  grössten  Gitterbrücken 
sind  jene  bei  der  Uebersetzung  der  Eisack 
bei  Franzensfeste  mit  sieben  Oeffnungen, 
der  Viaduct  beim  Ausgang  aus  der 
Franzensfeste  mit  sechs  Oeffnungen,  die 
Wallerbach-Brücke  bei  Mühlbach  und  end- 
lich die  Rienzübersetzung  bei  Percha. 
Aus  strategischen  Rücksichten  mussten 
die  Gitterbrücken  vor  und  hinter  der 
Franzensfeste  zum  Einziehen  eingerichtet 
werden. 

Die  Strecke  Lienz-Franzensfeste  enthält 
auch  mehrere  gewölbte  Brücken  von  grösse- 
rer Spannweite,  unter  denen  jene  über  den 
Furkelbach  bei  Ollang  hervorzuheben  ist. 
In  dieser  Strecke  waren  ferner  auch  längs 
der  Drau  und  Rienz  Uferschutzbauten  und 
Flusscorrectionen  von  bedeutendem  Umfange 
nothwendig.  [Vgl.  Abb.  49—56,  die  Bilder 
aus  der  Bauzeit  nach  photographischen  Auf- 
nahmen im  Privatbesitze  des  technischen 
Consulenten  der  Südbahn,  k.  k.  Oberbaürath 
Karl  Prenninger.] 

Die  Linie  St.  Peter-Fiume  zweigt  in 
der  Station  St.  Peter  [auf  der  Wasserscheide 
der  Poik  und  Recca,  beziehungsweise  der 
Save  und  dem  Adriatischen  Meere]  von  der 
Südbahn    ab,    führt  mehrere  Kilometer   weit 


über  steriles  Karstgebirg,  durchschneidet  hier- 
auf mehrere  Seitenthäler  des  Reccathales  und 
zieht  dann  durch  dieses  selbst  bis  zur  Station 
Dornegg.  Der  Bahnbau  in  dieser  Strecke  ist 
:   infolge  der  Terrainverhältnisse  und    der  un- 
günstig abfallenden    Schichtungen    der  quer 
durchschnittenen  Sandstein-  nnd  Mergelforma- 
tion ein  überaus  schwieriger  und  kostspieliger 
|   gewesen.    Er  erheischte  drei    Tunnels,    viele 
bedeutende   Einschnitte    und    hohe    Dämme, 
1   von  welchen  letzteren  der  über  die  Bittinje- 
:   Schlucht    führende,    eine    Maximalhöhe    von 
I   52  m  erreicht.     Von  Dornegg   aus  führt  die 
Trace    über     den     Freistritzbach     und     die 
!   Recca,  steigt  dann  sanft  das  Loccathal  hinan 
'   und   erreicht    bei    Maloberzhe    die    Wasser- 
scheide   zwischen    der    Recca    und    Bruzna, 
welche  zugleich   die  Landesgrenze  zwischen 
Krain    und    dem  Küstenlande  bildet.     Diese 
Wasserscheide    wird    mittels    eines   624'  I  in 
langen  Tunnels  durchfahren,  durch  welchen 
die    Bahntrace    in    das   Bruznathal    gelangt. 
Hier  geht    die  Tafelformation   wieder  plötz- 
lich   in    die  Karstformation    über   und    nach 
einem   nur   etwa   2  km    langen   Laufe    ver- 
schwindet   der  Bruznabach  in    einer    Karst- 
höhle.    Unweit     derselben    ist    die     Station 
Sapiane  gelegen,  von  welcher  aus  die  Trace 
wieder  bis  nach  Jurdani  über  steriles  Karst- 
gestein dahinzieht. 


Abb.  49.    Der  Bau  der  Pusterthal-Bahn  in  der  Lienzer  Klause. 


jo 


Ignaz  Konta. 


Hinter  der  Station  Jurdani  beginnt  die 
Absenkung  des  Terrains  in  das  Littorale  von 
Fiume  und  mit  dieser  die  Abweichung  von 
der  bis  hieher  ziemlich  geraden  Richtungs- 
linie derTrace.  Diese  ward  erforderlich,  um  die 
vorgeschriebene  Maximalsteigung  von  I  :  40 
nicht  überschreiten  zu  müssen.  Unter  diesen 
Xeigungsverhältnissen  erreicht  die  Bahntrace 
die  Station  Mattuglie  und  schliesslich  Fiume, 
woselbst  sie  in  den  [von  der  königlich 
ungarischen  Regierung  erbauten]  Bahnhof  der 
Carlstadt-Fiumaner  Bahn  [königlich  unga- 
rische Staatsbahn]  einmündet. 

Zwischen  Jurdani  und  Mattuglie  befindet 
sich  der  3107  m  lange  Rukawac -Tunnel. 
In  letzterer  Theilstrecke  waren  wieder  be- 
deutende Felsarbeiten  nothwendig,  von 
welchen  die  beiden  grossen  Einschnitte  nächst 
Fiume  am  bemerkenswerthesten  sind. 

In  der  Reihenfolge  der  Sanctionirung 
der  auf  österreichische  Eisenbahnbauten 
bezüglichen,  damals  erlassenen  Gesetze 
folgte  als  zweites  jenes  vom  23.  Mai  1869, 
das  die  Umgestaltung  der  Linz-Budweiser 
Pferdebahn  in  eine  Locomotivbahn  betraf. 
Diese  Linie  der  »ersten  österreichi- 
schen Eisenbahn«  entsprach  schon  lange 
nicht  mehr  den  Anforderungen  des  Ver- 
kehres und  die  Regierung  hatte  darum 
schon  am  8.  Juni  1867  die  Kaiserin  Elisa- 
beth-Bahn, welche  als  Besitzerin  der 
Pferdebahn  zur  Umgestaltung  derselben  bis 
spätestens  zum  Ablauf  des  ursprünglichen 
Privilegiums,  nämlich  bis  7.  September 
1874,  verpflichtet  war,  zur  Vornahme 
der  technischen  Vorarbeiten  aufgefordert. 
Das  Ergebnis  der  letzteren  führte  nun  zu 
der  Ueberzeugung,  dass  aus  Verkehrs- 
und staatlichen  Rücksichten  ein  zwei- 
facher südlicher  Anschluss  mit  je  beson- 
derem Donauübergange,  nämlich  bei  Linz 
und  unterhalb  Mauthausen,  unerlässlich 
sei.  Auch  das  Abgeordnetenhaus  hatte  bei 
seiner  Entschliessung  vom  26.  September 
1867,  mittels  deren  es  die  Regierung 
um  eheste  Bewirkung  des  Umbaues  an- 
ging, den  Doppelanschluss  in  Aussicht 
genommen,  der  so  gedacht  war,  dass 
die  Hauptbahn  Budweis  über  Wartberg 
nach  Linz  und  eine  Zweigbahn  von 
Wartberg  über  Mauthausen  nach  St. 
Valentin  zum  Anschlüsse  an  die  Kron- 
prinz Rudolf-Bahn  führen  solle.  In  diesem 
Sinne  wurden  denn  auch  die  Verhand- 
lungen über  die  Bedingungen  des  Baues 
und  Betriebes  dieser  Linien  mit  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  gepflogen. 


Am  18.  Juni  1868  forderte  das  Abge- 
|  ordnetenhaus  die  Regierung  auf,  die  Ver- 
handlungen zu  beschleunigen  und  »die 
Gesetzesvorlage  hierüber  noch  in  dieser 
Session  einzubringen«.  Das  war  nun 
leichter  gewünscht  als  vollbracht;  denn 
die  Regierung  wollte  die  Verhandlungen 
auch  zur  endlichen  Herbeiführung  der 
gleichfalls  schon  seit  Langem  in  Schwebe 
gewesenen  Refundirung  der  Garantie-Vor- 
schüsse der  Kaiserin  Elisabeth  -  Bahn 
benützen  und  jede  der  beiden  Fragen 
bot  Schwierigkeiten  genug.  Es  gelang 
jedoch  immerhin,  die  Vereinbarung  noch 
knapp  vor  Schluss  des  Reichsrathes  zu 
erzielen  und  der  verfassungsmässigen 
Behandlung  zuzuführen.  Das  am  1.  Mai 
1869  dem  Abgeordnetenhause  vorgelegte 
und  ■  von  diesem  sogleich  dem  volks- 
wirtschaftlichen Ausschusse  zur  Vorbe- 
rathung  überwiesene  Uebereinkommen 
setzte  die  Trace  der  neuen  Linien  fest, 
bemass  die  Frist  für  die  Vollendung  des 
ehestens  zu  beginnenden  Baues  mit 
vier  Jahren  und  das  Anlage-Capital 
derselben  mit  einem  Höchstbetrage  von 
1,340.000  fl.  pro  Meile,  sicherte  ein 
5%iges  Reinerträgnis  sowie  eine  neun- 
jährige Steuerfreiheit  zu,  regelte  die 
Führung  des  Baucontos  und  der  Betriebs- 
rechnung, die  in  den  ersten  neun  Be- 
triebsjahren von  jener  des  alten  Netzes 
gesondert  bleiben  sollte,  und  enthielt  im 
Wesentlichen  noch  folgende  Bestimmun- 
gen: Die  Gesellschaft  ist  verpflichtet, 
die  bei  ihr  noch  aushaftenden  Staats- 
vorschüsse sammt  4°/0  Zinsen  im  Laufe 
des  Jahres  1869  zu  refundiren,  wobei 
ihr  ein  Sechstheil  der  Schuld  nachge- 
sehen und  gestattet  wird,  die  übrigen  fünf 
Sechstheile  in  gesellschaftlichen  Actien 
zum  vollen  Nennwerthe  zu  begleichen ; 
das  hiezu  erforderliche  [Actien-]  Capital 
darf  dem  garantirten  Anlage  -  Capitale 
des  alten  Netzes  zugerechnet  werden; 
zur  Abstattung  etwaiger  künftiger  Vor- 
schüsse ist  nur  die  Hälfte  und,  falls  nach 
der  Auflassung  der  getrennten  Betriebs- 
rechnung noch  Vorschüsse  aushaften 
würden,  welche  ausschliesslich  von  den 
neuen  Linien  herrühren,  blos  ein  Dritt- 
theil  des  Reinerträgnisses  zu  verwenden, 
!  so  dass  der  Gesellschaft  die  Hälfte,  be- 
I  ziehungsweise  zwei  Dritttheile  des  letzteren 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs 


71 


zur  freien  Verfügung  bleiben;  der  Kauf- 
schilling für  die  alte  Linz-Budweiser 
Bahn  [3,500.000  fl.]  wird  auf  das  An- 
lagekapital der  neuen  Linien  übertragen ; 
die  Dauer  der  Concession  der  alten  und 
der  neuen  Linien  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  wird  gleichmässig  auf  85  Jahre, 
gerechnet  vom  Tage  der  Betriebseröff- 
nung der  neuen  Linien,  festgestellt. 


die  Regierung  zum  definitiven  Abschlüsse 
desselben  ermächtigte,  am  23.  Mai  1869 
die  a.  h.  Sanction.  Die  Generalversamm- 
lung vom  16.  Juni  1869  stimmte  dem 
Uebereinkommen  vollinhaltlich  zu,  worauf 
es  am  30.  Juni  1869  endgiltig  ausge- 
fertigt wurde  —  zum  Nutzen  beider 
Theile.  Die  Regierung  erzielte  damit 
den  sofortigen  Umbau  der  für  den   neu- 


Abb.  50.     Station  Innicbcn  [im  Bau]. 


Die  Erledigung  dieser  Vorlage  war 
eine  sehr  beschleunigte.  Am  8.  Mai 
wurde  sie  in  zweiter  und  dritter  Lesung 
vom  Abgeordnetenhause  angenommen, 
allerdings  unter  Herabminderung  des 
Anlage-Capitals  der  neuen  Linien  auf 
1,200.000  fl.  pro  Meile  —  eine  Aende- 
rung,  welche  jedoch  das  Herrenhaus  in 
seiner  Sitzung  vom  12.  Mai  milderte, 
indem  es  sich  für  einen  Betrag  von 
1,280.000  fl.  entschied,  was  schliesslich 
auch  das  Abgeordnetenhaus  that.  In 
dieser  Fassung  erhielt  das  Ueberein- 
kommen,   wie  auch  das  Gesetz,  welches 


zeitigen  Verkehr    nicht    mehr  tauglichen 
alten   Pferdebahn  sowie  die   dem  Staats- 
schatze      willkommene      Rückerstattung 
der     gesellschaftlichen    Vorschussschuld, 
welche     nach     Abschlag     von     Steuern 
und      des     nachgesehenen      Sechstheiles 
noch    immer    4,751.766    fl.    30    kr.    be- 
trug; der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  brachte 
es    die    seit    vielen    Jahren    angestrebte 
freie   Verfügung    über    ihre    Erträgnisse, 
I  unmittelbare     finanzielle    Vortheile     und 
!  eine  mittelbare    Verlängerung    der   Con- 
cessionsdauer    der    alten  Linien    um    elf 
\  Jahre. 


72 


Ignaz  Konta. 


Abb.  51.  Toblach. 

Nun  schritt  die  Gesellschaft  unverweilt 
zur  Erfüllung  ihrer  Obliegenheiten ;  sie 
tilgte  die  Vorschussschuld  durch  Ueber- 
gabe  von  22.627  Actien  ä  210  fl.  aus 
den  Beständen  der  im  Jahre  1857  zurück- 
gekauften ursprünglichen  Actien,  und 
96  fl.  30  kr.  in  Baarem  an  die  Staatsver- 
waltung, beschaffte  sich  vorläufig  einen 
Theil  des  Anlage-Capitals  für  die  neuen 
Linien  durch  Ausgabe  von  10,000.000  fl. 
in  Actien  [50.000  Stück  ä  200  fl.]  und 
5,000.000  fl.  in  Prioritäts:Obligationen 
[25.000  Stück  ä  200  fl.],  welche  Werthe 
zumeist  von  den  Besitzern  der  älteren 
Actien  bezogen  wurden,  und  vergab  am 
14.  August,  im  Offertwege,  den  Bau  an 
die  »Allgemeine  österreichische  Bau- 
gesellschaft«, welche  die  gesammte  Her- 
stellung der  Bahn,  ausschliesslich  der 
beiden  Donaubrücken  bei  Steyregg  und 
Mauthausen,  um  die  Pauschalvergütung 
von  7,497.426  fl.  übernahm,  mit  der 
Verpflichtung,  den  ganzen  Bau  bis 
spätestens    31.   Juli    1872    zu  vollenden. 

Die  Herstellung  der  beiden  Donau- 
brücken, deren  Kosten  mit  3,022.000  fl. 
veranschlagt  gewesen,  wurde  mittels  des 
am  10.  December  1869  genehmigten 
Vertrages,  gegen  Bezahlung  von 
2,160.585  fl.,  an  die  Witkowitzer  Ge- 
werkschaft im  Vereine  mit  der  Unter- 
nehmung Gebrüder  Klein,  Schmoll  und 
Gärtner  übertragen.  Am  18.  August  1869 
begonnen,  machten  die  Bauarbeiten  an- 
fänglich rasche  Fortschritte;  späterhin 
begegneten  sie  jedoch  grossen  Schwierig- 
keiten    [andauernde     Rutschungen      der 


Dämme  und  Einschnitte  bei  Gaisbach  etc.] 
und  wurden  überdies  durch  Elementar- 
Ereignisse  gestört.  Schliesslich  verliess 
die  Bauunternehmung  am  13.  Juni  1873 
in  Vertragsbrüchiger  Weise  den  Bau, 
und  die  Bahngesellschaft  sah  sich  ge- 
nöthigt,  denselben  in  eigener  Regie  zu 
Ende  zu  führen,  gegen  die  Unternehmung 
aber  einen  Process  anzustrengen,  der 
sich  sehr  lange  hinschleppte.  Die  Linie 
Budweis  -  St.  Valentin  konnte  zur  Gänze 
erst  am  2.  December  1872  und  die  Strecke 
Linz-Gaisbach  gar  erst  noch  ein  Jahr 
später  in  Betrieb  gesetzt  werden. 

Es  wurden  eröffnet : 

Zartelsdorf-Summerau,  lyg km ,  1.  December 
1871. 

Summerau-Freistadt,  9'4  km,  6.  November  1872. 

Freistadt-St.  Valentin,  45  8  km,  für  den  Güter- 
verkehr, 6.  November  1872;  für  den  Ge- 
sammtverkehr,  2.  December  1872. 

Linz-Gaisbach  [Wartberg],  24*4  km,  20.  De- 
cember 1873. 

Der  Betrieb  mit  Pferden  auf  den 
letzten  Strecken  der  alten  Linz-Budweiser 
Bahn  ist  erst  am  15.  December  1872 
gänzlich  eingestellt  worden. 

Am  Schlüsse  des  ersten  vollen  Be- 
triebsjahres der  neuen  Linien  haben  die 
Anlagekosten  derselben,  einschliesslich 
des  Kaufschillings  für  die  alte 
Pferdebahn  [3,500.000  fl.],  im  Ganzen 
25,891.438  fl.  betragen;  in  der  Folge 
erhöhten  sie  sich  aber  noch  um  mehr 
als  1,500.000  fl.  Zur  Bedeckung  dieses 
Aufwandes  wurden  ausser  den  gleich 
im  Jahre  1869  ausgegebenen  Werthen 
im  Nominalbetrage  von  15,000.000  fl. 
über  Beschluss  der  Generalversammlung 
vom  17.  Mai  1871  noch  56.000  Prioritäts- 
Obligationen  ä  200  fl.  =  11,200.000  fl. 
emitrirt,  beziehungsweise  den  Actionären 
zum  Curse  von  97°/0  überlassen. 
[24.  Mai  bis  3.  Juni   1871.] 

Die  Linie  St.  Valentin-Budweis  mündet 
am  nordöstlichen  Ende  der  Station  St. 
Valentin  aus,  setzt  bei  Mauthausen  —  unweit 
der  Ennsmündung  —  über  die  Donau,  zieht 
dann  an  den  Ausläufern  des  dortigen  Granit- 
ge'oirges  in  das  Poneggerthal,  passirt  mittels 
eines  tiefen  Einschnittes  die  Wasserscheide 
und  trifft  in  Gaisbach  [Wartberg]  mit  dem 
von  Linz  aus  hieher  führenden  Bahnflügel 
zusammen 

Von  Gaisbach  [Wartberg]  führt  die  Trace 
nach  Pregarten,    hinter  welcher  Station   die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


73 


Aist  übersetzt  wird,  und  hernach  theils  auf, 
theils  längs  dem  Gehänge  der  Feidaist,  über 
Käfermarkt,  oberhalb  welcher  Station  die  Aist 
zum  zweiten  Male  übersetzt  wird,  nach  Frei- 
stadt und  von  da  nach  Summerau.  Von  hier 
aus  sich  zumeist  den  Ausläufern  des  dor- 
tigen Granitgebirges  anschliessend,  führt  die 
Trace  über  Böhmisch-Hörschlag,  in  dessen 
Nähe  die  Landesgrenze  zwischen  Oesterreich 
und  Böhmen  überschritten  wird,  nach  Zartles- 
dorf, erklimmt  sodann  die  grosse  Wasser- 
scheide [zwischen  dem  Donau-  und  Moldau- 
Gebiete]  bei  Trojern,  um,  zumeist  die  Trace 
der  ehemaligen  Pferdebahn  verfolgend,  über 
Kaplitz,  Weleschin  [Krumau],  Holkau  und 
Steinkirchen  nach  Budweis  zum  An- 
schlüsse an  die  Franz  Josef-Bahn  zu  ge- 
langen. 

Die  Terrainverhältnisse  waren  äusserst 
schwierige,  es  mussten  Einschnitte  bis  zu  einer 
Tiefe  von  etwa  18  m  [hierunter  manche  in 
Granitfels,  wie  beispielsweise  ausserhalb  der 
Stationen  Pregarten  und  Freistadt]  und  Auf- 
dämmungen bis  zu  15  m  Höhe  hergestellt  und 
ausserdem  sehr  kostspielige  Schutz-  und  Ver- 
sicherungsbauten ausgeführt  werden. 


Eine    dritte,     mittels    Specialgesetzes 
sichergestellte     und     mit    Staatsgarantie 


und 
die 
des 


ausgestattete  Eisenbahn  war  die  Linie 
Bludenz-Bregenz  nebst  den  Ab- 
zweigungen Feldkirch-Buchs 
Lautrach-St.  Margarethen, 
schon  vorlängst,  in-  und  ausserhalb 
eigenen  Landes,  als  »Vorarlberger 
Bahn«  bezeichnet  wurde  und  diesen 
Namen  hernach  auch  amtlich  beigelegt 
erhielt.  Als  Ausgangs-,  beziehungsweise 
Endstück  der  schon  zur  Zeit  der  ersten 
Ministerschaft  des  genialen  Brück  ge- 
planten und  von  diesem  für  hochwichtig 
anerkannten  Schienenstrasse  zur  Verbin- 
dung des  Bodensees  mit  der  Adria,  ge- 
hört sie  zu  den  ältesten  österreichischen 
Eisenbahn-Projecten.  Urheber  des  Gedan- 
kens, jene  Verbindung  zu  bewerkstelli- 
gen, war,  wie  an  anderer  Stelle*)  er- 
wähnt wurde,  der  wackere  Präsident 
der    Feldkircher     Handelskammer,     Karl 


*)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach, 
Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreich- 
Ungarns  von  den  ersten  Anfängen  bis  1867. 
S.  496. 


Abb.  52.    Tunnel-Eingang  bei  der  Lamp  rechts  bürg  [im  Bau], 


74 


Ignaz  Konta. 


Ganahl,  der  auch  fast  ein  Vierteljahr- 
hundert lang  für  die  Verwirklichung  seiner 
Idee  thätig  gewesen.  Nachdem  das 
Project  der  »Bodensee-Gürtelbahn«  in 
die  Brüche  gegangen  war,  trat  der 
unermüdliche  Ganahl  neuerdings  in 
Thätigkeit,  indem  er  die  vollständigen 
Pläne  für  die  Linie  Innshruck-Feldkirch  *) 
einreichte  und  um  die  Concession  für 
eine  von  der  Landeshauptstadt  Tirols  bis 
an  den  Bodensee  reichende  Eisenbahn 
in  Bewerbung  trat  [Februar  1868].  Da 
kamen  aber  wieder  die  von  Bozen  aus- 
gegangenen Gegenbestrebungen  dazwi- 
schen, welche  eine  —  für  österreichische 
Begriffe  zumindest  recht  eigenartige  — 
Verbindung  der  Adria  mit  dem  Bodensee, 
beziehungsweise  Vorarlbergs  mit  dem 
grossen  Verkehre,  nämlich  die  Linie 
[Venedig-]  Treviso  -  Bassano  -  Valsugana- 
Trient  -  Bozen-Meran-Glurns-Chur-Boden- 
see  zum  Zwecke  hatten.  Das  war  übri- 
gens bald  abgethan.  Die  Hauptsache, 
um  welche  es  sich  den  Boznern  handelte 
—  der  Linie  Bozen-Meran-Chur  einen 
Platz  unter  den  Eisenbahn-Projecten  zu 
verschaffen  —  war,  allerdings  für  eine 
fernere  Zukunft,  erreicht,  und  das  übrige 
Beiwerk  konnte  gegenüber  dem  altehr- 
würdigen natürlichen  Projecte  Innsbruck- 
Arlberg-Bodensee  überhaupt  nicht,  ge- 
schweige denn  als  Ersatz  desselben, 
ernstlich  in  Betracht  kommen.  Es  war 
in  der  weitreichenden  Gesetzesvorlage 
vom  13.  März  1869  mitenthalten,  und 
nach  ihrer  Zurückziehung  brachte  der 
Handelsminister  am  1.  Mai  1869  ein  die 
Linie  Bludenz-Feldkirch-Bregenz-Bayeri- 
sche  Grenze  [bis  Laiblach]  nebst  den  Ab- 
zweigungen von  Feldkirch  nach  Buchs 
und  von  Lautrach  nach  St.  Margarethen 
betreffendes    Specialgesetz    im   Abgeord- 


*)  Diese  Pläne  liess  Ganahl  auf  Grund 
der  Vorconcession,  welche  er  anlässlich  der 
Inangriffnahme  der  Brennerbahn  erbeten  und 
im  Vereine  mit  den  Firmen:  Getzner,  Mutter 
&  Comp.,  Sysi,  Duglas  u.  A.  am  9.  April 
1865  erhalten  hatte,  ausarbeiten,  und  zwar 
von  dem  Bauführer  der  Brennerbahn  Achilles 
Thommen.  Für  den  Arlberg-Uebergang  war 
entweder  die  Tunnellirung  oder  die  Leber- 
setzung mittels  einer  FeTl'schen  Eisenbahn 
vorgesehen.  Die  Pläne  für  die  Linie  Feld- 
kircn-Bregenz  waren  längst  fertig  und  auch 
schon  früher  einmal  der  Regierung  vor- 
gelegen. 


netenhause  ein,  das  sammt  der  vom 
volkswirthschaftlichen  Ausschusse  bean- 
tragten und  vom  Abgeordnetenhause  er- 
gänzten Resolution  :  »  Die  Regierung:  wird 
aufgefordert,  in  der  nächsten  Session  ein 
Gesetz  zum  Zwecke  der  Sicherstellung 
einer  directen  Bahnverbindung  auf  öster- 
reichischem Gebiete  von  Bludenz  nach 
Innsbruck  und  von  da  über  St.  Johann 
[im  Pongau]  nach  Salzburg  und  Rotten- 
mann einzubringen«  —  binnen  zwölf 
Tagen  die  Zustimmung  der  beiden  Häuser 
des  Reichsrathes  fand. 

Dieses  am  20.  Mai  1869  a.  h.  sanctio- 
nirte  Gesetz  ermächtigte  die  Regierung, 
jene  Vorarlberger  Linien  unter  Ge- 
währung einer  neunjährigen  Steuerfreiheit 
sowie  der  staatlichen  Garantie  eines 
5%igen  Reinerträgnisses  von  dem  wirk- 
lich aufgewendeten  Anlage-Gapitale,  das 
jedoch  den  Nominalbetrag  von  1,200.000  fi. 
pro  Meile  nicht  übersteigen  darf,  zu  con- 
cessioniren,  oder  den  Bau  auf  Staats- 
kosten auszuführen,  in  welchem  Falle  ihr 
für  das  laufende  Jahr  eine  Baudotation 
von  2,000.000  fi.  bewilligt  ist. 

Bei  den  sohin  eröffneten  Concessions- 
Verhandlungen  stellten  sich  neben  dem 
Consortium  Ganahl,  das  inzwischen  mit 
der  Credit-Anstalt  und  einigen  Bauunter- 
nehmungen in  Verbindung  getreten  war, 
auch  ein  Consortium  Erlanger-Pongraz 
und  Achilles  Thommen  als  Bewerber 
ein.  Das  letztgenannte  Consortium  er- 
wies sich  als  mindestforderndes  und 
erhielt  denn  auch  am  17.  August 
1869  die  Concession  für  die  oben  ge- 
nannten Vorarlberger  Linien  bis  an  die 
Reichsgrenze  zum  Anschlüsse  an  die 
bayerischen  und  schweizerischen  Eisen- 
bahnen, mit  der  Verpflichtung,  den  Bau 
noch  im  Jahre  1869  zu  beginnen  und 
binnen  drei  Jahren,  gerechnet  vom  Datum 
der  Concessions-Urkunde,  zu  vollenden 
und  mit  der  Zusicherung  eines  5%'&en 
Reinerträgnisses  von  dem  Nominalcapi- 
tale  von  1,110.000  fl.  pro  Meile  nebst 
der  erforderlichen  Tilgungsquote,  dann 
einer  neunjährigen  Steuerfreiheit. 

Einen  integrirenden  Bestandtheil  dieser 
Concession  bilden  die  am  25.  August  1869 
abgeschlossenen  zwei  Protokollar- Verein- 
barungen über  verschiedene  bauliche 
Ausführungen    sowie   über    die    Modali- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


75 


täten  der  Abtretung  der  Bahn,  zu  welcher 
die  Concessionäre  sich  verpflichteten  für 
den  Fall,  als  künftighin  eine  Fortsetzung 
der  Bahn  von  Bludenz  nach  Innsbruck 
durch  einen  anderen  Unternehmer  aus- 
geführt werden  sollte. 

Diese  Verpflichtung  im  Zusammen- 
hange mit  dem  oben  verzeichneten  Wort- 
laute der  Resolution  des  Reichsrathes 
klang  dem  Lande   wie  eine  Verheissung 


Für  die  Geldbeschaffung  traf  die 
auch  als  Mitconcessionärin  an  dem 
Unternehmen  betheiligte  Credit-Änstalt 
Vorsorge ;  den  Bau  unternahmen,  mittels 
Vertrages  vom  28.  Mai  1870,  die  bei 
diesem  Anlasse  aus  der  Reihe  der 
Mitconcessionäre  ausgetretenen  Firmen : 
Thomas  Brasse}-,  Gebrüder  Klein  und 
Karl  Schwarz  als  General-Unternehmung 
gegen  Ueberantwortung  des  ganzen  von 


Abb.  53.    Brücke  über  den  Gaderbach  bei  St.  Lorenzen.    [Aus  der  Bauzeit  der  Pusterthal-Bahn. ] 


der  baldigen  Verbindung  mit  den  öster- 
reichischen Schienenstrassen  und  erhöhte 
darum  die  helle  Freude,  die  es  ob 
der  Concessionirung  der  wenn  auch 
vorerst  nur  mit  Anschlüssen  an  fremde 
Verkehrswege  ausgestatteten  Bahnanlage 
durch  Vorarlberg  empfand  und  die  es  in 
warmen  Dankeskundgebungen  für  die 
Regierung,  die  Gesetzgebung  und  den 
für  die  Zustandebringung  der  Bahn  rast- 
los thätig  gewesenen  Handelskammer- 
Präsidenten  Karl  Ganahl  zum  Ausdrucke 
brachte. 


der  Staatsverwaltung  garantirten  Nomi- 
nal-Anlage-Capitals  in  Actien  und  Prio- 
ritäts-Obligationen. Bis  zur  ministeriellen 
Genehmigung  des  Bauvertrages  verstrich 
jedoch  nahezu  ein  Jahr,  weil  das  Mini- 
sterium verschiedene  Mehrleistungen  for- 
derte, über  welche  das  Einverständnis 
erst  am  9.  März  1871  endgiltig  erzielt 
wurde. 

Dies  hatte  übrigens  nicht  gehindert, 
dass  die  Bauarbeiten  schon  früher  in 
Angriff  genommen  und  insbesonders 
seit  Mitte   1870   in  vollen  Gang   gesetzt 


76 


Ignaz  Konta. 


wurden.  Zur  selben  Zeit  erfolgte  auch 
die  Vereinbarung  des  an  die  Stelle  des 
Staats  Vertrages  vom  5.  August  1865  ge- 
setzten neuen  Staatsvertrages  ddto.  Bre- 
genz,  27.  August  i870[ratificirt  21.  Januar 
1871],  der  die  Anschlüsse  der  Vor- 
arlberger Bahn  an  die  bayerischen  und 
schweizerischen  Bahnen  regelte  und  noch 
darum  von  Wichtigkeit  war,  weil  die 
vom  Canton  St.  Gallen  schon  am  1.  De- 
cember  1869  ertheilte  Concession  für  die 
auf  schweizerisches  Gebiet  fallenden 
Strecken  der  Zweigbahnen  Lautrach- 
St.  Margarethen  und  Feldkirch-Buchs, 
und  der  bayerischerseits  auszuführende 
Bau  der  Theilstrecke  Lindau-Laiblach 
eben  von  der  Revision  jenes  früheren 
Staatsvertrages  abhing  und  erst  nach 
Durchführung  derselben  in  Kraft  treten 
konnte.  Zufolge  dieses  Vertrages  führt 
die  Vorarlberger  Bahn  den  Betrieb  auch 
auf  den  Strecken  von  der  Reichsgrenze 
einerseits  bis  Lindau,  andererseits  bis  Mar- 
garethen. 

Die  Concessionirung  der  Liechten- 
stein'schen  Theilstrecke  fand  am  15. 
Januar  1870  statt.  Die  Gesellschafts- 
Statuten  erhielten  am  9.  Juni  1871 
die  staatliche  Genehmigung,  worauf  die 
Constituirung  der  »k.  k.  p  r  i  v.  Vor- 
arlberger Bahn«,  deren  Gesellschafts- 
Capital  aus  6,000.000  fl.  in  Actien 
[30.000  Stück  ä  200  fl.]  und  7,396.600  fl. 
in  Prioritäts-Obligationen  [36.983  Stück 
ä  200  fl.]  zusammengesetzt  gewesen, 
am  3.  Juli  1881  vor  sich  ging.  Die 
mit  Ende  des  Jahres  1870  in  Wien  er- 
richtete »Bau-  und  Betriebsleitung«, 
deren  Vorstand  der  Inspector  Wilhelm 
Paravicini  gewesen,  wurde  ein  Jahr 
darnach  zu  einer  Direction  ausgestaltet, 
nach  dem  Ableben  des  Directors  Para- 
vicini aber  wieder  aufgelassen.  In  Wien 
verblieb  ein  administratives  Central- 
bureau  mit  dem  General-Secretär  Dr. 
Ferdinand  Zehetner  an  der  Spitze ;  für 
den  executiven  Dienst  wurde  in  Feld- 
kirch eine  Betriebs-Direction  errichtet, 
welcher  der  Director  Rudolf  Clement 
vorstand. 

Der  Bau  der  Hauptlinien  Bludenz- 
Bregenz-Bayerische  Grenze  [62*4  km] 
wurde  noch  vor  der  concessionsmässigen 
Frist  vollendet  und  am  1.  Juli  1872  dem 


Betriebe  übergeben ;  etwas  später  ge- 
langten auch  die  Flügelbahnen  zur  Er- 
öffnung, und  zwar  Feldkirch-Buchs, 
17*9  km  [sowie  die  fremde  Anschluss- 
strecke Laiblach-Lindau],  am  24.  October 
und  Lautrach-St.  Margarethen,  9'6  km, 
am  23.  November  1872.  Die  Anlage- 
kosten beliefen  sich  auf  13.257.000  fl. 
Im  letzten  Stadium  des  Baues  der 
Vorarlberger  Bahn  schien  es,  als  sollte 
ihre  Fortsetzung  nach  Innsbruck  nun 
zur  Thatsache  werden.  Der  Handels- 
minister, Dr.  Banhans,  legte,  nach  vor- 
heriger Begutachtung  des  von  der  k.  k. 
General-Inspection  ausgearbeiteten  Pro- 
jectes  durch  eine  fachmännische  Exper- 
tise, am  22.  März  1872  dem  Abgeord- 
netenhause einen  die  Herstellung  der 
Linie  Innsbruck  -  Bludenz  betreffenden 
Gesetzentwurf  vor  und  unterstützte  die 
Angelegenheit  auf  das  Lebhafteste.  Das 
erweckte  in  allen  betheiligten  Kreisen 
frohe  Hoffnungen,  die  aber  leider  nur 
zu  bald  wieder  in  nichts  zerflossen.  Das 
Uebelwollen  des  damaligen  Führers  der 
Verfassungspartei  begrub  die  Vorlage 
im  Ausschusse,  und  die  Vorarlberger 
Bahn  blieb  zu  ihrem,  wie  nicht  minder 
zum  grossen  Schaden  des  garantirenden 
Staatsschatzes  und  des  öffentlichen  Inter- 
esses noch  gar  lange  Zeit  von  den 
übrigen  Eisenbahnen  Oesterreichs  isolirt. 

Die  Trace  der  Vorarlberger  Bahn 
beginnt  in  der  Mitte  des  die  Grenze  zwischen 
Bayern  und  Vorarlberg  bildenden  Laiblach- 
baches, geht  eine  kurze  Strecke  an  den 
flachen  Lffern  des  Bodensees  entlang,  bis  zu 
jenem  Punkte,  wo  der  See  den  Fuss  des 
Pfändlerberges  bespült,  und  ist,  hart  neben 
der  Reichsstrasse  laufend,  in  den  Bodensee 
eingebaut,  welchen  sie,  den  Hafen  durch- 
schneidend, erst  hinter  Bregenz  verlässt. 
Von  da  ab  verfolgt  die  Trace  auf  eine  kurze 
Strecke  die  südwestliche  Richtung,  wendet 
sich  dann  gegen  Süden,  erreicht  ansteigend 
und  einen  Ausläufer  des  Gebhardtsberges 
durchbrechend,  das  Flussgebiet  derBregenzer 
Ache,  übersetzt  diesen  Gebirgsfluss  mittels 
einer  2276  m  langen  Brücke  und  tritt,  den 
OrtLautrach  durchschneidend,  in  das  Rhein- 
thal. Von  Lautrach  wendet  sich  die  Vorarl- 
berger Hauptbahn  südöstlich,  führt  bei  dem 
Orte  Schwarzbach  vorüber,  geht,  die  ent- 
gegengesetzte Richtung  einschlagend,  in 
günstigem  Terrain  und  massigen  Krümmun- 
gen, Dornbirn,  den  industriereichsten  und 
I  bevölkertsten  Ort  Vorarlbergs  berührend, 
I   bis   zur  Dornbirner   Ache,    übersetzt    diesen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


77 


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Abb.  54.    Viaduct  über  den  Eisack-Fluss  bei  Franzensfeste  [im  Bau]. 


Abb.  55.     Franzensfeste. 


78 


Ignaz  Konta. 


Gebirgsbach  mittels  einer  72  m  langen  Eisen- 
brücke und  gelangt  mit  einer  unbedeutenden 
Wendung  nach  Hohenems  und  von  da  durch 
Torfmoor  nach  Götzis.  In  der  weiteren  Fort- 
setzung von  Götzis  ab  führt  die  Bahn  über 
Moorgründe  und,  indem  sie  sich  nach  kurzem 
Laufe  mehr  südöstlich  wendet,  errreicht  sie  an- 
steigend den  durch  den  Frutzbach  ange- 
schwemmten Schuttkegel,  übersetzt  diesen 
Wildbach  und  erreicht  Rankweil.  Diesen 
Ort  durchschneidend  senkt  sich  die  Bahn  in 
das  von  dem  Ardezenberge  und  den  Aus- 
läufern des  Hoch-Gerachs  begrenzte  Thal  und 
gelangt  bei  den  Orten  Altenstadt  und  Lewis 
vorbei  nach  Feldkirch.  Hier  wendet  sich  die 
Bahn  in  einem  scharfen  Bogen  nach  Osten, 
zieht  an  dem  östlichen  Theile  der  Stadt  Feld- 
kirch vorbei,  durchfährt  in  einem  Tunnel  die 
sogenannte  Schattenburg  und  führt  an  steilen 
Berglehnen  entlang  in  das  unter  dem  Namen 
Feldkirchner  Defile  bekannnte  und  strategisch 
wichtige  Flussgebiet  der  Hl.  Innerhalb  senk- 
rechter Felswände  eingeengt,  ist  die  Bahn 
daselbst,  hart  an  der  Reichsstrasse  fortlaufend, 
in  den  Illfluss  eingebaut  und  zieht  längs 
steilen  Fels-  und  Berglehnen  ansteigend,  am 
rechten  Illufer  nach  Satteins.  Von  da  geht 
die  Bahn  auf  das  linke  Illufer  über  und  ge- 
langt, theilweise  im  Flussgebiete  der  111  an- 
gelegt, nach  Xenzing.  Nach  Ueberschreitung 
des  Mengbaches  wendet  sich  die  Bahn  nach 
kurzem  Laufe  und  nach  Durchschneidung  eines 
vorspringenden  Hügels  dem  rechten  Illufer  zu 
und  erreicht  die  Station  Strassenhaus.  Von 
hier  ab  geht  die  Bahn  stetig  ansteigend  ihrem 
Endpunkte  Bludenz  zu. 

Die  Flügelbahn  Lautrach-St.  Margarethen 
zweigt  von  der  Station  Lautrach  westlich  ab, 
führt  über  ebenes  Terrain  bei  den  Orten  Haard 
und  Fussach  vorüber  und  gelangt,  vorher  die 
Dornbirner  Ache  übersetzend,  bei  dem  Orte 
Haag  zum  Rhein,  welchen  sie,  abermals  die 
westliche  Richtung  einschlagend,  mittels  einer 
l89-6  ni  langen  Brücke  überschreitet,  um  so- 
dann in  der  Station  St.  Margarethen  an  die 
vereinigten  Schweizer  Bahnen  anzuschliessen. 

Die  Flügelbahn  Feldkirch-Buchs  zweigt 
in  Feldkirch  von  der  Hauptbahn  ab,  läuft  in 
nördlicher  Richtung  mit  der  Hauptbahn 
parallel  bis  Altenstadt,  wendet  sich  nach 
Westen  •  und  gelangt ,  nachdem  sie  den 
Ardezenberg  mit  einem  langen  Bogen  um- 
fahren hat,  hart  am  Fusse  dieses  Gebirgs- 
stockes  zur  111,  überschreitet  diesen  Fluss  mit 
einer  37-9  vi  langen  Brücke  und  erreicht  nach 
Durchbrechung  einer  vorgeschobenen  Felsen- 
kuppe nächst  den  Orten  Tisis  und  Gallmist 
die  Grenze  des  Fürstenthums   Liechtenstein. 

Die  Terrainverhältnisse  waren  grossen- 
theils  sehr  schwierige.  Die  Bahn  musste 
streckenweise  durch  Moore  und  Sumpf  land 
geführt  werden,  wiederholt  den  Rhein  und 
mehrere  Wildbäche  überschreiten,  und  an 
manchen  Orten  in  die  Gebirgswässer  selbst 
eingebaut  werden.  Auch  die  Bauten  am 
Bodensee  bereiteten  Schwierigkeiten.  [Vgl. 
Abb.  57-59-] 


Die  letzte  der  im  Jahre  1869  unter 
Gewährung  staatlicher  Zinsengarantie 
wirklich  concessionirten  Bahnen  war  die 
Linie  Przemyäl-tupköw,  d.  i.  der 
österreichische  Theil  der  Ersten  un- 
garisch-galizischen  Eisenbahn. 

Die  Nothwendigkeit  einer  Ueberschie- 
nung  der  Karpathen,  welche  auf  eine 
Länge  von  mehr  als  800  km  die  Grenze 
und,  wegen  der  mangelnden  Verbindun- 
gen, auch  eine  förmliche  Scheidewand 
zwischen  Ungarn  und  Galizien  bildeten, 
war  schon  frühzeitig  erkannt;  sie  fand 
bereits  in  dem  am  10.  November  1854 
amtlich  verlautbarten  Entwürfe  eines 
österreichischen  Eisenbahnnetzes  und  her- 
nach bei  der  Concessionirung  der  Theiss- 
bahn  [1856]  deutlichen  Ausdruck.  Die 
letztere  hat  denn  auch,  im  Hinblicke  auf 
das  ihr  eingeräumte  Vorrecht  »für  die 
Fortsetzung  ihrer  Linien  von  Kaschau 
nach  Galizien  zum  Anschlüsse  an  die 
dortige  Hauptbahn«  ein  Project  aus- 
arbeiten lassen,  das  aber  infolge  der 
damaligen    Finanzzustände    unausgeführt 

:  blieb. 

Im  Jahre  1864  suchten  sowohl  der 
galizische  Landesausschuss  als  die  Lem- 

:  berger   Handelskammer    und    die    Land- 

\  wirthschaftliche  Gesellschaft  bei  der  Re- 
gierung um  ehemöglichste  Concessionirung 
einer  galizisch-ungarischen  Verbindungs- 

!  bahn  an,  als  welche  sie,  gestützt  auf 
fachmännische  Urtheile  von  Militär-  und 
technischen  Autoritäten,  die  Linie  Kaschau- 
Eperies-Dukla  mit  Abzweigungen  gegen 
Przemysl  einer-  und  Tarnöw  andererseits 
befürworteten.  Etliche  Monate  später 
unternahmen  die  Grafen  Johann  Wald- 
stein und  Erwin  Schönborn  -  Buchheim 
den  Versuch,  ein  ganzes  Eisenbahn- 
netz, welches  Munkacs  zum  Knoten- 
punkte  haben   und  zur  Verbindung   der 

i  ungarischen  mit  den  galizischen  Bahnen 
eine  Linie  über  Skole  und  Stryj  nach 
Tarnopol,  die  andere  von  Kaschau  aus 
über  Eperies  nach  Tarnöw  entsenden 
sollte,  zustande  zu  bringen.  [Vorconcession 
vom  7.  Februar  1865.] 

Bei     der    Berathung     der    Gesetzes- 

1  vorläge  über  die  Concessionirung  der 
Kaschau-Oderberger  Bahn  kam  die  Frage 
einer     imsrarisch-galizischen    Eisenbahn- 

I  Verbindung     gleichfalls     eingehend    zur 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


79 


Sprache,  so  zwar,  dass  die  beiden 
Häuser  des  Reichsrathes  den  Beschluss 
fassten,  die  genannte  Bahn  solle  über 
Eperies-Dukla  an  die  Carl  Ludwig- 
Bahn  in  Przemysl  angeschlossen  und 
das  bezügliche  Gesetz  im  Jahre  1866 
der  Legislative  vorgelegt  werden. 

Als  die  Ereignisse  des  Jahres  1866  das 
Fehlen  dieser  Verbindung  so  augenfällig 
gemacht  hatten,  beauftragte  das  Handels- 
ministerium einige  Ingenieure  der  General- 
Inspection  mit  der  Ausmittlung  einer 
zweckentsprechenden  Linie  von  Kaschau 
nach  Przemysl.  Diese  Tracirungs-Com- 
mission  nahm  ihren  Sitz  in  Kaschau,  be- 
gann noch  während  des  Herbstes  die 
Arbeiten  und  kam  zu  dem  Ergebnisse, 
dass  die  Bahn  durch  das  Laborczthal 
über  Lupköw  anzulegen  sei.  Damit  war 
aber  die  Traceführung  noch  beiweitem 
nicht  entschieden;  das  zeigte  sich  an- 
lässlich der  damaligen  Concessionswer- 
bung  zweier  Consortien.  Eines  derselben 
mit  dem  Fürsten  Adam  Sapieha  an  der 
Spitze  bewarb  sich  um  die  Linie  Prze- 
myäl-Dukla-Kaschau,  das  zweite,  von 
den  Grafen  Adam  Potocki  und  Aladär 
Andrässy  vertreten,  strebte  die  Linie 
Przemysl-Lupköw-Kaschau  an  und  jedes 
bekämpfte  in  der  damals  üblichen  Weise, 
d.  h.  in  Publicationen  aller  Art,  das 
Project  des  anderen ,  wobei  für  die 
Duklaer  Linie  ihre  Eigenschaft  als  ur- 
alte Communication  und 
Heerstrasse  zwischen 
Ungarn  und  Galizien, 
für  die  Lupköwer  Linie 
hingegen  die  leichtere 
und  billigere  Ausführbar- 
keit geltend  gemacht 
wurden  [1867]. 

Zu  einer  endgiltigen 
Wahl  der  Trace  kam  es 
jedoch  erst  im  Jahre  1 868, 
nachdem  das  Reichs- 
Kriegsministerium  bei 
den  beiderseitigen  Regie- 
rungen die  nicht  weiter 
aufschiebbare  Sicherstel- 
lung einer  galizisch-unga- 
rischen   Verbindung  mit 

dem  Ausgangspunkte 
Przemyäl  dringendst  ur- 
girt   hatte   und    die  von 


den  Regierungen  veranlasste  nochmalige 
Untersuchung  der  Tracen  gleichfalls  zu 
Gunsten  der  Lupköwer  Linie  ausgefallen 
war.  In  dem  über  die  gemeinsamen 
Berathungen  ausgefertigten  Protokolle 
vom  3.  November  1868  ist  verzeichnet, 
dass  der  Vertreter  des  Reichs-Kriegs- 
ministeriums  sich  unbedingt  für  die 
directe  Verbindung  Przemysls  mit  Ungarn 
über  Chyröw  und  Lisko,  ohne  nähere 
Bezeichnung  des  Karpathen-Ueberganges, 
jedoch  gegen  eine  Linie  durch  das  San- 
thal  ausgesprochen  und  der  Delegirte 
der  königlich  ungarischen  Regierung  er- 
klärt hat,  er  könne  bei  dem  Umstände, 
als  vorerst  nur  eine  einzige  Verbindung 
sicherzustellen  möglich  sei  und  es  sich 
dabei  in  erster  Reihe  um  strategische 
Interessen  handle,  nur  den  Aeusserungen 
des  Vertreters  der  Kriegsverwaltung  bei- 
pflichten, aber  etwas  weitergehend,  d.  h. 
die  leichter  ausführbare  und  günstigere 
Betriebsverhältnisse  bietende  Trace  von 
Zombor  [Theissbahn]  über  Sätoralja- 
Ujhely,  Valejte  [Anschluss  nach  Kaschau], 
Töke-Terebes,  Legenye-Mihäly,  Homonna, 
Mezö-Laborcz,  Lupköw,  Lisko  und  Chyröw 
nach  Przemysl  empfehlen.  Das  stimmte 
rücksichtlich  des  galizischen  Theiles  der 
Bahn  und  des  Uebergangspunktes  voll- 
ständig mit  den  vorerwähnten  Ergeb- 
nissen der  österreichischen  Ausmittlungen 
vom   Jahre    1866   überein;    da    überdies 


Abb.  56.    Station  Franzensfeste. 


8o 


Ignaz  Konta. 


die  königlich  ungarische  Regierung  noch 
im  Jahre  1868  [29.  November]  einen 
Gesetzentwurf  über  die  Concessionirung 
der  ungarischen  Strecke  Mihäly-Eiupköw 
vor  die  Legislative  brachte,  war  die 
Frage  der  Traceführung  nun  auch  für  die 
österreichische  Regierung  gelöst.  Sie 
brachte  daher  im  Reichsrathe  am  13.  März 
1869  neben  der  allgemeinen  Vorlage  über 
die  Ergänzung  des  österreichischen  Eisen- 
bahnnetzes, in  welche  nicht  weniger  als 
fünf  ungarisch -galizische  Verbindungs- 
linien Aufnahme  gefunden,  eine  Special- 
vorlage ein,  welche  die  für  den  Augen- 
blick dringendste  Linie  Przemysl-tupköw 
betraf.  In  dieser  Vorlage  war  eben- 
sowohl die  Concessionirung  unter  Ge- 
währung einer  Staatsgarantie  von  50.000  fl. 
pro  Meile,  als  auch  gegebenen  Falles, 
nämlich  wenn  es  bis  drei  Monate  nach 
der  Sicherstellung  der  ungarischen  An- 
schlussstrecke nicht  gelingen  sollte,  die 
Concession  zu  ertheilen,  der  Bau  auf 
Staatskosten  vorgesehen. 

Die  verfassungsmässige  Behandlung 
der  beiderseitigen  Vorlagen  ging  nicht  sehr 
glatt  vonstatten.  Im  Reichsrathe  traten 
vorwiegend  die  Anhänger  der  Dukla-Linie 
als  Gegner  auf,  die  aber  zu  sehr  in  der 
Minderheit  waren,  um  die  Annahme  des 
Gesetzes  vereiteln  zu  können ;  dieselbe 
fand  im  Abgeordnetenhause  am  7.  Mai, 
im  Herrenhause  am  12.  Mai  statt,  worauf 
dann  am  20.  Mai  1869  die  a.  h.  Sanc- 
tionirung  des  Gesetzes  folgte.  Im  un- 
garischen Reichstage,  der  aus  Zeitmangel 
die  sachliche  Berathung  erst  in  der 
1869er  Session  vornahm  und  bis  dahin 
mit  vergleichenden  Studien  der  verschie- 
denen Tracen  versehen  sein  wollte,  war 
die  Gegnerschaft  mehr  von  persönlichen 
Abneigungen  gegen  die  »Familienbahn« 
[so  benamst  wegen  der  Concessions- 
werber]  getragen;  doch  geschah  auch 
dort  der  Sache  kein  wesentlicher  Ein- 
trag. Es  wurde  die  Staatsgarantie  auf 
40.000  fl.  pro  Meile  herabgemindert, 
im  Uebrigen  aber  die  Vorlage  am  12., 
beziehungsweise  13.  Juli  angenommen 
und  hernach  am  14.  Juli  1869,  als 
Gesetz- Artikel  VI  vom  Juli  1869  sanc- 
tionirt,  womit  zugleich  die  Concessio- 
nirung an  das  Consortium  Adam  Graf 
Potocki,    Aladär  Graf  Andrässy,  August 


Fürst  Sulkowski,  Gabriel  v.  Lonyay  u.  A. 
verbunden  war.  Dasselbe  Consortium  er- 
hielt am  1 1 .  September  1 869  auch  für  die 
galizische  Strecke  die  Concession,  welche 
dem  Unternehmen  eine  neunjährige  Steuer- 
freiheit und  die  Garantie  eines  fünfpro- 
centigen  Reinerträgnisses  nebst  der  Til- 
gungsquote von  nominale  955.000  fl. 
pro  Meile  gewährt.  Die  Baufrist  wurde  auf 
längstens  drei  Jahre  festgesetzt.  Gemäss 
einer  von  den  Concessionären  am  28.  Au- 
gust 1869  beim  Handelsministerium  pro- 
tokollarisch abgegebenen  Erklärung  hatte 
eine  gesonderte  Rechnungsführung  für  die 
beiden  Strecken  platzzugreifen. 

Nach  der  Dringlichkeit,  welche  die 
Regierungen  der  beiden  Reichshälften 
dem  endlichen  Zustandekommen  dieser 
Bahn  beigelegt,  ebenso  nach  den  eifer- 
vollen Bemühungen,  welche  die  Con- 
cessionäre  an  die  Erlangung  der  Con- 
cession gewendet  hatten ;  nach  den  vielen 
der  Concessionirung  vorausgegangenen 
technischen  Untersuchungen  und  Begut- 
achtungen wurde  allenthalben  gewärtigt, 
dass  die  Durchführung  der  Concessionen 
sich  in  normaler  Weise  abwickeln  werde, 
zumal  als  die  Credit-Anstalt  die  Geld- 
beschaffung übernommen  und  die  Actien 
[62.000  Stück  ä  200  fl.]  Anfangs  Juni 
1870,  ohne  alle  Zwischenmassnahmen, 
mit  Leichtigkeit  an  der  Börse  selbst  ver- 
äussert hatte. 

Allein  schon  die  Bauvergebung  stiess 
auf  Hindernisse;  eine  ganze  Reihe  von 
Bauunternehmungen,  mit  denen  Unter- 
handlungen gepflogen  worden  waren, 
erklärte  es  für  unmöglich,  den  Bau  mit 
den  concessionsmässig  gegebenen  Geld- 
mitteln regelrecht  auszuführen,  und  als 
die  Concessionäre  dann  im  März  1870 
um  desto  bereitwilliger  mit  dem  Grafen 
Karl  Mier,  hinsichtlich  der  galizischen,  und 
mit  den  Gebrüdern  Braun,  hinsichtlich  der 
ungarischen  Strecke,  » General- Accorde« 
abschlössen,  weil  diese  Unternehmer  mit 
jenen  Mitteln  auslangen  wollten,  blieb  noch 
immer  der  Bau  des  Grenztunnels  unver- 
geben,  den  schliesslich  die  Concessionäre 
selbst  in  Gemeinschaft  mit  den  genannten 
zwei  Unternehmungen  übernahmen.  Der 
am  '12.  März  1870  auf  der  ungarischen 
und  sechs  Tage  später  auf  der  galizischen 
Strecke  begonnene  Bau    ging   unter   der 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


Leitung  des  von  den  Concessionären  aus 
ihrer  Mitte  erwählten  engeren  Ausschusses, 
dem  der  Baudirector  Rudolf  Gune seh  zur 
Seite  stand,  eineZeitlangbestens  vonstatten. 
Die  Sorge  um  die  Bewältigung' 
der  weiterhin  eingetretenen  Schwierig- 
keiten fiel  bereits  dem  Yerwaltungsrathe 
der  Actien-Gesellschaft  zu,  die  sich  auf 
Grund  der  am  19.  November  1870 
behördlich  genehmigten  Statuten  am 
17.  December   1870   mit    einem  Capitale 


1  :  70]  sich  für  die  Rampe  von  Mezö- 
Laborcz  aufwärts  als  unhaltbar  erwies, 
die  königlich  ungarische  Regierung  aber 
erst  nach  wiederholten  neuerlichen  Unter- 
suchungen der  Trace  und  nach  abermals 
eingeholter  Zustimmung  der  Legislative 
die  Anwendung  von  Steigungen  bis  1  :  40 
gestattete,  und  auch  dann  nur  unter  der 
Bedingung,  dass  die  Gesellschaft  sich  ver- 
pflichtete, die  Theilstrecke  Vidränyi-Lan- 
desgrenze  im  Unterbau  doppelgleisig  her- 


Abb.  57.     Bregenz  mit  der  Trajectanlage. 


von  31,500.000  fl.  [62.500  Actien  und 
95.000  Prioritäts-Obligationen  zu  je  200  fl.] 
und  der  Firma :  «Erste  ungarisch-gali- 
zische  Eisenbahn«  constituirt  hatte. 
Die  auf  lange  hinaus  letzte  Annehmlich- 
keit bereitete  ihr  die  am  18.  April  1871 
seitens  der  Credit-Anstalt,  im  Wege  der 
öffentlichen  Zeichnung  und  zum  Curse  von 
87°/,,,  erfolgreich  bewerkstelligte  Ausgabe 
von  40.000  Prioritäts-Obligationen. 

Das  Ungemach  begann,  als  die  in 
der  ungarischen  Concession  festgesetzte 
Begrenzung    der    Steigungen    [1  :  60  bis 

Geschichte  der  Eisenbahnen.    I.  Band,  2.  Tbeil. 


zustellen,  die  Kosten  des  zweiten  Geleises 
derselben  jederzeit  bereit  zu  halten  und 
der  Staatsverwaltung  Actien  im  Nominal- 
betrage von  180.000  fl.  als  Vergütung  für 
die  durch  die  grösseren  Steigungen  verur- 
sachte, die  Garantie  Erfordernisse  beein- 
flussende Erhöhung  der  Betriebskosten 
zu  übergeben,  was  in  finanzieller  Be- 
ziehung die  Lage  der  Gesellschaft  gewiss 
nicht  verbesserte.*) 

*|  Näheres  vgl.  Bd.  III,  J.  Gonda,  Die 
Eisenbahnen  Ungarns  vom  Jahre  1867  bis 
zur  Gegenwart. 

6 


82 


Ignaz  Konta. 


Dies  nahm  sich  jedoch  fast  wie  unbe- 
deutend aus  gegen  die  argen  Verlegen- 
heiten, welche  der  Gesellschaft  daraus  er- 
wuchsen, dass  Graf  Mier  sich  bei  Anbruch 
des  Winters  1 87 1  weigerte,  den  übernom- 
menen Bau  der  galizischen  Strecke  zu  Ende 
zu  führen.  Die  ebenso  rasche  als  nach- 
drückliche Dazwischenkunft  des  Handels- 
ministers verhütete  zwar  eine  voll- 
kommene Einstellung  des  Baues  und  be- 
wirkte die  Beilegung  dieser  unerquicklichen 
Angelegenheit  in  der  Weise,  dass  die 
Credit- Anstalt  von  ihrem  bei  der  Begebung 
der  Titel  der  ungarisch-galizischen  Eisen- 
bahn bereits  erzielten  Gewinne  einen  Be- 
trag von  600.000  fl.  zur  Fortsetzung  des 
Baues  widmete,  Graf  Mier  —  gegen 
Verzicht  auf  die  von  ihm  nachgewiesene 
Forderung  an  die  Gesellschaft  in  der  bei- 
läufigen Höhe  von  gleichfalls  600.000  fl. 
—  aus  dem  Vertragsverhältnisse  entlassen 
wurde,  und  die  Gesellschaft  die  Weiter- 
führung des  Baues  in  die  eigene  Regie 
nahm.  Aber  die  Gesellschaft,  welche  bei 
der  Eingehung  dieses,  mittels  der  Proto- 
kollar- Vereinbarungen  vom  6.  und  12.  De- 
cember  1871,  beziehungsweise  29.  Januar 
1872  abgeschlossenen  Vergleiches  eigent- 
lich nur  von  zwei  Uebeln  das  kleinere 
wählte,  da  die  Einstellung  des  Baues  und 
die  Austragung  des  Falles  im  Process- 
wege  ihr  gewiss  noch  grössere  Opfer 
auferlegt  haben  würde,  hatte  damit  eine 
schwere  Last  auf  sich  genommen ;  denn 
die  zurückgelassenen  Verbindlichkeiten 
des  Grafen  Mier  überstiegen  eine  Million 
Gulden,  die  Intercalarzinsen  erhöhten 
sich  durch  die  Bauverzögerung  um  etwa 
800.000  fl.,  und  verschiedene  auf  die  Ge- 
sellschaft übergegangene  Ersatzleistungen, 
dann  die  Behebung  der  durch  Frost  und 
Nässe  verursachten  Schäden  an  den  im 
unvollendetenZustande  verlassenen  Bauten 
erforderten  noch  weitere  namhafteSummen. 

Zur  Deckung  dieser  Erfordernisse  con- 
trahirte  der  Verwaltungsrath  mit  Zustim- 
mung der  Generalversammlung  vom  27. 
Juni  1872  eine  schwebende  Schuld  im  Be- 
trage von  2,300.000  fl.,  und  wendete  sich 
zugleich  an  die  Regierung  um  Vergütung 
der  bewirkten  Mehrleistungen,  wie  auch  um 
Erhöhung  der  Staatsgarantie  auf  den  im 
Concessions-Gesetze  [vom  20.  Mai  1869] 
bestimmten    Höchstbetrae.     Das    letztere 


Zugeständnis  wurde  der  Gesellschaft  bald 
zutheil,  da  die  Regierung  schon  früher 
an  die  Gewährung  dieses  Zugeständnisses 
gedacht  zu  haben  schien  und  die  be- 
treffende a.  h.  Genehmigung  bereits  am 
21.  December  1869  erflossen  war.  Sie  be- 
willigte also  mittels  Erlasses  vom  21.  Juni 
1 87  2  die  Garantie-Erhöhung,  welche  gleich- 
bedeutend war  mit  einer  Vermehrung  des 
Capitals  um  45.000  fl.  pro  Meile,  und 
der  Gesellschaft  die  weitere  Ausgabe  von 
1698  Actien  und  1465  Prioritäts-Obli- 
gationen zu  je  200  fl.  [=  nominale 
632.600  fl.]  ermöglichte. 

Die  durchgreifende  Ordnung  ihrer  Ver- 
hältnisse blieb  aber  der  Gesellschaft  noch 
lange  versagt.  Ihre  Bedrängnis  nahm  daher 
mit  jedem  Tage  zu,  insbesondere  nach- 
dem auch  der  Bauunternehmung  der 
ungarischen  Strecke  eine  sehr  bedeutende 
Aufbesserung  gewährt  werden  musste, 
um  ihr  die  Fortführung  der  Arbeiten  zu 
ermöglichen. 

Gleichwohl  gelang  es  der  Gesell- 
schaft, die  Bahn  im  Jahre  1872, 
mit  Ausnahme  des  Grenztunnels,  fertig- 
zustellen, bis  zu  dessen  Vollendung  ein 
eigens  eingerichteter  Messageriedienst  die 
Verbindung  der  beiden  Strecken  ver- 
mittelte. Diese  Vollendung  zog  sich 
aber  immer  weiter  hinaus.  Der  starke 
Druck  des  durchfahrenen  Gebirges, 
namentlich  auf  der  ungarischen  Seite, 
machte  die  Ausmauerung  des  Tunnels 
nothwendig,  und  als  diese  unternommen 
wurde,  da  zeigte  es  sich,  dass  das  hiezu 
den  Karpathen  entnommene  Steinmaterial 
keine  genügende  Widerstandskraft  besass. 
Es  mussten  Granitquadern  aus  Böhmen 
und  Oberösterreich  herbeigeschafft  werden. 
Nicht  genug  daran,  brach  auch  noch  eine 
Cholera-Epidemie  aus,  welche  viele  Ar- 
beiter dahinraffte  und  noch  mehr  von 
der  Baustelle  verscheuchte. 

Erst  im  Mai  1874  war  es  möglich, 
den  Tunnel  und  mit  ihm  die  ganze  Bahn 
dem  Betriebe  zu  übergeben.  Von  den  ein- 
zelnen Strecken  derselben  wurden  eröffnet : 


Legenve-Mihalyi-Homonna,     646    km,    am 

25.  December  1871. 
Przemysl - Chyröw,    332    km,   für  Güter   am 

8.  Mai   1872,  für  den  Gesammt verkehr  am 

13   Mai  1872. 
Chyröw-Kroscienko,  194 km,  am  1.  Juli  1872. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


83 


Kroscienko-Ustrzyki,  8  I  km,  am  3.  Septem- 
ber 1872 

Ustrzyki-Komancza,  702  km,  am  12.  Novem- 
ber 1872. 

Komancza-tupköw,  137  km,  am  18.  Decem- 
ber  1872. 

Homonna-Grenztunnel,*)  554  km,  am  12.  Juni 

1873. 
Grenztunnel,  16  km,  am  30.  Mai   1874. 

Der  unvorhergesehene,  so  übermässige 
Kostenaufwand  für  den  Tunnel  brachte 
natürlich  die  finanziellen  Verhältnisse  der 
Gesellschaft  auf  einen  noch  viel  tieferen 
Stand ;  sie  musste  neuerdings  eine  schwe- 
bende Schuld  aufnehmen  und  war  für 
den  Fall,  als  dies  nicht  gelingen  sollte, 
nothgedrungenerweise  auch  schon  be- 
reit, einen  Theil  der  auf  die  Actien  ent- 
fallenden Staatsgarantie  zur  Beschaffung 
eines  fundirten  Anlehens  zu  verwenden 
[Beschlüsse  der  ausserordentlichen  Gene- 
ralversammlungen vom  14.  März,  25.  Octo- 
ber    und    II.  November   1873]. 

So  weit  kam  es  nun  allerdings  nicht. 
Die  beiderseitigen  Regierungen  sahen  ein, 
dass  es  unzulässig  sei,  eine  Gesellschaft, 
die  im  Vertrauen  auf  die  von  den  staat- 
lichen Organen  gepflogenen  Erhebungen 
und  Berechnungen,  aus  denen  die  Ab- 
striche an  den  Voranschlägen  der  Con- 
cessionäre  hervorgegangen  waren,  die 
Ausführung  der  Bahn  übernommen  hatte, 
für  alles  das,  was  an  jenen  Calculationen 
sich  als  unzutreffend  herausstellte,  allein 
aufkommen  zu  lassen  —  und  sorgten 
nicht  nur  für  die  Bedeckung  der  beim 
Tunnelbau  aufgelaufenen  Mehrkosten  von 
3,600.000  fl.,  sondern  verhalfen  der  Ge- 
sellschaft überdies  zu  einer  grossen  Bei- 
hilfe von  Seite  der  Credit-Anstalt.  Die 
österreichische  Regierung  gewährte  näm- 
lich, auf  Grund  des  Gesetzes  vom  5.  Juni 
1885,  der  Gesellschaft  einen  Staatsvor- 
schuss  von  1,800.000  fl.  für  den  Fall, 
als  die  ungarische  Regierung  ihr  eine 
gleiche  Unterstützung  biete  und  auch 
die  Credit-Anstalt,  als  Finanzirungs- 
Institut  und  als  Hauptgläubigerin  der 
Gesellschaft,    derselben    zur    Bedeckung 


*)  Diese  Strecke  war  schon  im  August 
1872  betriebsfähig,  konnte  jedoch,  weil  hiezu 
[wegen  der  Staatsgarantie]  die  Genehmigung 
der  königlich  ungarischen  Regierung,  be- 
ziehungsweise des  ungarischen  Reichstages 
eingeholt  werden  musste,  erst  zehn  Monate 
später  eröffnet  werden. 


des  Capitalsabganges  einen  Beitrag  von 
2,500.000  fl.  leiste;  die  ungarische  Re- 
gierung schloss  sich  diesem  Vorgehen 
an,  indem  sie  unter  denselben  Cautelen 
eine  der  österreichischen  Unterstützung 
gleichwerthige  Erhöhung  der  Staats- 
garantie um  jährlich  139.836  fl.  eintreten 
Hess,  und  auch  die  Credit-Anstalt  erfüllte  die 
seitens  der  beiden  Regierungen  gestellte 
Bedingung.  Wohl  aber  verblieb  auch 
den  Theilhabern  der  Gesellschaft  die 
Aufgabe,  den  noch  immer  bedeutenden 
Schuldrest  aus  Eigenem  zu  tilgen,  was 
jedoch  in  der  wenig  empfindlichen  Weise 
geschah,  dass  [wie  später  noch  eingehen- 
der berichtet  werden  wird]  einige  Actien- 
coupons  nicht  in  Baarem,  sondern  in 
Prioritäten  II.  Emission  eingelöst  wurden. 

Im  Zeitpunkte  der  Hilfsaction  für 
die  Erste  ungarisch -galizische  Eisen- 
bahn bezifferten  sich  die  Anlagekosten, 
welche  die  Concessionäre  ursprünglich 
mit  41,624.000  fl.  veranschlagt,  die 
beiderseitigen  Regierungen,  beziehungs- 
weise Legislativen  aber  mit  32,180.000  fl. 
bemessen  hatten,  in  Wirklichkeit  mit 
38,342.000  fl. 

Gleichwie  man  nun  den  an  der 
Hilfsthätigkeit  betheiligt  gewesenen  Fac- 
toren  Dank  weiss,  muss  man  anderer- 
seits auch  die  Selbstverleugnung  der 
Gesellschaft,  die  Ausdauer,  mit  der  sie 
sich  um  die  Vollendung  und  Festigung 
ihres  Unternehmens  bemühte,  und  die 
Vertrauensseligkeit,  mit  der  sie,  während 
der  ärgsten  Bedrängnis,  die  Erwerbung- 
neuer  Linien  ins  Auge  fasste,  würdigen. 
Die  Generalversammlung  vom  27.  Juni 
1872  ermächtigte  den  Verwaltungsrath : 
»Die  Concession  von  in  Galizien  west- 
wärts der  gesellschaftlichen  Bahn  zu  er- 
bauenden Eisenbahnlinien  und  die  Con- 
cession einer  von  Przemysl  aus  in  der 
Richtung  gegen  Tomaszöw  gehenden 
Eisenbahnlinie  sowie  die  Concession 
einer  den  ungarischen  Theil  der  gesell- 
schaftlichen Linie  mit  den  andern  dorti- 
gen Bahnen  verbindenden  Eisenbahn  .... 
zu  erwerben.«  Unmittelbaren  Erfolg  er- 
zielte sie  damit  nicht;  doch  wurde  die 
Erste  ungarisch  -  galizische  Eisenbahn 
vermöge  der  eifrigen  Strebsamkeit  des 
im  März  1874  zum  Director  ernann- 
ten   früheren    gesellschaftlichen    Central- 

6* 


84 


Ignaz  Konta. 


Inspectors  Max  Pich ler  als  Mittelpunkt 
von  Projecten  für  die  Vereinigung 
der  galizischen  Bahnen  gedacht  und, 
nachdem  diese  Projecte  scheiterten, 
mit  der  Betriebsführung  staatlicher  Linien 
betraut. 

Die  Trace  der  Ersten  ungarisch-galizischen 
Eisenbahn  geht  von  Przemysl  grösstenteils 
in  südlicher  Richtung  zunächst  durch  Flach- 
land bis  Chyröw  an  die  Vorberge  der  Kar- 
pathen  Ueber  Ustrzvki  gelangt  sie  zur  grossen 
Wasserscheide  bei  Üstianowa  zwischen  dem 
Schwarzen  Meere  und  der  Ostsee  [Dniestr  und 
San].  Abgesehen  von  einer  örtlichen  Gegen- 
steigung zwischen  Olszanica  und  Zaluz  geht 
die  Bahn  im  steten  Gefälle  bis  in  das  San- 
thal,  bei  Zagörz  den  Fluss  übersetzend.  Am 
linken  Ufer  des  Sanflusses  beginnen  wieder  die 
Steigungen  und  über  Zagörz  geht  die  Trace 
längs  des  Ufers  der  Ostawa,  und  später 
des  Ostawica-Flusses,  zieht  bis  Komancza 
und  erreicht  nächst  Lupköw  die  ungarische 
Grenze  und  den  Kamm  derKarpatheti,  welch 
letzterer  durch  den  416  m  langen  Tunnel 
durchbrochen  wird. 

Auf  ungarischem  Gebiete  geht  es  im 
Gefälle  von  I  :  40  bis  Sidrany  und  in  sanf- 
terem Gefälle  bis  Mezö-Laborcz.  Im  Thale 
des  Laborcz-Flusses  geht  es  bis  zur  Station 
Homonna,  bis  im  engen  Defile  von  Barkö  die 
Ebene  erreicht  wird.  Ueber  Nagy-Mihäly, 
Banocz,  Töke-Terebes  gelangt  die  Bahn,  auf 
ihrem  Wege  sanfte  Hügelketten  übersetzend, 
bis  Legenye-Mihäly,  der  Anschlussstation  der 
ungarischen  Nordostbahn.*)  Die  Herstellung 
der  Bahn  war,  abgesehen  von  dem  grossen 
Tunnel,  noch  überdies  durch  zahlreiche  Ueber- 
brückungen,  bedeutende  Erdarbeiten  und 
Felssprengungen,  insbesondere  aber  durch 
vielfache  Rutschungen  in  der  Karpathen- 
strecke  wesentlich  erschwert. 

Ohne  jede  staatliche  Begünstigung 
kam  im  Jahre  1869  die  Ostrau-Fried- 
lander  Bahn  zustande.  Urheber  der- 
selben waren  der  Bergbaubesitzer  Ignaz 
Wondraöek,  der  Director  der  Zöptauer 
und  Stefanauer  Eisenwerke  Alois  Scholz, 
Dr.  Max  St  einer  und  Anton  Hon  very.  Die 
Bewilligung  zu  den  Vorarbeiten  erhielten 
die  beiden  Letztgenannten  am  15.  Juni 
1868;  desgleichen  am  19.  Juli  1868 
die  Kaiser  Ferdinands  -  Nordbahn,  die 
aber  nicht  weiter  in  den  Wettbewerb 
trat.  Als  nun  die  gepflogenen  Erhebun- 
gen erwiesen,  dass  die  Bahnverbindung 
zwischen    dem    Ostrauer    Kohlenreviere 

*)  Näheres  vgl.  Bd.  III,  J.  Gonda,  Die 
Eisenbahnen  Ungarns  von  1867  bis  zur  Ge- 
genwart. 


und  Friedland  für  all  die  vielen  Industrieen 
jenes  Bezirkes,  insbesonders  die  erzbischöf- 
lichen Eisenwerke  nächst  Friedland  und 
die  erzherzoglichen  Eisenwerke  in  Lipina 
[Karlshütte]  und  Baschka  von  augenschein- 
licher Bedeutung  sei,  und  dass  der  schon 
damals  vorhanden  gewesene  Frachten- 
verkehr dieser  Route  eine  gute  Rente  für 
ein  entsprechendes  Anlage-Capital  er- 
warten lasse,  überreichte  das  Consortium 
am  25.  September  1868  das  Gesuch  um 
die  definitive  Concession.  Diese  wurde 
ihm,  da  es  keinerlei  Ansprüche  an 
die  Staatsverwaltung  stellte,  bereits 
am  2.  Januar  1869  auf  die  Dauer  von 
80  Jahren  und  mit  der  Verpflichtung 
verliehen,  die  ganze  Bahn  binnen  läng- 
stens zwei  Jahren  dem  Betriebe  zu 
übergeben. 

Für  die  Ausführung  der  Bahn 
wurde  von  den  zwei  ermittelten  Tracen 
die  auf  dem  schlesischen  Ufer  der 
Ostrawitza  befindliche  und  von  Ostrau 
über  Kunzendorf,  Paskau,  Lipina,  Friedek, 
Mistek  nach  Friedland  gehende  gewählt, 
weil  sie  sich  als  minder  schwierig 
und  kostspielig  herausstellte,  überdies 
aber  die  mährische  Trace  eine  Unter- 
stützung von  Seite  der  vorgenannten 
Werke  nicht  zu  erwarten  hatte.  Den 
Bau  übernahm  mittels  Vertrages  vom 
30.  März  1869  die  Unternehmung 
Gebrüder  Klein,  wobei  das  Anlage- 
Capital  der  4J/2  Meilen  langen  Bahn 
mit  nominale  2,900.000  fl.  und  die 
Beschaffung  desselben  je  zur  Hälfte  in 
Actien  und  Prioritäts-Obligationen  fest- 
gestellt wurde.  Diese  Stipulationen  über- 
gingen auch  in  das  Gesellschafts-Statut, 
dessen  behördliche  Genehmigung  am 
15.  Mai   1869  erfolgte. 

Nach  der  Verlautbarung  des  Ge- 
setzes vom  20.  Mai  1869,  betreffend 
die  Steuerbefreiungen  .  für  neue  Eisen- 
bahnlinien, hatte  neben  anderen  ebenfalls 
ohne  jede  staatliche  Begünstigung 
concessionirten  Bahnen  [Leibnitz-Eibis- 
wald,  Wiener  -  Neustadt  -  Grammat  -  Neu- 
siedl]  auch  die  Ostrau -Friedlander 
Bahn  beim  Handelsministerium  die  Zu- 
wendung der  in  jenem  Gesetze  vorge- 
sehenen Begünstigungen  nachgesucht. 
Da  aber  die  klare  Fassung  des  Gesetzes 
dessen    Anwendung;    auf  bereits    conces- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


85 


sionirte  Bahnen  ausschloss,  sah  sich  das 
Ministerium  bemüssigt,  das  Begehren  ab- 
zulehnen [17.  Juni  1869],  wonach  der 
am  1 .  Juli  1 869,  unter  der  Firma : 
»K.  k.  priv.  Ostrau-Friedlander 
Bahn«  constituirten  Actien-Gesellschaft 
nichts  anders  erübrigte,  als  sich  in  die 
bestehenden  Verhältnisse  zu  schicken. 

Der  Bau  wurde  am  18.  August  1869 
begonnen  und  mitjahresschluss  1870  voll- 
endet; die  Eröffnung  der  32-9  km  lan- 
gen Bahn  fand  am   1.  Januar  1871   statt, 


Freiberg-Stramberg  stand  die  Gesellschaft 
schon  in  ernstlicher  Unterhandlung,  die 
aber  daran  scheiterte,  dass  das  Mini- 
sterium nicht  einmal  die  Steuerfreiheit 
zugestehen  mochte. 

Die  O  s  t  r a  u-F r i  e  d  1  a  11  d  e  r  B  a  h  n  mündet 
aus  dem  Kohlenbahnhof  der  Station  Mährisch- 
Ostrau  der  Kaiser  Ferdinands-Xordbahn  aus, 
kreuzt  die  Montanbahn  und  läuft  mit  dieser 
parallel  bis  Ostrau-Witkowitz,  kreuzt  sodann 
den  Witkowitzer  Flügel  der  Montanbahn  und 
tritt  nach  Uebersetzuhg  des  Ostrawitza- 
flusses    aus    dem    mährischen    Gebiete   nach 


Abb.  58.     Trajectanlage  in  Bregcnz. 
[Nach  einer  Photographie  von  W.  Högler  in  Bregenz.J 


doch  musste  für  die  Einfahrt  in  die  Sta- 
tion Ostrau,  bis  21.  Mai  1871,  das  Geleise 
der  Ostrauer  Montanbahn  benutzt  wer- 
den. Den  Betrieb  führt,  auf  Grund  des 
diesfalls  am  26.  October  1869  zunächst 
für  die  Dauer  von  drei  Jahren  abge- 
schlossenen [nachher  immer  erneuerten] 
Vertrages  die  Kaiser  Ferdinands-Xord- 
bahn, welche  auch  die  Fahrbetriebsmittel 
beistellt. 

Verschiedene  Fortsetzungsprojecte, 
mit  denen  sich  die  Gesellschaft  im 
Jahre  1870  und  auch  späterhin  wieder 
befasste,  verliefen  im  Sande.  Wegen  der 
Linien  von  Friedek  einerseits  nach  Dzie- 
dzitz,  andererseits  nach  Xeutitschein,  dann 


Schlesien.  Ueber  Kunzendorf,  Paskau  und 
längs  der  Ostrawitza  über  Karlshütte  und 
Friedek-Mistek  führt  die  Trace  nach  Baschka, 
und  nachdem  noch  einmal  die  Ostrawitza 
überbrückt  wird,  gelangt  die  Bahn  bis  Fried- 
land. 


Die  Einfachheit  der  bei  dem  eben 
besprochenen  kleinen  Unternehmen  an- 
gewendeten Concessionirungsweise  hebt 
sich  scharf  ab,  nicht  nur  von  den  bis- 
her in  Uebung  gestandenen  reichlichen 
Zuwendungen  staatlicher  Begünstigungen 
an  die  Eisenbahnen,  sondern  auch  von 
denjenigen,    mit    welchen,    in    der  Form 


86 


Ijjnaz  Konta. 


von  langjährigen  Steuerbefreiungen,  auf 
Grundlage  des  Gesetzes  vom  20.  Mai 
1869,  die  Schaffung  neuer  Schienenwege 
künftighin  gefördert  werden  sollte;  sie 
hält,  in  weitem  Umrisse  genommen,  die 
Mitte  ein  zwischen  diesen  beiden  Con- 
cessionirungs-Arten  und  bildet  gleichsam 
die  Brücke  vom  alten  zum  neuen 
Systeme,  das  —  abgesehen  von  einzelnen 
Nachzüglern  —  jetzt  allgemeine  Geltung 
gewann. 

Der  Uebergang  vollzog  sich  rasch 
und  ohne  jede  Stockung,  als  ob  es 
in  Oesterreich  niemals  staatliche  Ga- 
rantie- oder  Vorschussleistungen  gege- 
ben hätte. 

Die  infolge  reichen  Erntesegens 
in  Ungarn  und  einigen  österreichi- 
schen Provinzen,  dann  der  vermehrten 
Kohlenproduction  in  Böhmen  und  des 
Aufblühens  vieler  heimischen  Industrie- 
zweige gesteigerten  Transporte  und 
Einnahmen  der  älteren  Bahnen,  erhöhten 
immer  mehr  den  Anreiz  zur  Schaffung 
neuer  Linien.  Jeder  Tag  brachte  neue 
Projecte,  die  sogleich  und,  ohne  dass  da- 
bei eine  andere  staatliche  Unterstützung, 
als  die  Steuerfreiheit,  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde,  viel  umworben  waren. 
Die  Regierung  kam  daher  in  die  ange- 
nehme Lage,  ohne  unmittelbare  Bela- 
stung des  Staatsschatzes,  die  Maschen 
des  Eisenbahnnetzes  verdichten,  viele 
Lücken  ausfüllen  und  Mängeln  abhelfen 
zu  können,  die  sich  für  das  wirthschaft- 
liche  oder  gesammtstaatliche  Interesse 
fühlbar  gemacht  hatten.  Während  der 
ersten  Geltungsperiode  des  Gesetzes  über 
die  Steuerbefreiungen  für  neue  Eisen- 
bahnen wurden  auf  Grund  desselben 
acht,  zusammen  beiläufig  380  km  lange 
Bahnen  concessionirt,  welche  im  Nach- 
stehenden eine  nähere  Erörterung  finden. 

Leoben-Vorder nberger  Bahn. 
Um  die  vorzügliche  Leobener  Kohle  in 
den  allgemeinen  Verkehr  zu  bringen, 
dachte  man  schon  im  Jahre  1854  ernst- 
lich daran,  von  der  Südbahnstation  Brück 
an  der  Mur  eine  Zweiglinie  nach  Leoben 
zu  führen  und  dieselbe  bis  Vordernberg 
zu  verlängern.  Trotz  mehrfacher  An- 
läufe zur  Schaffung  dieses  kurzen 
Schienenweges,   blieb  er  noch  lange  un- 


gebaut. Leoben  und  den  dortigen 
Kohlenwerken  brachte  der  zwischen  Re- 
gierung und  Südbahn  am  13.  April  1867 
geschlossene  Vertrag  die  ersehnte  Bahn- 
verbindung, deren  Ausführung  die  Süd- 
bahn übernommen  und  mit   I.  September 

1868  vollendet  hatte.  Vordernberg  aber 
sah  sich  noch  immer  auf  die  alte  Fahr- 
strasse angewiesen.  Die  dortigen  Indu- 
striellen erneuerten  darum  umso  eifriger 
die  Bemühungen,  »auch  ihren  Werken 
jenes  Transportmittel  zu  verschaffen,  ohne 
welches  eine  Massenproduction  auf  die 
Dauer  nicht  concurrenzfähigbleiben  kann«. 

Greifbare  Gestalt  begannen  diese  Be- 
mühungen jedoch  erst  dann  anzunehmen, 
als  der  Bürgermeister  der  Stadt  Leoben, 
Josef  Herzog,  und  dessen  Genossen  im 
October  1868  um  die  definitive  Concession 
für  die  Linie  Leoben-Vordernberg,  für 
welche  der  Eisen  werksbesitzer  Franz  Mayr 
von  M  e  1  n  h  o  f  bereits  am  29.  November 
1867  die  Vorconcession  erhalten  hatte, 
ansuchten.  Die  Bewerbung  schlug  aller- 
dings fehl,  weil  damit  das  Verlangen 
nach  eben  solchen  Begünstigungen,  wie 
sie  der  Kronprinz  Rudolf -Bahn  zuge- 
standen wurden,  verknüpft  gewesen. 
Aber  der  Weg  war  gezeigt,  der  nun 
eingeschlagen  werden  sollte. 

Das  Consortium  des  Grafen  Franz 
von  Meran,  welches  am  23.  Decem- 
ber  1868  die  Vorconcession  für  einige 
Vicinalbahnen  in  Steiermark,  darunter 
auch  jene  von  Leoben  nach  Vordern- 
berg, erhalten  hatte,  schritt  gleich 
nach  Vollendung  der  technischen  Vor- 
arbeiten um  die  definitive  Concession  für 
die  genannte  Linie  ein,  vermied  dabei 
grosse  Anforderungen  an  die  Staatsver- 
waltung, und  kam  damit  zu  dem  ge- 
wünschten Erfolge.    Es  erhielt  am  8.  Juli 

1869  die  auf  dem  Steuerbefreiungs-Ge- 
setze vom  20.  Mai  1869  beruhende,  mit 
einer  fünfzehnjährigen  Steuerfreiheit  aus- 
gestattete Concession,  unter  der  Ver- 
pflichtung, die  Bahn  binnen  längstens 
zwei  Jahren  dem  Betriebe  zu  übergeben. 
Das  Statut  der  Actien-Gesellschaft  »k.  k. 
priv.  Leoben -Vordernberger  Eisen- 
bahn«, mit  dem  Sitze  in  Graz  und  einem 
Capitale  von  1 ,600.000  fl.,  zu  %  in  Actien 
[3200  Stück  ä  200  fl.]  und  zu  s/5  m  Prio- 
ritäts-Obligationen [3200  Stück  ä  300  fl.], 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


87 


wurde  am  8.  Januar  1870  behördlich 
genehmigt,  worauf  dann  am  16.  desselben 
Monats  die  Constituirung  vor  sich  ging. 
Vorläufig  gelangten  jedoch  nur  Titel  im 
Betrage  von  1,350.000  fl.  zur  Ausgabe, 
und  zwar  sind  die  Actien  von  den  Gründern 
selbst,  die  Prioritäten  von  dem  Wiener 
Wechselhause  Weiss  &  Fischhof  über- 
nommen worden.  Je  500  Stück  der  beiden 
Werthgattungen  behielt  die  Gesellschaft 
in  Reserve. 

Den  Bau  übernahm  und  begann  im 
Frühjahre  1870  der  Unternehmer H.  Fröh- 
lich. Anfänglich  rasch  fortschreitend,  er- 
litten die  Arbeiten  durch  unvorhergesehene 
Grundeinlösungs-Schwierigkeiten  so  be- 
deutende Verzögerungen,  dass  eine  Er- 
streckung des  Vollendungstermines  nach- 
gesucht werden  musste,  doch  wurde  auch 
die  mit  1.  Januar  1872  abgelaufene  neue 
Frist  nicht  eingehalten,  sondern  die  1 5-2  km 
lange  Bahn  erst  am  18.  Mai  1872  eröffnet. 

Den  Betrieb  und  die  Beistellung  der  Be- 
triebsmittel übernahm,  mittels  Vertrages 
vom  12.  November  187 1,  die  Südbahn 
auf  die  ganze  Dauer  der  Concession  [der 
Leoben- Vordernberger  Bahn],  jedoch  mit 


dem  beiden  Theilen  vorbehaltenen  Rechte 
der  Aufkündigung  nach  Ablauf  der  ersten 
zehn  Betriebsjahre. 

So  weit  ging  Alles  ziemlich  glatt,  wenn 
auch  die  Vermehrung  der  Intercalarzinsen 
aus  Anlass  der  verspäteten  Betriebseröff- 
nung und  die  Mehrauslagen  für  die  Grund- 
einlösung die  Veräusserung  der  reservirten 
Titel  nothwendig  machte  — ■  und  die  Gesell- 
schaft mit  ihren,  gegen  Ende  1870  unter- 
nommenen Schritten  wegen  einer  Fort- 
setzung ihrer  Bahn  über  Eisenerz  nach 
Hieflau  [siehe  Rudolf-Bahn]  nicht  weit  kam. 

Alsbald  brachen  aber  schwere  Sorgen 
über  die  Gesellschaft  herein ;  die  Erträgnisse 
blieben  weit  hinter  den  gehegten  Er- 
wartungen zurück,  die  Prioritäten-Coupons 
konnten  nur  mit  Hilfe  von  Wechselschulden 
eingelöst  werden,  dann  wurden  auch  diese 
letzteren  eingeklagt  und  die  Bahn  gerieth 
in  Calamitäten,  denen  sie  sich  erst  nach 
etlichen  Jahren  völlig  zu  entwinden  ver- 
mochte. 

Die  Leoben-Vordernberger  Bahn 
zieht  vom  Südbahnhofe  in  Leoben  aus  am 
linken  Ufer  der  Mur  entlang,  bis  sie  hinter 
Waasen  den  Vordernberger  Bach  übersetzt; 


Abb.  59.     Bludenz. 


Ignaz  Konta. 


hierauf  gewännt  sie  mit  einer  Steigung  von 
I  :  65  die  Station  Donawitz,  übersetzt  dann 
abermals  den  Yordernberger  Bach  und  geht 
in  gerader  Richtung  bis  zur  Station  St.  Peter 
Freienstein  am  linken  Ufer  des  Yordern- 
berger Baches,  wo  sie  einen  Engpass  erreicht 
und  sich  mit  einer  Steigung  von  I  :  40  gegen 
die  Station  Trofaiach  empcrwindet  Nächst 
Trofaiach  übersetzt  dieselbe  den  Gössbach, 
geht  hierauf  mit  einer  continuirlichen  Steigung 
von  1  140  inmitten  des  Thaies,  nachdem  sie  den 
Krumpenbach  übersetzt  hat,  in  den  Eng- 
pass zwischen  Hafring  und  Friedau^Yerk, 
wo  sie  sich  zwischen  Felsen  und  Bach  bis 
zur  Station  Friedau-Werk  hinschlängelt.  Yon 
hier  aus  geht  sie  in  ziemlich  gerader  Rich- 
tung und  einer  Steigung  von  I  :  40  in  der 
Mitte  des  Thaies  bis  zur  Station  Yordern- 
berg.  Die  Bahn  überwindet  in  einer  Länge 
von  15225  km  231  m  Steigung. 

Dux-Bodenbacher  Bahn.  In 
dem  irrigen  Glauben,  dass  sie  den  Kohlen- 
transport aus  dem  Duxer  Becken,  so  sehr 
er  auch  von  Jahr  zu  Jahr  anwuchs,  stets 
allein  werde  bewältigen  und  in  der  eigenen 
Hand  behalten  können,  befasste  sich  die 
Aussig- Teplitzer  Bahn  selbst  dann,  als  sie 
überhaupt  an  eine  Erweiterung  ihres 
Unternehmens  dachte,  mit  weitgehenden 
Projecten,  aber  nie  mit  der  Nothwendig- 
keit  der  Schaffung  lediglich  einer  zweiten 
Abfuhrstrasse  zur  Elbe,  beziehungsweise 
zum  Anschlüsse  an  die  norddeutschen 
Bahnen.  Diese  Zurückhaltung  übte 
auf  die  Grubenbesitzer  und  andern  Be- 
obachter der  fortwährenden  Ausbreitung 
des  norddeutschen  Absatzgebietes  für  die 
Braunkohle  die  Wirkung  einer  Heraus- 
forderung zur  Selbsthilfe.  In  kurzer 
Frist  tauchten  mehrere  Projecte  auf, 
welche  sämmtlich  dahin  zielten,  das 
Duxer  Becken  auf  einem  zweiten  Wege 
mit  dem  norddeutschen  Bahnnetze  in 
Verbindung  zu  setzen,  so  insbesondere 
jene  für  die  Linien :  Dux-Klingenberg, 
Mariaschein-Bodenbach,  Dux-Pirna  und 
Dux-Bodenbach. 

Das  letztere,  von  dem  k.  k.  Notar 
Dr.  Franz  S  t  r  a  d  a  1  in  Teplitz  ange- 
regte Project,  sagte  der  Regierung 
am  besten  zu,  weil  es  sich  dabei  um 
eine  minder  schwierige,  daher  auch  mit 
geringerem  Kostenaufwande  herzustellende 
Linie  handelte,  die  aus  dem  eigent- 
lichen Mittelpunkte  des  Kohlenbeckens  un- 
mittelbar nach  Bodenbach  führt  und  in 
diesem    Grenzorte    nicht    nur   dreifachen 


Bahnanschluss,  darunter  einen  an  die 
sächsischen  Staatsbahnen,  findet,  sondern 
auch  die  Elbe  trifft.  Dr.  Stradal  hatte 
am  1.  September  1868  die  Vorconcession 
erhalten,  bald  danach  auch  ein  über  ge- 
nügende Geldmittel  verfügendes  Con- 
sortium  gebildet  und  das  Gesuch  um  die 
definitive  Concession  überreicht.  Er  wurde 
zwar  ob  dieser  That  von  dem  Zorne  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  getroffen,  die  ihn 
aus  ihrer  Verwaltung,  welcher  er  viele 
Jahre  hindurch  angehört  hatte,  rundweg 
ausschloss ;  er  liess  sich  jedoch  dadurch 
nicht  beirren,  blieb  seinem  Vorhaben 
treu  und  erntete  binnen  Kurzem  den  Er- 
folg seiner  Bemühungen,  indem  er  im 
Vereine  mit  Rudolf  Stradal  und  den 
Firmen  Otto  Seebe,  C.  B.  Eisentraut, 
Johann  Liebieg  &  Comp.,  am  9.  Juli 
1869  die  angestrebte  Concession  erhielt. 
Dieselbe  beruht  auf  dem  Gesetze  vom 
20.  Mai  1869,  gilt  für  die  Linie  Dux- 
Bodenbach  mit  Anschluss  an  die  nörd- 
liche Staatseisenbahn  daselbst  und  für 
eine  Schleppbahn  von  Bodenbach  zur  Elbe, 
gewährt  dem  Unternehmer  eine  zwanzig- 
jährige Steuerfreiheit  und  verpflichtet  die 

I  Concessionäre,  den  Bau  binnen  drei 
Monaten  zu  beginnen  und  binnen  läng- 
stens   zwei    Jahren    zu    vollenden.     Als 

1  zu  dieser  Concession  gehörig  ist  der 
Handelsministerial-Erlass  vom  16.  Juli 
1869  anzusehen,  welcher  anordnet,  dass 
gegen     entsprechende    Ueberfuhrgebühr, 

;  beziehungsweise  Frachten- Garantie  seitens 
der  betreffenden  Grubenbesitzer  und  In- 
dustriellen, die  Bahn  in  die  Nähe  des 
Grubenfeldes  »Britannia«  zu  rücken,  einen 

•  Flügel  zu  den  Kohlenbauen  des  Grafen 
Westphalen  und  der  Karbitzer  Kohlen- 
bergbau-Gewerkschaft »Saxonia«  sowie 
von  Bünaburg  in  die  Graf  Thun'sche 
Spinnerei  und  von  Bodenbach  in  die 
dortige  Brauerei  herzustellen  hat. 

So  rasch  als  die  Concessionäre  in 
den  Besitz  der  Concession  gelangt  waren, 
gingen  sie  an  die  Ausführung  derselben. 

I  Am  7.  August  1869  legten  sie  den 
mittels  Prioritäts  -  Obligationen  zu  be- 
schaffenden Theil  des  Anlage-Capitals, 
nämlich  Titel  im  Betrage  von  3,000.000  fl. 
zum  Curse  von  75s/i%  zur  öffentlichen 
Zeichnung  auf  und,  nachdem  diese 
bestens  geglückt  war,    am  1.  September 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


89 


1869,  auch  die  17.000  Actien  ä  200  fl. 
[=3,400.000  fl.]  zum  Curse  von  178  fl. 
Banknoten,  welche  nicht  minder  stark 
überzeichnet  wurden.  Ebenfalls  im  Monate 
August  1869  wurde  der  an  den  Unter- 
nehmer C.  Zacharias  vergebene  Bau  in 
Angriff  genommen.  Am  8.  September 
1869  erhielten  die  Statuten  der  »k.  k. 
priv.  Dux-Bodenbacher  Eisen- 
bahn« die  behördliche  Genehmigung, 
worauf,  genau  einen  Monat  später,  die 
Constituirung  der  Gesellschaft  stattfand. 
[Capital  6,400.000  fl.,  Sitz  in  Bodenbach.] 
Zum  Director  des  Unternehmens  wurde  der 
frühere  Transport-Inspector  der  Südbahn, 
Johann  Pechar,  ein  rühriger  Vorkämpfer 
für  ermässigte  Frachtsätze,  ernannt. 


dem  Hause  Liebieg  propagirten  Vereini- 
gung der  Dux-Bodenbacher  [und  der 
Bielathal-]  Bahn  mit  der  Aussig-Teplitzer 
Bahn  geneigter  zu  machen,  lässt  sich 
nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.  That- 
sache  ist,  dass  der  Verwaltungsrath  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  den  ihm  übermittel- 
ten Fusionirungs- Entwurf  am  19.  März 
1871  ablehnte,  hingegen  die  am  31.  März 
1871  zu  Wien  abgehaltene  General- 
versammlung der  Dux-Bodenbacher  Bahn 
sich  dafür  aussprach,  die  Concession 
für  die  Linie  Ossegg-Komotau  selbst 
mit  Verzichtleistung  auf  die  Steuer- 
befreiung, also  sozusagen  um  jeden  Preis 
anzustreben,  und  dass  die  Verwaltung 
der  letztgenannten  Gesellschaft   sich  erst 


.-'  f-'-rr^-;-. 


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4SfiSH£«SawBUWE£-'»- - 


Abb.  60.  Station  Königswald  [Dux-Bodenbach]. 
[Nach  einer  Federzeichnung  nach  der  Natur  von  F.  Wachsinann/ 


Kaum  unter  Dach  und  Fach  gebracht, 
sah  sich  die  Dux-Bodenbacher  Bahn  von 
ihrem  Gründer  getrennt.  Stradal  und 
mit  ihm  die  Mehrheit  des  Verwaltungs- 
rathes  waren  der  Ansicht,  dass  die  Ge- 
sellschaft sich  um  die  Concession  für  die 
Linien  Prag-Dux  und  Dux-Olbernhau  be- 
werben solle,  begegnete  aber  hiebei  dem 
Widerstände  des  Hauptactionärs  Baron 
Liebieg,  der  bereits  selbständig  um  die 
Concession  für  die  Prag-Duxer  Bahn  in 
Bewerbung  getreten  war.  Als  nun  die  in 
Prag  abgehaltene  erste  ausserordentliche 
Generalversammlung  vom  26.  März  1870 
sich  gleichfalls  gegen  die  Bewerbung  aus- 
sprach, legte  Stradal  seine  Verwaltungs- 
raths-Stelle  nieder.  Etwas  von  seiner  Ten- 
denz war  jedoch  bei  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn  zurückgeblieben,  die  jetzt  ihr  Augen- 
merk auf  die  Linie  Ossegg-Komotau 
richtete. 

Ob  dies  gleich  von  vornherein  ernst 
gemeint  war  oder  blos  dazu  dienen 
sollte,  die  Aussig-Teplitzer  Bahn  der  von 


daraufhin  mit  vermehrtem  Eifer  um  die  Er- 
langung der  neuen  Concession  bemühte. 
Natürlicherweise  sah  die  Aussig- 
Teplitzer  Bahn  dem  weiteren  Vordringen 
ihrer  Concurrentin  nicht  müssig  zu,  son- 
dern machte  gleich  dieser  alle  Anstren- 
gungen, die  Concession  zu  erlangen.  Sei 
es  nun,  dass  sie  zu  spät  zum  Rechten 
gesehen,  sei  es,  dass  sie  ungünstigere 
Bedingungen  stellte  oder  dass  der  Protest, 
welchen  zahlreiche  Gemeinden  aus  dem 
Erzgebirge  gegen  die  Verleihung  der 
Concession  an  die  Aussig-Teplitzer  Bahn 
erhoben  hatten,  ihrer  Erwerbung  Eintrag 
gethan ;  sei  es,  dass  die  Erwägung,  die 
Dux-Bodenbacher  Bahn  könne  erst  durch 
ihre  Verlängerung  bis  Komotau  volle  Pro- 
sperität gewinnen,  zu  Gunsten  der  letzteren 
Gesellschaft  den  Ausschlag  gegeben,  — 
diese  blieb  Siegerin  und  erhielt  am 
20.  Mai  187 1  die  Concession  für  die  von 
Komotau  nach  Ossegg  zum  Anschlüsse 
an  die  Buschtehrader  Bahn  führende 
Fortsetzungsstrecke,    welche    einen  inte- 


9° 


Ignaz  Konta. 


grirenden  Bestandtheil  der  Dux-Boden- 
bacher  Bahn  zu  bilden  hat. 

Eine  staatliche  Begünstigung  wurde 
der  neuen  Linie  nicht  zutheil,  hingegen 
gestattet,  dass  die  Steuerfreiheit  der  älteren 
Linie  in  der  Weise  gehandhabt  werde, 
dass  die  Gesellschaft  die  Steuern  und  Ge- 
bühren nach  Massgabe  des  Längenver- 
hältnisses der  beiden  Linien  entrichtet. 
Die  Baufrist  der  neuen  Linie  war  mit 
zwei  Jahren  bemessen.  Auch  diesmal 
wurde  sogleich  zur  Durchführung  der 
Concession  geschritten  und  wieder  mit 
der  Geldbeschaffung  der  Anfang  gemacht. 
Dieselbe  umfasste  aber  nicht  blos  die  mit 
3,950.000  fl.  veranschlagten  Mittel  für 
die  neue  Linie,  sondern  auch  die  Be- 
deckung des  Mehrerfordernisses  von 
488.000  fl.  für  die  alte  Linie  und  der 
[rund]  600.000  fl.  betragenden  Anlage- 
kosten mehrerer  Schleppbahnen,  ferner 
den  Kaufschilling  für  das  gräflich  Wald- 
stein'sche  Kohlenwerk  in  Dux,  dessen 
Erwerbung  die  Generalversammlung  vom 
12.  August  1871,  zugleich  mit  der  Emis- 
sion von  16.000  Actien  lit.  B  ä  200  fl. 
und  von  46.000  Obligationen  ä  150  fl., 
genehmigte. 

Das  Haus  Liebieg,  welches  alle 
Actien  und  33.544  fl.  Obligationen, 
und  zwar  beiderlei  Werthe  zum  Curse 
von  6g°/0  auf  feste  Rechnung  genommen 
hatte,  räumte  den  Besitzern  der  Stamm- 
actien  [für  die  Tage  vom  23.  bis  30.  No- 
vember 1871]  das  Bezugsrecht  auf  8500 
Actien  zum  Curse  von  189  fl.  und  auf 
8500  Obligationen  zum  Curse  von 
129  fl.  Banknoten  ein,  legte  die  restlichen 
7500  Actien  am  2.  Februar  1872  zum 
Curse  von  76°/,,  zur  öffentlichen  Zeich- 
nung auf  und  übernahm  späterhin  auch 
die  übrigen  12.456  Obligationen  zum 
Curse  von  87°/,,. 

Den  Bau  der  Linie  Ossegg-Komotau 
hat  bei  der  am  5.  November  187 1 
durchgeführten  Offertverhandlung  der 
Ober-Ingenieur  Franz  R  z  i  h  a  erstan- 
den. Mittlerweile  hatte  am  2.  October 
1871  die  Eröffnung  der  50-4  km  langen 
Linie  Dux-Bodenbach  stattgefunden,  wel- 
cher am  19.  December  1892  auch  jene 
der  36  km  langen  Linie  Ossegg- 
Komotau  folgte.  —  Ein  bis  dahin  ein- 
getretener weiterer  Zuwachs  an  Schlepp- 


bahnen, die  Vermehrung  des  Fahrparkes, 
die  Vergrösserung  der  Werkstätte  und 
sonstige  Erfordernisse  erheischten  neue 
Geldmittel,  welche  die  Gesellschaft  sich 
durch  Aufnahme  einer  schwebenden 
Schuld  von  2,000.000  fl.  verschaffte.  Das  rief 
aber  öffentliche  Betrachtungen  ihres  finan- 
ziellen Standes  hervor,  deren  abfälligen 
Ausklang  der  Verwaltungsrath  in  seinem 
Geschäftsberichte  pro  1872  mit  folgen- 
dem Satze  beantwortete:  »Die  Dux- 
Bodenbacher  Bahn  stellt  sich  zwar  als 
ein  in  seiner  Anlage  nicht  billiges  Unter- 
nehmen dar,  dieselbe  ist  aber  weit  über 
die  ihr  ursprünglich  gesetzten  Grenzen 
hinausgewachsen  und  nunmehr  ein  werth- 
volles  Object  und  mit  allen  Mitteln  aus- 
gerüstet, um  die  auf  sie  gestellten  Hoff- 
nungen erfüllen  zu  können.«  Das  beruhte 
auf  Wahrheit ;  jedoch  in  der  Zeit,  bis  es 
buchstäblich  zutraf,  erlebte  die  Dux- 
Bodenbacher  Bahn  gar  wechselvolle 
Schicksale. 

Die  Trace  der  Dux- B  od  enb  ach  er  Bahn 
zieht  von  dem  Ausgangspunkte  Dux  gegen 
das  Ossegger  Stift  hinan,  biegt  dann  nach 
rechts  ab  gegen  Hageholz,  gelangt  mit  einem 
stetigen  Gefälle  nach  Kosten  und  hierauf, 
an  den  Ortschaften  Zuckmantel  und  Klein- 
Augest  vorüber,  in  den  sogenannten  Kuh- 
busch, ein  Eichenhain  mit  der  Station  Teplitz. 

Von  da  führt  die  Bahn  bei  steter  Steigung 
nach  Rosenthal,  dann  weiter  am  Fusse  des 
Erzgebirges  bis  Hohenstein  und  von  hier  über 
den  historisch  bekannten  Ort  Kulm  empör 
zur  Wasserscheide  bei  Klein-Kahn.  Hinter 
der  Wasserscheide  gelangt  die  Bahn  in  das 
reizende  Eulauthal,  wo  sie  bis  Bodenbach 
verbleibt.  In  diesem  Thale  waren  sehr  be- 
deutende Schwierigkeiten  zu  überwinden, 
welche  die  Anwendung  eines  Gefälles  von 
1 :  50  und  einen  langen  und  tiefen  Einschnitt 
bedingten,  durch  welch  letzteren  die  Bahn 
nach  Königswald  und  Eulau  gelangt. 

Vor  Eulau  zieht  die  Trace  in  einem  sehr 
rutschigen  Terrain  nach  Bünaburg  und  von 
da  nach  der  Endstation  Bodenbach,  wo  sie  an 
die  dort   einmündenden  Bahnen    aaschliesst. 

Von  Dux  bis  Teplitz  durchschneidet  die 
Bahn  das  Terrain  von  zwanzig  grossen  Kohlen- 
werken. 

Die  Ossegg-Komotauer  Bahn  zweigt 
in  der  Xähe  von  Dux  aus  der  Dux-Bodenbacher 
Linie  ab,  um  sofort  zur  Station  Ossegg  zu  ge- 
langen. Von  hier  aus  steigt  die  Trace  gegen 
Dorf  und  Station  Brück  und  weiterhin  bis 
zur  Station  Oberleitensdorf  empor.  Im  fer- 
neren Laufe  schmiegt  sich  die  Trace  dem 
Gefälle  des  Terrains  an,  berührt  den  Ort 
Einsiedl  und  breitet  sich  in  Obergeorgenthal 
wieder  zu    einer  Station    aus.     Fortwährend 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


91 


Abb.  61.    Bodenbach. 
[Nach  einer  Federzeichnung  nach  der  Natur  von  F.  Wachsniann.] 


fallend  gelangt  die  Trace  sodann  nach  Eisen- 
berg, um  von  da  ab,  wieder  stetig  ansteigend, 
über  Görkau  nach  der  Endstation  Komotau 
zu  gelangen.  In  der  Nähe  des  Alaunsees  über- 
setzt die  Trace  die  Aussig-Teplitzer  Bahn. 
Am  Endpunkte  der  Bahn  —  in  Komotau 
—  schliesst  dieselbe  an  die  Geleise  der 
Buschtehrader  Bahn  an.  [Abb.  60—63.] 

Neratovic-Prag.  Gleich  bei  ihren 
ersten  Berathungen  über  die  Schaffung 
einer  directen  Verbindung  zwischen 
Reichenberg  und  Prag,  beziehungsweise 
dem  Buschtöhrad-Kladnoer  Kohlenbecken 
und  dem  Reichenberger  Industriegebiete 
[1856],  hatten  die  betreffenden  Inter- 
essenten an  eine  »Turnau-Prager  Bahn« 
gedacht.*)  Das  von  ihnen  entsendete 
engere  Comitö,  welches  die  Angelegenheit 
genau  erwägen  und  weiterführen  sollte, 
wählte  aber,  wie  schon  erwähnt  wurde, 
von  den  drei  vorgeschlagenen  Tracen 
von  Turnau  nach  Prag,  Befkovic  oder 
Kralup,  die  letztere,  ebensowohl  um  der 
Kohlenverfrachtung  nach  Reichenberg  hin 
den  Weg  thunlichst  zu  kürzen,  als  auch 
in  der  Annahme,  dass  es  gelingen  würde, 
die  Buschtöhrader  Bahn  zur  Herstellung 
der  Linie  Turnau-Kralup  zu  vermögen. 
Dieser  letztere  Beweggrund  war  wohl 
sehr  bald  in  Wegfall  gekommen,  da  die 
Buschtöhrader  Bahn  den  bezüglichen  An- 
trag in  ihrer  Generalversammlung  vom 
15.  Februar  1862  ablehnte;  das  nun 
wieder  auf  sich  selbst  angewiesene  Grün- 
dungscomite  erachtete  jedoch  auch  das  erst- 
erwähnte Motiv  für  wichtig  genug,  um  an 
dem  Projecte  Turnau-Kralup  festzuhalten. 
Immerhin  aber  blieb  es  bei  der  Erwerbung 
der  Concession  für  diese  Bahn  darauf 
bedacht,  derselben  das  Vorrecht  für  eine 
Einmündungslinie  nach  Prag  zu  sichern. 


*)  Vgl.  Bd.  I,  i.Theil,  H.  Strach,  Eisen- 
bahnen ohne  Zinsengarantie,  S.  367  u.  ff. 


Als  nun  die  Böhmische  Nordbahn, 
deren  Verkehr  mit  Prag  die  Turnau- 
Kraluper  Bahn  vermittelt,  vollendet  war 
und  die  letztere  mittels  der  damals 
schon  in  Ausführung  gestandenen  Prager 
Verbindungsbahn  Anschluss  an  die  in 
Prag  einmündenden  Bahnen  linden  konnte, 
traf  der  Verwaltungsrath  die  Voreinleitun- 
gen für  die  Herstellung  der  Linie 
Neratovic-Prag  [1868]  und  trat  sodann 
mit  Zustimmung  der  Generalversammlung 
vom  22.  Mai  1869  in  Bewerbung  um 
die  definitive  Concession. 

Die  Verhandlungen  mit  der  Regierung 
währten,  da  die  Gesellschaft  keine  Staats- 
garantie beanspruchte,  nur  kurze  Zeit; 
am  20.  August  war  sie  bereits  im  Be- 
sitze der  erbetenen  Concession  für  die 
von  der  Stammbahn  bei  Neratovic 
ausgehende  Linie  nach  Prag  zum 
Anschlüsse  an  die  Kaiser  Franz  Josef- 
Bahn,  eventuell  an  die  nördliche  Linie 
der  priv.  Oesterreichischen  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft. Die  Con- 
cession gewährte  der  neuen  Linie,  die 
einen  integrirenden  Bestandtheil  der 
Turnau- Kraluper  Bahn  zu  bilden  hat, 
auf  Grund  des  Gesetzes  vom  20. 
Mai  1869  eine  zwanzigjährige  Steuer- 
befreiung, die  auch  in  der  Weise  aus- 
geführt werden  kann,  dass  die  Ent- 
richtung der  Einkommensteuer  für  die 
alte  Linie  nach  Massgabe  des  Verhält- 
nisses der  Meilenlänge  der  letzteren  zur 
ersteren  stattfindet.  Die  Baufrist  war 
mit  längstens  einem  Jahre  nach  der  Voll- 
endung der  Linie  Gmünd -Prag  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  festgesetzt. 

In  einer  Beziehung  war  jedoch  die  Con- 
cession minder  günstig  für  die  Gesell- 
schaft ;  sie  setzte  nämlich,  sowohl  für  die 
alte  als  für  die  neue  Linie  ziffermässig  um- 


92 


Ignaz  Konta. 


grenzte  Tarife  fest  und  hob  daher  die  freie 
Tarifbestimmung  auf,  welche  die  Turnau- 
Kraluper  Bahn  bis  dahin  besessen  hatte. 
Das  mit  3,500.000  fl.  veranschlagte 
Anlage-Capital  wurde  durch  Ausgabe 
5  °/0iger  Prioritäts-Obligationen  im  Betrage 
von  1,999.950  fl.  [13.333  Stück  ä  150  fl.] 
und  7500  Actien  ä  200  fl.  beschafft.  Die 
ersteren  wurden  von  der  >Allgemeinen 
deutschen  Credit-Anstalt«  in  Gemeinschaft 
mit  der  »Allgemeinen  böhmischen  Bank« 
übernommen  und  am  28.  December  1 869  im 
Wege  der  öffentlichen  Zeichnung,  zum 
Curse  von  76%  glatt  weiter  begeben ; 
die  Actien  wurden  von  den  Besitzern  der 
älteren  Titel  und  von  den  Eigenthümern 
der  an  der  Bahn  gelegenen  Zuckerfabriken 


eine  bedeutende  Verzögerung.  Die  Eröff- 
nung dieser  19-4  km  langen  Strecke  und 
zugleich  der  ganzen  Linie  für  den  Gesammt- 
verkehr  erfolgte  am  28.  October  1872. 
Zur  selben  Zeit  bewerkstelligte  die 
Gesellschaft  auch  eine,  durch  die  Ver- 
kehrszunahme nothwendig  gewordene,  er- 
hebliche Vermehrung  des  Fahrparkes  so- 
wie die  Ausgestaltung  der  alten  Linie 
und  erbaute,  ihren  günstigen  Verhältnissen 
entsprechend,  ein  eigenes  Directions- 
Gebäude  in  Prag.  Zur  Beschaffung 
der  hiefür  erforderlichen  Geldmittel  be- 
willigte die  Generalversammlung  vom 
25.  Mai  1872  eine  weitere  Erhöhung 
des  Gesellschafts-Capitals  auf  nunmehr 
13,000.000  fl.    durch  Ausgabe  von  5000 


Abb.  62.     Station  und  Schloss  Eisenberg  [Dux-Bodenbach]. 
[Nach  einer  Federzeichnung  nach  der  Natur  von  F.  Wachsmann.] 


zum  vollen  Nennwerthe  bezogen.  Die  im 
Juli  1870  begonnenen  Bauarbeiten  waren 
in  drei  Lose  getheilt,  deren  erstes 
[Neratovic-Lieben]  an  die  Unternehmung 
Solch  &  Tichy  pauschaliter  vergeben, 
das  zweite  [Lieben-Prag]  von  der  Gesell- 
schaft, deren  Director  Georg  Low  ein 
vorzüglicher  Techniker  und  Administrator 
gewesen,  in  eigener  Regie  —  unter  Mit- 
wirkung des  im  Tunnelbau  wohlerfahrenen 
Ober-Ingenieurs  F.  R  z  i  h  a  —  ausgeführt, 
das  dritte,  blos  mindere  Arbeiten  um- 
fassende, einem  kleinen  Unternehmer  gegen 
Einheitspreise  vergeben  wurde. 

Der  Bau  nahm  einen  ungleichmässigen 
Fortgang.  Während  die  14' 7  km  lange 
Strecke  Neratovic-Cakovic  bereits  am 
23.  October  1871  für  den  Güterverkehr 
in  Benützung  genommen  werden  konnte, 
erlitt  die  Vollendung  der  Strecke  C'akovic- 
Prag  durch  geologische  Hindernisse, 
welche  die  Tunnelirung  des  Zizkaberges 
erschwerten,  und  durch  die  sehr  umfang- 
reichen Aufschüttungsarbeiten  bei  Lieben, 


Actien  ä  200  fl.  und  10.000  Prioritäts- 
Obligationen  ä  1 50  fl. ;  wirklich  begeben 
wurden  jedoch  damals  nur  die  Prioritäten, 
und  zwar  an  die  Leipziger  Discont-Gesell- 
schaft  zum  Curse  von  93 ;  die  Actien 
oder  richtiger  die  hernach  statt  derselben 
emittirten  Prioritäten  kamen  erst  später 
zur  Begebung. 

Die  Trace  Prag-Neratovic  hat  ihren 
Anfangspunkt  in  Prag,  wo  sie  aus  dem  mit 
der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  gemeinschaft- 
lichen Bahnhofe  ausmündet.  Sie  schlägt  eine 
nordöstliche  Richtung  ein  und  tritt  durch  den 
Zizkaberg-Tunnel  in  das  Liebenerthal  ein. 
Hier  wird  zuerst  an  der  linkseitigen  Lehne 
die  Staatseisenbahn  übersetzt  und  weiter  das 
Liebenerthal  und  die  Oesterreichische  XorJ- 
westbahn  quer  überschritten.  Sodann  ver- 
folgt die  Bahnlinie  die  rechtseitigen  Lehnen 
des  Liebenerthaies,  um  in  steter  Steigung 
die  Wasserscheide  zwischen  der  Moldau 
und  der  Elbe  bei  Sattalitz  zu  ersteigen.  Von 
diesem  Plateau  aus  senkt  sich  die  Trace  bis 
an  die  Ufergehänge  der  Elbe  herab  und 
mündet  in  Xeratovic,  wo  ein  eigener  Bahn- 
hof errichtet  wurde,  in  die  alte  Linie  der 
Turnau-Kraluper  Bahn  ein. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


93 


Abb.  63.    Koinotau.    [Nach  einer  Federzeichnung  nach  der  Natur  von  F.  Wachsmann.] 


Wiener-  Neustadt  -  Grammat- 
Neusiedler  Bahn.  Diese  schon  zu 
Beginn  der  Sechziger-Jahre  von  mehreren 
Fabriksbesitzern  geplante,  den  Hauptsitz 
der  niederösterreichischen  Mühlen-  und 
Spinnerei-Industrie  durchziehende  Verbin- 
dungslinie zwischen  der  alten  Raaber  und 
Gloggnitzer  Bahn  war  bereits  einmal, 
nämlich  am  30.  September  1864,  einer 
Gemeinschaft  von  Industriellen  [Alexander 
v.  Schoeller,  Hermann  Wittgenstein  u.  A.] 
concessionirt,  und  hätte  spätestens  im 
Jahre  1868  dem  Betriebe  übergeben 
werden  sollen.  Trotz  der  bekannten 
Wohlhabenheit  der  Concessionäre  und 
ihrer  Mitinteressenten  wollte  jedoch  die 
Aufbringung  des  Capitals  nicht  gelingen. 
Nach  wiederholt  erhaltener  Verlängerung 
des  Termines  für  den  Baubeginn,  und 
•  nachdem  ihnen  der  Versuch,  eine  Steuer- 
befreiung auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
20.  Mai  1869  hinterher  zu  erlangen,  miss- 
glückte [17.  Juni  1869],  legten  die  Con- 
cessionäre die  Concession  ganz  zurück. 
Das  Project  aber  blieb  nicht  eine  Stunde 
lang  verwaist.  Aus  dem  Kreise  der 
Interessenten  traten  sofort  andere  Be- 
werber auf,  und  am  20.  August  1869 
erhielten  der  Grosshändler  Gustav 
Schoeller  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Fabriksbesitzer  Alfred  Skene  die  mit 
einer  fünfzehnjährigen  Steuerbefreiung 
ausgestattete  Concession  für  die  Linie 
Wiener-  Neustadt  -  Grammat- 
Neusiedl  nebst  eventueller  Zweigbahn 
nach  Neufeld.  Jetzt  ging  die  Angele- 
genheit auch  rascher  vonstatten.  Der 
»Wiener  Bankverein«  übernahm  den 
Bau  oder  [wie  es  nach  aussen  be- 
zeichnet wurde]  gesellte  sich,  behufs 
der  Ausführung  des  Baues  in  eigener 
Regie,  den  Concessionären  bei,  stellte 
auch  einstweilen,  d.  h.  bis  zur  Ausgabe 
der  Titel,  die  Geldmittel  zur  Verfügung, 
und  wendete  den  Bauarbeiten  solchen 
Eifer  zu,  dass  dieselben,  obschon  ihre 
Inangriffnahme    durch    Grundeinlösungs- 


Schwierigkeiten  bis  in  den  Herbst  1870 
verzögert  wurde,  rechtzeitig  zu  Ende  ge- 
diehen und  die  Eröffnung  der  33 '7  km 
langen  Bahn  am  1.  September  1871  statt- 
finden konnte. 

Inzwischen  hatte  das  Handelsmi- 
nisterium am  18.  Mai  1871  die  Bau- 
bewilligung für  den  österreichischen  und 
die  königliche  ungarische  Regierung 
am  21.  Juni  1871  die  Concession  für  den 
ungarischen  Theil  [095  km]  der  kurzen 
Zweigbahn  vonEbenfurth  nach  Neu- 
feld [im  Ganzen  2-3  km  lang]  ertheilt, 
welche  alsbald  gebaut  und  am  20.  März 
1872  dem  Betriebe  übergeben  wurde. 

Die  ursprünglich  mit  beiläufig  I  —  I  '/2 
Millionen  Gulden  veranschlagt  gewesenen 
Anlagekosten  stellten  sich  thatsächlich 
auf  nominale  4,000.000  fl.  —  Die  Betriebs- 
führung übernahm  die  Südbahn.  Die 
Wiener  -  Neustadt  -  Grammat  -  Neusiedler 
Bahn  blieb  übrigens  nicht  lange  ein  selb- 
ständiges Unternehmen,  da  sie  im  Jahre 
1874  in  die  dem  Wiener  Bankvereine 
concessionirte  Wien  -  Pottendorfer  Bahn 
[s.  d.]    aufging. 

Die  Wiener-Neustadt  -  Grammat- 
Neusiedler  Bahn,  zieht  von  Wiener-Neu- 
stadt durch  das  Centrum  der  niederöster- 
reichischen Mühlen-  und  Spinnerei-Industrie, 
berührt  die  Orte  Ober-Eggendorf,  Eben- 
furth,  Pottendorf  [Landegg],  Unter-Walters- 
dorf und  Mitterndorf  [Moosbrunn}  und  mün- 
det in  Grammat-Neusiedl  in  die  Neu-Szönyer 
Linie  der  Staatseisenbahn  ein.  Die  Flügelbahn 
von  Ebenfurth  nach  Neufeld  führt  bis  zu  den 
fürstlich  Esterhazy'schen  Kohlengruben  bei 
Neufeld.  Die  Terrainverhältnisse  waren  gute, 
technische  Schwierigkeiten  waren  nicht  vor- 
handen. 

Salzburg-Halleiner  Bahn.  Ebenso 
wie  in  dem  ersten,  seitens  der  Regierung 
bereits  im  Jahre  1842  verfolgten  Projecte 
einer  Eisenbahn  zwischen  Salzburg  und 
Brück  an  der  Mur,  war  die  Strecke  Salz- 
burg-Hallein  auch  in  dem  zweiten  Pro- 
jecte inbegriffen,  mit  welchem  die  Re- 
gierung   sich    befasste,    als    der    Staats- 


94 


Ignaz  Konta. 


vertrag  mit  Bayern,  ddto.  21.  Juni  1851, 
ihr  den  Bau  einer  Verbindung  zwischen 
Stei  ermark  und  Salzburgzur  Pflicht  machte. 
Als  aber  am  21.  April  1856  ein  anderer 
Staatsvertrag  mit  Bayern  geschlossen  und 
darin  blos  die  Herstellung  einer  »directen 
Bahn  von  Wien  nach  Salzburg*  stipulirt 
wurde,  blieb  sammt  dem  ganzen  erst- 
erwähnten Projecte  auch  dessen  Theil: 
Salzburg-Hallein  unausgeführt.  Für  sich 
allein  war  dieser  Theil  in  der  Ausdehnung 
bis  Golling,  als  ein  kleines  Unternehmen 
im  Jahre  1863  von  dem  Ingenieur  Julius 
Kitzler  geplant,  ohne  jedoch  über  die 
ersten  Anfänge  hinauszukommen.  Vier 
Jahre  später  richtete  das  Handelsministe- 
rium an  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  die 
Aufforderung  zur  Bekanntgabe  der  Be- 
dingungen, unter  welchen  sie  geneigt 
wäre,  den  Bau  und  Betrieb  der  Flügel- 
bahn von  Salzburg  nach  Hallein  zu  über- 
nehmen. 

Diese  Gesellschaft  verlangte  nun, 
dass  in  den  Halleiner  Salzsudwerken 
die  Kohlenfeuerung  eingeführt  und  die 
Kohlentransporte  dahin  ebenso  wie  die 
Salztransporte  von  Hallein  nach  Salzburg 
der  neuen  Linie  zugesichert  werden 
sollen.  Das  Alles  sagte  dem  Finanz- 
ministerium nicht  zu.  Ueberdies  fügte 
das  Handelsministerium  dem  ablehnen- 
den Bescheide  noch  die  Bemerkung  bei, 
»dass  die  Strecke  Salzburg-Hallein  einen 
Bestandtheil  jener  grossen  Linie  bilde, 
welche  seinerzeit  Tirol,  Salzburg  und 
Steiermark  durchwegs  auf  österreichischem 
Gebiete  zu  verbinden  bestimmt  sei,  wes- 
halb man  sich  die  Vereinigung  der  zu- 
nächst zur  Ausführung  zu  bringenden 
Halleiner  Flügelbahn  mit  dem  erwähnten 
grossen  Unternehmen,  im  Falle  des  Zu- 
standekommens des  Letzteren,  jedenfalls 
vorbehalten  müsse«.  Auf  das  hin  nahm 
die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  sich  nicht 
weiter  der  Sache  an,  die  nun,  obzwar 
die  Landtage  der  Alpenländer  in  den 
Jahren  1867  und  1868  dringendst  nach 
den  Linien  Innsbruck-Rottenmann,  be- 
ziehungsweise Salzburg  verlangten  und 
der  Gründer  der  Vorarlberger  Bahn, 
Karl  Ganahl,  seine  damaligen  Bemühun- 
gen um  die  Zustandebringung  der  Arlberg- 
Bahn  auch  den  vorgenannten  Linien  zu- 
wendete,   dennoch    nicht  von   der   Stelle 


rückte,  bis  der  Bauunternehmer  Karl 
Schwarz  im  Jahre  1 869  die  Concession 
für  die  Linie  Salzburg  -  Hallein  nach- 
suchte und  am  7.  September  1869  auch 
erhielt.*) 

Beruhend  auf  dem  Gesetze  vom 
20.  Mai  1869  gewährte  sie  dieser  Bahn 
eine  fünfzehnjährige  Steuerfreiheit ;  ver- 
pflichtete aber  den  Concessionär,  wenn 
späterhin  eine  andere  aus  Steiermark  oder 
Tirol  über  Hallein  nach  Salzburg  führende 
Eisenbahn  concessionirt  werden  sollte, 
dem  Concessionär  dieser  letzteren  die 
Bahn  gegen  eine  von  demselben  zu 
leistende  Entschädigung  abzutreten,  deren 
Höhe  der  Vereinbarung  beider  Theile 
überlassen  blieb,  oder,  wenn  die  letztere 
nicht  zustande  käme,  von  der  Staatsver- 
waltung, nach  den  für  die  concessions- 
mässige  Einlösung  der  Bahn  festge- 
stellten Grundsätzen,*)  bestimmt  werden 
sollte. 

Der  Bauvollendungstermin  war  auf 
den  7.  Juni   1871  angesetzt. 

Die  Arbeiten,  mit  deren  Ausfüh- 
rung die  Unternehmung  Fritsch,  Theuer 
&  Comp,  betraut  gewesen,  wurden  Ende 
April  1870  begonnen  und  binnen 
fünfzehn  Monaten  vollendet.  Die  Er- 
öffnung der  17*5  km  langen  Bahn  fand 
am  15.  Juli  1871  statt.  Die  Betriebs- 
führung übernahm  auf  Grund  des  Ver- 
trages vom  8.  August  1871  die  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn. 

Gestützt  auf  die  Credit- Anstalt,  welche 
ihm  auch  bei  der  Herstellung  der  Linie 
Salzburg-Hallein  finanzielle  Beihilfe  ge- 
leistet, trat  der  Concessionär  der  letzteren 
in  die  Reihe  der  Bewerber  um  die 
Concession  für  die  Bahn  nach  Rotten- 
mann und  Innsbruck  ein,  nachdem  er  die 
bezügliche  Vorconcession  schon  am 
11.  April  1870  erhalten  hatte.  Die  erst 
im  Spätherbst  1872  getroffene  Entschei- 
dung fiel  jedoch  nicht  zu  seinen  Gunsten 
aus.    Die   grosse   neue    Linie   [Salzburg- 


*)  Thatsächlich  ausgehändigt  wurde  die 
Concessions-Urkunde  erst,  nachdem  der  Con- 
cessionär sich  mittels  Eingabe  vom  12.  März 
1870  bereit  erklärt  hatte,  die  ihm  mit  den 
Handelsministerial-Erlässen  vom  25.  October 
1869  und  8.  März  1S70  bekannt  gegebenen 
Bestimmungen  über  die  Art  der  Entschädi- 
gungsleistung im  Falle  der  Abtretung  der 
Bahn,  anzunehmen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


95 


Tiroler  Bahn]  fiel  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  zu,  die  sohin  auch  die  Salzburg- 
Halleiner   Bahn    einlöste    [August  1875]. 

Die  Bahn  mündet  in  Salzburg  ausserhalb 
des  Frachtenbahnhofes  der  Elisabeth-Bahn 
aus,  umkreist  den  Kapuzinerberg  an  der 
nördlichen  und  östlichen  Seite  desselben  und 
nähert  sich  dann  der  Salzach,  an  deren 
rechtem  Ufer  sie  bis  Hallein  zieht.  Auf 
dem  Wege  dahin  werden  die  Orte  Aigen 
und  Puch  berührt.  Die  Terrainverhältnisse 
waren  günstige. 

Hohenstadt-Zöptauer  Bahn. 
Nicht  weniger  als  ein  Zeitraum  von  24 
Jahren  liegt  zwischen  dem  ersten  Plane 
und  der  wirklichen  Ausführung  dieser 
kleinen  Bahn.  Sie  wurde  nämlich  schon 
im  Jahre  1846  von  Franz  Klein,  dem 
Theilhaber  der  Bauunternehmung  Gebrü- 
der Klein,  in  Anregung  gebracht,  der,  nach 
damaliger  Gepflogenheit,  auch  sogleich 
eine  Subscription  zur  Sicherung  des  er- 
forderlichen Capitals  eingeleitet  hatte, 
jedoch  dabei  kein  zureichendes  Ergebnis 
erzielt  haben  mag;  denn  nach  einer 
kurzen  Frist  war  von  dem  Projecte 
nicht  mehr  die  Rede,  bis  im  Jahre  1853 
neuerliche  Bestrebungen  den  Ingenieur 
Schebeck  veranlassten,  dasselbe  vollstän- 
dig auszuarbeiten.  Ein  Erfolg  ging  aber 
auch  daraus  nicht  hervor.  Ende  1862 
und  hernach  wieder  im  Jahre  1867  pro- 
jectirten  die  Gebrüder  Klein  eine  Linie 
Hohenstadt  -Zöptau  -  Altstadt-Goldenstein- 
Freiwaldau-Neisse,  dann  im  Jahre  1869 
der  Graf  Karl  Althann  und  das  Schön- 
berger  Comite  die  Linie  Sternberg-Nieder- 
lipka  mit  Zweigbahnen  von  Schönberg 
einerseits  nach  Hohenstadt,  andererseits 
nach  Zöptau.  Im  selben  Jahre,  nach  der 
Verlautbarung  des  Gesetzes  über  die 
Steuerfreiheit  für  neue  Eisenbahnen,  be- 
warben sich  auch  die  Gebrüder  Klein  um 
die  Concession  für  die  Linie  Hohenstadt- 
Zöptau  allein,  und  es  glückte  ihnen  jetzt 
das  Project,  welches  sie  vor  mehr  als 
zwei  Jahrzehnten  zuerst  in  Anregung  ge- 
bracht hatten,  zu  verwirklichen.  Sie 
erhielten  am  6.  December  1869  die 
Concession  für  die  Bahn  von  Hohen- 
stadt im  Anschlüsse  an  den  Olmütz- 
Trübauer  Flügel  der  Oesterreichischen 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  über  Mäh- 
risch-Schönberg  nach  Zöptau   zu 


den  dortigen  Eisenwerken.  Der  Bau  war 
binnen  drei  Monaten  in  Angriff  zu  nehmen 
und  binnen  weiteren  zwei  Jahren  zu  voll- 
enden. Auf  Grund  des  vorerwähnten 
Gesetzes  vom  20.  Mai  1869,  war  dem 
Unternehmen  eine  zwanzigjährige  Steuer- 
freiheit zugestanden. 

Der  im  Frühjahre  1870  begonnene,  von 
den  Concessionären  selbst  ausgeführte  Bau 
ging  ungestört  vor  sich;  die  Eröffnung 
der  22-2  km  langen  Bahn  fand  am 
1.  October  1871  statt.  Den  Betrieb  über- 
nahm die  Staatseisenbahn -Gesellschaft, 
führte  ihn  jedoch  nur  zw^ei  Jahre,  da  er  ab 
15.  October  1873  von  der  damals  ins 
Leben  getretenen  MährischenGrenz- 
b  a  h  n,  an  welche  der  Besitz  der  Hohen- 
stadt-Zöptauer Bahn  übergegangen,  in 
eigener  Regie  besorgt  wurde.  Die  Bau- 
kosten waren  mit  1,400.000  fl.  veran- 
schlagt, stellten  sich  aber  höher;  die 
Mährische  Grenzbahn  entrichtete  einen 
Kaufpreis  von  nominale  2,000.000  fl. 

Die  LinieHohenstadt-Zöptauhat  ihren 
Ausgangspunkt  am  Stationsplatze  in  Hohen- 
stadt, wendet  sich  von  da  nordwestlich,  über- 
setzt den  Sazawafluss  und  nimmt  unter 
günstigen  Steigungen  ihren  Lauf  nach  Heilen- 
dorf. Hinter  dieser  Station  übersetzt  die 
Bahn  den  Marchfluss  und  steigt  bis  Blauda, 
geht  weiter  bis  Mährisch-Schönberg,  über- 
setzt dann  den  Thessfluss,  das  Thessthal 
bis  in  die  Nähe  von  Reitendorf  weiter 
verfolgend  und  gewinnt  sodann  im  Merta- 
thale  die  Station  Petersdorf. 

Von  da  aus  führt  sie  eine  kurze  Strecke 
parallel  mit  der  Aerarialstrasse,  übersetzt 
dieselbe  mit  einer  Rampe,  dann  weiter  den 
Mertabach  mit  einer  Brücke  und  erreicht 
an  der  rechten  Lehne  des  Mertabaches  die 
Endstation  Zöptau,  in  deren  Nähe  sich  die 
bekannten  Eisenwerke  befinden,  welche  durch 
zwei  Werkbahnen  mit  dem  Stationsplatze  in 
Verbindung  stehen. 

Ebensee-I schier  Eisenbahn.  Je 
mehr  die  Beliebtheit  und  der  Besuch  des 
Salzkammergutes,  insbesondere  der  reizen- 
den Sommerfrische  Ischl,  zunahm,  desto 
häufiger  kam  auch  die  Anlage  eines 
Schienenweges  von  Gmunden  nach  Ischl 
zur  Sprache.  Zuerst  war  der  Bau  einer 
Pferdebahn  in  Aussicht  genommen,  und 
zwar  von  dem  Vertreter  einiger  auslän- 
dischen Firmen  in  Wien,  Rudolf  Stetcke 
[1867],  sowie  hernach  von  dem  Spezerei- 
händler  Ludwig  Bresanyi,  dem  sich  später 


96 


Ignaz  Konta. 


die  Wiener  Bankhäuser  Ed.  Fürst  und 
Weiss  &  Fischhof  und  die  Verwaltungs- 
räthe  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  Alfred 
Lenz  und  August  Kaulla  beigesellten 
[1868].  Gegen  diese  Projecte  erhob 
die  Gemeindevertretung  von  Ischl  Ein- 
sprache, weil  sie  dieselben  überhaupt 
für  ungenügend ,  überdies  aber  auch 
als  dem  Strassenverkehre  und  dem  Zu- 
standekommen einer  Locomotivbahn  hin- 
derlich erachtete.  Das  Handelsministerium 
fand  jedoch,  dass  diese  Einwände  jeder 
sachgemässen  Begründung  entbehren  und 
ertheilte  dem  Consortium  Bresanyi  am 
1 1 .  März  1 869  die  auf  die  Dauer  von 
35  Jahren  giltige  Concession  für  eine, 
unter  Benützung  der  Reichsstrasse  zu 
erbauende  Pferdebahn  amerikanischen 
Systems  von  Ebensee  nach  Ischl,  aller- 
dings mit  der  ausdrücklichen  Schlussbe- 
merkung, dass  diese  Concession  »keines- 
wegs ein  ausschliessliches  Recht  be- 
gründet, und  namentlich  nicht  hindern 
kann,  dass  eine  die  Orte  Ebensee  und 
Ischl  verbindende  andere  Transport- 
unternehmung, z.  B.  eine  Locomotiv- 
Eisenbahn,  concessionirt  und  hergestellt 
werde«. 

Zu  Beginn  des  Jahres  1869  war  jedoch 
auchdasProjecteinerLocomotiv-Eisenbahn 
Ebensee-Ischl  schon  auf  die  Tagesordnung 
gestellt.  Der  Ischler  Badearzt,  kaiserlicher 
Rath  Dr.  Josef  Ritter  von  Brenner-Felsach, 
in  Gemeinschaft  mit  vielen  Notabilitäten 
Ischl's,  erhielt  nach  mehrmonatlicher  Be- 
werbung am  9.December  1869,  unter  Zu- 
gestehung einer  fünfundzwanzigjährigen 
Steuerfreiheit  die  bezügliche  Concession 
[auf  Grund  des  Gesetzes  vom  21.  Mai 
1869]  mit  der  Verpflichtung,  vom 
Ischler  Bahnhofe  eine  Pferdebahn  zum 
dortigen  Salzsudwerke  herzustellen,  die 
Strecke  Ebensee-Ischl  binnen  längstens 
zwei  und  die  Strecke  Ischl-Steg  binnen 
weiteren  drei  Jahren  zu  vollenden.  Zu- 
gleich wurde,  wegen  der  allfälligen  Er- 
richtung eines  Trajectdienstes  auf  dem 
Traunsee,  die  Anwendung  der  jeweiligen 
Spurweite  der  Lambach-Gmundner  Bahn 
angeordnet. 

Es  gab  jetzt  also  mit  einem  Male 
zwei  concessionirte  Bahnen  nach  Ischl, 
Lebensbedingungen  jedoch  nur  für 
eine     derselben ;     die     Pferdebahn,     als 


voraussichtlich  schwächerer  Rivale,  Hess 
es  auf  einen  Kampf  gar  nicht  an- 
kommen, sondern  räumte  sogleich  das 
Feld.  Allein  den  Ischlern  gereichte  dies 
nicht  zum  Vortheil ;  denn  auch  die  Loco- 
motivbahn blieb  ungebaut  und  Ischl  noch 
ein  weiteres  Jahrzehnt  ohne  Eisenbahn- 
verbindung. 

Nach  verschiedenen  fruchtlosen  Geld- 
beschaffungs-Versuchen, verkaufte  das 
Consortium  die  Concession  dem  Engländer 
J.  Sharp,  der  nun  in  Verbindung  mit 
der  Wiener  Wechslerbank  im  November 
1871  die  Actien-Gesellschaft :  »k.  k.  priv. 
Ebensee- Ischl -Steger  Eisenbahn«  mit 
einem  in  9000  Actien  ä  200  fl.  und  9000 
Prioritäts-Obligationen  ä  300  fl.  geglie- 
derten Capitale  von  4,500.000  fl.  errich- 
tete. Die  Wechslerbank  bemühte  sich 
vergebens,  die  Prioritäten  in  feste  Hände 
zu  bringen.  Mr.  Sharp,  der  sämmtliche 
Actien  und  auch  den  Bau  übernommen 
hatte,  führte  den  letzteren  zum  bedeuten- 
den Theile  aus,  musste  ihn  aber  auf- 
geben, nachdem  die  Wiener  Wechsler- 
bank, welche  der  Bahngesellschaft  noch 
1,500.000  fl.  für  übernommene  Priori- 
täten schuldete,  zugrunde  ging  [1873]. 
Am  23.  Juli  1874  erklärte  das  Handels- 
ministerium die  Concession  als  erloschen. 
Die  Trace,  und  was  von  den  Bauten 
und  Materialien  der  Ebensee-Ischl-Steger 
Eisenbahn  hiezu  tauglich  gewesen,  fand 
später  bei  der  '  Salzkammergut  -  Bahn 
[s.   w.  u.]  Verwendung. 

Ausser  den  im  Vorstehenden  bespro- 
chenen Eisenbahnen,  ist  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  20.  Mai  1869,  auch  die 
Linie  Lobositz-Dux-Niklasberg,  und  zwar 
am  7.  Juli  1869,  einem  von  dem  Prinzen 
Arthur  Rohan  gebildeten  Consortium, 
unter  Gewährung  einer  zwanzigjährigen 
Steuerfreiheit  concessionirt  worden.  Diese, 
auch  »Böhmisch-sächsische  Eisen- 
bahn« benannte  Linie  ist,  anlässlich 
der  Berathungen  des  Abgeordnetenhauses 
über  die  Erneuerung  jenes  Gesetzes,  von 
dem  Berichterstatter  unter  den  im  Jahre 
1869  blos  mit  Gewährung  zeitlicher 
Steuerfreiheit  concessionirten  Bahnen  auf- 
gezählt und  auch  im  »Centralblatt  für 
Eisenbahnen  und  Dampfschiffahrt«  pro 
1869,    als    bereits    der    a.    h.    Genehmi- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


97 


gung  theilhaftig,  angegeben.  Verlaut- 
bart wurde  die  Concession  jedoch  nicht, 
ebensowenig  den  Concessionären  ausge- 
folgt, wahrscheinlich  weil  dieselben  die 
Sicherstellung  für  die  genaue  Erfüllung 
der  concessionsmässigen  Obliegenheiten 
nicht  leisten  konnten.  In  dem  Motiven- 
berichte zu  dem  am  7.  Juni  1872  im 
Reichsrathe  eingebrachten  Gesetzentwurfe 
über  die  Sicherstellung  der  Linie  Brüx- 
Mulde  ist  die  Linie  Lobositz-Xiklasberg 
einfach  als  nicht  zustande  gekommen 
bezeichnet.  Darum  braucht  dieser  An- 
gelegenheit auch  hier  nicht  weiter  ge- 
dacht zu  werden. 


Obgleich  im  Herbste  1869  heftige 
Fieberschauer  den  Geldmarkt  durchrüt- 
telten, welche  seitens  einer  Minderzahl 
von  Bedächtigen  bereits  als  Anzeichen 
eines  aufkeimenden  schweren  wirtschaft- 
lichen Uebels  gedeutet  wurden,  erfreute 
sich  die  räumliche  Weiterentwicklung 
des  österreichischen  Eisenbahnnetzes  auch 
im  Jahre  1870  neuerlicher  Fortschritte. 
Die  Projectirungen  mehrten  sich  täglich 
und  mit  ihnen  die  Bewerbungen  um 
neue  Concessionen.  Die  Regierung  stand 
also  in  dieser  Hinsicht  fast  noch  besseren 
Verhältnissen  gegenüber  als  im  Vorjahre ; 
sie  war  jedoch  an  der  Fortsetzung 
der  Concessionirungs  -  Thätigkeit  da- 
durch behindert,  dass  die  Giltigkeit  des 
Steuerbefreiungs-Gesetzes  vom  20.  Mai 
1869  mit  dem  Wiederzusammentritte  des 
Reichsrathes  [11.  December  1869]  auf- 
hörte und  zur  Einbringung,  beziehungs- 
weise Erledigimg  von  Specialgesetzen 
die  nöthige  Zeit  mangelte,  was  sich  an- 
lässlich der  am  3.  März  1870  erfolgten 
Vorlage  von  Gesetzentwürfen  in  Betreff 
der  Sicherstellung  einiger  mit  Staats- 
garantie auszustattenden  Linien  [Lemberg- 
Stryj-Skole,  Villach-Tarvis,  Tarvis-Görz 
und  Wildenschwert  -  Mittelwalde],  die 
sämmtlich  unerledigt  gelassen  wurden, 
unverkennbar  erwies. 

Die  Pause  währte  aber  nicht  lange. 
Der  Urheber  jenes  Gesetzes,  der  Abge- 
ordnete Steffens,  verhalf  demselben  zu 
einer    Erneuerung;     er    beantragte     am 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


3.  März  1870  die  abermalige  Schaffung 
eines  derartigen,  wieder  nur  für  die  Zeit, 
in  welcher  der  Reichsrath  nicht  ver- 
sammelt ist,  geltenden  Gesetzes  und  fand 
hiemit  besten  Anklang.  Sowohl  bei  der  am 
8.  März  vorgenommenen  ersten,  als  auch 
bei  der  zweiten  und  dritten  Lesung  des 
neuen  Gesetzes  über  Steuerbefreiungen  für 
neue  Eisenbahnen,  am  28.  März,  wurde 
von  dem  Antragsteller  ausgeführt,  dass  das 
Gesetz  sich  als  nützlich  erwiesen  habe 
und  der  damit  unternommene  Versuch 
als  gelungen  zu  betrachten  sei ;  dass 
ferner,  »wenn  es  immerhin  noch  Eisen- 
bahnen gebe,  die  infolge  von  Terrain- 
schwierigkeiten ein  grösseres  Anlage- 
Capital  in  Anspruch  nehmen  oder  deren 
Rentabilität  sich  nicht  mit  jener  Gewiss- 
heit gleich  beim  Beginne  des  Betriebes 
nachweisen  lässt,  welche  das  Capital 
veranlassen  kann,  sich  denselben  unbe- 
dingt hinzugeben,  die  aber  dennoch  ein 
so  grosses  Interesse  fördern,  dass  der  Staat 
veranlasst  werden  kann,  zu  deren  Zu- 
standekommen Opfer  zu  bringen,  —  die 
Zahl  derselben  durch  die  Reactivirung 
des  Gesetzes  doch  jedenfalls  beträchtlich 
vermindert  wird«.  Das  neue  Gesetz  wurde 
angenommen,  am  6.  April  auch  vom 
Herrenhause,  und  erhielt  am  13.  April 
1870  die  a.  h.    Sanction. 

Indessen  ist  übrigens,  als  Nachzügler 
vom  Jahre  1869,  eine  Concession  mit 
Staatsgarantie  denn  doch  ertheilt  worden, 
nämlich  für  den  österreichischen  Theil 
der  »Ungarischen  Westbahn«. 

Diese,  ursprünglich  » Raab-Grazer« ,  be- 
ziehungsweise »Stuhweissenburor  -  Raab- 
Grazer  Eisenbahn«  benannte  Unterneh- 
mung ist  eine  derjenigen,  welche  in  der 
Denkschrift  zur  1869er  allgemeinen  Vorlage 
über  die  Vervollständigung  des  österreichi- 
schen Eisenbahnnetzes,  nicht  blos  als  für 
den  Anschluss  der  ungarischen  an  die  öster- 
reichischen Bahnlinien  wünschenswerth, 
sondern  auch  als  eine  Verbindung  be- 
zeichnet ist,  die  für  die  Versorgung 
Obersteiermarks  mit  Getreide  von  grosser 
Wichtigkeit  sei  und  bei  Fortsetzung  der 
Graz-Köflacher  Bahn  bis  an  die  Kron- 
prinz Rudolf-Bahn  das  Mittelglied  der 
aus  Ungarn  in  westlicher  Richtung  durch 
die  österreichischen  Gebirgsländer  führen- 
den kürzesten    Bahnlinie  bilden  würde. 


98 


Ignaz  Konta 


Ihre  erste  Projectirung  fällt  jedoch 
bereits  in  das  Jahr  1862;  denn  damals 
wurde ,  nachdem  das  Project  Raab- 
Keszthely  im  Sande  verlief,  sogleich 
ein  anderes  zur  Verbindung  des  grossen 
Getreideplatzes  Raab  mit  der  Südbahn 
gesucht.  Am  zweckentsprechendsten  hie- 
für erwies  sich  das  von  dem  Fabriks- 
besitzer Friedrich  Hoffmann  im  Ver- 
eine mit  einigen  Ingenieuren  entwor- 
fene und  im  Jahre  1865  in  Aus- 
arbeitung genommene  Project  Graz-Raab 
mit  der  eventuellen  Fortsetzung  über  die 
Donau  bis  nach  Sillein;  doch  erging  es 
ihm  nicht  besser  als  seinem  Vorläufer. 
Darum  stockte  die  Angelegenheit,  bis  die 
königlich  ungarische  Regierung  Ende  Oc- 
tober  1867  den  Entwurf  eines  ungarischen 
Eisenbahnnetzes  veröffentlichte,  der  auch 
eine  Linie  Raab-Molnäri-Steirische  Grenze 
[gegen  Graz]  enthielt  und  zur  bezügli- 
chen Bewerbung  Anregung  gab.  Sowohl 
in  Raab  als  auch  in  Graz  [hier  unter 
Mitwirkung  des  Landesausschusses]  bil- 
dete sich  ein  Consortium  für  die  Linie 
Raab-Päpa-Graz ;  dem  folgten  das  Con- 
sortium Graf  Waldstein-Baron  Todesco 
für  die  Linie  Stuhlweissenburg-Veszprim- 
Molnäri-Graz,  ein  Eisenburger  Comite,  das 
Consortium  Ungarische  Creditbank-Wei- 
kersheim  und  noch  andere  Vereinigungen. 
Das  letztgenannte  Consortium  erwies  sich 
bei  den  am  25.  November  1868  im  könig- 
lich ungarischen  Communications-Mini- 
sterium  durchgeführten  Concessions- Ver- 
handlungen als  Bestbieter,  da  es  sich  an- 
heischig machte,  die  Linie  Stuhlweissen- 
burg  -  Veszprim  -  Klein  -  Zell  -  Steirische 
Grenze  nebst  der  Zweigbahn  von  Klein- 
Zell  nach  Raab  mit  einem  garantirten 
Reinerträgnisse  von  36.400  fl.  pro  Meile 
auszuführen.*)  Es  erhielt  denn  auch  die 
definitive  Concession  zugesichert  unter 
der  Bedingung,  dass  es  auch  für  die 
steirische  Strecke  die  Concession  erlangt, 
und  bemühte  sich  daher,  der  letzteren 
ebenfalls  theilhaftig  zu  werden. 

Auch  diese  Verhandlungen  scheinen 
glatt  verlaufen  zu  sein,  denn  am 
23.    März     1869    legte    schon    das  k.  k. 


•)  Näheres  vgl.  Bd.  III,  J.  Gonda,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Ungarns  von  1867 
bis  zur  Gegenwart. 


Handelsministerium  dem  Abgeordneten- 
hause einen  bezüglichen  Gesetzentwurf 
vor.  Hier  haben  sich  wohl  bei  der 
am  8.  Mai  1869  vorgenommenen  zweiten 
und  dritten  Lesung  des  Gesetzes  grössere 
Auseinandersetzungen  ergeben,  doch  that 
dies  der  raschen  Erledigung  der  Vorlage 
keinen  Eintrag. 

Die  Meinungsverschiedenheiten  be- 
trafen vor  Allem  die  Wahl  der  Trace. 
Es  waren  nämlich  zwei  Tracen  vor- 
geschlagen, die  auch  ausserhalb  des 
Parlamentes  in  den  damals  veröffent- 
lichten Streitschriften  beide  ihre  Ver- 
tretung fanden.  Die  eine  Trace  galt 
der  Linie  von  Graz  über  Gleisdorf  [bis 
wohin  beide  Varianten  übereinstimmen] 
durch  das  Raabthal  bis  zur  ungarischen 
Grenze,  die  andere  hingegen  der  nach 
Ueberschreitung  eines  zweiten  Berg- 
rückens ins  Feistritzthal  bis  Fürstenfeld 
führenden  Linie.  Für  diese  Trace  hatten 
sich  der  Landesausschuss,  die  Statthalterei 
und  die  Grazer  Handelskammer  ausge- 
sprochen, während  die  Regierung  und 
der  volkswirtschaftliche  Ausschuss  des 
Abgeordnetenhauses  sich  für  die  Raabthal- 
Linie  entschieden,  weil  sie  bei  geringeren 
Anlagekosten  eine  grössere  Leistungs- 
fähigkeit bot. 

Einen  zweiten  Streitpunkt  bildete  die 
Höhe  der  Staatsgarantie ;  die  Regierungs- 
vorlage hatte  dieselbe  mit  34.000  fl.  pro 
Meile,  d.  i.  fünfprocentige  Verzinsung  und 
Tilgung  eines  Capitals  von  680.000  fl. 
pro  Meile  bemessen ;  der  Ausschuss 
erhöhte  die  Capitalsziffer  auf  800.000  fl. ; 
einzelne  Abgeordnete  wollten  bewilligen, 
was  Ungarn  zugestanden,  nämlich  eine 
Garantie  von  36.400  fl.  [=  728.000  fl. 
Capital]  pro  Meile;  andere  wollten  viel 
tiefer  herabgehen  und  nur  die  Ziffer  der 
Vorlage  bewilligen. 

Schliesslich  wurde  die  Führung  der 
Bahn  durch  das  Raabthal  und  eine  Staats- 
garantie von  36.400  fl.  [=  728.000  fl. 
Capital]  pro  Meile  genehmigt.  In  dieser 
Fassung  wurde  das  Gesetz  auch  vom 
Herrenhause  angenommen  [12.  Mai]  und 
am  20.  Mai  1869  a.  h.  sanctionirt.  Wenn 
nun,  obzwar  Legislative  und  Regierung 
Werth  darauf  legten,  dass  beide 
Strecken  in  die  Hände  eines  Consortiums 
kommen,  dennoch  die  Concession  für  die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


99 


österreichische  Strecke  dem  Consortium 
Ungarische  Creditbank  -  Weikersheim, 
welches  die  ungarische  Concession  am 
14.  Juli  1869  definitiv  erhalten  hatte, 
nicht  alsbald,  sondern  erst  am  2.  Fe- 
bruar 1870  verliehen,  beziehungsweise 
6.  März  1870  ausgefolgt  wurde,  so 
mag  dies  dadurch  verursacht  wor- 
den sein,  dass  das  Handelsministerium 
das  garantirte  Anlage-Capital  noch  unter 
die  im  Gesetze  vorgesehene  Ziffer,  nämlich 
auf  den  Betrag  von  nom.  719.800  fl. 
pro  Meile  herabminderte,  wozu  sich  das 
Consortium  aber  nicht  leicht  verstehen 
wollte,  zumal  ihm  mittels  der  protokolla- 
rischen Vereinbarung  vom  24.  Januar 
1870*)  eine  Reihe  von  baulichen  Mehr- 
leistungen [Geleiseanlagen  u.  dgl.]  auf- 
erlegt wurde. 

Einmal  im  Besitze  der  Concession,  be- 
eilte sich  das  Consortium  mit  ihrer  Durch- 
führung, da  nach  den  Bestimmungen  des 
Artikels  3  der  Concessions-Urkunde  die 
Bahn  binnen  21j2  Jahren  vollendet  sein 
musste.  Der  Bau  wurde  gleich  jenem 
der  ungarischen  Strecke  im  Pauschal- 
accorde  an  die  Unternehmung  Weikers- 
heim &  Comp,  und  die  Finanzirung 
an  die  Ungarische  Creditbank  im  Ver- 
eine mit  der  Anglo-österreichischen  Bank 
und  der  Oesterreichischen  Credit-Anstalt 
übertragen,  welche  die  Hälfte  des  Actien- 
capitals,  nämlich  37.500  Actien  ä  200  fl., 
gleich  am  30.  März  1870  zum  Curse  von 
83%  m^  ausserge  wohnlichem  Erfolge 
[5,452.178  gezeichnete  Stücke]  zur  Sub- 
scription  auflegte.  Etliche  Wochen 
darnach,  am  18.  Mai  1870,  fand  auch 
—  auf  Grund  der  am  5.  Mai  1870 
behördlich  genehmigten  Statuten  —  die 
Errichtung  der  mit  einem  Capitale  von 
36,000.000  fl.  [75.000  Actien  und  105.000 
Prioritäts-Obligationen  zu  je  200  fl.]  aus- 
gerüsteten Actien-Gesellschaft  »Unga- 
rische Westbahn«  statt,  zu  deren 
Director  der  schon  von  den  Concessionären 


*)  In  diesem  Protokolle  ist  auch  die  Be- 
stimmung enthalten,  dass  die  Betriebsrech- 
nungen für  die  steirische  und  die  unga- 
rische Linie  abgesondert  geführt  werden 
müssen  und  dass  die  Garantiesummen  für 
beide  Linien  ein  untrennbares  Ganzes  bil- 
den, daher  nur  eine  Actien-Gesellschaft  zu 
gründen  ist,  die  einheitliche  Werthe  zu  emit- 
tiren  hat. 


berufene  General-Secretär  Karl  Ritter  von 
F  a  c  k  h  ernannt  wurde. 

Der  Bau  erfuhr  jedoch  unerwarteter- 
weise eine  bedeutende  Verzögerung 
dadurch,  dass  die  Regierung  Project- 
änderungen  verlangte,  die  mit  erheblichen 
Mehrkosten  verbunden  waren,  deren  Ver- 
gütung die  Gesellschaft  noch  vor  dem 
Beginne  des  Baues  sicherstellen  wollte, 
beziehungsweise  musste,  weil  die  Bau- 
unternehmung jede  über  den  Pauschal- 
accord  hinausgehende  Mehrleistung  ab- 
lehnte.  Es  handelte  sich  dabei  einerseits 
um  die  Verlegung  der  Trace  zwischen 
Hofstätten  und  Feldbach  ganz  auf  das 
linke  Raabufer,  andererseits  um  die  Aus- 
mündung der  Bahn  statt  im  Grazer  Süd- 
bahnhofe, wohin  sie  von  Liebenau  in  fast 
senkrechter  Richtung  gelangen  sollte,  in 
der  Schönau,  woselbst  nun  die  eigentliche 
Station  Graz  anzulegen  war,  und  um  die 
Verbindung  der  letzteren  durch  ein 
Schleppgeleise  mit  dem  Südbahnhofe. 
Namentlich  die  letztere  Aenderung  er- 
forderte wegen  der  kostspieligen  Grund- 
einlösung und  der  Anlage  einer  eigenen 
Station'  grosse  Auslagen.  Die  Sache 
wurde,  nach  mehrfachen  und  lang- 
wierigen Verhandlungen,  in  der  Weise 
geschlichtet,  dass  der  Gesellschaft,  zu- 
folge a.  h.  Entschliessung  vom  2.  Juni 
1872,  die  Erhöhung  des  garantirten 
Anlage-Capitals  auf  den  im  Gesetze 
vom  20.  Mai  1869  festgesetzten  Höchst- 
betrag von  728.000  fl.  pro  Meile  zuge- 
standen wie  auch  gestattet  wurde,  den 
Güterdienst  in  ihrem  eigenen  Bahnhofe 
zu  besorgen  und  die  hiedurch  erzielte 
Ersparnis  an  den  Kosten  der  Mitbenützung 
des  Südbahnhofes,  in  dem  ausgemittelten 
Betrage  von  jährlich  22.000  fl.,  zur  Be- 
streitung des  Mehraufwandes  für  die 
Schönauer  Stationsbauten  zu  verwenden, 
derart,  dass  sie  diesen  Betrag,  als  Ver- 
zinsung und  Tilgung  einer  für  die  ge- 
dachten Zwecke  aufzunehmenden  schwe- 
benden Schuld,  in  die  Betriebsrechnung 
einstellt.  [Handelsministerial-Erlässe  vom 
28.  Mai  und  10.  Juni  1872.]  Jetzt  machte 
die  Gesellschaft  alle  Anstrengungen,  den 
Bau  ehemöglichst  zu  vollenden ;  sie  stellte 
auch  wirklich  im  Jahre  1872  die  Theil- 
strecke  von  der  Landesgrenze  bis  zur 
Raab  fertig,  da  aber  die  Regierung  [mit 

7* 


IOO 


Ignaz  Konta. 


Rücksicht  am  die  Staatsgarantie]  eine 
nur  theihveise  Eröffnung  nicht  zuliess, 
konnte  die  ganze  "ji'6  km  lange  Strecke 
von  der  ungarischen  Grenze  bei  Jenners- 
dorf bis  Graz  erst  am  i.  Mai  1873  dem 
Betriebe  übergeben  werden. 

Der  auf  österreichischem  Gebiete  befind- 
liche Theil  der  Trace  geht  von  Graz  aus,  wo 
sie  mit  dem  Bahnhofe  der  Südhahn  durch  ein 
Anschlussgeleise  verbunden  wurde,  im  steieri- 
schen Hügellande  über  Messendorf,  Lassnitz, 
Gleisdorf,  Studenzen  nach  Fehring  im  Thale  der 
Raab  nach  Ungarn,  wo  die  Ungarische  West- 
bahn über  Steinamanger  nach  Stuhlweissen- 
burg  und  Raab  weiterzieht.  Der  steiermärkische 
Theil  der  Bahn  zeigt  mehrfach  den  Charakter 
einer  Gebirgsbahn;  bei  Lassnitz  wurde  der 
sogenannte  Rosenhügel  durch  einen  Tunnel 
durchbrochen,  und  zwischen  Gleisdorf  und 
Messendorf  eine  Wasserscheide  überschritten. 

Ohne  die  Reactivirung  des  Gesetzes 
über  die  Steuerbefreiung  für  neue  Eisen- 
bahnen wäre  die  Concessionirung  der 
Ungarischen  Westbahn  wohl  im  Jahre 
1870  die  einzige  geblieben.  Parlamen- 
tarische Zerwürfnisse  hatten  die  Mandats- 
niederlegung vieler  polnischen  und  anderer 
slavischen  Abgeordneten  sowie  den  Rück- 
tritt des  Ministeriums  [4.  April]  und  die 
Vertagung  des  Reichsrathes  [12.  April 
1870]  herbeigeführt,  welch  letztere  bis 
zum  15.  September  währte.  In  dieser 
Periode  würde  die  Concessionirungs- 
Thätigkeit  ebenso  unmöglich  gewesen  sein, 
wie  dies  nach  der  Wiedereröffnung  des 
Parlaments  durch  die  inzwischen  ange- 
häufte Menge  anderer  legislativer  Arbeiten 
der  Fall  gewesen  ist. 

Der  in  dem  Ministerium  P  o  t  o  c  k  i 
vorerst  zum  Leiter,  dann  zum  Chef 
des  Handelsamtes  berufene  Sections- 
Vorstand  desselben,  Sisinio  Freiherr  von 
Pretis,  der  schon  in  seiner  bisherigen 
Amtswirksamkeit  die  Erfordernisse  des 
Eisenbahnwesens  gründlich  kennen  gelernt 
hatte,  ergriff  daher  sogleich  die  Handhabe, 
welche  ihm  durch  das  mehrerwähnte  Gesetz 
geboten  war,  und  brachte  in  rascher  Reihen- 
folge, sowohl  die  schon  von  der  früheren 
Regierung  vorbereiteten,  als  auch  die  neu 
spruchreif  gewordenen  Concessionirungen 
zum  Abschlüsse.  Dieselben  betrafen  sieben 
neue  Eisenbahn-Unternehmungen  und  eine 
Zweiglinie  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn, 
die  sämmtlich  im  Nachstehenden  ihre 
Besprechung  finden. 


Mährisch-SchlesischeCentral- 
bahn.  Zugleich  mit  den  »Mährischen 
Landesbahnen«  gelangten  auch  die  schle- 
sischen  zur  öffentlichen  Erörterung,  und 
zwar  ebenfalls  zunächst  und  zumeist  im 
Landtage.  Dabei  standen  im  Vordergrunde 
die  Linien  Troppau-Jägerndorf- 
Reichsgrenze  gegen  Neisse  und  Ol- 
mütz-Troppau- Reichsgrenze  ge- 
gen Leobschütz.  Der  mährische  Landes- 
ausschuss  betraute  schon  am  II.  August 

1864  den  Ingenieur  Czermak  mit  Studien 
zur  Ausfindigmachung  geeigneter  Verbin- 
dungen zwischen  den  mährischen  und  den 
preussischen  Bahnen  in  der  Richtung 
nach  Neisse  und  Glatz.  Das  nach  Be- 
endigung   der  Vorerhebungen    im   Jahre 

1865  erstattete  Gutachten  dieses  Ver- 
trauensmannes lautete  jedoch  dahin,  dass 
vor  Allem  ein  vollständiges  Project  für 
eine  Bahn  von  Olmütz  über  Gross- 
Wisternitz,  Bärn  und  Freudenthal  nach 
Jägerndorf  vorliegen,  beziehungsweise  aus- 
gearbeitet werden  müsste,  weil  dann  erst 
die  richtige  Trace  für  eine  geeignete  Ver- 
bindung zwischen  Olmütz  und  den 
preussischen  Bahnen,  mindestens  über 
Leobschütz,  ausgemittelt  werden  könnte. 
Der  Landesausschuss  ging  darauf  nicht  ein. 

Das  grosse  Brünner  Consortium 
aber,  welches  sich  nach  der  Kaiserreise 
durch  Mähren  im  Herbste  1866,  behufs 
der  Zustandebringung  der  »Mährischen 
Landesbahnen«,  gebildet  hatte,  nahm  auch 
die  Linien  von  Sternberg  einerseits  über 
Römerstadt  und  Jägerndorf  nach  Leob- 
schütz, andererseits  über  Hannsdorf  und 
Grulich  nach  Mittelwalde  nebst  der  Ab- 
zweigung nach  Freiwaldau  in  sein  Pro- 
gramm auf  [s.   S.   5]. 

Dessenungeachtet  ertheilte  der  schle- 
sische  Landtag  in  seiner  Sitzung  vom 
18.  December  1866,  anlässlich  einer 
neuerlichen  Berathung  der  Frage,  dem 
Landesausschusse  die  Ermächtigung,  die 
Vorconcession  für  mehrere  schlesische 
Bahnlinien,  darunter  auch  die  von  Troppau 
über  Jägerndorf  und  Zuckmantel  nach 
Leobschütz,  von  Olmütz  oder  Stephanau 
über  Sternberg  und  Römerstadt  nach  Freu- 
denthal sowie  auch  von  Freudenthal  nach 
Jägerndorf,  zu  erwerben  und  sodann  die  Bil- 
dung eines  Consortiums  von  Grossgrund- 
besitzern   und   Industriellen    anzustreben. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


ior 


Daraufhin  entstanden,  nachdem  die 
»Mährisch  -  Schlesische  Nordbahn«  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  concessionirt 
worden  war  und  infolgedessen  das  Brünner 
Consortium,  an  welches  immerhin  auch 
von  schlesischer  Seite  grosse  Erwartun- 
gen geknüpft  wurden,  sich  aufgelöst 
hatte,  mehrere  Consortien  und  Comitös, 
die  sich  die  Zustandebringung  der  ver- 
schiedenen in  der  Concession  für  die 
»Mährisch-Schlesische  Nordbahn«  nicht 
enthaltenen  mährischen  und  schlesischen 
Linien  zur  Aufgabe  machten. 

In  Freiwaldau  bestand  ein  Comite 
von  Grossindustriellen  und  anderen  Per- 
sönlichkeiten, das  insbesonders  für  die 
Linie  Hohenstadt-Hannsdorf-Goldenstein- 
Freiwaldau-Neisse  wirken  wollte  und  im 
Jahre  1867  den  Ober-Ingenieur  Braun 
mit  den  ersten  Vorarbeiten  betraute. 
In  Troppau  etablirte  sich  ein  Central- 
Comite,  dessen  Bestrebungen  dahin  gingen, 
diese  Stadt  zum  Mittelpunkte  des  schlesi- 
schen Bahnnetzes  zu  machen;  es  beschloss 
daher  [Juli  1869]:  >mit  allen  gesetzlichen 
Mitteln  dahin  zu  wirken,  dass  vor  Fest- 
stellung eines  behördlich  genehmigten 
schlesischen  Eisenbahnnetzes  mit  dem 
Baue  irgend  einer  in  Schlesien  gelegenen, 
noch  nicht  concessionirten  Strecke  nicht 
begonnen  werden  darf«,  sowie  dass  die 
vielen  von  ihm  projectirten  Linien  [darunter 
zumeist  die  schon  oben  erwähnten],  mit 
Ausnahme  der  von  Hohenstadt  über  Frei- 
waldau an  die  Reichsgrenze,  »nur  an  Ein 
Consortium,  und  zwar  an  jenes  vergeben 
werden  sollten,  welches  für  den  sicheren 
und  reellen  Ausbau  aller  genügende 
Garantie  zu  bieten  vermag«.  In  Mährisch- 
Schönberg  widmete  sich  ein  Comite  der 
Zustandebringung  der  letztbezeichneten 
Linie  und  der  Verbindung  mit  Mittelwalde. 
Angesichts  dieser  vielen  Bestrebungen 
beauftragte  auch  das  Handelsministe- 
rium am  30.  März  1868  die  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn,  die  Vorarbeiten  für 
die  im  §  2  der  Concession  für  die 
Mährisch-Schlesische  Nordbahn  vorge- 
sehene Fortsetzung  dieser  Bahn  von 
Sternberg  bis  zur  Reichsgrenze  sogleich, 
und  zwar  womöglich  in  der  Richtung 
gegen  Römerstadt,  Freudenthal  und  Zuck- 
mantel vorzunehmen.  Weiters  bat  der 
schlesische  Landesausschuss,  als  er  davon 


Kenntnis  erhielt,  dass  die  Kaiser  Ferdi- 
nands-Nordbahn wenig  Eifer  bei  der  Sache 
zeige,  das  Handelsministerium  mittels 
Eingabe  vom  21.  October  1868,  die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  zum  Aus- 
baue der  Linie  Sternberg-Freudenthal- 
Reichsgrenze  zu  verhalten. 

Der  geringe  Erfolg  dieser  Massnahmen 
bestärkte  nun  das  Troppauer  Central- 
Comite  in  seinem  eigenen,  weitreichenden 
Vorhaben.  Es  wurde  aber  von  dem 
Olmützer  Consortium:  Graf  Robert  Lich- 
nowsky,  Max  Machanek,  Eduard 
Böhm  und  Genossen  überflügelt.  Das- 
selbe hatte  die  Czermak'sche  Idee 
weiter  verfolgt  und  erhielt  am  10.  August 
1869  die  nachgesuchte  Concession  für 
die  Linie  Olmütz-Freudenthal-Jägemdorf- 
Reichsgrenze,  eventuell  zum  Anschlüsse 
an  das  preussische  Bahnnetz  in  der 
Richtung  gegen  Leobschütz,  und  mit 
den  Flügelbahnen :  Jägerndorf  -  Troppau, 
Jägerndorf-Olbersdorf-Reichsgrenze,  even- 
tuell zum  Anschlüsse  an  die  preussischen 
Bahnen  in  der  Richtung  gegen  Neustadt- 
Neisse,  Breitenau-Würbenthal  und  Kriegs- 
dorf-Römerstadt. Darob  herrschte  nun  in 
Troppau,  das  seine  Interessen  nicht  ge- 
nügend gewahrt  meinte,  grosser  Unmuth, 
der  sich  in  lauten  Kundgebungen  äusserte, 
sogar  gegen  den  verdienstvollen  Bürger- 
meister der  Stadt,  der  an  der  Sache  ganz 
unbetheiligt  war  und  auf  die  Concessio- 
nirung  keinerlei  Einfluss  nehmen  konnte. 
Diesem  Zwischenfalle  wurde  es  denn  auch 
zugeschrieben,  dass  die  Concessions- 
Urkunde  nicht  zur  Verlautbarung  ge- 
langte ;  man  glaubte,  sie  würde  nach  den 
Wünschen  des  Central-Comit6s  abgeändert 
werden.  Bewahrheitet  hat  sich  jedoch 
nur  die  Abänderung  als  solche.  Veran- 
lasst wurde  dieselbe  aber  dadurch,  dass  die 
Concessionäre  die  Caution  nicht  erlegten, 
weil  die  »Agrarbank«,  welche  die  Finan- 
zirung  übernehmen  und  den  Sicher- 
stellunssbetrag  vorstrecken  sollte,  damals 
selbst  zu  sehr  beengt  gewesen,  und  die 
Unionbank,  die  aus  der  Vereinigung  der 
Agrarbank  und  einiger  anderen  kleinen 
Banken  hervorging,  daher  auch  mitfrischen 
Geldmitteln  versehen  war,  an  dem  schon 
früher  von  der  Agrarbank  gestellten  Ver- 
langen nach  völliger  Uebertragung  der 
Concession    und  insbesondere  nach  Los- 


102 


Ignaz  Konta. 


Zählung  von  dem  Baue  der  Würbenthaler 
und    Römerstadter    Flügelbahn    festhielt. 

Die  Concessionäre  bemühten  sich  also, 
die  Befreiung  von  der  Verpflichtung  zum 
Baue  der  genannten  Flügelbahnen  zu 
erwirken.  Da  sie  aber  mit  diesem  Be- 
gehren nicht  durchdrangen  und  mittler- 
weile durch  neue  Terrainstudien  eine 
bessere  Trace  sowohl  für  die  Hauptlinie 
als  auch  für  die  Flügelbahn  von  Jägern- 
dorf zur  Reichsgrenze  gegen  Neisse  ge- 
wählthatten, erbaten  sie  unterm  5.  Februar 
1870  folgende  Aenderungen  :  hinsichtlich 
der  letzterwähnten  Flügelbahn  möge  die 
Richtung  [statt  mit  Neustadt-Neisse]  ein- 
fach mit  Neisse,  ferner  hinsichtlich  der 
Würbenthaler  Flügelbahn  [statt  Breitenau] 
nur  ein  [unbestimmter]  Punkt  der  Haupt- 
linie als  Abzweigungsstelle  angegeben  und 
[im  §  3]  die  Vollendungsfrist  anders  fest- 
gesetzt werden,  nämlich  für  die  Hauptlinie 
und  die  beiden  Flügelbahnen  von  Jägern- 
dorf einerseits  nach  Troppau,  anderer- 
seits nach  Olbersdorf  mit  drei  Jahren  und 
für  die  beiden  Flügelbahnen  nach  Wür- 
benthal  und  Römerstadt  mit  jenem  Zeit- 
punkte, in  welchem  die  ersterwähnten 
Linien  ein  Reinerträgnis  von  6°/0  des 
Actiencapitals  geliefert  haben. 

Das  Ministerium  verwarf  indes  auch 
diese  Hinausschiebung  ins  Ungewisse, 
ebenso  wie  die  von  den  Concessionären  am 
16.  Februar  1870  vorgeschlageneMilderung 
jenes  Begehrens  durch  den  Zusatz:  »jeden- 
falls aber  binnen  sieben  Jahren  nach  voll- 
ständiger Inbetriebsetzung  der  Hauptlinie 
Olmütz -Jägerndorf«,  und  Hess  nur  ein  Inter- 
vall von  vier  Jahren  nach  der  Eröffnung  der 
Hauptlinie,  also  eine  Frist  von  im  Ganzen 
sieben  Jahren  zu.  Den  übrigen  Wünschen 
wurde  stattgegeben  und  demgemäss  über 
a.  h.  Entschliessung  vom  21.  April  1870 
die  neue,  nunmehr  auf  dem  Gesetze  vom 
13.  April  i87oberuhende,  mit  einer  dreissig- 
j  ährigen  Steuerfreiheit  ausgestattete  Con- 
cession  ertheilt.  Bis  zur  Durchführung 
derselben,  insbesondere  bis  zur  Inangriff- 
nahme des  Baues  verstrichen  jedoch  noch 
sieben  Monate.  Die  Caution  von  1 00.000  fl. 
wurde  zwar  über  Andrängen  und  durch 
eigenes  Hinzuthun  der  Concessionäre 
Ende  April  1870  erlegt,  im  Uebrigen  traf 
die  Unionbank  aber  erst  dann  Anstalten, 
die  Angelegenheit    vorwärts  zu  bringen, 


als  ihr  dieselbe  völlig  überantwortet 
worden  war.  Mittels  Vertrages  vom 
1 .  Mai  1 870  übertrugen  die  Concessionäre 
die  Concession  sammt  allen  daran  haftenden 
Rechten  und  Pflichten  an  die  Unionbank 
sowie  trotz-  oder  ausserdem  noch  am 
9.  Mai  1870  auch  noch  insbesondere  den 
Bau  der  Bahn,  welchen  diese  Bank  im 
Pauschal -Accorde  um  9,000.000  fl.  im 
Baaren  und  um  sämmtliche  Prioritäten  über- 
nahm; am  23.  Mai  1870  erhielt  die  Union- 
bank statt  der  9,000.000  fl.  in  Baarem  die 
45.000  auf  je  200  fl.  lautenden  Actien  der 
Mährisch -Schlesischen  Centralbahn  und 
bildete  nun  ein  Syndicat  zur  Verwerthung 
aller  dieser  Titel,  wobei  die  Höhe  des 
Prioritäten-Capitals  auf  13,500.000  fl.  fest- 
gestellt wurde. 

Diesem  nach  wurde  in  den  Statuten 
der  »Mährisch-Schlesischen  Cen- 
tralbahn« der  Gesellschaftsfond  mit 
vorerst  22, 500. ooofl.,  nämlich  9,000.000  fl. 
in  Actien  [45.000  Stück  ä  200  fl.]  und 
13,500.000  fl.  in  Prioritäts  -  Obliga- 
tionen [45.000  Stück  ä  300  fl.]  fest- 
gestellt. Die  Statuten  erhielten  am  2 1 .  Mai 
1870  die  behördliche  Genehmigung, 
worauf  dann  am  24.  Mai  1870  die  Con- 
stituirung  der  Gesellschaft  stattfand.  Das 
Syndicat,  welches  die  vorbezeichneten  Titel 
sämmtlich  auf  feste  Rechnung  genommen 
hatte,  brachte  am  20.  Juni  1870  einen  Theil- 
betrag  von  10,000.000  fl.,  nämlich  je 
20.000  Stück  Actien  und  Prioritäten  durch 
die  Unionbank  zur  öffentlichen  Zeichnung, 
wobei  als  Emissions-Curse  63°/,,  für  die 
Actien  und  75%  fur  die  Prioritäten  an- 
gesetzt und  sehr  bedeutende  Ueberzeich- 
nungen  erzielt  wurden. 

Der  Posten  eines  General  -  Direc- 
tors  fiel  dem  Concessionär  Max 
Machanek  zu;  mit  seiner  Stellver- 
tretung, beziehungsweise  mit  dem  Posten 
eines  General-Secretärs  wurde  der  Secre- 
tär  der  Unionbank  Dr.  Moriz  N  i  t  z  e  1- 
berger  betraut.  Am  23.  Juli  1870  vergab 
die  Unionbank  den  Bau  und  die  Aus- 
rüstung der  Bahn  an  die  Unternehmung 
Gebrüder  Klein  um  den  baaren  Pauschalbe- 
tragvon  12,750.000 fl.  und  am  25. Juli  1870 
überliess  diese  Unternehmung  die  Grund- 
einlösung sowie  die  Beschaffung  des  Fahr- 
parkes und  der  Verbrauchs-Materialien, 
Gebäude-Einrichtung;  etc.  um  den  Betrag 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


I03 


von  2,785.000  fl.  an  die  Bahngesellschaft 
selbst. 

Nach  der  Abwicklung  dieser  Kette 
von  Vereinbarungen  kam  es  endlich  zur 
Einleitung,  beziehungsweise  am  22.  No- 
vember 1870  zur  wirklichen  Inangriff- 
nahme des  Baues,  der  unter  der  Leitung 
des  Ober-Inspectors  Wilhelm  Ast,  von 
dem  auch  das  eigentliche  Bauproject 
herrührte,  einen  raschen  und  ungestörten 
Fortgang  nahm,  so  zwar,  dass  alle  Linien, 
mitsammt  den  österreichischen  Grenz- 
strecken zu  den,  mittels  des  Staatsver- 
trages ddto.  Berlin  21.  Mai  1872  endgiltig 
geregelten  Anschlüssen  an  die  preussi- 
schen  Bahnen,  lange  vor  dem  concessions- 
mässigen  Termine  vollendet  wurden. 
Es  gelangten  also  in  Betrieb :  die  Linien 
Olmütz-Freudenthal  -Jägerndorf 
[86-9  km]  und  Jägernd orf- Henner s- 
dorf  [21-6  km]  am  i.October  1872  für  den 
Frachten-,  beziehungsweise  am  15.  Octo- 
ber  1872  für  den  Gesammt  verkehr, 
und  die  Strecke  Jägerndorf-Troppau 
[27-8  km]  am  1.  November  1872.  Jene 
Grenzstrecken  konnten  aber  wegen  der 
verzögerten  Fertigstellung  der  preussi- 
schen  Linien  erst  später,  nämlich  Jägern- 
dorf-Reichsgrenze gegen  Leobschütz 
[3'3  km]  am  25.  September  1873  und 
Hennersdorf- Reichsgrenze  gegen 
Neisse  [4  km]  gar  erst  am  1.  December 
1875  eröffnet  werden. 

Im  Jahre  1871  trat  der  General- 
Director  Machanek  in  den  Verwal- 
tungsrath  ein  und  an  seine  Stelle  der 
Betriebs-Inspector  der  Nordbahn,  Ernst 
Bühler,jedoch  nur  als  Director  und  eben- 
falls nur  auf  kurze  Zeit ;  denn  am  20.  Juli 
1873  wechselte  auch  er  seinen  Posten 
mit  einem  Sitze  im  Verwaltungsrathe. 

Die  Mährisch-Schlesische  Central- 
is ahn  hat  ihren  Anfangspunkt  in  Olmütz, 
wo  sie  aus  dem  Personen-Bahnhofe  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  [an  der  Bystritza- 
Brücke]  ausmündet.  Die  Bahn  folgt  dem  Laufe 
der  Bystritza  und  ersteigt  an  deren  Ufer- 
gehängen bei  Dittersdorf  die  Höhe  der  Su- 
deten. Zwischen  Hombok  und  Domstadtl  hat 
die  Bystritza  einen  sehr  scharf  gewundenen 
Lauf  mit  unregelmässigen  Gefällen  und  ge- 
ringer Thalbreite,  welcher  Umstand  die  zwei- 
undzwanzigmalige  Uebersetzung  des  Flusses, 

§  rosse  Felsarbeiten,  die  Anwendung  starker 
teigungen   und    vieler  Krümmungen   noth- 
wendig  machte.  Von  der  Hauptwasserscheide 


zwischen  March  und  Oder  bei  Dittersdorf, 
die  den  höchsten  Punkt  der  Bahn  bildet,  senkt 
sich  die  Trace  in  das  Mohrathal  herab.  Nach 
Ueberschreitung  desselben  ersteigt  die  Trace 
rechts  von  Kriegsdorf  und  links  von  Kotzen- 
dorf die  Höhe,  auf  welcher  die  Landesgrenze 
zwischen  Mähren  und  Schlesien  läuft.  Von 
der  schlesischen  Grenze  ab  fällt  die  Bahn, 
einem  kurzen  Seitenthale  folgend,  in  das 
Schwarzbachthal  herab,  welches  knapp  bei 
Freudenthal  übersetzt  wird,  und  steigt  dann 
am  linken  Ufer  des  Schwarzbaches  auf  das 
Plateau  an  der  Troppauer  Strasse.  Von  diesem 
Plateau,  welches  zugleich  die  secundäre 
Wasserscheide  zwischen  der  Mohra  und  Oppa 
bildet  und  die  Stationsanlage  Freudenthal 
enthält,  senkt  sich  die  Bahnanlage  an  den 
Gehängen  des  Spillendorfer  Seitenthaies  bis 
an  die  Ufergehänge  der  Oppa  herab.  Der 
Eintritt  in  dieses  Thal  erfolgt  bei  Erbersdorf 
durch  einen  Tunnel,  hierauf  zieht  die  Bahn 
die  rechtseitigen  Lehnen  des  Oppathales 
bis  Jägerndorfentlang,  wo  der  Hauptbahnhof 
des  Bahnnetzes  angelegt  wurde.  Aus  dem 
nördlichen  Ende  dieses  Bahnhofes  münden 
dann  drei  Abzweigungen  aus,  nämlich: 

1.  Die  Flügelbahn  nach  Troppau,  welche 
der  Thalsohle    der  Oppa    flussabwärts    folgt. 

2.  Die  kurze  Flügelbahn  zum  Anschlüsse 
an  die  preussische  Bahn  von  Leobschütz, 
welche  die  Goldoppa  übersetzt  und,  das 
Mohrathal  verfolgend,  bei  dem  Mauthhause 
die   Reichsgrenze  erreicht 

3.  Die  Flügelbahn  nach  Hennersdorf, 
welche  in  der  Thalsohle  der  Goldoppa  fluss- 
aufwärts  hinzieht,  dieselbe  in  Olbersdorf  über- 
setzt und  dann  über  Röwersdorf  und  Henners- 
dorf an  die  Reichsgrenze  zum  Anschlüsse  an 
die  damals  projectirte  Bahnverbindung  mit 
Neisse  führt. 

Die  Erdarbeiten,  zumeist  Felsspren- 
gungen, waren  auf  der  Hauptlinie  von  Olmütz 
nach  Jägerndorf  bedeutend. 

Die  Stammlinien  der  Mährisch-Schle- 
sischen  Centralbahn  waren  noch  im  Baue, 
als  die  Gesellschaft  schon  die  Erwer- 
bung neuer  Linien  unternahm ;  sie  wollte 
von  Troppau  aus  einerseits  nach  Klingen- 
beutel, andererseits  in  südlicher  Richtung 
bis  an  die  ungarische  Grenze  beim  Vlara- 
passe  weiterbauen.  Das  letztere  Project 
war  ihr  von  ihren  Mitgründern  Dr.  Karl 
Dietrich  und  Max  Machanek  überkommen, 
deren  erster  früher  dem  vom  Präsidenten 
der  schlesischen  Handelskammer,  Eduard 
Zentzytzki,  geführten  Consortium  für  die 
Linie  Troppau-Trencsin  angehörte,  hernach 
aber  dasselbe  verliess,  um  im  Vereine 
mit  Machanek  das  gleiche  Project  zu 
verfolgen  [April  1870].  Beide  glaubten 
anfangs  nicht   nur  ihrer  Sache  sicher  zu 


104 


Ignaz  Konta. 


sein,  sondern  vielmehr  auch  die  Staats- 
garantie erlangen  zu  können. 

Als  aber  das  ersterwähnte  Consortium 
neue  Theilnehmer  sowie  auch  die  Vorcon- 
cession  für  die  ungarische  Strecke  und,  ver- 
möge seiner  rührigen  Bewerbung,  bessere 
Aussicht  auf  ein  Gelingen  gewonnen  hatte, 
suchten  auch  dessen  Rivalen  [Dietrich - 
Machanek]  Bundesgenossen  und  fanden 
dieselben  in  dem  Verwaltungsrathe  der 
Mährisch-Schlesischen  Centralbahn,  der 
sich  wieder  auf  die  Unionbank  stützte. 
Letzterer  kaufte  also  das  Dietrich-Macha- 
nek'sche  Projects-Elaborat,  trat  selbst  in 
die  Concessionswerbung  für  die  Linie 
Troppau-Vlarapass  mit  der  Abzwei- 
gung nach  Klingenbeutel  ein  und  verzich- 
tete sogar  auf  die  Steuerbefreiung,  um  nur 
obzusiegen,  was  ihm  denn  auch  glückte. 

Die  Gesellschaft  erhielt  unter  den  für 
ihre  übrigen  Linien  geltenden  Bestim- 
mungen, mit  Ausnahme  der  Steuer- 
befreiung, am  6.  October  1872  die  Con- 
cession  für  die  Linien  von  Troppau  über 
Neutitschein  bis  an  die  ungarische  Grenze 
am  Vlarapasse  und  eventuell  von  Troppau 
bis  zur  Reichsgrenze  gegen  Ratibor.  Die 
am  29.  October  1872  abgehaltene  erste 
ordentliche  Generalversammlung  ge- 
nehmigte die  Erwerbung  dieser  Conces- 
sion  und  zugleich  die  Ausgabe  neuer 
Werthe  im  Betrage  von  22,500.000  fl., 
nämlich  45.000  Actien  ä  200  fl.  und 
45.000  Prioritäts-Obligationen  ä  300  fl. 
und  die  Unionbank  übernahm  die  Geld- 
beschaffung. Es  konnte  daher  auch  so- 
gleich zur  Ausführung  des  neuen  Unter- 
nehmens geschritten  werden,  was  mit  der 
Titelausgabe  begann ;  die  Actien  wurden 
Mitte  December  1872  zum  Curse  von 
139  fl.  und  die  Prioritäten  Ende  Januar 
1873  zum  Curse  von  88'/3  %  emittirt, 
beziehungsweise  den  Actionären  zum  Be- 
züge angeboten. 

Hier  versagte  aber  der  Apparat;  das 
Bezugsrecht  wurde  nur  in  geringem  Masse 
ausgeübt,  die  stetig  zunehmende  Ver- 
schlechterung des  Geldmarktes  vereitelte 
auch  jede  anderweitige  Begebung  und 
die  Gesellschaft,  welche  durch  das  unzu- 
reichende Erträgnis  der  alten  Linien  bereits 
wegen  der  Verzinsung  der  Prioritäten  erster 
Emission  von  bangen  Sorgen  gequält  war, 
gerieth  nun  in  thatsächliche  Bedrängnis; 


sie  hatte  an  den  Folgen  der  verwickelten 
Verhältnisse  ihrer  Gründung  genug  zu  tra- 
gen und  war  jetzt  mit  neuen  Verpflichtun- 
gen belastet,  die  sie  nicht  erfüllen  konnte. 
Der  fast  verzweifelte  Versuch,  die  neue 
Linie  trotz  alledem  auszuführen,  scheiterte; 
denn  die  Anschaffungen  und  der  bruch- 
stückweise in  der  Strecke  Troppau-Zauchtl 
in  Ausführung  genommene  Bau  musste 
eingestellt  werden,  sobald  die  aus  dem 
theilweisen  Absätze  der  neuen  Titel  ge- 
flossenen Geldmittel  und  die  nur  noch 
spärlich  sickernden  Creditquellen  der 
Gesellschaft  erschöpft  waren.  Sie  sah 
sich  daher  gar  bald  gezwungen,  die  neue 
Concession,  die  sie  um  jeden  Preis  er- 
werben zu  müssen  geglaubt  hatte,  wie- 
der aufzugeben,  um  sich  die  Situation 
etwas  zu  erleichtern.  Die  Regierung 
kam  ihr  dabei  zu  Hilfe,  indem  sie  unter 
Gewährung  der  Staatsgarantie  auf  die 
Dauer  von  20  Jahren,  für  eine  ander- 
weitige Sicherstellung  der  Linie  Vorsorge 
traf  [Gesetz  vom  3.  Mai  1874];  allein 
dies  bewahrte  die  Gesellschaft  nur  vor 
dem  Cautionsverluste ;  denn  auch  die 
neuen  Bedingungen  zogen  keine  Bewer- 
ber an,  und  eine  Staatsgarantie  auf  die 
ganze  Dauer  der  Concession  verweigerte 
die  Regierung.  So  blieb  denn  die  Linie 
Troppau-Vlarapass  ungebaut  und  das  für 
sie  bereits  aufgewendete  Capital  von 
4,700.000  fl.,  bis  auf  die  aus  dem  Erlöse 
für  verkaufte  Inventar-  und  Material- 
bestände rückgeflossenen  Beträge,  verlo- 
ren. Aus  der  Bedrängnis  kam  die  Gesell- 
schaft, wie  späterhin  noch  dargethan  wird, 
erst  dann  heraus,  als  sie  mit  ihren  Obli- 
gationären sich  verglichen  hatte ;  ein  noth- 
leidendes  Unternehmen  blieb  sie  aber,  so 
lange  ihr  Bestand  als  Privatbahn  währte. 

P  ilsen  -  Pri  es  en  er  Bahn.  Die 
erfreulichen  Fortschritte,  welche  die  Er- 
gänzung des  Eisenbahnnetzes  in  allen 
übrigen  Theilen  Böhmens  machte,  Hessen 
die  Ungunst,  der  die  westlichen  und  süd- 
westlichen Gegenden  dieses  reichgeseg- 
neten Landes,  hinsichtlich  der  Erbauung 
von  Eisenbahnen,  verfallen  waren,  umso 
greller  hervortreten.  Bis  in  die  Sechziger- 
Jahre  waren  diese  Gebiete  von  der  Unter- 
nehmungslust gänzlich  unbeachtet,  dann 
befasste  sich  dieselbe  wohl  mit  einzelnen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


I05 


einschlägigen  Projecten,  die  aber  grössten- 
theils  Verbindungen  mit  Sachsen  [in  der 
Richtung  nach  Schwarzenberg]  zum  Ge- 
genstande hatten.     Erst  als  eine  Anzahl  I 
bayerischer  Grossgrundbesitzer    und    In-  , 
dustrieller  in  Verbindung  mit  böhmischen  l 
Standesgenossen    [Baron    Liebieg,  Louis 
von    Haber  u.  A.]    die  Bahnlinie  Rosen- 
heim -  Deggendorf-  Taus-Klattau  anstreb- 
ten [1868],  begann  sich  das  Augenmerk  j 


Consortiums  A.  v.  Stark,  Graf  Czernin  etc. 
die  Linie  Pilsen-Saaz,  welche  damals  auch 
von  der  Böhmischen  Westbahn  und  von 
dem  Gründer  der  Dux-Bodenbacher  Bahn, 
Dr.  Stradal,  zur  Fortsetzung  der  be- 
treffenden Bahnen  ausersehen  schien. 

Ernst  und  rasch  ging  indes  nur  das 
genannte  Consortium  vor,  welches  denn 
auch  am  21.  April  1870  die,  auf  Grund 
des    Gesetzes    vom   13.   April    1870,    mit 


Abb.  64.    Einschnitt  bei  Gastorf   [Oesterreichische  Nordwestbahn  ] 


auch  dem  Südwesten  zuzuwenden,  und 
zwar  jetzt  mit  einem  Male  in  recht  aus- 
giebigem Masse. 

Zunächst  blos  als  Zweiglinien  der 
grossen,  von  dem  Baurathe  Karl  Schwarz, 
wie  auch  von  dem  Amerikaner  Emil 
Samson,  zu  Beginn  des  Jahres  1869 
geplanten  Transversalbahn  Sillein-Furth 
[oder  Taus]  gedacht,  wurden  die  Strecken 
Pilsen-Priesen  und  Pilsen-Eisenstein,  fast 
gleichzeitig  von  dem  Bergwerksbesitzer 
J.  R.  Eaton  auch  als  selbständiges  Unter- 
nehmen in  Aussicht  genommen,  des- 
gleichen im  Sommer  1869  von  Seite  des 


einer  zwanzigjährigen  Steuerfreiheit  aus- 
gestattete Concession  für  die  Linie 
Pilsen-Priesen  [Komotau]  nebst  Abzwei- 
gungen nach  Brüx  und  Dux  erhielt,  mit 
der  Verpflichtung,  die  Bahn,  über  Ver- 
langen der  Staatsverwaltung,  von  Pilsen 
über  Klattau  an  die  österreichisch-baye- 
rische Grenze  bis  Eisenstein  fortzusetzen, 
wenn  von  bayerischer  Seite  der  Bau 
einer  Linie  von  Deggendorf  über  Zwiesel 
nach  Eisenstein  gesichert  sei. 

Die  Concessionäre  legten  ihrer  Bahn, 
als  voraussichtlicher  Vermittlerin  des 
Kohlentransportes,   des    Durchzugs-    und 


io6 


Ignaz  Konta. 


eines  lebhaften  Localverkehres,  grosse  Be- 
deutung bei.  Das  Anlage-Capital  für  die 
ganze  [sammt  den  Abzweigungen]  22-5 
Meilen  lange  Bahn  war  mit  18,972.885  fl. 
veranschlagt  und  sollte  durch  die  Franco- 
bank  beschafft  werden.  In  den  am  1 1.  De- 
cember  1871  behördlich  genehmigten 
Statuten,  auf  Grund  deren  am  7.  Februar 
1872  die  Constituirung  der  Actien-Gesell- 
schaft:  »K.  k.  priv.  Eisenbahn  Pilsen- 
Priesen  [Komotau]«  stattfand,  ist  aber 
das  Actiencapital  mit  9,000.000  fl.  [60.000 
Actien  ä  150  fl.]  festgesetzt  und,  in 
Uebereinstimmung  mit  der  Concessions- 
Urkunde,  gesagt,  dass  Prioritäts- Obliga- 
tionen nur. bis  zur  Höhe  von  drei  Fünf- 
theilen des  gesammten  Anlage-Capitals 
ausgegeben  werden  dürfen.  In  dem  später- 
hin von  der  Gesellschaft  ausgegebenen 
Geschäftsbericht  erscheinen  die  durch 
Prioritäts  -  Obligationen  aufgebrachten 
Geldmittel  mit  12,000.000  fl.  [80.000 
Obligationen  ä  150  fl.]  und  das  gesammte 
Anlage-Capital  mit  21,000.000  fl.  aus- 
gewiesen. 

Wie  aus  den  Mittheilungen  der  Con- 
cessionäre  an  die  constituirende  General- 
versammlung hervorgeht,  wurde  dasselbe 
»von  der  Firma  A.  Lanna  in  der  nöthi- 
gen  Höhe  angeschafft«,  was,  mit  anderen 
Worten  ausgedrückt,  wohl  so  viel  heisst, 
dass  diese  Firma  die  sämmtlichen  Titel 
als  Pauschal-Entlohnung  für  den  ihr  über- 
tragenen Bau  erhalten  und  dann  auf  ihre 
eigene  Rechnung  irgendwie  weiter  be- 
geben hat. 

Der  Bau  begann  erst  im  Januar  1 87 1 , 
und  zwar  eigenthümlicherweise  zunächst 
auf  den  Abzweigungen  und  hernach  auf 
verstreuten  Partieen  der  Hauptlinie,  was 
zur  Folge  hatte,  dass  die  zuerst  in  Betrieb 
gelangten  Strecken  untereinander  monate- 
lang nicht  in  Verbindung  standen. 
Programmgemäss  hätte  der  Bau  im  Früh- 
jahre 1873  gänzlich  beendet  sein  sollen, 
weil  die  Gesellschaft  hoffte,  dass  bis 
dahin  so  manche  der  zahlreichen,  noch 
von  den  Concessionären  entworfenen 
Fortsetzungspläne  gereift  sein  würden. 

Jene  Pläne  betrafen  die  am  21.  und 
23.  September  1871  vorconcessionirten 
sieben  Linien  :  von  Strakonitz  über  Klattau 
zum  Anschlüsse  in  Fürth  a.  W. ;  von 
Plass  oder  Mlatz  einerseits  über  Karlsbad 


an  die  sächsische  Grenze  bei  Johann- 
Georgenstadt,  andererseits  über  Plan  an 
die  bayerische  Grenze  gegen  Wermberg ; 
von  Postelberg  über  Laun  nach  There- 
sienstadt,  dann  über  Auscha  nach  War- 
tenberg und  Reichenberg;  von  Laun  über 
Luzna  nach  Beraun ;  von  Plass  nach 
Pürglitz ;  von  Pilsen  an  die  bayerische 
Grenze  bei  Eisenstein ;  von  Priesen  über 
Komotau  an  die  sächsische  Grenze  zum 
Anschlüsse    an    die  Flöhathalbahn. 

Da  sich  aber  bald  zeigte,  dass  es  nicht 
leicht  anging,  mehrere  dieser  fast  ins  Un- 
gemessene gehenden  Projecte  gleichzeitig 
der    Reife,    geschweige    denn    der    Ver- 
wirklichung zuzuführen,   wurden  die  Be- 
mühungen allesammt  vorerst  auf  die  Er- 
reichung   der    Anschlüsse    an    die  baye- 
rischen   Bahnen    bei    Eisenstein,    bezie- 
hungsweise   an    die  sächsischen  Bahnen 
bei  Johann- Georgenstadt  gerichtet.  Rück- 
sichtlich des  ersteren  war  die  Gesellschaft 
i  so    ziemlich    alleinige  Bewerberin ;   denn 
J  ausser  dem  bald  wieder   zurückgewiche- 
nen   Gutsbesitzer    Heinrich    Polland    und 
dem  Consortium  Graf  Gatterburg-Dr.  Karl 
Schierl,    welches   die  Linie  Pilsen-Eisen- 
stein   erst   nachträglich  in    seine  Bewer- 
I  bung  um  die   Linie    Pilsen-Johann-Geor- 
i  genstadt    einbezog,    jedoch,    wie    sofort 
!  zur  Sprache    kommen    wird,    gleich    mit 
!  dem  ursprünglichen  Vorhaben  einen  Er- 
|  folg    nicht  aufzuweisen  hatte,    war    kein 
i  Concurrent  aufgetreten. 

Ueberdies  kam  ihr  der  Umstand  zu- 
statten, dass  sie  kraft  Artikel  2  der  alten 

.  .  ... 

Concession  ohnehin  zum  Baue  dieser  Linie 

I  bedingungsweise  verpflichtet  gewesen 
[s.  o.],  und  dass  die  Regierung,  im  Hinblicke 
j  auf  einen  Beschluss  der  bayerischen  Kam- 
|  mer,  wonach  der  bayerischen  Ostbahn  die 
Ausführung  der  Linie  Landau-Cham  er- 
lassen, dagegen  jene  der  Linie  von  Landau 
über  Deggendorf  und  Zwiesel  an  die 
österreichische  Grenze  aufgetragen  wurde, 
nunmehr  den  Zeitpunkt  für  gekommen 
erachtete,  den  Bau  der  Linie  Pilsen- 
Eisenstein  von  der  Gesellschaft  zu  ver- 
langen. 

Rücksichtlich  des,  seit  seiner  Ab- 
lehnung durch  das  Gründer-Consortium 
der  Kaiser  Franz  Josef- Bahn  [1864] 
schon  wiederholt  in  Anregung  gekomme- 
nen    Anschlusses     an     die     sächsischen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


I07 


Bahnen  bei  Johann-Georgenstadt*)  stand 
die  Sache  nicht  so  einfach ;  denn 
Graf  Ferdinand  Gatterburg  in  Gemein- 
schaft mit  Dr.  Karl  Schierl  und  Genossen, 
welche  zu  Beginn  des  Jahres  1870  in 
die  Bewerbung  um  die  Linie  Pilsen-Karls- 
bad-Schwarzenberg  eingetreten  waren, 
hatten  sich  so  rührig  umgethan  und  in 
den  Abgeordneten  der  an  dem  Zustande- 
kommen der  Bahn  interessirten  Gegenden 
eine  so  kräftige  Unterstützung  gefunden, 
dass  sie  zur  Zeit,  da  die  Pilsen-Priesener 
Bahn  erst  die  einleitenden  Schritte  unter- 
nahm, schon  sowohl  vom  österreichischen, 
als  auch  vom  sächsischen  Ministerium  die 
Zusage  der  Concessionirung  besassen, 
daher  nicht  gut  übergangen  werden 
konnten.  Auch  war  noch  ein  anderes 
Consortium  [Haydt-Noback]  auf  der  Bild- 
fläche erschienen,  mit  dem  allerdings 
weniger  gerechnet  wurde. 

Ein  Minister  wechsel  wendete  jedoch  das 
Blatt  zu  Gunsten  der  Pilsen-Priesener  Bahn. 
Der  Handelsminister  Dr.  Banhans  huldigte 
dem  Grundsatze,  dass  neue  Linien  wo- 
möglich den  schon  bestehenden  Unter- 
nehmungen anzugliedern  seien.  Weiters 
fiel  ins  Gewicht,  dass  nach  dem  Projecte 
der  letztgenannten  Gesellschaft  die  neue 
Linie  nicht  in  Pilsen,  sondern  in  Mlatz 
ihren  Ausgang  nahm,  mithin  die  schwie- 
rige und  kostspielige  Bahnhofs-Anlage 
in  Pilsen  überflüssig  machte  und  die 
Baulänge  um  zwei  Meilen  [Pilsen-Mlatz] 
verringerte ,  woraus  allein  schon  eine 
Kostensumme  von  mehr  als  2,300.000  fl. 
resultirte. 

Da  nun  das  Vorhandensein  von 
Bewerbern  um  die  in  Rede  stehende 
Linie  an  und  für  sich  schon  die  Sicher- 
stellung derselben  bedingte,  weil  die 
Regierung  vermöge  des  Staatsvertrages 
mit  Sachsen  vom  24.  December  1870 
verpflichtet  war,  die  Concession  zu  er- 
theilen,  sobald  sich  Unternehmer  hiefür 
fänden,  so  legte  das  Handelsministerium 


*)  Mitte  der  Sechziger-Jahre  hatte  das  Co- 
mite  der  Leipzig-Chemnitz-Glauchauer  Bahn 
sich  um  das  Project  angenommen,  hernach 
—  im  Jahre  1868  —  der  Bergwerksbesitzer 
J.  R.  Eaton  [s.  o.]  die  Linie  Pilsen-Karlsbad 
und  der  Fabriksbesitzer  Max  Unger  die  Linie 
Karlsbad-Georgenstadt  geplant,  ferner  im 
Jahre  1869  ein  sächsisches  Comite  ebenfalls 
die  Linie  Pilsen-Karlsbad-Schwarzenberg. 


am  22.  März  1872  dem  Abgeordneten- 
hause einen  Gesetzentwurf  vor,  dessen 
Begründung  damit  schloss,  dass  wegen 
der  eben  erwähnten  Capital- Ersparnis  und 
der  durch  die  Vereinigung  der  neuen  Linie 
mit  einer  schon  concession irten  Bahn  sich 
sonst  noch  ergebenden  öconomischen  Vor- 
theile,  »an  dem  Projecte  der  Pilsen- 
Priesener  Bahn  festgehalten  werden 
muss«. 

Den  Gesetzentwurf  in  Betreff  der 
Linie  Pilsen-Eisenstein  brachte  das  Mini- 
sterium am  3.  Juni  1872  im  Abgeordneten- 
hause ein.  Die  Denkschrift  zu  dieser 
Vorlage  Hess  nicht  minder  erkennen, 
dass  für  diese,  wie  für  jene  Linie  die 
Pilsen-Priesener  Bahn  als  Concessionär 
in  bestimmte  Aussicht  genommen  sei; 
sie  verwies  nämlich  auf  die  diesfalls 
sozusagen  schon  bestehende  Verpflichtung 
der  Gesellschaft  [§  2  der  alten  Concessions- 
Urkunde]  und  betonte,  dass  die  beiden 
Linien  sich  gegenseitig  ergänzen,  be- 
ziehungsweise »für  den  internen  und 
internationalen  Verkehr  eine  erhöhte  Be- 
deutung verleihen«. 

Als  staatliche  Begünstigung  war  den 
beiden  Linien  Steuerfreiheit  im  Sinne 
des  bereits  wieder  ausser  Geltung  getre- 
tenen Gesetzes  vom  13.  April  1870  zu- 
gedacht, jedoch  nur  auf  die  Dauer  von 
zehn  Jahren,  »indem  eine  derartige  Ein- 
schränkung nach  den  derzeitigen  günsti- 
geren Verhältnissen  des  Geldmarktes 
zulässig  erscheint  und  für  die  Aufbrin- 
gung der  zum  Bahnbaue  erforderlichen 
Geldmittel  voraussichtlich  genügen  wird«. 
Die  beiden  Gesetze  haben  nach  Passirung 
der  beiden  Häuser  des  Reichsrathes,  am 
28.  Juni  1872,  die  a.  h.  Sanction  und 
daraufhin,  am  13.  November  1872,  die 
Pilsen-Priesener  Bahn  die,  wie  eben 
erwähnt,  mit  zehnjähriger  Steuerfreiheit 
ausgestattete  Concession  für  die  Linie  von 
Pilsen  über  K 1  a  1 1  a  u  und  N  e  u  e  r  n 
an  die  böhmisch  -bayerische 
Grenze  bei  Eisenstein,  ferner  von 
Mlatz  über  Schau b,  Karlsbad  und 
Neudek  an  die  böhmisch-säch- 
sische Grenze  bei  Johann-Geor- 
genstadt erhalten,  welche  Linien  als 
integrirende  Bestandtheile  der  Pilsen- 
Priesener  Bahn  zu  betrachten  und  zu 
behandeln  sind. 


io8 


Ignaz  Konta. 


Zum     Baue     kam     es    jedoch    noch  j 
lange  nicht ;  erst  hiess  es,  die  Gesellschaft  | 
wolle    abwarten    bis    die     Ungewissheit  i 
hinsichtlich      des     Anschlusses     an     die  ; 
bayerischen    Bahnen    behoben    sei,    was 
vermöge    des    am    30.  März  1873  abge- 
schlossenen     Staatsvertrages      zwischen 
Oesterreich-Ungarn     und     Bayern     voll- 
kommen der  Fall  gewesen;   dann  wurde 
einbekannt,    dass    ohne    die  Mithilfe  des  j 
Staates  der  Baufond  nicht  zu  beschaffen  sei. 

Die  Staatsverwaltung  hat  denn  auch, 
wie  aus  dem    späteren  Abschnitte  dieser  ] 
Mittheilungen    zu    ersehen  sein  wird,    in 
bedeutendem  Masse  an  der  Aufbringung  , 
der  Geldmittel  theilnehmen  müssen,    um  j 
nur  eine    der   neuen  Linien    thatsächlich 
sicher  zu  stellen ;  die  zweite  [nämlich  jene 
nach  Johann-Georgenstadt]  blieb  bis  auf 
die  Gegenwart  ungebaut. 

Die      Stammlinie      der     Gesellschaft 
wäre    wahrscheinlich     schon     im    Jahre  j 
1872,    also    viel    früher    als    zum    con- 
cessionsmässigen  Vollendungstermin,   er- 
öffnet   worden,    wenn    nicht    die  Bauten 
infolge     der    zu    Ende    Mai     1872    ein-  j 
getretenen     grossen     Ueberschwemmung  j 
arge    Schäden    und    Störungen     erlitten  i 
hätten.      Der    Bergsturz    bei    Podworow 
verursachte    die    Auflassung    einer    fast  1 
fertigen,  circa  5  km  langen  Strecke  und  j 
den  Bau  einer  neuen  noch  etwas  längeren  I 
Strecke    am    anderen    Ufer    des    Pfehof- 
baches ;    das  Reissen    des    Teichdammes  ! 
bei  Mlatz    zerstörte  die  bereits  vollendet 
gewesene  Strecke  im  Stfolathale  in  einer  j 
Ausdehnung  von  circa    7  km.     Der  Ge- 
sammtschaden      belief     sich     auf     rund 
2,880.000  fl.,  wovon  die  Bauunternehmung 
die  Summe  von   1,622.000  fl.    zu   tragen 
hatte.  Abgesehen  von  zwei  Theilstrecken, 
konnten    daher  die  Eröffnungen    erst   im 
Jahre  1873  stattfinden.     Es  wurden  dem  \ 
Betriebe  übergeben: 

Saaz-Obernitz,   28-9  km,  16.  September  1872. 
Obernitz-Brüx,  6  km,  16.  September  1872. 
Obernitz-Bilin,  io-l  km,  für  den  Güterverkehr, 

24.  October  1S72. 
Pilsen-Plass,  323  km,  für   den  Güterverkehr, 

21.  Januar  1873. 
Obernitz-Bilin,  Pilsen-Plass,  für  den  Gesammt- 

verkehr,  I.  Mai  1873. 
Plass-Schaboglück,  66-9  km,  8.  August  1873. 
Schaboglück-Priesen,  104  km,  8.  August  1873. 
Schaboglück-Saaz,  7-1  km,  7.  September  1873. 


Bilin-Dux-Ladowitz,  36  km,  für  den  Güter- 
verkehr, 27.  October  1873;  für  den  Ge- 
sammtverkehr,  I.  April  1874. 

Die  Hauptlinie  der  Eisenbahn  Pilsen- 
Priesen  [Komotau]  nimmt  ihren  Aus- 
gang in  der  gemeinschaftlichen  Station  Pilsen 
und  wendet  sich  gegen  Norden,  übersetzt  das 
Beraunthal  und  erreicht  sodann  die  Station 
Tfemosna,  hinter  welcher  das  Tfemosnathal 
übersetzt  und  die  Höhen  von  Jalocin  gewonnen 
werden.  Von  da  ab  fällt  die  Trace  bis  zur  Station 
Kaznau.  In  ihrem  weiteren  Verlaufe  übersetzt 
die  Trace  die  Schlucht  bei  Ribnitz  mit  einem 
T57'5  in  langen  und  40  m  hohen  Viaduct, 
und  erreicht  unweit  Plass  das  Stiolathal, 
welchem  sie  eine  kurze  Strecke  folgt,  dann 
durch  zwei  Tunnels  führt  und  den  Stfolafluss 
dreimal  mit  Brücken  übersetzt.  Das  Thal 
des  Sti-olaflusses  verlassend,  nimmt  die  Trace 
eine  nordöstliche  Richtung  an  und  ersteigt 
hinter  Scheles  die  Wasserscheide,  welche 
4746  m  über  dem  Adriatischen  Meere  liegt. 
Sodann  senkt  sich  die  Linie  gegen  den  Gold- 
bach hinab,  den  sie  mit  einer  Brücke  über- 
setzt, berührt  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  die 
Ortschaften  Rüdig,  Podersam  und  Kaschitz 
und  mündet  in  die  Station  Schaboglück  ein, 
nachdem  sie  den  Leskabach  bei  Knöschitz 
und  das  Aubachthal  bei  Cejkowitz  übersetzt 
hat.  In  Schaboglück  gabelt  sich  die  Bahn, 
indem  daselbst  die  Zweigbahn  nach  Priesen 
ausästet.  Die  Hauptbahn  führt  weiter  in  das 
Aubachthal,  übersetzt  dasselbe  zum  zweiten 
Male  bei  Libocan,  und  wendet  sich  sodann 
gegen  die  Station  Saaz,  nachdem  sie  den 
Egerfluss  mittels  einer  Brücke  überschritten 
hat.  Von  Saaz  aus  verfolgt  die  Bahn  die  bereits 
von  Schaboglück  eingeschlagene  nordöstliche 
Richtung  bis  gegen  die  Station  Postelberg, 
übersetzt  gleich  hinter  derselben  das  Thal  des 
Komotauer  Baches  mit  einem  Viaducte  von 
38  m  Spannweite  und  10  m  Höhe,  wendet  sich 
sodann  gegen  Norden  und  erreicht  das  Thal 
der  Serpina,  in  welchem  sie  sich  bis  zurStation 
Obernitz  entwickelt.  Vor  dieser  Station,  und 
zwar  bei  dem  Orte  Sedlitz,  trifft  die  Trace  jene 
der  Prag-Duxer  Bahn,  mit  welcher  sie  nun  auf 
einem  gemeinschaftlichen  Bahnkörper  parallel 
weiterzieht.  Von  der  Station  Obernitz  aus 
verfolgt  die  Hauptbahn  das  Thal  der  Bieia 
bis  Bilin.  Hier  das  Bielathal  verlassend, 
erreicht  sie  die  Endstation  Dux-Ladowitz, 
wo  sie  an  die  Aussig-Teplitzer  Bahn  und  an 
die  Dux-Bodenbacher  Bahn  Anschluss  hat. 

Die  Zweigbahn  Schaboglück  -  Priesen, 
welche  eine  zweite  Anknüpfung  der  Haupt- 
linie mit  der  Buschtehrader  Bahn  und  hiedurch 
wieder  über  Weipert  die  Verbindung  mit  der 
sächsischen  Staatsbahn  nach  Chemnitz,  Leip- 
zig u.  s.  w.  herstellt,  hat  eine  nordwestliche 
Richtung;  sie  übersetzt  das  Egerthal  mit  einer 
Brücke  von  zwei  Oeffnungen  ä  57  m  Spann- 
weite und  erreicht  alsdann  die  Station  Priesen. 

Von  der  Station  Obernitz  ausgehend, 
übersetzt  die  Linie  Obernitz-Brüx  den  Biela- 
fluss,  und  erreicht  nach  einiger  Entwicklung 
im  Thale  dieses  Flusses  die  Station  Brüx. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


IO9 


4 

-*»-.. 

^'i 

Abb.  65.    Elbe-Brücke  bei  Aussig    [Oesterreichische  NordwestbahnJ. 


Hetzendorf  -  Donaulände  bei 
Albern.  Ein  bedeutender  Theil  des 
Güterverkehres  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  entstammt  den  Transporten,  welche 
ihr  aus  Ungarn  zu  Schiffe  zugehen  oder 
welche  sie  zur  Uebergabe  an  die  Schiff- 
fahrt nach  Wien  bringt.  Nun  hafteten  aber 
dem  Zustreifdienste  zwischen  dem  Wiener 
Bahnhofe  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
und  der  Donaulände,  insbesondere  bei 
ungünstiger  Witterung  und  zur  Winters- 
zeit, Uebelstände  an,  die  sich  nach- 
gerade als  unbesiegbar  erwiesen.  Trotz 
der  zunehmenden  Preissteigerung  des 
Strassenfuhrwerkes  war  weder  eine  Regel- 
mässigkeit der  Zu-  und  Abfuhr,  noch  eine 
Sicherung  der  Frachten  gegen  Beschädi- 
gung und  Entwendung  zu  erzielen. 

Die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  hatte 
darum  seit  Langem  danach  getrachtet, 
der  Abhängigkeit  von  dem  Achstrans- 
porte durch  Wien  völlig  ledig  zu  werden. 
Im  Jahre  1868  entschloss  sie  sich  einen 
Schienenweg  zur  Donaulände  anzustreben,  ; 
Hess  zu  diesem  Zwecke  das  Project  für 
eine  Verlängerung  ihrer  Penzing-Hetzen-  | 


dorfer  Verbindungsbahn  bis  hinter  Kaiser- 
Ebersdorf  ausarbeiten,  traf  die  nöthigen 
Vereinbarungen  mit  der  Donauregulirungs- 
Commission,  und  überreichte,  nachdem  sie 
die  Verzinsung  der  auf  die  kaum  2  !/2  Meilen 
lange  Fortsetzungsstrecke  aufzuwendenden 
Kosten  von  rund  1,200.000  fl.  als  fest- 
stehend erachtete,  das  Gesuch  um  die 
Concession. 

Die  Generalversammlung  vom  16.  Juni 
1869  billigte  dieses  Vorgehen  und  er- 
mächtigte den  Verwaltungsrath,  die 
Concession  für  die  Linie  Hetzendorf- 
Kaiser-Ebersdorf,  eventuell  mit  der  Ver- 
längerung bis  an  den  Donau-Quai  bei 
Wien,  »zu  den  best  erreichbaren  Bedin- 
gungen« zu  erwerben,  und  dann  den  Bau 
sofort  in  Ausführung  zu  bringen.  Gerade 
wegen  der  Bedingungen  verzögerten  sich 
aber  die  Verhandlungen.  Die  Gesellschaft 
glaubte  auf  andere  Begünstigungen  rechnen 
zu  dürfen,  während  die  Regierung  nur  eine 
Steuerbefreiung  zugestehen  mochte,  aller- 
dings schliesslich  auf  die  Dauer  von 
zwanzig  Jahren.  Als  nun  die  bezügliche 
Einigung  erzielt  war,  erhielt  die  Kaiserin 


HO 


Ignaz  Konta. 


Elisabeth-Bahn  am  24.  Juni  1870  die  auf 
85  Jahre  [vom  Tage  der  Eröffnung]  giltige 
Concession  für  die  binnen  Jahresfrist  zu 
vollendende  Linie  Hetzen dorf-D  onau- 
lände  bei  Albern;welchezunächst  nur  dem 
Frachtenverkehre  und  erst  bei  sich  er- 
gebendem Bedürfnisse  auch  dem  Personen- 
verkehre dienen  sollte,  und  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  13.  April  1870  mit  der 
erwähnten  zwanzigjährigen  Steuerfreiheit 
bedacht  wurde.  In  einem  am  5.  Juni 
1870  errichteten  Protokolle  zu  den  ver- 
einbarten Concessions-Bedingungen  wurde 
überdies  festgesetzt,  dass  die  Gesell- 
schaft berechtigt  sein  werde,  den  Per- 
sonenverkehr auf  dieser  Linie  lediglich 
mittels  gemischter  Züge,  und  während 
der  Zeit,  in  welcher  die  Schiffahrt  unter- 
brochen ist,  blos  bis  Klederling  zu  führen, 
dagegen  auch  verpflichtet  sei,  im  Falle 
der  Einführung  des  Personenverkehrs  auf 
der  Linie  Hetzendorf-Donaulände,  den- 
selben über  Verlangen  der  Regierung 
auch  auf  die  schon  bestehende  Penzing- 
Hetzendorfer  Verbindungsbahn  auszu- 
dehnen. 

Der  Bau  wurde  mittels  Vertrages 
vom  2.  August  1870  dem  Unternehmer 
Franz  Kraus  übertragen ,  auch  als- 
bald eingeleitet,  jedoch  durch  Grund- 
einlösungs-Schwierigkeiten  so  sehr  beein- 
trächtigt, dass  die  Gesellschaft  eine  Er- 
streckung der  Vollendungsfrist  nachsuchen 
musste,  die  ihr,  über  a.  h.  Entschliessung 
vom  31.  Januar  1872,  bis  Ende  April 
1872  gewährt  wurde.  [Handelsministerial- 
Erlass  vom  9.  Februar  1872.]  Die  Er- 
öffnung der  10/9  km  langen  Linie  hat 
am  1.  Mai  1872  stattgefunden.  Das  Bau- 
capital  wurde  einstweilen  im  Wege  einer 
schwebenden  Schuld  beschafft. 

Elbethal-Bähn  [Ergänzungsnetz  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn].  Um 
der  Oesterreichischen  Nordwestbahn  eine 
grösstmögliche  Unabhängigkeit  bleibend 
zu  sichern,  waren  die  Concessionäre  der- 
selben, welchen  sich  zu  diesem  Behufe, 
an  Stelle  der  Süd-norddeutschen  Ver- 
bindungsbahn, das  Haus  Joh.  Liebieg 
&  Comp,  angeschlossen  hatte,  seitdem 
sie  die  Durchführung  der  Concession  für 
die  erstbezeichnete  Bahn  in  Vollzug  ge- 
setzt,   darauf  bedacht,    der  letzteren  eine 


Verbindung  mit  der  Hauptstadt  Böhmens 
und  einen  unmittelbaren  Anschluss  an 
die  sächsischen  Eisenbahnen  zu  ver- 
schaffen. Sie  Hessen  also,  nachdem 
ihnen  am  24.  December  1869  die  bezüg- 
liche Vorconcession  zutheil  geworden, 
das  Bauproject  für  die  Linie  Nimburg- 
Tetschen  nebst  Zweigbahn  nach  Prag 
ausarbeiten  und  suchten  bei  seiner  Vor- 
lage an  das  Ministerium  zugleich  um 
die  definitive  Concession  an. 

Sie  begegneten  jedoch,  wie  bei  der  Be- 
werbung um  die  Oesterreichische  Nord- 
westbahn, auch  jetzt  wieder  einer  heftigen 
Nebenbuhlerschaft.  Die  Aussig-Teplitzer 
Bahn,  deren  Stillleben  damals  durch  die  ihr 
bereits  erstandenen  und  noch  drohenden 
Concurrenzen  [Dux-Bodenbacher  Bahn, 
Bielathal-Bahn  etc.]  so  gründlich  gestört 
war,  dass  sie  allen  Ernstes  den  Versuch 
machte,  wenigstens  die  wichtigeren  der 
verschiedenerseits  projectirten  neuen  Ab- 
fuhrstrassen für  die  Kohle  aus  den 
Dux-Komotauer  Revieren  in  die  eigene 
Hand  zu  bekommen,  strebte  neben  an- 
deren Verbindungen  vornehmlich  jene 
von  Aussig,  einerseits  an  die  Grenze 
bei  Tetschen,  andererseits  in  südlicher 
Richtung  bis  nach  Nimburg  an,  und  zwar 
mit  einer  Emsigkeit  und  Geschicklichkeit, 
welche  die  hiedurch  ängstlich  gewordenen 
Nordwestbahn-Concessionäre  bestimmte, 
ihr  die  Bewerbung  in  guter  Gemein- 
schaft anzubieten ,  was  die  Aussig- 
Teplitzer  Bahn  aber  ganz  siegesgewiss 
ablehnte. 

Da  ergab  sich  bei  der  seitens 
der  Regierung  eingeleiteten  Sicherstellung 
einer  von  dem  hier  in  Rede  stehenden 
Projecte  ziemlich  fernab  gelegenen  Linie 
ein  merkwürdiger  Zwischenfall,  welchen 
die  Nordwestbahn-Concessionäre  sich 
flugs  zunutze  zu  machen  wussten.  Die 
Regierung  war  nämlich  durch  den  Prager 
Frieden,  beziehungsweise  die  Ministerial- 
Erklärung  vom  27.  August  1866,  welche 
als  Annex  dem  Friedensvertrage  bei- 
gegeben ist,  sowie  durch  den  am 
5.  August  1867  abgeschlossenen  Staats- 
vertrag [Artikel  III]  zwischen  Oester- 
reich  und  Preussen  verpflichtet,  die 
Herstellung  der  Bahn  von  Wildenschwert 
an  die  preussische  Grenze  bei  Mittel- 
walde in  der  Richtung  auf  Glatz,  binnen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


III 


sechs  Monaten,  nachdem  ihr  die  Sicher- 
stellung der  preussischen  Theilstrecke 
notificirt  wird,  zu  sichern  oder  die 
Concession  für  dieselbe  dem  Unter- 
nehmer der  preussischen  Anschlussstrecke, 
eventuell  der  königlich  preussischen  Re- 
gierung zu  überlassen.  Es  musste  ihr 
also  naturgemäss  auch  daran  gelegen 
sein,  dass  die  österreichische  Linie  eine 
österreichische      Unternehmuno:      bleibe. 


j  bahn  nach  Zöptau  und  zogen  nun  auch 
die  Linie  Wildenschwert-Mittelwalde  in 
die  Bewerbung  mit    ein. 

Die  Regierung  erkannte  das  Project 
der  Staatseisenbahn-Gesellschaft  als  das 
sowohl  in  technischer  wie  auch  in  volks- 
wirtschaftlicher Beziehung  zweckdien- 
lichere an,  pflog  daher  nur  mit  dieser 
Gesellschaft  die  Concessions-Verhand- 
lungen,  wobei  ihr  die  staatliche  Garantie 


Abb.  66.    Tetschen. 


Das  war  auch  leicht  zu  erzielen,  da 
genug  Bewerber  zur  Hand  gewesen, 
so  namentlich  der  Graf  Michael  Karl 
Althann,  das  Eisenbahn  -  Comite  in 
Mährisch-Schönberg,  der  Baurath  Karl 
Schwarz,  die  Staatseisenbahn  -  Gesell- 
schaft etc.  Letztere  bewarb  sich  le- 
diglich um  die  Linie  Wildenschwert- 
Mittelwalde  [1869],  das  Schönberger 
Comit6  und  der  Graf  Althann  hin- 
gegen [späterhin  in  Gemeinschaft]  be- 
warben sich  schon  seit  dem  Jahre  1867 
um  die  Linien  Hohenstadt-,  beziehungs- 
weise Sternberg-Niederlipka  nebst  Zweig- 


eines Reinerträgnisses  von  70.000  fl. 
pro  Meile  zugesichert  wurde,  und  brachte 
aus  Anlass  der  am  1.  August  1869  er- 
folgten Notification,  dass  preussischerseits 
die  Linie  Breslau  -  Glatz  -  Landesgrenze 
gegen  Wildenschwert  concessionirt  wurde, 
am  3.  März  1870  den  Gesetzentwurf  in 
Betreff  der  Concessionirung  der  Linie 
Wildenschwert-Landesgrenze  bei  Mittel- 
walde an  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
im  Abgeordnetenhause  ein. 

Da  sprang,  knapp  vor  Beginn  der 
Berathungen  über  diese  Vorlage,  das 
Schönberger     Comite      mit     dem     über- 


112 


Ignaz  Konta. 


raschenden  Anbote  dazwischen,  die  Bahn 
gegen  Gewährung  einer  Staatsgarantie 
von  nur  35.000  fl.  pro  Meile  auszu- 
führen, und  verursachte  damit  die  Zurück- 
ziehung der  Vorlage. 

Bevor  aber  eine  neue  eingebracht 
werden  konnte,  trat  die  Vertagung  des 
Reichsrathes  ein. 

In  dieser  für  die  Regierung  unangeneh- 
men Situation  erklärten  nun  die  Nordwest- 
bahn-Concessionäre  die  Herstellung  der 
Linie  Wildenschwert-Reichsgrenze  ohne 
alle  Staatsgarantie  zu  übernehmen,  wenn 
ihnen  gleichzeitig  die  Concession  für  die 
Elbethal-Bahn  verliehen  würde.  Dies  half 
der  Regierung  aus  der  Verlegenheit  und 
dem  gegenüber  konnten  auch  die  Be- 
strebungen der  Aussig-Teplitzer  Bahn, 
soweit  sie  auch  schon  gediehen  waren, 
nicht  mehr  Stand  halten. 

Die  Nordwestbahn-Concessionäre  ge- 
wannen also  die  Partie  und  erhielten 
am  25.  Juni  1870  die  Concession  für  die 
ursprünglich  angestrebte  Linie  von  Nim- 
b u r g  an  die  sächsische  Grenze  bei 
Tetschen  nebst  der  Abzweigung  nach 
Prag,  wie  auch  für  die  Linie  Wilden- 
schwert-Preussis  che  Grenze  bei 
Niederlipka  und  für  die  Verbindungen 
dieser  neuen  Linien  mit  dem  Netze  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn  [Gross- 
Wossek-Chlumetz-Geiersberg  und  Wil- 
densch  wert-Hlinsko] . 

Als  staatliche  Begünstigung  wurde  da- 
bei die  Steuerfreiheit  in  dem  auf  Grund 
des  Gesetzes  vom  13.  April  1870  zuläs- 
sigen Höchstausmasse,  nämlich  auf  die 
Dauer  von  dreissig  Jahren  gewährt. 
Für  den  Fall,  als  die  Erfordernisse  des 
Verkehres  es  erheischen  sollten,  kann  in 
der  Folge  eine  kürzere  Verbindung 
zwischen  Nimburg  und  Chlumetz  her- 
gestellt werden,  dagegen  obliegt  den 
Concessionären,  sobald  die  Regierung 
dies  verlangt,  die  Verbindung  der  Linie 
Nimburg-Tetschen  von  Melnik  aus  mit 
der  Turnau-Kraluper  Bahn  bei  Neratovic 
am  rechten  Elbeufer  sowie  bei  Aussig 
die  Herstellung  eines  Anschlusses  an  die 
Eisenbahnen  am  linken  Ufer  der  Elbe. 

Die  Vollendungsfristen  waren  fol- 
gendermassen  festgesetzt :  Nimburg- 
Tetschen  sammt  Zweigbahn  Lissa- 
Prag,    vier   Jahre;     Niederlipka  -  Wilden- 


schwert, der  Zeitpunkt,  in  welchem 
die  preussische  Anschlussstrecke  aus- 
gebaut wird  [das  ist  nicht  vor  Ende  1872]; 
eine  der  Verbindungen  mit  der  Nord- 
westbahn binnen  zwei,  die  anderen 
binnen  vier  Jahren  nach  der  Eröffnung 
der  Wildenschwerter  Linie. 

Wie  aus  der  Concession  das  Recht 
zur  Vereinigung  der  neuen  Linien  mit 
der  Nordwestbahn,  ist  den  Concessionären 
aus  dem  am  20.  Juni  1870  errichteten 
Protokolle  zu  den  Concessions-Bedingun- 
gen  die  Pflicht  erwachsen,  diese  Fusion 
» wirksam  anzustreben » .  In  diesem  Pro- 
tokolle haben  sie  sich  auch  anheischig 
gemacht,  die  Abzweigung  nach  Prag 
auf  Verlangen  der  Regierung  derart  zu 
führen,  dass  die  Uebersetzung  der  Elbe 
nächst  Altbunzlau-Brandeis  erfolge. 

Da  es  von  ihnen  seit  jeher  beabsich- 
tigt gewesen,  die  beiden  Unternehmungen 
zu  vereinigen,  überliessen  die  Conces- 
sionäre  ihre  neue  Concession  alsbald 
an  die  Nordwestbahn,  welcher  die 
wichtige  und  werthvolle  Ergänzung  des 
alten  Netzes  überaus  willkommen  war. 
Formaliter  wurde  die  Uebernahme 
seitens  der  am  15.  Mai  1871  dieserwegen 
abgehaltenen  ausserordentlichen  General- 
versammlung der  Nordwestbahn- Actionäre 
beschlossen,  welche  den  Verwaltungsrath 
auch  mit  den  Vollmachten  zur  Durch- 
führung der  Concession,  insbesonders  zur 
Beschaffung  der  Geldmittel  durch  Aus- 
gabe von  150.000  Actien  lit.  B.  ä  200  fl. 
[=  30,000.000  fl.]  und  149.000  Priori- 
täts  -  Obligationen  lit.  B  ä  200  fl. 
[=  29,800.000  fl.]  versah,  und  die  hie- 
durch  bedingten  Statuten-Aenderungen 
genehmigte.  Die  behördliche  Bestätigung 
der  letzeren  erfolgte  am  2.  Juni  1871. 
Für  die  neuen  Linien  wurde  die  Bezeich- 
nung »Ergänzungsnetz«  gewählt  und 
ist  eine  völlig  gesonderte  Rechnung  zu  füh- 
ren, wiewohl  sie  im  Uebrigen  einen  inte- 
grirenden  Bestandtheil  der  Nordwestbahn 
bilden. 

Den  Bau  und  die  Ausrüstung  des  Er- 
gänzungsnetzes übernahm  auf  Grund 
der  noch  mit  den  Concessionären  geschlos- 
senen Verträge  der  Wiener  Bankverein, 
dem  hiefür  die  sämmtlichen  neuen  Titel 
behändigt  wurden  und  der  hie  von  in  den 
Tagen  vom  12.  bis  17.  Juni  1871  vorerst 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


113 


90.000  Actien  lit.  B  zum  Curse  von 
178  fl.  emittirte,  beziehungsweise  den 
Besitzern  der  alten  Actien  überliess. 

Mit  den  Bauarbeiten  wurde  im  Sommer 
1871  begonnen;  im  Verlaufe  derselben  er- 
fuhr jedoch  das  ursprüngliche  Programm 
insoferne  eine  Aenderung,  als  die  Ver- 
bindung Wildenschwert-Hlinsko  [an  der 
Linie  Deutschbrod-Pardubitz]  wegen  ihrer 
Kostspieligkeit  und  minderen  Ertrags- 
fähigkeit vorerst  fallen  gelassen,  hingegen 
die  Aussiger  Verbindungsbahn  sogleich 
in  den  Bau  miteinbezogen  wurde.  Diese 
Aenderung  brachte  noch  andere  mit  sich ; 
erstens :  Die  Auflösung  des  Vertrages  mit 
dem  Wiener  Bankverein,  als  General- 
Bauunternehmung  und  die  Weiterführung 
des  Baues  in  eigener  Regie  der  Gesell- 
schaft, zweitens:  Die  Verschiebung  der 
finanziellen  Grundlage  des  Ergänzungs- 
netzes, da  dem  Wegfalle  des  für  die  Linie 
Wildenschwert-Hlinsko  mit  4,500.000  fl. 
veranschlagten  Capitales  nur  die  Kosten 
für  die  Aussiger  Verbindungsbahn  [ein- 
schliesslich der  Elbebrücke]  im  Belaufe 
von  1,000.000  fl.  gegenüberstanden,  sohin 
3,500.000  fl.  verfügbar  blieben,  welche 
mit  Zustimmung  der  Generalversamm- 
lung vom  27.  Juni  1872  theilweise  zur 
Deckung  von  Erfordernissen  des  alten 
Netzes  verwendet  wurden. 

Die  Gesellschaft  hatte  nämlich  an 
den  Bauunternehmer  des  alten  Netzes 
für  Mehrleistungen  etc.  eine  im  Ver- 
gleichswege vereinbarte  Summe  von 
5,940.000  fl.,  ferner  ihren  Antheil  an 
dem  Kaufschillinge  und  an  den  Kosten 
des  Umbaues  der  Wiener  Verbin- 
dungsbahn im  Gesammtbetrage  von 
600.000  fl.  zu  entrichten  und  für  den 
Jedlesee'er  Rangir-Bahnhof  aufzuwenden 
—  besass  aber  von  dem  Capitale  des 
alten  Netzes  nur  die,  hauptsächlich  aus 
dem  Aufgeben  der  Verbindung  vom 
Wiener  Nordwestbahnhofe  zum  Praterstern 
resultirende  Summe  von  3,733.000  fl. 
Sie  nahm  darum  von  dem  erübrigten 
Capitale  des  Ergänzungsnetzes  den  Betrag 
von  2,960.838  fl.  zu  Hilfe  und  überwies 
die  restlichen  539.163  fl.  den  Reserven 
des    letzteren   Netzes. 

Dadurch  erhöhte  sich  das  Anlage- 
Capital  des  alten  [garantirten]  Netzes 
auf   80,310.000    fl.,     während  jenes    des 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theit. 


Ergänzungsnetzes  sich  eigentlich  auf 
56,840.000  fl.  verringerte.  Zu  diesen 
Capitalien  kam  damals  noch  eine 
zum  Baue  von  Arbeiter-  und  Beamten- 
Wohnhäusern  bestimmte  Specialanleihe 
von  2,000.000  fl.  hinzu. 

Damals  trug  sich  die  Gesellschaft 
neuerdings  mit  mehreren  Fortsetzungs- 
plänen, darunter  insbesonders  jenen  für 
die  Linien :  Tetschen-Schandau,  eventuell 
Dresden,  Jedlesee-Pressburg,  Trebitsch- 
Brünn,  und  für  eine  Verbindungsbahn 
vom  Wiener  Bahnhofe  der  Nordwestbahn 
zur  Südbahn  und  Westbahn  ;  sie  blieben 
jedoch  allesammt  nur  Projecte.    ■ 

Der  Bau  des  Ergänzungsnetzes  erlitt 
keine  namhaften  Störungen;  es  wurden 
eröffnet : 

Nimburg-Lissa-Prag,  48*5  km,  4.  October  1873. 
Chlumetz-Königgrätz,27-8^jn,  4-October  1873. 
Lissa-Schreckenstein,  936  km,  I.Januar  1874. 
Aussiger  Verbindungsbahn,  P5  km,  I.  Januar 

1874. 
Königgrätz-  Geiersberg  -Lichtenau,   828    km, 

14.  Januar  1874. 
Schreckenstein-Tetschen-Mittelgrund,  28  8  km , 

5.  October  1874. 
Geiersberg-Wildenschwert,  13  gkm,  5.  October 

1874. 
Wichstadtl-Lichtenau-Reichsgrenze,    24   km, 

15.  October  1875. 

[Am  10  ,  beziehungsweise  22.  September 
1874  wurde  auch  die  zum  alten  Netze  ge- 
hörende Schleppbahn  von  Korneuburg  zur 
Donaulände,  l-5  km  lang,  eröffnet.] 

Die  Bahn  von  N  i  m  b  u  r  g  nach  Tetschen 
zieht  von  der  Station  Nimburg  der  Haupt- 
bahn nach  Lissa,  von  wo  der  Prager 
Flügel  abzweigt,  übersetzt  den  Iserfluss 
bei  Laubendorf  mit  einer  90  m  weiten 
eisernen  Brücke,  berührt  die  Punkte  Alt- 
Bunzlau,  Dfis  und  Vsetat  [Piivor]  in  der 
Weise,  dass  die  Turnau-Kralup-Prager  Eisen- 
bahn, bei  letzterem  Orte  mittels  einer  Rampe 
überfahren  und  die  Anlage  eines  mit  dieser 
Bahn  gemeinschaftlichen  Bahnhofes  ohne 
Geleiseüberschreitung  im  Niveau  ermöglicht 
I  wurde.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Trace 
I  werden  die  dem  Elbethal  parallel  liegenden 
Thäler,  deren  niederste  Wasserscheide  die- 
;  jenige  bei  Klein -Aujezd  [182  m  absolute 
:  Meereshöhe]  ist,  durchzogen,  und  geht  die 
Bahn  an  Melnik  vorüber,  schmiegt  sich 
später  auf  eine  Länge  von  2700  m  dem  Laufe 
des  Elbestromes  vollkommen  an,  weshalb 
der  Bahnkörper  an  der  Wasserseite  mit 
massiven  einfüssigen  Steinsätzen  gegen  den 
Einfluss  der  Hochwässer,  die  das  Üferterrain 
in  einer  Mächtigkeit  von  durchschnittlich 
5  m  überdecken,  geschützt  werden  musste, 
und  erreicht  die  Station  Liboch. 


114 


Ignaz  Konta. 


In  der  nordwestlichen  Fortsetzungslinie 
gegen  Kieschitz  wurde  das  scharfe  Knie, 
welches  die  Elbe  südlich  gegen  Raudnitz 
bildet,  dadurch  abgeschnitten,  dass  derRücken, 
welcher  das  Elbethal  von  dem  Parallelthal 
des  Obertkabaches  nächst  Gastorf  trennt, 
mittels  eines  1200  m  langen  und  12  m  tiefen 
Einschnittes  durchbrochen  wurde;  hiebei 
werden  die  Orte  Wegstädtl,  Gastorf  und 
Polepp  berührt. 

Von  Kieschitz  ab  folgt  der  Zug  der  Bahn, 
mit  Abschneidung  der  Flusskrümmung  bei  Ca- 
lositz,  jenem  der  Elbe  bis  gegen  Schreckenstein. 

Besondere  Schwierigkeiten  hatte  der  Bau 
dieser  Strecke  beiLeitmeritz  gefunden,  welche 
Stadt  theilweise  mit  einem  296  m  langen 
Tunnel  unterfahren  werden  musste,  ferner 
bei  den  steilen  Felslehnen  zwischen  Cernosek 
und  Libochovan. 

Vom  Bahnhofe  Schreckenstein  zieht  die 
Bahn,  sich  fortwährend  dem  Laufe  der  Elbe 
anschmiegend,  über  Schwaden  nach  Gross- 
Priesen,  von  da  ohne  erhebliche  Schwie- 
rigkeiten nach  Tichlowitz,  durchfährt  den 
Jungfernstein  in  einem  68  m  langen  Tunnel, 
übersetzt  nach  einer  scharfen  Einbiegung 
in  das  Pulsnitzthal  die  Böhmische  Nord- 
bahn und  den  Pulsnitzfluss  und  mündet 
in  die  2000  m  lange,  zur  Zollmanipulation 
eingerichtete,  in  der  unmittelbaren  Nähe  der 
Stadt  Tetschen  mit  dem  Bahnhofe  der 
Böhmischen  Nordbahn  verbundene  Station 
Tetschen  ein.  Vom  Bahnhofe  Tetschen  ab 
fährt  die  Bahn  mit  einem  430  in  langen, 
auf  eine  Länge  von  150  m  durch  schwim- 
mendes Terrain  führenden  Tunnel  durch 
den  Quaderberg  und  übersetzt  die  Elbe  auf 
einer  grossen  Gitterbrücke  von  200  111  Spann- 
weite. Zum  Anschlüsse  an  die  sächsischen 
Staatsbahnen  wurde  am  linken  Elbeuferhinter 
der  Brücke  die  Rangirstation  Mittelgrund 
erbaut,  welche  damals  den  nördlichen  Ab- 
schlusspunkt desErgänzungsnetzes  der  Oester- 
Teichischen  Nordwestbahn  bildete. 

Der  Flügel  Lissa-Prag  von  der  Station 
Lissa  der  Elbethalbahn  ausgehend,  übersetzt 
die  Elbe  auf  einer  Fachwerkbrücke  zu  vier 
Oeffnungen  ä  40  in  Stützweite  nächst  der 
Station  Celakowitz,  zieht  über  Mstetic  und 
Chwäla-Pocernic,  indem  sie  bei  letzterem 
Orte  die  Wasserscheide  zwischen  Moldau 
und  Elbe  [282  in  Meereshöhe]  überschreitet; 
sodann  schliesst  sie  sich  an  den  Bahnkörper 
der  Neratowitzer  Linie  der  Turnau-Kralup- 
Prager  Eisenbahn  an,  verlässt  dieselbe 
erst  unterhalb  des  mit  dieser  Bahn  gemein- 
schaftlich erbauten  Bahnhofes  Wysocan  und 
unterfährt  dieselbe  sodann  vor  dem  Orte 
Lieben;  hierauf  folgt  sie  bis  zur  Einfahrt  in 
den  Bahnhof  Prag  der  Moldau  und  übersetzt 
vor  Prag  durch  eine  70  m  weite,  sehr  schräg 

festeilte    Brücke    den    Prag-Karolinenthaler 
chiffahrts-  und  Landungscanal. 

Die  1  km  lange  Aussiger  Verbin- 
dungsbahn vom  Bahnhof  Schreckenstein 
ausgehend  überschreitet  den  Elbestrom  und  die 
Staatsbahn  mit  einer  3106  in  langen,  für  den 


Strassen-  und  Eisenbahn -Verkehr  bestimmten 
Fachwerkbrücke  und  mündet,  nachdem  der 
Bielafluss  mit  einer  sehr  schräg  gestellten, 
50  in  weiten  Eisenbrücke  passirt  ist,  in  den 
Bahnhof  Aussig  der  Aussig-Teplitzer  Bahn  ein. 

Die  Linie  C  h  1  u  m  e  t  z-L  i  c  h  t  e  n  a  u  [Mittel- 
walde] beginnt  in  der  Station  Chlumetz  der 
Gross-Wossek-Trautenauer  Flügelbahn  und 
übersetzt  den  Cidlinafluss.  Bis  Königgrätz  ist 
die  Trace  im  günstigen  Terrain  meist  gerade 
gezogen. 

In  Königgrätz  findet  der  Anschluss  an 
die  Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn  statt 
und  hierauf  die  Ueberschreitung  des  Elbe- 
flusses, mit  einer  50  m  weiten  Brücke,  der 
noch  eine  20  in  weite  Inundationsbrücke 
beigegeben  wurde. 

An  Hohenbruck,  Tynilt  und  Adler- 
Kosteletz  vorbei  gelangt  die  Bahn  ohne  be- 
sondere Schwierigkeiten  längs  des  wilden 
Adlerflusses  bis  Doudleb,  von  wo  ab  das 
Terrain  den  Charakter  der  Bahn  bedeutend 
ändert;  die  Construction  des  Bahnkörpers 
erforderte  namentlich  in  der  Nähe  des 
Lititzer  Tunnels,  wo  sich  die  Bahn  bis  30  in 
über  die  Thalsohle  erhebt  und  an  den  steilen 
Lehnen  geführt  werden  musste,  die  An- 
wendung ziemlich  kostspieliger  Stütz-  und 
Futtermauern  und  grösserer  Kunstbauten  in 
den  hohen  Dämmen,  von  denen  die  Ueber- 
setzung  des  Thaies  der  Stillen  Adler  bei 
Pottenstein,  die  bedeutendste  ist. 

Der  nun  folgende  Gebirgsrücken  zwischen 
der  Wilden  und  Stillen  Adler  wird  bis  Geiers- 
berg mit  der  grösstvorkommenden  Steigung 
von  1:90  [n'Voo]  und  dem  Radius  300  in 
[Station  Senftenberg4i5  m  absolute  Meeres- 
höhe] überschritten  und  übersetzt  die  Bahn 
in  ihrer  Fortsetzung  gegen  Lichtenau  zwei- 
mal die  vielfach  gekrümmte  Stille  Adler  mit 
eisernen  Fachwerksbrücken  zu  je  20  m  Licht- 
weite, und  zwar  bei  Wetzdorf  und  nächst 
Wichstadtl.  In  der  günstigen  Einsattlung 
zwischen  den  Orten  Lichtenau  und  Nieder- 
lipka  tritt  die  Bahnlinie  aus  dem  Adlerthale 
in  das  Flussgebiet  der  Neisse.  Von  Lichtenau 
aus  erreicht  die  Bahn  in  einer  Entfernung 
von  r8  km  die  österreichisch  -  preussische 
Grenze  und  die  nach  Glatz  führende 
oberschlesische  Eisenbahn;  1300  m  hinter  der 
Station  Lichtenau  findet  sie  Anschluss  an  die 
nach  Grulich  und  Sternberg  führende  Mäh- 
rische Grenzbahn. 

Die  Strecke  Geiersberg-Wilden- 
schwert tritt  nach  Ueberschreitung  der 
Adler  in  das  Thal  der  Stillen  Adler  und  wendet 
sich,  nachdem  sie  diesen  Fluss  übersetzt, 
westlich,  um  in  den  mit  der  Staatseisenbahn 
gemeinschaftlichen  Bahnhof  Wildenschwert 
einzumünden.  [Abb.  64 — 66.] 

Prag-Duxer  Eisenbahn.  Was 
in  Hinsicht  auf  die  Ausfuhr  der  Braun- 
kohle aus  dem  Duxer  Becken,  zur  Grün- 
dung der  Dux-Bodenbacher  Bahn  Ver- 
anlassung   gegeben,    nämlich   die  Schaf- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


"5 


fung  einer  neuen  Abfuhrsstrasse,  hatte  in 
Betreff  der  Verfrachtung  jener  Kohle  nach 
dem  Innern  Böhmens  auch  das  Project 
der  Prag-Duxer  Bahn  gezeitigt.  Man  er- 
achtete den  aus  der  Aussig-Teplitzer  Bahn 
[Komotau-Dux-Aussig]  und  der  Strecke 
Aussig  -  Prag  der  Oesterreichischen 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  bestehenden 
Schienenweg,  wegen  der  Ueberlastung 
der  erstgenannten  Bahn,  als  unzureichend 
—  den  aus  den  Linien  Dux-Komotau  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  und  Komotau- 
Prag  der  Buschtöhrader  Bahn  zusammen- 
gesetzten zweiten  Schienenweg  aus  dem 
Duxer  Braunkohlen-Reviere  nach  Prag  aber 
nicht  für  zweckentsprechend  und  unab- 
hängig genug,  weil  die  Buschtöhrader 
Bahn  auch  dem  Buschtehrad-Kladno'er 
Reviere  dient,  und  wollte  darum  noch 
eine  dritte  Bahn  haben. 

Die  vielen  Bewerbungen  um  diese  Bahn 
konnten,  soweit  sie  nicht  etwa  auf  die  da- 
mals schon  sehr  merklich  gewesene  Con- 
cessions-Hascherei  zurückzuführen  waren, 
als  ein  Beweis  dafür  gelten,  dass  sie  ein 
Bedürfnis  sei.  Nicht  weniger  als  sieben 
Concurrenten  standen  fast  gleichzeitig  auf 
dem  Plane,  nämlich  die  Consortien :  Graf 
Thun-Hohenstein  und  Genossen,  Fink- 
Sladkovsky  und  Schier-Küstner- Solch, 
ferner  die  Firma  Johann  Liebieg  &  Comp., 
Dr.  Franz  Stradal,  die  Böhmische  West- 
bahn und  die  Buschtöhrader  Bahn  in  Ge- 
meinschaft mit  der  Aussig-Teplitzer  Bahn. 

Angesichts  dessen  hatte  das  Handels- 
ministerium,   das    am    25.  Februar   1870 
einen     Gesetzentwurf 
betreffend  die  Conces- 
sionirung  dieser  Bahn 

im  Abgeordneten- 
hause einbrachte,  je- 
doch am  3.  März 
wieder  zurückzog,  — 
zur  Bethätigung  seiner 
vollen  Objectivität 
eine  förmliche  Offert- 
verhandlung veran- 
staltet und  die  Ein- 
bringung der  Ange- 
bote auf  den  5.  Mai 
1870  anberaumt. 

Dies  veranlasste 
die  genannten  Bahn- 
gesellschaften von  der 


Sache  abzustehen ;  die  Böhmische  West- 
bahn wollte  zu  den  Berechnungen  nicht  ge- 
nügend Zeit  gefunden  haben  und  die  beiden 
anderen  Bahnen,  denen  es  eigentlich  um 
die  Linie  Preschen  [Aussig-Teplitzer  Bahn]- 
Laun-Kunova  [Buschtöhrader  Bahn]  zu 
thun  gewesen  wäre,  fanden  kein  Gefallen 
an  einer  neuen  directen  Linie  Prag-Dux. 
Da  weiters  auch  Dr.  Stradal,  der  nicht  eine 
einzelne  Linie  sondern  ein  ganzes  Bahn- 
netz anstrebte,  die  Bewerbung  fallen  liess 
und  das  Consortium  Schier- Küstner-Sölch 
auch  die  seine  aufgegeben,  waren  zuletzt 
nur  noch  die  Consortien  Thun-Hohen- 
stein und  Fink  -  Sladkovsky,  die  sich 
aber  in  letzter  Stunde  verständigt  haben 
sollen,  und  das  Haus  Liebieg  im  Wett- 
bewerbe, bei  welchem  das  Angebot  des 
Consortiums  Thun-Hohenstein  und 
Genossen  sich  als  das  günstigste  erwies. 
Der  Sieg  fiel  also  diesem,  auch 
von  der  Sympathie  der  betheiligten  Be- 
völkerung getragenen  Consortium  zu, 
und  das  Haus  Liebieg  mag  nun  bedauert 
haben,  dass  es  im  Verwaltungsrathe  der 
Dux-Bodenbacher  Bahn,  beziehungsweise 
in  deren  Generalversammlung  vom  26. 
März  1870,  den  Stradal'schen  Antrag: 
»es  sei  zu  Händen  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn  um  die  Concession  für  eine  Eisen- 
bahn von  Dux  nach  Prag  und  von  Dux 
nach  Olbernhau  einzuschreiten«,  wegen 
der  eigenen  [Liebieg'schen]  Bewerbung 
zu  Falle  gebracht  hatte,  was  übrigens,  wie 
sich  alsbald  zeigte,  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn    nur    zum    Heile    gereichte,    wenn 


Abb.  67.     Prag-Duxer  Eisenbahn.  [Egerbrücke  bei  Laun.] 


n6 


Ignaz  Konta. 


anders  ihr  Project  nicht  etwa  viel  besser 
und  billiger  gewesen  wäre,  als  jenes  des 
Grafen    Thun-Hohenstein. 

Die  Concessions- Verhandlungen  mit 
dem  Consortium  des  Grafen  Thun-Hohen- 
stein und  der  ihm  damals  noch  beige- 
tretenen  Anglobank    fanden    am    3.  Juni 

1870  ihren  Abschluss.  Die  ihnen  am 
25.  Juni  1870  zutheil  gewordene  Con- 
cession  für  die  Linie  von  Prag  [Smi- 
chov]  nach  Dux  mit  einer  Zweigbahn 
nach  B  r  ü  x  gewährte  diesem  neuen 
Unternehmen,  auf  Grund  des  Gesetzes 
vom  13.  April  1870,  eine  zwanzigjährige 
Steuerfreiheit  und  verpflichtete  die  Con- 
cessionäre,  die  Bahn  binnen  drei  Monaten 
in  Bau  zu  nehmen  und  dann  längstens 
innerhalb  dreier  Jahre  zu  vollenden. 

Der  erste  dieser  Termine  konnte 
nicht  eingehalten  werden,  weil  die 
durch  den  Ausbruch  des  deutsch-fran- 
zösischen Krieges  verschlechterte  Lage 
des  Geldmarktes  die  Emission  der  Titel 
verzögerte.  Ueber  a.  h.  Entschliessung 
vom  9.  October  1870  wurde  der   I.  April 

1871  als  neuer  Termin  bewilligt.  Die 
Zwischenzeit  ging  übrigens  nicht  nutz- 
los verloren. 

Es  wurde  die  Strittigkeit  wegen 
der  mit  dem  Tracenzuge  der  Pilsen- 
Priesener  Bahn  sich  deckenden  Theil- 
strecken  Sedlitz-Dux  und  Obernitz-Brüx 
ein  vernehmlich,  wie  auch  mit  a.  h. 
Genehmigung  vom  2.  December  1870, 
dahin  geschlichtet,  dass  die  den  beiden 
Unternehmungen  gleichmässig  conces- 
sionirte  Strecke,  zum  gemeinsamen  Be- 
triebe und  auf  gemeinsame  Kosten,  doppel- 
geleisig  hergestellt  werde ;  ferner  wurde 
die  Geldbeschaffung  endgiltig  mit  der 
Anglobank,  welche  die  sämmtlichen 
Titel  übernahm,  vereinbart,  und  die 
Vorconcession  erworben  [25.  October] 
für  eine  Fortsetzung  der  Bahn  von  B  r  ü  x 
über  Klostergrab  bis  an  die  sächsische 
Grenze  bei  Mulde  [gegen  Freiberg], 
welche  ebenso  wie  die  Verbindung  gegen 
Pirna  hin  in  dem  zwischen  Oesterreich- 
Ungarn  und  Sachsen  am  24.  December 
1870  abgeschlossenen  Staatsvertrage  vor- 
gesehen ist. 

Zu  Beginn  des  Jahres  1 871  fand  die 
Vorlage  der  Statuten  und  nachdem 
dieselben     am     25.     Februar     1871    die 


behördliche  Genehmigung  erhalten  hatten, 
am  1.  März  1871  die  Constituirung  der 
Actien-Gesellschaft:  »K.  k.  priv.  Prag- 
Duxer  Eisenbahn«  [Sitz  in  Prag]  statt, 
deren  Capital  vorerst  mit  8,100.000  fl. 
in  Actien  [54.000  Stück  ä  150  fl.]  und 
12,150.000  fl.  in  Prioritäts-Obligationen 
[81.000  ä  Stück  150  fl.]  festgesetzt 
wurde.  Von  diesen  Werthen  legte  die 
Anglobank  am  16.  März  1871  einen 
Theilbetrag  von  9,000.000  fl.,  nämlich 
je  30.000  Actien  und  Prioritäts-Obliga- 
tionen, erstere  zum  Curse  von  66°/0, 
letztere  zum  Curse  von  71%,  zur  öffent- 
lichen Zeichnung  auf,  welche  ein  gutes 
Ergebnis  lieferte.  Zur  Führung  der 
Geschäfte  wurde  eine  General-Direction 
errichtet  und  an  die  Spitze  derselben 
der  Central-Inspector  der  Böhmischen 
Westbahn,  Franz  M  r  ä  z,  gestellt. 

Der  in  der  Strecke  Prag-Sedlitz  an  die 
Unternehmer  Karl  Schnabel,  Johann 
und  Wenzel  Muzika,  in  den  übrigen 
Strecken  an  die  Unternehmer  Adalbert 
von  Lanna,  Johann  Schebeck  und 
Max  Grobe  vergebene  Bau  wurde  am 
1.  April  187 1  in  Angriff  genommen  und 
so  eifrig  geführt,  dass  im  Jahre  1872 
schon  mehr  als  40  km  Bahn  vollendet 
waren. 

Inmitten  dieser  Thätigkeit  sah  die 
Gesellschaft  auch  ihr  Fortsetzungsproject 
der  Verwirklichung  entgegen  gehen. 
Ihre  eigene  Bemühungen,  wie  auch 
das  Interesse,  welches  die  Leipzig- 
Dresdener  Bahn  damals  für  die  Ver- 
bindung Brüx  -  Freiberg  an  den  Tag 
legte,  bestimmten  das  Ministerium,  dem 
vorerwähnten  Staatsvertrage  gleich  jetzt 
gerecht  zu  werden.  Es  legte  am  7.  Juni 
1872  dem  Abgeordnetenhause  zwei  Ge- 
setzentwürfe über  die  Sicherstellung  des 
österreichischen  Theiles  einerseits  der 
Freiberger,  andererseits  der  Pirnaer  Ver- 
bindung vor,  von  denen  die  erstere  mit 
Zustimmung  der  k.  sächsischen  Regie- 
rung als  Ersatz  für  die  in  dem  Staats- 
vertrage ausdrücklich  bezeichnete,  jedoch 
nicht  zustande  gekommene  Linie  Lobo- 
sitz-Dux-Freiberg  galt  und  geradewegs 
zur  Concessionirung  an  die  Prag-Duxer 
Bahn  in  Aussicht  genommen  war. 

Nachdem  diese  Vorlagen  rasch  er- 
ledigt,    beziehungsweise     am     28.    Juni 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


117 


1872  der  a.  h.  Sanction  theilhaftig  ge- 
worden waren,  erhielt  die  Gesellschaft 
am  4.  September  1872  die  Concession 
für  die  Linie  Brüx-Ossegg-Kloster- 
grab-Niklasberg-Sächsi sehe  Grenze 
bei  Mulde,  unter  der  Verpflichtung,  auch 
eine  Verbindungsbahn  von  Neustadt 
an  die  sächsische  Grenze  zum  Anschlüsse 
an  die  Müglitzthal-Bahn  herzustellen, 
sobald  die  Regierung  dies  verlangt  und 
die  bezüglichen  Modalitäten  festgestellt 
haben  würde.  Beide  Verbindungen  sollten 
integrirende  Bestandtheile  der  Prag- 
Duxer  Bahn  sein.  Als  staatliche  Begünsti- 
gung für  die  Linie  Brüx-Mulde  wurde 
eine  zehnjährige  Steuerfreiheit  gewährt, 
auch  in  der  Weise,  dass  die  Ent- 
richtung der  Steuer  nach  Massgabe  des 
Verhältnisses  der  Meilenlänge  der  alten 
zu  der  neuen  Linie  stattfindet.  Die  Bau- 
fristen wurden  bestimmt :  für  die  Strecke 
Brüx  -  Klostergrab  mit  zwei,  für  die 
weitere  Strecke  mit  längstens  drei  Jahren, 
wenn  nicht  die  sächsische  Anschluss- 
strecke von  Freiberg  an  die  böhmische 
Grenze  früher  eröffnet  wird,  wo  dann 
gleichzeitig  mit  dieser  auch  die  Strecke 
Klostergrab-Mulde  in  Betrieb  zu  setzen 
wäre. 

Die  am  15.  October  1872  abgehaltene 
ausserordentliche  Generalversammlung 
genehmigte  nicht  nur  die  Uebernahme 
dieser  Concession,  sondern  ermächtigte 
auch  den  Verwaltungsrath,  hinsichtlich 
der  Verbindung  Klostergrab-Sächsische 
Grenze  gegen  Pirna,  gleichfalls  geeig- 
nete Schritte  zu  unternehmen  und  zum 
Zwecke  der  Vollziehung  der  Concession 
vom  4.  September  1872  alles  Erforder- 
liche vorzukehren ,  insbesondere  die  zur 
Deckung -des  Baufonds  nöthigen  Geld- 
mittel im  Betrage  von  effectiv  5, 192.81 7  fl. 
durch  Ausgabe  neuer  Actien  und  Obliga- 
tionen zu    beschaffen. 

Der  Form  nach  war  dies  bald  gesche- 
hen ;  drei  Geldkräfte :  die  Dresdener  Bank 
und  das  Bankhaus  Erlanger  im  Vereine 
mit  der  Deutsch-österreichischen  Bank  in 
Frankfurt  a.  M.  theilten  sich  in  die  Auf- 
gabe der  Geldbeschaffung;  erstere  über- 
nahm die  Prioritäts-Obligationen  im  Be- 
trage von  nom.  3,900.000  fl.  und  die 
letztere  Gemeinschaft  die  Actien  im  Be- 
trage     von      nom.      2,600.000    fl.      »zur 


Placirung«.  Der  Bau  wurde  der  Unter- 
nehmung Xowak  &  Teirich  übertragen, 
welche  die  Arbeiten  im  Frühjahre  1873 
in  Gang  setzte. 

In  Wirklichkeit  aber  schlug  die  Geld- 
beschaffung fehl  und  brachte  sohin  auch 
den  Bau  ins  Stocken.  Erst  nach  Jahren 
und  mit  Beihilfe  der  Regierung  konnte 
er  wieder  aufgenommen  und  in  der  Theil- 
strecke  Brüx-Klostergrab  auch  zu  Ende 
geführt  werden.  Das  Glück,  welches 
den  Gründern  geleuchtet  hatte,  war  der 
Gesellschaft  untreu  geworden;  sie  verfiel 
einem  finanziellen  Siechthum,  das  immer 


Abb    68.     Prag-Duxer  Eisenbahn  [bei  St.  ProcopiJ. 

mehr  zunahm,  je  weniger  die  Betriebs- 
ergebnisse ausreichten,  die  Verzinsung  der 
Prioritäts-Obligationen,  geschweige  denn 
die  gesammten  hohen  Anlagekosten  zu 
decken.  Die  alte  Linie  wurde  jedoch 
vollendet,  bevor  noch  der  jähe  Wechsel 
der  gesellschaftlichen  Lage  allgemein 
bekannt  geworden.  Es  gelangten  zur  Er- 
öffnung : 

Chlumcan-Obernitz-Brüx,  316  km  [für  den 
Güterverkehr],  am  21.  November  1872. 

Obernitz-Bilin,  10  km  [für  den  Güterverkehr], 
am  21.  November  1872. 

Dieselben  Strecken  für  den  Gesammtver- 
kehr  am  2.  Januar  1873. 

Chlum<$an-Schlan,  38  km,  am  2.  Januar  1873. 

Schlan-Prag,  54- 1  km,  am  12.  Mai  1873. 

Bilin-Dux  [Ladowitz],  2-5  km,  für  den  Güter- 
verkehr am  1.  November  1873;  für  den 
Gesammtverkehr  am  I.  April  1874. 

Die  Prag-Duxer  Bahn,   die  auf  ihrem 
ganzen  Zuge    von    der  Hauptstadt  Böhmens 


n8 


Ignaz  Konta. 


bis  an  die  sächsische  Grenze  eine  nordwest- 
liche Richtung  einhält,  hat  ihren  Ausgangs- 
punkt in  dem  mit  der  Böhmischen  Westbahn 
gemeinschaftlichen  Bahnhofe  Smichov,  der 
ausserdem  auch  mit  der  Buschtßhrader  Bahn 
und  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  in  unmittel- 
barer Verbindung  steht. 

Die  Trace  zieht  eine  kurze  Strecke  auf 
gemeinschaftlichem  Bahnkörper  mit  der  Böh- 
mischen Westbahn  dahin,  wendet  sich  dann 
rechts  in  das  Hluboceper  Thal,  unterfährt 
hier  zweimal  vor  der  Station  Hluboäep  die 
Linie  Smichov-Hostiwitz  der  Buschtehrader 
Bahn,  führt  weiter  in  der  Thalrichtung  und 
erreicht  zwischen  den  Stationen  Dusnik  und 
Litowitz  auf  der  westlich  von  Prag  gelegenen 
Hochebene  ihren  höchsten  Punkt  [4019  m 
Seehöhe]. 

Von  hier  aus  die  nördliche  Richtung  ver- 
folgend, führt  sie  über  Litowitz,  Herrendorf 
nach  Nautonitz,  verlässt  hier  das  Plateau  und 
erreicht  das  Kovärer  und  Zäkolaner  Thal. 
Die  Buschtehrader  Bahn  wird  in  dieser  Strecke 
von  der  Prag  -  Duxer  Bahn  zweimal  [bei 
Litowitz  und  Zäkolan]  übersetzt.  Auf  ihrem 
weiteren  Zuge  über  Schlan  übersetzt  sie  bei 
PodleMn  das  Jemnik-Kraluper  Thal  mittels 
eines  Viaductes,  in  der  Strecke  Schlan- 
Zlonitz  das  Krälowitzer  Thal  mittels  einer 
eisernen  Fachwerkbrücke,  geht  sodann  von 
Zlonitz  nordwestlich  über  Klobuk  ansteigend 
auf  das  Hochplateau  von  Perutz  [351 '2  m 
Seehöhe],  sodann  im  Gefälle  über  Vrbno  und 
Chlumcan  nach  Laun,  übersetzt  hier  mittels 
einer  eisernen  Fachwerkbrücke  mit  zwei 
Oeffnungen  ä  40  m,  zwei  Inundationsbrücken 
ä  20  m  derselben  Construction  und  einem 
längeren  Damm  den  Egerfluss  und  das  Eger- 
thai,  steigt  dann  wieder  nördlich  zur  Wasser- 
scheide des  Böhmischen  Mittelgebirges  empor. 

Von  hier  aus  zieht  die  Trace  im  sanften 
Gefälle  nach  Hochpetsch,  trifft  bei  Sedlitz 
die  von  Saaz  kommende  Eisenbahn  Pilsen- 
Priesen  und  geht  mit  dieser  auf  gemein- 
schaftlichem Bahnkörper  nach  Brüx  und  Dux. 

Zunächst  der  gemeinschaftlichen  Station 
Obernitz  erreichen  beide  Bahnen  das  Biela- 
thal,  übersetzen  den  Bielafluss  und  führen 
thalaufwärts  in  nordwestlicher  Richtung  nach 
Brüx. 

Der  von  der  Hauptbahn  in  Obernitz 
thalabwärts  nördlich  abzweigende,  mit  der 
Pilsen  -  Priesener  Bahn  gemeinschaftliche 
Flügel  Obernitz-Bilin-Ladowitz  [Dux] 
endigt  in  dem  Bahnhofe  Ladowitz  [Dux],  ist 
jedoch  mit  dem  Bahnhofe  Dux  der  Aussig- 
Teplitzer  Bahn  in  unmittelbarer  Schienen- 
verbindung. [Abb.  67—69.] 

Bielathal-Bahn  [Aussig-Bilin]. 
Nicht  zufrieden  damit,  der  Aussig-Teplitzer 
Bahn  oberhalb  eine  Parallelbahn  [die 
Dux-Bodenbacher  Bahn]  hart  an  die  Seite 
gerückt  und  durch  die  eigene  Bewerbung 
auch  das  Project  der  Prag- Duxer  Bahn 
gefördert    zu    haben,    wollte    das    Haus 


Johann  Liebieg  &  Comp,  der  erstge- 
nannten Unternehmung  auch  noch  unter- 
halb eine  Concurrenzlinie  schaffen,  näm- 
lich in  der  Richtung  von  Bilin  durch 
das  Bielathal  nach  Aussig,  die  ins- 
besondere den  reichen  Kohlenlagern  bei 
Bilin  und  Schwaz  zunutze  kommen  sollte. 
Seine  Bewerbung  fand  beim  Ministerium 
Anklang  und,  da  bei  derselben  nur  zeit- 
liche Steuerbefreiung  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde,  auch  baldige  Will- 
fahrung. 

An  dem  gleichen  Tage,  der  dem  Con- 
sortium  Thun-Hohenstein  die  von  jenem 
Hause  vergeblich  angestrebte  Concession 
für  die  Prag-Duxer  Bahn  brachte,  am 
25.  Januar  1870,  erhielt  die  Firma  Johann 
L  i  e  b  i  e  g  &  Comp,  die  Concession  für  die 
Linie  von  Bilin  im  Anschlüsse  an  die 
Prag-Duxer  Bahn  durch  das  Bielathal 
nach  Aussig  zur  Verbindung  mit  der 
nördlichen  Linie  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft,  dann  an  die  Elbe  mittels 
einer  Schleppbahn  und  eventuell  zum 
Anschlüsse  an  die  auf  dem  rechten  Elbe- 
ufer befindliche  Eisenbahn  [Elbebahn]. 

Diese  neue,  circa  30  km  lange,  mit 
einer  zwanzigjährigen  Steuerfreiheit  be- 
dachte Linie,  deren  Anlage-Capital  mit 
nom.  1,000.000  fi.  pro  Meile  bemessen 
war,  sollte  binnen  drei  Monaten  in  An- 
griff genommen  und  binnen  zwei  Jahren 
vollendet  werden.  Keiner  dieser  Termine 
wurde  eingehalten.  Das  Haus  Liebieg 
hegte  nämlich  eine  wahre  Sehnsucht, 
seine  Gründungen  an  die  Aussig-Teplitzer 
Bahn  anzugliedern,  sei  es  um  sie  bei 
dieser  alten  wohlbestellten  Unternehmung 
sicher  zu  bergen,  sei  es  um  der  letzteren 
darzuthun,  dass  nicht  Feindseligkeit  gegen 
sie,  sondern  die  [von  ihr  gar  nicht  oder 
zu  spät  eingesehene]  Nothwendigkeit  einer 
Vermehrung  der  Abfuhrstrassen  für  die 
Braunkohle,  jene  Gründungen  veranlasst 
haben.  Diese  Fusionsbestrebungen  nahmen 
jedoch  viel  Zeit  in  Anspruch. 

Die  ersten,  auf  Zusammenlegung  der 
Dux-Bodenbacher  und  der  [damals  noch 
gar  nicht  concessionirten]  Bielathal-Bahn 
mit  der  Aussig-Teplitzer  Bahn  lautenden 
Liebieg'schen  Anträge  gingen  dem  Ver- 
waltungsrathe  derselben  im  Februar  187 1 
zu,  wurden  aber  sofort  abgelehnt,  ohne 
dass  die  1871er  Generalversammlung  ihn 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


119 


darob  getadelt  hätte,  obzwar  dies  von 
den  Anhängern  und  Vertretern  des 
Hauses  Liebieg  mit  einem  grossen  Auf- 
gebote von  Actien  vorbereitet  gewesen. 
Dann  benützte  das  Haus  Liebieg 
die  von  damals  her  in  seinen  Händen 
vereinigten  Actien  [und  Stimmen]  der 
Aussig- Teplitzer  Bahn  dazu,  um  die 
letztere  wenigstens  zur  Eingehung  eines 
Freundschafts- Verhältnisses  zu  vermögen, 
dessen  Unterpfand  die  Uebernahme    und 


tungsrathe  der  Aussig-TeplitzerBahn.  Bis 
diese  Vereinbarungen  abgeschlossen  und 
die  Uebertragung  der  Concession  sowie 
die  an  die  Uebernahme  der  letzteren 
geknüpften  Bedingungen  der  Aussig- 
Teplitzer  Bahn  von  Seite  der  Regierung 
genehmigt  waren,  verstrichen  mehr  als 
achtzehn  Monate. 

Was  die  Aussig-Teplitzer  Bahn  ver- 
langte, war :  erstens,  dass  statt  des  für 
sie  kostspieligen    und    unzweckdienlichen 


Abb.  69.     Prag-Dmer  Eisenbahn.    [Uebersetzung  der  Buschtehrader  Eisenbahn  bei  Zäkolan.] 


Durchführung  der  Concession  für  die 
Bielathal-Bahn  bildete.  Die  Besiegelung 
dieses  Einvernehmens  erfolgte  in  der 
am  20.  December  1871  abgehaltenen 
ausserordentlichen  Generalversammlung 
der  Aussig-Teplitzer  Bahn,  welche  zu- 
gleich die  Erhöhung  des  Gesellschafts- 
fonds um  3,507.00011.  zu  dem  Zwecke  be- 
schloss,  die  Gesellschaft  mit  den  zum  Baue 
der  Bielathal-Bahn  sowie  auch  zur  Aus- 
dehnung der  Schleppbahnen  und  zur  Ver- 
mehrung des  Fahrparkes  erforderlichen 
Geldmitteln  zu  versorgen.  Natürlich  ge- 
wann das  Haus  Liebieg  bei  diesem  Anlasse 
auch  eine  ausgiebige  Vertretung  im  Verwal- 


Anschlusses  der  neuen  Linie  in  Aussig 
derjenige  in  Türmitz  gewählt,  und  zweitens 
dass  die  Herstellung  einer  Elbe-Schlepp- 
bahn von  Aussig  stromaufwärts  in  der  Rich- 
tung nach  Prag,  welche  Anlage  ihr,  eben 
wegen  der  Bielathal-Bahn,  bisher  verwei- 
gert worden  war,  nunmehr  gestattet  werde. 
Mittels  Kundmachung  des  Handels- 
ministeriums vom  21.  Januar  1872  wurde 
nun  die  Concession  für  die  Bielathal-Bahn 
über  a.  h.  EntSchliessung  vom  20.  No- 
vember 1871  an  die  Aussig-Teplitzer  Bahn 
mit  der  Abänderung  übertragen,  dass  die 
Einmündung  der  ersteren  in  die  letztere 
Bahn  bei  Türmitz  zu  erfolgen  habe,  und 


120 


Ignaz  Konta. 


die  neue  Linie  gleichzeitig  mit  der  in 
Aussig  anschliessenden  Strecke  der  Oester- 
reichischen  Nordwestbahn  dem  öffentlichen 
Verkehre  zu  übergeben  sei.  Da  in  dieser 
Verfügung  auch  eine  bedeutende  Er- 
streckung der  Vollendungsfrist  gelegen 
war,  brauchte  die  neue  Besitzerin  der 
Concession  sich  mit  der  Inangriffnahme 
des  Baues    nicht    sonderlich   zu   beeilen. 

Für  die  Zwecke  desselben  brachte  die 
Gesellschaft  am  i.  April  1872  einen 
Theil  der  oberwähnten,  in  der  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  vom 
20.  December  1871  beschlossenen  Actien- 
Emission  [16.700  Stück  ä  210  fl.]  zur 
Begebung,  indem  sie  8350  Actien  den 
Besitzern  der  älteren  Titel  in  der  Zeit 
vom  1.  bis  30.  April  zum  Bezüge  al  pari 
überliess.  Die  Bauarbeiten,  deren  Aus- 
führung an  die  Unternehmung  Schön  & 
Wessely  vergeben  war,  haben  jedoch  erst 
im  Jahre  1873  begonnen  und  im  Frühling 
1874  ihre  Vollendung  gefunden. 

Die  Eröffnung  der  26' 1  km  langen 
Bahn  fand  am  6.  Juni  1874  statt.  Ihre 
Anlagekosten  beliefen  sich  auf  nom. 
3,753.450  fl.  und  wurden,  so  weit  sie 
über  die  eben  erwähnte  Actien-[Theil-] 
Emission  hinauslangten,  durch  die  Be- 
gebung von  13.333  Prioritäts-Obligationen 
ä  150  fl.  gedeckt.  Mit  dieser  kleinen 
Linie  hatte,  abgesehen  von  den  Schlepp- 
bahnen, die  Bauthätigkeit  der  Aussig- 
Teplitzer  Bahn  ihr  Ende  erreicht. 

Die  Bielathal-Bahn  tritt,  von  Türmitz 
ausgehend,  in  das  Bielathal  ein,  übersetzt 
den  Schönfelder  Bach  und  zieht  am  Biela- 
schachte  vorüber  bis  Kosten. 

Von  hier  aus  geht  sie  in  vorherrschend 
westlicher  Richtung,  welche  sie  bis  zu  ihrem 
Ende  beibehält,  in  dem  hier  sehr  engen 
Bielathale,  übersetzt  die  Biela  und  führt  an 
dem  Sagenreichen  Staditz  vorüber,  in  dessen 
Nahe  sie  den  Potokenbach  überbrückt,  durch- 
schneidet dann  das  sogenannte  Königsfeld, 
wobei  sie  in  der  Nähe  des  Piemysl-Monu- 
mentes  vorüberzieht  und  erreicht  Tschochau- 
Hlinai.  Von  hier  geht  die  Bahn  in  dem 
erweiterten  Bielathale,  meist  dem  Terrain 
sich  anschmiegend,  bis  Hertine.  Am  Aus- 
gange dieser  Station  übersetzt  die  Bahn  den 
Mühlbach,  überschreitet  noch  die  Biela  nächst 
dem  Dorfe  Welboth  und  geht,  den  Sau- 
bach übersetzend,  bis  Auperschin.  Von  hier 
zieht  die  Bahn  in  einem  grossen  Bogen  an 
der  Berglehne  gegen  Liessnitz  und  erreicht, 
nachden  sie  die  Biela  noch  zweimal  und  den 
Mühlbach    übersetzt,    die    in    einem    Basalt- 


I  einschnitte  gelegene  Haltstelle  Liessnitz 
und  geht  weiter  bis  Wohontsch.  Hinter 
dieser  Station  überbrückt  sie  noch  zweimal 
die  Biela,  kreuzt  die  Schwazer  Zweigbahn 
rechtwinkelig  im  Niveau  und  erreicht  Schwaz- 
Kuttowitz,  von  welcher  Station  aus  sie  durch 
einen  Bogen  mit  der  Schwazer  Zweigbahn 
in  Verbindung  gebracht  ist.  Nun  tritt  die 
Bahn  in  die  Ebene  zwischen  dem  Mittel- 
und  Erzgebirge,  geht  nahezu  parallel  mit 
der  Aerarialstrasse  und  erreicht  kurz  vor  der 
Uebersetzung  des  Grundbaches  ihren  höch- 
sten Punkt  [1874  m  über  dem  Meere].  Nun 
fällt  sie  auf  eine  kurze  Strecke  und  erreicht 
die   horizontal  gelegene  Station  Bilin. 

Lundenburg-Grussbacher  Bahn. 
Nachdem  die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
;  in  ihrem  Privilegiums-Streite  mit  der 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  unterlegen 
war  und  letztere  die  Concession  für  das 
Ergänzungsnetz  erhalten  hatte,  sann  die 
erstere  nach  Mitteln  zur  Abwehr  oder 
doch  zur  Abschwächung  der  ihr  ent- 
standenen Concurrenz. 

Vorerst  trat  sie,  als  die  Frage  der 
nordwestlichen  Bahnlinien  in  Anregung 
gekommen  und  deren  einheitliche  Lösung 
noch  nicht  entschieden  war,  in  Bewerbung 
um  die  Strecke  Wien-Znaim,  und  dann 
projectirte  sie,  um  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  noch  weiter  in  die  Quere  zu 
kommen,  die  Linie  von  Lundenburg  nach 
Grussbach,  dem  Schnittpunkte  der  neuen 
Verbindung  Brunn-,  beziehungsweise 
Znaim-Wien. 

Als  jedoch  die  Linien,  aus  denen 
die  Oesterreichische  Nordwestbahn  be- 
steht, trotz  aller  Gegenanstrengungen  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft,  nicht  dieser 
zugefallen,  sondern  zu  einem  selbständi- 
gen Unternehmen  zusammengefasst  worden 
waren,  und  sie,  während  dieses  Ereignis 
sich  vorbereitete,  das  damals  in  der 
Oeffentlichkeit  vielbesprochene  [einerseits 
als  eine  Aussöhnung  geradehin,  anderer- 
seits als  eine  solche  zu  Ungunsten  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  und  der  werden- 
den Nordwestbahn  gedeutete]  Tarifs-,  be- 
ziehungsweise Instradirungs  -  Ueberein- 
kommen  mit  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  abschloss,  welches  weitere 
Massnahmen  der  Nordbahn  gegen  die 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  überflüssig 
machte,  ging  für  jene  auch  das  frühere 
Interesse  an  der  Linie  Lundenburg- 
Grussbach  verloren. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


121 


Um  so  reger  wurde  dasselbe  aber  jetzt 
bei  anderen  Projectanten.  Der  Graf  Alceo 
Bulgarini  plante  eine  Linie  Lundenburg- 
Laa-Zellerndorf;  der  Grosshändler  Fer- 
dinand Figdor  und  Genossen  gingen  noch 
weiter,  indem  sie  eine  Linie  Lundenburg- 
Laa-Zellerndorf-Horn  anstrebten,  während 
die  damals  bestandene  Vicinalbahn-Gesell- 
schaft  und  ebenso  der  Gutsbesitzer  Karl 
Kammel  von  Hardegger  das  Project 
Lundenburg-Grussbach   aufrecht    hielten. 

Diese  im  Sommer  1869  zu  Tage  ge- 
tretenen Bestrebungen,  namentlich  die 
letzterwähnte,  fanden  im  Jahre  1870  den 
Beifall  und  die  Befürwortung  des  mähri- 
schen Landtages  wie  nicht  minder  der 
Fürsten  Liechtenstein  und  Mennsdorf, 
deren  Besitzungen  an  die  projectirte 
Linie  zu  liegen  kamen.  Die  Concessions- 
Verhandlungen  mit  dem  Gutsbesitzer 
Kammel  und  den  ihm  beigetretenen  Mit- 
bewerbern Josef  Müller,  Dr.  Adolf  Weiss 
und  Dr.  Maximilian  Steiner  nahmen  da- 
her einen  raschen  Fortgang  und  wurden, 
da  die  beiden  Erstgenannten  aus  dem 
Consortium  austraten,  mit  den  zwei 
Letztgenannten  zum  Abschlüsse  gebracht. 
Dieselben  erhielten  am  4.  September  1870 
die  auf  Grund  des  Gesetzes  vom  13.  April 
1870,  mit  einer  zwanzigjährigen  Steuer- 
freiheit ausgestattete  Concession  für  die 
bis  längstens  4.  März  1872  fertig  zu  stel- 
lende Eisenbahn  von  Lundenbufg  im 
Anschlüsse  an  die  Nordbahn  über  Nikols- 
burg  nach  Grussbach  zur  Verbindung 
mit  dem  Ergänzungsnetze  der  Oester- 
reichischen    Staatseisenbahn-Gesellschaft. 

Einmal  so  weit  gediehen,  erwachte  neu- 
erdings das  Interesse  der  Nordbahn  für  die 
kleine  Querbahn.  Aeusseren  Anlass  hiezu 
bot  der  Umstand,  dass  die  Regierung  den 
Verkauf  des  Stockerauer  Flügels  der  Nord- 
bahn an  die  Oesterreichische  Nordwestbahn 
nur  dann  zugeben  wollte,  wenn  ein  Theil 
des  bezüglichen  Erlöses  [von  1,000.000  fl.], 
als  Aequivalent  für  den  schon  im  Jahre 
1890  eintretenden  Heimfall  jenes  Flügels 
an  den  Staat,  dem  Aerare  zugewiesen, 
beziehungsweise  wenn  —  gemäss  der 
über  die  Vorstellung  der  Nordbahn  er- 
flossenen  späteren  Entscheidung  der  Re- 
gierung —  jener  ganze  Erlös  auf  die 
Herstellung  einer  an  die  Nordbahn  an- 
schliessenden    neuen     Linie     verwendet 


1  würde,  als  welche  letztere  die  Lunden- 
burg-Grussbacher  Bahn  sowohl  in  dem 
betreffenden  Erlasse  des  Handels- 
ministeriums vom  27.  Juli  1870,  als  auch 
in  dem  Motivenberichte  zu  der  Gesetzes- 
vorlage über  den  Verkauf  des  Stockerauer 
Flügels  ausdrücklich  bezeichnet  war. 

Die  Nordbahn  ging  jetzt  sogar  so  weit, 
sich  an  dieser  Bahn  freiwillig  mit  dem 
Betrage  von  1,000.000  fl.  zu  betheiligen, 
um  deren  Ausführung  zu  beschleunigen, 
was  aus  diesem  Grunde,  wie  auch  weil 
der  gedachte  Kaufschilling  nun  wieder 
für  eine  andere  neue  Linie  frei  wurde, 
natürlich  der  Regierung  sehr  willkommen 
war. 

Das  betreffende,  am  21.  Mai  1871 
getroffene  Uebereinkommen  der  beiden 
Bahnen  besagte  im  Wesentlichen :  Die 
Nordbahn  übernimmt  Titel  der  Lunden- 
burg- Grussbacher  Bahn  im  Betrage  von 
1,000.000  fl.,  wogegen  ihr  der  Betrieb 
dieser  Bahn  [einschliesslich  der  Bei- 
stellung der  Fahrbetriebsmittel]  gegen 
entsprechende  Vergütung  auf  zehn  Jahre 
übertragen,  die  Ausübung  einer  Ingerenz 
bei  der  Bauvergebung,  Geldbeschaffung 
und  Tarifirung  zugestanden,  wie  auch 
das  Recht  zur  Ernennung  zweier  Mit- 
glieder des  Verwaltungsrathes  einge- 
räumt wird. 

Nun  wickelten  sich  auch  alle  weiteren 
Massnahmen  sehr  glatt  ab.  Auf  Grund- 
lage der  am  18.  Juli  1871  behördlich 
genehmigten  Statuten  constituirte  sich 
am  27.  Juli  1871  die  Actien-Gesellschaft: 
»K.  k.  priv.  Lundenb  urg-N  iko  ls- 
burg-Grussbacher  Bahn«,  deren 
auf  4,500.000  fl.  festgesetztes  Capital 
zur  einen  Hälfte  aus  Actien  [11.250 
Stück  ä  200  fl.],  zur  anderen  Hälfte 
aus  Prioritäts-Obligationen  [7500  Stück 
ä  300  fl.]  bestand,  wovon  die  Wiener 
Wechslerbank  im  Vereine  mit  dem 
Bankhause  Weiss  &  Fischhof,  am  2.  Au- 
gust 1871  7000  Actien  zum  Curse 
von  721/3°/o  unc*  54°°  Prioritäts-Obliga- 
tionen zum  Curse  von  74°/0  mit  Erfolg 
zur  öffentlichen  Zeichnung  auflegte. 

Der  Bau,  welchen  die  Concessionäre 
selbst  übernommen  hatten,  begann  alsbald 
nach  der  am  17.  November  1871  erflosse- 
nen  Baubewilligung  und  wurde  im  Jahre 
1872  beendet;  die  Eröffnung  der  41"  1  km 


122 


Ignaz  Konta. 


langen  Linie  fand  am  30.  December  1872 
statt.  Die  zur  Anschaffung  des  Fahr- 
parkes bestimmt  gewesene  Summe  von 
375.000  fl.  wurde  von  der  Bauunterneh- 
mung in  gesellschaftlichen  Actien  zurück- 
gelassen und  ist  nachher  in  einen  eigenen 
Reservefonds  hinterlegt  worden.  Die  Besor- 
gung der  Administrations  -  Geschäfte 
wurde  dem  Central-Bureau  der  gleichfalls 
im  Betriebe  der  Nordbahn  stehenden 
Ostrau-Friedlander  Bahn  übertragen. 

In  der  Zwischenzeit  brachte  der  Ge- 
neral -Director  der  Nordwestbahn,  Dr. 
Gustav  G  r  o  s  s,  im  Vereine  mit  der  Firma 
Gebrüder  G  u  t  m  a  n  n  und  dem  Mitconces- 
sionär  der  Lundenburg-Grussbacher  Bahn, 
Dr.  Maximilian  Steiner,  die  Fortsetzung 
derselben  bis  an  die  Nordwestbahn  in  An- 
regung [Vorconcession  vom  2  7.  April  1872]. 
Da  aber  hinsichtlich  der  Strecke  Laa- 
Zellerndorf  das  Consortium  Dr.  Ludwig 
Schanzer,  Josef  Thomas  und  Josef 
Langthaler  schon  früher  in  Bewerbung 
getreten  war,  vereinigten  sich  die  beiden 
Consortien  zu  gemeinsamem  Vorgehen 
und  erhielten,  da  sie  keinerlei  staatliche  Be- 
günstigung beanspruchten,  am  14.  August 
1872  die  Concession  für  eine  Eisenbahn 
von  Zellerndorf  im  Anschlüsse  an  die 
Oesterreichische  Nordwestbahn  über  Laa 
nach  Neusiedl  zum  Anschlüsse  an  die 
k.  k.  priv.  Staatseisenbahn  und  die  Lun- 
denburg-Grussbacher Bahn. 

Sohin  vor  die  Frage  gestellt,  ob 
sie  von  der  Nordwestbahn  durch  eine 
fremde  Linie  getrennt  bleiben  oder 
diese  erwerben  solle,  entschied  sich 
die  Lundenburg-Grussbacher  Bahn  für 
das  Letztere  und  trat  deswegen  mit 
den  Concessionären  der  Zellemdorfer 
Linie  in  Unterhandlung.  Dieselben  er- 
klärten sich  zur  Abtretung  der  Conces- 
sion bereit;  da  weiters  die  am  13.  Sep- 
tember 1872  abgehaltene  Generalver- 
sammlung der  Lundenburg-Grussbacher 
Bahn  die  Uebernahme  der  neuen  Con- 
cession, dann  die  zu  deren  Durchführung 
erforderliche  Erhöhung  des  Gesellschafts- 
Capitales  um  den  Betrag  von  6,650.000  fl. 
[*/5  in  Actien,  3.5  in  Prioritäts-Obliga- 
tionen], wie  auch  die  nöthige  Statuten- 
änderung beschloss,  und  die  Regierung 
alldem  zustimmte  [26.  September  1872], 
so  bildete  die  Neusiedl-Zellerndorfer  Linie 


fortan  einen  integrirenden  Bestandtheil 
der  Lundenburg-Grussbacher  Bahn. 

Den  Bau  übernahmen  die  Concessionäre 
der  Fortsetzungslinie  gegen  Ueberantwor- 
tung  der  sämmtlichen  Titel  [2,600.000  fl. 
in  Actien  und  2,990.000  fl.  in  Prioritäts- 
Obligationen],  wovon  jedoch  Actien  im 
Betrage  von  525.000  fl.  für  die  seiner- 
zeitige Anschaffung  eigener  Fahrbetriebs- 
mittel und  im  weiteren  Betrage  von 
532.000  fl.  für  etwaige  Nacharbeiten  reser- 
virt  blieben.  Ueber  die  Art  der  Begebung 
der  neuen  Titel  ist  Verlässliches  nicht 
bekannt  geworden ;  die  Prioritäten  sollen 
angeblich  in  Berlin  zum  Curse  von  8o3/4 
zur  Subscription  gelangt  sein. 

Die  Bauarbeiten  wurden  im  Februar 
1873  begonnen  und  noch  vor  Ablauf 
desselben  Jahres  beendet,  so  dass  die 
neue,  50-5  km  lange  Linie  am  8.  Decem- 
ber 1873  zur  Eröffnung  kam;  die  Füh- 
rung ihres  Betriebes  übernahm  gleichfalls 
die  Nordbahn. 

Kaum  in  Betrieb  gesetzt,  traf  die 
Lundenburg  -  Grussbacher  Bahn  das- 
selbe Schicksal,  von  welchem  damals 
so  viele  neue  Bahnen  ereilt  wurden ; 
Frequenz  und  Einnahmen  Hessen  Alles 
zu  wünschen  übrig.  Der  Abglanz  der 
Nordbahn,  der  bei  ihrer  Gründung  auf 
sie  gefallen,  verblasste  in  demselben 
Augenblicke,  als  der  erste  Prioritäten- 
Coupon  nothleidend  geworden.  Das  ge- 
schah am  1.  März  1874;  sie  hatte  jedoch 
vor  vielen  ihrer  Leidensgefährten  das 
Eine  voraus,  dass  ihre  Bitternisse,  aber 
allerdings  auch  ihre  Selbständigkeit  schon 
im  Jahre   1876  aufhörten. 

Die  Lundenburg-Nikolsburg- 
Grussbacher  Bahn  zieht  von  Lundenburg 
aus  eine  kleine  Strecke  weit  neben  dem 
Bahnkörper  der  Xordbahn  hin,  überschreitet 
hiebei  das  Inundationsgebiet  der  Thaya  und 
die  Landesgrenze  zwischen  Mähren  und 
Niederösterreich,  führt  dann  durch  die  Liech- 
tenstein'schen  Forste  nach  Feldsberg  und 
von  da  aus,  wieder  nach  Mähren  eintretend, 
in  fast  gerader  Richtung  nach  Nikolsburg. 
Von  dieser  Station  weiter  geht  die  Trace 
nach  Neusiedl,  übersetzt  zum  zweiten 
Male  die  Thaya,  wendet  sich  dann  gegen 
Norden  und  mündet  nächst  Schönau  in  die 
Station  Grussbach-Schönau  der  Staatseisen- 
bahn ein. 

Die  Linie  Zelle  rndorf-Laa-Neu  sie  dl 
geht  von  Zellerndorf  im  Pulkauthale  zumeist 
entlang    des    Pulkaubaches,     biegt    sodann 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


123 


südwärts  ab,  übersetzt  nächst  Laa  die 
Staatsbahn,  um  in  Neusiedl  [Dürnholz]  an 
die  Lundenburg-Grussbacher  Bahn  anzu- 
schliessen,  nachdem  sie  auf  diesem  Zuge 
die  Stationen:  Haugsdorf,  Kadolz-Mailberg, 
Pernhofen-Wulzeshofen  und  Laa  berührt  hat. 

Dniester  Bahn.  Die  nach  dem  Jahre 
1866  aufgetauchten  Projecte  für  ungarisch- 
galizische  Eisenbahn- Verbindungen  und  für 
die  Vermehrung  der  Schienenwege  Gali- 
ziens  überhaupt,  hatten  mehrfach  auch 
Ausästungen  oder  grosse,  bis  an  die  Ost- 
grenze des  Landes  führende  Linien  zum 
Gegenstande,  deren  Trace  die  Richtung 
von  Chyröw  nach  Stryj  einhielt;  so  bei- 
spielsweise die  in  den  Jahren  1868  und 
1869  von  der  Boryslawer  Petroleum- 
Compagnie,  den  Consortien  der  Grafen 
Goluchowski  und  Potocki  geplanten  Linien 
Przemysl-Chyröw-Stryj-Stanislau,  ferner 
die  in  den  Jahren  1869  und  1870  von 
der  Vicinalbahn-Gesellschaft,  dem  Doctor 
Clemens  Raczynski,  dem  Grafen  Krasicki 
und  Anderen  angestrebten  Zweigbahnen 
von  der  Station  Chyröw  der  Ersten 
Ungarisch-Galizischen  Eisenbahn  nach 
Drohobycz,  beziehungsweise  Stryj. 

Auch  das  damals  von  der  Lem- 
berg-Czernowitzer  Bahn  verfolgte  Pro- 
ject  Lemberg-Stryj-Beskid  umfasste  zwei, 
nach  Osten  und  Westen  führende 
Seitenlinien,  deren  letztere  von  Stryj 
aus  über  Drohobycz    den    Anschluss    an 


die  Erste  ungarisch-galizische  Eisen- 
bahn in  Chyröw  herstellen  sollte. 

Die  Denkschrift  zu  der  am  13.  März 
1869  vor  den  Reichsrath  gelangten  all- 
gemeinen Gesetzesvorlage  über  die  Ver- 
vollständigung des  österreichischen  Eisen- 
bahnnetzes legte  der  Fortsetzung  der 
Przemysl  -  Lupköwer  Linie  von  Chy- 
röw über  Stryj  an  die  Ostgrenze  die 
grösste  Wichtigkeit  bei,  »weil  sie  am 
Fusse  der  Karpathen  fruchtbare  Gegen- 
den durchzieht,  die  Salinen,  die  Ca- 
meralgüter,  die  Tabakfabriken  berührt, 
die  Verwerthung  der  reichen  Holzbe- 
stände und  anderer  Naturproducte  er- 
möglicht und  auch  die  dort  vorkommen- 
den Petroleumquellen  dem  Bahnver- 
kehre näher  bringt«.  Darum,  und  »weil 
sie  die  beiden  ungarisch-galizischen  Ver- 
bindungslinien unter  sich  verbindet«,  be- 
sagte die  Denkschrift  weiter,  »verdiene 
diese  gedachte  Querlinie  die  Zuwen- 
dung besonderer  staatlicher  Begünsti- 
gungen « . 

Wahrscheinlich  aus  dem  Grunde,  dass 
keine  der  damaligen  Bewerbungen  Linien 
betrafen,  die  thatsächlich  bis  an  die  Ost- 
grenze reichten,  zog  die  Regierung  vorerst 
nur  jene  für  die  Strecke  Chyröw-Stryj 
und  auch  von  diesen  wieder  nur  die- 
jenigen in  Berücksichtigung,  welche  sich 
mit  einer  zeitlichen  Steuerfreiheit  be- 
gnügten. 


Abb.  70.    Boryslaw  [1873").     [Nach  einer  Photographie  von  Josef  Edcr  in  Leinberg.] 


124 


Ignaz  Konta. 


So  erhielt  denn  das  Consortium  des 
Grafen  Johann  Krasicki  am  5.  September 
1870  die  mit  einer  dreissigj  ährigen  Steuer- 
freiheit und  mit  sehr  langen  Baufristen 
ausgestattete  Coricession  für  die  Eisenbahn 
Chy  row  -  Drohob  ycz  -  S  tryj  nebst 
Zweigbahn  von  Drohobycz  nach  Bo- 
ryslaw.  Beim  Abschlüsse  der  Conces- 
sions- Verhandlungen  sind  in  den  Tagen 
vom  25.  bis  28.  August  1870  protokolla- 
rische Vereinbarungen  zwischen  der  Re- 
gierung und  den  Concessionären  getroffen 
•worden,  wonach  die  erstere  sich  anheischig 
machte,  bei  der  Ersten  Ungarisch-Galizi- 
schen  Eisenbahn  tarifarische  Erleichterun- 
gen für  die  Uebergangsfrachten  der 
Dniester  Bahn  zu  erwirken  [25.  August], 
wogegen  die  Concessionäre  der  letzteren 
sich  verpflichteten,  das  Anlage-Capital 
für  die  ganze  Bahn  innerhalb  des  Höchst- 
betrages von  12,000.000  fl.  zu  halten 
[26.  August],  und  mit  der  concessions- 
mässigen  Caution  von  IOO.OOO  fl.  nicht  blos 
für  die  Einhaltung  der  Baufristen,  sondern 
auch  dafür  zu  haften,  dass  binnen  längstens 
sechs  Monaten  der  Nachweis  über  die  er- 
folgte Leistung  einer  mindestens  4O0/0igen 
Einzahlung  auf  das  gesammte  Actien- 
capital  erbracht  wird  [28.  August]. 
Dessenungeachtet  währte  es  ein  Jahr, 
bis  die  Geldbeschaffung  und  der  Bau 
sichergestellt  waren,  da  der  Geldmarkt 
erst  nach  dem  Aufhören  des  deutsch- 
französischen  Krieges  wieder  zugänglicher 
wurde.  Im  Sommer  1871  übernahm  die 
Vereinsbank  die  Begebung  der  Titel,  und 
am  29.  August  1871  kam  der  Bauvertrag 
mit  dem  Baurathe  Karl  Ritter  v.  Schwarz 
und  Dr.  Adolf  Weiss  zustande. 

Die  behördliche  Genehmigung  der 
Statuten  sowie  zugleich  auch  die  Consti- 
tuirung  der  Actien-Gesellschaft  »k.  k.priv. 
Dniester  Bahn«  erfolgte  am  30.  August 
1871.  Das  auf  12,000.000  fl.  festgesetzte 
Capital  derselben  gliederte  sich  in  24.000 
Actien  ä  200  fl.  und  in  24.000  Prioritäts- 
Obligationen  ä  300  fl. ;  alle  diese  Werthe 
wurden  am  12.  September  1871  zur  öffent- 
lichen Zeichnung  aufgelegt,  die  Actien 
zum  Curse  von  62°/0,  die  Prioritäts- 
Obligationen  zum  Curse  von  72°/0;  von 
einer  Ueberzeichnung  hat  nichts  verlautet. 
Zum  Director  der  Bahn  wurde  der 
Rechtsconsulent    der  Kaiser  Ferdinands- 


Xordbahn,   Dr.  Albert  Speil  Ritter  von 
i  Ostheim,  ernannt. 

Anfangs     April    1872    hatte    endlich 
'■  auch  der   Bau  begonnen,    der   aber  jetzt 
i  mit    einem    so    grossen    Kräfteaufgebote 
.  geführt  wurde,  dass  sowohl  die  ioo-5  km 
lange  Hauptlinie    Chyrö  w-S  tryj,    als 
auch    die     1 1  '3    km     lange     Zweigbahn 
I  Drohobycz-Boryslaw  noch  im  sel- 
I  ben    Jahre  zur  Vollendung,    beziehungs- 
weise am  31.  December  1872,  also  lange 
j  vor    dem    concessionsmässigen    Termine, 
zur  Eröffnung  gelangte. 

Damals  schien  der  Gesellschaft    ihre 
1  Zukunft    so  aussichtsvoll,    dass  sie  nicht 
!  nur    die    ihr    seitens    der    benachbarten 
Ungarisch-Galizischen    Eisenbahn    zuge- 
gangenen Fusionsanträge  ablehnte,    son- 
dern vielmehr  grossen  Fortsetzungsplänen 
nachhing;     sie    wollte     ihre     Unterneh- 
!  mung    ostwärts    von    Stryj   bis    Husiatyn 
i  und  westwärts  von  Chyröw  bis  Biala  aus- 
dehnen,   sohin    zu    einer    ganz    Galizien 
durchziehenden  Hauptbahn  erweitern,  wo- 
mit die  Generalversammlung  vom  2 1 .  Juni 
1873  sich  vollkommen  einverstanden  er- 
klärte. 

Man  muss  annehmen,  dass  die  Ge- 
sellschaft diese  ihre  Hoffnungen  aus  den 
protokollarischen  Vereinbarungen  vom 
23.  und  26.  August  1871  und  dem  be- 
züglichen Handelsministerial-Erlasse  vom 
28.  August  187 1  ableitete;  denn  eine 
der  gedachten  Vereinbarungen,  welche 
überdies  nachträglich  zur  Concessions- 
Urkunde  angemerkt  wurden,  lautete  dahin, 
dass  die  Gesellschaft  die  Xordwestbahn- 
Tarife  einzuführen  haben  wird,  wenn  die 
Regierung  binnen  längstens  sechs  Jahren 
vom  Tage  der  Betriebseröffnung  in  die 
Lage  kommen  sollte,  eine  5°/0ige  Staats- 
garantie für  das  von  der  Staatsverwaltung 
genehmigte  Anlage-Capital  zu  gewähren, 
—  was  auch  nach  aussen  hin  den  Eindruck 
machte,  dass  bei  jenen  Vereinbarungen 
eine  allfällige  Concessionirung  neuer  Linien 
[vielleicht  die  in  der  erwähnten  allgemeinen 
Gesetzes  vorläge  vom  13.  März  1869  be- 
zeichnete Querlinie]  unter  Gewährung  der 
Staatsgarantie  in  Erörterung  gestanden 
haben  mag. 

Ihre  Pläne  auf  die  eigenen  Hilfsmittel 
stützen  zu  können,  wird  die  Gesellschaft 
damals      wohl      kaum      mehr      gedacht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


125 


haben ;  denn  wenige  Tage  nach  jener 
Generalversammlung  —  am  1.  Juli  1873 
—  war  sie  schon  genöthigt,  die  Hilfe 
der  Bauunternehmung  in  Anspruch  zu 
nehmen,  um  den  Prioritäten-Coupon  ein- 
lösen zu  können.  Dasselbe  wiederholte 
sich  am  nächsten  Coupontermine,  und  die 
Lage  wurde  bereits  eine  bedrohliche,  da 
die  Einnahmen  nicht  einmal  zur  Deckung 
der  Betriebskosten  hinreichten.  Die  Mass- 
nahmen zur  Verringerung  der  Spesen,  die 
Auflassung  der  Wiener  Direction,  die 
Herabminderung  des  Personalstandes  etc. 
erwiesen  sich  als  fast  wirkungslos,  ebenso 
wie  alle  die  wegen  Erlangung  staatlicher 
Unterstützung  unternommenen  Schritte. 
So  hatte  auch  diese  Unternehmung  eine 
mehrjährige  Leidensgeschichte  durchzu- 
machen, bis  sie  schliesslich  unter  Einbusse 
von  5/6  ihres  Capitals  vom  Schauplatze 
verschwand. 

Die  Dniester  Bahn  nimmt  ihren  Aus- 
gang in  der  Station  Chyröw  der  Ersten  Unga- 
riscn-Galizischen  Eisenbahn  und  folgt  dem 
Laufe  des  Flusses  Striwiacz  bis  unweit  Sambor, 
übersetzt  hier  die  Wasserscheide  zwischen 
den  Flüssen  Striwiacz  und  Dniester  und  senkt 
sich  gegen  Sambor,  überschreitet  ausserhalb 
dieser  Station  den  Dniester  und  ersteigt,  die 
östliche  Richtung  beibehaltend,  zwischen 
Sambor  und  Dublany-Kranzberg  den  höchsten 
Punkt  der  Bahn,  die  Wasserscheide  zwischen 
dem  Dniester  und  dem  Bystrzycaflusse  bei 
Kulczyce,  und  fällt  dann  zur  Station  Dublany- 
Kranzberg  ab.  Unweit  dieser  Station  über- 
schreitet die  Dniester  Bahn  den  Bystrzycafluss 
und  immer  noch  die  östliche  Richtung  bis 
Dobrowlany  beibehaltend,  wendet  sich  die- 
selbe hinter  der  letztgenannten  Station  süd- 
wärts, übersetzt  die  Wasserscheide  zwischen 
den  Bystrzyca-  und  Tysmenicaflüssen  und 
erreicht  die  Station  Drohobycz,  wo  der  Flügel 
nach  Borj'slaw  abzweigt.  Ausserhalb  der 
Station  Drohobycz  nimmt  die  Linie  wieder 
die  östliche  Richtung  an  und  behält  dieselbe 
bis  zur  Station  Stryj  bei.  Zwischen  diesen 
beiden  Stationen  wird  noch  die  Station  Gaje 
wvine  berührt  und  nächst  dieser  letzteren  die 
Wasserscheide  zwischen  dem  Tysmenica-  und 
dem  Stryjflusse  übersetzt. 

Die  Flügelbahn  nach  Boryslaw 
zweigt  in  der  Station  Drohobycz  der  Haupt- 
bahn ab,  wendet  sich  sofort  südlich  und  zieht 
mit  einer  continuirlichen  Steigung  zur  Station 
Boryslaw  hinan.  [Abb.  70—71.] 


Für  den  unbehinderten  Fortgang  der 
Ergänzung    des    österreichischen    Eisen- 


bahnnetzes traf  es  sich  sehr  gut,  dass 
zwischen  der  Concessionirung  der  zuvor 
besprochenen  neuen  Linien  und  dem 
Eintritte  des  nachher  über  sie  gekom- 
menen Ungemaches  eine  Spanne  Zeit  ein- 
geschaltet gewesen;  denn  der  klägliche 
Ausgang  mancher  jener  Gründungen 
hätte  die  Unternehmungslust  gar  bald 
erkalten  lassen,  die  vorderhand  nicht 
nur  andauernd  blieb,  sondern  sich  noch 
steigerte. 

Was  jetzt  einigen  Aufenthalt  ver- 
ursachte, war  das  Ausserkrafttreten  des 
Steuerbefreiungs-Gesetzes  vom  13.  April 
1870,  aus  Anlass  der  Wiederaufnahme 
der  Sitzungen  der  VI.  Session  des 
Reichsratb.es  am  8.  November  1870 
nach  längerer  Vertagung.  Der  Leiter  des 
Handelsministeriums,  Freiherr  von  Pretis, 
welcher  am  7.  Juni  1870  ein  Promemoria 
veröffentlichen  Hess,  das  die  Ergänzung 
des  Eisenbahnnetzes  als  eine  hochwichtige 
und  unaufschiebbare  Aufgabe  der  neu- 
gewählten Reichsvertretung  bezeichnete 
und  darauf  hinwies,  dass  es  nunmehr  hohe 
Zeit  sei,  auch  die  Lösung  von  Problemen 
in  Angriff  zu  nehmen,  deren  Bedeutung 
zum  grossen  Theile  den  Schwierigkeiten 
ebenbürtig  ist,  welche  die  Gestaltung  des 
Bodens  der  Ausführung  dieser  Communi- 
cationswege  entgegenstellt,  —  wollte  so- 
hin  die  Thätigkeit  der  Legislative  in  An- 
spruch nehmen,  um  wenigstens  die  drin- 
gendsten der  schwierigen  Linien  sicher- 
zustellen. 

Zu  diesen  gehörten,  nach  dem  Prome- 
moria, in  handelspolitischer  Beziehung:  die 
galizische  Strecke  der  Eisenbahn  von 
L  e  m  b  e  r  g  über  S  t  r  y  j  nach  M  u  n  k  ä  c  s 
mit  den  Abzweigungen  Stryj-Chyröw 
[welche  seitdem  als  Dniester  Bahn  con- 
cessionirt  wurde,  siehe  oben]  und  Stryj- 
S t a n i s  1  a u,  ferner  Villach-Tarvis 
und  Tarvis-Görz,  und  die  Arlberg- 
Bahn;  in  politischer  Beziehung  aber: 
die  Linie  von  Pola  durch  I  Strien  zum 
Anschlüsse  an  die  Südbahn  und  die 
dalmatinischen  Bahnen. 

Ausserdem  wäre  die  Mitwirkung  der 
Legislative  noch  erforderlich  geblieben  für 
die  Verbindung  der  Salzburg  -  Halleiner 
Bahn  über  Salzburg,  einerseits  mit  der 
Nordtiroler  Bahn,  andererseits  mit  der 
Rudolf-Bahn  bei  Rottenmann,  dann  eine 


126 


Ignaz  Konta. 


VerbindungWestgaliziensmitderKaschau- 
Oderberger  Bahn  in  der  Richtung  gegen 
Eperies. 

Freiherr  von  Pretis  begann  seine  Action 
damit,  dass  er  von  den  am  3.  März  1870 
im  Abgeordnetenhause  eingebrachten, 
jedoch  unbehandelt  gebliebenen  Gesetz- 
entwürfen, zwei,  nämlich  die  in  Betreff  der 
Linien  Lemberg-Stryj-Skole- Ungarische 
Grenze  am  Beskid  und  Villach-Tarvis,  am 
8.  November  1870  neuerlich  in  Vorlage 
brachte.  Auf  den  dritten  jener  Gesetz- 
entwürfe, nämlich  den,  welcher  die  Linie 
Tarvis-Görz  zum  Gegenstande  hatte,  wurde 
einstweilen  nicht  zurückgegriffen,  und  der 
vierte  war  durch  die  Einbeziehung  der 
Linie  Wildenschwert-Mittelwalde  in  die 
Concession  für  die  Elbethal-Bahn  gegen- 
standslos geworden.  Die  Berathung  der 
erneuerten  Vorlagen  fand  jedoch  nicht 
mehr  im  Jahre  1870  statt  und  Freiherr  von 
Pretis  war   dabei    nicht   mehr    betheiligt. 

Bevor  wir  nun  in  das  Jahr  187 1  ein- 
treten und  die  Schilderung  des  weiteren 
Wachsens  des  österreichischen  Schienen- 
netzes fortsetzen,  scheint  es  geboten,  die- 
jenigen Linien  in  Betracht  zu  nehmen, 
die  schon  seit  Längerem  concessionirt 
gewesen,  aus  mannigfachen  Ursachen  aber 
erst    jetzt    in    volle    Ausführung  kamen. 

Die  Neum  ark  t-Ried-Braunauer 
Bahn,  deren  Concession  vom  22.  August 
1865  datirt,  konnte  erst  dann  als  wirk- 
lich gesichert  gelten,  bis  auch  die  baye- 
rische Anschlussstrecke  Braunau- München 
sichergestellt  und  über  den  Anschluss 
der  beiderseitigen  Bahnen  ein  Staatsyer- 
trag  zwischen  der  österreichischen  und 
bayerischen  Regierung  abgeschlossen  war. 
Durch  die  Ereignisse  des  Jahres  1866 
verzögert,  kam  dieser  Vertrag  erst  am 
4.  Juni  1867  zustande;  dafür  brachte  er 
der  Bahn  eine  Verlängerung  der  Steuer- 
freiheit [von  fünf]  auf  zwanzig  Jahre.  Die 
Concessionäre  gingen  also,  nach  langem 
Harren,  jetzt  umso  freudiger  ans  Werk, 
was  aber  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn, 
die  sich  dem  neuen  Unternehmen  bislang 
recht  abhold  gezeigt  hatte,  veranlasste, 
die  Braunauer  Linie  nunmehr  für  ihr 
eigenes  Netz  zu  verlangen  und  des- 
wegen den  Beistand  des  Reichsrathes 
anzurufen. 


Natürlicherweise  kam  sie  mit  diesem 
eigenartigen  Begehren  nicht  weit;  das 
Abgeordnetenhaus  übermittelte  die  be- 
treffende Petition  dem  Handelsmini- 
sterium, mit  der  Aufforderung:  die  Aus- 
führung der  Neumarkt  -  Ried  -  Braunauer 
Bahn  »nach  Massgabe  der  bereits  er- 
theilten  Concession«  thunlichst  zu  fördern. 
Auf  ihr  gutes  Recht  vertrauend,  Hessen 
sich  übrigens  die  Concessionäre  durch 
das  Auftreten  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
nicht  beirren,  und  vereinbarten  mit 
Theodor  v.  Cramer-Klett  und  der  Bank 
für  Handel  und  Industrie  in  Darmstadt 
einen  Bauvertrag,  ferners  mit  der  bayeri- 
schen Regierung  einen  Betriebsvertrag; 
dieser  wurde  am  II.,  jener  am  13.  No- 
vember 1868  endgiltig  abgeschlossen. 
Am  letzteren  Tage  fand  auch,  auf  Grund 
des  am  2.  November  1868  behördlich 
genehmigten  Statutes,  die  Constituirung 
der  »k.  k.  priv.  A ctien-Gesellschaft 
der  Neumark  t-Ried-Braunauer  Bahn« 
statt,  als  deren  Sitz  Ried  bestimmt  und  deren 
Capital  mit  nom.  6,400.000  fl.,  je  zur 
Hälfte  in  Actien  und  in  Prioritäts-Obli- 
gationen [ä  200 fl.],  bemessen  war.  Das  Alles 
verfehlte  nicht,  die  Zuversicht  zu  dem 
Unternehmen  zu  steigern;  bis  I.  Januar 
1869  hatten  der  oberösterreichische  Lan- 
desausschuss  und,  seinem  Beispiele  fol- 
gend, die  übrigen  Interessenten  9000 
Actien  zum  vollen  Nennwerthe  gezeichnet. 
Die  übrigen  7000  Actien  mitsammt  den 
Einzahlungen  auf  die  gezeichneten  Actien 
sowie  die  Prioritäts  -  Obligationen  ab- 
züglich eines  Betrages  von  nom. 
900.000  fl.,  welcher  für  Fahrbetriebs- 
mittel und  andere  Sonderleistungen  be- 
stimmt war,  erhielten  die  Bauunter- 
nehmer an  Zahlungsstatt  für  die  Her- 
stellung der  Bahn. 

Die  sodann  auf  den  1 8.  Januar  1 869  nach 
Linz  einberufene  erste  Generalversamm- 
lung bestätigte  die  Constituirung  der  Ge- 
sellschaft und  die  vorerwähnten  Verträge, 
von  denen  der  mit  der  königlich  bayeri- 
schen Regierung  abgeschlossene,  sehr 
werthvolle  Bestimmungen  für  die  Gesell- 
schaft enthielt ;  denn  nebst  der  Führung  des 
Betriebes  und  der  Beistellung  der  Fahr- 
betriebsmittel, gegen  blosse  Vergütung 
der  Selbstkosten,  übernahm  die  königlich 
bayerische    Regierung     die     Herstellung 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


127 


Abb.  71.    Station  Drohobycz  [1873].     [Nach  einer  Photographie  von  Josef  Eder  in  Lemberg.] 


der  Grenzstrecke  Braunau-Simbach  ein- 
schliesslich der  Innbrücke  gegen  massige 
Verzinsung  [2°/n  ansteigend  bis  472U/o] 
und  allmähliche  Tilgung  des  halben  Kosten- 
aufwandes, und  überdies  machte  sie  sich 
anheischig,  der  Linie  Neumarkt-Braunau 
»denjenigen  Antheil  am  grossen  Verkehre 
zu  sichern,  der  ihr,  als  der  kürzesten 
Verbindung  zwischen  Wien  und  München, 
gebührt«. 

Dieser  letztere  Punkt  war  es  denn 
auch,  der  die  Aufmerksamkeit  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  in  besonderem 
Masse  fesselte;  sie  ward  sich  bewusst, 
dass  bei  der  um  6%  Meilen  geringeren 
Länge  und  den,  zumal  auf  bayerischem 
Gebiete,  günstigeren  Terrainverhältnissen 
der  neuen  Route  ein  Tarifkampf  zur 
Abwehr  der  Concurrenz  auf  die  Dauer 
unmöglich  wäre,  sie  daher  entweder  den 
Verkehr  nach  München  und  den  Durch- 
zug nach  Westen  verloren  geben  oder  Ver- 
fügung über  die  neuen  Linien  gewinnen 
müsse.  Sie  trat  darum,  als  die  Fort- 
schritte des  mit  Ende  März  1869  in  An- 
griff genommenen  Baues  der  Neumarkt- 
Braunauer  Bahn  immer  sichtbarer  wurden, 
wegen  der  käuflichen  Erwerbung  der  ge- 
nannten Linie  mit  dem  Verwaltungsrathe 
derselben  in  Beziehungen,  die  sehr  bald 
zu  dem  Ergebnisse  führten,  dass  die 
Eigenthümer  der  Neumarkt  -  Braunauer 
Bahn,    den  ihnen  angebotenen,  in  Priori- 


täten der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  zahl- 
baren Kaufpreis  von  6,400.000  fl.  an- 
nahmen. 

Die  bezüglichen  Verträge  mit  der  Bau- 
unternehmung als  Besitzer  der  meisten 
Titel  und  dem  Verwaltungsrathe  als 
Vertreter  der  Neumarkt-Braunauer  Bahn 
wurden  am  II.,  beziehungsweise  16.  Juli 
1870  abgeschlossen,  am  29.  Septem- 
ber, beziehungsweise  I.  October  1870 
von  den  beiderseitigen  Generalversamm- 
lungen genehmigt  und  seitens  der 
Regierung  am  23.  October  1870,  unter 
gleichzeitiger  Bewilligung  der  Concessions- 
Uebertragung  bestätigt,  worauf  dann  am 
1.  November  1870  die  Liquidation  der 
Neumarkt-Braunauer  Bahn  und  die  Ein- 
lösung ihrer  Titel  begann.  Die  Actio- 
näre  erhielten  die  auf  die  Actien  ge- 
leisteten Einzahlungen  nebst  5°/0  Zinsen 
[bis  1.  November]  rückerstattet  und  über- 
dies   ein  Aufgeld    von    15  fl.  pro  Actie. 

Die  Eröffnung  der  58  km  langen 
Neumarkt-Braunauer  Bahn  hat  am 
20.  December  1870  stattgefunden;  die 
bayerische  Fortsetzungsstrecke,  welche, 
laut  des  bezüglichen  Vertrages  mit  der 
bayerischen  Regierung,  am  1.  Mai  1871 
dem  Betriebe  übergeben  werden  sollte, 
wurde  aber  infolge  des  deutsch-franzö- 
sischen Krieges  erst  am  1.  Juni  1871 
eröffnet.     Die  Abmachungen   wegen  der 


128 


Ignaz  Konta. 


bezüglichen  Schadloshaltung  seitens  der 
bayerischen  Regierung  waren  bereits 
eigene  Sache  der  Elisabeth-Bahn,  die 
den  Besitz  der  Xeumarkt-Braunauer  Bahn, 
deren  unmittelbare  Erwerbung  sie  ur- 
sprünglich von  der  Hand  gewiesen,  nun- 
mehr aber  im  Wege  des  Kaufes  an  sich 
gebracht,  auch  sogleich  mit  allen  Rechten 
und  Pflichten  angetreten  hatte. 

Diese  Flügelbahn  zweigt  in  Xeumarkt 
von  der  Wels-Passauer  Linie  der  Elisabeth- 
Bahn  ab  und  zieht  über  Pram-Haag,  Ried, 
Gurten,  Altheim  und  Minning  bis  Braunau, 
wo  sie  am  rechten  Innufer  an  die  bayerische 
Ostbahn  anschliesst. 

Unvergleichlich  schwieriger  gestaltete 
sich  der  Werdeprocess  der  Kaschau- 
Oderberger  Bahn.  Schon  ihre  Con- 
cessionirung:  nahm  einen  ungewöhnlichen 
Gang.*)  Das  Gesetz  vom  10.  August 
1865  hatte  für  diese  Bahn  eine  Staats- 
garantie von  2,450.000  fi.  bestimmt;  die 
Concessionäre  [Gebrüder  Riche  und  Graf 
Anton  Forgach],  denen  andere  Bewerber 
nicht  gegenüberstanden,  verlangten  aber 
noch  mehr  als  in  der  Regierungsvorlage, 
aus  welcher  jenes  Gesetz  entsprungen, 
vorgesehen  war  [2,516.000  fl.].  Thatsäch- 
lich  bekamen  sie  mittels  der  ihnen  in 
der  Sistirungsperiode  am  26.  Juni  1866 
ertheilten  Concession  2,683.200  fl.  zuge- 
standen. Auch  damit  noch  nicht  zufrieden, 
oder,  wie  ihre  Angabe  lautete,  ausser 
Stande  das  Auslangen  finden,  beziehungs- 
weise das  Baucapital  beschaffen  zu  kön- 
nen, begehrten  und  erhielten  sie  weitere 
namhafte  Begünstigungen.  Das  am  22. 
Juni  1867  vereinbarte  Additional-Ueber- 
einkommen  zur  Concessions  -  Urkunde 
gewährte  nämlich  dem  Unternehmen 
einen  in  gesellschaftlichen  Actien  al  pari 
zurückzuzahlenden  Staatsvorschuss  von 
5,000.000  fl.,  ferner  die  Erhöhung  der 
Staatsgarantie  auf  2,948.390  fl.,  die  Aus- 
dehnung der  Steuerfreiheit  [von  zwei]  auf 
neun  Jahre  und  die  Bewilligung  zur  Aus- 
gabe von  Prioritäts-Obligationen  im  dop- 
pelten Betrage  des  Actiencapitals. 

In  solchem  Masse  ausgestattet,  hielten 
die  Concessionäre  nun  auch  ihrerseits  das 


*)Vgl.Bd.I,l.Theil,H.Strach,Geschichte 
der  Eisenbahnen  Oesterreich-Ungarns  von  den 
ersten  Anfängen  bis  zum  Jahre  1867.    S.  487. 


!  Stadium    der  Concessionirung   für  abge- 
schlossen   und    begannen    mit    den    Vor- 
kehrungen  zur   Durchführung    der   Con- 
I  cession,    indem    sie    sozusagen    mit   sich 
\  selbst,    nämlich  mit  Hektor    Riche,    dem 
\  Chef   des    Hauses   Gebrüder   Riche,    am 
I  28.  Juni  1867  einen  Bauvertrag  errichteten, 
|  der  ihnen  den  Bau  und  die  vollständige 
Ausrüstung   der  Bahn,   gegen  eine  Pau- 
schalentlohnung   von    36,000.000    fl.    in 
baarem    Gelde,    übertrug.      Dieser    Ver- 
trag wurde  jedoch  vom  Finanzministerium 
beanstandet,    sowohl    wegen   der   Unzu- 
träglichkeit,   dass    der    Bauunternehmer 
zugleich     Hauptconcessionär      sei,      als 
auch    wegen    der  Stipulationen,    wonach 
den  Gebrüdern   Riche   noch  vor  der  In- 
angriffnahme    des    Baues     beträchtliche 
Summen  ausgefolgt  werden  sollten. 

Das  war  den  Concessionären  sehr  un- 
willkommen ;  denn  die  Nichtgenehmigung 
des  Vertrages  brachte  einen  Aufschub  der 
Wirksamkeit  des  Additional  -  Ueberein- 
kommens,  daher  auch  der  Flüssigmachung 
des  Staatsvorschusses,  mit  sich.  Sie  er- 
klärten darum  in  einer  am  13.  August  1867 
beim  Finanzministerium,  unter  Beiziehung 
eines  Delegirten  der  königlich  ungarischen 
Regierung,  stattgefundenen  Conferenz,  jene 
Stipulationen  aus  dem  Vertrage  zu  strei- 
chen und  gaben  auch  ihre  Eigenschaft 
als  Concessionäre  auf,  indem  sie  am 
31.  August  1867  die  Concession  sammt 
allen  daran  haftenden  Rechten  und 
Pflichten  an  den  Grafen  Andre  Langrand- 
Dumonceau,  beziehungsweise  an  die  von 
demselben  gegründete  »Banque  de  credit 
foncier  et  industriel«  in  Brüssel  cedirten, 
wogegen  diese  den  Bau  neuerlich  an 
die  Gebrüder  Riche  übertrug. 

Auf  Grund  dieser,  am  3.  Septem- 
ber 1867  dem  ungarischen  Finanz- 
ministerium vorgelegten  Abmachungen 
erbaten  sich  die  Concessionäre  die  Ge- 
nehmigung der  an  Stelle  des  früheren  Bau- 
vertrages aufgestellten  »Baubedingnisse« 
und  die  Flüssigmachung  des  Staatsvor- 
schusses, zur  einen  Hälfte  sobald  3O°/0 
des  Actiencapitals  eingezahlt  sind,  zur 
anderen  Hälfte  nach  Massgabe  des  Bau- 
fortschrittes. Dem  wurde  stattgegeben. 
Allein  die  im  October  1867  in  Brüssel 
versuchte  Begebung  der  Actien  miss- 
glückte. Nichtsdestoweniger  machten  die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


129 


verbündeten  Bank-  und  Bauunternehmer 
alle  Anstrengungen,  leistungsfähig  zu 
erscheinen ;  der  Bau  der  kurzen  öster- 
reichischen Strecke  wurde  im  Spät- 
herbste 1867  in  Angriff  genommen. 
Da  sie  aber  nicht  einmal  hiezu  die 
Mittel  aus  Eigenem  beistellen  konnten, 
wurde  die  Situation  gar  bald  unhaltbar, 
weshalb  die  Banque  de  credit  am 
29.  April  1868  die  Concession  an  die 
»Society  de  credit  foncier  international« 
[eine    andere    Langrand'sche  Gründung] 


aber  der  mangelhaften  Herstellung  wegen 
in  der  Zeit  vom  15.  März  bis  5.  Mai 
1 869  für  den  Personenverkehr  geschlossen 
bleiben  und  erforderte  auch  späterhin  noch 
umfassende  Nacharbeiten.  Inzwischen 
war  die  letzte,  mit  15.  Februar  1869 
endigende  Frist,  binnen  welcher  die  Con- 
cessionäre  den  Nachweis  eines  verfügbaren 
Capitals  von  mindestens  8,000.000  fl. 
erbringen  sollten,  fruchtlos  verstrichen. 

Graf  Langrand-Dumonceau  und  seine 
Affiliirten    suchten    daher,     so    viel    sie 


Abb.  72.     Oderberg  [Kaschau-Oderberger  Bahn].     [Nach  ein 

von  Erdelyi,  Budapest.] 


^bischen  Aufnahme 


weiter  cedirte,  die  es  übernahm,  die  Ver- 
pflichtungen ihrer  Vorgängerin  zu  erfüllen. 

Diese  neue  Abmachung  sowie  zu- 
gleich auch  das  Statut  für  die  zu 
errichtende  Actien-Gesellschaft  der  Ka- 
schau-Oderberger Eisenbahn  erhielten 
zufolge  der  a.  h.  EntSchliessung  vom 
10.  August  1868  die  ministerielle  Ge- 
nehmigung, woraufhin  die  Constituirung 
der  letztgenannten  Gesellschaft  oder, 
richtiger  gesagt,  blos  die  Einsetzung 
eines  Verwaltungsrathes  vor  sich  ging; 
denn  auch  das  zweite  Langrand'sche 
Finanzinstitut  war  nicht  im  Stande,  die 
Actien  an  Mann  zu  bringen. 

Der  Bau  wurde  jedoch  recht  und 
schlecht  weitergeführt ;  die  3 1  '6  km  lange 
Strecke  Oderberg- Teschen  gelangte  am 
I.  Februar   1869    zur  Eröffnung,    musste 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


konnten,  aus  dem  Schiffbruche  zu  retten 
und  die  Concession,  deren  Verfall  bereits 
drohte,  in  andere  Hände  zu  bringen. 
Die  Anglo-österreichische  Bank  erklärte 
sich  am  12.  Februar  1869  zu  dieser 
Uebernahme  bereit.  Es  begannen  nun 
unter  Mitwirkung  der  beiderseitigen 
Regierungen  Verhandlungen,  deren  Er- 
gebnis das  Uebereinkommen  ddto.  Pest, 
21.  April  1869,  war,  vermöge  dessen 
die  Societe  de  credit  foncier  internatio- 
nal alle  ihre  aus  der  Concession  für 
die  Kaschau-Oderberger  Bahn  hervorge- 
gangenen Rechte  und  Verbindlichkeiten, 
mit  Genehmigung  der  beiderseitigen  Re- 
gierungen, an  die  Anglo-österreichische 
Bank  übertrug,  welche  wieder  den  Bau 
und  die  Ausrüstung  der  Bahn  den  durch 
Cession  der  Brüder  Riche   an   die  Stelle 


130 


Ignaz  Konta. 


der  letzteren  getretenen,  solidarisch  ver- 
pflichteten Bauunternehmern  :  Ignaz 
Deutsch  und  Sohn,  Adolf  Tafler,  Hein- 
rich Kohner  und  Bruder,  Brüder  Fischl, 
Heinrich  Brühl  und  Söhne,  Wahrmann 
und  Söhne  und  Friedrich  Müller  überliess 
und  sich  anheischig  machte,  je  eher  eine 
Neubildung  der  Kaschau-OderbergerEisen- 
bahn  -  Gesellschaft,  beziehungsweise  des 
Verwaltungsrathes  derselben  zu  bewirken. 

Die  Anglo-österreichische  Bank  ging 
sogleich  ans  Werk.  Nach  Vollzug  der 
Uebergabe  der  Bauten  an  die  neuen 
Unternehmer,  nahm  sie  die  Organisirung 
der  Geschäftsleitung  vor,  wobei  —  unter 
gleichzeitiger  Auflösung  der  Wiener  Be- 
triebs-Direction  —  eine  General-Direction 
für  die  allgemeine  Geschäftsführung  und 
eine  Baudirection  zur  Ueberwachung 
des  Baues,  beide  mit  dem  Sitze  in  Pest, 
errichtet  und  der  Ober-Inspector  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft,  Arthur  Vi- 
comte  de  M  a  i  s  t  r  e,  zum  General-Director 
und  der  Bau-Inspector  der  Südbahn, 
Wilhelm  Renschier,  zum  Baudirector 
ernannt  wurden;  dann  begab  sie  die 
Actien  [exclusive  der  zur  Refundirung 
des  Staatsvorschusses  zurückbehaltenen 
25.000  Stück,  also  72.000  Stück  ä  200  fl.] 
zum  Curse  von  85%  auf  offenem  Markte 
[Ende  Juni  1869],  ferner  legte  sie  von 
den  Prioritäts-Obligationen  im  Gesammt- 
betrage  von  38,825.000  fl.  einen  Theil- 
betrag  von  5,000.000  fl.  [25.000  Obli- 
gationen ä  200  fl.]  zum  Curse  von  88°/0 
mit  bestem  Erfolg  zur  öffentlichen  Zeich- 
nung auf  [16.  December  1869]  und  berief 
schliesslich  eine  ausserordentliche  General- 
versammlung für  den  28.  Februar  1870 
nach  Pest  ein,  deren  Tagesordnung 
die  Neubildung  des  Verwaltungsrathes 
und  der  betreffenden  Statutenänderung 
umfasste,  welch'  letztere  noch  in  sessione 
durch  den  Regierungsvertreter  die  Ge- 
nehmigung erhielt. 

Durch  diese  tiefgreifenden  Mass- 
nahmen gleichsam  von  Grund  auf  neu 
errichtet,  von  den  Fictionen,  in  die  sie 
verstrickt  war,  befreit  und  bewährten 
Unternehmern  anvertraut,  konnte  die 
Kaschau-Oderberger  Bahn  jetzt  endlich 
den  bestehenden  Bahnen  zugezählt 
werden.  Freilich  kamen  für  sie  späterhin 
noch  einmal  schwere  Zeiten,  doch  haben 


die  betreffenden  Geschehnisse,  bei  denen 
es  sich  fast  ausschliesslich  um  Angelegen- 
heiten der  ungarischen  Linie  handelte, 
zwar  die  Actienrente  zu  schmälern,  keines- 
wegs aber  den  Bestand  des  Unternehmens 
zu  erschüttern  vermocht. 

Die  Strecke  Teschen  -  Sillein,  von 
welcher  32*2  km  auf  österreichischem 
Gebiete  liegen,  wurde  am  8.  Januar  1871 
eröffnet.  Die  Entwickelung  des  Verkehres 
der  österreichischen  Linie  war  alsbald  eine 
erfreuliche  und  stetig  zunehmende,  so 
zwar,  dass  sie  in  der  verhältnismässig 
kurzen  Zeit  von  acht  bis  neun  Jahren  schon 
der  Staatsgarantie    nicht    mehr   bedurfte. 

Der  österreichische  Theil  der  Kaschau- 
!   Oderberger  Bahn  geht  von  derAnschluss- 
;   Station  Oderberg  über  eine  secundäre  Wasser- 
!   scheide    und    durch    die    Kohlengebiete    von 
1   Dombrau  und  Karwin  nach  Teschen  und  ge- 
langt durch  das  Olsathal  über  Trzynietz  nach 
JabTunkau,  von  wo  die  Bahn  durch  das  Lomna- 
thal  zur  Hauptwasserscheide   zwischen   dem 
Donau-  und  Odergebiete  heransteigt,  die  gleich- 
zeitig auch  die  Grenze  zwischen  Schlesien  und 
!   Ungarn  bildet.   Ueber  den  Jablunkapass  führt 
die  Bahn  nach  Ungarn.*)     [Abb.  72  und  73  ] 

In    der  Concessions-Urkunde   für  die 
Böhmische  Nordbahn  vom  6.  Octo- 
\  her    1865    wurde    dieser    Unternehmung 
auch  die  Verbindung  von  B  e  n  s  e  n  durch 
das  Pölzen thal  nach  Böhmisch-Leipa 
bedingungsweise  zugesichert,  beziehungs- 
weise die  Verpflichtung   zur  Herstellung 
|  dieser  Linie  auferlegt,    für    den  Fall   als 
!  eine    directe    Bahn    von     Aussig     nach 
Böhmisch-Leipa     nicht    zustande    käme 
und    die   Staatsverwaltung    jene    Verbin- 
dung im  Interesse  der  Industrie  für  noth- 
wendig  erachte. 

Die  zur  selben  Zeit  wie  die  Böhmische 
Nordbahn     concessionirte     directe    Linie 
Aussig-Böhmisch-Leipa-Liebenau       blieb 
:  unausgeführt  und  die  Regierung  forderte 
;  darum  am  7.  Januar  1869  die  Böhmische 
Nordbahn    auf,    für    den    Bau    der   Ver- 
bindungslinie durch  das  Polzenthal  Vor- 
sorge  zu    treffen.    Die    Gesellschaft   kam 
dieser  Aufforderung  willig  nach  und  er- 
i  klärte  sich   am  22.  Februar   1869  bereit, 
'  die  gedachte  Verbindung    ein  Jahr  nach 
der    Eröffnung    der    Linie   Jungbunzlau- 


*)  Betreffs  der  ungarischen  Strecke  vgl. 
III.  Bd.,  J.  Gonda,  Geschichte  der  Eisen- 
bahnen Ungarns  von  1867  bis  zur  Gegenwart 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


131 


Abb.  73.  Teschen.    [Kaschau-Oderberger  Bahn.]    [Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Erdelyi,  Budapest.] 


Kolin  [Oesterreichische  Nordwestbahn] 
dem  Betriebe  zu  übergeben. 

Auch  die  Generalversammlung  vom 
31.  Mai  1869  sprach  sich  für  die  rasche 
Vollführung  des  Baues  aus  und  ermächtigte 
den  Verwaltungsrath  zur  Beschaffung  der 
nöthigen  Geldmittel,  was  allerdings  keine 
schwierige  Aufgabe  war,  da  die  Gesell- 
schaft —  Dank  der  umsichtigen  Leitung 
des  Baues  ihrer  Stammlinie  —  von  dem 
Anlage-Capitale  derselben  eine  Summe 
von  rund  2,000.000  fl.  erspart  hatte  und 
die  Kosten  der  neuen  Linie  nicht  viel 
höher  veranschlagt  waren.  Da  ferner 
die  neue  Linie  auch  darum  besondere 
Wichtigkeit  für  die  Gesellschaft  besass, 
weil  nach  ihrer  Eröffnung  die  Kohlen- 
tarife von  Bodenbach  bis  Böhmisch 
Leipa  und  bis  Haida  nach  den  wirk- 
lichen und  nicht  mehr  nach  der  im  §  1 1 
der  [alten]  Concessions-Urkunde  hiefür 
bedungenen  kürzeren  Entfernungen  be- 
rechnet werden  konnten,  wurden  rasch 
alle  Vorkehrungen  für  den  Bau  getroffen. 

Die  definitive  Bewilligung  erfolgte 
jedoch  erst  am  16.  December  1869.  So 
kam  es,  dass  die  Inangriffnahme  der 
Arbeiten  sich  bis  zum  Frühjahre  1870 
verzögerte.  Dieselben  begannen  an  dem 
von  der  Gesellschaft  in  eigener  Regie 
ausgeführten  Tunnel  durch  den  Scharfen- 
stein,  fanden  alsbald  ihre  Fortsetzung  auf 


den  an  die  Unternehmer  Georg  Solch  und 
Adolf  Tichy  im  Pauschale  vergebenen 
übrigen  Strecken  und  waren  binnen  zwei 
Jahren  vollendet.  Die  Eröffnung  der 
20-2  km  langen  Linie  fand  am  4.  Juli  1872 
statt;  ihre  Anlagekosten  bezifferten  sich 
auf  2,556.560  fl.  Die  älteren  Strecken 
der  Böhmischen  Nordbahn  waren  bekannt- 
lich schon  seit  14.  November  1867  [Bakov- 
Böhmisch-Leipa],  beziehungsweise  seit 
16.  Januar  1869  [Böhmisch-Leipa-Rum- 
burg,  Bodenbach-Tannenberg,  Kreibitz- 
Neudörfel -Warnsdorf ]  im  Betriebe. 

Die  Böhmische  Nordbahn  geht  von 
der  Station  Bakov  aus,  folgt  in  ihrem  Zuge 
gegen  Tannenberg  dem  Iserthale  bis  Klein- 
weisel  und  wendet  sich  hierauf  in  das  Thal 
des  Weissbaches,  in  welchem  sie  bis  zur 
Station  Weisswasser  verbleibt.  Von  da  ab 
bis  zu  der  secundären  Wasserscheide  am 
Stationsplatze  Bösig  läuft  dieselbe  in  einem 
ziemlich  steilen  und  engen  Thale  grössten- 
theils  an  der  Seite  des  »Waldsteinruhe  — 
Thiergartensc.  Bei  Böhmisch-Leipa  übersetzt 
die  Bahn  das  Polzenthal  und  hat  nunmehr 
stetige  Steigung  bis  zu  ihrem  höchsten  Punkte, 
der  Wasserscheide  auf  der  »Antonienhöhe« 
nächst  der  Glashütte  und  der  Station  Tannen- 
berg. Von  da  aus  führt  die  Bahn  einerseits 
über  Bensen  und  Tetschen  nach  Bodenbach 
zum  Anschlüsse  an  die  Staatsbahn  und  die 
sächsischen  Bahnen,  andererseits  aber  über 
Schönfeld,  Kreibitz  und  Schönlinde  nach 
Rumburg,  resp.  in  der  Verlängerung  bis  an 
die  Gersdorfer  Strasse,  d.  i.  bis  zu  jenem 
Punkte,    von  wo  aus  die  Fortsetzung  gegen 

9* 


132 


Ignaz  Konta. 


Sachsen  projectirt  war.  Von  Kreibitz 
führt  eine  Seitenlinie  über  Niedergrund  nach 
Warnsdorf.  Vor  Rumburg  übersetzt  die  Bahn- 
trace  das  Mandauthal. 

Die  Trace  der  Strecke  Tannenberg- 
Boden  bach  hat  stetes  Gefälle.  Sie  zieht 
durch  das  Hillemühl-  und  Kamnitzbachthal  bis 
Rabstein,  auf  welchem  Zuge  die  interessante 
Felsschlucht  bei  dem  »wüsten  Schlosse«  pas- 
sirt  wird.  Bei  Rabstein  geht  die  Bahn  durch 
das  Anspachthal  und  längs  des  Polzenflusses, 
welcher  wiederholt  übersetzt  wird,  bis  Bensen 
[dem  Abzweigungspunkte  der  Verbindungs- 
strecke durch  das  Polzenthal  nach  Böhmisch 
Leipa]  und  Tetschen  und  von  da  nach  aber- 
maliger Uebersetzung  des  Polzenflusses,  dann 
der  Elbe  und  des  Eulaubaches  nach  Bodenbach. 

Die  Verbindungsstrecke  Böhmisch- 
Leipa-Bensen  geht  über Politz-Sandau und 
Franzensthal  durchwegs  im  Polzenthale  nach 
Bensen,  zwischen  den  letzteren  Stationen 
einen  357  m  langen  Tunnel  passirend. 

Die  Terrain-Verhältnisse  waren  so  über- 
aus schwierige,  dass  man  die  Böhmische 
Nordbahn  seinerzeit  als  eine  unmittelbar  nach 
der  Semmering-  und  Brennerbahn  rangirende 
Gebirgsbahn  bezeichnete.  [Vgl.  Abb.  74 — 77 
sowie  Abb.  315—320  im  1.  Theile  des  Bd.  I.] 

Warum  und  wodurch  die  gänzliche 
Ausführung  der  Fortsetzungsstrecke  T  e  p- 
litz-Dux-Komotau,  welche  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  am  10.  Mai  1866 
concessionirt  worden  war,*)  verzögert 
wurde,  ist  eigentlich  bis  heute  noch  nicht 
klargestellt.  Gemäss  §  2  der  betreffenden 
Concessions-Urkunde  war  die  Gesellschaft 
verpflichtet,  die  neue  Strecke  in  der  Aus- 
dehnung bis  Dux  binnen  Jahresfrist  und 
den  weiteren  Theil  spätestens  ein  Jahr 
nach  Inbetriebsetzung  der  Eisenbahn 
von  Komotau  in  der  Richtung  gegen 
Annaberg,  Prag  oder  Karlsbad  zu  voll- 
enden. Die  10  km  lange  Theilstrecke  bis 
Dux  wurde  am  14.  Juli  1867  eröffnet;  mit 
dem  Weiterbau  aber  scheint  die  Gesell- 
schaft zugewartet  zu  haben,  bis  jene  in  der 
Concession  vorgesehene  Voraussetzung 
zugetroffen,  beziehungsweise  der  Bahn  in 
Komotau  ein  Anschluss  gesichert  war. 

Dieses  Abwarten  passt  zwar  nicht  ganz 
zu  der  Dringlichkeit,  mit  welcher  die 
Gesellschaft  sich  wiederholt  um  die  ge- 
nannte Fortsetzung  beworben  hatte, 
dürfte  jedoch  der  richtige  Erklärungs- 
grund für    die  Verzögerung    sein ;     denn 


•1  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  H.  Strach,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  Oesterreich-Ungarns 
von  den  ersten  Anfängen  bis  1867,  S.  367. 


als  das  Abgeordnetenhaus,  bei  den  Ver- 
handlungen über  die  Sicherstellung  der 
Böhmischen  Nordwestbahn,  den  Ausbau 
der  Linie  Dux-Komotau  urgirt  und  das 
Ministerium  die  Berücksichtigung  dieses 
Verlangens  dem  Verwaltungsrathe  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  nahegelegt  hatte, 
Hess  sich  dieser  seitens  der  Generalver- 
sammlung vom  30.  Mai  1868  ausdrücklich 
ermächtigen,  die  Geldmittel  für  den  Bau 
zu  beschaffen  und  denselben  »so  zu  be- 
ginnen, dass  die  neue  Linie  gleichzeitig 
mit  einer  der  von  Komotau  nach  Prag, 
Eger  oder  Sachsen  projectirten  Bahn- 
linie eröffnet  werden  kann«. 

Diese  Generalversammlunghatte  gleich- 
zeitig auch  das  Vorhaben,  eine  Zweigbahn 
von  Dux  nach  Schwaz  zu  führen,  ge- 
nehmigt. Das  Ministerium  ertheilte  am 
7.  November  1868  die  Bewilligung  zu 
dieser  kleinen  Anlage,  welche  übrigens 
noch  später  als  die  Komotauer  Linie  zur 
Ausführung  kam. 

Die  Geldmittel  für  die  erwähnten 
Neubauten  sowie  zugleich  auch  für 
Vervollständigungen  der  alten  Linie, 
beschaffte  die  Gesellschaft  gegen  Ende 
1868,  und  zwar  durch  Wiederaus- 
gabe der  im  Jahre  1858  aus  dem  Ver- 
kehre gezogenen  5000  Stammactien 
ä  210  fl.,  dann  durch  Emission  von  1700 
neuen  Actien  ä  210  fl.  und  durch  Auf- 
nahme eines  Prioritäts-Anlehens  im  Be- 
trage von  2,700.000  fl.  [18.000  Obliga- 
tionen ä  1 50  fl.] ;  die  ersteren  Titel  wur- 
den den  Besitzern  der  älteren  Actien  al 
pari  überlassen,  die  Obligationen  hin- 
gegen zum  Curse  von  86°/0  an  die  All- 
gemeine deutsche  Credit- Anstalt  in  Leipzig 
begeben. 

Der  Bau  selbst  hat  jedoch  erst  im 
Sommer  1869  begonnen  und  die  Er- 
öffnung der  3Ö-9  km  langen  Strecke  Dux- 
Komotau  am  8.  October  1870  stattge- 
funden. Nachher  gelangte  auch  die  4*  1  km 
lange  Verbindung  Dux-Schwaz  zur 
Ausführung  und  am  24.  März  1871  zur 
Eröffnung. 

Von  Interesse  ist  der  Umstand,  dass 
die  Aussig-Teplitzer  Bahn,  zur  Zeit  ihres 
bedächtigen  Zuwartens  mit  dem  Baue 
der  Dux-Komotauer  Linie,  grosse  ander- 
weitige Bahnprojecte  verfolgte,  nämlich : 
Preschen-Straschitz  [in  Gemeinschaft  mit 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


133 


der  Buschtehrader  Bahn],  Tetschen-Nim- 
burg  und,  etwas  später,  Ossegg-Komotau. 
Sie  brachte  jedoch  keines  derselben  zu- 
wege; das  erstgenannte  gab  sie  selbst 
auf  [5.  Mai   1870]. 

Die  Fortsetzung  der  Aussig-Teplitzer 
Eisenbahn  von  Dux  nach  Komotau  durch- 
schneidet das  am  Fusse  des  Erzgebirges  ge- 
legene mächtige  Braunkohlenlager  des  nord- 
westlichen Böhmens.  Mit  dem  Gebirgszuge 
nahezu  parallel  ziehend  geht  sie  in  einem 
durchwegs  wellenförmigen  Terrain,  das  Biela- 
thal  bei  Brüx  übersetzend,  bis  Komotau,  wo 
sie  gleichzeitig  auch  ihren  höchsten  Punkt 
findet.  Weder  hier  -noch  auf  dem  kurzen, 
über  die  Biela  führenden  Flügel  D  u  x  -  S  c  h  w  a  z 
waren  ausser  einigen  bedeutenderen  Auf- 
dämmungen und  Einschnitten  und  der  Biela- 
brücken  nennenswerthe  Bauwerke  auszu- 
führen. 

Zur  weiteren  Ergänzung  des  That- 
sachen-Materiales  aus  dem  besprochenen 
Zeitabschnitte  ist  auch  noch  Folgendes 
anzuführen : 

Wie  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  hatte 
auch  die  Böhmische  Westbahn  im 
Jahre  1869,  bei  gleichzeitiger  Erhöhung 
ihres  Anlage-Capitals  durch  Emission  von 
Prioritäts-Obligationen  im  Betrage  von 
3,000.000  fl.,  ihre  Garantieschuld  an  den 
Staat  getilgt  und  ihr  Abhängigkeits- 
verhältnis zum  Staate  abgestreift;  sie 
zahlte  für  die  Schuld  von  1,515.353  fl. 
25  kr.  sammt  aufgelaufenen  4%  Interessen, 
1,500.000  fl.  in  Prioritäten  [Uebereinkunft 
vom  24.  Juni  1869]. 

Sowohl  die  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft, als  auch  die 
Südbahn  hatten  allen 
Ernstes  beabsichtigt,  den 
Bau  und  Betrieb  der  türki- 
schen Bahnen  oder  blos  den 
letzteren  zu  übernehmen, 
und  deswegen  eingehende 
Studien,  auch  an  Ort  und 
Stelle,  vornehmen  lassen ;  sie 
gaben  jedoch  das  ganze  Vor- 
haben wieder  auf,  nachdem 
die  mit  dem  Concessionär 
jener  Bahnen,  Baron  Hirsch, 
und  dem  Vertreter  der  Ho- 
hen Pforte,  Daud  Pascha,  in 
Paris  gepflogenen  Verhand- 
lungen eine  gedeihliche 
Vereinbarung  nicht  in  Aus- 
sicht Stellten  [1869— I870].  [Nach  einer4 


Die  Brünn-Rossitzer  Bahn  trat, 
nachdem  sie  den  Nachweis  geliefert,  dass 
sie  anlässlich  des  Anschlusses  des  Er- 
gänzungsnetzes  der  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft einen  Betrag  von  300.000  fl. 
aufgewendet  habe,  zufolge  Erlasses  des 
Handelsministeriums  vom  13.  November 
1869,  beziehungsweise  auf  Grund  des 
Uebereinkommens  vom  1.  December  1866, 
ab  1.  Januar  1870  in  den  Genuss  der 
staatlichen  Garantie  eines  jährlichen 
Reinertrages  von   175.000  fl. 

Die  Wien  er  Verbindungsbahn, 
welche  bis  dahin  Eigenthum  des  Staates 
gewesen,  wurde  zufolge  a.  h.  EntSchliessung 
vom  21.  Januar  1870,  beziehungsweise 
auf  Grund  des  Uebereinkommens  vom 
25.  Januar  1870,  an  die  sechs  in  Wien  ein- 
mündenden Bahnen  [und  zwar  Südbahn, 
Staatsbahn-Gesellschaft,  Nordbahn,  Nord- 
westbahn, Franz  Josef-Bahn,  Elisabeth- 
Bahn]  auf  90  Jahre  concessionirt  und, 
mittels  des  gleichzeitig  vereinbarten,  jedoch 
erst  am  20.  Februar  1870  abgeschlossenen 
Kauf-  und  Verkaufsvertrages,  zu  gleichen 
Antheilen  um  den  Preis  von  2,000.000  fl. 
verkauft. 


Das  Jahr  1871  schien  sich  seinen 
letzten  Vorgängern  würdig  anreihen  zu  wol- 
len. Die  Projectirungen  und  Concessions- 
Werbungen  nahmen  neuerdings  zu  und  das 
Handelsministerium  traf  Zurüstungen,  um 
den  grossen  Geschäftsandrang    glatt  be- 


Bühmisch  Leipa.     [Böhmische  Nordbahn.] 
photographischen  Aufnahme  von  A.  Schmeykal.] 


134 


Ignaz  Konta. 


wältigen,  wie  auch  um  über  genügendes 
Personale  zur  technischen  Untersuchung 
und  Bearbeitung  der  in  dem  Promemoria 
des  Freiherrn  von  Pretis  namhaft  ge- 
machten  Probleme  verfügen   zu  können. 

Mit  I.  Januar  187 1  trat  die  am 
6.  December  1870  a.  h.  genehmigte 
Organisation  der  k.  k.  General-Inspec- 
tion  der  österreichischen  Eisenbahnen  in 
Wirksamkeit,  wobei  diese  Behörde  in 
zwei  selbständige  Abtheilungen  gegliedert 
wurde.  Ausser  den  hiedurch  bedingt  ge- 
wesenen, traten  damals  noch  andere 
wichtige  Personalvermehrungen  im  Han- 
delsministerium ein. 

Der  am  6.  Februar  1871  als  Handels- 
minister in  das  Cabinet  Hohenwart  be- 
rufene Universitätsprofessor  Dr.  Albert 
Schäffle  wollte  nämlich  technische  Be- 
rather zur  Seite  haben  und  trug  eine  solche 
Vertrauensstellung  seinem  Landsmanne, 
dem  vortheilhaft  bekannten  ehemaligen 
Baudirector  der  Südbahn,  Wilhelm 
Pres  sei  an,  der  aber,  wegen  seiner 
Engagements  bei  orientalischen  Eisen- 
bahn-Projecten  einen  anderen  Landsmann, 
seinen  Jugendfreund  und  Studiengenossen 
Wilhelm  von  Nördling  vorschlug, 
der  nun  als  Hofrath  und  bautechnischer 
Consulent  ins  Ministerium  einzog,  ebenso 
wie  Max  Maria  Freiherr  von  Weber  als 
betriebstechnischer  Consulent. 

Ebenso  rührig  wie  die  Ordnung  der  Per- 
sonalien, hatte  der  neue  Minister  auch  so- 
fort die  Sichtung  der  Concessions-Gesuche 
in  die  Hand  genommen,  um  die  spruchreifen 
Projecte  ihrer  Finalisirung,  die  halbreifen 
der  Vervollkommnung  und  alle  übrigen 
der  raschen  Untersuchung  und  Bear- 
beitung zuzuführen.  Trotz  dieser  Vor- 
sorgen und  seines  redlichen  Willens  war 
es  ihm  nicht  gegönnt,  Erkleckliches  zu 
schaffen.  Der  klaffende  Riss,  der  sich 
damals  zwischen  der  Regierung  und  der 
Mehrheit  des  Reichsrathes  aufgethan, 
vereitelte  jegliches  harmonische  Zusam- 
menwirken. So  lange  es  sich  um  die 
beiden  noch  von  der  früheren  Regierung 
herrührenden  Gesetzentwürfe  oder  um 
die  wenigen,  im  ersten  Halbjahre  1871 
eingebrachten  kleinen  neuen  Vorlagen 
handelte,  nahm  deren  legislative  Erledi- 
gung wenigstens  äusserlich  den  gewöhn- 
lichen Gang ;  als  aber  die  reine  Vertrauens- 


frage ins  Spiel  kam,  da  brach  die  Zwie- 
tracht hervor. 

Am  8.  Juni  187 1  legte  das  Ministerium 
dem  Abgeordnetenhause  ein  Gesetz  in 
Betreff  der  Steuerbefreiungen  für  neue 
Eisenbahnen  [analog  dem  Gesetze  vom 
13.  April  1870]  vor,  das  am  15.  Juni 
1871  dem  Finanzausschusse  überwiesen 
und  von  diesem  am  28.  Juni  1871  ab- 
gelehnt wurde,  mit  der  unzweideutigen 
Begründung,  dass  die  Analogie  zwischen 
dieser  Vorlage  und  dem  früheren  Steuer- 
befreiungs-Gesetze fehle,  überdies,  weil 
für  die  kurze  Zeit,  bis  zu  welcher  der 
Reichsrath  wieder  zusammentreten  müsse, 
die  Ertheilung  einer  solchen  Vollmacht 
an  die  Regierung  nicht  erforderlich  sei, 
als  auch  weil  das  Abgeordnetenhaus, 
als  es  aus  seiner  Initiative  das  frühere 
Gesetz  beschloss,  der  damaligen  Regie- 
rung einen  Beweis  grossen  Vertrauens 
entgegenbrachte.  Da  nun  am  11.  Juli  1871 
die  Vertagung  des  Reichsrathes  eintrat, 
konnte  die  Regierung  bis  zum  Wieder- 
zusammentritte desselben  mit  keiner  Con- 
cessionirung  selbständig  vorgehen,  mithin 
das  Jahr  nicht  halten,  was  es  bei  seinem 
Beginne  hoffen  liess. 

Jene  beiden  älteren  Gesetzesvorlagen 
betrafen  die  bereits  besprochene  Linie 
Villach- Tarvis  und  die  Linie  Lemberg- 
Stryj-Beskid  mit  dem  Flügel  Stryj- 
Stanislau,  die  später  den  Namen 
»ErzherzogAlbrecht-Bahn«  erhielt. 

Die  ersten  Projectirungen  dieser  Bahn, 
beziehungsweise  einzelner  ihrer  Strecken 
fielen  mit  denjenigen  der  Ersten  ungarisch- 
galizischen  und  der  Dniester  Bahn  zu- 
sammen [s.  d.].  Als  selbständiges  Unter- 
nehmen in  der  obbezeichneten  Ausdeh- 
nung wurde  sie  zum  ersten  Male  in  dem 
am  3.  März  1870  vor  das  Abgeordneten- 
haus gelangten  Gesetzentwurfe  behan- 
delt,*) nachdem  sie  schon  in  der  am 
29.  April  1869  zurückgezogenen  allgemei- 
nen   Regierungsvorlage    [vom    13.  März 


*)  In  den  Ausschussberichten  über  die 
Vorlagen  vom  3.  März  und  vom  8.  November 
1870  ist  eingangs  immer  von  einer  gleichen, 
schon  im  Jahre  1869  im  Abgeordnetenhause 
eingebrachten,  beziehungsweise  am  9.  Decem- 
ber 1869  dem  Ausschusse  zugewiesenen  Vor- 
lage die  Rede.  Das  beruht  auf  irgend  einem 
grossen  Irrthum.  Jene  Session  wurde  übrigens 
überhaupt  erst  am  14.  December  1869  eröffnet. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


135 


1869]  über  die  Vervollständigung  des 
österreichischen  Eisenbahnnetzes  an  erster 
Stelle  genannt  und  in  der  Denkschrift 
zu  dieser  Vorlage  als  besonders  wichtig 
bezeichnet  war. 

Die  Vertagung  und  hernach  Auflösung 
des  Reichsrathes  verhinderte  zwar  die  Be- 
rathung  des  Gesetzentwurfes  vom  3.  März 
1870,  er  wurde  jedoch  nach  der  Eröffnung 
des  neugewählten  Abgeordnetenhauses 
durch  die  Vorlage  vom  8.  November  1870 


Goluchowski    und    Borkowski    im  Jahre 

1869  geplant  war  und  die  Linien 
Przemysl-Stryj-Stanislau  und  Stryj-Lem- 
berg  umfasste  —  oder  das  von  der 
Lemberg-Czernowitzer     Bahn    im    Jahre 

1870  verfolgte  Project:  Lemberg-Stryj- 
Ungarische  Grenze  nebst  Abzweigun- 
gen von  Stryj  einerseits  nach  Chyröw, 
andererseits  nach  Stanislau,  oder  aber 
welches  sonstige  Project  vorlag  —  erscheint 
nirgend  angegeben.  Der  Ausschuss,  dem 


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Klein-Semmering  mit  dem  Tannenberg.     [Böhmische  Nordbahn  nächst  Schönfeld.] 


ersetzt,  zu  deren  Begründung  die  Regie- 
rung anführte,  dass  ebensowohl  handels- 
politische, als  gesammtstaatliche  Gründe, 
wie  nicht  minder  die  Wünsche  Galiziens, 
die  nunmehrige  Sicherstellung  dieser 
Bahn  nothwendig  machten  und  dass  das 
Handelsministerium,  weil  die  ihm  vor- 
gelegenen Projecte  sich  als  unzuverlässig 
erwiesen,  durch  seine  eigenen  Organe 
im  Sommer  1870  Erhebungen  an  Ort 
und  Stelle  pflegen  Hess,  deren  Ergebnis 
auch  die  genauere  Bezifferung  des 
Anlage-Capitals  ermöglichten. 

Wessen  Projecte  dies  gewesen,  ob  etwa 
diejenigen  für  die  »  Galizische  Südostbahn  « , 
welche  von  Seite  derConsortien  der  Grafen 


die  Vorlage  am  1 1.  November  zuge- 
wiesen worden,  erstattete  unterm  12.  März 
187 1  seinen  Bericht  und  schloss  sich 
hiebei  in  Betreff  der  Garantie  von 
42.000  fl.  pro  Meile  dem  Regierungs- 
entwurfe an,  beantragte  jedoch  dieselbe 
pauschaliter  im  Betrage  von  1,430.000  fl. 
zu  gewähren  und  verlangte,  dass  die 
Concessionirung  im  Concurswege  er- 
folgen, eventuell,  wenn  dies  nicht  recht 
gelingen  sollte,  der  Bau  auf  Staatskosten 
unternommen  und  hiefür  ein  Credit  von 
3,000.000  fl.  eröffnet  werde. 

Mit  diesen  Aenderungen  wurde  die  Vor- 
lage, nach  eingehender  Erörterung  am  2 1 . 
März  vom  Abgeordnetenhause,  dann  am 


136 


Ignaz  Konta. 


27.  April  vom  Herrenhause  angenommen 
und  am  25.  Mai  1871  als  Gesetz  a.  h. 
sanctionirt,  auf  Grund  dessen  das  Mini- 
sterium nun  die  Offertverhandlung  aus- 
schrieb, die  am  16.  August  stattfand.  Es 
langten  zu  derselben  acht  Angebote  ein, 
deren  höchstes  [die  ganze  im  Gesetze 
festgestellte  Garantie  von  1,430.000  fl. 
beanspruchendes]  von  der  Dniester  Bahn 
unter  Gewähr  der  Credit-Anstalt,  und 
deren  billigstes  [eine  Garantie  von 
1,280.000  fl.  nebst  25.900  fl.  jährlich 
für  die  Bahnhofmiethe  in  Lemberg  und 
Stanislau  anforderndes]  von  dem  Fürsten 
Calixt  Poninski  im  Vereine  mit  der  Oester- 
reichischen  allgemeinen  Bank  eingebracht 
worden  war.  Die  erwartete  Betheiligung 
der  Lemberg-Czernowitzer  Bahn  war  aus- 
geblieben. 

An  dem  Wesen  und  Zwecke  einer 
solchen  Verhandlung  festhaltend,  Hess 
die  Regierung  dem  billigsten  Ange- 
bote ihre  Würdigung  angedeihen,  wie- 
wohl auch  bei  diesen  Bewerbungen  wie- 
der der  Wettkampf  nicht  fehlte  und 
insbesondere  das  Consortium  des  Grafen 
Borkowski,  das  sich  bereits  als 
Concessionär  der  ungarischen  Fort- 
setzungsstrecke betrachtete,  alle  Anstren- 
gungen machte,  das  Feld  zu  behaupten. 

Das  Consortium  des  Fürsten  Calixt 
Poninski  erhielt  am  22.  October  1871  die 
Concession  für  die  Eisenbahn  von  Lem- 
berg über  Stryj  undSkole  bis  an  die 
ungarische  Grenze  am  Beskid,  zur  Ver- 
bindung mit  der  von  Munkäcs  dahin  in 
Ausführung  kommenden  ungarischen 
Strecke,  und  eine  Zweigbahn  von  Stryj 
über  Bolechöw,  Dolina  und  Kaiusz  nach 
Stanislau  zum  Anschlüsse  an  die 
Lemberg-Czernowitzer  Bahn. 

Die  Bestimmungen  dieser  Concession 
waren  sehr  reichhaltige ;  sie  schrieben 
den  Tracenzug  und  die  Einmündungs- 
punkte, das  Höchstausmass  der  Steigun- 
gen und  Krümmungen  sowie  sonstige  Ein- 
zelheiten für  die  Bauausführung  und  die 
Beschaffung  des  Fahrparkes  vor,  ver- 
fügten in  Betreff  des  Grenztunnels  am 
Beskid,  dass  derselbe  ganz  von  der 
königlich  ungarischen  Regierung  aus- 
geführt werde  und  die  Concessionäre  blos 
einen  Kostenbeitrag  von  614.500  fl.  zu 
leisten   haben,    und  wahrten    der  Staats- 


verwaltung das  Recht,  die  Herstellung 
eines  zweiten  Geleises  jederzeit  gegen 
entsprechende  Erhöhung  der  Staats- 
garantie vorzuschreiben. 

Ebenso  räumten  sie  der  Staatsver- 
waltung das  Recht  ein,  die  Bahn  schon 
nach  Ablauf  von  zehn  Jahren  einzulösen 
und,  in  dem  Falle,  als  die  Betriebs- 
einnahmen die  Betriebsauslagen  nicht 
decken  oder  die  jährlichen  Staatszuschüsse 
nicht  unter  die  Hälfte  der  garantirten 
Reineinnahmen  sinken  sollten,  den  Betrieb 
in  die  Verwaltung  des  Staates  zu  nehmen 
oder  zu  verpachten. 

Die  Staatsgarantie  war  mit  jähr- 
lich 1,280.000  fl.  bemessen  und  hatte 
für  die  Sectionen  Lemberg-Stryj  und 
Stryj  -Stanislau  je  mit  dem  Tage  der 
Eröffnung,  hinsichtlich  der  Section  Stryj  - 
Beskid  aber  nicht  früher,  als  bis  auch 
die  ungarische  Anschlussstrecke  dem 
Verkehre  übergeben  wird,  in  Wirksam- 
keit zu  treten.  Eine  mittelbare  Erhöhung 
erfuhr  diese  Garantie  dadurch,  dass  den 
Concessionären  gestattet  wurde,  dieMiethe 
für  die  gemeinschaftliche  Benützung  der 
Bahnhöfe  in  Lemberg  und  Stanislau, 
bis  zum  Betrage  von  25.900  fl.  in  die 
jährliche    Betriebsrechnung    einzustellen. 

Als  Eröffnungstermine  wurden  fest- 
gesetzt :  für  die  Strecke  Lemberg-Stryj 
längstens  1  '/2  Jahre,  für  die  Strecke  Stryj  - 
Stanislau  längstens  2]/2  Jahre,  gerechnet 
vom  Concessionsdatum,  und  für  die  Strecke 
Stryj-Beskid  der  Zeitpunkt  der  Inbetrieb- 
setzung der  ungarischen  Strecke  Beskid- 
Munkäcs. 

Angesichts  dieser  bis  dahin  noch  nicht 
oft  angewendeten  Cautelen,  aus  denen 
die  besondere  Bedachtnahme  wiederspie- 
gelte, welche  die  Regierung  dieser  neuen 
Bahn  widmete,  mögen  die  Concessionäre 
sich  etwas  beengt  gefühlt  haben ;  wenig- 
stens hiess  es  allgemein,  dass  sie  noch 
nachträglich  einige  Erleichterungen,  be- 
ziehungsweise Begünstigungen  anstrebten. 
Von  einem  Erfolge  in  dieser  Hinsicht  ist 
jedoch  nichts  bekannt  geworden,  viel- 
mehr konnte  man  wahrnehmen,  wie  gut 
auch  die  Concessionäre  die  gegebenen 
Thatsachen  zu  würdigen  wussten.  Sie 
trieben  keine  Zauderpolitik,  sondern 
trachteten  die  Concession  rasch  in  Aus- 
führung zu  bringen  und   vor  Allem    eine 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


137 


Abb.  70.    Polzenbrücke  bei  Franzenthai.     [Böhmische  Nordbahn.' 


Actien-Gesellschaft  zu  errichten.  Dies  ge- 
schah am  17.  Februar  1872,  auf  Grund 
des  am  12.  Februar  behördlich  genehmig- 
ten Statutes. 

Die  Gesellschaft,  welche  die  Firma: 
»K.  k.  priv.  Erzherzog  Albrecht- 
Bahn«  annahm  und  ihr  Anlage-Capital 
auf  nom.  25,299.200  fl.,  zerlegt  in 
50.599  Actien  ä  200  fl.  und  in  50.598 
Prioritäts-Obligationen  ä  300  fl.,  fest- 
setzte, schrieb  am  27.  April  1872  die 
Offertverhandlung  für  die  Vergebung  des 
Baues  der  Strecke  Lemberg-Stryj  aus, 
die  am  1 1 .  Mai  stattfand  und  zum  Er- 
gebnisse hatte,  dass  die  Bauarbeiten 
der  genannten  Strecke  pauschaliter  an 
die  »Banca  di  construzione«  in  Mailand 
übertragen  wurden  [Vertrag  vom  I .  Juni 
1872];  die  Beistellung  der  Oberbau- 
Eisen-  und  Holzmaterialien  sowie  die 
gesammte  Ausrüstung  der  Bahn  behielt 
die  Gesellschaft  in  eigener  Regie. 

Nun  ging  es  an  die  Geldbeschaffung, 
welche  der  Hauptconcessionär  der  Bahn, 
d.  i.  die  Oesterreichische  allgemeine  Bank, 
sich  schon  am  14.  December  oder,  nach 
einer  anderen  Lesart,  sogar  schon  am 
1.  October  187 1  gesichert  hatte  und  jetzt 
eigentlich  nur  nach  aussen  abgewickelt 
wurde,  nachdem  die  Gesellschaft,  be- 
ziehungsweise der  Verwaltungsrath,  am 
18.  Februar  1872  ohne  weiters  in  die 
bezüglichen  Verträge  eingetreten  war. 
Die  Oesterreichische  allgemeine  Bank  hatte 
der  Gesellschaft  einen  Baarbetrag  von 
17,480.000  fl.  gutgeschrieben  und  hiefür 
die  sämmtlichen  gesellschaftlichen  Titel 
erhalten,  was  also  einen  Uebernahmscurs 


von  durchschnittlich  69%  oder,  bei  Hin- 
zuzählung der  von  ihr  zu  decken  gewe- 
senen Intercalarien  einen  Curs  von  74°/o 
ergibt.  Am  15.  Mai  1872  brachte  sie  dann 
einen  Betrag  von  nom.  12,000.000  fl., 
je  zur  Hälfte  in  Actien  und  in  Prioritäts- 
Obligationen  —  erstere  zum  Curse  von 
8o°/0,  letztere  zum  Curse  von  84'/2°/0  — 
mit  vollem  Erfolge  zur  öffentlichen  Zeich- 
nung. 

An  den  Folgen  dieser  keineswegs 
zum  Vortheile  der  Gesellschaft  ausge- 
schlagenen Verwerthung  ihrer  Titel,  hatte 
sie  denn  auch  bald  und  schwer  genug 
zu  tragen.  Vorerst  nahm  jedoch  Alles 
einen  ruhigen  Fortgang.  Es  wurde  in 
Lemberg  eine  technische  Direction  er- 
richtet, zum  Vorstande  derselben  der 
Ober  -  Inspector  der  Oesterreichischen 
Staatseisenbahn-  Gesellschaft,  Ladislaus 
von  Szczepanowski,  ernannt.  Der 
am  1.  Juli  1872  begonnene  Bau  wurde 
noch  im  selben  Jahre  auch  auf  die 
Strecke  Stryj-Stanislau  ausgedehnt,  nach- 
dem derselbe,  mittels  Bauvertrages  vom 
2.  November  1872,  trotz  der  damals  be- 
reits offenkundigen  Saumseligkeit  der 
Mailänder  Baubank,  wieder  an  diese 
Unternehmung     vergeben    worden    war. 

Die  73'5km  lange  Strecke  Lemberg- 
Stryj  gelangte  am  16.  October  1873, 
d.  i.  zwar  um  fast  sechs  Monate  später, 
als  ausbedungen  gewesen,  aber  immer- 
hin noch  ohne  besonderen  Zwischenfall 
zur  Eröffnung;  die  107-5  km  lange  Strecke 
Stryj-Stanislau,  welche  ein  Jahr  nach 
der  ersteren,  nämlich  am  22.  April  1874, 
hätte   vollendet    sein  sollen,    konnte  hin- 


138 


Ignaz  Konta. 


gegen  erst  am  i.  Januar  1875  dem 
Betriebe  übergeben  werden,  weil  die 
Bauunternehmung  vertragsbrüchig  ge- 
worden, so  zwar,  dass  die  Gesellschaft, 
da  selbst  die  versuchten  Zwangsmittel 
versagten,  sich  schliesslich  genöthigt  sah, 
die  Arbeiten  in  eigener  Regie  zu  Ende 
zu  führen.  An  den  Bau  der  Strecke 
Stryj-Beskid  war  damals  überhaupt  nicht 
mehr  zu  denken ;  denn  einerseits  war  die 
Hauptbedingung  desselben,  nämlich  die 
Ausführung  der  ungarischen  Anschluss- 
strecke in  die  Brüche  gegangen,  und 
andererseits  würden  der  Gesellschaft  auch 
die  ausreichenden  Geldmittel  gemangelt 
haben. 

Aus  dem  Vertragsbruche  der  Bau- 
unternehmung war  der  Gesellschaft  ein 
Verlust  von  beiläufig  1,742.000  fl.  er- 
wachsen ;  sie  selbst  hatte  den  Voran- 
schlag [insbesondere  für  die  Grundein- 
lösung] um  775.OOO  fl.  überschritten,  was 
allein  schon  einen  Mehrverbrauch  an 
Capital  von  rund  2,517.000  fl.  ausmachte. 
Ausserdem  blieb  noch  die  Frage  der 
Deckung  bedeutender  Mehr-  und  Nach- 
arbeiten sowie  ein  Betriebsausfall  von  etwa 
400.000  fl.  eine  offene,  beziehungsweise 
strittige. 

Wären  die  für  die  Strecke  Stryj- 
Beskid  bestimmt  gewesenen  Titel  in  der 
Höhe  von  7,500.000  fl.  erst  im  Zeit- 
punkte des  wirklichen  Bedarfes  ausge- 
geben worden,  dann  hätte  wenigstens  die 
Verzinsung  eines  unverwendeten  Capi- 
tals  die  Gesellschaft  nicht  bedrückt. 
Die  Sorge  um  die  Befreiung  von  dieser 
grossen  Last  bevvog  den  Verwaltungs- 
rath,  mit  Zustimmung  der  Regierung,  zum 
Rückkaufe  gesellschaftlicher  Werthe  im 
obigen  Betrage,  nämlich  3,000.000  fl.  in 
Actien  und  4,500.000  fl.  in  Obligationen 
[17.  bis  27.  December  1873].  Aber  auch 
hiebei  hatte  er  eine  unglückliche  Hand, 
indem  der  Rückkauf  nicht  zu  dem  mit 
der  Oesterreichischen  allgemeinen  Bank 
vereinbarten  Curse  von  74,  sondern  in 
Wirklichkeit  zum  Curse  von  78  erfolgte, 
was  gegenüber  der  ursprünglichen  Be- 
gebung wieder  einen  Schaden  von 
719.500  fl.  brachte.  Zu  alldem  kam  noch, 
dass  der  Verwaltungsrath  eine  mit  IO°/0 
verzinsliche  Schuld  bei  der  Oester- 
reichischen allgemeinen  Bank  aufgenom- 


men hatte,  die  zum  Schlüsse  des  Jahres 
1874  die  Höhe  von  2,182.300  fl.  er- 
reichte. 

So  stand  es  um  die  Erzherzog 
Albrecht  -  Bahn  kaum  drei  Jahre,  nach- 
dem sie  unter  besonderen  Bedingungen 
concessionirt  worden  war.  Der  am 
1.  Januar  1875  fällig  gewesene  Actien- 
coupon  kam  nur  mit  2  fl.  95  kr.  [statt 
mit  5  fl.]  zur  Einlösung;  späterhin  trat 
eine  noch  grössere  Kürzung  ein.  Die 
nun  angerufene  Hilfe  der  Regierung 
wurde,  wie  wir  alsbald  sehen  werden, 
allmählich  zum  bedeutenden  Theile  er- 
langt; die  Bahn  vollständig  auf  ihre  ur- 
sprüngliche Grundlage  zurückzuführen, 
wollte  jedoch  nie  mehr  gelingen ;  die 
Wirkung  der  Gründungslymphe  blieb 
eine  nachhaltige. 


Die  Linie  Lemberg  -  Stryj  nimmt 
ihren  Ausgang  von  der  Station  Lemberg  der 
Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn,  zieht  an- 
fänglich in  südwestlicher  Richtung,  gewinnt 
aber  nach  Ueberschreitung  der  Wasserscheide 
nächst  Lemberg  eine  sudliche  Richtung  und 
gelangt  ohne  nennenswerthe  Schwierigkeiten 
mit  continuirlichen  Gefällen  über  Szczerzec 
nach  Uebersetzung  des  gleichnamigen  Baches 
nach  Mikolajöw. 

Bei  Mikolajöw  wird  der  Dniester  über- 
brückt und  durchschneidet  die  Bahn  sein 
Inundationsgebiet,  daher  auf  dieser  Bahn- 
strecke eine  grössere  Anzahl  von  Inundations- 
Objecten  herzustellen  war. 

Von  da  weiter  führt  die  Bahn  in  süd- 
licher, fast  gerader  Richtung  bis  Wolica  und 
erreicht,  sich  mehr  nach  Südwest  wendend, 
mit  fortwährender  sanfter  Steigung  Stryj. 

Die  Linie  Strvj-Stanislau  zweigt 
von  der  Station  Strvj  in  südwestlicher 
Richtung  ab,  umfährt  Im  weiten  Bogen  die 
Stadt,  übersetzt  den  Stryjfluss  und  gelangt 
mit  fast  vollkommen  südlicher  Richtung  über 
Morszyn  nach  Uebersetzung  der  Wasser- 
scheide und  des  Sukielflusses  nach  Bole- 
chöw.  Von  hier  führt  die  Bahn  in  südöst- 
licher Richtung  bei  fortwährender  Steigung 
nach  Dolina  und  übersetzt  bei  Hoszöw  den 
Swicafluss. 

Kurz  vor  der  Station  Dolina  erreicht 
die  Bahn  ihren  höchsten  Punkt  [34165  m 
Seehöhe]. 

Von  Dolina  führt  die  Bahn  in  vollkom- 
men östlicher  Richtung  mit  continuirlichem 
Gefälle  und  unter  ungünstigen  Richtungs- 
verhältnissen über  Krechowice  nach  Katusz 
und  läuft  von  hier  im  Thale  des  Lomnica- 
flusses  bis  Wistowa,  wo  derselbe  übersetzt 
wird. 

Von  Wistowa  bis  fast  unmittelbar  vor 
Stanislau  sind  die  Steigungs-  und  Richtungs- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


139 


Verhältnisse  sehr  ungünstig,  indem  die  Bahn 
mehrere  Bergthäler  übersetzen  muss,  so  dass 
eine  grössere  Tracen-Entwicklung  auf  den 
Berglehnen  nothwendig  war. 

Nachdem  die  Bahn  die  rechte  Lehne  des 
Jamnicathales  überschritten,  gelangt  dieselbe 
in  das  Bystrzycathal  und  läuft  hier  2-5  km 
weit  parallel  mit  der  Lemberg-Czernowitz- 
Jassv-Bahn,  übersetzt  unmittelbar  vor  Sta- 
nislau  den  Bystrzycarluss  und  findet  in  der 
Station  Stanislau  ihren  Endpunkt. 

Beim  Bau  dieser  Strecke  ergaben  sich 
besondere  Schwierigkeiten,  da  bedeutende 
Erdarbeiten  und  grössere  Objecte  herzu- 
stellen waren,  wobei  noch  in  Betracht  kommt, 
dass  während  des  Baues  grössere  Rutschun- 
gen eintraten,  die  grosse  Consolidirungs- 
und  Entwässerungs  Anlagen  erforderten,  Ar- 
beiten, die  an  manchen  Stellen  bis  zum  Jahre 
1877  dauerten.  [Abb.  78  und  79.] 


Von  denjenigen  Linien,  deren  Con- 
cessionirung  auf  Gesetzen  beruhte,  wel- 
che die  neue  Regierung  im  Jahre  1871 
zur  legislativen  Behandlung  gebracht 
hatte,  sind  drei,  nämlich :  Die  Zweigbahn 
Komotau-Brunnersdorf  des  Busch- 
töhrader     Netzes,    dann    die    Seitenlinie 


J  Hieflau-Eisenerz  der  Kronprinz 
i  Rudolf-Bahn  und  die  Fortsetzungsstrecke 
I  Ossegg-Komotau  der  Dux-Boden- 
!  bacher  Bahn  gleichfalls  schon  früher  be- 
I  sprachen;  die  restlichen  drei  finden  im 
!   Nachstehenden  ihre  Erörterung. 

Lieboch-Wies.    Um  die  Mitte  der 
Fünfziger-Jahre  war  neben  der  Graz-Köf- 
|  lacher    auch    die    Schwanberg- Leibnitzer 
;  Bahn    projectirt;    erstere    um  die  Braun- 
I  kohle    des  Lankowitzer  und  Voitsberger 
Reviers  nach  Graz    zu    bringen,    letztere 
zu     gleichem    Zwecke     hinsichtlich    der 
]  Kohle  von  Steyregg,   Kalkgrub,  Schwar- 
zenbach,  Eibiswald  etc.     Jene  wurde  am 
26.  August   1856    an  die  Voitsberg-Köf- 
lach  -  Lankowitzer     Gewerkschaft,    diese 
erst  zehn  Jahre  später,  am  1 1 .  Juni  1 866, 
an    das  Consortium    der  Grazer  Zucker- 
raffinerie   concessionirt.       Die     Leibnitz- 
Eibiswalder     Bahn     kam    jedoch     auch 
damals     noch     nicht      zur    Ausführung; 
ihre  Concession  ward  vielmehr  über  a.  h. 
Entschliessung    vom    27.    Februar    187 1 
für  erloschen  erklärt  [Kundmachung  des 


Abb.  77.     Bodenbach.     [Nach  einem  Aquarell  von   F.  Kopallik.] 


140 


Ignaz  Konta. 


Handelsministeriums  vom  II.  März  1871]. 
Schon  etwas  früher,  als  nämlich  die 
Aussicht  auf  das  Zustandekommen  dieser 
Bahnverbindung  ernstlich  zu  schwinden 
begann,  hatte  die  fortgesetzt  zunehmende 
Kohlennoth  in  Graz  eine  andere  Ver- 
einigung, nämlich  das  Consortium  Ehren- 
fest, Hewitt-Stepsky,  veranlasst,  die  Ver- 
wirklichung des  alten  Projectes  anzustre- 
ben [1870]. 

Die  Graz-Köflacher  Bahn,  welcher  also, 
an  Stelle  des  heimgehenden,  ein  neuer  Ri- 
vale erstand,  sah  nun  nicht  müssig  zu,  son- 
dern stellte  das  Gegenproject  Lieboch- 
[Graz  -  Köflacher  Bahn]  Wies  auf  und 
fand  damit,  obwohl  sie  als  .Monopolistin 
verschrieen  war,  vielseitige  Zustimmung. 
Ihre  eigenen  Theilhaber  sprachen  sich 
in  der  ausserordentlichen  Generalver- 
sammlung vom  28.  Februar  187 1  für 
die  Erwirkung  der  Concession  aus  und  er- 
mächtigten zugleich  den  Verwaltungsrath, 
das  zur  Herstellung  der  neuen  Linie 
erforderliche  Capital  von  4,560.000  fl. 
durch  Ausgabe  von  8400  Prioritäts- 
Obligationen  ä  300  fl.  und  15.200  Actien 
ä  200  fl.  [wovon  jedoch  5000  Stück 
für  allfällige  anderweitige  Verwendung 
aufbewahrt  werden  sollten]  zu  be- 
schaffen. 

Wie  dem  steiermärkischen  Landesaus- 
schusse, der  Grazer  Handelskammer,  den 
Bezirksvertretungen  und  anderen  Körper- 
schaften, welche  das  Project  der  Graz- 
Köflacher  Bahn  befürworteten,  erschien 
dasselbe  auch  der  Regierung  zweck- 
dienlicher. Ueberdies  rechnete  sie  darauf, 
bei  den  Concessions-Verhandlungen  Zu-  j 
geständnisse  in  Betreff  der  alten  Graz- 
Köflacher  Bahn,  die  volle  Tariffreiheit 
genoss,  zu  erzielen. 

Das  Handelsministerium  brachte  also 
am  3.  Juni  1871  eine  Gesetzesvorlage  in  Be- 
treff der  Linie  Lieboch-Wies  nebst  einer 
Abzweigung  nach  S  t  a  i  n  z  im  Abgeord- 
netenhause ein,  dessen  Ausschuss  dieser 
Bahn  ebenfalls  das  Wort  redete,  weil  sie 
eine  grössere  Strecke  Landes  für  den  Ver- 
kehr erschliesse,  leicht  einen  Flügel  nach 
Stainz  entsenden  könne  und  ein  zweites 
Kohlenrevier  in  den  Bereich  von  Graz 
bringe,  wodurch  das  Monopol  der  Graz- 
Köflacher  Bahn,  falls  es  wirklich  besteht, 
abgeschwächt  werde. 


Die  Vorlage  wurde  sohin  [mit  einigen 
Zusätzen  hinsichtlich  der  Zulänglichkeit 
des  Fahrparkes  und  der  Einmündung  von 
Industriebahnen]  am  28.  Juni  vom  Ab- 
geordnetenhause, am  5.  Juli  vom  Herren- 
hause in  letzter  Lesung  angenommen, 
erhielt  am  21.  Juli  1871  die  a.  h.  Sanc- 
tion  und  bildete  dann  die  Grundlage 
der  am  8.  September  1871  der  Graz- 
Köflacher  Bahn  verliehenen  Conces- 
sion. Diese  gilt  für  die,  einen  integrirenden 
Bestandtheil  der  alten  [Graz-Köflacher] 
Bahn  bildende  Linie  von  Lieb  och  über 
St.  Florian  und  Deutsch-Landsberg  nach 
Wies  mit  einer  Abzweigung  nach  Stainz, 
welch'  letztere  übrigens  erst  dann  in 
Ausführung  kommen  sollte,  wenn  für 
dieselbe  eine  Frachtmenge  von  2,000.000 
Zoll-Centner  jährlich,  nach  dem  Er- 
kenntnisse des  Handelsministeriums,  in 
Aussicht  genommen  werden  kann. 

Als  staatliche  Begünstigung  wurde  der 
neuen  Linie  eine  zwanzigjährige  Steuer- 
freiheit gewährt,  die  mittelbar  auch  der 
alten  Linie  zugute  kam,  weil  die  Befreiung 
derart  durchgeführt  werden  konnte,  dass 
die  Entrichtung  der  Einkommensteuer  für 
die  bestehende  Bahn  nach  Massgabe  des 
Verhältnisses  der  Meilenlänge  der  alten 
zur  neuen  Linie  stattfindet.  Ebenso  wirkten 
noch  zwei  andere  Bestimmungen  auf  die 
alte  Linie  zurück,  nämlich  die  Umgrenzung 
der  Tarife  und  die  Dauer  der  Concession, 
welch'  letztere  für  beide  Linien  gleich- 
massig  auf  85  Jahre,  gerechnet  vom  Tage 
der  auf  spätestens  den  8.  September  1873 
anberaumten  Eröffnung  der  Linie  Lieboch- 
Wies,  festgesetzt  wurde.  Der  Erlangung 
der  Concession  folgte  sogleich  die  Durch- 
führung derselben. 

Die  Wirksamkeit  der  neuen  Tarife 
auf  der  alten  Linie  begann  am  20.  Septem- 
ber 1871;  der  Bau  wurde  mittels  Ver- 
trages vom  25.  October  1871  an  die 
Unternehmung  Gebrüder  Pongratz  ver- 
geben, die  Emission  der  10.200  Actien 
[durch  Ueberlassung  derselben  an  die 
Besitzer  der  Actien  I.  Emission]  in  den 
Tagen  vom  15.  October  bis  II.  November 
1871  bewerkstelligt,  und  der  Bau  zu 
Beginn  des  Frühjahres  1872  in  Angriff 
genommen. 

Während  desselben  kaufte  die  Gesell- 
schaft,  vorwiegend    wegen    der  besseren 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


141 


Alimentirung  der  neuen  Linie,  die  Steyr- 
egger  und  Wieser  Kohlenwerke  an,  zu 
welchem  Zwecke,  über  Beschluss  der 
ausserordentlichen  Generalversammlung 
vom  4.  April  1872,  weitere  Prioritäts- 
Obligationen  im  Betrage  von  3,000.000  fl. 
ausgegeben  und  3700  Stück  der  ober- 
wähnten reservirten  Actien  verwendet 
wurden.  Die  restlichen  1300  Stück  der- 
selben erhielt,  zufolge  des  Vertrages  vom 
18.  Juni  1872,  die  Bauunternehmung, 
weil  die  Kosten  der  Linie  Lieboch- 
Wies  sich  durch  die,  wegen  Erzielung 
besserer  Steigungsverhältnisse,  vorgenom- 
mene Längerstreckung  der  Trace  erhöht 
hatten. 

Aus  der  am  9.  April  1873  er- 
folgten Eröffnung  dieser  51  km  langen 
Linie  nahmen  die  Interessenten  des 
Stainzer  Flügels  Veranlassung,  seinen 
Ausbau  noch  dringender  als  bisher  zu 
verlangen,  was  aber  die  Gesellschaft 
nicht  bewog,  diese  Leistung  zu  voll- 
führen bevor  die  concessionsmässigen  Be- 
dingungen derselben  [genügende  Fracht- 
menge] erfüllt  waren.  Hingegen  be- 
fasste  sie  sich  eifrigst  mit  dem  grossen 
Projecte  Wien-Novi,  das  sie  aber  ebenso- 
wenig verwirklichte  wie  jene  kleine  Aus- 
ästung nach  Stainz.  Die  Anlagekosten  der 
Linie  Lieboch-Wies  betrugen  5,728.500  fl. 

Die  Trace  der  Linie  Lieboch-Wies, 
anfänglich  neben  der  Linie  nach  Köflach 
laufend,  übersetzt  in  der  Richtung  nach 
Süden  das  Kainachthal  in  einer  Höhe  von 
7  m  über  der  Sohle,  durchschneidet  sodann 
den  von  Nordwest  nach  Südost  streifenden 
Gebirgszug,  um  in  das  Oisnitzthal  zu  ge- 
langen, in  welchem  die  Bahn  theils  an  den 
Lehnen,  theils  im  Thale  selbst  südwärts  in 
das  Thal  der  Lassnitz  gelangt,  zu  welchem 
Zwecke  der  bei  Wolfsdorf  vorspringende 
Gebirgsrücken  durchschnitten  wird.  Im 
Lassmtzthale  führt  die  Trace  aufwärts  in  west- 
licher Richtung  über  Gross-Florian  nach 
Deutsch-Landsberg,  umzieht  im  Bogen  diesen 
Ort,  um  dann  die  nördliche  Abdachung  der 
Leibenfelder  Hochebene  zu  ersteigen,  be- 
ziehungsweise mittels  eines  11 50  m  langen 
und  80  m   tiefen    Einschnittes    zu  erreichen 

Von  diesem  Plateau  aus  fällt  die  Trace 
in  südlicher  Richtung  gegen  das  Thal  der 
schwarzen  Sulm,  welches  vor  Schwanberg  in 
der  Gemeinde  Trag  zugleich  mit  dem  dortigen 
kohlenführenden  Terrain  erreicht  wird.  Von 
da  folgt  die  Trace  in  der  Richtung  nach 
Osten  der  schwarzen  Sulm.  Dieselbe  über- 
schreitend und  theilweise  in  der  nördlichen 
Abdachung  des,   die  Thäler   der   schwarzen 


und  der  weissen  Sulm  scheidenden  Aus- 
läufers der  Alpen  geführt,  durchschneidet 
sie  deren  Vorkopf  bei  Gasseisberg  mit  einem 
7  5  in  tiefen  Einschnitt,  erreicht  das  Thal 
der  weissen  Sulm  und  führt  aufwärts  des- 
selben in  der  Richtung  nach  Westen  bis 
zum  Endpunkte  Wies. 

Rumburg-Schluckenau,  Rum- 
burg-Georgswalde [Ebersbach].  Um 
dem  dichtbevölkerten,  industriereichen,  im 
nördlichsten  Theile  Böhmens  liegenden 
Bezirke  Schluckenau-Hainspach  die  so- 
lang entbehrten  Vortheile  des  Eisenbahn- 
verkehrs überhaupt,  insbesondere  aber 
auch  die  Einbeziehung  in  das  öster- 
reichische Eisenbahnnetz  zu  erschliessen, 
legte  die  Regierung,  nachdem  sie  das 
im  Jahre  1868  von  einem  Comit6  in 
Schluckenau  entworfene  Project  für  die 
Linie  von  Schandau  '[in  Sachsen]  über 
Wölmsdorf,  Hainspach  und  Schluckenau 
nach  Bautzen,  nebst  einer  Verbindung 
mit  Rumburg,  ausser  Betracht  lassen 
musste,  weil  dessen  Verwirklichung  die 
böhmische  Elbeschiffahrt  wie  nicht  minder 
auch  die  Böhmische  Nordbahn  beein- 
trächtigt hätte,  der  letztgenannten  Ge- 
sellschaft nahe,  die  eigene  Linie  bis  nach 
Schluckenau  zu  verlängern. 

Dem  entsprechend  bewerkstelligte  die 
Böhmische  Nordbahn  im  Jahre  1870 
die  Vorarbeiten  und  machte  sich  dann  an- 
heischig, die  österreichische  Theilstrecke 
der  nun  ihrerseits  projectirten  Linie 
Rumburg  -  Schluckenau  -  Bautzen 
spätestens  bis  Ende  1872  zu  vollenden, 
und  zwar  selbst  ohne  Rücksicht  auf  die 
noch  ungesicherte  Fortsetzung  bis  Bautzen, 
wenn  ihr  die  Concession  bis  Ende  Mai 
1871  verliehen  würde.  Das  Handels- 
ministerium legte  demnach  am  25.  April 
1871  dem  Abgeordnetenhause  einen  be- 
züglichen Gesetzentwurf  vor,  wonach 
der  neuen  Linie  eine  zwanzigjährige, 
allenfalls  auch  der  bestehenden  Linie 
[nach  Massgabe  des  Längenverhältnisses] 
zugute  kommende  Steuerfreiheit  gewährt, 
und  die  Dauer  der  Concession  der  ge- 
sammten  Böhmischen  Nordbahn  auf  90 
Jahre,  gerechnet  vom  Tage  der  Eröffnung 
der  neuen  Linie,  festgesetzt,  beziehungs- 
weise erstreckt  werden  sollte,  weil  sie 
ohne  eigenes  Verschulden  bis  jetzt  die 
Anschlüsse  an  die  sächsischen  Bahnen 
entbehren  musste. 


142 


Ignaz  Konta. 


78.  Ursprüngliche  Szczerzec-Brücke.  [Erzherzog  Albrecht-Bahn.] 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Bauzeit.] 


Der  Ausschuss,  dem  die  Vorlage 
am  2.  Mai  1871  zugewiesen  wurde, 
empfahl  dieselbe  mit  dem  Abänderungs- 
vorschläge, dass  die  Gesellschaft  zu 
verpflichten  sei,  »nach  der  Realisirung 
der  Anschlüsse  an  die  sächsischen  Bahnen 
in  den  drei  Richtungen  gegen  Zittau, 
Löbau  und  Bautzen,  eine  Flügelbahn  von 
Schluckenau  bis  Wölmsdorf  herzustellen«. 
Mit  allen  diesen  Bestimmungen  wurde 
die  Vorlage  nach  Passirung  der  beiden 
Häuser  des  Reichsrathes  [24.  Mai  und 
27.  Juni]  am  17.  Juli  1871  a.  h.  sanctionirt 
und  die  auf  ihr  beruhende  Concession  vom 
9.  September  1871  ausgefertigt.  Der  im 
Offertwege  an  den  Unternehmer  Franz 
Rziha  vergebene  Bau  der  0/9  km  langen 
Linie  wurde  im  Jahre  1872  beendet;  ihre 
Eröffnung  fand  am  8.  Januar  1873  statt. 

Der  am  29.  September  1869  abge- 
schlossene Staatsvertrag  zwischen  Oester- 
reich  und  Sachsen  regelt  die  Anschlüsse 
der  österreichischen  an  die  sächsischen 
Bahnen  bei  Weipert,  Gross-Schönau 
und  Georgswalde.  Der  erstgenannte 
betrifft  die  BuschtöhraderBahn,  die  beiden 
anderen  gehen  die  Böhmische  Nordbahn 
an,  einer  derselben,  nämlich  der  zwischen 
Gross-Schönau  und  Warnsdorf,  jedoch 
nur  in  wirthschaftlicher  Beziehung,  da 
die  königlich  sächsische  Regierung  es 
übernahm,  das  kleine,  über  österreichisches 
Gebiet    führende    Fragment    von    Gross- 


Schönau  über  Warnsdorf  nach 
Seifhennersdorf,  selbst  herzu- 
stellen. 

Die  Ausführung  der  Ver- 
bindung Rumbur  g-G  e  o  r  g  s- 
walde,  zum  Anschlüsse  an  die 
Süd-Lausitzer  Staatsbahn  bei 
Ebersbach,  fiel  aber  der  B  ö  h- 
mischenNordbahn  zu,  wo- 
gegen die  königlich  sächsische 
Regierung  auch  ihrerseits  eine 
Abzweigung  der  Löbau-Zit- 
tauer  Bahn  von  Löbau  aus  eben- 
falls nach  Ebersbach  zu  führen 
hatte.  Da  die  Böhmische  Nord- 
bahn die  2'2  km  lange  Theil- 
strecke  Rumburg  -  Gersdorfer 
Strasse  schon  seit  29.  October 
1869  [für  den  Kohlenverkehr] 
eröffnet  hatte,  brauchte  sie  jetzt 
nur  noch  die  4-5  km  lange  Theil- 
strecke  Gersdorfer  Strasse-Georgswalde 
[Ebersbach]  zu  bauen.  Diese  und  zu- 
gleich die  ganze  67  km  lange  Strecke 
Rumburg-Georgswalde-Ebersbach 
wurde  am  1.  November  1873  dem  allge- 
meinen Verkehre  übergeben. 

Zur  Deckung  der  Kosten  aller  dieser 
hier  besprochenen  Bauten  diente  das 
über  Beschluss  der  Generalversamm- 
lung vom  22.  Mai  1871  aufge- 
nommene Prioritäts-Anlehen  von  nom. 
4,500.000  fl.,  das  allmählich  an  die  Allge- 
meine deutsche  Credit-Anstalt  in  Leipzig 
begeben  wurde.  Mit  Zustimmung  der- 
selben Generalversammlung  bewarb  sich 
die  Gesellschaft  um  die  Concession  für 
die  Fortsetzung  der  Linie  Rumburg- 
Schluckenau  auf  sächsischem  Gebiete  bis 
Bautzen ;  die  Angelegenheit  wurde  jedoch, 
nachdem  ihretwegen  schon  viele  Ver- 
handlungen stattgefunden  hatten,  dadurch 
hinfällig,  dass  die  königlich  sächsische 
Regierung  sich  dafür  entschied,  jenen 
Bau  auf  Staatskosten  auszuführen. 

Die  Linie  Rumburg-  Schluckenau 
zweigt  vom  westlichen  Ende  der  Station 
Rumburg  ab  und  zieht  längs  des  Mandau- 
baches  hin. 

Mit  der  Uebersetzung  der  Bezirksstrasse 
nach  Nixdorf  verlässt  sTe  das  Mandauthal 
und  steigt  zur  Wasserscheide  nächst  der 
Waldecke,  von  wo  selbe,  nach  einer  Hori- 
zontalen von  231-2  in  Länge,  in  einem  con- 
tinuirlichen  Gefälle  von  I  :  75  im  Walde  gegen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


143 


Schluckenau  sich  in  mehrfachen  Krümmungen 
hinzieht. 

Die  Linie  Rumburg-Landesgrenze- 
Ebersbach  bildet  die  Verlängerung  der 
alten  Linie  Bakov-Rumburg  bis  an  die  Lan- 
desgrenze gegen  Löbau  zum  Anschlüsse  an 
die  sächsische  Staatsbahn  in  der  Station 
Ebersbach,  die  bereits  auf  sächsischem  Ge- 
biete liegt.  Ihre  Trace  führt  von  Rumburg 
aus  an  die  Gersdorfer  Strasse,  wo  für  den 
Kohlenverkehr  die  Haltestation  Gersdorf- 
Aloisburg  errichtet  wurde,  und  dann  direct 
an  die  böhmisch -sächsische  Grenze,  be- 
ziehungsweise nach  Ebersbach,  wo  sie  in 
die  sächsische  Staatsbahn  einmündet.  Ausser 
den  ziemlich  ungünstigen  Neigungsverhält- 
nissen waren  beim  Bau  keine  nennenswerthen 
Schwierigkeiten  zu  überwinden. 

Mährische  Grenzbahn.  Während 
der  Ausmittlung  der  Tracen  für  die  nörd- 
liche Staatsbahn  hatte  die  Einwohner- 
schaft der  Industrialorte  in  den  Thälern 
der  March,  Thess  und  Oskava  sich  in 
den  Gedanken  hineingelebt,  dass  die 
Brünner  Linie  dieser  Bahn  über  Prag  an 
die  sächsische  Grenze,  die  Olmützer  Linie 
hingegen  über  Hohenstadt  an  die  preussi- 
sche  Grenze  gehen  oder  doch  eine 
Abzweigung  nach  Mittelwalde  erhalten 
werde.  Der  Gedanke  war  auch  hier  ein 
Kind  des  Wunsches,  und  als  dieser  nicht 
in  Erfüllung  gegangen,  bemächtigte  sich 


der  Bevölkerung  der  bezeichneten  Gegen- 
den   eine    sehr    merkliche  Verstimmung. 

Unter  dem  Eindrucke  derselben  entstan- 
den mancherlei  Projecte  für  örtliche  Schie- 
nenwege, die  aber  bald  wieder  der  Ver- 
gessenheit anheimfielen,  so  namentlich 
das  im  Jahre  1846  zum  ersten  Male  in 
Anregung  gekommene  Project  Hohen- 
stadt -  Zöptau,  welches  erst  zwanzig  Jahre 
später,  und  zwar  abermals  aus  Anlass 
von  Bestrebungen  um  die  Gewinnung 
der    preussischen  Grenze    wiedererstand. 

Die  Zeit,  Art  und  Träger  aller  jener  Be- 
strebungen sind  schon  in  den  oben  voraus- 
gehenden Mittheilungen  über  die  Mährisch- 
schlesische  Nordbahn,  die  Mährisch-schle- 
sische  Centralbahn,  die  Hohenstadt-Zöp- 
tauer  Bahn  und  das  Ergänzungsnetz  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn  [Linie 
Wildenschwert  -  Mittelwalde]  ausführlich 
angegeben.  Darum  mag  —  des  Zusam- 
menhanges wegen  —  hier  blos  daran  er- 
innert sein,  dass  das  Schönberger  Eisen- 
bahn-Comite  sich  am  Schlüsse  der  Sech- 
ziger-Jahre im  Vereine  mit  dem  Grafen  Karl 
Althann  um  die  Linien  Sternberg-Mährisch- 
Schönberg-Hannsdorf-Niederlipka-Reichs- 
grenze  gegen  Mittelwalde  und  von  Nieder- 
lipka    nach    Wildenschwert,     dann    von 


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Abb.  79. 


Ursprüngliche  Inundationsbrücke  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn  bei  Mikolajöw. 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Bauzeit.] 


144 


Ignaz  Konta. 


Schönberg  einerseits  nach  Hohenstadt, 
andererseits  nach  Zöptau  beworben  und 
im  Jahre  1870  die  Concessionirung  der 
Linie  Wildenschwert  -  Mittelwalde  an 
die  Staatseisenbahn-Gesellschaft  vereitelt 
hatte,  indem  es  die  Garantie-Anforderung 
der  letzteren  [70.000  fl.  pro  Meile]  um 
die  Hälfte  unterbot,  jedoch  mit  diesem 
Schachzuge    nicht   viel    für  sich  erzielte. 

Rücksichtlich  der  Linie  Wildenschwert- 
Mittelwalde  war  das  Consortium  der 
Nordwestbahn  -  Concessionäre,  dem  sie 
zugleich  mit  der  Elbethal-Bahn  zufiel, 
der  gewinnende  Dritte  und  rücksichtlich 
der  Linie  Sternberg- Mittelwalde  war  dem 
Comite  nur  der  Trost  geblieben,  dass  der 
Ausschuss  des  Abgeordnetenhauses,  an- 
lässlich des  vorerwähnten  Zwischenfalles 
das  Schönberger  Project,  beziehungs- 
weise dessen  Goncessionirung  unter  Ge- 
währung einer  Staatsgarantie  von  35.000  fl. 
pro  Meile,  eventuell  den  Bau  auf  Staats- 
kosten empfahl  [Ausschussbericht  vom 
4.   April   1870]. 

Würde  der  Reichsrath  damals  nicht 
vertagt  worden  sein,  dann  hätte  das 
Eintreten  des  Ausschusses  dem  alten 
Projecte  auch  greifbaren  Vorschub  ge- 
leistet ;  so  aber  musste  das  Comitö, 
dessen  Rührigkeit  übrigens  nicht  nach- 
liess,  die  Bewerbung  von  Neuem  be- 
ginnen. Es  verband  sich  zu  diesem 
Zwecke  mit  der  Bauunternehmung  Ge- 
brüder Klein,  stellte  sich  unter  die  Füh- 
rung des  dortigen  Reichsraths-Abgeord- 
neten  Eduard  Oberleithnerund  sammelte 
bei  den  Aemtern  und  Behörden  zahl- 
reiches statistisches  Material  über  die 
voraussichtlichen  Verkehrs-  und  Rentabili- 
täts  -  Verhältnisse  der  Linie  Sternberg- 
Mittelwalde,  welche,  nachdem  die  Linien 
Wildenschwert  -  Mittelwalde  und  Hohen- 
stadt-Zöptau  inzwischen  schon  concessio- 
nirt  worden  waren,  jetzt  von  dem  alten  Pro- 
jecte noch  übrig  geblieben. 

Das  Ergebnis  jener  Erhebungen  be- 
stärkte nicht  nur  die  Zuversicht  des 
Comites  in  die  Ertragsfähigkeit  der  Bahn 
neuerdings  in  so  hohem  Masse,  dass 
es  bei  den  nunmehrigen  Verhandlun- 
gen mit  der  Regierung  glaubte,  noch 
unter  den  Garantieanspruch  von  35.000  fl. 
pro  Meile  herabgehen  zu  können,  son- 
dern es  brachte  auch  der  Regierung  die 


Meinung  bei,  dass  die  Staatsgarantie  hier 
als  eine  nominelle  zu  betrachten  sei,  da 
schon  in  den  ersten  Betriebsjahren  ein 
Reinerträgnis  von  731.826  fl.  jährlich 
gewärtiget  werde. 

Unter  diesen  günstigen  Voraussetzun- 
gen brachte  nun  das  Handelsministe- 
rium, dem  das  Abgeordnetenhaus  am 
12.  Mai  1871  wieder  zwei  einschlägige 
Petitionen  »zur  eingehendsten  Würdi- 
gung und  besonderen  Berücksichtigung« 
empfohlen  hatte,  am  29.  Mai  187 1 
einen  die  Concessionirung  der  Eisen- 
bahnen von  Sternberg  im  Anschlüsse  an 
die  Mährisch-schlesische  Nordbahn  über 
Mährisch-Neustadt,  Mährisch-Schönberg, 
Hannsdorf  und  Grulich  an  einen  Punkt 
der  Linie  Wildenschwert  -  Mittelwalde 
nächst  der  Reichsgrenze  betreffenden 
Gesetzentwurf  zur  verfassungsmässigen 
Behandlung,  in  welchem  dieser  Bahn 
eine  Staatsgarantie  von  jährlich  336.000  fl. 
und  eine  fünfzehnjährige  Steuerfrei- 
heit zugedacht  war.  Auch  der  am 
6.  Juni  1871  zur  Vorberathung  des  Ge- 
setzentwurfes eingesetzte  Ausschuss  des 
Abgeordnetenhauses  erklärte  es  für  un- 
zweifelhaft, »dass  die  neue  Linie  zu  den 
rentabelsten  österreichischen  Bahnen  ge- 
zählt werden  dürfte  und  nur  deshalb  der 
staatlichen  Begünstigung  bedarf,  weil 
die  Bedeutung  der  Bahn  in  weiteren 
Kreisen,  namentlich  auf  den  grösseren 
Geldmärkten  noch  nicht  hinreichend  be- 
kannt ist  und  die  Geldbeschaffung  durch 
eine  theilweise  Zinsengarantie  wesentlich 
erleichtert  wird«. 

Die  Erledigung  des  Gesetzes  ging 
daher  rasch  von  Statten;  es  wurde 
am  21.  Juni  vom  Abgeordnetenhause, 
am  27.  Juni  vom  Herrenhause  in  letzter 
Lesung  angenommen  und  am  14.  Juli 
1871  a.  h.  sanctionirt.  Am  2.  August 
1871  fanden  sodann  die  letzten  Ver- 
handlungen des  Ministeriums  mit  dem 
nunmehr  zu  einem  Consortium  ausgestal- 
teten Comitö  statt,  wobei  dasselbe  sich 
protokollarisch  verpflichtete,  die  Ziffer 
des  Nominal-Anlage-Capitals  sowie  den 
Begebungscurs  der  Titel  der  Genehmi- 
gung des  Handelsministeriums  zu  unter- 
werfen, gleich  die  erste  Anlage  der 
Stationsplätze  für  einen  grösseren  Zugs- 
verkehr einzurichten,    etc.,    hingegen  die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


145 


unmittelbare  Verbindung  mit  .Mittelwalde, 
soweit  sie  auf  österreichischem  Gebiete 
gelegen  ist,  grundsätzlich  '  zugesichert 
erhielt.  Am  II.  September  1871  erfolgte 
die  Concessionirung  der  genannten  Linie 
an  die  Firma  Gebrüder  Klein,  Eduard 
Oberleithner,  Karl  Oberleithner, 
etc.  etc.  unter  den  oberwähnten  sowie 
ferner  unter  den  Bedingungen,  dass  die 
Vergebung  der  Bauarbeiten  und  der  Liefe- 
rungen der  Controle  des  Ministeriums 
unterliegen  und  die  Bahn  spätestens 
binnen  drei  Jahren  vollendet  sein  müsse. 

Nach  jahrelangen  Bemühungen  der 
örtlichen  Interessenten  war  sohin  jetzt 
endlich  auch  dem  wohlhabenden  und 
industriereichen  nördlichsten  Landstriche 
Mährens  die  ersehnte  Eisenbahn -Verbin- 
dung gesichert. 

Bei  den  Voreinleitungen  für  die  Aus- 
führung derselben  hatten  die  Gebrüder 
Klein,  als  Eigenthümer  der  Hohenstadt- 
Zöptauer  Bahn ,  mit  den  Concessionären 
der  neuen  Linie  die  Zusammenlegung 
der  beiden  ineinander  greifenden  Unter- 
nehmungen vereinbart,  um  nicht  jede 
derselben  mit  den  Spesen  einer  eigenen 
Verwaltung  belasten  zu  müssen.  Da 
also  bei  dieser  Transaction  keinerlei 
geschäftliche  Absichten  vorwalteten,  hielt 
sich  der  Ankaufspreis  für  die  Hohenstadt- 
Zöptauer  Bahn  einfach  auf  der  Höhe  der 
von  ihren  Erbauern  auf  sie  verwendeten 
Selbstkosten,  die  in  Titeln  der  neuen 
Bahn,  und  zwar  nom.  1,000.000  fl. 
in  Actien  und  nom.  1,000.000  fl.  in 
Prioritäts  -  Obligationen  rückzuvergüten 
waren.  Demnach  wurde  das  Anlage- 
Capital  der  vereinigten  Linien  auf  nom. 
17,000.000  fl.,  nämlich  9  Millionen  in 
Actien  und  8  Millionen  in  5°/0igen 
Prioritäts-Obligationen,  festgesetzt. 

All  dies  geschah  im  Einvernehmen  mit 
dem  Wiener  Bankverein  —  der  die  säfnmt- 
lichen  auszugebenden  Titel  zu  einem  durch- 
schnittlichen Curse  von  rund  8o0/0  auf  feste 
Rechnung  nahm  —  und  wurde  am  15. 
Februar  1872  in  Vertragsform  gebracht. 
Daran  schloss  sich  die  am  16.  April  1872, 
auf  Grund  des  am  3.  März  1872  be- 
hördlich genehmigten  Statutes,  vollzogene 
Constituirung  der  Actien  -  Gesellschaft 
»k.  k.  priv.  MährischeGrenzbahn«, 
sodann  die  Einrichtung  der  Geschäfts- 
Geschichte  der  Eisenbahnen.    I.  Band,  2.  Theil. 


leitung,  wobei  der  Bureauchef  der  Süd- 
bahn, Ignaz  K  o  n  t  a,  zum  General-Secretär, 
der  Bauführer  der  Hohenstadt-Zöptauer 
Bahn,  Theodor  Rodler,  zum  bauleitenden 
Ober-Ingenieur  und  [etwas  später]  der  Be- 
triebs-Inspector  der  letztgenannten  Bahn, 
Franz  Schaff  er,  zum  Betriebsleiter  er- 
nannt wurden. 

Am  20.  Juni  1872  erfolgte  die 
Vergebung  des  Baues  an  die  Wiener 
Eisenbahn-Baugesellschaft,  die  am  31.  Juli 
1872  mit  den  Arbeiten  begann.  Mittler- 
weile hatte  am  1.  Juli  die  Uebernahme 
der  Hohenstadt-Zöptauer  Bahn  in  das 
Eigenthum  der  Mährischen  Grenzbahn, 
wie  auch,  am  18.  Juli  1872,  die  Emission 
der  sämmtlichen  Actien  und  Obligationen, 
erstere  zum  Curse  von  174,  letztere  zum 
Curse  von  186,  im  Wege  der  öffentlichen 
Zeichnung  stattgefunden. 

Der  Bau  nahm  anfänglich  einen 
guten  Fortgang,  erfuhr  jedoch  nachher 
dadurch  einige  Verzögerung,  dass  die 
Wiener  Eisenbahn  -  Baugesellschaft  zu 
Beginn  des  Jahres  1873  in  Liqui- 
dation kam  und  der  Bau  anderweitig 
sichergestellt  werden  musste,  was 
übrigens  bald  bewerkstelligt  war,  da 
die  Unternehmung  Gebrüder  Klein  in 
alle  Rechte  und  Pflichten  des  Pauschal- 
vertrages mit  der  früheren  Bauunter- 
nehmung eintrat,  daher  die  Ausführung 
der  sämmtlichen  Bauarbeiten  übernahm, 
während  die  Ausrüstung  der  Bahn  und 
die  Beschaffung  des  Fahrparkes,  nach 
wie  vor,  eigene  Sache  der  Gesellschaft 
blieb.  Der  am  27.  März  1873  abge- 
schlossene neue  Bauvertrag  erhielt  am 
8.  April  1873  die  Genehmigung  des 
Ministeriums. 

Die  neue,  bestbewährte  Unternehmung 
hatte  auch  hier  wieder  eine  Probe 
ihrer  längst  bekannten  und  anerkannten 
Leistungsfähigkeit  geliefert,  indem  sie  die, 
nach  Befund  der  staatlichen  Aufsichts- 
organe, ganz  musterhaft  ausgeführte 
Bahn  schon  mit  Ende  September  1873 
bis  Grulich  betriebsfähig  vollendete.  Dies 
bestimmte  den  Verwaltungsrath,  die 
80/9  km  lange  Linie  Sternberg- 
Grulich,  wenn  auch  vorerst  noch 
für  Rechnung  des  Baues,  sogleich  dem 
Betriebe  zu  übergeben ;  ihre  Eröffnung 
sowie  zugleich  auch  die  Uebernahme  des 

10 


146 


Ignaz  Konta. 


bis  dahin  von  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  besorgten  Betriebes  der 
Hohenstadt-Zöptauer  Bahn  in  die  eigene 
Regie  der  Mährischen  Grenzbahn  erfolgte 
am  15.  October  1873.  Die  2*9  km 
lange  Theilstrecke  von  Grulich  bis  zur 
Einmündung  in  die  Nordwestbahn  bei 
Lichtenau  wurde  erst  am  14.  Januar 
1874  eröffnet  und  zunächst  von  dieser 
Anschlussbahn  betrieben,  die  damals 
ihr  Ergänzungsnetz  ebenfalls  schon  bis 
Lichtenau  dem  Verkehre  übergeben,  aber 
die  Verbindungen  nach  Mittelwalde  und 
Wildenschwert  noch  nicht  fertiggestellt 
hatte. 

Sechs  Monate  später  hörte  der  so- 
genannte Baubetrieb  auf  und  es  begann 
mit  dem  fernerhin  auf  Rechnung  der 
Gesellschaft  gehenden  Betriebe  auch  die 
Wirksamkeit  der  Staatsgarantie,  die  sich 
alsbald  nicht  nur  als  nothwendig,  sondern 
vielmehr  als  unzureichend  erwies,  da  der 
Verkehr  andauernd  ein  nur  spärlicher 
blieb. 

Aus  dieser  schon  während  des  Bau- 
betriebes wahrnehmbar  gewordenen  Er- 
scheinung, die  zu  den  günstigen  Aus- 
sichten und  Erwartungen,  unter  denen 
die  Mährische  Grenzbann  ins  Leben  ge- 
rufen wurde,  so  sehr  im  Gegensatze 
stand,  erkannte  der  Verwaltungsrath, 
dass  eine  Vorsorge  für  die  Sicherung  der 
Zukunft  des  gesellschaftlichen  Unter- 
nehmens dringend  noth  thue  ;  er  befasste 
sich  daher  mit  der  Frage  der  ehemög- 
lichsten Erzielung  eines  directen  An- 
schlusses der  eigenen  Linie  an  das 
preussische  Bahnnetz,  wie  auch  mit  Pro- 
jecten  für  die  Erweiterung  ihres  Verkehrs- 
gebietes, unter  denen  die  Linie  Mährisch- 
Neustadt-Gaya,  beziehungsweise  Göding 
die  erste  Stelle  einnahm. 

Inzwischen  war  aber  die  Nordwestbahn 
—  sei  es  weil  sie  auch  hier  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft und  der  Nordbahn  näher 
an  den  Leib  rücken  mochte,  sei  es  weil  ihre 
Geldkräfte  auch  diejenigen  der  Mährischen 
Grenzbahn  waren  und  diese  die  letztere 
bei  Zeiten  stützen  wollten  —  mit  einem 
Fusionirungsantrage  hervorgetreten,  wo- 
nach sie  [die  Nordwestbahn]  die  Priori- 
tätsschuld der  Grenzbahn  vollständig 
und  deren  Actien  zum  Preise  von  nom. 
140  fl.  pro  Stück,  zahlbar  in  Nordwest- 


bahn-Actien  lit.  A,  übernehmen  würde. 
Der  Verwaltungsrath  legte  nun  die  An- 
gelegenheit der  am  25.  Juni  1874  abge- 
haltenen ersten  ordentlichen  General- 
versammlung vor,  und  diese  ermächtigte 
ihn,  den  Fusion s vertrag  abzuschliessen, 
wie  auch,  im  Falle  des  Nichtzustande- 
kommens  der  Vereinigung  Concessionen 
für  Fortsetzungslinien  der  Mährischen 
Grenzbahn  zu  erwerben.  Es  kam  jedoch 
weder  zu  dem  einen  noch  zu  dem  anderen ; 
die  Fusion  strandete,  wie  wir  weiterhin 
noch  genauer  erfahren  werden,  im  Ab- 
geordnetenhause, und  die  Fortsetzungs- 
projecte  scheiterten  an  der  Verschlimme- 
1  rung  sowohl  der  allgemeinen  als  auch 
I  der  gesellschaftlichen  Verhältnisse. 

Desgleichen  missglückten  die  nach- 
mals noch  unternommenen  Hilfsversuche ; 
1  die  Gesellschaft  blieb  auf  sich  selbst  und 
ihre  eigene  Kraft  angewiesen,  die  jedoch 
trotz  aller  auf  die  Hebung  der  Einnahmen 
und  auf  eine  öconomische  Gebarung 
verwendeten  Sorgfalt  nicht  erstarkte. 
Der  mit  fast  unwiderlegbarer  Gewissheit 
vorausgesagte  grosse  Verkehr  wurde 
vergebens  erwartet  und  angestrebt ;  er 
zeigte  sich  nur  ab  und  zu,  wenn  die 
mächtigen  Nachbarbahnen  just  im  Streite 
lagen,  sonst  aber  war  er  überhaupt  nicht 
vorhanden  oder  er  konnte  nicht  über 
die  von  den  letzteren  gebildete  Um- 
klammerung der  Grenzbahn  hinweg  bis 
zu  dieser  gelangen. 

Dadurch  kam  es,  dass  diese  junge 
Schöpfung,  die  weder  mit  Gründungs- 
machenschaften noch  mit  einem  Bau- 
deficite  behaftet  war,  vielmehr,  un- 
beschadet einer  vorzüglichen  Ausfüh- 
rung, nahezu  1,000.000  fl.  vom  Bau- 
capitale  erübrigt  hatte  und  anerkannter- 
massen  mit  der  strengsten  Sparsamkeit 
verwaltet  wurde,  verkümmern  musste. 

So  lange  jene  Ersparnis  vorhielt, 
die  Staatsgarantie  bis  zur  Höhe  des 
Erfordernisses  für  den  Prioritätendienst 
zu  ergänzen,  erlitt  wenigstens  die  Ver- 
zinsung dieser  Titel  keinen  Abbruch ; 
als  jedoch  der  letzte  Groschen  hinge- 
opfert war,  sank  auch  die  Mährische 
Grenzbahn,  welcher  prophezeit  gewesen, 
dass  sie  »eine  der  rentabelsten  österrei- 
chischen Bahnen«  sein  werde,  in  die  Reihe 
der  nothleidenden  Unternehmungen  hinab. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


147 


[Nach 


Die  Mährische 
Grenzbahn  hat  ihren  An- 
fangspunkt am  Stations- 
platze Sternberg  der  Mäh- 
risch-schlesischen  Nordbahn. 
Von  da  aus  führt  die  Bahn 
in  nordwestlicher  Richtung 
gegen  Mährisch-Neustadt, 
übersetzt  daselbst  den  Os- 
lawabach  und  steigt  nun 
gegen  Treublitz,  wo  sie  ihre 
Richtung  in  eine  nördliche 
ändert,  und  erreicht  die 
Wasserscheide  oberhalb  Ra- 
bersdorf  [4083  m  Seehöhe] 
und  geht  im  Gefälle  nach 
Frankstadt.  Diesen  Ort  durch  • 
schneidend,  verändert  die 
Bahn  weiterhin  wieder  ihre 
Richtung  in  eine  südöstliche 
und  erreicht  das  Hohen- 
stadt-Zöptauer  Geleise,  so- 
mit auch  das  Thessthal. 
Gleich  nachdem  sich  beide 
Schienenstränge  vereinigt 
haben,  übersetzen  sie  den 
Thessfluss  mit  zwei  neben- 
einander gelegenen  Brücken 
und  münden  in  den  Stations- 
platz Mährisch-Schönberg 
ein.  Vom  Stationsplatz  Mäh- 
risch-Schönberg gehen  wieder  die  beiden 
Schienenstränge  parallel,  im  Thessthale  in 
südlicher  Richtung  im  Gefälle  bis  Blauda, 
von    wo    aus     das     rechtsseitige    Schienen- 

Eaar  das  Geleise  der  Hohenstadt-Zöptauer 
inie  verlässt,  um  ins  Marchthal  einzubiegen. 
Das  linke  Marchufer  in  westlicher  Rich- 
tung verfolgend,  verändert  die  Bahn  bei 
Klösterle  abermals  ihre  Richtuog  in  eine 
nordwestliche,  übersetzt  bei  Eisenberg  den 
Marchfluss  und  geht  am  rechten  Marchufer 
bis  Märzdorf,  gewinnt  dort  wieder  das  linke 
Marchufer  und  geht  bis  Hannsdorf,  wo  der 
Marchfluss  zum  dritten  Male  übersetzt  wird. 
Gleich  hinter  Hannsdorf  verändert  die  Bahn 
wieder  ihre  Richtung  in  eine  nordwestliche, 
die  sie  nunmehr  bis  zu  ihrem  Endpunkte  bei 
Lichtenau  beibehält,  und  entwickelt  sich  an- 
steigend an  den  steilen  Lehnen  des  links- 
seitigen Marchufers,  durchfährt  zwei  vor- 
springende Bergnasen  mittels  zweier  Tunnels 
von  zusammen  244  m  Länge,  übersetzt  zwei- 
mal nacheinander  die  March  und  verlässt 
das  linke  Ufer  erst  hinter  Grumberg-Mohrau. 
Bei  Rothfioss  übersetzt  die  Bahn  zum  letzten 
Male  die  March  und  überschreitet  gleich- 
zeitig hier  die  Landesgrenze  zwischen  Mähren 
und  Böhmen. 

Unmittelbar  nachdem  die  Bahn  das 
Marchthal  verlassen,  erreicht  sie  mit  einer 
Steigung  von  1 :  60  die  europäische  Wasser- 
scheide zwischen  der  Neisse  und  Adler,  und 
somit  ihren  höchsten  Punkt,  599/08  in  über 
dem  Meeresspiegel.  Von*  da  an  fällt  die 
Bahn,  an  der  linken  Lehne  der  Stillen  Adler 
sich  entwickelnd,  bis  zum  Stationsplatz  Gru- 


Abb.  80.    Viaduct  bei  Bernsdorf, 
einer  Original-Aufnahme  von  Erwin  Pendl.] 


lieh.  Von  hier  aus  theilt  sich  die  Bahn,  doch 
laufen  die  Geleise  noch  eine  kurze  Strecke 
nebeneinander  her.  Das  rechtseitige  Geleise 
zweigt  gegen  die  österreichisch-preussische 
Reichsgrenze  zum  Anschlüsse  an  die  Ober- 
schlesische  Bahn  ab  und  das  linke  Geleise 
zieht  bis  nach  Lichtenau  weiter,  um  daselbst 
in  die  Oesterreichische  Nordwestbahn  ein- 
zumünden. 

Sieht  man  von  dem,  eine  Verlän- 
gerung der  Süd-norddeutschen  Verbin- 
dungsbahn bis  an  die  Reichsgrenze  bei 
Seidenberg  [nebst  Abzweigung  nach  Tann- 
wald] bezweckenden  Gesetze  vom  19.  Juli 
1871  vorläufig  ab,  weil  dasselbe  erst  im 
darauffolgenden  Jahre  praktische  Anwen- 
dung gefunden,  dann  bildet  das  Gesetz 
vom  11.  Juli  1871,  welches  die  staat- 
liche Genehmigung  des  Verkaufes  der 
Nordbahnstrecke  Jedlesee-Stockerau  an 
die  Oesterreichische  Nordwestbahn  zum 
Gegenstande  hat,  den  Abschluss  der 
für  das  österreichische  Eisenbahnwesen 
entfalteten  legislativen  Thätigkeit  im 
Jahre   1871. 

Mittels  dieses  Gesetzes  wurde  die  Re- 
gierung ermächtigt,  aus  Anlass  der  kauf- 
weisen Erwerbung  der  genannten  Strecke 
[Stockerauer  Flügel]  durch  die 
Oesterreichische  Nordwestbahn,    auf  das 

10* 


148 


Ignaz  Konta. 


dem  Staate  zufolge  des  Privilegiums 
[für  diesen  Flügel]  vom  28.  März  1840 
zustehende  Heimfallsrecht  zu  verzichten, 
wie  auch  keinen  Anspruch  auf  den  Kauf- 
schilling zu  erheben  und  die  Einbeziehung 
jener  Strecke  in  die  Oesterreichische  Nord- 
westbahn als  integrirenden  Bestandtheil 
der  Linie  Wien-Znaim  zuzugestehen,  wenn 
die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  sich 
verpflichtet,  den  ihr  aus  diesem  Verkaufe 
zufliessenden  Kaufschilling  im  Betrage 
von  mindestens  1,000.000  fl.  innerhalb 
des  Termines  von  fünf  Jahren  zur  Her- 
stellung einer  neuen,  an  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn anschliessenden  Eisen- 
bahnlinie zu  verwenden.  Das  schon 
seit  dem  Jahre  1 869  vorbereitet  gewesene 
Kaufgeschäft  ist  übrigens  gleich,  nachdem 
die  Gesetzesvorlage  den  Reichsrath 
passirt  hatte,  nämlich  am  1.  Juli  187 1 
endgiltig  abgeschlossen  und  der  bezüg- 
liche Vertrag  am  21.  August  1871  von 
der  Staatsverwaltung  genehmigt  worden. 
Unter  Einem  mit  dem  Vertrags- Abschlüsse 
erfolgte  auch  die  Uebernahme  der  Strecke 
in  das  Eigenthum  der  Oesterreichischen 
Nordwestbahn,  für  deren  Rechnung  der 
Betrieb  bis  1.  November  1871,  d.  i.  dem 
Tage  der  Eröffnung  der  [Nordwestbahn-] 
Strecke  Stockerau  -  Znaim  noch  von  der 
früheren  Eisenthümerin  fortgeführt  wurde. 


Der  am  27.  December  1871  eröffnete 
neue  Reichsrath  fand  auch  ein  neues 
Ministerium  vor.  Das  Blatt  hatte  sich 
wieder  zu  Gunsten  der  Verfassungspartei 
gewendet,  aus  deren  Reihen  am  25.  No- 
vember 1871  das  Cabinet  Fürst  Adolf 
Auersperg  hervorging ,  in  welchem 
Dr.  Anton  B  a  n  h  a  n  s  das  Handelsamt  inne 
hatte.  Es  kehrte  also  die  Eintracht  zwischen 
Regierung  und  Parlament  zurück  und 
die  hiedurch  frisch  belebte  legislative 
Schaffensfreudigkeit  kam  auch  dem  Eisen- 
bahnwesen zugute.  Nicht  weniger  als 
zwanzig,  die  Vervollständigung  des 
Bahnnetzes  bezweckende  Gesetzentwürfe 
brachte  der  Handelsminister  im  Laufe  der 
VII.  Parlaments-Session,  die  bis  zum 
23.  April  1873  währte,  zur  verfassungs- 
mässigen Behandlung  und  mit  Ausnahme 
von  dreien,  welche  allerdings  die  schon  oft 


und  vielseitig  begehrten  Linien  über  den 
Arlberg  und  den  Predil  sowie  die  Bahnen 
für  den  Localverkehr  in  und  um  Wien, 
also  besonders  wichtige  Schienenwege 
betrafen,  fanden  alle  diese  Vorlagen 
auch  die  gewünschte  Erledigung.  Gleich 
zahlreich  waren  dann  die  Concessio- 
nirungen,  da  die  Regierung  neben  den 
auf  Grund  jener,  nun  Gesetz  gewordenen 
Vorlagen  ertheilten  Concessionen  noch 
einige  andere  verlieh,  zu  denen,  weil 
sie  mit  keinerlei  staatlichen  Begünsti- 
gungen ausgestattet  waren,  die  Mitwir- 
kung der  Legislative  nicht  erforderlich 
gewesen. 

Auch  für  die  innere  Ausgestaltung 
des  österreichischen  Eisenbahnwesens 
entfaltete  der  neue  Handelsminister  so- 
gleich eine  besondere  Emsigkeit;  er 
führte  die  durch  staatliche  und  Sicher- 
heitsrücksichten immer  nothwendiger  ge- 
wordene einheitliche  Signal isirung 
ein  [Verordnung  vom  16.  Juni  1872] 
und  setzte  an  Stelle  des  bisherigen  pri- 
vaten, weil  von  den  Eisenbahn -Verwal- 
tungen selbst  geschaffenen,  ein  staat- 
liches Betriebs- Reglement  in 
Wirksamkeit  [Verordnung  vom  I.  Juli 
1872],  das  den  Wünschen  des  Handels- 
standes, wie  sie  in  der  von  der  Wiener 
Handelskammer  im  Jahre  1871  veran- 
stalteten Transport-Enquete  zum  Aus- 
drucke kamen,  möglichst  Rechnung  trug, 
zugleich  aber  die  erste  Grundlage  für  die 
gleichfalls  vom  Minister  Dr.  Banhans  ein- 
geleitete Vereinbarung  mit  Deutschland 
bildete,  aus  welcher  das  für  die  beider- 
seitigen Reichsgebiete  geschaffene,  ein- 
heitliche Betriebs- Reglement  vom  Jahre 
1874  hervorging.  Er  wirkte  auch 
dahin,  dass  im  Interesse  der  raschen 
Popularisirung  der  im  Gesetze  vom 
23.  Juli  1871  vorgeschriebenen,  ab 
1.  Januar  1876  obligatorischen  neuen 
Mass-  und  Gewichtsordnung,  das  Meter- 
mass  und  -Gewicht  schon  vom 
I.  Januar  1873  an  beim  Baue  und  Be- 
triebe der  Eisenbahnen  in  Anwendung 
komme.  [Verordnung  vom  26.  October 
1872.] 

Leider  blieb  ein  grosser  Theil  der 
gesetzgeberischen  und  Concessionirungs- 
Thätigkeit  ganz  fruchtlos.  Die  beispiel- 
lose Agiotage  in  den  Werthen  unzähliger 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


149 


Neugründungen  auf  dem  Gebiete  des 
Bankwesens  und  der  Bauindustrie  nahm 
das  Capital  so  völlig  in  Anspruch,  dass 
die  Geldbeschaffung  für  neue,  insbeson- 
dere ungarantirte  Eisenbahn-Unterneh- 
mungen fast  zur  Unmöglichkeit  wurde. 
Während  im  Jahre  187 1  Titel  neuer  Eisen- 
bahnen in  der  Höhe  von  73,000.000  fl. 
flotten  Absatz  fanden,  konnte  im  Jahre 
1872  kaum  die  Hälfte  dieser  Summe  und 
im  Jahre  1873  [Januar]  nur  noch  ein  Be- 
trag von  5,000.000  fl.  stabil  untergebracht 
werden. 

Noch  misslicher  gestalteten  sich  die 
Dinge,  nachdem  das  Kartenhaus,  das 
fälschlich  die  Bezeichnung  »volkswirth- 
schaftlicher  Aufschwung«  trug,  in  Wirk- 
lichkeit aber  auf  einer  wahnwitzigen 
Spielwuth  fusste ,  zusammengebrochen 
war  und  in  seinem  Sturze  den  grössten 
Theil  der  Capitalien,  welche  an  gewagte 
Unternehmungen  und  an  die  himmel- 
stürmende Speculation  gebunden  waren, 
vernichtete ;  denn  wo  noch  gesunde  Ver- 
mögen übrig  geblieben,  flohen  sie  nun 
das  Associations- Wesen,   und   alles,  was 


Actie  hiess,  blieb  auf  lange  Zeit  hinaus 
geächtet.  Ernste  Anzeichen  der  nahen- 
den Krisis  machten  sich  schon  im  Herbste 
1872  bemerkbar,  doch  hielt  der  Taumel 
noch  weiter  an;  erst  Anfangs  April  1873, 
als  die  »Vorsichtigen«  den  schwanken 
Bau  zu  verlassen  anfingen,  trat  einige 
Ernüchterung  ein,  die  aber  bald  in  Angst 
und  Schrecken  umschlug;  die  Curse 
sanken  jählings  in  die  Tiefe  und  am 
9.  Mai  1873  brach  die  Katastrophe 
herein. 

Hatte  also  im  Jahre  1872  die  wilde 
Jagd  nach  billigem  Gewinne  den  neuen 
Eisenbahn -Unternehmungen  den  Geld- 
markt verschlossen,  so  war  es  nach  dem 
Ausbruche  der  Krisis  das  allgemeine 
Misstrauen,  welches  ihnen  die  finanziellen 
Hilfsmittel  unzugänglich  machte.  An 
diesen  Zuständen  ging  denn  auch  die 
Mehrzahl  der  Erstlingsfrüchte  der  Thätig- 
keit  des  Handelsministers  Dr.  Banhans, 
gleich  nach  ihrem  Entstehen  wieder  zu- 
grunde. Von  den  unter  seiner  Amts- 
führung bislang  ertheilten  Concessionen, 
und  zwar: 


Datum  der 
Concession 

Für   die  Linie 

Länge 
der  pro- 
jectirten 

Bahn 

Ertheilt  auf 
Grund  des  Ge- 
setzes vom 

I. 

-. 

3. 

4- 

> 
6. 

7- 

>S 

9- 

10. 
n 

[2 
13 

I) 
IS 

10. 

'7 

31.  März  1872 

4.  Mai  1872 

4.  Juni  1872 
10.  August  1872 
10.  August  1872 
14.  August  1872 

4.  Septemb.  1872 
10.  Septemb.  1872 
14.  Septemb.  1872 
14.  Septemb.  1872 
16.  Septemb.  1872 

8.  October  1872 

10.  November  1872 

12.  November  1872 
J13.  November  1872 
7.  Januar  1873 

Reichenberg-Seidenberg     nebst    Ab- 
zweigung nach  Tannwald  .... 

Nussdorf-Kahlenberg  [Plateau]  .     .     . 
St.  Wolfgang-Schafbergspitze    .     .     . 

Brüx-Mulde 

77  Ml. 
4'9    » 
90    » 
06    » 
08    » 
64    » 

54    » 
4-9    , 

14-3    » 

37    ' 

176    » 

679    , 

341     • 
19    » 

131     >\ 
140    »j 

3-8    » 

19.  Juli  1871 

28.  Juni  1872 
28.  Juni  1872 

28.  Juni  1872 

10   April  1872 
28.  Juni  1872 

28.  Juni  1872 

Chotzen-BraunaunebstAbzweigungen 

Liebenau-Kuschwarda  sammt  Zweig- 
bahn [Böhmische  Südwestbahn] 

Selzthal-Wörgl    und    Bischofshofen- 
Hallein  [Salzburg- Tiroler  Bahn] 

[Mlatz-Karlsbad-Joh.  Georgenstadt 

zusammen 
oder 

2101    Ml. 

15938  km 

ISO 


Ignaz  Konta. 


Abb.  Sl.     Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn.     [Schloss  Friedland.] 


sind  die  unter  Nr.  3,  5,  IO — 12  und  16 — 17 
angeführten  Linien  in  der  Gesammtlänge 
von  ii7-7  Meilen  =  892-9  km  überhaupt 
nicht,  die  unter  Nr.  1  angeführte  erst 
nach  Erhöhung  der  Staatsgarantie,  end- 
lich die  unter  Nr.  7  und  15  angeführten 
erst  nach  Gewährung  von  staatlichen 
Bauvorschüssen  [erstere  sogar  dann  noch 
nur  theihveise]  zur  Ausführung  ge- 
kommen. 

Auch  die  übrigen  in  der  VII.  Reichs- 
raths-Session  geschaffenen  Eisenbahn- 
Gesetze  traf  kein  freundlicheres  Los. 
Das  zugleich  mit  einigen  anderen  Vor- 
lagen am  28.  Juni  1872  sanctionirte  Ge- 
setz für  die  Concessionirung  der  Linie 
Klostergrab-Pirna  unter  Gewährung  einer 
zehnjährigen  Steuerfreiheit  blieb  undurch- 
führbar; das  Gesetz  vom  29.  Juni  1872, 
das  eine  dreissigjährige  Steuerfreiheit 
für  die  Linien  Tarnöw-Gryböw-Leluchöw, 
Gryböw-Zagörz,  Sandec-Saybusch-Bielitz 
und  Saybusch-Csäcza  vorgesehen  hatte, 
wurde  dadurch  gegenstandslos,  dass  zu 
der  am  9.  December  mit  der  Einreichungs- 
frist bis  28.  December  1872  ausgeschrie- 
benen Offertverhandlung  für  die  Ver- 
gebung der  Concession  kein  einziges 
Angebot  beim  Handelsministerium  ein- 
langte;   ebensowenig    war    es  gelungen, 


für  die,  zufolge  der  Gesetze  vom  1.  April, 
beziehungsweise  7.  und  17.  Mai  1873 
mit  einer  20  bis  25  jährigen  Steuer- 
freiheit bedachten  Linien  Czernowitz- 
Xowosielica,  Knittelfeld-Gonobitz-Steiri- 
sche  Grenze  und  Wien-Radkersburg- 
Steirische  Grenze 
sammt  Zweigbah- 
nen Bewerber  zu 
linden  oder  die  schon 
vorhanden  gewese- 
nen festzuhalten ;  so- 
gar das  Gesetz  vom 
30.  April  1873,  wel- 
ches für  die  Linie 
Spalato-Knin-Croa- 
tische  Grenze  nebst 
Abzweigung  nach 
Zara  eine  Staats- 
garantie von 
47.300  fl.  pro  Meile 
bewilligte,  versagte, 
weil  einzelne  Bedin- 
gungen desselben, 
namentlich  die  Begebung  der  Titel  zum 
Durchschnitts-Curse  von  mindestens  85°/,, 
und  die  Verbindung  der  Hauptbahn  mit 
dem  croatisch-ungarischen  Bahnnetze, 
unerfüllbar  waren ;  das  Gesetz  vom 
7.  Mai  1873,  mit  welchem  die  Linien 
Rakonitz-Jechnitz  und  Falkenau-Graslitz 
unter  Gewährung  einer  Steuerfreiheit  bis 
zu  zwanzig  Jahren  sichergestellt  werden 
sollte,  kam  nur  zur  Hälfte,  nämlich  rück- 
sichtlich der  letztgenannten  Linie  und 
auch  da  erst,  nachdem  durch  ein  späteres 
Gesetz  [30.  April  1874]  für  dieselbe  ein 
Bauvorschuss  von  1,500.000  fl.  bewilligt 
worden  war,  zur  Durchführung. 

Aehnlich  erging  es  auch  dem  Gesetze 
vom  22.  April  1873  ;  dasselbe  bewilligte  für 
die  westgalizischen  Linien,  denen  schon 
das  Gesetz  vom  29.  Juni  1872  gegolten 
hatte,  nunmehr  eine  Staatsgarantie  von 
50.300  fl.  pro  Meile  [jedoch  ausschliess- 
lich der  Linie  Bielitz-Saybusch-Csäcza, 
der  wieder  nur  eine  zwanzigjährige  Steuer- 
freiheit zugestanden  wurde],  eventuell 
die  Ausführung  der  Linie  Tarnöw-Lelu- 
chöw  auf  Staatskosten,  bei  der  es  denn 
auch  sein  Bewenden  hatte,  weil  sich 
jetzt  ebensowenig  ein  Bewerber  ein- 
gestellt hatte  wie  bei  der  Offertverhand- 
lung im  December  1872. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


151 


Vollends  aufrecht  blieb  somit  nur  das 
Gesetz  vom  3.  März  1873,  weil  es  für 
die  Linie  Divacca-Pola  nebst  Zweig- 
bahn nach  Rovigno  die  Concessionirung 
mit  einer  Staatsgarantie  von  43.800  fl. 
pro  Meile  oder  aber  den  Bau  auf 
Staatskosten  zuliess  und  die  Regierung 
sich  unter  den  obwaltenden  Verhältnissen 
gleich  entschloss,  von  der  letzteren 
Facultät  Gebrauch  zu  machen. 

Ohne  weitere  Rücksichtnahme  auf 
die  vorbezeichneten,  zwar  concessionirten 
aber  gleichwohl  nicht  ins  Dasein  getre- 
tenen neuen  Unternehmungen  sowie 
auch  auf  diejenigen  der  oben  aufgezählten 
neuen  Linien,  welche  als  Fortsetzungen 
älterer  Bahnen  schon  früherhin  in  Er- 
örterung gezogen  waren,  nämlich :  die 
Linien  Zellerndorf-Neusiedl  [Seite  122], 
Brüx-Mulde  [Seite  117],  Troppau-Vlara- 
pass  [Seite  104],  Krima-Raizenhain 
[Seite  46],  Pilsen-Eisenstein  und  Mlatz- 
foh. -Georgenstadt  [Seite  107],  ist  an  dieser 
Stelle  blos  auf  die  restlichen  sechs  Con- 
cessionen  aus  dem  Jahre  1872  näher 
einzugehen. 

Reichenberg-Seidenberg  nebst 
Flügelbahn  von  Eisenbrod  nach 
Tannwald.  Um  die  Ertragsfähigkeit 
ihrer  Stammlinien  zu  steigern,  hatte  die 
Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn 
schon  seit  Langem  danach  getrachtet,  von 
Reichenberg  aus  einen  Anschluss  an  das 
preussische  Bahnnetz  bei  Görlitz  zu  er- 
langen. In  förmliche  Bewerbung  um  die 
Concession  für  diesen  Fortsetzungsbau 
trat  sie  jedoch  erst  im  Jahre  1869.  Da- 
mals liefen  auch  zahlreiche  Bittgesuche 
von  Industriellen  des  Reichenberger 
Handelskammerbezirkes  bei  der  Regie- 
rung ein,  in  denen  sie  angegangen  wurde, 
dem  unnatürlichen  Zustande,  dass  der  j 
Verkehr  zwischen  der  preussischen  Lau- 
sitz und  Böhmen  den  grossen  Umweg 
über  Zittau  und  Löbau  nehmen  müsse, 
ein  Ende  zu  machen. 

Das  Handelsministerium  kam  darum 
den  Bestrebungen  der  Bahngesellschaft 
desto  bereitwilliger  entgegen,  verlangte 
aber  die  gleichzeitige  Ausführung  der  ■ 
Zweigbahn  von  Eisenbrod  nach  Tann  wald, 
welche  richtiger  schon  im  Jahre  1857  hätte  j 
in  die  Trace  der  Süd-norddeutschen  Ver- 


bindungsbahn aufgenommen  werden  sollen, 
weil  sie  durch  industriebeflissene  Gegen- 
den und  nicht,  wie  die  dermalige  Trace 
jener  Bahn,  durch  unwirthliche  Gebiete 
führt. 

Die  Süd-norddeutsche  Verbindungs- 
bahn entsprach  diesem  Verlangen  und 
bezog  auch  die  Abzweigung  in  ihr  Con- 
cessions-Gesuch  ein,  jedoch  ohne  damit 
etwas  augenblicklich  gewonnen  zu  haben; 
denn  das  ganze  Vorhaben  stand  noch 
vor  einem  gewaltigen  Hindernisse,  näm- 
lich dem  Staatsvertrage  mit  Sachsen  vom 
24.  April  1853,  vermöge  dessen  die  öster- 
reichische Regierung  gehalten  war,  inner- 
halb eines  Zeitraumes  von  25  Jahren,  ge- 
rechnet vom  Tage  der  Ertheilung  der  Con- 
cession für  die  Zittau-Reichenberger 
Bahn  [19.  September  1857],  einen  an- 
deren unmittelbaren  Bahnanschluss  der 
Stadt  Reichenberg  an  die  sächsischen 
oder  preussischen  Bahnen,  weder  selbst 
auszuführen,  noch  durch  Andere  ausführen 
zu  lassen  [Art.  1,  Abs.  6].  Die  Regie- 
rung konnte  daher,  erst  nachdem  diese 
sonderbare  Bestimmung  durch  den  Staats- 
vertrag mit  Sachsen  vom  24.  December 
1870  ausser  Geltung  gesetzt  worden  war, 
den  Gesetzentwurf  über  die  Concessio- 
nirung der  Linie  Reichenberg  -  Reichs- 
grenze bei  Seidenberg  nebst  der  Zweig- 
bahn von  Eisenbrod  nach  Tannwald  im 
Reichsrathe  einbringen.  Dies  geschah  am 
18.  April   1871. 

Das  Abgeordnetenhaus  nahm  aber 
sehr  einschneidende  Aenderungen  an 
der  Regierungsvorlage  vor,  angesichts 
deren  die  Gesellschaft  sofort  erklärte, 
unter  den  nun  gegebenen  Bedingun- 
gen die  Concession  nicht  annehmen 
zu  können ;  es  war  nämlich  die  Staats- 
garantie von  55.200  fl.  auf  51.600  fl. 
pro  Meile  verringert  und  eine  Bestim- 
mung [Art.  V]  in  das  Gesetz  eingeschaltet 
worden,  wonach  die  Gesellschaft,  so- 
bald die  Regierung  dies  verlange,  zur 
Verlängerung  der  Flügelbahn  von  Tann- 
wald über  Gablonz  bis  Reichenberg  und 
zur  Herstellung  einer  neuen  Verbindung 
mit  der  Nordwestbahn  in  der  Richtung 
von  Neuschloss  nach  Tremosna  ver- 
pflichtet sein  sollte.  Das  Herrenhaus,  bei 
welchem  die  Gesellschaft  um  die  Ab- 
lehnung jener  neuen  Verpflichtung  peti- 


152 


Ignaz  Konta. 


tionirte,  Hess  nur  die  Linie  Neuschloss- 
Tremosna  fallen  und  das  Abgeordneten- 
haus trat  dieser  Modification  bei  [3.  Juli 
1871];  die  Verpflichtung  zur  allfälligen 
Verlängerung  der  Flügelbahn  über  Ga- 
blonz  nach  Reichenberg  kam  sohin  auch 
in  dem  Gesetze  vom  19.  Juli  1871  zum 
Ausdrucke.  Als  Begründung  hiefür  wurde 
der  verlängerten  Flügelbahn  die  Eigen- 
schaft eines  zweiten  Geleises  der  Strecke 
Eisenbrod- Reichenberg  beigelegt. 

Da  aber  weder  der  Verkehr  eine 
solche  Ausgestaltung  der  Hauptbahn 
erforderte,  noch  die  finanzielle  Lage 
der  Gesellschaft  ihr  diesen  Luxus  ge- 
stattete, nahm  sie  Anstand,  die  ihr  blos 
als  eine  unnütze  Belastung  des  Unter- 
nehmens dünkende  Verpflichtung  einzu- 
gehen. Aus  diesem  Umstände,  wie  nicht 
minder  auch  deshalb,  weil  die  Ueber- 
prüfung  der  Bauprojecte,  insbesonders 
desjenigen,  welches  ein  Comite  von  In- 
dustriellen in  Tannwald  für  die  Flügel- 
bahn Eisenbrod- Tannwald  angefertigt  und 
nun  der  Gesellschaft  überlassen  hatte,  die 
Unzulänglichkeit  der  in  dem  erwähnten 
Gesetze  bewilligten  Staatsgarantie  ergab, 
ging  eine  neuerliche  Verzögerung  der 
Angelegenheit  hervor.  Erst  nach  lang- 
wierigen Verhandlungen,  bei  denen  u.  A. 
vereinbart  wurde,  dass  die  Regierung 
den  Ausbau  der  Strecke  Tannwald- 
Reichenberg  keinesfalls  früher  verlangen 
könne,  als  bis  die  Linien  Eisenbrod-Tann- 
wald  und  Reichenberg -Görlitz  eröffnet 
sein  würden,  dass  sodann  eine  die  neu  zu- 
gewachsenen Anlagekosten  vollkommen 
deckende  Erhöhung  der  Staatsgarantie 
platzgreifen  solle  [Z.  IN  des  Protokolles 
vom  19.  November  1871],  und  dass  bis 
zur  Eröffnung  der  letztgenannten  Linie, 
beziehungsweise  längstens  bis  Ende  1874 
noch  die  alten  Personentarife*)  einge- 
hoben werden  können  [Handelsministerial- 


1872],  erklärte 
zur  Uebernahme 
die  ihr  nun  über 
vom     3 1 .     März 


*).  Anlässlich  der  Concessionirung  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn  wurde  die 
Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn  als  Mit- 
concessionär  der  ersteren  verpflichtet,  die  für 
diese  festgesetzten  Tarife,  und  zwar  die 
Frachttarife  ab  I.  Januar  1869,  die  Personen- 
tarife sofort  nach  Eröffnung  der  Oesterreichi- 
schen Nordwestbahn  einzuführen  [Handels- 
ministerial-Erlass  an  die  Concessionäre  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn  vom  3.  Octo- 
ber  1868]. 


Erlass    vom   13.  Februar 
sich    die    Gesellschaft 
der  Concession  bereit, 
a.    h.     Entschliessung 
1872  zutheil  wurde. 

Dieselbe  gilt  für  die  von  Reichen- 
berg über  Friedland  bis  zur  Reichs- 
grenze bei  Seidenberg  führende 
Fortsetzung  der  Hauptbahn  und  für  die 
Flügelbahn  von  Eisenbrod  .nach  Tann- 
w  a  1  d,  welche  Linien  eine  Staatsgarantie 
bis  zum  Höchstbetrage  von  51.600  fl. 
pro  Meile  geniessen,  verpflichtet  aber  die 
Gesellschaft  auch,  über  Verlangen  der 
Regierung,  die  Flügelbahn  von  Tannwald 
über  Gablonz  bis  Reichenberg  zu  ver- 
längern, in  welchem  Falle  die  Staats- 
garantie auf  verfassungsmässigem  Wege, 
entsprechend  den  wirklichen  Bau-  und 
Geldbeschaffungskosten  erhöht  wird.  Im 
Uebrigen  enthält  die  Concessions-Urkunde 
noch  folgende  wesentliche  Bestimmungen : 
Hinsichtlich  der  Staatsgarantie  und  der 
Concessionsdauer  werden  die  neuen  Linien 
als  ein  integrirender  Bestandtheil  der  Süd- 
norddeutschen Verbindungsbahn  betrach- 
tet ;  die  Steuerfreiheit  währt  neun  Jahre  und 
kann  diese  Befreiung  auch  in  der  Weise 
ausgeführt  werden,  dass  die  Entrichtung 
der  Einkommensteuer  für  die  Süd-nord- 
deutsche Verbindungsbahn  nach  Massgabe 
des  Verhältnisses  der  Länge  der  bestehen- 
den Linie  zu  den  neuen  Strecken  stattfindet; 
die  Vergebung  der  Bauarbeiten  hat  im 
Wege  der  Offertausschreibung  stattzufin- 
den ;  die  Genehmigung  desEmissionscurses 
ist  der  Staatsverwaltung  vorbehalten,  er 
darf  jedoch  keinesfalls  9O°/0  unter- 
schreiten ;  so  lange  die  Gesellschaft  noch 
mit  Rückzahlungen  für  Staatsvorschüsse 
aushaftet,  dürfen  bei  der  Bemessung  der 
Frachtpreise  die  Strecken  der  Flügelbahn 
Eisenbrod-Tannwald  mit  der  I  V«  fachen 
Länge  gerechnet  werden.  Die  vorläufig 
offen  gebliebene  Vollendungsfrist  für  die 
Hauptbahn  wurde  im  Artikel  I  des  am 
21.  Mai  1872  zu  Berlin  abgeschlossenen 
Staatsvertrages  mit  dem  Deutschen  Reiche 
auf  spätestens  den  I.  Juli  1874  anbe- 
raumt; hinsichtlich  der  Flügelbahn  war 
sie  mit  zwei  Jahren,  gerechnet  vom  Tage 
der  Baubewilligung,  festgesetzt. 

Mit  alldem  war  jedoch  die  Sicher- 
stellune  der  neuen  Linie  noch  immer  nicht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


'53 


vollständig  erzielt ;  die  von  Seite  der  Be- 
gehungs-Commissionen  geforderte  •  Ver- 
mehrung derStationsanlagen,  wie  auch  die 
seit  der  Aufstellung  des  ersten  Kosten- 
voranschlages [1869]  bedeutend  in  die 
Höhe  gegangenen  Materialpreise  und 
Arbeitslöhne,  machten  es  augenscheinlich, 
dass  mit  der  Staatsgarantie  von  5 1.600  fl. 
pro     Meile,     beziehungsweise    mit    dem 


Nun  erst  waren  auch  die  finanziellen 
Schwierigkeiten,  an  denen  der  Bau  zu 
scheitern  drohte,  beseitigt. 

Das  Handelsministerium  forderte  sonach 
mittels  Erlasses  vom  9.  Mai  1873  die  Ge- 
sellschaft auf,  die  Bauarbeiten  ungesäumt 
in  Angriff  zu  nehmen,  mit  allen  zu  Gebote 
stehenden  Mitteln  zu  beschleunigen  und 
»nach  Umständen  binnen  einer  zu  präci- 


Abb.  82.     Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn.     [Abzweigung  bei  Eisenbrod. 
[Nach  einer  photographiscben  Aufnahme  von  H.  Brix.] 


durch  sie  bedeckten  Anlage  -  Capitale 
von  7,409.100  fl.  das  Auslangen  nicht  zu 
finden  sei,  und  veranlassten  die  Gesell- 
schaft, beim  Ministerium  deswegen  Vor- 
stellungen zu  erheben. 

Erfreulicherweise  ging  dadurch  nicht 
neuerdings  viel  Zeit  verloren ;  Re- 
gierung und  Parlament  konnten  sich 
der  Richtigkeit  der  Thatsachen  nicht 
verschliessen ;  jene  brachte  am  3.  April 
1873  einen  die  Erhöhung  der  Garantie 
auf  59.800  fl.  pro  Meile  bezweckenden 
Gesetzentwurf  ein  und  dieses  erledigte 
ihn  so  rasch,  dass  derselbe  schon  am 
4.  Mai  1873  als  Gesetz  sanctionirt  wurde. 


sirenden  Erstreckung  der,  kraft  des  Staats- 
vertrages vom  21.  Mai  1872,  mit  I.Juli 
1874  ablaufenden  Baufrist  zu  vollenden«. 
Der  Verwaltungsrath  legte,  nachdem  er 
den  Bau,  auf  Grund  der  am  20.  Februar 
1873  unter  Mitwirkung  der  Regierung 
durchgeführten  Offertverhandlung,  am 
25.  Mai  1873  losweise  vergeben  hatte, 
die  Bauverträge  fünf  Tage  später  dem 
Ministerium  vor  und  erwirkte  hiebei  die 
Erstreckung  des  Vollendungstermines  um 
ein  Jahr.  Der  Bau  wurde  auf  der 
Hauptlinie  am  16.  Juli,  auf  der  Flügel- 
bahn am  23.  Juni  1873  begonnen  und 
rechtzeitig  beendet ;  die  Eröffnung  beider, 


154 


Ignaz  Konta. 


insgesammt  S7"2  km  langen  Linien  fand 
termingemäss  am   I.  Juli  1875  statt. 

Das  Bau-Capital  wurde  in  dem  ur- 
sprünglich festgesetzten  Betrage  von  effec- 
tiv  7,409.100  fl.  durch  Ausgabe  5°/oi»er 
Prioritäts- Obligationen  beschafft,  welche 
ein  Consortium  [Liebieg  &  Comp.,  Dis- 
conto-Gesellschaft],  M.  A.  v.  Rothschild 
&  Söhne,  etc.]  gleich  im  Jahre  1872  zum 
Curse  von  g6-g°j0  auf  feste  Rechnung  an 
sich  nahm.  Für  den  auf  Grund  der 
Garantie-Erhöhung  noch  zu  beschaffenden 
Ergänzungsbetrag  von  effectiv  1 ,488.606  fl. 
gelangten  im  Jahre  1876  Gold-Prioritäten, 
und  zwar  7000  Stück  ä  400  Reichsmark 
zum  Curse  von  90  in  Silber,  beziehungs- 
weise 95  in  Banknoten  zur  Ausgabe. 
Die  Baukosten  erreichten  die  Höhe  von 
9,700.000  fl. 

Im  Beginne  ihrer  Bewerbung:  um  die 
eben  besprochene  Linie  hatte  die  Süd- 
norddeutsche Verbindungsbahn,  wie  be- 
reits früher  erwähnt  [S.  37],  die  Fort- 
setzungsstrecke Schwadowitz-Königshain- 
Reichsgrenze  eröffnet  und  zwar:  Schwa- 
dowitz-Königshain  am  I.  August  1868, 
Königshain-Reichsgrenze  am  29.  Decem- 
ber  1869,  deren  Tracebeschreibung  hier 
nachgetragen  wird. 

Die  Ergänzungsstrecke  Schwadowitz- 
Königshain-Reichsgrenz  e  liegt  durch- 
wegs in  gebirgigem  Terrain.  Sie  übersetzt  das 
Riesengebirge,  beziehungsweise  die  Wasser- 
scheide zwischen  der  Aupa  und  dem  Bober- 
flusse  bei  Königshain.  Bedeutende  Erdarbeiten 
und  Felssprengungen  erschwerten  den  Bau. 
Grössere  Objecte  [Viaducte]  waren  erforder- 
lich bei  Parschnitz,  Gabersdorf,  Krinsdorf  und 
Bernsdorf.  Bei  Saugwitz  musste  die  Bahn 
durch  den  Ruprechtsfelsen  in  einem  Tunnel 
geführt  werden.     [Abb.  80.] 

Die  Linie  Reichenberg  -  Landes- 
grenze [gegen  Seidenberg]  bildet  die  natür- 
liche Fortsetzung  der  alten  Hauptlinie  Par- 
dubitz-Keichenberg.  Sie  führt  von  Reichen- 
berg  aus  etwa  2'4  km  weit  auf  dem  für  zwei 
Geleise  angelegten  Unterbaue  der  Zittau- 
Reichenberger  Bahn,  und  folgt  dann  nach 
Uebersetzung  des  Neisseflusses  dem  Zuge 
der  Bezirksstrasse  nach  Friedland  und  erreicht 
unter  Anwendung  einer  Maximalsteigung  von 
14  3°/00  und  mit  Berührung  des  Ortes  Einsiedel 
die  Wasserscheide  des  »Hemmrich«,  zwischen 
dem  Gebiete  der  Neisse  und  Wittig  in  einem 
Rücken  des  Isergebirges,  der  mit  einem  528  m 
langen  Tunnel  in  einer  Meereshöhe  von 
4l8'8  m  übersetzt  wird.  Von  hier  fällt  die 
Trace  bis  Raspenau-Liebwerda  und  senkt 
sich    dann    in    das    Thal    des    Wittigflusses, 


welcher  hinter  der  Station  Friedland  zweimal 
überbrückt  wird.  Bei  Weigsdorf  ist  die  Bahn 
bereits  in  die  Niederungen  der  Wittig  gelangt. 
Nach  nochmaliger  Uebersetzung  des  ge- 
nannten Flusses  bei  Bunzendorf  und  nach 
Passirung  der  Haltestelle  Tschernhausen,  in 
einer  Meereshöhe  von  2149  »«,  zieht  sie  an 
die  Landes-,  beziehungsweise  Reichsgrenze, 
um  mit  der  2"o66£m  langen,  fremden,  jedoch 
von  der  Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn 
pachtweise  betriebenen  Fortsetzungsstrecke 
nach  Seidenberg  zum  Anschluss  an  die  Berlin- 
Görlitzer  Bahn  zu  gelangen.    [Abb.  81.] 

Die  Flügelbahn  Eisenbrod  -  Tann- 
wald zweigt  in  der  Station  Eisenbrod  der 
Hauptbahn  ab,  läuft  mit  dieser  in  östlicher 
Richtung  auf  eine  Strecke  von  vg  km  parallel, 
übersetzt  den  Iserfluss  und  geht  dann  nördlich 
im  Thale  des  Kamenitzflusses  in  wechselnden 
Steigungen  und  mit  zweimaliger  Ueber- 
brückung  des  vielgekrümmten  Flusses  bis 
zur  Station  Tannwald  am  Desselbach.  In 
dieser  Strecke  werden  zwei  Tunnels  passirt 
und  Eugenthal  undNawarow,  dann  die  Station 
Swarow  berührt.    [Abb.  82 — 84.] 

Braunau  -  Strasswalchner 
Bahn.  Die  für  die  Local-Interessen 
des  betriebsamen  und  an  Naturproducten 
reichen  Mattigthales  sowie  als  Wegkür- 
zung für  den  Verkehr  zwischen  Braunau 
und  Salzburg,  beziehungsweise  auch 
allen  übrigen  Stationen  der  Strecke 
Salzburg-Lambach,  und  zumindest  örtlich 
wichtige  Verbindung  Braunau-Strasswal- 
chen  war  ursprünglich  in  einem,  dem 
altgeplanten  Projecte  München-Salzburg- 
Bruck  a.  M.  [185 1]  nachempfundenen 
neueren  Projecte  [Braunau-Strasswalchen- 
Salzkammergut-Bruck  a.  M.],  welches  die 
Ingenieure  J.  Kitzler  und  H.  Schellhorn 
im  Jahre  1864  ausgearbeitet  hatten,  mit- 
enthalten. Als  eine  bis  zum  Anschlüsse 
an  die  damals  gleichfalls  projectirt  gewe- 
sene »Mondsee-Bahn«  verlängerte,  selbst- 
ständige Linie  wurde  sie  im  Sommer 
1870  von  dem  Breslauer  Handelshause 
R  e  i  s  e  w  i  t  z  und  ein  Jahr  später  auch  von 
der  Industrie-  und  Commerzialbank  für 
Ober-Oesterreich  projectirt,  welcher  letz- 
teren sich  hernach  der  Bauunternehmer 
Karl  Freiherr  von  Schwarz  zugesellte. 

Diese  heimischen  Bewerber,  für  welche 
der  Ingenieur  Kitzler  ein  modificirtes 
Project  verfasste,  beschränkten  jedoch, 
als  ihnen  nicht  nur  die  angehoffte 
25jährige  Steuerfreiheit,  sondern  über- 
haupt jede  staatliche  Begünstigung  ver- 
sagt blieb,  das  am  13.  Januar  1872  über- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs 


155 


reichte  eigentliche  Concessions-Gesuch 
lediglich  auf  die  Linie  Braunau-Strass- 
walchen  und  nahmen  die  Fortsetzung 
über  Mondsee  nach  Ischl  für  späterhin 
in  Aussicht. 

Gemäss  des  Protokolles  vom  9.  März 
1872,  mit  welchem  die  Concessions-Ver- 
handlungen  ihren  Abschluss  fanden,  hatten 
die  genannten  Bewerber  sich  anheischig 
gemacht,  die  Projecte  für  diese,  nach  dem 
Auftrage  des  Handelsministeriums  normal- 
oder  schmalspurig  auszuführende  Fort- 
setzung binnen  sechs  Monaten  vorzulegen. 
In  der  vom  4.  Mai  1872  datirenden  Con- 
cession  selbst  [§  15]  ist  den  Conces- 
sionären  auf  die  Dauer  eines  Jahres  das 
Vorrecht  auf  den  Weiterbau  eingeräumt ; 
andererseits  aber  [§  19 1  die  Verpflichtung 
auferlegt,  die  concessionirte  Linie,  wenn 
die  Staatsverwaltung  dies  »für  noth wen- 
dig oder  zweckmässig  erachten  sollte, 
über  deren  Verlangen  an  eine  andere 
Bahnunternehmung  gegen  Entschädigung 
abzutreten«. 

Die  Durchführung  der  Concession 
ging  schnell  und  glatt  von  Statten.  Das 
Statut  erhielt  am  30.  Juni  1872  die 
behördliche  Genehmigung,  worauf  dann 
am  12.  Juli  1872  die  Constituirung  der 
Actien-Gesellschaft  »k.  k.  priv.  Brau- 
nau-Strasswalchner  Eisenbahn« 
erfolgte.  Das  auf  5,000.000  fl.  festgesetzte, 
in  10.000  Actien  ä  200  fl.  und  in  10.000 
Prioritäts-Obligationen  ä  300  fl.  geglie- 
derte Gesellschafts-Capital  wurde  von 
dem  Wiener  Bankhause  Weiss  &  Fischhof 
im  Vereine  mit  der  Frankfurter  Wechsler- 
bank und  der  preussischen  Creditbank 
übernommen,  hernach  aber  [Mitte  Januar 
1873]  bis  auf  die  für  Fahrbetriebsmittel 
reservirt  gebliebenen  1750  Actien  zur 
öffentlichen  Zeichnung  [die  Actien  zu 
75%,  die  Prioritäten  zu  79ll2°lo]  auf- 
gelegt. 

Den  Bau  hatte  der  Mitconcessionär,  Karl 
Freiherr  von  Schwarz,  beziehungsweise 
die  von  ihm  errichtete  »Oesterreichische 
Eisenbahn-Baugesellschaft«  pauschaliter 
übernommen,  im  Juli  1872  begonnen  und 
in  etwas  mehr  als  Jahresfrist  vollendet. 
Die  Eröffnung  der  37-4  km  langen  Bahn 
fand  am  10.  September  1873,  also  lange 
vor  Ablauf  des  concessionsmässigen  Ter- 
mines,  statt.     Die  Führung  des  Betriebes 


wurde  an  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
übertragen,  welche  auch  den  Fahrpark 
beistellte. 

Noch  während  des  Baues  schritt  die 
Gesellschaft,  unter  Vorlage  der  Projecte, 
um  die  Concession  sowohl  für  eine  normal- 
spurige,  als  auch  für  eine  schmalspurige 
Eisenbahn  von  Strasswalchen  über  Mond- 
see nach  Ischl  ein ;  hiebei  musste  sie  es 
aber  auch  bewenden  lassen,  da  die  Auf- 
rechthaltung des  Stammunternehmens  ihr 
genug  zu  thun  gab.  Unvorhergesehene, 
gar  nicht  für  Bahnzwecke  bestimmte 
Mehrleistungen  verursachten  ein  Bau- 
deficit,  welches,  trotz  der  vom  Handels- 
ministerium diesfalls  bewilligten  Erhöhung 
des  Anlage-Capitals  [12.  Februar  1874] 
um  »vorläufig«  500.000  fl.,  nicht  bedeckt 
werden  konnte,  weil  seit  dem  Ausbruche 
der  Krisis  ungarantirte  Titel  keine  Ab- 
nehmer fanden. 

Ueberdies  liessen  die  Verkehrsverhält- 
nisse Alles  zu  wünschen  übrig;  die  Ein- 
nahmen reichten  nicht  einmal  an  die  Aus- 
gaben hinan  und,  nachdem  es  aus  dem 
eben  angeführten  Grunde  jetzt  unmöglich 
geworden,  die  zurückgelegten  1750  Actien 
zur  Anschaffung  eigener  Fahrbetriebsmittel 
zu  verwerthen,  war  die  Gesellschaft  ausser 
Stande,  den  Betrieb  in  die  eigene  Hand 
zu  nehmen  oder  doch  die  Kosten  der 
fremden  Betriebsführung  herabzudrücken, 
sondern  blieb  auf  Gnade  und  Ungnade  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  überantwortet, 
die  nicht  die  mindeste  Lust  und  nicht 
das  geringste  Interesse  hatte,  sich  zu 
Gunsten  der  kleinen  Concurrenzbahn,  sei 
es  hinsichtlich  der  Ueberlassung  von 
Transporten,  sei  es  hinsichtlich  der  Be- 
triebskosten, irgend  ein  Opfer  aufzuerlegen. 

In  der  Anfangsperiode  des  Betrie- 
bes half  das  Finanzirungs-Consortium 
über  die  Schwierigkeiten  hinweg,  dann 
aber  ging  es  rasch  abwärts.  Für  die  Ein- 
lösung des  am  I.Juli  1874  fällig  gewor- 
denen Prioritäten-Coupons  konnten  die 
Geldmittel  nicht  mehr  aufgebracht  wer- 
den. Weder  der  Verwaltungsrath  noch 
die  am  22.  Juni  1874  abgehaltene  erste 
ordentliche  Generalversammlung  wussten 
Rath  zu  schaffen;  jener  erschöpfte  seine 
Weisheit  darin,  dass  er  den  Platz  räumte 
und  die  Actionäre  durften  an  sich  und 
an    ihrem    Unternehmen    die    Bitternisse 


1.6 


Ignaz  Konta. 


der  Unterstützungs-Werbung  und  Bedürf- 
tigkeit sowie  nachher  der  »Sanirung« 
erfahren. 

DieTrace  der  B r au nau-Strasswa Ich- 
ner Eisenbahn  geht  von  der  Station 
Braunau  der  Elisabeth-Bahn  über  denMattig- 
bach  in  fast  stetem  Gefälle  in  südöstlicher 
Richtung  über  St.  Georgen,  Mauerkirchen, 
Mattighofen,  Munderfing,  Friedburg  nach 
Steindorf  -  Strasswalchen  wieder  zur  Ein- 
mündung in  die  Elisabeth-Bahn.  Die  Terrain- 
verhältnisse waren  für  den  Bau  überaus 
günstige. 

Kahlenberg-Bahn.  Inmitten  des 
Hastens  und  Drängens  nach  Eisenbahn- 
Projecten,  welches  zu  Beginn  der  Sieb- 
ziger-Jahre ein  fast  allgemeines  war,  ge- 
langten auch  solche  zur  Geltung,  deren 
Verwirklichung  nicht  eben  wirthschaft- 
lichen  Bedürfnissen  entsprach,  sondern 
vielmehr  der  Annehmlichkeit  dienen  sollte. 
So  wurde  denn  auch,  angeregt  durch  die 
Erfolge  der  Rigibahn,  das  System  der- 
selben nach  Oesterreich  verpflanzt,  und 
die  Anlage  von  Zahnradbahnen  auf  die 
Sophienalpe,  die  Raxalpe,  den  Schneeberg, 
die  Schmittenhöhe,  den  Schafberg  und 
den  Kahlenberg  in  Anregung  gebracht. 
Bis  zur  Concessionirung  sind  aber  damals 
nur  die  beiden  letztgenannten  gediehen. 
Zur  Ausführung  kam  nur  die  Kahlenberg- 
Bahn,  um  deren  Zustandebringung  sich 
der  Ingenieur  der  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft, Karl  M  a  a  d  e  r,  seit  dem  Jahre 
1871  bemüht  hatte. 

Mit  ihm  in  Verbindung  standen  die 
Erbauer  der  Rigibahn,  Nikolaus  Riggen- 
b a c h  und  Olivier  Zschokke,  ferner 
der  Baurath  Achilles  Thommen  und  der 
Advocat  Dr.  Josef  Wini  warter.  Sodann 
befasste  sich  noch  ein  zweites,  von  Victor 
V.  Ofenheim  gebildetes  Consortium  mit 
einem  gleichen  Projecte,  machte  jedoch 
binnen  Kurzem  gemeinsame  Sache  mit 
den  ersten  Bewerbern,  denen  schliesslich 
auch    die    Unionbank    beigetreten    war. 

Die  Concessionirung  erfolgte  auf  Grund 
der  a.  h.  EntSchliessung  vom  6.  Juli  1872, 
mittels  deren  der  Handelsminister  er- 
mächtigt wurde,  »die  von  der  Unionbank 
in  Verbindung  mit  den  Consortien  des 
Nikolaus  Riggenbach  und  des  Victor 
Ritter  von  Ofenheim  angesuchte  Con- 
cession  zum  Baue  und  Betriebe  einer 
Locomotivbahn   mit   Zahnradbetrieb  von 


Nussdorf  auf  den  Kahlenberg  zu  ertheilen 
und  auch  in  Zukunft  für  ähnliche 
Bergbahn- Unternehmungen  mit 
der  Bewilligung  zum  Baue  und 
Betriebe  vorzugehen«.  Es  war 
also  das  Maader'sche  Project,  welches 
den  Eisenbahnen  dieser  Gattung  in 
Oesterreich  Eingang  verschaffte. 

Leicht  gemacht  war  ihnen  das  Zustan- 
dekommen übrigens  nicht ;  denn  während 
sie  selbstverständlich  zu  den  grösstmög- 
lichsten  Sicherheits- Vorkehrungen  sowie 
dazu  verpflichtet  wurden,  alle  Bauten  so- 
gleich definitiv  aus  Eisen  und  Stein  herzu- 
stellen, und  auch  verschiedene  Leistungen 
nach  Art  der  anderen  Eisenbahnen  auf  sich 
nehmen  mussten,  erfreuten  sie  sich  keiner 
staatlichen  Begünstigung,  ja  nicht  einmal 
des  Enteignungsrechtes. 

Die  Kahlenberg  -  Bahn  hat  diesen 
Mangel  schwer  empfunden;  denn  die 
Anrainer  derselben  machten  sich  ihn 
weidlich  zunutze,  und  die  Unionbank 
nahm  ihn  zum  Vorwande,  die  über- 
nommene Finanzirung  des  Unternehmens 
wieder  zurückzulegen,  wodurch  der  Bau 
erheblich  verzögert  wurde.  Derselbe 
begann  erst  im  April  1873,  nachdem  der 
Baseler  Bankverein  und  die  Bank  von 
Winterthur  ihn  um  das  auszugebende 
Actiencapital  von  2,000.000  fl.  über- 
nommen hatte.  Die  Constituirung  der 
»Kahlenberg -Eisenbahn -Gesell- 
schaft, System  Rigi«  mit  einem  Grund- 
Capitale  von,  wie  gesagt,  2,000.000  fl., 
zerlegt  in  20.000  Actien  ä  100  fl.,  fand  aut 
Grund  der  am  20.  April  1873  behördlich 
genehmigten  Statuten  am  10.  Mai  1873 
und  die  Eröffnung  der  5-5  km  langen 
Bahn  am  7.  März  1874  statt.  Mit  Ende 
eben  dieses  Jahres  betrugen  ihre  Anlage- 
kosten  1,796.950  fl. 

Weitere  Angaben,  insbesondere  über 
die  technische  Ausführung  der  Bahn, 
sind  einem  späteren  Capitel,  welches 
ausschliesslich  den  kleineren,  örtlichen 
Schienenwegen  gewidmet  ist,  vorbehalten. 

Wien  -  Pottendorfer  Eisen- 
bahn. Zuerst  als  Ausgangsstrecke  der 
im  Jahre  1 869  von  Stephan  T  ü  r  r  ge- 
planten grossen  Schienenstrasse  gedacht, 
welche  von  Wien  über  Pottendorf  und 
Oedenburg    bis    hinab    an  die    türkische 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


157 


Grenze  zum  Anschlüsse  an  die  orienta- 
lischen Bahnen  führen  sollte,  sodann  in 
dem  Graf  Barthenheim'schen  Projecte 
Wien-Ebenfurth-St.  Polten  und  in  anderen 
zur  selben  Zeit  [1869 — 1871]  in  der 
Richtung  gegen  die  ungarische  Grenze 
projectirt  gewesenen  kleinen  Schienen- 
wegen inbegriffen,  wurde  die  Linie  Wien- 
Pottendorf  das  Object  mannigfacher  Be- 
werbungen, deren  Zahl  allmählich  bis  auf 
13  anwuchs.  Von  allen  diesen  Projecten 
erwiesen  sich  jedoch  nur  drei  als  wirklich 
brauchbar,  nämlich  jenes  des  Wiener 
Bankvereines  [Wien-Ebenfurth-Ungarische 
Grenze],  dann  des  Freiherrn  von  Erlanger 
[Inzersdorf-Ebenfurth]  und  des  Consor- 
tiums  Schoeller-Liebieg  [Wien-Ebenfurth- 
Ober-Piesting,  eventuell  Gutenstein]. 
Gegen  den  Wiener  Bankverein  eifer- 
ten aber  die  Wiener  Handelskammer  und 
einige  Tagesblätter,  weil  er  Beziehungen 
zur  Südbahn  habe,  was  auch  wirklich  der 


Fall  gewesen  sein  mag.  Für  die  Regierung 
konnte  dies  aber  umsoweniger  einen 
Ausschliessungsgrund  bilden,  als  die  Süd- 
bahn, vermöge  ihres  concessionsmässigen 
Vorrechtes,  ohnehin  eines  oder  das  an- 
dere Project  hätte  selbst  verwirklichen 
können. 

Andere  Stimmen  wieder  machten 
zu  Gunsten  des  Wiener  Bankvereines 
geltend:  seine  Capitalskraft,  welche  die 
sichere  Ausführung  der  Bahn  verbürgte, 
ferner  die  Bereitwilligkeit  der  Südbahn, 
einen  Betriebs  vertrag  mit  ihm  einzugehen 
und  der  neuen  Linie  jene  Frachtmengen 
zuzuwenden,  welche  die  alte  Strecke 
Wien -Wiener -Neustadt  zu  ihrer  Ent- 
lastung abzugeben  vermag,  was  als  eine 
Gewähr  für  den  guten  Bestand  der  neuen 
Unternehmung  volle  Beachtung  verdiente. 

Die  Südbahn  hat  eben,  im  Gegensatze 
zu  anderen  grossen  Bahnen  [z.  B.  der 
Kaiserin-Elisabeth-Bahn      in     Ansehung 


Abb.  83.    Süd-norddeutsche  Verbindungsbahn.    [Nawarow,  Strecke  Eisenbrod-Tannwald.] 


153 


Ignaz  Konta. 


der  Neumarkt-Braunauer  oder  gar  der 
Braunau-Strasswalchner  Bahn],  die  un- 
abwendbar gewordenen  kleinen  Con- 
currenzlinien  nicht  bekriegt,  vielmehr 
dieselben  rechtzeitig  als  Hilfsrouten  für 
sich  zu  gewinnen  und  zu  benützen  ge- 
wusst. 

Der  Wiener  Bankverein  erhielt  also 
am  10.  September  1872  die  Conces- 
sion  für  eine  von  Wien  über  Inzers- 
d o r f  nach  Pottendorf  und  an  die 
ungarische  Grenze  gegen  Oedenburg 
führende  Eisenbahn,  deren  Bau  binnen 
acht  Monaten  zu  beginnen  und  bis 
längstens  10.  Mai  zu  vollenden  war. 
Eine  staatliche  Begünstigung  genoss  die 
Bahn  nicht ;  sie  gelangte  aber  bald  zu 
einer  Art  mittelbaren  Zinsengarantie. 

Der  Wiener  Bankverein  hatte  nämlich 
die  noch  im  Jahre  1872  mit  den  Conces- 
sionären  der  Wiener-Neustadt-Grammat- 
Neusiedler  Bahn  [siehe  Seite  93]  verein- 
barte Verschmelzung  dieser  mit  der  Wien- 
Pottendorfer  Bahn  zu  einem  Unternehmen, 
auf  Grund  deram  10.  April  i873erflossenen 
principiellen  Genehmigung  des  Handels- 
ministeriums durchgeführt  und  bei  diesem 
Anlasse  die  Verpachtung  des  Betriebes 
der  vereinigten  Bahnen  an  die  Südbahn 
auf  die  ganze  Dauer  der  Concession 
und  gegen  einen  unabänderlichen 
Pachtschilling  von  jährlich  550.OOO  fl., 
d.  i.  eines  Betrages,  welcher  die 
5°/0ige  Verzinsung  und  Tilgung  des  mit 
10,770.000  fl.  bemessenen  Anlagekapi- 
tals deckt,  zuwege  gebracht. 

Die  Verhandlungen  über  die  genaue 
Festsetzung  aller  Einzelheiten  des  Betriebs- 
vertrages und  der  hiernach  einzurichtenden 
Statuten  der  vereinigten  Bahnen  zogen  sich 
zwar  in  die  Länge,  thaten  aber  der  ganzen 
Transaction  als  solcher  keinerlei  Eintrag. 
Die  Statuten  erhielten  am  30.  März  1874 
die  behördliche  Genehmigung,  worauf  dann 
am  6.  Juni  1874  die  Constituirung  der 
Actien-Gesellschaft  » W i en-P ottendorf 
—  Wiener-Neustädter  Bahn«  vorsieh 
ging ;  der  Vertrag  über  die  Verpachtung 
des  Betriebes  wurde  [nach  vorausge- 
gangener Zustimmung  seitens  der  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  der 
Südbahn  vom  3.  Juni  1874]  am  21. 
und  22.  Juni  1874,  mit  Wirksamkeit 
vom     1.    Januar    1875,     definitiv    abge- 


schlossen*)   und     am     7.    August     1874 
staatlich  genehmigt. 

Von  dem  Anlage-Capital  der  neuen 
Gesellschaft,  welches,  wie  erwähnt, 
10,770.000   fl.    beträgt    [21.950    Actien 

!  ä  200  fl.  und  31.900  Prioritäts  -  Obli- 
gationen ä  200  fl.],  wurden  26.400  Priori- 
täts-Obligationen am  25.  November  1874 
durch  die  Allgemeine  Oesterreichische 
Bodencredit- Anstalt  zum  Curse  von  89°/,, 
zur  öffentlichen  Zeichnung  aufgelegt. 
Den  Bau  führte  die  Unternehmung  Hügel 
und  Sager,  unter  Aufsicht  der  Baudirection 
der  Südbahn,  in  der  Zeit  vom  Mai  1873 
bis  Ende  April  1874  soweit  aus,  dass 
die  26-1  km  lange  Linie  M  e  i  d  1  i  n  g- 
Pottendorf  und  die  1  -3 km  lange  V  e  r- 

;  bindungzur  Donaulände  bei  Mitbe- 
nützung einer  3-7  km  langen  Theilstrecke 
der  Donauländebahn  dem  Betriebe  über- 
geben werden  konnte.  Die  Eröffnung  der 
restlichen  eigenen,  5  km  langen,  Strecke 
Meidling-Inzersdorf  und  mit  ihr  jene 
der  ganzen  Linie  [ohne  weitere  Mitbe- 
nützung der  genannten  fremden  Bahn] 
fand  am   3.    November  1875    statt. 

Bis  dahin  war  es  der  Gesellschaft  auch 
gelungen,  eine  Gleichstellung  ihrer  beiden 

,  Concessionen   zu    erzielen ;    dieselbe    er- 

,  folgte  mittels  des  Gesetzes  vom  24.  März 
1875,  welches  die  der  Wiener-Neustadt- 
Grammat-Neusiedler  Bahn  zugestandene 
fünfzehnjährige  Steuerfreiheit  aufhob,  hin- 
gegen   der  vereinigten  Wien-Pottendorf- 


*)  Der  Vertrag  enthält  u.  A.  die  folgen- 
den hauptsächlichen  Bestimmungen:  Die 
Pachtlinien    werden    der  Südbahn   in   einem 

|   vollkommen  betriebsfähigen  und  ausgerüste- 

|  ten  Zustande  übergeben  und  sie  kann  die- 
selben so  benützen,  als  ob  sie  deren  Eigen- 
thümerin  wäre,  muss  aber  auch  alle  Betriebs-, 
Erhaltungs-  und  Erneuerungskosten,  Steuern 
und  sonstige  Lasten  allein  tragen.  Für  die 
Besorgung    des    Dienstes     der    allgemeinen 

\  Verwaltung  erhält  sie  jährlich  1500  fl.  und 
als  Betriebs -Reserve  200.000  fl  ein  für  alle 
Mal    von     der    verpachtenden    Gesellschaft, 

1  auch  werden  ihr  750  Actien  der  Wien-Potten- 
dorf-Wiener-Xeustädter    Bahn     überantwor- 

J  tet  Die  Südbahn  hingegen  entrichtet  in  Seme- 
stralraten  [Januar — Juli]  einen  unveränder- 
lichen Pachtschilling  von  jährlich  550.000  fl  , 
der  in  keinem  Falle,  auch  nicht  wegen  ausser- 
ordentlicher Unglücksfälle,  eine  Schmälerung 
erleiden  darf.  Ausserhalb  der  Vertrags- 
bestimmungen hat  die  Südbahn  weitere 
100.000  fl.  als  Specialreserve  für  etwaige 
künftige  Reconstructionen  erhalten. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


159 


Wiener  -  Neustädter  Bahn  eine  sieben- 
jährige Steuerfreiheit  zusprach  und  die 
Concessionsdauer  für  beide  Bahnen  ein- 
heitlich auf  neunzig  Jahre,  gerechnet  vom 
1.  Januar  1875  an,  festsetzte. 

Anlässlich  der  Verlautbarung  dieser 
abgeänderten  Concessions-Bestimmungen 
wurde  die  Gesellschaft  überdies  von  der 
Verpflichtung  zum  Ausbaue  der  Theil- 
strecke  Pottendorf-Ungarische  Grenze  »bis 
auf  Weiteres«  enthoben  [Kundmachung  des 
Handelsministeriums  vom  3.  Juli  1875]. 
Solcherart  nach  innen  und  aussen  aller 
Sorge  überhoben,  führt  die  Gesellschaft 
ein  still-behagliches  Dasein. 

Die  Linie  Meidling-Pottendorf 
zweigt  am  südlichen  Ende  der  Station  Meid- 
ling  aus  der  Südbahnhauptlinie  ab,  durch- 
schneidet in  südwestlicher  Richtung,  und  zwar 
in  einem  1200  m  langen,  bis  9  in  tiefen 
Einschnitte  den  Wienerberg,  wendet  sich 
dann  gegen  Osten  und  läuft  längs  des 
Wienerberges  fort  bis  zu  dem  Punkte,  wo 
sie  die  Donaulände-Bahn  der  Elisabeth-Bahn 
übersetzt;  dann  wendet  sich  die  Trace  wieder 

fegen  Süden,  um  die  Hauptrichtung  fortan 
is  zur  Einmündung  in  die  Linie  Wiener- 
Neustadt-Grammat-Neusiedl  bei  Wampers- 
dorf  beizubehalten. 

Die  Trace,  welche  nur  kleine,  der  Donau 
zumessende  Gewässer  übersetzt,  berührt  die 
Ortschaften:  Inzersdorf,  Hennersdorf,  Achau, 
Münchendorf  und  Ebreichsdorf. 

Die  Bauausführung  war,  besonders  in 
der  Strecke  Meidling -Inzersdorf,  wo  ein 
mächtiger  Damm  herzustellen  war,  eine  ziem- 
lich schwierige. 

Chotzen-Neusorge  nebst  Flü- 
gel bahnen.  Gestützt  auf  die  bei  den 
Friedensverhandlungen  in  Prag  getroffene 
und  in  der  Ministerial  -  Erklärung  vom 
27.  August  1866  [P.  2]  zum  Ausdrucke  ge- 
brachte Vereinbarung,  dass  es  der  preussi- 
schen  Regierung  gestattet  sein  solle,  die 
schlesische  Gebirgsbahn  auf  österreichi- 
schem Gebiete,  nämlich  über  Braunau  [in 
Böhmen]  nach  Glatz  zu  führen,  haben  die 
benachbarten  preussischen  Haandelskam- 
mern  sogleich  und  mit  grossem  Uebereifer 
die  Herstellung  einer  Eisenbahn  durch  das 
»Braunauer  Ländel«  befürwortet,  jedoch 
ohne  Erfolg,  weil  die  preussische  Regie- 
rung es  vorzog,  die  Fortsetzung  der 
schlesischen  Gebirgsbahn  auf  durchwegs 
preussischem  Gebiete  zu  bewerkstelligen. 
Die  Stadt  Braunau  und  das  »Ländel« 
brauchten    sich    aber     darob     nicht     zu 


grämen ;  denn  alsbald  begann  daheim  eine 
Rührigkeit,  welche  ihnen  die  Einbeziehung 
in  das  vaterländische  Eisenbahnnetz  ver- 
schaffte. 

Im  Jahre  1869  projectirte  der  Brau- 
nauer Fabrikant  Johann  Schroll  die  Ver- 
bindung Chotzen-Braunau  und  später  hat 
das  Consortium  des  Fürsten  Johann 
Colloredo-Mannsfeld  erst  allein,  nachher 
in  Gemeinschaft  mit  der  Breslau-Schweid- 
nitz-Freiburger  Bahn,  eine  von  Otten- 
dorf über  Braunau,  Neusorge,  Nachod, 
Opoöno  und  Tyniät  nach  Chotzen  [mit 
einer  Variante  von  Opoöno  über  Reichenau 
nach  Wildenschwert]  führende  Eisenbahn 
nebst  Anschlüssen  an  die  preussischen 
Bahnen  von  Ottendorf  nach  Neurode 
und  von  Neusorge  nach  Friedland,  wie 
auch  einer  Flügelbahn  von  Nachod  nach 
Skalitz,  eventuell  von  Neustadt  nach 
Josefstadt  angestrebt.  Im  Jahre  187 1 
bewarb  sich  um  diese  Linien  auch 
die  Staatseisenbahn-Gesellschaft, 
welche  zum  Ersätze  für  die  ihr  entgan- 
gene Linie  Wildenschwert-Mittelwalde 
einen  anderen  Anschluss  an  das  preus- 
sische Bahnnetz  suchte  und  ebenfalls  von 
der  vorbezeichneten  preussischen  Gesell- 
schaft —  die  damals  zur  Verlängerung 
ihrer  Linien  nördlich  bis  Stettin  und 
Swinemünde  und  südlich  bis  zur  böhmi- 
schen Grenze  ermächtigt  worden  war  — 
die  Einladung  zur  Verbindung  der  bei- 
derseitigen Bahnnetze  erhalten  hatte 
oder,  nach  einer  anderen  Version,  weil 
sie  vom  Handelsministerium  zur  Bewer- 
bung aufgefordert  war  und  bewog  das 
genannte  Consortium,  zu  ihren  Gunsten 
zurückzutreten,  was  dasselbe  am  16.  Juli 
1872  auch  wirklich  that 

Daraufhin  fanden  die  Concessions- 
Verhandlungen  mit  der  protokollarischen 
Vereinbarung  vom  25.  Juli  1872  ihren 
Abschluss.  Die  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft  nahm,  gleichwie  vor  ihr  das  Con- 
sortium, keinerlei  staatliche  Begünsti- 
gung in  Anspruch  und  bewilligte  über- 
dies, einem  Verlangen  des  Ministe- 
riums entgegenkommend,  die  Zulassung 
eines  landesfürstlichen  Commissärs  zur 
Ueberwachung  ihres  Unternehmens,  die 
sie,  weil  durch  die  Concessionen  für  ihre 
älteren  Linien  hiezu  nicht  verpflichtet, 
bislang  immer  abgelehnt  hatte. 


i6o 


Ignaz  Konta. 


Die  Staatseisenbahn  -  Gesell- 
schaft erhielt  demnach  am  14.  Septem- 
ber 1872  die  Concession  für  die  Linie 
C  h  o  t  z  e  n-N  e  u  s  o  r  g  e  mit  Anschlüssen 
einerseits  über  B  r  a  u  n  a  u  gegen  N  e  u  r  o  d  e, 
andererseits  gegen  Waidenburg  und 
einer  Zweigbahn  von  der  Strecke  Neu- 
stadt-Nachod  an  einen  geeigneten 
Punkt  der  Süd-norddeutschen  Verbindungs- 
bahn, und  gewann  damit  eine  gegenüber 
allen  Concurrenzlinien  kürzeste  Route 
für  den  Verkehr  mit  Berlin  sowie  von 
Pest  ab  auch  mit  Breslau  und  darüber 
hinaus.  Die  neue  Linie,  deren  Bauzeit 
auf  längstens  drei  Jahre  festgesetzt  war, 
gilt  im  Allgemeinen  als  ein  integrirender 
Bestandtheil  des  alten  gesellschaftlichen 
Netzes,  doch  muss  [gemäss  §  9  der  Con- 
cessions-Urkunde]  für  sie  eine  abgeson- 
derte Betriebsrechnung  geführt  werden, 
wenn  die  Gesellschaft  in  die  Lage  kommt, 
die  für  die  älteren  Linien  gewährte  Staats- 
garantie wirklich  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Die  ausserordentliche  Generalversamm- 
lung vom  23.  Mai  1873  gab  dem  Ver- 
waltungsrathe,  bei  gleichzeitiger  Geneh- 
migung der  Concessions-Erwerbung,  die 
Ermächtigung  zur  Beschaffung  des  für 
die  neue  Linie  erforderlichen  Capitals 
von  15,000.000  fl.  durch  eine  Prioritäten- 
Emission,  und  dieser  entschied  sich 
für  die  Ausgabe  von  75.000  Stück 
5  °/0  iger  [ungarantirter]  Obligationen 
ä  200  fl.,  welche  im  November  1873 
durch  die  Credit-Anstalt  zum  Curse  von 
ioo1/^  an  die  Darmstädter  Bank  be- 
geben wurden.*) 


*)  Eine  weitere  und  zu  Beginn  des  Jahres 
1875  von  denselben  Banken,  jedoch  zum  Curse 
von  1031/»,  übernommene  Serie  5%iger  [un- 
garantirter] Prioritäts-Obligationen  im  Nomi- 
nalbetrage von  16,000.000  fl.  gelangte  über 
Beschluss  der  ausserordentlichen  General- 
versammlung vom  18.  Juli  1874  zur  Ausgabe. 
Diese  Emission  diente  zur  Deckung  von  Er- 
fordernissen des  alten  Netzes,  insbesondere 
aber  zur  Ablösung  der  »Gründerrechte«, 
welche,  fussend  auf  einer  merkwürdigen  Be- 
stimmung [Art.  45]  der  ursprünglichen  Statuten 
der  Staatseisenbahn-Gesellschaft,  den 
Gründern  der  letzteren  vorweg  eine  lo°/0ige 

8uote  der  jährlichen  Reinerträgnisse  des 
nternehmens  zusprachen.  [Vgl.  hierüber  auch 
Bd.  I,  1.  Theil,  S.  325  und  385  u.  ff.]  Etwa  den 
vierten  Theil  dieses  Tributes  bezog  die  Societe 
generale  de  credit  mobilier,  welche  sich  diesen 
werthvollen  Genuss  durch  ihre  ursprüngliche 


Der  Bau,  dessen  Vergebung  an 
die  Unternehmung  Hügel  &  Sager 
in  zwei  Partien,  nämlich  rücksicht- 
lich der  Strecke  Chotzen  -  Bodisch 
nebst  Flügelbahn  Wenzelsberg-StarkoC 
[87-4  km]  am  2.  Mai,  rücksichtlich  der 
Strecken  Bodisch-Halbstadt  und  Otten- 
dorf [21-3  km]  am  19.  December  1873 
erfolgte,  begann  auf  der  ersteren  Anfangs 
August  1873,  auf  der  letzteren  im'  Früh- 
jahre 1874  und  nahm  einen  ungestörten 
Fortgang;  es  wurden  eröffnet:  die  Linie 
Chotzen  -  B  raunau-  Ottendorf 
[103-2  km]  am  26.  Juli  1875  und  die 
Flügelbahn  Wenzelsberg-Starkoc 
[2-3  km]  am  I.  Februar  1876  für  den 
Güter-,  beziehungsweise  am  5.  Februar 
1876  für  den  Gesammtverkehr. 

Dadurch  dass  der  zur  Regelung  der 
gegenseitigen  Eisenbahn  -  Verbindung 
Chotzen  -  Halbstadt  -  Friedland  -  Altwasser 
erforderlich  gewesene  Staatsvertrag 
zwischen  Oesterreich-Ungarn  und  dem 
Deutschen  Reiche  erst  am  2.  März  1877 
zum  Abschlüsse  kam  und  die  ganze 
Route  erst  am  15.  Mai  1877  für  den 
internationalen  Verkehr  aufgeschlossen 
wurde,  konnte  bis  dahin  die  Chotzener 
Linie  vorerst  nur  dem  Localverkehre 
dienen.  Am  letztbezeichneten  Tage  ge- 
langte auch  die  Grenzstrecke  Halbstadt- 
Neusorge  [nebst  Verbindungsgeleise 
3-2  km  lang]  zur  Eröffnung;  ihr  Be- 
trieb ist  der  fremden  Nachbarbahn  über- 
lassen, welche  hiefür  sowie  für  die  Mit- 
benützung des  Bahnhofes  Halbstadt  eine 
der  Verzinsung  des  betreffenden  Anlage- 
Capitals  entsprechende  Vergütung  leistet. 


Zeichnung  gesellschaftlicher  Titel  und  durch 
spätere  Erwerbungen  verschafft  hatte.    Diese 

guote  wurde  schon  im  Jahre  1869  um  den 
etrag  von  2,000  000  Francs  eingelöst.  Gleich 
damals  ermächtigte  die  Generalversammlung 
den  Verwaltungsrath,  die,  eigentlich  schon 
im  Jahre  1857  versuchte  Einlösung  fortzu- 
setzen, was  anlässlich  des  Ablebens  des 
Herzogs  von  Morny  [1870],  der  1j,„  der  An- 
theile  besass,  geschah.  Um  nun  jener  lästigen 
Verpflichtung  vollends  ledig  zu  werden, 
widmete  die  Generalversammlung  vom  13. 
Juni  1871  diesem  Zwecke  den  dritten  Theil 
der  damals  beschlossenen  Emission  von 
150.000  Actien.  Die  Gründer  lehnten  aber 
den  Bezug  der  Actien,  beziehungsweise  den 
Verzicht  auf  ihre  Rechte  ab  So  wurde  denn 
jetzt  die  Einlösung  mit  Hilfe  der  Prioritäten- 
Emission  bewerkstelligt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


161 


Zu  jener  Zeit  hatten  die  Anlagekosten 
der  Linie  Chotzen-Neusorge  nebst  Flügel- 
bahn die  Höhe  von  15,884.450  fl.  erreicht. 

Die  Linie  Chotzen-Braunau-Neu- 
sorge  [und  Neurode]  besteht  aus  der  Haupt- 
linie Chotzen-Halbstadt-Landesgrenze  gegen 
Neusorge  und  den  Abzweigungen  einerseits 
von  Halbstadt  über  Braunau  nach  Ottendorf 
an  die  Grenze  gegen  Neurode  und  anderer- 
seits von  Wenzelsberg  nach  StarkoC.  Die 
Trace  nimmt  ihren  Ausgangspunkt  in  der 
Station  Chotzen ;  führt  bei  einer  anfänglichen 
Höhe  von  268  in  über  dem  Adriatischen 
Meere  an  Oujezd,  C'erma-Jeleni  und  Boro- 
hradek  vorüber  nach  TyniSt  [Anschluss  an 
die  Nordwestbahn]  an  den  Lehnen  längs 
des  Adlerflusses  unter  günstigen  Terrain- 
verhältnissen. Vor  dieser  Station  wird  der 
genannte  Fluss  übersetzt.  Ab  Tynis't  läuft  die 
Bahn  bis  in  die  Nähe  von  Bolehöät  parallel 
mit  der  Nordwestbahn,  übersetzt  dann  die 
letztere  und  zieht  in  weniger  günstigem 
Terrain  über  Opocno  und  Bohuslavic  nach 
Neustadt  an  der  Mettau,  die  Mettau  über- 
setzend. Von  dieser  Station  an,  sich  zur  aus- 
gesprochenen Gebirgsbahn  entwickelnd,  zieht 
die  Trace  mit  theilweisen  Steigungen  von 
1 :  70  zur  Wasserscheide  auf  dem  Wenzelsberg 
[369  in  über  dem  Meere]  empor,  berührt 
dann  die  Stationen  Nachod  und  Hronov  und 
durchfährt  nächst  Politz  einen  289  in  langen 
Tunnel,  passirt  die  weiteren  Stationen 
Matha-Mohren  und  Weckelsdorf  und  ge- 
winnt bei  Ueberschreitung  der  Wasserscheide 
bei  Bodisch  [479  in  über  dem  Meeresspiegel] 
den  höchsten  Punkt  der  Bahn,  von  welchem 
aus  sie  wieder  abfällt,  um  über  Halbstadt 
einerseits  zum  Anschlüsse  an  die  Breslau- 
Schweidnitz-Freiburger  Bahn  bei  Neusorge 
und  andererseits  über  Braunau  nach  Otten- 
dorf und  die  Landesgrenze  gegen  Neurode 
zu  gelangen. 

Die  Abzweigung  von  Wenzelsberg  nach 
StarkoS  stellt  die  Verbindung  mit  der  Süd- 
norddeutschen Verbindungsbahn  her. 

Salzburg-Tiroler  Bahn.  Salz- 
burg mit  Steiermark  zu  verbinden,  hatte 
die  Regierung  schon  im  Jahre  1842, 
also  gleich  nachdem  sie  die  weitere 
Schaffung  von  Eisenbahnen  in  die  eigene 
Hand  genommen,  beabsichtigt.  Der  nach- 
malige Erfinder  des  Kettenbrücken- 
Systems  für  Locomotivbahnen,  Friedrich 
Schnirch*)  [geboren  im  Jahre  1791  zu 
Patek  in  Böhmen],  war  mit  den  ersten 
Studien  der  Tracen  betraut;  er  »recognos- 
cirte«  zwei  von  der  südlichen  Staatsbahn 
gegen  Westen  zum  Anschlüsse  an  die  bay- 
rischen Bahnen  führende  Linien,  eine  von 


*)  Vgl.  Bd.  I,  1.  Theil,  S.  315,  Abb.  298. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Wien,  die  andere  von  Brück  a.  M.  aus- 
mündend; desgleichen  einige  Neben- 
varianten. Nach  Beendigung  seiner 
Aufgabe,  befürwortete  er  eine  von  Wien 
über  Klosterneuburg,  St.  Polten,  Melk, 
Amstetten,  Linz  und  Salzburg  an  die 
Reichsgrenze  zu  erbauende  Linie  und 
erklärte  die  Linie  Brück  a.  M.-Radstadt- 
Salzburg,  sowohl  wegen  ihrer  Kostspie- 
ligkeit, als  auch  wegen  ihrer  nur  geringen 
Anwartschaft  auf  gute  Erträgnisse,  für 
nahezu  unausführbar. 

Das  verschlug  jedoch  nicht,  dass  die 
QuerlinieBruck  a.M. -Salzburg  noch  weiter- 
hin bevorzugt  blieb  und  auch  in  dem  Staats- 
vertrage mit  Bayern,  vom  2 1 .  Juni  1 8  5 1 ,  aus- 
drücklich als  diejenige  bezeichnet  wurde, 
die  zunächst  gebaut  werden  sollte.  Ver- 
muthlich    war   hiefür    die    kleinere    Bau- 

länge  und  etwa  auch  die  Meinung:  mass- 
iv ö 

gebend,  dass  für  die  südliche  und  die 
westliche  Route  eine  gemeinsame  Aus- 
mündungsstrecke [Wien  -  Brück  a.  M.] 
genüge.  Neuerliche,  sehr  eingehende 
Untersuchungen  der  Trace  führten  aber 
alsbald  zu  der  Ueberzeugung,  dass,  in- 
solange  die  directe  Verbindung  Salz- 
burgs mit  Linz  und  dem  Donauthale 
bis  Wien  fehle,  die  Zeit  zum  Baue  einer 
Eisenbahn  von  Salzburg  durch  die  Berge 
hinab  zur  Südlinie  noch  nicht  gekommen 
sei,  schon  aus  dem  Grunde,  weil  diese 
Gebirgsbahn  auch  einen  verhältnismässig 
viel  zu  grossen  Geldaufwand  in  An- 
spruch nehmen  müsste.  Es  wurde  daher 
mit  Bayern  eine  neue  Vereinbarung 
getroffen  [Staatsvertrag  vom  21.  April 
1856],  wonach  der  österreichischen  Re- 
gierung lediglich  die  Verpflichtung  zur 
Herstellung  einer  »directen  Bahn  von 
Wien  nach  Salzburg«    zufiel. 

Seitdem  ward  der  » Salzburgischen 
Gebirgsbahn«  nicht  mehr  viel  gedacht, 
bis  die  Landtage  von  Steiermark,  Tirol 
und  Salzburg  nach  ihr  zu  verlangen  anfin- 
gen [1867  — 1869].  Damals  waren  die 
Schienenstränge  von  Brück  a.  M.  aus  schon 
bis  Rottenmann  vorgedrungen,  und  Karl 
Ganahl,  der  mit  seinen  eifrigen  Bestrebun- 
gen um  die  Arlberg-Bahn  nun  auch  jene  um 
die  Linien  von  Innsbruck  über  Mittersil  und 
St.  Johann  nach  Rottenmann,  ferner  von 
St.  Johann  nach  Salzburg  verknüpfte, 
fand  bei  den  genannten  Vertretungskörpern 

11 


IÖ2 


Ignaz  Konta. 


eine  lebhafte  Unterstützung  seines  Pro- 
jectes,  die  übrigens  den  nachher  auf- 
getauchten Concurrenzprojecten*)  auch 
nicht  vorenthalten  blieb.  Die  Wünsche 
wurden  also  immer  lauter  und  dringen- 
der, Regierung  und  Gesetzgebung  mit 
Petitionen  der  Landesausschüsse,  Handels- 
kammern, Gemeinden  und  Industriellen 
überschüttet.  Dazu  kamen  weiter  die 
alten  Klagen,  dass  der  einzige  Eisenbahn- 
weg von  Salzburg  nach  Tirol  über  aus- 
ländisches Gebiet  führe. 

Natürlich  konnte  und  wollte  die  Re- 
gierung alldem  nicht  gleichgiltig  gegen- 
überstehen ;  sie  würdigte  vollauf  die  Bedeu- 
tung der  vielverlangten  Linie,  sowohl  als 
einer  unmittelbaren,  durchwegs  über  inlän- 
disches Gebiet  führenden  Eisenbahn -Ver- 
bindung zwischen  Tirol,  Salzburg  und 
Steiermark,  wie  auch  als  Anschluss  der 
Nordtiroler  Linie  der  Südbahn  an  das 
innerösterreichische  Bahnnetz,  beziehungs- 
weise als  Verbindung  der  Kaiserin  Elisa- 
beth-Bahn und  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
mit  der  Nordtiroler  Bahn  und  als  Mittel  zur 
Förderung  der  industriellen  Entwicklung 
und  des  Fremdenverkehres  der  berührten 
Gebirgsgegenden.  Sie  hatte  darum  schon 
in  der  Gesetzes  vorläge  vom  13.  März 
1869  [Art.  II,  Z.  4,  lit.  b  und  c]  be- 
zügliche Linien  unter  denjenigen  Bahnen 
aufgezählt,  deren  Sicherstellung  »in  erster 
Reihe  aus  allgemeinen  staatlichen  und 
volkswirthschaftlichen  Gründen«  zu  be- 
wirken sei;  sie  hatte  ferner,  nach  der 
Zurückziehung  dieser  Vorlage,  noch  im 
selben  Jahre  die  Salzburg-Halleiner  Bahn 
[s.  S.  93]  auf  Grund  des  Steuerbefreiungs- 
Gesetzes  vom  20.  Mai  1869  concessionirt 
und  hiebei  Bestimmungen  getroffen,  die 
ihren  Vorsatz,  auch  die  Fortsetzungslinien 
nach  Tirol  und  Steiermark  sicherzustellen, 
deutlich  bekundet. 

Aber  es  fehlten  ihr  die  Hilfskräfte  zur 
Ueberprüfung  oder  auchVervollständigung 


*)  Nach  Ganahl  hatten  proiectirt:  der 
General-Director  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
Georg  Aichinger  eine  Verbindung  zwischen 
Obersteiermark,  Salzburg  und  Tirol,  die  aber 
von  Reifling  aus  auch  bis  Wien  reichen  sollte 
[1868],  und  die  Grafen  Gatterburg  und  Barth- 
Barthenheim  eine  Salzburg-Tiroler  Bahn 
mit  Verlängerungen  durch  Böhmen,  Mähren 
und  Schlesien  bis  an  die  preussische  Grenze 
[1869]. 


von  grossen  und  schwierigen  Eisenbahn- 
Projecten.  Die  gründlicheVornahme  dieser 
Arbeit  war  erst  möglich  geworden,  als  der 
Handelsminister  Dr.  Seh  äff  le  im  Jahre 
1871  einen  eigenen  Nachtrags-Credit  für 
diese  Zwecke  erwirkt  hatte.  Bis  dahin 
war  auch  der  Concessionär  der  Salzburg- 
Halleiner  Bahn,  Karl  Ritter  von  Schwarz, 
in  die  Bewerbung  um  die  Linien  von 
Rottenmann  nach  Salzburg  und  Tirol 
eingetreten,  mithin  die  Zahl  der  bezüg- 
lichen Projecte  wieder  gewachsen,  und 
nachdem  dieselben,  wenn  auch  hinsicht- 
lich der  Hauptrichtung  der  Trace  überein- 
stimmend, so  doch  in  den  Einzelheiten 
vielfach  verschieden  und  mangelhaft 
waren,  dauerte  es  bis  in  den  Spätherbst 
des  Jahres  1871,  bevor  die  General- 
Inspection  das  für  die  genaue  Be- 
urtheilung  der  entsprechendsten  Aus- 
führungsmodalitäten erforderliche  Operat 
erstellt  hatte. 

Nun  beeilte  sich  die  Regierung,  den 
vielen  Urgenzbeschlüssen  der  Landtage, 
und  insbesondere  der  gleichgearteten, 
am  15.  Juni  1871  vom  Abgeordneten- 
hause beschlossenen  Resolution  gerecht 
zu  werden,  indem  sie  einen,  die  Sicher- 
stellung jener  Linien  betreffenden  Ge- 
setzentwurf vorbereitete  und  am  23. 
Januar  1872  dem  Abgeordnetenhause 
vorlegte.  Derselbe  lautete  im  Wesent- 
lichsten dahin,  dass  die  Regierung  er- 
mächtigt werde,  die  gedachten  Linien 
entweder  auf  Staatskosten  auszuführen 
oder  zu  concessioniren,  und  im  letzteren 
Falle  für  die  ganze  Bahn,  einschliesslich 
der  seitens  des  neuen  Concessionärs  ein- 
zulösenden Salzburg-Halleiner  Bahn,  eine 
Staatsgarantie  von  56.990  fl.  pro  Meile 
zu  gewähren,  die  einem  Nominal-Anlage- 
Capital  von  1 ,  1 39.840!!.  entspricht,  welches 
wieder  [laut  der  Denkschrift  zum  Gesetz- 
entwurfe] sich  auf  die  von  der  General- 
Inspection  mit  effectiv  30,790.684  fl.  oder 
bei  Hinzuzählungf  der  Geldbeschaffungs- 
kosten  [2O°/0]  und  der  Intercalarzinsen 
etc.  mit  nom.  40,806.307  fl.  berechneten 
Gesammtkosten  der  35 -8  Meilen  langen 
Bahn  stützte. 

Das     Abgeordnetenhaus    stimmte  der 

I  Vorlage    im    Allgemeinen    zu  [1.  März], 
verringerte  jedoch,    weil    es    den    Bege- 

I  bungscurs    der     Werthe     höher     veran- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


163 


schlagte,  die  Garantieziffer  auf  54.400  fl. 
pro  Meile ;  auch  nahm  es  in  das  Gesetz 
eine  Bestimmung  auf  [Art.  VI],  wonach 
Bau  und  Geldbeschaffung  getrennt  von 
einander  im  Concurrenzwege  vergeben 
werden  sollten,  um  auf  die  Gepflogen- 
heiten bei  den  Finanzirungen  einen  heil- 
samen Druck  zu  üben.  Das  Herrenhaus 
pflichtete  alldem  bei  [25.  März],    worauf 


Nachbarbahnen  der  sicherzustellenden 
Linien.  Die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  hatte 
in  richtiger  Erfassung  der  Wichtigkeit, 
welche  den  neuen  Linien,  sei  es  als 
Ergänzung,  sei  es  anderen  Falles  als 
Concurrenzroute  ihres  [der  Kaiserin 
Elisabeth  -  Bahn]  alten  Netzes,  inne- 
wohne, diesmal  rechtzeitig  und  nicht 
in  negativem  Sinne  sich  umgethan,  und, 


Abb.  84.     Salzburg-Tiroler  Bahn  in  den  Salzach-Klammen. 


dann  das  Gesetz  in  dieser  geänderten 
Fassung  am  10.  April  1872  die  a.  h. 
Sanction  erhielt. 

Mit  Rücksicht  auf  die  grossen  An- 
forderungen, welche  die  Ausführung  auf 
Staatskosten  an  den  Staatsschatz  gestellt 
hätte,  schlug  die  Regierung  zunächst 
den  Weg  der  Concessionirung  ein,  der 
sie  auch  wirklich  zu  dem  gewünschten 
Ziele  führte.  Infolge  der  Offert-Aus- 
schreibung vom  6.  Juli  langten  innerhalb 
der  anberaumten  Einreichungsfrist  [31. 
Juli]  sieben  Angebote  beim  Handels- 
ministerium    ein,      darunter    zwei     von 


nachdem  sie  durch  eine  Vereinbarung 
mit  der  Bauunternehmung  Karl  Freiherr 
von  Schwarz  und  der  Oesterreichischen 
Eisenbahn  -  Baugesellschaft  die  Verge- 
wisserung gewonnen,  dass  der  Bau  und 
die  Geldbeschaffung  im  Rahmen  des  Ge- 
setzes vom  10.  April  1872  ausführbar 
sei,  unter  den  Bedingungen  des  letzteren 
die  Offerte  auf  die  Gesammt-Concession 
überreicht.  Ebenso  hatte  die  unablässig 
auf  eine  Ausbreitung  ihres  Netzes  hin- 
arbeitende Kronprinz  Rudolf-Bahn  sich 
beeilt,  ein  gleiches  Angebot  zu  stellen, 
das  hinsichtlich  der  Anlagekosten    sogar 

11* 


IÖ4 


Ignaz  Konta. 


etwas  günstiger  war,  jedoch  auch  unzu- 
lässige Xebenansprüche  [z.  B.  Ausgabe 
von  Prioritäten  des  alten  Netzes  für  die 
neuen  Linien]  aufwies.  Diesen  Angeboten 
reihten  sich  ferner  an :  jenes  der  Allge- 
meinen österreichischen  Baugesellschaft 
auf  den  Bau  der  ganzen  Bahn  um 
17,983.000  fl.  und  jenes  der  Allgemeinen 
österreichischen  Bank  auf  die  Geld- 
beschaffung zum  Curse  von  8o/6°/0, 
welche  beide  gleichfalls  der  Ziffer  nach 
recht  günstige,  hingegen  in  den  sonstigen 
Ausführungen  ganz  unzutreffende  waren. 
Alle  übrigen,  von  Bauunternehmungen 
ausgegangenen  Offerten  griffen  über  die 
von  dem  erwähnten  Gesetze  gesteckten 
Grenzen  hinaus. 

Strenge  genommen  hatte  also  das 
Handelsministerium  keine  grosse  Aus- 
wahl, zumal  als  die  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn,  statt  die  gestellten  Nebenbedin- 
gungen  fallen  zu  lassen,  es  vorzog,  gänz- 
lich zurückzutreten  [14.  September  1872]. 
Da  aber  durch  die  Offerte  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  allein  schon  die  Con- 
cessionirung  ermöglicht  war,  hielt  das 
Ministerium  an  derselben  fest  und  pflog 
mit  dieser  Gesellschaft  die  weiteren  Ver- 
handlungen, welche  am  1.  October  1872 
ihren  Abschluss  fanden.  Nachdem  am 
selben  Tage  die  wegen  der  etwaigen 
Geltendmachung  ihres  concessionsmässi- 
gen  Vorrechtes  befragte  Südbahn  mit 
einer  Verzichterklärung  geantwortet  hatte, 
mithin  auch  in  dieser  Beziehung  der 
Concessionirung  ein  Hindernis  nicht  ent- 
gegen stand,  erhielt  die  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  am  10.  November 
1872  die  auf  dem  Gesetze  vom  10. 
April  1872  beruhende  Concession  für 
die  Linie  von  Selzthal  nächst  Rotten- 
mann im  Anschlüsse  an  die  Kronprinz 
Rudolf  -  Bahn  über  Radstadt  nach 
Bischofshofen  und  von  da  durch  das 
Pongau  und  das  Pinzgau  über  Zell 
am  See,  Saalfelden,  St.  Johann  und 
Kitzbühel  in  Tirol  nach  Wörgl  zur 
Verbindung  mit  der  Nordtiroler  Linie 
der  k.  k.  priv.  Südbahn-Gesellschaft  so- 
wie von  Bischofshofen  nach  Hallein 
und  Salzburg  zum  Anschlüsse  an  die 
k.  k.  priv.  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  in  deren 
Bahnhof  zu  Salzburg.  Diese  Concession 
verpflichtet  die  Gesellschaft  zur  Einlösung 


der  Salzburg-Halleiner  Bahn  sowne  zur 
Fertigstellung  und  Eröffnung  des  ganzen 
neuen  Bahncomplexes  binnen  längstens 
drei  Jahren  und  zur  Führung  einer  ge- 
trennten Betriebsrechnung  für  den  letzteren, 
jedoch,  nach  der  Vollendung  der  Arlberg- 
Bahn  oder  aber  längstens  nach  dem  ab- 
gelaufenen achten  Betriebsjahre  des 
neuen  Netzes,  auch  auf  dessen  voll- 
ständige Vereinigung  mit  dem  alten 
Netze  hinzuwirken.  Als  staatliche  Be- 
günstigungen wurden  dem  neuconcess'io- 
nirten  Unternehmen  eine  Staatsgarantie 
von  54.400  fl.  pro  Meile  und  eine  neun- 
jährige Steuerfreiheit  gewährt. 

Die  Actionäre  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  genehmigten  in  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  10.  De- 
cember  1872  die  Erwerbung  dieser  Con- 
cession, wie  auch  die  Beschaffung  der 
zu  ihrer  Durchführung  erforderlichen 
Geldmittel  durch  Ausgabe  von  80.000 
Actien  [Emission  III]  ä  200  fl.  = 
16,000.000  fl.  und  von  5°/oigen  Priori- 
täts-Obligationen im  Nominalbetrage  von 
rund  24,000.000  fl.  Alle  diese  Werthe 
übernahm  die  Bauunternehmung  selbst, 
überliess  hievon  aber  50.000  Actien 
zum  Curse  von  188  den  alten  Actio- 
nären  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  durch 
die  Credit-Anstalt,  welche  diesfalls  ein 
Garantie-Syndicat  gebildet  hatte  [18. 
bis  28.  Februar  1873].  Mittlerweile  wurde 
der  Präliminar-Bauvertrag  am  8.  Februar 
1873  vom  Handelsministerium  genehmigt 
und  darauihin  am  14.  Februar  1873  end- 
giltig  abgeschlossen. 

Hiemit  waren  die  wichtigen  Bahn- 
verbindungen, denen  früherhin  der 
Name  »Gisela-Bahn«  zugedacht  ge- 
wesen, jetzt  aber,  weil  sie  kein  selb- 
ständiges Unternehmen  geworden,  ein- 
fach die  Bezeichnung  »Salzburg- 
TirolerBahn«  beigelegt  wurde,  nun- 
mehr vollkommen  sichergestellt  und  die 
altgehegten  Wünsche  der  daran  be- 
theiligten drei  Alpenländer  erfüllt. 

Der  im  Frühjahre  1873  in  vollen 
Gang  gebrachte  Bau  wurde  mög- 
lichst beschleunigt,  um  die  neuen 
Linien  schon  während  der  Reise- 
zeit des  Jahres  1875  benutzbar  zu 
machen.  Dies  wäre  auch  gelungen,  wenn 
nicht    ein  Absturz    des    Untersteinberges 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


16.= 


Abb.  85.    Salzburg-Tiroler  Bahn.     [Bahnhof  und  Schloss  Werfen.] 


den  Tunnel  zwischen  Taxenbach  und 
Lend  eingedruckt  und  verschüttet  hätte. 
Das  ereignete  sich  in  den  Morgen- 
stunden des  10.  Juni  1875  und  drohte 
eine  ähnliche  Katastrophe  herbeizuführen, 
wie  die  im  Jahre  1794  fast  an  der 
gleichen  Stelle'jan  der  »EmbacherPlaike«] 
eingetretene  grosse  Abrutschung,  welche 
die  Salzach  so  vollkommen  absperrte, 
dass  die  angestauten  Wässer  bis  gegen 
Taxenbach  hin  einen  bis  zu  32  m  tiefen 
See  bildeten. 

Wäre  es  dazu  gekommen,  dann 
hätte  ein  grosser  Theil  der  Bahn- 
trace,  unter  schweren  Verlusten  von 
Zeit  und  Geld,  gänzlich  verlegt  wer- 
den müssen.  Glücklicherweise  erfolgte 
kein  »Nachschub«  und  die  Bahn  Hess 
sich  mit  Hilfe  eines  um  den  Bergvorkopf 
herum  ausgeführten  Provisoriums  so 
rasch  wieder  fahrbar  machen,  dass  sie 
am  17.  Juli  von  dem  deutschen  Kaiser 
anlässlich  seiner  Reise  nach  Gastein  be- 
nützt werden  konnte.  Vierzehn  Tage 
später    fand    auch    schon    die    feierliche 


Eröffnung  der  ganzen  Bahn  statt ;  ihre 
Uebergabe  an  den  öffentlichen  Verkehr 
ging  jedoch  erst  am  6.  August  1875  vor 
sich,  weil  die  Regierung  für  den  Fall,  als 
durch  das  Provisorium  auf  dem  Unter- 
steinberge irgend  eine  Betriebsstörung 
eintreten  würde,  die  Staatsgarantie  für 
die  ganze  Strecke  sperren  wollte,  und 
erst  nach  dringender  Vorstellung,  so- 
wohl seitens  der  Gesellschaft,  als  auch 
der  Bauunternehmung,  sich  damit  be- 
gnügte, die  Gesammtgarantie  auf  die  Dauer 
des  Provisoriums  um  einen  Betrag  von 
jährlich  60.000  fl.,  welcher  der  Bauunter- 
nehmung zur  Last  fiel,  zu  kürzen. 

Die  Salzburg-Halleiner  Bahn,  deren  Be- 
trieb schon  seit  ihrer  Eröffnung  [15.  Juli 
187 1]  von  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  ge- 
führt wurde,  ging  nach  Massgabe  der  hie- 
für in  ihrer  eigenen  sowie  in  der  Con- 
cessions-Urkunde  für  die  Salzburg- 
Tiroler  Bahn  vorgesehenen  Bestimmungen 
gleich  am  Tage  der  Eröffnung  dieser 
letzteren  in  den  Besitz  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  über.  Die  definitive  Strecke 


i66 


Ignaz  Konta. 


sammt  dem  neuen,  weiter  in  den  Berg 
hinein  verlegten  Tunnel  bei  Taxenbach, 
dessen  Kosten  im  Betrage  von  beiläufig 
600.000  fl.  die  Gesellschaft  und  die 
Bauunternehmung  im  Wege  des  Ver- 
gleiches hälftig  auf  sich  nahmen,  gelangte 
erst  am  9.  Mai   1878  in  Betrieb. 

Am  Schlüsse  eben  dieses  Jahres  betru- 
gen die  Anlagekosten  der  ganzen  Salzburg- 
Tiroler  Bahn  41,284.098  fl. ;  der  Mehr- 
aufwand wurde  durch  die  Führung  der 
Trace  direct  über  Kitzbühel  verursacht 
und  darum  von  der  Regierung  anerkannt 
[Protokoll  vom  6.  Februar   1877]. 

Mit  der  Vollendung  der  Salzburg- 
Tiroler  Bahn  fand  zugleich  die  langjährige 
verdienstliche  Thätigkeit  des  gesellschaft- 
lichen General-Directors  ihren  würdigen 
Abschluss.  Hofrath  Ritter  von  Keissler 
trat  am  1.  September  1875  in  den  Ruhe- 
stand und  nun  übernahm  sein  bisheriger 
Stellvertreter,  Sections-Chef  Alois  Czedik 
von  Bründelsfeld,  die  selbständige 
Leitung  der  Geschäfte,  von  der  aus  er 
nach  etlichen  Jahren  zu  hochragender 
Bedeutung  im  österreichischen  Eisenbahn- 
netze emporstieg. 

Der  neue  General-Director  hatte  zu- 
nächst die  letzten  Unebenheiten  zu 
glätten,  welche  in  den  materiellen  Ver- 
hältnissen der  Gesellschaft  durch  Verluste 
beim  sogenannten  Kostgeschäfte*)  im 
Jahre  1873  entstanden  waren;  sodann 
brachte  er  die,  gleich  nach  seinem  Ein- 
tritte in  die  Dienste  der  Gesellschaft 
[1873]  angebahnten  Reformen  der  ver- 
schiedenen Geschäftszweige  zur  vollen 
Durchführung  und  berief  neue  Kräfte 
an  seine  Seite.  Zum  Director  des  Ver- 
kehrs- und  commerziellen  Dienstes  wurde 
der  General -Inspector  der  königlichen 
ungarischen  Staatsbahnen,  August  Ober- 
mayer,    und    zum  Vorstande    des    ge- 

*)  Die  Verwaltung  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  hatte,  um  ihren  Cassenbeständen  gute 
Verzinsung  zu  verschaffen,  Börse  -  Effecten 
lombardirt,  wobei  ihr  infolge  des  Curssturzes 
nach  dem  Ausbruche  der  wirthschaftlichen 
Krisis  ein  namhafter  Schaden  erwuchs.  Der- 
selbe bezifferte  sich  zur  Zeit  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  15.  Decem- 
ber  1874,  welche  diese  Angelegenheit  beilegte, 
mit  rund  600.000  fl.,  nachdem  das  Effecten- 
Depöt  wieder  einen  Curswerth  von  419.760  fl. 
erlangt  und  die  Gesellschaft  von  dritter  Seite 
Ersatzleistungen  von  240.000  fl.  erhalten  hatte. 


sammten  Bahnerhaltungdienstes  der  Chef- 
Ingenieur  beim  Baue  der  Ungarischen 
Westbahn,  Friedrich  B  i  s  c  h  o  f  f,  ernannt. 

Die  Linie  von  Salzburg  nach  Bi- 
schof shofen-Wörgl  geht  in  der  bereits 
beschriebenen  Trace  der  Salzburg-Halleiner 
Bahn  [vgl.  S.  95]  bis  Hallein,  dann  nach 
Ueberschreitung  des  Tangelbach.es  nach  Kü- 
chel und  weiter  nach  Golling.  Ausserhalb 
Golling  wird  die  Lammer,  hernach  die  Salz- 
ach mittels  eiserner  Brücken  übersetzt  und 
fast  gleich  darauf  der  den  Pass  Lueg  bil- 
dende Gebirgsrücken  mittels  eines  923-3  m 
langen  Tunnels  durchfahren,  dann  aber- 
mals die  Salzach  mit  einer  eisernen  Brücke 
von  63  m  Spannweite  übersetzt.  Wieder 
auf  dem  rechten  Ufer  der  Salzach  an- 
gelangt, zieht  die  Trace  nunmehr  theils 
stark  in  den  Fluss  eingebaut,  theils  an  die 
sehr  steilen  Wände  des  Tennengebirges  sich 
anlehnend,  in  fortwährenden  Serpentinen  den 
Stationen  Sulzau,  Werfen  und  Bischofshofen 
zu.  Auf  diesem  Zuge  werden  zwei  Wild- 
bäche, der  Fritzbach  und  der  Nothgraben, 
1  und  vor  der  Station  Bischofshofen  auch  noch- 
mals die  Salzach  —  sämmtlich  durch  Eisen- 
brücken —  übersetzt.  In  der  Station  Bischofs- 
hofen gabelt  sich  die  Bahn  und  während  die 
eine  Trace  nach  Steiermark  zieht,  nimmt  die 
zweite  ihren  Lauf  nach  Tirol. 

Der  Flügel  gegen  Tirol  führt  in  dem 
nun  erbreiterten  Salzachthaie  über  St.  Johann 
im  Pongau,  dann  in  westlicher  Richtung  nach 
Schwarzach  (-St.  Veit),  vor  welcher  Station 
die  Salzach  abermals  übersetzt  wird.  Hinter 
Schwarzach  schneidet  sich  die  Salzach  wieder 
tief  ein,  so  dass  die  Bahn  sich  an  den  Lehnen 
längs  des  Flusses  serpentinartig  fortschlingend 
und  an  einer  Stelle,  wo  die  Ufer  durch  senk- 
rechte Felsvorköpfe  gebildet  sind,  einen  der- 
selben mittels  eines  128»»  langen  Tunnels  durch- 
setzen muss,  um  den  unausweichlichen  Ueber- 
gang  auf  das  linke  Salzachufer  und  auf  diesem 
die  Station  Lend-Gastein  zu  gewinnen,  von 
welcher  aus  die  Strasse  nach  dem  weltbe- 
kannten Badeorte  Gastein  führt.  Bisher  den 
Pongau  durchziehend,  lenkt  die  Trace  nun 
in  den  Pinzgau  ein  und  führt,  immer  an  den 
tiefeingeschnittenen  Salzachufern,  überTaxen- 
bach  nach  Gries  und  von  da  in  dem  nun 
wieder  allmählich  sich  verbreiternden  Thale 
nach  Brück  [ —  Fusch],  dem  Einmündungs- 
punkte der  Strasse  in  die  Fusch.  In  dieser 
Strecke  waren  die  Salzach,  und  zwar  zweimal 
zwischen  Lend  und  Taxenbach  und  einmal  vor 
der  Station  Brück  zu  übersetzen  und  zwei  Berg- 
vorköpfe, einer  bei  Unterstein,  der  zweite 
bei  Taxenbach,  mittels  Tunnels  von  135  m, 
beziehungsweise  277  m  Länge  zu  durch- 
fahren. Auch  hat  in  dieser  Strecke  das  Stei- 
gungsverhältnis bis  1  :  80  zugenommen.  Aus- 
serhalb der  Station  Brück  wird  die  Salzach 
zum  neunten  und  letzten  Male  übersetzt  und 
es  wendet  sich  nun  die  Linie,  das  Salzach- 
thal verlassend,  nordwärts  in  das  zwischen 
diesem   und  dem  Saalthale  befindliche  Ver- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


167 


bindungsthal,  in  welchem  der  Zeller  See  liegt 
und  dann  längs  desselben  der  Station  Zell 
am  See  zu,  die  auf  einem  Schubkegel  situirt 
und  von  einer  Fülle  landschaftlicher  Reize 
umgeben  ist.  Von  Zell  weiter  zieht  die  Bahn 
mit  massiger  Steigung  die  Wasserscheide  bei 
Maishofen  hinan  [7613  in  Seehöhe],  fällt  dann 
wieder  ab  und  erreicht  nach  zweimaliger 
Ueberschreitung  der  Saal  die  Station  Saal- 
felden.  Von  da  ab  gestaltet  sich  die  Bahn 
zur  eigentlichen  Gebirgsbahn;  sie  zieht,  das 
Saalthal  verlassend,  in  westlicher  Richtung 
mit  einer  Steigung  bis  I  :  50  und,  an  den  ott 
sehr  tief  angeschnittenen  Berglehnen  ange- 
schmiegt, zu  der  Wasserscheide  zwischen  der 
Leoganger  und  Pillersee-Ache  empor,  die  sie 
bei  der  Station  Hochfilzen,  zugleich  mit  dem 
höchsten  Punkte  der  Bahn  [963  in  Seehöhe], 
erreicht.  Auf  diesem  Zuge  werden  viele  Wäs- 
ser, wie:  der  Saalbachgraben,  die  Saal,  Leo- 
ganger Ache,  der  Birnbach,  Weissenbach  und 
Griesenbach  mit  Eisenbrücken  übersetzt  und 
die  Station  Leogang  berührt.  Vor  Hoch  filzen 
tritt  die  Trace  vom  Salzburger  auf  das  Tiro- 
ler Gebiet  über.  Nach  Ueberschreitung  der 
Wasserscheide  bei  Hochfilzen  zieht  die  Bahn 
im  Gefälle  bis  I  :  44,  grösstenteils  am  rech- 
ten Ufer  der  Pillersee-Ache  und  durch  Ein- 
schnitte bis  zu  17  tn  Tiefe  über  Fieberbrunn 
nach  St.  Johann  in  Tirol,  auf  diesem  Wege 
die  genannte  Ache  und  den  Moosbach 
überschreitend.  Von  St.  Johann  aus  steigt 
die  Bahn  wieder  massig  an,  geht  mittels 
eines  starken  Bogens  in  das  Kitzbühler 
Achenthai  und  am  rechten  Ufer  dieser  Ache 
in  die  Station  Kitzbühel.  Von  der  Station  an, 
die  ganze  Stadt  umziehend  und  die  Kitzbühler 
Ache  übersetzend,  bildet  die  Trace  hier  eine 
grosse  Schlinge,  führt  sodann  an  der  Berg- 
lehne des  linken  Ufers  mit  einer  Steigung 
von  1  :  60  über  den  zwischen  der  Kitzbühler 
und  Aschauer  Ache  sich  hinziehenden  Berg- 
rücken, fällt  wieder  massig  bis  zur  Aschauer 
Ache  ab  und  steigt  nach  Uebersetzung  der 
letzteren  sofort  wieder  stark,  um  die  Wasser- 
scheide zwischen  der  Aschauer  und  Brixen- 
thaler  Ache  in  der  Station  Kirchberg  zu  er- 
reichen. Auf  dieser  Wasserscheide  läuft  die 
Linie  mehr  als  800  in  weit  über  Torfgrund 
und  fällt  von  da  an  continuirlich  im  Ver- 
hältnis von  1  :  44  bis  Brixenthal  und  Hopf- 
garten [Aufstieg  zur  hohen  Salve].  Hinter  der 
Station  Brixenthal  geht  die  Trace  mittels  eines 
scharfen  Bogens  und  eines  208  in  langen 
Tunnels  aus  dem  Brixen-  in  das  Windau- 
thal  über,  in  welchem  sie  sich  entwickelt 
und  eine  grosse  Schlinge  bildet,  um  dann 
durch  einen  zweiten  325-4  m  langen  Tunnel 
wieder  in  das  Brixenthal  zurückzukehren, 
die  Windau  Ache  überbrückend.  Von  Hopf- 
garten zieht  die  Bahn  in  massigem  Gefälle 
über  die  Brixenthaler  Ache  und  durch  den 
45'9  m  langen  Itter-Tunnel  in  das  Unterinn- 
thal und  erreicht  am  linken  Ufer  der  Ache 
in  der  Station  Wörgl  den  Endpunkt. 

Die     Linie    Bischof shofen-Selzthal 
verbindet    die   eben  beschriebene   Linie    der 


Salzburg-Tiroler  Bahn  mit  der  Kronprinz 
Rudolf-Bahn.  Ihre  Trace  zweigt  aus  der 
Station  Bischofshofen  in  östlicher  Richtung 
ab,  steigt  sofort  im  Verhältnis  von  1  :  45  an, 
übersetzt  die  Salzach  mit  einer  58  in  weiten 
eisernen  Brücke  und  geht,  indem  sie  den 
zwischen  dem  Salzach-  und  Fritzbachthal  be- 
findlichen Bergrücken  mit  einem  710  in  lan- 
gen Tunnel  durchsetzt,  in  das  Fritzbachthal 
über,  berührt  die  Station  Hüttau  und  erreicht 
in  der  Station.  Eben  den  höchsten  Punkt 
[851  in  Seehöhe].  In  dieser  Strecke  begegnete 
der  Bau  sehr  grossen  Schwierigkeiten.  Der 
Fritzbach  musste  [in  einer  Strecke  von  16  km] 
neun  Mal  mittels  eiserner  Brücken,  von 
welchen  die  letzte  24  in  hoch  und  20  in  weit 
ist,  übersetzt,  der  erwähnte  grosse  Tunnel 
und  noch  zwei  kleinere  von  59,  resp.  98  in 
Länge  angelegt,  dann  bedeutende  Fluss-  und 
Strassencorrectionen  ausgeführt  und  An- 
schnitte im  Rutschterrain  bis  zu  einer  Höhe 
von  35«»  vorgenommen  werden.  Von  Eben  aus 
in  das  Ennsthal  übergehend,  fällt  die  Bahn 
continuirlich  und  führt,  stets  am  linken 
Ufer  der  Enns  über  Radstadt  nach  Mand- 
ling,  passirt  hinter  dieser  Station  die  Salz- 
burg-Steierische Grenze  und  tritt  vor  der 
Station  Haus  wieder  auf  das  rechte  Fluss- 
ufer über,  auf  welchem  sie  bis  Gröbming 
und  Oeblarn  verbleibt.  Hinter  letzterer  Station 
setzt  die  Trace  wieder  auf  das  linke  Ufer 
über,  berührt  auf  demselben  die  Stationen 
Steinach-Irdning,  Wörschach  und  Lietzen, 
kehrt  unterhalb  dieser  Station  wieder  auf 
das  rechte  Ufer  zurück  und  erreicht  in  der  Sta- 
tion Selzthal  ihren  Endpunkt.  Der  Bau  der  Salz- 
burg-Tiroler Bahn  gehört  zu  den  schwierig- 
sten, die  in  Oesterreich  ausgeführt  wurden. 
[Abb.  84 — 93  nach  photographischen  Auf- 
nahmen von  O.  Kramer.] 

An  die  Salzburg- Tiroler  Bahn  knüpft 
sich  ein  denkwürdiges  Moment ;  sie  war 
die  letzte  aller  jener  vor  dem  Ausbruche 
der  Krisis  concessionirten  Linien,  die 
auch  wirklich  zur  Ausführung  gelangten 
und  bildet  daher  gleichsam  den  Schluss- 
punkt  der  grossen  Concessionirungs- 
Thätigkeit  in  den  Jahren  1868— 1872, 
welcher  das  österreichische  Eisenbahn- 
netz die  ebenso  rasche  als  bedeutende 
Erweiterung  um  circa  5840  km  verdankte. 

Dass  bei  so  reicher  Aussaat  da  und 
dort  auch  ein  Unkraut  spriesste,  dass  in 
dem  Gründungstreiben  jener  Periode 
der  Schwindel  auch  an  das  Eisenbahn- 
wesen heranschlich,  manchem  faulen 
Projecte  die  Maske  strotzender  Gesund- 
heit lieh  und  manches  kerngesunde 
Unternehmen  mit  überwucherndem  Schma- 
rotzerthum  umrankte,  kann  wohl  nicht 
verwundern.  Beklagt  muss  aber  werden, 


i68 


Ignaz  Konta. 


dass  die  Folgen  dieser  Geschehnisse 
so  schwere  und  tiefgehende  waren  und 
werden  konnten.  Wie  friiherhin  das  über- 
schäumende Vertrauen,  beherrschte 'jetzt 
ein  grenzenloses  Misstrauen  alle  Kreise. 
Nicht  nur  für  ungarantirte,  auch  für 
staatlich  garantirte  Bahnen  fehlte  es  an 
Bewerbern ;  auf  die  Privatthätigkeit  zur 
Weiterentwicklung  des  Eisenbahnnetzes 
war  kaum  mehr  zu  rechnen. 

Wäre  es  möglich  gewesen,  sofort  mit 
kräftiger,  aber  auch  offener  Hand  einzu- 
greifen, zu  Tage  getretene  Schäden  zu 
heilen,  insbesonders  den  ungarantirten 
Bahnen,  die  hauptsächlich  daran  krankten, 
dass  sie  durch  die  kostspielige  Geld- 
beschaffung und  die  ihnen  für  nicht  com- 
merzielle  Zwecke  auferlegten  Leistungen 
mit  übermässig  hohen  Anlage-Capitalien 
belastet  waren,  ausgiebige  Hilfe  zu  brin- 
gen, dann  hätte  zumindest  auf  dem  Ge- 
biete des  Eisenbahnwesens  das  Zutrauen 
sich  bald  wieder  eingefunden  und  von 
da  aus  allmählich  weiter  verbreitet;  wäre 
es  wenigstens  möglich  gewesen,  die 
grossen  Linien,  deren  Nothwendigkeit 
längst  anerkannt  war,  unter  Ausnützung 
der  nun  wieder  gesunkenen  Lohn-  und 
Materialpreise,  eine  um  die  andere  in 
Angriff  zu  nehmen,  dann  hätten  diese 
Linien  um  so  vieles  billiger  hergestellt 
und  ihrem  Zwecke  um  so  viel  früher  dienst- 
bar gemacht  werden  können.  Dies  wäre 
auch  noch  in  anderer  Beziehung  von 
wohlthätiger  Wirkung  gewesen  ;  denn  es 
hätte  fortgesetzt  und  in  erheblichem 
Masse  Arbeit  und  Verdienst  geschaffen, 
beziehungsweise  erhalten  und  so  ein 
wirksames  Mittel  geboten,  um  die  wirth- 
schaftlichen  Kräfte    wieder    aufzurichten. 

Der  böse  Irrthum,  dass  die  Krisis  nur 
ein  »Börsenkrach«  sei,  der  eine  Interven- 
tion des  Staates  weder  erheische  noch 
zulasse,  wurde  jedoch  erst  erkannt,  als 
die  Verheerungen  schon  zu  weit  um  sich 
gegriffen  hatten.  Man  übersah  oder  wollte 
nicht  erkennen,  dass  jede  Schädigung 
des  Eisenbahn-Credites,  bei  dem  ja  ein 
nahmhafter  Theil  des  Nationalvermögens 
in  Betracht  kommt,  auch  dem  öffentlichen 
Credite  eine  Wunde  schlage ;  man  wähnte 
die  Eisenbahnen  ihrem  Schicksale  über- 
lassen zu  dürfen,  da  die  bereits  gebauten  Li- 
nien einmal  vorhanden  seien  und  um  ihre 


Theilhaber  und  Gläubiger  sich  Niemand  zu 
kümmern  brauche,  —  der  Bau  neuer  Linien 
aber  hinausgeschoben  werden  könne. 

Vielen  galt  darum  schon  die  Schaf- 
fung des  Gesetzes  vom  13.  December 
1873,  »betreffend  die  Benützung  des  öffent- 
lichen Credites  zur  Beischaffung  der 
Mittel  für  die  Förderung  des  Eisenbahn- 
baues und  für  Errichtung  von  Vorschuss- 
cassen«,  als  eine  grosse  That;  denn  dieses 
Gesetz  ermächtigte  die  Regierung  zur 
Aufnahme  eines  Anlehens  im  Höchst- 
betrage von  80,000.000  fl.,  welches 
zum  Theile  dem  Eisenbahnbaue  zu- 
gedacht war.  Da  aber  die  Verwendung 
dieser  Quote  erst  durch  besondere  Ge- 
setze verfügt  und  in  dieselbe  auch  die 
Summe  eingerechnet  werden  sollte,  welche 
im  Jahre  1874  für  den  Bau  der  Istrianer 
und  Tarnöw-Leluchöwer  Bahn  zur  Aus- 
gabe gelangt  [Artikel  2],  bot  das  »Noth- 
standsanlehen«  der  Regierung  einen  nur 
kleinen  Spielraum  für  die  Hilfsthätigkeit 
auf  dem  Gebiete    des  Eisenbahnwesens. 

Die  Wirkung  alles  dessen  begann  sich 
bald  zu  zeigen.  Keine  einzige  neue  Linie 
konnte  im  Jahre  1873  sichergestellt  wer- 
den ;  manche  der  früher  ertheilten  Con- 
cessionen  wurden  theils  fraglich  [z.  B. 
jene  für  die  Linie  Troppau-Vlarapass, 
deren  Bau  mangels  der  hiezu  erforder- 
lichen Gelder  eingestellt  werden  musste], 
theils  schon  wirklich  hinfällig,  wie  die 
mittels  Kundmachung  des  Handelsmini- 
steriums vom  25.  October  1873  als  er- 
loschen erklärte  Concession  für  die  Schaf- 
bergbahn ;  die  finanziellen  Verlegenheiten 
der  ungarantirten  Bahnen  steigerten  sich 
von  Tag  zu  Tag  und  zwangen  dieselben, 
soweit  für  sie  Darlehen  überhaupt  noch 
erhältlich  waren,  ruinöse  schwebende 
Schulden  einzugehen  oder  gar,  wie  es 
bei  der  Leoben- Vordernberger  Bahn  ge- 
schehen, die  Zahlungen  einzustellen  und 
hernach  in  Concurs  zu  gerathen,  ein 
Fall,  der  bis  dahin  in  Oesterreich  noch 
nicht  dagewesen  und  glücklicherweise 
—  trotz  der  schweren  Bedrängnis  vieler 
Eisenbahn-Unternehmungen  —  vereinzelt 
geblieben  ist. 

Der  einzige  Lichtblick  in  dem  ver- 
hängnisvollen Jahre  war  das  grosse 
Völkerfest,  zu  dem  Oesterreich  alle 
Nationen    des  Erdballes    geladen  —  die 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


169 


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Abb.  86.    Bischofshofen. 


Weltausstellung  in  Wien,  welche 
an  Grossartigkeit  und  Reichhaltigkeit  ihrer 
Beschickung  schier  unübertrefflich  ge- 
wesen, der  geistigen  und  wirtschaft- 
lichen Thätigkeit,  dem  künstlerischen  und 
gewerblichen  Schaffen  Oesterreichs  wahre 
Triumphe  brachte  und  in  ihrem  ganzen 
glänzenden  Verlaufe  weit  über  ihr  Pro- 
gramm hinausragte,  indem  sie,  ohne  als 
solche  genannt  zu  sein,  zu  einer  gleich 
schönen  als  würdigen,  von  jedem  Oester- 
reicher  freudigst  mitbegangenen  Feier 
des  fünfundzwanzigjährigen  Regierungs- 
Jubiläums  Sr.  Majestät  des  Kaisers  Franz 
Joseph  I.  emporwuchs.  Das  österreichische 
Eisenbahnwesen  hatte  sich  mit  einer  Fülle 
von  mustergiltigen  technischen  und  admini- 
strativen Einrichtungen  und  literarischen 
Leistungen  an  dem  friedlichen  Wett- 
kampfe der  Culturstaaten  betheiligt  und 
hiebei  Ehr  und  Preis  geerntet. 

Im  Jahre  1874  gestaltete  sich  die  Lage 
des  österreichischen  Eisenbahnwesens 
noch     ernster     als     im    Vorjahre.       Die 


Regierung  bemühte  sich,  die  Bauthätig- 
keit  aufrecht  zu  erhalten  und  für  deren 
Fortsetzung  sogar  neue  Objecte  zu 
schaffen ;  allein  sobald  sie  hiebei  andere 
als  die  durch  das  Gesetz  vom  13.  De- 
cember  1873  gebotenen  Hilfsmittel  in 
Anspruch  zu  nehmen  gedachte,  musste 
sie  den  vorwiegend  auf  Nichtbelastung 
des  Staatsschatzes  gerichteten  Intentionen 
des  Reichsrathes  Rechnung  tragen.  Um 
nun  weder  völlig  zum  Baue  auf  Staats- 
kosten überzugehen,  noch  auf  das  alte 
Garantie -System  zurückzugreifen,  ver- 
suchte sie  es,  obwohl  die  Concessionirung 
ohne  vollständige  Staatsgarantie  schon 
im  Vorjahre  gründlich  fehlgeschlagen 
hatte,  jetzt  mit  einer  zwar  auf  das  Ge- 
sammt-Anlagecapital,  nicht  aber  auf  die 
ganze Concessionsdauer  sich  erstreckenden 
Staatsgarantie. 

Die  am  10.  Februar  1874  im  Abge- 
ordnetenhause  eingebrachten  Regierungs- 
vorlagen, betreffend  die  Gewährung 
einer       zwanzigjährigen      Staatsgarantie 


170 


Ignaz  Konta. 


von  57.800  fl.  pro  Meile  für  die  Salz- 
kammergut-Bahn, beziehungsweise  von 
51.800  fl.  pro  Meile  für  die  ehedem  ohne 
jede  staatliche  Begünstigung  concessionirt 
gewesene  Linie Troppau- Vlarapass, fanden 
auch  wirklich  eine  ziemlich  glatte  Erledi- 
gung und  wurden,  kraft  der  a.  h.  Sanction 
vom  3.,  beziehungsweise  6.  Mai  1874,  Ge- 
setze, blieben  jedoch  wieder  ganz  erfolglos ; 
denn  sie  führten  zu  keiner  Concessio- 
nirung. 

Einer  neuen  Linie,  nämlich  der 
von  Lemberg  nach  Netreba  [Tomaszöw], 
welche  schon  wiederholt  in  Anregung  und 
stets  Gegenstand  eifrigen  Wettbewerbes 
der  Carl  Ludwig-Bahn  und  der  Lemberg- 
Czernowitz  -  Jassy  -  Eisenbahn  gewesen, 
wollten  übrigens  Regierung  und  Parla- 
ment sogar  eine  volle  Staatsgarantie 
im  Betrage  von  42.000  fl.  pro  Meile 
zugestehen ;  der  bezügliche,  ebenfalls  am 
10.  Februar  1874  dem  Abgeordneten- 
hause vorgelegte  Gesetzentwurf  wurde 
nach  vorheriger  verfassungsmässiger 
Behandlung  am  24.  Mai  1874  zum  Gesetze 
sanctionirt;  es  blieb  aber  auch  dies 
fruchtlos,  entweder  weil  die  letztgenannte 
Gesellschaft,  welcher  gemäss  des  Wort- 
lautes des  Gesetzes  die  Concession  ver- 
liehen werden  sollte,  wegen  der  bei  ihr 
damals  vorwaltenden  Verhältnisse  sich 
zur  Durchführung  der  Concession  nicht 
befähigt  erachtete  oder  nicht  bereit  fand, 
oder  aber  weil  die  als  nahe  bevorstehend 
geschienene  Verbindung  der  neuen  Linie 
mit  dem  russischen  Bahnnetze  wieder 
in  die  Ferne  rückte  und  die  Regierung 
die  Concessionirung  nicht  vornehmen 
wollte,  bevor  jener  Anschluss  thatsäch- 
lich  gesichert  war. 

Demnach  verblieben  zur  Förderung 
der  Eisenbahn-Bauthätigkeit  nur  die 
»Nothstandsbauten«,  zu  deren  Inan- 
griffnahme das  Nothstandsanlehen  die 
Mittel  bieten  sollte.  Zu  denselben  zählten  in 
erster  Reihe  die,  wie  zuvor  erwähnt  ist, 
ganz  auf  Staatskosten  auszuführenden 
Linien  Tarnöw-Leluchöw  und 
DivaCa-Pola  sammt  Zweigbahnen, 
ferner  jene  fünf  Linien,  rücksichtlich 
deren  das  Handelsministerium  die  bezüg- 
lichen Specialgesetze  gleichfalls  an  dem 
so  vorlagereichen  10.  Februar  1874  im 
Abgeordnetenhause    einbrachte.       Davon 


betrafen  vier  Privatbahnen,  nämlich : 
die  bereits  concessionirten  Strecken 
Falkenau-Graslitz,  Pilsen-Eisen- 
stein, Rakonitz-Protivin,  und  die 
erst  zu  concessionirende  Niederöster- 
reichische Südwestbahn,  denen 
sämmtlich  staatliche  Bauvorschüsse  zu- 
gedacht waren  —  eine  Vorlage  hingegen 
betraf  die  als  Staatsbahn  herzustellende 
Linie  Spalato  -  Siveric  sammt 
Zweigbahn;  alle  begegneten  man- 
cher heftigen  Gegenströmung,  gingen 
jedoch  im  Wesentlichen  unversehrt  aus 
der  legislativen  Behandlung  hervor,  nur 
wurde  die  Strecke  Rakonitz  -  Protivin, 
welche  ein  Stück  der  im  Jahre  1872  con- 
cessionirten, aber  bis  dahin  unausgeführt 
gebliebenen  Böhmischen  Südwestbahn 
gewesen,  nicht  mehr  als  eine  mit  staat- 
licher Hilfe  auszuführende  Privatbahn 
gelten  gelassen,  sondern  zum  Baue  auf 
Staatskosten  bestimmt,  was  natürlich 
ihrem  Stammunternehmen  die  Hoffnung 
auf  ein  Wiedererstehen  benahm. 

Nachdem  diese  Vorlagen  Gesetzes- 
kraft erlangt  hatten,  schritt  die  Regie- 
rung unverweilt  zur  Durchführung  der- 
selben ;  es  gelang  ihr  auch  die  Bauten 
alsbald  in  Gang  zu  bringen,  doch  aber 
blieb  ihr,  wie  die  nachfolgenden  Einzel- 
darstellungen zeigen,  nicht  erspart,  für 
die  genannten  Privatbahnen  noch  wieder- 
holt eintreten,  sie  abermals  unterstützen 
zu  müssen. 

Als  eine  zweite,  vorwiegend  dem 
westlichen  Galizien  zustatten  kommende 
Verbindung  dieses  Landes  mit  Ungarn, 
wurde  die  Linie  Tarn 6  w-  L  e  Iu  c  hö  w  dem 
österreichischen  Bahnnetze  eingefügt.  Ur- 
sprünglich war  sie  die  erste  und  einzige 
hiefür  ausersehene  Schienenstrasse ;  ihr 
galt  das  von  der  Theissbahn  ausgear- 
beitete Project  Kaschau-Tarnöw  [1856], 
das  schon  in  dem  am  10.  November 
1854  amtlich  kundgemachten  Entwürfe 
des  österreichischen  Eisenbahnnetzes  vor- 
gesehen war.  Nach  zehnjähriger  Ver- 
schollenheit nahmen  sich  die  galizi- 
schen  Vertretungskörper  dieses  Projectes 
an,  wählten  aber  Przemysl  als  Ausgangs-, 
beziehungsweise  Endpunkt  der  Bahn  und 
mit  dieser  Abänderung  kam  es  anlässlich 
der  Concessionirung  der  Kaschau-Oder- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


171 


berger  Bahn  auch  im  Reichsrathe  zur 
Sprache  [1865].  Seitdem  standen  die 
beiden  Projectirungen  in  Concurrenz,  bis 
im  Jahre  1869  die  Erste  ungarisch-ga- 
lizische  Eisenbahn  [Przemysl  -  Lupköw] 
den  Vorrang  gewann.  Darum  hörte  aber 
die  Linie  Tarnöw-Leluchöw  keineswegs 
auf,  noch  weiterhin  Gegenstand  mannig- 
facher Projectirungen  zu  sein,  zumal  als 
auch  die  Regierung  das  Interesse  an  der- 
selben in  der  Denkschrift  zu  der  grossen, 
am  13.  März  1869  im  Abgeordneten- 
hause eingebrachten  Eisenbahn-Vorlage 
bekundet  hatte.  Im  Jahre  1871  machte 
ihr  die  Erzherzog  Albrecht-Bahn,  bezie- 
hungsweise deren  Strecke  Stryj-Skole- 
Beskid  den  zweiten  Platz  in  der 
Reihenfolge  der  ungarisch -galizischen 
Eisenbahn- Verbindungen  streitig,  welchen 
sie  dadurch,  dass  diese  Strecke  unaus- 
geführt geblieben,  nun  doch  einzunehmen 
berufen  ward.  Indes  kostete  ihre  Sicher- 
stellung viele  Mühen. 

Die  allgemeine  Richtung  der  Trace 
wurde  am  8.  Mai  1870  und  der  An- 
schluss  an  die  ungarischen  Bahnen  in 
Leluchöw  am  31.  August  1871  im  Ein- 
vernehmen mit  der  königlich  ungarischen 
Regierung  festgestellt,  welche  die  Con- 
cession  für  die  Linie  von  der  ungarischen 
Grenze  nächst  Leluchöw  bis  Eperies 
schon  am  7.  Mai  187 1  der  Unionbank 
ertheilt  hatte.  Währenddessen  und  im 
Verlaufe  des  Jahres  1871  liess  die  öster- 
reichische Regierung  die  ihr  vorgelegenen 
Privatprojecte  überprüfen  oder,  besser 
gesagt,  völlig  umarbeiten,  weil  dieselben 
vielfache  Unrichtigkeiten  aufwiesen.  Das 
hiedurch  erstellte  neue,  bedeutend  ver- 
besserte Project  diente  als  Unterlage  für 
den  Gesetzentwurf,  welchen  das  Handels- 
ministerium am  5.  März  1872,  behufs 
Sicherstellung  der  Linie  Tarnöw-Lelu- 
chöw dem  Äbgeordnetenhause  vorlegte. 
Dieser  Entwurf  umfasste  nebst  dieser  Linie 
noch  die  Zweigbahn  Gryböw-Zagörz  und 
sollte  auch  die  Möglichkeit  erschliessen, 
eine  weitere  Zweigbahn  von  Neu-Sandec 
an  die  Kaiser  Ferdinands -Nordbahn  in 
der  Richtung  gegen  Bielitz  oder  allen- 
falls an  die  Kaschau  -  Oderberger  Bahn 
mit  in  Ausführung  zu  bringen.  Das 
Anlage-Capital  der  ersterwähnten,  zu- 
sammen   34-744    Meilen    langen    Linien 


war  mit  effectiv  24,731.538  fl.  veran- 
schlagt und  die  Staatsgarantie  mit 
48.000  fl.  pro  Meile  bemessen. 

Damals  war  die  Unternehmungslust, 
daher  auch  die  Bewerbung  um  jene  Linien 
eine  sehr  rege.  Daraus  meinte  der  zur 
Vorberathung  des  Gesetzentwurfes  einge- 
setzte Ausschuss  des  Abgeordnetenhauses 
Nutzen  ziehen  zu  sollen.  Er  schlug 
also  vor:  nicht  nur  die  Linie  Tarnöw- 
Leluchöw  sammt  der  Zweigbahn  Gryböw- 
Zagörz,  sondern  zugleich  auch  schon  die 
anderen,  in  die  südgalizische  »Transver- 
salbahn« fallenden  Linien  Neu  Sandec- 
Saybusch-Bielitz  und  Saybusch-Csäcza 
unmittelbar  in  das  Gesetz  aufzunehmen, 
überdies  die  früher  seitens  der  Regierung 
beabsichtigte  E  ventual-Sicherstellung  eben 
dieser  letzteren  Linien  nun  auf  die  Linien 
Tarnöw-Sandomir  und  Stanislau-Husiatyn 
zu  übertragen,  jedoch  für  die  definitiv 
sicherzustellenden  Linien  nur  eine  dreissig- 
jährige  Steuerfreiheit  oder,  falls  dies  allein 
nicht  genügen  sollte,  der  Linie  Tarnöw- 
Leluchöw  eine  Staatsgarantie  im  Betrage 
von  43.870  fl.  pro  Meile,  eventuell  bei 
gleichzeitiger  Concessionirung  auch  der 
Linien  nach  Sandomir  und  Husiatyn, 
eine  Garantie  von  24.000  fl.  pro  Meile, 
dann  aber  nur  zwanzigjährige  Steuer- 
freiheit zu  gewähren.  Im  weiteren  Ver- 
laufe der  Berathung  wurde  die  blos  für 
die  Linie  Tarnöw-Leluchöw  zu  gewährende 
Garantie  mit  43.000  fl.  und  der  Minimal  - 
Begebungscurs  der  Titel  mit  87  fest- 
gesetzt sowie  angeordnet,  dass  die  Ver- 
gebung sowohl  des  Baues,  als  der  Geld- 
beschaffung im  Offertwege  stattfinden 
solle  und  dass  die  Regierung,  wenn  sie 
dies  für  zweckdienlich  erachte,  den 
Bau  der  Linie  Tarnöw-Leluchöw  aut 
Staatskosten  ausführen  könne,  wozu  ihr 
pro  1 872  eine  Baudotation  von  2,000.000  fl. 
bewilligt  sei.  In  dieser  wesentlich  ge- 
änderten Fassung  erhielt  das  Gesetz  am 
29.  Juni   1875  die  a.  h.  Sanction. 

Die  Erwartungen,  welche  die  Legis- 
lative an  die  Umwandlung  der  Regie- 
rungsvorlage geknüpft  hatte,  erfüllten 
sich  aber  nicht.  Vordem  waren  die  Ge- 
brüder Klein  und  die  Oesterreichische 
Credit- Anstalt,  das  Consortium  des  Alt- 
grafen Salm-Reifferscheid,  ein  englisches 
und  ein  französisches  Consortium  eifrige 


172 


Ignaz  Konta. 


Bewerber  um  die  geplanten  galizischen 
Linien ;  angesichts  der  neuen  Concessions- 
Bedingungen  traten  sie  allesammt  zu- 
rück und  andere  fanden  sich  nicht  ein ; 
auch  die  nachher  mit  der  Einreichungs- 
frist bis  28.  December  1872  ausge- 
schriebene Offertverhandlung  für  die 
Vergebung  der  Concession  brachte  dem 
Ministerium  kein  einziges  Angebot. 
Ebenso  vergeblich  blieb  die  dann  ver- 
suchte Sicherstellung  des  kleineren,  die 
Linien  Tarnöw-Sandomir  und  Stanislau- 
Husiatyn   nicht  umfassenden   Complexes. 

Aus  diesen  Enttäuschungen  ergab 
sich  von  selbst,  dass  ohne  Gewährung 
der  vollen  Staatsgarantie  die  Concessio- 
nirung  der  westgalizischen  Bahnen  nicht 
zu  erzielen  sei.  Da  aber  die  wirthschaft- 
lichen  und  allgemeinen  staatlichen  Be- 
weggründe, welche  für  die  ehethunlichste 
Ausführung  dieses  Netzes  sprachen,  un- 
geschwächt fortbestanden,  sogar  dadurch, 
dass  die  ungarische  Strecke  der  Linie 
Tarnöw-Eperies  bereits  der  Vollendung 
entgegenging,  noch  vermehrt  wurden, 
trat  die  Regierung  ungescheut  nochmals 
an  den  Reichsrath  heran,  und  beantragte 
mittels  der  am  15.  Februar  1873  im 
Abgeordnetenhause  eingebrachten  Vor- 
lage eine  Abänderung  des  Gesetzes  vom 
29.  Juni  1872  dahin,  dass  von  den 
Linien  Tarnöw-Sandomir  und  Stanislau- 
Husiatyn  vorläufig  abgesehen  und  le- 
diglich für  die  Sicherstellung  der  west- 
galizischen Linien  gesorgt  werde,  denen 
jedoch  die  kleine  Linie  Sucha-Krakau 
noch  anzufügen  sei,  andererseits  aber  das 
Anlage-Capital  für  eben  diese  Linien  ent- 
sprechend den  gesteigerten  Eisenpreisen 
erhöht  und  mit  der  vollen  Garantie 
ausgestattet  werde.  Das  Abgeordneten- 
haus, welches  seine  Anschauungen  zum  be- 
deutenden Theile  aufrecht  hielt,  änderte 
auch  diese  Vorlage  ab,  indem  es  jetzt 
zwar  eine  Garantie  von  50.300  fl.  pro 
Meile  zugestand,  aber  wieder  nicht  für 
das  ganze  Netz,  sondern  mit  Aus- 
schluss der  Linie  Bielitz  -  Saybusch- 
Csäcza,  welche  nur  mit  einer  zwanzig- 
jährigen Steuerfreiheit  bedacht  blieb. 
Die  a.  h.  Sanction  dieses  Gesetzes  er- 
folgte am  22.  April   1873. 

Gleich  darauf  brach  die  Krisis  aus 
und    was    früher    nicht    glücken  wollte, 


wurde  nun  vollends  zur  Unmöglichkeit. 
Die  Regierung  musste  daher  die  Frage 
der  Sicherstellung  des  westgalizischen 
Bahnnetzes  einstweilen  ruhen  lassen  und 
sich  darauf  beschränken,  für  die  durch 
besondere  öffentliche  Rücksichten  dringend 
gebotene  Ausführung  lediglich  der  Linie 
Tarnöw-Leluchöw  zu  sorgen,  wozu  ihr 
die  auch  in  das  Gesetz  vom  22.  April 
1873  aufgenommene  Ermächtigung  zum 
Baue  dieser  Linie  auf  Staats- 
kosten immerhin  noch  Gelegenheit  liess. 
Eine  laute  Mahnung,  von  dieser  Er- 
mächtigung Gebrauch  zu  machen,  war 
die  am  1.  Mai  1873  vollzogene  Er- 
öffnung der  ungarischen  Anschluss- 
strecke in  der  Ausdehnung  von  Eperies 
bis  Orlö. 

Die  Regierung  scheint  sich  nicht 
leicht  oder  doch  nicht  sogleich  zur 
Wiederaufnahme  des  seit  fast  zwanzig 
Jahren  aufgegebenen  staatlichen  Eisen- 
bahnbaues entschlossen  zu  haben ;  denn 
die  a.  h.  Anordnung  der  Inangriffnahme 
des  Baues  der  Linie  Tarnöw-Leluchöw 
auf  Staatskosten  erfolgte  erst  am  28.  Juli 
1873.  Sobald  aber  die  Entscheidung  ge- 
troffen war,  nahm  die  Sache  einen 
raschen  Fortgang. 

Während  noch  die  weiteren  Vorein- 
leitungen zum  Baue  getroffen  wurden, 
hatten  am  4.  September  1873  schon 
die  Arbeiten  am  Zegiestöwer  Tunnel 
begonnen,  welche  für  sich  allein  an  die 
Unternehmer  Koller  und  Gregersen  ver- 
geben worden  waren.  Die  übrigen  Ar- 
beiten wurden  in  1 1  Lose  getheilt 
und,  nachdem  die  politische  Begehungs- 
Commission  in  der  Zeit  vom  2.  Decem- 
ber 1873  bis  Mitte  Januar  1874  statt- 
gefunden hatte,  am  3.  März  1874  im 
Wege  einer  Offertverhandlung  zu  Ein- 
heitspreisen an  mehrere  kleine  Unter- 
nehmer übertragen.  Diese  begannen  ihre 
Thätigkeit  im  Frühjahre  1874  und  voll- 
endeten dieselbe  im  Sommer  1876  so- 
weit, dass  die  ganze,  1457  km  lange 
Linie,  am  Tage  des  Geburtsfestes 
Sr.  Majestät  des  Kaisers,  das  ist  am 
18.  August  eröffnet  werden  konnte.  Gleich- 
zeitig wurde  auch  die  5-2  km  lange 
Grenzstrecke  Leluchöw-Orlö  der  unga- 
rischen Anschlusslinie  Eperies- Leluchöw 
dem  Betriebe  übergeben. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


173 


Wie  entfernt  man  damals  noch  davon 
gewesen,  den  staatlichen  Eisenbahnbau, 
geschweige  denn  Betrieb  zum  Systeme 
zu  erheben,  das  lehrt  der  Umstand,  dass 
die  Linie  Tarnöw-Leluchöw,  noch  ehe 
sie  ausgebaut  war,  schon  wieder,  näm- 
lich im  Wege  der  am  16.,  beziehungs- 
weise 27.  November  1875  zwischen  der 
Regieruns  und  der  Lemberg;-Czernowitz- 


strecke  Leluchöw  -  Orlö ,  welche  von 
ihrer  Eigenthümerin,  der  »Eperies  Tar- 
nöwer  Bahn«,  [ungarischer  Theil]  mittels 
Vertrages  vom  3.  August  1876  auf 
die  ganze  Concessionsdauer  an  die 
k.  k.  Tarnöw  -  Leluchöwer  Bahn,  be- 
ziehungsweise deren  betriebführende  Ver- 
waltung in  der  Weise  überlassen  wurde, 
dass  der  Betrieb  dieser  kleinen  Strecke  für 


Abb.  87.    Schwarzach-Tunnel  [Strecke  Bischofshofen-Hochfilzen]. 


Eisenbahn- Gesellschaft  vereinbarten  so- 
genannten galizischen  Fusion  [siehe 
weiter  unten]  um  den  in  Actien  al  pari  zu 
entrichtenden  Kaufpreis  von  16,000.000  fl. 
an  die  genannte  Gesellschaft  veräussert 
werden  sollte,  und,  als  der  Reichsrath 
die  bezügliche  Gesetzesvorlage  abgelehnt 
hatte  [1.  März  1876],  der  Ersten  ungarisch- 
galizischen  Eisenbahn  gegen  Vergütung 
der  Selbstkosten  in  Betrieb  gegeben  wurde. 
Der  betreffende,  am  10.  April  1876 
abgeschlossene  Betriebsvertrag  erstreckte 
sich    auch    auf    die    ungarische    Grenz- 


Rechnung  der  Eigenthums-Gesellschaft 
besorgt,  und  der  letzteren  für  den  von 
ihr  selbst  zu  versehenden  Gemeinschafts- 
dienst in  Orlö  eine  entsprechende  Ver- 
gütung seitens  der  galizischen  Linie  ge- 
leistet werde.  Die  fremde  Betriebsführung 
auf  der  Linie  Tarnöw-Leluchöw  währte 
bis  zur  Errichtung  der  k.  k.  General- 
Direction  der  österreichischen  Staats- 
bahnen  [1.  August  1884]. 

Die  Änlagekosten  der  Linie  Tarnöw- 
Leluchöw  haben  13,322.136  fl.  oder 
91.420  fl.    pro  Kilometer  betragen. 


174 


Ignaz  KoDta. 


81 


Aus  dem  Bahnhofe  Tarnöw  gegen  Osten 
ausmündend,  schlägt  die  Trace  der  Tarn öw- 
Leluchöwer  Bahn  alsbald  die  südliche 
Richtung  in  das  Bialathal  ein  und  zieht  6  km 
weit  durch  die  breite  Ebene  dahin,  ohne 
irgend  welchen  Schwierigkeiten  zu  begegnen. 
Alsbald  verengt  sich  aber  das  Thal  und  die 
Bahn  führt,  nachdem  sie  das  Flussufer 
wechselt,  entlang  den  sanft  geneigten 
birgsabhängen  bis  Tuchöw.  Von  da  bis 
Zimnawodka.  wo  die  Trace  wieder  auf 
das  rechte  Ufer  des  Bialaflusses  zurück- 
kehrt, ist  das  Terrain  ebenfalls  günstig.  Bei 
Jezöw  wird  das  Thal  wieder  breiter  und  ver- 
bleibt so  bis  etliche  Kilometer  vor  Gryböw, 
wo  die  Trace  das  Plateau  zu  ersteigen  hat, 
auf  welchem  die  Station  Gryböw  angelegt  ist. 
Die  Trace  übersetzt,  nachdem  sie  vom 
Bahnhofe  Gryböw  ansteigt,  mittels  eines 
22  m  hohen,  gemauerten  Viaductes,  den 
Bialafluss,  schlägt  dann  die  westliche  Richtung 
ein  und  zieht  im  Strylawkathale  bis  zu  einer 
kleinen  Thalerweiterung,  wo  sie  sich  wendet, 
und  auf  der  anderen  Lehne  des  Thaies  bis  nahe 
an  Grvböw  zurückkehrt,  um  dann  abermals  zu 
wenden  und  auf  dem  südlichen  Abhänge 
des  Bergrückens  bis  zum  Sattel  in  Ptaszkowa 
zu  gelangen.  Der  Bau  dieses  Theiles  der 
Bahn  war  wegen  des  petroleumführenden, 
sehr  rutschigen  Terrains  mit  grossen  Schwie- 
rigkeiten verbunden. 

Nachdem  die  Ptaszkowaer  Wasserscheide 
[zugleich  der  höchste  Punkt  der  Bahn]  mit 
einem  massigen  Einschnitte  durchbrochen  ist, 
fällt  die  Bahn,  dem  Terrain  sich  thunlichst 
anschmiegend ,  als  hoher  Lehnenbau  bis  Ka- 
mionka  herab,  durchschneidet  dort  eine  scharfe 
Bergnase  mit  einem  170  m  langen  Tunnel 
und  gelangt  dann,  allmählich  den  Charakter 
einer  Thalbahn  annehmend,  in  die  weite 
Ebene  von  Neu-Sandec,  welche  eine  breite 
Terrasse  zu  dem  tiefer  eingeschnittenen  Bette 
des  Dunajecflusses  bildet.  Nächst  der  Ein- 
mündung des  Popradflusses  in  den  Dunajec- 
fiuss  wird  der  erstere  übersetzt  und  die  Alt- 
Sandecer  Ebene  gewonnen. 

Die  lange  Strecke  von  Rvtro  in  süd-  und 
südöstlicher  Richtung  über  Piwniczna  bis  zu 
dem  Tunnel  bei  Zegiestöw  ist  die  Bahn  fort- 
während im  Popradufer  eingeschnitten,  be- 
ziehungsweise in  den  Fluss  eingebaut.  Zu- 
nächst der  ungarischen  Ortschaft  Kacsa  musste 
die  Bahn,  wegen  Vermeidung  eines  längeren 
Tunnels,  über  eine  auf  ungarischem  Gebiete 
liegende  Schotterinsel  im  Popradflusse  ge- 
führt werden.  Der  Tunnel  bei  Zegiestöw, 
der  im  weiteren  Verlaufe  der  Trace  eine  be- 
deutende Thalserpentine  abschneidet,  kostete 
harte  Arbeit,  da  er  in  seinem  nördlichen 
Theile  durch  geschichteten  Sandstein  und 
am  Ausgange  durch  stark  durchnässten  Lehm 
getrieben  ist. 

Von  diesem  Tunnel  bis  Milik  läuft  die 
Trace  in  günstigem  Terrain;  hinter  dem  ge- 
nannten Orte  musste  sie  aber  wieder  in  den 
Fluss  eingebaut  und  entlang  einer  bewegten 
Schuttlehne  geführt  werden.  Auch   vor  Mu- 


szyna  gab  eine  anscheinend  feste  Felswand, 
die  sich  aber  als  ein  vollkommen  zerklüfteter, 
in  sich  selbst  zusammensinkender  Schuttkörper 
erwies,  Veranlassung  zu  einer  gänzlichen 
Verlegung  der  Trace  in  den  Poprad. 

Nächst  Muszyna  biegt  die  Trace  zu  einem 
weiten  Bogen  nach  Osten  und  zurück  gegen 
Südwest  aus,  in  welchem  sie  an  die  Landes- 
grenze  bei  Leluchöw,  beziehungsweise  bis 
in  die  Station  Orlö  des  ungarischen  Theiles 
der  Eperies  -  Tarnöwer  Bahn,  führt. 

Vorwiegend  allgemein  staatliche  Rück- 
sichten verhalfen  auch  der  Istrianer 
Bahn  zu  ihrem  Dasein.  Pola  als  Haupt- 
station und  Depötplatz  der  österreichischen 
Kriegsmarine  durfte  nicht  ohne  eine  rasche 
und  gesicherte  Verbindung  mit  dem  Hinter- 
lande bleiben.  Dieses  Postulat  machte 
sich  schon  im  Jahre  1859  geltend;  trotz- 
dem vergingen  aber  noch  anderthalb  De- 
cennien,  bis  es  Erfüllung  gefunden.  In 
der  Oeffentlichkeit  war  von  einer  Ein- 
beziehung Polas  in  das  österreichische 
Eisenbahnnetz  zum  ersten  Male  im  Jahre 
1863  die  Rede.  Damals  handelte  es  sich 
um  die  Linie  Triest-Pola,  welche  der 
Triester  Civil-Ingenieur  Dr.  Ludwig  Buzzi 
projectirte,  ohne  jedoch  damit  über  die 
gewöhnlichen  Voreinleitungen  hinaus  zu 
kommen.    " 

In  einer  grellen  Beleuchtung  zeig- 
ten die  Ereignisse  des  Jahres  1866 
die  bedenkliche  Wirkung  des  Mangels 
einer  von  Pola  nach  dem  Innern  des 
Reiches  führenden  Schienenstrasse.  Eine 
hervorragende  Zeitschrift,  die  »Oester- 
reichische  Revue«,  brachte  denn  auch  im 
October  jenes  Jahres  einen  Aufsatz  >über 
das  Eisenbahnnetz  der  österreichischen 
Monarchie«,  welcher  die  Einbeziehung 
der  Haupthäfen  in  das  Eisenbahnnetz 
sowie  deren  Verbindung  unter  einander, 
und  demzufolge  die  Herstellung  einer 
Eisenbahn  nach  Pola,  mit  Rücksicht  auf 
die  Vertheidigung  des  Reiches,  dringend 
empfahl.  Der  Aufsatz  war  mit  »B.  v.  W.« 
unterzeichnet  und  rührte,  wie  ebenso  all- 
gemein als  widerspruchslos  behauptet 
wurde,  von  dem  Freiherrn  v.  Wüllerstorff- 
Urbair,  also  dem  damaligen  Handels- 
minister und  früheren  Admiral,her.  Auch  der 
sieggekrönte  Seeheld  Freiherr  von  Tegett- 
hoff  befürwortete  wärmstens  diese  Bahn. 

Auf  diese  gewichtige  Anregung  hin 
bildeten  der  Marine-Oberingenieur  Alfons 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


175 


Lorenz,  Hugo  Graf  Henckel-Donnersmark 
u.  m.  A.  ein  Consortium  für  die  Herstellung 
einer  mitten  durch  Istrien  zu  führenden 
Bahn  von  Triest  nach  Pola  nebst  Aus- 
ästung an  die  Linie  St.  Peter -Fiume 
[Vorconcession  vom  24.  Juni  1867].  Da 
aber  dieses  Consortium  eine  Art  Vorrecht 
für  sich  beanspruchte,  was  nach  den 
gesetzlichen  Vorschriften  nicht  gewährt 
werden  konnte,  stellte  es  seine  Thätigkeit 
alsbald  wieder  ein. 

Die  Angelegenheit  ruhte  nun  abermals, 
bis  die  Denkschrift  zu  der  am  13.  März 
1869  vom  Handelsminister  v.  Plener  im 
Abgeordnetenhause  eingebrachten,  jedoch 
am  29.  April  wieder  zurückgezogenen 
Vorlage  über  die  Vervollständigung  des 
Eisenbahnnetzes,  bei  der  Besprechung  der 
Linie  St.  Peter-Fiume  eine  spätere  Ab- 
zweigung der  letzteren  nach  Pola  in 
Aussicht  stellte,  und  hiedurch  mittelbar 
Veranlassung  gab,  dass  beide  Häuser  des 
Reichsrathes  am  8.,  beziehungsweise  12. 
Mai  1869  übereinstimmend  die  Resolution 
fassten :  »Die  Regierung  wird  aufgefordert, 
das  Zustandekommen  einer  Eisenbahn  von 
Pola  nach  Istrien  an  das  österreichische 
Eisenbahnnetz  mit  allen  ihr  zu  Gebote 
stehenden  Mitteln  zu  fördern.« 

So  nachdrucksvoll  dieses  Verlangen 
sich  auch  anhören  mochte,  war  seine 
Erfüllung  doch  noch  sehr  ferne ;  denn  die 
vielen,  den  Bau  vertheuernden  Terrain- 
schwierigkeiten und  die  nur  spärlich 
vorhandenen  Grundlagen  für  eine  ent- 
sprechende Ertragsfähigkeit  der  Bahn 
hielten  die  Bewerbung  um  dieselbe  nach 
wie  vor  in  sehr  engen  Grenzen. 

Im  Jahre  1 869  traten  der  Feldmarschall- 
Lieutenant  Freiherr  von  Kudriaffsky  und 
Genossen,  im  Jahre  1870  die  Verwaltungs- 
räthe  der  Franco-österreichischen  Bank 
J.  M.  Pfeiffer  und  Koloman  Reisch,  als 
Projectanten,  beziehungsweise  Bewerber 
auf;  erstere  hatten  am  11.  November  1869 
die  Vorconcession  für  eine  zwischen 
St.  Peter  und  Nabresina  aus  der  Südbahn 
ausmündende  Bahn  nach  Pola  mit  Abzwei- 
gungen nach  Triest  und  Rovigno,  letztere 
am  1 1 .  April  1 87 1  die  Vorconcession  für 
die  Linie  Triest-Pola  erhalten.  Die  Er- 
gebnisse der  beiderseits  unternommenen 
Vorarbeiten  kamen  jedoch  auf  ein  und 
dasselbe  Project  hinaus,  nämlich  auf  das 


für  die  Linie  Divaöa-Pola  nebst  der 
Abzweigung  nach   Rovigno. 

Obzwar  die  Istrianer  Bahn  auch  von 
dem  damaligen  technischen  Consulenten 
des  Handelsministeriums,  k.  k.  Hofrath 
von  Nördling,  anlässlich  seiner  im  Jahre 
187 1  unternommenen  Bereisung  Istriens, 
zur  Ausführung  empfohlen  wurde,  konnte 
die  Entscheidung  noch  immer  nicht  ge- 
troffen werden,  weil  jene  Projecte  sich 
als  unzureichend  und  ihre  etwaige  Aus- 
führung als  zu  kostspielig  erwiesen  hatten. 
Die  Regierung  musste  darum,  wenn  sie 
die  nun  auch  schon  vom  Istrianer  Land- 
tage und  den  sonstigen  Vertretungskörpern 
des  Landes  lebhaft  begehrte  Sicherstellung 
dieses  Bahnbaues  nicht  einem  neuerlichen 
Aufschübe  ins  Ungewisse  aussetzen  wollte, 
die  technischen  Vorarbeiten  selbst  voll- 
führen. Das  kam  ihr  aber  insoferne  schwer 
an,  als  die  zur  Vornahme  dieser  Arbeiten 
berufene  Behörde  [k.  k.  General-Inspection] 
gerade  zu  jener  Zeit  durch  die  Ueber- 
prüfung  der  zahlreichen,  aus  allen  Theilen 
des  Reiches  zusammenströmenden  Eisen- 
bahn-Projecte  vollauf  in  Anspruch  ge- 
nommen war. 

Das  Handelsministerium  griff  also 
zu  dem  Auskunftsmittel,  einige  mit 
genauen  Weisungen  versehene  Privat- 
ingenieure zur  Aufnahme  des  Terrains  zu 
entsenden  und  das  Ergebnis  dieser  Arbeiten 
zur  Vervollständigung  oder  Abänderung 
der  Projecte  zu  verwerthen.  Die  Kosten 
dieses  aussergewöhnlichen  Verfahrens 
lohnten  sich  reichlich ;  denn  es  verschaffte 
der  Regierung  ein  in  technischer  Beziehung 
vollkommenes  und  den  Bau  um  mehr  als 
200.000  fl.  pro  Meile  verwohlfeilendes 
Project.  Nach  Massgabe  desselben  sollte 
nämlich  die  Herstellung  der  insgesammt 
19*2  Meilen  langen  Bahn  einen  Aufwand 
von  effectiv  12,910.000  fl.  oder  671. ßoofl. 
pro  Meile,  beziehungsweise  mit  Einrech- 
nung  der  Hafenanlagen  in  Pola  und 
Rovigno  13,536.150  fl.  oder  703.870  fl. 
pro  Meile  erfordern. 

Nun  erst  hielt  die  Regierung  die  An- 
gelegenheit reif  genug  für  die  legislative 
Behandlung.  Der  am  3.  März  1873  dem 
Abgeordnetenhause  vorgelegte  Gesetz- 
entwurf lautete  auf  Concessionirung  der 
genannten  Linie  unter  Gewährung  einer 
Staatsgarantie  von  43.800  fl.  pro  Meile, 


176 


Ignaz  Konta. 


eventuell  Ausführung  auf  Staatskosten 
und,  letzteren  Falles,  Ertheilung  einer 
Baudotation  von  2,000.000  fl.  für  das 
Jahr  1873.  Beide  Häuser  des  Reichsrathes 
nahmen  das  Gesetz  unverändert  an, 
worauf  dasselbe  am  30.  April  1873  die 
a.  h.  Sanction  erhielt. 

Allein  jetzt  kam  wieder  die  am  9.  Mai 
1 873  ausgebrochene  wirtschaftliche  Krisis 
störend  dazwischen.  Die  alten  Projectanten 
waren  vom  Schauplatze  abgetreten ;  die 
im  Sommer  1873  von  einigen  istrischen 
Handelshäusern  und  Advocaten,  unter 
Führung  des  Dr.  Giuseppe  Basilico  in 
Rovigno,  unternommene  Bildung  einer 
heimatlichen  EisenbahnGesellschaft  blieb 
ein  vergeblicher  Versuch,  und  anderweitige 
vertrauenswürdige  Bewerber  stellten  sich 
nicht  ein. 

Das  Küstenland  fürchtete  daher,  die 
ersehnte  Schienenstrasse  noch  länger  ent- 
behren, überdies  aber  auf  die  von  ihrem 
Baue  erhoffte  Linderung  des  durch 
Misswachs  hervorgerufenen  Nothstandes 
verzichten  zu  müssen.  Die  Besorgnis 
steigerte  sich,  je  mehr  das  Jahr  seinem 
Ende  zuschritt.  Zahlreiche  Gemeinden 
erbaten,  und  der  Landesausschuss  sowie 
auch  die  Statthalterei  befürworteten  darum 
die  ehemöglichste  Inangriffnahme  des 
Baues.  Die  Regierung  fasste  demnach 
Anfangs  December  den  Entschluss,  die 
Bahn  entsprechend  der  zweiten  Alterna- 
tive des  Gesetzes  vom  30.  April  1873  auf 
Staatskosten  auszuführen  und  schritt 
auch  unverzüglich  ans  Werk.  Es  wurde 
die  Lieferung  der  Schienen  und  Schwellen 
ausgeschrieben,  die  Voreinleitung  für 
die  Grundeinlösung  getroffen  und  am 
17.  December  1873  zu  Pisino  der  erste 
Spatenstich  in  feierlicher  Weise  vorge- 
nommen. Tags  darauf,  am  18.  December 
1873,  erfloss  auch  die  a.  h.  Genehmigung 
des  Baues  auf  Staatskosten. 

Damit  war  auch  die  Sicherstellung 
der  Istrianer  Bahn  endlich  zur  Thatsache 
geworden.  Bis  zur  Aufnahme  der  Arbeiten 
längs  der  ganzen  Linie  vergingen  jedoch 
noch  etliche  Monate.  Die  Grundein- 
lösungs-Commission  wurde  am  18.  Januar, 
die  Bauleitung  am  20.  März  1874  er- 
richtet; erstere  hatte  den  k.  k.  Statt- 
haltereirath  Wilhelm  Ritter  von  Zettmar, 
letztere    den    damaligen  Commissär    der 


General-Inspection  Gustav  Gerstel  zum 
Vorstande.  Die  allgemeine  Vergebung 
des  Baues  erfolgte  im  Wege  der  am 
28.  März  1874  ausgeschriebenen  Offert- 
verhandlung, an  welcher  sich  3 1  Offerenten 
betheiligten.  Ersteher  blieb  der  Unter- 
nehmer M.  Fröhlich  in  Graz,  der  die 
günstigsten  Einheitspreise  anbot.  Die  poli- 
tische Begehungs-Commission  fand  in 
den  Tagen  vom  19.  April  bis  13.  Mai 
1874  statt. 

Einige  während  des  Baues  angeordnete 
Aenderungen  der  Trace,  mehr  noch  aber 
die  an  einzelnen  Stellen,  insbesonders  bei 
der  sogenannten  Raspadaliza,  zu  über- 
winden gewesenen  Schwierigkeiten  hatten 
eine  kleine  Ueberschreitung  der  Vollen- 
dungsfrist zur  Folge.  Die  Eröffnung  der 
122-3  km  langen  Hauptlinie  Diva  6  a- 
P  o  1  a  und  der  2 1  km  langen  Zweigbahn 
Canfanaro-Rovigno  ging  nicht,  wie 
ursprünglich  beabsichtigt  war,  am  10.  Au- 
gust, sondern  erst  am  20.  September 
1876  vor  sich. 

Mit  der  Führung  des  Betriebes  hatte 
die  Staatsverwaltung  die  Südbahn  betraut, 
die  hiefür  auf  Grund  des  mit  ihr  vor- 
läufig für  die  Dauer  von  drei  Jahren 
abgeschlossenen  Vertrages  vom  16.  August 
1876  eine  jährliche  Pauschalvergütung 
von  275.000  fl.  [exclusive  Bahnerhaltung] 
erhielt.  Dieser  Vertrag  war  bald  Gegen- 
stand der  öffentlichen  Kritik,  sowohl  in 
finanzieller  Beziehung,  als  auch  weil  die 
Ueberantwortung  des  Betriebes  der 
Istrianer  Bahn  an  die  Südbahn  für  gegen- 
sätzlich erachtet  wurde  zu  der  Tendenz 
jener  Resolution,  mit  welcher  der  Reichs- 
rath,  anlässlich  der  Berathung  des  Ge- 
setzes über  die  Sicherstellung  der  Istrianer 
Bahn,  die  Regierung  aufgefordert  hatte, 
»darauf  Bedacht  zu  nehmen,  dass  der 
Anschluss  dieser  Bahn  an  eine  von  der 
Südbahn  unabhängige,  in  nördlicher 
Richtung  führende  Eisenbahn  nicht  er- 
schwert werde«. 

Der  Reichsrath  selbst  beschäftigte  sich 
jedoch  vorwiegend  nur  mit  der  öco- 
nomischen  Seite  des  Betriebsvertrages 
und  fasste  sohin  in  der  Sitzung  des  Ab- 
geordnetenhauses vom  16.  März  1878  die 
Resolution :  Die  Regierung  möge  die 
Kündigung  des  Vertrages  sobald  als 
möglich  veranlassen  und,  wenn  es  nicht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


177 


Abb.  88.    Der  Unterstein  nach  dem  Bergsturze  im  August  187g. 


gelingen  sollte,  wesentlich  bessere  Bedin- 
gungen zu  erzielen,  den  Staatsbetrieb 
einführen.  Das  Handelsministerium  ent- 
sprach dieser  Aufforderung,  kündigte  den 
Vertrag  mit  Ende  des  Jahres  1878  ein- 
jährig, schloss  aber,  vermöge  der  dann 
erzielten  günstigeren  Bedingungen,  am 
25.  November  1879  einen  neuen  Vertrag 
ab,  auf  Grund  dessen  die  Istrianer  Bahn 
dann  noch  bis  zum  Jahre  1883  im  Be- 
triebe der  Südbahn  verblieb. 

Im  Jahre  1878  wurde  die  1*3  km 
lange  Schleppbahn  von  Pola  zum 
dortigen  Seearsenale  ausgeführt;  ihre 
Eröffnung  fand  am  28.  September  1878 
statt. 

Um  jene  Zeit  haben  die  Baukosten 
der  Istrianer  Bahn  12,760.469  fl.,  oder 
88.970  fl.  pro  Kilometer,  betragen ;  eine 
nennenswerthe  Erhöhung  derselben  ist 
auch  weiterhin  nicht  eingetreten. 

Die  Hauptlinie  der  Istrianer  Bahn 
zweigt  am  Südende  der  Station  Divaea  von 
der  Südbahn  ab  und  führt  alsbald  mit  einer 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.   Band,  2.  Theil. 


Steigung  von  1 :  50  zu  dem  höchsten  Punkte 
der  Bahn,  der  Wasserscheide  bei  Rodik 
[539  *•  Seehöhe],  wendet  sich  dann  gegen 
Westen  und  erreicht  die  auf  nacktem  Karst- 
plateau*) gelegene  Station  Herpelje-Kozina. 
Von  hier  zieht  die  Trace  an  der  sogenannten 
Klanizaer  Lehne,  deren  Steilheit  die  Anlage 
der  Rampen  und  Wächterhäuser  wesentlich 
erschwerte,  im  schwachen  Gefälle  zur 
Station  Podgorje.  Den  tief  eingerissenen 
Klüften  des  Schiefergesteines  ausweichend, 
ersteigt  sie  das  Plateau  von  Rakitovic  —  den 
zweithöchsten  Punkt  der  Bahn  [530  m  See- 
höhe] —  und  erreicht  mittels  zweier  durch 
einen  wellenförmigen  Bergrücken  führenden 
Felseneinschnitte  die  Station  Rakitovic,  von 
welcher  aus  sie  dann  in  vielfachen  Windungen 
und  mittels  eines  1000  m  langen,  nur  durch 
Dohnen  unterbrochenen  Einschnittes  auf  der 
Lehne  bei  Pinguente  an  die  Grenze  der 
Schiefer-    und   Karstformation  gelangt.    Der 

*)  Bemerkenswerth  ist  für  die  eigenthüm- 
liche  Thalbildung  und  für  den  Charakter 
dieses  Karstgebietes,  in  welchem  fast  das 
ganze  dort  auffallende  Regenwasser  ver- 
sickert, dass  auf  der  ganzen  8  km  langen 
Strecke  bis  zur  Wasserscheide  nur  fünf 
Wasserdurchlässe  nothwendig  waren,  wovon 
die  zwei  grössten  nur  2  m  Spannweite  hatten. 

12 


I78 


Ignaz  Konta. 


Weg  von  da  zur  Station  Pinguente  konnte 
wieder  nur  mühsam,  meist  durch  grossartige 
Felsensprengungen  gewonnen  werden. 

Hinter  Rozzo  trifft  die  Trace,  nach 
Durchbruch  eines  vorgeschobenen  hohen 
Schotterrückens,  den  gefährlichsten  Punkt 
der  ganzen  Anlage,  den  Raspadaliza  ge- 
nannten gewaltigen  Bergsturz.  Jeder  Regen 
verursachte  neue  Rutschungen  und  mussten 
sehr'  umfassende  Entwässerungs-Vorrichtun- 
gen getroffen  werden,  um  die  Bahn  hier 
gegen  Katastrophen  zu  sichern.  Auch  in  der 
weiteren  Strecke  bis  Rozzo  haben  die  zerris- 
senen Schluchten  die  Ausführung  vieler 
kostspieligen  Schutzbauten  nothwendig  ge- 
macht. Von  der  Station  Rozzo  fällt  die  Bahn 
bis  zu  der  bei  der  gleichnamigen  Ortschaft 
befindlichen  Thalmulde,  um  sich  dann  auf 
das  mit  Pinguente  gleich  hohe  Karstplateau 
von  Lupoglava  zu  erheben,  wobei  bedeutende 
Anschüttungen  und  massenhafte  Rutschungen 
zu  bewältigen  waren.  Hinter  Lupoglava 
beginnt  abermals  die  Schieferformation. 
Einschnitte  bis  zu  29  m  Tiefe  und  Dämme 
bis  37  m  Höhe  folgen  einander  im  raschen 
Wechsel  und  nur  mühsam  windet  sich  die 
Bahn  durch  wilde,  tief  eingerissene  Schiefer- 
schluchten in  vielfachen  Krümmungen  zu 
der  Wasserscheide  des  Quieto-  und  Foiba- 
gebietes  empor,  welche  mittels  eines  340  in 
iangen  Tunnels  durchbrochen  wird.  Die  Trace 
führt  weiter  längs  des  Foibathales,  an  der 
Statipn  l'erovglie  vorbei  nach  Pisino. 

Pisino  verlassend  gelangt  die  Bahn  durch 
einen  18  m  tiefen  Felseinschnitt  auf  das  süd- 
liche Karstgebiet,  auf  welchem  sie  nun  bis 
zu  ihrem  Endpunkte  verbleibt.  Auf  dem  Wege 
über  St.  Pietro  in  Selva  bis  nach  Canfanaro 
[Abzweigung  der  Flügelbahn  nach  Rovigno] 
bedingten  die  tiefen,  gegen  das  westlich  ge- 
legene Dragathal  sich  hinziehenden  Mulden 
grosse  Schleifen  und  Entwicklungen. 

Von  Canfanaro  über  Zabronich  dahin- 
ziehend, führt  die  Bahn  in  stetem  Gefälle 
nach  Dignano  und  gelangt  in  vielfachen 
Krümmungen  in  den  Hafen  von  Pola,  wo 
ein  Theil  der  Station  in  die  das  Hafenbassin 
von  Pola  bildende  Meeresbucht  hineingebaut 
wurde.  [Abb.  94.] 

Die  Flügel  bahn  nach  Rovigno  hat 
•denselben  Charakter  wie  die  letzte  Strecke 
der  Hauptlinie,  aus  welcher  sie  in  Canfanaro 
mit  einer  Schleife  abzweigt.  Sie  führt  längs 
dem  Canale  di  Lerne  zur  Station  Sossich 
und  von  da  in  vielfachen  Krümmungen 
nach  der  am  Meere  angelegten  Endstation 
Rovigno. 

Die  Istrianer  Bahn  ist  eine  wahre  Kunst- 
bahn, deren  Herstellung  durch  die  Terrain- 
verhältnisse, die  geologische  Beschaffenheit 
des  Bodens  und  die  \Vasserarmuth  des  Landes, 
welch  letztere  nicht  blos  weitläufige  Wasser- 
versorgungs-Anlagen für  den  Betrieb,  sondern 
schon  beim  Baue  sehr  oft  die  Herbeitragung 
des  Wassers  zur  Mörtelbereitung  aus  ent- 
fernten Niederungen  nothwendig  machte, 
sehr  erschwert  war. 


Unter  den  Privatbahnen,  welchen  zum 
Zwecke  des  Baues  Staatshilfe  zutheil 
geworden,  steht,  sowohl  der  Zeit,  als 
dem  Aufwände  nach,  die  Linie  Pilsen- 
Eisenstein  obenan.  Diese  Linie  wurde 
zugleich  mit  jener  von  Mlatz  nach  Johann- 
Georgenstadt,  am  13.  November  1872, 
der  Eisenbahn  Pilsen  -  Priesen 
[Komotau]  concessionirt  [s.  S.  105], 
wäre  aber  gleich  ihrer  Zwillingsschwester 
unausgeführt  geblieben,  wenn  nicht  die 
Staatsverwaltung,  in  Anbetracht  ihrer 
aus  dem  Staatsvertrage  mit  Bayern  vom 
30.  März  1873  hervorgehenden  Ver- 
pflichtung zur  Förderung  des  Zustande- 
kommens dieses  Anschlusses  an  die 
bayerische  Ostbahn  sowie  ferner  in  Be- 
rücksichtigung der  volkswirthschaftlichen 
Bedeutung  der  Bahn  und  des  Nothstan- 
des  im  südlichen  Böhmen,  dieselbe  in 
die  staatliche  Hilfsaction  einbezogen 
hätte. 

Ein  Gleiches  auch  hinsichtlich  der 
Linie  Mlatz-Johann-Georgenstadt  zu  thun, 
erachtete  die  Regierung  nicht  für  unum- 
gänglich nothwendig,  weil  ihr  vermöge 
des  Baues  der  Linien  Brüx-Mulde  [Moldau], 
Krima-Reitzenhain  und  Falkenau-Graslitz, 
die  Herstellung  noch  einer  vierten  neuen 
Verbindung  mit  den  sächsischen  Bahnen 
minder  dringlich  erschien,  was  übrigens 
die  Interessenten  gerade  dieser  Verbin- 
dung keineswegs  zugeben  wollten;  diese 
glaubten  vielmehr,  mit  der  Recrimination 
antworten  zu  dürfen,  dass  nicht  nur  die 
Linie  Mlatz-Johann-Georgenstadt,  sondern 
auch  ihre  sächsische  Fortsetzung  schon 
im  Betriebe  stünden,  wenn  die  Conces- 
sion  im  Jahre  1871  dem  Consortium  des 
Grafen  Gatterburg,  das  bereits  eine 
sichere  Anwartschaft  darauf  zu  haben 
wähnte,  ertheilt  worden  wäre. 

Die  Gesellschaft  hatte,  als  ihr  durch 
die  Krisis  hervorgerufenes  Unvermögen, 
die  Mittel  zum  Baue  der  neuen  Linie  zu 
beschaffen,  zweifellos  geworden,  die  staat- 
liche Unterstützung  erbeten  und,  um  die- 
selbe zu  erhalten,  so  ziemlich  allen  seitens 
der  Regierung  aufgestellten  Bedingungen 
und  Cautelen  zugestimmt;  sie  Hess  die 
Linie  Mlatz-Johann-Georgenstadt  ausser 
Erörterung,  verpflichtete  sich,  den  Bau  der 
Linie  Pilsen-Eisenstein  sofort  in  Angriff 
zu    nehmen    und    in  der  Strecke  Pilsen- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


179 


Klattau  bis  1.  Mai  1876,  in  der  weiteren 
Strecke  bis  Eisenstein  aber  innerhalb 
der  concessionsmässigen  Frist,  d.  i.  bis 
13.  November  1876,  zu  vollenden,  wenn 
ihr  ein  unverzinslicher,  in  Actien  al  pari 
zu  refundirender  Staatsvorschuss  im  Be- 
trage von  7,000.000  fl.  gewährt  werde, 
zu  dessen  Sicherstellung  sie  dem  Staate 
das  erste  und  ausschliessliche  Pfandrecht 
auf  alle  Bauten  und  Materialien  dieser  Linie 
einräumen,  überdiess  sich  allen  Control- 
massnahmen  der  Regierung  unterwerfen 
und  der  letzteren  auch  eine  Vertretung 
im  Verwaltungsrathe  zugestehen  wollte. 
Aus  alldem  wurde  nun  ein  Ueber- 
einkommen  formulirt  und  die  Regierung, 
die  mit  der  Vorschussertheilung  nur 
insoweit  Vorsorge  treffen  wollte,  bis  die 
Gesellschaft  durch  die  Ausgabe  von 
Prioritäts-Obligationen  den  Rest  des  auf 
14,410.000  fl.  veranschlagten  Anlage- 
Capitals  »ohne  ungerechtfertigte  Opfer 
wird  aufbringen  können«,  legte  das 
Uebereinkommen  nebst  einem  einschlägi- 


gen Gesetzentwurfe  am  10.  Februar  1874 
dem  Abgeordnetenhause  vor,  zugleich 
betonend,  dass  bei  der  beabsichtigten 
Hilfeleistung:  alle  Voraussetzungen  des 
Gesetzes  vom  13.  December  1873  [Noth- 
standsanlehen]  zutreffen.  Die  Vorlage 
begegnete  zwar  einer  nicht  geringen 
Gegnerschaft,  wurde  aber  schliesslich 
angenommen  und  sodann  am  10.  April 
1874  als  Gesetz  sanctionirt. 

Noch  im  selben  Monate,  am  23.  April 
1874,  fand  der  definitive  Abschluss  des 
Uebereinkommens,  etwas  später  auch  die 
Vergebung  des  Unterbaues  sowie  der 
Legung  des  Oberbaues  an  die  Unter- 
nehmung A.  Lanna,  Schebeck  und  Grobe 
und  am  8.  Juni  1874  die  Inangriffnahme 
der  Arbeiten  statt.  Den  Hochbau,  die 
Beistellung  des  Oberbau-Materiales,  der 
Fahrbetriebsmittel  und  der  sonstigen 
Ausrüstungs- Gegenstände  hatte  die  Ge- 
sellschaft in  eigene  Regie  genommen. 

Die  am  6.  September  1874  zusammen- 
getretene   erste    ordentliche    Generalver- 


Abb.  8g.    Tunnel  bei  Taxenbach  und  der  Eingang  in  das  Rauriserthal. 


12* 


i8o 


Ignaz  Konta. 


Sammlung  der  Eisenbahn  Pilsen-  Priesen 
[Komotau]  genehmigte  alle  diese  vom  Ver- 
waltungsrathe  getroffenen  Massnahmen, 
beschloss  die  Ausgabe  neuer  Actien  im  Be- 
trage von  6,999.900  fl.,  dann  neuer  Priori- 
täts-Obligationen im  Betrage  von  nom. 
11,999.850  fl.,  welch  letztere  zum  be- 
deutenden Theile  auch  zur  Deckung  von 
Erfordernissen  der  alten  Linie  dienen 
sollten,  und  die  entsprechende  Abände- 
rung der  Statuten.  Die  ministerielle  Ge- 
nehmigung des  Bauvertrages  erfolgte 
am  5.  November   1874. 

So  lange  die  vom  Staate  beigestellten 
Mittel  vorhielten,  schien  der  Zweck  des 
Vorschusses  erfüllt,  als  sie  jedoch  zur 
Neige  gingen,  ohne  dass  es  der  Gesell- 
schaft gelungen  war,  den  Rest  des  Bau- 
capitals  zu  beschaffen,  d.  h.  die  Priori- 
täts-Obligationen zu  begeben ,  da  trat 
neue  schwere  Sorge,  weit  mehr  noch  an 
die  Regierung,  als  an  die  Gesellschaft 
heran;  denn  diese  war  im  Grunde  ge- 
nommen an  dem  neuen  Unternehmen 
materiell  fast  gar  nicht  betheiligt,  jene 
aber  sah  sich  vor  die  unangenehme  Wahl 
gestellt,  den  Bau  und  die  dafür  schon 
verausgabten  Summen  preiszugeben  oder 
ihm  weitere  Staatsgelder  zuzuwenden. 
Natürlicherweise  durfte  die  Regierung 
sich  nur  für  das  Letztere  entscheiden, 
wiewohl  sie  keinen  Augenblick  darüber 
im  Zweifel  sein  konnte,  dass  sie  mit 
dieser  zweiten  Anforderung  vor  dem 
Parlamente  einen  noch  schwierigeren 
Stand  haben  werde. 

Das  Ministerium  hatte  zufolge  ihrer 
neuen  Unterstützungsgesuche  vom  14. 
October  und  3.  November  1875,  mit 
der  Gesellschaft  eine  Abänderung  des 
ersten  Uebereinkommens  dahin  vereinbart, 
dass  die  Staatsverwaltung  von  den  vor- 
erwähnten Prioritäten  II.  Emission  69.999 
Obligationen  ä  150  fl.  zum  Curse  von  75% 
übernimmt,  mithin  für  den  Nominalwert!} 
von  10,499.850  fl.  einen  Baarbetrag  von 
7,874.887  fl.  50  kr.  flüssig  macht,  zu- 
gleich aber  von  der  Verpflichtung,  für 
die  früheren  Vorschüsse  [7,000.000  fl.] 
Actien  al  pari  in  Zahlung  zu  nehmen 
entbunden  wird,  nachdem  diese  alte 
Vorschussforderung  fortan  als  Darle- 
hen zu  gelten  habe,  welches  innerhalb 
dreissig  Jahren  unkündbar   und  mit  5°/0 


verzinslich  sein  soll,  wie  auch  das  in  der 
bücherlichen  Einlage  für  die  Linie  Pilsen- 
Eisenstein  am  ersten  Platze  einverleibte 
Pfandrecht  ungeschmälert  behalten,  je- 
doch nur  dann  und  in  dem  Masse  wirk- 
lich verzinst  werden  soll,  als  die  Linie 
Pilsen-Eisenstein  nach  der  vollständigen 
Bedeckung  des  Erfordernisses  für  die 
Prioritäten  II.  Emission  noch  Ueber- 
schüsse  ergebe. 

Dieses  neue  Uebereinkommen  wurde 
sammt  dem  Entwürfe  eines  die  Regierung 
zum  Abschlüsse  desselben  ermächtigenden 
Gesetzes  am  25.  Januar  1876  im  Abge- 
ordnetenhause eingebracht,  wo  es,  wie 
vorauszusehen  war,  eine  wenig  freundliche 
Aufnahme  fand.  Man  erhob  dagegen 
dreierlei  Bedenken,  nämlich:  die  besondere 
Fürsorge  gerade  für  diese  Gesellschaft, 
was  aber  durch  die  Unerlässlichkeit  der 
Vollendung  des  mit  Staatsmitteln  be- 
gonnenen Baues,  dessen  Preisgebung,  wie 
der  Abgeordnete  Dr.  Brestel  treffend  be- 
merkte, »keine  Sparsamkeit,  sondern  Ver- 
schwendung wäre«,  entkräftet  wurde; 
ferner  die  Verwendung  von  Prioritäten 
der  II.  Emission  für  Zwecke  der  alten 
Linie,  was  wieder  mit  der  zweitmaligen 
Herstellung  der  durch  die  Ueberschwem- 
mung  im  Mai  1872  zerstörten  Bauten 
der  alten  Linie,  deren  Baucapital  bereits 
verbraucht  war,  begründet  und  für  die 
Gebarung  der  neuen  Linie  dadurch  un- 
schädlich gemacht  wurde,  dass  das  Ueber- 
einkommen [§  3]  einen  Zusatz  erhielt, 
wonach  »für  die  Verzinsung  und  Tilgung 
der  an  die  Bauunternehmung  der  alten 
Linie  übergebenen  Prioritäten  II.  Emission 
im  Betrage  von  nom.  1,500.000  fl.  in 
erster  Reihe  die  Erträgnisse  der  alten 
Linie  aufzukommen  haben« ;  endlich  die 
noch  weitere  Belassung  der  nunmehr 
vollends  mit  Staatsmitteln  auszubauenden 
neuen  Linie  in  den  Händen  der  Gesell- 
schaft, was  allerdings  ohne  erschöpfende 
Widerlegung  blieb. 

Trotz  der  daran  geübten  Kritik  erhielt 
jedoch  das  Uebereinkommen  mit  der  bereits 
erwähnten  sowie  mit  der  weiteren  Ab- 
änderung, dass  die  Verzinsung  des  alten 
Vorschusses  schon  einzutreten  habe,  wenn 
die  Reineinnahmen,  nicht  blos  der  neuen 
Linie,  sondern  des  Gesammtnetzes,  über 
das  Erfordernis  für  den  Prioritätendienst 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


181 


Abb.  90.    Zell  am  See. 


hinausreichen,  die  Zustimmung  desReichs- 
rathes,  und  das  bezügliche  Gesetz  am 
17.  April  1876  die  a.  h.  Sanction.  Der 
definitive  Abschluss  des  Uebereinkommens 
erfolgte  am  1.  Mai  1876,  nachdem  der 
Verwaltungsrath  die  Ermächtigung  hiezu 
schon  von  der  ausserordentlichen  General- 
versammlung am  26.  März  1876  er- 
halten hatte,  welche  zugleich  die  aber- 
malige Aenderung  der  Statuten,  insbe- 
sondere die  Verringerung  des  Actien- 
capitals  um  den  nun  als  Darlehen  geltenden 
ersten  Staatsvorschuss  von  7,000.000  fl., 
d.  i.  auf  den  ursprünglichen  Betrag  von 
9,000.000  fl.,  genehmigte. 

Dem  Abschlüsse  folgte  sogleich  auch 
die  Durchführung  des  Uebereinkommens; 
die  staatliche  Geldquelle  begann  von 
Neuem  zu  fliessen  und  die  Bauten  nahmen 
unter  der  vorzüglichen  Leitung  des  Chef- 
Ingenieurs  Alois  S  t  a  n  ö  einen  erfreulichen 
Fortgang.  Die  bedungenen  Vollendungs- 
fristen konnten  aber  nicht  eingehalten 
werden;  die62-5fe»w  lange  Strecke  Pilsen- 
Neuern  wurde  am  20.  September  1876, 
und  zwar  ohne  die  i-8  km  lange,  erst 
am  20.  Mai  1877  dem  Betriebe  über- 
gebene    Einmündung    in    den    Personen- 


Bahnhof  Pilsen,  eröffnet;  die  33^9  km 
lange  Strecke  Neuern-Eisenstein,  in 
welcher  ausser  dem  grossen  Spitzberg- 
Tunnel  [1747  m]  noch  zwei  andere 
Tunnels  auszuführen  waren,  gelangte  am 
20.  October  1877  zur  Eröffnung. 

Dank  der  besonderen  Fürsorge  der 
Staatsverwaltung  war  nun  wenigstens  die 
eine  Hälfte  der  Verpflichtungen,  welche 
die  Gesellschaft  mit  der  Concessions- 
Urkunde  vom  13.  November  1872  über- 
nommen hatte,  erfüllt.  Geordneter  Ver- 
hältnisse konnte  sich  die  Pilsen-Priesener 
Bahn  aber  noch  lange  nicht  erfreuen. 
Wenn  auch  die  Stille,  mit  der  sie  die 
Frage  des  Baues  der  Linie  Mlatz-Johann- 
Georgenstadt  zu  umgeben  wusste,  nicht 
unterbrochen  wurde,  traten  dafür  die  Ver- 
langen nach  Erfüllung  anderweitiger  Ver- 
bindlichkeiten umso  lauter  an  sie  heran. 

Die  unzureichenden  Erträgnisse  des 
alten  Netzes  hatten  die  Gesellschaft  ver- 
anlasst, zur  Einlösung  der  Prioritäten- 
Coupons  schwebende  Schulden  aufzu- 
nehmen, deren  Höhe  mit  Ende  1876 
bereits  auf  3,559.400  fl.  angeschwollen 
war  und  unerschwingliche  Kosten  ver- 
ursachte.  Um  dieselben  nicht  noch  weiter 


182 


Ignaz  Konta. 


zu  steigern,  sah  sich  die  Gesellschaft 
bemüssigt,  die  Einlösung  der  Coupons 
ab  I.  Juli  1877  zu  sistiren.  Das  rief 
gerichtliche  Klagen  hervor,  angesichts 
deren  auch  die  Gläubiger  der  schwe- 
benden Schuld  sich  meldeten.  Der  all- 
seitig erkannte  Ernst  der  Lage  führte 
dann  zwar  zu  einem  Vergleiche,  wonach 
die  Gläubiger  sich  mit  einer  percentuellen 
Auftheilung  der  Betriebsüberschüsse  zu- 
frieden gaben*)  und  für  die  Zeit  bis  Ende 
1882  auf  alle  Rechtsmittel  verzichteten, 
aber  das  war  eine  verhältnismässig  nur 
kurze  Frist,  und  gleich  im  Beginne  der- 
selben gerieth  die  Gesellschaft  auch  mit 
der  Bauunternehmung  der  neuen  Linie, 
aus  Anlass  von  Forderungen  für  Mehr- 
leistungen, in  Streitigkeiten,  die  erst  durch 
Intervention  der  Regierung  Beilegung 
fanden  [13.  Februar  1879]. 

An  sich  schon  genug  misslich,  waren 
diese  Thatsachen  für  die  Gesellschaft  wie 
auch  für  die  Regierung  noch  dadurch 
unerquicklich,  dass  sie  von  den  Gegnern 
der  Staatshilfe  immer  wieder  dazu  benützt 
wurden,  die  grosse  Betheiligung  des 
Staates  an  einem  Unternehmen  der  Pilsen- 
Priesener  Bahn,  beziehungsweise  die  Er- 
haltung der  aus  Staatsmitteln  erbauten 
Linie  Pilsen-Eisenstein  als  Privatbahn, 
zu  bemängeln.  Beide  mögen  es  darum 
unangenehm  empfunden  haben,  dass  die 
Erwerbung  der  ganzen  Bahn  durch  den 
Staat,  zu  der  es  ja  schliesslich  doch 
kam,  nicht  gleich  damals  zur  Ver- 
wirklichung gelangte,  als  die  Regierung 
ihre  Geneigtheit  hiezu  in  dem  Handels- 
ministerial-Erlasse  vom  15.  Januar  1876 
zu  erkennen  gegeben  hatte. 


*)  Nach  dem  Vergleichs -Vertrage  vom 
13.  September  1878  [curatelsbehördhch  ge- 
nehmigt am  13.  November  1878],  erhielten  für 
die  Zeit  vom  I.  Januar  1877  bis  31.  December 
1878  die  Besitzer  von  Prioritäten  I.  Emission 
statt  der  bedungenen  5%  Zinsen  eine  750/0ige, 
und  die  Inhaber  der  schwebenden  Schuld  eine 
25°/oige  Quote  der  verfügbaren  Betriebsüber- 
schüsse;   vom  I.  Januar  1879  an  hatten  von 


diesen  ueberschüssen  zu  erhalte 

n: 

„  .     .           __  .          .                 die  Besitzer 
Bei  einem  Ueberschusse         TOrl  Obli- 

von                    bis               .  gationen 
I.  Emission 

die  Inhaber 

der 

schwebenden 

Schuld 

300.000  fl.    350  000  fl.           70°/0 
35O.OOO  »      400.000  >               65% 
4OO.OOO  >    ohne  weitere            ÖO0/,, 

307. 

357t 
407. 

Begrenzung 


Mit  Ende  1878  betrugen  die  Anlage- 
kosten der  alten  Linien  23,611.482  fl. 
und  jene  der  Linie  Pilsen  -  Eisenstein 
16,468.857  fl. 

Die  Linie  Pilsen-Eisenstein  führt 
von  Pilsen  auf  einer  mit  sechs  Geleisen  [im 
Unterbau]  hergestellten  Brücke  über  die 
dortige  Aerarialstrasse  und  überschreitet,  an 
die  beiden  Nachbarbahnen  sich  anlehnend,  mit 
diesen  die  Radbuza  mittels  einer  Brücke 
[18  in  Höhe  und  65  in  Spannweite]  und  dann 
25  km  von  ihrem  Ausgangspunkte  entfernt 
die  Franz  Josef-Bahn  sowie  die  Böhmische 
Westbahn  mittels  einer  Ueberfahrt  von 
194  m  Spannweite,  schlägt  sodann  eine 
völlig  südliche  Richtung  ein  und  führt,  dem 
Laufe  des  Radbuzathales  folgend,  in  die 
Station  Littitz,  wo  die  nach  Nürschan  führende 
Kohlenbahn  abzweigt.  Hinter  der  Station 
Littitz  wird  ein  Querthal  mittels  einer  13  vi 
hohen  Brücke  [von  20  in  Spannweite]  und 
sodann  die  Radbuza  übersetzt.  Nunmehr 
steigt  die  Trace,  um  die  Wasserscheide  zwi- 
schen Radbuza  und  Angel  zu  erreichen. 
Zwischen  den  Stationen  Dobfan  und  Pfestitz 
geht  die  Trace  ins  Angelthal  und  übersetzt 
den  Fluss  das  erste  Mal  bei  Roth-Pofic 
[Eisenconstruction,  drei  Oeffnungen  ä  35  in), 
ein  zweites  Mal  bei  Beno,  endlich  ein  drittes 
Mal  hinter  der  Station  Janowitz.  Auf  diesem 
Zuge  werden  die  Stationen  Luian,  Schwihau, 
Tocnik  und  Klattau  passirt.  Von  der  Station 
Janowitz  aus  führt  die  Bahn  steigend  zu  der 
am  Fusse  der  Böhmerwald-Gebirgsstrecke 
gelegenen  Station  Neuern. 

Hier  wechselt  der  Charakter  der  Linie 
vollständig;  denn  während  er  bisher  ganz 
einer  Thalbahn  entsprach,  weist  die  nunmehr 
mit  1  :  60  bis  I  :  66  ansteigende  Linie  oft  bis 
ins  Thal  hinunterreichende  Dämme  und  in 
bedeutender  Höhe  ausholende  Einschnitte 
auf,  welche  ihr  im  Vereine  mit  der  starken 
Entwicklung  der  Trace  den  Charakter  einer 
Gebirgsstrecke  verleihen.  Zwischen  Neuern 
und  der  Station  Grün  [nächst  Motowitz]  geht 
die  Bahn  durch  einen  130  in  langen  Tunnel. 
Von  Grün  aus  weiter  ansteigend  führt  die 
Trace  über  Hammern-Eisenstrass  zu  der 
Wasserscheide  zwischen  Elbe  und  Donau  em- 
por, welche  in  der  Seehöhe  von  838  m  mittels 
des  1730  in  langen  Tunnels  durchbrochen 
wird,  an  dessen  südlichem  Ende  die  Station 
Spitzberg  liegt.  Von  da  weiter  zieht  die  Bahn 
mit  einem  Gefälle  von  I  :  55  der  Reichsgrenze 
zu,  die  nach  Passirung  eines  160  in  langen 
Tunnels  in  der  Mitte  der  Endstation  Eisen- 
stein erreicht  wird.  [Abb.  95  und  96.] 

Aeusserlich  mannigfach  verwandt  mit 
den  Hauptstadien  der  Sicherstellung  des 
eben  besprochenen  Bahnbaues  sind  jene 
der  staatlichen  Unterstützung  des  Baues 
der  Linie  Falkenau-Graslitz,  für 
welche    die     Buschtöhrader    Bahn 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


183 


am  30.  October  1873  die  Concession 
erhalten  hatte.  Auch  hier  handelt  es  sich 
um  eine  Linie,  die,  wenn  auch  noch  nicht 
thatsächlich,  so  doch  schon  principiell 
mit  einer  zweiten  zusammen  concessionirt 
und  einen  neuen  Anschluss  an  das 
deutsche    [sächsische]    Bahnnetz    zu    be- 


Scheles  zum  Anschlüsse  an  die  Pilsen- 
Priesener  Bahn  und  Falkenau-Graslitz 
[sächsische  Grenze]  zu  concessioniren,  und 
zwar  wie  aus  den  Einzelbestimmungen 
desselben  deutlich  hervorging,  an  die 
Buschtöhrader  Bahn,  deren  Bewerbung 
um  diese  Linien    bis    in    das  Jahr    1871 


Abb.  91.     Salzburg-Tiroler  Bahn  bei  Hopfgarten.     [Hohe  Salve  und  der  Wasserfall.] 


werkstelligen  bestimmt  war;  auch  hier 
blieb  eine  der  beiden  Linien  ungebaut 
und  die  Ausführung  der  zweiten  von  der 
wiederholten  Hilfeleistung  des  Staates 
abhängig. 

Die  Concession  vom  30.  October  1873 
beruht  nämlich  auf  dem  Gesetze  vom 
7.  Mai  1873,  das  die  Regierung  er- 
mächtigte,   die  Linien  Rakonitz-Jechnitz- 


zurückreichten  und  so  ernstliche  waren, 
dass  die  ausserordentliche  Generalver- 
sammlung vom  5.  October  1871  bereits  für 
die  Beschaffung  des  betreffenden  Bau- 
capitals  Vorsorge  traf.  Durch  den  lang- 
samen Gang  der  Concessions-Verhand- 
lungen  und  die  darob  bis  zum  Her- 
einbruche der  wirthschaftlichen  Krisis 
verzögerte     legislative    Behandlung    der 


184 


Ignaz  Konta. 


Angelegenheit,  erlitt  aber  die  Grundlage 
der  letzteren  eine  wesentliche  Verrückung. 

Ein  namhafter  Theil  der  von  der  er- 
wähnten ausserordentlichen  Generalver- 
sammlung bewilligten  Geldmittel  musste 
für  unvorgesehene,  der  Gesellschaft  neu 
auferlegte  Ausgestaltungen  älterer  Linien 
verausgabt  werden ;  ein  anderer  wurde 
bei  der  Vermehrung  der  gesellschaft- 
lichen Montan-  und  Industriebahnen,  in- 
folge der  Vertheuerung  von  Lohn-  und 
Material,  über  die  Voranschläge  hinaus 
verbraucht;  was  dann  noch  erübrigte, 
reichte  beiweitem  nicht  mehr  für  den  Bau 
der  beiden  neuen  Linien  aus ;  zur  Beschaf- 
fung frischer  Geldmittel  inmitten  der 
Krisis  wollte  die  Gesellschaft  sich  nicht 
verstehen,  sondern  lieber  auf  die  Con- 
cession  für  die  Linie  Rakonitz-Scheles 
verzichten  und  bemühte  sich,  auch  die 
Regierung  für  dieses  Vorhaben  einzu- 
nehmen. 

Dem  Handelsministerium,  das  nun 
einmal  die  Concessionirung  der  beiden 
neuen  Linien  vor  die  Legislative  gebracht 
hatte  und  durch  das  Gesetz  vom  7.  Mai 
1873  gesichert  glaubte,  erschien  dagegen 
jene  Zumuthung  als  eine  ungerechtfer- 
tigte ;  es  gab  derselben  überhaupt  eine 
ganz  andere  Auslegung,  die  in  dem  von 
Seite  des  Handelsministers  Dr.  Banhans 
späterhin  gegen  die  Gesellschaft  er- 
hobenen Vorwurfe,  »dass  sie  zuerst  alles 
Mögliche  aufbiete,  damit  niemand  An- 
derer als  sie  Concessionen  bekomme,  nach 
der  Beseitigung  der  anderen  Bewerber 
aber  nicht  bauen  will«  [Abgeordnetenhaus- 
Sitzung  vom  29.  April  1874],  herben 
Ausdruck  fand. 

Die  Verhältnisse  erwiesen  sich  jedoch 
stärker  als  die  Meinungen ;  der  Geldstand 
der  Gesellschaft  und  die  allgemeinen  wirth- 
schaftlichen  Zustände  verschlechterten  sich 
immer  mehr,  so  zwar,  dass  der  Verwal- 
tungsrath  im  October  1873  erklärte,  nun 
auch  auf  die  Concession  für  die  Linie 
Falkenau-Graslitz  verzichten  zu  müssen, 
wenn  die  Durchführung  derselben  nicht 
hinausgeschoben  würde. 

Trotzdem  kam  nach  längeren,  am 
12.  November  1873  beendeten  Verhand- 
lungen, eine  Vereinbarung  zustande,  wo- 
nach die  Gesellschaft  die  Concession  ledig- 
lich für  die  Linie  Falkenau-Graslitz 


erhalten  und  sich  zur  unverweilten 
Ausführung  derselben  verpflichten,  die 
Regierung  aber  zu  diesem  Baue  einen 
unverzinslichen,  in  Actien  lit.  B  al  pari 
rückzahlbaren  Staatsvorschuss  im  Betrage 
von   1,500.000  fi.  gewähren  sollte. 

Bei  der  Einholung  der  legislativen 
Genehmigung  hiezu  ging  die  Regierung 
wieder  von  den  Voraussetzungen  des 
Gesetzes  vom  13.  December  1873  aus, 
da  die  Linie  Falkenau-Graslitz  als  eine 
volkswirthschaftlich  wichtige  erkannt  und 
die  Förderung  ihres  Ausbaues  geeignet 
war,  in  erheblichem  Masse  zur  Linderung 
des  Nothstandes  im  Erzgebirge  beizu- 
tragen. Die  Vorlage  wurde  am  10.  Fe- 
bruar 1874  im  Abgeordnetenhause  ein- 
gebracht; ihre  parlamentarische  Be- 
handlung war  am  31.  März  beendet 
und  das  Gesetz  am  30.  April  1874 
sanctionirt. 

Fünf  Tage  nachher  erfolgte  die  Verlaut- 
barung der  vom  30.  October  1873  datirten 
Concessions-Urkunde  für  die  Linie  Fal- 
kenau-Graslitz [sächsische  Grenze],  welche 
als  integrirender  Bestandtheil  der  älteren 
gesellschaftlichen  Linien  gelten,  nach  den 
Bestimmungen  der  Concession  vom  1 .  Juli 
1868  [Böhmische  Nordwestbahn]  behan- 
delt werden  und  bis  31.  October  1875 
vollendet  sein  sollte.  Die  Regelung  des  An- 
schlusses an  das  sächsische  Bahnnetz  und 
des  Gemeinschaftsdienstes  in  der  Grenz- 
station blieb  dem  diesfalls  abzuschlies- 
senden  Staatsvertrage  mit  Sachsen  vor- 
behalten. 

Die  Theilhaber  der  Gesellschaft  ge- 
nehmigten in  der  Generalversammlung 
vom  30.  Mai  1874  sowohl  die  Erwerbung 
der  Concession,  als  auch  das  Ueberein- 
kommen,  unter  gleichzeitiger  Ermäch- 
tigung des  Verwaltungsrathes,  die  laut 
Beschluss  der  Generalversammlung  vom 
5.  October  1871  [für  den  allfälligen  Bau 
der  Linie  Rakonitz-Beraun]  zurückbehal- 
tenen Prioritäts-Obligationen  im  Betrage 
von  3,000.000  fi.  nunmehr  nach  Bedarf 
für  die  Linie  Falkenau-Graslitz  zu  ver- 
werthen  und  zum  gleichen  Zwecke  auch 
7500  neue  Actien  lit.  B  ä  200  fl.  auszu- 
geben, beziehungsweise  der  Staatsverwal- 
tung einzuhändigen,  worauf  dann  das 
Uebereinkommen  am  3.  Juni  [zu  Prag], 
beziehungsweise  8.  Juni   1874  [zu  Wien] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


185 


Abb.  Q2.    Der  grosse  Einschnitt  bei  Eben.     [Bischofshofen-Selzthai.] 


definitiv  abgeschlossen  und  der  von  der 
Gesellschaft  in  eigener  Regie  geführte 
Bau  am  23.  Juni  1874  in  Angriff  ge- 
nommen wurde. 

Kaum  ein  Jahr  nach  dieser  vermeint- 
lichen Sicherstellung  des  nunmehr  un- 
behinderten Ausbaues  der  Linie  Falkenau- 
Graslitz  stand  aber  die  Gesellschaft 
neuerdings  vor  einer  leeren  Baucasse, 
da  es  bei  der  fortgesetzt  gedrückten 
Lage  des  Geldmarktes  sogar  der  gut 
accreditirten  Buschtehrader  Bahn  nicht 
gelang,  jenen  kleinen  Posten  von  Prio- 
ritäts-Obligationen zu  annehmbaren  Prei- 
sen zu  veräussern.  Dazu  mag  allerdings 
nicht  wenig  der  Umstand  beigetragen 
haben,  dass  sie  mit  Ende  1873  bemüssigt 
gewesen,  die  Einlösung  der  Coupons 
der  Actien  lit.  B  zu  sistiren,  was  ihr 
auch  die  süddeutschen  Plätze,  auf  welche 
sie  sonst  immer  zählen  konnte,  vorüber- 
gehend abwendig  machte ;  über  die  That- 
sache  selbst,  konnte  sie  jedoch  nicht 
hinwegkommen. 

Eine  Weile  hindurch  suchte  sie  sich 
mit  der  Aufnahme  schwebender  Schulden 


fortzuhelfen,  als  diese  aber  immer  kost- 
spieliger und  schwieriger  wurde,  er- 
übrigte der  Gesellschaft  wieder  nur  die 
Anrufung  der  Staatshilfe.  Das  bezüg- 
liche am  19.  Juni  1875  überreichte  Ge- 
such lautete  einerseits  auf  Erstreckung 
der  am  31.  October  1875  endigenden 
Vollendungsfrist,  andererseits  auf  käufliche 
Uebernahme  gesellschaftlicher  Titel  im 
Betrage  von  4,437.225  fl.  zum  vollen 
Nennwerthe  oder  doch  Gewährung  eines 
weiteren  unverzinslichen  und  in  Actien 
lit.  B  al  pari  rückzahlbaren  Vorschusses 
von  2,000.000  fl.  Bei  den  hierüber  ge- 
führten Verhandlungen  mit  der  Regie- 
rung schränkte  die  Gesellschaft  schliess- 
lich ihr  Ansuchen  dahin  ein,  dass  ihr 
mindestens  die  Bedeckung  des  nach  Ab- 
schlag aller  bereits  aufgelaufenen  Bau- 
kosten von  2,157.870  fl.  noch  verbleiben- 
den Erfordernisses  von  rund  1,700.000  fl. 
vorgestreckt  werden  möge. 

Dem  willfahrte  die  Regierung  unter 
der  Bedingung,  dass  der  neue  Vorschuss 
nicht  ganz,  sondern  nur  mit  800.000  fl. 
in    Actien     lit.    B,     im    Uebrigen    aber 


i86 


Ignaz  Konta. 


in  Prioritäts-Obligationen  [6000  Stück 
ä  150  fl.]  rückgezahlt  werde.  Ausserdem 
musste  die  Gesellschaft  hinsichtlich  der 
Tarife,  der  Leistungen  für  die  Post-  und 
die  Militärverwaltung  etc.  verschiedene 
Zugeständnisse  machen,  wie  auch  eine 
kleine  Näherrückung  des  Termines  für 
die  Inkrafttretung  des  staatlichen  Ein- 
lösungsrechtes zugeben  [Protokoll  vom 
29.  September  1875]. 

Der  erste  Theil  dieser  Vereinbarung 
bildete  die  Grundlage  des  am  25.  Januar 
1876  im  Abgeordnetenhause  eingebrach- 
ten Gesetzentwurfes,  welcher  daselbst 
zwar  die  Abänderung  erfuhr,  dass  der 
neue  Vorschuss  durchwegs  in  Prioritäts- 
Obligationen  [11.333V3  Stück  ä  150  fl.] 
al  pari  zu  tilgen  sei,  sonst  aber  ziem- 
lich glatt  erledigt  wurde  und  nach 
Zustimmung  auch  des  Herrenhauses, 
am  20.  März  1876  die  a.  h.  Sanction 
erhielt. 

Der  zweite  Theil  der  Vereinbarung 
wurde  sammt  den  Bestimmungen  des  eben 
erwähnten  Gesetzes  in  das  Uebereinkom- 
men  ddto.  Prag  6.  April,  beziehungsweise 
Wien  21.  Mai  1876  aufgenommen,  das 
übrigens  nicht  sehr  lange  zu  Recht 
bestand,  sondern  anlässlich  der  im  Jahre 
1882  erfolgten  baaren  Rückzahlung  des 
[2.]  Vorschusses  wieder  ausser  Geltung 
trat.*) 

Nachdem  die  Generalversammlung 
vom  31.  Mai  1876  das  neue  Ueberein- 
kommen  genehmigt  und  den  Verwaltungs- 
rath  zur  Vornahme  einer  auch  die  Mittel 
zur  gelegentlichen  Abstossung  der  schwe- 
benden Schuld  bietenden  Prioritäten- 
Emission  [IV]  im  Betrage  von  3,550.65ofl. 
ermächtigt  hatte,  hörten  die  Geldver- 
legenheiten der  Gesellschaft  auf;  die 
Bauten  wurden  rührig  fortgesetzt  und 
pünktlich  zum  erstreckten  Termine  voll- 
endet. 


*)  Durch  die  baldige  Rückzahlung  des 
zweiten  Vorschusses  und  den  später  hohen 
Curs  ihrer  dem  Staate  zur  Deckung  des 
ersten  Vorschusses  übergebenen  Actien, 
hebt  sich  die  Buschtehrader  Bahn  vortheil- 
haft  ab  von  anderen  zur  selben  Zeit  mit 
Staatshilfe  bedachten  Unternehmungen.  — 
Das  Uebereinkommen  vom  Jahre  1876  ist, 
vielleicht  nur  wegen  des  ihm  schon  von 
vornherein  beigemessenen  nur  kurzen  Be- 
standes, nicht  verlautbart  worden. 


Die  Eröffnung  der  20-9  km  langen 
Linie  Falkenau-Graslitz  fand  am  1.  Juni 
1876  statt.*)  Leider  blieb  sie  zehn  Jahre 
lang  eine  Sackbahn,  hauptsächlich  darum, 
weil  die  beiderseitigen  Regierungen  zu 
keiner  Einigung  darüber  gelangen  konn- 
ten, ob  die  Grenzstation  in  Graslitz  oder 
auf  sächsischem  Gebiete  in  Klingenthal 
errichtet  werden  solle.  Die  Entscheidung 
brachte  erst  der  Staatsvertrag  mit  Sach- 
sen vom  5.  Mai  1884,  vermöge  dessen 
Klingenthal  als  Wechselstation  bestimmt 
wurde.  Eine  weitere  Verzögerung  ver- 
ursachte nachher  noch  die  unter  den 
Localinteressenten  bestandene  Meinungs- 
verschiedenheit über  die  Situirung  des 
definitiven  Bahnhofes  in  Graslitz.  Die 
Eröffnung  der  6  km  langen  Grenzstrecke 
und  sohin  auch  des  Anschlussverkehrs 
mit  den  sächsischen  Bahnen  erfolgte  am 
1.  October  1886.  Den  Betrieb  bis  Klin- 
genthal führt  die  Buschtehrader  Bahn, 
zufolge  ihres  mit  den  königlich  sächsi- 
sehen  Staatsbahnen  geschlossenen  Ver- 
trages vom  20.  October  1886. 

Dazumal  zählte  die  Buschtehrader 
Bahn  bereits  wieder  zu  den  bestfundirten 
und  ertragreichsten  österreichischen  Eisen- 
bahnen. 

Die  Linie  Falkenau-Graslitz- 
Reichsgrenze  hält  sich  von  der  Ausgangs- 
station Falkenau  zunächst  der  nach  Eger 
führenden  Hauptbahn  bis  zur  Brücke  über 
den  Zwodaufluss.  Hier  trennen  sich  die 
beiden  Linien  und  die  Bahn  nach  Graslitz 
wendet  sich  nach  Nordwesten,  um  bei  Davids- 
thal in  das  in  nordwestlicher  Richtung  gegen 
die  Landesgrenze  in  mannigfachen  Windun- 
gen sich  hinziehende  Zwodauthal  einzutreten. 
Dem  Laufe  des  Flusses  folgend,  sich  theils 
hart  an  dessen  Ufer  haltend,  theils  die  vor- 
tretenden Berglehnen  durchschneidend,  er- 
reicht die  Bahn  am  Fusse  des  Schlosses 
Hartenberg  die  gleichnamige  Station.  Von 
hier  aus  zieht  die  Trace,  theils  stark  in 
den  Fluss  eingebaut,  theils  an  die  steil  ab- 
fallenden Berglehnen  sich  anschmiegend,  in 
fortwährenden  Serpentinen  nach  Bleistadt,  wo 
Torfablagerungen  dem  Bahnbaue  erhebliche 
Schwierigkeiten  verursachten.  Auf  der  wei- 
teren Strecke    bis   Annathal-Rothau    passirt 


*)  Ein  Jahr  vorher,  am  23.  August  1875, 
wurde  die  133  £w  lange  Flügelbahn  Krim a- 
Reitzenhain,  welche  schon  Ende  1874  bis 
zur  sächsischen  Grenze  vollendet  gewesen, 
dem  Betriebe  übergeben,  nachdem  die  staat- 
lichen Verhandlungen  über  den  Grenzdienst 
endlich  ihren  Abschluss  gefunden  hatten. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


I87 


die  Bahn  einen  177  m  langen  Tunnel.  Gegen 
Unter-Graslitz  erweitert  sich  dann  das  Thal 
derart,  dass  die  Trace  in  sanften  Richtungs- 
verhältnissen zu  dieser  Station  gelangt.  Von 
Falkenau  bis  Unter-Graslitz  musste  der 
Zwodaufluss   siebenmal    überbrückt   werden. 

Im  Zwodauthale  zieht  die  Bahn  dann 
über  Ober-Graslitz,  in  der  Thalenge  beim 
Grenzorte  Markhausen  in  Felsen  eingesprengt, 
dann  an  der  flacher  werdenden  Berglehne 
weiter  der  Reichsgrenze  zu  und  erreicht 
jenseits  der  Grenze  den  sächsischen  Grenz- 
und  Wechselbahnhof  Klingenthal. 

Die  Flügelbahn  Krima-Reitzenhain 
zweigt  von  der  Flügelbahn  Komotau-Weipert 
in  der  Station  Krima-Neudorf  ab,  übersetzt 
bei  Sebastiansberg  die  Wasserscheide,  bald 
darauf  die  böhmisch-sächsische  Grenze  und 
schliesst  in  der  gemeinschaftlichen  Grenz-  und 
Wechselstation  Reitzenhain  an  die  Chemnitz- 
Komotauer  Bahn  an. 


Die  dritte  Privatbahn,  welcher  eine 
Unterstützung  aus  dem  »Nothstands- 
anlehen«  zutheil  geworden,  war  die  seit 
der  Vollendung  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  vielfach  angestrebte  und,  eben  mit 
Hilfe  jener  staatlichen  Antheilnahme,  im 
Jahre  1874  endlich  zustande  gekommene 
directe  Verbindung  der  genannten  Bahn 
mit  der  Südbahn. 

Ihre  ersten  Projectirungen  hatten  mit 
dem  ursprünglichen  Plane  für  die  »West- 
bahn« [1842]  den  Grundgedanken  gemein, 
nämlich  die  Einmündung  in  Brück  a.  M. ; 
so  brachten  im  Jahre  1862  der  Vice- 
bürgermeister  von  Steyr,  Dr.  Jakob 
Kompass,  die  Linie  Wels-,  beziehungs- 
weise Enns-Bruck  a.  M.  und  zwei  Jahre 
später  die  Ingenieure  Julius  Kitzler  und 
H.  Schellhorn  die  Linie  [Braunau-]  Strass- 
walchen-Salzkammergut-Bruck  a.  M.  in 
Anregung.  Im  Jahre  1869  schlugen 
aber  der  Gutsbesitzer  Adolf  Freiherr 
von  Pittel  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Bauunternehmer  Peter  Giacomozzi  die 
viel  näher  gegen  Wien  gerückte  Ver- 
bindung Leobersdorf-St.  Polten 
vor,  auf  die  später,  trotz  der  vielen 
während  der  sogenannten  Gründungs- 
periode aufgetauchten  Gegenprojecte, 
wieder  zurückgegriffen  wurde. 

Zu  den  letzteren  zählten  vornehmlich 
die  mit  mehr  oder  minder  reicher  Ver- 
zweigung ausgestatteten  Linien  Tulln- 
St.  Polten -Mürzzuschlag,  St.  Polten-, 
respective  Krems-Bruck  a.  M.,  St.  Pölten- 
Egydi,Tulln-St.Pölten-Ebenfurth  u.  dgl.  m. 


Bevorzugt  schien  die  Linie  St.  Polten - 
Mürzzuschlag,  um  welche  sich  vom  Jahre 
1870"  an  insbesondere  die  Consortien 
Baron  Korb-Weidenheim  und  Moriz  Ritter 
von  Trebersburg,  dann  Ernst  Graf  Hoyos- 
Sprinzenstein  und  Dr.  Hermann  Rössler 
sowie  Emil  Seybel  und  Victor  Ritter  von 
Ofenheim  bewarben.  Ersteres  trat  jedoch 
am  7.  December  1871  von  der  Bewerbung 
zurück  und  die  beiden  anderen  vereinigten 
sich,  um  dann  ihr  Concessions-Gesuch 
auch  auf  die  Fortsetzungsstrecke  St.  Pölten- 
Sigmundsherberg-Iglau  und  dieZweigbahn 
Terz-Aspach  auszudehnen. 

Da  sie  keinerlei  staatliche  Begünsti- 
gung in  Anspruch  nahmen  und,  dem 
Wunsche  des  Ministeriums  nachkommend, 
die  Strecke  Sigmundsherberg-Iglau  aufga- 
ben —  überdies  die  Südbahn  schon  unterm 
3.  August  1870  auf  das  ihr  zustehende  Vor- 
zugsrecht verzichtet  hatte,  winkte  ihnen 
der  Erfolg  —  doch   nur   für  kurze  Zeit. 

Ueber  a.  h.  Entschliessung  vom  12.  Mai 
1872  erhielt  das  vereinigte  Consortium  die 
Concession  für  die  »Niederösterreichisch- 
steierische  Eisenbahn« ;  die  Aushändigung 
|  derselben  war  aber  an  die  Bedingung  ge- 
knüpft, dass  die  vollends  bewerkstelligte 
Geldbeschaffung  bis  längstens  Ende  1872 
nachgewiesen  werde;  das  gelang  nicht, 
und  am  II.  Februar  1873  wurde  die  Con- 
cession schon  wieder  für  erloschen  erklärt. 

Nachfolger  dieses  Consortiums  wurden 
die  damals  entstandene  »Gesellschaft  für 
österreichische  Verbindungsbahnen«  und 
deren  Director  A.  Köstlin,  welcher  ein 
ganzes  Netz  von  Verbindungslinien  in 
Niederösterreich  und  Steiermark  projec- 
tirte,  darunter  auch  Tulln-St.  Pölten- 
Mariazell-Mürzzuschlag,  Gutenstein-Leo- 
bersdorf-Ebenfurth,  Altenmarkt-Gaming- 
Waidhofen  a.  d.  Y.,  Altenmarkt-Heiligen- 
kreuz-Liesing-Wien  etc.,  welche  allesammt 
nach  Art  der  Secundärbahnen  und  unter 
Betheiligung  der  Interessenten  binnen  zehn 
Jahren  ausgeführt  werden  sollten. 

Obzwar  dieses  Project  ein  noch  viel 
ausgreifenderes  war,  als  die  früheren, 
fand  die  Regierung  doch  besonderen  Ge- 
fallen daran ;  einmal  weil  es  vornehmlich 
den  mit  Naturproducten  und  Industrien  ge- 
segneten südwestlichen  Gegenden  Nieder- 
österreichs die  entbehrten  Schienenwege 
zudachte,    und    ferner    weil    mit    seiner 


i88 


Ignaz  Konta. 


Verwirklichung  auch  eine  in  Oesterreich 
noch  neue,  technische  und  finanzielle 
Ausführungsweise  von  Eisenbahnen  er- 
probt werden  konnte. 

Bei  der  näheren  Erwägung  des  Pro- 
jectes  gelangte  die  Regierung  aber  zu  der 
Anschauung,  dass  die  sogleiche  Con- 
cessionirung  jenes  ganzen  Netzes  der 
» Niederösterreichischen  Südwestbahnen « 
denn  doch  nicht  angezeigt  erscheine, 
»weil  einerseits  nicht  alle  seine  Linien 
einen  derart  localen  Charakter  haben,  um 
als  Secundärbahnen  hergestellt  zu  werden, 
andererseits  eine  so  lange  Vollendungs- 
frist, welche  lediglich  ein  Vorrecht  auf 
die  Dauer  von  zehn  Jahren  involviren 
würde,  nicht  gewährt  werden  kann«, 
zudem  aber  für  die  Anlage  eines  so 
grossen  Complexes  von  Secundärbahnen 
noch  keine  ausreichenden  Erfahrungen 
vorhanden  waren. 

Die  Concessionswerber  wurden  also 
vermocht,  vorerst  eine  oder  die  andere 
der  von  ihnen  projectirten  Linien  zur 
versuchsweisen  Ausführung  als  Secundär- 
bahn  zu  wählen,  nebst  diesen  aber  auch 
die  vielseitig  begehrte  und  befürwortete 
Linie  St.  Pölten-Leobersdorf  sammt  der 
Abzweigung  nach  Schrambach  als  Haupt- 
bahn herzustellen,  und  zwar  unbeschadet 
der  vorläufigen  Einführung  eines  Secundär- 
betriebes  auf  dieser  Abzweigung.  Nach- 
dem die  Wahl  zu  Versuchsbahnen  auf 
die  Linien  Pöchlarn-Lunz  und  Leobersdorf- 
Gutenstein  gefallen  war,  begannen  die 
eigentlichen  Concessions -Verhandlungen, 
bei  denen  die  Regierung  sich  anheischig 
machte,  dem  Unternehmen  eine  zwanzig- 
jährige Steuerfreiheit  und  einen  in  Actien 
al  pari  rückzahlbaren  Bauvorschuss  von 
2,500.000  fl.  zu  gewähren,  unter  der  Be- 
dingung, dass  die  Concessionäre  dieübrigen  j 
Actien  ebenfalls  zum  Paricurse  oder  einem 
diesem  nahekommenden  Curse  bei  den 
Interessenten,  Anrainern  etc.  unterbringen, 
wie  überhaupt  für  die  weitere  Beschaffung 
des  im  Ganzen  mit  effectiv  10,500.000  fl. 
bemessenen  Anlage-Capitals  selbst  Sorge 
tragen  und  die  Hauptbahnlinien  binnen 
längstens  drei  Jahren,  gerechnet  vom  Tage 
der  Concessionirung,  vollenden. 

Auch  die  Legislative  zeigte  sich  dem 
Unternehmen,  als  einem  »ersten  Schritte 
zur  Schaffung  billiger  Localbahnen«,  wohl- 


geneigt; das  Abgeordnetenhaus,  dem  der 
Gesetzentwurf  über  die  Bedingungen  und 
Zugeständnisse  für  die  Sicherstellung  der 
Eisenbahnlinie  Leobersdorf  -  St.  Polten 
sammt  Zweigbahnen  am  10.  Februar  1874 
vorgelegt  wurde,  wollte  sogar,  unter  An- 
erkennung der  in  der  Beitragsleistung 
der  Adjacenten  gelegenen  wichtigen 
Neuerung,  den  Staatsvorschuss  noch  be- 
deutend erhöhen,  damit  die  Bahn  von 
St.  Polten  aus  bis  Traismauer  oder  gar 
Mautern  geführt  würde,  begnügte  sich 
jedoch  mit  der  Ermächtigung  der  Re- 
gierung zur  Ertheilung  eines  weiteren 
Vorschusses  von  300.000  fl.  für  den  Fall 
der  ersterwähnten  Fortsetzung,  ■ —  und 
das  Herrenhaus  pflichtete  alledem  bei. 
Die  a.  h.  Sanction  des  abgeänderten  Ge- 
setzentwurfes erfolgte  am  16.  Mai  1874. 
Zur  allgemeinen  Verwunderung  Hess 
aber  die  Concessionirung  noch  lange  auf 
sich  warten.  Uneinigkeiten  im  Consortium, 
die  auch  einen  theilweisen  Wechsel  seiner 
Mitglieder  herbeiführten,  Schwierigkeiten 
bei  der  Unterbringung  der  Actien  und 
mancherlei  Projectsänderungen  verzöger- 
ten die  Ertheilung  der  Concession  bis 
zum  3.  November  1874  und  die  Hinaus- 
gabe, beziehungsweise  Verlautbarung  der- 
selben gar  bis  zum  6.  März  1875.  Die- 
selbe nennt  als  Concessionäre  den  Grafen 
Victor  Wimpffen  im  Vereine  mit  Adolf 
Horst,  Leopold  Hutterstrasser, 
Alexander  Cur ti  und  August  Köstlin; 
gilt  für  die  Linien  Leobersdorf- 
St.  Polten  mit  der  Zweigbahn  von 
Scheibmühl  nach  Schrambach, 
eventuell  Freiland,  fernerLeobersdorf- 
Gutenstein  und  Pöchlarn-Gaming. 
Die  Concessionäre  wurden  verpflichtet, 
sobald  die  Staatsverwaltung  es  verlange 
und  die  Bedingungen  feststellt,  auch 
die  Fortsetzungsstrecken  Leobersdorf- 
Ebenfurth  und  St.  Pölten-Trais- 
m a u e r,  eventuell  nach  Mautern,  und 
zwar  sämmtlich,  mit  Ausnahme  der 
Linie  Leobersdorf-St.  Polten  und  deren 
Abzweigung,  als  Secundärbahnen  zu 
erbauen.  Für  die  Hauptbahn  wurde  der 
3.  Januar  1877,  für  die  beiden  schon  con- 
cessionirten  Secundärlinien  der  3.  Januar 
1878  als  Vollendungsfrist  bestimmt,  und 
als  staatliche  Begünstigung  für  alle  drei 
eine  zwanzig]  ährige  Steuerfreiheit  gewährt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


189 


Abb.  93.    Bahnhof  Selzthal. 


Nebstdem  nahm  die  Staatsverwaltung,  auf 
Grund  des  Gesetzes  vom  16.  Mai  1874 
und  des  zugleich  mit  der  Concession  ver- 
öffentlichten Uebereinkommens  vom  31. 
Januar  1875,  durch  Ertheilung  eines  in 
Actien  al  pari  rückzuzahlenden  Vor- 
schusses im  Betrage  von  2,500.000  fl., 
an  der  Geldbeschaffung  Theil. 

Um  den  Baubeginn  zu  beschleunigen, 
Hess  das  Handelsministerium  die  Detail- 
projecte  für  die  Linie  Leobersdorf- 
St.  Polten  sammt  Zweigbahn  von  Or- 
ganen der  General-Inspection,  für  Rech- 
nung der  künftigen  Gesellschaft,  aus- 
führen und  gestattete  auch,  dass  hin- 
sichtlich der  beiden  Secundärlinien  ein 
Gleiches  von  Seite  des  Concessionärs 
August  Köstlin  geschehe.  Die  politischen 
Begehungs-Commissionen  konnten  daher 
in  der  Zeit  vom  19.  Mai  bis  13.  No- 
vember 1875  vorgenommen  werden.  Je 
nach  ihrer  Beendigung  begannen  auf  den 
einzelnen  Theilstrecken  auch  sogleich  die 
Arbeiten. 


Dieselben  waren  gegen  Pauschal- 
vergütung an  drei  Unternehmungen  ver- 
geben, und  zwar  Leobersdorf-St.  Polten 
sammt  Zweigbahn  an  Carlo  Ronchetti 
und  Pietro  Ganazzini,  Leobersdorf- 
Gutenstein  an  Karl  Hofbauer  &  Comp., 
Pöchlarn-Gaming  an  Franz  Kraus,  Johann 
Prokop  und  Georg  Schlechter ;  die  Hoch- 
bauten, die  Lieferung  des  Eisenmaterials 
für  den  Oberbau  sowie  der  Fahrbetriebs- 
mittel etc.    wurden    gesondert  vergeben. 

Sämmtliche  Unternehmer  und  Liefe- 
ranten nahmen  für  einen  Procentsatz 
ihrer  Verdienstsummen  Actien  al  pari 
oder  zum  Curse  von  95  in  Zahlung. 
Davon  wurde,  wie  auch  von  den  sonsti- 
gen Actienzeichnungen,  mancher  Betrag 
hinfällig ;  immerhin  verblieben  aber  Actien 
im  Nennwerthe  von  1,100.000  fl.  dauernd 
untergebracht.  Mehr  zu  guten  Preisen 
zu  placiren  waren  die  Concessionäre 
nicht  im  Stande ;  ebensowenig  gelang 
ihnen  die  Begebung  der  Obligationen. 
Eine    staatliche    Zinsengarantie    voraus- 


iqo 


Ignaz  Konta. 


gesetzt,  bot  man  ihnen  für  Goldprioritäten 
8o°/0  und  für  Titel  in  österreichischer 
Währung  72°/o  des  Nominalbetrages. 
Solche  Anbote  waren  nicht  darnach  an- 
gethan,  der  Regierung  neue  Neigung 
zum  Garantiesysteme  einzuflössen.  Wäh- 
rend sie  sich  also  in  dieser  Beziehung 
durchaus  ablehnend  verhielt,  schenkte 
sie  andererseits  dem  von  den  Concessio- 
nären  an  sie  gerichteten  Hilferufe  als 
solchen,  volle  Würdigung. 

Bis  die  Bethätigung  derselben  mög- 
lich geworden,  gerieth  aber  sowohl  der 
Bau,  als  auch  die  Errichtung  der  Gesell- 
schaft ins  Stocken.  Das  Statut  hatte  wohl 
am  5.  October  1875  die  behördliche 
Genehmigung  erhalten  und  die  Einbe- 
rufung der  constituirenden  Generalver- 
sammlung war  bereits  auf  den  18.  De- 
cember  1875  anberaumt;  sie  unterblieb 
jedoch  infolge  der  noch  mangelnden 
festen  Grundlage  für  den  Bestand  der 
Gesellschaft. 

Die  Verhandlungen  mit  den  Con- 
cessionären  über  die  ihnen  zu  gewährende 
Unterstützung  begannen  Mitte  Januar 
1876.  Zuvor  hatte  das  Handelsmini- 
sterium durch  gepflogene  Erhebungen 
festgestellt,  dass  für  den  Bau  und  die 
Ausrüstung  der  Bahn  ein  Capital  von 
effectiv  9,309.000  fl.  erforderlich,  hievon 
aber  [durch  den  Staatsvorschuss  und  die 
anderweitig  untergebrachten  Actien]  nur 
ein  Betrag  von  3,592.800  fl.  gedeckt 
sei.  Mittels  der  Protokolle  vom  19.  und 
20.  Januar,  beziehungsweise  auch  7.  Fe- 
bruar 1876  wurde  nun  vereinbart,  dass 
die  Staatsverwaltung  sämmtliche  Obli- 
gationen des  Prioritäts-Anlehens  in  seiner 
nunmehr  festgesetzten  Höhe  von  nom. 
7,622.000  fl.  zum  Curse  von  75°/0, 
also  um  den  Kaufpreis  von  5,716.5000. 
unter  der  Bedingung  übernimmt,  dass 
das  Actiencapital  um  den  nicht  bege- 
benen Betrag  von  nom.  590.000  fl., 
also  von  nom.  4,200.000  fl.  auf 
3,610.000  fl.  herabgemindert,  ferner  der 
Regierung  nebst  allen  herkömmlichen 
Sicherheiten  auch  vier  Stellen  im  Ver- 
waltungsrathe  der  künftigen  Gesellschaft 
und  eine  weitgehende  Einflussnahme  auf 
die  Gebarung  eingeräumt  werden,  die 
Constituirung  der  Gesellschaft  ehestens 
erfolge  u.  s.  w. 


Die  bezügliche  Gesetzesvorlage  wurde 
am  15.  Februar  1876  im  Abgeordneten- 
hause eingebracht,  jedoch  keineswegs 
mehr  so  freundlich  aufgenommen,  wie 
die  in  Betreff  des  ersten  Staatsvor- 
schusses. Den  damaligen  vereinzelten 
Gegnern  gesellten  sich  nun  viele  neue 
hinzu;  man  eiferte  gegen  den  feurigen 
Localpatriotismus,  verlangte,  dass  der 
Krankheit  »morbus  ferro viaticus«  Ein- 
halt gethan,  der  Bau  der  Seitenbahnen 
sistirt  und  die  Hauptlinie  als  Secundär- 
bahn  ausgeführt  werde,  wie  auch,  dass 
wenn  schon  der  Staat  fast  sämmtliche 
Baulasten  trage,  er  auch  der  alleinige 
Bauherr  sein  soll.  Nur  die  Beredsamkeit 
und  der  Einfluss  des  Abgeordneten 
Dr.  Herbst,  dessen  Ausspruch:  >man 
dürfe  nicht  vor  den  Thoren  der  Reichs- 
haupt- und  Residenzstadt  Eisenbahn- 
ruinen entstehen  lassen«,  schon  im  Aus- 
schusse die  Ablehnung-  der  Vorläse  ver- 
hütet  hatte,  bewahrte  sie  auch  jetzt  vor 
diesem  Lose ;  sie  wurde  nach  einer 
heftigen  Debatte  am  29.  Februar  vom 
Abgeordnetenhause  angenommen.  Das 
Herrenhaus  stimmte  diesem  Beschlüsse 
noch  knapp  vor  der  Vertagung  des 
Reichsrathes  bei,  worauf  am  12.  März 
1876  die  a.  h.  Sanctionirung  des  Ge- 
setzes erfolgte,  auf  Grund  dessen  sodann 
am  9.  Mai  1876  das  neue  Ueberein- 
kommen  mit  den  Concessionären  ab- 
geschlossen wurde. 

Nun  kam  der  Bau  auf  allen  Linien 
in  vollen  Gang;  auch  die  Constituirung 
der  Gesellschaft:  »K.  k.  priv.  nieder- 
österreichische Süd-West-Bahnen« 
mit  dem  neu  festgesetzten  Capitale  von 
nom.  11,232.000  fl.  [davon  3,610.000  fl. 
in  Actien]  fand,  wenngleich  abermals  ver- 
spätet, am  19.  October  1876  statt; 
eine  Gesundung  der  Verhältnisse  dieses 
eigenartig  zusammengefügten  Eisenbahn- 
Unternehmens  war  jedoch,  wie  sich  nur  zu 
bald  herausstellte,  noch  keineswegs  erzielt. 
Die  oben  bezifferten  Geldmittel  reichten 
nicht  aus  zur  vollkommenen  Fertigstellung 
der  Bahn  und  für  das  Mehrerfordernis 
von  621.129  fl-  konnte  die  Bedeckung 
nicht  gefunden  werden,  überdies  blieben 
auf  die  von  Privaten  gezeichneten  Actien 
Einzahlungen  in  der  Höhe  von  1 73.390  fl. 
aushaftend. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


I9I 


Unter  dem  Drucke  dieses  Deficites 
suchte  die  Gesellschaft,  nicht  ganz  eilf 
Monate  nach  ihrer  Errichtung,  neuer- 
dings Zuflucht  bei  der  Regierung,  von 
der  sie  am  7.  September  1877  die  noch- 
malige Gewährung  unmittelbarer  Staats- 
vorschüsse oder  die  Unterstützung  des 
gesellschaftlichen  Credites  durch  Ein- 
räumung   des  Vorgangsrechtes    vor    den 


zuschlagen  ihr  schon  bei  der  Be- 
rathung  des  Gesetzes  vom  12.  März  1876 
im  Abgeordnetenhause  nahegelegt  worden 
war:  sie  entschloss  sich  zur  Erwerbung 
der  Bahn  durch  den  Staat. 

Die  hierüber  geführten  Verhandlun- 
gen mit  dem  Verwaltungsrathe  gediehen 
unter  den  obwaltenden  Verhältnissen 
bald    zu  Ende.    Am    19.    October    1877 


Abb.  04.    Pola.    [Xach  einer  photographischen  Aufnahme  von  A.  Beer  in  Klagenfurt. J 


im  Staatsbesitze  befindlichen  Prioritäts- 
Obligationen  oder  allenfalls  die  Bürg- 
schaftsleistung für  eine  aufzunehmende 
schwebende  Schuld  erbat. 

Dadurch  gerieth  aber  auch  die  Re- 
gierung in  eine  unangenehme  Lage; 
denn  ebensowenig  als  sie  der  Gesell- 
schaft noch  weitere  Staatsmittel  zuwen- 
den mochte,  konnte  sie  ein  Unternehmen, 
an  welchem  der  Staatsschatz  bereits  in 
bedeutendem  Masse  betheiligt  gewesen, 
dem  ohne  ihre  Dazwischenkunft  unver- 
meidlichen Concurse  verfallen  lassen. 
Um  aus  diesem  Dilemma  herauszukommen, 
betrat  sie  nun    den  Weg,    welchen    ein- 


wurde protokollarisch  vereinbart,  dass 
die  Bahn  mit  allen  concessionsmässigen 
und  sonstigen  Rechten,  dem  gesammten 
beweglichen  und  unbeweglichen  Zugehör 
und  Vermögen,  wie  auch  sämmtlichen 
in  Händen  der  Gesellschaft  befindlichen 
Actien  an  den  Staat  übergehen  soll, 
wogegen  dieser  die  Vollendung  und 
Inbetriebsetzung  der  Bahn  übernimmt, 
in  die  mit  staatlicher  Genehmigung 
geschlossenen  Verträge  der  Gesell- 
schaft eintritt,  die  hieraus  erwachsenden 
Verbindlichkeiten  sowie  alle  sonstigen 
gesellschaftlichen  Schulden  selbst  be- 
gleichen   und    für  jede   voll    eingezahlte 


192 


Ignaz  Konta. 


Actie  eine  Baarzahlung  von  35  fl.  leisten 
soll.  Bei  diesen  Abmachungen  wurde 
die,  anlässlich  der  Concessions-Ertheilung 
von  den  Concessionären  erlegte  Caution 
von  50.000  fl.,  die  gemäss  §  3  des  Ueber- 
einkommens  vom  9.  Mai  1876  auch  zur 
Sicherstellung  der  vollständigen  Einzah- 
lung der  von  Privaten  gezeichneten  Actien 
zu  dienen  hatte,  als  verfallen  erklärt. 

Soweit  es  an  den  Actionären  gelegen 
war,  begegnete  das  Protokollar-Ueber- 
einkommen  vom  19.  October  1877  keinem 
nachhaltigen  Widerspruche.  Einzelne  be- 
klagten sich  zwar  in  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  27.  No- 
vember 1877  darüber,  dass  kein  Unter- 
schied gemacht  werde  zwischen  den- 
jenigen, welche  für  die  Actien  volle 
Baarzahlung  geleistet  oder  vollwerthiges 
Aequivalent  gegeben,  und  denjenigen, 
welche  [als  Unternehmer,  Lieferanten  etc.] 
die  Actien  »gewissermassen  nur  als  freie 
Prämie  erhalten  haben«  ;  die  Versamm- 
lung als  solche,  in  der  ja  auch  der 
staatliche  Actienbesitz  vertreten  war, 
beschloss  jedoch  die  Annahme  des  Ueber- 
einkommens,  da  auch  den  lautesten 
Opponenten  ein  Rückempfang  von  i7°/0 
der  Einzahlungen  besser  dünkte,  als  der 
unzweifelhaft  gänzliche  Verlust  im  Falle 
des  Concurses. 

Dem  Parlamente  aber  gefiel  nur  das 
Grundsätzliche  der  Vereinbarung;  der 
Einlösungspreis  für  die  Actien  schien 
ihm  hingegen  viel  zu  hoch  bemessen. 
Das  Abgeordnetenhaus,  welchem  der 
Entwurf  des  Gesetzes  über  die  Erwer- 
bung der  Niederösterreichischen  Süd- 
West-Bahnen  am  10.  November  1877 
vorgelegt  wurde,  oder  richtiger  gesagt, 
schon  der  Eisenbahn-Ausschuss  setzte  das 
Entgelt  für  die  Actien  auf  10  fl.  pro 
Stück  herab,  und  dabei  verblieb  es  auch. 
Das  Plenum  des  Abgeordnetenhauses 
erklärte  sich  am  17.  Juni  1878  mit 
diesem  Antrage  sowie  mit  der  Begrün- 
düng  desselben,  dass  nämlich  die  Actien 
auf  lange  hinaus  keine  Aussicht  auf  ein 
Erträgnis,  daher  auch  gar  keinen  Werth 
hätten,  mithin  die  10  fl.  nur  eine  Ent- 
schädigung seien  für  den  Verzicht  der 
Actionäre  auf  den  ihnen  zustehenden 
Antheil  an  der  Verwaltung  der  Bahn, 
einverstanden ;  das  Herrenhaus  trat  diesen 


Beschlüssen  am  20.  Juni  bei,  und  am 
5.  Juli  1878  erhielt  das  Gesetz,  kraft  dessen 
die  Regierung  unter  den,  wie  vorerwähnt 
geänderten  Bedingungen,  zur  Erwerbung 
der  Niederösterreichischen  Süd  -  West- 
Bahnen  ermächtigt,  wie  auch  mit  einem 
Specialcredite  von  900.000  fl.  ausgestattet 
wurde,  die  a.  h.  Sanction. 

Wegen  des  verringerten  Einlösungs- 
preises für  die  Actien  musste  die  An- 
gelegenheit nochmals  einer  Beschluss- 
fassung der  Actionäre  unterzogen  werden. 
Das  geschah  bereits  in  der  ersten  und 
zugleich  letzten  ordentlichen  General- 
versammlung vom  28.  Juni  1878  und 
endete,  trotz  heftigen  Widerstrebens  von 
Seite  einiger  *  Meistbetroffenen«,  mit  der 
Ermächtigung  des  Verwaltungsrathes 
zum  Abschlüsse  des  Uebereinkommens 
mit  der  Regierung  unter  den  Bedingun- 
gen der  neuen  Gesetze  sowie  zur  Auf- 
lösung der  Gesellschaft. 

Der  Vollzug  dieser  Beschlüsse  war 
inzwischen  überaus  dringend  geworden, 
da  immer  mehr  Schuldbeträge  fällig  und 
die  Gläubiger  der  Gesellschaft  ungedul- 
dig wurden.  Es  folgte  darum  rasch 
nach  einander:  am  20.  Juli  1878  der 
Abschluss  des  Uebereinkommens ;  am 
3.  August  1878  die  Uebergabe  der  Bahn 
an  den  Staat  und  zugleich  die  Kund- 
machung des  Handelsministeriums,  mittels 
welcher  die  Concessions-Urkunde  vom 
3.  November  1874  ausser  Kraft  ge- 
setzt, der  Bahn  die  neue  Bezeichnung 
»K.  k.  niederösterreichische  Staats- 
bahnen« gegeben  und  für  die  Ver- 
waltung eine  mit  den  Functionen  des 
bisherigen  Verwaltungsrathes  betraute 
Ministerial-Commission  errichtet  wurde, 
schliesslich  am  6.  August  1878  der  Beginn 
der  Thätigkeit  dieser  Commission  und  zu- 
gleich auch  die  letzte  Sitzung  des  Ver- 
waltungsrathes. 

Hiemit  hörte  der  vier  Jahre  hindurch 

i  künstlich    aufrechterhaltene  Bestand    der 

:  Bahn  als  Privatunternehmen  auf,  und 
begann  ihr  Dasein  als  das,  was  sie  durch 

!  die  Natur  des  überwiegend  grössten 
Theiles  ihres  Anlage-Capitals  und  die 
staatliche  Einflussnahme  auf  ihre  Grün- 
dung und  Ausführung    eigentlich    schon 

\  vom    Anbeginne    gewesen,    nämlich    als 

i  Staatsbahn. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


'93 


Abb.  05.    Klattau.     [Pilsen-Eisenstein.] 


Die  nachträgliche  Umwandlung- legte 
übrigens  dem  Staatsschatze  keineswegs 
grössere  Opfer  auf,  als  wenn  die  Bahn 
gleich  ursprünglich  und  ausschliesslich 
auf  seine  Kosten  in  Angriff  genommen 
worden  wäre ;  denn  die  Erwerbung  und 
Vollendung  der  I54"i79#w  langen  Bahn 
kam  der  Staatsverwaltung  auf  insgesammt 
baar  9,100.000  fl.  zu  stehen,  d.  i.  59.050  fl. 
pro  Kilometer,  während  der  Bau  und  die 
Ausrüstung  effectiv  9,210.590  fl.,  oder 
59.740  fl.  pro  Kilometer,  gekostet  und 
andere  Bahnen  ähnlicher  Art  einen  Auf- 
wand von  durchschnittlich  63.800  fl.  er- 
fordert haben. 

Der  neue  Eigenthümer  der  Bahn  und 
die  von  ihm  eingesetzte  Verwaltung  der- 
selben fanden  schon  alle  Linien  im  Be- 
triebe stehend  vor;  es  wurden  nämlich 
eröffnet : 

Leobersdorf-Kaumberg,  31-6  £in,  1  September 

l877-  .    "     „ 

Leobersdorf-Gutenstein,  32-8  km,  1.  September 

1877. 

Kaumberg-St.  Polten, 438  km,  3.  October  1877. 

Pöchlarn-Kienberg  [Gaming],  376 km,  22.  Oc- 
tober 1877. 

Scheibmühl-Schrambach,  84km,  I.Juni  1878. 

Die  Nacharbeiten  für  die  gänzliche 
Vollendung  und  Ausrüstung  der  Bahn, 
wie  nicht  minder  die  Abrechnungen  mit 
den  Unternehmern  und  die  Austragung 
der  mitunter  sehr  verwickelten  Grund- 
einlösungs- Angelegenheiten,  gaben  jedoch 
der  Ministerial-Commission  noch  genug 
zu  schaffen.  Die  Einlösung  der  Actien 
und  sohin  auch  die  Liquidation  der  Ge- 
sellschaft war  erst  mit  Ablauf  des  Jahres 
1881   beendet. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.   Band,  2.  Theil. 


Zum  Director  der  Bahn  ernannte  die 
Ministerial-Commission  alsbald  nach  dem 
Beginne  ihrer  Wirksamkeit  den  Betriebs- 
leiter der  Xiederösterreichischen  Süd-West- 
Bahnen,  Karl  Z  e  i  n  e  r,  der  voll  treuer 
Pflichterfüllung  auf  diesem  Posten  ver- 
blieb, bis  die  Bahn  im  Jahre  1882  in  die 
Verwaltung  der  damals  errichteten  »k.  k. 
Direction  für  Staatseisenbahn-Betrieb  in 
Wien«   überging. 

Die  Hauptlinie  Leobersdorf-St. 
Polten  zweigt  in  der  Südbahnstation 
Leobersdorf  in  südwestlicher  Richtung  ab, 
umfährt,  sich  nach  Nordwesten  wendend, 
den  Ort  Leobersdorf  und  führt  in  dieser 
Richtung  im  Thale  der  Triesting,  diesen  Fluss 
fünfmal  übersetzend,  zu  den  Stationen:  En- 
zesfeld,  St.  Veit  a.  d.  Triesting,  Triesting- 
hof,  Berndorf,  Pottenstein  a.  d.  Triesting, 
Weissenbach  a.  d.  Triesting,  Altenmarkt- 
Thenneberg  und  Kaumberg.  Unmittelbar  hinter 
der  Station  Kaumberg  beginnt  die  Bahn  mit 
25°/00  zur  Wasserscheide  der  Triesting  und 
Gölsen  emporzusteigen,  welche  sie  unmittel- 
bar vor  der  Ausweichstation  Gerichtsberg 
mit  einem  169  in  langen  Tunnel  [Seehöhe 
56628  m]  unterfährt.  Von  Gerichtsberg  fällt 
die  Bahn  mit  25°/00  in  das  Thal  der  Gölsen 
bis  zur  Station  Hainfeld.  Von  hier  aus  führt 
die  Trace  im  Thale  der  Gölsen  und  Traisen 
zu  den  Stationen  St.  Veit  a.  d.  Gölsen,  Scheib- 
mühl,  Wilhelmsburg  und  mündet  sodann  in 
St.  Polten  in  die  Elisabeth-Bahn  ein.  Vor  der 
Station  Wilhelmsburg  wird  der  Traisenfluss 
übersetzt. 

Die  Linie  Scheibmühl-Schrambach 
zweigt  in  der  Station  Scheibmühl  von  der 
Hauptlinie  Leobersdorf-St.  Polten  in  südöst- 
licher Richtung  ab,  wendet  sich  dann  nach 
Südwesten  und  steigt,  den  Gölsentiuss  mit 
einer  Brücke  übersetzend,  im  Thale  der 
Traisen  bis  Schrambach.  Ausser  der  letzt- 
genannten Station  zählt  diese  Linie  noch  die 
Haltestellen  Traisen  und  Marktl,  Stangenthal 
und  die  Station  Lilienfeld.  [Abb.  99.] 

13 


i94 


Ignaz  Konta. 


Die  Linie  Leobersdorf-Gutenstein 
zweigt  von  der  Hauptbahn  Leobersdorf-St. 
Polten  in  der  currenten  Strecke  [bei  Wittmanns- 
dorf] in  südlicher  Richtung  ab,  erreicht  bei 
Steinabrückl  das  Thal  des  Kalten  Ganges  und 
führt,  sich  westwärts  wendend,  in  diesem 
Thale,  den  Kalten  Gang  mit  Brücken  neunmal 
übersetzend,  zu  den  Stationen:  Wöllersdorf, 
Piesting,Ober-Piesting,Waldegg,Oed,Pernitz- 
Muckendorfund Gutenstein.  [Abb.  ioound  101.] 

Die  Linie  Pöc  hlarn-Kienberg  führt 
von  der  Station  Pöchlarn  der  Elisabeth-Bahn 
vorerst  in  westlicher  Richtung  und  auf 
etwa  l-2  km  Länge  auf  gemeinschaftlichem 
Bahnkörper  mit  der  Elisabeth-Bahn,  wendet 
sich  dann  nach  Süden  und  führt  im  Thale 
der  grossen  Erlauf  zu  den  Stationen :  Erlauf, 
Wieselburg  a.  d.  Erlauf,  Purgstall,  Scheibbs, 
Neubruck  und  Kienberg-Gaming.  Hinter  der 
Station  Erlauf  wird  der  Erlauffluss  und  hinter 
der  Station  Wieselburg  der  kleine  Erlauffluss 
übersetzt.  [Abb.  102.] 


Noch  eine  andere  Privatbahn,  be- 
ziehungsweise die  Strecke  einer  solchen, 
deren  Inangriffnahme  die  Regierung 
durch  einen  Staatsvorschuss  zu  bewirken 
gedachte,  war  die  Linie  Rakonitz- 
P  r  o  t  i  v  i  n,  die  aber  noch,  bevor  es  zu 
dieser  Hilfeleistung  kam,  die  Meta- 
morphose zur  Staatsbahn  durchmachte. 

Die  Linie  Rakonitz-Protivin  lag  mitten 
in  der  grossen,  »Böhmische  Südwestbahn c 
benannten  Eisenbahn  Liebenau  -  Kusch- 
warda  [nebst  Abzweigung],  welche  mehrere 
Projecte  verwirklichen  sollte,  die  theils 
als  eigene  Unternehmungen,  theils  als 
Ergänzungen  bestehender  Bahnen,  schon 
seit  dem  Jahre  1868  geplant  und  um- 
worben waren,  nun  aber  vom  Handels- 
ministerium zu  einem  einheitlichen  Ganzen 
zusammengefasst  und  als  solches  ver- 
meintlich sichergestellt  wurden. 

Zu  letzterem  Zwecke  hatte  die  Re- 
gierung am  22.  März  1872  dem  Abge- 
ordnetenhause einen  Gesetzentwurf  vor- 
gelegt, der  zwar  gerade  deshalb,  weil  er 
die  vielseits  gewünschte  Vertheilung  der 
einzelnen  Strecken  der  Böhmischen  Süd- 
westbahn an  die  nachbarlichen  Bahnen 
ausschloss,  auf  erhebliche  Gegnerschaft 
stiess,  trotzdem  aber,  infolge  der 
eindringlichen  Fürsprache  des  Handels- 
ministers Dr.  Banhans  für  die  einheitliche 
Vergebung  des  ganzen  Netzes  [15.  Juni 
1872],  vom  Reichsrathe  angenommen 
wurde,  sodann  am  28.  Juni  1872  die 
a.  h.  Sanction  erhielt  und  auch  die  Grund- 


I  läge  der  Concession  bildete,  welche  — 
j  nachdem  keine  der  Nachbarbahnen  sich 
i  um  das  ganze  Netz  bewerben  mochte  — 
am  8.  October  1872  den  vereinigten 
Consortien  des  Fürsten  Johann  Adolf 
Schwarzenberg  und  des  Grafen  Edmund 
Hart  ig  verliehen  wurde. 

Diese  Concession  galt  für  die  Eisen- 
bahn von  Liebenau  über  Böhmisch-Leipa, 
Leitmeritz,  Postelberg,  R  a  k  o  n  i  t  z,  Beraun, 
Pfibram,  Bresnic  und  Pisek  zum  Anschlüsse 
an  die  Kaiser  Franz  Josef- Bahn  in  Ra/ic 
oder  Protivin,  nebst  Flügelbahnen  von 
Postelberg  nach  Komotau,  von  Reichstadt 
oder  Böhmisch-Leipa  in  der  Richtung  über 
Zwickau  und  Gabel  gegen  Zittau,  und 
von  Bresnic  über  Strakonitz,  Wollin  und 
Winterberg  bis  an  die  bayerische  Grenze 
bei  Kuschwarda  mit  der  Richtung  gegen 
Passau ;  sie  gewährte  diesem  Netze  eine 
zehnjährige  Steuerfreiheit,  verpflichtete 
die  Concessionäre  den  Bau  binnen  sechs 
Monaten  zu  beginnen,  sodann  bis  längstens 
8.  October  1877  zu  vollenden,  und  für  die 
Erfüllung  dieser  Verpflichtung  durch  den 
Erlag  einer  Caution  von  500.000  fl.  Sicher- 
stellung zu  leisten.  Schon  früher,  nämlich 
in  dem  Concessionirungs-Protokolle  vom 
6.  September  1872,  hatte  das  Handels- 
ministerium, entsprechend  den  bei  der 
Berathung  des  vorbezeichneten  Gesetzes 
im  Abgeordnetenhause  laut  gewordenen 
Verlangen,  die  Bestimmung  getroffen,  dass 
diejenigen  Strecken,  welche  in  den  von 
der  Ueberschwemmung  [Mai  1872]  heim- 
gesuchten Gegenden  liegen,  bezüglich  der 
Reihenfolge  der  Bauführungen  vorzugs- 
weise zu  berücksichtigen  seien.  Zu  diesen 
Strecken  zählte  vornehmlich  jene  von 
Beraun  nach  Rakonitz. 

Der  Ausbruch  der  wirthschaftlichen 
Krisis  vereitelte  jedoch  die  Geldbe- 
schaffung auch  für  diese  blos  mit  einer 
überdies  nur  kurzen  Steuerfreiheit  aus- 
gestattete Eisenbahn.  Die  Concessionäre 
sahen  die  Unmöglichkeit,  den  Bau  ohne 
staatliche  Unterstützung  auszuführen, 
schon  im  Sommer  1873  ein,  und  erbaten 
sich  einen  Vorschuss  von  3,000.000  fl. 
zur  Inangriffnahme  der  Theilstrecke  Zditz- 
Pfibram,  wurden  aber  abgewiesen.  So- 
dann machte  die  fortwährend  zunehmende 
Verschlechterung  des  Geldmarktes  das  Zu- 
standekommen der  Bahn  immer  fraglicher. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


195 


Aus  diesem  Anlasse  erhoben  sich 
Stimmen  gegen  die  Regierung,  weil  sie 
der  stückweisen  Vergebung  der  neuen 
Bahn  an  die  bestehenden  Nachbarbahnen 
widerstrebt  hatte.  Diese  Vorwürfe  waren 
jedoch  sehr  unzutreffende ;  denn  die  hiebei 
zunächst  in  Betracht  kommenden  nach- 
barlichen Unternehmungen,  nämlich  die 
Buschtöhrader  und  die  Pilsen- Priesener 
Bahn,  waren  zu  jener  Zeit  selbst  nicht 
im  Stande,  die  ihnen  bereits  obgelegenen 
concessionsmässigen  Verpflichtungen  zu 
erfüllen  [siehe  Falkenau  -  Graslitz  und 
Pilsen-Eisenstein]  und  würden  dies  hin- 
sichtlich    der     ihnen     etwa     neu    zuge- 


befriedigenden  Ergebnisse  führten,  ist  bis 
heute  noch  nicht  recht  bekannt  geworden 
Die  Freunde  der  Gesellschaft  lobten  es, 
dass  der  Verwaltungsrath,  unter  den 
schwierigen  finanziellen  Verhältnissen, 
dem  alten  Netze  nicht  neue  Lasten  auf- 
bürden wollte  für  eine  Linie,  »deren  Er- 
tragsfähigkeit ungewiss  erscheine  und 
zum  bedeutenden  Theile  jener  der  Linie 
Gmünd  -  Prag  Abbruch  thun  würde«  ; 
Andere  hingegen  setzten  die  Zurück- 
haltung auf  Rechnung  der  persönlichen 
Beziehungen  massgebender  Mitglieder  des 
Verwaltungsrathes  zu  den  Concessionären 
der  Böhmischen  Südwestbahn. 


Abb.  96.    Montirung  der  Eisenbahnbriicke  über  den  Angelfluss  bei  Roth-Pofiö.     [Pilsen-Eisenstein." 


wachsenen  Baustrecken  noch  weniger 
vermocht  haben.  Die  Böhmische  West- 
bahn aber,  die  mit  den  Concessionären 
enge  verbunden  und,  durch  die  Theil- 
nahme  an  den  Verhandlungen,  wie  auch 
durch  die  Mitfertigung  des  Protokolles 
vom  6.  September  1872,  ein  besonderes 
Interesse  an  der  Böhmischen  Südwestbahn 
zu  nehmen  schien,  ging  jetzt  der  Sache 
ganz  aus  dem  Wege. 

Die  Regierung  hielt  sich  denn  auch 
nicht  an  jene  Controverse,  sondern  viel- 
mehr an  die  Nothvvendigkeit,  den  Bau 
wenigstens  in  den  von  den  Hochwasser- 
schäden betroffenen  Bezirken  ehestens  zu 
beginnen,  als  sie  wegen  der  Herstellung 
und  Angliederung  der  Strecke  Rakonitz- 
Protivin  an  die  Kaiser  Franz  Josef-Bahn 
im  Januar  1874  mit  dem  Verwaltungs- 
rathe  der  letzteren  Verhandlungen  an- 
knüpfte.    Warum    dieselben    zu    keinem 


Angesichts  der  Fruchtlosigkeit  jener 
Anknüpfungen  verhandelte  die  Regierung 
nun  wieder  mit  den  letztgedachten  Con- 
cessionären; es  kam  am  21.  Januar 
1874  eine  Vereinbarung  zustande,  wonach 
die  Staatsverwaltung  zum  Zwecke  des 
sofortigen  Beginnes  und  der  Durchführung 
der  Strecke  Rakonitz-Protivin  einen  unver- 
zinslichen Baarvorschuss  von  8,000.000  fl. 
gewähren  und  hiefür  Actien  der  zu  er- 
richtenden Gesellschaft  zum  vollen  Nenn- 
werthe  in  Zahlung  nehmen  sollte,  die  Con- 
cessionäre  hingegen  sich  verpflichteten,  den 
Bau  gleich  nach  Erhalt  der  Baubewilligung 
zu  beginnen  und  binnen  längstens  2  l/a  Jah- 
ren zu  vollenden,  wie  auch  die  Gesellschaft 
ehestens,  und  zwar  spätestens  binnen  sechs 
Monaten,  zu  errichten.  Der  Haftung  hiefür, 
welche  übrigens  keine  persönliche  sein 
sollte,  lag  die  Voraussetzung  zugrunde, 
dass  es  gelingen  werde,  die  Prioritäts-Obli- 

13* 


iq6 


Ignaz  Konta. 


gationen  in  einem  entsprechenden  Zeit- 
räume zum  Curse  von  mindestens  8o°/0 
zu  begeben.  In  dem  Protokolle  vom 
gleichen  Datum  wurde  das  effective  Bau- 
capital  für  die  ganze  20"3  Meilen  lange 
Strecke  mit  18,000.000  fl.  bemessen. 

Die  Vereinbarung  und  der  Gesetz- 
entwurf in  Betreff  des  definitiven  Ab- 
schlusses desselben  wurden  am  10.  Fe- 
bruar 1874  im  Abgeordnetenhause  ein- 
gebracht, jedoch  gleich  im  Eisenbahn- 
Ausschusse  wesentlich  abgeändert.  Dieser 
verlangte  nämlich  weitgehendere  Cautelen 
und  Bedingungen  für  die  Ausführung  der 
Bahn,  beziehungsweise  den  Bau  auf 
Staatskosten,  woraufhin  die  Regierung 
—  nachdem  die  Concessionäre  bei  einer 
mit  ihnen  nochmals  gepflogenen  Ver- 
handlung erklärt  hatten,  die  neuen  Be- 
dingungen nicht  annehmen  zu  können, 
vielmehr  auf  die  Concession  zu  ver- 
zichten —  einen  den  Staatsbau  be- 
zweckenden neuen  Gesetzentwurf  un- 
mittelbar dem  Eisenbahn- Ausschusse  vor- 
legte, von  wo  aus  er  befürwortet  an  das 
Abgeordnetenhaus  gelangte. 

In  ihrer  neuen  Fassung  lautete  die 
Vorlage  dahin,  dass  die  Linie  Rakonitz- 
Protivin  auf  Staatskosten  erbaut  und 
zu  diesem  Zwecke  der  Regierung  ein 
Credit  von  8,000.000  fl.  pro  1874  aus 
dem  Nothstands-Anlehen  eröffnet  werden 
solle,  dass  ferner  die  von  den  Concessio- 
nären  gedeckten  Vorauslagen  und  be- 
schafften Materialien  für  diese  Linie  im 
Schätzungswerthe  vergütet  werden  dürfen, 
und  dass  die  Concession  vom  8.  October 
1872  für  erloschen  erklärt  werde,  jedoch 
unter  Einräumung  des  Vorrechtes  auf 
alle  darin  bezeichneten  Linien  an  die  bis- 
herigen Concessionäre  auf  die  Dauer 
von  zwei  Jahren.  Das  Abgeordnetenhaus 
nahm  am  29.  April  1874  den  Gesetz- 
entwurf an  und  beschloss  zugleich  die 
Resolution :  Es  mögen  vor  Allem  die 
Theilstrecken  Rakonitz-Beraun  und  Zditz- 
Pfibram  in  Bau  genommen  werden.  Das 
Herrenhaus  sprach  am  5.  Mai  1874  seine 
Zustimmung  aus  und  die  a.  h.  Sanction 
erhielt  das  Gesetz  am   16.  Mai  1874. 

Auf  diese  Weise  also  geschah  es, 
dass  auch  die  Linie  Rakonitz-Protivin  auf 
Staatskosten  gebaut  wurde  und,  nach- 
dem   weder    die    früheren  Concessionäre 


von  ihrem  Vorrechte  Gebrauch  gemacht, 
noch  andere  Bewerber  sich  eingestellt 
hatten,  eine  staatliche  Linie  blieb. 

Die  Vergebung  des  Baues  erfolgte 
im  Offertwege  am  II.  Juni  1874;  Er- 
steher desselben  blieb,  gegen  einen 
Pauschalbetrag  von  11,373.000  fl.,  Karl 
Freiherr  von  Schwarz,  der  die  Ausführung 
an  die  Unternehmung  J.  Muzika  &  Comp, 
übertrug.  Schienen,  Schwellen,  Fahrbe- 
triebsmittel etc.  hatte  die  Staatsverwaltung 
selbst  beschafft.  Der  Bauconsens  wurde 
am  13.  Juni  ertheilt  und  hernach  der  Bau 
sofort  begonnen;  als  Vollendungstermin 
war  der  25.  December  1876  festgesetzt. 
Trotz  der  durch  neuerliche  Elementar- 
ereignisse verursachten  Schäden  und 
Störungen  ist  jedoch  die  ioi-6  km  lange 
Strecke  Zditz-Protivin  schon  am  20.  De- 
cember 1875  und  die  42  km  lange  Strecke 
Rakonitz-Beraunam30.  April  i87Ödem 
Betriebe  übergeben  worden.  Die  9/2  km 
lange  Zwischenstrecke  Beraun-Zditz  ge- 
langte nicht  zur  Ausführung,  vielmehr 
statt  derselben  die  gleiche  Strecke  der 
Böhmischen  Westbahn  in  Mitbenützung, 
wofür  die  Staatsverwaltung  auf  die  Dauer 
des  bezüglichen  Vertrages  vom  6.,  respec- 
tive  13.  Mai  1876  an  die  genannte  Ge- 
sellschaft nebst  einem  Präcipuum  von 
10.000  fl.  einen  —  nach  dem  Verhältnis  der 
von  beiden  Bahnen  in  dieser  Strecke  ge- 
führten Achsen  ermittelten  —  jährlichen 
Beitrag  zu  den  Kosten  der  Capital  s- 
Verzinsung  sowie  der  Bahnerhaltung 
und  Bewachung  zu  leisten  hatte.  Die 
hiedurch  in  Wegfall  gekommenen,  mit 
500.000  fl.  veranschlagt  gewesenen  Bau- 
kosten der  genannten  Zwischenstrecke  er- 
höhten das  Ersparnis  an  Capital  auf  rund 
1 ,000.000  fl. ;  die  Anlagekosten  betrugen 
nämlich  im  Ganzen  nur   16,021.623  A- 

Den  Betrieb  führte  nicht  die  Staats- 
verwaltung selbst ;  er  wurde,  da  keine 
der  Nachbarbahnen  diesfalls  annehmbare 
Bedingungen  stellte,  zuerst  der  weit- 
abliegenden Dux-Bodenbacher  Bahn,  um 
deren  Sanirung  das  Ministerium  damals 
bemüht  war,  sodann  vom  I.Januar  1877 
an,  der  Aussig-Teplitzer  Bahn,  in  welche 
die  Dux  -  Bodenbacher  Bahn  aufgehen 
sollte  und,  nachdem  die  letztere  wieder 
selbständig  geblieben,  schliesslich  mittels 
Vertrages    vom    26.    Februar    1877    [ab 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


197 


1.  März  1877]  der  Böhmischen  Westbahn 
übertragen,  welche  ihn,  bis  zu  seiner  am 
1.  Januar  1884  erfolgten  Uebernahme  in 
die  Staatsregie,  für  Rechnung  des  Staates 
führte,  und  zwar  lediglich  gegen  Ver- 
gütung der  Selbstkosten  und  einen  im 
Verhältnisse  der  beiderseits  zurückge- 
legten Zugskilometer  stehenden  Beitrag 
zu  den  Verwaltungsspesen.  Für  die 
Dauer  dieses  Vertrages  wurde  jener 
vom  6.,  respective  13.  Mai  1876  ausser 
Kraft  gesetzt. 


Wasserregulirungen  wechseln  rasch  ab  und 
verursachten  vielfache  Bauschwierigkeiten. 
Die  Richtung  nach  Süden  nehmend,  passirt 
die  Trace  unmittelbar  bei  Stadtl  den  217  in 
langen  Bassa-Tunnel,  gleich  darnach  den 
154  in  langen  Königsteig-Tunnel  und  etwa 
600  in  weiter  den  235  m  langen  Buda-Tunnel, 
vor  welchem  auf  freier  Bahn  die  Haltestelle 
»Burg  Pürglitz«  errichtet  wurde  In  der 
gleichen  Richtung  weiterziehend,  führt  die 
Trace,  in  die  steil  abfallende  Felslehne 
eingeschnitten,  zur  Einmündung  des  Ra- 
konitzbaches  in  den  Beraunnuss.  Das 
Thal  wird  mittels  eines  hohen  und  langen 
Steindammes,    der  Fluss  mittels  einer  150  in 


Abb.  97.    Südportal  des  Tunnels  bei  Lindenbammer.     [Strecke  Falkenau-Graslitz.] 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Franz  Sommer.] 


Die  Rakonitz-Protiviner  Bahn,  be- 
stehend aus  den  zwei  nicht  zusammenhän- 
genden, aber  durch  das  zur  Böhmischen 
Westbahn  gehörige  Zwischenstück  [Beraun- 
Zditz]  mit  einander  verbundenen  Strecken 
Rakonitz-Beraun  undZditz-Proti vin, 
nimmt  ihren  Ausgang  von  Rakonitz  und  zieht 
an  den  Thalgehängen  des  gleichnamigen 
Baches  in  südöstlicher  Richtung  und  im  Gefälle 
gegen  Stadtl,  auf  diesem  Wege  den  Rakonitz- 
bach  viermal  übersetzend.  Die  zahlreichen 
Windungen  dieses  Baches  erforderten  scharfe 
Biegungen  der  Trace  und  bedingten  überdies 
die  Anlage  eines  80  m  langen  Tunnels  bei 
dem  Dorfe  Chlum  sowie  zahlreiche  Regu- 
lirungen des  Baches.  Von  Stadtl  ange- 
fangen ist  das  Thal  vielfach  gewunden, 
sehr  enge  und  von  steilen  Lehnen  einge- 
schlossen. Tunnels,  hohe  Dämme,  Bach-  und 


weiten  und  in  einem  Radius  von  375  in  ge- 
legten Eisenbrücke  übersetzt  und  hernach 
die  Station  Pürglitz  erreicht.  Dem  nach 
Norden  gewendeten  Beraunthale  folgend, 
führt  die  Trace  nun  in  stetigem  Gefälle 
und  nach  Passirung  des  32  m  langen 
Stfibrny- Tunnels  in  die  Station  Zbeöno, 
vor  welcher  sie  aus  der  nördlichen  in 
die  südliche  Richtung  gelangt.  Nach  Durch- 
fahrung eines  langen  und  tiefen  Ein- 
schnittes wieder  die  südöstliche  Richtung 
gewinnend,  übersetzt  die  Bahn,  in  un- 
mittelbarer Nähe  des  Ortes  Zloukovic, 
mit  einer  150  in  langen  eisernen  Gitter- 
brücke,  auf  das  linke  Flussufer,  woselbst 
sie  Neuhütten  erreicht.  Von  da  aus  mit 
sanftem  Gefälle  in  dem  sich  immer  mehr 
erbreiternden  Beraunthale  südostwärts  weiter- 
gehend,    gelangt     die     Trace     zur    Station 


198 


Ignaz  Konta. 


Althütten  und  dann,  sich  vom  Flusse 
entfernend,  auf  bedeutenden  Dämmen 
und  durch  tiefe  Einschnitte  in  südlicher 
Richtung  zur  Stadt  Beraun,  die  sie  im 
weiten  Bogen  umfährt,  um  wieder  an  das 
Ufer  und  nach  Uebersetzung  des  Flusses 
in  die  Station  Beraun  der  Böhmischen  West- 
bahn zu  gelangen. 

Der  südliche  Theil  der  Bahn  führt  von 
der  Station  Zditz  die  Litava  entlang  in  das 
interessante  Brdy-Gebirge,  das  sie  fast  genau 
in  südlicher  Richtung  durchschneidend,  erst 
hinter  Pribram  wieder  verlässt.  Ueber  Lo- 
howitz,  dann  durch  die  als  Fundgrube  von 
Petrefacten  bekannt  gewordenen  Einschnitte 
bei  der  Station  Jinec,  gelangt  die  Bahn 
zur  altberühmten  Bergstadt  Pribram.  Von 
Pribram  aus  zieht  die  Trace,  unter  Passi- 
rung  des  I  km  langen  Broder  Einschnittes, 
der  Wasserscheide  des  Litava-  und  Vlcava- 
Gebietes  entgegen,  wo  zugleich  in  einem 
7  in  tiefen  Satteleinschnitte  der  höchste 
Punkt  der  Bahn  [558  111  über  dem  Meeres- 
spiegel] erreicht  wird.  Aus  dem  sich  gegen 
Süden  öffnenden  Einschnitte  tritt  die  Bahn 
in  die  Region  des  böhmisch -mährischen 
Plateaus,  das  an  das  eben  verlassene  Brdy- 
Gebirge  anschliesst.  Das  plötzliche  Abfallen 
des  Terrains  bedingte  hier  die  Anbringung 
einer  langen  Schleife,  in  welcher  die  Station 
Milin  liegt.  Von  hier  aus  fällt  die  Bahn  bis 
zur  Station  Tochowic  und  zieht  in  gerader 
südwestlicher  Richtung  gegen  Poiic,  um  mit 
einer  neuerlichen  Steigung  einen  Bergrücken 
zu  gewinnen,  und  dann,  nach  der  in  be- 
deutender Höhe  ausgeführten  Uebersetzung 
der  Vlcawa  auf  deren  östliches  Ufer  ab- 
fallend, in  die  Station  Bfesnic  zu  gelangen. 
Ab  Bfesnic  gewinnt  die  Bahn  wieder 
den  Charakter  einer  Thalbahn;  sie  führt 
in  starkem  Gefälle  gegen  den  Badeort  Gut- 
wasser, wendet  sich  an  der  Ruine  Hradek 
gegen  Südosten,  übersetzt  wieder  die  Vleava 
mittels     einer     eisernen     Gitterbrücke     und 

felangt  durch  tiefe  Einschnitte  und  über 
ohe  Dämme  zur  Station  Mirowic  und  von 
da,  stets  am  rechten  Ufer  der  Vleava  [hier 
Skalice  genannt],  zur  Station  Cimelic.  Hinter 
Cimelic  verlässt  die  Bahn  das  Gebiet  der 
Vleava,  führt  in  südlicher  Richtung  durch 
dichte  Waldbestände  in  den  Bereich  des 
Lomnitzbaches,  passirt  die  Station  Vrä2  und 
hinter  derselben  die  seeundäre  Wasser- 
scheide zwischen  dem  Wotava-  und  Lomnitz- 
bach-Gebiete  und  tritt  nach  Passirung  der 
Station  CiSovä  in  die  Thalerbreiterung  der 
Wotava  ein,  wo  der  Fluss  mit  einer  120  m 
weiten  Eisenbrücke  übersetzt  wird,  um  in 
die  eigentliche  Station  Pisek  zu  gelangen. 
Hier  kommt  die  Trace  in  das  Gebiet  des 
Blanitzflusses,  berührt,  etwas  gewendet,  die 
Station  Putim,  dreht  sich  dann  nach  Süd- 
osten, übersetzt  den  Blanitzfluss  und  den 
Blanitzarm  mittels  Eisenbrücken  und  gewinnt 
dann  mit  einerlangen,  über  eine  ausgedehnte 
Wiesenfläche  dahinziehenden  Geraden  die 
Station  Protivin.  [Abb.  103  und  104] 


Als  das  letzte  der  aus  den  Regierungs- 
Vorlagen  vom  10.  Februar  1874  hervor- 
gegangenen thatsächlichen  Ergebnisse  für 
die  Vermehrung  der.  österreichischen 
Schienenwege,  ist  der  auf  Staatskosten 
unternommene  Bahnbau  in  Dal- 
matien  anzuführen,  der,  wenngleich  nur 
von  geringer  Ausdehnung  und  darum  die 
alten  Pläne  nur  in  bescheidenem  Masse 
verwirklichend,  dennoch  besondere  Wür- 
digung verdient,  weil  bis  dahin  Dalmatien 
das  einzige  »eisenbahnlose«  Land  der 
ganzen  Monarchie  gewesen. 

Die  ersten  Anregungen  zu  Eisenbahn - 
Anlagen  in  Dalmatien  reichen  bis  in 
die  Anfangsperiode  unseres  Bahnwesens 
zurück  und  gingen,  in  Rücksichtnahme 
auf  Fiume,  von  den  ungarischen  Behörden 
und  Landtagen  [1843  und  1847/48]  aus. 
Mitte  der  Fünfziger-Jahre  und  seitdem 
noch  lange  Zeit  machten  die  genannte 
Hafenstadt  sowie  die  dortige  Handels- 
kammer mannigfache  Anstrengungen  um 
die  Zustandebringung  einer  Eisenbahn- 
Verbindung  mit  Dalmatien.  Zu  Ende  des 
Jahres  1861  projeetirte  auch  der  Engländer 
Charles  Boyd  eine  von  Triest  über  Fiume 
nach  Zara  und  von  da  durch  ganz  Dal- 
matien bis  Cattaro  führende  Schienen- 
strasse  mit  Fortsetzungen  nach  Belgrad 
etc.,  erhielt  aber  nicht  die  Bewilligung 
zu  den  Vorarbeiten. 

Im  Lande  selbst  beschäftigte  sich 
zuerst  der  Bürgermeister  von  Spalato, 
Dr.  Anton  Bajamonti,  mit  der  Angelegen- 
heit; er  projeetirte  im  Jahre  1862  eine, 
laut  seines  damals  veröffentlichten  Pro- 
memorias,  von  Spalato  aus,  Dalmatien  in 
der  mittleren  Breite  durchschneidende 
Linie  an  die  bosnische  Grenze  gegen 
Livno  [und  Fortsetzung  bis  Belgrad]  und 
erhielt  am  10.  December  1862  die  be- 
zügliche Vorconcession.  Ihm  folgten  :  die 
Stadtgemeinde  Zara  mit  dem  Projecte 
Zara-Knin  [-Bosnien]  -Esseg  und  die  Han- 
delskammer von  Spalato  mit  dem  Pro- 
jecte Spalato-Knin  [Vorconcession  12.  Juni 
1864]. 

Begreiflicherweise  fanden  diese  Bestre- 
bungen die  wärmste  Theilnahme  und  Be- 
fürwortung; der  wiederholt  kundgegebene 
einmüthige  Wunsch  der  Landesvertretung 
sowie  der  bedeutendsten  Gemeinden  und 
Körperschaften  des  Landes,  Hess  das  Zu- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


199 


standekommen  der  Bahn  als 
ein  wahres  Bedürfnis  er- 
kennen. Dies  war  noch  mehr 
und  auch  vom  Standpunkte 
des  Gesammtreiches  der  Fall, 
nachdem  die  Ereignisse  des 
Jahres  1866,  gleichwie  bezüg- 
lich Istriens  auch  hier  den 
Mangel  einer  Eisenbahn- 
Verbindung  empfindsam  vor 
Augen  führten. 

Die  Regierung  entschloss 
sich  demnach  zur  Verwirk- 
lichung der  dalmatinischen 
Bahnprojecte  dadurch  beizu- 
tragen, dass  sie  die  tech- 
nischen Vorarbeiten  auf  Ko- 
sten des  Staates  bewerkstel- 
ligen und  noch  im  Jahre  1866 
mit  den  Höhenmessungen 
beginnen  Hess.  Diese  Pro- 
jectsarbeiten  wurden  im  Jahre 
1 869  beendet.Währenddessen 
tauchten  übrigens  von  pri- 
vater Seite  neue  Projecte  auf, 
so  namentlich  jene  des  Gra- 
fen Eugen  Zichy  und  des 
Engländers  Ralph  Earle,  von 
denen  das  erstere  die  Linie 
von  Pest  über  Neusatz  durch 
die  Militärgrenze  bis  Spalato, 
das  zweite  hingegen  ein 
ganzes  dalmatinisches  Bahn- 
netz zum  Gegenstande  hatte 
[1868],  ferner  dasjenige  der  Gebrüder 
Pongratz  für  die  Linie  Barcs-Xovi- 
Knin-Dernis-Spalato  und  das  von  Stefan 
Türr  auch  in  seiner  Denkschrift  über 
die  Verbindung  des  ungarischen  Donau- 
thales  mit  der  Adria  vertretene  Project 
einer  Eisenbahn  von  Essegg  über  Brod 
nach  Bosnien  und  Dalmatien  bis  Spalato, 
Sebenico  und  Zara  [1869]. 

Ein  zweites  Mal  legte  die  Regierung 
ihr  Interesse  an  die  dalmatinischen  Bahnen 
dadurch  offen  an  den  Tag,  dass  sie  in 
ihre,  die  Vervollständigung  des  öster- 
reichischen Eisenbahnnetzes  bezweckende 
Gesetzesvorlage  vom  13.  März  1869  auch 
eine  Bahn  von  Spalato  über  Knin  in  der 
Richtung  gegen  Krain  aufnahm  und  zur 
Begründung  dieses  Vorschlages  hervorhob, 
wie  nothwendig  es  sei,  Dalmatien  mittels 
einer  Schienenstrasse  enger  an  das  Innere 


Abb.  98.    Brücke  über  die  Zwodau  bei  Lindenhammer. 

[Strecke  Falkenau-Graslitz.     [Nach  einer  photographischen   Aufnahme 

von  Franz  Sommer.] 


der  Monarchie  zu  knüpfen.  Diese  Vorlage 
hatte,  obwohl  sie  schon  am  29.  April 
1869  wieder  zurückgezogen  wurde,  nicht 
verfehlt,  die  öffentliche  Aufmerksamkeit 
von  Neuem  für  die  »Einbeziehung  Dal- 
matiens  in  die  Reihe  der  mit  Eisen- 
bahnen bedachten  Kronländer«  wach- 
zurufen. Dr.  Bajamonti  bildete  ein  Con- 
sortium  für  die  Verbindung  Barcs-Sissek- 
Spalato  nebst  Zweigbahnen  von  Knin 
nach  Sebenico  und  Zara,  von  Otocac 
nach  Zengg  sowie  von  Ogulin  nach 
Brod ;  Stephan  Türr  plante  noch  eine 
Eisenbahn  von  der  Narentamündung  über 
Fort  Opus  nach  Bosnien,  die  allerdings 
nur  zum  kleinsten  Theile  Dalmatien  zu- 
gute gekommen  wäre;  die  Stadtgemeinde 
Zara  projectirte  ein  ganzes  Bahnnetz  für 
Dalmatien,  Slavonien  und  die  Militär- 
grenze ;  ein  griechisch-französisches  Con- 


200 


Igmaz  Konta 


sortium  endlich  beabsichtigte  die  Durch- 
stechung der  Landenge  von  Korinth  und 
die  Herstellung  eines  von  dort  ausgehen- 
den Bahnnetzes  längs  der  Küste  des 
Adriatischen  Meeres  bis  nach  oder  auch 
durch  Dahnatien.  Die  bezüglichen  Vor- 
concessionen  wurden  fast  sämmtlich  im 
Mai   1870  ertheilt. 

So  schön  und  grossangelegt  alle 
diese  Vorhaben  auch  waren,  vielleicht 
sogar  gerade  weil  sie  zu  weitreichende 
gewesen,  blieben  sie  doch  nur  Projecti- 
rungen.  Als  nun  deren  Unfruchtbarkeit 
offenbar  wurde,  und  die  Unruhen  im 
Gebiete  von  Cattaro  sowie  die  unter 
Hinweis  auf  dieselben  im  Reichsrathe 
gestellten  Interpellationen  wegen  des 
Bahnbaues  in  Dalmatien,  an  die  Dring- 
lichkeit des  letzteren  mahnten,  liess  die 
Regierung  das  im  Jahre  1869  von  der 
k.  k.  General-Inspection  vollendete  Project 
für  die  Linie  von  Spalato  über  Knin  zur 
Fortsetzung  durch  die  Militärgrenze  bis 
Carlstadt  und  mit  Abzweigungen  nach 
Trau,  Sebenico  und  Zara,  einer  durch- 
greifenden Umarbeitung  unterziehen,  weil 
dessen  Verwirklichung  sonst  zu  kostspielig 
gewesen  wäre.  Es  wurde  jetzt  die  Linie 
Spalato  -Perkovic-Dernis-Knin-Croatische 
Grenze  [bei  Pasic)  mit  Abzweigungen 
von  Perkovic  nach  Sebenico  und  von 
Ocestovo  nach  Zara  gewählt  und  in- 
folge des  inzwischen  begonnenen  Baues 
der  croatischen  Linie  Carlstadt-Fiume, 
der  Anschluss  an  diese  bei  Touin  in 
Aussicht  genommen.  Das  Ergebnis  der 
im  Jahre  1871  beendeten  Umarbeitung 
war :  eine  günstigere  Entwickelung  der 
Trace,  die  Einbeziehung  der  Braunkohlen- 
lager von  Siveric  in  die  Hauptlinie  und 
eine  Verringerung  der  Baulänge  [um 
7-3  Meilen]  auf  30^8  Meilen  und  der 
effectiven  Baukosten  [um  15.730.000  fl.] 
auf    21,481.000  fl. 

Dieses  neue  Project,  an  welchem 
übrigens  im  Jahre  1872  noch  einige  Nach- 
besserungen vorgenommen  wurden,  bil- 
dete nun  die  Grundlage  für  den  am  17.  De- 
cember  1872  im  Abgeordnetenhause  ein- 
gebrachten Gesetzentwurf,  vermöge  des- 
sen die  Regierung  ermächtigt  werden 
sollte,  die  vorgenannten  dalmatinischen 
Bahnlinien  entweder  auf  Staatskosten 
auszuführen    [für   welchen    Fall    sie    pro 


1873  eine  Baudotation  von  3,000.000  fl.  in 
Anspruch  nahm]  oder  unter  Gewährung 
einer  Staatsgarantie  im  Höchstbetrage 
von  44.500  fl.  pro  Meile  zu  conces- 
sioniren. 

Das  Abgeordnetenhaus  hatte  die  Vor- 
lage im  Grundsätzlichen  wohlwollend 
behandelt  und,  folgend  den  Anträgen 
seines  Ausschusses,  sogar  die  Garantie- 
ziffer auf  47.300  fl.  pro  Meile  erhöht, 
doch  aber  von  dem  Baue  auf  Staats- 
kosten »aus  staatsrechtlichen  Gründen« 
völlig  abgesehen  und  die  Concessionirung 
der  dalmatinischen  Linien  von  der  Siche- 
rung ihres  Anschlusses  an  das  öster- 
reichisch-ungarische Bahnnetz  abhängig 
gemacht,  weil  ein  isolirtes  dalmatinisches 
Netz  weder  den  mit  seiner  Ausführung 
angestrebten  Zwecken  entsprechen,  noch 
den  Aufwand  für  dasselbe  rechtfertigen 
würde  [1.   April   1873]. 

Vom  Herrenhause  am  1 7.  April  mit 
den  gleichen  Aenderungen  angenommen 
und  sodann  am  30.  April  1873  a.  h. 
sanctionirt,  war  wohl  jetzt  ein  Gesetz 
über  die  Sicherstellung  der  dalmatinischen 
Bahnlinien  geschaffen,  seine  Durchführung 
erwies  sich  jedoch  als  unmöglich ;  denn 
der  Ausbruch  der  wirtschaftlichen  Krisis 
und  insbesondere  die  Ungewissheit  hin- 
sichtlich der  Erzielung  des  Anschlusses, 
vereitelten  die  Concessionirung. 

Damals  hiess  es,  die  königlich  unga- 
rische Regierung  habe  sich  bereit  erklärt, 
eine  Verbindungslinie  von  der  Carlstadt- 
Fiumaner  Bahn  bis  zur  croatischen  Grenze 
zwischen  Pasic  und  Pribudic  zu  bauen ; 
zur  Erfüllung  dieser  Zusage  kam  es  je- 
doch nicht.  Welche  Umstände  dies  hin- 
derten, ist  noch  unbekannt ;  man  wird 
jedoch  schwerlich  fehlgehen,  wenn 
man  ihnen  die  Besorgnis  wegen  einer 
Concurrenzirung  Fiumes  durch  die  dal- 
matinischen Häfen  zuzählt.  Jedenfalls 
bleibt  es  eine  bedauerliche  Thatsache, 
dass  die  Lösung  der  Anschlussfrage,  die 
fremden  Nachbarstaaten  gegenüber  so 
oft  schon  geglückt,  just  hier  nicht 
gelingen  wollte  und  auch  für  weiterhin 
aussichtslos  erscheint,  nachdem  die  Militär- 
grenz-Bahnen,  bei  welchen  zum  letzten 
Male  auf  die  Verbindung  Ogulin-Pasic 
[dalmatinische  Grenze]  Bedacht  genom- 
men war,    wesentlich    anders   ausgeführt 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


20 1 


wurden,  als  sie  vom  Chef  der  Militär- 
grenz-Verwaltung,  Feldzeugmeister  Frei- 
herrn  von  Mollinary,  in  den  Jahren  1873 
bis  1876  projectirt  und  mit  seltener 
Ausdauer  und  Ueberzeugungstreue  ver- 
fochten worden  waren. 

Sollte  nun  der  alte  Zustand  nicht 
neue  Fortdauer  gewinnen,  dann  musste 
die  Regierung  eine  andere  Vorsorge  für 
den  Bahnbau  treffen.  Sie  entschloss  sich 
hiezu  umso  rascher,  als  Dalmatien  im 
Jahre   1873  von  einer  Missernte  betroffen 


verlangten  das  ganze  Netz  und,  wenn 
dessen  Verbindung  mit  den  ungarisch- 
croatischen  Bahnen  nicht  möglich  sei, 
seine  Ausweitung  gegen  Banjaluka  hin 
und  klagten,  dass  nicht  einmal  die 
Hauptstadt  des  Landes  in  den  Eisen- 
bahn-Verkehr einbezogen  werde.  Wäre 
es  auf  diese  Abgeordneten  allein  an- 
gekommen, dann  hätte  die  Vorlage  wahr- 
scheinlich eine  ungünstige  Erledigung 
gefunden  und  Dalmatien  noch  länger 
jedweder  Schienenstrasse  entbehrt.    Zum 


Abb.  99.    Lilienfeld.     [K.  k.  Diederösterreichische  Staatsbahnen,  Scheibmühl-Schrambach.J 


wurde,  und  es  daher  auch  galt,  der  noth- 
leidenden  Bevölkerung  Hilfe  zu  bringen. 
Der  Handelsminister  Dr.  Banhans  legte 
also  am  10.  Februar  1874  dem  Ab- 
geordnetenhause einen,  die  staatliche 
Ausführung  der  Linie  Siveric-Spalato 
nebst  Abzweigung  nach  Sebenico  sowie 
die  Ertheilung  eines  ersten  Baucredites 
von  1,000.000  fl.  bezweckenden  Gesetz- 
entwurf vor,  damit,  ohne  Rücksicht  auf 
den  mangelnden  Anschluss,  der  Bau 
alsbald  in  Angriff  genommen  werden 
könne.  Das  Ministerium  erachtete  näm- 
lich die  genannte  Linie  an  und  für  sich 
als  befähigt  und  berufen,  einem  Ver- 
kehrsbedürfnisse zu  genügen  und  wollte 
darum  mit  ihr  nur  den  Anfang  machen. 
Damit  waren  jedoch  die  dalmatini- 
schen Abgeordneten  nicht  befriedigt;  sie 


Glücke  für  das  Land  fasste  die  Mehrheit 
des  Hauses  die  Sachlage  ganz  anders, 
nämlich  dahin  auf,  dass  das  neue  Gesetz 
das  alte  keineswegs  aufhebe.  Der  Gesetz- 
entwurf wurde  also  am  I.  Mai  1874  vom 
Abgeordnetenhause  angenommen  und, 
nach  der  am  6.  Mai  erfolgten  Zustim- 
mung des  Herrenhauses,  am  16.  Mai 
1874  a.  h.  sanctionirt. 

Dass  Regierung  und  Reichsrath  bei 
der  Schaffung  dieses  Gesetzes  unentwegt 
an  dem  Gedanken  festhielten,  sobald  als 
thunlich  auch  die  übrigen  dalmatinischen 
Linien  in  Ausbau  zu  bringen,  erhellt 
insbesonders  noch  aus  zwei  Momenten. 
Das  Handelsministerium  begleitete  die 
neue  Vorlage  mit  Erläuterungen,  die 
deutlich  bekundeten,  dass  dieselbe  that- 
sächlich    darauf    abziele,    den    Bau    des 


202 


Ignaz  Konta. 


beim  Eintritte  günstigerer  Verhältnisse 
gänzlich  auszuführenden  Bahnnetzes  in 
Dalmatien  endlich  einmal  zu  beginnen  — 
und  das  Abgeordnetenhaus  fasste  bei 
der  Annahme  des  neuen  Gesetzes  zu- 
gleich eine  Resolution,  durch  welche  die 
Regierung  aufgefordert  wurde,  das  Zu- 
standekommen der  Anschlussvereinbarung 
mit  der  königlich  ungarischen  Regierung 
zu  beschleunigen  und  überhaupt  jene 
Hindernisse  ehestens  zu  beheben,  welche 
die  »vollständige  Realisirung  des  Gesetzes 
vom  30.  April  1873«  und  die  »Gesammt- 
sicherstellung  des  dalmatinischen  Eisen- 
bahnnetzes« behindern.  Allerdings  bestand 
das  Haupthindernis  darin,  dass  jene  Ge- 
setzes-»Realisirung«  nach  wie  vor  an  die 
Lösung  des  Anschlussproblems  gebunden 
blieb. 

Gleichzeitig  mit  der  Sanction  des 
Gesetzes  vom  16.  Mai  1874  war  auch 
die  a.  h.  Bewilligung  zur  Inangriffnahme 
des  Baues  erfolgt,  der  nun  fast  unverweilt, 
nämlich  Mitte  Juni  1874  bei  Spalato  wie 
auch  an  zwei  anderen  Stellen  begonnen  und 
vorerst  provisorisch  von  den  Unternehmern 
Paul  Palese  und  Dörr  &  Trigari  geführt, 
nachher  aber  am  31.  December  1874  im 
Offertwege  an  die  Unternehmung  Baja- 
monti,  Trigari,  Knauer  und  Gross  zu 
Einheitspreisen  vergeben  wurde ;  des- 
gleichen im  Juni  1876  die  Hochbauten 
an  die  Triester  Firma  Peter  Palese. 
Schienen,  Schwellen,  Fahrbetriebsmittel, 
Ausrüstungs-Gegenstände  etc.  hatte  die 
Staatsverwaltung  selbst  beschafft.  An- 
lässlich der  Bauvorbereitung  erhielt  die 
Strecke  Siveric-Perkovic-Spalato  [83-3  km] 
die  Bezeichnung  »Hauptlinie«,  die  Strecke 
Perkovic-Sebenico  [21  '7  km]  die  Bezeich- 
nung »Flügelbahn«  der  Dalmatiner 
Staatsbahn;  erstere  sollte  am  1.  De- 
cember 1876,  letztere  am  1.  Juli  1877 
vollendet  sein.  Mannigfache  Schwierig- 
keiten benahmen  jedoch  die  Möglichkeit 
zur  Einhaltung  dieser  Fristen.  Die  Theil- 
strecke  Siveric-Sebenico  ist  vom  22.  Mai 
1877  an  in  provisorischer  Weise  zur  Ab- 
fuhr der  Kohle  aus  den  Werken  auf  dem 
Monte  promina  benützt  worden ;  die  Er- 
öffnung der  ganzen  Bahn  [105  km]  für 
den  öffentlichen  Verkehr  fand,  unter  leb- 
haften Freude-  und  Dankeskundgebungen 
der  Bevölkerung,    am    4.   October    1877, 


als  am  Tage  des  Namensfestes  Sr.  Ma- 
jestät des  Kaisers,  statt. 

Beide  Linien  wurden  als  Bahnen 
zweiten  Ranges  erbaut,  dem  Terrain 
möglichst  angeschmiegt  und  in  der 
kürzesten  Trace  geführt,  die  nament- 
lich in  der  Strecke  von  Castel  vecchio 
bis  an  die  Cicola-Lehne  ein  ganz  unwirk- 
liches Karstgebiet  durchzieht.  Grosse  Er- 
schwernisse bereitete  überdies  der  Mangel 
an  Unterkunft,  an  gangbaren  Wegen  und 
an  Wasser.  Um  das  letztere  in  ausreichen- 
der Menge  auch  für  den  Betrieb  zu  be- 
schaffen, mussten  mit  einem  Kostenauf- 
wande  von  549.534  fl.  eigene  Wasser- 
versorgungs-Anlagen hergestellt  werden, 
von  denen  insbesonders  die  Fassung  der 
Quelle  des  Jadroflusses  und  die  Wieder- 
instandsetzung der  alten  römischen  Wasser- 
leitung bei  Spalato,  ferners  die  Hebe- 
werke und  Leitungen  im  Kerkathale  zu 
erwähnen  sind.  Die  Ueberwindung  aller 
dieser  Mühsale  fand  ihren  Lohn  in 
einem  bedeutenden  Kostenersparnis,  das 
allerdings  zum  grossen  Theile  auch  da- 
durch erzielt  wurde,  dass  zufolge  des 
Gesetzes  vom  14.  April  1877  [betreffend 
die  Eröffnung  von  Crediten  pro  1877 
für  die  Staatsbahnbauten]  verschiedene 
technische  Erleichterungen  zur  Anwen- 
dung kamen.  Das  Anlage-Capital  war  mit 
12,369.700  fl.  veranschlagt;  die  wirk- 
lichen Ausgaben  betrugen  jedoch  nur 
10,972.230  fl.  [=  104.500  fl.  pro  Kilo- 
meter]. 

Der  Betrieb,  welcher  nach  der  ursprüng- 
lichen Absicht  der  Regierung  im  Con- 
cessionswege  an  eine  Privat-Unterneh- 
mung  übertragen  werden  sollte,  ver- 
blieb mit  a.  h.  Bewilligung  vom  21.  Juni 
1877  denn  doch  in  der  eigenen  Regie 
der  Staatsverwaltung.  Mit  ihm  begann 
also  die  Wiederaufnahme  des 
staatlichen  Eisenbahnbetrie- 
bes inOesterreich,  es  war  dies 
ein  bescheidener  Anfang,  denn  die  Ein- 
richtungen und  Leistungen  des  Betrie- 
bes der  Dalmatiner  Staatsbahnen  waren 
die  denkbar  einfachsten.  Nach  der  Eröff- 
nung der  Bahn  verkehrten  auf  der  Haupt- 
linie wöchentlich  vier  Züge  in  jeder 
Richtung  und  auf  der  Flügelbahn  stets 
zwei  Anschlusszüge  zu  jedem  Zuge  der 
Hauptlinie.     Vom    15.  Februar  1878    an, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


203 


trat  auf  einzelnen  Theil- 
strecken  eine  kleine  Vermeh- 
rung der  Zugszahl  ein.  Trotz 
aller  Sparsamkeit  blieben  je- 
doch die  Ergebnisse  unzurei- 
chende, was  hauptsächlich  der 
Isolirtheit  der  Bahn  zuzu- 
schreiben ist.  Die  Betriebs- 
Direction  hatte  ihren  Sitz  in 
Spalato ;  zu  ihrem  Vorstande 
wurde  der  vormalige  Betriebs- 
chef der  Gotthard-Bahn,  Frie- 
drich Neumann,  ernannt,  der, 
nach  seiner  am  25.  Februar 
1880  erfolgten  Berufung  zum 
Stellvertreter  des  k.  k.  Be- 
triebsverwalters der  Kronprinz 

Rudolf-Bahn,   den  Commissär 

j       1     ,     s~.  ,  r  •  Abb-  I0°- 

der    k.  k.  General-Inspection, 

Gustav  Gerstel,  zum  Nach- 
folger erhielt. 

Die  Betriebs-Direction  Hess  nichts  un- 
versucht, den  Verkehr  zu  heben  und  be- 
zeichnete, gleich  nach  Beginn  ihrer 
Wirksamkeit,  ganz  freimüthig  die  Weiter- 
führung der  Bahn  mindestens  bis  Knin, 
wo  fünf  Strassen  einmünden  und  die 
Güter  aus  Bosnien  ihren  Stapelplatz 
haben,  als  das  geeignetste  Mittel  zur 
Besserung  der  Verhältnisse.  Auch  das 
Land  und  seine  Vertreter  begehrten  ohne 
Unterlass  den  Ausbau  der  Bahn  und  die 
Verwendung  des  beim  ersten  Baue  er- 
übrigten Capitals  zur  Verlängerung  der 
Hauptlinie  bis  Knin.  Diese  Fortsetzung 
kam  nach  vielen  Jahren  wirklich  zu- 
stande ;  alles  Uebrige  ist  noch  der  Zukunft 
vorbehalten. 

Die  Hauptlinie  der  k.  k.  Dalmatiner 
Staatseisenbahn  beginnt  an  einer 
ausserhalb  des  Hafens  von  Spalato  gelegenen 
seichten  Bucht  des  Canals  von  Brazza,  führt 
von  dort  durch  einen  II  bis  13  m  tiefen 
Felseinschnitt  zur  Station  Spalato,  deren 
Plateau  beinahe  vollständig  durch  Verschüt- 
tungen im  Hafen  von  Spalato  gewonnen 
wurde.  Sogleich  nach  dem  Austritte  aus  der 
Station  Spalato  windet  sich  die  Bahn  in 
einem  749  m  langen,  durchschnittlich  4  —  5  tu, 
stellenweise  aber  bis  zu  15  m  tiefen,  grössten- 
teils aus  dem  Felsen  gesprengten  Einschnitte 
mit  drei  Gegenkrümmungen  von  250  m 
Radius  zwischen  den  Gebäuden  der  Vorstadt 
Lucaz  und  dann  in  einer  längeren  Geraden 
durch  die  Vorstadt  Manus  hindurch,  wendet 
sich  dann  gegen  Osten,  bis  sie  in  einem 
langen  Bogen  das  östliche  Ende  der  Meeres- 


Piesting.     [K.  k.  niederösterreichische  Staatshahnen, 
Leobersdorf-Gutenstein.] 


bucht  von  Vraniza  umfährt  und  die  dortige 
300  m  breite  Felsrippe  durchschneidet.  Sodann 
übersetzt  sie  den  Jadrofluss  genau  an  seiner 
Mündung  ins  Meer  und  gelangt  kurz  darauf 
zu  der  theilweise  durch  Verschüttung  einer 
kleinen  Meeresbucht  gewonnenen  Station 
Salona.  Dort  verlässt  die  Bahn  die  Küste  und 
betritt  den  mit  Wein  und  Oliven  reich  be- 
bauten unteren  Theil  der  Lehne  des  Berges 
Kossiak  und  führt  längs  derselben  in  west- 
licher Richtung  zur  Station  Castelvecchio. 
Mit  Steigungen  von  I  :  40  an  Felsrippen 
und  durch  vier  Tunnels  gelangt  die  Bahn 
weiter  zu  der  361  in  über  dem  Meeresspiegel 
liegenden  Station  Labin,  die  sich  bereits  im 
Karstgebiete  befindet,  welches  erst  beim  Ein- 
tritte in  das  Thal  der  Cicola  bei  Derniä 
wieder  verlassen  wird.  Von  Labni  aus  zieht 
sich  die  Bahn  in  offener  Karstgegend  etwa 
31/,  km  weit  bis  zum  Rande  des  steil  ab- 
fallenden, 160  »11  tiefen  Thalkessels  von  Dolae. 
Von  dort  wieder  [mit  zumeist  1 :40]  ansteigend, 
erreicht  sie  die  Wasserscheide  gegen  das 
Thal  von  Perkovic  und  von  dort  aus  im 
Gefälle  die  Station  Perkovic-Slivno.  Von 
hier  geht  die  Bahn  durch  ein  breites  Karst- 
thal, steigt  durch  nicht  unbeträchtliche  Ein- 
schnitte zur  Station  UneSic  und  von  dieser 
auf  den  höchsten  Punkt  der  Dalmatiner 
Bahn  [Cote  373  m].  Von  da  ab  senkt  sich 
die  Trace,  um  von  Zitnic  aus  mit  einer 
leichten  Steigung,  den  senkrecht  abstür- 
zenden Felswänden  der  Cicolaschlucht  aus- 
weichend, an  der  von  Dernis  flussaufwärts 
führenden  Lehne,  die  Thalsohle  zu  erreichen 
und  den  Cicolafluss  und  dessen  Fluth- 
öffnung  zu  übersetzen.  In  weiteren  Stei- 
gungen von  1  :  50  wird  über  Dernis  die  Sta- 
tion Siveric  erreicht. 

Die  Flügelbahn  Perkovic- Sebenico 
zweigt  bei  der  Station  Perkovic  unter  einem 
sehr   spitzen  Winkel  ab,   übersetzt   den  Tor- 


204 


Ignaz  Konta. 


rente  Dabar  und  erreicht  mit  Gefällen  von 
I  :  60  bis  1  :  45,  unter  ziemlich  ungünstigen 
Richtungsverhältnissen,  die  Station  Verpolje 
und  läuft  dann  von  hier  mit  geringen  Stei- 
gungen und  Gegensteigungen,  ohne  [mit 
Ausnahme  eines  einzigen  grösseren  Ein- 
schnittes] bedeutende  Arbeiten  erfordert  zu 
haben,  bis  etwa  900  m  vor  die  Station  Sebe- 
nico.  Die  Theilstrecke  bis  zu  dieser  Station 
jedoch  sowie  das  Stationsplateau  von  Sebe- 
nico,  welches  174  m  über  dem  Meeresspiegel 
auf  einer  durchaus  unebenen,  mit  Felsen- 
trümmern besäeten  Fläche  herzustellen  war, 
und  die  etwa  250  m  vor  Beginn  der  Station 
Sebenico  abzweigende  »Rivabahn«,  die  mit 
einem  616  m  langen  Gefälle  von  I  :  40  un- 
mittelbar zu  einer  Ufermauer  am  Meere  führt, 
verursachten  sehr  beträchtliche  Erd-  und 
Felsarbeiten.   [Abb.  105—107.] 


Die  im  Vorhergehenden  erörterten, 
als  Nothstandsbauten  in  Ausführung  ge- 
kommenen Linien  von  zusammen  722^2  km 
oder,  wenn  man  die  Linie  Pilsen-Eisenstein 
gleichfalls  wie  ein  ganz  neu  geschaffenes 
Unternehmen  mit  hinzuzählen  will,  von 
8i9"6£>M  Länge,  machen  also  den  Fort- 
schritt aus,  welchen  das  Jahr  1874  der 
Entwicklung  des  österreichischen  Bahn- 
netzes brachte.  Selbst  dieses  Ergebnis, 
das  im  Hinblick  auf  die  damalige  Zer- 
rüttung der  wirthschaftlichen  Verhältnisse 
immerhin  noch  als  ein  beträchtliches 
gelten  konnte,  erfuhr  aber  eine  Schmäle- 
rung dadurch,  dass  ihm  die  Annullirung 
mehrerer  Concessionen,*)  somit  der  Weg- 
fall eines  bereits  für  gesichert  gegoltenen 
Bahncomplexes  von  rund  602  km  gegen- 
überstand. 

Weit  mehr  als  der  Rückschlag,  den 
die  räumliche  Ausbreitung  des  Bahn- 
netzes erlitten,  verdüsterte  indes  die 
finanzielle  Bedrängnis,  in  welcher  sich 
die  meisten  ungarantirten  Bahnen  be- 
fanden, die  allgemeine  Lage  des  öster- 
reichischen Eisenbahnwesens.  Eine  ganze 

*)  Es  wurden   für  erloschen   erklärt   die 
Concessionen  für  die  Eisenbahnen: 
Bozen-Meran,  28' I  km,  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  14.  Juli  1874. 
Ebensee-Ischl,  303  km,  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  23.  Juli  1874. 
Altheim-Schärding,    28*8  km,    mittels   Kund- 
machung   des    Handelsministeriums     vom 
4.  December  1874. 
Liebenau-Kuschwarda    [Böhmische  Südwest- 
bahn],   515  km,   mittels  des  Gesetzes  vom 
16.  Mai  1874;  —  zusammen  602  2  km. 


Reihe  von  Unternehmungen,  die  schon 
vom  Baue  her  verschuldet  gewesen  oder 
durch  das  Ausbleiben  der  erhofften  Be- 
triebserträgnisse mit  Deficiten  zu  kämpfen 
oder  unter  diesen  beiden  Uebeln  zu  leiden 
hatten,  geriethen  ausser  Stand,  ihren  Ver- 
pflichtungen nachzukommen,  und  wären 
sicher  dem  Gant  verfallen,  wenn  nicht 
das  sogenannte  Curatoren-Gesetz*) 
vom  24.  April  1874  sie  vor  diesem  Lose 
bewahrt  hätte. 

Der  erste  Abschnitt  dieses  Gesetzes 
verfügt  nämlich,  dass  in  Angelegenheiten, 
welche  gemeinsame  Rechte  der  Besitzer 
von  Theilschuld-Verschreibungen  [Priori- 
täts-Obligationen u.  dgl.]  betreffen,  die 
einzelnen  Besitzer  ihre  Rechte  nicht 
selbständig  geltend  machen  können, 
vielmehr  in  allen  Fällen,  bei  denen  es 
sich  ergibt,  dass  die  Rechte  dieser  Be- 
sitzer durch  Verzug  gefährdet  oder  die 
Rechte  eines  Anderen  in  ihrem  Gange 
gehemmt  würden,  ein  gemeinsamerCurator 
zur  Vertretung  der  Rechte  der  Besitzer  von 
Theilschuld-Verschreibungen  vom  Gerichte 
zu  bestellen  ist,  wodurch  also  etwaigen 
Zwangsmassregeln  seitens  einzelner  Obli- 
gationen-Besitzer vorgebeugt,  zugleich  aber 
ein  Organ  zur  gemeinsamen  Vertretung 
ihrer  Rechte  geschaffen  wurde,  mit 
welchem  die  bedrohten  Gesellschaften 
ihre  Schuldenangelegenheiten  auf  güt- 
lichem Wege  regeln  können.  In  seinem 
zweiten  Abschnitte  behandelt  das  Gesetz 
die  bücherliche  Eintragung  des  Pfand- 
rechtes für  die  Besitzer  der  gedachten 
Theilschuld-Verschreibungen,  und  es  steht 
damit  im  Zusammenhange  das  eigens 
geschaffene  Gesetz  vom  19.  Mai  1874, 
»betreffend  die  Anlegung  von  Eisen- 
bahn-Büchern, die  Wirkung  der  an 
einer  Eisenbahn  eingeräumten  Hypothekar- 
rechte  und  die  bücherliche  Sicherung  der 
Pfandrechte  der  Besitzer  von  Eisenbahn- 
Prioritäts-Obligationen  <■,  wodurch  wieder 


*)  Der  Titel  dieses  Gesetzes  lautet: 
»Gesetz,  betreffend  die  gemeinsame  Ver- 
tretung der  Rechte  der  Besitzer  von  auf 
Inhaber  lautenden  oder  durch  Indossament 
übertragbaren  Theilschuld  -Verschreibungen 
und  die  bücherliche  Behandlung  der  für 
solche  Theilschuld-Verschreibungen  einge- 
räumten Hvpothekarrechte.«  [Näheres  vgl. 
Bd.  I,  2.  Theil,  Dr.  V  Roll,  Entwicklung  der 
Eisenbahn-Gesetzgebung  ] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


205 


für  die  bis  dahin   gänzlich  fehlende  Inta- 
bulation  jener  Pfandrechte  gesorgt  wurde. 

In  der  Folge  ist  die  ordnende  und 
das  Vertrauen  zu  den  Eisenbahn-Obli- 
gationen stärkende  Wirkung  dieser  legis- 
lativen Vorkehrungen  deutlich  hervor- 
getreten ;  zur  Zeit,  da  sie  getroffen  wurden, 
äusserte  sich  jedoch  ihr  Nutzen,  wie  ge- 
sagt, vornehmlich  nur  in  den  ihnen  ent- 
stammten weitreichenden  Stundungen  für 
die  nothleidenden  Unternehmungen,  die 
aber,  weil  anderer  Hilfe  bar,  im  Uebrigen 
fortkrankten. 

Am  schlimmsten  waren  jene  daran, 
welche  [wie  z.  B.  die  Lundenburg-Gruss- 
bacher  und  die  Braunau-Strasswalchner 
Bahn  u.  s.  w.]  ohne  Besitz  eines  eigenen 
Fahrparkes  die  Betriebführung  an  Nach- 
barbahnen übertragen  hatten,  jetzt  aber 
infolge  der  geringen  Einnahmen  weder 
die  Kosten  des  Betriebes  decken,  noch 
ihn  selbst  übernehmen  konnten,  daher 
pefahr  liefen,  den  Verkehr  einstellen  zu 
müssen  und  dann  sequestrirt  zu  werden 
oder  gar  die  Concession  zu  verlieren. 

Betriebsabgänge  waren  übrigens  auch 
bei  einigen  garantirten  Bahnen  zu  einem 
chronischen  Uebel  geworden,  das  für  diese, 
wenngleich  minder  bedrohlich,  so  doch 
immer  noch  folgenschwer  genug  war, 
weil  es  eine  Häufung  der  Schulden  oder 
Kürzung  der  Actienrente  nach  sich  zog 
und  das  Vertrauen  zu  der  Garantie 
herabdrückte. 

Dem  Allen  ist  es  zuzuschreiben,  wenn 
die  Eisenbahn- Papiere,  welche  bislang 
gegen  die  Verheerungen  der  Krisis  gefeit 
schienen  und  sich  wie  ein  Schutzwall 
gegen  das  Weitergreifen  des  allgemeinen 
Niederganges  ausnahmen,  jetzt  ebenfalls 
einer  heftigen  Entwerthung  anheimfielen 
und  die  Schrecknisse  der  wirthschaftlichen 
Verwüstung  mehrten  und  steigerten. 

Nun  erst  erwärmte  sich  auch  der 
Reichsrath  einigermassen  für  den  Ge- 
danken, dass  zur  Eindämmung  des  Ver- 
falles oder,  nach  anderer  Lesart,  zur 
Neuregelung  des  Eisenbahnwesens  etwas 
geschehen  müsse.  Zum  Ausdrucke  ge- 
langte diese  Regung  aber  wieder  nur  in 
ganz  platonischer  Weise :  der  Reichsrath 
verlangte  von  der  Regierung  und  diese 
versprach  ein  ausführliches  Programm 
[24.  November  1874]. 


Draussen  hatte  indes  die  Publicistik 
nicht  aufgehört,  den  Ernst  der  Lage 
zu  besprechen  —  an  die  Dringlich- 
keit einer  Sanirungsaction  zu  mahnen. 
Ueber  die  Art  derselben,  gingen  freilich 
die  Meinungen  weit  auseinander.  Fu- 
sion, Aufrechthaltung  und  Unterstützung 
der  bestehenden  Unternehmungen,  rück- 
haltslose Staatsgarantie,  allgemeiner 
Staatsbau  und  Staatsbetrieb,  wurden  in 
bunter  Abwechslung  empfohlen.  Ueber- 
einstimmung  zeigte  sich  nur  in  dem  Be- 
gehren nach  Klarstellung  der  Frage 
wegen  Deckung  der  Betriebsdeficite  bei 
garantirten  Bahnen  durch  den  Staat. 
An  Stimmen,  welche  eine  Unter- 
suchung und  Läuterung  der  inneren  Ver- 
hältnisse des  Eisenbahnwesens  heischten, 
fehlte  es  gleichfalls  nicht. 

Neues,  beziehungsweise  Ursprüng- 
liches wiesen  jedoch  diese  Rathschläge 
nur  wenig  auf,  einige  waren  sogar  schon 
von  Massnahmen  der  Regierung  ganz 
oder  theilweise  überholt;  denn  der  Bau 
auf  Staatskosten  hatte  bereits  bei  etlichen 
neuen  Linien  [den  sogenannten  Nothstands- 
bauten]  seine  erste  Wiederanwendung 
gefunden ;  für  die  Zusammenlegung  einer 
Anzahl  von  Gesellschaften  sowie  zur 
Bedeckung  der  Betriebsdeficite  garan- 
tirter  Unternehmungen  war,  wie  alsbald 
folgt,  ein  erster  Schritt  schon  unter- 
nommen und  die  Prüfung  der  technischen 
und  administrativen  Zustände  einzelner 
Bahnen  Hess  die  Aufsichtsbehörde  seit 
Jahr  und  Tag  sich  besonders  angelegen 
sein. 

Was  die  Oeffentlichkeit  von  dieser 
Obsorge  erfuhr,  betraf  allerdings  nur 
zum  geringeren  Theile  die  in  der  soge- 
nannten Gründungszeit  entstandenen 
Schäden;  für  die  Eindringlichkeit  des 
Vorgehens  lieferten  aber  die  damaligen 
Geschehnisse  bei  den  alten  galizischen 
Bahnen  einen  eclatanten  Beweis. 

Vielfache,  auch  im  Reichsrathe  wieder- 
holt vorgebrachte  Beschwerden  über  Ver- 
kehrsstörungen und  Unsicherheit  des 
Betriebes  auf  der  Lemberg-Czerno- 
witz-Jassy  -Eisenbahn  hatten  das 
Handelsministerium  schon  im  Jahre  1870 
zur  Anordnung  einer  gründlichen  tech- 
nisch-administrativen Untersuchung  der 
Bahn,  dann  [28.  November]  zur  Entsen- 


2o6 


Ignaz  Konta. 


düng  eines  diesfalls  mit  besonderen  Voll- 
machten versehenen  Commissärs  [s.  S.  37] 
und  schliesslich  [14.  December]  auch  dazu 
veranlasst,  dem  Verwaltungsrathe  eine 
durchgreifende,  der  Betriebs-Direction  in 
Lemberg  ausreichende  Befugnisse  zu 
raschem  und  kräftigem  Handeln  ein- 
räumende Reorganisation  des  Verwaltungs- 
und Betriebsdienstes  aufzutragen. 

Anstatt  für  die  pünktliche  Befolgung 
der  an  sie  ergangenen  Weisungen  zu 
sorgen,  gefielen  sich  Vervvaltungsrath 
und  General-Direction  darin,  dieselben  zu 
kritisiren  und  mit  Verwahrungen  zu  be- 
antworten, deren  Ton  überdies  dem 
Ministerium  sehr  missfiel.  Die  Gegensätze 
verschärften  sich 
mit  jeder  neuen 
Anordnung,  und 
zu  solchen  fand 
die  Aufsichtsbe- 
hörde immer  wie- 
derVeranlassung. 

Die  Actionäre 
hatten  von  diesen 
jahraus  jahrein 
sich  fortspinnen- 
den Vorgängen 
keine  Kenntnis. 
Noch  in  der  Gene- 
ralversammlung 
vom  29.  April 
1872  folgten  sie 
ganz  sorglos  den 

Anträgen  des  Verwaltungsrathes,  be- 
schlossen zum  Zwecke  der  Abstos- 
sung  schwebender  Schuldposten  wie 
auch  zur  Schaffung  eines  genügenden 
Betriebs  -  Capitals,  eine  vierte  Priori- 
täten-Emission im  Betrage  von  nom. 
5,400.000  fl.  und  gaben  zur  Verzin- 
sung und  Tilgung  dieses  Anlehens  2°/0 
von  der  bis  dahin  aus  den  Staatsgarantieen 
genossenen  7°/0igen  Actienrente  ab.  Die 
neuen  Obligationen  wurden  zum  Curse  von 
751/»  an  ein  Berliner  Consortium  begeben 
und  von  diesem  am  6.  und  7.  August  mit 
vorzüglichem  Erfolge  zum  Curse  von  80 
zur  öffentlichen  Zeichnung  aufgelegt. 
Kein  äusseres  Anzeichen  verrieth  daher, 
dass  die  Lemberg-Czernowitzer  Bahn 
einem  Geschicke  entgegengehe,  wie  es 
vordem  in  Oesterreich  noch  keiner  Eisen- 
bahn-Unternehmung widerfahren  war. 


Abb.  IOI.     Waldegg.     [K.  k.  niederösterreichische 
Staatsbahnen,  Leobersdorf- Gutenstein.] 


Um  desto  grösser  war  die  Ueber- 
raschung  aller  Theilhaber  der  Gesellschaft, 
als  der  Handelsminister  am  7.  October 
1872,  auf  Grund  des  §  12  des  Eisenbahn- 
Concessions-Gesetzes  vom  14.  September 
1854,  die  Sequestration  ihrer  öster- 
reichischen Linien  anordnete.  Dem  Ver- 
waltungsrathe selbst  konnte  aber  diese 
Massregel  nicht  so  ganz  unvermuthet  ge- 
kommen sein  ;  denn  abgesehen  von  Allem, 
was  schon  vorausgegangen,  wusste  er, 
dass  ihm  mittels  Erlasses  vom  4.  Sep- 
tember 1872  die  un verweilte  Ausführung 
einer  Reihe  von  Weisungen  in  Betreff 
einer  sparsameren  Einrichtung  des  ge- 
sellschaftlichen Haushaltes,  namentlich 
durch  Verringe- 
rung bestimmter 
Personalunkosten 
[Bezüge  des  Ge- 
neral-Directors 
und  zweier  ande- 
ren Oberbeamten, 
Diäten,  Wagen- 
auslagen etc.],  bei 
sonstiger  Verhän- 
gung der  Seque- 
stration aufgetra- 
gen war,  und 
dass  er  auch  die- 
sen Weisungen 
nicht  nachkam, 
vielmehr  gegen 
dieselben  zuerst 
in  der  Sitzung  vom  23.,  dann  mittels  Ein- 
gabe vom  25.  September  1872  heftig 
remonstrirte. 

In  dem  Sequestrations-Decrete  war 
zugleich  die  Bestellung  des  k.  k.  Regie- 
rungsrathes  Karl  Barychar  zum  Se- 
quester und  des  k.  k.  Inspectors  Ferdinand 
Perl  zum  Sequester-Stellvertreter  ausge- 
sprochen, der  Amtsantritt  des  Sequesters 
gleich  auf  den  8.  October  1872  anbe- 
raumt und  von  diesem  Tage  an  die 
statutarische  Wirksamkeit  der  General- 
versammlung, des  Verwaltungsrathes  und 
des  General-Directors,  rücksichtlich  des 
österreichischen  Theiles  der  gesellschaft- 
lichen Unternehmung,  aufgehoben. 

Vor  dem  Beginne  der  Verwaltungs- 
raths-Sitzung  vom  7.  October,  in  welcher 
der  landesfürstliche  Commissär  die  Seque- 
stration   verkündete,    nahm  der  General- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


207 


Director  Victor  Ritter  von  Ofenheim,  der 
nicht  wie  das  gesammte  übrige  Personal, 
unter  die  Amtsgewalt  des  Sequesters 
treten  mochte,  seinen  Abschied.  Da 
bald  darauf  auch  der  technische  Director 
und  der  Vorstand  des  finanziellen  Dienstes 
zurücktraten,  hatte  der  Sequester  bei 
der  von  ihm  sogleich  ins  Werk  gesetzten 
Neueinrichtung  des  Dienstes  Gelegenheit, 
auf  wichtige  Posten  Personen  seines 
Vertrauens  zu  stellen.  Zum  Betriebs- 
Director  wurde  der  Ober-Ingenieur  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn,  Adolf  L  a  u  d  a,*) 
ernannt,  der  nun  in  Gemeinschaft  mit 
den     bautechnischen    Abtheilungen     vor 


machte  sich  bei  der  Besprechung  der- 
selben, soweit  sie  sich  nicht  völlig  gegen 
den  Verwaltungsrath  kehrte,  eine  auf- 
fallende Zurückhaltung  bemerkbar,  und 
zwar  nicht  blos  jetzt,  sondern  auch,  mit 
ganz  vereinzelten  Ausnahmen,  in  der  am 
26.  April  1873  abgehaltenen  General- 
versammlung für  die  rumänischen  Linien 
der  Gesellschaft. 

Das  Verhältnis  dieser  zu  den  seque- 
strirten  österreichischen  Linien  gestaltete 
sich  nun  wie  zwischen  zwei  fremden 
Unternehmungen.  Für  die  ihm  ver- 
bliebene »Gestion«  richtete  der  Ver- 
waltungsrath   einen    gesonderten    Dienst 


Allem    auf  die    gute  Instandsetzung  des  |  ein,    dessen  Leitung    der    zum    General- 


Bahnkörpers  und 
die  Erzielung  eines 
ungestörten  Be- 
triebes hinwirkte. 
Unterdessen 
wendete  sich  der 
Verwaltungsrath 
an  die  Oeffentlich- 
keit.  Mittels  einer 
am  10.  December 
1872  ausgegebe- 
nen, sammt  ihren 
Beilagen  einen  195 

Seiten  starken 
Quartband  bilden- 
den Denkschrift, 
zog  er  sowohl 
die  Nothwendig- 
keit  als  auch  die  Berechtigung  der  Se- 
questration in  Erörterung  oder  auch  in 
Zweifel  und  rief  das  Urtheil  aller  un- 
parteiisch Denkenden,  inbesonders  der 
Fachleute,  darüber  an,  5  ob  der  Regierung 
keine  andere,  weniger  einschneidende 
Massregel  zu  Gebote  stand,  um  die  durch 
Sequestration  angestrebten  Zwecke  zu 
erreichen«. 

Die  Wirkung  dieser  Publication  war 
jedoch  nicht  die  seinerseits  erwartete. 
Trotz  des  Aufsehens,  das  die  Angelegen- 
heit   allenthalben     hervorgerufen     hatte, 


Abb.  102.     Peutenburg  bei  Kienberg-Gaming. 

[K.  k.  niederösterreicbiscbe  Staatsbabnen,  Pöcblara- 

Kienberg-Gaming.] 


*)  Im  Jahre  1874  kehrte  Lauda  wieder 
in  die  Dienste  der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
[als  Yerkehrs-Director]  zurück  und  erhielt 
den  Vorstand  des  commerziellen  Departements 
der  Lemberg  -  Czernowitz  -  Jassy  -Eisenbahn, 
Julius  Schreiber,  zum  Nachfolger  in  Lem- 
berg. 


Secretär  ernannte 
frühere  Präsidial- 
Secretär  der  Ge- 
sellschaft, Gustav 
K  ü  h  n  e  1 1 ,  inne 
hatte.  Einem  alt- 
gehegten Verlan- 
gen der  rumäni- 
schen    Regierung 

nachkommend, 
wurde  mit  Zu- 
stimmung der  eben 
erwähnten  Gene- 
ralversammlung 
nunmehr  auch  eine 
Art  Trennung  der 
Gesellschaft  voll- 
zogen, nämlich  in 
der  Weise,  dass  für  die  rumänische 
Linie  ein  aus  der  Mitte  des  Verwaltungs- 
rathes  gewähltes  »Comit6  dirigeant«  in 
Bukarest  eingesetzt  und  in  Jassy  eine 
eigene  Betriebsleitung  errichtet  wurde. 

Dies  Alles  behinderte  aber  keines- 
wegs, dass  der  Verwaltungsrath  sich 
ohne  Unterlass  bemühte,  der  Wiederkehr 
normaler  Zustände  die  Wege  zu  ebnen ; 
seine,  wie  nicht  minder  auch  die  von 
den  englischen  Actionären  unternommenen 
Annäherungsversuche  blieben  jedoch 
fruchtlos.  Das  Ministerium  Hess  mehrere 
dahinzielende  Eingaben  ohne  Erledigung. 
Der  Abgesandte  des,  schon  seit  der 
Gründung  der  Gesellschaft,  gleichsam 
zur  Vertretung  des  bei  ihr  investirten 
Capitals,  bestehenden  Comites  [von  Mit- 
gliedern des  Verwaltungsrathes]  in  Lon- 
don,   Sir   William    Drake,    wurde    zwei- 


208 


Ignaz  Konta. 


mal  vom  Handelsminister  empfangen, 
zuerst  am  30.  October  1872,  dann  am 
3.  October  1873;  Alles  was  er  dabei 
erreichte,  bestand  indes  nur  in  einem 
ihm  am  30.  November  1873  zugemittelten 
Verzeichnisse  der  für  nothwendig  er- 
kannten Reconstructionen  und  Nach- 
schaffungen und  der  hiefür  erforderlichen 
Geldmittel  im  Gesammtbetrage  von 
5,183.391   fl. 

Anfangs  des  Jahres  1874  glaubte  der 
Verwaltungsrath,  beim  Ministerium  end- 
lich einige  Geneigtheit  zur  Anbahnung 
von  Verhandlungen  wahrgenommen  zu 
haben.  Er  überreichte  daher  wieder  ein 
Gesuch  um  Aufhebung  der  Sequestration, 
worauf  ihm  am  4.  Februar  1874  der 
Bescheid  zuging,  dass  der  Sequester  an- 
gewiesen wurde,  in  Verhandlungen  ein- 
zutreten. Dieselben  begannen  auch  wirk- 
lich am  8.  Februar  und  fanden  in  dem 
Protokolle  vom  16.  März  1874  ihren 
Abschluss.  Die  aufgestellten  Punctatio- 
nen  gingen  dahin,  dass  die  Gesellschaft 
sich  verpflichten  solle,  für  Herstellungen 
und  Anschaffungen  2,000.000  fl.  zu  ver- 
wenden und  auf  alle  Ansprüche  gegen 
die  Regierung  zu  verzichten,  wogegen 
ihr  gestattet  würde,  zur  Ordnung  der 
finanziellen  Lage  des  Unternehmens  ein 
Nominal-Capital  von  7,400.000  fl.  zu 
emittiren  und  den  für  die  Verzinsung 
und  Tilgung  desselben  erforderlichen 
Betrag  von  jährlich  135.000  fl.  in  die 
Betriebsrechnung  einzustellen.  Das  Proto- 
koll wurde  dem  Ministerium  vorgelegt, 
brachte  aber  die  Angelegenheit  noch 
immer  nicht  in  weiteren  Fluss. 

Der  Sequester  waltete  daher  viel 
länger  seines  Amtes,  als  allgemein  voraus- 
gesetzt war,  und  er  hatte  viel  zu  schaffen, 
um  alle  die  Mängel  zu  beheben,  welche 
sowohl  bei  der  schon  am  30.  Sep- 
tember 1872  vom  Handelsminister  ange- 
ordneten, gleich  nach  Eintritt  der  Seque- 
stration begonnenen  und  im  Frühjahre 
1873  beendeten  Collaudirung  der  ganzen 
Bahn,  als  auch  bei  der  Ausübung  des 
Betriebes  sich  herausgestellt  hatten. 

Nach  der  Collaudirung  und  auf  Grund 
ihrer  Ergebnisse  fand  auch  eine  Prüfung 
der  Baurechnungen  statt,  welche  dazu 
führte,  dass  die  Regierung  gegen  den 
ehemaligen  General- Director  einen  Straf- 


1  process  anhängig  machte.  Am  16.  De- 
cember  1873  wurden  v.  Ofenheim  und 
zwei  andere  Oberbeamte  der  Gesellschaft 
in  Haft  genommen  ;  nach  sieben  Wochen 
zwar  auf  freien  Fuss  gesetzt,  ver- 
blieben dieselben  noch  weiter  in  Unter- 
suchung. Hatte  schon  die  Sequestration 
Aufsehen  genug  verursacht,  so  rief  das 
neue  Ereignis  geradezu  eine  Erregung 
hervor,  ähnlich  derjenigen,  von  welcher 
die  Oeffentlichkeit  im  Jahre  1860,  an- 
lässlich des  Strafverfahrens  gegen  den 
Creditanstalts-Director  Richter  ergriffen 
war;  der  Process  Ofenheim  endete  jedoch 
nicht  so  tragisch  wie  jenes. 

Die  Gerichtsverhandlung  begann  am 
4.  Januar  1875  und  dauerte  nahezu  zwei 
volle  Monate;  sie  war  ein  mächtiges 
geistiges  Ringen  zwischen  Anklage  und 
Vertheidigung,  die  sich  mit  einem  grossen 
Aufgebot  von  Zeugen  und  Sachverstän- 
digen gegenüberstanden,  und  einander 
mit  den  schärfsten  Waffen  der  Beredsam- 
keit, des  juristischen  und  technischen 
Wissens  bekämpften.  In  der  ersten  Nach- 
mittagsstunde des  27.  Februar  1875  zogen 
sich  die  Geschworenen  zur  Berathung  der 
ihnen  vorgelegten  zahlreichen  Schuld- 
fragen zurück,  und  um  6  Uhr  Abends 
gaben  sie  ihr  Verdict  ab,  das  durch- 
gehends  auf  nichtschuldig  lautete.  Hierauf 
vom  Gerichtshofe  sogleich  freigesprochen, 
gingv.  Ofenheim  ganz  heil  und  an  seiner 
Ehre  unverletzt  aus  dem  Processe  hervor; 
aber  von  der  thätigen  Betheiligung  am 
Eisenbahnwesen,  dem  er  schon  unter 
Ghega,  also  seit  einem  Vierteljahrhundert, 
gedient  hatte,  zog  er  sich  für  immer 
zurück.  Gegen  die  beiden  anderen, 
gleichfalls  in  Untersuchung  gestandenen 
Oberbeamten  wurde  das  Verfahren  nicht 
fortgesetzt. 

Ungemein  verschiedene,  eine  ganze 
Scala  von  Gefühlsäusserungen  —  tiefe 
Entrüstung  bis  lautesten  Beifall  —  um- 
fassende Kundgebungen  begleiteten  den 
Ausgang  des  Processes.  Für  die  Lemberg- 
Czernowitzer  Bahn  ward  ihm  doppelte 
Bedeutung  beigemessen;  denn  fürs  Erste 
hätte  die  Wucht  und  Art  der  vom  öffent- 
lichen Ankläger  gegen  ihren  obersten 
Beamten  erhobenen  Anschuldigungen, 
wenn  dieselben  aufrecht  geblieben  wären, 
auch  das  Ansehen  der  Gesellschaft  nicht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


2CX) 


Abb.  103.    Tunnel  bei  Pürglitz  [Strecke  Rakonitz-Beraunl.     [Nach  einer  Photographie  von 
H.  Eckert  &  J.  Müllern.] 


unberührt  gelassen,  und  fürs  Zweite 
konnte  sie  die  Wiedereinsetzung  in  alle 
ihre  Rechte  jetzt  sicherer  erhoffen,  weil 
eben  der  Process,  vor  dessen  Beendigung, 
laut  einer  persönlichen  Bemerkung  des 
Handelsministers  Dr.  Banhans,  an  eine 
Aufhebung  der  Sequestration  überhaupt 
nicht  zu  denken  war,  nunmehr  seinen 
Abschluss  gefunden  hatte. 

Der  Verwaltungsrath,  dem  daran  ge- 
legen war,  schon  die  nächste  ordentliche 
Generalversammlung  nicht  abermals  nur 
für  die  Gestion  der  rumänischen  Linien 
einberufen  zu  müssen,  erneuerte  deshalb 
seine  Vorstellungen,  und  erfreute  sich 
nun  von  Seite  des  damals  interimistisch 
mit  der  Leitung  des  Handelsministeriums 
betrauten  Ackerbauministers  von  Ghlu- 
mecky  eines  Bescheides  [vom  31.  März 
1875],  in  welchem  die  Geneigtheit 
ausgesprochen  war,  in  Verhandlungen 
einzutreten,  sobald  der  Verwaltungsrath 
seitens  der  Generalversammlung  mit  den 
nöthigen  Vollmachten  ausgestattet  sein 
werde.  Dem  weiteren  Ersuchen  um  die 
sogleiche  Eröffnung  der  Verhandlungen 
konnte,  infolge  der  Theilnahme  des 
Ministers  an  der  Kaiserreise  nach  Dal- 
matien,     nicht    willfahrt     werden.       Die 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I    Band,  2.  Theil. 


ordentliche  Generalversammlung  vom 
30.  April  1875  trug  daher  noch  ganz 
dasselbe  Gepräge  wie  ihre  beiden  Vor- 
gängerinnen, immerhin  aber  Hess  die 
eingehende  und  freimüthige  Erörterung 
auch  der  Angelegenheiten  der  öster- 
reichischen Linien  bereits  erkennen,  dass 
zu  Gunsten  der  letzteren  eine  Wendung  sich 
vorbereite.  Eigentliche  Vollmachten  hatte 
diese  Versammlung  demVerwaltungsrathe 
nicht  ertheilt;  sie  sprach  jedoch,  »um  ihm 
eine  Stütze  gegenüber  der  Regierung  zu 
geben«,  den  einhelligen  Wunsch  aus,  das 
Ergebnis  der  bevorstehenden  Verhand- 
lungen möge  dem  Aufsichtsrathe  so  recht- 
zeitig zur  Prüfung  mitgetheilt  werden, 
dass  er  sein  Gutachten  hierüber  der 
nächsten  Generalversammlung  erstatten 
könne. 

Am  21.  Mai  1875  übersandte  das 
Ministerium  dem  Verwaltungsrathe  die 
»principiellen  Grundlagen«  für  die  Ver- 
handlungen und  bald  danach  auch  die 
Einladung  zu  der  auf  den  18.  Juni  an- 
beraumten ersten  Besprechung.  Diese 
wurde  durch  den  Minister  selbst  eröffnet, 
dann  in  mehreren  Sitzungen  fortgesetzt. 
Die  Verhandlungen  bewegten  sich  nicht 
auf    dem    Boden    des    Protokolles    vom 

14 


2IO 


Ignaz  Konta. 


Abb.  104.    Pfibrani. 


16.  März  1874;  von  der  Gewährung 
einer  Staatsgarantie  für  das  auf  die 
Reconstruction  und  Nachschaffungen 
verwendete  Capital  [bis  Ende  1874 
4,200.000  fi.]  wollten  die  Vertreter  der 
Regierung  nichts  mehr  wissen.  Das 
erschwerte  natürlich  die  Auseinander- 
setzungen, da  die  Delegirten  des  Ver- 
waltungsrathes  neben  der  Ordnung  aller 
schwebenden  Fragen  auch  die  Sicher- 
stellung der  bisherigen  Actienrente  [5%] 
anstrebten.  Desungeachtet  kam  schliess- 
lich doch  die  Einigung  zustande,  und 
die  Unterfertigung  des  Protokolls  vom 
10.  Juli  1875  beurkundete  die  Beilegung 
des  Zwistes. 

Die  Hauptpunkte  der  Vereinbarung 
lauteten  also  dahin,  dass  die  Gesellschaft 
dem  Sequester  hinsichtlich  seiner  Ge- 
schäftsführung und  der  von  ihm  bis  Ende 
1874  gelegten  Rechnungen  das  Absolu- 
torium  ertheile,  wogegen  die  Regierung 
ihrerseits,  infolge  der  vom  Sequester  be- 
wirkten Herstellungen  und  Neuanschaffun- 
gen,   die    sequestrirten  Linien    mit  Ende 

1874  als  in  vollkommen  concessions- 
mässigem  Zustande  betrachte,  daher  auch 
gestatte,  die  vom  Sequester  seit  1.  Januar 

1875  etwa  für  derartige  Leistungen  noch 
gemachten  Auslagen  in  die  Garantie- 
Rechnung  einzustellen ;  die  Sequestration 
sollte  am  Schlüsse  desjenigen  Monats  auf- 
gehoben werden,  in  welchem  die  General- 
versammlung dem  Uebereinkommen  zu- 
stimme. Von  den  übrigen  Stipulationen 
sind  noch  hervorzuheben :  die  nachträgliche 
Genehmigung  früherhin  nicht  anerkannter 


Posten  der  Betriebsrechnung  im  Gesammt- 
betrage  von  554.372  fl.  und  die  damit 
im  Zusammenhange  gestandene  Neube- 
zifferung der  gesellschaftlichen  Garantie- 
schuld an  den  Staat. 

Der  Verwaltungsrath  beeilte  sich  nun, 
auf  den  30.  Juli  eine  ausserordentliche 
Generalversammlung  einzuberufen,  und 
die  englischen  Actionäre,  deren  grosser 
Titelbesitz  immer  schwer  in  die  Wag- 
schale fiel,  für  den  Friedensschluss  zu 
gewinnen.  Mit  dieser  heiklen  Mission 
waren  der  Vicepräsident  und  der  General- 
Secretär  der  Gesellschaft  betraut.  Sie 
hatten  einen  harten  Stand  bei  den  erbosten 
Briten,  und  waren  des  Erfolges  erst  dann 
sicher,  als  der  Vertreter  des  Londoner 
Comites,  Sir  William  Drake,  sich  ihnen 
an  die  Seite  stellte  und  [mittels  eines 
Rundschreibens,  in  welchem  rundweg 
gesagt  war,  dass  es  sich  um  ein  Com- 
promiss  handle,  welches  zwar  den  Rechten 
der  Gesellschaft  wenig  genüge,  gleichwohl 
aber  zur  Annahme  empfohlen  werden 
müsse,  weil  es  unter  den  gegebenen  Ver- 
hältnissen das  Beste  sei,  was  im  Interesse 
der  Actionäre  erzielt  werden  konnte]  die 
Mehrheit  der  englischen  Theilhaber  ver- 
mochte, dem  Verwaltungsrathe  ihre  Voll- 
machten zur  Generalversammlung  zu 
überlassen. 

Dieselbe  verlief  denn  auch  ganz  ruhig. 
Nachdem  der  Verwaltungsrath  seihen 
Bericht  und  der  Revisions  -  Ausschuss 
sein  Gutachten  über  die  mit  der  Regie- 
rung getroffene  Vereinbarung  erstattet 
hatte,  genehmigte  die  Versammlung 
ohne  jede  Debatte  das  Protokollar- 
Uebereinkommen  und  ermächtigte  den 
Verwaltungsrath  zur  Beschaffung  eines 
Capitals  von  3,260.000  fl.  zur  Deckung 
der  über  die  vorhandenen  Mittel  hinaus- 
reichenden Erfordernisse  von  insgesammt 
5,032.200  fi.  Gleich  nach  Schluss  der 
Versammlung  löste  die  Regierung  den 
Bann,  mit  welchem  sie  die  Gesellschaft 
belegt  hatte.  Das  Amtsblatt  vom  31.  Juli 
1875  verlautbarte  die  [vom  30.  datirte] 
Kundmachung  des  Handelsministers,  dass 
»die  Sequestration  mit  31.  Juli  1875  auf- 
gehoben ist«,  der  Sequester  und  dessen 
Stellvertreter  von  ihren  diesfälligen  Func- 
tionen entkleidet,  der  Verwaltungsrath  und 
die  Generalversammlung  aber  wieder  in 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


211 


ihre    volle    statutenmässige  Wirksamkeit 
eingesetzt  werden. 

Tags  darauf,  am  I.  August  1875, 
fand  die  Rückübergabe  der  Verwaltung 
der  sequestrirt  gewesenen  Linien  an  den 
Verwaltungsrath  statt,  der  sofort  die 
Neubesetzung  der  obersten  Dienstposten 
vornahm.  Hiebei  erfuhren  die  früherhin 
vom  General-Director  versehenen  Ge- 
schäfte eine  Zweitheilung,  ähnlich  wie 
bei     der     Kaiser    Ferdinands-Nordbahn. 


Diese  Einrichtungen  und  Personalien, 
denen  sichtlich  ein  versöhnendes  Princip 
innewohnte,  bezeichneten  das  Ende 
des  Ausnahmszustandes,  in  welchem 
die  Lemberg-Czernowitzer  Bahn  sich 
fast  drei  Jahre  lang  befunden  hatte. 
Da  beide  Parteien  bestrebt  waren,  die 
Erinnerung  an  denselben  zu  verwischen, 
senkten  sich  allmählich  die  Schleier  der 
Vergessenheit  über  die  ganze  Episode 
und     deren     Begleiterscheinungen.     Die 


Abb    105.     Stadt- Einschnitt  Spalato.    [Dalmatiner  Staatsei  Seilbahnen.] 


Zur  Leitung  des  Bau-  und  Betriebs- 
dienstes wurde  in  der  Person  des  k.  k. 
Regierungsrathes  Claudius  Ritter  von 
Klaudy  [bis  dahin  Ober-Inspector  der 
k.  k.  General-Inspection]  ein  General- 
Inspector  berufen,  hingegen  jene  aller  ad- 
ministrativen Angelegenheiten  in  die  Hände 
des  General-Secretärs  Anton  K  ü  h  n  e  1 1 
gelegt.  Auch  im  Verwaltungsrathe  selbst 
vollzogen  sich  einige  Aenderungen.  An  die 
Stelle  einzelner  älterer  Mitglieder  traten 
neue  und  nebstdem  erhielt  er  durch  Coop- 
tirungen  [darunter  jene  des  früheren  tech- 
nischen Directors  Emanuel  Ziffer],  dann 
durch  die  Aufnahme  eines  von  der  Regierung 
entsendeten  Mitgliedes  frischen  Zuwachs. 


Verwaltung  und  die  neue  Geschäfts- 
leitung wetteiferten  fortan  in  der  Pflege 
des  wiederhergestellten  Einvernehmens 
mit  den  vorgesetzten  Behörden,  so  zwar, 
dass  die  Gesellschaft  schon  wenige 
Monate  nach  ihrer  Rehabilitirung  hoch 
genug  in  der  Gunst  stand,  um  dazu 
ausersehen  zu  werden,  den  Grundstock 
der  damals  von  der  Regierung  geplanten 
Eisenbahn- Vereinigung  in  Galizien  zu 
bilden,  wovon  später  noch  besonders  die 
Rede  sein  wird. 

Während  des  über  die  Lemberg- 
Czernowitzer  Bahn  niedergegangenen 
Ungewitters  fuhr  ein  Blitzstrahl  auch  in 

14* 


212 


Ignaz  Konta. 


das  Nachbarhaus  —  die  Carl  Ludwig- 
Bahn.  Hier  kam  es  jedoch  zu  keinem 
hellauflodernden  Brande;  der  Zünd- 
stoff war  bald  aufgefunden  und  die 
gesellschaftliche  Verwaltung  sofort  be- 
müht, die  Flammen  abzudämpfen.  Das 
dräuende  Gewölke  nahm  die  Richtung 
zur  Carl  Ludwig-Bahn  hinüber,  als  die 
Aufsichtsbehörde,  welche,  durch  mehrere, 
schon  im  Herbste  1872  erschienene 
Zeitungsartikel  förmlich  dazu  aufgefordert, 
bei  der  Prüfung:  der  Garantie-Rechnung 
pro  1872  mit  besonderer  Eindringlich- 
keit zu  Werke  ging,  auch  thatsächlich 
ganz  aussergewöhnliche  Mängel  ent- 
deckte. Einerseits  waren  dem  Betriebe  des 
neuen  Netzes  Ausgaben  angelastet,  die 
gänzlich  oder  doch  zum  Theile  die,  eine 
Staatsgarantie  nicht  in  Anspruch  nehmende 
alte  Linie  angingen;  andererseits  ent- 
hielten die  Rechnungen  Posten,  die 
lediglich  Privatsachen  des  General- 
Directors  betrafen  und  daher  überhaupt 
nicht  mit  der  gesellschaftlichen  Gebarung 
vermengt  sein  sollten. 

Dies  hatte  zur  Folge,  dass  der 
Handelsminister  am  29.  Juli  1873  eine 
Disciplinar-Untersuchung  [nach  §  85  der 
Betriebs-Ordnungvom  1 6.  November  185 1] 
gegen  den  vorerwähnten  Functionär  ver- 
fügte und  das  Finanzministerium  mittels 
Erlasses  vom  13.  September  1873  an 
den  Rechnungen  eine  Reihe  von  Ab- 
strichen vornahm.  Damit  war  nun  auch 
für  die  Verwaltung  der  Carl  Ludwig- 
Bahn  ein  sehr  ernster  Moment  gekom- 
men ;  denn  schon  war  davon  die  Rede, 
beide  Nachbarbahnen  unter  eine  Ver- 
waltung zu  nehmen,  d.  h.  dem  Sequester 
der  Lemberg-Czernowitzer  Bahn  zu  unter- 
stellen, und  die  Ergebnisse  der  gegen 
den  General-Director  geführten  Unter- 
suchung an  das  Landesgericht  zu  leiten. 
Der  rasche  Entschluss  des  Verwaltungs- 
rathes,  sich  einer  Austragung  der  Be- 
mängelungen willig  zu  unterziehen,  wie 
nicht  minder  der  Umstand,  dass  der  Gene- 
ral-Director Dr.  Johann  Ritter  von  Herz 
schon  im  ersten  Stadium  der  gegen  ihn 
geführten  Untersuchung  in  Trübsinn  ver- 
fiel und  am  9.  December  1873  aus  dem 
Leben  schied,  und  dass  die  Erben  alle 
ihn  treffenden  Ersatzleistungen  mit  dem 
im  Vergleichswege  festgestellten  Betrage 


von  rund  1 20.000  fl.  auf  sich  nahmen, 
ermöglichten  jedoch  eine  geräuschlose 
Abwicklung  der  peinlichen  Angelegenheit, 
die  übrigens  die  Enthebung  des  Central- 
Directors  Louis  de  Lens  und  den  Rücktritt 
einiger  Verwaltungsräthe  nach  sich  zog. 

An  die  Spitze  der  Geschäftsleitung 
berief  der  Verwaltungsrath  den  General- 
Secretär  der  Böhmischen  Westbahn,  Dr. 
Eduard  Sochor,  der  mit  I.Januar  1874 
seinen  neuen  Posten  in  der  Eigenschaft 
eines  Central-Directors  übernahm,  nach 
etlichen  Wochen  aber  zum  General- 
Director  ernannt  wurde  und  den  früheren 
Director  der  Dniester-Bahn  Albert  Speil 
Ritter  von  Ostheim  [als  Central-Inspec- 
tor,  sodann  administrativen  Director]  zum 
Stellvertreter  erhielt.* 

Den  Actionären  umfassenden  Auf- 
schluss  über  das  Vorgefallene  zu  geben, 
enthielt  sich  der  Verwaltungsrath ;  er 
beschränkte  sich  darauf,  im  Eingange 
des  Berichtes  an  die  Generalversamm- 
lung vom  21.  Mai  1874  zu  erwähnen, 
dass  in  der  Amtsführung  des  früheren 
General-Directors  »hinsichtlich  der  Be- 
streitung von  Anschaffungen«  Unregel- 
mässigkeiten vorgekommen  seien,  die 
aber  dem  Verwaltungsräthe,  der  stets 
eine  sorgfältige  Controle  übte,  nicht  zur 
Last  gelegt  werden  können,  ferner  dass 
die  Gesellschaft  entschädigt  wurde,  und 
dass  Einrichtungen  getroffen  seien, 
»welche  die  Wiederholung  eines  ähnlichen 
Gebarens  insoweit  unmöglich  machen, 
als  dies  durch  organische  Diensteseinrich- 
tungen überhaupt  erzielt  werden  kann«. 
Einzelne  Actionäre  plänkelten  zwar  gegen 
den  Verwaltungsrath,  indem  sie  das  hohe 
Ausmass  seiner  Tantieme  anfochten,  sie 
blieben  aber  in  verschwindender  Minder- 
heit. Seitdem  deckte  Grabesstille  Alles, 
was  man  die  »AffaireHerz«  genannt  hatte. 

Das  Hineinleuchten  in  verworrene 
und  unlautere  Verhältnisse,  das  Streben 
nach  Ordnung  und  Sühne  derselben,  hatte 
dem  Handelsminister  Dr.  Banhans  zahl- 
reiche Dankesbezeugungen  eingetragen, 
ihm  aber  auch  eine  grosse  Gegner- 
schaft zugezogen,  die  sein  Vorgehen  oder 
zumindest  die  Art  desselben,  nicht  anders 
denn  als  Fehler  gelten  lassen  wollte  und 
in  diesem  Sinne  sich  sehr  vernehmlich 
machte,    besonders    anlässlich    der  Ende 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


213 


Februar  1875  krankheitshalber  erfolgten 
Beurlaubung  des  Ministers,  deren  Zu- 
sammentreffen mit  -  dem  Abschlüsse 
des  Processes  Ofenheim  dem  Gerede 
Vorschub  leistete.  Etliche  Pfeile  wurden 
ihm  sogar  noch  nachgesandt,  als  er  — 
wegen  fortdauernd  gestörter  Gesundheit 
—  sein  Amt  schon  niedergelegt  und  beim 
Eintritte  in  den  Ruhestand  sich  der  a.  h. 
vollen  Anerkennung  der  »mit  patriotischer 
Hingebung  und  eifriger  Pflichterfüllung  ge- 
leisteten treuen  und  vorzüglichen  Dienste« 
erfreut,  also  eine  glänzende  Rechtfertigung 
gefunden  hatte.    — 

Die  a.  h.  Handschreiben,  welche  den 
Ministerwechsel  vollzogen,  erflossen  am 
19.  Mai  1875.  Dem  neuen  Chef  des  Han- 
delsamtes, Johann  Ritter  von  C  h  1  u  m  e  c  k  y, 
waren  die  Geschäfte  dieser  Centralbehörde 
bereits  geläufig,  da  ihre  Leitung  ihm 
schon  seit  der  Beurlaubung  des  früheren 
Handelsministers  anvertraut  war.  Trotz- 
dem hatte  das  ihm  zugefallene  Erbe 
eine  Unsumme  von  Sorge  und 
Mühsal  über  ihn  gebracht; 
denn  wohin  sein  Auge  sich 
wandte,  begegnete  es  einem 
Nothstande,  der  dringende  Ab- 
hilfe heischte,  nirgend  aber 
einem  Ausblicke  auf  deren  bal- 
dige Ermöglichung.  Die  erste 
Ueberzeugung  davon  mochte  er 
schon  während  der  Vertretung 
des  früheren  Handelsministers 
gewonnen  haben. 

Eine  der  damals  besonders 
brennenden  Fragen  war,  weil 
das  Vertrauen  in  die  Wirkung 
der  Staatsgarantie  tief  berüh- 
rend, diejenige  hinsichtlich  der 
Deckung  der  Betriebsdeficite 
bei  garantirten  Bahnen.  Diese 
Unternehmungen  und  mit  ihnen 
weite  Kreise  der  Bevölkerung 
hingen  dem  Glauben  an,  dass 
der  Staat,  sobald  er  die  5%ige 
Verzinsung  des  genehmigten 
Anlage-Capitals  oder  ein  be- 
zügliches Erträgnis  gewähr- 
leistet habe,  auch  für  allfällige 
Betriebsabgänge  aufkommen 
müsse,  da  von  einem  Erträg- 
nisse nicht  die  Rede  sein,  be- 
ziehungsweise   die    volle    Ver- 


zinsung des  Capitals  nicht  eintreten 
könne,  wenn  und  insoweit  die  Betriebs- 
kosten des  Unternehmens  nicht  gedeckt 
seien.  Die  Regierung  hingegen  hatte  den 
Grundsatz  aufgestellt  und  bereits  wieder- 
holt, namentlich  bei  den  Budgetdebatten, 
vertreten,  »dass  die  bei  dem  Betriebe 
garantirter  Bahnen  sich  ergebenden  Be- 
triebsausfälle keinen  Gegenstand  der 
staatlichen  Garantie-Leistung  bilden«.  Die 
betreffenden  Bahnen  sahen  sich  daher 
vor  die  Nothwendigkeit  gestellt,  entweder 
den  Verpflichtungen,  zunächst  gegen  ihre 
Theilhaber,  untreu  zu  werden  oder,  zum 
Zwecke  der  Aufrechthaltung  der  ur- 
sprünglich zugesicherten  Zinsrate,  sich 
in  aufreibende  Schulden  zu  stürzen. 

Besondere  Aufmerksamkeit  lenkte  in 
dieser  Beziehung  die  Vorarlberger 
Bahn  auf  sich,  die  infolge  sowohl  ihrer 
Abgeschiedenheit  von  dem  österreichi- 
schen Schienennetze  als  auch  der  Con- 
currenz    der  nachbarlichen  fremden  Ver- 


Abb.  106.     Einschnitt  bei  Cera.     [Dalmatiner  Staatseisenbahnen.] 


214 


Ignaz  Konta. 


kehrsanstalten,  keine  rechte  Entwicklung  I 
nehmen  konnte,  andererseits  aber,  auf 
Grund  von  Staatsverträgen,  zu  bedeu- 
tenden, die  Betriebskosten  vermehrenden 
Leistungen  im  Anschlussdienste  verpflich- 
tet war,  also  unter  Verhältnissen  litt, 
deren  Abänderung  oder  Beseitigung  nicht 
im  Machtbereiche  der  eigenen  Verwaltung 
lag.  Rücksichtlich  dieser  einen  Bahn,  I 
bei  welcher  so  ausserordentliche  Um- 
stände vorwalteten,  machte  die  Regierung 
eine  Ausnahme.  Nachdem  sie  der  Ge-  ] 
Seilschaft  auf  Grund  der  a.  h.  Entschliessung 
vom  ii.  September  1874  die  Erhöhung 
der  concessionsmässigen  Garantie  [5%  : 
Reinertrag  für  nom.  1,110.000  fl.  pro 
Meile]  bis  zu  dem  im  Gesetze  vom  I 
20.  Mai  1869  festgesetzten  Maximum 
[5°/o  Reinertrag  für  nom.  1,200.000  fl. 
pro  Meile]  und  hiemit  die  Erhöhung  des 
garantirten  Anlage-Capitals  für  die  ganze 
1 1 -943  Meilen  lange  Bahn  von  13,257.00011. 
bis  zum  Höchstbetrage  von  14,331.600  fl. 
zugestanden  hatte,  um  ihr  die  Vornahme 
von  Erweiterungsbauten  und  die  Nach- 
schaffung  von  Fahrbetriebsmitteln  zu  er- 
möglichen [Handelsministerial-Erlass  vom 
15.  September  1874]  legte  die  Regie- 
rung am  24.  November  1874  dem  Ab- 
geordnetenhause einen  die  Gewährung 
von  Staatsvorschüssen  zur  Deckung  der 
Betriebsdeficite  dieser  Bahn  bezwecken- 
den Gesetzentwurf  vor. 

Obwohl  der  Motivenbericht  zu  dieser 
Vorlage  wieder  die  vorhin  erwähnte  Sen- 
tenz, dass  Betriebsausfälle  keinen  Gegen- 
stand der  staatlichen  Garantieleistung 
bilden  sowie  überdies  noch  den  Beisatz 
enthielt,  dass  die  Regierung  »in  Ueber-  I 
einstimmung  mit  der  Reichsvertretung«: 
an  jenem  Grundsatze  festhalte,  kam  doch 
allenthalben  die  Meinung  zum  Ausdrucke,  I 
das  Parlament  werde  nicht  umhin  kön- 
nen die  ganze  Frage  aufzurollen  und 
zur  Lösung  zu  bringen.  Diese  Erwar- 
tung ging  jedoch  nur  zur  Hälfte  in  Er- 
füllung. Bei  der  Berathung  des  Gesetz- 
entwurfes am  15.  März  1875  führten 
einige  angesehene  Abgeordnete  eine  all- 
gemeine Erörterung  der  Frage  herbei,  1 
beleuchteten  dieselbe  sowohl  vom  recht- 
lichen als  auch  insbesondere  vom  volks-  j 
wirtschaftlichen  Standpunkte  aus,  und 
wollten  sie  zu  Gunsten  aller  betreffenden 


Bahnen  einheitlich  erledigt  wissen;  die 
Mehrheit  des  Hauses  hielt  aber  an  den 
Anträgen  des  Eisenbahn-Ausschusses  fest, 
welche  sich  nur  mit  der  Vorarlberger 
Bahn  befassten  und  hauptsächlich  darauf 
hinausgingen,  dieselbe  durch  fallweise 
Staats  Vorschüsse  zu  unterstützen,  soweit 
der  zur  Erschöpfung  des  im  Gesetze  vom 
20.  Mai  1869  festgesetzten  Garantie- 
Maximums  für  diese  Bahn  noch  verfüg- 
bare Betrag  von  rund  911. 000  fl.  langen 
würde.  Die  Gesellschaft  hatte  nämlich, 
seitdem  ihr  die  Garantie-Erhöhung  zutheil 
geworden,  vorerst  nur  163.900  fl.  neu 
verausgabt,  daher  noch  den  vorbeziffer- 
ten Rest  frei,  der  für  die  Zeit  bis  zur 
Besserung  der  Verkehrsergebnisse  als 
ausreichend  erachtet  wurde,  zumal 
nach  weiteren  Anträgen  des  Eisenbahn- 
Ausschusses  auch  Bestimmungen  in 
den  Gesetzentwurf  aufgenommen  wur- 
den, vermöge  deren  die  Tilgung  der 
Actien  bis  zum  Aufhören  der  Betriebs- 
abgänge unterbleiben  und  die  vom  Mi- 
nisterium schon  am  15.  September  1874 
vorläufig  genehmigte  Erhöhung  der 
Personen-Tarife  dauernde  Geltung  haben 
sollte. 

Das  so  eingerichtete  Gesetz  erhielt 
am  28.  März  1875  die  a.  h.  Sanction;*) 
die  Actionäre  der  Vorarlberger  Bahn 
nahmen  in  der  Generalversammlung  vom 
14.  Juni  1875  die  einschlägige  Statuten- 
änderung vor  und  ermächtigten  den  Ver- 
waltungsrath  zur  Vermehrung  des  An- 
lage-Capitals um  den  für  die  obenbe- 
zeichneten Erfordernisse  verausgabten 
Betrag  von  139.600  fl.,  was  durch  Ver- 
äusserung  von  698  gesellschaftlichen 
Prioritäts-Obligationen  ä  200  fl.  geschah. 
Die  Staatsverwaltung  sorgte  fortan  für 
die  Deckung  der  Betriebskostenabgänge. 
Der  Vorarlberger  Bahn  war  also  ge- 
holfen, die  allgemeine  Frage  wegen  der 
Betriebsdeficite  blieb  aber  nach  wie  vor 
offen. 


*)  Auf  Grund  dieses  Gesetzes  eine  be- 
sondere Vereinbarung  mit  der  Gesellschaft 
einzugehen,  erachtete  die  Regierung  nicht  für 
nothwendig  und  brachte  dies  mit  dem  Han- 
delsministerial-Erlasse  vom  13.  Juni  1875  dem 
Verwaltungsrathe  zur  Kenntnis.  [Vgl.  die 
österreichische  Eisenbahn-  Gesetzsammlung 
von  Pollanetz  und  Wittek,  Band  V,  Abthei- 
lung 2,  S.  467.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


215 


atz  und  Rivabahn  Sebenico.  [Dalmatiner  Staatseisenbahn.] 


Fast  noch  weiter  in  den  Vordergrund 
gerückt  erschien  zur  selben  Zeit  die  durch 
den  allgemeinen  Ruf  nach  Eisenbahn- 
bauten, die  kaum  länger  aufschiebbare  Vor- 
sorge für  eine  zielbewusste  Vervollstän- 
digung des  Bahnnetzes.  Es  gebrach  aber 
noch  an  einem  Plane  für  die  Reihen- 
folge und  für  das  System  der  Sicher- 
stellung neuer  Linien ;  den  sollte  erst 
das  zugesagte  Programm  bringen.  Für 
den  Augenblick  stand  nur  eine  Linie  in 
Behandlung,  nämlich  die  Salzkammer- 
gut-Bahn, die  schon  im  Jahre  1874 
Gegenstand  eines  Specialgesetzes  [s.  S.  1 70] 
und  noch  früher  in  ihren  Theilen  bereits 
einmal  concessionirt  war.  Und  selbst 
die  Zustandebringung  dieser  einen  Linie 
gelang  nur  mit  Hilfe  der  Wieder- 
anwendung der  vollen  Staats- 
garantie. 

Die  südliche  Strecke  wurde,  wie  bereits 
erwähnt,  nachdem  die  am  II.  März  1869 
concessionirte  Pferdebahn  Ebensee-Ischl 
zu  Gunsten  des  gleichzeitig  in  Anregung 
gekommenen  gleichen  Locomotivbahn- 
Projectes  aufgegeben  worden  war,  als 
schmalspurige  »Eisenbahn  Ebensee-Ischl- 
Steeg«  am  9.  December  1869  dem  Con- 
sortium  des  Ischler  Badearztes  Dr.  Johann 
Ritter  von  Brenner-Felsach,  concessionirt, 
welches  jedoch,  weil  es  die  Geldmittel 
nicht  beschaffen  konnte,  die  Concession 
dem  englischen  Unternehmer  J.  Sharp 
verkaufte     [1871].       Diesem    gelang    es 


zwar,  eine  Gesellschaft  zu  bilden  und 
die  Wiener  Wechslerbank  für  die 
Finanzirung  zu  gewinnen,  gleichwohl 
aber  nicht  den  ganzen  Baufond  aufzu- 
bringen. Die  Actien  [1,800.000  fl.] 
blieben  in  seiner  eigenen  Hand  und 
der  Erlös  für  die  Prioritäts  -  Obliga- 
tionen [nom.  2,700.000  fl.]  ungefähr  zur 
Hälfte  bei  der  Wechslerbank  aushaftend. 
Mit  den  spärlichen  Zuflüssen  und  den 
von  ihm  selbst  beigestellten  Mitteln 
wurden  die  Arbeiten  im  Jahre  1872  end- 
lich in  Angriff  genommen  und  bis  zur 
Vollendung  des  Unterbaues  der  Strecke 
Ebensee-Ischl  fortgesetzt;  dann  brach  die 
wirthschaftliche  Krisis  aus,  die  Wechsler- 
bank ging  unter  und  begrub  in  ihrem 
Sturze  auch  die  von  ihr  »finanzirte« 
Eisenbahn. 

Die  nördliche  Endstrecke  der  neuen 
grossen  Bahn  umfasst  einen  Theil  der 
am  7.  Januar  1873  dem  Baurathe  Karl 
Freiherrn  von  Schwarz  in  Gemeinschaft 
mit  der  Industrie-  und  Commerzialbank 
für  Oberösterreich  ohne  jegliche  staatliche 
Begünstigung  concessionirte,  infolge  der 
Krisis  aber  überhaupt  nicht  in  Angriff 
genommene,  3-8  Meilen  lange  »Altheim- 
Schärdinger  Eisenbahn«. 

Das  Mittelstück  —  die  eigentliche 
»Salzkammergut-Bahn«  — wurdeEnde 
1870  von  der  Stadtgemeinde  Ried  in  Ver- 
bindung mit  der  Wolfsegg-Traunthaler 
Kohlengewerkschaft,    dem  Bürgermeister 


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Ignaz  Konta. 


von  Ischl  u.  A.  projectirt.  Sie  war  ge- 
plant, um  die  Kohlenflötze  des  Hausruck 
mit  den  Salinen  in  unmittelbare  Ver- 
bindung zu  bringen,  das  Absatzgebiet 
dieser  Kohle  zu  erweitern,  die  Verfrachtung 
des  Salzes  sowie  die  Verwerthung  der 
Holzbestände  der  staatlichen  Forste  des 
Koppen  zu  erleichtern  und  den  Fremden- 
verkehr in  das  an  Naturschönheiten  reiche 
Salzkammergut  zu  steigern.  Ihre  Trace 
sollte  von  Passau  oder  Schärding  über 
Ried,  Timmelkam,  Kammer,  Ischl,  Aussee 
und  St.  Martin  nach  Steinach  zum  An- 
schlüsse an  die  Salzburg-Tiroler  Bahn 
führen.  Bei  der  Prüfung  des  Projectes 
hatte  sich  jedoch  herausgestellt,  dass  aus 
öconomischen  und  technischen  Gründen 
die  Führung  der  Bahn  über  Attnang  und 
Gmunden  nach  Ischl  vortheilhafter  sei. 
Dadurch  kam  sie  aber  mit  dieser  Strecke 
in  die  Trace  der  Ebensee-Ischler  Bahn 
zu  liegen,  was  für  die  letztere  den  Nutzen 
hatte,  dass  ihre  aufgelassenen  Bauten, 
soweit  sie  für  die  normalspurige  Bahn 
verwendbar  blieben,  wieder  einen  Werth 
erhielten.  DieConcessionswerber  stimmten 
dieser  Aenderung  zu,  Hessen  auch  das 
Begehren  nach  staatlicher  Unterstützung, 
als  welche  sie  hauptsächlich  eine  Ueber- 
nahme  von  Actien  oder  Steuerfreiheit 
erbeten  hatten,  fallen  und  erhielten  am 
9.  April  1873  die  Concession.  Die  Durch- 
führung derselben  scheiterte  gleichfalls  an 
der  Unmöglichkeit  der  Geldbeschaffung. 
Wegen  der  wirthschaftlichen  Be- 
deutung der  Bahn  auf  deren  vielseits 
befürwortete  Sicherstellung  weiter  be- 
dacht, suchte  nun  das  Handelsministerium 
neue  Anhaltspunkte  hiefür  zu  gewinnen ; 
es  verhandelte  zunächst  mit  den  bis- 
herigen Concessionären  [Protokoll  vom 
29.  Januar  1874],  bewilligte  eine  zeit- 
liche Staatsgarantie,  die  in  dem  Ge- 
setze vom  6.  Mai  1874  mit  57.000  fl. 
pro  Meile  auf  die  Dauer  von  zwanzig 
Jahren  festgesetzt  wurde,*)  und  trat,  nach- 
dem jene  Concessionäre  die  Angelegenheit 
gewissermassen  aufgegeben  hatten,  un- 
mittelbar mit  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  in  Concessions  -Verhandlungen  ein 
[Protokoll    vom    27.   Mai   1874],    welche 

*)  In  der  Regierungsvorlage  vom  10.  Fe- 
bruar 1874  war  eine  25jährige  Dauer  der 
Staatsgarantie  in  Aussicht  genommen. 


Gesellschaft  sogleich  mit  allem  Eifer  an 
die  Sache  ging,  weil  sie  in  der  Erwerbung 
der  neuen  Linie  ein  geeignetes  Mittel 
erblickte,  die  Umklammerung  seitens  der 
Südbahn  und  Elisabeth-Bahn  wenigstens 
nach  einer  Richtung  hin  zu  durchbrechen. 

Da  aber,  wo  sie  auch  anklopfte,  die 
Finanzirung  abgelehnt  wurde,  insolange 
die  Staatsgarantie  nicht  für  die  ganze 
Dauer  der  Concession  zugesichert  war, 
entschloss  sich  die  Regierung,  eine  be- 
zügliche Abänderung  des  Gesetzes  vom 
6.  Mai  1874  zu  bewirken,  was  durch 
das  aus  der  Vorlage  vom  24.  Februar 
1875  hervorgegangene  Gesetz  vom  28. 
März  1875  geschah.  Nun  wurden  die 
Concessions  -Verhandlungen  endgiltig  zum 
Abschlüsse  gebracht  [Protokoll  vom  13. 
und  29.  April],  hiebei  die  Uebernahme 
der  verwendbaren  Entitäten  der  Ebensee- 
Ischl-Steger  Bahn*)  geregelt,  wie  auch  — 
infolge  des  NichtZustandekommens  der 
Altheim-Schärdinger  Bahn  **)  —  nicht 
Andiesenhofen,  sondern  Schärding  als 
nördlicher  Endpunkt  der  Bahn  bestimmt, 
ferner  die  Intervention  der  Regierung  in 
Betreff  der  Mitbenützung  der  zur  Ver- 
bindung mit  dem  alten  Netze  der  Rudolf- 
Bahn  dienenden  Elisabeth-Bahn-Strecke 
Selzthal-Steinach  zugesichert,  und  hierauf 
am  27.  Mai  1875  die  neue  Concession 
für  die  Salzkammergut-Bahn***)  an  die 
Kronprinz  Rudolf- Bahn  hinausge- 
geben. 

Dieselbe  umfasst  die  Linie  von 
Stein  ach  über  Aussee,  Ischl,  Ebensee, 
Attnang  und  Ried  nach  Schär  ding 
sowie  die  Flügelbahnen  von  A  c  h  1  e  i  t  e  n 
nach  Thomasroith  und  von  Eben- 
see zu  den  dortigen  Salinen  und  zum 
Traunsee,  gewährt  diesem  Unterneh- 
men für  die  ganze,  mit  90  Jahren  be- 
messene   Concessionsdauer    eine    Staats- 


*)  und  **)  Die  Concession  für  die  Ebensee- 
Ischl-Steger  Bahn  wurde  über  a.  h.  Ent- 
schliessung  vom  23.  Juni,  und  jene  für  die 
Altheim-Schärdinger  Bahn  über  a.  h.  Ent- 
Schliessung vom  19.  November  1874  als  er- 
loschen erklärt  [Kundmachung  des  Handels- 
ministeriums vom  23.  Juni  und  vom  4.  De- 
cember  1874]. 

***)  Die  Annullirung  der  alten,  vom  9.  April 
1873  datirenden  Concession  brauchte  nicht 
kundgemacht  zu  werden,  weil  dieselbe  weder 
thatsächlich  ausgefertigt  noch  verlautbart 
worden  war. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreiclis. 


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garantie  von  57.800  fl.  pro  Meile  und 
bestimmt  den  1.  Juli  1875  als  Termin  für 
die  Inangriffnahme,  beziehungsweise  den 
27.  November  1878  als  spätesten  Termin 
für   die  Vollendung    des  Baues. 

Zum    Zwecke     der    Geldbeschaffung 
ermächtigte      die      Generalversammlung 
vom  26.  Juli   1875    den  Verwaltungsrath  j 
dahin  zu  wirken,  dass  mit  Genehmigung  [ 
der  Regierung  allenfalls  statt  der  Silber-  I 


später  [10.  und  11.  November]  zum 
Curse  von  883/4  erfolgreich  zur  öffent- 
lichen Zeichnung  auflegte. 

Bis  dahin  war  im  Wege  einer  be- 
schränkten Offertverhandlung  auch  schon 
der  Bau  vergeben  worden,  und  zwar  an 
den  Unternehmer  Karl  Freiherrn  von 
Schwarz,  der  sich  zur  Herstellung,  Aus- 
rüstung und  rechtzeitigen  Vollendung  der 
Bahn    um    die  Summe    von    385.000   fl. 


Steinach-Irdning. 


titel  [27,740.000  fl.]  solche  in  Gold  aus- 
gegeben werden  dürfen,  weil  das  aus- 
ländische Capital,  auf  welches  allein 
damals  gezählt  werden  konnte,  sich  von 
den  Silberwerthen  völlig  abgewendet 
hatte.  Die  Regierung  liess  der  Gesell- 
schaft freie  Hand,  machte  jedoch  den 
ausdrücklichen  Vorbehalt,  dass  »derStaats- 
schatz  lediglich  die  gesetzliche,  in  Silber 
garantirte  Annuität  als  Maximum  seiner 
Leistungen  anerkenne«.  So  hat  denn 
die  Gesellschaft  5%'ge  Goldprioritäten 
im  Betrage  von  nom.  25,220.000  fl.  aus- 
gegeben, welche  ein  durch  den  Wiener 
Bankverein  vertretenes  Finanzconsortium 
zum  Curse  von  88°/o  theils  [*/5]  in  feste 
Rechnung,    theils    in  Option    nahm    und 


pro  Meile  verpflichtete.  Der  Vertrag  er- 
hielt am  2.  November  1875  die  Genehmi- 
gung des  Handelsministeriums.  Nach- 
träglich betheiligte  sich  auch  die  Firma 
Klein  an  dem  Baue. 

Die  gesellschaftliche  Bauleitung  versah 
der  Ober-Inspector  August  Platte,  der 
[nachdem  der  General  •  Director  Georg 
Ritter  von  Aichinger  im  Herbste  1873 
wieder  in  den  Verwaltungsrath,  aus  dem 
er  hervorgegangen,  eingetreten  war]  als 
General  -  Director  -  Stellvertreter  fungirte, 
bis  der  Director  der  Ebensee-Ischl-Steger 
Bahn,  Moriz  M ora witz,  der  auch  die 
technischen  Projecte  der  Salzkammergut- 
Bahn  ausgearbeitet  und  die  Concessions- 
Verhandlungen     geführt    hatte,    an     die 


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Ignaz  Konta. 


Spitze    der    Geschäftsleitung    der   Kron- 
prinz  Rudolf-Bahn  berufen  wurde. 

Unter  der  Obhut  dieser  bewährten 
Techniker  machte  der  Bau  rasche  Fort- 
schritte, so  zwar,  dass  die  Hemmung, 
welche  durch  die  seitens  des  Bankver- 
eines unterlassene  Ausübung  der  Option 
auf  einen  Rest  des  Goldanlehens  entstan- 
den und  erst  durch  die  Belehnung  des- 
selben von  Seite  der  Bodencredit- Anstalt 
behoben  war,*)  fast  unbemerkt  blieb  und 
die  ganze,  170/5  km  lange  Bahn  schon 
am  23.  October  1877,  also  mehr  als  ein 
Jahr  vor  dem  concessionsmässigen  Voll- 
endungstermine eröffnet  wurde.  Die  An- 
lagekosten betrugen  nach  Ablauf  des 
ersten  Betriebsjahres  24,896.416  fl.,  er- 
höhten sich  jedoch  allmählich  auf  den 
bei  der  Concessionirung  veranschlagten 
Höchstbetrag  von  25,220.000  fl. 

Der  am  18.  Juni  1877  abgeschlossene 
und  am  14.  August  1877  vom  Handels- 
ministerium genehmigte  Peage- Vertrag 
[der  erste  in  Oesterreich]  sicherte  der 
Gesellschaft  die  freie  Mitbenützung  der 
zwischen  dem  alten  Netze  der  Rudolf- 
Bahn  und  der  Linie  Steinach-Schärding 
liegenden,  18-4  km  langen  Elisabeth- 
Bahn-Strecke  Selzthal-Steinach  [-Irdning]. 
Was  jedoch  hievon,  beziehungsweise  von 
dem  Hinzukommen  der  Salzkammergut- 
Bahn  zum  Bahngebiete  der  Rudolf-Bahn 
erwartet  worden  war  —  eine  ansehnliche 
Besserung  ihrer  Ertragsverhältnisse  — 
ist  nicht  zugetroffen ;  die  Gesellschaft 
war  vielmehr  auch  weiterhin  bemüssigt, 
die  Staatsgarantie  in  hohem  Masse  in 
Anspruch  zu  nehmen. 

Die  Hauptlinie  der  Salzkammergut- 
Bahn,  welche,  der  Bauart  nach,  zu  den 
schwierigeren  Gebirgsbahnen  gezählt  werden 
muss,  verbindet  in  ihrem  Zuge  durch  die 
Strecke  Steinach-Irdning-Gmunden  die  rei- 
zendsten Punkte  des  von  Naturfreunden  und 
der  Touristenwelt  wohlgewürdigten  Salz- 
kammergutes. 

Von  der  Station  Steinaeh-Irdning  ausge- 
hend, zieht  die  Bahn  in  westlicher  Richtung, 


*)  Es  handelte  sich  da  um  einen  An- 
lehensrest  von  nom.  8,865.200  fl.,  den  die 
Bodencredit-Anstalt  mit  6,000.000  fl.  belehnte, 
späterhin  aber  zum  Curse  von  8r2  theils  in 
feste  Rechnung,  theils  in  Commission  nahm; 
der  letzte  Posten  dieser  Prioritäten  wurde 
erst  im  November  1878  [an  französische  Geld- 
kräfte] verkauft 


durch  den  185  in  langen  Unterburger-  und 
335  in  langen  Burgstallerwand-Tunnel,  über- 
brückt den  Wallerbach  und  Grimmingbach 
und  erreicht  bei  Klachau  ihre  höchste  Er- 
hebung. [833  in  Seehöhe.]  Die  Bahn  durch- 
schneidet nun  das  hier  erstiegene,  die  Wasser- 
scheide zwischen  Enns  und  Traun  bildende 
Hochplateau,  auf  welchem  sich  die  Station 
Mitterndorf  und  an  dessen  Ende  sich  die 
Station  Kainisch  befindet,  führt  dann  in  nord- 
westlicher Richtung  im  Gefälle  bis  gegen  Aus- 
see hin.  Vor  der  Station  Aussee  wird  der  Kai- 
nischtraunfluss  übersetzt.  Von  hier  weiter  geht 
die  Trace  im  Allgemeinen  in  südwestlicher 
Richtung  am  linken  Ufer  der  Traun  am 
Fusse  des  Koppengebirges  —  wegen  des 
gewaltigen  Lawinenganges  vom  Koppen  über 
das  Haslingerriff,  mit  Benützung  zweier 
Traunbrücken,  auf  die  Länge  von  einigen 
hundert  Metern  das  Ufer  wechselnd  —  dann 
wieder  am  linken  Traunufer  die  Landes- 
grenze von  Steiermark  und  Oberösterreich 
überschreitend,  im  wilden,  höchst  romanti- 
schen Koppenthaie  mittels  starken  Krüm- 
mungen und  stetem  Gefälle  in  schwierigem 
Lehnenbau  durch  den  56  m  langen  Mühl- 
werkstein-Tunnel, übersetzt  hier  nochmals 
den  Traunfluss  und  gelangt  hierauf  in  ein 
kleines  Seitenthal,  an  dessen  am  Hallstätter 
See  gelegenen  Ende  die  Ortschaft  und  der 
StationspTatz  Obertraun  liegt.  Von  der 
Station  Obertraun  zieht  die  Bahn  in  einer 
nahezu  nördlichen  Richtung  nach  Ueber- 
setzung  des  Wehrgrabens,  in  den  165  in 
langen  Wehrgraben-Tunnel,  auch  Saarstein- 
Tunnel  genannt,  und  nach  dem  Austritte  aus 
demselben  längs  des  östlichen  Ufers  des 
Hallstätter  Sees,  in  einer  Höhe  von  13  m 
über  dem  Seespiegel  nach  Steeg.  Von  da 
weiter  an  Goisern,  Anzenau  und  Laufen 
vorüber  zieht  die  Bahn  fortwährend  nördlich, 
die  Ufer  des  Traunflusses  wechselnd,  im  Traun- 
thale  mit  massigem  Gefälle  und  günstigen 
Richtungsverhältnissen,  durch  den  69  m  langen 
Ischler  Tunnel,  bis  nach  Ischl.  In  dieser 
Strecke  wird  die  Traun  dreimal  überbrückt. 
Indem  die  Trace  nun  den  reizend  gelegenen 
Curort  Ischl  und  den  an  der  Traun  gele- 
genen Bahnhof  verlässt,  übersetzt  dieselbe 
knapp  darauf  wieder  den  Traunfluss,  und 
geht  von  nun  ab  über  Mitterweissenbach 
bis  Ebensee  in  nordöstlicher  Richtung  mit 
massigem  Gefälle,  in  ziemlich  zahlreichen 
Krümmungen  sich  dem  Laufe  des  Traun- 
flusses anschmiegend,  am  rechten  Ufer  des- 
selben fort.  In  dieser  Strecke  wurden  die 
Traun,  der  Redtenbach  und  Frauenweissen- 
bach  überbrückt.  Von  der  am  südlichen  Ufer 
desTraunsees  gelegenen  Station  Ebensee  zieht 
die  Trace  nach  Uebersetzung  des  Traunflusses 
und  Aussendung  zweier  kleinen  Industrie- 
geleise [zum  Traunsee  und  zur  Saline],  in 
schwierigem  Gebirgsbaue  in  nördlicher  Rich- 
tung, zuerst  längs  des  langgestreckten  westli- 
chen Ufers  des  Traunsees  nach  Traunkirchen, 
dann  in  einiger  Entfernung  vom  Seeufer, 
in  zahlreichen  Krümmungen,  an  Ebenzweier 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


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Abb.  ioq.    Brücke  über  die  Traun  bei  Aussee. 


vorüber  nach  dem  reizend   gelegenen  Städt- 
chen und  klimatischen  Curorte  Gmunden. 

Diese  Strecke  bot  in  dem  nur  65  km 
langen  Theile  zwischen  Ebensee  und  Traun- 
kirchen  die  meisten  Bauschwierigkeiten,  weil 
hier  die  Trace  mit  stets  wechselnden  Stei- 
gungsverhältnissen in  schwierigem  Lehnen- 
baue dahinzieht  und  in  rascher  Folge  die 
Durchfahrung  von  fünf  Tunnels  erfordert. 
Die  Tunnels  sind:  der  1428  m  lange  Sonn- 
stein-Tunnel,*) der  224  m  lange  Siegesbach- 
Tunnel,  der  in  m  lange  Forst-Tunnel,  der 
159  m  lange  Calvarienberg-Tunnel  und  der 
90  m  lange  Stein-Tunnel. 

Von  Gmunden  aus  den  Charakter  einer 
schwierigen  Gebirgsbahn  verlierend,  steigt 
die  Trace  massig  bis  zur  Höhe  von  Pinsdorf 
[historisch  bekannt  aus  dem  Bauernkriege], 
fällt  von  da  an  und  zieht  im  Aurachthaie  über 
Aurachkirchen,  bis  gegen  gegen  Puchheim, 
übersetzt  dann  den  Agerifuss  und  mittels 
anschliessendem  Damm  das  gleichnamige 
Thal,  um  dann  Attnang  zu  erreichen,  von 
wo  aus  die  Trace  zum  Theile  auf  dem  Bahn- 
körper der  hier  vormals  bestandenen  schmal- 
spurigen   Kohlenbahn   Attnang-Thomasroith 

*)  Beim  Baue  des  Sonnstein-Tunnels  ge- 
langte die  vom  Ingenieur  Alfred  Brandt 
erfundene  Bohrmaschine,  welche  auch  später 
am  Arlberge  die  vorzüglichsten  Dienste 
leistete,  zum  erstenmale  in  Oesterreich  zur 
Anwendung.  [Näheres  S.  Bd.  II,  A.  Birk, 
Tunnelbau.] 


in  ziemlich  starker  Steigung  und  vielen 
Krümmungen  zur  Station  Manning-Wolfsegg 
[Anfang  des  Hausruck-Kohlenreviers]  und 
von  da  am  Abhänge  des  Hausrucks  weiter 
zur  Station  Holzleithen  gelangt.  Diese  Sta- 
tion ist  Abzweigungsstation  für  die  5-816 /fe»i 
lange  Flügelbahn  nach  Thomasroith.  Von 
Holzleithen  steigt  die  Bahn  bis  zur  Ein- 
fahrt in  den  Hausruck-Tunnel.  Vom  Tunnel 
aus  führt  die  Bahn  in  stetem  Gefälle  über 
die  Haltestelle  Hausruck  nach  der  Station 
Eberschwang,  wo  sie  die  Grenze  des  Haus- 
rucker  Kohlenreviers  erreicht  und  dann 
immer  in  starkem  Gefälle  und  in  vielfachen 
Krümmungen  bis  Ried.  Von  dieser  Station 
aus  zieht  die  Bahn  an  den  Stationen  Aurolz- 
münster  und  St.  Martin  vorüber  nach  An- 
diesenhofen,  auf  diesem  Zuge  immer  dem 
natürlichen  Gefälle  des  Andiesenthales  sich 
anschmiegend,  übersetzt  den  Andiesenbach 
knapp  vor  dessen  Mündung  in  den  Inn  und 
führt  sodann  im  Innthale  zur  Station  Suben 
und  von  da  nach  Uebersetzung  des  Pram- 
flusses  in  der  Nähe  des  Ortes  Pramersdorf 
bis  Schärding,  dem  Endpunkte  der  Salz- 
kammergut-Bahn. [Abb.  108— 115.] 


Von  den  anderen  Vermächtnissen  des 
früheren  Handelsministers  konnten  ein- 
zelne erst  später  nutzbar  gemacht  werden, 
wie  beispielsweise  die  Beschlüsse  des 
Reichsrathes  hinsichtlich  der  Gewährung 


2  20 


Ignaz  Konta. 


einer  Unterstützung  an  die  Erste  unga- 
risch-galizische  Eisenbahn  und  das  Gesetz 
vom  28.  März  1875  über  die  Zugeständ- 
nisse für  die  Sicherstellung  einer  Secun- 
därbahn  von  der  Station  Elbogen-Neu- 
sattl  zur  Stadt  Elbogen  —  oder  sie  wurden 
völlig  gegenstandslos,  wie  die  Fusions- 
verhandlungen und  das  Gesetz  vom 
28.  März  1875,  welches  in  Abänderung 
des  Gesetzes  vom  3.  Mai  1874  die  für  die 
Linie  Troppau-Vlarapass  zugestan- 
dene Staatsgarantie  von  51.800  fl.  pro 
Meile  unter  gewissen  Bedingungen,  nun- 
mehr für  die  ganze  Dauer  der  Concession 
gewährte,  beziehungsweise  die  Regierung 
ermächtigte,  im  Falle  des  Nichtgelingens 
der  Concessionirung,  vorerst  den  Bau  der 
Strecke  Troppau-Neutitschein  auf  Staats- 
kosten in  Angriff  zu  nehmen.  Dies 
letztere  Gesetz  war  insoferne  erfolglos, 
als  hiedurch  weder  eine  Concessionirung 
der  genannten  Bahnlinie,  noch  deren  Bau 
als  Staatsmann  erreicht  wurde. 

Seine  eigene  Thätigkeit  richtete  der 
Handelsminister  von  Chlumecky  gleich 
von  vornherein  darauf,  die  Heilung 
des  im  Eisenbahnwesen  eingerissenen 
Siechthums,  welche  das  am  20.  März  1875 
auf  Ferien  gegangene  Parlament  so  ganz 
und  gar  der  Initiative  der  Regierung 
überlassen  hatte,  nach  Möglichkeit  zu 
bewirken.  Unter  den  hiefür  ins  Auge 
gefassten  Massnahmen  war  dem  Eisen- 
bahnbaue auf  Staatskosten  und  der 
Einführung  zeitgemässer  Neuerungen  auf 
administrativem  Gebiete  ein  hervorragen- 
der Platz  eingeräumt.  Darum  Hess  er 
sich,  theilweise  schon  während  seiner 
provisorischen  Amtsführung,  die  Gewin- 
nung  neuer    Hilfskräfte    angelegen    sein. 

Zu  Ostern  1875  zog  Wilhelm  von 
Nördling,  der  mit  a.  h.  EntSchliessung 
vom  25.  März  1875  zum  Sectionschef 
und  General-Director  des  österreichischen 
Eisenbahnwesens  ernannt  worden  war, 
zum  zweitenmale  in  das  Handels- 
ministerium ein,*)  mit  erhöhtem  Range 
und      vielumfassendem     Wirkungskreise. 


*)  Von  187 1  bis  April  1872  fungirte  von 
Nördling  als  Hofrath  und  bautechnischer 
Consulent  im  k.  k.  Handelsministerium  [s.  S. 
134],  hernach  war  er  bis  zu  seiner  Wieder- 
berufung in  dasselbe  General-Director  der 
Theissbahn. 


Fünf  Monate  später  erfolgte  auf  Grund  der 
a.  h.  Entschliessung  vom  16.  August  1875 
die  Reorganisation  derk.  k.  Ge- 
neral-Inspectio n,*)  wobei  dieselbe 
in  fünf  gleichgestellte,  je  von  einem 
General-Inspector  [mit  dem  Range  eines 
Hofrathes  oder  Regierungsrathes]  geleitete 
Abtheilungen  gegliedert  wurde,  —  und 
die  Errichtung  einer  Direction 
für  die  Staatseisenbahn -Bauten, 
welche  neue  Behörde  den  Baudirector 
der  ungarischen  Ostbahn,  Julius  L  o  1 1, 
zum  Vorstande  erhielt. 

In  die  Zwischenzeit  fielen  ein  er- 
quickliches und  ein  neuerdings  herab- 
stimmendes Geschehnis. 

Das  erstere  war  die  vollständige  Wieder- 
aufrichtung der  Leoben-Vordernber- 
ger  Bahn,  welche  am  16.  Januar  1874, 
infolge  des  strengen  Vorgehens  einzelner 
Wechselgläubiger,  plötzlich  in  Concurs  ge- 
rathen  war  [s.  S.  87],  aber,  Dank  dem  Zu- 
sammenwirken aller  Interessenten,  vor 
dem  Untergange  bewahrt  blieb.  Es  hatte 
sich,  gleich  nach  der  ersten  Tagfahrt 
zur  Anmeldung  der  Schuldforderungen, 
ein  Ausgleichs-Comit6  gebildet,  welches 
auf  Grund  folgender  Vorschläge  einen 
aussergerichtlichen  Vergleich  zustande 
brachte :  Die  Hauptgläubiger  nehmen 
für  ihre  Forderungen  gesellschaftliche 
Prioritäts-Obligationen  III.  Emission  zum 
Curse  von  9O°/0  in  Zahlung;  zu  diesem 
Zwecke  werden  solche  Prioritäten  im 
Betrage  von  nom.  300.000  fl.  aus- 
gegeben, wovon  75.000  fl.  in  Reserve 
verbleiben ;  die  Prioritäten-Besitzer  willi- 
gen in  die  Nichteinlösung  der  1874er 
Coupons  und  die  Sistirung  der  Tilgung 
in  den  Jahren  1874 — 1877.  Sämmtliche 
Vorschläge  fanden  die  Zustimmung  der 
Gläubiger,  wie  auch  der  Curatelsbehörde 
[22.  September  1874]  und  der  Regierung, 
worauf  der  Concurs  aufgehoben  und, 
seitens  des  nun  wieder  in  Function  ge- 
tretenen Verwaltungsrathes,  eine  ausser- 
ordentlliche  Generalversammlung  ein- 
berufen wurde.  Diese  fand  am  15.  No- 
vember 1874  statt,  genehmigte  den 
Ausgleich    sowie    die    neue    Prioritäten- 


*)  Die  neue  Organisirung  wurde  mittels 
Verordnung  des  Handelsministeriums  vom 
26.  August  1875  verlautbart. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


221 


Emission,  zu  welcher  hernach  auch  die 
Regierung,  unter  gleichzeitiger  Verlaut- 
barung der  diesfalls  erforderlich  gewese- 
nen und  mit  a.  h.  EntSchliessung  vom 
3.  Januar  1875  bewilligten  Abänderung 
der  Concessions-Bestimmungen  über  das 
Verhältnis  des  Actien-  zum  Priori- 
täten-Capitale  [Kundmachung  des  Han- 
delsministeriums vom  5.  Januar  1875], 
die  definitive  Zustimmung  ertheilte.  Da 
auch  die  Südbahn  [als  Betriebsführerin] 
auf  ihr  Compensationsrecht  verzichtet 
hatte  und  die  Befriedigung  der  Gläubiger 
mit  den  neuen  Prioritäten  ungestört  vor 
sich  ging,  fand  die  Generalversammlung 
vom  20.  Juni  1875  die  Gesellschaft  be- 
reits wieder  in  geordneten  Verhältnissen, 
die  sich  weiterhin  allmählich  zu  glänzen- 
den gestalteten. 

Jenes  andere  Geschehnis  betraf  die 
Braunau-Strasswalchner  Bahn, 
die  gleich  nach  ihrer  Eröffnung  zu  den 
allernothleidendsten  Unternehmungen  ge- 
hörte [s.S.  155].  Unvermögend,  die  Priori- 
täts-Obligationen zu  verzinsen,  kam  sie 
schon  im  Juli  1874  unter  Curatel,  und  mit 
einem  täglich  wachsenden  Betriebs- 
deficite  belastet,    war  sie  ausser  Stande, 


der  Elisabeth-Bahn,  welche  den  Betrieb 
besorgte,  volle  Vergütung  zu  leisten. 
Die  Folge  davon  waren  Unterstützungs- 
gesuche an  die  Regierung  und,  nachdem 
dies  nichts  gefruchtet  hatte,  eine  Bitte 
an  die  Elisabeth-Bahn  um  Stundung 
ihrer  Forderung.  Die  Antwort  hier- 
auf war  eine  Kündigung  des  Betriebs- 
vertrages [11.  Juli   1874]. 

Ohne  Mittel  zur  Anschaffung  eines 
Fahrparkes  und  zur  Führung  des  Betriebes 
in  eigener  Regie,  trat  die  Gesellschaft 
nun  mit  Verkaufsanträgen  an  die  Elisa- 
beth-Bahn heran,  die  aber  an  dem  ge- 
ringen Anbote  scheiterten. 

Der  Verwaltungsrath  und  der 
Curator  hatten  einen  Kaufpreis  von 
2,000.000  fl.  und  dann,  in  einer  am 
6:  August  1875  im  Handelsministerium 
abgehaltenen  Conferenz,  1,500.000  fl.  ver- 
langt, die  Elisabeth  -  Bahn  aber  nur  zu- 
erst 700.000  fl.,  dann  800.000  fl.  ge- 
boten, und  ehe  der  Curator  noch  Zeit 
gefunden,  die  bereits  für  den  9.  September 
einberufenen  Prioritäre  wegen  etwaiger 
anderer  Verkaufsbedingungen  zu  befragen, 
stellte  sie  [die  Elisabeth-Bahn]  in  den 
Abendstunden  des  31.  August  den  Betrieb 


Abb.  110.    Wehrgrabenbrücke  und  Tunnel  während  der  Montirung.     [Salzkammergut-Bahn.] 


222 


Ignaz  Konta. 


der  Braunau-Strasswalchener   Bahn    ein,  | 
worauf  das  Handelsministerium  am  i.  Sep- 
tember  1875    über    dieselbe    die    Seque-  | 
stration  verhängte  und  den  k.  k.  Sections- 
rath  Dr.  Wilhelm  Leddihn  zum  Sequester 
bestellte.  Letzterer  vereinbarte  sofort  mit 
der  Elisabeth-Bahn  die  Wiederaufnahme  I 
des  Betriebes,  der  nun  am  3.  September 
neuerdings  begann. 

Angesichts      dieser     Vorgänge      be- 
schloss    die     am     9.    September     abge- 
haltene   Prioritären  -  Versammlung    den  : 
Verkauf      der     Bahn      um     den      Preis  ! 
von  1,000.000  fl. ;  jetzt  wollte  die  Elisa- 
beth-Bahn   aber   nur   mehr    500.000   fl. 
geben.    Das    Hangen    und    Bangen    der  ; 
Gesellschaft    währte     dann     noch     zwei  j 
Jahre;  denn  erst  im  Jahre  1877  kam  der  j 
Verkauf    [und    zwar  an    den   Staat]    zu- 
stande.    Bis    dahin    dauerte    die    Seque- 
stration und  wurde    der  Betrieb    einfach  1 
für  Rechnung  des  Sequesters  besorgt. 


Zehn  Tage  nach  dem  Wiederzusammen- 
tritte des  Reichsrathes,  am  29.  October 
1875,  brachte  der  Handelsminister  v.  C  h  1  u- 
mecky  den  Entwurf  eines  Gesetzes  über 
den  Bau  neuer  Eisenbahnlinien  auf 
Staatskosten  ein,  und  entwickelte  bei 
diesem  Anlasse  in  einer  ebenso  ge- 
diegenen als  inhaltreichen  Rede  alle  j 
jene  »Gesichtspunkte,  welche  die  Regie- 
rung bei  den  Reformen  auf  dem  Gebiete  ' 
des  Eisenbahnwesens  künftig  leiten  sollenc. 
Dieses  Programm  legte  vorerst  die 
Lückenhaftigkeit  und  ungleiche  Ver-  | 
theilung  des  Bahnnetzes  dar,  wies  die 
Sorge  für  die  Ausführung  der  Haupt- 
bahnen in  erster  Reihe  der  Regierung, 
hingegen  diejenige  für  das  Zustande- 
bringen von  Nebenlinien  vorwiegend  den 
Interessenten  zu  und  befürwortete,  zum 
Zwecke  derVerminderung  der  Anlagekosten 
von  rein  örtlichen,  in  schwierigem  Terrain 
gelegenen  Schienenwegen,  die  Anwendung 
der  Schmalspur;  dann  zog  es  die  be- 
stehenden Uebelstände  und  deren  Ur- 
sachen*)   in    Betracht,    bezeichnete    als 


Mittel  zur  Behebung  der  Schäden  einer- 
seits administrative  und  legislative  Re- 
formen [rasche  aber  richtige  Prüfung  der 
Garantie- Rechnungen,  Abänderung  des 
Concessions-Gesetzes,  der  Betriebs-Ord- 
nung und  des  Enteignungs- Verfahrens,Frei- 
lassung  der  Betriebsrechnungen  von  Aus- 
gaben für  Ergänzungsbauten  und  Nach- 
schaffungen etc.],  andererseits  die  »Ver- 
einigung kranker  Unternehmungen,  unter 
Zugrundelegung  ihres  wahren,  also  des 
zu  ermittelnden  commerziellen  Werthes 
unter  einer  entsprechenden  Capitalsreduc- 
tion  miteinander  und  mit  anderen  Eisen- 
bahnen«. Die  Frage,  ob  Staats-  oder 
Privatbau  wurde  jedoch  nur  im  All- 
gemeinen berührt  und  dahin  beantwortet, 
dass  ihre  Entscheidung  jeweils  davon 
abhängen  soll,  ob  der  Staat  oder  die 
betreffende  Gesellschaft  sich  das  nöthige 
Capital  zu  besseren  Bedingungen  be- 
schaffen kann. 

Eben  im  Hinblicke  auf  den  damals 
viel  besseren  Staatscredit  hatte  die  Regie- 
rung in  der  vorerwähnten  Gesetzesvor- 
lage nur  den  Staatsbau  in  Aussicht 
genommen,  und  zwar  der  Hauptbahnen : 
von  der  Wiener  Verbindungsbahn  zum 
Anschlüsse  an  die  Kaiser  Franz  Josef- 
Bahn  nebst  Abzweigung  entlang  der 
regulirten  Donau  [Donau-Uferbahn],  von 
Innsbruck  nach  Bludenz  [Arlberg-Bahn] 
und  von  Tarvis  nach  Görz  [Predil-Bahn], 
ferners  der  normalspurigen  Localbahnen: 
Bozen-Meran,  Kriegsdorf-Römerstadt  und 
Czernowitz-Nowosielica,  und  der  schmal- 
spurigen [i  m]  Localbahnen:  Mürzzu- 
schlag  -  Neuberg,  Cilli  -  Unterdrauburg, 
Unterdrauburg-Wolfsberg  und  Freuden- 
thal-Saubsdorf.     Für    alle    diese    Linien 


*)  Neben  den  von  ausserhalb  des  Eisen- 
bahnwesens herüberwirkenden  ungünstigen 
Einflüssen  [Nothwendigkeit  der  Heranziehung 
theuren,  fremdländischen  Capitals,  Vertheue- 


rung  des  Baues  und  Betriebes  durch  die 
grossen  Terrainschwierigkeiten,  Verkümme- 
rung der  wirthschaftlichen  Verhältnisse  durch 
die  Krisis  etc.]  waren  als  Ursachen  der  einge- 
rissenen Schäden  auch  Mängel  in  den  ad- 
ministrativen und  legislativen  Massnahmen 
angegeben  und  diesen  zugezählt:  Ungenau- 
igkeit  bei  der  Veranschlagung  der  Anlage- 
kosten, geringe  Voraussicht  über  die  Ertrags- 
und Entwicklungsfähigkeit  der  einzelnen 
Bahnen,  Zulassung  kleiner  an  sich  lebens- 
unfähiger Gesellschaften,  Nichthintanhaltung 
der  gewinnsüchtigen  Speculation  und  der 
durch  sie  verursachten  riesigen  Gründungs- 
kosten, Unzulänglichkeit  der  Eisenbahn-Ge- 
setzgebung und  der  Staatsaufsicht  etc. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


223 


in  der  Gesammtlänge  von  530  km  waren 
die  Kosten  mit  76,540.000  fl.  veranschlagt 
und  hievon  pro  1876  ein  Betrag  von 
12,350.000  fl.  gefordert,  überdies  für  die 
bereits  im  Baue  befindlichen  staatlichen 
Linien  ein  Betrag  von   11,342.720  fl. 

Die  Bevölkerung  begrüsste  freudig 
das  nunmehrige  kräftige  Eingreifen  der 
Regierung,  von  dem  die  Besserung  wenig- 
stens   auf    einem    der  wichtigsten  wirth- 


Widerspruche  gestandenen  Ansicht,  Hess 
er  sich  auch  dann  nicht  abbringen,  als 
der  Handelsminister  mit  gewissenhafter 
Ueberzeugung  die  Gegenerklärung  ab- 
gab, die  Finanzlage  des  Staates  sei 
keineswegs  so  erschüttert,  dass  er  nicht 
die  zum  Ausbaue  seines  Eisenbahnnetzes 
erforderlichen  Geldmittel  zu  beschaffen 
vermöchte.  Das  Schicksal  der  Vorlage 
war  also  schon  besiegelt,    ehe  noch  ihre 


Brücke  über  die  Traun  bei  Laufen.     [Salzkammergut-Bahn.j 


schaftlichen  Gebiete  erhofft  wurde.  Der 
Reichsrath  aber  beharrte  noch  weiter  in 
seiner  schier  heiligen  Scheu  vor  jedem 
grösseren  Aufwände,  und  als  das  Ab- 
geordnetenhaus, um  in  der  Sache  denn 
doch  nicht  ganz  müssig  zu  bleiben,  daran 
ging,  einige  der  vorbenannten  Local- 
bahnen  zu  bewilligen,  sprach  dessen 
Eisenbahn-Ausschuss  gleich  in  seinem 
ersten  hierüber  erstatteten  Berichte  die 
Ansicht  aus,  dass  »in  der  derzeitigen 
wirthschaftlichen  Situation  nicht  davon 
die  Rede  sein  kann,  neue  Weltverkehrs- 
linien zu  schaffen«.  Von  dieser,  mit 
der  gesammten  öffentlichen  Meinung  im 


Berathung  eigentlich  begonnen  hatte. 
Nicht  genug  daran,  verhielt  sich  das 
Abgeordnetenhaus  auch  dem  Programme 
gegenüber  kühl  bis  ans  Herz  hinan.  Die 
Anwendung  der  Schmalspur  wurde  gleich 
von  vornherein  abgelehnt  und  die  Idee 
der  Fusionirungen  auf  das  Heftigste  be- 
kämpft. In  dieser  Frage  stand  jedoch 
das  Parlament  im  Einklänge  mit  einem 
grossen  Theile  der  Oeffentlichkeit,  freilich 
aus  sehr  verschiedenen  Beweggründen. 
Was  in  England,  dessen  Eisenbahnen 
seit  jeher  vollständig  unabhängige,  in 
Entstehung  und  Betrieb  lediglich  auf 
freier  Concurrenz  beruhende  Privatunter- 


224 


Ignaz  Konta. 


nehmungen  gewesen,  schon  im  Jahre 
1845  begonnen  und  mehr  als  dreissig 
Jahre  hindurch  unaufhörlich  fortgesetzt 
wurde,  um  die  Auswüchse  des  wilden 
Wettbewerbes  zu  beseitigen  ;*)  was  in 
Frankreich,  wo  der  Staat  die  vollste  Ein- 
flussnahme  auf  das  Eisenbahnwesen  be- 
sitzt, dazu  gedient  hatte,  die  Verwaltung 
des  letzteren,  gleich  jener  der  staatlichen 
Dienstzweige,  streng  centralistisch  zu 
gestalten,  und  in  den  Jahren  1852 — 1857 
das  Monopol  aufzurichten,  das  Bahnnetz 
unter  sechs  grosse  Gesellschaften  zu 
vertheilen  ;**)  was  sodann  in  grösserem 
oder  geringerem  Masse  und  zu  ähnlichen 
Zwecken  auch  in  einigen  anderen  Staaten 
Nachahmung  gefunden,  die  Fusion, 
wurde  nun  in  Oesterreich  zur  Heilung 
der  durch  die  Krisis  verursachten  Uebel, 
nebenbei  aber  auch  zur  Schaffung  von 
neuen  grossen  Netzen  ausersehen,  welche 
den  altbestehenden  mächtigen  Unter- 
nehmungen Concurrenz  bieten  konnten. 
Anfänglich,  d.  h.  insolange  den  zur 
Aufgehung  in  die  benachbarten  grossen 
Bahnnetze  bestimmten  Linien  eine 
schonende  Behandlung  in  Aussicht  ge- 
standen, allenthalben  als  Wundermittel 
betrachtet  und  gepriesen,  büsste  die 
»Fusion«  die  Zuneigung  des  Publicums 
immer  mehr  ein,  je  weniger  die  Interessen 
der  kranken  und  schwachen  Unter- 
nehmungen gewahrt  erschienen,  also  ins- 
besondere nachdem  die  Theorie  vom 
»commerziellen  Werthe«  in  die  Praxis 
Eingang  gefunden  hatte.  Und  der  Reichs- 
rath  seinerseits  wollte  weder  eine  Macht- 
vermehrung der  grossen  Bahnen,  noch 
»Sanirungen«  in  diesem  Sinne  und  Stile 
zugeben,  am  allerwenigsten  aber  dem 
Staate  dieserwegen  bleibende  Lasten  auf- 
erlegen. 


*)  Vgl.  Dr.  Gustav  Cohn  »Die  Entwick- 
lung der  Eisenbahn-Gesetzgebung  in  England«, 
Leipzig  1874;  »Zur  Beurtheilung  der  eng- 
lischen Eisenbahn-Politik«,  Leipzig  1875;  »Die 
englische  Eisenbahn-Politik  der  letzten  zehn 
Jahre«,  Leipzig  1883;  ferners  H.  Schwabe 
»Ueber  das  englische  Eisenbahnwesen,  Reise- 
Studien«,  Wien  1877,  und  M.  M.  Freiherr 
v.  Weber  »Nationalität  und  Eisenbahn- 
Politik«,  Wien  1876. 

**)  Vgl.  Alfred  Picard  »Les  chemins 
de  fer  francais»,  tome  deuxieme,  Paris  1884, 
und  die  zuvor  erwähnte  Schrift  von  M.  M. 
Freiherrn  v.  Weber. 


Der  erste  Versuch  wurde  mit  der  soge- 
nannten »Nordwestbahn  -  Fusion« 
unternommen,  welche  die  Vereinigung 
der  Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn, 
dann  der  Mährischen  Grenzbahn  und  der 
Lundenburg-Grussbacher  Bahn  mit  den 
beiden  Netzen  der  Oesterreichischen  Nord- 
westbahn bezweckte.  Die  Oesterrei- 
chische  Nordwestbahn  bot  hiezu 
gerne  die  Hand;  von  ihren  eigenen  oder 
auch  von  den  grundsätzlichen  Gegnern 
der  Fusionen  wurde  dies  jedoch  nicht 
blos  auf  ihre  offenkundige  Expansionslust 
zurückgeführt ;  man  bezeichnete  sie  viel- 
mehr als  selbst  einer  Kräftigung  dringend 
bedürftig,  da  sie,  nach  dem  Ausbruche 
der  Krisis,  festbegebene  Actien  und  Obli- 
gationen des  Ergänzungsnetzes  im  Ge- 
sammtbetrage  von  12,212.000  fl. 'vom 
Wiener  Bankvereine  zurücknehmen 
musste,  die  seitens  der  Generalversamm- 
lung vom  26.  Juni  1874  beschlossene 
anderweitige  Finanzoperation  [Verringe- 
rung des  Actiencapitals  lit.  B  von  30 
auf  24  Millionen  und  Aufnahme  eines 
Goldanlehens  von  28  Millionen  Reichs- 
mark] aber  noch  nicht  bewerkstelligen 
konnte ;  man  nahm  den  Umstand,  dass 
von  diesem  Anlehen  zwei  Millionen 
Reichsmark  zur  Ergänzung  des  Capitals 
des  garantirten  Netzes  bestimmt  waren, 
zum  Anlasse,  die  Ertrags-  und  Rechts- 
verhältnisse der  beiden  Netze  näher  zu 
erwägen  und  die  Fortdauer  der  unge- 
schmälerten Verzinsung  der 
Actien  in  Zweifel  zu  ziehen, 
sich  um  die  Begebung  des 
lehens  handelte,  war  jedoch  in  Wirklich- 
keit nur  der  von  den  Curatoren  geführte 
Streit  um  die  Rangordnung  der  bücher- 
lichen Eintragung  der  verschiedenen  An- 
lehen Ursache  der  Verzögerung.  Nach  dem 
Vollzuge  der  Intabulation  übernahm  die 
Deutsche  Vereinsbank  in  Frankfurt  a.  M. 
das  Anlehen  zum  Curse  von  91  fl.  75  kr.  für 
200  Reichsmark,  theils  in  feste  Rechnung, 
theils  in  Option.  *)  Die  sonstigen  Be- 
denken aber  erwiesen    sich    bald  als  be- 


garantirten 

Soweit  es 

neuen  An- 


*)  Bis  Ende  1875  hatte  das  Consortium 
bereits  Prioritäten  im  Betrage  von  10,550.000 
Reichsmark  bezogen ;  ein  Theil  hievon  wurde 
am   14.   und  15.  April  1875    zum   Curse    von 

i  97  7°/o  in  Bankvaluta  zur  öffentlichen  Zeich- 

1   nung  aufgelegt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


225 


Abb.  112.     Ischl. 


gründete.  Dies  berührte  jedoch  noch  in 
keiner  Weise  den  Gang  der  zwischen  der 
Regierung  und  der  Oesterreichischen  Nord- 
westbahn, und  zwischen  dieser  und  den 
Verwaltungen  der  anderen  Bahnen  ge- 
pflogenen Fusionsverhandlungen,  nach 
deren  Beendigung  die  ausserordentliche 
Generalversammlung  vom  18.  Juli  1874 
den  Verwaltungsrath  zum  Vollzuge  der 
Fusion,  beziehungsweise  zur  Erwerbung 
der  oben  genannten  Bahnen  für  die  Oester- 
reichische  Nordwestbahn  ermächtigte. 

Die  Süd-norddeutsche  Verbin- 
dungsbahn,  deren  Vereinigung  mit 
der  Oesterreichischen  Nordwestbahn  schon 
bei  der  Concessionirung  der  letzteren  in 
bestimmte  Aussicht  genommen,  nachher 
bei  verschiedenen  Anlässen,  so  namentlich 
bei  den  im  Jahre  1869  geführten  Ver- 
handlungen über  die  Rückzahlung  der 
Garantie-Vorschüsse,  seitens  der  Regierung 
verlangt  worden  war,  jedoch  immer  wieder 
verschoben  werden  musste,  weil  die  Staats- 
garantie stets  von  Neuem  in  Anspruch 
genommen  wurde,  sollte  nunmehr  ohne 
Rücksicht  auf  diesen  Umstand  zum  Voll- 
zuge kommen,  und  zwar  unter  folgenden 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Modalitäten :  Die  Oesterreichische  Nord- 
westbahn übernimmt  die  Prioritätsschuld 
der  Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn 
zur  Selbstzahlung,  desgleichen  die  Ver- 
pflichtung zur  Rückerstattung  der  dieser 
Bahn  bis  Ende  1873  zutheil  gewordenen 
Garantie- Vorschüsse  nebst  4°/0  Zinsen 
[c/6  Millionen]  mit  dem  Betrage  von 
4,580.000  fl.  [in  zwei  Jahresraten]  und 
erfolgt  den  Actionären  für  je  1 1  Actien 
der  eigenen  Bahn  9  Actien  lit.  A  der 
Oesterreichischen  Nordwestbahn.  Dieses 
Verhältnis,  welches  darauf  beruhte,  dass 
die  ersteren  Actien  eine  staatlich  garantirte 
Verzinsung  von  nur  9  fl.  Banknoten,  die 
letzteren  dagegen  eine  solche  von  10  fl. 
Silber  geniessen,  wurde  jedoch  von  den 
Theilhabern  der  Süd-norddeutschen  Ver- 
bindungsbahn in  der  Generalversammlung 
vom  27.  Juni  1874  so  heftig  bekämpft, 
dass  dieselbe  geschlossen  und  erst  auf  den 
26.  September  zu  einer  neuen  Tagung 
einberufen  wurde.  Bis  dahin  war  eine 
Einigung  dadurch  herbeigeführt  worden, 
dass  die  Oesterreichische  Nordwestbahn 
sich  verbindlich  machte,  jede  der  75.000 
Actien    der    Süd-norddeutschen    Verbin- 

15 


226 


Ignaz  Konta. 


dungsbahn  gegen  je  eine  5°/oige  auf 
200  fl.  Bankvaluta  lautende  Prioritäts- 
Obligation  der  Oesterreichischen  Nord- 
westbahn auszutauschen. 

Auf  die  Mährische  Grenzbahn, 
als  einen  das  Ergänzungsnetz  bis  Stern- 
berg und  Hohenstadt,  also  bis  mitten  in 
das  nordmährische  Verkehrsgebiet  der 
Nordbahn  und  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft, fortsetzenden  Schienenweg,  hatte 
die  Oesterreichische  Nordwestbahn  längst 
ein  Auge  geworfen.  Schon  während  des 
Baues  der  beiderseitigen  Linien  fanden 
zwischen  massgebenden  Betheiligten  der 
beiden  Unternehmungen  stille  Annäherun- 
gen statt,  welche  gleich  damals  auf  die 
Fusionirung  abzielten  und  eine  der  wesent- 
lichsten Ursachen  waren,  dass  der  Aus- 
bau der  Mährischen  Grenzbahn  bis  nach 
Mittelwalde  unterblieben  ist.  Als  nun 
die  Erträgnisse  dieser  Bahn  weit  hinter 
den  Erwartungen  zurückblieben,  strebten 
auch  die  Hauptactionäre  der  Mährischen 
Grenzbahn  und  mit  ihnen  die  beiderseits 
betheiligten  Geldinstitute  die  Fusion  an, 
was  der  Regierung  insoferne  nicht  un- 
willkommen war,  als  sie  dadurch  der 
ohne  jedes  eigene  Verschulden  in  eine 
üble  Lage  gerathenen  Unternehmung  auf 
billige  Weise  die  verdiente  Hilfe  bieten 
konnte.  Die  Mährische  Grenzbahn  litt 
einzig  und  allein  darunter,  dass  alle 
Factoren  sich  in  der  Verkehrsergiebigkeit 
derselben  getäuscht  hatten,  dass  demzu- 
folge die  als  überhaupt  für  überflüssig 
gegoltene  Staatsgarantie  zu  karg  be- 
messen wurde  [336.000  fl.  jährlich,  d.  i. 
4°/„  für  das  Prioritäten-Capital]  und  nun 
nicht  einmal  die  volle  [5%ige]  Verzinsung 
der  Obligationen  gesichert  war.  Die  Ver- 
einigung sollte  daher  in  der  Weise  vor 
sich  gehen,  dass  die  Prioritätsschuld 
der  Mährischen  Grenzbahn  gänzlich 
[8,000.000  fl.]  und  die  Actien  im  Ver- 
hältnisse von  10  [Mährische  Grenzbahn] 
zu  7  [Oesterreichische  Nordwestbahn  lit.  A] 
von  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn 
übernommen  werden  sollten,  womit  die 
Generalversammlung  vom  25.  Juni  1874 
sich  einverstanden  erklärte. 

Die  Lundenburg-Grussbacher 
Bahn  war  schwer  nothleidend.  Durch  die 
infolge  der  Krisis  unterbliebene  Aus- 
führung   der    ungarischen    Anschlusslinie 


Lundenburg-Tyrnau  lediglich  auf  den 
zusammengeschrumpften  Local  verkehr  an- 
gewiesen, brachte  sie  nicht  einmal  so 
viel  ein,  um  die  Kosten  des  Betriebes 
zu  decken.  Im  Jahre  1873  konnte  die 
Verzinsung  der  Prioritäten-Coupons  nur 
mehr  mit  fremder  Beihilfe  geschehen. 
Der  am  1.  März  1874  fällige  Coupon 
blieb  dagegen  schon  uneingelöst,  was 
natürlich  die  Einsetzung  der  Curatel  nach 
sich  zog.  Die  Fusion  sollte  ihr  nun  die 
Sanirung  oder,  richtiger  noch,  die  Er- 
lösung Dringen ;  der  Preis,  um  welchen 
die  Oesterreichische  Nordwestbahn  sie 
übernehmen  wollte,  war  mit  Zustimmung 
der  Generalversammlung  vom  27.  Juni 
1874  auf  5,350.000  fl.  in  5°/o'gen  un" 
garantirten  Obligationen  lit.  C  der  Oester- 
reichischen Nordwestbahn  festgesetzt,  wo- 
von 650.000  fl.  auf  die  Actionäre  ent- 
fielen. Bevor  jedoch  die  Angelegenheit 
noch  irgendwie  spruchreif  geworden,  war 
die  Gesellschaft  von  der  gänzlichen  Ein- 
stellung des  Betriebes  bedroht,  indem 
die  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  wegen 
des  stetig  wachsenden  Betriebsdeficites 
der  Lundenburg-Grussbacher  Bahn  die 
Führung  des  Betriebes  auf  derselben  am 
14.  Juli  1874  zurücklegte  und  die  Oester- 
reichische Nordwestbahn  ihn  erst  über 
Intervention  des  Handelsministeriums 
übernahm. 

Der  Gesetzentwurf  über  die  Vereini- 
gung aller  dieser  Unternehmungen  wurde 
vom  Ministerium  am  I.  Mai  1874 
im  Abgeordnetenhause  eingebracht ;  er 
war  im  Wesentlichen  auf  den  vorstehend 
erwähnten  Bedingungen  aufgebaut,  dachte 
daher  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn 
eine  Erhöhung  der  Staatsgarantie  in  dem 
Masse  zu,  dass  dadurch  die  von  dieser 
Gesellschaft  zum  Zwecke  der  Fusion  und 
zur  Rückzahlung  der  Garantieschuld 
der  Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn 
hinauszugebenden  garantirten  Titel  ge- 
deckt erschienen.  Ziffermässig  ausge- 
drückt war  dies  eine  für  das  alte  Netz 
lit.  A  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn, 
dann  für  die  Süd-norddeutsche  Verbin- 
dungsbahn und  die  Mährische  Grenzbahn 
insgesammtmit6759fl.  50 kr.  pro  Kilometer 
bemessene  Garantie.  Ausserdem  war  eine 
Ausdehnung  der  Garantie  auch  auf  die 
Erfordernisse  für  Erweiterungsbauten  und 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


227 


Nachschaffungen  des  garantirten  Netzes 
und,  speciell  für  die  Linie  Grussbach- 
Zellerndorf,  dieselbe  Steuerfreiheit  wie 
für  die  Linie  Lundenburg  -  Grussbach 
[20  Jahre]  vorgesehen. 

Allein  es  waltete  ein  eigener  Unstern 
über  dieser  Vorlage.  Der  Reichsrath  wurde 
am  7.  Mai  1874  vertagt;  sie  konnte  also, 
wie  sehr  auch  der  Handelsminister  Dr. 
Banhans  sich  dafür  einsetzte,  nicht  mehr 
in  Behandlung  genommen  werden ;  dann 
machte  die  Aufbesserung  der  Umtausch- 
bedingungen, welche  die  Actionäre  der 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  in 
der  Generalversammlung  vom  26.  Sep- 
tember 1874  erzielt  hatten,  beziehungs- 
weise die  daraus  entspringende  weitere 
Garantie-Erhöhung  eine  Abänderung  der 
einschlägigen  Bestimmungen  des  Gesetz- 
entwurfes nothwendig.  Die  bezügliche 
Novelle  gelangte  wieder  sehr  verspätet, 
am  24.  Februar  1875,  vor  das  Abgeord- 
netenhaus und  stiess  schon  im  Eisenbahn- 
Ausschusse  auf  heftigen  Widerstand.  Die 
Mehrheit  der  Ausschussmitglieder  war 
schliesslich  geneigt,  die  Fusion  zu  ge- 
nehmigen, und  zwar  unter  folgender  Ab- 
änderung des  Gesetzes:  die  Refundirung 
der  Garantieschuld  der  Süd-norddeutschen 
Verbindungsbahn  erfolgt  mit  dem  Betrage 
von  5,000.000  fl.  und  der  Umtausch  der 
Actien  der  Mährischen  Grenzbahn  in  dem 
Verhältnisse  von  10:4;  die  verlangte 
Mehrgarantie  ist  mit  der  Ziffer  von  jähr- 
lich 679.134  fi.  begrenzt;  auf  sämmtlichen 
Fusionslinien  sollen  die  Tarife  der  Oester- 
reichischen  Nordwestbahn  eingeführt 
werden.  Eine  Minderheit,  an  deren  Spitze 
aber  der  einflussreiche  Führer  der  da- 
mals tonangebenden  Verfassungspartei, 
Dr.  Herbst,  stand,  verwarf  hingegen  das 
Fusionsproject,  weil  es  einen  mit  dem 
angestrebten  und  auch  auf  anderem  Wege 
erreichbaren  Zwecke  in  keinem  Verhältnisse 
stehenden  Aufwand  nach  sich  ziehe,  die 
Rechtsverhältnisse  der  Oesterreichischen 
Nordwestbahn  noch  verwickelter  gestalte, 
jede  einzelne  Grundbuchseinlage  des  ver- 
einigten Netzes  mit  Prioritätsschulden 
überlaste,  und  die  Verzinsung  der  Actien 
lit.  A  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn 
einer  stärkeren  Schmälerung  aussetze, 
was  nicht  durch  einen  Act  der  Gesetz- 
gebung    herbeigeführt       werden     solle. 


Dr.  Herbst  bekämpfte  in  der  Vollverhand- 
lung vom  19.  März  1875  mit  ätzender 
Schärfe  den  Gesetzentwurf  wie  auch  die 
Vorschläge  der  Ausschussmehrheit  und 
beantragte  Uebergang  zur  Tagesordnung. 
Für  den  Handelsminister  von  Chlumecky 
war  es  eine  ebenso  schwierige  als  unan- 
genehme Aufgabe,  die  Vorlage,  an  der 
er  sogar  nicht  Theil  hatte,  zu  vertheidi- 
gen ;  er  that  es  jedoch  mit  aller  Hin- 
gebung. Dadurch  gerieth  nun  die  Majo- 
rität des  Abgeordnetenhauses  in  die  miss- 
liche Lage,  entweder  sich  von  dem  Führer 
abzuwenden  oder  das  gleichfalls  der 
eigenen  Partei  angehörende  Ministerium 
im  Stiche  zu  lassen.  Um  dies  zu  ver- 
meiden, entschied  sie  sich  für  die  Ver- 
tagung, welche  übrigens  —  da  eben 
wieder  der  Sessionsschluss  bevorstand  — 
gleichbedeutend  war  mit  Begrabung  der 
Angelegenheit,  zumal  als  auch  die  Nord- 
westbahn sie  allmählich  ganz  aufgab. 
Thatsächlich  erfolgte  am  29.  October 
1875  die  Zurückziehung  der  Vorlage. 

Das  Fehlschlagen  des  ersten  Ver- 
suches hielt  indes  die  Regierung  nicht 
ab,  noch  andere  zu  unternehmen,  denen 
der  General-Director  des  österreichischen 
Eisenbahnwesens  zu  Gevatter  gestanden 
und  die  Pathenbriefe  in  Form  zweier, 
das  Wesen  und  die  Erspriesslichkeit 
der  Fusionen  behandelnden  Broschüren*) 
mitgegeben,  beziehungsweise  vorausge- 
schickt hatte.  Zunächst  kam  jetzt  die  so- 
genannte »g  alizische  Fusion«  an 
die  Reihe,  um  welche  sich  die  Verwal- 
tung der  Ersten  ungarisch-galizi- 
schen  Eisenbahn  oder,  richtiger  ge- 
sagt, der  rührige  Director  dieser  Unterneh- 
mung, Max  P ichler,  schon  seit  dem  Jahre 
1874  bemühte,  weil  ihnen  die  Verschmel- 


*)  Es    waren    dies:   »Ueber  die  zur  Ent- 

[  wicklung  des  französischen  Eisenbahnnetzes 
angewendeten  Mittel«  von  Leon  Aucoc, 
deutsch  herausgegeben  von  Wilhelm  von 
Nördling,  Wien,  1875;  ferner  »Du  regime 
des    traveaux    publics    en    Angleterre«    von 

I  Ch.  de  Franqueville;  Auszug  hieraus 
übersetzt  von  Victor  Wilke  und  unter  dem 

!  Titel  «Eisenbahn  Concurrenz  und  Eisenbahn- 
Fusionen  in  England«  deutsch  heraus- 
gegeben    von    Wilhelm     von     Nördling, 

i  Wien,  1875.  Diesen  Broschüren  gleichsam 
gegenübergestellt    hat    M.  M.    Freiherr   von 

!   Weber  seine  Schrift  «Werth  und  Kauf  der 

:   Eisenbahnen«,    Wien,  1876. 

15* 


228 


Ignaz  Konta. 


zung  der  jungen  galizischen  Bahnen  und 
die  Vereinigung  der  staatlichen  Linie  Tar- 
nöw-Leluchöw  mit  den  fusionirten  Linien 
als  für  die  Entwicklung  des  Verkehres 
aller  dieser  Bahnen  unumgänglich  noth- 
wendig  erschien  und  das  Wachsen  des- 
selben die  Ungarisch-galizische  Eisen- 
bahn von  dem  sie  schwer  belastenden 
Betriebs- Deficite  befreien  könnte.  Da- 
durch, dass  diese  Gesellschaft  damals 
auch  von  der  Sorge  um  die  Bedeckung 
eines  Baudeficites  von  mehr  als  sieben 
Millionen  Gulden  hedrückt  war,  Hess  sie 
für  eine  Weile  die  Fusionsbestrebungen 
ruhen.  Nachdem  aber  die  beiderseitigen 
Regierungen  und  die  österreichische 
Credit-Anstalt  sie  von  jener  Sorge 
grossentheils  befreit  hatten  [s.  S.  83], 
wendete  sich  die  Gesellschaft  sogleich 
wieder  der  Fusionsfrage  zu.  Sie  über- 
reichte im  Frühjahr  1875  dem  Ministerium 
eine  Denkschrift,  in  welcher  die  Lage 
der  jungen  galizischen  Bahnen  geschil- 
dert, die  Monopolisirung  des  ganzen 
Eisenbahn- Verkehres  in  Galizien  bekämpft 
sowie  auch  die  Uebernahme  des  Be- 
triebes der  allenfalls  ohne  Verbindung 
mit  den  fusionirten  Linien  bleibenden 
Staatsbahn  Tamöw-Leluchöw  angeboten 
wurde,  und  erhoffte  nun  eine  baldige 
günstige  Erledigung.  Es  ging  jedoch 
nicht  nach  ihrem  Wunsche;  sie  blieb 
sogar  völlig  ausgeschaltet  aus  dem  ganzen 
Vereinigungs-Projecte. 

Die  Bestimmung,  den  Stamm  der 
»durch  Fusion  zu  gründenden  neuen 
Unternehmung«  zu  bilden,  fiel  der  erst 
vor  Kurzem  wieder  zu  Ehren  gekom- 
menen Lemberg-Czer  no  witz-Jass3r- 
Eisenbahn  zu,  die  mit  grösster  Be- 
reitwilligkeit auf  das  Vorhaben  der  Re- 
gierung einging,  weil  sie  dadurch,  nebst 
anderen  Vortheilen,  alle  Anwartschaft 
auf  den  Besitz  des  ganzen  südgalizi sehen 
Bahnnetzes  und  auf  die  freie,  von  der 
Carl  Ludwig-Bahn  ungehemmte  Ent- 
wicklung des  Verkehres  zu  gewinnen 
hoffte.  Die  bezüglichen  Verhandlungen 
fanden  mit  den  Protokollar- Vereinbarun- 
gen vom  16.  und  27.  November  1875 
ihren  Abschluss,  vermöge  deren  die 
Gesellschaft  nicht  nur  die  unmittelbar 
anschliessende  Albrecht-Bahn  und  die 
mit  dieser  im  Zusammenhange  stehende 


i  Dniester-Bahn,  sondern  auch  die  fernab 
liegende  staaüiche  Linie  Tarnöw-Lelu- 
chöw  zu  den  im  Nachfolgenden  einzeln 
angegebenen    Preisen    von     insgesammt 

i  38,379-400  fl.  käuflich  erwerben  und 
hiefür  eigene  Actien  und  Prioritäts- 
Obligationen  ausgeben  und  dieserwegen 
einer  weiteren  Staatsgarantie  von  jähr- 
lich 1,957.349  fl.  theilhaftig  werden  sollte. 
Ferner  waren  der  Gesellschaft  zuge- 
sichert: die  Gestattung  einer  zur  Con- 
solidirung  der  eigenen  schwebenden 
Schuld  bestimmten  Actien-Emission  im 
Betrage  von  4,500.000  fl.*)  und,  als  Ver- 
gütung für  das  [zum  Behufe  der  Durch- 
führung der  ganzen  "Transaction]  auf- 
gegebene concessionsmässige  Recht  der 
Deckung  ihres  eigenen  Geldbedarfes  zu 
zwei  Dritttheilen  in  Prioritäten,  ein  Be- 
trag von  450.000  fl.  aus  dem  Kauf- 
schillinge für  die  Staatsbahn  Tamöw- 
Leluchöw.**)  Ausserdem  winkte  der  Ge- 
sellschaft die  Erlangung  der  Concession 
für  die  Linien :  Czernowitz-Nowosielica, 
Stryj-Beskid,  Lemberg-Tomaszöw,  Gry- 
böw-Zagörz  und  Neu-Sandec-Oswiecim 
und  des  Mitbenützungsrechtes  für  die 
Strecke  Chyröw-Gryböw  der  Ersten  un- 
garisch-gahzischen  Eisenbahn.***)  Ange- 
sichts   alles    dessen    zögerten    natürlich 

!  auch  die  Theilhaber  der  Gesellschaft 
keinen  Augenblick,  dem  Uebereinkommen 
vollinhaltlich  beizupflichten.  Es  geschah 
dies  in  der  ausserordentlichen  General- 
versammlung vom  22.  December  1875. 
Was  nun  die  einzelnen  oben  be- 
nannten Fusionsbahnen  anbelangt,  so 
befanden  sich  zwei  derselben  in  arger 
Bedrängnis.  Die  Erzherzog  Albrecht- 
Bahn  krankte  an  einem,  grossentheils 
aus  den  ihr  auferlegten  Mehrleistungen 
und  der  Verrragsbrüchigkeit  der  Bau- 
unternehmung   entstandenen  Baudeficite, 

|  zu  dessen  Deckung  schwebende  Schulden 

i  aufgenommen  wurden  [s.  S.  138],  deren 
Anwachsen  und  Kostspieligkeit  dazu 
führten,  dass  am  1.  Januar  1875  der 
Actiencoupon  statt  mit  5  fl.  nur  mit 
2  fl.  95  kr.  eingelöst  wurde,  was  natür- 
lich den  Credit  der  Gesellschaft  be- 
deutend erschütterte,    so  zwar,  dass    sie, 


*)  **)  und  ***)  Vergleiche  die  Artikel 
X.  XII  und  XXIII  des  Protokolls  vom 
16   November  1875 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


229 


verfolgt  von  zahlreichen  Wechselklagen, 
Ende  März  1875  im  Begriffe  stand,  die 
Eröffnung  des  Concurses  selbst  herbei- 
zuführen. Vorausgegangen  war  ein 
Ansturm  der  Actionäre,  welche  in  der 
ersten  ausserordentlichen  Generalver- 
sammlung vom  15.  Februar  1875 
die  Anträge  des  Verwaltungsrathes  auf 
Stornirung  der  rückgekauften  Titel 
[s.  S.  138]  und  Beschaffung  frischer 
Geldmittel  zur  Deckung  aller  Erforder- 
nisse    ablehnten     und    ein    Comite    zur 


Wege  der  Fusion  bis  längstens  31.  Octo- 
ber  bewerkstelligt,  für  welchen  Fall  dann 
noch  eine  weitere  Erhöhung  der  Garantie  bis 
zudem  im  Gesetze  vom  25.  Mai  187 1  fest- 
gesetzten Höchstbetrage  von  1,430.000  fl. 
eintreten  könnte.  Trotz  dieser  Zusage 
verschlimmerte  sich  die  Lage  von  Stunde 
zu  Stunde,  bis  es  durch  Einwirkung  der 
Regierung  am  22.  März  1875  gelan&> 
mit  dem  Frankfurter  Hause  Erlanger 
eine  Uebereinkunft  dahin  zu  treffen,  dass 
dasselbe  der  Gesellschaft  für  den  Augen- 


Abb.  113.    Traunbrücke  bei  Ebensee.     [Salzkammergut-Bahn  ' 


Prüfung  der  Lage  der  Gesellschaft  und 
der  ganzen  bisherigen  Geschäftsführung 
einsetzten.  Nun  wurde  auch  die  Regie- 
rung noch  öfter  und  dringender  als  bis 
dahin  um  eine  Unterstützung  angegangen, 
man  erreichte  aber  nur,  dass  das 
Handelsministerium  mittels  Erlasses  vom 
8.  März  1875  eine  Vergütung  der 
baulichen  Mehrleistungen  zusagte.  Die- 
selbe sollte  in  Form  einer  Erhöhung 
der  Staatsgarantie  um  den  Betrag  von 
63.000  fl.  erfolgen,  wenn  die  Gläubiger 
der  Gesellschaft  sich  verpflichten,  bis 
mindestens  Ende  October keinerleiZwangs- 
massregeln  zu  ergreifen  und  die  Gesellschaft 
die  Ordnung    ihrer  finanziellen  Lage  im 


blick  mit  Vorschüssen  aushalf,  dann  die 
auf  Grund  der  ersterwähnten  Garantie- 
Erhöhung  auszugebenden  Prioritäten  im 
Betrage  von  1,200.000  fl.  auf  feste  Rech- 
nung nahm  und  auch  Second-Prioritäten 
im  Betrage  von  nom.  4,000.000  fl. 
für  die  Zeit  bis  31.  October  mit  5o°/0 
belehnte,  wogegen  die  Regierung  die  Er- 
höhung der  Garantie  um  63.000  fl.  gleich 
eintreten  Hess,  und  die  weitere  [um 
noch  42.000  fl.]  neuerlich  zusicherte.  Da- 
durch war  eine  kurze  Frist  gewonnen. 
Am  5.  April  1875  fand  abermals  eine 
ausserordentliche  Generalversammlung 
statt,  in  welcher  das  Prüfungscomit6  die 
Lage  der  Gesellschaft  getreulich  schilderte, 


230 


Ignaz  Konta. 


das  selbst  nach  der  Garantie-Erhöhung 
und  der  auf  Grund  derselben  vorzuneh- 
menden Prioritäten  -  Vermehrung  noch 
unbedeckt  bleibende  Erfordernis  mit 
1,993.289  fl.  bezifferte  und,  in  ziemlicher 
Uebereinstimmung  mit  dem  Verwaltungs- 
rathe,  folgende  Anträge  stellte:  Fusio- 
nirung  mit  einer  Nachbarbahn,  Ausgabe 
von  4,000.000  fl.  in  Second-Prioritäten, 
Genehmigung  des  bereits  erfolgten  Rück- 
kaufes der  Titel  [s.  o.]  und  der  Reduction 
des  Actiencapitals  um  3,000.000  fl., 
d.  i.  auf  7,119.800  fl.  All  dies  wurde 
fast  einhellig  angenommen  und  zugleich, 
um  mit  der  Vergangenheit  völlig  zu 
brechen,  auch  ein  neuer  Verwaltungs- 
rath  gewählt.  Die  Zukunft  gestaltete 
sich  aber  nicht  besser;  die  seitens  der 
Gesellschaft  unternommenen  Fusions- 
versuche misslangen,*)  und  die  von  der 
Regierung  angesetzte  Frist  eilte  dem 
Ende  zu.  Da  nahm  nun  das  Ministerium 
die  Sache  selbst  in  die  Hand  und  schloss 
am  10.  September  1875  mit  dem  Ver- 
waltungsrathe  ein  Protokollar-Ueberein- 
kommen,  wonach  die  gesellschaftlichen 
Linien  an  eine  im  Wege  der  Fusion  zu 
bildende  neue  Unternehmung  abgetreten 
werden  sollten,  welche  die  Garantie- 
Vorschussschuld  und  die  Prioritäten 
I.  Emission  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn 
im  ganzen  ursprünglichen  Betrage  von 
nom.  15,179.400  fl.  zu  übernehmen  und 
der  letzteren,  nach  vorausgegangener  Stor- 
nirung  ihres  ganzen  Actiencapitals  und 
der  Second-Prioritäten  ein  Entgelt  von 
4,000.000  fl.  in  garantirten  Prioritäten 
[der  neuen  Unternehmung]  zu  leisten 
haben  würde.  Wie  viel  hievon  für  die 
Actionäre  erübrigt  hätte,  war  nicht  ziffer- 
mässig  bestimmt,  weil  die  Gesellschaft 
für  ihre  übrigen  Verbindlichkeiten  selbst 
aufkommen  sollte  und  auch  zur  Bildung 
eines  Reserve-  und  Erneuerungsfondes 
verpflichtet  gewesen  wäre.  Trotzdem 
stimmte  die  ausserordentliche  General- 
versammlung vom  11.  November  1875 
auch  diesem  Uebereinkommen  zu ;  es 
war  dies  eben  vermeintlich  ihr  letzter 
Ausweg. 

*)  Die  Vereinigung  mit  der  Dniester-Bahn 
missfiel  der  Regierung  und  die  Verhandlun- 

fen  mit  der  Carl  Ludwig-Bahn  führten  über- 
aupt  zu  keinem  greifbaren  Ergebnisse. 


Noch  schlimmer  stand  es  um  die 
Dniester-Bahn.  Seit  der  am  1 .  Juli 
1874  erfolgten  Nichteinlösung  der  Priori- 
täten-Coupons unter  Curatel  befindlich, 
mit  Betriebsdeficiten  kämpfend  und  von 
schwebenden  Schulden  bedrückt,  wollte 
auch  diese  Gesellschaft  ihr  Heil  in  der 
Fusion  suchen,  fand  aber  gleichfalls  nir- 
gend eine  willkommene  Aufnahme.  Die 
Carl  Ludwig-Bahn  hätte  sie  vielleicht 
gewährt,  wenn  nicht  die  Lemberger 
Handelskammer,  der  galizische  Landtag 
und  andere  Körperschaften  jeder  Macht- 
erweiterung dieser  grossen  Unternehmung 
in  den  Weg  getreten  wären.  Damals 
betrugen  die  Einnahmen  der  Dniester- 
Bahn  19.277  fl.  pro  Meile;  der  Priori- 
tätendienst allein  erforderte  aber  eine  jähr- 
liche Reineinnahme  von  24.300  fl.,  be- 
ziehungsweise eine  Roheinnahme  von 
60.750  fl.  pro  Meile.  Die  Hoffnung  auf 
eine  Verzinsung  des  Prioritäts-Capitals  er- 
schien daher  in  weite  Ferne  gerückt,  und 
der  Curator  versuchte  nun  die  Umwand- 
lung der  Prioritäts-Obligationen  in  Prio- 
ritäts-Actien  bei  gleichzeitiger  Abstempe- 
lung der  Hälfte  des  Nennwerthes  der 
Stammactien.  Merkwürdigerweise  ver- 
schmähten die  Prioritäre  diesen  guten 
Rath  des  Curators;  sie  lehnten  es  in 
ihrer  Versammlung  vom  24.  Juni  1875 
ab,  statt  Gläubiger  Eigenthümer  der 
Bahn  zu  werden,  worauf  dann  der 
Curator,  Dr.  Freiherr  v.  Hainberger,  an- 
gesichts der  stetig  wachsenden  Nothlage, 
sich  mit  einem  Verkaufsangebote  an  die 
Regierung  wendete,  welche  sich  bereit 
fand,  die  Bahn  um  den  Preis  von 
2,100.000  fl.  zu  erwerben  und  das  be- 
zügliche Uebereinkommen  am  8.  Novem- 
ber 1875  abschloss.  Eine  Woche  später 
gab  der  Curator  dem  Verwaltungsrathe 
hievon  Kenntnis,  wobei  er  zugleich  die 
unverzügliche  Einberufung  einer  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  ver- 
langte und  nachdrücklichst  betonte,  dass 
er  jeden  Widerstand  oder  auch  nur  Ver- 
schleppungsversuch mit  der  Einleitung 
von  Zwangsmassregeln  beantworten 
müsste.  Der  Verwaltungsrath  fügte  sich 
hilf-  und  willenlos ;  hingegen  nicht  so 
ganz  die  am  31.  December  1875  ab- 
gehaltene ausserordentliche  Generalver- 
sammlung.    Dieselbe  erging  sich  in  Ver- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


231 


Währungen  und  Ausfällen,  genehmigte 
aber  dennoch  das  inzwischen  auch  von 
der  Curatelsbehörde  gutgeheissene  Ver- 
kaufs-Uebereinkommen  und  beschloss  die 
Liquidation  der  Gesellschaft.  Da  zu 
jener  Zeit  der  Schuldenstand  der  Gesell- 
schaft 300.000  fl.  betrug  und  den 
Actionären  schenkungsweise  I  fl.  50  kr. 
pro  Actie  zugedacht  war,  verblieben  von 
dem  Kaufschilling  nur  1,764.000  fl.  für 
die  Prioritäten-Besitzer.  Diese  büssten 
daher  73'7°/oi  die  Actionäre  qo/25°/0  des 
Capitals  ein. 

Der  Kaufpreis  für  die  10/4  Meilen  lange, 
auf  Kosten  des  Staates  in  Ausführung 
gestandene  Linie  Tarnö  w-  Leluchöw 
sammt  dem  von  der  Staatsverwaltung 
beizustellenden  Fahrparke  war  im  Ar- 
tikel IV  des  Uebereinkommens  vom 
16.  November  1875  mit  16,000.000  fl., 
zahlbar  in  Actien  al  pari  der  Lemberg- 
Czemowitz-Jassy-Eisenbahn,  festgesetzt, 
wovon  jedoch  die  Gesellschaft  500.000  fl. 
zu  Cassendotirungen  und  Materialanschaf- 
fungen sowie  auch  den  bereits  weiter 
oben  bezeichneten  Betrag  von  450.000  fl. 
in  Abzug  bringen  konnte  [Artikel  VI 
und    XII    desselben    Uebereinkommens]. 

Seinem  ganzen  Umfange  nach  wurde 
dieses  Fusionsproject  erst  am  n.  Januar 
1876,  als  dem  Tage,  an  welchem  die 
betreffende  Gesetzesvorlage  vor  das  Ab- 
geordnetenhaus gelangte,  allgemein  be- 
kannt und  auch  sogleich  einer  eingehenden 
Erörterung  unterzogen.  Ausserhalb  des 
Parlamentes,  zumal  in  Finanzkreisen,  wo 
die  Fusionen,  wegen  der  von  denselben  er- 
hofften Heilwirkung  bislang  angestrebt  und 
gewünscht  worden  waren,  gab  sich  nun,  ob 
der  Einschätzung  der  Fusionsbahnen  nach 
ihrem  commerziellen  Werthe,  eine  förm- 
liche Bestürzung  kund  und  innerhalb  des 
Parlamentes  machten  sich  viele  Bedenken 
gegen  das  Fusionswerk  geltend.  Der 
Eisenbahn-Ausschuss  des  Abgeordneten- 
hauses fand  weder  den  Verkauf  der  Linie 
Tarnöw-Leluchöw,  deren  Verbindung  mit 
den  übrigen  fusionirten  Linien  den  Bau 
der  fehlenden  Zwischenstrecken,  also  die 
Schaffung  einer  vollständigen  Parallel- 
bahn der  Carl  Ludwig-Bahn  bedingen 
würde,  noch  auch  die  beabsichtigte 
Unterstützung  der  Erzherzog  Albrecht- 
Bahn    für  angezeigt    und    kam    zu    dem 


Beschlüsse :  der  Staat  soll  die  Tarnö w- 
Leluchöwer  Bahn  behalten,  die  Dniester- 
Bahn  erwerben,  beide  in  Staatsbetrieb 
nehmen  oder  etwa  benachbarten  Unter- 
nehmungen in  Betrieb  geben,  rücksicht- 
lich der  Albrecht- Bahn  aber  dahin  trachten, 
>mit  einigem  Wohlwollen  das  zu  erzielen, 
was  sie  durch  die  bedeutende  Erhöhung 
der  Staatsgarantie  und  mit  der  Fusion 
erstrebt«.  Demzufolge  wurde  die  Vorlage 
am  1.  März  1875  vom  Abgeordneten- 
hause abgelehnt  und  nur  der  Ankauf  der 
Dniester-Bahn  genehmigt.  Das  bezüg- 
liche Gesetz  erhielt  am  18.  März  1876 
die  a.  h.  Sanction. 

Die  wieder  allein  gebliebene  Erz- 
herzog Albrech  t-B  ahn  war  hiedurch 
noch  manchen  Fährlichkeiten  ausgesetzt, 
namentlich  beim  Ablaufe  der  Frist,  bis 
zu  welcher  das  Haus  Erlanger  die  Second- 
Prioritäten  belehnt  hatte.  Nachdem  sie 
aber  beim  Handelsministerium  insoferne 
eine  Unterstützung  gefunden,  dass  es 
ihr  zu  einem  anderweitigen  Belehnungs- 
Credite  [beim  Wiener  Bankverein]  verhalf, 
wie  auch  hinsichtlich  der  Bildung  von 
Reserven  erhebliche  Nachsicht  angedeihen 
Hess,  und  nachdem  sie  die  Einlösung  der 
Actiencoupons  auf  Jahre  hinaus  theil- 
weise  oder  gänzlich  sistirte,  vermochte 
sie  sich  immerhin  noch  aufrecht  zu  er- 
halten. 

Ehe  das  Jahr  1875  zu  Ende  gegangen, 
hatte  die  Regierung  auch  die  Vorbereitun- 
gen zur  Ersetzung  der  gescheiterten  Nord- 
westbahn-Fusion getroffen.  Sie  sah  sich 
hiezu  hauptsächlich  dadurch  veranlasst, 
dass  die  Lage  der  Lundenburg-Gruss- 
bacher  Bahn  nun  geradezu  unhaltbar 
geworden  war.  Der  über  Intervention 
der  Regierung  verlängerte  Betriebsvertrag 
mit  der  Nordwestbahn  lief  am  15.  April 
1876  ab,  und  die  finanziellen  Verhält- 
nisse verschlechterten  sich  immer  mehr; 
die  Gesellschaft  stand  also  vor  dem  gänz- 
lichen Zusammenbruche.  Da  traten  die 
Curatoren  mit  der  Regierung  in  Ver- 
kaufsverhandlungen ein  und  vereinbarten 
mit  ihr  die  Abtretung  der  I2'5  Meilen 
langen  Lundenburg  -  Grussbacher  Bahn 
sammt  und  sonders  und  gänzlich  lastenfrei 
um  den  Preis  von  1,700.000  fl.  [Protokoll 
vom  20.  December  1875].    Der  Verwal- 


232 


Ignaz  Konta. 


tungsrath  lehnte  es  ab,  den  Vertrag  mitzu- 
fertigen,  da  er  »die  Verantwortlichkeit 
nicht  theilen  wollte,  ein  Unternehmen  mit 
einem  Anlage-Capitale  von  1 1,000.000  fl. 
um  den  Preis  von  1,700.000  fl.  hintanzu- 
geben« ;  dessungeachtet-nahm  die  An- 
gelegenheit den  gleichen  Verlauf  wie 
bei  der  Dniester-Bahn.  Es  wurde  eine 
ausserordentliche  Generalversammlung 
einberufen ;  diese  fand  am  27.  Januar 
1876  statt,  gab  die  Einwilligung  zu  dem 
Verkaufe  der  Bahn  und  beschloss  die 
Liquidation  der  Gesellschaft.  Dafür  er- 
hielten die  Actionäre  ein  Entgelt  von  2  fl. 
pro  Actie. 

Um  der  Mährischen  Grenzbahn 
beizustehen,  vereinbarte  die  Regierung, 
mit  ihr  neuerlich  die  Abtretung  des  ge- 
sammten  Unternehmens  an  eine  von  der 
Staatsverwaltung  zu  bezeichnende  Unter- 
nehmung, und  zwar  unter  Bedingungen, 
die  sich  von  den  für  die  »Nordwestbahn- 
Fusion«  festgestellt  gewesenen  haupt- 
sächlich dadurch  unterschieden,  dass  die 
Actionäre  jetzt  nur  ein  Entgelt  von 
3,000.000  fl.*)  erhalten  sollten  [Pro- 
tokoll vom  2.  Januar  1876],  was  die- 
selben übrigens  nicht  abhielt,  in  der 
ausserordentlichen  Generalversammlung 
vom  5.  Januar  1876  auch  dem  neuen 
Uebereinkommen   glattweg  zuzustimmen. 

Zum  Grundstocke  der  Fusion  war 
diesmal  die  Mährisch  -  schlesische  Nord- 
bahn, beziehungsweise  die  K  a  i  s  e  r  F  e  r  d  i- 
n  a  n  d  s-N  o  r  d  b  a  h  n  erkoren,  welche,  an- 
lässlich ihrer  Bewerbung  um  die  Con- 
cession  für  die  Linie  Bielitz-Saybusch, 
sich  zum  Ankaufe  der  Lundenburg-Gruss- 
bacher  Bahn  erboten  und  die  Vereinigung 
der  Mährischen  Grenzbähn  mit  der 
Mährisch -schlesischen  Nordbahn  ange- 
regt hatte.  Darum  bezeichnete  man  dieses 
Fusionsproj  ect  geradehin  als  »Nordbahn- 
Fusion«.  Das  Interesse,  welches  die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  an  demselben 
hatte,  erklärt  sich  von  selbst.  In  der 
Mährischen  Grenzbahn  konnte  die  Mäh- 
risch-schlesische  Nordbahn  ihre  natür- 
liche Fortsetzung    einerseits    bis   Hohen- 


*)  Das  war  kaum  halb  soviel  als  anläss- 
lich des  ersten  Fusionsversuches  vereinbart 
gewesen  und  blieb  noch  um  600.000  fl.  hinter 
dem  Betrage  zurück,  den  der  Eisenbahn- 
Ausschuss  dazumal  bewilligen  wollte. 


Stadt  [Staatseisenbahn-Gesellschaft],  an- 
dererseits bis  Grulich-Wichstadtl  [Nord- 
westbahn], eventuell  bis  Mittel walde[Ober- 
schlesische  Eisenbahn]  finden,  und  mit  der 
Lundenburg-Grussbacher  Bahn,  an  der  die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  aus  Con- 
currenzrücksichten  ohnehin  schon  mit 
1,000.000  fl.  betheiligt  war,  konnte  die  letz- 
tere, für  den  Fall,  dass  die  [Waagthal- 
Bahn]  Linie  Tyrnau  -  Lundenburg  doch 
noch  zustande  käme,  dass  Mittelglied 
einer  zukunftsreichen  Exportroute  nicht  nur 
vollständig,  sondern  jetzt  auch  sehr  billig 
erwerben.  Vorsichtsweise  strebte  sie  übri- 
gens die  Staatsgarantie  für  die  Lunden- 
burg-Grussbacher Bahn  an,  Hess  jedoch 
hievon  wieder  ab,  nachdem  das  Handels- 
ministerium mit  Erlass  vom  30.  Januar 
1876  erklärt  hatte,  diese  Bahn  ohne- 
weiters  an  eine  andere  Gesellschaft 
verkaufen  zu  können.  Die  Kaiser  Ferdi- 
nands-Nordbahn schloss  also  mit  der 
Regierung  zwei  Protokollar  -  Ueberein- 
kommen ab;  das  eine  am  16.  Januar 
1876,  betreffend  die  Erwerbung  der 
Mährischen  Grenzbahn  für  die  Mährisch- 
schlesische  Nordbahn  um  den  Preis  von 
3,000.000  fl.,  und  Eintritt  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  als  Selbstschuldnerin 
für  die  Prioritäten  und  Garantie- Vorschüsse 
der  Mährischen  Grenzbahn  gegen  ent- 
sprechende Erhöhung  der  Staatsgarantie 
für  diese  Bahn,  nämlich  von  336.000  fl. 
auf  561.938  fl.  jährlich,  —  das  zweite 
am  5.  Februar  1876,  betreffend  den  An- 
kauf der  Lundenburg-Grussbacher  Bahn 
um  den  Preis  von  1,700.000  fl.  Die 
Actionäre  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
genehmigten  in  der  ausserordentlichen 
Generalversammlung  vom  16.  Februar 
1876  die  sämmtlichen  Vereinbarungen, 
mithin  auch  die  Erwerbung  und  Durch- 
führung der  Concession  für  die  Linie 
Bielitz-Saybusch. 

Der  legislativen  Behandlung  wurden 
die  Vereinbarungen  am  4.,  beziehungs- 
weise 8.  Februar  1876,  und  zwar  in  drei 
getrennten  Vorlagen  zugeführt.  Im  Eisen- 
bahn-Ausschüsse [des  Abgeordneten- 
hauses] widerfuhr  ihnen  kein  Leid ;  der- 
selbe würdigte  es  vielmehr,  dass  die 
Vereinigung  der  Mährischen  Grenzbahn 
mit  der  Mährisch-schlesischen  Nordbahn 
eine    erheblich    geringere    Staatsgarantie 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


233 


Abb.  114      Sonnsteinlehne.     [Salzkammergut-Bahn  zwischen  Ebensee  und  Traunkirchen  j 


erfordere,  als  die  früher  geplante  Fusion 
mit  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn, 
und  für  den  Staatsschatz  auch  noch  des- 
halb entsprechender  sei,  weil  die  von  der 
jetzt  vorgeschlagenen  Zusammenlegung 
der  Bahnen  erhoffte  Steigerung  der  Er- 
trägnisse beiderseits  nur  garantirten 
Linien  zugute  käme.  Im  Abgeordneten- 
hause selbst  theilte  jedoch  die  Fusions- 
vorlage alsbald  das  Schicksal  ihrer  Vor- 
gängerinnen. Noch  heftiger  als  diese 
letzteren  bekämpft,  weil,  nach  Meinung 
der  Einen,  das  »zum  Dogma  gewordene 
Princip  der  Fusionirung  und  Sanirung 
von  kranken  Bahnen  auf  Kosten  des 
Staates  und  der  Steuerträger«  dem  Be- 
rufe des  Staates  keineswegs  entspricht, 
und,  nach  Meinung  der  Anderen,  »der 
Staat  alle  kranken  Bahnen  unter  Bedin- 
gungen der  Billigkeit  an  sich  ziehen  und 
den  Selbstbetrieb  übernehmen  soll«  — 
wurde  die  Vorlage,  trotz  bester  Befür- 
wortung von  Seite  des  Berichterstatters 
und  auch  des  Handelsministers,  welcher 
überdies  die  drei  Vorlagen  als  untrenn- 
bares Ganze  bezeichnete,  in  der  sehr 
erregten  Sitzung  vom  23.  Februar  1876 
abgelehnt.     Der  Geldmarkt  beantwortete 


diese  Abstimmung  mit  einem  drängenden 
Ausgebote  von  österreichischen  Eisen- 
bahnwerthen ;  das  vermochte  aber  an 
den  gegebenen  Thatsachen  nichts  mehr 
zu  ändern. 

Gleichsam  als  wollte  sie  ihre  Ab- 
neigung gegen  die  Fusionen  noch  deut- 
licher hervorkehren,  Hess  die  Mehrheit 
der  Reichsvertretung  unmittelbar  nach 
der  Ablehnung  jener  einen  Vorlage  den 
beiden  anderen,  in  glattester  Weise,  eine 
zustimmende  Erledigung  angedeihen.  Die- 
selben erhielten  am  12.  März  1876  die 
a.h.  Sanction  und  gelangten  auch  sogleich 
zum  Vollzuge.   — 

Die  Mährische  Grenzbahn  bildete 
nun  fortan  ein  grosses  Fragezeichen.  Weder 
sie  selbst  noch  das  Ministerium  wusste, 
was  mit  ihr  oder  für  sie  geschehen 
solle.  Der  Verwaltungsrath  liess  sich  noch 
geraume  Zeit  hindurch  alljährlich  von  der 
Generalversammlung  ermächtigen,  im 
Wege  einer  Fusion  oder  auch  in  sonstiger 
Weise  eine  Sanirung  zu  bewirken ;  er 
fand  jedoch  keine  Gelegenheit  mehr,  von 
dieser  Vollmacht  Gebrauch  zu  machen. 
Im  Jahre  1878,  da  der  Rest  ihrer  beim 
Baue    ersparten    Fonds,    aus    denen    sie 


234 


Ignaz  Konta. 


seither  das  von  der  Staatsgarantie  unbe- 
deckte fünfte  Procent  des  Prioritäten- 
Coupons  bezahlte,  zur  Neige  ging,  wendete 
sie  sich  wieder  an  die  Regierung,  welche 
auch  wirklich  eine  die  Erhöhung  der 
Garantie  auf  410.057  fl.  bezweckende 
Gesetzesvorlage  im  Reichsrathe  ein- 
brachte. Dieser  bewilligte  aber  nur  einen 
Vorschuss  von  75.000  fl.  zur  Volleinlösung 
des  Prioritäten-Coupons  im  Jahre  1879 
[Gesetz  vom  21.  April  1879].  Weiterhin 
auf  sich  selbst  angewiesen,  konnte  sie 
ab  1.  März  1880  den  Prioritäten-Coupon 
nur  mehr  mit  4  fl.  einlösen,  kam  daher 
unter  Curatel  und  fristete  sich  dann  noch 
mühselig  fort,  bis  sie  im  Jahre  1894  vom 
Staate  eingelöst  wurde. 

Unbeirrt  von  den  keineswegs  er- 
muthigenden  Erfahrungen,  welche  die 
Regierung  mit  ihren  bisherigen  Fusions- 
vorlagen gemacht  hatte,  trat  sie  im  Jahre 
1876  nochmals  mit  einer  solchen  an  den 
Reichsrath  heran.  Die  Dux- Boden- 
bacher Bahn,  deren  Verkehr  sich  in 
ungeahnt  mächtiger  Weise  entwickelte, 
jedoch  auch  bedeutende  Erweiterungs- 
bauten und  Vermehrungen  der  Fahr- 
betriebsmittel erheischte,  war  durch  die 
allgemeine  Verschlechterung  des  Geld- 
marktes ausser  Stand  gesetzt,  ihre  Er- 
fordernisse im  Wege  der  Erhöhung  des 
Anlage-Capitals  zu  beschaffen  und  suchte 
sich  mit  Creditoperationen  zu  helfen. 
Von  den  Staatsvorschusscassen  hatte 
sie,  gegen  Verpfändung  von  Prioritäten 
III.  Emission,  Darlehen  im  Betrage  von 
1,210.000  fl.  erhalten,  im  Uebrigen  aber 
schwebende  Schulden  aufgenommen,  deren 
Kostspieligkeit  ihr  verderblich  zu  werden 
drohte. 

Die  wachsende  Gefahr  erkennend, 
richtete  der  Verwaltungsrath  an  die 
Regierung  die  Bitte  um  eine  finanzielle 
Unterstützung  oder  eine  unmittelbare 
Betheiligung  des  Staates  an  dem  Unter- 
nehmen, durch  Uebernahme  von  Actien 
im  Betrage  von  fünf  Millionen  Gulden. 
Dieses  Begehren  erschien  dem  Ministerium 
»ebensowohl  der  Form  als  dem  Umfange 
nach  zur  Berücksichtigung  nicht  geeignet«; 
immerhin  aber  wurde  der  Verwaltungs- 
rath eingeladen,  zu  Verhandlungen  über 
die  Bedingungen,    unter  welchen  die  er- 


betene Unterstützung  gewährt  werden 
könnte,  Vertreter  zu  entsenden  [Handels- 
ministerial-Erlass  vom  8.  Juni  1875]. 
Gleich  beim  Beginne  dieser  am  21.  Sep- 
tember 1875  eröffneten  Verhandlungen 
wurde  nun  den  Delegirten  der  Gesell- 
schaft verkündet,  dass  nach  dem  Pro- 
gramme, welches  die  Regierung  sich  für 
die  Unterstützung  nothleidender  Bahnen 
aufgestellt  habe,  auch  die  Dux-Boden- 
bacher  Bahn  eine  Hilfeleistung  nur  dann 
erwarten  könne,  wenn  sie  ihren  nach  dem 
commerziellen  Werthe  abzuschätzenden 
Besitz  im  Wege  der  Fusion  an  eine 
andere  Unternehmung  oder  zu  diesem 
Zwecke  vorerst  an  den  Staat   übertrage. 

Die  Abgesandten  der  Gesellschaft 
wehrten  und  verwahrten  sich  gegen  die 
Anwendung  jenes  Programmes  auf  ein 
so  kräftig  entwickeltes  und  zukunftreiches 
Unternehmen  wie  die  Dux-Bodenbacher 
Bahn.  Da  aber  die  Regierung  an  ihren 
Principien  unabänderlich  festhielt,  kam 
am  28.  September  1875  ein  Protokollar- 
Uebereinkommen  zustande,  wonach  das 
gesammte  Eigenthum  der  Dux-Boden- 
bacher Bahn  an  eine  von  der  Regie- 
rung namhaft  zu  machende  andere 
Unternehmung  übergehen,  diese  aber 
alle  Schulden  der  aufhörenden  Gesell- 
schaft auf  sich  nehmen  und  den  Actionären 
der  letzteren  ein  Entgelt  von  nom. 
1,650.000  fl.  [also  etwas  mehr  als  ein 
Fünftel  ihres  Stamm-Capitales]  in  garan- 
tirten  Prioritäts-Obligationen  leisten  sollte. 
Bezeichnenderweise  hat  auch  die  so- 
gleich auf  den  30.  October  1875  ein- 
berufene ausserordentliche  Generalver- 
sammlung das  Uebereinkommen  zwar 
scharf  kritisirt,  dasselbe  eine  »gewaltsame 
Enteignung«  genannt,  aber  fast  einhellig 
angenommen.  Nun  hielten  beide  Theile 
die  Angelegenheit  bereits  für  vollends 
abgeschlossen.  Die  Regierung  setzte  bei 
der  Bahn  einen  eigenen  Commissär  ein 
und  übertrug  derselben,  als  einer  nun- 
mehr dem  Staate  gehörenden  Linie,  den 
Betrieb  der  auf  Staatskosten  ausgeführten 
Rakonitz  -  Protiviner  Bahn  [December 
1875],  und  die  Gesellschaft  ihrerseits  be- 
trachtete sich  bereits  als  in  Liquidation 
stehend. 

Gleichwohl  kam  die  Transaction  nicht 
zustande;  sie  hätte  sich  nach  dem  Plane 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


235 


der  Regierung  noch  auf  andere  hilfs- 
bedürftige böhmische  Bahnen  erstrecken 
sollen,  scheiterte  aber  an  dem  Wider- 
stände der  letzteren.  So  manche  Theil- 
haber  der  Dux-Bodenbacher  Bahn  freuten 
sich  darob,  weil  sie  wegen  des  augen- 
blicklichen Nothstandes  nicht  an  dem 
wahren  Werthe  und  dem  künftigen 
weiteren  Aufblühen  ihres  Unternehmens 
verzweifeln  mochten ;  sie  vermeinten 
schon  mit  dem  Gewinne  an  Zeit  etwas 
für  die  Besserung  ihres  Loses  erreicht 
zu  haben.  Das  war  jedoch  insoferne  irrig, 
als  das  Drängen  der  Gläubiger  ein  Ab- 
warten kaum  zuliess  und  eine  Hilfe, 
welche  den  Actionären  nicht  schwere 
Opfer  auferlegt  hätte,  damals  nirgends 
zu  erhoffen  stand. 

Der  Verwaltungsrath,  dem  jedes 
Zögern  gefährlich  schien,  wendete  sich 
abermals  an  die  Regierung,  und  diese 
wollte  nun,  gestützt  auf  die  unter  Mit- 
wirkung ihres  Specialcommissärs  aufge- 
nommene Vermögens-Inventur  der  Ge- 
sellschaft, eine  Unterstützung  durch  Ueber- 
nahme  neu  auszugebender  Prioritäts- 
Actien  im  Betrage  von  4,000.000  fl.  ge- 
währen, unter  der  Bedingung,  dass  die 
Gesellschaft  ihr  altes  Actiencapital  durch 
Abstempelung  von  6,600.000  fl.  auf 
1,650.000  fl.  [also  auf  den  vierten  Theil] 
herabmindere  und  das  Prioritäts-Anlehen 
III.  Emission  [1,599.000  fl.]  bis  auf  eine 
Quote  von  400.000  fl.  gänzlich  zurück- 
ziehe [Protokoll  vom  24.  Januar  1876]. 
Dass  durch  diese  Vorsichten  jede 
Verlustgefahr  für  den  Staat  ausgeschlossen, 
ihm  vielmehr  ein  guter  Gewinn  geradezu 
sicher  war,  lag  klar  zu  Tage.  Dessunge- 
achtet  ist  in  der  Unruhe  und  Aufregung, 
welche  die  Verwerfung  der  »Nordbahn- 
Fusion«  bei  den  Abgeordneten  selbst 
verursacht  hatte,  eine  Stunde  später  auch 
die  mit  jener  Vorlage  gleichzeitig  [8.  Fe- 
bruar] eingebrachte  Vorlage  über  die  Be- 
theiligung des  Staates  an  der  Dux-Boden- 
bacher Bahn  untergegangen  [23.  Februar 
1876]. 

Hiedurch  zu  den  äussersten  Mass- 
nahmen gezwungen,  sistirte  der  Verwal- 
tungsrath die  Einlösung  der  Prioritäten- 
Coupons,  was  sofort  die  Aufstellung  eines 
Curators  zur  Folge  hatte,  und  dann 
stellte  er  überhaupt  alle  nicht  den  Betrieb 


betreffenden  Zahlungen  ein,  was  natür- 
lich die  Eröffnung  des  Concurses  nach 
sich  hätte  ziehen  müssen,  wenn  nicht 
durch  Hinzuthun  der  Regierung  und  des 
Curators  noch  im  letzten  Augenblicke 
ein  für  die  Zeit  vom  15.  März  bis 
15.  December  1876  giltiges  vorläufiges 
»Arrangement«  getroffen  worden  wäre. 
Vermöge  desselben  stundete  die  Regierung 
die  Schuld  an  die  Vorschusscassen  und 
die  Firma  Klett  &  Comp,  ihre  eigene 
Wechselforderung  [2,240. 586  Reichsmark], 
ferners  übernahm  diese  Firma  Wechsel- 
schulden der  Gesellschaft  im  Betrage  von 
672.420  fl.  zur  Selbstzahlung  und  eröffnete 
ihr  überdies  einen  Credit  von  460.000 
Reichsmark,  wogegen  die  Gesellschaft, 
mit  der  Zustimmung  der  Curatel,  der 
genannten  Firma  4,500.000  fl.  verschrieb 
und  das  bücherliche  Pfandrecht  vor 
den  Prioritäts-Gläubigern  einräumte. 

Wie  traurig  es  damals  selbst  um  die 
vorzüglichsten  Unternehmungen,  wenn 
sie  sich  in  Verlegenheiten  befanden,  be- 
stellt war,  wird,  mehr  noch  als  durch 
die  vorstehenden  Ziffern,  dadurch  be- 
wiesen, dass  der  Verwaltungsrath,  um 
auch  eine  dauernde  Ordnung  zu  bewirken, 
nunmehr  mangels  irgend  einer  ander- 
weitigen Hilfe  genöthigt  war,  sich  der 
seit  dem  Bestand  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn  ihr  feindlich  gegenüberstandenen 
Aussig-Teplitzer  Bahn  in  die  Arme  zu 
werfen.  Diese  Gesellschaft  verstand  es, 
die  gute  Gelegenheit  zu  nützen.  Nach 
einigem  Stolziren  erbot  sie  sich  am 
17.  September  1876,  die  Dux-Boden- 
bacher Bahn  [ohne  die  Kohlenwerke] 
um  den  Preis  von  9,276.900  fl.,  zahlbar 
in  Actien  und  Prioritäten  [der  Aussig- 
Teplitzer  Bahn],  zu  erwerben.  Knapp  vor 
seiner  Entscheidung  erhielt  der  Verwal- 
tungsrath auch  von  der  Anglo- öster- 
reichischen Bank  ein  Sanirungs-Angebot, 
das  zwar  in  materieller  Beziehung 
etwas  günstiger,  in  den  Nebenbedin- 
gungen aber  weit  über  das  Ziel  hinaus- 
greifend war. 

Die  Regierung,  welcher  die  beiden 
Offerten  am  6.  November  1876  vorgelegt 
wurden,  empfahl  darum  neuerliche  Ver- 
handlungen mit  der  Aussig-Teplitzer 
Bahn,  die  sich  nun  zur  Erhöhung  des 
Kaufpreises  auf  10,000.000  fl.    verstand, 


236 


Ignaz  Konta. 


falls  ihr  verschiedene  staatliche  Begün- 
stigungen, so  namentlich :  Steuerfreiheit 
für  sämmtliche  Linien  bis  8.  October  1890, 
einheitliche  Gestaltung  der  Concessionen, 
Gebühren-  und  Steuerfreiheit  für  alle 
aus  der  Fusion  erwachsenden  Rechts- 
geschäfte und  Emissionen,  gewährt  würden. 
[Protokoll  vom  27.  November  1876.] 
Ueberdies  ward  bedungen,  dass  die  Forde- 
rung der  staatlichen  Vorschusscassen  an  die 
Dux-Bodenbacher  Bahn  auf  600.000  fl. 
herabgesetzt  und  den  Actionären  der  letz- 
teren das  Wahlrecht  eingeräumt  werde,  der 
Regierung  für  diese  verringerte  Schuld 
entweder  das  gesellschaftliche  Kohlen- 
werk oder  Actien  der  Aussig-Teplitzer 
Bahn  zum  Curse  von  270  fl.  pro  Stück 
in  Zahlung  zu  geben.  Den  Actionären 
sollte  von  dem  Kaufschillinge  ein  Be- 
trag von  mindestens  840.000  fl.  erübrigen. 

Hinterher  langte  auch  noch  ein 
Angebot  von  dem  Wiener  Bankhause 
S.  M.  Reitzes  ein,  das  aber  gleichfalls 
weder  von  der  Regierung  noch  vom 
Curator  genehm  gehalten  wurde.  Erstere 
erklärte  sich  vielmehr  bereit,  die  vorer- 
wähnten Fusionsbedingungen  der  ver- 
fassungsmässigen Behandlung  zuzuführen 
und  dahin  zu  wirken,  dass  die  Firma 
Klett  &  Comp,  bis  31.  Januar  1877  keine 
Zwangsmittel  gegen  die  Gesellschaft  in 
Anwendung  bringe. 

Von  diesem  Sachverhalte  an  sich, 
noch  mehr  aber  von  den  absprechenden 
Urtheilen,  mit  welchen  die  Oeffentlichkeit 
ihn  begleitet  hatte,  heftig  erregt,  Hessen 
die  Actionäre  der  Dux-Bodenbacher  Bahn 
in  der  ausserordentlichen  Generalver- 
sammlung vom  16.  December  1876  dem 
Unmuthe  die  Zügel  schiessen.  Sie  er- 
gingen sich  stundenlang  in  bitteren  An- 
klagen, bekämpften  die  Anträge  des  Ver- 
waltungsrathes  und  verlangten  von  ihm, 
selbst  auf  jede  Gefahr  hin,  die  Auf- 
suchung eines  anderen  Ausweges  aus 
der  Zwangslage;  als  es  jedoch  zur  Ab- 
stimmung kam,  da  hatte  sich  der  Wind 
plötzlich  gedreht,  und  der  Pact  mit  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  wurde  mit  460 
gegen  69  Stimmen  en  bloc  angenommen. 

Nun  brachte  die  Regierung  am 
19.  December  1876  die  Fusionsvorlage 
im  Abgeordnetenhause  ein.  Dieselbe  wurde 
im  Eisenbahn-Ausschusse  nur  hinsichtlich 


der  Steuerbefreiung  einigermassen  ge- 
ändert, sonst  aber  zur  Annahme  empfoh- 
len. Dessungeachtet  blieb  ihr  die  Mehr- 
heit des  Hauses  abgeneigt,  theils  aus  den 
schon  bei  allen  früheren  Fusionsvorlagen 
geltend  gemachten  Gründen,  theils  auch 
wegen  der  von  zahlreichen  Prioritäten- 
Besitzern  überreichten  Petitionen  um 
Schutz  gegen  die  Beeinträchtigung  ihrer 
verbrieften  Rechte.  Die  Entscheidung 
fiel  in  der  Vollsitzung  vom  16.  Februar 
1877;  nach  einer  geradezu  mit  Leiden- 
schaftlichkeit geführten  Erörterung:  wurde 
auch  diese  Fusion,  trotz  ihrer  besonderen 
Vertheidigung  seitens  des  Handelsmini- 
sters, der  hiebei  sogar  die  bedeutsame 
Erklärung  einfliessen  Hess,  dass  er,  »  wenn 
diese  Vorlage  ebenfalls  fallen  sollte,  kaum 
noch  etwas  für  die  Sanirung  von  Eisen- 
bahnen zu  thun  vermöchte«,  mit  103 
gegen   101   Stimmen  abgelehnt. 

Für  die  Verwaltung  der  Dux-Boden- 
bacher Bahn  kehrten  damit  die  Verlegen- 
heiten zurück,  denen  sie  bereits  für  immer 
entronnen  zu  sein  wähnte ;  sie  nahm  am 
1.  März  1877  den  vor  zwei  Monaten 
an  die  Aussig-Teplitzer  Bahn  abgege- 
benen Betrieb  der  eigenen  Bahn*)  wieder 
an  sich,  schaute  überallhin  nach  Hilfe 
aus  und  berief  ein  um  das  andere  Mal 
die  Actionäre  zusammen,  um  sich  Raths 
zu  erholen.  Die  eigentliche  Drangsal 
hörte  jedoch  gar  bald  auf,  da  sich  jetzt 
mit  einem  Male  Darlehens-  und  Sani- 
rungsangebote  in  auffälliger  Menge  ein- 
stellten, darunter  auch  ein  den  gegebenen 
Verhältnissen  am  besten  angepasstes 
klares  Anerbieten  der  Societe  beige  de 
chemin  de  fer,  welches  denn  auch  ange- 
nommen wurde.  Diese  belgische  Ge- 
sellschaft, die  eben  damals  einen  erheb- 
lichen Theil  ihrer  finanziellen  Thätigkeit 
nach  Oesterreich  verlegt  hatte,  stellte 
nämlich  ein  zur  Deckung  der  dringend- 
sten Fälligkeiten  und  sonstigen  Erforder- 
nisse ausreichendes,  durch  zwei  Jahre 
gar  nicht,  dann  aber  halbjährig  künd- 
bares Darlehen  von  effectiv  4,500.000 
Reichsmark  in  Gold  zu  7°/0  und  gegen 
primo  loco  Sicherstellung  zur  Verfügung, 


*)  Die  Führung  des  Betriebes  auf  der 
k.  k.  Staatsbahn  Rakonitz-Protivin  hatte  die 
Regierung  mittels  Vertrages  vom  27.  Februar 
1877    der  Böhmischen  Westbahn  übertragen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


237 


unter  der  Bedingung,  dass  die  Dux- 
Bodenbacher  Bahn  bis  zur  erfolgten 
Rückzahlung  dieses  Darlehens  den  Be- 
trieb ihrer  Linien  keinem  Dritten  über- 
lassen dürfe  und  der  Curator  sich  für  die 
Dauer  von  2 '/»  Jahren  des  Rechtes  begebe, 
die  Forderungen  der  Prioritäre  geltend 
zu  machen.  Der  bezügliche  Vertrag 
wurde  am  24.  April  1877  abgeschlossen, 
noch  am  selben  Tage  von  der  Regierung 
und  drei  Tage  später  von  der  Curatel 
genehmigt. 


mögenstheiles  die  volle  Selbständigkeit 
bewahrt.  Darum  galt  seither  sowohl  den 
Prioritären  gleichwie  den  Actionären 
dieser  Bahn  das  Scheitern  der  Fusion 
als  ein  wahrer  Glücksfall. 

Die  Regierung  hingegen  konnte  aus 
dem  Schicksale  ihrer  Vorlagen  die  Ueber- 
zeugung  schöpfen,  dass  in  Oesterreich 
weder  die  Fusion  als  solche,  noch  ihre 
Benützung  zu  Sanirungszwecken,  Boden 
zu  finden  vermag,  am  allerwenigsten 
aber,     wenn    ihr    die    nicht    einmal    die 


Abb.  115.     Bau  der  Salzkammergut-Bahn.     [An  der  südlichen  Mündung  des  Sonnenstein-Tunnels  zwischen 

Ebensee  und  Traunkirchen.] 


Die  Dux  -  Bodenbacher  Bahn  hatte 
also  genügend  Zeit  und  Mittel  gewon- 
nen, um  ihre  Verhältnisse  in  Ruhe  ord- 
nen zu  können.  Freilich  galt  es  noch 
über  mancherlei  Wirrnisse,  die  jetzt 
mehrentheils  nur  von  den  wegen  des 
Sanirungsgeschäftes  einander  bekriegen- 
den Finanzinstituten  verursacht  wurden, 
hinwegzukommen;  aber  ehe  die  zwei 
Jahre  um  waren,  hatte  das  Unternehmen 
sich  selbst  geholfen  und,  wie  in  einem 
späteren  Abschnitte  dieser  Mittheilungen 
noch  des  Näheren  zu  besprechen  bleibt, 
ohne    Hinopferung     irgend     eines    Ver- 


Rechte  der  Gläubiger  schonende  Theorie 
vom  commerziellen  Werthe  zugrunde 
gelegt  ist. 

Thatsächlich  sind  denn  auch  von  all 
den  angestrebten  »Fusionen«  nur  zwei, 
und  zwar  solche  verwirklicht  worden, 
bei  denen  weder  eine  Werthverminderung 
in  Frage  kam,  noch  der  Staat  eine, 
geschweige  gar  neue  Leistung  auf  sich 
zu  nehmen  hatte.  Es  waren  dies :  die 
schon  bei  der  Constituirung  der  »Wien- 
Pottendorf- Wiener-Neustädter 
Bahn«  [s.  S.  158]  vollzogene,  jedoch 
erst     auf     Grund     des     Gesetzes     vom 


238 


Ignaz  Konta. 


24.  März  1875  völlig  geregelte  Vereini- 
gung der  Wiener- Xeustadt-Gram- 
mat -Neusiedler  Bahn  und  der 
Meidling  -  P  ottendorfer  Bahn, 
wobei  die  beiden  Concessionen  gleich- 
gestellt,   deren  Dauer    auf   90  Jahre    ab 

I.  Januar  1875  festgesetzt,  die  Steuer- 
freiheit der  Grammat-Xeusiedler  Bahn 
für  die  Zeit  von  sieben  Jahren  hälftig 
auf  beide  Linien  übertragen  und,  zufolge 
a.  h.  Entschliessung  vom  7.  December 
1874,  beziehungsweise  30.  April  1875, 
die  Pottendorfer  Bahn  von  der  con- 
cessionsmässigen  Verpflichtung  zum  Aus- 
baue der  Theilstrecke  Pottendorf-Unga- 
rische Grenze  entbunden  wurde  [Kund- 
machung des  Handelsministeriums  vom 
3.  Juli  1875],  ferner  die  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  7.  Juni  1877  ins  Werk 
gesetzte  gänzliche  Verschmelzung  der 
Brünn-Rossitzer  Bahn  mit  der 
Oesterreichischen  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft, durch  welche 
eigentlich  nur  die  Legitimirung  des 
zwischen  diesen  beiden  Unternehmungen 
schon  seit  der  Concessionirung  des  Er- 
gänzungsnetzes [der  Staatseisenbahn- Ge- 
sellschaft] bestandenen  Verhältnisses  be- 
wirkt wurde.  Weil  nun  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn  auch  bei  diesem  An- 
lasse wieder  ihre  Privilegialrechte  geltend 
zu  machen  suchte,  bedurfte  diese  Ver- 
einigung noch  einer  besonderen  Ge- 
nehmigung, welche  erst  am  15.  Decem- 
ber 1878,  und  zwar  von  Seite  des  Mini- 
steriums des  Innern  ertheilt  wurde.  Der 
Vertragsabschluss  über  die  Vereinigung 
der  beiden  Unternehmungen*)  erfolgte  am 

II.  März  1878  und  die  Verlautbarung 
der  mit  a.  h.  Entschliessung  vom  14.  De- 
cember    1879    bewilligten  Uebertragung 


*)  Die  Oesterreichische  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  übernahm  die  Brünn-Rossitzer 
Bahn  sammt  allem  Zubehör,  trat  dafür  hin- 
sichtlich  der  Prioritäts-Anlehen  von  zusam- 
men 2,250.000  fl.  als  Selbstschuldnerin  ein 
und  bezahlte  für  jede  der  10.290  Prioritäts- 
Actien  [ä  200  fl.]  den  Baarbetrag  von  175  fl. 
Mehr  als  die  Hälfte  dieser  Actien  sowie  die 
sämmtlichen  Stammactien  [252  Stück  ä  525  fl.] 
hatte  die  Staatseisenbahn-Gesellschaft  übri- 
gens schon  zur  Zeit  ihrer  ersten  Bewerbung 
um  die  [Wien]-Znaim-Tecicer  Linie  [1863] 
an  sich  gebracht,  um  sich  einen  ausreichen- 
den Einfluss  auf  die  Rossitzer  Bahn  zu  sichern. 
[Siehe  Bd.  I,  I.  Theil,  Seite  402  u.  fl".] 


des  Privilegiums,  mittels  Kundmachung 
der  Handelsministeriums  vom  21.  Decem- 
ber 1879.  — 

Was  aus  dem  Schiffbruche  der 
Fusionsprojecte  gerettet  wurde,  fand  bal- 
dige Bergung.  Auf  Grund  des  Gesetzes 
vom  18.  März  1876  hatte  der  Staat  gleich 
am  1.  April  1876  von  der  Dniester- 
Bahn  Besitz  ergriffen,  deren  Betrieb  er 
an  die  Erste  ungarisch-galizische 
Eisenbahn  übertrug,  die  densel- 
ben vorerst  einfach  für  Rechnung  des 
Staates,  dann  aber,  zufolge  des  Betriebs- 
vertrages vom  10.  April  1876,  gegen 
Vergütung  der  Selbstkosten  führte,  bis 
er  im  Jahre  1884  in  die  eigene  Regie 
der  Staates  übernommen  wurde.  Die 
Liquidation  der  Gesellschaft  und  die 
Flüssigmachung  des  Kaufschillings  begann 
im  Juni;  die  Ausserkraftsetzung  der 
Concessions-Urkunde  erfolgte  durch  die 
Kundmachung  des  Handelsministeriums 
vom  8.  August   1876. 

Vermöge  des  eben  erwähnten  Betriebs- 
vertrages übernahm  die  Erste  ungarisch- 
galizische  Eisenbahn  auch  den  Betrieb 
der  k.  k.  Staatsbahn  Tarnöw-Lelu- 
chöw,  der  gleichfalls  erst  acht  Jahre 
später  an  die  Staatsverwaltung  zurück- 
kam. 

Die  Lundenburg  -  Grussbach  er 
Bahn  ging  am  15.  April  in  den  Be- 
sitz und  Betrieb  der  Kaiser  Ferdi- 
nands-Nordbahn  über.  Die  con- 
cessionsmässigen  Befugnisse  wurden  je- 
doch erst  mittels  Kundmachung  des 
Handelsministeriums  vom  23.  August 
1876  an  die  Kaiser  Ferdinands-Xordbahn 
übertragen  und  bei  diesem  Anlasse  auch 
einige  Bestimmungen  der  beiden  Con- 
cessions-Urkunden  der  erstgenannten  Bahn 
ausser  Kraft  und  hiefür  die  im  Ueber- 
einkommen  vom  5.  Februar  1876  [Ar- 
tikel III  bis  XVI]  enthaltenen  einheit- 
lichen Bestimmungen  in  Wirksamkeit 
gesetzt.*)    Das  Ergebnis  der  Liquidation 

*)  Diese  Abänderungen  betreffen  im 
Wesentlichsten:  Tarifnormirungen,  Pauscha- 
lirung  des  steuerbaren  Reinerträgnisses  der 
Linie  Lundenburg-Grussbach  für  die  ganze 
Dauer  der  Steuerfreiheit  [behufs  Ermögli- 
chung der  Führung  einer  gemeinschafdichen 
Betriebsrechnung],  Verlängerung  der  Con- 
cessionsdauer  auf  90  Jahre  vom  6  Mai 
1876  an  etc. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


239 


der  nun  aus  der  Reihe  der  selbständigen 
Unternehmungen  geschiedenen  Lunden- 
burg-Grussbacher  Bahn  war  ein  geradezu 
klägliches,  denn  die  Begleichung  der 
Betriebsforderungen  der  Nordvvestbahn, 
dann  die  Abfindung  der  Actionäre 
mit  2  fl.  pro  Actie  und  die  Befriedigung 
verschiedener  Gläubiger  Hess  von  dem 
Kaufschillinge  nur  noch  so  viel  übrig, 
dass  die  Prioritäten  I.  Emission  [7484 
Stück  ä  300  fl.]  blos  mit  44"39°/0  und 
jene  der  II.  Emission  [13.300  Stück 
ä  300  fl.]  gar  nur  mit  i375°/o  des 
Nennvverthes  eingelöst  werden  konnten. 
Das  Gelderfordernis  zum  Ankaufe  der 
Lundenburg-Grussbacher  Bahn,  ferners 
zum  Baue  der  nachfolgend  besprochenen 
Linie  Bielitz-Saybusch  und  zur  Vervoll- 
ständigung der  Hauptbahn,  deckte  die 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn,  über  Be- 
schluss  der  Generalversammlung  vom 
3.  Mai  1876,  durch  ein  Prioritäts-Anlehen 
im  Betrage  von  nom.  7,5000.00  fl., 
wovon  jedoch  vorerst  nur  die  Hälfte, 
und  zwar  an  die  eigenen  Actionäre,  zum 
Curse  von  88°/oi  begeben  wurde.*)  Einer 
etwaigen  besonderen  Vorsorge  für  die 
Verzinsung  und  Tilgung  dieses  Anlehens 
war  die  Gesellschaft  gleich  von  vorn- 
herein überhoben,    da    ihr  schon   die  im 


*)  Zur  Vervollständigung;  der  Daten  über 
das  Anlage-Capital  der  KaiserFerdinands- 
Nordbahn  muss  hier  beigefügt  werden, 
dass  dieselbe  seit  dem  Jahre  1866  ausser 
den  Prioritäten  für  die  Mährisch-schlesische 
Nordbahn  im  Gesammtbetrage  von  24,000.000  fl. 
noch  12.934  Actien  zum  Curse  von  150  für 
je  100  fl.  C.-M.  und  Obligationen  im  Nenn- 
werthe  von  18,150.000  fl.  ausgegeben  hat.  Die 
Haupt-Emission  [6777  Actien  und  14,400.000  fl. 
in  Prioritäten]  fand  im  Jahre  1872  statt. 

Aus  dieser  wurden  auch  die  Kosten  der 
stabilen  Brücke  über  die  Donau  [Abb. 
Il6]  und  der  Tracenumlegung  zwischen 
Wien  und  Floridsdorf  —  einschliesslich 
der  zehn  Durchfahrtsbrücken  für  die  künftige 
>Donaustadt«  — ■  gedeckt. 

Das  Glück  lächelte  der  Nordbahn  auch 
beim  Baue  der  neuen  Donaubrücke;  derselbe 
konnte  »im  Trockenen«,  d.  h.  bevor  noch  der 
Strom  in  sein  neues  Bett  geleitet  war,  voll- 
führt werden.  Die  neue  Strecke  Wien-Florids- 
dorf  wurde  am  26.  März  1874  dem  allge- 
meinen Verkehre  übergeben,  nachdem  sie 
anlässlich  der  Kaiserreise  nach  Russland  am 
11.  Februar  eröffnet  und  am  23.  Februar  dem 
Personenverkehr  dienstbar  gemacht  worden 
war. 


Jahre  1876  überflüssig  gewordene  weitere 
Dotirung  des  vor  31  Jahren  gegründeten 
und  nun  bis  zur  Höhe  von  10,226.274  fl. 
angewachsenen  Reservefondes  A  reich- 
liche Mittel  verfügbar  machte. 

Die  auf  dem  Gesetze  vom  12.  März 
1876  beruhende  Concession  für  die 
Linie  Bielitz-Saybusch  gelangte 
am  30.  Mai  1876  zur  Ausfertigung.  Ihre 
Bestimmungen  sind  mit  den  für  die 
Mährisch-schlesische  Nordbahn  geltenden 
in  Einklang  gesetzt,  nur  geniesst  die 
neue  Linie  keine  Staatsgarantie,  sondern 
eine  25jährige  Steuerfreiheit,  welche 
[zwecks  der  Ermöglichung  einer  gemein- 
schaftlichen Betriebsrechnung  für  sämmt- 
liche  ungarantirten  Linien  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn]  auf  ihre  ganze 
Dauer  mit  jährlich  80.000  fl.  pauschalirt 
ist.  Der  Baubeginn  war  auf  den 
30.  November  1876  anberaumt,  die 
Vollendungsfrist  mit  längstens  zwei  Jahren 
bemessen. 

Zum  ersten  Male  hatte  die  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  das  Project  einer 
Verlängerung  ihrer  Dzieditz  -  Bielitzer 
Flügelbahn  nach  Saybusch  ins  Auge 
gefasst,  als  bei  Ablauf  der  Sechziger- 
Jahre  die  Bestrebungen  um  die  Ausge- 
staltung des  galizischen  Bahnnetzes  und 
dessen  Verbindung  mit  den  ungarischen 
Bahnen  sich  geltend  zu  machen  begannen. 
Die  Vorconcession  für  die  ungarische 
Strecke  von  der  galizischen  Grenze  bis 
Csäcza  erhielt  sie  am  17.  Juli  1868.  Da 
jene  Bestrebungen  damals  fruchtlos  ge- 
blieben, Hess  auch  die  Nordbahn  ihr 
Project  ruhen,  bis  im  Jahre  1871  die 
Linie  Bielitz-Saybusch-Csäcza  von  dritter 
Seite  [Ingenieur  Gentilli  u.  A.]  in  An- 
regung kam,  und  alsbald  auch  in  die 
damals  erstmalig  zur  legislativen  Behand- 
lung gelangte  Galizische  Transversalbahn 
einbezogen  wurde  [s.  S.    I71]- 

Das  allein  schon  war  Grund  genug, 
sich  des  Projectes  ernstlich  anzunehmen. 
Es  lag  aber  jetzt  noch  ein  zweiter  vor. 
Das  Gesetz  vom  II.  Juni  1871  ver- 
pflichtete die  Gesellschaft,  den  Erlös  für 
die  an  die  Nordwestbahn  verkaufte  Flügel- 
bahn [s.  S.  57]  binnen  längstens  fünf 
Jahren  zur  Herstellung  einer  neuen  an 
die  Nordbahn  anschliessenden  Linie  zu 
verwenden.  Sie  konnte  also  mit  Erfüllung 


240 


Ignaz  Konta. 


dieser  Obliegenheit  zugleich  auch  die 
altgeplante  Verlängerung  der  Dzieditz- 
Bielitzer  Zweigbahn  bewirken,  und  sie 
wollte  dies  nunmehr,  nachdem  die 
wegen  der  Investirung  jenes  Erlöses 
[1,000.000  fl.]  vollführten  mannigfachen 
Studien  dargethan  hatten,  dass  der 
gedachte  Weiterbau,  sowohl  in  An- 
sehung der  Verkehrsbedeutung,  als  auch 
der  zu  gewärtigenden  Ertragsfähigkeit, 
den  übrigen  geprüften  Projecten  weit 
voraus  sei.  *) 

Die  Regierung  stimmte  dem  bei,  doch 
verlangte  sie  statt  der  von  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  beabsichtigten  An- 
lage einer  Kopfstation  in  Bielitz  einen 
unmittelbaren  Anschluss  der  alten  an  die 
neue  Linie,  was  die  Unterfahrung  eines 
Theiles  der  Stadt  bedingte  und  die  ur- 
sprünglich mit  1,894.000!!.  veranschlagten 
Baukosten  bedeutend  erhöhte.  Daran  wäre 
das  Vorhaben  wieder  gescheitert,  wenn 
nicht  die  Güterverwaltung  des  Erzherzogs 
Albrecht  sich  im  Interesse  der  an  der 
projectirten  Linie  liegenden  erzherzog- 
lichen Besitzungen  mit  einem  Betrage 
von  500.000  fl.  an  dem  neuen  Unter- 
nehmen, »auf  Gewinn  und  Verlust«,  be- 
theiligt hätte. 

Nachdem  sie  diese  Partnerschaft  ge- 
funden, erklärte  die  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  am  20.  Januar  1876  proto- 
kollarisch, die  mit  dem  Handelsministerium 
schon  früher  vereinbarte  Concession  über- 
nehmen zu  wollen  und  erhielt  dieselbe, 
wie  bereits  oben  dargelegt  erscheint.  Die 
Ausarbeitung  der  Detailpläne,  von  denen 
insbesondere  jene  für  die  268  m  lange, 
tunnelirte  Unterfahrung  der  Stadt  Bielitz 
die  grösste  Sorgfalt  erforderten,  nahm 
längere  Zeit  in  Anspruch.  Darum  konnte 
die  Vergebung  des  Baues  erst  am  1 1 . 
December  1876  stattfinden;  sie  erfolgte 
auf  Grund  von  Mindest-Einheitssätzen  im 
Wege  einer  Offertverhandlung,  an  der 
sich  fünfzehn  Baufirmen  betheiligten.  Er- 
steher blieb  die  Unternehmung  F.  Soukup. 
Einzelne  Arbeiten  wurden  übrigens  schon 


*)  Laut  des  Berichtes  an  die  ausser- 
ordentliche Generalversammlung  vom  16.  Fe- 
bruar 1876  Hess  die  Nordbahn  insbesondere 
noch  folgende  Projecte  untersuchen:  Göding- 
Gaya,  Bisenz-Gaya,  Hullein-Kremsier  und 
Napagedl-Kremsier-Kojetein. 


am  30.  November  in  Angriff  genommen. 
Die  Eröffnung  der  ganzen  20-8  km  langen 
Linie  fand  4x/8  Monate  vor  dem  con- 
cessionsmässigen  Vollendungstermine, 
nämlich  am   18.  August   1878,  statt. 


Die  Strecke  Bielitz-Saybusch  zweigt 
unmittelbar  hinter  dem  Aufnahmsgebäude  in 
Bielitz  rechts  ab  und  führt  nach  Kreuzung 
der  Bahnhofs-Zufahrtsstrasse  in  einem  Bogen 
von  400  in  Radius  durch  die  Stadt  Bielitz. 
Die  Höhenlage  der  Stadt  bedingte  hiebei  die 
Herstellung  eines  über  900  in  langen,  an 
seiner  tiefsten  Stelle  125  m  tiefen  Ein- 
schnittes, der  auf  eine  Länge  von  268  in 
eingewölbt  werden  musste.  Besondere  Schwie- 
rigkeiten machte  bei  der  Ausführung  dieses 
Bauwerkes  die  Ueberführung  des  Nipper- 
und des  Mühlbaches,  besonders  jene  des 
ersteren,  dessen  Sohle  unter  den  Scheitel  des 
Object-Gewölbes  reichte,  und  deshalb  mit 
Hilfe  einer  schmiedeeisernen  genieteten 
Röhre  von  125  in  Lichtweite  und  gleicher 
Höhe,  deren  Unterkante  unter  den  innern 
Gewölbsscheitel  reicht,  bewirkt  werden 
musste.  Der  Mühlbach  wurde  in  einem  ge- 
mauerten Gerinne  über  den  gewölbten  Ein- 
schnitt hinweggeführt. 

Gleich  ausserhalb  des  gewölbten  Ein- 
schnittes übersetzt  die  Trace  den  Bialafluss. 
Um  die  für  die  Ueberbrückung  erforderliche 
Höhe  zu  gewinnen,  war  es  nöthig,  eine  Stei- 
gung von  l4-286°/00  einzulegen.  Nach  Ueber- 
setzung  des  Bialaflusses  gelangt  die  Bahn 
auf  galizisches  Gebiet  und  zieht  zunächst 
am  rechten  Bialaufer,  dann  weiter  entlang 
des  Mesnabaches  in  continuirlichen  Stei- 
gungen, bis  sie  die  Höhe  der  Wasser- 
scheide zwischen  dem  Biala-  und  Solagebiete 
erreicht.  Auf  diesem  Zuge,  der  an  indu- 
striellen Anlagen  und  malerisch  gelegenen 
Gehöften  durch  ein  von  schön  bewaldeten 
Bergen  beiderseits  eingerahmtes  Thal  stetig 
aufwärts  führt,  werden  mehrere  Zuflüsse 
der  Biala  überbrückt,  welche  mit  Rück- 
sicht darauf,  dass  diese  Gewässer  durchaus 
Wildbäche  sind,  grössere  Objecte  erforder- 
ten. Die  Ueberschreitung  der  Wasserscheide 
erfolgt  mittels  eines  Einschnittes  von  450  m 
Länge  und  5' 151  m  Maximaltiefe.  Im  Ge- 
fälle geht  die  Trace  in  das  weite  Thalbecken 
des  Solagebietes  und  zieht  entlang  des  Zim- 
nikbaches,  der  auf  eine  Länge  von  nahezu 
600  in  regulirt  und  überbrückt  werden 
musste.  Ueber  einen  Mühlbach  und  den  Zilka- 
bach  an  Lodygowice  vorüber  den  Kalnabach 
übersetzend,  gelangt  die  Bahn  in  das  ausge- 
dehnte Inundationsgebiet  des  Solaflusses, 
dem  sie  wiederholt  so  nahe  rückt,  dass  sie 
durch  Anlage  von  Faschinenbauten  vor  Unter- 
waschungen geschützt  werden  musste.  Von 
da  ab  zieht  die  Trace  zum  Endpunkte  der 
Bahn,  der  Station  Saybusch,  hinan. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


241 


Abb.  116.    Brückenfelder  der  Nordbahnbrücke  über  die  Donau  bei  Wien.     [Nach  einer  photographischen 

Aufnahme  Ton  August  Navratil.] 


Von  den  vorhin  aufgezählten,  in  der 
Gesetzesvorlage  vom  29.  October  1875 
zur  Ausführung  auf  Staatskosten  vorge- 
schlagenen Hauptbahnen  kam  bislang 
nur  die  Donauuferbahn  in  Wien 
zustande,  deren  Herstellung  eigentlich  ; 
schon  in  dem  ursprünglichen  Programme 
ftr  die  Donauregulirung  vorgesehen  war, 
das  auf  die  Verbindung  aller  in  Wien 
einmündenden  Bahnen  untereinander  und 
mit  den  einzelnen  Landungsplätzen  am 
neuen  Stromufer  ausdrücklich  Bedacht 
genommen  hatte. 

Daraus  entsprangen  in  der  »Grün- 
dungszeit« zahlreiche  einschlägige  Pro- 
jecte,  *)  die  aber  allesammt  vor  der  im 
Jahre  1870  und  seitdem  noch  wiederholt 
eingetretenen     Concessionswerbung     der 


Donauregulirungs  -  Gommission  zurück- 
wichen. Diese  wollte  eine  vom  Sporne 
bei  Nussdorf  zu  den  Uferbahnhöfen  der 
Wiener  Bahnen  sowie  zu  den  Anlagen 
der  Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft 
und  bis  zum  Winterhafen  oberhalb  der 
neuen  Mündung  des  Donaucanales  füh- 
rende, doppelgeleisige  Bahn  erbauen  und 
die  bezüglichen  Kosten  aus  dem  Erlöse 
der  durch  die  Donauregulirung  gewon- 
nenen Grundflächen  decken. 

Der  Ausbruch  der  wirthschaftlichen 
Krisis  machte  aber  den  Verkauf  der 
»Donaugründe«  unmöglich  und  nachdem 
ihr  andere  Geldmittel  zum  Bahnbaue 
mangelten,  musste  auch  die  Donauregu- 
lirungs-Commission    die    Bewerbung   um 


*)  Im  Jahre  1867  plante  das  Consortium 
des  Grafen  Hugo  Henckel-Donnersmark  eine 
»Wiener  Gürtelbahn«,  welche  auch  die  in 
Wien  einmündenden  Bahnen  mit  dem  pro- 
jectirten  Donauhafen  verbinden  sollte;  im 
Jahre  1869  projectirten :  der  Fürst  Ernst 
Windischgrätz  und  Genossen  ein  »Central- 
Eisenbahnnetz  in  Wien  und  Umgebung«, 
dann  die  Wiener  Bank  in  Gemeinschaft  mit 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  ?.  Theil. 


dem  Baurathe  Karl  Schwarz  »Eisenbahnen 
in  und  um  Wien«.  Diese  Projecte  hatten, 
gleich  dem  damals  auch  vom  Grafen  Kasimir 
VVlodecki  aufgestellten,  nebst  anderen  Ver- 
bindungen auch  diejenige  der  Wiener  Bahn- 
höfe und  Landungsplätze  zum  Zwecke.  Im 
Jahre  1872  kamen  noch  andere  derlei  Projecte 
dazu,  so  von  Seite  des  Wiener  Bankvereins, 
der  Gesellschaft  für  Industrie-,  Forst-  und 
Montanbahnen  u.  m.  A. 

16 


242 


Ignaz  Konta 


die  Concession  aufgeben.  Statt  der  letzteren 
erbat  sie  sodann  die  Ausführung  der 
Donauuferbahn  auf  Staatskosten,  welche 
Bitte  vom  Lande  Niederösterreich  und 
der  Stadt  Wien,  als  den  neben  dem 
Staate  noch  an  der  Donauregulirung  be- 
theiligten Curien,  lebhaft  unterstützt 
wurde. 

Die  Regierung  nahm  sich  darum 
wärmstens  des  Projectes  an,  meinte  jedoch, 
dasselbe,  weil  die  Kaiserin  Elisabeth-Bahn 
bereits  eine  Verbindung  zur  Donau  [bei 
Albern]  besass,  auf  eine  eingeleisige, 
schon  bei  der  Stadlauer  Brücke  der 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  endigende 
Linie  beschränken,  hingegen  eine  Fort- 
setzung der  Wiener  Verbindungsbahn 
vom  Nordbahnhofe  zur  Nordwestbahn 
und  zu  den  Geleisen  der  Kaiser  Franz 
Josef- Bahn  in  Nussdorf  in  Anregung 
bringen  zu  sollen.  Hienach  würden  die 
von  der  Donauregulirungs  -  Commission 
mit  500.000  fl.  veranschlagten  Kosten 
der  Donauuferbahn  sich  auf  230.OOO  fl. 
verringert  und  die  Ergänzung  der  Wiener 
Verbindungsbahn  einen  Aufwand  von 
970.000  fl.  erfordert  haben. 

In  dieser  Anordnung  war  also  das 
Project  in  die  am  29.  October  1875  vor 
den  Reichsrath  gelangte  Gesetzesvorlage 
über  den  »Bau  neuer  Eisenbahnlinien 
auf  Staatskosten  und  die  Eröffnung  von 
Special crediten  für  das  Jahr  1876«,  und 
zwar  an  oberster  Stelle  aufgenommen 
worden.  Der  Budgetausschuss  des  Abge- 
ordnetenhauses, welcher  bald  darauf  mit 
der  Regierung  übereingekommen  war, 
für  die  einzelnen  in  der  Vorlage  ange- 
führten Bahnen  und  Credite  Special- 
gesetze zu  schaffen,  brachte  dieses  Ver- 
fahren gleich  bei  der  Donauuferbahn  in 
Anwendung,  liess  jedoch  die  Fortsetzung 
der  Wiener  Verbindungsbahn  vorläufig 
fallen,  empfahl  dafür  die  doppelgeleisige 
Anlage  der  Donauuferbahn  vom  Nuss- 
dorfer  Sporn  bis  zur  Stadlauer  Brücke 
sowie  die  Herstellung  einer  im  Oberbaue 
vorerst  eingeleisigen  Verbindung  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  [von  Nussdorf 
aus]  mit  der  Donauuferbahn  und  —  zu 
Zwecken  dieser  beiläufig  1,004.000  fl. 
erfordernden  Bauten  —  schon  pro  1876 
die  Eröffnung  eines  Credites  von  600.000  fl. 
Das  Abgeordnetenhaus  nahm  diese  Vor-  | 


schlage  an  [10.  Februar  1876],  die,  nach 
Zustimmung  auch  des  Herrenhauses,  am 
11.  März  1876  die  a.  h.  Sanction  zum 
Gesetze  erhielten. 

Nun  fertigte  die  k.  k.  Direction  für 
Staatseisenbahn  -  Bauten  mit  aller  Be- 
schleunigung die  Detailpläne  an,  so 
zwar,  dass  der  Bau  der  4^3  km  langen 
Strecke  vom  Quai-Bahnhof  der  Nordbahn 
bis  zur  Stadlauer  Brücke  bereits  am 
23.  August  1876  begonnen  werden  konnte. 
Derselbe  war  an  den  Unternehmer  Josef 
Urban  vergeben  und  binnen  sieben 
Wochen  vollendet  worden.  Die  Eröffnung 
dieser  Strecke  fand  am  26.  October  1876 
statt. 

Den  Betrieb  übernahm  damals,  zu- 
folge eines  am  12.  October  1876  einge- 
gangenen Vertrages,  die  Kaiser  Ferdi- 
nands-Nordbahn  gegen  ein  Pauschale 
von  6000  fl.  jährlich  für  den  Stations- 
dienst und  Vergütung  ihrer  übrigen 
Leistungen  nach  den  wirklich  aufge- 
laufenen Kosten. 

Die  4  km  lange  Fortsetzungsstrecke 
vom  Quai-Bahnhof  der  Nordbahn  bis  zur 
Station  Nussdorf  konnte  wegen  ver- 
schiedener Strittigkeiten  erst  im  Sommer 
1877  in  Angriff  genommen  werden.  Sie 
wurde  von  der  Unternehmung  Redlich  & 
Berger  innerhalb  elf  Monaten  fertigge- 
stellt und  am  24.  August  1878  dem 
Betriebe  übergeben. 

Fast  unmittelbar  danach  kündigte  das 
Handelsministerium  den  Betriebsvertrag 
mit  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  und 
betraute  ab  I.  Januar  1879  die  kurz  vorher 
errichtete  Verwaltung  der  k.  k.  nieder- 
österreichischen Staatsbahnen  mit  der 
Betriebsführung.  Den  Zugförderungsdienst 
versah  von  diesem  Zeitpunkte  an  die 
Staatseisenbahn-Gesellschaft. 

Mannigfache  Einschränkungen  der 
Bahnanlagen,  insbesonders  die  mit  a.  h. 
EntSchliessung  vom  II.  August  1876 
genehmigte  einstweilige  Weglassung  des 
zweiten  Geleises  und  Erleichterungen  be- 
züglich der  Sicherheits- Vorkehrungen,  ver- 
ringerten die  Baukosten  um  fast  300.000  fl. 
Dieses  Ersparnis  diente  später  zur  weiteren 
Fortsetzung  der  Donauuferbahn  von  der 
Stadlauerbrücke  bis  zur  Donaulände-Bahn 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  bei  Kaiser- 
Ebersdorf. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


243 


Die  Donauuferbahn  zweigt  am  süd- 
lichen Ende  der  Station  Nussdorf  in  einem 
Bogen  von  183  in  Radius  ab,  erreicht  nach 
einer  kurzen  Steigung  von  8°/0o  auf  der 
Donaucanal  -  Brücke  [89  m  Stützweite]  die 
Höhe  von  9  tu  über  dem  örtlichen  Xullwasser- 
stand,  übersetzt  auf  der  in  einem  Winkel 
von  400  schief  gelegten  Brücke  den  Donau- 
canal und  geht  sodann  mit  einem  Gefälle 
von  12 '/j  bis  8°/00  bis  zum  Donau-Quai.  Im 
weiteren  Verlaufe  zieht  die  Bahn  in  einer 
Entfernung  von  673  m  von  der  Uferkante 
den  Donau-Quai  entlang  und  findet  im 
Quai-Bahnhof"  der  Nord  bahn  an  diese  und 
an  der  Stadlauerbrücke  an  die  Staats- 
eisenbahn Anschluss.    [Abb.  117.] 

Zwar  nicht  durch  die  schon  wieder- 
holt erwähnte  grosse  Gesetzesvorlage 
selbst,  doch  aber  aus  Anlass  derselben 
wurde  noch  die  sogenannte  »Pontebba- 
Bahn«  Tarvis-Pontafel  ins  Dasein 
gerufen.  Der  Handelsminister  v.Chlumecky 
hob  in  der  bedeutungsvollen  Rede,  mit 
welcher  er  am  29.  Octöber  1875  jene  Vor- 
lage mündlich  einbegleitete,  ausdrücklich 
hervor,  dass  die  genannte  Verbindungs- 
linie nur  darum  keine  Aufnahme  in  den 
Gesetzentwurf  gefunden,  weil  die  Aus- 
führung der  .  italienischen  Anknüpfungs- 
strecke sehr  im  Rückstande  und  daher 
der  Anschluss  in  Pontafel  noch  nicht 
sobald  zu  gewärtigen  war,  dass  jedoch 
die  Regierung  für  die  rechtzeitige  Her- 
stellung der  österreichischen  Strecke  sor- 
gen wolle,  wenn  die  Vorkehrungen  auf 
der  italienischen  Seite  gestatten  werden, 
rücksichtlich  der  Bewerkstelligung  des 
Anschlusses  mit  einem  bestimmten  Zeit- 
punkte zu  rechnen.  Das  Abgeordneten- 
haus erachtete  jedoch  diesen  Termin 
schon  als  gekommen,  da  gelegentlich 
der    Eröffnung    der    Theilstrecke   Udine- 


Ospedaletto  [16.  November  1875]  die 
Vollendung  der  übrigen  Strecken  von 
Seite  der  italienischen  Regierung  für 
Ende  1877  in  Aussicht  gestellt  wurde. 
Es  verlangte  daher  in  dringendster 
Weise  die  »Erschliessung  des  alten  Ver- 
kehrsweges nach  Italien«,  und  die 
Regierung  entsprach  nunmehr  diesem 
Wunsche. 

Die  Vorgeschichte  der  Pontebba-Bahn 
reicht  weit  zurück  und  hat  bemerkens- 
werthe  Momente  aufzuweisen.  Ursprüng- 
lich war  eine  von  Villach  zum  Anschlüsse 
an  die  Linie  Verona-Triest  führende 
Eisenbahn,  als  Flügel  der  am  9.  Januar 
1875  concessionirten  »Kärntner  Bahn«, 
vorgesehen.  Nach  der  am  23.  September 
1858  erfolgten  Zurücklegung  dieser  Con- 
cession  und  nachdem  in  der  am  selben 
Tage  ertheiltenConcession  für  die  Südbahn 
blos  die  Linie  Marburg- Villach  Aufnahme 
fand,  hatte  es  auch  von  der  südlichen 
Fortsetzung  jener  Linie  dauernd  sein 
Abkommen,  wiewohl  in  Kärnten  und  in 
Triest  die  Bestrebungen  um  dieselbe 
eigentlich  nicht  mehr  aufhörten.  Freilich 
blieben  sie  nicht  lange  einheitliche.  Bis 
zum  Jahre  1864,  und  insbesondere  noch 
zur  Zeit  der  Projectirung  der  Kronprinz 
Rudolf-Bahn,  traten,  gleich  den  Handels- 
kammern von  Steiermark,  Kärnten  etc., 
auch  jene  von  Triest  und  Görz  für  die 
Linie  Haag  -  Leoben  -  Villach  -  Udine  ein, 
nachher  aber  setzten  sie  dem  Projecte 
Villach-Tarvis-Udine  jenes  der  »Predil- 
Bahn«  Villach-Görz  entgegen.  Die  Con- 
cession  für  die  Kronprinz  Rudolf- Bahn 
nahm  insoferne  auf  das  erstere  Project 
Bedacht,  als  sie  [§  2]  die  Concessionäre 
verpflichtete,    auf  Verlangen    und    nach 


Abb.  117.    Brücke  der  Donauuferbahn  über  den  Donaucanal  bei  Nussdorf. 


16* 


244 


Ignaz  Konta. 


Wahl  der  Staatsverwaltung  auch  eine 
von  Villach  nach  Triest  oder  einem  ande- 
ren Küstenpunkte,  mit  Einschluss  einer 
Linie  bis  zur  Reichsgrenze  in  der  Rich- 
tung gegen  Udine,  führende  Eisenbahn 
herzustellen. 

Im  Schlussprotokolle  zu  dem  am 
23.  April  1867  zwischen  Oesterreich 
und  Italien  abgeschlossenen  Handels- 
und Schiffahrts -Vertrage  hatten  die  bei- 
derseitigen Regierungen,  in  theilweiser 
Ausführung  der  Bestimmungen  [Art.  XIII] 
des  Friedenstractat.es  vom  3.  October 
1866,  sich  gegenseitig  verpflichtet,  »den 
Bau  derjenigen  Eisenbahnstrecken  zur 
directen  Verbindung  der  österreichischen 
mit  den  italienischen  Eisenbahnlinien 
zu  begünstigen  und  zu  concessioniren, 
welche  von  einer  der  beiden  Mächte  bis 
zur  Grenze  bei  Primolano  auf  der  einen 
und  bis  zur  Grenze  Friauls  bei  Pontebba 
auf  der  anderen  Seite  concessionirt  oder 
gebaut  würden  ......  Mit  der  Her- 
stellung der  Strecke  Tarvis-Pontafel  war 
also  fortan  auch  die  Erfüllung  einer 
völkerrechtlichen  Verpflichtung  verbunden. 
Der  Ausbau  der  italienischen  Linie  Hess 
jedoch  lange  auf  sich  warten.  Vorerst 
der  Allgemeinen  Römischen  Bank  zuge- 
dacht, wurde  dieselbe  dann  der  Ober- 
italienischen Eisenbahn-Gesellschaft  con- 
cessionirt, welche  im  October  1873  die 
Arbeiten  in  der  Theilstrecke  Udine- 
Tricesimo  begonnen,  aber  wenig  be- 
schleunigt hatte,  was  nun  —  wie  gesagt 
—  der  österreichischen  Regierung  Ver- 
anlassung bot,  mit  der  Sicherstellung  des 
Baues  von  Tarvis  nach  Pontafel,  den  sie, 
wenn  nicht  anders,  so  doch  jeden  Augen- 
blick durch  die  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
[s.  o.]  bewirken  konnte,  immerfort  zuzu- 
warten. 

Währenddessen  drängten  die  Alpen- 
länder immer  ungestümer  nach  Verwirk- 
lichung des  alten  Projectes,  und  stemmten 
sich  die  Anhänger  der  Predil-Bahn  gegen 
dasselbe.  Die  Gegensätze  steigerten  sich 
bis  zum  offenen  Streite,  welchen  zu  'ent- 
scheiden der  Reichsrath  wiederholt  durch 
Petitionen  angerufen  wurde  [1868,  1872 
und  1874].  Die  Regierung  selbst  schien 
der  Predillinie  den  Vorzug  zu  geben ; 
denn  mit  Ausnahme  des  binnen  Kurzem 
wieder  zurückgezogenen  Gesetzentwurfes 


vom  13.  März  1869  [s.  S.  20],  der 
auch  eine  Verbindung  der  in  Villach 
zusammentreffenden  Bahnen  mit  dem 
Meere  und  den  venetianischen  Eisen- 
bahnlinien vorgesehen  hatte,  handelten 
alle  späteren  einschlägigen  Vorlagen 
[3.  März  1870,  22.  März  1872  und 
29.  October  1875]  nur  von  der  Predil- 
linie. Dadurch  gerieth  sie  aber  in  Wider- 
spruch mit  den  Anschauungen  des  Reichs- 
rath es. 

Im  Jahre  1874  hatte  der  Eisenbahn- 
Ausschuss,  anlässlich  der  Berathung  der 
an  das  Abgeordnetenhaus  gelangten 
Petitionen  um  den  Bau  der  Strecke 
Tarvis-Pontebba,  sich  zu  Gunsten  dieser 
Begehren  entschieden  und  eine  Resolution 
beantragt,  durch  welche  die  Regierung 
aufgefordert  wurde,  wegen  des  An- 
schlusses der  beiderseitigen  Bahnlinien 
ungesäumt  Verhandlungen  mit  der  ita- 
lienischen Regierung  zu  pflegen,  und 
sodann  zur  Sicherstellung  des  Ausbaues 
der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  von  Tarvis 
bis  Pontafel  noch  im  Laufe  der  Session 
1874/75  Vorlagen  einzubringen,  damit  die 
Inbetriebsetzung  dieser  Strecke  gleich- 
zeitig mit  jener  der  italienischen  Linie 
Udine-Pontebba  erfolgen  könne.  Das 
Abgeordnetenhaus  berieth  hierüber  am 
25.  und  27.  Januar  1875  und  nahm,  nach 
einer  heftigen  Auseinandersetzung  mit 
den  in  kleiner  Minderheit  gewesenen 
Vertheidigern  des  Predil,  die  Resolution 
an,  nur  ohne  die  Worte:  »noch  im  Laufe 
der  Session  1874/75.«  Eine  ähnliche, 
allerdings  beide  Verbindungen  betreffende 
Resolution  wurde  am  24.  Februar  1875 
auch  vom  Herrenhause  gefasst. 

Als  nun  die  Gesetzesvorlage  vom 
29.  October  J875,  mit  welcher  die  Re- 
gierung zahlreiche  neue  Linien  sicher- 
stellen wollte,  abermals  die  Pontebba- 
Bahn  nicht  umfässte,  brachte  dies  im 
Abgeordnetenhause  eine  merkliche  Ver- 
stimmung hervor,  welche,  troti  der  oben 
erwähnten  mündlichen  Darlegungen  des 
Handelsministers,  dazu  führte,  dass  das- 
selbe am  1 1.  Januar  1876  eine  im  Budget- 
Ausschusse  beantragte  und  von  dem 
Specialberichterstatter  [als  welcher  damals 
der  Führer  der  Majorität,  Dr.  Herbst, 
fungirtej  in  gereizten  Worten  begründete, 
neuerliche    Resolution    annahm,     mittels 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


245 


deren  die  Regierung  angegangen  wurde, 
den  Gesetzentwurf  über  die  Sicherstellung 
der  Strecke  Tarvis-Pontafel  jedenfalls 
noch  im  Laufe  der  Wintersession  zur 
verfassungsmässigen  Behandlung  zu 
bringen.  Diesmal  setzte  das  Parlament 
seinen  »einmüthig  kundgegebenen  Willen« 
durch. 

Bereits  am  25.  Januar  1876  gelangte 
eine    Gesetzesvorlage     vor     das    Abge- 


Triest,  aufforderte.  In  letzterer  Beziehung 
hatten  die  Bemühungen  der  Regierung 
den  gewünschten  Erfolg ;  *)  in  die  Her- 
stellung einer  gemeinsamen  Wechsel- 
station auf  österreichischem  Gebiete 
wollte  die  italienische  Regierung  nicht 
willigen,  weshalb  sowohl  in  Pontafel  als 
auch  in  Pontebba  je  ein  Grenzbahnhof 
angelegt  wurde. 

Die  Vergebung    des    Baues    geschah 


Abb.  118.    Malborgeth.     [Tarvis-Pontafel.] 


ordnetenhaus,  welche  den  Bau  der  Strecke 
Tarvis-Reichsgrenze  und  die  Bewilligung 
eines  Specialcredites  von  400.000  fl.  pro 
1876  bezweckte.  Sie  wurde,  unter  Ver- 
dopplung derCreditsumme,  am  22.  Februar 
1876  erledigt  und,  da  auch  das  Herren- 
haus nicht  mit  der  Zustimmung  zögerte, 
am  12.  März  1876  a.  h.  sanctionirt.  Zu- 
gleich mit  dem  Gesetze  nahm  der  Reichs- 
rath  auch  zwei  Resolutionen  an,  deren 
eine  darauf  abzielte,  dass  der  Grenz- 
bahnhof auf  österreichischem  Gebiete  er- 
richtet werden  möge,  während  die  zweite 
die  Regierung  zur  Erwirkung  aller  zu- 
lässigen Erleichterungen  des  Durchzugs- 
verkehres,   insbesondere    von    und    nach 


im  Wege  der  Offertverhandlung  vom 
4.  April  1877,  an  der  sich  nicht  weniger 
als  41  Unternehmer  betheiligten.  Ersteher 
desselben  blieb  das  Consortium  Fischer, 
Kranz  &  Kurz  mit  einem  Preisnachlasse 
von  25-5°/0,  welcher  ebenso  wie  die  grosse 
Zahl  der  Bewerber  um  einen  so  kleinen 
Bahnbau  [24-7  km]  das  treue,  aber  keines- 
wegs erfreuliche  Spiegelbild  der  damaligen 
wirtschaftlichen  Verhältnisse  bot.  Die 
sogleich  in  Angriff  genommenen  Arbeiten 
machten  rasche  Fortschritte,  so  zwar,  dass 


*)  Vgl.  Art.  19  derUebereinkunft  zwischen 
Oesterreich-Ungam  und  Italien  vom  2.  Octo- 
berl879,  betreffend  die  Eisenbahn-Anschlüsse 
bei  Cormons,  Ala  und  Pontafel. 


246 


Ignaz  Konta. 


die  Eröffnung  der  Bahn  für  Ende  Juli 
1879  in  Aussicht  genommen  war.  Kärnten 
harrte  mit  Sehnsucht  dieses  Augenblickes  ; 
denn  dort  lagen  schon  grosse  Gütermengen 
zur  Verfrachtung  auf  der  neuen  Verkehrs- 
route bereit. 

Das  Land  musste  sich  aber  noch  weiter 
gedulden,  da  dieVerhandlungen  mit  Italien, 
welche  alle  drei  österreichisch-italienischen 
Eisenbahn-Anschlüsse  zum  Gegenstande 
hatten,  sich  hinzogen,  und  die  Regierung 
dem  Ansuchen  der  kärntnerischen  Handels- 
kammer, dass  die  österreichische  Strecke, 
ohne  Rücksicht  auf  die  internationalen 
Verhandlungen,  dem  Betriebe  übergeben 
werden  möge,  nicht  leicht  willfahren 
konnte.  Wie  sehr  übrigens  die  Regierung 
sich  angelegen  sein  Hess,  die  Verhand- 
lungen mit  Italien  zu  beschleunigen, 
erhellt  daraus,  dass  deren  Zuendeführung 
dem  Handelsminister  v.  Chlumecky  auch 
nach  seinem  Rücktritte  [s.  w.  u.]  anver- 
traut blieb,  »damit  nicht  durch  den  Per- 
sonenwechsel eine  Störung  oder  weitere 
Verzögerung  eintrete«.  In  der  That  ge- 
lang es  den  Bemühungen  dieses  Staats- 
mannes, die  »Uebereinkunft,  betreffend 
die  Eisenbahn-Anschlüsse  bei  Cormons, 
Ala  und  Pontafel«,  am  2.  October  1879 
zum  Abschlüsse  zu  bringen,  worauf  dann 
am  II.  October  die  247  km  lange  Bahn 
für  den  localen  und  am  30.  October  1879 
auch  für  den  internationalen  Verkehr 
eröffnet  wurde. 

Den  Betrieb  führte,  auf  Grund  des 
mit  ihr  schon  am  5.  März  1879  abge- 
schlossenen Vertrages,  die  Kronprinz 
Rudolf-Bahn,  die  sich  aber  dessen  nicht 
lange  zu  erfreuen  hatte,  da  auch  ihre 
eigenen  Linien  am  I.  Januar  1880  in  den 
Staatsbetrieb  übergingen. 

Die  Anlagekosten  der  Strecke  Tarvis- 
Pontafel-Reichsgrenze  haben  im  Ganzen 
3,565.3256".  oder  pro  Kilometer  144.135  fl. 
betragen. 

Die  Linie  Tarvis-Pontafel  führt, 
indem  sie  bis  an  ihren  Endpunkt  immer  die 
westliehe  Richtung  verfolgt,  zunächst  auf 
starken,  meist  hohen  Stützmauern  an  steile 
Berglehnen  angebaut,  an  der  Ortschaft  Unter- 
Tarvis  vorüber  zur  Haltestelle  Ober-Tarvis, 
dann  aber  auf  das  andere  Ufer  des  Bartolo- 
baches  übergehend  zur  Station  Saifnitz  em- 
por, die  auf  der  805  in  über  der  Meeresfläche 
liegenden     Wasserscheide     zwischen     dem 


Adriatischen  und  dem  Schwarzen  Meere  ge- 
legen ist.  Hinter  Saifnitz  gewinnt  die  Bahn 
mittels  eines  starken  Bogens  und  in  steter 
Steigung  die  Berglehne,  überbrückt  den 
Fuchsgraben  und  zieht  sodann  im  Gefälle 
theils  an  der  Lehne,  theils  in  der  Thalsohle 
längs  des  Fellaflusses  zur  Station  Uggowitz, 
ausserhalb  welcher  der  Ugwabach  und  der 
Fellafluss  übersetzt  wird.  Entlang  dieses 
rasch  zur  Adria  eilenden  Flusses  im  steten 
Gefälle  gelangt  die  Bahn  in  die  Haltestelle 
Malborgeth,  die  gegenüber  der  kleinen 
Grenzfeste  gleichen  Namens  angelegt  ist. 
Nach  dem  Verlassen  dieses  Punktes  wird 
der  Ranegraben  und  vor  Lussnitz  der  Gra- 
nudabach  überbrückt.  Nachdem  die  Trace 
nunmehr  stets  dem  rechten  Ufer  des  Fella- 
flusses sich  anschmiegt  und  einen  starken 
Schuttkegel  durchbricht  [gewölbter  Einschnitt 
von  38-2  in  Länge],  erreicht  sie  die  stattliche 
Anlage  der  Endstation  Pontafel.  Die  bei- 
läufig I  Hectometer  lange  Theilstrecke 
von  der  Ausmündung  aus  dem  Bahnhofe 
Pontafel  bis  zu  der  in  der  Mitte  des  Ponte- 
banaflusses  liegenden  Reichsgrenze  ist  doppel- 
geleisig  ausgeführt.  Die  Brücke  über  diesen 
Fluss  [Eisenconstruction  von  33  in  lichter 
Weite,  doppelgeleisig]  fällt  zur  einen  Hälfte 
auf  österreichisches,  zur  anderen  Hälfte  auf 
italienisches  Gebiet.     [Abb.  118  u.  119.] 

Diese  Strecke  war  [abgesehen  von 
winzigen  Ergänzungen]  auf  geraume  Zeit 
hinaus  die  letzte  dem  österreichischen 
Schienennetze  zugewachsene  »Haupt- 
bahn«. Alle  sonstigen  Linien,  welche  in 
dem  hier  behandelten  Zeitabschnitte  noch 
geschaffen  wurden,  gehörenden  »Local- 
b ahnen«  an,  die  jetzt  in  den  Vorder- 
grund zu  rücken  begannen  und  späterhin 
eine  Hauptrolle  in  der  Vervollständigung 
unseres  Bahnnetzes  übernahmen. 

Oesterreich  folgte  hierin  dem  Beispiele 
Ungarns,  welches  —  zurückgreifend  auf 
die  von  seinem  Landes  -  Culturvereine 
schon  früher  gegebenen  Anregungen 
und  unterstützt  von  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  —  bereits  im  Jahre  1870 
»Secundärbahnen«  zu  schaffen  begonnen 
und  damit  auf  dem  Continente  blos 
Frankreich  voraus  hatte.  Will  man 
jedoch  die  »Erste  österreichische  Eisen- 
bahn« [Budweis-Linz-Gmunden]  und  die 
ehemalige  Prag-Lanaer  Pferdebahn  blos 
als  Nebenbahnen  in  derzeitigem  Sinne 
betrachten,  dann  besitzt  Oesterreich 
auch  hinsichtlich  solcher  Anlagen  die 
Priorität. 

Publicistisch  war  hier  der  General- 
Inspector      [nachmals     General-Director] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


247 


Abb.  119.    Pontafel. 


der  Südbahn,  Friedrich  Schüler,  zuerst 
für  dieselben  eingetreten,  indem  er  in 
seiner  Broschüre  »Ueber  die  Erbauung 
von  Localbahnen  in  Oesterreich«  [Wien, 
1867]  die  Notwendigkeit  des  Baues 
solcher  Bahnen  darlegte,  »welche  in  die 
eigentlichen  Werkstätten  der  Production 
eindringen,  den  bereits  bestehenden 
Eisenbahnlinien  [manchmal  auch  Flüssen 
und  Canälen]  die  Erzeugnisse  und  Pro- 
ducte  einzelner  Länderstrecken  zuführen 
und  Rohstoffe  herbeischaffen  oder  um- 
gekehrte. 

Es  währte  auch  gar  nicht  lange, 
dass  diese  Frage  Actualität  gewann. 
Altbewährte  Bauunternehmer  [Gebrüder 
Klein,  Karl  Schwarz  u.  A.]  nahmen 
Stellung  zu  derselben  und  in  der  Maien- 
zeit der  Gründungsära  entstanden  ver- 
schiedene neue  Unternehmungen,  die  sich 
—  wie  z.  B.  die  »Vicinalbahn-Gesell- 
schaft«,  die  »Gesellschaft  für  öster- 
reichische Verbindungsbahnen«,  die  »In- 
dustrie-, Forst-  und  Montanbahn-Gesell- 
schaft« u.  A.  —  die  Pflege  des  Local- 
bahnwesens  zur  Aufgabe  machten.  Die 
letztgenannte    Gesellschaft     wollte     sich 


insbesonders  mit  schmalspurigen  Bahnen 
befassen,  die  schon  damals  Fürsprecher 
gefunden,  darunter  den  technischen  Con- 
sulenten  des  Handelsministeriums,  Wil- 
helm von  Nördling,*)  und  auch  bereits 
unter  den  vielen,  in  jener  Zeit  zahl- 
reich aufgetauchten  Projecten  für  Local- 
verbindungen  in  und  um  Wien  ver- 
treten waren. 

Im  Reichsrathe  kam  die  Frage  — 
nachdem  die  Vorlage  über  die  »Sicher- 
stellung von  den  Localverkehr  in  Wien 
und  Umgebung  vermittelnden  Eisen- 
bahnen« [April  1873]  unerledigt  geblie- 
ben —  erst  im  Jahre  1874  anlässlich 
der  Berathung  des  Gesetzes  über  die 
Sicherstellung  der  Leobersdorf-St.  Pöltener 
und  der  Dalmatiner  Bahn  eingehender 
zur  Erörterung. 

Unmittelbar  zur  Schaffung  von  Bahnen 
minderer  Ordnung  führte  —  abgesehen 
von  dem  Gesetze  über  die  Elbogener 
Secundärbahn  [28.  März  1875],  die  je- 
doch  erst    im  Jahre   1877   wirklich    con- 


*)  Siehe  dessen  »Stimmen  über   schmal- 
spurige Eisenbahnen«,  Wien,  1871. 


248 


Ignaz  Konta. 


cessionirt  wurde  —  die  grosse  Gesetzes- 
vorlage vom  29.  October  1875,  durch 
welche  diese  bis  dahin  sehr  verschieden 
benannten  Verkehrswege  die  Bezeichnung 
»Localbahnen«   erhielten. 

Da  die  umfassende  Schilderung  des 
gesammten  Localbahnwesens  und  seines 
Entwicklungsganges  einem  eigenen  Ca- 
pitel  vorbehalten  ist,*)  dürfen  wir  uns 
hier  mit  den  vorstehenden  Bemerkungen 
begnügen,    wie   auch  weiterhin    auf    die 


blosse  Registrirung  der  jeweils  zu- 
stande gekommenen  Localbahnen  und 
der  auf  sie  Bezug  habenden  Daten 
allgemein  eisenbahngeschichtlicher  Natur 
beschränken. 

Demnach  kommt  an  dieser  Stelle 
nur  noch  zu  verzeichnen,  dass  im  Jahre 
1876,  auf  Grund  der  Gesetze  vom  12.  und 
13.  März  1876,  folgende  Linien  als 
eigentliche  Localbahnen  zur  Ausführung 
auf   Staatskosten    sichergestellt    wurden: 


Benennung 


Länge! 
km 


Eröffnungs-Datum 


Anmerkung 


Kriegsdorf-  Römerstadt 
Erbersdorf- Würbenthai 

Mürzzuschlag-Neuberg 
Unter-Drauburg- Wolfsberg 


13-8 
20-5 

12-3 
38-0 


84-6 


15.  October  1878 
5.  December   1880 

1.  December   1879 
4.  October  1879 


ursprünglich  an  die  Mäh- 
risch -schlesische  Central- 
bahn  concessionirt  gewesen 
ursprünglich  in  der  Conces- 
sion  für  die  Linie  St.  Pölten- 
Mürzzuschlaginbegriffen  ge- 
wesen 


Mit  Einrechnung  dieser  Linien  und  bei 
Ausserachtlassung  aller  hinfällig  gewor- 
denen Concessionen,  gelangten  während 
des  Zeitabschnittes,  dem  unser  Rückblick 
bisher  gegolten  hat,  nicht  weniger  als 
[die  im  Vorangehenden  ausführlich  be- 
sprochenen] siebzig  Bahnen  in  der 
Gesammtlänge  von  rund  7000  km 
zur  Sicherstellung,  beziehungsweise  Aus- 
führung, und  es  gewann  hiedurch  das 
österreichische  Eisenbahnnetz  fast  eine 
Verdreifachung  seines  Standes 
vom  Jahre   1866. 


*)  Siehe  Bd.  I,  2. 
calbahnen. 


Theil,  C.  Wurmb,  Lo- 


Das  ist  eine  mächtige  und  bleibende 
Errungenschaft.  Schon  ihrethalben,  nicht 
minder  aber  auch  wegen  der  Mühen  und 
Kämpfe,  die  sie  gekostet,  wegen  der 
lehrreichen  Begleiterscheinungen  sowohl 
des  grossartigen  Aufstieges,  als  wie  des 
ihm  nachgefolgten  heftigen  Rückschlages 
und  insbesonders  auch  wegen  der  mannig- 
fachen Neuerungen  und  Verbesserungen, 
welche  es  unserem  Eisenbahnwesen  ge- 
bracht hat  —  darf  das  Decennium 
1867 — 1876  stets  einen  hervor- 
ragenden Platz  in  der  österreichi- 
schen Eisenbahn-Geschichte  be- 
anspruchen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


249 


II. 


Decennium    1877 — 1886. 


Der  Tiefstand,  auf  welchen  die  Ent- 
wicklung des  österreichischen  Eisenbahn- 
wesens seit  dem  Jahre  1873  zurück- 
gegangen war,  blieb  leider  ein  anhaltender. 
Die  Nachwirkungen  der  wirtschaftlichen 
Krisis  äusserten  sich  wohl  nicht  mehr 
in  acuten  Bedrohnissen  der  einzelnen 
Unternehmungen ;  denn  was  schwer  krank 
gewesen  —  war  entweder  schon  vom 
Schicksale  ereilt  oder  mühselig  so  weit 
gestützt,  dass  es  noch  halbwegs  fort- 
bestehen konnte ;  was  aber  nur  von 
einer  vorübergehenden,  sei  es  wirklichen, 
sei  es  angedichteten  Kränklichkeit  oder 
Schwäche  befallen  gewesen ,  hatte  in- 
zwischen Zeit  gefunden,  allmählich  von 
innen  heraus  zu  gesunden  und  zu  erstarken. 
Chronische  Folgeübel  machten  sich  je- 
doch noch  fortgesetzt  geltend.  Das  Ver- 
trauen wollte  nicht  zurückkehren,  die 
Unternehmungslust  nicht  wieder  er- 
wachen. 

Darunter  litt  natürlich  zuerst  und  im 
erheblichsten  Masse  die  Vervollständi- 
gung des  Bahnnetzes;  private  Unter- 
nehmer meldeten  sich  nicht  und  hinsicht- 
lich des  Baues  auf  Staatskosten  begeg- 
nete die  Regierung  auf  Schritt  und  Tritt 
der  Zurückhaltung  des  Parlamentes,  ins- 
besonders  gegenüber  den  »grossen  Pro- 
blemen«. 

Auch  die  programmatische  Gesetzes- 
vorlage vom  29.  Octoberi875  [siehe Seite 
222]  blieb  bis  auf  einzelne  aus  demProjecte 
losgelöste  kleine  Bruchstücke  ohne  Ergeb- 
nis, so  zwar,  dass  die  Regierung,  welche 
nicht  mehr  hoffen  konnte,  die  mit  dieser 
Vorlage  angestrebten  grossen  Ziele  zu 
erreichen,  dieselbe  am  10.  Januar  1877 
ganz  zurückzog. 

Hiedurch  entstand  aber  in  Betreff 
des  Ausbaues  unserer  Schienenstrassen 
nochmals  eine  grosse  Leere,  infolge  deren 
die  Sicherstellung  neuer  Linie  nun  wieder 
jahrelang  fast  gänzlich  ruhte. 

Zu  den  wesentlichsten  Ursachen  der 
Vertrauenslosigkeit  zählte  auch  nach  wie 
vor  die  Erschlaffung  des  Eisenbahn-Cre- 
dites,  welche  wieder  zum  nicht  geringen 


Theile  auf  die  von  der  Regierung  bislang 
versagte  Deckung  der  Betriebsdeficite 
garantirter  Bahnen  zurückgeführt  wurde. 
Diese  Frage  war  bekanntlich  eine  strittige. 
Regierung  und  Parlament  verneinten  jeg- 
liche Verpflichtung  des  Staates  für  die 
Betriebskosten  -  Abgänge  aufzukommen, 
während  die  Oeffentlichkeit  eine  völlig 
entgegengesetzte  Meinung  vertrat  [siehe 
Seite  213]. 

Weil  die  rechtliche  Seite  der  Ange- 
legenheit, vermöge  des  Wortlautes  der 
bezüglichen  Concessions-Urkunden,  denn 
doch  nicht  als  eine  ganz  unzweifelhafte 
erschien,  unternahm  der  um  die  Auf- 
richtung und  Fortentwicklung  des  Eisen- 
bahnwesens rastlos  bemühte  Handels- 
minister v.  Chlumecky  auch  die 
Schlichtung  dieser  Frage.  Dabei  wollte 
er  jedoch  der  Regierung,  für  das  Auf- 
geben ihres  bisherigen  Standpunktes, 
einen  erhöhten  Einfluss  auf  die  betreffen- 
den Bahnen  sowie  überhaupt  neue,  weit- 
reichende Befugnisse  zum  Schutze  des 
garantirten  Staatsschatzes   verschaffen. 

Der  Handelsminister  hatte  am  10.  De- 
cember  1876  dem  Abgeordnetenhause 
einen  Gesetzentwurf  vorgelegt,  dessen 
Wortlaut  —  kurz  zusammengefasst  — 
Folgendes  besagte :  Die  Regierung  wird 
ermächtigt,  den  garantirten  Bahnen 
Vorschüsse  zur  Deckung  etwaiger  Be- 
triebsdeficite zu  gewähren  [Artikel  I]; 
mit  der  Zusicherung  oder  Leistung  sol- 
cher Vorschüsse  erwirbt  sie  aber  das 
Recht,  den  Betrieb  der  betreffenden 
Bahnen  bis  zur  erfolgten  Rückzahlung 
jener  Vorschüsse,  ganz  oder  theilweise 
selbst  zu  übernehmen  oder  von  einer 
anderen  Unternehmung  besorgen  zu  lassen 
[Artikel  II] ;  wenn  Bahnen  mindestens 
fünf  Jahre  hindurch  mehr  als  die  Hälfte 
der  Staatsgarantie  in  Anspruch  nehmen 
oder  aus  diesem  Titel  eine  Summe 
schuldig  geworden  sind,  welche  minde- 
stens 5o°/0  vom  Nennwerthe  des  garan- 
tirten Actiencapitals  erreicht,  ist  die 
Staatsverwaltung  berechtigt,  den  Betrieb 
dieser     Bahnen      an    sich      zu     nehmen 


250 


Ignaz  Konta. 


und  bis  zur  erfolgten  Rückzahlung 
mindestens  der  Hafte  der  Garantieschuld 
zu  behalten  [Artikel  IV] ;  Bahnen,  welche 
den  Staatsschatz  durch  fortgesetzte  In- 
anspruchnahme von  Garantie- Vorschüssen 
erheblich  belasten  oder  deren  finanzielle 
Lage  dringend  einer  Regelung  bedarf,  kann 
der  Staat  erwerben,  in  welchem  Falle  er 
die  gesammte  Prioritätsschuld  zu  seinen 
Lasten  zu  übernehmen  und  den  übrigen 
vereinbarten  Kaufschilling  in  4°/oigen  tilg- 
baren Eisenbahn-Schuldverschreibungen 
zu  entrichten    haben    würde  [Artikel  V]. 

Wer  etwa  aus  dem  blossen  Texte 
des  Gesetzentwurfes  sich  der  Bedeutung 
desselben  nicht  bewusst  geworden,  der 
konnte  aus  dem  umfassenden  Motiven- 
berichte, gleichwie  aus  der  nach  Form 
und  Inhalt  vortrefflichen  Rede,  mit  wel-. 
eher  der  Handelsminister  auch  diese  Vor- 
lage einbegleitete,  vollste  Klarheit  ge- 
winnen. 

Es  handelte  sich  um  nichts  Gerin- 
geres, als  um  die  Schaffung  ganz  neuer 
Grundlagen  für  die  Ordnung  und  künf- 
tige Gestaltung  des  Eisenbahnwesens. 
Die  Garantieschuld  der  Bahnen  an  den 
Staat  hatte-  im  Jahre  1876  schon  die 
Höhe  von  100,000.000  fl.  überschritten 
und  die  Erfordernisse  aus  diesem  Titel 
drohten  den  Staatshaushalt  immer  mehr 
zu  überbürden.  *)  Dem  vorzubeugen 
waren  jedoch  die  Gerechtsame,  welche  der 
Staatsverwaltung  gegenüber  den  garan- 
tirten  Bahnen  bis  nun  zugestanden,  unzu- 
reichende. Ausgehend  von  der  Ueber- 
zeugung,  dass  garantirte  Unternehmungen, 
deren  Erträgnisse  hinter  den  Ausgaben  weit 
zurückstehen  oder  welche  tief  verschuldet 
sind,  kein  Interesse  mehr  an  der  Ver- 
besserung ihrer  wirthschaftlichen  Lage 
nehmen,  sondern  nur  auf  Gefahr  und 
Kosten  des  Staates  arbeiten,  erachtete 
die  Regierung  es  für  nothwendig,  die 
Selbständigkeit  solcher  Bahnen  aufzu- 
heben oder  dieselben  völlig  zu  erwerben. 
Daraus  musste  sich  aber  ganz  von  selbst 
eine  Neuordnung  ergeben  und  der  Han- 
delsminister durfte  mit  gutem  Rechte  ver- 
künden, dass  die  legislative  Genehmigung 


*)  Siehe  den  Motivenbericht  [Nr.589  der  Bei- 
lagen zum  stenographischen  Protokolle  der 
VIII.  Session]  und  die  ihm  beigegebenen  Ta- 
bellen. 


dieser  Massnahmen  »einen  Wende- 
punkt auf  dem  Gebiete  der  Eisen- 
bahn-Politik«  herbeiführen  würde. 

Die  Tendenz   und  Fassung   der  Vor- 
lage   blieb   indes    nicht     unangefochten. 
Man  nannte  sie  »Sequestrations-Gesetz« ; 
|  man    warf    ihr  vor,    dass    sie    sich  über 
;  die  Constitutiv-Urkunden  der  garantirten 
Bahnen   hinwegsetzen    und  in  die  wohl- 
j  erworbenen    Rechte    derselben     »gewalt- 
|  sam    eingreifen    wolle,    daher   nur   neue 
I  Missstäride  und  Wirren  zur  Folge  haben 
j  müsse ;  und  gar  manche  Streitschrift  sol- 
chen Inhaltes  wurde  [auch  vom  Ausland 
her]  gegen  sie  ins  Feld  geschickt,  so  — 
um    nur    eine    der  rückhaltslosesten    zu 
:  nennen    — •    die    im    Januar      1877     bei 
L.  C.  Zamarski  in  Wien  herausgegebene, 
:  welche  »die  Ansichten  eines  patriotischen 
Fachmannes,    der    die  ganze  Geschichte 
i  der     österreichischen     Eisenbahnen     seit 
i  ihrem  Entstehen    mitgemacht  hat«,   zum 
|  Ausdrucke  brachte. 

Der  Reichsrath  stand  jedoch  diesmal 
in  überwiegender  Mehrheit  ganz  auf 
Seite  der  Regierung.  Dies  zeigte  sich 
zunächst  im  Eisenbahn-Ausschusse.  Der- 
selbe hatte  zwar  die  Vorlage  »ins  Mil- 
dere amendirt«,  indem  er  die  Zulässig- 
keit  der  Sequestration  für  den  Fall  der 
Ueberschuldung  [50%  des  Actiencapi- 
tals]  ausschloss  und  die  Bedingungen, 
unter  welchen  das  von  der  Regierung 
sonst  noch  vorgesehene  Sequestrations- 
recht wieder  erlöschen  sollte,  ermässigt 
[statt  fünf  nur  drei  Jahre  der  Nichtinan- 
spruchnahme des  Staatsschatzes]  —  im 
Uebrigen  aber  die  in  dem  Gesetzent- 
wurfe aufgestellten  Grundsätze,  ausge- 
nommen die  Uebertragung  des  Betriebes 
an  eine  andere  Privatbahn,  gutgeheissen 
hatte,  und  es  geradezu  als  eine  Pflicht  der 
finanziellen  Selbsterhaltung  bezeichnet, 
wenn  der  Staat  seine  Hoheitsrechte  in 
strammere  Ausübung  bringe.  Sodann 
trat  der  Berichterstatter  jenes  Ausschusses, 
Dr.  Russ,  wie  in  seinem  mit  grosser 
Sachkenntnis  verfassten  und  mit  reichem 
Ziffernmateriale  ausgestatteten  schrift- 
lichen Berichte,  auch  bei  den  am  5.  Juni 
1877  begonnenen  Berathungen  des  Ab- 
geordnetenhauses mit  aller  Wärme  für 
die  Vorlage  ein.  Den  Anträgen  des 
Ausschusses    traten    alsbald   viele  Abge- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


251 


a    5 


I    S 


252 


Ignaz  Konta. 


ordnete  bei,  einige  jedoch  auch  entgegen. 
Diese  letzteren  bezeichneten  die  Gesetzes- 
vorlage als  einen  bedenklichen  Versuch  und 
als  einen  unberechtigten  Bruch  mit  dem  an 
sich  richtigen,  jedoch  schlecht  angewen- 
deten Garantie-Systeme.  Ihnen  antwor- 
tete mit  durchschlagendem  Erfolge  der 
Handelsminister  und ,  nachdem  noch 
Minister  Dr.  Josef  Unger  den  Rechts- 
standpunkt entwickelt  hatte,  gelangte  der 
Entwurf,  dessen  Berathung  vier  Sitzungen 
hindurch  dauerte,  am  15.  Juni  1877  in 
zweiter  und  sogleich  auch  in  dritter 
Lesung  zur  Annahme.  Wegen  einiger, 
zumeist  nur  formaler  Aenderungen,  wel- 
che er  im  Herrenhause  erfahren,  musste 
er  jedoch  nochmals  an  das  Abgeordneten- 
haus geleitet  werden,  das  ihn  nun  am 
14.  December  1877  endgiltig  erledigte; 
zehn  Tage  später  erhielt  er  die  a.  h. 
Sanction  als  »Gesetz,  die  garantir- 
ten  Bahnen  betreffend.«*) 

Am  14.  December  1877  wurde  also 
die  Fahne  der  Eisenbahn-Ver- 
staatlichung zum  zweiten  Male 
in  Oesterreich  entrollt;  bis  zur 
Umsetzung  des  Programms  in  die  That 
verstrich  aber  noch  geraume  Zeit,  und 
die  Regierung,  unter  welcher  es  geschaffen 
ward,  hatte  an  der  Anwendung  des  neuen 
Gesetzes  kein  Theil  mehr.  Alsbald  von 
«rossen  Fragen  der  inneren  und  äusseren 
Politik  vollauf  in  Anspruch  genommen, 
blieb  ihre  Mitwirkung  an  der  Verstaat- 
lichung nur  noch  auf  den  mit  jenem 
Gesetze  in  keinem  Zusammenhange  ge- 
standenen Ankaufe  zweier  kleinen  Bahnen 
beschränkt. 

Eine  derselben  war  die  schon  seit 
1.  September  1875  sequestrirte  Braunau- 
Strasswalchener  Bahn  [siehe  Seite 
221],  welche,  die  Unhaltbarkeit  ihrer  Lage 
erkennend  und  von  Zwangsmassregeln  des 
Gurators  bedroht,  nun  selbst  in  die  Arme 
der  Staatsverwaltung  flüchtete.  Die  Ge- 
sellschaft verlangte  und  die  Regierung 
bewilligte  einen  Kaufpreis  von  nom. 
1,000.000  fl.  in  Prioritäten  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  oder  875.000  fl.  in  Barem", 


*)  Der  §6  dieses  Gesetzes  ermächtigt  die 
Regierung,  auch  hinsichtlich  nicht  verschul- 
deter garantirter  Bahnen  vorläufige  Verein- 
barungen über  den  Ankauf  derselben  zu 
treffen. 


das  bezügliche  Protokollar  -  Ueberein- 
kommen  wurde  am  25.  April  1876  ab- 
geschlossen, und,  nachdem  der  Curator 
demselben  beigetreten  war,  durch  die 
Generalversammlung  vom  20.  Juli  1876 
genehmigt,  welche  auch  sogleich  die 
Liquidation  der  Gesellschaft  beschloss. 
Die  legislative  Genehmigung  des  An- 
kaufes erfolgte  durch  das  aus  der  Re- 
gierungsvorlage vom  1.  December  1876 
hervorgegangene  Gesetz  vom  7.  April 
1877,  worauf  dann  am  31.  Mai  die  Bahn 
in  das  Eigenthum  des  Staates  über- 
nommen, hiebei  auch  die  Sequestration 
aufgehoben,  und,  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  21.  Juni 
1877,  die  Concessions  -  Urkunde  vom 
4.  Mai  1872  ausser  Kraft  gesetzt  wurde. 
Dass  bei  diesem  Ankaufe  noch  an  die 
Wiederveräusserung  der  Bahn  gedacht 
war,  zeigte  nicht  blos  die  unbestimmte 
Weise,  in  welcher  das  Uebereinkommen 
von  dem  »Erwerber«  sprach,  sondern 
auch  die  ihm  offen  gelassene  Wahl  der 
Entrichtung  des  Kaufschillings.  Da  aber 
die  Zahlung  in  Barem  geleistet  wurde, 
mögen  inzwischen  andere,  vielleicht  schon 
von  der  Annahme  des  Verstaatlichungs- 
Gesetzes  beeinflusste  Absichten  Geltung 
gewonnen  haben.  Die  Belassung  des 
Betriebes  in  den  Händen  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  geschah  lediglich  aus  öco- 
nomischen  Gründen.  Der  neue,  beiderseits 
halbjährig  kündbare  und  auf  Grundlage 
der  Vergütung  der  Selbstkosten  errichtete 
Betriebsvertrag  trat  am  I.  August  1877 
in  Wirksamkeit.  Am  selben  Tage  ver- 
ständigte der  Prioritäten  -  Gurator,  Dr. 
Max  Burian,  die  Prioritäten-Besitzer, 
dass  ihnen  für  jede  Obligation  ä  300  fl. 
vorläufig  ein  Betrag  von  74  fl.  zur  Aus- 
zahlung gebracht  werde.  Von  einer 
weiteren  Zahlung  hat  nichts  mehr  ver- 
lautet ;  es  kann  daher  die  Einbusse  an 
Prioritäten-Capital  mit  7O-83°/0  des  Nenn- 
werthes  oder  62-iü/0  vom  Emissions-Curse 
[233  fl.  50  kr.]  beziffert  werden.  DasActien- 
capital  [1,650.000  fl.]  ging  gänzlich  ver- 
loren. 

Die     andere,     um    ein    Jahr    später 

durch  den  Staat    angekaufte   Bahn,    war 

j  die  »Niederösterreichische  Südwestbahn«, 

I  deren     Bestand     als    Privatunternehmen 

|  ohnehin     nur    ein    figürlicher     gewesen, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


253 


nachdem  ihr  Anlage-Capital  fast  ganz 
aus  Staatsmitteln  beigestellt  worden  ist. 
Davon  sowie  von  den  Bedingungen  und 
dem  Vollzuge  des  Ankaufes  wurde  jedoch 
schon  früher  [Seite  190]  ausführlich  ge- 
sprochen ;  es  genügt  also,  hier  daran  zu 
erinnern,  dass  die  Bahn  bei  ihrem  Ueber- 
gange  in  den  Besitz  des  Staates  den 
Namen  »K.  k.  niederösterreichische  Staats- 
bahnen «  erhielt  und  ihr  Betrieb  fortan 
vom  Staate  selbst  geführt  wurde. 

Was  hingegen  vor  und  während  der 
Erschliessung  der  neuen  Richtung  sonst 
noch  an  Reformarbeiten  unternommen 
wurde,  gedieh  ungestört  zu  Ende  und 
auch  zur  praktischen  Verwerthung.  Hiezu 
gehören  vornehmlich :  Die  Verordnung 
vom  10.  Februar  1877,  betreffend  die 
Einführung  einer  neuen  einheit- 
lichen S  i  g  n  a  1  o  r  d  n  u  n  g  ;*)  das  Gesetz 
vom  15.  Juli  1877  über  die  »Maximal- 
tarife für  die  Personen-Beförde- 
rung und  einige  allgemeine  Transport- 
Bestimmungen«,  welches  die  Fahrpreise 
gleichartig  gestaltete  und  für  manche 
Bahnen  um  ein  Geringes  aufbesserte;**) 
das  Gesetz  vom  5.  December  1877 
[Novelle  zum  Curatoren-Gesetz], 
welches  den  Eigenmächtigkeiten  der 
Curatoren,  wie  solche  bei  den  damaligen 
Verkäufen  ungarantirter  Bahnen  vorge- 
kommen sind,  Schranken  setzt,  den 
Obligations-Besitzern  das  Recht  und  die 
Möglichkeit  bietet,  bei  wichtigen  Fragen 
von  dem  Curator  gehört  zu  werden,  ihre 
Meinung  geltend  zu  machen,  dessen 
Massnahmen  durch  freigewählte  Ver- 
trauensmänner zu  beaufsichtigen  und 
allenfalls  auch  anzufechten;  das  Gesetz 
vom  18.  Februar  1878,  betreffend  die 
»Enteignung  zum  Zwecke  der 
Herstellung  und  des  Betriebes 
von  Eisenbahnen«  [Expropriations- 
Gesetz],  welches  das  Recht  der  zwangs- 
weisen Enteignung  nun  auch  den  Schlepp- 
bahnen und  Tramways  einräumt,  der 
ganzen  Grundeinlösung  einen  öffentlichen 
Charakter  verleiht,  das  Verfahren  ab- 
kürzt u.  s.  w. ;    endlich    die  Aufräumung 


*)  Vgl.  Bd.  III,  G  Gerstel:  Mechanik 
des  Zugsverkehrs,  und  L.  Kohlfürst: 
Signal-  und  Telegraphenwesen. 

**)Näheres hierüber: Bd. III,Th.  Englisch  : 
Personentarife. 


der  Rückstände  in  den  Garantie-Abrech- 
nungen und  die  Austragung  der  um 
sich  gegriffenen  Zwistigkeiten 
hinsichtlich  der  Auslegung  von 
Garantie  -  Bestimmungen,  welche 
letzteren  wichtigen  Erfolge  dem  emsigen 
Walten  der  ordnenden  Hand  Nördling's 
zu  danken  sind. 

Auch  die  Umgestaltung  der  Süd- 
bahn in  eine  rein  inländische  Unter- 
nehmung wurde,  nachdem  die  Trennung 
ihrer  beiden  Netze  seit  1 5  Jahren 
anhängig  und  Gegenstand  der  Bemühungen 
von  fünf  österreichischen  Handelsministern 
gewesen,  nunmehr  verwirklicht.  Der  Ur- 
sprung und  erste  Hergang  dieser  lang- 
wierigen Angelegenheit  ist  schon  an 
früherer  Stelle  besprochen;*)  ihr  weiterer 
Verlauf  war,  in  kurzen  Umrissen  ge- 
schildert, folgender:  Als  im  Jahre  1866 
die  österreichisch-italienische  Grenze  eine 
weitere  Verrückung  erfahren  hatte,  und 
die  nunmehr  noch  unabweislicher  ge- 
wordene Sonderung  des  Bahngebietes  der 
Südbahn  einen  ausdrücklichen  Vertrags- 
punkt [Artikel  XII]  im  Wiener  Frieden 
vom  3.  October  1866  bildete,  begann  die 
Regierung  zum  zweiten  Male  auf  den 
Vollzug  dieser  Massnahme    hinzuwirken. 

Schon  in  dem  Vertrage  vom  15.  April 
1867  [Artikel  15]  verpflichtete  sie  die  Ge- 
sellschaft, die  Trennung  sogleich  vorzu- 
nehmen, und  die  finanzielle  Auseinander- 
setzung binnen  fünf  Jahren  durchzuführen. 
Gerade  diese  gestaltete  sich  aber  zu  einem 
geradezu  unüberwindlichen  Hindernisse, 
da  ein  rechter  Schlüssel  für  die  Theilung 
des  Capitals  nicht  gefunden,  und  die 
gemeinsame  Haftung  für  die  Prioritäts- 
schuld nicht  aufgelassen  werden  konnte. 
Weder  die  Gesellschaft,  noch  die  von 
der  Regierung  berufenen  Experten  und 
eingesetzten  Commissionen  vermochten 
dieser  Schwierigkeit  beizukommen.  Ueber 
sie  verbreitete  sich  denn  auch  das  Memo- 
randum, welches  der  General-Consulent 
der  Gesellschaft,  Paulin  Talabot,  im 
October  1871  dem  Handelsministerium 
überreichte,  mit  der  Bitte,  dass  die  An- 
gelegenheit einer  gemeinsamen  Berathung, 
an  der    auch  Vertreter    der  Regderunoren 


*)  Siehe  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  St  räch: 
Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreich- 
Ungarns  bis  zum  Jahre  1867. 


254 


Ignaz  Konta. 


theilzunehmen  hätten,  unterzogen  werden 
möge. 

Es  wurde  nun  vor  Allem  die  Er- 
ledigung des  internationalen  Theiles  der 
Angelegenheit  angestrebt.  Da  kam  wieder 
der  damals  von  dem  königlich  ungarischen 
Finanzminister,  Grafen  Lonyay,  propa- 
girte  Ankauf  der  ungarischen  Südbahn- 
linien dazwischen  [1872],  was  österreichi- 
scherseits  nicht  ungern  gesehen  wurde, 
weil  die  zur  Ermöglichung  der  Separation 
ins  Auge  gefasste  Verstaatlichung  blos 
der  österreichischen  Linien  nicht  genügt 
und  auch  zu  Verwicklungen  mit  Ungarn 
geführt  hätte.  Die  ungarische  Regierung 
ersuchte  um  den  Aufschub  der  Ver- 
handlungen, und  der  italienische  Delegirte, 
Cambray-Digny,  unterliess  seine  Reise 
nach  Wien.  Mit  dem  Scheiden  Lonyay's 
aus  der  ungarischen  Regierung  war  auch 
dessen  Project  gefallen ;  die  österreichische 
Regierung  musste  also  gleichfalls  den 
Gedanken  an  die  Erwerbung  der  öster- 
reichischen Linien  aufgeben,  und  blieb 
darauf  angewiesen,  die  Gesellschaft  aber- 
mals und  nachdrücklich  an  die  Erfüllung 
ihrer  Verpflichtung  zu  mahnen. 

Freiherr  von  P  r  e  t  i  s,  der  als  Leiter 
des  Handelsministeriums  die  Gesellschaft 
bereits  im  Jahre  1870  zur  Vorlage  eines 
Trennungsplanes  gedrängt  hatte,  knüpfte 
jetzt,  als  Finanzminister,  seine  am  21. 
December  1872  der  Gesellschaft  ertheilte 
Bewilligung  zu  einer  weiteren  Ausgabe 
3°/0iger  Obligationen  an  die  Warnung, 
dass  ihr  keine  Geldaufnahme  mehr  ge- 
stattet würde,  bevor  nicht  die  Trennung 
vollzogen  ist,  —  und  der  Handelsminister, 
Dr.  B  a  n  h  a  n  s,  trug  ihr  am  24.  April 
1873  auf,  den  betheiligten  Regierungen 
binnen  sechs  Monaten  ein  vollständiges 
Trennungs-Programm  vorzulegen. 

Dem  entsprach  die  Gesellschaft;  ihre 
Denkschrift  lehnte  sich  aber  an  das 
Talabot'sche  Memorandum  an,  und  über- 
liess  der  Regierung  die  Ermittlung  der 
auf  jedes  Netz  entfallenden  Quote  der 
3°/0igen  Prioritäten.  Die  Schwierigkeiten 
bestanden  also  fort;  ihre  Ueberwindung, 
so  fraglich  sie  auch  erschien,  wurde 
jedoch  immer  dringender;  denn  die 
Lasten  des  italienischen  Netzes  steigerten 
sich  fortwährend,  die  öffentliche  Meinung 
eiferte  dagegen,    dass  die  guten  Erträg- 


nisse der  österreichischen  Linien  noch 
länger  dem  Moloch  des  italienischen 
Besitzes  geopfert  werden,  —  und  das 
Abgeordnetenhaus  forderte,  mittels  der 
ziemlich  ungestümen  Resolution  vom 
6.  Mai  1874,  die  Regierung  auf,  für  den 
schleunigsten  Vollzug  der  Trennung  zu 
sorgen. 

Ueberdies  begann  jetzt  die  Gesell- 
schaft ihrerseits  ungeduldig  zu  werden ; 
der  Coupon  ihrer  Actien  war  im  November 
1874  theilweise,  im  Mai  1875  gänzlich 
nothleidend  geworden ;  die  Fälligkeit  ihrer 
Bons  [36,000.000  fl.]  rückte  heran  [1876 
bis  1878] ;  ihre  schwebende  Schuld  [damals 
44,297.500  fl.]  wurde  immer  drückender, 
—  und  die  Ordnung  ihrer  Verhältnisse 
hing  fast  vollständig  von  der  Durch- 
führung der  Trennung  ab.  Es  war  daher 
gar  nicht  abzusehen,  was  nun  werden 
sollte. 

Da  fügte  es  sich  besonders  günstig, 
dass  in  Italien  eben  die  Verstaatlichung 
der  Eisenbahnen  auf  die  Tagesordnung 
gelangt,  und  die  Lust  zur  Erwerbung 
auch  der  oberitalienischen  Bahnen  rege 
geworden  war.  Die  bezüglichen  Er- 
öffnungen gingen  zwar  der  Gesellschaft 
vorerst  nur  mittelbar  zu,  sie  ermangelte 
aber  gleichwohl  nicht,  dieselben  unver- 
weilt  in  Betracht  zu  ziehen,  weil  sie  sehr 
richtig  erkannte,  dass  der  Verkauf  des 
italienischen  Netzes  den  gordischen  Knoten 
der  Trennung  mit  einem  Schlage  zu  lösen 
vermöchte. 

Die  Verhandlungen  wurden  Ende 
September  1875  zu  Luzem  eröffnet  und 
von  dem  Präsidenten  des  Pariser  Comites 
der  Gesellschaft,  Baron  Alfons  v.  Roth- 
schild einerseits,  und  dem  Bevollmäch- 
tigten der  italienischen  Regierung,  Ritter 
Quintino  Sella  [Mitglied  des  italienischen 
Parlaments,  früher  italienischer  Finanz- 
minister und  seither  Träger  der  Ver- 
staatlichungs-Idee] andererseits,  gepflogen. 
Sie  waren  der  Grossartigkeit  des  ge- 
planten Geschäftes  entsprechend  lange 
und  schwierige.  Alle  ihre  Einzelheiten 
zu  schildern  würde  aber  viel  zu  weit 
führen,  darum  mag  hier  nur  ihrer  Haupt- 
phasen und  Ergebnisse  gedacht  sein. 

Nach  kurzer  Unterbrechung,  in  Basel 
wieder  aufgenommen,  schlössen  die,  Ver- 
handlungen vorläufig   mit  dem  Vertrage 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


255 


vom  17.  November  1875,  der  sogenannten 
»Baseler  Convention«.  Dies  Alles  blieb  in- 
des geheim  gehalten,  bis  die  Zustimmung 
der  Regierung  eingeholt  und  die  Sache  reif 
genug  war,  auch  den  Actionären  zur 
Beschlussfassung  vorgelegt  zu  werden. 
Die  staatlichen  Vereinbarungen  nahmen 
jedoch  nicht  den  gewünschten  raschen 
Fortgang;  die  auf  den  27.  Januar  1876 
einberufene     ausserordentliche     General- 


wurden am  25.  Februar  abgeschlossen; 
die  Generalversammlung  fand  am  28., 
die  Unterzeichnung  des  Staatsvertrages 
am  29.  Februar  1876  statt. 

Nun  ward  auch  die  Baseler  Con- 
vention veröffentlicht.  Ihre  wichtigsten 
Bestimmungen  lauteten  dahin,  dass  Italien 
die  auf  seinem  Gebiete  liegenden  gesell- 
schaftlichen Linien  um  den  Preis  von 
752.375.618  Francs  erwirbt,  für  denjenigen 


Abb.  121.     Hochwasserkatastrophe  nächst  dem  Bannberger  Anger.    [Ansicht  gegen  Thulseitc 
an  der  Pusterthal  Bahn.  1882.] 


Versammlung  musste  um  einen  Monat  ver- 
tagt werden,  Sella  kam  erst  am  22.  Februar 
nach  Wien  und  es  bedurfte  dann  des 
eifrigsten  Zusammenwirkens  aller  Be- 
theiligten, um  die  grosse  physische  und 
geistige  Arbeit,  deren  die  Abmachungen 
erheischten,  rechtzeitig  zu  bewältigen.  Das 
Protokollar-Uebereinkommen  der  Gesell- 
schaft mit  der  österreichischen  und  der 
ungarischen  Regierung,  ferner  ein  zwischen 
Sella  und  Baron  Rothschild  vereinbarter 
Zusatzvertrag    zur    Baseler    Convention, 


Theil  dieses  Capitals,  weicherden  von  Seite 
der  Gesellschaft  auf  den  Bau  oder  Ankauf 
der  verschiedenen  Linien  verwendeten 
Summen  entspricht  [613,252.478  Francs], 
eine  feststehende  Jahresrente  in  Gold 
bezahlt,  die  bis  Ende  1954  jährlich 
33,160.211  Francs,  sodann  bis  Ende  1968 
jährlich  13,321.008  Francs  beträgt,  jedoch 
der  Einkommensteuer  unterliegt ;  für  den 
zweiten,  dem  Werthe  des  Fahrparkes 
und  sonstigen  Betriebs-Inventars  ent- 
sprechenden    Theil     des     Kaufschillings 


2^6 


Ignaz  Konta. 


[139,123.139  Francs]  aber  eine  Quote  von 
20,000.000  Francs  der  gesellschaftlichen 
Schuld  an  die  Mailänder  Sparcassa  über- 
nimmt und  weiters  eine  den  Capitalsrest 
von  1 19,123.139  Francs  vollends  deckende 
Menge  von  Titeln  der  fünfprocentigen 
italienischen  consolidirten  Rente  erfolgt. 
Die  Materialvorräthe  sollten  besonders 
vergütet  werden. 

In  dem  Zusatzvertrage  vom 
25.  Februar  1876  gelangten  die  Sicherstel- 
lungen zum  Ausdrucke,  welche  die  öster- 
reichische Regierung  begehrt  hatte,  um 
der  nun  eine  rein  inländische  Unter- 
nehmung werdenden  Südbahn  das  aus 
den  italienischen  Annuitäten  -  Zahlungen 
fliessende  Einkommen  ungeschmälert  zu 
erhalten.  Es  wurde  nämlich  die  Steuer- 
leistung pauschalst,  demzufolge  die  Höhe 
der  Annuitäten  für  die  erste  Periode  mit 
29,569.887  Francs  und  für  die  zweite 
Periode  mit  12,774.751  Francs  bemessen 
und  ausdrücklich  festgesetzt,  dass  diese 
Beträge  »von  jeder  weiteren  directen  oder 
indirecten  Steuer  und  von  jeder  Beitrags- 
leistung zu  Zwangsanleihen  in  Italien 
frei  sein  werden  und  in  keinem  Falle 
aus  welchem  Grunde  immer  reducirt 
werden  können«   [Art.  IV]. 

Das  zwischen  der  österreichischen 
Regierung  [unter  Beitritt  der  ungarischen] 
und  der  Gesellschaft  geschlossene  P  r  o- 
tokollar-Uebereinkommen  vom 
25.  Februar  i87Öumfasstdie  Bedingungen, 
unter  welchen  die  Regierung  die  Baseler 
Convention  genehmigte,  sowie  die  infolge 
der  Trennung  nothwendig  gewordenen 
Aenderungen  an  dem  Vertrage  vom 
13.  April  1867  und  dem  am  selben  Tage 
geschlossenen  Uebereinkommen  über  die 
Abstattung  der  restlichen  Ablösungs- 
summe für  die  lombardisch-venetianischen 
Eisenbahnen.  Dasselbe  bestimmt  also 
vornehmlich,  dass  sowohl  die  etwa  vom 
Staate  zu  leistenden  Garantie- Vorschüsse, 
als  auch  die  von  der  Gesellschaft  aus 
ihren  Ertragsüberschüssen  abzustattenden 
Kaufschillingsreste  [siehe  Seite  27],  nicht 
mehr  auf  Grundlage  der  vereinigten  Roh- 
erträgnisse sämmtlicher  Linien,  sondern 
derart  ermittelt  werden  sollen,  dass  das 
Roherträgnis  der  österreichisch  -  ungari- 
schen Betriebslinien  durch  die  Kilometer- 
zahl der  letzteren  getheilt  un(j  sodann  in 


Ansehung  der  Garantie  der  etwaige  Ab- 
gang von  dem  mit  1 00.000  fl.  pro  Meile, 
beziehungsweise  13.182  fl.  pro  Kilometer 
garantirten  Roherträgnisse,  in  Ansehung 
der  Zahlung  auf  die  Kaufschillingsreste 
aber  der  über  ein  Roherträgnis  von 
107.000  fl.,  beziehungsweise  1 10.000  fl. 
pro  Meile  oder  14.100  fl.,  beziehungsweise 
14.500  fl.  pro  Kilometer  hinausgehende 
Betrag  in  Rechnung  genommen  werde. 
Ferner  wurde  die  Gesellschaft  verpflichtet, 
die  ihr  zufliessenden  Kaufschillinge  für 
die  italienischen  Linien  vor  Allem  zur 
Tilgung  der  schwebenden  Schuld  und 
der  Bons  zu  verwenden  und  die  alten 
dreiprocentigen  Prioritäten  ehethunlichst 
gegen  neue  auf  die  Firma  »K.  k.  priv. 
Südbahn-Gesellschaft«  lautende 
Obligationen  auszutauschen,  welche  die 
ausdrückliche  Zusicherung  erhalten  sollen, 
dass  für  deren  Verzinsung  und  Tilgung 
auch  die  von  der  italienischen  Regierung 
zu  zahlenden  Annuitäten  haften. 

Der  am  29.  Februar  1876  abgeschlos- 
sene Staatsvertrag  zwischen  Oester- 
reich-Ungarn  und  Italien  gibt  der  ganzen 
Abmachung  die  völkerrechtliche  Sanction 
und  erkennt  an,  dass  mit  dem  auf  Grund- 
lage der  Baseler  Convention  und  des  Wiener 
Zusatzvertrages  beruhenden  Trennungs- 
acte  dem  Artikel  XII  des  Wiener  Friedens 
vom  3.  October  1866  Genüge  geschehen, 
daher  die  ganze  Angelegenheit  geregelt 
erscheint. 

Die  Beschlüsse  der  ausserordentlichen 
Generalversammlung  vom  28.  Februar 
1876  sprachen  die  Genehmigung  der  vor- 
erwähnten Rechtshandlungen  der  Gesell- 
schaft aus,  wie  auch  die  Ermächtigung  des 
Verwaltungsrathes  die  hinsichtlich  der 
Trennung  erforderlichen  Vereinbarungen 
mit  der  österreichisch  -  ungarischen  Re- 
gierung zu  treffen  und  die  sodann  noth- 
wendig werdende  Statuten-Aenderung  vor- 
zunehmen. Eine  Erörterung  der  Angele- 
genheit wurde  vermieden,  einerseits  in  der 
Erkenntnis,  dass  die  so  vorbereitete  Tren- 
nung der  beste  Ausweg  sei,  »aus  lästigen 
Verhältnissen  und  aus  der  bedrohlichen 
Lage  herauszukommen«,  andererseits  weil 
die  Verträge  noch  die  Parlamente  der  be- 
theiligten Staaten  zu  passiren  hatten. 

In  der  That  waren  Kauf  und  Trennung 
noch  lange  nicht  gesichert.  Die  »Toscaner«, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


257 


eine  mächtige  Partei  des  italienischen 
Parlamentes,  bekämpften  die  Verstaat- 
lichung und  insbesondere  die  Baseler 
Convention  mit  solcher  Wucht,  dass  darob 
die  Stellung  des  Ministeriums  Minghetti 
erschüttert  wurde;  es  fiel  am  18.  März, 
neun  Tage  nach  der  Vorlage  der  Con- 
vention. Das  neue  Cabinet  Depretis 
stand  derselben  scheinbar  gleichgiltig  ge- 
genüber, war  aber  sehr  zufrieden,  als 
die  Mehrheit  der  Kammer -Ausschüsse 
sich  am  4.  April  gegen  die  Berathung 
der  Angelegenheit  aussprach,  denn  es 
konnte  andere  Kaufbedingungen  stellen. 
Und  darum  mag  ihm  zumeist  zu  thun 
gewesen  sein,  denn  trotz  jenes  Votums 
der  Kammer- Ausschüsse  machte  das  Mini- 
sterium sich  anheischig,  für  die  Convention 
einzutreten,  wenn  die  Gesellschaft  einen 
ausgiebigen  Preisnachlass  gewährte  und 
den  Betrieb    noch  einige  Zeit   fortführte. 

Die  neuen  Unterhandlungen  wurden 
zwischen  dem  Delegirten  der  italienischen 
Regierung,  Staatsrath  Correnti,  und 
dem  Präsidenten  des  Pariser  Comites  der 
Gesellschaft,  Baron  Alfons  v.  Rothschild, 
gepflogen  und  waren  keine  angenehmen, 
denn  sie  bestanden  vorwiegend  in  einem 
hartnäckigen  Markten.  Bei  dem  Nach- 
lasse von  12,000.000  Lire  angelangt,  er- 
klärte der  Vertreter  der  Gesellschaft,  nun 
keinen  Schritt  mehr  zurückzuweichen, 
sondern  eher  von  der  ganzen  Sache  ab- 
zustehen. Das  wirkte ;  die  italienische 
Regierung  gab  sich  mit  den  errungenen 
12,000.000  Lire  zufrieden  und,  nachdem 
die  Gesellschaft  gegen  die  Weiterführung 
des  Betriebes  bis  I.  Juli  1877  oder 
I.Januar  1878  keine  Einwendung  erhob, 
wurde  über  die  neuen  Abmachungen  am 
II.  Juni  1876  zu  Paris  eine  Urkunde  aus- 
gefertigt, welche  den  Titel  »Compromis« 
erhielt.  Dadurch,  dass  die  Gesellschaft 
den  abgelassenen  Betrag  einfach  der 
italienischen  Regierung  zur  Verfügung 
stellte,  konnte  die  Baseler  Convention  un- 
verändert bleiben.  Die  amtliche  Be- 
glaubigung des  Compromisses  erfolgte 
durch  die  zu  Rom  errichtete  »Additional- 
Acte«  vom   17.  Juni   1876. 

Die  Trennung  und  die  einzig  gedeih- 
liche Durchführungsweise  derselben  war 
also  neuerdings  vollkommen  vereinbart, 
für  gesichert  wollte  sie  der  Verwaltungs- 
Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


rath  jedoch  erst  dann  ansehen,  wenn  der 
Vorlage  die  legislative  Genehmigung  zu- 
theil  geworden.  In  Italien  geschah  dies 
am  30.  Juni  1876,  in  Oesterreich  neun 
Monate  später.  Der  Entwurf  des  Gesetzes 
»über  die  theilweise  Abänderung  der  mit 
der  Südbahn-Gesellschaft  abgeschlossenen 
Verträge«  gelangte  am  1.  December  1876 
vor  das  Abgeordnetenhaus  und  wurde 
vom  Handelsminister  v.  Chlumecky  gleich 
in  seiner  grossen  Rede,  mit  welcher  er 
die  damaligen  Regierungsvorlagen  ein- 
begleitete, der  besonderen  Aufmerksam- 
keit des  Reichsrathes  empfohlen.  Der 
Eisenbahn-Ausschuss  und  ihm  folgend 
auch  die  Mehrheit  des  Abgeordneten- 
hauses erklärten  sich  für  die  Vorlage,  die 
nun  am  2.  März  1877,  wenn  auch  nicht 
ganz  widerspruchslos,  angenommen  wurde, 
das  Herrenhaus  stimmte  am  23.  März  zu 
und  am  6.  April  1877  erhielt  sie  die 
a.  h.  Sanction. 

Nun  erst  waren  alle  Zweifel  und  Sorgen 
gebannt,  alle  Bedingungen  für  die  Lösung 
der  schwierigen  Frage  erfüllt  und  nur 
noch  die  letzten  Vollzugsmassnahmen  zu 
treffen,  welche  der  Verwaltungsrath 
übrigens  genügend  vorbereitet  hatte.  Die 
Actionäre,  denen  schon  in  der  General- 
versammlung vom  28.  Juni  1876*)  um- 
fassende Aufklärungen  über  die  Natur 
des  Pariser  Compromisses  gegeben  wurden, 
ertheilten  demselben  in  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  von  9.  August 
1876  die  Zustimmung ;  die  an  die  Stelle 
des  revidirten  Statutes  vom  Jahre  1862 
tretenden  neuen  Statuten  hatten  bereits 
am  18.  November  1876  die  staatliche 
Genehmigung  erhalten  und  hierauf  die 
handelsgerichtlichen  Eintragungen  der 
wieder  einfach  »K.  k.  priv.  Südbahn- 
Gesellschaft«  lautenden  Firma,  ihres 
Sitzes  in  Wien  etc.,  am  28.  November 
1876  stattgefunden. 

Der  Hauptact  der  Trennung  wurde  am 
1.  Juli  1876,  als  dem  Tage,  an  welchem 
die    italienischen    Linien    in    den    Besitz 


*)  Diese  Versammlung  hatte  auch  beschlos- 
sen, dass  die  für  die  Obligationen  in  Frankreich 
und  Italien  zu  entrichtenden  Steuern  [Coti- 
rungs-,  Einkommen-  und  Gewinnsteuer]  nicht 
mehr  den  Actionären  zur  Last  fallen,  sondern 
vom  1.  Januar  1877  an,  durch  einen  Abzug 
von  1  Franc  [50  Cts.  von  jedem  Prioritäten- 
Coupon]  gedeckt  werden  sollen. 

17 


2-.S 


Ignaz  Konta. 


ihres  neuen  Eigenthümers  übergingen, 
vollzogen.  Gleichzeitig  begann  der  ge- 
sellschaftliche Pachtbetrieb  auf  denselben, 
der  bis  zur  Mitternachtsstunde  des  30.  Juni 
1878  währte.  Die  Abrechnungen  und 
finanziellen  Auseinandersetzungen  mit  der 
italienischen  Regierung  zogen  sich  jedoch 
bis  zum  Herbst  1881  hinaus.  Das  zählte 
jedoch  nur  mehr  zu  den  inneren  Ange-  , 
legenheiten. 

Nach  aussen  war  das  Trennungswerk 
vollendet  und  gekennzeichnet,  als  am  | 
30.  Juni  1877  die  Generalversammlung 
zum  ersten  Male  nach  16  Jahren  wieder 
in  Wien  tagte.  Das  endliche  Gelingen 
der  Loslösung  des  grössten  inländischen 
Eisenbahn -Unternehmens  von  fremder 
Botmässigkeit ;  das  Aufhören  des  un- 
natürlichen Zustandes,  in  welchem  die 
Gesellschaft  sich  so  lange  befunden  hatte ; 


die  finanzielle  Erleichterung,  welche  ihr 
der  Verkauf  des  italienischen  Netzes 
brachte,  —  all  dies  fand  begreiflicher- 
weise nicht  blos  bei  den  unmittelbar 
Betheiligten,  sondern  auch  bei  der  All- 
gemeinheit lebhaften  Beifall. 

Wie  jeder  bedeutenden  Angelegenheit, 
fehlte  es  jedoch  auch  dieser  nicht  an 
Kritikern ;  sie  malten  die  Zukunft  der 
Gesellschaft  nicht  in  hellen  Farben,  und 
nahmen  dabei,  nebst  der  Höhe  des  Ge- 
sellschaftsfonds, auch  das  Verhältnis  des 
Actiencapitals  zur  Schuldsumme  und  die 
Differenz  zwischen  Nennwerth  und  ge- 
lieferten Erlös  der  Titel  zum  Untergrunde. 
Laut  Bilanz  pro  1876  bezifferte  sich 
nämlich  der  Stand  des  Capitals  mit 
nom.  1.045,972.200  fi.,  beziehungsweise 
effectiv  602,583.497  fl.,  und  gliederte 
sich  in : 


750.000  Actien  ä  200  fl.  = 

4,139.861  Stück  3°/0ige  Prioritäts-Obligat. 
250.000       »       5°/oige  »  » 

90.000       »       6°/0ige  Bons 


Die  Aufgabe,  die  neue  Ordnung  der 
Dinge  zu  festigen  und  auszugestalten, 
fiel  in  Bälde  einer  neuen  Geschäftsleitung 
zu,  da  der  General  -  Director,  Eugen 
B  o  n  t  o  u  x,  welcher  1 8  Jahre  im  Dienste 
der  Gesellschaft  gestanden,  infolge  einer 
politischen  Aeusserung,  zu  der  er  sich 
in  der  französischen  Kammer  hinreissen 
liess,  am  24.  Januar  1878  zurücktrat,  und 
in  dem  bisherigen  gesellschaftlichen  Be- 
triebs-Director,  Friedrich  Julius  Schüler, 
der  schon  seit  Langem  die  Seele  des 
commerziellen  und  Betriebsdienstes  ge- 
wesen, am  1.  Juli  1878  einen  ausge- 
zeichneten Nachfolger  erhielt. 

Dieser  Wechsel  kam  der  Gesellschaft 
nicht  ungelegen, '  da  sie  einer  leitenden 
Persönlichkeit  bedurfte,  deren  Thatkraft 
ganz  ungetheilt  dem  gesellschaftlichen 
Unternehmen  zugewendet  blieb ;  denn  zu 
den  kaum  überblickbaren  laufenden  kamen 
immer  noch  wichtige  aussergewöhnliche 
Angelegenheiten  hinzu.  Um  davon  nur 
einige,  die  anderweiti  g  nicht  mehr 
erwähnt  werden,  hervorzuheben,  seien 
hier  angeführt :  die  Uebernahme  des  Be- 
triebes der  k.  k.  Staatsbahnen  Unterdrau- 


nominal  fl. 
.     .     .      150,000.000 

ä200fl.     827,972.200 

kooFrcsl    50,ooo.ooo 
boorrcs.j     l8oo0-000 


effectiv  fl. 

150,000.000 

395,180.920 

42,831.221 

14,571.456 


1.045,972.200         602,583.497 

bürg- Wolfsberg  und  Mürzzuschlag-Neu- 
berg  [27.  August  1879];  die  Abtretung 
der  49"7  km  langen  Linie  Agram- 
Carlstadt  an  den  ungarischen  Staat, 
gegen  eine,  während  der  ganzen  Con- 
cessionsdauer,  das  ist  bis  31.  December 
1968  von  der  königlich  ungarischen 
Regierung  an  die  Gesellschaft  zu  ent- 
richtende, unwandelbare  und  ganz  steuer- 
freie Rente  von  jährlich  240.000  fl.  in 
Gold*)  [Vertrag  vom  II.  März  1880, 
beziehungsweise  Gesetzartikel  XLIV 
vom  Jahre  1 880] ;  die  Errichtung 
einer  Betriebs-Direction  in  Buda- 
pest, zu  deren  Vorstand  der  Verkehrs- 
leiter der  ungarischen  Südbahnlinien, 
Max  Bram,  königlicher  Rath,  ernannt 
wurde ;  endlich  die  Belegung  der  Prio- 
ritäten-Zinsen mit  einem  Steuer- 
abzug von  1  Franc  pro  Coupon,  nachdem 


*)  Zugleich  verlängerte  die  königlich 
ungarische  Regierung  die  Steuerfreiheit  für 
die  ungarischen  Linien  der  Südbahn  auf  zehn 
Jahre,  das  ist  vom  I.Januar  1880  bis  31.  De- 
cember 1889.  Die  Uebergabe  der  abgetretenen 
Strecken  an  den  ungarischen  Staat  erfolgte 
am  1.  Juli  1880. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


259 


eine  Verlängerung  der  Steuerfreiheit  auch 
für  die  österreichischen  Linien  nicht 
mehr  erreicht  werden  konnte  und  die 
Actionäre  nicht  die  ganze  Steuerlast  auf 
sich  nehmen  mochten. 

Eine  ganz  besondere  Thätigkeit  und 
einen  sehr  grossen  Geldaufwand,  welcher 
auch  die  Consolidirung  der  Gesellschaft 
erheblich  verlangsamte,  ist  derselben  aus 
den  umfangreichen  Schäden  erwachsen, 
welche   die    am    15.  und   16.  September 


Behebung  der  Schäden  auf  den  übrigen 
Strecken.  Mehr  als  8000  Mann  wurden 
in  Thätigkeit  gesetzt  und  alle  Hilfsmittel 
in  Anwendung  gebrächt,  um  die  Wieder- 
aufnahme des  Verkehres  je  früher  zu  er- 
möglichen. Gleichwohl  konnte  dies  auf 
der  Tiroler  Bahn  erst  am  19.  December 
1882  und  auf  der  Pusterthalbahn  gar  erst 
am  27.  Januar  1883  erzielt  werden,  und 
zwar  grossentheils  mit  Hilfe  von  Provi- 
sorien. Die  Fertigstellung  der  definitiven 


Abb.  122.     Einschnitt  in  Krinsdorf  zur  Bauzeit  [Brüx-KlostergrabJ. 


1882  über  Kärnten  und  Tirol  hereinge- 
brochenen Hochwässer  den  gesell- 
schaftlichen Linien  zufügten.  Vom  Bahn- 
körper wurden  139  Stellen  in  einer  Ge- 
sammtlänge  von  1 5'7  km  gänzlich  und 
weitere  6-3  km  theilweise,  ferners  40 
Brücken  und  Durchlässe  und  sonstige  Ob- 
jecte  zerstört.  [Abb.  120  und  121.]  Am 
ärgsten  war  die  Strecke  in  dem  engen  Drau- 
thale  zwischen  Abfaltersbach-Thal  und 
Lienz,  dann  die  Strecke  Toblach- Bruneck 
und  die  Südtiroler  Linie  betroffen.  Der  ver- 
dienstvolle Erbauer  der  Pusterthalbahn, 
Director  Karl  Prenninger,  arbeitete 
mit  Riesenanstrengung  an  der  Wieder- 
herstellung;;   seines  Werkes    und    an    der 


Bauten  und  der  Schutzvorkehrungen  gegen 
die  Wiederholung  solcher  Verheerungen 
dauerte  bis  in  das  Jahr  1885.  Ausser 
diesen  Arbeiten  hatte  die  Gesellschaft 
über  Wunsch  der  Interessenten  auch 
die  Reconstruction  der  öffentlichen  Ob- 
jecte  in  den  von  der  Bahn  durch- 
zogenen Gegenden  gegen  blosse  Ver- 
gütung der  Selbstkosten  ausgeführt. 
Für  alle  diese .  Leistungen  ernteten  die 
Gesellschaft  und  deren  Organe  allge- 
meine Würdigung  und  auch  a.  h.  Aus- 
zeichnungen. Die  Kosten  der  Wieder- 
herstellungsbauten beliefen  sich  auf  bei- 
nahe 4,000.000  fl.,  wovon  jedoch  */s  den 
Betrieb  belasteten. 

17* 


200 


Ignaz  Konta. 


Das  Prioritäts  -  Anlehen  vom  Jahre 
1885  im  Betrage  von  40,000.000  Mark, 
dessen  erste  Hälfte  am  9.  und  10.  Juli 
zum  Curse  von  94/5  durch  die  Rothschild- 
gruppe begeben  wurde,  hatte  ganz  an- 
deren Zwecken  [Refundirungen,  Stärkung 
der  Reserven  etc.]  zu  dienen. 

Neben  einer  so  grossartigen  Trans- 
action  und  so  bedeutenden  Geschehnissen 
wie  die  eben  besprochenen,  nehmen  sich 
gewöhnliche  Begebenheiten  fast  unschein- 
bar aus.  Gleichwohl  muss,  der  Zeitfolge 
nach,  hier  die  Erörterung  einer  verhältnis- 
mässig kleinen  Sanirung,  als  Ausgangs- 
punkt unserer  weiteren  Betrachtungen, 
angereiht  werden. 

Bald  nach  Beginn  des  Baues  ihrer 
Linie  Brüx-Mulde  [1873]  widerfuhr  der 
Prag-Duxer  Bahn  das  Ungemach, 
dass  die  mit  der  Titelbegebung  für  diese 
Linie  betrauten  Bankhäuser  [s.  S.  117] 
vertragsbrüchig  wurden  und  es  einzu- 
richten wussten,  dass  die  Gesellschaft 
sich  mit  einem  Reugelde  abfinden  Hess. 
Der  Verwaltungsrath  glaubte  diesen 
»Modus«  einer  Processführung  vorziehen 
zu  sollen.  Wie  hoch  das  Pönale  ge- 
wesen, hat  er  jedoch  nicht  verlautbart; 
keineswegs  konnte  es  die  Gesellschaft 
auch  nur  annähernd  schadlos  halten  für 
die  Verluste  und  bitteren  Verlegenheiten, 
die  ihr  aus  der  nicht  rechtzeitigen  Be- 
gebung des  grössten  Theiles  jener  Werthe 
erwachsen  sind.  Was  das  Reu-  oder 
Strafgeld  an  Baarmitteln  geliefert  hatte, 
wurde  ebenso  wie  der  Betriebsüberschuss 
der  alten  Linie  auf  den  Neubau  ver- 
wendet, hielt  aber  nur  für  eine  Weile  vor. 

Nicht  genug  daran,  blieben  auch  die 
Erträgnisse  der  alten  Bahn  hinter  den 
gehegten  Erwartungen  gar  weit  zurück. 
Am  1.  Juli  1874  konnte  der  Prioritäten- 
Coupon  nicht  mehr  eingelöst  werden. 
Das  drückte  natürlich  den  Werth  der 
gesellschaftlichen  Titel  noch  tiefer  herab 
und  machte  die  Begebungen  für  die  neue 
Linie  vollends  zur  Unmöglichkeit.  Die 
Gesellschaft  befand  sich  also  in  zwei- 
facher Nothlage.  Eine  derselben  wurde 
durch  den  Prioritäten-Curator  [Dr.  Anton 
Lederer,  Landesadvocat  in  Prag]  selbst 
gemildert,  der  in  der  richtigen  Ueber- 
zeugung,  dass  er  mit  der  Schonung  und 
Unterstützung  der  Gesellschaft    die    von 


ihm  vertretenen  Interessen  am  besten 
wahre,  von  der  Stunde  an  eine  wohl- 
wollende Haltung  gegen  dieselbe  einnahm. 
Die  zweite  aber  gestaltete  sich  immer 
peinlicher,  da  die  Unterstützungsgesuche 
an  die  Regierung  erfolglos  waren. 

In  ihrer  Verlassenheit  trat  die  Gesell- 
schaft in  Beziehungen  zur  Leipzig- 
Dresdener  Bahn,  die  sich  den  Anschein 
gab,  die  Concession  und  die  bereits  aus- 
geführten Bauten  der  Linie  Brüx-Mulde 
um  den  Preis  von  1,000.000  fl.  erwerben 
zu  wollen,  hinterher  aber  die  unglaub- 
lichsten Bedingungen  stellte,  an  denen 
die  Sache  nach  Jahr  und  Tag  scheiterte. 
Das  eigenthümliche  Vorgehen  der  Leipzig- 
Dresdener  Bahn  Hess  den  Verdacht  auf- 
kommen, dass  sie  auf  die  Bedrängnis  der 
Prag-Duxer  Bahn  speculirte,  um  gegebenen 
Falles  das  ganze  Unternehmen  der  letzteren 
zum  Buchpreise  an  sich  zu  bringen.*) 
Aber  auch  die  Regierung  konnte  Aeusse- 
rungen  des  Staunens  darüber  vernehmen, 
dass  sie  den  Verkauf  einer  österreichi- 
schen Bahnlinie  an  eine  ausländische 
Gesellschaft  zulassen,  ja  sogar  —  wie 
aus  dem  im  Prag-Duxer  Geschäftsbericht 
pro  1874  citirten  Handels-Ministerialerlass 
vom  21.  April  1875  hervorging  —  darauf 
hinwirken  wollte. 

Als  die  Verhandlungen  mit  der  Leip- 
zig-Dresdener Bahn  ins  Stocken  gerathen 
waren,  erneuerte  die  Gesellschaft  ihre 
Unterstützungsgesuche  an  die  Regierung 
und  wendete  sich  im  December  1874 
auch  an  den  Reichsrath,  welcher  die 
flehentliche  Petition  am  20.  März  1875 
der  Regierung  zur  eingehendsten  Prüfung 
und  WTürdigung  übermittelte,  nachdem 
der  Eisenbahn-Ausschuss  auch  die  all- 
fällige Anbahnung  einer  Fusion  der 
Prag-Duxer  Bahn  mit  einer  bereits  im 
Betriebe  stehenden  böhmischen  Bahn  an- 
geregt hatte.  Beim  Herannahen  der 
Bauperiode  des  Jahres  1875  machte  der 
Verwaltungsrath  noch  einen  letzten  Ver- 
such bei  der  Regierung,  indem  er  für 
den  Augenblick  nur  einen  Vorschuss  von 


*)  Vgl.  die  im  Juli  1875  erschienene  Denk- 
schrift des  Dresdener  »Comite  zur  Vertretung 
der  Interessen  der  Inhaber  von  Prioritäten 
der  Prag-Duxer  Bahn«  und  das  von  dem 
Anwalte  Schraps  in  Crimitschau  an  die 
Prioritäre  versendete  Rundschreiben  Nr.  5. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


2ÖI 


*)  Bei  den  bezüglichen  Erörterungen 
wurde  aus  dem  Schosse  der  Versammlung 
die  Frage  nach  der  Ursache  der  beharrlichen 
Verweigerung  jedweder  Staatshilfe  aufge- 
worfen, was  übrigens  früher  schon  auch  von 
Seite  der  öffentlichen  Meinung  geschehen 
war;  doch  ward  hiefür  weder  da  noch  dort 
eine  Antwort  gefunden.  Die  Tagesblatter 
haben  je  nach  ihrem  Parteistandpunkte  eines- 
theils  die  im  Gegensatze  zur  Regierung 
stehenden  politischen  oder  nationalen  Ten- 
denzen einzelner  Mitglieder  des  Verwaltungs- 
rathes,  anderntheils  die  Sühne  heischenden 
Gründungssünden,  oder  die  Zweifel  an  der 
Bestandsfähigkeit  des  Unternehmens,  als 
jene  Ursache  bezeichnet  und  zur  Bekräftigung 
der  ersterwähnten  darauf  hingewiesen,  dass 
die  benachbarte  Dux-Bodenbacher  Bahn  ein 
grosses  Darlehen  aus  den  staatlichen  Aus- 
hilfscassen  bekam. 


250.000  fl.  zur  Fortsetzung  des  Baues 
der  halbfertigen  Strecke  Brüx-Kloster- 
grab  erbat,  in  welcher  bereits  baare 
1,560.000  fl.  investirt  waren.  Da  auch 
dieser  Versuch  misslang,  schwang  sich 
der  Verwaltungsrath  zu  dem  Gedanken  auf, 
der  Gesellschaft  durch  das  Zusammen- 
wirken ihrer  Theilhaber  und  Gläubiger 
aufzuhelfen.  Die  Generalversammlung 
vom  26.  Juni  1875  stimmte  dieser  Idee  j 
sogleich  bei.  *)  Auch  der  Curator  war 
dem  Projecte  zugethan  und  bereit,  einer 
aufzunehmenden  schwebenden  Schuld  im 
Betrage  von  1,000.000  fl.  die  Sicher- 
stellung im  Vorrange  vor  den  Priori- 
täten einzuräumen,  was  aber  die  Priori- 
täre  in  deren  am  29.  Juli  1875  zu  Dres- 
den abgehaltenen  Versammlung  ablehnten. 
Wieder  um  eine  Hoffnung  ärmer, 
machte  der  Verwaltungsrath  geradezu 
verzweifelte  Anstrengungen,  um  irgendwo 
Hilfe  zu  finden  und  die  Gesellschaft  vor 
dem  Zusammenbruche  zu  bewahren;  er 
beschäftigte  sich  mit  den  verschiedensten 
Finanzprojecten  und  mit  dem  von  Priori- 
täten-Besitzern angeregten  Verkaufe  der 
Bahn  an  ein  von  diesen  eigens  gebildetes 
Consortium.  Während  dessen  tauchte 
vor  der  Gesellschaft  das  Gespenst  des 
»commerziellen  Werthes«  auf;  sie  kam 
jedoch  mit  dem  blossen  Schrecken  davon. 
Die  Regierung,  deren  Fusionirungs- 
thätigkeit  sich  damals  den  nothleidenden 
böhmischen  Bahnen  zugewendet  hatte 
[s.  Seite  234 — 235],  war  mit  dem  Cura- 
tor übereingekommen,  dass  die  Bahn, 
auf  Grund  ihres  commerziellen  Werthes, 


um  den  Preis  von  4,284.000  fl.,  zahlbar 
in  5"/o'gen  garantirten  Prioritäten  einer 
neu  zu  gründenden  Unternehmung,  vom 
Staate  übernommen  werden  solle.  Die 
Curatelbehörde  veranlasste  aber,  einem 
Antrage  des  Curators  folgend,  die  Er- 
mittlung des  Werthes  der  Bahn  durch 
einige  der  Regierung  fernestehende  Sach- 
verständige und  das  Ergebnis  dieser 
Expertise  war  die  Bemessung  des  com- 
merziellen Werthes  der  gesellschaftlichen 
Betriebslinien  mit  8,668.000  fl.  Daraufhin 
verlangte  der  Curator  von  der  Regierung 
eine  Aufbesserung  ihres  Anbotes ;  er 
wurde  aber  abgewiesen  und  damit  hatte 
es  von  diesem  Verkaufe,  wie  überhaupt 
mit  der  Fusion  der  böhmischen  Bahnen, 
sein  Bewenden. 

Der  Verwaltungsrath  war  bei  den 
vorerwähnten  Verhandlungen  der  Regie- 
rung mit  dem  Curator  abseits  gestanden, 
daher  von  ihrem  Fehlschlage  nicht  nur 
nicht  unangenehm  berührt,  sondern  viel- 
mehr zu  neuer  Unterstützungswerbung 
angeeifert  worden.  Auch  der  Curator 
willigte,  im  Hinblicke  auf  das  günstige 
Ergebnis  der  Expertise,  nunmehr  ganz 
bestimmt  in  die  Aufnahme  eines  der 
Prioritätenschuld  vorangehenden  Anlehens 
von  1,000.000  fl.  und  leistete  so  den 
Bestrebungen  des  Verwaltungsrathes  be- 
deutenden Vorschub,  denn  auf  eine  so 
gute  Hypothek  Geld  zu  beschaffen, 
konnte  der  Gesellschaft  nirgendmehr 
schwer  fallen.  Der  Verwaltungsrath  wen- 
dete sich  jedoch  zunächst  wieder  an  die 
Regierung  und  dann  auch  an  den  Reichs- 
rath  [Februar  1876]  mit  der  Bitte  um 
einen  Vorschuss  von  1,000.000  fl.  zur 
Consolidirung  des  Unternehmens  und  zur 
Fertigstellung  der  Strecke  Brüx-Kloster- 
grab  sowie  um  Erstreckung  der  Voll- 
endungsfrist für  die  Strecke  Klostergrab- 
Mulde  bis  Ende  1880. 

Nun  änderte  sich  die  Situation.  Der 
Handelsminister  y.  Chlumecky  dachte, 
wie  anderen  Bahnen,  ohne  alle  Vorein- 
genommenheit auch  der  Prag-Duxer 
Bahn  die  erbetene  Hilfe  zu.  Bereits  am 
8.  April  1876  fand  im  Beisein  und  unter 
Zustimmung  des  Prioritäts-Curators  der 
Abschluss  des  Protokollar-Uebereinkom- 
mens  statt,  in  welchem  die  Bedingungen, 
unter    denen  im  Falle  der  Genehmigung 


2Ö2 


Ignaz  Konta. 


des  Reichsrathes  der  Vorschuss  ertheilt 
werden  sollte,  festgestellt  waren.  Die- 
selben lauten  im  Wesentlichen  dahin,  dass 
die  Vorschuss-Summe  mit  5°/0  verzinst 
und  in  24  gleichen  halbjährigen  Raten 
ab  1.  Juli  1880  getilgt  werde  und  das 
bücherliche  Pfandrecht  vor  den  Priori- 
täten geniesse ;  dass  der  Curator,  unter  aus- 
drücklicher Verzichtleistung  auf  Zwangs- 
massregeln, sich  verpflichte,  bis  zur 
gänzlichen  Tilgung  des  Staatsvorschusses 
nur  die  nach  den  Abstattungen  auf  letz- 
teren erübrigenden  Betriebsvorschüsse  für 
sich  in  Anspruch  zu  nehmen ;  dass  die 
Gesellschaft  von  ihren  übrigen  Gläubi- 
gern Zufristungen  erlange,  welche  die 
Gefahr  einer  Executionsführung  und  Con- 
curseröffnung  mindestens  bis  Ende  1876 
vollständig  beseitigen ;  endlich  dass  der 
Bau  der  Strecke  Brüx-Klostergrab  späte- 
stens mit  1.  Mai  1876 wiederaufgenommen 
und  noch  innerhalb  desselben  Jahres 
vollendet  werde. 

Schon  der  blosse  Abschluss  dieses 
Uebereinkommens  verschaffte  der  Gesell- 
schaft einen  billigen  Acceptatiqnscredit 
von  520.000  fl.  bei  der  Anglo-Oesterreichi- 
schen  Bank  und  sohin  die  Mittel  zur 
sofortigen  Fortsetzung  des  Baues.  Eine 
den  vorstehenden  Bedingungen  entspre- 
chende Uebereinkunft  mit  dem  Curator, 
in  welcher  er  sich  übrigens  die  weit- 
gehendste Controle  der  ganzen  gesell- 
schaftlichen Gebarung  sicherte,  ward 
auch  bald  erzielt  und  am  15.  August 
1876  in  Vertragsforrn  abgeschlossen.  Da 
weiters  die  Auseinandersetzungen  mit  den 
•übrigen  Gläubigern  jetzt  gleichfalls  keinen 
Schwierigkeiten  begegneten,  konnte  die 
Gesellschaft  nunmehr  ruhig  auf  die  legis- 
lative Entscheidung  über  die  Gewährung 
des  Staatsvorschusses  warten. 

Die  bezügliche  Regierungs-  Vorlage 
gelangte  am  1.  December  1876  vor  das 
Abgeordnetenhaus  und  am  13.  März  1877 
zur  zweiten  Lesung,  welche  zwar  nicht 
sehr  glatt  verlief,  aber  doch  mit  der  An- 
nahme der  Vorlage  endete.  Sie  passirte 
alsbald  auch  die  dritte  Lesung  und  das 
Herrenhaus  und  erhielt  am  16.  April  1877 
die  a.  h.  Sanction  als  Gesetz.  Mittler- 
weile war  die  Strecke  Brüx  -  Kloster- 
grab, deren  erster  grösserer  Theil 
bis  Ossegg  [i3-8  km]  schon  am  18.  De- 


cember 1876  eröffnet  wurde,  auch  in 
dem  zweiten  Theile  bis  Klostergrab 
[4-1  km]  vollendet  und  am  15.  Mai  1877 
dem  allgemeinen  Verkehre  übergeben 
worden.  Hiebei  hatte  sich  herausgestellt, 
dass  die  Gesellschaft  zu  den  Zwecken, 
welchen  der  Staatsvorschuss  zu  dienen 
hatte,  nur  900.000  fl.  benöthige:  sie 
nahm  also  blos  diesen  Betrag  in 
Anspruch  [Ende  Juni  1877],  deckte  da- 
mit die  Schuld  an  die  Anglobank  sowie 
andere  schwebende  Posten,  schliesslich, 
im  Vergleichswege,  auch  eine  Nachtrags- 
forderung der  Bauunternehmung  der  alten 
Linie  und  befand  sich  dann  seit  1878 
in  einer  ungefährdeten   Lage. 

Diese  Wendung,  welche  deutlich 
zeigte,  wie  leicht  der  Gesellschaft  zu 
helfen  war  und  auch  schon  früher  hätte 
geholfen  werden  können,  gab  ihr  also 
wieder  einen  festen  Halt.  Für  die  voll- 
ständige Regelung  ihrer  Verhältnisse 
blieb  jedoch  noch  viel  zu  thun,  bis  zur 
Befriedigung  der  Prioritäten-Besitzer  und 
gar  erst  der  Actionäre,  noch  ein  weiter 
Weg  zurückzulegen;  denn  all  dies  hing 
von  einer  bedeutenden  Besserung  der 
Erträgnisse  ab,  die  aber  ohne  den  directen 
Anschluss  der  Prag-Duxer  Bahn  an  das 
sächsische  Bahnnetz  kaum  zu  gewärtigen 
stand.  Der  Verwaltungsrath  und  der 
Curator,  unterschiedliche  Comites,  die 
sich  zur  Vertretung  und  Wahrung  der 
Interessen  der  Prioritäre,  beziehungsweise 
Actionäre  [in  Sachsen]  gebildet  hatten, 
Ingenieure,  die  Projecte  für  eine  billigere 
Ausführung  der  Strecke  Klostergrab- 
Mulde  ausgearbeitet  hatten,  Kohlenge- 
werkschaften und  sonstige  Interessenten 
suchten  darum  unablässig,  den  Ausbau 
dieser  kurzen,  aber  schwierigen  Strecke 
zu  ermöglichen. 

Alle  diese  Bemühungen  blieben  indes 
erfolglos,  weil  das  erforderliche  Baucapital 
überhaupt  nicht  oder  nur  unter  Bedin- 
gungen erhältlich  gewesen  wäre,  auf 
welche  die  Gesellschaft  nicht  eingehen 
durfte.  Der  Verwaltungsrath  musste  sich 
sohin  einstweilen  begnügen,  .durch  sorg- 
same Pflege  des  Verkehres  und  thun- 
lichste  Verringerung  der  Betriebskosten 
die  Ertragsverhältnisse  zu  heben.  In 
ersterer  Beziehung  traf  er  mit  der  Curatel 
ein  Abkommen,  wonach  von  den  Ueber- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


263 


Schüssen,  ab  1878,  jährlich  30.000  fl. 
insolange  zur  Vermehrung  des  Fahr- 
parkes verwendet  werden  durften,  bis  die 
NachschafFung  von  100  Kohlen-  und  50 
Güterwagen  bewerkstelligt  war  und  aus 
Sparsamkeitsgründen  kam  er  mit  der 
Verwaltung  der  Pilsen-Priesener  Bahn 
überein,  dass  vom  Jahre  1880  an  der 
Betrieb  der  Strecke  Dux-Brüx  nicht  mehr 
durchwegs  von  beiden  Gesellschaften, 
sondern  in  der  Theilstrecke  Dux-Ober- 
nitz  nur  von  der  Pilsner-Priesener  Bahn 


Zinsengarantie  für  das  Baucapital  nicht 
zustande  kam.  So  vergingen  auch  weiter- 
hin noch  viele  Jahre,  bis  die  oftgenannte 
Strecke  dem  Betriebe  übergeben  wurde 
und  die  von  ihr  erwartete  Steigerung  der 
Erträgnisse  auch  wirklich  eintrat. 

Die  Trace  der  Zweiglinie  Brüx-Mulde 
[Moldau]  unterfährt  bei  ßrüx  die  Aussig- 
Teplitzer  Bahn,  führt  über  Oberleutendorf 
nach  Bruch,  wo  sie  die  Hauptlinie  der  Dux- 
Bodenbacher  Bahn  übersetzt  und  dann  an 
dieselbe  anschliesst.  Ueber  Ossegg  am  Fusse 
des  Erzgebirges    weiterziehend  übersetzt  sie 


Abb.  123.     Viaduct  bei  Krinsdorf  im  Bau  [Brüx-Klostergrab]. 


und  in  der  Theilstrecke  Obernitz-Brüx 
ausschliesslich  von  der  Prag-Duxer  Bahn 
geführt  werde.  Ferner  brachte  er  mit  Be- 
willigung des  Handelsministeriums  vom 
15.  September  1880  auf  der  Strecke 
Brüx-Klostergrab  den  Secundärbetrieb  in 
Anwendung. 

Im  selben  Jahre  wurde  die  Geld- 
beschaffung für  den  Ausbau  der  Strecke 
Klostergrab- Mulde  neuerdings  versucht, 
jedoch  wieder  erfolglos,  da  die  Prioritäre 
sich  weigerten,  ihr  Vorgangsrecht  aufzu- 
geben und  die  von  dritter  Seite  vor- 
geschlagene Bildung  einer  Gemeinschaft 
von  Prioritären,  Bergwerksbesitzern  und 
sonstigen  Interessenten  zur  Leistung  einer 


das  Krinsdorfer  Thal  [Abb.  122  und  123]  und 
erreicht  Klostergrab,  von  wo  aus  die  Fort- 
setzungsstrecke bis  Mulde  die  Verbindung 
mit  den  Königlich  Sächsischen  Staatsbahnen 
über  Freiberg  herstellen  sollte. 

Durch  die  Unmöglichkeit,  unter  den 
damaligen  Zuständen  des  Geldmarktes 
neue  Titel  zu  begeben,  war  noch  eine 
ganze  Reihe  von  Eisenbahnen  [auch 
garantirte]  genöthigt,  zur  Deckung  ihres 
Geldbedarfes  schwebende  Schulden  auf- 
zunehmen, die  ihnen  später  sehr  drückend, 
nicht  selten  auch  bedrohlich  wurden  und, 
da  eine  Aenderung  der  allgemeinen  Ver- 
hältnisse nicht  sobald  zu  erwarten  stand, 
schliesslich  dazu  führten,  dass  die  Actionäre 


264 


Ignaz  Konta. 


und  Prioritäten  -  Besitzer  zusammen- 
wirkten, um  ihre  Unternehmungen  vor 
tiefgreifender  Schädigung  oder,  wo  es 
bereits  schlecht  genug  bestellt  gewesen, 
vor  dem  völligen  Untergange  zu  bewahren. 
Dass  bei  diesen  Anstrengungen  die  grösste 
Last  auf  die  Schultern  der  Actionäre  zu 
liegen  kam,  ist  natürlich.  Dies  entsprach 
auch  den  von  Seite  der  Regierung  und 
des  Parlaments  vielfach  geäusserten  An- 
schauungen und  wurde  »Selbstsani- 
rung«   genannt. 

Begreiflicherweise  prallten  bei  diesen 
Proceduren  die  Interessen  -  Gegensätze 
heftig  aneinander,  es  fehlte  fast  nirgends 
an  Weiterungen  mit  der  Curatel,  an  Ein- 


wendungen einzelner  Prioritäre  oder 
Gruppen  von  solchen,  an  Auflehnungen 
der  Actionäre,  endigte  aber  dann  mit 
Vergleichs-Abschlüssen.  Um  nicht  diese 
meistens  sich  gleichenden  Vorgänge, 
rücksichtlich  jeder  der  betreffenden  Ge- 
sellschaften, einzeln  erzählen  und  dadurch 
in  allzu  ofte  Wiederholungen  verfallen 
zu  müssen,  wurde,  anknüpfend  an  das 
eben  Vorausgeschickte,  hier  blos  ein 
Verzeichnis  derjenigen  Unternehmungen 
beigegeben,  welche  ihre  Gesundung,  sei  es 
ohneweiters,  sei  es  erst  in  der  letzten  Phase 
der  Verlegenheiten,  durch  das  eigenste 
Hinzuthun  und  unbeirrt  von  speculativen 
Nothhelfern,  bewerkstelligt  haben : 


Benennung 
der  Bahn 

Betrag 

Bezeichnung 

Jahr    j                    Art  und  Weise 

des  zu  decken  gewesenen 
Erfordernisses 

der  unternommenen  Sanirung 

Kaschau-Oder- 
berger  Bahn . 

Oesterr.  Nord- 
westbahn  .  . 

Buschtehrader 
Bahn 

fl. 
4,600.000 

3,766.440**) 
3,700.000 

Entschädigung  der 
Bauunternehmung 
für  Mehrleistungen 

Ergänzung  des 
Bauaufwandes   für 
das  garantirte  Netz 
und  Betheiligung 
am  Ankaufe  der 
Wiener  Verbin- 
dungsbahn 

Schwebende  Schuld 

1876/79 
1877 

1877 

Kürzung  der  Actiencoupons*)  um 
je  1  fl.  für  alle  Zeit 

Kürzung  der  Coupons  der  [garant] 
Actien  lit.    A    um   jährlich   höch- 
stens 2  fl. 

Von  1877— 1886  Tilgung  der  Priori- 
täten nicht  durch    Verlosung  son- 
dern durch  börsenmässigen  Rück- 
kauf;   Einlösung    der  Prioritäten- 
Coupons  lediglich  in  Silber;  ferner 
Bezahlung   der  Actien -Dividende 
in    Prioritäten    III.  Emission  zum 
Curse  von  84% 

*)  ZurR 
Bahn    anlässlic 
der  Eperies-Tt 
gewährt,  hingi 

193-577  A.  59  "k 
artikel  XXXV] 
anlehen  von  n 
Curse    von   87 
nichts  zu  scha 
Protokollar-Ve 
war,  die  Ansp 
Regierung  dies 
Garantielast  d 
Bahnlänge    nu 
stitionszwecke 
Grunde  des  G 
welcher  die  50 
deckt.    Die  hi 
Prioritäten  hat 

egelung  ihr 
.h    und   im 
irnöwer  Bah 
:gen  die  urs 
r.  für  imme 
I  vom  Jahr 
om.  6,828.00 

in  Noten 
ffen,  weil  zi 
reinbarung 
rüche   der  I 
erwegen  vo 
ie  Summe  \ 
r   511.598  fl 

der   letztei 
esetzes  vom 
/„ige  Verzin 
erauf   von 

die  Uniont 

er  finanziellen  Ange' 
Zusammenhange  mi 
n  eine  Separat-Gara 
prüngliche  [concess 
r  zu  Lasten  der  Actic 
e  1879].  Auf  Grundl 
3  fl.  ausgegeben,  we 
übernahm.      Die    ös 
afolge  der  zwischen 
vom  23.  December 
lauunternehmung   zi 
n  der  im  Ganzen  2,4 
on  540.000  fl.  auf  sie 

auf   die  Österreich 
■en    Strecke  aber    g 

20.  Juni  1879   die  1 
sung  und  die  Tilgur 
ier  Gesellschaft    in 
>ank  im  Januar  1880 

egenheit 
t   der  Et 
ntie  von 
lonsmäss 
märe  he 
age  der 

ches  die 
terreichi. 
den  beid 
[875  die 
x  schlich 
J8.390  fl. 
;h  genon 

sehe  Sti 
ewährte 
Erhöhung 
ig   eines 

eben   dl 

zum  Cu 

en  wurde  der  Kaschau-Oderberger 
Werbung  des  ungarischen  Theiles 
jährlich  346.618  fl.  85  kr.  in  Gold 
ige]  Garantie  in  Silber  um  jährlich 
■abgemindert  [ungarischer  Gesetz- 
Separat-Garantie  wurde  ein  Gold- 
Anglo-Oesterreichische  Bank  zum 
sehe   Regierung  hatte  mit  alledem 
en  Staatsverwaltungen  getroffenen 
ungarische  Regierung  verpflichtet 
ten,    nachdem    die    österreichische 
betragenden  concessionsmässigen 
imen,  obzwar  im  Verhältnisse  der 
ecke    entfallen  wären.     Für  Inve- 
die  österreichische  Regierung  im 
•   der  Garantie   um   einen  Betrag, 
Nominalbetrages   von  1,200.000  fl. 
eser  Höhe    ausgegebenen  Silber- 
rse  von  87-05   B.-N.  übernommen. 

Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


265 


Benennung 
der  Bahn 


Betrag 


Bezeichnung 


des  zu  decken  gewesenen 
Erfordernisses 


Jahr 


Art  und  Weise 


der  unternommenen  Sanirung 


Böhm.  -  Nord- 
bahn    


Süd -norddeut- 
sche Verb.- 
bahn 


Erste  Ungar.- 
Galiz.  Eisen- 
bahn   


Pilsen-  Priese- 
ner  Bahn   .  . 


Tumau-Kralup- 
PragerBahn 


Kronprinz  Ru- 
dolt-Bahn  .  . 

Ungar.    West- 
bahn    


1,250.000 


2,384-386 
2,882.321 
3,804.925 


1,920.400 

1,882.800 
373-510 


Schwebende  Schuld 

und  Anlegung  von 

Reserven 


Ueberschreitung 

des  garantirten  Ca- 

pitals 

Restliche  Bau- 
schuldf)  und  unbe- 
deckte Betriebs- 
kosten 


Schwebende  Schuld 


Schwebende  Schuld 

und  Anlegung  von 

Reserven 

Schwebende  Schuld 


Schwebende  Schuld 


1877 


1878 


1878 


1878 


1878/79 


1881 


Bezahlung  von  Zins  und  Capital 
der  Anlehen  lediglich  in  Silber; 
Sistirung  der  Prioritäten-Tilgung 
bis  längstens  1885;  Verzicht  der 
Actionäre  auf  die  Dividende  inner- 
halb desselben  Zeitraumes***) 
Kürzung  der  Actiencoupons  um 
je  1  ft.  und  Einlösung  derselben 
vom  I.  Juli  1879  bis  zum  I.  Ja- 
nuar 1882  in  Prioritäten  al  pari 
Einlösung  der  Actiencoupons  vom 
1.  Juli  1878  bis  zum  I.  Juli  1882 
in  Prioritäten  II.  Emission,  und 
zwar  für  36  Coupons  eine  Obli- 
gation ä  200  fl. 
Sistirung  der  Prioritäten-Tilgung 
und  normalen  Verzinsung  bis 
längstens  Ende  1882;  statt  der 
Letzteren  sowie  zur  Abstossung 
der  schwebenden  Schuld  werden 
die  verfügbaren  Ueberschüsse  ver- 
theilt:  mit  75°/0  [später  70]  an  die 
Prioritäre  und  mit  25°/0  [später  20] 
an   die  Inhaber   der  schwebenden 

Schuld 
Verzinsung  undTilgung  der  Priori- 
täten   nur  in  Silber;    Verzicht  der 
Actionäre    auf   die  Dividende    bis 

längstens  1884-)-)-) 
Kürzung    des    Juli  -  Coupons    der 
Actien  um  1  fl.  durch  neun  Jahre 

ab  1881 
Kürzung   des    Actiencoupons    um 
je    1  fl.  25  kr    in   den   vier  Halb- 
jahren vom    1.  Juli  1885  bis  I.  Ja- 
nuar 1887 


Für  die  Investitions-Erfordernisse  der  ungarischen  Linien  hat  die  ungarische  Regierung 
gesondert  vorgesorgt. 

**)  Früher  war  das  Capitalconto  des  Ergänzungsnetzes  mit  diesem  Betrage  be- 
lastet. Die  Klarstellung  der  Rechtsverhältnisse  zwischen  den  beiden  gesellschaftlichen 
Netzen  machte  aber  die  Uebernahme  der  ganzen  Post  auf  das  garantirte  Netz  und, 
nachdem  eine  Garantie-Erhöhung  unerreichbar  gewesen,  die  Bedeckung  zu  Lasten  der 
Actionäre  nothwendig. 

***i  Die  Sanirung  war  bereits  im  Jahre  1881  beendet. 

f)  Ein  bedeutender  Theil  des  Mehraufwandes  wurde  schon  früher  von  den  beider- 
seitigen Regierungen  und  von  der  Credit- Anstalt  gedeckt  [siehe  Seite  83]. 

-J— {-j  Die  Sanirung  war  schon  im  Jahre  1881  beendet. 


Wo  aber  Finanzkünste,  welche  auf 
Sanirungs-  oder  »Entgründungs«  -  Ge- 
schäfte abzielten,  die  Oberhand  gewonnen 
hatten,  oder  zu  erringen  bestrebt  waren, 
da  spielten  sich  ganz  andere  Vorgänge 
ab  und  mussten  die  Actionäre  weitaus 
grössere    Opfer    bringen,     mitunter    das 


Eigenthum    oder    doch    die    Rente    ihres 
Besitzes  fast  ganz  hingeben. 

Solches  widerfuhr  beispielsweise  den 
Theilhabern  der  Graz  -  Köflacher 
Bahn,  deren  Missgeschick  aus  einem 
Erfordernisse  von  1,000.000  fl.  entstanden 
war.     Sie   hatte    die    Kosten    des    Baues 


266 


Ignaz  Konta. 


der  Linie  Lieboch-Wies  [siehe  Seite  140] 
und  der  Aufschliessung  neu  erworbener 
Kohlenwerke  [Steieregg]  zu  gering  ver- 
anschlagt, die  in  den  Jahren  1873  und 
1874  nachträglich  ausgegebenen  Titel 
aber  nicht  mehr  an  Mann  gebracht,  ob- 
zwar  ihre  Actien  damals  noch  eine 
Dividende  von  7  ]/2  °/0  bezogen.  Die 
» schwebende  Schuld«  ward  also  auch 
hier  das  leidige  Auskunftsmittel. 

Im  Jahre  1875  wurde  jedoch  die 
Placirung  der  Wechsel  immer  schwieriger 
und  es  musste  nun  je  eher  getrachtet 
werden,  dieselben  auf  lange  Sicht  zu 
stellen  und  in  feste  Hände  zu  bringen. 
Dies  gelang  mit  Hilfe  des  benachbarten 
Gewerken  August  Z  a  n  g,  der  vorerst 
800.000  fl.,  dann  im  Jahre  1876  weitere 
200.000  fl.  gegen  öy^/ßige  Verzinsung 
und  Sicherstellung  auf  dem  gesammten 
Besitze  der  Gesellschaft  herlieh,  alsbald 
aber  auf  andere  Gedanken  kam,  noch  im 
selben  Jahre  die  ganze  Schuld  kündigte 
und  hartnäckig  jede  Stundung  verweigerte. 
Damit  begann  das  Unheil. 

Für  den  ersten  Augenblick  half  die 
Oesterreichische  Sparcasse  in  Wien  mit 
Vorschüssen  aus,  dann  sistirte  die  Ge- 
sellschaft die  Zinsenzahlung  auf  die 
Prioritäten  und  erwirkte  von  den  sohin 
eingesetzten  Curatoren  ein  für  unbestimmte 
Zeit  geltendes,  achttägig  kündbares  Mora- 
torium. Von  der  Vertretung  der  Priori- 
täten-Besitzer war  also  vorläufig  nichts 
zu  befürchten,  umsomehr  hingegen  von 
der  im  Juni  1877  anhängig  gewordenen 
Zang'schen  Klage.  Um  einer  zwangs- 
weisen Sequestration  vorzubeugen,  ver- 
einbarte der  Verwaltungsrath  mit  den 
Curatoren  die  freiwillige  Aufstellung 
eines  Sequesters,  und  zwar  in  der 
Person  des  Betriebs-Directors  der  Oester- 
reichischen  Nordwestbahn,  Hermann  Ritter 
v.  Rittershausen,  der  am  26.  Juni 
sein  Amt  antrat.  Sequester,  Curatoren 
und  Verwaltungsrath  bemühten  sich  nun 
gemeinsam  der  von  Seite  Zang's  drohenden 
Execution  Einhalt  zu  thun  und  Zeit  und 
Mittel  zur  Befriedigung  dieses  Gläubigers 
zu  gewinnen,  da  die  Aeusserung,  welche 
die  schon  früher  von  den  Curatoren  ent- 
sendete Sachverständigen  -  Commission 
über  den  Besitzstand  umd  die  Ertrags- 
fähigkeit   des    gesellschaftlichen    Unter- 


nehmens abgegeben  hatte,  den  Sturz 
desselben  geradezu  als  Frevel  erschienen 
liess. 

Mit  welchen  Absichten  sich  Zang  trug, 
wurde  in  authentischer  Weise  nicht  klar- 
gestellt; man  muthete  ihm  zu,  dass  er 
den  gesellschaftlichen  Besitz  unter  den 
Hammer  bringen  und  dann  an  sich 
reissen  wolle.  Das  mag  denn  doch, 
wenigstens  dem  vollen  Umfange  nach, 
nicht  richtig  gewesen  sein;  denn  schliess- 
lich gab  er  sich  mit  Frachtermässigungen 
für  seine  Kohlensendungen  zufrieden  und 
willigte  hiefür  —  unter  Vorbehalt  der 
Executionsführung  blos  auf  die  Wieser 
Werke  —  in  ein  Moratorium  bis  Ende 
November   1877. 

Nun,  da  wieder  Zeit  gewonnen  war, 
ging  es  an  die  Entwerfung  von  Sanirungs- 
plänen.  Der  Verwaltungsrath  selbst,  so- 
wie nachher  auch  der  Wiener  Bank- 
verein machten  bezügliche  Vorschläge, 
die  aber,  weil  sie  die  Prioritäten-Besitzer 
zu  stark  getroffen  hätten,  dem  Wider- 
stände der  Curatel  begegneten.  Während 
dessen  machte  die  Soci6te  beige  de 
chemins  de  fer,  welche  damals  allent- 
halben in  Oesterreich  nach  einem  guten 
Fischzuge  auslugte,  sich  an  die  Sache 
heran.  Die  Verhandlungen  dauerten  aber 
so  lange,  dass  darüber  die  Zang'sche 
Zufristung  verstrich  und  wieder  Gefahr 
im  Verzuge  war  und  die  Gesellschaft 
sich  nothgedrungen  an  den  ihr  von  den 
Belgiern  gereichten  Strohhalm  klammerte. 

Die  Prioritäten-Besitzer  kamen  dabei 
verhältnismässig  gut,  die  Actionäre  aber 
um  desto  schlimmer  weg;  denn  der  am 
22.  November  1877  mit  der  Societe  beige 
geschlossene  Vertrag  lautete  im  Wesent- 
lichen dahin,  dass  die  Baarzahlung  der 
Prioritätenzinzen  je  nach  dem  Range  der 
Obligationen  um  ein  bis  drei  Jahre 
hinausgeschoben  und  inzwischen  durch 
eine  Vergütung  in  neuen  2°/0igen  Priori- 
täten ersetzt  werde,  ferner  dass  alle  un- 
begebenen  Actien  zu  vernichten  und  alle 
im  Umlaufe  befindlichen  [32.798  Stück 
ä  200  fl.]  einzuziehen,  statt  dieser  aber 
34.000  neue  Actien  ä  200  fl.  auszugeben 
seien,  wovon  5467  Stück  zur  Einlösung 
der  alten  Actien  im  Verhältnis  von  einer 
neuen  auf  je  sechs  alte  dienen,  167  Stück 
zur  Auswechslung;   der  Caution    bei    der 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


267 


Credit-Anstalt  verwendet  und  die  rest- 
lichen 28.366  Stück  im  Nennwerthe  von 
5,673.200  in  das  Eigenthum  der  Societe 
beige  übergeben  werden  sollten,  welche 
hiefür  die  Zang'sche  Forderung  und 
die  Schuld  an  die  Sparcasse  im  Ge- 
sammtbetrage  von  3,224.308  fl.  tilgt 
und  sodann  die  als  Pfand  bei  der  Spar- 
casse hinterlegten  unbegebenen  Priori- 
täten und  Actien  an  die  Gesellschaft 
zurückstellt.  Ueberdies  hatte  die  Societe 
beige  auf  die  Dauer  von  neun  Jahren 
[1878  bis  1886]  jenes  Reinerträgnis, 
welches  als  Dividende  zu  vertheilen 
käme,  für  sich  in  Beschlag  genommen 
und  die  Aufhebung  der  Sequestra- 
tion ausbedungen.  [Letztere  erfolgte  am 
31.  December  1877.] 

Vor  die  Alternative  gestellt:  Concurs 
oder  Vertrag  mit  der  Societe  beige, 
wählten  die  Actionäre  in  der  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  vom 
19.  December  1877  den  Vertrag  als  das 
kleinere  Uebel  und  räumten  den  Belgiern 
auch  sofort  drei  Stellen  im  Verwaltungs- 
rathe  ein.  Jetzt  zu  einem  Häuflein  der  »übri- 
gen Actionäre«  zusammengeschrumpft, 
wurden  die  vorhin  mit  Recht  beneideten 
ehemaligen  Vollbesitzer  der  Graz-Köf- 
lacher  Eisenbahn-  und  Bergbau-Gesell- 
schaft sich  denn  doch  allmählich  ihrer 
neuen  Lage  bewusst.  Das  alte  Unter- 
nehmen war  wohl  aufrecht  erhalten,  aber 
fünf  Sechstheile  des  Eigenthums  daran  war 
ihnen  —  gelinde  gesagt  —  entschwunden 
und  bezüglich  des  letzten  Sechstheiles  kein 
genügender  Einfluss  verblieben. 

Einzelne  der  alten  Actionäre  forderten 
also,  anlässlich  der  Generalversammlung 
vom  28.  Juni  1878,  die  Bestellung  eines 
Comit6  zur  Erforschung  der  Ursache 
des  grossen  Capital-Verlustes,  andere 
hingegen  verlegten  sich  aufs  Bitten  um 
Zugestehung  einiger  Einflussnahme  und 
Zuwendung  wenigstens  eines  Bruch- 
theiles  der  Erträgnisse  noch  vor  Ablauf 
der  neunjährigen  Sperre  —  woraufhin 
die  Belgier  sofort  versicherten,  stets  »in 
loyaler  Weise  vorgehen«  zu  wollen.  Ob 
ihnen  nun  mit  jener  Zusicherung  wirk- 
lich ernst  oder  nur  darum  zu  thun  war, 
beschwichtigend  einzuwirken  —  jedenfalls 
hatten  sie  das  Letztere  erreicht  und 
auch  guten  Grund  hiefür  gehabt. 


Auf  der  Tagesordnung  dieser  General- 
versammlung stand  nämlich  die  Beschluss- 
fassung über  die  Uebertragung  des 
Betriebes  an  die  Südbahn  auf  die 
Dauer  von  fünfzig  Jahren,  wie  sie  die 
Societe  beige  noch  vor  der  Eingehung 
des  Vertrages  mit  der  Graz-Köflacher 
Bahn  schon  mit  der  Südbahn  verabredet 
hatte  und  nun  ins  Werk  setzen  wollte. 
Nach  den  Präliminarien  war  der  Südbahn 
für  die  vollständige  Versehung  des  Be- 
triebsdienstes, einschliesslich  der  Erhal- 
tung und  Erneuerung  der  Bahn,  des 
Fahrparkes  und  des  Inventars,  eine  Ver- 
gütung von  4O°/0  der  Roheinnahme  in- 
solange  dieselbe  den  Betrag  von 
1,050.000  fl.  nicht  übersteigt,  für  den 
über  diesen  Betrag  hinausgehenden 
Ueberschuss  bis  zu  100. 100  fl.  45°/o  un& 
für  weitere  Ueberschüsse  5O°/0  zugesagt. 
Die  Vergütung  durfte  aber  nie  weniger 
als  320.000  fl.  pro  Jahr  betragen ;  auch 
sollte  die  Südbahn  berechtigt  sein,  für 
Erweiterungsbauten  und  Vermehrung  des 
Betriebsmaterials  io°/0  von  dem  Betrage, 
um  welchen  die  jährliche  Roheinnahme 
über  1,200.000  fl.  hinausreicht,  vorweg 
in  Abzug  zu  bringen  und  die  Fahr- 
betriebsmittel wie  ihre  eigenen  zu  ver- 
wenden. Das  Personale  sollte  auch 
weiterhin  dem  Pensionsfonds  der  Graz- 
Köflacher  Bahn  angehören,  die  Südbahn 
aber  jene  statutenmässigen  Leistungen 
auf  sich  nehmen,  welche  bisnun  der 
Graz-Köflacher  Bahn  oblagen. 

Die  Generalversammlung  genehmigte 
— *■  man  möchte  fast  sagen  selbstverständ- 
lich —  auch  dieses  Vorhaben  der  Societe 
beige  und  der  Betrieb  überging  am 
I.  September  1878  an  die  Südbahn,  wie- 
wohl der  Betriebsvertrag  selbst  erst  am 
5.  September,  als  dem  Tage  der  Zu- 
stimmung der  Regierung  endgiltig  abge- 
schlossen wurde.  Die  »alten«  Actionäre 
hatten  also  nicht  nur  den  grössten  Theil 
ihres  Capitals,  sondern  jetzt  auch  die 
eigene  Führung  des  Betriebes  verloren. 
Das  war  der  Schlusspunkt  einer  »Sani- 
rung«,  die  stets  an  jene  trübe  Zeit  er- 
innern wird,  in  der  es  möglich  ge- 
wesen, dass  eine  vorzügliche,  daher 
auch  bald  wieder  zu  neuem  Wohl- 
stande gelangte  Unternehmung  mit 
einem    gut   fundirten    Capitale    von 


268 


Ignaz  Konta. 


13,280.000  fl.,*)  wegen  einer  anfang- 
lichen Schuld  von  800.000  fl.  fast  dem 
Untergange  verfallen  und  einem  Ge- 
schicke, wie  das  eben  geschilderte, 
preisgegeben  sein  konnte. 

Uebrigens  erwies  sich  die  Society 
beige  sehr  fürsorglich  um  das  Gedeihen 
der  nun  sozusagen  ihr  gehörenden  Graz- 
Köflacher  Unternehmung;  sie  streckte 
Geld  vor  zum  Ankauf  zweier  neuer 
Kohlenwerke  und  suchte  sich  auch  in 
der  Verwaltung  nützlich  zu  machen.  Als 
die  vermehrte  Production  und  Verfrach- 
tung der  Kohle  eine  erhebliche  Steigerung 
der  Erträgnisse  in  nahe  Aussicht  stellte, 
fühlte  sie  sogar  ein  menschlich  Rühren 
für  die  alten  Actionäre,  zu  deren  Gunsten 
sie  nun,  gegen  entsprechende  Vergütung, 
die  Vertheilüng  einer  Dividende  freigeben 
wollte.  Das  meinte  sie  in  der  Weise  zu 
veranstalten,  dass  15.000  Seconde-Actien 
ä  200  fl.  ausgegeben  und  ihr  [der  SocieteJ 
in  Ablösung  aller  ihrer  Ansprüche  über- 
antwortet werden. 

Die  Generalversammlung  vom 
28.  Mai  1880  ging  ohneweiters  hierauf 
ein;  die  Regierung  aber  liess  die  Ab- 
machung nicht  zu  [Erlass  vom  12.  Juni 
1881],  weil  die  mit  einem  gleichen 
Stimmrechte,  wie  die  Stammactien,  aus- 
gestatteten Seconde-Actien,  die  ersteren 
vollends  erdrücken  konnten.  Es  wurde 
also  ein  anderer  Plan  entworfen :  die 
Societe  beige  verzichtet  auf  den  ferneren 
Einbehalt  der  Reinertragnisse,  wenn  ihr 
dafür  sowie  als  Zahlung  für  die  ob- 
erwähnten [neuen]  Darlehen  von  etwa 
800.000  fl.,  gesellschaftliche  Debitoren 
mit  400.000  fl.  und  2000  Stück  neue, 
mit  den  alten  vollkommen  gleichwerthige 
Actien  al  pari  übergeben  werden.  Der 
Verwaltungsrath  holte  hierüber  in  der 
ausserordentlichen  Generalversammlung 
vom  7.  November  1881  die  »Willens- 
meinungc  der  Actionäre  ein,  die  natür- 
lich bejahend  ausfiel  und  zugleich,  unter 
Widerrufung     früherer     Beschlüsse,     die 


*)  Nach  der  Sanirung  hatte  das  Gesell- 
schafts-Capital  hingegen  die  Höhe  von 
14,262.850  fl.  und  gliederte  sich  in  34.000 
[neue]  Actien  ä  200  fl.  =  6,800.000  fl.,  die 
alten  [drei]  Prioritäts-Anlehen  von  zusammen 
6.720.000  fl.  und  das  neue  2'/0ige  Anlehen 
von  743-850  fl. 


Erhöhung  des  Actiencapitals  durch  Aus- 
gabe von  4000  Actien  guthiess,  wovon 
2000  Stück  an  die  Societe  beige  ausge- 
folgt, die  anderen  2000  Stück  aber  für 
Investitionszwecke  aufbewahrt  werden 
sollten.  Auch  die  Regierung  genehmigte 
noch  vor  Ablauf  des  Jahres  1881  die 
neue  Vereinbarung. 

Im  Jahre  1882  erfreuten  sich  die 
Actionäre  nun  wieder  des  Bezuges  einer 
Dividende,  welche,  nach  den  Beschlüssen 
der  Generalversammlung  vom  28.  April 
gleich,  diesmal  11  fl.  betrug.  Demzufolge 
wurden  die  Actien  wieder  >mit  Zinsen 
gehandelt«  und  gingen  bald  über  pari. 
Das  benützte  die  Societe  beige,  um  einen 
Posten  von  24.000  Stück  aus  ihrem 
Actienbesitze  an  die  Unionbank  und  deren 
Consorten  zu  verkaufen.  Nimmt  man 
an,  dass  dies  zu  einem  Preise  ge- 
schah, welcher  dem  1882er  Jahres- 
Durchschnittscurse  der  »Köflacher« 
gleichkam  [217  fl.  95  kr.],  dann  hatten 
die  Belgier  einen  Erlös  von  rund 
5,230.000  fl.  und  sohin,  gegenüber 
ihrem  ersten  Aufwände,  einen  baaren 
Gewinn  von  mehr  als  2,000.000  fl.  er- 
zielt, ungerechnet  die  ihr  noch  ver- 
bliebenen 6366  Actien,  welche  damals 
einen  Werth  von  1,387.500  fl.  besassen 
und  ungerechnet  die  Eingänge  von  den 
übernommenen  Debitoren  [400.000  fl.], 
woraus  sie  sich  allerdings  noch  für  den 
zweiten  Aufwand  von  800.000  fl.  bezahlt 
zu  machen  hatte. 

Da  die  Gesellschaft  keinen  Eisenbahn- 
betrieb mehr  zu  führen  hatte,  trat  ihr 
langjähriger  und  verdienstvoller  General- 
Director,  Reinhold  Eisl,  welcher  unter 
den  Misslichkeiten  und  Aufregungen  der 
letzten  Jahre  bedeutenden  Schaden  an 
seiner  Gesundheit  erlitten,  am  1.  Juli 
1882  in  den  Ruhestand.  Zu  seinem  Nach- 
folger wurde  der  gesellschaftliche  Berg- 
director,     Josef    Rochlitze r,     berufen. 

Beinahe  wäre  es  wie  der  Graz-Köf- 
lacher  auch  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn  ergangen,  der  ebenfalls  die  Societe 
beige,  und  zwar  zunächst  mit  einem 
7°/0igen,  primo  loco  sichergestellten,  aber 
auch  durch  zwei  Jahre  gar  nicht  und  später 
nur  halbjährig  kündbaren  Darlehen  von 
4,500.000  Reichsmark  zu  Hilfe  gekommen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


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270 


Ignaz  Konta. 


Bis  zu  diesem  Stadium  sind  die  Drangsale 
der  Gesellschaft  schon  an  früherer  Stelle 
besprochen  [siehe  Seite  234  f.] ;  wir 
brauchen  uns  also  nurmehr  mit  der  letzten 
Etape  zu  beschäftigen.  Als  aus  jenem 
Darlehen  die  Schuld  an  Klett  &  Comp,  im 
Betrage  von  3,814.290  Reichsmark  getilgt 
war,  ging  der  Verwaltungsrath,  der  bereits 
zwei  Vertreter  jener  Geldgeberin  in  seine 
Mitte  aufgenommen  hatte,  daran,  das 
Sanirungs-Pro  visorium  ehemöglichst  durch 
eine  dauernde  Regelung  der  finanziellen 
Verhältnisse  der  Gesellschaft  zu  ersetzen. 

Zugleich  begann  die  Societe  beige 
auch  hier  ihre  Netze  weiter  auszuwerfen 
und  schlug  vor:  das  Darlehen  möge  in 
ein  5°/0iges  Prioritäts  -  Anlehen  umge- 
wandelt werden,  das  sie  al  pari  über- 
nimmt ;  an  Stelle  der  bestehenden  Priori- 
täts-Anlehen  seien  je  nach  ihrer  Rang- 
ordnung —  A°lolSe  und  3  %ige  Obligationen 
auszugeben ;  der  Staatsvorsehuss  von 
1,200.000  fl.  sei  gleichfalls  in  3°/oigen 
Prioritäten  zurückzuzahlen;  von  den  be- 
stehenden 33.000  Actien  ä  200  fl.  sollen  8500 
Stück  eingezogen  und  vernichtet,  ebenso- 
viele  den  Actionären  belassen,  die  übrigen 
16.500  Stück  aber  der  Societe  beige  aus- 
geliefert werden.  Die  Prioritäten-Besitzer 
sollten  also  nicht  blos  an  die  zweite  Stelle 
rücken,  sondern  auch  Zinsen  einbüssen, 
die  Actionäre  aber  mit  einem  Schlage 
drei  Viertheile  ihres  Capitals  verlieren. 

Dass  diese  sich  dagegen  sträubten  und, 
selbst  nachdem  die  Societe  beige  ihren 
»Vorschlag«  etwas  verbessert  hatte,  den- 
selben in  der  ausserordentlichen  General- 
versammlung vom  27.  December  1877 
[zweite  Sitzung]  ablehnten,  scheint  die 
Belgier  beleidigt  zu  haben,  denn  sie  zogen 
ihren  Antrag  stolz  zurück.  Sie  hatten  aber 
Schule  gemacht;  die  Dresdener  Bank  in 
Gemeinschaft  mit  den  Gebrüder  Sulzbach, 
das  Bankhaus  Erlanger  u.  A.  traten  mit 
ähnlichen  Propositionen  hervor,  brachten 
jedoch  damit  nichts  anderes  zu  Wege, 
als  eine  neuerliche  Vermehrung  der 
schier  zahllosen  Generalversammlungen 
und  Conferenzen. 

Inzwischen  war  aber  die  Frage,  ob 
denn  die  Dux-Bodenbacher  Bahn  über- 
haupt noch  sanirungsbedürftig  sei,  auf- 
geworfen und  von  der  öffentlichen 
Meinung    sofort    in    lebhafte   Erörterung 


gezogen  worden,  was  freilich  den  Sani- 
rungswerbern  wenig  passte.  Die  General- 
versammlungen vom  21.  und  27.  Decem- 
ber 1877  sollten  am  31.  Januar  1878 
ihre  dritte  Fortsetzung  .  finden  und  in 
dieser  Gelegenheit  bieten  zur  neuerlichen 
»Berathung  und  Beschlussfassung  über 
die  definitive  Regelung  der  finanziellen 
Verhältnisse  der  Dux-Bodenbacher  Bahn«. 
Gleichzeitig  lud  auch  das  »Dresdener 
Comite  der  Prioritäten- Besitzer«  diese 
auf  den  21.  Januar  zu  einer  Versamm- 
lung in  Dresden  ein.  Für  die  letztere 
hatten  — ■  sehr  bemerkenswerther  Weise 
—  die  Anmeldungen  bei  der  Dresdener 
Bank  zu  geschehen.  Für  die  erstere  Ver- 
sammlung rief  der  Publicist  und  uner- 
schrockene Vertheidiger  bedrohter  Ac- 
tionär-Interessen,  Ludwig  Schönberger 
in  Wien,  der  schön  die  Fusion  mit  der 
Aussig-Teplitzer  Bahn  heftig  bekämpft 
hatte,  zur  regen  Betheiligung  auf.  Und 
während  so  die  Spannung  sich  zusehends 
steigerte,  führte  der  gesellschaftliche 
Director,  Johann  Pechar,  in  einer  Denk- 
schrift den  Beweis,  dass  die  Sanirungs- 
frage,  »wenn  man  sie  überhaupt  für 
begründet  halten  will,  sicherlich  keine 
dringende  sei,  demnach  die  Unternehmung 
besser  sich  selbst  überlassen  bleibe  bis 
zu  dem  unmöglich  ferneren  Zeitpunkte, 
in  welchem  die  Regelung  ihrer  Verhält- 
nisse  ohne  Hinopferung  des  Vermögens 
oder  der  Selbständigkeit  der  Gesellschaft 
möglich  geworden«. 

Trotzdem,  wie  auch  entgegen  der  von 
den  Curatoren  in  der  Dresdener  Versamm- 
lung der  Prioritäre  abgegebenen  Er- 
klärung, dass  »eine  Verkürzung  der  Zinsen, 
insbesondere  eine  dauernde,  ganz  und  gar 
nicht  erforderlich  sei«,  sprach  sich  die 
Versammlung  zu  Gunsten  der  Kürzung 
aus,  wenn  die  Wiederaufnahme  der  Zinsen- 
zahlung sogleich  erfolge.  Dieses  Votum 
sah  einer  Befürwortung  der  Offerte,  welche 
die  Dresdener  Bank  jetzt  zu  stellen  im 
Begriffe  war,  zum  Verwechseln  ähnlich; 
denn  das  am  30.  Januar  1878  thatsäch- 
lich  dem  Verwaltungsrathe  zugekommene 
Angebot  [dessen  vollständige  Wiedergabe 
viel  zu  umständlich  wäre]  lief  im  Wesent- 
lichen auf  eine  bleibende  Herabsetzung  der 
Prioritäten-Verzinsung  und  auf  die  Annul- 
lirung   des  halben  Actiencapitals    hinaus. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


271 


Noch  überraschender  war  die  Ver- 
leugnung der  Pechar'schen  Denkschrift 
von  Seite  des  Verwaltungsrathes,  welcher 
dieselbe,  ohne  auf  sie  näher  einzugehen, 
in  der  Generalversammlung  vom  3  I.Januar 
1878  als  eine  Privatarbeit  des  Directors 
hinstellte,  was  gewiss  mit  dazu  beitrug, 
dass  die  Offerte  der  Dresdener  Bank 
angenommen  wurde,  welche  letztere  sich 
daher  schon  als  neue  Machthaberin  der 
Gesellschaft  wähnte,  und  auch,  zusammen 
mit  dem  Verwaltungsrathe,  sofort  die 
Reducirung  des  alten  Actiencapitals  sowie 
die  Einladung  der  Actionäre  zum  Bezüge 
der  neuen  Titel  verlautbarte. 

Da  trat  aber  derCurator  der  Prioritäten 
IL  und  III.  Emission,  Dr.  Golitschek, 
dazwischen,  indem  er  sowohl  bei  der 
Curatel-Behörde,  als  auch  beim  Handels- 
ministerium Einsprache  erhob,  was  sofort 
zur  Folge,  hatte,  dass  das  Kreisgericht 
Leitmeritz  die  Prioritäten -Besitzer  zur 
Einvernehmung  über  die  Sanirung  ein- 
berief. Die  Tagfahrten  fanden  am  3.  und 
4.  April  statt,  lieferten  aber  kein  ent- 
scheidendes Ergebnis,  weil  die  neuerlich 
ausgesprochene  Annahme  der  Dresdener 
Offerte  nochmals  von  der  Curatel  ab- 
lehnend beantwortet  wurde ;  hingegen 
brachten  sie  einen  interessanten  Zwischen- 
fall. Die  Belgier  liessen  ihre  Minen 
springen,  um  der  Dresdener  Bank  das 
Sanirungs-Geschäft  zu  entwinden  oder 
doch  zu  verderben ;  sie  thaten  entrüstet, 
dass  bei  der  »vollständig  solventenc  Dux- 
Bodenbacher  Bahn  eine  Verkürzung  der 
Gläubiger  sollte  vorkommen  dürfen, '  und 
machten  sich  ihrerseits  anheischig,  mannig- 
fache Erleichterungen,  insbesondere  die  un- 
verweilte  Wiederaufnahme  der  Prioritäten- 
Verzinsung  eintreten  zu  lassen,  falls  die 
Dresdener  Offerte  abgelehnt  würde,  was 
die  Behörde  sofort  zu  Protokoll  nahm. 

Hiemit  und  mit  einer  gleich  darnach 
gestellten  neuen,  sehr  gewundenen  Offerte, 
in  der  sie  aber  an  dem  Verlangen,  dass 
die  Actionäre  der  »vollständig  solventen« 
Bahn  die  Hälfte  ihres  Besitzes  einbüssen 
sollen,  fast  gar  nichts  änderten  —  glaubten 
die  Belgier  wieder  das  Heft  in  ihre  Hände 
zu  bekommen.  Die  Dresdener  Bank  über- 
bot sie  aber  durch  Zusatzanträge  zur 
eigenen  Offerte,  gewann  damit  die 
Majorität   der  Generalversammlung  vom 


6.  Mai  1878,  und  bewirkte  mit  Hilfe 
derselben  eine  völlige  Neuwahl  des  Ver- 
waltungsrathes, was  gleichbedeutend  war 
mit  einem  förmlichen  Ausschlüsse  der 
Belgier.  Diese  gaben  sich  aber  nicht 
geschlagen,  sondern  lösten  in  aller  Stille 
dem  Staate  seine  Forderung  an  die  Gesell- 
schaft zum  vollen  Werthe  von  1,200.000  fl. 
ab,  um  gegen  die  letztere  ein  neues 
Pressionsmittel  zu  gewinnen.  Es  war 
daher  kaum  abzusehen,  zu  welchen 
weiteren  Sonderbarkeiten  diese  Kämpfe 
und  Ränke  noch  führen  mochten.  Zum 
Nutzen  der  Gesellschaft  fanden  sie  jedoch 
ein  jähes  Ende,  indem  die  Curatel-Behörde 
mit  Bescheid  vom  8.  Juni  1878  die  ge- 
sammte  Offerte  der  Dresdener  Bank 
»wegen  Rechts  Verkürzung  der  Prioritäten- 
Besitzer«   verwarf. 

Die  bitteren  Erfahrungen,  welche  die 
Theilhaber  und  Gläubiger  der  Gesellschaft, 
namentlich  in  der  letzten  Zeit,  mehr  als 
zur  Genüge  gemacht  hatten,  schlössen 
dieselben  enger  aneinander,  und  vereinigten 
sie  endlich  zur  Verwerthung  und  Aus- 
nützung der  eigenen  Kraft.  Kurze  Zeit 
hindurch  bestanden  zwar  noch  Meinungs- 
verschiedenheiten über  die  Durchführung 
der  Selbsthilfe;  als  jedoch  derCurator 
Dr.  Golitschek  einen  Plan  ersann,  der 
die  Gegensätze  thunlichst  ausglich,  ging 
die  Sache  nunmehr  rasch  von  Statten. 

Jener  Plan  beruhte  im  Wesentlichen 
auf  folgenden  Grundlagen:  »Die  Forde- 
rung der  Societe  beige  von  4,500.000 
Reichsmark  wird  aus  den  vorhandenen 
Betriebs-Ueberschüssen  bis  1.  November 
1879  bezahlt,  das  etwa  Fehlende  im 
Wege  einer  Anleihe  beschafft ;  am  1 .  No- 
vember 1879  wird  die  Verzinsung  und 
Tilgung  der  Prioritäten  aller  Emissionen 
wieder  aufgenommen ;  die  an  die  Societe 
beige  übergegangene  Forderung  des 
Staates  von  1,200.000  fl.  wird  durch 
Aufnahme  einer  höchstens  mit  6°/0  ver- 
zinslichen und  den  Prioritäten-Dienst 
nicht  beeinträchtigenden  schwebenden 
Schuld  bis  Ende  October  1879  zurück- 
gezahlt; zur  Fundirung  dieser  Schuld 
werden  die  bei  der  Society  beige  ver- 
pfändeten und  nun  zurückfliessenden 
Goldprioritäten  im  Betrage  von  nom. 
1,599.900  fl.  verwendet;  die  verfallenen 
Prioritäten-Coupons  werden  gegen  5°/o'ge 


272 


Ignaz  Konta. 


Prioritäts-Actien  zum  Curse  von  90  ein- 
gelöst. 

Der  Plan  wurde  am  16.  November 
1878  vom  Verwaltungsrathe,  und  am 
18.  Februar  1879  von  der  Curatel- 
Behörde  genehmigt.  Mittlerweile  war 
mit  den  Belgiern  [die  noch  mit  einem 
Recurse  an  das  Obergericht  gegen  die 
neue  Sachlage  anstürmen  wollten,  den- 
selben aber  alsbald  zurücknahmen]  ein 
Abkommen  hinsichtlich  der  Empfang- 
nahme der  Zahlungen  getroffen,  und  eine 
beschränkte  Offertverhandlung  wegen  der 
Begebung  der  vorerwähnten  Goldpriori- 
täten ausgeschrieben  worden,  auf  welche 
hin  zwei  Angebote  einliefen,  von  denen 
jenes  der  Dresdener  Bank  und  Consorten 
mit  dem  Curse  von  72%  in  Gold  ange- 
nommen wurde. 

Im  selben  Masse  als  dieser  Stand  der 
Dinge  grundverschieden  war  von  der 
unerquicklichen,  oft  auch  bedrohlichen 
Lage,  in  welcher  die  Gesellschaft  sich 
jahrelang  befunden  hatte,  war  jetzt  auch 
die  Stimmung  der  Actionäre  eine  andere. 
»Freude  über  die  glücklich  überstandenen 
Drangsale  und  froher  Muth  zum  Eintritte 
in  eine  neue  bessere  Aera«  sprach  sich 
im  ganzen  Verlaufe  der  Generalversamm- 
lung vom  8.  Mai  1879  aus;  alle  die  vor- 
erwähnten Massnahmen,  wie  auch  die 
Vereinbarungen  mit  den  Curatoren  fanden 
einhellige  Zustimmung,  und  als  der 
Publicist  Schönberger  in  einer  kernigen 
Rede  ausführte,  wie  mit  eben  diesen 
Beschlüssen  »die  Krönung  des  Gebäudes 
der  Selbstsanirung  erfolgt  sei  —  einer 
Sanirung,  welche  er  allen  bedrängten 
österreichischen  Eisenbahnen  als  Vorbild 
hinstellen  möchte  —  und  zu  deren  Er- 
zielung wesentlich  beigetragen  zu  haben, 
ihm  zur  besonderen  Genugthuung  ge- 
reiche«, da  erntete  er  allseitige  Dankes- 
bezeugung. 

Die  eingetretene  Wandlung,  so  sehr 
sie  auch  der  Ausfluss  blosser  Natürlich- 
keit gewesen,  erschien  dennoch  allen 
Betheiligten  wie  ein  Wunder.  Vor  drei 
Jahren  mit  etwas  über  neun,  dann  gnaden- 
weise mit  zehn  Millionen  bewerthet, 
gleich  darauf  als  dem  Concurse  verfallen 
angesehen  und  von  keinem  heimischen 
Finanzinstitute  einer  loyalen  Hilfeleistung 
werth    gehalten,    nachher    zum  Spielball 


geschäftslüsterner  Ausländer  geworden, 
stand  die  Dux-Bodenbacher  Bahn  nun  mit 
einem  Male  gesund  und  kräftig  da,  sich 
selbst  zurückgegeben,  mit  intactem  Capi- 
tale  und  wohl  ausgerüstet  für  den  ihr 
zukommenden  grossen  Verkehr.  Die  Ver- 
suche der  Krankmachung  und  Wieder- 
herstellung dieser  Unternehmung  und 
die  dabei  zu  Tage  getretenen  Machen- 
schaften und  Seltsamkeiten,  müssen  daher 
gleichfalls  allen  Eisenbahn- Verwaltungen 
eine  laute  Mahnung  und  Warnung  bleiben. 

Am  7.  Juni  1879  erhielten  die  Sta- 
tu ten-Aenderungen  die  behördliche  Geneh- 
migung ;  am  2 1 .  Juni  wurde  der  Vertrag 
mit  den  Curatoren  abgeschlossen,  am 
18.  October  der  Umtausch  der  gestunde- 
ten Prioritäten-Coupons  gegen  Prioritäts- 
Actien  ins  WTerk  gesetzt,  am  31.  October 
die  letzte  Schuldpost  an  die  Societe  beige 
gezahlt  und  am  9.  December  1879  die 
Curatel  aufgehoben.  Pro  1880  genossen 
auch  die  Stammactien  bereits  wieder 
eine  4%ige  Dividende  und  pro  1881  so- 
gar schon  eine  i°/0ige  Superdividende, 
die  dann  stetig  zunahm.  Im  selben  Ver- 
hältnisse bewegte  sich  der  Curs  der 
Actien  nach  aufwärts ;  er  stieg  noch  im 
Jahre  1879  von  45  auf  io2-8o,  erreichte  im 
Jahre  1881  die  durchschnittliche  Höhe  von 
302*36  und  im  Jahre   1883  jene  von  377. 

Der  Capitalstand  der  Gesellschaft 
war  bei  ihrem  Eintritte  in  die  neue  Aera 
folgender :  33.000  Stammactien  ä  200  fl. 
=  6,600.000  fl.,  16.119  Prioritäts-Actien 
a  100  fl.  =  1,61 1.900  fl.,  46.000  Silber- 
prioritäten ä  150  fl  sa  9,900.000  fl., 
J3-333  Goldprioritäten  ä  150  fl.  = 
1,999.950  fl.,    insgesammt  20,111.880  fl. 

Ein    wesentlich   anderes  Bild  zeigten 
die  Fortsetzungen  der  Sanirung  der  Erz- 
herzog   Albrecht-Bahn,    die    aber 
i  gleichwohl   an  dieser  Stelle  ihre  Bespre- 
I  chung    finden    mögen.     Wir    sind    ihnen 
j  bereits  bis    zur  5Ou/0igen  Belehnung  der 
j  Second-Prioritäten  im  Betrage  von  nom. 
4,000.000  fl.  durch  das  Haus  Erlanger 
■■  und    den  gescheiterten  Fusionsversuchen 
:  gefolgt  [siehe  Seite  220  f.]    und  können 
nun  dort  anknüpfen.  Die  Belehnungsfrist 
nahte  kaum  ihrem  Ende,    als    das  Haus 
Erlanger    schon  Zahlung    verlangte.     Es 
|  wäre  also  gleich  jetzt  wieder  zu  ernsten 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


273 


Verlegenheiten  gekommen,  wenn  nicht 
die  Regierung  den  Wiener  Bankverein 
vermocht  hätte,  die  Belehnung  zu 
übernehmen.  Auf  die  von  der  Gesell- 
schaft nachgesuchte  Erhöhung  der  Staats- 
garantie bis  zu  dem  im  Gesetze  vom 
25.  Mai  1871  vorgesehenen  Maximal- 
betrage, das  ist  um  noch  42.000  fl.  jähr- 
lich, wie  dies  für  den  Fall  der  Fusio- 
nirung  in  Aussicht  genommen  war,  ging 
die  Regierung  aber  nicht  ein.  Die  Gesell- 
schaft musste  sich  mit  einigen  ander- 
weitigen Zugeständnissen,  wie  mit  der 
Austragung  der  Collaudirungs-Mängel  zu 
Lasten  des  Betriebes,  dann  der  Herab- 
minderung der  ihr  obliegenden  Verpflich- 
tung zur  Hinterlegung  von  Reserven 
[Protokoll  vom  23.  October  1876]  begnü- 
gen und  sich  dadurch  forthelfen,  dass  sie 
die  Actiencoupons  seit  1875  nur  mit  je 
I   fl.    oder    überhaupt  gar  nicht  einlöste. 

Letzteres  war  auch  hinsichtlich  des 
Juli-Coupons  vom  Jahre  1878  der  Fall, 
obzwar  die  Regierung  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  14.  December  1877  die 
in  den  Jahren  1873 — 1875  aufgelaufenen 
Betriebsdeficite  anerkannt  und  zufolge 
des  Protokolls  vom  18.  Mai  1878  zur 
Bedeckung  in  dem  vereinbarten  Betrage 
von  245.5480.  79  kr.  übernommen  hatte; 
denn  derselbe  wurde  der  Gesellschaft 
nicht  zur  freien  Verfügung  überlassen, 
sondern  für  Brücken- Reconstructionen, 
für  Reserven  und  mit  105.000  fl.  zur 
Zahlung  an  die  Mailänder  Baubank 
[respective  deren  Concessionärin]  be- 
stimmt, da  die  Gesellschaft,  nach  langem 
Hader  mit  dieser  vertragbrüchigen  Unter- 
nehmung, sich  zu  einem  Vergleiche  ver- 
stand, wonach  dieselbe  mit  190.000  fl. 
abgefunden  wurde,  wovon  die  Summe 
von  100.000  fl.  vom  1.  Juli  1878,  der 
Rest  sammt  5"/0  Zinsen  in  fünf  gleichen 
Halbjahrsraten  zu  entrichten  war. 

So  schleppte  sich  die  Sanirungsfrage 
hin,  bis  endlich  im  ersten  Drittel  des 
Jahres  1879  die  Begebung  der  Second- 
Prioritäten  gelang.  Die  Allgemeine  öster- 
reichische Boden-Creditanstalt  und  der 
Wiener  Bankverein  stellten  im  Februar 
das  gemeinsame  Angebot  auf  Uebernahme 
jener  Prioritäten  [4,000.000  fl.  in  Gold] 
zum  Curse  von  8o°/0,  besserten  dann 
Vi0/0  zu,    worauf  mit  Genehmigung  der 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Regierung  der  Zuschlag  erfolgte  und  die 
Generalversammlung  vom  26.  Mai  1879 
zur  Kenntnis  nehmen  konnte,  dass  »für 
die  Actionäre  nunmehr  der  Zeitpunkt 
gekommen  sei,  in  welchem  sie  über  jene 
Rente  verfügen  können,  welche  ihnen 
nach  der  Bedeckung  des  Erfordernisses 
für  die  Verzinsung  und  Tilgung  der 
Prioritäten  von  der  Staatsgarantie  er- 
übrigt«. Thatsächlich  wurden  die  Actien- 
coupons fortan  regelmässig  mit  I — 2  fl. 
eingelöst. 

Wichtiger  für  den  Bestand  der  Gesell- 
schaft war  jedenfalls,  dass  sie  nun 
schuldenfrei  war.  Mit  dem  Erlöse  für 
die  Prioritäten  wurde  nämlich  sofort  die 
Schuld  an  die  Sparcasse  mit  2,300.000  fl. 
getilgt  und  die  vertragsmässige  Dotirung 
der  Fonds  [für  Brückenbau  mit  750.000  fl., 
für  allgemeine  Reserven  mit  200.000  fl.] 
vorgenommen.  In  dieser  Beziehung 
konnte  die  Sanirung  jetzt  wirklich  als 
beendet  gelten.  Eine  Erhöhung  der 
Actienrente  stand  nicht  mehr  zu  erwarten, 
so  lange  das  durch  die  Second-Priori- 
täten  gesteigerte  Erfordernis  für  den 
Titeldienst  keine  Aenderung  erfuhr. 

Zugleich  mit  der  Ordnung  der  finan- 
ziellen Verhältnisse  trat  auch  eine  Aen- 
derung in  der  Geschäftsleituno;  der  Ge- 
sellschaft ein,  indem  statt  des  bisherigen 
General-Secretärs  der  Vice-Secretär  im 
Handelsministerium,  Dr.  Franz  Liharzik, 
der  als  Stellvertreter  des  landesfürstlichen 
Commissärs  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn 
deren  Verhältnisse  genau  kannte,  auf 
diesen  Vertrauensposten  berufen  wurde. 
Die  Gesellschaft  kam  jedoch  nicht  mehr 
dazu,  weitergehende  Reformen  einzu- 
führen ;  denn  schon  nach  Jahresfrist  ver- 
fügte die  Regierung  auf  Grund  des  §  22 
der  Concessions-Urkunde  die  Uebernahme 
des  Betriebes  der  Erzherzog  Albrecht- 
Bahn  in  die  Verwaltung  des  Staates 
und  brachte  diese  Verfügung,  nachdem 
die Uebernahms-» Modalitäten«  am  17. Juli 
1880  protokollarisch  festgestellt  worden 
waren,  am  I.  August  1880  zum  Voll- 
zuge. Hiebei  ernannte  sie  den  Director  der 
Ersten  Ungarisch-Galizischen  Eisenbahn, 
Regierungsrath  Max  Pichler,  zum  k.  k. 
Betriebsverwalter  und  den  obenerwähnten 
gesellschaftlichen  General -Secretär  zum 
Betriebs  Verwalter -Stellvertreter. 

18 


274 


Ignaz  Konta. 


Diesen  Massnahmen  wurde  von  Seite  der 
Oeffentlichkeit  sofort  eine  symptomatische 
Bedeutung  beigelegt;  man  folgerte  daraus, 
da  nunmehr  schon  vier  jüngere  galizi- 
sche  Bahnen  sozusagen  unter  einer  Ver- 
waltung vereinigt  waren,  auf  ein  Wieder- 
aufleben des  Transversalbahn-Projectes. 
Indessen  vergingen  bis  zur  Verwirklichung 
desselben  noch  einige  Jahre. 

Weiterhin  gab  es  also  eigentlich  nur 
noch  zwei  nothleidende  Bahnen,  die 
Mährische  Grenzbahn,  welche,  nach- 
dem ihr  im  Jahre  1879  statt  der  von  der 
Regierung  vorgeschlagenen  Garantie-Er- 
höhung blos  ein  Vorschuss  von  75.000  fl. 
[siehe  Seite  234]  zur  noch  einmaligen  Voll- 
zahlung der  Prioritätenzinsen  —  und  auch 
dieser  unter  parlamentarischem  Donner 
und  Blitz  —  gewährt  worden  war,  fortan 
sich  selbst  überlassen  blieb,  und  die 
Mährisch-Schlesische  Central- 
bahn,  deren  Geschicke  wir  bis  zum 
Aufgeben  des  Baues  der  Linie  Trop- 
pau  -  Vlarapass  schon  früher  kennen 
lernten  [siehe  Seite  100  ff.].  Von  da  an 
ging  es  mit  der  Gesellschaft  rasch  ab- 
wärts. 

Weder  das  Gesetz  vom  3.  Mai  1874, 
welches  zur  neuen  Sicherstellung  dieser 
[ursprünglich  ohne  jede  staatliche  Be- 
günstigung concessionirten]  Linie  eine 
Staatsgarantie  von  51.800  fl.  pro  Meile 
auf  die  Dauer  von  20  Jahren  gewährte, 
noch  das  Gesetz  vom  28.  März  1875, 
welches  die  Garantie  auf  90  Jahre  zu- 
gestand, führte  zur  Wiederaufnahme  des 
Baues.  Die  Concessionäre  der  Waagthal- 
bahn, auf  deren  Bewerbung  gehofft  wurde, 
waren  selbst  in  Bedrängnis  gerathen, 
andere  Unternehmer  fanden  sich  nicht 
ein,  die  eigene  Bewerbung  der  Mährisch- 
Schlesischen  Gentralbahn  blieb  erfolglos, 
weil  die  Regierung  garantirte  und  un- 
garantirte  Linien  nicht  mehr  in  eine 
Hand  geben  wollte,  und  der  Staatsbau, 
den  das  letzterwähnte  Gesetz,  für  den 
Fall,  als  eine  Concessionirung  nicht  zu- 
stande käme,  vorgesehen  hatte,  wurde 
nicht  unternommen.  Die  von  der  Ge- 
sellschaft bereits  vollführten  Leistungen 
auf  der  Strecke  Troppau  -  Zauchtl  ver- 
loren aber  immer  mehr  an  Werth,  je 
fraglicher  ihre  Wiedernutzbarmachung 
sich  gestaltete. 


Das  verschlimmerte  natürlich  die  Lage 
der  Gesellschaft,  denn  die  betreffenden 
Kosten  überstiegen  den  Betrag  von 
4,500.000  fl.  und  mit  dem  Schwinden 
ihres  Werthes  nahm  auch  die  Sicher- 
stellung der  für  sie  ausgegebenen  Titel*) 
ab.  Eine  Bedrohlichkeit  war  eingetreten, 
als  am  1.  Juli  1874  der  Prioritäten-Coupon 
uneingelöst  blieb,  dieselbe  wurde  jedoch 
durch  einen  mit  dem  zum  Curator  be- 
stellten Hof-  und  Gerichts- Advocaten 
Dr.  Karl  G  a  b  e  r  abgeschlossenen  Ver- 
gleich und  als  dieser  über  Recurs 
ausländischer  Besitzer  von  Prioritäten 
I.  Emission  wieder  aufgehoben  werden 
musste,  durch  ein  Sich erstellungs-Protokoll 
vorübergehend  abgewendet.  Sie  lebte  in- 
des bald  wieder  auf;  die  Prioritäten- 
Besitzer,  auch  hier  durch  ausländische 
Comitis  gegängelt,  wollten  die  Bahn 
kurzweg  an  sich  nehmen,  die  Obligationen 
in  Prioritäts-Actien  umwandeln,  allenfalls 
sogar  das  ganze  Unternehmen  zwangs- 
weise veräussern  [Herbst   1876]. 

Die  Gesellschaft  ihrerseits  wehrte  sich 
so  gut  sie  konnte.  Dabei  kam  ihr  zu 
Statten,  dass  das  Consortium  des  Grafen 
August  Breuner  [Waagthalbahn],  trotz 
der  Schwierigkeiten,  mit  denen  es  selbst 
zu  kämpfen  hatte,  denn  doch  die  Anwart- 
schaft auf  die  Concession  der  Linie  Troppau- 
Vlarapass  erlangt  und  daraufhin  auch 
schon  eine  Anzahlung  von  80.000  fl.  auf 
die  zu  übernehmenden  Entitäten  dieser 
Linie  an  die  Gesellschaft  geleistet  hatte 
sowie  ferner,  dass  der  infolge  des  russisch- 
türkischen Krieges  [1877]  eingetretene 
rege  Begehr  nach  Fahrbetriebsmitteln, 
den    Abverkauf    einiger   Maschinen    und 


*)  Nach  der  Einstellung  des  Baues  hatte 
die  Unionbank,  als  finanzirendes  Institut,  von 
den  für  die  Linie  Troppau  -  Vlarapass  aus- 
gegebenen Werthen  28.000  Actien  und  40.000 
Prioritäten  zurückgekauft,  so  dass  von  ersteren 
nur  noch  17.000  Stück  ä  200  fl.,  von  letzteren 
5000  Stück  ä  300  fl.  im  Umlaufe  waren. 
Mittels  Schiedsspruches  des  Handelsmini- 
steriums vom  29.  Juli  1875  wurden  die  noch 
verwendbaren  Bauten  und  Materialien  dieser 
Linie  mit  1,035.000  fl.  bewerthet,  ungerechnet 
jedoch  die  Troppauer  Bahnhof  Anlagen  im 
Herstellungswerthe  von  730.000  fl.  und  der 
Fahrbetriebsmittel  im  Anschaffungspreise  von 
618.000  fl.;  diese  sollten  in  Verwendung,  be- 
ziehungsweise imEigenthume  derGesellschaft 
verbleiben. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


275 


IS* 


276 


Ignaz  Konta. 


Wagenserien  aus  dem  für  die  neue  Linie 
bestimmt  gewesenen  Fahrparke,  zu  gutem 
Preise  ermöglichte  und  schliesslich  ein 
Vergleich  mit  der  Bauunternehmung,  aus 
welchem  der  Gesellschaft  ein  Betrag  von 
1 5.000  fl.  zufloss.  Diese  Einnahmen  boten 
nämlich  die  Mittel  zur  vergleichsweisen 
Befriedigung  der  Gemeingläubiger  [aus- 
genommen die  Unionbank  mit  der  For- 
derung von  375.OOO  fl.]  und  zur  Einlö- 
sung des  kleinen  Restes  der  Prioritäten 
II.  Emission. 

Allein  diese  letztere  Tilgung  war  er- 
schwert durch  Meinungsverschiedenheiten 
der  Curatoren,  deren  die  Gesellschaft 
schon  seit  Ende  1875  drei  besass.  *) 
Erst  nach  vielfachen  Verhandlungen 
kamen  die  Curatoren  zu  einer  Einigung, 
die  aber  in  den  seitens  der  Curatel- 
Behörde  auf  den  27.  und  29.  Juli  1878 
ausgeschriebenen  Tagfahrten  zur  An- 
hörung der  Prioritäre,  von  diesen  oder, 
richtiger  gesagt,  nur  von  den  Besitzern 
der  Obligationen  I.  Emission  abgelehnt 
wurde.  Während  nämlich  die  anderen 
Prioritäre  sich  mit  der  Ablösung  ihrer 
Titel  um  den  Preis  von  61  fl.  pro  Stück 
grundsätzlich  einverstanden  erklärten, 
verwarfen  die  ersteren  den  Vergleichs- 
entwurf und  ermächtigten  die  zugleich 
gewählten  Vertrauensmänner  zu  neuer- 
lichen Verhandlungen.  Ursache  dieser 
Haltung  waren  die  Absichten,  welche 
ihr  Special-Curator  mit  dem  Vergleiche 
verband  und  auch  offen  darlegte. 
Dr.  J  o  h  a  n  n  y  hatte  in  einer  vorzüglich 
ausgeführten,  mit  zahlreichen  Actenstücken 
belegten  Denkschrift  nicht  nur  die  Vor- 
gänge bei  der  Gründung  der  Mährisch- 
Schlesischen  Centralbahn   in    ein    grelles 


*)  Der  eigentliche  Curator,  Dr.  Gab  er, 
wollte  damals  wegen  der  von  Lieferanten 
angestrengten  oder  angedrohten  gerichtlichen 
Klagen  gegen  die  Gesellschaft,  diesen  mit 
einer  Executionsführung  zuvorkommen,  be- 
theiligte sich  jedoch  über  Vorstellung  des 
Verwaltungsrathes,  der  schon  auch  seiner- 
seits die  Concurs-Eröffnung  herbeizuführen 
.  gedachte,  an  der  Vereinbarung  eines  Ver- 
gleiches mit  sämmtlichen  Gläubigern,  welcher 
aber  von  der  Curatel-Behörde  nicht  genehmigt 
wurde,  sondern  dieselbe  veranlasste,  für 
jede  der  beiden  Prioritäten-Gattungen  einen 
Curator  ad  actum  zu  bestellen,  und  zwar 
Dr.  Lothar  Johann  y  für  die  I.  und  Dr.  Hein- 
rich Jacques  für  die  II.  Emission. 


Licht  gestellt,  sondern  auch  unumwunden 
dargelegt,  dass  die  neben  der  Ablösung 
der  Prioritäten  II.  Emission  zu  be- 
wirkende Erwerbung  der  Bahn  durch 
die  Besitzer  der  sodann  wieder  allein 
bestehenden  Besitzer  der  Prioritäten 
I.  Emission,  das  richtigste  Mittel  zur 
Wahrung  ihrer  Interessen  darstelle  und 
daher  von  ihm  in  Antrag  gebracht  werde. 
Damit  mochten  aber  seine  Curanden  sich 
nicht  befreunden,  sie  wollten  [im  Gegen- 
satze zu  der  obenerwähnten  Propaganda 
der  fremden  Comites]  immer  noch  lieber 
Gläubiger  als  Theilhaber  eines  auch  dann 
noch  keineswegs  ungefährdeten  Unter- 
nehmens sein. 

Es  kam  also  nur  zur  Uebergabe  des 
zur  Einlösung  der  restlichen  4238  Priori- 
täten II.  Emission  erforderlichen  Be- 
trages von  258.500  fl.  an  den  Special- 
Curator  Dr.  Jacques,  und  zu  einem  von 
dem  gemeinsamen  Curator  Dr.  Gaber 
angestrengten  Process  über  die  Ab- 
grenzung der  Machtbefugnisse  der  anderen 
Curatoren.  Im  Uebrigen  blieb  vorläufig 
Alles  beim  Alten,  es  sei  denn,  dass  die 
von  Dr.  Johanny  eingeleitete,  jedoch  von 
der  Curatel  -  Behörde  nicht  zugelassene 
Belangung  der  Unionbank  wegen  Ersatz 
von  2,800.000  fl.  für  Schädigung,  welche 
—  seines  Erachtens  —  die  Gesellschaft 
bei  ihrer  Gründung  erlitten  habe,  eine 
Abwechslung  bildete. 

Die  Auspicien  der  Gesellschaft  besserten 
sich  auch  nicht,  als  ihr  mittels  der  be- 
züglichen Verträge  vom  17.  September 
1878  die  auf  Staatskosten  erbaute  und  am 
15.  October  1878  eröffnete,  lySkm  lange 
Secundärbahn  Kriegsdorf  -  Römerstadt 
[siehe  Seite  248]  von  der  Regierung  in 
Betrieb  gegeben  wurde.  Die  Vergütung 
hiefür  bestand  lediglich  in  einem  theils 
pauschalsten,  theils  in  Procenten  der  Ein- 
nahmen bemessenen  Ersätze  der  Selbst- 
kosten. 

Am  11.  Februar  1879  starb  der  Be- 
triebs -  Director  der  Gesellschaft,  Otto 
Maria  Raynoschek.  *)  Die  General- 
versammlung vom  17.  Juni  1879  ehrte 
das  Andenken  dieses  trefflichen  Mannes, 


*)  Director  Raynoschek  war  bis  zum 
Eintritte  des  Genefal-Secretärs,  Dr.  Nitzel- 
berger  in  den  Verwaltungsrath  [3.  Novem- 
ber  1875]   Stellvertreter    dieses   Functionärs. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


277 


der  inmitten  aller  Wirrsal  und  Bedroh- 
nisse den  Betrieb  der  Bahn  und  alle 
damit  zusammenhängenden  Geschäfte  im 
besten  Gange  erhielt.  Sein  Nachfolger, 
der  bisherige  General-Secretär  [vordem 
Bauleiter  der  Gesellschaft]  Wilhelm  Ast, 
war  gleichfalls  nicht  zu  beneiden,  da  die 
Verhältnisse  immer  düsterer  wurden. 

Noch  im  selben  Jahre  gab  es  wieder 
Anträge  hinsichtlich  der  Sanirung  und 
auch  des  Ausgleiches  mit  der  Unionbank, 
sie  lauteten  auf  Herabminderung  des 
Nennwerthes  der  Prioritäten  von  300  fl. 
auf  IOO  fl.  und  ihrer  Verzinsung  von  5°/0 
auf  3°/0  und  auf  Abfindung  der  Union- 
bank mit  100.000  fl.  in  neuen  3°/0igen 
Prioritäten ;  von  diesen  Anträgen  ge- 
nehmigte die  Curatel-Behörde  aber  nur 
den  letzteren  Theil  und  nun  bemächtigte 
sich  die  Societe  beige  auch  hier  der 
Situation. 

Wie  sie  in  der  Prioritären-Versamm- 
lung  vom  29.  Juli  1878  die  Wahl  eines 
ihrer  Vertreter  zum  Vertrauensmanne  der 
Prioritäten-Besitzer  durchzusetzen  wusste, 
verstand  sie  es,  sich  durch  eigenen  und 
erborgten  Actienbesitz  die  Mehrheit  in 
der  Generalversammlung  vom  23.  Juni 
1880  zu  verschaffen,  mit  Hilfe  derselben 
den  alten  Verwaltungsrath  zu  verdrängen 
und  sofort  ihr  eigenes  Regime  zu  in- 
stalliren.  Das  Erste,  was  sie  nun  unter- 
nahm, war,  dass  sie,  sei  es  aus  geschäft- 
lichen Gründen,  sei  es  um  Stimmung  zu 
machen,  die  Einlösung  des  ältesten  der 
nothleidenden  Prioritäten-Coupons  [ I.Juli 
1874]  veranlasste,  und  hiezu  die  aufgesam- 
melten Ueberschüsse  der  Jahre  1874  bis 
1 880,  sowie  den  Erlös  für  die  aus  dem  Fahr- 
parke der  Linie  Troppau-Vlarapass  an  die 
Wien-Aspang-Bahn  [eine  Gründung  der 
Sociöte  beige,  siehe  Seite  280]  verkauften 
Waggons  verwendete.  Dann  brachte  sie, 
beziehungsweise  die  mit  ihr  verbundene 
Austro-belgische  Eisenbahn-Gesellschaft, 
die  Forderung  der  Unionbank  um  den  Preis 
von  75.000  fl.  an  sich,  allerdings  nicht 
ohne  diese  ihre  auch  bei  der  Dux-Boden- 
bacher  Bahn  angewendete  Taktik  dadurch 
zu  beschönigen,  dass  sie  es  der  aller 
Mittel  baren  Mährisch-Schlesischen  Cen- 
tralbahn  anheim  gab,  jene  Schuld  bis 
Ende  1881  mit  dem  gleichen  Betrage 
[nebst  Zinsen  etc.]  zu  tilgen. 


Diese  neueste  Ansiedlung  der  Belgier 
I  hatte  aber  einen  ebenso  unfruchtbaren 
|  als  heissen  Boden.  Fast  von  der  ersten 
I  Stunde  an  mit  dem  Curator  in  argem 
Zwiste  lebend,  mussten  sie  einen  langen 
Vertheidigungskrieg  führen,  dessen  Schil- 
derung ein  eigenes  Stück  Geschichts- 
schreibung erfordern  würde.  Der  Curator 
widersetzte  sich  der  sporadischen  Coupon- 
Einlösung,  wollte  auch  die  Bahn  auf  eigene 
Faust  sequestriren  lassen  [11.  August  1 88 1  ], 
und  unter  Preisgebung  des  ganzen  Actien- 
sowie  2/3  des  Prioritäten-Capitals  an  den 
Staat  verkaufen  [9.  Juli  1881].  Die  von 
der  Soei6t6  beige  geleiteten  Actionäre 
und  Prioritäre  hingegen  bekämpften  die 
Eigenmächtigkeit  des  Curators.  Er  unter- 
lag auch  schliesslich,  doch  konnten  die 
Belgier  ihres  Sieges  nicht  froh  werden, 
denn  die  Reibungen  hörten  nicht  auf, 
und  an  die  nunmehr  unbehindert  be- 
gonnene Einlösung  einzelner  Prioritäten- 
Coupons  [2.  Januar  1882]  knüpften  sich 
keinerlei  geschäftliche  Erfolge. 

Welcher  Art  die  Societe  beige  sich 
solche  vorgedacht  hatte,  ist  eigentlich 
niemals  mit  Sicherheit  festgestellt  worden. 
Einen  unmittelbaren  »Finanzgewinn« 
konnte  sie  hier  unmöglich  erwarten,  und 
ihre  zuerst  in  Gemeinschaft  mit  der 
Ersten  Ungarisch-Galizischen  Eisenbahn, 
dann,  unter  Beiseiteschiebung  der  letzteren, 
selbständig  verfolgten  Pläne  hinsichtlich 
der  Galizischen  Transversalbahn  [1879  bis 
1881]  Hessen  sich  ebensowenig  wie  ihre 
damaligen  Absichten  in  Betreff  einer  Linie 
Saybusch-Teschen-Olmütz-Wien  in  erklär- 
lichen Zusammenhang  bringen  mit  der 
Mährisch-Schlesischen  Centralbahn.  Eher 
noch  wäre  diesfalls  ihr  Project  Bärn-  oder 
Gross  -Wisternitz  -Vlarapass  begreiflich 
gewesen,  weil  jene  Ausgangspunkte 
Stationen  der  Mährisch-Schlesischen  Cen- 
tralbahn waren ;  dieses  wurde  aber  an- 
gesichts der  Schicksale  der  Linie  Troppau- 
Vlarapass  von  keiner  Seite  ernst  ge- 
nommen. Es  mag  sich  daher  nur  darum 
gehandelt  haben,  der  Nordbahn  Con- 
currenzen  zu  bereiten  oder  vorzumalen, 
um  sie  hiedurch  zum  Ankaufe  der  ihr 
seit  jeher  unangenehmen  Nachbarlinie  zu 
bestimmen.  Thatsächlich  wurde  damals 
allgemein  behauptet,  die  Soci6t6  beige 
habe  lediglich  einen  »Vorkauf»  ausgeführt, 


278 


Ignaz  Konta. 


und  der  Beweis  hiefür  wurde  auch  darin 
gesucht,  dass  die  Mährisch-Schlesische 
Centralbahn  zu  Beginn  des  Jahres  1883 
die  Nordbahn  mit  einem  das  Vordringen 
der  oberschlesischen  Kohle  erleichternden 
billigen  Tarife  überraschte. 

Dieser  Vorgang  hatte  nicht  verfehlt, 
grosses  Aufsehen  zu  erregen ;  die  von 
ihm  erhofften  Vortheile,  insbesondere  für 
die  Soci6t£  beige  als  solche,  blieben  aber 
aus.  Die  Nordbahn  verharrte  den  Belgiern 
gegenüber  in  Unzugänglichkeit  und  beant- 
wortete den  Concurrenztarif  der  Mährisch- 
Schlesischen  Centralbahn  mit  scharfen 
Gegenmassregeln  [Durchwiegung  und 
Umladung  der  auf  ihre  Linien  über- 
gehenden Sendungen  oberschlesischer 
Kohle,  Kündigung  der  Mitbenützung 
ihrer  Bahnhöfe  in  Olmütz  und  Troppau 
etc.]. 

Nun  einsehend,  dass  ihre  Combinationen 
hier  sämmtlich  fehlschlugen,  verkaufte  die 
Society  beige  nicht  nur  alle  in  ihrem 
Besitze  gewesenen  Titel  der  Mährisch- 
Schlesischen  Centralbahn,  sondern  auch 
die  von  der  Unionbank  erworbene  Schuld- 
forderung an  den  Wiener  Bankverein, 
und  zog  ab  wie  sie  gekommen  war  [1883]. 
Als  Andenken  hinterliess  sie  blos  die  am 
2.  Januar  1882  mit  dem  Juli-Coupon  vom 
Jahre  1874  begonnene  Einlösung  der  rück- 
ständigen Prioritäten-Coupons  mit  7  fl. 
65  kr.  [15  kr.  als  Verzugszinsen],  die 
alljährlich  mit  je  einem  Coupon  fortge- 
setzt wurde  —  und  die  darob  jeweils 
erhobenen    Einwendungen    des  Curators. 

Trotz  der  langen  Campagne  der 
Belgier  hatte  sich  also  an  den  Verhält- 
nissen der  Mährisch-Schlesischen  Central- 
bahn fast  nichts  geändert;  sie  blieben 
auch  im  selben  Stande,  bis  die  Bahn  nach 
Verlauf  weiterer  zehn  Jahre,  unter  Auf- 
rechthaltung des  Nominal-Capitals  der 
Prioritäten  und  Vergütung  von  14  fl.  70  kr. 
pro  Actie,  an  den  Staat  überging.  Von 
Sanirungs- Angelegenheiten  wird  daher 
nicht  mehr  viel  die  Rede  sein. 

Hingegen  wird  jetzt  unsere  Aufmerk- 
samkeit von  einer  anderen  Frage  in  An- 
spruch genommen,  die  ein  Jahrzehnt 
hindurch  den  österreichischen  Eisenbahn- 
Gesellschaften,  ohne  deren  Schuld  oder 
Veranlassung,  grosse  Unbill  verursachte, 
ihnen  förmlich  zur  Geissei  wurde. 


Das  neuerstandene  Deutsche  Reich 
hatte  im  Grunde  seiner  Gesetze  vom 
4.  December  1871  und  vom  9.  Juli  1873 
die  Goldwährung  eingeführt,  bei  diesem 
Anlasse  seinem  Silberthaler  den  Werth 
von  drei  Mark  Gold  beigemessen,  und 
den  österreichischen  Silbergulden,  der 
dort  bislang  als  eine  beliebte,  weil  be- 
queme Theilmünze  im  Umlauf  gewesen, 
ausser  Curs  gesetzt.  Nun  enthielten 
aber  viele  österreichische  Eisenbahn- 
Obligationen,  die  auf  Gulden  öster- 
reichischer Silberwährung  lauteten,  auch 
vergleichende  Angaben  ihres  Schuld- 
werthes  in  Thalern,  süddeutscher  Währung 
etc.,  und  speculative  Köpfe  schnitzten  sich 
hieraus  eine  Handhabe  zu  der  Anforde- 
rung, dass  die  betreffenden  Gesellschaften 
ihnen  Capital  und  Zins  in  Gold  zahlen, 
also  mehr  leisten  sollen,  als  sie  ursprüng- 
lich zugesagt  hatten.  Dies  führte  den 
sogenannten  Währungsstreit  herbei, 
der  arge  Misslichkeiten    nach    sich    zog. 

Aus  Opportunität,  vielleicht  unbedacht- 
samer Gutmüthigkeit,  Hessen  sich  einige 
Bahnen  [namentlich  böhmische]  wirklich 
in  Goldzahlungen  ein  ;  sie  kehrten  jedoch 
bald  zur  alten  Uebung  zurück,  da 
finanzielle  Schwierigkeiten  oder,  wo  die 
Staatsgarantie  in  Mitleidenschaft  gerieth, 
die  feste  Umgrenzung  derselben,*)  den 
betreffenden  Gesellschaften  verwehrten, 
neue,  nicht  bedungene  Lasten  auf  sich 
zu  nehmen.  Die  bisher  Begünstigten 
wollten  aber  die  Annehmlichkeit  der  un- 
verhofften Mehrempfänge  nicht  mehr 
missen,  sondern  trachteten  jetzt,  sie  zu 
erzwingen  und  betraten  den  Rechtsweg. 
Die  österreichischen  Eisenbahnen  ver- 
trauten ihrem  guten  Rechte;  denn  alle  Welt 
wusste,  dass,  gleichwie  die  Prioritäts- 
Gläubiger  niemals  ahnten,  etwas  anderes 
als  Silber    zu    erhalten,    deren  Schuldner 


*)  Die  k  k.  Staatsverwaltung  hatte  amt- 
lich verlautbart,  »dass  sie,  an  den  Concessions- 
Gesetzen  festhaltend,  nie  etwas  mehr  oder 
etwas  Anderes  als  Silbergulden  österreichi- 
scher Währung  zahlen  werde  und  sie  kann 
aus  dem  Umstände,  dass  in  einem  Nachbar- 
reiche mit  einer  Umwandlung  der  Landes- 
währung vorgegangen  worden,  keine  nach- 
theiligen Folgen  für  die  Schuldtitel  ziehen, 
welche  von  Seiten  der  österreichischen  Eisen- 
bahn-Gesellschaften auf  Silberwährung  lau- 
tend ausgegeben  worden  sind«. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


279 


[d.  i.  die  Bahnen],  zur  Zeit  der  Ausgabe 
der  betreffenden  Titel,  keines  anderen 
Willens  waren,  als  in  Silber  zu  zahlen. 
Die  österreichischen  Gerichte  ent- 
schieden auch  stets  in  diesem  Sinne,*) 
die  deutschen  hingegen  meistens  zu  Un- 
gunsten der  Bahnen.  Als  dies  in  weiteren 
Kreisen  bekannt  geworden,  begannen 
Wechsler  und  streit-  und  erwerbslustige 
Anwälte  die  »Coupon-Processe«  ganz 
geschäftsmässig  zu  betreiben.  Es  gab 
[zumal  in  Berlin]  bestimmte  »Firmen«, 
welche  immer  österreichische  Prioritäten- 
Coupons  eigens  aufkauften,  um  dann 
auf  Goldzahlung  zu  klagen,  und  je 
mehr  diese  neue  Industrie  in  Schwung 
kam,  desto  hässlichere  Blüthen  trieb  sie. 
Die  österreichischen  Eisenbahn-Gesell- 
schaften hatten  immer  ärgere  Gewalt- 
thätigkeiten  zu  erdulden ;  ihre  Gut- 
habungen in  Deutschland  wurden  aus- 
gespürt und  gepfändet,  ihre  über  die 
deutsche  Grenze  rollenden  Fahrbetriebs- 
mittel »beschlagnahmt«  und  alle  ihre 
dagegen  erhobenen  Einwendungen  un- 
berücksichtigt gelassen,  selbst  nachdem 
anerkannte  wissenschaftliche  Autoritäten 
Deutschlands,  wie  der  Heidelberger  Pan- 
dektist Professor  E.  J.  B  e  k  k  e  r,**)  Pro- 
fessor Soetbeer  u.  A.  sich  der  Sache 
angenommen  hatten. 

Zur  Abwehr  ergriffen  die  Gesell- 
schaften die  verschiedensten  Massregeln, 
als :  Präjudicial-Klagen  vor  den  heimat- 
lichen Gerichten,  deren  Erkenntnisse 
jedoch  in  Deutschland  keine  Wirkung 
übten ;  Ausgabe  neuer  Couponsbogen 
[anlässlich  des  Ablaufes  der  alten]  unter 
Entfernung  der  ausländischen  Werth- 
bezeichnungen,  was  aber  nur  einzelnen 
Bahnen  [beispielsweise  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn]  sehr  zu  Statten  kam;  Fern- 
haltung des  Wagenparkes  von  dem 
Verkehre  mit  Deutschland ;  Auflassung 
der  Cassen  in  den  Grenzstationen ;  rech- 
nerische   Vorkehrungen    hinsichtlich    der 


*)  Die  wichtigsten  dieser  Judicate  sind 
in  Konta's  Eisenbahn-Jahrbüchern,  und  zwar 
Jahrg.  XI,  S.  126  u.  315,  XII,  S.  361,  XIII, 
S  31  u.  117,  XIV,  S.  314,  XV,  S.  119,  XVI, 
S.  42  möglichst  wortgetreu  enthalten. 

**)  Ernst  Immanuel  Bekker:  »Ueber  die 
Coupon-Processe  der  österreichischen  Eisen- 
bahn-Gesellschaften und  über  die  internatio- 
nalen Schuldverschreibungen«  [Weimar  1881]. 


Guthabungen  bei  deutschen  Bahnen  u.  s.  w. 
Im  Allgemeinen  hatten  sie  jedoch  damit 
nur  wenig  erzielt.  Auch  der  am  16.  De- 
cember  1878  abgeschlossene  neue  Handels- 
vertrag zwischen  Oesterreich-Ungarn  und 
Deutschland,  dessen  Artikel  17  die  Be- 
schlagnahme von  Fahrbetriebsmitteln 
weiterhin  ausschloss,  half  augenblicklich 
noch  nicht  viel,  weil  damit  die  Exequir- 
barkeit  der  von  deutschen  Gerichten 
geschöpften  Urtheile  in  Oesterreich  im 
Zusammenhange  stand.*) 

Ein  Versuch,  den  peinlichen  Zustän- 
den durch  Ausgleiche  mit  den  Priori- 
täten-Besitzern ein  Ende  zu  machen, 
wie  es  im  Jahre  1880  von  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  unternommen  und  im 
Wesentlichen  auch  erzielt  wurde,  schei- 
terten daran,  dass  trotz  der  Intervention 
des  k.  u.  k.  Ministeriums  des  Aeussern, 
die  Rechtsgiltigkeit  des  Vergleiches  für 
die  deutschen  Gerichte  in  der  bedun- 
genen einjährigen  Frist  nicht  erwirkt 
werden  konnte. 

Die  Misere  bestand  also  fort,  bis  die 
Eisenbahnen  ihre  Schuldtitel  durch  neue, 
anders  lautende,  auch  minder  verzinsliche, 
ersetzten.  Wir  müssen  uns  versagen, 
auf  die  vielfach  erörterte  rechtliche  Natur 
und  die  wirthschaftliche  Wirkung  dieser 
Umwandlungen  näher  einzugehen,  weil 
dies  ausserhalb  des  Rahmens  unserer 
Betrachtungen  liegt.  Es  mag  daher  hier 
nur  verzeichnet  werden,  dass  die  C  o  n- 
vertirungen  anfangs  auch  nicht  un- 
angefochten blieben,  vielmehr  als  Wort- 
brüchigkeit, Verkürzung  der  Gläubiger  etc. 
hingestellt  wurden,  allmählich  aber  durch 
die  den  Titelbesitzern  gebotenen  Auf- 
zahlungen [zumal  bei  den  »freiwilligen« 
Umtauschen]  immer  besseren  Anklang 
fanden  und  schliesslich  sehr  glatt  von 
Statten  gingen,  wozu  nicht  wenig  der 
allgemein  sinkende  Zinsfuss  und  der  sich 
häufende  Goldüberfluss  beitrug.  Die  Re- 
gierung ihrerseits  förderte  das  Umwand- 

*)  Die  vollständige  Freizügigkeit  der 
Eisenbahn-Fahrzeuge  wurde  erst  durch  die 
kaiserliche  Verordnung  vom  19.  September 
1886  gesichert,  welche  die  Bedingung  der 
Gegenseitigkeit,  wie  sie  in  dem  mit  1.  Juni 
1886  für  das  Deutsche  Reich  in  Wirksamkeit 
getretenen  Gesetze  über  die  Unpfändbarkeit 
von  Fahrbetriebsmitteln  fremder  Bahnen  vor- 
gesehen war,  erfüllte. 


28o 


Ignaz  Konta. 


lungs-System  —  dessen  Verallgemeine- 
rung das  wirksamste  Mittel  bot,  den 
Währungsstreit  aus  der  Welt  zu  schaffen 
—  durch  verschiedene  Gebühren-Er- 
mässigungen [Gesetz  vom  II.  Juni  1880, 
erneuert  und  erweitert  am  25.  Mai  1883J 
und  die  Finanzinstitute  legten  sich  in 
den  Convertirungen  alsbald  einen  neuen 
Geschäftszweig  zurecht. 

Die  erste  Prioritäten-Convertirung 
in  Oesterreich  wurde  im  Jahre  1880  von 
der  Aussig-Teplitzer  Bahn  bewerkstelligt, 
welche,  Dank  ihrer  günstigen  finanziellen 
Lage,  die  Zinsen  ihrer  5%igen  Silber- 
anlehen gleich  vom  Jahre  1874  an  in 
Gold  bezahlte,  nun  aber  jene  Anlehen  in 
ein  einheitliches  472%'Kes  Goldanlehen 
von  26,700.000  Mark  umwandelte.  Ihrem 
Beispiele  folgte  im  Jahre  1881  die  Carl 
Ludwig-Bahn  und  dann,  wie  die  nach- 
stehende Tabelle  zeigt,  eine  ganze  Reihe 
anderer  Bahnen.      [Siehe  Seite  281.] 

Nach  diesen,  wegen  des  Zusammen- 
hanges und  der  grösseren  Zusammen- 
fassung, etwas  vorausgegriffenen  Angaben, 
wieder  den  chronologischen  Gang  unserer 
Mittheilungen  aufnehmend,  sehen  wir, 
dass  alle  die  eben  besprochenen  Mass- 
nahmen zur  Regelung  der  inneren  Ver- 
hältnisse der  Eisenbahnen  nicht  vermocht 
hatten,  die  räumliche  Weiterentwicklung 
derselben  zu  beleben.  Im  Jahre  1877 
wurdenurSchirnding-Eger,  als  io-2  km 
lange  Theilstrecke  einer  Abzweigung  der 
bayerischen  Fichtelgebirgs-Bahn, 
und  zwar  auf  Grund  des  Staatsvertrages 
mit  Bayern,  vom  16.  Mai  1877,  be- 
ziehungsweise des  Gesetzes  vom  5.  August 
1877  sichergestellt,  ferner  am  25.  Januar 
die  5-3  km  lange  Elbogener  Local- 
bahn,  an  die  Stadt  Elbogen  im  Vereine 
mit  Heinrich  Böhm  und  Hermann  von 
Schwind  und  am  28.  November  die 
[ohne  die  Peage-Strecke  Felixdorf- Wiener- 
Neustadt]  79'9  km  lange  Localbahn 
Wien-Aspang  an  die  Societe  beige 
concessionirt,  hiebei  aber  die  Concession 
für  die  68-8  km  lange  schmalspurige 
Bahn    Wien-Blumau-Pitten,*)    in    deren 


Trace  die  Aspangbahn  theilweise  zu 
liegen  kam,  annullirt.  Die  erstgenannte 
Localbahn  wurde  am  15.  October  1877, 
die  Aspangbahn  im  Jahre  1881  [7.  August 
bis  28.  October]  eröffnet.  Das  Jahr  1878 
ging  ganz  leer  aus. 

In  diese  Oede  fiel  wie  ein  glückver- 
heissender  Himmelsstrahl  die  hehre  Feier 
der  silbernen  Hochzeit  Ihrer 
Majestäten  des  Kaisers  und  der 
Kaiserin.  Das  ganze  Reich  überquoll 
von  Beweisen  der  Huldigung  und  freudig- 
ster Theilnahme  und  obenan  stand  hie- 
bei die  Reichs-Haupt-  und  Residenzstadt. 
Immer  Eines  Herzens  und  Sinnes,  wenn 
es  gilt,  dem  allverehrten  Monarchen  die 
Liebe  und  Treue  zu  bekunden,  veran- 
staltete die  Bürgerschaft  Wiens  einen 
Festzug  [26.  April  1879],  wie  er  in 
solcher  Grossartigkeit  und  Pracht  noch 
niemals  gesehen  worden.  Angeordnet  nach 
den  genialen  Entwürfen  Hans  Makart's 
und  ausgeführt  unter  Betheiligung  aller 
Stände,  bot  er  ein  sinnberückendes,  über- 
wältigendes Schauspiel.  Natürlich  waren 
darin  auch  die  Eisenbahnen  würdig  vertre- 
ten ;  sie  bildeten  eine  eigene  Gruppe  in  fol- 
gender Zusammenstellung :  Sechs  in  roth- 
schwarzes Costüme  gekleidete  Banner- 
träger mit  Eisenbahn-Emblemen ;  zwei 
Herolde  zu  Pferde  und  unmittelbar  darauf 
der  von  acht  Rappen  gezogene,  mit  Sammt 
und  geschnitzten  Ornamenten,  Frauen- 
gestalten mit  Posaunen  und  dem  Flügel- 
rade, Feuergnomen  und  Nixen,  rauchen- 
den Opfergefässen  etc.  reichgeschmückte 
»Triumphwagen*)  des  Feuergottes,  wel- 
cher sich  eben  mit  einer  Wassem3'mphe 
vermählt«  und  vor  dessen  Throne  sechs 
Damen  in  heraldischen  Costümen  einzelne 
Länder  des  Reiches  versinnlichten  ;  aber- 
mals Bannerträger  zu  Pferde  ,  zahlreiche 
Eisenbahn- Arbeiter  mit  ihren  Geräthen  und 
Werkzeugen.  [Abb.  124.]  —  In  den  damali- 
gen Berichterstattungen  wurde  dieser  präch- 
tigen lebensvollen  Gruppe  einstimmig 
die  Palme  zuerkannt.  —  Auch  eine  Huldi- 
orunss-Gabe,  bestehend  aus  einer  Samm- 


*)  Die  Linie  Wien-Blumau-Pitten  nebst 
Abzweigung  von  Steinabrückl  nach  Wöllers- 
dorf  wurde  am  4.  Juni  1872  an  die  erste 
österreichische    Schi ffahrts-Ca  nal-Actien-Ge- 


sellschaft  concessionirt;  ihre  Spurweite  sollte 
I  m  betragen. 

*)  Der  Festwagen  [11  m  lang,  4*8  m  hoch] 
war  nach  Makart's  Entwürfe  vom  Bildhauer 
i   Rudolf   W  e  y  r   erbaut  und  plastisch  ausge- 
schmückt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


28l 


Uebersicht  des  Fortganges  der  ersten  Prioritäten-Convertirungen  in  Oesterreich 

1880— 1890. 


Benennung  der 
Bahn 


o 

>   bfl 

E  5  c 

S>u.J 

u 


Nennwerth  der  zur 
Convertirung  ge- 
langten 5°/„igen 
Obligationen  in 

fl.*) 


hfl 
■   c 


Nominal- 
summe 


Währung 


Anmerkung 


der  neuen  [Convert,-]  Anlehen1 


Aussig -Teplitzer 
Bahn 

Carl  Ludwig-Bahn 


Böhm.  Nordbahn 


Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn 

Kronprinz  Rudolf- 
Bahn 

Vorarlberger  Bahn 
Kaiser  Franz  Josef- 
Bahn 

Pilsen-Priesen- 
[Komotau] 

Prag-Duxer  Bahn 

Lemberg-Czemo- 
witz-Jassy-Bahn 


Böhm.   Westbahn 

Aussig  -  Teplitzer 
Bahn 


Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn 


Kaschau  -  Oderb. 
Bahn 


Carl  Ludwig-Bahn 


1880 
1881 

1882 

1883 

1884 

1884 
1884 

1884 
1884 

1884 

1884 
1885 

1886 

1887 

1889 

1890 


111,291.100 

[  2,100.000  [Gold] 

37,282.200 


15,023.100 


81,354300 

154,926.100 
(25,103.200  [Gold] 

8,237.600 
57,214.200 

11,940.000 
13,206.600 

43,639.200 

I  12,792.000 

1      961.800  [Gold] 

13,089.000 
[4 '/«•/.]  [Gold] 


16,418.775 

13,362.700 
23,729.500 

39.r49.800 
6,735.600  [Gold] 

45,006.300 


10 

45 

4-5 


4-— 


26,782.000 
40,650.000 

30,046.000 


(108.291.600 
l  54,i45-8oo 

70,194.600 
58,156.000 

9,851.200 

69,048.600 

11,940.000 

26,413.000 

(•14,280.000 

[38,475.000 

14,303.000 
1,999.800 

26,178000 


17,351600 

15,767.000 
24,440.000 

47,140.800 
16,541.400 

49,699300 


R-Mark 

Guld  ö.  W. 

Silb. 


R.-Mark 


R.-Mark 

R.-Mark 

Guld  ö.  W. 

Silb. 

R.-Mark 

Guld  ö.  W. 

Silb. 
Guld.  ö  W. 

Silb. 
Guld  ö.  W. 

Silb. 

R.-Mark 

Guld.  ö.  W. 

Silb. 

Guld.  ö.  W. 

Silb. 

R.-Mark 

R.-Mark 


Guld.  ö.  W. 
Silb. 

Guld.  ö.  W. 

Silb. 
Guld.  ö.  W. 

Silb. 

Guld.  ö.  W. 

Silb. 

R.-Mark 

Guld.  ö.  W. 

Silb. 


Diese  Con- 
vertirung als 
eine  völlig 
»freiwillige« 
ging  nur  sehr 
langsam  von 

Statten, 
steuerfrei 
steuerpflichtig 
I  einschliesslich 
|  1,681.209  fl  zur 
1  Deckung  der 
I  schwb.  Schuld 


einfach  umge- 
tauscht 


steuerpflichtig 
steuerfrei 


C    unter  Ent- 
j  richtung  einer 
b°/oigen  Prämie 

zugl.  wurden 
3,000.000  fl. 

für  die  Mähr- 
|  Schles.  Nordb. 
I  aufgenommen 

zuzüg.vorstehd. 
3,000.000  fl. 


zugleich  wurde 
ein  neues  Anleh. 
aufgenommen. 

zugleich  wurde 

einneuesAnleh. 

aufgenommen 


*)  Bei  denjenigen  Bahnen,  deren  Prioritäten-Einlösungstermin  auf  den  I.  Januar 
fällt  und  daher  die  bezügliche  Tilgungsquote  in  der  Bilanz  des  vorausgegangenen  Jahres 
nicht  berücksichtigt  erscheint,  können  mitunter  die  Summen  der  in  Umlauf  gewesenen 
Titel  mit  den  zur  Convertirung  gelangten  Beträgen  um  die  Ziffer  der  letzten  Tilgungs- 
quoten differiren,  was  jedoch  für  diese  Zusammenstellung  bedeutungslos  ist. 


282 


Ignaz  Konta. 


lung  künstlerisch  ausgeführter  Ansichten 
bemerkenswerther  Landschaften  und  Bau- 
werke an  ihren  einzelnen  Linien  Hessen 
die  Eisenbahn- Verwaltungen  durch  eine 
Deputation  überreichen,  welcher  am 
1 8.  April  die  Ehre  zutheil  ward,  von  Sr.  Ma- 
jestät   huldvollst   empfangen    zu  werden. 

Manchen  Industriezweigen  erblühte 
wirklich  von  damals  an  die  lang  ver- 
misste  Regsamkeit.  Die  Zurüstungen  zu  den 
grossen  Festlichkeiten  hatten  vielen  Be- 
völkerungskreisen Arbeit  und  Verdienst 
gebracht ;  der  allgemeine  Geschäftsgang 
begann  sich  zu  beleben  und  Handel  und 
Wandel  sich  wieder  aufwärts  zu  bewegen. 
Von  dem  Gebiete  des  Eisenbahnbaues 
aber  wollte  der  Bann  noch  immer  nicht 
weichen. 

Im  ganzen  Jahre  1 879  ist  blos  die  5  -2  km 
lange  Fortsetzungsstrecke  Stadiaue  r- 
brücke-Kaiser-Ebersdorf  der  Donau- 
uferbahn in  Wien  neu  hinzugekommen; 
ihre  Ausführung  geschah,  zufolge  des 
Gesetzes  vom  1.  Juni  1879,  gleich  dem 
älteren  Theile  der  Donauuferbahn  [siehe 
Seite  241]  auf  Staatskosten,  jedoch  unter 
Leistung  eines  Beitrages  von  Seite  der 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn,  welche  das  leb- 
hafteste Interesse  hatte,  die  durch  die 
Donauregulirung  verlorene  Verbindung 
mit  dem  Hauptstrome  wieder  zu  ge- 
winnen und  sich  daher  mittels  Vertrages 
vom  15.  December  1879  zur  Leistung 
eines  Beitrages  von  150.000  fl.  verpflich- 
tete, hiefür  aber  gegen  jährliche  Bezah- 
lung von  10.000  fl.  die  Mitbenützung  der 
neuen  Strecke  gewann.  Diese  galt 
darum  vom  Tage  ihrer  Eröffnung  [am 
12.  October  1880]  in  administrativer  Be- 
ziehung als  eine  Verlängerung  der  Donau- 
ländebahn Hetzendorf-  Kaiser  -  Ebersdorf. 
Zur  Deckung  ihrer  mit  450.000  fl.  ver- 
anschlagt gewesenen  Anlagekosten  dienten 
die  beim  Baue  des  älteren  Theiles  er- 
zielten Ersparnisse  von  300.000  fl.  und 
die  vorerwähnte  Beitragleistung. 

Eine  gleichfalls  der  Verbindung:  des 
Eisenbahn-Transportes  mit  der  Schiffahrt 
dienende  Anlage  hatte  damals  die  O  es  t  er- 
reichische  Nordwestbahn  in 
Laube  geschaffen.  Sie  errichtete  dort 
einengrossen  Elbe-Umschlagplatz 
[Abb.  125],  führte  eine  Schleppbahn  nach 
Tetschen  und  vereinbarte  sowohl  mit  den 


österreichischen  Nachbarbahnen,  als  auch 
mit  den  Elbe-Schiffahrts-Unternehmungen 
directe  Tarife,  wodurch  dem  österrei- 
chischen Handel  ein  billiger  Weg  für 
die  mittels  der  Elbe  zu  erreichenden 
Relationen  eröffnet  wurde.  Die  Gesell- 
schaft versprach  sich  von  diesen  Ein- 
richtungen eine  bedeutende  Steigerung 
des  Verkehres  auf  dem  Ergänzungsnetze, 
die  wirklich  bald  eintrat  und  eine  nam- 
hafte Erhöhung  des  vordem  weit  unter 
pari  gestandenen  Curses  der  Actien 
lit.  B  mit  sich  brachte,  welche  es  er- 
möglichte, dass  die  noch  im  Portefeuille 
gewesenen  5000  solcher  Titel  Ende  1880 
zum  Preise  von  227  fl.  27  kr.  pro  Stück 
begeben  werden  konnten.  In  dem  be- 
züglichen Erlöse  fanden  auch  die  Kosten 
der  neuen  Anlage  ihre  Deckung.  Der 
Aufschwung  Laubes  und  des  Elbe  Verkehres 
und  gar  erst  die  nicht  ohne  Hinzuthun  der 
Nordwestbahn  errichtete  »Oesterreichische 
Nordwest  -Dampfschiffahrts-  Gesellschaft» 
erregte  in  hohem  Masse  das  Missfallen 
der  Preussischen  Staatsbahnen  und  riefen 
einen  Tarifconflict  mit  den 
deutschen  Eisenbahnen  überhaupt 
hervor,  der  erst  durch  das  am  I.  Juli 
1883  in  Kraft  getretene  »Uebereinkommen 
der  Verwaltungen  des  deutsch-österrei- 
chisch-ungarischen Seefahrer- Verbandes « 
seine  Beilegung  gefunden.*)  Während 
desselben  ging  der  Curs  der  Actien 
lit.  B  wieder  so  sehr  zurück,  dass  die 
Gesellschaft  die  schon  in  der  General- 
versammlung vom  7.  Juni  1882,  zu 
Zwecken  der  Nachschaffung  von  Fahr- 
betriebsmitteln etc.  beschlossene  Ver- 
mehrung des  A  ctiencapitales 
um  6,000.000  fl.  erst  im  März  1883 
theilweise  bewerkstelligen  konnte.  Die 
Deutsche  Bank  in  Berlin  übernahm 
damals  15.000  Actien  lit.  B  zum  Curse 
von  2  26l/4.  Die  Umschlagstelle  in  Laube 
und  die  1/9  km  lange  Verbindung  mit 
Tetschen  wurden  am  I.  März  1880  dem 
Betriebe  übergeben ;  letztere  war,  als 
»Schleppbahn«,  keine  eigentliche  Er- 
weiterung   der   gesellschaftlichen  Linien. 


*)  Eingehende  Mittheilungen  über  die 
Entstehung  und  den  Verlauf  des  Streites 
sind  in  Konta's  Eisenbahn-Jahrbuch,  Jahr- 
gang XVI,  Seite  18  und  XVII,  Seite  14  f. 
enthalten. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


283 


Die  früher  erwähnte  Fortdauer  der 
Stockung  in  der  räumlichen  Entwicklung 
des  österreichischen  Bahnnetzes  hatte 
jetzt  ihren  Hauptgrund  in  dem  gespannten 
Verhältnisse  der  Regierung  zum  Parla- 
mente, welches  darob  von  jeder  ausser- 
politischen    Thätigkeit   fast  ganz  abkam. 


riums  nicht  glückte,  blieb  das  alte  noch 
weiter  im  Amte,  bis  es  am  16.  Februar 
1879  von  dem  Cabinet  Stremayr  abge- 
löst wurde,  in  welchem  übrigens  die 
meisten  der  bisherigen  Minister  ver- 
blieben. Dies  war  jedoch  auch  nur  ein 
Provisorium.    In  den  Monaten  Juni  und 


Abb.  126.    Julius  Lott. 


Das  Cabinet  Auersperg  stand  schon  seit 
dem  Jahre  1877  nicht  mehr  auf  gutem  Fusse 
mit  der  Verfassungspartei,  also  mit  der  da- 
maligen Mehrheit  des  Abgeordnetenhauses, 
und  gab  wiederholt  seine  Entlassung; 
zum  zweiten  Male  am  13.  Juli  1878,  nach 
dem  Abschlüsse  des  Berliner  Vertrages, 
weil  eben  die  Occupation  Bosniens  eine 
der  Hauptursachen  des  Zwistes  war.  Da 
aber  die  Zusammensetzung  eines  von  der 
Parlaments-Majorität  getragenen  Ministe- 


juli fanden  die  Neuwahlen  in  den  Reichs- 
rath  statt;  die  Verfassungspartei  gerieth 
in  die  Minderheit  und  am  12.  August 
1879  traten  die  meisten  der  früheren 
Minister,  mit  ihnen  auch  der  wegen 
seiner  ausgezeichneten  Fähigkeiten,  seiner 
unermüdlichen  Thätigkeit  und  seines 
concilianten  Wesens  überaus  geschätzte 
Handelsminister  v.  Chlumecky,  zurück. 
Am  selben  Tage  wurde  das  Cabinet 
Taaffe     ernannt.      Damit     erst     hatten 


284 


Ignaz  Konta. 


die  krisenhaften  Zustände  ihr  Ende  ge- 
funden; es  war  eine  hochwichtige  poli- 
tische Wendung  eingetreten. 

So  schwerwiegend  und  nachhaltig  deren 
Folgen  für  die  früheren  herrschenden 
Parteien  und  die  von  ihnen  verfochtenen 
Principien  sich  gestalteten,  dem  Eisen- 
bahnwesen brachte  sie  einen  frischen 
Entwicklungsgang,  neben  diesem  aber 
auch  die  gänzliche  Umgestaltung. 

Die  Anregung  zur  Wiederentfaltung 
regerer  Bauthätigkeit  ging,  wie  im  Jahre 
1866,  unmittelbar  von  allerhöchster  Stelle 
aus.  Die  Thronrede,  mit  welcher  am  8.  Oc- 
tober  1879  der  neue  Reichsrath  eröffnet 
wurde,  verhiess  die  vollste  Aufmerksam- 
keit der  Regierung  für  die  Entwicklung 
des  Eisenbahnwesens,  insbesondere  auch 
den  »Bau  der  immer  wichtiger 
wer  denden  Ar  lb  ergb  ahn«,  und  der 
neue  Handelsminister,  Karl  Freiherr 
Korb  -  Weidenheim,  schritt  unge- 
säumt zur  Vorbereitung  dieses  grossen 
Werkes.  Er  berief  eine  technische  En- 
quete zur  Prüfung  der  Frage,  welches 
der  beiden  damals  neu  vorgelegenen 
Projecte  für  die  Tunnelirung  des  Arl- 
berges  den  Vorzug  verdiene,  und  Hess 
alsbald  auch  die  Regierungs  -  Vorlage 
ausarbeiten. 

Die  Enquete  tagte  am  I.  und  2.  Oc- 
tober  1879  und  sprach  sich,  wie  es  auch 
die  Expertise  vom  22.  Februar  1872 
schon  gethan  hatte,  für  den  längeren 
»unteren«  Tunnel  aus.  Der  General-Direc- 
tor  des  österreichischen  Eisenbahnwesens, 
v.  Nördling,  der  seit  dem  Jahre  1875 
unablässig  die  »obere«  Tunnelanlage  be- 
fürwortete, beharrte  auch  jetzt  auf  seinen 
Anschauungen  und  kam  dadurch  zu  Falle. 
Der  Handelsminister  hatte  sich  nämlich 
für  den  von  so  vielen  hervorragenden 
Fachmännern  empfohlenen  unteren  Tunnel 
entschieden,  und  der  Sectionschef  hieraus 
die  Consequenzen  gezogen.  Vielleicht  war 
auch  der  erregte  Verlauf  der  Enquete  mit 
eine  Veranlassung  zu  dem  jähen  Bruche. 
Wilhelm  v.  Nördling  gab  nun  seine  amt- 
liche Thätigkeit  in  Oesterreich  für  immer 
auf  und,  obzwar  er  mit  manchem  seiner 
Vorhaben,  insbesondere  den  Fusionirun- 
gen  und  den  Erwerbungen  von  Bahnen 
nach  dem  »commerziellen  Werthe«   einer 


ebenso  zahlreichen  als  erbitterten  Gegner 
schaft  begegnete,  blieb  ihm  doch  —  wie 
dies  bereits  an  anderer  Stelle  hervor- 
gehoben wurde  —  das  unleugbare  Ver- 
dienst, die  aus  den  Garantie-Verhältnissen 
entstandenen  Verwicklungen  entwirrt  und 
der  Säumnis  in  den  Garantie-Abrechnun- 
gen ein  Ziel  gesetzt  zu  haben. 

Nicht  minder  rasch,  wie  für  die  Ingang- 
bringung des  Eisenbahnbaues  trug  Korb- 
Weidenheim  auch  Sorge  für  die  Wieder- 
aufnahme  des  Staatsbetriebes 
im  grossen  Stile,  indem  er  dem  bis- 
nun  brach  gelegenen  Gesetze  vom  14.  De- 
cember  1877  lebendige  Wirksamkeit  gab. 
Es  fand  seine  erste  Anwendung  bei  der 
Kronprinz  Rudolf- Bahn,  welche 
bereits  ein  Jahrzehnt  hindurch  die  Staats- 
garantie überaus  [bis  Ende  1879  mit 
47,557.282  fl.]  in  Anspruch  genommen 
und  auch  sonst  noch  das  Augenmerk 
der  Aufsichtsbehörde  seit  Langem  auf 
sich  gelenkt  hatte. 

Nach  den  damaligen,  unwidersprochen 
gebliebenen  öffentlichen  Mittheilungen 
soll  die  plötzliche,  ohne  Einvernehmen 
mit  dem  Ministerium  verfügte  Enthebung 
des  gesellschaftlichen  General-Directors, 
Regierungsrathes  Morawitz,  das  Mass 
vollgemacht  haben.  Thatsache  war  aller- 
dings, dass  dieser  anspruchslose,  ehren- 
hafte und  pflichtgetreue  Fachmann,  unter 
dessen  Leitung  die  Zustände  der  Bahn 
sich  wesentlich  zu  bessern  begannen,  man- 
chen Strauss  mit  dem  Verwaltungsrathe, 
namentlich  mit  dem  früheren  General- 
Director,  der  zur  Zeit  des  grossen  Läu- 
terungs-Processes  in  den  Verwaltungsrath 
zurückgetreten  war,  zu  bestehen  hatte. 
Die  gewaltsame,  allenthalben  scharf  kriti- 
sirte  Lösung  des  Dienstverhältnisses  er- 
folgte am  9.  December  1879.  Zwei 
Wochen  nachher  —  am  24.  December  — 
wurde  die  Gesellschaft  vom  Handels- 
minister verständigt,  dass  die  Staats- 
verwaltung im  Sinne  des  §  4  des  vorer- 
wähnten Gesetzes,  den  Betrieb  der  Bahn 
ab  1.  Januar  1880  für  Rechnung  der  Ge- 
sellschaft führen  werde ;  am  29.  December 
fand  die  Feststellung  der  bezüglichen 
Modalitäten,  Tags  darauf  die  amtliche 
Kundmachung  der  Uebernahme  des  Be- 
triebes in  die  Verwaltung  des  Staates  sowie 
die    Ernennung    des    General-Inspectors 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


285 


der  österreichischen  Eisenbahnen,  k.  k. 
Regierungsrathes  Ferdinand  Ritter  Perl 
von  Hildrichsburg,  zum  k.  k.  Betriebs- 
verwalter statt,  dessen  Amtsgewalt  sich 
auf  alle  Dienststellen  und  das  Gesammt- 
Personale    der     Gesellschaft     erstreckte. 


Bahn  gelangte  auch  der  von  ihr  besorgte 
Betrieb  der  Linie  Tarvis- Pont  af  el 
in  die  eigene  Verwaltung  des  Staates. 
Mittlerweile  war  der  Gesetzentwurf 
über  den  Bau  der  Arlbergbahn  vollendet 
worden,  welchen  der  Handelsminister  nun 


Abb.  127.   Das  Lott-Denkmal  auf  dem  Arlberge. 


Am  Neujahrstage  1880,  also  genau 
ein  Vierteljahrhundert  nach  dem  ersten 
Abverkaufe  von  österreichischen  Staats- 
bahnen an  Privat-Gesellschaften,  begann 
ernstlich  die  Zurückführung  des  Eisen- 
bahnwesens zu  dem  damals  verlassenen 
Principe,  und  die  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
war  die  erste  grössere  Privatbahn,  mit 
welcher  die  Verstaatlichungs-Thätigkeit 
eröffnet     wurde.      Zugleich     mit     dieser 


am  24.  Januar  1880  der  Legislative  vor- 
legte. Diese  und  die  von  ihm  bereits 
am  29.  November  1879  im  Abgeordneten- 
hause eingebrachte  Vorlage  über  die 
Zugeständnisse  und  Begünstigungen  für 
Localbahnen  bildeten  einen  erheblichen 
Theil  der  ersten  wirthschaftlichen  Thä- 
tigkeit  der  neuen  Reichsrathssession. 
Erforderte  auch  die  letztere  Vorlage  eine 
kräftige    Vertretung,    so    kam     dieselbe 


286 


Ignaz  Konta. 


doch  kaum  in  Anschlag  gegenüber  den 
grossen  Anstrengungen,  deren  die  auf- 
rechte Erledigung  der  nun  zum  dritten 
Male  dem  Parlamente  vorgelegenen  Arl- 
bergfrage  erheischte.  Dank  den  gedie- 
genen Ausführungen  des  Handelsministers, 
der  sowohl  im  Ausschusse  als  in  der 
Vollsitzung  des  Hauses  mit  wahrem 
Feuereifer  für  die  Vorlage  eintrat,  glückte 
es  jedoch  die  meisten  ihrer  gewese- 
nen Gegner  zu  bekehren  und  über  die 
Fährlichkeiten,  von  denen  späterhin 
noch  ausführlicher  die  Rede  sein  wird, 
hinweg  zu  kommen.  Der  Erfolg  war 
ein  vollständiger.  Das  Gesetz,  betref- 
fend   den  Bau    der  Arlbergbahn, 


gen  *)  und  die  schon  während  seiner  ver- 
fassungsmässigen Behandlung  gegründete, 
beziehungsweise  am  8.  Mai  1880  errich- 
tete »O est e rreich is che  Localeisen- 
bahn- Gesell schaft«,  welche  fortan 
eine  rege  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete 
des  Localbahnwesens  entwickelte. 

Zwei  Localbahnen  wurden  übrigens 
noch  auf  Grund  von  Specialgesetzen 
concessionirt,  nämlich  die  31  "6  km  lange 
Bozen-Meraner  Bahn,  welcher  das 
Gesetz  vom  11.  März  1876  einen  Staats- 
vorschuss  von  1,000.000  fi.  zugesichert 
hatte,  an  den  Grafen  Anton  Brandis  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Ingenieur  Heinrich 
Böhm,  und  auf  Grund  des  Gesetzes  vom 


Abb.  128.     Längenschnitt  der  Arlbergbahn. 


erhielt  am  7.  Mai,  und  jenes  hinsichtlich 
der  Bedeckung  des  im  Jahre  1880  ein- 
tretenden Erfordernisses  für  diesen  Bau 
[2,100.000  fl.]  am  30.  Mai,  jenes  über 
die  Zugeständnisse  und  Begünstigungen 
für  Localbahnen  am  25.  Mai  die  a.  h. 
Sanction. 

Das  letztere  [kurzweg  «Localbahn- 
Gesetz«  benannte],  mit  einer  Giltig- 
keit  bis  31.  December  1882  ausgestat- 
tete Gesetz  ermächtigte  die  Regierung, 
bei  Concessionirung  neuer  Localbahnen 
mannigfache  Erleichterung  in  Bezug 
auf  die  Vorarbeiten,  den  Bau  und 
Betrieb  eintreten  zu  lassen  und  eine 
dreissigjährige  Steuerfreiheit  zu  ge- 
währen. Im  Zusammenhange  damit 
stand  die  Verordnung  vom  29.  Mai 
1880,  in  welcher  jene  Erleichterungen 
näher  angegeben  und  auseinanderge- 
setzt wurden.  Die  Folge  desselben  wa- 
ren    zahlreiche     Concessions-Bewerbun- 


I.  Juni  1879  die  20-i  km  lange  Linie 
Caslau-Zawratetz  nebst  Abzwei- 
gung Skowitz-Buöic  an  die  Bau- 
unternehmung Schön  &  Wessely  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Ingenieur  Hermann 
Ritter  v.  Schwind.  [Die  erstgenannte 
Bahn  gelangte  am  5.  October  1881  und 
die  letztgenannte  Linie  streckenweise 
vom  1.  November  1880  bis  14.  Februar 
1882  zur  Eröffnung.] 

Um  einer  allfälligen  Sicherstellung 
der  von  der  Pilsen-Pries  ener  Bahn 
unausgeführt  gelassenen  Linie  Mlatz- 
J  ohann- G  eorgenstadt ,  als  Local- 
bahn,  Raum  zu  schaffen,  erklärte  die  Kund- 
machung des  Handelsministeriums  vom 
6.  Mai  1880  die  Concession  für  diese 
Linie  [siehe  Seite  107]  als  erloschen. 


*)  Ueber  die  auf  Grund  des  Localbahn- 
Gesetzes  concessionirten  Linien  folgt  im  Ab- 
schnitte »Localbahnwesen  in  Oesterreich« 
von  P.  F.  Kupka  eine  Gesammtnach Weisung. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


287 


Abb.  129 
[Nach  einer  photogr.  Aufnahme 

Alle  sonstigen  Vorbereitungen  zu 
weiterem  rührigen  Schaffen  blieben  für 
den  Freiherrn  v.  Korb  nutzlos,  da  er 
schon  am  26.  Juni  1880  zurücktrat. 
Sein  am  selben  Tage  ernannter  Nach- 
folger, Alfred  Ritter  v.  Krem  er-  Aurode, 
vollzog  am  17.  Juli  1880  die  Uebernahme 
der  Erzherzog  Albrecht-Bahn  in 
den  Staatsbetrieb  [siehe  Seite  273],  con- 
cessionirte  etliche  Localbahnen  und  führte 
zu  Ende  des  Jahres  1880  die  Vergebung 
des  Baues  des  Arlberg-Tunnels  sowie 
die  Verhandlungen  mit  der  Kaiserin  Elisa- 
beth-Bahn durch,  aus  denen  das  Ueber- 
einkommen  vom  24.  December  1880  her- 
vorging, welches  die  Betriebsübernahme 
und  die  eventuelle  Einlösung  dieser  Bahn 
durch  den  Staat  zum  Gegenstande  hatte. 
Mehr  für  das  Eisenbahnwesen  zu  vollbrin- 
gen ward  ihm  nicht  beschieden ;  denn 
neuerliche  Verschiebungen  in  den  Partei- 
verhältnissen des  Abgeordnetenhauses 
veranlassten  auch  ihn,  sein  Amt,  das  er 
kaum  erst  sechs  Monate  inne  hatte,  am 
14.  Januar  1881   niederzulegen. 

Der  innerhalb  so  kurzer  Zeit  dritte 
Handelsminister,  Felix  Freiherr  von  Pino- 
Friedenthal,  stand  hingegen  gleich  vom 


Brücke  über  die  Oetzthaler  Ache.  [Innsbruck-Landeck.] 
aus   der  Bauzeit  der  Arlbergbahn.j 


Tage  seiner  Ernennung  [14.  Januar]  an, 
nicht  auf  schwankem  Boden ;  das  Cabinet 
war  nunmehr  ein  homogenes,  und  fand 
seine  Stütze  in  einer  festgeschlossenen 
und  [wie  ihr  Führer,  Graf  Hohen- 
wart,  sich  ausdrückte]  »als  grosse  Partei 
organisirtet  Mehrheit  des  Abgeordneten- 
hauses. Freiherr  von  Pino  konnte  daher 
mit  Aussicht  auf  guten  Erfolg  eine  rege 
Thätigkeit  entfalten  und  that  dies  auch 
in  vollstem  Masse. 

Zunächst  widmete  er  sich  der  von 
seinem  Amisvorgänger  eingeleiteten 
Verstaatlichung  der  Kaiserin 
Elisabeth- Bahn.  Dieses  grosse  Vor- 
haben hatte  seinen  Ursprung  erstens :  in 
der  Noth wendigkeit,  das  in  den  Staats- 
betrieb übergegangene  Netz  der  Kronprinz 
Rudolf-Bahn  und  die  auf  Staatskosten 
zur  Ausführung  gelangende  Arlbergbahn 
durch  staatliche  Linien  sowohl  unterein- 
ander, als  auch  mit  der  Hauptstadt  des 
Reiches  in  Verbindung  zu  bringen ; 
zweitens :  in  dem  Streben  nach  Verwirk- 
lichung des  Gedankens,  welcher  dem 
Gesetze  vom  14.  December  1877  zu 
Grunde  gelegen,  d.  h.  der  Zurückführung 
des    Eisenbahnwesens    in    die    Eigenver- 


288 


Ignaz  Konta. 


waltung  des  Staates,  wie  dies,  neben 
vielen  anderen  wirtschaftlichen  und 
politischen  Umgestaltungen,  insbesondere 
in  Deutschland  mit  seinem  aus  dem 
grossen  siegreichen  Kriege  gewonnenen 
Macht-  und  finanziellen  Mitteln  kräftigst 
ins  Werk  gesetzt  —  und  auch  schon 
in  Ungarn  zum  Principe  erhoben  wurde. 

Der  Handelsminister  v.  Kremer  hatte 
zu  diesem  Zwecke  die  Verstaatlichung  der 
Südbahn  geplant,  und,  nachdem  diese  sich 
als  unthunlich  erwies,  den  Zusammen- 
schluss  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  mit 
den  Niederösterreichischen  Staatsbahnen, 
bei  gleichzeitiger  Verlängerung  der  letz- 
teren bis  an  die  allenfalls  auch  zu  ver- 
staatlichende Wien- Aspang- Bahn.  Als 
jedoch  auch  dieses  Project,  theils  an  der 
minderen  Zweckdienlichkeit,  theils  an  dem 
Kostenpunkte,  scheiterte,  fasste  er  die 
Verstaatlichung  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  ins  Auge,  und  lud  die  Verwaltung 
derselben  am  13.  November  1880,  unter 
Hinweis  auf  §  6  des  Gesetzes  vom  14. 
December  1877  [siehe  Seite  252  ],  zu  Ver- 
handlungen ein,  denen  folgende  Anträge 
der  Regierung  zur  Grundlage  dienen 
sollten :  Uebernahme  des  ganzen  Netzes 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  mit  I.  Januar 
1881  vorderhand  in  den  staatlichen  Be- 
trieb ;  Leistung  der  garantiemässigen 
Annuitäten  für  die  Verzinsung  und  Tilgung 
der  Prioritäten ;  Gewährung  einer  jähr- 
lichen Rente  von  1 1  fl.  Banknoten  für 
jede  Stammactie,  beziehungsweise  10  fl. 
Silber  für  jede  Actie  II.  und  III.  Emission  ; 
vollständige  Erwerbung  der  Bahn  durch 
den  Staat,  sobald  die  Währungsstreitig- 
keiten mit  den  Prioritäten-Besitzern  bei- 
gelegt sind,  und  sodann  Umtausch  der 
gesellschaftlichen  Titel  gegen  staatliche 
Goldobligationen. 

Die  Gesellschaft  hatte  damals  gerade 
sehr  viel  unter  jenen  Streitigkeiten  zu 
leiden,  und  war  eben  im  Begriffe,  mit 
den  Prioritären  einen  kostspieligen  Aus- 
gleich einzugehen,  dessen  Zustande- 
kommen jedoch  von  der  schwierigen 
Bedingung  abhängig  blieb,  dass  seine 
Rechtsgiltigkeit  für  die  deutschen  Gerichte 
staatlich  gewährleistet  werde.  Die  Mög- 
lichkeit der  Fortdauer  der  Coupon-Processe 
und  der  Unsicherheit  in  dem  Ausmasse 
der  Actienverzinsung   stimmte    den  Ver- 


waltungsrath  recht  willig  zum  Eintritte 
in  die  Verhandlungen  mit  der  Regierung, 
von  denen  er  übrigens  eine  Erhöhung 
der  Actienrente  und  die  Uebernahme  der 
Valuta-Differenzen  zu  Lasten  des  Staates 
erhoffte.  In  ersterer  Beziehung  zeigte 
sich  die  Regierung  entgegenkommend, 
indem  sie  die  Rente  um  einen  halben 
Gulden  pro  Actie  der  I.  und  IL  Emission 
erhöhte;  die  Tragung  der  aus  dem  Coupon- 
streite etwa  hervorgehenden  Mehrzahlun- 
gen lehnte  sie  aber  rundweg  ab,  und 
gestattete  schliesslich  nur  die  Heran- 
ziehung der  gesellschaftlichen  Reserve- 
fonds zu  diesen  Leistungen. 

Auf  diesen  Grundlagen  wurde  das 
Uebereinkommen  vom  24.  December  1 880 
aufgebaut,  welches  auch  schon  die  Be- 
dingungen für  die  gänzliche  Erwerbung 
der  Bahn  umfasste,  nämlich:  Die  Be- 
rechtigung des  Staates  zur  jederzeitigen 
Einlösung  der  Bahn;  Gebrauchmachung 
von  diesem  Rechte  erst  dann,  wenn  der 
Prioritäten-Dienst  keine  Mehrlasten  ver- 
ursacht [d.  h.  nach  der  Beilegung  der 
Coupon-Processe] ;  Eintritt  des  Staates 
als  Selbstschuldner  für  die  Prioritäts- 
Anlehen  von  nom.  87,782  000  fl. ;  Aus- 
tausch der  Actien  gegen  staatliche,  mit 
50,0  in  Gold  verzinsliche,  binnen  85  Jahren 
rückzahlbare  Eisenbahn-Schuldverschrei- 
bungen im  Gesammt-Nennwerthe  von 
59,000.000  fl.  ö.  W.  Gold,  wobei  je  eine 
Stammactie  mit  190  fl.,  eine  Actie 
IL  Emission  mit  168  fl.,  und  eine 
Actie  III.  Emission  mit  160  fl.  be- 
werthet  und  den  einzelnen  Actionären 
freigestellt  wird,  den  Fortbezug  der  oben- 
erwähnten Renten  für  die  Zeit  bis  zur 
Tilgung  des  Titels  zu  wählen;*)  Ueber- 
nahme des  gesammten  Dienstpersonals 
unter  Wahrung  seiner  erworbenen  Rechte. 

Gleich  nach  dem  Abschlüsse  des 
Uebereinkommens  berief  der  Verwaltungs- 
rath  eine  ausserordentliche  Generalver- 
sammlung auf  den  31.  Januar  1881  ein, 
deren  Verlaufe  allenthalben  mit  grosser 
Spannung  entgegengesehen  wurde,  weil 
aussergewöhnlich  zahlreiche  Anmeldungen 
einliefen.     Ebenso    gross    war    die    Ent- 


*)  Die  Regierung  hatte  sich  vorbehalten, 
statt  der  5%'gen  nur  4°/„ige  Schuldverschrei- 
bungen im  Nominalbetrage  von  74,000.000  fl. 
Gold   zu  erfolgen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


289 


Abb.  130.    Die  Arlbergbahn  bei  Roppen  [Roppener  Wasserleitung], 


täuschung,  als  die  erschienenen  90  Actio 
näre,  welche  55.731  Actien  und  1378 
Stimmen  vertraten,  den  Bericht  des  Ver- 
waltungsrathes  lautlos  anhörten,  das 
Uebereinkommen  ohne  jede  Frage  und 
Antwort  mit  allen  gegen  drei  Stimmen 
annahmen,  und,  für  den  Fall  der  Ein- 
lösung der  Bahn,  die  Liquidation  der 
Gesellschaft  beschlossen.  Man  wollte 
diese  Erscheinung  darauf  zurückführen, 
dass  Finanz-Institute,  welche  sich  der 
Regierung  gefällig  erweisen  wollten,  viele 
^  Stücke«  [so  z.  B.  die  Länderbank  allein 
bei  24.000]  und  »Actionäre«  beigestellt 
hatten.  Dies  kann  jedoch  wenigstens 
insoferne  nicht  für  zutreffend  gelten,  als 
unter  den  vielen  Anwesenden  sich  denn 
doch  Jemand  gefunden  hätte,  um  Ein- 
sprache zu  erheben,  wenn  diese  berechtigt 
gewesen  wäre.  Von  Ergebung  oder  Unter- 
würfigkeit konnte  also  nicht  die  Rede  sein. 
Die  Theilnehmer  wussten  vielmehr  genau, 
was  sie  thaten,  indem  sie  gerne  auf  den 
Glücksfall  manchmaliger  höherer  Dividen- 
den verzichteten,  um  sich  dafür  eine  gute, 
unter  Garantie  des  Staates  stehende  Rente 
zu  sichern;  sie  hatten  alle  Ursache,  mit  dem 
Uebereinkommen  wohl  zufrieden  zu  sein. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Aus  diesem  Umstände  schmiedeten 
nun  aber  die  neuen  oppositionellen  Parteien 
des  Abgeordnetenhauses  manche  Waffe 
gegen  das  Uebereinkommen,  welches  am 
22.  Februar  1881  vor  den  Reichsrath 
gelangte.  Der  besonders  ausführliche 
Motivenbericht  zu  dieser  Vorlage  zählte 
alle  die  Gründe  auf,  welche  die  Regierung 
vermocht  hatten,  auf  dem  in  Gemässheit 
des  Gesetzes  vom  14.  December  1877 
eingeschlagenen  Wege  in  so  bedeutsamer 
Weise  vorzuschreiten ;  er  besprach  ins- 
besondere die  Noth wendigkeit,  »Eisen- 
bahnen, an  welchen  der  Staat  in  über- 
wiegendem Masse  finanziell  betheiligt  ist, 
und  welche  Verkehrsrichtungen  verfolgen, 
denen  eine  besondere  staatswirthschaft- 
liche  und  handelspolitische  Wichtigkeit 
zukommt,  der  unmittelbaren  Verfügung 
des  Staates  zu  unterstellen,  wie  dies  in 
den  Nachbarstaaten  bereits  in  der  Haupt- 
sache geschehen  ist« ;  er  wies  weiters 
den  Fortgang  der  Eisenbahn-Verstaat- 
lichung in  jenen  Staaten  ziffermässig 
nach,  desgleichen  die  Ersparnisse  und 
sonstigen  wirthschaftlichen  Vortheile  der 
Vereinigung  der  Kaiserin  Elisabeth- Bahn, 
der    Kronprinz    Rudolf-Bahn,    der    Linie 

19 


290 


Ignaz  Konta. 


Tarvis-Pontafel,  der  Niederösterreichischen 
Staatsbahnen,  der  Donauuferbahn,  der 
Braunau-Strasswalchener  Bahn,  der  Arl- 
bergbahn  und  der  Vorarlberger  Bahn  zu 
einem  einheitlichen  Staatsbahnnetze ;  er 
legte  dar,  wie  sehr  dieses  Netz  die  Tarif- 
politik des  Staates  fördere  und  dem  Durch- 
zugsverkehre nach  dem  Westen  zustatten 
käme  und  erklärte  unumwunden,  dass 
» die  Erwerbung  der  Kaiserin  Elisabeth- 
Bahn  eine  wichtige  und  nothwendige 
Ergänzung  jener  Massnahmen  sei,  von 
deren  rechtzeitiger  Durchführung  es  ab- 
hängt, ob  in  Oesterreich  die  Institution 
des  Staats-Eisenbahnbetriebes  sich  wieder 
dauernd  einbürgern  oder  nur  die  Zahl 
der  vorübergehenden  Versuche  vermehren 
soll,  die  nach  wechselnden  Tagesströ- 
mungen auf  verkehrspolitischem  Gebiete 
einander  in  rascher  Folge  abgelöst 
haben«. 

Trotzdem  wurde  die  Vorlage,  wie 
gesagt,  heftig  bekämpft.  Parteien  und 
Personen,  die  früher  bei  den  Erörte- 
rungen der  verschiedenen  Sanirungs- 
und Fusionsvorlagen  immer  wieder  die 
Verstaatlichung  verlangt  hatten,  kehrten 
sich  jetzt  gegen  dieselbe,  theils  aus 
grundsätzlichen ,  theils  aus  finanziellen, 
vorwiegend  aber  aus  politischen  Be- 
weggründen. Dies  geschah  zunächst 
im  Eisenbahn-Ausschusse,  dessen  Mit- 
glieder, soweit  sie  überhaupt  der  Ver- 
staatlichungs  -  Action  zugethan  waren, 
weitergehendere  Cautelen  gegen  etwaige 
aus  den  Valuta  -  Schwankungen  sich 
ergebende  Mehrleistungen  im  Falle  der 
gänzlichen  Einlösung  der  Bahn,  sowie 
Bestimmungen  verlangten,  welche  den 
Zweck  der  Action  im  Gesetze  selbst 
zum  Ausdruck  bringen  und  vorbeugen 
sollten,  dass  die  Regierung  den  Betrieb 
wieder  aus  den  Händen  gebe.  Als  die 
letztere  sich  mit  den  Aenderungen  ein- 
verstanden erklärt  und  der  Ausschuss 
die  Vorlage  endlich  angenommen  hatte 
[23.  März],  erfuhr  dieselbe  sodann  im 
Abgeordnetenhause  selbst  womöglich  noch 
schärfere  Angriffe.  Die  Berathungen,  bei 
denen  die  politischen  Parteien  sich  in 
geschlossenen  Reihen  gegenüberstanden, 
währten  vom  5.  bis  7.  April  sozusagen 
Tag  und  Nacht,  Hessen  mitunter  recht 
deutlich    erkennen,    dass  der  Widerstand 


auch  hier  einen  mehr  politischen  Hinter- 
grund habe,  und  endeten  bei  der  nament- 
lichen Abstimmung  mit  der  Annahme  des 
Gesetzes. 

Damit  war  jedoch  nicht  wie  sonst  schon 
das  Meiste  gewonnen;  denn  im  Herren- 
hause besass  die  Verfassungspartei  noch 
die  Mehrheit  und  was  gewärtigen  Hess, 
dass  sie  den  Kampf  ihrer  im  Abgeord- 
netenhause unterlegenen  Parteigenossen 
fortsetzen  werde.  Dies  war  auch  wirklich 
der  Fall  und  zeigte  sich  gleich  bei  den 
Vorberathungen  in  der  Eisenbahn-  und 
Finanz  -  Commission,  welche  zwar  er- 
klärte, keineswegs  gegen  die  Verstaat- 
lichung zu  sein,  doch  aber  das  Ueber- 
einkommen  sowohl  wegen  der  darin 
festgesetzten  Goldzahlung,  wie  auch  im 
Hinblicke  auf  die  noch  andauernden 
Coupon-Processe,  als  ein  für  den  Staat 
viel  zu  ungünstiges  bezeichnete.  [2.  Juni.] 
Die  Entscheidung  des  Herrenhauses  war 
also  leicht  vorauszusehen ;  es  kam 
jedoch  vorläufig  zu  keiner  solchen,  da 
der  Reichsrath  am  4.  Juni  plötzlich  ver- 
tagt wurde. 

Die  Regierung  pflog  nun  neuerliche 
Verhandlungen  mit  der  Gesellschaft,  um 
dieselbe  zu  bewegen,  dass  sie  von  der 
bedungenen  Goldzahlung  des  Staates  ab- 
sehen und  sich  mit  einer  etwas  erhöhten 
Zahlung  in  Silber  begnügen  möge.  Dies 
misslang  und  die  Verhandlungen  hatten 
blos  die  Verlängerung  der  am  30.  Juni 
ablaufenden  Giltigkeit  des  Uebereinkom- 
mens  bis  Ende  1881  zum  Ergebnisse. 
Das  hierüber  ausgefertigte  Protokoll  vom 
28.  Juni  wurde  seitens  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  30.  Juli 
188 1   genehmigt. 

Das  ganze  Vorhaben  und  mit  ihm 
auch  das  Verstaatlichungs-Princip  selbst 
erschien  nun  gefährdet,  so  zwar,  dass 
bereits  ein  Verkauf  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  oder  etwa  deren  Auftheilung  an 
die  Nachbarbahnen  nicht  blos  von  aussen 
angeregt,  sondern  auch  an  massgebender 
Stelle  in  Betracht  gezogen  wurde.  Die 
Raben  der  Societe  beige  flatterten  wieder 
auf  und  die  von  der  noch  jugendfrischen 
Länderbank  damals  geplante  »Eisenbahn- 
betriebs-Gesellschaft« für  die  schon  ver- 
staatlichten oder  auf  Grund  des  Seque- 
strations-Gesetzes   noch    vom   Staate   zu 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


29I 


übernehmenden    Bahnen    hörte    auf,    ein 
blosses   Phantom  zu  sein. 

Knapp  vor  der  Wiedereröffnung  des 
Reichsrathes  bemühte  sich  der  Handels- 
minister die  eigens  einberufene  Eisenbahn- 
Commission  des  Herrenhauses  zur  Er- 
neuerung ihrer  Verhandlungen  zu  bewegen 
{18.  November],  sie  lehnte  dies  ab.  Zwei 
Tage  später  verlautbarte  das  Amtsblatt 
die  Ernennung  einer  Reihe  neuer  Mit- 
glieder des  Herrenhauses  und  nach  weiteren 
zwei  Tagen  wurde  die  Vollsitzung  des- 
selben zur  Berathung  der  Vorlage  an- 
beraumt. Sie  sollte  am  11.  December 
beginnen,   wurde  aber  infolge  der  Ring- 


Eisenbahnbetrieb  in  Wien«  und 
die  Ernennung  des  —  schon  1881  in 
den  Verwaltungsrath  gewählten  und 
in  der  eben  erwähnten  Verwaltungs- 
raths-Sitzung  [ab  I.  Januar  1882]  in 
den  Ruhestand  getretenen  —  General- 
Directors  der  Kaiserin  Elisabeth -Bahn, 
Sectionschef  Alois  von  Czedik,  zum 
provisorischen  Vorstande  dieser  Direction, 
mittels  Kundmachung  des  Handesmini- 
steriums vom  27.  December  1881  ver- 
lautbart  wurde. 

Am  1.  Januar  1882  ward  also  die 
Schaffung  eines  grossen  staatlichen  Be- 
triebsnetzes   zur    vollendeten    Thatsache. 


Abb.  131.    Landeck. 


theater  -  Katastrophe  auf  den  Abend  des 
12.  December  verschoben  und  am  13.  fort- 
gesetzt, beziehungsweise  abgeschlossen. 
Die  Debatten  waren  überaus  erregte  und 
gaben  Zeugnis  von  dem  schroffen  Gegen- 
satze der  politischen  Parteien.  Die  Abstim- 
mung ergab  indessen  die  Ablehnung  des 
Commissions-Antrages  und  die  Annahme 
der  Vorlage,  welche  dann  durch  die  a.  h. 
Sanction  vom  23.  December  1881  zum 
Gesetze  erwuchs. 

Nun  traf  die  Regierung  alle  Vor- 
kehrungen zur  raschen  Durchführung  des- 
selben. Am  24.  December  erhielt  der 
Verwaltungsrath,  bei  gleichzeitigem  Aus- 
drucke der  dankenden  Anerkennung  für 
seine  vieljährigen,  erspriesslichen  Lei- 
stungen, die  Verständigung  von  der 
Uebernahme  des  Betriebes  durch  den 
Staat,  welche  gleichwie  die  Bestellung 
einer    »K.  k.  Direction    für  Staat s- 


Am  selben  Tage  traten  auch  die  Ver- 
einbarungen über  die  gesellschaftliche 
Betriebsführung  auf  der  Braunau-Strass- 
walchner  Bahn  [siehe  Seite  222]  und  die 
Mitbenützung  der  neuen  Strecke  der 
Donauuferbahn  [siehe  Seite  282]  ausser 
Kraft. 

Die  weitere  Organisirung  des  Staats- 
betriebes fand  im  ersten  Halbjahre  1882 
statt,  ihre  Grundlage  bildete  das  mit 
a.  h.  Entschliessung  vom  24.  Februar  ge- 
nehmigte und  mittels  Verordnung  des 
Handelsministeriums  vom  26.  Februar 
1882  kundgemachte  Statut,  das  zwar  nur 
den  Titel  »Grundzüge  für  die  Organi- 
sation des  Staatsbetriebes  auf  den  west- 
lichen Staatsbahnen  und  vom  Staate  be- 
triebenen Privatbahnen«  führte,  gleich- 
wohl aber  umfassende  Satzungen  für  die 
neue  Institution  enthielt,  von  denen  jedoch 
hier  nur  die  zur  Umrahmung  des  Ganzen 

19* 


292 


Ignaz  Konta. 


gehörenden  Hauptbestimmungen  hervor- 
gehoben sein  sollen,  da  sie  anderen  Orts 
ausführlicher  erörtert  werden.  *) 

Das  Statut  bestimmt  zunächst,  dass 
zur  Führung  des  Betriebes  der  oben  ee- 
nannten  Bahnen  eine  ausserhalb  des 
Handelsministeriums  stehende,  jedoch  dem- 
selben unmittelbar  untergeordnete  Central- 
Verwaltungsstelle  mit  dem  Sitze  in  Wien 
errichtet  werde,  welche  die  »K.  k.  Direction 
für  Staats-Eisenbahnbetrieb  in  Wien«  sowie 
den  »Staats  -  Eisenbahnrath«  in  sich 
schliesst  und  einen  von  Sr.  Majestät  dem 
Kaiser  ernannten  Präsidenten  zum  Vor- 
stande, beziehungsweise  Vorsitzenden  hat; 
es  bezeichnet  ferner  diejenigen  Ver- 
waltungs- Angelegenheiten,  welche  dem 
Handelsministerium  selbst  vorbehalten 
bleiben,  regelt  den  Wirkungskreis  der 
einzelnen  Factoren  der  Central  -  Ver- 
waltungsstelle, wie  auch  die  Zusammen- 
setzung des  Staats-Eisenbahnrathes,  dann 
den  Wirkungskreis  der  Direction  und  die 
Gliederung  des  Executiv  -  Dienstes,  zu 
dessen  Besorgung  die  »K.  k.  Ober-Bahn- 
betriebsämter«  eingesetzt  wurden. 

Während  die  Einrichtung  der  letzteren 
und  der  Dienststellen  der  Direction  zu 
Ende  gedieh,  übertrug  das  Handelsmini- 
sterium mittels  Kundmachung  vom  19.  Juni 
1882  die  Befugnisse,  welche  dem  k.  k. 
Betriebsvervvalter  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn  und  der  Ministerial  -  Commission 
für  die  Verwaltung  der  k.  k.  Nieder- 
österreichischen Staatsbahnen  [sammt  der 
Donauufer  -  Bahn]  eingeräumt  gewesen 
waren,  an  die  Direction,  und  mit  a.  h. 
Entschliessung  von  24.  Juni  erfolgte  die 
Ernennung  ihres  provisorischen  Vor- 
standes, Alois  C  z  e  d  i  k  von  Bründelsberg, 
zum  Präsidenten. 

Da  inzwischen  —  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  14.  December  1877  und 
des  Protokollar-Uebereinkommens  vom 
25.  August  1869  [siehe  Seite  74],  welches 


*)  Näheres  im  Abschnitte  »Verwal- 
tungs-Geschichte der  österreichischen  Eisen- 
bahnen« von  Dr.  Alfr.   Freiherr  Buschman. 

Eine  Analyse  der  Administration  ist  auch 
in  der  »Geschichte  des  Eisenbahnwesens« 
von  Dr.  Theodor  Haberer,  Wien  1884,  ent- 
halten, ebenso  im  XVI.  Jahrgang  von  Konta's 
Eisenbahn-Jahrbuch  ein  Abdruck  der  wesent- 
lichen Punkte  der  Verordnung  vom  26.  Fe- 
bruar 1882. 


seit  der  Inangriffnahme  der  Arlbergbahn 
Actualität  erlangt  hatte  —  auch  die 
Uebernahme  der  Vorarlberger 
Bahn  in  den  Staatsbetrieb  verfügt 
und,  ebenfalls  am  24.  Juni,  amtlich  kund- 
gemacht worden  war,  fiel  auch  diese 
Bahn  schon  unter  die  am  1.  Juli  1882 
pünktlich  und  regelrecht  begonnene  Wirk- 
samkeit der  k.  k.  Direction  für  Staats-Eisen- 
bahnbetrieb. Nach  Aussen  hin  war  ihre 
erste  That  eine  Herabsetzung  der  Fahr- 
preise auf  allen  Linien  der  westlichen 
Staatsbahnen. 

Die  Meinung,  dass  der  wiedererstandene 
staatliche  Eisenbahnbetrieb  nunmehr  jeden 
Zweifel  an  den  Neubeginn  der  Herrschaft 
des  Staatsbahn -Principes  ausschliesse, 
wurde  gar  bald,  wenn  auch  nur  vorüber- 
gehend, erschüttert,  und  zwar  durch  den 
am  5.  April  1881  vor  das  Abgeordneten- 
haus gelangten  Gesetzentwurf  über  die 
Sicherstellung  der  Galizischen  Trans- 
versalbahn, mit  welchem  abermals  auf 
die  Concessionirung  zurückgegriffen 
wurde.  Das  allgemeine  Staunen  hierüber 
war  umso  grösser,  als  in  diese  Bahn 
bereits  bestehende  staatliche  Linien  zu 
liegen  kamen  und  dieselbe  neben  den 
wirthschaftlichen  auch  bedeutenden  ge- 
sammtstaatlichen  Interessen  zu  dienen  be- 
stimmt war.  Es  waren  jedoch  die  Betrach- 
tungen über  die  auffällige  Erscheinung 
kaum  in  vollen  Gang  gekommen,  als 
schon  der  Umschwung  eintrat.  Der  Eisen- 
bahn-Ausschuss  verlangte  gleich  von 
vornherein  den  Staatsbau;  der  Handels- 
minister erklärte  sich  sofort  mit  der 
Aenderung  einverstanden  und  vertrat  die- 
selbe auch  im  Parlamente,  welches  — 
wie  später  des  Näheren  dargelegt  wird  — 
die  Vorlage  nach  heftigen  Erörterun- 
gen annahm.  Auch  diese  erhielt  noch 
vor  Ablauf  des  Jahres  1881,  nämlich 
am  28.  December  die  a.  h.  Sanction 
und  wurde,  als  Gesetz  betreffend  den 
Ausbau  der  Galizischen  Trans- 
versalbahn —  unverweilt  kundge- 
macht. Dasselbe  verfügte,  dass  die  zu 
dieser  Bahn  noch  fehlenden  Strecken : 
Saybusch-Neu-Sandec,  Gryböw- 
Zagörz,  Stanislau-Husiatyn  [letz- 
tere als  Localbahn]  mit  einem  Aufwände 
von  höchstens  24,000.000  fl.  auf  Kosten 
des  Staates    ausgeführt    werden.     Rück- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


293 


sichtlich  der  grossen  Bahnen    blieb  also 
die  Concessionirung  vermieden. 

Jene  der  Localbahnen  nahm  hingegen 
einen  immer  grösseren  Aufschwung.  Von 
allen  Seiten  strömten "  die  Bewerber  um 
Concessionen  von  Localbahnen  herbei 
und  mannigfache  Bauunternehmungen 
widmeten  sich  fast  ausschliesslich  der 
Pflege  dieses  neuen  Zweiges  des  Eisen- 
bahnwesens; eine  derselben  —  Johann 
M u z i k a  und  Karl  Schnabel  —  bildete 
im  Vereine  mit  der  Länderbank  und  noch 


regung  zum  Baue  einer  von  Wien  nach 
diesen  Ortschaften  führenden  Dampf- 
tramway  gegeben  und  sich  auch  um 
die  bezügliche  Concession  beworben. 
Der  Handelsminister  entsendete  nun  eine 
eigene  Commission  nach  Italien,  wo  zu 
jener  Zeit  schon  ganze  Netze  solcher 
Anlagen  bestanden,  um  das  Wesen  und 
die  Nützlichkeit  derselben  an  Ort  und 
Stelle  zu  erheben.  Der  Bericht  dieser 
Commission*)  lautete  so  günstig,  dass 
fortan  auch  mit  dieser  Gattung-  von  Eisen- 


g£ag§&: 


Abb.  132.    Uebersetzung  des  Innthales  bei  Landeck.  [Original-Aufnahme  von  Anton  Hlavaöek.] 


anderen  Finanzinstituten  eine  eigene  Ge- 
sellschaft zum  Baue  von  »Verbindungs- 
bahnen in  Böhmen«,  die  bei  ihrer  am 
3.  November  1881  erfolgten  Constituirung 
die  Firmabezeichnung  »Böhmische 
Commerzialbahnen«  wählte,  mit 
einem  Stammcapitale  von  4,560.800  fl. 
ausgestattet  war  und  ihre  Thätigkeit  so- 
gleich eröffnete. 

Damals  reiften  auch  die  ersten  Pro- 
jecte  der  D ampf tr am  w ay  s  in  Oester- 
reich.  Die  Münchener  Locomotivfabriks- 
Firma  Krauss  &  Comp,  hatte,  zurück- 
greifend auf  die  alten  Bestrebungen,  für 
die  Schaffung  guter  Verbindungen  zwi- 
schen Wien  und  seinen  ausserhalb  des 
Eisenbahn- Verkehres  gebliebenen  Um- 
gebungen, insbesondere  auf  die  schon 
in  den  Jahren  1872  und  1873  vorcon- 
cessionirt  gewesenen  Linien  Wien-Mauer- 
Mödling,  beziehungsweise  Brühl,  die  An- 


bahnen zu  rechnen  blieb.  Mancherlei 
Schwierigkeiten  [der  Protest  der  Südbahn, 
die  Neuheit  des  Systems,  die  Führung 
der  Bahn  mitten  durch  die  Ortschaften 
etc.]  verzögerten  jedoch  den  Beginn  der 
Versuche.  Krauss  &  Comp,  erhielt  erst 
am  30.  Juli  1882  die  Concession  für  die 
iO'4  km  lange  Linie  Hietzing-Perchtolds- 
dorf,     die  am  27.   October   1883   eröffnet 


*)  »Bericht  über  die  Concessionirung,  den 
Bau  und  Betrieb  der  Dampftramways  in 
Italien.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Dampftramways  in  den  Umgebungen  von 
Florenz  und  Mailand.  Infolge  Auftrages 
des  k.  k.  Handelsministeriums  erstattet  von 
Franz  Schulz,  k.  k.  Regierungsrath  und 
Ober-Inspector  der  k.  k.  General-Inspection 
der  österreichischen  Eisenbahnen,  Julius 
Glück,  Inspector  der  k.  k.  General-Inspection 
der  österreichischen  Eisenbahnen,  Dr.  Max 
Freiherr  von  Buschman,  k.  k.  Ministerial- 
Vice-Secretär  im  Handelsministerium.«  [Wien, 
1882.I 


294 


Ignaz  Konta. 


wurde.  In  den  Jahren  1885  und  1886 
kamen  dann  die  Ergänzungsstrecken 
Wien-Hietzing  [3-3  km],  Perchtoldsdorf- 
Mödling  [3-3  km]  und  Hietzing  -  Ober- 
St.  Veit  [2*4  km]  hinzu,  nachdem  die- 
selbe Firma  am  3.  April  1884  auch  für 
die  26' 1  km  lange  Linie  Wien-Stammers- 
dorf-Gross-Enzersdorf  die  Concession  er- 
halten hatte.  Diese  Linie  wurde  am 
7.  Juni  1886  eröffnet.  Das  waren,  wie 
gesagt,  die  ersten  Dampftramways  in 
Oesterreich,  die  bald  vielfache  Nach- 
ahmung fanden. 

Eine    der    wesentlichsten    Schwierig- 
keiten, welche  der  Dampftramway  Wien- 
Perchtoldsdorf  entgegen  gestanden,    war 
die    Bedachtnahme    auf    die    Wiener 
Stadtbahn,      welche     zu    jener     Zeit 
gleichfalls    von  Neuem  projectirt  wurde, 
und    zwar    vornehmlich    von    den    Eng- 
ländern  Ed.   Jenkins,  Josef  Fogerty 
und  James    C.    Bunten.    Man   brachte 
diesem  Projecte    allseitig  das  lebhafteste 
Interesse    entgegen    und  freute  sich,    als 
Fogerty    am    25.  Januar  1883    die  Con- 
cession für  die  »Wiener  Gürtelbahn«   er- 
hielt. Als  jedoch  die  Detailpläne  bekannt 
geworden    waren     und    gezeigt    hatten, 
dass  diese  Bahn    nicht    einmal   recht  zu 
den  Vororten  hinausreiche,  also  die  von 
ihr    erhoffte    Aufschliessung    neuer    An- 
siedlungsbezirke  nicht    biete    und    oben- 
drein   durch    ihre  Führung    auf  eisernen 
Viaducten  die  Schönheit  der  Stadt  beein- 
trächtigen sollen,  da  wurde  sie  über  die 
Massen  angefeindet.   Das  vereitelte  auch 
die  Finanzirung.  Schliesslich  ging  Alles  in 
die  Brüche;  die  Caution  von  1,000.000  fi. 
verfiel    und  die  »Stadtbahn«   blieb    noch 
weitere  fünfzehn  Jahre  ungebaut. 

Der  stetig  zunehmenden  Localbahn- 
Bewegung  sahen  auch  die  alten  Haupt- 
bahn-Unternehmungen nicht  müssig  zu; 
die  Prag-Duxer  Bahn  erwarb  am 
30.  September  1881  die  Concession  für 
die  Secundärbahn  Zlonic-Hospozin,  8  km 
lang,  und  am  23.  December  1882  jene 
für  die  nunmehr  als  Localbahn  auszu- 
führende Strecke  Klostergrab-Mulde  [siehe 
Seite  262],  15-9  km  lang;  die  Bus  cht  ö- 
hrader  Bahn*)  erwarb  am  17.  Mai  1882 

*)  Am  14.  Novemb.  1S81  verlor  die  Buschte- 
hrader  Bahn  durch  das  Ableben  des  General- 
Directors  Josef  Ritter  von  Kress  ihren  lang- 


die  Concession  für  die  12-3  km  lange 
Localbahn  Krupa  -  Kolleschowitz ;  die 
Südbahn  erwarb  am  21.  Juni  1882 
die  Concession  für  die  6-7  km  lange 
Localbahn  Liesing'- Kaltenleutgeben,  am 
23.  August  1882  jene  für  die  4*5  km 
lange  Secundärlinie  Mödling-Hinterbrühl 
—  die  erste  elektrische  Bahn  in 
Oesterreich  und  am  2.  Juni  1884  jene  für 
die  30-9  km  lange  Localbahn  Spielfeld- 
Radkersburg;  die  Carl  Ludwig-Bahn 
übernahm  am  1 1.  Juli  1882  die  am  22.  No- 
vember 1881  dem  Consortium  des  Fürsten 
Adam  S  a  p  i  e  h  a  verliehene  1 46-9  km  lange 
Localbahn  Jaroslau-Sokal;  die  Böhmi- 
sche Nordbahn  erwarb  am  4.  August 
und  beziehungsweise  26.  December  1885 
die  Concessionen  für  die  4*5  km  lange 
Localbahn  ■  Böhmisch-Kamnitz — Stein- 
schönau  und  für  die  4*8  km  lange  Lo- 
calbahn Röhrsdorf —Zwickau ;  die  Lern- 
berg-Czernowitz-J  assy-Eisenbahn 
erwarb  am  8.  Januar  1886  die  Concession 
für  die  88 -4  km  lange  Localbahn  Lem- 
berg-Belzec  [Tomaszöw],  für  die  sie  aber 
nachher  eine  eigene  Gesellschaft  errich- 
tete; die  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft erwarb  am  21.  August  1881,  be- 
ziehungsweise 28.  December  1882,11.  März 

1883,  15.  Januar,  3.  Juli  und  22.  October 

1884,  6.  Januar  und  5.  November  1886 
die  Concessionen  für  siebzehn  Localbahnen 
in  der  Gesammtlänge  von  397  km. 

Die  letzterwähnten  Concessionirungen 
umfassten  auch  die  Linien  Segen  Gottes- 
Okfisko  und  Brünn-[Schimitz-]Vlarapass, 
welche    mit    der   Zweitheilung    der 
österreichischen    Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft im  Zusammen- 
hange   standen.       Dieses    wichtige    Ge- 
schehnis   hatte    seinen  Ausgang    in    den 
schon    vorlängst    eingetretenen    Zerwürf- 
nissen zwischen  der  Gesellschaft  und  der 
königlich    ungarischen  Regierung,    welch 
letztere  in  dem  Streben,  nach   »Verselbst- 
]   ständigung    der    Verkehrsinteressen     des 
i   Landes«,    stets    dem    Widerstände  jener 
!  begegnete.       Die     Rückwirkung     dessen 
äusserte    sich    insbesonders    darin,    dass 
I  die  Gesellschaft    keines    ihrer    grösseren 

jährigen  Geschäftsleiter;  an  seine  Stelle 
trat  am  22.  December  1881  der  bisherige 
gesellschaftliche  Betriebs-Director  Wilhelm 
Kretschmer. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreicljs. 


295 


ungarischen  Eisenbahn-Projecte  [Kikinda- 
Belgrad,  Budapest-Semlin,  Ofen-Raab- 
Wien]  mehr  durchzusetzen  vermochte, 
sogar  den  schon  vollzogenen  Ankauf  der 
Waagthalbahn  fallen  lassen  musste.*)  An- 
fangs März  1882  gewann  es  den  An- 
schein, als  ob  der  seit  Jahren  im  Stillen 
fortgeführte  Kampf  endlich  aufhören 
solle.  Die  Ge- 
sellschaft be- 
warb sich  da- 
mals neuer- 
dings um  die 
Concession  für 
die  Linie  Ofen- 
Uj-Szöny  nebst 
Abzweigung 
zum  Graner 
Kohlenbecken, 
verzichtete  hie- 
bei  auf  die 
Staatsgarantie 
und  machte 
sich  erbötig, 
der  Regierung 
die  freie  Tarif- 
bestimmung 
für  diese  Linie 
zu  überlassen. 
Nur  zu  bald 
zeigte  sich  je- 
doch, dass  die 
Hoffnung  auf 
eine  nunmeh- 
rige Besserung 
des  Verhältnis- 
ses eine  trüge- 
rische gewe- 
sen und  die  Re- 
gierung ernst- 
lich an  den 
Bau  einer  Pa- 
rallelbahn denke. 

Darob  in  Schrecken  versetzt,  machten 
die  Pariser  Grossactionäre  mit  Hilfe  einer 
kleinen  Palastrevolution  dem  bedrohlichen 
Zustande  ein  Ende.  Sie  traten,  mit 
Umgehung  der  Wiener  Geschäftsleitung, 
in  Beziehungen  zur  königlich  unga- 
rischen Regierung  und  vereinbarten  mit 
derselben,     nach     kurzen     vertraulichen 


Abb.  133. 


*)  Vgl.  Bd.  III,  J.  G  o  n  d  a :  Geschichte  der 
Eisenbahnen  in  Ungarn  seit  1867,  S.  404  und  ff. 


Verhandlungen,  binnen  drei  Tagen 
einen  Vertrag,  welcher  den  Frieden 
mit  der  ungarischen  Regierung  her- 
stellte, aber  auch  die  Einheitlichkeit  des 
Unternehmens  aufhob  und  die  alten 
Traditionen  der  Gesellschaft  hinweg- 
wischte. Die  von  Seite  der  letzteren 
Hauptbetheiligten    an    diesen  Vorgängen 

waren  der  Fi- 
nanzier Edm. 
Joubert,  der 
über  die  Mehr- 
heit der  Actien 
verfügte,  dann 
der  Secretär 
desPariserCo- 
miteA.Ronna 
und  der  Bau- 
director  Aug. 
de  S  er  res. 
Am  17.  April 
kamen  die 
Punctationen 
zu  Stande  und 
am  21.  April 
wurde  die  ferti- 
ge Abmachung 
dem  nicht  we- 
nig überrasch- 
ten Verwal- 
tungsrathe  wie 

auch  der 
Oeffentlichkeit 

mitgefheilt, 
worauf  der  Ge- 
neral -  Director 
Emil  Kopp 
sofort  zurück- 
trat. 

Abgesehen 
von  denjeni- 
gen Bestim- 
mungen, deren  Erörterung  ausschliesslich 
in  das  Capitel  über  die  ungarischen 
Eisenbahnen  gehört,  umfasste  der  Vertrag 
noch  die  folgenden  Hauptpunkte:  Er- 
richtung eines  selbständigen  Verwaltungs- 
rathes  und  einer  ebensolchen  Direction 
für  die  ungarischen  Linien  mit  dem 
Sitze  in  Budapest;  Berechtigung  der 
königlich  ungarischen  Regierung,  das 
staatliche  Einlösungsrecht  rücksichtlich 
der  ungarischen  Linien  unabhängig  von  den 
österreichischen  schon  vom  1.  Januar  1895 


Aquäduct  unter  der  Rauriser  Muhre  bei  Strengen. 
[Arlbergbahn.] 


296 


Ignaz  Konta. 


an  jederzeit  ausüben  zu  können :  Aus- 
tausch der  Linie  Brück  -  Uj  -  Szöny  gegen 
die  Waagthalbahn;  Gleichhaltung  der 
Tarifs  -  Einheitssätze  der  Strecke  Wien- 
Bruck  mit  denjenigen,  welche  die  Königlich 
Ungarischen  Staatsbahnen  für  die  Strecke 
Uj-Szöny-Bruck  einführen;  Vereinbarung 
von  Cartellen  über  die  Theilung  des 
Verkehrs ;  gegenseitige  Einstellung  jeg- 
licher Concurrenz. 

Kaum  bekannt  geworden,  erregte  die 
Abmachung  ebenso  grosses  Aufsehen  als 
arge  Befürchtungen  hinsichtlich  der 
Handelsinteressen  der  westlichen  Reichs- 
hälfte und  insbesondere  des  Wiener 
Platzes.  In  den  öffentlichen  Blättern,  im 
Reichsrathe  und  im  Wiener  Gemeinde- 
rathe,  in  der  Wiener  Handelskammer 
und  Mehl-  und  Fruchtbörse,  in  Ver- 
sammlungen und  Vorträgen  wurde  die 
Gefährlichkeit  des  Vertrages  eingehendst 
erwogen  und  die  k.  k.  Regierung  zum 
Schutze  der  bedrohten  Interessen  auf- 
gerufen. Dem  gerecht  zu  werden,  war 
keine  leichte  Aufgabe;  denn  die  k.  k. 
Regierung  befand  sich  vor  einer  voll- 
endeten Thatsache  und  konnte  nur 
noch  vermöge  des  Mitbestimmungsrechtes 
bezüglich  der  für  die  Umgestaltung  der 
Gesellschaft  erforderlichen  Statutenände- 
rung einwirken.  Das  Handelsministerium 
wusste  jedoch  dieses  Recht  kräftig  zu 
handhaben. 

Gleich  in  der  ausserordentlichen 
Generalversammlung  vom  IO.  Juni  1882, 
die  sich  über  den  zwei  Tage  vorher 
nun  auch  urkundenmässig  ausgefertigten 
Vertrag  mit  der  königlich  ungarischen 
Regierung  aussprechen  sollte  und,  wie 
bei  dem  Stimmenaufgebote  der  fran- 
zösischen Actionäre  vorauszusehen  war, 
glattweg  zustimmend  aussprach,  wurde 
der  Verwaltungsrath  durch  einen  be- 
sonderen Erlass  des  Handelsministers 
mit  den  Bedingungen  vertraut  gemacht, 
an  deren  Erfüllung  die  österreichische 
Regierung  ihre  Zustimmung  zu  den 
Statutenänderungen  knüpfte.  Sie  verlangte 
vor  Allem:  Xeufeststellung  der  Garantie- 
verhältnisse des  Ergänzungsnetzes  und 
gleichartige  Festsetzungen  sowohl  hin- 
sichtlich des  staatlichen  Einlösungsrechtes 
als  auch  in  Betreff  der  Verkehrsbegün- 
stigungen   für    das    österreichische     wie 


i  für    das    ungarische    Netz,    verschiedene 
!  Cautelen    in    Ansehung    des   Prioritäten- 
|  Capitals    etc.     Die    Gesellschaft    wusste 
j  also,    noch    bevor    der  »ungarische  Ver- 
trag« rechtskräftig  geworden,    woran  sie 
sei   und  der  Präsident  des  Verwaltungs- 
1  rathes    betheuerte    noch   in  der  General- 
versammlung selbst,  auch  der  Forderun- 
gen   der  österreichischen  Regierung    be- 
reitwilligst zu  entsprechen. 

Die  bezüglichen  Verhandlungen  be- 
gannen gleich,  nachdem  der  General- 
Director  Kopp  definitiv  ausgeschieden 
und  die  Geschäftsleitung  an  den  Stell- 
vertreter desselben,  Oskar  Linder,  oder, 
richtiger  gesagt,  an  den  fortan  allein  mass- 
gebenden Baudirector  de  Serres  über- 
gegangen war.  Die  erste  Conferenz 
fand  am  5.,  die  zweite  am  II.  Juli 
statt;  die  weiteren  Besprechungen  aber 
folgten  nicht  mehr  so  rasch  und  gestal- 
teten sich  mitunter  recht  schwierig,  weil 
das  Handelsministerium  an  seinen  For- 
derungen unabänderlich  festhielt.  Es 
währte  daher  bis  in  den  Herbst,  ehe  die 
Delegirten  der  Gesellschaft  sich  voll- 
ständig fügten.  Das  eigentliche  Ueber- 
einkommen  kam  sogar  erst  am  12.  No- 
vember 1882  zum  Abschlüsse. 

Die  Regierung  erzielte  damit  »eine 
vollkommene  Gleichstellung  der  commer- 
ziellen  Interessen  beider  Reichshälften; 
besondere  Zugeständnisse  für  den  öster- 
reichischen Verkehr  und  für  die  Approvi- 
sionirung  Wiens  sowie  in  Betreff  der 
Concurrenz  mit  den  staatlichen  Linien 
•und  auch  der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  ;*) 
das  Recht  zur  Einlösung  sämmtlicher 
österreichischer  Linien,  sobald  die  könig- 
lich ungarische  Regierung  die  dortigen 
Linien  ab  I.  Januar  1895  wann  immer 
einlöse;  die  Mitwirkung  der  Gesellschaft 
beim  Ausbaue  der  Böhmisch-Mährischen 
Transversalbahn  durch  die  Ausführung 
der  Linie  Segen  Gottes-Okf  isko  und 
deren  Fortsetzung  bis  an  die  ungarische 
Grenze  gegen  den  Vlarapass ;  die  Be- 
rechtigung zur  Mitbenützung  [Peage] 
sowohl     der     Linie     nach    Okfiäko     als 


*)  In  der  Fürsorge  für  diese  Bahn  wollte 
man  nicht  blos  eine  Bedachtnahme  auf  den 
garantirenden  Staatsschatz,  sondern  auch 
schon  eine  solche  auf  die  Ausdehnung  der 
Verstaatlichungs-Thätigkeit  erkennen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


297 


auch  »der  an  dieselben  anschliessenden 
gesellschaftlichen  Strecken  bis  zu  jenem 
Punkte,  wo  in  dieselben  etwa  künftig 
dem  Staate  gehörige  oder  im  Staats- 
betriebe befindliche  Bahnen  einmünden 
werden,  welche  im  Zusammenhange  mit 
jenen  Strecken  eine  Bahnverbindung  des 
Nordostens  der  Monarchie  mit  OkriSko 
[Iglau]  darstellen«  [§  8  des  Ueberein- 
kommens];  die  tarifarische  Verfügung 
auch  über  die  Strecke  Wien-Brünn  für 
Verkehre  nordöstlicher  Richtung  [ab 
Brunn]  vor  und  nach  den  etwa  künftig 
anschliessenden,  staatlichen  Betriebslinien 
[§  9  des  Uebereinkommens] ;  die  Siche- 
rung      einer 

Reihe     noch        .- ■ — 

anderer    Lo-    /£o 

calbahnen. 
Das  Handels- 
ministerium 
erntete  hie- 
für das  Lob, 
dass  dieses 
Uebereinkom 
men  » den 
bestgelunge- 
nenVertrags- 
abschlüssen « 
beizuzählen 
sei. 

Aber  auch 
die  Gesell- 
schaftbrauch- 
te sich  nicht 

zu  beklagen ;  sie  konnte  nun  den  Ver- 
trag mit  der  königlich  ungarischen 
Regierung  zur  Durchführung  bringen 
und  die  bezügliche  Statutenänderung 
unbehindert  vornehmen ;  sie  hatte  neue 
Anwartschaft  auf  die  Ausbreitung  auch 
ihres  österreichischen  Netzes  und  stand 
nicht  mehr  unter  dem  Verdachte  einer 
Beeinträchtigung  des  österreichischen 
Interesses.  Die  ausserordentliche  General- 
versammlung vom  21.  December  1882 
genehmigte  das  Uebereinkommen  und 
die  Statutenänderung,  auf  welcher  die 
dualistische  Gestaltung  der  Gesellschaft 
und  deren  nunmehrige  Firma:  »Priv. 
Oesterreichisch-Ungarische 
Staaatseisenbahn-Gesellschaft«  beruhte, 
ferner  die  Geldbeschaffung  für  den  Bau 
und  die  Erwerbung  neuer  Linien  im  Wege 


Abb.  134.    St.  Christof  auf  dem  Arlberge. 


der  Ausgabe  neuer  Prioritäten  [100.000 
Stück  3°/<)ige  ä  500  Francs  sowie  4°/0ige 
im  Gesammtbetrage  von  45,000.000  fl. 
in  Gold]  und  wählte  den  neuen,  für  jedes 
der  beiden  Netze  gesonderten,  Vorstand 
der  Gesellschaft,  dessen  Wirksamkeit  am 
19.  März   1883  begann. 

Vorher  schon,  nämlich  am  28.  De- 
cember 1882,  hatte  sie  die  Concession 
erhalten  für  die  mit  einer  30-jährigen 
Steuerfreiheit  ausgestattete  Linie  Segen 
Gottes-Okfisko  nebst  Zweigbahn 
nach  Gross-Meseritsch,  deren  erste 
»vorläufig«,  die  letztere  aber  dauernd  als 
Secundärbahn  auszuführen  bis  späte- 
stens 1.  Sep- 
tember 1885 
zu  vollenden 
und  sodann 
für  den  Staat 
jederzeit  ein- 
lösbar waren. 
Die  Eröff- 
nung dieser 
Linien  fand 
am  4.  und 
13. Juni  1886 
statt. 

Bei  allen 
Jenen,  welche 
davon  absa- 
hen, diese 
Concessioni- 
rung  als  den 
Anfang  der 
Sicherstellung  der  lang  ersehnten,  vom 
Vlarapass  bis  an  die  bayerische  Grenze 
reichende  Querbahn  zu  begrüssen,  er- 
weckte sie  wenig  Befriedigung ;  denn  seit 
zwanzig  Jahren  war  diese  Bahn,  als  eine 
grosse  handelspolitische  Verkehrsstrasse, 
geplant  und  angestrebt,  *)  und,  nachdem 
das  Staatsbahn-Princip  wieder  auf  den 
Schild  gehoben  war,  als  ein  würdiges 
Object  der  staatlichen  Eisenbahn-Bau- 
thätigkeit  angesehen.  Das  Ueberein- 
kommen mit  der  Staatseisenbahn-Gesell- 
schaft bot  Gelegenheit,  und  das  Gesetz 
vom  26.  December  1882,  über  die  Ver- 
längerung der  Wirksamkeit  des 
Localbahn  -  Gesetzes     bis    Ende 


*)  Siehe  die  späterhin  folgenden,  umfas- 
senderen Mittheilungen  über  die  »Böhmisch- 
Mährische  Transversalbahn«. 


298 


Ignaz  Konta. 


1884,  die  Handhabe,  noch  weitere  Trans- 
versalbahn-Strecken an  diese  Gesellschaft 
zu  concessioniren.  Sie  erhielt  auch  that- 
sächlich  am  22.  October  1884  die  Con- 
cession  für  die  vorläufig  als  Secundär- 
bahn  herzustellende  Linie  Schimitz- 
[Brünn]V  1  a  r  a  p  a  s  s,  nebst  eventuellen 
Abzweigungen  nach  Koritschan  und 
O  s  t  r  a,  und  zwar  unter  Einbeziehung 
der  ihrerseits  angekauften  Localbahnen 
Hradisch-Ungarisch-Brod  und  Bisenz- 
Gaya,  wovon  Brünn-Gaya  am  10.  October 
1887,  die  Endstrecken  aber  erst  Ende 
October  1888  eröffnet  wurden. 

Das  machte  diese  Transversalbahn 
zu  einem  merkwürdigen  Gebilde ;  denn 
wenngleich  ihre,  nach  diesen  Concessio- 
nirungen  noch  übrigen  Strecken  auf 
Staatskosten  zu  Ausführung  kamen,  war 
dabei  doch  das  System  der  blossen 
Lückenausfüllung  aufrecht  erhalten  ge- 
blieben. Das  am  25.  November  1883 
a.  h.  sanctionirte  Gesetz,  betreffend 
den  Bau  der  Böhmisch- Mähri- 
schen Transversalbahn,  gilt  näm- 
lich den  im  Artikel  II  genannten,  west- 
wärts von  Iglau  auf  Staatskosten  mit 
einem  Aufwände  im  Höchstbetrage  von 
27,300.000  fl.  auszuführenden  fünf  Zwi- 
schenstrecken   [s.  w.  u.]. 

Die  auf  Seite  der  Regierung  anfänglich 
beabsichtigt  gewesene  Zustandebringung 
der  beiden  Transversalbahnen  im  Wege 
der  Concessionirung  dürfte  am  richtigsten 
als  eine  Reflexwirkung  der  alten  Principien 
bezeichnet  werden.  Da  diese  Erscheinung 
aber  die  öffentliche  Meinung  beirrt  und 
förmlich  dazu  gedrängt  hatte,  den  lauten 
Wunsch  nach  einer  genauen  Bestimmung 
der  wirklich  geltenden  eisenbahnpoliti- 
schen Grundsätze  zu  erheben,  so  konnten 
die  von  der  Regierung  nun  der  Reihe 
nach  getroffenen  anderweitigen  Mass- 
nahmen als  eine  das  Festhalten  an  der 
Verstaatlichung  bekundende  Anwort  auf 
jenes  Verlangen  gelten.  Sie  wusste  sich 
das  sofort  oder  binnen  Kurzem  wirksam 
werdende  Recht  zur  Einlösung  noch 
einiger  Privatbahnen  zu  erwerben,  be- 
wirkte den  Uebergang  etlicher  Staats- 
bahnen in  den  Eigenbetrieb  des  Staates, 
und  sorgte  auch  für  die  Fortsetzung  dreier 
staatlicher  Linien. 

In  ersterer  Beziehung  handelte  es  sich 


zunächst  um  die  Turnau  -  Kraluper 
Bahn  und  die  Böhmische  Nord- 
bahn. Diese  Bahnen  waren  auf  Geheiss 
des  hiebei  keineswegs  zu  Schaden  ge-. 
kommenen  Bankhauses  Reitzes,  welches 
durch  Ankauf  von  Actien  *)  dieser  zu- 
kunftsreichen Unternehmungen  überwie- 
genden Einfluss  auf  dieselben  gewonnen 
hatte,  eine  Verschmelzung  einge- 
gangen, und  zwar  in  der  Weise,  dass 
die  ältere  Turnau-Kraluper  Bahn  von  der 
jüngeren  Böhmischen  Nordbahn  angekauft 
wurde.  Diese  Form  wurde  gewählt,  weil 
letztere  Gesellschaft  noch  genügend  Spiel- 
raum zu  einer  Prioritäten-Emission  besass, 
daher  den  Kaufpreis  durch  eine  die  Bahn- 
Erträgnisse  weniger  in  Anspruch  nehmende 
Geldbeschaffung  zu  decken  vermochte.  Die 
Böhmische  Nordbahn  übernahm  daher  alle 
Passiven  der  Turnau-Kraluper  Bahn,  und 
vergütete  für  jede  auf  nom.  200  fl.  lautende 
Actie  der  letzteren  einen  Barbetrag  von 
175  fl.  und  eine  Actie  der  Böhmischen 
Nordbahn  ä  150  fl.,  oder,  nach  Wahl 
der  Actionäre,  statt  des  Barbetrages  von 
175  fl.  nur  75  fl.  bar  und  100  fl.  in 
Actien  der  Böhmischen  Nordbahn  al  pari. 
Die  Kraluper  Actien  wurden  nichts  weniger 
als  überzahlt;  denn  pro  1880  hatten  sie 
ein  Erträgnis  von  14  fl.,  und  pro  1881 
ein  solches  von  17  fl.  geliefert,  während 
der  Reingewinn  der  Böhmischen  Nord- 
bahn damals  noch  dem  Sanirungs-Conto 
zufloss.  Anlässlich  der  Vereinigung  wurde 
auch  die  Convertirung  der  beiderseitigen 
5°/0igen  Prioritäts-Anlehen  in  ein  4°/0iges 
Goldanlehen  vorgesehen. 

Zu  diesen  Transactionen  war  jedoch 
die  Genehmigung  der  Staatsverwaltung 
erforderlich,  welche  hiefür  Gegenleistungen 
beanspruchte  und  erhielt,  darunter  gewisse 
Leistungen  für  Post  und  Telegraph,  Tarif- 
Zugeständnisse,  die  Herstellung  derLocal- 
bahn  Schluckenau-Wölmsdorf  und  das 
Recht,  die  vereinigten  Bahnen  ab  I .  Januar 
1884  jederzeit  einlösen  zu  können,  gegen 
Zahlung  eines  Entgeltes,  welches  der  auf 
den  1.  Januar  des  Einlösungsjahres  mit 
4'/2°/0  discontirten,  aus  den  drei  letzt- 
jährigen   Erträgnissen    in    der    üblichen 


*)  Es  hatte  im  Vereine  mit  der  Unionbank 
auch  die  im  Besitze  der  gemeinsamen  Staats- 
Activen  gewesenen  27.000  Actien  der  Böhmi- 
schen Nordbahn  ange'kauft  [Februar  1882]. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


299 


Weise  ermittelten,  jedoch  mindestens  ein 
Reinerträgnis  von  1,700.000  fl.  zur  Grund- 
lage habenden  Rente*)  gleichkomme,  und 
in  41.'2%i&en>  binnen  85  Jahren  al  pari 
rückzahlbaren  Staats-Schuldverschreibun- 
gen zu  entrichten  sei.  Das  bezügliche 
Protokollar-Uebereinkommen  der  Regie- 
rung mit  den  beiden  Gesellschaften  wurde 
am  26.  Mai  1882  abgeschlossen  und 
seitens  der  Generalversammlungen  vom 
29.,  beziehungsweise  30.  Juni  1882  ge- 
nehmigt, wobei  die  Actionäre  der  Turnau- 


Die  Prag-Duxer  Bahn,  der  es  im  Jahre 
1878  mühselig  gelungen  war,  ihren  Fort- 
bestand zu  sichern  [siehe  Seite  262],  durfte 
darum  noch  keineswegs  der  Ruhe  fröhnen ; 
denn  wie  die  durchgreifende  Ordnung 
ihrer  Verhältnisse,  stand  auch  der  Aus- 
bau nach  Mulde,  von  dem  die  Hebung 
ihrer  Ertragsfähigkeit  abhing,  noch  in 
weitem  Felde.  Sie  arbeitete  also  unab- 
lässig an  der  Erreichung  dieser  Ziele. 
Dem  wendete  aber  die  bereits  wieder 
im    vollen    Aufblühen    begriffene    Dux- 


Abb.  135.     St.  Anton,  Ostportal  des  Arlbergtunnels  mit  dem  Lott-Denkmal. 


Kraluper  Bahn  zugleich  die  Auflösung 
ihrer  Gesellschaft,  andererseits  aber  jene 
der  Böhmischen  Nordbahn  die  Vermehrung 
des  Actiencapitals  auf  1 2,999.950  fl.  durch 
Ausgabe  von  33.333  neuen  Actien  ä  150  fl. 
und  die  Convertirung  der  5°/0igen  Anlehen 
in  ein  4°/0iges  Goldanlehen  von  nom. 
43,500.000  Reichsmark  beschlossen.  Mit 
I.Januar  1883  ging  die  Turnaa-Kraluper 
Bahn  in  die  Böhmische  Nordbahn  auf. 

Aus  ähnlichem  Anlasse  gewann  die 
Regierung  auch  die  .Naherückung  der 
Einlösbarkeit  der  beiden  Duxer  Bahnen. 


*)  Für  die  Zeit  bis  1895  war  noch  ein  per- 
centualer,  je  nach  der  hinausgerückten  Einlö- 
sungszeit stufenweise  abfallender  Zuschlag  zur 
Rente  [1885:  6°/0,  1895:  I°/„]  gewährleistet. 


Bodenbacher  Bahn  das  vollste 
Augenmerk  zu,  weil  sie  von  der  ge- 
sundeten und  gut  ausgerüsteten  Prag- 
Duxer  Bahn  eine  scharfe  Concurrenz  be- 
fürchtete, zumal  nach  dem  Ausbau  der 
Strecke  Klostergrab-Mulde  [recte  Moldau], 
welche  den  Weg  der  Kohlensendungen 
nach  Deutschland  namhaft  abkürzt.  Der 
kluge  Director  der  Dux-Bodenbacher  Bahn 
ersann  nun  einen  Plan,  wonach  die  Prag- 
Duxer  Bahn*)  auf  die  Dauer  von  zwanzig 


*)  Am  7.  April  188 1  starb  der  General- 
Director  der  Prag-Duxer  Bahn,  Franz  M  r  a  z ; 
am  17.  November  1881  wurde  der  gesellschaft- 
liche Inspector  Ludwig  Komrs,  der  bis  dahin 
provisorisch  mit  der  Leitung  der  Geschäfte  be- 
traut gewesen,  zum  Betriebs-Director  ernannt. 


30O 


Ignaz  Konta. 


Jahren,  gegen  einen  percentuellen  Antheil 
an  den  Roheinnahmen,  in  den  Betrieb 
der  ersteren  übergehen  sollte.  Zugleich 
trat  die  an  der  Dux-Bodenbacher  Bahn 
betheiligte  Dresdener  Bank  mit  neuer- 
lichen Sanirungs-Anträgen  an  die  Prag- 
Duxer  Bahn  heran.  Die  beiden  Projecte 
sollten  einander  ergänzen  und  fördern ; 
sie  wurden  jedoch  vom  Verwaltungsrath 
der  letztgenannten  Bahn  alsbald  abgelehnt 
[30.  April  1881];  der  Sanirungs -Vor- 
schlag insbesondere,  weil  er  sehr  com- 
plicirt  war  und  der  Gesellschaft  nicht 
einmal  einen  augenblicklichen  finanziellen 
Vortheil  bot. 

Am  30.  September  1881  erhielt  die 
Prag-Duxer  Bahn  die  Concession 
für  die  8  km  lange  Localbahn  Zlonic- 
Hospozin  [siehe  Seite  294],  welche  am  17. 
Juli  1882  dem  Betriebe  übergeben  wurde. 
Dieser  kleine  Bau  kostete  blos  137.000  fl.; 
allein  die  Umständlichkeiten,  welche  die 
Bedeckung  eines  verhältnismässig  so  ge- 
ringfügigen Betrages  ihr  bereitete,  führte 
der  Gesellschaft  die  Beengtheit  ihrer  Lage 
wieder  vor  Augen.  Daraufhin,  wie  auch 
weil  die  noch  immer  erhoffte  Staatshilfe 
sich  nicht  einstellen  wollte,  wurde  nun 
der  Verwaltungsrath  viel  zugänglicher 
für  Sanirungs-Anträge,  und  die  Dresdener 
Bank  war  mit  solchen  rasch  zur  Hand. 
Sie  hatte  in  Gemeinschaft  mit  dem  Wiener 
Bankverein  und  noch  anderen  Finanz- 
Instituten  neue  Vorschläge  gemacht,  die, 
als  der  Ausbau  der  Strecke  Klostergrab- 
Moldau  darin  an  erster  Stelle  Aufnahme 
gefunden,  zu  der  gewünschten  Einigung 
führten. 

Dieselbe  erfolgte  am  17.  Juni  1882 
und  umfasste  folgende  Hauptpunkte :  Die 
Strecke  Klostergrab-Moldau  solle  auf  Grund 
einer  neuen  Concession  hergestellt  werden, 
welche  die  im  Localbahn-Gesetze  vor- 
gesehenen Begünstigungen  gewährt;  die 
hiezu  sowie  zur  Tilgung  der  schwebenden 
Schulden  erforderlichen  Geldmittel  werden 
durch  Ausgabe  5°/o'ger  Goldprioritäten 
im  Nennwerthe  von  5,000.000  fl.  be- 
schafft, welche  seitens  des  Banken-Con- 
sortiums  zum  Curse  von  1 1 1  fl.  Noten 
für  100  fl.  Gold  übernommen  werden ; 
die  Einlösung  der  rückständigen  Priori- 
täten-Coupons geschieht  durch  4%'ge 
Vorzugs-Äctien  im  Gesammtbetrage  von 


nom.  4,996.500  fl. ;  die  von  der  ursprüng- 
lichen Emission  für  die  Linie  Brüx-Mulde 
[Moldau]  noch  unbegebenen  Titel  werden 
vernichtet;  das  Banken  -  Consortium 
garantirt  für  die  Dauer  von  vier  Jahren 
die  Verzinsung  der  gesammten  Prioritäts- 
Anlehen ;  als  Gegenleistung  erhält  es  von 
den  Prioritären  unentgeltlich  die  Hälfte 
der  vorerwähnten  Vorzugs-Actien.  Die 
Actionäre  genehmigten  diese  Vereinba- 
rungen in  der  Generalversammlung  vom 
27.  Juni   1882. 

Nun  galt  es  die  neue  Concession  für 
die  Strecke  Klostergrab-Moldau  zu  er- 
wirken. Dies  ergab  die  Gelegenheit, 
bei  welcher  die  Regierung  sich  das  Recht 
sicherte,  das  ganze  Unternehmen  der 
Prag-Duxer  Bahn  vom  1.  Januar  1890 
jederzeit  einlösen,  den  Betrieb  derselben 
aber  schon  vom  1 . Januar  des  auf  die 
Eröffnung  der  Strecke  Klostergrab-Moldau 
folgenden  Jahres  übernehmen  zu  können. 
Ueber  die  bezügliche  Entschädigung  der 
Gesellschaft  wurde  viel  verhandelt,  schliess- 
lich einigte  man  sich  dahin,  dass  die 
Regierung  im  Falle  jener  Einlösung  eine 
aus  dem  Durchschnittsergebnisse  der  letzten 
drei  Jahre  zu  ermittelnde  Rente  im 
Mindestbetrage  von  1,410.000  fl.  und  im 
Falle  der  Betriebsübernahme  ein  Er- 
trägnis garantirt,  welches  dem  mittleren 
wirklichen  Ertrage  der  nächstvoraus- 
gegangenen zwei  Jahre  zuzüglich  stufen- 
weise abfallender  Zuschläge  von  10 — 6%*) 
gleichkommt.  Das  betreffende  Protokollar- 
Uebereinkommen  wurde  am  21.  und 
30.  September  1882  abgeschlossen  und 
infolgedessen  die  Concession  vom  4.  Sep- 
tember 1872,  rüchsichtlich  der  Strecke 
Klostergrab-Mulde,  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  23.  October 
1882   annullirt. 

Die  Prioritäten-Besitzer  genehmigten 
in  ihrer  Versammlung  vom  27.  November 
die  vereinbarte  Sanirung  und  die  Actionäre 
in  der  ausserordentlichen  Generalversamm- 
lung vom  28.  November  1882  das  Ueber- 
einkommen  mit  der  Regierung.  Hierauf 
erhielt  die  Gesellschaft  am  23.  December 


*)  Die  Scala  war  folgende:  pro  1887 
lO°/0,  für  jedes  der  Jahre  18^8-1890  8°/0  und 
pro  1891— 1894  je  6°/0.  Der  für  das  Jahr  1894 
ermittelte  Garantiebetrag  behielt  für  alle 
folgenden  Betriebsjahre  Geltung. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


30I 


Abb.  136.     Langen  [Tunnel-Ausgang], 


1882  die  neue,  auf  dem  Localbahn-Gesetze 
beruhende,  mit  einer  30jährigen  Steuer- 
freiheit ausgestattete  und  [unbeschadet 
der  früheren  Einlösung]  bis  1.  November 
1963  giltige  Concession  für  die  Strecke 
Klostergrab-Moldau,  deren  Bau  auch 
sofort  an  die  Unternehmung  Schön  & 
W  e  s  s  e  1  y    vergeben    und    am    1 .  April 

1883  in  Angriff  genommen  wurde.  Die 
Eröffnung  dieser  Strecke  für  den  Kohlen- 
verkehr fand  am  6.  December  1884,  jene 
für  den  Gesammtverkehr  am  18.  Mai 
1885  statt. 

Was  die  Dux-Bodenbacher  Bahn 
mit  Besorgnis  erfüllt  hatte,  war  also 
wirklich  eingetreten,  nämlich  die  voll- 
kommene Sanirung  der  Prag-Duxer  Bahn 
und  deren  Ausbau  nach  Moldau ;  über- 
dies lag  jetzt  noch  deren  Uebereinkommen 
mit  der  Regierung  vor.  Die  erstere  Gesell- 
schaft kam  darum  jetzt  umso  eifriger 
auf  die  Idee  der  Vereinigung  der  beiden 
Bahnen  zurück  ;  diesmal  mit  Erfolg,  da 
nunmehr  bei  der  einen  wie  bei  der  anderen 
Unternehmung  dieselben  Geldkräfte  be- 
theiligt waren.  Gleichwohl  zogen  sich 
die  Verhandlungen  hinaus,  erst  am  1 8.  De- 
cember 1883  wurden  die  betreffenden 
Uebereinkommen  unterfertigt.  Eines  hatte 
den  Ankauf  der  Prag-Duxer  durch  die 
Dux-Bodenbacher  Bahn  zum  Gegenstande, 


das  zweite  hingegen  die  Bedingungen,  unter 
welchen  die  Regierung  dieser  Vereinigung 
zustimmte.  Dass  hierunter  die  Berechti- 
gung zur  jederzeitigen  Uebernahme  des 
gesammten  Unternehmens  in  den  Staats- 
betrieb ab  I.Januar  1885,  beziehungs- 
weise zur  gänzlichen  Einlösung  vom 
I.Januar  1892  an,  in  erster  Reihe  stand, 
kann  im  Hinblicke  auf  die  von  der  Prag- 
Duxer  Bahn  schon  früher  erworbene  gleiche 
Gerechtsame,  als  selbstverständlich  gelten. 
Eine  Aufzählung  der  bezüglichen  Einzel- 
bestimmungen ist  jedoch  hier  entbehrlich, 
weil  das  ganze  Vorhaben  an  formalen 
Schwierigkeiten  scheiterte. 

Gemäss  Artikel  II  des  vorerwähnten 
Uebereinkommens  vom  18.  December  1883 
sollte  nämlich  in  den  Vorzugsrechten  der 
Prioritäts-Actionäre  eine  Beschränkung 
eintreten,  die  aber  vergeblich  angestrebt 
wurde,  weil  die  seitens  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  der  Prag- 
Duxer  Bahn  vom  28.  October  1882, 
gleichzeitig  mit  der  Genehmigung  des 
Uebereinkommens  mit  der  Regierung, 
beschlossene  Statutenänderung,  für  künf- 
tige Aenderungen  Stimmeneinhelligkeit 
vorschrieb,  diese  jedoch  bei  der  zu- 
tage getretenen  erheblichen  Opposition 
gegen  die  Vereinigung,  nicht  zu  er- 
zielen war. 


302 


Ignaz  Konta. 


Es  mussten  also,  wenn  nicht  die  Sache 
völlig  aufgegeben  werden  wollte,  neue 
Vereinbarungen  getroffen  werden.  Diese 
hatten  das  Protokoll  vom  22.  April  1884 
zum  Ergebnisse,  wonach  die  Dux-Boden- 
bacher  Bahn  der  Prag-Duxer  Bahn  für 
die  Ueberlassung  ihres  Betriebes  ein 
jährliches  Reinerträgnis  von  je  950.000  fl. 
pro  1885  und  1886,  1,000.000  fl.  pro 
1887,  je  1,050.000  fl.  pro  1888  und  1889 
und  je  1,100.000  fl.  pro  1890  und  die 
folgenden  Jahre  zusicherte  und  die  Prag- 
Duxer  Bahn  der  Dux-Bodenbacher  Bahn 
das  Recht  einräumte,  die  erstere  vom 
I.Januar  1885  an  jederzeit,  gegen  Ueber- 
nahme  aller  Passiven  sowie  Zahlung  eines 
Pauschalpreises  von  baren  8,000.000  fl. 
käuflich  zu  erwerben ;  ausserdem  ver- 
pflichtete sich  die  Prag-Duxer  Bahn  ihre 
5%igen  Silberprioritäten  in  ein  4°/0iges 
Goldanlehen  zu  convertiren.  Nebstdem 
wurde  am  26.  April  1884  ein  förmlicher 
Betriebsvertrag  abgeschlossen. 

Gleichfalls  am  26.  April  1884  kam 
auch  ein  neues  Uebereinkommen  mit  der 
Regierung  zustande,  durch  das  sie  in 
ähnlicher  Weise  wie  bei  allen  frühern 
derartigen  Vereinbarungen  insbesondere 
erwarb :  das  Recht  zur  Uebernahme 
des  Betriebes  der  vereinigten  Unter- 
nehmungen [mit  Ausnahme  der  Dux- 
Bodenbacher  Kohlenwerke]  vom  I.Januar 

1886  an  wann  immer,  gegen  Garantie 
eines  Pauschalbetrages,  welcher  für  jedes 
der  Jahre  1887 — 1894  dem  Durchschnitte 
der  in  den  nächstvorausgegangenen  zwei 
Jahren  wirklich  erzielten  Ueberschusse 
beider  Unternehmungen  nebst  einem  Zu- 
schlage   gleichzukommen    hat,     der    pro 

1887  6%,  pro  1888— 1890  je  5°/0  und 
pro  1891  — 1894  je  4°/0  jenes  Durch- 
schnittes beträgt*);  das  Recht,  vom 
I.  Januar  1892  an,  die  beiden  Unter- 
nehmungen einzulösen,  gegen  Zahlung 
einer  aus  den  wirklich  erzielten  Ueber- 
schüssen  der  vorausgegangenen  drei  Jahre 
speciell  zu  ermittelnden  Rente  von   min- 

*)  Der  für  das  Jahr  1894  ermittelte  garan- 
tirte  Betriebsüberschuss  hatte  als  solcher  für 
alle  folgenden  Jahre  zu  gelten.  Die  vom 
Staate  geleisteten  Garantiezahlungen  waren 
als  Vorschüsse  [nebst  4°,'0  Zinsen  |  rückzu- 
vergüten,  sobald  in  späteren  Jahren  die 
wirklich  erzielten  Ueberschusse  den  garan- 
tirten  Pauschalbetrag  übersteigen  sollten. 


destens  3,100.000  fl.,  wovon  vorerst  auf 
die  Dux-Bodenbacher  Bahn  1,690.000  fl. 
und  1,410.000  fl.  auf  die  Prag-Duxer 
Bahn  als  fixe  Quote  entfallen  und  etwaige 
Reste  aufgetheilt  werden  sollen. 

Die  Generalversammlungen  der  beiden 
Gesellschaften  vom  29.  und  30.  Mai 
1884  genehmigten  vollinhaltlich  diese  Ver- 
einbarungen und  ebneten  sich  hiedurch 
einen  neuen  Weg  zu  ihrer  Vereinigung. 
Die  Regierung  aber  hatte  ein  weiteres 
Mittel  zur  Bildung  der  angestrebten  staat- 
lichen Durchzugsroute  Bodenbach-Prag- 
Budweis-St.  Valentin-Laibach-Triest  ge- 
wonnen und  konnte  nun  für  die  Ver- 
bindungen Bodenbach  -  Prag  nach  freier 
Wahl  die  Böhmische  Nordbahn  oder  die 
beiden  Duxer  Bahnen  benützen. 

Die  Convertirung  der  5°/0igen  Silber- 
prioritäten der  Prag-Duxer  Bahn  wurde 
im  August  1884  bewerkstelligt,  nachdem 
die  Finanzgruppe  des  Wiener  Bankvereines 
das  Convertirungs-Anlehen  [4%'Se  Gold- 
prioritäten] von  nom.  13,206.600  fl.  über- 
nommen und  zum  Curse  von  92°/o  im 
Wege  der  öffentlichen  Zeichnung  begeben 
hatte.  Damit  entfiel  auch  der  Grund  zum 
Fortbestande  der  Curatel. 

Während  der  nicht  eben  sehr  glatten 
Abwicklung  aller  dieser  Angelegenheiten 
kündigte  die  Regierung  die  Betriebsver- 
träge hinsichtlich  der  Istrianer,  Rako- 
nitz-  Pfotiviner,  Tarnöw-Lelu- 
c  h  6  w  e  r  und  DniesterBahn,  infolge- 
dessen die  erstere  ab  1.  Januar  1883,  die 
übrigen  ab  I.Januar  1884  indenEigen- 
betrieb  des  Staates  übergingen. 
Am  1.  Juni  1883  gelangten  auch  die 
beiden  Linien  der  Mährisc  henGrenz- 
bahn  in  den  Staatsbetrieb,  und 
zwar  die  garantirte  auf  Grund  des 
Sequestrations-Gesetzes  vom  i4.December 
1877,  die  ungarantirte  zufolge  des  Proto- 
kollar-Uebereinkommens  vom  15,  April 
1883.  Zum  k.  k.  Betriebs  Verwalter  der- 
selben wurde  der  in  gleicher  Eigenschaft 
auch  bei  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn 
eingesetzte  Regierungsrath  Max  Ritter 
v.  Pich ler,  zu  dessen  Stellvertreter  der 
gesellschaftliche  General-Secretär,  Re- 
gierungsrath Ignaz  Konta  ernannt;  ihre 
diesfällige  Thätigkeit  dauerte  jedoch  nur 
vom  1.  Juni  bis  Ende  December  1883. 
Mit    dem    Neujahrstage    1884  übernahm 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


303 


die  zur  Verwaltung  der  Dniester-  und 
Tarnövv-Leluchöwer  Staatsbahn,  der  Erz- 
herzog Albrecht-Bahn  und  der  Mähri- 
schen Grenzbahn  eigens  errichtete  k.  k. 
Ministerial-Commission  die  Füh- 
rung des  Betriebes  aller  dieser  Bahnen, 
einschliesslich  der  8-5  km  langen  Secun- 
därlinie  D  o  1  i  n^  -  W  y  g  o  d  a,  welche  seit 
der  Eröffnung  [2.  Juli  1882]  von  der 
k.  k.  Betriebsverwaltung    der    Erzherzog; 


Die  vorhin  angedeutete  Fortsetzung 
dreier  staatlicher  Linien  wurde  bewirkt 
durch  das  Gesetz  vom  28.  Februar  1883 
über  die  Herstellung  von  Abzweigun- 
gen der  Galizischen  Transver- 
sa 1  b  a  h  n  einerseits  von  S  u  c  h  a  nach 
Oswi§cim  und  Podgörze,  anderer- 
seits von  Saybusch  an  die  Landesgrenze 
gegen  Csäcza;  durch  das  Gesetz  vom 
1.  Juni   1883    über  die  Herstellung  einer 


Abb.  137.     Langen. 


Albrecht-Bahn  mitbetrieben  wurde.  Die 
14*  1  km  lange  Localbahn  W  i  1 1  m  a  n  n  s- 
dorf-Ebenfurth  [eröffnet  23.  August 
1883],  welche  die  westlichen  Staatsbahnen 
mit  dem  ungarischen  Bahnnetze  verbin- 
det, übergab  ihren  Betrieb  mittels  Ver- 
trages vom  2.  August  1883  an  die  k.  k. 
Direction  für  Staatseisenbahn-Betrieb  in 
Wien;  desgleichen  die  am  1.  Mai  1882 
eröffnete,  8-8  km  lange  Localbahn  V  ö  c  k  1  a- 
bruck-Kammer,  zufolge  des  noch  mit 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  abgeschlos- 
senen Betriebsvertrages  vom  31.  Decem- 
ber  1881.     . 


Abzweigung  der  Istrianer  Bahn 
von  Herpelje  nach  T  r  i  e  s  t,  welches  der 
Regierung  auch  das  Recht  einräumt,  sich 
die  freie  Mitbenützung  der  Südbahnstrecke 
Laibach-Divaöa  im  Enteignungswege  zu 
verschaffen,  wenn  es  nicht  gelingen  sollte, 
diesfalls  bis  Ende  1884  ein  Uebe  rein- 
kommen mit  der  Südbahn  abzuschliessen ; 
ferner  durch  das  Gesetz  vom  5.  Juni  1883 
über  den  Ausbau  der  Dalmatiner 
Bahn  von  Siveric  nach  Knin. 

Füglich  könnte  in  diese  Rubrik  auch 
die  mittels  des  Gesetzes  vom  4.  Juni 
1883  genehmigte  Errichtung  einer  Tra- 


3<H 


Ignaz  Konta. 


jectanstalt  auf  dem  Bodensee 
eingereiht  werden,  weil  damit  gewisser- 
massen  eine  über  den  Bodensee  hinüber- 
führende Fortsetzung  der  Linie  Inns- 
bruck-Bregenz  geschaffen  ward.  Aehn- 
liches  gilt  von  dem  am  7.  Juni  1883 
zwischen  der  Südbahn  und  der  k.  k. 
Direction  für  Staats-Eisenbahnbetrieb  ab- 
geschlossenen P  6  a  g  e- V  e  r  t  r  a  g  hinsicht- 
lich der  Strecke  Wörgl-Innsbruck, 
weil  derselbe  dem  Staatsbetriebe  das 
Recht  einräumt,  diese  58'7  km  lange 
Strecke,  welche  die  Arlbergbahn  mit  den 
übrigen  Linien  des  westlichen  Staats- 
bahnnetzes verbindet,  gegen  Entrichtung 
eines  Bahngeldes,*)  wie  ein  selbstän- 
diger Betriebsunternehmer  [jedoch  aus- 
schliesslich des  Localverkehres]  mitzu- 
betreiben. 

Den  in  Galizien  liegenden  Staats- 
bahnen wurde  um  dieselbe  Zeit  die 
79-3  km  lange  Strecke  Stryj-Beskid 
neu  angefügt,  welche  ehemals  der  Erzherzog 
Albrecht-Bahn  concessionirt  war  und  nun 
auf  Grund  des  Gesetzes  vom  7.  Juni  1883 
vom  Staate  selbst  in  Ausführung  ge- 
nommen wurde. 

Hätte  das  Alles  noch  nicht  genügt, 
das  Festhalten  an  der  Verstaatlichung 
des  Eisenbahnwesens  zu  bekräftigen, 
dann  musste  dies  den  in  Bälde  nach- 
gefolgten gänzlichen  Erwerbungen  von 
Privatbahnen  für  den  Staat  sicher  ge- 
lingen. Ehe  wir  uns  diesen  neuen  Be- 
gebenheiten zuwenden,  haben  wir  uns 
jedoch  mit  den  Monographien  der  seit  dem 
Jahre  1880  vom  Staate  selbst  zur  Aus- 
führung   gebrachten    Linien  zu  befassen. 

Arlbergbahn.  Die  Genesis  der 
Linie  Innsbruck-Bregenz  erreicht,  wie 
schon  in  dem  »Eisenbahn-Jahrbuch  der 
Oesterreichisch-Ungarischen  Monarchie« 
[Jahrgang  III,  Seite  402  f.]  dargethan  und 
von  dort  in  zahlreiche  Publicationen  über- 


*j  Das  Bahngeld  setzt  sich  zusammen 
aus  dem  im  Verhältnisse  der  von  den  beider- 
seitigen Zügen  in  der  Peage-Strecke  zurück- 
gelegten Achskilometer  zu  berechnenden 
Antheile  an  der  5'2°/0igen  Verzinsung  des 
Baucapitals,  dann  aus  den  Antheilen  an  den 
Kosten  der  Bahnerhaltung,  des  Verkehrs- 
dienstes, der  Elementarschäden  etc.,  welche 
letzteren  Antheile  nach  bestimmten  Schlüs- 
seln ermittelt  werden. 


gegangen  ist,  bis  in  das  Jahr  1847  zu- 
rück; sie  fällt  mit  jener  der  Vorarlberger 
Bahn  [siehe  Seite  73]  zusammen,  gleich- 
wie beide  in  Karl  Ganahl  ein  und  den- 
selben geistigen  Urheber  haben.  Der 
weitblickende  Handelsminister  v.  Brück 
war  für  die  Herstellung  der  Eisenbahn- 
Verbindung  zwischen  Adria  und  Bodensee 
überaus  eingenommen.  Mit  seinem  erst- 
maligen Scheiden  aus  dem  Ministerium 
[23.  Mai  185 1]  fiel  jedoch  die  Ange- 
legenheit in  Vergessenheit,  aus  der  sie 
auch  sein  Wiedereintritt  in  dasselbe 
[10.  März  1855]  nicht  befreite;  denn 
jetzt  war  er  Finanzminister  und,  als  Hüter 
des  Staatsschatzes,  ausser  Stande,  jene 
Unterstützungen  zu  gewähren,  ohne  welche 
die  Privatthätigkeit,  der  die  Weiterent- 
wicklung des  Eisenbahnnetzes  nun  wieder 
überlassen  war,  an  einen  so  schwierigen 
und  kostspieligen  Bau  sich  nicht  heran- 
wagte. 

Es  wurde  nun  vorerst  an  die  Zu- 
standebringung  der  Vorarlberger  Bahn 
gedacht;  doch  auch  diese  wollte  nicht 
so  bald  gelingen.  Zunächst  war  das  von 
französischen  Geldkräften  [Consortium : 
Talabot-Wirth-Sand]  entworfene,  nach 
etlichen  Jahren  aber  kläglich  gescheiterte 
Project  einer  »Bodensee-Gürtelbahn«*)  und 
nachher  das  Auftauchen  von  Plänen  für 
Bahnverbindungen  über  den  Lukmanier 
oder  von  Innsbruck  über  Reutte  nach 
Kempten,  hindernd  dazwischen  gekommen. 
Diese  Pläne  wurden  freilich  von  den 
mittlerweile  wiedererstandenen  Landtagen 
Tirols  und  Vorarlbergs  heftig  bekämpft, 
die  Fernbahn  überdies  von  Bayern  selbst 
vereitelt,  worauf  dann  die  Regierung  be- 
reits in  der  Denkschrift  zu  dem  im  Jahre 
1864  veröffentlichten  »Entwürfe  eines 
neuen  Eisenbahnnetzes  der  österreichi- 
schen Monarchie«,  welche  auch  die 
Linie  Innsbruck-Imst-Feldkirch-Dornbirn 
enthielt,  das  Project  Innsbruck-Bregenz 
nachdrücklichst  befürwortete;  allein  von 
weiteren  Erfolgen  war  dies  nicht  begleitet. 

Gleichwohl  setzte  Ganahl  seine  Be- 
mühungen fort.  Im  Vereine  mit  der  Blu- 
denzer  Firma Getzner,  Mutter  &  Comp. 


*)  Siehe  Bd.  I,  I.  Theil,  H.  Strach:  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  in  Oesterreich-Un- 
garn  bis  1867,  Seite  246. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


305 


und  anderen  Genossen  Hess  er,  auf  Grund 
der  Vorconcession  vom  9.  April  1865, 
durch  Achilles  Thommen,  den  Erbauer 
der  Brennerbahn,  Vorarbeiten  ausführen, 
bei  welchen  sowohl  auf  die  Durchfahrung 
des  Arlberges,  als  auch  auf  dessen  Ueber- 
schreitung  mittels  einer  Fell'schen  Steil- 
bahn, wie  sie  damals  vorübergehend  beim 
Mont-Cenis  in  Verwendung  gestanden, 
Bedacht  genommen  war.  Allein  auch 
damit  wurde  nichts  weiter  erzielt,  als 
dass  die  Regierung,  unter  Ablehnung 
des  Systems  Fell,  sich  für  die  Tunnel- 
lirung  des  Arlberges  aussprach. 


statteten  Berichte  über  die  von  den  Han- 
delskammern in  Innsbruck  und  Feldkirch 
überreichten  Petitionen  um  den  Bau  der 
Arlbergbahn  deren  hohe  Bedeutung  er- 
örterte und  zu  dem  Schlüsse  gelangte, 
die  Regierung  möge  noch  im  Laufe  der- 
selben Session  eine  diese  Bahn  sicher- 
stellende Vorlage  einbringen. 

Da  auch  dies  nichts  gefruchtet  hatte, 
gingen  die  genannten  Landtage  in  der 
Herbstsession  des  Jahres  1868  daran,  die 
Concessionirung  wenigstens  der  beider- 
seitigen Thalstrecken  bis  zum  Arlberge 
zu  erwirken    und   hiedurch  zugleich  das 


Abb.  138.     Pumpenhaus  in  Langen. 


Die  Interessenten  drängten  indes  die 
heimatlichen  Vertretungskörper  zu  that- 
kräftigerem  Vorgehen,  was  zur  Folge 
hatte,  dass  die  Landtage  von  Tirol  und 
Vorarlberg  am  5.,  beziehungsweise  20.  De- 
cember  1866  eine  Vorstellung  bei  der 
Regierung  beschlossen  und  Ganahl,  als 
Mitglied  des  letzteren  Landtages,  diese 
Gelegenheit  erfasste,  um  zu  beantragen, 
es  sei  die  Bahn  auf  Staatskosten  auszu- 
führen, wenn  sich  nicht  auf  Grundlage  einer 
zu  erwirkenden  Zinsengarantie  alsbald 
Privatunternehmer  fänden. 

Im  Reichsrathe  kam  die  Frage  am 
17.  December  1867  zum  ersten  Male 
zur  Sprache,  als  der  Abgeordnete  Frei- 
herr von  Kübeck  in  seinem,  im  Namen 
des  volkswirthschaftlichen  Ausschusses  er- 
Geschichte der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


zur  selben  Zeit  stark  im  Schwange  ge- 
wesene Fernbahn-Project  zu  beseitigen. 
Dies  gelang,  da  —  wie  bereits  erwähnt 
wurde  —  die  bayerische  Regierung  selbst 
dem  gedachten  Projecte  mit  tödtlicher 
Eifersucht  entgegentrat.  Auch  die  eine 
der  beiden  Thalstrecken,  nämlich  die 
Vorarlberger  Bahn,  wurde  am  17.  August 
1869  concessionirt,  nachdem  der  am 
13.  März  1869  vom  Handelsminister 
v.  P 1  e  n  e  r  im  Reichsrathe  eingebrachte 
Gesetzentwurf  über  die  Vervollständigung 
des  Eisenbahnnetzes,  welcher  [sub  Art. 
II,  Zahl  5]  auch  die  Linien  von  Inns- 
bruck bis  zum  Anschlüsse  an  die  schweize- 
rischen und  bayerischen  Bahnen,  als 
solche  bezeichnet  hatte,  die  wegen  ihrer 
grossen  Wichtigkeit  unter  staatlicher  Bei- 


306 


Ignaz  Konta. 


hilfe  oder  völlig  auf  Kosten  des  Staates 
ehestens  auszuführen  sei  —  alsbald  wieder 
zurückgezogen  worden  war.  [Siehe  Seite 
64  f.] 

Bei  der  dritten  Lesung  des  Gesetzes 
über  die  Concessionirung  der  Vorarl- 
berger Bahn  forderte  das  Abgeordneten- 
haus die  Regierung  nochmals  zur  Vor- 
lage eines  die  Sicherstellung  der  Linie 
Innsbruck-Bludenz  bezweckenden  Gesetz- 
entwurfes auf,  weil  es  sich  wohl  bevvusst 
war:  einerseits  der  schon  vielfach  be- 
tonten, ebensowohl  politisch  wie  wirth- 
schaftlich  hochwichtigen  Bedeutung  dieser 
Linie  und  andererseits  der  nur  kümmer- 
lichen Existenz,  welche  der  ohne  Zu- 
sammenhang mit  dem  übrigen  Bahnnetze 
der  Monarchie  dastehenden  Vorarlberger 
Bahn  beschieden  war.  Die  Regierung 
selbst  mag  dessen  nicht  minder  inne 
gewesen  sein,  denn  sie  verpflichtete  die 
Concessionäre  dieser  Bahn  zur  Abtretung 
der  letzteren  an  die  künftige  Fortsetzungs- 
linie nach  Innsbruck  [siehe  Seite  74  f.] 
und  rechnete  hiebei  auch  mit  einem  Zeit- 
räume von  nicht  einmal  fünf  Jahren.  Sie 
musste  also  vermeint  haben,  den  Bau 
binnen  Kurzem  ins  Werk  setzen  zu 
können. 

Das  erwies  sich  abermals  als  irrig. 
Weit  mehr  als  die  finanzielle  hat  die 
technische  Seite  der  Frage  deren  Lösung 
hinausgeschoben.  Noch  immer  wollte  die 
endgiltige  Entscheidung  über  die  Her- 
stellungsweise nicht  reifen,  wiewohl  die 
Regierung  sich  schon  früher  für  die 
Durchfahrung  des  Arlberges  ausgesprochen 
und  nunmehr  für  die  Richtigkeit  dieser  An- 
schauung eine  schier  unanfechtbare  fach- 
männische Bestätigung  erhalten  hatte. 
Es  war  ihr  nämlich  von  dem  Ingenieur 
Ernst  Pontzen  eine  Denkschrift  zu 
Gunsten  der  Durchbohrung  des  Gebirges 
überreicht  worden,  welche  das  Handels- 
ministerium dem  Oesterreichischen 
Ingenieur-  und  Architekten-Ver- 
eine zur  Begutachtung  übermittelte 
und  dieser,  nach  sorgfältiger  Berathung 
durch  ein  aus  den  hervorragendsten  öster- 
reichischen Eisenbahn-Technikern  gebil- 
detes Comit6,  mit  dem  Bemerken  guthiess, 
dass  »bei  der  Wichtigkeit  der  Arlbergbahn 

o  fc> 

und  der  darum  besonders  nothwendigen 
Sicherung    der    Ungestörtheit    ihres    Be- 


triebes, nur  dieDurchfahrungdes  Arlberges 
mittels  eines  tiefen  Tunnels  und  die 
Anwendung  einer  Steigung  von  höchstens 
35n/00  empfohlen  werden  kann.« 

Mächtige  Geschehnisse,  überaus  ge- 
eignet, die  Dringlichkeit  der  Inangriff- 
nahme des  Baues  ins  hellste  Licht  zu  stellen, 
bewirkten  gleichwohl  keine  wesentliche 
Beschleunigung.  Der  deutsch-französische 
Krieg  hatte  in  den  kriegführenden  Staaten 
Ausfuhrverbote  zur  Folge  und  Vorarlberg, 
das  auf  drei  Seiten  vom  Auslande  um- 
geben, auf  der  vierten  aber  nur  mittels 
eines  schwierigen  Alpenüberganges  mit 
Tirol  verbunden  war,  gerieth  dadurch  in 
völlige  Abgeschiedenheit;  es  drohte  ihm 
eine  Hungersnoth*)  und  die  Regierung 
konnte  diese  Gefahr  nur  durch  mühsam 
erwirkte  Ausnahmsverfügungen  Bayerns 
beseitigen.  Das  niederdrückende  Gefühl 
solcher  Abhängigkeit  einer  österreichi- 
schen Provinz  vom  Auslande,  zitterte 
noch  lange  nach.  —  Dieser  ernsten 
Mahnung  folgten  bald  zwei  andere,  aber 
handelspolitische:  am  25.  December  1870 
die  Durchbohrung  des  Mont-Cenis  und 
am  31.  October  1871  der  Abschluss  des 
Staatsvertrages  zwischen  Deutschland, 
Italien  und  der  Schweiz  über  die  Aus- 
führung der  Gotthardbahn. 

Das  Handelsministerium,  welchem  die 
bereits  vorhandenen  Projecte  weder  ver- 
lässlich noch  vollständig  genug  erschie- 
nen, beauftragte  im  Sommer  1871  die 
k.  k.  General-Inspection  der  österreichischen 
Eisenbahnen  mit  der  Ausarbeitung  eines 
neuen  umfassenden  Projectes  für  die 
Gebirgsstrecken,  veranlasste  überdies  die 
geologische  Untersuchung  des  Arlberges 
sowie  meteorologische  Beobachtungen 
während  des  Winters  1871/72.  Die  auf 
den  sorgfältigen  Erhebungen  des  Geolo- 
gen Heinrich  Wolf  fussenden  neuen 
Projectirungs- Arbeiten  waren  unbeschadet 
ihrer  allseitig  anerkannten  Vollständigkeit 
und  Genauigkeit  schon  am  Schlüsse  des 
Jahres  1871  vollkommen  fertig.  Sie  um- 
fassten  eigentlich  zwei  Bauprojecte,  näm- 
lich für  eine  directe  Linie  Bludenz-Stu- 
ben-St.  Anton    und    von  da   »sonnseitigr« 


*)  Vgl.  »Die  Arlbergbahn.EineDenkschrift.« 
Wien,  1872.  [Anonym  herausgegeben  von  Dr. 
Ferdinand  Z eh etner,  damals  General-Secre- 
|   tär  der  Vorarlberger  Bahn.] 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


307 


bis  Landeck  sowie  für  eine  von  Bludenz 
über  Langen-  mit  Schleifen  nach  Stuben- 
St.  Anton  und  von  da  »schattenseitig« 
bis  Landeck  führende  Linie,  ferner  fünf 
Varianten  für  die  Durchbohrung  des  Arl- 
berges  selbst,  betreffend  zwei  hochliegende, 
zwei  tiefliegende  Tunnels  und  einen 
tiefstliegenden  Tunnel  mit  Längenunter- 
schieden von  5-51 5  km  bis  12-400  km, 
Kostenunterschiede  von  14,818.200  fl.  bis 
24,361.500  fl.  [bei  eingeleisiger  Anlage] 
und  Bauzeiten  von  sieben  bis  elf  Jahren.*) 


der  ersten  Sitzung  den  technischen  Theil, 
indem  sie  sich  fast  einhellig  für  den 
tiefsten  Tunnel,  für  dessen  zweigeleisige 
Anlage  und  für  die  doppelspurige  Her- 
stellung des  gesammten  Unterbaues  aus- 
sprach. Die  zweite  Sitzung  sollte  den 
finanziellen  Theil  erledigen ;  hiezu  fehlte 
es  aber  an  einer  statistischen  Unterlage. 
Der  Experte  Eugen  Bontoux,  General- 
Director  derSüdbahn,  übernahm  es,  dieselbe 
zu  beschaffen  und  betraute  den  Verfasser 
dieser     geschichtlichen    Rückschau,     der 


Abb.  139.     Die  Arlbergbahn  im  Klosterthale.     [Original-Aufnahme  von  Antoa  Hlavacek  ] 


Wegen  dieser  Varianten,  doch  auch 
um  die  gesammte  Ausführungs  weise 
und  die  zu  erwartenden  finanziellen  Er- 
gebnisse der  Bahn  auf  ein  fach- 
männisches Gutachten  stützen  zu  können, 
berief  der  Handelsminister  Dr.  Banhans 
eine  Expertise.  Dieselbe  trat  am  22.  Februar 
1872  zusammen  und  erledigte    gleich    in 


*)  Vgl.  »Technischer  Bericht  über  das 
Project  der  Arlbergbahn  [Bludenz-Landeck] 
sammt  Beilagen  und  zugehörigen  Acten- 
stücken.  Herausgegeben  im  Auftrage  des 
k.  k.  Handelsministers  von  der  Bauabtheilung 
der  k.  k.  General-Inspection  der  österreichi- 
schen Eisenbahnen«  [Wien  1872]. 


damals  Beamter  der  Südbahn  war,  mit 
der  Erstellung  einer  Statistik  des  voraus- 
sichtlichen Verkehrs  der  Arlbergbahn. 
Die  Aufgabe  war,  mangels  ausreichen- 
den Materials,  keine  leichte.  Nach  einer 
zwei  Tage  und  Nächte  hindurch  darauf 
verwendeten  Arbeit  gelang  es  jedoch,  an 
der  Hand  der  Verkehrsergebnisse  be- 
stimmter Relationen  der  Südbahn  und 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn  den  Nachweis 
zu  liefern,  dass  die  anfängliche  Fracht- 
menge mit  415.000  t  jährlich  zu  veran- 
schlagen sei.  Diese  Ziffer,  welche  mit 
einer  kleinen  Aufrundung  auch  bei  den 
nachherigen  Gesetzvorlagen  benützt  und 

20* 


3o8 


Ignaz  Konta. 


späterhin  durch  die  Thatsachen  bestätigt 
wurde,  scheint  aber  die  am  26.  Februar 
1872  wieder  zusammengetretene  Expertise 
enttäuscht  zu  haben  ;  denn  die  Rentabilität 
erfuhr  jetzt  eine  Erörterung,  als  ob  es 
sich  lediglich  um  ein  Erwerbsunternehmen 
und  nicht  um  ein  unabweisliches  Staats- 
erfordernis gehandelt  hätte.  Bemerkens- 
werth  war  dabei  auch  der  Umstand, 
dass  trotz  des  absprechenden  Urtheils 
über  die  Ertragsfähigkeit  der  Bahn  den- 
noch ihre  Sicherstellung  durch  Conces- 
sionirung  verlangt  und  der  Staatsbau 
nur  von  den  zwei  nichtösterreichischen 
Experten,  Bontoux  und  Thommen,  empfoh- 
len wurde.  In  dem  einen  Punkte,  dass 
keine  Zeit  mehr  zu  verlieren  sei,  war 
jedoch  die  ganze  Expertise  wieder  voll- 
kommen einig. 

Dies  hat  denn  auch  seine  Wirkung 
nicht  verfehlt.  Der  Handelsminister  legte 
am  22.  März  1872  dem  Abgeordneten- 
hause einen  Gesetzentwurf  vor  über 
die  Ausführung  der  Arlbergbahn  auf 
Staatskosten  mit  einem  Aufwände  von 
beiläufig  42,000.000  fl.  einschliesslich  des 
tiefliegenden,  12.400  m  langen  Tunnels 
und  des  durchwegs  für  Doppelspur  her- 
zustellenden Unterbaues.  Der  Motiven- 
bericht zu  dieser  Vorlage  enthielt  neuer- 
dings zahlreiche  Beweisgründe  für  die 
Wichtigkeit  und  Dringlichkeit  dieser 
Bahn;  er  betonte,  dass  sie  das  letzte 
Glied  zur  Vollendung  einer  die  westliche 
Reichshälfte  von  deren  äussersten  Gren- 
zen durchziehende  Ausfuhrstrasse  nach 
der  Schweiz  und  nach  Frankreich  bilde  — 
dass  sie  auch  für  den  Norden  Oester- 
reichs  sowie  für  den  Güteraustausch 
zwischen  den  westlichen  Nachbarländern 
der  Monarchie  und  dem  Oriente  von 
hoher  Bedeutung  sei  —  also  dem  ganzen 
Reiche  zugute  komme,  und  ihre  Aus- 
führung daher  keinen  weiteren  Aufschub 
vertrage.  Der  Eisenbahn-Ausschuss  trat 
auch  wirklich  sofort  in  die  Vorberathung 
des  Gesetzes  ein.  Das  bedeutete  jedoch 
nicht  viel,  sondern  war  nur  der  Anfang 
der  langen  parlamentarischen  Leidens- 
geschichte der  Arlbergbahn. 

Mit  einem  Male  erhoben  sich  Stim- 
men dafür,  die  Bahn  von  Innsbruck  durch 
das  Lechthal  an  den  Bodensee  zu  führen 
und  verlangten  die  nochmalige  Befragung 


der  Experten,  die  aber  natürlicherweise 
ihr  früheres  Gutachten  aufrecht  hielten 
[22.  Mai  1872].  Trotzdem  liess  das 
Handelsministerium  schleunigst  Traci- 
rungen  im  Lechthale  vornehmen,  deren 
Ergebnisse  die  Benützung  desselben 
geradezu  ausschlössen  [Wiener  Zeitung 
vom  9.  Juli  1872].  Ebenso  ging  es  mit 
den  im  Ausschusse  laut  gewordenen 
finanziellen  Bedenken.  Der  Finanz- 
minister Freiherr  v.  Pretis  zerstreute  die- 
selben indem  er  darauf  verwies,  dass 
sich  die  Auslagen  auf  eine  Reihe  von 
Jahren  vertheilen  und  bei  einer  Angele- 
genheit von  solch  volkswirthschaftlicher 
Bedeutung  das  finanzielle  Moment  nicht 
ausschlaggebend  sein  könne.  Schliess- 
lich kam  auch  noch  die  Heranziehung 
Ungarns  zu  Beitragsleistungen  in  Anre- 
gung, die  aber  vom  Handelsminister  mit 
Erfolg  bekämpft  wurde.  Der  zum  Be- 
richterstatter gewählte  Abgeordnete 
Fürth  verfasste  nun  einen  ebenso  gründ- 
lichen, als  der  wichtigen  Sache,  der  er 
gegolten,  wohlwollenden  Bericht,  dessen 
Ausgabe  am  4.  Juni   1872  erfolgte. 

Wie  bitter  musste  aber  seine  Ent- 
täuschung gewesen  sein,  wenn  er  etwa 
der  Meinung  war,  der  Vorlage  einen 
Weg  geschaffen  zu  haben.  Er  ward  ihr 
versperrt  von  dem  verneinenden  Geiste, 
der  damals  das  Abgeordnetenhaus  be- 
herrschte, und  in  der  Abendsitzung  vom 
6.  Juni  1872  wurde  ihr  vom  Ausschusse 
der  Fortgang  benommen.  Dr.  Herbst 
erklärte  sich  als  ihr  Gegner  ;  es  gab  hef- 
tige Auseinandersetzungen  mit  dem  Mini- 
ster Lasser  und  mit  denjenigen  Ab- 
geordneten, welche  gleichfalls  für  die 
Vorlage  eintraten,  dann  einigte  man  sich 
auf  Vertagung.  Die  verlangten  Ergän- 
zungsdaten über  den  zu  gewärtigenden 
Verkehrsmengen  wurden  geliefert ;  der 
Berichterstatter  arbeitete  auf  Grund  der- 
selben einen  Nachtragsbericht  aus,  der 
am  15.  Februar  1873  vertheilt  wurde 
und  allgemeinen  Anklang  fand;  er  wies 
überdies,  unter  namentlicher  Bezeichnung 
der  einzelnen  Abgeordneten,  das  Vor- 
handensein einer  Majorität  für  die  Vor- 
lage nach ;  der  Vorarlberger  Abgeord- 
nete v.  Froschauer  urgirte  am  23.  April 
1873  die  Angelegenheit,  erhielt  aber  die 
Antwort:   »Die  Arbeiten  seien  noch  nicht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


309 


Abb.  140,     Lawinenschutz-Anlagen  zwischen  Kiösterle  und  Danöfen.     [Aus  der  Bauzeit.] 


vollendet«,  und  der  Reichsrath  ging  aus- 
einander, ohne  den  Gesetzentwurf,  dessen 
Einbringung  er  vor  vier  Jahren  vom 
Bürgerministerium  dringendst  gefordert 
hatte,  zu  erledigen. 

Die  Erstarrung  des  wirtschaftlichen 
Lebens,  welche  nach  dem  Ausbruche  der 
Krisis  vom  Jahre  1873  immer  weiter  um 
sich  gegriffen,  wäre  wieder  eine  ernste 
Mahnung  gewesen,  das  alte  Project  end- 
lich der  Verwirklichung  zuzuführen.  Alle 
Welt  rief  nach  Arbeit  und  Verdienst ; 
die  Schaffung  derselben  wäre  eine  rettende 
That  gewesen,  hätte  den  verheerenden 
Folgen  der  Katastrophe  Einhalt  gethan ; 
der  Eisenbahnbau  war  das  beste  Mittel 
hiezu,  weil  er  den  breiten  Schichten  der 
Bevölkerung,  den  mannigfachsten  Ge- 
werben und  Industrien  Beschäftigung 
gibt ;  er  würde  damals  infolge  der  ge- 
sunkenen Preise  von  Lohn  und  Material, 
mindestens  geraume  Zeit  hindurch,  viel 
billiger  zu  bewerkstelligen  gewesen  sein  ; 
die  Arlbergbahn  war  vollkommen  reif 
zu    Inangriffnahme,    auch    längst    schon 


als  drindend  nothwendig  erkannt,  also 
wohlgeeignet,  das  erste  Object  der  neu 
anzufachenden  Thätigkeit  zu  sein.  Das 
Alles  verfing  jedoch  nicht.  Man  hatte 
die  »Vermeidung  grosser  Ausgaben  zum 
obersten  Grundsatze  erhoben«  und  sah 
nicht,  wie  hiedurch  die  Versumpfung 
des  wirthschaftlichen  Gebietes  und  die 
Entwerthung  des  Volksvermögens  ge- 
steigert wurde. 

Es  kann  darum  nicht  verwundern, 
wenn  die  fortgesetzten  Wünsche  und 
Bitten  der  unmittelbaren  Interessenten 
der  Arlbergbahn  ungehört  verhallten,  die 
unterschiedlichen,  im  Jahre  1874  gestellten 
Interpellationen  und  versuchten  Betreibun- 
gen wirkungslos  blieben  und  dies  die 
Stimmung  in  Tirol  und  Vorarlberg  ver- 
bitterte, so  zwar,  dass  der  Landeshaupt- 
mann Dr.  Jussel  in  der  Eröffnungs- 
sitzung des  Vorarlberger  Landtages  am 
6.  April  1875  »den  Gerechtigkeits-  und 
Billigkeitssinn  der  Brudervölker  Oester- 
reichs« in  dieser  Sache  anrief.  Aehnliches 
konnte    der    Handelsminister    v.    Chlu- 


3io 


Ignaz  Konta. 


m  e  c  k  y  bei  seiner  im  Herbste  1875  unter- 
nommenen Bereisung  Tirols  dortselbst 
vernehmen.  Er  hat  denn  auch  in  dem 
am  29.  October  1875  vor  das  Parlament 
gebrachten  Eisenbahn-Programm  die  Arl- 
bergbahn  in  die  erste  Reihe  gestellt.  Wie 
es  dieser  Vorlage  ergangen,  ist  schon 
früher  mitgetheilt  worden.  [Siehe  Seite 
222  f.  und  Seite  249.]  Was  jedoch  die 
Arlbergbahn  an  und  für  sich  betrifft,  so 
wurde  ihr  Bau  abermals  vereitelt;  jetzt 
vielleicht  nicht  so  sehr  durch  die    Scheu 


in  Wirklichkeit  nur  ein  »Product  der 
Zifferngruppirung«  sei  und  kehrte  sich 
in  markigen  Worten  gegen  die  Vertretung, 
welche  die  Regierung  der  Sache  ange- 
deihen  liess ;  er  schlug  die  Neuerung  aus 
dem  Felde  und  hätte  vielleicht  damit 
die  Vorlage  in  Betreff  der  Arlbergbahn 
gerettet.  Allein  die  Regierung  wollte  auch 
die  Predilbahn  erzwingen,  äusserte  durch 
den  Mund  des  Finanzministers,  Freiherrn 
von  Pretis,  »ohne  Predil  kein  Ariberg* 
und  machte  so  jede  weitere  Verhandlung 


Abb.  141.     Aquäduct  beim  Wilden  Tobel 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  C.  Wolf,  Hofphotograph  in  Konstanz.] 


vor  den  Ausgaben,  als  durch  ein  neues 
von  N  ö  r  d  1  i  n  g  entworfenes,  »billigeres« 
Project  mit  blos  eingeleisiger  Trace,  Stei- 
gungen bis  3O°/00  und  einem  kurzen 
[6-740  km  langen]  aber  141 5  m  hoch 
gelegenen  Tunnel  — -  und  durch  die 
verhängnisvolle  Zusammenkoppelung  der 
Arlberg-  mit  der  Predilbahn. 

In  die  Bresche,  welche  die  Nördling- 
sche  Aenderung  in  das  alte,  bereits  all- 
seitig gutgeheissene  Project  gelegt  hatte, 
trat  zur  Vertheidigung  des  letzteren,  der 
Abgeordnete  Fürth,  und  zwar  wieder 
als  Berichterstatter.  Er  bekämpfte  in  der 
glänzenden  Darlegung  vom  22.  Februar 
1876  die  Neuerung,  bewies,  dass  die  an- 
gebliche   Verbilligung    um    7,700.000  fl. 


zu  nichte.  Die  ganze  Vorlage  wurde  am 
28.  Januar  1877  zurückgezogen. 

Nun  ruhte  die  Frage  völlig,  bis  nach 
zwei  Jahren  die  neue  Zoll-  und  Handels- 
politik Deutschlands,  welche  einer  förm- 
lichen Grenzsperre  gegen  Oesterreich 
gleichkam,  es  augenscheinlich  machte, 
wie  sehr  es  zu  beklagen  sei,  dass  die 
Bahn  nicht  schon  längst  gebaut  war. 
Die  Kärntner  Handelskammer  rüttelte 
das  öffentliche  Interesse  an  der  Sache 
wach;  sie  beschloss,  am  26.  Mai  1879, 
anzustreben,  dass  dem  nun  bitter  empfun- 
denen Mangel  einer  unabhängigen  Ver- 
bindung Oesterreichs  mit  der  Schweiz 
und  durch  diese  mit  Frankreich  schleunigst 
abgeholfen    werde ;    sie    erbat    von    den 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


311 


Handelskammern  der  Nachbarprovinzen  | 
eifrige  Unterstützung,  insbesondere  in 
dem  Sinne,  dass  dieselben  bei  den  be- 
vorstehenden Reichsrathswahlen  für  die 
endliche  Sicherstellung  der  Arlbergbahn 
wirken  mögen  —  und  sie  erzielte  mit 
der  von  ihr  hervorgerufenen  Bewegung 
einen  günstigen  Erfolg.  Die  Innsbrucker 
Handelskammer  eröffnete  am  7.  Juli  1879 
den  Petitionssturm  dieser  Vertretungs- 
körper; die  Angelegenheit  gewann  einen 
acuten    Charakter     und    die     Regierung; 


jetzt  ganz  geraden  [das  heisst  nicht 
polygonal  gebrochenen],  darum  auch  nur 
mehr  10.270  tn  langen  doppelgeleisigen, 
und  dem  Nördling'schen  »oberen«  eben- 
falls geraden,  7000  tn  langen  eingeleisigen 
Tunnel.  Für  die  Entscheidung  sollte  das 
Gutachten  einer  abermals  einberufenen 
Enquete  massgebend  sein.  Dieselbe  sprach 
sich  nach  zweimaliger  Berathung  [1.  und 
2.  October  1879]  mit  überwiegender 
Mehrheit  wieder  für  den  unteren  Tunnel 
aus  und  erklärte    eine  Vergleichung  der 


Abb.  142.    Die  Arlbergbahn  bei  Wald. 


schickte  sich  von  Neuem  an,  ihr  gerecht 
zu  werden. 

Diese  Regierung  war  aber  nicht  mehr 
die  frühere  und  das  Abgeordnetenhaus, 
dem  sie  gegenüberstand,  ein  frischge- 
wähltes, in  seinen  Parteiverhältnissen 
wesentlich     anders     zusammengesetztes. 

Der  als  Nachfolger  v.  Chlumecky's 
am  12.  August  1879  ins  Amt  getretene 
neue  Handelsminister,  Freiherr  von  Korb, 
suchte  vor  Allem  Klarheit  über  die  vor- 
handenen Projecte  zu  gewinnen  und  die 
sodann  vorzubereitende  Regierungsvorlage 
von  jedem  verwirrenden  Beiwerke  frei  zu 
halten.  Es  galt  hauptsächlich  die  Wahl 
zu  treffen  zwischen  den  beiden  Tunnel- 
Alternativen,     nämlich     dem      »unteren« 


bezüglichen  Kosten  für  unthunlich,  weil 
auch  der  obere  [billigere]  Tunnel,  falls 
er  überhaupt  für  zulässig  erachtet  würde, 
doppelgeleisig  angelegt  werden  müsste, 
was  natürlich  mit  einer  Erhöhung  seiner 
Kosten,  beziehungsweise  bedeutenden 
Verringerung  des  Kostenunterschiedes 
[30*6  -  gegen  35' 16  Millionen]  verbunden 
wäre. 

Dem  Vorsitzenden  der  Enquete,  Wilh. 
von  Nördling,  kam  es  schwer  an,  dieses 
Votum,  welches  seinem  [das  heisst  dem 
Nördling'schen]  Projecte  den  Boden  ab- 
grub, durch  formgerechte  Abstimmung 
festzustellen.  Das  verschärfte  die  Gegen- 
sätze und  trug  mit  dazu  bei,  dass  der 
Handelsminister,    der    sich   nun  auch  für 


312 


Ignaz  Konta. 


die  wiederholt  und  von  so  hervorragenden 
Fachmännern  empfohlene  untere  Trace 
entschied  —  den  General-Director  von 
Nördling  und  dessen  Project  fallen  liess. 
Der  Verlauf  und  Ausgang  der  Enquete 
machte  noch  lange  von  sich  reden;  sie 
fand  auch  in  dem  nachgefolgten,  ge- 
sprochenen und  geschriebenen  Meinungs- 
austausch v.  Nördling's  mit  seinen  Geg- 
nern *)  eine  Art  öffentlich  geführter 
Fortsetzung ;  allein  diese  übte  keinen 
hemmenden  Einfluss  mehr. 

Die  a.  h.  Thronrede,  mit  welcher  der 
neugewählte  Reichsrath  am  8.  October 
1879  eröffnet  wurde,  gedachte  des  Baues 
der  »immer  wuchtiger  werdenden  Arlberg- 
bahn«,  und  verhiess  —  wie  einige  Wochen 
später  auch  der  Bescheid  an  die  Depu- 
tation, welche  der  Vorarlberger  Landes- 

*)  Den  Reigen  eröffnete  die  von  Sections- 
chef  v.  Nördling  —  gleichsam  als  »Minori- 
täts-Gutachten«  —  herausgegebene  Broschüre : 
»Die  Alternativ -Tracen  der  Arlbergbahn« 
[Wien,  Waldheim,  1879].  Diese  Schritt  rief 
eine  ganze  Reihe  von  Kritiken  und  Gegen- 
schriften hervor,  deren  schärfsten  eine,  betitelt: 
»Die  Alternativ-Tracen  der  Arlbergbahn  und 
die  Broschüre  des  Herrn  v.  Nördling,  k.  k. 
Sectionschef  und  General-Director  des  öster- 
reichischen Eisenbahnwesens  a.D.,  vom  Stand- 
punkte eines  Experten  der  Majorität  bei  der 
Enquete  im  October  1879  —  von  Franz  Ritter 
v.  S  t  o  ck  e  rt,  k.  k.  Regierungsrath  und  Central- 
Inspector  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn«, 
im  Januar  1880  bei  Faesy  &  Frick  in  Wien 
erschien;  darauf  folgte  ein  von  dem  Bahn- 
Director  der  Südbahn,  Karl  v.  Prenninger, 
am  14.  Februar  1880  im  Oesterreichischen 
Ingenieur-  und  Architekten- Verein  gehaltener 
Vortrag:  »Der  Bau  der  Arlbergbahn«  [im 
Druck  erschienen  bei  Lehmann  &  Wentzel 
in  Wien] ;  an  diesen  Vortrag  knüpfte  sich 
eine  Discussion,  welche  mehrere  Vereins- 
versammlungen hindurch  währte ;  hierüber 
verbreitete  sich  die  Broschüre:  »Die  Arlberg- 
bahn und  die  Frage  der  Stellung  derTechniker 
im  staatlichen  und  socialen  Leben  im  Oester- 
reichischen Ingenieur-  und  Architekten- Ver- 
ein. Reden  und  Beiträge  der  Herren  C. 
Büchelen,  A.  Thommen,  W.  v.  Nördling, 
F.  Rziha,  W.  v.  Engerth,  F.  v.  Stocken, 
A.  Friedmann,  J.  Riedel  und  M.  Könyves- 
Töth.  Herausgegeben  von  Wilhelm  v.  N  örd- 
ling,  k.  k.  Sectionschef  und  General-Director 
des  österreichischen  Eisenbahnwesens«  [Wien, 
1880].  Ausserdem  ist  hervorzuheben  die  Bro- 
schüre: »Die  Arlbergbahn,  von  Markovits« 
[Wien,  Gerold  &  Sohn].  Vom  Standpunkte 
des  Geologen  wurde  das  Nördling'sche  Project 
in  der  Schrift :  Die  Tunnelfrage  bei  der  Arl- 
bergbahn, von  Dr.  Gustav  Adolf  Koch  [Wien, 
1880],  bekämpft. 


ausschuss  wegen  der  Arlbergbahn  an 
Se.  Majestät  entsendet  hatte  —  baldige 
Gesetzesvorlagen  zu  deren  Sicherstellung. 
Die  Regierung  trachtete  nun,  von  Ungarn 
Beitragsleistungen  oder  »  Compensationen  » 
zu  erlangen,  weil  die  neue  Schienenstrasse 
für  den  ungarischen  Export  von  besonderem 
Nutzen  sei,  und,  nachdem  ein  Einver- 
nehmen hierüber  insofern  erzielt  war,  dass 
Ungarn  den  Bau  der  Linie  Sissek-Novi 
sowie  die  Regulirung  der  Donau  bei 
Gönyö  und  am  Eisernen  Thore  zusagte, 
legte  der  Handelsminister,  Freiherr  von 
Korb,  am  24.  Januar  1880  dem  Abge- 
ordnetenhause einen  Gesetzentwurf  »be- 
treffend den  Bau  der  Arlbergbahn«  vor, 
der  schon  nach  zwei  Tagen  dem  Eisen- 
bahn-Ausschuss  zur  Vorberathung  über- 
wiesen wurde. 

Der  Text  dieser  neuesten  [dritten] 
Arlberg- Vorlage  war  kurz  und  bündig. 
Der  erste  und  wichtigste  seiner  vier 
Artikel  lautete  auf  Ermächtigung  der 
Regierung  zur  Herstellung  einer  von 
Innsbruck  über  Landeck  und 
durch  den  Arlberg  bis  zum  An- 
schluss  an  die  Vorarlberger 
Bahn  führende  Eisenbahn  auf 
Staatskosten,  mit  einem  Aufwände 
von  höchstens  35,600.000  fl.  »Der  Bau 
hat  noch  im  Jahre  1880  zu  beginnen.« 
Der  Motivenbericbt  hingegen  war  sehr 
umfassend.  Er  schilderte  die  Bedeutung 
und  staatliche  Nothwendigkeit  der  Bahn, 
ihre  Trace  und  ihren  voraussichtlichen 
Verkehr,  die  zu  erwartenden  Gegen- 
leistungen Ungarns,  das  Bauprogramm 
etc.,  und  lieferte  zu  einzelnen  der  Dar- 
legungen ein  reiches  Ziffernmateriale.  Von 
alldem  kann  jedoch  hier  nur  hervorgehoben 
werden,  dass  die  neue  Projectirung 
zwischen  den  beiden  früheren  die  Mitte 
einhielt,  indem  sie  »mit  dem  zweigeleisigen, 
geraden  und  tiefliegenden  Tunnel  [Cul- 
minationshöhe  13 10  m]  von  10.270  m 
Länge,  dann  den  eingeleisigen  Zufahrts- 
strecken ohne  Schleife  und  der  Gesammt- 
kostenziffer  von  35,600.000  fl.  die  Vorzüge 
der  früheren  Projecte  zu  verbinden  suchte, 
ohne  den  Boden  der  neuesten  praktischen 
Erfahrung  zu  verlassen«.  Die  Bauzeit 
war  für  den  grossen  Tunnel  mit  fünf  bis 
sechs  Jahren,  für  die  offene  Strecke  mit 
vier  Jahren  angenommen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


313 


In  ihren  Anfangsstadien  nahm  die 
Vorberathung  einen  günstigen  Fortgang. 
Dazu  hatte  wesentlich  beigetragen :  die 
seitens  des  commerziellen  Vorstandes  der 
k.  k.  General-Inspection,  Regierungsrathes 
Steingraber,  mit  besonderer  Geschick- 
lichkeit und  unter  Hinzuthun  des  Bundes- 
rathes  bewirkte  Vereinbarung  mit  den 
schweizerischen  Bahnen,  wodurch  die 
Arlbergbahn  vor  Concurrenzen  thunlichst 
geschützt  und  bei  allen  Verkehren  mit 
den    meistbegünstigten    fremden  Bahnen 


Regierung  die  Beseitigung  jener  Hinder- 
nisse erwirkt  werde,  welche  [wie  ins- 
besondere das  Fehlen  verschiedener  Bahn- 
anschlüsse, die  Schiffahrtshindernisse  in 
der  Donau  etc.]  die  gesammten  Ver- 
kehrsinteressen des  Reiches  schädigten. 
Eine  Partei  wollte  sogar  einschlägige 
Bestimmungen  in  das  Gesetz  selbst  auf- 
genommen wissen.  Das  war  gleich- 
bedeutend mit  einer  nochmaligen  Hinaus- 
schiebung oder  gar,  wie  es  durch  ähn- 
liche Verclausulirungen  bei  der  Dalmatiner 


Abb.  143.     Radonnatobel-Brücke  im  Bau.  [Arlbergbahn.] 


in  gleiche  Reihe  gestellt  wurde,  ferner 
der  durch  die  geänderte  handelspolitische 
Lage  hervorgerufene  Umschwung  der 
Gesinnung  bei  Vielen,  die  früher  nicht 
zu  den  Freunden  des  Projectes  zählten,  — 
Allem  voraus  aber  die  überzeugende  Be- 
fürwortung, welche  der  Handelsminister 
mit  glücklicher  Beredsamkeit  dem  grossen 
Vorhaben  widmete. 

Am  22.  Februar  1880  war  die  Vor- 
lage bereits  vom  Ausschusse  grundsätzlich 
gutgeheissen.  Dann  thürmten  sich  aber  die 
Schwierigkeiten.  Es  wurde  eine  Resolution 
beantragt,  dass  noch  vor  Ausführung  des 
Arlbergbahn-Gesetzes  bei  der  ungarischen 


Bahn  der  Fall  gewesen  [siehe  Seite  200  f.], 
Vereitelung  des  Baues.  Der  Handels- 
minister bemühte  sich  darum,  jene  Partei 
zu  bewegen,  von  dem  bedrohlichen  Ver- 
langen abzustehen.  Es  gelang  ihm  dies 
in  der  Ausschuss-Sitzung  vom  26.  Februar, 
in  welcher  der  Vorlage  nun  vollends 
zugestimmt  wurde.  Die  Berichterstattung 
blieb  wieder  dem  alten  Kämpen  für  die 
Arlbergbahn,  Josef  Fürth,  übertragen, 
der  sich  seiner  Aufgabe  abermals  mit 
gewohntem  Eifer  hingab.  Am  IO.  März 
1880  forderte  die  Regierung  einen 
Credit  für  den  Bauaufwand  im  Jahre 
1880,  und  an  eben  diesem  Tage  begann 


3  M 


Ignaz  Konta. 


auch    die    zweite    Lesung    der   Arlberg- 
Vorlage. 

Je  näher  die  wichtige  Entscheidung 
rückte,  desto  heftiger  wurden  die  Angriffe 
in-  und  ausserhalb  des  Parlamentes.  Die 
Gegnerschaft  fühlte  sich  bereits  sehr  in 
der  Minderheit  und  bediente  sich  darum 
der  wuchtigsten  Waffen,  von  denen  so- 
gar manche  im  Auslande  geschmiedet 
waren.  Man  bezeichnete  die  Bahn  als 
überflüssig,  wenn  nicht  gar  in  mancher 
Beziehung  als  eine  Gefahr  [z.  B.  für 
Triest] ;  man  kam  auf  die  Frage  der 
Rentabilität  zurück,  forderte  Herabminde- 
runo; der  Kosten  durch  Anwendung  des 
Zahnradsystems*)  und  benützte  fremd- 
ländische Schriften**)  und  Zeitungsartikel 
zum  letzten  Anstürme.  Auch  die  unent- 
schiedene Haltung  der  galizischen  Ab- 
geordneten, welche  sich  mehr  um  die 
Transversalbahn  zu  kümmern  schienen, 
war  ein  bedenkliches  Symptom. 

Glücklicherweise  gelang  es  den  treff- 
lichen Ausführungen  des  Handelsministers, 
des  Berichterstatters  '  und  der  Abgeord- 
neten Gustav  Gross  und  Hausner,  dem 
Reichsinteresse  zum  Siege  zu  verhelfen. 
Der  Minister  appellirte  am  Schlüsse 
seiner  glänzenden  Rede  directe  an  die 
Vaterlandsliebe  des  Parlamentes,  welches 
»jene  Opfer,  die  die  Verhältnisse  und 
die  Sache  selbst  erheischen,  bringen  und 
sein  Votum  in  die  Worte  zusammen- 
fassen möge :  die  Arlbergbahn  muss  ge- 
baut werden,  und  zwar  so  rasch  als 
möglich  « ;  der  Abgeordnete  Gross  ver- 
folgte einen  gleichen  Gedankengang  und 
sagte  schliesslich  :  »Wenn  die  Erzeugnisse 
unseres      heimischen     Fleisses,      unseres 


*)  Dazu  mag  die  Broschüre:  »Die  Arl- 
bergbahn als  Zahnradbahn  und  die  daraus 
sich  ergebenden  Ersparnisse.  Eine  technische 
Skizze  von  Ingenieur  Rudolf  R.  v.  Gunesch« 
[Wien,  1880]  den  Anstoss  gegeben  haben; 
denn  sie  behauptete,  dass  dieses  System 
ausreichen  und  eine  Ersparnis  von  10,000.000  fl. 
bieten  würde. 

**)  A.  Memminger  [Oswald  Stein],  vor- 
mals Bureauchef  der  Schweizer  Bahnen,  hatte 
sich  in  seinem  Buche:  »Die  Alpenbahnen  und 
deren  Bedeutung  für  Deutschland  und  Oester- 
reich,  mit  besonderer  Beziehung  auf  Gott- 
hard,  Brenner,  Arlberg  und  Fern  [Zürich, 
1878]«  sehr  abfällig  über  das  Arlberg-Project 
ausgesprochen,  späterhin  aber  eine  Art 
Widerruf  geleistet. 


vaterländischen  Bodens  durch  das  Alfenz- 
thal  nach  Vorarlberg  rollen,  dann  mag 
man  auf  das  Westportal  des  Arlberges 
die  stolzen  Worte  setzen :  Austriae  im- 
perium  saxa  loquuntur«  ;  der  Abgeordnete 
Hausner  beleuchtete  die  verschiedenen 
Ansichten  über  die  Rentabilitätsfrage  und 
meinte  kurz  und  bündig:  »es  sei  mög- 
lich, dass  man  sich  mit  der  Arlbergbahn 
irre,  dies  sei  aber  besser,  als  wenn  gar 
nichts  geschehe  und  unser  Export  von 
der  Erlaubnis  des  Deutschen  Reiches  ab- 
hängig bleibe«  —  und  der  treuherzige  Be- 
richterstatter geisselte  die  fremdländische 
Fürsorge  um  unsere  Finanzen,  rieth  den 
Triestern,  vor  der  Arlbergbahn  keine 
Furcht  zu  hegen  und  nur  »einen  anderen 
[das  heisst  guten]  Geist  bei  sich  ein- 
ziehen zu  lassen«  und  verwahrte  sich 
dagegen,  als  ob  er  für  eine  »Weltbahn« 
und  nicht  »für  eine  österreichische  Bahn 
plaidire,  eine  Bahn,  die  bestimmt  sei, 
Oesterreich  politisch  und  wirthschaftlich 
frei  und  unabhängig  zu  machen. «  —  Diese 
Reden  zündeten,  der  Patriotismus  siegte, 
die  Vorlage  wurde  am  1 3.  März  in  zweiter 
und  dritter  Lesung  angenommen,  des- 
gleichen am  2.  Mai  vom  Herrenhause, 
welches  vorerst  noch  das  Verlangen  nach 
der  »Compensation«  Sissek-Novi  aus- 
merzte, und  am  7.  Mai  1880  erhielt  das 
Gesetz  die  a.  h.  Sanction. 

Nun  erdröhnte  Tirol  und  Vorarlberg 
von  Jubel  und  Dank.  Freudenfeuer  er- 
glänzten auf  den  Bergen ;  Alles  wett- 
eiferte in  Dankeskundgebungen.  Am 
II.  Mai  war  grosser  Festtag  in  Innsbruck 
und  im  alten  Rathhause  fand  eine  feier- 
liche Gemeinderathssitzung  statt,  in  wel- 
cher begeisterte  Ansprachen  die  Weihe 
des  Tages  verkündeten  und  dem  unaus- 
löschlichen Danke  an  Se.  Majestät  den 
Kaiser  Ausdruck  gaben.  Nach  32  Jahren 
hörte  die  Arlbergbahn  auf,  eine  Frage  zu 
sein ;  der  Ruf  sie  gelöst,  das  alte 
wichtige  Project  der  Verwirklichung  zu- 
geführt und  damit  eine  grosse  That  voll- 
bracht zu  haben,  fiel  dem  Cabinet  Taaffe 
und  dem  neuen,  in  seiner  Mehrheit  so 
ganz  anders  zusammengesetzten  Parla- 
mente zu. 

Sollte  die  frühere  Säumnis  noch  irgend- 
wie wettgemacht,  dem  Gotthard  kein  gar 
zu    grosser   Vorsprung    gegönnt   werden, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


315 


Abb.  144.    Radonnatobel-Brücke  bei  Dalaas. 


dann  musste  man  ungesäumt  und  mit 
aller  Kraft  ans  Werk  gehen.  Das  geschah 
denn  auch.  Das  Gesetz  vom  9.  Mai 
1880  bewilligte  einen  ersten  Credit  von 
2,100.000  fl.,  am  16.  Mai  erfolgte  die  | 
a.  h.  Anordnung  der  Inangriffnahme  des 
Baues,  mit  dessen  Leitung  das  Handels- 
ministerium schon  Tags  vorher  die  k.  k. 
Direction  für  Staats-Eisenbahnbauten  be- 
traut hatte.  Nach  dem  von  ihr  sofort 
aufgestellten  Bauprogramme  sollten  die 
Thalbahn  Innsbruck- Landeck  [7r8  km] 
im  Herbste  1882,  die  beiden  Zufahrt- 
strecken  [53-2  km]  im  Sommer  1884,  der 
grosse  Tunnel  [io-2  km]  aber  im  Herbste 
1885  vollendet  und  bis  dahin  der  Ver- 
kehr über  den  Arlberg,  wie  seinerzeit 
am  Semmering,  mittels  Achsfuhrwerk  be-  ! 
werkstelligt  werden.  Am  14.  Juni  1880  j 
begannen  an  der  Ost-,  am  22.  Juni  an  1 
der  Westseite  die  Arbeiten  an  den  Vor- 
einschnitten und  am  24.,  beziehungsweise 
25.  Juni  der  Vortrieb  von  Hand  beim 
grossen  Tunnel,  und  zwar  einstweilen  auf 
Grund  kündbarer  Accorde. 

Weiter  als  bis  hieher  sein  Werk 
zu  geleiten,  war  dem  Handelsminister 
Freiherrn  von  Korb  nicht  gegönnt; 
er  trat  am  26.  Juni  1880  zurück. 
Sein  Nachfolger,  Alfred  Ritter  von 
Krem  er,  konnte  schon  am  10.  August 
die  von  dem  Vorstande  der  leitenden 
Baubehörde,    k.    k.    Oberbaurathe    Julius 


Lott*)  [Abb.   126]  schleunigst  vorberei- 

*)  Als  Sohn  des  nachmals  als  Professor  an  der 
philosophischen  Facultät  in  Wien  rühmlichst 
bekannten  Dr.  Fr.  C.  Lott,  am  25.  März  1836 
in  Wien  geboren,  erhielt  Julius  Lott  seine 
erste  Ausbildung  in  Göttingen,  wo  sein  Vater 
als  Universitäts-Professor  thätig  war.  Nach 
dessen  im  Jahre  1849  erfolgter  Berufung  an 
die  Universität  in  Wien  besuchte  Julius  Lott 
das  k.  k.  akademische  Gymnasium  und  nach 
Absolvirung  desselben  die  technische  Hoch- 
schule in  Wien.  Die  technischen  Studien 
vollendete  er  im  Jahre  1859  in  Karlsruhe, 
woselbst  er  sodann  auch  durch  kurze  Zeit 
als  Supplent  Professor  Keller's  und  im 
badischen  Staatsdienste  beim  Eisenbahnbau 
Verwendung  fand. 

Im  Jahre  1861  wurde  Lott  durch 
Etzel'  zu  den  Projectirungs  -  Arbeiten 
für  die  Brennerbahn  herangezogen,  und 
sodann  mit  der  Ausführung  der  Strecke 
Patsch-Matrei  —  einer  der  schwierigsten  der 
ganzen  Bahn  —  betraut.  Er  bewährte  sich 
dort  in  solchem  Masse,  dass  der  Bauleiter  der 
Brennerbahn,  Achilles  Thommen,  bald 
nachdem  dieser  die  Stelle  des  Bau-Directors 
der  Ungarischen  Staatsbahnen  angetreten 
hatte,  Lott  die  Leitung  der  Tracirung  der 
Strecke  Karlstadt-Fiume  [1867]  und  Gross- 
wardein  -  Klausenburg  [1868]  übertrug.  Im 
Jahre  1869  wurde  er  in  die  Direction  der  Unga- 
rischen Staatsbahnen  berufen,  wirkte  daselbst 
als  Ober-Inspector  bei  den  Staatsbahnbauten 
und  nachher  als  Vorstand  der  Bau-Ueber- 
wachungsabtheilung  für  die  concessionirten 
Bahnen. 

Als  im  Jahre  1871  der  Bau  der  Ungarischen 
Ostbahn  infolge  Vertragsbruches  der 
General-Unternehmung  ins  Stocken  gerieth 
und   die  Gesellschaft   den  Bau   weiterfuhren 


3i6 


Ignaz  Konta. 


teten  Profilstypen  für  den  Albergbahn-Tun- 
nel genehmigen.  Sodann  wurden  alle  Detail- 
projecte  sowie  das  Operat  für  die  eigent- 
liche Vergebung  des  Tunnelbaues  aus- 
gearbeitet; am  23.  December  1880  fand 
die  Offertverhandlung  statt.  Ersteher 
blieben  die  Unternehmer  G.  Ceconi 
und  Brüder  Läpp  mit  einem  Aufgebot 
von  2°/0  für  die  westliche  und  5°/0  für 
die  östliche  Hälfte.  Für  die  erstere  waren 
Kosten  mit  6,028.403  fl.,  für  die  letztere 
mit  5,960.103  fl.  und  für  die  1400  m 
langen  Ausmündungen  mit  107.688  fl. 
veranschlagt;  die  Vollendungsfrist  war 
auf  Mitte  August  1885  anberaumt,  das 
Pönale  für  die  Ueberschreitung  derselben 
mit  800  fl.  pro  Tag  und  die  Prämie  für 


musste,  berief  sie  Lott  zum  Bau-Director. 
Die  glänzende  Art,  in  der  er  die  vielen  und 
grossen  hier  angehäuft  gewesenen  Schwierig- 
keiten bewältigte,  begründete  seinen  Ruf  als 
ausgezeichneter  Bautechniker,  und  wendete 
ihm  mit  der  allgemeinen  Aufmerksamkeit  auch 
jene  des  damaligen  General-Directors  der 
Theissbahn,  Wilhelm  v.  Nördling  zu, 
welcher  sodann  als  Sectionschef  und  General- 
Director  des  österreichischen  Eisenbahnwesens 
bei  der  Reorganisirung  des  österreichischen 
Staatseisenbau-Dienstes  und  Errichtung  der 
k.  k.  Direction  für  Staats-Eisenbahnbauten, 
Lott  zum  Vorstande  dieser  Behörde  erwählte 
[1875].  Sein  gediegenes  technisches  Wissen, 
seine  reichen  Erfahrungen  und  sein  weiter 
Blick  auch  für  alle  administrativen  Fragen, 
behüteten  ihn  davor,  seine  Aufgaben  ledig- 
lich aus  dem  Gesichtspunkte  technischer 
Probleme  lösen  zu  wollen.  Dadurch  aber 
erwarb  er  sich  nur  noch  rascher  das  Vertrauen 
aller  massgebenden  Persönlichkeiten  des  ihm 
vorgesetzten  k.  k.  Handelsministeriums. 

Beim  Amtsantritte  Lott's  standen  die  Ra- 
konitz -Protiviner,  die  Tarnöw  -  Leluchöwer, 
die  Istrianer  und  Dalmatiner  Bahn  im  Baue; 
später  kamen  die  Localbahnen  Kriegsdorf  - 
Römerstadt,  Unterdrauburg  -  Wolfsberg  und 
Mürzzuschlag  -  Neuberg  hinzu.  Für  die  erste- 
ren  waren  noch  die  damaligen  Normalien  für 
Hauptbahnen  massgebend,  rücksichtlich  der 
Localbahnen  aber  galt  es,  der  damals  eben 
zum  Durchbruche  gelangenden  Strömung  Gel- 
tung zu  verschaffen,  welche  dahin  zielte, 
Bahnen  von  geringerer  Bedeutung  mit  mög- 
lichster Einfachheit  und  geringem  Kostenauf- 
wande  herzustellen.  Die  Gediegenheit  der 
damals  von  Lott  verfassten  Projecte  dieser 
Art  machte  dieselben  mustergültig,  so  zwar, 
dass  die  von  ihm  zur  Durchführunggebrachten 
Grundsätze  später  auch  bei  den  von  Privat- 
unternehmern ausgeführten  Secundär-  und  Lo- 
calbahnen vielfach  zur  Anwendung  gelangten. 

Ausser  den  bereits  erwähnten  Linien 
kamen  unter  Lott's  Leitung  noch  die  Local- 


jeden  Tag  Zeitgewinn    ebenso  hoch  be- 
messen. 

Die  Accord- Unternehmung  [Redlich 
und  Ceconi],  welche  mit  den  Tunnelarbeiten 
vorläufig  betraut  gewesen,  räumten  ihren 
Platz  am  12.  Januar  1881  der  neuen  Unter- 
nehmung ein,  die  sogleich  mit  grösstem 
Fleisse  weiter  arbeitete.  Auf  der  Ostseite 
wurde  für  den  maschinellen  Betrieb  das 
Stossbohrsystem  Ferroux  mit  Lufttrans- 
mission, auf  der  Westseite  das  vorzügliche 
Brandt'sche  Drehbohrsystem  mit  Wasser- 
transmission, welches  hier  zum  ersten  Male 
seine  praktische  Nutzanwendung  fand,  für 
die  Installation  bleibend,  angenommen.*) 
Dank  den  von  der  Direction**)  getroffenen 
Vorkehrungen  und  der  Thatkraft  der  Bau- 


bahn Erbersdorf  -  Würbenthai  und  die  Haupt- 
bahnen :  Donauuferbahn  und  Tarvis  -  Pon- 
tafel  zur  Ausführung. 

Die  grösste  und  wichtigste  Aufgabe  fiel 
jedoch  der  Staatseisenbahn-Baudirection  und 
ihrem  unermüdlichen  Vorstande  im  Jahre 
1880  zu;  dieselbe  umfasste  die  Aufstellung 
des  endgiltigen  Projectes  für  die  Arlbergbahn 
und  sodann  die  Installation  dieses  auf  Staats- 
kosten unternommenen  gigantischen  Bauwer- 
kes. Lott  widmete  sich  mit  ganzer  Seele 
diesem  epochalen  Vorhaben  und  nahm  daran 
vollsten  Antheil,  als  er  schon  von  schwerer 
Krankheit  befallen  war.  Es  ward  ihm  nicht 
vergönnt,  die  Vollendung  seiner  letzten  und 
bedeutendsten  Arbeit  zu  erleben. 

Im  Laufe  des  Jahres  1882  nahm  auch 
noch  die  Projectirung  und  Bauvergebung  der 
Galizischen  Transversalbahn  die  Thätigkeit 
Lott's  in  hervorragender  Weise  in  Anspruch. 

Dass  die  ausgezeichnete  Wirksamkeit 
Lott's  auch  die  verdiente  Anerkennung  ge- 
funden, ist  nur  natürlich.  Im  Jahre  1880  er- 
folgte seine  Ernennung  zum  k.  k.  Oberbaurathe 
bei  gleichzeitiger  Stabilisirung  im  Staats- 
dienste, und  zu  Ende  des  Jahres  1882  erhielt 
er  den  Orden  der  eisernen  Krone;  diese  Aus- 
zeichnung traf  ihn  bereits  auf  dem  Kranken- 
lager.   Er  starb  am  24.  Mai  1883. 

Seine  Jünger  und  Freunde  errichteten 
ihm  vor  dem  Ostportale  des  Arlbergtunnels 
ein  Denkmal  [Abb.  127]  und  widmeten  den 
Rest  der  hiezu  eingeflossenen  Beiträge  zu 
einer  den  Namen  Lott's  tragenden  Stiftung 
für  hilfsbedürftige  Witwen  und  Waisen  nach 
Beamten  der  k.  k.  Staatsbahnen. 

*)  Näheres  über  den  Bau  des  Arlberg- 
tunnels siehe  Bd.  II,  A.  Birk:  Tunnelbau 
S.  236  und  die.  Abb.  97— 101  in  jenem  Ab- 
schnitte. 

**)  Vorstände  der  technischen  Directions- 
Abtheilungen  und  als  solche  am  Baue  der 
Arlbergbahn  in  hervorragendem  Masse  be- 
theiligt   waren:    für  Unterbau  und  Brücken: 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


3'7 


leitung,  an  deren  Spitze  derk.  k.  Inspector, 
Adolf  Doppler,  und,  als  dessen  Stell- 
vertreter, der  k.  k.  Commissär  Wilhelm 
Wraschtil  gestanden;  Dank  ferner  der 
Emsigkeit  der  Bauunternehmung  und  ihres 
einträchtigen  Zusammenwirkens  mit  den 
staatlichen  Organen,  machten  die  Leistun- 
gen gleich  von  Stund  an  erfreuliche  Fort- 
schritte, welche,  geschützt  und  gefördert 
von  einem  gütigen  Geschicke,  sich  stetig 
und  bis  zu  einem  ungeahnten  Masse 
steigerten. 

Eine  förm- 
liche Bauge- 
schichte hier 
aufzunehmen, 
ist  nicht  mög- 
lich.*) Uns 
kommt  nur  zu, 
die  wichtig- 
sten Momente 
hervorzuhe- 
ben und  fest- 
zuhalten. Am 
25. Juni  1881 
waren  bereits 

die  ersten 
1000  in  Tun- 
nel vollendet. 
Die  Feier  die- 
ses Ereignis- 
ses fand  in  An- 
wesenheit des 
Handelsministers,  Freiherrn  von  Pino, 
und  des  Vorstandes  der  Direction  der 
Staats  -  Eisenbahnbauten,  k.  k.  Ober- 
baurathes  Julius  Lott,  statt.  In  den 
Tagen  vom  10.  bis  13.  August  be- 
suchte Se.  Majestät  der  Kaiser  die 
Baustätte  und  drückte  wiederholt  Seine 
a.  h.  Zufriedenheit  über  das  Gesehene  aus. 
Mit  Ende  des  Jahres  erreichten  die  auf- 
gefahrenen   Richtstollen    eine   Gesammt- 


Abb.  1^5- 


Ludwig  Huss,  k.  k.  Inspector;  für  Oberbau, 
Mechanik  und  Fahrbetriebsmittel:  Gustav 
Platte,  k.  k.  Inspector;  für  Hochbau  und 
Ausrüstung:  Friedrich  Setz,  k.  k.  Ober- 
Ingenieur. 

*)  Eine  solche  ist  vorhanden  in  den  von 
der  k.  k.  Direction  für  Staats-Eisenbahn- 
bauten  und  nachher  von  der  k.  k.  General- 
Direction  der  österreichischen  Staatsbahnen, 
veröffentlichten  »Denkschriften  über  den 
Fortschritt  derProjectirungs-und  Bauarbeiten 
der  Arlbergbahn«  [Wien,  1881,  1882  und  1890.] 


länge  von  3220  in  und  die  Bohrarbeit 
im  Jahre  1881  nicht  weniger  als  2574  m, 
was  nach  Abrechnung  der  Zeitverluste 
durch  Nivellements  einem  Tagesfort- 
schritte von  durchschnittlich  3-6  m  gleich- 
kam. Angesichts  der  überaus  günstigen 
Arbeitsergebnisse  wurden  nun  auch  die 
Einleitungen  für  die  Inangriffnahme  der 
Aussenstrecken  beschleunigt. 

Nachdem  während  des  Sommers 
und     bis     in     den      Herbst     hinein     die 

verschiedenen 
Begehungs- 
Commissio- 
nen      vorge- 
nommen wor- 
den      waren, 
fand  am  I.  Oc- 
tober  1881  die 

Offertaus- 
schreibungfür 
die  Vergebung 
des  Unterbaues 
und  der  Ober- 
baulegungder 
Thalstrecke 
Innsbruck- 
Landeck  statt. 
Es  liefen  43 
Angebote  ein, 
von  denen  je- 
doch nur  zwei 
Berücksichti- 
gung fanden,  nämlich  jenes  einervon  meh- 
reren Unternehmern  gebildeten  »Tiroler 
Eisenbahn-Bau  Unternehmung«  rück- 
lich  der  ersten  drei  Lose  und  jenes  der 
Unternehmung  Brüder  Redlich  Berger 
riicksichtlich  der  übrigen  sieben  Lose, 
wobei  Preisnachlässe  von  i2-4°/0  bis 
I7'7°/o  und  hiedurch  ein  Kostenersparnis 
von  426.600  fl.  erzielt  wurden.  Die  Be- 
schaffung der  Schienen  und  Schwellen 
erfolgte  gesondert,  ebenso  die  Vergebung 
der  Hochbauten,  deren  Ersteher  ebenfalls 
die  letztgenannte  Unternehmung  war 
[31.  December],  und  zwar  wieder  ver- 
möge eines  Angebotes  von   I3"7%- 

Der  Bau  der  Thalbahn  hat  am  15., 
beziehungsweise  21.  November  1881 
begonnen  und  zehn  Monate  später  auch 
schon  jener  der  beiden  Rampenstrecken, 
nachdem  die  bezüglichen  Vergebungen 
am  6.  August  1882    erfolgt  waren.    Er- 


Arlbergbahn  bei  dem  ehemaligen  Gipsbruche 
bei  Dalaas. 


3i8 


Ignaz  Konta. 


Steher  blieben  hier  von  14  Offerenten 
die  nachbenannten  Unternehmungen :  G  e- 
brüder  Redlich  &  Berger,  M. 
Casagranda  und  E.  Benuzzi,  A. 
Kiss,  M.  Bisztak  und  C.  Pollak. 
Von  allen  wurden  Preisnachlässe  [von 
7"7°/0 — n-50/o]  und  hiedurch  wieder  eine 
Kostenersparnis    von    540.000  fl.    erzielt. 

Mit  Jahresschluss  1882  waren  bereits 
6813  vi  des  Tunnels  durchbohrt;  es 
stellte  sich  also  damals  der  Stollenfort- 
schritt auf  durchschnittlich  0/85  m  pro 
Tag,  d.  i.  beinahe  doppelt  so  gross  als 
ursprünglich  angenommen  wurde.  Auch 
auf  den  offenen  Strecken  gediehen  die 
Arbeiten  sehr  rasch,  zumal  rücksichtlich 
der  Fluss-  und  Uferschutzbauten,  denen 
der  milde  und  trockene  Winter  1881/82 
wohl  zustatten  kam  und  einen  Vorsprung 
ermöglichte,  der  sich  umso  werthvoller 
erwies,  als  der  Sommer  ein  regnerischer 
und  an  Wasserschäden  sehr  reicher  war. 

Damals  lag  der  Director  des  Baues, 
Ober-Baurath  Julius  Lott,  schon  schwer 
krank  darnieder ;  er  starb,  wie  bereits  er- 
wähnt, am  24.  Mai  1883.  Sein  Stellver- 
treter Friedrich  Dieterle  war  ihm  am 
15.  November  1882  im  Tode  vorange- 
gangen. Der  Handelsminister  berief  nun 
den  Ober-Inspector  der  k.  k.  General-In- 
spection,  Johann  P  o  s  c  h  a  c  h  e  r,  zur  Lei  tun  g 
derk.  k.  Baudirection,*)  dem  fortan  auch  die 
Weiterführung  des  Arlbergbaues  zufiel. 

Im  Sommer  1883  gelangte  die  yi'Skm 
lange  Thalbahn  zur  Vollendung.  Am 
30.  Juni,  8  Uhr  Abends,  ging  in  fest- 
lichem Traueraufzuge  die  letzte  Wagen- 
post von  Innsbruck  nach  Landeck 
ab,  und  am  I .  Juli  fuhr  das  Dampfross  auf 
der  neuen  Schienenstrasse  dorthin.  Zu- 
gleich begann,  auf  Grund  des  Peage- Ver- 
trages vom  7.  Juni  1883  [siehe  Seite  304], 
die  Mitbenützung  der  58*7  km  langen 
Südbahnstrecke  Wörgl-Innsbruck.  Diese 
Eröffnung  kam  gerade  recht;  denn  gar 
bald  hatte  die  neue  Linie  schon  die 
Zufuhren    des    Materials    und    der   Aus- 


*)  Als  Baudirector-Stellvertreter  fungirte 
der  kaiserliche  Rath  Dr.  Franz  Liharzik, 
welcher  neben  seinen  Obliegenheiten  als 
General-Secretär  und  k.  k.  Betnebsverwalter- 
Stellvertreter  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn 
auch  die  Besorgung  der  administrativen 
Agenden  der  k.  k.  Baudirection  übernommen 
hatte. 


rüstungs-Gegenstände  für  die  eigentlichen 
Arlbergstrecken  zu  besorgen.  Am  10. 
August  wurden  auf  der  Westseite  die 
Schüsse  von  der  Ostseite  zum  ersten 
Male  gehört,  und  drei  Monate  später  — 
am  13.  November,  3  Uhr  30  Minuten 
Nachmittags  —  beim  Abschiessen  auf 
der  Westseite  zwei  Bohrlöcher  der  Ost- 
seite biosgelegt. 

Sofort  trug  der  Telegraph  nach  allen 
Richtungen  die  frohe  Kunde,  dass  die 
Riesenarbeit  vollbracht,  das  grosse  Werk 
gelungen  ist.  Die  Absprengung  der  noch 
verbliebenen  i"j  m  dicken  Steinmasse 
wurde  aber  auf  den  19.  November  ver- 
schoben ;  die  Tunnelbau-Unternehmung 
hatte  eine  Ehre  darein  gesetzt,  den  Durch- 
schlag als  ein  kostbares  und  seltenes 
Namenstags-Angebinde  Ihrer  Majestät 
der  Kaiserin  darzubringen,  und  mit  einer 
der  Bedeutung  des  Ereignisses  würdigen 
Feierlichkeit  vorzunehmen.  Es  hatte  sich 
hiezu  eine  auserlesene  Festversammlung 
eingefunden:  Der  Handelsminister  Frei- 
herr v.  Pino  mit  den  obersten  Beamten 
der  Eisenbahn-Section  und  der  Directionen 
für  den  Staats-Eisenbahnbau  und  -Betrieb, 
die  Spitzen  der  Behörden  und  autonomen 
Körperschaften  Tirols  und  Vorarlbergs, 
zahlreiche  Fachmänner,  Abgeordnete  und 
sonstige  geladene  Gäste,  die  am  Baue 
betheiligten  Ingenieure,  die  Arbeiterschaft 
etc.  Allesammt  begaben  sich  in  freudiger 
Erregung  durch  das  geheimnisvolle  Dunkel 
der  »langgedehnten  Röhre«  zu  dem  unter- 
irdischen 1  Festplatze«  und  harrten 
spannungsvoll  des  epochalen  Augen- 
blickes, in  welchem  der  letzte  Rest  des 
mächtigen  Hindernisses  fallen  sollte, 
welches  bislang  verhindert  hatte,  dass 
das  industriereiche,  treue,  westliche  Grenz- 
land Oesterreichs  mit  dem  Herzen  der 
Monarchie  in  unmittelbare  Verbindung 
trete. 

Um  die  Mittagsstunde  des  Elisabeth- 
Tages  entlud  der  Handelsminister  den 
zu  den  Minen  geleiteten  elektrischen 
Strom  —  und  die  Durchbohrung 
des  Arlberges  war  eine  vollendete 
Thatsache,  die  Scheidewand  beseitigt, 
welche  dem  unbehinderten  Verkehre 
zwischen  Vorarlberg  und  den  übrigen 
Ländern  des  Kaiserstaates  —  zwischen 
Ost  und  West  —  entgegengestanden.  Der 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


319 


Durchschlag  erfolgte,  fast  auf  den  Tag 
genau,  drei  Jahre  nach  der  ersten 
maschinellen  Inangriffnahme,  und  um 
1372  Monate  früher  als  bedungen  war. 
Die  ganz  unvergleichliche  Leistung,  die  alle 
bisher  erzielten  derlei  Erfolge  weit  hinter 


sich  lässt,  und  vollführt  wurde  ohne  die 
vielen  Opfer  an  Menschenleben,  welche 
frühere  Tunnelbauten  gefordert  hatten, 
verdiente  und  fand  mit  Recht  allseitige 
Anerkennung.  Der  Handelsminister  durfte 
darum  bei  seinen  in  eine  Huldigung  für 


320 


Ignaz  Konta. 


Se.  Majestät  den  Kaiser  Franz 
Joseph  I.  ausgeklungenen  Festreden 
mit  Stolz  betonen,  dass  '»österreichi- 
sche Wissenschaft,  Österreich  i- 
scherMuth  und  österreichischer 
Fl  eis  s  dies  zu  Stande  gebracht«,  und  dass 
der  Jubel  über  das  grosse  Ereignis  in  der 
ganzen  Monarchie  und  weit  über  ihre 
Grenzen  hinaus  wiederhalle  »zur  Ehre 
der  österreichischen  Arbeit«. 

»Ehre  der  Arbeit«  lautet  auch  der 
Spruch,  der  auf  den  Denkmünzen  prangt, 
welche  zur  Erinnerung  an  den  fortan  mit 
unvergänglichen  Lettern  in  den  Annalen 
der  österreichischen  Culturgeschichte  ver- 
zeichneten 19.  November  1883  an  Ort 
und  Stelle  des  Durchschlages  vertheilt 
wurden.  Dass  es  an  heller  Festesfreudig- 
keit und  inniger  Beglückwünschung  aller 
an  dem  Baue  Betheiligten,  insbesondere 
der  anlässlich  der  Feier  mit  a.  h.  Aus- 
zeichnungen Bedachten,  nicht  fehlte, 
braucht  nicht  ersfr  erwähnt  zu  werden. 
Wohl  aber  bleibt  besonders  zu  ver- 
zeichnen, dass  in  tiefempfundenen  Worten 
auch  der  beiden  Männer  gedacht  wurde, 
denen  ein  neidisches  Geschick  verwehrte, 
die  Vollendung  des  grossen  Werkes  zu 
schauen,  an  das  sie  die  erste  Hand  gelegt : 
des  Freiherrn  von  Korb -Weidenheim, 
dessen  thatkräftiges  Einstehen  für  die  Ver- 
wirklichung des  alten  Arlberg-Projectes 
bewirkte,  dass  der  Gedanke  zur  That 
geworden,  —  und  Julius  Lott's,  der  zur 
Ausführung  dieser  Schöpfung  berufen 
gewesen,  und  bis  zu  seinem  letzten 
Athemzuge  ihr  mit  Liebe  und  Begeiste- 
rung, mit  allen  Fasern  seines  reichen 
Wissens  und  Könnens  anhing. 

Als  die  Feierlichkeiten*)  vorüber  und 
die  »ersten  Menschen,  welche  die  Reise 
nach  Vorarlberg  und  zurück  durch  den 
Arlberg  zurückgelegt  hatten«,  wieder 
von  dannen  gezogen  waren,  nahmen  die 
Arbeiten  ihren  weiteren  Fortgang,  wo- 
möglich noch  frischer  und  fröhlicher  als 
zuvor.      Bei    Ablauf    des    Jahres     1883 


*)  Eine  ausführliche  Beschreibung  der 
Festlichkeiten  findet  sich  in  der  Schrift: 
>D:e  Festfeier  am  Arlberge  anlässlich  des 
Tunneldurchschlages  am  19.  November  1883. 
Dargestellt  von  den  k.  k.  Ministerial-Secre- 
tären  Dr.  Franz  Meissl  und  Dr.  Josef  Ritter 
v.  K  ü  c  h  1  e  r. « 


waren  85'7°/0  des  Vollausbruches  und 
82-7°/0  der  Mauerung  des  Tunnels  voll- 
endet. Auf  den  offenen  Strecken  wurde 
gleichfalls  mit  vollster  Kraftentfaltung 
gearbeitet.  Die  Vollendung  der  neuen 
grossen  Schienenstrasse  rückte  also  mit 
Riesenschritten  näher.  Darum  begann 
jetzt  auch  unten  am  Bodensee  ein  rühri- 
ges Schaffen;  denn  die  mit  dem  Gesetze 
vom  4.  Juni  1883  genehmigte  Herstellung 
einer  Trajectanstalt  musste  sehr  beschleu- 
nigt werden,  um  den  Schiffsdienst  gleich- 
zeitig mit  der  Arlbergbahn  in  Betrieb 
setzen  zu  können.  Zur  Besorgung  jenes 
Dienstes  wurde  in  Bregenz  eine  der  staat- 
lichen Eisenbahn-Verwaltung  unterste- 
hende »K.k.  Bodensee-Schi  ff  ahrts- 
Inspection«  errichtet  und  mit  1.  De- 
cember  1883  activirt.  Die  Ausführung 
der  technischen  Einrichtungen  und  des 
Schiffparkes  [zwei  Dampfboote  ä  80 
Pferdekräfte,  vier  Trajectkähne,  ein  Salon- 
dampfer] hatte  die  österreichische  Bau- 
gesellschaft im  Vereine  mit  der  Firma 
Es  eher  Wyss  in  Zürich  um  den  Betrag 
von  540.000  fl.  erstanden.  Die  Gesammt- 
kosten  der  Anlage  waren  mit  820.000  fl. 
bemessen. 

Für  die  Arlbergbahn  selbst  trat  ein 
Mehrerfordernis  von  5,700.000  fl.  ein, 
theils  durch  die  grosse  Prämienzahlung 
an  die  Tunnelbau-Unternehmung  theils 
durch  die  nothwendig  gewordenen  Maue- 
rungen im  Tunnel,  welche  vermöge  der 
geologischen  Untersuchungen,  die  einen 
Ausbruch  im  festen  Gestein  erwarten 
Hessen,  gar  nicht  in  Anschlag  ge- 
bracht worden  waren.  Das  Parlament 
genehmigte  ohneweiters  diesen  Mehrauf- 
wand und  das  aus  der  bezüglichen  Re- 
gierungsvorlage [14.  Februar  1884]  her- 
vorgegangene Gesetz  vom  5.  April  1884 
verfügte  einfach  die  Erhöhung  der  ur- 
sprünglich mit  35,600.000  fl.  festgesetz- 
ten Baukosten  der  Arlbergbahn  auf 
41,300.000  fl. 

Nun  glichen  die  Baustrecken  bald 
einem  gigantischen  Bienenstocke.  Im 
Tunnel  standen  durchschnittlich  bis  zu 
5000,  auf  den  offenen  Strecken  bis  zu 
11.000  Arbeiter  täglich  in  Verwendung. 
Am  14.  Mai  1884  wurde  der  letzte 
Stein  in  den  Tunnel  eingemauert.  Ende 
August  fanden  die  Brückenproben  statt ; 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


321 


am  3.  September  durchlief  der  erste  Zug 
die  ganze  Strecke  von  Landeck  bis  Bludenz 
und  am  6.  September  begann  die  Be- 
nützung der  Bahn  vorerst  für  den  Güter- 
verkehr. Es  sollten  eben,  wiewohl  die 
am  7.  September  im  Beisein  des  Handels- 
ministers vorgenommene  technisch-poli- 
zeiliche Prüfung  der  Bahn  durchwegs 
die  glänzendsten  Ergebnisse  geliefert 
hatte,  keinerlei 
Vorsichten  aus- 
ser Acht  gelas- 
sen und  auch 
dem  Personale 
Zeit  gegeben 
werden,  sich 
mit  den  beson- 
deren Betriebs- 
verhältnissen 
dieser  Bahn  ver- 
traut zu  ma- 
chen, bevor  die- 
selbe dem  all- 
gemeinen Ver- 
kehre überge- 
ben wurde.  Dies 
sollte  erst  am 
31.  September 
geschehen.*) 

»Kaum  in  I 
die  Oeffentlich- 
keit  gelangt, 
hat  diese 
Nachricht 
allerorten 
die  freudig- 
ste Stim- 
mung er- 
weckt ;  denn 
die  längst  er- 
sehnte, vom 
Auslande  unabhängige  Schienenverbin- 
dung zwischen  den  Gestaden  des  Boden- 
sees und  dem  Innern  der  Monarchie, 
stand  fertig  da.  Nicht  blos  einzelne 
Kreise  oder  Länder  äusserten  darob 
ihre    Freude,    sondern   das    ganze    Reich 


Abb.  147.     Schmiedtobel-Brücke  bei  Dalaas. 


*)  Hinsichtlich  der  Eröffnung  glaubt  der 
Verfasser  hier  nur  wiederholen  zu  sollen,  was 
er,  als  ein  Theilnehmer  der  Eröffnungsfahrt, 
unter  dem  mächtigen  Eindrucke  der  selbst- 
geschauten  Feierlichkeiten  schon  im  XVIII. 
Jahrgange  seines  Eisenbahn-Jahrbuches  ge- 
schrieben hat. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


und  alle  seine  Völker  feierten  das 
grosse  Werk,  das  für  alle  Zeit  ein  un- 
vergängliches Denkmal  bleibt :  der  Re- 
gierung, die  es  ins  Leben  gerufen,  und 
all  der  wackeren  Werkleute,  deren  gei- 
stige oder  physische  Kraft  es  zur  Aus- 
führung brachte. 

Die  Freudes-  und  Dankeskundgebun- 
gen   mehrten    sich    mit  jedem  Tage  und 

steigerten  sich 
biszumjubel,  als 
es  bekannt  wur- 
de, dass  die  Er- 
öffnung der  Arl- 
bergbahn  eine 
festliche  sein 
und  Seine  Ma- 
jestät der  Kaiser 
daran  theilneh- 

men  werde. 
Ihren  Höhe- 
punkt erreich- 
ten sie  aber  in 
Vorarlberg,  als 
am  20.  Septem- 
ber von  Inns- 
bruck aus  die 
feierliche  Er- 
öffnungsfahrt 
n  ach  Bregenz 
stattfand.  Es 
war  da,  als  ob 
ein  breiter,tiefer 
Strom  von  Freu- 
de und  Dank- 
barkeit sich  in 
ein  Meer  von 
Patriotismus  er- 
gösse und  das 
ganze  Volk  sich 
herandrängte, 
zu  bekunden,  wie  glücklich  es  sich 
fühle,  aus  der  Abgeschiedenheit  von 
den  übrigen  Provinzen  der  Monarchie 
endlich  erlöst  zu  sein.  So  gestaltete 
sich  diese  Eröffnungsfahrt  zu  einer 
epochalen  Feier,  sowohl  in  Ansehung 
auf  die  grosse  wirtschaftliche  Bedeutung 
des  Ereignisses,  dem  sie  gegolten,  a.ls 
auch  durch  die  sie  verherrlichende  An- 
wesenheit Sr.  Majestät  des  Kaisers 
der,  begleitet  vom  Handelsminister  und 
anderen  Räthen  der  Krone,  dem  Präsi- 
denten    der     k.    k.     General  -  Direction 

21 


322 


Ignaz  Konta. 


der  österreichischen  Staatsbahnen,  meh- 
reren Functionären  der  obersten  Staats- 
behörden sowie  des  staatlichen  Eisen- 
bahnbaues und  -Betriebes,  vielen  Reichs- 
rathsabgeordneten  etc.  etc.  —  gekommen 
war,  dem  glücklich  vollendeten  Riesen- 
werke die  Weihe  zu  geben  und,  umbraust 
von  den  Huldigungen  der  Bevölkerung, 
Zeuge  gewesen  der  Erschliessung  des 
neuen  österreichischen  Handelsweges  nach 
dem  Westen  Europas.« 

Am  2 1 .  September  fand  die  Eröffnung 
für  den  allgemeinen  Verkehr  statt,  und 
während  in  Bregenz  die  Festlichkeiten 
ihren  glanzvollen  Verlauf  nahmen,  die 
Mitglieder  der  Regierung,  insbesondere 
der  Handelsminister,  mit  Glückwünschen 
zu  dem  errungenen  Erfolge  überhäuft 
wurden  und  die  hochverdienten  Bauorgane 
die  kaiserliche  Anerkennung  ernteten  — 
rollten  schon  oben  durch  den  Arlberg 
die  Personenzüge,  dichtbesetzt  mit  Rei- 
senden, die  von  allen  Seiten  herbeieilten, 
das  Meisterwerk  der  österreichischen 
Ingenieure  zu  bewundern.  Die  am  22.  Sep- 
tember aus  Bregenz  zurückkehrenden 
Festgäste  machten  in  St.  Anton  kurze 
Rast,  um  das  Andenken  Lott's  zu  ehren 
und  der  Uebergabe  seines  Denkmals  in 
die  Obhut  der  Verwaltung  der  k.  k.  Staats- 
bahnen beizuwohnen.  Die  Feier  fand  beim 
Standorte  des  Denkmals  vor  dem  Ost- 
portale des  grossen  Tunnels  statt.  [Siehe 
Abb.    127  und   135.] 

Die  k.  k.  Bodensee-Schiffahrt  hatte 
schon  am  15.  September  1884  ihren 
Dienst  begonnen.  Der  neue  österreichische 
Handelsweg  stand  also,  nachdem  er  ein 
Menschenalter  hindurch  blosses  Project 
gewesen  und  sodann  in  der  kurzen  Zeit 
von  vier  Jahren  erbaut  wurde,  als  ein 
wohlvollendetes  Ganzes  da,  nicht  blos  bis 
an  das  »Schwäbische  Meer«  sondern 
noch  über  dasselbe  hinüberreichend,  ein 
neuer  mächtiger  Lorbeer  im  Ruhmes- 
kranze der  Austria. 

Die  Gesammtkosten  der  Arlbergbahn 
haben  beim  Abschlüsse  der  Baurechnung 
41,299.920  fl.  oder  305.495  fl.  pro  km  be- 
tragen, wovon  19,082.641  fl.  auf  den 
Arlbergtunnel  entfielen. 

Die  Trace  der  Arlbergbahn  ist  in  baulicher 
Beziehung  in  zwei  Partieen  gesondert:  in  die 


Thalstrecke  Innsbruck- Landeck  und  die 
Gebirgsstrecke  Landeck-Bludenz.  [Vgl. 
Abb.  128.]  Das  bezeichnende  Merkmal  der 
ganzen  Bahn  bildet  die  beinahe  ausschliess- 
liche Verwendung  von  Bruchsteinen  für  das 
Mauerwerk  und  die  Ausführung  der  vielen 
technisch  hochinteressanten  Viaducte  und 
gewölbten  Brücken   aus  diesem  Materiale. 

Der  Lauf  der  ganzen  Trace  folgt  fast 
genau  der  Richtung  von  Ost  nach  West.  In 
geographischer  Hinsicht  liegt  der  grössere 
Theil  dieser  Bahn  [10579  &jh]  m  Tirol  und  nur 
ein  kleineres  Stück  [30-97  km]  in  Vorarlberg. 
Vom  Bahnhofe  Innsbruck  [5808  m  Seehöhe] 
abzweigend,  gelangt  die  Trace  nach  Ueber- 
setzung  des  Sillcanales  auf  die  Südseite  der 
Stadt  Innsbruck  und  nähert  sich  dem  Inn- 
flusse.  Von  Innsbruck  bis  Landeck  [km  o  —  734] 
bleibt  die  Bahn  im  Innthale,  von  Landeck  bis 
St.  Anton  im  Stanzerthale  [kiifjyq  — 10013], 
von  St.  Anton  bis  Langen  [km  I00-I3— 11038] 
im  Innern  des  Arlberges  und  endlich  von 
Langen  bis  Bludenz  [km  11038 — 13676]  im 
Klosterthale,  das  der  Alfenzbach  durchfliesst. 
Im  Innthale  an  der  Voelserlehne  und  bei 
dem  sogenannten  bösen  Ranggen  musste 
der  Raum  für  den  Bahnkörper  theils  dem 
Innbette  abgerungen,  theils  durch  Ein- 
schneiden der  Lehnen  gewonnen  werden.  Im 
Uebrigen  führt  dieTrace  im  Thalboden  zumeist 
parallel  mit  dem  Flusse  zu  den  Stationen 
Voels,  Kematen,  Zirl,  Flaurling,  Telfs  und 
Silz  und  erreicht  die  Station  Oetzthal,  welche 
in  der  etwa  5  km  langen,  colossale  Gneis- 
findlinge bergenden  Schutthalde  errichtet 
ist,  die  einstens  bei  einer  grossartigen 
Naturrevolution  durch  die  Oetzthaler  Ache 
in  das  Innthal  geworfen  worden  sein  muss, 
und  in  welche  sich  im  Laufe  der  Zeit  so- 
wohl der  Inn  als  auch  die  Oetzthaler  Ache 
wieder  20  m  tief  eingeschnitten  haben.  Von 
der  in  wildromantischer  Gegend  gelegenen 
Station  Oetzthal  geht  die  Trace  in  einen 
800  in  langen  und  bis  zu  10  m  tiefen  Ein- 
schnitt zur  Oetzthaler  Ache  und  übersetzt  die- 
selbe auf  einer  Eisenbahnbrücke  von  80  m 
Lichtweite  und  18 111  Höhe  [Abb.  129,  vgl.  auch 
Bd.  II,  S.  293,  Abb.  152]  und  gelangt  im  Ge- 
fälle nach  Poppen  und  in  das  35  km  lange 
Defile,  in  welchem  der  Inn  zwischen  30  m 
hohen  Felswänden  fliesst.  An  dieser  Stelle 
waren  die  bedeutendsten  Bauschwierigkeiten 
der  ganzen  Thalstrecke  zu  überwinden  und 
musste  der  Raum  für  die  Bahn  den  Felswänden 
und  dem  Flusse  abgerungen  werden.  [Abb.  130.] 
Der  von  Süden  einmündende  Pitzbach  wird 
mit  einer  40  m  langen  Eisenbrücke  über- 
setzt. Die  lana;e  Felsengalerie,  die  die  Bahn 
durchfährt,  zählt  zu  ihren  bedeutendsten 
Kunstbauten.  Beim  Austritt  der  Bahn  aus  dem 
Defil6  liegt  die  Station  Imst.  Von  hier  ab 
zwängt  sich  die  Trace  wieder  zwischen  dem 
rechten  Innufer  und  den  anschliessenden 
Berglehnen  hindurch,  erreicht  die  Imsterau 
und  nach  Passirung  noch  einer  Thalenge  die 
Station  Schönwies.  Im  weiteren  Zuge  geht 
es   noch   durch   einige  Thalengen,  dann  um- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


323 


fährt  die  Bahn  den  Schuttkegel  vor  der 
Kronburg,  hinter  welchem  bedeutende  Fluss- 
correctionen  ausgeführt  werden  mussten. 
Bei  der  Haltestelle  Zams  tritt  die  Bahn  in 
ein  erweitertes  Thalbecken  und  erreicht 
Landeck  [776-5  m  Seehöhe],  [Abb.  131]. 

Die  Strecke  Landeck-Bludenzist  bau- 
lich wieder  in  drei  Theilstrecken  gegliedert: 
Landeck -St. -Anton  [Ostrampe],    St. -Anton- 
Langen  [Tunnelstrecke]  und  Langen-Bludenz 
[Westrampe].    Der  Unterbau  in  den  beiden 
Rampenstrecken   wurde   zum   grössten  Theil 
unter   sehr    schwierigen   Verhältnissen    her- 
gestellt, die  Steilheiten  der   Lehnen  und  die 
wechselnde   Gebirgsbeschaffenheit  nöthigten 
hier     zur      Anwendung      oft     sehr     hoher 
Futtermauern      und      Lehnenviaducte,      da 
es     galt,     ein,     nur    geringe    Cohäsion    be- 
sitzendes   Gebirge     zu    stützen.      Die    Ein- 
schnitte  bei   der   Ostrampe    waren  theils  in 
Glimmerschiefer,    theils    in    den,     denselben 
überliegenden     Verwitterungsproducten     zu 
führen,    andererseits    waren  mächtige   Kalk- 
schuttbildungen zu  durchsetzen.    Ausserhalb 
der  Station  Landeck  steigt  die  Trace  sofort 
bedeutend   an    [25°/00]   und   führt  auf  einem 
bis  zu  10  m  hohen  Damm  zur  Uebersetzungs- 
stelle  des  Innthales,  über  welcher  ein    23  in 
hoher,   im   Lichten    157  m  weiter  Viaduct  in 
zehn  Oeffnungen  hinüberführt  [Vgl.  Abb.  132 
und  Bd.  II,  Seite  297,  Abb.  156.]  Nach  Durch- 
bruch eines  Plateaus  diluvialer  Natur  gelangt 
die  Bahn  in  das   Stanzerthal,   ein  Seitenthal 
des  Inns,    welches  vom  Rosannabach  durch- 
flössen wird,  der  sich  mit  dem  aus  dem  süd- 
lich   gelegenen   Patznaunerthal    kommenden 
TrisannabacheVereinigt  und  alsSannafluss  bei 
Landeck  in  den  Inn  mündet.  Von  Landeck  bis 
Pettneu  fährt  die  Bahn,  ein  kurzes  Stück  bei 
Flirsch    ausgenommen,    auf   dem    südlichen, 
von   Pettneu  bis  St.   Anton  jedoch  auf  dem 
nördlichen  Gehänge  des  Rosannathaies,  wobei 
sich  ihre  Nivellette  bei  Wiesberg  bis  zu  einer 
Höhe  von   86  in  über  die    Sohle  des  Sanna- 
flusses  erhebt,  während  sie  sonst  im  Mittel  nur 
in  einer  Höhe  von  40  in  über  die  Thalsohle  hin- 
zieht. Im  Stanzerthal  zieht  die  Trace  vorerst 
längs  einer  circa  3  km  langen,  von  den  Verwitte- 
rungsproducten des  Urgebirges  gebildeten,  mit 
zahlreichen  Wasseradern  durchzogenen  Lehne 
dahin   und   übersetzt    den  Zapplbach  mittels 
eines  Viaductes  von  drei  Oeffnungen  ä  8  «1.  In 
dieser  Strecke  war  die  Erdbewegung  bereits 
eine  bedeutende,  da  Einschnitte  bis  8  in  Tiefe 
und   Aufdämmungen  bis    12  in  Höhe    auszu- 
führen waren.  Im  weiteren  Zuge  gelangt  die 
Bahn  fortwährend   ansteigend,   mit  Aufdäm- 
mungen bis  zu  18  in  und  Einschnitten  bis  zu 
20  m  zur   Station    Pians    [9107  in  Seehöhe], 
deren  Plateau  durch  Abgrabung  eines  Berg- 
sturzes gewonnen  wurde.    Gleich  ausserhalb 
dieser  Station  wird  der  Ganderbach  mit  einem 
Viaducte  von  vier  Oeffnungen  ä  10  in  Licht- 
weite übersetzt  und  dieTrace  gelangt,zweiFels- 
rücken  durchbrechend,  an  die  felsige  Lehne  der 
»Mayenwand«,  an  welcher  Trockenmauern  bis 
zu  40  in  Höhe,    drei  Viaducte    und  Felsein- 


schnitte bis  zu  24  in  Höhe   ausgeführt  wer- 
den  mussten.     Nach   Passirung  des  Schlier- 
tobels    und    an    dem    romantisch    gelegenen 
Schlosse  Wiesberg  vorüber,  wird  die  Trisanna- 
schlucht  [Ausmündung  des  Paznaunerthales 
in  das  Stanzerthal]   erreicht,    welche   mittels 
eines  grossartigen  Bauwerkes  übersetzt  wird. 
Es  ist  dies  die  höchste  Brücke  Oesterreichs, 
derTrisanna-Viaduct  [vgl.  Bd.  II,  Abb.  128,  150 
und  151],  der  eine  Mittelöffnung  von  115-4  m 
Lichtweite  hat,  woran  sich  einerseits  drei,  an- 
dererseits vier  gewölbte  Oeffnungen   k  9  in 
anschliessen,  dessen  beide  Hauptpfeiler  eine 
Höhe  von  58-2,  respective  54-9  in  Höhe  und  in 
Schwellenhöhe  [87-4«!  über  der  Thalsohle]  eine 
Breite  von  77  m  und  eine  Dicke  von  4-5  in  haben. 
[Gesammtlänge  des  Viaductes  231-6  m.)  Nach 
Uebersetzung  der  Trisanna  nimmt  die  Trace 
statt  der  ab  Landeck  eingehaltenen  südwest- 
lichen Richtung  eine  nordwestliche  an  und  ge- 
langt, stetig  steigend,  durch  den  212-4 '» langen 
Weinzierl-Tunnel  an  den  schwierigsten  Tneil 
der   Ostrampe,   die   sogenannte    »Strengener 
Lehne«,  welche  zumeist    mit  Verwitterungs- 
producten   des  Urgebirges    bedeckt   ist    und 
der  zahlreichen  Wasserrisse  und  Muhrgänge 
wegen  entweder   mittels  Aquäducten  unter- 
fahren  [Abb.    133]     oder    mittels    Viaducten 
übersetzt   werden    musste,   ausserdem    aber 
auch  Futtermauern   bis  zu  10  m    Höhe    und 
Trockenmauern  bis  zu  20  in  Höhe  nothwen- 
dig    machte.     Weiter   ansteigend  und  durch 
den  Moltertobel-Tunnel  [75-0  in  lang]  hindurch 
und   über    den    Oberen    Geigertobel-Viaduct 
erreicht    die     Bahn     die     Station     Strengen 
[  10279  in  Seehöhe  und30  in  über  der  Thalsohle]. 
Gleich  hinter  dieser  Station  wird  ein  Schutt- 
kegel   mittels    einer    mächtigen    Abgrabung 
umfahren.    Nach    Uebersetzung  des   unteren 
Klausbaches      folgen      mehrere     Anschnitte, 
die    den    Einbau    von    hohen    Futtermauern 
erforderten,    sodann   ein   20  111  langer  Aquä- 
duct,    mittels    dessen    der    obere    Klausbach 
unterfahren  wird,    und   nach  Durchbrechung 
eine   Felsrückens  mittels   eines    15  in  tiefen 
Einschnittes,     sowie    nach    Umfahrung     der 
colossalen  Ablagerungen   des   Ganderbaches 
die    Station    Flirsch     [1122-2     111    Seehöhe]. 
Ausserhalb  Flirsch   übersetzt   die  Trace    den 
Rosannabach  mit  einer  26  in  weiten  Brücke, 
ferner  den  Flirschbach  und  sodann,  um    den 
alljährlich   am    linken   Rosannaufer   zu  Thal 
kommenden  Muhren  auszuweichen,  abermals 
den    Rosannabach    mit    einer  35    in    weiten 
Brücke  und  führt  nunmehr  am   rechten  Ro- 
sannaufer zwischen   Bach   und   Lehne,   wes- 
halb dort  bedeutende  Correctionen  und  Fluss- 
bauten erforderlich  waren.    Etwa  500  in  von 
der  letzten  Rosannabrücke  entfernt,  wird  die 
bisher  continuirliche  Steigung  von  25°/0a  unter- 
brochen,beziehungsweise  auf  l3'4°/oo  verringert. 
Bei  dem  Dorfe  Schnann  gelangt  die  Trace  in  ein 
offenes  Thalbecken,  ändert  hier  die  bisherige 
nordwestliche  Richtung  in  eine  nahezu  west- 
liche, durchzieht  die  Schnannerau,    übersetzt 
dann  nochmals  die  Rosanna  [36  in  weit]  und 
nähert  sich  nach  Passirung  der  Station  Pettneu 

2t* 


324 


Ignaz  Konta. 


Abb.  148.     Westportal  des  Engelwand-Tunnels.     [Arlbergbahn.] 
[Nach  einer  Zeichnung  von  Nieriker  aus  der  Bauzeit.] 

1 1957  vi  Seehöhe]  der  Reichsstrasse  [Landeck- 
Bludenz],  kreuzt  dieselbe  am  Ende  der  Gan- 
derau  im  Niveau,  steigt  hernach  wieder  stark 
an,  schlägt  die  südwestliche  Richtung  ein, 
durchbricht  nach  zweimaliger  Uebersetzung 
sowohl  des  Rosannabaches,  als  auch  der 
Reichsstrasse,  das  Defile  zwischen  St.  Jakob 
und  St.  Anton  mittels  eines  200  vi  langen 
und  18  m  tiefen  Einschnittes  und  gelangt 
sodann  zur  Station  St.  Anton  [13027  m  See- 
höhe], dem  Ausgangspunkte  der  »Tunnel- 
strecke«. Dieselbe  kreuzt  am  Stationsende 
die  Reichsstrasse,  wendet  sich  dann  in  einem 
Bogen  von  300  m  R.  nach  Westen  und  zieht 
mit  einer  Steigung  von  2%0  durch  das  »Ost- 
portal«  in  den  I0.249'9  m  langen  zweigeleisi- 
gen Arlbergtunnel  ein,  in  welchem,  4 100  »«vom 
Ostportale  entfernt,  der  höchste  Punkt  der 
Bahn  [13109  m  Seehöhe]  erstiegen  wird. 
Derselbe  liegt  487  m  unter  dem  höchsten 
Punkte  der  Arlbergstrasse  bei  St.  Christof. 
[Abb.    134.]      Sodann    wird    mit    einem  Ge- 


fälle von  I5°/C0  der  Rest  des  Tun- 
nels passirt  und  nach  Ueber- 
setzung der  am  Ausgange  der- 
selben situirten  Alfenzbachbrücke 
die  Station  Langen  [1216-9  *•  See- 
höhe] erreicht.  [Abb.  135—137] 

Ueber  den  Bau  des  Tunnels 
selbst,  ist  bereits  an  anderer  Stelle 
das  Nähere  gesagt.  [Siehe  Seite 
318  und  Bd. II,  A^Birk:  Tunnel- 
bau] Für  den  maschinellen  Be- 
trieb waren  auf  der  Ostseite  der 
Rosannabach,  auf  der  Westseite 
der  Alfenzbach  mit  seinen  ober- 
halb von  Langen  gelegenen  Ne- 
benflüssen benützt.  Abb.  138 
stellt  das  Innere  des  Pumpen- 
hauses für  den  Bohrbetrieb  wäh- 
rend der  Bauzeit  dar. 

Von  Langen  aus  wendet  sich 
die  Trace   der  nördlichen  [sonn- 
seitigen]  Lehne  des  Klosterthales 
zu   [Abb.  139].     unterfährt    nach 
Passirung      eines      tiefen      Ein- 
schnittes    den    Simastobel     mit 
einem  gewölbten  Aquäduct   und 
entwickelt  sich  unter  stetiger  An- 
wendung   des     Maximalgefälles 
von     29°/00     auf     den      anfangs 
noch    massig      geneigten     Leh- 
nen, geht  durch  einen  erst  später 
neu     gebauten     460    m     langen 
Tunnel  durch  den  Schuttkegel  des 
grossen  Tobel.   [Siehe  Seite  326.] 
Zum  Schutze  der  Bahn  gegen  die 
an  dieser  Stelle  aus  dem  darunter- 
liegenden Thalkessel  häufig  her- 
vorbrechenden Lawinen*)  wurde 
seinerzeit,   circa  300  m  oberhalb 
der  Bahn,  eine  gemauerte  Klause 
in      das      Bachbett      eingebaut, 
von      welcher      aus     ein     seit- 
her   reconstruirtes  Leitwerk   aus 
Trockenmauern  in  sanftem  Bogen 
gegen  die  bei  km  m-6  mit  einem 
1   hohen  Damme    übersetzte  Terrainmulde  zu- 
1   rückführt,    in     der     die    Schneemassen     der 
Lawinen     sich    unschädlich    für    die    Bahn 
ablagern   können.     Bald  nach  der  Passirung 
des  grossen  Tobeis  tritt  die  Bahn  an  die  nun 
steil  abfallende  Berglehne,  überschreitet  in  ra- 
scher Folge  zwei  gewölbte  Viaducte  von  70  vi 
und  33  vi  Länge  und  gelangt  unmittelbar  nach 
Ueberbrückung  eines  Lawinenganges  an  die 
tief  eingeschnittene  Felsschlucht  des  Wäldli- 
tobels,  welche  mit  einem  kühn  gewölbten,  ge- 
mauerten   Bogen    von   41    m    Spannung    in 
der    Höhe    von  35    in    über    der    Bachsohle 
in     der    Gesammtlänge     von    625    vi    über- 
brückt  wird.    [Vgl.    Bd.  II,    Abb.    127  a   und 
127  b.]       An    den    steilen    Berglehnen     stets 
im  Gefälle   weiterziehend   und  das  im  Thal- 
grunde   in    anmuthiger    Lage    sich    ausbrei- 


*)  Ueber  Lawinenschutz  -  Anlagen  auf 
der  Arlbergbahn  siehe  Bd.  II,  A.  B  i  r  k : 
Eisenbahnbau,  Seite  220  ff. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


325 


tende  Dorf  Klösterle  fast  100  tn  unter  sich 
lassend,  passirt  die  Bahn  eine  besonders 
lawinengefährdete  Strecke  unter  zwei  star- 
ken Schutzdächern  [Abb.  140,  vgl.  auch  Bd.  II, 
Abb.  83],  unterfährt  nach  mehrfachen  Krüm- 
mungen den  Lawinengang  am  wilden  Tobel 
mit  einem  gewölbten  Aquäduct  [Abb.  141] 
und  gelangt,  nach  einigen  scharfen  Contre- 
curven,  wobei  eine  breite  Thaleinbuchtung 
mit  einem  15  m  hohen  Damme  übersetzt 
und  der  Spreubach  überbrückt  wird,  in 
die  Kreuzungs- 
station Danöien 
{1073-6  m  See- 
höhe].  Von  hier 
aus  zieht  die 
Bahn  mit  einem 

Gefälle  von 
29°/00in  weitaus- 
holendem Bogen 
umdiedemThal- 
gehänge  vorge- 
lagerten mächti- 
gen Schuttkegel 
des  Glong-  und 

Stelzistobels 
herum,  übersetzt 
diese  zwei  Bach- 
läufe, wendet 
sich  sodann  wie- 
der der  steilen 
Thallehne  zu 
und  entwickelt 
sich  längs  der- 
selben, rechts  in 
die  Felswände 
tief  einschnei- 
dend und  links 
zumeist  auf 

mächtigen  Tro- 
ckenmauern ge- 
stützt, an  der 
Ortschaft  Wald 
vorüber  [Abb. 
142]  bis  zur  Aus- 
mündung des 
Seitenthaies  des 
Radonnatobels, 
welches  auf  ei- 
nem im  Bogen 
von  350  m  ange- 
legten Viaducte 
mit  einer  ge- 
wölbten Mittel- 
öffnung von  20»! 
Weite  und  beiderseits  anschliessenden,  je 
zwei  10  tn  weiten  Seitenöffnungen  in 
der  Höhe  von  14  8  tn  über  der  Bachsohle 
übersetzt  wird.  [Abb  143  und  144.]  Hernach 
zieht  die  Bahn  in  einem  tiefen  Einschnitte 
durch  einen  vorgelagerten  Rücken,  unterfährt 
unter  vielfacher  Anwendung  complicirter, 
zumeist  aus  Mauern  bestehender  Kunst- 
profile einen  vorspringenden  Felskopf, 
passirt  einen  gewölbten  Viaduct  mit  an- 
schliessender, auf  Bögen  gestellter,  68  tn 
langer    Stützmauer,    hernach    den    Lawinen- 


Abb.  149.     Brunnentobel-Viaduct. 
[Nach  einer  Zeichnung  von  Nieriker  aus  der  Bauzeit.] 


gang  am  Mühlentobel  sowie  noch  einen 
zweiten  Lawinengang  und  die  Stelle,  wo  die 
vormalige  Schutthalde  eines  früher  bestan- 
denen Gipsbruches  mit  einem  mächtigen 
Damm  [Inhalt  62.000  wis]  überschüttet  wurde. 
[Abb.  145]  Nun  tritt  die  Bahn,  nach  Unter- 
fahrung eines  Lawinenganges,  abermals  in 
sehr  steil  geneigte  Lehnenpartien,  über- 
windet die  ihr  dort  entgegenstehenden 
Schwierigkeiten  durch  fast  continuirliche  An- 
wendung   hoher  Wandmauern    und    erreicht 

nach  einer  schar- 
fen Wendung 
oberhalb  der 
Kirche  der  Ort- 
schaft Dalaas, 
das  flachge- 
neigte Vorland 
des  sich  hier 
plötzlich  kessel- 
artig erweitern- 
den Thaies  und 
die  hier  errich- 
tete Station  Da- 
laas [9316  tn 
Seehöhej.Im  Be- 
reiche dieser 
Station  musste 
eine  sehr  kost- 
spielige, über 
500  m  lange  ab- 
gepflasterte Ge- 
rinnsanlage für 
die  Durchfüh- 
rung des  Mut- 
tertobels,  wie 
auch  eine  38  m 
weite  eiserne 
Brücke  über  die 
Station  herge- 
stellt werden. 
Von  Dalaas  aus 
überschreitet  die 
Bahn  in  einer 
schon  in  der 
Station  begin- 
nenden scharfen 
Wendung  und 
in  starkem  Ge- 
fälle den  Thal- 
kessel des  Höl- 
lentobels  auf 
einem  gewölb- 
ten Viaducte 
[drei    Mittelöff- 


nungen von  22  tn  lichter  Weite  und  zwei 
Nebenöffnungen  von  15  m  und  8  tn  Spannung] 
mit  beiderseits  anschliessenden  mächtigen 
Aufdämmungen  in  der  Höhe  von  24  in  über 
der  Bachsohle,  durchfährt  dann  einen  tiefen 
Einschnitt  sowie  eine  kurze  Thaleinbuchtung, 
zu  deren  Ausfüllung  eine  44  m  hohe  Aut- 
dämmung erforderlich  war,  und  gelangt  nach 
Passirung  des  68  in  langen  Röckentunnels 
in  ein  Terrain,  in  welchem  sich  die  Schwie- 
rigkeiten und  die  zu  deren  Bewältigung  aus- 
geführten   Bauten    zu    einer    Grossartigkeit 


326 


Ignaz  Konta. 


steigern,  die  bei  keiner  der  bis  dahin  ausge- 
führten Gebirgsbahnen  ihresgleichen  finden. 
[Abb.  146.]  Zunächst  zieht  die  Bahn  über 
längere,  13  in  hohe  Stützmauern  dahin, 
durchbricht  dann,  zu  einer  scharfen  Contre- 
curve  ausholend,  einen  Felskopf  mittels  des 
94  in  langen  Schmiedtobel-Tunnels  und  über- 
setzt bald  nach  ihrem  Austritt  aus  demselben, 
in  einer  Höhe  von  54-5  m  über  der  Bachsohle 
die  grossartige  Felsschlucht  des  Schmiedtobeis 
auf  dem  gleichnamigen,  in  einem  Korbbogen 
von  250,  respective  500  m  Radius  ausge- 
führten gewölbten  Viaduct  [drei  Mittel- 
öffnungen mit  22  in  Spannung  und  je  eine 
12  m  weite  Seitenöffnung,  Abb.  147],  um- 
fährt hernach  in  einer  scharfen  Wendung 
nach  der  entgegengesetzten  Richtung  die 
steil  abfallenden  Felswände  der  sogenannten 
Engelwand  [Abb.  148]  und  tritt,  nach  Ge- 
währung eines  schaurig-schönen  Ausblickes  auf 
die  unter  der  Bahn  gähnenden  Abgründe  in 
einen  Tunnel,  mittels  dessen  die  restliche  Masse 
des  Engelwandfelsen  durchfahren  wird  und 
welcher  sammt  der  an  seinem  Ausgange  an- 
gebauten tunnelartigen  Gallerie  zum  Schutze 
der  Bahn  gegen  die  an  dieser  Stelle  häufig 
vorkommenden  Steinabstürze,  eine  Länge  von 
247  in  hat.  In  ihrem  weiterenZ  uge  übersetzt 
die  Bahn  auf  einem  76  m  langen  bis  247  in 
hohen  Viaduct  die  Thaleinbuchtung  am  Brun- 
nentobel  [Abb.  149],  umfährt  dann  —  angesichts 
der  wildromantischen  Felswände  der  gegen- 
überliegenden Thalseite  und  eines  schönen, 
über  eine  hohe  Felswand  abstürzenden 
Wasserfalles  [Abb.  150]  —  die  steilen  Fels- 
wände am  sogenannten  Engelwäldchen  in 
einer  scharfen  Krümmung,  zu  deren  Be- 
wältigung Felsanschnitte  bis  zu  40  in  senk- 
rechter Höhe  mit  einer  Massenbewegung 
von  über  53.000  m%  erforderlich  waren  und 
gelangt  durch  einen  209  m  langen  Tunnel 
an  die  steilen  Wiesen  der  sogenannten 
Bratzerhalde,  deren  Terrain  bis  auf  erheb- 
liche Tiefen  nur  aus  lockerer  Erde  besteht 
und  die  Anwendung  hoher  und  sehr  wider- 
standskräftiger Wandmauern    erforderte. 

Nach  dem  Verlassen  dieses  höchstschwie- 
rigen Terrains  erreicht  die  Bahn,  nachdem 
sie  noch  einen  78  m  langen  gewölbten  Ein- 
schnitt zu  durchfahren  hat,  die  Kreuzungs- 
station Hintergasse  [824-2  m  Seehöhe].  Die 
Anlage  dieser  Station  begegnete  eben- 
falls sehr  grossen  Schwierigkeiten,  da  wegen 
der  losen  Bodenbeschaffenheit  viele  Vorsichts- 
massregeln zu  treffen  waren.  Die  Station 
liegt  nur  zum  Theile  auf  Naturterrain,  zum 
anderen  Theile  aber  auf  drei  Viaducten  mit 
zusammen  14  Oeffnungen  von  10 — 12  m 
Spannung,  an  und  zwischen  welche  sich 
Stützmauern  anschliessen,  die  auf  Bögen  fun- 
dirt  und  mit  Strebepfeilern  verstärkt  sind.  [Abb. 
151.]  Von  der  Station  Hintergasse  aus  neuer- 
dings in  das  Maximalgefälle  von  durchschnitt- 
lich 30°/00  übergehend,  übersetzt  die  Bahn 
alsbald  das  tiefeingeschnittene  Seitenthal  des 
Schanatobels  mit  einer  40  m  weiten  Eisencon- 
struction  und  j  e  einer  gewölbten  Seitenöffnung 


von  10  m  Spannung,  in  der  Höhe  von  188  m 
über  der  Bachsohle  [Abb.  152],  geht  dann 
eine  längere  Strecke  über  Trockenmauern 
von  7 — II  m  Höhe  und  in  rascher  Folge  durch 
zwei  Tunnels  von  97  und  153  in  Länge, 
einen  gewölbten  Viaduct  durch  einen  dritten 
Tunnel  [146  m  lang]  und  einen  32  in 
langen  überwölbten  Einschnitt,  verlässt 
hernach  am  Masonbach,    welcher   mit   einer 

12  111  weiten  Eisenconstruction  überbrückt 
ist,  die  steile  Berglehne,  um  nun  in  den  vor- 
gelagerten Hügelzügen  und  in  den  sich  immer 
mehr  verflachenden  Vorländern  dem  Thal- 
boden zuzueilen.  Hier  verliert  die  Bahn  all- 
mählich den  ausgesprochenen  Charakter  einer 
Gebirgsbahn.  Sie  hat  jedoch  noch  mehrere 
tiefe  Einschnitte  zu  passiren,  einen  auf  dem 
Scheitel  seines  mächtigen  Schuttkegels  schnell 
dahinfliessenden  gefährlichen  Wildbach,  den 
Mühlentobel,  unter  einem  Winkel  von  740 
zu  unterfahren  [gewölbter  Aquäduct  13  in 
breit],  [Abb.  153],  eine  breite  Thalbildung 
mittels  eines   über   400  in  langen,   im  Mittel 

13  in  hohen  Dammes  und  einen  Wildbach 
mittels  einer  Eisenconstruction  von  14-4  in 
Weite  zu  übersetzen,  ehe  sie  die  Station  Bratz 
[704-4  in  Seehöhe]  und  mit  dieser  die 
vorletzte  Thalstufe  erreicht.  Von  da  weiter, 
mit  starkem  Gefälle,  übersetzt  die  Bahn  die 
Reichsstrasse  und  das  tief  eingeschnittene 
Rinnsal  des  Grubsertobels  und  erreicht  end- 
lich den  Thalboden.  In  diesem  zieht  die 
Bahn  auf  massigen  Aufdämmungen  und 
im  Gefälle  von  l6°/0„,  der  Reichsstrasse 
entlang  und  tritt,  nachdem  sie  die  west- 
liche Richtung  aufgegeben  und  sich  nach 
Nordwesten  gewendet  hat,  in  den  vollkom- 
men ebenen  Thalboden,  auf  welchem  sie 
mit  einer  längeren  Geraden  und  einem  Ge- 
fälle von  6o°/00  in  die  Station  Bludenz 
[558-44  in  Seehöhe],  der  schon  seit  dem 
Jahre  1872  im  Betriebe  stehenden  Vorarl- 
berger Bahn  einmündet. 

DerArlberg  zählt  zu  den  umvirthlichsten 
Gebirgspässen  Tirols  und  die  Gefahren,  wel- 
chen die  Bahnanlage  durch  Lawinen,  Mur- 
gänge, Steinschlag  und  dergleichen  ausgesetzt 
erscheint,  waren  wohl  schon  bei  der  ersten 
Anlage  erkannt,  doch  machte  die  Aufeinan- 
derfolge von  Elementarereignissen  und  Be- 
wegungserscheinungen mehrfache  Recon- 
structionen  des  Bahnkörpers  nothwendig. 
So  mussten  bereits  im  Jahre  1885  die 
Schanatobel-Brücke  reconstruirt,  zwischen 
Wiesberg  und  Strengen  Schutzbauten  gegen 
Steinschlag  ausgeführt  und  die  Strecke 
Dalaas- Hintergasse  gegen  Ausbrüche  des 
Schmiedtobel  geschützt  werden.  Im  grossen 
Tunnel  selbst  mussten  einige  Mauerringe  re- 
construirt werden.  Durch  einen  am  9.  Juli  1892 
im  Gebiete  des  grossen  Tobel  erfolgten 
Bergsturz  wurde  die  Bahn  in  einer  Länge 
von  240  in  vollständig  zerstört.  Um  die  neue 
Linie  in  dieser,  derartigen  Gefahren  häufig 
ausgesetzten  Strecke  zu  schützen,  wurde  die 
Bahn  unterirdisch  im  Gehänge  und  Muhren- 
schutt des  grossen  Tobel   durch   den   gleich- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


327 


namigen    neuen,   446  m    langen  Tunnel   ge- 
führt.«) 

Sofort  nach  der  Betriebseröffnung  musste 
im  Arlbergtunnel  das  zweite  Geleise,  dessen 
Ausführung  erst  für  einen  späteren  Zeitpunkt 
in  Aussicht  genommen  war,  gelegt  werden. 
Die  Erfahrung  lehrte,  dass  das  gewählte 
eiserne  Oberbau-System  unter  den  chemi- 
schen Einwirkungen  im  Tunnel  zu  sehr 
litt  und  während 
der  Jahre  1893 
und  1894  wurde 
dieser  Oberbau 
im  Tunnel  durch 
einen  hölzernen 
ersetzt. 

Die  schwie- 
rige Aufgabe, 
den  Lawinen 
und  Bergstür- 
zen und  den  da- 
mit verbunde- 
nen Gefahren 
für  die  Bahnan- 
lage zu  begeg- 
nen, wurde 
durch  die  seit- 
her in  ausge- 
dehnter Weise 
durchgeführten 
Schutz -Verbau- 
ungen in  befrie- 
digender Weise 
zu  lösen  ver- 
sucht. **)  Die 
Verbauung  hat 
den  Zweck,  die 
sich  ansammeln- 
den und  in  Be- 
wegung gera- 
thendenSchnee- 
massen  zu  thei- 
len  und  die  aus 
höher  gelege- 
nen, nicht  ver- 
bauten Stellen 
abrutschenden 
Schneemassen 
in  ihrem  Ab- 
gange aufzu- 
halten. Die  ur- 
sprünglich an- 
gewendeten,un- 

zulänglichen 
Verpfändungen 


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Abb.  150. 


werden  nunmehr  durch  Trockenmauern, 
Schneebrücken  und  Schneerechen  ersetzt  und 
die  hiedurch  geschützten  Flächen  durch  Auf- 
forstung noch  weiter  gesichert.  [Abb.  154,  155 
und  156].  Immerhin  bringt  die  Lage  der 
Bahn  es  mit  sich,  dass  ihre  Gefährdung 
durch  Elementarereignisse,  Wildbäche,  Stein- 
schläge Rutschungen,  Muhrungen,  Bergstürze 
und  Lawinen  keineswegs  zu  den  Seltenheiten 

zählt.  [Vgl.  Abb. 
157.]  Die  genann- 
te Denkschrift 
der  Staatsbahn- 
Direction  Inns- 
bruck bringt 
eine  interessan- 
te Zusammen- 
stellung der  Be- 
triebs- und  Ele- 
mentarereignis- 
se auf  der  Arl- 
bergbahnin  den 
ersten  zehn  Jah- 
ren ihres  Betrie- 
bes unddie  statt- 
liche Reihe  die- 
ser Vorkomm- 
nisse lehrt,  wie 
schwierig  sich 
in  dieser  Hin- 
sicht der  Betrieb 
dieser  Bahn  ge- 
staltet und  wel- 
cher Aufwand 
von  Vorsorge 
und  Achtsam- 
keit dazu  ge- 
hört, die  mit  sol-  • 
chen  Elementar- 
ereignissen ver- 
bundenen Ge- 
fahren abzu- 
wenden. 

Um  die  Ein- 
richtung des  Be- 
triebes der  Arl- 
bergbahn  hat 
sich  der  derma- 
lige k.  k.  Gene- 
ral-Inspectorder 
österreichischen 

Eisenbahnen, 
Gustav  Gerstel, 
besondere   Ver- 
dienste 


Wasserfall  des  Masonbaches.     [Nach  einer  Zeichnung 
von  Nieriker.] 


*)  Ausführliche  Mittheilungen  über  die 
Bauanlage  und  die  erfolgten  Reconstructionen 
enthält  die  1896  ausAruass  des  zehnjährigen 
Betriebes  erschienene  Denkschrift  »Die  Arl- 
bergbahn«  der  k.  k.  Staatsbahn-Direction  in 
Innsbruck. 

**)  Näheres  hierüber  siehe  Bd.  II,  Alfred 
Birk:  Eisenbahnbau,  Seite  223,  und  die  Denk- 
schrift »Die  Arlbergbahn«,  herausgegeben 
von  der  k.  k.  Staatsbahn-Direction  Innsbruck 
1896. 


ben.  Die  Betriebsführung  im  Tunnel  erfor- 
derte Massnahmen,  für  welche  noch  geringe 
Erfahrungen  vorlagen  und  jene  des  Mont- 
Cenis  undGotthard  nur  zum  geringsten  Theile 
verwerthet  werden  konnten.  Die  ausserge- 
wöhnlichen  Betriebsverhältnisse  in  dem  nahe- 
zu beständig  mit  Rauch  und  Gas  erfüllten 
langen  Tunnel  erheischten  besondere,  unter 
allen  Umständen  verlässliche  Betriebsein- 
richtungen. Ueberdies  erforderte  die  Be- 
triebsführung der  ganzen  Gebirgsbahn  be- 
sondere   Vorkehrungen    für    die   Aufrechter- 


32S 


Ignaz  Konta. 


Haltung  eines  gefahrlosen,  regelmässigen  Be- 
triebes. Gerstel,  der  im  August  1884  die 
Leitung  der  Betriebs-Direction  Innsbruck 
übernommen  hatte,  traf  die  gesammten  Yor- 
einleitungen  und  später  die  gesammte  Be- 
triebsorganisation und  Betriebsdurchführung 
in  verkehrstechnischer  Beziehung.*)  Als  ganz 
specifische  Einführung  mag  ein  von  Gerstel 
unter  schweren  Kämpfen  dort  in  Anwendung 
gebrachtes  System  der  Zugbremsung  seitens 
des  Zugspersonales  erwähnt  werden,  welches 
sich  allmählich  als  Norm  für  alle  schwierigen 
Gebirgsstrecken  der  österreichischen  Staats- 
bahnen Geltung  verschaffte  und  damit  den  Zug- 
trennungen wie  dem  Durchgehen  von  Zügen 
auf  steilen  Rampen  ein  Ziel  setzte.  In  welch 
trefflicher  Weise  die  Frage  einer  rationellen 
und  sicheren  Betriebsführung  auf  der  Arl- 
bergbahn  durch  Gerstel  gelöst  wurde,  be- 
weist der  Umstand,  dass  die  damals  ge- 
troffenen Dispositionen  im  Wesentlichen  bis 
heute  keine  weitreichende  Aenderung  erfahren 
haben  und  die  Arlbergbahn  ihre  Aufgabe, 
eine  der  wichtigsten  Linien  des  Weltver- 
kehres zu  bilden,  voll  und  ganz  zu  erfüllen 
in  der  Lage  ist 

Galizische  Transversalbahn. 
Einzelne  Strecken  dieser  Bahn  begreifen 
recht  alte  Projecte.  An  O^wiecim-Pod- 
görze  war  schon  im  Jahre  1854  gedacht ; 
Stanislau-Husiatyn  figurirte  bereits  als 
ein  Theil  der  im  Jahre  1868  geplanten 
»Galizischen  Südostbahn*;  ebenso  Bielitz- 
oder  Krakau-Saybusch-Csäcza  seit  dem 
Jahre  1869  in  mannigfachen  Vorconces- 
sionen.  Diese  beiden  Strecken  hörten 
auch  die  ganze  Zeit  über  nicht  mehr 
auf,  Gegenstand  eifriger  Bewerbung  zu 
sein.  Chyröw-Stryj,  die  nachmalige 
»Dniester-Bahn«  [siehe  Seite  123],  und 
Stryj-Stanislau,  die  »Erzherzog  Albrecht- 
Bahn«  [siehe  Seite  134],  waren  gleichfalls 
seit  dem  Jahre  1868  wiederholt  in  An- 
regung. Von  der  Strecke  Gryböw-Zagörz 
und  von  der  Herstellung  der  ganzen 
Transversalbahn  war  im  Jahre  1872, 
anlässlich  der  Sicherstellung  der  Linie 
Tarnöw-Leluchöw  [siehe  Seite  170],  zum 
ersten  Male  die  Rede. 

Das  Parlament  wollte  damals  statt 
der  letztgenannten  Linie  gleich  alle  noch 
fehlenden  Strecken    der  Transversalbahn 

*)  Vgl.  hierüber  den  Vortrag  Gerstel's  im 
Club  österr.  Eisenbahnbeamten  am  27.  März 
1888,  abgedruckt  in  der  »Oesterreichischen 
Eisenbahn-Zeitung«,  Jahrgang  1888,  und  die 
wiederholt  genannte  Denkschrift  der  k.  k. 
Betriebs-Direction  Innsbruck  über  die  Arl- 
bergbahn. 


sicherstellen  und  meinte  dies  mit  einer 
geringen  Staatsgarantie  [24.000  fl.  pro 
Meile]  bewirken  zu  können.  Das  bezüg- 
liche Gesetz  [vom  29.  Juni  1872]  blieb 
aber,  gleichwie  das  spätere  vom  23.  April 
1873,  erfolglos,  weil  sich  keine  Bewerber 
meldeten.  Die  Regierung  führte  daher 
blos  die  Linie  Tarnöw-Leluchöw,  und 
zwar  auf  Staatskosten  aus. 

Zum  zweiten  Male  kam  die  Trans- 
versalbahn bei  Gelegenheit  der  im  "Winter 
1875/76  versuchten  »Galizischen  Fusion« 
[siehe  Seite  227]  in  Erörterung.  Der  Eisen- 
bahn-Ausschuss  des  Abgeordnetenhauses 
mochte  aber,  im  Gegensatze  zu  seinen  Be- 
richterstattungen vom  Jahre  1872  und  1873, 
jetzt  von  der  Transversalbahn,  als  einer 
Parallelbahn  der  Carl  Ludwig-Bahn, 
nichts  wissen  und  selbst  galizische  Ab- 
geordnete nahmen  Partei  für  diese  Ge- 
sellschaft.*) Die  Vorlage  wurde  also  ab- 
gelehnt, das  nordwestliche  Endstück  der 
Transversalbahn,  nämlich  die  Strecke 
Saybusch-Bielitz,  aber  nunmehr  an  die 
Nordbahn  concessionirt  [siehe  Seite  239]. 

Einige  Zeit  hindurch  blieb  es  dann  ganz 
still  von  dem  Transversalbahn- Projecte, 
jedoch  nur  nach  Aussen  hin ;  in  Wirk- 
lichkeit wurde  um  das  östliche  Endstück 
derselben  heftig  gerungen  und  dabei 
auch  auf  die  Verwirklichung  des  Gesammt- 
projectes  abgezielt.  Die  Carl  Ludwig- 
Bahn  strebte  die-  Strecke  Tarnopol- 
Husiatyn,  die  Lemberg-Czernowitz-Jassy- 
Eisenbahn  hingegen  die  Strecke  Dubowce- 
[Halicz-]  oder  Stanislau-Husiatyn  an. 
Letztere  Gesellschaft  gewann  die  Ober- 
hand, so  zwar,  dass  sie  zufolge  ihres 
Concessions-Gesuches  vom  3.  November 
1879  schon  vermeinte,  sich  auf  bestimmte 
Zusagen  stutzen  zu  können,  namentlich 
in  Betreff  einer  staatlichen  Betheiligung 
mit  etwa  einem  Dritttheile  der  auf 
5,000.000  fl.  veranschlagten  Kosten. 

In  die  Rivalität  traten  dann  noch 
ein  :  die  Erste  Ungarisch-Galizische 
Eisenbahn,  indem  sie  am  20.  Januar  1880 
dem  Handelsministerium  eine  Denkschrift 
überreichte,  welche  die  Vortheile  des 
Ausbaues  der  Strecke  Stanislau-Husiatyn 
sowie  der  Vereinigung  dieser  neuen   mit 

*)  Vgl.  die  Broschüre:  »Zur  Fusions- 
Geschichte  der  galizischen  Eisenbahnen« 
[Wien,  L.  Rosner,  1875]. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


329 


den  schon  bestehenden  jungen  galizischen 
Bahnen  darlegte  und  wahrscheinlich 
den  Zweck  hatte,  eben  dieser  Gesellschalt 
eine  führende  Rolle  bei  der  Neugestaltung 
des  südgalizischen  Eisenbahnnetzes  zu 
verschaffen ;  —  ferner  die  überall  auf- 
tauchende Societe  beige,  welche  früher 
eine  Verbündete  der  vorgenannten  Ge- 
sellschaft war,  nachher  aber  ohne  und 
gegen  dieselbe  vorging. 

Dies  that  jedoch  den  Bestrebungen 
der  Lemberg  -  Czernowitz  -  Jassy  -  Eisen- 
bahn    keinen     Eintrag.      Anlässlich    der 


Der  Handelsminister  v.  Kremer,  welcher 
entgegen  dem  unausgesetzten  Verlangen 
der  bei  den  Neuwahlen  im  Jahre  1879 
geradezu  mit  der  Verpflichtung  zur 
Sicherstellung  der  Transversalbahn  vom 
Lande  entsendeten  Abgeordneten,  nur 
die  Strecke  Stanislau-Husiatyn  conces- 
sioniren,  alles  Uebrige  aber  einer  späteren 
Zeit  vorbehalten  wollte,  trat  am  14.  Januar 
1881  zurück  und  sein  Nachfolger,  Frei- 
herr v.  P  i  n  o,  sah  sich  veranlasst,  dem 
Begehren  des  einflussreichen  Polenclubs 
Rechnung-  zu  tragen. 


5P>, 


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Abb.  151.    Station  Hintergasse  im  Bau.     [Nach  einer  Zeichnung  von  Nieriker  aus  der  Bauzeit.] 


Tracenrevision  der  beiden  Projecte  [4.  bis 
10.  März  1880]  wurde  der  Strecke 
Stanislau-Husiatyn  insoferne  der  Vorzug 
eingeräumt,  dass  der  galizische  Landes- 
ausschuss,  die  Lemberger  Handelskammer 
und  der  Vertreter  der  Militärverwaltung 
ausdrücklich  erklärten,  der  Bau  der 
Strecke  Tarnopol-Husiatyn  müsse  unter- 
bleiben, wenn  derselbe  das  Zustande- 
kommen der  Strecke  Stanislau-Husiatyn 
beeinträchtigen  sollte ;  die  Lemberg- 
Czernowitz-Jassy-Eisenbahn  beschränkte 
ihr  Concessions  -  Gesuch  nurmehr  auf 
diese  Strecke  und  verzichtete  schliesslich 
auch  auf  die  Betheiligung  des  Staates, 
was  ihre  Position  noch  mehr  festigte. 

Mit  einem  Male  nahm  die  Angelegen- 
heit jedoch  eine  ganz    andere  Wendung. 


An  Materiale  für  die  Sicherstellung 
der  ganzen  Transversalbahn  hatte  er 
vorgefunden :  die  bereits  erwähnte  Denk- 
schrift der  Ersten  Ungarisch-Galizischen 
Eisenbahn,  ferner  ein  Memorandum  der 
Societe  beige,  welches  gleichfalls  die 
Vereinigung  aller  schon  bestehenden 
jungen  galizischen  Bahnen  sowie  deren 
Zusammenschliessung  durch  den  Ausbau 
der  fehlenden  Zwischenstrecken  vorschlug, 
zu  deren  Ausführung  sehr  beträchtliche 
Zuwendungen  begehrte  und  bei  Erlan- 
gung derselben  die  Bildung  einer  eigenen, 
mit  einem  Capitale  von  51,000.000  fl.  aus- 
zustattenden Gesellschaft  in  Aussicht 
stellte,  —  endlich  die  Beschlüsse  des 
galizischen  Landtages  vom  23.  und 
24.   Juli    1880,    wonach    das  Land    sich 


33Q 


Ignaz  Konta. 


anheischig  machte,  1,000.000  fl.  zur 
Grundeinlösung  und  100.000  fl.  zu  den 
Kosten  der  Strassenumlegungen  beizu- 
tragen und  Befreiung  von  allen  Um- 
lagen auf  die  Dauer  der  staatlichen 
Steuerfreiheit  zu  gewähren. 

Von  diesen  Zusagen  des  Landes 
nicht  befriedigt  und  von  der  Regierung 
wegen  der  geplanten  Titelausgabe  von 
51,000.000  fl.  für  einen  Bauaufwand  von 
etwa  30,000.000  fl.  förmlich  zurecht- 
gewiesen, zogen  die  Belgier  sich  in  den 
Schmollwinkel  zurück.  Unterdessen  war 
ihnen  aber  in  der  Länderbank  ein  mäch- 
tiger Concurrent  erstanden.  Auch  sie 
bewarb  sich  um  die  Concession  für  die 
Transversalbähn  [14.  Februar  1881],  ar- 
beitete jedoch  im  jugendlichen  Ungestüme 
überdies  an  der  Errichtung  einer  grossen 
»Eisenbahnbetriebs-Gesellschaft«,  welche 
sämmtliche  Staatsbahnen  sowie  alle  schon 
in  den  Staatsbetrieb  übernommenen  oder 
noch  zu  übernehmenden  Bahnen  betreiben, 
hiefür  aber  die  Garantieschulden  der  be- 
treffenden Bahnen  dem  Staate  sogleich 
zurückzahlen  sollte.  Sie  setzte  dieses 
Project  in  einer  Denkschrift  auseinander, 
welche  namentlich  bei  der  Finanzverwal- 
tung freundliche  Aufnahme  fand  und 
danach  angethan  schien,  die  Verstaat- 
lichungs-Thätigkeit  in  Frage  zu  stellen. 
Zumindest  war  die  Länderbank  jetzt  ein 
Factor,  mit  dem  gerechnet  wurde,  und 
zwar  zunächst  in  Sachen  der  Transversal- 
bahn. 

Da  aber  die  Lemberg-Czernowitz-Jassy- 
Eisenbahn  schon  von  früher  her  Zu- 
sicherungen hinsichtlich  der  Strecke  Sta- 
nislau-Husiatyn  besass  und  ihrer  Haltung 
ein  gewisser  Einfluss  auf  das  Gedeihen 
der  Transversalbahn  beigemessen  ward,  so 
versuchte  man  die  Combination,  dass  die 
Länderbank  den  Bau  und  die  Finan- 
zirung,  die  Lemberg-  Czernowitz-Jassy- 
Eisenbahn  hingegen  den  Betrieb  der 
ganzen  Transversalbahn  übernehme. 
Zwischen  beiden  Gesellschaften  kamen 
am  16.  März  1881  zwei  Vereinbarun- 
gen zustande.  Die  eine  besagte,  dass 
die  Lemberg  -  Czernowitz  -  Jassy  -  Eisen- 
bahn sich  an  dem  neuen  Unternehmen 
mit  einem  Beitrage  von  2,400.000  fl.  be- 
theilige, wogegen  ihr  der  Betrieb  sämmt- 
licher    Linien    der    Transversalbahn    auf 


Concessionsdauer,  jedoch  unbeschadet 
des  staatlichen  Einlösungsrechtes  über- 
tragen würde.  Die  andere  sicherte  der 
Länderbarik  einen  in  Actien  al  pari  rück- 
zahlbaren Staatsvorschuss  zum  Baue  der 
Linien  Saybusch — Neu-Sandec,  Gryböw- 
Zagörz  und  Stanislau-Husiatyn  zu,  ver- 
pflichtete sie  aber  zur  Uebernahme  der  noch 
weiter  auszugebenden  Titel  [4,000.000  fl. 
in  Actien  und  24,000.000  fl.  Gold  in 
Prioritäten],  sowie  zu  verschiedenen  Rück- 
lässen  im  Betrage  von  1,770.000  fl.  Zu- 
gleich wurden  ihr  technische  Erleichte- 
rungen, 30jährige  Steuerfreiheit  und  das 
Vorrecht  auf  mehrere  Seitenlinien  für  die 
Dauer    von    zwölf  Jahren    gewährleistet. 

Aus  diesen  Vorgängen  mag  es  sich 
erklären,  dass  inmitten  oder  doch  neben 
der  Verstaatlichungsthätigkeit  wieder  die 
Concessionirung  einer  grossen  Bahn  be- 
wirkt werden  sollte.  Die  bezügliche 
Gesetzvorlage  kam  am  5.  April  1881 
vor  den-  Reichsrath,  gelangte  aber  nicht 
weiter  als  bis  in  den  Eisenbahn-Ausschuss 
des  Abgeordnetenhauses;  denn  gleich 
dort  wurde  der  Bau  auf  Staatskosten  und 
die  einschlägige  Abänderung  der  Vorlage 
beschlossen.  Der  Berichterstatter  v.  Koz- 
1  o  w  s  k  i  unterzog  sich  rasch  und  willig 
dieser  Aufgabe.  Schon  nach  zwei  Tagen 
legte  er  den  neuen  Entwurf  vor,  welcher 
dahin  lautete,  dass  die  genannten  drei 
Strecken  binnen  3J/2  Jahren  mit  einem 
Aufwände  von  höchstens  24,000.000  fl. 
auf  Staatskosten  auszuführen  seien,  falls 
Galizien  die  Beisteuer  von  1,100.000  fl. 
leiste.  Ausserdem  war  darin  jetzt  auch 
schon  der  Staatsbau  der  Fortsetzungs- 
strecken nach  Csäcza,  Podgörze  und 
Os'wigcim  und  die  Bewilligung  eines 
Credites  von  60.000  fl.  für  die  sogleiche 
Vervollständigung  der  Projecte  vorge- 
sehen. 

An  dieser  Ausweitung  der  Vorlage 
nahmen  aber  die  czechischen  Abgeordneten 
Anstoss,  weil  sie  diese  augenscheinlich 
nothwendigen  Ergänzungsstrecken  gleich- 
sam als  Faustpfand  für  die  ebenfalls  schon 
längst  erstrebte  Böhmisch  -  Mährische 
Transversalbahn  behalten  wollten.  In 
der  sonach  abermals  geänderten  Fassung 
wurde  die  Vorlage,  trotz  des  Wider- 
standes, dem  sie  bei  der  »Linken«  be- 
gegnete,   am    21.     Mai     1881     von    der 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


331 


eine  fest  geeinigte  Mehrheit  bildenden 
»Rechten«  des  Abgeordnetenhauses  an- 
genommen. Weiterhin  erging  es  ihr  aber 
wie  der  Vorlage  über  die  Verstaatlichung 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn  [siehe  Seite 
290    und  f.];    sie    kam    erst    im    Winter 


nach  dem  »Pairs-Schube«  im  Herrenhause 
zur  Verhandlung  und  wurde  dann  am 
14.  December  erledigt.  Die  a.  h.  Sanction 
erhielt  sie  am  28.  December  1881,  ebenso 
wie  das  Landesgesetz  über  die  Beitrags- 
leistung seitens  Galiziens. 


332 


lgnaz  Konta. 


Da  mittels  Artikel  III  des  eben  er- 
wähnten   Gesetzes    vom    28.    December  i 

1881  ein  Credit  von  2,500.000  fl.  zum 
Zwecke  der  Vorarbeiten  für  den  An- 
schluss  an  die  Kaschau-Oderberger  Bahn 
eröffnet  war,  rücksichtlich  der  beiden 
anderen  Ergänzungsstrecken  aber  eine 
Resolution  des  Parlamentes  die  Revision 
der  Vorarbeiten  verlangt  hatte,  brauchte 
die  Regierung  auch  bezüglich  dieser 
Strecken  nicht  müssig  zu  bleiben.  Sie 
traf  also  schleunigst  die  nöthigen  Vor- 
kehrungen, und,  nachdem  sie  inzwischen 
auch  den  Gesetzentwurf  über  die  Böhmisch- 
Mährische  Transversalbahn  vorbereitet 
hatte,  konnte  sie  mit  aller  Beruhigung 
nunmehr  auch  die  Vorlage  über  die  oben 
genannten  Ergänzungsstrecken  einbringen. 
Diese  kam  am  27.,    jener  am    28.  März 

1882  vor  den  Reichsrath.  Die  Verhand- 
langen  über  die  Nachtrags- Vorlage  wären 
ganz  glatt  verlaufen,  wenn  nicht  die 
Frage,  ob  der  Anschluss  an  die  Kaschau- 
Oderberger  Bahn  auf  österreichischem 
Gebiete  bei  Mosty,  oder  auf  ungarischem 
Gebiete  bei  Csäcza  zu  bewirken  sei,  er-  ; 
hebliche  Meinungsverschiedenheiten  her- 
vorgerufen  hätte.  Für  den  ersteren 
sprachen  verkehrspolitische,  für  den 
letzteren  öconomische  und  gesammtstaat- 
liche  Gründe.  Die  Regierung  neigte 
diesem  zu.  Ungarn  verlangte  jedoch  für 
die  Mittragung  der  Kosten  Gegenleistungen 
commerziellerNatur[Cartelle],  die  geeignet 
waren,  die  freie  Verkehrsbewegung  auf 
der  Transversalbahn  zu  schmälern. 

Der  Eisenbahn-Ausschuss  entschied 
sich  darum  für  den  Anschluss  in  Most}' 
und  änderte  die  Vorlage  in  diesem  Sinne 
ab.  Sein  am  20.  Mai  1882  hierüber 
erstatteter  Bericht  blieb  aber  infolge  Ver- 
tagung des  Parlaments  unerledigt.  Beim 
Wiederzusammentritt  desselben  waren 
indes  die  Verhältnisse  wesentlich  andere 
geworden ;  einerseits  dadurch,  dass  die 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  anlässlich 
ihrer  Dualisirung  die  Waagthalbahn 
erworben  und  den  Ausbau  der  Strecke 
Csäcza-Galizische  Grenze  übernommen 
hatte,*)  andererseits    dadurch,    dass    sich 


*)  Rücksichtlich  des  Zwischenstückes 
Csäcza-Sillein  schloss  die  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  einen  Mitbenützungs -Vertrag 
mit  der  Kaschau-Oderberger  Bahn. 


Bewerber  um  eine  von  Saybusch  über 
Teschen  und  Wallachisch-Meseritsch  bis 
an  die  Böhmisch-Mährische  Transver- 
salbahn führende  Linie  einstellten,  und 
hiemit  Aussichten  auf  eine  die  Selb- 
ständigkeit der  Galizischen  Transversal- 
bahn sichernde  zweite  westliche  Ver- 
bindung erschlossen. 

Als  nun  der  Handelsminister  dem 
Abgeordnetenhause  am  26.  Januar  1883 
hievon  umfassende  Mittheilung  machte, 
trug  es  dem  Ausschusse  eine  neue  Be- 
richterstattung auf.  Diese  erfolgte  am 
28.  Januar  mündlich  und  gipfelte  in  dem 
Antrage:  Die  Regierung  werde  ermächtigt, 
Abzweigungen  der  Galizischen  Trans- 
versalbahn von  Sucha  über  Skawina 
einerseits  nach  Podgörze,  andererseits 
nach  Oswiecim,  ferner  von  Saybusch  bis 
zur  ungarischen  Grenze  in  der  Richtung 
nach  Csäcza,  mit  einem  Aufwände  von 
höchstens  1 1,500.000  fl.  auf  Staatskosten 
herzustellen.  In  dieser  Fassung  wurde 
das  Gesetz  angenommen  und  am  28. 
Februar  1883  a.  h.  sanctionirt.  Zum 
Zwecke  der  Beschleunigung  des  Baues 
verlangte  die  Regierung  alsbald  zu  dem 
ihr  in  diesem  Gesetz  eröffneten  Anfangs- 
Credit  von  100.000  fl.  einen  weiteren  von 
2,000.000  fl.,  der  ihr  mittels  Gesetz  vom 
10.  Juni   1883  ertheilt  wurde. 

Damals  standen  die  Hauptstrecken 
schon  in  vollem  Baue.  Seine  Vergebung 
hatte  am  25.  Juli  1882  stattgefunden,  und 
zwar  im  Pauschalaccorde.  Es  waren  fünf 
Angebote  eingelaufen,  von  denen  jenes 
des  Consortiums  Schwarz  [Karl  Freiherr 
v.  Schwarz,  Knaur  &  Gross,  Löwenfeld's 
Witwe  &  Comp.]  sich  als  das  mindest- 
fordernde erwies  und  angenommen  wurde. 
Das  Consortium  erbot  sich  nämlich, 
die  Bahn  um  ■  den  Pauschalpreis  von 
20,984.000  fl.  oder,  bei  Anwendung  von 
Holzbrücken,  um  20,284.000  fl.  und,  für 
den  Fall  der  Einbeziehung  der  Stadt 
Gorlice  in  das  Netz  der  Transversalbahn, 
die  bezügliche  Ausästung  um  1 10.000  fl. 
herzustellen.  Nachträglich  hat  dasselbe, 
gegen  verschiedene  Bauerleichterungen, 
einen  Nachlass  von  580.000  fl.  zuge- 
standen. Als  Vollendungstermine  waren 
festgesetzt:  für  die  Strecke  Gryböw- 
Zagörz  der  30.  Juni,  für  die  übrigen 
Strecken  der  31.  October  1884.  Der  erste 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


333 


Spatenstich  erfolgte  am  17.  October  1882 
in  Sporysz  bei  Saybusch. 

Das  Zurückgreifen  auf  die  seit  Langem 
verpönt  gewesene  General  -  Entreprise 
und  deren  Anwendung  bei  einem  Staats- 
baue hatten  viel  von  sich  reden  gemacht ; 
eine  unwiderlegliche  Erklärung  des  Vor- 
ganges wird  sich  auch  schwer  finden 
lassen.  Um  desto  unangenehmer  machte 
sich  der  Bodensatz  bemerkbar,  den  er 
zurückgelassen,  nämlich :  die  sogenannte 
Kaminski-Angelegenheit,  umfassend  Pro- 
visions-Ansprüche an  die  Unternehmung 


3 

CO 

X 


Gryböw-Zagörz,  114-2*»«,  am  20.August, 

Stanislau-Buczacz,  717  km,  am  I.  No- 
vember für  Güter-,  am  15.  November 
für  den  allgemeinen  Verkehr, 

Saybusch-Neu-Sandec,  1466  km,  am 
16.  December, 

Buczacz  -  Kopyczynce,  516  km,  am 
31.  December, 

Kopyczynce  -  Husiatyn,  2ri  km,  am 
31.  December  für  Güter. 

Oswiecim-Skawina-Podgörze,  64-0  km, 
am  I.  August, 

Saybusch-Zwardoii,  37,3&i«,  am  3.  No- 
vember für  den  Personen-,  am  15. 
November  für  den  Gesammt-Verkehr, 

Sucha-Skawina,  456  km,  am  22.  Decbr. 


Abb.  153.     Mühlentobel-Aquäduct.     [Nach  einer  Zeichnung  aus  der  Bauzeit.' 


—  und  andererseits  die  von  der  letzteren 
erhobenen  Nachtragsforderungen,  die 
eigentlich  bis  heute  noch  nicht  endgiltig 
abgethan  sind. 

Der  Bau  der  Abzweigungen  wurde 
am  10.  Mai  1883  in  kleinen  Losen  ver- 
geben. Da  20  Offerte  vorlagen,  konnten  er- 
hebliche Abschläge  [zusammen  435. 250  fl.] 
erzielt  werden.  Die  Arbeiten  begannen 
im  Juni   1883. 

Trotz  der  Störungen,  welche  der  Bau 
durch  die  im  Juni  1884  eingetretenen 
Hochwässer  erlitten  hatte,  gelangten 
sämmtliche  Strecken,  mit  Ausnahme  der 
kleinen  Ausästung  nach  Gorlice  [4-2  km], 
noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres 
1884  zur  Eröffnung,  und  zwar: 


Für  den  allgemeinen  Verkehr  wurde 
die  Strecke  Kopyczynce-Husiatyn  am 
1.  Februar  1885  eröffnet.  Zwei  Monate 
später,  am  8.  April  1885,  folgte  auch  die 
Eröffnung  der  4'2  km  langen  Ausästung 
Zagörzany-Gorlice,  deren  Bau  erst  im 
Juni  1884  begonnen  hatte,  weil  die  Stadt- 
gemeinde Gorlice  bis  dahin  mit  dem  zu- 
gesicherten Beitrage  von  5000  fl.  im  Rück- 
stande geblieben  war.  Mit  der  Inbetrieb- 
setzung der  Strecke  Gryböw-Zagörz 
hat  auch  die  Mitbenützung  der  64*3  km 
langen  Strecke  Zagörz-Chyröw  der  Ersten 
Ungarisch  -  Galizischen  Eisenbahn  be- 
gonnen, wenngleich  der  bezügliche  P6age- 
Vertrag  erst  am  25.  November  1884 
förmlich  abgeschlossen  wurde.    Derselbe 


334 


Ignaz  Konta. 


beruhte  im  Hauptsächlichen  auf  denselben 
Grundlagen  wie  jener  über  die  Mit- 
benützung der  Strecke  Wörgl-Innsbruck 
[siehe  Seite  304]  und  war  das  in  der 
Peage  -  Strecke  inverstirte  Capital  mit 
5,300.000  fl.  berechnet.  Das  4  km  lange, 
der  Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn 


Abb.  154.     Verbauung  im  Längentobel  bei  km  III,3/j. 
[Arlbergbahn.] 


angehörende  Zwischenstück  von  Stanislau 
bis  Chryplin  [dem  eigentlichen  Aus- 
mündungspunkte der  Endstrecke  nach 
Husiatyn]  wurde  als  Verlängerung  der 
Gemeinschafts-Station  Stanislau  betrachtet 
und  behandelt. 

So  war  denn  Galizien  eigentlich  schon 
mit  Ablauf  des  Jahres  1884  im  Besitze 
der  so  lange  erstrebten,  den  ganzen 
Süden  des  Landes  durchziehenden  Eisen- 
bahn, die  ihm  die  Unabhängigkeit  von 
der  Carl  Ludwig-Bahn  und  die  leichtere 
Verwerthung  und  Verfrachtung  seiner 
Boden-,  Forst-  und  Industrie- Erzeugnisse 
bringen  sollte.  Freilich  mochte  die  alte 
Bahn  ihre  bisherige  uneingeschränkte 
Herrschaft  nicht  widerstandslos  aufgeben, 
es  bedurfte  daher  vielfacher  commerzieller 
Massnahmen,  um  ein  friedliches  Neben- 
einanderwirken der  beiden  Längsbahnen 
zu  ermöglichen  und  dauernd  zu  sichern. 

Die  Kosten  der  Galizischen  Trans- 
versalbahn beliefen  sich  rücksichtlich  der 
Hauptbahn  -  Strecken  auf  24,099.214  fl. 
und  rücksichtlich  der  Abzweigungen  auf 
11,299.9850.,  von  den  ersteren  fanden 
1,100.000  fl.  in  den  Beiträgen  des  Landes 
ihre  Bedeckung,  so  dass  zu  Lasten  des 
Staates  22,999.214  fl.  verblieben. 


Die  Strecke  Zwardon  -  Saybusch, 
mittels  deren  die  Galizische  Transversalbahn 
an  die  von  der  Oesterreichisch-Ungarischeri 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  gleichzeitig  her- 
gestellte Strecke  Zwardon-Csäcza  und  durch 
diese  wieder  an  die  Kaschau  -  Oderberger 
Bahn,  beziehungsweise  an  das  ungarische 
Bahnnetz    anschüesst,    hat   ihren   Ausgangs- 

Eunkt  an  der  die  ungarisch  -  galizische 
andesgrenze  bildenden  europäischenWasser- 
scheide  [zwischen  Donau  und  Weichsel]  in 
der  Nähe  des  Dorfes  Zwardon.  Die  Ueber- 
setzung  dieser  Wasserscheide,  welche  nicht, 
wie  ursprünglich  projectirt  gewesen,  mit 
einem  Tunnel,  sondern  mittels  eines  Ein- 
schnittes von  l3-2  m  Maximaltiefe  in  günstiger 
Weise  [662  m  ü.  d.  M.]  bewirkt  wurde,  liegt 
auf  dem  höchsten  Punkte  nicht  nur  der  Theil- 
strecke  Zwardon-Savbusch,  sondern  der  gan- 
zen Galizischen  Transversalbahn.  Von  der 
in  einsamer  Höhe  liegenden  Station  Zwardon 
führt  die  Bahn,  mit  der  Maximalneigung  von 
l8°/0o  abfallend,  durch  Waldgebiet,  und  senkt 
sich  dann  an  der  Berglehne  zum  Thalboden 
des  Czernabaches,  woselbst  die  Station 
S61  errichtet  ist.  Im  steten  Gefälle  durch 
das  Thal  des  Slanicabaches,  denselben 
übersetzend,  geht  sie  hierauf  über  ein 
breites,  meist  sumpfiges  Wiesenterrain  auf 
die  linksseitige  Berglehne  über.  Am  Fusse 
der  mächtigen,  zu  Abstürzen  und  Rutschun- 

fen  sehr  geneigten  Berglehne  führt  die 
race,  gesichert  einerseits  durch  starke  Ufer- 
schutzbauten, und  andererseits  durch  um- 
fangreiche Entwässerungsanlagen,  hart  am 
Ufer  und  theilweise  im  Flussbette   der  Sola, 


Abb.  155.     Steinschlag-Schutzbau  im  Schnänn  auf  der 
Arlbergbahn.     [Nach  photographischen  Aufnahmen 
im  Besitze  der  k.  k.  Staatsbahn-Direction  Innsbruck.] 

nach  Raycza.  Durch  mächtige  Steinbau- 
ten längs  des  Flusses  geschützt,  gelangt 
die  Bahn  nach  Uebersetzung  desselben 
zur  Station  Milöwka.  Mit  dem  sich  er- 
weiterten Sölathale  stetig  fallend,  trifft  die 
Bahn  noch  einmal  den  Sölafluss,  übersetzt 
den  Zabnicabach  und  gelangt  unmittelbar 
hierauf  zu  der  auf  einem  Zwischenplateau 
liegenden  Station  Wegierska-Görka.  Unter- 
halb des  Dorfes  Ciecina  wird  der  Sölafluss  zum 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


335 


zweiten  Male  übersetzt,  an  dessen  linkem  Ufer 
die  Bahn  nun  in  dem  breiten  fruchtbaren 
Sölathale  die  Station  Saybusch-Zablocie  er- 
reicht, welche  vordem  Eigenthum  der  Kaiser 
Ferdinands  -  Nordbahn  war,  nunmehr  aber 
dem  Staate  gehört. 

Bei  dem  letzten  Wechsel  der  Station  Say- 
busch  beginnt  die  Strecke  Sa ybusch-Neu- 
Sandec.  Die  Trace  übersetzt  den  Sölafluss 
und  erreicht  die  Station  Friedrichshütte.  Von  da 
tritt  die  Bahn  an  eine  felsige,  steil  ansteigende 
bewaldete  Lehne,  an  welcher  sie,  zum  Theil  in 
hoch  hinaufreichenden  Anschnitten,  meist  un- 
mittelbar am  Ufer  des  zweimal  überbrückten 
Koszarawaflusses  da- 
hinführt  und  die  Sta- 
tion Jelesnia  erreicht. 
Hinter  derselben  be- 
ginnt sie  die  Rampe 
zur  Wasserscheide 
von  Hucisko  im  Thale 
des  Pewelkabaches 
anzusteigen  und  er- 
reicht die  unmittelbar 
an  der  Wasserscheide 
liegende  Station  Hu- 
cisko [550-80  m  See- 
höhe]. Nach  Ueber- 
setzung  der  Wasser- 
scheide im  8  m  tiefen 
Einschnitte  senkt  sich 
die  Bahn  mit  dem 
Maximalgefälle  von 
l8°/00,  umgeht  in  schar- 
fen Bögen  einen  vor- 
springenden Berg- 
rücken,übersetzt  dann 
weiter  mittels  eines 
13  m  hohen  Viaductes 
und  eines  daran  an- 
schliessenden Dam- 
mes von  400  ;;;  Länge 
das  Thal  des  Lachöw- 
kabaches  und  erreicht 
nach  Passirung  des 
Dorfes  Lachöwice  die 
gleichnamige  Station. 
Ausserhalb  derselben 
wendet  sie  sich  ge- 
meinsam     mit      der 

Reichsstrasse  in  das  Thal  des  Stryszawka- 
baches,  gelangt  bis  Sucha,  nächst  welcher  die 
Linie  nach  Skawina,  respective  Oswiecim  und 
Podgörze  abzweigt.  Von  dem  Gabelungs- 
punkte rechts  abschwenkend,  steigt  die  Trace 
nun  im  Skawathale  an,  übersetzt  gleich  darnach 
denSkawafluss  und  gelangt  nach  Maköw.  Von 
da  weiter  ansteigend,  wendet  sich  die  Bahn 
im  scharfen  Bogen  gegen  den  Skawafluss, 
setzt  wieder  auf  das  linke  Ufer  über,  er- 
reicht hier  ein  kleines  Plateau,  nach  dessen 
Ueberschreitung  der  aus  einem  romantischen 
Seitenthale  heraustretende  Skawicafluss  über- 
setzt wird  und  tritt  an  eine  steile,  felsige 
Lehne,  an  derem  Fusse  die  Bahn  nun 
hart  am  Ufer  des  Skawaflusses  weiter  zieht, 
bis  sie  vor  dem    Dorfe    Osielec    wieder  den 


Abb.  156.     Steinschlag-Schutzbau  auf  der  Arlbergbahn 

im  Scbnänn  [Felskopf  nach  der  Verbauung]. 

[Nach  photographischen  Aufnahmen  im  Besitze  der  k.  k. 

Staatsbahn-Direction  Innsbruck.] 


Thalboden  gewinnt  und  von  da  aus  zur 
Station  Osielec  hinansteigt.  Gleich  hinter 
dieser  Station  kehrt  die  Trace  mittels 
einer  Brücke  auf  das  rechte  Skawaufer 
zurück,  durchdringt  mit  einem  II  in  tiefen 
und  200  m  langen  Einschnitt  einen  vor- 
springenden felsigen  Bergrücken,  tritt  aus 
diesem  unmittelbar  in  das  Bett  des  ver- 
legten Skawaflusses,  führt  dann  im  Thal 
weiter,  den  Skawafluss  einigemale  über- 
setzend, bis  sie  nach  Jordanöw  gelangt,  wo 
derFluss  dann  zum  siebentenMale  überbrückt 
wird.  Sie  gelangt  sodann  zur  Wasserscheide, 
welche  mittels  eines  nur  etwa  5  m  tiefen 
Einschnittes  [496  m 
über  dem  Meeres- 
spiegel] passirt  wird. 
Von  da  an  abfallend, 
erreicht  die  Bahn  das 
Rabathai,  wo  sie  den 
Rabafluss  übersetzt, 
um  zur  Station  Cha- 
böwka  zu  gelangen, 
welche  die  Eingangs- 
station des  bis  an  das 
Tatragebirge  sich  er- 
streckenden, an  Na- 
turschönheiten über- 
aus reichen  Neumark  - 
ter  Bezirkes  bildet. 
Von  Chaböwka  zieht 
die  Trace  in  dem  sich 
erbreiternden  Thale 
stufenweise  abfallend 
weiter,  gelangt  zu  der 
Haltestelle  Rabka,  in 
deren  Nähe  das  heil- 
kräftige Bad  gleichen 
Namensliegt.  ImThale 
abwärts  gehend,  nä- 
hert sie  sich  bald 
darauf  dem  Rabka- 
flusse,  längs  welchem 
sie  hinzieht,  übersetzt 
denselben  und  er- 
reicht die  Station  Za- 
ryte.  In  der  Thalsohle 
überschreitet  dieTrace 
noch  vier,  bedeutende 
Geschiebe  führende 
Wildbäche,  wechselt  hernach  dasRabauferund 
erreicht  Mszana  dolna,  hinter  welcher  Station 
der  Mszanabach  übersetzt  wird  und  der  Anstieg 
zur  Wasserscheide  beginnt.  Sie  wendet  sich 
dem  nördlich  gelegenen  Sattel  der  Wasser- 
scheide zu,  durchfährt  den  zwischen  dem 
Slomka-  und  Kasinathale  liegenden  Rücken 
in  einem  Einschnitte  von  8  m  Tiefe,  über- 
setzt hierauf  den  Kasinabach  auf  einem 
12-5  m  hohen  Viaducte  und  erreicht  Kasina 
wielka,  von  wo  aus  die  Trace  sich  in 
den  wildromantischen  Gehängen  des  Snicz- 
nica-Berges  entwickelt,  um  ihren  höchsten 
Punkt  [Cöte  595'5]  zu  erreichen.  Nun  ab- 
fallend, durchbricht  die  Trace  eine  vorge- 
schobene Bergmasse  und  erreicht  die  schon 
im    Gefälle     liegende    Wasserscheide     [Cöte 


336 


Ignaz  Konta. 


Abb.  157.    Polygonträger  des  Glongtobel-Objectes  durch  die 
Lawine  ins  Thal  geworfen.   [2.  Februar  1893.] 


539'3]>  welche  sie  in  einem  Einschnitte  von 
47  m  Tiefe  passirt.  Von  der  Station 
Dobra  aus  entwickelt  sich  die  Trace  auf 
dem  gegen  Süden  abfallenden  Gehänge  des 
Dobrzankathales,  übersetzt  hiebei  die  Plas- 
kön-Schlucht  mit  einem  25  m  hohen  Viaducte 
und  nachdem  sie  noch  den  Jasnabach  auf 
einem  13-6  m  hohen  Viaduct  passirt,  er- 
reicht sie  die  Thalsohle.  In  dieser  führt  die 
Bahn  zu  der  malerisch  gelegeneu  Station 
Tymbark,  übersetzt  dann  den  Lososinafluss, 
folgt  demselben  durch  theilweise  versumpftes 
Terrain,  dessen  Entwässerung  während  des 
Baues  vorgenommen  wurde,  und  steigt  zur 
Station  Limanowa  hinan.  Unmittelbar  nach 
dem  Austritte  aus  dieser  Station  beginnt  der 
weitere  Anstieg  zu  der  auf  einem  kahlen 
Rücken  der  Wasserscheide  liegenden  Station 
Pisarzowa.  Von  da  an  fällt  die  Trace,  über- 
setzt mehrere  Schluchten  mittels  Dämmen 
von  bedeutender  Höhe  und  zieht  zu  der  im 
Gefälle  angelegten  Station  Mecina.  Das  Seiten- 
thal des  Klodniankabaches  übersetzend,  er- 
reicht sie  die  Thalsohle  des  Smolnikbaches, 
über  welchen  hinweg  sie  in  das  Dunajecthal 
und  in  diesem  zur  Station  Marcinkowice 
gelangt.  Auf  einer  Brücke  von  300 111  Licht- 
weite deriDunajecfiuss  [Abb.  158]  übersetzend, 
führt  die  Bahn  zu  der  im  grossen  Sandecer 
Plateau  besonders  schön  liegenden  Station 
Neu-Sandec  der  Tarnöw-Leluchöwer  Staats- 
bahn. 

Gryböw-Zagörz  nebst  der  Aus- 
ästung nach  Gorlice.  Die  Strecke  Gry- 
böw-Zagörz nimmt  in  der  zu  diesem 
Zwecke  errichteten  Station  »Ströme«  derk.  k. 
Staatsbahn  Tarnövv  -  Leluchöw  ihren  Aus- 
gang, steigt  in  nordöstlicher  Richtung  zu 
der  secundären  Wasserscheide  bei  Szalowa 
hinan,  wo  sie  die  höchste   Cöte   der  ganzen 


Strecke  [376  m]  erreicht. 
Von  da  an  in  östlicher  Rich- 
tung abwärts  führend,  ge- 
langt sie  zur  Station  Wola 
luzanska  und  dann  in  viel- 
fachen Krümmungen  in 
die  Niederung  des  Wolski- 
baches.  Hier  erhält  die  Bahn 
den  Charakter  einer  Thal- 
bahn und  liegt  bis  zur  Ropa- 
brücke  ununterbrochen  in 
einem  sanften  Gefälle.  Die 
nächste  Station  ist  Zagö- 
rzany,  an  derem  südwestli- 
chem Ende  die  4-2  km 
lange  Ausästung  nach 
Gorlice  abzweigt. 

Die  Fortsetzung  der 
Hauptlinie  tritt  bei  Zagö- 
rzany  in  das  Thal  des  Ropa- 
flusses.  Sie  berührt  die  Sta- 
tion Biecz  und  schlägt  bei 
Siepietnica  die  südöstliche 
Richtung  ein,  welche  sie  bis 
Skolyszyn  und  Trzcinica 
beibehält.  Den  Ropafiuss 
und  Wislokafluss  über- 
setzend, erreicht  sie  Jasto.  Von  da  aus  über  die 
Station  Tarnowiec  bis  zum  Jasiolkatiusse  eine 
rein  östliche  Richtung  einhaltend,  durchzieht 
die  Bahn  das  Inundationsgebiet  des  Jasiolka- 
flusses,  den  sie  überbrückt  und  gelangt  durch 
einen  ziemlich  langen  Einschnitt  auf  die 
Höhe  der  Station  Jedlicze.  Ueber  Krosno  und 
Iwonicz  zieht  die  Bahn  in  günstigem  Terrain 
der  Station  Rymanöw  zu  und  senkt  sich  von 
da  in  das  kurze  Inundationsgebiet  des  Kom- 
pachabaches  und  des  Morawaflusses,  welche 
beide  übersetzt  werden.  Nachdem  der  Wislok- 
fluss  übersetzt  wird,  steigt  die  Trace  hinter 
der  Station  Zarszyn,  um  die  Höhe  der  Station 
Nowosielce-Gniewosz  [Cöte  317-6]  zu  gewin- 
nen. Bis  Sanok  liegt  die  Bahn  in  starkem 
Gefälle,  weshalb  auch  die  hier  vorkommenden 
kurzen  Dämme  und  Einschnitte  von  relativ 
namhafter  Höhe,  respective  Tiefe  sind,  ge- 
langt nun  in  das  Thal  des  Sanflusses  und  steigt 
schliesslich  die  steilen  Abhänge  hinan,  auf 
deren  Höhe  die  Station  Neu-Zagörz  [Cöte 
303-3]  theilweise  in  einem  10  m  tiefen  Ein- 
schnitte situirt  ist. 

Stanislau-Husiatyn.  Diese  östliche 
Endstrecke  der  Galizischen  Transversalbahn 
beginnt  nicht  unmittelbar  in  Stanislau, 
sondern  in  der  daselbst  anschliessend  an 
den  Körper  der  Lemberg  -  Czemowitzer 
Bahn  errichteten  Station  Chryplin.  Von  hier 
führt  die  Trace  in  gerader  östlicher  Richtung 
zur  Station  Tysmienica,  nimmt  dann  eine 
nordöstliche  Richtung  an,  übersetzt  den  Wo- 
ronafluss  und  erreicht  die  erste  Wasserscheide 
[Cöte  330  mj.  auf  welcher  die  Station  Tlumacz- 
Pafahicze  situirt  ist.  Ueber  Oleszöw  und 
Nizniöw,  hinter  welcher  Station  eine  nörd- 
liche Richtung  eingeschlagen  wird,  gelangt  die 
Bahn  in  das  Thal  des  Dniesters,  übersetzt 
diesen  Fluss    mit  einer  Brücke  von   324 -8  m 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


337 


Lichtweite  tritt  in  das  Thal  des  Wyczulki- 
baches  und  gelangt  zur  Station  Korosciatyn. 
Auf  ihrem  weiteren  Zuge  übersteigt  die  Bahn 
eine  zweite  Wasserscheide  [Cöte  381]. 
Nachdem  der  Koropiecrluss  übersetzt  wird, 
gelangt  die  Bahn  ins  ebene  Terrain,  auf 
welchem  die  Station  Monasterzyska  situirt 
ist.  Nun  steigt  die  Bahn  zur  dritten  und 
höchsten  Wasserscheide  hinan  [Cöte  395-871. 
Sodann  abwärts  ziehend  und  mit  einer  nord- 
östlichen Richtung  in  die  Niederung  eines 
Seitenthaies  einbiegend,  gelangt  sie  zur 
Station  Jezierzany,  bewegt  sich  dann  in 
einer  Thalmulde  aufwärts,  um  die  vierte 
Wasserscheide  [Cöte  38420J  zu  übersetzen 
und     gelangt     hernach    mit     sanftem     Ge- 


Thalsohle  des  Serethflusses,  übersetzt  diesen 
in  nördlicher  Richtung  und  ;  gelangt  in 
die  Ebene  bei  Czortköw.  Hier  schlägt  die 
Trace  eine  nördliche  Richtung  ein,  folgt  ein 
kurzes  Stück  dem  Ufer  des  Serethflusses,  be- 
ginnt dann  zu  steigen,  übersetzt  mit  einem 
gewölbten  Viaducte  das  Puchlathal,  biegt 
in  östlicher  Richtung  in  die  Puchlaschlucht 
ein,  erreicht  mit  fortgesetzter  Maximal- 
steigung wieder  ein  Hochplateau,  wendet 
sich  da  erst  nach  Südosten,  dann  wieder 
nach  Nordosten  und  führt  zur  Station  Hadyn- 
kowce  und  hernach,  mehrere  Bäche  über- 
schreitend, zur  Station  Kopyczynce.  Von  hier 
nimmt  die  Bahn  eine  östliche  Richtung,  über- 
setzt einen  200  m  breiten  Sumpf  und  erreicht 


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158.    Reconstruction  der  Dunajec-Brücke  bei  Neu-Sandec.    (Strecke  Saybusch-Xeu-Sandec  der 
Galizischen  Transversalbahn.] 


fälle  auf  das  Plateau,  wo  die  Station  Buczacz 
errichtet  ist.  Von  hier  zieht  die  Bahn 
in  das  Strypathal  hinab,  übersetzt  den 
Potokbach,  durchfährt  sodann  mittels  eines 
Tunnels  von  260  m  Länge  einen  Bergrücken, 
übersetzt  den  Strypafluss  und  steigt  an  der 
linken  Strypalehne  zur  fünften  Wasserscheide 
[Cöte  365  25]  hinan.  Von  der  Wasserscheide 
abfallend  durchschneidet  die  Bahn  einen 
langgestreckten  Teich  und  zieht  dann  östlich 
bis  Pyszkowce.  Sodann  führt  die  Trace  in 
südöstlicher,  fast  gerader  Richtung,  auf  ein 
sanft  geneigtes  Plateau  und  zur  Station 
Dzuryn,  von  wo  aus  die  Bahn,  über  das 
Hochplateau  in  östlicher  Richtung  weiterzieht 
und  die  Station  Kalinowszczyzna  erreicht. 
Von  hier  hält  die  Trace  erst  eine  südöstliche 
Richtung  ein,  entwickelt  sich  sodann  im 
Gefälle  in  nördlicher,  dann  östlicher  Rich- 
tung an  einer  steilen,  durch  kurze  aber  tiefe 
Schluchten  unterbrochenen  Lehne  in  das 
Sereththal.  In  diesem  Zuge  übersetzt  die  Bahn 
die  Biaiaschlucht  mit  einem  29  m  hohen 
Viaducte  von  75  m  Lichtweite,  kommt  an  die 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Theil. 


über  Wasylkowce  die  an  der  russischen 
Grenze  gelegene  Station  Husiatyn.  [Cöte 
284-20.] 

Such a-S k a  wi n a.  Von Sucha abzweigend 
geht  die  Trace  dieser  Verbindungsstrecke 
in  eine  nördliche  Richtung  über,  und  tritt 
in  das  Inundationsgebiet  der  Skawa,  dann 
in  ein  steil  abfallendes,  felsiges  Terrain, 
das  sie  mit  der  Strasse  und  stellenweise  auch 
mit  dem  Flusse  zu  theilen  hat.  In  der  Ebene 
weiterziehend,  übersetzt  sie  den  Tarnawka- 
Wildbach  und  erreicht  das  Inundationsgebiet 
der  Skawa,  beziehungsweise  den  Fluss  selbst, 
in  welchem  sie  weit  eingebaut  ist.  Nunmehr 
eine  nordöstliche  Richtung  einschlagend, 
führt  die  Bahn  in  stetem  Gefälle  und  ge- 
schützt durch  starke  Dammversicherungen 
streckenweise  im  alten  Flussbett  dahin,  bis 
sie  mit  einer  Wendung  nach  Norden  Skawce 
erreicht.  Hinter  dieser  Station  wird  der  Skawa- 
fluss  mittels  einer  eisernen  Brücke  von  drei 
Oeffnungen  ä37-l3  m  Lichtweite  [schief  unter 
7030]  in  einer  Höhe  von  5-6  m  übersetzt. 
[Abb.    159.]  Aus  dem   Inundationsgebiete    in 

22 


338 


Ignaz  Konta. 


nordöstlicher  Richtung  aufwärts  weiter- 
ziehend ,  übersetzt  die  Bahn  den  Stry- 
szöwkabach  und  später  ein  enges  Seiten- 
thal und  den  Porzycebach  mittels  eines  7  m 
hohen  Dammes  und  erreicht  Stryszöw.  Gleich 
ausserhalb  dieser  Station  beginnt  die  Bahn 
zur  Wasserscheide  hinanzuziehen.  Mehrere 
Seitenthäler  übersetzend  gelangt  die  Bahn 
zum  höchsten  Punkte  der  Zweigbahn,  zur 
Station  Stronie  [294  m  Seehöhe].  Von  hier 
aus  die  östliche  Richtung  einschlagend,  fällt 
die  Bahn  und  passirt  ein  sehr  schwieriges 
Terrain,  welches  ihr  den  ausgesprochensten 
Charakter  einer  Gebirgsbahn  verleiht.  Un- 
mittelbar hinter  der  Station  Stronie  durch- 
setzt die  Bahn  den  5  m  hohen  Satteleinschnitt 
der  secundären  Wasserscheide  zwischen  dem 
Skawa-  und  dem  Skawinkaflusse ,  dann 
gegen  Nordost  gewendet,  eine  breite  Mulde 
mit  einem  16  in  hohen  Damme  über  einen  tiefen 
Wasserriss,  um  nach  nochmaliger  Durch- 
brechung von  Felsgestein  in  scharfer  Krüm- 
mung und  auf  einem  darnach  folgenden,  7  m 
hohen  Damme  die  nordwestliche  Richtung 
und  die  Lehne  eines  breiten  Seitenthaies  des 
Cedranbaches  zu  gewinnen.  Unter  öfterem 
Wechsel  der  Richtung,  Passirung  eines  grös- 
seren Einschnittes  und  mehrerer  Wasserläufe 
erreicht  sie  den  Kalwarjaberg,  den  sie  in  einem 
6  m  tiefen  Einschnitte  durchfährt,  über  welchen 
auf  eiserner  Ueberfahrtsbrücke  der  Wallfahrts- 
weg [Kreuzweg]  hinweg  geführt  ist.  Nun  zu- 
meist die  nordöstliche  Richtung  einhaltend, 
übersetzt  die  Bahn  noch  vier  tiefe  Seiten- 
thälermitS — 13  m  hohen  Dämmen,  durchbricht 
drei  grössere  Lehmeinschnitte  ehe  sie  die  Sta- 
tion Kalwarja  erreicht.  Alsdann  an  der  linken 
Lehne  des  Cedronbaches  sich  allmählich  in  das 
Inundationsgebiet    desselben    niedersenkend, 

Sassirt  die  Bahn  auf  einem  10  in  hohen 
'amme  einen  Wasserriss  und  hernach  auf 
einem  9  in  hohen  Damme  ein  breites  sumpfiges 
Seitenthal  des  Cedronbaches  und  gelangt 
nach  wiederholtem  Wechsel  der  Richtung  in 
die  Thalsohle,  in  welcher  sie  parallel  mit 
dem  Bache  einherzieht,  bis  sie  Lencze  er- 
reicht. Im  Inundationsgebiet  des  Skawinka- 
flusses  abfallend,  erhebt  sich  die  Bahn  so- 
dann auf  den  bei  Radziszöw  befindlichen  Ter- 
rainrücken, passirt  ein  Rutschgebiet  und  trifft, 
ohne  weiteren  Schwierigkeiten  zu  begegnen, 
an  derSkawinkabrücke  mit  der  von  Oswiecim 
nach  Podgörze  führenden  Linie  zusammen, 
mit  welcher  sie  parallel  in  die  Endstation 
Skawina  einzieht. 

Oswiecim-Skawina-Podgörze.  Der 
Ausgangspunkt  dieser  fast  ausschliesslich 
von  Ost  nach  West  sich  entwickelnden 
Bahnlinie  ist  die  der  Nordbahn  und  der 
Oberschlesischen  Bahn  gemeinsam  dienende 
Station  Oswiecim.  In  scharfem  Bogen  wen- 
det sich  die  Trace  zur  senkrechten  Ueber- 
brückung  des  Sölaflusses  und  durchzieht  das 
sumpfige  Inundationsgebiet  der  Weichsel. 
Nächst  Dwory  verlässt  die  Trace  das  Inun- 
dationsgebiet der  Weichsel,  um  auf  günstigem 
Terrain  nach  Przeciszöw  zu    gelangen,    von 


wo  nach  Durchfahrung  einer  an  Raseneisen- 
stein reichen  Niederung  mit  freundlichem 
Ausblicke  auf  die  jenseits  der  Weichsel  ge- 
legene Burg  Lipowiec  alsbald  auch  die  im 
Einschnitte  befindliche  Station  Zator  erreicht 
wird.  Nun  gelangt  die  Trace  in  das  Inun- 
dationsgebiet der  Skawa  und  übersetzt  diesen 
Fluss  mittels  einer  schiefen  Eisenbrücke, 
ersteigt  ein  Hochplateau,  passirt  Ryczöw 
und  folgt  weiterhin  ohne  Schwierig- 
keiten dem  Fusse  des  in  die  Weichselniede- 
rung abfallenden  Plateaus.  An  den  Höhen 
von  Kossowa  und  Nowe  Dwory  vorüber,  er- 
reicht die  Trace  die  für  den  Pilgerzug  nach 
dem  Wallfahrtsorte  Kalwarja  wichtige  Station 
Brzeznica  und  führt  sodann  zur  Station 
Wielkie  Drogi.  Von  da  weiter  passirt  die 
Bahn  eine  secundäre  Wasserscheide  und 
vereinigt  sich  dann  mit  der,  aus  dem  Ska- 
winkathale  kommenden  Linie  Sucha-Skawina, 
übersetzt  in  Gemeinschaft  mit  derselben  den 
Skawinkafluss  und  zieht  mit  ihr  in  die  den  beiden 
Linien  gemeinsam  dienende  Station  Skawina 
ein.  Von  hier  aus  steigt  die  Bahn  auf  die  Höhe 
von  Sidzina  hinauf  und  fällt  zur  Station 
Swoszowice  ab,  in  deren  Nähe  sich  das 
Schwefelbad  gleichen  Namens  befindet.  Von 
dieser  Station  weiter  führt  die  Bahn  in  vielfach 
gewundenem  Zuge  unter  Uebersetzung  des 
Wilgabaches  in  die  Kalkfelsenpartie 
Krzemionki,  welche  im  Gefälle  mittels 
eines  1300  in  langen,  bis"  zu  106  m  tiefen 
und  etwa  150  in  weit  in  den  Felsen 
eingesprengten  Einschnittes  durchsetzt  wird 
und  erreicht  auf  7'5  m  hohem  Damme 
in  dem  mit  einer  Erdbewegung  von  200.000  m3 
hergestellten  Anschlüsse  an  die  Carl  Ludwig- 
Bahn  die  Endstation  Podgörze. 

Böhmisch -Mährische  Trans- 
versalbahn. Wie  ihre  Hauptbenennung, 
hat  diese  Bahn  mit  der  vorangehend  be- 
sprochenen auch  manche  Schicksale  ge- 
mein. Beide  waren  schon  längst  projectirt, 
zumal  in  den  Endstrecken,  beide  kamen 
mühselig  und  stückweise  zu  Stande  und 
entbehrten  daher  des  einheitlichen  Ge- 
präges, beide  waren  bis  knapp  vor  der 
gänzlichen  Sicherstellung  immer  als  Privat- 
unternehmungen gedacht  und  sind  schliess- 
lich auf  Staatskosten  ausgebaut  worden. 

Eine  der  nunmehrigen  westlichen  End- 
strecke ähnliche,  jedoch  directe  Ver- 
bindung Taus-Klattau-Horazd'ovic  zählte 
zu  denjenigen  »Böhmischen  Landes- 
bahnen,« deren  Bau  schon  die  im  Jahre 
1863  vom  böhmischen  Landtage  ein- 
gesetzte Eisenbahn  -  Commission  befür- 
wortet hatte.  Ebenso  gehörte  die  östliche 
Endstrecke  Brunn  -  Ungarische  Grenze 
[Trencsin]  zu  den  »Mährischen  Landes- 
bahnen,«  welche  der  mährische  Landtag 


Geschichte  der  Eisenbahnen   Oesterreichs. 


339 


und  mit  ihm  noch  andere  Körperschaften 
des  Landes,  sowie  auch  das  »Comite'  für 
die  mährischen  Eisenbahnen«,  um  die 
Mitte  der  Sechziger -Jahre  eifrigst  er- 
strebten. Diese  Strecke  war  auch  eine 
derjenigen,  denen  das  a.  h.  Handschreiben 
vom  18.  October  1866  [siehe  Seite  4] 
insbesondere  gegolten  hatte.  Am  23.  De- 
cember  1866  bewilligte  der  mährische 
Landtag  für  dieselben  eine  Subvention 
im  halben  Betrage  der  nach  jener  a.  h. 
Willenskundgebung  auch  vom  Staate  zu 
erwarten  gewesenen  Beihilfe. 

Infolge      der      Concessionirung      der 
Mährisch-Schlesischen  Nordbahn  und  des 


rischerseits  geplanten  Linie  Rosenheim- 
Deggendorf-Zwiesel  auf  böhmischem  Ge- 
biete, sich  wieder  um  die  Strecke  Taus- 
Horazdovic  angenommen,  ohne  übrigens 
damit  über  die  ersten  Vorarbeiten  hinaus- 
zukommen. Im  Jahre  1869  befasste  sich 
die  Nordbahn  mit  dem  Projecte  Hradisch- 
Vlarapass  ;  desgleichen  die  Credit- Anstalt 
und  Andere.  Auch  für  die  Strecke 
Brünn-Ungarische  Grenze  fanden  sich 
neue  Bewerber,  so  namentlich  die  Con- 
sortien  des  Freiherrn  v.  Weidenheim  und 
des  Fürsten  Alfred  Windischgrätz. 
All  dies  wurde  jedoch  in  den  Hinter- 
grund   geschoben    durch    die  nun  aufge- 


Abb.  159.   Brücke  über  den  Skawafluss.  [Strecke  Sucha-Skawina  der 
Galizischen  Transversalbahn.] 


Ergänzungsnetzes  der  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft [siehe  Seite  6,und  Bd.1, 1  .Th., Seite 
407]  löste  sich  jedoch  das  Landescomite 
auf  und  die  Ausführung  aller  ausserhalb  der 
eben  erwähnten  Concessionirungen  verblie- 
benen Strecken  fiel  wieder  der  Ungewiss- 
heit  anheim.  Der  Präsident  der  Brünner 
Handelskammer,  Ernst  Johann  Her  ring, 
der  auch  das  erste  mährische  Consortium 
gebildet  hatte,  bewirkte  zwar  den  Zu- 
sammentritt eines  neuen  Consortiums  für 
die  Verbindung  Brünn-Trencsin,  das  am 
9.  December  1867  die  bezügliche  Con- 
cession  nachsuchte  ;  allein  die  Einsprache 
der  Nordbahn  und  die  in  massgebenden 
Kreisen  eingetretene  Aenderung  in  den 
Anschauungen  über  die  Nothwendigkeit 
jener  neuen  Verbindung,  führte  die  Ab- 
lehnung des  Gesuches  herbei  [a.  h.  Ent- 
schliessung  vom  22.  Juli   1868]. 

Unterdessen  hatte  Johann  Freiherr 
v.  Lieb  ig  in  Verbindung  mit  anderen 
Interessenten    der  Fortsetzung   der  baye- 


tauchten  Projecte  für  die  ganze  Querbahn, 
unter  denen  jenes  des  Bauunternehmers 
Karl  Schwarz  den  ersten  Platz  einnahm. 
Dasselbe  umfasste  ursprünglich  nur  die 
Linie  Sillein-Brünn-Iglau-Tabor-Klattau- 
Taus  oder  Fürth,  wurde  aber  mit  Rück- 
sicht auf  die  Concurrenz-Projecte  nach- 
träglich auch  auf  die  Strecken  Klattau- 
Deggendorf  und  Brünn-Vlarapass  ausge- 
dehnt. Das  ganze  Unternehmen  sollte 
den  Namen:  »B öhmis ch-M ähri s.che 
Ostbahn«  führen  und,  wiesein  Projectant 
beanspruchte,  die  Staatsgarantie  gemessen. 
Die  vollständigen  Pläne  gelangten  im 
Mai   1872  zur  Vorlage. 

Die  erheblichste  Concurrenz  bereiteten 
die  Projecte  Iglau-Budweis-Kuschwarda 
und  Brunn  -  Pilsen,  zumal  für  dieselben 
keinerlei  Staatshilfe  in  Anspruch  genom- 
men wurde.  Da  aber  Mähren  immer 
dringender  die  directe  Verbindung  mit 
den  ungarischen  Bahnen  am  Vlarapasse 
verlangte    und    auch    der    Landtag    sie 

22* 


340 


Ignaz  Konta. 


neuerdings  urgirte  [3.  December  1872], 
so  ordnete  das  Handelsministerium  die 
technisch  -  militärische  Revision  des 
Schwarz'schen  Projectes  an,  welche  am 
8.  Januar  1873  begonnen,  aber  keine  be- 
friedigenden Ergebnisse  geliefert  hat,  wes- 
halb die  k.  k.  General-Inspection  der 
österreichischen  Eisenbahnen  am  27.  April 
1874  mit  einer  Neuaufnahme  der  ganzen 
Linie  von  Fürth  über  Tabor,  Iglau  und 
Brunn  bis  zum  Vlarapasse  betraut  wurde. 
Auch  das  Jahr  1875  ging  nicht  zu  Ende, 
ohne  dass  der  mährische  Landtag  mah- 
nend und  drängend  für  die  Bahn  ein- 
getreten wäre. 

Im  Jahre  1874  bezeichnete  der  Ab- 
geordnete Steudl  anlässlich  der  De- 
batte über  Rakonitz-Protivin  [29.  April] 
die  Ausführung  der  genannten  Transversal- 
bahn als  eine  richtige  Hilfsaction,  weil  sie 
weitgestreckte,  unter  der  Krisis  leidende 
Bezirke  vom  Nothstande  befreien  würde. 
Ein  Jahr  darauf  brachte  der  Abgeord- 
nete Dr.  Sturm  im  Abgeordnetenhause 
einen  directen  Antrag  auf  den  Bau  dieser 
Bahn  ein,  erzielte  aber  damit  gleichfalls 
keine  Wirkung.  Im  selben  Jahre  Hessen 
fremde  Geldkräfte  die  Linien  Brunn - 
Iglau  und  Brünn-Hradisch  traciren  und 
machten  sich  anheischig,  dieselben  auch 
ohne  Staatsgarantie  zu  bauen,  falls  die 
Regierung  weitgehende  technische  Er- 
leichterungen bewillige  [Februar  1876], 
was  jedoch  abgelehnt  wurde.  Dasselbe 
widerfuhr  einem  Antrage  der  mit  ihren 
Fangarmen  überallhin  ausgreifenden 
Societö  beige,  die  gegen  volle  Staats- 
garantie oder  grosse  Betheiligung  des 
Staates  an  der  Geldbeschaffung,  den  Bau 
ausführen  wollte.  Dann  gerieth  die  An- 
gelegenheit völlig  ins  Stocken,  wiewohl 
unzählige  Petitionen  und  fortwährende 
Interpellationen  im  Reichsrathe  und  in 
den  Landtagen,  das  Verlangen  der  Be- 
völkerung nach  dieser  Bahn  immer  ver- 
nehmlicher zum  Ausdrucke  brachten. 

Erst  nachdem  der  Graf  Sigmund 
Berchtold  im  Jahre  1880  ein  Consortium 
für  die  »Mährische«  Transversalbahn 
gebildet,  und  dem  Zustandekommen  der- 
selben seinen  Einfluss  und  seine  eifrige 
Thätigkeit  zugewendet  hatte,  kam  die 
Frage  wieder  in  Fluss.  Allein  gleichwie 
die    im   Jahre   1877    zu    Tage    getretene 


Spaltung  unter  den  Interessenten  des 
böhmischen  Theiles  der  Bahn  [die  Einen 
hielten  an  der  alten  Trace  fest,  die  Anderen 
wollten  dieselbe  von  Iglau  über  Budweis 
und  Krumau  an  die  bayerische  Grenze 
geführt  sehen]  die  Nothwendigkeit  der 
grossen  Querlinie  in  Zweifel  setzten,  that 
jetzt  die  Beschränkung  der  Bestrebungen 
blos  auf  den  mährischen  Theil  der  Bahn 
ihrer  Einheitlichkeit  schweren  Abbruch, 
—  und  die  zugleich  beabsichtigte  Her- 
stellung der  einzelnen  Strecken  als 
Secundärbahnen  benahm  der  ganzen 
Linie  die  ihr  seit  jeher  und  auch  von 
fachlicher  Seite  beigemessene  Bedeutung 
für  den  grossen  Durchzugsverkehr.  *) 

Das  Consortium  wollte  die  Strecken 
Vlarapass— Ungarisch-Hradisch— Kfenowitz 
nebst  Abzweigung  Snowidek-Gaya,  und 
die  Strecke  Segen  Gottes-Startsch  nebst 
Abzweigung  Wladislau— Gross- Meseritsch 
j  als  Secundärbahnen  ausführen,  welche 
mit  den  dazwischenliegenden  Strecken 
Kfenowitz-Brünn  der  Mährisch-Schlesi- 
schen  Nordbahn  und  BrUnn-Segen  Gottes 
der  Rossitzer  Bahn  eine  von  der  ungari- 
schen Grenze  bis  an  die  Oesterreichische 
Nordwestbahn  reichende  Mährische  Traris- 
versalbahn  gebildet  haben  würden.  Für 
dieses  Unternehmen  wurden  vom  Staate 
eine  Zinsengarantie  von  175.000 fl.  [820  fl. 
pro  Kilometer],  vom  Lande  eine  Sub- 
vention von  jährlich  47.775  fl.,  von  den 
zehn  durch  die  Bahn  berührten  Strassen- 
bezirken  jährliche  Beiträge  von  1000  bis 
3000  fl.,  und  von  den  Anrainern  eine 
Betheiligung  an  der  Geldbeschaffung 
durch  Uebernahme  von  Prioritätsactien 
oder  Naturalleistungen  beansprucht.  Die 
Consorten  und  deren  Vertreter  gewannen 
vermöge  einer  in  Wort  und  Schrift**)  be- 
triebenen Propaganda  alsbald  viele  An- 
hänger —  aber  auch  Nachahmer. 

An  den  verschiedensten  Orten  bildeten 
sich  Comites,    deren  Pläne   jedoch    weit 


*)  Vgl.  B.  Wüllersdorff:  »Das  Eisen- 
bahnnetz im  westlichen  Theile  der  öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie«,  Wien,  1875. 

**) Eduard  Ritter  vonB'eldegg:  »Prüfung 
der  Rentabilität  projectirter  Bahnen,  mit  be- 
sonderer Anwendung  auf  die  Mährische 
Transversalbahn«  [Wien,  1880],  und  Dr.  M. 
Zach  und  Eduard  Ritter  von  Feld  egg: 
»Die  Mährische  Transversalbahn  und  ihre 
Interessenten«  [Brunn,  1881]. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


341 


auseinander  gingen.  Ein  einziges  hielt 
noch  an  dem  alten  Projecte  Sillein-Taus 
fest,  und  veröffentlichte  eine  Denkschrift 
über  die  längst  bekannte  Wichtigkeit 
dieser  Bahn.  Alle  übrigen  suchten  blos 
die  ihren  eigensten  Bedürfnissen  ent- 
sprechenden Linien  zustande  zu  bringen. 
Ein  Projectant,  Richard  Clemens  Heller 
in  Iglau,  wollte  überdies  ein  ganzes  Netz 
von  »Böhmisch  -  Mährischen  Secundär- 
bahnen«  schaffen,  welches  auch  Strecken 
der  Transversalbahn  umfassen  sollte.  In 
Böhmen  bemühte  sich  Graf  Ferdinand 
Chotek  um  die  altprojectirten  Strecken, 
wobei  er  die  Unterstützung  der  czechischen 
Abgeordneten  fand,  die  ihre  Zustimmung 


von  der  ungarischen  Grenze  über  Hradisch, 
Brunn,  Iglau  und  durch  Böhmen  bis  an 
die  bayerische  Grenze  führenden  Trans- 
versalbahn noch  im  Jahre  1881  im  Reichs- 
rathe  einzubringen.  Die  Besprechung  fand 
am  3.  April  188 1  statt,  förderte  jedoch 
wieder  nur  grosse  Meinungsverschieden- 
heiten zutage.  Die  czechischen  Abge- 
ordneten hielten  treu  an  dem  alten  ein- 
heitlichen Projecte  fest;  der  Abgeordnete 
Dr.  Herbst  hingegen  wollte  die  Bahn 
lediglich  als  ein  Netz  örtlicher  Verbin- 
dungen gelten  lassen,  sprach  sich  über- 
dies gegen  den  Anschluss  an  die  unga- 
rischen Bahnen  aus  und  befürwortete  blos 
die  Strecke  Iglau-Neuhaus-Wessely ;   die 


Abb.  160.     Bau  des  Viaductes  und  der  Brücke  über  den   Igelfluss  in  Iglau.     [Böhmisch- 
Mährische  Transversalbahn].    Nach  einer  Photographie  von  Johann  Haupt  in  Iglau. 


zum  Bau  der  Galizischen  Transversalbahn 
von  bindenden  Zusagen  für  die  Ausfüh- 
rung der  Böhmisch -Mährischen  Trans- 
versalbahn abhängig  machten  [siehe 
Seite  330]. 

Angesichts  der  grossen  Zerfahrenheit 
lud  der  Handelsminister  die  hervor- 
ragendsten Abgeordneten  von  Böhmen 
und  Mähren  zu  einer  Besprechung,  um 
die  Meinungen,  welche  sie  selbst  über 
die  ganze  Angelegenheit  hegten,  genau 
kennen  zu  lernen.  Es  war  dies  auch 
darum  dringend  geboten,  weil  der  Eisen- 
bahn-Ausschuss  aus  Anlass  der  Behand- 
lung der  zu  Häuf  vorgelegenen  ein- 
schlägigen Petitionen  eine  Resolution 
beantragt  hatte,  wonach  die  Regierung 
aufgefordert  werden  sollte,  eine  Gesetzes- 
vorlage   zur  Sicherstellung    der    ganzen, 


czechischen  Abgeordneten  erklärten  sich 
für  den  Staatsbau,  alle  anderen  zunächst 
für  die  Concessionirung. 

Das  Abgeordnetenhaus  nahm  die  vor- 
erwähnte Resolution  am  1.  Juni,  das 
Herrenhaus  eine  etwas  allgemeiner  ge- 
fasste  am  17.  December  1881  an.  Die 
Regierung  legte  nun  am  28.  März  1882 
einen  Gesetzentwurf  vor,  der  zwar  den 
verschiedenen  Wünschen  rücksichtlich  der 
einzelnen  Strecken  angepasst  war,  von 
der  Einheitlichkeit  der  Bahn  aber  Um- 
gang nahm,  daher  vorwiegend  nur  die 
zwischen  den  schon  bestehenden  Bahnen 
einzufügenden  Strecken  zum  Gegenstande, 
und  von  diesen  wieder  etliche,  darunter 
auch  die  östlichen  Endstrecken,  in  die 
zweite  Reihe  gestellt  hatte.  Dieselben 
sollten    als    Localbahnen    im  Wege    der 


342 


Ignaz  Konta. 


Concessionirung,  oder,  soweit  diese  nicht 
gelänge,  auf  Staatskosten  geschaffen 
werden,  wenn  die  Interessenten  und  die  bei- 
den Länder  entsprechende  Beiträge  leisten. 

Der  Eisenbahn-  Ausschuss  unterzog  die 
Vorlage  sofort  einer  Abänderung;  er  wollte 
der  Bahn  ihren  einheitlichen  Charakter 
noch  möglichst  wahren,  sie  ausdrücklich 
»  Böhmisch  -  Mährische  Transversalbahn  « 
benennen,  und  ihre  östlich  von  Brunn 
gelegene  Trace  genau  bestimmt  wissen. 
Der  neue  Entwurf  besagte  also,  dass  die 
zur  Eisenbahn- Verbindung  von  der  unga- 
rischen bis  zur  bayerischen  Grenze  noch  i 
fehlenden  Strecken  mit  dem  veranschlagten 
Kostenbetrage  von  43,198.000  fl.  aus 
Staatsmitteln  innerhalb  sechs  Jahren  her- 
zustellen seien,  wenn  Böhmen  2, 500.000 fl., 
Mähren  1,900.000  fl.  beisteuere,  und  auch 
die  Interessenten  sich  entsprechend  be- 
theiligen. Für  mehrere  Seitenlinien  waren 
allfällige  Staatsunterstützungen  in  Aus- 
sicht genommen.  Damit  der  Transversal- 
bahn, trotz  ihrer  stückweisen  Zusammen- 
fügung, die  Eigenschaft  einer  einheitlichen 
Verkehrslinie  gesichert  bleibe,  wurde  in 
den  Entwurf  überdies  eine  Bestimmung 
aufgenommen,  des  Inhalts,  dass  dem 
Staate  das  Recht  zustehen  solle,  die  Mit- 
benützung der  in  die  Gesammtrichtung 
der  neuen  Bahn  fallenden,  schon  be- 
stehenden Strecken  als  Servitut  im 
Enteignungswege  in  Anspruch 
zu  nehmen,  sofern  es  nicht  gelingen 
sollte,  mit  den  betheiligten  Bahnverwal- 
tungen ein  Uebereinkommen  zu  treffen, 
vermöge  dessen  dem  Staate  gegen  Ent- 
richtung einer  zu  ermittelnden  fixen 
Entschädigung  die  freie  Mitbenützung 
jener  Strecken  eingeräumt  würde. 

Diese   wichtige,    hier    zum    ersten  ' 
Male  erscheinende    gesetzliche    Anord-  | 
nung,    welche    in    der    ausländischen    — 
insbesondere  der  englischen,  preussischen 
und  französischen  —  Gesetzgebung  Vor- 
bilder hatte,*)  machte  viel  von  sich  reden.  , 
Die  aufgetauchten  Zweifel  über  die  Zu- 
lässigkeit    der    Anwendung    der    Expro- 
priation auf  die  Mitbenützung  von  Bahn- 
strecken, wurden  jedoch  bei  den  betreffen- 
den Debatten  im  Parlamente  von  den  Ver- 


*)  Vgl.  den  am  5.  März  1883  erstatteten 
Bericht  des  Eisenbahn-Ausschusses. 


tretern  der  Regierung,  als  welche  zwei 
der  ausgezeichnetsten  Juristen,  nämlich 
die  Ministerialräthe  Dr.  von  W  i  1 1  e  k  und 
Dr.  Steinbach  fungirten,  mit  dem  Hin- 
weise auf  das  allgemeine  bürgerliche 
Gesetzbuch  [§  365]  behoben,  da  auch 
das  auf  einem  Privilegium  beruhende 
ausschliessliche  Benützungsrecht,  kein 
Hindernis  für  die  aus  Rücksichten  des 
öffentlichen  Wohles,  gegen  Entschädigung, 
stattfindende  Beschränkung  des  Privilegial- 
rechtes  bilden  könne.  Gleichwohl  war 
diese  Frage  auch  im  Herrenhause  Gegen- 
stand eingehendster  Erörterung  und  die 
vom  Referenten  der  Eisenbahn-Commis- 
sion,  Dr.  Habietinek  [vormals  Justiz- 
minister], hierüber  erstattete  Aeusserung, 
sprach  der  Neuerung  keineswegs  das 
Wort,  sondern  wollte  sie  nur  darum 
gelten  lassen,  weil  die  Regierung  erklärt 
hatte,  unter  der  Mitbenützung  lediglich 
ein  Peage- Verhältnis  zu  verstehen. 

Da  der  Reichsrath  noch  vor  der  gänz- 
lichen Ausfertigung  jenes  neuen  Entwurfes 
vertagt  [26.  Mai  1882]  und  in  der  Zeit 
bis  zu  seinem  Wiederzusammentritte 
[5.  December]  das  Uebereinkommen  mit 
der  Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  vom 
12.  November  1882  abgeschlossen  wor- 
den war,  wonach  dieselbe  unter  Anderem 
die  Ausführung  der  Strecke  Segen  Gottes- 
Okf  iüsko  übernahm  und  sich  zur  Fortsetzung 
derselben  bis  an  den  Vlarapass  verpflichtet 
hatte  [siehe  Seite  296]  —  musste  die  Vor- 
lage nochmals  geändert  werden.  Der 
Eisenbahn-Ausschuss  übertrug  diese  Auf- 
gabe am  2.  Januar  1883  dem  Abgeord- 
neten Hladik,  der  bereits  am  1.  Februar 
den  neuen  Entwurf  vorlegte.  Dieser  be- 
traf blos  die  restlichen,  westwärts  von 
Iglau  gelegenen  fünf  Strecken :  Iglau-Ober- 
Cerekve-  Neuhaus  -  Wessely,  HoraScTovic- 
Schüttenhofen  -  Klattau,  Ober  -  Cerek  ve- 
Pilgram-Tabor,  Tabor-Mühlhausen-Pisek- 
Razice,  Janovic-Neugedein-Taus,  welche 
nach  und  nach  mit  einem  Aufwände  von 
höchstens  27,300.0001!.  auf  Staatskosten 
ausgeführt  werden  sollten,  wenn  nicht, 
wie  schon  die  Regierungsvorlage  besagte, 
die  Concessionirung  einer  oder  der  anderen 
Strecke  gelingen  sollte.  Der  Eisenbahn- 
Ausschuss  nahm  noch  die  Strecke  Budweis- 
Salnau  unter  die  Hauptbahnstrecken  auf 
und  kürzte  die  Baufrist  um  ein  Jahr. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


343 


Die  Berathungen  im  Abgeordneten- 
hause begannen  am  10.  April;  kein  ein- 
ziger von  den  vielen  Rednern  trat  gegen 
die  Bahn  auf;  Anfechtungen  erfuhr  nur 
die  vorerwähnte  Bestimmung  über  die 
allfällige  Erwirkung  der  Mitbenutzung 
im  Enteignungswege ;  sie  wurde  jedoch 
am  13.  April  wie  Tags  darauf  das  ganze 
Gesetz  mit  Mehrheit  angenommen.  Eben- 
so wickelten  sich  die  Debatten  im  Herren- 
hause ab  [16.  Mai].  Nachdem  alles  so- 
weit gediehen  war,  handelte  es  sich  noch 
um  die  Beitragsleistungen.  Die  Landtage 
hielten  sich  an  die  Beschlüsse  des  Reichs- 
rathes ;      der     böhmische      sicherte     am 

17.  Juli   1,250.000  fl.,  der  mährische  am 

18.  October  115.000  fl.  als  5 °/0 igen  Bei- 


trag zu  den  betreffenden  Kostensummen 
zu.  Die  Zeichnungen  der  Anrainer  wur- 
den im  October  von  einer  Regierungs-Com- 
mission  aufgenommen.  Sodann  erfolgte 
am  25.  November  1883  die  a.  h.  Sanc- 
tion  des  Gesetzes  und  drei  Monate  später, 
am  28.  Februar  1884,  die  a.  h.  Anordnung 
der  Inangriffnahme  des  Baues. 

Derselbe  umfasste  jedoch  [als  Staats- 
bau] nur  die  ursprünglich  vorgesehenen 
fünf  Linien,  da  jene  von  Budweis  nach 
Salnau  an  die  Oesterreichische  Local- 
Eisenbahn  -  Gesellschaft  concessionirt 
wurde  [30.  August  1884].  Die  Daten 
über  die  Vergebung,  den  Beginn  und 
die  Vollendung  der  Arbeiten  sind  aus 
der    nachstehenden    Tabelle    ersichtlich: 


Strecke 

Länge  in 
km 

Datum      der 

Bau-Unternehmer 

Vergebung 

Inangriffnahme 

Betriebs- 

des      Baues 

Eröffnung 

Iglau -Wessely 

Janovic-Taus  . 

HoraSd'ovic- 
Klattau.  .  .  . 

Ober-Cerekve- 
Tabor-Ra/.ice  . 

923 
317 

57-8 

68-8' 
617 

24./11.  1885 
23/8.  1886 

16./10.  1886 

I2./6.  1887 

I22./11.1887 
l  3/4-  1888 

15.,  bzw.  2I./I2.  1885 
20.  und  21./9.  1886 

10.,  bzw.  17./11.  1886 

13.,   bzw.  27-/6.  und 
8./7.  1887 

9./ 12.  1887 
Mold.-Viad.  18/4. 1888 

3-/H-  1887 
I./I0.  1888 

I./lO.  1888 

17./ 12.   1888 
I2I./II.1889 

|  Redlich  &  Berger 
l  Ciwotski  &  Comp. 
[  Hock  &  Epstein, 
{  resp.  Kiss  u.  Lob; 
(  J.  Krulis. 
(  Rabas,  Gall  und 
J  Rosenthal; 
'  E.  Chocholousek. 
|  Ronchetti  u.  Rent- 
(  meister;  G.Ceconi. 
f  Kiss  und  Lob; 
\  Redlich  &  Berger. 

Die  Verzögerung  bei  der  letztgenann- 
ten Strecke  ward  dadurch  verursacht, 
dass  die  Interessenten-Beiträge  lange  auf 
sich  warten  liessen.  Es  musste  denn 
auch  eine  Erstreckung  der,  laut  des  Ge- 
setzes vom  25.  November  1883,  mit 
1.  Januar  1889  endigenden  Baufrist  er- 
wirkt werden ;  das  geschah  mittels  des 
Gesetzes  vom  29.  Juni  1888,  welches 
den  Termin  bis  Ende  1889  hinausrückte. 

Da  zu  jener  Zeit  auch  die  von  der 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  erbauten 
Strecken  Segen  Gottes-Okfisko  undBrünn- 
[Schimitz]  Vlarapass  gleichfalls  schon  im 
Betriebe  standen,  so  hatten  nunmehr 
auch  Böhmen  und  Mähren  ihre,  wenn- 
gleich eigenartig  zusammengefügte  Quer- 


bahn. Die  Kosten  derselben  beliefen 
sich  im  Ganzen  auf  25,674.226  fl.  oder 
82.187  fl-  Pro  Kilometer.  Es  wurden 
also  1,625.770  fl.  erspart,  infolgedessen 
Mähren  nur  115.000  fl.  und  Böhmen 
nur  1,168.710  fl.  beizutragen  hatte. 
Die  Interessentenleistungen  waren  mit 
538.340  fl.  eingeschätzt. 

Die  Böhmisch-Mährische  Trans- 
versalbahn schliesst  inlglau  an  die  Oester- 
reichische Nordwestbahn  an.  Von  Iglau  bis 
Kardasch  Rede  liegt  die  Bahn  auf  dem 
Plateau  des  böhmisch-mährischen  Grenz- 
gebirges, vorerst  im  Thale  der  Igel  [Iglava], 
welche  hier  die  Grenze  zwischen  Böhmen 
und  Mähren  bildet.  Um  die  Verbindung  des 
neu  angelegten  Bahnhofes  der  k.  k.  Staats- 
bahnen [»Stadt  Iglau«]  mit  der  Nordwestbahn 
herzustellen,    musste    ausser    dem    Viaducte 


344 


Ignaz  Konta. 


beim      Nordwestbahnhofe      [vgl.       Bd.      II, 
Abb.    129],    das    Igelthal  üoerbrückt   werden 
[Abb.  160].    Vom    Bahnhofe  der  k.  k.  Staats- 
bahnen zieht  dann  die  Trace  in  grossem  Bogen 
durch  die  sogenannte  Zigeunerleiten,  wo  die 
im  tief  eingeschnittenen  Thale  fliessende  Igel 
nahe    an    den  Bahnkörper  herankommt.     Im 
Igelthale   hat   die  Bahn  den  Fluss  häufig  zu 
überbrücken    und    befindet    sich    daher    ab- 
wechselnd   bald    auf    mährischem,    bald   auf 
böhmischem  Gebiete.  Nachdem  die  Trace  die 
stellenweise    schroff   abfallenden  Lehnen  bei 
Fussdorf    verlassen    hat,     tritt    sie  auf    die 
linke  Seite  des  Flusses,  wo  sie  bis  Wolframs- 
Cejl    bleibt.     Von    hier    bis    zur    Haltestelle 
Unter-Cerekwe  wird  der  Fluss  dreimal  über- 
brückt   und    die    vorspringende    Lehne    des 
Spielberges  durchschnitten.     Am  linken  Igel- 
flussufer,  der   an    den  Thalabhängen    dahin- 
ziehenden Strasse  folgend,  gelangt  die  Bahn 
bis    Battelau,    wo    dieselbe     aus     der  bisher 
eingehaltenen  südwestlichen  Richtung  in  die 
westliche  übergeht.    Bis  Ober-Cerekve    wird 
diese    Richtung     beibehalten,     von    dort    ab 
aber,    nachdem    der    Schlossteich    übersetzt   1 
wurde,  die  südliche  Richtung  eingeschlagen.   1 
Bei  Ober-Cerekve     zweigt   der  Flügel  gegen   I 
Tabor  ab.  Durch  das  von  kleinen  Hügelzügen   : 
begrenzte  Igelthal  ansteigend,  gelangt  der  nach   I 
Wessel  v  führende  Flügel  über  Oberndorf  an  | 
der  rechten  Lehne  zur  Wasserscheide  zwischen 
der  Donau    und  Moldau,    wo  Ihlavka-Katha- 
rinenbad    in    einer    Seehöhe    von  658  in    als 
die  höchstgelegene  Station  der  ganzen  Strecke   i 
in  baumloser    Gegend    liegt.    In  Schlangen- 
windungen,    an     den     bewaldeten     Hügeln 
eingeschnitten,  fällt  die  Trace  über  Wilimetsch   ■ 
zur    Station     Poeatek-Serowitz     und    weiter  ! 
durch     zahlreiche     lange     Einschnitte     über  | 
Popelin     nach     Gross  -  Bernharz,     von     wo  j 
sie  im  weiten  Bogen    zur  Station  Jareschau,   i 
sodann    die    Lehne    des    Pihalberges    durch- 
schneidend,  in  das  Thal  des   Nezärkabaches 
bis  Neuhaus  gelangt.  Ausserhalb  Neuhaus  den 
Bach     übersetzend,     führt     die    Trace     das 
Thal    verlassend,     längs    der   Strasse    nach 
Diebling    und     dann    im    coupirten    Terrain 
durch  den   St.   Barbarawald  nach  Kardasch- 
Reeic.    Von   hier  bis  Wessel}"  durchfährt  die 
Bahn     die    Fläche     eines    in    vorhistorischer 
Zeit    eingetrockneten   Sees,    an    zahlreichen 
Teichen   vorüber,    einzelne    derselben    sowie 
mehrere    Bäche    der    wasserreichen   Gegend 
übersetzend   Zwischen  dunklen  Wäldern  ge- 
langt   die  Bahn    über  Donow    bis  Wessely- 
Mezimosti,  dem  Knotenpunkte,  wo  die  Trace 
Anschluss  an  die  Linien  nach  Wien,  Budweis 
und  Prag  findet. 

Die  Strecke  Ober-Cerekve-Tabor- 
Pisek-Razice  zweigt  ausserhalb  der  Station 
Ober-Cerekve  im  scharfen  Bogen  nach  Norden 
ab  und  hält  bis  Pilgram  eine  wesentlich  nord- 
östliche Richtung  ein.  Durch  Hügellandschaft 
zieht  die  Trace  vorerst  bis  Dobrawoda  und  von 
dort  gemeinschaftlich  mit  der  Bezirksstrasse 
durch  ein  hübsches,  schluchtenartiges  Thal  zur 
Haltestelle  Rinarec,  von  wo  aus  im  reizenden 


Thale  des  Bielabaches,  nachdem  derselbe 
überbrückt  worden,  parallel  mit  der  Strasse 
Pilgram  erreicht  wird.  Auf  hohem,  anstei- 
gendem und  in  scharfen  Curven  geführtem 
Damme  verlässt  die  Bahn  Pilgram  und,  die 
westliche  Richtung  einschlagend,  gelangt  sie 
zur  Haltestelle  Wlasenitz.  nächst  welcher  das 
Thal  des  Hejlovbaches  überbrückt  wird,  so- 
dann durch  kleine  Nadelwälder  ansteigend, 
zur  Station  Neu-Cerekve,  nachdem  auch  der 
gleichnamige  Bach  übersetzt  wurde.  An  der 
mächtig  aufragenden  Ruine  Kamen  vorüber, 
zur  Haltestelle  Leskowitz  ansteigend,  durch 
grosse  Einschnitte  und  verhältnismässig  hohe 
Viaducte,  welche  die  Querthäler  des  Trnawa- 
und  Neuhoferbaches  überbrücken,  gelangt 
die  Bahn  nach  Patzau,  wo  sie  längs  der 
Trnawa  aus  der  nordwestlichen  in  die 
südwestliche  Richtung  übergeht.  Das  an- 
muthige  Trnawathal  verlassend,  dann  am 
Patzauerwald  vorüber,  gelangt  die  Bahn  bis 
Wobratain-Cernowitz  und  durch  den  langen 
Obeina-Einschnitt  und  nach  Uebersetzung  des 
Leickowbaches  nach  Kladrub  -  Porin.  Auf 
grossem  Viaducte  das  Thal  des  Chociner- 
baches  übersetzend,  geht  die  Trace  bis 
Chejnow.  Ausserhalb  dieser  Station  wird  aber- 
mals auf  mächtigem  Viaducte  der  Chejnow- 
bach  überbrückt  und  durch  Nadelwälder  führt 
die  Bahn  thalabwärts  bis  Dobronitz.  Auf 
grosser,  eiserner  Brücke  das  Thal  des 
Chotovinskvbaches  übersetzend,  gelangt  die 
Bahn  durch  den  Hüttenwald  nach  Tabor, 
wo  sie  in  den  Bahnhof  der  ehemaligen  Kaiser 
Franz    Josef-Bahn     einmündet. 

Vom  Bahnkörper  der  Hauptstrecke 
am  Ende  des  tief  unter  dem  Bahnniveau 
gelegenen  Jordanteiches  abzweigend,  geht 
die  Trace  gegen  Drazice-Wejrec  und  durch 
viele  Einschnitte  und  über  Viaducte  nach 
Jistebnic-Bazejovic  und  Sepekau,  wo  der 
Smutnabach  [Abb.  161]  übersetzt  wird, 
und  weiter  über  einen  mächtigen  steiner- 
nen Viaduct,  der  das  Thal  des  Mühl- 
hausenerbaches  überbrückt,  nach  Mühlhausen. 
Hier  wendet  die  Bahn  sich  gegen  Südwesten 
und  gelangt  über  Weselicko-Branic  durch 
ausgedehnte  Waldungen  nach  JetStitz,  hinter 
welcher  Ortschaft  sie  eine  streng  südliche 
Richtung  nimmt,  um  dann  in  scharfer  Curve  in 
der  Nähe  des  Moldautbales  nach  Norden 
einzubiegen.  Durch  Einschnitte  und  Wald  führt 
die  Bahn  in  sanftem  Bogen  über  den  berühmten 
Cervena -Viaduct  [67-4  m  hoch],  die  zweit- 
höchste Brücke  Oesterreichs,  deren  Montirung 
unter  der  Leitung  Ludwig  Huss'  zum  ersten 
Male  in  Oesterreich  ohne  Anwendung  von 
Gerüsten  in  geradezu  genialer  Weise  durch 
die  Erste  Böhmisch  -  Alährische  Maschinen- 
fabrik in  Prag  durchgeführt  wurde.  [Abb.  162]*) 
Zwei  Gedenktafeln  an  den  Pfeilern  dieses 
Bauwerkes  künden  in  gutgemeinten  Reimen 
von    den   Mühen  seiner  Herstellung: 


*)  Vgl.  auch  Bd.  II,  J.  Zuffer:  Brücken- 
bau, S.  296  und  Abb.  159  a  und  159  b. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


345 


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Abb.  161. 


Smutnabach-Viaduct  [im  Baul.    [Böhmisch-Mährische  Transversalbahn, 
Strecke  Tabor-Pisek.] 


»Vieles  Mannes  Wissen, 
Vieles  Mannes  Fleiss, 
Vieles  Mannes  Mühe, 
Vieles  Mannes  Schweiss 
Schuf  dieses  Bauwerk 
Hoch  und  hehr 
Zu  unser  aller  Ehr.« 

»Fest  auf  Fels  das  Fundament, 
Starker  Stein  und  gut  Cement, 
Eisen  zäh,  Nietung  dicht, 
Trau  auf  Gott  und  schwanke  nicht.« 

Ueber  Wlastetz  durch  ziemlich  bedeu- 
tende Einschnitte  geht  es  nach  Zahofic  und 
in  weitem  Bogen  nähert  sich  die  Trace  dem 
Wottawaflusse,  biegt  aber  in  scharfer  Curve 
wieder  nach  Südwest,  fällt  abermals  in 
scharfer  Biegung  nach  Süden  ab,  um  in 
einer  grossen  Doppelcurve  nach  Pisek  zu 
gelangen.  Von  Pisek  geht  es  in  südlicher 
Richtung  nach  Putim,  hinter  welcher  Station 
vor  der  Uebersetzung  des  Planitzflusses  die 
Bahn  nach  Protivin  abzweigt,  während  die 
Transversalbahn  bis  Ra/.ice  fortführt,  um  von 
hier  aus  den  Anschluss  über  Strakonitz 
nach  Pilsen  herzustellen. 

Die  Theilstrecke  H  o  r  a  i  So  w  i  c-K  1  a  1 1  a  u 
zweigt  von  der  Hauptstrecke  Budweis-Pilsen 
bei  der  Station  Horazdbvic-Babin  ab.  In  west- 
licher Richtung  gelangt  die  Trace  nach  Horaz- 
d'ovic  Stadt  und  an  der  Wottawa  aufwärts 
zur  Station  Hicic,  durch  das  Wottawathal 
nach  Zichowic  -  Räby.  [Abb.  163.]  Am  rechten 
Wottawaufer  tritt  die  Bahn  mehr  in  das 
coupirte  hügelige  Terrain  und  unmittelbar 
vor  der  Station  die  Wottawa  überbrückend, 
gelangt  sie  nach  Schüttenhofen.  In  ziemlich 
günstigem  Gelände  führt  die  Bahn  über  Hradek, 
Mokrosuk,  Kolinec,  Malonitz,  Nemilkau  [Abb. 
164]  in  westlicher,  dann  in  nordwestlicher  und 


endlich  in  nördlicher  Richtung  über  Beschin, 
Nesnaschau  und  Teinitzl  nach  Klattau. 

Die  Theilstrecke  Janowi  c-Taus  zweigt 
bei  Janowic  aus  der  Linie  Pilsen-Eisenstein 
ab  und  zieht  längs  des  linken  Ufers  des 
Choden-Angelbaches  im  breiten  Thale,  hart 
am  Bache  aufwärts.  Bald  nach  Passirung  der 
Haltestelle  Auborsko  wendet  sie  sich  nach 
Westen,  verlässt  das  Thal  und  zieht  nach 
Norden  in  ein  von  Nordwest  nach  Südost 
verlaufendes  Seitenthal  zur  Station  Putzeried. 
Die  Bahn  hält  sich  am  östlichen  Rande  des 
Thaies  und  gelangt  nach  Lautschim.  Ein 
kurzes  Stück  nach  Westen  ziehend,  übersetzt 
die  Bahn  die  Strasse  und  beschreibt  einen 
scharfen  Bogen,  um  am  westlichen  Thalrande 
zur  Station  Neugedein  zu  gelangen.  In  mehr- 
fachen Curven  zieht  sie  dann  über  Kauth 
nach  Taus,  wo  der  Anschluss  an  die  Böh- 
mische Westbahn  hergestellt  ist. 

Herpelje-Triest.  Bei  den  par- 
lamentarischen Verhandlungen  über  die 
Arlbergbahn  und  die  Transversalbahnen 
hatten  die  Vertreter  Triests  ihre 
Wünsche,  hinsichtlich  der  Abkürzung  des 
Weges  aus  dem  Innern  der  Monarchie 
nach  Triest  und  seiner  Befreiung  von 
dem  ausschliesslichen  Einflüsse  der  Süd- 
bahn, dem  Reichsrathe  oftmals  nahe 
gelegt.  Sie  verlangten  die  Verbindung 
des  Emporiums  mit  der  Kronprinz  Rudolf- 
Bahn.  Die  Regierung  suchte  auch  diesen 
Wünschen  nach  Möglichkeit  gerecht  zu 
werden.  Durch  die  Lage  der  Staats- 
finanzen gezwungen,  sich  grosse  Zurück- 
haltung aufzuerlegen,  wollte  nun  die  Re- 


346 


Ignaz  Konta. 


gierung  zunächst  die  Strecke  Herpelje- 
Triest,  durch  welche  der  zu  Ungunsten 
Triests  bislang  vorhandene  Längen- 
unterschied gegenüber  der  Route  St.  Peter- 
Fiume  behohen  wurde,  sogleich  auf 
Staatskosten  sicherstellen,  für  die  Ver- 
bindung mit  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
aber  die  Vorarbeiten  bewerkstelligen, 
wenn  und  in  dem  Masse  als  ihr  die 
vorläufig  in  der  Höhe  von  40.000  fl. 
angeforderten  Mittel  hiezu  zu  Gebote 
stünden. 

Dahin  lautete  denn  auch  der  Gesetz- 
entwurf, den  die  Regierung  am  27.  März 
1882  dem  Reichsrathe  vorlegte,  doch  war  in 
dem  Motivenberichte  die  Linie  Di  vaca-Laak 
als  die  Verbindung  mit  der  Kronprinz  Ru- 
dolf-Bahn schon  bestimmt  angegeben.  Dies 
missfiel  aber  dem  Eisenbahn-Ausschusse 
des  Abgeordnetenhauses,  wahrscheinlich 
weil  er  gewillt  war,  die  Entscheidung 
über  die  Richtung,  welche  der  gedachten 
Verbindung  gegeben  werden  solle,  noch 
vollständig  offen  zu  lassen.  Er  hielt  es 
für  zweckdienlicher,  Herpelje-Triest  als 
eine  Zweiglinie  der  Istrianer  Bahn,  be- 
ziehungsweise als  ein  von  der  späteren, 
etwaigen  völlig  selbständigen  Verbindung 
der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  mit  Triest 
unabhängiges  Bauobject  zu  behandeln. 

Um  aber  doch  einen,  wenngleich  blos 
unselbständigen  Zusammenhang  zwischen 
der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  und  der 
neuen  Istrianer  Zweiglinie  und  durch 
diese  mit  Triest  selbst  herzustellen,  griff 
der  Ausschuss  zu  dem  Auskunftsmittel, 
welches  diesfalls  bei  der  Böhmisch- 
Mährischen  Transversalbahn  zum  ersten 
Male  Anwendung  gefunden,  d.  h.  zu 
einer  Einschaltung  in  das  Gesetz,  wo- 
nach der  Regierung  das  Recht  eingeräumt 
wurde,  die  freie  Mitbenützung  der  Süd- 
bahnstrecke Laibach  -Di  vaöa  im  Ent- 
eignungswege zu  erwirken,  wenn  es 
nicht  gelingen  sollte,  dieserwegen  bis 
zum  Ablaufe  des  Jahres  1884  ein  Ueber- 
einkommen  mit  der  Südbahn  abzu- 
schliessen.  Doch  wurden  hiebei  jene  An- 
schauungen berücksichtigt,  welche  sich 
bei  der  Behandlung  des  Gesetzes  über 
die  Böhmisch-Mährische  Transversalbahn 
im  Herrenhause  geltend  gemacht  hatten ; 
die  enteigenbare  Mitbenutzung  durfte 
nur      hinsichtlich     des      Durchgangsver- 


kehrs platzgreifen.  Auch  die  beson- 
dere Beitragsleistung  der  Interessenten, 
als  welche  hier  die  Stadt  Triest  fungirte, 
wurden  aus  jenem  Gesetze  herüber- 
genommen. 

Für  die  selbständige  Verbindung 
Triests  mit  der  Kronprinz  Rudolf-Bahn 
glaubte  der  Ausschuss  genug  gethan  zu 
haben,  wenn  er  eine  Resolution  bean- 
tragte, welche  die  Regierung  zur  unge- 
säumten Vornahme  der  hiefür  etwa  noch 
erforderlichen  Studien  und  sodann  thun- 
lichst  baldiger  Einbringung  entsprechen- 
der Gesetzes  vorlagen  aufforderte.  In 
dieser  Anordnung  und  Geleitung  kam  der 
Entwurf  nach  Jahr  und  Tag  —  am  5.  Mai 
1883  —  wieder  vor  das  Abgeordneten- 
haus und  daselbst  am  7.  Mai,  im  Herren- 
hause am  18.  Mai  zur  Annahme.  Die 
a.  h.  Sanction  wurde  ihm  am  I.  Juni 
1883   zutheil. 

Die  mit  drei  Jahren  bemessene  Baufrist 
konnte  nicht  eingehalten  werden,  weil 
Triest  die  Leistungsfähigkeit  der  blos 
als  Secundärbahn  projectirten  Linie  er- 
höht wissen  wollte,  was  sowohl  an  und 
für  sich  als  auch  mit  Rücksicht  auf 
die  gesetzlich  festgestellte  Bausumme 
[3,340.000  fl.]  immer  neue  Studien  noth- 
wendig  machte  und  die  Vergebung  der 
Arbeiten  bis  zum  18.  September  1885 
verzögerte.  Ersteher  derselben  blieb 
von  neun  Offerenten  die  Unternehmung 
A.  Bianchi  &  Comp.,  welche  den  Bau 
am  26.  October  1885  begann,  jedoch  die 
versäumte  Zeit  unmöglich  einzubringen 
vermochte.  Die  Regierung  Hess  sich 
daher  den  Vollendungstermin  um  ein 
Jahr  erstrecken  [Gesetz  vom  7.  Juli  1886]; 
allein  auch  dies  reichte  noch  nicht 
vollends  aus,  weil  infolge  der  Cholera  die 
Arbeiten  vom  8.  August  bis  16.  Septem- 
ber 1886  eingestellt  bleiben  mussten. 
Die  ganze  Linie,  einschliesslich  der  erst 
zu  Beginn  des  Jahres  1887  in  Angriff 
genommenen,  2 '8  km  langen  Rivabahn 
von  St.  Andrea  bis  zu  den  Triester  Hafen- 
geleisen, wurde  am  5.  Juli  1887,  unter 
Betheiligung  des  Handelsministers  Frei- 
herrn v.  Pino  und  zahlreicher  Festgäste 
feierlich  eröffnet  und  unmittelbar  danach 
dem  allgemeinen  Verkehre  übergeben. 

Einen  Monat  früher,  am  7.  Juni  1887, 
kam    nach  langen  und  schwierigen  Ver- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


347 


handlungen  der  P6age-Vertrag  über  die 
Mitbenützung  der  Südbahnstrecke  Laibach- 
Divaca  zum  Abschlüsse,  der  in  manchen 
Stücken  von  jenem  bezüglich  der  Strecke 
Wörgl-Innsbruck  [siehe  Seite  304]  ab- 
weicht, z.  B.  darin,  dass  der  Personen- 
verkehr vorläufig  ganz  der  Südbahn  über- 
lassen, ferner  die  Peagirung  des  Güter- 
verkehres   ohne   Doppeldienst,    d.  h.  nur 


Im  ersten  Halbjahre  1889  wurde  auf 
Rechnung  der  k.  k.  Seebehörde  die  4/3  km 
lange  Schleppbahn  von  Triest  [St.  Andrea] 
zum  Petroleumhafen  [in  St.  Sabba]  her- 
gestellt; ihre  Eröffnung  fand  am  23.  Juli 
1889  statt.  Die  gesammte  Linie  Herpelje- 
Triest  ist  dem  Bahngebiete  der  Istrianer 
Bahn  [siehe  Seite  174]  zugezählt,  deren 
Betrieb    schon    vom    1.  Januar    1883    an 


Abb.  162.    Montirung  des  Moldau-Viaductes  bei   Öervena.     [Böhmisch-Mährische  Transversalbahn, 

Strecke  Tabor-Pisek.] 


durch  die  Zugskraft  und  das  Personale 
der  Südbahn  zu  bewerkstelligen  blieb, 
hingegen  die  Verzinsung  und  Tilgung 
des  in  der  Peage  -  Strecke  investirten 
Capitals  [20,457.300  fl.]  nur  mit  5Vi6°/o 
bemessen  ward,  u.  s.  w.  Allein  er  machte 
die  Anwendung  des  Enteignungsverfahrens 
überflüssig  und  ermöglichte  auch  ohne 
dasselbe  eine  mittelbare  Verbindung 
der  Kronprinz  Rudolf-Bahn  mit  Triest, 
welche  nunmehr  eine  zweite  von  Triest 
in  das  Innere  des  Reiches  führende 
Schienenstrasse  bildet. 


vom  Staate  selbst  übernommen  wurde. 
Die  Baukosten  der  Linie  Herpelje- 
Triest  haben  insgesammt  3,336.584  fl. 
oder  155.233  fl.  pro  Kilometer  betragen, 
jene  der  letzterwähnten  Schleppbahn  be- 
liefen sich  auf  220.000  fl. 

Herne  lje-Tri  est.  Die  Bahn  hat  in  der 
Station  Herpelje-Kozina  [49071  m  Seehöhe] 
ihren  Ausgangspunkt,  wo  sie  sofort  in  das 
fast  continuirhch  bis  Triest  beibehaltene  Maxi- 
malgefälle von  3O°/o0  übergeht  und  in  einer 
scharfen,  gegen  Westen  ausholenden  Curve 
das  Karstplateau  überquerend,  sich  der  steilen 
Felslehne  des  Bottacbaches  zuwendet.    Halb 


348 


Ignaz  Konta. 


in  Felsen  gehauen,  halb  auf  der  Anschüttung 
geführt,  folgt  sie,  nachdem  sie  nun  die  Haupt- 
richtung nach  Westen  angenommen,  der  Con- 
figuration  der  Lehne,  übersetzt  auf  einem 
20  m  hohen  gewölbten  Viaduct  den  Nasirski- 
Potok,  welcher  gleichzeitig  die  Formations- 
grenze zwischen  dem  Karstkalk  und  dem 
thonschieterartigen  oberen  Eocän  bildet.  In 
ihrem  weiteren  Verlaufe  übersetzt  die 
Trace  zwei  grössere  Schluchten  mit  vollen 
Dämmen,  durchbricht  mit  einem  16  tu  tiefen 
Einschnitt  den  scharf  vorgeschobenen  Ge- 
birgsrücken, übersetzt  den  Krvavi  -  Potok 
und  erreicht  Draga,  übersetzt  sodann  den 
Skrokelca -Potok  auf  einem  16  m  hohen 
gewölbten  Viaduct,  geht  von  da  wieder  in 
die  Karstformation  über,  greift  in  einer 
scharfen  Wendecurve  nach  Osten  aus  und 
durchzieht  die  flache,  mit  reichem  Cultur- 
boden  bedeckte  Seitenthalmulde  bei  Draga, 
um  an  dieser  Ortschaft  und  —  nach  einer 
abermaligen,  der  früheren  entgegengesetzten 
Wendung  —  auch  an  der  Ruine  Tabor  vor- 
über —  wieder  das  hier  einen  schluchtartigen 
Charakter  annehmende  Bottacbach-Thal  zu 
gewinnen.  In  diesem  Zuge  hat  die  Trace  alle 
Merkmale  einer  Gebirgsbahn  angenommen. 
Sie  führt  hoch  über  der  Thalsohle,  in  den 
Felswänden  eingeschnitten  [Abb.  165],  an 
dem  Weiler  Bottac  vorbei,  durchbricht  in  vier 
Tunnels  von  22  3, 47, 822  und  97'5  m  Länge  die 
vorspringenden  Felsköpfe,  übersetzt  tiefe,  mit 
Gebirgsschutt  ausgefüllte  Felsrisse  und  ge- 
langt wieder  in  die  Thonschieferformation, 
welche  nun  nicht  mehr  verlassen  wird.  Auf 
ihrem  weiteren  Zuge  führt  die  Bahn  durch 
einen  tiefen  Einschnitt  unter  den  Häusern 
von  Horvati  vorbei  und  erreicht  die  Station 
Borat  [21829  Seehöhe].  Die  Bahn  überschreitet 
auf  einem  21  m  hohen,  gewölbten  Viaduct 
den  Potok  Zesti,  sowie  zugleich  die  Landes- 
grenze zwischen  der  Markgrafschaft  Istrien 
und  dem  Gebiete  der  Stadt  Triest,  durchbricht 
mittels  eines  224  m  langen  Tunnels  den  Berg- 
rücken, übersetzt  dann  die  tief  eingerissene 
Schlucht  des  Corrente  Longera  auf  einem  32  in 
hohen  und  1337  m  langen,  gemauerten  Viaducte 
von  neun  Öeffnungen  [6  ä  10,  3  ä  12  m] 
[Abb.  166]  sowie  die  Schlucht  bei  Cattmära 
auf  einem  12  in  hohen,  gewölbten  Viaduct  von 
sechs  Öeffnungen  ä  10  in  Spannweite  und  tritt 
hier  in  das  Freihafengebiet  von  Triest  ein. 

Sich  fortwährend  dem  coupirten  Terrain 
anpassend,  übersetzt  die  Bahn  unterhalb  von 
Rosminovic  den  Posar-Potok  auf  einem  28  m 
hohen,  gemauerten  Viaducte  und  vor  dem 
Weiler  Lorencich  mittels  eines  1333  in  langen 
und  195  m  hohen  Viaductes  den  Srane- 
Potok,  durchfährt  dann  in  einem  tiefen,  beider- 
seits mit  Futtermauern  versehenen  Einschnitte 
den  vorgenannten  Weiler  und  erreicht  als- 
bald die  in  der  Nähe  der  Friedhöfe  gelegene 
Haltestelle  St.  Anna  [819  in  Seehöhe]  und 
hernach  die  reichcultivirte  Umgebung  der 
Stadt  Triest,  überbrückt  die  Reichsstrasse 
nach  Istrien.  durchschneidet  —  nachdem  vor- 
her noch  ein  tiefer  Einschnitt  und  ein  lang- 


festreckter  hoher  Damm  passirt  wurde  — 
ie  südliche  Spitze  des  Stadtviertels  von  St. 
Giacomo,  in  rascher  Aufeinanderfolge  drei 
Strassen  auf  Eisenconstructionen  übersetzend, 
nähert  sich  nun  rasch  dem  Lloyd-Arsenale 
und  läuft  parallel  zur  Strasse  von  Servola 
in  einem  über  300  m  langen  tieferen  Ein- 
schnitt hin,  unterfährt  in  einem  4b  in  langen 
überwölbten  Einschnitte  diese  Strasse  und  er- 
reicht unmittelbar  ausser  derselben  das  25  m 
über  dem  Meeresspiegel  gelegene  Stations- 
plateau von  Triest-St.  Andrea,  welches  zum 
grössten  Theile  erst  dem  Meere  abgerungen 
werden    musste. 

Die  am  westlichen  Ende  dieser  Station 
beginnende  Rivabahn  umfährt  in  scharfen 
Curven  längs  der  von  früher  vorhan- 
denen Quaimauern  die  Spitze  von  St.  An- 
drea, tangirt  das  k.  k.  Artillerie-Arsenal, 
durchschneidet  die  nunmehr  zwischen  Bahn 
und  Strasse  angeschüttete  Sacchetta  della 
rada  und  folgt,  von  da  an  ins  Strassenniveau 
gelegt,  dem  Zuge  der  langgedehnten  Riva, 
übersetzt  auf  einer  mit  Rücksicht  auf  den 
Eisenbahn-Verkehr  umgestalteten  und  be- 
deutend verstärkten  eisernen  Drehbrücke  den 
Canal  grande  und  verbindet  sich  endlich  mit 
den  Geleisen  der  neuen  Hafenanlage  am 
Südbahnhofe  Triest. 

Siverie  -  Knin.  [Fortsetzung  der 
Dalmatiner  Bahn.]  Zehn  Jahre  nach  der 
Eröffnung  der  Dalmatiner  Bahn  [siehe 
|  Seite  198  f.]  erhielt  die  letztere  ihre  Fort- 
!  Setzung  von  Siverie  nach  Knin,  es  ge- 
schah dies  nicht  urplötzlich,  sondern  nach 
vielem  Drängen  seitens  der  Bevölkerung 
und,  zum  nicht  geringen  Theile  auch 
in  der  Absicht  und  Hoffnung,  den  frag- 
würdigen Ertragsverhältnissen  der  alten 
Strecken  einigermassen  aufzuhelfen. 

Einen  neuen  Bittgang  um  diesen  Fort- 
setzungsbau eröffnete  der  Abgeordnete 
Dr.  Monti  mit  seinem  am  14.  November 
1 879  diesfalls  im  Reichsrathe  eingebrachten 
Antrage,  der  jedoch  schon  im  Eisenbahn- 
Ausschusse  zur  Ruhe  gebettet  wurde. 
Der  Bericht  vom  19.  December  1879 
sagte  hierüber :  Der  Zeitpunkt  für  den  Bau 
sei  noch  nicht  gekommen,  zuerst  seien 
gute  Strassen  nothwendig,  damit  die  Bahn 
alimentirt  werde.  Das  stand  nun  aber 
gar  nicht  im  Einklänge  mit  der  anderer- 
seits vorgebrachten  Klage,  dass  die  [alte] 
Bahn  unter  der  Concurrenz  des  Achs- 
fuhrwerkes und  der  Tragthiere  so  sehr 
zu  leiden  habe.  Des  Weiteren  wollte 
man  jetzt,  infolge  der  Occupation  Bosniens, 
den  Anschluss  nicht  mehr  in  Ogulin 
sondern     nach     Novi      oder      Banjaluka 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


349 


anstreben,  was  jedoch  gleichfalls  nicht 
einspruchslos  bleiben  konnte,  weil  der 
Weg  zu  jedem  dieser  Anschlüsse  richtiger 
Weise  über  Knin  führen  musste  und  es 
daher  geboten  war,  vorläufig  bis  zu 
diesem  Knotenpunkte  fünf  wichtiger 
Strassenzüge,  der  zugleich  Einbruchstation 
des  bosnischen  Verkehres  mit  dem  Meere 
ist,  zu  gelangen.  Die  Sache  wurde  ver- 
tagt. 

Nun  versuchte  der  Abgeordnete  Dr. 
Klaic  sozusagen  den  Ausschuss  beim 
Worte  zu  nehmen  und  stellte  zu  Beginn 
des  Jahres  1881 
den  Antrag  auf 
Verbindung  der 

Dalmatiner 
Bahn  mit  dem 
österreichisch- 
ungarischen 
Bahnnetze  bei 
Novi  »durch  das 
Unnathal  über 
Knin«  etc.  Al- 
lein auch  dies 
hatte  nur  die 
sehr  allgemein 
gehaltene  Reso- 
lution zur  Folge: 
die  Regierung 
möge  die  nöthi- 
gen  Erhebun- 
gen und  Verhandlungen  pflegen,  wie 
die  gedachte  Verbindung  hergestellt 
werden  könnte  und  »in  dem  Falle,  dass 
mit  der  ungarischen,  beziehungsweise 
bosnischen  Regierung  ein  Einverständnis 
erzielt  wird«,  entsprechende  Anträge  zu 
stellen.  Zugleich  wurde  auch  der  alte 
Monti'sche  Antrag  formgerecht  abgelehnt 
[I.Juni   1881]. 

Die  Dalmatiner  fanden  hierin  natür- 
lich nichts  weniger  denn  Beruhigung. 
Dr.  Monti  befragte  darum  im  März  1882 
neuerdings  den  Handelsminister  über  den 
Stand  der  Angelegenheit  und,  als  der 
letztere  im  Herbste  desselben  Jahres 
Dalmatien  bereiste,  konnte  er  im  Lande 
selbst  die  dringenden  Bitten  der  Be- 
völkerung vernehmen,  ebenso  aber  auch 
von  den  kläglichen  Verhältnissen  des  dort 
vorhandenen  Bahnrumpfes  sich  über- 
zeugen. 

Das    verfehlte  seine   Wirkung:    nicht. 


Abb.  163.    Aufnahmsgebäude  der  Böhmisch-Mährischen  Trans 
versalbahn  in  Zichowic-Räbi. 


Kaum  heimgekehrt,  veranlasste  der  Han- 
delsminister die  Vorbereitung  eines  Ge- 
setzentwurfes über  die  Fortsetzung  der 
Dalmatiner  Bahn  nach  Knin  auf  Staats- 
kosten, und  brachte  denselben  am  3.  März 
1883  im  Reichsrathe  ein.  Zur  allge- 
meinen Ueberraschung  verlief  die  Ver- 
i  handlung  ziemlich  glatt.  Das  Abgeord- 
|  netenhaus  beschloss  wieder  eine  Reso- 
lution wegen  der  zu  pflegenden  Anschluss- 
Verhandlungen  mit  der  ungarischen  und 
bosnischen  Regierung,  nahm  jedoch  den 
Gesetzentwurf  am  7.  Mai  1883  in  letzter 

Lesung  an  und 
am  5.  Juni  1883 
erhielt  er  die 
a.  h.  Sanction. 
Wiederholte 
Projectsänderun- 
gen  verzögerten 
die  Inangriff- 
nahme des  Bau- 
es ;  seine  Ver- 
gebung fand  erst 
am  7.  Septem- 
ber 1885  statt, 
und  zwar  an  die 
von  sechs  Offe- 
renten mindest- 
fordernde Unter- 
nehmung   Alois 

[Strecke  HorazJowlc-Klattau.]  Meichsner 

und  Julius  Dreossi  in  Sebenico.  Die  Ar- 
beiten begannen  am  4.  October,  nahmen 
anfänglich  einen  normalen  Fortgang,  be- 
gegneten aber  später  in  dem  sumpfigen 
Inundationsgebiete  des  Kerkaflusses  bedeu- 
tenden Schwierigkeiten;  es  traten  daselbst 
wiederholt  Dammsetzungen  ein,  welche 
eine  ausserordentliche  Vermehrung  der  ver- 
anschlagten Arbeiten  und  eine  Verlang- 
samung des  Baues  verursachten.  Die  Er- 
öffnung der  197  km  langen  Strecke  fand 
am  7.  Juni  1 888  statt.  Ihre  Kosten  be- 
trugen 1,626.474  fl.  °der  82.5630.  pro 
Kilometer. 

Jetzt  bleibt  abzuwarten,  wie  bald  und 
in  welcher  Weise  die  Verbindung  der 
Dalmatiner  Bahn  mit  dem  österreichisch- 
ungarischen Bahnnetze  bewerkstelligt 
wird.  Die  dalmatinischen  Abgeordneten 
hörten  nicht  auf,  die  öffentliche  Auf- 
merksamkeit für  diese  Frage  rege  zu  er- 
halten. 


35° 


Ignaz  Konta. 


Die  Trace  der  Strecke  Siveric-Knin  als 
Fortsetzung  der  bereits  beschriebenen  [Seite 
203]  Linie  Spalato — Perkovic-Slivno — Siveric 
führt  von  Siveric  über  einen  Sattel,  der  die 
stellenweise  versumpfte  Thalebene  »Petrovo 
Polje«  von  dem  nördlich  gelegenen  mächtigen 
Thalbecken  von  Knin  trennt,  zu  der  am 
Fusse  des  Monte  Promina  gelegenen  Station 
Kossowo  [243  m  Seehöhe].  Die  Haltestelle 
Kalderma  passirend  gelangt  die  Bahn,  die 
Kerka  und  unmittelbar  auch  einen  kleinen 
Nebenfluss   derselben  übersetzend,  bis  Knin. 


Stryj -Beskid.  Auf  den  älteren 
Theil  der  Geschichte  dieser  Linie  hier 
nochmals  näher  einzugehen,  ist  überflüssig, 
da  er  bereits  in  den  ersten  Mittheilungen 
über  die  Erzherzog  Albrecht-Bahn  ent- 
halten ist  [siehe  Seite  134  f.].  Immerhin 
mag  jedoch  daran  erinnert  sein,  dass 
diese  Gesellschaft  den  Ausbau  der  Linie 
Stryj-Beskid  unterlassen  hatte,  weil  die 
im  Jahre  1871  schon  für  gesichert  ge- 
goltene ungarische  Anschluss  -  Strecke 
Beskid-Munkacs  nicht  zu  Stande  ge- 
kommen war,  und  dass  die  Regierung 
davon  Umgang  nahm,  die  Erzherzog 
Albrecht-Bahn  zur  Erfüllung  ihrer  con- 
cessionsmässigen  Verpflichtung  zu  verhal- 
ten, weil  eine  in  den  Karpathen  endi- 
gende Sackbahn  .fast  keinen  Zweck  ge- 
habt, ihr  Bau  und  Betrieb  aber  die  auch 
sonst  schon  arg  bedrängt  gewesene  Ge- 
sellschaft vollends  zugrunde  gerichtet 
hätte. 

Eine  neuerliche  Concessionirung  der 
Linie  Stryj  -Beskid  nahm  die  Regierung 
anlässlich  der  im  Jahre  1875  geplanten 
»galizischen  Fusion«  [siehe  Seite  228]  in 
Aussicht ;  die  Ablehnung  der  bezüglichen 
Vorlage  vereitelte  aber  das  Vorhaben. 
Gleiches  geschah  auch  hinsichtlich  der 
im  Jahre  1881  getroffenen  Vereinbarun- 
gen mit  der  Länderbank  und  der  Lem- 
berg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn,  welche 
die  Concessionirung  der  Galizischen  Trans- 
versalbahn etc.  betrafen  und  ebenfalls 
auf  die  Linie  Stryj-Beskid  Bedacht  ge- 
nommen hatten  [siehe  Seite  330]. 

Nun  Hess  aber  das  gesammtstaatliche 
Interesse,  welchem  hauptsächlich  zu 
dienen  diese  Linie  bestimmt  war  und 
welchem  die  vielen  russischen  Eisenbahn- 
bauten eine  erhöhte  Actualität  gaben,  ein 
weiteres  Hinausschieben  des  wichtigen 
Bahnbaues    nicht   zu.     Die    Regierungen 


beider  Reichshälften  einigten  sich  daher 
in  einem  anfangs  Februar  1883  abge- 
haltenen Ministerrathe  zu  gemeinsamem 
Vorgehen  und  beschlossen,  dass  jedes 
der  beiden  Staatsgebiete  seinen  Theil  der 
Linie  Stryj-Beskid-Munkäcs  auf 
Staatskosten  ausführe. 

Oesterreichischerseits,  wo  das  noch 
von  der  Erzherzog  Albrecht-Bahn  er- 
stellte Project  vorhanden  war,  konnte 
bald  zur  That  geschritten  werden.  Das 
Handelsministerium  Hess  dasselbe  einer 
genauen  Ueberprüfung  unterziehen  und 
legte  am  2.  März  1883  dem  Reichsrathe 
einen  Gesetzentwurf  über  den  Bau  der 
Linie  Stryj-Beskid  vor.  Die  neue  Sicher- 
stellung dieser  Linie  begegnete  keinem 
Widerstände ;  die  Vorlage  wurde  sowohl 
vom  Abgeordnetenhause  [8.  Mai],  als 
auch  vom  Herrenhause  [15.  Mai]  unver- 
ändert angenommen  und  am  7.  Juni  1883 
a.  h.  sanctionirt.  In  Ungarn  hingegen 
musste  erst  ein  Project  ausgearbeitet 
werden,  was  auch  die  verfassungsmässige 
Erledigung  der  Angelegenheit  hinaus- 
rückte. Dieselbe  erfolgte  mittels  des 
Gesetzartikels  VIII  vom  Jahre  1884 
[29.  März].  Jetzt  erst  konnten  auch  die 
Verhandlungen  über  den  Anschlusspunkt 
und  über  die  Betriebsführung  auf  der 
Grenzstrecke  zu  Ende  geführt  werden. 
Die  bezüglichen  Protokolle  vom  7.  und 
8.  Mai  1884  setzten  fest,  dass  die  Wech- 
selstation auf  österreichischem  Gebiete 
in  Lawoczne  errichtet,  der  Betrieb  von 
der  ungarischen  Grenze  bis  dahin  aber 
mit  jenem  der  ungarischen  Linie  dienst- 
lich vereinigt  werden  soll,  und  dass  als 
spätester  Eröffnungstermin  der  beider- 
seitigen Linien  der  I.  April  1887  zu 
gelten  habe.  Wegen  der  grösseren  Länge 
des  ungarischen  Antheiles  am  Grenz- 
tunnel war  der  Beginn  der  Arbeiten  dort 
auf  den  1.  August  1884,  in  Oesterreich 
aber  auf   den   1.  April  1885    anberaumt. 

Die  österreichische  Regierung  Hess 
jedoch  schon  viel  früher  einzelne  Objecte 
und  den  Stollenbau  am  Beskid-Tunnel 
durch  die  vorläufig  bestellten  Unterneh- 
mungen Fritz  Müller  &  Comp,  und 
A.  Bianchi&  Comp,  in  Angriff  nehmen. 
Die  eigentliche  und  gesammte  Vergebung 
des  Baues  erfolgte  am  24.  Mai  1885. 
Ersteher    blieben    [von    13    Offerenten] : 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


351 


Godlowski  &  Szymberski  rück- 
sichtlich der  Strecke  Stryj-Skole  und 
M.  von  Fröhlich  rücksichtlich  der 
Strecke  Skole  -  Beskid ;  beide  über- 
nahmen ihrerseits  die  Arbeiten  anfangs 
Juni  1885.  In  der  ersteren  Strecke 
machten  dieselben  so  rasche  Fortschritte, 
dass  sie  binnen  Jahresfrist  vollendet 
waren ;  in  der  zweiten  Strecke  hingegen 
konnten  sie  wegen  der  Unwirthlichkeit 
der  Gegend  und  der  äusserst  ungünstigen 
klimatischen  Verhältnisse  nur  mühselig 
bewältigt  werden.  Im  Beskid -Tunnel 
wurde  am  20.  April  mit  dem  Sohlen- 
stollen die  Landesgrenze  erreicht  und 
am  29.  April  1886  der  Durchschlag  be- 
werkstelligt. Am  4.  April  1887  unter- 
nahmen die  Vertreter  des  Handelsmini- 
steriums und  der  k.  k.  General-Direction 
der  österreichischen  Staatsbahnen  im 
Vereine  mit  vielen  geladenen  Gästen 
eine  feierliche  Befahrung  der  79*3  km 
langen  Bahn  bis  zur  Landesgrenze,  wo 
sie  mit  den  Theilnehmern  der  ungari- 
schen Eröffnungsfeierlichkeiten  zusammen- 
trafen. 

Die  Eröffnung  der  ganzen  Bahn  für 
den  allgemeinen  Verkehr  fand  am  5.  April 
1887  statt.  Die  Linie  Stryj-Beskid[- Mun- 
käcs]  bildete  die  dritte  über  die  Karpathen 
führende,  unmittelbare  Eisenbahn-Verbin- 
dung zwischen  Galizien  und  Ungarn. 
Ihre  Kosten  stellten  sich  österreichischer- 
seits  auf  7,239.887  fl.  oder  91.286  fl. 
pro  Kilometer. 

Die  k.  k.  Staatsbahnlinie  Stryj-Beskid 
muss  in  baulicher  Hinsicht  in  zwei  Linien 
gesondert  werden,  nämlich  in  die  Thalstrecke 
Stryj-Lawoczne  und  in  die  Gebirgsstrecke 
Lawoczne-Beskid  [Landesgrenze]. 

Stryj-Lawoczne.  Die  in  ihrem  Zuge 
fast  ununterbrochen  ansteigende  Trace  die- 
ser Strecke  zweigt  von  Stryj  ab,  verfolgt  — 
von  der  südwestlichen  Richtung  nur  wenig 
abweichend  —  das  breite  und  flache  Stryjthal, 
gelangt  zur  Station  Lubience;  übersetzt  die 
von  Strjj  nach  Munkacs  führende  Reichs- 
strasse, deren  Richtung  sie  bis  zur  Ueber- 
setzung  des  Stryjflusses  beibehält;  bald  dar- 
nach durchbohrt  die  Trace  einen  schmalen, 
das  Stryjthal  und  das  Oporthal  scheidenden 
Rücken  »Miedzybrody«  genannt,  mit  einem 
Tunnel  von  130  m  Länge,  übersetzt  gleich 
hinter  diesem  Tunnel  den  Oporfluss  und  ge- 
langt nach  Synowödzko  wyzne.  Von  da  am 
linken  Oporufer  weiterziehend,  passirt  sie  die 
Thalenge  von  Skole  und  erreicht  sodann 
die  Station   Skole.    Unmittelbar  nach    dieser 


Station  nimmt  die  Bahn  nun  bleibend 
ihren  Lauf  durch  das  Oporthal,  in  welchem 
der  Fluss  achtmal  sowie  mehrere  Neben- 
bäche auf  Eisenbrücken  übersetzt  und  die 
Stationen  Hrebenöw,  Tuchla,  Slawsko  und 
Lawoczne  [Abb.  167]  erreicht  werden,  welch 
letztere  die  Grenze  zwischen  der  Thal-  und 
Gebirgsstrecke  bildet. 

Lawoczne-Beskid.  Diese  kurze 
Strecke  verfolgt  weiter  das  Oporthal  und 
steigt  an  dessen  linker  Lehne  zur  Station 
Beskid  [789-9  m  Seehöhe]  hinan,  nach- 
dem sie  das  Oporthal  auf  einem  Viaducte 
mit  sechs  Oeffnungen  ä  40  m  Lichtweite  und 
332  m  Lichthöhe  [Abb.  168],  verlassen  hat  und 
in  jenes  des  Popid-ruski-Czertyszbaches  über- 
gegangen ist,  in  welchem  auch  ein  Seitenthal 
übersetzt  wird.  Von  der  Station  Beskid  an, 
etwas  mehr  westlich  schwenkend  und  an- 
steigend, durchbohrt  die  Trace  den  zwischen 
Galizien  und  Ungarn  lagernden  Karpathen- 
rücken,  hier  »Beskid«  genannt,  mit  einem 
Tunnel,  dessen  Länge  auf  der  galizischen 
Seite  7l3-56  in  beträgt  und  erreicht  bei  einer 
Höhe  von  792191  in  über  dem  Meere  die 
Landesgrenze,  allwo  die  Bahn  an  die  unga- 
rische Linie  Munkacs-Beskid  anschliesst.  Die 
Gesammtlänge  des  Beskid-Tunnels  beträgt 
I74Ö'56  m. 


Die  eben  besprochenen  Neubauten 
vermehrten  den  staatlichen  Eisenbahn- 
besitz um  H28'8  km.  Einen  weitaus 
grösseren  Zuwachs  erhielt  er  durch  die 
im  Jahre  1884  vollführten  Erwerbun- 
gen schon  bestandener  Privat- 
bahnen. Diese  Thätigkeit  umfasste  eines- 
theils  solche  Unternehmungen,  welche 
sich  bereits  im  Staatsbetriebe  befanden, 
anderntheils  Unternehmungen,  die  damals 
noch  ganz  selbständig  waren. 

Zu  den  ersteren  zählte  vor  Allem  die 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn,  deren 
Betrieb  der  Staat  seit  1.  Januar  1882 
für  seine  eigene  Rechnung  führte  und 
deren  gänzliche  Erwerbung  schon  ver- 
möge des  Uebereinkommens  vom  24.  De- 
cember  1880  festgestellt  war  [siehe  Seite 
288  und  291].  Den  Zeitpunkt  des  Voll- 
zuges konnte  die  Staatsverwaltung 
wählen,  sobald  der  Staatsschatz  [als 
Uebernehmer  der  gesellschaftlichen  Priori- 
täts-Schuld] aus  den  Währungsstreitig- 
keiten, welche  damals  den  österreichischen 
Bahnen  arge  Unbill  zufügten,  keine 
Mehrbelastung  zu  fürchten  hatte.  Der 
vielen  vergeblichen  Ausgleichs-  und  sonsti- 
gen Versuche  zur  Gewinnung  friedlicher 
Beziehungen    zu    den    Prioritäten    müde 


352 


Ignaz  Konta. 


geworden,  unternahm  die  Gesellschaft 
die  Convertirung  ihrer  Silberanlehen 
in  eine  Goldschuld,  welche  —  wie  die 
Regierung  schliesslich  genehmigt  hatte 
[3.  Mai  1883]  —  mit  4°/0  verzinslich 
und  rücksichtlich  der  an  die  Stelle  der 
alten,  binnen  29  Jahren  rückzahlbaren 
Titel  [Emission  1860/62]  tretenden  Obli- 
gationen von  54,417.000  Reichsmark 
steuerpflichtig,  rücksichtlich  aller  übrigen, 
binnen  73  Jahren  rückzahlbaren  Obliga- 
tionen von  108,291.600  Reichsmark  aber 
steuerfrei  sein  sollte.  Den  Umtausch,  bei 
welchem  nom.  190  Mark  für  je  100  fl. 
gegeben  wurden,  besorgten  die  Organe 
der  Direction  für  Staatseisenbahn-Betrieb 
mit  bestem  Erfolge.  Am  2.  Juli  1883 
war  die  Operation  im  Grossen  und 
Ganzen  vollendet.  Im  September  schritt 
dann  der  Verwaltungsrath  um  die  gänz- 
liche Einlösung  der  Bahn  ein,  die 
nun  mittels  Kundmachung  des  Handels- 
ministeriums vom  24.  Juni  1884  vollzogen 
wurde.  Die  am  4.  December  1884  be- 
gonnene Liquidation  der  Gesellschaft 
war  am  21.  December  1887  beendet. 

Aus  Anlass  einer  Geldbeschaffung 
zum  Zwecke  der  Ausrüstung  der  Vorarl- 
berger  Bahn  für  den  ihr  mit  der  Er- 
öffnung der  Arlbergbahn  bevorstehenden 
grossen  Verkehr,  hatte  die  Verwaltung 
der  ersteren  bei  der  Regierung  eine  Er- 
höhung der  Staatsgarantie,  im  Rahmen 
des  ihr  schon  ursprünglich  zugedachten 
Garantie-Maximums  [siehe  Seite  74]  nach- 
gesucht. Die  Regierung  willfahrte  dem 
am  19.  October  1883,  knüpfte  jedoch 
hieran  [unter  Anderem]  die  Bedingung, 
dass  die  nun  auszugebenden  4205  neuen 
Obligationen  ä  200  fl.  Silber  einem  etwa 
aufzunehmenden  Convertirungs  -  Anlehen 
nachstehen  sollen.  Es  war  also  schon 
damals  an  eine  Convertirung  gedacht, 
und  zwar  vornehmlich  im  Interesse  der 
Verhütung  eines  Währungsrisicos  des 
Staates  im  Falle  des  Ankaufes  der  Bahn. 

Dieser  wieder  war  im  Grundsätzlichen 
schon  durch  das  Protokoll  vom  25.  August 
1869  [siehe  Seite  74]  vorbereitet  und  lag 
jetzt  nahe,  weil  die  dort  angegebenen  Vor- 
aussetzungen für  die  Abtretung  der  Bahn, 
nämlich  die  Ausführung  der  Arlbergbahn 
durch  eine  andere  Unternehmung  bereits 
zugetroffen  und  überdies  der  Staat  selbst 


jene  »andere  Unternehmung«  war.  Die 
Regierung  hatte  denn  auch  sozusagen  in 
Fortsetzung  der  Verhandlungen  über  die 
zuvor  erwähnte  Capitalsvermehrung, 
solche  über  die  Erwerbung  der  Bahn 
eingeleitet.  Dieselben  führten  zum  Ab- 
schlüsse des  Uebereinkommens  vom 
11.  December  1883,  das  auf  folgenden 
Hauptpunkten  beruhte :  Die  Staatsverwal- 
tung kann  vom  I.Juli  1874  an  die  Bahn 
wann  immer  erwerben  und  übernimmt 
dann  sämmtliche  Verbindlichkeiten  der 
Gesellschaft,  insbesondere  der  Prioritäts- 
Obligationen  von  insgesammt  nom. 
8,237.600  fl.,  zur  Selbstzahlung;  ferner 
gibt  der  Staat  den  Actionären  für  ihre 
Titel  im  Gesammt-Xominalbetrage  von 
5,988.000  fl.,  5%'ge>  steuerfreie  und  bis 
längstens  1962  zum  vollen  Nennwerthe  von 
200  fl.  rückzahlbare  Eisenbahn-Schuldver- 
schreibungen ;  eine  Rückzahlung  der  Garan- 
tie- und  Betriebsdeficit- Vorschüsse  findet 
nicht  statt;  die  Gesellschaft  ist  ver- 
pflichtet, ihre  Prioritätsschuld  nach  den 
Weisungen  der  Regierung  zu  convertiren. 
Das  Uebereinkommen  fand  ohneweiters 
die  Zustimmung  der  ausserordentlichen 
Generalversammlung  vom  8.  Januar  1 884, 
und  sodann  mittels  des  Gesetzes  vom 
8.  April  1884  die  Genehmigung  der 
Legislative.  *)  Währenddessen  ging, 
vom  1.  April  an,  die  an  die  Boden- 
Creditanstalt  übertragene  Convertirung 
vor  sich,  wobei  für  je  nom.  100  fl.  des 
5u/oigen,  117  fl.  des  neuen  4°'0igen  An- 
lehens  gegeben  wurden.  Durch  ver- 
schiedene Formalitäten  etwas  aufgehalten, 
übernahm  der  Staat  die  Bahn  erst  Ende 

1885  in  sein  Eigenthum.  [Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  20.  De- 
cember 1885.]  Die  Liquidation  der  Ge- 
sellschaft wurde  in  der  Zeit  vom  4.  Mai 

1886  bis  26.  Juni  1888  abgewickelt. 
Um    nicht    inmitten    des    staatlichen 

Betriebsnetzes  eine  blos  sequestrirte,  also 
noch  gesellschaftlichen  Einflüssen  aus- 
gesetzte und  bedeutende  societäre  Aus- 
lagen verursachende,  grosse  Privatbahn 
auf   die    Dauer    fortbestehen    zu    lassen, 


*)  Die  Bewilligung  zur  Uebertragung  des 
Eigenthums  der  auf  schweizerischem  Gebiete 
gelegenen  Theilstrecken  an  die  österreichische 
Staatsverwaltung  erfolgte  auf  Grund  des 
Bundesbeschlusses  vom  31.  März  1884. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


353 


entschloss  sich  die  Regierung  auch  zur 
käuflichen  Erwerbung  der  Kronprinz 
Rudolf- Bahn.  Das  Handelsministerium 
berief  also  Vertreter  der  Gesellschaft  zur 
Wiederaufnahme  der  bezüglichen  Ver- 
handlungen, welche  schon  im  voraus- 
gegangenen Jahre  angeknüpft,  jedoch  an 
der  Meinungsverschiedenheit  über  das 
Ausmass  der  Actionär- Rente  gescheitert 
waren.  Von  Seite  der  Gesellschaft  wurden 
nämlich  zuerst  10  ft,  dann  9  fl.  75  kr. 
beansprucht,  von  Seite  der  Regierung 
aber  nur  9  fl.  zugestanden ;  ersteres  mit 
der  Begründung,  dass  die  schwebende 
Schuld  in  we- 
nigen Jahren 
getilgt  sein  und 
dann  die  Kür- 
zung des  Cou- 
pons *)  aufhö- 
ren würde  letz- 
teres hinwieder 
darum,  weil  für 
den  Staat  nicht 
blos  die  schwe- 
bende Schuld, 
sondern  auch 
die  ihm  bei  der 

Verzinsung 
und  Tilgung 
der  Goldobli- 
gationen mög- 
licherweise zu- 
fallenden be- 
sonderenAgio- 


Abb.   164.     Aufnahmsgebäude  der  Böhmisch-Mährischen  Transversal 
bahn  in  Nemilkau.  [Strecke  Horazctowic-KIattau.] 


lasten  in  Betracht  kämen. 

Bei  den  neuerlichen  Verhandlungen 
einigte  man  sich  auf  den  Betrag  von 
9  fl.  75  kr.,  und  schloss  am  11.  December 
1883  ein  Uebereinkommen  ab,  wonach, 
vom  1.  Januar  1884  an,  die  Bahn  auf 
Rechnung  des  Staates  betrieben,  und  von 
diesem  wann  immer  eingelöst  werden 
konnte.  Bis  dahin  hatte  der  Staat  die 
für  den  Prioritäten-Dienst  und  zur  Deckung 
der  Actienrente  erforderlichen  Beträge 
beizustellen,  im  Falle  der  Einlösung  der 
.  Bahn  aber  die  gesammte  Prioritäts-Schuld 
von  nom.  57,910.500  fl.  in  Silber  und 
25,220.000  fl.  in  Gold  zur  Selbstzahlung 
zu  übernehmen,  und  den  Theilhabern  der 
Gesellschaft  für  ihre  Actien  im  Nominal- 


*)  Vgl.  die  Tabelle  auf  Seite  264  und  265. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band.  2.  Theil. 


betrage  von  55,585.800  fl.  [inclusive  der 
schon  getilgten]  Eisenbahn  -  Schuldver- 
schreibungen im  gleichen  Nennwerthe  zu 
übergeben,  die  mit  43/4°/o  verzinslich, 
steuerfrei  und  bis  längstens  i960  rück- 
zahlbar sein  sollen.  Auch  hier  ward  die 
Gesellschaft  zur  Convertirung  der  Priori- 
täten verpflichtet,  von  der  Rückzahlung 
der  Garantie-Vorschüsse  entbunden,  und 
ihr  die  Uebernahme  des  Personals  [wie  bei 
der  Kaiserin  Elisabeth-Bahn]  zugesichert. 
Da  die  Vorschuss-Schuld  sich  auf 
72,774.987  fl.  belief,  daher  das  Actien- 
capital  um  17,189.1871!.  überstieg,  durften 
die  Actionäre,  denen  gleichwohl  ihr  Capital 
völlig  und  die  Rente  nahezu  ungeschmälert 
erhalten    blieb,    mit    der  Verstaatlichung 

wohl  zufrieden 
sein.  Sie  gaben 
denn  auch  in 
ihrer  ausser- 
ordentlichen 
Generalver- 
sammlungvom 
29.    December 

1883  dem 
Uebereinkom- 
men die  vollste 
Zustimmung. 
Nicht  so  glatt 
erging  es  ihm 
im  Parlament; 
dort  wurde  die 

Garantie- 
schuld gar  sehr 
erwogen,  die  Höhe  der  Rente  ange- 
fochten, und  an  den  wirthschaftlichen 
Verhältnissen  der  Gesellschaft  Kritik  geübt. 
Schliesslich  erhielt  aber  das  Ueberein- 
kommen auch  die  legislative  Genehmi- 
gung. [Gesetz  vom  8.  April  1884; 
s.  w.  u.]  Mittels  Erlasses  vom  7.  Juni 
1884  verständigte  das  Handelsministerium 
die  Gesellschaft,  dass  der  Betrieb  ihrer 
Linien  fortan  und  auch  rückwirkend  auf 
die  Periode  seit  1.  Januar  1884  für 
Rechnung  des  Staates  geführt  wird. 

Die  Convertirung  wurde  von  den- 
selben Geldkräften,  zur  selben  Zeit  und 
unter  den  gleichen  Bedingungen  wie  bei 
der  Vorarlberger  Bahn  bewirkt,  und  hiebei 
die  schwebende  Schuld  mit  1,633.900  fl. 
in  das  neue  4%ige  [Convertirungs-]  Silber- 
anlehen miteinbezogen,  wodurch  dieselbe 

23 


354 


Ignaz  Konta. 


sofort  getilgt  werden  konnte.  Ebenfalls 
wegen  der  mannigfachen  Förmlichkeiten 
[Löschungen,  Eintragungen  etc.]  kam  die 
Einlösung  der  Bahn  erst  1887  zum  Voll- 
zuge. [Kundmachung  des  Handelsmini- 
steriums vom  28.  August  1887.]  Gleich- 
wohl muss  die  Transaction  der  Verstaat- 
Iichungs-Thätigkeitimjahrei884zugezählt 
werden.  Die  Liquidation  der  Gesellschaft 
dauerte  zwei  Jahre,  vom  13.  December 
1887  bis   11.   December   1889. 

Vierundzwanzig  Stunden  nach  dem 
Abschlüsse  der  Uebereinkommen  über  die 
vollständige  Verstaatlichung  der  beiden 
letztbesprochenen  Bahnen  waren  auch  die 
Verhandlungen  über  die  Erwerbung 
der  Kaiser  Franz  Josef- Bahn 
durch  den  Staat  zu  Ende  gediehen. 
Dass  diese  Bahn  nicht  lange  mehr  ein 
Privatunternehmen  bleiben  würde,  galt 
von  dem  Augenblicke  an,  in  welchem 
das  Staatsbahn-System  wiedererstanden 
war,  als  ausgemachte  Sache ;  einmal  weil 
auch  diese  Unternehmung  die  Staats- 
garantie erheblich  in  Anspruch  genommen 
hatte,  und  weiters  weil  seit  der  Errichtung 
des  staatlichen  Betriebsnetzes  die  Noth- 
wendigkeit,  ihm  ein  selbständiges  Ver- 
kehrsgebiet in  Böhmen  zu  sichern,  sich 
von  selbst  ergab,  und  die  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn  nicht  nur  ein  solches  bereits 
gut  betreutes  Gebiet  besass,  sondern  mit 
ihren  bis  Prag  und  Eger  reichenden 
Linien  den  Staatsbetrieb  in  den  Stand 
setzte,  auch  »auf  die  anderen,  den  Transit 
aus  und  durch  Böhmen  nach  dem  Süden, 
namentlich  den  Alpenländern,  vermitteln- 
den Bahnen  sofort  einen  massgebenden 
Einfluss  zu  üben«. 

Wie  frühe  die  Regierung  ihr  Augen- 
merk hierauf  gerichtet,  das  geht  aus  den 
bereits  mitgetheilten  Massnahmen  zur  Er- 
langung der  Berechtigung  zur  Inbetrieb- 
nahme und  beziehungsweise  baldigen  Ein- 
lösung einiger  böhmischen  Bahnen  sowie 
hinsichtlich  gewisser  Verkehrsbeziehungen 
der  Staatseisenbahn-Gesellschaft  zu  den 
k.  k.  Staatsbahnen  und  zur  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn  [siehe  Seite  296,  298,  300  und 
302]  deutlich  hervor.  Und  dass  auch  die 
Bevölkerung  die  Verstaatlichung  dieser 
Bahn  wünschte,  ward  durch  die  einschlä- 
gige Resolution  desStaats-Eisenbahnrathes 
vom  28.  April  1883  ausser  Zweifel  gestellt. 


Eigentliche  Verhandlungen  mit  der 
Gesellschaft  hatten  am  27.  December 
1882  begonnen;  dieselben  betrafen  zu- 
nächst die  Ueberlassung  des  Betriebes 
an  den  Staat,  gingen  aber  bald  weiter, 
nachdem  die  Delegirten  der  Gesellschaft 
sich  nur  zu  einer  sogleich  vollständigen 
Abtretung  der  Bahn  verstehen  wollten. 
Aus  diesem  Grunde,  wie  auch  wegen 
des  erheblichen  Unterschiedes  zwischen 
der  seitens  der  Regierung  angebote- 
nen und  der  gesellschaftlicherseits  ver- 
langten Actionär  -  Rente  [9-50:1 1*50  fi.] 
verliefen  die  Verhandlungen  damals 
erfolglos. 

Nach  Jahresfrist  benachrichtigte  das 
Handelsministerium  die  Gesellschaft,  dass 
die  Regierung  nunmehr  geneigt  sei,  mit 
dem  Betriebe  auch  das  Eigenthum  der 
Bahn  zu  erwerben  und  bei  diesem  An- 
lasse für  eine  Prioritäten-Convertirung 
zu  sorgen,  welche  jede  Belastung  der 
Actionäre  ausschliesse.  Die  Verhandlungen 
wurden  also  am  26.  November  1883  von 
Neuem  angeknüpft,  blieben  aber,  obwohl 
die  Regierung  jetzt  eine  Rente  von 
10-50  fl.  anbot,  nochmals  ohne  bestimmtes 
Ergebnis.  Mit  der  Zukunft  des  Unter- 
nehmens rechnend,  beharrten  die  gesell- 
schaftlichen Vertreter  auf  einer  Rente 
von  11  -50  fl.  ;  die  Regierung  hingegen 
meinte  über  ihr  Angebot  nicht  hinaus- 
gehen zu  dürfen,  weil  selbst  in  dem 
Falle,  als  die  Bahn  etwa  in  der  Zukunft 
mehr  als  5°/o  abwerfen  sollte,  der  über- 
schiessende  Betrag  zur  Tilgung  der  hoch 
angewachsenen  Garantieschuld  verwendet 
werden  müsste,  daher  für  lange  Zeit 
nicht  den  Actionären  zugute  kommen 
könnte. 

Der  Verwaltungsrath  ging  in  seiner 
getreuen  Wahrnehmung  der  gesellschaft- 
lichen Interessen  so  weit,  dass  er  auch 
die  seitens  der  Regierung  gewünschte 
Befragung  der  Actionäre  ablehnte,  bis 
er  denselben  das  richtige  »Substrat«, 
worunter  er  hauptsächlich  die  Zusicherung 
der  seinerseits  angesprochenen  Rente  ver- 
stand, vorlegen  könnte.  Die  Regierung 
vermied  es,  mit  Hilfe  der  im  Besitze 
ihrer  Fonds  gewesenen  und  ihr  sonst 
noch  zur  Verfügung  gestandenen  Actien 
die  Einberufung  der  Generalversammlung 
zu  erzwingen;  sie  übermittelte  der  Gesell- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


355 


schaft  am  30.  November  1883  den  Ent- 
wurf eines  Uebereinkommens,  erneuerte 
hiebei  den  Wunsch  nach  Einbe- 
rufung der  Actionäre,  bemerkte  aber 
ausdrücklich,  dass  es  dem  Verwaltungs- 
rathe  unbenommen  bleibe,  ihnen  seine 
etwa  von  dem  Angebote  der  Regierung 
abweichende  Ansicht  rückhaltslos  zum 
Ausdrucke  zu  bringen. 

Daraufhin  fand  am  II.  December  1883 
eine     nochmalige     Unterhandlung      und 


mens,*)  mit  der  einzigen  Abänderung,  dass 
der  Präclusivtermin  für  die  legislative  Ge- 
nehmigung des  Uebereinkommens  eine 
Kürzung  um  sechs  Monate  erfuhr. 

Die  Regierung  fasste  nur  dieses  und 
die  mit  der  Vorarlberger  und  der  Kron- 
prinz Rudolf- Bahn  abgeschlossenen  Ueber- 
einkommen  in  eine  Gesetzesvorlage  zu- 
sammen [wahrscheinlich  zur  Abkürzung 
des  Verfahrens]  und  brachte  dieselbe  am 
22.  Januar  im  Reichsrathe  ein.   Der  Eisen- 


mmmBtsofst 


#v 


Abb.  165.     Fels-Partie  bei  Bottac.     [K.  k.   Staatsbahn  Herpelje-Triest.] 


Tags  darauf  der  Abschluss  des  Ueber- 
einkommens statt,  allerdings  noch  immer 
unter  dem  Vorbehalte  des  Verwaltungs- 
rathes,  seinerseits  den  Actionären  die 
Beanspruchung  einer  51/2°/o 'Sen  Rente  in 
Vorschlag  zu  bringen  [Protokoll  vom 
12.  December  1883].  Hiezu  kam  es  jedoch 
eigentlich  gar  nicht,  weil  in  der  nunmehr 
auf  den  21.  Januar  1884  ausgeschriebe- 
nen ausserordentlichen  Generalversamm- 
lung das  Angebot  der  Regierung  einer 
jährlichen  Rente  von  10  fl.  50  kr.  zuerst 
zur  Abstimmung  gebracht  und  sogleich 
angenommen  wurde,  desgleichen  der 
ganze     übrige    Theil    des   Uebereinkom- 


bahn-Ausschuss  des  Abgeordnetenhauses 
befürwortete  sie  und  letzteres  selbst  folgte 
dem,  wiewohl  der  Führer  der  Linken, 
Dr.  Herbst,  dagegen  war.  Da  die  finan- 
ziellen Verhältnisse  der  Vorarlberger  und 
der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  wohlge- 
ordnete und  unanfechtbare  gewesen,  kehrte 
Dr.  Herbst  sich  zumeist  gegen  jenederKron- 


*)  Auch  dieses  Uebereinkommen  enthielt 
die  Bestimmung;,  dass  der  Gesellschaft  eine 
Pflicht  zur  Rückzahlung  der  Garantie- Vor- 
schüsse [21,042.356  fl.]  nicht  mehr  obliegt, 
sowie  dass  der  Staat  das  gesammte  gesell- 
schaftliche Personal  unter  Wahrung  der  er- 
worbenen Rechte  übernehme. 

23* 


356 


Ignaz  Konta. 


prinz  Rudolf-Bahn  und  gegen  das  Ausmass 
der  Rente  für  die  Actionäre  der  beiden 
letztgenannten  Gesellschaften.  Die  Mehr- 
heit des  Parlamentes  stimmte  aber  der 
Vorlage  vollinhaltlich  zu,  die  sodann  am 
8.  April  1884  die  a.  h.  Sanction  zum 
Gesetze  erhielt. 

Bis  dahin  hatte  die  auch  mit  der 
Convertirung  der  Prioritäten  der  Kaiser 
Franz  Josef-Bahn  [57,214.400  fl.]  betraute 
Boden-Creditanstalt  diese  Operation  unter 
den  gleichen  Bedingungen  wie  bei  den 
beiden  anderen  Bahnen  bereits  zum  Voll- 
zuge gebracht.  [15.  Februar  bis  I.  März.] 
Die  Regierung  konnte  daher  unaufgehalten 
zur  Durchführung  des  Uebereinkommens 
schreiten.  Mittels  Kundmachung  des 
Handelsministeriums  vom  29.  April  wurde 
die  Uebernahme  der  Bahn  durch  den 
Staat  auf  den  1.  Mai  anberaumt  und 
mit  Erlass  vom  31.  Mai  die  Auflösung 
der  General-Direction  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn,  sowie  die  Unterstellung  des 
gesammten  Unternehmens  ab  1.  Juli  1884 
unter  die  k.  k.  Direction  für  Staats-Eisen- 
bahnbetrieb verfügt.  Der  verdienstvolle 
General-Director,  Hofrath  Heinrich  Ritter 
von  Kogerer,  trat  in  den  Ruhestand.  Die 
Liquidation  der  Gesellschaft  wurde  in 
der  Zeit  vom  27.  Januar  1885  bis  5.  Juni 
1888  abgewickelt. 

Eine  natürliche  Folge  des  Ankaufes 
der  Kaiser  Franz  Josef-Bahn  war  die 
Erwerbung  der  Eisenbahn  Pilsen- 
Priesen  [Komotau]  durch  den 
Staat;  denn  diese  galt  schon  immer  als 
eine  Ergänzung  jener,  und  bot  überdies 
dem  Staatsbetrieb  die  Möglichkeit,  einen 
Einfiuss  auch  auf  ihre  vielen  Anschluss- 
bahnen zu  gewinnen.  Nebstdem  fiel  aber 
noch  ins  Gewicht,  dass  die  jüngere  der 
beiden  gesellschaftlichen  Linien,  nämlich 
die  von  Pilsen  nach  Eisenstein,  ganz  aus 
Mitteln  des  Staates  erbaut  wurde  [siehe 
Seite  178],  der  Staat  aber  gleichwohl  einer 
Ingerenz  auf  deren  Betriebsführung  ent- 
behrte und  dieser  Zustand  sich  mit  dem 
neuen  System  schlecht  vertrug. 

Das  Handelsministerium,  welches  schon 
seit  Langem  mit  der  Gesellschaft  in  Ver- 
handlungen über  die  Regelung  ihrer  ver- 
wickelten Verhältnisse  gestanden,  kam 
nun  auf  seine  bereits  mit  dem  Erlasse 
vom   15.  Januar  1876   angeregte  Ueber- 


lassung  der  ganzen  Bahn  an  den  Staat 
zurück  und  zog  auch  die  beiden  Priori- 
täten-Curatoren  den  weiteren  Auseinander- 
setzungen zu.  Ausschlaggebend  war  je- 
doch, da  die  Prioritäten  II.  Emission 
ohnehin  zumeist  dem  Staate  gehörten, 
die  Haltung  des  Curators  der  Prioritäten 
I.  Emission.  Dieser  war,  obzwar  er  das 
mit  Ende  1882  abgelaufene  Vergleichs- 
Uebereinkommen  mit  der  Gesellschaft 
[siehe  Seite  182]  am  20.  December  1882 
auf  die  Zeit  bis  Ende  1892  erneuert  hatte 
und  daher  wieder  ein  Jahrzehnt  hindurch 
keine  Zwangsmittel  anwenden  konnte, 
dennoch  wenig  willfährig  und  erst  dann 
zum  Abschlüsse  bereit,  als  die  Regierung 
sich  erbötig  machte,  jene  Prioritäten, 
wovon  noch  nom.  11,940.000  fl.  im  Um- 
laufe waren,  zur  Selbstzahlung  zu  über- 
nehmen, allerdings  nur  mit  einer  von 
50/„   auf  4%  herabgesetzten  Verzinsung. 

Auch  der  Verwaltungsrath  machte 
anfänglich  bedeutende  Schwierigkeiten ; 
er  wollte  nur  die  Linie  Pilsen-Eisenstein 
ohneweiters  abtreten,  für  die  alte  Linie 
aber  den  Actionären  eine  allmählich 
steigende  Rente  zugesichert  haben. 
Schliesslich  kam  eine  Einigung  dahin 
zustande,  dass  die  Regierung  einen 
Zahlungsbetrag  von  nom.  7,157.600  fl. 
in  4°/0igen,  steuerfreien  und  bis  längstens 
1.  Juli  1963  zu  tilgenden  Staatsschuld- 
verschreibungen zusagte  und  der  Gesell- 
schaft ihr  Braunkohlenwerk,  wie  auch 
die  Deggendorfer  Schleppbahn  sammt 
der  dortigen  Umschlagsanlage  und  die 
damit  zusammenhängende  Schiffahrts- 
Unternehmung  beliess.  Letztere,  die  »Süd- 
deutsche Donau- Dampfschiffahrt«, 
hatte  ihre  Thätigkeit  am  20.  März  1883 
begonnen  und  sollte,  zum  Zwecke  der 
Hebung  des  Verkehres  auf  den  gesell- 
schaftlichen Linien,  die  über  dieselben 
nach  Deggendorf  verfrachtete  böhmische 
Braunkohle  donauabwärts  nach  Wien, 
Budapest  etc.  bringen.  Der  Werth 
dieser  Investitionen  war  Ende  1883  mit 
2,186.412  fi.    ausgewiesen. 

Der  als  Aequivalent  für  die  Ver- 
zinsung seines  Besitzes  an  gesellschaft- 
lichen Prioritäten  II.  Emission  dem 
Staate  zukommende  Antheil  an  den  an- 
gesammelten Erträgnissen  der  Linie  Pilsen- 
Eisenstein    [sammt    Zinsen    im    Ganzen 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


357 


1,511.274  fl.]  wurde  vergleichsweise  auf 
1,310.000  fl.  festgesetzt  und  der  Gesell- 
schaft zur  Barzahlung  am  I.  Juli  1884 
aufgegeben.  Auf  seine  übrigen  Rechte 
als    Gläubiger    der  Gesellschaft,    sowohl 


hinsichtlich  der  Bauvorschüsse  von 
7,000.000  fl.,  als  auch  hinsichtlich  der 
übernommenen  Prioritäten  II.  Emission 
im  Betrage  von  nom.  10,499.850  fl., 
leistete  der  Staat  Verzicht.     Wegen   der 


358 


Ignaz  Konta. 


Uebernahme  des  Personals  ging  er 
analoge  Verpflichtungen  ein,  wie  bei 
den  vorausgegangenen  Verstaatlichungen. 

Die  Menge  und  verwickelte  Natur 
der  Verhandlungspunkte  zogen  die  ein- 
verständliche Erledigung  derselben  in  die 
Länge,  so  zwar,  dass  der  Abschluss  des 
Uebereinkommens  erst  am  26.  April  1884 
erfolgte.  Jetzt  musste  aber  auch  noch 
die  Zustimmung  der  Actionäre  und 
Prioritäre  eingeholt  werden.  Das  geschah 
in  der  ausserordentlichen  Generalver- 
sammlung vom  II.  Mai  und  in  der  Ver- 
sammlung der  Prioritäre  [I.  Emission] 
vom  1 5.  Mai ;  rücksichtlich  der  Prioritäten 
II.  Emission,  die  ohnehin  zumeist  [87-5°/0] 
im  Besitze  des  Staates  waren,  ertheilte 
die  Curatel-Behörde  gleich  am  8.  Mai 
den  Zustimmungsbescheid.  Nun  erst  war 
die  Angelegenheit  auch  zur  legislativen 
Behandlung  reif. 

Diese  ging  überraschend  schnell  von 
statten.  Der  bezügliche  Gesetzentwurf 
wurde  am  17.  Mai  im  Reichsrathe  ein- 
gebracht und  erhielt  bereits  am  8.  Juni 
1884  die  a.  h.  Sanction.  Ebenso  rasch 
gelang  die  Durchführung  des  Gesetzes. 
Am  15.  Juni  erliess  das  Handelsministe- 
rium die  Kundmachung,  dass  die  Bahn 
vom  Staate  übernommen  sei,  und  am 
1.  Juli  1884  ging  dieselbe  in  die  Ver- 
waltung der  k.  k.  Direction  für  Staats- 
Eisenbahnbetrieb  über. 

Bei  diesem  Anlasse  trat  der  gesell- 
schaftliche Director,  kaiserlicher  Rath 
Karl  Claudy,  der,  als  Nachfolger  des 
früheren  Directors  Karl  Hladik,  im  Jahre 
1879  die  Leitung  der  Geschäfte  über- 
nommen hatte,  in  den  Ruhestand  und 
wurde  mit  dem  Titel  eines  Regierungs- 
rathes  ausgezeichnet. 

Die  Convertirung  der  Prioritäten 
I.  Emission  vollzog  sich  in  der  aller- 
einfachsten  Weise,  nämlich  durch  blossen 
Umtausch  der  5°/0igen  Obligationengegen 
die  gleiche  Anzahl  der  neuen  4°/0igen, 
abzugfreien  Titel  [15.  December  1884 
bis  15.  Januar  1885].  Der  nicht  im  Be- 
sitze des  Staates  gewesene  Theil  der 
Prioritäten  II.  Emission  [1,500.000  fl.] 
wurde  mittels  eines  gleich  hohen  Betra- 
ges der  als  Entgelt  für  die  alte  Linie 
herausgegebenen  Staatseisenbahn-Schuld- 
verschreibungren eingelöst. 


Dadurch  verblieben  der  Gesellschaft 
von  diesem  Entgelte  nur  noch  nom. 
5,657.600  fl. ;  hieraus  musste  sie  die 
schwebende  Schuld  tilgen,  welche  Ende 
1883  mit  3,936.803  fl.  zu  Buche  stand. 
Falls  dies  zum  vollen  Werthe  geschah, 
erübrigten  dann  für  jede  der  60.000 
Actien  ä  150  fl.  etwa  30  fl.  Ausserdem 
hatten  sich  dieselbe  in  den  Werth  der 
vorerwähnten,  im  Besitze  der  Gesellschaft 
verbliebenen  Investitionen  zu  theilen.  Die 
Liquidation  fand  in  der  Zeit  vom  5.  Januar 

1885  bis  Ende  November  1887  statt.  Die 
Curatel    hörte  am  7.  April  1887  auf. 

Mit  der  Eisenbahn  Pilsen-Priesen 
[Komotau]  ging  auch  die  9^9  km  lange 
Kohlenbahn  Littitz-Nürschan  in 
das  Eigenthum  der  Staates  über.  Die- 
selbe setzte  sich  aus  verschiedenen  in 
den  Jahren  1867  und  1870  erbauten 
Schleppbahnen  zusammen,  welche  seitens 
der  Gesellschaft  im  Jahre  1877  ange- 
kauft und  in  den  Jahren  1877  und  1881 
weiter  ausgestaltet  wurden.  Die  staat- 
liche Eisenbahn- Verwaltung  hat  dieselbe 
vom  1.  Januar  1887  an  den  öffentlichen 
Bahnen  zugezählt. 

Nach  dieser  grossen  Ausbreitung  des 
staatlichen  Bahngebietes  in  Böhmen,  trug 
die  Regierung  Sorge,  demselben  auch 
den  Weg  bis  an  die  Elbe  und  zu  dem 
für  viele  Verkehrsrelationen,  insbesondere 
den  Transit  zwischen  Triest  und  den 
nördlichen  Hafenplätzen  wichtigen  Aus- 
gangspunkt Bodenbach  zu  erschliessen. 
Sie  bediente  sich  hiezu  der  beiden  Dnxer 
Bahnen,  deren  Uebernahme  in  den  Staats- 
betrieb,   allerdings    erst    vom     I.  Januar 

1886  an,  schon  in  dem  Uebereinkommen 
vom  26.  April  1884  [siehe  Seite  302]  vor- 
gesehen und  genau  umschrieben  war  — ■ 
und  liess  die  k.  k.  Direction  für  Staats- 
Eisenbahnbetrieb,  ein  zeitweiliges  Ueber- 
einkommen mit  der  Dux- Bodenbacher 
und  mit  der  Prag-Duxer  Bahn  treffen 
vermöge  dessen  dieselben  schon  vom 
I.Juli  1884  an  in  den  Staatsbetrieb 
übergeben  wurden.  Diese  Abmachung 
erfolgte  am  17.  Mai  1884  für  die  Zeit 
bis  zum  I.Januar  1886,*)  binnen  welcher 
die    legislative    Genehmigung    des    erst- 


*)  Am  7.  December  1885  fand  die  ein- 
vernehmliche Hinausrückung  dieses  Termines 
um  sechs  Monate  statt. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


359 


erwähnten  Uebereinkommens  erwirkt  wer- 
den sollte.  Da  aber  auch  während  des 
Provisoriums  der  Betrieb  nicht  für  Rech- 
nung des  Staates  zu  gehen  hatte,  blieb 
den  Verwaltungen  der  beiden  Gesell- 
schaften noch  eine  erkleckliche  Einfluss- 
nahme  eingeräumt  und  ihrem  Director, 
Johann  P  e  c  h  a  r,  der  überdies  zum  Leiter 
des  Prager  k.  k.  Oberamtes  ausersehen  war, 
die  unmittelbare  Versehung  des  Dienstes 
noch  weiter  übertragen. 

Das  Anwachsen  des  staatlichen  Be- 
triebsnetzes rückte  die  Frage,  ob  und 
inwiefern  seine  Verwaltung  einer  Aende- 
rung  zu  unterziehen  sei,  in  den  Vorder- 
grund. Die  Nothwendigkeit  einer  Neu- 
einrichtung stand  bald  allenthalben  ausser 
Zweifel,  über  die  Art  derselben  gingen 
jedoch  die  Meinungen  weit  auseinander. 
Die  nationalen  Parteien  wünschten  und 
auch  Fachmänner  befürworteten  eine 
Theilung  mindestens  nach  zusammen- 
hängenden Complexen.  Dieser  Gedanke 
schien  wirklich  Anklang  gefunden  zu 
haben  ;  denn  geraume  Zeit  war  viel  davon 
die  Rede,  dass  zwei  Verwaltungstellen, 
eine  für  das  westliche,  die  andere  für 
das  nordöstliche  Netz  errichtet  werden. 
Man  bekam  sogar  schon  die  Namen  von 
Persönlichkeiten  zu  hören,  welche  für  die 
Leitung  des  letzteren  in  Betracht  kämen. 
Von  anderer  einfiussreicher  Seite,  die  hie- 
bei  auch  im  Kreise  der  damals  bestandenen 
Verwaltungsstelle  kräftige  Unterstützung 
gefunden,  wurde  jedoch  das  Festhalten 
an  der  Einheitlichkeit  des  ganzen  Orga- 
nismus und  seiner  Vorstehung  so  ernst 
und  dringend  als  unerlässlich  bezeichnet, 
dass  dies  schliesslich  massgebend  blieb 
und  allen  widerstrebenden  Anstrengun- 
gen ein  Ziel  setzte. 

Das  am  8.  Juni  1884  a.  h.  genehmigte 
und  mittels  Verordnung  des  Handels- 
ministeriums vom  23.  Juni  1884  verlaut- 
barte  Statut  für  die  neue  Organi- 
sation der  Staatseisenbahn-Ver- 
waltung bestimmte  nämlich,  dass  >die 
Führung  des  Betriebes  auf  den  in  eigener 
Verwaltung  des  Staates  befindlichen 
Staatsbahnen  und  vom  Staate  betriebenen 
Privatbahnen,  wie  auch  die  Führung  des 
Staatseisenbahnbaues  unter  der  Ober- 
aufsicht des  Handelsministers,  durch  eine 
demselben  unmittelbar  unterstehende  ein- 


heitliche Dienststelle  erfolge,  welche  un- 
abhängig von  den  sonstigen  Eisenbahn- 
Agenden  des  Handelsministeriums  fungirt, 
die  Bezeichnung:  K.  k.  Genera  1- 
Direction  der  österreichischen 
Staatsbahnen  führt,  und  in  den  An- 
gelegenheiten ihres  Geschäftskreises  als 
Executiv  -  Organ  des  Handelsministers 
fungirt«.  Im  Sonstigen  lehnte  sich  das 
Statut  an  die  bereits  in  den  Grundzügen 
für  die  erste  Organisation  aufgestellten 
Principien  an,  gab  aber  —  wie  anderen 
Orts  ausführlich  dargethan  ist  *)  —  der 
neuen  leitenden  Dienststelle  eine  grössere 
Selbständigkeit  und  einen  wesentlich 
erweiterten  Wirkungskreis,  und  machte 
den  Staat s-E isenbahnrath,  der  vor- 
dem einen  Theil  der  Central- Verwaltungs- 
stelle bildete  zu  einem  dem  Handels- 
minister  beigegebenen  Berathungskörper. 
Die  Versehung  des  äusseren  Dienstes 
übertrug  die  neue  Anordnung  eigenen, 
der  k.  k.  General  -  Direction  untergeord- 
neten Dienststellen,  und  zwar  die  Leitung 
des  localen  Betriebsdienstes  den  k.  k. 
Eisenbahn-Betriebsdirectionen, 
die  Besorgung  des  Traject-  und  Schiff- 
fahrtdienstes auf  dem  Bodensee  der  k.  k. 
Bodensee- Schiffahrts-Inspection 
und  die  Ausführung  neuer  Staatsbahnen 
den  k.  k.  Bauleitungen. 

An  die  Spitze  der  k.  k.  General- 
Direction  wurde  mit  a.  h.  Entschliessung 
vom  12.  Juli  1884  der  bisherige  Präsident 
der  Direction  für  Staats  -  Eisenbahnbetrieb, 
Alois  Freiherr  Czedik  v.  Bründels- 
b  e  r  g,  berufen.  Dann  folgte  die  Besetzung 
der  übrigen  höheren  Posten  [Directoren, 
General  -  Directionsräthe  etc.]  und  am 
1.  August  1884  begann  die  neue  Ver- 
waltung ihre  Thätigkeit,  nachdem  das 
Handelsministerium  ihre  Activirung  sowie 
zugleich  die  Auflösung  der  k.  k. 
Direction  für  Staats-Eisenbahn- 
betrieb und  der  k.  k.  Minis terial- 
Commission  für  die  Verwaltung  der 
Mährischen  Grenzbahn  und  der  galizi- 
schen  Linien,  mittels  Kundmachung  vom 


*)  Vgl.  den  Abschnitt  »Verwaltungs  -  Ge- 
schichte der  österreichischen  Eisenbahnen« 
von  Dr.  Alfred  Freiherr  v.  Buschman;  sowie 
auch:  Dr.  Theodor  Haberer  »Das  österrei- 
chische Eisenbahnrecht«  [Wien  1885]  und 
Ko  n  t  a'sEisenbahn-Jahrb.Jahrg.X  VIII,  S.201  ff. 


360 


Ignaz  Konta. 


27.  Juli  1884  verfügt  und  verlautbart 
hatte.  *) 

Seit  dem  Anbeginne  der  zweiten  Hälfte 
des  Jahres  1884  also  stand  Oesterreich, 
nach  manchem  Schwanken  in  Sachen  der 
Verstaatlichung  und  nachdem  es  dann 
viele  Mühen  und  Opfer  auf  sie  ver- 
wendet hatte,  im  Besitze  eines  grossen, 
mehrentheils  geschlossenen  und  die  Haupt- 
adern des  Verkehres  mit  dem  Westen 
umfassenden,  staatlichen  Betriebsnetzes, 
welches  mit  seinem  noch  zu  Ende  des- 
selben Jahres  erreichten  Umfange  von 
mehr  als  5100  &w«  ein  gebietender  Factor 
in  den  volkswirtschaftlichen,  verkehrs- 
und  handelspolitischen  Fragen  war. 

Man  glaubte  nun,  dass  ihm  selbst, 
wie  nicht  minder  der  staatsfreundlichen 
Strömung,  der  er,  nach  den  vortrefflichen 
Ausführungen  eines  unserer  hervor- 
ragendsten Reichsboten,  **)  sein  Entstehen 
hauptsächlich  verdankte,  Schwerkraft  ge- 
nug innewohne,  um  eine  nochmalige  Ab- 
weichung im  Entwicklungsgänge  des 
neuen  Systems  zu  verhindern.  Doch 
gleich  die  nächste,  allerdings  harte  Probe 
führte  zum  Beweise  des  Gegentheils. 

Der  herannahende  Ablauf  des  Privi- 
legiums der  ältesten  und  mächtigsten 
Locomotiv-Eisenbahn  der  Monarchie  — 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
■ —  heischte  baldige  Entscheidung  über 
die  Zukunft  dieses  Unternehmens.  Die 
eigenen  Interessenten  desselben  strebten 
die  Erneuerung  des  Privilegiums  an,  die 
Bevölkerung  wünschte  sein  Aufhören  her- 
bei und  im  Reichsrathe  hatten  sich  schon 
frühzeitig  Stimmen  für  die  Verstaatlichung 
erhoben.  Die  erste  einschlägige  An- 
regung ging  anlässlich  der  Budgetdebatte 
am  16.  Mai  1881  von  dem  Abgeordneten 
Friedmann  aus.  Für  die  Regierung  mag 
es  gewiss  auch  verlockend  gewesen  sein, 
die  gute  Gelegenheit  zu  nützen  und  die 
ertragreichste,  überdies  mitten  zwischen 
den  beiden  staatlichen  Betriebsnetzen  ge- 
legene Eisenbahn  für  den  Staat  zu  erwerben. 

*)  Die  Auflösung  der  k.  k.  Direction  für 
Staatseisenbahnbauten  erfolgte  erst  nach 
der  Vollendung  der  Arlbergbahn,  nämlich 
am  1.  October  1884. 

**)  »Die  Verstaatlichung  der  Eisenbahnen 
in  Oesterreich  von  Dr.  Josef  Kaizl,  Professor 
an  der  k.  k.  Böhmischen  Karl  Ferdinands- 
Universität  in  Prag«  [Leipzig   1885]. 


Allein  beim  näheren  Hinzusehen  fand  sie, 
dass  einem  solchenVorhaben  viele,  mitunter 
sogar  kaum  zu  überwindende  Schwierig- 
keiten entgegen  stünden. 

Zu  den  bedeutendsten  derselben 
zählten :  erstens  die  eigentliche  Rechts- 
frage, die  darin  wurzelte,  dass  der  Artikel 
10  des  Privilegiums  vom  4.  März  1836*) 
die  Erneuerung  desselben  verhiess,  wenn 
die  Unternehmung  sich  »als  nützlich  be- 
währt hätte«  —  was  die  Gesellschaft 
natürlich  behauptete,  aber  auch  durch  eine 
pragmatische  Geschichte  der  Entwicklung 
und  der  Leistungen  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  unter  Beweis  stellte ;  zweitens 
die  Frage,  wie  der  Werth  der  »Real- 
und  Mobiliar-Zugehörungen,  mit  welchen 
die  Gesellschaft  »als  Eigenthümer  frei 
schalten  konnte«  [ebenfalls  Artikel  10], 
bei  der  etwaigen  Ablösung  zu  ermitteln 
sei.  Die  Fachliteratur  und  neben  ihr  die 
mannigfachsten  Berufskreise  beschäftigten 
sich  eingehendst  mit  diesen  Fragen ;  das  Er- 
gebnis der  Erörterungen  war  aber  nur  einer 
Reihe  von  einander  widersprechenden 
Schlussfolgerungen,  wiewohl  sie  zum 
Theile  von  gelehrten  Körperschaften  — 
beispielsweise  vom  juridisch-politischen 
Lesevereine,  der  schon  am  9.  Februar  1881 
das  Aufhören  oder  den  Fortbestand  der 
Nordbahn-Gesellschaft  in  den  Kreis  seiner 
»Besprechungen«  gezogen  hatte  —  oder 
sonst  berufenen  Fachmännern  ausgingen. 

Die  einen  bejahten,  die  anderen  ver- 
neinten entschieden,  dass  der  Gesellschaft 
ein  Recht  auf  Erneuerung  des  Privilegiums 
zustehe;  und  hinsichtlich  des  Bahneigen- 
thumes,  das  so  ziemlich  allgemein  der 
Gesellschaft  unbestritten  zuerkannt  wurde, 
wollte  man  einerseits  den  vollen  Ge- 
brauchs- und  Nutzwerth,  andererseits 
blos  den  Bruchwerth  und  auf  dritter 
Seite  einen  im  Enteignungswege  festzu- 
stellenden Schätzungswerth  gelten  lassen. 

Während  so  dieser  Meinungsstreit 
immer  weiter  um  sich  gegriffen,  ent- 
brannte auch  jener  über  die  Vortheile 
der  Belassung  der  Nordbahn  als  Privat- 
Unternehmen  oder  ihrer  Verstaatlichung, 
wobei  nach  den  verschiedenen  Partei- 
standpunkten das  Lob  der  Gesellschaft 
gesungen    oder    die    Schädlichkeit    ihres 


*)  Siehe  Bd.,  I,  1.  Th.,  S.  134  u.  ff. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


361 


Monopols  arg  beklagt  wurde.  Letzteres 
geschah  insbesondere  auf  Seite  vieler 
Handelskammern,  Industriellen  und  sonsti- 
gen Kohlen-Consumenten  und  des  Ge- 
meinderathes  der  Reichshauptstadt. 

Die  beiden  Hauptbetheiligten  hatten 
sich  jedoch  die  ganze  Zeit  über  zuwartend 
verhalten  und  blos  Rechtsgutachten  ein- 
geholt. Die  Regierung  bestellte  eine 
eigene,  aus  Vertretern  der  Ministerien 
des  Handels,  der  Finanzen  und  der  Justiz 
zusammengesetzte  Ministerial-Commission 
zur  Prüfung  der  rechtlichen  Tragweite 
des  Nordbahn-Privilegiums.  Das  von  dieser 
erstattete  Gutachten  besagte    im  Haupt- 


sellschaft, indem  sie  der  Regierung  am 
16.  Mai  ein  auf  den  vorerwähnten  Ar- 
tikel 10  gestutztes  Gesuch  um  Erneuerung 
des  Privilegiums  überreichte.  Dem  waren 
Veränderungen  in  der  gesellschaftlichen 
Direction  vorausgegangen.  Der  nach  dem 
Rücktritte  des  Präsidenten  Josef  S  tu  m  m e r 
Ritter  von  Traunfels,  der  diesen 
Posten  seit  1843  inne  hatte,  zu  dessen 
Nachfolger  gewählte  Simon  Freiherr 
von  Winterstein  [1882],  schied 
gänzlich  aus  der  Direction,  ebenso  alsbald 
auch  der  Freiherr  M.  von  Königs- 
warter.  Dass  dies  mit  der  angestrebten 
Lösung     der     »Nordbahnfrage«     in    Zu- 


Lawoczne.     [K.  k.  Staatsbahn  Stryj-Beskid  ] 


sächlichen :  Die  Bahn  gehört  nach  dem 
Ablaufe  des  Privilegiums  unbestreitbar 
der  Gesellschaft ;  aus  demselben  folgt 
jedoch  keineswegs,  dass  die  Staatsverwal- 
tung verpflichtet  ist,  das  Privilegium 
ohneweiters  zu  verlängern,  sondern  die 
Berechtigung  hat,  an  seine  Wiederver- 
leihung Bedingungen  zu  knüpfen  und, 
wenn  eine  Einigung  nicht  zustande  komme, 
entweder  die  Bahn  selbst  zu  betreiben 
oder  durch  Andere  betreiben  zu  lassen, 
nachdem  der  gesellschaftliche  Besitz  im 
Wege  des  freien  Uebereinkommens  oder 
mittels  Enteignung  erworben  worden  ist. 
Der  Weg  der  Vereinbarung  war  es 
denn  auch,  den  beide  Betheiligten  nachher 
einschlugen,  die  Regierung  jedoch  nicht 
um  die  Bahn  sogleich  zu  erwerben,  son- 
dern um  die  strittigen  Punkte  durch  klare, 
bündige  Vertragsbestimmungen  voll- 
kommen zu  ordnen  und  so  den  künftigen 
zwistlosen  Heimfall  der  ganzen  Unter- 
nehmung an  den  Staat  vorzubereiten. 
Betreten  wurde  dieser  Weg  im  Jahre 
1883;  den  ersten  Schritt  machte  die  Ge- 


sammenhang  stand,  wollte  nicht  zu- 
gegeben werden.  Unbestritten  blieb 
jedoch,  dass  der  neue  Vicepräsident  [und 
vom  Jahre  1884  an  Präsident],  Julius 
Herz,  sowie  das  neugewählte  Directions- 
Mitglied  Dr.  Philipp  Mauthner, 
welche  beide  die  Gesellschaft  bei  den 
Verhandlungen  mit  der  Regierung  ver- 
treten haben,  Vertrauenspersonen  des 
Hauptactionärs  der  Gesellschaft,  nämlich 
des  Hauses  Rothschild  wären. 

Beiläufig  ein  Jahr  lang  hatten  die 
Verhandlungen  gedauert,  ehe  ihre  erste 
Frucht  —  das  Uebereinkommen  vom 
IO.  April  1884  —  das  Tageslicht  er- 
blickte. Seine  Bestimmungen  gingen  im 
Wesentlichen  dahin,  dass  die  Gesellschaft 
eine  neue,  das  gesammte  Netz  als  eine 
einheitliche  Unternehmung  umfassende 
Concession  auf  die  Dauer  von  achtzig 
Jahren  [bis  31.  December  1965]  erhält, 
hingegen  der  Staatsverwaltung  die  volle 
Ausübung  der  Aufsicht  sowie  das  Recht 
einräumt,  das  ganze  Netz  vom  1.  Januar 
1904   an  jederzeit    einzulösen  [unter  den 


3Ö2 


Ignaz  Konta. 


üblichen  Bedingungen],  ferner  dass  die 
Nordbahn  sich  verpflichtet :  das  gesammte 
Actiencapital  innerhalb  der  Concessions- 
dauer  zu  tilgen,*)  die  Garantie- Vorschüsse 
für  die  Mährisch-Schlesische  Nordbahn 
[7,655.657  fl.  nebst  Zinsen]  —  unbeschadet 
des  allerdings  nur  bedingten  Fortbestandes 
der  Staatsgarantie  —  sogleich  zurück- 
zuzahlen, die  Tarife  der  westlichen  Staats- 
bahnen und  überdies  für  Kohle  einen  be- 
sonderen Zonentarif  einzuführen,  alle  Tarife 
und  Refactien  zu  veröffentlichen,  die 
fehlenden  Strecken  der  Linie  von  Bielitz 
über  Teschen  und  Wall.-Meseritsch  bis  zur 
Böhmisch  -  Mährischen  Transversalbahn, 
wie  auch  einen  Circumvallationsflügel 
bei  Krakau  zu  erbauen,  innerhalb  der 
nächsten  zehn  Jahre  die  Summe  von 
10,000.000  fl.  auf  den  Bau  von  Local- 
bahnen  zu  verwenden,  allen  Ansprüchen 
aus  dem  Privilegium  zu  entsagen  u.  s.  w. 
Die  Actionäre  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  hatten  in  ihrer  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  7.  April 
1884,  unter  bitteren  Klagen  über  die  ihr 
auferlegten  drückenden  Bedingungen, 
also  gleichsam  nur  der  Macht  weichend, 
das  Uebereinkommen  gutgeheissen  und 
den  von  einem  Opponenten  gestellten 
Antrag  auf  Einsetzung  eines  Actionär- 
Comites  zur  Ueberprüfung  des  Ueber- 
einkommens  abgelehnt.**)  Die  Regierung 
ihrerseits  meinte  das  Beste  gethan  und 
erreicht  zu  haben;  denn  das  Ueberein- 
kommen entwirrte  die  verwickelte  Rechts- 
frage, bereitete  den  lastenfreien  Heimfall 
wie  auch  eine  regelrechte  Einlösung  der 
Bahn    vor    und    brachte    dem  Staate   zu- 


*)  Bislang  hatte  eine  Actien-Tilgung  nicht 
stattgefunden,  weil  die  Bahn  sammt  den 
Zugehörungen  nach  Ablauf  des  Privilegiums 
Eigenthum  der  Gesellschaft  blieb. 

**)  Derselbe  Antragsteller,  Ed.  Beer, 
schlug  auch  vor,  es  möge  mit  Rücksicht 
darauf,  dass  »die  Actionäre  heute  vielleicht 
zum  letzten  Male  auf  Grund  des  alten  Privi- 
legiums tagen,  des  Gründers  der  Nordbahn 
in  einer  würdigen  Weise  gedacht  und  be- 
schlossen werden:  es  sei  als  Servitut  des 
Nordbahnhofes  grundbücherlich  zu  ver- 
zeichnen, dass  das  Standbild  weiland  Salomon 
y.  Rothschild's  den  Platz,  welchen  es  jetzt 
im  Bahnhofgebäude  einnimmt,  für  immer- 
währende Zeiten  einnehmen  soll«.  Dieser 
Vorschlag  wurde  mit  Stimmeneinhelligkeit 
zum  Beschlüsse  erhoben. 


gleich  noch  andere  Vortheile  wirthschaft- 
licher  und  finanzieller  Art  ein. 

Nicht  so  zufrieden  gaben  sich  die 
vielen  Gegner  der  Gesellschaft  und  der 
Privatbahnen  überhaupt,  und  noch  weniger 
das  Parlament,  dem  das  Uebereinkommen 
am  24.  April  vorgelegt  wurde.  Selten 
noch  begegnete  eine  Vorlage  solchen 
Anfeindungen  und  Gegenströmungen  und 
die  Folge  dayon  war,  dass  der  Eisen- 
bahn-Ausschuss  sich  nicht  sowohl  mit 
ihr  selbst  als  mit  den  andrängenden  An- 
trägen auf  Verstaatlichung  oder  Abschluss 
eines  neuen  günstigeren  Uebereinkommens 
beschäftigte.  Durch  die  Vertagung  des 
Reichsrathes  wurde  das  Uebereinkommen 
übrigens  gegenstandslos,  da  die  Gesell- 
schaft nicht  weiter  gebunden  war,  wenn 
es  nicht  bis  1.  Juli  1884  die  legislative 
Erledigung  erlangte. 

Die  ganze  Frage  stand  nun  wieder 
auf  dem  alten  Punkte  und  die  Gesell- 
schaft abermals  vor  einem  ungewissen 
Lose;  ihre  Theilhaber  nahmen  in  der 
Generalversammlung  vom  25.  Juni  1884 
eine  förmliche  Kampfesstellung  gegen 
die  Anfeindungen  der  Gesellschaft  ein 
und  erklärten  unumwunden,  sich  in  der 
Vertretung  ihrer  Rechte  durch  keinerlei 
Hetze  beirren  zu  lassen.  Draussen  breiteten 
sich  aber  sowohl  die  Bewegung  zu 
Gunsten  der  Verstaatlichung  als  auch 
jene  Erscheinungen  aus,  welche  der  An- 
gelegenheit schliesslich  auch  noch  einen 
ausgesprochen  politischen  Anstrich  gaben. 

Die  förmliche  Zurückziehung  der  ersten 
Vorlage  erfolgte  am  4.  December  1884. 
Inzwischen  hatte  die  Regierung  ein 
neuerliches  Rechtsgutachten  von  »autori- 
tativer juristischer  Seite«,  nämlich  von 
dem  Präsidium  des  Obersten  Gerichts- 
hofes eingeholt.  Dasselbe  kam  in  seinen 
streng  sachlichen  Darlegungen  zu  dem 
Schlüsse,  dass  die  Gesellschaft  auch  nach 
dem  Ablaufe  des  Privilegiums  Eigen- 
thümerin  der  Privilegiallinien  bleibt,  der 
Staat  aber  im  Principe  berechtigt  sei,  sie 
zum  Zwecke  ihres  ungestörten  Fort- 
betriebes auch  im  Wege  der  Expropriation 
zu  erwerben ;  nur  müssten  die  Normen, 
wann  und  in  welcher  Weise  die  Ent- 
eignung bestehender  Eisenbahnen  über- 
haupt platzgreifen  kann,  erst  durch  ein 
;  Gesetz    festgestellt   werden,    dessen    Be- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


363 


Stimmungen  jedoch  keineswegs  gegen 
die  Vorschriften  des  allgemeinen  bürger- 
lichen Gesetzbuches  Verstössen  dürften, 
wonach  der  Enteignete  für  alle  durch  die 
Enteignung  erlittenen  vermögensrecht- 
lichen Nachtheile  schadlos  zu  halten  ist. 

Dieses  Gutachten  nun,  dessen  Ver- 
öffentlichung auch  die  Wogen  des 
Meinungskampfes  wesentlich  glättete,  be- 
stärkte die  Regierung  in  ihrer  Ansicht, 
dass  die  Erwerbung  der  Nordbahn  unter 
den  bisherigen  Rechtsverhältnissen,  in 
Rücksicht  auf  den  Staatsschatz,  nicht 
geboten  sei  —  und  bestimmte  sie,  neuer- 
liche Verhandlungen  mit  der  Nordbahn 
zu  eröffnen.  Bei  diesen  hatte  für  die 
Gesellschaft  schon  ihr  neuer  General- 
Secretär,  Regierungsrath  Richard  J  e  i  t- 
t  e  1  e  s  [bis  dahin  Vorstand  der  Ab- 
theilung für  Garantie  -  Abrechnungs  - 
wesen  bei  der  k.  k.  General  -  Inspection 
der  österreichischen  Eisenbahnen],  mit- 
gewirkt, der  am  1.  October  1884  in  die 
Dienste  der  Kaiser  Ferdinands  -  Nordbahn 
übertrat  und  zuerst  den  damals  in  den 
Ruhestand  übernommenen,  altgedienten 
General-Secretär,  Hofrath  J.  Ritter  von 
Jacobi,  ersetzte,  nachher  aber  zum  Ge- 
neral-Director  aufstieg. 

Am  10.  Januar  1885  kam  ein  zweites 
Uebereinkommen  zustande,  welches  sich 
von  dem  früheren  hauptsächlich  in  Fol- 
gendem unterschied:  Die  Dauer  der  zu 
ertheilenden  einheitlichen  Concession  endet 
schon  am  31.  December  1940,  also  um 
25  Jahre  früher;  bis  dahin  müssen  nicht 
blos  das  Actiencapital,  sondern  auch  die 
Prioritäts-Anlehen  getilgt  sein;  die  Ge- 
sellschaft bezahlt  dem  Staate  den  Betrag 
von  1,314.732  fl.  als  Aequivalent  für  den 
Aufschub  des  Heimfallrechtes  an  den 
Strecken  Floridsdorf-Jedlesee,  Gänsern- 
dorf-Marchegg  und  Oderberg- Annaberg ; 
die  gesammte  Tarifbestimmung  ist  dem 
Staate  vorbehalten ;  alle  Tarife  [daher 
jetzt  auch  die  Personen tarife]  werden 
vom  Handelsministerium  nach  den  Sätzen 
der  westlichen  Staatsbahnen  festgesetzt, 
doch  soll  dabei  in  Betracht  kommen,  dass 
der  Reinertrag  der  öffentlichen  Bahnen 
nicht  unter  jenen  Betrag  sinke,  der  einer 
Dividende  von  1 1 2  fl.  für  jede  der  74.5 1 1 1/i 
Actien  entspricht;  das  dem  Staate  einge- 
räumte Peagerecht  wird  auch  auf  die  bis 


Brunn  führende  Strecke  der  Mährisch- 
Schlesischen  Nordbahn  ausgedehnt ;  die 
Gesellschaft  baut  nebst  den  früher  be- 
stimmten fünf  noch  weitere  fünf  Local- 
bahnen  u.  s.  w. 

Nachdem  die  Nordbahn  -  Direction 
diesmal  davon  abgesehen  hatte,  das 
Uebereinkommen  schon  vor  seiner  legis- 
lativen Behandlung  vor  die  Actionäre  zu 
bringen,  konnte  es  unverweilt  dem  Ab- 
geordnetenhause vorgelegt  werden.  [20. 
Januar  1885.]  Die  Aufnahme  daselbst 
war  wieder  keine  freundliche ;  die  Mehr- 
heit des  vorberathenden  Eisenbahn-Aus- 
schusses kam  zwar  bald  von  der  Ver- 
staatlichung ab,  gab  aber  noch  manchen 
Bedenken  Raum,  die  eine  abermalige 
Abänderung  zu  Ungunsten  der  Gesell- 
schaft nach  sich  zogen,  so  namentlich 
die  Begrenzung  der  Dividende  mit  105  fl., 
nachher  sogar  nur  mit  100  fl.,  und  die 
Ueberlassung  der  Hälfte  des  darüber 
hinausgehenden  Reinertrages  an  den 
Staat.  Die  Minorität  des  Ausschusses 
war  jedoch  auch  damit  noch  nicht  zu- 
frieden, setzte  sich  noch  weiter  für  die 
Verstaatlichung  ein  und  bekämpfte  die 
Vorlage  auch  im  Vollhause,  wo  sie  am 
21.  März  1885  zur  Berathung   gelangte. 

Die  Debatten  waren  überaus  erregte. 
Als  Hauptkämpfer  standen  sich  die  beiden 
Berichterstatter  des  Ausschusses  gegen- 
über, für  die  Majorität  Dr.  v.  Bilinski, 
für  die  Minorität  Dr.  Herbst;  ausser- 
dem sendeten  die  beiden  Parteien  noch 
andere  ihrer  gewiegtesten  Redner  ins 
Treffen.  [Dr.  Rieger,  Dr.  Russ  etc.]  Der 
Kampf  währte  vier  Sitzungen  hindurch, 
da  immer  noch  neue  Anträge  vorgebracht 
und  erörtert  wurden,  hauptsächlich  in 
Betreff  der  Kohlentarife  und  der  Rech- 
nungslegung. In  der  denkwürdigen  Abend- 
sitzung vom  27.  März  1885  kam  es  zur 
Abstimmung;  dieselbe  ergab  die  An- 
nahme der  Vorlage,  der  am  20.  April 
auch  das  Herrenhaus  zustimmte. 

Nun  hatte  die  Gesellschaft  sich  zu 
entscheiden.  Das  geschah  in  der  gleich- 
falls denkwürdigen  ausserordentlichen 
Generalversammlung  vom  20.  August 
1885.  Bis  dahin  hatte  die  Direction 
sich  selbst  in  der  neuen  Sachlage  zurecht- 
gefunden, die  Anträge  für  die  Actionäre 
vorbereitet  und  die  letzten  Vereinbarungen 


364 


Ignaz  Konta. 


mit  der  Regierung  getroffen.  Diese  kamen 
am  17.  Juli  zum  Abschlüsse  und  hatten, 
nebst  den  Entwürfen  der  Concessions- 
Urkunden  für  das  künftige  einheitliche 
Netz  der  Nordbahn  und  [gleichsam  als 
Normale  für  die  Concessionen  der  übrigen 
Localbahnen]  auch  jener  für  die  Local- 
bahn  Bielitz-Wadowice,  noch  zum  Er- 
gebnisse :  die  endgiltige  Feststellung  des 
Uebereinkommens  nach  den  vom  Reichs- 
rathe  daran  vorgenommenen  Aenderungen, 
welches  darum  fortan  »Uebereinkommen 
vom  10.  Januar  und  17.  Juli  1885«  be- 
titelt ward;  ferner  die  Feststellung  der 
vorzunehmenden  Statuten  -  Aenderungen 
sowie  der  Bedeckung  des  Geldbedarfes  und 
der  Convertirung  der  alten  Prioritäts- 
Anlehen  etc. 

Die  ausserordentliche  Generalversamm- 
lung vom  20.  August  1885  nahm  einen 
der  Tragweite  der  zu  fassenden  Be- 
schlüsse würdigen  Verlauf:  sie  nahm  die 
von  der  Direction  gegebenen  Anhalts- 
punkte für  die  Beurtheilung  der  Situation 
ruhig  entgegen,  allerdings  nicht  ohne 
darzuthun,  dass  ihr  das  Ueberein- 
kommen nichts  weniger  denn  Freude  be- 
reite, vielmehr  nur  als  das  zu  wählende 
kleinere  Uebel  erscheine;  sie  bedankte 
ferner  die  Ausdauer  und  Treue  der  Direc- 
tion in  dem  für  die  Actionäre  geführten 
»bitteren  und  peinlichen  Kampfe«  und 
beschloss  in  voller  Genehmigung  der 
Directionsanträge :  die  Annahme  des  Ueber- 
einkommens sowie  der  durch  dasselbe  be- 
dingten neuen  Gesellschafts-Statuten,  die 
Ermächtigung  der  Verwaltung  zur  Er- 
wirkung der  Concession  sowohl  für  die 
schon  im  Betriebe  stehenden,  als  auch 
für  die  vertragsgemäss  zu  bauenden 
Linien ;  ferner  zur  allfälligen  Erwer- 
bung der  in  die  Linie  Bielitz-Bistritz 
[Städtebahn]  fallenden  Strecken  Bistritz- 
Hullein-Kremsier  und  Weisskirchen-Wsetin 
und  zum  Ankaufe  der  Rothschild'schen 
Montanbahn  Dombrau  -  Michalkowitz  ; 
dann  zur  Durchführung  aller  mit  der  Neu- 
gestaltung der  Gesellschaften  zusammen- 
hängenden Abrechnungen,  Refundirungen 
und  Geldbeschaffungen,  wie  auch  zur 
Convertirung  der  alten  Anlehen. 

Am  6.  September  1885  erfolgte  dann 
die  a.  h.  Sanctionirung  des  Gesetzes  über 
die  »Bedingungen  für  die  zum  Be- 


triebe der  Kaiser  Ferdinand s- 
Nordbahn  zu  ertheilende  neue 
Concession    und    die    Ausübung 

I  der  hienach  dem  Staate  vorzu- 
haltenden Einlösungsrechte«.  Von 
diesem  Tage  bestand  also  das  Ueberein- 
kommen für  beide  Vertragsgenossen  zu 
Recht  und  hatte  die  »Nordbahnfrage« 
ihre  endgiltige  Lösung  gefunden.  Der 
grosse  Streit  war  ausgetragen  und  der 
Gesellschaft,  unter  neuzeitigen  Bedingun- 
gen, ein  Fortbestand  auf  18 — 25  Jahre 
eingeräumt. 

Noch  im  letzten  Viertel  des  Jahres  1885 
begann  die  Gesellschaft  die  Erfüllung 
ihrer  vertragsmässigen  Obliegenheiten 
und  die  Vorbereitung  für  ihre  Um- 
formung ;  sie  führte  die  neuen  Kohlen- 
tarife ein,  vollzog  den  Ankauf  der  Mon- 

]  tanbahn  [1.  October],  leistete  die  Rück- 
zahlung der  Garantie- Vorschüsse  für  die 
Mährisch-Schlesische  Nordbahn,  erwei- 
terte aus  Anlass  der  bevorstehenden 
Bauten  die  bezüglichen  Dienstabtheilun- 
gen    und    berief   an    deren    Spitze    den 

!  als  wohlerprobten  Fachmann  bekannten 
Director  der  Mährisch-Schlesischen  Cen- 
tralbahn,  Wilhelm  Ast.  Damals  war 
der  gesellschaftliche  General-Inspector, 
Hofrath    Wilhelm    Freiherr  v.  Eichler, 

■   der  seit   15.  Juni   1864  oberster  Chef  der 

;  technischen  Dienstzweige  der  Nordbahn 
gewesen,  nach  einer  fast  fünfzigjährigen, 
ausgezeichneten  Thätigkeit  im  Eisenbahn- 
wesen, in  den  Ruhestand  getreten. 

In  ihre    neuen  Verhältnisse    trat    die 

i   Gesellschaft    am     1 .    Januar     1 886    ein ; 

,  denn  an  diesem  Tage  erhielt  sie  die 
neue  Concession  und  erloschen  nicht 

;  nur  das  Privilegium  vom  4.  März   1836, 

|  sondern  auch  alle  ihr  seither  zutheil  ge- 
wordenen   Concessionen    und    zugestan- 

|  denen  »Exemtionen,  Sonderrechte  und 
Befreiungen«.    Diese    neue,    vorwiegend 

;  nurmehr  auf  dem  Concessions-Gesetze  vom 
Jahre    1854    beruhende  Concession    gibt 

!  der  Gesellschaft,  deren  Firma  fortan: 
»K.k.priv.  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
b  a  h  n  «  zu  lauten  hat  [vordem  hiess  sie » Aus- 
schliesslich privilegirte«  .  .  .],  das  Recht 
zum  Betriebe  aller  bisher  von  ihr  er- 
bauten oder  erworbenen,  dem  öffent- 
lichen Verkehre   dienenden  Eisenbahnen, 

,  sowie  zum  Baue  und  Betriebe  der  Linien 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


365 


Bielitz-Bistritz,  Kremsier-Koje- 
t  e  i  n  und  des  Circumvallations- 
Flügels  bei  Krakau,  gewährt  diesen 
letzteren  binnen  2J/3  Jahren  zu  vollen- 
denden Linien  eine  dreissigjährige  Steuer- 
freiheit, hebt  die  gesonderte  Rechnungs- 
führung für  die  Mährisch -Schlesische 
Nordbahn  auf,  bestimmt,  dass  deren 
Staatsgarantie  nur  für  den  Fall  wirksam 
bleibt,  als  zur  Verzinsung  und  Tilgung 
ihres  Anlage-Capitals  die  gesammten  Ein- 
nahmen und  das  Vermögen  der  Gesell- 
schaft nicht  ausreichen  sollte  —  und  gilt 


wie  bei  den  anderen  österreichischen 
Bahnen,  die  eigentliche  Geschäftsleitung 
fungirte.  Die  neue  Einrichtung  derselben 
hatte  indes  schon  am  1.  Februar  statt- 
gefunden, bei  welcher  Gelegenheit 
der  nunmehrige  Director  Hofrath 
Richard  Jeitteles  mit  dem  Vorsitze  in 
der  Direction  betraut  wurde. 

Diese  Generalversammlung  beging 
zugleich  die  Feier  des  fünfzigjährigen 
Jubiläums  der  Nordbahn  und  des  Ein- 
trittes dieser  ältesten  Locomotivbahn 
Oesterreichs    in  die  künftigen  Decennien 


Abb.  168.    Bau  des  Opor-Viaductes.     [K.  lt.  Staatsbahn  Stryj-Beskid.] 


unbeschadet  des  mit  I.  Januar  1904  in 
Wirksamkeit  tretenden  staatlichen  Ein- 
lösungsrechtes für  die  Dauer  bis  31.  De- 
cember  1940,  wo  dann  das  gesammte, 
den  Gegenstand  der  Concession  bildende 
Unternehmen  sammt  und  sonders  an  den 
Staat  übergeht;  und  zwar :  die  Bahn 
lastenfrei,  der  Fahrpark  gegen  eine  zu 
vereinbarende  oder  im  Schätzungswege 
zu  ermittelnde  Vergütung. 

Die  Neuconstituirung  der  Ge- 
sellschaft ging  auf  Grund  der  am 
2.  Februar  1886  behördlich  genehmigten 
neuen  Statuten  in  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  17.  Fe- 
bruar 1886  vor  sich.  Dieselbe  wählte 
einen  zwölfgliedrigen  Verwaltung  s- 
rath,    während    als  »Direction«    fortan, 


ihres  Bestandes.  Es  war  dies  jedoch 
keine  rauschende,  prunkvolle  Festlichkeit. 
Die  Theilhaber  der  Gesellschaft  ehrten 
das  Andenken  der  Gründer  der  Nord- 
bahn, Franz  Xaver  Riepl's  und  Salomon 
von  Rothschilds,  bedachten  den  treuen 
Mitarbeiter  des  letzteren,  Moriz  Ritter 
von  Goldschmidt,  welcher  der  Verwal- 
tung seit  1 836  ununterbrochen  angehörte, 
mit  Kundgebungen  des  Dankes  und  der 
Verehrung,  sprachen  dem  Freiherrn  Albert 
von  Rothschild  die  Anerkennung  für  die 
Förderung  des  gesellschaftlichen  Unter- 
nehmens aus  —  und  widmeten  aus  den 
allgemeinen  Reserven  200.000  fl.  zu 
einem  Unterstützungsfonds  für  unter- 
geordnete hilfsbedürftige  Bedienstete  und 
deren  Witwen  und  Waisen. 


366 


Ignaz  Konta. 


Die  gewöhnliche  Geschäftsthätigkeit 
begann  die  neue  Verwaltung,  in  der 
übrigens  die  früheren  Directoren  wieder 
Platz  gefunden,  mit  der  Aufnahme  einer 
4°/0igen  Anleihe  von  nom.  62,700.000  fl., 
wovon  jedoch  einstweilen  nur  40,260.500!!. 
wirklich  ausgegeben  wurden,  die  theils 
zu  Refundirungen  und  den  Zahlungen  an 
den  Staat  dienten,  theils  für  die  Neu- 
bauten und  zur  Convertirung  der  alten 
5°/0igen  Anlehen  [von  denen  noch 
16,418.775  fl.  in  Umlauf  waren].  Emission 
und  Convertirung  erfolgten  zum  Curse 
von  950  0  in  den  Tagen  vom  10.  bis 
24.  März  unter  lebhafter  Betheiligung 
der  Actionäre,  denen  ein  Bezugsrecht  auf 
die  neuen  Obligationen  zugestanden  war. 

Am  4.  Juni  1886  erhielt  die  Gesell- 
schaft auch  die  Concession  für  die  ur- 
sprünglich nur  bis  Wadowice  projectirt 
gewesene,  nun  aber  im  Interesse  des 
Anschlusses  an  die  Galizische  Trans- 
versalbahn um  beiläufig  17  km  verlän- 
gerte Localbahn  Bielitz-Kalwarj  a, 
deren  Vollendung  gleichfalls  auf  längstens 
den  30.  Juni   1888  festgesetzt  war. 

Nun  wurde  zur  Inangriffnahme  der 
Bauten  geschritten  und  hiebei  mit  dem 
»Circumvallations-Flügel« :  Krakau-Pod- 
görze  -  Bonarka  der  Anfang  gemacht 
[Ende  1886,  Unternehmung:  Redlich  und 
Berger].  Die  übrigen  Linien  kamen  erst 
im  Frühjahre  1887  daran:  der  Einheitlich- 
keit wegen,  mag  jedoch  Alles  zusammen 
gleich  hier  näher  besprochen  werden. 

DieLinieBielitz-Bistritz,  welche  im 
Zusammenhange  mit  der  Kremsierer  Bahn 
und  der  Ergänzungsstrecke  Kremsier- 
Kojetein  die  früher  geplant  gewesene 
Linie  Bielitz-Teschen-Olmütz  oder  -Brunn 
ersetzt  und  zugleich  auch  das  alte  Project 
der  »Schlesischen  Städtebahn«*)  verwirk- 
licht [deren  Trace  wieder  grossentheils 
mit    jener    zusammenfiel,    die    schon   ur- 

*)  Abgesehen  von  einzelnen  kleineren 
Strecken  waren  projectirt:  Teschen-Friedek- 
Neutitschein-Leipnik  [oder  Olmütz]  im  Jahre 
1869  von  Otto  Schüler  und  Genossen:  die 
eigentliche  »Städtebahn«  Krakau-Bielitz- 
Teschen  -  Friedek  -  Wallachisch  -  Meseritsch 
Holleschau-Hullein  im  Jahre  1870  von  einem 
Comite  in  Teschen  im  Vereine  mit  der  Stadtge- 
meinde daselbst.  Letzteres  Project  begegnete 
der  Gegnerschaft  der  erzherzoglichen  Cameral- 
Verwaltung  Und  mehrerer  Concurrenzen 
insbesonders    jener    der    Ostrau-Friedlander 


sprünglich  der  Nordbahn  zugedacht  ge- 
wesen, aber  vermöge  der  damaligen  feind- 
lichen Haltung  der  Städte  gegen  die 
Eisenbahn,  aufgegeben  werden  musste] 
kam  nicht  der  ganzen  Länge  nach  neu 
zur  Ausführung.  Dies  war  vielmehr  nur 
rücksichtlich  der  Strecken  Bielitz-Friedek 
[67-7  km],  Friedland-Krasna  [30/6  km], 
Wallachisch-Meseritsch-Bistritz  am  Ho- 
stein [25^3  km]  und  Kremsier-Kojetein 
[8 -8  km]  der  Fall.  Die  dazwischen  liegen- 
den Strecken  hat  die  Gesellschaft  an- 
gekauft oder  in  Mitbenützung  genommen 
[Friedek-Friedland].  Infolge  dieser  Er- 
werbungen mussten  die  Projecte  wieder- 
holt geändert  werden,  was  den  Beginn 
und  die  Ausführung  des  Baues  verzögerte. 
Derselbe  wurde  erst  am  7.  April  1887 
vergeben,  und  zwar:  Kremsier-Kojetein 
an  Peter  Kraus ;  Bilawsko-Hotzendorf 
an  Mattoni  und  die  Uniori-Baugesell- 
schaft;  Hotzendorf-Friedland  und  Friedek- 
Bielitz  an  Redlich  und  Berger. 

Neben  der  Einleitung  des  Baues 
gingen  die  Verhandlungen  wegen  der 
Erwerbimg  der  vorerwähnten  Zwischen- 
strecken einher.  Zuerst  kam  der  An- 
kauf der    Kremsierer    Bahn*)    zu 


Bahn  und  der  Mährisch-Schlesischen  Central- 
bahn,  welche  damals  mit  bedeutenden  Fort- 
setzungsplänen umgingen.  Dann  kam  die 
Societe  beige  mit  einem,  »wie  bei  dieser  Ge- 
sellschaft üblich«  ganz  unbestimmten  »ohne 
Anfangs-  und  Endpunkte  aufgestellten« 
Projecte,  gegen  welches  das  Comite  in 
Teschen    heftig    agitirte    [1881].    Schliesslich 

Erojectirte    auch    noch    die    Länderbank    die 
inie  Bielitz-  oder  Saybusch-Brünn  [als  Con- 
currenz  der  Nordbahn]. 

*)  Die  Kremsierer  Bahn,  seit  dem  Jahre 
1868  wiederholt  projectirt,  wurde  am  30.  Juni 
1880  rücksichtlich  der  Strecke  Hullein  Krem- 
sier  an  die  Stadtgemeinde  Kremsier  und 
deren  Genossen  concessionirt,  welche  am 
2.  Mai  1881  eine  Gesellschaft  errichteten. 
Diese  erhielt  am  4.  August  1881,  26.  Februar 
1882  und  14.  Februar  1883  die  bezüglichen 
Concessionen  für  die  Fortsetzungsstrecken 
Kremsier-Zborowitz,  Hullein-Bistritz,  Bistritz- 
Wallachisch-Meseritsch ;  letztere  Concession 
ward  jedoch  vom  Handelsministerium  für  erlo- 
schen erklärt  Zur  Eröffnung  gelangten :  Hul- 
lein-Kremsier,  dkm,  15.  December  1880;  Krem- 
sier-Zborowitz, 165  km,  I,  November  1881 ; 
Hullein-Holleschau,  7-5  km,  24.  September 
und  Holleschau-Bistritz,  107  km,  15.  Novem- 
ber 18S2.  Die  nicht  für  die  Städtebahn  ver- 
wendete Strecke  Kremsier-Zborowitz  gehört 
jetzt  zu  den  Localbahnen. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


367 


Abb.  169.    Einschnitt  bei  Przikas-Osiczko.  [Kaiser  Ferdinands-Nordbahn, 
Strecke  Hullein-Wallachisch-Meseritsch.j 


Stande,  nicht  gar  leicht,  weil  die  Nord- 
bahn anfänglich  nur  die  in  die  Trace 
der  Städtebahn  fallenden  Strecken  Krem- 
sier-Hullein-Bistritz  erwerben,  die  Be- 
sitzerin derselben  aber  den  kleinen 
Rest  [Kremsier-Zborowitz]  allein  nicht 
behalten  wollte.  Der  am  7.  Januar  1887 
abgeschlossene  Kaufvertrag  betraf  jedoch 
die  ganze  [sammt  der  Unterbrückung  bei 
Hullein,  1/2  km]  41-9  km  lange  Krem- 
sierer  Bahn.  Der  Kaufpreis  betrug 
2,100.000  fl.  Bis  zu  der  auf  den  Tag 
der  Eröffnung  der  Städtebahn,  längstens 
aber  den  1.  Juli  1888  anberaumten 
Uebernahme  des  Eigenthums  besorgte 
die  Nordbahn  den  Betrieb  der  Krem- 
sierer  Bahn  für  Rechnung  ihrer  früheren 
Besitzerin. 

Gleichfalls  nur  mühsam  gelang  auch 
die  Erwerbung  der  Linie  Weiss- 
kirchen -W  s  e  t  i  n.*)  Hier  bildeten  haupt- 
sächlich die  hohen  Anforderungen  der 
Oesterreichischen  Localeisenbahn-Gesell- 
schaft,  welche  in  jener  Linie  den  Kern  von 
verschiedenen  künftigen  Concurrenzrouten 


*)  Eine  Eisenbahn  von  Weisskirchen  über 
Wsetin  nach  Sillein  war  schon  am  18.  Sep- 
tember 1863  concessionirt,  und  zwar  an  Emil 
Kaikem  in  Wsetin  und  J.  B.  Even  in  Brüssel ; 
da  sie  aber  ungebaut  blieb,  verfiel  die  Con- 
cession  [29.  März  1871].  Zehn  Jahre  später 
wurden  die  Linien  Pohl-,  respective  iS'eu- 
titschein-Wsetin  projeetirt.  Für  die  erstere 
[nebst  Abzweigung  nach  Krasna]  erhielt 
die    Oesterreichische  Localeisenbahn-Gesell- 


der  Nordbahn  zu  besitzen  vermeinte. 
Die  Einigung  erfolgte  schliesslich  in  der 
Weise,  dass  die  Nordbahn,  auf  Grund 
der  bezüglichen  Verträge  vom  12.  Sep- 
tember 1887,  jene  Linie  sammt  deren 
Flügelbahnen  um  den  in  4°/0igen  Local- 
bahn-Prioritäten  [der  Nordbahn]  zu  ent- 
richtenden Preis  von  2,580.000  fl.  an- 
kaufte, vorläufig  jedoch  nur  den  Betrieb 
ab  1.  October  1887  in  Pacht  nahm. 
Dieses  Verhältnis  währte  übrigens  nur 
etliche  Wochen,  da  schon  am  24.  De- 
cember  1887  auch  die  Eigenthumsüber- 
nahme  vollzogen  wurde. 

Die  Einigung  wegen  der  M  i  t  b  e- 
nützung  der  Strecke  Friede  k- 
Friedland  [iO'i  km]  der  Ostrau- Fried- 
lander Bahn  glückte  gar  erst,  nachdem 
die  Nordbahn  sich  durch  Ankauf  eines 
bedeutenden  Postens  von  Actien  jener 
Gesellschaft  erheblichen  Einfluss  auf  die- 
selbe verschafft  hatte;  denn  auch  ihr 
hatten  Zukunftspläne  vorgeschwebt,  die 
auf  eine  Concurrenzirung  der  Nordbahn 
hinausliefen.  Der  Peage-Vertrag,  welcher 
den  Bau  der  Parallel-Strecke  überflüssig 


schaft  am  27.  Juli  1882  die  Concession,  welche 
am  12.  December  1884  für  Weisskirchen- 
Wsetin  abgeändert  wurde.  Eröffnungsdaten : 
Weisskirchen-Krasna,  249  km,  I.  November 
1884;  Krasna-Wsetin,  194  km,  1.  Juli  1885. 
In  die  Trace  der  Städtebahn  fällt  nur  die 
Theilstrecke  Krasna-Wallachisch-Meseritsch, 
ri  km;  der  übrige  Theil  ist  jetzt  in  das 
Localbahnnetz  eingereiht. 


368 


Ignaz  Konta. 


machte,  wurde  am  5.  Februar  1888  ab- 
geschlossen. 

Damals  waren  die  Neubauten  schon 
weit  vorgeschritten,  theilweise  sogar 
bereits  vollendet.  Es  gelangten  zur  Er- 
öffnung: der  Circumvallations- 
Flügel  bei  Krakau  [sammt  den  Ver- 
bindungscurven  7-9  km  lang]  am  I.Januar, 
die  Städtebahn  [exclusive  der  P6age- 
Strecke  iÖ7-3  km  lang]  und  die  Local- 
bahn  Bielitz-K  al  warj  a  [sammt  den 
Verbindungscurven  59-9  km  lang]  am 
I.  Juni   1888. 

Der  Bau  der  letzteren  kam  zugleich 
mit  jenem  der  Städtebahn  zur  Vergebung; 
Ersteher  desselben  blieben  die  Unter- 
nehmer R.  von  P  i  s  c  h  o  f  rücksichtlich 
der  Strecke Biala-Wadowice  und  Epstein 
&  Blau  rücksichtlich  der  Strecke  Wado- 
wice-Kalwarja. 

Die  »Städtebahn«  Kojetein-Bielitz  berührt 
in  ihrem  Zuge  die  bedeutenderen  Stadtge- 
meinden Kremsier,  Hullein,  Bistritz  am 
Hostein,  Wallachisch  -  Meseritsch,  Krasna, 
Frankstadt,  Friedland,  Friedek  -  Mistek, 
Teschen,  Skotschau  und  mündet  in  Bielitz  in 
die  altbestandene  Bahnstrecke  Dzieditz-Say- 
busch  der  Nordbahn  ein. 

Die  bei  der  Traceführung  in  einem  zu- 
meist den  Charakter  des  Mittelgebirges 
führenden  Gelände  unausweichliche  Kreuzung 
zahlreicher  Wasserscheiden  und  Flussthäler 
gestaltete  das  Längenprofil  der  Bahn  zu 
einem  weit  bewegteren,  als  es  die  sonstigen 
Hauptstrecken  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  aufweisen. 

Von  Kojetein  bis  Kremsier  und  noch 
über  letztere  Station  hinaus,  führt  die  Bahn 
durch  das  Inundationsgebiet  des  Marchflusses, 
dessen  Hauptgerinne  mit  einer  50  m  weiten 
Brücke  übersetzt  wurde.  Vor  der  Station 
Hullein  wurde  die  Linie  auf  36  km  neu 
hergestellt,  um  die  directe  Durchfahrt  der 
Züge  in  dieser  Station  zu  ermöglichen,  in 
welcher  die  Anlage  eines  Inselbahnhofes 
durchgeführt  wurde.  Auf  den  bis  Bistritz  am 
Hostein  beibehaltenen  Theilen  der  Kremsierer 
Localbahn  wurde  die  Umstaltung  der  meist 
aus  Holz  ausgeführten  Brücken  und  sonstigen 
Unterbauobjecte,  die  Auswechslung  des 
leichten  Localbahn-Oberbaues  gegen  das 
Schienensystem  der  neuen  Hauptbahn  sowie 
die  Ergänzung  der  alten  Localbahn  durch 
Wächterhäuser,  Schranken  und  Einfriedungen 
durchgeführt.  Von  der  Station  Bistritz  am 
Hostein,  welche  zur  Gewinnung  günstiger 
Neigungs-  und  Richtungsverhältnisse  verlegt 
werden  musste,  führt  die  Bahn  am  Fusse 
der  nördlichen  Abdachungen  der  kleinen 
Karpathen  im  Mittelgebirge  weiter. 


Nach  Ersteigung  eines  Hochplateaus  fällt 
die  Trace  wieder  zum  Thale  des  Betschflusses 
[Abb.  170]  und  erreicht  nach  dessen  Ueber- 
brückung  die  Station  Wallachisch-Meseritsch 
der  bestandenen  Localbahn  Mährisch- Weiss- 
kirchen-Wsetin,  von  welcher  die  PI  km  lange 
|  Strecke  bis  Krasna  in  die  neue  Bahnverbin- 
dung einbezogen  wurde. 

Von  Krasna  an   ersteigt  die  Bahn  unter 
Anwendung  einer  langen  Rampe  die  Wasser- 
scheide zwischen  der  Donau  und  Oder  und 
\   erreicht  die  Station  Hotzendorf[ Abb.  171],  von 
welcher  die  Flügelbahn  nach  Neutitschein  ab- 
1   schwenkt.  Im  weiteren  Anstiege  bis  zum  Sattel 
bei  Wernsdorf  erreicht  die  Trace  das  Lomna- 
i   thal,  durchquert  dasselbe  bis  zum  Sattel  bei 
1   Gross-Kuntschitz  und  fällt  sodann  gegen  das 
:   Thal  der  Ostrawitza  ab,welches  sie  bei  Fnedland 
1    erreicht.  Diese  frühere  Endstation  der  Ostrau- 
Friedlander  Bahn  erhielt  wesentlich  grössere 
Geleise-Anlagen  und   ein    neues   Aufnahms- 
gebäude. 

In  der  der  Ostrau-Friedlander  Bahn  ge- 
hörigen Peage-Strecke  von  Friedland  bis 
Friedek  wurden  bedeutendere  Reconstruc- 
tions-Arbeiten  an  den  Brücken  und  Uferver- 
sicherungen gleichzeitig  mit  dem  Neubau 
der  Anschluss-Strecken  der  Nordbahn  durch- 
geführt und  sind  besonders  die  neuen  Ueber- 
brückungen  über  den  Ostrawitza  -  und 
Morawkafluss  an  Stelle  der  daselbst  be- 
standenen hölzernen  Jochbrücken  er  - 
wähnenswerth. 

Der  wesentlich  erweiterten  und  vervoll- 
ständigten Station  Friedek  folgt  die  Ersteigung 
eines  von  vielen  grösseren  Bächen  durch- 
furchten Hochplateaus,  von  welchem  die 
Bahn  dann  wieder  in  das  Thal  der  Olsa 
hinabfällt,  wo  die  Kaschau-Oderberger  Bahn 
mittels  Ueberfahrt  gekreuzt  und  die  Station 
Teschen  erreicht  wird.  In  letzterer  erfolgte 
die  Herstelluno;  neuer  Geleise-Anlagen  und 
eines  mit  der  Kaschau-Oderberger  Bahn  ge- 
meinsamen neuen  Aufnahmsgebäudes.  Nach 
Uebersetzung  des  Olsaflusses  mit  einer  im 
Ganzen  60  m  weiten  Brücke,  ersteigt  die 
Bahn  im  Thale  des  theilweise  regulirten  und 
verlegten  Boberbaches  die  Wasserscheide 
zwischen  Oder  und  Weichsel  bei  Golleschau, 
in  welche  Station  die  Flügelbahn  zu  dem  im 
Weichselthale  liegenden  Eisenwerke  Ustron 
einmündet  Im  weiteren  Abfalle  der  Bahn 
gegen  die  Weichsel  wird  die  Station  Skotschau 
erreicht,  hierauf  nach  der  im  Ganzen  80  m 
weiten  Ueberbrückung  der  Weichsel  mit  Be- 
nützung vorhandener  Thalfurchen  das  Hoch- 
plateau bei  Heinzendorf  erstiegen,  von  wo 
die  Bahn  nach  Kreuzung  zahlreicher  grösserer 
Bäche  noch  bis  zur  Wasserscheide  nächst 
Lobnitz  ansteigt  und  dann  gegen  Bielitz  zu 
wieder  fällt,  welche  Station  nach  Ueber- 
setzung der  Bahnstrecke  Dzieditz- Bielitz 
mittels  einer  Ueberfahrtsbrücke  mit  einem 
längeren  Bogen  erreicht  wird.  Von  der 
Station  Alt-Bielitz  vermittelt  eine  zweite 
Verbindung  ohne  Berührung  der  Station 
Bielitz     den     directen    Uebergang    der    von 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


369 


Teschen  auf  die  Localbahn  Bielitz-Kalwarja 
geführten  Züge.  In  dieser  Endstation  der 
Städtebahn  wurden  wesentliche  Umstaltungen 
und  überdies  ein  grosses  neues  Aufnahms- 
gebäude errichtet.    [Abb.  172.] 

Die  7-6  km  lange  Circumvallations- 
linie  in  Krakau  verbindet  die  Endstation 
Krakau  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
mit  der  k.  k.  Staatsbahnlinie  Oswiecim-Pod- 
görze,  indem  sie  die  Stadt  Krakau  im  Süden 
und  Osten  umkreist  [wobei  ein  bestandener 
Festungswall  als  Bahndamm  benützt  wird], 
dann  che  Weichsel  »in  deren  Fluthen  sich 
der  Wawel  mit  seinem  berühmten  Schlosse 
und  der  historischen  Domkirche  spiegelte  über- 
brückt, und  in  der  neuhergestellten  Station 
Podgörze-Bonarka  an  die  oben  genannte 
Staastbahnlinie  anschliesst.  Ein  05  km  langer 


Eine  neben  der  Weichselbrücke  gelegene 
Haltestelle  »Zwierzyniec«  dient  für  den  Per- 
sonenverkehr der  zunächst  gelegenen  Theile 
der  Stadt  Krakau. 


Am  Schlüsse  des  ersten  Jahres  ihres 
neuen  Bestandes  hatte  das  Anlage-Capital 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn  die  Höhe 
von  nom.  160,276.612  fl.  und  gliederte 
sich  wie  folgt:  74.51 1V4  Actien  ä  1000  fl. 
C.-M.  =  78,236.812  fl.  ö.  W.,  5°/0ige 
Prioritäten  vom  Jahre  1872  14,400.000  fl., 
5°/0ige  Prioritäten  der  Mährisch-Schle- 
sischen  Nordbahn  24,000.000  fl.,  4°/oige 
Prioritäten  vom  Jahre  1886  40,531.500  fl., 


Abb.  170.     Betschbrücke  bei  Wall.-Meseritsch.  [Kaiser  Ferdinands-Xordbahn] 


Verbindungsbogen  vermittelt  den  directen 
Anschluss  an  die  Linie  Wien-Krakau  in  der 
Richtung  gegen  Wien.  An  seiner  Anschluss- 
stelle wurde  ein  Rangirbahnhof  im  Zuge 
der  Hauptbahn  hergestellt. 

Ein  zweiter  0-5  km  langer  Verbindungs- 
bogen in  Podgörze  dient  dem  directen  An- 
schlüsse an  die  k.  k.  Staatsbahnen  in  der 
Richtung  gegen  Lemberg  und  somit  ist  jeder 
Endpunkt  dieser  Bahnlinie  mit  der  Anschluss- 
bahn in  beiden  Richtungen  verbunden. 

Zahlreiche  Objecte  mit  einer  Gesammt- 
lichtweite  von  367  vi  dienen  zur  Aufrecht- 
haltung der  Communicationen  als  Durch- 
fahrten für  die  von  der  Stadt  radial  aus- 
gehenden Strassen,  oder  als  Durchlässe  für 
die  Hochwässer  der  Weichsel,  deren  Inun- 
dationsgebiet  die  Bahn  durchquert.  Bei  der 
Ueberbrückung  der  Weichsel  musste  auch 
für  die  Ueberführung  eines  Strassenzuges 
gesorgt  werden  und  ruhen  die  beiden  für 
Bahn  und  Strasse  getrennten  Constructionen 
auf  gemeinsamen,  19-5  m  langen,  pneumatisch 
fundirten  Pfeilern. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Krakau- Oberschlesische  Titel  3,108.300  fl. 
Hievon  waren  bereits  verlost :  von  den 
verschiedenen  Prioritäten  -  Emissionen 
1,845.200  fl.  und  von  den  Krakau-Ober- 
schlesischen  Werthen  1,035.900  fl. 

Obwohl  die  Lösung,  welche  die  Nord- 
bahnfrage gefunden,  im  Lager  der  Gegner 
nicht  anders  betrachtet  wurde,  als  ein  dem 
Verstaatlichungs-Principe  gethaner  Ab- 
bruch —  gethan,  wenngleich  oder  weil 
die  staatsfreundliche  Strömung  sich  dies- 
mal auf  der  linken  Seite  des  Parlamentes  be- 
funden hatte  und  obwohl  die  Anhänger  je- 
nes Principes  auch  daraus  Besorgnis  schöpf- 
ten, dass  der  vom  Eisenbahn- Ausschusse 
erstattete  Mehrheitsbericht  über  die  Nord- 
bahn-Vorlagenachdrücklich betonte,  dieses 
Princip  beruhe  noch  auf  keiner  abstracten 
legislativen    Genehmigung     —    deuteten 

24 


3/^ 


Ignaz  Konta. 


Abb.  171.   Hotzendorf.  [Kaiser  Ferdinands-Kordbahn.] 


doch  alle  Anzeichen  darauf  hin,  dass 
dem  Verstaatlichungs-Gedanken  die  Vor- 
herrschaft  gesichert  bleiben  solle. 

Das  Gesetz  vom  26.  December  1884, 
welches  erst  viel  später  und  in  geänder- 
ter Form  zur  Durchführung  kam,  sollte 
schon  im  ersteren  Zeitpunkte  die  voll- 
ständige Einlösung  der  Erzherzog 
Albrecht-Bahn  bewirken ;  das  am 
11.  December  1884  geschlossene  Ueber- 
einkommen  mit  der  Böhmischen 
Westbahn  und  das  bezügliche  Gesetz 
vom  4.  April  1885,  beide  betreffend  die 
Neufestsetzung  der  Staatsgarantie  aus 
Anlass  der  vorzunehmenden  Convertirung 
der    gesellschaftlichen  Prioritäten,*)  ent- 


j  hielten  vorsorgende  Bestimmungen  für 
die    Einlösung    und    eine    kleine  Näher- 

!  rückung  des  Termines  für  den  Beginn 
der  staatlichen  Berechtigung  hiezu ;  das 
am  28.  December  1884  geschlossene 
Uebereinkommen  mit  der  Oesterrei- 
chischen  Nordwestbahn  und  das 
bezügliche  Gesetz  vom  19.  November 
1885  in  Betreff  der  Erhöhung  der  Staats- 
garantie um  den  Betrag  von  jährlich 
474.260  fl.  zum  Zwecke  von  Refundirun- 
gen,*)  wobei  der  Beginn  des  staatlichen 
Einlösungsrechtes  in  Ansehung  des  garan- 
tirten  Netzes  um  3^  Jahre  näher  ge- 
rückt, nämlich  auf  den  I.  Januar  1895 
festgesetzt    wurde;    die  Protokollar-Ver- 


*)  Der  bei  der  Convertirung  sich  erhö- 
hende Nominalbetrag  der  Prioritäts-Anleihe 
machte  eine  Ausdehnnng  der  Tilgungsfrist 
und  dies  wieder  eine  Verschiebung  im  Aus- 
masse der  Staatsgarantie  nothwendig.  Die- 
selbe wurde  nun  für  die  Zeit  von  1885  bis 
1948  mit  1,248.000  fl.  und  pro  1949  ""*  840.738  fl. 
festgesetzt,  wogegen  die  Gesellschaft  sich 
verpflichtete,  die  Tilguno;  der  Actien,  die 
nach  den  alten  Tilgungsplänen  erst  im  Jahre 
1917  zu  beginnen  hatte,  schon  vom  Jahre 
1885  eintreten  zu  lassen,  ferner  die  aus  der 
Convertirung  erwachsende  Verringerung  der 
Jahreslast  um  rund  100.000  fl.  nicht  zur  Er- 
höhung der  Dividende,  sondern  für  Bahn- 
zwecke zu  verwenden  und  die  Hälfte  dieser 
Ersparnis  von  der  Einlösungsrente  abrechnen 
zu  lassen.  Der  Beginn  des  Einlösungsrechtes 
wurde  auf  den  30.  Juni  1892  vorgerückt.  Die 
Convertirung  erfolgte  in  den  Tagen  vom 
18.  bis  31.  December  1884.  wobei  für  je 
nom.    100  fl.     der    5%igen   Silberprioritäten, 


nom.  III  fl.  der  4°/0igen  Anleihe  von  nom. 
14303.000  fl.  und  für  ioo  R.-M.  der  5°/0igen 
Goldprioritäten,  105  R.-M.  4°/0ige  gegeben 
wurden. 

*)  Der  Bau  des  garantirten  Netzes  hatte 
nom.  80,310.000  fl.  gekostet :  die  Staatsgarantie 
betrug  985.000  fl.  pro  Meile,  deckte  daher 
ein  Capital  von  nom.  81,368.170  fl.  Der  hie- 
von  erübrigte  Rest  [900.570  fl]  reichte  für 
die  nachträglichen  Investitionen  nicht  aus; 
diese  Kosten  wurden  also  mit  Zustimmung 
der  Regierung  in  die  Betriebsrechnung  einge- 
stellt. Die  bezüglichen  Posten  hatten  mit 
Ende  1883  die  Höhe  von  1,830.840  fl.  erreicht 
und  waren  für  die  nächsten  Jahre  mit  noch 
7,834.000  fl.  veranschlagt.  Zur  definitiven 
Bedeckung  dieser  Erfordernisse  wurde  nun, 
nach  Herabminderung  der  künftigen  Inve- 
stitionen auf  den  Betrag  von  nur  6,780.000  fl  , 
vereinbart,  dass  die  Gesellschaft  auf  Grund- 
lage der  obbeziflerten  Garantie-Erhöhung 
ein    4%iges    Prioritäts-Anlehen    von    nom. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


371 


einbarung  mit  der  Aussig-Teplitzer 
Bahn  vom  23.  November  1 885,  betreffend 
die  Convertirung  des  gesellschaftlichen 
472°/o'gen  Goldanlehens  in  ein  4°/0iges, 
womit  zugleich  der  Beginn  des  staat- 
lichen Einlösungsrechtes  auf  den  25.  Juni 
1900  festgesetzt  und  eine  Reihe  von  An- 
ordnungen hinsichtlich  der  Einlösungs- 
rente getroffen  wurde;  die  im  October 
1884,  beziehungsweise  Juni  1885  den 
Verwaltungen  der  Carl  Ludwig- 
Bahn  und  der  Süd- norddeutschen 
Verbindungsbahn  von  Seite  des 
Ministeriums  ertheilten  Weisungen  hin- 
sichtlich der  Rechnungslegung  und  Ver- 
mögensnachweisung, im  Hinblicke  auf 
die  herannahende    [1886 — 1888]  Inkraft- 


Abschluss  von  Verträgen,  vermöge  deren 
einige  hiezu  concessionsgemäss  nicht 
verpflichtete  Localbahnen  ab  1.  Januar 
1887  in  den  Staatsbetrieb  überzugehen 
hatten,  konnten  als  bedeutsame  Merkmale 
dafür  gelten,  dass  ein  weiteres  Ab- 
gehen von  der  auf  dem  Verstaatlichungs- 
Principe  fussenden  Eisenbahn-Politik  aus- 
geschlossen erscheine. 

Alle  die  vorbereitenden  Massnahmen 
und  ebenso  die  mittels  der  Gesetze  vom 
28.  December  1884  und  vom  29.  Juni 
1886  bewilligte  Verlängerung  der 
Giltigkeit  des  Localbahn  -  Ge- 
setzes bis  1.  Juli,  beziehungsweise 
31.  December  1886,  ferner  die  mittels 
des  Gesetzes  vom  8.  November  1885  aus- 


Abb.  172.    Bahnhof  Bielitz.  [Kaiser  Ferdinands-Nordbahn.] 


tretung  des  staatlichen  Einlösungs- 
rechtes ,  und  auch  die  nun  fast 
regelmässig  in  die  Concessions-Urkunden 
für  die  Localbahnen  aufgenommene 
Bestimmung  bezüglich  der  Betriebs- 
führung   durch    den    Staat*)    sowie    der 


11,000.000  fl.  aufnehme,  aus  dem  Erlöse  der- 
selben die  zu  Lasten  des  Betriebes  verrech- 
neten Investitionskosten  dem  Staate  bar  ver- 
güte und  die  künftigen  Erfordernisse  decken 
solle.  Die  ausserordentliche  Generalver- 
sammlung vom  29.  December  1884  stimmte 
dem  zu.  Nachdem  das  Uebereinkommen 
durch  das  obenerwähnte  Gesetz  legislative 
Genehmigung  erhalten  hatte,  wurde  Ende 
1885  eine  Quote  von  nom.  3,650.000  fl.  zum 
Curse  von  88-25  an  die  Boden-Creditanstalt 
begeben. 

*)  Seit  dem  Jahre  1884  waren  noch 
folgende  Localbahnen  in  den  Staatsbetrieb 
übergegangen:  St.  Pölten-Tulln,  45-8  km; 
Asch-Rossbach,  15  km;  Fehring-Fürstenfeld, 
20  km;  Wels-Aschach,  20-3  km. 


gesprochene  Erstreckung  der  Wirk- 
samkeit des  Gesetzes  [vom  25.  Mai 
1883]  betreffend  die  Gebühren- 
erleichterungen bei  Conver- 
tirungen  von  Eisenbahn-Prioritätsobli- 
gationen begegneten  keinerlei  Schwierig- 
keiten. 

Bei  dem  nächsten  Versuche,  ein  grösse- 
res Vorhaben  in  die  That  umzusetzen, 
stiess  die  Regierung  jedoch  abermals 
auf  den  Widerstand  der  sie  bekämpfenden 
politischen  Parteien.  Die  Spannung  war 
eben  eine  hochgradige.  Das  Handels- 
ministerium hatte  das  am  26.  April  1884  »in 
Betreff  der  Betriebsübernahme  und  der 
eventuellen  Einlösung  der  Dux-Boden- 
b  ach  er  und  der  Prag-D  uxer  Bahne 
mit  diesen  Gesellschaften  .  geschlossene 
Uebereinkommen  [siehe  Seite  302],  am 
25.  Januar  1885  der  Reichsvertretung 
vorgelegt,    um '  mit    der  legislativen  Ge- 

24* 


372 


Ignaz  Konta. 


nehmigung  desselben  die  Handhabe  zur 
bleibenden  Einverleibung  dieser  Bahnen 
in  das  staatliche  Betriebsnetz  zu  ge- 
winnen. Das  »sterbende  Abgeordneten- 
haus« wollte  aber  nach  den  Aufregungen, 
welche  die  Nordbahn -Debatte  hervor- 
gerufen hatte,  nicht  in  die  Behandlung 
der  Vorlage  eintreten,  sondern  dieselbe 
dem  neu  zu  wählenden  Parlamente  über- 
lassen. 

War  schon  dies  von  keiner  guten 
Vorbedeutung,  so  liess  die,  anlässlich 
der  Neuwahlen  eingetretene  Verschärfung 
der  politischen  Gegensätze  noch  weniger 
einen  ruhigen  Gang  der  parlamentarischen 
Erörterungen  gewärtigen,  umsoweniger 
als  der  Führer  der  Linken  bereits  bei 
jener  Debatte  sich  auch  mit  den  Duxer 
Bahnen  befasste  und  der  bezüglichen 
Vorlage  eine  eingehendere  Würdigung 
verheissen  hatte.  Es  kam  auch  wirklich, 
gleich  nachdem  der  Gesetzentwurf  am 
2.  October  1885  dem  neugewählten  Ab- 
geordnetenhause vorgelegt  und  von  diesem 
an  den  Eisenbahn-Ausschuss  überwiesen 
worden  war,  zu  heftigen  Auseinander- 
setzungen, die  bei  den  am  16.  Februar 
1886  begonnenen  Berathungen  im  offenen 
Hause  bis  zu  Angriffen  persönlicher  Art 
gegen  den  Handelsminister  auswuchsen. 
Die  ganze  Vergangenheit  der  Prag- 
Duxer  Bahn  und  die  Entstehung  ihres 
Verhältnisses  zur  Dux-Bodenbacher  Bahn 
wurde  aufgerollt,  das  Uebereinkommen 
als  für  den  Staat  schädlich  bezeichnet 
und  eine  Reihe  privater  Angelegenheiten 
in  Erörterung  gezogen,  was  die  Erregung 
immerfort  steigerte. 

Der  Handelsminister  wies  natürlich 
die  gegen  ihn  selbst  erhobenen  Vor- 
würfe entrüstet  und  mit  Schärfe  zurück ; 
die  Regierungsvertreter  legten  mit  über- 
zeugenden Worten  die  Erspriesslichkeit 
der  Einbeziehung  der  beiden  Duxer  Bahnen 
in  das  staatliche  Betriebsnetz  dar,  wie 
auch  die  vortheilhafte  Weise,  in  welcher 
dies  vermöge  des  Uebereinkommens  be- 
wirkt wurde  und  die  Redner  der  Majorität 
bemühten  sich  zur  Geltung  zu  bringen, 
dass  es  sich  um  eine  nützliche  Fort- 
setzung der,  seitens  der  Gegenpartei  an- 
lässlich der  Nordbahn-Debatte  so  dringend 
befürworteten  Verstaatlichungs-Thätigkeit 
und   nicht    [wie  Dr.  Rieger  voll  Unmuth 


ausrief]     um     den     »Ankauf    von    Vor- 
geschichten«  handle. 

Dessenungeachtet  dauerte  es  drei 
Sitzungstage,  bis  die  Redeschlacht  aus- 
getobt hatte  und  die  Debatte  wieder  auf 
das  sachliche  Gebiet  zurückgeführt  war. 
Dann  ergab  sich  auch  rasch  die  Annahme 
der  Vorlage  [26.  Februar],  welche  nun 
am  11.  April  1886  die  a.  h.  Sanction 
zum  Gesetz  erhielt,  und  in  der  am 
27.  April  verfügten,  beziehungsweise  am 
1.  Mai  1886  vollzogenen  bleibenden 
Uebernahme  der  beiden  Bahnen  in  den 
Staatsbetrieb  sogleich  ihre  praktische 
Nutzanwendung   fand. 

Das  Verstaatlichungs  -  Princip  stand 
also  wieder  auf  vollkommen  festem  Boden, 
den  es  seither  auch  nicht  mehr  verlassen 
hat.  Allein  die  Vorgänge,  unter  denen 
es  den  wichtigen  Sieg  errungen,  ver- 
leideten dem  Handelsminister,  Felix  Frei- 
herrn von  P  i  n  o,  sein  Amt ;  er  trat  am 
16.  März  1886  zurück.  Seine  Verdienste 
um  das  österreichische  Eisenbahnwesen 
aber  blieben  für  immer  unbestreitbare ; 
denn  unter  seiner  mehr  als  fünfjährigen 
Amtsführung  wurden  die  Arlbergbahn 
und  die  Galizische  Transversalbahn 
gebaut,  und  die  Böhmisch  -  Mährische 
Transversalbahn  sichergestellt,  hat  das 
Localbahnwesen  seine  erste  Ausbreitung 
erhalten  und  die  Verstaatlichung  ihren 
ersten  grossen  Weg  zurückgelegt. 

Die  letzte  von  diesem  Minister  ver- 
tretene Eisenbahn- Vorlage  betraf  die  Ver- 
mehrung des  Fahrparkes  der  k.  k.  Staats- 
bahnen [Gesetz  vom  26.  Juli  1886],  von 
welcher  im  nächsten  Abschnitte  ausführ- 
licher die  Rede  sein  wird. 

Vorübergehend  war  nun  die  Leitung 
des  Handelsministeriums  dem  Sections- 
chef  Karl  Freiherrn  von  P  u  s  s  w  a  1  d 
anvertraut,  der  hiemit  seine  langjährige, 
an  Arbeit  und  Mühen,  aber  auch  an 
Erfolgen  und  Ehren  reiche  Beamtenlauf- 
bahn abschloss,  von  welcher  36  Jahre  auf 
den  Eisenbahndienst,  beziehungsweise  auf 
die  Amtsthätigkeit  in  der  Eisenbahn- 
Abtheilung  des  Handelsministeriums  ent- 
fielen, wo  er  die  ganze  Stufenleiter  vom 
Concepts-Adjuncten  bis  zum  Sectionscher 
erstieg,  sich  allseitige  Hochachtung  und 
Werthschätzung  erwarb,  und  wiederholter 
a.  h.  Auszeichnungen  zu  erfreuen   hatte. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


373 


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Abb.  173.    Tieferlegung  der  Wiener  Verbindungsbahn  und  Bau  des  Tunnels  im  Jahre   1873. 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  der  Bauzeit.] 


Die  kurze  Zwischenverwaltung  endete 
am  26.  Juni  1886  als  dem  Tage  der 
Ernennung  des  Marquis  Olivier  von 
Bacquehem  zum  Handelsminister,  der 
sein  allseits  gerühmtes  Können  und 
Wollen  sofort  auch  der  Betreuung  des 
Eisenbahnwesens  widmete.  Er  hatte 
dabei  voraus,  dass  die  Wege  bereits 
geebnet  waren,  doch  harrten  auch  seiner 
noch  grosse  Aufgaben. 

Die  Hinwegräumung  der  Schäden  und 
Trümmer  aus  der  Gründungs-Aera  und 
der  ihr  nachgefolgten  Krisis  —  diese 
schwere  Arbeit,  welche  bis  weit  in  das 
Decennium  i877bisi886  hinein  angedauert 
hatte  —  war  nahezu  vollbracht,  und  das 
Verstaatlichungswerk,  welches  diesem 
Jahrzehnt    die  Signatur    gegeben,    schon 


zu  ansehnlicher  Mächtigkeit  gediehen, 
dessen  Ausbau  aber  noch  gar  lange  nicht 
vollendet. 

Von  dem  beim  Ablaufe  des  Jahres 
1886  auf  13.656  km  angewachsenen 
österreichischen  Eisenbahnnetze  gehörten 
dem  Staate  nur  26-3 °/0  =  3592  km  [Bau- 
länge], und  die  Ausdehnung  der  da- 
mals im  Staatsbetriebe  gestandenen 
eigenen  und  fremden  Linien  [zusammen 
5229  km  Betriebslänge]  betrug  noch 
nicht  ganz  38-3°/0  des  vorbezifferten 
Umfanges  des  Gesammtnetzes.  Es  blieb 
also  schon  hier  genug  zu  thun  übrig, 
nicht  minder  aber  auch  auf  dem  Gebiete 
des  Localbahnwesens,  dessen  üppiges 
Emporkeimen  dem  Jahrzehnt  seine  zweite 
Denkwürdigkeit  verliehen  hat. 


374 


Ignaz  Konta. 


III. 

Decennium   1887 — 1896. 


Der  Zeitabschnitt,  in  den  wir  nun- 
mehr eintreten,  gehört  erst  der  Halb- 
vergangenheit an ;  Personen  und  Dinge 
stehen  noch  in  frischen  Farben  vor  uns. 
Dies  erleichtert  den  Aussenanblick,  er- 
schwert aber  in  mancher  Beziehung  das 
Urtheil  über  das  Wahrgenommene.  Wir 
müssen  also  bemüht  bleiben,  unseren 
Betrachtungen  die  Unbefangenheit  zu 
wahren. 

Auf  die  mannigfachen  Rechtshand- 
lungen und  Gesetzgebungs-  Acte,  aus  denen 
die  zweite  Verstaatlichungs-Aera  in  Oester- 
reich  hervorgegangen,  aber  —  durch  die 
Neuconcessionirung  der  Kaiser  Ferdi- 
nands-Nordbahn  —  auch  dem  Privat- 
betriebe eine  bis  mindestens  1904  ge- 
sicherte Lebensdauer  erwachsen  ist, 
folgten  zunächst  Massnahmen  zur  ge- 
hörigen Ausrüstung  des  Staatsbetriebes. 
Die  früheren  Eigenthümer  der  meisten 
seiner  Linien  waren  nämlich  theils  wegen 
ihrer  beengten  finanziellen  Verhältnisse, 
theils  aus  Ursache  der  bereits  ange- 
strebten oder  vorgeahnten  Verstaatlichung 
recht  zurückhaltend  in  den  Ausgaben  für 
Nachschaffungen  und  Vervollständigungen 
gewesen,  so  dass  jetzt  der  Staat  für  diese  Er- 
fordernisse aufkommen  musste.  Auch  sind 
dadurch,  dass  die  neue  Institution  »im 
ersten  Jugendfeuer  allen  Wünschen  des 
Publicums  in  uneingeschränktem  Masse 
nachzukommen«  bestrebt  war,  bedeutende 
Unkosten  entstanden. 

Der  Mangel  an  Fahrbetriebsmittel, 
insbesondere  auf  den  galizischen  Linien, 
hatte  sich  sehr  bald  und  empfindlich 
fühlbar  gemacht.  Anfänglich  glaubte  man, 
ihm  durch  Anmiethung  von  Maschinen 
und  Wagen  abhelfen  zu  können;  dies  er- 
wies sich  aber  als  unzureichend  und  zugleich 
unwirthschaftlich.  Es  wurden  daher  die 
nöthigen  Nachschaffungen  eingeleitet, 
deren  Kosten  allmählich  die  Höhe  von 
5,403.000  fl.  erreichten.  Zur  Bedeckung 
derselben,  wollte  die  Verwaltung  des 
Staatsbetriebes  sich  des  Pensionsfonds 
ihrer  Angestellten  bedienen,  in  der  Weise, 


dass  der  Fonds  die  Fahrbetriebsmittel  be- 
zahle und  sie  gegen  eine  Leihgebühr, 
welche  einer  jährlichen  Verzinsung  der 
Anschaffungskosten  mit  i°/0  über  dem 
jeweiligen  Bankzinsfuss  [für  Escompte], 
mindestens  aber  5%  an  den  Staatsbetrieb 
vermiethe,  unter  Einräumung  der  Be- 
fugnis dieses  Rollmaterial  nach  und  nach 
um  den  Selbstkostenpreis  anzukaufen. 
Der  Fonds  hatte  bereits  971  Wagen  bei- 
geschafft und  weitere  grosse  Ankäufe 
vorbereitet.  Als  aber  die  Angelegenheit 
vor  den  Reichsrath  kam,*)  bemängelte 
er  daran :  die  erst  nachträglich  einge- 
holte verfassungsmässige  Genehmigung 
und  die  Heranziehung  eines  Versorgungs- 
Institutes  zu  derlei  Transactionen,**) 
was  wohl  das  Geschäft  grossentheils 
rückgängig  machte,  im  Uebrigen  aber 
glimpflich  verlief.  Das  Gesetz  vom 
26.  Juli  1886  bewilligte  die  ganze  Summe 
von  5,403.000  fl.  und  die  k.  k.  General- 
Direction  konnte  die  Nachschaffungen 
unbehindert  vollenden. 

Nun  handelte  es  sich  noch  um  die 
Erlangung  der  Indemnität  für  die  seitens 
der  Verwaltung  des  Staatsbetriebes  in 
der  Zeit  von  1881  — 1885  gleichfalls  auf 
eigene  Hand  bewerkstelligten  baulichen  und 
sonstigen  Vervollständigungen  im  Kosten- 
betrage von  wieder  mehr  als  5,000.000  fl. 
Diese   ihm    nicht    willkommene  Aufgrabe 


*)  Die  Vorlage  war  schon  am  21.  Februar 
1885  und  nachdem  sie  damals  unerledigt  ge- 
blieben, am  2.  October  1885  zum  zweiten 
Male  eingebracht  worden.  Zur  Verhandlung 
gelangte  sie  erst  am  25.  Februar  1886.  Des 
Zusammenhanges  wegen  wurde  die  bezüg- 
liche Mittheilung  jedoch  hier  herüberge- 
nommen. 

**)  Diese  Transactionen  gaben  den  ersten 
Anstoss  zu  der  noch  im  selben  Jahre  [29.  Oc- 
tober] aus  einem  anderen  Anlasse  [Ankauf 
des  Itzlinger  Sägewerkes  durch  den  Pensions- 
fonds]  von  dem  Abgeordneten  Dr.  Keil,  im 
Wege  einer  Interpellation  vorgebrachten  An- 
regung: dass  »bei  der  Fructificirung  der  Fonds- 
capitalien  die  jeweils  für  die  Anlage  von 
Pupillargeldern  bestehenden  gesetzlichen  Vor- 
schriften Anwendung  finden  sollen«,  was 
nachher  thatsächlich  in  den  Fondsstatuten 
festgesetzt  wurde. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


375 


fiel  schon  dem  neuen  Handelsminister 
Marquis  von  Bacquehem  zu.  Er  unterzog 
sich  derselben  gleich  bei  seinem  ersten 
Erscheinen  vor  dem  Reichsrathe,  nämlich 
in  der  Eröffnungssitzung  der  Herbst- 
session vom  Jahre  1886  [29.  September]. 
Die  offenherzige  Rede,  mit  der  er  den 
damals  vorgelegten  gegenständlichen  Ge- 
setzentwurf einbegleitete,  die  Sachlage 
schilderte  und  die  getroffenen  Vorkehrun- 
gen gegen  eine  Wiederholung  so  nam- 
hafter Ueberschreitungen  darlegte,  ver- 
fehlte ihre  Wirkung  nicht.  Und  als  er 
bei  der  zweiten  Lesung  der  Vorlage 
(21.  Mai  1887]  dieselbe  mit  gleicher 
Wärme  vertrat,  erlangte  sie  —  wenn 
auch  nebst  mehreren  Resolutionen  in 
Betreff  der  künftigen  Aufstellung  und 
Einhaltung  der  Voranschläge  u.  s.  w.  — 
die  Zustimmung  des  Abgeordnetenhauses. 
Am  5.  Juni  1887  erhielt  sie  die  a.  h. 
Sanction  zvim  Gesetze.  Dasselbe  be- 
willigte »zur  nachträglichen  Ausgleichung 
der  Mehrerfordernisse«  einen  Betrag  von 
5,222.000  fl.  und  bereinigte  hiemit  zur 
Gänze  die  erste  fünfjährige  Periode  des 
Staatsbetriebes. 

Sobald  dies  erzielt  war,  widmete  sich 
der  neue  Handelsminister  einer  zweiten 
von  früher  her  anhängig  gewesenen 
Frage,  und  zwar  der  Schaffung  eines 
neuen  Localbahn-Gesetzes,  wel- 
ches die,  seit  der  Ausserkrafttretung  des 
mehrmals  erneuten  Localbahn-Gesetzes 
vom  Jahre  1880,  entstandene  Lücke  aus- 
füllen sollte  und  täglich  dringender  wurde, 
weil  die  Ergänzung  des  österreichischen 
Eisenbahnnetzes  sich  fortan  zumeist  auf 
dem  Gebiete  des  Localbahnwesens  voll- 
ziehen zu  wollen  schien.  Seit  dem  Jahre 
1880  waren  damals  bereits  1500  km 
Localbahnen  concessionirt  und  der  Wett- 
bewerb um  die  Zustandebringung  solcher 
Schienenwege  hahm  fortwährend  zu.  Die 
Regierung  strebte  denn  auch  seit  Langem 
die  Ersetzung  des  provisorischen  durch 
ein  dauernderes  Localbahn- Gesetz  an ; 
sie  brachte  schon  am  14.  März  1884 
eine  hierauf  abzielende  Vorlage  im  Reichs- 
rathe ein  und  erneute  dieselbe  [da  sie 
in  der  damaligen  Session  unerledigt  ge- 
blieben]  am   18.  Juni  1886. 

Beide  Gesetzentwürfe  stimmten  hin- 
sichtlich   der    Bau-,    Betriebs-    und    An- 


schluss  -  Erleichterungen,  dann  der  Be- 
nützung öffentlicher  Strassen  als  Bahn- 
körper und  der  gegen  billige  Vergütung 
zu  übernehmenden  Betriebsführung  seitens 
der  Anschlussbahn,  im  Wesentlichen 
überein.  Der  zweite  Entwurf  umfasste 
aber  alle  Arten  der  für  den  öffentlichen 
Verkehr  bestimmten  Localbahnen  [aus- 
genommen die  in  einer  gleichzeitig  ein- 
gebrachten anderen  Vorlage  gesondert  be- 
handelten Strassenbahnen  mit  Pferdebe- 
trieb] und  Hess  die  in  der  a.  h.  Thronrede 
vom  26.  September  1885  betonte  Fürsorge 
für  die  »Erleichterung  des  Zustande- 
kommens von  localen  Schienenwegen« 
noch  viel  deutlicher  erkennen,  sowohl 
durch  weitere  Zugeständnisse  in  Bezug 
auf  staatliche  Beihilfe,  die  Tarife,  die 
Leistungen  für  öffentliche  Zwecke  [Post, 
Telegraph,  Militär  etc.],  die  Gebühren- 
befreiung u.  s.  w.,  als  auch  durch  die  Aus- 
dehnung der  zu  gewährenden  Steuerfreiheit 
[von  20]  bis  zu  30  Jahren  und  die  Verrin- 
gerung der  Einschränkungen  hinsichtlich 
der  Ausgabe  von  Prioritäts-Obligationen. 
Wie  der  frühere  hat  indes  auch  der 
zweite  Entwurf  kein  besonderes  Entgegen- 
kommen, vielmehr  eine  Erledigung  über- 
haupt erst  dann  gefunden,  als  der  Handels- 
minister, der  für  ihn  wiederholt  [im  Eisen- 
bahn-Ausschusse und  im  Abgeordneten- 
hause] bestens  eingetreten  war,  sich 
mannigfachen  Abänderungen,  insbesondere 
der  Bestimmung,  dass  die  Wirksamkeit 
des  Gesetzes  am  31.  December  1890 
wieder  erlöschen  solle,  anbequemte.  Nach 
dem  Ausspruche  des  Berichterstatters, 
Dr.  v.  B  i  1  i  n  s  k  i,  scheiterte  die  dauernde 
Regelung  des  Localbahnwesens  daran, 
dass  über  die  gesetzliche  Definition  des 
1  Begriffes  »Localbahnen«,  über  die  Um- 
j  grenzung  des  Rechtes  zur  Benützung 
nichtärarischer  Strassen,  namentlich  unter 
Anwendung  der  Enteignung,  und  über 
die  grundsätzliche  Ordnung  der  ganzen 
Finanzirung  solcher  Bahnen  eine  Einigung 
nicht  erzielt  werden  konnte.  Das  nach 
den  Beschlüssen  des  Abgeordnetenhauses 
vom  27.  Mai  zustande  gekommene  und 
am  17.  Juni  1887  a.  h.  sanctionirte  neue 
Localbahn-Gesetz  war  also  wieder  nur 
ein  provisorisches. 

Da  es  aber  die  alten  Vollmachten  der 
Regierung  nicht  nur  wieder  aufleben  liess, 


376 


Ignaz  Konta. 


sondern  immerhin  auch  erweiterte,  trug 
es  bald  gute  Früchte,  allerdings  nicht 
mehr  im  Jahre  1887,  in  welchem  über- 
haupt keine  Concessionirung  stattfand. 
Die  in  diesem  Jahre  verlautbarten  Con- 
cessionen  stammten  sämmtlich  aus  dem 
letzten  Abschnitte  des  Jahres  1886  und 
beruhten  noch  auf  dem  alten  Localbahn- 
Gesetze. 

Eine  ihrer  wichtigsten  war  die  am 
29.  December  1 886  an  die  Carl 
Ludwig  -  Bahn  auf  die  Dauer  von 
65  Jahren  verliehene  Concession  für  die 
Localbahn  von  Dembica  nach  Xad- 
b  r  z  e  z  i  e  nebst  Abzweigung  nach  R  o  z- 
w  a  d  6  w,  welche  so  rasch  durchgeführt 
wurde,  dass  die  ganze  Anlage  [io7"2  km] 
bereits  am30.und3i.  October  1887  zur  Er- 
öffnung gelangte.  Den  Bau  führte  die  Unter- 
nehmung Fröhlich  aus;  zur  Deckung 
der  bezüglichen  Kosten  von  3,500.000  fl. 
und  sonstiger  Erfordernisse  diente  ein 
4°/0iges,  am  24.  Juni  1887  zum  Curse 
von  95  "3  an  die  Unionbank  begebenes 
Prioritäts-Anlehen  von  nom.  4,999.800  fl. 
Die  Gesellschaft  erhoffte  von  dieser,  schon 
seit  einigen  Jahren  geplanten,  in  das 
>Einmündungsgebiet  der  San  in  die 
Weichsel«  führenden  Linie  eine  Stärkung 
des  Verkehres  der  Hauptbahn,  was  sie 
auch  mit  der  Localbahn  Jaroslau-Sokal 
[siehe  Seite  294]  angestrebt,  jedoch  nur  in 
geringem  Masse  erzielt  hatte,  aber  weid- 
lich benöthigte;  denn  vom  Jahre  1885 
an  war  ihr  Wohlstand  immer  mehr  ab- 
wärts geglitten.  Die  Theilnahme  der 
Galizischen  Transversalbahn  an  der 
Güterbewegung,  die  vordem  ganz  der 
alten  Bahn  zugefallen ;  die  unausweichlich 
gewordene  Ermässigung  der  Tarife;  die 
verkehrshemmenden  Folgen  der  Zoll- 
erhöhungen —  alle  diese  Umstände 
trugen  dazu  bei,  dass  die  bislang  ertrag- 
reiche Unternehmung  nun  ihre  Actien 
kaum  mit  5°/0  und  nachher  gar  nur  mit 
4%  verzinsen  konnte,  und  der  Preis  der 
letzteren  von  hoch  über  dem  Nennwerthe 
[im  Jahre  1884  noch  294  bis  267]  unter 
denselben  herabging. 

Starken  Cursabschlägen  unterlagen 
im  Jahre  1887  auch  die  Actien  der  Süd- 
bahn, und  wurde  dies  auf  Rechnung  der 
P6age- Verträge  gesetzt,  welche  die 
Gesellschaft  am  7.  Juni  1887  hinsichtlich 


der  Strecke  Laibach-Divaca  mit  der  öster- 
reichischen Regierung    [siehe  Seite  347], 

!  und  am  29.  October  1887  hinsichtlich 
der  Strecke  Sissek  -  Agram  mit  der 
königlich  ungarischen  Regierung  abge- 
schlossen hatte.  Man  wollte  nämlich  die 
aus  diesen  Verträgen  fliessenden  Peage- 

j  Gebühren  weitaus  nicht  als  Aequivalent 
für  den  bezüglichen  Verkehrsentgang 
gelten  lassen  und  besorgte  einen  erheb- 
lichen Ausfall  am  Erträgnisse. 

Im  Gegensatze  hiezu  setzten  die 
Werthe  der  Kaiser  Ferdinand  s- 
Xordbahn  die  Aufwärtsbewegung  fort, 
obzwar  diese  Gesellschaft  den  Geldmarkt 
jetzt  noch  bedeutend  in  Anspruch  zu 
nehmen  hatte.  Im  Jahre  1887,  und  zwar 
gleich  zu  Beginn  desselben,  bewirkte  sie 
die  Convertirung  sowohl  der  noch 
im  Umlaufe  gewesenen  5°/0igen  Priori- 
täten der  Mährisch-Schlesischen  Xordbahn 
[23,729.500  fl.]  als  auch  des  5°/0igen 
Hauptbahn-  Anlehens  vom  Jahre  1872 
[13,362.700  fl.]  in  4%ige  Anlehen  von 
nom.  24,440.000  fl.  und  15,767.000  fl. 
Rücksichtlich  der  ersteren  wurden  den 
Prioritären  nom.  115  fl.  [garantirt]  und 
rücksichtlich  des  letzteren  nom.  1 1 8  fl. 
für  je  100  fl.  der  alten  Anlehen  ange- 
boten, und,  wiewohl  die  ganze  Operation 
keine  zwangsweise  war,  gelang  dieselbe 
fast  vollständig  schon  innerhalb  der  an- 
beraumten Anmeldefrist.  [10.  Januar  bis 
7.  Februar.]  Mit  der  Convertirung  war 
auch  die  Aufnahme  von  nom.  3,000.000  fl. 
zur  Deckung  des  Mehraufwandes  für  die 
Mährisch-Schlesische  Nordbahn  verbun- 
den. Die  Capital-Beschaffung  für  den 
Bau  der  Localbahnen,  die  Dotirung  der 
Baureserven  für  das  alte  Unternehmen 
und  für  die  Herstellung  des  zweiten  Ge- 
leises in  der  72  km  langen  Strecke 
Oswiecim-Oderberg  folgte  binnen  Kurzem 
nach. 

Infolge  der  damaligen  Trübung  der 
äusseren  Lage  des  Reiches  war  die  Frage 
der  Herstellung  von  Doppelgeleisen,  wie 
überhaupt  die  Aufgabe,  ihre  Linien  so 
auszugestalten,  dass  dieselben  unter  allen 
Umständen  den  staatlichen  Anforderungen 
vollauf  gerecht  zu  werden  vermögen,  auch 
an  andere  Eisenbahn  -  Unternehmungen 
herangetreten.  So  vor  Allem  an  die 
Erste  Ungarisch-Galizische  Eisen- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


377 


bahn,  welche  das  zweite  Geleise  legen, 
den  Fahrpark  vermehren,  die  Stations- 
Anlagen  erweitern  sollte  u.  s.  w.  Die 
Mittel  hiezu  musste  die  Staatsverwaltung 
mit  einer  Garantie-Erhöhung  aufbringen 
helfen.  Die  bezüglichen  Verhandlungen 
mit  der  Regierung  reichten  eigentlich 
bis  in  das  Jahr  1886  zurück,  wurden 
aber  dadurch  gehemmt,  dass  für  die 
ungarische  Strecke  gleiche  Auslagen  zu 
machen  waren,  die  Bedeckung  aber  ein- 
heitlich erfolgen  sollte. 

Die  königlich  ungarische  Regierung 
wollte  zwar  das  zweite  Geleise  vorläufig 
nur  in  der  4  km  langen  Theilstrecke 
Mezö  Laborcz-Vidräny  ausgeführt,  hin- 
gegen die  Refundirung  älterer  Posten 
wie  auch  die  Deckung  der  in  den  nächsten 
zehn  Jahren  nothwendig  werdenden  In- 
vestitionen in  die  Geldbeschaffung  mit- 
einbezogen wissen,  und  diesfalls  eine  die 
Verzinsung  und  Tilgung  4°/0iger  Priori- 
täten im  Betrage  von  nom.  2,200.000  fi. 
deckende  Garantie-Erhöhung  um  jährlich 
92.903  fl.   80  kr.  gewähren. 

Erst  nachdem  das  bezügliche  Ueber- 
einkommen  am  21.  Januar  1887  abge- 
schlossen worden  war,  konnten  die  Ver- 
handlungen mit  der  österreichischen 
Regierung  fortgesetzt  und  beendet  werden. 
Dieselben  gingen  jedoch  jetzt  über  den 
ursprünglichen  Rahmen  hinaus,  weil  auch 
die  österreichische  Regierung  zugleich  für 
die  Fundirung  sowohl  der  früheren  als 
auch  der  noch  nachfolgenden  Investitionen 
vorzusorgen  wünschte.  Es  wurde  ver- 
einbart, dass  die  österreichische  Garantie 
um  den  Betrag  von  jährlich  481.410  fl. 
60  kr.  erhöht  werde,  und  dass  das  auf 
Grund  dieser  Annuität  aufzunehmende 
4°/o'Se  Prioritäts  -  Anlehen  von  nom. 
1 1,400.000  fl.  zu  Rückzahlungen  im  Ge- 
sammtbetrage  von  3,209.592  fl.  82  kr. 
[darunter  den  Staatsvorschuss  von 
1,800.000  fl.  aus  dem  Jahre  1875]  sowie 
zur  Deckung  der  Kosten  des  zweiten 
Geleises,  dann  der  Fahrpark- Vermehrung 
und  künftiger  Investitionen  dienen  solle. 
Auch  hatte  die  Regierung  sich  die  Ab- 
änderung einiger  Concessions-Bestimmun- 
gen  ausbedungen,  so  namentlich,  dass 
beim  Erlöschen  der  Concession  auch  das 
gesammte  bewegliche  Zugehör  der  Bahn 
unentgeltlich    an  den  Staat    überzugehen 


habe.     [Uebereinkommen    vom    10.    Juni 
1887.] 

Nachdem  diese  Vereinbarungen  die  le- 
gislative Genehmigung  erhalten  hatten, 
und  zwar  ungarischerseits  mittels  des  am 
6.  Juni  a.  h.  sanctionirten  Gesetzartikels 
XXXIII  vom  Jahre  1887  und  österrei- 
chischerseits  mittels  des  Gesetzes  vom 
13.  Juni  1887,  traf  die  Gesellschaft  Vor- 
sorge für  die  Begebung  des  aufzuneh- 
menden 4°/0igen  Prioritäts- Anlehens  im 
Gesammtbetrage  von  nom.  13,600.000  fl., 
welche  am  22.  September  1887  im  Wege 
einer  Offertverhandlung  bewerkstelligt 
wurde.  Ersteher  blieb  die  Gruppe  Anglo- 
O esterreich ische  Bank  und  Niederösterrei- 
chische Escomptebank  mit  dem  von 
ihr  angebotenen  Uebernahmscurse  von 
87'57V2  für  Je  nom.  100  fl.*)  Der  An- 
lehenserlös  stellte  sich  also  etwas  höher 
als  veranschlagt  gewesen,  nämlich  auf 
11,910.200  fl.,  wovon  der  Gesellschaft 
nach  Begleichung  der  Schuldigkeiten 
[3>5OI-565]  und  Bedeckung  der  im  Jahre 
1887  bewerkstelligten  Anschaffungen  und 
Bauten  [3,623.275  fl.]  noch  4,785.757  fl. 
pro  1888  und  die  folgenden  Jahre  ver- 
blieben. Die  Kosten  der  nachträglich 
verfügten  Legung  des  Doppelgeleises  in 
der  ganzen  ungarischen  Strecke  hat  die 
königlich  ungarische  Regierung  aus  der 
auf  Grund  des  Gesetzartikels  XVII  vom 
Jahre  1888  für  mehrere  Bahnen  aufge- 
genommenen  Sonderanleihe  gedeckt.**) 
Bei  der  Herstellung  des  Doppel- 
geleises auf  der  österreichischen  Strecke 
war  die  Mitwirkung  der  Gesellschaft  nur 
eine  geringe ;  denn  über  Anordnung  des 
Handelsministeriums  besorgte  die  k.  k. 
General-Direction  der  Oesterreichischen 
Staatsbahnen  die  Ausführung,  damit  die 
Gesellschaft  überhoben  sei,  für  die  kurze 
Zeit  dieser  Arbeiten  ein  eigenes  Bau- 
personale aufzunehmen.  Die  letzteren 
waren  in  Losen  an  mehrere  Unternehmer 
vergeben    und    mit  aller  Beschleunigung 


*)  Im  Mai  188S  legten  die  Banken  das 
Anlehen  zum  Curse  von  8825  zur  öffent- 
lichen Zeichnung  auf,  wie  damals  behauptet 
wurde,  mit  gutem  Erfolge. 

**)  Die  Erste  Ungarisch-Galizische  Eisen- 
bahn erhielt  eine  neue  Garantiequote  von 
jährlich  301.980  Reichsmark  und  demzufolge 
einen  Darlehensbetrag  von  6,230.800  Reichs- 
mark zugeschieden. 


J/< 


Ignaz  Konta. 


vollendet  worden,  so  zwar,  dass  die 
Doppelspur  in  der  Strecke  Przemysl- 
Chyröw-Zagörz  [98  km]  am  13.  Januar 
und  in  der  Strecke  Zagörz-Lupköw  [48  km] 
am  5.  Juli  1888  eröffnet  werden  konnte. 
Auf  der  ungarischen  Strecke  leitete  die 
Gesellschaft  selbst  den  Bau,  der  in  dem 
Fragmente  bis  Vidräny  [4  km]  schon 
am  1.  December  1887  und  in  der  übrigen 
Strecke  bis  Legenyi-Mihälyi  [115  km] 
binnen  sechs  Monaten  [1.  Juni  bis  29.  No- 
vember 1888]  beendet  wurde. 

Rücksichtlich  der  anderen  Bahnen, 
welche  derlei  Ausrüstungen  in  grösserem 
Massstabe  vorzunehmen  hatten,  wird  die 
betreffende  Mittheilung  späterhin,  an  zeit- 
gerechter Stelle  folgen. 

Hier  sind  noch  mehrere  Vorkomm- 
nisse des  Jahres  1887  besonders  hervor- 
zuheben, und  zwar :  Der  Uebergang 
einer  weiteren  Anzahl  von  Local- 
bahnen  in  den  Staatsbetrieb;*) 
der  Beginn  der  Wirksamkeit  der  inter- 
nationalen Vereinbarungen  über  die 
»technische  Einheit  im  Eisen- 
bahnwesen«, nachdem  die  in  der 
Berner  Conferenz  vom  15.  Mai  1886 
beschlossenen  Normen  hinsichtlich  der 
Spurweite  der  Geleise,  der  Construction 
der  Fahrbetriebsmittel  und  der  zollsiche- 
ren Einrichtungen  der  Eisenbahnwagen 
am  1.,  beziehungsweise  10.  Februar 
1887  amtlich  verlautbart  worden  waren 
[Kundmachung  des  Handels-  und  be- 
ziehungsweise Finanzministeriums] ;  die 
mittels  Gesetzes  vom  19.  März  1887  er- 
folgte Regelung  der  Steuerp flicht 
der  Oesterreichischen  Staats- 
bahnen, wonach  dieselben ,  falls  sie 
nicht  zeitliche  Steuerbefreiung  geniessen, 
der  Ervverb-  und  Einkommensteuer  zu 
unterziehen  und  hiedurch  zur  Entrichtung 
der  Gemeinde-  und  Landessteuern  ge- 
halten sind;  die  auf  Grund  der.  kaiser- 
lichen Verordnung  vom  19.  September 
[und  Kundmachung  des  Gesammtmini- 
steriums    vom    8.  November]    1886,    be- 


*)  Es  waren  dies  die  der  Oesterreichi- 
schen Local-Eisenbahn-Gesellschaft  angehör- 
ten Linien:  Elbogea-Neusattel,  53  km,  Cho- 
dau-Neudek,  137  km,  Kaschitz-Radonitz, 
4  km,  Nusle-Modfan,  12- 1  km,  Olmütz-Celle- 
chowitz,  35-8  km,  Böhmisch  Leipa-Niemes, 
183  km,  ferner  Potscherad-  Wurznies,  17-2  km. 


treffend  die  Unpfändbarkeit  der 
Fahrbetriebsmittel  erfolgte  und 
mittels  Verordnung  des  Justizministeriums 
vom  31.  März  1887  verlautbarte  Aus- 
wechslung von  Reciprocitäts-Erklärungen 
mit  dem  Deutschen  Reiche,  durch  welche 
die  Freizügigkeit  der  beiderseitigen  Eisen- 
bahn-Fahrzeuge gewährleistet  und  der 
speculativen  Industrie  der  Couponprocesse 
[siehe  Seite  279]  das  Hässlichste  ihrer 
Zwangsmittel  entwunden  wurde.  Eine 
gleiche  Vereinbarung  mit  Italien  enthält 
der  Handels-  und  Schiffahrts-Vertrag 
vom  27.  December  1887. 

Auch  die  Reform  der  Vor s chri f- 
ten  für  den  Bau  von  Eisenbahn- 
b rücken  brachte  das  Jahr  1887,  und 
zwar  mittels  der  Verordnung  des  Handels- 
ministeriums vom  15.  September,  »be- 
treffend die  Sicherheitsrücksichten,  welche 
bei  Eisenbahnbrücken,  Bahnüberbrückun- 
gen  und  Zufahrts-Strassenbrücken  zu  be- 
obachten sind«. 

Im  ersten  Jahrestheile  verursachten 
Todesfälle  Personal- Veränderungen  in  den 
obersten  Posten  zweier  Bahnen.  Nach 
langer  Krankheit  verschied  am  30.  April 
der  vieljährige  Director  der  Aussig- 
Teplitzer  Bahn,  Friedrich  Edler  v.  Em- 
p  erger,  zu  dessen  Nachfolger  am 
19.  Juli  der  Ober-Inspector,  Leonhard 
Seh  weigert  ernannt  wurde.  An  den 
Folgen  eines  kurz  vorher  erlittenen  Ab- 
sturzes in  einem  Maschinenraum  starb 
am  8.  Mai  1887  der  General-Director 
der  Böhmischen  Nordbahn,  Georg  Loew, 
der  seit  der  Gründung  dieser  und  der 
jetzt  mit  ihr  vereinigten  Tumau-Kralup- 
Prager  Bahn  an  der  Spitze  ihrer  Ge- 
schäftsleitungen gestanden  und  sich  auch 
in  weiteren  Kreisen  grosser  Beliebtheit 
erfreut  hatte.  Seine  Stelle  blieb  fast  ein 
Jahr  lang  unbesetzt.  In  dieser  Zeit  führte 
der  Ober-Inspector  Franz  L  a  t  die  Ge- 
schäfte. Am  17.  April  1888  wurde  der 
frühere  General-Director  der  Kaschau- 
Oderberger  Bahn,  Regierun gsrath  Arthur 
Vicomte  de  M  a  i  s  t  r  e,  der  aus  Anlass  eines 
allen  Beamten  die  vollkommene  Kennt- 
nis der  magyarischen  Sprache  vorschrei- 
benden Erlasses  der  königlich  ungarischen 
Regierung  [2.  October  1887]  dort  seine 
Demission  nehmen  musste,  zum  General- 
Director    der  Böhmischen  Nordbahn    be- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


379 


rufen.  Ihn  ersetzte  bei  der  Kaschau- 
Oderberger  Bahn  der  Ober-Inspector  der 
königlich  ungarischen  General-Inspection, 
Peter  Räth,  in  der  Eigenschaft  eines 
»geschäftsführenden  Directors?,  da  die 
General-Director-Stelle  aufgelassen  wor- 
den war. 

Am  Schlüsse  des  Jahres  hat  das  von 
dem  Professor  Dr.  Lorenz  Ritter  v.  Stein 
gegründete  und  seit  einem  Vierteljahr- 
hundert herausgegebene  »Central- 
blatt  für  Eisenbahnen  und  Dampfschiff- 
fahrt« [siehe  Seite  64]  zu  bestehen  auf- 
gehört, nachdem  das  Handelsministe- 
rium mittels  Kundmachung  vom  22.  No- 
vember 1887  anordnete,  dass  die  vor- 
geschriebene Verlautbarung  von  Tarif- 
begünstigungen im  Eisenbahn-Güterver- 
kehre etc.  nunmehr  in  dem  amtlichen, 
vom  I.Januar  1888  erscheinenden  »Ver- 
ordnungsblatt desk.  k.  Handels- 
ministeriums für  Eisenbahnen 
und  Schiffahrt«  zur  Veröffentlichung 
gelangen  sollen,  welches  zugleich  zur 
Verlautbarung  auch  anderer  amtlichen 
und  sonstigen  Mittheilungen  in  Eisenbahn- 
und  Schiffahrts- Angelegenheiten  zu  dienen 
hat.  Zur  weiteren  Pflege  des  wissen- 
schaftlich-literarischen Theiles  des  früheren 
Centralblattes  gab  Professor  v.  Stein  hierauf 
die  »Zeitschrift  für  Eisenbahnen 
und  Dampfschiffahrtc  heraus. 

Mit  dem  Jahre  1888  begannen  die 
Concessionirungen  auf  Grund  des  neuen 
Localbahn-Gesetzes,  die  drei  Jahre  hin- 
durch ungestört  ihren  Fortganpf  nahmen 
und  vielen  altgehegten  Wünschen  die 
Erfüllung  brachten-  Den  Anfang  machte 
die  Steyrthalbahn,  welche  die  erste 
dem  allgemeinen  Verkehre  dienende 
Schmalspurbahn  Oesterreichs  ist  und 
als  »Sinnbild  des  im  Einklänge  mit  dem 
Regierungsprogamme  vom  Jahre  1885 
stehenden  Bruches  mit  dem  starren  Fest- 
halten an  der  Normalspur«  eine  be- 
sondere Bedeutung  gewann.  Dann  folgte 
eine  grosse  Reihe  anderer  Localbahnen, 
darunter  zehn,  zu  deren  Ausführung  die 
Kaiser  Ferdinands  -  Nordbahn 
sich  in  ihrem  Uebereinkommen  mit  der 
Regierung  vom  10.  Januar,  beziehungs- 
weise 17.  Juli  1885  [siehe  Seite  364] 
verpflichtet  hatte,  ferner  zwei  kleine  Ver- 
bindungsstrecken     der     Staatseisen- 


bahn-Gesell  seh  aft,  u.  s.  w.  Auch 
auf  Grund  von  Special-Gesetzen  fanden 
Concessionirungen  von  Localbahnen  statt, 
von  denen  hier  nur  jene  der  Linie 
Eisenerz  -  Vordernberg  hervor- 
gehoben wird,  *)  weil  bei  derselben,  wegen 
ihrer  Wichtigkeit  für  die  um  den  Erz- 
berg gruppirte  Eisenindustrie,  zum  ersten 
Male  nach  langer  Zeit  wieder  die  Ge- 
währung einer  Staatsgarantie  in  An- 
wendung kam. 

Die  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn,  deren  Bauthätigkeit  sich  nun  aut 
die  Localbahnen  erstreckte,  sorgte  un- 
verweilt  für  die  bezügliche  Geld- 
beschaffung. Nach  den  Beschlüssen  der 
ausserordentlichen  Generalversammlung 
vom  20.  August  1885  sollte  zum  Zwecke 
der  Erwerbung  der  Linie  Weisskirchen- 
Wsetin  [siehe  Seite  367]  und  des  Baues 
von  Localbahnen  ein  4°/0iges  Prioritäts- 
Anlehen  im  Betrage  von  nom.  1 2, 300. 000 fl. 
aufgenommen  werden.  Da  aber  durch 
die  Verlängerung  der  Linie  Bielitz- 
Wadowice  bis  Kalwarja  [siehe  Seite  366] 
und  durch  die  vermehrte  Anzahl  der  in 
Aussicht  genommenen  Localbahn-Bauten 
das  Erfordernis  gewachsen  war,  beschloss 
die  Generalversammlung  vom  26.  Mai 
1888  jenes  Anlehen  in  der  Summe  von 
nom.  20,000.000  fl.  aufzunehmen.  Der 
Verwaltungsrath  vollzog  diesen  Beschluss 
und  begab  am  I.Juli  1888  einen  Theil- 
betrag  von  8,000.000  fl.  zum  Curse  von 
98^  an  die  Actionäre  der  Gesellschaft. 
Zur  Deckung  der  schon  früher  erwähnten 
sonstigen  Erfordernisse  [Legung  des 
Doppelgeleises  in  der  Strecke  Oderberg- 
Os'wiecim,  Dotirung  der  Baureserven  etc.] 
bewilligte  dieselbe  Generalversammlung 
die  Aufnahme  eines  anderen  40,0igen 
Anlehens  im  Betrage  von  nom. 
15,000.000  fl.,  welches  jedoch  erst  im  Juli 
1891  emittirt  und  wieder  im  Theilbetrage 
von  7,500.000  fl.  an  die  Actionäre  der  Ge- 
sellschaft zum  Curse  von  98%  begeben 
wurde.  Die  am  10.  Juli  1888  an  die 
Unternehmungen  Brüder  Redlich  und 
Berger,  Pischof  und  Löwenthal  über- 
tragene Herstellung  des  gedachten  zweiten 


*)  Vgl.  auch  im  Bd.  I,  2.  Th.,  den  Ab- 
schnitt über  »Oesterreichs  Localbahnen«  von 
P.  F.  Kupka. 


38o 


Ignaz  Konta. 


Geleises  gelangte   grossentheils  noch  im 
Jahre   1888  zur  Vollendung. 

Bedeutende  Ausrüstungen  musste  aus 
der  obenerwähnten  Ursache  auch  die 
Kaschau-Oderberger  Bahn  be- 
werkstelligen. Die  Grundlage  zur  Geld- 
beschaffung hiefür  gaben  jedoch  in  ähn- 
licher Weise  und  unter  analogen  Be- 
dingungen, wie  bei  der  Ersten  Ungarisch- 
Galizischen  Eisenbahn  die  beiderseitigen 
Staatsverwaltungen.  Die  königlich  unga- 
rische Regierung  gewährte  in  Gemässheit 
des  Gesetzartikels  XVII  vom  Jahre  1888 
und  des  Uebereinkommens  vom  8.  Juni 
1888  eine  Special-Garantie  von  jährlich 
362.292  Reichsmark  und  vermöge  dieser 
eine  Zuweisung  von  nom.  7,477.000 
Reichsmark  aus  der  von  ihr  selbst  zum 
Curse  von  9i'36°/0  übernommenen  In- 
vestitions- Anleihe.  Daraus  deckte  die 
Gesellschaft  die  Rückzahlungen  der  von 
der  königlich  ungarischen  Regierung  er- 
haltenen Vorschüsse  [1,615.960  fl.]  sowie 
anderweitige  Schulden  im  Betrage  von 
837.000  fl.  und  die  Kosten  der  In- 
vestirungen.  Oesterreichischerseits  erhielt 
die  Gesellschaft  auf  Grund  des  Ueber- 
einkommens vom  3.  Mai  und  des  Ge- 
setzes vom  25.  Juni  1888  eine  Erhöhung 
der  Staatsgarantie  um  jährlich  232.778  fl., 
welche  die  Unterlage  für  ein  4°/0iges 
Prioritäts-Anlehen  von  nom.  5,500.000  fl. 
bildete.  Dasselbe  wurde  von  der  Gruppe 
der  Allgemeinen  österreichischen  Boden- 
Creditanstalt  zum  Curse  von  9i°/0  fest 
übernommen.  Aus  dem  Erlöse  zahlte 
die  Gesellschaft  die  restlichen  Garantie- 
Vorschüsse  für  die  österreichische  Strecke 
[einschliesslich  der  Zinsen]  von  2, 5  30. 1 43  fl. 
zurück,*)  desgleichen  sonstige  Schulden 
im  Betrage  von  495.668  fl.,  wo  ihr  dann 
noch  1,979.19011.  für  die  Investitions- 
Erfordnisse  verblieben. 

Die  genannte  Bankengruppe  vollführte 
auch  die  Convertirungen  der  gesellschaft- 
lichen Anlehen,  nachdem  die  bezüglichen 
Verhandlungen    sich   seit  Jahr   und   Tag 

*)  Für  die  österreichische  Strecke  wurde 
die  Staatsgarantie  schon  seit  dem  Jahre  1879 
nicht  mehr  in  Anspruch  genommen;  vielmehr 
leistete  die  Geseilschaft  aus  dem  Anlehen 
vom  Jahre  1879  schon  eine  Abstattung  von 
173  1/2  fl.  Siehe  Bd.  II,  Dr.  Ritter  v.  Wittek, 
»Oesterreichs  Eisenbahnen  in  der  Staatswirth- 
schaft«  S.  23. 


hingezogen    hatten.    Eine    erste    Verein- 
barung  war  schon  am  29.  Mai  1886  zu- 
stande   gekommen ;    doch   blieb    ihr    die 
Genehmigung  der  königlich  ungarischen 
Regierung  versagt,  welche  günstigere  und 
minder  verwickelte  Bedingungen  verlangte, 
nach  anderer  Lesart  aber,  auch  weil  sie 
die   vom    königlich    ungarischen  Finanz- 
minister Grafen  Sz  ap  äry  damals  geplante 
|    »grosse   ungarische  Convertirung«    nicht 
I   durch  gleichartige  private  Operationen  be- 
I  einflussen    lassen   wollte.    Dies  hatte  zur 
i  zur    Folge,     dass    die    Gesellschaft    die 
Couponstempel-Gebühr  für  die  Prioritäts- 
1   Obligationen,     deren    sie    anlässlich    der 
Convertirung    ledig    zu    werden    hoffte, 
j  noch  weiter  aus  Eigenem  tragen  musste, 
da    die  versuchte  Ueberwälzung    auf  die 
j  Prioritäten  -  Besitzer    nicht    gelang.     Die 
Convertirung     wurde     thatsächlich     erst 
I  dann   möglich,    als    die    königlich   unga- 
rische   Regierung    die    Umwandlung    der 
5°/0igen  staatlichen  Schuldtitel  in  minder 
verzinsliche  Werthe  schon  zum  bedeuten- 
den Theile  bewirkt  hatte.    Nach  einigen 
taktischen    Wendungen     stellte    die    ge- 
nannte Bankengruppe,  der  übrigens  auch 
die   letzterwähnte    grosse   Operation    an- 
vertraut    gewesen,     neue    Anträge,    aut 
Grund    deren    nun  am  26.  October  1888 
die      endgiltigen     Convertirungs-Verein- 
barungen  abgeschlossen  wurden,  vermöge 
welcher    die  neu  auszugebenden  Obliga- 
tionen   volle    Stempel-    und    Gebühren- 
freiheit  geniessen,    die  Banken  von  dem 
Convertirungs-Gewinn  einen  Betrag  von 
1,600.000  fl.    an    die    beiderseitigen    Re- 
gierungen,   beziehungsweise    der  Gesell- 
te o        '  £• 

Schaft  überlassen  sollten,  letztere  aber 
sich  verpflichtete,  die  Stempelfreiheit  der 
Prioritäten-Coupons  zu  erwerben,  was  ihr 
durch  Entrichtung  einer  mit  194.000  fl. 
vereinbarten  Pauschal-Abfindung  an  die 
königlich  ungarische  Regierung  gelang. 
Daraufhin  erfolgte  mittels  des  aus  der 
Vorlage  vom  26.  Februar  1889  hervor- 
gegangenen Gesetzartikels  X  vom  Jahre 
1889  die  Bewilligung  der  Gebühren-  und 
Stempelfreiheit  für  die  neuen  Titel  und 
gleich  einen  Tag  nach  der  a.  h.  Sanc- 
tionirung  desselben,  also  am  28.  April 
1 889  die  Convertirungs  -  Verlautbarung 
mit  der  Anmeldefrist  bis  7.  Mai  1889 
und  mit  dem  Angebote  von  nom.  1 10*50  fl. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


381 


4°/0ige  für  je  nom.  100  fl.  alte  5°/o'Se 
Silberprioritäten,  beziehungsweise  nom. 
2i0'40  Reichsmark  4°/0ige  für  je  nom. 
100  fl.  5°/0ige  Goldobligationen.  Für  die 
noch  im  Umlaufe  gewesenen  5°/0igen 
Silberobligationen  vom  Jahre  1868  und 
1879  im  Gesammtbetrage  von  nom. 
39,149.800  fl.  und  die  5°,'0igen  Gold- 
obligationen vom  Jahre  1879  im  Betrage 
von  nom.  6,735.600  fl.  wurden  4°/0ige 
Titel  von  nom.  47,140.800  fl.,  beziehungs- 
weise nom.  16,541.400  Reichsmark  aus- 
gegeben. Angeregt  von  dem  Erfolge 
dieser  Convertirung  hat  die  Gesellschaft 
im  Juni  1891  auch  die  5°/o'gen  Silber- 
prioritäten der  Eperies-Tarnöwer  Bahn 
[im  ursprünglichen  Betrage  von  nom. 
4,285.200  fl.]  und  ihre  Antheile  an  der 
5,  beziehungsweise  4,/2°/0igen  ungarischen 
Goldinvestitions-Anleihe  vom  Jahre  1876 
und  1888  in  4%ige  Anlehen  gleicher 
Währung  umgewandelt. 

Verhandlungen  grundsätzlicher  Natur 
pflog  die  Regierung  im  Jahre  1888  auch 
mit  der  Oesterreichisch  -  Ungarischen 
Staatseisenbahn-Gesellschaft. 
Gegenstand  derselben  war  die  Revision 
der  Formel  für  die  Ermittlung  des  Rein- 
erträgnisses des  Ergänzungsnetzes,  nach- 
dem die  Geltungsdauer  des  im  Jahre  1883 
für  die  Zeit  von  fünf  Jahren  festgesetzten 
Coefficienten  abgelaufen  war.  Die  Ver- 
handlungen fanden  damit  ihren  Abschluss, 
dass  in  dem  Protokollar-Uebereinkommen 
vom  30.  December  1888  ein  für  die 
Jahre  1888  — 1892  geltender  neuer 
Schlüssel  zur  Berechnung  der  Betriebs- 
Ausgaben  aufgestellt,  für  die  Brünn- 
Rossitzer  Bahn  aber  die  Rückzahlung 
aller  noch  aushaftenden  Garantie  -  Vor- 
schüsse bedungen  wurde. 

Ungleich  mehr  als  diese  glatt  abge- 
wickelte Angelegenheit  beschäftigte  da- 
mals das  seit  zwanzig  Jahren  unablässig 
verfolgte  Orientbahn-Project  die  Gesell- 
schaft. Obzwar  die  alten  Pläne  einer 
Fortsetzung  ihrer  ungarischen  Linien  bis 
und  durch  Serbien,  beziehungsweise  Ru- 
mänien zum  Anschlüsse  an  die  türkischen 
Bahnen  und  einer  Pachtung  der  letzteren 
längst  gescheitert  waren,  hatte  sie  sich 
des  Gedankens  an  die  Erwerbung  des 
Besitzes  oder  doch  Betriebes  jener  Bahnen 
noch  immer  nicht  zu  entschlagen  vermocht. 


Im  Mai  1887  versuchten  der  Verwaltungs- 
raths- Präsident  Ed.  J  o  u  b  e  r  t  und  der  Di- 
rector  de  Serres  neuerdings  in  Constan- 
tinopel  Verbindungen  anzuknüpfen,  von 
denen  sie  Vieles  erhofften.  Hierin  ge- 
täuscht traten  sie  nachher  mit  dem  Haupt- 
interessenten der  türkischen  Bahnen,  Baron 
Hirsch,  in  Verhandlungen  ein,  welche  die 
Erwerbung  der  Actien  der  Betriebs-Ge- 
sellschaft dieser  Bahnen  und  deren  Um- 
wandlung in  eine  österreichisch-unga- 
rische Unternehmung  bezweckten. 

Dem  widersetzte  sich  zwar  das  Pariser 
Comite  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
und  verlangte,  dass  zugewartet  werde,  bis 
die  zwischen  der  Pforte  und  Baron  Hirsch 
schwebenden  Streitigkeiten  ihren  Austrag 
gefunden  haben  würden.  Sowie  dies  durch 
den  Schiedsspruch  Professor  G  n  e  i  s  t's 
geschehen  und  die  Lage  geklärt  war, 
dünkte  dem  Verwaltungsrathe  der  Ab- 
schluss des  Geschäftes  so  nahe  gerückt, 
dass  er  eine  ausserordentliche  General- 
versammlung zur  Beschlussfassung  über 
dasselbe  einberief.  Sie  wurde  aber  nicht 
abgehalten  und  erst  im  August  1889 
kam  ein  Vorvertrag  zu  Stande,  welcher 
die  finanziellen  Bedingungen,  bei  denen 
es  sich  um  die  Beschaffung  eines  Capi- 
tales  von  85,000.000  Francs  handelte, 
feststellte  und  der  Staatseisenbahn-Ge- 
sellschaft  die  Rolle  der  Betriebs-Gesell- 
schaft der  Orientbahnen  zudachte,  wofür 
sie  Actien  dieser  neuen  Gesellschaft  im 
Betrage  von  25,000.000  Francs  überneh- 
men sollte. 

Als  jedoch  die  österreichischeVereins- 
commission,  welche  wegen  der  Abän- 
derung der  Statuten  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  befragt  werden  musste, 
Schwierigkeiten  machte  und  überdies 
Baron  Hirsch  noch  mit  dem  Verlangen 
nach  Sicherung  der  5%igen  Verzinsung 
der  Prioritäts-Actien  hervortrat,  zerschlug 
sich  die  Sache  abermals  und  endgiltig. 
Nun  wurde  sie  in  der  Oeffentlichkeit 
lediglich  als  eine  fehlgeschlagene  Privat- 
Angelegenheit  Joubert's  bezeichnet.  Ob 
damit  der  Gesellschaft  ein  Dienst  erwie- 
sen wurde,  muss  wohl  dahingestellt  blei- 
ben, denn  es  konnte  ihr  nicht  gleich- 
giltig  sein,  als  williges  Werkzeug  eines 
Speculanten  zu  erscheinen.  Hört  aber  — 
wie  nicht  anders  möglich  — jeder  Zweifel 


382 


Ignaz  Konta. 


darüber  auf,  dass  die  Gesellschaft  mit 
ihren  vieljährigen  Bestrebungen  nur  dem 
eigenen  Interesse  dienen  wollte,  dann 
dürfte  sie  den  Misserfolg  umso  härter 
empfunden  haben,  als  die  grosse  Schienen- 
strasse  nach  dem  Goldenen  Hörn  inzwi- 
schen gänzlich  vollendet  worden  war. 

Es  hatte  lange  gedauert  und  viele 
Verhandlungen  erfordert,  bis  die  »Con- 
ference ä  quatre«  die  Ausführung  der 
im  Berliner  Vertrage  vom  8.  Juli  1878 
enthaltenen  Bestimmungen  über  den  Aus- 
bau der  Orientbahnen  zu  Wege  brachte. 
Serbien  kam  seinen  Verpflichtungen  willig 
nach.  Bulgarien  und  die  Türkei  säumten. 
Erst  nach  endlosen  Bemühungen  der 
»Conference«  gelang  es  auch,  diese  Län- 
der zur  Erfüllung  ihrer  Obliegenheiten 
zu  bewegen ;  sie  verpflichteten  sich  in 
der  Convention  vom  9.  Mai  1883  zur 
Fertigstellung  ihrer  Linien  bis  15.  Octo- 
ber  1886.  Der  serbisch-bulgarische  Krieg 
und  die  inneren  Wirren  in  Bulgarien  ver- 
ursachten neue  Verzögerungen.  Während 
Serbien  schon  am  14.  September  1884 
die  erste  Linie  [Belgrad-Nisch]  dem  öffent- 
lichen Verkehre  übergab,  folgten  Bul- 
garien und  die  Türkei  erst  im  Jahre  1888 
nach.  Am  18.  Mai  fand  die  Eröffnung 
der  Linie  [Nisch-]Vranja-Uesküb-Salonichi 
statt;  am  12.  August  1888  vereinigte  ein 
von  der  bulgarischen  Regierung  zur  Weihe 
des  weltgeschichtlichen  Ereignisses  ver- 
anstaltetes  glänzendes  Fest,  die  aus  Wien, 
Budapest,  Belgrad  und  Constantinopel  in 
der  Hauptstadt  Bulgariens  eingetroffenen 
Gäste  —  und  Tags  darauf,  am  13.  August 
1888,  ging  von  Sophia  aus  der  erste  di- 
recte  Zug  nach  Constantinopel  ab.  Der 
Traum:  »Morgen-  und  Abendland  mit 
einem  Schienenstrange  zu  verknüpfen«, 
war  nun  verwirklicht. 

Um  die  neuerschlossenen  grossen  Ver- 
kehrswege dem  Handel  der  österreichisch- 
ungarischenMonarchie  bestmöglichst  nutz- 
bar zu  machen,  hatten  die  beiderseitigen 
Staatseisenbahn-Verwaltungen  es  unter- 
nommen, sowohl  die  technischen  als  ins- 
besondere auch  die  commerziellen  Ein- 
richtungen des  Betriebes  der  ganzen,  von 
den  äussersten  Grenzen  Oesterreich-Un- 
garns  bis  Constantinopel  und  Salonichi 
reichenden  Transitroute  einheitlich  zu  ge- 
stalten. Ein  Erfolg  wurde  jedoch  sogleich 


nur  in  ersterer  Beziehung  erzielt.  Nach 
Jahresfrist  gelang  dann  noch,  die  hierzu- 
lande geltenden  Transport  -Vorschriften 
[inclusive  Warenclassification,  Betriebs- 
reglement  etc.]  auf  den  orientalischen 
Bahnen  einzubürgern ;  die  Erstellung 
wohlfeiler  Tarife  für  den  Durchzugsver- 
kehr wollte  jedoch  nicht  glücken  und  die 
alten  Wasserwege  konnten  die  Concurrenz 
behaupten.  Die  von  der  neuen  Welt- 
strasse erwarteten,  umfassenden  Vortheile 
blieben  also  hinsichtlich  des  Güter-Tran- 
sits vorläufig  aus,  und  auch  von  einer 
dominirendenEinflussnahme  auf  denselben 
fiel  den  österreichischen  und  ungarischen 
Staatsbahnen  nur  wenig  zu. 

Im  heimatlichen  Bereiche  erhielt  da- 
gegen der  österreichische  Staatsbetrieb 
zu-  jener  Zeit  eine  weitere  Ausbreitung. 
Am  26.  Februar,  beziehungsweise  I.  Oc- 
tober  1888  übergingen  concessions- 
gemäss  die  eben  eröffneten  Strecken 
Nieder-Lindewiese-Ziegenhals  [25-4  km] 
und  Nieder-Linde  wiese-Hannsdorf[30-5&»M] 
der  von  der  Oesterreichischen  Localeisen- 
bahn-Gesellschaft  mit  staatlicher  Unter- 
stützung erbauten  Localbahn  Hannsdorf- 
Ziegenhals,  welche  zufolge  des  Staats- 
vertrages mit  dem  Deutschen  Reiche  vom 
14.  März  1885  *)  in  Ziegenhals  an  das 
preussische  Bahnnetz  anschliesst,  in  den 
Staatsbetrieb  —  und  nach  Kündigung  der 
betreffenden  Betriebsverträge  gelangten 
auch  die  staatlichen  Localbahnen  [siehe 
Seite248]Mürzzuschlag-Neuberg[ii'4Äw] 
und  Unter-Drauburg- Wolfsberg  [38  km], 
welche  von  der  Südbahn,  dann  Erbers- 
dorf- Würbenthai  [20'5  km]  und  Kriegs- 
dorf-Römerstadt [i3'8  km],  welche  von 
der  Mährisch-Schlesischen  Centralbahn 
betrieben  wurden,  ab  I.  Januar  1889  in 
die  eigene  Regie  des  Staatsbetriebes. 

Ueberdies  begann  auch  die  Fort- 
setzung der  Ver  st  aatli  chungs- 
thätigkeit,  welche  - —  bedeutsamer 
Weise  —  jetzt  »gemeinsame«,  nämlich 
solche  Bahnen  betraf,  die  in  beiden 
Reichshälften  gelegen  waren,  jedoch  ein 
einheitliches  Capital  und  eine  einheitliche 
Verwaltung   besassen    nnd    dieserwegen, 


*)  Mittels  dieses  Staatsvertrages  sind  auch 
die  Anschlüsse  :  Mittelstein  -  Ottendorf 
[Braunau],  Barzdorf-[Heinersdorf]Ottmachau 
und  Ratibor-Troppau  gesichert  worden. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


383 


wie  auch  weil  sie  als  das  »eiserne Band« 
der  beiden  Staatsgebiete  gegolten  hatten, 
gegen  jede  vorzeitige,  das  heisst  vor  Ab- 
lauf der  concessionsmässigen  Fristen  ein- 
tretende Trennung  und  Einlösung  gefeit 
schienen. 

Als  die  k.  ungarische  Regierung  das 
gemeinschaftliche  Vorgehen  in  Anregung 
brachte,  war  in  der  That  blos  die  Ueber- 
nahme  des  Betriebes  auf  Grund  der  Se- 
questrations-Gesetze     beabsichtigt,     und 


Staatsgarantie  die  Vorbedingungen  für 
die  Anwendung  der  Sequestrations-Gesetze 
längst  erfüllt  hatten  Wohl  aber  brachte 
die  Erste  Ungarisch-Galizische  Eisenbahn 
am  28.  September  1888  ihre  völlige  Ver- 
staatlichung in  Vorschlag. 

Die  beiden  Regierungen  stimmten 
demselben  zu  und  wendeten  ihn  auch 
auf  die  Ungarische  Westbahn  an.  Oester- 
reicbischerseits  wurde  nun  darein  ge- 
willigt, dass  die  in  Galizien,  beziehungs- 


Abb.  174.  Wiener  Verbindungsbahn  nächst  dem  Süd-  und  Staatsbahnhofe  nach  dem  Umbau  im  Jahre  1873. 


die  Erlässe  vom  19.  August  1888,  mit 
welchen  die  Regierungen  der  beiden 
Staatsgebiete,  nach  vorausgegangener 
grundsätzlicher  Einigung,  -sowohl  der 
Ersten  U  ngarisch  -  G  alizischen 
Eisenbahn  als  auch  der  Ungarischen 
Westbahn  den  Verstaatlichungs-Be- 
schluss  verkündeten,  sprachen  nur  von 
einer  solchen  aus  »betriebsökonomischen 
und  eisenbahnpolitischen  Erwägungen« 
gebotenen  Betriebsübernahme.  Jede  der 
beiden  Regierungen  wollte  die  in  ihrem 
Territorium  befindlichen  Strecken  für 
Rechnung  der  betreffenden  Gesellschaft 
in  Verwaltung  nehmen.  Ein  rechtlicher 
Einwand  dagegen  konnte  nicht  erhoben 
werden,  nachdem  beide  Unternehmungen 
durch     reichliche    Inanspruchnahme    der 


weise  Steiermark  liegenden  Strecken  der 
beiden  Bahnen  ab  1.  Januar  1889  vom 
Staate  gegen  Leistung  der  garantirten 
Annuitäten  übernommen  und  für  dessen 
eigene  Rechnung  betrieben  werden.  Mit 
der  Ungarischen  Westbahn  ward  ausser- 
dem vereinbart,  dass  sie  zur  Deckung 
der  bereits  vorgenommenen  sowie  der 
noch  zu  bewirkenden  Investitionen  über 
Verlangen  der  Regierung  ein  4°/0iges 
Prioritäts-Anlehen  von  nom.  1,500.000  fl. 
ausgeben  solle,  dessen  Verzinsung  und 
Tilgung  vom  Staate  mit  einer  Annuität 
von  63.632  fl.  garantirt  oder  zur  Selbst- 
zahlung übernommen  werden  würde. 
Ungarischerseits  wurde  die  sogleiche 
Einlösung  der  dortigen  Strecken  gegen 
Zahlung    der   auf  dieselben    entfallenden 


3«4 


Ignaz  Konta. 


Quoten  zur  Verzinsung  und  Tilgung 
der  Actien  und  Prioritäten  vorgezogen, 
jedoch  mit  dem  Vorbehalte,  dass  die 
Erwerbung  des  unbedingten  Eigen- 
thumsrechtes  erst  dann  nachfolgen  könne, 
bis  der  Staat  die  ihm  freigestellte  jeder- 
zeitige Einlösung  aller  auf  die  ungarischen 
Strecken  entfallenden  Actien  vollzogen 
habe.  Beide  Regierungen  hatten  den 
Gesellschaften  die  Rückzahlung  der  aus 
dem  Titel  der  Staatsgarantie  und  der 
Bedeckung  der  Betriebskosten  -  Abgänge 
erhaltenen  Vorschüsse*)  erlassen  und  die 
Uebernahme  des  Personals,  unter  Wahrung 
seiner  erworbenen  Rechte,  zugesichert.**) 
Auf  diesen  Grundlagen  bauten  sich 
die  betreffenden  Uebereinkommen  auf, 
welche  die  österreichische  Regierung  am 
20.  December  1888  mit  der  Ersten  Unga- 
risch -  Galizischen  Eisenbahn  und  am 
22.  December  1888  mit  der  Ungarischen 
Westbahn  abgeschlossen  hatte***)  und  die 
Schlussbestimmung  enthielten,  dass,  wenn 
die  legislative  Genehmigung  derselben 
nicht  bis  Ende  Juni  1889  erfolgen  sollte, 
die  staatliche  Betriebsführung  nach  den 
Bestimmungen  des  Sequestrations  -  Ge- 
setzes vom  14.  December  1877,  also  für 
Rechnung  der  Gesellschaften  stattfinden 
würde.  Dies  trat  nicht  ein.  Am  I.  Januar 
1889  wurde  der  Betrieb  der  Ersten 
Ungarisch  -  Galizischen  Eisen- 
bahn und  der  Ungarischen  West- 
bahn von  den  Staatsverwaltungen 
übernommen;  die  Actionäre  der  beiden 
Gesellschaften  stimmten  in  ihren  ausser- 
ordentlichen Generalversammlungen  vom 
9.,  respective  17.  Februar  1889  den  Ueber- 
einkommen zu,  und  die  beiderseitigen 
Legislativen  genehmigten  dieselben  mittels 
des  ungarischen  Gesetzartikels  XIV  vom 
Jahre  1889  und  des  österreichischen  Ge- 
setzes vom  25.  Mai  1889. 

*)  Die  Erste  Ungarisch-Galizische  Eisen- 
bahn schuldete  damals  16,176.285  ff,  die  Un- 
garische Westbahn  4,929.438  fl.  an  den  öster- 
reichischen Staatsschatz. 

**)  Wegen  des  von  jeder  der  beiden 
Regierungen  zu  übernehmenden  Personal- 
standes hatten  dieselben  untereinander  be- 
sondere Vereinbarungen  getroffen. 

***)  Der  Abschluss  der  Uebereinkommen 
zwischen  der  königlich  ungarischen  Regie- 
rung und  diesen  beiden  Gesellschaften  fand 
am  22.,  beziehungsweise  23.  December  1888 
statt. 


Seitdem  führen  die  beiden  Gesell- 
schaften nur  noch  ein  Scheindasein;  sie 
sind  Eigenthümer  ihrer  Linien,  haben 
aber  keinerlei  Befugnisse  über  dieselben. 
Dieses  Verhältnis  wird  dauern,  solange 
die  betreffenden  Actien  bestehen;  denn 
selbst  dann,  wenn  die  österreichische 
Regierung  von  dem  ihr,  zufolge  jener 
Uebereinkommen,  schon  vom  I.  Januar 
1889  an  zustehenden  Einlösungsrechte 
Gebrauch  machen  würde,  hätte  sie  die 
Prioritäts-Anlehen  —  nach  Massgabe  der 

!  mit  der  königlich  ungarischen  Regierung 
zu  treffenden  Vereinbarung  — -  zur  Selbst- 
zahlung zu  übernehmen,  den  Actionären 
aber   bis    zum  Ablaufe  der  Concessions- 

i  dauer  eine  bestimmte  Annuität  zu  ent- 
richten ;  es  sei  denn,  dass  die  letztere  im 

|  discontirten  Capitalswerthe  auf  einmal 
zur  Abstattung  käme. 

Die  sonst  noch  getroffenen  Vor- 
kehrungen für  die  Erweiterung  des  staat- 
lichen Bahngebietes  erstreckten  sich 
zunächst  auf  die  Ausarbeitung  eines  Ge- 
setzentwurfes, betreffend  die  Sicherstellung 
der  Linie  Jaslo-Rzeszöw  und  der  Vor- 
lage desselben  an  den  Reichsrath.  Die 
Frage  der  Verbindung  Jasto's  mit  der 
Carl  Ludwig-Bahn  an  sich  war  jedoch 
schon  eine  alte;  denn  sie  spielte  bereits 
im  Jahre  1864  einmal,  als  der  galizische 
Landesausschuss  eine  ungarisch-galizische 
Eisenbahn  von  Kaschau  über  Eperies  und 
Dukla  einerseits  nach  Przemysl  und 
andererseits  nach  Tarnöw  anstrebte,  ferner 
in  den  Jahren  1865  und  1867  anlässlich 
ähnlicher  Projectirungen  seitens  des  Grafen 
Johann  Waldstein  und  des  Fürsten 
August  Sulkowski  [siehe  Seite  78]. 
Infolge  der  andersartigen  Gestaltung  des 
galizischen  Bahnnetzes  gerieth  sie  aber 
immer  mehr  in  den  Hintergrund,  aus  dem 
sie  erst  in  der  neueren  Zeit  wieder  her- 
vorgeholt wurde.  Fürst  Eustach  San- 
guszko  plante  1884  bis  1887  die  Linie 
Dembica-Jasto- Ungarische  Grenze,  und 
der  Ingenieur  Leopold  Ritter  von  M  a  c  i  e- 

j  o  w  s  k  i  ein  Jahr  später  die  Linie  Rzeszöw- 

Jaslo-Dukla-Ungarische  Grenze.  Viele  Ge- 
meinden petitionirten    aber  um  die  Linie 

JasJo-Dembica. 

Im  Jahre  1888  Hess  die  Oesterreichische 

Credit-Anstalt    die  Vorarbeiten    für    eine 

Localbahn  von  Rzeszöw  nach  Tarnowice 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


385 


[nächst  JasJo]  oder  Jedlicze  ausarbeiten, 
worauf  der  Fürst  Sanguszko  sein  Project 
ebenfalls  in  dieser  Weise  abänderte. 
Beide  Projecte  wurden  Ende  August  1888 
der  Tracenrevision  unterzogen,  wobei  der 
Wunsch  zum  Ausdruck  kam,  die  neue 
Linie  aus  einer  mehr  östlich  gelegenen 
Station  der  Transversalbahn  [Jedlicze  oder 
Krosno]  ausmünden  zu  lassen.  Die  Regie- 
rung wählte  aber  Jaslo  zum  Abzweigungs- 
punkte, und  holte  nun  sowohl  bei  der 
Credit-Anstalt,  als  auch  bei  dem  vom 
Fürsten  Sanguszko  inzwischen  gebildeten 
»Landesconsortium«  Erkundigungen  über 
die  Sicherstellung  des  Baues  ein.  Beide 
stellten  Anforderungen,  welche  dessen 
unmittelbare  Ausführung  auf  Staatskosten 
als  vortheilhafter  erscheinen  Hessen. 

Die  Regierung  legte  nun  am  12.  März 
1889  dem  Reichsrathe  einen  Gesetzentwurf 
vor,  wonach  die  Linie  Jaslo-Rzeszöw  als 
Localbahn  mit  einem  Kostenaufwande  von 
höchstens  5,500.000  fl.  aus  Staatsmitteln 
erbaut  werden  solle,  und  der  nächste 
Geldbedarf  hiefür  durch  Veräusserung  der 
im  Besitze  des  Staates  befindlichen  7500 
Actien  lit.  B  der  Buschtehrader  Bahn*) 
zu  decken  sei.  Während  der  Berathung 
dieser  Vorlage  wurden  noch  mannigfache 
Begehren  nach  Aenderungen  der  Trace 
vorgebracht,  die  aber  keine  Annahme 
fanden ;  vielmehr  erhielt  das  Gesetz  in  der 
von  der  Regierung  beantragten  Fassung 
am  20.  Mai  1889  die  a.  h.  Sanction. 
Drei  Monate  später  fand  die  losweise 
Vergebung  des  Baues  statt;  Ersteher 
blieben  [von  29  Bewerbern]  die  Unter- 
nehmungen Frei  und  Genossen  und 
Prokowicz,  Kiss  &  Gall.  Die  am 
23.  September  1889  begonnenen  Arbeiten 
waren  binnen  Jahresfrist  vollendet,  so  dass 
die  jokm  lange  Linie  am  12.  October  1890 
dem  Betriebe  übergeben  werden  konnte. 
Ihre  Anlagekosten  haben  5,237.700  fl. 
betragen. 

Nicht  ganz  einen  Monat,  nachdem 
die  eben  besprochene  Gesetzesvorlage 
vom     Abgeordnetenhause      angenommen 


*)  Diese  Actien  ä  200  fl.  hatte  der  Staat 
im  Jahre  1874  für  den  zum  Baue  der  Linie 
Falkenau-Graslitz  gewährten  Baarvorschuss 
al  pari  in  Zahlung  genommen  [siehe  Seite  184]; 
bei  der  Einbringung  des  oben  erwähnten  Ge- 
setzentwurfes war  ihr  Cursstand  335. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band.  2.  Theil 


worden  war,  brachte  die  Regierung 
daselbst  einen  die  vollständige  Rück- 
erwerbung der  Wiener  Verbin- 
dungsbahn bezweckenden  Gesetzent- 
wurf ein  [7.  Mai  1889].  Zwei  Einsechstel- 
Antheile  derselben  waren  mit  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn  und  der  Kaiser  Franz 
Josef-Bahn  an  die  Staatsverwaltung  zu- 
rückgelangt; einen  dritten  solchen  An- 
theil  hatte  sie  von  der  Kaiser  Ferdinands- 
Nordbahn  auf  Grund  des  Uebereinkom- 
mens  vom  IO.  Januar  und  17.  Juli  1885 
[siehe  Seite  364]  und,  zufolge  der  be- 
züglichen Ankündigung  vom  2.  October 
1 886,  um  den  Pauschalpreis  von  600.000  fl., 
mit  Wirksamkeit  vom  1.  Januar  1887 
erworben ;  folglich  handelte  es  sich  nur 
noch  um  drei  ['/«-[Antheile.  Von  den 
Besitzern  derselben  [siehe  Seite  133] 
waren  die  Staatseisenbahn  -  Gesellschaft 
und  die  Oesterreichische  Nordwestbahn 
sogleich  zur  Abtretung  bereit,  und  zwar 
gegen  Jahresrenten,  welche  bis  Ende  1959 
laufen  und  für  die  erstere  28.000  fl.,  für 
die  letztere  aber  39.000  fl.  betragen 
sollten.  Rücksichtlich  der  Südbahn,  wel- 
cher eine  Jahresrente  von  33.000  fl.  zuge- 
dacht war,  erwartete  die  Regierung  eine 
gleiche  Bereitwilligkeit. 

Darum  lautete  der  Gesetzentwurf  auf 
die  Erwerbung  aller  drei  Antheile.  Er' 
war  vornehmlich  damit  begründet,  dass 
Rücksichten  volkswirthschaftlicher  und 
verkehrspolitischer  Natur  dafür  sprechen, 
eine  Verkehrsader,  welche  die  bedeutend- 
sten Bahnnetze  der  Monarchie  verbindet 
und  zugleich  4as  Weichbild  der  Reichs- 
Hauptstadt  durchzieht,  wieder  der  un- 
mittelbaren Verfügung  des  Staates  zu 
unterstellen.  Der  Reichsrath  würdigte 
diese  Motive  und  erledigte  die  Vorlage 
so  rasch,  dass  dieselbe  schon  am  30.  Mai 
1889  die  a.  h.  Sanction  zum  Gesetz  er- 
halten konnte.  Dies  führte  jedoch  vor- 
läufig nur  zu  der  am  26.  Juni  1889  voll- 
zogenen Erwerbung  weiterer  zwei  An- 
theile ;  denn  mit  der  Südbahn  kam  die 
bezügliche  Vereinbarung  erst  im  Jahre  1 894 
zustande.  Die  Kosten  der  Rückerwerbung 
der  Wiener  Verbindungsbahn  stellten 
sich  auf  3,826.460  fl. ;  *)  sie  waren  daher 


*)  Dieser  Betrag  setzt  sich  zusammen: 
aus  dem  Werthe  der  beiden  Antheile  der 
Kaiserin  Elisabeth-  und  Kaiser  Franz  Josef- 

25 


386 


Ignaz  Konta. 


um  1,826.460  fl.  höher  als  der  Erlös, 
welchen  der  Staat  im  Jahre  1870  erzielt 
hatte.  Dafür  bekam  er  aber  jetzt  eine  voll- 
kommen reconstruirte  und  in  der  Strecke 
Arsenal-Matzleinsdorf  völlig  umgelegte 
Linie*)  zurück.  Die  früheren  Eigen- 
thümer  hatten  auf  diese  baulichen  Aen- 
derungen  1,867.180  fl.  verwendet. 

Der  Betrieb  wurde  jedoch,  auch  hin- 
sichtlich des  am  1.  September  1881  noch- 
mals und  bleibend  eingeführten  Personen- 
verkehres,**) selbst  nachdem  der  Staat 
schon  das  gesammte  Eigenthum  an  der 
Wiener  Verbindungsbahn  erworben  hatte, 
noch  weiter  zwischen  der  Südbahn  und 
Nordbahn  getheilt.  Das  wird  wahrschein- 
lich so  bleiben  bis  die  Wiener  Stadtbahn 
in  Matzleinsdorf  einmündet  oder  die  dor- 
tigen Anlagen  auch  ohnedies  umgestaltet, 
beziehungsweise  erweitert  werden. 

Fortfahrend  in  der  zuvor  bezeichneten 
Thätigkeit,  langte  die  Regierung  nun  bei 
der  Verstaatlichung  der  L  e  m  b  e  r  g- 
Czernowi tz  -Ja  s  sy-  Eisenb  ahn  an, 
welche  auch  rücksichtlich  der  Linie 
Lemberg-Czernowitz  schon  fünf  Jahre  hin- 
durch ununterbrochen  mehr  als  die  Hälfte 
der  Staatsgarantie  in  Anspruch  genommen 
hatte,  daher  nach  dem  Sequestrations- 
Gesetze  vom  Jahre  1877  [siehe  Seite  252] 
zur  Uebernahme    in  die  Verwaltung;  des 


Bahn  [1,289.060  fl.],  dann  der  Pauschalver- 
gütung an  die  Nordbahn  [600.600  fl.]  und  dem 
für  die  Zeit  bis  Ende  1959  zu  5%  capitali- 
sirten  Werthe  der  obenerwähnten  Renten 
von  zusammen  100.000  fl.  [das  ist  1,937.4001!.]. 

*)  Die  neue  Strecke  ist  nächst  dem 
Arsenale  tiefer  gelegt,  dann  mittels  eines 
Tunnels  unter  den  Anlagen  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft hindurch  zu  einem  vor 
dem  Südbahnhofe  errichteten  Stationsplatze 
und  von  hier  aus,  beim  Viaducte  über  die 
Himberger  und  Laxenburger  Strasse,  mittels 
eines  zweiten  Tunnels  unterhalb  der  Südbahn 
auf  die  Stadtseite  der  letzteren  geführt,  um 
dann  auf  einer  Rampe  zum  Frachtenbahn- 
hofe Matzleinsdorf  hinanzusteigen  und  dort 
die  Verbindung  mit  der  Südbahn  zu  ge- 
winnen. Den  Anschluss  an  die  Geleise  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  vermittelt  ein 
von  ihrem  Hauptbahnhofe  aus  zu  dem  vor- 
erwähnten Stationsplatze  [der  Verbindungs- 
bahn] führender  Schienenstrang.  [Abb.  173 
und  174.] 

**)  Zum  ersten  Male  war  der  Personen- 
verkehr anlässlich  der  Wiener  Weltausstellung 
am  15.  Mai  1873  eingeführt,  jedoch  nach  kaum 
acht  Wochen  wieder  aufgelassen  worden. 


I  Staates  vollends  reif  geworden  war  und 
!  —  infolge  der  bereits  früher  eingetretenen 
i  Loslösung  ihrer  rumänischen  Linien  — 
[  der  Anwendung  jenes  Gesetzes  in  keiner 
|  Weise  mehr  eine  Schwierigkeit  bereiten 
konnte. 

Die  Abtrennung  der  rumänischen  Li- 
nien, bezüglich  deren  schon  1884  und 
1885  Verhandlungen  zwischen  der  ru- 
mänischen Regierung  und  der  Gesell- 
schaft stattgefunden  hatten,  kam  im  Jahre 
,  1887  nochmals  zur  Sprache;  diesmal 
jedoch  nur  in  Betreff  der  Ueberlassung 
des  Betriebes  an  die  rumänische  Staats- 
verwaltung. Dem  gleichen  Zwecke  galten 
i  die  im  Sommer  1888  mit  dem  könig- 
lichen rumänischen  Bautenminister,  an- 
lässlich seiner  Anwesenheit  in  Wien,  ge- 
pflogenen Besprechungen.  Gleichwohl 
vollzog  sich  die  Scheidung  oder  doch 
der  erste  Act  derselben  nicht  im  gegen- 
seitigen Einvernehmen.  Am  23.  October 
verlautbarte  •  der  »Monitorul  Official«  ur- 
j  plötzlich  ein  am  7.  October  erlassenes 
königliches  Decret,  welches  die  Seque- 
stration des  Betriebes  der  rumänischen 
Linien  der  Gesellschaft  für  den  30.  Oc- 
\  tober  1888  [12  Uhr  Mittags]  anordnete. 
Diese  nach  den  Bestimmungen  der  Con- 
cessions-Urkunde  weder  für  möglich  noch 
,  für  zulässig  gegoltene  Massregel  verur- 
sachte allenthalben  grosses  Aufsehen  und 
!  die  öffentlichen  Blätter  unterzogen  sie 
einer  eingehenden  Kritik.  Allein  weder 
die  Schärfe  dieser  Erörterungen  noch  die 
vom  Verwaltungsrathe  eingelegten  Ver- 
wahrungen gegen  den  Regierungsbeschluss 
vermochten  daran  etwas  zu  ändern. 

Alles  was  die  schleunigst  nach  Bu- 
karest gereisten  Vertreter  der  Gesellschalt 
dort  erzielten,  bestand  darin,  dass  die 
rumänische  Regierung  amtlich  kundmachte, 
ihrer  Garantieverpflichtung  wie  bisher 
pünktlich  nachkommen  zu  wollen.  Die 
Sequestration  wurde  also  am  30.  October 
vollzogen.  Die  Gesellschaft  musste  dem- 
nach mit  den  gegebenen  Thatsachen 
rechnen  und  eine  neue  Regelung  ihres 
Verhältnisses  zum  rumänischen  Staate 
anstreben.  Es  geschah  dies  mit  raschem 
Erfolge,  da  ein  Wechsel  in  der  Person 
des  Bautenministers  die  Verständigung 
erleichterte.  Der  Verwaltungsrath  hatte 
verschiedene  Vorschläge  erstattet    sowie, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


387 


infolge  einer  Einladung  der  rumänischen 
Regierung,  Bevollmächtigte  nach  Bukarest 
entsendet,  und  diese  brachten,  trotz  aller 
Schwierigkeiten,  schon  in  etlichen  Tagen 
ein  Uebereinkommen  zuwege,  wonach 
die  Sequestration  aufhören,  der  Staat  den 
Betrieb  ganz  auf  eigene  Rechnung  führen 
und  der  Gesellschaft  für  die  ganze  Con- 
cessionsdauer  oder  bis  zum  Ankaufe  der 
Bahn  die  garantirte  Jahressumme  von 
3,865.173  Francs  in  Gold,  ohne  irgend 
einen  Steuer-  oder  sonstigen  Abzug,  halb- 
jährlich [April-October]    bezahlen    sollte. 

Die  Ausfertigung  des  Uebereinkom- 
mens  fand  am  22.  [10.]  Januar,  gleich 
darauf  auch  die  legislative  Genehmigung 
und  am  4.  März  [20.  Februar]  1889  seine 
Sanctionirung  statt.  Zugleich  wurden  die 
strittig  gewesenen  Rechnungsposten  aus 
der  Zeit  von  1880 — 1887  ausgetragen 
und  für  das  auf  den  rumänischen  Linien 
verwendete  Personal  sowie  für  die  Tren- 
nung des  Pensionsfonds  entsprechende 
Vorsorge  getroffen.  Nun  schwieg  aller 
Groll.  Die  Generalversammlung  vom 
30.  April  1889  nahm  den  Bericht  über 
das  Arrangement  einfach  zur  Kenntnis 
und  hiemit  Abschied  von  dem  äusseren 
Besitze  ihrer  rumänischen  Linien. 

Ein  Gleiches  auch  hinsichtlich  ihrer 
österreichischen  Linien  zu  thun,  blieb  ihr 
nicht  lange  erspart,  da  —  wie  schon 
weiter  oben  in  Kürze  erwähnt  ist  —  die 
k.  k.  Regierung  den  Betrieb  jener  Linien 
an  sich  nahm.  Hier  ging  dies  aber  in 
ganz  normaler  Weise  vor  sich.  Am 
20.  Mai  1889  verständigte  das  Handels- 
ministerium den  Verwaltungsrath,  dass 
unabweisbare  betriebsöconomische  und 
eisenbahnpolitische  Beweggründe  die  An- 
wendung des  Gesetzes  vom  14.  December 
1877  erheischen,  die  näheren  Moda- 
litäten der  auf  den  1.  Juli  1889  an- 
beraumten Uebernahme  des  Betriebes 
sowohl  der  eigenen  Linien  der  Gesell- 
schaft, als  auch  der  von  ihr  betriebenen 
Localbahnen,  jedoch  einvernehmlich  er- 
örtert werden  können.  Die  Besprechungen 
fanden  am  12.  Juni  im  Handelsministerium 
statt,  worauf  dann  die  festgesetzten  »Be- 
stimmungen«, in  welchen  den  Wünschen 
der  gesellschaftlichen  Vertreter,  »soweit 
dies  mit  Rücksicht  auf  die  bestehenden 
rechtlichen  und  thatsächlichen  Verhältnisse 


zulässig  erschiene,  Rechnung  getragen 
war,  am  19.  Juni  hinausgegeben,  zugleich 
auch  die  Anordnungen  hinsichtlich  der 
Betriebführung  durch  die  k.  k.  General- 
Direction  der  österreichischen  Staats- 
bahnen amtlich  kundgemacht,  und  am 
1 .  Juli  1889  die  österreichischen  Linien 
der  Lemberg  -  Czernowitz  -  Jassy  -  Eisen- 
bahn nebst  den  von  ihr  betriebenen  Local- 
bahnen *)  in  das  staatliche  Betriebsnetz 
einbezogen  wurden. 

Von  diesem  Tage  an  erlosch  jede 
Ingerenz  des  Verwaltungsrathes  auf  die 
Agenden  des  Betriebes  und  auf  das  unter 
die  Amtsgewalt  der  k.  k.  General-Direction 
getretenen  Personales.  Gleichwohl  hat 
er,  Gebrauch  machend  von  der  ihm  frei- 
gestellten Wahl,  ein  eigenes  Bureau  für 
den  Verkehr  mit  der  rumänischen  Re- 
gierung und  die  Besorgung  der  societären 
Angelegenheiten  beibehalten. 

Die  Sequestration  dauerte,  bis  die 
Regierung  auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
22.  Juni  1894  und  des  durch  dasselbe 
genehmigten  Uebereinkommens  vom 
8.  März  1894  die  Führung  des  Betriebes 
der  Linien  Lemberg-Czernowitz-Suczawa 
für  Rechnung  des  Staates,  und  zwar  mit 
Wirksamkeit  schon  vom  I.Januar  1894 
an,  übernahm.  Massgebend  hiefür  waren: 
einerseits  die  Nothwendigkeit  von  Investi- 
tionen zur  Erhöhung  der  Leistungsfähig- 
keit der  Bahn  und  die  Vorsorge  für  die 
Deckung  der  bezüglichen  Kosten,  deren 
Tragung  nicht  der  Gesellschaft  auferlegt 
werden  konnten  ;  andererseits  dieErspriess- 
lichkeit  der  Vereinfachung  des  Rechtsver- 
hältnisses des  Staates  zur  Gesellschaft.  Es 
wurde  also  diesfalls  ein  ähnlicher  Vor- 
gang gewählt  wie  bei  der  Ersten  Unga- 
risch-Galizischen  Eisenbahn  [siehe  Seite 
377].  Der  Staat  übernahm  es,  der  Gesell- 
schaft das  ganze  garantirte  Reinerträgnis, 


*)  Es  waren  dies  folgende  Bahnen :  B  u  k  o- 
winaer  Localbahnen  mit  den  Linien 
Czernowitz -Nowosielica  [312  km],  Hliboka- 
Berhometh  sammt  Zweigbahn  nach  Czudin 
[7l7/t);i],Berhometh-Mezebrody  [9^>«],Hatna- 
Kimpolung  [675  km],  Wama-Russ-Molda- 
witza  [20 lern],  Hadikialva-Radautz  [8-1  km]; 
Kolomeaer  Localbahnen  mit  den  Linien 
Kolomea-Szczepanowski  [14-1  km],  Nadwor- 
nianski  -  Kniazdwör  [7-I  km],  Peczeniiyn- 
Stoboda  rungunska  -  Kopalnia  [109  km] ; 
Lemberg-Belzec  [Tomaszöw]  88-4  km. 

25* 


388 


Ignaz  Konta. 


nämlich  insgesammt  2,200.000  fl.  jährlich 
als  feste  Rente  bis  zum  Ablaufe  der  Con- 
cessionsdauer  oder  bis  zur  concessions- 
mässigen  Einlösung  auszuzahlen  und  zur 
Deckung  der  Investitions-Auslagen  eine 
Annuität  von  438.543  fl.  oder  877.086 
Kronen  zu  leisten,  beziehungsweise  für 
das  hiedurch  fundirte,  4°/0ige  Prioritäts- 
Anlehen  von  nom.  10,000.000  fl.  oder 
20,000.000  Kronen  als  Selbstzahler  ein- 
zutreten, —  während  die  Gesellschaft 
dem  Staate  die  Betriebsführung  auf  dessen 
eigene  Rechnung  überliess,  ferner  sich 
zur  Aufnahme  des  gedachten  Anlehens 
sowie  auch  dazu  verpflichtete,  aus  dem 
Erlöse  desselben  die  bisher  zu  Lasten 
des  Betriebes,  beziehungsweise  der  Garan- 
tierechnung bewirkten  Investitionen  [Ende 

1893  beiläufig  3,400.000  fl.]  dem  Staats- 
schatze rückzuvergüten,*)  die  neuen 
Leistungen  zu  decken  und  aus  dem  Reste 
einen  Investitionsfond  **)  zu  bilden,  dessen 
Verwaltung  und  Verwendung  dem  Staate 
vorbehalten  blieb. 

Die  Theilhaber  der  Gesellschaft  gaben 
in  der  Generalversammlung  vom  3 1 .  März 

1894  dem  Uebereinkommen  ihre  Zustim- 
mung; von  Seite  der  Regierung  wurde 
dasselbe  gleich  nach  der  a.  h.  Sanctio- 
nirung  des  Gesetzes  vom  22.  Juni  1894 
perfectionirt.  Seitdem  ist  die  Gesellschaft 
eigentlich  nur  mehr  Besitzerin  der  Renten, 
die  sie  von  der  österreichischen  und  von  der 
rumänischen  Regierung  bezieht ;  sie  befindet 
sich  jedoch  dabei  sehr  wohl  und  vertheilt, 
insbesondere  mit  Hilfe  der  rumänischen 
Goldzahlungen,     auch     Superdividenden. 

Das  Investitions-Anlehen  wurde  im 
Januar  1885  zum  Curse  von  98°/,,  an 
die  Niederösterreichische  Escompte-Ge- 
sellschaft  begeben. 


*)  Diese  ausserordentliche  Einnahme  des 
Staates  erhielt  laut  Artikel  III  des  Gesetzes 
vom  22.  Juni  1894  die  Bestimmung,  zur  theil- 
weisen  Deckung  der  Kosten  der  zufolge  Ge- 
setzes vom  26.  December  1893  aus  Staats- 
mitteln herzustellenden  Linie  Halicz-Oströw 
[sammt  Abzweigung]  zu  dienen. 

**)  Nach  dem  Motivenberichte  zu  dem 
Entwürfe  des  vorstehend  erwähnten  Gesetzes 
wie  auch  nach  den  eigenen  Bestimmungen 
desselben  [Artikel  III]  soll  der  Investitions- 
fond auch  zur  Unterstützung  von  neuen,  in 
Ostgalizien  auszuführenden  Localbahnen, 
welche  an  die  Linie  Lemberg:Czernowitz- 
Suczawa  anschliessen,  herangezogen  werden. 


Der  in  Oesterreich  seltene  Fall,  dass 
Verkehr  und  Ertrag  zur  Ursache  der  Le- 
gung des  Doppelgeleises  wurden,  ereignete 
sich  bei  der  Aussig-TeplitzerBahn. 
Dank  ihrer  immer  reicher  fliessenden 
Frachtenquelle  —  dem  Kohlentransporte 
—  überschritten  die  jährlichen  Rohein- 
nahmen dieser  glücklichen  Unternehmung 
die  Summe  von  1 50.000  fl.  pro  Meile  und 
die  Staatsverwaltung  nahm  hieraus  Ver- 
anlassung, die  Gesellschaft  zur  Erfüllung 
der  nun  eingetretenen  concessionsmässigen 
Verpflichtung  hinsichtlich  der  Herstellung 
des  zweiten  Geleises  aufzufordern  [28.  Fe- 
bruar 1888].  Der  Verwaltungsrath  Hess 
also  das  im  Laufe  der  früheren  Jahre 
bereits  von  Aussig  bis  Dux  [28-2  km] 
gelegte  Doppelgeleise  bis  nach  Komotau 
[weitere  36-8  km]  fortsetzen.  Die  Ar- 
beiten waren  schwierige,  weil  der  neue 
Schienenstrang  —  wegen  der  eigen- 
artigen Trace  der  Bahn  und  der  zahl- 
reichen Abzweigungen  zu  den  Kohlen- 
schächten —  bald  auf  der  einen,  bald 
auf  der  anderen  Seite  des  alten  Geleises 
angelegt  werden  musste  und  der  Betrieb 
nicht  durch  den  Bau  behindert  sein  sollte. 
Gleichwohl  gedieh  der  letztere  innerhalb 
15  Monaten  zur  Vollendung  und  wurde 
die  neue  Anlage  am  4.  October  1889 
eröffnet. 

Zur  Deckung  der  bezüglichen  Kosten 
wie  auch  des  mit  480.220  fl.  veranschlagten 
Aufwandes  für  den  damals  noch  unter- 
nommenen Bau  eines  zweiten  Hafens  in 
Aussig:  bewilligte  die  ausserordentliche 
Generalversammlung  vom  31.  Juli  1889 
die  Erhöhung  des  Actiencapitals  um  den 
Betrag  von  2,421.000  fl.  In  der  Art  und 
Weise,  wie  diese  Vermehrung  des  Gesell- 
schafts-Fonds bewerkstelligt  wurde,  spie- 
gelte sich  der  glänzende  finanzielle  Stand 
des  Unternehmens;  denn  die  Einzahlungen 
[90  fl.  auf  jede  der  25.442  Actien]  ge- 
schahen mit  2,004.843  fl.  aus  den  nach 
Vertheilung  der  Superdividenden  aufge- 
sparten Erträgnisresten  pro  1887  und 
1 888,  im  Uebrigen  aber  aus  den  sonstigen 
Baarbeständen  der  Gesellschaft  und  fanden 
in  einer  Abstempelung  der  Actien  auf 
den  Betrag  von  300  fl.  ihren  Ausdruck. 
Welchen  Werth  der  Geldmarkt  diesen 
Titeln  beilegte,  das  zeigte  ihr  Cursstand, 
der  von  660   zu  Ende    des   Jahres   1886 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


389 


auf  1200  im  Jahre  1889,  1500  im  Jahre 
1890  und   1600  im  Jahre   1895  stieg. 

Auf  dem  staatlichen  Bahnnetze  kamen 
im  selben  Zeitpunkte  gleichfalls  bedeutende 
Vervollständigungsbauten  zur  Ausführung, 
darunter  das  am  15.  December  1889 
vollends  eröffnete  Doppelgeleise  in  der 
33 '3  km  langen  Strecke  Wien-Tulln,*) 
zahlreiche  Brückenauswechslungen,  Sta- 
tionserweiterungen, Sicherungsanlagen  etc. 
Ausserdem  sorgte  die  Staatseisenbahn- 
Verwaltung  für  eine  neuerliche  Ver- 
mehrung der  Falirbetriebsmittel,  nachdem 
ihr  das  Gesetz  vom  14.  Januar  1889  den 
hiezu  erforderlichen  Credit  von  4,62  5.000 fl. 
bewilligt  hatte. 

Eine  kleine  aber  wichtige  Ausgestaltung 
erfuhr  auch  die  Oesterreichische 
Nordwestbahn  durch  die  Erbauung 
der  längst  geplanten  Verbindung  zwischen 
dem  Hauptbahnhofe  und  der  Donau- 
uferbahn in  Wien;  denn  sie  gewann 
damit  einen  neuen,  sehr  günstig  gelegenen 
Umschlagplatz  und  die  freie,  nicht  mehr 
auf  die  Benützung  der  Nordbahnstrecke 
Jedlesee  -Wien  gebundene  Ueberleitung 
des  Durchzugverkehres  von  und  nach 
den  übrigen  in  Wien  einmündenden 
Bahnen.  Die  Eröffnung  der  blos  vi  km 
langen  Strecke  fand  am  1.  März  1890 
statt;  ihre  Kosten  beliefen  sich  auf  bei- 
läufig 280.000  fl. 

Zu  denjenigen  Linien,  auf  deren 
bessere  Ausrüstung  im  gesammtstaat- 
lichen  Interesse  Werth  gelegt  ward, 
zählte  auch  die  Carl  Ludwig-Bahn, 
und  zwar  handelte  es  sich  da  vornehmlich 
um  die  Legung  des  zweiten  Geleises. 
Die  Gesellschaft  plante  diese  Vervoll- 
ständigungsbauten schon  im  Jahre  1877, 
verschob  aber  die  Ausführung  immer 
wieder,  weil  die  russischen  Gütersendun- 
gen nach  dem  Westen  andere  Wege  ein- 
zuschlagen begannen.  Ein  Zwang  konnte 
auf    die  Gesellschaft    umsoweniger    aus- 


*)  Dieser  Bau  war  ursprünglich  als  selb- 
ständige Localbahn  gedacht  und  als  solche 
in  der  Concessions-Ürkunde  für  die  Linie 
St.  Pölten-Tulln  sammt  Zweigbahn  [12.  Mai 
1884]  mitenthalten,  wurde  aber  später  infolge 
von  Anfechtungen  seitens  des  Parlamentes 
wieder  aus  jener  Concession  ausgeschieden 
[Kundmachung  des  Handelsministeriums  vom 
13.  December  1886]  und  auf  Staatskosten 
ausgeführt. 


geübt  werden,  als  sie  zu  jener  Leistung 
concessionsmässig  erst  dann  verpflichtet 
war,  wenn  der  einjährige  Rohertrag  die 
Ziffer  von  250.000  fl.  pro  Meile  über- 
steigen würde.  Als  nun  die  Gesellschaft 
sich  mit  der  Absicht  trug,  ihre  41/8°/0igen 
Prioritäts-Anlehen  in  4°/0ige  zu  conver- 
tiren,  nahm  die  Regierung  diese  Gelegen- 
heit wahr,  um  hinsichtlich  des  zweiten 
Geleises  eine  Vereinbarung  zu  erzielen. 
Die  Verhandlungen  gingen  jedoch  nur 
langsam  von  Statten  und  fanden  erst  in 
dem  Uebereinkommen  vom  30.  Juli  1889 
ihren  Abschluss. 

Dasselbe  bestimmte  im  Wesentlichen 
Folgendes:  Die  Gesellschaft  führt  den  Bau 
ehemöglichst  aus  und  trägt  zu  den  mit 
effectiv  18,000.000  fl.  veranschlagten 
Kosten  desselben  nicht  nur  die  Hälfte 
des  Convertirungs-Gewinnes,  mindestens 
aber  1,500.000  fl.  bei,  sondern  widmet 
auch  zur  Verzinsung  und  Tilgung  des 
weiteren  Aufwandes  die  Hälfte  jener 
Reinertrags-Ueberschüsse  ihres  Gesammt- 
unternehmens,  welche  den  zur  Vertheilung 
einer  4°/oigen  Actiendividende  erforder- 
lichen Betrag  übersteigen;  die  Staats- 
verwaltung hingegen  deckt  das  übrige 
Erfordernis  für  die  Verzinsung  und  Til- 
gung desjenigen  Theiles  der  neuen  An- 
leihe von  nom.  20,000.000  fl.,  welcher 
nebst  der  gesellschaftlichen  Capitalszuwen- 
dung  noch  für  die  Herstellung  des  Doppel- 
geleises verausgabt  wurde.  Bei  der  con- 
cessionsmässigen  Einlösung  der  Bahn 
übergeht  dasselbe  mit  an  den  Staat, 
welcher  hiefür  an  die  Gesellschaft  jene 
Annuitäten  bezahlt,  die  zur  Verzinsung 
und  Tilgung  der  Kostenquote  nothwendig 
sind,  deren  Deckung  nicht  der  Gesell- 
schaft obliegt. 

Um  nicht  ein  ganzes  Baujahr  unbe- 
nutzt verstreichen  zu  lassen,  hatte  die 
Gesellschaft  —  gestützt  auf  die  ihr  für 
alle  Fälle  zugesicherte  Schadloshaltung  — 
die  Arbeiten  sofort  in  Angriff  genommen, 
was  derselben  gut  zustatten  kam  und  ihre 
Vollendung  mit  1.  Juli  1891  ermöglichte. 
Die  Genehmigung  des  Uebereinkommens 
begegnete  indess  keinen  Schwierigkeiten. 
Die  Actionäre  gaben  ihm  in  der  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  vom 
28.  October  die  Zustimmung,  und  der 
Reichsrath  erledigte  den  bezüglichen  Ge- 


390 


Ignaz  Konta. 


setzentwurf  im  März  1890;  die  a.  h. 
Sanction  desselben  erfolgte  am  22.  März 
1890.  Sein  Inhalt  stand  insoferne  nicht 
völlig  im  Einklänge  mit  dem  Ueberein- 
kommen,  als  er  die  Höhe  der  Staats- 
Zuschüsse  zu  den  Baukosten  von  den 
gesellschaftlichen  Zuwendungen  unab- 
hängig machte  und  auf  die  Dauer  bis 
1957  mit  einem  jährlichen  Betrage  von 
höchstens  862.290  fl.  in  Silber  festsetzte, 
bei  gleichzeitiger  Zuweisung  der  gesell- 
schaftlichen Giebigkeiten  an  den  Staats- 
schatz. Den  Kern  der  Uebereinkunft 
hatte  dies  aber  nicht  berührt. 

Das  neue  einheitliche  [4%i»e]  An- 
lehen  im  Betrage  von  nom.  75,000.000  fl., 
wovon  49,699.300  fl.  zur  Convertirung  der 
4I/i°/0igenPrioritäten  [45,006.30011.],  ferner 
5,000.000  fl.  zur  Unificirung  der  bereits 
4°/0igen  Anleihe  vom  Jahre  1887  und 
20,000.000  fl.  für  das  zweite  Geleise  dienten, 
wurde  schon  früher  an  die  Gruppe  der 
Unionbank  begeben,  welche  einen  Theilbe- 
trag  von  nom.  40,000.000  fl.  am  14.  Mai 
1890  zum  Curse  von  96  [sowohl  gegen 
Baarzahlung  als  auch  im  Umtausche] 
zur  öffentlichen  Zeichnung  auflegte. 

An  die  Bedachtnahme  auf  die  Ver- 
mehrung der  Leistungsfähigkeit  und  Sicher- 
heit des  Betriebes  reihte  sich  jene  auf 
die  Förderung  der  Reiselust  und  des 
Güteraustausches,  insbesondere  durch 
Verwohlf eilung  der  Fahr-  und 
Frachtpreise.  Hiebei  schritt  der 
Staatsbetrieb  voran.  Aelteren  einschlä- 
gigen Publicationen,  *)  namentlich  aber 
der  vom  Abgeordneten  Siegmund  am 
9.  April  1889  beantragten  Erstellung 
eines    Zonentarifes  **)     vollste    Aufmerk- 

*)  Dr  Eduard  Engel:  »Eisenbahnreform« 
[Wien  1885  und  Jena  1888];  Dr.  Theod.  Herzka 
»Das  Personenporto.  EinVorschlag  zur  Durch- 
führung eines  billigen  Eisenbahntarifes  im 
Personenverkehr  der  Eisenbahnen»  [Wien 
1885].  Weit  früher  hat  Dr.  Perrot  diese  Frage 
in  seinen  Schriften:  »Die  Reform  des  Eisen- 
bahntarifwesens im  Sinne  des  Pennv-Portos« 
[1867]  und  »Die  Anwendung  des  Pennv-Porto- 
svstems  auf  den  Eisenbahntarif  und  das 
Packet-Porto«  [Rostock  1872]  behandelt. 

**)  Dieser  anlässlich  der  Budgetdebatte 
gestellte  Resolutions-Antrag  lautete  im  We- 
sentlichen :  Die  Regierung  möge  beim  Deut- 
schen Eisenbahn-\  ereine  und  bei  den  Ver- 
waltungen der  übrigen  continentalen  Bahnen 
dahin  wirken,  dass  die  Personentarife  einer 
Reform  in  der  Richtung  unterzogen  werden, 


samkeit  zuwendend,  brachte  die  k.  k.  Ge- 
neral-Direction  der  österreichischen  Staats- 
bahnen am  1 .  Juli  1 889  zunächst  auf  ihren 
Wiener  Localstrecken  eigene,  für  bestimmt 
abgegrenzte  Entfernungen  und  die  in  den- 
selben liegenden  Stationen  geltende,  zu- 
gleich im  Preise  neuerdings  ermässigte 
Fahrkarten  zur  Ausgabe.  Sodann  nahm 
die  Staatseisenbahn- Verwaltung  aus  den 
bei  diesem  Versuche  gewonnenen  Er- 
fahrungen hinsichtlich  der  Vereinfachung 
des  Fahrkartenwesens  und  der  praktischen 
Anwendung  des  Zonensystems,  wie  auch 
im  Hinblicke  auf  die  über  Antrag  des 
Abgeordneten  Dr.  R  u  s  s*)  gefassten  Be- 
schlüsse der  Herbstsession  1889  desStaats- 
Eisenbahnrathes  Veranlassung  noch  viel 
weiter  zu  gehen  und,  unbeirrt  von  dem 
Lobe  und  Tadel,  den  die  ähnlich  gear- 
tete, am  1.  August  1889  auf  den 
königlich  ungarischen  Staatsbahnen  in 
Wirksamkeit  gesetzte  grosse  Tarifreform 
gefunden  hatte,  am  16.  Juni  1S90  den 
sogenannten  »Kreuzer-Zonentarif« 
einzuführen,  der  eine  abermalige  [also 
schon  die  dritte]  Herabminderung  der 
Fahrpreise  um  durchschnittlich  36°/,,  in 
sich  fasste  [allerdings  bei  gleichzeitiger 
Aufhebung  des  Freigepäcks]  und  zufolge 
des  Gesetzes  vom  25.  Mai  1890,  oder 
auch  aus  Concurrenzrücksichten  allmäh- 
lich von  vielen  Privatbahnen  angenommen 
wurde.**)  —  Ein  Jahr  später,  am  I.Juli  1891, 
trat  auf  dem  staatlichen  Betriebsnetze  ein 
neuer  Gütertarif  in  Geltung,  der  sich 
von  dem  früheren  einerseits  durch  eine 
günstigere  Classification,  andererseits 
durch  billigere  Grundtaxen,  und  insbe- 
sondere durch  die  Einführung  eigener 
Wagenladungs-ClassenfürdenSammelgTit- 


dass  vermittels  »Aufstellung  eines  einheit- 
lichen und  einfachen,  wenn  auch  mehrstufi- 
gen Zonentarifes  allen,  somit  auch  den  un- 
bemittelten Classen  der  Bevölkerung  die  mög- 
lichst billige  Benützung  der  Eisenbahnzüge 
auch  zur  Benützung  grösserer  Strecken  er- 
möglicht werde«. 

*)  Dr.  Victor  Russ  hat  am  25.  Novem- 
ber 1889  über  dieses  Thema  auch  einen  Vor- 
trag in  der  »Gesellschaft  der  österreichischen 
Volkswirthe«  gehalten,  an  den  sich  eine  leb- 
hafte Erörterung  und  am  16.  December  1889 
ein  weiterer  Vortrag  des  Privatdocenten  Dr. 
Julius  von  Roschmann-Hörburg  knüpfte. 
**)  Siehe  auch  Bd.  III,  den  Abschnitt  über 
Personentarife  von  Th.  Englisch. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


391 


Verkehr  und  für  Massenartikel  unter- 
schieden hatte.  *)  Auch  diese  Neuerung 
fand  bei  den  Yerkehrs-Interessenten  leb- 
haften Beifall,  und  beim  Staatseisenbahn- 
Rathe,  in  dessen  Sitzung  vom  20.  April 
1891  der  Vorstand  des  commerziellen 
Dienstes  der  k.  k.  Staatsbahnen,  Hofrath 
Dr.  Franz  L  i  h  a  r  z  i  k,  das  Wesen  und 
Ziel  der  Reform  erläuterte,  dankende 
Anerkennung,  nicht  so  ganz  aber  in 
denjenigen  parlamentarischen  Kreisen, 
welche  von  der  Frachtverbilligung  eine 
ungünstige  Rückwirkung  auf  die  Bahn- 
erträgnisse, daher  in  weiterer  Linie  auch 
auf  den  Staatsschatz  besorgten.  [Budget- 
debatte vom   10.  Juli   1891.] 

Inmitten  dieser  Reformthätigkeit  blieb 
das  Augenmerk  auch  der  Fürsorge  für 
das  Personale  zugewendet.  Mancher 
Schritt  zur  Verbesserung  der  materiellen 
Lage  desselben  und  zur  Erleichterung 
des  ebenso  anstrengenden  als  verant- 
wortungsvollen Dienstes  wurde  gethan, 
und  der  Flügelschlag  der  neuen  Zeit  nicht 
überhört,  die  neue  Einrichtungen  heischte. 
Die  Eisenbahn- Verwaltungen  vereinigten 
sich  sowohl  zur  gemeinsamen  Durch- 
führung der  Unfallversicherung 
nach    dem    Gesetze    vom    28.  December 

1887  und  zur  freiwilligen  Ausdehnung 
derselben  auf  das  nicht  unter  dieses 
Gesetz  fallende  Personal,  als  auch  zu 
einermöglichst  einheitlichen  Kranken- 
versicherung der  Arbeiter  nach  dem 
Gesetze  vom  30.  März  1888,  wobei  viele 
der  neuen,  beziehungsweise  umgewan- 
delten Eisenbahn-Krankencassen  grössere 
als  die  vom  Gesetze  vorgeschriebenen 
Leistungen  auf  sich  nahmen.  Ein  von 
den  Bahnverwaltungen  eingesetztes  sieben- 
gliedriges  Comite,**)  dessen  Vorsitz  und 
Geschäftsführung  die  k.  k.  General- 
Direction  der  österreichischen  Staats- 
bahnen übernommen  hatte,  entwarf  in 
der  kurzen  Frist  vom  2.  Mai  bis  6.  August 

1888  das  Musterstatut  für  die  Eisenbahn- 
Krankencassen    und  das  Statut    für   eine 


*)  Näheres  siehe  Bd.  III  im  Abschnitt 
Frachtentarife  von  A.  Pauer. 

**)  Ueber  die  Zusammensetzung  dieses 
Comites  [Bahnverwaltungen  und  Personen] 
sowie  über  die  Arbeitsteilung  in  demselben 
enthält  Konta's  Eisenbahn- Jahrbuch,  Jahr- 
gang XXI,  S.  42,  genaue  Angaben. 


»Berufsgenossenschaftliche  Un- 
fallversicherungs  -Anstalt  der 
österreichischen  Eisenbahnen«, 
und  legte  diese  Entwürfe  nach  erfolgter 
Zustimmung  der  Bahnverwaltungen  am 
27.  September  1888  der  Regierung  vor. 
Das  ersterwähnte  Musterstatut  fand  bal- 
dige Erledigung;  die  Bahnen  konnten 
daher  die  neuen  Krankencassen  pünkt- 
lich am  I.  August  1889  in  Wirksam- 
keit setzen.  Das  andere  Statut  erhielt 
erst  nach  längeren  Verhandlungen  über 
die  Anwendung  des  Umlage  -  Systems 
[statt  des  Capitaldackungs  -Verfahrens], 
über  die  Beisteuer  J  zum  gemeinsamen 
Reservefond  aller  staatlichen  Versiche- 
rungs-Anstalten und  über  den  Termin 
der  freiwilligen  Ausdehnung  der  Ver- 
sicherung —  am  20.  October  1889  die 
definitive  staatliche  Genehmigung.  Das 
behinderte  zwar  nicht,  dass  die  genannte 
Versicherungs-Anstalt  an  dem  für  die 
übrigen  territorialen  Anstalten  diesfalls 
anberaumten  Termine,  nämlich  am  1.  No- 
vember 1889,  in  Thätigkeit  trat,  doch  war 
der  Vorstand  bis  zu  der  am  1 8.  December 
i889abgehaltenenconstituirendenGeneral- 
versammlung  ein  provisorischer.  Vermöge 
des  Gesetzes  vom  20.  Juli  1894  und  des 
hiernach  abgeänderten,  am  II.  December 
1894  staatlich  genehmigten  Statutes  er- 
folgte die  Ausdehnung  der  Versicherung 
auf  sämmtliche  Betriebe,  beziehungsweise 
Bedienstete    der  Eisenbahnen.*) 

Eine  Serie  anderer  administrativer 
Einwirkungen  der  Regierung  galt  der 
allgemeinen  Herbeiführung  einer  richtigen 
und  die  finanzielle  Gebarung  klar  aus- 
weisenden Rechnungslegung  der  Privat- 
bahnen sowie  der  thatsächlichen  und 
ausreichenden  Dotirung  der  Reserven. 
Die  meisten  Verwaltungen  kamen  den 
Wünschen  der  Aufsichtsbehörde  bereit- 
willigst entgegen,  und  bei  den  übrigen 
halfen  Verhandlungen  nach.  Solches  war 
beiderOesterreichisch-Ungarischen 
Staatseisenbahn  -  Gesellschaft  der 
Fall,  in  deren  Bilanz  pro  1888  einige 
Posten  bemängelt  wurden,  z.  B.  die  be- 
reits auf  800.000  fl.  angewachsen  ge- 
wesenen Vorschüsse  zur  Verzinsung:  und 


*)  Siehe  auch  Bd.  III,  E.  Engelsberg, 
Wohlfahrtseinrichtungen  der  österreichischen 
Eisenbahnen. 


392 


Ignaz  Konta. 


Tilgung  der  Prioritäten  der  Böhmischen 
Commerzialbahnen;  Annuitäten  für  Schie- 
nenerneuerungen, deren  Kosten  das  Mini- 
sterium sogleich  getilgt  sehen  wollte;  zu 
Lasten  des  Baues  verrechnete  Betriebs- 
ausgaben u.  s.  w. 

In  dem  Verhältnisse  der  Gesellschaft 
zu  den  Böhmischen  Commerzialbahnen 
trat  übrigens  einige  Aenderung  dadurch 
ein,  dass  die  letzteren  die  Linie  Brandeis- 
Mochow  und  die  Schleppbahn  Neratovic- 
Elbekosteletz  an  die  erstere  förmlich  ver- 
kauften, den  Kaufschilling  von  i  ,200.000  fl. 
in  den  eigenen,  d.  h.  Commerzialbahn- 
Prioritäten  aus  dem  Portefeuille  der 
Staatseisenbahn-Gesellschaft  bezahlt  er- 
hielten und  hievon  blos  536.970  fl.  zu 
Investitionen  verwendeten,  den  Rest  von 
663.000  fl.  aber  vernichteten,  um  die 
Prioritätsschuld  herabzumindern.  Die 
Jahreslast  für  diese  Anlehensschuld  erfuhr 
sodann  vermöge  der  im  Einvernehmen 
mit  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft,  als 
der  Besitzerin  sämmtlicher  Titel  der 
Commerzialbahnen,  bewerkstelligte  Um- 
wandlung der  5°/o'Sen  Gold-  in  4%ige 
Xoten-Prioritäten  eine  erhebliche  Ver- 
ringerung. Da  ferner  die  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  von  dem  über  die  Annuität 
für  den  Prioritätendienst  der  Commerzial- 
bahnen hinausreichenden  Erträgnisse  der- 
selben jeweils  25%  als  Gewinnantheil 
und  75%  als  Abstattung  auf  die  oben- 
erwähnte •  Zinsenschuld  vertragsmässig 
bezog,  so  war  auch  für  deren  allmähliche 
Tilgung  gesorgt.  Die  Uebertragung  der 
Concession  für  die  12  km  lange  Local- 
bahn  Brandeis-Mochow  auf  die  Staats- 
eisenbahn -  Gesellschaft  wurde  mittels 
Kundmachung  des  Handelsministeriums 
vom  18.  Juli  1890  bewilligt.  Die  Con- 
cession für  die  Verbindungsstrecke  Pofiöan- 
Mochow  und  die  Verlängerung  von  Bränd- 
eis nach  Neratovic  erhielt  die  Gesellschaft 
[auf  Grund  des  Gesetzes  vom  15.  März 
1890]  am  21.  Juni   1890. 

An  den  Bilanzbemänglungen  hatte 
auch  die  königlich  ungarische  Regierung 
sich  lebhaft  betheiligt  und  dadurch  zur 
Regelung  der  Angelegenheit  wesentlich 
beigetragen ;  sie  stellte  jedoch  zugleich 
noch  andere  Forderungen,  so  namentlich 
in  Betreff  der  Theilung  des  Wagenparkes 
und  Bahnfundus  sowie  der  Trennung  der 


J  gesellschaftlichen  Directionen  für  den 
Baudienst  und  die  Domänen  nach  den 
beiden  Netzen.  Da  die  Domänen  keinen 
Bestandtheil  des  Eisenbahn-Unternehmens 
bilden,  wahrte  sich  die  Gesellschaft  die 
Einheitlichkeit      der      bezüglichen     Ver- 

\   waltung;    in    den    übrigen  Punkten    hin- 

!  gegen  fügte  sie  sich  fast  durchwegs  dem 
Begehren      der      königlich      ungarischen 

'  Regierung.  Hievon  wurde  gerade  die- 
jenige Persönlichkeit  getroffen,  welche 
in  hervorragender  Weise  an  der  Duali- 
sirung  der  Gesellschaft  mitgewirkt  hatte  ; 
denn  Baudirector  wie  auch  Präses  des 
Directoriums  für  die  österreichischen 
Linien  war  August  de  S  e  r  r  e  s  und,  weil 
ihm  die  Einengung  seines  Wirkungs- 
kreises nicht  zusagte,  trat  er  am  1.  April 
1890  gänzlich  aus  dem  gesellschaftlichen 
Dienste. 

Der  Zufall  fügte  es,  dass  um  dieselbe 
Zeit  auch  der  Verwaltungsraths-Präsident 
Edmund  J  o  u  b  e  r  t,  der  bei  der  Zwei- 
theilung der  Gesellschaft  sozusagen  die 
Hauptrolle  gespielt  hatte,  seine  Stelle 
niederlegte.  Dies  hing  nicht  mit  den  ge- 
sellschaftlichen Angelegenheiten,  sondern 
mit  den  Verwicklungen  zusammen,  in  die 
er  durch  die  Betheiligung  an  dem  grossen 
»Kupferringe«    gerathen   war;    die    end- 

!  liehe  Berücksichtigung  der  altgehegten 
Wünsche,  dass  an  der  Spitze  der  Ge- 
sellschaft und  auf  den  Dienstposten  der- 
selben nur  Angehörige  der  österreichisch- 
ungarischen Monarchie  stehen  mögen, 
hatten  diese  Demissionen  jedenfalls  er- 
leichtert. An  die  Stelle  de  Serres'  wurde 
mit  Verwaltungsraths  -  Beschluss  vom 
14.  März   1890  der  k.  k.  Hofrath  Rudolf 

I  G  r  i  m  u  s  Ritter  von  G  r  i  m  b  u  r  g  berufen 
und  bei  der  Constituirung  des  Verwal- 
tungsrathes  nach  der  Generalversamm- 
lung Excellenz  Dr.  Sisino  Freiherr  von 
Pretis-Cagnodo  zum  Präsidenten  des 
vereinigten  Vervvaltungsrathes  gewählt; 
der  letztgenannte  Functionär  starb  jedoch 
am  15.  December  1890  und  erhielt  dann 
in  dem  Vicepräsidenten  Theodor  Ritter 
von  T  a  u  s  s  i  g  einen  Nachfolger. 

Die  Auflösung  der  Baudirection,  die 

1  Theilung  des  Zugförderungs-  und  Werk- 
stättendienstes und  die  bezüglichen 
Aenderungen    in    der    Geschäftsführung 

I  traten   mit   I.Juni   1890  in  Wirksamkeit. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


393 


Die  königlich  ungarische  Regierung  gab 
sich  jedoch  damit  nicht  lange  zufrieden, 
sondern  wollte  alsbald  die  Verstaat- 
lichung der  auf  ungarischem  Ge- 
biete gelegenen  Linien  der  Ge- 
sellschaft. Nach  dem  Vertrage  vom  8.  Juli 
1882  [siehe  Seite  295  f.]  wäre  sie  hiezu 
erst  vom  1 .  Januar  1 895  an  berechtigt  ge- 
wesen ;  die  Gesellschaft  setzte  jedoch  dem 
ihr  deutlich  zu  erkennen  gegebenen  Willen, 
die  Erwerbung  je  früher  zu  bewirken, 
keinen  Widerstand  entgegen.  So  kam 
denn  —  um  dies  gleich  hier  zu  er- 
wähnen —  nach  längeren  Verhandlungen 
ein  am  7.  Juni  1891  definitiv  abge- 
schlossener Vertrag  zustande,  der  in 
der  Hauptsache  Folgendes  bestimmt: 
Die  königlich  ungarische  Regierung  löst 
die  ungarischen  Linien  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft mit  Wirksamkeit  vom 
I.Januar  1891  ein*)  und  bietet  als  Entgelt 
hiefür  eine  durch  75  Jahre  zahlbare 
Annuität  von  10,665.000  fl.  ö.  W.,  welche 
nach  Abschlag  einer  nicht  erhöhbaren 
io°/0igen  Steuer,  mit  dem  jährlichen 
Nettobetrage  von  9,598.500  fl.  **)  in  zwei 
gleichen  Semestralraten  [Januar — Juli] 
gänzlich  abzugfrei  zu  entrichten  ist ;  wenn 
ein  Monat  vor  dem  Fälligkeitstermine 
einer  Annuitätsrate  der  durchschnittliche 
Goldcurs  an  der  Wiener  Börse  höher  ist 
als  117%,  so  leistet  die  königlich  unga- 
rische Regierung  zu  der  betreffenden 
Rate  ein  Aufgeld,  welches  der  procen- 
tuellen  Curssteigerung  auf  einen  Gold- 
guldenbetrag  von  3,250.000  fl.  gleich- 
kommt; zur  Vollendung  ihrer  noch  im 
Baue  befindlichen  Strecken  gibt  die  Ge- 
sellschaft dem  ungarischen  Staate  einen 
Vorschuss  von  5,000.000  fl.,  dessen  Ver- 
zinsung und  Rückzahlung  durch  eine 
seitens     des     ungarischen    Staates    vom 


*)  Der  bilanzmässige  Werth  dieser  Linien 
in  der  Betriebslänge  von  1499-4  &»j  [exclusive 
Lissava-Anina  mit  235 km]  sammt  Inventar 
und  Materiale  betrug  165,086.867  fl. ;  ihr  Fahr- 
park bestand  aus  326  Locomotiven,  468  Per- 
sonen-, 6054  Güter-,  247  Gepäckswagen, 
5  Dampfern,  25  Schleppern  und  7  Landungs- 
schiffen. 

**)DieseRente  entspricht  einer  5'8l5°/0igen 
Verzinsung  des  effectiven,  oder  S'04S"lo  des 
Nominal-Anlage-Capitals,  oder  4-45°/0  bei  Be- 
rechnung des  Goldagios  bei  den  Geld- 
beschaffungskosten mit  l5°/0. 


Jahre  1891  bis  einschliesslich  1965  zu 
zahlende,  völlig  abzugfreie  Annuität  von 
250.000  fl.  erfolgt;  die  Annuitäten  und 
der  Vorschuss  werden  auf  den  erworbenen 
Linien  intabulirt;  das  Personal  wird  über- 
nommen, der  Pensions-  und  auch  der 
Provisionsfonds  entsprechend  getheilt. 

Von  Seite  der  Actionäre  erhielt  der 
Vertrag  in  der  ausserordentlichen  General- 
versammlung vom  9.  Juli  1891  die  Zu- 
stimmung, und  von  Seite  der  ungarischen 
Legislative  mittels  des  Gesetzartikels 
XXXVIII  vom  Jahre  189 1,  worauf  dann 
der  Besitzwechsel  vor  sich  ging  und  die 
gesellschaftliche  Direction  in  Budapest 
am  18.  August  1891  ihre  Thätigkeit  ein- 
stellte. Die  Domänen,  Berg-  und  Hütten- 
werke blieben  natürlich  von  alldem  un- 
berührt und  nach  wie  vor  freies  Eigen- 
thum  der  Gesellschaft,  nur  war  sie  ge- 
halten, bis  spätestens  1.  Juli  1892  eine 
Domänen-Direction  in  Budapest  zu  er- 
richten. *) 

Auf  die  Rechtsverhältnisse  des  öster- 
reichischen Netzes  der  Gesellschaft  hatte 
die  Lostrennung  ihrer  ungarischen  Linien 
vorerst  keine  Rückwirkung  geübt.  Die 
k.  k.  Regierung  machte  von  der  ihr  zu- 
gegangenen Einladung,  gemeinsam  mit 
der  ungarischen  in  die  Verstaatlichungs- 
Action  einzutreten,  keinen  Gebrauch,  son- 
dern zog  es  vor,  zuzuwarten,  bis  sie  die 
ihr  aus  dem  November-Uebereinkommen 
vom  Jahre  1882  [siehe  Seite  296  f.] 
erwachsenen  Einlösungsrechte  verwerthen 
kann.  Nur  insoferne  scheint  die  geänderte 
Sachlage  nicht  ohne  Einfluss  geblieben 
zu  sein,  dass  die  Gesellschaft  [wahr- 
scheinlich wegen  der  nahegerückten  Mög- 
lichkeit der  Verstaatlichung  auch  der  öster- 
reichischen Linien]  den  früher  schwung- 
haft betriebenen  Bau  von  Localbahnen 
einstellte. 

Das  Localbahnwesen  im  Allgemeinen 
hörte  indess  nicht  auf,  gute  Fortschritte 
zu  machen.  Eine  vom  Herzogthum 
Steiermark  unternommene  besondere  För- 
derung des  Baues  von  Localbahnen  Hess 
sogar  eine  neue  bedeutende  Entwicklung 
desselben  erhoffen.  Der  steiermärkische 
Landtag,  welcher  schon  immer  den  Local- 

*)  Siehe  auch  Bd.  III,  J.  Gonda,  Ge- 
schichte der  Eisenbahnen  in  Ungarn  von 
1867  bis  zur  Gegenwart,  Seite  410. 


394 


Ignaz  Konta. 


bahnen  seines  Landes  reichliche  Unter- 
stützung zugewendet  hatte,  beschloss 
nämlich  am  18.  November  1889,  die 
letztere  fortan  in  ein  System  zu  brin- 
gen, wonach  die  Localbahnen  möglichst 
unter  die  Obhut  des  Landes  genommen, 
auf  die  Mittel  und  den  Credit  desselben 
gestützt  und  hiedurch  vor  der  Vertheue- 
rung  der  Geldbeschaffung  und  des  Baues 
behütet  werden  sollten.  *) 

Ueber  die  hieraus  hervorgegangenen 
Schöpfungen  in  Steiermark  gibt  der  das 
österreichische  Localbahnwesen  behan- 
delnde Abschnitt  weiteren  Aufschluss;  eine 
zutreffende  Darstellung  des  damit  ver- 
knüpften Erfolges  wird  erst  nach  Verlauf 
mehrerer  Jahre  möglich  sein;  hingegen  ist 
schon  an  dieser  Stelle  zu  verzeichnen,  dass 
zunächst  die  Königreiche  Böhmen  und  Ga- 
lizien  und  nachher  auch  noch  andere  Pro- 
vinzen sich  dem  Vorgehen  Steiermarks 
insoferne  anschlössen,  als  auch  sie  die  För- 
derung örtlicher  Schienenwege  in  erhebli- 
chem Masse  und  nach  genau  umschriebenen 
Regeln  unternahmen.  Doch  geschah  dies 
weder  auf  ebenso  breiter  finanzieller 
Grundlage  noch  mit  der  Absicht,  Con- 
cessionär  oder  Eigenthümer  von  Local- 
bahnen zu  werden ;  die  Unterstützung 
blieb  vielmehr  auf  die  Gewährung  von 
Zinsengarantien  oder  Darlehen,  die  Ueber- 
nahme  von  Titeln  oder  die  Leistung  von 
Beiträgen  ä  fonds  perdu  beschränkt, 
was  aber  gleichwohl  nicht  verfehlte,  auf 
die  Schaffung  von  Localbahnen  günstigen 
Einfluss  zu  üben. 

Die  Regierung  ihrerseits  sorgte  durch 
die  Bevvirkung  wiederholter  Erstreckungen 
der  Giltigkeit  des  Localbahn-Gesetzes 
vom  17.  Juni  1887  [siehe  Seite  375]  da- 
für, dass  sie  in  der  Concessionirung  von 
Nebenbahnen,  in  der  Fortgewährung  der 
in  jenem  Gesetze  vorgesehenen  Bau-  und 
Betriebserleichterungen,  finanziellen  Be- 
günstigungen etc.  nicht  gehemmt  würde. 
Diese  Erstreckungen  reichten  vermöge  des 
Gesetzes  vom  28.  December  1890  bis  Ende 
1893  und  vermöge  des  Gesetzes  vom27.  De- 
cember 1893  noch  weiter  bis  Ende   1894. 


*)  Ausführliche  Mittheilungen  über  die 
Einzelheiten  des  Systems  und  die  zu 
seiner  Durchführung  getroffenen  Massnahmen 
sind  in  Konta's  Eisenbahn-Jahrbuch,  Jahr- 
gang XXI,  Seite  10  ff.,  enthalten. 


Eine  Localbahn,  nämlich  die  von 
Schrambach  nach  Kernhof,  gelangte 
;  damals  ganz  auf  Staatskosten  zur  Ausfüh- 
rung, um  dem  Flügel  Scheibmühl-Schram- 
|  bach  der  Niederösterreichischen 
j  Staatsbahnen,  ein  Stück  jener  Fort- 
!  setzung  zu  geben,  welche  ihm  schon 
ursprünglich  von  den  »Niederösterreichi- 
schen Südwestbahnen«  zugedacht,  aber 
infolge  des  finanziellen  Unvermögens 
dieser  vormaligen  Privat-Unternehmung 
unterblieben  war.  Nach  dem  alten  Pro- 
jecte  sollte  der  Flügel  über  Terz  einer- 
seits nach  Mariazell,  andererseits  nach 
[Neuberg-]  Mürzzuschlag  gehen  [siehe 
Seite  187  f.].  Auch  die  Regierung  nahm, 
als  sie  sich  mit  der  Frage  des  gedachten 
Ausbaues  zu  beschäftigen  begann,  die- 
i  selben  Tracen  in  Aussicht  und  Hess  auf 
Grund  der  ihr  mittels  Gesetzes  vom 
30.  Juni  1888  zutheil  gewordenen  Er- 
mächtigung die  bezüglichen  Pläne  aus- 
arbeiten. Aus  diesen  erhellte,  dass  der 
gesammte  Bau  mindestens  5,922.000  fl. 
kosten  würde.  Darum  wurde  beschlossen, 
einstweilen  nur  die  Thalstrecke  von 
Schrambach  über  Freiland  und  St.  Egyd 
nach  Kernhof  auszuführen,  zu  deren 
Kosten  von  beiläufig  1,400.000  fl.  Inter- 
essentenbeiträge in  der  Werthhöhe  von 
mindestens  1 00.000  fl.  sicher  gewärtigt 
werden  konnten.  Der  Handelsminister 
legte  also  am  25.  April  1890  dem  Reichs- 
rathe  einen  die  Herstellung  dieser  Strecke 
auf  Staatskosten  bezweckenden  Gesetz- 
'  entwurf  vor,  der  —  nach  unbehinderter 
Erledigung  —  schon  am  I.  Juni  1890 
die  a.  h.  Sanction  erhielt.  Wiederholte 
Projectsänderungen  verlangsamten  den 
zu  Ende  1890  an  die  Unternehmer  Josef  v. 
Rauchberge r,  Vincenz  Gottscheber 
und  Karl  Schmits  in  Losen  vergebenen 
und  im  Jahre  1891  begonnenen  Bau;  die 
Eröffnung  der  2  5 '6  km  langen  Strecke 
fand  am  2.  Juni  1893  statt.  Die  Anlage- 
kosten betrugen   1,387.100  fl. 

Die  Trace  dieser  Linie  zieht  von  Schram- 
bach stets  in  südlicher  Richtung  dem  Laufe 
der  Traisen  folgend,  vorerst  bis  Freiland,  wo 
sich  das  Thal  in  das  Türnitzer  und  Hohen- 
egger  Traisenthal  scheidet.  Durch  das  letztere 

■  vom  steilen  Bergabhange  eingeengte  Thal 
führt  die  Bahn,    indem   sie   die  rasen  dahin- 

\  fliessende  Traisen  vorher  überbrückt,  zur 
Haltestelle  Innerfahrafeld  und  von  da  durch 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


395 


das  sich  erbreiternde  Thal,  den  Fluss  bei 
Furthof  abermals  übersetzend,  nach  Hohen- 
berg.  Noch  zweimal  über  die  Traisen,  dann 
prächtige  Waldpartien  und  Felseinschnitte 
passirend,  gelangt  die  Bahn  zu  der  durch 
die  dortigen  Eisenwerke  bekannten  Station 
St.  Egydi  am  Neuwald.    An  der  nächst  dem 

fleichriamigen  Markte  gelegenen  Haltestelle 
t.  Egydi  vorüber  zieht  die  Bahn  sodann  in 
starken  Steigungen  mitten  durch  einen  herr- 
lichen Naturpark  zur  Station  Kernhof,  welche 
mit  dem  vielbesuchten  Wallfahrtsorte  Maria- 
zell  einen  regen  Verkehr  hat. 

Auf  den  Umstand,  dass  die  oben  er- 
örterten Zurüstungen  für  die  Förderung 
des  Localbahnwesens  fast  sämmtlich  erst 
in  einer  späteren  Zeit  wirksam  wurden, 
mag  es  zurückzuführen  sein,  dass  das 
Jahr  1891  gar  keine  Concessionirung  auf- 
zuweisen hatte.  Dagegen  brachte  es  einen 
weiteren  Fortgang  der  Verstaat- 
lichung. Die  kaiserliche  Thronrede, 
welche  am  11.  April  1891  die  neue 
[XI.]  Session  des  Reichsrathes  einleitete, 
wies  auf  »die  bezüglich  mehrerer  Privat- 
bahnen nahegerückten  Termine  der  Ein- 
lösbarkeit  durch  den  Staat  hin,  welche 
die  Regierung  veranlassen  werden,  den 
successiven  Fortgang  der  Eisenbahn- 
Verstaatlichung  in  eingehende  Erwägung 
zuziehen  und  nach  reiflicher Prüfungjedes 
einzelnen  Falles  in  verkehrspolitischer 
und  finanzieller  Beziehung  die  geeigneten 
Anträge  zu  stellen«.  Dies  war  auch  wirk- 
lich der  Fall  und,  wenngleich  nicht 
Alles  sofort  zutraf,  was  damals  in  der 
Oeffentlichkeit  für  nahe  bevorstehend  be- 
zeichnet ward  [so  namentlich  die  Ein- 
lösung der  Oesterreichischen  Nordwest- 
bahn,*) Staatseisenbahn,  Südbahn,  Kaiser 


*)  Bei  der  Oesterreichischen  Nord- 
westbahn war  damals,  aus  Anlass  des  am 
24.  December  1890  erfolgten  Ablebens  des  Ge- 
neral-Directors,  Hofrathes  Dr.  Gustav  Gross, 
der  seit  der  Gründung  der  Gesellschaft  die 
Geschäfte  derselben  geführt  hatte,  die  General- 
Direction  aufgelassen  und  an  deren  Stelle  ein 
Directions-Collegium  eingesetzt  worden,  in 
welchem  das  Verwaltungsraths-Mitglied,  Ober- 
baurath  Achilles  Thommen,  den  Vorsitz 
führte.  Da  mit  Ende  des  Jahres  1890  auch 
der  Betriebsdirector  Hermann  Ritter  von 
Rittershausen  aus  dem  activen  Dienste 
geschieden  ist,  hingegen  derGeneral-Secretär, 
Regierungsrath  Dr.  Alex.  Eger,  zum  Director 
und  der  Betriebsdirector-Stellvertreter  Moritz 
Wilhelm  zum  Subdirector  ernannt  wurde, 
bestand  das  Collegium  aus  eben  diesen  beiden 
Functionären,     dann    aus    dem     Maschinen- 


Ferdinands-Nordbahn*)  etc.],  die  Verstaat- 
lichungs-Thätigkeit  als  solche  begann 
rührig  fortzuschreiten. 

Vorerst  wurde  die  im  Jahre  1884  be- 
gonnene, jedoch  wieder  ins  Stocken  ge- 
rathene  Einlösung  der  Erzherzog 
Albrecht-Bahn  zu  Ende  geführt.  Hiezu 
war  die  Beseitigung  der  Hemmnisse 
erforderlich,  welche  den  Vollzug  des 
[Einlösungs-]Gesetzes  vom  11.  December 
1884  [siehe  Seite  370]  behindert  hatten  und 
hauptsächlich  in  der  Ungleichartigkeit  der 
gesellschaftlichen  Anlehenslasten  [Gold- 
und  Silber-Obligationen  mit  verschiedenen 
Rückzahlungsfristen],  dann  in  der  wegen 
des  Goldagios  veränderlichen  Relation 
zu  dem  garantirten  Reinerträgnisse  und 
in  der  aus  ersterer  Ursache  entsprun- 
genen Unmöglichkeit  einer  gleichmässigen 
Annuität  für  die  gegen  Staatsschuldver- 
schreibungen auszutauschenden  Actien 
bestanden.  Eine  von  dem  Bankhause  E  r- 
langer  und  Söhne**)  in  Frankfurt  a.  M. 
der  Gesellschaft  angebotene  freiwillige 
Prioritäten-Convertirung  lieferte  nun  die 
Handhabe  zur  Behebung  der  erwähnten 
Schwierigkeiten;  denn  laut  jener  Offerte 
sollten  die  beiden  Prioritäten-Gattungen 
durch  ein  4°/0iges  und  bis  Ende  1964 
rückzahlbares  Silberanlehen  im  Betrage 
von  nom.  18,700.000  fl.  ersetzt***)  werden, 
wodurch  die  Frage  des  Goldagios  ge- 
bannt und  auch  die  Erzielung  einer 
gleichmässigen  Annuität  für  das  Actien- 


Director,  kaiserlichen  Rath  Johann  Langer 
und  dem  Baudirector  Wenzel  Hohe  n  egg  er. 
Diese  Einrichtung  währte  jedoch  nicht  lange; 
es  wurde  wieder  ein  leitender  Director 
eingesetzt  und  der  Director  Alexander  Eger 
auf  diesen  Posten  berufen. 

*)  Bei  der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn 
hatte  zu  Beginn  des  Jahres  1890  gleichfalls 
eine  Aenderung  in  der  obersten  Geschäfts- 
leitung stattgefunden,  indem  die  gesammte 
Direction  einem  General-Director  unter- 
stellt, der  bisherige  Directions- Vorsitzende, 
Hofrath  Richard  Jeitteles,  auf  den  neuen 
Posten  berufen  und  die  ganze  Geschäfts- 
leitung in  zwölf  Sectionen  gegliedert  wurde. 

**)  Diese  Firma  war  durch  ihren  bedeuten- 
den Besitz  von  Actien  und  Obligationen  der 
Erzherzog  Albrecht-Bahn  [siehe  Seite  229] 
an  derselben  stark  betheiligt 

***)  Nach  der  Verlosung  am  I.  Mai  1890 
befanden  sich  noch  im  Umlaufe :  5°/0ige  Silber- 
prioritäten im  Betrage  von  nom.  1 1,622.900  fl 
und  5°/0ige  Goldprioritäten  im  Betrage  von 
nom.  3,748800  fl. 


396 


Igaaz  Konta. 


capital  möglich  geworden  wäre.  Der  ge- 
plante Titelumtausch  sollte  im  Verhält- 
nisse von  115  fl-,  beziehungsweise  135  fl. 
in  neuen  4°/0igen,  für  je  100  fl.  nom. 
der  alten  5%igen  Silber-,  respective  Gold- 
Obligationen  vor  sich  gehen. 

Der  Regierung  war  die  Sache  recht 
willkommen ;  gleichwohl  aber  machte 
sie,  im  Hinblicke  auf  die  aus  der  Con- 
vertirung  den  Actionären  erwachsenden 
Vortheile,  die  Genehmigung  der  Trans- 
action  davon  abhängig,  dass  die  Gesell- 
schaft dem  Staate  das  Einlösungsrecht 
unter  günstigeren  als  den  concessions- 
mässigen  Bedingungen  einräume  und  das 
Actiencapital  auf  die  Hälfte  herabmindere. 
Dementsprechend  kam  also  am  4.  Juli 
1890  ein  Uebereinkommen  zum  Ab- 
schlüsse, wonach  der  Betrieb  vom  I .  Januar 
1892  an  vom  Staate  für  dessen  eigene 
Rechnung  geführt  werden  und  dieser 
hiefür  ein  Entgelt  von  954.137  fl.  pro 
Jahr  bis  zum  Ablaufe  der  Concessions- 
dauer  und  ausserdem  eine  Annuität  für 
die  4°/0ige  Verzinsung  und  die  Tilgung 
der  zu  Investitionszwecken  dienenden 
Erhöhung  des  neuen  Anlehens  auf  nom. 
20,000.600  fl.  entrichten  sollte ;  ferner 
die  Gesellschaft  sich  verpflichtete,  das 
nunmehr  vom  Jahre  1891  an  binnen  74 
Jahren  zu  tilgende  Actiencapital  um  die 
Hälfte,  das  ist  auf  die  Summe  von 
3i559-90°  A-  herabzumindern  und  dem 
Staate  das  Recht  einräumte,  die  Bahn 
jederzeit  einzulösen  unter  der  Bedingung, 
dass  er  die  Prioritätsschuld  zur  Selbst- 
zahlung übernimmt  und  jede  ungetilgte 
Actie  gegen  eine  4%ige  steuerfreie  Eisen- 
bahn-Schuldverschreibung im  Betrage  von 
nom.  100  fl.  umtauscht,  bis  zum  Vollzuge 
des  Umtausches  aber  die  Actiencoupons 
mit  dem  Betrage  von  2  fl.  Steuer-  und 
stempelfrei  einlöst.  Von  der  Rückerstattung 
der  Staatsvorschüsse  aus  dem  Titel  der 
Zinsengarantie  und  der  Betriebs-Deficite  so- 
wie der  4°/0igen  Zinsen  hierauf  [zusammen 
19,508.740  fl.]  wurde  abgesehen. 

Nachdem  die  ausserordentliche  Gene- 
ralversammlung vom  31,  Juli  1890  dem 
Uebereinkommen  zugestimmt  hatte,  führte 
die  Regierung  dasselbe  der  legislativen 
Behandlung  zu.  Die  Vorlage  an  den 
Reichsrath  erfolgte  am  18.  December 
1890    und    dann    in    der    neuen  Session 


desselben  ein  zweites  Mal  am  II.  Mai 
1891  in  einer  etwas  geänderten  Fassung, 
welche  jedoch  nicht  das  Uebereinkommen 
betraf.  Mittlerweile  hatte  in  der  Zeit 
vom  9.  bis  24.  Februar  die  Convertirung 
stattgefunden  und  die  ausserordentliche 
Generalversammlung  vom  II,  April  1891 
die  Frist  für  die  Verbindlichkeit  des  Ueber- 
einkommens  bis  Ende  1891  erstreckt. 
Das  Abgeordnetenhaus  nahm  den  Ge- 
setzentwurf am  10.  Juli  an  und  am  28. 
August  1891  erhielt  er  die  a.  h.  Sanction. 
Da  vermöge  des  guten  Fortganges  der 
Convertirung  die  ganze  Sachlage  wesent- 
lich vereinfacht  wurde,  brauchte  die  Re- 
gierung nicht  erst  ein  Zwischenstadium 
eintreten  zu  lassen,  sondern  konnte  die 
Bahn  gleich  völlig  einlösen,  was  sie  denn 
auch  mit  I.  Januar  1892  that  und  mittels 
Kundmachung  des  Handelsministeriums 
vom  11.  December  1891  amtlich  verlaut- 
barte. 

Nachher  kam  die  Carl  Ludwig- 
Bahn  an  die  Reihe,  rücksichtlich  deren 
die  Verstaatlichungs-Begehren  schon  seit 
Jahr  und  Tag  von  allen  Seiten  herange- 
drängt und  im  Staatseisenbahn-Rathe  wie 
auch  im  Parlamente  lebhafte  Unter- 
stützung gefunden  hatten.  Das  Abgeordne- 
tenhaus bethätigte  dies  dadurch,  dass  es 
—  einer  vom  Eisenbahn-Ausschusse  vom 
19.  Februar  1890  gegebenen  Anregung 
folgend  —  bei  der  Annahme  des  Ge- 
setzes über  die  Herstellung  des  zweiten 
Geleises  [siehe  Seite  391]  an  die  Regie- 
rung die  Aufforderung  richtete,  alle  Vor- 
bereitungen zu  treffen,  dass  diese  Bahn  im 
Zeitpunkte  der  Vollendung  des  Doppel- 
geleises vollständig  oder  mindestens  hin- 
sichtlich des  Betriebes  vom  Staate  über- 
nommen werden  könne. 

Die  Regierung  entsprach  bereitwilligst 
dieser  Resolution,  da  auch  sie  die  Ein- 
beziehung der  gesellschaftlichen  Linien 
in  das  staatliche  Betriebsnetz,  »aus  volks- 
wirtschaftlichen und  eisenbähnpolitischen 
Rücksichten«,  für  unausweichlich  erach- 
tete. Das  Handelsministerium  Hess  also 
am  29.  April  1891  dem  Verwaltungs- 
rathe  die  bezügliche  Verständigung  zu- 
gehen, gab  hiebei  der  Erwartung  Aus- 
druck, dass  es  gelingen  werde,  eine  freie 
Vereinbarung  über  den  Einlösungspreis 
zu  erzielen,  erklärte  jedoch  zugleich,  dem 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


397 


Letzteren  nur  die  wirkliche  Ertragsfähig- 
keit der  Bahn  zugrunde  legen  zu  können 
und  gegebenen  Falles  »auch  ohne  vor- 
herige Verhandlung  zur  Einlösung  zu 
schreiten«. 

Das  concessionsmässige  Recht  hiezu 
stand  der  Regierung  hinsichtlich  der 
Strecke  Krakau-Przemysl  und  der  beiden 
Localbahnen  jederzeit,  hinsichtlich  der 
Strecke  Przemysl-Lemberg  vom  4.  No- 
vember 1891  an  zu;  hinsichtlich  der 
übrigen  Strecken  war  dies  zwar  erst  vom 
15.  .Mai  1897  an  der  Fall,  auf  diese  fand 
aber,  zufolge  der  erheblichen  Inanspruch- 
nahme der  Staatsgarantie,  das  Sequestra- 
tions-Gesetz Anwendung.  Wenn  die  Re- 
gierung trotzdem  von  der  »uneinge- 
schränkten Ausnützung  ihrer  Befugnisse« 
absehen  wollte,  so  geschah  dies  zur  Ver- 
meidung von  Rechtsstreitigkeiten,  die 
immerhin  aus  der  ungenauen  Fassung 
mancher  Bestimmungen  der  alten  Con- 
cessions-Urkunden  hervorgehen  konnten. 
Der  Verwaltungsrath  seinerseits  wieder 
wusste  dem  vorerwähnten  Ministerial- 
Erlasse  die  richtige  Deutung  zu  geben 
und  das  Anerbieten  einer  »freien  Ver- 
einbarung« wohl  zu  würdigen.  So  wurden 
denn  Verhandlungen  eingeleitet  und  etliche 
Wochen  hindurch  gepflogen ;  sie  gestal- 
teten sich  mitunter  recht  schwierig,  da 
die  Regierung  zum  ersten  Male  vor  einer 
concessionsmässigen  Einlösung  stand  und 
für  den  Fall,  als  es  zu  keiner  Einigung 
käme,  um  desto  sorgsamer  bedacht  sein 
musste,  jedwedem  Präjudice  vorzubeugen, 
der  Verwaltungsrath  aber  begreiflicher 
Weise  die  gesellschaftlichen  Interessen 
vertheidigte.  Erst  gegen  Ende  Juni  wurde 
eine  vollständige  Uebereinstimmung  er- 
reicht. 

Der  Verwaltungsrath,  dem  es  darum 
zu  thun  war,  die  Actionäre  ehebaldigst 
von  der  Angelegenheit  zu  benachrichti- 
gen, hatte  schon  früher  eine  ausseror- 
dentliche Generalversammlung  auf  den 
27.  Juni  einberufen  und  konnte  ihr  nun 
den  Entwurf  des  mit  der  Regierung  ab- 
zuschliessenden  Uebereinkommens  vor- 
legen. Dasselbe  umfasste  insbesondere 
folgende  Hauptpunkte:  Der  Staat  über- 
nimmt mit  I.Januar  1892  das  gesammte 
Eigenthum  und  alle  Verbindlichkeiten 
der  Gesellschaft    und    tritt    daher    rück- 


sichtlich  der  Prioritäts-Anlehen  als  Selbst- 
schuldner ein ;  die  Actionäre  erhalten 
pro  1891  eine  4%'Se  Verzinsung,  vom 
Jahre  1892  an  aber  eine  jährliche  Rente 
von  10  fl.  [das  ist  rund  4-76°/0  von  2iofl.]; 
die  Actien  werden  vom  31.  Januar  1893 
an  zu  Staatsschuldverschreibungen  abge- 
stempelt, vom  1.  Januar  1900  an  inner- 
halb 90  Jahren  oder  auch  früher  zum 
vollen  Nennwerthe  von  210  fl.  getilgt; 
die  Staatsverwaltung  kann  das  Actien- 
capital  auch  vor  dem  1.  Januar  1900  mit 
220  fl.  pro  Stück  zurückzahlen  ;  das  ge- 
sammte Dienstpersonal  wird  unter  Wah- 
rung der  erworbenen  Rechte  vom  Staate 
übernommen ;  die  Gesellschaft  trifft  keine 
Rückzahlungspflicht  hinsichtlich  der  er- 
haltenen Garantievorschüsse.*) 

Etliche,  jedoch  schrill  klingende  Stim- 
men   erhoben   sich    gegen   die  Vereinba- 
rung;   die  Mehrheit    der  Actionäre    aber 
genehmigte  sie  vollinhaltlich  und  ermäch- 
tigte  zugleich    den    Verwaltungsrath  zur 
Invollzugsetzung,    worauf    zunächst    am 
30.  Juni  1891  die  Ausfertigung  des  Ueber- 
einkommens   erfolgte.     Dem  Reichsrathe 
wurde    es    am   13.  October  1891    vorge- 
legt;   auch    dort   stiess    es  auf  nicht  ge- 
ringen Widerstand,  den  aber  sowohl  die 
Beweisgründe,  welche  der  Handelsminister 
:  noch    mündlich    für   die  Erspriesslichkeit 
i  der    Vorlage    entwickelte,    als    auch  die 
glänzende  Dialectik  des  Berichterstatters 
!  Dr.  Ritter    von   Bilinski   rasch   bewäl- 
J  tigten.    Das  Abgeordnetenhaus  nahm  das 
•  Uebereinkommen    und    den    bezüglichen 
Gesetzentwurf  am  18.  November  an,  wel- 
cher, nach  Zustimmung  auch  des  Herren- 
hauses,   schon    am    25.  November    1891 
die  a.  h.  Sanction  erhielt. 

Nun  hatte  der  Verwaltungsrath  die 
letzten  Massnahmen  für  die  Durchfüh- 
rung des  Uebereinkommens,  insbesondere 
für  die  Uebergabe  der  Bahn  zu  treffen. 
I  Die  Regierung  ihrerseits  verlautbarte 
mittels  Kundmachung  des  Handelsmini- 
steriums vom  9.  December  1891  den 
Uebergang  der  Bahn  an  den  Staat,  ver- 
fügte die  Führung  des  Betriebes  durch 
die  k.  k.  General-Direction  der  österreichi- 
schen    Staatsbahnen     und     vollzog    am 

*)  Diese  ungedeckte  Schuld  aus  diesem 
Titel  betrug  onne  die  Zinsen  [beiläufig 
5,925.160  fl.]  rund  18,116000  fl. 


39« 


Ignaz  Konta. 


I.   Januar    1892    die    Uebernahme.     Bei  j 
diesem     Anlasse     traten     der     General- 
Directork.  k.  Hofrath  Dr.  Eduard  S  o  c  h  o  r 
Freiherr  von   Friedrichsthal,    der 
administrative  Director  k.  k.  Regierungs- 
rath  Albert  Ritter  Speil  von  Ostheim, 
der  Betriebs -Director  k.  k.  Regierungsrath 
Wenzel  Sladk  owski  und  einige  andere  j 
Oberbeamte  in  den  Ruhestand,  wobei  die  J 
zwei  Letztgenannten  mit    dem   Hofraths-   j 
titel  ausgezeichnet  wurden.   Für  das  Ge-  j 
schäft   der   Bauabrechnung   des    Doppel- 
geleises  verblieb   beim  Verwaltungsrathe 
ein   kleines    Bureau,    welches    erst   sechs 
Monate  später  aufgelöst  wurde. 

Sodann  vollzog  die  Regierung  die 
Einlösung  der  D ux- Bodenbacher 
und  der  Prag-D  uxer  Bahn,  wozu  sie 
durch  das  Gesetz  vom  11.  April  1886 
[siehe  Seite  372]  ermächtigt  und  vermöge 
des  Uebereinkommens  vom  26.  April  1884 
[siehe  Seite  304]  berechtigt  war. 

Die  Dux-Bodenbacher  Bahn  hatte,  ob- 
zwar  sie  es  als  sicher  annehmen  konnte, 
dass  die  Staatsverwaltung  gleich  bei  Ein- 
tritt des  vertragsmässigen  Termines  von 
ihrem  Einlösungsrechte  Gebrauch  machen 
werde,  sich  angeschickt  und  in  der  ausser- 
ordentlichen Generalversammlung  vom 
29.  Juli  1889  beschlossen,  die  Prag-Duxer 
Bahn  mit  1.  Januar  1890  anzukaufen  und 
zur  Beschaffung  des  Kaufschillings  von 
8,000.000  iL  neue  Actien  lit.  B  und  lit.  C 
auszugeben, beziehungsweise  ihren  Finanz- 
Instituten  gegen  Baarzahlung  zu  überlassen, 
welche  wider  die  Weiterbegebung  an  die 
Actionäre  der  beiden  Gesellschaften  zu- 
sagten. Dieselbe  Generalversammlung 
beschloss  ferner  die  freiwillige  Conver- 
tirung  der  5°/0igen  Prioritäten  sowohl 
der  eigenen,  als  —  nach  dem  Ankaufe 
der  Prag-Duxer  Bahn  —  auch  dieser 
Gesellschaft  in  4°/0ige  Anlehen,  sei  es 
durch  Abstempelung,  sei  es  durch  Aus- 
gabe neuer  Titel. 

Die  Prag-Duxer  Bahn,  welche  zufolge 
der  Vereinbarungen  vom  Jahre  1884 
[siehe  Seite  302]  an  die  Dux-Bodenbacher 
Bahn  gebunden  und  dem  Einflüsse  der- 
selben Geldkräfte  unterworfen  war,  musste 
sich  einfach  fügen ;  der  gerade  damals 
bei  manchen  Actionären,  durch  die  wach- 
senden Erträgnisse  der  Bahn,  rege  ge- 
wordene Wunsch  nach  Wiedergewinnung 


der  Selbständigkeit  der  Gesellschaft,  blieb 
wirkungslos. 

Das  Vorhaben  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn,  insbesondere  der  finanzielle  Theil 
des  Geschäftes  fand  indess  eine  sehr  ver- 
schiedenartige Beurtheilung  und  die  min- 
dest günstige  dort,  wo  unter  Hinweis  auf 
die  zu  gewärtigende  Einlösung  beider 
Bahnen  jede  weitere  Transaction  für  über- 
flüssig gehalten,  wenn  nicht  gar  als 
Mittel  zum  Zwecke  der  Erzielung  von 
Finanzgewinnen  stigmatisirt  wurde.  Auch 
die  Regierung  verhielt  sich  nicht  gleich- 
giltig,  sondern  sprach  sich  gegen  die 
Ausgabe  ungleichartiger  Actien  aus,  weil 
insbesondere  den  Actien  lit.  C  kaum  ein 
innerer  Werth  zukäme  und  daher  ihre 
Ausnützung  zu  Speculationszwecken  zu 
besorgen  stünde.  Ueberdies  machte  der 
bezügliche  Erlass  [30.  November  1889] 
auf  den  Ablauf  der  Steuerfreiheit  und 
auf  die  in  den  nächsten  Jahren  eintre- 
tenden Investitions-Erfordernisse  aufmerk- 
sam, welche  die  Erträgnisse  nicht  unbe- 
rührt lassen  dürften. 

Daraufhin  kam  von  den  erwähnten 
Beschlüssen  der  Actionäre  der  Dux-Boden- 
bacher Bahn  lediglich  derjenige  zur 
Durchführung,  welcher  die  Convertirung 
betraf,  jedoch  durch  die  seitens  der  Regie- 
rung genehmigten  Beschlüsse  der  General- 
versammlung vom  15.  Mai  1891  eine 
Aenderung  dahin  erfuhr,  dass  die  Con- 
vertirung nicht  durch  Abstempelung, 
sondern  durch  Ausgabe  neuer  Titel  zu 
bewerkstelligen  und  dabei  auch  für  die 
Deckung  der  Investitions-Erfordernisse  *) 
vorzusorgen  sei.  Es  wurden  also  4°/0ige 
Titel  im  Betrage  von  nom.  15,000.000  fl. 
Silber  und  3,999.900  Reichsmark  ausge- 
geben ;  davon  dienten  zum  Umtausche 
gegen  die  alten  noch  im  Umlaufe  ge- 
wesenen 5%  igen  Obligationen:  nom. 
8,846.550    fl.    Silber    und     1,864.350    fl. 


*)  Es  waren  zu  decken:  Die  Kosten  des 
zweiten  Geleises,  weil  die  concessionsmässige 
Voraussetzung  für  diese  Herstellung  [Brutto- 
Einnahmen  von  140.000  fl.  pro  Meile  in  zwei 
auf  einander  folgenden  Jahren]  bereits  ein- 
getreten war,  ferner  die  Kosten  verschiedener 
Erweiterungsbauten  und  der  Nachschaffung 
von  Fahrbetriebsmitteln.  Auf  den  mit  bei- 
läufig 5,600.000  fl.  veranschlagten  Bedarf  hatte 
die  Gesellschaft  eine  Summe  von  3,750.000  fl. 
an  die  Regierung  abgestattet. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


399 


Gold  [=  2,728.700  Reichsmark].  Die 
Convertirung  geschah  in  der  Zeit  vom 
14.  bis  30.  Juli  1891  und  gegen  eine 
bare  Aufzahlung  von  10%  des  Nenn- 
werthes  der  eingelieferten  5%igen  Priori- 
täten. 

Die  Prag-Duxer  Bahn  nahm  ebenfalls 
im  Jahre  1891  ein  neues  4°/0iges  Gold- 
anlehen  von  15,000.000  Reichsmark  auf, 
welches  nach  den  Beschlüssen  der  Gene- 
ralversammlung vom  27.  Mai  1891  so- 
wohl zur  Convertirung  der  5ü/0igen  Gold- 
prioritäten, als  auch  zur  Deckung  von 
Investitions  -  Erfordernissen  *)  bestimmt 
war.  Die  Convertirung  ging,  als  eine 
blos  freiwillige,  langsam  von  Statten ;  es 
befanden  sich  alte  Obligationen  noch  im 
Umlaufe,  als  die  Gesellschaft  im  Jahre 
1896  eine  neuerliche  Umwandlung  ihrer 
Prioritätsschuld,  diesmal  in  eine  3%ige, 
unternahm. 

Während  die  beiden  Gesellschaften 
mit  der  Durchführung  der  Convertirungen 
beschäftigt  gewesen,  wurden  sie  mittels 
des  Handelsministerial  -  Erlasses  vom 
22.  September  1891  in  die  Kenntnis  ge- 
setzt, dass  die  Regierung  beschlossen 
habe,  beide  Unternehmungen  mit  I.Januar 
1 892  gegen  Ausbezahlung  der  vereinbarten 
Einlösungsrente  [mindestens  3,100.000  fl.] 
in  das  Eigenthum  des  Staates  zu  über- 
nehmen und  bereit  sei,  etwaige  »aus  der 
Einlösungs  -  Operation  sich  ergebende 
Detailfragen  im  Einvernehmen  mit  den 
beiden  Gesellschaften  baldthunlichst  zur 
Austragung  zu  bringen«.  Für  die  letztere 
ergab  sich  auch  wirklich  genügender 
Stoff;  dies  behinderte  jedoch  nicht  den 
Einlösungsact,  der  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  25.  Decem- 
ber  1891  verlautbart  und  mit  Jahresschluss 
vollzogen  wurde. 

Die  wichtigsten  der  seitens  der  Ge- 
sellschaften vorgebrachten  Wünsche  und 
Anregungen  galten  zumeist  einer  ge- 
naueren Feststellung  der  Einlösungsrente, 
führten  aber  trotz  wiederholter  Be- 
sprechungen zu  keiner  Einigung,  wes- 
halb das  Handelsministerium  jene  Rente, 


nach  Massgabe  der  pro  1889 — 1891  auf 
den  gesellschaftlichen  Linien  erzielten 
Betriebsüberschüsse,  zunächst  und  vor- 
behaltlich künftiger  Vereinbarung  mit 
3,308.163  fl.  bezifferte  [Erlass  vom  17.  Juni 
1892].  Darauf  fanden  neuerliche  Ver- 
handlungen statt,  welche  nun  das  Pro- 
tokollar -  Uebereinkommen  vom  25.  Juli 
1892  zum  Ergebnisse  hatten,  welchem 
zufolge  die  Einlösungsrente  nach  Abzug 
der  iO°/0igen  Einkommensteuer  bestimmt 
wurde :  für  die  Dux-Bodenbacher  Bahn 
mit  1,710.000  fl.  und  für  die  Prag-Duxer 
Bahn  mit  1,489.400  fl.,  und  zwar  letztere 
in  der  Weise,  dass  nach  dem  Erforder- 
nisse für  den  Prioritätendienst  noch  für 
jede  Actie  eine  steuerfreie  Dividende  von 
4  fl.  verbleibe.  Gleichzeitig  ist  die  Re- 
ducirung  des  Actiencapitals  bei  der 
Prag-Duxer  Bahn  durch  Abstempelung*) 
um  ein  Dritttheil  [von  150  fl.  auf  IOO  fl. 
pro  Stück]  und  bei  der  Dux-Bodenbacher 
Bahn  durch  Rückkauf  und  Abstempelung 
auf  ein  Viertheil  [2,040.000  fl.  getheilt  in 
40.800  Actien  ä  50  fl.]  festgesetzt  und 
der  letzteren  Gesellschaft  gestattet  worden, 
ihren  Actionären  »ä  raison  des  abge- 
stempelten Actiencapitales«  Obligationen 
auszufolgen,  die  auf  der  Einlösungsrente 
pfandrechtlich  sichergestellt  werden.  Diese 
Vereinbarungen  fanden  in  den  ausser- 
ordentlichen General  versammlungenfPrag- 
Dux]  vom  9.  August  und  [Dux-Boden- 
bach]  vom  12.  November  1892  die  Zu- 
stimmung der  Actionäre  und  gelangten 
dann  allmählich  zur  Durchführung  — 
die  Emission  der  3°/0igen  Dux-Boden- 
bacher Anleihe  von  25,600.000  fl.  Gold 
bereits  im  Jahre  1893  und  zum  Curse 
von  76%. 

Nun  war  endlich  der  Knäuel  der  seltsam 
gesponnenen  Fäden,  welche  sich  ein  Jahr- 
zehnt lang  durch  die  Geschicke  der 
beiden  Duxer  Bahnen  hinzogen,  fast  ganz 
abgewickelt;  der  kleine  Rest  desselben 
ging  das  finanzielle  Gebiet  und  nur  noch 
uneigentlich  das  Eisenbahnwesen  an.  Die 
Verstaatlichung    hatte    auch    hier    einem 


*)  Diese  Erfordernisse  umfassten  eine 
Pauschalabstattung  von  1,200.000  fl.  an  die 
Regierung  und  die  Tilgung  der  gleichfalls 
für  Investitionen  aufgenommenen  schweben- 
den Schuld  von  734.570  fl. 


*)  Diese  Abstempelung  berührte  in  keiner 
Weise  das  Recht  der  Stamm-Actionäre  aut 
den  ihnen  nach  dem  ursprünglichen  Nominal- 
betrage der  Actien  zustehenden  verhältnis- 
mässigen Antheil  an  dem  Gesellschafts- 
Vermögen. 


400 


Ignaz  Konta. 


weitgedehnten  aber  nicht  immer  erquick- 
lichen Capitel  der  österreichischen  Eisen- 
bahn-Geschichte zu  einem  gedeihlichen 
Schlüsse  verholfen. 

Das  stetige  Anwachsen  des  staatlichen 
Eisenbahn-Besitzes  und  Betriebes  fachte  die 
seit  der  ersten  Organisirung  des  letzteren 
immer  fortglimmende  Frage  der  Centrali- 
sirung  oder  Decentralisirung  der  staat- 
lichen Eisenbahn-Verwaltung  von  Neuem 
an.  Die  politischen  Parteien  schürten 
die  Glut ;  auf  der  einen  Seite  wurde 
die  Vereinigung  der  Machtbefugnisse  in 
einem  Mittelpunkte  als  unerlässlich  be- 
zeichnet, auf  der  anderen  hingegen  mit 
allem  Eifer  eine  Theilung  verlangt.  Vor- 
läufig kam  es  aber  zu  keiner  vollständigen 
Umwälzung;  die  k.  k.  General-Direction 
als  solche  blieb  aufrecht  erhalten,  musste 
aber  eine  Reihe  von  Agenden  an  die 
k.  k.  Betriebs-Directionen  abgeben,  welchen 
die  zufolge  a.  h.  Entschliessung  vom 
7.  December  1891  erlassene  Novelle 
zur  Organisation  der  Staats- 
eisenbahn-Verwaltung [Verordnung 
des  Handelsministeriums  vom  15.  De- 
cember 1891]  eine  namhafte  Erweiterung 
ihres  Wirkungskreises  zutheil  werden 
liess  und  auch  eine  erhebliche  Mit- 
wirkung bei  Angelegenheiten  der  allge- 
meinen Verwaltung  einräumte.  Zugleich 
erfuhren  die  Satzungen  für  den  Staats- 
eisenbahn-Rath  mehrfache  Aenderungen.*) 

Zwiespältigkeiten,  die  damals  zu  Tage 
getreten,  führten  jedoch  einen  Wechsel 
im  Präsidium  der  k.  k.  General- 
Direction  herbei.  Die  hervorragende 
Persönlichkeit,  welche  seit  der  Errichtung 
einer  Direction  für  den  Staatsbetrieb  die 
Leitung  desselben  inne  hatte  und  eben- 
sowohl mit  eiserner  Willensstärke,  als 
wie  mit  nie  rastender  Emsigkeit  an  der 
Organisirung,  Pflege  und  Ausgestaltung 
der  neuen  Institution  arbeitete,  Freiherr 
v.  Czedik,  zog  sich  in  den  Ruhestand 
zurück,  bei  welchem  Anlasse  ihm  mit 
a.  h.  Entschliesung  vom  7.  Januar  1892 
»in  Anerkennung  seiner  ausgezeichneten 


*)  Mittels  Verordnung  des  Handels- 
ministeriums vom  18.  Januar  1893  erhielt  der 
von  der  Zusammensetzung  des  Staatseisen- 
bahnrathes  handelnde  §  17  der  Novelle  vom 
15.  December  1891  neuerdings  eine  geän- 
derte Fassung. 


Dienste«  das  Grosskreuz  des  Franz 
Josef-Ordens  verliehen  wurde.  Mit 
einer  anderen  a.  h.  Entschliessung  vom 
selben  Tage  erfolgte  die  Ernennung  des 
Professors  an  der  Universität  in  Lem- 
berg,  Dr.  Leon  Ritter  v.  Bilinski, 
zum  Sections-Chef  im  Handelsministerium 
und  zum  Präsidenten  der  General- 
Direction     der     österreichischen     Staats- 

,  bahnen. 

Die  Abschiednahme  des  früheren  und 

j  der  Amtsantritt  des  neuen  Präsidenten 
ging  am  9.  Januar  1892  in  feierlicher 
Weise  vor  sich.  Dabei  wurden  nicht 
blos  die  üblichen  Reden  getauscht.  Der 
neue  Präsident  entwickelte  sein  Pro- 
gramm, in  welchem  die  »finanzielle  Sani- 
rung  der  Staatsbahnen«  einen  ersten 
Platz  einnahm  und  als  Mittel  zur  Er- 
reichung dieses  Zieles  vornehmlich  be- 
zeichnet waren:  Hebung  des  Rein- 
ertrages, damit  aus  demselben  die 
Deckung  der  Erfordernisse  für  die  Ver- 
besserung der  Lage  des  Personales  und 
für  die  weitere  Ausrüstung  der  staatlichen 
Linien  geschöpft  werden  könne  und  die 
in  den  Staatseisenbahnen  investirte 
Milliarde  nicht  auf  die  Dauer  ohne  ent- 
sprechendes Erträgnis  bleibe;  die  stete 
Klarstellung  der  finanziellen 
Lage,  genauere  Budgetirung  und  Ein- 
haltung der  Voranschläge,  einfache 
und  durchsichtige  R  e  c  h  n  u  n  2  s- 
abschlüsse,  »damit  auch  jeder  Laie, 
als  idealer  Miteigenthümer  der  Staats- 
bahnen, über  deren  finanziellen  Stand 
genügenden  Ausschluss  finde«  ;  die  thun- 
lichste  Bedächtigkeit  in  der  Tarifpolitik, 
Verhütung  von  Tarifsätzen,  die 
unter  die  Selbstkosten  herab- 
reichen und  eine  allfällige  Abänderung 
der  Gütertarife  zu  Gunsten  des  Staats- 
schatzes. 

Es  konnte  nicht  verwundern,  dass 
diese  Eröffnungen  die  allgemeine  Auf- 
merksamkeit auf  sich  zogen;  denn 
Dr.  Leon  Ritter  v.  Bilinski  war  vermöge 
seiner  eben  erst  aufgegebenen,  vieljährigen 
parlamentarischen  Thätigkeit  gleich  sehr 
mit  den  Bedürfnissen  der  Staatsfihanzen 
wie  mit  den  Eisenbahnfragen,  deren 
wichtigste  durch  seine  Hände  gegangen, 
und  auch  mit  den  Anschauungen  der 
Reichsvertretung     wohl     vertraut.       Die 


Geschichte  der  Eisenhahnen  Oesterreichs. 


4OI 


Stimmen  der  öffentlichen  Meinung 
sprachen  sich  fast  sämmtlich  in  günsti- 
gem Sinne  über  das  Programm  aus, 
das  nach  etlichen  Monaten  auch  von 
Seite  des  Finanzministers  eine  gewichtige 
Bekräftigung  erhielt.  Dr.  Steinbach 
[seit  2.  Februar  1891  der  Nachfolger 
Julian  v.  Dunajewski's],  ein  vorzüglicher 
Vertreter  der  neuzeitigen  staatswirth- 
schaftlichen  Auffassung  und  erklärter 
Anhänger,  aber  auch  scharfer  Beobachter 
des  Staatseisenbahnwesens,  hatte  den 
finanziellen  Verhältnissen  desselben  in  der 
Sitzung  des  Abgeordnetenhauses  vom 
5.  November  1892  sehr  ernste  Worte 
gewidmet ;  er  sagte  :  wenn  die  Ausgaben 
fortwährend  steigen  und  die  Einnahmen 
zu  stark  herabgesetzt  werden,  müsse 
»das  Staatsbahnwesen  in  seinen  Erfolgen 
in  einer  bestimmten  Zeit  compromittirt 
sein,  und  falls  dies  lange  währt,  der 
Moment  eintreten,  dass  das  Finanzressort 
—  mag  es  vertreten,  wer  da  will  —  j 
darauf  dringen  wird,  die  Staatsbahnen 
wieder  abzustossen. « 

Unterdessen  hatte  übrigens  weder  die 
Vorbereitung  und  beziehungsweise  Durch- 
führung weiterer  Verstaatlichungs-Opera- 
tionen noch  die  Inangriffnahme  neuer 
Staatsbauten  einen  Stillstand  erfahren. 

Die  günstige  Lage  des  Geldmarktes 
veranlasste  die  Verwaltung  der  Süd- 
norddeutschen Verbindungs- 
bahn nun  ebenfalls  einen  Umtausch 
ihrer  5%igen  Prioritäten  in  geringer 
verzinsliche  Titel  zu  bewerkstelligen. 
Da  hiezu  die  Genehmigung  der  Regie- 
rung erforderlich  war,  stellte  dieselbe 
ihre  Bedingungen ;  sie  verlangte  die 
Erhöhung  des  Convertirungs-Anlehens 
um  den  Betrag  von  nom.  7,132.000  fl. 
zum  Zwecke  der  Refundirung  aller  bis- 
her zu  Lasten  der  Garantierechnung 
vorgenommenen  und  zur  Rücklage  für 
künftige  Investitionen,  gegen  Erhöhung 
der  Staatsgarantie  um  rund  325.250  fl. 
jährlich ;  ferner  Entschädigung  des  Staates 
mit  206.000  fl.  für  den  Entgang  von 
Stempel  und  Gebühren  durch  die  Steuer- 
freiheit des  neuen  Anlehens  und  auch, 
für  den  Fall  der  concessionsmässigen 
Einlösung  der  Bahn,  die  unentgeltliche 
Uebergabe  nicht  nur  der  aus  der  er- 
wähnten   Anlehensquote    gedeckten    In- 

Gescbichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


vestitionen,  sondern  auch  aller  zu  Lasten 
der  Betriebsrechnung  nachgeschafften 
Betriebsmittel  an  den  Staat,  wogegen 
in  jenem  Falle  die  erhöhte  Garantie  als 
Minimal-Einlösungsrente  zu  gelten  habe. 

Das  auf  diesen  Grundlagen  abge- 
schlossene Uebereinkommen  vom  27.  April 
1892  erhielt  in  der  Generalversammlung 
vom  30.  April  1892  die  Zustimmung 
der  Actionäre  und  mittels  des,  aus  der 
Regierungsvorlage  vom  17.  Mai  hervor- 
gegangenen Gesetzes  vom  28.  Juni  1892, 
auch  die  legislative  Genehmigung.  Ar- 
tikel IV  des  letzteren  ermächtigte  die 
Regierung  überdies,  das  staatliche  Ein- 
lösungsrecht, in  Gemässheit  der  Con- 
cessions-Bestimmungen  und  des  vor- 
erwähnten Uebereinkommens,  zu  dem 
ihr  geeignet  erscheinenden  Zeitpunkte 
auszuüben,  wodurch  nun  die  Süd-nord- 
deutsche Verbindungsbahn  in  gleicher 
Weise  wie  die  anderen  jiingsthin  einge- 
lösten Bahnen,  im  Grundsätzlichen,  zur 
Verstaatlichung  völlig  bereitgestellt  er- 
schien. 

Die  Convertirung  und  zugleich  Neu- 
Emission  wurde  von  der  Finanzgruppe 
der  Credit-Anstalt  in  den  Tagen  vom 
8.  bis  19.  Juli  1892  ausgeführt.  Das  Ge- 
sammt-Anlehen  betrug  nom.  24,000.000  fl., 
wovon  nom.  16,867.800  fl.  zur  Conver- 
tirung der  5°/0igen  Prioritäten  dienten 
und  nom.  7,132.200  fl.  die  Investitions- 
Anleihe  ausmachten. 

Nicht  blos  hiezu  bereitgestellt,  son- 
dern gleich  wirklich  vom  Staate  über- 
nommen wurde  die  19^5  km  lange  Local- 
bahn Eisenerz -Vordernberg,  welche, 
nachdem  sie  schon  seit  dem  Jahre  1864 
zu  den  als  nothwendig  anerkannten 
Projecten  gezählt  hatte,  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  5.  Juli  1888  der  Oester- 
reichischen  Alpinen-Montan-Gesellschaft 
am  10.  October  1888,  theils  als  Ad- 
häsions-,  theils  als  Zahnstangenbahn 
[i4"6  km]  nach  dem  Systeme  Abt  con- 
cessionirt  und  am  15.  September  1891 
dem    Betriebe  übergeben    worden  war.  *) 


*)  Umfassende  geschichtliche  Mittheilun- 
gen über  diese  Localbahn  finden  sich  in 
Ronta's  Eisenbahn -Jahrbuch  XXI,  Seite 
1007  ff.  Technische  Einzelheiten  und  Abbil- 
dungen siehe  im  Abschnitte  über  das  Local- 
bahnwesen  in  Oesterreich  v.   P.  F.   Kupka. 

26 


402 


Ignaz  Konta. 


Um  die  endliche  Zustandebringung  dieser 
für  Steiermark  und  seine  Eisenindustrie 
wichtigen  Eisenbahn  zu  ermöglichen, 
gewährten  der  steierische  Landtag  in 
seiner  Sitzung  vom  21.  Januar  1887  dem 
Unternehmen  eine  in  20  Jahresraten  zu 
je  20.000  fl.  zu  leistende  Subvention 
von  400.000  fl.  und  die  Regierung, 
nebst  einer  30jährigen  Steuerfreiheit,  nach 
langen  Jahren  zu  ersten  Male  wieder,  eine 
Zinsengarantie  im  Betrage  von  jährlich 
166.687  fl-  f"r  die  ersten  75  Jahre  und 
von  jährlich  89.941  fl.  für  die  letzten 
15  Jahre  der  Concessionsdauer.  Für  die 
Aufbringung  des  Anlage-Capitals  sorgte 
die  am  8.  Mai  1889  unter  der  Firma: 
»Localbahn  Eisenerz  -Vorder  n- 
berg«  errichtete  Actien  -  Gesellschaft 
durch  Ausgabe  von  3500  Stamm-  und 
5000  Prioritäts-Actien  ä  200  fl.  und  von 
4°/0igen  Prioritäts-Obligationen  im  Nomi- 
nalbetrage von  3,000.000  fl.  Die  Stamm- 
actien  übernahm  zum  vollen  Werthe  die 
Concessionärin,  die  übrigen  Werthe  hin- 
gegen die  Länderbank,  und  zwar  die 
Prioritäts-Actien  zum  Curse  von  8o°/0, 
die  Obligationen  zum  Curse  von  92*05%. 
Der  Erlös  für  sämmtliche  Titel  betrug 
also  4,261.500  fl.  Die  Anlagekosten  waren 
mit  4,200.000  fl.  veranschlagt. 

Unvorhergesehene,  durch  die  ausser- 
ordentlich ungünstige  Gebirgsbeschaffen- 
heit,  wie  auch  durch  Wassereinbrüche 
in  die  Tunnelbauten  unerlässlich  ge- 
wordene Verstärkungen  von  Stützmauern, 
Pfeilern  etc.  verursachten  jedoch  Mehr- 
auslagen im  Belaufe  von  1,875.700  fl., 
zu  deren  Deckung  nur  der  bei  der  Titel- 
ausgabe erzielte  Mehrerlös  von  61.500  fl. 
vorhanden  war.  Die  Regierung,  unter 
deren  eigenen  Aufsicht  der  Bau  vollführt 
wurde,  entschloss  sich  nun,  die  Staats- 
garantie um  jährlich  85.490  fl.  zu  erhöhen 
und  damit  eine  Unterlage  für  die  Aus- 
gabe von  weiteren  Prioritäts-Obligationen 
im  Betrage  von  nom.  2,000.000  fl.  zu 
bieten.  Gleichzeitig  zog  sie  aber  auch 
die  Erwerbung  der  Bahn  in  Betracht 
und  die  hierüber  gepflogenen  Vorverhand- 
lungen hatten  den  Erfolg,  dass  die  Alpine 
Montan- Gesellschaft  die  unentgeltliche 
Abtretung  sämmtlicher  Stammactien  an 
den  Staat  zusagte  und  es  ergab  sich 
die     Möglichkeit,     die     Prioritäts-Actien 


[1,000.000  fl.]  zum  Curse  von  höchstens 
9O°/0  einzulösen  und  an  deren  Stelle 
auf  Grundlage  ihrer  Garantiequote  Obli- 
gationen im  gleichen  Nennwerthe  in  Umlauf 
zu  bringen.  Auch  hatte  der  steierische 
Landtag  in  seiner  Sitzung  vom  31.  März 
1892  beschlossen,  für  den  Fall  der  Ver- 
staatlichung der  Bahn  den  ihr  zuge- 
sicherten Landesbeitrag  in  eine  einmalige, 
mit  Ende  1894  fällig  werdende  Capitals- 
zahlung  von  330.OOO  fl.  umzuwandeln. 
Die  Gesetzes  vorläge  vom  3.  Mai 
1892,  mit  welchem  die  Regierung  die 
legislative  Ermächtigung  sowohl  zur  Er- 
:  höhung  der  Garantie,  als  auch  zur  Er- 
[  Werbung  der  Bahn  einholte,  passirte  am 
6.  Juli  das  Abgeordnetenhaus  und  erhielt 
am  28.  Juli  1892  die  a.  h.  Sanction.  Zwei 
Monate  später,  am  10.  September,  be- 
j  schloss  eine  ausserordentliche  General- 
,  Versammlung  der  Actionäre  der  Eisenerz- 
I  Vordernberger  Bahn,  ihre  Unternehmung 
unter  den  in  jenem  Gesetze  vorgesehenen 
Modalitäten  an  den  Staat  zu  überlassen 
und  in  Liquidation  zu  treten.  Der  Abschluss 
des  bezüglichen  Uebereinkommens  mit 
der  Staatsverwaltung  zog  sich  jedoch  bis 
!  zum  31.  October  1893  hinaus  und  die 
Kundmachung  der  erfolgten  Einlösung 
erfolgte  erst  am  5.  November  1893. 
Weitere  Förmlichkeiten  waren  nicht  er- 
forderlich, weil  die  Bahn  sich  ohnehin 
im  Staatsbetriebe  befand.  Der  Staat  war 
jedoch  schon  mit  I.Januar  1892  für  die 
beiden  4°/0igen  Prioritäts-Anlehen  von 
je  3,000.000  fl.  als  Selbstzahler  einge- 
|  treten.  Von  dem  Anlehen  der  II.  Emission 
dienten  900.000  fl.  zur  Einziehung  der 
Prioritäts  -  Actien,  welche  gleich  den 
Stammactien  vernichtet  wurden. 

Vollends  als  Staatsbau  wurde  im 
Jahre  1892  die  Linie  S tanislau-Woro- 
j  nienka  gesichert,  welche  gleichsam 
Ersatz  für  die  seit  1862  und  bis  in  die 
Achtziger-Jahre,  zumal  auf  ungarischer 
Seite,  ebenso  beharrlich  als  fruchtlos  an- 
gestrebte Verbindung  der  Märamaros 
mit  der  Bukowina  bieten  soll.  Sowohl 
im  gesammtstaatlichen  Interesse,  als  auch 
zur  Hebung  der  wirthschaftlichen  Ver- 
hältnisse der  betreffenden  Gegenden, 
kamen  die  beiderseitigen  Regierungen 
im  Jahre  1891  überein,  statt  der  — 
mindestens    für    die  Gegenwart  —  nicht 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


403 


für  gut  befundenen  Zusammenschliessung 
der  ungarischen  mit  den  Bukowinaer 
Bahnlinien,  eine  dem  letztgenannten  Lande 
möglichst  nahe  gerückte  Verbindung  auf 
Staatskosten  auszuführen,  und  zwar  unga- 
rischerseits  die  Strecke  von  Märamaros- 
Sziget  bis  Körösmezö,  beziehungsweise 
an  die  Grenze  nächst  Woronienka,  und 
österreichischerseits  von  Stanislau  bis  an 
den  eben  genannten  Grenzpunkt. 

Das  Handelsministerium  brachte  also 
am  19.  Januar  1892  im  Reichsrathe  einen 
Gesetzentwurf  ein,  vermöge  dessen  die 
Regierung  ermächtigt  werden  sollte,  die 
vorbezeichnete  österreichische  Strecke  mit 
einem  Kostenaufwande  von  höchstens 
9,800.000  fl.  aus  Staats- 
mitteln herzustellen.  Da 
zu  Gunsten  der  Vorlage 
auch  der  wichtige  Um- 
stand sprach,  dass  die 
neue  Linie  dem  Staats- 
gute Nadworna  und  der 
Verwerthung  seiner 
riesigen  Waldbestände 
besonders  zu  Statten 
käme,  votirte  das  Ab- 
geordnetenhaus schon 
am  1 1.  Februar  das 
Gesetz ;  die  weitere  Er- 
ledigung desselben  ver- 
zögerte sich  aber  infolge  einer  Unter- 
brechung der  Parlaments-Sitzungen,  so 
dass  es  erst  am  I.  Juli  1892  die  a.  h. 
Sanction  erhielt. 

Der  Bau  des  zehnten  Bauloses  mit 
dem  Wasserscheide-Tunnel  an  der  Landes- 
grenze wurde  am  3.  October  1892  an  die 
Unternehmung  Gross  &  Comp,  ver- 
geben und  am  20.  October  in  Angriff 
genommen  ;  auf  den  übrigen,  erst  zu  Ende 
des  Jahres  1892,  und  zwar  an  die  Unter- 
nehmungen ligner,  Radwanski  & 
Dlugozewsti,  Blau  &  Epstein, 
Keller  &  Simberski  und  abermals 
Gross  &  Comp,  vergebenen  neun  Losen 
begannen  die  Arbeiten  im  Februar  1893. 
Der  ganze  Bau  war  in  zwei  Jahren  soweit 
vollendet,  dass  die  94- 1  km  lange  Strecke 
Stanislau-  [Chryplin-]W  oronienka 
am  20.  November  1894  dem  Betriebe 
übergeben  werden  konnte.  Die  nur  1  -4  km 
lange  Grenzstrecke  gelangte  jedoch  in 
Gemeinschaft    mit    der    14-8  km    langen 


Abb.  175.    Przemiska-Brücke 
[Stanislau- Woronienka.] 


ungarischen  Theilstrecke  von  der  Grenze 
bis  Körösmezö  erst  am  15.  August  1895 
zur  Eröffnung.  Die  Betriebsführung  bis 
in  diese  ungarische  Wechselstation  hat, 
auf  Grund  der  bezüglichen  Anschluss-  und 
Betriebs  vertrage  vom  3.  April  1893,  be- 
ziehungsweise 17.  Mai  1894,  die  Ver- 
waltung der  österreichischen  Staats- 
bahnen inne.  Die  Anlagekosten  betrugen 
im  Zeitpunkte  der  gänzlichen  Vollendung 
9,470.827  fl.,  dürften  sich  aber  noch  um 
beiläufig   335.000  fl.  erhöht  haben. 

Die  Bahn  Stanislau- Woronienka 
zweigt  in  südöstlicher  Richtung  vom  Stanis- 
lauer Bahnhofe  ab;  ist  anfangs  parallellaufend 
mit  der  Czernowitzer  Bahn,  überschreitet 
auf  einer  eisernen  Brücke 
die  Nadwornianka-By- 
strzycza,  führt  bis  zur 
Station  Chryplin  und 
schwenkt  sodann  in  süd- 
westlicher Richtung  ab. 
Im  weiteren  Laufe  be- 
rührt sie  die  Ortschaf- 
ten Bratkowce,  Tysmie- 
niczany,Tarnowica  le«na, 
gelangt  nach  Ueber- 
schreitung  des  Strymba- 
fiusses  zur  Stadt  Nad- 
worna, führt  gegen  Osten 
und  übersetzt  in  einer 
bedeutenden  Steigung  die 
Wasserscheide  zwischen 
der  Bystrzyca  und  dem 
Pruth,  das  Flüsschen  Wo- 
rona,  schwenkt  wieder  gegen  Süden  ab  bis  zur 
Ortschaft  und  Station  Lojowa.  Unmittel- 
bar vor  der  Station  Lojowa  berührt  die 
Bahn  die  Reichsstrasse,  welche  von  Sta- 
nislau nach  Körösmezö  führt;  immer  in 
südlicher  Richtung  fortschreitend,  neigt  sie 
sich  thalwärts  zum  Pruth,  und  mit  einem 
Viaduct  das  Flüsschen  Lubiinia  übersetzend, 
erreicht  sie  das  Städtchen  Delatyn  und  die 
Station  gleichen  Namens.  Von  "hier  ange- 
fangen, liegt  das  Bahngeleise  ununterbro- 
chen im  Pruththale,  vorwiegend  am  linken 
Flussufer,  geht  mittels  eiserner  Brücke  über 
den  Bach  Przemyska  [Abb.  175],  überschreitet 
in  der  Nähe  der  Ortschaft  Dora  auf  einer 
grossen  gemauerten  Brücke  den  Bach 
Kamionka  und  führt  in  den  Ort  Jaremcze, 
Station  Dora-Jaremcze. 

Unmittelbar  nach  dieser  Station  über- 
schreitet die  Bahn  den  Pruth  auf  einer  grossen 
gemauerten  Brücke  von  65  in  Spannweite 
und  28  in  Höhe  mit  gemauerten  Viaducten  zu 
beiden  Seiten  der  Brücke  [vgl.  Bd.  II,  Seite  272, 
Abb.  133a],  übersetzt  dann  auf  das  rechte 
Ufer  des  Flusses,  in  östlicher  Richtung  und 
nochmals  den  Pruth  auf  einer  Brücke  von 
48  m  Spannweite  und  20  m  Höhe  und  kehrt 
zum  linken  Ufer  wieder  zurück.  Nach  dieser 
Brücke,    welche  gleichfalls    zu  beiden  Seiten 

26* 


404 


Ignaz  Konta. 


gemauerte  Viaducte  hat,  geht  die  Bahn 
in  der  Nähe  der  Ortschaft  Jamna  durch  einen 
524  in  langen  Tunnel  [vgl.  Bd.  II,  Seite  271, 
Abb.  132  b]  und  später  in  südlicher  Richtung 
in  der  Nähe  von  Narywne,  durch  den  Berg 
Buköwna,  mittels  eines  224  in  langen  Tunnels, 
und  läuft  endlich  in  die  Station  Mikuliczvn 
ein.  Hier  macht  sie  Windungen  in  südwest- 
licher, dann  wieder  in  südlicher  Richtung, 
übersetzt  schliesslich  einige  Bäche,  über 
welche  sich  gemauerte  Brücken  spannen, 
und  erreicht  die  Ortschaft  Tartaröw  und  die 
Station  gleichen  Namens. 

Nach  dieser  Station  überschreitet  die 
Bahn  die  Strasse,  dann  die  Gebirgsbäche 
Prutec,  Jablonica  und  zum  dritten  Male  den 
Pruth  und  erreicht  die  Station  Worochta. 
[Vgl  Abb.  176  und  177.] 

Von  hier  an  steigt  die  Bahn  stetig  mit 
einer  Steigung  von  I  :  66,  umkreist  die  Ort- 
schaft Worochta  in  westlicher  Richtung,  setzt 
zum  vierten  Male  auf  gemauerter  Brücke  über 
den  Pruth,  geht  in  das  Thal  des  Flusses 
Paradczvn  über  und  fährt  über  einen  125  m 
langen  Viaduct  [Abb.  178]  nach  langer  Steigung 
endlich  in  die  Station  Woronienka  ein. 
Nach  dieser  Station  übersetzt  die  Bahn  die 
Wasserscheide  und  die  Landesgrenze  mittels 
eines  I22T4  in  langen  Tunnels,  von  dem  653  in 
auf  galizischem  Gebiete  liegen.  Die  Höhe  der 
Bahn  im  Tunnel  beträgt  83655  in  über  dem 
Meeresspiegel. 

Diese  Bahn  gehört  sowohl  in  Bezug  auf 
ihre  Lage,  als  auch  auf  die  Art  des  Baues  zu 
den  interessantesten  Bahnen  Galiziens. 

Die  Brücken  sind  fast  sämmtlich  aus  Stein 
und  bilden  wahre  Wunderwerke  der  Brücken- 
baukunst. Dieselben  wurden  nach  den  grund- 
sätzlichen Verfügungen  des  Baudirectors 
v.  Bischoff,  nach  den  Plänen  von  Ludwig 
Huss  unter  Leitung  des  Inspectors  Ritter 
v.  Kosinski  ausgetührt.  Die  Brücke  bei 
Jaremcze  ist  derzeit  die  weitestgespannte 
gewölbte  Eisenbahnbrücke  der  Welt.*) 

Die  andere,  gleichfalls  vermöge  eines 
Gesetzes  vom  Jahre  1 892  und  aus  öffent- 
lichen .Mitteln  in  Ausführung  gebrachte 
Bahn  war  die  einen  Theil  der  grossen 
Wiener  Verkehrsanlagen  [Stadtbahn,  Wien- 
fluss-Regulirung,  Anlage  von  Sammel- 
canälen  beiderseits  des  Wienfiusses  und 
des  Donaucanals  und  Umwandlung  des 
letzteren  in  einen  Handels-  und  Winter- 
hafen] ausmachende  Wiener  Stadt- 
bahn.**) Schon  seit  der  sogenannten 
Gründungsära  [1869 — 1873],  welcheauch 
zahlreiche     Projectirungen     von     Ring-, 


*)  Vgl.  auch  Band  II,  Brückenbau  v.  J. 
Zuf  fer. 

**)  Ausführliches  über  die  Wiener  Stadt- 
bahn enthält  der  derselben  gewidmete  Ab- 
schnitt im  Bd.  I,  2.  Theil 


Local-  und  Verbindungsbahnen  für  Wien 
und  dessen  Umgebung  zu  Tage  gefördert 
hatte  [siehe  Seite  241  und  247],  hofften  die 
Bewohner  der  Reichshaupt-  und  Residenz- 
stadt von  Jahr  zu  Jahr  auf  eine  zeit- 
gemässe  Verbesserung  und  Bereicherung 
der  dortigen  Verkehrsmittel.  Nach  langem 
Harren  schien  endlich  die  Erfüllung  der 
Wünsche  dadurch  nahegerückt,  dass  ein 
von  dem  englischen  Ingenieur  und  Unter- 
nehmer Josef  F  o  g  e  r  t y  entworfenes  Stadt- 
bahn-Project  im  Jahre  1883  bis  zur  that- 
sächlichen  Concessionirung  heranreifte. 
Allein  die  Freude  hierüber  währte  nicht 
lange  ;  denn  eine  heftige  Gegnerschaft  der 
technischen  Seite  des  Projectes  und  die 
missglückte  Capitalsbeschaffung  brachte 
dasselbe  zum  Scheitern  [siehe  Seite  294]. 
Dann  verstrichen  abermals  viele  Jahre,  bis 
die  wichtige  Frage  nochmals  greifbare  Ge- 
stalt gewann,  und  es  muss  dahingestellt 
bleiben,  ob  dies  überhaupt  in  absehbarer 
Zeit  geschehen  wäre,  wenn  nicht  Se.  M  aj  e- 
stät  der  Kaiser  auch  hier  wieder 
das   »Werde!«   gesprochen  hätte. 

Anlässlich  der  Eröffnung  des  Parkes 
auf  der  Türkenschanze  am  30.  September 
1888  gab  der  Monarch  in  seiner  huld- 
vollen Erwiderung  auf  die  Empfangs- 
Ansprache  dem  a.  h.  WTunsche  Ausdruck, 
»dass  mit  dem  Blühen  und  Gedeihen 
dieses  jungen  Gartens  auch  der  erfreuliche 
Aufschwung  der  Vororte,  welche,  sobald 
dies  möglich  sein  wird,  auch  keine 
physische  Grenze  von  der  alten  Mutter- 
stadt scheiden  soll,  stets  zunehmen,  und 
dass  der  Anblick  Wiens  und  der  Vor- 
orte, welcher  sich  von  hier  aus  bietet, 
den  echten  Bürgersinn,  den  wahren 
Patriotismus  und  die  Liebe  zur  Heimat  unter 
dem  Schutze  des  Allmächtigen  stets  neu 
beleben  möge.«  In  dieser  vielbejubelten 
Verheissung  des  Fallens  der  »Linien- 
wälle« lag  auch  die  sichere  Gewähr  für 
das  Wiederaufleben  und  die  baldige 
Lösung  der  Stadtbahn- Frage,  weil  die 
Schaffung  von  »Gross-Wien«  auch  jene 
einer  grossangelegten  Communication  zur 
Verbindung  der  Vororte  unter  einander 
und  mit  der  alten  Stadt  naturnothwendig 
bedingte.  Nachdem  das  Reichsgesetz 
vom  10.  Mai  1890,  betreffend  die 
»Aenderung  der  Wiener  Linien -Ver- 
zehrungssteuer«    sowie   das    hinsichtlich 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


405 


der  »Vereinigung  mehrerer  Gemeinden 
und  Gemeindetheile  mit  Wien«  erlassene 
Landesgesetz  vom  19.  December  1890 
die  zweite  Wiener  Stadterweite- 
rung in  Vollzug  gesetzt  hatten,  ver- 
kündete die  kaiserliche  Thronrede,  mit 
welcher  am  II.  April  1891  die  neue 
Session  des  Reichsrathes  eröffnet  wurde, 
dass  »der  Frage  der  Wiener  Stadtbahn 
die     eingehendste    Aufmerksamkeit     zu- 


wurfes  durchberieth  und  die  Vereinbarung 
eines  vollständigen  Programmes  für  die 
finanzielle  Sicherstelluns:  und  die  Aus- 
führung   der    »Wiener  Verkehrsanlagen« 

■  zum  Ergebnisse  hatte. 

Auf  dieses,  vom  niederösterreichischen 
Landtage  am  15.  und  vom  Wiener  Ge- 
meinderathe  am  27.  Januar  1892  im 
Allgemeinen     gutgeheissene     Programm 

I  stützte  sich  die  am   6.  Februar   1892  im 


Abb.  176.     Pruthbrücke  bei  Worochta  mit  anschliessendem  Viaducte.  [Stanislau-Wcronienka.] 


gewendet  wird,  und  dass  ihre  Verwirk- 
lichung den  Gegenstand  besonderer  Für- 
sorge der  Regierung  bildet«. 

Dank  diesen  a.  h.  Einflussnahmen 
begannen  denn  auch  sogleich  die  ein- 
gehendsten Studien  über  die  Sicher- 
stellung eines  Wiener  Stadtbahnnetzes. 
Dabei  stellte  sich  heraus,  dass  dieselbe 
nur  im  engsten  Zusammenhange  mit  der 
Ausführung  der  schon  oben  erwähnten 
anderen  grossen  Anlagen  zweckmässig 
und  öconomisch  erfolgen  könne.  Es  fand 
also,  nach  einigen  Vorverhandlungen,  in 
der  Zeit  vom  5.  October  bis  16.  No- 
vember 1891  eine  von  den  betheiligten 
Centralstellen,  von  der  Stadt  Wien,  dem 
niederösterreichischen  Landesausschusse 
und  der  Donauregulirungs-Commission 
beschickte  Enquete  statt,  welche  alle 
einschlägigen  Fragen  auf  Grund  eines 
von     der    Regierung    vorgelegten     Ent- 


Reichsrathe  eingebrachte  Gesetzesvorlage, 
mit  welcher  die  Regierung  die  legislative 
Genehmigung  des  Programmes  und  zu- 
gleich die  Ermächtigung  einholte,  sich 
in  Gemässheit  desselben  an  der  Durch- 
führung der  Verkehrsanlagen  und  an  der 
Beschaffung  des  für  sie  erforderlichen 
Capitals  zu  betheiligen.  Soweit  es  sich 
um  die  Stadtbahn  handelte,  veranschlagte 
das  Programm  deren  Kosten,  sofern  nicht 
einzelne,  als  Localbahnen  gedachte  Linien 
im  Wege  der  Concessionirung  zur  Aus- 
führung kämen,  mit  effectiv  90,000.000  fl., 
wovon  der  Staat  87-5°/,,,  die  Stadt  7-5% 
und  das  Land  Niederösterreich  5%  zu 
tragen    hätten.*)     Die  Herstellung    sollte 


*)  Für  den  Fall  der  Ausführung,  auch  der 
Locallinien  durch  die  drei  Curien  selbst,  war 
die  Beitragsleistung  folgendermassen  be- 
stimmt: Staat  85°/0,  Niederösterreich  5°/0  und 
Stadt  Wien  io'/,. 


406 


Ignaz  Konta. 


in  drei  Bauperioden  [1893 — 1897,  1897 
bis  1900  und  1900 — 1903]  unter  der 
Leitung  einer  eigenen,  aus  Vertretern 
der  genannten  Curien  zusammenzusetzen- 
den >Commission  für  Verkehrsanlagen  in 
Wien«  erfolgen  und  war  diesfalls,  bei 
Ausscheidung  der  Locallinien,  der  An- 
theil  des  Staates  an  den  Auslagen  in 
der  ersten  Bauperiode  mit  41,000.000  fl. 
bemessen.  Stadt  und  Land  brachten  nach- 
träglich noch  mancherlei  Wünsche  hin- 
sichtlich der  Beitragsleistung  vor,  was 
aber  an  den  Grundsätzen  des  Programmes 
nichts  mehr  änderte.  Auch  die  vom 
Budget-Ausschusse  des  Abgeordneten- 
hauses vorgeschlagene  Aufnahme  der 
Percentualsätze  der  staatlichen  Beitrags- 
leistung und  einer  näheren  Umschreibung 
der  letzteren  in  das  Gesetz  selbst,  berührte 
nur  wenig  das  Wesen  des  Programmes. 

Das  Abgeordnetenhaus  beschäftigte 
sich  sechs  Sitzungen  hindurch  mit  der 
Vorlage,  welche  dort  mannigfachen,  zum 
erheblichen  Theile  auch  reiner  Miss- 
gunst entsprungenen  Anfechtungen  aus- 
gesetzt war.  Der  Handelsminister  Marquis 
von  Bacquehem  trat  gleich  in  der  ersten 
Debatte  [am  IO.  Mai]  mit  einer  grossen, 
die  Noth  wendigkeit  der  Anlagen  hell 
beleuchtenden  und  alle  Phasen  der  be- 
züglichen Vorbereitungen  darlegenden 
Rede  für  die  gute  Sache  ein,  ebenso  zu 
wiederholten  Malen  der  Regierungs-Ver- 
treter Sections  -  Chef  Dr.  Ritter  von 
W  i  1 1  e  k,  der  ihr  auch  in  seinen  späteren 
höheren  Stellungen  ein  eifriger  Förderer 
gewesen.  Im  Uebrigen  wusste  der  Be- 
richterstatter Dr.  R  u  s  s  mit  Unterstützung 
der  Wien  freundlich  gesinnten  Abge- 
ordneten die  Vorlage  durch  die  Klippen 
zu  steuern;  die  Annahme  erfolgte  am 
21.  Mai,  und  nach  Zustimmung  auch 
des  Herrenhauses  erhielt  das  Gesetz  am 
18.  Juli   1892  die  a.  h.  Sanction. 

Eine  Woche  später,  am  25.  Juli  1892, 
fand  bereits  die  Constituirung  der  »Ver- 
kehrs-Commission«  statt,  die  nun  rührig 
daran  ging,  das  grosse  Unternehmen 
ins  Dasein  zu  rufen.  Die  mit  einer 
dreissigj  ährigen  Steuerfreiheit  und  neunzig- 
jährigen Geltungsdauer  [ab  1.  Januar  1893] 
ausgestattete  Concession  für  die  Haupt- 
bahnlinien [Gürtellinie,  Donaustadtlinie, 
Vorortelinie]  wurde  der  Commission  am 


18.  December  1892  verliehen  und  von 
dieser  unverweilt  in  Durchführung  ge- 
bracht, da  die  Vollendungsfrist  für  be- 
stimmte Strecken  der  oben  genannten 
*  Linien  nur  bis  Ende  1897  reichte.  Die 
i  eigentlichen  Bauarbeiten  begannen  am 
16.  Februar  1893  an  der  Station  Michel- 
'  beuern  der  Gürtellinie.  Zur  Deckung 
des  ersten  Geldbedarfes  begab  die 
Commission  von  der  zu  emittirenden 
[  4°/0igen  Wiener  Verkehrsanleihe  von 
I  146,400.000  Kronen,  welcher  mittels 
Gesetzes  vom  4.  April  1893  noch  be- 
sonders die  Befreiung  von  jeder  Steuer 
und  der  Entrichtung  der  Coupon-Stempel- 
gebühren bis  1.  Januar  1928  eingeräumt 
und  die  Eignung  zu  pupillarmässigen 
Capital-Anlagen  zuerkannt  wurde,  Theil- 
beträge  von  zusammen  18,500.000  Kronen 
zum  Curse  von  98  an  einige  öffentliche 
Fonds  [Postsparcassen,  Versorgungs- 
!  Institute  der  Staatsbahnen  etc.].  Die 
I  eigentliche  Emission  erfolgte  jedoch  erst 
am  20.  März  1894  durch  die  Finanz- 
gruppe der  Unionbank,  welche  von  den 
Anlehen  80,000.000  Kronen  zum  Curse 
von  96-5  °/o  erstanden  und  nur  die  Hälfte 
dieses  Betrages  zum  Curse  von  98-5% 
zur  öffentlichen  Zeichnung  aufgelegt  hatte. 
Inzwischen  war  von  der  Commission 
eine  neue  Anordnung  des  Programmes 
getroffen  worden,  nachdem  die  in  Aus- 
sicht gestandene  Concessionirung  der 
Locallinien  an  eine  Privat-Unternehmung 
sich  zerschlagen  hatte,  weil  die  letztere, 
als  welche  die  » Dampftramway-Gesell- 
schaft  vormals  Krauss  &  Comp.«  aufge- 
treten war,  nach  langen,  in  Gemeinschaft 
mit  der  Länderbank  geführten  Verhand- 
lungen schliesslich  die  Erklärung  abgab, 
dass  sie  den  überhaupt  nur  auf  die  Wien- 
thal- und  die  Donaucanallinie  zu  be- 
schränkenden Bau  nur  dann  ausführen 
könne,  wenn  ihr  die  Staatseisenbahn- 
Verwaltung  das  mit  dem  Betriebe  dieser 
Linien  verbundene  Risico  durch  Pachtung 
derselben  abnehmen  würde.  Da  ein 
solcher  Vorgang  das  gerade  Gegentheil 
dessen  bewirkt  hätte,  was  mittels  der 
Concessionirung  an  eine  Privat-Unter- 
nehmung angestrebt  werden  sollte,  ent- 
schloss  sich  die  Commission  in  ihrer  Voll- 
versammlung vom  16.  Januar  1894,  jene 
Linien  ebenfalls    selbst    auszuführen  und 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


407 


zugleich  die  Fortsetzung  der  Wienthal- 
linie bis  Hütteldorf,  unter  Einbeziehung 
der  einzulösenden  und  entsprechend  um- 
zubauenden Dampftramway-Strecke  Gau- 
denzdorf-Hietzing*),  sogleich  herzustellen 
sowie  auch  die  Strecke  Westbahnhof- 
Gumpendorf  der  Matzleinsdorfer-Linie  in 
die  erste  Bauperiode  aufzunehmen,  hin- 
gegen die  innere  Ringlinie  vorläufig  und 
die  Verbindung  Gürtel-Penzing  gänzlich 
aufzugeben,  wodurch  das  Auslangen  mit 
der  im  Programme  veranschlagten  Kosten- 
summe noch  immer  gesichert  bliebe. 


noch  1 7,680.000  fl.  hinzuzukommen  hätten. 
Eine  weitere  Aenderung  des  Programmes, 
wonach  die  Locallinien  als  Hauptbahnen 
gebaut,  die  provisorische  Donaustadt- 
linie entfallen,  hingegen  die  Vororte- 
strecke Hernals-Penzing  in  die  erste 
Baüperiode  einbezogen  und  die  für  die 
letztere  zu  Lasten  des  Staates  gehörende 
Anlehensquote  um  noch  13,107.200  fl. 
erhöht  werden  sollte,  wurde  mittels  Ge- 
setzes vom  23.  Mai  1896  genehmigt. 
Währenddessen  war  der  Bau  bereits 
kräftigst    in  Gang   gesetzt  worden.     Um 


Abb.  177.    Bau  der  Linie  Stanislau-Woronienka  bei  Worochta.     [Nach  einer  photographischen 
Aufnahme  aus  der  Bauzeit  von  T.  Abty  chowsk  i  in  Stanislau.] 


Die  legislative  Genehmigung  dieser 
neuen  Anordnungen  erfolgte  mittels  des, 
aus  der  Regierungsvorlage  vom  3.  März 
1894  hervorgegangenen  Gesetzes  vom 
9.  April  1894,  welches  auch  bestimmte, 
dass  zu  dem  im  Gesetze  vom  18.  Juli 
1 892  zu  Lasten  des  Staates  vorgesehenen 
Anlehensbetrage  von  41,000.000  fl.  jetzt 


*)    Diese  Strecke  wurde    nachher    unter 

günstigeren  als  den  concessionsmässigen 
inlösungsbedingungen  erworben ;  die  Ge- 
sellschaft erhielt  auf  Concessionsdauer  eine 
Annuität  von  22.000  fl.  und  eine  Pauschal- 
entschädigung für  den  Nutzentgang  während 
der  Zeit  des  Umbaues. 


Wiederholungen  zu  vermeiden,  kann  je- 
doch   rücksichtlich  der  Einzelheiten    der 

1  Bauvorbereitungen,  Vergebungen  und 
Ausführungen  nur  auf  das  weiter  folgende 
Capitel    »Wiener    Stadtbahn«     hin- 

I  gewiesen  und  hier  blos  noch  verzeichnet 
werden,  dass  die  rühmliche,  dem  Sections- 

>  Chef  Friedrich  Bischoff  Edlen  von 
Klammstein,    früher    als    Baudirector 

1  der  k.  k.  Staatsbahnen  und  derzeit  als 
Vorstand  der  Baudirection  der  Wiener 
Stadtbahn  anvertraute  Aufgabe  der  Bau- 
führung bislang  in  gediegenster  Weise 
vollführt  wurde,  und    dass    die    festliche 

|  Eröffnung   der   ersten    [Gürtel-,  Vororte- 


408 


Ignaz  Konta. 


und  obere  Wienthal-]  Linien  am  9.  Mai  1 898, 
in  Anwesenheit  der  Minister  sowie  zahl- 
reicher Würdenträger  der  drei  Curien  und 
unter  a.  h.  Betheiligung  S  r.  Maje- 
stät des  Kaisers  unter  spontanen, 
grossartigen  Huldigungen  für  den  erha- 
benen Initiator  des  epochalen  Werkes,  statt- 
gefunden hat. 

Den  Einleitungen  für  die  Sicherstel- 
lung der  Wiener  Verkehrsanlagen  theils 
vorausgegangen,  theils  nachgefolgt,  wa- 
ren eisenbahngeschichtliche  Begebenheiten 
allgemeiner  Art,  deren  Besprechung  — 
zeitgerecht  —  an  dieser  Stelle  einzu- 
reihen ist. 

Infolge  einer  von  der  Direction  der 
königlich  ungarischen  Staatsbahnen  ge- 
gebenen Anregung  hatte  die  am  3.  No- 
vember 1888  zu  Wien  stattgefundene 
gemeinsame  Oesterreichisch-Ungarische 
Eisenbahndirectoren-Conferenz  die  Ein- 
führung einer  einheitlichen  Zeitrechnung 
beschlossen  und  sich  nachher  mit  dieser 
Frage  an  den  Verein  Deutscher  Eisen- 
bahn-Verwaltungen gewendet,  welcher 
dieselbe  einer  Beschlussfassung  durch  die 
vom  30.  Juli  bis  1 .  August  1 890  in  Dresden 
getagten  Generalversammlung  dieses  Ver- 
eines unterzog.  Das  Votum  war  ein 
zustimmendes  und  lautete  dahin,  dass 
die  vorgeschlagene  »Stunden-Zonenzeit« 
im  innern  Eisenbahn-Dienste  schon  zu 
Beginn  der  nächstjährigen  Sommerfahr- 
plan-Periode einzuführen  sei.  Die  Ein- 
holung der  Genehmigung  der  verschie- 
denen Regierungen  verzögerte  die  Ver- 
wirklichung um  ein  halbes  Jahr.  Den 
österreichischen  Bahnen  gestattete  der 
Handelsministerial-Erlass  vom  6.  Januar 
1891  die  Neuerung  mit  Beginn  derWinter- 
fahrordnung,  und  zwar  sowohl  für  den 
inneren  als  auch  für  den  äusseren  Dienst ; 
unterdessen  hatte  die  Berliner  Sommerfahr- 
plan-Conferenz  vom  14.  und  15.  Januar 
1891  vorgeschlagen,  für  die  neue  einheit- 
liche Zeit  den  Ausdruck  »Mitteleuropäische 
Zeit  [abgekürzt  M.  E.  Z.]«  zu  gebrauchen, 
was  rücksichtlich  der  österreichischen 
Eisenbahnen  mittels  des  Handelsmini- 
sterial-Erlasses  vom  31.  September  1891 
genehmigt  wurde.  Diesemnach  erfolgte 
die  Einführung  der  »Mitteleuro- 
päischen Zeit«  am  1.  October  1891. 
Dieselbe  wird  nach  dem  15.  Meridian  be- 


stimmt, der  über  die  niederösterreichische 
Stadt  Gmünd  geht,  und  weicht  von  der 
früher  in  Anwendung  gewesenen  »Prager 
Zeit«   um  zwei  Minuten  ab. 

Eine  zweite,  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Auslande  getroffene  Einrichtung,  bildete 
das  »Internationale  Ueberein- 
kommen  über  den  Eisenbahn- 
Frachtverkehr«,  welches  nach  lang- 
jährigen, zum  ersten  Male  schon  in  den 
Tagen  vom  13.  Mai  bis  4.  Juni  1878  zu 
Bern  gepflogenen  Conferenzen,  *)  eben- 
daselbst am  14.  October  1890  endgiltig 
abgeschlossen,  jedoch  in  Oesterreich  erst 
kraft  des  Gesetzes  vom  2  7 .  October  1 892  **) 
wirksam  und  gleichzeitig  mit  diesem  ver- 
lautbart  wurde.  Die  Regierung  erhielt 
nämlich  erst  durch  das  erwähnte  Gesetz 
die  Ermächtigung,  alle  zur  Durchführung 
des  Uebereinkommens  erforderlichen  Be- 
stimmungen, wie  auch  die  entsprechende 
Abänderung  des  Betriebs-Reglements  im 
Verordnungswege  zu  treffen. 

Dementsprechend  verfügte  der  Han- 
delsminister im  Einvernehmen  mit  dem 
Justizminister  mittels  Verordnung  vom 
10.  December  1882  das  Ausserkrafttre- 
ten  des  Betriebs-Reglements  vom  Jahre 
1874  mit  allen  seinen  Nachträgen  und, 
ab  1.  Januar  1893,  die  Einführung 
eines  neuen  Betriebs-Reglements, 
welches  mit  demjenigen  Ungarns  gleich- 
lautend und  ebensowohl  mit  dem  inter- 
nationalen Uebereinkommen,  als  auch  mit 
dem  nunmehr  »Verkehrsordnung  für  die 
Eisenbahnen  Deutschlands«  genannten 
Betriebs-Reglement  Deutschlands  best- 
möglichst in  Einklang  gebracht  war. 

Im  Zusammenhange  damit  standen  auch 
die  mittels  Kundmachung  des  Handels- 
ministeriums vom  20.  December  1892 
verlautbarten  erleichternden  Vor- 
schriften für  den  wechseis  ei  tigen 
Verkehr  zwischen  den  Eisenbah- 
nen Oesterreich-Ungarns  und 
Deutschlands  rücksichtlich  der  »be- 
dingungsweise zur  Beförderung  zuge- 
lassenen Gegenstände  in  Gemässheit  des 


*)  Ausführlicheres  über  den  Gang  dieser 
Verhandlungen  ist  in  Konta's  Eisenbahn- 
Jahrbuch,  Jahrgang  XX,  Seite  18,  und  XXI, 
Seite  41,  enthalten. 

**)  Dieses  Gesetz  war  schon  im  Juli  1891 
vom  Reichsrathe  angenommen  worden. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


409 


§  1  der  Ausführungsbestimmungen  zum 
internationalen  Uebereinkommen.«  Solche 
Erleichterungen  wurden  auch  später  wie- 
der kundgemacht,  z.  B.  am  I.  Februar 
1894,  15.  Februar  1895,  u.  s.  w.,  des- 
gleichen andere  einschlägige  Verfügungen. 

Dieweitere  Periode  brachte  den  öster- 
reichischen Staatsbahnen  einer- 
seits bedeutende  Mittel  zur  neuerlichen 
Verm ehrung  des  Fahrparkes,  näm- 
lich :  mittels  Gesetzes  vom  23.  April  1893 
einen  Credit  von  5,500.000  iL,  mittels 
Gesetzes  vom  29.  August  1895  einen  solchen 
von  10,000.000  fl.  und  andererseits  erheb- 
lichen Gebietszuwachs  durch  weitere  Ver- 
staatlichungen. Letztere  umfassten  zu- 
nächst Localbahnen ;  doch  begann  auch 
rücksichtlich  dieser  der  Vollzug  erst  nach 
dem  Jahre  1893,  weil  selbst  die  im  Laufe 
desselben  zur  Vorlage  gelangten,  ein- 
schlägigen Gesetzentwürfe  mit  Ausnahme 
eines  einzigen  [Laibach-Stein]  nicht  vor 
Ende  December  ihre  Erledigung  fanden. 

Grossentheils  verursachten  parlamen- 
tarische Uneinigkeiten  die  Verzögerung. 
Die  Wahlreform-Anträge  des  Grafen 
Taaffe  hatten  ihm  die  Gefolgschaft  der 
bisher  festgefügten  Majorität  des  Abge- 
ordnetenhauses entzogen ;  er  legte  die 
seit  14  Jahren  innegehabte  Minister- 
Präsidentschaft  nieder  und  mit  ihm  de- 
missionirte  das  ganze  Cabinet,  an  dessen 
Stelle  am  11.  November  1893  das  vom 
Fürsten  Windisch-Graetz  gebildete 
»Coalitions-Ministerium«  trat,  in  welchem 
der  Graf  Gundaker  Wurmbrand  das 
Handelsportefeuille  erhielt,  während  der 
Marquis  v.  Bacquehem,  der  als  »Lieb- 
ling aller  Parteien«  zahlreiche  Erfolge 
auch  auf  dem  Gebiete  des  Eisenbahn- 
wesens errungen,  das  Ministerium  des 
Innern  übernahm. 

Der  neue  Handelsminister  wendete 
sein  Augenmerk  in  bedeutendem  Masse 
der  Localbahn-Action,  die  er  schon  als 
Landeshauptmann  von  Steiermark  eifrigst 
gefördert  hatte  [siehe  Seite  394],  und 
der  Verstaatlichungs-Thätigkeit  zu.  Im 
Interesse  der  ersteren  schuf  er  mit  a.  h. 
Genehmigung  vom  4.  Mai  1894  eine 
eigene  Geschäftsabtheilung  für 
das  Localb  ahn  wesen  [Localbahn- 
Amt]  im  Handelsministerium  und  bei  der 
General-Inspection     der    österreichischen 


Eisenbahnen,  wobei  der  Director  des 
steiermärkischen  Landes-Eisenbahnamtes, 
kaiserlicher  Rath  Karl  Wurmb,  in 
der  Eigenschaft  eines  Ministerialrathes, 
zum  General- Inspector  des  österreichischen 
Localbahnwesens  und  Consulenten  des 
Handelsministers  in  technisch-commer- 
ziellen  Angelegenheiten  des  Localbahn- 
wesens sowie  zum  Vorstande  des  tech- 
nisch-commerziellen  Bureaus  des  Local- 
bahn-Amtes,  und  der  Ministerialrath 
Ludwig  Wr'ba  zum  Vorstande  des 
legislativ-administrativen  Bureaus  ernannt 
wurde. 

Auch  die  ersten  Vorlagen,  welche 
Graf  Wurmbrand  im  Reichsrathe  ein- 
brachte [23.  November  1893]  Hessen 
schon  die  oben  angedeutete  Richtung 
seiner  Wirksamkeit  deutlich  hervortreten ; 
denn  sie  betrafen  die  Verlängerung  der 
Giltigkeit  des  Localbahn-Gesetzes  bis 
Ende  1894  [siehe  Seite  394],  den  Bau 
sowohl  privater  als  auch  staatlicher 
Localbahnen  und  die  Erwerbung  solcher 
Bahnen  durch  den  Staat. 

Gleichzeitig  gelangte  auch  eine  Vor- 
lage über  die  neuerliche  Aus  dehnung 
der  Wirksamkeit  des  Gesetzes  vom 
25.  Mai  1883,  betreffend  Gebühren- 
erleichterungen anlässlich  der 
Convertirung  von  Eisenbahn- Priori- 
täts-Obligationen [siehe  Seite  280  und  371] 
vor  das  Abgeordnetenhaus,  das  diese  Vor- 
lage alsbald  annahm,  so  dass  ihr  schon 
am  26.  December  1893  die  a.  h.  Sanction 
zutheil  werden  konnte. 

Uebergehend  nun  zur  Besprechung 
der  aus  jenen  Vorlagen  resultirten  weite- 
ren Erwerbungen  vonLocalbahnen 
durch  den  Staat  ist  vor  Allem  der 
schon  früher  verfassungsmässig  genehmig- 
ten Einlösung  der  Localbahn  Lai- 
bach-Steinzugedenken. Diese  2yikm 
lange  Linie  wurde  am  14.  April  1889 
dem  Baron  Oskar  Lazarini  in  Gemein- 
schaft mit  Alois  Praschniker  concessio- 
nirt,  am  28.  Januar  189 1  eröffnet  und  vom 
Staate  in  Betrieb  genommen.  An  der 
Geldbeschaffung  hatten  sich  das  Land 
Krain,  die  Stadt  Laibach  sowie  andere 
Local-Interessenten  und,  zufolge  des  Ge- 
setzes vom  1.  Mai  1885,  auch  der  Staat 
[mit  200.000  fl.]  betheiligt.  Die  Con- 
cessionäre,     beziehungsweise     Bauunter- 


4io 


Ignaz  Konta. 


nehmer,  welche  Forderungen  für  unvor- 
gesehene Mehrleistungen  im  Betrage  von 
80.000  fl.  erhoben  hatten,  erklärten  sich 
nun  bereit,  hierauf  zu  verzichten,  wenn 
ihnen  statt  der  in  Zahlung  genomme- 
nen 5u/o'Sen  Vorzugsactien  im  Betrage 
von  nom.  566.700  fl.  garantirte  4°/0ige 
Prioritäts-Obligationen  eingetauscht  wür- 
den. Da  diese  Transaction  sich  für  die 
Staatsverwaltung  als  Besitzerin  von 
2000  Stammactien  vortheilhaft  erwies, 
nahm  die  Regierung  die  Gewährung  der 
Staatsgarantie,  zugleich  aber  auch  die 
Einlösung  der  Bahn  in  Aussicht,  zumal 
für  den  Fall,  dass  die  in  fremdem  Be- 
sitze befindlichen  Stammactien  [  1 40.000  fl.] 
gegen  ein  Entgelt  von  höchstens  5O°/0 
des  Nennwerthes  eingezogen  werden 
könnten.  Das  Handelsministerium  holte 
mit  der  Gesetzesvorlage  vom  16.  März 
1893  die  legislative  Ermächtigung  ein, 
sowohl  zur  Gewährung  der  Garantie  für 
das  an  die  Stelle  der  Vorzugsactien  zu 
setzende  und,  aus  Vorsorge  für  künftige 
Investitionen,  auf  den  Betrag  von  nom. 
800.000  fl.  zu  erhöhende  4°/0ige  Priori- 
täts-Anlehen  [daher  einer  Annuität  von 
33.452  fl.],  als  auch  zu  dem  gedachten 
Ankaufe  der  Stammactien  und  sodann 
zur  Einlösung  der  Bahn.  Das  Gesetz 
wurde  am  22.  März  vom  Abgeordneten- 
hause angenommen  und  erhielt  am  1 2.  April 
1893  die  a.  h.  Sanction.  Bis  zur  völli- 
gen Austragung  der  Angelegenheit  ver- 
strich aber  noch  geraume  Zeit;  die  Ge- 
sellschaft wusste  es  sehr  wohl  zu  würdi- 
gen, welchen  Werth  der  Wegfall  der 
5°/0igen  Vorzugsactien  sowie  die  Auf- 
gebung jener  Bauschuld  für  die  Stamm- 
actionäre  habe,  und  beschloss  darum  in 
der  ausserordentlichen  Generalversamm- 
lung vom  27.  April  1893  die  Aufnahme 
eines  4°/0igen  Prioritäts-Anlehens  von 
nom.  800.000  fl.  und  die  Erfüllung  der 
übrigen  im  Gesetze  festgestellten  Bedin- 
gungen für  die  Gewährung  der  Staats- 
garantie. Auch  die  Bauunternehmer 
wünschten  möglichst  bald  in  den  Besitz  der 
leichter  und  besser  begebbaren  Obliga- 
tionen zu  gelangen.  Allein  bis  die  letz- 
teren emittirt,  die  in  fremdem  Besitze 
gestandenen  Stammactien  zurückgekauft 
und  alle  Förmlichkeiten  erfüllt  waren, 
gingen  die  Jahre  1893  und   1894  zu  Ende. 


Bis  dahin  war  blos  die  Staatsgarantie  in 
Wirksamkeit  gestanden ;  der  Abschluss 
des  Uebereinkommens  über  die  Einlösung 
der  Bahn  erfolgte  erst  am  13.  December 
1894,  dann  aber  auch  sogleich  mittels 
Kundmachung  des  Handelsministeriums 
vom  20.  December  1894  der  Vollzug  der 
Einlösung,  wobei  der  Staat  das  Priori- 
täts-Anlehen  von  800.000  fl.  zur  Selbst- 
zahlung übernahm  und  70.000  fl.  auf  den 
Rückkauf  von  Stammactien  verwendete. 
Einem  wesentlich  anderen  Beweg- 
grunde entsprang  der  vom  Staate  be- 
wirkte Ankauf  der  31  "2  km  langen 
LocalbahnCzernowitz-Nowosie- 
!  litza,  welche  am  5-Juni  1883  dem  Consor- 
1  tium  des  Alexander  Freiherrn  von  P  e  t  r  i  n  o 
|  concessionirt  und  von  einer  Actien-Ge- 
1  Seilschaft  ausgeführt  wurde,  die  ur- 
sprünglich eine  mit  der  Bahn  gleich- 
namige Firmabezeichnung  trug,  im  Jahre 
1885  aber  sich  in  die  Gesellschaft  der 
»Bukowinaer  Localbahnen»  um- 
I  wandelte.  Der  Staatsschatz  hatte  sich  [auf 
Grund  des  Gesetzes  vom  24.  April  1883] 
i  durch  Uebernahme  von  Stammactien  im 
Betrage  von  350.000  fl.  an  der  Geldbe- 
schaffung betheiligt,  desgleichen  die  Lem- 
berg-Czernovvitz  -Jassy-  Eisenbahn  durch 
Uebernahme  von  50.000  fl.  in  Stamm- 
und  450.000  fl.  in  Prioritäts-Actien. 
Letzterer  Gesellschaft  war  auch  die  Be- 
triebführung vom  Tage  der  Eröffnung 
[12.  Juli  1884]  auf  die  Dauer  von 
20  Jahren  übertragen.  Als  dieselbe  nun  in- 
I  folge  der  zwischen  Oesterreich- Ungarn  und 
Russland  am  2./ 14.  Januar  1893  abge- 
geschlossenen  und  am  31.  Mai  1893 
ratificirten  Eisenbahn-Convention  über 
den  Anschluss  der  beiderseitigen  Eisen- 
bahnen bei  Nowosielitza,  für  die  Her- 
stellung der  Grenzstrecke,  beziehungs- 
weise die  Deckung  der  bezüglichen  Kosten 
zu  sorgen  hatte,  zog  sie  es  vor,  dem 
Staate  die  unbeschränkte  Verfügung  über 
die  ganze  Linie  Czernowitz-Nowosielitza 
zu  verschaffen.  Concessionsgemäss  er- 
mittelt hätte  die  Einlösungsrente  91.535  fl. 
betragen,  jedoch  auch  mit  dem  zu  5°/0 
capitalisirten  Werthe  derselben,  das  ist  mit 
1,792.727  fl.,  auf  einmal  bezahlt  werden 
können.  Bei  den  hierüber  gepflogenen 
Verhandlungen  mit  der  Gesellschaft  wil- 
ligte dieselbe  in  die  Abtretung  der  Bahn 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


411 


gegen  eine  Pauschalentschädigung  von 
rund  1,790.000  fl.  und  in  die  Emission  eines 
4°/0igen,  vom  Staate  zur  Selbstzahlung 
zu  übernehmenden  Prioritäts-Anlehens 
im  Betrage  von  nom.  2,500.000  fl.  oder 
5,000.000  Kronen,  aus  dessen  Erlös 
das  Entgelt  an  die  Gesellschaft  und  die 
erforderlichen  Investitionen  gedeckt  wer- 
den sollten.  Das  bezügliche  Ueberein- 
kommen  wurde  am  26.  Juni  1893  abge- 
schlossen, seitens  der  Actionäre  der 
Bukowinaer  Localbahnen  in  deren  General- 
versammlung vom  30.  Juni  1893  ge- 
nehmigt    und    am    23.    November     der 


vorgesehenen,  von  Lindewiese  aus  zum 
Anschlüsse  an  die  preussischen  Staats- 
bahnen bei  Barzdorf  [Heinersdorf]  führen- 
den Flügelbahn  der  Linie  Hannsdorf- 
Ziegenhals,  welche  gleichfalls  an  die 
preussischen  Staatsbahnen  anschliesst  — 
und  um  die  Gewinnung  des  Eigenbe- 
sitzes dieser  Verbindungen;  in  anderer 
Beziehung  wieder  lag  es  auf  der  Hand, 
dass  manche  der  gesellschaftlichen  Linien, 
wie  z.  B.  St.  Pölten-Tulln,  Herzogenburg- 
Krems  und  Hadersdorf-Sigmundsherberg, 
wichtige  Ergänzungen  des  staatlichen  Bahn- 
netzes bilden  und  dem  Staate  bei  völlig 


Abb 


legislativen  Behandlung  zugeführt.  Die- 
selbe ging  glatt  von  Statten  und  am 
27.  December  1893  erhielt  die  Vorlage 
bereits  die  a.  h.  Sanction,  worauf  der 
Staat  mit  I.  Januar  1894  in  den  Genuss 
und  Besitz  der  Bahn  eintrat. 

Aehnliche  Motive  wie  diejenigen, 
welche  zu  der  vorangehend  besprochenen 
Verstaatlichung  den  Anstoss  gegeben, 
und  nebstdem  noch  verkehrspolitische  Rück- 
sichten bestimmten  die  Regierung  auch 
zur  Erwerbungsämmtlicher  Linien 
der  Oesterreichischen  Local- 
eisenbahn  -  Gesellschaft  durch 
den  Staat.  In  ersterer  Beziehung  han- 
delte es  sich  um  die  Sicherstellung  der 
im  Staatsvertrage  mit  dem  Deutschen 
Reiche  vom  14.  März  1885  [siehe  Seite  382] 


178.     Paradczyn-Viaduct.  [Stanislau-Woronienka.] 


freier  Disposition  über  dieselben  wesent- 
liche Dienste  bei  commerziellen  und  Ver- 
kehrs-Anordnungen leisten  würden.  Die 
Verhandlungen  erstreckten  sich  daher 
alsbald  auf  das  gesammte  Bahneigen- 
thum  der  Gesellschaft*)  und  führten  dann 
zu  dem  Uebereinkommen  vom  31.  Mai 
1893,  vermöge  dessen  die  Gesellschaft 
alle  ihre  Linien  sammt  dem  ganzen  Zu- 
gehör    dem    Staate    mit    1.  Januar   1894 


* )  Die  Gesellschaft  besass  damals  folgende 
Linien:  Elbogen- Neusattel,  5-3  km;  Mo- 
cowic-C'aslau-Zawratetz  nebst  Zweigbahn, 
24-4  km ;  Kaschitz-Schönhof-Radonitz,  lblkm; 
Chodau-Neudek,  137  km;  NusleModfan, 
12-1  km;  Königshan-Schatzlar,  57  km;  Ol- 
mütz-Cellechowitz  und  Abzweigung  ,35  8  km ; 
Böhm.Leipa-Niemes,l8-3£m;StPöTten-Tulln, 
46'!  km;  Budweis-Salnau,  715  km;  Hanns- 


412 


Ignaz  Konta. 


verkaufsweise  übertrug,  ferner  zur 
Deckung  des  Aufwandes  für  die  nun  auf 
Staatskosten  auszuführenden  Strecken 
L indewiese-Barzdorf  und  Niklas- 
dorf-Zuckmantel  sowie  für  Investitio- 
nen auf  den  bestehenden  Linien  einen  Bar- 
betrag von  3,800.000  fl.  zur  Verfügung 
stellte  und  auf  das  ihr  in  Gemässheit  des 
Gesetzes  vom  8.  April  1884  zugesicherte 
Aerarial-Darlehen  zum  Baue  der  Linie 
Budweis-Salnau  verzichtete.  —  Der  Staat 
hingegen  übernahm  den  noch  ungetilgten 
Betrag  des  gesellschaftlichen  4°/0igen 
Goldanlehens  von  5,000.000  fl.,  sowie  eine 
seitens  der  Gesellschaft  neu  aufzu- 
nehmende 3°/ftige  Prioritäts-Anleihe  von 
70,000.000  Kronen  =  35,000.000  fl.  zur 
Selbstzahlung  und  erliess  der  Gesellschaft 
die  Rückerstattung  des  noch  aushaften- 
den Restes  von  dem  ihr  zum  Baue  der 
Linie  Hannsdorf- Ziegenhals  gewährten 
Darlehen.  Alle  societären  Abwicklungen, 
Abrechnungen  mit  den  Bauunternehmun- 
gen, die  Tilgung  der  schwebenden 
Schulden  und  des  nicht  vom  Staate  zu 
übernehmenden  41/2°/0igen  Prioritäts-An- 
lehens  III.  und  IV.  Serie  [ebenfalls 
5,000.000  fl.]  blieben  Sache  der  Gesell- 
schaft, welcher  auch  oblag,  das  Actien- 
capital  auf  den  fünften  Theil  [3,100.000  fl.] 
zu  reduciren,  im  Uebrigen  aber  freige- 
stellt war  zur  allfälligen  Aufnahme  einer 
neuen  Thätigkeit  fortzubestehen. 

Die  Actionäre  stimmten  in  ihrer 
Generalversammlung  vom  20.  Juni  1893 
dem  Uebereinkommen  zu  und  die  Legis- 
lative genehmigte  dasselbe  mittels  des  aus 
der  einschlägigen  Regierungsvorlage  vom 
23.  November  1893  hervorgegangenen 
Gesetzes  vom  27.  December  1893,  welches 
die  Regierung  auch  ermächtigte,  die  Ab- 
zweigung von  Lindewiese  bis  zur  Reichs- 
grenze bei  Barzdorf  [Heinersdorf]  und  die 
Strecke  Niklasdorf- Zuckmantel  mit  einem 
Aufwände  von  höchstens  1,700.000  fl. 
und  beziehungsweise  570.000  fl.  auf 
Staatskosten  auszuführen.  Der  gesammte 


dorf-Ziegenhals  559  km;  Herzogenburg- 
Krems,  tg-gkin;  Hadersdorf-Sigmundsherberg, 
43- 4  km.  Von  diesen  insgesammt  368-2  km 
langen  Linien  standen  zwei  [Mo<Sowic£aslau- 
Zawratetz  und  Königshan-Schatzlar]  im  Be- 
triebe der  angrenzenden  Privatbahnen,  alle 
übrigen  im  Staatsbetriebe.  [Vgl.  die  Anmer- 
kungen auf  Seite  371  und  378] 


Bahnbesitz  der  Oesterreichischen  Local- 
eisenbahn-Gesellschaft  war  laut  Kund- 
machung des  Handelsministeriums  vom 
3.  Juni  1894,  mit  Geltung  vom  I.Januar 
1894,  an  den  Staat  übergegangen,  der 
jedoch  den  Betrieb  derjenigen  zwei 
Linien,  welche  bisher  von  der  Oester- 
reichischen Nordwestbahn,  beziehungs- 
weise Süd-norddeutschen  Verbindungs- 
bahn betrieben  wurden,  denselben  noch 
weiter  beliess.  Die  Oesterreichische  Local- 
eisenbahn-Gesellschaft  besteht  zwar  noch, 
scheint  aber  die  Hoffnung  auf  die  Er- 
öffnung einer  neuen  Thätigkeit  bereits 
aufgegeben  zu  haben,  denn  die  ausser- 
ordentliche Generalversammlung  vom 
12.  November  1896  beschloss  schon  die 
Liquidation. 

In  weiterer  Ausführung  des  eben 
erwähnten  Gesetzes  vom  27.  December 
1893  [Artikel  II]  liess  die  Regierung 
die  beiden  Abzweigungen  von  Nieder- 
Lindewiese  bis  zur  Reichsgrenze  bei 
Barzdorf  [Heinersdorf]  und  von 
Niklasdorf  nach  Zuckmantel  in 
Angriff  nehmen,  sobald  die  Interessenten- 
Beiträge  in  Gemässheit  jenes  Gesetzes, 
das  heisst  in  der  Höhe  von  mindestens 
200.000  fl.  und  beziehungsweise  70.000  fl. 
gesichert  waren.  Der  Bau  der  ersteren 
Strecke  wurde  am  20.  December  1894  an 
die  Unternehmung  R.  Minar  und  P.  G. 
Piatti  vergeben  und  im  Februar  1895  be- 
gonnen ;  der  Bau  der  letzteren  Strecke 
wurde  am  17.  Juni  1895  an  die  Unterneh- 
mung E.  Skoda  vergeben  und  vier  Wochen 
später  in  Angriff  genommen.  Zur  Eröff- 
nung gelangte  die  26'2  km  lange  Strecke 
Nieder-Lindewiese -Barzdorf  am 
2.  Juli  1896  und  die  8-8  km  lange  Strecke 
Niklasdorf-Zuckmantel  am3i.Oc- 
tober  1896. 

Die  Trace  der  Strecke  Nieder-Linde- 
wi  ese-Barz  dorf  zweigt  in  der  Station  Nie- 
der-Lindewiese von  der  Linie  Hannsdorf-Zie- 
genhals ab,  führt  an  den  Höhenrücken,  die 
zum  Reichensteiner  Gebirge  gehören,  in  nörd- 
licher Richtung  über  Setzdorf  und  Friede- 
berg, gelangt  dann  in  das  Thal  des  Weiden- 
baches, übersetzt  bei  Haugsdorf-Weidenau 
diesen  Bach  und  die  Weidenauer  Strasse,  die 
bisher  ihre  treue  Begleiterin  war;  von  hier  geht 
die  Bahn  in  westlicher  Richtung  bis  Barzdorf, 
von  wo  aus  einkurzes  Bahnstück  nach  Heiners- 
dorf an  die  preussische  Grenze  führt. 

Die  Strecke  Niklasdorf-Zuckmantel 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


413 


zweigt  von  der  Linie  Hannsdorf  -  Ziegen- 
hals in  südlicher  Richtung  ab  und  folgt  im 
Thale  des  Elsnitzbaches  genau  der  Richtung 
der  Strasse,  die  von  Ziegenhals  nach  Zuck- 
mantel führt,  biegt  bei  der  Haltestelle 
Endersdorf  in  scharfer  Curve  nach  Osten 
ein,  um  Zuckmantel  zu  erreichen. 

Unter  den  Regierungsvorlagen  vom 
23.  November  1893  befand  sich  auch 
eine,  welche  die  auf  Kosten  des  Staates 
und  als  Hauptbahn  auszuführende  Linie 
Halicz-Oströw  [Tarnopol]  sammt 
Abzweigungen  nach  Brzezany  und 
Podhajce  zum  Gegenstande  hatte. 
Das  bezügliche  Project  glich  zum  grös- 
seren Theile  ungefähr  demjenigen,  mit 
welchem  die  Lemberg-Czernowitz-Jassy- 
Eisenbahn  sich  zu  Beginn  der  Achtziger- 
Jahre  eingehend  befasst  hatte.  Sie  suchte 
damals  Ersatz  für  die  ihr  seitens  der 
Carl  Ludwig-Bahn  vereitelte  Verbin- 
dung mit  den  nördlichen  Gegenden  und 
projectirte  die  Linie  Chodoröw-Tarnopol- 
Podwoloczyska, welchem  Vorhaben  aber  die 
Carl  Ludwig-Bahn  wieder  mit  ihrem,  übri- 
gens zu  jener  Zeit  auch  nicht  zur  Ver- 
wirklichung gelangten  und  dermal  der 
»Ostgalizischen  Localbahn«  angehörenden 
Projecte  Zadworze-Monasterzyska  in  die 
Quere  kam.  *) 

Die  Bedeutung  der  genannten  Linie  als 
mittelbare  Fortsetzung  jener  von  Stanislau 
nach  Woronienka  und  als  wichtige  Er- 
gänzung des  galizischen  Bahnnetzes,  ihr 
Zweck  dem  südlich  und  westlich  von 
Stanislau  einbrechenden  Verkehre  nach 
dem  Nordosten  fortan  den  rund  280  km 
langen  Umweg  über  Lemberg  nach  Tar- 
nopol zu  ersparen,  wie  auch  das  weite  dicht- 
bevölkerte und  fruchtbare  Gebiet  zwischen 
den  genannten  drei  Städten  endlich  dem 
Handel  und  Wandel  zu  erschliessen  — 
und  endlich  die  Nothwendigkeit  der  neuen 
Linie  Hessen  sich  so  wenig  verkennen,  dass 
die  Annahme  des  Gesetzes  schon  von  vorn- 
herein als  gesichert  gelten  konnte.  Sie 
erfolgte  denn  auch  sehr  rasch  und  am 
26.  December  1893  erhielt  das  Gesetz 
bereits  die  a.  h.  Sanction.  Dasselbe  er- 
mächtigte die  Regierung,  die  genannten 
Linien  mit  einem  Aufwände  von  höchstens 


10,000.000  fl.  aus  Staatsmitteln  und 
längstens  bis  zum  Jahre  1897  herzu- 
stellen —  die  beiden  Abzweigungen 
jedoch  nur  unter  der  Bedingung,  dass 
von  dem  Königreiche  Galizien  und  von 
den  Interessenten  Beiträge  von  zusammen 
1 ,000.000  fl.  geleistet  würden.  *)  Nach- 
dem die  Voreinleitungen  getroffen  waren, 
verfügte  das  Handelsministerium  am 
24.  Juli  1894  die  Inangriffnahme  der 
Hauptlinie,  für  welche  nun  die  Bauoperate 
ausgefertigt  und  sodann  die  Arbeiten  am 
19.  März  1895  in  sieben  Losen  [an  die 
Unternehmungen  Czeczowiczka  & 
Weiner,  F. G  a m s k i,  L.  R a d  w a n  s k  i, 
E.  Uderski]  vergeben,  beziehungsweise 
im  Mai  1895  begonnen  wurden.  Die 
72*3  km  lange  Strecke  Oströw-Pod  wy- 
sokie  diente  bereits  vom  25.  Januar  1897 
an  dem  Localbetriebe ;  am  1 .  Juni  1 897 
fand  auch  die  Eröffnung  der  29*3  km 
langen  Strecke  Podwysokie-Halicz 
und  zugleich  des  Hauptbahn-Betriebes 
auf  der  ganzen  Linie  statt.  Von  Oströw 
bis  Tarnopol  [9  km]  ward  die  Linie  Ko- 
pyczynce-Tarnopol  der  Ostgalizischen  Lo- 
calbahnen  in  Mitbenützung  genommen. 
Die  Abzweigungen  [von  Potutory]  einer- 
seits nach  Brzezany  [7  km]  andererseits 
nach  Podhajce  [23  km]  verblieben  noch 
im    Stadium  der  Vorbereitung. 

Dagegen  kam  nun  auch  die  42*7  km 
lange  Strecke  Chodoröw-Podwy- 
s  o  k  i  e  hinzu,  zu  deren  Ausführung  auf 
Staatskosten  —  mit  einem  Höchstbetrage 
von  3,650.000  fl.  —  das  aus  der  bezüg- 
lichen Vorlage  vom  15.  Februar  1896 
hervorgegangene  Gesetz  vom  1 .  Juni  1 896 
die  Regierung  ermächtigte,  unter  der  Be- 
dingung, dass  »vom  Königreiche  Galizien 
aus  Landesmitteln  ein  nicht  rückzahlbarer 
Beitrag  zu  den  Kosten  in  jener  Höhe  ge- 
leistet werde,  welcher  erforderlich  ist,  um 
die  von  den  Interessenten  zu  leistenden, 
ebenfalls  nicht  rückzahlbaren  Beiträge  auf 
1 ,000.000  fl.zu  ergänzen«  — eineBedingung, 
die  durch  den  Beschluss   des  galizischen 


*)  Vgl.  Konta's  Eisenbahn  -  Jahrbuch 
Jahrgang  XV,  Seite  144  und  159,  XVI,  Seite 
212  und  226,  XVII,  Seite  223. 


*)  Der  galizische  Landtag  hatte  in  seiner 
Sitzung  vom  19.  Mai  1893  beschlossen  »in 
Würdigung  der  Nützlichkeit  und  Wichtigkeit 
der  bezeichneten  Bahnlinien,  zur  Herstellung 
derselben  eine  unter  Beisteuer  der  Localinter- 
essenten  aufzubringende  Landes-Subvention 
von  1,000.000  fl.  zu  leisten^. 


414 


Ignaz  Konta. 


Landtages  vom  8.  Februar  1895  erfüllt  er- 
scheint. Der  Bau  wurde  am  1 4.  August  1 896 
in  fünf  Losen  an  die  Unternehmer  Karl  und 
Emanuel  Tauber,  Ludwig  Radwanski 
und  Felix  Ilnicki,  Kalm.  Freuden- 
heim &  Comp,  vergeben  und  innerhalb 
14  Monaten  vollendet.  Die  Eröffnung 
der  Bahn  fand  am  29.  November  1 897  statt. 

Die  Trace  der  Linie  Halicz-Oströw 
geht  von  Halicz  nördlich  über  Bolszowce,  Sko- 
morochy  stare,  Lipica  dolna  bisPodwysokie, 
schlägt  die  östliche  Richtung  ein,  berührt  die 
Stationen  Mieczyszczöw,Potutory,  überbrückt 
bei  Krzywe  die  Zlota  lipa,  einen  Nebenfluss 
des  Dniester  und  gelangt  in  gerader  östlicher 
Richtung  über  Kozowa,  Sfoboda-Teofipolka, 
Denysöw  -  Kupczyrice,  Chodaczköw  -  wielki 
nach  Oströw-ßerezowica,  von  wo  aus  die 
Verbindung    mit    Tarnopol     hergestellt  .  ist. 

Die  Strecke  Chodorö  w-Pod  wy  sokie 
zweigt  von  der  Halicz  -Oströwer  Trace  bei 
Podwysokie  westlich  ab  und  stellt  über 
Puköw,  Rohatyn,  Potok  und  Psary  eine  zweite 
Verbindung  der  Oströwer  Linie  mit  der  ehe- 
maligen Lemberg-Czernowitzer  Eisenbahn 
bei  Chodoröw  her. 

Ein  Jahr  früher  war  in  Böhmen  eben- 
falls eine  Hauptbahnstrecke  auf  Staats- 
kosten zur  Ausführung  gelangt,  nämlich  die 
zur  Verbindung  der  Böhmischen  Westbahn 
mit  der  Prag  -  Duxer  Bahn  bestimmte, 
15-3 km  lange  Strecke  Beraun-Duänik, 
zu  deren  Kosten  im  Höchstbetrage  von 
1,950.000  fl.  das  Königreich  Böhmen  und 
die  Interessenten  eine  Beisteuer  von  zu- 
sammen 150.000  fl.  ä  fonds  perdu  zu 
leisten  hatten.  Die  legislative  Ermächti- 
gung zu  diesem  Staatsbau  erfolgte  mittels 
Artikel  XIII  des  Gesetzes  vom  19.  Juni 
1 895  [betreffend  die  im  Jahre  1 895  sicher- 
zustellenden Bahnen  niederer  Ordnung]. 
Der  am  29.  August  1896  an  den  Unter- 
nehmer Franz  Schön  vergebene  Bau  ge- 
langte im  December  1897  zur  Vollendung 
und  sodann  am  18.  desselben  Monates 
die  Bahn  zur  Eröffnung. 

Die  Trace  der  Linie  von  Beraun  nach 
Dusnik  führt  nordwestlich  über  Beraun- 
Zävodi  durch  eine  stimmungsvolle  Land- 
schaft zur  Station  Vräz-St.  Johann,  über- 
setzt nächst  Lodenitz  das  von  hohen,  fast 
senkrechten  weissen  Kalkfelsen  gebildete 
Thal  des  Kacicerbaches,  der  in  die  Beraun 
fliesst,  und  gelangt  über  Hofelitz  nach  Dusnik. 

Im  Jahre  1896  wurde  mit  der  Linie 
Marienbad  -  Karlsbad      auch     eine 


Hauptbahn  [II.  Ranges]  als  Privatbahn, 
unter  Gewährung  einer  25jährigen  Steuer- 
freiheit und  einer  Staatsgarantie  in  der 
Höhe  der  zur  4°/0igen  Verzinsung  und  zur 
Tilgung  eines  Anlehens  von  nom. 
4,050.000  fl.  erforderlichen  Annuität,  con- 
cessionirt.  *)  Namensträger  der  Concession 
vom  21.  Mai  1896  waren:  der  Bezirks- 
obmann in  Teplitz  Prälat  Alfred  Cle- 
ment so,  der  Advocat  Dr.  Anton  Stöhr 
in  Wien,  der  Stadtrath  in  Karlsbad  Dr. 
Ferdinand  Fleischner,  der  Bürger- 
meister vonMarienbadDr.AugustHerzig, 
der  Bürgermeister  von  Teplitz  Dr.  Josef 
Zintl  und  der  Bezirksobmann  in  Petschau 
Ernst  Veit.  Die  Durchführung  dieser 
Concession  erfolgte  jedoch  erst  in  der 
schon  ausserhalb  des  Rahmens  dieser 
Rückschau  liegenden  Zeit.  Die  Eröffnung 
der  Bahn  wurde  gegen  Ende  1898  ge- 
wärtigt. 

Diese  Linien  waren  die  letzten  der  im 
Decennium  1887  — 1896  sichergestellten 
Hauptbahnen.  Alle  übrigen  umfassten  nur 
Localbahnen,  zu  deren  Förderung  das  auf 
breiten  Grundlagen  beruhende,  dem  Staate 
die  Leistung  reicherer  Beihilfe  ermögli- 
chende und  mit  einer  Giltigkeitsdauer  von 
zehn  Jahren  ausgestattete,  alle  Arten  »Bah- 
nen niederer  Ordnung«  [auch  die  soge- 
nannten Klein-  oder  Tertiärbahnen]  umfas- 
sende neue  Localbahn-Gesetz  vom 
31.  December  1894  geschaffen  wurde,  an 
welches  sich  sodann  alljährlich  die  Ge- 
setze über  die  in  jedem  der  betreffenden 
Jahre  sicherzustellenden  Bahnen  niederer 
Ordnung  anschlössen.**) 

Seitdem  war  abermals  die  Verstaat- 
lichungsthätigkeit  in  den  Vordergrund  ge- 
treten. Vorläufer  derselben  waren  einige 
»Präparationen« .  DieBuschtöhrader 
Bahn  hatte  am  20.  Juni  1891  die  Be- 
willigung einer  neuen  einheitlichen  Priori- 


*)  Aus  diesem  Anlasse  wurde  mit  a.  h. 
Genehmigung  vom  21.  Mai  1896  die  alte,  am 
25.  December  1886  dem  Ingenieur  W.  Daniel 
in  Pilsen  ertheilte,  jedoch  unausgeführt  ge- 
bliebene Concession  für  eine  Localbahn  von 
Marienbad  nach  Karlsbad  etc.,  für  erloschen 
erklärt.  [Kundmachung  des  Handelsministe- 
riums vom  13.  Juni  1896.] 

**)  Ausführlicheres  hierüber  siehe  Dr.  V. 
Roll  »Die  Entwicklung  der  österr.  Eisenbahn- 
Gesetzgebung«  und  P.  F.  Kupka  »Das  Local- 
bahnwesen  in  Oesterreich«. 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


415 


täts- Anleihe  von  60,000.000  fl.,  zum 
Zwecke  der  Convertirung  der  alten  An- 
lehen  und  zur  Deckung  von  Investitions- 
Erfordernissen  beim  Handelsministerium 
angesucht  und  nach  langwierigen  Ver- 
handlungen mit  der  Regierung  das  Ueber- 
einkommen  vom  22.  October  1893  abge- 
schlossen, dessen  Hauptbestimmungen  im 
Folgenden  gipfelten :  Die  Gesellschaft  ver- 
bindet mit  der  Convertirung  auch  die 
Schaffungeines  Investitionsfonds  und  erhöht 
darum  die  neue  Anleihe,  welche  eine  4°/0ige 
Kronen-Anleihe  sein  soll,  auf  den  Betrag 
auf  136,000.000  Kronen  =  68,000.000  fl. ; 
der  Investitionsfonds  wird  abgesondert  ver- 
rechnet ;  die  Hälfte  des  Betrages,  welcher 
dem  capitalisirten  Werthe  der  infolge  der 
Convertirung  eintretenden  Ersparnisse  an 
den  Jahreslasten  entspricht,  hat  nach  An- 
ordnung des  Handelsministeriums  zur  Er- 
weiterung des  gesellschaftlichen  Unter- 
nehmens, insbesondere  auch  zur  Betheili- 
gung an  der  Capitals-Beschaffung  für  an- 
schliessende Zweig-  und  Flügelbahnen  zu 
dienen ;  wenn  dieser  Hälftebetrag  zur  Zeit 
der  Einlösung  der  Bahn  noch  nicht  auf- 
gebraucht ist,  wird  der  bezügliche  Rest 
von  dem  Einlösungspreise,  soweit  derselbe 
das  concessionsmässige  Minimum  über- 
steigt, in  Abzug  gebracht ;  der  Beginn 
des  concessionsmässigen  Einlösungsrechtes 
wird  für  beide  Netze  mit  Ende  1897  fest- 
gesetzt. Letztere  Bestimmung  erhielt  [nebst 
einigen  neuen  gesellschaftlichen  Verpflich- 
tungen in  Betreff  der  Leistungen  für  die 
Post,  der  Zugeständnisse  für  anschlies- 
sende Localbahnen  etc.]  Aufnahme  in 
die  mit  a.  h.  Genehmigung  vom  19.  Juli 
1894  erfolgte  und  mittels  Kundmachung 
des  Handelsministeriums  vom  8.  August 
1894  verlautbarte  Abänderung  der  be- 
züglichen Concessions-Urkunden.  Da  die 
Convertirung  grösstentheils  nur  eine  frei- 
willige sein  konnte,  vollzog  sich  dieselbe 
nur  allmählich,  ebenso  die  Begebung 
für  Investitionszwecke  nur  nach  dem  je- 
weiligen Bedarfe.  Mit  Ende  1 896  waren  von 
der  neuen  Anleihe  erst  75,373.800  Kronen 
emittirt  und  von  den  alten  5  und  472%igen 
Anlehen  noch  5,851.000  fl.  im  Umlaufe. 
Aus  Anlass  einer  Prioritäten-Conver- 
tirung  wurde  auch  mit  der  Leoben-Vor- 
dernberger-Bahn  eine  Vereinbarung  ge- 
troffen   [20.   Juni    1893],    wonach    diese 


Bahn  vom  8.  Juli  1899  angefangen  jeder- 
zeit und  unter  neu  festgesetzten  Bedin- 
gungen vom  Staate  eingelöst  werden 
kann.  Die  Verlautbarung  der  betreffenden 
Abänderung  der  Concessions-Urkunde  ge- 
schah mittels  Kundmachung  des  Handels- 
ministeriums vom  4.  August  1893.  —  Die 
4°/0ige  Convertirungs-Anleihe  von  nom. 
1,200.000  fl.  ist  von  der  steiermärkischen 
Escomptebank  zum  Curse  von  96  7.4  °/o 
übernommen  worden. 

Rücksichtlich  der  Böhmischen 
W  e  s  t  b  a  h  n  gelangte  die  schon  seit  dem 
Jahre  1889  anhängig  gewesene  Frage  der 
Verlängerung  des  Flügels  C  h  r  a  s  t-O  b  e  r- 
S  t  u  p  n  o  [Radnitz]  zum  endlichen  Austrage. 
Die  Verpflichtung  der  Gesellschaft  zu 
diesem  Fortsetzungsbaue  ging  aus  der 
Concessions-Urkunde  hervor,  deren  §  7 
ausdrücklich  besagt,  dass  die  Bestimmung 
des  Zeitpunktes,  wann  der  Flügel  nach 
Radnitz  und  Wegwanow  zu  vollenden 
sei,  dem  Ministerium  vorbehalten  bleibe. 
Die  Gesellschaft  vermeinte  jedoch  den 
Bau  unterlassen  zu  können,  wiewohl 
auch  der  Ministerial-Erlass  vom  18.  Mai 
1862,  mit  welchem  ihr  gestattet  wurde, 
statt  der  ursprünglich  concessionirten 
Abzweigung  von  Holoubkau  über  Ober- 
Stupno  nach  Wegwanow  jene  von  Chrast 
nach  Ober-Stupno  [Radnitz]  auszuführen, 
die  Gesellschaft  neuerlich  verpflichtete, 
die  Strecke  Ober-Stupno-Wegwanow  auf 
Verlangen  der  Regierung  zu  bauen,  so- 
bald ihre  Reinerträgnisse  das  Erfordernis 
für  die  Verzinsung  und  Tilgung  des  An- 
lage-Capitals  um  192.000  fl.  überstiegen. 
Sie  sträubte  sich,  den  auch  von  den  poli- 
tischen Behörden  unterstützten  Wünschen 
der  Interessenten  zu  entsprechen  und  zog 
die  Angelegenheit  hinaus,  bis  das  Handels- 
ministerium zu  Beginn  des  Jahres  1893 
die  endgiltige  Entscheidung  traf,  dass 
obzwar  die  Verpflichtung  zu  dem  Baue 
ausser  Zweifel  stehe,  die  Gesellschaft 
vorläufig  blos  die  Theilstrecke  O  b  e  r- 
S  t  u  p  n  o-B  f  a  s-R  a  d  n  i  t  z  ausführen  solle. 
Das  geschah  denn  auch  und  am  1.  De- 
cember  1893  fand  die  Eröffnung  dieses 
6-6  km  langen  Fragmentes  statt. 

Die  nun  ins  Werk  gesetzten  Haupt- 
bahnen-Verstaatlichungen began- 
nen   mit   der   schon  weiter  vorne  mitge- 


4i6 


Ignaz  Konta. 


theilten  Einlösung  der  österreichischen 
Linien  der  Lemberg-Czernowitz-Jassy- 
Eisenbahn.  [Siehe  Seite  387.]  Dieser  folgte 
alsbald  die  Erwerbung  der  Böhmi- 
schen Westbahn.  Vielseitig  verlangt, 
durch  das  Uebereinkommen  vom  1 1 .  De- 
cember  1884,  beziehungsweise  das  Gesetz 
vom  4.  April  1885  [Siehe  Seite  370] 
schon  mit  Ende  Juni  1892  möglich  ge- 
worden und  von  Seite  des  Handelsmi- 
nisters in  der  Budgetausschuss-Sitzung 
vom  7.  März  1894  förmlich  angekün- 
digt —  stand  diese  Action  sozusagen 
stündlich  bevor.  Wenn  sie  gleichwohl 
erst  im  Herbste  1 894  eintrat,  war  dies  dar- 
auf zurückzuführen,  dass  die  Regierung 
warten  wollte,  bis  die  in  Schwebe  ge- 
wesenen älteren  Angelegenheiten,  darunter 
die  oben  besprochene  Verlängerung  der 
Flügelbahn  und  die  Heranziehung  der 
Gesellschaft  zur  Mittragung  der  Kosten 
des  Umbaues  der  Station  Pilsen,  er- 
ledigt waren.  Die  hierauf  eingeleiteten 
Verhandlungen  mit  der  Gesellschaft  führten 
zu  dem  Uebereinkommen  vom  4.  October 
1894,  dessen  Hauptpunkte,  im  Einklänge 
mit  den  concessionsmässigen  und  den  im 
Gesetze  vom  4.  April  1885  festgesetzten 
Einlösungsbestimmungen,  dahin  lauten, 
dass  die  Bahn  mit  Geltung  ab  I .  Januar 
1894  in  den  Besitz  des  Staates  übergeht, 
der  hiefür  die  gesellschaftlichen  4°/0igen 
Prioritäts-Anlehen  nach  dem  Stande  vom 
I.  Januar  1895  [13,720.000  fl.  Silberund 
999.900  fl.  Gold=  1, 096.347  fl.  Noten]  so- 
wie ein  von  der  Gesellschaft  neu  zu  emitti- 
rendes  4°/0iges  Anlehen  von  26,500.000  fl. 
oder  53,000.000  Kronen  zur  Selbstzah- 
lung übernimmt,*)  von  welch  letzteren 
23,550.800  fl.  zur  Ausschüttung  an  die 
Actionäre,  die  restlichen  2,949.200  fl. 
aber   dem  Staate  zu  Investitionszwecken 


*)  Die  Jahreslast  für  die  als  eigentliches 
Einlösungsentgelt  zählenden  Anlehensbeträge 
von  zusammen  38,367.147  fl.  stellte  sich  auf 
1,683.370;  das  Reinerträgnis  pro  1893  betrug 
1,719.239  fl.  oder,  nach  Ausscheidung  nicht 
wiederkehrender  Reconstructions  -  Kosten, 
I>79°-5°8;  dieses  letzte  gesellschaftliche  Be- 
triebsjahr gehörte  jedoch,  wie  das  ihm  vor- 
ausgegangene, zu  den  ungünstigsten  der  bei 
der  Ermittlung  der  Einlösungsrente  in  Be- 
tracht gekommenen  sieben  Jahre  1887 — 1893; 
die  nach  dem  Durchschnitts  -  Ertrage  der 
übrigen  fünf  Jahre  berechnete  Rente  bezifferte 
sich  mit  1,738000  fl. 


und  zur  Leistung  der  noch  im  Abrech- 
nungswege zu  ermittelnden  Vergütungen 
für  Material- Vorräthe  etc.  dienen  sollen ; 
die  Special-  und  Reservefonds  verbleiben 
Eigenthum  der  Gesellschaft;  das  ge- 
sammte  Personal  wird  unter  Wahrung 
der  erworbenen  Rechte  vom  Staate  über- 
nommen. Nachdem  die  Actionäre  in 
ihrer  ausserordentlichen  Generalversamm- 
lung vom  24.  October  1894  dem  Ueber- 
einkommen zugestimmt  hatten,  wurde 
dasselbe  mittels  der  Gesetzesvorlage  vom 
5.  November  1894  der  legislativen  Be- 
handlung zugeführt. 

Unter  einer  Flagge  mit  der  » hoch- 
wertigen« Böhmischen  Westbahn  se- 
gelten dem  Hafen  der  Verstaatlichung 
auch  die  Mährisch  -  Schlesische 
Centralbahn  und  die  Mährische 
Grenzbahn  entgegen,  da  in  die  oben 
erwähnte  Vorlage  auch  jene  Vereinbarungen 
miteinbezogen  waren,  welche  die  Regie- 
rung mit  diesen,  seit  vielen  Jahren  noth- 
leidenden  Bahnen  getroffen  hatte.  Die 
Schicksale  derselben  sind  bereits  in  frü- 
heren Abschnitten  dieser  Mittheilungen 
eingehend  geschildert ;  *)  es  erübrigt  da- 
her nur,  hier  noch  den  Schluss  anzufügen. 

Das  Interesse  der  Regierung  an  dem 
Besitze  der  M  ä h r i s c h-S chlesischen 
Centralbahn  entsprang  vornehmlich 
dem  Umstände,  dass  mittels  dieser  Bahn 
die  Verbindung  der  bislang  räumlich 
getrennten  staatlichen  Betriebslinien  in 
Mähren  und  Schlesien  zu  einem  zusam- 
menhängenden Netze  ermöglicht  wurde ; 
ausserdem  war  der  Regierung  auch  daran 
gelegen,  den  im  Staats  vertrage  mit  dem 
Deutschen  Reiche  vom  14.  März  1885 
[siehe  Seite  382]  vorgesehenen  Anschluss 
Troppau-Ratibor  rechtzeitig  sicherzustellen 
und  sowohl  diesen,  als  auch  die 
übrigen  Anschlüsse  der  Mährisch-Schle- 
sischen  Centralbahn  an  die  preussischen 
Bahnen  in  eigene  Verwaltung  zu 
nehmen.  Die  Gesellschaft  und  noch  mehr 
ihre  Prioritäts-Gläubiger  konnten  aber  in 
dem  Verkaufe  der  Bahn  an  den  Staat  nur 
eine  Erlösung  aus  einer  gleich  uner- 
quicklichen wie  aussichtslosen  Lage  er- 
blicken.    Darum    gediehen    die    mit  der 


*)  Siehe  Seite  100  ff.,   146,  220,  226,  232  f., 
274   ff- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


417 


Gesellschaft  und  dem  Prioritäten-Curator 
gepflogenen  Verhandlungen  bald  zu  einem 
gedeihlichen  Abschlüsse,  der  in  dem 
Uebereinkommen  vom  7.  Juni  1894  seinen 
Ausdruck  fand.  Die  wesentlichsten  Ver- 
tragsbestimmungen besagten  Folgendes : 
Die  Bahn  geht  mit  1.  Januar  1895  in 
das  Eigenthum  des  Staates  über;  die  Ge- 
sellschaft hat  jedoch  noch  unverweilt  den 
Bau  des  österreichischen  Theiles  der  Ver- 
bindung Troppau-Ratibor  sowie  die  be- 
zügliche Erweiterung  ihres  Troppauer 
Bahnhofes  einzuleiten  und  verpflichtet 
sich  auch  zur  Aufnahme  eines  4°/0igen 
Prioritäts-Anlehens  von  nom.  i6,50o.ooofl. 
oder  33,000.000  Kronen,  wogegen  der 
Staat  dieses  Anlehen  zur  Selbstzahlung 
übernimmt,  aus  demselben  das  Entgelt 
von  14,228.400  fl.  für  die  Eigenthums- 
übertragung  an  die  Gesellschaft  entrichtet, 
den  Rest  von  2,27 1.600  fl.  aber  zu  Inve- 
stitionszwecken sowie  zur  Vergütung  der 
Kosten  jenes  Baues  und  sonstiger  Ab- 
rechnungs-Saldi behält;  die  Gesellschaft 
verpflichtet  sich,  aus  dem  ihr  zufliessenden 
Entgelt  einen  Betrag  von  nom.  1 3,467.000  fl. 
zur  Befriedigung  der  Ansprüche  der  Be- 
sitzer der  44.890  alten  5°/0igen  Obliga- 
tionen ä  300  fl.  in  der  Weise  zu  verwen- 
den, dass  denselben  für  je  eine  solche 
Obligation  eine  neue  4°/0ige  ä  300  fl. 
oder  600  Kronen  ausgefolgt  wird ;  die  ihr 
nachher  verbleibenden  761.400  fl.  haben 
zur  Tilgung  schwebender  Verbindlich- 
keiten und  zur  Vertheilung  an  die  Ac- 
tionäre  zu  dienen;  das  Personale  wird 
unter  Wahrung  der  erworbenen  Rechte 
vom  Staate  übernommen.  Die  Theil- 
haber  der  Gesellschaft  erklärten  sich  in 
der  ausserordentlichen  Generalversamm- 
lung vom  5.  Juli  1894  mit  dem  Ueber- 
einkommen einverstanden  und  die  Cura- 
telsbehörde  genehmigte  dasselbe  am 
10.  August  1894. 

Für  die  endliche  Ordnung  auch  derVer- 
hältnisse  der  schon  seit  1 883  vom  Staate 
betriebenen  Mährischen  Grenzbahn 
sprachen  neben  verkehrspolitischen  und  be- 
triebsöconomischen  Erwägungen,  einiger- 
massen  noch  die  Rücksichten  aufdenEisen- 
bahn-Credit ;  denn  diese  Unternehmung  ge- 
noss  eine  theilweise  Staatsgarantie  und  die 
gleichwohl  um  ein  ganzes  Procent  [von  den 
zugesicherten  5°/0  auf  4%]  herabgesetzte 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band.  2.  Theil. 


Verzinsung  der  Prioritäten  warf  noch  immer 
ihre  Schatten,  ganz  abgesehen  von  der  nie- 
mals eingetretenen  Zahlung  einer  Divi- 
dende auf  die  Actien.  Nach  den  dies- 
falls schon  früher  wiederholt  gemachten 
Erfahrungen  war  an  eine  >Sanirung« 
im  alten  Sinne  des  Wortes  nicht  mehr 
zu  denken.  Die  erreichbare  Behebung 
der  kranken  Zustände  wurde  aber  da- 
durch verzögert,  dass  der  Verwal- 
tungsrath  oder  die  Geldkräfte,  welche 
ihn  eingesetzt  hatten,  stets  vermeinten, 
mehr  erringen  zu  können,  was 
natürlich  auch  dem  Prioritäten-Curator 
erwünscht  gewesen  wäre.  Erst  als  die 
richtige  Erkenntnis  der  Sachlage  Geltung 
gewonnen  und  der  Curator  engere  Füh- 
lung mit  der  Regierung  gesucht  hatte, 
begannen  die  gedeihlichen  Verhandlungen 
über  die  Lösung  des  Knotens.  Es  kam 
das  Uebereinkommen  vom  4.  Juli  1893 
zu  Stande,  das  auch  in  der  General- 
versammlung vom  16.  August  1893  die 
Zustimmung  der  Actionäre  erhielt,  jedoch 
wegen  fruchtlosen  Ablaufes  der  zu  seiner 
Perfectionirung  festgesetzt  gewesenen  Frist 
[15.  Februar  1894]  wieder  erlosch 
und  nachher  durch  das  fast  gleichlautende 
Uebereinkommen  vom  23.  October  1894 
ersetzt  wurde.  Dasselbe  erstreckt  sich 
sowohl  auf  die  garantirte  Linie  Stern- 
berg-Grulich  als  auch  auf  die  ungarantirte 
Linie  Hohenstadt-Zöptau,  nimmt  ebenfalls 
Bedacht  auf  die  Schaffung  eines  Investi- 
tions-Fonds und  bestimmt  im  Wesent- 
lichen folgendes :  Das  gesammte  Eigen- 
thum der  Gesellschaft  und  ebenso  ihr 
gesammter  Lastenstand  übergehen  an 
den  Staat,  der  hiefür  ein  Entgelt  von 
nom.  9,028.600  fl.  in  Titeln  eines  von 
der  Gesellschaft  neu  aufzunehmenden 
4°/0igen  Prioritäts-Anlehens  von  nom. 
12,000.000  fl.  oder  24,000.000  Kronen 
zur  Selbstzahlung  übernimmt  und  den  für 
künftige  Investitionen  bestimmten  Restbe- 
trag von  2,971.400  fl.  oder  5,942.800 
Kronen  zur  freien  Verfügung  behält ;  aus 
der  Entgelt-Summe  erfolgt  der  Staat  den 
Prioritären  für  die  noch  umlaufenden 
38.708  Obligationen  ä  200  fl.  des  alten 
5°/0igen  Anlehens  ebenso  viele  Titel 
ä  200  fl.  des  neuen  Anlehens  und  über- 
dies für  die  Verzichtleistung  auf  das  ihnen 
ursprünglich    zugesicherte  fünfte  Procent 

27 


4i8 


Ignaz  Konta. 


für  je  20  alte  eine  neue  Obligation, 
ferner  den  Actionären  für  je  10  Actien 
ä  200  fl.  eine  Obligation  ä  200  fl.  und 
nebstdem  für  je  eine  Actie  einen  Bar- 
betrag von  40  Kreuzern,  endlich  den 
Besitzern  von  »Restcoupons«*)  aus  dem 
Jahre  1880  [weil  schon  gekündigt]  je 
1  fl.,  für  die  später  ausgegebenen  aber 
je  15  Kreuzer  pro  Stück;  die  aus  dem 
Titel  der  Staatsgarantie  und  der  Deckung 
von  Betriebskosten-Abgängen  an  die  Ge- 
sellschaft ertheilten  Vorschüsse  sammt 
Zinsen  [insgesammt  6,419.834  fl.]  werden 
abgeschrieben.  Diesem  Uebereinkommen 
stimmten  die  Actionäre  in  der  ausserordent- 
lichen Generalversammlung  vom  27.  Octo- 
ber  1 894  zu,  nachdem  auch  die  Curatelsbe- 
hörde  mittels  Bescheides  vom  vorherigen 
Tage  die  Genehmigung   ertheilt  hatte. 

Da  im  Reichsrathe  grundsätzliche 
Einwendungen  gegen  die  Vorlage  nicht 
erhoben  wurden,  ging  sie  aus  demselben 
sehr  bald  als  Gesetz  hervor  und  erhielt 
am  11.  December  1894  die  a.  h.  Sanction, 
worauf  dann  das  Handelsministerium, 
mittels  der  bezüglichen  Kundmachungen 
vom  19.  December  1894,  alle  drei  Bahnen 
als  mit  dem  1.  Januar  1895  vom  Staate 
übernommen  erklärte. 

Den  Theilhabern  der  Böhmischen 
Westbahn  fiel  es  schwer,  sich  von 
ihrem  alten,  ertragsreichen  Besitze  zu 
trennen  und  die  Tagesblätter  wussten 
von  manchen  rührenden  Momenten  in 
den  letzten  Sitzungen  des  Verwaltungs- 
raths  zu  erzählen.  Auch  den  langge- 
dienten Beamten  kam  der  Wechsel  des 
Dienstverhältnisses  hart  an.  Der  Betriebs- 
director,  Hofrath  Heinrich  Ritter  von 
J  a  r  s  c  h,**)  und  der  General-Secretär,  Re- 
gierungsrathDr.  AngeloRitter  von  K  u  h,***) 


*)  Die  »Restcouponsc  wurden  als  künd- 
bare Anweisungen  auf  Zahlung  des  bei  der 
Einlösung  der  Prioritäten-Coupons  schuldig 
gebliebenen   fünften  Procentes    ausgegeben. 

**)  Heinrich  v.  Ja r seh,  bis  zum  Jahre 
1871  Ober-Inspector  und  Betriebs-Director- 
Stellvertreter  der  Gesellschaft,  rückte  damals 
an  die  Stelle  des  zur  Prag-Duxer  Bahn  über- 
getretenen Betriebs- Directors  Fr.  Mräz  vor. 

***)  Dr.  v.  Kuh,  früher  Central-Inspector 
der  Kaiser  Ferdinands-Nordbahn,  kam  als 
Nachfolger  des  im  Jahre  1874  zur  Carl 
Ludwig-Bahn  übergetretenen  General-Secre 
tärs  Dr.  Ed.  R.  v.  Sochor  zur  Böhmischen 
Westbahn,  diente  ihr  daher  21  Jahre. 


traten  in  den  Ruhestand,  wobei  der 
Letztgenannte  mit  dem  Titel  eines  Hof- 
rathes    ausgezeichnet    wurde. 

Die  Liquidation  ergab  für  jede  Actie  ä 
200  fl.  einen  Nominalbetrag  von  800  Kronen 
=  400  fl.  und  für  jeden  Genussschein  nom. 
400  Kronen  —  200  fl.  aus  der  neuen 
4°/0igen  Anleihe  sowie  überdies  für  jedes 
der  beiderlei  Papiere  einen  Barbetrag 
von  21   fl.  30  kr. 

Auf  die  Actionäre  der  Mährisch- 
Schlesischen  Centralbahn  entfiel 
bei  der  Liquidation  Alles  in  Allem  nom. 
24  Kronen  =  12  fl.  aus  dem  4%igen 
Kronen- Anlehen  und  2  fl.  70  kr.  im  Baren 
für  jede  Actie  ä  200  fl. ;  die  Actionäre 
der  Mährischen  Grenzbahn  er- 
hielten die  im  Uebereinkommen  festge- 
setzte Abfindung,  das  ist  den  zehnten  Theil 
ihres  Capitals.  Seit  der  Verstaatlichung 
dieser  beiden  Unternehmungen  gab  es 
in  Oesterreich  keine  nothleidenden  Bahnen 
mehr. 

Der  noch  von  der  Mährisch-Schle- 
sischen  Centralbahn  eingeleitete,  be- 
ziehungsweise auch  vergebene  Bau  der 
2  km  langen  österreichischen  Theilstrecke 
der  Verbindung  Troppau-Ratibor 
wurde  von  dem  Ersteher  desselben,  J. 
L  und  wall,  im  Spätsommer  1893  in 
Angriff  genommen.  Seit  I.  Januar  1895 
übernahm  die  General  -  Direction  der 
österreichischen  Staatsbahnen  die  Füh- 
rung des  Baues ;  die  Eröffnung  dieses 
2  km  langen  Bahnstückes  fand  zugleich 
mit  jener  der  preussischen  Fortsetzungs- 
strecke am  20.  October  1895  statt.  Der 
Betrieb  ist  an  die  Verwaltung  der  könig- 
lich preussischen  Staatsbahnen  übertragen. 

Die  eben  erörterten  Verstaatlichungen 
galten  allgemein  nur  als  Anfang  der, 
anlässlich  der  Berathungen  des  Budget- 
Ausschusses  am  7.  März  1894,  vom 
Handelsminister  in  Aussicht  gestellten 
Action,  welche  zunächst  noch  die 
O  est  erreichische  Nordwestbahn 
sammt  der  Süd-norddeutschen 
Verbindungsbahn  und  —  den 
damals  gegebenen  Andeutungen  nach 
—  bei  eintretender  Möglichkeit  auch 
andere  Bahnen  umfassen  sollte.  Ein 
bezügliches  Programm  aufzustellen,  er- 
klärte Graf  Wurmbrand  aber  für  un- 
thunlich,  solange  die  wichtigsten  Bahnen, 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


419 


das  ist  die  Südbahn  und  die  Kaiser  Fer- 
dinands-Nordbahn,  nicht  in  dasselbe  ein- 
bezogen werden  könnten. 

Während  des  Sommers  schien  jedoch 
ein  gut  Theil  gerade  der  weitergehen- 
deren  Pläne,  nämlich  der  auf  die  Ver- 
staatlichung der  Süd  bahn  abzielende, 
gereift  zu  sein.  Der  General-Director 
derselben,  Friedrich  Schüler,  der  als 
treuer  Hüter  ihrer  Interessen,  sich  die 
Pflege  guten  Einvernehmens  der  Gesell- 
schaft mit  den  beiderseitigen  Regierungen 
zur  Aufgabe  gemacht,  zugleich  aber  auch 
die  Selbständigkeit  des  seiner  Leitung 
anvertrauten  grossen  Unternehmens  mit 
aller  Zähigkeit  vertheidigt  hatte,  war  am 
29.  Mai  1894  gestorben;*)  die  königlich 
ungarische  Regierung,  welche  —  seit  die 
zwischen  ihr  und  der  Gesellschaft  ver- 
handelten Verkehrs-  und  Tariffragen  aus- 
getragen waren  —  den  Gedanken  an 
die  Erwerbung  der  ungarischen  Südbahn- 
linien aufgegeben  hatte,  nahm  denselben 
wieder  auf,  und  die  österreichische  Re- 
gierung hielt  es  an  der  Zeit,  schon  jetzt 
dem  Staatsbetriebe  die  nach  dem  Meere 
führende    Schienenstrasse   einzuverleiben. 

Die  »Ministerberathungen«  hierüber 
fanden  in  den  Tagen  vom  16.  bis  18.  Sep- 
tember 1894  zu  Budapest  statt,  ergaben, 
wie  das  sogleich  verlautbarte  CommuniqutS 
besagte,  ein  vollständiges  Einverständnis 
und  hatten  alsbald  zur  Folge,  dass  die 
Gesellschaft  seitens  beider  Regierungen 
die  Aufforderung  erhielt:  für  den  10.  No- 
vember 1894  Delegirte  zu  dem  formellen 
Beginne  der  Verstaatlichungs- Verhand- 
lungen zu  entsenden.  Auch  diese  Ver- 
handlungen nahmen  einen  guten  Fort- 
gang, so  zwar,  dass  die  Südbahn  sich 
bereits  anschickte,  ihr  Haus  zu  bestellen**) 
und  die  Staatseisenbahn-Verwaltung  schon 

*)  Bis  Ende  1896  führte  provisorisch  der 
General-Director-Stellvertreter  und  Verkehrs- 
Director,  Hofrath  Heinrich  Pfeiffer  Ritter 
von  Wellheim,  die  Geschäfte.  Anlässlich 
dessen  Eintrittes  in  den  Ruhestand,  erfolgte 
dann  die  Ernennung  des  Directors  der  Oester- 
reichischen  Nordwestbahn,  Hofrathes  Dr. 
Alexander  Eger,  zum  General-Director  der 
Südbahn,  welchen  Posten  er  mit  I.  Januar 
1897  antrat.  Sein  Nachfolger  bei  der  Nord- 
westbahn wurde  der  Ministerialrath  Anton 
Kühnelt. 

**)  Von  den  bezüglichen  Massnahmen 
waren   verschiedene    Personal-Einrichtungen, 


in  Graz  nach  einem  passenden  Admini- 
strations-Gebäude für  die  dort  zu  er- 
richtende staatliche  Betriebs  -  Direction 
Umschau  hielt.  Mit  einem  Male  trat  jedoch 
eine  Wandlung  ein.  Die  Verhandlungen, 
welche  das  Handelsministerium,  unbeirrt 
von  den  zuweilen  sehr  heftigen  Angriffen 
seitens  der  Oeffentlichkeit,  den  ganzen 
Winter  über  mit  der  königlich  ungari- 
schen Regierung  fortgesetzt  hatte,  stockten 
plötzlich  an  einigen  von  der  königlich 
ungarischen  Regierung  aufgeworfenen  — 
die  österreichischen  Verkehrs-Verhältnisse 
tief  berührenden  —  »principiellen  Fra- 
gen«, und  da  es  der  österreichischen 
Regierung  unmöglich  war,  insbesondere 
in  die  ungarischerseits  verlangten  Tarif- 
Zugeständnisse  zu  willigen,  hörte  dann 
auch  die  bis  nun  bestandene  sonstige 
Uebereinstimmung  auf.  Dies  ging  ganz 
deutlich  aus  den  Reden  hervor,  mit 
welchen  der  österreichische  Handels- 
minister am  22.  April  1895  und  Tags 
darauf  auch  der  Finanzminister  Dr.  von 
Plener  in  den  Sitzungen  des  Budget- 
Ausschusses  die  Anfragen  über  den  Stand 
der  Angelegenheit  beantworteten  und 
womit  die  Verstaatlichung  der  Südbahn 
als  aufgeschoben  erklärt  ward.  Auf  wie 
lange  das  gleichbedeutend  ist  mit  »auf- 
gehoben«, muss  abgewartet  werden. 

Nicht  viel  anders  endete  auch  der 
übrige  Theil  der  weitgreifend  angelegt 
gewesenen  Action.  In  der  Budget-Aus- 
schusssitzung vom  2.  April  1895  bezeich- 
nete der  Handelsminister  die  Staats- 
eisenbahn-Gesellschaft als  »in 
das  Studium  bezüglich  der  Verstaat- 
lichung« neu  einbezogen.  Dies  wurde 
allenthalben  so  aufgefasst,  dass,  nebst 
der  schon  im  Vorjahre  in  Aussicht  ge- 
stellten Einlösung  der  Oesterreichischen 
Nordwestbahn  und  Süd  -  norddeutschen 
Verbindungsbahn,  jetzt  auch  jene  des 
Netzes  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
sicher  zu  gewärtigen  sei.  Mehrere  her- 
vorragende Mitglieder  des  genannten 
Ausschusses  fanden  kein  Gefallen  an 
der  Erwerbung  zweier  Concurrenz- Unter- 


insbesondere die  Einführung  des  Gehalts- 
Schemas  der  österreichischen  Staatsbahnen, 
sofort  in  die  Oeffentlichkeit  gedrungen  und 
viel  bemerkt  worden. 

27* 


420 


Ignaz  Konta. 


nehmungen*)  und  traten  derselben  gleich 
von  vornherein  entgegen.**)  Die  Börse 
schloss  sich  jedoch  der  ersteren  Meinung 
an,  betrachtete  sogar  das  Vorhaben  schon 
als  Thatsache  und  trieb  ein  wildes  Spiel 
mit  den  Actien  der  >  Verstaatlichungs- 
bahnen«, was  ihr  und  ihren  Zuläufern 
bald  schwere  Verluste,  überdies  aber 
auch  den  Vorwurf  des  Selbstverschuldens 
einbrachte;  denn  der  Widerwillen,  der 
sich  im  Parlamente  eben  wegen  jenes 
Treibens  gegen  die  Action  kundgab, 
war  zum  erheblichen  Theile  Mitursache 
des  Aufgebens  derselben  und  des  darauf 
gefolgten  Rückschlages  in  den  Cursen 
der  betreffenden  Actien.  Mit  der  Er- 
klärung der  Minister  vom  22.  und  23.  April 
1895  [s.  o.]  hatte  es  auch  von  der 
Erwerbung  des  Netzes  der  Staatseisen- 
bahn-Gesellschaft sein  Abkommen  und 
der  Rest  der  ganzen  Action  ward  bis  auf 
Weiteres  zurückgestellt. 

Eine  fernere  Mitwirkung  an  derselben 
fiel  dem  bisherigen  Handelsminister  Grafen 
Wurmbrand  nicht  mehr  zu.  Die 
^Coalition«  der  politischen  Parteien  war  in 
die  Brüche  gegangen,  das  Cabinet,  welches 
ihren  Namen  trug,  am  19.  Juni  1895  durch 
das  Ministerium  Graf  Kielmansegg 
[Beamten-Ministerium]  ersetzt  und  hiebei 
die  Leitung  des  Handelsministeriums  dem 
Sections  -  Chef  Dr.  Heinrich  Ritter  von 
Wittek   anvertraut  worden.***) 

Die  Vertretung  des  Budgets  seines 
Ressorts  in  der  Vollsitzung  des  Ab- 
geordnetenhauses vom  16.  Juli  1895  gab 
dem  neuen  Leiter  des  Handelsministeriums 
Veranlassung   und    Gelegenheit,    sich    in 


*)  Ausserhalb  des  Parlamentes  gelangte 
die  Meinung  zum  Ausdrucke,  dass  infolge 
des  überwiegenden  Einflusses,  den  eine  und 
dieselbe  Geldkraft,  beziehungsweise  Persön- 
lichkeit, bei  beiden  Unternehmungen  besitze, 
die  eine  ohne  die  andere  Bahn  nicht  leicht 
oder  doch  nur  zu  minder  günstigen  Bedin- 
gungen erhältlich  sein  würde- 

**)  Vgl.  die  Reden  der  Abgeordneten  Dr. 
Russ,  Dr.  Beer,  Dr.  Kaizl,  Dr.  Menger 
etc.  in  der  oben  erwähnten  Ausschuss-Sitzung 
vom  22.  April  1895. 

***)  Graf  Wurm  brand  erhielt  bei  seiner, 
mittels  a.  h.  Handschreibens  vom  19  Juni  1895 
erfolgten  Enthebung,  in  Anerkennung  der 
'treuen,  mit  voller  Hingebung  geleisteten 
Dienste«,  den  Orden  der  Eisernen  Krone 
I.  Classe. 


ausführlicher  Weise  über  wichtige  Punkte 
des  Eisenbahnwesens  auszusprechen.  Ohne 
ein  Programm  zu  .  sein,  Hessen  diese 
Darlegungen  doch  erkennen,  was  Dr.  Ritter 
von  Wittek  als  seine  Aufgabe  be- 
trachtete :  Förderung  der  Local- 
bahnen  mit  Beihilfe  der  Länder,  wohl- 
überlegte Vertheilung  der  Lasten  und 
Arbeiten  auf  längere  Zeit,  doch  aber  das 
Ziel,  »dass  so  viel  als  möglich  vor- 
wärts gebracht  werde« ;  Einflussnahme 
auf  die  Verwaltungen  aller  Bahnen  — 
staatliche  wie  private  —  dahin,  dass  die 
Administration  »eine  möglichst 
gute  sei,  möglichst  im  Interesse  der 
Bevölkerung  stattfinde  und  das  öffentliche 
Interesse  dabei  gewahrt  werde«;  Sorg- 
same Wahrnehmung  der  Rechte, 
welche  der  Staat  gegenüber  den  Privat- 
bahnen hat,  auch  insoweit  sie  sich  auf 
die  Einlösung  beziehen  ;  Klarstellung 
dieser  Rechte,  wo  sie  getrübt  oder 
verdunkelt  sind  und  allfällige  Ausübung 
derselben  »nicht  vom  Gesichts- 
punkte einer  grossen  Verstaat- 
lichungs-Action  sondern  von  dem 
bescheideneren  Standpunkte  einer  pflicht- 
gemässen  Administration«  und  vor  Allem 
unter  Wahrung  der  Interessen  des  Staats- 
schatzes ;  Bedachtnahme  auf  eine  mas- 
sige Aufbesserung  der  Tarife 
der  Staatsbahnen,  um  die  Erträgnisse 
derselben  zu  steigern,  ohne  die  volks- 
wirthschaftlichen  Anforderungen  zu  be- 
einträchtigen ;  Vorsorge  für  die  Hinauf- 
hebung der  Personal- Vorschriften  der 
Privatbahnen  auf  das  Niveau  der  Dienst- 
pragmatik der  Staatsbahnen. 

Wie  sehr  der  Leiter  des  Handels- 
ministeriums mit  diesen  bedächtigen  und 
doch  so  bedeutsamen  Worten  das  Richtige 
getroffen,  das  zeigte  der  allseitige,  leb- 
hafte Beifall,  den  sie  gefunden  hatten. 
Zur  Durchführung  seiner  zielbewussten 
Vorsätze,  unter  der  vollen  eigenen  Ver- 
antwortung, war  ihm  aber  damals  keine 
Zeit  gelassen.  Sein  erstes,  grösseres  Be- 
ginnen war  die  in  der  halbamtlichen 
Wiener  Abendpost  vom  10.  September 
angekündigte  Ausübung  des  staat- 
lichen Einlösungsrechtes  hinsichtlich  der 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  und 
des  garantirten  Netzes  der  Oesterreichi- 
schen    Nordwestbahn.     Darüber     hinaus 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


42I 


konnte  er  aber  nicht  mehr  gelangen.  Das 
Beamten-Ministerium  wurde  am  29.  Sep- 
tember 1895  von  dem  Cabinet  des  Grafen 
Kasimir  Badeni  abgelöst  und  Dr.  Ritter 
von  Wittek  kehrte-  tagsdarauf  vor- 
läufig wieder  auf  seinen  früheren  Posten 
zurück,  ausgezeichnet  durch  die  ihm 
mittels  eines  besonderen  a.  h.  Hand- 
schreibens zu  Theil  gewordene  Kund- 
gebung des  a.  h.  Dankes  und  der  vollen 
Anerkennung  für  die,  während  der 
wichtigen  Verwendung  als  Leiter  des 
Handelsministeriums,  »mit  treuer  Hin- 
gebung und  bewährter  Fachkenntnis  ge- 
leisteten ausgezeichneten  Dienste«. 

Anlässlich  des  Cabinetswechsels  wurde 
am  30.  September  1895  der  Freiherr 
Hugo  von  Glanz-Eicha  zum  Handels- 
minister und  der  Präsident  der  öster- 
reichischen Staatsbahnen,  Dr.  Leon  Kitter 
von  B  i  1  i  n  s  k  i,  zum  Finanzminister 
ernannt.  Letztere  Berufung  hatte  auch 
einen  abermaligen  Wechsel  im  Präsidium 
der  Staatsbahnen  zur  Folge.  Der  3.  Octo- 
ber  1895  brachte  dem  Personale  die  herbe 
Stunde  der  Trennung  von  dem  wohl- 
wollenden, gutherzigen  Chef,  dem  es  so  viel 
Gutes  verdankte.  Etwa  2000  Beamte  und 
Bedienstete  beiderlei  Geschlechtes  und  aller 
Grade  waren  aus  den  Bureaux  der  Cen- 
trale und  der  Betriebs-Directionen,  von 
der  Strecke  und  aus  den  Werkstätten 
herbeigekommen  und  drängten  sich  in 
die  festlich  geschmückte  Gepäckshalle 
des  Westbahnhofes,  um  dem  edlen  Manne 
Lebewohl  zu  sagen,  der  ihnen  vor  vier 
Jahren  als  ein  Fremder  gegenüber  ge- 
standen und  seitdem  zum  fürsorglichen 
Vater  geworden  war.  Laute  Zustimmung 
begleitete  die  Dankesworte,  welche  der 
Sprecher  der  grossen  Versammlung,  Hof- 
rath  v.  Bisch  off,  unter  Aufzählung  all 
der  wohlthätigen  Neuerungen  und  Ver- 
besserungen an  den  Personal-Einrichtun- 
gen, dem  gewesenen  Präsidenten  und  nun- 
mehrigen Finanzminister  widmete ;  herz- 
liche Zurufe  folgten  der  Beglückwünschung 
zu  seiner  neuen  hohen  Stellung  und,  als  es 
nach  einer  liebenswürdigen  Erwiderung 
seitens  des  Ministers  zum  wirklichen 
Abschiede  kam,  war  manches  Auge  feucht 
geworden. 

Am  4.  October  1895  erschien  der 
Finanzminister    Dr.    Ritter    v.  Biliiiski 


noch  einmal  im  Sitzungssaale  der  Ge- 
neral-Direction,  um  seinem  Nachfolger, 
dem  mit  a.  h.  Entschliessung  vom  2.  Oc- 
tober 1895  zum  Leiter  der  General- 
Direction  der  österreichischen  Staats- 
bahnen ernannten  Sections-Chef  Dr.  Ernst 
v.  Koerber,  die  Dienst  vorstände  und 
Oberbeamten  vorzustellen  und  das  ge- 
sammte  Personal  angelegentlichst  zu 
empfehlen.  Dabei  ward  zum  ersten  Male 
in  amtlicher  Weise  der  bevorstehenden 
neuen  Organisation  der  Staatseisenbahn- 
Verwaltung  gedacht.  Beiläufig  erwähnt 
wurde  sie  schon  im  Laufe  der  Budget- 
berathungen  der  letzten  Zeit  und  aus  dem 
Parlamente  war  die  Kunde  von  ihrer 
Gewärtigung  auch  in  anderweitige  Er- 
örterungen übergegangen. 

Wie  weit  die  Aenderungen  gehen 
würden,  das  wusste  aber  noch  Niemand 
zu  sagen.  Die  Frage  der  Centralisation 
oder  Decentralisation  schien  nicht  zu  be- 
stehen, da  in  letzterer  Beziehung  schon 
im  Jahre  1891  viel  geschehen  war.  In 
politischen  Kreisen  soll  mit  Rücksicht 
auf  den  Fortgang  der  Verstaatlichungen 
der  Gedanke  an  eine  Theilung  der  Ge- 
schäftslast der  Centralverwaltung  durch 
Errichtung  dreier  General-Directionen, 
und  zwar  je  einer  für  die  östlichen,  nord- 
westlichen und  westlichen  Staatsbahnen, 
vorgewaltet  haben.  Nach  dem  was  that- 
sächlich  geschah  zu  schliessen,  ist  jedoch 
die  Mission,  welche  der  Sections-Chef 
v.  Koerber  diesfalls  bei  seiner  Berufung 
zum  Leiter  der  General-Direction  erhalten 
hatte,  gleich  von  vorneherein  eine  ganz 
andere  gewesen.  Es  wurde  denn  auch 
bereits  im  Spätherbste  bekannt,  dass  die 
Loslösung  der  Eisenbahn- Angelegenheiten 
vom  Handelsministerium  ins  Auge  ge- 
fasst  und  der  Grund  hiefür  nicht  nur  in 
der  Ueberbürdung  des  Handelsministe- 
riums, sondern  auch  darin  gelegen  sei, 
dass  die  bestehende  Organisation  der 
Staatsbahnen  bei  dem  fortwährenden 
Zuwachse  neuer  Linien  an  Elasticität 
einbüsse.  Ungefähr  in  diesem  Sinne 
lautete  auch  eine  Mittheilung,  welche 
der  neue  Handelsminister  damals  dem 
Budgetausschusse  gemacht  hatte.  Mit 
den  einschlägigen,  unter  seiner  unmittel- 
baren Leitung  zu  bewerkstelligenden 
Ausarbeitungen     wurde     vom     Sections- 


422 


Ignaz  Konta. 


Chef  v.  Koerber  der  Stellvertreter  des 
administrativen  Directors  der  österreichi- 
schen Staatsbahnen,  Regierungsrath  Dr. 
Alfred  Freiherr  v.  Buschman,  beauftragt. 

Schon  während  dieser  Vorbereitungen 
war  die  geplante  neue  Centralstelle 
Gegenstand  eingehender  Debatten  im 
Abgeordnetenhause.  Dem  Einen  handelte 
es  sich  um  das  Wesen  und  die  Um- 
grenzung des  zu  schaffenden  Ressorts, 
um  die  Frage  ob  es  lediglich  ein  Eisen- 
bahn-  oder  Verkehrs-  [Communications-] 
Ministerium  sein  und,  letzteren  Falles, 
ob  ihm  auch  die  Schiffahrt  unterstellt 
werden  solle.  Den  Anderen  lag  mehr  die 
verfassungsrechtliche  Frage  am  Herzen, 
ob  ein  neues  Ressort  ohne  Befragung, 
beziehungsweise  Zustimmung,  der  Legis- 
lative geschaffen  werden  könne.  Im  Ab- 
geordnetenhause hatte  der  Abgeordnete 
Dr.  Russ  am  12.  December  1895  [bei 
der  Berathung  des  Staatsvoranschlages 
pro  1896]  diese  Fragen  aufgeworfen,*) 
welche  selbst  dann  noch,  als  schon  die 
vollendete  Thatsache  vorhanden  war, 
lebhaft  forterörtert  wurden.**) 

Dies  hielt  jedoch,  wie  eben  ange- 
deutet wurde,  den  Gang  der  Ereignisse 
nicht  auf.  Das  Organisations-Elaborat  war 
kaum  beendet,  als  auch  schon  die  neue, 
lediglich  für  das  Eisenbahnwesen  be- 
stimmte Centralstelle  zum  Dasein  gelangte. 
Seine  Majestät  der  Kaiser  genehmigte 
mit  a.  h.  EntSchliessung  vom  15.  Januar 
1896  die  Errichtung  eines  Eisen- 
bahn-Ministeriums sowie  zugleich 
auch  ein  neues  Organis  atio~ns- 
statut  für  die  staatliche  Eisenbahn- 
verwaltung, und  die  amtliche  »Wiener 
Zeitung«    vom   18.  Januar  1896   verlaut- 


*)  Dabei  erinnerte  Dr.  Russ  daran,  dass 
er  schon  im  April  1876  eine  Rede  zu  Gunsten 
der  Theilung  des  Handelsministeriums  ge- 
halten habe. 

**)  Der  Abgeordnete  Dr.  Kaizl  stellte 
in  der  Abgeordnetenhaus-Sitzung  vom  17.  Fe- 
bruar 1896  den  Dringlichkeitsantrag,  die  Re- 
gierung aufzufordern,  sie  möge  die  gesetz- 
lichen Argumente  mittheilen,  durch  welche 
sie  angesichts  der  Bestimmungen  des  Staats- 
grundgesetzes die  im  Verordnungswege  er- 
folgte Errichtung  eines  Eisenbahn-Ministe- 
riums zu  rechtfertigen  vermag.  Die  Dringlich- 
keit dieses  Antrages  wurde  jedoch  abgelehnt 
und  auch  dessen  geschäftsordnungsmässige 
Erledigung  war  schliesslich  eine  negative. 


barte  die  a.  h.  Handschreiben,  mittels 
deren  die  Ernennung  des  Feldmarschall- 
Lieutenants  Emil  Ritter  v.  Guttenberg 
zum  Eisenbahn-Minister,  ferner 
die  Enthebung  des  Sections  -  Chefs 
v.  Koerber  von  der  Leitung  der 
General-Direction  und  die  Verleihung  der 
Würde  eines  geheimen  Rathes  an  diesen 
nunmehr  als  Sections-Chef  in  das  Mini- 
sterium des  Innern  berufenen  Functionär 
erfolgte. 

Drei  Tage  später  erschien  die  Kund- 
machung des  Handelsministers  und  des 
Eisenbahn-Ministers  vom  19.  Januar  1896, 
welche  den  Beginn  der  Wirksamkeit  des 
neuen  Ministeriums  und  das  Ausscheiden 
aller  Eisenbahn-Agenden  aus  dem  Han- 
delsministerium auf  den  19.  Januar  1896 
anberaumte  und  das  neue  Organisations- 
Statut  zur  öffentlichen  Kenntnis  brachte 
mit  dem  Beifügen,  dass  dieses  Statut  mit 
1.  August  1896  voll  in  Wirksamkeit  zu 
treten  habe. 

Am  23.  Januar  1896  nahm  der  Eisen- 
bahn-Minister im  Administration  Gebäude 
am  Westbahnhofe  die  Vorstellung  der 
Beamtenschaft  entgegen.  DieBegrüssungs- 
Ansprache  hielt  der  Sections-Chef  Dr. 
Ritter  von  W  i  1 1  e  k,  der  hiebei  die  Bedeut- 
samkeit des  Momentes,  in  dem  der  erste 
Eisenbahn-Minister  Oesterreichs  an  die 
Spitze  seines  Personales  trete,  hervorhob 
und  der  Versicherung  Ausdruck  gab,  dass 
Alle  sich  mit  gesteigerter  Hingebung 
ihren  Obliegenheiten  weihen  würden,  um 
den  Intentionen  des  als  ausgezeichneten 
Fachmannes  bekannten  Ministers  zu  ent- 
sprechen und  mitbeizutragen  zur  Erfül- 
lung der  hohen  Berufsaufgaben  des  neuen 
Ressorts  gleichwie  dazu,  dass  dasselbe 
sich  auch  innerlich  nach  seinem  geistigen 
Gehalte  den  älteren  Ministerien  eben- 
bürtig ausgestalte. 

Der  Minister  dankte  für  den  Will- 
kommgruss,  dem  Sections-Chef  Dr.  Ritter 
von  W  i  1 1  e  k  aber  insbesondere  auch 
dafür,  dass  er  sich  bereit  erklärt  habe, 
seine  vorzüglichen  Dienste  auch  dem 
neuesten  Kinde  unter  den  Ministerien  zu 
weihen,  er  ersuchte  dann  um  freundliche 
Unterstützung  im  Amte,  welches  führen 
zu  dürfen  ihn  mit  Stolz  erfülle,  kennzeich- 
nete ferner  als  Hauptaufgaben  der  Eisen- 
bahn-Verwaltung:    die    Befriedigung 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


423 


des  Public  ums  bezüglich  eines  siche- 
ren und  den  Bedürfnissen  entsprechenden 
Personen-  und  Güterverkehres,  die  Unter- 
stützung von  Handel  und  Industrie  durch 
eine  gesunde  Tarifpolitik,  die  Wah- 
rung der  gesam  m  tst  aa  tli  chen 
Interessen  —  und  empfahl  stramme  Di- 
sciplin,  gute  Kameradschaft  und  kräftiges 
Zusammenwirken  zum  Wohle  des  Staates 
und  der  Bevölkerung. 

Das  grossgewachsene  österreichische 
Eisenbahnwesen  besass  nun  seine  eigene, 
selbständige  Centralstelle  und  diese  in 
dem  Eisenbahn-Minister  —  der  durch  seine 
langjährige  Stellung  an  der  Spitze  des 
Eisenbahnbureaus  des  Generalstabes,  wie 
nicht  minder  als  Mitglied  des  Staatseisen- 
bahnrathes  und  des  ständigen  Beirathes 
des  Präsidenten  der  General-Direction, 
den  Eisenbahndienst  vollkommen  kennen 
gelernt  hatte  —  einen  überaus  fachkundigen 
Chef.  Es  war  also  in  eine  neue  Phase 
der  Entwicklung  getreten,  an  einem  be- 
deutsamen Wendepunkte  seiner  Geschichte 
angekommen. 

Ausführliche  Mittheilungen  über  die 
neue  Organisation  sind  einem  besonderen 
Abschnitte  *)  vorbehalten.  Darum  mag 
hier  blos  mitgetheilt  sein,  dass  in  dersel- 
ben weder  die  General-Direction  noch 
eine  andere  zwischen  dem  Aussendienste 
und  der  Centrale  liegende  Dienststelle 
Platz  gefunden  hat,  vielmehr  den  an  die 
Stelle  der  Betriebs-Direction  getretenen, 
zum  Theile  wieder  mit  erweitertem  Wir- 
kungskreise ausgestatteten  Staatsbahn- 
Directionen  und,  rücksichtlich  der  Neu- 
bauten, den  Eisenbahn-Bauleitungen 
der  unmittelbare  Verkehr  mit  dem  Eisen- 
bahn-Ministerium eingeräumt  ist,  und  dass 
als  Hilfsorgane  des  letzteren  die  G  e  n  e- 
ral-Inspection  der  österreichischen 
Eisenbahnen  [Aufsichtsbehörde]  und 
das  Central  -Wagendirigirungs- 
Amt  fungiren.**) 

Die  ersten  bedeutenderen  Gesetzesvor- 
lagen, welche  das  Eisenbahn-Ministerium 
im  Reichsrathe  einbrachte,  betrafen   »wei- 


*)  Siehe  Bd.  IV,  >Geschichte  der  Ver- 
waltung der  österreichischen  Eisenbahnen* 
von   Dr.  Alfred  Freiherrn  von  Buschman. 

**)  Nachträglich  ist  noch  das  »Tarif-Er- 
stellungs-und  Abrechnungs-Bureau«  hinzuge- 
kommen. 


tere  Bestimmungen  über  die  Ausführung 
öffentlicher  Verkehrsanlagen  in  Wien«, 
ferner  den  auf  Staatskosten  auszuführen- 
den »Bau  der  Linie  Chodoröw-Pod- 
wysokie«  und  den  »Ankauf  der  Oester- 
reichischen  Nordwestbahn  und 
der  Süd-norddeutschen  Verbin- 
dungsbahn durch  den  Staat«.  Die 
beiden  erstangeführten  fanden  eine  glatte 
Erledigung  [siehe  Seite  407  und  Seite  413], 
hingegen  blieb  die  letzterwähnte  Vorlage 
erfolglos. 

Eingeleitet  wurde  diese  Verstaatlichung 
schon  im  Herbste  1895.  Die  Verwaltungen 
der  beiden  Gesellschaften  erhielten  am 
10.  September  1895  die  Verständigung  von 
dem  bezüglichen  Regierungs  -  Beschlüsse 
und  zugleich  die  Einladung  zur  Bekannt- 
gabe etwaiger  Wünsche  hinsichtlich  des 
Ueberganges  aus  dem  bisherigen  in  das 
neue  Verhältnis.  Die  hierauf  gepflogenen 
Verhandlungen  gediehen  bei  Ablauf  des 
Jahres  1895,  dem  Grundsätzlichen  nach, 
zu  Ende;  denn  ein  Communique  der 
halbamtlichen  »Wiener  Abendpost«  vom 
3.  Januar  1896  meldete  die  bereits  erzielte 
Uebereinstimmung.  Bis  zum  Abschlüsse 
förmlicher  Uebereinkommen  vergingen 
jedoch  noch  fünf  Wochen ;  er  erfolgte 
am  10.  Februar  1896.  Vor  den  Reichs- 
rath  kamen  dieselben  mittels  der  am 
27.  März  im  Abgeordnetenhause  einge- 
brachten Gesetzesvorlage ;  sie  begegnete 
aber  gleich  bei  der  ersten  Lesung 
[14.  April]  zahlreichen  Anfechtungen,  zu- 
meist wegen  des  Umstandes,  dass  die 
Regierung  auch  das  nicht  garantirte  Netz 
der  Oesterreichischen  Nordwestbahn  schon 
jetzt  in  die  Action  miteinbezogen  und 
für  das  garantirte  Netz  eine  gleich  hohe 
Rente  [11  fl.  75  kr.  und  später  12  fl.] 
zugestanden  hatte,  wie  für  das  ertrags- 
reichere nicht  garantirte.  Die  Berathungen 
im  Eisenbahn-Ausschusse  [6.  Mai]  Hessen 
sich  noch  ungünstiger  an  und  endeten 
mit  einer  Vertagung,  die  gleichbedeutend 
war  mit  Ablehnung,  da  die  Frist,  wäh- 
rend welcher  die  vertragschliessenden 
Theile  an  die  Uebereinkommen  gebunden 
waren,  mit   15.  Mai   1896  ablief.*) 

*)  Wenngleich  die  Angelegenheit  seitdem 
nicht  wieder  aufgenommen  wurde  und  viel- 
leicht bis  zum  Eintritte  des  concessions- 
mässigen    Einlösungsrechtes    auch    für    das 


424 


Ignaz  Konta. 


Gedeihlichere  Ergebnisse  lieferte 
wieder  die  Behandlung,  welche  ein  vierter 
von  dem  jungen  Ministerium  am  13.  Mai 
vorgelegter  Gesetzentwurf,  gefunden 
Dieser  galt  den  »im  Jahre  1896  sicher 
zustellenden  Bahnen  niederer  Ordnung« 
wurde  vom  Reichsrathe  angenommen 
erhielt  am  21.  Juli  1896  die  a.  h.  Sanc- 
tion  und  gab  der  Regierung  die  Mög- 
lichkeit,   beziehungsweise    Ermächtigung 


nichtgarantirte  Netz  der  Oesterreichischen 
Nordwestbahn  [25.  Juni  1900]  ruhen  wird, 
erscheint  es  —  der  Vollständigkeit  wegen  — 
geboten,  hier  mindestens  die  wichtigsten 
Punkte  der  Uebereinkoramen  vom  10.  Februar 
1896  anzuführen: 

Oesterreichische  Nordwestbahn: 
Uebergang  beider  Netze  sammt  allen  Rechten 
und  Pflichten  an  den  Staat,  der  hiefür  die 
gesellschaftlichen  Prioritäts  Anlehen  im  ur- 
sprünglichen Nominalbetrage  von  79.764.800A. 
Silber  und  13,999.800  fl.  Gold  [von  ersteren 
11,000.000  fl.  4°/0ig]  zur  Selbstzahlung  über- 
nimmt und  der  Gesellschaft  bis  zum  Beginne 
der  Liquidation  [längstens  1901]  eine  Jahres- 
rente von  3,743.690  fl.  zahlt,  aus  welcher  für 
jede  Actie  [lit.  A  und  B]  eine  Jahresdividende 
von  11  fl.  75  kr.  fliessen  soll.  Mit  Beginn 
der  Liquidation  erhält  die  Gesellschaft  vom 
Staate  zur  Ausschüttung  an  die  Actionäre 
einen  Nominalbetrag  von  191,347.600  fl.  in 
4°/0igen  Eisenbahn-  Staatsschuld-Verschreibun- 
gen  [das  ist  nom.  300  fl.  =  12  fl.  Dividende 
für  jede  Actie].  Die  Gesellschaft  verpflichtet 
sich  zur  Convertirung  ihrer  Obligationen  in 
zwei  3°/„ige  Anlehen  von  nom.  195,000.000 
Kronen  und  40,500.000  Reichsmark.  Der  bei 
der  Convertirung  sich  ergebende  Ueberschuss 
an  3°/0igen  Obligationen  [das  heisst  der  Con- 
vertirungs-Gewinn]  fällt  mit  60%  [das  ist 
etwa  3,000.000  fl.'|  dem  Staate  zu ;  die  Staats- 
vorschüsse aus  dem  Titel  der  Zinsengarantie 
werden  abgeschrieben  [die  bezügliche  Schuld 
hatte  damals  sammt  den  Zinsen  eine  Höhe 
von  rund  30,620.000  fl.],  das  Personal  wird 
unter  Wahrung  der  erworbenen  Rechte  vom 
Staate  übernommen. 

Süd  -  norddeuts  che  Verbindungs- 
bahn. Als  Entgelt  für  die  Uebertragung  des 
gesammten  gesellschaftlichen  Eigenthumes  an 
den  Staat,  übernimmt  derselbe  die  Prioritäts- 
Anlehen  und  alle  sonstigen  Verbindlichkeiten 
der  Gesellschaft  zur  SeTbstzahlung  und  folgt 
ihr  einen  Nominalbetrag  von  34,500.000  fl  in 
4"/0'genEisenbahn-Staatsschuld-Verschreibun- 
gen  zur  Ausschüttung  an  die  Actionäre  aus 
[230  fl.  mit  9  fl  20  kr.  Jahreszinsen  pro  Actie]; 
die  Liquidation  tritt  gleich  nach  Perfectio- 
nirung  des  Uebereinkommens  ein ;  Auflassung 
der  Staatsvorschüsse  aus  dem  Titel  der 
Zinsengarantie  [sammt  den  Zinsen  circa 
30,400.000  fl]  und  Uebernahme  des  Personales, 
wie  vorstehend. 


zur  Sicherstellung  einer  neuen  Reihe 
von  Localbahnen,  darunter  fünf  auf 
Staatskosten  herzustellender  Strecken, 
nämlich  Grulich -Schildberg,  Bärn- 
Hof,  Olbersdorf  -  Hotzenplotz, 
B  arzdorf-Jauernig  [52  km]  und 
Haugsdorf -Weiden au  [4^5 km].  Diese 
beiden  wurden  auch  alsbald  in  Angriffen 
genommen. 

Unterdessen  ging  die  Abwicklung  der 
Agenden  der  General-Direction  und  die 
Hinüberführung  der  Verwaltungsgeschäfte 
in  das  Eisenbahn-Ministerium  vor  sich. 
Alle  Organe  wetteiferten,  die  grosse  Auf- 
gabe innerhalb  der  kurz  bemessenen 
Frist  zu  bewältigen,  und  wiewohl  gar 
Manche  wussten  oder  fühlten,  dass  ihnen 
die  Pforten  des  neuen  Ressorts  ver- 
schlossen bleiben,  hielten  sie  doch  in 
voller  Hingebung  aus,  widmeten  ihr  gan- 
zes Können  und  W'ollen  den  ihnen  anver- 
trauten Obliegenheiten  und  gaben  bis  zur 
letzten  Stunde  Zeugnis  altgewohnter 
treuer  Pflichterfüllung.  So  konnte  denn 
die  neue  Organisation  »pünktlich«,  das 
heisst  am  I.  August  1896,  voll  in  Wirk- 
samkeit treten  ;  die  General-Direction  der 
Oesterreichischen  Staatsbahnen  aber  hatte 
genau  vierzehn  Jahre  nach  dem  Beginne 
ihrer  Thätigkeit,    zu  bestehen  aufgehört. 

Was  sich  von  da  ab  auf  dem  Ge- 
biete des  österreichischen  Eisenbahn- 
wesens begeben  hat,  liegt  bereits  ausser- 
halb des  unserer  Rückschau  gesteckten 
Zieles.  Einzelnes  davon  ist  gleichwohl 
in  den  vorangehenden  Mittheilungen  er- 
wähnt ;  dem  wäre  —  um  vollends  zur 
Gegenwart  zu  gelangen  —  noch  anzu- 
fügen, dass  mit  der  durch  die  politischen 
Vorgänge  im  November  1897  veran- 
lassten Demission  des  Cabinets  B  a  d  e  n  i 
auch  die  Enthebung  des  Eisenbahn-Mi- 
nisters Ritter  von  Guttenberg  ver- 
bunden war,  und  dass  in  dem  neu  be- 
rufenen Cabinete  G  a  u  t  s  c  h  der  Sections- 
Chef  Dr.  Heinrich  Ritter  von  Wittek, 
mittels  a.  h.  Handschreibens  vom  30.  No- 
vember 1897,  zum  Eisenbahn-Mi- 
nister ernannt  wurde,  welches  Amt  er 
auch  in  dem  dermaligen  Cabinet  [Graf 
T  h  u  n]  beibehielt.  Das  a.  h.  Handschreiben 
[ebenfalls  vom  30.  November  1897],  mit 
welchem  dem  früheren  Eisenbahn  -  Mi- 
nister Ritter  von  Guttenberg  die  Be- 


Geschichte  der  Eisenbahnen  Oesterreichs. 


425 


willigung  der  erbetenen  Enthebung  zu 
Theil  geworden,  gedachte  »mit  voller 
Anerkennung«-  der  von  dem  scheidenden 
Minister  »mit  hingebungsvollem  Eifer 
geleisteten    Dienste«     und    brachte     ihm 


auch    die    Verleihung    des    Ordens    der 
Eisernen  Krone  I.  Classe. 

In  Ziffern  ausgedrückt,  veranschaulicht 
sich  der  Stand  des  österreichischen  Eisen- 
bahnnetzes mit  Ende   1896  wie  folgt: 

Eisenbahnen  mit  Locomotiv- Betrieb : 


Bau-       Betriebs- 
länge        länge 

hievon 
doppel- 

Kilometer 

geleisip; 

A.  Im   Staatsbetriebe: 

7.2827 
1,7417 

53'5 

7-4 151 
I-764-4 

53'4 

791-6 
1460 

19-3 

B.  K.  k.  Staatsbahnen   im  fremden  Betriebe: 
1    K.  k.  Staatsbanken  und  Bahnen  im  Staatsbetriebe     .     .     . 

Zusammen  A  -f-  B 

C.  Privatbahnen  im  Privatbetriebe 

D.  Ausländische  Bahnen  auf  österreichischem 

Gebiete 

9.077-9 
7.582-9 

994 

9.2329 
7.6227 

994 

9569 
16038 

60 

Zusammen  A-\-  B-\-  C  +  D    . 

16.7592 

16.9550        25667 

Die  Eigenthumslänge  [Baulänge]  ist  da- 
her gegen  den  Stand  am  Schlüsse  des  vori- 
gen Jahrzehnts  [13.656  km]  um  3103  &w 
oder  227  °/0  gewachsen ;  der  Umfang  des 
staatlichen  Betriebsnetzes  [9.232  km]  hat 
um  4.003  km  oder  76-5  °/0  zugenommen. 

Diese   kleine  statistische  Uebersicht*)  ; 
beendet  die  uns  gestellte  Aufgabe.     Be- 
vor wir    jedoch    die    Feder    niederlegen,  [ 
gestatten  wir  uns-  noch  ein  kurzes 

Schlusswort: 

Zur  Zeit  der  Thronbesteigung  Sr. 
Majestät  des  Kaisers  Franz  Joseph  I. 
war  das  österreichische  Eisenbahnwesen 
kaum  noch  in  den  ersten  Anfängen  vor- 
handen ;  jetzt  steht  es  in  mächtiger  Ent- 
faltung da.  Unter  vielen  Mühen  und 
Opfern,  schwerer  Arbeit  und  zuweilen 
herben  Drangsalen  hat  es  sich  empor- 
gerungen zu  dem  heutigen  achtung- 
gebietenden Stande    seiner  Entwicklung. 

*)  Eine  ausführliche  Darstellung  des 
Standes  der  österreichischen  Eisenbahnen  zu 
Ende  des  Jahres  1896  enthält  der  IV.  Band 
dieses  Werkes. 


Oesterreich  hat  die  erste,  für  den 
öffentlichen  Verkehr  bestimmte  Eisenbahn 
auf  dem  europäischen  Festlande  ge- 
schaffen [Linz-Budweis],  desgleichen  die 
von  der  ganzen  Welt  bewunderte  erste 
Ueberschienung  der  Alpen  [Semmering- 
bahn]  und  zugleich  die  Construction  der 
ersten  Berglocomotiven  für  Adhäsions- 
Betrieb  ;  Oesterreich  war  es  daher,  welches 
dem  Eisenbahn-Verkehre  Wege  erschloss, 
die  für  denselben  vordem  als  unzugäng- 
lich galten  und  Oesterreich  war  es, 
welches  mit  diesem  kühnen  Vorgehen 
dem  Eisenbahnbaue  eine  neue  Richtung 
gab  und  die  bezügliche  Ingenieurkunst  auf 
eine  früher  ungeahnt  hohe  Stufe  hob. 

Späterhin  kamen  noch  andere  mächtige 
Ausführungen  hinzu,  bei  denen  die  Er- 
rungenschaften der  Technik  in  immer 
neuem  Glänze  erstrahlten.  Die  Karst- 
linien, die  Brennerbahn,  die  Pusterthal- 
bahn,  die  Bahnbauten  an  den  Karpathen 
und  die  Arlbergbahn  sind  unvergängliche 
Denkmale  der  Meisterschaft  unserer 
wackeren  Ingenieure. 

Und  nachdem  das  Netz  der  Haupt- 
bahnen    schon    ein    weit    ausgebildetes 


426 


Ignaz  Konta. 


gewesen,  begann  die  Entstehung  der  ört- 
lichen Schienenwege,  welche  —  Dank 
ihrer  regen  Förderung  von  Seite  des 
Staates  und  der  Länder  —  nunmehr 
überall  hervorwachsen  und  so  die  Vollen- 
dung des  Gesammtnetzes  in  hohem  Masse 
beschleunigen. 

Gleichen  Gang  mit  den  baulichen 
Schöpfungen  hielten  die  Neuerungen  und 
Vervollkommnungen  in  der  Construction 
der  Fahrbetriebsmittel,  in  den  Ein- 
richtungen für  die  Sicherheit  und  Regel- 
mässigkeit des  Betriebes  sowie  in  jenen 
für  die  Beschleunigung  und  Verwohl- 
feilung  des  Verkehres. 

Bedeutende  Fortschritte  machte  auch 
die  Gesetzgebung  und  Verwaltung,  die 
Pflege  der  Verbände  und  der  grossen 
internationalen  Vereinbarungen,  die  Uni- 
ficirung  der  Tarife  sowie  der  Transport- 
und  Betriebsvorschriften,  die  Freizügig- 
keit der  Fahrbetriebsmittel,  die  Fürsorge 
für  das  Personale,  die  Regelung  der 
Dienst- und  Lohnverhältnisse,  die  Schaffung 
und  Ausgestaltung  der  Unfall-  und  Kran- 
kenversicherung u.  s.  w. 

Es  ist  also  Vieles  und  Grossartiges 
geleistet  worden ;  doch  bleibt  noch  immer 
genug  zu  wirken  und  manches  Problem 
zu  lösen  übrig.  Die  Tauernbahn  und 
die  zweite  Verbindung  mit  dem  Meere, 
von  der  Triest  sein  Heil  erwartet,  stehen 


bereits  im  Vordergrunde  der  Erörterung, 
der  Ausbau  der  Dalmatiner  Bahn  und 
deren  Anschluss  an  das  Bahnnetz  der 
Monarchie  harren  seit  Langem  der  Ver- 
wirklichung; die  Localbahn-Bewegung 
ist  in  erfreulichem  Wachsthum  begriffen, 
und  die  technische  Vervollkommnung  der 
schon  vorhandenen  Schienenwege  muss 
stets  fortgesetzt  werden. 

Ebenso  wird  es  auf  dem  weiten  Ge- 
biete der  Administration  stets  Neues  zu 
schaffen  geben,  sowohl  im  inneren  Eisen- 
bahndienste, als  auch  zur  Befriedigung 
der  Wünsche  der  Bevölkerung  und  zur 
Austragung  der  aus  dem  Zuge  der  Zeit 
hervorgehenden  wirtschaftlichen  und 
sonstigen  Fragen. 

Was  da  zu  vollbringen  kommt,  wird 
zunächst  die  Arbeit  der  Generation  in 
Anspruch  nehmen,  welche  sich  jetzt  dem 
Dienste  des  Eisenbahnwesens  widmet. 
Mögen  darum  die  jungen  Kräfte  liebevoll 
erhalten  und  verwalten,  was  die  Alten  ge- 
schaffen, es  rührig  fortentwickeln,  Schiene 
an  Schiene  und  Linie  an  Linie  reihen, 
bis  die  Eisenstrassen  in  die  fernsten 
Winkel  des  theuren  Vaterlandes  reichen 
und  die  Segnung  der  Cultur,  den 
Wohlstand  und  die  Zufriedenheit  all- 
überallhin  tragen  unter  den  schirmenden 
Fittigen  des  ruhmreichen  österreichischen 
Doppelaars ! 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


Von 

Hugo  Koestler, 

k.  k.  Banrath  im  Eisenbahn-Ministerium. 


Vorgeschichte. 


Der  Mangel  an  Verkehrsmitteln 
machte  sich  in  Wien  schon  zur 
Zeit  der  Stadterweiterung  beson- 
ders fühlbar,  da  sich  durch  die  gesteigerte 
Bauthätigkeit  in  den  damaligen  Vororten 
die  Entfernungen  der  an  der  Peripherie 
gelegenen  Bezirke  vom  Centrum  der  Stadt 
nach  und  nach  bedeutend  vergrössert 
hatten. 

Bereits  damals  wurde  der  Versuch  ge- 
macht, diesem  Mangel  durch  Ausführung 
einer  Stadtbahn  abzuhelfen  und  es  war 
ein  Project  vom  Grafen  Hugo  Henckel- 
Donnersmark  vorgelegt  worden,  dem 
im  Jahre  1 869  ein  weiteres,  vom  Baurathe 
Karl  Schwarz  verfasstes  Project  folgte ; 
doch  wurde  keines  derselben  einer  be- 
hördlichen Behandlung  unterzogen. 

Im  Jahre  1865  hatte  der  Bau  von 
Pferdebahn-Linien  in  Wien  begonnen,  und 
obwohl  die  Länge  der  Betriebsstrecke 
im  Jahre  1873  erst  37*1  km  betrug,  war 
die  Personenfrequenz  in  diesem  Jahre 
schon  auf  31  Millionen  Fahrgäste  ge- 
stiegen, wozu  allerdings  die  Periode  des 
» volkswirtschaftlichen  Aufschwunges « 
sehr  viel  beigetragen  hatte.  Die  damaligen 
Verhältnisse  hatten  eine  Steigerung  der 
Bauthätigkeit  zur  Folge  gehabt,  und  die 
plötzlich  erwachte  Unternehmungslust 
hatte  sich  auch  der  Stadtbahn-  und  Wien- 
regulirungs-Frage  bemächtigt.  Im  Jahre 
1873  wurden  nicht  weniger  als  23  auf 
diesen  Gegenstand  bezughabende  Projecte 
dem  k.  k.  Handelsministerium  vorgelegt. 
Dieses  übermittelte   zunächst  sämmtliche 


Projecte  der  Gemeinde  Wien  zur  Begut- 
achtung mit  dem  Bedeuten,  dass  die 
Anlage  von  Locomotivbahnen  im  Planum 
von  Strassen  absolut  unzulässig  sei. 
Gleichzeitig  trat  die  Regierung  auch  an 
das  Parlament  heran.  Am  3.  April  1873 
ging  demselben  eine  Regierungsvorlage, 
betreffend  die  Bedingungen  und  Zuge- 
ständnisse für  die  Sicherstellung  von 
Localbahnen,  welche  den  Verkehr  in 
Wien  und  Umgebung  vermitteln  sollten, 
zu,  welcher  Entwurf  aber  niemals  Ge- 
setzeskraft erlangte.  Im  März  1874  brachte 
der  damalige  Bürgermeister  von  Wien,  Dr. 
Cajetan  Ritter  von  Felder,  die  vom  Ge- 
meinderathe  in  der  fraglichen  Angelegen- 
heit gefassten  Beschlüsse  zur  Kenntnis 
des  Handelsministers. 

Die  Gemeinde  bezeichnete  unter  den 
23  Entwürfen  jenen  des  Baurathes  Karl 
Freiherrn  von  Schwarz  und  Consorten 
als  das  den  öffentlichen  Interessen  am 
besten  entsprechende  Project.  Dasselbe 
bezweckte  die  Ableitung  des  Wienflusses 
von  der  Meidlinger  Brücke  längs  des 
Linienwalles  in  den  Donaucanal  bei  der 
Staatsbahnbrücke,  die  Ausführung  eines 
Central-Bahnhofes  bei  der  Aspernbrücke, 
von  welcher  eine  Untergrundbahn  einer- 
seits nach  Baumgarten  anschliessend  an  die 
Kaiserin  Elisabeth-Bahn,  andererseits  längs 
desDonaucanalesbiszumFranzJosef-Bahn- 
hof  und  von  dort  längs  dem  Linienwalle 
bis  zum  Rennweg  an  die  Verbindungsbahn 
führen  sollte.  An  Stelle  des  Wienfluss- 
bettes waren  Boulevards  bis  nach  Schön- 


43  o 


Hugo  Koestler. 


brunn  geplant,  von  den  angeführten  Linien 
aber  Abzweigungen  zu  den  übrigen  be- 
stehenden Bahnhöfen  vorgesehen. 

Die  Baukosten  des  31  "8  km  langen 
Bahnnetzes  waren  mit  20,000.000  fl.,  jene 
der  längs  der  Wien  vorgesehenen  Sammel- 
canäle  mit  11,000.000  fl.  und  endlich  die 
Wienfluss- Ableitung  mit  13,500.000  fl. 
veranschlagt.  Eine  in  Angelegenheit  der 
Stadtbahn  im  Jahre  1874  einberufene 
Conferenz,  an  welcher  auch  die  Vertreter 
der  in  Wien  einmündenden  Bahnen  theil- 
nahmen,  kam  zu  dem  Ergebnisse,  dass 
mit  Rücksicht  auf  die  herrschenden  Ver- 
hältnisse der  Ausbau  von  Localbahnen 
in  Wien  der  Zukunft  vorbehalten  werden 
müsse,  jedoch  der  Linienplan  sofort  fest- 
zustellen sei,  damit  durch  die  fortschrei- 
tende Verbauung  die  Ausführung  der 
Stadtbahn-Projecte  nicht  weiter  erschwert 
werde. 

Der  Oesterreichische  Ingenieur- 
und  Architekten -Verein  hatte  schon 
im  Februar  1874  einen  Ausschuss  einge- 
setzt, dem  die  Aufgabe  oblag,  sein  Gut- 
achten über  die  vorliegenden  Stadtbahn- 
Projecte  abzugeben.  Dieser  Ausschuss 
kam  in  seinem  im  April  1875  erstatteten 
Berichte  zu  dem  Schlüsse,  dass  keines  der 
vorliegenden  Projecte  eine  so  vollständige 
Lösung  der  Localbahn-Frage  enthalte,  dass 
es  sich  als  Grundlage  für  weitere  ernste 
Studien  eignen  würde,  und  empfahl  zu- 
nächst die  Aufstellung  eines  General- 
Regulirungsplanes  für  Wien,  der  unbe- 
dingt und  dringend  erforderlich  sei,  wenn 
diese  Frage  in  Zukunft  einer  gedeihlichen 
Lösung  zugeführt  werden  solle. 

Durch  die  nach  dem  Jahre  1873  ein- 
getretenen ungünstigen  Verhältnisse  wurde 
das  Interesse  für  die  Stadtbahn-Frage  der- 
art in  den  Hintergrund  gedrängt,  dass 
erst  im  Jahre  1881  neuerdings  drei  Projecte 
dem  k.  k.  Handelsministerium  zur  Be- 
urtheilung  eingereicht  wurden,  und  zwar : 

1.  Das  Project  Fogerty. 

2.  Das  Project  der  Wiener  Bau- 
gesellschaft und  des  Wiener  Bank- 
Vereines. 

3.  Das  Project  Atzinger,  Bühler 
und  Grave. 

Die  Vorführung  dieser  drei  Projecte 
gab  zunächst  im  November  1881  im 
Oesterreichischen  Ingenieur-   und    Archi- 


tekten-Verein zu  einer  sehr  lebhaften, 
acht  Abende  füllenden  Discussion  An- 
lass,  welche  auch  dadurch  bemerkens- 
werth  bleibt,  dass  in  derselben  der  durch 
das  Project  Fogerty  angeregte  Meinungs- 
streit zwischen  Hoch-  und  Tiefbahn  zum 
ersten  Male   lebhaft  zum  Ausdruck  kam. 

Namens  der  damals  in  Wien  führen- 
den, für  die  bauliche  Ausbildung  der 
Residenz  so  hochverdienten  Architekten 
Schmidt,  Hansen  und  F e r s t e  1,  griff 
der  letztere  in  die  Discussion  ein,  indem 
er  seiner  Freude  Worte  lieh,  dass  durch 
das  Project  einer,  die  Ringstrasse  über- 
setzenden Hochbahn  der  ästhetische  Sinn 
der  Wiener  Bevölkerung  plötzlich  zum 
Bewusstsein  gelangt  sei,  jedoch  auch  be- 
tonte, dass  angesichts  der  grossen  Vor- 
theile,  welche  die  Einführung  eines  so 
grossartigen  Verkehrsmittels  für  die  Stadt 
zur  Folge  haben  müsse,  ästhetische  Rück- 
sichten allein  nicht  massgebend  sein 
dürfen  und  auch  eine  Hochbahn  so  ausge- 
führt werden  könne,  dass  sie  vom  schön- 
heitlichen Standpunkte  zulässig  erscheine. 

Im  Schlussworte  zu  dieser  Discussion 
aber  konnte  der  damalige  Vereins- 
vorsteher, Oberbaurath  Prenninger, 
feststellen,  dass,  trotz  der  verschie- 
denen Ansichten  der  Redner  über  die 
Ausführung  der  Bahn,  alle  in  der  An- 
schauung übereinstimmten,  die  Anlage 
einer  Stadtbahn  in  Wien  sei  angesichts 
der  höchst  ungenügenden  Verkehrs- 
mittel unbedingt  nothwendig. 

Von  den  drei  erwähnten  Projecten 
verdient  jenes  der  englischen  Civil- 
Ingenieure  James  Bunten  und  Josef 
Fogerty  besondere  Erwähnung,  weil 
dasselbe  das  einzige  war,  welches  von 
allen,  dem  gegenwärtig  in  Ausführung 
begriffenen  Stadtbahn-Projecte  vorange- 
gangenen, bis  zum  Stadium  der  Conces- 
sions-Ertheilung  gelangte. 

Die  Projectanten  beabsichtigten  die 
Ausführung  einer  normalspurigen  doppel- 
geleisigen  Gürtelbahn,  ganz  ähnlich,  wie 
dies  im  heutigen  Projecte  der  Fall  ist, 
nebst  Abzweigungen  zu  sämmtlichen  in 
Wien  einmündenden  Bahnen  mit  directen 
Geleise-Anschlüssen  und  einer  Abzwei- 
gung nach  Hietzing. 

Im  Zuge  der  Donaucanallinie  war 
nächst  dem  Kaiserbad   die  Anlage  eines 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


431 


Centralbahnhofes,  ferner  beim  Gumpen- 
dorferSchlachthause  eine  grössere  Stations- 
anlage für  die  Wienthallinie  vorgesehen, 
von  welcher  der  Flügel  nach  Hietzing 
mit  einer  Seitenverbindung  zur  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn,  ferner  jener  zur  Südbahn 
abzweigen  sollte.  [Vgl.  Beilage,  Karte  der 
Wiener  Stadtbahn.]  Die  Ausführung 
des  etwa  i2-g  km  langen  Ringes  war 
entlang  der  Böschungen  des  Donau- 
canals  und  Wienflusses  als  Hochbahn 
auf  eisernen  Viaducten,  in  der  Gürtel- 
strasse mit  Rücksicht  auf  die  Boden- 
gestaltung theils  als  Viaduct,  theils  als 
offener  oder  gedeckter  Einschnitt  geplant. 
Die  Flügellinien  sollten  sämmtlich  als 
Hochbahnen  zumeist  auf  Viaducten  her- 
gestellt werden.  Auf  eine  Verbesserung 
der  sanitären  Verhältnisse  im  Wienthale 
hatte  Fogerty  nicht  Bedacht  genommen. 
Die  Baukosten  dieser  Stadtbahn  waren 
nach  dem  vorgelegten  allgemeinen  Pro- 
jecte  auf  35,970.0003.  veranschlagt,  und 
forderte  Fogerty  keinerlei  finanzielle  Unter- 
stützung seitens  des  Staates  oder  der 
Gemeinde.  Die  Gemeinde  Wien  erhob 
gegen  dieses  Project  sofort  ernstliche 
Einwendungen,  die  sich  nicht  nur  gegen 
die  Grundprincipien  wendeten,  sondern 
überhaupt  die  Zustimmung  zu  jedem 
Stadtbahn- Projecte  von  der  befriedigenden 
Lösung  einiger  Vorfragen  principieller 
Natur  abhängig  machten.  Zunächst  sollte 
auf  die  Wienfluss-Regulirung  Rücksicht 
genommen  werden,  ferner  sprach  sich  die 
Gemeinde  entschieden  gegen  die  Führung 
der  Linie  als  Hochbahn  aus,  und  zwar 
einerseits  wegen  der  Ueberschreitung  der 
Ringstrasse  nächst  der  Aspernbrücke,  der 
Verunstaltung  des  Prospectes  an  der 
Schwarzenbergbrücke  und  andererseits 
wegen  der  Verbauung  des  Donaucanal- 
Ufers.  Am  17.  März  1882  fasste  der 
Gemeinderath  von  Wien  nach  langen 
Debatten  folgenden  Beschluss:  »Die  An- 
lage einer  Wiener  Stadtbahn  kann  nur 
dann  gutgeheissen  werden,  wenn  zugleich 
mit  derselben  auch  die  Regulirung  des 
Wienflusses  und  die  Auflassung  der 
Linienwälle  erfolgt.  Da  weiterhin  die 
bezüglich  der  Concessionirung  von  Eisen- 
bahnen dermalen  geltenden  Gesetze  und 
Verordnungen,  insbesondere  bezüglich  der 
Expropriation  und  der  Bauführungen  auf 


und  an  Eisenbahnen,  die  Interessen  der 
Gemeinde  nicht  in  hinreichendem  Masse 
wahren,  so  erklärt  der  Gemeinderath, 
keinem  der  vorliegenden  Projecte  seine 
Zustimmung  ertheilen  zu  können.  Der 
Gemeinderath  spricht  sich  jedoch  im 
Principe  für  die  Anlage  einer  Stadtbahn 
aus.«  Ungeachtet  dieser  Aeusserung  der 
Gemeinde  befürworteten  die  übrigen  Mit- 
glieder der  Tracenrevisions-Commission 
die  Annahme  des  Fogerty'schen  Projectes 
mit  gewissen,  die  Grundprincipien  der 
Anlage  nicht  berührenden  Modifikationen. 
Thatsächlich  erhielt  Fogerty  am  28.  Januar 
1883  die  a.  h.  Concession  für  den  Bau 
der  Stadtbahn. 

Das  Wiener  Stadtbauamt  hatte  jedoch 
mittlerweile  ein  Project  für  die  Stadtbahn 
in  Verbindung  mit  der  Wienfluss-Regu- 
lirung ausgearbeitet,  welches  vom  Ge- 
meinderath angenommen  wurde.  Auf 
Grund  dieses  Beschlusses  erhoben  nun 
die  Vertreter  Wiens  ihren  Protest  gegen 
die  Ausführung  des  Fogerty'schen  Pro- 
jectes. Es  ist  begreiflich,  dass  diese 
Vorgänge  auf  die  Concessionäre  ent- 
muthigend  wirken  mussten,  umsomehr, 
als  die  Haltung  der  Commune  die  Geld- 
beschaffung für  das  Unternehmen  er- 
schwerte. Auch  hatten  sich  die  Ver- 
hältnisse des  englischen  Geldmarktes 
inzwischen  wesentlich  verschlechtert,  und 
die  Concessionäre,  welche  bereits  eine 
Caution  im  Betrage  von  einer  Million 
Gulden  bei  der  österreichischen  Staats- 
verwaltung erlegt  hatten,  waren  eines 
Tages  genöthigt,  das  Project,  das  mehrere 
Jahre  lang  die  Bevölkerung  Wiens  so 
lebhaft  beschäftigt  und  den  Gegenstand 
heftiger  Kämpfe  gebildet  hatte,  aufzugeben 
und  die  Caution  verfallen  zu  lassen. 

Das  vorerwähnte  Stadtbahn-Project 
des  Wiener  Stadtbauamtes  wurde  im 
Februar  1883  gelegentlich  einer  Dis- 
cussion  über  die  Wienfluss-Regulirung 
von  dem  um  die  bauliche  Entwicklung 
der  Stadt  Wien  hochverdienten  Stadtbau- 
Director,  Oberbaurath  Franz  B  e  r  g  e  r, 
im  Oesterreichischen  Ingenieur-  und 
Architekten-Vereine  erörtert,  und  bleibt 
dasselbe  insoferne  von  Interesse,  als  darin 
schon  ein  Theil  jener  Linien  vorgesehen 
war,  welche  nunmehr  thatsächlich  aus- 
geführt werden. 


432 


Hugo  Koestler. 


Gegenüber  dem  Projecte  Fogerty's 
bestand  ein  wesentlicher  Unterschied  in 
der  Linienführung  des  Stadtbauamt- 
Projectes  hauptsächlich  in  der  Strecke 
vom  Schikanedersteg  bis  zur  Augarten- 
brücke,  weil  in  letzterem  eine  längs  des 
Donaucanals  geführte  Linie  fehlte,  wo- 
gegen eine  Tief  bahn  am  westlichen  Um- 
fange der  inneren  Stadt  in  Vorschlag 
gebracht  war. 

Noch  während  die  Verhandlungen 
mit  Fogerty  im  Zuge  waren,  trat  die 
Firma  Siemens  &  Halske  mit  einem 
Project  für  eine  schmalspurige  elektrische 
Bahn  vom  Praterstern  zum  Westbahn- 
hofe auf,  das  im  Jahre  1 885  von  der  ge- 
nannten Firma  durch  den  Entwurf  einer 
normalspurigen  Locomotivbahn  ersetzt 
wurde,  die  dem  Donaucanal  entlang  ge- 
führt, auch  die  Franz  Josef-Bahn  mit  der 
Wiener  Verbindungsbahn  verbinden  sollte. 

Im  April  und  Mai  1886  wurde  im 
Oesterreichischen  Ingenieur-  und  Archi- 
tekten-Verein abermals  eine  Discussion 
über  die  Stadtbahn-Frage  abgehalten, 
wyelche  der  Architekt  Ritter  v.  Flattich 
durch  Vorführung  seines  gemeinschaftlich 
mit  den  Herren  von  Prangen  und  von 
G  u  n  e  s  c  h  verfassten  Projectes  eröffnete. 

Dieses  enthielt  eine  Verlängerung  der 
Verbindungsbahn  längs  des  Donaucanals 
bis  zur  Franz  Josef-  und  Nordwestbahn, 
eine  Bahn  im  Wienthal  bis  nach  Penzing, 


endlich  eine  Linie  über  den  Gürtel  zur 
Verbindung  der  Südbahn  mit  der  Franz 
Josef-Bahn,  und  als  Ergänzungslinie  eine 
Bahn  von  der  Elisabeth-Brücke  bis  Dorn- 
bach. Am  Hauptzollamt  war  ein  Central- 
bahnhof  gedacht;  die  Donaucanallinie 
sollte  als  Hochbahn,  die  übrigen  Linien 
zum  Theil  als  Tief-,  zum  Theil  ebenfalls 
als  Hochbahnen  ausgeführt  werden. 

Der  letzte  Vorgänger  des  nunmehr 
in  Ausführung  begriffenen  Stadtbahn- 
Projectes  war  ein  im  Jahre  1890  vorge- 
legter Entwurf  der  Dampftramwa y- 
Gesellschaft  vormals Krauss &  Comp., 
welcher  zunächst  die  Verbindung  der 
beiden  dieser  Gesellschaft  gehörigen 
Dampftramway-Bahnen  durch  eine  Linie 
von  Gaudenzdorf  längs  der  Wien  bis 
zum  Praterstern  und  eine  Tiefbahn  längs 
dem  Donaucanale  bezweckte.  Ausser- 
dem war  noch  eine  Linie  unter  der  Ring- 
strasse von  der  Elisabethbrücke  zum 
Anschlüsse  an  die  Donaucanallinie  beim 
Kaiserbade  und  ein  Flügel  vom  Gumpen- 
dorfer  Schlachthause  bis  zum  Westbahn- 
hofe vorgesehen. 

Obwohl  auch  dieses  Project  als  unvoll- 
ständig erkannt  wurde,  fand  dasselbe  von 
vielen  Seiten  thatkräftige  Unterstützung; 
es  wird  sich  in  den  weiteren  Auseinander- 
setzungen Gelegenheit  finden,  auf  die 
endgiltige  Entscheidung  bezüglich  dieses 
Projectes  zurückzukommen. 


Die  gesetzlichen  Grundlagen  für  die 
Wiener  Stadtbahn. 


Am  12.  April  1891  eröffnete  Se.  Ma- 
jestät Kaiser  Franz  Joseph  I.  die  Session 
des  Reichsrathes  mit  einer  Thronrede, 
welche  folgende  Sätze  enthielt: 

»Die  Vereinigung  Meiner  Haupt-  und 
Residenzstadt  mit  den  Vororten  hat  Mich 
mit  lebhafter  Befriedigung  erfüllt,  und 
Ich  erhoffe  von  derselben  wesentliche 
Vortheile  für  alle  Theile  des  vergrösser- 
ten  Wien.  Der  Frage  der  Wiener  Stadt- 
bahn wird  die  eingehendste  Aufmerksam- 
keit zugewendet,  und  ihre  Verwirklichung 
bildet  den  Gegenstand  besonderer  Für- 
sorge Meiner  Regierung.  < 


Diese  denkwürdigen  Worte  erklären 
auch  zum  Theil  die  gänzlich  veränderte 
Sachlage  für  die  Stadtbahn- Frage,  wie  sie 
durch  das  niederösterreichische  Landes- 
gesetz vom  19.  December  1890,  be- 
treffend die  Vereinigung  der  Vororte  mit 
den  bisherigen  zehn  Bezirken  der  Stadt 
Wien,  geschaffen  wurde ;  sie  sind  aber 
auch  ein  Beweis  der  nimmer  ruhenden 
Fürsorge  unseres  erhabenen  Monarchen 
für  die  Interessen  der  Bevölkerung,  ins- 
besondere jene  der  Reichshaupt-  und  Re- 
sidenzstadt Wien.  Das  Gemeindegebiet 
der  Stadt  war  durch  den  Fall  der  Linien- 


j 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


433 


wälle  und  die  Einverleibung  der  Vororte 
von  55'49  auf  178-9  km2  erweitert,  die 
grösste  Entfernung  von  einem  Punkte  des 
Weichbildes  zum  anderen  von  12  km  auf 
25  km,  endlich  die  Bevölkerungszahl  von 
800.000  auf  1,300.000  angewachsen. 

Waren  die  vorhandenen  Verkehrs- 
mittel schon  vor  dieser  Erweiterung  des 
Stadtgebietes  als  unzureichend  erkannt 
worden,    so    musste    befürchtet    werden, 


hatte  sich  vom  Jahre  1870  bis  zum  Jahre 
1890  von  I2'5  auf  42*8  Millionen  und  bis 
zum  Jahre  1895  sogar  auf  56-8  Millio- 
nen Fahrgäste  gesteigert.  *)  Ist  schon 
die  absolute  Ziffer  ein  Beweis  von  der 
ausserordentlichen  Zunahme  des  Ver- 
die  Vermehrung  der 
auf  den  Kilometer  be- 
''7°  576.000,  im  Jahre 


kehres,  so  zeigt 
Frequenz,  welche, 
zogen,  im  Jahre   ii 


1895    aber    710.000   Fahrgäste    betragen 


Abb.  17g.     Schnitt  durch  die  Viaductstrecke. 


dass  dieser  Mangel  sich  nach  der  Hinaus- 
schiebung der  Stadtgrenzen  noch  fühl- 
barer machen  und  voraussichtlich  sogar 
zu    einer   Calamität   herausbilden  würde. 

In  dieser  Beziehung  führt  der  Motiven- 
bericht der  Regierung  zu  dem  Gesetz- 
entwurf über  die  Wiener  Verkehrsanlagen, 
der  später  besprochen  werden  soll,  sta- 
tistische Daten  an,  welche  wohl  geeignet 
sind,  diese  Ansicht  sehr  nachdrücklich 
zu   unterstützen. 

Der  Verkehr  auf  den  Linien  der 
Wiener  Tramway,  deren  Streckenlänge 
von  21S  km  auf  72-6  km  gestiegen  war, 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band.  2.  Theil. 


hat,  in  welcher  Weise  das  Bewegungs- 
bedürfnis der  Bevölkerung  zugenommen 
hatte.  Aehnliche  Verhältnisse  finden  wir 
bei  der  Neuen  Wiener  Tramway,  deren 
Verkehr  von  7'2  Millionen  im  Jahre  1886 
auf  ii*i  Millionen  im  Jahre  1 895  ge- 
wachsen war;  die  Personen-Frequenz  auf 
der  Wiener  Verbindungsbahn,  die  im 
Jahre  1882  nur  192.083  Fahrgäste  be- 
tragen hatte,  erhöhte  sich  im  Jahre  1 890 
schon    auf  950.000   Fahrgäste.    Der   ge- 

*)  Vgl.  hierüber  im  Bd.  I,  2.  Theil,  den 
Abschnitt  über  Strassenbahnen  von  F.  R. 
Engel. 

28 


434 


Hugo  Koestler. 


sammte  Personenverkehr  in  Wien,  aus- 
schliesslich der  mittels  Omnibussen, 
Fiakern  und  Einspännern  beförderten 
Fahrgäste  betrug  nach  dem  Motiven- 
berichte im  Jahre  1885  rund  50/3  Millionen, 
im  Jahre  1890  aber  schon  60/9  Millionen 
und  dürfte  1896  schon  über  80  Millionen 
betragen  haben. 

Die  Entwicklung  der  Verkehrsmittel 
hatte  aber  mit  dieser  Zunahme  des  Ver- 
kehres nicht  gleichen  Schritt  gehalten  und 
die  fortwährenden  Klagen,  welche  in  dieser 
Richtung  laut  wurden,  lieferten  den  Be- 
weis, dass  die  vorhandenen  Verkehrs- 
mittel dem -Bedürfnisse  der  Bevölkerung 
nicht  mehr  genügten ;  ferner  musste  aber 
auch  in  Betracht  gezogen  werden,  dass 
an  eine  Verbauung  der  gegen  den  Um- 
fang der  Stadt  gelegenen  Bezirke  nicht 
zu  denken  war,  so  lange  nicht  für 
Transportwege  gesorgt  wurde,  welche  es 
der  Bevölkerung  ermöglichen,  bequem 
und  rasch  die  vom  Mittelpunkte  der 
Stadt  entlegenen  Bezirke  zu  erreichen. 
Ueberdies  ward  mit  Recht  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  bauliche  Entwicklung 
Wiens  zum  Theil  von  der  Feststellung 
des  Linienplanes  der  Wiener  Stadtbahn 
abhängig  sei,  aber  andererseits  durch  die 
fortschreitende  Verbauung  die  für  dieStadt- 
bahn  verfügbaren  Grundflächen  stetig 
vermindert  würden,  wodurch  die  Anlage 
des  Eisenbahnnetzes  erschwert,  vor  Allem 
aber  wesentlich  vertheuert  werde.  Die 
fortwährend  steigenden  Miethpreise 
Hessen  es  ferner  wünschenswerth  er- 
scheinen, der  Bevölkerung  die  Möglich- 
keit zu  bieten,  Wohnstätten  in  solchen 
Stadttheilen  aufzusuchen,  in  denen  gün- 
stigere Lebensbedingungen  vorhanden 
sind,  zu  welchem  Zwecke  aber  eine 
bessere  Ausgestaltung  der  Verkehrs- 
wege unbedingt  als  erforderlich  erkannt 
wurde. 

In  Erwägung  dieser  Umstände  fand 
sich  die  Regierung  bewogen,  eingehende 
Studien  über  die  Feststellung  des  Linien- 
Programms  der  Stadtbahn  durchführen 
zu  lassen,  welche  aber  zunächst  zu  dem 
Ergebnisse  führten,  dass  die  Sicherstellung 
der  Stadtbahn  nur  im  Zusammenhange 
mit  der  Wienfluss-Regulirung,  der  Aus- 
führuno; von  Sammelcanälen  längs  der 
Wien    und    dem    Donaucanale    und    der 


Ausgestaltung  des  letzteren  in  einen  Han- 
dels-   und   Winterhafen    erfolgen   könne. 

Der  unleugbar  vorhandene  Zusammen- 
hang der  angeführten  öffentlichen  Arbeiten 
hat  den  Entschluss  veranlasst,  die  Aus- 
führung derselben  durch  das  Zusammen- 
wirken des  Staates,  des  Landes  und 
der  Gemeinde  sicherzustellen  und  für 
die  einheitliche  Leitung  der  Projecte  und 
Bauarbeiten  eine  besondere  Centralstelle, 
die  »Commission  für  Verkehrs- 
anlagen  in  Wien«,  zu  schaffen. 

So  ist  denn  nach  eingehenden  Be- 
rathungen  der  betheiligten  staatlichen 
Centralstellen,  unter  Mitwirkung  von 
Vertretern  des  Landes  und  der  Ge- 
meinde ein  Programm  für  die  finanzielle 
Sicherstellung  der  oben  angeführten  An- 
lagen entstanden,  und  am  6.  Februar 
1892  legte  die  Regierung  dem  Reichs- 
rathe  einen  umfangreichen  Gesetzentwurf 
über  die  Ausführung  der  Verkehrsan- 
lagen in  Wien  vor. 

Dieser  Gesetzentwurf  ist  von  beiden 
Häusern  des  Reichsrathes  nahezu  unver- 
ändert angenommen  worden  und  erhielt 
am   12.  Juli   1892  die  a.  h.  Sanction. 

Nach  diesem  Gesetze  war  das  in 
Wien  auszuführende  Stadtbahnnetz  in 
zwei  grosse  Gruppen  getheilt,  und  zwar 
in  Hauptbahnen,  welche  den  Ueber- 
gang  sämmtlicher  Fahrbetriebsmittel  der  in 
Wien  einmündenden  Bahnen  gestatten  und 
Anschlüsse  an  dieselben  erhalten  sollen, 
und  in  Localbahnen,  auf  welchen  die 
Möglichkeit,  dass  die  Fahrbetriebsmittel 
der  Hauptbahnen  übergehen  können,  nur 
bedingungsweise  vorhanden,  Anschlüsse 
an  die  übrigen  Bahnen  aber  überhaupt 
nicht  in  Aussicht  genommen  waren.  Es 
sollten  sofort  folgende  Hauptbahnen  aus- 
geführt werden: 

1.  Die  Gürtellinie  von  Heiligenstadt 
bis  an  die  Südbahn  in  Matzleinsdorf  mit 
einer  Abzweigung  an  die  Kaiserin  Elisa- 
beth-Bahn in  Penzing. 

2.  Die  Donaustadtlinie  vom  Prater- 
stern  zur  Donauuferbahn  und  entlang 
derselben  bis  Nussdorf. 

3.  Die  Vorortelinie  von  Penzing  über 
Ottakring  und  Hernais  bis  Heiligenstadt. 

Ausserdem  sollten  die  nachstehenden 
Localbahnen  in  der  ersten  Bauperiode 
ausgeführt  werden : 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


435 


i.  Die  Wienthallinie  vom  West- 
bahnhofe über  den  Gürtel  zum  Schlacht- 
hause und  von  dort  zum  Hauptzollamte. 

2.  Die  Donaucanallinie  vom 
Hauptzollamte  bis  nach  Heiligenstadt. 

3.  Die  innere  Ringlinie,  abzwei- 
gend von  der  Wienthallinie  und  entlang 
der  Museen  und  dem  Schottenring  bis 
zum  Anschluss    an    die   Donaucanallinie. 

Nach  eintretendem  Verkehrsbedürfnisse, 
waren  in  einer  späteren  Periode  noch 
folgende  Linien  vorgesehen : 

1.  Eine  Hauptbahn  längs  des  Donau- 
canals  zur  Verbindung  der  Franz  Josef- 
Bahn  mit  der  Verbindungsbahn. 


sitzender  der  damalige  Handelsminister 
Olivier  Marquis  von  Bacquehem  war, 
dem  im  November  1893  Graf  Wurm- 
brand-Stuppach,  sodann  als  interi- 
mistischer Leiter  des  Handelsministeriums 
Sections-Chef  Dr.  Ritter  von  Wittek, 
nach  ihm  der  Handelsminister  Frei- 
herr Glanz  von  Eicha  und  am 
1.  Januar  1896  der  erste  Eisenbahn- 
Minister  Oesterreichs,  Feldmarschall-Lieu- 
tenant Ritter  von  Guttenberg,  im 
December  1897  aber  dessen  Nachfolger, 
der  k.  k.  Eisenbahn-Minister  Dr.  Heinrich 
Ritter  von  Wittek,  im  Vorsitze  folgten, 
dem  schon   seit  Constituirung   der  Com- 


Abb.  180.    Monierbrücke. 


2.  Die  Ausführung  der  Donaustadt- 
linie als  Hochbahn  vom  Rangirbahnhof 
nächst  der  Nordbahn  stromauf  und 
stromab   auf  die  Länge    der  Donaustadt. 

Ausser  diesen  Linien  waren  noch  fol- 
gende Localbahnen  in  Aussicht  genommen : 

1.  Eine  Linie,  abzweigend  von  der 
Wienthallinie  zum  Central-Friedhof  unter 
Benützung  der  Aspangbahn. 

2.  Abzweigungen  von  der  inneren 
Ringlinie  zur  Gürtel-  und  Vorortelinie 
mit  Fortsetzungen  gegen  Dornbach  und 
Pötzleinsdorf. 

3.  Zwei  Radialbahnen  durch  die  innere 
Stadt,  für  welche  von  vorneherein  der 
elektrische  Betrieb  vorgesehen  war.  [Vgl. 
Beilage,  Karte  der  Wiener  Stadtbahn.] 

Am  25.  Juli  1892  erfolgte  die  Con- 
stituirung der  Commission  für  Ver- 
kehrsanlagen,     deren      erster     Vor- 


mission die  Stellvertretung  im  Vorsitze 
und  die  ständige  Leitung  der  Geschäfts- 
führung übertragen  war.  Seiner  ausser- 
ordentlichen Umsicht,  Energie  und  rich- 
tigen Beurtheilung  der  oft  sehr  ver- 
wickelten Verhältnisse,  vor  Allem  aber 
seinem  warmen  Interesse  für  die  Wiener 
Verkehrsanlagen  war  es  zu  danken, 
dass  so  manche  anfangs  unüberwindlich 
geschienene  Schwierigkeit  überwunden 
werden  konnte  und  die  Beschlüsse  und 
Entscheidungen  der  Commission  nicht  nur 
fast  immer  einstimmig,  sondern  auch  mit 
jener  Raschheit  erfolgten,  welche  für  die 
Förderung  der  Bauarbeiten  unumgänglich 
erforderlich  war. 

Nachdem  die  Commission  dem  bei 
den  Concessions-Verhandlungen  im  k.  k. 
Handelsministerium  einvernehmlich  fest- 
gesetzten   Concessions-Entwurfe    für   die 

28* 


436 


Hugo  Koestler. 


von  ihr  auszuführenden  Hauptbahnlinien 
der  Wiener  Stadtbahn  in  der  Vollver- 
sammlung vom  IO.  December  1892  zu- 
gestimmt hatte,  erfolgte  die  a.  h.  Conces- 
sions-Verleihung  am  18.  December  1892. 
Die  Concessions-Bedingnisse  wurden  auf 
Grund  des  Commissions-Beschlusses  vom 
1 .  Juli  1 893  vom  k.  k.  Handelsministerium 
am  24.  Juli   1893  festgestellt. 

Der  Bau  der  Hauptlinien  der  Wiener 
Stadtbahn  war  in  Gemässheit  des  gesetz- 
lich genehmigten  Programms  der  k.  k. 
General-Direction  der  österreichischen 
Staatsbahnen  übertragen.  Nach  der  Auf- 
lösung der  Letzteren  im  August  1 896  wurde 
für  diesen  Zweck  eine  Abtheilung  im  k.  k. 
Eisenbahn-Ministerium,  die  »K.  k.  Bau- 
Direction  für  die  Wiener  Stadt- 
bahn« ins  Leben  gerufen  und  deren 
Leitung  dem  k.  k.  Sections-Chef  Friedrich 
Bisch  off  Edlen  von  Klammstein  als 
Baudirector  übertragen. 

Die  generellen  Projecte  der  Haupt- 
bahnen waren  einstweilen  von  der  k.  k. 
General-Inspection  der  österreichischen 
Eisenbahnen,  jene  der  Localbahnen  von 
der  sich  um  die  Concession  bewerbenden 
Dampftramway-Gesellschaft  vor- 
mals Krauss  &  Comp,  aufgestellt  worden, 
und  konnten  diese  Vorprojecte  in  der 
Zeit  vom  30.  Mai  bis  9.  Juli  1892  der 
Tracenrevision  unterzogen  werden. 

Am  27.  October  1892  erfolgte  die  Ent- 
scheidung des  k.  k.  Handelsministeriums 
über  die  bezüglichen  Commissions-Gut- 
achten  in  dem  Sinne,  dass  mit  Ausnahme 
des  damals  zur  Ausführung  für  spätere 
Zeit  in  Aussicht  genommenen,  zwischen 
Hernais  und  Heiligenstadt  gelegenen 
Theiles  der  Vorortelinie  und  der  Strecke 
Ferdinandsbrücke-Hauptzollamt  der  Do- 
naucanallinie  die  Traceführung  sämmt- 
licher  Linien  die  Genehmigung  erhielt. 
Gleichzeitig  ordnete  das  k.  k.  Handels- 
ministerium an,  dass  die  Fortsetzung  der 
Wienthallinie  bis  Hütteldorf  in  das  Detail- 
project  einzubeziehen  sei. 

Nachdem  die  Commission  für  Ver- 
kehrsanlagen in  ihrer  Vollversammlung 
vom  28.  November  1892  den  Beschluss 
gefasst  hatte,  den  Bau  der  Vorortelinie 
von  Heiligenstadt  zu  beginnen,  wurde 
das  bezügliche  Project  im  Januar  1893 
der    Tracenrevision    unterzogen    und    im 


März  1893  vom  k.  k.  Handelsministerium 
genehmigt. 

Am  1.  August  1892  waren  die  drei 
für  die  Ausführung  der  Stadtbahn  be- 
stimmten Bauleitungen  ins  Leben  getreten 
und  an  deren  Spitze  die  k.  k.  Ober-Bau- 
räthe  Millemoth,  Gatnar  und  Oel- 
w  e  i  n  berufen  worden. 

Am  7.  November  1892  wurde  mit 
der  Abtragung  des  im  Zuge  der  Gürtel- 
linie liegenden  Wasser-Reservoirs  der 
Kaiser  Ferdinands-Wasserleitung  vor  der 
Westbahnlinie  begonnen,  und  ist  es  daher 
dieser  Tag,  an  welchem  der  erste  Spaten- 
stich auf  der  Wiener  Stadtbahn  statt- 
gefunden hat.  Ein  denkwürdiger  Tag 
in  der  Geschichte  dieses  grossartigen 
Bauwerkes ! 

Mit  den  eigentlichen  Bauarbeiten 
wurde  am  16.  Februar  1893  in  der  Station 
Michelbeuern  der  Gürtellinie  begonnen ; 
nachdem  ferner  in  der  Zeit  vom  3.  bis 
29.  Mai  1893  die  politische  Begehung 
der  Strecke  Michelbeuern-Heiligenstadt- 
Brigittenau  durchgeführt  worden  war, 
wurden  am  7.  August  1893  die  Unter- 
Bauarbeiten auch  in  dieser  Strecke  der 
Gürtellinie  aufgenommen. 

Im  December  1893  wurden  weiter 
noch  die  Unterbauarbeiten  in  der  Strecke 
Heiligenstadt-Gersthof  der  Vorortelinie 
vergeben  und  in  Angriff  genommen. 

In  den  Vollversammlungen  der  Com- 
mission für  Verkehrsanlagen  vom  3.  und 
5.  Juni  1891  waren  einstweilen  auch  die 
Concessions-Bedingnisse  für  dieLocalbahn- 
linie  der  Wiener  Stadtbahn  von  der  Ver- 
kehrs-Commission  berathen  und  angenom- 
men worden ;  die  im  k.  k.  Handelsmini- 
sterium mit  der  Unternehmung  vormals 
Krauss  &  Comp,  geführten  Verhandlungen 
hatten  aber  gezeigt,  dass  die  Finanzirung 
dieser  Linien  nur  im  Falle  der  Ueber- 
nahme  der  auszuführenden  Linien  in  den 
Staatsbetrieb  und  unter  Bedingungen 
möglich  gewesen  wäre,  welche  dem  Effecte 
nach  der  Garantie  einer  Jahresrente  durch 
den  Staat  in  der  Höhe  des  voraussicht- 
lichen Reinertrages  gleich  gekommen 
wäre.  Es  ist  nun  der  Initiative  des  da- 
maligen Handelsministers  Grafen  Wurm- 
brand zu  danken,  dass  in  der  Vollver- 
sammlung der  Commission  für  Ver- 
kehrsanlagen   am     16.  Januar    1894    ein 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


437 


einhelliger  Beschluss  der  drei  Curien 
dahingehend  gefasst  wurde,  auch  diese 
Localbahnen  durch  die  Commission  aus- 
zuführen. 

Dieser  Beschluss  wurde  aber  an  fol- 
gende, das  bisherige  Programm  theilweise 
ändernde  Modalitäten  geknüpft : 

a)  Die  Ausführung  der  inneren  Ring- 
linie sollte  einstweilen  der  Vorsorge  im 
Wege  der  Concessions-Ertheilung  an  eine 
Privat-Unternehmung  vorbehalten  bleiben, 
wobei  diese  Linie  nach  dem  Ermessen 
der  Regierung  mit  elektrischem  Betriebe 
ausgeführt  werden  könne ; 

b)  statt  der  im  Programme  an  erster 
Stelle  vorgesehenen,  vom  Westbahnhofe 
im  Zuge  der  Gürtelstrasse  und  parallel 
mit  der  Gürtellinie  bis  zum  Gumpen- 
dorfer  Schlachthause 
führenden  Strecke  der 
Wienthallinie  wäre  die 
laut  Programm  »erst 
bei  eintretendem  Be- 
dürfnisse«  in  Aussicht 

genommene  Fort- 
setzung vom  Schlacht- 
hause im  Wienthale 
aufwärts  zum  An- 
schlüsse an  die  Kaise- 
rin Elisabeth-Bahn  bei 
Hütteldorf  sofort  zur 
Ausführung  zu  brin- 
gen und  in  dieselbe  die  abzulösende  und 
entsprechend  umzubauende  Dampftram- 
way-Strecke  Gumpendorf-Hietzing  einzu- 
beziehen ; 

c)  die  im  Programme  »bei  eintreten- 
der Notwendigkeit«  vorgesehene  directe 
Verbindung  derGürtellinie  mit  der  Kaiserin 
Elisabeth-Bahn,  etwa  in  der  Station  Pen- 
zing,  hätte  gänzlich  zu  entfallen ; 

d)  der  nach  dem  Programme  erst  der 
zweiten  Bauperiode  nach  Ende  1897  vor- 
behaltene Bau  der  Strecke  Westbahnhof- 
Matzleinsdorf  der  Gürtellinie  wäre  bezüg- 
lich der  Theilstrecke  Westbahnhof-Gum- 
pendorferlinie  in  die  erste  Periode  ein- 
zubeziehen  und  gleichzeitig  eine  Verbin- 
dungs-Curve  von  der  Gumpendorfer  Linie 
an  die  Wienthallinie  in  der  Richtung 
gegen  die  Stiegerbrücke  zur  Ausführung 
zu  bringen ; 

e)  die  Commission  für  Verkehrsan- 
lagen in  Wien  hätte  an  Stelle  der  Dampf- 


181.  Fünfachsigi 
der  Wiener 


tramway-Gesellschaft  vormals  Krauss  & 
Comp,  in  das  von  dieser  letzteren  mit 
der  Gemeinde  Wien  am  29.  April  1893 
getroffene  Uebereinkommen  hinsichtlich 
der  Grundsätze  für  die  Vertheilung  der 
Kosten  jener  Anlagen  einzutreten,  welche 
sowohl  die  Localbahn  als  die  Wienfluss- 
Regulirung  und  die  Sammelcanäle  betreffen 
und  hätte  die  Commission  demgemäss 
alle  hieraus  entspringenden  Rechte  und 
Pflichten  gegenüber  der  Gemeinde  Wien 
zu  übernehmen. 

Im  Sinne  dieser  Anträge  waren  die  wei- 
teren Schritte  eingeleitet  worden,  welche 
den  Erfolg  hatten,  dass  mit  dem  Gesetze 
vom  9.  April  1894,  R.-G.-Bl.  Nr.  73,  dem 
obigen  Beschlüsse  entsprechend,  weitere 
Bestimmungen  über  die  Ausführung  öffent- 
licher Verkehrsanlagen 
in  Wien  getroffen  wur- 
den. 

Mit  Allerhöchster 
Entschliessung  vom  3. 
August  1894,  R.-G.-Bl. 
Nr.  185,  ward  demzu- 
folge die  Concession  zum 
Bau  und  Betrieb  der 
Wienthal-  und  Do- 
naucanallinie  an  die 
Commission  für  Ver- 
kehrsanlagen verliehen. 
Bei  Berathung  des 
bezüglichen  Gesetzentwurfes  hatte  das 
Herrenhaus  bezüglich  der  Localbahnlinien 
folgende  Resolution  angenommen : 

»Das  Herrenhaus  spricht  den  Wunsch 
und  die  Erwartung  aus,  dass  die  in  Rede 
stehenden  Eisenbahn-Anlagen,  um  den 
sicheren  Uebergang  normaler  Fahrbetriebs- 
mittel zu  ermöglichen,  den  Bedürfnissen 
des  Vollverkehrs  entsprechend,  und  dass 
insbesondere  deren  Kunstbauten  durch- 
wegs in  lichter  Höhe  von  4-8  m  ausge- 
führt werden.« 

Unter  Berücksichtigung  dieses  Be- 
schlusses musste  nun  zunächst  eine  voll- 
ständige Neuaufstellung  des  Detailpro- 
jectes  für  die  Wienthal-  und  Donaucanal- 
linie  erfolgen,  da  das  von  der  Dampf- 
tram way  -  Unternehmung  ausgearbeitete 
Project  dieser  Forderung  nicht  entsprach. 
Insbesondere  war  auch  eine  wesent- 
liche Erweiterung  der  Anschlussbahnhöfe 
in    Hütteldorf    und    Heiligenstadt    noth- 


:  Tenderlocoinotive 
Stadtbahn. 


438 


Hugo  Koestler. 


wendig  geworden ;  die  grösste  Ver- 
änderung ergab  sich  jedoch  beim 
Hauptzollamts  -  Bahnhofe,  welcher  nach 
dem  von  der  Privat  -  Unternehmung  her- 
rührenden Projecte  in  seiner  seit- 
herigen Höhenlage  belassen  und  nur 
in  bescheidener  Weise  wegen  des  An- 
schlusses der  Localbahnen  umgebaut 
worden  wäre. 

Hiebei    hätte    sich    nicht    nur    keine 
Abhilfe    gegen    die    bisher    auf    diesem 
Bahnhofe  und  hinsichtlich  der  in  dessen 
Bereiche  liegenden  Strassen  bestehenden 
Uebelstände  ergeben,  vielmehr  wäre  eine 
Verschärfung  derselben  kaum  vermeidlich  i 
gewesen.    Nach  Uebertragung  des  Baues 
der  Localbahnlinie  der  Stadtbahn  an  die 
Commission  für  Verkehrsanlagen  musste 
daher   im  Einklänge   mit  der  Aenderung 
der  gesammten  Ausführungsweise   dieser 
beiden  Linien  auch  eine  derartige  Erwei- 
terung  des  Hauptzollamts-Bahnhofes    ins 
Auge  gefasst  werden,  dass  derselbe  allen 
aus  dem  Anschlüsse    der  Wienthal-  und 
Donaucanallinie    an    die   Wiener  Verbin- 
dungsbahn sich  ergebenden  Verkehrsauf- 
gaben vollkommen  genügte.    Eine  solche 
Erweiterung    ohne  Verschlechterung   des 
bisherigen     Zustandes      hat      sich     aber 
nur    bei    einer  weitgehenden  Aenderung 
der  Wiener  Verbindungsbahn  durch  Sen- 
kung  des  Hauptzollamts-Bahnhofes  unter 
das    Niveau    der    denselben    kreuzenden 
Strassen  als  möglich  erwiesen.    Das  auf 
dieser  Grundlage  ausgearbeitete  Stations- 
project     beseitigt    alle    früheren    Uebel- 
stände im  Betriebe  des   Bahnhofes  sowie 
an  den  Unterführungen  der  Landstrasser 
Hauptstrasse,    der  Ungargasse    und  Hin- 
teren    Zollamtsstrasse.     Dasselbe     trägt 
nicht    nur    den    derzeitigen  Verkehrsbe- 
dürfnissen, sondern  auch  der  Entwicklung 
der    letzteren  Rechnung    und    bietet  der 
Gemeindeverwaltung  dieGelegenheit,  auch 
die  Marxergasse    über   den  Bahnhof  ge- 
gen   die  Innere   Stadt    fortzuführen    und 
hiedurch  einem  schon  längst  schwer  em- 
pfundenen Uebelstände    für   den  angren- 
zenden Theil    des    III.    Wiener    Bezirkes 
abzuhelfen.  Angesichts  solcher  Vortheile 
hat    das    Project  ungeachtet    der  bedeu- 
tenden Mehrkosten  von  2,354. ioo  fl.  die 
einhellige  Zustimmung  aller  betheiligten 
Factoren  gefunden. 


Für  diese  Mehrkosten  musste  aber 
eine  Bedeckung  gefunden  werden.  Es 
wurde  daher  eine  Aenderung  des  Pro- 
grammes  in  Aussicht  genommen,  welche 
übrigens  auch  schon  deshalb  nothwendig 
gewesen  wäre,  weil  wichtige  Rücksichten 
des  Betriebes  und  des  Verkehres  sowie 
insbesondere  jene  der  Rentabilität  mit 
allem  Nachdrucke  dafür  geltend  gemacht 
worden  waren,  dass  die  der  zweiten 
Bauperiode  [1898  —  1900]  vorbehaltenen 
Strecken  Hernals-Penzing  der  Vorortelinie 
sowie  womöglich  auch  Gumpendorf-Matz- 
leinsdorf  der  Gürtellinie  schon  in  der  ersten 
Bauperiode  zur  Ausführung  zu  bringen 
seien.  Hingegen  zeigte  sich  die  Möglich- 
keit, von  der  Ausführung  der  nach  dem 
gesetzlich  genehmigten  Programme  in  der 
ersten  Bauperiode  vorgesehenen  provi- 
sorischen Donaustadtlinie  Abstand  zu 
nehmen,  da  die  Trace  und  Niveaulage 
dieser  Linie  von  allen  Seiten  Einwürfen 
begegnete,  wogegen  das  Ergebnis  der 
durchgeführten  Studien  die  Aussicht  auf 
eine  weit  günstigere  definitive  Lösung 
eröffnete.  Diese  sollte  in  der  Führung 
der  gleichnamigen  definitiven  Linie  durch 
den  Nordbahnhof  unter  Verbindung  des- 
selben mit  dem  Nordwestbahnhofe  und 
der  Station  Brigittenau  der  Donauufer- 
bahn bestehen.  Die  Verwirklichung  die- 
ses erst  in  seinen  generellen  Grundsätzen 
vorbereiteten  Projectes  hängt  wesentlich 
von  dem  Entgegenkommen  der  Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn  ab,  deren  Wiener 
Bahnhof  einen  gänzlichen  Umbau  erfahren 
musste.  Die  Ausführung  ist  selbstver- 
ständlich erst  für  eine  spätere  Zeit  ins 
Auge  gefasst. 

Die  auf  Grundlage  der  Detailprojecte 
aufgestellten  Kostenberechnungen  ergaben, 
dass  zur  Deckung  des  Mehraufwandes,  der 
aus  den  angedeuteten  Aenderungen  der 
ursprünglichen  Projecte  und  des  gesetz- 
lich genehmigten  Programmes  erwächst, 
aller  Voraussicht  nach  jener  Betrag  von 
13,800.000  fl.  ausreichen  werde,  welcher 
in  der  Regierungsvorlage  zu  dem  Gesetze 
vom  18.  Juli  1892  als  Erfordernis  der 
zweiten  Bauperiode  [1898 — 1900]  be- 
zeichnet erscheint. 

Entsprechend  dieser  Sachlage  fasste 
die  Commission  für  Verkehrsanlagen 
am     11.     Juli     1895     mit     Stimmenein- 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


439 


Abb.  182.    Haltestelle  Breitensee  und  Tunnel  gegen  Ottakring. 


helligkeit  der  drei  Curien  die  bezüglichen 
Beschlüsse  und  wurde  insbesondere  fest- 
gestellt, dass  der  Bau  der  provisorischen 
Donaustadtlinie  gänzlich  zu  entfallen  habe, 
dagegen  der  Ausbau  der  Vorortestrecke 
Hernals-Penzing  und  eventuell  der  Gürtel- 
strecke Gumpendorferstrasse  -  Matzleins- 
dorf noch  innerhalb  der  ersten  Bauperiode 
zu  bewirken  sei. 

Nach  erfolgter  Zustimmung  von  Ge- 
meinde und  Land  wurde  seitens  der  Re- 
gierung ein  bezüglicher  Gesetzentwurf 
eingebracht,  vom  Reichsrathe  genehmigt 
und  am  23.  Mai   1896  sanctionirt. 

Mit  diesem  Gesetze  war  die  finanzielle 
Grundlage  für  die  in  Ausführung  be- 
griffenen Stadtbahnlinien  geschaffen.  Ein- 
schliesslich der  Fahrbetriebsmittel  er- 
scheinen die  Kosten  der  einzelnen  Linien 
wie  folgt  veranschlagt: 

Gürtellinie 21,137.000  fl. 

Gumpendorf- Matzleinsdorf    4,691.000  » 
Definitive     Donaustadtlinie     6,600.000  » 

Vorortelinie 11,371.000  » 

Wienthallinie 13,460.700  » 

Bahnhof-Hauptzollamt  .     .     4,444.200  » 


Drittes     Geleise     Zollamt- 

Praterstern 825.000  fl. 

Donaucanallinie    ....     6,233.100  » 
Ergänzung      für     Fahrbe- 
triebsmittel   1,845.000  » 

Zu  diesen  Kosten  ist  noch 

ein  Betrag  von     .     .     .         133.000  » 
welcher  bereits  für  die  pro- 
visorische      Donaustadt- 
linie     verausgabt     war, 
ferner    ein    Betrag    von     2,145.700  » 
für  die  Verbindungs-Curve 
zwischen      der      Gürtel- 
und  Donaucanallinie,  von 
welcher  später  die  Rede 
sein    wird,    zu    rechnen. 
Es    sind    somit  die   Ge- 
sammtkosten      der 
Wiener    Stadtbahn     mit 
dem  Betrage  von  .     .     .  72,885.700  » 
veranschlagt    und   beträgt    die  Beitrags- 
leistung   des    Staates    zu    diesen  Kosten 
87-5°/oj  beziehungsweise   85°/,,,    je  nach- 
dem    es    sich    um    Hauptbahnen     oder 
Localbahnen  handelt,  während    der  Rest 
gesetzmässig  von  Land  und  Stadt  aufzu- 
bringen ist. 


440 


Hugo  Koestler. 


Im  Verlaufe  des  Jahres  1894  wurden 
die  Detailprojecte  für  den  grössten  Theil 
der  Linien  fertiggestellt;  nach  Durch- 
führung der  bezüglichen  Amtshandlungen 
erfolgten  nach  und  nach  die  Bauver- 
gebungen und  Ende  des  Jahres  waren 
die  Bauarbeiten  bereits  in  der  ganzen 
Strecke  Heiligenstadt- Westbahn,  Heiligen- 
stadt-Hernais und  Hütteldorf- Hietzing 
im  Zuge. 

Die  hervorragende  Bedeutung  der 
Wiener  Stadtbahn  als  Bauwerk  und  ihr 
Einfluss  auf  die  bauliche  Entwicklung  der 
von  ihren  Linien  durchzogenen  Stadttheile 
liessen  es  geboten  erscheinen,  innerhalb 
des  durch  die  verfügbaren  Mittel  be- 
grenzten Rahmens  der  Ausgestaltung 
dieser  Anlagen  in  ästhetisch  -  künstleri- 
scher Hinsicht  ein  erhöhtes  Augenmerk 
zuzuwenden.  Als  am  besten  zum  Ziele 
führender  Weg  wurde  vom  damaligen 
Vorsitzenden  der  Verkehrs-Commission, 
Handelsminister  Grafen  Wurmbrand, 
die  Heranziehung  eines  Mitgliedes  der 
Genossenschaft  der  bildenden  Künstler 
Wiens  als  künstlerischer  Beirath  der 
Commission  für  Verkehrsanlagen  er- 
kannt, welcher  die  von  der  bauleitenden 
Stelle  verfassten  Projectsoperate  der  zu- 
meist ins  Auge  fallenden  Bauten  vom 
künstlerischen  Standpunkte  zu  beurtheilen 
hätte  und  zu  diesem  Zwecke  von  Fall  zu 
Fall  den  Berathungen  der  Commission 
beizuziehen  sei. 

Der  von  der  Genossenschaft  der  bil- 
denden Künstler  Wiens,  welche  der  Ein- 
ladung des  Handelsministers  mit  dankens- 
werter Bereitwilligkeit  entsprach,  auf 
Grund  einstimmiger  Wahl  in  Vorschlag 
gebrachte  k.  k.  Oberbaurath  und  Pro- 
fessor Otto  Wagner  wurde  in  der 
Vollversammlung  vom  25.  April  1894 
als  künstlerischer  Beirath  der  Commission 
vorgestellt,  und  es  hat  derselbe  von 
diesem  Zeitpunkte  an  die  Beistellung 
der  Entwürfe  für  die  architektonische 
Ausstattung  der  Bauobjecte  sämmtlicher 
Linien  übernommen. 

Im  Juli  1895  wurde  seitens  der  Com- 
mission für  Verkehrsanlagen  dem  Detail- 
projecte für  die  Umgestaltung  und  Tiefer- 
legung des  Hauptzollamts-Bahnhofes  unter 
der  Bedingung  zugestimmt,  dass  die  für 
die  Bahnanlage  erforderlichen  Theile  des 


Eislaufplatzes  dem  Stadtbahn  -  Unter- 
nehmen seitens  der  Gemeinde  Wien  un- 
entgeltlich abgetreten  würden.  Dagegen 
erklärte  sich  die  Commission  für  Verkehrs- 
anlagen bereit,  der  Gemeinde  Wien  das 
Recht  einzuräumen,  den  Tief  bahnhof  be- 
hufs Ausdehnung  der  Grossmarkthalle  in 
dem  erforderlichen  Umfange  zu  überbauen 
und  behufs  Ueberführung  der  Marxer- 
gasse zu  überbrücken,  und  es  sagte  die 
Commission  der  Gemeinde  Wien  auch 
in  Bezug  auf  die  technische  Ausführung 
dieser  Anlagen  das  thunlichste  Entgegen- 
kommen zu. 

Gleichzeitig  wurde  in  Aussicht  ge- 
nommen, den  Bau  der  Strecke  Gumpen- 
dorferstrasse-Matzleinsdorf  der  Gürtellinie 
erst  dann  zur  Ausführung  zu  bringen, 
wenn  die  Beziehungen  der  Südbahn  zum 
Staatseisenbahn  -  Betriebe  endgiltig  ge- 
regelt sein  werden. 

Das  Project  für  den  Hauptzollamts- 
Bahnhof  wurde  im  September  1895  be- 
gangen und  es  ward  ermöglicht,  noch  im 
December  desselben  Jahres  mit  den  Bau- 
arbeiten zu  beginnen. 

Ende  1895  waren  die  Bauarbeiten  an 
der  Gürtellinie  bereits  in  der  Strecke 
Gumpendorferstrasse-Heiligenstadt-Brigit- 
tenau  im  Zuge.  Dagegen  beschränkte 
sich  die  Bauthätigkeit  auf  der  Vororte- 
linie auf  die  Strecke  Hernais-Heiligen- 
stadt, auf  der  Wienthallinie  auf  die 
Strecke  Hütteldorf-Hietzing. 

Im  Verlaufe  des  Jahres  1896  wurden 
auf  der  Gürtellinie  einige  wichtige  und 
umfangreiche  Canalverlegungs  -  Arbeiten, 
Strassenverlegungen  und  die  Umlegung 
der  Hochquellen- Wasserleitung  am  Neu- 
bau-, Hernalser-  und  Währingergürtel, 
ferner  die  Stollenbauten  unter  der  Schön- 
brunnerstrasse  und  Feiberstrasse  voll- 
endet und  waren  die  meisten  Viaduct- 
pfeiler  der  Hochbahnstrecke  aufgemauert, 
viele  Tragwerke  der  eisernen  Strassen- 
überführungen  oben  fertig  montirt  worden. 

Theilweise  wurde  1896  auch  mit 
den  Hochbauten  und  Ende  des  Jahres 
am  Bahnhofe  in  Heiligenstadt  mit  den 
Oberbau-Arbeiten  begonnen.  Auch  auf 
der  Vorortelinie  war  ein  wesentlicher 
Arbeitsfortschritt  zu  verzeichnen,  nach- 
dem im  Juni  die  Vergebung  der  Unter- 
bau-Arbeiten   in    der    Strecke    Hernais- 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


441 


Penzing  erfolgt  war.  Mit  Ende  desselben 
Jahres  war  der  Unterbau  in  der  Strecke 
Heiligenstadt-Gersthof  nahezu  vollendet 
und  auch  ein  Theil  der  Hochbauten  bereits 
unter  Dach  gebracht. 

Die  Bauarbeiten  auf  der  Wienthal- 
linie aber  wurden  in  diesem  Jahre  auch 
in  der  Strecke  Hietzing-Meidling-Haupt- 
strasse  begonnen,  in  der  Strecke  Hüttel- 
dorf- Hietzing  jedoch  die  Unterbau -Ar- 
beiten nahezu  vollendet. 

Beim  Bahnhofe  Hauptzollamt  erfolgte 
am  30.  Juni  1896  die  Eröffnung  des  im 
März  desselben  Jahres  begonnenen 
Provisoriums,    wonach    sofort  die  Demo- 


sowie  der  Reichsraths-  und  Landtags-Ab- 
geordneten von  Wien  in  der  Strecke  West- 
bahnhof-Heiligenstadt-Ottakring  mit  dem 
bestenErfolge  unternommen  werden  konnte. 

Die  Wienthallinie  war  im  Jahre  1 897 
bereits  in  ihrer  ganzen  Länge  im  Bau ; 
die  Unterbau  -  Arbeiten  für  die  obere 
Wienthallinie  wurden  in  diesem  Jahre 
nahezu  vollendet,  auch  die  Hochbauten 
so  weit  gefördert,  dass  deren  gänzliche 
Vollendung  im  Frühjahre  1898  bewerk- 
stelligt werden   konnte. 

Die  Bauarbeiten  der  unteren  Wienthal- 
linie konnten  nur  unter  Berücksichtigung 
der  durch  die  Wienfluss-Regulirung  sich 


5  >   ■■WTfffifh 


Abb.  183.    Aufnahmsgebäude  Hernais  und  Brücke  über  die  Hernalserstrasse. 


lirungs-Arbeiten  auf  dem  alten  Bahnhofe 
in  Angriff  genommen  wurden. 

Im  Jahre  1897  wurden  die  Unterbau- 
Arbeiten  in  der  Strecke  Heiligenstadt- 
Gumpendorferstrasse  der  Gürtellinie  nahe- 
zu vollendet ;  die  Hochbauten  waren  bis 
auf  einzelne  Detailarbeiten  im  Innern  der 
Gebäude  fertig.  Die  Oberbau-Arbeiten, 
ferner  die  Anlagen  für  das  Fahren  in 
Raumdistanz  wurden  in  der  ganzen  Strecke 
von  der  Haltestelle  Westbahnhof  -  Hei- 
ligenstadt-Brigittenau  soweit  gefördert, 
dass  diese  Strecke  schon  Ende  October 
fahrbar  war. 

Auch  auf  der  Vorortelinie  sah  man 
sämmtliche  Bauarbeiten  in  der  Strecke 
Heiligenstadt  -  Ottakring  bis  zu  diesem 
Zeitpunkte  so  weit  gefördert,  dass  am 
8.  November  eine  Besichtigungsfahrt  der 
Commission  für  Verkehrsanlagen,  unter 
Betheiligung  des  Wiener  Gemeinderathes 


darbietenden  Verhältnisse  und  unter 
ziemlicher  Behinderung  durch  verschiedene 
eingetretene  Hochwässer  zur  Durchfüh- 
rung gelangen,  und  es  war  der  Stand  der- 
selben mit  Ende  des  Jahres  ein  derartiger, 
dass  der  voraussichtliche  Eröffnungstermin 
für  diese  Linie  auf  das  Frühjahr  1899 
verschoben  werden  musste. 

Das  Project  für  die  Donaucanallinie 
war  schon  im  November  1895  der  politi- 
schen Begehung  zugeführt  worden ;  diese 
Linie  war  in  der  Strecke  von  der  Ferdi- 
nandsbrücke bis  zur  Augartenbrücke 
als  Galleriebahn,  von  dort  aber  bis 
Heiligenstadt  als  Hochbahn  projectirt, 
und  das  bezügliche  Detailproject  nicht 
nur  von  der  Verkehrs-Commission,  son- 
dern auch  von  der  Donauregulirungs- 
Commission  und  der  Gemeinde  Wien 
noch  vor  Einleitung  der  politischen  Be- 
gehung gutgeheissen  worden. 


442 


Hugo  Koestler. 


Auch  gelegentlich  dieser  Amtshandlung 
wurden  weder  von  Seite  der  Behörden 
noch  der  Gemeinde  und  der  Privat- 
interessenten Einwendungen  gegen  die 
Führung  der  Donaucanallinie  in  der 
Strecke  Augartenbrücke-Heiligenstadt  als 
Hochbahn  erhoben ;  nachdem  auch  im 
Allgemeinen  das  Ergebnis  derCommission 
ein  anstandsloses  war,  kam  die  Ertheilung 
des  Bauconsenses  zum  Ausspruch,  so  dass 
mit  der  Ausarbeitung  der  Vergebungs- 
Elaborate  begonnen  werden  konnte. 

Da  tauchte  einige  Zeit  später  eine  leb- 
hafte Agitation  auf, 
welche  die  Ausfüh- 
rung der  Strecke 
Augartenbrücke- 
Heiligenstadt  als 
Tief-,  beziehungs- 
weise Gallerie- 
bahn forderte.  Da 
trotz  der  vorher 
zum  ursprüngli- 
chen Projecte  be- 
reits ausgespro- 
chenen Zustim- 
mung nun  auch  die 
Gemeinde  die  For- 
derungen jener  In- 
teressenten unter- 
stützte, ward  sei- 
tens der  Com- 
mission  für  Ver- 
kehrsanlagen die  Ausarbeitung  eines  Tief- 
bahn  -  Projectes  für  diese  Strecke  und 
die  commissionellen  Erhebungen  über 
dasselbe  verfügt. 

Diese  Erhebungen  fanden  im  August 
1896  statt,  wurden  im  October  desselben 
Jahres,  nachdem  seitens  der  k.  k.  Bau- 
direction  für  die  Wiener  Stadtbahn  ein 
Alternativ-Project,  in  welchem  die  Station 
Brigittabrücke  dicht  an  die  Lände  gerückt 
erscheint,  vorgelegt  worden  war,  fort- 
gesetzt und  am  22.  December  1806  zum 
Abschlüsse  gebracht. 

Nach  dem  Ergebnisse  der  durch- 
geführten Verhandlungen  ward  die  Aus- 
führung der  Donaucanallinie  längs  der 
Rossauerlände  als  Tiefbahn  sowohl  vom 
Standpunkte  der  öffentlichen  als  privaten 
Interessen  als  wünschenswerth  bezeichnet. 
Nur  hinsichtlich  der  Lage  der  Station 
Brigittabrücke   und    bezüglich     der   Aus- 


Abb.  184.     Tunnelprofil. 


gestaltung  der  Verbindungscurve  zur 
Gürtellinie  ergaben  sich  Meinungsver- 
schiedenheiten. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  Differenzen 
musste  seitens  des  k.  k.  Eisenbahn- 
Ministeriums  eine  Entscheidung  getroffen 
werden.  Dasselbe  trat  zunächst,  um  eine 
baldige  Inangriffnahme  der  Bauarbeiten  zu 
ermöglichen,  mit  der  Gemeinde  Wien 
wegen  gewisser  Zugeständnisse,  durch 
welche  die  bedeutend  höheren  Baukosten 
der  Tiefbahn  vermindert,  die  Lage  der 
Station  Brigittabrücke  endgiltig  festge- 
stellt und  noch  ver- 
schiedene andere 
Zugeständnisse  er- 
reicht werden  soll- 
ten, in  Verhand- 
lung. Da  diese 
Verhandlungen  im 
Juli  1897  soweit 
gediehen  waren, 
dass  ein  günstiges 
Ergebnis  dersel- 
ben erhofft  werden 

konnte,     wurde 
nunmehr  das   De- 
tail-Project  für  die 
Tiefbahnstrecke 
und    die    Verbin- 
dungscurve 
Donaucanallinie- 
Gürtellinie  ausge- 
und    die    Gemeinde     Wien    ein- 
ihre  endgiltige  Aeusserung    so- 
über     das      Project     selbst,      als 
über    alle    die  Ausführbarkeit   des- 
Zugeständnisse   abzu- 


arbeitet 

geladen, 

wohl 

auch 

selben    sichernden 

geben. 

Eines  dieser  Zugeständnisse  betraf  die 
Frage  der  Bedeckung  des  mit  3,018.900  fl. 
veranschlagten  Mehrerfordnisses  für  die 
Ausgestaltung  der  Donaucanallinie  als 
Tiefbahn  und  die  Ausführung  der  Ver- 
bindungscurve von  der  Donaucanallinie 
zur  Gürtellinie ;  die  Bedeckung  dieses 
Mehrerfordernisses  sollte  aus  dem  für  den 
Bau  der  Linie  Gumpendorf-Matzleinsdorf 
gesetzmässig  genehmigten  Credite  von 
4,691.000  fl.  erfolgen,  weshalb  die  Zu- 
stimmung der  Gemeinde  dazu  erforderlich 
war,  dass  die  Ausführung  dieser  Linie 
vorläufig  unterbleibe.  Durch  den  Ge- 
meinderathsbeschluss    vom   I.    Juni   1898 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


443 


Abb.  185.     Aufnahmsgebäude  des  Bahnhofes  Heiligenstadt. 


wurde  endlich  allen  Forderungen  ent- 
sprochen, welche  seitens  des  k.k.  Eisenbahn- 
Ministeriums  als  Bedingungen  für  die  Aus- 
führung der  Donaucanallinie  als  Tief  bahn 
gestellt  worden  waren,  und  hat  daher  die 
Commission  für  Verkehrsanlagen  in  der 
Vollversammlung  vom  27.  Juni  1898  mit 
Stimmeneinhelligkeit  der  Curien  den  Be- 
schluss  gefasst,  das  Project  für  die  Tief- 
bahn zu  genehmigen  und  die  Deckung 
der  erwachsenden  Mehrkosten  dieses  Pro- 
jectes  und  jenes  der  Curve  zur  Gürtellinie 
in  der  Höhe  von  3,018.900  fl.  aus  dem 
für  die  vorläufig  zurückgestellte  Strecke 
Gumpendorf  -  Matzleinsdorf  reservirten 
Betrag  von  4,691.000  fl.  zu  bewirken. 

Es  wurde  nunmehr  die  politische  Be- 
gehung dieses  Projectes  durchgeführt  und 
im  Herbste  1898  die  Vergebung  der  Bau- 
arbeiten eingeleitet,  deren  Vollendung  im 
Laufe  des  Jahres  1 900  zu  gewärtigen  ist. 

Die  Bauarbeiten  waren  einstweilen 
auf  der  Vororte-,  Wienthal-  und  Gürtel- 
linie energisch  gefördert  worden.  Schon 
Mitte  Februar  1898  war  die  Geleiselage 
für  die  Vorortelinie  so  weit  vollendet, 
dass  die  Strecke  der  ganzen  Länge  nach 
von  Materialzügen  befahren  werden 
konnte.  Auch  die  Strecken  Gumpen- 
dorferstrasse-Heiligenstadt  und  Hütteldorf- 


Meidling-Hauptstrasse  waren  Ende  März 
bereits  fahrbar,  die  schwierigen  Arbeiten 
auf  der  dazwischen  liegenden  Strecke 
wurden  aber  durch  das  energische  Zu- 
sammenwirken der  k.  k.  Bauleitungen 
und  den  mit  der  Ausführung  der  Unter- 
bau-, Hochbau-  und  Oberbau-Arbeiten 
betrauten  Bauunternehmungen  so  rasch 
gefördert,  dass  schon  am  2.  Mai  1898 
Eisenbahn-Minister  Dr.  Ritter  von  Witte k 
in  seiner  Eigenschaft  als  Vorsitzender  der 
Commission  für  Verkehrsanlagen  die  ganze 
Vororte-,  Gürtel-  und  obere  Wienthallinie 
befahren  konnte.  Am  3.  Mai  1898  fand 
die  technisch-polizeiliche  Prüfung  der 
Vorortelinie,  am  5.  Mai  die  Vorrevision 
der  Gürtel-  und  oberen  Wienthallinie  mit 
einem  vollkommen  günstigen  Ergebnisse 
statt. 

Am  9.  Mai  1898  hat  in  feierlicher 
Weise  die  Eröffnung  der  vollendeten 
Linien  der  Wiener  Stadtbahn  durch 
Se.  Majestät  den  Kaiser  stattgefunden. 
Es  gestaltete  sich  diese  Feier  zu  einer 
imposanten  Huldigung  für  den  Monarchen, 
dessen  gnädiger  Fürsorge  die  Stadt  Wien 
das  neue  und  wichtige  Verkehrsmittel 
verdankt.  [Vgl.  Abb.   198,  Seite  463.] 

Der  Eröffnungsact  fand  in  der  Station 
Michelbeuern,    also    an    derselben   Stelle, 


444 


Hugo  Koestler. 


an  welcher  auch  der  erste  Spatenstich 
erfolgt  war,  statt.  Dem  Acte  wohnten 
ausser  dem  a.  h.  Hofe  die  Vertreter  der 
ausländischen  Mächte,  die  Spitzen  sämmt- 
licher  Central-Behörden,  viele  Abgeord- 
nete, Gemeinderäthe  etc.,  ferner  die 
bauführenden  Ingenieure  und  Bauunter- 
nehmer bei. 

Auf  die  von  Seiner  Excellenz  dem 
Eisenbahn-Minister  namens  der  Verkehrs- 
Commission,  vom  Landmarschall  Freiherrn 
von  Gudenus  namens  des  Landes,  und 
von  dem  Bürgermeister  Dr.  Karl  L  u  e  g  e  r 
namens  der  Stadt  Wien  gehaltenen  An- 
sprachen geruhte  Se.  Majestät  Folgendes 
zu  erwidern : 

»Gerne  bin  Ich  der  Einladung  der 
Commission  für  Verkehrsanlagen  gefolgt, 
an  der  feierlichen  Eröffnung  der  ersten 
vollendeten  Strecke  der  Wiener  Stadt- 
bahn theilzunehmen. 

Durch  das  einträchtige  Zusammen- 
wirken der  autonomen  Curien  und  des 
Staates  geschaffen,  wird  dieser  Bahnbau 
—  wie  Ich  zuversichtlich  hoffe  — 
der  Bevölkerung  mannigfache  Vortheile 
bringen  und  die  Mir  am  Herzen  liegende 
gedeihliche  Entwicklung  Wiens  wirksam 
fördern. 

Ich  danke  den  Herren  für  die  kund- 
gegebenen loyalen  und  patriotischen  Ge- 
sinnungen und  spreche  den  bau- 
führenden Organen  für  ihre,  der 
österreichischen  Technik  zur 
Ehre  gereichenden  Leistungen, 
deren  künstlerische  Ausgestaltung  wohl- 


thuend  hervortritt,  Meine  volle  An- 
erkennung aus.« 

Nachdem  Seine  Majestät  die  Vor- 
stellung einer  Reihe  von  Persönlichkeiten, 
welche  in  der  Commission  für  Verkehrs- 
anlagen beim  Zustandekommen  der  Stadt- 
bahnbauten mitgewirkt  hatten,  und  einer 
Anzahl  der  mit  der  Durchführung  der 
Bauarbeiten  betrauten  Ingenieure  und 
Bauunternehmer  entgegen  genommen 
hatte,  erfolgte  mittels  Hofseparatzuges  die 
Bereisung  der  vollendeten  Strecken  unter 
dem  Jubel  der  Bevölkerung,  die  dem 
Monarchen  längs  der  ganzen  Strecke  be- 
geisterte Ovationen  darbrachte. 

In  der  Geschichte  der  Stadt  Wien 
wird  dieser  Tag  ein  glänzendes  Merk- 
zeichen bilden,  für  die  österreichischen 
Techniker  aber  wird  die  Eröffnung  der 
Wiener  Stadtbahn  durch  die  besonders 
ehrende  Form  in  der  Anerkennung  ihrer 
Leistungen  stets  eine  denkwürdige  und 
stolze  Erinnerung  bleiben. 

Am  II.  Mai  1898  erfolgte  die  Er- 
öffnung des  Betriebes  auf  der  Vororte- 
linie, am  1.  Juni  aber  auf  der  Gürtel- 
und  oberen  Wienthallinie,  und  der  über- 
raschend grosse  Verkehr,  welcher  sich  auf 
diesen  Linien  seither  entwickelt  hat,  be- 
weist wie  dringend  das  Bedürfnis  nach 
einem  grossstädtischen  Verkehrsmittel, 
als  welches  die  Stadtbahn  projectirt  und 
ausgestaltet  ist,  in  Wien  war,  und  wie 
rasch  die  Bevölkerung  die  ihr  durch  ein 
derartiges  Verkehrsmittel  gebotenen  Vor- 
theile zu  würdigen  weiss. 


Baubeschreibung. 


Allgemeines. 

Sämmtliche  Stadtbahnlinien  sind  nor- 
malspurig  und  zweigeleisig  ausgeführt, 
eine  Ausnahme  bildet  die  Vorortelinie 
insoferne,  als  der  Unterbau  zwar  auch 
für  beide  Geleise  hergestellt,  der  Ober- 
bau aber  ursprünglich  nur  für  ein  Ge- 
leise gelegt  wurde ;  da  die  Erfahrungen 
im  ersten  Halbjahre  des  Betriebes  zeigten, 
dass  mit  einem  Geleise  auf  dieser  Linie 
das  Auslangen  nicht  gefunden  werden 
kann,  wurden  sofort  die  Einleitungen  für 


die  Legung  des  zweiten  Geleises  getroffen, 
und  dürfte  dasselbe  im  Juni  1899  in  Be- 
nützung genommen  werden  können. 

Die  Fahrgeschwindigkeit  der  Züge 
wurde  mit  40  km  pro  Stunde  festgesetzt. 
Die  grösste  Neigung  beträgt  bei  der 
Hauptbahn  2O°/00,  bei  den  Localbahnen 
aber  2$°l00,  der  kleinste  Halbmesser  der 
Bögen  in  der  currenten  Strecke  ist  mit 
150  m  festgesetzt,  und  es  ist  nur  bei 
Verbindungs-Curven  nächst  den  Stationen 
in  einzelnen  Fällen  ein  Krümmungs-Halb- 
messer von  1 20  m  zur  Anwendung  gebracht. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


445 


446 


Hugo  Koestler. 


Alle  Objecte  und  sonstigen  im  Unter- 
bau vorkommenden  Bauwerke,  ferner  die 
Aufnahmsgebäude  und  die  für  den  Zug- 
förderungs-Dienst und  die  Unterbringung 
des  Bahnpersonales  in  den  Stationen  und 
Haltestellen  bestimmten  Hochbauten  wur- 
den in  definitiver  Weise  hergestellt;  bei 
solchen  in  Eisen  ausgeführten  Hochbahn- 
Constructionen,  deren  Lage  es  wünschens- 
werth  erscheinen  Hess,  die  Schallwir- 
kungen des  Zugsverkehrs  thunlichst  abzu- 
schwächen, wurde  die  Fahrbahn  mit 
Buckelplatten  abgedeckt  und  der  Oberbau 
wie  gewöhnlich  eingeschottert,  wodurch 
die  beabsichtigte  Wirkung  thatsächlich 
erreicht  worden  ist. 

Mit  besonderer  Sorgfalt  ist  die  Ent- 
wässerung und  Abdeckung  der  Viaduct- 
gewölbe  durchgeführt.  Die  Gewölbsnach- 
mauerung  wurde  mit  einer  8  cm  starken 
Betonschichte  in  Portland-Cement  über- 
deckt, auf  die  eine  20  mm  starke  Schichte 
aus  Natur- Asphalt  und  dann  ein  liegendes 
Ziegelpflaster  aufgetragen  ist. 

Die  Abdeckung  hat,  wie  aus  Abb.  179 
ersichtlich  ist,  gegen  die  in  den  Pfeilern 
angeordneten  Entwässerungs  -  Schächte 
eine  Neigung  von  5°/0;  in  diese  Schächte 
mündet  ein  4»«  langes  Rohr  aus  Gusseisen, 
in  welch  letzteres  wieder  das  bis  in  den 
Abflusscanal  reichende  Rohr  aus  verzink- 
tem Eisenblech  eingesetzt  ist.  Die  Oeff- 
nung  über  dem  Rohre  ist  durch  einen 
bis  zur  Schwellenhöhe  reichenden  guss- 
eisernen Hut,  welcher  glockenförmig  er- 
weitert und  durchbrochen  ist,  geschlossen  ; 
nach  Entfernung  dieses  Hutes  kann  das 
verzinkte  Abflussrohr  an  seinen  Hand- 
haben herausgezogen  undgereinigtwerden. 

Auch  die  Entwässerung  der  be- 
schotterten eisernen  Bahnbrücken  ist 
sorgfältig  durchgeführt,  indem  eiserne 
Längs-  und  Querrinnen  das  Tropfwasser 
aus  den  Buckelplatten,  welche  zu  diesem 
Zwecke  an  ihren  tiefsten  Punkten  durch- 
locht und  mit  Ansatzröhrchen  versehen 
sind,  aufnehmen  und  gegen  die  Wider- 
lagen führen,  woselbst  eiserne  Abfall- 
rohre  die  Weiterleitung  des  Wassers  in 
die  Strassencanäle  besorgen. 

Die  Viaducte  sind  meist  in  Ziegel- 
mauerwerk mit  Eckverkleidungen  und  Ge- 
simsplatten  aus  Stein  ausgeführt.  Dagegen 
ist    für    die    Stütz-  und  Futtermauern    in 


den  offenen  und  gedeckten  Einschnitten 
ausschliesslich  lagerhaftes  Bruchstein- 
Mauerwerk    zur  Anwendung  gekommen. 

Die  Fundamente  der  Kunstobjecte 
und  Hochbauten  wurden  häufig  betonirt, 
und  haben  Monier-  und  Beton-Construc- 
tionen  vielfache  Anwendung  gefunden. 
So  wurden  z.  B.  die  meisten  der  Strassen- 
überfahrten  auf  der  Vorortelinie  mittels 
Moniergewölben  bis  zu  einer  Lichtweite 
von  2CV25  m  ausgeführt.  [Abb.  180.]  Für 
die  Canäle,  Entwässerungsgräben  und 
ähnliche  Bauwerke  kam  ausschliesslich 
Beton  zur  Verwendung,  aus  welchem 
Materiale  bei  den  Eindeckungen  der  Tief- 
bahnstrecken sowie  bei  einigen  Bahn- 
brücken mit  nahegerückten  Trägern  auch 
Auflags-  und  Deckquadern  ausgeführt 
wurden. 

Auf  dem  grössten  Theile  der  hoch- 
geführten Gürtellinie  sowie  auf  einem 
Theile  der  Viaductstrecke  der  Vororte- 
linie erscheint  der  obere  Abschluss  der 
Bahnobjecte  wagrecht  durchgeführt,  was 
bei  geneigter  Bahn  durch  die  stufen- 
förmige Anlage  der  Abkrönung  erzielt 
wurde.  Auch  die  Ausbildung  der  grössten 
Anzahl  der  eisernen  Bahnbrücken  ent- 
spricht dem  Bestreben  des  Architekten, 
die  wagrechte  Linie  soviel  wie  möglich 
einzuhalten.  Demgemäss  lagern  die,  zu- 
meist parallele  Gurtungen  zeigenden 
Blech-  und  Gitterbrücken  horizontal  auf 
und  lassen  die  etwa  geneigte  Bahn 
zwischen  den  äusserlich  verzierten  Haupt- 
wänden auf  schiefer  Ebene  abgleiten. 
[Vgl.  Abb.   187.] 

Nur  bei  der  Uebersetzung  der  Döblinger- 
strasse  und  Heiligenstädterstrasse  durch 
die  Gürtellinie,  sowie  der  Richthausen- 
strasse  und  Nussdorferstrasse  durch  die 
Vorortelinie  ruht  die  Bahn  auf  kräftigen 
eisernen  Bogenbrücken,  deren  schöne 
Formen  dem  Auge  eine  wohlthuende 
Abwechslung  bieten.  Dort  aber,  wo  die 
Stadtbahn  zur  Unterpflasterbahn  wird, 
wie  an  vielen  Stellen  der  Wienthallinie  und 
einem  grossen  Theile  der  Donaucanallinie, 
bilden  eiserne  Träger  mit  dazwischen  lie- 
genden Stampfbeton-Wölbungen  die  Decke 
für  das  Strassenplanum. 

Der  Oberbau  ist  auf  Holzquerschwellen 
mit  1 2  •  5  m  langen  Flussstahlschienen  dessel- 
ben Profiles  mit  35-4/?^ pro  Meter,  welches 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


447 


auf  den  von  Schnellzügen  befahrenen 
Linien  der  k.  k.  Oesterreichischen  Staats- 
bahnen angewendet  wird,  hergestellt.*) 
Eine  Abweichung  ist  nur  in  dem  Sinne 
erfolgt,  dass  statt  der  normalen  Stossver- 
bindungen  die  Stossfangschiene  eingeführt 
wurde  ;  abgesehen  von  der  Schonung  der 
Schienen  an  den  Stössen,  welche  dadurch 
herbeigeführt  wird,  dass  die  Spurkränze 
der  Fahrbetriebsmittel  nicht  über  die 
Stosslücke,    sondern  über    das  neben  der 


kehr,  als  auch  dem  Post-,  Gepäcks-  und 
Güterverkehr  und  hat  bezüglich  des  Letz- 
teren besonders  der  Approvisionirungs- 
Verkehr  Berücksichtigung  zu  finden. 

In  erster  Linie  musste  natürlich  für 
die  bequeme  und  rasche  Abwicklung 
des  Personenverkehres  gesorgt  werden, 
zu  welchem  Zwecke  entsprechende  Ein- 
richtungen in  den  Stationen  und  Halte- 
stellen, ferner  an  den  Fahrbetriebsmitteln 
getroffen  werden  mussten. 


Abb.  188.    Brücke  über  die  Döblinger  Hauptstrasse. 


Fahrschiene  liegende  Schienenstück  ge- 
führt werden,  ist  durch  diese  Einrichtung 
auch  eine  wesentliche  Verminderung  des 
so  lästigen  Hämmerns  beim  Befahren 
der'  Stösse  erzielt,  was  mit  Rücksicht 
auf  die  langen  Strecken,  welche  durch 
offene  gedeckte  und  überwölbte  Ein- 
schnitte führen,  gewiss  sehr  vortheil- 
haft  ist. 

Sämmtliche  Linien  der  Wiener  Stadt- 
bahn   dienen    sowohl    dem    Personenver- 


*)  Vgl.  Bd.  II,  Abschnitt  Oberbau  von 
Prof.  Alfr.  Birk  und  die  dort  befindliche 
Beilage,  auf  welcher  auch  die  auf  der  Stadt- 
bahn eingeführte  Weichenconstruction  Sy- 
stem Heindl  dargestellt  erscheint. 


Um  das  Aus-  und  Einsteigen  von 
und  in  die  Waggons  thunlichst  bequem 
zu  machen,  wurde  die  Höhe  der  Perrons 
in  den  Stationen  und  Haltestellen  mit 
o-5  m  über  der  Schienenhöhe  gewählt, 
und  zur  leichten  Ueberwindung  der  Höhe 
von  07  m  bis  zum  Wagenfussboden  drei 
Stufen  von  entsprechender  Breite  eingelegt, 
so  dass  beim  Wiener  Stadtbahnwagen  drei 
Stufen  von  je  23  cm,  beim  Berliner  Stadt- 
bahnwagen aber  nur  zwei  Stufen  von  je 
35  cm  vorhanden  sind,  wodurch  das  Aus- 
und  Einsteigen  dem  Publicum  in  Wien 
jedenfalls  bedeutend  erleichtert  wurde. 

Was  die  Wagen  selbst  anbelangt,  so 
sind  bekanntlich   auf  den  Stadtbahnen  in 


448 


Hugo  Koestler. 


Berlin  und  London  Coupewagen  einge- 
führt; jene  Stadtbahn  aber,  welche  den 
grössten  Verkehr  zu  bewältigen  hat, 
nämlich  die  Hochbahn  in  New -York,  ist 
mit  Intercommunications  -Wagen  ausge- 
rüstet und  betragen  die  Zugsaufenthalte 
in  New- York  höchstens  15  Secunden, 
während  dieselben  in  Berlin  und  London 
mit  20  Secunden  bemessen  sind.  In  dieser 
Beziehung  steht  daher  der  Intercommuni- 
cations-Wagen  dem  Coupewagen  nicht 
nach.  Da  aber  bei  der  Wiener  Stadt- 
bahn die  Einleitung  des  Zugsverkehrs  von 
vorneherein  in  der  Weise  gedacht  war, 
dass  ein  Theil  der  Züge  die  Fahrt  direct 
in  die  Localstrecken  der  Staatsbahnen 
fortsetzt,  musste  dafür  gesorgt  werden, 
dass  das  Publicum  jene  Bequemlichkeiten 
vorfindet,  die  für  solche  Fahrten,  welche 
eine  Stunde  und  darüber  dauern,  zum 
Bedürfnisse  geworden,  beim  Coupewagen- 
System  aber  entweder  gar  nicht  oder 
nur  mit  Schwierigkeiten  und  Kosten  er-  1 
reichbar  sind. 

Es  wurde  daher  ein  10  m  langer  und 
an  beiden  Enden  mit  einem  I  m  breiten 
Plateau  versehener  Intercommunications- 
Wagen  gewählt ;  *)  dieser  Wagen  gestattet 
zunächst  eine  intensivere  Beleuchtung  als 
der  Coupewagen,  bietet  dem  Publicum 
die  Möglichkeit,  den  Wagen  während  der 
Fahrt  zu  wechseln,  und  ist  im  Winter 
viel  leichter  warm  zu  halten,  weil  nur 
zwei  nach  aussen  führende  Thüren  vor- 
handen sind.  Diese  Wagentype  ermöglicht 
weiter,  dass  der  Fahrgast  die  Closets, 
die  nur  in  einzelnen  Wagen  des  Zuges 
eingerichtet  werden  können,  leicht  zu  er- 
reichen vermag.  Der  Hauptvortheil  aber 
ist  der,  dass  bei  Massenandrang  das  Pu- 
blicum sich  in  den  Wagen  des  Zuges 
während  der  Fahrt  vertheilen  kann,  dass 
also  eine  weit  bessere  Ausnützung  der 
Züge  eintritt,  die  Beförderung  des  Publi- 
cums  daher  rascher  möglich  ist. 

Die  Stadtbahn-Locomotive  [Abb.  181] 
ist  eine  Tendermaschine  der  schwersten 
Gattung,  welche  auf  fünf  Achsen  ruht 
und  so  leistungsfähig  ist,  dass  sie  auf 
einer  Steigung  von  2O°/00  noch  zehn 
vollbesetzte  Stadtbahnwagen,    deren  Ge- 


sammtgewicht  150  t  beträgt,  mit  einer 
Geschwindigkeit  von  35  km  pro  Stunde 
befördern  kann. 

Die  Construction  dieser  Locomotive 
ist  derart  durchgeführt,  dass  der  Funken- 
wurf vermieden,  die  Rauchentwicklung 
möglichst  vermindert  und  die  Belästigung 
durch  ausströmenden  Dampf  und  Rauch 
thunlichst  hintangehalten  wird. 

Für  den  Fahrpark  der  Wiener  Stadt- 
bahn waren  52  Locomotiven  und  600  Per- 
sonenwagen vorgesehen  und  die  An- 
schaffungskosten hiefür  mit  3,700.000  fl. 
veranschlagt ;  mit  Rücksicht  auf  die 
Verkehrsverhältnisse  musste  aber  nach- 
träglich eine  Vermehrung  der  Locomo- 
tiven und  Wagen  vorgenommen  werden. 

Sämmtliche  Stadtbahnlinien  sind  für 
das  Fahren  in  Raumdistanz  eingerichtet ; 
ferner  werden,  mit  Ausnahme  gewisser 
Weichen  in  den  Nebengeleisen,  alle 
Weichen  central  gestellt  und  in  die 
Sicherungsanlage  einbezogen.  Auch  in 
dieser  Richtung  war  man  bestrebt,  das 
Neueste  und  Beste  zu  wählen,  und  es 
wurde  daher  die  elektrische  Weichen- 
stellung System  Siemens  und  Halske  ein- 
geführt, die  ausserordentliche  Vortheile 
bietet,  vor  Allem  aber  die  Sicherheit  auch 
beim  dichtesten  Verkehr  gewährleistet. 
Nur  auf  der  Vorortelinie  wurden  die  Sta- 
tionen mit  der  mechanischen  Weichen- 
stellung durch  die  Firma  Stefan  v.  Götz 
in  derselben  Weise  ausgerüstet,  wie  dies 
bisher  bei  allen  Staatsbahnlinien  der 
Fall  war. 

Grosse  Schwierigkeiten  waren  im 
Hochbau  zu  überwinden,  weil  mit  Rück- 
sicht auf  die  Anforderungen  des  Verkehrs 
und  aus  baulichen  und  localen  Gründen 
kein  Gebäude  dem  anderen  nachgebildet 
werden  konnte,  die  Anzahl  der  zu 
schaffenden  Entwürfe  daher  eine  ausser- 
ordentlich grosse  war.  *) 

Der  Hauptsache  nach  sind  für  die 
Haltestellen  der  Stadtbahn,  je  nachdem 
eine  Untergrund-  oder  eine  Hochbahn- 
strecke vorliegt,  zwei  Typen  zu  unter- 
scheiden. In  den  ersteren  wurde  der 
Raum  über  dem  Bahneinschnitt  als 
Vestibüle  ausgebildet,    an  welches  stirn- 


*)  Siehe  auch  im  Bd.  II,  Abschnitt  Wagen- 
bau von  J.v.Ow,  Seite  522  und  Abb.  333  a.a.O. 


*)  Näheres   Siehe   Bd.   II,  im   Abschnitte 
Hochbau  von  H.  Fi  sc  hei,  Seite  420  und  ff. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


449 


seitig  die  Personencassen  und  zu  beiden 
Seiten  die  Abgangsstiegen  angelegt  sind. 
Am  Eingang  zu  den  Stiegen  ist  die 
Fahrkarten-Controle  angebracht.  In  der 
Verlängerung  der  Stiegen  liegen  die  für 
jede  Fahrtrichtung  gesondert  angelegten 
Perrons,  von  denen  circa  70  m  überdeckt 
sind  und  circa  50  m  unbedeckt  bleiben. 

In  den  Aufnahmsgebäuden  für  die 
Hochbahn-Haltestellen  wurden  die  noth- 
wendigen  Betriebsräume  durch  seitliche 
Anbauten  an  den  Viaduct  geschaffen. 
Im  Strassengeschoss  ist  in  der  Mitte  ein 
grosses,  von  beiden  Strassenseiten  erreich- 
bares Vestibüle  mit  den  Personencassen 
und  den  nöthigen  Nebenräumen  für  die 
Abwickelung  des  Personenverkehrs  sowie 
der  Aufgang  zu  den  ebenfalls  für  jede 
Fahrtrichtung  getrennt  angelegten  Per- 
rons. Vor  dem  Eingang  zum  Perron  in  der 
Höhe  des  Bahngeschosses  ist  die  Fahr- 
karten-Controle angeordnet.  Ausser  dem 
Perron  sind  daselbst  noch  kleine  Warte- 
räume und  je  ein  Dienstzimmer  für  Be- 
amte und  Diener  vorhanden. 

In  den  grossen  Anschlussbahnhöfen 
Hütteldorf-Hackingund  Heiligenstadt  wur- 
den in  der  Mitte  der  erbauten  neuen 
Aufnahmsgebäude  grosse  architektonisch 
reich  ausgestattete  Vestibules  angelegt, 
von  denen  die  Stiegen  zu  den  Personen- 
tunnels führen.  Von  diesen  führen  wie- 
der doppelarmige  Stiegen  zu  den  nach 
Fahrtrichtungen  getrennt  angelegten  Per- 
rons von  120 — i8ow  Länge,  welche 
in  einfacher  WTeise  überdacht  sind. 

In  der  Station  Hauptzollamt  ist  der  Tief- 
bahn wegen  die  grosse  Eintrittshalle  mit 
den  übersichtlich  angeordneten  Dienst- 
und öffentlichen  Räumen  im  Strassenge- 
schosse  angeordnet;  von  der  Mittelhalle 
führt  eine  Treppe  zum  Hauptperron ;  die 
Verbindung  zu  den  Zwischenperrons  wird 
durch  eine  breite,  in  der  Längenachse 
des  Vestibules  angeordnete  überdeckte 
Brücke  und  doppelarmige  ebenfalls  über- 
dachte Abgangsstiegen  bewerkstelligt. 

Rücksichtlich  der  architektonischen 
Ausgestaltung  der  Gebäude  ist  zu  be- 
merken, dass  Oberbaurath  Professor  Otto 
Wagner  bemüht  war,  den  Aufnahms- 
gebäuden der  Untergrundstrecken  eine 
leichte,  gefällige,  pavillonartige  Ausgestal- 
tung   zu    geben,    während    die    übrigen 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


29 


4?o 


Hugo  Koestler. 


Aufnahmsgebäude  im  Anschluss  an  die 
Viaducte  und  Brücken  ernstere,  mehr  auf 
massige  Wirkung  berechnete  Formen  in 
einfacher  aber  solider  Durchbildung  er- 
halten haben  [vp1-  Abb.  183  und  185  und 
Bd.  H,  Tafel  VII,  S.  421]. 

Die  Beleuchtung  der  Bahnhöfe,  Sta- 
tionen und  Haltestellen  der  Wiener  Stadt- 
bahn erfolgt  im  Innern  der  Gebäude  im 
Allgemeinen  mittels  Gasglühlicht,  theil- 
weise  aber  auch  mit  elektrischem  Licht. 
Die  Geleise-Anlagen  der  Bahnhöfe  und 
Stationen  sind  mittels  Bogenlampen,  die 
auf  12  m  hohen  eisernen  Masten  ange- 
bracht sind,  die  Perrons,  Stiegen  und  Tun- 
nels aber  zum  Theil  unter  Verwendung 
von  elektrischen  Glühlichtern,  zum  Theil 
aber  ebenfalls  mit  Bogenlampen  in  glän- 
zender Weise  erleuchtet,  während  in  den 
grossen  Vestibules  und  an  den  Eingängen 
der  Aufnahmsgebäude  durchwegs  wieder 
kräftige  Bogenlampen  angebracht  sind, 
die  auch  die  Personencassen  und  die 
Kartencontrolen  beleuchten;  die  Firma 
R.  Bartelmus  &  Comp,  in  Brunn  hat 
diese  Anlagen  in  zufriedenstellender 
Weise    ausgeführt. 

Die   I  'orortelin  ie.*) 

Diese  Linie  [vgl.  die  beigegebene 
Karte  der  Wiener  Stadtbahn]  bildet  den 
Abschluss  des  die  Stadt  Wien  nahe  der 
Peripherie  einschliessenden  Bahnnetzes  : 
sie  beginnt  in  der  Station  Penzing  der 
Linie  Wien-Salzburg,  in  welche  die  Ge- 
leise derart  eingebunden  sind,  dass  ein 
directer  Zugsverkehr  sowohl  nach  Hüttel- 
dorf, als  auch  nach  St.  Veit  und  in  wei- 
terer Fortsetzung  nach  Meidling  und 
Schwechat  möglich  ist. 

Nach  Verlassen  der  Station  Penzing 
steigt  die  Bahn  mit  l5°/oo  an->  übersetzt 
die  Linzer  Reichsstrasse  und  schneidet 
sich  sodann  in  den  Höhenrücken  bei 
Breitensee  ein.  Die  Hütteldorferstrasse 
wird    unterfahren  und    erreicht   die  Bahn 


*)  Eine  weitergehende  Beschreibung  der 
einzelnen  Linien  mit  besonderer  Berücksich- 
tigung der  für  den  Fachmann  besonders  be- 
merkenswerthen  Einzelnheiten  der  baulichen 
Anlagen  enthält  die  von  der  Commission 
für  Yerkehrsanlagen  vorbereitete  Denkschrift 
über  den  Bau  der  Wiener  Stadtbahn. 


sodann  die  Haltestelle  Breitensee  [Abb. 
182],  nach  welcher  ein  746  tn  langer 
Tunnel  folgt,  der  zum  grössten  Theil  in 
einer  Steigung  von  l6°'00  liegt.  Am  nörd- 
lichen Ende  des  Tunnels  beginnt  die 
Station  Ottakring,  welche  für  den  Frachten- 
verkehr eingerichtet  ist  und  mittels  einer 
Schleppbahn  mit  der  k.  k.  Tabak-Haupt- 
fabrik Ottakring  verbunden  wurde.  Zum 
Theil  als  Hochbahn,  zum  Theil  aber  im 
Einschnitt  und  Damm,  läuft  die  Vororte- 
linie bis  zur  Station  Hernais  weiter,  welche 
ebenfalls  für  den  Frachtenverkehr  einge- 
richtet ist  Hierauf  wird  die  Hernalser- 
strasse  mittels  einer  52-2  m  weiten  impo- 
santen Bogenbrücke  übersetzt  [Abb.  183]; 
auf  10  tn  hohen  Damm- Anschüttungen 
durchquert  die  Bahn  den  Aisbachgraben 
und  erreicht  die  Richthausenstrasse,  über 
welche  drei  mächtig  wirkende  Bogen- 
brücken  mit  29-35  tn,  36*3  tn  und  18-45  tn 
lichter  Weite  gespannt  sind.  Der  nun 
folgende  Höhenrücken  bis  zur  Station 
Gersthof  wird  mittels  tiefer  Einschnitte 
durchfahren.  Vom  höchsten  Punkt,  den 
die  Vorortelinie  in  Ottakring  erreicht  hat, 
bis  nach  Gersthof  wechseln  horizontale  mit 
schwach  geneigten  Strecken;  von  hier  aber 
fällt  die  Bahn  mit  zwischen  I2°.'00  bis 
i8°/00  betragendem  Gefälle  nahezu  con- 
tinuirlich  gegen  den  Bahnhof  Heiligen- 
stadt der  Stadtbahn  ab.  In  dieser  Strecke 
liegen  die  Personen-Haltestellen  Ober- 
Döbling  und  Unter-Döbling ;  die  wich- 
tigsten Bauobjecte  sind  aber  die  beiden 
212  tn  und  688  tn  langen  Tunnels  unter 
der  Türkenschanze,  an  die  sich  ein  langer 
Einschnitt,  welcher  bis  unter  die  Hohe- 
wartstrasse  reicht,  schliesst.  Die  Xormal- 
tvpe  dieser  Tunnels  ist  in  der  Abb.  184 
dargestellt.  Nach  Uebersetzung  des  Krot- 
tenbaches  führt  die  Bahn  im  Viaduct  bis 
Heiligenstadt,  nachdem  sie  vorher  die  Hei- 
ligenstädterstrasse mittels  einer  22-7  tn 
weiten  Bogenbrücke,  welche  ausseror- 
dentlich leicht  und  gefällig  wirkt,  über- 
setzt hat. 

Im  Sinne  der  Concessions-Urkunde 
ist  die  Vorortelinie  vorerst  hauptsächlich 
für  den  Güterverkehr  und  die  Bedürfnisse 
der  Industrie  bestimmt;  dem  Personen- 
verkehr auf  dieser  Linie  ist  daher  eine 
bescheidenere  Rolle  als  auf  den  übrigen 
Stadtbahnlinien  zugedacht. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


451 


Im  Allgemeinen  ist  mit  Rücksicht  auf 
den  Zweck  die  bauliche  Ausführung  der 
Vorortelinie  in  ähnlicher  Weise  bewirkt 
worden,  wie  dies  bisher  bei  den  Staats- 
eisenbahnen üblich  war;  der  fortwährende 
Wechsel  zwischen  Dämmen,  tiefen  Ein- 
schnitten, Viaducten,  Tunnels  und  mäch- 
tigen Brücken  aber  verleiht  dieser  Bahn- 
linie, deren  Ausführung  in  sorgfältiger 
Weise  erfolgte,  den  Charakter  eines  hoch- 
interessanten technischen  Bauwerkes, 
während  der  malerische  landschaftliche 
Hintergrund,  besonders  aber  der  nahezu 
überall  vorhandene  Ausblick  auf  das 
Kahlengebirge,  der  Fahrt  über  diese  Bahn- 
strecke auch 
einen  eigenen 
Reiz  verleiht. 


Die 
Gürtellinie . 

Den  Anfangs- 
punkt dieser  so- 
wie der  Donau- 
canallinie  bildet 
der      zwischen 

dem  Kaiser 
Franz       Josef- 
Bahnhofe     und 

der  Station 
NussdorfderLi- 
nie  Wien-Eger 
gelegene  Bahn- 
hof Heiligenstadt. 

Nachdem  dieser  Bahnhof,  ausser  den 
beiden  vorgenannten  Stadtbahnlinien,  die 
Vorortelinie  und  die  beiden  Geleise  der 
Kaiser  Franz  Josef-Bahn  aufzunehmen 
und  weiters  die  Aufgabe  zu  erfüllen  hat 
als  einer  der  Endpunkte  für  den  Stadtbahn- 
Verkehr  zu  dienen,  war  die  Schaffung  einer 
umfangreichen  Anlage  erforderlich.*)  In 
Durchführung  des  Principes,  dass  für  jede 
Fahrtrichtung  ein  eigenes  Geleise  und 
demgemäss  auch  ein  eigener  Perron  vor- 
handen sein  muss,  gelangten  fünf  Perrons 

dem  Auf- 
Personen- 


Abb.  190.     Ueberwölbter  Einschnitt. 


zur  Ausführung,    welche    mit 


nahmsgebäude     durch    einen 
Tunnel  verbunden  sind. 


Wegen  der  über  1  km  betragen- 
den Länge  dieses  Bahnhofes  ist  ferner 
ungefähr  in  der  Mitte  desselben  eine 
12  m  weite  und  155  m  lange  Durch- 
fahrt hergestellt,  welche  durch  einzelne 
in  der  Höhe  der  Geleise  angeordnete 
Oberlichten  beleuchtet  wird.  Da  der 
Bahnhof  auch  dem  Frachtenverkehr  dient, 
ist  eine  grössere  Frachtenanlage  mit 
Magazin  und  Kohlenrutschen  vorhanden  ; 
für  Zugförderungszwecke  wurde  eine  kreis- 
runde Locomotivremise  mit  19  Ständen, 
ein  Cokesschupfen,  endlich  eine  Wasser- 
versorgungs-Anlage mit  einer  sehr  bedeu- 
tenden stündlichen  Leistungsfähigkeit  er- 

baut.  Daserfor- 

1  derliche  Nutz- 
wasser wird 
dem  Donauca- 
nal  entnommen 
und  mittels  kräf- 
tiger Pumpen  in 
ein  hochliegen- 
des,   in    Beton 

ausgeführtes 
Feld  -  Reservoir 
mit  einem  Fas- 
sungsraum von 
1500  ma  ge- 
drückt. Der 
Bahnhof  Hei- 
ligenstadt ist 
durch  ein  über 
denDonaucanal 
führendes  Ge- 
leise mit  dem  Rangirbahnhof  Brigittenau 
verbunden,  welches  Geleise  vorläufig  nur 
für  den  Güterverkehr  bestimmt  war,  jedoch 
schon  gleichzeitig  mit  der  Eröffnung  der 
Gürtellinie  für  den  Personenverkehr  zur 
Jubiläums- Ausstellung  im  Prater  Ver- 
wendung gefunden  hat.*) 

Von  Heiligenstadt  steigt  die  Gürtel- 
linie nahezu  constant  bis  zur  Haltestelle 
Josefstädterstrasse  an,  und  kommen  in 
dieser  Strecke  Neigungen  zwischen  2  und 
2O°/00  vor;  dieser  Theil  der  Gürtellinie 
ist  durchwegs  als  Hochbahn  ausgeführt, 
wodurch  die  Möglichkeit  geschaffen  wurde, 
der  Forderung,  dass  alle  für  den  Verkehr 
wichtigen  Strassenzüge    unter    der  Bahn 


*)  Siehe  auch  Bd.  II,  Abschnitt  Bahnhofs- 
anlagen von  E.  R eitler. 


*)  Die  im  Zuge  dieser  Linie  gelegene  Brücke 
über  denDonaucanal  ist  in  Abb.  192  dargestellt. 

29* 


452 


Hugo  Koestler. 


durchgeführt  und  die  für  das  Strassen- 
fuhrwerk  nothwendigen  lichten  Höhen 
vorhanden  sein  sollten,  zu  entsprechen. 
Von  der  Haltestelle  Josefstädterstrasse  bis 
zur  Einmündung  in  die  Wienthallinie  in 
der  Haltestelle  Meidling  -  Hauptstrasse 
wechseln  Steigungen  mit  Gefällen,  wobei 
aber  die  letzteren  bedeutend  überwiegen 
und  das  Gesammtgefälle  31  "26  m  beträgt. 
Nach  Verlassen  des  Bahnhofes  Heiligen- 
stadt übersetzt  die  Gürtellinie  die  Geleise 
der  Franz  Josef-Bahn  und  gelangt  zur 
Heiligenstädterstrasse,  über  welche  eine 
56  m  weite  und  im  Scheitel  i2-5  m  hohe 
Bogenbrücke  gespannt  ist. 


Blechwand  verkleidet  ist  und  drei  Oeft- 
nungen  für  die  Währingerstrasse  und 
Schulgasse  besitzt.  [Abb.   189.] 

Nun  folgt  die  Station  Michelbeuern, 
die  aber  nicht  für  den  Personenverkehr, 
sondern  ausschliesslich  für  den  Approvisio- 
nirungs -Verkehr  bestimmt  ist.  Diesem 
Zwecke  entsprechend,  enthält  das  Be- 
triebsgebäude, ausser  den  Räumen  für  die 
Abwicklung  des  Güter-  und  Verzehrungs- 
steuer-Dienstes, eine  geräumige  Markt- 
halle mit  den  erforderlichen  Kühl-  und 
Depoträumen,  die  der  Gemeinde  Wien 
miethweise  überlassen  wurde.  Knapp  an 
die  Station  Michelbeuern  schliesst  sich  die 


Abb.  191.     Wienbrücke  der  Stadtbahn  im  Zuge  der  Gürtellinie.  [Gaudenzdorf.] 


Auf  mächtigen  Viaducten  [Abb.  186 
und  187]  setzt  sich  die  Bahn  fort  und 
erreicht  die  Döblinger  Hauptstrasse,  welche 
mit  einer  ebenfalls  sehr  schön  wirkenden 
Bogenbrücke  von  33  m  lichter  Weite 
übersetzt  wird.  [Abb.  188.]  An  dieser 
Stelle  erreicht  die  Bahn  den  Gürtel,  in 
welchem  sie  nun  ununterbrochen  bis 
zur  Uebersetzung  der  Wien  zwischen 
der  Haltestelle  Gumpendorferstrasse  und 
Meidlinger  Hauptstrasse  fortgeführt  wird. 
Wir  sind  nun  auch  zu  der  ersten  Hoch- 
bahn-Haltestelle »Nussdorferstrasse«  ge- 
langt, welcher  in  nur  700  m  Entfernung 
die  in  ganz  gleicher  Weise  ausgebildete 
Haltestelle  Währingerstrasse  folgt.  Un- 
mittelbar an  diese  schliesst  sich  eine 
auf  architektonisch  reich  ausgestatteten 
Pfeilern  ruhende  Fachwerkbrücke,  welche 
strassenseitig:    mit    einer    reich  verzierten 


Haltestelle  Aiserstrasse,  die  an  der  Gabe- 
lung der  Hernalser-  und  Ottakringerstrasse 
situirt  ist ;  in  einer  Entfernung  von  600  m 
folgt  dann  die  letzte  Hochbahn-Haltestelle 
Josefstädterstrasse,  deren  Lage  so  ge- 
wählt ist,  dass  sie  von  den  wichtigen 
Radialstrassen :  Lerchenfelderstrasse,  Neu- 
stiftgasse und  Josefstädterstrasse  bequem 
erreicht  werden  kann. 

Von  dieser  Haltestelle  fällt  dieNivellette 
mit  2O°/00,  und  schneidet  die  Bahn  zwischen 
der  Menzelgasse  und  Hasnerstrasse  das 
Strassenterrain,  worauf  sich  die  Gürtellinie 
als  Tiefbahn  fortsetzt.  Die  Hasnerstrasse 
ist  die  einzige  von  den  wichtigeren  in  den 
Gürtel  einmündenden  Strassen,  welche  an 
dieser  Stelle  infolge  des  Ueberganges  der 
Hochbahn  in  die  Tiefbahn  in  ihrer  Fort- 
setzung gegen  die  innere  Stadt  durch  den 
Bahnkörper  abgeschnitten  wird. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


453 


Abb.  ig2.    Donaucanalbrücke  der  Wiener  Stadtbahn.    [Strecke  Heiligenstadt-Brigittenau.] 


Schon  die  nächste  Haltestelle  Burg- 
gasse liegt  in  der  Tiefbahn,  ebenso  die 
gegenüber  dem  Kopfgebäude  des  West- 
bahnhofes situirte  Stadtbahn-Haltestelle 
Westbahnhof.  Die  Strassen  werden  zum 
Theil  mittels  Monierbrücken,  zum  Theil 
aber  auf  gewölbten  Brücken  oder  endlich 
auf  eisernen  Trägern,  zwischen  denen 
Betonbögen  gespannt  sind,  über  die  Bahn 
geführt.  Von  der  Haltestelle  Burggasse 
bis  zu  dem  grossen  Platz  vor  der  Fünf- 
hauser  Kirche  ist  die  Bahn  mit  geringen 
Unterbrechungen  entweder  eineewölbt 
oder  eingedeckt;  sie  steigt  dann  wieder 
mit  2O°/00  an,  so  dass  die  nächst  der 
aufgelassenen  Gumpendorferlinie  erbaute 
Haltestelle  Gumpendorferstrasse  wieder 
in  der  Hochbahn  liegt.  [Die  Type  für 
die  überwölbten  Einschnitte  ist  in  der 
Abb.  190  dargestellt.] 

Die  Bahn  erreicht  nun,  immer  am  Gür- 
tel als  Hochbahn  weiterführend,  den  Wien- 
fluss  und  ist  an  dieser  Stelle  zur  Ueber- 
setzung  der  künftigen  Quaistrasse,  des 
Sammelcanals  und  der  Wien  selbst  die 
Anordnung  von  drei,  zusammen  127-5  m 
weiten  Brücken  nothwendig  geworden, 
welche  infolge  ihrer  reichen  architek- 
tonischen Ausstattung  dem  freien  Platze, 
der  hier  entstehen  soll,  zur  Zierde  ge- 
reichen  werden.     [Abb.   191.] 

Auf  einer  Reihe  von  mächtigen  Bögen 
setzt  sich  nach  Ueberschreiten  der  Wien  die 
Gürtellinie  am  rechten  Ufer  flussaufwärts 


fort  und  erreicht  endlich,  stetig  fallend, 
die  Station  Meidling-Hauptstrasse  der 
Wienthallinie.  Von  den  schwierigen  und 
umfangreichen  Arbeiten,  welche  in  dieser 
Strecke  auszuführen  waren,  sollen  die  wäh- 
rend des  Baues  erfolgten  Aufnahmen  [Abb. 
193  und  194]  einen  theilweisen  Begriff 
geben. 

Gegen  die  Führung  der  Gürtellinie  als 
Hochbahn  wurden  im  Laufe  des  Jahres 
1895,  also  zu  einem  Zeitpunkte,  in  welchem 
die  Bauarbeiten  schon  weit  vorgeschritten 
waren,  seitens  verschiedener  Interessenten 
und  Corporationen  Einwendungen  erhoben, 
die  ihre  Bestrebungen  dahin  richte- 
ten, mindestens  die  Ausführung  des 
Streckentheiles  von  Michelbeuern  gegen 
die  Burggasse  als  Tiefbahn  durchzusetzen. 

Weder  bei  der  Tracenrevision  noch 
bei  der  politischen  Begehung  waren  An- 
stände gegen  die  Hochbahn  erhoben 
worden.  Für  die  Wahl  der  Letzteren  waren 
aber  in  erster  Linie  die  Beschlüsse  des 
Wiener  Gemeinderathes  vom  23.,  24., 
25.  und  27.  Mai  1892  massgebend,  nach 
welchen  gefordert  wurde,  dass  bei  den 
Bahnanlagen  darauf  Rücksicht  genommen 
werde,  dass  alle  derzeit  bestehenden  Com- 
municationen  aufrecht  bleiben  sollten  und 
dass  auch  in  Zukunft  die  von  der  Ge- 
meinde als  nothwendig  erkannten  Com- 
municationen  anstandslos  hergestellt  wer- 
den könnten,  sowie  dass  bei  Einschnitten 
durchgehends    eine    Ueberbrückung    der 


454 


Hugo  Koestler. 


Bahn  im  bestehenden  Niveau  ausgeführt, 
bei  Hochbahnen  hingegen  entsprechend 
breite  und  hohe  Durchlässe  im  Bahn- 
körper angelegt  werden  könnten.  In 
ganz  ähnlicher  Weise  hatte  sich  die  Wiener 
Handels-  und  Gewerbekammer  geäussert, 
welche  ausserdem  noch  eine  Frachten- 
station zwischen  Westbahnhof  und  Heili- 
genstadt als  nothwendig  bezeichnete. 

Diesen  Bedingungen  konnte  nur  durch 
Anlage  einer  Hochbahn  entsprochen  wer- 
den ;  thatsächlich  wurden  mit  Ausnahme 
der  Hasnerstrasse  alle  übrigen  auf  den 
Gürtel  einmündenden  Strassenzüge  offen 
erhalten,  während  bei  Ausführung  einer 
Tiefbahn  eine  bedeutende  Anzahl  der- 
selben hätte  unterbunden  werden  müssen. 
Nachdem  auch  öconomische  Gründe  für 
die  Hochbahn  sprachen,  wurde  auf  die 
vorerwähnten  Einwendungen  keine  Rück- 
sicht genommen  und  der  bereits  be- 
gonnene Bau  der  Viaductbögen  in  der 
Strecke  Michelbeuern  -  Josefstädterstrasse 
planmässig  weitergeführt. 

Die  Führung  der  Bahn  über  die 
Gürtelstrasse  machte  die  Einlösung  einer 
Reihe  von  ziemlich  umfangreichen  Ob- 
jecten  erforderlich,  aber  auch  historisch 
interessante  Bauten,  wie  z.  B.  das  einst- 
malige Jagdschlösschen  nächst  der  Gum- 
pendorferlinie,  welches  zuletzt  im  Besitze 
des  Malers  A  m  e  r  1  i  n  g  war,  fielen  dem 
Bau  zum  Opfer. 

Durch  die  Entfernung  dieser  Objecte, 
von  denen  die  meisten  vor  den  ehe- 
maligen Linien  situirt  waren,  wurde  die 
Regulirung  und  Durchführung  der  Gürtel- 
strasse, welche  früher  an  diesen  Stellen 
unterbrochen  war,  wesentlich  gefördert ; 
diese  wird  nach  ihrem  vollständigen 
Ausbau  nicht  nur  ein  sehr  wichtiger 
Verkehrsweg  sein,  sondern  im  Verein 
mit  den  musterhaft  ausgeführten  Bau- 
werken der  Gürtelbahn  auch  vom  schön- 
heitlichen Standpunkte  aus  der  Stadt  Wien 
gewiss  zur  Zierde  gereichen. 

Die   Wienthallinie. 

Diese  Stadtbahnlinie  schliesst  sich 
im  Bahnhof  Hütteldorf  an  die  k.  k.  Staats- 
bahnlinie Wien-Salzburg  an ;  zu  diesem 
Zwecke  hat  der  frühere  kleine  Bahnhof 
eine  bedeutende  Erweiterung  nach  dem- 


selben Principe,  welches  im  Bahnhofe 
Heiligenstadt  durchgeführt  wurde,  erfahren 
und  er  besitzt  nunmehr  für  die  Personen- 
aufnahme zwei  Empfangsgebäude,  zwi- 
schen denen  vier,  durch  einen  Personen- 
tunnel verbundene  Inselperrons  liegen. 

Da  dieser  Bahnhof  ebenfalls  für  die 
Einleitung  von  Stadtbahnzügen  dient,  ist 

I  derselbe    mit    den    entsprechenden    Zug- 

!  förderungs  -  Anlagen  und  Wagenaufstel- 
lungs-Geleisen  ausgestattet.  Das  erforder- 

|  liehe  Locomotivspeise-  und  Nutzwasser 
wird    der    Wienthal  -Wasserleitung    ent- 

j  nommen,  in  ein  20  m  ober  dem  Bahnhof- 
Niveau  in  Hacking  gelegenes  Feldreservoir 
geleitet  und  von  dort  über  die  Wienbrücke 
den  Verbrauchsstellen  zugeführt. 

Die  Wienthallinie  übersetzt  nach  der 
Ausfahrt  aus  dem  Bahnhofe  Hütteldorf 
die  Quaistrasse,  den  Wienfiuss  und  die 
Franz  Karl-Strasse ;  nach  dieser  letzteren 
Uebersetzung  fällt  die  Nivellette  mit  20°/0o 
und  schon  die  erste  Haltestelle  Ober-St. 
Veit  liegt  in  der  Tiefbahn,  deren  Gefälls- 
verhältnisse von  da  an  bis  zum  Bahn- 
hofe Hauptzollamt  günstige  sind,  nach- 
dem nur  mehr  eine  ganz  kurze  Strecke 
in  der  Neigung  von  2O°/00  und  I2%0 
bleibt,  sonst  aber  meist  Neigungen  von 
nur  5°/oo  vorkommen.  Von  dieser  Halte- 
stelle an  bis  zum  Stadtpark  läuft  die 
Wienthallinie  fortwährend  parallel  zur 
regulirten  Wien  und  ist  die  südliche 
Quaimauer  des  Wienflusses  gleichzeitig 
die  linksseitige  Mauer  der  Bahn. 

Die  Wien  wird  von  der  Gemeinde- 
grenze bis  zur  Einmündung  des  Lainzer- 
baches  im  offenen  Gerinne  zwischen  ge- 
böschten  Ufern  und  Stützmauern  geführt, 
von  diesem  Punkte  an  soll  ein  einheitlich 
verlaufendes  Durchflussprofil  bis  zur 
Tegetthoffbrücke  zwischen  Widerlagern 
und  einem  Sohlengewölbe  derart  herge- 
stellt werden,  dass  es  in  der  Strecke 
Schikanedersteg- Stadtpark  sofort,  in  den 
übrigen  Theilen  aber  nach  Bedarf  ein- 
gewölbt werden  kann,  um  über  dieser 
Einwölbung  einen  breiten  Boulevard 
ausführen  zu  können.  Auch  die  Bahn 
ist  in  jenem  Theile,  der  sofort  eingewölbt 
werden  soll,  vollständig  überdeckt,  wäh- 
rend sonst  nur  an  allen  jenen  Punkten, 
wo  Strassenüberführungen  nothwendig 
sind,    Eindeckungen    ausgeführt   werden. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


455 


Dadurch  hat  die  Wienthallinie  grossen- 
theils  den  Charakter  einer  gedeckten 
Tiefbahn  erhalten,  und  es  sind  sämmtliche 
Haltestellen  nach  der  Type  der  Unter- 
grund-Stationen ausgeführt. 

Abb.  195  zeigt  das  Querprofil  der 
Wienthallinie  und  der  Wieneinwölbung  in 
der  Strecke  zwischen  dem  Schikaneder- 
steg und  dem  Stadtpark. 

Ausser  der  schon  erwähnten  Halte- 
stelle Ober-St.  Veit  bestehen  noch  fol- 
gende Haltestellen:  Unter-St.  Veit-Baum- 
garten, Braunschweiggasse,  Hietzing  mit 
einem    eigenen    Pavillon    für    den    a.  h. 


oft  eingetretenen  Hochwässer,  unter 
denen  besonders  jenes  vom  30.  Juli 
1897  empfindliche  Schäden  brachte, 
stark  beeinflusst  und  häufig  unterbro- 
chen worden.  Dies  war  mit  eine  der 
Ursachen,  wegen  deren  sich  die  Voll- 
endung der  Wienthallinie  wesentlich  ver- 
zögerte und  nur  die  Theilstrecke  von 
Meidling  -  Hauptstrasse  bis  Hütteldorf 
gleichzeitig  mit  der  Gürtel-  und  Vor- 
ortelinie dem  Betriebe  übergeben  werden 
konnte,  während  die  restliche  Strecke 
erst  im  Jahre  1899  vollendet  werden 
dürfte. 


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Abb.  lg).    Stadtbahnpartie  bei  Gaudenzdorf  im  Bau.    [October  1897.] 


Hof,  Schönbrunn,  Meidling-Hauptstrasse, 
wo  die  Gürtellinie  einmündet,  Marga- 
rathengürtel,  Pilgramgasse,  Ketten- 
brückengasse, Akademiestrasse  und  Stadt- 
park ;  auf  die  io-8  km  lange  Strecke  vom 
Ende  des  Bahnhofes  Hütteldorf  bis  zum 
Beginn  des  Bahnhofes  Hauptzollamt,  in 
welchem  Bahnhof  die  Wienthallinie  die 
Wiener  Verbindungsbahn  erreicht,  sind 
daher  elf  Haltestellen  angeordnet,  so  dass 
die  durchschnittliche  Entfernung  dersel- 
ben von  einander  nicht  ganz  einen  Kilo- 
meter beträgt. 

Infolge  der  gelegentlich  der  Regu- 
lirung  des  Wienflusses  angestrebten  theil- 
weisen  Verlegung  des  Flusslaufes  war 
die  Fundirung  der  südlichen  Quaimauer 
meist  mitten  im  Flussbett  auszuführen, 
es  sind  daher  die  Arbeiten  an  dieser 
Mauer   durch    die    während    der  Bauzeit 


Der  Bahnhof  Hauptzollatnt. 

Der  Umbau  des  Bahnhofes  Haupt- 
zollamt der  Wiener  Verbindungsbahn  war 
schon  längst  zum  dringenden  Bedürfnis 
geworden ;  der  Bau  der  Stadtbahn  brachte 
die  erwünschte  Gelegenheit,  den  be- 
rechtigten Wünschen  der  Bevölkerung  zu 
entsprechen  und  den  bisherigen  Bahnhof, 
welcher  ein  schwer  empfundenes  Hindernis 
für  den  Verkehr  zwischen  dem  dritten 
Bezirke  und  der  inneren  Stadt  bildete, 
um  5  "6  m  tiefer  zu  legen,  so  dass  es 
möglich  war,  die  Strassen  über  den- 
selben, und  zwar  ohne  Anwendung  von 
steilen  Rampen,  zu  führen  und  ausser  den 
bestehenden  noch  neue  Verbindungen 
zwischen  dem  ersten  und  dritten  Bezirke 
zu  schaffen. 


456 


Hugo  Koestler. 


Die  Umgestaltung  dieses  Bahnhofes  er- 
forderte sehr  schwierige  und  kostspielige 
Arbeitsleistungen  [vgl.  Abb.  197],  weil  die 
Verhältnisse  an  dieser  Stelle  besonders  ver- 
wickelte waren  und,  wegen  der  Wichtigkeit 
des  täglich  an  300  Wagenladungen  um- 
fassenden Verbindungsbahn-Verkehrs  und 
der  Offenhaltung  des  Zollamts-  und 
iMarkthallen-Verkehrs,  der  Betrieb  des 
Bahnhofes,  wenigstens  in  Ansehung  der 
Gütertransporte,  während  des  Umbaues 
aufrecht  erhalten  werden  musste. 

Diesen  Bedingungen  war  nur  durch 
Ausführung  eines  an  den  bestehenden 
Bahnhof  in  demselben  Niveau  an- 
schliessenden Holzprovisoriums  zu  ent- 
sprechen, welches  im  December  1895  be- 
gonnen und  Dank  der  äusserst  energi- 
schen Thätigkeit  der  Bauunternehmung 
Redlich  &  Berger  schon  im  Früh- 
jahre 1896  in  Benützung  genommen 
werden  konnte. 

Kurz  nach  Beginn  der  Bauarbeiten 
traten  einerseits  infolge  von  Hindernissen 
beim  Baue  des  den  Bahnhof  kreuzenden 
Sammelcanales,  andererseits  aber  durch 
Schwierigkeiten  bei  der  Umlegung  des 
Wiener-Neustädter  Canales  solche  Ver- 
zögerungen ein,  dass  die  Vollendung 
des  Bahnhofes  sich  um  ein  Jahr  gegen- 
über dem  ursprünglich  in  Aussicht  ge- 
nommenen Termin  verspätete. 

Die  Züge  der  Wienthallinie  passiren 
den  Bahnhof  Hauptzollamt  in  der  Rich- 
tung gegen  die  Donaucanallinie  und  den 
Praterstern,  welch  letztere  Station  der 
Wiener  Verbindungsbahn  zu  Lasten  des 
Baufonds  der  Wiener  Stadtbahn  derart 
umgestaltet  wurde,  dass  im  Bedarfsfalle  ein 
Verkehr  in  Intervallen  von  drei  Minuten 
möglich  ist  und  Geleise  für  die  Depo- 
nirung  von  drei  Zugsgarnituren  vor- 
handen sind. 

Da  den  Bahnhof  Hauptzollamt  nicht 
nur  die  Stadtbahnzüge  sondern  auch 
die  Personenzüge  der  Verbindungsbahn 
passiren  müssen,  sind  ausser  dem  Perron 
am  Aufnahmsgebäude  noch  zwei  durch 
einen  Steg  verbundene  Inselperrons  vor- 
handen. Die  Geleiseanlage  für  den 
Güterverkehr  wurde,  soweit  dies  der 
äusserst  beschränkte  Raum  gestattete, 
dem  Bedürfnisse  entsprechend  ausge- 
staltet    und     für    den     Frachtenabgabs- 


Dienst  ein  geräumiges  Frachten-Magazin 
hergestellt. 

Das  Niveau  des  neuen  Bahnhofes  liegt 
an  der  Kreuzung  mit  der  Landstrasser 
Hauptstrasse  um  6-8  in  tiefer  als  jenes 
des  alten  Bahnhofes,  was  dadurch  er- 
reicht wurde,  dass  die  Neigung  von  2O°/00 
der  Verbindungsbahn  -  Strecke  in  der 
Richtung  von  der  Neulinggasse  um  484  in 
fortgesetzt  ist.  In  der  Richtung  gegen 
den  Praterstern  steigt  die  Bahn  von  der 
Kreuzung  mit  der  Hinteren  Zollamtsstrasse 
mit  2O°/00  an  und  erreicht  bei  der  Löwen- 
gasse wieder  das  Niveau  der  Ver- 
bindungsbahn. Dadurch  wurde  allerdings 
die  Auflassung  der  Durchfahrt  für  die 
Hetzgasse  erforderlich,  an  deren  Stelle 
ein  Durchgang  mit  nur  2"5  in  Höhe  her- 
gestellt ist.  Dagegen  werden  nun  die 
Ungargasse,  die  Landstrasser  Haupt- 
strasse, die  Marxergasse  und  die  Hintere 
Zollamtsstrasse  derart  über  die  Bahn 
geführt,  dass  diese  Strassen  sich  nahezu 
eben  bis  zur  Ringstrasse  fortsetzen. 

Nachdem  eine  bauliche  Umgestaltung 
des  Hauptzollamt-Gebäudes  durch  den 
Umbau  des  Bahnhofes  nicht  beabsichtigt 
war,  blieb  auch  die  Geleise-Anlage  in  die- 
sem Gebäude  ungeändert.  Es  besteht  daher 
ein  Niveau-Unterschied  von  5'6jm  zwischen 
den  Geleisen  des  neuen  Bahnhofes  und 
jenen  im  Zollamte.  Es  müssen  demnach 
die  mit  Zollgütern  beladenen  Eisenbahn- 
Wagen  aus  dem  Bahnhofs  -  Niveau  in 
jenes  der  Zollamts-Geleise  gehoben  werden, 
zu  welchem  Zwecke  vor  dem  Zollamts- 
Gebäude  zwei  Waggonaufzüge  mit  elek- 
trischem Antriebe  für  eine  Tragfähigkeit 
von  je  35  t  und  mit  einer  Bühnenlänge  von 
I4'5  m  ausgeführt  wurden,  mittels  welchen 
auch  die  schwersten  und  längsten  der 
ankommenden  Wagen  in  das  Zollamt 
befördert  werden  können. 

Zur  Heranholung  der  Wagen  von  den 
Gütergeleisen  dienen  elektrische,  nach  der 
Construction  des  Ingenieurs  A.  Freissler 
in  Wien  ausgeführte  Gangspillen. 

Das  Locomotiv  -  Speisewasser  liefert 
eine  elektrisch  angetriebene  Pumpe;  der 
zu  diesem  Zwecke  aufgestellte  Elektro- 
motor wird  automatisch  durch  einen 
Schwimmer  ein-  und  ausgeschaltet  und 
betreibt  gleichzeitig  die  Wasserreinigungs- 
Anlage  nach   System  Weh renfennig. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


457 


Abb.  194.  Wienthal-  und  Gürtellinie  bei  der  Stiegerbrücke  im  Bau.  [October  1897.] 


Die  Donaucanallinie. 

Vom  Bahnhofe  Hauptzollamt  an  unter- 
fährt die  Donaucanallinie  im  gedeckten 
Einschnitte  den  Platz  vor  dem  Haupt- 
zollamts-Gebäude  und  die  Lastenstrasse, 
übersetzt  die  regulirte  Wien  mittels  einer 
Fachwerkbrücke  mit  zwei  Oeffnungen 
von  je  15  m  Spannweite,  worauf  die 
Ringstrasse  ebenfalls  im  gedeckten  Ein- 
schnitte unterfahren  wird.  Beiderseits  der 
Ferdinandsbrücke  werden  die  Perrons  für 
die  gleichnamige  Haltestelle  angeordnet, 
deren  architektonische  Ausbildung  sich 
jenem  Projecte  anpassen  wird,  welches 
über  Anregung  der  Commission  für 
Verkehrsanlagen  vom  k.  k.  Oberbau- 
rathe  Otto  Wagner  für  die  Ausgestal- 
tung des  Platzes  an  der  Ferdinandsbrücke 
und  des  Quais  am  Donaucanale  aufge- 
stellt wurde  und  seitens  der  Gemeinde 
die  principielle  Zustimmung  erhalten  hat. 

Von  der  Ferdinandsbrücke  führt  die 
Donaucanallinie  als  eine  gegen  den  Canal 
zu  offene  Galeriebahn  bis  zur  Station 
Brigittabrücke  fort.  Das  Querprofil  Abb. 
196  gibt  ein  Bild  der  geplanten  Anlage 
mit    dem  Quai  und   dessen  Anschlüssen. 

Die  Neigungs- Verhältnisse  der  Bahn 
sind     in    dieser    Strecke    sehr    günstige 


und  erfordert  nur  die  Rampe  bei  Ueber- 
setzung  der  Wien  und  des  Alserbaches 
die  Anwendung  von  Neigungen  bis  i8°/00. 
An  der  Stelle,  wo  sich  bisher  das 
Kaiserbad  befand,  wird  die  Haltestelle 
Schottenring  erbaut,  zwischen  der  Moser- 
gasse und  der  Georg  Siegigasse  ist  die 
Haltestelle  Rossauerlände,  neben  der 
Brigittabrücke  aber  die  gleichnamige 
Station  situirt. 

Vor  der  letzteren  wird  der  Alserbach- 
Canal  mit  einer  Eisenconstruction  über- 
setzt, deren  Höhenlage  im  Einvernehmen 
mit  der  Gemeinde  so  bestimmt  wurde, 
dass  der  Abfluss  der  Hochwässer  in  diesem 
Canale  ungehindert  erfolgen  kann.  Die 
Station  Brigittabrücke  liegt  in  einem 
offenen  Einschnitte  mit  beiderseitigen 
Stützmauern  und  die  Geleise-Anlage  der- 
selben ist  so  eingerichtet,  dass  vom  Haupt- 
zollamte ankommende  Züge  ohne  Be- 
hinderung des  Verkehres  durchlaufender 
Züge  abgestellt  oder  aber  zurückgeleitet 
werden  können. 

In  dieser  Station  zweigen  auch  die  Ge- 
leise der  Verbindungscurve  zur  Gürtellinie 
ab,  welche  vom  Ende  derselben  mit  2O°/00 
ansteigen,  während  die  Donaucanallinie 
mit  einem  Gefälle  von  I4%0  im  offenen 
Einschnitte    bis    zur    Unterfahrung    der 


458 


Hugo  Koestler. 


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Spittelauerlände  weiter  ge- 
führt wird,  von  diesem  Punkt 
an  aber  mit  2O°/00  und  später 
1 2°/0o  ansteigt,  um  das  Niveau 
des  Heiligenstädter  Bahnho- 
fes zu  erreichen.  Die  Ver- 
bindungscurve  wird  bei  der 
Abzweigung  von  der  Donau- 
canallinie  zunächst  zwischen 
Stützmauern,  dann  auf  Via- 
ducten  geführt,  umfährt  die 
Pumpstation  der  Kaiser  Fer- 
dinands-Wasserleitung, über- 
setzt sodann  den  Kaiser 
Franz    Josef-  Bahnhof     und 

die  Heiligenstädterstrasse 
und  erreicht  endlich  vor  der 
Brücke  über  die  Döblinger- 
strasse  die  Gürtellinie,  in 
welche  sie  auf  der  offenen 
Strecke  einmündet. 


Vergebung 

und   Ausführung   der 

Bauarbeiten. 

Die  Vergebung  der  Bau- 
arbeiten und  Lieferungen  er- 
folgte durch  die  General- 
Direction  der  k.  k.  Oesterrei- 
chischen  Eisenbahnen,  bezie- 
hungsweise durch  die  im 
Jahre  1896  an  deren  Stelle 
getretene  k.  k.  Baudirection 
der  Wiener  Stadtbahn  meist 
im  Wege  öffentlicher  Aus- 
schreibungen und  mit  Zu- 
stimmung der  Commission 
für  Verkehrsanlagen  in  der 
Regel  derart,  dass  der  bevoll- 
mächtigte Vertreter  der  Letz- 
teren der  Offertverhandlung 
beiwohnte. 

Die  Bauarbeiten  und  Lie- 
ferungen wurden  grundsätz- 
lich dem  billigsten  Offeren- 
ten zugeschlagen ;  dabei  aber 
auch  auf  den  schon  bei  der 
parlamentarischen  Behand- 
lung der  Vorlage    über   die 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


459 


Wiener  Verkehrsanlagen  zum  Ausdruck 
gekommenen  Wunsch  Bedacht  genommen, 
dass  die  Betheiligung  der  kleineren  Unter- 
nehmungen, soweit  es  mit  den  gebotenen 
Rücksichten  auf  eine  fachlich  richtige  und 
öconomische  Bauführung  vereinbarlich 
war,  durch  Untertheilung  der  Unter-  und 
Hochbauarbeiten  in  kleinere  Lose  zu  er- 
möglichen sei.  Zu  dem  Zwecke  wurde 
die  Gürtellinie  in  neun,  die  Vorortelinie 
in    fünf,    die    Wienthallinie    ebenfalls    in 


Aufgeboten  erstanden.  In  dem  Zeitab- 
schnitte März  1895  bis  Ende  1897 
wurden  die  Unterbau-Arbeiten  an  nach- 
folgende Unternehmungen  vergeben :  W  i  e- 
ner  Baugesellschaft,  die  Allge- 
meine ös terreichische  Bauge Seil- 
schaft, Doderer,  Göhl  &  Sager; 
Brüder  Redlich  &  Berger,  Rabas  & 
Rummel,  Union-Baugesellschaft, 
Josef  Prokop,  Gettwert  &  Dittel.  Die 
Aufgebote  bewegen  sich  in  diesem  Zeit- 


Abb.  197.    Bahnhof  Hauptzollamt.  [Ausführung  der  Erdarbeiten  auf  dem  südlichen  Ende.] 


fünf  und  die  Donaucanallinie  in  drei  Lose, 
einzelne  Lose  aber  wieder  in  kleinere 
Arbeitsstrecken   untertheilt. 

Die  Vergebung  der  Unterbau- 
Arbeiten  mit  Ausschluss  der  eisernen 
Brücken  erfolgte  in  den  Jahren  1893 
und  1894  an  die  Unternehmungen:  Josef 
Prokop,  die  Union  -  Baugesell- 
schaft, Brüder  Redlich  &  Berger, 
P.  Krauss  &  Comp.,  dann  C.  Gross  & 
Comp.,  durchwegs  gegen  Abgebote, 
welche  zwischen  23°/,,  und  7'2°/0 
schwankten. 

Vom  Februar  1895  an  wurden  mit 
wenigen    Ausnahmen    die    Arbeiten    mit 


abschnitte  zwischen  i9"7°/0  und  3"5%. 
Die  Vergebung  der  eisernen  Brücken 
erfolgte  gegen  Pauschalsummen,  und 
zwar  an  folgende  Firmen :  Eisenwerk 
Zöptau,  Industrial-Ver  waltung 
in  Teschen,  Alpine  Montan- 
gesellschaft, Gewerkschaft  Wit- 
kowitz,  Prager  Brückenbau- An - 
stalt,  Prager  Maschinenbau- 
A c t i e n-G esellschaft;  an  die  Wiener 
Firmen :  R.  P.  W  a  a  g  n  e  r,  Albert 
Milde,  Anton  Biro,  Ignaz  Gridl, 
weiters  an  die  Gebrüder  Praäil&Comp. 
in  Lieben  und  E.  Skoda  in  Pilsen.  Bis 
Ende    des   Jahres   1896    waren    auf    der 


460 


Hugo  Koestler. 


Gürtel-,  Vororte-  und  oberen  Wienthallinie 
rund    16.000  t    eiserne  Brücken  montirt. 

Von  geringfügigen,  mit  den  Unter- 
bauarbeiten zusammenhängenden  Hoch- 
bauherstellungen abgesehen,  begann  die 
eigentliche  Hochbauthätigkeit  und 
die  Vergebung  der  einschlägigen  Arbeiten 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1896. 
Diese  Arbeiten  wurden  den  Unternehmun- 
gen :  Christian  S  p  e  i  d  e  1,  Josef  P  r  o  k  o  p, 
Brüder  Redlich  &  Berger,  Wiener 
Baugesellschaft,  Allgemeine 
österreichische  Baugesellschaft, 
Gettwert  &Dittel,  Karl  Brodhag, 
Friedrich  Haas,  Heinrich  S  i  k  o  r  a,  J. 
Stättermayer,  Rabas  &  Rummel, 
Schuhmacher,  Doderer  und  Hans 
Schätz  zugeschlagen. 

Einundzwanzig  dieser  Vergebungen 
erfolgten  mit  Aufgeboten,  die  zuletzt  zu- 
geschlagenen Arbeiten  wurden  jedoch 
ausnahmslos  mit  Abgebeten  erstanden. 


Die  Oberbauarbeiten  auf  der  Gürtel-, 
Vororte-  und  Wienthallinie  hat  die  Bau- 
untemehmung  J.  B  u  r  i  a  n  und  Consorten 
ausgeführt :  die  Sicherungs- Anlagen  für 
die  Vorortelinie  wurden  der  Firma  Stefan 
von  Götz  &  Söhne,  jene  der  übrigen  Li- 
nien der  Firma  Siemens  &  Halske  über- 
tragen. Die  Ausführung  der  motorischen 
Anlage  der  Wasserstation  in  Heiligen- 
stadt sammt  den  Druck-  und  Sauglei- 
tungen erfolgte  durch  die  Firma  J. 
Friedländer  in  Wien,  die  Liefe- 
rung und  Legung  der  Krahnleitungen 
in  Hütteldorf  und  Heiligenstadt  durch 
die  Firma  Teudloff  &  Dittrich  in 
Wien. 

Interessant  ist,  dass  die  Wochen- 
und  T  a  g  1  ö  h  n  e  der  Arbeiter  und  Hand- 
werker vom  Jahre  1893  bis  inclusive  1896 
wesentliche  Erhöhungen  erfahren  haben. 
Für  den  zehnstündigen  Arbeitstag  wurden 
folgende  Löhne  bezahlt: 


Bei  Polieren 
>      Aufsehern 


aj  Wochenlöhne: 

im  Jahre   1894:  im  Jahre  1896: 

zwischen 16  und  35  fl.  20  und  35  fl. 

»  14      >      18   >  16      »     35    » 


b) 


Für  Maurer: 

Bei  Ziegelmauerwerk         zwischen 

»     Bruchsteinmauerwerk       » 
Für  Steinmetze 

»     Zimmerleute 

»     Gerüster  > 

»      Erdarbeiter 

»     Mineure  > 

»     Handlanger : 
Bei  Ziegelmauerwerk  » 

»     Bruchsteinmauerwerk 
Für  erwachsene  Frauenspersonen 


Die  Ursache  dieses  bedeutenden 
Ansteigens  der  Lohnpreise  ist  ledig- 
lich in  dem  Umstände  zu  suchen, 
dass  gleichzeitig  mit  den  Bauarbei- 
ten für  die  Stadtbahn  andere  sehr 
umfangreiche  bauliche  Anlagen  in 
Wien  ausgeführt  wurden,  und  dass 
erst  nach  und  nach  Arbeitskräfte  in 
erforderlicher  Zahl  herangezogen  werden 
konnten. 


Taglöhne: 

im  Jahre 

1894 

im  Jahre 

1896: 

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Trotz  dieser  schwierigen  Verhältnisse 
haben  aber  sämmtliche  mit  den  Arbeiten 
an  der  Stadtbahn  betrauten  Unterneh- 
mungen die  ihnen  übertragenen  Aufgaben 
anstandslos  durchgeführt  und  dadurch 
den  Beweis  geliefert,  dass  Oesterreich  und 
speciell  Wien  über  eine  grosse  Anzahl  von 
Unternehmungen  verfügt,  welche  auch 
den  schwierigsten  Aufgaben  vollkommen 
gewachsen  sind. 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


461 


Betriebsprogramm. 


Der  Umstand,  dass  es  nicht  möglich 
war,  sämmtliche  Stadtbahnlinien  gleich- 
zeitig zu  eröffnen,  hatte  zur  Folge,  dass 
das  für  den  Stadtbahn  -  Verkehr  ur- 
sprünglich in  Aussicht  genommene  Be- 
triebsprogramm  auf  den  dem  Verkehr 
übergebenen  Linien  nicht  sofort  zur  Aus- 
führung gelangen  konnte. 

Die  Grundzügedes  gegenwärtigen,  zwi- 
schen der  betriebführenden  Staatsbahn- 
Verwaltung  und  der  Commission  für 
Verkehrsanlagen  vereinbarten  Betriebs- 
planes sind  folgende: 

1.  Auf  der   Vorortelinie  wird   in    der  | 
Zeit  von  5  Uhr  Früh  bis   1 1  Uhr  Abends 
durchschnittlich     jede    Stunde    ein    Zug 
mit  Personenbeförderung  verkehren. 

2.  Auf  der  oberen  Wienthal-  und 
Gürtellinie  werden  Personenzüge  in  der 
Zeit  von  5  Uhr  Früh  bis  1 1  Uhr  Abends 
mit  Intervallen,  welche  nach  dem  Fre- 
quenz-Bedürfnisse abgestuft  sind  [vorläu- 
fig 15  bis  30  Minuten]  verkehren  und 
nach  Bedarf  weitere  Züge  eingeschaltet 
werden,  was  insbesondere  für  die  Sonn- 
und  Feiertage  in  Aussicht  genommen  ist. 
Hiedurch  kann  die  mit  102  angenommene 
Tagesleistung  bis  auf  130  Züge  gestei- 
gert werden.  Erst  nach  Eröffnung  der 
unteren  Wienthal-  und  Donaucanallinie 
wird  auf  dem  ganzen  Stadtbahnnetze  der 
volle  Stadtbahn  -  Verkehr  zur  Durch- 
führung gelangen  und  sollen  selbstver- 
ständlich die  Erfahrungen,  welche  im 
Laufe  des  ersten  Betriebsjahres  gesam- 
melt werden,  bei  endgiltiger  Aufstellung 
des  Betriebsplanes  für  das  ganze  Stadt- 
bahnnetz Berücksichtigung  finden.  Es  ist 
aber  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Er- 
fahrungen keinen  Anlass  geben  werden, 
das  Princip,  auf  dem  das  vorgesehene 
Betriebsprogramm  aufgebaut  ist  und  nach 
welchem  der  Stadtbahn- Verkehr  sich  nicht 
auf  die  Stadtbahnlinien  allein,  sondern 
auch  auf  die  anschliessenden  Local- 
strecken  der  Linien  Wien-Salzburg  und 
Wien-Eger  erstrecken  soll,  wesentlich  zu 
ändern. 

Dieses  nachstehend  auszugsweise  mit- 
getheilte  Betriebsprogramm  bezieht  sich 
daher    nicht    nur    auf  die  beschriebenen 


Stadtbahnlinien,  sondern  auch  auf  die 
Strecken  Hütteldorf-Neulengbach  und 
Heiligenstadt-Tulln  der  k.  k.  Staatsbahnen. 
Die  in  den  Stadtbahnbetrieb  einbezogenen 
Linien  sind  daher  folgende : 

a)  Stadtbahnlinien: 

Localbahnen.  Länge 

Wienthallinie  mit  den  Strecken : 

Hütteldorf-Hauptzollamt    .      11 '441  km 
Hauptzollamt-Praterstern  .        1*290    » 

Donaucanallinie :      Hauptzoll- 
amt-Heiligenstadt .     .       5'07i    » 

Hauptbahnen. 

Gürtellinie:  Heiligenstadt- 

Meidling-Hauptstrasse       .       8^422    » 

Vorortelinie:  Heiligenstadt- 

Penzing 9'5I5    >> 


b)  Anschlusslinien: 

Hütteldorf-Neulengbach    .     .     32-100 
Heiligenstadt-Tulln   [Absdorf- 

Hippersdorf] 30^200 


98*039  km 

Wie  sich  aus  nachstehendem  Pro- 
gramme ergibt,  ist  für  die  einzelnen 
Stadtbahnstrecken  eine  andere,  möglichst 
einfache  Bezeichnung  eingeführt  worden, 
und  sollen  diese  Bezeichnungen  in  Hin- 
kunft nicht  nur  im  internen  Dienste, 
sondern  auch  zur  leichteren  Uebersicht 
und  Bequemlichkeit  für  das  Publicum 
dienen.  Die  neuen  Bezeichnungen  lauten : 

Obere  Wienthallinie,  Strecke : 
Hütteldorf-Meidling-Hauptstrasse. 

Untere  Wienthallinie,  Strecke : 
Meidling-Hauptstrasse-Hauptzollamt. 

Quai li nie,  Strecke:  Hauptzollamt- 
Heiligenstadt. 

Gürtellinie,  Strecke :  Meidling- 
Hauptstrasse-Heiligenstadt. 

Vorortelinie,  Strecke :  Heiligen- 
stadt-Penzing,  beziehungsweise  Hüttel- 
dorf. 

Nordringlinie,  Strecke:  Hauptzoll- 
amt-Praterstern-Heiligenstadt ;     vorläufig 


462 


Hugo  Koestler. 


bis  zum  Ausbau  der  Donaustadtbahn 
als  Praterlinie  bezeichnet. 

Südringlinie  [im  Betriebe  der  Süd- 
bahn], Strecke:  Hauptzollamt- Meidling- 
Hütteldorf. 

Friedhoflinie  [im  Betriebe  der 
Eisenbahn  Wien- Aspang],  Strecke :  Haupt- 
zollamt-Aspangbahn-Schwechat. 

Als  Anfangs-,  beziehungsweise  End- 
punkte des  Stadtbahn -Verkehres,  in 
welchen  Zugseinleitungen  und  Zugs- 
auflösungen stattfinden,  sind  folgende 
Stationen,  beziehungsweise  Haltestellen 
bestimmt,  und  zwar : 


1.  Für  den  Sommerfrischen- 
Verkehr. 

a)  auf  der  Westbahnlinie  der  k.  k. 
Staatsbahnen:  Neulengbach,  Rekawinkel, 
Purkersdorf; 

b)  auf  der  Franz  Josef-Bahn  der 
k.  k.  Staatsbahnen:  Tulln,  St.  Andrä- 
Wördern,  Kritzendorf,  Klosterneuburg. 


2.    Für   den    äusseren  Stadtbahn- 
Verkehr: 
Hütteldorf  und  Heiligenstadt. 


3.    Für    den    inneren    Stadtbahn- 
Ve  r  k  e  h  r : 

Meidling  -  Hauptstrasse,  Brigitta- 
brücke,    Praterstern. 

Es  werden  in  Verbindung  damit 
folgende  directe  Zugsverkehre,  und  zwar 
in  beiden  Richtungen,    bestehen : 

a)  Von  Hütteldorf  oder  den  vorgelegenen 
Westbahnstationen : 

[Route  1]  über  die  obere  und 
untere  Wienthallinie  entweder 

1  a)  via  Quailinie  nach  Heiligenstadt 
oder  darüber  hinaus,  oder 

I   ß)  nach    der  Praterlinie  [Nordring]. 

b)  Von     Hütteldorf     oder      den     vorge- 
legenen Westbahnstationen : 

[Route  2]  über  die  obere  Wien- 
thallinie, Gürtellinie  und  Heiligen- 
stadt. 


c)  Von  Heiligenstadt: 

[Route  3]  über  Penzing  mit 
Peagirung  der  westlichen 
Staatsbahnlinie  einerseits  nach 
Hütteldorf,  andererseits  nach 
St.  Veit,  Meidling  [Südring] 
oder  Klein-Schwechat. 

d)  Im  Peage -Verkehre: 

[Route  4]  von  j  (  4  et)   Quailinie 

Meidling,       via  Haupt-         [Brigitta- 
eventuell  von  /    Zollamt    \        Brücke] 
Schwechat  nach       I  4  ß)  Praterlinie 

E.  W.  A.     J  l      [Nordring] 

Die  vorbezeichneten  Zugsverkehre  ad 
a)  und  b)  werden  mit  Rücksicht  auf  die 
nothwendige  Verminderung  der  Zugs- 
dichte in  jenen  Strecken  der  Stadtbahn, 
welche  keine  so  lebhafte  Frequenz  ge- 
wärtigen lassen,  zum  Theile  ihren  End- 
punkt schon  in  der  Haltestelle  Brigitta- 
brücke  für  die  Richtung  Quailinie-Heili- 
genstadt und  in  der  Haltestelle  Meidling- 
Hauptstrasse  für  die  Gürtel-  und  untere 
Wienthallinie  erhalten,  beziehungsweise 
;  in  der  Gegenrichtung  von  dort  ausgehen. 

Der  Zugs  verkehr  ad  c)  und  d)  ist  ein 
einfacher  Pendelverkehr,  welcher  mit  dem 
übrigen  Stadtbahn -Verkehre  in  keinem 
directen  Zusammenhange  steht. 

Die  Züge  des  Vororte  verkehres  werden 
jedoch  späterhin  in  Penzing  auch  An- 
schluss  an  die  bestehenden  Personenzüge 
vom  Westbahnhof  bis  Schwechat  [Kaiser- 
ebersdorf], und  in  St.  Veit,  beziehungs- 
weise Meidling  Anschluss  an  die  Züge  der 
Dampftramway,  beziehungsweise  der  Süd- 
bahn, ferner  die  über  den  Südring  [ad  dj] 
fahrenden  Züge  im  Hauptzollamte  an  die 
von  der  Stadtbahn  geführten  Züge  finden 
können. 

Insolange  die  Dampftramway  St.  Veit- 
Mödling  in  ihrer  dermaligen  Ausführung 
besteht,  erfolgt  bei  den  Zügen  der 
Route  1  und  2  für  die  Fortsetzung  der 
Fahrt  gegen  Mödling  ein  Umsteigen  in 
Hietzing. 

Sobald  die  Dampftramway  als  Voll- 
bahn ausgebaut  ist,  wird  ein  Theil  der 
Züge  der  unteren  Wienthallinie,  in  den 
Routen  I  und  2,  welche  derzeit  ihren  Aus- 
gangspunkt oder  Endpunkt  in  der  Halte- 
stelle Lobko  witz-Brücke  haben,  über  die  Ab- 


Die  Wiener  Stadtbahn. 


463 


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Hugo  Koestler. 


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Die  Wiener  Stadtbahn. 


465 


zweigung  von  der  Wienthallinie  bei 
St.  Veit  nach  Mödling  fortgesetzt  werden. 

Da  in  den  Concessions-Bedingnissen 
der  Wiener  Stadtbahnlinien  eine  Bestim- 
mung über  die  Ausführung  von  Leichen- 
transporten enthalten,  somit  auch  ande- 
rerseits ein  Personenverkehr  zum  Central- 
friedhof in  Aussicht  genommen  ist,  wird 
ein  directer  Zugsverkehr  von  den  Stadt- 
bahnlirrien  [Quailinie  und  Praterlinie 
(Nordring)]  nach  dem  Centralfriedhofe, 
beziehungsweise  Schwechat  vorgesehen 
werden.  Dieser  directe  Zugsverkehr  wird 
durch  die  Fortsetzung  der  Züge  der 
Aspangstrecke  [Schwechat- Wien  E.  W.  A.] 
über  Hauptzollamt  bis  Brigittabrücke  oder 
Praterstern  und  vice  versa,  soweit  diese 
Bahnverwaltung  hiefür  ein  Bedürfnis  er- 
kennt, mit  den  Fahrbetriebsmitteln  der 
Eisenbahn  Wien-Aspang  und  deren  Per- 
sonal erreicht  werden. 

Durch  das  Ineinandergreifen  der  voran- 
geführten verschiedenen  Zugsverkehre 
wird  sich  die  Möglichkeit  bieten,  auch 
in  jenen  Relationen,  in  welchen  ein 
directer  Verkehr  überhaupt  nicht  oder  nur 
in  grösseren  Zeitintervallen  durchführbar 
ist,  durch  Umsteigen  in  möglichst  kurzer 
Zeit  von  und  zu  einem  beliebigen 
Punkte  dieses  Bahnnetzes  eine  Verbin- 
dung zu  finden. 

Die  Ueberleitung  von  Fernzügen  auf 
die  Stadtbahnlinien  ist  mit  Rücksicht  auf 
die  bereits  durch  den  Localverkehr  erfor- 
derlich gewordene  intensive  Ausnützung 
dieser  Linien,  abgesehen  von  Schwierig- 
keiten, welche  diese  Ueberleitung  wegen 
der  verzehrungssteueramtlichen  Behand- 
lung in  den  Einbruchstationen  und  wegen 
des  Gepäcksverkehres  haben  würde,  vor- 
erst nicht  in  Aussicht  genommen. 

Der  auf  den  Stadtbahnlinien  exclusive 
der  Vorortelinie  durchzuführende  Güter- 
und Approvisionirungs- Verkehr  wird  des 
Nachts  abgewickelt ;  nur  auf  der  Vororte- 
linie wird  derselbe  gleichzeitig  mit  oder 
neben  dem  Personenverkehre  durchgeführt 
werden. 

Die  Tabelle  auf  Seite  464  zeigt  die 
in  Aussicht  genommene  Vertheilung 
der  Züge  auf  die  einzelnen  Tagesstunden. 

Der  Minimalverkehr  findet  in  der  Zeit 
von  9  Uhr  Früh  bis  4  Uhr,  beziehungs- 
weise auf  der  Gürtellinie  bis  5  Uhr,  auf 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


der  Praterlinie  bis  3  Uhr  Nachmittags 
statt.  Dieser  Minimalverkehr,  welcher 
drei  bis  sechs  Züge  in  der  Stunde 
umfasst,  erfährt  gegen  die  Morgen-  und 
Nachmittags-,  beziehungsweise  Abend- 
stunden mit  Rücksicht  auf  den  Verkehr 
aus  und  in  die  Sommerfrischen  eine  ent- 
sprechende Verdichtung,  welche  je  nach 
der  Jahreszeit  verschieden  ist  und  dem 
jeweiligen  Verkehre  anzupassen  sein  wird. 

Der  Maximalverkehr  umfasst  zehn 
Züge  in  der  Stunde  und  wickelt  sich 
daher  in  Intervallen  von  sechs  Minuten 
ab.  Nach  8  Uhr  Abends  nimmt  der  Ver- 
kehr allmählich  ab,  mit  Ausnahme  auf 
der  Praterlinie.  Gegen  1 1  Uhr  Abends 
laufen  die  letzten  Züge  von  den  Aus- 
gangspunkten aus  und  es  findet  noch 
zwischen  11  und  12  Uhr  Nachts  der 
nöthige  Wagenzugs-  und  Maschinen- 
austausch statt,  welcher  jedoch  nicht 
als  Leerverkehr  gedacht  ist,  sondern  vom 
Publicum  ausgenützt  werden  soll.  Ins- 
gesammt  sollen  im  normalen  Wochen- 
tagsverkehr auf  der  Wienthallinie  510, 
auf  der  Quailinie  270,  auf  der  Gürtellinie 
190,  auf  der  Nordringlinie  120,  auf  der 
Vorortelinie  40  Züge  —  beide  Richtungen 
zusammengenommen  —   verkehren. 

Eine  sehr  bedeutende  Verstärkung  er- 
erfährt selbstverständlich  der  Sonn-  und 
Feiertagsverkehr,  indem  nebst  den  fahr- 
planmässigen  Zügen  bei  günstiger  Witte- 
rung auch  noch  Erforderniszüge  einge- 
schoben werden.  An  Sonntagen  wird  in 
erster  Reihe  dem  Verkehre  nach  den  Som- 
merfrischen Rechnung  getragen,  während 
der  interne  Stadtverkehr  mehr  zurück- 
treten wird.  Es  sollen  an  Sonntagen 
die  folgenden  Maximal-Zugsdichten  gel- 
ten :  Auf  der  oberen  Wienthallinie  20 
Züge,  auf  der  unteren  Wienthallinie  15 
Züge,  auf  der  Quailinie  10  Züge,  auf 
der  Praterlinie  10  Züge,  auf  der  Gürtel- 
linie 5  Züge  in  der  Stunde. 

Die  Stadtbahnzüge  bestehen  aus  je 
acht  Wagen  III.  Classe  und  zwei  Wagen 
IL  Classe ;  Wagen  I.  Classe  werden  also 
nicht  geführt  und  demgemäss  wurde 
diese  Wagenclasse  auch  in  den  Local- 
strecken    der    Staatsbahnen    aufgelassen. 

Die  Wiener  Stadtbahn  bildet  vorläufig 
die  letzte  grossartige  Bauanlage,  welche 
das    österreichische  Eisenbahnwesen  auf- 

30 


466 


Hugo  Koestler. 


zuweisen  hat.  In  der  Periode,  mit  der 
unsere  historischen  Betrachtungen  enden, 
bildet  dieser  Bau  einen  würdigen  Ab- 
schluss.  Würdig  reiht  er  sich  den  Monu- 
mental-Bauten  an,  welche  die  österreichi- 
sche Eisenbahntechnik  aufzuweisen,  hat. 
In  ihrer  Vollendung  wird  die  Wiener 
Stadtbahn  ein    unvergängliches  Denkmal 


sein  der  Fürsorge  eines  gütigen  Mon- 
archen, der  sie  schaffen  Hess,  zum  Nutzen 
seiner  Reichshauptstadt,  zum  Wohle  der 
Bevölkerung,  ja  des  ganzen  Reiches,  das 
aus  der  immer  weiterschreitenden  Ver- 
vollkommnung der  Verkehrsmittel  direct 
und  indirect  bedeutende  wirthschaftliche 
Vortheile  erlangt. 


Das  Localbahnwesen  in  Oesterreich. 


Von 

kais.  Rath  P.  F.  Kupka. 


Das  Localbahnwesen 
in  Österreich. 


Gleichwie  die  Schlagadern  und 
Haargefässe  zur  Ernährung  des 
menschlichen  Körpers  dienen,  so 
sind  die  Haupt-  und  Nebenstrassen  eines 
Landes  die  lebenspendenden  Arterien  der 
Volkswirthschaft. 

Die  eigentlichen  Hochwege  des  Ver- 
kehrs bilden  die  Eisenstrassen,  von  der 
grossen  leistungsfähigen  Hauptlinie  herab 
bis  zur  anspruchslosen  Schmalspurbahn, 
die,  in  die  eigentlichen  Werkstätten  der 
Erzeugung  eindringend,  neues  Leben  im 
entlegenen  Gebirgsthal  schafft  und  dieses 
in  den  Weltverkehr  einschaltet. 

Der  Staat  und  der  private  Unter- 
nehmungsgeist richteten  naturgemäss  zu- 
erst ihr  Augenmerk  auf  den  Ausbau  der 
Hauptbahnen,  also  der  verkehrspolitisch 
und  wirthschaftlich  wichtigsten  Linien, 
die  auch  gleichzeitig  die  rentabelsten 
waren ;  nach  der  Anlage  des  Hauptnetzes 
wendete  man  sich  den  Nebenbahnen  als 
Verbindungen  oder  Zubringern  der  Haupt- 
linien zu  und  knüpfte  damit  die  Maschen 
des  Netzes  enger. 

Einen  Markstein  unserer  anfänglichen 
Eisenbahn-Periode  bildet  der  Bau  der 
Linz-Budweiser  Bahn,  die  Gerstner 
als  eine  Linie  von  grösster  handels- 
politischer Bedeutung  auszugestalten  be- 
absichtigte; um  ihr  »eine  wahrhaft  ewige 
Dauer  zu  versprechen«  sollte  sie  auf 
» massiven  Mauern«  geführt  und  mit 
Höchststeigungen  von  I  :  20  und  kleinsten 
Krümmungshalbmessern  von  600  Fuss 
[190    m]     angelegt     werden.      Die     be- 


deutenden, für  die  Gesellschaft  un- 
erschwinglichen Kostenüberschreitungen 
veranlassten  Schönerer,  aus  Ersparungs- 
rücksichten  eine  gründliche  Aenderung 
der  ganzen  Bauanlage  vorzuschlagen 
und  auszuführen.  Die  Errichtung  ge- 
mauerter Dämme  wurde  aufgegeben, 
die  zulässigen  Steigungen  mit  I  :  46 
und  die  Krümmungen  mit  60  Fuss 
[19  m]  festgesetzt,  was  allerdings  gleich- 
bedeutend war  mit  einem  Verzicht  auf 
den  Dampfbetrieb. 

Die  Linz  -  Budweiser  Bahn  wurde 
sonach,  wenn  man  will,  die  erste 
Secundärbahn  Oesterreichs  und  gleich- 
zeitig auch  des  ganzen  Continents. 

Ein  anderes  frühzeitiges  Beispiel  einer 
mit  Dampf  betriebenen  Schmalspurbahn 
ist  die  1855  umgebaute  Lambach- 
Gmundener  Bahn,  die  freilich  nicht 
im  Stande  war,  die  Zuneigung  des  reisen- 
den Publicums  zu  gewinnen,  woran  aber 
keineswegs  das  System,  sondern  die 
äusserst  zeitraubende  und  umständliche 
Betriebsführung  die  Schuld  trugen. 

Politische  sowie  ungünstige  finanzielle 
Verhältnisse  griffen  wiederholt  störend 
ein,  so  dass  die  Entwicklung  der  öster- 
reichischen Schienenwege  nicht  den  ge- 
wünschten Fortschritt  aufwies  und  der 
Staat  seine  ganze  Kraft  dem  Bau  der 
noch  fehlenden  Hauptlinien  zu  widmen 
sich  veranlasst  fand. 

In  der  Mitte  der  Sechziger -Jahre 
wurden  verschiedene  Stimmen  laut,  welche 
die  Anlage  von  Nebenbahnen  forderten,  die 


47Q 


P.  F.  Kupka. 


entweder  von  bereits  bestehenden  Linien 
abzweigen,  oder  diese  untereinander  ver- 
binden, endlich  in  Gegenden  führen 
sollten,  deren  Bodenwirthschaft,  Industrie 
und  Handel  ohne  Anschluss  an  die  Haupt- 
verkehrsadern nicht  gedeihen  und  blühen 
konnten.  Eine  Schrift  empfahl  damals  eine 
gewisse  Ärbeitstheilung,  wobei  der  Staats- 
verwaltung die  Sorge  für  die  Hauptlinien 
zu  übertragen,  der  Privat-Unternehmung 
dagegen  der  Bau  von  Nebenlinien  anheim- 
zustellen sei.  Eine  andere  Stimme  be- 
schäftigte sich  schon  eingehend  mit  der 
Frage,  ob  Staat,  Land  oder  Gemeinde 
eigentlich  zum  Bau  von  Nebenlinien  oder 
zur  Beitrag- 
leistung ver- 
pflichtet, dann 
wie  die  Geld- 
beschaffung 
auf  die  ver- 
schiedenen 
Interessenten 
aufzutheilen, 
endlich,  in 
welcher  Form 
der  Bau  und 
Betrieb  zu  re- 
geln wäre. 
Doch  blieben 


Abb.  190.     Seebenstein. 


diese  Stimmen  noch  ziemlich  lange  blos 
rein  akademische  Erörterungen. 

Die  grosse  Bedeutung  der  Neben- 
bahnen behufs  Pflege  des  örtlichen  Ver- 
kehrs wurde  allenthalben  anerkannt,  und 
es  machte  sich  auch  überall  das  Be- 
streben geltend,  die  Bedingungen  für  das 
Zustandekommen  solcher  Bahnen  grund- 
sätzlich festzulegen ;  man  war  sich  be- 
wusst,  dass  hier,  wo  es  sich  nicht  darum 
handeln  konnte,  aus  dem  Baucapital 
Gewinn  zu  ziehen,  sondern  wobei  Haupt- 
zweck war,  das  Bedürfnis  der  Auf- 
schliessung einer  Gegend  zu  befriedigen, 
vielleicht  sogar  diesem  Bedürfnis  vor- 
anzueilen, die  gegebenen  Bedingungen 
und  Verhältnisse  eben  ganz  anders  lagen. 

Ueber  Ziel  und  Zweck  herrschte 
Klarheit,  nicht  aber  über  die  Mittel  und 
Wege  jene  zu  erfassen  und  zu  erreichen. 

Schon  die  unterschiedlichen  schwan- 
kenden Bezeichnungen,  wie  Local-,  Neben-, 
Secundär-,  Vicinal-,  örtliche  Bahnen, 
Bahnen  niederer  oder  minderer  Ordnung, 


von  untergeordneter  Bedeutung  u.  dgl. 
erzeugten  eine  gewisse  Unsicherheit,  da 
das  Wort  einen  feststehenden  Begriff 
nicht  umschloss.  Schon  etwas  einschrän- 
kender war  die  Bezeichnung  Schmalspur- 
bahnen, für  welche  deren  Vertheidiger 
mit  aller  Macht  kämpften. 

Die  Frage  der  Spurweite  war  es 
also,  die,  gleichwie  schon  einmal  in  der 
Mitte  der  Vierziger-Jahre,  abermals  die 
technische  Welt  dauernd  in  Athem  hielt, 
wieder  vielumstritten  auf  der  Bildfläche 
erschien  und  eine  ganze  Literatur  zeitigte. 
Der  einzige  Unterschied  war  nur,  dass 
es     sich     damals     um    eine,     gegenüber 

der    Vollspur 
[1-435  w]  »er- 
weiterte«, 
jetzt  aber  um 
eine   »abge- 
minderte« 
Spur  handelte. 
In  O  ester- 
reich      stand 
der   General- 
Director    des 

österreichi- 
schen   Eisen- 
bahnwesens 

[Eisenbahn  Wien-Aspang.j  -^     v    N  Ö  r  d- 

1  i  n  g  an  der  Spitze  der  Vertheidiger  der 
Schmalspur,  während  Hofrath  M.  M.  v. 
Weber  die  Fahne  der  Vollspur  auf- 
pflanzte. 

Die  Anhänger  der  Schmalspur  führten 
unter  Anderem  aus,  ihre  grossen  Vortheile 
beständen  in  der  Möglichkeit  scharfer 
Krümmungen,  grösserer  Steigungen,  Ver- 
wendung leichter  Schienen  und  Fahrzeuge, 
bequemerer  Umgehung  der  Boden- 
schwierigkeiten ;  es  sei  damit  eine  wohl- 
feilere Herstellung  erreichbar,  d.  h.  es 
wäre  ein  geringeres  Anlage-Capital  und 
eine  bescheidenere  Rente  zulässig,  und 
die  Schmalspurbahn  eigne  sich  besonders 
für  Gegenden,  die  sonst  noch  lange  eines 
Schienenweges  entbehren  müssten. 

Sie  wiesen  mit  grosser  Genugthuung 
auf  die  7  km  lange  Oldenburg'sche 
Secundärbahn  [075  cm  Spurweite]  Ocholt- 
Westerstede  hin,  die  unter  den  kärg- 
lichsten Verkehrsverhältnissen  bei  einer 
kilometrischen  Einnahme  von  nur 
2487  Mark   eine  5%ige  Verzinsung   des 


Localbahnwesen. 


471 


aufgewendeten  Capitals  abwerfe.  Sie  be- 
riefen sich  auf  die  19  km  lange  Bröhl- 
thalbahn  [Rheinpreussen]  mit  0-785  cm 
Spurweite,  die  erste,  bei  deren  Anlage 
schon  die  Hochstrasse  in  umfassender 
Weise  mitbenutzt  wurde  und  die  ihr 
Anlage-Capital  mit  5'75°/0  verzinse. 

Die  Hauptrolle  spielte  aber  immer 
wieder  die  Festiniogbahn  von  22-8  km 
Länge  und  50/5  cm  Spurweite,  welches 
»Kinderspielzeug«  Herrn  v.  Nördling  nach 
seinen  eigenen  Worten  mit  grössterUeber- 


[16.300  fl.]  und  der  Staatseisenbahn- 
Gesellschaft  [18.200  fl.]  übertroffen. 

Aber  auch  die  1879  eröffnete  Bosna- 
bahn  wurde  als  classisches  Beispiel  an- 
geführt. 

Die  Verfechter  der  Vollspur  erklärten 
dagegen  die  Leistungsfähigkeit  der  Voll- 
bahnen als  eine  unvergleichlich  grössere ; 
der  Uebergang  des  Fahrparkes  von  der 
Hauptlinie  sei  thunlich,  wodurch  das 
zeitraubende  und  kostspielige  Umladen 
entfalle;  bei  einer  späteren  Verlängerung 


Abb.  200.    Station  Aspang.  [Eisenbahn  Wien-Aspang.] 


raschung  und  Staunen  erfüllte;  1832  als 
Pferdebahn  gebaut,  wurde  diese  Bahn 
erst  vom  Jahre  1876  ab  mit  Locomotiven 
betrieben  und  gleichzeitig  die  Personen- 
beförderung, anfänglich  unentgeltlich,  ein- 
geführt; ihre  Züge  verkehrten  mit  einer 
Geschwindigkeit  von  50  km.  Die  kilo- 
metrischen Einnahmen,  welche  eine 
i2-5°/0ige  Verzinsung  ergaben,  stellten 
sich  im  Jahre  1880  auf  13.600  fl.,  das 
war  dreizehn  Mal  so  viel,  als  auf  den 
Dalmatiner  und  Istrianer  Staatsbahnen, 
sechs  Mal  so  viel,  als  auf  der  Tarnöw- 
Leluchöwer,  mehr  als  auf  der  Franz 
Josef-  und  Nordwestbahn,  und  dieses  Er- 
gebnis wurde  damals  nur  von  der  Südbahn 


und  Mündung  in  eine  Hauptbahn  sei  ein 
Uebergangs-  und  Durchgangsverkehr  er- 
möglicht. Hartwich  [Deutschland] 
führte  aus,  dass  die  überaus  gering- 
fügigen Ersparnisse  bei  der  Schmalspur 
durch  die  Nachtheile  der  Betriebser- 
schwernisse und  Betriebsstörungen  weit- 
aus aufgewogen  würden.  Leichte  Voll- 
spurbahnen könnten,  wenn  nöthig,  später 
ohne  besondere  Schwierigkeit  und  ohne 
Betriebsstörung  mit  massigen  Kosten 
in  leistungsfähige  Vollbahnen  umge- 
wandelt werden,  was  bei  schmalspu- 
rigen nicht  der  Fall  sei ;  diese  hätten 
auch  nur  in  stark  wechselndem  Ge- 
lände Berechtigung. 


472 


P.  F.  Kupka. 


v.  Weber  fragt  unter  Anderem,  welche 
Spurweite  bei  den  vielen  dazwischen  liegen- 
den Abstufungen  von  amerikanischen 
Schmalspurbahnen  mit  l"245  tn  bis  zur 
Festiniogbahn  mit  50/5  cm  denn  das  eigent- 
liche Kriterium  für  eine  Schmalspurbahn 
bilde  ?  Die  Schmalspurbahnen  gestatteten 
keine  stärkeren  Steigungen,  denn  diese 
seien  durch  ein  unabänderlichesNaturgesetz 
begrenzt.  Die  Herstellungskosten  verhielten 
sich  bei  gleicher  Bauausrüstung  eben  wie 
die  Spurweiten.  Die  Schmalspur  gestatte 
schärfere  Krümmungen,  und  das  sei  der 
Hauptfactor  bei  der  Herabminderung  der 
Baukosten.  Der  Oberbau  der  Schmal- 
spurbahn müsse  desto  stabiler  sein,  je 
kleiner  die  Spur  wäre ;  aus  demselben 
Grunde  sei  die  Unterhaltung  des  Ober- 
baues theurer,  wenn  seine  Leistung,  das 
heisst  die  darüber  bewegten  Mengen,  in 
Betracht  kommen,  desgleichen  seien  die 
Betriebskosten  im  Verhältnis  zur  Trans- 
portmenge und  die  Kosten  der  Zugkraft, 
beziehungsweise  der  Nettolast,  höhere, 
überdies  die  Betriebssicherheit  eine  ge- 
ringere. 

Die  Festiniogbahn  arbeite  unter  ganz 
aussergewöhnlichen  Verhältnissen,  ihr 
ganzer  Verkehr  gehe  zu  Thal,  ein  Ver- 
gleich sei  daher  nicht  statthaft. 

So  wogte  der  Kampf  für  und  wider. 
Eine  Lösung  des  Ueberganges  von  der 
Schmal-  auf  die  Vollspur  scheint,  freilich 
erst  in  jüngerer  Zeit,  gefunden  zu  sein;  die 
widerstreitenden  Ansichten  haben  sich 
längst  geklärt,  die  Gegensätze  gemildert, 
so  dass  heute  Voll-  und  Schmalspur  ihren 
Platz  angewiesen  erhalten.  Es  ist  hier 
nicht  der  Ort,  diese  interessante  Streit- 
frage noch  bis  in  ihre  Details  zu  verfol- 
gen, doch  musste  ihrer  als  wesentliches 
Moment  Erwähnung  geschehen.  In  einem 
Gutachten,  das  Hofrath  v.  Nördling  als 
bautechnischer  Consulent  im  Handels- 
ministerium über  diese  Frage  abzugeben  in 
der  Lage  war,  und  das  für  unsere  Zwecke 
wichtig  erscheint,  wird  unter  Anderem 
ausgeführt ,  dass  die  schmalspurigen 
Bahnen  »allein  im  Stande  sind,  das  jetzt 
an  alle  Staaten  herantretende  Problem 
der  Vicinalbahnen  öconomisch  zu  lösen«. 
Trotzdem  spricht  sich  der  Verfasser  ent- 
schieden gegen  ihre  Anwendung  bei  den 
beabsichtigten  Bahnen  Istriens,  Dalmatiens, 


über  den  Arlberg  u.  s.  w.  aus.  Er  ist 
aber  bezüglich  der  im  Salzkammergut 
bereits  concessionirten  oder  angestrebten 
Linien  der  Ansicht,  dass  »die  steilen  und 
zackigen  Ufer  des  Traunsees  dem  Bau 
einer  ununterbrochenen  normalspurigen 
Bahn  finanziell  unübersteigliche  Hinder- 
nisse in  den  Weg  legen.  .  .  .«  »Eine 
schmalspurige  Bahn  mit  Curven  von 
50  statt  250  m  Halbmesser  würde  die 
Schwierigkeiten  des  Traunsee-Ufers  leicht 
überwinden.  .  .  .«  »Aehnliches  lässt  sich 
von  der  *Bahn  anführen.  Mit  der  nor- 
malen Spur  gehört  diese  Linie  zu  den 
schwierigen  Gebirgsbahnen,  deren  hohes 
Anlage-Capital  sich  auch  nicht  rentiren 
dürfte  und  die  der  garantirten  *  Bahn  nur 
auf  Kosten  des  Staatsschatzes  Concurrenz 
machen  könnte.  Mit  dem  schon  oben 
erwähnten  schmalspurigen  Halbmesser 
dagegen  liessen  sich  technische  Siege 
erringen,  die  man  zum  Voraus  kaum 
auszusprechen  wage.« 

Bezüglich  der  Anwendung  des  Fairlie- 
Systems  [achträderige  Doppellocomotive 
für  Krümmungen  bis  zu  15  m  Halbmesser 
mit  einer  5O°/0igen  Brennmaterial- Er- 
sparnis] lautet  das  Gutachten  weniger 
bestimmt. 


In  Oesterreich  hatte  sich  gegen  Ende 
der  Sechziger-Jahre  das  Privatcapital 
mit  Vorliebe  dem  Eisenbahnbau  zuge- 
wendet. In  dieser  Periode  des  wirth- 
schaftlichen  Aufschwunges  entstand  eine 
Reihe  neu  gegründeter  Baugesellschaften, 
welche  eine  grosse  Zahl  unreifer  Projecte 
verfassten,  die  zu  jeder  anderen  Zeit  das 
Lächeln  sowohl  des  Ingenieurs  als  auch 
des    Geldmannes    hervorgerufen    hätten. 

Unter  den  vielen  Goncessions-An- 
suchen  betraf  eines  der  ernsteren  Pro- 
jecte die  Anlage  von  »Localbahnen 
in  Wien«.  Am  3.  April  1873  brachte 
die  Regierung  einen  Gesetzentwurf,  »be- 
treffend Bedingungen  und  Zugeständnisse 
für  die  Sicherstellung  von  den  Local- 
verkehr  in  Wien  und  Umgebung  ver- 
mittelnden Eisenbahnen«  ein.  Es  sollten 
behufs  Verbindung  sämmtlicher  in  Wien 
mündender  Eisenbahnen  doppelgeleisige 
Vollbahnen,  im  übrigen  zumeist  schmal- 
spurige, mit  einer  dritten  Schiene  für  die 


Localbahnwesen. 


473 


Vollspur  versehene  Linien  mit  theilweisem 
Locomotiv-  und  Pferdebetrieb  ausgeführt 
werden.  Für  den  Bau  eines  Central- 
bahnhofes  war  der  Naschmarkt  [Freihaus] 
in  Aussicht  genommen. 

Der  Artikel  I  des  Gesetzentwurfes  er- 
theilte  der  Regierung  die  Ermächtigung, 
bei  Concessionirung  des  Baues  und  Be- 
triebes solcher  Bahnen  »die  Steuer-  und 
Gebührenfreiheit  im  ganzen  Umfange, 
und  zwar  bezüglich  der  zeitlichen  Be- 
freiungen bis  zur  Maximaldauer  von 
höchstens  30  Jahren  zuzugestehen«. 


Auf  verschiedene  Anfragen  wegen  Er- 
leichterungen bei  Anlage  von  für  den  localen 
Verkehr  bestimmten  Secundärbahnen  er- 
theilte  das  Handelsministerium  unter 
dem  19.  April  1875  folgende  Weisung: 
» Wegübergänge  im  Niveau  können  bei 
derlei  Bahnen  überall  gestattet  werden, 
wo  sie  ohne  wesentliche  Verschlechterung 
der  Strassen  und  Wege  ausführbar  sind, 
und  auch  gegen  die  Anlage  solcher  Bahnen 
längs  gewöhnlicher  Fahrstrassen  nach 
Art  der  Tramway  könne  vom  Sicherheits- 
standpunkte   aus    im    Allgemeinen    keine 


Abb.  201.  Unter-Drauburg.  [Vnter-Drauburg-Wolfsberg.] 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Alois  Beer  in  Klagenfurt.] 


Auch  dieser  Plan  wurde  ein  Opfer 
des  finanziellen  Zusammenbruches  vom 
Jahre  1873.  Gleich  einer  Sturmfluth 
schwemmte  die  wirthschaftliche  Krise  alle 
guten  und  schlechten  Projecte  mit  sich 
fort  und  zerstörte  jegliches,  früher  in  über- 
schwänglichem  Masse  entgegengebrachte 
Vertrauen.  Die  Entwicklung  des  Eisen- 
bahnnetzes stockte  gänzlich,  weshalb  die 
Regierung  sich  gezwungen  sah,  hier  helfend 
einzugreifen,  indem  sie  dem  Reichsrathe 
verschiedene  Projecte  für  Localbahnen 
unterbreitete.  Allmählich  fasste  auch  das 
Privatcapital  wieder  Vertrauen  und  so 
entstanden  mehrere  auf  Staatskosten 
sowie  von  Privat-Unternehmungen  erbaute 
Linien,  sogenannte  Xothstandsbauten, 
die  eigentlich  nicht  als  Localbahnen  an- 
gesehen werden  können. 


Einwendung  gemacht  werden.  Weg- 
übergangs-Schranken  und  Einfriedungen 
sowie  die  Aufstellung  von  Wächterhäusern 
sind  hier  nicht  obligatorisch  und  nur  dort 
auszuführen,  wo  ganz  besondere  Umstände 
dieselben  nöthig  machen.  Die  Stationen 
sind  in  geringer  Ausdehnung  und  mit 
sehr  öconomischer  Hochbau-Anlage  aus- 
zuführen, und  unterliegt  es  keinem  An- 
stände, bei  industriellen  Etablissements, 
welche  einen  grösseren  Frachtenumsatz 
besitzen,  Ladestellen  in  freier  Bahn  aus- 
zuführen.« 

Der  Anlage  von  Secundärbahnen 
gegenüber  verhielten  sich  die  Eisenbahn- 
Gesellschaften  im  Allgemeinen  ablehnend, 
die  meisten  aus  Besorgnis  vor  dem  Wett- 
bewerb, andere  wegen  ihrer  eigenen 
Finanzlage. 


474 


P.  F.  Kupka. 


Abb.  202.    Miesbrücke  bei  Unter-Drauburg.     [Unter-Drauburg- Wolfsberg.] 
[Nach   einer  photographischen   Aufnahme   von   Alois   Beer  in  Klagenfurt.] 


Als  sogenannte  Localbahnen  und 
schon  von  vorneherein  für  den  Secundär- 
betrieb  eingerichtet,  wurden  nach- 
stehende Linien  auf  Grund  von  Sonder- 
gesetzen gebaut : 

Elbogener  Localbahn,  5  km  [Ge- 
setz 28.  März   1875]. 

Eisenbahn  Bozen-Meran,  32  km 
[Gesetz   11.  März  1876]. 

Staatsbahn  Erbersdorf- Würbe n- 
thal,  21  km  [Gesetz   12.  März  1876]. 

Staatsbahn  Mürzzuschlag- Neu- 
berg,  11km  [Gesetz   12.  März   1876]. 

StaatsbahnUnter-Drauburg-Wolfs- 
berg,  38  km  [Gesetz   12.  März   1876]. 

Staatsbahn  Kriegsdorf- Römer- 
stadt,   14  km  [Gesetz   13.  März   1876]. 

DalmatinerStaatsbahn,  105  km 
[Gesetz   14.  April  1877]. 

Donauuferbahn,  13-5  km  [Gesetz 
14.  April   1877]. 

Wien-Aspang-Bahn,  80  km  [Ge- 
setz 8.  Juli   1877]. 

Niederösterreichische  Staats- 
bahnen, ursprünglich  als  Niederöster- 
reichische Südwestbahnen  concessionirt 
und  durch  Gesetz  5.  Juli  1878  vom  Staate 
angekauft:  Leobersdorf-Gutenstein,  33  km, 
Pöchlarn  -  Kienberg  -  Gaming,  38  km, 
Scheibmühl-Schrambach,  9  km  [Gesetz 
14.  Mai   1874,  5.  Juli   1878]. 

Eisenbahn  Chodau-Neudeck,  \\km 
[Gesetz   1.  Juni  J879]. 

Eisenbahn  Caslau-Zawratetz, 
ig  km  [Gesetz   i.Juni  1879]. 


Die  Anlage  dieser  Bahnen  war  mit 
Rücksicht  auf  den  Zweck  eine  zu  kost- 
spielige ;  so  kostete  beispielsweise  das 
Kilometer  Bahn  bei  Wolfsberg  -  Unter- 
Drauburg  54.000  fl.,  bei  Mürzzuschlag- 
Neuberg  58.000  fl.  und  bei  Erbersdorf- 
Würbenthal  gar  80.000  fl.  Die  Einnahmen 
standen  damit  auch  in  keinem  Ver- 
hältnisse. 

Gleichzeitig  stellte  sich  das  praktische 
Bedürfnis  heraus,  einigen  schon  im  Be- 
triebe befindlichen  Bahnen  auf  einzelnen 
Flügelstrecken  die  Einführung  des  S  e  - 
cundärbetriebes  zu  gestatten.  Die 
Genehmigung  wurde  regierungsseitig  unter 
der  Bedingung  ertheilt,  dass  die  fest- 
gesetzten ermässigten  Geschwindigkeiten 
auch  eingehalten  würden.  Damit  wurde 
ein  doppelter  Zweck  verbunden,  und  zwar 
eine  namhafte  Ersparnis  für  den  gewähr- 
leistenden Staat,  andererseits  die  Prüfung, 
wie  weit  mit  den  Erleichterungen  beim 
Secundärbetrieb  gegangen  werden  könne. 
In  allen  diesen  Fällen  blieben  jedoch  die 
concessionsmässigen  Verpflichtungen  der 
Bahngesellschaften  im  vollen  Umfange 
aufrecht. 

So  wurde  der  Secundärbetrieb  bei  der 
Buschtöhrader  Bahn  auf  fünf,  bei  der  Kron- 
prinz Rudolf-  und  Nordwestbahn  auf  je 
vier  Strecken,  bei  der  Aussig  -Teplitzer, 
Kaiserin  Elisabeth-,  Prag  -  Duxer  und 
Süd-norddeutschen  Verbindungsbahn  auf 
je  einer  Strecke  eingeführt. 

Aber  auch  Hauptbahnen  erschien  es 
schon  in  den  Siebziger-Jahren  wünschens- 


Localbahnwesen. 


475 


werfh,  ihren  örtlichen  Personenverkehr 
durch  Secundärzüge  besorgen  zu  lassen ; 
das  war  unter  Anderem  bei  der  Kaiserin 
Elisabeth-,  Oesterreichischen  Nordwest-, 
Südbahn  und  Staatseisenbahn-Gesellschaft 
der  Fall. 

Worin  besteht  eigentlich  das  Wesen 
des  Secundärbetriebes  ?  Einfach  in  der 
Ersparnis  bei  den  Bau-  und  Betriebs- 
kosten —  das  ist  natürlich  nur  bei  neu 
angelegten,  nicht  aber  bei  schon  be- 
stehenden   Bahnen    der    Fall   —   infolge 


In  Deutschland  war  es  Bayern, 
das  zuerst  der  Anlage  von  Vicinalbahnen 
Rechnung  trug. 

Das  Gesetz  vom  29.  April  1869  be- 
trifft »die  Ausdehnung  und  Vervoll- 
ständigung der  bayerischen  Staatsbahnen, 
dann  die  Erbauung  von  Vicinalbahnen«, 
das  sind  »Bahnverbindungen  von  localer 
Wichtigkeit,  die  vom  Staate  oder  Privat- 
Unternehmungen  hergestellt  werden ;  sie 
sollen  nur  unter  der  Voraussetzung  Aus- 
sicht auf  Unterstützung  haben,  wenn  für 


Abb.  203.  Lavantbrücke  bei  Kollnitz.  [Unter-Drauburg- Wolfsberg.] 
[Nach  einer  photographiscben  Aufnahme  von  Alois  Beer  in  Klagenfurt/ 


der  ermässigten  Fahrgeschwindigkeit ; 
eine  allgemein  giltige  gesetzliche  Fest- 
stellung dieser  Geschwindigkeit  erschien 
für  die  Praxis  als  unzulässig  und  hemmend ; 
als  man  einsah,  dass  die  gewöhnlich  mit 
12 — 15  km  bemessene  Fahrgeschwindig- 
keit nur  eine  gänzlich  ungenügende  Aus- 
nützung des  Personals  und  des  Roll- 
materials gestatte,  erhöhte  sie  die  Regierung 
in  den  einzelnen  Fällen  und  ging  bis  zu 
30  km. 

Eine  Lösung  der  Localbahn  -  Frage 
war  das  allerdings  nicht. 

Das  stetig  zunehmende  Bedürfnis  nach 
Localbahnen  und  der  Einlauf  zahlreicher 
Projecte  drängte  die  Regierung  zur  Er- 
lassung eines  Localbahn-Gesetzes. 

Werfen  wir  nun  einen  flüchtigen 
Blick  auf  andere  Länder,  die  um  jene 
Zeit  mit  der  Lösung  der  gleichen  Frage 
sich  beschäftigten. 


dieselben  die  Grunderwerbung  und  die 
Herstellung  der  Erdarbeiten  ohne  In- 
anspruchnahme von  Staatsfonds  gesichert 
ist«;  ferner  heisst  es:  »Was  die  Ver- 
zinsung des  von  Gemeinden  oder  anderen 
Interessenten  zugeschossenen  Capitals 
betrifft,  so  ist  in  der  Regel  gesetzlich 
festzustellen  und  mit  den  Interessenten 
zu  vereinbaren,  dass  erst  dann,  wenn  die 
Roheinnahmen  aus  dem  Transport  das 
dreifache  der  41/2°/o'Sen  Zinsen  des  aus 
Staatsmitteln  bestrittenen  Aufwandes  über- 
steigen, aus  dem  Ueberschuss  eine  Ver- 
zinsung und  Amortisation  des  für  die 
Grunderwerbung  und  Erdarbeiten  auf- 
gewendeten Capitals  bis  zu  5%  gewährt 
werden  kann,  beziehungsweise  gewährt 
wird.« 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  ein  be- 
sonderer Baufonds  aus  den  Erträgnissen 
der  Staatsbahnen  gebildet. 


476 


P.  F.  Kupka. 


Auf  Grund  dieser  allgemeinen  Be- 
stimmungen und  durch  Sondergesetze 
kamen  bis  1876  14  Vicinalbahnen  von 
1 67  km  Länge  zur  Ausführung. 

Die  sieben  vom  Staate  betriebenen  voll- 
spurigen Vicinalbahnen  von  71*1  km  Länge 
mit  1 :  70  Höchststeigungen,  200  m  Krüm- 
mungshalbmesser und  27-2  kg  Schienen- 
gewicht verursachten  einen  Kostenaufwand 
von  5,985.000  .Mark,  hierunter  allein  für 
Gründe  1,052.000  Mark,  oder  84.200  Mark 
für  das  Kilometer ;  sie  wurden  nahezu 
gleich  den  Hauptlinien  ausgestattet  und, 
mit  Ausnahme  zweier,  durch  deren  schwere 
Locomotiven  betrieben  ;  sie  unterschieden 
sich  von  den  Hauptbahnen  eben  nur 
dadurch,  dass  sie  fast  keinen  Verkehr 
hatten  und  dementsprechend  waren  auch 
die  Ergebnisse.  Nur  zwei  der  Vicinal- 
bahnen deckten  ihre  Betriebsauslagen, 
ohne  jedoch  dem  Staate  oder  den  Ge- 
meinden irgend  welche  Rente  abzuwerfen, 
die  übrigen  waren  gänzlich  passiv. 

Unter  solchen  Verhältnissen  war 
eine  Neuregelung  des  Vicinalbahnwesens 
dringend  geboten. 

Das  neue  Gesetz  vom  28.  April  1882 
Hess  denLocalbahn-Interessenten  die  Wahl, 
entweder  auf  ihre  Ansprüche  bezüglich 
der  Ueberschüsse  gegen  Rückerstattung 
des  Aufwandes  für  die  Erdarbeiten  Ver- 
zicht zu  leisten,  oder  sich  mit  der  Hälfte 
zu  begnügen  und  ein  neues  Ueberein- 
kommen  mit  der  Regierimg  wegen  Ver- 
theilung  des  Ueberschusses  zu  treffen. 
Das  Gesetz  bestimmte  weiters,  dass  der 
Staat  Localbahnen  nur  dann  zur  Aus- 
führung bringe,  wenn  die  Interessenten 
mindestens  den  Grund  unentgeltlich  bei- 
stellten, sowie  dass  bei  entsprechenden 
Leistungen  seitens  der  Interessenten  nicht 
rückzahlbare  Staatszuschüsse  an  Privat- 
Unternehmungen  zulässig  seien. 

Auch  Baden  schuf  bereits  1869  ein 
Gesetz,  betreffend  Local-,  Zweig-  und 
Verbindungsbahnen,  demzufolge  Staats- 
beiträge in  Aussicht  gestellt  wurden,  wenn 
die  Betheiligten  mindestens  die  Kosten 
für  den  Grunderwerb  und  die  Erdarbeiten 
übernähmen. 

In  Sachsen  gestand  die  Regierung 
die  thunlichsten  Verkehrserleichterungen 
zu  behufs  Förderung  von  Localbahnen, 
welche  die  entlegensten  Gegenden  bequem 


erreichbar  machen,  als  Verbindungslinien 
dienen,  die  Hauptbahnen  befruchten  und 
ihnen  hie  und  da  die  Last  des  Orts- 
verkehrs abnehmen  sollten. 

Diesem  Lande  gebührt  unstreitig  das 
Verdienst,  die  Schmalspur  in  Deutschland 
volksthümlich  gemacht  zu  haben.  Im 
Januar  1876  und  im  October  1877  legte 
die  Regierung  die  Gründe  dar,  welche 
für  die  vorteilhafte  Anwendung  der 
Schmalspur  sprachen  und  brachte  mehrere 
Staatsbahnlinien  in  Vorschlag.  Trotzdem 
erfolgte  wegen  der  bedeutenden  Vorein- 
genommenheit die  Ablehnung  der  Vor- 
lage, deren  Annahme  erst  1879  erlangt 
werden  konnte. 

In  Preussen  reifte  erst  allmählich 
die  Localbahnfrage  der  Entscheidung 
entgegen.  Am  10.  Mai  1877  erliess  das 
Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten 
eine  »Sicherheitsordnung  für  normalspu- 
rige  Eisenbahnen  Preussens«,  bei  denen 
vermöge  ihrer  untergeordneten  Bedeutung 
Abweichungen  von  den  Bestimmungen 
der  bestehenden  Eisenbahn-Verordnungen 
für  zulässig  erachtet  würden;  der  Staat 
wollte  sich  jedoch  hiebei  weder  selbst 
betheiligen,  noch  auch  den  Selbstver- 
waltungskörpern die  Sorge  für  die  Local- 
bahnen überlassen.  Auf  eine  Anfrage 
im  Abgeordnetenhause  erklärte  Minister 
v.  A  c  h  e  n  b  a  c  h,  dass  er  sich  für  das 
Gedeihen  der  Localbahnen  lebhaft  inter- 
essire,  doch  habe  das  Publicum  noch  nicht 
genügend  begriffen,  »dass  auf  solchen 
Bahnen  der  complicirte  Personenbetrieb 
dem  einfacheren  Güterbetrieb  nachstehen 
müsse«.  Obzwar  schon  früher  der  west- 
preussische  Landtag  sowie  die  Provinzial- 
Landtage  von  Posen  und  Westfalen, 
später  die  Provinzial- Ausschüsse  von 
Schlesien  und  Schleswig-Holstein  gegen 
die  Secundärbahnen  sich  ausgesprochen 
hatten,  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil 
Begriff  und  Rechtszustand  der  Secundär- 
bahnen gesetzlich  noch  nicht  bestimmt 
seien,  weil  der  Staat  selbst  zur  Frage  der 
finanziellen  Beihilfe  noch  keine  Stellung 
genommen  habe  und  es  fraglich  sei,  ob 
die  den  Provinzen  überwiesenen  Dis- 
positionsfonds zur  Erfüllung  der  Aufgabe 
ausreichten,  wies  das  preussische  Handels- 
ministerium die  Eisenbahn-Gesellschaften 
an,   Vorarbeiten  für  Secundärbahnen  ein- 


Loealbalmwesen. 


477 


zuleiten.  Erst  mit  dem  Beginne  der  Ver- 
staatlichungs  -  Action  der  Hauptbahnen 
[1879]  wurde  den  Localbahnen  eine  wohl- 
wollendere Behandlung  zutheil. 

Am  30.  October  1879  legte  die  Regie- 
rung dem  Landtage  einen  Gesetzentwurf 
vor  behufs  Bewilligung  der  Mittel,  theils 
für  die  Herstellung  einer  Reihe  von 
Bahnen  minderer  Ordnung,  theils  für  die 
Betheiligung  von  Privat-Unternehmungen, 
welche  wirthschaftliche  Nebenbahnen  im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes  seien  und 
auch  technisch  als  solche  angelegt  und 
betrieben  werden  sollten. 


Zufolge  einer  Denkschrift  zum  Gesetz- 
entwurfe sollte  der  Staat  auf  die  Herstel- 
lung eines  Netzes  von  Localbahnen  in  zwei- 
facher Richtung  hinwirken,  undzwar  durch 
entsprechende  Erleichterungen  derjenigen 
Normen,  Bedingungen  und  Auflagen,  an 
welche  die  Eisenbahn  -  Unternehmungen 
geknüpft  sind,  dann  durch  thatsächliche 
Betheiligung  am  Bau  solcher  Bahnen. 
Das  könne  geschehen  entweder  durch  die 
Herstellung  auf  Staatsrechnung,  unter 
Betheiligung  der  Ortsinteressenten,  oder 
durch  finanzielle  Unterstützung  bei  der 
Ausführung  durch  dritte  Personen. 


Im 

J 

"N_~. 

Abb.  204.    Lavantbrücke  bei  Woltsberg.  [Unter-Drauburg-Woifsberg.] 


Dieser  Gesetzentwurf  fusste  auf  den 
durch  die  technische  Commission  des 
Vereines  Deutscher  Eisenbahn  -  Verwal- 
tungen festgelegten  »Grundzügen  für  die 
Gestaltung  der  secundären  Eisenbahnen«, 
Hannover  1876.  »Als  Secundärbahnen 
sind  solche  zu  betrachten,  an  welche  in 
Beziehung  auf  Fahrgeschwindigkeit  und 
Bequemlichkeit  geringere  Ansprüche  ge- 
stellt werden  und  welche  daher  billiger 
hergestellt  und  billiger  betrieben  werden 
können,  als  die  Hauptbahnen.« 

Es  wurden  unterschieden  Secundär- 
bahnen, welche  an  die  Hauptbahnen  an- 
schliessen : 

I.  Spur  i"435  m,  zulässige  Geschwin- 
digkeit 12 — 30  km. 

II.  Spur  i'435  m,  Fahrgeschwindigkeit 
höchst  12  km. 

III.  Spur   1   m  oder  CV75  m. 


Die  Ortsinteressenten  hätten  dem 
Staate  mindestens  den  erforderlichen 
Grund  und  Boden  in  natura  oder  durch 
Ersatz  der  Beschaffungskosten  zu  über- 
weisen ;  bilde  diese  Forderung  eine  zu 
hohe  Belastung,  so  könne  staatlicherseits 
ein  entsprechender,  nach  der  Bahnlänge 
zu  bemessender  Zuschuss  zu  den  Grund- 
erwerbskosten geleistet  werden,  vorkom- 
mendenfalls  auch  neben  der  Gestellung 
des  Geländes  noch  ein  unverzinslicher 
nicht  rückzahlbarer  Bauvorschuss  zu  den 
Baukosten  gefordert  werden. 

Die  Form  der  staatlichen  Beihilfe 
besteht  dann  entweder  in  der  Betheiligung 
am  Actien-Betrage,  in  der  Gewährung 
von  Darlehen  unter  billigen  Bedingungen 
oder  Bürgschaftsleistung,  in  Prämien,  durch 
Uebernahme  des  Betriebes  oder  der  Ver- 
waltung,  durch  Mitbenützung  staatlicher 


478 


P.  F.  Kupka. 


Anlagen  und  Einrichtungen,  Ueberweisung 
von  Areal  und  Material  für  den  Bau 
u.  s.  w.  Eine  gesetzliche  Regelung  der 
für  die  Concessionirung  und  staatliche 
Subventionirung  der  Secundärbahnen  auf- 
zustellenden Grundsätze  erscheine  der 
Staatsverwaltung  zur  Zeit  nicht  rathsam 
und  eine  Definition  zu  geben,  sei  sehr 
schwer;  deshalb  müsse  nach  genauer 
Untersuchung  in  jedem  Einzelfalle  ent- 
schieden werden. 

Eine  zweite  Denkschrift  zum  Gesetz- 
entwurfe erläuterte  die  »Normal-Conces- 
sions-Bedingungen«  für  die  mit  Vollspur 
[Schmalspur  blieb  ausser  Betracht]  ange- 
legten und  für  den  Uebergangs-  Verkehr 
einzurichtenden  Localbahnen.  Für  acht 
von  den  neun  zum  Ausbau  empfohlenen 
Bahnen  war  die  unentgeltliche  Einräu- 
mung des  Mitbenützungsrechtes  von 
Strassen  und  öffentlichen  Wegen,  inso- 
weit es  die  Aufsichtsbehörde  für  zu- 
lässig erachte,  zugesprochen. 

Die  Ministerial  -  Verordnung  vom 
8.  März  1881  gestattete  grundsätzlich 
die  Mitbenützung  öffentlicher  Wege  be- 
hufs Anlage  von  Bahnen  untergeordneter 
Bedeutung,  was  wohl  belebend  auf  die 
Unternehmungslust  einwirkte,  doch  wur- 
den hiebei  Zugeständnisse  bezüglich  des 
Verhältnisses  zur  Post-  und  Militär-Ver- 
waltung vermisst. 

Es  folgte  seit  1880  noch  eine  Reihe 
verschiedener  Sondergesetze  und  Verord- 
nungen, unter  denen  sich  das  Nebenbahn- 
wesen mächtig  entwickelte,  so  dass 
Preussen  heute  das  ausgedehnteste  Netz 
von  Localbahnen  besitzt.  Durch  Privat- 
Gesellschaften  kamen  nur  wenige,  zu- 
meist Schmalspurbahnen  zustande. 

In  Italien  wurde  die  Regierung 
durch  das  Gesetz  vom  29.  Juni  1873 
zum  Bau  einer  Anzahl  von  Nebenbahnen 
unter  besonderen  Zugeständnissen  bezüg- 
lich der  Anlage  sowie  zur  Gewährung 
jährlicher  Unterstützungen  von  1000  Lire 
für  das  Kilometer  durch  35  Jahre  er- 
mächtigt, wobei  die  Bildung  von  Syndi- 
caten  in  den  Provinzen  und  Gemeinden 
anzustreben  sei. 

Die  mit  Rücksicht  auf  dieses  Gesetz 
gehegten  Erwartungen  erfüllten  sich  je- 
doch nicht  und  die  Regierung  sah  sich  zu 
ausgiebigeren  Zugeständnissen  veranlasst. 


Mit  dem  Gesetze  vom  29.  Juli  1879 
wurde  der  Bau  von  1530  km  Neben- 
bahnen [ferrovie  secondarie]  von  rein  ört- 
lichem Interesse  beschlossen,  unter  Ein- 
haltung der  Bedingung,  dass  die  bethei- 
ligten Körperschaften  die  Leistung  eines 
entsprechenden  Beitrages  nachzuweisen 
hätten,  der  für  die  ersten  80.000  Lire  des 
Gesammtaufwandes  mit  0-4,  von  den 
nächstfolgenden  70.000  Lire  mit  0-3  und 
von  den  restlichen  Erfordernissen  mit  o- 1 
bemessen  war.  Die  Anwendung  der 
Schmalspur  sowie  die  Mitbenützung  der 
öffentlichen  Strassen  war  gestattet.  Die 
Concessionirung  erfolgte  fallweise  durch 
ein  königliches  Decret. 

Bald  überzog  sich  insbesondere  Nord- 
italien mit  einem  dichten  Netz  von  Dampf- 
strassenbahnen,  obgleich  die  von  den  Inter- 
essenten übernommenen  Verpflichtungen 
noch  als  drückende  empfunden  wurden; 
diese  erhielten  eine  wesentliche  Einschrän- 
kung mit  dem  Inkrafttreten  der  Betriebs- 
Convention  [1.  Juli  1885],  derzufolge 
die  Pachtgesellschaften  der  italienischen 
Staatsbahnen  es  übernommen  hatten,  die 
in  den  Gesetzen  bezeichneten  Linien,  in- 
soweit sie  in  ihr  Verkehrsgebiet  fallen, 
unter  Bürgschaft  des  Staates  auszubauen, 
zu  betreiben  und  deren  Gesammtanlage- 
kosten  durch  Ausgabe  von  Obligationen 
zu  decken. 

Spätere  Gesetze  ermächtigten  die  Re- 
gierung zum  Bau  von  neuen  Nebenbah- 
nen [1000  km,  Kosten  90  Millionen  Lire] 
und  erhöhten  weiters  den  Unterstützungs- 
beitrag von  1000  auf  3000  Lire  für  das 
Kilometer  sowie  die  Dauer  der  Concession 
von  35  auf  90  Jahre. 

Frank  reich  schuf  infolge  Zusam- 
menwirkens von  Staat,  Departements,  Ge- 
meinden und  Interessenten  anfangs  der 
Sechziger-Jahre  im  Elsass  Vicinialbahnen 
von  einfachem  Bau  und  Betrieb ;  die  Re- 
gelung ihrer  Verhältnisse  geschah  auf 
Grund  des  Vicinal-Strassengesetzes  vom 
21.  Mai  1836  und  des  allgemeinen  Eisen- 
bahn-Gesetzes. 

Im  Jahre  1861  setzte  die  Regie- 
rung einen  Ausschuss  ein  zur  Vor- 
berathung  eines  Gesetzes  über  die  »Che- 
mins  de  fer  d'intöret  local«,  dessen  Be- 
schlüsse zwei  Jahre  darnach  veröffentlicht 
wurden. 


Localbahnwesen. 


479 


Der  Schwerpunkt  des  später  geschaf- 
fenen Gesetzes  vom  12.  Juli  1865  [Loi 
relative  aux  chemins  de  fer  d'int£ret 
local]  lag  darin,  dass  der  Staat  solche 
Localbahnen  nach  vorausgegangener  An- 
erkennung der  utilitd  publique  durch  den 
Staatsrath    mit    nicht    rückzahlbaren  Zu- 


Der  Erfolg  war  keineswegs  ein  gün- 
stiger, denn  der  weitreichende  Einfluss 
der  Departements-  und  Generalräthe  auf 
die  Concessions-Bedingungen  und  die  An- 
lage der  Bahn  schuf  eine  grosse  Zahl 
lebensunfähiger,  mit  den  Hauptbahnen  so- 
gar im  Mitbewerb  stehender  Localbahnen, 


Abb.  205.  Ramsaubach-Viaduct.     [Eisenerz-Vordernberg.] 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  C.  Weighart  in  Leoben/ 


Schüssen  ausstattete,  und  zwar  bis  zu  einem 
Drittel  von  dem  die  Departements, 
Gemeinden  und  Interessenten  belasten- 
den Kostenaufwande ;  das  Gesetz  erlaubte 
in  ärmeren  Departements  bis  auf  die 
Hälfte  hinaufzugehen,  wohlhabenderen 
jedoch  nur  bis  zu  einem  Viertel  zuzuge- 
stehen. Der  Gesammtbetrag  der  Staats- 
beihilfe durfte  aber  6,000.000  Francs  nicht 
überschreiten. 


deren  Anlagekosten  mit  den  voraussicht- 
lichen und  erzielten  Einnahmen  ausser 
Verhältnis  standen  und  die  später  [1878] 
thatsächlich  vom  Staate  übernommen  wer- 
den mussten.  Bestrebt,  das  Localbahn- 
wesen auf  eine,  alle  Missbräuche  aus- 
schliessende  Grundlage  zu  stellen,  fasste 
man  vorerst  die  Verwendung  von  öffent- 
lichen Strassen  [l'accötement  des  routes] 
ins  Auge,  was  auch  in  dem  am  17.  März 


480 


P.  F.  Kupka. 


1875  von  Cailloux  der  Nationalver- 
sammlung unterbreiteten  Gesetzentwurf, 
sowie  in  der  Vorlage  Freycinet's 
[. . .  voies  ferrees  etablis  sur  les  voies  pu- 
bliques]  vom  29.  April  1878  zum  Ausdrucke 
gebracht  wurde,  und  womit  gleichzeitig 
den  Localbahnen  Staatsunterstützungen  — 
einen  gleich  hohen  Beitrag  seitens  der 
Departements  und  Gemeinden  vorausge- 
setzt —  von  5000  Francs  und  bei  Linien, 
auf  welche  Wagen  der  Hauptbahn  über- 
gehen konnten,  6000  Francs  für  das  Kilo- 
meter auf  20  Jahre  zugesichert  ward. 

Ein  neues  Localbahn-Gesetz  [11.  Juni 
1880]  übertrug  den  Departements  und 
Municipien  die  Feststellung  der  Conces- 
sions-Bedingungen,  verlangte  jedoch  die 
Genehmigung  zur  Ausführung  und  Aner- 
kennung der  öffentlichen  Nützlichkeit  im 
Wege  eines  Gesetzes,  worauf  bei  Be- 
theiligung der  Departements  und  Gemein- 
den die  Zuwendung  eines  staatlichen 
Ertragszuschusses  erfolgen  könne.  Behufs 
rascherer  Erreichung  des  Zieles  zog  die 
Regierung  [1882]  auch  die  sechs  grossen 
Eisenbahn-Gesellschaften  zur  Mitwirkung 
heran,  womit  ein  mächtiges  Netz  von 
Localbahnen  sichergestellt  wurde.  Frank- 
reich besass  nun  wohl  ein  ausgedehntes 
Localbahnnetz,  doch  waren  seine  finan- 
ziellen und  öconomischen  Verhältnisse 
keineswegs  erfreuliche.  Trotz  der  nam- 
haften Unterstützungen  von  Seite  des 
Staates  und  der  angrenzenden  grossen 
Eisenbahn-Linien  wiesen  die  Localbahnen 
nur  eine  äusserst  bescheidene  Entwicklung 
auf,  sie  leisteten  dem  Lande  verhältnis- 
mässig nur  geringe  Dienste  und  verzins- 
ten das  Anlage-Capital  gar  nicht. 

Belgien.  Das  Gesetz  vom  9.  Juli 
J875  gestattete  die  Anlage  des  Bahn- 
körpers unmittelbar  zur  Seite  der  Land- 
strassen und  in  gleicher  Ebene,  stellte 
aber  keine  finanzielle  Unterstützung  in 
Aussicht ;  es  blieb  daher  ein  todter  Buch- 
stabe ohne  jegliche  Wirkung. 

Im  Mai  1877  empfahl  der  Senat  das 
angelegentliche  Studium  dieser  Frage  der 
Regierung,  die  ihrerseits  erklärte,  von 
den  betheiligten  Ortschaften  die  erste 
Anregung  zu  erwarten,  wobei  dann  die 
finanzielle  Seite  keine  unübersteiglichen 
Schwierigkeiten  bilden  solle;  das  Gesetz 
erheische  jedenfalls  eineVervollständigung. 


Es  wurde  die  Bildung  einer  Gesell- 
schaft in  Anregung  gebracht,  welche  den 
Gemeinden  das  zum  Bau  und  Betrieb 
nöthige  Geld  zu  verschaffen,  überall  der 
grössten  Sparsamkeit  sich  zu  befieissen  und 
speculative  Gewinne  hintanzuhalten  habe. 
Das  Eingreifen  des  Staates  sei  aber  ebenso 
nothwendig  als  gerechtfertigt,  schon  um 
das  Capital  unter  günstigen  Bedingungen 
zu  erhalten,  denn  hier  liege  ein  grosses 
öffentliches  Interesse  vor.  Die  Gegen- 
leistung an  den  Staat  bestände  in  einer 
namhaften  Ersparnis  bei  der  Erhaltung 
der  Strassen,  in  einer  Verbesserung  des 
Post-  und  Telegraphenwesens  sowie  der 
Einnahmen  der  Staatsbahnen  und  das 
ohne  Erhöhung  der  Ausgaben.  Der  Vor- 
schlag fand  im  Lande  die  beifälligste 
Aufnahme. 

Zieht  man  in  Betracht,  dass  der  bel- 
gische Staat  die  Einlösung  der  Privat- 
bahnen unter  dem  Drucke  der  öffentlichen 
Meinung  und  durch  Bewilligung  verhält- 
nismässig hoher  Renten  vollzog,  so  musste 
er  insbesondere  darauf  bedacht  sein,  je- 
den ungerechtfertigten  Mitbewerb  mit 
seinen  Linien  zu  vermeiden,  der  Lage 
der  Staatsfinanzen  stets  Rechnung  zu 
tragen  und  andererseits  bei  aller  Aner- 
kennung der  Bedeutung  der  Vicinal- 
bahnen  auch  auf  diesem  Felde  seinen 
Einfluss  geltend  zu  machen. 

Erst  im  Juni  1880  ging  der  aus  Ver- 
tretern der  beiden  Kammern  und  der 
Ministerien  zusammengesetzte  Ausschuss 
an  die  Prüfung  des  Antrages ;  im  April 
des  nächsten  Jahres  lag  das  Ergebnis 
der  Berathungen  vor  und  im  Mai  1882 
wurde  ein  bezüglicher  Gesetzentwurf  in 
der  Abgeordnetenkammer  eingebracht, 
aus  welchem  das  Gesetz  vom  28.  Mai 
1884  hervorging.  Die  ins  Leben  geru- 
fene >Societe  nationale  des  chemins  de 
fer  vicinaux«  unternahm  es,  unter  Mithilfe 
des  Staates,  der  Provinzen,  Gemeinden 
und  sonstigen  Betheiligten,  Vicinalbahnen 
im  grossen  Stil  anzulegen.  Es  sind  dies 
mit  wenigen  Ausnahmen  schmalspurige 
[1  »»],  an  die  niederländischen  Strassen- 
und  Nebenbahnen  sich  anschliessende 
Linien,  welche  alle  mehr  einen  tramway- 
artigen  Charakter  aufweisen. 

Grossbritannien.  Das  Gesetz  vom 
31.  Juli  1868   »An  Act  to  amend  the  Law 


Localbahnwesen. 


481 


Abb.  206.    Weiritz-Viaduct.  [Eisenerz- Vordernberg/ 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  C.  Weighart  in  Leoben.] 


relating  Railways«  betraf  auch  die  »Light 
Railways  <*  [leichten  Eisenbahnen],  die 
durch  den  festgesetzten  Achsdruck  von 
höchstens  8  t  und  durch  eine  höchste 
Fahrgeschwindigkeit  von  25  miles  [40  km] 
technisch  abgegrenzt  erscheinen  ;  mit  den 
anderweitig  fallweise  zu  bestimmenden 
Bedingungen  wurde  das  Handelsamt 
[Board  of  trade]  betraut. 

Charakteristisch  für  die  englische  Ge- 
setzgebung ist  es,  dass  das  Gesetz  für  den 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Fall  einer  stärkeren  Achsbelastung  oder 
grösseren  Fahrgeschwindigkeit  und  für 
jeden  Tag,  während  eine  derartige  Ueber- 
schreitung  platzgreift,  eine  Strafe  von 
25  £,  und  für  jede  Person,  welche  die 
Uebertretung  herbeiführt,  Gefängnis  mit 
harter  oder  ohne  harte  Strafe  bis  zu  zwei 
Jahren  androht. 

Das  Gesetz  vom  30.  August  1889, 
betreffend  die  »Light  Railways«  für 
Irland,     hat    mehr    einen     finanziellen 

3i 


482 


P.  F.  Kupka. 


Charakter,  und  enthält  keinerlei  Bestim- 
mungen über  Anlage  oder  Betrieb  solcher 
Bahnen.  Die  »Economic  Railways« 
Schottlands  sind  zumeist  kleine,  durch 
Parlamentsacte  genehmigte,  von  unab- 
hängigen Bahngesellschaften  und  ohne 
jede  Staatsunterstützung  erbaute  Zweig- 
linien, die  nur  dort  entstanden,  wo  ein 
Bedürfnis  und  Aussicht  auf  eine  einträg- 
liche Rente  vorhanden  war.  Die  erste 
Linie,  Edinburgh-Peebles  [30  km],  wurde 
1855  eröffnet. 

Schweden  hat  kein  allgemeines, 
die  Localbahnen  betreffendes  Gesetz,  und 
trotzdem  ist  das  System  ausserordentlich 
entwickelt  und  entspricht  vollkommen  den 
Anforderungen  des  Landes.  Bis  187 1 
wurden  den  einzelnen  Unternehmungen 
von  Fall  zu  Fall  vom  Reichsrathe  Dar- 
lehen bis  zu  2/s  der  Gesammtausgaben 
bewilligt,  von  da  ab  jedoch  der  Regierung 
für  eine  fünfjährige  Finanz  -  Periode 
ein  Credit  im  Betrage  von  10,000.000 
Kronen  bewilligt,  über  deren  Vertheilung 
die  Regierung  fallweise  entschied. 

Aus  dem  Vorstehenden  ist  zu  ent- 
nehmen, dass  die  in  den  verschiedenen 
Staaten  zur  Erreichung  des  gleichen 
Zieles  angewandten  Mittel  verschiedene 
waren.  Der  Wunsch,  der  Staat  möchte 
den  Nebenbahnen  seine  Hilfe  in  dem- 
selben Masse  wie  den  Hauptlinien  zu- 
wenden, fand  nicht  überall  bei  Regierungen 
und  Volksvertretungen  das  gleiche  Ent- 
gegenkommen; Localbahnen  befriedigen 
ja  in  erster  Reihe  nur  örtliche  Inter- 
essen, während  die  staatswirthschaftliche 
Wirkung  für  die  Allgemeinheit  eigentlich 
verschwindet,  mindestens  nicht  leicht  un- 
mittelbar nachzuweisen  ist. 

Beantwortet  waren  allenfalls  die 
Fragen  über  die  technische  Anlage, 
Betrieb  und  Verwaltung,  nicht  so  jene 
über  die  Capitalsbeschaffung.  Bayern, 
Italien,  Frankreich,  später  auch  Preussen 
gewährten  finanzielle  Unterstützungen  in 
verschiedener  Form,  entweder  von  Fall 
zu  Fall  oder  auf  Grund  allgemeiner  Zu- 
sicherungen. Aufgabe  des  Staates  blieb 
es,  eine  Wechselwirkung  und  Verbindung 
des  allgemeinen  mit  dem  örtlichen  Interesse 
herbeizuführen,  und  seine  Fürsorge  musste 
eine  doppelte  sein,  wenn  er  sich  im  Be- 
sitze   eines    eigenen  Bahnnetzes    befand; 


er  konnte  auch  die  Anlage  von  Neben- 
bahnen nicht  ganz  der  Privatthätigkeit 
überlassen,  ohne  sich  damit  des  be- 
stimmenden Einflusses  zu  begeben. 

Das  waren  in  Kürze  die  Anschauungen 
oder  Erfahrungen  anderer  Länder  zu  der 
Zeit  [wenngleich  bei  der  Besprechung 
hie  und  da  einigermassen  vorgegriffen 
wurde,  um  ein  übersichtlicheres  Bild  zu 
gewinnen],  als  Oesterreich  sich  der 
Localbahn-Frage  zuwendete. 


Im  Nachstehenden  soll  nun  versucht 
werden,  den  geschichtlichen  Werdegang, 
man  könnte  beinahe  sagen  Leidensweg 
und  die  Entwicklung  des  österreichischen 
Localbahnwesens  in  seinen  Hauptzügen 
zu  schildern. 

Die  erste  Anregung  ging  von  30  Mit- 
gliedern des  Abgeordnetenhauses  aus, 
welche  am  14.  October  1879  einen  Antrag 
betreffend  den  Bau  von  Localbahnen  in 
den  vom  Nothstande  betroffenen 
Gegenden  einbrachten.  Die  Regierung 
möge,  hiess  es  darin,  in  einem  Gesetze 
die  Bedingungen  feststellen,  unter  welchen 
der  Staat  denjenigen  Gebieten,  die  durch 
den  Bau  von  Secundärbahnen  dem  wirth- 
schaftlichen  Niedergange  entrissen  würden, 
die  Herstellung  solcher  Bahnanlagen  er- 
möglichen könnte ;  sie  dienten  den  Zwecken 
der  Industrie  wie  der  Landwirthschaft ; 
nur  durch  solche  Bahnen  würden  die 
ackerbautreibenden  Districte  in  die 
Lage  gesetzt,  ihre  Producte  rascher 
und  in  grösserer  Menge  auf  den  Markt 
zu  bringen  als  bisher.  Die  Notwen- 
digkeit der  Herstellung  von  Local- 
bahnen werde  von  allen  Parteien  gleich- 
massig  anerkannt ;  die  Meinungen  gingen 
nur  darüber  auseinander,  wie  es  mög- 
lich sein  werde,  derartige  Bahnen  in 
grosser  Anzahl  und  mit  der  gebotenen 
Raschheit  ins  Leben  zu  rufen.  Nicht 
blos  vom  finanziellen  Standpunkte, 
auch  vom  Standpunkte  der  Gerechtig- 
keit sei  die  Herstellung  von  Local- 
bahnen nothwendig,  denn  es  würde  dem 
österreichischen  Reichsgedanken  dadurch 
der  richtige  Ausdruck  gegeben,  dass  in 
dieser    Angelegenheit     alle    Theile     des 


Localbahnwesen. 


483 


Reiches    eine    gleich    wohlwollende    Be- 
handlung erführen. 

Dieser  Antrag  wurde  36  Mitgliedern 
zur  Berichterstattung  zugewiesen  und 
gelangte  am  II.  November  in  den  Eisen- 
bahn-Ausschuss  ;  daselbst  fand  die  An- 
sicht Ausdruck,  dass  eine  Commission 
ein  ausführliches  Gutachten  darüber  zu 
erstatten  habe,  welche  Systeme  bei  der 
Anlage    von  Secundärbahnen    in  Oester- 


von  Korb  -Weidenheim,  dass  die 
Regierung  vollständig  auf  dem  Stand- 
punkte dieser  Anträge  stehe;  denn  es 
handle  sich  hier  »nicht  allein  darum, 
localen  Bedürfnissen  Rechnung  zu  tragen, 
sondern  die  Localbahnen  sind  auch  das 
geeignete  Mittel,  die  Hauptbahnen  zu 
befruchten,  um  also  namentlich  jene 
Bahnen,  welche  der  Staat  Subventioniren 
müsse,    rentabler    zu    machen ;    das    für 


Abb.  207.    Weinzettelgraben-Partie.     [Eisenerz-Vordernberg.] 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  C.  Weighart  in  Leoben.] 


reich  in  Anwendung  gebracht  werden 
sollten,  ferner  sei  auf  Grund  der  Ergebnisse 
der  Entwurf  einer  Bau-  und  Betriebs- 
ordnung für  Secundärbahnen  auszu- 
arbeiten, endlich  ein  Unter-Ausschuss 
einzusetzen,  der  die  Ausarbeitung  eines 
Concessions-Gesetzes  in  Angriff  nehme. 
Nach  längerer  Berathung  einigte  man 
sich  jedoch  dahin,  vorerst  die  Ansicht 
der  Regierung  hierüber  einzuholen. 

In     der     nächsten    Ausschusssitzung 
erklärte     der     Handelsminister    Freiherr 


Secundärbahnen  anzuwendende  System 
müsse  aber  in  jedem  einzelnen  Falle 
auch  das  richtige,  d.  i.  den  speciellen 
Verhältnissen  angemessene  sein,  es  müsse 
also  zu  verschiedenen  Systemen 
gegriffen  werden;  .  .  .  .«  andererseits 
seien  aber  »entwicklungsfähige  Linien 
gleich  von  vorneherein  nach  einem 
solchen  System  zu  bauen,  welches  mit 
Rücksicht  auf  die  zu  gewärtigende  Stei- 
gerung des  Verkehrs  auf  der  betreffen- 
den Linie  auch  die  nöthige  Erweiterung 

3i* 


484 


P.  F.  Kupka. 


und  Entwicklung  derselben  möglich  ma- 
chen würde.« 

Damit  war  den  Bestrebungen,  der 
Schmalspur  zum  alleinigen  Siege  zu 
verhelfen,  vorläufig  der  Boden  entzogen. 

Alle  Redner,  bis  auf  einen,  waren 
einig,  dass  ein  Erfolg  nur  dann  zu  ver- 
zeichnen sein  werde,  wenn  die  materielle 
Mitwirkung  des  Staates  gesichert  sei.  In 
der  Weise,  wie  bisher  in  Oesterreich 
Eisenbahnen  gebaut  worden  wären,  könne 
nichts  zustande  kommen,  weil  man  zu 
theuer  gebaut  habe.  Bei  manchen  Bahnen 
bezifferten  sich  z.  B.  die  Finanzirungs- 
kosten  und  Intercalarzinsen  auf  5o°/0  des 
ganzen  Anlage- Capitals;  ein  billiger  Bau 
sei  jetzt  Hauptbedingung. 

Der  Handelsminister  gab  die  bestimmte 
Erklärung  ab,  dass  er  ein  Concessions- 
Gesetz  für  Secundärbahnen,  welches  alle 
Zugeständnisse  und  Begünstigungen  ent- 
halten werde,  die  der  Staat  bei  dem  Bau 
von  Secundärbahnen  nach  Auffassung  der 
Regierung  einzuräumen  in  der  Lage  sei, 
schon  in  allernächster  Zeit  vor  das  Haus 
bringen  werde. 

Die  blosse  Ankündigung  eines  bezüg- 
lichen Gesetzes  rief  allenthalben  die  leb- 
hafteste Befriedigung  wach  und  hatte 
eine  grosse  Zahl  von  Concessions- 
Werbungen  im  Gefolge. 

Am  29.  November  1879  übermittelte 
der  Handelsminister  den  angekündigten 
Gesetzentwurf  »betreffend  die  Zuge- 
ständnisse und  Begünstigungen 
für  L ocalb ahnen«  zur  verfassungs- 
mässigen Behandlung. 

Die  Regierung  wird  ermächtigt,  heisst 
es  dort,  bei  Concessionirung  neuer  Local- 
bahnen  [Secundärbahnen,  Vicinalbahnen 
und  dergleichen]  nicht  nur  in  Bezug  auf 
den  Bau  und  die  Ausrüstung  alle  thun- 
lichen  Erleichterungen  zu  gewähren,  son- 
dern auch  in  Bezug  auf  den  Betrieb  von 
den  in  der  Eisenbahnbetriebs -Ordnung 
und  den  einschlägigen  Nachtragsbestim- 
mungen vorgeschriebenen  Sicherheits- 
Vorkehrungen  insoweit  Umgang  zu 
nehmen,  als  die  mit  Rücksicht  auf  die 
besonderen  Verkehrs-  und  Betriebsver- 
hältnisse, insbesondere  die  festgesetzte 
ermässigte  Fahrgeschwindigkeit  nach  dem 
Ermessen  des  Handelsministeriums  zu- 
lässig   erscheint.     Die    Unternehmungen 


von  Localbahnen  werden  von  der  in  der 
Eisenbahnbetriebs-Ordnung,  beziehungs- 
weise im  Eisenbahn-Concessions-Gesetz 
ausgesprochenen  Verpflichtung  zur  unent- 
geltlichen Beförderung  der  Post  u.  s.  w. 
enthoben. 

Gleichartige  Erleichterungen  in  Bezug 
auf  den  Bau  und  Betrieb  können  nach 
dem  Ermessen  des  Handelsministeriums 
auch  für  schon  bestehende  Eisenbahnen 
zugestanden  werden,  wenn  auf  denselben 
oder  einzelnen  Zweig-,  beziehungsweise 
Verbindungslinien  der  Localbahnbetrieb 
mit  ermässigter  Fahrgeschwindigkeit  ein- 
geführt wird. 

Die  beim  Betriebe  der  Localbahnen 
nicht  zu  überschreitende  Fahrgeschwin- 
digkeit ist  nach  Beschaffenheit  des  ein- 
zelnen Falles  jeweilig  durch  die  Regie- 
rung festzusetzen.  Die  Benutzung  von 
Reichsstrassen  wird  gestattet,  insoweit 
nicht  durch  den  Bahnbetrieb  die  Sicher- 
heit des  Strassenverkehrs  gefährdet  er- 
scheint. Zulässigkeit  und  Bedingungen 
der  Strassenbenützung  sind  durch  die 
Strassenverwaltung  im  Einvernehmen  mit 
den  Eisenbahn-Aufsichtsbehörden  festzu- 
stellen. Unbeschadet  der  aus  dem  Be- 
stände des  Mauthgefälles  erwachsenden 
Verbindlichkeit  ist  für  die  Strassenbe- 
nützung ein  besonderes  Entgelt  nicht  zu 
entrichten.  Die  Kosten  der  ordnungs- 
mässigen  Erhaltung  des  benützten  Strassen- 
theiles,  sowie  etwaige,  durch  die  frag- 
liche Benützung  veranlasste  Mehrkosten 
der  Strassenerhaltung  überhaupt,  des- 
gleichen die  Kosten  für  alle  zur  Hintan- 
haltung einer  Störung  oder  Gefährdung 
i  des  Strassenverkehrs  erforderlichen  be- 
sonderen Vorkehrungen  treffen  die  Local- 
bahn-Unternehmung.  Andere  öffentliche 
Strassen  können  mit  Zustimmung  der 
zur  Erhaltung  Verpflichteten  zur  Anlage 
von  Localbahnen  in  Anspruch  genommen 
werden. 

Im  Falle  der  Concessions-Ertheilung 
können  noch  nachstehende  Begünstigungen 
gewährt  werden : 

a)  Die  Befreiung  von  den  Stempeln 
und  Gebühren  für  alle  Verträge,  bücher- 
lichen Eintragungen,  Eingaben  und 
sonstigen  Urkunden  zum  Zwecke  der 
Capitals- Beschaffung  und  Sicherstellung 
der  Capitals-Verzinsung,  sowie  des  Baues 


Localbahnwesen. 


485 


und  der   Instruirung  der  Bahn    bis    zum 
Zeitpunkte  der  Betriebseröffnung ; 

b)  die  Befreiung  von  Stempeln  und 
Gebühren  für  die  erste  Ausgabe  der 
Actien-  und  Prioritäts- Obligationen  mit 
Einschluss  der  Interimsscheine  und  für  die 
bücherliche  Eintragung  der  Prioritäts- 
Obligationen,  sowie  von  der  bei  der 
Grundeinlösung  auflaufenden  Ueber- 
tragungsgebühr ; 


zugestanden  werden,  wird  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  ein  besonderes  Gesetz  be- 
stimmen. 

Das  Gesetz  tritt  mit  dem  Tage  seiner 
Kundmachung  in  Wirksamkeit  und  er- 
lischt mit  31.  December  1882. 

In  der  Begründung  der  Vorlage 
war  vor  Allem  die  erhöhte  Be- 
deutung der  Localbahnen  in  der  Gegen- 
wart    und    deren    Wichtigkeit     für    die 


Abb.  208.     Eisenerz-Vordernberg    [km  10*2 — io*8J. 
[Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  C,  Weighart  in  Leoben.] 


c)  die  Befreiung  von  der  Erwerbs- 
und Einkommensteuer,  von  der  Entrich- 
tung der  Coupon  -  Stempelgebühren  so- 
wie von  jeder  neuen  Steuer,  welche  etwa 
durch  künftige  Gesetze  eingeführt  werden 
sollte,  auf  die  Dauer  von  höchstens  30 
Jahren,  vom  Tage  der  Concessions-Er- 
theilung.  Inwiefern  für  einzelne  Local- 
bahnen etwa  weitergehende  finanzielle 
Unterstützungen  seitens  der  Staatsverwal- 
tung durch  Gewährung  eines  Beitrages 
aus  Staatsmitteln  oder  auf  sonstige  Weise 


localen  Verkehrs-Interessen,  für  die  an- 
schliessenden Hauptbahnen  und  für  die 
Eisenbahn-Bauthätigkeit  im  Allgemeinen 
anerkannt ;  sie  dienten  zur  Befriedigung 
localer  Verkehrs-Interessen,  zur  Befruch- 
tung der  anschliessenden  Hauptbahnen, 
endlich  zur  Hintanhaltung  eines  Still- 
standes in  der  Bauthätigkeit  und  würden 
mit  Recht  nicht  als  blosses  Schlagwort, 
sondern  als  ein  wahres  Bedürfnis  der 
Zeit  angesehen.  Die  bei  Anwendung  des 
Localbahn-Systems  resultirende  erhebliche 


486 


P.  F.  Kupka. 


Herabsetzung  der  Bau-  und  Betriebs- 
kosten erscheine  ausschlaggebend,  um 
das  Zustandekommen  neuer  Bahnan- 
lagen in  Landestheilen  zu  ermöglichen, 
welche  wegen  der  hohen  Kosten  für 
Hauptbahnen  auf  eine  Eisenbahn- Ver- 
bindung verzichten  müssten.  Die  Auf- 
schliessung neuer  Verkehrsgebiete  werde 
dem  Verkehr  und  den  Einnahmen  der 
bestehenden  Hauptbahnen  sowie  bei 
garantirten  Eisenbahnen  mittelbar  auch 
dem  garantirenden  Staatsschatze  zum 
erheblichen  Vortheil  gereichen. 

Als  eine  wichtige  Aufgabe  weit- 
blickender Eisenbahn  -  Ve  r  waltungen 
erscheine  es,  die  auf  die  Herstellung  an- 
schliessender Localbahnen  abzielenden 
Bestrebungen  der  Interessenten  ihrerseits 
nach  Kräften  zu  fördern,  was  in  vielen 
Fällen  selbst  ohne  nennenswerthe  mate- 
rielle Opfer  für  die  Hauptbahnen  und 
doch  mit  ausschlaggebendem  Einflüsse 
auf  die  Rentabilität  der  Localbahnen 
möglich  sein  dürfte. 

Die  Aufrechterhaltung  einer  gewissen, 
wenn  auch  beschränkten  Eisenbahn- 
Thätigkeit,  für  welche  dem  Staate  nur 
ganz  ausnahmsweise  weitere  Opfer  zu- 
gemuthet  werden  können,  sei  wünschens- 
werth,  nicht  nur  zur  Beschäftigung  des 
technischen,  Hilfs-  und  sonstigen  Arbeits- 
personales, sondern  auch  im  Interesse  der 
betheiligten  Industriezweige,  welche  durch 
den  Ausbau  des  Hauptbahnnetzes  einen 
wichtigen  Absatzkreis  verloren  hätten. 

Aus  allen  diesen  Erwägungen  ergebe 
sich  für  die  Regierung  die  Aufgabe,  nicht 
nur  die  einzelnen  Pläne  von  Fall  zu 
Fall  nach  Möglichkeit  zu  unterstützen, 
sondern  das  Zustandekommen  von  Local- 
bahnen durch  allgemeine,  administrative, 
und  soweit  diese  nicht  ausreichten,  auch 
durch  legislative  Massnahmen  nach 
Thunlichkeit  zu  fördern. 

Die  gesetzliche  Normirung  gewisser 
allgemeiner  Bestimmungen  und  Voraus- 
setzungen für  die  finanzielle  Betheiligung 
der  Staatsverwaltung  an  Localbahn- 
Unternehmungen  wurde  wegen  prin- 
cipieller  Bedenken,  insbesondere  im  Hin- 
blick auf  die  überaus  verschiedenen  Pro- 
ductions-  und  Verkehrsbedingungen  der 
einzelnen  Kronländer  bisher  nicht  als 
zweckmässig     und      zulässig      erachtet. 


Auch  für  die  Zukunft  sei  die  gesetzliche 
Uebernahme  einer  allgemeinen  Verbind- 
lichkeit der  Staatsverwaltung,  abgesehen 
von  den  obigen  Erwägungen,  welche 
gegen  jede  Schematisirung  sprächen, 
schon  mit  Rücksicht  auf  die  namhafte 
dauernde  Belastung  des  Staatsschatzes 
wie  nicht  minder  in  Anbetracht  der  der- 
maligen Finanzlage  im  Allgemeinen  un- 
bedingt ausgeschlossen.  Es  genüge,  der 
Regierung  im  Wege  der  Gesetzgebung 
die  allgemeine  Ermächtigung  zur 
Gewährung  der  bisher  für  Localbahnen 
fallweise  zugestandenen  Begünstigungen 
sowie  von  Erleichterungen  beim  Bau  und 
Betrieb  und  Einräumung  der  üblichen 
Steuerfreiheit  zu   ertheilen. 

Eine  gesetzliche  Beschränkung  der 
Fahrgeschwindigkeit  habe  sich  in  der 
Praxis  nicht  bewährt. 

Es  ist  hieraus  ersichtlich,  dass  die 
Regierung  von  allem  Anfang  an  das 
Bestreben  hatte,  das  Privatcapital  heran- 
zuziehen. 

Die  erwartete  rasche  parlamentarische 
Behandlung  blieb  aus.  Schon  im  Eisen- 
bahn-Ausschuss  erhoben  sich  unter  An- 
derem Stimmen,  welche  den  Heimfall  einer 
aus  Mitteln  des  Landes,  der  Bezirke  und 
Gemeinden  erbauten  oder  von  diesen 
unterstützten  Bahn  nicht  an  den  Staat, 
sondern  an  das  Land  forderten,  welchem 
Anspruch  derRegierungsvertreter,Sections- 
chef  v.  P  u  s  s  w  a  1  d,  mit  dem  Hinweise  auf 
das  Goncessions-Gesetz  vom  Jahre  1854 
begegnete.  Der  der  Mehrheitspartei  an- 
gehörige  Berichterstatter  legte  sogar  einen 
selbständigen  Gesetzentwurf  vor,  dem- 
gemäss  [nach  französischem  Muster] 
Concessionen  für  Localbahnen,  welche 
die  Grenze  eines  Landes  nicht  über- 
schritten, oder  nicht  in  Grenzbezirken 
lägen  und  vom  Staate  keine  finanzielle 
Unterstützung  beanspruchten,  nicht  von 
der  Regierung  oder  dem  Parlament, 
sondern  von  der  Statthalterei  im  Ein- 
vernehmen mit  dem  Landesausschuss  er- 
theilt  werden  sollten.  Im  Falle  für  eine 
solche  Bahn  eine  Unterstützung  aus 
Landesmitteln  gewährt  würde,  sollte  die 
Concessionirung  durch  ein  Landesgesetz 
erfolgen,  während  dem  Ministerium  in 
allen  Fällen  das  Einspruchsrecht  gewahrt 
bliebe. 


Localbahnwesen. 


487 


Dieses  Zugeständnis  an  die  Landes- 
Autonomie  entfesselte  den  lebhaftesten 
Widerspruch  und  so  wurde  nach  länge- 
rer Berathung  die  Regierungsvorlage  zur 
Grundlage  der  Specialdebatte  angenom- 
men, nachdem  der  Referent  seinen  Antrag 
zurückgezogen  und  die  Berichterstattung 
niedergelegt  hatte. 


sohin  verhindert  werden  ;  überdies  fehlten 
die  Definition  des  Begriffes  einer  Local- 
bahn  sowie  Bestimmungen,  welche  die 
Bahnen  vor  der  »Tyrannei  und  Ausbeutung« 
der  Hauptbahnen  schützten,  auch  sei  das 
Heimfallsrecht  an  den  Staat  unbegründet. 
Der  neue  Berichterstatter  hob  her- 
vor, dass  ein  solcher  Verzicht  vom  Hause 


Abb.  209.    Vordernberg.    [Eisenerz- Vordernberg.] 
[Nach  photographischen  Aufnahmen  von  C.  Weighart  in  Leoben.] 


Im  Hause  selbst  wurde  der  Gesetz- 
entwurf abermals  von  mehreren  Seiten 
angegriffen  ;  er  wurde  als  Curiosum  und 
als  mangelhaft  bezeichnet.  Die  Er- 
mächtigung an  die  Regierung,  alle  thun- 
lichen  Erleichterungen  gewähren  zu 
können,  sei  für  drei  Jahre  zu  weitgehend 
und  überhaupt  ein  Verzicht  auf  die  Prä- 
rogative des  Hauses ;  der  Bau  jeder  der 
Regierung     »missliebigen    Bahn«     könne 


geleistet  werden  müsse,  wenn  die  Re- 
gierung überhaupt  etwas  Zweckmässiges 
zustande  bringen  solle.  Eine  Begriffs- 
bestimmung sei  grundsätzlich  vermieden 
worden,  weil  gerade  damit  der  Anlass 
gegeben  sei,  dass  alles  nach  der  Scha- 
blone behandelt  und  das,  was  in  dieselbe 
nicht  hineinpasse,  von  den  Begünstigungen 
ausgeschlossen  bleibe;  der  Ausschuss 
habe  gerade  bezweckt,    dass  das  Gesetz 


488 


P.  F.  Kupka. 


überall  da  Anwendung  finden  solle,  wo  die 
Verhältnisse  eine  solche  gestatten.  Be- 
züglich des  Heimfallsrechtes  an  den 
Staat  hoffe  der  Berichterstatter,  dass  die 
Regierung  die  Fälle  bezeichnen  werde, 
in  welchen  dieses  Recht  ohne  Schaden 
aufgelassen  werden  könne. 

Der  Regierungsentwurf  wurde  mit 
geringen  Abänderungen  angenommen,  er 
erhielt  am  25.  Mai  die  kaiserliche  Geneh- 
migung und  trat  am  5.  Juni  1880,  als  dem 
Tage   seiner   Kundmachung,   in   Kraft.  *) 

Eine  wesentliche  Ergänzung  erhielt 
das  Gesetz  vom  25.  Mai  1880  noch 
durch  die  Verordnung  des  Handels- 
ministeriums   vom  29.   Mai   1880,  womit 


tiven  Verfahrens.  Die  technisch  formellen 
Forderungen,  wie  die  Aufstellung  und 
Vorlage  eines  Vorprojectes  —  das 
Ansuchen  um  Fristverlängerung  für 
technische  Vorarbeiten,  wenn  nachge- 
wiesenermassen  mit  denselben  noch  nicht 
begonnen  wurde  oder  nicht  begonnen 
werden  konnte,  das  Beibringen  des  General- 
Längenprofiles  für  Bahnen  unter  30  km 
Länge  bei  Vorlage  des  General-Projectes 
und  Anderes  wurden  fallen  gelassen. 
Durchgreifende  Neuerungen  betrafen 
aber  das  Gebiet  der  commissionellen  Be- 
handlung. Gegenüber  den  drei  Com- 
missionen  [Tracenrevision,  Stationscom- 
mission   und   politische  Begehung]  bean- 


1100 

Abb.  210.    Zahnrad-Locomotive.    [System  Abt.] 


in  theilweiser  Abänderung  der  Verordnung 
vom 25 Januar  1879  »Erleichterungen 
hinsichtlich  der  Verfassung  und 
concessionsmässigen  Behandlung 
derProjecte  fürLocalbahnen  und 
Schleppbahnen«  zugestanden  wurden. 
Das  Ministerium  verschluss  sich  nicht 
der  Erkenntnis,  dass  der  starre  Formalis- 
mus der  älteren  Verordnung  in  seinem 
ganzen  Umfange  nicht  nothwendig  und 
die  Schwerfälligkeit  des  Geschäftsganges, 
der  eine  rasche  Behandlung  ausschliesse, 
fürdie  Localbahnen  geradezu  gefährlich  sei; 
es  war  darauf  bedacht,  einigen  Bestim- 
mungen eine  schärfere  Fassung  zu  geben 
und  legte  das  grösste  Gewicht  auf  die 
Aenderungen  des  weitläufigen  administra- 


*)  Näheres  über  die  Gesetzgebung  auf 
dem  Gebiete  des  Localbahnwesens  siehe 
Bd.  IV,  Dr.  V.  Roll,  Die  Entwicklung  der 
Eisenbahn  -  Gesetzgebung  in  Oesterreich 
[Seite  80  und  ff.] 


spruchte  die  neue  Verordnung  nur  zwei 
Commissionen,  die,  wenn  keine  Varianten 
in  Frage  standen,  auch  zu  einer  vereinigt 
werden  konnten  ;  die  politische  Begehung 
allein  soll  genügen,  wenn  bezüglich  der 
Trace  und  Stationen  unter  Mitwirkung  der 
Interessenten  volle  Klarheit  herrsche. 
Die  Zeit  für  die  Aufstellung  besonderer 
Projects vorlagen,  deren  Prüfung  und  An- 
ordnung bei  Ausschreibung  von  Amts- 
handlungen,  sowie  die  Fristen  für  die 
Auflage  derProjectspläne  wurden  wesent- 
lich abgekürzt.  Die  commissionellen 
Amtshandlungen  sollen  binnen  längstens 
vier  Wochen  durchgeführt  und  die 
Protokolle  binnen  längstens  acht  Tagen 
dem  Handelsministerium  vorgelegt  werden. 

Aber  auch  die  Zusammensetzung  der 
Commission  selbst  erfuhr  wesentliche 
Aenderungen  und  Einschränkungen. 

Die  Vortheile  an  Zeitersparnis  waren 
daher    sehr    beträchtliche.     Die    an    den 


Localbahnwesen. 


489 


Abb.  an.  Viaduct  bei  Morchenstern.     [Reichenberg-Gablonz-Tannwald.] 


Einfluss  des  Gesetzes  geknüpften  Erwar- 
tungen erfüllten  sich  auch;  es  entwickelte 
sich,  unterstützt  durch  einen  sehr  günstigen 
Geldmarkt  im  Inlande  und  durch  Zuzug 
von  ausländischem,  zumeist  deutschem 
Capital,  bald  eine  lebhafte  Eisenbahn- 
Bauthätigkeit.  Während  im  Jahre  1880 
nur  100  km  Localbahnen  concessionirt 
wurden,*)  stiegen  die  Concessions-Wer- 
bungen  im  Jahre  1881  auf  502  km  und 
im  nächstfolgenden  Jahre  auf  344  km. 
Das  war  Veranlassung  genug,  um  die 
Verlängerung  der  Giltigkeit  des  Ge- 
setzes in  Anregung  zu  bringen. 

Am  5.  December  1882  unterbreitete 
die  Regierung  dem  Abgeordnetenhause 
eine  bezügliche  Vorlage  und  begrün- 
dete sie  mit  dem  Hinweise,  dass  Con- 
cessionen  für  40  Localbahnen  von  rund 
844  km  Gesammtlänge  ertheilt  und  bis 
Ende  November  1882  bereits  415  km  dem 
Betriebe  übergeben  worden  wären.  Der 
Nennwerth  der  ausgegebenen  oder  zur 
Ausgabe  kommenden  Werthpapiere  er- 
reiche die  Ziffer  von  32,947.000  fl.,  davon 
21,622.000  fl.  in  Antheilscheinen  und 
1 1,325.000  fl.  in  Prioritäten.  Der  Regie- 
rung läge  aber  noch  eine  Anzahl  von 
Projecten  vor,  deren  volkswirthschaftliche 
Berechtigung  und  Nützlichkeit  ausser 
Zweifel  stände,  und  es  wären  weitere  Con- 
cessionswerbungen  zu  erwarten.  Es  sei 
daher  Pflicht   der  Regierung,    rechtzeitig 

*)  Bezüglich  der  Concessionirungen,  Er- 
öffnungen u  s.  w.  von  Localbahnen  wird  auf 
die  am  Schlüsse  gegebenen  Zusammenstel- 
lungen verwiesen.     [Siehe  Seite  510  und  ff.] 


für  eine  entsprechende  Verlängerung  des 
Gesetzes  vorzusorgen. 

Die  Vorlage,  welche  die  Erstreckung 
bis  zum  31.  December  1884  bezweckte, 
wurde  am  13.  December  vom  Abgeord- 
netenhause und  am  16.  December  vom 
Herrenhause  zum  Beschluss  erhoben  und 
erhielt  am  26.  December  1882  die  a.  h. 
Sanction. 

Obgleich  eine  grössere  Zahl  von 
Eisenbahnen  niederer  Ordnung,  die  von 
Interessenten  seit  Jahren  vergeblich  ange- 
strebt worden  waren,  zustande  kam,  war 
doch  ein  gewisser  Rückschritt  erkennbar, 
denn  im  Jahre  1883  gelangten  nur  147  km 
zur  Concessionirung.  Das  Privatcapital 
blieb,  nachdem  die  eine  Rente  in  Aussicht 
stellenden  Linien  gesichert  waren,  zurück- 
haltend und  die  Regierung,  der  wieder- 
holt eine  unrichtige  Anwendung  des  Ge- 
setzes vorgehalten  wurde,  nahm  die  ge- 
gebene Sachlage  zum  Anlass,  um  auf 
die  Schaffung  eines  erweiterten  Local- 
bahn-Gesetzes  hinzuwirken  ;  sie  stand  nun- 
mehr vor  der  Wahl,  entweder  den  Aus- 
bau der  Linien  selbst  in  die  Hand  zu 
nehmen,  oder  ihn  durch  Gewährung  von 
Unterstützungen  und  Bürgschaften  zu 
fördern.  Ihre  Bestrebungen  waren,  um 
die  kaum  zur  Entwicklung  gelangte  Eisen- 
bahn-Thätigkeit  nicht  ins  Stocken  gerathen 
zu  lassen,  nun  dahin  gerichtet,  einerseits 
durch  Unterstützungen,  andererseits  durch 
Verträge  mit  einzelnen  Eisenbahn-Gesell- 
schaften den  Bau  von  Localbahnen 
kräftigst  zu  fördern.  Dem  letzteren 
Zwecke    entsprachen    der   Vertrag    vom 


49° 


P.  F.  Kupka. 


i.  November  1882  mit  der  Prag-Duxer 
Eisenbahn  bezüglich  des  Ausbaues  der 
Linie  Klostergrab-Mulde,  das  Ueberein- 
kommen  vom  10.  und  12.  November  1882 
mit  der  Staatseisenbahn-Gesellschaft,  wo- 
mit diese  sich  bereit  erklärt  »unter  Vor- 
aussetzung entsprechender  Betheiligung 
der  Interessenten«  die  Ausführung  von 
zehn  Localbahnen  zu  übernehmen,  dann 
das  spätere  Uebereinkommen  vom  10.  Ja- 
nuar und  12.  Juli  1885  anlässlich  der 
Ertheilung  der  neuen  Concession  mit  der 
Kaiser  Ferdinands-Nordbahn,  welche  sich 
verpflichtete,  »unter  der  Voraussetzung, 
dass  bei  Ertheilung  der  einschlägigen 
Concessionen,  die  jeweilig  für  Localbahnen 
gesetzlich  zulässigen  Erleichterungen  be- 
willigt werden,  zehn  Localbahnen  auszu- 
führen«. 

Am  13.  März  1884  brachte  die  Re- 
gierung eine  neue  Vorlage  betreffend 
Zugeständnisse  und  Begünstigungen  für 
Localbahnen  zur  verfassungsmässigen 
Behandlung  ein,  die  am  15.  März  dem 
Eisenbahn-Ausschuss  zugewiesen  wurde ; 
sie  lehnte  sich  im  Allgemeinen  an  das 
bestehende  Gesetz  an,  enthielt  aber  doch 
einige  wesentliche  Aenderungen  [Peage- 
recht,  Ausgabe  von  Prioritäts-Obligationen, 
Benützung  öffentlicher  Strassen  und  An- 
deres]. Die  Regierung  wollte  auch  jetzt 
ihre  viel  angefochtenen  Befugnisse  nicht 
nur  nicht  eingeschränkt,  sondern  auf  un- 
begrenzte Dauer  verlängert  und  die  Re- 
gelung der  finanziellen  Verhältnisse  ihr 
überantwortet  wissen ;  eine  staatswirth- 
schaftliche  Frage  solle  nicht  zu  einer 
blossen  Zuständigkeitsfrage  herabge- 
drückt werden. 

Die  Vorlage  wurde  damit  begründet, 
dass  bei  sorgfältigem  Studium  und  auf 
Grund  der  bisher  gewonnenen  Erfahrun- 
gen sich  herausgestellt  habe,  dass  die 
derzeit  in  Kraft  stehenden  gesetzlichen 
Normen  mit  den  nach  dem  bestehenden 
Localbahn-Gesetze  zulässigen  Erleichte- 
rungen im  Allgemeinen  vollkommen  aus- 
reichten, um  Eisenbahnen  minderer  Ord- 
nung aller  Art  bis  herab  zu  den  soge- 
nannten Dampftramways  in  zweckmäs- 
siger und  öconomischer  Weise  sicherzu- 
stellen. 

Die  Normen  erschienen  sogar  wegen 
ihrer  allgemeinen  Fassung  und  des  Abgan- 


ges schablonisirender  technischer  und  son- 
stiger Detailbestimmungen  bei  sachge- 
mässer  und  zugleich  möglichst  coulanter 
Durchführung  von  Seite  der  competenten 
Verwaltungs-Behörden  vorzugsweise  ge- 
eignet, bei  der  Concessionirung  den  Beson- 
derheiten der  betreffenden  Verkehrsmittel 
Rechnung  zu  tragen. 

Es  konnte  und  musste    demnach  von 
einer  durchgreifenden  neuen  gesetz- 
lichen Regelung  umsomehr  Umgang  ge- 
nommen     werden,     als     die    eisenbahn- 
politischen    Verhältnisse,      welche     sich 
I  in  mehrfacher  Beziehung  als  ein  Ueber- 
gangsstadium    darstellten,     hiezu    wenig 
I  geeignet  erschienen  und  gerade  auf  jenem 
Gebiete,  bezüglich  dessen  eine  neue  Con- 
cessionsnorm     als    wünschenswerth     be- 
1  zeichnet    wurde,    das    ist    bezüglich  der 
j  Dampftramways     [Dampfstrassenbahnen] 
I  für  Oesterreich  noch  zu  wenig  Erfahrunsren 
i  vorlagen,    während    die   einfache   Ueber- 
;  tragung    der    im  Auslande   [insbesondere 
j  Oberitalien]    gemachten  Erfahrungen  auf 
I  inländische    Verhältnisse    nicht    thunlich 
erschien. 

Der  Gesetzentwurf  beschränkte  sich 
j  demnach  mehr  oder  weniger  darauf, 
1  das  bestehende  Gesetz  bezüglich  der 
i  durch  die  Regierung  zu  gewährenden 
finanziellen  Begünstigungen  und  sonstigen 
Erleichterungen  durch  einige  sachlich 
;  gebotene  Ergänzungen  und  Abänderungen 
:  zu  erweitern. 

Durch  die  bei  der  Bezeichnung  »Lo- 
calbahnen« in  Klammern  beigefügten  Aus- 
drücke: »Secundärbahnen,  Vicinalbahnen, 
Dampftramways  u.  dgl.  sollte  ange- 
deutet werden,  dass  die  Bestimmungen 
des  Gesetzentwurfes  nicht  nur  auf  Local- 
bahnen im  engeren  Sinne,  sondern  auch 
auf  alle  Bahnsysteme  minderer  Ordnung 
Anwendung  zu  finden  hätten. 

Das  Gesetz  sollte  vom  Tage  seiner 
Kundmachung  an  in  Wirksamkeit  treten 
und  am  31.  December  1887  erlöschen. 

Nachdem  der  Sessionsabschnitt  bereits 
sehr  vorgerückt  war  und  bei  der  vor- 
handenen Stimmung  des  Hauses  auf  eine 
rasche  Erledigung  des  Entwurfes  nicht 
gerechnet  werden  konnte,  sah  sich  die  Re- 
gierung genöthigt,  um  eine  abermalige 
Verlängerung  des  mit  Ende  1884  ab- 
laufenden Localbahn-Gesetzes,  und  zwar 


Localbahnwesen. 


491 


bis  zum  I.Juli  1886  nachzusuchen;  sie 
hoffte,  dass  bis  dahin  der  neue  Ent- 
wurf schon  zum  Gesetze  erhoben  sein 
werde. 

Am  4.  December  1884  brachte  die 
Regierung  die  Vorlage  ein  und  am 
10.  December  stand  sie  bereits  im  Eisen- 
bahn-Ausschuss  in  Verhandlung. 

Der  damalige  Handelsminister  Freiherr 
von  Pino  hatte  einen  überaus  schweren 


und  des  Verkehrszweckes  als  Localbahn 
im  eigentlichen  Wortsinne  zur  Aus- 
führung komme.  Jedenfalls  könne  hiefür 
die  Kilometerzahl  nicht  den  Ausschlag 
geben.«  Ferner,  sagte  er,  wurde  bean- 
tragt, der  Regierung  die  Bewilligung  von 
solchen  Eisenbahnen  zu  entziehen,  die 
auch  wesentlich  dem  Transitverkehre 
zu  dienen  bestimmt  seien,  sowie  solche, 
welche     sich    als     Parallelgeleise     einer 


Abb.  212.    Lopio-See.    [Localbahn  Mori-Arco-Riva.] 


Stand ;  er  wurde  gefragt,  ob  es  richtig 
sei,  dass  auf  Grund  des  Localbahn-Ge- 
setzes  eine  200  km  lange  Concurrenzlinie 
zur  Galizischen  Transversalbahn,  die 
Eisenbahn  Stryj-Chodoröw-Podwoloczyska 
concessionirt  wurde;  man  werde  aus 
diesem  Vorgange  der  Regierung  bei  der 
Debatte  über  das  Localbahn  -  Gesetz 
Schlüsse  ziehen.  Ministerialrath  Dr.  von 
Wittek  gab  zunächst  Aufklärung  über 
den  Zeitpunkt,  in  welchem  die  Qualifi- 
cation  einer  Bahn  als  Localbahn  erst 
beurtheilt  und  entschieden  werden  könne. 
»Es  sei  ganz  wohl  denkbar,  dass  auch 
die  fragliche  Bahn  nach  Art  der  Anlage 


bestehenden  Hauptbahn  darstellten  und 
endlich  solche,  die  zwei  Hauptbahnen 
verbänden.  Alle  diese  Fälle,  welche 
die  Antragsteller  ausnehmen  wollten, 
seien  seither  bei  Concessionirungen 
vorgekommen  und  hätten  vorkommen 
müssen. 

Der  Führer  der  Minderheit  beanständete 
die  Concessionirung  der  Bahn  Tulln- 
St.  Polten  als  einer  zweiseitig  an  Haupt- 
bahnen anschliessenden  Linie,  wobei  sehr 
harte  Worte,  wie  »Missbrauch«  und  »Preis- 
gebung der  Staatsinteressen«,  fielen,  was 
vom  Handelsminister  entschiedenst  zurück- 
gewiesen wurde. 


492 


P.  F.  Kupka 


Abb.  213.  Stützmauer  mit  Sparbögen  und  Viaduct  Celva.  [Yalsugana-Bahn.] 


Im  Hause  erregte  selbst  der  vor- 
geschlagene Giltigkeitstermin,  I.Juli  1886, 
Anstoss;  man  wollte  wissen,  weshalb 
eine  so  lange  Frist  begehrt  werde.  Die 
einfache  Verlängerung  des  Localbahn- 
Gesetzes,  erklärte  ein  Oppositions-Redner, 
welches  der  Regierung  zu  solchen  Be- 
günstigungen die  Vollmacht  gebe,  sei 
nicht  möglich.  Das  ganze  Gesetz  sei 
überhaupt  nicht  nothwendig,  so  lange 
das  Abgeordnetenhaus  tage,  denn  keine 
einzige  Bahn  werde  beim  Wegfall  dieses 
Gesetzes  ungebaut  bleiben. 

Der  Regierungsvertreter  erklärte, 
dass  es  schwierig  sei,  der  Anforderung, 
Bahnen  nicht  als  Localbahnen  zu  be- 
trachten, welche  wesentlich  für  den  Transit- 
verkehr bestimmt  sind,  in  der  Praxis  zu 
entsprechen;  denn  der  Begriff  »wesent- 
lich« sei  doch  ein  ausserordentlich 
relativer,  und  es  müsste  in  jedem  Falle 
gefragt  werden,  ob  denn  die  Bahn  als 
eine  für  den  Transitverkehr  wesentliche 
angesehen  werden  könne  oder  nicht.  Unter 
den  österreichischen  Bahnen  sei  es  eigent- 
lich nur  das  ungarantirte  Ergänzungs- 
netz der  Oesterreichischen  Nordwestbahn, 
bei  dem  der  Transitverkehr  6o°/0  des 
Gesammtverkehrs  betrage ;  bei  der  Oester- 
reichisch-ungarischen  Staatseisenbahn  be- 
trage er  nicht  mehr  als  4O°/0,  und  es 
entstehe  die  Frage,  ist  es  wesentlich, 
wenn  der  Transitverkehr  40%  aus- 
macht oder  ist  es  erforderlich,  dass  er 
mehr  als  5O°/0  ausmacht?  Die  Regie- 
rung solle  aber  auch  in  Zukunft  ge- 
hindert sein,  Parallel geleise  als  Local- 
bahnen zu  concessioniren,  eine  Bestim- 
mung, die  mit  Rücksicht  auf  §  9  lit.  b 
des  Eisenbahn-Concessions-Gesetzes  nicht 


nothwendig  wäre,  denn  dieses  Gesetz  be- 
stimme schon,  dass  Parallelbahnen  nicht 
gebaut  werden  dürfen.  Der  dritte  Theil 
des  Antrages  beziehe  sich  auf  solche 
Bahnen,  welche  zwei  Hauptbahnen  ver- 
binden. In  dieser  Richtung  sei  hervor- 
zuheben, dass  von  der  Gesammtzahl 
der  durch  das  Gesetz  vom  Jahre  1880 
concessionirten  Localbahnen  nicht  weni- 
ger als  54%  solche  wären,  die  an 
beiden  Endpunkten  an  bestehende  Haupt- 
bahnen anschliessen,  oder  die  doch  im 
Hinblick  und  zum  Zwecke  eines  solchen 
Anschlusses  erbaut  worden  seien.  Es 
dürfte  also  eine  den  bisherigen  Auffas- 
sungen und  dem  Bedürfnisse  der  Be- 
völkerung nach  Vervollständigung  der 
Schienenwege  wenig  zusagende  Beschrän- 
kung darin  liegen,  dass  der  Anschluss 
an  zwei  Punkte  von  Hauptbahnen  als 
ein  mit  dem  Begriffe  der  Localbahn  nicht 
zu  vereinbarender  Bau  hingestellt  wird. 
Wenn  in  jedem  einzelnen  Falle  eine  Vor- 
lage an  das  hohe  Haus  einzubringen 
sei,  dann  wäre  nicht  einzusehen,  wozu 
eigentlich  das  Gesetz  über  Localbahnen 
geschaffen  worden  und  wozu  dasselbe 
auch  noch  jetzt  für  eine  Gruppe  von 
Bahnen  aufrecht  bleiben  solle. 

Nach  äusserst  langwierigen  Berathun- 
gen  wurden  die  Anträge  der  Minderheit 
abgelehnt,  die  Verlängerung  der  Wirk- 
samkeit des  Gesetzes  vom  25.  Mai  1880 
bis  I.  Juli  1886  angenommen  und  die 
Beschlüsse  beider  Häuser  am  28.  De- 
cember   1884  a.  h.  sanctionirt. 

Der  Gesetzentwurf  vom  13.  März  1884 
wurde  jedoch  dem  neugewählten  Reichs- 
rathe  nicht  wieder  unterbreitet,  sondern 
die  Regierung   unterzog   denselben  einer 


Localbahnwesen. 


493 


sorgfältigen  Ueberprüfung  und  nahm  theil- 
weise  auch,  infolge  von  im  Hause  ge- 
gebenen Anregungen,  Abänderungen  bei 
mehreren  Bestimmungen  vor.  Am  1 8.  Juni 
1 886  unterbreitete  sie  zwei  Gesetzentwürfe, 
von  denen  der  erste  die  Anlage  und  den 
Betrieb  von  Localbahnen,  der  zweite 
die  Strassen  bahnen*)  [Tramways] 
betraf.  Damit  beabsichtigte  die  Regie- 
rung eine  abschliessende  Regelung  des 
Localbahnwesens  in  weitem  Sinne,  sowie 
die  gesetzliche  Feststellung  des  Strassen- 
benützungsrechtes  gegen  den  Willen  der 
zur  Erhaltung  nichtärarischer  Strassen 
Verpflichteten. 


I  Zuge  und  es  lägen  noch  50  Projecte  für  Lo- 
calbahnen in  der  Gesammtlänge  von 
etwa  1600  km  mit  einem  veranschlagten 
Kostenaufwande  von  rund  8o,ooo.ooofl.  vor. 
Eine  Erledigung  dieses  Gesetzentwurfes 
zwischen  dem  18.  Juni  und  1.  Juli,  mit 
welchem  Tage  die  Wirksamkeit  des 
Localbahn-Gesetzes  ihr  Ende  erreichte, 
konnte  nicht  gut  angenommen  werden, 
weshalb  der  Eisenbahn-Ausschuss  selbst 
eine  abermalige  Verlängerung  des  früheren 
Gesetzes  in  Antrag  brachte.  Die  Minorität 
erklärte,  dass  die  Ertheilung  so  umfas- 
sender Ermächtigungen  den  Charakter 
eines  Vertrauensvotums  habe ;  aber  abge- 


Abb.  214.     Brücke  und  Tunnel  ^Cantaughelf.  Portal  gegen  Tezze.  [Valsugana-Ba 


In  der  Begründung  wird  ausgeführt, 
dass  es  zweckmässig  erscheine,  die  beiden 
Gruppen  von  Verkehrsmitteln,  nämlich 
die  Localbahnen  und  die  Strassenbahnen 
getrennt  zu  behandeln  und  die  letzteren 
zum  Gegenstande  einer  besonderen  Re- 
gierungsvorlage zu  machen.  Bezüglich 
der  allgemeinen  grundsätzlichen  Gesichts- 
punkte erachte  die  Regierung  die  ein- 
schlägigen Ausführungen  bei  Einbringung 
der  Vorlage  vom  Jahre  1884  auch  der- 
zeit noch  als  zutreffend ;  auf  Grund  der 
Gesetze  seien  Local-  und  Secundärbahnen 
[bis  Juni  1886]  in  derGesammtausdehnung 
von  1 964'  5  km  concessionirt  worden,  ausser- 
dem wären  Vorverhandlungen  behufs 
Sicherstellung  des  Baues  von  307-8  km  im 


*)  Näheres  hierüber  siehe  im  Abschnitte 
»Kleinbahnen«  von  Fr.  Engel,  sowie  »Die 
Entwicklung  der  Eisenbahn-Gesetzgebung 
in  Oesterreich«  von  Dr.  V.  Roll. 


sehen  davon,  sei  die  beständige  Verlän- 
gerung der  Vollmachten  positiv  schädlich, 
weil  hiedurch  das  Zustandekommen  eines 
definitiven  Gesetzes  ausserordentlich  er- 
schwert werde.  Dem  Bedürfnisse  werde 
vollkommen  Genüge  geleistet,  wenn  be- 
züglich jener  Bahnen,  welche  schon  nahe 
der  Concessionirung  seien,  die  Regierung 
die  Ermächtigung  zur  Bewilligung  jener 
erhalte.  Die  Majorität  glaubte  mit  Rück- 
sicht darauf,  dass  in  der  Zwischenzeit  auch 
noch  für  andere  als  die  namhaft  gemachten 
Localbahnen  die  Concessionirung  ange- 
strebt werden  könnte,  die  Verlängerung 
des  Gesetzes  überhaupt,  und  zwar  bis 
Ende  1886,  beantragen  zu  sollen. 

Beide  Häuser  stimmten  diesem  Vor- 
schlage bei,  welcher  Beschluss  am  29.  Juni 
1886  die  a.  h.  Sanction  erhielt. 

Der  Eisenbahn-Ausschuss,  aut  das 
baldige  Zustandekommen  eines  dauernden 


494 


P.  F.  Kupka. 


Localbahn-Gesetzes  den  grössten  Nach- 
druck legend,  wählte  den  Abgeordneten 
Dr.  Ritter  v.  B  i  1  i  11  s  k  i  als  Referenten, 
welcher  sofort  bei  Wiederzusammentritt 
des  Reichsrathes  [October]  Bericht  zu 
erstatten  hatte. 

In  den  folgenden  Berathungen  des 
Eisenbahn-Ausschusses  wurden  zu  dem 
Gesetzentwürfe  mehrere  Aenderungen 
beantragt.  So  solle  beispielsweise  die 
Unterstützung  seitens  der  Regierung  auch 
durch  eine  Erträgnis-  oder  Zinsengarantie 
zum  Ausdrucke  gelangen  ;  die  Einsetzung 
einer  Commission  für  die  Fällung  des 
Enteignungs-Erkenntnisses  bei  Benutzung 
nichtärarischer  Strassen  sei  unbedingt 
nothwendig;  der  Staat  hätte  sich  des 
Heimfallsrechtes  bei  den  Localbahnen  zu 
begeben.  Handelsminister  Marquis  von 
Bacquehem  übernahm  es,  die  vielfachen 
gegen  die  Regierungsvorlage  geäusserten 
Bedenken  zu  zerstreuen ;  die  Regierung 
sei,  führte  er  aus,  bemüht  gewesen,  das 
bestehende  Localbahn-Gesetz  nach  den 
gegebenen  Erfahrungen  zu  ergänzen  und 
überhaupt  das  Localbahnwesen  thunlichst 
zu  fördern.  Den  berührten  Mängeln  des 
Concessions-Gesetzes  gegenüber  habe  die 
Praxis  sich  zu  helfen  gewusst.  Die  Er- 
tragsgrenze für  Tarif-Reductionen  werde 
in  der  Concessions-Urkunde  in  der  Regel 
mit  7°/0  normirt,  und  der  Beginn  der 
90jährigen  Concessionsdauer  nicht  mit 
dem  Tage  der  Bauvollendung,  sondern 
mit  jenem  der  Concessions-Ertheilung 
festgesetzt.  In  der  dies  ermöglichenden 
Elasticität  des  Concessions-Gesetzes  sehe 
der  Minister  einen  Vortheil.  Die  Hinder- 
nisse bei  dem  Zustandekommen  von 
Localbahnen  wären  immer  finanzielle, 
nämlich  wegen  der  Placirung  jenes  Capi- 
talstheiles,  der  kein  Erträgnis  erwarten 
lasse.  Ueberdie  Bestimmungen  desGesetzes 
werde  man  sich  noch  leichter  einigen, 
als  über  eine  in  das  Gesetz  aufzunehmende 
Definition  der  Localbahnen ;  solcher  liege 
etwa  ein  Dutzend  vor.  Bei  Berathung 
bezüglich  der  Abgrenzung  der  Local- 
von  den  Strassenbahnen  herrschte  grosse 
Meinungsverschiedenheit.  *)      Gegenüber 

*)  Bezüglich  der  Localbahnen  im  engeren 
Sinne  hatte  die  Techniker-Versammlung  des 
Vereines  Deutscher  Eisenbahn-Verwaltungen 
nachstehendeBegriffsbestimmung  beschlossen: 


den  bezüglich  der  Betriebsverträge  ge- 
machten Einwendungen  errinnerte  der 
Minister  an  die  für  die  Hauptbahnen 
erwachsenden  Obliegenheiten.  [Kaiser 
Ferdinands-Nordbahn.]  Die  Staatsverwal- 
tung, welche  da  nicht  zurückbleiben, 
sondern  sogar  etwas  mehr  thun  solle,  sei 
oft  hiezu  umso  leichter  befähigt,  als  sie 
den  grossen  Apparat  ihrer  Centralver- 
waltung  besässe.  Bisher  wurde  stets  die 
Bedeckung  der  Selbstkosten  durch  eine 
pro  Kilometer  bemessene  Minimalver- 
gütung gefordert.  Die  Frage  stehe  jetzt 
so,  ob  die  Gesetzgebung  einen  Schritt 
weiter  gehen  wolle ;  der  Entschluss,  diese 
Betriebsführung  selbst  mit  einem  kleinen 
Opfer  zuzulassen,  hänge  eben  von  dem 
Masse  des  Wohlwollens  ab,  welches  die 
Regierung  nicht  für  sich,  sondern  für  die 
Localbahnen  beanspruche. 

Die  meisten  Bedenken  erhoben  sich 
immer  wieder  gegen  die  zwangsweise 
Benützung  der  nichtärarischen  Strassen. 
Es  müsse  eine  Grenze  geben,  meinte  der 
Ausschuss,  um  das  Recht  der  Communen 
auf  den  mit  grossen  Kosten  hergestellten 
Strassen  zu  wahren,  es  müsse  auch  dem 
Begehren  Wiens  und  den  auf  dem  öster- 
reichischen Städtetage  zum  Ausdrucke  ge- 
langten Wünschen  in  dieser  Richtung 
Rechnung  getragen  werden. 

Mit  Ende  1886  war  die  Wirksamkeit 
des  Localbahn-Gesetzes  abgelaufen. 
Die  Regierung  hatte  sich  beeilt,  alle 
weiter     vorgeschrittenen    Projecte    noch 

Zu  den  Eisenbahnen  untergeordneter  Be- 
deutung gehören: 

a)  Nebeneisen  bahnen  [Spurweite 
I'435  m],  welche  zwar  mit  ihrem  Oberbau 
mit  den  Hauptbahnen  im  Wesentlichen  über- 
einstimmen, auf  welche  daher  sowohl  Wagen 
als  auch  Locomotiven  der  Hauptbahnen  über- 
gehen können,  bei  welchen  aber  die  Fahr- 
geschwindigkeit von  40  km  in  der  Stunde 
an  keinem  Punkte  der  Bahn  überschritten 
werden  darf,  und  für  welche,  dem  auf  ihnen 
zu  führenden  Betriebe  entsprechend,  erleich- 
ternde Bestimmungen  platzgreifen  dürfen. 

b)  Localeisen  bahnen  [Spurweite 
i'335  »"  oder  kleiner],  welche  dem  öffent- 
lichen Verkehre,  jedoch  vorwiegend  dem 
Localverkehr  zu  dienen  haben,  mittels  Dampf- 
kraft durch  Adhäsionsmaschinen  betrieben 
werden,  bei  welchen  ferner  der  grösste  Rad- 
druck in  der  Regel  nicht  mehr  als  5000  kg 
beträgt  und  die  Fahrgeschwindigkeit  von 
30  km  in  der  Stunde  an  keinem  Punkte  der 
Bahn  überschritten  werden  darf. 


Localbahnwesen. 


495 


vor  Ablauf  des  Jahres  zur  Concessioni- 
rung  zu  bringen.  Bis  dahin  waren  con- 
cessionirt  86  Local-  und  Secundärbahnen 
in  der  Gesammtausdehnung  von  rund 
2400  km.  Von  diesen  kamen  77  Bahnen 
mit  rund  2000  km  ohne  directe  Staats- 
unterstützung zustande.  Für  die  ersten 
Monate  des  Jahres  1887  lagen  aus  leicht 
begreiflichen  Gründen  keine  conces- 
sionsreifen,  oder  wenigstens  nicht  so  weit 


die   speciellen    Ermächtigungen    der    Re- 
gierung enthalte. 

Der  Ausschuss  entschloss  sich  nun, 
um  den  dringendsten  Bedürfnissen  des 
Verkehres  Rechnung  zu  tragen,  mangels 
einer  gesetzlichen  Abgrenzung  des  Be- 
griffes der  Localbahnen  sowohl  nach 
oben  als  auch  nach  unten,  ferner  mangels 
einer  Regelung  des  Benützungs- 
rechtes   nichtärarischer    Strassen    und 


Abb.  215.  Viaduct  Nr.  I  der  Valsugana-Bahn. 


gediehene  Projecte  vor,  dass  sie  in  ein 
Gesetz  aufgenommen  werden  konnten. 
Würden  alle  Ansuchen  aufgenommen, 
meinte  der  Minister,  so  würden  Hoffnungen 
erweckt  werden,  die  sich  dann  nicht  erfüllen 
könnten,  zöge  man  den  Kreis  enger,  so  prä- 
judicire  man  die  nicht  aufgenommenen 
Linien.  Die  Concessionirung  der  Bahnen 
sei  wegen  verschiedener  Hindernisse 
erst  mit  Ende,  bestenfalls  Mitte  Juni 
zu  erwarten  und  bis  dahin  alle  Aus- 
sicht vorhanden,  jenen  Theil  des 
Localbahn  -  Gesetzes    zu    erledigen,    der 


der  grundsätzlichen  Regelung  der  ganzen 
Finanzirung  der  Localbahnen,  vorerst 
jene  Artikel  der  Regierungsvorlage,  wo- 
mit Bestimmungen  über  die  Anlage  und 
den  Betrieb  von  Localbahnen  getroffen 
werden  und  die  die  gewöhnlichenVollmach- 
ten  für  die  Regierung  enthalten,  dem  Hause 
zur  Beschlussfassung  vorzulegen.  Die  Vor- 
lage über  die  Strassenbahnen  [Tramways] 
wurde  gänzlich  fallen  gelassen.  Die  Regie- 
rung erklärte  sich  mit  diesem  Vorschlage 
einverstanden,  und  so  wurde  das  Rumpf- 
gesetz   vom   Abgeordnetenhause  am  27., 


496 


P.  F.  Kupka. 


Abb.  216.     Donaubrücke  bei  Krems.  ,'Localbahn  Herzogrenburg-Krems." 


vom  Herrenhause  am  3  I.Mai  angenommen, 
erhielt  am  17.  Juni  1887  die  a.  h.  Sanc- 
tionirung  und  trat  am  23.  Juni  1887  mit 
der  Wirksamkeit  bis  31.  December  1890 
in  Kraft. 

Das  neue  Gesetz  [1887]  hat  gegenüber 
jenem  vom  Jahre  1880  in  einigen  Artikeln 
eine  genauere  Fassung,  insbesondere 
rücksichtlich  des  Verhältnisses  zur  Finanz- 
verwaltung, erhalten.*) 

In  der  Form  einer  Resolution  wurde 
die  Regierung  noch  aufgefordert,  »die 
Frage  der  principiellen  Regelung  der 
Finanzirung  von  Localbahnen  unter  Fest- 
haltung einer  Betheiligung  des  Staates, 
der  Länder,  Bezirke,  Gemeinden  und  der 
sonstigen  Interessenten  und  unter  even- 
tueller Berücksichtigung  des  Annuitäten- 
Principes  in  reifliche  Erwägung  zu  ziehen 
und  eine  entsprechende  Gesetzvorlage 
einzubringen«. 

Das  Gesetz  vom  Jahre  1887  trug 
wenig  zur  Entwicklung  des  Localbahn- 
netzes  bei,  denn  gerade  zu  jener  Zeit 
ist  eigenthümlicherweise  ein  Stillstand 
wahrzunehmen ;  so  wurde  beispielsweise 
im  Jahre  1887  keine  Concession  ertheilt. 

Am  4.  December  1 890  ward  eine  Vor- 
lage wegen  Verlängerung  der  Wirksam- 
keit dieses  Gesetzes  bis  3 1 .  December  1 893 
eingebracht.  Die  Regierung  war  der  An- 
sicht, dass  dasselbe  bisher  seinem  Zwecke 
entsprochen  habe,  dass  jedoch  den  fort- 
dauernden Bedürfnissen  noch  lange  nicht 
in  vollem  Masse  Genüge  geschehen  sei, 
was  den  Gegenstand  fortgesetzter  staat- 
licher Fürsorge  bilden  müsse.  Die  bisher 
erzielten,  immerhin  beachtenswerthen  Er- 
folge Hessen  eine  weitere  gedeihliche  Ent- 
wicklung erwarten,    zumal  wenn    es  ge- 

*)  Näheres  hierüber  siehe  im  Abschnitte 
»Die  Entwicklung  der  Eisenbahn  -  Gesetz- 
gebung in  Oesterreich«  von  Dr.  V.  Roll. 
[Seite  82  und  ff.] 


länge,  durch  rationelle  Organisirung  des 
Bausystems,  Anwendung  der  schon  mehr- 
fach mit  Vortheil  benützten  Schmal- 
spur und  durch  stricteste  Gebarungs- 
Oeconomie  die  Anlagekosten  thunlichst 
zu  ermässigen  und  wenn  die  Landesver- 
tretungen fortfahren  würden,  diese  Be- 
strebungen materiell  zu  fördern. 

Die  Vorlage  gelangte  ohne  Debatte  in 
beiden  Häusern  zur  Annahme  und  erhielt 
am  28.  December  1890  die  a.  h.  Sanction. 

Im  Reichsrathe  war  man  jedoch  mit 
der  Entwicklung  der  Localbahnen  nicht 
zufrieden ;  man  gab  der  Ansicht  Aus- 
druck, dass  die  Gesetzgebung  Manches 
zu  wünschen  übrig  lasse  und  hinter  jener 
des  Auslandes  zurückstehe.  Ueberdies 
wirke  auch  die  Stockung,  welche  jetzt 
in  der  Verstaatlichung  der  Eisenbahnen 
eingetreten  sei,  schädigend  auf  die  Local- 
bahnen ein.  Es  wurde  eine  bezügliche 
Resolution  vorgeschlagen  und  in  der 
Sitzung  vom  9.  März  1893  angenommen.*) 

Mittlerweile  hatte  die  Regierung  eine 
Vernehmung  der  zuständigen  Vertretungs- 
körper sowie  der  Fachkreise,  welche  sich 
berufsmässig  mit  dem  Bau  von  Local- 
bahnen befassen,  eingeleitet,  um  zu  er- 
fahren, auf  welche  neu  einzuführende  Er- 
leichterungen und  Zugeständnisse  in 
diesen  Kreisen  ein  besonderes  Gewicht 
gelegt  werde.  Einerseits  lag  das  Ergebnis 
der  Umfrage  noch  nicht  vollständig  vor, 
andererseits  war  die  Bearbeitung  des 
umfangreichen  Stoffes  noch  nicht  be- 
wältigt worden,  so  dass  die  Regierung 
sich  ausser  Stande  sah,  mit  fertigen  Vor- 
schlägen an  den  Reichsrath  heranzu- 
treten. Sie  unterbreitete  deshalb  am 
23.  November  1893  eine  Vorlage  behufs 


*)  Den  Wortlaut  derselben  siehe  im 
Abschnitt  »Die  Entwicklung  der  Eisenbahn- 
Gesetzgebung  in  Oesterreich«  von  Dr.  V. 
Roll.  [Seite  88.1 


Localbahnwesen. 


497 


neuerlicher    Verlängerung  des    Gesetzes, 
giltig  bis  31.  December  1894. 

In  den  letzten  drei  Jahren  —  heisst 
es  u.  A.  in  der  Begründung — wurden  20 
Localbahnen  in  der  Gesammtlänge  von 
510  km  und  mit  einem  Anlage-Capital 
von  15,240.000  fl.  sichergestellt,  darunter 
13  Localbahnen  von  171  km  Länge  ohne 
jede  finanzielle  Unterstützung  seitens  des 
Staates. 


wurde  eine  Reihe  von  normalspurigen 
Localbahnen  [Lindewiese-Barzdorf,  Ni- 
klasdorf-Zuckmantel,  Trient-Tezze,  sowie 
die  schmalspurige  Ybbsthalbahn  in  der 
Gesammtlänge  von  1 70  km  und  mit  einem 
Kostenanschlag  von  11,520.000  fl.]  ge- 
setzlich sichergestellt. 

Mit  dem  Jahre  1894  ward  behufs  plan- 
mässiger  Ergänzung  und  Vervollständi- 
gung    des    heimischen    Eisenbahnnetzes 


Abb.  217.    Viaduct  und  Brücke  bei  Waidhofen  a.  d.  Ybbs.  [Ybbsthalbahn.] 


Die  Vorlage  erhielt  am  27.  Decem- 
ber  1893  die  a.  h.  Sanction. 

Der  in  der  Resolution  ausgesproche- 
nen Aufforderung  kam  die  Regierung 
theils  durch  besondere  Gesetzesvorlagen 
theils  durch  eine  Reihe  von  Verwaltungs- 
Massregeln  nach,  wie  eine  solche  u.  A. 
die  auf  Grund  der  a.  h.  EntSchliessung 
vom  4.  Mai  1894  erfolgte  Errichtung 
eines  Localbahn-Amtes  im  Handels- 
ministerium und  bei  der  General-Inspec- 
tion  der  österreichischen  Eisenbahnen, 
zum  Zwecke  der  beschleunigten  Behand- 
lung von  Eingaben,  war.  Auf  Grund 
des   Gesetzes    vom    27.  December    1893 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Theil. 


durch  Bahnen  niederer  Ordnung  unter 
Zugrundelegung  des  gemeinsamen  Zu- 
sammenwirkens von  Staat,  Land  und 
Interessenten  eine  Thätigkeit  entfaltet, 
welche  sowohl  im  Reichsrathe  als  auch 
in  der  Bevölkerung  die  freundlichste  Auf- 
nahme fand. 

Am  5.  April  1894  hat  die  Regierung 
einen  Gesetzentwurf  eingebracht  für  die 
Sicherstellung  von  15  [mit  zwei  Alter- 
nativen], zum  grössten  Theile  als  Local- 
bahnen auszuführenden  Eisenbahnen  in 
der  Gesammtlänge  von  531  km,  be- 
ziehungsweise   544  km    mit    einem    Ge- 

32 


498 


P.  F.  Kupka. 


sammtkosten-Aufwande  von  31,31 6.000  fl., 
beziehungsweise  31,896.000  fl.  Die  Aus- 
wahl der  in  Vorschlag  gebrachten 
16  Bahnen  beruhte  grösstentheils  auf 
den  mit  den  Landesausschüssen  von 
Böhmen  und  Steiermark  getroffenen  Ver- 
einbarungen und  bezog  sich  auch  auf 
Kärnten,    Mähren    und    Niederösterreich. 

Hiebei  nahm  der  Staat  in  Form  einer 
Erträgnisgarantie  und  Subventionsleistung, 
beziehungsweise  in  der  sofortigen  Einlösung 
der  fertiggestelltenBahnen,  die  Beschaffung 
der  Capitals-Beträge  von  13,843.000  fl., 
beziehungsweise  13, 301. ooofl.  oder  44-7°/0, 
beziehungsweise  44-2°/0  des  gesammten 
Bauaufwandes  auf  sich,  woraus  sich  eine 
nominelle  Jahreslast  von  588.795  fl.,  be- 
ziehungsweise 566.613  fl.  ergab,  die  aber 
mit  Rücksicht  auf  die  zu  erhoffenden  Er- 
trägnisse der  Bahnen  voraussichtlich  schon 
in  den  ersten  Betriebsjahren  nur  eine 
wirkliche  Belastung  von  rund  93.5000.,  be- 
ziehungsweise  1  Ol. OOO  fl.  erwarten  liess. 

Werden  hier  noch  die  von  Böhmen 
und  Steiermark  ohne  finanzielle  Beihilfe 
des  Staates  ausgeführten,  oder  zur  Aus- 
führung bestimmten  Localbahnen  sowie 
die  mit  einer  Staatssubvention  sicherge- 
stellte Murthalbahn  einbezogen,  so  ergibt 
dies  —  die  beiden  Alternativen  in  abge- 
rundeten Durchschnittsziffern  zusammen- 
gefasst  —  ein  Gesammtnetz  von  750  km 
Ausdehnung  mit  einem  Anlage-Capital 
von  40,000.000  fl.,  wovon  14,000.000  fl. 
oder  35°/o  "ü*  einer  voraussichtlichen 
wirklichen  Jahreslast  von  nur  1 20.000  fl. 
auf   den   Staat  entfallen. 

Nach  längerer  Berathung  wurde  die 
Vorlage  mit  geringen  Abänderungen  an- 
genommen und  erhielt  am  22.  Juni  1894 
die  a.  h.  Sanction  ;  hiemit  wurden  sicher- 
gestellt die  Linien  :  1 .  Karlsbad-Johann- 
Georgenstadt,  2.  Beneschau  -  Wlasim, 
3.  Neuhaus-  Xeubystritz,  4.  Zwittau- 
Polifka,  5.  Ceröan-Modfan  mit  Abzwei- 
gung, 6.  Rakonitz-Mlatz,  7.  Rakonitz- 
Pladen,  8.  Pladen-Buchau,  9.  Protiwitz- 
Petschau,  IO.  Brüsau-Poliöka,  1 1.  Zeltweg- 
Wolfsberg,  12.  Unter-  Drauburg -Wöllan, 
13.  St.  Georgen-Landesgrenze,  14.  Neu- 
berg-Maria Zell,  15.  Mährisch-Budwitz- 
Jamnitz,    16.  Schwarzenau-Zwettl. 

Von  diesen  waren  Karlsbad-Johann- 
Georgenstadt,     Zelt  weg- Wolfsberg     und 


Unter-Drauburg- Wöllan  als  Hauptbahnen 
zweiten  Ranges,  Neuhaus-Neubystritz  und 
Neuberg-Maria  Zell  [letztere  sollte  nach 
Vollendung  und  Inbetriebsetzung  vom 
Staate  erworben  werden]  als  schmalspurige, 
alle  übrigen  als  normalspurige  Localbahnen 
herzustellen. 

Anlässlich  der  Berathung  dieser  Local- 
b ahn- Vorlage  gab  die  Regierung  unter 
allseitiger  Zustimmung  die  Absicht  kund, 
alljährlich  einen  grösseren  Complex 
von  Localbahn-Projecten  der  Sicher- 
stellung zuzuführen,  was  durch  die  in  den 
einzelnen  Ländern  geschaffenen  Gesetze 
behufs  Förderung  des  Eisenbahnwesens 
niederer  Ordnung  ermöglicht  erschien. 

Die  im  April  1895  eingebrachte  Re- 
gierungsvorlage betreffend  die  im  Jahre 
1895  sicherzustellenden  Bahnen  niederer 
Ordnung  bezog  sich  auf  23  Linien  [in 
Böhmen,  Galizien ,  Niederösterreich  und 
Salzburg]  in  einer  Länge  von  zusammen 
8i8-8  km  mit  einem  Kostenaufwande  von 
38,780.000  fl.  Davon  wurden  jedoch 
sieben  Linien,  130*5  km  gleich  I5'9%,  mit 
einem  Anlage-Capital  von  8,600.000  fl. 
ohne  staatliche  Beihilfe  gebaut. 

Von  den  Gesammtkosten  sollten 
10,541.00011.  oder  26-6°/o  durch  den  Staat, 
20,092.000  fl.  oder  53'4%  durch  die  Länder 
und  7,894.000  fl.  oder  20%  durch  die 
Interessenten  aufgebracht  werden. 

An  der  Capitalsbeschaffung  für  die 
mit  Unterstützung  des  Staates  auszufüh- 
renden 16  Linien  von  607  "3  km  Länge  und 
einem  Anlage-Capital  von  30,979.000  fl. 
betheiligte  sich  der  Staat  mit  10,541.000  fl. 
oder  34°/0,  die  Länder  mit  15,434.000  fl. 
oder  49°/0  und  die  Localinteressenten  mit 
4,977.000  fl.  oder  17%.  Die  staatliche 
Betheiligung  betrug  für  Böhmen  47-i°/o, 
für  Niederösterreich  i2"i°/0,  für  Salzburg 
i7"9°/o  und  für  Galizien  i7-5°/0.  Die 
nominelle  Jahreslast,  welche  sich  hieraus 
ergab,  belief  sich  auf  rund  445.000  fl.,  sie 
dürfte  sich  jedoch  mit  Rücksicht  auf 
die  Erträgnisse  auf  rund  78.000  fl. 
ermässigen,  durch  welche  Jahreslast 
demnach  ein  Liniencomplex  von  819  km 
Länge  sichergestellt  war. 

Mit  dem  a.  h.  sanctionirten  Gesetz 
vom  19.  Juni  1895  wurden  nachstehende 
Linien  sichergestellt:  1.  Marienbad-Karls- 
bad, 2.  Schönwehr-Elbogen,  3.  Wodnian- 


Localbahnwesen. 


499 


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Hl            Sr^ '  "*ir    '     ff ,U 

Abb.  218.  Trestlc-Works  der  Strecke  Lunz-Gaming  *»«  61*/,.  [Ybbsthalbahn.] 


Abb.  219.    Trestle-Works  der  Strecke  Lunz-Gaming  km  6j''a.  [Ybbsthalbahn.] 


Moldautein,  4.  Cercan  -  Kolin  mit  Ab- 
zweigung, 5.  Strakonitz-Bfesnitz,  6.  Neu- 
hof-Weseritz,  7.  Absdorf-Stockerau,  8. 
Wiener-Neustadt-Schneeberg,  9.  St.  Pöl- 
ten-Kirchberg  a.  P.,  10.  Zell  a.  S. -Krimini, 
11.  Trzebinia-Skawce,  12.  Pila-Jaworzno, 
13.  Chaböwka  -  Zakopane,  14.  Borki 
wielkie-Grzymalöw,  15.  Kolomea-Zale- 
szczyki,   16.  Beraun-Duänik. 

Bei    fünf  Bahnlinien,  nämlich  Schön- 
wehr-Elbogen,    Absdorf-Stockerau,  Trze- 


binia-Skawce, Pila-Jaworzno  undKolomea- 
Zaleszczyki  wurde  der  Nachweis  über 
die  gesetzlich  bedungenen  Interessenten- 
Beiträge  nicht  erbracht  und  bei  der  Local- 
bahn  Chabowka-Zakopane  hatten  sich 
technische,  noch  zu  lösende  Meinungs- 
verschiedenheiten ergeben. 

Für  das  Jahr  1896  ward  nun  gemäss 
den  mit  den  Ländern  getroffenen  Ver- 
einbarungen die  Sicherstellung  einer 
Gruppe  von  25  Localbahnen  mit  551  km 

32* 


5°° 


P.  F.  Kupka. 


Länge,  einem  Kostenaufwand  von 
24,397.000  fl.  und  einem  Anlage-Capital 
von  24,832.000  fi.  in  Antrag  gebracht. 
Von  dieser  Summe  sollten  10,804.000  fi. 
auf  Grund  der  vom  Staate  zu  gewährenden 
Reinertrags-Garantien,  4,630.000  fl.  auf 
Grund  der  gleichartigen  Garantien  der 
betheiligten  Länder,  2,123.000  fl.  durch 
Beiträge,  beziehungsweise  Capitals-Auf- 
wendungen  des  Staates,  1,942.000  fl.  durch 
Subventionen  der  Länder  und  5,333.000  fl. 
durch  Beiträge  der  Interessenten  auf- 
gebracht werden. 

Die  nominelle  Jahresverpflichtung, 
welche  der  Staat  infolge  der  Betheiligung 
zu  übernehmen  hatte,  beträgt  rund 
550.000  fl.,  das  wirkliche  Opfer  im  Hin- 
blick auf  die  zu  gewärtigenden  Erträg- 
nisse jährlich  rund  175.000  fl.,  welcher 
Betrag  auch  noch  eine  namhafte  Herab- 
minderung erfahren  dürfte. 

Wie  in  den  Vorjahren,  so  konnten 
auch  diesmal  bei  der  Aufstellung  des  in 
dem  Gesetzentwurfe  niedergelegten  Linien- 
programms mehrere  Bahnprojecte  von 
anerkannt  wirthschaftlicher  Nützlichkeit 
nicht  berücksichtigt  werden,  da  die 
Bedingungen,  von  welchen  die  staatliche 
Hilfeleistung  abhängig  gemacht  werden 
musste,  seitens  der  betreffenden  Landes- 
vertretungen und  Interessenten  entweder 
gar  nicht,  oder  nicht  im  vollen  Umfange 
erfüllt  wurden.  Es  gilt  dies  insbesondere 
von  der  seit  längerer  Zeit  projectirten, 
auch  seitens  der  Regierung  als  bauwürdig 
anerkannten  Vintschgaubahn. 

Eine  Einschränkung  des  Programms 
musste  auch  schon  wegen  der  zu  Tage 
tretenden  starken  Nachfrage  nach  Arbeits- 
kräften und  Baumaterialien  vorgenommen 
werden,  eine  Erscheinung,  wie  sie  schon 
wiederholt  beobachtet  wurde  und  die  in 
der  Durchführung  der  gross  angelegten 
Action  auf  diesem  Gebiete  zu  einem  ver- 
langsamten Tempo  mahnte.  »Es  wird 
übrigens  auch  zu  erwägen  sein«,  heisst  es, 
»ob  in  Ansehung  grösserer  Bahnbauten 
von  dem  in  den  letzten  Jahren  eingehaltenen 
Vorgange,  solche  in  ein  gemeinsames 
Sich erstellungs- Gesetz  aufzunehmen,  der 
Bedeutung  des  Gegenstandes  entsprechend 
nicht  wieder  abgegangen  und  auf  die 
vordem  übliche  Form  einzelner  Gesetz- 
vorlagen   zurückgegriffen    werden    soll.« 


Die  in  den  Entwurf  einbezogenen 
22  Localbahnen  lassen  sich  nach  der 
Form  ihrer  finanziellen  Sicherstellung  in 
drei  Gruppen  scheiden. 

Die  erste  Gruppe  umfasste  elf  Local- 
bahnen von  300  km  bei  einem  Nominalauf- 
wand von  13,820.000  fl.,  wovon  der  Staat 
für  den  bevorrechteten  Theil  der  Anlage- 
kosten eine  Reinertrags-Garantie  für  den 
Gesammtbetrag  von  10,804.000  fl.  ge- 
währen sollte,  diese  waren :  Deutschbrod- 
Saar,  Skuc-PoliCka,  Prachatic- Wallern, 
Winterberg  -  Wallern,  Gstadt  -  Ybbsitz, 
Wolframs  -  Teltsch,  Mauthausen  -  Grein, 
Bregenz  -  Bezan,  Görz  -  Haidenschaft, 
Laibach-Oberlaibach  und  Treibach-Klein- 
Glödnitz. 

Eine  Neuerung  hiebei  war  die  Er- 
mächtigung der  Regierung,  staatlich 
garantirte  Localbahnen,  welche  sich  gegen- 
seitig ergänzen  oder  fortsetzen,  im  Wege 
der  Zusammenfassung  der  den  ein- 
zelnen Linien  zugesicherten  Ertrags- 
Garantien  zu  einem  einheitlichen  Ganzen 
mit  gemeinsamer  Betriebsrechnung  und 
Verwaltung  zu  vereinen ;  weiters  konnte 
eine  verhältnismässige  Herabminderung 
der  bedungenen  Beitragsleistungen  zu 
Gunsten  der  Interessenten  zugestanden 
werden,  wenn  bei  Durchführung  des 
Baues  nach  dem  Ermessen  der  Regierung 
Ersparnisse  an  den  veranschlagten  Bau- 
kosten mit  Grund  zu  gewärtigen  waren. 

Die  zweite  Gruppe  umfasste  sechs, 
mit  einer  einzigen  Ausnahme,  auf  die 
Reinertrags  -  Garantien  der  betreffenden 
Länder  zu  fundirenden  Linien  in  einer 
Gesammtlänge  von  126  km  und  einem 
Anlage-Capital  von  5,487.000  fl.,  an  deren 
Finanzirung  der  Staat  durch  Uebernahme 
volleingezahlter  Stammactien  im  Betrage 
von  484.000  fl.  sich  betheiligte.  Diese 
waren :  Ht.  Tf eban-Lochowitz,  Blatna- 
Nepomuk,  Breznitz-Rozmital,  Karlsbad- 
Merkelsgrün,  Ober  Grafendorf- Mank  und 
Jenbach-Mairhofen. 

Die  dritte  Gruppe  umfasste  fünf,  zu- 
sammen 62  km  lange,  einen  Gesammtauf- 
wand von  2,288.000  fl.  erheischende  Local- 
bahnen, die  unmittelbar  an  Staatsbahnlinien 
anschlössen  und  deren  Baukosten  bezüglich 
des  Theilbetrages  von  1,639.000  fl.  zu  La- 
sten der  für  die  Anschlusslinien  gebildeten 
Investitionsfonds  und  bezüglich  des  Restes 


Localbahnwesen. 


50I 


durch  Beitragsleistung  der  Länder  und 
Interessenten  äfonds  perdu  bedeckt  werden 
sollten.  Diese  waren  :  Grulich-Schildberg, 
Bärn-Hof,  Olbersdorf-Hotzenplotz,  Barz- 
dorf-Jauernig   und    Haugsdorf  -Weidenau. 

Weitere  Bestimmungen  sollten  die 
Regierung  ermächtigen,  die  mit  dem  Gesetz 
vom  22.  Juni  1894  vorgesehene  Betheili- 
gung des  Staates  an  den  Eisenbahnen 
Zeltweg- Wolfsberg  und  Unter-Drauburg- 
Wöllan,  d.  i.  die  4°/0ige  Reinertrags-Ga- 
rantie auf  das  gesammte  Vorzugscapital 
im  Betrage  von  272.000  fl.  auszudehnen. 

Die  Vorlage  erhielt  am  21.  Juli  1896 
die  a.  h.  Sanction. 

Diese,    sowie    die    Localbahnvorlage 


Bau  von  Localbahnen  unter  gleichzeitiger 
entsprechender  Betheiligung  des  Staates 
und  der  übrigen  Interessenten  in  ausgiebiger 
Weise  zu  fördern,  und  zwar  durch  Bethei- 
ligung an  der  Capitalsbeschaffung.  Auf 
Grund  principieller  Beschlüsse  wurden  für 
eine  Reihe  von  Localbahnen  erhebliche 
Unterstützungen  zugesichert  [Fehring- 
Fürstenfeld,  Gleisdorf-Weiz,  Spielfeld- 
Radkersburg,  Radkersburg  -  Luttenberg, 
Fürstenfeld-Hartberg],  ohne  jedoch  hiemit 
den  immer  dringenderen  Wünschen  des 
Landes  Genüge  geleistet  zu  haben.  Be- 
werber traten  ohne  Detailpläne,  Kosten- 
voranschläge, oft  mehrmals  an  den  Landtag 
heran,  um  sich  vorerst  Beiträge  zu  sichern. 


Abb.  220.    Pruthbrücke  zwischen  Xepolokoutz  und  Berbestie.  [Bukowinaer  Landesbahnen.] 


vom  Vorjahre  fussten  bereits  auf  dem 
Reichsgesetze   vom    31.  December  1894. 

Um  nun  die  bei  Schaffung  dieses  Ge- 
setzes massgebend  gewesene  Bewegung  in 
den  einzelnen  Ländern,  wenn  auch  nur 
flüchtig  zu  kennzeichnen,  müssen  wir  wieder 
bis  vor  das  Jahr  1890  zurückgreifen.  Einer- 
seits die  Haltung  der  Regierung,  anderer- 
seits die  als  unzureichend  angesehenen  Be- 
stimmungen des  bestehenden  Gesetzes,  so- 
wie das  Zögern  des  nur  auf  Gewinn  gerich- 
teten Privat-Capitales  bewogen  einzelne 
Länder,  welche  rückhaltlos  anerkannten, 
dass  der  Eisenbahnbau  behufs  Entfaltung 
einer  wirtschaftlichen  Thätigkeit  von 
grösster  Wichtigkeit  und  ein  unabweis- 
liches  Bedürfnis  sei,  aus  eigener  Kraft 
Landesbahnen  zu  schaffen. 

Allen  voran  steht  Steiermark. 

Bereits  in  den  Jahren  1882  und  1883 
erklärte  dei  Landtag  es  für  seine  Pflicht,  den 


Diesen    sich    mehrenden    Ansprüchen 
und  ungeregelten  Anforderungen  gegen- 
über  sollten    die  vom  Lande  jährlich  zu 
leistenden  Beträge  von  vorneherein  fest- 
gestellt werden,  umsomehr,  als  trotz  der 
in  Aussicht  gestellten  reichlichen  Unter- 
I  Stützung   doch   nur  wenige   Localbahnen 
(  zur  Ausführung  gelangten,  und  zwar  aus 
'.  dem    einfachen    Grunde,    weil    die    Be- 
!  Schaffung    des    übrigen    zum  Bau   erfor- 
derlichen Capitals  nicht  nur  mit  grossen 
Schwierigkeiten,  sondern  auch  mit  hohen 
Kosten  verbunden  war. 

Ein  Uebelstand  machte  sich  hiebei 
besonders  bemerkbar,  nämlich  der,  dass  das 
Bau-  und  Finanzgeschäft  zumeist  in  einer 
Hand  vereinigt  war.  »Ist  ein  Vorproject  für 
eine  Localbahn  ausgearbeitet«  —  wir  folgen 
hier  im  Wesentlichen  dem  Bericht  des  steiri- 
schen  Landesausschusses  an  den  Land- 
tag 1889  —  »so  wird  an  die  interessirten 


502 


P.  F.  Kupka. 


Länder,  mitunter  auch  an  den  Staat 
wegen  Uebernahme  von  Stammactien  zum 
Nennwerthe  herangetreten.  Der  auf  die- 
sem Wege  zu  erreichende  Beitrag  beläuft 
sich  selten  auf  mehr  als  %  des  Bau- 
erfordernisses, und  nun  obliegt  es  dem 
Concessionswerber,  für  die  weitere  Be- 
deckung Vorsorge  zu  treffen.  Diese  er- 
folgt in  der  Regel  durch  Ausgabe  von 
Prioritätsactien,  für  welche  weder  eine 
Garantie  vorhanden,  noch  eine  Zinsen- 
deckung aus  dem  Bahnerträgnis  sicher- 
gestellt ist.  Die  Uebernehmer  solcher 
Titres  sind  ganz  bestimmte  Finanzgruppen, 
die  mit  dem  Concessionswerber,  wenn 
er  nicht  selbst  Bauunternehmer  ist,  ein 
Uebereinkommen  erst  dann  treffen,  wenn 


entsteht.  In  den  seltensten  Fällen  verfügt 
nun  der  Unternehmer  über  ein  Capital, 
um  aus  Eigenem  den  Erfordernissen  zu 
entsprechen,  und  ist  sonach  gezwungen, 
sich  einen  Barcredit  zu  verschaffen,  wo- 
bei je  nach  seiner  Vertrauenswürdigkeit 
weitere   io°/0   verloren  gehen. 

»Ein  anderer  Uebelstand  liegt  darin, 
dass  mit  einer  Vorzugsdividende  von  5  °/0 
nicht  ausgestattete  Vorzugsactien  entwe- 
der gar  nicht  oder  nur  schwer  an  Mann 
gebracht  werden  können,  wonach  denn 
den  Stammactien  ein  so  hohes  Zinsen- 
und  Tilgungserfordernis  voransteht,  dass 
diese  in  den  seltensten  Fällen  ein  Er- 
trägnis abwerfen ;  ihr  Werth  sinkt  dann 
zumeist    derart,    als    hätte    der    Besitzer 


Abb.  221.    Dniester-Viaduct  bei  Zaleszczyki.  [Bukowinaer  Localbahnen.] 


ein  der  Gruppe  zusagender  Unternehmer 
gefunden  ist ;  die  Gruppe  sucht  selbst- 
redend ihren  Nutzen  in  -einem  Curs- 
gewinne,  indem  sie  für  die  zu  überneh- 
menden Titres  einen  möglichst  geringen 
Betrag  zugesteht.  Das  Angebot  ist  ein 
umso  niedrigeres,  je  kleiner  die  zu  be- 
gebende Summe,  je  geringer  die  commer- 
zielle  Bedeutung  der  Linie  und  je  schwie- 
riger ein  Rentabilitätsnachweis  zu  erbrin- 
gen ist.  Im  alkrgünstigsten  Falle  werden 
die  Vorzugsactien  mit  85°/0  des  Nenn- 
werthes  übernommen,  was  einem  Zuschlag 
von  15%  für  etwa  2/s  des  Baucapitales 
gleichkommt. 

»Gelingt  es  nicht,  sämmtliche  Stamm- 
actien unmittelbar  an  die  Interessenten 
abzugeben,  so  wird  der  Bauunternehmer 
seinen  Gewinn  je  nach  der  Höhe  des 
zu  übernehmenden  Stammactien-Betrages 
statt  mit  5°/0  mit  IO — 15°/0  veranschla- 
gen,    wodurch     ein    neuerlicher    Verlust 


gleich  von  Haus  aus  ä  fonds  perdu  ge- 
zeichnet. 

»Zu  dieser  Vertheuerung  der  Local- 
bahnen gesellt  sich  noch  der  Umstand, 
dass  die  massgebenden  Factoren  und 
betriebführenden  Verwaltungen  vielfach 
gezwungen  sind,  gleich  anfänglich  grössere 
Forderungen  rücksichtlich  der  Stations- 
anlagen und  Fahrbetriebsmittel  zu  stellen 
—  Investitionen,  die  erst  nach  Jahren 
durch  die  Verkehrsentwicklung  oder  etwa 
denEintrittmilitärischerEreignisse  gerecht- 
fertigt wären  —  weil  nach  Vollendung  des 
Baues  die  Mittel  für  Erweiterungen  und 
Anschaffungen  in  der  Regel  erschöpft  sind. 

»  Die  Betriebführung  erfolgt  mit  Rück- 
sicht auf  die  seitens  des  finanzirenden 
Institutes  aufzustellende  Ertragsrechnung 
zumeist  durch  die  anschliessenden  Haupt- 
bahnen auf  Grund  einer  pauschalsten 
Vergütung,  welche  wieder  so  gestellt  ist, 
dass   unter    allen  Umständen    damit    das 


Localbahnwesen. 


503 


Abb.  222.    Elbebrücke  bei  Lobositz.  [Teplitz-Reichenberger  Localbahn.] 


Auslangen  gefunden  wird.  Endlich  ver- 
schlingt die  Verwaltung  einer  Localbahn 
gewöhnlich  einen  unverhältnismässig 
hohen  Betrag. 

»Aus  dem  Vorstehenden  ergibt  sich, 
dass  heute  im  Grossen  und  Ganzen  die 
Localbahnen  unöconomisch,  theuer  ge- 
baut und  ebenso  verwaltet  werden,  und 
daher  kaum  lebensfähige  Unternehmungen 
sind. 

»Die  Erwägung  dieser  Verhältnisse 
führte  zur  Erkenntnis,  dass  Localbahnen 
nur  dann  eine  wirthschaftliche  Berechti- 
gung besitzen,  wenn  sie  bei  dem  möglichst 
geringen  Geldaufwand  die  Verkehrs- 
bedürfnisse thunlichst  befriedigen,  welches 
Ideal  wie  bei  den  öffentlichen  Strassen 
erreicht  wird,  wenn  die  Beistellung  der 
erforderlichen  Mittel  gänzlich  durch  die 
Betheiligten  erfolgt,  das  heisst,  eben  wie 
bei  den  Strassen,  nicht  nur  durch  die 
Ortsinteressenten,  sondern  auch  durch 
Land  und  Reich. 

»Das  Land  soll  nicht  mehr  wie  bisher 
den  Localbahnen  Beiträge  widmen,  für 
welche  eigentlich  kein  reeller  Gegenwerth 
eingetauscht  wird,  sondern  die  Errichtung 
von  Localbahnen,  sofern  sie  nicht  im 
Wege  der  Privatspeculation  entstehen, 
selbst  in  die  Hand  nehmen,  als 
Concessionär  und  Bauherr  auftreten,  die 
Finanzirung  unter  Ausnützung  seines 
guten  Credits  selbst  besorgen,  sich 
einen  gewissen  Einfluss  auf  die  Anlage 
wahren  und  Linien  schaffen,  welche 
allen  Anforderungen  der  Oeconomie  ent- 
sprechen.« 


Mit  dem  hier  auszugsweise  wiederge- 
gebenen Bericht  wurde  gleichzeitig  ein 
Gesetzentwurf  unterbreitet,  der  vom 
Landtage  am  18.  November  1889  ein- 
stimmig angenommen  wurde  und  am 
11.  Februar  1890  die  a.  h.  Sanction  erhielt. 

Mit  diesem  Gesetze  wurde  das  Land 
behufs  Förderung  der  Localbahnen  zur 
Aufnahme  eines  in  90  Jahren  rückzahl- 
baren Landeseisenbahn-Anlehens  im  Be- 
trage von  10,000.000  fl.  mit  dem  Zins- 
fusse  von  4°/0  und  dazu  ermächtigt, 
den  Erlös  für  die  Ausführung  von  zu- 
nächst vier,  im  allgemeinen  Landes- 
interesse gelegenen  Localbahnen  [Cilli- 
Wöllan  39-2  km,  Preding- Wieselsdorf 
11  3  km,  Pöltschach-Gonobitz  I4'8  km, 
Kapfenberg-Seebach  22-g  km]  zu  ver- 
wenden, falls  die  dabei  betheiligten  Inter- 
essenten ausser  Stande  sein  sollten,  die 
erforderlichen  Geldmittel  aufzubringen,wo- 
bei  die  Bau- und  Betriebs-Concessionen  ent- 
weder von  der  Landesvertretung  selbst  er- 
worben oder  die  von  Privat-Unternehmun- 
gen  erworbenen  Concessionen  zur  Durch- 
führung gebracht  werden  sollten.  Der  Local- 
eisenbahn-Fonds  sollte  zum  Bau  von  Local- 
bahnen nur  dann  herangezogen  werden, 
wenn  die  Interessenten  und  der  Staat  oder 
beide  zusammen  wenigstens  ein  Drittel 
des  Gesammterfordernisses  als  Beiträge 
ä  fonds  perdu,  oder  die  Uebernahme  von 
Stammactien  zum  vollen  Nennwerthe  zu- 
sicherten oder  wenn  von  denselben  auf 
Concessionsdauer  die  Verpflichtung  über- 
nommen werde,  für  den  Fall,  dass  die 
Betriebsüberschüsse  der  Localbahnen  zur 


504 


P.  F.  Kupka. 


Abb.  223.     Höllengrund  und  Helenenthal- Viaduct. 
[Teplitz-Reichenberger  Localbahn.} 


4%igen  Verzinsung  sowie  zur  Tilgungs- 
quote nicht  hinreichen,  Zuschüsse  von 
mindestens  drei  Achtel  des  Gesammt- 
erfordernisses  zu  leisten.  Die  unmittelbare 
Ueberwachung  des  Betriebes  solle  durch 
das  auf  Grund  des  Gesetzes  errichtete  Local- 
eisenbahn-  Amt,  unbeschadet  des  den  Staats- 
organen gesetz-  und  concessionsmässig 
zustehenden  Aufsichtsrechtes,  erfolgen. 
Der  Betrieb  solcher  Localbahnen  sei  in 
der  Regel  durch  die  angrenzenden  Bahn- 
verwaltungen oder  in  eigener  Regie 
zu  führen. 

Zu  den  ursprünglich  in  Aussicht  ge- 
nommenen Linien  traten  später  noch  die 
Localbahnen  Unzmarkt  -  Mauterndorf, 
Zeltweg-Wolfsberg,  Unter-Drauburg-Wöl- 
lan  und  St.  Georgen-Sauerbrunn-Landes- 
grenze. 

Das  für  Böhmen  erlassene,  am 
17.  December  1892  a.  h.  sanctionirte 
Gesetz  lehnt  sich  an  das  steirische  an, 
weicht  jedoch  insoferne  von  diesem  ab, 
als  das  Land  nur  ganz  ausnahmsweise 
als  Concessionär  oder  Bauunternehmer 
auftritt.  Nach  diesem  Gesetze  kann 
die  Ausführung  von  Eisenbahnen  niede- 
rer Ordnung  vom  Lande  gefördert 
werden,  wenn  seitens  der  Interessenten 
und  des  Staates  oder  seitens  einer 
der  beiden  Theile  Beträge  zu  dem  Bau- 
aufwande  in  der  Höhe  von  wenigstens 
25°/0  ä  fonds  perdu  oder  gegen  Ueber- 
lassung  von  Stammactien  zugesichert, 
oder    bei    unzureichenden   Betriebsergeb- 


nissen Zuschüsse  bis  3/8  des 
Gesammterfordernisses  auf 
die  Dauer  der  Concession 
geleistet  werden.  Das  Land 
kann  entweder  eine  Gewähr 
bis  zu  4°/0  für  die  Zinsen 
und  Tilgung  der  Prioritäts- 
Obligationen,  oder  ein  ver- 
zinsliches, sicherzustellendes 
Darlehen  bis  zu  höchstens 
7O°/0  des  Bauaufwandes  ge- 
ben, ferner  einen  bestimmten 
Zinsenertrag  der  Vorzugs- 
actien  zusichern,  endlich  an 
der  Uebernahme  von  Vor- 
zugs- oder  Stammactien  sich 
betheiligen.  Zu      diesem 

Zwecke  wurde  die  Aufnahme 
eines  Landes-Eisenbahnan- 
lehens  im  Betrage  von  10,000.000  fl.  ab- 
geschlossen, ferner  mit  der  Landesbank  ein 
Abkommen  getroffen,  demgemäss  diese 
Anstalt  4°/o'ge  Darlehen  gewährt,  und  im 
folgenden  Jahre  der  Eisenbahnrath  ein- 
gesetzt. 

Galizien  erachtete  schon  im  Jahre 
1893  die  Errichtung  eines  Eisenbahn- 
Bureaus  und  die  Einsetzung  eines  Eisen- 
bahnrathes  für  nothwendig  ;  gleichzeitig 
wurde  der  Landesausschuss  angewiesen, 
behufs  Unterstützung  von  Eisenbahnen 
niederer  Ordnung  ab  1894  jährlich  durch 
30  Jahre  je  300.000  fl.  im  Landesbudget 
einzusetzen.  Auf  Grund  des  am  1 7.  Juli  1 893 
a.  h.  sanctionirten  Gesetzes  können  I.  ver- 
zinsliche Darlehen,  2.  die  Uebernahme  von 
Actien  gewährt  oder  3.  die  Durchführung 
des  Baues  von  Eisenbahnen  in  eigener 
Verwaltung  des  Landes  sichergestellt 
werden,  wenn  die  Nützlichkeit  oder 
Notwendigkeit  des  Eisenbahnbaues  durch 
Beschluss  des  Landtages  anerkannt  wird, 
oder  wenn  seitens  der  interessirten 
Factoren  die  Deckung  von  mindestens  1/3 
des  Anlage-Capitals  der  betreffenden  Bahn 
durch  Beiträge  ä  fonds  perdu,  beziehungs- 
weise die  Uebernahme  von  Stammactien 
im  Nennwerthe  zugesichert  oder  1j3  der 
Jahresrenten  für  Verzinsung  und  Tilgung 
übernommen  wird.  Die  galizische  Landes- 
bank ist  zur  Vermittlung  der  Aufbringung 
der  erforderlichen  Geldmittel  berufen. 

Am  25.  December   1893   richtete  der 
Handelsminister  Graf  Wurmbrand  an  die 


Localbahnwesen. 


505 


Landesausschüsse  von  Niederösterreich, 
Oberösterreich,  Mähren,  Schlesien,  Tirol 
und  der  Bukowina  ein  Rundschreiben, 
womit  denselben  empfohlen  wird,  nach 
dem  Vorbilde  des  steirischen  Landes- 
gesetzes vom  11.  Februar  1890  die  ent- 
sprechenden Schritte  einzuleiten.  Von 
einer  Aufforderung  an  die  Länder  Salz- 
burg, Kärnten,  Krain,  Görz  und  Gradisca 
sowie  Triest  und  Istrien  wurde  Umgang 


derung  von  zehn  Localbahnen  höherer 
Ordnung.  Das  Land  hatte  bis  1894  einer 
grösseren  Anzahl  von  Localbahnen  [u.  A. 
Ottrokowitz  -  Wisowitz,  Littau  -  Polißka, 
Olbersdorf-Hotzenplotz,  Station  Auspitz- 
Stadt,  Römerstadt -Rabersdorf,  Anders- 
dorf-Bärn,  Budwitz-Jamnitz]  Unterstützun- 
gen bewilligt  und  fasste  auf  Antrag  des 
Landesausschusses  die  gesetzliche  Orga- 
nisation des  Localbahnwesens  ins  Auge. 


Abb.  224.     St.  Gilgen  und  der  Zwülferkogel.  [Localbahn  Ischl-St.  Wolfgang.] 


genommen,  da  dort  nur  eine  finanzielle 
Unterstützung  einzelner  bestimmter  Bahn- 
projecte  aus  Landesmitteln  in  Betracht 
kommen  konnte  und  die  allgemeine  Or- 
ganisation des  Localbahnwesens  voraus- 
sichtlich eine  praktische  Bedeutung  nictit 
erlangen  würde. 

Der  mährische  Landtag  ermäch- 
tigte mit  Beschluss  vom  31.  October 
1889  den  Landesausschuss,  behufs  Aus- 
führung von  zunächst  sechs  Localbahnen 
bezüglich  der  Anlagekosten  mit  den 
nächstbetheiligten  Interessenten  in  Ver- 
handlungen zu  treten  und  empfahl  der 
Regierung    die    thunlichst    kräftige    För- 


Der  1895  vorgelegte  Gesetzentwurf  sah 
ab  von  der  eventuellen  Concessions- 
werbunsr  oder  Führung  des  Baues  und 
Betriebes  durch  das  Land,  gleichwie  von 
der  Errichtung  eines  Eisenbahnamtes, 
empfahl  jedoch  die  Einsetzung  eines 
Eisenbahnrathes.  Das  am  16.  Mai  1895 
a.  h.  sanctionirte  Gesetz  gestattet: 
1.  Die  Garantirung  eines  jährlichen  Rein- 
erträgnisses behufs  4°0iger  Verzinsung 
und  Tilgung  von  Prioritäts-Obligationen 
[Eisenbahn  -  Schuldverschreibungen]  der 
Hypothekar-Darlehen.  2.  Die  Gewährung 
eines  4°/0igen  rückzahlbaren  Darlehens 
eventuell  gegen  Refundirung  in  Prioritäts- 


=;oo 


P.  F.  Kupka. 


Obligationen,    in    beiden    Fällen    bis    zu  | 
7O°/0    des    vom    Landesausschuss    aner- 
kannten    Bauaufwandes.       3.    Die     Ge- 
währung     nichtrückzahlbarer     Beiträge. 
4.  Eine  Reinertrags-Garantie. 

Niederösterreich  hatte  für  die 
Ybbsthalbahn,  Göpfritz-Gross-Sieghardts, 
später  für  Schwarzenau  -  Zwettl  und 
andere  Linien  erhebliche  Unterstützungen 
bewilligt,  wollte  aber,  bevor  es  an 
die  Landesgesetzgebung  schreite,  den 
Beschluss  des  im  Zuge  befindlichen 
Localbahn-Reichsgesetzes  abwarten.  Der 
hierauf  vorgelegte  Gesetzentwurf  wurde 
am  25.  Januar  1895,  gleichwie  das 
Organisationsstatut  für  den  Landes- 
Eisenbahnrath  zum  Beschluss  erhoben  und 
erhielt  am  28.  Mai  1895  die  a.  h.  Sanc- 
tion.  Demgemäss  bestehen  die  an  Unter- 
nehmungen zu  gewährenden  Unterstützun- 
gen 1.  in  einer  Reinertrags  -  Garantie ; 
2.  in  4°/0igen  Darlehen;  3.  der  Ueber- 
nahme  volleingezahlter  Prioritäts-  oder 
Stammactien ;  4.  in  Beiträgen  ä  fonds 
perdu  und  5.  in  der  Vornahme  tech- 
nischer und  commerzieller  Erhebungen, 
Anfertigung  von  Projecten  sowie  Durch- 
führung des  Baues  und  Uebernahme  der 
Verwaltung. 

Der  Landtag  Oberösterreichs 
verhielt  sich  gegenüber  dem  Aus- 
bau von  Localbahnen  ablehnend ;  er 
beauftragte  am  10.  Januar  1894  den 
Landesausschuss,  die  Thätigkeit  und 
Erfolge  der  Landesvertretungen  Steier- 
marks,  Böhmens  und  Galiziens  einem 
eingehenden  Studium  zu  unterziehen 
und  hierüber  in  der  nächsten  Session 
Bericht  zu  erstatten,  was  auch  geschah. 
Die  Ausschussmehrheit  sprach  sich  jedoch 
sowohl  gegen  die  Gründung  eines  Local- 
bahn-Fonds,  als  auch  gegen  die  Einsetzung 
eines  Eisenbahnrathes  aus.  Die  Vorlage 
wurde  am  14.  Februar  1895  angenommen 
und  erhielt  am  22.  Juni  1895  die  a.  h. 
Sanction. 

Obzwar  Schlesien  1894  seine  Be- 
theiligung bei  jeder  einzelnen  Localbahn 
im  Wege  der  Landesgesetzgebung  fest- 
zustellen beschlossen  hatte,  sorgte  es 
doch  für  eine  allgemeine  gesetzliche  Re- 
gelung, und  zwar  durch  das  Gesetz  vom 
5.  Februar  1895,  das  am  3.  Juni  1895  die 
a.  h.  Sanction  erhielt. 


Aehnliche  Gesetze  schufen  noch  die 
Länder  Salzburg  [12.  Mai  1895]  und 
Krain  [17.  Januar  1896].  Tirol  fand 
hiezu  keine  Veranlassung,  »da  eine 
Notwendigkeit  nicht  vorhanden  sei,  das 
Localbahnwesen  einer  gesetzlichen  Rege- 
lung zuzuführen,  bevor  nicht  die  Er- 
fahrungen in  anderen  Ländern  dafür 
sprechen;  es  reiche  vielmehr  die  Ver- 
handlung von  Fall  zu  Fall  aus«.  Die 
gleiche  Ansicht  herrschte  auch  in  Vor- 
arlberg und  beide  Länder  gewährten 
einzelnen  Linien  Unterstützungen. 

Dem  Bukowinaer  Landtag  wurde 
auf  Grund  einer  Enquete  des  Landes- 
ausschusses für  den  Ausbau  eines  Local- 
bahnnetzes  eine  Vorlage  unterbreitet 
und  diese  am  19.  Mai  1893  angenommen. 
Es  handelte  sich  dabei  um  vier  Local- 
bahnen [Luzan  -  Zaleszczyki  42-8  fem, 
Czudyn,  beziehungsweise  Radautz  in  das 
obere  Suczawathal  40  km,  von  Hliboka 
oder  Ruda  nach  Sereth  16  km,  alle  drei 
normalspurig,  und  Nepolokoutz-Wiznitz 
45  km  schmalspurig],  die  als  einheitliches 
Ganze  behandelt  wurden  und  vom  Lande 
durch  einen  io°/0igen  Beitrag  zu  den 
Baukosten,  und  zwar  durch  Uebernahme 
der  entsprechenden  Zahl  von  Stammactien 
im  Höchstbetrage  von  500.000  fl.  eine 
Unterstützung  fanden. 

Nach  diesen  Ausführungen  kehren 
wir  wieder  zur  Besprechung  der  weiteren 
Entwicklung  der  Reichs-Gesetzgebung  für 
Localbahnen  zurück. 

Am  27.  October  1894  brachte  der 
Handelsminister  Graf  Wurmbrand  im 
Hause  der  Abgeordneten  einen  Entwurf 
ein,  »womit  Bestimmungen  für  die  An- 
lage und  den  Betrieb  von  Localbahnen 
und  Kleinbahnen  getroffen  werden«. 

Für  die  Ausarbeitung  des  Entwurfes 
waren  die  auf  Grund  des  Rundschreibens 
vom  8.  Juni  1883  eingesandten  Gutachten 
des  »Vereines  zur  Förderung  des  Local- 
undStrassenbahn wesens«,  des  »Verbandes 
der  österreichischen  Localbahnen«,  ferner 
jene  vom  niederösterreichischen  und  vom 
steirischen  Landesausschusse  erstatteten 
Eingaben  [letztere  von  dem  damaligen 
Landeseisenbahn-Director  verfasst],  sowie 
andere  Vorschläge  und  die  auswärtige 
Gesetzgebung  von  hervorragendem  Ein- 
fluss. 


Localbahnwesen. 


507 


Es  erscheint  zweckdienlich,  die  An- 
träge und  Wünsche  der  einzelnen  Körper- 
schaften wenigstens  in  ihren  Grundzügen 
hier  anzuführen. 

Der  »Verband  der  österrei- 
chischen Localbahnen«  empfahl 
[Juli  1893]  jene  Bahnen,  die  nur  theil weise 
dem  öffentlichen  Verkehr,  das  ist  nur  dem 
Personen-  und  Güterverkehre  behufs  Ver- 
frachtung bestimmter  Artikel,  oder  privaten 
Zwecken  dienen,  in  »Bahnen  unterster 


ärarischen  Strassen  ward  eine  Reihe 
von  Bestimmungen  in  Vorschlag  ge- 
bracht. 

Der  »Verein  für  die  Förderung 
des  Local-  und  Strassenbahn- 
wesens«  wies  auf  die  hauptsächlichsten 
Ursachen  hin  [August  1893],  weshalb  das 
Local-  und  Strassenbahnwesen  nicht  in 
wünschenswerther  Weise  sich  entwickle. 
Die  bisher  hergestellten  Localbahnen 
seien    grösstentheils    eigentliche    Neben- 


Abb.  225.    Schneebergbahn. 


Ordnung«  [Tertiärbahnen]  zusammen- 
zufassen und  einer  abweichenden  Be- 
handlung und  besonderen  gesetzlichen 
Regelung  zu  unterziehen.  Die  Begün- 
stigungen hinsichtlich  der  Steuer-  und 
Stempelgebühren  sollten  als  jeder  Local- 
bahn  von  vorneherein  unbedingt  zu- 
gestanden, im  Gesetz  zum  Ausdruck 
gebracht  und  nicht  durch  die  Regierung 
von  Fall  zu  Fall  gewährt  werden.  Die 
Bestimmung,  dass  eine  Bahn  wann 
immer  eingelöst  werden  könne,  wirke 
lähmend  bei  ihrer  Gründung,  weshalb 
diese  Berechtigung  erst  nach  20  Jahren  in 
Kraft  zu  treten  habe.  Auch  bezüglich 
der  Benützung    der    Reichs-    und    nicht- 


bahnen,  die  nur  zum  geringsten  Theile 
den  örtlichen  Bedürfnissen  entsprängen, 
dagegen  vornehmlich  anderen  Zwecken 
zu  entsprechen  hätten,  wobei  solche  An- 
forderungen in  bau-  und  betriebstechni- 
scher Beziehung  gestellt  würden,  dass 
an  eine  angemessene  Rentabilität  nicht 
zu  denken  wäre ;  es  sei  daher  nicht  unbe- 
greiflich, dass  das  Privatcapital  den 
Localbahnen  gegenüber  sich  ablehnend 
verhalte.  In  den  massgebenden  Kreisen 
glaube  man,  Normen  zu  Gunsten  einer 
öconomischen  baulichen  Gestaltung,  der 
einfachen  Betriebsführung  und  Beweglich- 
keit der  Tarife  nicht  zugestehen  zu 
können.    Die   bisherigen  Begünstigungen 


5o8 


P.  F.  Kupka. 


für  Localbahnen  wären  nicht  verlockend 
genug,  um  sich  dem  Bau  solcher  Bahnen 
mit  Erfolg  zu  widmen.  Mit  den  Erleich- 
terungen und  Begünstigungen  solle  bis 
an  die  äusserste  Grenze  gegangen  wer- 
den, es  seien  die  Localbahnen  von  allen 
Herstellungen,  Leistungen  und  Kosten  zu 
befreien,  welche  nicht  für  die  eigenen 
Zwecke  erforderlich  und  auch  nicht  pro- 
ductiver  Natur  sind.  Die  Erwartungen 
rücksichtlich  einer  ausgedehnten  Ver- 
breitung der  Strassenbahnen  für 
den  öffentlichen  Personen-  und  Güter- 
verkehr hätten  sich  nicht  erfüllt.  Von  1880 
bis  1893  seien  nur  10$  km,  also  jährlich 
im  Durchschnitt  nur  8  km  gebaut  worden, 
davon  dienten  36  km  dem  Personen- 
und  Güterverkehr  und  69  km  blos  dem 
Personenverkehr,  letztere  wären  also  nur 
Tramways  und  keine  Localbahnen.  Es 
müssten  für  die  Benützung  der  öffentlichen 
Strassen  gesetzliche  Bestimmungen  er- 
lassen, die  Bahnen  unterster  Ordnung, 
denen  die  grösste  Freiheit  beim  Bau  und 
Betrieb  zu  gewähren  sei,  ausgeschieden 
und  auf  das  Recht  der  Einlösung  durch 
den  Staat,  sowie  das  Heimfallsrecht  ver- 
zichtet werden. 

Der  niederösterreichische 
Landesausschuss  regte  eine  gemein- 
same Besprechung  des  Ministerialerlasses 
vom  8.  Juni  1893  an,  zu  welchem  Zwecke 
Vertreter  von  Steiermark,  Böhmen,  Mähren 
und  Niederösterreich  sich  einfanden.  Hiebei 
trat  die  führende  Stellung  Steiermarks 
zu  Tage,  denn  die  trefflichen,  auf  eine 
langjährige  Erfahrung  gestützten  Aus- 
führungen des  Directors  des  steirischen 
Landes-Eisenbahnamtes  bildeten  den 
Angelpunkt  der  Erörterungen  und  brachten 
eine  Fülle  fruchtbarer  Anregungen. 

Die  Note  des  niederösterreichischen 
Landesausschusses  vom  3.  August  1893 
unterstützte  insbesondere  die  fach- 
gemässen  Ausführungen  des  steirischen 
Landesausschusses  aufs  Wärmste  und 
empfahl  weiters  mit  Rücksicht  auf  die 
fortschreitende  Entwicklung  der  Eisen- 
bahntechnik bautechnische  Bestimmungen 
in  das  Gesetz  nicht  aufzunehmen,  be- 
fürwortete die  weitestgehende  Zuwendung 
von  Begünstigungen,  sowie  Vereinfachung 
des  Enteignungsverfahrens  und  gab 
noch    der    Meinung:   Ausdruck,    dass    es 


nur  recht  und  billig  sei,  wenn  der  Staat, 
dem  durch  die  Localbahnen  ansehnliche 
Vortheile  erwachsen,  auch  an  der  Beitrags- 
leistung für  solche  Bahnen  sich  be- 
theilige. 

Der  steiermärkische  Landes- 
ausschuss glaubte,  dass  das  neue 
Gesetz  nur  dann  zur  Förderung  und 
Entwicklung  der  Bahnen  beitragen  könne, 
wenn  der  Wirkungskreis  der  Regierung 
beträchtlich  erweitert  werde  und  nicht 
die  jeweilige  Zuwendung  finanzieller  Be- 
günstigungen, ja  sogar  der  Abschluss  der 
Betriebs-Pachtverträge  der  legislativen 
Genehmigung  vorbehalten  bleibe;  das 
Zustandekommen  von  Localbahnen  sei 
häufig  durch  den  langwierigen  Weg  der 
Vorlagen  unterbunden  und  überdies  von 
der  politischen  Constellation  abhängig, 
wobei  vielfach  die  augenblickliche  günstige 
Gestaltung  des  Geldmarktes  verloren 
gehe.  Es  sollten  den  Unternehmungen 
im  Verwaltungswege  solche  Begünsti- 
gungen zugewendet  werden  können,  die 
keine  eigentliche  Belastung  des  Budgets 
darstellen.  Bei  der  technischen  Anlage 
und  dem  Betriebe  sollten  die  weitest- 
gehenden Erleichterungen  zugestanden, 
die  Mitbenützung  der  Reichsstrassen  nicht 
wie  bisher  erschwert  und  das  Tarifwesen 
in  thunlichst  einfacher  Weise  ausgestaltet 
werden,  damit  es  sich  der  geänderten 
Handelsconjunctur  rasch  anzupassen  ver- 
möge. Die  sonstigen  im  Verwaltungswege 
zu  gewährenden  finanziellen  Begünsti- 
gungen wären  zu  theilen  in  solche,  welche 
a)  unter  allen  Umständen  und  ohne  Zeit- 
beschränkung und  b)  nur  vorübergehend, 
insofern  die  eigenen  Erträgnisse  nicht 
ausreichen,  bewilligt  werden.  Das  staat- 
liche Peageverhältnis  dürfe  den  Local- 
bahnen gegenüber  nicht  zu  Concurrenz- 
zwecken  ausgenützt  werden,  endlich  sei 
die  Ausgabe  von  Prioritäten  unter  ge- 
wissen Bedingungen  zu  gestatten. 

Das  Handelsministerium  fasste  das 
Ergebnis  seiner  Umfrage  in  nachstehende 
Sätze  zusammen : 

1.  »Der  in  der  österreichischen  Local- 
bahn-Gesetzgebung  von  Anbeginn  fest- 
gehaltene Grundsatz  der  Allgemeinheit 
der  für  Localbahnen  geltenden  Normen 
und  ihrer  Anpassungsfähigkeit  an  die 
besonderen    Fälle    hat   sich    vollauf   be- 


Localbahnwesen. 


509 


währt  und  wäre  derselbe  daher  auch  in 
dem  neu  zu  erlassenden  Gesetze  aufrecht 
zu  erhalten. 

2.  Es  erscheint  wünschenswerth,  dass 
künftighin  bei  der  administrativen  Be- 
handlung projectirter  oder  schon  im 
Betriebe  stehender  Localbahnen  eine 
schärfere  Individualisirung  und  die  weitest- 
gehende Vereinfachung,  insbesondere  im 
Sinne  der  Einschränkung  der  bau-  und 
betriebstechnischen  Anforderungen  auf 
das  geringste,  nach  den  concreten  Ver- 
kehrsverhältnissen zulässige  Mass,  platz- 
greife, weshalb  es  sich  empfiehlt,  das  Lo- 
calbahnwesen 
vom  Haupt- 
bahnwesen 
grundsätzlich 
zu  trennen  und 
für  ersteres 
einen  selbstän- 
digenOrganis- 
mus  im  Rah- 
men der  Auf- 
sichtsbehörden 
zu  schaffen. 

3.  Das  an- 
gestrebte Ziel 
der     baldigen 

intensiven 
Vervollkomm- 
nung des  hei- 
mischen Lo- 
calbahnwesens  kann  aber  nur  dann  er- 
reicht werden,  wenn  der  Staat  sowie 
die  Länder  und  sonstigen  autonomen 
Körperschaften  sich  zur  Uebernahme 
von  finanziellen  Risken  und  Opfern 
entschliessen,  welche  das  bisher  übliche 
Ausmass  beträchtlich  übersteigen  und 
wenn  zugleich  das  durch  die  legisla- 
tive Behandlung  erschwerte  Verfahren 
bei  Erwirkung  staatlicher  Beihilfen  durch 
eine  angemessene  Erweiterung  des  admi- 
nistrativen Wirkungskreises  der  Regie- 
rung thunlichst  vereinfacht  und  be- 
schleunigt wird.« 

Laut  dem  vom  Handelsminister  Graf 
Wurmbrand  am  27.  October  1894  ein- 
gebrachten Entwürfe  »für  die  Anlage  und 
den  Betrieb  von  Local-  und  Kleinbahnen« 
sollte  das  beantragte  Reichsgesetz  gemäss 
den  Schlussbestimmungen  unter  gleich- 
zeitiger Ausserkraftsetzung   des  Gesetzes 


Abb.  226.    Etschbrücke  der  Localbahn  Bozen-Kaltern. 


vom  27.  December  1893,  mit  1.  Januar 
1895  in  Kraft  treten.  Von  einer  Beschrän- 
kung der  Dauer  des  Gesetzes  ward  mit 
Rücksicht  auf  die  geplante  dauernde 
Regelung  der  in  demselben  behan- 
delten Fragen  Umgang  genommen. 

Die  Vorlage  selbst  zerfällt  in  drei  Ab- 
schnitte, und  zwar :  A.  Localbahnen 
[Artikel  I — XV],  deren  Begriff  ebenso- 
wenig wie  früher  definirt  wird,  B.  Klein- 
bahnen [Tertiärbahnen]  [Artikel  XVI 
bis  XXI],  das  sind  »jene  für  den  öffent- 
lichen Verkehr  bestimmten  Localbahnen 
von     ganz     untergeordneter     Bedeutung 

[normal-  oder 
schmalspurige 
Zweigbahnen, 
Strassenbah- 
nenmitDampf- 
oder  elektri- 
schem Betrie- 
be, anderen 
mechanischen 
Motoren  oder 
animalischer 
Kraft,  Seilbah- 
nen u.  s.  w.], 
welche     ohne 

Verbindung 
mit  einer  Ei- 
senbahn höhe- 
rer Ordnung 
oder  lediglich 
mit  einseitigem  Anschlüsse  an  eine  solche 
Eisenbahn  ausschliesslich  den  örtlichen 
Verkehr  in  einer  Gemeinde  oder  zwischen 
benachbarten  Gemeinden  vermitteln  .  .«  ; 
endlich  C.  Schlussbestimmungen 
[Artikel  XXII  bis  XXIV]. 

Der  Entwurf  gelangte  mit  geringen 
Aenderungen  im  Abgeordnetenhause  am 
12.  December,  im  Herrenhause  am 
21.  December  zur  Annahme  und  erhielt 
durch  die  a.  h.  Sanction  am  31.  Decem- 
ber 1894   Gesetzeskraft.*) 

Die  Regierung  war  ernstlich  bestrebt, 
mit  diesem  Gesetze  nicht  nur  weitgehen- 
den Wünschen  der  Bevölkerung  nach- 
zukommen und  für  eine  grosse  Zahl 
schwieriger  Fragen  die  Lösung  zu  rinden, 


*)  Näheres  über  die  Bestimmungen  dieses 
Gesetzes  siehe  Bd.  IV,  Dr.  V.  Roll  »Ueber 
die  Entwicklung  der  Eisenbahn-Gesetzgebung 
in  Oesterreich«. 


5io 


P.  F.  Kupka. 


sondern  auch  einen  kräftigen  Anstoss 
zur  rascheren  Entwicklung  des  als  äusserst 
wichtig  anerkannten  Localbahnwesens 
zu  geben. 

Mögen    die    Erfolge     die    verdienst- 
lichen Bemühungen  vollauf  lohnen ! 


Verzeichnis 

der  auf  Grund  des  Gesetzes  vom  25.  Mai 
1880,  R.-G.-Bl.  Nr.  56,  betreffend  die  Zuge- 
ständnisse und  Begünstigungen  für  Local- 
bahnen  sowie  der  späteren  einschlägigen 
Gesetze  concessionirten  Localbahnen. 


Im  Jahre  1880. 

1.  Hullein-Kremsier 6'l 

2.  Linz-Kremsmünster 355 

3.  Kaschitz-Schönhof 4-1 

4   Peeek-Zasmuk  mit  Abzweigungen 

«^Bosic-KaufimundöjBosic-Karls- 

thal       249 

5.  Smidar-Hochwessely 7-8 

6    Chodau-Neudeck       ......  137 

7.  Zauchtl-Neutitschein     .     .     .     .     .  §'4 

zusammen    .     .  1005 


Im  Jahre  1881. 

8.  Königgrätz-Wostromöf  mit  Ab- 
zweigung Sadowa-Smifitz    .     .     .  44-7 

9.  Nimburg-Jicin  und  Abzweigungen 
a)  Kfinec-Königstadtl  und  b)  Ko- 
pidlno-Libau 569 

10   Nezvestic-Miröschau 19  4 

11.  Nusle-Modian 126 

12.  Stauding-Stramberg 186 

13.  Caslau-Mocovic 4-4 

14.  Vöklabruck-Kammer 85 

15.  Königshan-Schatzlar  sammt  Ab- 
zweigung vonLampersdorf-Kohlen- 
schächten 7-0 

16.  Kremsier-Zborowitz i6"5 

17.  Chotzen-Leitomischl 220 

18.  Preloue  -  Hefmanmestetz  -  Kalk- 
Podol  und  Abzweigung  nach  Pra- 
chowitz 212 

19.  Poiican-Sadska 6'2 

20.  Kralup-Welwarn 98 

21.  Lobositz-Libochowitz 13-8 

22.  Olmütz-Cellechowitz 35  9 

23.  Ungarisch  Hradisch  -  Ungarisch 
Brod 2T0 

24.  Zlonitz-Hospozin 8'0 

25.  Potscherad-Wurzmes 17-2 

26.  Brandeis  a.  E.-Celakowitz-Mochow  I2'l 

27.  Jaroslau-Sokal I40'3 

zusammen     .     .  5021 


Im  Jahre   1882. 

28.  Sedletz  -  Kuttenberg  -  Kuttenberg 
Stadt 28 

29.  Hullein-Holleschau-Bistritz   a.    H.  18-8 

30.  Schönhof-Radonitz 119 

31.  Libau  -  Bakov  mit  Abzweigung 
Detenitz-Dobrowitz 47-5 

32.  Krupa-Kolleschowitz 123 

33.  Schwechat-Mannersdorf  ....  287 

34.  Liesing-Kaltenleutgeben  ....  67 

35.  Pohl  [Weisskirchenj-Wsetin  sammt 
Abzweigung  a)  zur  Glasfabrik  in 
Krasna  und  b)  Krasna-Roznau     .  58-1 

36.  Hietzing-Perchtoldsdorf    ....  io-3 

37.  Bisenz-Gaya 17-0 

38.  Wittmannsdorf-Ebenfurth     .     .     .  15-2 

39.  Mödling-Vorderbrühl-Hinterbrühl  4-5 

40.  Kremsmünster-Michldorf      .     .     .  2 10 

41.  Klostergrab-Mulde 160 

42.  Segen  Gottes-Okfiäko  mit  Abzwei- 
gung Studenetz-Gross-Meseritsch  73-4 

zusammen     .     .  344'2 


Im  Jahre  1883. 

43.  Bistritz    am   Hostein-Wallachisch- 
Meseritsch 270 

44.  Wiener  Gürtelbahn    [Project  Fo- 
gerty,  Concession  erloschen]     .     .      28'0 

45.  Dolyna-Wygoda  .......        8'2 

46.  Minkowitz  -  Swolenowes,  Sadska- 
Nimburg  mit  Abzweigung  Schwarz- 
bach-Littau  und  Verbindungslinie 
Nimburg-Velelib 2TI 

47.  Böhmisch  Leipa-Niemes  [183]  mit 
Flügel  Reichstadt-Neu-Reichstadt      21-3 

48.  Czernowitz-Nowosielitza-Russische 
Grenze 3I"4 

49.  Swolenowes-Smecna 10*3 

zusammen     .     .     1473 


Im  Jahre   1 


50.  Brünn-Tischnowitz  und  Rudels- 
dorf-Landskron 32-1 

51.  Elbogen-Giesshübl   [nicht  gebaut]  28-0 

52.  Wien-Stammersdorf  .  .  1067 
Floridsdorf-Gross-Enzersdorf  14-90  25'6 

53.  St.  Pölten-Tulln 46- 1 

54.  Spielfeld-Radkersburg       ....  3f0 

55.  Fehring-Fürstenfeld 2l-o 

56.  Asch- Rossbach I5'0 

57.  Budweis-Salnau I7'5 

58.  Schimitzf- Brunn] -Vlarapass  mit 
Abzweigungen  a)  Nemotiz-Korit- 
schan  und  b)  [nicht  gebaut] 
Wessely-Strassnitz       .     .     .     ■     ■  I5Q'5 

zusammen     .     .  4208 


Localbahnwesen. 


511 


62. 
63- 


64. 
65. 


Im  Jahre  1885. 

59.  Wien-Wiener-Neudorf      ....       126 

60.  Hannsdorf-Ziegenhals 559 

61.  Salzburg  -  St.  Leonhard  -  Reichs- 
grenze             I3'2 

Böhmisch    Kamnitz-Steinschönau        4-5 
Hatna-Kimpolung  ....     67-53 
und  Hliboka-Berhometh  a/S     52-92 
mit  Abzweigungen: 

a)  Karapczina. S.-Czudyn     1884 

b)  Hadikfalva-Radautz  .        813     147-4 

Wels-Aschbach 203 

Kofomea-Stoboda  rungurska    251 
sammt  Abzweigungen  : 

a)  Nadwordnaer  Vorstadt- 
Kniazdwör 7'l 

b)  Pruthübersetzung-Tablo- 

nöw  [nicht  gebaut]    .    .    I5'5     47  7 
66.  Röhrsdorf-Zwickau   .     .     .     .     .     .        4-8 

zusammen     .     .    3064 


Im  Jahre  1886. 

67.  Enzersdorf    bei    Staatz-Pois- 

dorf 9-4 

und  Jensovic-Luzec  ....    32  126 

68   Lemberg-Belzec  [Tomaszöw]    .     .  884 

69.  Gaisberg  Zahnradbahn     ....  5-3 

70.  Perchtoldsdorf-Mödling    ....  33 

71.  Bielitz-Kalwarya 57-3 

72.  Linz-Urfahr-Aigen[MühlkreisbahnJ  578 

73.  Prossnitz-Triebitz  mit  Flügel  Kor- 

nitz  Opatowitz 88-1 

74.  Reichenberg-Gablonz 130 

75.  Unter-Rohr-Bad  Hall 4-2 

76.  Herzogenburg-Krems  und  Haders- 
dorf-Sigmundsherberg       ....      633 

77.  Zasmuk  -  Gross  -  Becvär  sammt 
Schleppbahn  zur  Zuckerfabrik 
Becvär 40 

78.  Dembica -Nadbrzezie  mit  Abzwei- 
gung nach  Rozwadöw      ....     107-1 

79.  Hietzing-Ober  St.  Veit      ....        2-4 

80.  Marienbad-Karlsbad  mit  Flügel 
Schönwehr-Elbogen  [Concession 
erloschen  erklärt] 705 

81.  Steinbauergasse-Central  viehmarkt 
[nicht  gebaut] 60 

82.  Wiener-Neudorf-Guntramsdorf     .         4-6 

83.  Wien-Inzersdorf  a.  W.  Berg  [nicht 
gebaut] 3-6 

zusammen     .     .     591  5 


Im  Jahre   1887. 
Keine  Concession  ertheilt. 


Im  Jahre   1888. 

84.  Steyr  [Garsten]-Unter- Grünburg 
mit  Fortsetzung  bis  Klaus  [aus- 
gebaut bis  Agonitz,  322  km]    .     .      41-0 


Drösing-Zistersdorf  .  .  .  .  II'3 
Göding-Tabakfabrik  ...  1-4 
Rohatetz-Strassnitz  .  .  .  .116 
Hotzendorf-Neutitschein  .  io-I 
und  Golleschau-Ustron     .     .      5-4       398 

Gleisdorf-Weiz 14-6 

Michldorf-Klaus 9-0 

Eisenerz-Vordernberg 19-5 

Kosteletz-Czellechowitz    ....        2-7 

90.  Jenbach-Achensee 6-4 

91.  Station     Lemberg-Kleparöw-Lem- 

berg  sammt  Zweiglinien  ....       17-5 

92.  Verbindungsbahn  Schimitz-Brünn        20 


86 

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88 
89 


zusammen 


152-5 


Im  Jahre   1889. 


93.  Laibach-Stein 23-1 

94.  GrossPriesen-Wernstadt  mit  Ab- 
zweigung nach  Auscha 

95.  Stauding-Wagstadt  .     . 

96.  Innsbruck-Hall  i.  T. 

97.  Mori-Arco-Riva     .     .     . 

98.  Cilli-Wöllan 


24-4 
75 

I2-I 
24'5 

37'5 


zusammen     .     .     129- 1 

Im  Jahre   1890. 

99.  Ischl-Salzburg 63-9 

nebst  Abzweigung  a)  Mond- 
see-Steindorf [nicht  gebaut] 
und  b)  Zahnradbahn  auf  den 
Schafberg 5-7 

100.  Schwarzenau-Waidhofen  a.  Th.    . 

101.  Radkersburg-Luttenberg  .... 

102.  Zauchtl-Bautsch    ....     38831 

Zauchtl-Fulnek 9'448 

Troppau-Bennisch     .     .     .     29-660 

103.  Fürstenfeld-Hartberg    sammt  Ab- 
zweigung nach  Neudau    .... 

104.  a)  Hoi-an     [Pofican]-Mochov    12-3 
und    b)  Brandeis    a.  d.   Elbe 
-Neratowitz    [Concession  er- 
loschen]     112 

105.  Steyr  [Pergern]-Bad  Hall     .     .     . 

zusammen    .     .     257-9 

Im  Jahre   1891. 

106.  Unterkrainer  Bahnen 1326 

Im  Jahre   1892. 

107.  Wels-Unter-Rohr 24-9 

108.  Strakonitz- Winterberg 32-7 

109.  Wodnian-Prachatitz 274 

110.  Pöltschach-Gonobitz 14-9 

in.  Wieseldorf-Stainz 11-5 

112.  Baden- Vöslau 50 

113.  Castolowitz-Sollnitz  [Kwasnay]     .  153 

114.  Kapfenberg-Seebach  [Au]     .     .     .  230 

115.  Salzburg-Parsch 17 

116.  Tlumacz-Palahicze-Tlumacz.     .     .  67 

zusammen    .     .     1631 


696 

7-2 

254 


77-9 

387 


235 

15-6 


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P.  F.  Kupka. 


117 
118, 
119 
120 
121 


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66 

76  3 
166 
166 

25-3 
305 
119 


Im  Jahre   1893 

Belvedere-Bubenö  .  . 
Morchenstern-Josefsthal 
U  nzmarkt-M  auterndorf 
Wotic-Selcan  .... 
Monfalcone-Cervignano 

122.  Deutschbrod-Humpoletz 

123.  Arnoldstein-Hermagor  . 

124.  Plan-Tachau     .... 

zusammen    .     .     1852 

Im  Jahre   1894. 

125.  Ostgalizische  Localbahnen  .     .     .  I97-5 

126.  Göpfritz-Gross-Siegharts      ...  83 

127.  Trient-Tezze  [Valsuganabahn] .     .  65' 1 

128.  Station  Auspitz-Stadt  Auspitz      .  6  8 

129.  Welchau  -  Wikwitz  -  Giesshübel- 
Puchstein 80 

130.  Pfivoz-Mähr.-Ostrau 6-I 

131.  Station  Gmunden-Stadt  Gmunden  26 

132.  Localbahnlinien  der  Wiener  Stadt- 
bahn: 

a)  Wienthallinie 109 

b)  Donaucanallinie  ....      5*2 

c)  Verbindungscurve  ...      12  173 

133.  Branowitz-Pohrlitz  und  Rohrbach- 
Seelowitz-Seelowitz  Stadt    .     .     .  II 7 

134.  Nakfi-Netolitz-Netolitz  Stadt    .     .  132 

135.  Mähr.-Budwitz-Jamnitz     ....      207 
136   Zwittau-Policka     .......       192 

137.  Postelberg-Laun 106 

138.  Schwarzenau-Zwettl      .         ...  21-3 

139.  Waidhofen   a.  d.   Ybbs-Kienberg- 
Gaming  [Ybbsthalbahn]    ....  706 

140.  Beneschau-Wlaschim 22  6 

141.  Neuhaus-Neubystritz 308 


zusammen    .     . 

Im  Jahre  1895. 

142.  Salzburg-Lamprechthausen   .     .     . 

143.  Kojetein-Tobitschau 

144.  Teplitz-Eichwald  ....         .     . 

145.  Modfan-Oerean    mit    Abzweigung 
Mechenic-Dobris 

146.  Prag-Vyso<5an  mit  Abzweigung  zum 
Liebener  Schlosse 

147.  Lemberg-Janöw 

148.  Bielitz-Zigeunerwald 

149.  Rakonitz-Pladen-Petschau  mit  Ab- 
zweigung Proti  vitz  [Luditz-Buchau] 

150.  Stramberg-Warnsdorf 

151.  Graz-Fölhng  . 

152.  Schlackenwörth-Joachimsthal     .     . 

153.  Wr.  Neustadt-Schneeberg  mit  Ab- 
zweigung nach  Wöllersdorf     .     . 

154.  Bukowinaer    Landesbahnen 

a)  Luzan-Zaleszczyki  .     .     .    43'° 

b)  Hhboka-Sereth    ....    14  2 

c)  Radautz-Frassin  ....    427 

d)  Nepolokoutz-Wifcnitz       .    446 

e)  Itzkany-Suczawa     .     .     .      5'0 

155.  Wodnian-Sloldauthein       .... 

156.  Karlsbad-Reichsgrenze a^Karlsbad- 
Xeurohlau  und  b)  Neudeck-Grenze 


531-9 


26- 1 
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706 

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1495 

22-2 
369 


zusammen 


51  f6 


Im  Jahre   1896. 

157.  Melnik-Mäeno  mit  Abzweigung 
a)  Lhotka-Stfedenitz  und  6,)  Melnik- 
Elbe 305 

158.  RoveretoRavazzone 46 

159.  Borki  wielkie-Grzymalöw     .     .    .  31-0 

160.  Mseno-Unter-Cetno 15  2 

161.  Zell  am  See-Krimml  [Pinzgauer 
Localbahnj 530 

162.  Teplitz  [Settenz]-Reichenberg  .     .  1280 

163.  Kleinbahnen  in  Pilsen 103 

164.  St.  Pölten-Kirchberg  a.  d.  Pielach  312 

165.  Kleinbahnen  in  Czernowitz .     .     .  67 

166.  Petrowitz-Karwin io-o 

167.  Saitz-Göding 38  o 

mitAbzweigungnachDubnian    40  420 

168.  Prag  [Smichow]-Kosir 28 

169.  Strakonitz-Bfeznitz 497 

170.  Neuhof-Weseritz 243 

171.  Lupköw-Cisna 271 

172.  Kleinbahn  in  Reichenberg        .     .  3-4 

zusammen    .     .  4698 


Die  nachstehenden  Tabellen  geben 
ein  Bild  der  Entwicklung  des  österrei- 
chischen Localbahnwesens.  Aus  der  Zu- 
sammenstellung auf  Seite  513  ist  zu 
ersehen,  in  welcher  Weise  sich  dessen 
Ausgestaltung  in  den  einzelnen  Kron- 
ländern von  Jahr  zu  Jahr  vollzogen  hat. 
Die  Zusammenstellung  auf  Seite  514 
zeigt,  wie  sich  die  Eigenthumsverhältnisse 
der  Localbahnen  in  den  einzelnen  Kron- 
ländern Ende  1896  gestalteten.  Es  ergibt 
sich  die  Thatsache,  dass  zu  dieser  Zeit 
von  3785.1  \\km  Localbahnen,  689.496 km 
Staatseigenthum  und  3095.618  km  Privat- 
eigenthum  waren. 

Von  dem  auf  44,708.000  bezifferten 
Gesellschafts-Capital  jener  Privat-Local- 
bahnen,  bei  denen  eine  Betheiligung 
seitens  des  Staates,  des  Landes  oder 
seitens  anderer  Interessenten  stattfand, 
erscheint  mehr  als  die  Hälfte,  und  zwar 
25,015.900  durch  diese  Factoren  aufge- 
bracht. Der  Staat  allein  hat  zu  diesen 
Localbahnen  7,905.000  fl.  beigetragen, 
die  Landesfonds  3,246.300  fl.  und  andere 
Interessenten   13,864.600  fl. 

Ueber  die  allmähliche  Entwicklung  der 
österreichischen  Localbahnen,  sowie  über 
ihre  Vertheilung  je  nachdem  sie  im  Staats- 
oder Privatbetriebe  stehen,  gibt  die  Zu- 
sammenstellung auf  Seite  515  entspre- 
chenden Aufschluss. 


Localbahnwesen. 


513 


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Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


33 


514 


P.  F.  Kupka. 


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Localbahnwesen. 


515 


Auf  Grund  der  Localbahn- Gesetze  vom  25.  Mai  1880,  17.  Juni  1887   und 
ßi.  December  i8g4  gebaute  Localbahnen  [km]. 


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187786 

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1883 

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1884 

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330-643 

518046 

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1885 

306-4 

165- 167 

1069-237 

136-508 

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— 

416  281 

516448 

932  729 

1886 

5915 

294-388 

1363-625 

157067 

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685139 

1206-558 

1887 

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342  550 

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2479-897 

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546-535 

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189 1 

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2772-483 

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670645 

1858-200 

1892 

1631 

108  166 

2880649 

929-700 

277-287 

1206-987 

— 

976.587 

697075 

1673662 

1893 

185-2 

224504 

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1065-767 

296785 

1362552 

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998-343 

969694 

1977-986 

•)  Darunter  die  in  Preussen 

gelegen 

5  Theilstr 

ecke  der 

Localbahn  Hannsdorf- 

Ziegenhals  mit  4753  km. 

Technischer  Charakter  der  österreichischen 
Localbahnen. 


Wie  auf  seinen  Hauptbahnen,  hat 
Oesterreich  auch  auf  den  Linien,  die  als 
Localbahnen  zustande  kamen,  in  techni- 
scher Beziehung  Hervorragendes  geleistet. 
Auch  hier  stellte  in  vielfacher  Beziehung 
die  Bodenbeschaffenheit  dem  Ingenieur 
die  Aufgabe,  in  schwierigem  Gelände  zu 
bauen  und  obzwar  mit  Rücksicht  auf  den 
Kostenpunkt  die  Anlage  bedeutender 
Kunstbauten  bei  Nebenbahnen  im  Inter- 
esse ihrer  Rentabilität  vermieden  werden 
soll,  infolge  der  besonderen  Verhältnisse 
mancher      österreichischer     Localbahnen 


Kunstbauten  aufzuführen,  die  in  techni- 
scher Beziehung  ohneweiters  mit  jenen  der 
Hauptbahnen  in  Wettbewerb  treten  können. 

Es  würde  zu  weit  führen,  alle  bedeu- 
tenderen Bauwerke,  die  Oesterreichs 
Localbahnen  insbesondere  in  den  Gebirgs- 
strecken  aufweisen,  aufzuzählen,  oder  gar 
im  Bilde  zu  geben,  weshalb  im  Nach- 
folgenden nur  einige  der  bemerkens- 
wertheren  Localbahnen  in  aller  Kürze 
besprochen  werden  mögen. 

Nicht  ihrer  technischen  Bedeutung 
wegen,     sondern    vielmehr    um    Anlagen 

33* 


5i6 


P.  F.  Kupka. 


einer  der  älteren  österreichischen  Local- 
bahnen  darzustellen,  haben  Abbildungen 
der  Wien-Aspang-Bahn,  die  als  normal- 
spurige  Localbahn  am  28.  November  1877 
der  »Societe  beige  des  chemins  de  fer« 
concessionirt  wurde  und  am  7 .  August  1 88 1 
von  Wien  bis  Pitten,  am  28.  October  bis 
Aspang  dem  Verkehr  übergeben  wurde, 
Aufnahme  gefunden.  [Vgl.  Abb.  199 
und  200.] 

In  technischer  Hinsicht  bemerkens- 
werther  ist  die  auf  Staatskosten  erbaute 
und  am  4.  October  1879  eröffnete  Secundär- 
bahn  von  Unter-Drauburg  nach 
Wolfsberg  [Lavantthalbahn]  37-9  km. 
[Abb.  201  bis  204.] 

Sie  zweigt  von  der  Pusterthallinie  der 
Südbahn  bei  Unter-Drauburg  ab  und  führt 
nordwestlich  in  der  Richtung  nach  Wolfs- 
berg. Ihre  grösste  Steigung  beträgt 
1 1  -4°/o,  der  kleinste  Krümmungshalbmesser 
130  m.  Ausser  der  Uebersetzung  des 
Miesbaches  und  der  Drau  und  dreimaliger 
Ueberbrückung  des  Lavantflusses  waren 
schwierige  Bahnbauten  durchzuführen. 
Bei  den  abgebildeten  Lavantbrücken  ge- 
langten Schwedler- Träger  zur  Anwendung. 
Die  Brücke  über  die  Drau  mit  80  m  Licht- 
weite hat  Parallelträger  und  dient  sowohl 
der  Eisenbahn  als  auch  dem  Strassen- 
fuhrwerke  auf  derselben  Fahrbahn. 

Durch  Brücken  mit  bedeutenden 
Spannweiten  sind  die  Localbahnen  Segen- 
Gottes,  Okfiäko  [Chvoinitza-Viaduct  bei 
Rappotitz  und  Trebitscher  Viaduct  über 
das  Startscher  Thal,  vgl.  Bd.  II,  Seite  300 
und  Abb.  161  des  gleichen  Bandes], 
Hadersdorf-Sigmundsherberg  [Kampffluss- 
brücke eine  Oeffhung  ä  70-6  m],  Postelberg- 
Laun  [Egerbrücke],  Budweis-Salnau  [Mol- 
daubrücke mit  zwei  Oeffnungen  ä  50  m] 
und  Radkersburg-Luttenberg  [Murbrücke 
mit  zwei  Oeffnungen  ä  55  m  Lichtweite 
Halbparabelträger]  bemerkenswerth. 

Die  technisch  interessanteste  Local- 
bahn Oesterreichs  ist  unstreitig  die  Erzberg- 
bahn von  Eisenerz  nach  Vorder n- 
berg  [i9-9  km].  Am  10.  October  1888 
der  Alpinen  Montan-Gesellschaft  con- 
cessionirt, stellt  sie  die  kürzeste  Verbin- 
dung zwischen  Oberösterreich  und  Böhmen 
einerseits  und  Steiermark  andererseits  her, 
indem  sie  die  Station  Eisenerz  [69 r6  m 
Seehöhe]  der  Flügelbahn  Hieflau-Eisenerz 


über  den  Erzberg  und  Prebichl  mit  Vor- 
dernberg  [7Ö7-9  in  Seehöhe]  verknüpft.  *) 
Als  normalspurige  Adhäsions-  und  Zahn- 
radbahn nach  dem  System  Abt  erbaut, 
war  sie  die  erste  Bahn  dieses  Systems 
in  Oesterreich.  **)  Die  Maximalsteigung 
beträgt  7i°,'00,  die  Radien  sind  zumeist 
mit  200  m  angelegt. 

In  Eisenerz  beginnend,  geht  die 
Linie  durch  das  Krumpen thal  als  Ad- 
häsionsbahn. Hinter  der  gleichnamigen 
Verladestelle  beginnt  jedoch  die  starke 
Steigung  und  das  Zahnrad  tritt  in  Wirk- 
samkeit, bis  die  Station  Erzberg  [1070»« 
Seehöhe]  erreicht  ist.  Dort  tritt  die  Bahn 
in  den  1393  m  langen  Platten  -  Tunnel, 
den  sie  als  Adhäsionsbahn  durchzieht ; 
beim  nördlichen  Tunnelportal  greift  das 
Zahnrad  wieder  ein  bis  zum  kurzen 
Prebichl-Tunnel,  den  die  Trace  abermals 
als  Adhäsionsbahn  passirt  und  an  dessen 
Ende  die  Station  Prebichl  liegt.  Von 
Prebichl  ab  bis  Vordernberg  gelangt  in 
massigem  Gefälle  durchaus  die  Zahnstange 
zur  Anwendung,  mit  Ausnahme  eines 
kurzen  Stückes  bei  Vordernberg,  wo  die 
Linie  nur  als  Adhäsionsbahn  ange- 
legt ist. 

Die  bemerkenswerthesten  Objecte 
der  Bahn  sind:  Gleich  hinter  der 
Station  Eisenerz  beim  historischen  Schicht- 
thurm  des  Marktes  Eisenerz  derSchicht- 
thurm-Tunnel,  143  m  lang,  der  den 
vorspringenden  Berghang  gerade  unter 
dem  Schichtthurm  durchfährt.  Hinter  der 
Verladestelle  Krumpenthal,  wo  die  Bahn 
im  scharfen  Anstiege  ist,  wird  der  245  m 
lange  Klamm  wald-Tunnel  durch- 
fahren, unmittelbar  darnach  der  eng  ein- 
geschnittene Ramsaugraben  auf  dem  stei- 
nernen, IOO  m  langen  Ramsaubahn- 
Viaduct  mit  acht  Bogenöffnungen,  3 1  m 
über  der  Thalsohle  übersetzt  [Abb.  205] ; 
dann  folgen  der  Kressenberg-Tunnel, 
150  vi  lang,  beim  Franzosenbühel,  hier- 
auf einige  tiefe  Einschnitte  und  mehrere 


*)  Ueber  die  Geschichte  der  Erzbergbahn 
vgl.  Bd.  I,  2.  Theil,  Geschichte  der  Eisen- 
bahnen Oesterreichs  etc.  von  J.  Konta, 
S.  401  u.  ff. 

**)  Die  früher  gebauten  Zahnradbahnen 
waren  nach  dem  System  Riggenbach  ein- 
gerichtet. [Vgl.  hierüber  den  Abschnitt  »Klein- 
bahnen« von  F.  R.  Engel.] 


Localbahnwesen. 


517 


hohe  Anschüttungen,  der  Sauerbrunn- 
graben -  V  i  a  d  u  c  t,  20  m  hoch,  gleich- 
falls mit  acht  Oeffnungen,  und  der 
117  m  lange,  31  m  hohe  Weiritz- 
graben-Viaduct  mit  10  Bogenöffnun- 
gen.  Die  Bahn  hat  inzwischen  eine  Kehre 
vollführt  und  bei  der  Station  Erzberg 
eine  absolute  Höhe  von  379  in  über- 
wunden. 

Unmittelbar  hinter  der  Station  Erzberg 
tritt  die  Bahn  in  ihren  längsten  Tunnel, 
den  Platten-Tunnel,  ein,  steigt  jen- 
seits des  Tunnels  im  Feistergraben  wieder 
beträchtlich,  übersetzt  den  Hochdruck- 
graben auf  dem  108  in  langen,  32  m 
hohen  achtbogigen  Hochdruckgrabe  n- 
V i a d u c t,  dem  folgt  der  Weinzettel- 
graben-Viaduct,  mit  sechs  Bogen- 
öffnungen  7  2  m  lang,  der  den  gleichnamigen 
Graben  und  die  Prebichler  Reichsstrasse 
überbrückt.  Alsbald  tritt  die  Bahn  in  den 
590  m  langen  Prebichl-Tunnel  ein 
und  erreicht  inmitten  desselben  den  Scheitel- 
punkt der  Bahn  in  1204  in  Seehöhe.  Ab- 
wärts gegen  Vordernberg  zu  wären  her- 
vorzuheben der  fünfbogige  Rötzgraben- 
V i a d u c  t,  ferner  der  Rebenburghof- 
Viaduct  mit  sechs  und  der  Vordern- 
bergerbach-Viaduct  mit  vier  Oeff- 
nungen, der  die  Reichsstrasse  noch  ein- 
mal zum  dritten  Male  überbrückt  [Abb. 
205—209]. 

Die  Bahn  wurde  am  15.  September 
1891  dem  Betriebe  übergeben.  Zur  Ver- 
wendung gelangen  combinirte  Abt'sche 
Locomotiven  [Abb.  210],  welche  äusser- 
lich  den  gewöhnlichen  Adhäsionsmaschi- 
nen mit  aussenliegenden  Dampfcylindern 
gleichen.  Zwischen  den  Rahmen  ist  aber 
ein  zweites  Cylinderpaar  angeordnet,  das 
ohne  Vorgelege,  also  unmittelbar  mittels 
Kreuzkopf  und  Querstange,  zwei  unter- 
einander gekuppelte  Zahnradachsen  in  Be- 
wegung setzt.  Die  Adhäsionsmaschine 
arbeitet  ununterbrochen  an  jeder  Stelle 
der  Bahn,  während  der  Zahnradmecha- 
nismus eingestellt  wird,  sobald  die  Zahn- 
stange aufhört. 

Versuche  lehrten,  dass  eine  solche 
Maschine  eine  Nettolast  von  99-2  t  und 
ein  Rohgewicht  von  150  t  zu  befördern 
im  Stande  ist. 

Reichenberg-Gablonz-Tann- 
wald,    concessionirt    2.    Juli    1886    und 


15.  März  1893,  ist  eine  Gebirgsbahn  im 
wahrsten  Sinne  des  Wortes,  hier  wech- 
seln tiefe  Einschnitte  mit  hohen  Dämmen, 
Viaducten  und  Tunnels  [einer  von  412  in 
Länge].  Die  Station  Morchenstern  wurde 
thatsächlich  ganz  den  Felsen  abgenommen. 
Die  grossen  technischen  Schwierigkeiten 
des  Baues  stellten  ebenso  grosse  finan- 
zielle Anforderungen.  Eines  der  Haupt- 
punkte ist  der  sogenannte  Bettelgrund- 
Viaduct  bei  Morchenstern.  [Abb.  211.]  Die 
Strecke  Reichenberg  -  Gablonz  wurde  am 
26.  November  1888,  die  Fortsetzung  bis 
Tannwald  und  der  Flügel  Morchenstern- 
Josefsthal-Maxdorf  am  10.  October  1894 
eröffnet.  Den  Betrieb  führt  die  Süd-nord- 
deutsche Verbindungsbahn. 

Mori-Arco-Riva.  Die  am  23.  No- 
vember 1889  concessionirte  24-5  km 
lange  schmalspurige  [76  cm]  Bahn  ist 
wohl  eine  der  landschaftlich  schönsten 
und  technisch  schwierigsten  Localbahnen 
Oesterreichs.  Sie  führt  von  Mori  [Süd- 
bahnstation] im  I73'4  m  Seehöhe  west- 
lich, erreicht  stets  ansteigend  die  Station 
Loppio  [224*2  m]  in  der  Nähe  des  gleich- 
namigen einsamen  Gebirgssees  [Abb.  212], 
umfährt  diesen,  zieht  vorerst  in  nördlicher, 
dann  in  südlicher  Richtung,  beschreibt 
abermals  eine  grosse  Schlinge  zum  Ueber- 
gang  in  die  nördliche  Richtung,  über- 
schreitet in  km  11  die  Wasserscheide 
[269-2  in]  und  senkt  sich  in  einem  grossen 
westlichen  Bogen  allmählich  zur  Station 
Nago  [221*9  ntl  herab;  sie  hat  eine  karst- 
ähnliche  Felswildnis  mit  geklüftetem  Ge- 
stein und  überhängenden  Wänden  durch- 
quert und  eröffnet  nach  dem  Verlassen  des 
Gebirgsdefilees  einen  herrlichen  Blick  auf 
den  Gardasee  und  Riva.  In  Gefällen  von 
165— 26°/oo  erreicht  sie  Arco  [86*8  m] 
und  die  Endstation  Riva  [66-6  in].  Die 
Bahn  wurde  am  29.  Januar  1891  eröffnet. 

Die  Valsugana-Bahn  Trient- 
Tezze  [65  km]  wurde  am  11.  Januar 
1894  concessionirt  und  am  27.  April 
1896  eröffnet  und  strebt  die  kürzeste 
Verbindung  zwischen  Südtirol  und  Venedig 
an.  Obzwar  als  Localbahn  in  Aussicht 
genommen,  gleicht  sie  in  ihrer  heutigen 
Anlage  einer  normalspurigen  grossen 
Gebirgsbahn,  indem  sich  ein  Kunstbau 
an  den  anderen  reiht.  [Abb.  213—215.] 
Von   der    Station  Trient  [1925  km  See- 


5i8 


P.  F.  Kupka. 


höhe]  fährt  sie  in  südöstlicher  Richtung 
über  Dämme  und  gemauerte  Viaducte, 
einen  mit  48  Oeffnungen  ä  8  m  lichte 
Weite,  einen  zweiten  mit  74  Oeffnungen 
ä  8  )»  und  1  Oeffnung  mit  10  tn  lichte 
Weite,  in  die  linksseitige  Etschthalebene, 
wendet  sich  behufs  Längengewinnung 
nach  Süden,  dann  nach  Durchfahrung 
des  S.  Roccotunnels  [373  tn  Länge] 
nach  Norden  und  schlägt  bei  der  Halte- 
stelle Povo  wieder  eine  nordöstliche 
Richtung  ein,  von  wo  sie  im  Thale  der 
Fersina  dem  linken  Ufer  des  Wildbaches 
auf  Dämmen,  Stützmauern,  Viaducten  und 
durch  Tunnels  von  376-6,  126-2,  i66-2 
und  81  "5  m  Länge  folgt.  Bei  Pergine 
überschreitet  sie  die  Wasserscheide  in 
km  17*7  und  471  tn  Seehöhe  und  zieht 
im  Gefälle  südlich  zum  Caldonazzosee,  um- 
fährt diesen,  erreicht  die  Station  Levico 
in  km  30*4,  folgt  in  östlicher  Richtung 
dem  Laufe  der  Brenta,  diese  selbst  zwei- 
mal übersetzend  und  erreicht  über  Strigno 
und  Grigno  die  Reichsgrenze  bei  Tezze. 

Monfalcone-Cervignano,  oder 
Friaulerbahn,  22.  Mai  1893  concessionirt 
und  10.  Juni  1894  eröffnet.  Diese  i6'4  km 
lange  normalspurige  Linie  ist  nicht  nur 
von  erheblicher  Bedeutung  für  die  frucht- 
bare friaulische  Tiefebene,  sondern  bildet 
auch  die  kürzeste  Verbindung  zwischen 
Triest  und  Venedig.  Das  bemerkens- 
wertheste  Object  ist  die  Halbparabel- 
träger-Eisenbrücke über  den  Isonzo  mit 
7  Oeffnungen  von  je  50  m  lichte  Weite, 
die  einen  Kostenaufwand  von  400.000  fl. 
verursachte.  [Vgl.  Abb.  153  a  und  153  b 
im  Bd.  II,  Seite  293  und  294.] 

Die  Localbahn  Herzogenburg- 
Krems-Sigmundsherberg,  61-3  km 
lang,  wurde  am  12.  October  1866  con- 
cessionirt und  am  16.  Juli  1889  eröffnet. 
Die  grosse  eiserne  Donaubrücke  bei 
■Krems  hat  vier  Oeffnungen  zu  80  m  und 
zwei  Oeffnungen  zu  60  m  lichte  Weite. 
[Abb.  216  und  Abb.  160  im  Bd.  II, 
Seite  304.]  Per  Betriebsdienst  wird  vom 
k.  und  k.  Eisenbahn-  und  Telegraphen- 
Regiment  besorgt. 

Ybbsthalbahn.  Diese  am  22. Octo- 
ber 1894  concessionirte  schmalspurige, 
[76  cm],  mit  einer  4°/0igen  Staatsgarantie 
ausgestattete  Localbahn  verbindet  Waid- 
hofen  a.  d.  Y.  mit  Lunz,  eine  Station  der 


Linie  Pöchlarn-Gaming.  Von  Kunstbauten 
sind  zu  nennen :  der  Viaduct  bei  Waid- 
hofen  mit  8  Oeffnungen  ä  7  m  lichte 
Weite,  nebst  einer  Parallelträgerbrücke 
von  28  m,  einer  Fischbauchträgerbrücke 
von  50  tn  lichte  Weite  und  einen  Viaduct 
von  5  Oeffnungen  ä  7  tn  lichte  Weite 
[Abb.  217  sowie  Abb.  157  im  Bd.  II, 
Seite  298].  In  der  derzeit  noch  nicht  eröff- 
neten Strecke  Lunz-Gaming  kamen  zum 
ersten  Male  auf  dem  Continente  soge- 
nanntes Trestle-Work  [Gerüstwerk],  wie 
solches  in  Amerika  schon  seit  Beginn 
des  Bahnbaues  in  ausgedehntester  An- 
wendung steht,  hier  jedoch  als  Eisen- 
construction  zur  Ausführung.  [Abb.  218 
und  219.]  Beide  Viaducte  haben  eine 
Länge  von  etwa  100  tn  und  eine  von 
29  tn,  beziehungsweise  24  m  und  liegen 
im  Bogen  von  60  tn  Halbmesser. 

Bukowinaer  Landesbahnen. 
An  hervorragenden  Kunstbauten  sind  hier 
zu  erwähnen,  und  zwar  auf  der  Linie 
Nepolokoutz-Wiznitz,  die  hölzerne  Pruth- 
brücke  mit  37  Oeffnungen  ä  II  w  lichte 
Weite  [Abb.  220],  dann  die  ebenfalls  in 
Holz  ausgeführte  Czeremoszbrücke  mit 
33  Oeffnungen  ä  11t»;  ferner  der  Linie 
Lu£an-Zaleszczyki,  die  eiserne  Brücke 
über  den  Dniester  mit  zweimal  4  Oeff- 
nungen ä  60  und  ä  30  tn  als  Fischbauch- 
und  Parallelträger,  deren  Mittelpfeilerhöhe 
über  Niederwasser  etwa  30  tn  beträgt 
[Abb.  221  sowie  Abb.  155  im  Bd.  II, 
S.  296].  Die  Anlage  so  grosser  Holz- 
brücken erklärte  sich  durch  den  Holz- 
reichthum  des  Landes,  beziehungsweise 
den  niedrigen  Preis  dieses  Materials. 

Teplitz-Reichenberg.  Im  Zuge 
dieser  Linie  sind  bemerkenswerth :  die 
Elbebrücke  bei  Lobositz,  3  Stromöffnun- 
gen ä  72-3  tn  lichte  Weite  [Halbparallel- 
träger], 4  Inundations-Oeffnungen  ä  25  tn 
lichte  Weite  [Parallelträger  Abb.  222]; 
ferner  der  Höllengrund  -  Viaduct  mit 
3  Oeffnungen  ä  40  tn  lichte  Weite  in 
Parallelträgern  -  Eisenconstruction  und 
3  gewölbten  Oeffnungen  ä  12  m  lichte 
Weite ;  endlich  der  Helenenthal  -  Viaduct 
mit  einer  gewölbten  Oeffnung  ä  12  tn  und 
einer  Eisenconstruction  [Parallelträger] 
ä  40  m  lichte  Weite.   [Abb.  223.] 

CerSan-Modran-DobfiS.  Das 
hervorragendste  Kunstwerk    ist    hier  die 


Localbahnwesen. 


519 


Moldaubrücke  bei  M6chenitz  mit  einer 
Oeffhung  [Halbparallelträger]  von  66-6  m 
lichte  Weite  nebst  vier  Oeffnungen  ä 
367,  37'2,  37-3  und  12'8  m  Stützweite; 
letztere  vier  Oeffnungen  im  Bogen  von 
280  m  Halbmesser.  [Abb.  162  in  Bd.  II, 
Seite  306.] 

Die  Salzkamm ergut-Loc albahn 
ist  nicht  nur  wegen  ihrer  herrlichen  land- 
schaftlichen Lage  als  auch  in  technischer 
Beziehung  bemerkenswerth.  Als  Schmal- 
spurbahn mit  76  cm  Spurweite  erbaut, 
umfasst  sie  die  Strecken  Ischl-Strobl- 
Mondsee-Salzburg  nebst  der  Abzweigung 
Mondsee-St.  Lorenz  und  die  Zahnradbahn 
auf  den  Schafberg. 

Die  Bahn  wurde  am  1.  Januar  1890 
concessionirt  und  Ischl-Strobl  [9'55  km] 
am  5.  August  1890,  Mondsee-Salzburg 
[31-31  km]  am  28.  Juli  1891,  Strobl- 
St.  Lorenz  [22-5  km]  am  20.  Juni  1893 
und  die  Schaf bergbahn*)  am  1.  August 
1 893  eröffnet.  Die  Bahnen  sind  Eigenthum 
der  Salzkammergut-Actiengesellschaft. 

Der  Bau  der  Bahn  bot  wesentliche 
Schwierigkeiten  infolge  der  Herstellung 
von  Brücken,  Viaducten,  Tunnels  und  Ein- 
schnitten an  den  Berghängen.  [Abb.  224.] 

Die  bedeutenderen  Objecte  dieser  Bahn 
sind :  Traunbrücke  bei  Ischl,  Eisencon- 
struction,  zwei  Oeffnungen  ä  30TJ  m ; 
Kaltenbach-Viaduct,  Eisenconstruction, 
continuirlicher  Träger  mit  Balancepfeilern, 
fünf  Oeffnungen  ä  20*0  m ;  Zinkenbach- 
Brücke,  Eisenconstruction,  eine  Oeffhung 
ä  50-0  m ;  St.  Gilgner-Viaduct,  gewölbt 
vier  Oeffnungen  zusammen  28,o  m. 

Die  grösste  Steigung  beträgt  auf  den 
Strecken  Ischl-Strobl,  Mondsee-Salzburg, 
Strobl-St.  Lorenz  25°/oo>  der  kleinste 
Krümmungshalbmesser  60  m,  beziehungs- 
weise auf  der  Strecke  Mondsee-Salzburg 

75  »t- 

Die  Schneebergbahn.  Diese  Linie 
zerfällt  in  zwei  Theile,  und  zwar  in  die 
normalspurige  vom  15.  April  1897  er- 
öffnete ÄdhäsionsstreckeWiener  Neustadt- 
Puchberg  nebst  Zweiglinie  nach  Wöllers- 
dorf  und  in  die  am  I.  Juni  1897  eröff- 
nete   schmalspurige    [1   m]  Zahnradbahn 


*)  Ueber  die  Schaf  bergbahn  bringt  der 
Abschnitt  «Kleinbahnen«  nähere  Mitthei-' 
lungen. 


nach  System  Abt.  Von  ihrer  Ausgangs- 
station Wiener-Neustadt  führt  die  Trace 
östlich  durch  das  sogenannte  Steinfeld, 
dann  südöstlich  über  Fischau;  beiWöllers- 
dorf  beginnt  die  Bergstrecke  der  Adhä- 
sionsbahn mit  Steigungen  bis  zu  4O°/00, 
übertrifft  demnach  jene  der  Semmering- 
bahn,  erreicht  Grunbach  und  fällt  lang- 
sam gegen  das  Puchbergerthal  ab,  wo  sie 
die  Station  Puchberg  in  km  28  und  in  der 
Seehöhe  von  576  m  erreicht.  [Abb.  225.] 
Hier  schliesst  sich  die  Zahnradbahn  an,  die 
auf  den  Schneeberg  [1795  m  Höhe]  führt; 
sie  hat  demnach  einen  Höhenunterschied 
von  12 19  m  bei  9-5  km  Länge  in  Höchst- 
steigungen bis  zu  2OO°/00  zu  überwinden. 
Der  gänzliche  Mangel  an  Wasser  und  die 
Anlage  zweier  Tunnels  von  145,  bezie- 
hungsweise 1 19  m  Länge  gestaltete  den 
Bau  zu  einem  ungewöhnlich  schwierigen. 

Bei  Steigungen  bis  zu  8o°/00  gelangte 
die  eintheilige,  über  8o70o  die  zweitheilige 
Abt'sche  Zahnstange  zur  Verwendung. 
Die  Bahn  wurde  von  der  Eisenbahn- 
Bau-  und  Betriebs-Unternehmung  Leo 
Arnoldi  erbaut  und  ist  Eigenthum 
dieser  auf  dem  Gebiete  des  Kleinbahn- 
wesens verdienstvoll  wirkenden  Unter- 
nehmung. 

In  technischer  Hinsicht  besonders  be- 
merkenswerth sind  auch  die  Objecte  der 
Localbahn  Salzburg  -  Lamprechtshausen, 
die  sämmtlich  [gewölbt  und  offen]  aus 
Beton  hergestellt  wurden,  ein  Vorgang, 
den  mit  glücklichem  Erfolge  zuerst  der 
Baudirector  der  Kaiser  Ferdinands-Nord- 
bahn  Wilhelm  Ast  bei  Objecten  mit 
grösserer  Spannweite  auf  der  Localbahn 
Branowitz-Pohrlitz  zur  praktischen  Aus- 
führung  gebracht  hatte.*) 

Auch  in  allerjüngster  Zeit  wurden 
auf  Localbahnen  bedeutende  Bauobjecte 
hergestellt.  Auf  den  derzeit  noch  in  Bau 
begriffenen  Linien :  Rakonitz-Mlatz  sind 
der  Javornice-Viaduct  mit  55  m  Licht- 
weite, auf  der  Linie  Trzebinia-Skawce 
die  Weichselbrücken  und  die  beiden 
Brücken  über  die  Skawa  [sämmtlich 
Eisenträger  mit  Lichtweiten  bis  zu 
55  m],  auf  der  Linie  Bozen-Kaltern  die 
Etschbrücke  bei  Siegmundskron  [Abb.  226] 


*)  Vgl.  hierüber  Bd.  II,  Brückenbau  von 
J.  Zuffer,  S.  276  und  Abb.   134  und  135. 


520 


P.  F.  Kupka. 


[Halbparallelträger,  eine  Oeffnung  ä  76-5  m 
Lichtweite]  beachtenswerthe  Leistungen 
der  modernen   Eisenbahn-Bautechnik. 

Diese    wenigen    Beispiele     erbringen 
den  vollgiltigen  Beweis,  dass  Oesterreichs 


Techniker  auch  auf  dem  Gebiete  des 
Localbahnwesens  Mustergiltiges  schufen 
und  alle  Ursache  haben,  mit  voller  Be- 
friedigung auf  ihre  Leistungen  zu  ver- 
weisen. 


Die  Kleinbahnen  in  Oesterreich. 


Von 

F.  R.  Engel, 

Inspector  der  Oesterreichischen  Nordwestbahn. 


Die 
Kleinbahnen  in  Oesterreich 


DER  Begriff  der  Kleinbahnen  [Tertiär- 
bahnen] ist  in  Oesterreich  erst  seit 
sehr  kurzer  Zeit  enger  umschrie- 
ben. Seine  Einführung  in  die  heimische 
Gesetzgebung  brachte  das  Gesetz  vom 
31.  December  1894  über  Bahnen  niederer 
Ordnung,  dessen  Abschnitt  B  [Artikel  XVI 
bis  XXI]  eine  gesetzliche  Regelung  des 
Kleinbahnwesens  in  Oesterreich  durch- 
führte. Die  gesetzliche  Definition  der 
Kleinbahnen  umfasst  jene  für  den  öffent- 
lichen Verkehr  bestimmten  Localbah- 
nen,  welche  für  den  allgemeinen  Eisen- 
bahn-Verkehr von  geringer  Bedeutung 
sind  [normal-  oder  schmalspurige  Zweig- 
bahnen, Strassenbahnen  mit  Dampf-  oder 
elektrischem  Betriebe,  anderen  mechani- 
schen Motoren  oder  animalischer  Kraft, 
Seilbahnen  etc.].  » Insbesondere  sind  Klein- 
bahnen« —  heisst  es  im  Gesetze  —  *in  der 
Regel  solche  Bahnen,  welche  hauptsäch- 
lich den  örtlichen  Verkehr  in  einer  Ge- 
meinde oder  zwischen  benachbarten  Ge- 
meinden vermitteln,  sowie  alle  Bah- 
nen, welche  nicht  mit  Dampf  betrieben 
werden. « 

Unter  der  Unbestimmtheit  elementarer 
Rechtsverhältnisse  hatte  die  bedeutendste 
Gruppe  der  Bahnen  niederster  Ordnung, 
die  Strassenbahnen  [Tramways],  seit  deren 
Bestände  zu  leiden,  und  die  Geschichte 
fast  jeder  einzelnen  der  älteren  Strassen- 
bahnen ist  ausgefüllt  mit  Rechts-  und 
Competenzstreitigkeiten. 

Die  Bewilligung  zur  Herstellung  von 
Pferde  -  Eisenbahnen    auf    gewöhnlichen 


Strassen-  oder  Hipposidirbahnen,  wie  sie 
zu  jener  Zeit  auch  genannt  wurden,  er- 
folgte früher  lediglich  auf  Grundlage  der 
a.  h.  Entschliessung  vom  25.  Februar 
1859.  [Handelsministerial-Act,  Zahl  598.] 
Es  wurde  nämlich  für  die  Anlage  sol- 
cher Bahnen  ein  eigenes  Concessions- 
Gesetz  nicht  für  nöthig  erachtet,  der 
Handelsminister  jedoch  ermächtigt, 
vorkommenden  Falles  solche  Unterneh- 
mungen versuchsweise  zu  gestatten. 
Hiebei  war  aber  ausdrücklich  bemerkt, 
dass  jedes  Privatrecht  und  jeder  Privat- 
anspruch vollkommen  unbeschädigt  zu 
bleiben  habe,  somit  auch  eine  zwangs- 
weise Expropriation  nicht  stattfinden 
dürfe,  dass  keinerlei  Entschädigungs- 
oder Garantie-Anspruch  an  das  Staats- 
ärar zu  bewilligen  sei,  und  dass  die  aus 
der  Anlage  von  »Hipposidirbahnen«  zwi- 
schen deren  Unternehmern  und  Privaten 
entstehenden  Entschädigungs- Ansprüche 
gänzlich  nach  den  Civil-Gesetzen  zu  be- 
handeln seien ;  endlich,  dass  ohne  äusserste, 
jedesmal  gründlich  nachzuweisende  Noth- 
wendigkeit  keine  Zollbegünstigung,  nicht 
einmal  die  Gestattung  zur  Verwendung 
von  ausländischem  Materiale  a.  h.  Ortes 
beantragt  werden  dürfe. 

Mit  dem  Handelsministerial-Erlasse 
vom  8.  Juli  1868  [Zahl  8858/1 155]  wurde 
anlässlich  vorgekommener  Gesuche  um 
Bewilligung  zu  Vorarbeiten  und  um  Con- 
cessionirung  für  derartige  Bahnen  den  k.  k. 
Statthaltereien  bekanntgegeben,  dass  bei 
Pferde-Strassenbahnen  [Tramways],  d.  i. 


524 


F.  R.  Engel. 


solchen  Spurwegen,  deren  Schienen  nicht 
derart  über  das  Niveau  hervorragen, 
dass  der  Verkehr  anderer  Fuhrwerke 
gestört  werde,  die  Bewilligung  zu  tech- 
nischen Vorarbeiten  nicht  erforderlich 
sei.  Die  wirkliche  Ausführung  einer 
Pferde  -  Eisenbahn  müsse  dem  Einver- 
ständnisse der  Unternehmer  mit  den 
Eigenthümern  der  betreffenden  Strassen 
anheimgestellt  bleiben,  und  dieses  Ueber- 
einkommen  müsse  auch  die  »durch  be- 
sondere locale  Rücksichten  gebotenen 
Modalitäten«  feststellen. 

In  ähnlicher  Weise  wurde  das  Handels- 
ministerium auch  zur  Concessionirung 
einer  zweiten  Art  von  Kleinbahnen,  der 
Zahnradbahnen,  ermächtigt.  Als  es  sich 
nämlich  um  die  Concessionirung  der 
Kahlenberg-Eisenbahn,  einer  Zahnradbahn 
nach  dem  System  Rigi,  handelte,  ermäch- 
tigte die  a.  h.  Entschliessung  vom  6.  Juli 
1872  das  Handelsministerium,  ausser  dieser 
Bahn  auch  andere  gleichartige  Bahnen 
fallweise  zu  concessioniren. 

Durch  das  Gesetz  vom  1 8.  Februar  1878 
wurde  bestimmt,  dass  auch  einer  Pferde- 
bahn-Unternehmung ein  Enteignungsrecht 
zugestanden  werden  könne,  wenn  seitens 
der  staatlichen  Verwaltungsbehörde  die 
Gemeinnützigkeit  des  Unternehmens  an- 
erkannt wird. 

Schon  im  Jahre  1884  wollte  die  Re- 
gierung ihre  Absicht,  das  Localbahn- 
Gesetz  auch  auf  die  Tramways  auszu- 
dehnen, verwirklichen  — ;  der  Versuch 
scheiterte*)  und  die  Regierung  sah  sich 
veranlasst,  am  18.  Juni  1886  mit  einem 
Gesetzentwurf  über  die  Localbahnen  einen 
zweiten,  der  die  Anlage  und  den  Betrieb 
von  Strassenbahnen  regeln  sollte,  dem 
Abgeordnetenhause  vorzulegen.  Die  Vor- 
lage vertrat  den  Standpunkt,  dass  die 
Strassenbahnen  unter  die  concessionirten 
Gewerbe,  und  zwar  unter  die  Unter- 
nehmungen periodischer  Personentrans- 
porte einzureihen  sind.  Bei  den  Ver- 
handlungen traten  so  viele  Meinungs- 
verschiedenheiten in  der  Scheidung  der 
Begriffe  »Localbahnen«  und  »Strassen- 
bahnen«  zu  Tage,  dass  nur  die  Annahme 


*i  Näheres  hierüber  siehe  Bd.  IV  im 
Abschnitte  über  Eisenbahn-Rechtsgeschichte 
von  Dr.  V.  Roll,  Seite  84. 


des  Localbahn-Gesetzes  durchgesetzt  wer- 
den konnte. 

Erst  durch  das  erwähnte  Gesetz  vom 
31.  December  1894  wurden  die  Klein- 
bahnen als  eine  durch  ihre  untergeordnete 
Bedeutung  für  den  öffentlichen  Verkehr 
charakterisirte  Unterart  der  Local- 
bahnen erklärt,  »die  sohin  bezüglich 
ihrer  Rechtsverhältnisse  unter  Bedacht- 
nahme  auf  ihre  specifische  Eigenthüm- 
lichkeiten,  im  Uebrigen  aber  in  gleicher 
Weise  wie  die  Localbahnen  zu  behandeln 
sind«. 

Dementsprechend  finden  die  Bestim- 
mungen des  Localbahn-Gesetzes  auf  die- 
selben unter  Beschränkungen  Anwendung, 
die  in  dem  genannten  Gesetze  [Abschnitt  B] 
ausdrücklich  bezeichnet  werden. 

Die  staatliche  Einflussnahme  auf  den 
Bau  und  Betrieb  von  Kleinbahnen  [Tertiär- 
bahnen] hat  sich  lediglich  zu  beschränken  : 

1.  Auf  die  Genehmigung  der  all- 
gemeinen Anlage  und  Tracenführung  der 
Bahn; 

2.  auf  die  Wahrung  der  sicherheits- 
polizeilichen Rücksichten ; 

3.  auf  den  Schutz  der  Bahnanrainer 
und  sonstiger  Interessenten  vor  Feuers- 
gefahr und  sonstigen  Beschädigungen 
infolge    der  Anlage    und    des    Betriebes. 

Die  Kleinbahnen  sind  nur  in  dem 
Masse,  als  es  ihre  Betriebseinrichtungen 
zulassen,  zu  Leistungen  zu  Gunsten  der 
Militärverwaltung  verpflichtet,  im  Uebri- 
gen aber  von  allen  unentgeltlichen 
Leistungen  für  öffentliche  Zwecke  [d.  i. 
Post-  und  Telegraphenwesen,  Polizei, 
Finanzwache  etc.]  enthoben,  mit  Aus- 
nahme der  unentgeltlichen  Beförderung  der 
Staatsaufsichts-Organe  im  Dienste. 

Das  freie  Tarif-Bestimmungsrecht  ist 
nur  durch  den  Vorbehalt  der  Staats- 
verwaltung beschränkt,  die  Tarife  —  nach 
Anhörung  der  Unternehmung  —  herabzu- 
setzen, wenn  die  Bahn  durch  drei  auf- 
einanderfolgende Jahre  das  nicht  durch 
Prioritäts-Obligationen  beschaffte  Anlage- 
Capital  zu  6°/0  verzinst  hat. 

Die  Steuerbefreiung  für  Kleinbahnen 
ist  auf  15  Jahre  beschränkt,  doch  kann 
die  Regierung  in  berücksichtigenswerthen 
Fällen  eine  Steuerbefreiung  bis  zur  Grenze 
von  25  Jahren  bewilligen. 


Kleinbahnen. 


525 


Die  an  Stelle  des  Fahrkartenstempels 
bei  Localbahnen  fallweise  einzuräumende 
Begünstigung  der  3°/0igen  Gebühr  wurde 
bei  Kleinbahnen  auf  i°/0  des  Fahrpreises 
herabgesetzt. 

Die  Regierung  ist  überdies  ermächtigt, 
auf  das  staatliche  Einlösungsrecht  und 
Heimfallsrecht  zu  verzichten.  Dieser 
Verzicht  ist  autonomen  Körperschaften 
gegenüber  ohneweiters  gewährleistet. 

Die  unter  der  Bezeichnung  »Klein- 
bahnen« zusammengefassten  Unterneh- 
mungen, soweit  sie  dem  öffentlichen 
Verkehre  dienen,  scheiden  sich  nach  der 


auf  schon  vorhandenen  Strassen  bewegt,  so 
müssen  die  hiezu  dienenden  Geleise  sich 
auch  diesen  möglichst  anpassen,  vor  Allem 
im  Zuge  derselben  liegen.  Infolgedessen 
kann  aber  selten  die  Forderung  nach  der 
directesten  Verbindung  erfüllt  werden.  Eine 
weitere  Eigenschaft  dieser  Bahnen  bildet 
die  sehr  enge  Begrenzung  der  Fahrge- 
schwindigkeit sowie  die  Häufigkeit,  bezie- 
hungsweise die  geringe  gegenseitige  Ent- 
fernung der  Haltepunkte.  Demgemäss  ist 
eine  ungleich  grössere  Beweglichkeit  des 
Betriebes  erforderlich ;  letzterer  weist  nur 
dort   wieder   grössere  Stabilität    auf,   wo 


Abb.  227.    Wagen  der  Wiener  Tri 

Art  der  Anlage  und  ihres  Betriebes  in 
die  Gruppen  :Strassenbahnen  [Tram- 
ways],  die  wieder  in  jene  mit  Pferde- 
oder Motorenbetrieb  [Dampftramways, 
elektrische  Strassenbahnen  etc.]  sich  glie- 
dern, Zahnradbahnen,  Draht- 
seilbahnen und  in  die  besondere 
Gruppe  der  elektrisch  betriebenen 
Eisenbahnen,  die  sich  von  den  elektrischen 
Strassenbahnen  durch  die  Art  ihrer  An- 
lage unterscheiden. 

Als  älteste  Vertreter  der  Klein- 
bahnen in  Oesterreich  sind  die  Strassen- 
bahnen mit  Pferdebetrieb  in  erste  Reihe 
zu  stellen. 


Strassenbahnen  [TramwaysJ. 

Da  der  Verkehr,  den  diese  Art  von 
Kleinbahnen  zu  vermitteln  hat,  zumeist 
nur  im  Personen-Transport,  und  zwar  in 
Städten  besteht,  welcher  Verkehr  sich  daher 


way.  [Ende  der  Sechziger-Jahre.J 

sich  eine  Fortsetzung  in  längere  Linien 
mit  schwächerem  Verkehre  findet,  wo 
demnach  Secundär-,  beziehungsweise 
Tertiärbahnen  an  die  eigentliche  Strassen- 
bahn  sich  anschliessen. 

Begreiflicherweise  ist  die  Geschichte 
der  Strassenbahnen  wesentlich  an  die 
Entwicklungs-Geschichte  der  Städte  selbst 
geknüpft  und  in  erster  Linie  mit  jener  der 
Grossstädte  verwebt,  da  diese  mit 
ihrem  verdichteten  und  hastenden  Ver- 
kehre das  Bedürfnis  nach  ausreichenderen 
Vorkehrungen  schaffen.  Weil  aber  die 
Tramways  so  innig  mit  dem  allgemeinen 
Verkehr  zusammenhängen,  bildet  die  Pro- 
sperität derselben  zugleich  ein  Spiegelbild 
im  Kleinen  des  Verkehrs  im  Grossen. 

Im  Jahre  1864  trat  an  den  Wiener 
Gemeinderath  die  Nothwendigkeit  heran, 
über  die  Frage  der  Zulassung  von  Pferde- 
bahnen schlüssig  zu  werden.  Nach  ein- 
gehenden Debatten  wurde  in  der  denk- 
würdigen Sitzung  vom  2 1 .  October  1 864  be- 


526 


F.  R.  Engel. 


schlössen,  der  k.  k.  niederösterreichischen 
Statthalterei  zu  empfehlen,  vorerst  eine 
Probelinie,  und  zwar  vom  Schottenring 
nach  Hernais  zu  bewilligen,  ehe  die  de- 
finitive Concession  für  ein  Netz  ertheilt 
werde. 

Zum  Verständnis  dieses  Beschlusses 
muss  man  sich  vergegenwärtigen,  dass  zu 
jener  Zeit  Erfahrungen  über  Pferdebahn- 
Unternehmungen  im  Innern  der  Städte 
überhaupt  sehr  wenige,  in  Oesterreich 
noch  gar  keine,  vorlagen.  Wien  als  Reichs- 
haupt- und  Residenzstadt,  welche  that- 
sächlich  den  regsten  Verkehr  besass, 
musste  wohl  den  Anfang  machen,  aber 
auch  das  Studienmaterial  für  alle  anderen 
Städte  abgeben.  Es  ist  begreiflich,  dass 
die  Stadtväter,  deren  Leben  zum  Theil 
noch  in  der  Periode  vor  1848  wurzelte, 
nur  zagend  und  Viele  sogar  widerstre- 
bend an  diese  »grosse  Aufgabe«  heran- 
traten. Musste  ja  doch  auch  genau  wieder 
ein  Menschenalter  vergehen,  bis  Wien 
abermals,  und  zwar  vor  einem  ähnlich 
grossen  Ereignisse  stand :  der  probe- 
weisen Einführung  des  elektrischen  Be- 
triebes —  wie  derselbe  in  Amerika  schon 
längst  viele  Tausend  Kilometer  umfasst ! 

Um  den  immerhin  relativ  hohen  Grad 
der  Entwicklung  des  Strassenbahnwesens 
in  der  Reichshauptstadt  beurtheilen  zu 
können,  erscheint  es  zweckmässig,  einen 
Blick  auf  die  Verhältnisse  zu  werfen, 
die  in  Bezug  auf  den  internen  Verkehr 
Wiens    noch    im  Jahre  1848    herrschten. 

Derselbe  wurde  damals  durch  680 
Fiaker,  24  Einspänner,  18  Landkutschen, 
17  Stadtlohnkutschen,  100  Gesellschafts- 
wagen, 800  Steyrer  oder  sogenannte 
»Zeisel  wagen«  und  kleinere  Fuhrwerke 
besorgt;  ausserdem  vermittelten  einige 
wenige  Gesellschaftswagen  den  Verkehr 
von  und  zu  den  Bahnhöfen,  sowie  vom 
und  zum  Dampfschiffe. 

Vorübergehend  bestand  im  Jahre  1 840 
eine  schmalspurige  Pferdebahn  von  der 
heutigen  Ferdinandsbrücke  in  das  ehe- 
malige »Universum«  —  das  an  der  Stelle 
stand,  wo  heute  ungefähr  der  Nordwest- 
bahnhof sich  befindet  —  sowie  später  eine 
solche  für  den  Post-Frachtendienst  zwi- 
schen der  »Hauptmauth«  [gegenwärtig 
»Hauptzollamt«]  und  dem  Hauptpostamt 
auf  der  Dominikanerbastei. 


Die  Steinwälle,  welche  die  innere 
Stadt  einengten,  ebenso  die  Linienwälle, 
welche  die  Vorstädte  zusammenschnürten, 
hemmten  jede  grössere  bauliche  Ent- 
wicklung und  damit  auch  jeden- Verkehrs- 
aufschwung, umsomehr,  als  sich  dieser 
Verkehr  täglich  durch  acht  Thore  aus 
dem    Stadtinnern    durchdrücken    musste. 

Da  kam  am  20.  December  1857  das 
erlösende,  von  edelster  Humanität  ge- 
tragene Machtwort  des  erhabenen  jugend- 
lichen Monarchen,  das  den  Fall  der 
Stadtmauern  verfügte.  Die  erste  Stadt- 
erweiterung war  inaugurirt.  Der  steinerne 
Gürtel  sollte  gesprengt,  das  Glacis 
verbaut  werden ;  damit  war  auch 
die  Grundbedingung  zur  Anlage  von 
Verkehrsmitteln  im  grösseren  Stile  ge- 
geben. Auch  die  hiezu  unerlässliche 
Vorbedingung,  die  Vereinigung  der 
»Stadt«  mit  den  Vorstädten  zu  einem 
einigen  Gemeindegebiete,  war  bereits 
erfüllt,  sämmtliche  Strassen  waren  im 
Jahre  1855  endlich  mit  Gasbeleuchtung 
versehen.  Am  1.  September  1859  wurde 
der  Erweiterungsplan  genehmigt,  am 
1.  December  1859  trat  schon  eine  neue 
Bauordnung  mit  verschiedenen  Erleichte- 
rungen ins  Leben. 

Bereits  1860  standen  die  ersten  Ring- 
strassenhäuser,  allmählich  gestaltete  sich 
die  Ringstrasse  aus,  die  im  Mai  1865 
vollendet,  beziehungsweise  eröffnet  wurde ; 
auch  in  den  Vorstädten  regte  es  sich. 
Die  Geschäfts-  und  Geldverhältnisse  so- 
wie die  Unternehmungslust  Wiens  lagen 
aber  danieder.  Namentlich  litt  auch  der 
mit  dem  Emporblühen  der  Industrie,  be- 
ziehungsweise des  Handels  innigst  ver- 
bundene Stand  der  Techniker  durch  die 
trostlose  Stagnation,  und  gar  Manche 
von  ihnen  waren  zur  Auswanderung 
oder  zur  Veränderung  des  Berufes  ge- 
zwungen. 

Unter  diesen  war  auch  ein  junger 
Wiener  Techniker,  welcher  sich  bei- 
zeiten —  glückliche  zufällige  Beziehun- 
gen ausnützend  —  nach  Genf  wandte. 
Der  damals  etwa  27jährige  G.  von 
Drey hausen  suchte  1863  die  dort  seit 
den  Vierziger-Jahren  ansässige  ange- 
sehene Bau  -  Unternehmung  S  c  h  ä  c  k- 
Jaquet  &  Comp,  auf,  um  irgend  ein 
Unterkommen  zu  finden.     Die  Chefs  der 


Kleinbahnen. 


527 


Firma  waren  Oesterreicher  und  stammten 
aus  Eger.  Als  im  Jahre  1863  die  alte 
Umwallung  Genfs  fiel,  da  waren  es  die 
Gebrüder  Schäck,  welche  zum  grössten 
Theile  diese  Arbeit  durchführten  und  eine 
englische  Firma  baute  auf  den  nun  neu 
gewonnenen  Gründen  die  Tramwaylinie 
Genf-Carouge. 

Von  da  empfingen  nun  die  Herren 
Schäck-Jaquet  &  Comp,  die  Anregung, 
eine  ähnliche  Pferdebahn  in  Wien  zu  bauen, 
zu  welchem  Behufe  sie  beschlossen,  den 
beschäftigungslosen  G.  von  Dreyhausen 
als  Vertreter  zu  verwenden. 

Alsbald  —  zu  Beginn  1864  —  wurde 
auch  der  junge  Dreyhausen  nach  Wien  ge- 
sandt, mit  dem 
Auftrage,  ge- 
eignete Ver- 
handlungen 
einzuleiten,was 
derselbe  mit 
Energie  in  die 
Hand  nahm. 
Von  dem  denk- 
würdigen er- 
stenBeschlusse 
des  Gemeinde- 
rathes  vom  2 1 . 
October  1864, 
die  Probelinie 
der  k.k.  nieder- 
österreichischen Statthalterei  zur  Con- 
cession  zu  empfehlen,  bis  zur  Genehmi- 
gung [30.  Mai  1865]  verflossen  immerhin 
sieben  Monate,  bis  zur  Eröffnung  der  ersten 
Probestrecke  Schottenring-Hernals,  die  am 
4.  October   1 865    stattfand,   fast  ein  Jahr. 

Das  Unternehmen,  dessen  Leitung 
Dreyhausen  und  J.  G.  Seidel*) 
übernahmen,  hatte  all  den  rigorosen,  vom 
Gemeinderathe  gestellten  Anforderungen 
in  Bezug  auf  die  anstandslose  Durchführ- 
barkeit sowie  in  Bezug  auf  die  Gemein- 
nützigkeit vollkommen  entsprochen  und 
das  günstige  Ergebnis  bewog  die  rührige 
Firma  Schäck-Jaquet,  nachdem  die  Ver- 
längerung bis  Dornbach  [24.  April  1866] 
hergestellt  war,  die  in  Aussicht  befind- 
liche Concessionirung  des  ganzen  Pferde- 
bahnnetzes anzustreben. 


Abb.  228.    Wagen  der  Wiener  Tramway  mit  Mittelgang  [1895]. 


*)  Derselbe  ist  heute  noch  Chef  des 
finanziellen  Dienstes  der  Wiener  Tramway- 
Gesellschaft. 


Wieder  aber  brachen  schwere  Zeiten  für 
Oesterreich,  vornehmlich  daher  auch  für 
Wien  herein.  Der  kurze,  aber  so  ver- 
hängnisvolle Krieg  von  1866  brachte 
abermals  Stockungen  und  eine  wirt- 
schaftliche schwere  Depression  hervor. 
Nach  dem  Wiedereintritt  geordneter 
Verhältnisse  und  dem  Abschluss  der 
Sistirungs-Aera  [Februar  1867]  begann 
allerdings  wieder  der  Aufschwung,  wel- 
cher noch  ganz  wesentlich  durch  eine 
beispiellose  Ernte  in  Ungarn  begünstigt 
ward.  Die  Bauthätigkeit  in  Wien  erhielt 
wieder  neuen  Impuls,  der  Zuzug  aus  der 
Provinz  nahm  grössere  Dimensionen  an 
und  mit  dem  allgemein  erhöhten  Verkehr 

steigerte  sich 
auch  das  Be- 
dürfnis nach 
Communica- 
tionen,  umso- 
mehr,  als  auch 
das  Wachs- 
thum  der  weit 
ausserhalb  ge- 
legenen Bezir- 
ke, zum  Bei- 
spiel von  Bri- 
gittenau  und 
Favoriten, 
mächtig  zu 
werden  begann. 
Nun  wurde  auch  seitens  des  k.  k.  Han- 
delsministeriums der  Firma  Schäck- 
Jaquet  zunächst  die  definitive  Concession 
für  die  bisher  eingeleisige  Probestrecke 
Schottenring-Dornbach,  ferner  eine  solche 
für  die  Linien  Ringstrasse-Prater 
sowie  Mariahilf  er  strasse-Penzing, 
und  zwar  auf  die  Dauer  von  30  Jahren 
ertheilt. 

Man  sah  nun  die  Pferdebahn  wagen 
[Abb.  227]  flott  in  Wien  verkehren. 

Allein  mit  dieser  Concessions-Erthei- 
lung  erachtete  der  Wiener  Gemeinde- 
rath  seine  autonomen  Rechte  geschädigt 
und  es  begann  daher  ein  längerer  Com- 
petenz-Confüct,  der  seinen  vorläufigen 
Abschluss  dadurch  fand,  dass  die  Besitzer 
der  a.  h.  Concessions-Urkunde  sich  dem 
Gemeinderathe  unterwarfen  und  von  die- 
sem die  Bewilligung  zum  Bau  und  Be- 
trieb der  vorgenannten  beiden  Linien 
erbaten. 


>28 


F.  R.  Engel. 


Da  die  günstigen  Ergebnisse  der  bis- 
herigen Probestrecke  die  Unternehmungs- 
lust für  Tramwaylinien  erweckt  hatten, 
so  fanden  sich  mehrere  Offerenten,  be- 
ziehungsweise drei  Consortien  für  die  Er- 
bauung von  weiteren  Tramwaylinien  ein, 
die  sich,  um  zum  Ziele  zu  gelangen,  an  An- 
strengungen und  Zugeständnissen  über- 
boten. Aus  den  hiebei  vorgelegten  Be- 
dingungen wurde  nun  seitens  der  Tram- 
way-Commission  des  Gemeinderathes  ein 
eigenes  Bedingnisheft  angefertigt  und 
auf  dessen  Grundlage  für  den  30.  Sep- 
tember 1867  eine  Offertverhandlung  aus- 
geschrieben. 

Wegen  der  schwer  zu  erfüllenden 
Bedingungen,  welche  von  keinem  der 
Offerenten  unbedingt  angenommen  wur- 
den, verlief  diese  resultatlos  und  es  muss- 
ten  neuerlich  Berathungen  im  Gemeinde- 
rathe  gepflogen  werden;  das  Ergebnis 
derselben  bildete  der  Vertrag  vom  7.  März 
1868  mit  der,  im  November  1867  aus 
den  drei  Offerenten  hervorgegangenen 
Actien-Unternehmung :  »WienerTram- 
way- Gesellschaft«,  die  am  8.  Mai 
1 868  den  Betrieb  der  bestehenden  Pferde- 
bahnlinie übernahm  und  deren  erste  Ge- 
neralversammlung am  24.  März  1869 
stattfand.  Das  Programm  dieses  Unter- 
nehmens war  ein  grossangelegtes;  war 
doch  auch  die  Verbindung  der  Pferdebahn 
mit  den  in  Wien  einmündenden  Locomotiv- 
bahnen  zum  Zwecke  eines  Frachten- 
Transportes  ins  Auge  gefasst  und  aus 
diesem  Grunde  die  normale  Spurweite 
gewählt.  Obwohl  in  dieser  Richtung 
bereits  1869  Verhandlungen  mit  den  be- 
theiligten Verwaltungen  gepflogen  wurden, 
kam  es  niemals  zur  Ausführung  dieses 
Planes. 

Der  notorische  Widerwille  einiger 
Gemeinderäthe  gegen  die  Errichtung  von 
Pferdebahnen  brachte  es  mit  sich,  dass 
verschiedene  Härten  im  Vertrage  Auf- 
nahme fanden,  welche  sich  nachträglich  als 
verhängnisvoll  erwiesen.  Die  Gemeinde 
stand  namentlich  wegen  des  Ausbaues  der 
vertragsmässigen  Linien  stets  mit  der 
Gesellschaft  im  Kampfe,  die  letztere  da- 
gegen war  vermöge  ihrer  auf  Gewinn 
berechneten  Tendenz  darauf  bedacht,  durch 
die  weitestgehende  Einschränkung  aller 
Ausgaben  die  grössten  Erträgnisse  zu  er- 


zielen. Dementsprechend  war  die  Haltung 
des  Unternehmens  von  vorneherein  eine 
streng  vorgeschriebene :  jene  der  con- 
servativen  Festhaltung  am  »Bewährten«, 
eine  gewisse  Abgeneigtheit  gegen  Ein- 
führung   von  durchgreifenden    Reformen. 

Als  weitere  Complication  trat  der  er- 
wähnte Competenz-Conflict  hinzu,  welcher 
sich  beständig  wie  ein  rother  Faden  durch 
die  Geschicke  der  Wiener  Tramway- 
Gesellschaft  hindurchzieht.  Der- 
selbe hatte  einmal  sogar  zur  Folge,  dass 
sich  Statthalterei  und  Gemeinderath  ge- 
genseitig in  Forderungen  an  das  Unter- 
nehmen überboten.  Auch  die  Schaffung 
des  ersten  Localbahn  -  Gesetzes  [1880] 
führte  noch  keine  volle  Klärung  des  Com- 
petenz-Verhältnisses  herbei. 

Der  erwähnte  Vertrag,  welcher  zu- 
nächst nur  auf  35  Jahre  geschlossen 
ward,  bestand  in  seiner  Wesenheit  darin, 
dass  die  Gemeinde  das  Recht  hatte, 
nach  Ablauf  dieser  Frist  die  Bahn  einfach 
zu  übernehmen  —  oder  aber  die  Gesell- 
schaft wäre  gehalten,  auf  ihre  Kosten 
die  Geleise  zu  entfernen  und  die  Strassen 
in  deren  früheren  Zustand  zu  bringen  — 
dass  ferner  alle  Angelegenheiten  des  Be- 
triebes, des  Tarifes  und  hauptsächlich  des 
Ausbaues  eines  bestimmten  Netzes  der 
Controle  des  Gemeinderathes  unterstellt 
waren. 

Bei  der  letzteren  Bedingung,  betreffend 
die  Errichtung  von  neuen  Linien,  hatte  die 
Angelegenheit  der  Häusereinlösung,  mit 
Rücksicht  auf  den  Mangel  eines  Expro- 
priationsrechtes, die  weittragendste  Bedeu- 
tung. Angesichts  der  Kürze  der  Amortisa- 
tionsfrist [35  Jahre]  und  bei  dem  Abgang 
jeglichen  Grundeigenthumsrechtes,  da  ja 
die  Strassen  nur  zur  Benützung  dienen 
durften,  muss  die  Bedingung  der  Häuser- 
einlösung, um  die  erforderliche  Strassen- 
breite  zu  erreichen,  thatsächlich  als  eine 
besondere  Erschwernis  bezeichnet  werden, 
an  welcher  der  Umstand  wenig  änderte, 
dass  für  den  Ausbau  des  Netzes  drei 
Perioden  vorgesehen  waren. 

Bei  der  ersten  Bauausführung,  den 
Linien :  Prater  -  Ring  -  Quai,  namentlich 
aber  jener  nach  Penzing  und  Döbling, 
welche  der  starren  Forderung  des  Ge- 
meinderathes zufolge,  alle  doppelgeleisig 
ausgeführt    werden    mussten,    also    sehr 


Kleinbahnen. 


529 


weitreichende  Häusereinlösungen  beding- 
ten, machte  die  Gesellschaft  bereits 
schlimme  Erfahrungen. 

Nachdem  nämlich  diese  Linien,  zu- 
sammen 2i-8  km,  mit  den  dazu  gehö- 
renden »Linienämtern«  ausgebaut  waren 
—  Ende  1870  —  zeigte  sich,  dass  für  die- 
selben an  5,000.000  fl.  verbraucht  worden 
waren,  also  pro  Kilometer  229.358  fl.  *) 
somit  mehr  als  das  Zehnfache  jenes  Be- 
trages, um  welchen  thatsächlich  ein  Doppel- 
geleise hergestellt  werden  konnte.  **) 

Namentlich  die  äusserst  kostspielige 
Durchführung  in  Mariahilf  bei  dem  ehe- 


nahmen nicht  im  erforderlichen  Masse 
anwuchsen  und  auch  ganz  bedeutende 
Steuerlasten  zu  tragen  waren,  sah  sich 
die  Gesellschaft  gezwungen,  den  weiteren 
Ausbau  neuer  Linien  vorläufig  einzu- 
stellen. Durch  diesen  Stillstand  aber  ward 
der  Streitpunkt  mit  dem  Gemeinde- 
rathe  geschaffen.  Die  ablehnende  Hal- 
tung der  Gesellschaft  erbitterte  umso- 
mehr,  als  sie  schon  im  Jahre  1870  um  Re- 
vision des  Vertrages  eingeschritten  war. 
Thatsächlich  anerkannten  sowohl  der 
Magistrat  wie  auch  die  gemeinderäthliche 
Tramway-Commission    die    Härten     des 


Abb.  229.  Motor-  und  Anhängewagen  auf  der  Transversallinie  [1897]. 


maligen  »Goldenen  Kreuz«  und  »Weintrau- 
benhaus« [heute  »Hotel  Kummer«]  stellte 
sich  relativ  ebenso  theuer  wie  die  Sem- 
mering-Eisenbahn,  da  die  Meile  auf  j 
2,000.000  fl.  zu  stehen  kam.  Auch  die  Linie  \ 
Schottenring- Döbling  erforderte  sehr  hohe 
Kosten ;  —  wer  den  früheren  traurigen  Zu- 
stand dieser  Gegenden  mit  dem  heutigen 
vergleichen  kann,  wird  daher  begreifen, 
dass  die  so  durchgeführten  Häusereinlö- 
sungen, beziehungsweise  Demolirungen 
allein  beiläufig  die  Hälfte  des  Actien- 
capitals  verschlangen.    Da  aber  die  Ein- 


*)  Da  der  freie  Raum  zu  beiden  Seiten 
der  Geleise  genau  vorgeschrieben  ist,  anderer- 
seits aber  das  Gesuch  der  Wiener  Tramway- 
Gesell  schaft  um  Expropriation  abgewiesen 
worden  war,  so  nützten  die  Hausbesitzer  die 
Situation  weidlich  aus  und  verlangten  enorme 
Preise. 

**)  Im  Allgemeinen  werden  die  Baukosten 
für  I  km  Tramway  exclusive  Häusereinlösung 
und  Pflasterung  mit  20.000  fl.  berechnet. 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  2.  Theil. 


Vertrages,  infolgedessen  die  letztere  in 
der  Sitzung  vom  25.  October  1870  be- 
auftragt ward,  bezügliche  Vorschläge  zu 
erstatten.  Wiewohl  die  Verhandlungen 
über  1 3/4  Jahre  dauerten,  so  fand  doch  eine 
definitive  und  durchgreifende  Aenderung 
desselben  nicht  statt;  indessen  wurde 
wenigstens  die  vertragsmässig  zu  lei- 
stende Abgabe  von  5%  der  Brutto-Ein- 
nahme  an  die  Stadt  in  einen  Pauschal- 
betrag umgewandelt,  dessen  Höhe  von 
fünf  zu  fünf  Jahren  vom  Gemeinderathe  zu 
bestimmen  war.  Gleichzeitig  aber  [16. 
Februar  1872]  wurde  die  Gesellschaft 
aufgefordert,  sich  bezüglich  des  Ausbaues 
sogenannter  »Weltausstellungs-Linien«  zu 
äussern.  In  der  That  versprach  die  für 
Wien  so  bedeutungsvolle  Ausstellung 
vom  Jahre  1873  eine  grosse  Hebung  des 
Verkehrs  zu  bringen,  überdies  aber  war 
die  verhängnisvolle  Periode  der  Grün- 
dungen   angebrochen,     die     Gesellschaft 

34 


53° 


F.  R.  Engel. 


durfte  hoffen,  durch  Benützung  dieser  bei- 
den Umstände  in  die  Lage  zu  kommen, 
neue  Actien  auszugeben. 

In  Escomptirung  dieser  beiden  That- 
sachen  willigte  sie  denn  auch  in  den 
vom  Gemeinderathe  geäusserten  Wunsch 
ein  und  baute  die  Linien: 

i .  Schwarzenbergplatz  -  Gusshaus  -Fa- 
voritenstrasse-Südbahn. 

2.  Favoritenstrasse  abzweigend,  Matz- 
leinsdorf. 

3.  Rennweg-Simmering. 

4.  Aspernbrücke-Sofienbrücke. 

5.  Sofienbrücke-Ausstellung. 

6.  Praterstern-Wallensteinstrasse- 
Nussdorferstrasse. 

7.  Schwimmschulallee- Ausstellung. 

8.  Ma3-erhofgasse-Matzleinsdorfer- 
strasse. 

Diese  kamen  zumeist  im  Mai  1873  zur 
Eröffnung.  Hievon  wurden  jedoch  nachher 
wieder  einige  Theile  ausser  Betrieb  ge- 
setzt, und  zwar  die  beiden  Endstücke 
der  Praterlinien  [5  und  7]  schon  Ende 
1873,  die  Mayerhof-  und  die  Gusshaus- 
Trace  einige  Jahre  später,  1880  bis 
1881. 

Zur  Ausführung  des  Bauprogramms 
hatte  Ende  1872  die  Gründung  der 
»Tramway-Baugesellschaft«  stattgefun- 
den, welche  sich  mit  der  Tramwa3*- 
Gesellschaft  cartellirte,  wodurch  letztere 
in  den  Besitz  von  5,000.000  fi.  Actien- 
capital  gelangte,  somit  in  den  Stand  ge- 
setzt war,  die  genannten  Linien  herzu- 
stellen. 

Ausserdem  aber  beabsichtigte  die 
Gesellschaft  im  Prater  ein  grösseres  Eta- 
blissement zu  errichten  und  erstand  vom 
Bürgerspitals-Fonds  einen  ausgedehnten 
Complex,  wofür  eine  Caution  von 
400.000  fl.  entrichtet  werden  musste. 

Da  brach  die  grosse  wirthschaftliche 
Katastrophe  des  Jahres  1873  herein; 
dieselbe,  im  Anfang  unterschätzt,  begann 
mit  einer  allerdings  beispiellosen  Börsen- 
deroute,  bald  aber  zeigte  es  sich,  dass 
das  Verhängnis  hier  nicht  Halt  mache; 
vielmehr  trat  eine  tiefeingreifende  De- 
pression auf  allen  Gebieten  des  Handels 
und  Verkehrs  ein.  Die  Rückäusserung 
auf  die  Tramway-Einnahmen  blieb  nicht 
aus  und  brachte  das  Unternehmen  in 
eine  äusserst  schwierige  Lage. 


Zunächst  ergab  sich  aus  dem  Zu- 
sammenbruch der  Tramway-Baugesell- 
schaft ein  Barverlust  von  fast  2,000.000  fl., 
ausserdem  aber  ein  weiterer  in  der  ge- 
nannten Caution  von  400.000  fl.  durch  die 
nothwendig  gewordene  Stornirung  des 
Ankaufes  der  Pratergründe ;  der  Verlust 
musste  abgeschrieben  werden  und  so 
wurden  die  auf  200  fl.  nom.  lautenden 
Actien  auf  170  fl.  abgestempelt.  Dennoch 
bemühte  sich  die  Gesellschaft,  ihren  Ver- 
pflichtungen nachzukommen,  beziehungs- 
weise dieselben  sogar  zu  überbieten ;  so 
wurden  1874  die  vertragsmässige  Linie 
Wollzeile  -  Landstrasse  -  St.  Marx  -  Sim- 
mering,  aber  auch  die  nicht  vertrags- 
mässige Linie  Simmering-Centralfriedhof 
eröffnet.  Im  Jahre  1877  wurde  sodann 
die  Strecke  Kärntnerring-Hundsthurm 
hergestellt. 

Ferner  wurden  auch  die  im  Vertrage 
nicht  vorgesehenen  Strecken  von  der 
Favoritenlinie  im  X.  Bezirk  und  von  den 
Praterremisen  zu  den  neuen  Communal- 
bädern  in  Betrieb  gesetzt.  Somit  waren  Ende 

1877  45"2  km  dem  Verkehre  übergeben. 
Allein    die    finanzielle    Lage    wollte 

sich  noch  immer  nicht  bessern.  Die 
Frequenz  war  von  439  Personen  des 
Jahres  1872,  auf  3-05  im  Jahre  1876  und 
sogar  auf  2-o,2  im  Jahre  1877  pro  Fahrt- 
kilometer gesunken.    Erst  mit  dem  Jahre 

1878  stellte  sich  wieder  eine  geringe 
Aufwärtsbewegung  ein.  Diese  offenkun- 
dige Thatsache  des  Niederganges  hatte 
denn  auch  den  Gemeinderath  bewogen, 
eine  entgegenkommendere  Haltung  ein- 
zunehmen und  so  wurde  die  erwähnte 
Pauschalsumme,  welche  an  Stelle  der 
5°/0igen  Brutto-Einnahmen  für  die  Periode 
1872 — 1877  auf  70.000  fl.  festgesetzt 
gewesen,  für  die  Jahre  1878 — 1880  auf 
50.000  fi.  jährlich  herabgemindert.  Auch 
gestatteten  Regierung  und  Gemeinderath 

-  ab  15.  Juli  1875  die  Erhöhung  des  Tarifes 
I  von   10  auf  12  kr. 

Bald  aber  änderte  sich  wieder  die 
1  Haltung  des  Gemeinderathes,  indem  zu- 
;  nächst  eine  Erhöhung  der  Abgaben  ge- 
i  fordert  und  im  Jahre  1880  thatsächlich 
;  eine  solche  um  40.000  fl.  decretirt  wurde. 

Wiewohl    die    Gesellschaft    es    nicht 

j  an  Vorstellungen  fehlen    Hess,    so  brach 

doch   eine  Zeit   der   ernstesten   Conflicte 


Kleinbahnen. 


531 


herein  und  die  emporstrebende  anticapita- 
listische  Partei  des  Gemeinderathes  liess 
es  nicht  an  Angriffen  des  schwersten  Ca- 
libers  fehlen,  wobei  dieselbe  hauptsäch- 
lich die  Ueberfüllung  einerseits  und  die 
Höhe  des  Tarifes  andererseits  zum  Ge- 
genstande ihrer  Angriffe  wählte. 

Wien  war  wieder  im  Wachsthum  be- 
griffen. Mit  dem  Jahre  1878  hatte  sich  auch 
auf  finanziellem  Gebiete,  das  heisst  in 
den  allgemeinen  Verdienst- Verhältnissen 
der  Bevölkerung,  eine  Besserung  einge- 
stellt,   welche    sich  alsbald  in    den  Ein- 


um  26-6%  —  zugenommen  hatten,  so 
musste  allerdings  eine  wesentliche  Be- 
schränkung in  der  Bequemlichkeit  des 
fahrenden  Publicums  eingetreten  sein. 

Die  Klagen  wegen  der  Wagen-Ueber- 
füllung  nahmen  daher  immer  mehr  zu 
und  kamen  nicht   mehr  zum  Schweigen. 

Um  die  ablehnende  Haltung  der  Ver- 
waltung in  der  Frage  des  Ausbaues  ihres 
Netzes  zu  verstehen,  muss  man  die 
frühere  ziemlich  verworrene  Lage  in  Be- 
tracht ziehen.  Nach  dem  Börsenkrach  des 
Jahres  1873  suchten  die  Leiter  des  Unter - 


Plolzscliwellen-Oberbau. 


1665 


107* 


1877 


Gewicht  der  Schiene  177  kg. 


Gewicht  der  Schiene 
16  kg.  20  kg. 


Eisen-Oberbau. 


«JuuvM«i<M*w..  t 


9t 


h4\U/X 


1685 


1667 


Gewicht  des  Oberbaues  798  kg.  Gewicht  des  Oberbaues  90-43  kg. 

Abb.  230.    Oberbau-Systeme  der  Wiener  Tramway. 


nahmen  der  Tramway-Gesellschaft  wider- 
spiegelte. 

Die  Verwaltung  unterliess  es  jedoch 
vorläufig  noch,  an  den  weiteren  Ausbau 
von  Linien  zu  gehen  und  so  blieb  die 
Länge  der  Geleise  seit  1877  bis  1882 
unverändert  bei  45*2  km  stehen.  Dem- 
gemäss  nahm  auch  die  Zahl  der  ge- 
leisteten Fahrtkilometer  nur  unbedeutend 
zu  —  von  6,440.000  auf  nicht  ganz 
7,500.000.  Die  pro  1  Fahrtkilometer  er- 
zielte Einnahme  stieg  nun  von  31 '92 
Kreuzer  [1877]  auf  3472  Kreuzer  im 
Jahre  1881  bei  gleichgebliebenem  Tarife. 
Da  die  Zahl  der  geleisteten  Fahrtkilo- 
meter nur  um  I4'4%>  die  Zahl  der  be- 
förderten Fahrgäste  dagegen  um  32°/0  — 
bei    einem   Wachsthum    der    Einnahmen 


nehmens  dasselbe,  wie  erwähnt,  auf  alle 
Weise  zu  kräftigen  :  eine  Dividenden-Aus- 
zahlung hatte  selbst  nach  der  Abstempe- 
lung der  Actien  für  die  Jahre  1 874  bis  inclu- 
sive 1877  gänzlich  unterbleiben  müssen. 
Schon  waren  auch  grössere  Neu-Anschaf- 
fungen  an  Pferden  und  Waggons  erfor- 
derlich geworden.  Von  der  Vertragsdauer 
waren  mehr  als  zehn  Jahre  abgelaufen,  ohne 
dass  eine  nennenswerthe  Verminderung 
der  Actien  durch  Amortisation  etc.  statt- 
gefunden hätte.  Ausserdem  drückten  noch 
schwere  Verpflichtungen  aller  Art  auf 
das  Unternehmen,  so  waren  sehr  be- 
deutende Summen  für  Pflasterungen, 
ferner  für  Steuern  und  Abgaben,  zu  ent- 
richten. Letztere  z.  B.  hatten  während 
der     Periode      von     1868 — 1880     über 

34* 


532 


F.  R.  Engel 


3,070.000  fl.  betragen.  Weiters  erwuchs 
der  Gesellschaft  noch  ein  Verlust  durch 
das  Provisorium  der  durch  die  Guss- 
hausstrasse geführten  Linie  in  der  Höhe 
von  etwa  147.348  fl.,  ausserdem  aber 
hatte  sich  der  Betrieb  hiebei  ziemlich 
ungünstig  gestaltet.  Endlich  musste  die 
Strecke  von  der  Prater-Remise  zu  den 
alten  Strombädern  aufgerissen  und  eine 
neue  Bahn  zu  den  Communalbädern  im 
neuen  Gebiete  erbaut  werden.  Um  das 
Mass  voll  zu  machen,  traten  in  jener 
Zeit  wieder  vielversprechende  Projecte 
einer  Stadtbahn  [Fogerty  u.  A.]  auf, 
welche  ernstlich  in  Erwägung  gezogen 
wurden. 

Die  Tram  way -Verwaltung  glaubte, 
namentlich  auch  angesichts  der  Um- 
werbung  des  Gemeinderathes  seitens  ver- 
schiedener Consortien,  zunächst  wieder  auf 
ihre  Sicherung  bedacht  sein  zu  müssen, 
und  versuchte  daher  beständig,  eine  Ver- 
längerung ihres  mit  1903  ablaufenden 
Vertrages  zu  erringen.  Zu  diesem  Be- 
hufe  wurden  die  programmmässig  noch 
zu  erbauenden  Linien  selbst  als  Kampf- 
mittel benützt.  Einzelne  derselben  waren 
nämlich  nur  der  Verwaltung  nicht  genehm, 
andere  nicht  durchführbar,  wie  jene  durch 
die  Heugasse  oder  Burggasse,  bei  welch' 
letzterer  seitens  der  Hauseigenthümer 
wieder  geradezu  exorbitante  Forderungen 
gestellt  wurden.  Der  Gemeinde  gegen- 
über wurde  nun  seitens  der  Gesellschaft 
der  beste  Wille  zu  bauen  gezeigt,  falls 
diese  die  Enteignung  vornehmen  würde. 
Die  übertrieben  hoch  gestellten  Preis- 
offerte der  Hausbesitzer  wurden  ihr  im 
Gegenüberhalt  zum  Schätzungswerthe 
bekanntgegeben ;  überdies  bekundete  die 
Gesellschaft  die  Absicht,  andere  Linien 
sofort  zu  bauen,  jedoch  nur  auf  Grund 
einer  jedesmalig  neu  auszusprechenden 
Vertragsdauer  von  35  Jahren;  einzelne 
Bezirke  wurden  durch  besondere  Bereit- 
willigkeit zu  gewinnen  gesucht,  für  die 
Burggasse  wurde  das  Anerbieten  eines 
provisorischen  Omnibusdienstes  bis  zur 
Ringstrasse  gestellt.  Wie  wenig  gerecht- 
fertigt im  öffentlichen  Bedürfnisse  indes 
manche  Linien  waren,  möge  der  Umstand 
beweisen,  dass  selbst  heute  noch  nicht 
alle  damaligen  Programmlinien  ausge- 
baut   sind,    beziehungsweise    dass    meh- 


rere*) derselben  fallen  gelassen  wurden, 
und  dass  trotzdem  der  Friede  —  wenig- 
stens bezüglich  dieser  Frage  — ■  endgiltig 
geschlossen  ward. 

Bereits  in  der  Eingabe  vom  Jahre  1871 
erbat  die  Gesellschaft  wenigstens  einen 
Aufschub  für  den  Bau  derselben,  indem 
sie  ausführte,  dass  es  sich  hiebei  um 
ihre  Existenz  handle.  Allein  ausser 
der  bereits  erwähnten  Erleichterung  in 
der  Brutto- Abgabe  erfolgte  eine  weitere 
Entscheidung  nicht,  obwohl  die  gefährdete 
Lage  im  Jahre  1874  eine  Lösung  als 
absolut  nothwendig  erscheinen  Hess  und 
es  auch  später  sich  nicht  möglich  zeigte, 
die  vielen  für  den  Ausbau  erforderlichen 
Millionen  aufzutreiben.  Die  Einnahmen 
deckten  kaum  die  Auslagen,  und  die  wei- 
tere Existenz  war  unter  den  bestehenden 
harten  Vertragsbestimmungen  und  den 
obwaltenden  Umständen,  namentlich  bei 
der  allgemeinen  Depression,  thatsächlich 
in  Frage  gestellt. 

Infolge  aller  dieser  ungünstigen  Ver- 
hältnisse war  der  Preis  der  Actien  weit 
unter  Pari  —  170  fl.  —  gesunken  und  hielt 
sich  1875  zwischen  80  und  90  fl.  Diesen 
Umstand  hatten  einige  grosse  Banquiers, 
welche  die  Verhältnisse  studirten,  zum  An- 
kauf benützt  und  gelangten  so  mit  Leichtig- 
keit in  die  Stellung  von  Gross-Actionären, 
welche  nun  ihrerseits  dem  Verwaltungs- 
rath  und  der  Direction  die  Haltung  stricte 
vorschrieben.  Um  den  beabsichtigten 
Cursgewinn  zu  erzielen,  durften  keine 
besonderen  Investitionen  vorgenommen, 
keine  Reformen  eingeführt  werden,  selbst 
dann  nicht,  als  der  Gemeinderath  anfing, 
dieselben  energisch  zu  fordern  und  mit 
Gewaltmassregeln  zu  drohen. 

Thatsächlich  stiegen  in  wenigen  Jahren 
die  Actien  stark  im  Preise  und  erreichten 
den  Curs  bis  nahe  an  250.    Diesen  Zeit- 

*)  Es  sind  dies  die  Linien  durch  die 

1.  Pragerstrasse,      III.  Bez. 

2.  Lastenstrasse,        »       > 

3.  Invalidenstrasse,    »       » 

4.  Gr.  Stadtgutgasse,  II.  Bez. 

5.  Berggasse,  Rossauerlände,  IX.  Bez. 

6.  Weissgärberlände,  Rasumovsky- 
gasse,  III.  Bez. 

7.  Windmühlgasse,  Mollardgasse,  VI.  B. 

8.  Nach  Zwischenbrücken,  II.  Bez.  — 
welche  nun  mehr  oder  minder  unverändert  in 
dem  derzeit  mit  Siemens  und  Halske  abge- 
schlossenen Vertrage  vorgesehen  sind. 


Kleinbahnen. 


533 


punkt  [1883  — 1884]  benützten  die  Gross- 
actionäre,  um  sich  ihres  Besitzes  zu  ent- 
ledigen. Dass  unter  solchen  Umständen 
keine  grosse  und  leitende  Idee  zum 
Durchbruch  kommen  konnte,  ist  begreif- 
lich. Mittlerweile  hatte  der  Gemeinderath 
den  Kampf  aber  schon  nach  zwei  Seiten  hin 
wieder  erröffnet :  rücksichtlich  des  Tarifes 
und  des  Ausbaues.  Die  Gesellschaft 
verschanzte  sich  neuerdings  hinter  die 
»Oberhoheit  des  Staates«.  Nun  entbrannte 
zum  zweiten  Male  die  Entrüstung  der 
Commune  wegen  dieses  »Eingriffs  in  ihre 
Rechte«.  Der  Ge- 
meinderath ging  so- 
weit, einen  Beschluss 
des  Verwaltungsge- 
richtshofes zu  provo- 
ciren.  Derselbe,  vom 
12.  Juni  1885  datirt, 
anerkannte  das  Eigen- 
thums-,  beziehungs- 
weise Verfügungs- 
recht des  Gemeinde- 
rathes  über  die  Stras- 
sen Wiens  in  vollstem 
Masse,  so  dass  einer- 
seits die  Tramway- 
Gesellschaft  die  Zu- 
stimmung der  Ge- 
meinde zur  Benützung 
der  Strasse  einzuholen 
habe,  andererseits  die 
Regierung  »weder  aus  dem  Titel  des  Con- 
cessionsrechtes,  noch  als  oberste  Wegbe- 
hörde, noch  aus  dem  Titel  der  Staatsauf- 
sicht competent  war,  die  von  der  Gemeinde 
formulirten  vertragsmässigen  Bedingungen 
zu  umgehen«.  Durch  diesen  Beschluss 
war  somit  das  Unternehmen  dem  Wohl- 
wollen des  Gemeinderathes  überliefert. 
Nach  der  grossen  Pause  von  1877  bis 
1882,  wobei  der  Neubau  von  Linien  trotz 
aller  Bemühungen  des  Gemeinderathes 
vollständig  geruht  hatte,  kam  nun  wieder 
eine  erhöhte  Bauthätigkeit,  und  so  wurden 
bis  1887  im  Ganzen  elf  Linien  von  bei- 
nahe 17  km  Gesammtlänge  eröffnet.  Bei 
jeder  einzelnen  wurde  systematisch  Sturm 
zu  laufen  versucht  wider  jene  verhängnis- 
volle Vertragsbestimmung,  welche  die 
Concession  auf  das  Jahr  1903  beschränkte. 
Endlich,  im  Jahre  1887,  gelang  der  grosse 
Wurf,    der    das   Unternehmen    von    dem 


Abb.  231.    Wilhelm  v,  Lindheim 


Drucke  der  kurzen  Amortisationsfrist  be- 
freien sollte.  Um  den  enormen  Preis  von 
1,550.000  fl.,  welche  sofort  bar  an  die 
Gemeinde  Wien  erlegt  werden  mussten, 
kam  am  30.  April  1887  ein  Vertrag  zu 
Stande,  demzufolge  die  langerstrebte  Ver- 
längerung des  Strassenbenützungsrechtes 
bis  31.  December  1925  [conform  der  staat- 
lichen Concession]  zugestanden  wurde. 

Die  Länge    der  vor  diesem  Vertrage 
vollendeten  Strecken  betrug    61-562  km, 
während  nach  Abschluss  des  neuen  Ver- 
trages nur  mehr  i8-9I5  km  [neun  Linien] 
hinzukamen. 

Mittlerweile  hatte 
die  k.  k.  Statthalterei 
von  ihrem  Tarif-Ober- 
hoheitsrechte ausgie- 
bigen Gebrauch  ge- 
macht, indem  dieselbe 
den  seit  1875  gelten- 
den Preis  der  Fahr- 
karte von  12  auf  9  kr. 
—  ab  1.  Mai  1884  — 
und  später  auf  8  kr. 
herabsetzte. 

Doch  auch  damit 
war  noch  immer  kein 
eigentlicher  ganzer 
Friede  erreicht ;  ver- 
möge des  immer  noch 
bestehenden  Tarif- 
Oberhoheitsrechtes 
der  Regierung  hatte  diese  letztere  es  sich 
vorbehalten,  eine  weitere  Tarifreduction 
eintreten  zu  lassen  und  trug  nun  der  Tram- 
way-Gesellschaft  anlässlich  der  Concessio- 
nirung  neuer  Linien  auf,  wegen  eines  mög- 
lichst einheitlichen,  bequemen  Tarifes  mit 
dem  Gemeinderathe  ins  Einvernehmen  sich 
zu  setzen.  Infolgedessen  wurde  auf  Grund 
eines  Gutachtens  des  k.  k.  Handels- 
ministeriums eine  Art  Zonen-Staffeltarif 
mit  den  Sätzen  von  5,  7  und  10  kr.,  und 
den  Specialtarifen  von  12,  15  und  20  kr. 
durch  den  Gemeinderath  am  30.  October 
1888  beschlossen,  welcher  heute  noch  in 
Geltung  ist.  Bei  diesem  Anlasse  war  auch 
die  Bedingung  eingefügt  worden,  dass 
eine  Tarifreduction  dann  eintreten  solle, 
wenn  das  Brutto- Erträgnis  in  drei  auf- 
einanderfolgenden Jahren  60.000  fl.  pro 
Kilometer  übersteigen  sollte,  wobei  aller- 
dings zugesagt  wurde,  auf  die  der  Gesell- 


534 


F.  R.  Engel. 


schaftinfolge  des  erhöhtenVerkehrs  erwach- 
senden Mehrauslagen  Bedacht  zu  nehmen. 

Zu  Beginn  des  Jahres  1886  hatte  ein 
Grosscapitalist  die  Majorität  des  Actien- 
besitzes  an  sich  gebracht  und  begann 
abermals  mit  einschneidenden  Reformen, 
d.  h.  Ersparungen  vorzugehen,  welche 
zwar  vom  kaufmännischen  Standpunkte 
vollste  Anerkennung  verdienen,  aber  für 
die  Technik  des  Betriebes  von  grösstem 
Nachtheil  sich  erwiesen.  Wieder  ward  der 
Verwaltungsrath  erneuert,  beziehungs- 
weise in  seinem  Wirken  reducirt,  und  es 
wurden  nur  solche  Männer  hineinberufen, 
welche  sich  des  unbedingten  Vertrauens 
des  Grossactionärs  erfreuten.   — 

Thatsächlich  wickelte  sich,  aller  Vor- 
stellungen und  Ermahnungen  ungeachtet, 
der  Betrieb  bis  vor  Kurzem  noch  fast 
genau  nach  der  alten  Schablone  wie  vor 
30  Jahren  ab.  Die  Klagen  wegen  Ueber- 
füllung  —  schon  vorher  zumeist  be- 
rechtigt —  stiegen  ins  Ungeheuerliche. 
Allen  Forderungen  gegenüber  verhielt 
sich  die  Verwaltung  trotz  aller  Enqueten, 
Ermahnungen  etc.  vollkommen  passiv  und 
Hess  es  geschehen,  dass  in  Vereinen,  in 
der  Journalistik  und  allerorten  schonungs- 
loseste Kritik  an  ihren  Vorkehrungen  oder 
vielmehr  über  den  Mangel  entsprechender 
Massnahmen  geübt  wurde.  Wiederholt 
wurden  daher  die  den  Behörden  zur 
Genehmigung  vorgelegten  Fahrpläne  zu- 
rückgewiesen, mit  dem  bestimmten  Auf- 
trage, für  entsprechende  Vermehrung  der 
Touren  Sorge  zu  tragen.  Nebenher  aber 
liefen  überdies  auch  directe  Hetzereien, 
welche  die  Tendenz  hatten,  das  Personal 
gegen  die  Verwaltung  aufzubringen  und 
letztere  in  der  Oeffentlichkeit  herab- 
zusetzen. Die  Verwaltung  hatte  es  früher 
nicht  verstanden,  ihr  Personale  an  dem 
Emporblühen  des  Unternehmens  zu  inter- 
essiren  —  obwohl  ein  bezüglicher  Antrag 
bereits  im  Jahre  1878  beim  Verwaltungs- 
rathe  eingebracht  wurde  —  und  züchtete 
sich  so  in  jedem  der  zu  stark  in  Anspruch 
genommenen  Bediensteten  einen  neuen 
Ankläger,  einen  neuen  erbitterten  Feind. 
In  einem  allgemeinen  Strike  der  Kutscher 
kam  zu  Ostern  1889  der  Unwille  zum 
Durchbruch,  und  nun  sah  endlich  die  Ver- 
waltung sich  genöthigt,  die  Lage  der 
Bediensteten    in   dem  Sinne    zu  bessern, 


j  dass  eine  kürzere  Dienstzeit  und  eine 
1  geänderte  Entlohnung  gewährt  wurde. 
',  Die  Sympathie  des  Publicums  begleitete 
!  die  Bestrebungen  der  Bediensteten,  welche 
in  kürzester  Zeit  fast  alle  ihre  Forderun- 
gen durchgesetzt  hatten. 

Abermals    durch    die  Grossherzigkeit 
:  unseres    Monarchen    wurde    eine  Umge- 
i  staltung    Wiens    ins   Werk    gesetzt,    die 
zweite  Stadterweiterung    im  Jahre  1890, 
welche  an  Grösse  ihres  Gleichen  sucht; 
|  dieselbe   machte   neuerdings  eine  gründ- 
liche Erweiterung  der  Verkehrsmittel  im 
Allgemeinen     nothwendig.       Durch    den 
Wegfall  des  Linienwalles  sind  alle  nach 
aussen    strebenden  Strassen   und  Gassen 
—   nahezu    hundert!    —    aufgeschlossen 
worden,    und  es  machte  sich    mit  einem 
Male  das  Lückenhafte  unseres  Verkehrs- 
netzes so  recht  fühlbar. 

Den  höchsten  Unwillen  des  fahrenden 
Publicums  erzeugte  es  daher,  als  im  Jahre 
1893  eine  allzu   tief  einschneidende  Ein- 
schränkung des  Verkehrs  auf  den  gesell- 
schaftlichen Linien  vorgenommen  wurde. 
Die    Zahl    der    täglich    verkehrenden 
Wagen  ward  durchschnittlich  um  zehn  ver- 
ringert und  es   ergab  sich  eine  um  6-4°/0 
geringere  Fahrtleistung  als  wie  im  Vor- 
jahre.*) Die  allgemeine  Entrüstung  zeigte 
I   sich  derart,    dass  die  Wiener  Tramway- 
;   Gesellschaft   sich    veranlasst    fand,    eine 
I  Zählung  der  Passagiere    hinsichtlich  der 
1   Ueberfüllung    vorzunehmen,    woraus    be- 
\  wiesen  werden  sollte,  dass  die  Zahl   der 
I  Ueberfüllungen    nur  eine    geringe  sei.  **) 
Der     Energie     des    Statthalters     von 
1  Nieder-Oesterreich,    Grafen   Kielmans- 
!   eSS->  'st  es  zu  danken,  dass  endlich,  im 
\   Mai  1895,  Ordnung  hier  geschaffen  wurde. 


*)  Die  auf  I  km  Bahnlänge  entfallende 
Zahl  der  Fahrtkilometer  sank  auf  157.603  und 
näherte  sich  dadurch  der  Ziffer,  wie  sie  das 
Jahr  1880  zeigte;  für  das  Jahr  1897  entfielen 
211.531  Fahrtkilometer  auf  I  km  Betriebslänge. 

**)  Eine  in  Wien  neu  erschienene  Zeitung 
[»Neues  Wiener  Journal«]  schrieb  sogar  einen 
Preis  von  500  Kronen  für  die  beste  Lösung 
der  Tramwayfrage  aus.  In  der  hierauf  ein- 
gegangenen, mit  dem  Preise  gekrönten  Ar- 
beit fanden  sich  eine  Reihe  von  Vorschlägen 
vor,  deren  Realisirung  nunmehr  zum  Theil  ein- 
getreten ist,  und  zwar  die  Trennung  des  Ring- 
strassen- vom  Radialverkehr,  Einführung  des 
Correspondenzdienstes  und  des  mechani- 
schen Betriebes,   sowie  Ausbau    des   Netzes. 


Kleinbahnen. 


535 


Der  Gesellschaft  wurde  einfach  mit  der 
Entziehung  der  Concession  gedroht,  wenn 
sie  nicht  die  verlangte  Vermehrung  der 
Fahrten  und  Verlängerung  der  täglichen 
Betriebsdauer  durchführen  würde. 

Ueberdies  wurde  ein  strenges  Ueber- 
füllungsverbot,  zuerst  für  eine  bestimmte 
Wagengattung  [Abb.  228]  publicirt,  welche 
sodann  Ende  1896  auf  sämmtliche  Wagen 
ausgedehnt  ward. 

Begreiflicherweise  versuchte  die  Ver- 
waltung   der    Wiener    Tramway-Gesell- 


Welt  geschafft  und  eine  wesentliche 
Klärung  der  Situation  für  die  Zukunft 
herbeigeführt. 

In  der  Zwischenzeit  hatte  sich  ein 
abermaliger  grosser  Besitzwechsel  in  den 
Actien  vollzogen.  Der  frühere  Gross- 
actionär,  welcher  durch  seine  conser- 
vative,  zielbewusste  Politik  allgemeines 
öffentliches  Aergernis  erregt  hatte,  traf 
mit  dem  Wiener  Bankverein  ein  Arrange- 
ment, demzufolge  mehrere  Tausend 
Stück  Actien  in  den  Besitz  des  letzteren 


Abb.  232.    Wagen  der  Neuen  Wiener  Tramway  aus  den  Siebziger-Jahren. 


schaft  gegen  diese  scharfe  Massregelung 
sich  zu  wehren  und  ergritf  alle  hiezu 
möglichen  Rechtsmittel  der  Recurse, 
sogar    bis  zum  Verwaltungsgerichtshofe. 

Dieser  erkannte  nun  in  seinem  Votum 
vom  13.  April  1 897  endgiltig  dahin,  dass  die 
Pferdebahnen  unter  das  Eisenbahn-Gesetz 
fallen,  dass  somit  die  k.  k.  Statthalterei 
in  ihrem  vollsten  Rechte  gehandelt  habe, 
als  sie  die  Vermehrung  der  Fahrten  anord- 
nete und  das  Ueberfüllungsverbot  erliess. 

Hiemit  war  ein  alter  Streit  endgiltig 
und  grundsätzlich  ausgetragen,  eine  wich- 
tige, das  öffentliche  Interesse  intensiv 
berührende    Frage    für    immer    aus    der 


!  übergingen.  Nun  wurde  der  Verwaltungs- 
I  rath  abermals  gewechselt,   wieder  wurde 
|  reorganisirt  und  auch  die  Frage  des  elektri- 
schen Betriebes  in  ernste  Erwägung  ge- 
zogen. *) 


*)  Das  Bestreben,  an  Stelle  von  Pferden 
mechanische  Motoren  zur  Einführung  zu 
bringen,  ist  fast  so  alt  wie  die  Strassen- 
bahnen  selbst.  In  der  »Allgemeinen  Vor- 
geschichtec  [Bd.  I,  I.  Theil  dieses  Werkes] 
wurden  die  vielfachen  Versuche  mit  Strassen- 
Locomotiven  eingehend  dargestellt.  Auch 
Wien  bekam  1834  eine  von  Hancock 
[England]  gelieferte  Strassen-Locomotive  zu 
sehen.  Es  vergingen  jedoch  einige  Jahr- 
zehnte,   ohne     dass    bei  Tramway-    wie    bei 


536 


F.  R.  Engel. 


Behufs  Einführung  des  mechanischen 
Betriebes  wurden  früher  schon  seitens 
der  Wiener  Tramway-Gesellschaft  ein- 
zelne Versuche  mit  nachstehenden  Loco- 
motiv-Systemen  angestellt,  und  zwar: 

1872  mit  einer  Locomotive,  welche 
oscillirende  Cylinder  nach  amerikanischem 
Muster  besass.  Dieselbe  bewährte  sich 
trotz  einer  1875  vorgenommenen  Recon- 
struction  des  Kessels  ganz  und  gar  nicht 
und  erwies  sich  im  Betriebe  zu  theuer. 
Im  Juli  und 
August  1876 
wurde  sodann 
mit  zwei  aus 
England  ge- 
kommenen Lo- 
comotiven  von 

Merry  w  e  a- 
t  h  e  r    im   Ge- 
wichte von 
3 1jit und  einem 

Tramway- 
Dampfwaggon 

[Grantham 
Steam-Car] 

der  Versuch 
gemacht,  1879 
mit  der  feuer- 
losen Heiss- 
wasser-Locomotive  von  Lamm-Frank,  1879 
mit  der  gewöhnlichen  kleinen  Tramway-Lo- 
comotive  von  Krauss  &  Comp,  und  1895 


Abb.  233.    Darnpftrainway-Locomotive  System  Krauss  &  Comp. 


mit  dem  Serpollet'schen  Dampfwagen.  1896 
[Mai-Juni]  wurde  mit  einem  elektrischen 
Accumulator- Wagen  experimentirt. 

Alle  diese  Versuche  mit  Dampf- 
motoren scheiterten  mehr  oder  minder 
an  dem  principiellen  Uebelstande  des 
Wiener  Hügel -Terrains  einerseits,  sowie 
an  dem  damals  zu  schwachen  Oberbau 
andererseits.  Erst  die  successive  Aus- 
wechselung der  ursprünglichen,  recht 
schwachen  Schienen,  namentlich  aber  die 

im  Jahre   1885 
begonneneEin- 
führung       des 
eisernen  Ober- 
baues   machte 
die       Anwen- 
dung schwerer 
Motoren  mög- 
lich. Dass  Letz- 
tere factisch 
übermässig 
stark,       bezie- 
hungsweise 
gewichtig  sein 
mussten,  hatte 
seinen     Grund 
eben     in    den 
zahlreichen 
Steigungen, 


die  im  Maximum  bis  zu   I  .-25  betragen. 

Bei  dem  elektrischen  Betriebe  hingegen 

ist  die  Adhäsion    an    sich    schon    etwas 


Strassen-Locomotiven  ein  nennenswerther 
Erfolg  zu  verzeichnen  gewesen  wäre.  Durch 
das  Eintreten  Amerikas  in  den  Wettbewerb, 
beziehungsweise  durch  -das  Anwachsen  der 
dortigen  Städte,  mehrten  sich  aber  dieVersuche. 
So  wurden  auf  der  Cincinnati  -  Tramway 
durch  die  mit  dem  Wagen  verbundene 
Maschine  von  A.  B.  Latta  zuweilen  80  Per- 
sonen befördert.  Nun  wurden  in  rascher 
Aufeinanderfolge  mehrere  amerikanische 
Tramways  mit  Motoren  verschiedener  Con- 
struction  ausgerüstet,  unter  welchen  jene 
vonGrice  &  Long  [1859]  und  G.  F.  Train 
[1860],  beide  mit  Zahnrad-Uebersetzung,  be- 
sondere Erwähnung  verdienen.  1870  wurde 
in  Chicago  ein  Ammoniak-Motor  für  die  dortige 
Tramway  von  Dr.  Lamm  versucht  1871 — 1874 
liefen  Tramway-Locomotiven  von  L.  Jennet 
—  ohne  Rauch-  ud  Dampfentwicklung  —  mit 
verhältnismässig  grossem  Wasserraum,  nach 
dem  sogenannten  Accumulator-System,  um 
das  Einieuern  während  der  Fahrt  zu  ersparen, 
ferner  ein  Dampf-Omnibus  von  Nairn 
mit  drei  Cylindern,  1872  [in  New  -  York] 
die  Remington  -  Hochdruck  -  Locomotive,  mit 


dem  Wagen  combinirt;  im  selben  Jahre  ver- 
suchte auch  Fairlie  sein  Svstem  der  sechs- 
rädrigen  Doppelmaschinen  mit  separatem 
Motor  auf  -Tramways  anzuwenden.  Gran- 
tham versuchte  einen  Locomotiv-  Omnibus 
zum  Vor-  und  Rückwärtsfahren,  mit  dem 
Kessel  und   dem  Mechanismus  in  der  Mitte. 

1873  construirte  Dr.  Lamm  in  Chicago 
eine  feuerlose  Locomotive  mit  überhitztem 
Dampfe ;  im  selben  Jahre  erbaute  Robinson 
einen  Tramway-Motor  nach  dem  Heisswasser- 
System  und  mit  Condensation  —  mit  dem 
Kessel  am  Dache,  welcher  sich  bei  Steigun- 
gen in  die  richtige  Lage  einstellte. 

1874  wurde  die  Tramway-Hochdruck- 
Locomotive  von  P  e  r  k  i  n  s  mit  etwa  35  Atmo- 
sphären Dampfdruck  und  Luft-Oberflächen- 
Condensation,  ferner  das  System  Scott-Mont- 
crierT  mit  comprimirter  Luft,  welche  durch  Ex- 

Bansion  auf  vier  Cylinder  wirkte  und  hiebei  im 
irucke  von  21  auf  i1/»  Atmosphären  [in  den 
Cylindern]  herabgebracht  wurde,  geprobt. 
Auch  eine  rotirende  Dampfmaschine  ward 
um  diese  Zeit  durch  Cramp  zur  Fortbe- 
wegung mittels  Kette  und  Zahnrad  versucht. 


Kleinbahnen. 


537 


Abb.  234  a.  Dainpftramway-Locomotive  System  Krauss  &  Comp. 
[Serie  B.J 


Abb.  2346.  Dampftramway-Locomotive 
System  Krauss  &  Comp.  [Serie  B.] 


grösser,  daher  erfolgt  namentlich  die 
Ueberwindung  von  Steilrampen  leichter ; 
Wien  mit  seinen  zahlreichen  Boden- 
wellen und  Thalfurchen  ist  demnach  zum 
elektrischen  Betriebe  geradezu 
prädestinirt. 

Wiewohl  schon  1890  dem  Wiener 
Gemeinderathe  ein  förmliches  Vorproject 
für  die  allgemeine  Umgestaltung  auf  elektri- 
schen Betrieb  vorgelegt  wurde,  so  kam 
doch  daraufhin  keine  Ausführung  zu 
Stande.    Die    am    28.  Januar    1897    zur 


Hiebei  ward  auch  dem  Abdampf  beson- 
dere Sorge  zugewendet,  um  sein  geräusch- 
loses Entweichen  zu  erzielen.  Ebenso  ver- 
suchte man  bei  Todd's  separatem  Motor 
mit  Hilfe  eines  eigenen  Apparates  den  lästi- 
gen Abdampf  zu  vernichten.  Auch  dieser  Er- 
finder benützte  einen  sogenannten  Accumu- 
lator-Kessel  theilweise  nach  dem  Füllofen- 
Princip.  Die  Societe  metallurgique  et  char- 
bonniere  beige  versuchte  um  diese  Zeit  eben- 
falls Tramway-Locomotiven  mit,  wenn  auch 
nur  leicht  überhitztem  Dampfe  und  mit  Ober- 
flächen-Condensation  [separater  Motor  mit 
drei  Cylindern]. 

1876  baute  Brunner  in  Winterthur 
einen  grösseren  mit  der  Maschine  ver- 
bundenen Dampfwagen  für  Tramways.  Im 
selben  Jahre  ward  auf  der  Pariser  Tramway 
das  System  mit  comprimirter  Luft  von 
Mekarski  versucht  [Maschine  und  Wagen 
ebenfalls  verbunden]  Dasselbe  hat  sich 
später  in  einigen  Städten  Eingang  verschafft 
und  bewährte  sich  bisher  ganz  gut.  So- 
dann wurde  durch  Vaucamp  wieder  das 
Perkins'sche  Svstem    mit   Modifikationen    an 


versuchsweisen  Durchführung  gelangte 
Methode  besteht  in  je  einem  Motor-  mit 
einem  Anhängewagen  [Abb.  229].  Diese 
vom  Publicum  so  sehnsüchtig  herbei- 
gewünschte neue  Betriebsart,  welche  auf 
einer  peripheren  Linie  von  der  Wallgasse 
zur  Prater-Remise  in  der  Länge  von  9^4  km 
durchgeführt  wurde,  ist  das  Hamburger 
[Trolley-JSystem  »Thomson-Houston«  und 
beruht  auf  der  oberirdischen  Stromzu- 
leitung. Zu  diesem  Zwecke  wird  über  dem 
Geleise  ein    Leitungsdraht    von  8  1j4  mm 


Details  versucht.  Eine  Besonderheit  zeigte 
die  Tramway- Locomotive  von  Rolin  und 
A.  Buret.  indem  die  beiden  Räder  je  einer 
Seite  durch  Riemen  miteinander  gekuppelt 
wurden.  Auch  hier  ward  dem  Abdampf  be- 
sondere Sorgfalt  gewidmet.  Dalifol  baute 
einen  rauchverzehrenden  Tramway-Dampf- 
omnibus  mit  vier  Cylindern,  mit  Zahnrädern, 
Kette  und  Oberflächen -Condensation.  Pro- 
fessor Bede  construirte  wieder  einen  feuer- 
losen Tramway  -Motor  mitHeisswasser  von  1850 
[II  Atmosphären],  welches  in  sechs  Kesseln, 
wovon  vier  unter  den  Sitzen  vertheilt  sind, 
mitgeführt  ward.  Die  dreicylindrige  Maschine 
war  hiebei  mit  dem  Wagen  vereinigt.  Ein 
ähnlicher  Tramway  -  Omnibus  wurde  von 
Todd  construirt,  wobei  jedoch  die  zwei 
Cylinder  in  den  Heisswasser-Reservoirs  lagen. 
Leon   Francq    construirte    ebenfalls     einen 

Eesonderten  Heisswasser-Motor  nach  System 
amm. 
1876  versuchte  sich  auch  die  Firma  M  e  rry- 
weather    mit   kleinen    gesonderten    Tram- 
way-Locomotiven nach  System   Harding  zu- 
erst in  Paris,  sodann,  wie  erwähnt,  in  Wien.  In 


538 


F.  R.  Engel. 


Stärke  gespannt,  unter  welchem  eine  durch 
Federkraft  angedrückte  Rolle  hingleitet, 
die  von  einer  schräg  vom  Wagendache 
ausgehenden  Stange  gehalten  wird.  Der 
elektrische  Strom  —  von  500  Volt 
Spannung  —  circulirt  somit  vom  Leitungs- 
drahte in  die  Rolle  durch  die  Stange  in 
die  [Secundär-]  Dynamomaschinen  —  je 
zwei  Stück  von  je  20  Pferdekräften  pro 
Wagen  —  welche  die  Räder  des  Motor- 
wagens in  Drehung  setzen.  Die  Rück- 
leitung des  Stromes  erfolgt  theils  durch 
die  Schienen,  theils  durch  zwei,  bei  der 
Augarten-  und  Brigittabrücke  von  den 
Geleisen  abzweigende  Kabel.  Zur  Fest- 
haltung des  Zuleitungsdrahtes  ist  ein 
ganzes  System  von  Spanndrähten  er- 
forderlich, welche  ihrerseits  durch  310 
grosse  Mäste  aus  Mannesmann- Röhren, 
sowie  auch  durch  366  Wandrosetten 
gehalten  werden. 

Die  ganze  Strecke  ist  in  17  Aus- 
schalte-Sectionen  von  je  500  m  Länge 
abgetheilt  und  erhält  ihre  Speisung  an 
drei  Punkten,  wozu  eigene  Kabel  dienen. 
Vorläufig  befinden  sich  40  Motorwagen 
mit  je  einem  Beiwagen  —  den  früheren 
Einspännerwagen,  welche  mit  Central- 
Buffern  ausgerüstet  wurden  —  im  Betriebe ; 
hiezu  ist  ein  Kraftaufwand  einer  Dampf- 
maschine von  600  Pferdestärken  für  die 
sogenannte  primäre  Dynamomaschine  er- 
forderlich. Ausserdem  ist  eine  »Buffer- 
maschine« zur  Ausgleichung  der  Spannung 
vorhanden. 


letzterer  Stadt  ward  ihr  die  Ueberwindung  der 
starken  Steigung  von  I  :  258  auf  der  Bellaria 
sowie  der  enge  Radius  von  18  in  zu  schwierig. 
Fast  zur  selben  Zeit  fand  auch  die  Erprobung 
eines  Grantham'schen,  von  der  Firma  Star- 
buck [England]  gelieferten  Dampfwaggons 
auf  der  Wiener  Tramway,  und  zwar  mit 
ungefähr  dem  gleichen  Misserfolge  statt. 

1876  wurde  auch  auf  einigen  Tramways 
Englands  und  Schottlands  das  System  Hughes 
mit  Condensation  und  besonderer  Vorrich- 
tung für  den  Abdampf  sowie  restringirter 
Einfeuerung  versucht,  welches  ziemlich  den 
Bedingungen  entsprach.  Auf  der  Tramway 
von  Kopenhagen  wurden  mittlerweile  von 
Smith  &  Mygind  Locomotiven,  und  zwar 
nach  dem  Compound-System  [mit  zwei  un- 
gleich grossen  Cylindern]  und  mit  Conden- 
sation eingeführt.  In  Amerika  versuchte 
Mathewson  den  Kessel  mit  Gas  zu  heizen 
und  gab,  um  das  Scheuen  der  Pferde  vor  der 
Maschine  zu  verhüten,  seiner  Locomotive  das 
Ansehen  eines  Pferdes. 


Die  neue  Beförderungsart  hat  sich  — 
trotz  einzelner  Unfälle  —  im  Sturme  die 
Gunst  des  Wiener  Publicums  errungen. 
Viel  trägt  hiezu  die  bequeme  und  elegante 
Ausstattung  sowie  die  reichliche  [elektri- 
sche] Beleuchtung  der  Wagen,  vor- 
nehmlich aber  die  erhöhte  Geschwindig- 
keit bei. 

Infolge  dieser  raschen  Beliebtheit 
wurden  die  zwei  zur  Kaiser-Jubiläums- Aus- 
stellung [1898]  im  Prater  führenden  Linien 
für    elektrischen  Betrieb  eingerichtet.   — 

Aus  dem  ursprünglichen  Anfange 
der  Linie  Schottenring-Hernals,  3-96  km 
[eröffnet  4.  October  1865],  ist  1897, 
nach  32  Jahren,  ein  gewaltiges  weit- 
verzweigtes Bahnnetz  von  8o'76  km  mit 
zusammen  I58'338&>«  Geleiselänge  ge- 
worden, dasselbe  hat  sich  demnach  ver- 
zwanzigfacht !  Anstatt  der  ursprünglich 
eingeleisigen  Strecke  sind  durchgehends 
Doppelgeleise  vorhanden,  mit  Ausnahme 
der  kurzen  und  wenigen  »Engpässe«,  wo 
eine  Einlösung  nicht  möglich  war.  Aus  der 
ursprünglich  vorhandenen  Zahl  von  44  Pfer- 
den wurde  ein  durchschnittlicher  Tages- 
stand von  3736  Stück,  die  Zahl  der  beför- 
derten Passagiere  stieg  von  265 .000  j  ährlich 
auf  etwas  über  64,000.000,  der  Wagenpark 
von  22  auf  730 ;  welche  Entwicklung  der 
Oberbau  durchmachte,  ist  aus  den 
Abb.  230  ersichtlich.  Das  Gewicht  des 
Oberbaues  ist  im  Laufe  der  Jahre  auf 
mehr  als  das  Fünffache  des  ursprünglichen 
gestiegen. 

1877  trat  nun  Krauss  in  München  mit 
seinen  kleinen  Tramway-Locomotiven  mit 
Condensation  und  seitlicher  Feuerung  auf, 
deren  eine  auch  die  auf  der  Wiener  Tramway 
1879  erprobte  war.  Im  J.  1877  wurden  auf  den 
Tramways  zu  Genf,  später  in  Mailand,  Strass- 
burg,  Hamburg,  Berlin  und  Köln  etc.  Loco- 
motiven von  Brown  in  Winterthur  nach  dem 
Accumulator-  und  Füllofen-Princip  und  mit 
Oberflächen-Condensation  versucht,  welche 
ziemlich  zufriedenstellende  Resultate  ergaben. 

Mitte  der  Neunziger-Jahre  tauchte  in 
Paris  das  System  S  erpoll  et  auf,  welches 
auch  in  Wien,  wiewohl  ohne  Erfolg,  erprobt 
wurde.  Das  Charakteristische  dieses  Systems 
gegenüber  anderen  Dampf-Locomotiven  be- 
steht in  der  Art  der  Dampferzeugung,  indem 
stets  nur  ein  Minimum  von  überhitztem 
Dampf  gebildet  wird.  Hiezu  dienen  sehr  enge 
Circulationsrohre,  in  welche  Wasser  auto- 
matisch unter  sehr  hohem  Druck  eingepumpt 
wird.  In  diesem  Vortheil  des  geringen  Dampf- 
und Wasservorrathes  liegt  aber  auch  zugleich 


Kleinbahnen. 


539 


Abb.  235.     Station  Berg  Isel.  [Innsbruck-Hall.] 


Hinsichtlich  des  Betriebes  vollzog  sich 
im  Jahre  1897  eine  gründliche  Ver- 
besserung, beziehungsweise  Umformung 
nach  zwei  Richtungen  hin :  die  Elektri- 
cität  ersetzt  —  allerdings  erst  mit  dem 
Antheil  von  i7-60/0  —  das  Pferd,  die 
kurze  Tour,  die  »Pendelfahrt«,  tritt 
endlich,  wiewohl  noch  zögernd,  an  Stelle 

der  Nachtheil,  indem  kein  bedeutendes  Kraft- 
reservoir vorhanden  ist.  Dagegen  verdient 
die  Oeconomie  und  das  Compendiöse  dieses 
Systems  alle  Anerkennung.  — 

Auch  die  Kabelbahnen  haben  sich  keinen 
allgemeineren  Eingang  verschaffen   können. 

Dagegen  scheint  in  allerneuester  Zeit 
das  System  der  Gasbahnen,  wie  dasselbe 
von  Lührig  in  Dessau  und  in  einigen 
anderen  Orten  in  England,  Amerika,  Holland 
und  seit  April  1897  für  die  Strecke  Hirschberg- 
Warmbrunn  sowie  Hermsdorf  eingeführt 
wurde,  grosse  Aussichten  zu  besitzen.  Auch 
Motoren  mit  Benzinheizung  wurden  in  Ver- 
such genommen.  Selbstredend  kann  dieses 
neue  System  destoweniger  gegen  die  Elek- 
tricität  als  Betriebskraft  aufkommen,  je  dichter 
der  Verkehr  ist. 

Wären  die  Umgestaltungs-,  beziehungs- 
weise Anlagekosten  des  elektrischen  Betriebes 
nur  einigermassen  geringer,  so  wäre  die  Ver- 
breitung eine  noch  viel  allgemeinere  Es  lässt 
sich  aber  nicht  übersehen,  dass  zum  Beispiel  ein 


der  langen  Fahrt  —  nachdem  alle  dem  frü- 
heren Verwaltungsrathe  in  dieser  Be- 
ziehung schon  1885  und  früher  vorgelegten 
Anträge  einfach  verworfen  wurden.  Der 
frühere  Vertrag  enthielt  u.  A.  auch  die 
drückende  Bedingung,  dass  die  Fahrt  von 
einem  Endpunkte  einer  Linie  zum  anderen 
ohne  Umsteigen  stattfinden  könne.   Diese 


grosser  Accumulator-Wagen  über  13.000  fl. 
und  dass  das  Kilometer  Oberleitung  bei 
zweigeleisiger  Bahn  bis  zu  circa  15.000  fl., 
ebenso  das  Kilometer  bei  unterirdischer  Lei- 
tung bis  55.000  fl.  kostet ! 

Obwohl  heute,  nachdem  der  Versuch  in 
Wien  als  vollkommen  geglückt  zu  betrachten 
ist,  die  allgemeinere  Verbreitung  des  elektri- 
schen Betriebes  mit  Sicherheit  zu  erwarten 
steht,  lässt  sich  noch  keineswegs  schon  die 
engere  Wahl  des  Systems  als  eine  endgiltige 
bezeichnen.  Es  ringen  mehrerlei  Durchfüh- 
rungsarten um  die  Herrschaft.  Ganz  abge- 
sehen von  der  unterirdischen  Führung  der 
Trace  mit  ebensolcher  elektrischer  Stromzu- 
leitung theilen  sich  die  oberirdischen  Bahnen 
in  folgende  Arten  ein,  und  zwar  mit: 

a)  oberirdischer  Stromzuleitung  allein, 
welche  überdies  nach  mehrfachen  construc- 
tiven  Untertheilungen  sich  gliedern; 

b)  oberirdischer  Stromzuleitung  und 
gleichzeitigem  Accumulatoren-Betrieb,  wobei 
letzterer   a>  durch  locomobile  Batterien  oder 


540 


F.  R.  Engel. 


Bestimmung,  welche  den  ursprünglichen 
kleinlichen  Verhältnissen  entsprechen 
konnte,  eignete  sich  längst  nicht  mehr 
für  die  gross  entwickelte  Beförderung 
einer  Millionenstadt,  wo  sich  förmliche 
Menschenströme  in  einer  nach  den  ver- 
schiedenen Tageszeiten  stark  wechseln- 
den Intensität  ergiessen  —  oftmals 
geradezu  entgegengerichtet  den  Touren, 
wie  sie  eine  schablonenhaft  zusammen- 
gestellte Fahrordnung  darbietet. 


Abb.  236.    ZahnradlAbttÄotive.  [System  Riggenbach] 


Dass  von  den  ursprünglichen  Ver- 
kehrsbestimmungen, welche  vor  drei  Jahr- 
zehnten massgebend  waren,  heute  fast 
keine  mehr  aufrechterhalten  werden  kann, 
ergibt  sich  Wohl  am  besten  aus  einem 
Vergleiche  der  gigantischen  Verkehrs- 
leistung von  Jetzt  gegen  jene  von  Einst. 

Als  im  Jahre  1866  zum  ersten  Male 
der    ganzjährige    Betrieb     aufgenommen 


|  wurde,  betrug  die  Zahl  der  geleisteten 
|  Fahrtkilometer  an  500.000.  Pro  1897  be- 
i  trägt  dieselbe  14,606.442  km  im  Pferde- 
:  betriebe,  wozu  noch  2,477.070  km  elek- 
|  trischenBetriebes hinzukommen, zusammen 
17,083.512  km.  Dies  entspricht  ungefähr 
I  jener  Ziffer,  welche  durch  die  auf  der 
!  Oesterreichisch-Ungarischen  Staatseisen- 
i  bahn-Gesellschaft  geleisteten  Anzahl  Loco- 
motiv-Kilometer  repräsentirt  wird. 

Denkt  man  sich  an  Stelle  der  täg- 
lich circulirenden  vielen  Wagen  *)  nur 
einen  solchen,  so  müsste  derselbe,  um 
dieser  Wegleistung  zu  entsprechen,  un- 
gefähr 427  Mal  im  Jahre,  also  täglich 
mehr  als  einmal  um  den  Aequator 
herumgefahren  sein. 

Selbstverständlich  vervielfachten  sich 
auch  alle  mit  den  gesteigerten  Lei- 
stungen zusammenhängenden  Lasten  ganz 
erheblich  und  es  erreichen  in  der  Betriebs- 
rechnung einzelne  dahingehörende  Beträge 
eine  ganz  stattliche  Höhe.  So  betrugen  pro 
1897  z.  B.  die  diversen  Steuern  559.952  fl. 
53  kr.  Aus  folgender  Tabelle  Seite  541 
ist  die  Entwicklung  zu  ersehen,  welche 
die  Wiener  Tramway-Gesellschaft  seit 
ihrem  Bestand  als  Actien-Unternehmen, 
somit  seit  genau  30  Jahren  genommen  hat. 
Zur  Aufrechthaltung  des  Betriebes  ist 
die  Zahl  von  3813  Beamten  und  Bedien- 
steten erforderlich,  welche  sich  auf  2266 
Kutscher  und  Conducteure,  659  Personen 


£)  durch  eine  ständige  Batterie  mit  separater 
Zuleitung  bewirkt  wird; 

c)  Accumulatoren-Betrieb  allein,  ohne 
jede  Stromzuleitung; 

d)  unterirdische  Stromzuleitung. 

Jedes  dieser  Systeme  hat  gewichtige 
Gründe  für  und  gegen  sich;  allen  aber  ist 
der  principielle  Vortheil  eigen  des  raschen 
Anfahren  s,  der  starken  Kraftentfaltung  im 
Erfordernis  falle,  namentlich  bei  Steigungen, 
und  der  bedeutenden  Expansionsfähigkeit  des 
Betriebes  überhaupt,  sowie  der  grösseren 
Geschwindigkeit  —  gegenüber  dem  Betriebe 
mit  Pferden,  zum  Theil  auch  gegenüber  dem 
Locomotiv-Betriebe.  Im  Vergleiche  mit  dem 
letzteren  tritt  noch  überdies  der  Wegfall  des 
Feuers,  die  Rauch-  und  Geruchlosigkeit,  das 
zumeist  geringere  todte  Gewicht  hinzu, 
während  gegenüber  dem  ersten  die  ge- 
ringere Inanspruchnahme  des  Strassenraumes 
[infolge  Wegfalles  der  Pferde],  die  Emanci- 
pation  von  der  Hafer-Coniunctur,  von  Pferde- 
krankheiten, die  grössere  Zeitausdehnung  des 
täglichen  Betriebes,  endlich  die  grössere  Rein- 
haltung der  Strassen,    der  Wegfall  jeglicher 


Thierquälerei  etc.  in  Betracht  kommt,  lauter 
Momente,  welche  umso  höher  anzuschlagen 
kommen,  je  dichter  der  Verkehr  sich  gestaltet. 

Inwieweit  diese  Vortheile  durch  die  Nach- 
theile höherer  Kosten,  —  im  Vergleiche 
selbst  zu  anderen  mechanischenBetriebs- 
arten  —  und  zwar  nicht  allein  hinsichtlich 
des  Betriebes,  sondern  auch  hinsichtlich  Ver- 
zinsung und  Amortisation  etc.  aufgewogen 
werden,  lässt  sich  bei  der  geringen  Beobach- 
tungsdauer des  Betriebes  elektrischer  Bahnen 
überhaupt  im  Allgemeinen  noch  nicht  be- 
stimmen. Es  bildet  dies  vielmehr  Gegen- 
stand besonderer  Erwägungen  und  Unter- 
suchungen. Als  ein  allgemein  giltiges  Princip 
lässt  sich  nur  aufstellen,  dass  durch  elek- 
trischen Betrieb  eine  fast  unbegrenzte  Stei- 
gerungsfähigkeit der  Einnahmen  zu  erzielen 
ist,  gegen  welche  der  Nachtheil  eines  be- 
ständig grösseren  Arbeitsaufwandes  wohl 
mehr  oder  weniger  in  den  Hintergrund  tritt. 

*)  Im  Jahre  1897  betrug  die  Gesammt- 
zahl  der  täglich  verkehrenden  Wagen  im 
Durchschnitt  und  auf  das  ganze  Jahr  redu- 
cirt  4886. 


Kleinbahnen. 


541 


Wiener  Tramway- Gesellschaft. 


Jahr 

Ein- 
gezahltes 
Actien- 
capital 

Strecken- 
länge 
in  Kilo- 
metern 

Betriebs- 
Einnahmen 

Gesammt- 
Personen- 
Frequenz 

Anmerkung 

Mill.  Guld. 

Mill.  Guld. 

Millionen 

1868 

18 

H-6 

o-35 

3-3 

In  Betrieb  waren  die  Linien :   Dornbach — 

Ringstrasse  und  Prater. 
In  Betrieb  kamen  die  Linien  :  Franz  Josefs- 

1869 

36 

I9'3 

077 

7'3 

Quai,  Penzing— Hotel  Kummer,  Schotten- 
ring— Nussdorfer  Linie. 

1870 

21-8 

In  Betrieb  kamen  die  Linien :  Nussdorfer- 

50 

i-3i 

12-5 

Linie — Döbling,  Hotel  Kummer- Bellaria. 

1871 

53 

218 

1-58 

i5-i 

1872 

56 

218 

1-94 

18-8 

In    Betrieb    kamen    die    Linien:    Aspern- 

1873 

b  rücke— Sophienbrücke  — Weltausstellung, 

5"5 

37-2 

330 

311 

Schwimmschulallee — Weltausstellung, 

Wallensteinstrasse,    Südbahn  —  Matzleins- 

dorf  und  Rennweg. 

In  Betrieb  kamen  die  Linien :  St.  Marxer- 

1874 

5"5 

42-4 

2-26 

22'6 

Linie  -  Centralfriedhof,     Wollzeiie-  Land- 
strasse -  St.  Marxer-Linie. 

1875 

7-8 

419 

220 

209 

1876 

78 

42-6 

209 

187 

In  Betrieb  kam   die   Linie:    Praterstern — 
Communalbäder. 

1877 

78 

45-i 

2-05 

187 

In  Betrieb  kam  die  Linie:  KärntnerriDg  — 
Hundsthurm. 

1878 

78 

45-1 

224 

20'9 

1879 

7-8 

453 

2-40 

225 

1880 

7-8 

45-2 

2  52 

23'8 

1881 

7'8 

452 

260 

247 

In  Betrieb  kamen    die  Linien:    Porzellan- 

1882 

7-8 

48-3 

282 

269 

gasse  —  Franz     Josef  -  Bahnhof,      Tabor- 

strasse— Nordwestbahuhof. 
In  Betrieb  kamen    die  Linien:    Augarten- 

1883 

77 

55  0 

3-14 

298 

strasse,  Praterstern— Rotunde,  Währing— 

Lerchenfelderstrasse. 
In    Betrieb    kam    die    Linie:      Währing- 

1884 

77 

560 

339 

36-2 

Hauptstrasse. 
In    Betrieb    kamen    die    Linien:     Baben- 

1885 

7-6 

60-3 

3'39 

40-0 

bergerstrasse,  Kaiser  Josefstrasse,  Hunds- 

thurm -  Schönbrunn— Penzing. 

1886 

7'5 

603 

3'42 

40-1 

In  Betrieb   kam   die   Linie:   Josefstädter- 

1887 

9'8 

62-0 

3-38 

39  7 

strasse. 
In    Betrieb    kam    die    Linie:    Spittelauer- 

1888 

109 

627 

3-60 

419 

gasse. 
In   Betrieb   kamen   die  Linien :    Erdberg- 

1889 

12-0 

655 

349 

400 

strasse,  Himbergerstr.— Altes  Landgut. 
In  Betrieb  kamen  d.  Linien  :  Spitalgasse— 

1890 

I2'0 

72-5 

378 

42-8 

Kaiserstrasse  -  Wallgasse,      Kinderspital- 

gasse— Aisbachstrasse  und  Ungargasse. 

In  Betrieb  kamen  die  Linien  :  Reinprechts- 

1891 

130 

8o-o 

376 

427 

dorferstrasse,      Fasangasse  -  Südbahnhof, 
Gumpendorferstrasse  und  Burggasse. 

1892 

128 

801 

4  30 

47-5 

1893 

126 

801 

446 

496 

1894 

12-5 

801 

481 

537 

1895 

123 

804 

507 

56-8 

1896 

133 

807 

536 

601 

1   1897 

807 

64- 1 

28.   Januar   elektrischer   Betrieb    auf  der 
Transversallinie  eingeführt. 

13-0 

571 

542 


F.  R.  Engel. 


für  den  Stalldienst,  282  Individuen  für  den 
Bahnerhaltungsdienst,  280  Werkstätten- 
arbeiter und  326  Uebrige  [Beamte]  ver- 
theilen. 

Der  Wagenverkehr  wird  von  sieben 
Etablissements  :  Penzing,  Dornbach,  Dö- 
bling,  Währing,  Südbahn,  Simmering  und 
Prater  geleitet. 

Trotz  der,  wie  erwähnt,  ganz  bedeu- 
tenden Fahrtleistung,  welche  jener  von 
Berlin  relativ  gleichkommt,  erscheint  aber 
den  Anforderungen  noch  lange  nicht  ent- 
sprochen, da  die  Mittel  zur  Massenbeför- 
derung vorläufig  noch  gänzlich  mangeln. 
Ueberdies  fehlen  aber  dann  noch  zwei  wei- 
tere Hauptbedingungen :  Das  Eindringen 
in  die  innere  Stadt,  sowie  die  Verbindung 
mit  den  Sommerfrischen  der  Umgebung, 
welchen  sich  als  dritte  Forderung  die 
Verbindung  der  verschiedenen  Linien 
untereinander  zum  Behufe  der  Abkür- 
zungen anreiht.  *) 

Es  war  naheliegend,  dass  infolge  der 
so  lange  —  bis  1865  —  zurückgehaltenen 
Lösung  der  Wiener  Verkehrsfrage  end- 
lich rasche  Schritte  nach  vorne  gethan 
werden  mussten,  um  das  Versäumte  ein- 
zuholen. Das  eine  Unternehmen  erwies 
sich  alsbald  als  gänzlich  unzureichend 
und  so  nahm  in  Kurzem  die  Idee  einer 
Ausgestaltung,  beziehungsweise  Verviel- 
fältigung der  Wiener  Pferdebahnen,  greif- 
bare Gestalt  an. 

Als  die  Wogen  der  Gründungszeit 
hoch  gingen,  bildete  sich  sofort  ein 
Parallel-Unternehmen,  die  Vororte-  oder 
Neue  Wiener  Tramway-Gesell- 
schaft,  und  zwar  unter  Führung  des- 
selben G.  v.  Dreyhausen,  der  die 
Wiener  Tramway-Gesellschaft  gegründet 
hatte,  aber  aus  dieser  schon  1871  aus- 
getreten war.  Auch  dieses  Unternehmen 
war  grossartig  gedacht,  fusste  jedoch 
wesentlich  auf  dem  Verkehre  ausserhalb 
der  Stadt. 

Im  Vereine  mit  der  Wiener  Bau- 
Gesellschaft  wurde  im  September  1871 
die  Concession  angesucht,  und  zwar 
für  ein  System  von  Strassenbahnen, 
welches  mit  der  Gürtelstrasse    bei  Nuss- 


*)  Diesen  Forderungen  soll  der  im  Jahre 
1898  nunmehr  mit  Siemens  und  Halske  abge- 
schlossene Vertrag  gerecht  werden. 


dorf  beginnend,  längs  der  Linienwälle 
sich  fortziehend,  eine  ganze  Reihe  von 
[Vororte-]  Linien  umfasste.  Am  26.  Mai 
1872  erhielt  das  Consortium  die  defini- 
tive Concession  für  einen  Theil  der  pro- 
jectirten  Radiallinien.  1873  wurde  mit  der 
Bauausführung  begonnen  und  es  kamen 
nun  in  rascher  Aufeinanderfolge  bis  zum 
Jahre  1875  vier  Linien  zur  Eröffnung, 
und  zwar : 

1 .  Lerchenfelderlinie- Alt-Ottakring. 

2.  Westbahnlinie-Breitensee. 

3.  Lerchenfelderlinie-Mariahilferlinie. 

4.  Lerchenfelderlinie-Hernalserlinie. 

Hierauf  trat  ein  Stillstand  von  sieben 
Jahren  ein  und  erst  1882,  nachdem  sich 
auch  hier  ein  tiefeinschneidender  Besitz- 
wechsel in  den  Actien  vollzogen  hatte, 
begann  wieder  eine  grössere  Bau-Aera. 
Im  Zeiträume  vom  13.  August  1882,  an 
welchem  Tage  die  Strecke  Hernalserlinie- 
Währingerlinie  zur  Eröffnung  gelangte, 
bis  zu  Ende  des  Jahres  1887  kamen  so- 
dann zwölf  Linien  in  Betrieb,  darunter  die 
Localbahn  Gaudenzdorf-Wiener  Neudorf, 
welch  letztere  sodann  abgetrennt  wurde 
und  gegenwärtig  ein  selbständiges  Unter- 
nehmen bildet.  [Siehe  Seite  55°-] 

Im  Jahre  1885  wurde  der  Dampfbe- 
trieb auf  den  Strecken  Westbahnlinie- 
Baumgarten  [1892  bis  Hütteldorf  ver- 
längert], Sternwartegasse-Nussdorf,  sowie 
sporadisch  auf  der  Strecke  Mariahilferlinie- 
Döbling,  während  der  Sonn-  und  Feiertage 
im  Sommer,  eingeführt.  Die  hiezu  dienen- 
den Maschinen  sind  kleine  Tramway-Lo- 
comotiven  nach  System  Krauss,  welche 
sich  ganz  vorzüglich  bewährt  haben. 

Der  Dampfbetrieb  nimmt  heute  un- 
gefähr den  vierten  Theil  der  Leistung  in 
Anspruch,  indem  z.  B.  im  Jahre  1897 
mittels  Dampf  809.110  Fahrt-Kilometer, 
mittels  Pferdebetrieb  dagegen  2,432.152, 
zusammen  3,241.262  Fahrt-Kilometer  ge- 
leistet worden  sind. 

Die  Einführung  des  Dampfbetriebes 
erwies  sich  nebenher  auch  sehr  vortheil- 
haft  für  den  Bau  der  Stadtbahn,  bei 
welchem  diese  Locomotiven  im  Jahre  1895 
Verwendung  fanden. 

Dieser  Gesellschaft,  welche  sich  auch 
sonst  einen  rationellen  Betrieb  angelegen 
sein    liess,     gebühren    unstreitig    grosse 


Kleinbahnen. 


543 


Verdienste  vor  der  ungleich  älteren  und 
besser  gestellten  grossen  »Wiener  Tram- 
way-Gesellschaft«;  sie  legten  aber  zu- 
gleich Zeugnis  ab  von  der  energischen, 
zielbewussten  Leitung  unter  dem  leider 
zu  früh  verstorbenen  eifrigen  Unternehmer 
und  Förderer  auf  dem  Gebiete  des  öster- 
reichischen Localbahnwesens,  Wilhelm  von 
Lindheim*)  [Abb.  231],  welcher  an  deren 
Spitze  stand.  Hauptsächlich  sind  es  die  Ein- 
beziehung des  Meidlinger 
Bahnhofes  in  ihr  Netz 
[31.  Mai  1884],  —  eine 
Verbindung,  welche  der 
Verwaltungsrath  der  [al- 
ten] Wiener  Tramway- 
Gesellschaft  seinerzeit 
abgelehnt  hatte,  —  die 
Einführung  des  Dampf- 
betriebes und  nicht  zu 
allerletzt  die  Anwendung 
des  5  kr.  -  Zonentarifs 
[August  1882],  endlich, 
1894  auch  die  versuchs- 
weise Einführung  des 
elektrischen  Accumula- 
toren-Betriebes  auf  der 
Hütteldorferstrasse,  wel- 
che ihr  die  allgemeinen 
Sympathien  zuwandten. 
Dennoch,  beziehungs- 
weise zum  Theil  infolge 
dieser  Einführungen  ist  die 
finanzielle  Situation  der- 
selben lange  nicht  so  gün- 
stig wie  die  gegenwärtige 
der  älteren  Unternehmung-. 


Abb.  237.     Partie  der  Gaisbergbahn 


Auch  hier  spielte  die  Ueberspeculation 

in    Baugründen    —    und    die    darauf 

folgende  Depression   eine  Hauptrolle,    so 

dass    die   Verlustabschreibung   auch   hier 

unerlässlich  wurde. 

Die  wirthschaftliche  Krise  des  Jahres 
1873  hatte  zur  Folge,  dass  die  Baugründe 
an  der  Gürtelstrasse  lange  Jahre  in  förm- 
licher Werthlosigkeit  stagnirten.  Die 
Ansiedelung  längs  dieser  Trace,  welche 
den  Zweck  des  Ankaufs 
gebildet  hatte,  ging  nur 
langsam  vor  sich,  der 
Verkehr  blieb  infolge- 
dessen auch  sehr 
schwach  und  die  Ab- 
stossung  der  Gründe 
fand  nur  in  sehr  un- 
genügendem Masse  statt. 
Im  Jahre  1884  trat 
dieses  Unternehmen  in 
engere  Verbindung  mit 
der  Kahlenbergbahn,  in 
der  Erwartung,  dass  sich 
durch  einen  Anschluss 
an  diese  ein  intensiverer 
Verkehr  gegen  Nussdorf 
entwickeln  werde.  Zu 
diesem  Behufe  ward  der 
Dampfbetrieb  nach  Nuss- 
dorf bis  unmittelbar  zur 
Zahnradbahn  eingeführt 
[1885].  Doch  auch  diese 
Hoffnung  erfüllte  sich 
nur  zum  geringen  Theil, 
indem  die  stärkere  Villen- 
Verbauung  des  herrlichen 


*)  Wilhelm  v.  Lindheim,  Sohn  des  ver- 
storbenen Geheimen  Commerzienrathes  Her- 
mann v.  Lindheim  [Siehe  Bd. I,  i.Th.,  S.  447], 
war  zu  Ullersdorf,  Grafschaft  Glatz,  am  4.  Mai 
1835  geboren.  Im  Jahre  1885  erlangte  er 
die  österreichische  Staatsbürgerschaft.  Nach 
absolvirtem  Gymnasium  setzte  derselbe  seine 
Studien  am  polytechnischen  Institute  in  Han- 
nover fort  und  erreichte  die  Reife  als  Ingenieur 
im  Maschinen-  und  Baufach.  Er  widmete  sich 
sodann  der  Leitung  der  väterlichen  Fabriken. 
Seit  dem  Jahre  1867  wendete  Lindheim  seine 
Schaffenskraft  dem  Eisenbahnbau  zu.    Nach 

f lücklich  zurückgelegtem  Feldzuge  gegen 
rankreich,  der  ihm  das  eiserne  Kreuz  2.  Classe, 
einbrach te,mit  welchem  der  damaligeKronprinz 
Friedrich  von  Preussen  ihn  eigenhändig  de- 
corirte,  betheiligte  er  sich  in  Oesterreich  und 
Russland  bei  dem  Baue  mehrerer  Bahnen  und 
bei    anderen   industriellen  Unternehmungen. 


In  Oesterreich  hat  v.  Lindheim  eine  Reihe 
von  Localbahnen  ausgeführt  und  sich  bei 
vielen  industriellen  Unternehmungen  be- 
theiligt. Er  ist  der  Schöpfer  der  Brünner 
Localbahn,  der  Neuen  Wiener  Tramway,  der 
Teplitzer  Eichwald-  und  Pressburger  Local- 
bahn etc.  —  Er  baute  die  Grosswardeiner 
und  Debrecziner  Strassenbahn,  die  Localbahn 
Vinkovce-Brcka,  die  Savebrücke  bei  Gunja, 
die  Kolorr.eaer  Localbahn  sowie  die  Reichen- 
berg-Gablonz-Tannwalder  Eisenbahn.  Un- 
zählig sind  die  Projecte,  die  er  noch  ins  Auge 
gefasst;  so  unter  Anderem  eine  elektrische 
Bahn  in  Meran  nach  Schloss  Tirol,  eine 
elektrische  Bahn  von  Klosterneuburg  nach 
Weidling  etc.  Er  starb,  an  Ehren  und  Aus- 
zeichnungen reich,  als  königlich  rumänischer 
Generalconsul,  am  6.  Januar  1898.  Trotz 
seiner  ausgedehnten  Berufspflichten  war  von 
Lindheim  auch  unermüdlich  literarisch  thätig. 


544 


F.  R.  Engel. 


Kahlenberges,  wie  eine  solche  im  gross- 
artigen Stile  1 87 1/72  geplant  war,  sich  selbst 
heute  immer  noch  nicht  einstellen  will. 
Die  Krise  des  Jahres  1873  vereitelte  auch 
dieses  Project,  und  mittlerweile  geht  über- 
dies der  »Zug«  der  Wiener  in  die  weiterge- 
legenen Sommerfrischen.  Ausserdem  erfüll- 
ten sich  die  übrigen  auf  die  Entwicklung 
der  Vororte  gesetzten  Hoffnungen  ebenfalls 
nur  theilweise  und  sehr  langsam,  so  dass 
namentlich  die  Linien  nach  Döbling,  ebenso 
jene  nach  Baumgarten    [von   Breitensee], 


dieses  für  den  Aussenverkehr  Wiens  so 
wichtige  Verkehrs-Institut  durchgemacht 
hat. 

Indes  wird  der  eigentliche  Aufschwung 
wohl  erst  eintreten,  wenn  auch  auf  diesem 
Netze  der  elektrische  Betrieb,  wie  dies 
übrigens  bereits  projectirt  ist,  zur  Durch- 
führung gelangt  sein  wird.   —   — 

Erst  wenn  der  elektrische  Betrieb  auf 
den  beiden  Wiener  Pferdebahnen  allgemein 
eingeführt  sein  wird,  erst  dann  befindet 
sich   die  beispiellos  schöne   Reichshaupt- 


Abb.  23S  und  239.     Achenseebahn.     [Burgeck  und  Anstieg  gegen  Eben.] 


schliesslich  auch  nach  Wiener-Neudorf 
[von  Gaudenzdorf]  —  welch  letztere  we- 
sentlich dem  Frachten -Verkehre  dient  — 
nur  sehr  schwach  frequentirt  waren. 

Die  ursprüngliche  Waggon  -  Type  ist 
aus  [Abb.  232]  zu  ersehen,  welche  zu- 
gleich die  Ueberfüllung,  wie  sie  an  Sonn- 
und  Feiertagen  zumeist  auch  hier  eintrat, 
zum  Ausdruck  bringt. 

Trotz  aller  dieser  Misshelligkeiten 
arbeitete  sich  aber  doch  die  Neue  Wiener 
Tramway-Gesellschaft  in  den  25  Jahren 
ihres  Bestandes  zu  einer  achtunggebie- 
tenden Stellung  hinauf.  Aus  nachste- 
hender Tabelle  [Seite  545]  ist  der  Ent- 
wicklungsgang    zu     erkennen,     welchen 


und  Residenzstadt  auch  auf  der  Höhe  der 
praktischen  Einrichtungen. 

Im  Jahre  1897  wurden  bereits  an 
76,000.000  Fahrgäste  durch  die  beiden 
Pferdebahnen  zusammen  befördert.  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  sodann  die 
Zahl  100,000.000  Fahrgäste  pro  Jahr  ganz 
leicht  erreicht  werden  kann ;  *)  damit  wird 


*)  In  Paris  werden  die  pro  Jahr  durch 
Tramways  und  Omnibusse  beförderten  Per- 
sonen auf  300,000.000  geschätzt.  Da  sich 
auch  dort  die  Verkehrsmittel  als  gänzlich 
unzureichend  erwiesen  haben,  so  wurde  der 
Bau  einer  Stadtbahn  beschlossen  unter  Zu- 
grundelegung einer  Anzahl  von  460,000.000 
Fahrgästen  pro  Jahr.  —  Der  Londoner  Strassen- 
verkehr beträgt  880,000.000  Personen. 


Kleinbahnen. 


545 


Neue   Wiener   Tramway- Gesellschaft  [inclusive  Strecken  mit  Dampfbetrieb]. 


Jahr 

Ein- 
gezahltes 
Actien- 
Capital 

Kilometer 
Strecken- 
länge 

Betriebs- 
Einnahmen 

Gesammt- 
Personen- 
Frequenz 

Anmerkung 

Mill.  Guld. 

Mill.  Guld. 

Millionen 

1873 

4-00 

5-2 

0043 

041 

In  Betrieb  waren    die  Linien  :    Westbahn- 
linie— Breitensee,  Lerchenfelderlinie — 
Ottakring. 

1874 

280 

6-4 

0-113 

120 

In  Betrieb  kam  die  Linie :    Lerchenfelder- 
linie— .Mariahilf  erlinie. 

1875 

200 

7-085 

0147 

1-55 

In  Betrieb  kam  die  Linie :    Lerchenfelder- 
linie  -  Hernalserlinie. 

1876 

175 

7085 

0-133 

1-42 

1877 

169 

7-085 

0-115 

1-25 

1878 

169 

7-085 

0-u8 

1-30 

1879 

1-69 

7-085 

01 24 

136 

1880 

169 

7085 

0  128 

1-42 

1881 

169 

7-085 

0-143 

1-58 

1882 

169 

7-846 

0165 

1-88 

In    Betrieb    kam     die    Linie :    Hernalser- 
linie -  Währingerlinie. 

1883 

181 

9-761 

0-268 

3-14 

In  Betrieb  kamen  die  Linien :  Währinger- 

linie-Nussdorferlinie,    Sternwartestrasse  — 

Döbling      |  Hirschengasse],      Mariahilfer- 

linie — Gumpendorf  erlinie. 

1884 

246 

12-9 

0-384 

4-40 

In  Betrieb  kam  die  Linie :  Gumpendorfer- 
linie— Meidlinger  Bahnhof. 

1885 

276 

17-392 

0482 

5-58 

In   Betrieb    kamen    die     Linien:    Breiten- 
see    Baumgarten,  Nussdorferl. — Nussdorf, 
Schottenring— Linienwalldurchbruch. 

1886 

4-10 

23-050 

0-637 

741 

1887 
1888 

4-10 
4'56 

24-105 
26-832 

0-686 
0-728 

810 

907 

In  Betrieb  kamen  die  Linien:    Währing  - 
[WendlJ    Döbling — Theresienplatz,    Sechs- 
schimmelgasse,     Opernring  —  Steinbauer- 
gasse. 

1889 
1890 

4  56 
4' 56 

26-832 
27-411 

0761 
0787 

9-59 
9-96 

In  Betrieb  kam  die  Linie  :  Matzleinsdorfer- 
strasse. 

In  Betrieb  kam  die  Peage-Strecke :  Stein- 
bauergasse—Matzleinsdorferstrasse. 

1891 

4  56 

28-374 

0-783 

9-87 

In    Betrieb    kam    die    Linie :    Grinzinger- 
strasse-Heiligenstadt. 

1892 

409 

29090 

0776 

971 

In  Betrieb   kam   die   Linie:    Baumgarten- 
HUtteldorf. 

1893 

4-06 

30-130 

0-835 

1024 

Am  15.  Januar  1803  wurde  die  Linie  :  Stein- 

bauergasse-Meidlinger   Bahnhof   von    der 

Actien-Gesellschaft     der    Wiener    Local- 

bahnen  übernommen. 

1894 

4-03 

30-137 

0-855 

1050 

Am  16.  October  1894  :    Beginn  des  Peage- 
Verkehres  in  der  Alserbachstrasse. 

1895 

401 

30-089 

0003 

iro8 

1896 

39<> 

30089 

0-939 

n-55 

1897 

396 

30-089 

0-966 

11-82 

Geschichte  der  Eisenbahnen.  I.  Band,  1.  Theil. 


35 


546 


F.  R.  Engel. 


Abb.  240.     Locomotive  der  Achenseebahu. 


Wien  in  mächtigen  Schritten  eingeholt 
haben,  was  unserem  öffentlichen  Leben 
bisher  abging,  was  gleichwohl  aber  die 
Grundlage  jedes  industriellen  und  com- 
merziellen  Aufschwunges  bildet :  geord- 
neten Verkehr! 

Aus  den  Daten  beider  Tramway- 
Gesellschaften  ergibt  sich,  dass  bei  einer 
vereinigten  Streckenlänge  von  rund  1 1 1  km 
auf  je  100.000  Einwohner  in  Wien  eine 
Länge  von  circa  7  km  Tramway  entfallen. 
Thatsächlich  muss  dies  ein  unbefriedi- 
gendes Resultat*)  genannt  werden,  wenn 
man  in  Betracht  zieht,  dass  für  Berlin 
ungefähr  um  die  Hälfte  mehr,  nämlich 
ii'43Äw  zu  rechnen  sind.  Dabei  tritt 
aber  noch  in  Berlin  die  Stadtbahn  mit 
ihrem  Riesenverkehre  hinzu.  Es  er- 
gibt sich  somit  hieraus,  dass  in  Wien 
noch  ein  sehr  weiter  Spielraum  für  die 
Entwicklung  der  Strassenb ahnen  vorhan- 
den ist.  Die  nunmehr  durch  den  neuen 
Tramway- Vertrag  mit  Siemens  und  Halske 
gesicherte  Vergrösserung  des  Netzes  von 
80  auf  200  km  wird  dann  einem  Satze 
von  15*3  km  pro  100.000  Einwohner 
entsprechen. 

Ungleich  ungünstiger  gestaltet  sich 
aber  der  Vergleich  mit  Budapest,  welches 
auf  je  100.000  Einwohner  21  km  Strassen- 
bahnen    aufweist,    und    somit    wohl    den 


*)  In  Hamburg  zeigt  sich  sogar  das 
Verhältnis  von  193  km  auf  je  100.000  Ein- 
wohner, also  mehr  als  das  doppelte  von  Wien, 
ebenso  ergibt  sich  in  Köln  das  Verhältnis  von 
15-9  km,  in  München  und  Dresden  je  circa 
10  km,  in  Frankfurt  a.  M.  192  km  u.  s.  w. 


meisten,  wenn  nicht  allen  europäischen 
Städten  in  dieser  Hinsicht  überlegen  ist. 

Auch  in  den  übrigen  Städten  Cis- 
leithaniens  Hess  die  Errichtung  von 
Strassenbahnen,  nachdem  einmal  der 
Bann  gebrochen,  nicht  mehr  allzu  lange 
auf  sich  warten.  In  keiner  derselben 
begegnete  die  Ausgestaltung  aber  der- 
artigen Schwierigkeiten  wie  in  Wien. 

Nachstehende  Städte,  in  absteigender 
Reihenfolge  nach  der  Zahl  der  Einwohner 
geordnet,  besassen  1896,  Pferde-,  bezie- 
hungsweise   elektrische    Strassenbahnen : 

Prag,  365.000  Einwohner,  eröffnet*) 
23.  September  1875,  19753  km 
Pferde-  und  3^37  km  elektrischen 
Betrieb,  Capital  2,960.930  fi.  [vor- 
läufig noch  Belgische  Gesellschaft, 
welche  durch  die  Stadtgemeinde  ab- 
gelöst werden  wird] ; 

Triest,  162.000  Einwohner,  eröffnet 
30.  März  1876,  11 '950  km  Pferde- 
betrieb, Capital   1,500.000  fl.; 

Lemberg,  135.000  Einwohner,  eröff- 
net 5.  Mai  1880,  5 '874  km  Pferde- 
und  8'33  km  elektrischen  Betrieb 
[Filialen  der  Societä  Triestina  Tram- 
way]; 

Graz,  120.000  Einwohner,  eröffnet 
9.  Juni  1878,  10-815  km  Pferde- 
betrieb, Capital  700.000  fl. ; 


*)  Das  Eröffnungsdatum  bezieht  sich 
hier  und  bei  den  folgenden  Unternehmungen 
auf   die    Eröffnung    der    ersten  Theilstrecke. 


Kleinbahnen. 


547 


Krakau,  80.000  Einwohner,  eröffnet 
1.  November  1882,  2-769  km  Pferde- 
betrieb, *)  Capital  240.000  fi. ; 

Linz-Urfahr,  50.000  Einwohner,  er- 
öffnet  1.  Juli    1880,  2-961    km  elek- 


Salzburg,    30.000   Einwohner,  eröffnet 

4.  August  1892,  3-130  km*)  Pferde- 
betrieb, Capital  2,330.000  fl. ; 

Klagenfurt,  20.000 Einwohner, eröffnet 

5.  Juli  1891,  5-800  km  Pferdebetrieb. 


Abb.  241.    Partie  der  Schafbergbahn. 


trischen  Betrieb,  —  in  Umwandlung 
zu  einer  Actien-Gesellschaft  begriffen 
mit  1,750.000  fl.  zum  Zweck  des  Be- 
triebes der  Pöstlingbergbahn  und 
in  Verbindung  damit  der  elektri- 
schen Beleuchtung  der  Stadt ; 


*)  Wird  demnächst  in  elektrischen  Betrieb 
umgewandelt. 


Von  den  übrigen  Städten,  welche 
elektrische  oder  Pferdebahnen  theils  schon 
im  Betriebe,  theils  in  Ausführung  be- 
sitzen —  die  jedoch  zumeist  in  die  Um- 


*)  Einschliesslich  einer  >Mixte«-Betriebs- 
strecke  [Dampf-  und  Pferdebetrieb]  von 
I-644/bn  derDampftramway  Bahnh.  [Salzburg-] 
Bayrische-Grenze[Drachenloch].SieheSeite76. 

35* 


548 


F.  R.  Engel. 


gebung  führen  und  auch  zum  Theil  für 
Gütertransport  bestimmt  sind  —  wären 
hervorzuheben:  Czernowitz,  Reichenberg, 
Gablonz,  Teplitz,  Bielitz,  Gmunden,  Baden, 
Mödling,  Pilsen  u.  s.  w. 

Strassenbahnen  mit  Dampfbetrieb 
[Dampf tramways] . 

Die  Dampftramways  vertheilten  sich 
1896  in  Oesterreich  auf  sieben  Unter- 
nehmungen, und  zwar: 

1.  Brünner      Localeisenbahn- 
Gesellschaft icvi  km 

2.  Pfivoz  -  Mährisch  -  Ostrau- 
Witkowitz        7*7    » 

3.  Linien  der  Dampftramway- 
Gesellschaft  vormals  Krauss 

&  Comp 4i'6    • 

4.  Neue  Wiener  Tramway,  be- 
ziehungsweise Kahlenberg- 

bahn io-5    » 

5.  Salzburger  Eisenbahn-  und 
Tramvvay-Gesellschaft  .     .     39-2    » 

6.  Actien  -  Gesellschaft      der 
Wiener  Localbahn    .      .      .      17*0    » 

7.  Localbahn    Innsbruck  -  Hall 

in  Tirol  [schmalspurig]      .      i2-o    » 

138-1  km 

Brünner  Localeisenbahn-Ge- 
sellschaft.  Von  der  ursprünglich  am 
23.  Februar  1869  concessionirten  und  in 
der  Zeit  bis  zum  18.  October  1870 
streckenweise  eröffneten  BrünnerTram  way, 
die  trotz  des  auf  die  Sommerzeit  be- 
schränkten Betriebes  stets  nothleidend  blieb 
und  deren  traurige  Verhältnisse  im  Jahre 
1872  die  Liquidation  der  Actien-Gesell- 
schaft  herbeiführten,  verblieben  die  "j'gkm 
langen  Strecken  Karthaus  -  Alt  -  Brünn- 
Schreibwald  im  Betriebe,  deren  Conces- 
sion  an  die  Stadtgemeinde  Brunn  über- 
tragen war.  Die  neue  Eigenthümerin 
betraute  den  Director  der  Prager  Tram- 
way, Bernhard  K  oll  mann,  mit  der 
Betriebsführung,  welcher  im  Jahre  1879 
Versuchsfahrten  mit  Tramway  -  Loco- 
motiven  vornehmen  liess,  deren  Er- 
gebnis mit  Rücksicht  auf  den  schlechten 
Zustand  des  Bahnkörpers  ein  ungün- 
stiges war. 

Am  21.  September  1882  erhielt  die 
Commune   Brunn    eine    neue  Concession 


für  den  Bau  und  Betrieb  einer  für  den 
Personen-  und  Frachten  verkehr  bestimmten 
Tramway  und  schloss  mit  Wilhelm  v. 
Lindheim  ein  Uebereinkommen,  auf 
dessen  Grundlage  die  Linie  Karthaus- 
Schreibwald  und  die  Abzweigung  von  der 
Ugartestrasse  zum  Centralfriedhof  als 
Dampftramway  neu  hergestellt  wurde.  Die 
Linie  Karthaus-Schreibwald  wurde  am 
29.  Mai,  die  Linie  zum  Centralfriedhof  am 
1.  November  1884  mit  Locomotivbetrieb 
eröffnet. 

Aus  diesem  Unternehmen  ging  die 
»Brünner  Localeisenbahn-Gesell- 
schaft«  hervor,  die  sich  am  20.  Juli 
1885  als  Actien-Gesellschaft  constituirte. 
Die  Gesellschaft  stand  Ende  des  Jahres 
1896  im  Besitze  von  17-8  km  Bahnen, 
von  denen  77  km  auf  die  Dampftramway 
Pfivoz-Mährisch-Ostrau-Witkowitzsammt 
den  dortigen  Verbindungs-Geleisen  ent- 
fielen, die  auf  Grund  eines  Beschlusses 
der  Generalversammlung  vom  Jahre  1894 
von  der  Localbahn-Gesellschaft  Pfivoz- 
Mährisch  -  Ostrau  -  Witkowitz  erworben 
wurde.  Den  Betrieb  auf  den  Ostrauer 
Tramwaylinien  führt  die  Eisenbahnbau- 
und  Betriebs- Unternehmung  Leo  Arnoldi 
in  Wien. 

Dampftramway -Gesellschaft 
vormals  Krauss  &  Comp.  Nach 
Schaffung  des  Localbahn-Gesetzes  vom 
Jahre  1880  griff  die  Locomotivbau-Gesell- 
schaft  Krauss  &  Comp,  in  München 
und  Linz  das  alteProject  auf,  eine,  die  süd- 
westlich von  Wien  gelegenen  Ortschaften 
unmittelbar  berührende  Localbahn  zu 
schaffen  und  erwarb  im  Jahre  1881  die 
Bewilligung  zur  Vornahme  technischer 
Vorarbeiten  für  eine  Localbahn  [Dampf- 
tramway], ausgehend  vom  Linienwalle  in 
Wien  über  Hietzing,  Lainz,  Speising, 
Mauer,  Kalksburg,  Rodaun,  Perchtolds- 
dorf,  Brunn  a.  G.,  Maria  -  Enzersdorf, 
nach  Mödling  und  in  die  Hinterbrühl 
nebst  Zweiglinien  von  Hietzing  nach 
Hacking  und  von  Rodaun  nach  Kalten- 
leutgeben,  ferner  für  eine  solche  Bahn 
vom  Wiener  Linienwalle  zur  Elisabeth- 
brücke, eventuell  zur  Radetzkybrücke.  Die 
Südbahn  jedoch  erhob  Protest  und  nahm 
nun  den  Bau  der  Strecken  Liesing-Kalten- 
leutgeben  sowie  von  Mödling  in  die 
Brühl  selbst  in  die  Hand. 


Kleinbahnen. 


549 


Auch  sonst  hatte  das  Krauss'sche 
Unternehmen  vielfache  Schwierigkeiten  zu 
besiegen.  Erst  als  eine  nach  Mailand  und 
Florenz  entsendete  Commission  zum  Stu- 
dium der  dortigen  Dampftramways  die 
Vortheile   eines  derartigen  Betriebes    be- 


Hietzing  zum  Ausgangspunkte  der  Bahn 
gewählt.  Das  Auftauchen  des  Fogerty- 
schen  Projectes  verzögerte  gleichfalls  die 
Erledigung  der  Concessionswerbung  der 
Dampftram way  und  erst  am  30.  Juli  1882 
erhielt  die  Firma  Krauss  &  Comp,  die  Con- 


Abb.  242.    Schafbergbahn. 


stätigte,  war  das  wesentlichste  Hemmnis, 
das  dem  Unternehmen  entgegenstand, 
beseitigt.  Um  einer  Concurrenz  der  im  Ge- 
biete der  Stadt  Wien  gelegenen  Strecken 
mit  dem  um  dieselbe  Zeit  aufgetauchten 
Projecte  der  Wienthal-  und  Stadtbahn- 
strecken auszuweichen,  wurde  einstweilen 


cession  für  eine  normalspurige  Localbahn 
[Dampftramway]  von  Hietzing  nach 
Perchtoldsdorfmit  der  Berechtigung 
zur  Fortsetzung  nach  Gaudenzdorf  [Wien], 
falls  nicht  eine  Verbindung  Wien-Hietzing 
als  Theilstrecke  der  Stadtbahn  binnen 
Jahresfrist  gesichert  wäre.  Am  27.  October 


55o 


F.  R.  Engel. 


1883  wurde  mit  dieser  Linie  die  erste 
Dampftramway  in  Oesterreich  eröffnet. 
Am  30.  Juli  1885  erhielt  die  Unterneh- 
mung die  Bewilligung  zum  Ausbaue  der 
Strecke  Wien-Hietzing  und  1 886  die 
Concession  für  die  Strecken  Perchtolds- 
dorf-Mödling  und  Hietzing-Ober- 
St.  Veit. 

Gleichzeitig  mit  dem  Ausbau  dieser 
Linien  bewarb  sich  die  Unternehmung 
um  die  Concession  einer  Dampftramway 
von  Wien  nach  Floridsdorf  und 
Stammersdorf  sowie  von  Florids- 
dorf nach  Gross-Enzersdorf  und 
erhielt  dieselbe  am  3.  April  1884  mit 
der  Verpflichtung,  auf  Verlangen  der  Re- 
gierung auch  Fortsetzungen  von  Gross- 
Enzersdorf  nach  Orth  und  Abzweigungen 
von  Kagran  einerseits  nach  Wien,  anderer- 
seits nach  Leopoldau  herzustellen. 

Im  Jahre  1 888  ertheilte  die  Re- 
gierung der  Firma  Krauss  &  Cie.  die 
Bewilligung  zur  Errichtung  einer  Actien- 
Gesellschaft,  die  sich  alsdann  als 
»Wiener  Da  mpftramway-Unter- 
nehmung  v o  rm  als  Krauss&  Comp.« 
mit  einem  Gesellschafts  -  Capital  von 
3,600.000  constituirte. 

Die  nördlichen  Linien  Wien-[Stephanie- 
brücke-]  Stammersdorf  und  Floridsdorf- 
Gross-Enzersdorf  wurden  am  7.  Juni  1886, 
die  südlichen  Linien  Wien-[Schönbrunner- 
linie-]Hietzing  am  22.  September  1886, 
Perchtoldsdorf-Mödling  am  12.  Mai  1887 
und  Hietzing-Ober-St.  Veit  am  19.  Sep- 
tember 1887  eröffnet.  Ende  1896  umfasste 
das  Netz  der  Gesellschaft  41-6  km. 

In  der  Strecke  Schönbrunnerlinie- 
Hietzing  wurde  der  Betrieb  am  1.  Januar 
1895  eingestellt  und  diese  Strecke  an 
die  Commission  der  Wiener  Verkehrs- 
anlagen abgetreten.  Infolge  des  Baues 
der  Wiener  Stadtbahn  hat  der  Bahnhof 
in  Hietzing  eine  Verlegung  und  Ver- 
grösserung  erfahren. 

Auf  der  nördlichen  Linie  ist  aus- 
schliesslich das  Oberbau-System  Hartwich, 
auf  der  südlichen  Linie  theils  dieses,  theils 
das  hölzerne  Querschwellen-  und  theils 
auch  das  eiserne  Langschwellen-System 
in  Anwendung.  Ueber  die  Construction 
der  hiebei  in  Verwendung  gebrachten  Loco- 
motiven  System  Krauss  &  Comp,  geben  die 
Abb.  233  sowie  234a  und  2346  Aufschluss. 


Die  Neue  Wiener  Tramway- 
Gesellschaft  hat  nachstehende  Linien 
als  Dampftramways  im  Betriebe:  West- 
bahnlinie-Breitensee seit  2.  Februar 
1885,  Breitensee-Baumgarten  seit 
4.  Juli  1885,  Baumgarten-Hüttel- 
dorf seit  1.  Mai  1892,  Sternwarte- 
strasse-Nussdorf  [zur  Zahnradbahn] 
seit  20.  Juli  1885,  Abzweigung  Nuss- 
dorferstrasse-Heiligenstadt  seit 
26.  Mai  1891.  Die  beiden  letzteren 
Strecken  wurden  formell  der  Kahlenberg- 
Eisenbahn  concessionirt,  die  Concessions- 
Uebertragung  an  die  Neue  Wiener  Tram- 
way-Gesellschaft  ist  jedoch  seit  längerer 
Zeit  eingeleitet. 

Anlässlich  der  Regelung  ihrer  finan- 
ziellen Verhältnisse  beschloss  die  Neue 
Wiener  Tramway-Gesellschaft  als  Con- 
cessionärin  der  Wiener  Localbahn  Wien- 
Wiener-Neudorf-Guntramsdorf  sowie  von 
Fortsetzungen  dieser  Strecken  diese  Con- 
cessionen  an  eine  zu  gründende  eigene 
Actien-Gesellschaft  zu  übertragen.  Mit  Ge- 
nehmigung der  Regierung  constituirte  sich 
die  »Actien-Gesellschaft  der  Wie- 
ner Localb  ahnen«  am  22.  März  1888. 

Die  neue  Gesellschaft  übernahm  somit 
die  am  10.  März  1885  concessionirte 
und  am  29.  September  1886  in  Betrieb 
gesetzte  Linie  Wi en-Gaudenzdorf- 
Wiener-Neudorf.  Am  1 .  Mai  1 893 
wurde  die  Fortsetzungsstrecke  vom  Matz- 
leinsdorfer  Viaducte  bis  Meidling  [Süd- 
bahnhof] eröffnet  und  im  nächsten  Jahre 
der  Betrieb  aller  dieser  Linien,  den  bisher 
die  Neue  Wiener  Tramway  für  Rechnung 
der  neuen  Actien-Gesellschaft  geführt  hatte, 
an  die  Unternehmung  Leo  Arnoldi  &  Cie. 
übertragen,  wodurch  die  vollständige 
Trennung  beider  Unternehmungen  erreicht 
war.  Die  Fortsetzung  bis  Guntrams- 
dorf  wurde  am  27.  Januar  1895  eröffnet. 

Salzburger  Eisenbahn-  und 
Tramway-Gesellschaft.  Der  Director 
der  Linzer  Tramway-Gesellschaft,  Alexan- 
der Werner,  nahm  im  Jahre  1883  das  von 
Franz  K  r  e  u  t  e  r  zehn  Jahre  vorher  verfasste 
Project  auf,  eine  Localbahn  von  Salzburg 
zur  Reichsgrenze  gegen  Berchtesgaden 
zu  erbauen  und  erhielt  am  21.  April 
1 885  die  Concession  für  diese  als  Dampf- 
tramway auszuführende  Linie.  Noch 
während  des  Baues  wurde  die  Concession 


Kleinbahnen. 


551 


an  das  Bankhaus  Jakob  Landau  und  die 
Nationalbank  für  Deutschland  in 
Berlin  übertragen,  die  im  Jahre  1886  die 
Bewilligung  zur  Errichtung  einer  Actien- 
Gesellschaft  erhielten,  welche  sich  unter  der 
Firma  »Salzburger  Eisenbahn-  und 
Tramway-Gesellschaft«  constituirte. 
Am  29.  November  1886  wurde  die  iß'2  km 
lange  Strecke  Salzburg-Drachenloch 
[bayerische  Grenze]  eröffnet.*) 


Schwind  am  18.  September  1889  con- 
cessionirt.  In  der  Concession  wurden  die 
Unternehmer  verpflichtet,  über  Verlangen 
der  Regierung  die  Bahn  von  der  Stadt 
Innsbruck  zum  dortigen  Bahnhofe  und 
nach  Wüten  [Berg  Isel,  vgl.  Abb.  235] 
weiterzuführen.  Bei  der  politischen  Be- 
gehung machte  die  Regierung  von  diesem 
Rechte  Gebrauch.  Die  I2"i  km  lange 
Strecke  wurde  am   1.  Juni   1891   eröffnet. 


Abb.  243.    Fahrbetriebsmittel  der  Schafbergbahn. 


Im  Jahre  1893  kamen  die  Linien 
Karolinenbrücke  -  Parsch  [5.  Mai 
1893]  und  im  Jahre  1896  Salzburg- 
Oberndorf  -  Lamprechtshausen 
hinzu  [16.  Mai   1896]. 

Die  schmalspurige  [1;»]  Dampf- 
tramway  Innsbruck-Hall,  welche 
die  Industriestadt  Hall  mit  der  Hauptstadt 
Tirols  verbindet,  wurde  den  Herren 
A.    Prantl,    L.    Hirsch    und    H.    v. 


*)  Am  2  Juli  1888  erwarb  die  Actien- 
Gesellschaft  auch  die  Concession  für  die 
Drahtseilbahn  auf  die  Festung  Hohensalz- 
burg     [Siehe  Seite  557.] 


Mit  Erlass  des  k.  k.  Ministeriums  des 
Innern  vom  28.  März  1893  wurde  den 
Concessionären  die  Errichtung  einer  Actien- 
Gesellschaft  unter  der  Firma  »Local- 
bahn  Innsbruck-Hall«  bewilligt.  Das 
Gesellschafts-Capital    beträgt  500.000  fl. 


Zahnradbahnen. 

Die  in  Oesterreich  bestehenden  Zahn- 
radbahnen dienen,  mit  Ausnahme  der 
bereits  an  anderer  Stelle  besprochenen 
Eisenerz  -  Vordernberger    Localbahn,    die 


;o^ 


F.  R.  Engel. 


theihveise  auch  für  Zahnstangen-Betrieb 
eingerichtet  ist  und  die  ihrer  Bedeutung 
und  gesammten  Anlage  wegen  nicht  den 
Kleinbahnen  zugerechnet  werden  kann, 
dem  Touristenverkehr. 

Kaum  drei  Jahre  später,  als  die  erste 
Zahnradbahn  in  Europa,  jene  auf  den 
Rigi,  erbaut  worden  war,  hatte  auch  schon 
Oesterreich  seine  erste  Zahnradbahn,  jene 
auf  den  Kahlenberg.  Ihre  Anregung 
verdankt  diese  Bahn  dem  Ingenieur  Karl 
Maader,  der  bereits  im  Herbste  1871 
das  Project  dieser  Bahn  verfasste  und 
sich  mit  den  Erbauern  der  Rigibahn,  den 
Ingenieuren  Riggenbach  und  Olivier 
Zschokke,  ferner  mit  Achilles  Thommen 
und  Dr.  J.  v.Wini  warter  in  Verbindung 
setzte.  Genau  an  demselben  Tage  wie 
dies  Consortium,  erhielt  auch  Victor  von 
Ofenheim  in  Verbindung  mit  Arthur 
Mayer  von  A lsö-Russbach  die  Vor- 
concession  für  dieselbe  Bahn.  Die  beiden 
Concurrenten  vereinigten  sich  bald  und 
erhielten  mit  a.  h.  EntSchliessung  am 
10.  August  1872  die  Concessions-Urkunde. 
Der  Umstand,  dass  der  Unternehmung 
kein  Expropriationsrecht  zugestanden  war, 
verzögerte  die  Ausführung  der  Bahn,  da  zur 
Befriedigung  der  Grundeigenthümer  bedeu- 
tende Geldopfer  erforderlich  wurden.  Die 
Finanzirung  hatten,  nachdem  die  Unionbank 
aus  dem  vorerwähnten  Grunde  die  Durch- 
führung derselben  zurücklegte,  der  Baseler 
Bankverein  und  die  Bank  von  Winterthur 
übernommen.  Am  7.  März  1874  wurde 
die  Zahnradbahn  eröffnet. 

Ober-  und  Unterbau  der  nach  dem 
Vorbilde  der  Rigibahn  [System  Riggen- 
bach] erbauten  Zahnradbahn  ist  zweige- 
leisig hergestellt,  die  Neigungsverhält- 
nisse variiren  zwischen  I  :  30  und  1  :  10. 
Die  Curven  haben  durchwegs  den  glei- 
chen Radius  von  1 80  tn.  Jedes  Geleise 
besteht  aus  zwei  Schienen  und  einer 
in  der  Mitte  liegenden  Zahnstange,  in 
welche  das  Zahnrad  der  Locomotive  ein- 
greift. Die  Maschinen  sind  im  Allgemeinen 
jenen  der  Rigibahn  gleich,  besitzen  jedoch 
im  Gegensatze  zu  letzterer,  die  ihre  ersten 
Maschinen  mit  stehenden  Kesseln  aus- 
gerüstet hatte,  liegende  Kessel.  [Abb.  236.] 

Die  Verkehrsverhältnisse  waren  ur- 
sprünglich keine  günstigen,  doch  haben 
sie  sich  wesentlich  gebessert,  seitdem  durch 


1  die  Strassenbahnen  Schottenring-Xuss- 
dorferstrasse  -  Zahnradbahnstation  eine 
unmittelbare  Verbindung  mit  dem  Wiener 
Stadtgebiete  hergestellt  ward.  Anfangs 
hatte  das  Unternehmen   auch    gegen  die 

:  Concurrenz  einer  Drahtseilbahn  anzu- 
kämpfen, von  der  es  sich  durch  Ankauf 
und  Auflassung  derselben  befreite. 

Am  20.  Januar  1 885  hatte  die  Gesell- 
schaft die  Concession  erhalten  für  eine  von 

1  Wien  [Schottenring]  zum  Bahnhofe  der 
Kahlenbergbahn  in  Xussdorf  und  mittels 

I  eventueller  Abzweigung  nach  Heiligen- 
stadt führende  Trambahn,  welche  ausser- 

!  halb    des    [damaligen]    Stadtgebietes    mit 

'  Locomotiven  betrieben  werden  kann. 
Hinsichtlich  der  Durchführung  der  Con- 
cession traf  die  Gesellschaft  mit  der 
Xeuen  Wiener  Tramway  ein  Ueberein- 
kommen,  vermöge  dessen  der  letzteren 
Unternehmung  nicht  nur  der  Bau,  sondern 

J  auch  der  Betrieb  für  die  ganze  Dauer 
der  Concession  überlassen  wurde.  Da- 
durch   war    die    wegen    der   ungünstigen 

■  Verkehrsergebnisse  in  schwierigen  Ver- 
hältnissen befindliche  Kahlenbergbahn- 
Gesellschaft  jeder  Sorge  um  die  Geldbe- 
schaffung enthoben  und  die  Xeue  Wiener 
Tramway  -  Gesellschaft    hatte    ein    lang- 

!  ersehntes  Ziel,  ihren  Betrieb  bis  in  das 
Innere  der  Stadt  Wien  auszudehnen,  trotz 

I  des  Widerstandes  der  auf  ihre  Rechte 
sich  stützenden  älteren  »Wiener  Tram way- 
Gesellschaft«   erreicht    [1886.] 

Eine  damals  geplante  Fusion  der 
Kahlenbergbahn  -  Gesellschaft  mit  der 
Xeuen  Wiener  Tramway-Gesellschaft  kam 
nicht    zustande    und    die    seit  Jahren  ge- 

;  plante  Uebertragung  der  concessionirten 
Tramwavlinien  an  diese  Gesellschaft  be- 
gegnet bedeutenden  Schwierigkeiten. 

Ausser  der  besprochenen  normal- 
spurigen  Zahnradbahn  standen  Ende  1 896 
in  Oesterreich  noch  drei  [schmalspurige] 
Zahnradbahnen  im  Betrieb : 

die  Gaisbergbahn, 

die    Achenseebahn  und 

die    Schafbergbahn. 

Die    Gaisbergbahn    ist    eine   auf 
,  die  Spitze    des  Gaisbergs  [bei  Salzburg] 
1  führende    Bergbahn    nach    dem    System 
I  Riggenbach.      Xach     vergeblichen      Be- 
mühungen     des     unternehmungslustigen 


Kleinbahnen. 


553 


Tirolers  Josef  Cathrein,  der  schon  seit 
1871  den  Bau  einer  Zahnradbahn  auf 
den  Gaisberg  verfolgt  hatte,  Hess  im 
Jahre  1885  die  Firma  Sönderop  & 
Cie.,  nachdem  sie  mit  dem  Besitzer  des 
Gaisbergs  einen  Vertrag  abgeschlossen 
hatte,  das  Project  für  die  Gaisbergbahn 
ausarbeiten  und  erhielt  am  24.  März  1886 
die  Concession  für  den  Bau  und  Betrieb 
einer  als  schmalspurige  Zahnradbahn 
auszuführenden  Locomotivbahn  von  der 
nächst  Salzburg  gelegenen  Haltestelle 
P  a  r  s  c  h  der  Staatsbahnlinie  Salzburg- 
Wörgl  über  die  Zistelalpe  auf  den  Gipfel 
des  Gaisbergs.  Durch  den  Vertrag  vom 
25.  Mai  1887  wurde  die  Concession  einer 


Betriebe  [Adhäsion  und  Zahnstangen- 
Betrieb  System  Riggenbach].  Merk- 
würdigerweise begegnete  das  Project  der- 
selben in  Tirol  heftigen  Widersachern. 
Namentlich  zeichneten  sich  die  Jenbacher 
darin  aus,  dass  sie  das  Zustandekommen 
dieser  Bahn  mit  allen  Mitteln  zu  bekämpfen 
trachteten.  Es  ist  ein  unleugbares  Verdienst 
des  wackeren  Begründers  der  Dampfschiff- 
fahrt auf  dem  Achensee,  des  Benedictiner- 
Prälaten  Fiecht,  die  Vorurtheile  gegen 
das  Unternehmen  in  der  Bevölkerung 
beseitigt  zu  haben. 

Am  25.  Juli  1888  erwarb  der  k.  u.  k. 
Consul  Theodor  Freiherr  von  Dreyfus 
die  Vorconcession    und    setzte    sich    mit 


Abb.  244.    Zahnstange.     System  Abt.    [Einfahrtssttick.^ 


Abb.  245.     Oberbau  mit  Zahnstange.     System  Abt. 


Actien-Gesellschaft  mit  dem  Sitz  in  Salz- 
burg übertragen. 

Mitte  Juli  1886  begann  der  eigent- 
liche Bau,  welcher  so  energisch  betrieben 
wurde,  dass  schon  am  25.  Mai  1887  die 
Eröffnung  stattfinden  konnte.  Der  Betrieb 
ist  auf  die  Monate  April  bis  October 
beschränkt. 

Die  mit  1  in  Spurweite  angelegte  Bahn 
führt  von  Parsch  in  östlicher  Richtung 
zum  Fusse  des  Gaisbergs,  sodann  über  den 
Judenberg  und  die  Zistelalpe  zur  Höhe 
des  eine  entzückende  Fernsicht  bieten- 
den Gaisbergs.  [Vgl.  Abb.  237.] 

Von  der  Gesammtlänge  [5*35  km] 
liegen  etwa  1800  in  in  der  zugelassenen 

grössten  Steigung  von  2 500/oo  t1  :  4]-  ^)'e 
zu  ersteigende  Höhe  beträgt  848  in.  Die 
zur  Anwendung  gekommenen  Bogen  haben 
Krümmungshalbmesser  von   150 — 200  in. 

Die  Achenseebahn,  die  von  Jen- 
bach an  den  reizvollen  Achensee  führt, 
ist   eine   schmalspurige    mit    gemischtem 


den  Unternehmern  der  Gaisbergbahn  in 
Verbindung.  Auf  Grund  der  am  1.  August 
1888  ertheilten  Concession  kam  die  Bahn 
zustande,  welche  am  15.  April  1889  zum 
ersten  Male  befahren  wurde.  Am  8.  Juni 
erfolgte  die  Eröffnung  der  ganzen  6-37  km 
langen  Strecke.  Am  3.  April  1889  con- 
stituirte  sich  die  Actien-Gesellschaft  unter 
der  Firma  »Achenseebahn-G  esell- 
schaft«   mit  dem  Sitze  in  Salzburg. 

Die  nach  den  Plänen  und  unter  Ober- 
leitung des  Ingenieurs  H.  Schröder, 
dem  Erbauer  und  Betriebsleiter  der  Gais- 
bergbahn, hergestellte  Achenseebahn  be- 
ginnt in  der  Station  Jenbach  [532  in 
Seehöhe]  der  Südbahnlinie  Kufstein-Inns- 
bruck und  führt  als  Zahnschienenbahn 
von  3-3  km  Länge  bei  i6o°/00  Steigung 
—    vorwiegend    in    nördlicher    Richtung 

von  Burgeck  nach  Eben  [973  m  See- 
höhe] und  von  dort  als  gewöhnliche 
Adhäsionsbahn  über  Maurach  bis  an  das 
Südufer  des  Achensees  [931  in  Seehöhe], 
[Abb.  238  und  239].     Die  Achenseebahn 


554 


F.  R.  Engel. 


war    die  erste    dem  Localbahn -Verkehre  I         Die    in  jüngster  Zeit  eröffnete  Zahn- 


dienende Bahn,  die  das  gemischte  System 
einführte.  Die  Locomotiven  [Abb.  240] 
sind  derart  eingerichtet,  dass  sie  so- 
wohl auf  der  Adhäsions-,  als  auch  auf  der 
Zahnradstrecke  verwendet  werden  können. 

Die  Schafbergbahn  führt  vom 
Markte  St.  Wolfgang  im  Salzkammer- 
gute nach  dem  Gipfel  des  Schafberges 
[17801«].  Die  ersten  Projecte  für  diese 
Bahn  tauchten  gleichzeitig  mit  jenen  für 
dieKahlenbergbahnauf  und  am  10.  August 
1872  erhielten  Berthold  Curant  und  Karl 
Peusens  eine  Concession,  die  aber  in- 
folge der  Krisis  vom  Jahre  1873  nicht 
verwerthet  werden  konnte.  Am  13.  Januar 
1890  wurde  die  Bahn  neuerlich  conces- 
sionirt  und  die  Salzkamm  er  gut-L  o- 
calbahn-Gesellschaft  eröffnete  am 
1.  August  1893  die  5-86  km  lange 
Bahn. 

Im  ersten  Kilometer  führt  die  Trace 
theils  zwischen  Feldern  und  Wiesen,  theils 
durch  die  romantische  Dietlbachwildnis 
und  entwickelt  sich  dann  an  der  bewalde- 
ten südlichen  Abdachung  des  Schafber- 
ges, bis  zur  Ausweich-  und  Wasser- 
station  » Schaf bergalm«.  Von  hier  aus 
verlässt  sie  die  Waldregion  und  ändert  in 
grossem  Bogen  die  Hauptrichtung,  um 
an  der  kahlen  Felsenlehne  [mit  freier 
Aussicht  nach  Süden]  anzusteigen.  Bei 
km  5-4  macht  die  Bahn  durch  einen 
im  Bogen  gelegenen  Tunnel  von  90  m 
Länge  die  letzte  Hauptwendung  und 
erreicht  sodann  die  Endstation  »Schaf- 
bergspitze«, wo  der  Reisende  mit  einer 
unvergleichlichen  Fernsicht  überrascht 
wird.     [Abb.   241 — 243.] 

Die  Anfangsstation  der  Schafberg- 
bahn »St.  Wolfgang«  liegt  542  m  und 
die  Endstation  »Schafbergspitze«  1734»? 
über  dem  Meeresspiegel,  so  dass  der 
bewältigte  Höhenunterschied  1 192  »»be- 
trägt. Die  geringste  Steigung  ist  44%o> 
die  grösste  25O°/00  [1  :  4].  Der  kleinste 
Krümmungshalbmesser  beträgt  80  m,  die 
Spurweite  I  m.  Die  Zahnradbahn  ist 
nach  dem  System  Abt  ausgeführt.  In  den 
Steigungen  bis  zu  8o°/00  liegt  eine  ein- 
fache Zahnstange,  in  den  Steigungen  über 
8o°/fl0  eine  doppelte  Zahnstange.  [Abb. 
244  und  245.] 


radstrecke  der  Schneebefgbahn,  die  als 
Localbahn  concessionirt  wurde,  fand 
bereits    an    anderer  Stelle    Erörterung.*) 


Elektrische  Eisenbahnen. 

Kurze  Zeit,  nachdem  Siemens  und 
H  a  1  s  k  e  die  erste  elektrisch  betriebene 
Eisenbahn,  die  im  Jahre  1881  eröffnete 
schmalspurige  Verbindungsbahn  vom  Ber- 
lin-Anhalter-Bahnhof zum  Cadettenhaus 
in  Lichterfelde  dem  öffentlichen  Verkehre 
übergeben  hatten,  beschäftigte  sich  Fried- 
rich Schüler,  der  verdienstvolle  Gene- 
ral-Director  der  Südbahn,  mit  dem  Ge- 
danken, auch  im  Bereiche  seiner  Unter- 
nehmung, für  die  er  schon  so  vielfache 
treffliche  Neuerungen  geschaffen,  eine 
elektrische  Eisenbahn  einzurichten. 
Seinen  Bemühungen  verdankt  sohin  die 
erste  elektrische  Eisenbahn,  welche  auf  eine 
grössere  Länge  ausgeführt  wurde,  ihr  Ent- 
stehen, die  im  Jahre  1883  von  der  k.  k. 
priv.  Südbahn-Gesellschaft  erbaute  schmal- 
spurige Bahn  von  Mödling  in  die  Brühl, 
dem  beliebten  Ausflugsorte  der  Wiener. 
Am  23.  August  1882  war  bereits  die 
Concession  erworben  und  am  22.  October 
1883  rollte  auf  der  Strecke  Mödling- 
Klausen  der  erste  elektrisch  betriebene 
Wagen.  Am  6.  April  1884  wurde  die 
Fortsetzung  in  die  Vorderbrühl  und  am 
14.  Juli  1885  jene  bis  in  die  Hinterbrühl 
[zusammen  4-5  km]  eröffnet.  Die  Spur- 
weite der  Bahn  beträgt  1  m,  die  Zulei- 
tung des  Stromes  erfolgt  von  der  auf 
dem  Bahnhofe  in  Mödling  erbauten  Cen- 
tralstation  aus  oberirdisch,  mittels  ge- 
schlitzter Röhren.  Auch  die  Rückleitung 
erfolgt  oberirdisch.  [Abb.  246.]  Zur  Strom- 
erzeugung dienen  sechs  primäre  Dynamo- 
maschinen von  120  Kilowatt  Betriebskraft. 
Die  Bau-  und  Anlagekosten  der  Bahn 
wurden  aus  dem  Gesellschaftsvermögen 
bestritten  und  betrugen  520.OOO  fl.,  be- 
ziehungsweise 116.324  fl.  pro  Kilometer. 
Die  Anlage  hat  im  Jahre  1895  das 
Anlage-Capital  mit  3-42°/0  verzinst. 


*)  Vgl.    Bd.  I,    2.  Theil,    P.    F.   Kupka, 
Das  Localbahnwesen  in  Oesterreich. 


Kleinbahnen. 


555 


Trotz  des  gelungenen  Versuches,  die 
elektrischen  Bahnen  einzuführen,  blieb  das 
Vorgehen  der  Südbahn  ziemlich  lange 
ohne  Nachahmung.  Erst  in  der  alier- 
jüngsten  Zeit  trat  ein  lebhafteres  Interesse 


königlichen  Thiergarten  in  Bubenßund 
durch  die  Urkunde  vom  2.  Februar  1893 
die  definitive  Concession  für  diese  Linie 
sowie  für  deren  Fortsetzung  bis  zum 
königlichen  Lustschlosse  in  Bubenc.  Die 


Abb.  246.    Elektrische  E 

für    elektrische    Eisenbahnen    in    Oester- 
reich  zu  Tage. 

Am  11.  Mai  1891  erhielt  der  In- 
genieur Franz  K  J  i  z  i  k  vom  Handels- 
ministerium die  vorläufige  Bewilligung 
zur  Herstellung  und  zum  Betriebe  einer 
elektrischen  Eisenbahn  von  der  B  e  1- 
vedere-Anhöhe  in  Prag  bis  zu  dem 


isenbahn  Mödling-Hinterbrühl. 

erste  Strecke  ward  am  1 8.  Juli  1 89 1 ,  die 
Ergänzung  am  1.  September  1893,  er- 
öffnet.  [Zusammen   1-5  km.] 

Die  normalspurig  angelegte  Bahn 
wird  durch  zwei  Dynamomaschinen  [von 
je  48  Kilowatt]  betrieben.  Die  Strom- 
zuführung erfolgt  durch  oberirdische 
Trolley-Leitung. 


556 


F.  R.  Engel. 


Derselbe  Concessionär  erhielt  am 
16.  März  1895  die  Bewilligung  zum  Bau 
einer  normalspurigen  elektrischen  Bahn 
von  Prag  nach  VysoGan  mit  der  Ab- 
zweigung Palmovka-Lieben  [zusammen 
5-139  km]  die  am  19.  März,  beziehungs- 
weise 4.  October  1896  dem  Betriebe 
übergeben  wurden. 

Eine  weitere  normalspurige  elek- 
trische Bahn,  die  zur  Zeit,  mit  welcher 
dieser  Rückblick  abschliesst  [Ende  1896], 
im  Betriebe  stand,  hat  ihren  elektrischen 
Betrieb  dem  Umstände  zuzuschreiben, 
dass  man,  als  es  sich  darum  handelte, 
die  elektrische  Beleuchtung  des  Curortes 
Baden  bei  Wien  einzuführen,  bedacht 
war,  eine  weitergehende  Ausnützung  der 
nothwendigen  elektrischen  Centralstation 
zu  schaffen  und  aus  diesem  Grunde  die 
bereits  bestehende  Pferdebahn  für  elek- 
trischen Betrieb  einrichtete.  Darauf  ist 
auch  dienormaleSpurweite  zurückzuführen, 
die  beibehalten  werden  musste,  weil  eine 
Einstellung    des    Betriebes    zum    Umbau 


der  mit  1*435  in  angelegten  Pferdebahn 
unzulässig  erkannt  wurde. 

Die  elektrische  Bahn  von  Baden  nach 
V  ö  s  1  a  u,  welche  diese  in  der  Nähe  Wiens 
so  schön  gelegenen  und  berühmten  Curorte, 
beziehungsweise  Sommerfrischen  verbin- 
det, dankt  ihre  Entstehung  als  elektrische 
Bahn  der  Thatkraft  des  Wiener  Elektro- 
technikers Franz  Fischer.  Vorerst  wurde 
die  ehemalige  Pferdebahn  Baden-Hele- 
nenthal [3-24  km]  am  16.  Juli  1894  als 
elektrische  Bahn  eröffnet  und  am  22.  Mai 
1895  die  Linie  B  a  d  e  n  - V  ö  s  1  a  u  [4-88  km] 
dem  Betriebe  übergeben.  Das  ursprüng- 
liche Project  einer  Ringbahn  um  den  Cur- 
ort  Baden  musste  wegen  der  ablehnenden 
Haltung  des  dortigen  Gemeinderathes  auf- 
gegeben werden.  Die  Stromzuführung  er- 
folgt oberirdisch  [Trolle}-- Leitung]. 

Ausserdem  standen  1896  noch  vier 
weitere  schmalspurige  elektrische  Eisen- 
bahnen im  Betriebe,  so  dass  sich  im 
Ganzen  acht  verschiedene  Unternehmun- 
gen dieser  Art  ergeben,  und  zwar: 


Strecke 

Concessionirt 

Eröffnet 

1 

Länge 
km 

Spur- 
weite 

;  Baden-Helenenthal       .     .     .  1 
Baden-Vöslau J 

Belvedere-[Prag]-Bubenc     . 

I  Abzwg. :  Palmovka-Lieben  .  | 
'  Bielitz-Zigeunerwald  .     .     . 
j  Gmunden  Station  —  Gmun- 

j  Lemberger  Strassenbahn     . 
'  Mödling-Hinterbrühl    .     .     . 

Teplitz-Eichwald     .... 

29.  Juli  1892 
29.  Juli  1892 

11.  Mai  1891 
2.  Februar  1893 

16.  März  1895 
5.  Mai  1895 
13.  Juni  1894 

21.  Juni  1893 
23.  August  1883 

28.  Februar  1895 

16.  Juli  1894 
22    Mai  1895 

18.  Juli  1891 
1.  September  1893 

19.  März  1896 
4.  October  1896 

11.  December  1895 

13.  August  1894 

31.  Mai  1894 
30.  October  1894 

12.  December  1894 

22.  October  1883 

6.  April  1884 

14.  Juli  1885 

25.  Juli  1895 
7.  August  1895 

14.  October  1895 
25.  December  1896 

3  174 
4865 

1-377 

3950 
1  189 

4-848 
2530 

8333 
4431 

8938 

Normal 

» 
1  m 

I    » 

1    » 

1    » 

1    » 

Zusammen     43635 

1                        1               :                         ü 

Kleinbahnen. 


557 


Ende  des  Jahres  1896  waren  in  Oester- 
reich  2,680.000  fl.  in  elektrischen  Bahnen 
angelegt,  die  bei  einer  Gesammtlänge 
von  43-Ö35  km  über  63  Motorwagen  und 
28  Beiwagen  verfügten.*) 


Ueber  den  Stand  der  Drahtseil- 
bahnen in  Oesterreich  [zusammen 
O'gij  kw],  die  sämmtlich  mit  einer  Spur- 
weite von  1  m  angelegt  sind,  gibt  nach- 
stehende   Zusammenstellung    Aufschluss: 


Drathseübahnen. 

Unternehmung 

Datui 
Concession 

71  der 
Eröffnung 

Länge 
km 

Höhen- 
unterschied 
der  End- 
stationen m 

Sicherheitsvor- 
richtungen 

1.  Schlossbergbahn- 

Zahnstange    Sy- 

Gesellschaft   in 
Graz,    Drahtseilbahn 

19.  März 
1893 

25.  Novem- 
ber 1894 

0-21 

IO90 

stem  Riggenbach 
mit  gemeinschaft- 

auf den  Schlossberg*) 

licher  Mittel- 
schiene ausserhalb 

2.  Salzburger-Eisen- 

der  Ausweiche 

bahn-    und    Tram- 
way-Gesellschaft, 

2.  Juli 

1.   August 

0  20 

962 

dto. 

Salzburg  -   Festung  - 
Hohensalzburg 

1888 

1892 

3.  Stadtgemeinde 
Prag,  Kaiser    Franz - 
Josef  Brücke-Laurenzi- 

8.   August 
1890 

31    Mai 
1891 

011 

34-6 

Zahnstange    Sy- 
stem Abt 

berg  in  Prag 

4.  Genossenschaft 
der      Petiinwarte 
in  Prag,    Kleinseite  - 
Laurenziberg  in   Prag 

24.  Decem- 
ber    1890 

25.  Juli 
1891 

0-397 

104 

Zahnstange    Sy- 
stem Abt  mit  ge- 
meinschaftlicher 
Mittelschiene 
ausserhalb      der 

gbahn  in  Gra 

i   den    übrig 

len  Wagen  b 

ausgerüstet. 

z  wirkt  eine 
sn  Seilbahnei 
enützt  wird. 

stabile  Da 
1   das   Ue 
Die  Wage 

mpfmasch 
jergewich 
1  sind  zu 

Ausweiche 

ine  als  bewegende 
t   der  mit  Wasser 
fiesem  Behufe  mit 

*)  Bei  der  Schlossber 
Kraft,   während   hiezu   be 
belasteten,  abwärts  gehem 
entsprechenden  Behältern 

Neben  der  dem  öffentlichen  Verkehre 
dienenden  Kleinbahnen  mögen  schliess- 
lich an  dieser  Stelle  noch  jene  Bahnen 
Erwähnung  finden,  die,  obzwar  sie  nur 
privaten  Interessen  dienen,  doch  wichtige 
Vermittler  des  Verkehres  bilden: 

Die  Schleppbahnen. 

Eine  genaue  Feststellung  der  Zahl 
und  Länge  der  den  besonderen  Zwecken 
der  Industrie  dienenden  Schleppbahnen 
[Industriebahnen]  wurde  in  Oesterreich 
officiell  erst  im  Jahre  1876  vorgenommen. 


*)  Hier  sind  die  Längen  und  elektrischen 
Betriebsmittel  der  erst  später  für  elektrischen 
Betrieb  eingerichteten  Strecken  der  Wiener 
Tramway-Gesellschaft  nicht  eingerechnet. 


Die  bis  dahin  veröffentlichten  Daten  sind 
unvollständig  und  unzuverlässig.  Die  von 
Strach  im  ersten  Bande  dieses  Werkes 
[1.  Theil,  Seite  497  und  501]  veröffent- 
lichte Zusammenstellung  über  den  Stand 
der  Montan-  und  Industriebahnen  im  Jahre 
1867  lässt  erkennen,  wie  spärlich  noch  zu 
jener  Zeit  diese  Hilfsmittel  der  heimat- 
lichen Industrie  zur  Verfügung  standen. 
Das  Verkehrsgebiet  von  elf  Haupt- 
bahnen umfasste  zu  jener  Zeit  in  Oester- 
reich zusammen  162  km  an  Montan-  und 
Industriebahnen.  Auf  Grund  der  von  der 
k.  k.  statistischen  Central-Commission 
veröffentlichten  Daten  waren  im  Jahre 
1876  erst  489  km  Schleppbahnen,  1886 
jedoch  784  km  und  Ende  des  Jahres  1896 
schon    1 135'5  km    solcher    Bahnen    vor- 


558 


F.  R.  Engel. 


banden.      Dieselben    vertheilten    sich    zu 
diesem  Zeitpunkte,  und  zwar: 

bei  den  Bahnen  im  Betriebe  der 

k.  k.  Staatsbahnen  .  .  .  353"2  km 

»      »    k.  k.  Staatsbahnen    im 

Privatbetriebe 3'6  » 

»  »  Privatbahnen  anschlies- 
send an : 

a)  Hauptbahnen  .  .   .  728^9   » 

b)  Localbabnen    .  .   .     32-7   » 

c)  Zahnradbahnen  .   .       o-5   » 

d)  Dampftram ways    .      13' I    » 
»      »    ausländischen  Bahnen  auf 

österreichischemGebiete       3^5   » 

11355ÄW 

*  * 

* 

Der  vorliegende  Ueberblick  über  das 
Kleinbahnwesen  Oesterreichs  lässt  er- 
kennen, dass  wir  hier  ein  Gebiet  be- 
leuchtet haben,  das  erst  am  Beginn  seiner 
Entfaltung  steht.  Das,  was  unser  Vater- 
land bisher  an  Kleinbahnen  aufzuweisen 
hat,  kann  unmöglich  den  immer  steigen- 
den Verkehrsbedürfnissen  entsprechen, 
und  dem  privaten  Unternehmungsgeiste 
steht  hier  ein  dankbares  Feld  offen. 

Ein  Vergleich  Oesterreichs  mit  an- 
deren Ländern  zeigt  deutlich,  wie  viel 
es  hier  einzubringen  gilt  und  die  That- 
sache,  dass  Ungarns  Local-  und  Klein- 
bahnen beinahe  die  doppelte  Länge  der 
österreichischen  erreichen,  ist  markant 
genug,  als  dass  es  noch  weiterer  Hin- 
weise bedürfen  würde. 


Aber  mit  Befriedigung  kann  allüberall 
der  Durchbruch  eines  regeren  Schaffungs- 
geistes festgestellt  werden. 

Von  der  Reichshaupt-  und  Residenzstadt 
abgesehen,  welche  endlich  ihre  Strassen- 
bahnen  erweitert  und  auf  elektrischen 
Betrieb  umgestaltet,  macht  namentlich  der 
Bau  elektrischer  Bahnen  in  den  Provinz- 
städten und  auf  dem  flachen  Lande,  be- 
ziehungsweise die  Umgestaltung  der  alten 
Pferdebahnen  in  elektrische  Strassen- 
bahnen  rüstige  Fortschritte. 

Es  steht  zu  erwarten,  dass  bald  jedes 
Gemeinwesen,  jeder  Ort  in  das  grosse 
Getriebe  der  eisernen  Verkehrswege  ein- 
geschaltet sein  wird,  dass  die  in  der 
Umgebung  der  Grossstädte  als  Dampf- 
tramways  führenden  Proviantirungs-  und 
Ausflugslinien  baldigst  durch  die  rascher 
verkehrenden  und  daher  weit  leistungs- 
fähigeren elektrischen  Bahnen  ersetzt 
werden. 

Ganz  besonders  aber  bleibt  in  dem 
alpenreichen  Oesterreich  auf  dem  Gebiete 
der  Bergbahnen  [Zahnradbahnen]  Viel 
zu  leisten  übrig. 

Da  auch  die  Industrie  den  Werth  der 
Kleinbahnen  längst  erkannt  hat,  so  ist 
es  wohl  nur  eine  Frage  der  Zeit,  dass 
jedes  Industrie-Etablissement,  ja  jeder 
Meierhof  seine  Kleinbahn  erhält,  welche 
ihn  an  das  grosse  Schienennetz  anschliesst, 
das  seine  Zweige  in  alle  Welt  hinaus- 
sendet, ihn  an  den  Weltverkehr  an- 
schliesst. 


INHALT 

des   I.  Bandes  [II.  Theil]. 

Seite 
J.    KONTA,    Geschichte    der    Eisenbahnen    Oesterreichs    vom    Jahre    1867     bis     zur 

Gegenwart I 

H.  KOESTLER,  Die  Wiener  Stadtbahn 427 

P.  F.  KUPKA,  Das  Localbahmvesen  in  Oesterreich 467 

F.  R.  ENGEL,  Die  Kleinbahnen  in  Oesterreich 521 


K.  U.  K.  HOFBUCHDRUCKEREI  KARL  PROCHASKA  IN  TESCHEN. 
CHROMOLITHOGR.  ANSTALT,  BUCHBINDEREI. 


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