Skip to main content

Full text of "Geschichte der griechischen Literatur bis auf Alexander den Grossen, von d'Karl Sittl .."

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that 's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non- commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 

at  http  :  //books  .  google  .  com/| 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


ii: 


Digitized  by 


Google 


GESCHICHTE 


DER 


GRIECHISCHEN   LITERATUR 


BIS  AUF 


ALEXANDER  DEN  GROSSEN 


VON 


D»-  KARL  SITTL. 


DRITTER  TEIL 

MIT  GENERALREGISTER. 


:2mÜNCHEN 
THEODOR    ACKERMANN 

KOKIGUOHEB  HOrBUOHHlin>LEE 

1887. 


Digitized  by 


Google 


{jn^^ 


Digitized  by 


Google 


Vorrede. 


Da  eine  griechische  Literaturgeschichte  sicherlich  zu  den 
Arbeiten,  welche  „nie  fertig  werden**,  gehört,  muss  man  nach 
Groethes  Wort  sich  bescheiden,  wenn  nach  Zeit  und  Umstän- 
den das  Mögliche  geschehen  ist.  In  dem  Bewusstsein,  meine 
physischen  Kräfte  nicht  geschont  zu  haben,  mache  ich  jetzt 
einen  vorläufigen  Abschluss.  Sind  trotz  des  verhältnismässig 
raschen  Erscheinens  in  dem  Plan  wie  in  den  Einzelheiten 
manche  Ungleichheiten  zwischen  den  drei  Bänden  eingetreten, 
80  ist  dies  wohl  nicht  in  höherem  Masse  als  in  so  ziemlich 
allen  mehrbändigen  Werken  geschehen.  Dass  im  ersten  Band 
der  wissenschaftliche  Apparat  nicht  mit  der  Vollständigkeit 
wie  in)  zweiten  und  dritten  gegeben  ist,  dazu  bestimmten  mich 
Gründe,  die  sich  später  als  irrig  erwiesen;  dagegen  hielt  ich 
an  der  Ansicht  fest,  dass  über  die  Dichter  als  solche  nicht  der 
gelehrteste  Philologe,  sondern  wiederum  ein  Dichter,  dessen 
Berühmtheit  ihn  vor  kleinlichem  Neide  sichert,  am  besten  zu 
urteilen  vermag  und  so  findet  der  Leser  auch  hier  wieder  die 
Gutachten  von  Männern ,  welche  few  latin  and  less  greek  ver- 
standen, soweit  nicht  die  Unkenntnis  der  Thatsachen  ihr  Urteil 
trübte,  gewürdigt. 

Bei  der  Massenhaftigkeit  des  Stoffes  sind  Versehen  unver- 
meidlich und  ich  kann  nicht  hoffen,  dass  die  Kontrole  die- 
selben alle  entfernt  hat.  Denn  nur  zu  oft  ist  wohl  der  Geist 
willig,  aber  die  Hand  ungeberdig,  in  anderen  Fällen  machte 
die  widrige  Nachricht,  dass  ein  Buch  ausgeliehen  oder  gar 
nicht  auffindbar  sei,  die  Revision  unmöglich.  Ich  werde  für 
aDe  öffentlichen  und  privaten  Berichtigungen,  auch  wenn  ihre 


Digitized  by 


Google 


IV  Vorrede. 

Form  wenig  Verständnis  für  die  Entschuldbarkeit  eines  Schreib 
oder  Druckfehlers  verraten  sollte,  dankbar  sein.    Das  Register 
ist  so  ausführlich  angelegt,   dass  es   hofientlich   allen  billigen 
Wünschen  genügen  wird;   auch   hier  wird  mir  der  Nachweis 
etwaiger  Lücken  willkommen  sein. 

Indem  ich  nach  langjähriger  Anspannung  von  Geist  und 
Körper  die  Feder  niederlege,  treten  mir  die  bisherigen  fata  des 
Buches  vor  die  Seele,  am  deutlichsten  die  vielen  Freuden  des 
Forschens  und  Findens,  die  Niemand  rauben  kann ;  mit  Dank 
gedenke  ich  auch  derer,  die  mir  durch  Uebersendung  ihrer 
Schriften  oder  sonstwie  förderlich  Waren,  vor  allen  aber  meines 
Herrn  Verlegers,  welcher  mir  opferwillig  und  verständnisvoll 
zur  Seite  stand. 

München,  den  1.  Mai  1887. 

Karl  SittL 


Digitized  by 


Google 


Inhalts  -Verzeichnis. 


Seite 
Einleitung 1 

Oeffentliche  Pflege  der  Poesie. 

1.  Kapitel:  Das  heroische  Epos 9 

Produktionen  von  Rhapsoden  und  Epikern ;  Panyasis , 
Antimachos ,  Choirilos  und  ihre  Genossen ;  Parodien 
(Hegemon). 

2.  Kapitel:  Die  Lehrdichtung 23 

Empedokles,  Parmenides,  die  Pythagorerr  und  Hippon; 
Eudoxos  und  andere  Lehrdichter  der  Spezialwissen- 
schaften;    gastronomische   und   abergläubische   Literatur. 

3.  Kapitel:  Die  nicht  chorische  Lyrik 36 

Elegie :  Archelaos,  Melanthios,  Dionysios  und  Ion,  Tragiker 
und  Sophisten ;  Epigramm ;  Liebeslied ;  Timokreon ;  Tele- 
silla;  aulödischer  und  kitharödischer  Nomos  (Korinna, 
Phrynis,  Timotheos). 

4.  Kapitel:  Chorlieder 54 

Das  Choriied  im  Allgemeinen;  Simonides,  Bakchylides  und 
Pindar;  der  klassische  Dithyrambos. 

5.  Kapitel    Anfänge  der  Tragödie 129 

Alte  und  neue  Schriften  über  die  Tragödie;  Ursprung 
des  grifcchischen  Trauerspiels;  Thespis,  Choirilos  und 
Phrynichos. 

6.  Kapitel :  Technik  der  Tragödie      148 

Spieltage;  Preiskonkurrenz;  das  Publikum;  der  Dichter  und 
seine  Zeit.  Die  Stoffe  und  ihre  Behandlang;  die  auf- 
tretenden Personen  und  ihre  Charaktere;  der  Dialog; 
Charakteristik  der  Handlung:  Peripetie  und  tragische 
Ironie;  Schluss,  Intriguen  und  Spannung;  Familiensceneü 
(Liebe);  Unglück;  Realismus  und  stürmische  Scenen; 
Wunderbares  und  Prunk.  Exposition,  Prolog  und  Schluss, 
dens  ex  machina  und  die  Moral  des  Stückes.  Der 
Chor:  Historisches ;  Zahl ;  Verhältnis  zur  Handlung ; 
Ort  und  Aufstellung;  Einheitlichkeit;  Gesang,  Musik, 
Arten  der  Lieder,  Tanz  und  Gestikulation,  Dialekt. 
Folgen  des  Chors:  Versmass  des  Dialoges  und  Respon- 
sion;  Singen  der  Schauspieler;  die  tragische  Sprache; 
Ort  der  Handlung;  Einheit  des  Ortes  und  die  Boten- 
erzählungen ;  die  Einheit  der  Zeit  und  die  Trilogien ; 
Monologe  und  vertrauliche  Scenen ;  Sceueneinteilung ; 
Ankündigung  des  Auftretens  und  des  Schlusses;  Zurück- 
treten des  Chors;  Vielseitigkeit  der  Dichter ;  Regelmässig- 
keit der  Tragödie;  das  Erhaltene. 


Digitized  by 


Google 


Seite 
7.  Kapitel:  Aeschylus 244 

Bioj^raphien ;  Leben  des  Dichters;  Charakter  und  dichterische 
Bedeutung;  Werke;  Anerkennung  bei  der  Folgezeit. 

6.  Kapitel:  Sophokles 272 

Biographien;  Leben  und  Charakter;  Zeit  der  Stücke;  die 
beiden  Oedipus,  Antigene,  Elektra,  Aias,  Philoktet; 
Geschichte  der  Dichtungen;  Suholien,  Handschriften  und 
Ausgaben. 

9.  Kapitel:  Euripides 310 

Biographien ;  Lebensumstände ;  Charakter  und  Denkungs- 
weise;  dichterische  Eigenart;  Zahl  und  Entstehnngszeit 
der  Dramen;  Rhesos;  die  übrigen  Tragödien  in  alpha- 
betischer Ordnung;  das  Verlorene.  Fortleben  der  Dramen ; 
Scholien,  Handschriften  und  Ausgaben. 

10.  Kapitel:  Die  Zeitgenossen  und  Nachfolger  der  grossen  Tragiker    .    364 

Ion,  Achaios  und  Agathon,  Aristarchos,  die  Familie  der 
drei  Klassiker  und  des  Karkinos,  Neophron,  Kritias  nnd 
Andere;  die  Tragiker  des  vierten  Jahrhunderts:  die  beiden 
Astydamas,  Karkinos,  Antiphon  und  die  Dilettanten.  Der 
Niedergang  der  Tragödie.  Hochstellung  der  Klassiker; 
Verbreitung   des  athenischen  Dramas  ausserhalb  Attikas. 

11.  Kapitel:  Das  Satyrspiel 383 

Schriften  über  das  Satyrspiel;  dessen  Entwicklung  und 
Formen;  „der  Kyklope"  des  Euripides. 

12.  Kapitel:  Anfänge  der  Komödie 389 

Schriften  über  die  Komödie  m  alter  und  neuer  Zeit.  Keime 
des  Lustspiels;  megarische  Komödie:  Epicharmos,  Phormos 
und  Deinolochos.  Ursprung  der  dionysischen  Komödie  in 
Attika;  Snsarion. 

13.  Kapitel:  Die  altathenische  Komödie 406 

Staatliche  Ordnung;  Publikum;  Technik:  Stoffe  und  Personen 
(Bürger,  Fremde,  Götter,  Personifikationen,  nicht  erfundene 
Personen);  Pressfreiheit;  Karrikaturen;  politische  Haltung; 
Verfolgung  der  Philosophen  nnd  Musiker;  lächerliche 
Garderobe,  Obscönität^n,  Parodie,  Zerstörung  der  Illusion ; 
Oekonomie  und  Dialog,  Schauspieler  und  Chor,  Parabase ; 
Musik  und  Tanz;  Versmass  und  Sprache;  Einheit  des 
Ortes  und  der  Zeit;  Gesamt  urteil. 

iA,  Kapitel:  Die  Dichter  der  alten  Komödie 440 

Magnes  und  Chionides;  Kratinos  mit  seinen  Genossen; 
Krates  und  Pherekrates;  Phrynichos  und  Enpolis;  Aristo- 
phan  es:  Biographien,  Leben,  Charakter,  Werke,  Bedeutung 
und  Wertschätzung,  Scholien,  Handschriften  und  Ausgaben; 
Theopompos,  Strattis  und  Piaton  mit  ihren  Zeitgenossen. 

15.  Kapitel:  Die  mittlere  Komödie 482 

Charakteristik:  Chor  und  Lyrisches;  Stoffe,  Verfeinerung  des 
Tons;  regelmässige  Figuren;  Eubnlos,  Timokles,  Anti- 
phanes,  Anaxandridas ,  Alexis  nnd  die  unbedeutenderen 
Dichter. 

J 6.  Kapitel:  Der  Mimos 492 

Possenreisser  in  Sicilien;  Sophron  und  Xenarchos. 

Schluss 494 


Digitized  by 


Google 


Einleitung. 

Oeffentliche  Pflege  der  Poesie. 

Während  die  Vertreter  der  Prosa,  statt  beim  Staate  oder 
wenigstens  bei  der  öfifentlichen  Meinung  Aufmunterung  und 
eine  moralische  Stütze  zu  finden,  einen  schweren  nicht  unge- 
filhrlichen  Kampf  gegen  die  Vorurteile  ihres  Volkes  zu  führen 
hatten,  kam  den  Dichtern  Alles  nach  wie  vor  freundlich  ent- 
gegen und  auch  der  kleinste  Staat  bot  alle  Mittel  auf,  damit 
die  Gabe  der  Musen  eine  edle  Zierde  der  allgemeinen  Feste 
sei.  Das  alte  Hellas  hatte  nichts  anderes  als  die  Ehre  der 
Götter  dabei  im  Auge  gehabt,  allein  durch  prachtliebende 
Usurpatoren,  wie  Polykrates  imd  die  Peisistratiden,  welche 
durch  prunkvolle  Feste  und  imponierende  Bauwerke  für  die 
Zerstreuung  ihrer  widerwilligen  Unterthanen  sorgten,  waren  die 
Griechen  des  jonischattischen  Stammes  verwöhnt  worden.  Von 
nun  an  musste  jede  wie  immer  geartete  Regierung  mit  der 
vorhergehenden  in  der  Veranstaltung  glänzender  Schaustellungen 
wetteifern  und  durfte,  sobald  es  die  Feiertage  zu  verschönern 
galt,  vor  keiner  Ausgabe  zurückschrecken,  selbst  wenn  die 
politischen  Verhältnisse  eine  zweckmässigere  Verwendung  nahe 
legten. 

Perikles,  dem  die  Matrikularbeiträge  der  Bundesgenossen 
zur  Verfügung  standen,  wendete  sie,  vne  immer  man  über  die 
Rechtsfrage  denken  mag,  in  der  grossartigsten  Weise  an,  ohne 
dass  der  rasch  emporgeblühte  Staat  auf  die  Abwege  unver- 
ständiger Emporkömmlinge  geriet.  Der  kundigen  Leitung  dieses 
feingebildeten  Edelmannes  dankte  Athen  alles  jenes  Herrliche, 
zu  dem  bald  aus  ganz  Griechenland  und  später  aus  der  ganzen 

Sittl,  Geschichte  der  giiechischen  Literatur,  m.  ^ 


Digitized  by 


Google 


2  Einleitung. 

gebildeten  Welt  die  Kunstfreunde  zusammenströmten^).  Doch 
vor  allem  musste  das  perikleische  System  dem  über  jene  Ver- 
schwendung murrenden  Volke  die  Tage  des  Vergnügens  mehren 
und  mannigfaltiger  gestalten.  Nun  löste  in  Athen,  wie  in 
keinem  anderen  Orte,  ein  Fest  beinahe  das  andere  ab*).  In 
solcher  Weise  zeigte  ja  eine  griechische  Stadt  ihren  Reichtum '). 

Mit  dem  Aufschwünge  des  Festlebens  hing  die  Verfeinerung 
des  Geschmackes  zusammen.  Als  die  grossen  Nationalspiele 
eingesetzt  worden  waren,  hatte  das  Volk  noch  die  Erprobung 
körperlicher  Gewandtheit  und  Kraft  für  das  Rühmlichste 
angesehen.  Wenn  schon  in  so  ziemlich  allen  Kulten  Chöre 
die  Gottheit  zu  besingen  wetteiferten  und  bei  jeder  Gelegen- 
heit Rhapsoden  epischer  Gedichte  um  die  ausgesetzten  Preise 
kämpften,  besassen  doch  nur  die  musischen  Agone  von  Delphi 
und  Sparta,  dem  geistigen  und  dem  weltlichen  Vorort  des 
Apollodienstes,  eine  über  die  Stadtmarken  hinausreichende 
Bedeutung*). 

Athen  hatte  anfangs  auf  die  fremden  Meister  keine  An- 
ziehungskraft ausgeübt,  weil  seine  Bewohner  für  die  musischen 
Künste,  wie  sie  von  Doriem  und  Aeoliern  geübt  wurden,  weder 
hervorragende  Anlagen  noch  eine  gleich  rege  EmpföngHchkeit 
besassen.  Da  tritt  plötzlich  der  lebhafte  Dienst  des  Weingottes, 
über  dessen  Vorgeschichte  leider  wenig  zu  erkunden  ist*),  in 
den  Vordergrund  und  damit  ist,  weil  ihm  die  hieratische  Ge- 
bundenheit der  Verehrung  der  eigentlichen  olympischen  Gtötter 
abgeht,  der  Anstoss  zu  neuen  folgenreichen  Einrichtungen 
gegeben;  schon  das  sechste  Jahrhundert  brachte  Athen  die 
Wettbewerbungen  von  Tragödien  und  Komödien,  woraus,   wie 


1)  Perikles'  Verdienste  w&rdigt  unter  den  Klassikern  Isokrates  (15,  234). 
Der  Komiker  Lysippos  (fr.  7  p.  702  Kock)  sagt :  el  p.*^  ta^aoat  xac  ' AO-fjvac, 
oxiXf/OQ  el. 

2)  „Vom  Staate  der  Athener'*  3,  8  Äf®^^^  P-^^  iopxdg  BtirXaoiooc  ^  oi 
fiXXot,  vgl.  2,  9.  3,  2.    Thucyd.  2,  38,  1. 

3)  Aristoph.  Plnt.  1162  f.  nXo6tC|)  y^P  ^'^'^  xobxo  oop-^opiotaiov ,  tcouIv 
ÄY&vac  jJ.oootxo6(:  xal  Yop^vtHooc. 

4)  Ueber  die  (j.ouoixol  ir^mvzt:  im  allgemeinen  handelt  Emil  R  ei  seh  de 
rnnsids  Graecomm  oertaminibns,  Diss.  v.  Wien  1885. 

5)  Otto  Ribbeck  Anfänge  und  Entwicklang  des  Dionysosealtes  in 
Attica,  Progr.  der  Univ.  Kiel  1869;  C.  Mittelhaas  de  Bacoho  Attico,  Diss. 
V.  Breslau  1874. 


Digitized  by 


Google 


Einleitung.  3 

primitiv  sie  auch  immer  damals  gewesen  sein  mögen,  mit  der 
Zeit  das  klassische  Drama  erwuchs. 

Peisistratos'  Herrschaft  machte,  wie  es  scheint,  in  der 
Grescbichte  der  Poesie  nicht  Epoche,  weil  sein  Interesse  mehr 
der  Kunst  zugewendet  war;  von  einer  Unterbrechung  der  vor 
ihm  eingesetzten  poetischen  Agone  kann  zwar  keine  Rede  sein  ^), 
trotzdem  ist  es  für  den  Tyrannen  charakteristisch,  dass  die 
von  ihm  eingerichteten  grossen  Panathenäen  den  Olympien 
und  nicht  den  universelleren  Pythien  glichen.  Erst  sein  Sohn 
Eßpparchos  wetteiferte,  während  der  ältere  Bruder  Hippias  die 
Regierungsgeschäfte  führte,  mit  Periandros  und  Polykrates, 
indem  er  sich  mit  hervorragenden  Dichtern  umgab;  damals 
worden  wahrscheinlich  die  üblichen  Rhapsoden  vortrage,  so  ver- 
ständig geregelt,  dass  das  Volk  wenigstens  an  den  Pana- 
thenäen die  homerischen  Dichtungen  unzerstückelt  als  Ganzes 
vernehmen  und  geniessen  konnte. 

Kaum  hatte  aber  Athen  die  Freiheit  wieder  gewonnen, 
als  abermals  Dionysos  der  Poesie  in  dem  Wettkampfe  von 
DiÜiyramben  ein  neues  Feld  eröffnete»  Die  drei  dionysischen 
Dichtungs&rten  allein  errangen  nun  in  Athen  eine  wahre 
Popularität,  wiewohl  Perikles,  unablässig  darum  bemüht,  dass 
Athen  in  keiner  Beziehung  hinter  einem  anderen  griechischen 
Staate  zurückstehe,  alles  that,  um  die  ausgezeichnetsten  Lyriker 
und  Musiker  seiner  Zeit  anzuziehen.  Diesem  Gedanken  zu 
Ldebe  setzte  er,  mit  den  altberühmten  Karneen  Spartas  wett- 
eifernd, an  den  grossen  Panathenäen  Preise  für  Gesang  und 
Musik  aus*)  und  überbot  die  alte  „Scbattenhalle"  (ExtAc)  der 
Spartaner^  durch  ein  eigenartiges  geschlossenes  Gebäude,  in 
welchem  von  den  Deklamationen  und  Koncerten  kein  Laut 
verloren  ging,  das  sogenannte  Odeion.  In  diesem  neuen  Bau 
fSeind  446  der  erste  Wettkampf  statt,  wobei  der  berühmte  les- 

1)  Aristoteles  (oecoD.  2,  5)  gebraucht  das  Wort  yop-rjYetv  von  der  Zeit 
des  Hippias. 

2)  Flatarch.  Pericl.  13;  Furtwftngler  arcbftol.  Zeitung  1881  S.  303 
fihjt  gegen  diese  üeberliefemng  eine  altertamliche  (?)  panatbenäiscbe  Vase 
«a,  8.  aber  ürlichs  Beiträge  zur  Ennstgescbicbte  S.  56  A.  76.  Letzterer 
bea^ndit  s.  O.  S.  52  die  Darstellungen  siegreicber  Elitbaröden  und  Flöten- 
spieler ftof  panatben&ischen  Vasen.  —  Breuer  de  musicis  Panatbenaeorum 
eertamiDibas,  Dias,  von  Bonn  1865. 

3)  Albert  Muller,  die  griecbiscben  Bdbnenaltertümer  S.  67. 

1*^ 


Digitized  by 


Google 


4  Einleitung. 

bische  Eütharöde  Phrynis  den  Sieg  davon  trug^).  Wie  man 
sieht,  hatte  Perikles  seine  Absicht  schon  beim  ersten  Versuche 
erreicht.  Wo  sich  hingegen  zumeist  inländische  Dichter  an  der 
Konkurrenz  beteiligten,  —  selbst  die  grossen  Dionysien  nicht 
ausgenommen  —  da  mussten  den  Chören  kreisrunde  gepflasterte 
Tanzplätze  (öpx'JJotpat)  genügen^;  solche  befanden  sich  auf 
dem  städtischen  Marktplatze')  und  in  den  heiligen  Bezirken 
der  gefeierten  Gottheiten*).  Sonst  sorgte  der  Staat  nur  dafür, 
dass  an  den  grossen  Dionysien,  welche  die  grösste  Zahl  Schau- 
lustiger herbeizogen,  ein  Baumeister^)  hölzerne  Gerüste  er- 
richtete®) und  vermietete;  in  anderen  Fällen  mussten  sich  die 
Zuschauer,  wie  im  alten  Rom,  zum  Stehen  bequemen^),  denn 
die  Heimat  der  gefeierten  Tragiker  besass  kein  stehendes 
Theater,  bis  nach  der  Schlacht  von  Chairoiieia  Lykurgos  neben 

1)  Elratinos  (Plutarch.  Pericl.  13)  klärt  nns  über  die  Zeit  des  Baues 
auf;  Vitruvius,  welcher  statt  Perikles  Themistokles  nennt  (5,  9,  1),  schöpft 
ans  einem  Antor,  den  die  vermeintliche  Aehnlichkeit  des  Odeions  mit  dem 
persischen  Eönigszelte  zn  dem  Trugschlüsse  verleitete.  Die  Vollendung  des 
Baues  hftngt  offenbar  mit  dem  ersten  Panathenäensieg  zusammen,  über  den 
Schol.  Aristoph.  Nub.  965  (967)  =  Suidas  u.  ^pövic  berichten  (Meier  de 
Panathenaeis  p.  286  A.  80  stellt  statt  KaXXioo  richtig  den  Archontennamen 
KaXXifxdtxou  (Ol.  83,  3)  her).  Alle  alten  Schriftsteller  kennen  vor  Hdrodes 
Atticus  ein  einziges  Odeion  (Hill er  Hermes  7,  393  ff.,  s.  ausserdem  über 
diese  viel  umstrittene  Frage  das  Resumö  von  Albert  Müller  a.  O.  S.  101  ff.). 
Ueber  die  Benützung  des  Odeion  Hesychios  u.  'äidslov. 

2)  Ud.  V.  Wilamowitz  die  Bahne  des  Aischylos,  Hermes  21,  597  ff. 

3)  Wachsmuth  die  Stodt  Athen  I  S.  170.  509;  Milchhöfer  Bau- 
meisters Denkm.  des  klass.  Altert.  I  S.  165;  vgl.  Fr.  Wieseler  de  loco  quo 
ante  theatrum  Bacchl  lapideuro  exstructum  Athenis  acti  sint  ludi  scenici, 
Progr.  der  Univ.  Göttingen  1860;  Alb.  Müller  Philol.  35,  291  ff.;  O.  Rib- 
beck  a.  O.  S.  23  f. 

4)  Daher  stammen  die  Ausdrücke  6  IkX  AYjvaiq)  dL'^iiiv  (Aristoph.  Acharn. 
404,  vgl.  Wilamowitz  Hermes  21,  615  ff.)  und  xi  AYjvaixov  (PoUux  4,  121). 
Bezüglich  Krntinos'  Scherz  icap'  alYsipoo  ^a  (fr.  339  Eock)  waren  schon  die 
Alten  auf  Vermutungen  (Alb.  Müller  a.  O.  S.  84  A.  3)  angewiesen. 

5)  'Apxit^xTü)v  (Demosth.  18,  28.  CIA.  H  164)  war  sein  offizieller  Name; 
sonst  hiess  er  auch  ^taxpoicu»XY)c  (Arlstophanes  bei  PoUux  7,  199)  oder  d^a- 
Tpu»vY)c  (Tbeophrast.  char.  11,  3). 

6)  ''Ixpia  (Ixpia)  Kratinos  fr.  323,  3.  Aristoph.  Thesm.  395  (s.  auch  Alb. 
Müller  a.  O.  S.  3«  61,  3),*  £3  ist  wohl  möglich,  dass  sie  einmal  zusammen- 
brachen (Suidas  u.  Alo^^uXoc  und  Opoixivoic)* 

7)  Aristoph.  Acham.  915  xu»v  icepuatwicuv ,  und  zwar  nahe  bei  den 
Schauspielern  (Acham.  257). 


Digitized  by 


Google 


Einleitung.  5 

dem  Dioiiysostheater  am  Südabhang  der  Akropolis  einen  früher 
begonnenen  steinernen  Zuschauerraum  anlegte*),  und  vielleicht 
hätte  er  nicht  einmal  dies  durchgesetzt,  wenn  das  Theater  nicht 
an  Werktagen  für  Volksversammlungen  bestimmt  worden  wäre. 
Hingegen  hielt  man  es  selbst  damals,  als  Athen  schon  von 
dem  Ruhme  seiner  Geistesheroen  zehrte,  für  überflüssig,  eine 
ständige  Bühne  zu  errichten*). 

Dafür  gab  Athen  den  Dichtern  nicht  bloss  Gelegenheit 
und  Anregung  zur  Bethätigung  ihres  geistigen  Könnens,  indem 
es  glänzende  Preise  aussetzte,  sondern  es  that  mittelbar  ebenso 
viel,  damit  sie  volle  Bewegungsfreiheit  erhielten.  Denn  statt 
mit  bureaukratischer  Knauserei  kämpfen  und  in  die  allgemeine 
Schablone  sich  schicken  zu  müssen,  erhielt  der  Dichter,  wenn 
er  mit  einem  Chore  auftrat,  von  Staatswegen  einen  reichen 
Bürger  als  Choregen  zugewiesen'),  für  welchen  es  Ehrensache 
war,  sein  möglichstes  zu  thun,  dass  die  Konkurrenten  über- 
troflfen  und  in  den  Schatten  gestellt  würden;  wurde  doch, 
wenn  der  Dichter  siegte,  sein  Name  neben  ihm,  ja  vor  ihm 
genannt*).  Der  Choreg  liess  sich  deshalb  gerne  zu  ausser- 
ordentlichen Leistungen  herbei  ^).  Mithin  brauchten  die  Dichter 
in  der  Regel  ihrer  Phantasie  durch  Rücksicht  auf  die  Kosten 
keiue  Schranken  zu  setzen  und  fanden  leicht  einen  ehrgeizigen 
Helfer,  der  ihnen  zu  einer  Neuerung  die  Mittel  gab*). 

Poesie  und  Musik  interessierton  ja  das  gesamte  Volk, 
nicht  bloss  einen  durch  Glücksgüter  gesegneten  Bruchteil  des- 
selben'; lieber  gab  der  Staat  selbst  enorme  Summen  her,  wenn 

1)  Hypereides  fr.  121;  genauer  [xb  O-iatpov  to]  Atovootaxiv  H^jp^daato 
CIA.  II  240.  Ps.  Plutarch.  Lycurg.  852c,  vgl.  841c,  s.  Alb.  Müller  a.  O. 
8.  87,  4.  ALek)  irrt  Saidas  n.  IIpaTivac,  der  deu  Baa  in  die  Zeit  des  Aeschylas 
veTBetzt. 

2)  Dörpfeld  in  Alb.  Müllers  griech.  Bühnenaltertümer  S.  415  f.  Viel- 
leicht  unterliess  man  es  absichtlich,  weil  Holz  eine  bessere  Akustik  gewährt 
als  Stein  (Vitrav.  5,  5,  7). 

3)  y.  Thumser  de  civium  Atheniensium  mnneribus,  Wien  1880  p.  83  ff. 

4)  Im  Namen  seiner  Phyle  handelte  er  nur  bei  lyrischen  Chören,  während 
die  glückliche  Aufführung  eines  Dramas  wahrscheinlich  ihm  persönlich  die 
Auszeichnung  brachte  (Lipsiud  Berichte  der  sächsischen  Gesellschaft  der 
Wiss.  1885  S.  412  flt). 

5)  IIapaxop*f}YY)fjLa  nannte  man  dies;  vgl.  Alb.  Müller  a.  O.  S.  177  ff. 
6}  Bei  dem  Komiker  Amphis  (fV.  14,  n  239  Eock)  sagt  ein  nenerungs- 

süchtiger  Dichter:  ^oX'vjv  ic6pi)jiiva>  GcpoBpa  cpiXovetxouaav  Xa)(8lv  ttv\ 


Digitized  by 


Google 


6  Einleitung.  . 

nur  auch  der  von  der  Hand  in  den  Mund  lebende  Bürger, 
tier  Sorge  um  das  tägliche  Brod  enthoben,  behaglich  an  dem 
Vergnügen  Teil  hatte.  Dass  das  Publikum  der  Dichter  das 
Volk  im  wahren  Sinne  des  Wortes  war,  kam  schon  äusserlich 
zum  Ausdruck,  weil  es  sich  nach  der  politischen  Phylenein- 
teilung  gUederte  ^).  Darum  leiteten  die  höchsten  Staatsbeamten 
die  Abhaltung  der  Feste.  Bei  den  grossen  Dionysien  zeigte 
Athen  Freunden  und  Gegnern  seinen  Reichtum  und  wie  es 
die  Waisen  der  für  das  Vaterland  Gefallenen  und  die  Patrioten 
ehrte ^;  hier  vor  dem  ganzen  Volke  bekränzt  zu  werden,  war 
die  höchste  äussere  Ehre,  die  ein  athenischer  Staatsmann  an- 
strebte, bevor  sie  durch  leichtfertige  Verleihung  an  Wert  ver- 
loren hatte.  Nicht  einmal  der  Krieg  durfte  auf  die  Festtage 
störend  wirken,  weshalb  die  Athener  alle  diejenigen,  welche  in 
einen  Chor  eingetreten  waren,  von  der  Wehrpflicht  befreiten 
und,  als  EupoUs  im  Kriege  umgekommen,  das  Privilegium  auf 
die  Dichter  ausdehnten;  die  Chöre  bestanden  nämlich  nicht 
aus  beliebigen  Mietlingen,  sondern  einzig  und  allein  aus  freien 
Bürgern  des  Landes. 

Hinsichtlich  der  Dichter  dagegen  gab  es  keine  parti- 
kularistische  Engherzigkeit.  Wer  unter  seines  Gleichen  her- 
vorzuragen glaubte,  führte  ein  Wanderleben  von  Stadt  zu 
Stadt  und  von  Fest  zu  Fest,  wo  immer  nur  Preise  ausgesetzt 
waren.  Durch  Perikles'  Massregeln  war  Athen  der  Ort  geworden, 
wo  jeder  fahrende  Künstler,  um  für  berühmt  zu  gelten,  sich 
gezeigt  haben  musste,  und  so  war  das  stolze  Wort  jenes  Staats- 
mannes, Athen  sei  die  hohe  Schule  von  Hellas'),  durchaus 
nicht  übertrieben,  während  weniger  besonnene  Chauvinisten 
sich  zu  der  Behauptung  verstiegen,  sie,  die  Athener,  seien  in 
der  Dichtkunst  wie  in  der  Kriegskunst  die  ersten*).  That- 
sächUch  verhielt  sich  Athen  auch  auf  dem  geistigen  Gebiete 
zu  den  meisten  hellenischen  Städten,   wie  ein  Stapelplatz  des 


1)  Benndorf  Beiträge  zar  KenntDis  des  nttischeo  Theaters  S.  Id  ff. 
(vgl.  Alb.  Müller  die  griech.  Bähnenaltert.  (S.  296  ff.  415).  Die  Rateherm 
hatten  Ehrenplätze  (BooXeotix6v  Aristoph.  Av.  794). 

2)  Isocrates  8,  82. 

3)  Thncyd.  2,  41,  1  JoveXwv  xe  X^w  rfjv  xt  jiÄoav  jtoXiv  rfjc  *EXXa5oc 
naiSeuoiv  shai  .  .  . 

4)  Aristoph.  (Zq.  583  ff. 


Digitized  by 


Google 


Einleitung.  7 

Welthandels  zu  einem  Landstädtchen.  Demzufolge  zogen  die 
grossen  Dionysien  und  Panathenäen  Besucher  aus  allen  Teilen 
Griechenlands  an*)  und,  wem  in  Athen  ein  Preis  zu  Teil 
geworden  war,  der  stand  vor  ganz  Hellas  geachtet  da^). 

Nichtsdestoweniger  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  die 
das  Altertum  überdauernde  Ueberlieferung  einseitig  zu  Gunsten 
Athens  spricht.  Die  Zeitgenossen  erkannten  ihm  damals  aller- 
dings den  Vorrang  im  Drama  zu,  hingegen  waren  die  lyrisch- 
musikalischen Aufführungen  von  Korinth  berühmter^  und 
ein  äusserer  Umstand  genügt  zum  Beweise,  wie  schwer  Athen 
der  Sieg  im  geistigen  Wettstreite  gemacht  wurde.  Wie  spät 
entstand  dort  ein  steinernes  Theater  und  doch  besassen  damals 
schon  viele  Städte  Griechenlands  ein  solches*);  die  einzige 
Thatsache,  dass  die  nicht  sehr  bedeutende  Stadt  Chalkis  mehr 
als  ein  Theater  enthielt,  lässt  einen  merkwürdigen  Schluss  auf 
das  übrige  Hellas  zu^).  Der  älteste  steinerne  Bau  war  unseres 
Wissens  das  prachtvolle  Kurtheater,  welches  in  Epidauros  von 
Poly kleitos  errichtet  wurde  ^. 

Eine  nicht  minder  bedrohliche  Konkurrenz  machten  der 
athenischen  Demokratie  Könige  und  Tyrannen,  namentlich  die 
bekannten  Herrscher  von  Syrakus  und  der  makedonische  König 
Archelaos,  welche  nach  dem  berühmten  Worte  Soyol  töpawot 
TÄv  ao^Äv  Tcapooatfqf  —  der  jüngere  Dionysios  soll  seine  eigen- 
nützigen Absichten  offen  eingestanden  haben ')  —  viele  Celebri- 
täten  ihrer  Zeit  um  sich  versammelten ;  auch  bei  dem  herrsch- 


1)  Vgl.  Isokr.  4,  45.  Aristoph.  Acharn.  405.  Plato  symp.  175  e.  Aeschin. 
3,  34.    Rede  gegen  Neaira  31.    Ps.  Fiat.  Parmenid.  127  b.    Ps.  Andocid.  4,  20. 

2)  Vgl.  ÜBOcr.  4,  46. 

3)  Stratonikoe  bei  Athen.  7,  350  b. 

4)  Korinth  Xenoph.  HeU.  4,  4,  3;  Megalopolifl?  Pausan.  8,  32,  1.  2, 
27,  5;  Aigina?  Suidas  n.  Apdxwv;  Thasos  Hippocr.  epidem.  1,  2  p.  404  K.; 
Rhodos  Plotarch.  Demetr.  21  a.  E.;  Herakleia  Hermippos  bei  Diog.  Laert. 
5,  91  (zur  2teit  des  Herakleides  Pontikos);  Syrukus  (Sophron  fr.  136  Botzon 
bei  Enstath.  in  Odyss.  p.  1457,  24)  Platarch.  Timol.  34  a.  E.  38;  Agrigent 
Frontin.  strateg.  3,  2,  6;  (in  Selinnnt,  nach  einer  Vermutung  von  Schub- 
ring ArchÄol.  Ztg.  1872  S.  100);  das  ddaxpov  in  Olympia  (Xenoph.  Hell.  7, 
4^  31)  muss  hölzern  gewesen  sein. 

5)  Dicaearch.  p.  260  §  28  ed.  MdUer. 

6)  Pausan.  2,  27,  5;  über  die  Ruinen  s.  die  bei  Alb.  Müller  a.  O. 
S.  5,  4  verzeichneten  Schriften. 

7)  Plutarch.  reg.  apophth.  Aiovoa.  vewt.  1. 


Digitized  by 


Google 


3  Einleitung. 

süchtigen  Spartaner  Lysandros,  der  gern  den  König  spielte, 
konnte  man  leicht  erraten,  dass  er  einen  Homer  seiner  Thaten 
suchte  *).  Doch  bei  anderen  war  das  Mäcenatentum  von  solchen 
Nebengedanken  frei,  sonst  hätten  nicht  der  ältere  Dionysios 
und  Mamerkos  persönlich  invita  Minerva  dilettiert.  Indes  wenn 
solche  Freunde  der  Poesie  der  Tod  ereilte,  war  der  Musensitz 
mit  einem  Schlage  vernichtet,  weil  eine  kunstsinnige  Dynastie 
fehlte.  Solche  Anregungen  blieben  trotz  allem  augenblicklichen 
Glänze  gerade  so  vorübergehend,  wie  die  grossartigen  Toten- 
feiern ,  z.  B.  beim  Begräbnis  des  Euagoras  *)  und  Maussollos, 
wo  Dichter  und  Musiker  in  grosser  Zahl  für  einige  wenige  Tage 
zusammenströmten,  und  hinterliessen  keine  bleibende  Spur. 
Ward  auch  die  hellenische  Poesie  in  ihrer  höchsten  Blüte- 
zeit —  um  mit  Schiller  zu  reden  —  vom  Ruhme  gepflegt  und 
entfaltete  sie  auch  ihre  Blume  wirklich  am  Strahle  der  Volks- 
und Fürstengunst,  sei  doch  auch  andererseits  nicht  vergessen, 
dass  die  Poesie  keine  Treibhauspflanze  4st.  Waren  nicht  nach 
dem  Tode  der  grossen  Meister  jene  äusseren  Vorbedingungen 
noch  günstiger?  Hätte  man  nicht  einen  neuen  Sophokles, 
einen  zweiten  Pindar  gleich  Göttern  geehrt?  Demungeachtet 
nahm  allein  die  Zahl  der  Dichter  zu,  weil  eben  das  Zusammen- 
treffen so  vieler  Genies  ein  wunderbares  Spiel  der  Natur  und 
nicht  das  notwendige  Ergebnis  einer  Reihe  günstiger  Ursachen 
gewesen  war. 


1)  Vgl.  Plntarch.  Lys.  18. 

2)  Isoer.  9,  1. 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel. 
Das  heroische  Epos. 


Produktionen  von  Bhapeoden  and  Epikern;  Panyasis,  Antimachoe,  Choirilos 
nnd  ihre  Genossen;  Parodien  (Hegemon). 


Mochte  auch  der  Geschmack  der  Hellenen  in  den  zwischen 
Homer  und  Perikles  liegenden  Jahrhunderten  manche  Wand- 
lungen durchmachen,  an  Empfänglichkeit  für  das  Epos  fehlte 
es  der  klassischen  Periode  wahrlich  nicht.  Homer  fuhr  fort, 
jedem  Dichter  ein  hehres  Vorbild  zu  sein,  zugleich  gaben  seine 
Gesänge  die  Grundlage  der  griechischen  Bildung  ab ;  war  doch 
die  Ilias  das  erste  Buch,  das  der  junge  Grieche  in  die  Hand 
bekam,  damit  er  aus  ihr  möglichst  viele  Stellen,  welche 
poetische  Anmut  mit  weiser  Belehrung  vereinten,  seinem  Ge- 
dächtnis einpräge.  Er  hatte  sogar  am  Feste  der  Apaturien 
öflFentlich  von  seiner  Kenntnis  derselben  Rechenschaft  abzu- 
l^en*).  Die  Eindrücke  der  Schule  wurden  in  den  Heran- 
gewachsenen dadurch  wach  erhalten,  dass  an  zahlreichen  Festen 
Rhapsoden  auftraten,  welche  um  die  ausgesetzten  Preise  rangen*). 
Die,  wie  es  heisst,  von  dem  schöngeistigen  Peisistratiden  Hip- 
parchos  veranlasste  Vorschrift,  dass  an  dem  höchsten  Feste 
Athens,  den  grossen  Pauathenäen,  Homers  gesammte  Epen 
im  Zusammenhange  vorgetragen  werden  sollten,  bestand  noch 
lange  nachher  fort');    ein  Volksbeschluss  verbot  ausdrücklich 


1)  Proklos  sa  Plat  Tim.  p.  27  e. 
^   2)  Greg.  W.  Nitzsch  meletematum  de  historia  Homeri  fasc.  ü.  p.  m." 
de  rhapeodis  aetatis  Atticae,  Kiel  1835;  vgl.  Bd.  I  S.  122  A.  9. 

3)  Ps.  Plato  Hipparch.  p.  228  b;    auf  Selon   überträgt   die  Einrichtung 
Diogen.  Laert.  1,  57. 


Digitized  by 


Google 


10  Das  heroische  Epos. 

für  dieses  Fest  den  Vortrag  eines  anderen  Dichters,  als  ob 
dafür  nur  der  beste  eben  gut  genug  sei^).  In  Athen  bildeten 
die  Rhapsoden  eine  besondere  Zunft,  die  ihr  eigenes  Fest 
hatte  *).  Doch  auch  sonst  fanden  die  Tausende  von  Menschen, 
welche  die  Recitation  des  Mäoniden  zum  Lebensberufe  erwählt 
hatten,  Stätten  genug,  wo  den  Geschicktesten  £hren  und 
Preise  belohnten^;  in  diese  Seite  des  literarischen  Lebens 
führt  uns  Piatos  Dialog  „Jon"  mit  anmutiger  Ironie  ein.  Endlich 
öfinete  sich  dem  Epos  ausser  Schule  und  Festversammlung 
das  Studierzimmer,  indem,  wie  Bd.  II  S.  23 ff.  gezeigt  ist,  die 
Gebildeten  an  der  Hand  gelehrter  Forscher  in  das  Verständnis 
der  Heldendichtung  tiefer  einzudringen  sich  beeiferten. 

Wer  aber  einwerfen  wollte,  dass  gerade  diese  pietätvolle 
Schätzung  des  alten  Epos  eine  ungünstige  Voreingenommenheit 
gegen  das  Streben  der  Jüngeren  hervorgerufen  haben  könnte, 
würde  den  Griechen  Unrecht  thun.  Es  fehlte  nämlich  an 
Gelegenheiten,  wo  ein  begabter  Epiker  seinen  Ehrgeiz  be- 
friedigen konnte,  durchaus  nicht.  Wenn  schon  von  Athen 
zufällig  keine  darauf  bezügliche  Einrichtung  überliefert  ist, 
steht  doch  fest,  dass  wenigstens  in  Jonien  und  Böotien,  den 
alten  Heimstätten  des  Epos,  dem  TcoiYjTiiic  noch  Jahrhunderte 
später  ein  Platz  in  dem  Repertoire  der  musischen  Spiele 
gesichert  war*). 

Die  Sagen  der  Heroenzeit  nach  den  alten  liebgewonnenen 
Epen  von  neuem  zu  behandeln,  war  freilich  ein  gefährliches 
Wagnis;     aber    lag    nicht    ein    unermesslicher    an    herrlichen 

1)  Lycarg.  Leocrat.  132.  Wenn  Soidas  u.  XoipiXoc  sagt:  o6v  tol^  '0(XY)poo 
&vaYiYV<^<3X60^ai  Itj/Yj^^a^,  so  heisst  dies  nicht,  dass  Choirilos  davon  ausge- 
nommen wurde  (Breuer  de  mnsicis  Panathenaeornm  oertaminibus  p.  10 
nimmt  zu  den  kleinen  Panathenäen  seine  Zuflucht) ;  Bemhardy  n  349  denkt 
an  die  Schullektüre. 

2)  Klearchos  von  Soloi  bei  Athen.  7,  275b. 

3)  Vgl.  Bd.  I  S.  120,  auch  Aristot.  rhet.  3,  11  pag.  1413  a  8  ff.  Nach 
Hesychios  u.  Bpaopotv^oK;  wurde  an  den  Brauronien  die  Ilias  (wahrscheinlich 
si  6icoX-r)<{/ea>^  vollständig)  vorgetragen. 

4)  In  Samos  bei  der  Herafeier  (vgl.  Plutarch.  Lysand.  18),  wahrschein- 
lich auch  bei  dem  Eronosfeste  von  Theben  (Aristoteles  bei  Ps.  Plutarch.  vit. 
Hom.  4) ;  später  inschriftlich  nachweisbar  in  Akraiphia  (C I O.  1587  ticd>v 
:coi*r)TY|^)  und  bei  den  Xapixsbta  in  Orchomenos  (nouiia^  C I G.  1583  =  Lar- 
feld  32  =  CoUitz  503,  vielleicht  aus  dem  Anfange  des  zweiten  Jahrhunderts, 
Ussing,  inscr.  Gr.  ined.  Nr.  53). 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel.  H 

Episoden  reicher  Stoff  unbearbeitet  da?  Wenn  den  meisten 
die  jüngsten  glorreichen  Thaten  für  die  epische  Objectivität 
zeitlich  zu  nahe  standen,  so  harrten  ja  noch  die  grossen 
Wanderungen  der  hellenischen  Stämme  und  die  kühnen  Züge 
der  Seefahrerschaaren  eines  gottbegeisterten  Sängers. 

Dass  trotz  dieser  lockenden  Verhältnisse  kein  neuer  lebens- 
kräftiger Aufschwung  des  Epos  erfolgte,  sondern  diese  Gattung 
hinter  Drama  und  Lyrik  zurückstand,  verschuldete  weniger 
das  Publikum  als  die  Dichter,  insoferne  die  hervorragenderen 
Talente,  statt,  wie  früher,  in  Homers  Fussstapfen  zu  treten, 
jetzt  der  Tragödie  sich  zuwandten^). 

Dennoch  müssen  wir,  wenn  wir  billig  sein  wollen,  gestehen, 
dass  das  siegreiche  Vordringen  des  prosaischen  Geistes  den 
epischen  notwendig  ertötete.  Epos  und  Geschichtsschreibung 
können  höchstens  dann  ohne  Schaden  für  das  erstere  neben 
einander  hergehen,  wenn  sie  die  Stoffe  unter  sich  teilen;  beginnt 
aber  der  Geschichtsschreiber  die  mythische  Zeit  kritisch  zu 
zersetzen,  wie  kann  die  erzählende  Poesie  in  voller  Kraft  und 
Natürlichkeit  fortbestehen?  Kritik  und  Forschung  sind  ihre 
gefährlichsten  Feinde,  weil,  je  mehr  die  historische  Literatur 
unter  das  Volk  dringt,  desto  mehr  die  von  dem  Poeten 
geforderte  Unbefangenheit  der  Hörer  schwindet.  Davon  wissen 
die  Dichter,  welche  in  neuerer  Zeit  historische  Stoffe  bearbeiteten, 
zu  erzählen.  Zu  den  Geschichtsschreibern  gesellten  sich  sodann 
die  Homerforscher,  deren  spitzfindige  iiroptat  und  Ci'J'njiMtta  alles 
dichterische  Gefühl  zu  ersticken  geeignet  waren.  Endlich  ver- 
fehlten die  gegen  die  Götter  des  Epos,  einen  Lebensnerv  dieser 
Gattung,  gerichteten  Angriffe  der  Philosophen  bei  den  Gebildeten 
ihre  Wirkung  nicht. 

Folglich  kann  es  niemand  Wunder  nehmen,  wenn  die 
Epiker  dieser  Zeit,  da  die  meisten  von  ihnen  gleichzeitig  mit 
anderen  Zweigen  der  Poesie  sich  beschäftigten,  augenscheinlich 
ohne  unmittelbaren  inneren  Beruf  in  Hexametern  dichten  und 
statt  des  Natürlichen  lieber  das  Ungewöhnliche  aufsuchen. 

Aus  der  Schaar  der  Dutzenddichter  sind  der  Prophet 
Antiphon  (Bd.  II  S.  65  f.),   der  Komiker  Epilykos«),    der 

1)  Aristot.  poet.  4  p.  1449a  2  ff. 

2)  Snidas  n.  Kpdirr)^»  wenn  Saidas  ihn  nicht  aas  Versehen  icoiiqrv)^ 
t^cxoc  nennt. 


Digitized  by 


Google 


12  ^A8  heroische  Epos. 

bekannte  Dithyrambiker  Melanippides^),  Dionysios*)  der 
Aeltere,  ein  Thukydides*)  und  „der  weibliche  Homer'' 
Anyte*)  wenigstens  dem  Namen  nach  bekannt,  wogegen  dem 
Verfasser  der  „Theseis''  nicht  einmal  der  populäre  Stoff  ein 
dauerndes  Andenken  sichern  konnte^).  Nur  drei  Männer,  die  — 
gewiss  nicht  zuföUig  —  alle  dem  jonischen  Stamme  angehörten, 
wurden  mit  Ehren  neben  ihren  gefeierten  Vorgängern  genannt. 
Der  älteste  von  ihnen  entfernte  sich  so  wenig  von  den 
Bahnen  des  älteren  Epos,  dass  vielmehr  dessen  Wiederbelebung 
sein  Werk  war®).  Panyassis')  war  ein  Bürger  der  klein- 
asiatischen Stadt  HaUkamassos ^)  und,  wip  es  heisst,  mit  dem 
Geschichtsschreiber  Herodot  verwandt  (Bd.  II  S.  369,  2). 
Ueber    seine   Lebensumstände^)    fanden   die   Forscher   in   der 

1}  Snidas  u.  MsXaviiiTciSiq^  (icoit^ixaia  incxd)? 

2)  Er  liess  seine  Prodaktionen  darch  Rhapsoden  Id  Olympia  vortragen 
(Diodor.  14,  109,  1.  2.  15,  7,  2.  3). 

3)  Bd.  n  S.  404  Anm.  6. 

4)  Antip.  Thessal.  Anthol.  Pal.  9,  26,  3.  Pansan.  10,  38,  13.  Eathy- 
krates  und  Kephisodotas  fertigten  die  Statne  der  Dichterin  (Tatian.  or.  ad 
Graecos  33  p.  130  Otto).  Steph.  Byz.  n.  Tv^ia.  erwähnt  eine  Lyrikerin  Anyte 
aus  Tegea. 

6)  '0  rijc  0Yjoiqi8oc  Kotfjrfj«:  Plutarch.  Thes.  28,  6  0iqoiqi8a  -^pä^az 
Schol.  Pind.  Ol.  lU  52;  Schol.  Pind.  Ol.  10  (11),  83  sagt  At^tXo«  6  t4jv 
OiqoiqlSa  icot-rjoac     Fär  das  Alter  des  Epos  bärgt  Aristot.  poet.  8  p.  1451a  20. 

6)  Snidas  u.  Davottoic:  Sc  eitavfifaYe  oßsoö-jlsav  x-Jjv  «otYjxtxvjv. 

7)  Die  Schreibung  Ilav6aaai(  ist  durch  eine  halikarnassische  Inschrift 
(Bull,  de  corresp.  hellen.  VI  p.  192  Z.  14)  gesichert  (über  die  karischen 
Namen  auf  aaoi^  s.  ebend.  IV  S.  318;  der  scharfe  Zischlaut  ist  Röhl  500,  ^5 
durch  T  ausgedruckt,  vgl.  Hinrichs  griech.  Epigraphik  S.  396  ff.).  Doch 
steht  in  einer  Inschrift  von  Orchomenos  Larfeld  12  =  GoUitz  474,  10  IIa- 
v6aoi{.  — .  Pistotheus  Tzsc hirner  de  Panyasidis  Halicarn.  epici  poetae  vita 
et  carminibus  diss.  I.  Breslau  1836,  wiederholt  nnd  mit  einer  Sammlung 
der  Fragmente  vermehrt  Breslau  1842;  Fr.  Phil.  Funcke  de  Panyasidis  Halic. 
vita  ac  poesi,  Diss.  v.  Bonn  1837.  Die  Fragmente  sind  zuletzt  in  Kinkels 
Epicorum  Graecorum  fragmenta  p.  253  ff.  ediert. 

8)  Pansan.  10,  8,  9.  Clemens  Alex,  ström.  VI  p.  266  S.,  751  P.  Snidas. 
Dieser  und  Pausanias  nennen  ihn  IloXadpxoa.  Duris  beanspruchte  nach  Snidas 
Panyassis  (wohl  auf  die  'icuvixd  gestützt)  fSr  seine  Heimat  Samos  und  gab 
ihm  Diokles  zum  Vater. 

9)  Snidas  nennt  ihn  irrtümlich  Tepatoax6ico^ ;  denn  dieser  Titel  kommt 
einem  spftteren  Halikamassier  des  gleichen  Namens  zu,  der  ein  Traumbuch 
schrieb  (Suidas  u.  Ilavoaotc  II.  Artemidor.  1,  66.  2,  35,  vgl.  Fabricius 
bibl.  Graeca  H*  35). 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel.  13 

Stadtchronik  nur  dies,  dass  ihn  Lygdamis,  der  dritte  karische 
Herrscher  von  Halikarnass ,  hinrichten  liess ,  ohne  Zweifel 
wegen  einer  Verschwörung,  bevor  die  Stadt  in  den  athenischen 
Bund  eintrat^). 

Panyassis  verdankt  seinen  Ruhm  einem  neuntausend 
Verse  umfassenden  Epos,  das  die  Thaten  des  Herakles  besang 
('HpaxXeöx)  ^.  Bei  einem  Kleinasiaten  von  zweifelhafter  Rein- 
heit des  griechischen  Blutes  kann  es  nicht  auffallen,  dass  er 
den  Kreis  der  Heraklessagen  durch  den  Omphalemythus  er- 
weiterte ^.  Auch  das  Volksmärchen  musste  ihm,  wie  es  scheint, 
manchen  Zug  liefern;  oder  hatte  der  Dichter,  wenn  die  Kunst 
des  Trinkens  mit  besonderem  Behagen  gelehrt  wird  (Fr.  12 
bb  14),  nicht  den  immer  hungerigen  und  durstigen  Herakles 
des  gemeinen  Volkes  im  Sinne?  Das  alte  Epos  von  Oichalias 
Einnahme  soll  er  etwas  stark  benützt  haben  ^).  Die  Herakles- 
dichtung  gefiel  so  gut,  dass  manche  Panyassis  in  der  Rang- 
ordnung der  Epiker  Homer  zunächst  stellten*),  während  ihm 
andere  Hesiod  und  Antimachos  vorzogen  *).  Zwischen  der  Manier 
dieser  beiden  hielt  Panyassis  die  Mitte  und  übertraf  sie  in 
der  Komposition').  Die  drei  grösseren  Bruchstücke  (12 — 14) 
erinnern  im  Ton  an  sympotische  Elegien. 

Noch  mehr  tritt  der  Einfluss  der  Elegie  in  dem  auffallen- 
den Unternehmen,  die  Gründungssagen  der  jonischen  Kolonien 
('Ift>vtxdi)  in  einer  grossen  Dichtung  von  siebentausend  Versen 
darzustellen^,  hervor,  denn,  während  Panyassis  dem  Epos 
hienoit  ein  neues   weites  Feld  erschloss,  brach   er  gleichzeitig 

1)  Saidas;  die  chronologiHchen  Ansätze  sind  anbranchbar:  zur  Zeit  der 
Perserkriege  (Snidas)  oder  Ol.  72,  4  (Easebios),  d.  h.  beim  ersten  Perserkriege 
oder  OL  78  (Saidas),  weil  der  Sieg  am  EaTymedon  Ol.  78,  4  Halikarnass  frei 
machte. 

2)  Nicht  ^HpaxXsidic,  wie  bei  Suidas  steht;  durch  diesen  kennen  wir 
den  Umfong  der  Dichtung.  Sie  war  später  in  14  Bücher  eingeteilt  (Suidas), 
was  Bhianoe  in  seiner  Herakleia  nachmachte  (Meineke  analecta  Alexan- 
drina,  Berlin  1843  epimetrum  VU  p.  363  ff.). 

3)  Schol.  Apoll.  Rhod.  4,  1149,  vgl.  Steph.  Byz.  n.  TpeiiiX-v}. 

4)  Clemens  Alex,  ström.  6,  266  S,  761  P. 

5)  Suidas;  Anecd.  Oxon.  III  p.  189,  22;  zwischen  Hesiod  und  Anti- 
maehos  steht  er  bei  Is   Tzeties  prol^.  in  Lycophr.  p.  251  ed.  Müller. 

6)  Suidas. 

7)  Dionys.  vet.  seript.  cens«  2,  4^  ungünstiger  Quintilian.  10,  1,  54. 
8}  Vielleicht  gebdrtoa  fr.  24  und  25  dazu. 


Digitized  by 


Google 


14  Das  heroische  Epos. 

mit  der  Tradition  durch  Anwendung  des  elegischen  Versmasses, 
der  erste  Fall,  wo  dieses  Metrum  seiner  ursprünglichen  Be- 
stimmung entfremdet  und  einem  umfassenderen  Stoffe  ange- 
passt  wurde  ^).  Ovids  „fasti**  vergegenwärtigen  uns  noch  das 
Bedenkliche  eines  solchen  Versuches. 

Diese  Dichtung  des  Panyassis  dürfte  seinen  Landsmann 
Pigres,  des  Maussollos  Schwager,  auf  den  sonderbaren  Ge- 
danken gebracht  haben,  zwischen  die  einzelnen  Hexameter 
der  Ilias  Pentameter  einzuschieben  *).  Bekanntlich  schrieben 
diesem  manche  den  Margites  (Bd.  I  S.  237)  und  die  Batrachomyo- 
machie  (Bd.  I  S.  151)  zu. 

Elegie  und  Epos  einten  sich  gleichfalls  in  dem  Kolophonier 
Antimachos'),  einem  wahren  Vorläufer  der  alexandrinischen 
Zeit,  weil  er  nicht  bloss  Dichter,  sondern  auch  Gelehrter  war; 
er  heisst  Grammatiker*)  und  Schüler  sowohl  des  Panyassis 
als  des  Homerikers  Stesimbrotos  ^)  und  hat  sich  auf  den  Beruf 
eines  Epikers  durch  eine  kritische  Recension  der  homerischen 
Gedichte,  aus  der  die  Alexandriner  manche  Lesart  anführen, 
vorbereitet^),  gerade  wie  später  Apollonios  von  Rhodos  und 
Rhianoa. 

Sein  Hauptwerk  war  eine  umfangreiche  Dichtung  vom 
Zuge  der  Sieben  und  ihrer  Epigonen  gegen  Theben  (OYjßatc)  ^), 

1)  Der  gelehrte  Artikel  des  Saidas  sagt  wenigstens  ev  it6VTa|XKTp(|>;  Ver- 
dacht erweckt  allerdings  Aristot.  poet.  24  p.  1460a  2  hib  o58etc  jxaxpÄv 
oooxaciv  Iv  £XX(})  iceiroi*r)xev  ^  T<j>  Y|p<f><}>. 

2)  Saidas  n.  üiYpt)«;;  er  verwechselt  die  jüngere  Artemisia,  des  Maus- 
sollos  Gattin,  mit  der  berühmten  Vasallin  des  Xerzes.  Die  hellenenfüreund- 
liehe  Stimmung,  die  im  vierten  Jahrhundert  am  karischen  Hofe  herrschte, 
trat  in  der  Todesfeier  des  Manssollos  zu  Tage. 

3)  Kolophon  ist  dnrch  Herakleides  Pontikos  bei  ProcL  in  Tim.  I  p.  28  c, 
den  Kolophonier  Hermesianax  (V.  45)  n.  A.  bezeugt;  nach  Ovid  tri^t.  1,  6,  1 
war  er  ans  dem  nahegelegenen  zu  Kolophon  gehörigen  Klaros  (wie  Nikandros 
nach  Schol.  diem.  Alex,  protr.  p.  10).  Der  Vater  hiess  Hyparchos  (Saidas). 
— .  Die  Fragmente  sammelte  zuerst  Ad.  GU>ttl.  Schellenberg  (Halle  1786,  ver- 
mehrt von  J.  A.  Giles,  London  1838),  dann  H.  W.  StoU  (mit  Biographie, 
DiUenburg  1845). 

4)  Suidas. 

5)  Suidas;  nach  einigen  Diener  des  Panyassis  (Suidas). 

6)  Die  Varianten  sind  zuletzt  bei  A.  Ludwich  Aristarchs  homerische 
Textkritik  I  S.  3  verzeichnet. 

7)  Cic.  Brut.  51,  191  magnum  illud  quod  novistisTOlamensunm;  citiert 
w\Tt\  Wr  7TiTn  fi^T)ff<»n  Bnohe  (fr.  28).    Porphyrie,  welcher  zu  Hör.  a.  p.  146 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel.  15 

worin  er,  weit  entfernt,  den  Hörer  sofort  in  medias  res  einzu- 
fahren, bis  auf  den  Tod  des  Meleagros  zurückgriff  ^).  Je  weniger 
Antimachos  das  Geheimnis  der  homerischen  Komposition  er- 
fasst  hatte,  desto  mehr  wimmelte  die  Dichtung  im  einzelnen 
von  homerischen  Reminiscenzen,  wobei  Antimachos  durch  kleine 
Veränderungen  eine  gewisse  Selbständigkeit  wahrte*);  natür- 
lich kam  in  dem  Epos  die  obligate  Schildbeschreibung  vor 
(Fr.  35). 

In  höherem  Grade  als  dieses  schwerfällige  Werk  fand  ein 
eigentümliches  Buch  Anklang,  das  eine  neue  Literaturgattung, 
die  freilich  erst  nach  der  klassischen  Periode  in  die  Mode  kam, 
einleitete*).  Gleich  dem  würdigen  Aristarch  und  anderen 
Leuchten  der  alten  Wissenschaft  fehlte  in  dem  Leben  des 
kolophonischen  Gelehrten  die  Liebesromantik  nicht.  Von  einer 
schönen  Lydierin*)  so  bezaubert,  dass  er  ihr  in  ihr  Vaterland 
folgte^),  verlor  Antimachos  seine  Geliebte  durch  frühen  Tod. 
Einem  formgewandten  Landsmann  des  Mimnermos  lag  es  nahe, 
seine  Trauer  in  Elegien  ausströmen  zu  lassen,  doch  selbst  hier 
verleugnete  der  Pedant  seine  Natur  nicht,  sondern  trug,  nüchtern 
und  ohne  Leidenschaft^,  aus  seinen  Büchern  alle  Geschichten 
der  Heroensage  zusammen^),  wo  ein  Liebespaar  auseinander 
gerissen  wurde,  ein  Geschick,  das  z.  B.  Jason  und  Medea  traf 
(Fr.    7 — 15),    deren    Abenteuer  bereits   Mimnermos    in    einem 


behftuptet,  die  Einleitung  allein  habe  24  Bücher  gefallt,  verdient  so  wenig 
Glauben  als  Ps.  Apnlejns  de  orthographia  p.  11,  nach  welchem  ,,Lyde** 
140  Bacher  hatte!  'Ev  'E^tYovotc  citiert  Schol.  Aristoph.  Pac.  1269.  Die 
Fragmente  der  Thebais  wurden  zuletzt  von  Kinkel  p.  273  ff.  gesammelt. 

1)  Porphyrio  und  Acro  wenigstens  beziehen  Horat  a.  p.  146  auf  Anti- 
machos. "^ 

2)  Porphyrios  bei  Easeb.  praep.  evang,  10,  3,  13  ff.,  vgl.  Enstath.  ad 
n.  A  1  p.  9,  48. 

8)  Roh  de  der  griechische  Roman  S.  72  f. 

4)  Au^  Klearchos  bei  Athen.  18,  597  a;  bei  Hermesianax  V.  41  ist 
Nwrrjtdoc  zu  lesen.  Vgl.  auch  Asklepiades  Anthol.  Pal.  9,  68,  1.  Also  accen- 
tnieren  viele  Abschreiber  unrichtig  Ao^y}  (vgl.  Stephanns^  Thesaurus  Y  p.  416. 
Sehneider  Callimach.  II  p.  229). 

5)  Der  moralische  Piutarch  (consoL  ad  Apoll.  9)  versichert,  dass  er  sie 
heiratete. 

6)  Too  Ott»9povo(  *AvTt|X(ixoto  Poseidonios  Anthol.  Pal.  12,  168,  1 ;  adfec- 
tilyns  .  .  .  deficitar  QaintU.  10,  1,  58. 

7)  'Hptocxal  aojjLcpopa^  Piutarch.  a.  O. 


Digitized  by 


Google 


16  Das  heroische  Epos. 

Liebesliede  verwertet  hatte  ^).  Diese  umständlich  erzählten 
Novellen  füllten  mindestens  zwei  Bücher^,  waren  aber  von 
dem  Dichter,  wie  schon  der  Titel  A087J  andeutet,  als  Einheit 
gedacht  und  so  systematisch  zusammengestellt,  dass  Agathar- 
chides  aus  den  von  Antimachos  erwähnten  Mythen  ein 
Geschichtenbuch  bearbeitete  *) ;  dies  sagt  schon  alles.  Die 
Anführungen  anderer  Werke  des  Dichters  sind  für  uns  ebenso 
viele  Rätsel*). 

Antimachos  kümmerte  sich  wenig  darum,  ob  das  grosse 
Publikum  ihm  Beifall  spendete;  er  schrieb  nach  der  Sophisten- 
mode als  Gelehrter  für  die  ao^oi,  wenn  er  absichtlich  die 
gewöhnUchen  Wege  vermied  %  seltene  Formen  und  Ausdrücke, 
selbst  Dorismen  zusammensuchte^,  was  übrigens  der  erste 
Kritiker  des  Altertums  als  charakteristische  Eigentümlichkeit 
des  Epos  bezeichnete^)  und  an  Bildern  eine  besondere  Freude 
hatte®).  Infolge  dessen  litt  der  Stil  an  Manieriertheit,  Härte 
und  Undeutlichkeit^).  Ausserdem  tadelten  missgünstige  Kritiker 
an  ihm  Schwulst,  Breite,  Mangelhaftigkeit  der  Komposition 
und  das  Nachlässige   der  Ausführung  ^^).     Kraftvoll  und   edel 


1)  Fr.  11;  auch  fr.  21  und  22  beziehen  sich  anf  erotische  Mythen. 

2)  *Ev  i^eotepq)  fr.  1  (Steph.  Byz.  n.  *Au)xiov);  ein  drittes  Bach  (Phot. 
Said.  u.  6pYsa>vec)  beruht  nur  auf  Vermutung.  Sie  ist  allerdings  sehr  wahr- 
scheinlich, da  die  ähnlichen  Dichtungen  des  Hermesianax  und  Parthenios 
ebenfalls  drei  Bücher  nmfassten.  Die  Frai^mente  stehen  in  Bergks  poetae 
lyricj  Gr.  II*  p.  289  ff. 

3)  Phot.  biblioth.  213  p.  171a  24. 

4)  A^Xtoc  Athen.  7,  300  d,  nach  Bergk  a.  O.  p.  292  vielleicht  elegisch. 
Für  'laxtvYj  (Etym.  Magn.  p.  4,  6  u.  aßX*f|xo>p)  vermutet  Bergk  Katax^jv-rj; 
mir  gefiele  besser  ^Iva^it),  welche  Horaz  in  den  Epoden  vorgeschwebt  haben 
könnte  (Euphorion  wird  Schol.  Clem.  Alex,  protr.  p.  11  ev  xq  'latia  xal  tcj» 
'Iv^xV  angeführt).  'Avxtjiaxoc  iv  'Apttjit5o<;  ß'  Steph.  Byz.  u.  KoxoXatov  ist 
längst  entfernt.  Anthol.  Palat.  9,  321  steht  ein  Epigramm  eines  Antimachos, 
welches  Benndorf  Antipatros  zuteilt ;  vgl.  Fr.  Spiro  de  Euripidis  Phoenissis, 
Berlin  1884  p.  26  A.  29,  der  auf  fr.  47  verweist. 

5)  Dion.  Halic.  vet.  Script,  cens.  2, 3.   Antip.  Thessal.  AnthoL  Pal.  7, 409, 5. 

6)  Schol.  Nicand.  Ther.  3. 

7)  Rhetor.  3,  3  p.  1406  b  2  f. 

8)  ProcL  in  Plat.  Tim.  I  20e. 

9)  Plutarch.  Timol.  30;  der  Rhetor  Dionysios  rechnet  ihn  zur  aüoxYjpd 
<ip)jLovla  (compos.  verb.  22)  und  spricht  von  ^L'iiovi.^xiv.^iz  xpaxoxYjxo^  (vet.  Script, 
cens.  2,  3);  Quintil.  10,  1,  53  jncunditate  .  .  .  deficitur. 

10)  Callimach.  fr.  74  b  Sehn.  Ao54j  xal  naxt>  yP^H-P^o^  ^<*'t  ©^  xopov,  Catull. 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel.  17 

war  jedoch  der  Dichter  auch  nach  dem  Urteile  dieser  Strengen  ^) 
und  trotz  seiner  Gelehrsamkeit  der  poetischen  Freiheit  sich 
soweit  bewusst,  um  der  Phantasie  in  der  Erfindung  von  aus- 
schmückenden Einzelheiten  keinen  Zügel  anzulegen^.  Unbe- 
deutend ist  der  Kolophonier  sicherlich  nicht  gewesen.  Dass 
ihn  der  ruhmsüchtige  Lysander  mit  sich  führte  und  für  einige 
Lobverse  mit  einem  Hut  voll  Geld  belohnte*),  bedeutet  wenig, 
wie  umgekehrt,  dass  er  beim  Lysanderfeste  dem  Herakleoten 
Nikeratos,  der  zugleich  Rhapsode  war,*)  unterlag*);  weit 
mehr  fällt  jedoch  das  Urteil  des  strengen  Plato  in  das  Gewicht. 
Der  Philosoph  forderte  nämlich  seinen  Hörer  Herakleides  auf, 
nach  Kolophon  zu  reisen  und  dort  die  (sonst  wohl  wenig  ver- 
breiteten) Dichtungen  zu  sammeln^. 

Für  die  alexandrinische  Poesie  vollends  wurde  nächst 
Homer  kein  Dichter  so  bedeutungsvoll  wie  Antimachos.  Er 
gab  jedenfalls  den  Anstoss  zum  Erstehen  der  kolophonischen 
Dichterschule'),  von  der  wir  noch  Theopompos ®),  den  berühmten 
Nikandros,  einen  ausgesprochenen  Nachahmer  des  Antimachos  ^, 
dazu  Hermesianax,  der  mit  seinem  Elegienkranz  ,,Leontion'* 
Antimachos'  Manier  getreulich  kopierte  ^^),  kennen.  Ueberhaupt 
knüpft  die  erotische  Elegie  der  alexandrinischen  Zeit  und  dera- 

9&,  10  tmnidus;  Geschwätzigkeit  Plutarch.  garml.  21;  Quintil.  dispositione 
ei  omnino  arte  deficitar. 

1)  Dionys.  yet.  scr.  cens.  2,  3  t&xovia ;  Qaintil.  vis  et  gravitas  et  mininie 
vulgare  eloqnendi  genus  habet  laadem;  Plutarch.  Tlmol.  36. 

2)  Z.  B.  bei  der  Schilderang  des  böotischen  Hügels  Tenmesos  (Strabo 
9,  409). 

3)  Plntarch.  Lys.  18;  Apollodoros  setzte  daher  Antimachos  in  die  Zeit 
dee  Artaxerxes  Mnemon  (Diodor.  13,  108,  1). 

4)  Thrasymachos  bei  Aristot.  rhet.  3,  11  p.  1413  a  8. 

5)  Plntarch.  a.  O.;  Nikeratos  wird  auch  Marcellin.  vit.  Thnc.  29  erwähnt, 
wonach  er  sich  bei  Archelaos  anfgehalten  zn  haben  scheint. 

6)  Proklos  a.  O.;  in  Anekdoten  (Cic.  Bmt.  51,  191.  Plntarch.  a.  O.) 
werden  Dichter  und  Philosoph  persönlich  zasammengelnhrt  (vgL  dazu  Welcker 
epischer  Cydns  I  105  flf.). 

7)  Nikandros  schrieb  ein  Buch  itepl  twv  ex  KoXotpdivoc  roitjtäv  (Schol. 
Kicand.  Ther.  3). 

8)  Verfasser  von  'Apfxdtioy  (Athen.  4.  183a). 

9)  Schol.  Nicandr.  Ther.  5;  vgl.  R.  Volkmann  commentationes  epicae 
p.  59  f. 

10)  Er  nennt  V.  45  die  AoS-Jj  begeistert  „ßtßXoix;  Upd««*. 
SIttl,  Geschichte  der  griecbiBchen  Literatur  III..  2 


Digitized  by 


Google 


lg  Das  heroische  Epos. 

nach  auch  die  römische  mehr  oder  minder  an  ihn  an^);  selbst 
Kallimachos  widerstand,  obgleich  er  seinen  Tadel  nicht  zurück- 
hielt, dem  mächtigen  Eindrucke  nicht  ganz  •).  Es  war  für  jeden, 
dw  für  gebildet  gelten  wollte,  notwendig,  wenigstens  die  Elegien 
gelesen  zu  haben  '),  während  die  Grammatiker  mit  den  sprach- 
lichen Raritäten  und  den  A^nspielungen  auf  abgelegene  Kulte 
und  Sagen  genug  Beschäftigung  hatten.  Dionysios  von  Phaseiis. 
der  über  die  Dichtung  des  Antimachos  schrieb*),  dürfte  in 
Pergamon  zu  suchen  sein,  weil  die  Gelehrten  von  Alexftndrien 
den  Dichter  der  Realphilologie  überliessen.  In  der  Schätzung 
der  literarischen  Kritik  stand  Antimachos  gewöhnKch  unmittel- 
bar hinter  Homer  ^),  an  dessen  Stelle  ihn  der  barocke  Kaiser 
Hadrian  zu  setzen  gedachte*).  Der  Verfasser  der  erhaltenen 
römischen  Thebais,  Statins,  verhielt  sich  als  Anhänger  des 
Kallimachos  gegen  unseren  Dichter  ablehnender  als  man  von 
vornherein  vermuten  sollte ').  Das  dritte  christUche  Jahrhundert, 
wo  Longinos  ein  Glossar  verfasste®)  und  Zotikos,  ein  Schüler 
des  Philosophen  Plotinos,  den  Text  revidierte*),  scheint  Anti- 
machos nicht  lange  überdauert  zu  haben. 

Mit  Panyassis  und  Antimachos,  den  Klassikern  der  epischen 
Renaissance  ^®),  kann  sich  der  Samier  C  h  o  i  r  i  1  o  s  ")  an  Bedeutung 

1)  Roh  de  der  griechische  Bomao  S.  73  ff. 

2)  Vf^l.  Bergk  zu  Antimach.  fr.  6;  Lykophron  lobte  die  AbänderuDg 
eines  homerischeo  Verses  (Porphyrios  bei  Enseb.  praep.  ev.  10,  3,  14).  S.  auch 
Krates  Anthol.  Pal.  U,  218.  Poseidippos  Anthol.  12,  168,  1  f.  Propert.  2,  25,  45. 

3)  Asklepiades  Anthol.  9,  63,  3  Tic  oh%  avcXigaio  Ao3-fjv;  Catull,  95,  10 
at  popnlus  tnmido  gaadeat  Antimacho. 

4)  Vita  Nicandri  p.  61  Westermann. 

5)  Dionys.  vet.  Script,  cens.  2,  3.  Qaintil  10,  1,  53,  hinter  Homer  und 
Hesiod  Sopatros  bei  Phot.  bibl.  161  p.  103  b  37,  hinter  Panyassis  s.  o.  S.  13 
A.  6.  7;  vgl.  Antip.  Thessal.  Anthol.  Pal.  7,  409.  Plutarch.  Tiraol.  36.  Schol. 
Stat.  Theb.  3,  466. 

6)  Spartian.  Hadr.  15.     Cassius  Diou  bei  Suidas  u.  ^ASptavoc. 

7)  Welcker  ep.  Cyclus  I  103,  Fr.  Spiro  de  Euripidis  Phoenissie, 
.Berlin  1884  p.  26.  Schol.  Theb.  3,  466  gibt  die  Benutzung  nur  mit  eiuem 
vorsichtigen  dicont  zu. 

8)  Suidas  u.  Ao^lvoq. 

9)  Porphyr,  vita  Plotini  7  p.  106  West. 

10)  Diese  zwei  vertreten  in  der  Epikerliste  bei  de  Lagarde  Symmicta  I 
p.  175,  52  die  klassische  Zeit;  die  Byzantiner  (a.  O.  p  174)  wussten  von 
ihnen  nichts  mehr. 

11)  Choerili  Samii  quae  supersunt.    Coli,  et  illustr.  A.  Ferd.  Naeke,  I<pg. 


Digitized  by 


Google 


I.  Kapitel.  19 

nicht  messen,  obgleich  er  den  aus  lasos  stammenden  Begleiter 
Alexanders  des  Grossen,  welcher  mit  ihm  zusammengeworfen 
zu  werden  pflegte^),  weit  überragte.  Choirilos  sollte  wie  Anti- 
macbos  seinen  Mäcen  Lysandros  verewigen^)  und  beschloss 
sein  Leben  am  makedonischen  Hofe,  nachdem  er  Archelaos' 
f&rstliche  Freigebigkeit  lebenslustig  ausgenützt  hatte  ^). 

„Glücklich,  wer  in  jener  Zeit  ein  sangeskundiger  Diener 
der  Musen  war,  als  die  Flur  noch  unberührt  stand ;  jetzt  aber 
wo  alles  verteilt  ist  und  die  Künste  ihre  Grenzen  erreicht  haben, 
bleiben  wir  wie  die  letzten  im  Laufe  zurück  und  es  ist  ganz 
unmöglich,  mag  man  sich  überall  umschauen,  einen  neube- 
spannten Wagen  heranzuführen",  singt  Choirilos  und  heisst  die 
Muse  ihm  einen  neuen  Stoff  eingeben,  „wie  aus  dem  Lande 
Asia  der  grosse  Krieg  nach  Europa  kam/'  Möchte  man  es 
jetzt  glauben,  dass  ein  Dichter,  weil  er  die  grösste  Epoche  der 
griechischen  Geschichte  statt  der  erschöpften  Mythenzeit  wählte, 
eine  Entschuldigung  für  notwendig  hielt?  So  befangen  war 
damals  die  Mehrzahl  im  Herkommen.  Allerdings  mussten 
Choirilos'  Hörer  anfangs  darüber  frappiert  sein,  dass  der  Götter- 
apparat und  ähnliche  Requisiten  des  heroischen  Epos  in  eine 
kaum  vergangene  Zeit  hineingetragen  wurden ;  denn  jenes  dürfen 
wir,  obschon  es  bloss  bei  den  Annalen  des  Ennius  feststeht, 
von  der  IIspaTjfc:*)  voraussetzen.  Allein  solche  Dinge  waren 
wohl  bei  den  Dichtern  der  Roccocozeit  gelehrte  Schnörkel,  hin- 
gegen glaubten  die  Kämpfer  von  Marathon  und  Salamis  noch 
so  fest  an  das  thätige  Eingreifen  der  Götter,  dass  selbst  Hero- 
dots  Prosageschichte,  die  Quelle  des  Dichters^),  ein  ähnliches 
anthropomorphistisches   Gepräge  trug.     Die  Athener  schätzten 


1817,  Nachträge  im  index  lect.  von  Bonn  1827/8,  1838/9  (Opnscula  I  p.  158  ff. 
273  ff.);  Kinkel  p.  265  ff. 

1)  Z.  B.  im  Artikel  des  Saidas. 

2)  Plut.  Lysand.  18. 

3)  Saidas;  Istros  bei  Athen.  8,  345 d;  vgl.  Praxiphanes  bei  Marcelliu. 
Vit.  Thac.  29.  Als  Verfasser  der  Perseis  soll  er  die  Perserkriege  wenigstens 
in  jungen  Jahren  geschant  haben  (^Saidas).  Wie  Antimachos,  heisst  Choirilos 
Sklave  von  Gebart  (Saidas);  vielleicht  verwechselte  man  ihn  mit  dem  bei 
Hesych.  u.  t%%9y[o^pikii}iLi>'q  genannten  Choirilos. 

4)  So  lautet  der  Titel  bei  Stob.  flor.  27,  1,  prosaisch  llepsixi  Herodian. 
s.  jtovTip.  XsJ.  p.  19,  'AO-#jvai<«v  vtxfj  xaxa  Eipioo  Saidas, 

5)  Darum  heisst  er  Choirilos^  Lehrer  (Suidas). 

12* 


Digitized  by 


Google 


20  ^As  heroische  Epoe. 

den  Herold  ihrer  Tapferkeit  natürlich  über  Gebühr*)  und  Ari- 
stoteles würdigte  ihn  der  Erwähnung  *).  weil  er  zu  den  Lieblings- 
schriftstellern seiner  Zeit  zählte^.  Indes,  wenn  schon  ihm 
der  Dichter  Euphorion  seine  Gunst  zuwandte*),  brach  doch 
bald  das  Gefühl  durch,  dass  der  Perserkrieg  seinen  Homer 
noch  erst  zu  erwarten  habe,  und  Choirilos  zweites  Werk 
„samische  Sagen"  (Sa|iiaxd),  womit  er  dem  von  Panyasis 
gegebenen  Beispiele  folgte,  verscholl  gänzlich*). 

Konnte  auch  ein  Dichter  einem  so  populären  Gegenstand 
gerecht  werden,  wenn  er  Vergleiche  nicht,  wie  Homer,  von  dem, 
was  jedem  lieb  und  vertraut  war,  hernahm,  sondern  das  Ab- 
gelegene vorzog*)?  Aus  dem  angeführten  Eingang  des  Perser- 
epos erhellt  zur  Genüge,  wie  geschmacklos  Choirilos  die  ver- 
schiedenartigsten Metaphern  zusammenwürfelte,  dass  die  Parodie 
dieser  Manier  förmlich  herausgefordert  wird. 

Diese  gekünstelte  Richtung  rief  naturgemäss  einen  Rück- 
schlag hervor,  zumal  da  das  von  Euripides  beeinflusste  vierte 
Jahrhundert  von  übermenschlichem  Heroen  tum  weder  in  Literatur 
noch  in  Kunst  mehr  etwas  wissen  wollte.  Wie  Aristoteles  mitteilt, 
stellte  der  Epiker  Kleophon  statt  heroischer  Charaktere  Durch- 
schnittsmenschen dar  ^),  und  damit  stimmt  die  zweite  Nachricht 
des  Philosophen  vortrefflich,  dass  nämlich  die  Epiker  seiner 
Zeit  in  der  Sprache  der  Prosa  sich  näherten  ®).  Vielleicht  haben 
sie  dafür  das  Epos  dramatisch  belebt,  weil  damals  die  Rhapsoden 
den  schauspielerischen  Vortrag  zu  kopieren  begannen*). 

Möglicherweise  übte  die  Rhetorik,  wenigstens  was  die 
Richtung  des   Gorgias   anlangt,    einen   unmittelbaren   Einfluss 


1)  S.  10,  1;  Plato  soll  gegen  die  öffentliche  Meinnng  za  Gnnsten  des 
Antimachos  angekämpft  haben  (Procl.  in  Plat.  Tim.  p.  28c). 

2)  Rbet.  3,  14  p.  1415  a  3.  17  f. 

3)  Alexis  im  Atvoc  (Meineke  III  443,  Kock  n  346). 

4)  Krates  spottet  darüber  Anthol.  Pal.  11,  218  (v>il.  Meineke  ana- 
iecta  Alexandr.  p.  30);  damit  steht  gewiss  ein  pergamenisches  Konknrrenz- 
werk,  die  Il8pOY|t€  des  Ephesiers  Mnsaios,  in  Verbindnng.  Propertins  spielt 
vielleicht  Enphorlon  zn  Liebe  2,  1,  22  anf  ihn  an. 

5)  So  ist  mit  Dnub  bei  Snidas  statt  Aafiiaxdi  herznstellen. 

6)  Aristot.  top.  8,  1  p.  153  a  14  ff. 

7)  Aristot.  poet.  2  p.  1448  a  12. 

8)  Aristot.  rhet.  3,  1  p.  1404a  34. 

9)  Vgl.  Aristot.  poet.  26  p.  1462  a  6. 


Digitized  by 


Google 


L  Kapitel.  21 

aof  das  Epos  aus  (Bd.  n  S.  44),  doch  gestattet  die  Dürftigkeit 
des  Ueberlieferten  keine  stilistische  Beurteilung  der  Dichter. 
Schon  die  Satiriker  Hipponax  un(l  Xenophanes  hatten 
manche  pomphafte  Wendung  des  Epos  in  das  Lächerüche 
gezogen^);  noch  mehr  musste  die  Manier  des  Antimachos  und 
Cboirilos  Spötter  anlocken.  Der  erste,  welcher  die  Genügsamkeit 
hatte,  seinen  Witz  auf  die  Parodie*)  zu  beschränken,  war 
Hegemon  von  Thasos*),  einer  Insel,  wo  Homers  Dichtungen 
wirklich  in  das  Volk  gedrungen  waren  (Bd.  H  S.  23).  Nach- 
dem er  mutig  zur  Bundeshauptstadt  gezogen  war,  erntete  er 
hier  den  grössten  Beifall,  nicht  sowohl  als  Komiker  —  er  scheint 
nur  das  Lustspiel  „Philine"  verfasst  zu  haben*)  —  als  mit 
seinen  Parodien,  die  er  an  Festen  öflfentlich  vortrug '^).  Ein 
eigentümlicher  Zufall  wollte,  dass  er  mit  seiner  beliebtesten 
Dichtung,  der  Gigantomachie ,  gerade  an  dem  Tage,  da  die 
Katastrophe  der  sicilischen  Expedition  bekannt  wurde,  die 
Heiterkeit  der  Athener  auf  das  höchste  erregte*).  Hegemon 
war  auch  zu  Improvisationen  befähigt,  wobei  er  freilich,  wenn 
ihm  nicht  gleich  ein  passender  Versschluss  einfiel,  zur  Ergötzung 
der  Zuhörer  sich  mit  dem  Lückenbüsser  xal  xb  IldpStxoc  ox4Xo^ 
behalf '').  Zu  den  Gönnern  des  schlagfertigen  Parodisten  gehörte 
der  lebensfrohe  Alkibiades®). 

1)  HippoDax:  Polemon  bei  Athen.  15,  698b;  Xenophanes:  Athen.  2,  54e; 
auch  diese  Stellen  sprechen  gegen  eine  frühe  Abfassung  der  Batrachomyomachie. 

2)  Moser  über  die  parodische  Poesie  der  Griechen,  in  den  Stadien  von 
Danb  und  Creuxer  VI  S.  267  ff.  330  ff.;  A.  Weland  de  praecipnis  parodi- 
ararn  scriptoribus  apnd  Oraecos,  Göttingen  1833;  Eckstein  in  Ersch  und 
Gmbers  Encyclopädie  Section  III  Bd.  12  S.  266  ff.;  Bemh.  Jos.  Peltzer  de 
parodica  Graecornm  poesi  et  de  Hipponactis  Hegemonis  Matronis  parodiaram 
(ragmentis,  Münster  1855;  Corporis  paroedornm  Graecornm  pars  I.  ed.  H.  S 
toe  Laer,  Amsterdam  1867;  Schrader  Rhein.  Mus.  20,  186  ff. 

3;  Aristot.  poet.  2  p.  1448  a  13.  Chamaileou  bei  Athen.  9,  406  e;  er 
nannte  sich  selbst  ^axY]  (Chamaileon  bei  Athen.  9,  406 ef,  vgl.  Ath.  1,  5b. 
15,  699  a.  Eustath.  p.  1239,  29.  1572,  55)  wie  Sopatros  *dxtov  (Athen.  4, 158  d). 

4)  Athen.  15,  699a,  vgl.  3,  108e;  Chamaileon  bei  Athen.  9,  406f  (er- 
l&utert  von  E.  v.  Leutsch  Philol.  10,  704  ff.),  wasMeineke  historia  crit. 
comicomm  Gr.  p.  215  auf  eine  andere  Komödie  bezieht. 

5)  Schrader  a.  O.  S.  180 f.    Polemon  bei  Athen.  15,  698b. 
6}  Chamaileon  bei  Athen.  9,  407  ab. 

7)  Corpus  paroemiogr.  Gr.  I  406.  Ich  weiss  nicht,  wie  sich  der  Refrain 
des  bekannten  Liedes  \,Als  ich  auf  meiner  Bleiche**  zu  Hegemons  Lücken- 
büsser verbUt. 

8)  ChamaUeon  bei  Athen.  9,  407  b. 


Digitized  by 


Google 


22  ^^  heroische  Epos. 

Der  glänzende  Erfolg  Hegemons  führte  bald  mehrere  auf 
den  nämlichen  Weg.  Aristoteles  nennt  noch  die  ,,Hasenfussiade'' 
(AstXidc)  eines  Nikochares*)  und  führt  parodiscbe  Hinkjamben 
des  Atheners  Eukleides  an*).  In  Phihpps  Zeit  war  Euboios 
von  Faros,  also  wiederum  ein  Jonier,  der  beliebteste  in  seiner 
Art;  er  hinterliess  vier  Bücher  Parodien^.  Solche  Travestien 
tragen  an  dem  Niedergange  des  Epos  eine  nicht  unbedeutende 
Schuld,  weil  sie  den  Geschmack  der  Masse  verwirrten  und 
verdarben. 


1)  Aristot.  poet.  2  p.  1448a  14  (man  korrigiert  AiqXtd?). 

2)  Poet.  22  p.  1459  b  7  (6  'A^valoc,  nicht  atpxato;). 

3)  Athen.  15,  698 ab;  Aristoxenos  (Ath.  14,  638 b)  kannte  bereits  einige 
(xiviq)  Parodienmacher. 


Digitized  by 


Google 


IL  Kapitel. 
Die  Lehrdichtung. 


Empedokles,  Pannenides,  die  Pythagoreer  nnd  Hippon;  Endoxos  und  andere 
Lehrdichter   der   Spezialwissenschafben ;   gastronomische    und   abergläubische 

Literatur. 


Im  vorhergehenden  Bande  ist  gezeigt,  wie  die  Prosa  nach 
und  nach  das  Gebiet  der  Philosophie  erkämpfte;  während  nun 
Italien  auf  dem  Gebiete  der  Geschichtsschreibung  bahnbrechend 
wirkte,  hielten  gerade  des  Westens  Philosophen  an  dem  Verse 
noch  lange  fest^),  vielleicht  weil  Charondas  für  seine  berühmten 
Gesetze  die  metrische  Fassung  gewählt  hatte  imd  von  der 
pythagoreischen  Schule  eine  höhere  vergeistigte  Wertschätzung 
der  schönen  Künste  ausging. 

Die  Lebenszeit  des  bekannten  Parmenides  von  Elea*) 
fiel  noch  vor  die  Entwicklung  einer  künstlerischen  Prosa;  er 
war  ja  des  Empedokles  Lehrer^),  also  ein  Zeitgenosse  der  Perser- 
kriege*),   weshalb  er  recht  wohl  bei  Anaximandros  und  Xeno- 


1)  Gnill.  Breton  essai  sar  )a  po^ie  philosophiqne  en  Grece:  Xeno- 
pbane,  Parni^nide,  Emp^ocle,  Paris  1883  (thtee). 

2)  Der  Vater  hiees  Pyres  (Gren.  Ilop'rjxo*;,  Tbeophrastos  bei  Alex.  Aphrod. 
in  metaph ,  SchoL  Aristot.  p.  536 a  10  Brandis).  — .  Die  philosophische  Lite- 
ratur verzeichnet  Ueberweg  —  H  e  i  n  z  e  Grundriss  der  Gesch.  der  Philos.  I*  58  f. 

3)  Alkidamas  bei  Diog.  Laert.  8,  56. 

4)  Er  war  viel  ältet  als  Sokrates,  der  Ol.  77,  4  (469)  geboren  ist  (Plat. 
soph.  217c.  237a).  Theaet.  183e;  der  Altersunterschied  betmg  über  vierzig 
Jahre,  wenn  man  Ps.  Plat.  Parmenid.  p.  127  bc  (wonach  Parmenides  ungefähr 
65  Jahre  zählte,  als  Sokrates  sehr  jnng  war)  glauben  darf,  noch  mehr  nach 
Athen.  11,  505  f.  Macrob.  sat.  1,  1.  Die  Ansätze  der  Chronographen  sind 
wertlos,  s.  Diels  Rhein.  Mns.  31,  34  ff.  Diogenes  9,  23  setzt  die  Blüte 
OL  69  an,  wofür  Scaliger  79  verrnntete;  aber  jene  Zahl  kommt  davon  her, 
dass  für  Parmenides'  Lehrer  Xenophanes  Ol.  59  (wo  die  Phokäer  auswan- 
derten) angegeben  wurde. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


24  n.  Kapitel 

phanes  in  die  Schule  gegangen  sein  kann^).  Parmenides  ver- 
einigte gelehrte  Forschung  und  treuliche  Erfüllung  der  Bürger- 
pflichten in  ungewöhnlicher  Weise,  so  dass  er,  weil  sein  edler 
Charakter  und  die  Untadelhaftigkeit  des  Lebenswandels  an- 
erkannt, ja  sprichwörtlich  waren*),  den  ehrenvollen  Auftrag 
erhielt,  seiner  Vaterstadt  ein  Gesetzbuch  abzufassen*). 

Der  eleatische  Philosoph  war  bekanntlich  der  eigentliche 
Gründer  der  dialektischen  Methode.  Von  einer  solchen  Philo- 
sophie darf  man  billig  vermuten,  dass  sie  für  poetische  Dar- 
stellung zu  spröde  war.  Weil  indes  Parmenides  sich  hierin 
von  dem  Herkommen  seines  Landes  nicht  losmachen  konnte 
und  wollte,  schrieb  er  sein  System  in  Hexametern  nieder*). 
Die  Einleitung  war  phantasievoll  genug:  Die  Töchter  des 
Helios  führen  den  Weisen  auf  ihrem  Wagen  zur  Göttin  der 
Wahrheit  empor,  worauf  ihn  diese  über  Wirklichkeit  und  Schein 
gesondert  belehrt.  Doch  der  Kern  des  Buches  war  versificierte 
Prosa  und  selbst  die  Verse  schlecht  gebaut.  Da  ausserdem 
Kalliraachos  die  Echtheit  anzweifelte^),  nahmen  sich  nicht 
viele  die  Mühe,   das  Buch  zu  lesen   und  so  verscholl  es  bald. 


1)  Theopbrastos  bei  Diogen.  9,  21  nnd  Suidas;  Aristot.  metaph.  1,  5 
j).  986  b  22  (XrcBxai).  Nacb  Sotion  (Diogen.  9,  21)  empfing  er  anch  bei  zwei 
Pytbagoreern  Unterriebt.    Heraklitiscben  Einflnss  nimmt  Diels  a.  O.  S.  35  an. 

2)  Plat.  Theaet.  183  e.  soph.  237  a  (6  ft^ac).  Timon  bei  Diog.  9,  23 
napp.6vi$oo  X6  ßtiQv  p.t'ca^ofpova  rrjv  icoX68o5ov.     Cebee  icivaS  2. 

3)  Speasippos  bei  Diogen.  9,  23. 

4)  Ilcpl  <p63su>c  Theopbrastos  bei  Diog.  8,  55.  Sext.  Empir.  math.  7,  111. 
fpuoioXoYia  Snidas;  ictpl  xob  alod-r)xoö  Proklos  in  Parmenid.  Y  310  Coasin, 
icept  xob  voY|xo5  ovxoc  Simplic.  in  Aristot.  pbys.  fol.  9  p.  38,  19  Diels  und 
xoofLOYovia  Plutarcb.  amator.  9  sind  keine  Titel,  sondern  bezeichnen  den  Inhalt 
von  Abschnitten.  — .  Fragmeute:  Empedoclis  et  Parmenidis  fragm.  ex  cod. 
Taurin.  bibl.  restit.  et  ill.  Amad.  Peyrou,  Leipzig  1810,  Sim.  Karsten  philo- 
sophorum  G-raec.  veterum  praesertim  qni  ante  Platouem  florueruut  operum 
icliqniae,  vol.  I  p.  2.  Haag  1835,  Mull  ach  Aristotelis  de  Melisso  Xenoph. 
et  Gorgia  disputt.  cum  Eleaticorum  philosophorum  fragmentis,  Berlin  1845 
und  fragm.  philos.  Graec.  I  p.  109  ff.,  Theod.  Vatke  Parmenidis  Velejensis 
doctrioa  qualis  faerit,  Berlin  1864  p.  3  £f.;  Heinrich  Stein  Symbola  philol. 
Bonn,  in  hon.  Ritachelii  p.  763—806  (Fragmente  p.  803  ff.). 

5)  Diogen.  9,  23;  die  Echtheit  sichern  aber  Plat.  soph.  237a.  symp.  195c 
und  Theophrastos  bei  Diogen.  8,  55.  Suidas:  ^pa^^t  ....  SXXa  xivd  xaxaXo- 
Y^diQv  (Lv  pi^vYjxai  llXdxcuv  beruht  auf  Missverständnis.  Man  kannte  stets 
nur  ein  Werk  (Diogen.  prooem.  16). 


Digitized  by 


Google 


Die  Lehrdichtang.  25 

Parmenides'  Schüler  und  Nachfolger  Zenon  zog  bereits  die 
KoDsequeuzen  seiner  Methode,  indem  er  zur  Prosa  überging. 
Die  philosophische  Dichtung  erreichte  jedoch  erst  nach 
Farmenides  ihren  Höhepunkt  in  einem  eigentümlichen  unserem 
Paracelsus  nicht  unähnlichem  Manne.  Empedokles^),  Metons 
Sohn*)  und  Enkel  des  älteren  Empedokles,  eines  reichen  Öport- 
mannes,  welcher  im  olympischen  Rennen  der  71.  Olympiade 
den  Nationalpreis  davon  trug^),  entstammte  der  sicilischen 
Grossstadt  Akragas*).  Der  Eleate  Parmenides  führte  ihn  in 
die  Philosophie  ein  %  infolge  wovon  die  Diphtungen  des  Empe- 
doklee  das  Bemühen,  Parmenides  nachzueifern,  verrieten*); 
ausserdem  hörte  er  auch  den  etwas  älteren  Anaxagoras')  und 
wusste  selbst  in  die  pythagoreischen  Kreise  —  vielleicht  als  er 
das  eben  gegründete  Thurioi  besuchte  ^)  —  Eingang  zu  finden  ^). 


1)  Alte  Biographien  von  Xauthos  (Diogen.  8,  63)  und  Diogenes  Laert. 
Vni  c.  2;  Empedocles  Agrigentinus.  De  vita  et  philosophia  ejus  exposuit 
canninnm  rell.  ex  antiquis  Script,  coli.,  reo.  ill.,  praefationeni  et  indd.  adj. 
Frid.  Gull.  Sturz,  Lpg.  1805,  2  Bde.;  Steinhart  Ersch  und  Grubers  Encycl. 
Section  I  Bd.  34  8.  83—105;  philosophisches  b.  üeberweg  —  Heinze  S.  72. 

2)  Apollodoros  bei  Diog.  §  52.  Hippobotos  bei  Diog.  §  51  u.  Sp.  (von 
Byzantinern,  die  an  eine  bekannte  christliche  Schrift  dachten,  in  MeXtxuiv 
entsteUt:  Tzetz.  Chil.  2,  901.  4,  526.  alleg.  II.  10,  88  mit  Scholieu,  Variante 
bei  Justin,  coh.  ad  Graecos  c.  4,  s.  Otto) ;  Exaiiletos  (nach  dem  gleichnamigen 
Sohne  des  Philosophen)  Satyros  bei  Diog.  53  (Suidas);  Archinomos  Ps.  TeJanges 
bei  Diog.  53  (Suidas). 

3)  Aristoteles,  Herakleides  uu^  Timaios  bei  Diog.  51;  mit  dem  Philo- 
sophen verwechselt  von  Satyros  bei  Diog.  53,  Athen.  1,  3e,  Philostrat.  vit. 
Apoll.  I  1  (3).  Mich.  PseUos  bei  Sathas,  fwoatoiv.  ßtßX.  V  108.  Aus  Ol.  71 
ist  Ol.  81,  1  abgeleitet,  wohin  die  Chronik  des  Eusebios  Empedokles  versetzt, 
üeber  die  Zeitangaben  vgl.  Di  eis  Rhein.  Mus.  31,  37  Ö.  Unger  Philol. 
Snppl.  4,  511  fi. 

4)  Dies  bezeugt  er  selbst  in  den  xad-app,oi  (Diog.  54). 

5)  Alkidumas  bei  Diog.  56  (icaiSixd  nach  Porphyrios  bei  Suidas) ;  Schüler 
des  Xenophanes  nach  Hermippos  bei  Diog.  56. 

6)  Theophrastos  bei  Diog.  55. 

7)  Alkidamus  a.  O.;  über  diis  Zeitverhältnis  Aristot.  metaph.  1,3  p. 
984a  11  ff. 

8)  Glaukos  bei  Diogen.  52,  darum  wird  er  Ol.  84  angesetzt  (Diogen.  74, 
vgl  Diels  a.  O.  S.  38  f.). 

9)  Aikidamas  und  Theophrastos  a.  O  ;  irrtümlich  erscheint  er  als  Schüler 
des  E^thagoras  (Timaios  bei  Diog.  54.  Maxim.  Planudes,  Walz  rhetor.  Y 
459,  2),  Telaogee  (Theodoret.  Graec.  äff.  vol.  IV  p.  733.  Suidas.  Tzetz.  Chil. 
2,  902),    weil   diesem  ein   unechtes  Gedicht   gewidmet  war  (dippobotos  bei 


Digitized  by 


Google 


26  n.  Kapitel. 

unter  seinen  Mitbürgern  genoss  Empedokles  ein  ungeheures 
Ansehen,  dank  einer  damals  ausserordentlichen  Meisterschaft 
der  Rede  ^)  und  gewiss  auch  nicht  wenig  wegen  seines  feier- 
lichen und  prunkvollen  Auftretens*).  Damit  zufrieden,  miss- 
brauchte er  aber  das  Vertrauen  seiner  Verehrer  nicht  zur 
eigenen  Erhöhung^),  sondern  es  war  ihm  genug,  dass  er  die 
Demokratisierung  des  Staates  durchsetzte*)  und,  erfahren  in 
der  Medicin,  wie  er  war^),  für  die  Gesundheit  der  von  der 
Malaria  heimgesuchten  Stadt  sorgte*);  das  ihm  aus  ähnlichem 
Grunde  zu  Danke  ^verpflichtete  Selinus '')  stellte  später  dafür 
sein  Bild  auf  Münzen  dar.  Ungeachtet  seiner  Eigennützigkeit 
und  seines  tiefen  Wissens  gefiel  sich  Empedokles  in  den 
Manieren  eines  Charlatans,  was  der  Menge  freilich  mehr  impo- 
nierte als  das  stille  prunklose  Forschen  eines  Demokritos.  Wie 
ein  göttliches  Wesen  sich  hinstellend  ®),  versicl^erte  er,  dass  ihm 
die  Zukunft  enthüllt  sei^),  dass  die  Winde  ihm  gehorchten^®) 
und  die  Wetterwolken  seinem  Gebote  wichen  ^^),  es  wird  sogar 
nicht  ohne  Empedokles'  Zuthun  von  einer  Art  Totenerweckung 
gesprochen  ^*).  Für  so  etwas  gibt  es  keine  andere  haltbare  Ent- 
schuldigung, als  dass  er  eine  excentrische  Natur  war*^. 


Diog.  43),  Hippasos  und  BroDtinos  (Ps.  Telanges  bei  Diog.  55)  oder  gar  des 
viel  jüngeren  Archytas  (Suidas  n.  'Ap^otac).  Eine  Anekdote  erzählt  Neanthes 
bei  Diog.  55;  zwei  ,,Goldene  Verse**  werden  ihm  Jamblich,  theol.  arithm. 
p.  20  (18  Ast)  zugeschrieben. 

1)  Aristoteles  bei  Diog.  57 ;  Timon  bei  Diog.  66  ^opaiiov  Xy|xy|T7J(:  eici(ttv. 

2)  Diodoros  von  Ephesos  bei  Diog.  70.  Aelian.  var.  bist.  12,  32 ;  in  Purpur 
Philostr.  Vit.  Apoll.  8,  6,  ausgeführt  von  Favorinus  bei  Diog.  73.  Suidas. 

3)  Aristoteles  bei  Diog.  63,   ausgeschmückt  von  Xanthos   bei  Diog.  63. 

4)  Timaios  bei  Diog.  64.  65,  vgl.  Diog.  66,  auch  Timon  §  67. 

5)  Vgl.  Satyros  bei  Diog.  58;  C.  Gtlo.  Kühn  de  philosophis  ante  Hip- 
pocratem  medicinae  cultoribus  spec.  I.  Lipsiae  1781  (Opnscula  academica  I. 
Lpg.  1827). 

6)  Plntarch.  de  curiositate  1. 

7)  Diodoros  v.  Ephesos  bei  Diog.  70. 

8)  Diogeu.  59;  entschuldigt  von  Sext.  Emp.  mnth.  1,  302. 

9)  Fragment  bei  Diogen.  62  V.  9. 

10)  Ka>Xooav£{j.ac  nannte  er  sich  offenbar  selbst,  vgl..  Timaios  bei  Diogen.  60 
und  die  Verse  bei  Diog.  59  und  Clem.  Alex,  stiom.  6,  267  S,  754  P. 

11)  Verse  bei  Diogen.  59  V.  6  ff. 

12)  Herakleides  bei  Diog.  61  und  Spätere;    vgl.  V.  9  des  eben   citierten 
Fragmentes. 

13)  Aristot.  Problem.  30.  1  (£X3taTtxo<;). 


Digitized  by 


Google 


Die  Lehrdichtung.  27 

Allein  nicht  einmal  der  Ruf  überuatüclicher  Kräfte  bewahrte 
Empedokles  vor  der  Undankbarkeit  des  Volkes ,  das  er  'doch 
zur  Herrschaft  gebracht  hatte;  in  späteren  Jahren  musste  er 
die  Heimat  verlassen  und  starb ,  sechzig  Jahre  alt  ^),  in  der 
Fremde,  im  Peloponnes^.  Die  letzte  Ruhestätte  des  einst  so 
gefeierten  Mannes  war  völlig  unbekannt*).  Grund  genug,  damit 
Aberglaube  und  Nationaleitelkeit  ^)  die  seltsamsten  üerüchte 
aber  den  Tod  des  Wundermannes  aussannen.  Zauberer  sterben 
ja  nach  der  Volksmeinung  keines  natürlichen  Todes,  nur  wussten 
die  Hellenen  nichts  von  einem  Ende,  wie  es  das  Mittelalter 
dem  Dr.  Faustus  und  seinen  Genossen  andichtete.  Fromme 
Gemüter  glaubten  Empedokles  durch  die  Gottheit  entführt^), 
während  Skeptiker  spotteten,  er  habe  sich  in  den  Aetna  gestürzt, 
damit  jenes  Gerücht  entstünde,  sei  aber,  als' der  Vulkan  eine 
seiner  ehernen  Sandalen  auswarf,  verraten  worden®). 

Obgleich  Empedokles  nach  dem  schwerwiegenden  Zeugnisse 
des  Aristoteles  den  Anstoss  zur  Entwicklung  einer  Redekunst 
gab  (Bd.  n  S.  34),  büeb  er  als  Schriftsteller  bei  der  poetischen 
Einkleidung,  die  zu  seinem  Gebahren  besser  stimmte^).  Das 
Pausanias  gewidmete  Hauptwerk  fasste  in  etwa  zweitausend 
auf  zwei  Bücher  verteilten  Versen  die  empirischen  Naturkennt- 
nisse des  Philosophen   und  seine  Theorie   der  Weltentsteh ang 


1)  Arifltoteles  and  Herakleides  bei  Diog.  52.7^  (77  Jahre  nach  Favorinns 
§  73,  109  nach  anderen  §  74,  was  von  seinem  Genossen  Gorgias  entlehnt  ist, 
Di  eis  a.  O.  S.  39).  Diels  setzt  den  Tod  in  das  Jahr  424;  nach  Steinhart 
beteiligte  sich  der  Philosoph  425  am  Kriege  gegen  die  Athener,  aber  bei 
Diog.  52  (ans  ApoUodoros)  handelte  es  sich  wohl  nm  einen  Namensvetter, 
den  man  bei  Philistos  415/4  erwähnt  las. 

2)  Timaios  bei  Diogen.  67.  71. 

3)  Timaios  bei  Diogen.  72. 

4)  Das  sicilische  Megara  wies  ein  Grab  des  Philosophen  auf  (Favorinus 
bd  Diogen.  77). 

5)  Henikleides  bei  Diogen.  67.  68. 

6)  Schon  Timaios  kämpfte  gegen  diese  später  nnaufhörlich  wiederholte 
Fabel  an  (Diogen.  71). 

7)  Die  Fragmente  sind  gesammelt  bei  Sturz  (S.  25  A.  1),  Peyron  (S.  24 
A.  4),  Karsten  (S.  24  A.  4)  Bd.  n,  Gaisford  im  dritten  Band  der  poetae 
minores  Graeci,  Heinrich  Stein  Empedoclis  Agrigentini  fragmenta,  Bonn 
1852  und  Mull  ach  am  Anfange  der  Fragmenta  philoeoph.  Graec.  Bd.  I. 
Paris  1860;  Nachträge  und  Besserungen  gibt  Diels  Hermes  15,  161  flf.  Siehe 
•nch  Hesych.  n.  ifiw^ta  u.  s.  w. 


Digitized  by 


Google 


28  n.  Kapitel. 

zusammen  *).  Vielleicht  noch  bekannter  waren  die  xai^apitot, 
ein  über  die  mystischen  Reinigungen  handelndes  Gedicht  von 
dreitausend  Versen  in  drei  Büchern*),  dessen  Echtheit  trotz 
seines  auflfallenden  Inhalts  durch  Aristoteles  gesichert  scheint'). 
Ausserdem  gab  es  ein  medicinisches  Lehrgedicht  von  sechs- 
hundert Versen*).  Alles  übrige  gehörte  entweder  einem  jüngeren 
Empedokles,  wie  die  Tragödien^),  oder  war  untergeschoben,  wie 
die  üoXtTtxd  ^)  und  wahrscheinlich  auch  die  unbedeutenden  Epi- 
gramme auf  den  Arzt  Akron,  der  zur  Zeit  der  grossen  Epidemie 
in  Athen  wirkte"^),  und  seinen  Freund  Tansanias ®).  Eine  merk- 
würdige Ueberlieferung  versichert,  Empedokles'  Schwester  oder 
Tochter  habe  die  Manuskripte  ihres  Vaters  verbrannt.  Aehn- 
liches  ist  allerdings  schon  oft  vorgekommen,  aber  woher  wusste 
der  Erzähler  die  Titel  der  vernichteten  Entwürfe')? 

Trotz  des  unpoetischen  Stoffes^®),  wiewohl  sein  System  in 
Liebe  und  Hass  der  Elemente  eine  anmutsvolle  Idee  birgt, 
entwickelte  Empedokles   ein   nicht  unbedeutendes  dichterisches 


1)  Ueber  Pausanins  Diogeu.  61,  der  deshalb  für  sein  icaiBixd  galt  (Ark- 
tippos  oud  Sopatros  §  60);  Titel:  föctxa  Aristot.  meteor.  4,  4  p.  381b  32. 
Ä6pl  cp6asü>€  Diogen.  60.  77.  Galen,  ad  Hippocr.  tc.  «püotoc  av^p.  1  t.  V.  p.  1, 
iiEpl  (p6aE(u(  Tä>v  ovicuv  Saidas;  Abteilangen :  xoap.oiioiia  Aristot.  phys.  2.  4 
p.  196a  22.  Siiuplic.  in  Arist.  phys.  p.  74  b,  irtpl  veixoo^  Tzetz.  in  Lycophr. 
507;  wepl  Cwwv  IStorriioc  Jellan.  hist.  anim.  16,  29,  icepl  XiO-oiv  bei  Psellos; 
Umfang:  Diogeu.  77  im  Zusammenhalt  mit  Suidas  (die  Variaute  ßcß>«ia  Suo 
wird  durch  Tzetz.  Chil.  7,  523,  der  das  dritte  Buch  der  xaO'apjiot  citiert, 
widerlegt). 

2)  Ueber  den  Umfang  s.  die  vorige  Anmerkung;  ufjivoi  hcissen  sie  Meuand. 
de  eucom.  2.     Philostr.  vit.  Apoll.  8,  7,  6. 

3)  Aristot.  rhet.  1,  13  p.  1373  b  14. 

4)  Diogen.  77. 

5)  Herakleides  6  Xapanuuvoc  bei  Diogen.  58,  nach  Suidas  sein  Tochter- 
söhn;  Jugendarbeit  des  Philosophen  nach  Neauthes  §  58. 

6)  Diogen.  §  58. 

7)  Schon  Timaios  bekannt  (Diogen.  §  65,  vgl.  Berg k  poetae  lyr.  Gr.  11^ 
260);  Plutarch.  Is.  et  Os.  79.     Suidas  u.  "Axptuv. 

8)  Diogen.  §  61. 

9)  flepaixd  (bei  Aristot.  probl.  21,  22  wird  richtig  foanaolz  hergestellt) 
oder  S4p$oo  didßaaic,  was  Anlass  gab,  Empedokles  in  Synchronismus  mit 
dem  Perserkriege  zu  bringen  (Gellius  17,  21,  14)  uud  npooif^iov  t\<;  'AicaVMuva 
(Hieronymos  §  57). 

10)  Vgl.  Aristot.  poet.  1  p.  1447  b  18  und  Spätere. 


Digitized  by 


Google 


Die  Lehrdichtang.  29 

Können  ^) ,  wobei  sein  Studium  Homers  *)  treffliche  Früchte 
trog.  In  der  Erfindung  von  Bildern  und  Beiwörtern  bewährte 
er  eine  glückliche  Selbständigkeit*).  Die  erhaltenen  Reste 
weisen  einen  gewandten,  für  den  ernsten  Gegenstand  beinahe 
ZQ  flüssigen  Versbau  auf,  weiss  doch  der  Philosoph  beispiels- 
weise die  Cäsuren  zu  rhythmischer  Malerei  zu  verw^önden  *). 
Da  sich  die  Dichtungen  im  allgemeinen  mehr  durch  Kraft  als 
durch  Anmut  auszeichneten*),  wurde  Empedokles  den  Vertretern 
des  herben  strengen  Stils  beigesellt*).  Der  Klarheit  that  z.  B. 
die  Vorliebe  für  die  Tmesis,  welche  auf  Empedokles'  Bewunderer 
Lucretius  überging'),  etwas  Eintrag. 

Das  Orakelhafte  und  der  Enthusiasmus  seiner  Werke  übten 
einen  eigenen  Zauber  aus®).  Ohne  dass  Empedokles  eine  wahre 
dauernde  Schule  gründete,  wurden  die  Schriften  gerne  recitiert 
and  gelesen*)  und  die  „Reinigungen"  erfuhren  sogar  die  Ehre, 
vor  der  olympischen  Festversammlung  von  dem  Rhapsoden 
Kleomenes  vorgetragen  zu  werden^®).  Theophrast,  der  Epikureer 
Hermarchos,  Xanthos,  der  Römer  Sallustius  und  Plutarch  nahmen 
die  empedokleische  Philosophie  zum  Gegenstand  besonderer 
Untersuchungen^^);  auch  Chrysippos  interessierte  sich  dafür"). 


1)  Cic.  de  oratore  I  §  50  egregium  poema. 

2)  Aristoteles  bei  Diogen.  57;  ein  Beispiel  gibt  Di  eis  Hermes  15,  167. 
Ueber  die  episcbe  Mandart  vgl.  K.  Merzdorf  qnaestiones  Empedocieae  in  den 
Commentat.  philolog.   Scripserant  semin.  philol.  reg.  sodales,  Lpg.  1874  p.  41  £f. 

3)  Vgl.  Aristoteles  a.  O.;  Plut.  qnaest.  symp.  5,  8,  2. 

4)  Di  eis  Hermes  15,  172  Anm. 

5)  Vgl.  Aristoteles  a.  O. 

6)  Dionys.  compos.  verb.  22;  Eontatb.  in  OJyss.  p.  1881,  27  spricht  von 

7)  Emil  Ha  liier  Lncreti  carmina  e  fragmentis  Empedoclis  adnrabrata, 
Jena  1857  p.  12. 

8)  Aristot.  rhet.  3,  5  p.  1407a  35,  vgl.  Theodoret.  affect.  Graec.  v.  IV 
p.  952.  Jamblicb.  vit.  Pythag.  104.  Simplic.  ad  Aristot.  de  coelo  1  p.  32. 
pbys.  1  p.  5b;  Araber  bei  Ang.  Müller  die  griecb.  Philosophen  in  der  arab. 
üeberlief.  S.  35. 

9)  Vgl.  Lysias  bei  Snidas  n.  'Ejj.Ke8oxXeoü<;  f^^pa.  Aristot.  eth.  Nicom. 
7,  4  p.  1147a  20,  Aristoteles  spricht  rhet.  3,  5  p.  1407a  36  von  Hörern, 
nicht  von  Lesern. 

10)  Dikaiarchos  fr.  47  M.  bei  Athen.  14,  620  d. 

11)  Diogen.  5,  43.  10,  25.  8,  63.  Cic.  ad  Quint.  fr.  2,  11,  4.  Hippolyt. 
refht.  haer.  5,  20. 

12)  Galen,  in  Hippocr.  et  Plat.  dogm.  I  p.  267. 


Digitized  by 


Google 


30  U.  Kapitel. 

Lucretius  vollends  ruft  begeistert  aus:  „Nichts  herrlicheres  hat 
das  so  gesegnete  Siciiien  hervorgebracht  als  diesen  Mann***). 
Selbst  über  Details  wurde  noch  im  zweiten  Jahrhundert  debat- 
tiert*). Als  aber  der  römische  Staat  damals  bestimmte  Philo- 
sophenschulen privilegierte,  begann  der  einsame  Forscher  in 
den  Hintergrund  gedrängt  zu  werden  und  so  konnten  schon 
im  fünften  Jahrhundert  die  gelehrten  Philosophen  seine  Schriften 
nicht  mehr  auftreiben ') ;  immerhin  besassen  noch  die  Araber 
das  Hauptwerk  in  Uebersetzung  *)  und  rechneten  nach  Anleitung 
ihrer  syrischen  Lehrer  Empedokles  zu  den  fünf  Säulen  der 
Philosophie*).  Darum  ist  es  von  vornherein  nicht  ganz  unglaub- 
lich, dass  Aurispa  im  fünfzehnten  Jahrhundert  Empedokleisches 
aus  Griechenland  mit  sich  brachte*). 

Es  erging  aber  dem  Nachlasse  des  Empedokles  ähnlich 
wie  dem  Demokrits:  Untergeschobenes  drängte  die  echten  Er- 
zeugnisse seines  Geistes  zurück.  Schon  frühzeitig  im  Rufe 
eines  Zauberers')  und  mit  den  Magiern  in  Verbindung  ge- 
bracht®), musste  Empedokles  allerlei  Curiosa  mit  seinem  Namen 
decken,  die  uns  nur  durch  die  Araber  bekannt  sind^.  Ausser- 
dem führen  eine  aus  Aratos  geschöpfte  Beschreibung  des  Tier- 


1)  I  717  ff.  Vgl.  Hallier  a.  O.  Alb.  Bästleiu  quid  Lacretias  de- 
buerit  Empedocli  AgrigentiDO,  Pr.  v.  Schlensingen  1875. 

2)  Gellins  6,  11,  10.  Daher  stebea  im  Wörterbuch  des  Diogeueiaoos- 
Hesychios  zahlreiche  empedokleische  Glossea  (s.  z.  B.  Blass  Jahrb.  f.  Phil. 
127,  19). 

3)  Job.  Philopouus  Id  Aristot.  de  gener.  anim.  fol.  17. 

4)  Hadschi  Khalfa  V  p.  144. 

5)  Aug.  Müller  a.  O.  8.  32.  34;  über  seine  orientalischen  Anhänger 
belehrt  uns  eine  arabische  und  eine  rabbinische  Stelle  bei  Sturz  I  p.  12. 

6]  Laut  Brief  an  Ambrogio  Traversari  (Martäne,  Vett.  scriptorum  et 
monum.  .  .  .  amplissima  collectio  III  p.  713),  s.  dazu  Morelli  bei  Sturz  I 
p.  77  f. 

7)  Satyros  bei  Diogen.  §  59.  Suidas  u.  ätcvooc.  TcpaToXo^tat  Cedrenus 
I  p.  157. 

8)  Plin.  nat.  hißt.  30,  9.     Philostr.  vit.  Apoll.  I.  praef.  2 

9)  Besonders  „Über  die  Auferstehung  der  Seele'^  (kit^b  el-meäd  el  ruh&ni, 
Hadschi  Khalfa  V  p.  152),  s.  auch  Wenrich  de  anctorum  Graecorum  versi- 
onibus  et  coram.  Syriacis  Arab.  Arm.  Pers.  Lpg.  1842  p.  90  f. ;  nach  den 
Orientalen  war  Empedokles  ein  Zeitgenosse  Davids  (Hadschi  Kalfa  I  72. 
V  144.  152)  und  nach  Abulfaradsch  (a.  O.)  Schüler  Lokmans  und  Lehrer 
Salomons. 


Digitized  by 


Google 


Die  LehrdichtuDg.  31 

kreises  in  168  Jamben  ^)  und  dreizehn  Hexameter  über  die  Pla- 
neten*) in  einigen  Handschriften  den  Namen  des  sicilischen 
Philosophen.  Von  einer  medicinischeu  Prosaschrift,  deren  Suidas 
gedenkt,  liegen  vielleicht  noch  lateinische  Fragmente  vor*). 

In  Italien  hielt  man  überhaupt,  wie  gesagt,  an  der  philo- 
sophischen Versmacherei  hartnäckig  fest,  selbst  die  Py t ha- 
ger eer  entschlossen  sich  endlich  dazu^);  so  kannte  bereits 
Aristoxenos  eine  „Hadesfahrt  des  Pythagoras,"  welche  Pytha- 
goras  selbst  in  den  Mund  gelegt  war  und  den  Seelen  der  Pytha- 
goreer  allein  ein  glückliches  Jenseits  verhiess*).  Sonst  ist  über 
diese  Literatur  nichts  näheres  bekannt,  ebenso  wenig  als  über 
die  philosophischen  Arbeiten  des  Atheisten  Hippon  ^,  welcher, 
ein  Bürger  von  Samos,  zur  perikleischen  Zeit  in  Athen  und 
Rhegion  auftaucht^);  von  seinen  Versen  ist  bloss  ein  einziger 
Hexameter,  welcher  die  Viel  wisserei  verspottet,  erhalten^. 

1)  Zuerst  von  Fed.  Morellus ,  Paria  1586  heranagegeben ,  dann  von 
Fabricins  in  der  Bibliotheca  Graeca  I*  814  flf. ;  auch  dem  Astronomen  Theon 
xQgeschrieben  (Maass  analecta  Eratosthenica  p.  140). 

2)  Sonst  Theon  oder  Hermes  beigelegt  nnd  oft  gedruckt. 

3)  Der  Abrutalus,  welcher  in  einer  medicinischen  Schrift  des  Mittel- 
alters erscheint ,  ist  nämlich  wahrscheinlich  aus  der  arabischen  Schreibung 
des  Namens  entstellt  (Ben an  Academie  des  iuscriptions.  Comptes  rendus 
1876  p.  18). 

4)  Cbrysippos  (bei  Gell.  7  (6),  2,  12)  citiert  einen  Hexameter  mit  der 
Einleitung:  At6  xal  bizb  td>y  IIod-aicopeia>v  zlf^xan. 

5)  Schol.  Apoll.  Rhod.  1,  645,  vgl.  Rohde  Rhein.  Mus.  26,  557  f. 
A.  1;  dem  Philosophen  in  den  Mund  gelegt  Diogeu.  8,  14;  die  Tendenz 
deotet  der  Komiker  Aristophon  bei  Diogen.  8,  38  an. 

6)  Schleiermacher  gesammelte  Werke  3.  Abtheilung  UI  405  fif. 
Bergk  de  reliquiis  comoediae  Atticae  p.  164  flf.  {anders  poet.  lyr.  Gr.  H* 
259).    Van  den  Brink  variae  lectiones,  Leiden  1842  p.  36  ff. 

7)  Die  samische  Abkunft  ist  durch  Aristoxenos  (Censorinns  de  die  nat.  5) 
gesichert,  Rhegiou:  Galen,  philos.  bist.  5.  Sext.  Emp.  Pyrrh.  3  30.  math.  9, 
361.  Hippolyt.  refut.  haer.  1,  16;  irrtümlich  Melos  (wie  Diagoras)  Clem. 
Alex,  protr.  p.  20  P.;  mit  Hippasos  verwechselt  (Bergk  a.  O.  p.  178),  gerät 
er  in  die  Liste  der  Pythagoreer  (Jamblich.  vit.  Pyth.  267)  uud  heisst  Meta 
pontiner  (Censonn.  de  die  nat.  5.  7.).  Eratinos  griff  ihn  in  den  IlavoKTat  an 
(Schol.  Aristoph.  Nub.  96.  Schol.  Clem,  Alex,  protr.  p.  103  ed.  Lips.,  Migne 
89,  781d);  far  einen  Atheisten  (Athen.  13,  610b.  Plutarch.  adv.  Stoic.  31 
n.  Sp.)  galt  er  wegen  der  Worte  seiner  Grabschrift  „Den  die  Moira  im  Tode 
den  unsterblichen  Göttern  gleichmachte"  (Clem.  Alex,  protr.  p.  48  P,  Alexand. 
Aphr.  in  Aristot.  met.  1,  3  fol.  6).  Aristoteles  recbuet  ihn  zu  den  cpoptixco- 
tspot  (ttcpl  ^o^/r^z  1,  2  p.  405  a  2). 
8)  Athen!  13,  610  b. 


Digitized  by 


Google 


32  n.  Kapitel. 

Seit  dem  peloponnesischen  Kriege  scheint  der  Vers,  abge- 
sehen von  Spruchdichtungen,  der  Philosophie  nicht  mehr  genügt 
zu  haben,  und  sie  hatte  nun  ohnehin  keinen  Grund  mehr,  ihn 
vorzuziehen.  War  doch  die  bereits  ausgebildete  Prosa  in  gsrnz 
anderem  Masse  zum  deutlichen  Ausdruck  der  spitzigsten  Ge- 
danken befähigt  und  dem  Gebildeten  nicht  weniger  anziehend 
als  die  Lehrdichtung. 

Da  die  Vertreter  der  Fachwissenschaften  gewiss  nicht  ver 
kannten,  wie  grossen  Wert  das  Metrum  für  die  gedächtnis- 
raässige  Aneignung  besitzt,  und  auf  ein  solches  mechanisches 
Hilfsmittel  noch  nicht  verächtlich  herabsahen  —  der  Sophist 
Buenos  wandte  thatsächlich  Memorierverse  aiL^)  —  begegnen 
wir  neben  den  im  vierzehnten  Kapitel  des  zweiten  Bandes  be- 
sprochenen Prosawerken  einer  wenn  auch  kleineren,  aber 
doch  nicht  unbedeutenden  Zahl  von  Lehrgedichten.  Zumal 
die  Astronomie,  welche  an  Hesiod  gewissermassen  einen 
poetischen  Leitstern  hatte,  war  glänzend  vertreten,  weil 
der  hervorragendste  Astronom  der  klassischen  Zeit  in  Versen 
schrieb. 

Eudoxos  von  Knidos*)  war  nicht  so  glücklich  wie  die 
meisten  seiner  gelehrten  Zeitgenossen  gestellt.  Seine  ärmlichen 
Verhältnisse  schienen  nach  damaügen  Begriffen  die  Wahl  eines 
wissenschaftlichen  Berufes  auszuschliessen ,  da  erbarmte  sich 
der  Arzt  Theomedon  des  strebsamen  Jünglings  und  nahm  den 
dreiundzwanzigjährigen  mit  sich  nach  dem  Piräus,  von  wo 
er  täglich  die  Gelehrten  Athens  und  zwar  am  liebsten  Plato  auf- 
suchte *) ;  auch  den  Unterricht  des  bekannten  Pythagoreers 
Archytas  und  des  sicilischen  Arztes  Philistion  genoss  Eudoxos 
während  seiner  Lemjahre*).     Den  bedeutendsten  Ertrag  warf 


1)  Plato  Phaedr.  267  a. 

2)  Im  Altertum  schrieben  über  ihn  Phanokritos  (Athen.  7, 276  f),  Diog.Laeri. 
in  der  Philosophengeschichte  Vm  c.  8  (hauptsächlich  aus  Sotion),  woraos 
das  meiste  entnommen  ist,  und  Philostratos  (ßioi  oo^ioxüiy  I  1),  wozn  ein  Artikel 
des  Snidaslexikons  kommt;  L.  Ideler  über  Endoxos,  Abhandlangen  der 
Berliner  Akademie  1828.  1830,  Berlin  1831.  1832;  Letronne  Jonmal  des 
savants  1840  p.  741  fi.  1841  p.  65  ff.  538  ff.;  Allman  Hermathena  1884 
p.  212  ff.  — .  Sohn  eines  Aiachines  nach  Diog.  und  Snidas. 

3)  Strab.  14,  656.  Plutarch.  adv.  Colot.  32.  Athen.  7,  276  f.  Diog.  Philostr. 
Procl.  in  Enclidem  prol.  II  p.  67,  3  Fr.;  dagegen  IlXaxwvoc  4jXtxttorr)c  Suidas» 

4)  Kallimachos  bei  Diogen.  86. 


Digitized  by 


Google 


Die  Lehrdichtang.  33 

ihm  aber  ein  Aufenthalt  in  Aegypten  ab^),  welchen  ihm  die 
Freigebigkeit  seiner  Grönner  ermöglichte;  denn  Dank  einer 
Empfehlung  des  Königs  Agesilaos  erhielt  Eudoxos  zur  priester- 
Uchen  Hochschule  der  Sonnenstadt  Zutritt^.  Nach  Vollendung 
dieser  vielseitigen  Studien  hielt  Eudoxos  in  Kyzikos  und  anderen 
Städten  der  Propontis  glänzende  Vorträge^,  auch  am  Hofe 
seines  Landesherrn  Maussollos  (377 — 351)  und  des  jüngeren 
Dionysios*)  weilte  er;  doch  der  grösste  Erfolg  ward  ihm  in 
Athen  zu  TeiL  Später  kehrte  Eudoxos  nach  Enidos  zurück, 
wo  man  ihm  hohe  Ehren  erwies  und  die  Revision  des  städtischen 
Gesetzbuches  anvertraute^),  imd  starb  bereits  im  dreiund- 
f&nfzigsten  Lebensjahre;  ungeachtet  der  Kürze  der  ihm 
beschiedenen  Zeit  hatte  er  sich  durch  astronomische  und 
geometrische  Entdeckungen  unsterblich  gemacht^. 

Diese  Leistungen  gehören  der  Geschichte  seiner  Wissen- 
schaft an^.  Wir  fragen  hier  nur  nach  dem  Schriftsteller.  Es 
miterliegt  nun  keinem  Zweifel,  dass  trotz  seines  rednerischen 
Talentes  das  astronomische  Hauptwerk  in  Versen  geschrieben 
war^  und  dementsprechend  die  poetische  Aufschrift  „Spiegel'' 


1)  Strab.  17,  807  (man  zeigte  damals  bei  Heliopolis  sein  Observatorinm ; 
nach  einigen  bei  Strab.  p.  806  hätte  er  Plato  begleitet).  Seneca  nat.  qaaest. 
7,  3.  Diodor.  1,  96,  2.  98,  4.  Diog.  u.  Phüoetr.;  böswiUig  ansgel^  PhUostr. 
yit  Apoll.  1,  35  (43). 

2)  Diogen.  §  87 ;  Plutarcb  Is.  et  Os.  10  und  Favorinns  bei  Dio^.  90 
nemien  seinen  Lehrer  Chonnphis. 

3)  Möglicherweise  ist  dies  nnr  ans  Ps.  Plat.  epist.  13  p.  360c  '£Xixa>y, 
tö  Zi  -^ivoq  H  EoCixoo,  }xa^Y}x^<  81  £6§64oo  erschlossen.  Seiner  Redegabe 
wegen  rechnet  ihn  Philostratos^  zu  den  Sophisten. 

4)  Aelian.  var.  bist.  7,  17 ;  daher  nahm  ApoUodoros  Ol.  103  als  Blütezeit 
an  (Diogen.  90).  Die  Angaben  des  Eosebios  (Ol.  89,  3  armen,  nnd  Hier.  F 
oder  1  Hieron.  A  P  und  Ol.  97,  1)  hängen  wahrscheinlich  mit  astronomischen 
Angaben  des  Meisters  zusammen. 

5)  Platarch.  adv.  Colot.  32.  Hermippos  bei  Diogen.  88.  SiȊter  konnte 
man  dort  seine  Sternwarte  sehen  (Poseidonios  bei  Strab.  2,  119,  vgl.  17,  807). 

6)  öcooB-rj^  Eratosth.    Anthol.  appendix  25,  9. 

7)  Vgl.  ausser  den  S.  32  A.-  2  erwähnten  Schriften  Aug.  Böckh  gesamm. 
kleine  Schriften  m  S.  343—448,  Schiaparelli  (s.  Bd.  U  S.  490,  7)  und 
ünger  Phüol.  28,  37  f. 

8)  Plutarcb.  de  Pythiae  oraculis  18.  Suidas.  Nach  Vita  Arati  p.  53,  48  ff. 
West  (anders  p.  59,  28)  wäre  es  in  Prosa  gewesen  und  Aratos  hätte  den 
Abschnitt  über  die  9atv6fjieva  in  Verse  gebracht,  aber  der  Kommentar  des 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  3 


Digitized  by 


Google 


34  n.  Kapitel. 

führte^).  Die  Nachrichten  über  andere  Schriften  sind  ganz 
verworren*).  Was  ein  Papyrus  des  Louvre  als  Eö8ö£oo  t^vtj 
bietet,  ist  nicht  ein  Original  werk,  sondern  wahrscheinUch  ein 
Kollegienheft»). 

Der  Astronom  Kleosträtos  von  Tenedos,  welcher  vom 
hohen  Gipfel  des  Ida  den  Stemenlauf  beobachtete^),  bediente 
sich  ebenfalls  des  epischen  Versmasses  ^) ;  der  Zeit  nach  ging 
er  wahrscheinlich  Eudoxos  vor'). 

Aristoteles  spielt  in  der  Poetik  auf  medicinische  Lehr- 
dichtungen an ').  In  der  That  wird  nicht  nur  ein  solches 
Werk  des  Empedokles  erwähnt,   sondern  auch  der  Arzt  Peri- 


Hipparchos  (heransgeg.  von  P.  Victorias,  Florenz  1561  und  in  Petavins'  üra- 
nologinm)  zeigt,  dass  die  zwei  Schriften  sich  nicht  deckten. 

1)  KÄToittpov  Vita  Arati  p.  53,  49  u.  54,  55  West.,  fvoittpov  Hipparch. 
in  Arat.  I  p.  171  ed.  Petav.  (prosaisch  de  astrologia  Probus  in  Verg.  Ecl.  3,  40). 

2)  Diogenes  §88  sagt  bloss:  6ioxpokor^o6\L9va  xal  YS(u}J>6Tpo6fj.6va  xal  Step 
&xxa  6e4i6XoYa.  Die  'OxTaetY)ptg  (Diog.  87  and  Saidas)  war  nach  anderen 
von  dem  Naxier  Kriton  (Saidas  a.  Kptxcuv),  nach  den  meisten  von  Dositheos,« 
einem  jüngeren  Zeitgenossen  des  Archimedes,  (Censorin.  d.  nat.  18,  5)  verfasst 
(Unger  Zeitrechnung  der  Griechen  und  Römer  S.  596  nimmt  zwei  ver- 
schiedene Fassangen  an);  die  Ünechtheit  wies  bereits  Eratosthenes  nach 
(AchiU.  Tat.  isagog.  19  p.  139  Petav.,  s.  O.  Jahn  Rhein.  Mos.  4,  477  £f.). 
üeber  die  ^ atv6(xeva  s.  Bd.  11  S.  491  A.  4;  die  xuvä>v  StdcXo^oi  waren 
angeblich  ans  dem  Aegyptischen  übersetzt  (Eratosthenes  bei  Diogen.  §  89); 
iiepl  TÄv  taxox'^taiv  Simplic.  in  Aristot.  de  coelo  pag.  120b.  Sehr  be- 
merkenswert ist,  was  Proklos  (in  Eudid.  prol.  n  p.  68,  7  flf.  Fr.)  von  Ea- 
klßides  sagt:  IloXXäc  pi^v  xu>v  E&864ou  Guvtd^ac.  Einige,  worunter  auch  Strabo 
sich  befindet,  verwechselten  den  Knidier  mit  dem  späteren  Verfasser  einer 
Geographie  (die  Verschiedenheit  erkannte  schon  Sem  1er  Geschichte  der 
griech.  Astronomie  bis  auf  Eratosthenes  S.  254),  welcher  aus  Rhodos  stammte 
(Marcian.  epist.  ad  Menipp.  2.  Apollon.  mirab.  c.  24)  und  auch  ein  Geschichts- 
werk verfasste  (Diog.  8,  90.  Etym.  M.  p.  18,  57).  Die  Verwechslang  lag 
schon  desshalb  nahe,  weil  auch  dieser  Aegypten  bereist  hatte  (Platarch.  Is. 
et  Os.  6  a.  E.). 

3)  Notices  et  extraits  de  manoscrits  XVni  2  Nr.  1  p.  25  £f.  mit  Tafel 
1—5,  vgl.  Blass  in  J.  Müllers  Handbach  der  klass.  Altert.-Wiss.  I  S.  281. 

4)  Theophrast.  de  signis  aq.  et  vent 

5)  Parmeniakos  bei  Schol.  Enrip.  Rhes.  515  (524) ;  ^axpoXo^Ca  Lykophron 
bei  Athen.  7,  278b. 

6)  Jtinger  als  Anaximandros  nach  Plin.  nat.  bist.  2,  31  (vgl.  Hygin.  poet. 
astr.  2,  13);  U.  v.  Wilamowitz  Antigonos  von  Karystoa  S.  153  teilt  ihn 
dem  sechsten  Jahrhundert  zu. 

7)  Poet  1  p.  1447  b  17. 


Digitized  by 


Google 


Die  LehrdicbtuDg.  35 

Ändros  soll  im  vierten  Jahrhundert  über  seine  Wissenschaft 
schlechte  Verse  gemacht  haben  ^). 

Auch  diese  Dichtungsart  entging  der  humoristischen  An- 
wendung nicht  Seit  Athen  der  erste  Handelsplatz  Griechen- 
lands war,  wohin  von  allen  Seiten  das  Beste  und  Vorzüglichste 
griechischer  und  barbarischer  Städte  zusammenströmte,  bildeten 
dieGourmands  eine  förmliche  Wissenschaft  aus  *),  die  anfangs 
auf  vertrauliche  Fortpflanzung  von  Mund  zu  Mund  angewiesen 
war.  Diese  Lücke  der  Literatur  füllte  in  den  ersten^  Jahren 
des  korinthischen  Krieges  der  Leukadier  Philoxenos  (nicht 
mit  dem  berühmten  Lyriker  zu  verwechseln)  aus,  indem  er  ein 
Gastmahl  comme  il  faut  in  Hexametern  schilderte^);  nach  diesem 
sozusagen  epischen  Versuche,  der  ungeheuren  Erfolg  hatte*) 
und  erst  durch  den  unter  Alexander  auftretenden  Matron  in 
Schatten  gestellt  wurde,  kamen  systematische  Lehrbücher  in 
Versen  (YaorpoXoYiat),  von  welchen  das  des  Terpsion,  dessen 
Schüler  Archestratos  die  erste  Autorität  dieses  Gebietes  wurde, 
noch  innerhalb  die  Grenzen  des  klassischen  Zeitalters  fällt '^); 
nicht  viel  später  als  er  kann  Simos  gedichtet  haben,  weil  ihn 
schon  im  „Linos"  des  Alexis  der  junge  Herakles  zum  Lieblings- 
klassiker wählt**). 

Der  Vollständigkeit  halber  sei  endlich  der  abergläubischen 
Literatur  gedacht,  welche  in  den  traurigen  Zeiten  der  nie 
ruhenden  Bruder-  und  Bürgerkriege,  durch  das  Zunehmen  des 
Zweifels  an  den  Göttern  des  Staates  unterstützt,  allenthalben 
auf  empßlngUche  Herzen  traf.  Orakelbücher  wurden  in  Hülle 
und  Fülle,  wie  die  aristophanischen  Lustspiele  zeigen,  fabriciert 
und  verbreitet;  die  orphische  Gemeinde  erbaute  sich  an  ver- 
meinüichen  Schriften  des  Orpheus,  Musaios  und  Linos,  von 
denen  vieles  gewiss  damals  erst  entstanden  ist. 

1)  Plutarch.  apophth.  Laced.    'Ap^c^.  'ÄY'rjotX.  3. 

2)  H.  C.  Eich  st  ad  de  poesi  culinaria,  Jena  1831  2  Thle. 

3)  Berglein  de  Philoxeno  Cytherio,  Gott.  1843;  Bergk  reliq.  comoed. 
Att.  p.  210  flf.  (er  bezieht  Arist.  Eccl.  1169  flF.  anf  das  Gedicht);  Fragmente 
hei  Meineke  fragm.  comic.  Graec.  III  p.  635  ff.  Der  Identität  der  beiden 
Philoxenos,  dieFritzsche  AristojJ^h.  Ban.  p.  308  behauptet,  ist  nicht  sicher 
Athen.  4,  146  f. 

4)  Aristoteles  bei  Athen.  1,  6d;  der  Komiker  Piaton  erwähnt  das  Aslnvov 
OL  97,  1  als  Neuigkeit  (Athen.  1,  5  b). 

5)  Klearchos  bei  Athen.  8,  337  b. 

6)  Athen.  4,  164b. 

3» 


Digitized  by 


Google 


ni.  Kapitel. 
Die  nicht  chorische  Lyrik. 

Elegie:  Archelaos,  Melanthios,  Dionysios  nnd  Ion,  Tragiker  nnd  Sophisten;^ 

Epigramm;  Liebeslied;  Timokreon;  Telesilla;   aulödischer  nnd  kitharödischer 

Nomos  (EoriDBa,  Phrynis,  Timotheos). 


Die  Perserkriege  erweckten  keinen  Kallinos,  geschweige 
denn  einen  Tyrtaios,  wiewohl  die  Elegie  an  Dichtern  reich 
und  des  allgemeinen  Entgegenkommens  sicher  war.  Nach  der 
Schlacht  von  Marathon  stellte  der  athenische  Staat  für  eine 
die  gefallenen  Bürger  preisende  Elegie  einen  Wettbewerb  an,, 
wobei  ein  Simonides  und  ein  Aeschylus  um  den  Sieg  rangen^); 
doch  waren  ihre  Gedichte  mehr  durch  den  Namen  der  Ver- 
fasser berühmt  als  wahrhaft  volkstümlich.  Simonides  besang 
die  Helden  von  Plataiai  ebenfalls  in  elegischen  Verseng. 

Die  am  meisten  bewunderte  Leistung  der  klassischen  ElegiC;. 
Antimachos'  Lyde,  wurde  bereits  gewürdigt  (S.  15).  Als  Lied 
der  Trauer  fasste  auch  der  athenische  Philosoph  Archelaoff 
(durch  seinen  Schüler  Sokrates  berühmt)  die  Elegie,  als  er  an 
Kimon  beim  Tode  seiner  GemahUn  ein  Gedicht  richtete^). 
Denselben  tapferen  Helden  besang  Melanthios  nach  seinem 
Tod,  während  er  an  den  Lebenden  heitere  Elegien  gerichtet 
hatte ^).  Die  Elegie  war  ja  bereits  überwiegend  dem  Weine 
und  der  Liebe  geweiht. 


1)  Vita  Aeschyli  Z.  46  ff.  West.;  vgl.  C.  Göttling  de  Aeschyli  et  Si- 
monidis  epigrammatis  in  pagnam  Marathoniam,  Progr.  der  Univ.  Jena  1859, 
deutsch  in:  Gesammelte  Abhandl.  II  (1863)  S.  151  ff. 

2)  Platarch.  malign.  Herod.  42  (Bergk  IH*  424  f.). 

3)  Panaitios  bei  Platarch.  Cim.  4. 

4)  Bergk  poetae  lyr.  Gr.  II*  p.  258;  fr.  1;  fr.  3. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorische  Lyrik.  37 

In  dem  nämlichen  Sinne  dichteten  zwei  Dilettanten,  der 
athenische  Politiker  Dionysios,  welchen  der  Volks witz  den 
Kupfernen  (XoXxoöc)  zubenannte,  seitdem  er  einige  Jahre  vor 
dem  peloponnesischen  Kriege  die  Kupfermünzen  eingeführt 
hatte ^),  ein  nicht  sonderlich  geschmackvoller  Schriftsteller*),  und 
der  vielseitige  Chier  Ion').  Hervorragende  Tragiker  verfassten 
gelegentlich  eine  oder  die  andere  Elegie,  ohne  dadurch  ihrem 
Lorbeer  ein  neues  Blatt  einzufügen  oder  auch  nur  durch  ihren 
berühmten  Namen  die  Erhaltung  dieser  Parerga  zu  vermitteln*). 

Zum  Schlüsse  fiel  die  Elegie  in  die  Hände  der  Sophisten, 
wo  sie  einen  docierenden  Ton  annahm.  Sokrates  paraphra- 
sierte  in  seinen  letzten  Tagen  äsopische  Fabeln  in  Distichen^); 
Kritias  gebrauchte  die  elegische  Form,  um  Reisefrüchte  und 
politische  Expektorationen  mit  trockener  Breite  einzukleiden^), 
während  der  aus  Plato  bekannte  Sophist  Euenos  vonParos^) 
morahsche  Lehren  vortrug®). 

1)  Osann  Beiträge  zar  griech.  nad  röm.  Literaturgeschichte  I  S.  79  £f. 
Welcker  kleine  Schriften  n  S.  218  ff.;  Fragmente  hei  Bergk  II*  p.  262  ffl; 
er  führte  die  Kupfermünzen  ein  (Hnltsch  griech.  nnd  röm.  Metrologie 
B.  *  227  f.)  und  war  hei  der  Anlegung  der  Kolonie  Thurioi  beteiligt  (Plutarch. 
2fic.  5.  ol  hi  bei  Phot.  u.  9oüptofj.dvTet(:). 

2)  Aristot.  rhet.  3,  2  p.  1405a  32;  die  Gedichte  waren  noch  zur  Zeit 
Plntarchs  erhalten  (Nie.  5). 

3)  Fragmente  bei  Bergk  11*  p.  251  ff. 

4)  AeschyluB  eXsfsia  nach  Suidas,  vgl.  S.  36  A.  1.  Plutarch.  quaest. 
symp.  I  10,  3;  Sophokles  iXrfsia  Suidas  (Bergk  11*  p.  243  f.);  der  jüngere 
Sophokles  iXs^^ia^  Suidas;  Euripides  I^ixy)$8cov  auf  die  Vernichtung  der 
fiicilischen  Expedition  Plutarch.  Nie.  17;  von  Agathen  ist  es  hingegen  sehr 
zweifelhaft,  ob  ein  Distichon  bei  Stobaios  ecl.  phys.  I  8,  16  (Bergk  II*  268) 
ihm  gehört,  s.  Y^achsmuths  Ausgabe  Bd.  I  adn.  zu  p.  95,  13.  96,  4. 

5)  Plat.  Phaed.  p.  60d;  später  war  höchstens  eine  Fabel  erhalten  (Diog. 
2,  42,  wo  der  Anfang  mitgeteilt  ist;  Suidas). 

6)  Bergk  H*  279  ff. 

7)  Die  Identität  ist  durch  Eratosthenee  (bei  Harpocr.  s.  v.,  excerpiert  bei 
Photios  =  Suidas)  gesichert;  Blüte  Ol.  80,  1  nach  dem  armenischen  Eusebios. 
YgL  Fr.  W.  Y^agner  de  Euenis  poetis  elegiacis  eorumque  carminibus,  Breslau 
1888;  Fr.  Schreiber  disp.  de  Euenis  Pariis  poetis  elegiads^  Gtöttingen  1839; 
J.  Cäsar  Ztsch.  für  Altertumsw.  1838  Nr.  146;  Benndorf  de  anthol.  Gr. 
epigramm.  quae  ad  artes  spectant  p.  16  f.;  Bergk  n^  271  ff.  Die  Scheidung 
zwischen  dem  Eigentum  des  Pariers  und  des  späteren  Euenos  aus  Askalon 
dürfte  kaum  möglich  sein. 

8)  Fragmente  bei  Bergk  n*  269  ff.,  s.  o.  S.  32;  dass  noch  Menander  ihn 
oo<p6<:  nannte  (Auson.  eento  nupt.  am  Ende),  stimmt  zur  Fortpflanzung  seiner 
Gedichte. 


Digitized  by 


Google 


38  ni.  Kapitel 

Es  kann  nicht  Wunder  nehmen,  dass  die  nämUche  Zeit 
auf  metrische  Künsteleien  verfiel:  So  stellte  Dionysios  den 
Pentameter  an  die  erste  Stelle  ^),  wogegen  ihn  Kritias  in  einem 
Verse  durch  den  iambischen  Trimeter  ersetzte^.  Derselbe 
Geist  der  Nüchternheit  und  Gesuchtheit,  durch  welchen  das 
Epos  angekränkelt  ward,  hat  die  Elegie  so  gründlich  zu  Boden 
gedrückt,  dass  im  vierten  Jahrhundert  vor  Aristoteles  und 
Philiskos  nicht  ein  einziger  El^iker  auch  nur  mit  Namen 
genannt  wird. 

In  dem  Masse  wie  die  Elegie  sank,  stieg  die  Miniaturelegie, 
das  Epigramm,  empor.  In  einem  Zeitalter  da  eine  Fülle  der 
herrlichsten  Bauten  entstand,  da  alle  Tempel  und  Plätze  mit 
kostbaren  und  künstlerischen  Weihgeschenken  sich  füllten,  da 
man  verdiente  Tote  fast  vergötterte,  da  eine  Künstlerhand 
selbst  das  Grab  des  Privatmannes  anmutig  schmückte,  waren 
die  Aufschriften  eine  Beigabe,  auf  deren  zierliche  Form  man 
nicht  unbedeutenden  Wert  legte.  BekanntUch  verschmähte  es 
der  berühmte  Simonides  nicht,  sowohl  für  Staaten  als  für 
Einzelne  einige  Distichen ,  welche  teils  auf  Gräbern  teils  auf 
Weihgeschenken  angebracht  wurden,  zu  verfertigen,  mögen 
auch  die  Späteren  alle  auf  den  Perserkrieg  und  überhaupt  auf 
das  ganze  Zeitalter  bezüglichen  Epigramme  ohne  eine  Spur 
von  Kritik  mit  dem  gefeierten  Namen  versehen  haben '). 
Wenn  Simonides  allein  dies  alles  geschrieben  hätte,  müsste  er 
ein  dürftiges  Talent  besessen  haben;  so  vieles  kehrt  wieder*). 
Auch  viele  andere  Namen  von  gutem  Klange  zieren  erhaltene 
Epigramme:    Pindar,  die  drei  Meister  der  Tragödie  und  Chai- 


1)  Athen.  13,  602c 

2)  Fr.  3,  2. 

3)  Em.  Aug.  Jnnghahn  de  Sim.  Cei  epigrammatis  qaaestt.,  Progr.  des 
Lnisenstftdt.  Gymn.  Berlin  1869;  Kaibel  Bhein.  Mus.  28,  436  £f.;  Adolf 
Menk  de  Anthologiae  Palatinae  epigrammatis  sepolcralibas,  Marburg  1884 
p.  30  fif.  Bergks  Sammlung  (poet.  lyr.  Gr.  m*  p.  426  fif.).  wimmelt  von 
unechten  Epigrammen,  z,  B.  werden  epigr.  91  und  92  durch  Herodot  evident 
als  unecht  erwiesen;  Anthol.  Palat  13,  28  ist  attisch,  s.  U.  v.  Wila  mo  wits 
Hermes  20,  62  fif.;  epigr.  105  (Anthol.  7,  258)  ist  einem  inschriftlichen  Epi- 
gramm nachgebildet  (Br.  Keil  Hermes  20,  842  fif.);  über  ep.  146,  s.  Kaibel 
Rhein.  Mus.  28,  454. 

4)  üeber  die  Formelsprache  der  Epigrammes.  Me n  k  a.  O.  p.  8  fif. ;  über  Imi- 
tation der  Simonidea  Kaibel  epigrammata  Graeca  ex  lapidibus  collecta  p.  693» 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  ohonsche  Lyrik.  39 

remon,  Antimachos,  Timokreon,  Epicharmos ,  Empedokles, 
Plato  und  Thukydides  ^).  Aber  wer  wollte  sich  für  die  Echtheit 
dieser  meist  unbedeutetiden  Sinngedichte  verbürgen? 

Nicht  bloss  nahm  die  Wertschätzung  des  Epigramms  zu, 
auch  im  Charakter  desselben  ging  eine  tiefe  Veränderung  vor. 
UrsprüngUch  enthält  es  nur  Dinge,  welche  ebenso  gut,  wenn 
auch  nicht  ebenso  schön  in  Prosa  gesagt  werden  könnten. 
Schon  damals  als  Hipparchos  auf  den  Hermensäulen  moraUsche 
Sentenzen  anbrachte,  lockerte  sich  der  Zusammenhang  von 
Aufschrift  und  Denkmal  *).  Als  vollends  der  witzreichste  Mann 
Griechenlands  dieser  Gattung  näher  trat,  da  drang  ein  anderer 
Geist  hinein,  unterstützt  von  dem  Zeitgeschmacke,  der  geist- 
reiche Pointen  liebte.  Schon  an  den  Inschriften  von  Thermo- 
pylä  zeigt  sich  diese  Wandlung  recht  deutUch.  Während  die 
bäurischen  Lokrer  noch  im  alten  referierenden  Stile  schreiben: 
To6o8s  Ä0*6t  9fti(iivoo(:  bnkp  "EXXdSoc  ivt(a  Miij8a»v 
(jLTjrpÖÄoXic  AoxpÄv  so^ovöjJLCDV  'Oicöetc, 
worin  höchstens  das  Wort  ÄO*et  etwas  sentimentales  hat,  trägt 
die  Grabstele  der  Spartaner  die  berühmte  Inschrift: 
^ö  fetv'   i.'^'^iXkBDf  Aaxe8at(i.ovioi(:,  Stt  rgSe 

Die  Heimat  der  Toten  ist  hier  fein  umschrieben,  ihr 
Lrebensende  als  bekannt  vorausgesetzt  und  dafür  das  Motiv 
der  Gesetzestreue  hervorgehoben.  Wir  müssen,  schon  weil  die 
Unsicherheit  des  Materials  entschiedene  Ergebnisse  ausschUeset, 
darauf  verzichten,  das  allmähge  Aufkommen  „epigrammatischer*^ 
Zuspitzung  zu  verfolgen,  und  können  nicht  einmal  die  Frage 
beantworten,  wann  das  Epigramm  ausschliessHch  Aufschrift  zu 
sein  aufhörte,  und  die  heute  übliche  Bedeutung  annahm.  Hier 
geben  nur  die  mythographischen  Epigramme  des  Aristoteles 
einen  ziemUch  festen  Stützpunkt  ab,  vorher  jedoch  liegt  alles 
im  Dunkel,  weil  zu  wenige  verlässig^  Epigramme  vorhanden 
sind.  Immerhin  scheint  so  viel  sicher,  dass  Simonides  mit 
dieser  Emancipation  nichts   zu  thun  hat^).    Die  Entwicklung 


1)  Beigk  I^  479.  n^  239  £f.;   nach  Bergk  p.  267  ist  unter  Thnkydides 
der  Dichter  dieses  Namens  (Bd.  II  S.  404,  6)  z\x  verstehen. 

2)  Trotzdem  hiess  der  Epigrammendichter  noch  später  auch  &va^(xa- 
ttxoc  (Is.  Ttetz.  proleg.  in  Lycophr.  p.  249  ed.  Müller). 

3)  Epigr.  167  nnd  171,  wozu  172  und  173  gehören,  werden  als  Impro- 


Digitized  by 


Google 


40  HL  Kapitel. 

wird  in  der  Weise  vor  sich  gegangen  sein,  dass  zunächst  beim 
Tode  berühmter  Männer  poetische  Freunde  einen  kurzen  Nachruf 
in  Form  einer  Grabschrift  auf  sie  dichteten,  ohne  dass  sie  damit 
dem  Steinhauer  etwas  zu  thun  gaben.  Anhänger  der  Sophisten 
mögen  dann,  wenn  sie  etwas  bedeutendes  knapp  zusammen- 
zudrängen (Bd.  n  S.  18.  52)  und  aus  der  Person  eines  Helden 
der  Sage  heraus  zu  sprechen  (Bd.  11  S.  55)  sich  übten,  neben 
der  Prosa  gelegentlich  die  metrische  Form  versucht  haben. 
Letzteres  Bemühen  leitete  zu  den  Grabschriften  von  Heroen, 
wie  wir  sie  bei  Aristoteles  finden,  wogegen  ersteres  jedwede 
Verbindung  mit  dem  historischen  Ausgangspunkt  aufhob  und 
das  Epigramm  zum  blossen  geistreichen  Impromptu  stempelte; 
falls  man  damals  noch  die  Verwandtschaft  des  Epigramms  mit 
der  Elegie  empfand,  gewann  es  vielleicht  zuerst  die  weiten 
Gebiete  der  Liebe  und  der  Weinseligkeit,  um  sich  dann  aller 
einengenden  Regel  ledig  zu  ergehen.  Weil  also  das  Epigramm 
damals  erst  allmälig  aufhörte,  nicht  mehr  als  ein  wenig  be- 
deutendes Gelegenheitsgedicht  zu  sein,  gab  es  vorläufig  noch 
keinen  eigentUchen  Epigrammatiker^). 

Die  iambische  Poesie,  in  deren  Grenzen  das  jüngere 
Epigramm  teilweise  eingriff,  wurde  durch  die  Komödie  aufge- 
sogen*), obgleich  Archilochos  und  Hipponax  fortdauernd  die 
Gunst  der  Griechen  genossen').  Da  der  Epiker  Diphilos 
Hipponax'  Manier  folgte  (Bd.  I  S.  283)*),  war  der  Komiker 
Hermippos^)  der  einzige  Verfasser  reiner  Jamben  und  Tetra- 
meter und  gerade  dies   bestätigt,    dass   der  Jambus   an    der 


visationen  beim  Mahle,  folglich  als  kleine  Elegien,  bezeichnet;  168  gilt  einem 
Weihgeechenk;  176  ist  anklar,  das  übrige  von  Bergk  m'  505  fif.  zusamTmen- 
gesteUte  unzuverlässig. 

1)  Jacobs  will  Hegesippos,  einen  Dichter  der  Anthologie,  dieser  Periode 
zuweisen;  Anthol.  7,  21  und  22  gehören  nach  Sternbach  meletemata  Graeca 
p.  116  dem  Sokratiker  Simias,  anders  Bergk  U^  313  f. 

2)  Aristot.  poet.  4  p.  1449  a  2  fif. 

3)  Z.  B.  wurden  die  Gedichte  des  ersteren  von  dem  Zakynthier  Simo- 
nides öffentlich  vorgetragen  (Elearchos  bei  Athen.  14,  620  c).  Deshalb  verbot 
Aristoteles  polit.  7,  17  p.  1336b  20  jungen  Leuten  das  Anhören  iambischer 
Bedtationen. 

4)  Bergk  W  509  versetzt  wider  aUe  Wahrscheinlichkeit  Hero(n)das  in 
die  klassische  Zeit. 

.  5)  Bergk  W  505  f.    Ueber  Kerkidas  s.  u.  S.  43  f. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorische  Lyrik.  41 

Personalunion  mit  der  Komödie  zu  Grund  ging.  Erst  nachdem 
das  Lustspiel  den  ausgelassenen  aggressiven  Ton  aufgegeben 
hatte,  hesass  der  Jambus  wieder  eine  Berechtigung  und  so 
Mt  das  Wiederaufblühen  dieses  Zweiges  in  die  Zeit  der 
decenteren  neuen  Komödie. 

Das  einstimmige  Lied  wollte  ebenfalls  nicht  recht 
fortblOhen,  weil  ein  hervorragender  Vertreter  fehlte,  welcher 
das  Publikum  trotz  Älkaios,  Sappho  und  Anakreon  dauernd 
hätte  fesseln  können.  Nicht  einmal  die  alten  unerschöpflichen 
Stoffe;  Wein,  Liebe,  Hass,  bUeben  in  demselben  Dichter  ver- 
emigt,  sondern  das  Spottlied  trennte  sich  ab.  Das  Trink-  und 
Liebeslied  gewann  dafür  freilich  eine  grosse  Ausdehnung; 
nahm  doch  schon  im  fünften  Jahrhundert,  wie  die  Vasenbilder 
zeigen,  das  zügellose  Nachtleben,  zumal  bei  den  Athenern  und 
Joniem ,  die  grössten  Dimensionen  an.  Die  rausikkundige  De- 
mimonde brauchte  hiezu  ein  Liederrepertoire  ^)  so  gut  als  die 
jeunesse  dorö  für  ihre  Ständchen  Arien  verlangte.  Diesem 
Verlangen  kamen  zahlreiche  mit  Prüderie  unbekannte  Dichter 
entgegen,  von  denen  freilich  ausser  dem  Namen  verdienter- 
massen  so  gut  wie  nichts  überliefert  ist.  Wiewohl  keiner  den 
alten  Kolophonier  Polymnestos  (Bd.  I  S.  292),  nach  welchem 
diese  Liedergattung  IIoXopi^Gtsia  hiess,  überbieten  und  aus  den 
Musikschulen  verdrängen  konnte,  errang  doch  nächst  ihm 
Gnesippos  als  Dichter  derber  Ständchen  den  Beifall  der 
Ijebemänner *),  Dann  nennt  man  den  Tragiker  Meletos') 
und  den  Rheginer  Dithyrambendichter  Kleomenes*),  sowie 
Oionichos^)    und   L'amynthios   von   Milet^)   unter   dieser 


1)  Hieher  passt  die  von  Alkiphron  epist.  fr.  6,  11  p.  96  Herch.  ge- 
aehildeite  Scene. 

2)  In  den  Komödien  ETXcuxec  (Enpolis  fr.  39  E.)  und  Ilxa>xo^  (Ghionides?) 
wird  er  erwfihnt  (Athen.  14,  638 de);  die  Komiker  Telekleidee  und  Hermippos 
nannten  Um  znm  Spotte  Nod-cnicoc  (Athen.  8,  344 cd),  s.  ü.  v.  Wilamowitz 
observatt.  critt.  in  comoediam  Graecam  selectae,  Berlin  1870  p.  27,  8. 

3)  Epikrates  bei  Athen.  14,  605  d. 

4)  Ghionides  nnd  Epikrates  a.  O.  Tgl.  Athen.  9,  402  a. 

5)  Aristoph.  Eq.  1287  mit  Schollen;  bei  einem  Komiker  stand  Olu>vixoo 
(Mooelov  (Hesych.). 

6)  Epikrates  a.  O.  Klearchos  bei  Athen.  13,  597  a  (er  verfasste  ein  lied 
auf  seine  lydische  Geliebte)  ;  vieUeicht  gehören  anch  der  Liederdichter  Xe no- 
krat es  (Aristozenos  fr.  54  bei  Diog.  Laert.  4,  15)  und  der  als  Ehebrecher 


Digitized  by 


Google 


42  ni.  Kapitel. 

Schaar.  Ihre  musikalischen  Instrumente  waren,  weil  Lydien 
hiebei  einen  demoraUsierenden  Einfluss  ausübte,  kleinasiatische 
und  gestatteten  eine  bunte  Koloratur  der  Begleitung^);  indes 
gab  es  auch  erotische  Lieder  in  dorischer  Tonart^),  womit 
wahrscheinUch  Bakchylides'  Gedichte  gemeint  sind.  Die  Popu- 
larität des  LiebesUedes  drückte  am  Ende  des  klassischen  Zeit- 
alters der  vielberufene  Maler  Pausias  in  einem  Bilde  aus,  wo 
Eros  Bogen  und  Pfeil  mit  der  Lyra  vertauscht  hat^).  Oder 
wollte  er  den  Gedanken  personificieren ,  welchen  Euripides  in 
die  Worte  gekleidet  hatte:  „Eros  macht  zum  Dichter,  auch 
wem  die  Muse  vorher  fern  gebUeben"*)?  Von  solclien  impro- 
visierten Dichtern  weiss  die  Literaturgeschichte  sonst  allerdings 
nichts  zu  vermelden. 

Es  verging  nicht  lange  Zeit,  so  verfielen  solche  Sänger 
auf  den  schlimmen  Scherz,  die  feierlichen  Weisen  eines  Terpan- 
dros  und  Phrynichos  zu  obscener  Travestie  zu  missbrauchen. 
Hätten  die  Griechen  nicht  Oinopas,  der  jenen  Einfall  zuerst 
hatte,  Beifall  geklatscht,  würden  gewiss  nicht  der  Achäer 
Polyeuktos  und  Diokles  aus  dem  verrufenen  arkadischen 
Ländchen  Kynaitha^),  dann  bald  Telenikos  von  Byzanz  und 
Argas^)  denselben  bedenklichen  Weg  betreten  haben. 

Nicht  gleich  rasch  verflüchtigte  sich  der  Ruhm  eines 
satirischen  Lyrikers.  Timokreon')  gehörte  der  Bürgerschaft 
der  uralten   rhodischen  Stadt  Jalysos  an,    bis  sie  ihn  wegen 


und  LüstliDg  verspottete  Kratinos  (Schol.  Aristoph.  Acham.  856  (849)  }isXu>v 
icoiY^rr^c)  zn  dieser  Gmppe.  Dass  die  Flötenbläserin  (?)  Charixene,  welche  in 
Komödien  vorkommt,  Gedichte  gemacht  habe  (einige  bei  Etym.  M.  pag. 
367,  22.    EoHtath.  in  U.  p.  326,  45),  ist  nicht  glaublich. 

1)  ^la^ißoxif)  und  xpif<ovov  (abgebildet  in  der  Hand  einer  Hetäre  von 
einem  Yasenmaler  Mnseo  Borbon.  V  51  ^  Baumeisters  Denkmäler  des  klass. 
Altert.  Abb.  391  S.  366),  s.  ETXwtsc  a.  O.  ^ 

2)  PlQtarch.  mns.  17. 

3)  Pausan.  2,  27,  3. 

4)  Eurip.  fr.  666. 

5)  Aristoxenos  bei  Athen.  14,  638b;  über  die  Eynaither  s.  Bnrsian 
Geographie  von  Griech.  U  266  f. 

6)  Phanias  bei  Athen.  14,  638  c;  Argas  (die  Handschriften  bieten  'ApY^Cy 
''ApYag,  'ApYciic)  sang  bei  der  Hochzeit  des  Iphikrates  (Anaxandr.  npo>t€oiX. 
bei  Athen.  4,  131b  V.  17). 

7)  Böckh  de  Timocreonte  Bhodio,  ind.  lect.  von  Berlin  1833  =  Ge- 
sammelte kleine  Schriften  IV  S.  375  fif. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorische  Lyrik.  45 

persischer  Gesinnung  ausstiess,  welches  Schicksal  ihn  nach  der 
Befireiungsschlacht  von  Mykale  (479)  betroffen  haben  dürfte. 
Weil  Themistokles,  der  damals  mächtigste  Mann  Griechenlands, 
sein  Gastfreund  war,  forderte  Timokreon  von  diesem  seine 
Restitution  und,  als  der  athenische  Staatsmann  sich  dazu  nicht 
herbeilassen  wollte  oder  konnte,  stellte  er  in  einem  leidenschaft- 
lichen Gedichte  die  Sache  so  hin ,  als  wenn  jenen  Timokreons 
Feinde  bestochen  hätten  (Fr.  1,  6  ff.).  Später  triumphierte 
Timokreon  schadenfroh  über  die  Verbannung  des  Gehassten^). 
Die  Rhodier  hatten  ihm  indes,  soviel  wir  beurteilen  können, 
durchaus  nicht  Unrecht  gethan,  weil  der  Dichter  später  in  der 
Residenz  des  Grosskönigs  sich  aufhielt*).  Dass  er  von  Beruf 
eigentlich  ein  Athlet  war^),  machte  die  Aeusserungen  seiner 
Zunge  gewiss  nicht  feiner.  Ein  witziger  Kopf*)  widmete  ihm 
den  spöttischen  Nachruf: 

IloXXa  ya^wv  xal  noKkä  «wov  xal  «oXXi  xdx'  el7rd>v 
'Av^pcöTcooc  %et|Jiat  Ti|i.o%p8a>y  TöStoc 

Timokreons  Dichtungen*)  müssen  anfangs  weit  verbreitet 
und  bekannt  gewesen  sein,  weil  Aristophanes^)  und  Plato^) 
darauf  anspielen.  Später  gerieten  sie  ziemlich  in  Vergessenheit®). 
Mit  Titel  werden  bloss  ein  Trinklied  (Fr.  8)  und  Epigramme 
(Fr.  9)  citiert»). 

Diesem  Timokreon  träte  Kerkidas^^,  der  Verfasser  von 

1)  Platarch.  Themistocl.  41,  vgl.  H.  L.  Ähren s  Rhein.  Mns.  2,  457  ff.; 
R.  Enger  de  Timocreontis  Rhodii  cannine  a  Hatarcho  servato,  Posen  1866 
ß^rogr.  des  Mariengymn.);  über  das  Historische:  Kirchhoff  Herrn.  11,  38  ff. 

2)  Fr.  3.  Thrasymachos  bei  Athen.  10,  416  a. 

3)  Athen.  10,  415  f.    Aelian.  var.  bist.  1,  27. 

4)  Man  vermntete  Simonides  in  ihm  (Anthol.  Pal.  VH  348  hat  von 
zweiter  Hand  das  Randlemma  Si^koviSoo,  daher  bei  Bergk  Nr.  169 B);  Kirch- 
hoff  Hermes  11,  46  A.  1  denkt  an  Poseidippos.  Athenaios  10,  415  f  hielt 
das  Epigramm  gar  far  die  wirkliche  Grabschrift. 

5)  Fragmente  bei  Bergk  IH^  S.  536  ff. 

6)  Didymos  bei  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1099  (1068). 

7)  Gorg.  493  a,  vgl.  dazu  fr.  6. 

8)  Die  Quelle  des  Suidas  weiss  nur  mehr  von  den  aus  Biographen  be- 
kannten  Themistoklesliedem. 

9)  Nach  Hephaistion  71  bestand  ein  ganzes  Gedicht  ans  Versen,  welche 
ttn  AnapAst  und  ein  Amphimacer  bildeten. 

10)  Ktpxidag  oder  Ktpxid&c  (Arcadins  21,  16.  Herodian.  ic.  fj.oviqp.  Xe^. 
10,  16)  geschrieben;  Meineke  analecta  Alexandrina  p.  385  ff.;  Fragmente 
bei  Bdgk  H«  p.  513—15. 


Digitized  by 


Google 


44  HL  Kapitel. 

<iori8chen  (teXia|Jißot  ^) ,  d.  h.  Spottliedern  in  lyrischen  Massen, 
und  von  gewöhnlichen  Jamben  und  Choliamben  *)  an  die  Seite, 
falls  er  wirklich  mit  dem  berühmten  Gesetzgeber  von  Megalo- 
polis  eine  Person  wäre®).  Obgleich  dieser  in  der  That  Vor- 
liebe für  Poesie  dadurch  öffentlich  bekundete,  dass  er  das 
Studium  Homers  gesetzlich  forderte*)  und  angeblich  den  Anfang 
der  Dias  mit  sich  begraben  liess^),  kann  er  trotzdem  jene 
Gedichte  nicht  gemacht  haben,  denn  wie  sollte  er  von  dem 
Kyniker  Diogenes,  der  höchstens  sein  jüngerer  Zeitgenosse 
war,  wie  von  einem  lange  Verstorbenen  sprechen®)?  Der 
Dichter  war  also  gewiss  ein  anderer  Kerkidas  und  zwar  ein 
Kreter,  welcher  zur  Schule  der  Kyniker  gehörte'). 

Wohl  aber  besass  die  klassische  Zeit  wahrscheinlich  einen 
zweiten  Satiriker  an  dem  Flötenspieler  Teilen,  dessen  Spott- 
gedichte sprichwörtlich  waren®),  trotzdem  aber  spurlos  ver- 
schwanden. 

Gegenüber  der  einstigen  hohen  Blüte  des  Liedes  ist  ein 
bedauernswerter  Zustand  der  Gesunkenheit  vom  Standpunkte 
der  Moral  wie  der  Poesie  wahrnehmbar.  In  jener  Hinsicht 
wenigstens  wurde  die  Ehre  Griechenlands  durch  eine  edle  Frau 
gerettet.  Telesilla^),  einer  vornehmen  Familie  von  Argos 
entsprossen,  war  durch  Kränklichkeit  dem  Dienste  der  Musen 
zugeführt  worden,  was  ihrem  Vaterlande  zu  unverhofftem  Segen 
gereichen    sollte;    als   nämlich   einige  Jahre   vor   dem  Perser- 


1)  So  hat  der  cod^  B  Schowii  bei  Stob.  flor.  d,  43  (aber  statt  6  ^leXo- 
noioc  Helladios  bei  Phot.  bibl.  279  p.  533  b  12  fordert  der  ZuBanimenhang 
b  McfaXoicoXtTiqc);  folscb  sind  die  Lesarten  fj.ifj.tafj.ßoc  (Stob.  flor.  58,  10; 
solche  iambische  Genrebilder  verfasste  Herondas)  and  '^fj.iafj.ßoi. 

2)  Athen.  12,  554  d. 

3)  So  Athen.  8,  347  e.  12,  554  d. 

4)  Porphyrios  bei  £;astath.  D.  p.  263,  35. 

5)  Ptolem.  Heph.  bei  Phot.  bibl.  190  p.  151a  14;  vgl.  noch  Aelian.  var. 
bist.  13,  20. 

6)  ^0  itdipog  f  ^  Siv(üitea<;  ft>.  2. 

7)  Diogen.  Laert.  6,  76  Kspxi^ac  6  MBYaXoicoXttYj^  ^  Kp-fj^. 

8)  "Atihu  zä  T^XXiQvoc  Dikaiarchos  bei  Zenob.  2,  15  und  die  Paroemio- 
graphen;  Plntarch.  reg.  et  imp.  apophth.  20  nnd  liban.  ep.  548  spielen 
darauf  an.  Der  Fabulist  Ptolemaio«  Hephaistion  meint  mit  xö  ßcßXiov  TsX- 
XtSoc  jedenfalls  ihn  (Phot.  bibUoth.  190  p.  151a  7  flf.). 

9)  Fr.  Nene  de  Telesillae  Argivae  reliqniis,  Progr.  d.  üniv.  Dorpat  1843. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorische  Lyrik.  4& 

kriege  ^)  eine  blutige  Niederlage  Arg08*  Mauem  von  Verteidigern 
entbl^ysst  hatte,  rief  die  Dichterin  die  Frauen  zum  Kampfe 
g^en  die  Spartaner  auf  und  feuerte,  ein  zweiter  Tyrtaios,  alle» 
durch  ihre  Lieder  erfolgreich  zum  Aushalten  an  *).  Wenngleich 
Herodot,  nicht  eben  ein  Freund  von  Argos,  über  diese  merk- 
würdige Episode  der  Kämpfe  zwischen  Sparte  und  Argos 
schweigt*),  konnten  sich  die  Argiver  auf  ein  Denkmal  der 
gefallenen  Frauen,  den  eigentümlichen  Areskultus  der  Weiber^) 
und  ein  ReUefbild  Telesillas  stützen,  welche,  einen  Helm  in  der 
Hand  und  Bücher  zu  ihren  Füssen,  vor  dem  Tempel  Aphro- 
dites  stand ^).  Ihre  Dichtungen  sind  fast  spurlos  verschollen*), 
obgleich  Metriker  ^  und  Lexikographen  sie  beachteten. 

Bei  den  Festen  hatte  das  Splolied  eine  bleibende  Stätte 
nur  im  religiösen  Nomos.  Im  aulödischen  Nomos  trug, 
bekanntlich  zur  Musik  des  Flöteükünstlers  ein  Sänger  den 
Text  vor,  während  ein  Chor  die  entsprechenden  Geberdeu 
und  Bewegungen  machte  ®).    Diese  Verbindung  der  drei  Künste 

1)  Vgl.  Herod.  6,  76  ff.  Nach  Pansan.  3,  4  Ol.  64  (s.  Gurtins  griech. 
Geschichte  V  S.  6&0  Anm.  159),  nach  Eosebios  Ol.  82  (4  arm.,  2  Hieron.,. 
1  Hier.  A),  weil  Argos  nnd  Sparta  Ol.  82,  3  einen  dreissigjährigen  Waffen- 
stillstand schlössen;  vor  Pindar  nach  Fragm.  post  Censor.  9. 

2)  Sokrates  von  Argos  bei  Flut.  mul.  vlrt.  4  übertreibt,  während  Maxim» 
Tyr.  or.  37,  5  nnr  von  begeistemden  Eriegsliedem  spricht;  s.  anch  Polyaen. 
strat.  8,  33  (dazu  Melber  Jahrbb.  Snppl.  14,  683).  Pansan.  2,  20,  8.  Rand- 
glosse zn  Prod.  in  Plat.  Tim.  15c  n.  A.;  verworfen  von  O.  Müller  Dorier 
I  173.  n  374,  8  und  Kägi  Jahrbb.  Snppl.  6,  446;  Dnncker  Geschichte 
des  Altertnms  IV  645  f.  vermittelt. 

3)  6,  76—83;  doch  ist  das  Orakel  c.  77  iXX'Stav  4j  ^Xsta  -cöv  Äppsva 
wü'Tioaoa  litk&o'Q  nicht  anders  als  anf  Telesillas  Heldenmut  zn  deuten. 

4)  Beides  erwähnt  Plutarch.  a.  O.,  das  letztere  Lucian.  amor.  30. 

5)  Pansan.  2,  20,  7.  9. 

6)  Bergk  m^  380  f.;  ir.  1  redet  sie  &  xopai  an,  was  natürlich  keinen 
Beweis  für  Chorlieder  abgibt.  Fr.  2.  3.  5  nnd  1.  4  beziehen  sich  anf  Apollo 
and  Artemis. 

7)  Hephaest.  c.  11  p.  33  W.;  Fragm.  post  Censor.  9  minntiores  edidit 
nnmeros;  dies  spricht  nicht  gerade  für  Chorlieder. 

8)  Sftnger:  in  Inschriften  von  Orchomenos  (CIG.  1579.  1580  =  Larfeld, 
inacr.  Boeot.  24.  25  =  Collitz  477.  478)  nnd  Plutarch.  conjug.  praec.  32; 
Chor:  in  den  Inschriften,  Stratonikos  bei  Athen.  8,  350  f,  Plutarch.  quaest. 
symp.  7,  5,  1.  Lucian.  Harmonides  1,  offiziell  genannt  Sv^psoai  (böotisch, 
vieUeicht  anch  a5Xtixai  s.  Hesych.  s.  v.)  oder  a5XY)tai<;  8iv$pdoi  (Demosth.  21, 
156,  vgl.  17.  61.  Plutarch.  Alcib.  1.  CIG.  3089),  vgl.  Reis ch  de  musicis 
Oraecorum  certaminibns  p.  59. 


Digitized  by 


Google 


46  ni.  Kapitel. 

war  zwar  bei  vielen  Festfeiem  Griechenlands,  auch  den  Pythien 
und  Panathenäen,  anerkannt ;  weil  aber  die  Athener  das  Flöten- 
spiel  schon  früh  etwas  zurücksetzten  (stellte  doch  bereits  Myron 
die  beziehungsvolle  Sage  von  Athene  und  Marsyas  dar),  schweigt 
die  UeberUeferung  von  dieser  Gattung  der  Lyrik,  so  dass  wir 
nur  wissen,  dass  der  Inhalt  des  Gesanges  der  mythischen  Zeit 
entlehnt  zu  werden  pflegte^).  Beiläufig  hören  wir,  dass  die 
gefeierten  Lyriker  Timotheos  und  Philoxenos  bei  ihrer  Lieblings- 
beschäftigung des  aulödischen  Nomos  nicht  ganz  vergassen, 
indes  von  eigentUchen  Aulöden  nichts  verlautet. 

Dagegen  fliessen  die  Nachrichten  über  die  mannigfachen 
Wandlungendes  kitharödischen  Nomos*)  reichUcher.  Die 
alte  Form  desselben  mit  sieben  musikalischen  Sätzen  und 
hexametrischem  Texte  bUeb  bis  auf  Phrynis,  den  Zeitgenossen 
des  Perikles,  in  ihren  Grundlagen  unverändert.  Während  die 
Kitharöden,  welche  am  Anfange  des  fünften  Jahrhunderts  die 
Griechen  entzückten,  über  dem  Ruhme  der  jüngeren  Neuerer 
völlig  vergessen  wurden,  verdankt  eine  Frau  ihrem  Geschlechte') 
imd  ihrer  eigenartigen  die  Gelehrten  anziehenden  Mundart,  dass 
sie  von  diesem  Schicksale  ausgenommen  blieb. 

Die  rührigste  Stadt  des  östUchen  Böotiens,  das  durch  sein 
Kunstliandwerk  allbekannte  Tanagra,  wies  den  Fremden  stolz 
das  Bild  der  einheimischen  Dichterin  K-orinna*)  in  Stein  und 
gemalt^),  aber  viel  glaubwürdiges  bekamen  jene  dabei  nicht 
zu  hören  ^).  Dafür  fabelte  man  allerlei  über  ihr  Verhältnis  zu 
ihrem   genialen  jüngeren  Zeitgenossen  Pindar,   wobei   sie   im 


1)  Vgl.  Dio  Chrysoet.  11,  9. 

2)  Ueber  diesen  handelte  Hieronymos  im  f&nften  Bache  des  Werkes 
-rcspl  «ofrjxÄv  (Athen.  14,  685  £)• 

3)  Kitharödin  war  anoh  Glanke  (Platarch.  de  solertia  anim.  18  a.  E.). 

4)  F.  Gottl.  Welcker  de  Erinna  et  Ck>rinna  poetriis,  Eüeine  Schriften 
n  S.  145  ft;  Ygl.  Böckh  znm  Ck>rpns  Inscriptionnm  Graecarnm  I  p.  720  ff. 
Zum  Namen  veigleiche  man  Kopcwu»  (Ck>llit2  599?)  nnd  K6piXXa  (Larfeld  184 
=r  Ck>Uitz  635);  ist  Koppivdc^a^  (Larfeld  219  =  GoUits  770)  verschrieben? 
Aber  anch  in  Handschriften,  z,  B.  des  Hephaistion  steht  K6ppiwa.  Tanagra 
war,  wie  Fr.  20  zeigt,  die  Heimat;  Soidas  leitet  sie  als  angebliche  Lehrerin 
Pindars  von  Theben  her. 

5)  Die  Statne  war  von  dem  BQdhaner  Silanion  (Tatian.  adv.  Oraec  52); 
aber  das  Gemftlde  Pansan.  9,  22,  3  (der  auch  von  ihrem  Grabe  spricht). 

6)  Nach  Snidas  hiessen  die  Eltern  Acheloodoros  und  Prokrat«ia. 


Digitized  by 


Google 


Die  Bicht  chorische  Lyrik.  47 

vorteilhaftesten  Lichte  erscheint,  sei  es  dass  sie  den  noch 
unklaren  Jüngling  fördert^)  oder  dass  sie  über  den  Meister 
einmal,  nach  anderen  fünfmal  siegt*)  während  Pindar  nicht 
einmal  der  Huhm  selbstbewossten  Gleichmutes  bleibt;  er  soll 
n&mlich  seinem  Zorn  durch  das  Schimpfwort  „Böotisches 
Schwein"  Luft  gemacht  habend,  er,  der  wiederholt  gegen 
diese  sprichwörtliche  Herabsetzung  seiner  Landsleute  protestiert 
hat.  In  ihrem  Eifer  vergassen  jedoch  die  guten  Gelehrten  von 
Tanagra,  dass  Korinna  selbst  in  einem  ihrer  Gedichte  (Fr.  21) 
Murtis,  die  Dichterin  von  Anthedon*),  tadelte,  weil  sie  als 
Frau  mit  Pindar  in  einen  Wettstreit  sich  eingelassen  habe. 

Ausser  Epigrammen  legt  Suidas  Korinna  kitharödische 
Nomen  bei,  die  zusammen  fünf  Bücher  ausmachten^)  und 
mythologische  Titel,  wie  „Heimfahrt**  (des  tanagräischen  Heros 
Orion),  „Jolaos**  und  „Die  Sieben  vor  Theben"  trugen^. 
Ausserdem  dichtete  sie  Lieder  für  die  weiblichen  Festchöre 
ihrer  Bürgerschaft;  ein  solcher  mag  z.  B.  das  Gedicht  auf 
Athenes  wunderbaren  Schild  vorgetragen  haben  ^). 

Der  tanagräische  Dialekt,   in   dem  Korinna  schrieb,   weil 


1)  Vita  Pindari  Z.  124;  Anekdoten  bei  Plutarch.  glor.  Ath.  4  p.  347  f. 
SchoL  Aristoph.  Ach.  728  (720). 

2)  Pansan.  9,  22,  3  (Enstath.  in  D.  11  711);  fünfmal  in  Theben  Aelian. 
TAT.  bist.  13,  25.  Saidas  (cbc  Xd^oc).  Die  Erzähler  bemühen  sich,  das  urteil 
der  Preisrichter  zu  erklären. 

3)  Aelian.  var.  bist.  13,  25. 

4)  Plutarch.  qnaest.  Graec.  40  (Mopxic  mit  altböotischer  Aussprache); 
sie  war  also  weder  die  Lehrerin  Pindars  noch  die  Korinnas  (Suidas).  Tatian 
adv.  Graec.  52  erwähnt  ihre  Statue.  Antipatros  von  Thessalonike  (Anthol. 
Palat.  9,  26,  7)  sagt  sehr  allgemein  Y^^^oa^^a  Müpttv.  —  Die  dritte  Dichterin 
Bdotiens  trug  ebenfalls  den  Namen  Korinna  und  stammte  wahrscheinlich  aus 
Thespiä  (Suidas);  diese,  nicht  die  berühmte  erhielt  den  Beinamen  Mola  (vgl. 
Welcker  a.  O.  S.  153  ff.),  der  sogar  ihren  wirklichen  Namen  verdrängte 
(Suidas  Mola,  9eaiccax4]  XopixY),  Lucian.  muscae  enoom.  11,  verderbt  M6yva  bei 
Grammat.  Leid.  p.  639).  Als  Gegensatz  schwebte  M^Xiooa,  wie  offenbar  die 
Tanagräerin  gleich  Sappho  und  Erinna  (Christodor.  ecphr.  69)  hiess,  vor. 
Welcker  will  nur  eine  Korinna  zugeben. 

5)  Nd(Loi  Xopixot,  vgl.  das  Citat  fr.  9  und  dazu  G^rg.  Ghoerob.  in 
Stndemunds  Anecdota  I  p.  56,  12  t;  Fragmente  bei  Ahrens  de  dialecto 
AeoUea  p.  277  ff.  und  Beigk  HL*  p.  543  ff. 

6)  Kax&nkooQ  2.  4.  *I6Xaoc  5.  *'Ekx'*  IkX  e-fjßacc  6.  Sehr  unsicher  ist 
BocMtoc  1.  und  noch  mehr  ^Ettpoioofx^vcuv  d  Anton.  Liberal.  25. 

7)  Flg.  20.  Antip.  ThessaL  Anihol.  9,  26,  5  t 


Digitized  by 


Google 


48  ni.  Kapitel. 

sie  schon  ihr  Geschlecht  von  dem  internationalen  Wanderleben 
der  griechischen  Lyriken  ausschloss,  verhinderte  zwar,  dass  ihre 
Werke  ausserhalb  Böotiens  Grenzen  populär  wurden ,  aber  er 
gerade  war  es,  der  sie  vom  frühen  Untergange  rettete,  da  die 
Grammatiker  an  den  Dichtungen  Korinnas  die  böotische  Mundart 
studierten,  wobei  sie  leider  Handschriften,  welche  den  spät- 
böotischen  Vokalismus  aufwiesen,  benützten  ^).  Ein  Alexandro» 
verfasste  zu  den  Gedichten  einen  Kommentar*).  Noch  in  der 
Eaiserzeit  waren  vielbelesene  Männer  mit  der  Böoterin  bekannt; 
solche  tadelten  an  ihr  Mangel  an  Schwung  und  die  Schwer- 
verständlichkeit'), doch  gab  es  höflichere  Gelehrte,  welche  der 
Neunzahl  klassischer  Lyriker  Eorinna  als  zehnte  anfügten^). 
Die  Liebeslieder  Ovids  gaben  den  Anstoss,  dass  Korinna  Phanta- 
siename und  Vorbild  geistreicher  Frauen  wurde;  die  Deutsch- 
russin Elisabeth  Kulmann  bemühte  sich,  Korinna  nachzu- 
dichten. 

Der  alten  Kitharödenmanier  hing  noch  der  Philosoph 
Sokrates  an,  als  er  auf  Apollo  ein  Proömium  in  Hexametern 
dichtete^). 

Wiederum  war  ein  Lesbier  und  zwar  diesmal  ein  Mity- 
lenäer^)  berufen,  in  der  Geschichte  der  Kitharödik  Epoche  zu 
macheu.  In  Terpanders  Familie  hatte  sich  die  Kunst  auf 
Aristokleitos ,  einen  Zeitgenossen  der  Perserkriege,  fortgeerbt'). 
Von  diesem  wurde  Phrynis  unterrichtet,  aber  darum  blieb 
er  nicht,  wie  sein  Lehrer,  an  der  überkommenen  Lehre  haften. 
Phrynis  gestaltete  nämlich  den  Rhythmus  mannigfaltiger,  indem 
er  unter  die  Hexameter  lyrische  Masse  mischte^);  in  folge 
dessen  reichten  die  sieben  Saiten  der  terpandrischen  Leier  für 


1)  Rieb.  Meister,  die  griechischen  Dialekte  I  S.  212. 

2)  Schol.  in  ApoU.  Rh.  1,  551,  s.  Maass  Deutsche  Litt.  Ztg.  1887  Sp.  55» 

3)  Statins  silv.  5,  3,  158  tennisqne  arcana  €k»rinnae. 

4)  Bekker  Anecd.  n  p.  751,  26  ff.  Isaak  Tzetz.  proleg.  in  Lycopbr. 
p.  252,  Joh.  Tzetz.  Anecd.  Ozon,  m  334,  24  ff. 

5)  Themist.  orat.  H  p.  27  c;  Bergk  H*  287  f. 

6)  Proklos  bei  Phot.  bibUoth.  p.  320  b  8.  Schol.  Aristoph.  Nub.  965 
(967).  Sohn  des  Eamon,  Timotheos  bei  Plntarch.  de  se  ips.  land.  1.  Nach 
Istros  (Schol.  Aristoph.  a.  O.)  soll  er  früher  Sklave,  zuerst  Hierons,  dann 
Aristokleitos*  gewesen  sein. 

7)  Schol.  Aristoph.  a.  O. 

8)  Proklos  a.  O.  Z.  9. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorisclie  Lyrik.  49 

die  kompliziertere  Begleitung  nicht  mehr  aus  *).  So  wenig  aber 
Terpander  jenes  Instrument  erfunden  hatte',  so  wenig  war 
Phrynis  der  erste,  welcher  auf  neun  Saiten  spielte;  schon  die 
Aegyptier  wussten  ja  mehr  als  sieben  Saiten  zu  handhaben^ 
und  die  Gelehrten  fanden  auch  in  Griechenland  Belege  älterer 
Anwendung^).  Die  konservativen  Spartaner  wollten  allerdings 
von  dem  alten  Brauche  nicht  lassen,  und  Hessen,  wie  man 
sagt,  Phrynis,  als  er  bei  den  Kameen  auftreten  wollte,  die 
überschüssigen  Saiten  wegschneiden*).  In  Athen  scheint  die 
Opposition  mehr  passiv  gewesen  zu  sein,  indem  wohl  die 
Mehrzahl  der  älteren  Vasenbilder  die  terpandrische  Lyra  dar- 
stellt*); allein  zur  Zeit  des  Aristophanes  war  letztere  bereits 
aus  der  Mode  gekommen^.  Auf  der  anderen  Saite  bestand 
eine  Virtuosität  des  Mitylenäers  darin,  dass  er  mit  nicht  mehr 
als  fünf  Saiten  die  schwierigsten  Kompositionen  spielte').  Als 
Dichter  soll  er  frostig  gewesen  sein^).  Phrynis'  Name  ist  mit 
dem  perikleischen  Zeitalter  enge  verknüpft,  weil  er,  wie  in  der 
Einleitung  erzählt  ist  (S.  3),  den  ersten  Sieg  im  kitharödischen 
Wettkampf  der  Panathenäen  davontrug.  Wie  viele  mögen 
darum  gekämpft  haben,  da  Perikles,  um  möglichst  viele  anzu- 
locken, den  Kitharöden  nicht  weniger  als  fünf  Preise  erwirkte  % 
Erschien  schon  Phrynis  den  Verehrern  des  terpandrischen 
Nomos  in  dem  Lichte  eines  kecken  Umstürzlers**^),  so  entfesselte 


1)  Proklos  a.  O.  Z.  10;  Nloomach.  härm.  man.  lib.  n.  p.  35  Meib.  weiss 
mchts  daTon.  Ebenso  schreiben  Nicomachos  (a.  O.)  nnd  Boethios  (mos.  I  20 
p.  208,  10  Fr.)  die  Erfind ang  der  nennten  Saite  dem  Pierier  Theophrastos 
oder  Prophrastoe  zn. 

2)  Wilkinson  the  manners  and  cnstoms  of  the  andent  Egyptians, 
reYlsed  and  corrected  by  S.  Birch  toI.  I.  bildet  p.  476,  242,  1  eine  acht- 
saitige  nnd  p.  477,  243  eine  zehnsaitige  Lyra  ab. 

3)  Artemon  bei  Athen.  14,  636  e. 

4)  Plntarcb.  prof.  in  virt.  13  a.  E.  apophth.  Laced.  p.  220  c;  von  Timo- 
theos  wird  fast  das  gleiche  erzählt  (Artemon  a.  O.,  gefälschtes  Dekret  bei 
Boethins  de  mnsica  p.  182  Friedl.);  ohne  Namen  Dio  Chrys.  32,  67. 

5)  Enrip.  Alcest.  446.  Jon.  881  dag^en  kann  ein  absichtlicher 
Archaismus  sein. 

6)  Fr.  659  Kock. 

7)  Pherekrates  bei  Plntarch.  mns.  30  ev  nivte  xop^alc  ^wSex'  dpjtovlac  fx"*^» 

8)  SchoL  Aristoph.  a.  O.  ans  K'omikem. 

9)  Inschrift  in  Rangab^  antiq.  heUen.  961  =  C.  J.  A.  IE  965  a. 
10)  Vgl.  Aristoph.  Nnb.  971. 

B 1  tt  1 ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  '       4 


Digitized  by 


Google 


50  in.  Kapitel. 

sein  jüngerer  Zeitgenosse  Timotheos  von  Milet*)  einen  wahren 
Sturm  gegen  sich.  Durch  ihn  erhielt  der  kitharödische  Nomos 
die  endgiltige  Fixierung^.  Seine  ersten  Nomen  waren  noch 
in  Hexametern  gedichtet,  wiewohl  der  dithyrambische  Charakter 
der  Sprache  die  zukünftigen  Neuerungen  gewisserraassen  vor- 
bereitete^). Nachdem  nämlich  Timotheos  seine  Selbständigkeit 
errungen  hatte,  band  er  sich  in  den  Metren  nicht  einmal 
soweit  als  Phrynis  an  die  Tradition*)  und  statt  der  sieben- 
oder  neunsaitigen  Lyra  benützte  er  bald  eine  von  ihm  erfundene 
elfsaitige^)  bald  die  asiatische  M&gadis^)  und  ein  zwölfsaitiges 
Instrument^),  weil  er  das  Anziehende  des  aulödischen  Nomos 
auf  den  kitharödischen  übertragen  wollte^;  dabei  wurde  die 
vielleicht  durch  lydische  Melodien  beeinflusste  Musik  süss  und 
einschmeichelnd^),  die  Sprache  durchdrang  statt  apollinischer 
Würde  und  Feierlichkeit  dithyrambisches  Feuer  und  Pathos  *®). 
Selbst  den  gestikulierenden  Chor,  neidete  Timotheos  den  Au- 
löden ") ,  was  bald  auch  die  blossen  Kithara-  und  Flötenspieler 
nachmachten^*);  freilich  bedurfte  der  kühne  Musiker  einer 
mimischen  Begleitung  schon  deshalb,    weil  er  sich   die   hohe 


1)  Milet  ist  durch  sein  eigenes  Zeugnis  (Platarch.  de  se  ips.  laad.  1), 
das  des  Pherekrates  (Platarch.  mos.  30)  und  die  Grabschrift  (Steph.  ßjz, 
n.  MiXir)to(:)  gesichert.  Der  Vater  hiess  Thersandros  (Alex.  Aetol.  bei  Macrob. 
sat  5,  22). 

2)  Proklos  a.  O.  Z.  10  f. 

3)  Plntarch.  mns.  4. 

4)  Hephaestio  p.  66. 

5)  Nioomach.  harmon.  manuale  n.  p.  35  Meib.  Dekret  bei  Boeth.  mos. 
p.  183»  6  Fr.  Suidas. 

6)  Boeth.  mos.  1,  20  p.  209,  1.    Artemon  bei  Athen.  14,  636  e. 

7)  Pherekrates  bei  Platarch.  mos.  30. 

8)  Vgl.  Plato  leg.  3,  700  d. 

9)  Saidas,  vgl.  Platarch.  mas.  12 ;  von  Neuerungen  spricht  Fragm.  post 
Censorin.  12  a.  £. 

10)  Plntarch.  mos.  4  hv  ^ictoi  Scaficfvoüiv  St^opajißtx'^v  Xi£cy ,  vgl.  Plutarch. 
Philopoem.  11  toö  ictpl  r)jv  icot7|otv  0^x00  Qo\LKpi^avxo<:,  Horat.  a.  p.  216  flf. 
Die  Komiker  parodierten  dies  (Antiphanes  bei  Athen.  10,  433  c.  Anaxan- 
drides  11,  455  f ). 

11)  Clem.  Alex,  ström.  1,  365  P,  133  S  vojioo^  icpa>to<;  'j^otv  iv  xoptf»  %oil 
xt^dp(y,  vgl  Aristot.  poet.  1  p.  1447  b  26  ff. 

12)  PhUochoros  bei  Athen.  14,  638  a;  Chares  bei  Athen.  12,  538  f.  Schon 
Aristoteles  i>oet.  1  p.  1447  a  24  deutet  es  durch  die  Worte  xal  ^o^-fitp  an. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  cborische  Lyrik.  51 

Au%ibe  stellte,  Vorgänge  der  Natur,  z.  ß.  einen  Sturm, 
musikalisch  zu  malen  ^).  Wie  es  nicht  anders  möglich  war, 
•erntete  der  radikale  Neuerer,  „der  rothaarige  Milesier"*),  von 
<ien  einen  Hohn  und  Anfeindung^,  von  anderen  überschwäng- 
ücbe  Bewunderung,  z.  B.  belohnte  ihn  die  Bürgerschaft  von 
Ephesos  für  einen  Hymnus  auf  ihre  Stadtgöttin  mit  einer 
Ehrengabe  von  tausend  Goldsekeln  *).  Der  König  Archelaos  lud, 
wie  er  sich  für  alle  Berühmtheiten  Griechenlands  interessierte, 
Timotheos  an  seinen  Hof*);  ohne  Zweifel  versuchte  der  ältere 
Dionysios  dasselbe,  denn  Timotheos  beschloss  erst  357  in  einem 
Alter  von  mindestens  neunzig  Jahren  sein  Leben  ^. 

Die  Werke  des  musikalischen  Revolutionärs'')  füllten  acht- 
isehn  Rollen  und  umfassten  ausser  3(>  Vorspielen  (icpovöiita) 
von  durchschnittlich  etwa  dreissig  Verseng  im  ganzen  acht- 
tausend Verse,  nämlich  19  kitharödische  Nomen,  8  Siaoxeoat 
»(Umarbeitungen?),  18  Dithyramben,  21  Hymnen  und  Loblieder, 
wozu  Suidas  einzelne  Titel  (Artemis®),  Perser**^),  Nauplios,  die 
^hne  des  Phineus,  Laertes)  fügt.  Andere  Titel  sind:  Semeies 
Wehen"),  der  rasende  Aias  (ein  Dithyrambos)^*),  der  Ky- 
klope"),  Niobe**),  Elpenor  und  erst  kürzlich  ist  ein  Nomos, 
^,Klage  des  Odysseus**,  gesichert  worden"). 

1)  Athen.  8,  338  b,  ebenso  das  Jammern  der  gebärenden  Semele,  Strato- 
niko»  bei  Athen.  8,  362  a. 

2)  Pherekiates  bei  Platarch.  mus.  30. 

3)  Pherekrates  a.  O.  Plutarch.   de  aud.  poet.  4  a.  E.  =  snperstit.  10, 

4)  Alex.  Aetol.  bei  Macrob.  saturn.  5,  22. 

5)  Plutarch.  Alex.  virt.  n  1.  reg.  apophth.  'Apx^X.  4.  Steph.  Byz.  und 
MiXir}toc;  dort  soll  er  Enripidee  die  Grabschrifb  verfasst  haben. 

6)  Marmor  Parium  ep.  88  (76);  97  Jahre  gibt  Suidas  an. 

7)  Vgl.  Suidas  u.  Steph.  Byz.  u.  MiXy)to^;  Fragmente  bei  Bergk  II^  619  ff. 

8)  Bemhardy  n  1,  754  schreibt  sie  dem  Flötenspieler  Timotheos  zu, 
-welcher  bei  Alexander  dem  Grossen  lebte  (Chares  bei  Athen.  12,  538  f  n.  A.). 

9)  Ein  Sololied  nach  Plutarch.  (s.  A.  3). 

10)  Nach  Plutarch.  Philop.  11  und  Pausan.S,  50,  3  ein  kitharödischerNomos. 

11)  S.  A.  1,  Dekret  bei  Boethius  de  rausica  p.  182;  (das  gleiche  Thema 
behandelten  Flötenspieler,  Bio  Chrysost.  78,  32). 

12)  Lucian.  Harmonid.  1. 

13)  Vgl.  Suse  mihi  Rhein;  Mus.  35,  486  ff. 

14)  Dithyrambos  nach Lübbertde Pindari  carminibus  dramaticis p.  18  ff. 

15)  Durch  einen  Papyrus  Rainer,  s.  Gomperz  Anzeiger  d.  philos.  bist.  Klasse 
^.  Wiener  Akad.  1886, 10.  Febr.  u.  Jahrbb.  f.  Phil.  133,  771  ff. ;  vgl.  Aristot.  poet. 
15.  26,  'OSooottac  8'  Origenes  bei  Etym.  Magn.  p.  630,  42  ff. 

4* 


Digitized  by 


Google 


52  ni.  Kapitel. 

,  Nach  dem  Tode  des  Musikreformators  verstummte  die 
Opposition  und  man  rechnete  ihn  einstimmig  zu  den  Klassikern 
seiner  Kunst,  weshalb  in  Athen  und  an  anderen  Orten  Timo- 
theos'  Dithyramben  immer  wieder  aufgeführt  wurden*)  und 
unter  den  Statuen  der  berühmtesten  Schriftsteller,  welche  die 
Bibliothek  von  Pergamon  zierten,  den  neuesten  Ausgrabungen 
zufolge  die  des  Timotheos  nicht  fehlte.  Nicht  einmal  in  der 
Kaiserzeit  erfuhr  sein  Ruhm  eine  Minderung*),  wenn  schon 
Polyidos'  Manier  beliebter  war*). 

Von  den  Kitharöden,  welche  mit  Timotheos  nicht  konkur- 
rieren konnten,  zieht  ein  geistreicher  Mann,  der,  als  Musiker 
nicht  so  schöpferisch  %  das  unstäte  Zigeunerleben  dieser  Virtu- 
osen auf  das  beste  vor  Augen  führt,  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  sich;  der  Athener  Stratonikos  durchzog,  bald  als  Kitha- 
röde  auftretend,  bald  die  Kithara  allein  spielend,  bald  auch 
die  Theorie  der  Musik  und  Komposition  lehrend^),  die  klein- 
asiatischen Seestädte  und  Inseln  von  Phaseiis  an  bis  hinauf 
nach  Herakleia  und  die  thrakische  Küste  von  Byzanz  bis 
Makedonien®).  Im  eigentlichen  Griechenland  trat  er  bei  den 
Volksfesten  auf  ^),  doch  ebenso  sehr  war  er  in  halbbarbarischen 
Fürstenpalästen,  wie  bei  dem  pontischen  Könige  Berisades  und 
Euagoras'  Sohn  Nikokreon  zu  Hause  ^).  Doch  bei  diesem  stürzte 
ihn  die  vorlaute  niemand  schonende  Zunge  in  das  Verderben: 
Durch  eine  Aeusserung  gereizt,   brach  die  gewaltthätige  Natur 


1)  ^At3|jLa  'EXTCTjvtüp  Tt|jLo^ioo  erscheint  zweimal  auf  einer  athenischen 
Choregeninschrift  von  320/19  (U.  Köhler  Mittel!,  des  deutschen  archäol. 
Inst,  in  Athen  10,  231  flf.);  CIG.  3053  =  Le  Bas  Asie  Mineure  81.  Lucian. 
Harmonid.  1.  Pausan.  8,  50,  3. 

2)  Diodor.  14,  46  a.  E.  (und  zwar  rechnet  ihn  dieser  zu  den  Klassikern 
des  Dithyramhos).    Dio  Chrysost.  32,  61. 

3)  Plntarch.  mus.  21. 

4)  Ueber  das  von  ihm  eingefdhrte  spricht  Athen.  8,  349  de. 

5)  Aus  Athen:  Phanias  bei  Athen.  8,  352  c;  Kitharöde:  Machon  bei 
Athen.  8,  349  de;  Kitharist:  Klearchos  bei  Athen.  8,  349f;  vgl.  347  f.  348  d; 
Lehrer:  Athen.  8,  348 d.  352  a.    Phanias  bei  Athen.  8,  352  c. 

6)  S.  die  Anekdoten   im   achten  Buch  des  Athenaios  p.  349  f  —  352  b. 

7)  Z.  B.  in  Sikyon  Ath.  8,  351  e  f.  352  b;  Aufenthalt  in  Korinth: 
Machon  349  d. 

8)  Machon  bei  Ath.  8,  349 df;  natürlich  nicht  auch  bei  einem  Ptole- 
mäer,  wie  Capito  350  c  behauptete. 


Digitized  by 


Google 


Die  nicht  chorische  Lyrik.  53 

<ies  Fürsten  unter  dem  dünnen  Firnis  isokrateischer  Bildung 
hervor  und  Stratonikos  wurde,  kurzweg  bei  Seite  geräumt^). 
Wo  sind  die  anderen  Leuchten  der  Kitharödik  geblieben, 
der  Thebaner  Kleon,  welcher  doch  „mehr  Kränze  als  je  ein 
Sterblicher  empfing",  wie  die  Inschrift  seiner  Statue  versicherte*), 
Aristonus,  sechsmal  pythischer  Sieger*),  Amoibeus,  der 
in  Athen  für  jedes  Koncert  ein  Talent  bekam*),  der  bei  den 
Pythien,  Kameen  und  Panathenäen  von  Nike  begünstigte 
Exekestides*)  imd  vollends  die  lange  Reihe  weniger  hervor- 
ragender oder  weniger  glücklicher  Musiker*)?  Dem  Kitharöden 
flocht  in  Wahrheit  die  Nachwelt  keine  Kränze,  denn  nur  dem 
Meister  ersten  Ranges  bewahrte  sie  ein  dauerndes  Andenken. 
Aber  weil  die  Kitharöden  allem  Anscheine  nach  den  Text 
sehr  nebensächlich  behandelten,  dauerten  die  vorzügüchsten 
Lieder  besten  Falls  bis  zur  Aufhebung  der  hellenischen  Feste, 
mit  anderen  Worten  so  lange  sie  gesungen  und  gespielt 
wm'denj  Leser  fanden  sie  nicht. 


1)  Er  wurde  nach  Phanlas  a.  O.  352  d  vergiftet,  nach  Machon  a.  O. 
nächtlicher  Weile  in  das  Meer  geworfeD. 

2)  Athen.  1, 19  b;  er  trug  den  Beinamen  Booc  (Machon  bei  Athen.  8,  349  c). 

3)  Plutarch.  Lysand.  18. 

4)  Aristeas  bei  Athen  14,  623  d. 

5)  Aristoph.  Av.  11  mit  Scholien. 

6)  Zafimig  sind  noch  folgende  Namen  erhalten:  Alkaios  Enpolis  fr. 
280  bei  Schol.  Aristoph.  Thesm.  162;  Arignotos  Aristoph.  Eq.  1277  ff. 
Yesp.  1275  ff.  Aischines  bei  Athen.  5,  220  b;  C  hairis  Pherekratee  bei  Schol. 
Aristoph.  Av.  858;  Dexitheos  SchoL  Aristoph.  Acham.  11  (noO-iovixYig) ; 
Kaiadas  Pansan.  1,  8,  4  (s.  dazn  MilchhÖfer  Baumeisters  Denkm.  des 
JÜass.  Alterth.  I.  S.  165);  Meles  (Sohn  des  Peisias  und  Vater  des  bekannten 
Kinesias)  Pherekrates  a.  O.;  Mose  hos  Aristoph.  Acharn.  13  mit  Scholien; 
Kikon  Aristot.  rhet.  3,  11  p.  1412a  34;  Propis  von  Rhodos  Klearchos  bei 
Athen.  8,  347  f. 


Digitized  by 


Google 


IV.  Kapitel. 
Chorlieder. 

Das  Chorlied  im  Allgemeinen;  Simonides,  Bakcbylides  nnd  Pindar; 
der  klassische  Dithyrambos. 


Wenn  die  Griecbeu  ihren  Gtöttem  von  Staatswegen  eina 
poetische  Huldigung  darbrachten,  geschah  diese  regelmässig  in 
der  Form  des  Chorliedes,  weil  der  Chor  gewissermassen  eine- 
Gesandtschaft  der  gesammten  Bürger  darstellte.  Wäre  man 
auch  aus  der  Ausschliessung  der  Fremden  einen  ähnlichen 
Schluss  auf  den  Dichter  und  „Lehrer''  (SiSdoxaXoc)  des  .Chore» 
zu  machen  berechtigt,  zogen  doch  die  Griechen  in  Wirklichkeit 
oft  dem  Mitbürger  einen  bedeutenderen  Fremden  vor,  selbst- 
wenn  derselbe  nicht  persönlich  zur  Einstudierung  seiner  Dichtung 
herreisen  konnte.  Dies  war  nämlich  eine  ungemein  schwierige 
und  verantwortungsvolle  Aufgabe,  welche  der  Dichter,  wenn 
möglich,  selbst  besorgte;  andern  Falls  sandte  er  einen  ver- 
lässigen Stellvertreter,  zu  welchem  Auskunflsmittel  der  viel*^ 
umworbene  Pindar,  der  selbst  seine  Laufbahn  in  diesem  Amte 
begonnen  hatte  ^),  zu  wiederholten  Malen  sich  entschloss  *). 

Die  Kunst  des  hellenischen  Lyrikers  war  nicht  wenig^ 
mühevoll.  Der  Gegenstand  seiner  Lieder  war  in  der  Regel 
schon  oft  behandelt  und  schwer  von  einer  neuen  Seite  aufzu- 
fassen^), weshalb  die  Dichter  ausdrücklich  ihre  Selbständigkeit 

1)  Eostath.  Tita  Find.  §  27. 

2)  Pyth.  2,  68  xolt .  . .  (jl^Xoc  6iclp  icoXi&c  dXöc  ictjucttat,  ähnlich  OL 
7,  8.  Nem.  3,  77.  fr.  124  (89),  2.  Der  SteUvertreter  wird  OL  6,  88  genannt 
und  erh&lt  Y.  90  f.  die  ehrenvollen  Beinamen  'Hox6{i.u>v  oxotdXa  Moto&Vy. 
7X0X6C  xpat^p  ä'^aff^ir^^xtü'^  äot^v. 

3)  BakchyUdes  fr.  U;  vgl.  Pindar.  Nem.  6,  61  f. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  55 

ZU  rühmen  pflegen^).  Weil  es  umso  schwerer  fiel,  gegen  eine 
ältere  ähnliche  Dichtung  aufkommen,  lässt  sich  Pindar  einmal 
zur  Bitte  herab ,  man  möge  zwar  den  alten  Wein ,  aber  die 
Blüte  neuer  Lieder  vorzuziehen*),  weil  die  Leute  gegen  alles 
Neue  Vorurteil  hegen  *).  Zum  Worte  müsste  der  Dichter  sodann 
den  Rhythmus  und  die  Musik  selbständig  erfinden.  Das  Mittel- 
alter hat  von  seinen  Lyrikern  ähnliches  gefordert,  während  man 
aber  damals  zufrieden  war,  wenn  ein  Sänger  seinen  eigenen 
„Ton"  erfand  oder  höchstens  einige  neue  dem  überkonmienen 
Gemeingute  an  Melodien  hinzufügte,  sah  sich  der  Grieche 
genötigt,  innerhalb  der  üblichen  Tonarten  —  zur  Zeit  des 
Simonides  und  Pindar  ward  ausser  den  später  gebräuchlichen 
auch  die  lokrische  angewendet*)  —  für  jedes  neue  Festgedicht 
eine  neuartige  Kombination  von  Versmassen  auszusinnen^). 
Daher  der  überraschende  Reichtum  der  hellenischen  Metrik 
und  die  zahlreichen,  beinahe  sich  überstürzenden  Neuerungen 
in  der  Musik  ^! 

Damit  nicht  genug  1  Er  durfte  nicht  vergessen,  dem  Chor 
für  den  Tanz  Anweisungen  zu  geben,  worunter  die  Hellenen 
allerdings  nicht  unseren  Tanz,  sondern  wie  ihre  heutigen  Ab- 
kommen, wohlabgemessene  anziehende  Körperbewegungen  und 
bunt  verschlungene  Reigen  verstanden^).  Jene  schlössen  sicii 
zur  Zeit  Pindars  an  den  Text  pantomimisch  an^^   die  Fuss- 


1)  Terpand.  5,  2  viooc  x8XadY]ao{jLsy  5|jLyooc.  Alcraan  fr.  1  jieXoc  v80X}iov. 
Find.  Ol.  3,  4  veooi'YaXov  töpdvxt  Tpoicov.  Isihin.  4(5),  63  viov  Sjivov.  Fragm. 
ndesp.  lyr.  112  p.  724  ved^ota  |is).sa  (imitiert  Hör.  carm.  4,  9,  3). 

2)  Ol.  9,  48. 

3)  Nem.  8,  20  f. 

4)  Herakleides  Pontikos  bei  Athen.  14,  625  e. 

5)  Die  dritte  isthmische  Ode  darf  nicht  in  zwei  Gedichte  gespalten 
werden,  wie  nach  dem  Vorgange  von  codex  Yaticanos  B  alle  Heransgeber 
vor  BÖckh  ausser  der  Aldina,  nachher  Bergk,  Bulle  Pindars  dritter  and 
vierter  isthmischer  Siegesgesang,  Pr.  von  Bremen  1869  nnd  O.  Schröder 
stndia  Pindarica,  Berlin  1878  behaupten. 

6)  Vgl.  Anaxilas  bei  Athen.  14,  623  f:  'H  jioootx-)]  8*tt>o«sp  AtßoT)  itpög 
xiov  dtfttv  äEi  ti  xaivöv  xax'  Iviaotöv  ^ptov  xixtei  (Kock  11  272). 

7)  Pindars  GMichte  liefern  über  den  Tanz  folgende  Andeutungen :  Pyth. 
1,  2  ßaatc,  Ol.  13,  114  xo6(foic  icootv,  14,  17  xoo<pa  ^ißatyr*,  Nem.  8,  19  totafiai 
xoool  xo6tpotc,  vgL  dazu  1599  ff.  Callimach.  hymn.  3, 246  f.  ApoUon.  Argon.  1,539. 

8)  Athen.  1,  15  d;  daraus  dürfte  die  auffaUende  Bemerkung  entstanden 
sein,  dass  Pindar  die  6ic6px'y]otc  einführte  (Clem.  Alex,  ström.  I.  p.  365  P,  183  S). 


Digitized  by 


Google 


56  rV.  Kapitel. 

bewegungen  aber  waren  danach  verschieden,  ob  der  bekränzte 
Chor  in  Prozession  das  icpoodStov  singend,  zum  Heiligtum 
wandelte  oder  im  Inneren  eines  Tempels  vor  dem  göttlichen 
Bilde  stand  oder  endlich  in  Mitten  einer  Festversammlung  um 
den  Altar  und  die  Statue  des  gefeierten  Gottes  einen  Kreis 
bildete,  wobei  sich  die  Tanzenden  bei  den  Händen  hielten^). 
In  Athen  sprach  man  daher,  die  viereckigen  Chöre  des  Dramas 
in  Gegensatz  stellend,  von  den  „kreisrunden"  Ijrrischen  Chören 
(x6xXtot  x^P^O^  ^^^  ^^S^  ^^^  Tanzplätze  (öpx^^'cpat)  in  Form 
eines  vollen  Kreises  an*).  Der  Dichter  hatte  nicht  bloss  für 
den  Chor  einen  zierlichen  Reigen  zu  erfinden,  sondern  er  führte 
selbst  mit  der  Lyra  den  Chor  und  stimmte  den  Gesang  persönlich 
an*);  doch  gab  es  Fälle,  wo  ein  Mitglied  des  Chores  selbst, 
wie  der  jugendliche  Sophokles,  dieses  Ehrenamt  erhielt^). 

Der  Schauplatz  des  reügiösen  Chorliedes  war  im  allgemeinen 
natüriich  das  heilige  Gebiet  des  Gottes,  dem  die  jeweilige  Feier 
galt,  in  Athen  also  z.  B.  an  den  Dionysien  das  Dionysostheater, 
bei  den  Thargelien  hingegen  die  dem  pythischen  Apollo  geweihte 


1)  Aristoph.  Thesm.  953  flf.  8pji.a  x^^P^^  xoöcpa  «ootv,  Ä^'  «Ic  xoxXov,  y(tip\ 
oüvaitte  x"P»-  958.  968.  Ran.  440.  Av.  1379  u.  Sp.;  um  Altar  und  BUd: 
Eurip.  Iph.  Aul.  1480  ff.  iXiaott*  &|jL<pl  ßu>|jL6v  tocv  Svaaoav  '"Aptepity.  Callimacb. 
bymn.  3,  267  icepl  ßa>|jLÖv  xoxXu»aaa^at.  4,  312  f.  ApoU.  Argon.  1,  538,  daher 
Soph.  Oed.  R.  161  a  xoxXoevt'  ^c^opA^  6'p6vov  thvXia  ^<koou  (über  diesen 
weit  verbreiteten  Gebrauch  s.  Grünbaum  Ztschr.  d.  deutschen  morg.  Ge- 
sellsch.  40,  277  f.);  der  Chor  hält  sich  an  den  Händen:  lUas  S  594.  Eurip. 
Herc.  für.  689  f.  Aristoph.  Thesm.  955,  daher  xop^v  &^m[i.zv  AeschyL  Eumed.  307. 

2)  Eurip.  Hei.  1312  (vgl.  Iph.  Aul.  1055).  Aristoph.  Nub.  333.  Ran. 
366.  Gerytad.  fr.  bei  Athen.  12,  551  c  (vgl.  Av.  918).  Pherekrates  bei  Plut. 
mus.  30.  Lys.  21,  2  (die  Handschriften  haben  xuxXtx<}>  x^?^*  ^^^  Athen.  12, 
551  b).  Xenoph.  oecon.  8,  20.  Aeschin.  3,  232  u.  Sp. ;  xoxXioBi^daxaXoc  heisst 
der  Dichter  Aristoph.  Av.  1403.  Der  Vater  des  Arion  hat  den  Namen  Kox- 
Xeuc.  K6xXiO(:  ist  auch  ein  Beiname  einer  Art  von  Daktylen  und  Choriamben 
(Christ  Metrik  der  Griechen  und  Römer  8.  74).  Weil  in  Athen  der  Dithy- 
rambos  überwog,  schränken  späte  Grammatiker  den  Namen  auf  ihn  ein. 

3)  Dörpfeld  in  A.  Müllers  griech.  Bühnenalterth.  S.  414;  dies  sichert 
die  oben  gegebene  Erklärung  des  Namens  (s.  auch  Bergk  reliq.  comoed. 
Att.  p.  83,  Wecklein  PhUol.  31,  467  ff.,  Härtung  Philol.  1,  401  ff). 

4)  Darum  spricht  Pindar  in  der  ersten  Person  der  Einheit  und  von  dem 
($dtpxtt>v  des  Dithyrambos  leitete  Aristoteles  den  Schauspieler  •  Dichter  der 
ältesten  Tragödie  ab. 

5)  Daher  sagt  ein  Skolion  (19  p.  649  Bergk) :  ETO-t  Xopa  xaX-^  •^tvoiii.fiv 
^XstpavxivY)  xai  {xe  xaXol  ical$8(  fpipotev  Aiovuaiov  t(  )^op6v. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  57 

Stätte^).  Weiterer  Vorkehrungen,  z.  B.  eines  Gerüstes,  wie 
man  gemeint  hat*),  bedurfte  der  Chor  nicht;  die  Griechen 
stellten  aber  Beobachtungen  darüber  an,  wie  der  Boden  be- 
schaffen sein  müsse,  um  eine  gute  Resonanz  zu  geben  ^), 
Höchstens  zog  man  Linien  oder  unterstützte  die  Aufstellung 
der  Reihen  durch  schachbrettartige  Pflasterung  der  Orchestra*)* 
Nicht  selten  gab  der  Staat  ohne  weiteres  einem  bestimmten 
Dichter  den  Auftrag,  ein  Festlied  zu  dichten,  und  dieser  Fall 
trat  immer  ein,  wenn. ein  Privatmann  eine  Feier  veranstaltete; 
bei  grossen  Festen  hingegen,  die,  von  Alters  her  abgehalten, 
eine  mehr  als  lokale  Bedeutung  gewonnen  hatten,  standen  dem 
Tüchtigsten  Preise  in  Aussicht,  z.  B.  bei  dem  uralten  Feste 
der  heUkonischen  Musen*).  Diese  Form  wählten  die  Athener 
dem  demokratischen  Princip  der  freien  Konkurrenz  zu  Liebe, 
wenn  der  Preis  gleich  nicht  dem  glücküchen  Dichter,  sondern 
nominell  der  von  dem  Chor  gleichsam  vertretenen':  Phyle 
des  Volkes  zufiel^.  Ihr  glänzendstes  Fest,  wo  Chöre  von 
Knaben  und   Erwachsenen  in   einen  solchen  Wettkampf  ein- 

1)  Daher  wurden  dort  von  Siegern  Dreifüsse  aufgestellt  (Isaeas  5,  41. 
Plat.  Gorg.  472  a.  CIA.  I.  422). 

2)  Mit  der  Thymele  (die  verschiedenen  Aasichten  zählt  A.  Müller 
griech.  Bohnenalterth.  S.  129  ff.  anf)  dürfte  es  sich  folgendermassen  verhalten: 
Die  Tragiker  gebrauchen  das  Wort  ^o^jl^Xy]  in  der  Bedeutung  Altar  oder 
HeUigtum  (A.  Müller  a.  O.  S.  130  A.  3.  4),  andere  Dichter  von  der  diony- 
sischen Orchestra  (Pratinas  fr.  l,  2  InX  Aiovu3ia8a  izoXoiza'za'^aL  ^oiLikoLv.  Frg. 
adesp.  lyr.  107  p.  723.  Simmias  Authol.  Pal.  7,  21,  3.  CIG.  6750).  Später 
bedeutet  6v(iiXv)  das  in  der  Orchestra  aufgeschlagene  Gerüst  (auf  einem  Vai^n- 
bild  Annali  d.  Inst,  archeol.  1871  t.  d*agg.  J  roh  abgebildet),  wo  die  davon 
^{jLs/.ixol  genannten  Musiker  und  Sänger  auftraten.  Während  Thomiis  Mag. 
p.  179R.  den  Sachverhalt  richtig  darstellt,  hat  Pollux  4,123  durch  die  Worte 
sits  ßrjfjid  t:  ouca  eitt  ßa>)i.6<;  Verwirrung  gestiftet;  ß*/)}!.»  ist  einfach  ein  nnklassi- 
scher  Anachronismus,  wie  in  der  Anekdote  Anecd.  Oxon.  IV  253. 

3)  Aristot.  probl.  11,  25  ^lä  xt  ßxav  a^^P^^^''^^  ^^  öp^'^jotpat,  •Jjttov  ol 
yoftol  '^v^iit'^aQiv;  gewöhnlich   waren   sie  gepflastert   (A.  Müller  a.  O.  S.  37). 

4)  Linien:  Hesych.  u.  •^^a\i.[i.a\;  Schachbrett  im  Odeion  des  Herodes. 

5)  Eine  Siegerinschrifb  teilt  Athen.  14,  629  a  mit.  (Im  Text  des  Athe- 
naioe  ist  icai2a>v  <%a\  öcvBpÄv»  hpx'^'^^^^  zu  schreiben).  In  lasos  wurde  zur 
Zeit  Alexanders  des  Grossen  ein  Agon  abgehalten,  laut  der  Inschrift  CIG.  2671, 
20  p.  461.  Einen  Agon  nimmt  Fr.  Thiersch  (in  seiner  Uebersetzung  Pindars 
I  8. 99)  auf  Grund  von  Pind.  Byth.  1,  45.  Nem.  4,  37  f.  9,  54  f.  auch  für 
manche  Siegeslieder  an ;  vgl.  auch  Croisetla  poesie  de  Pindare  ^d.  IL  p.  42  ff. 

6)  S.  5  A.  4. 


Digitized  by 


Google 


58  IV.  Kapitel. 

traten,  waren  unstreitig  die  grossen  Dionysien  und  ihnen  zu- 
nächst die  Lenäen,  beide  den  Dithyrambikern  offen  stehend; 
zu  Ehren  Apollos  wetteiferten  an  den  Thargelien  Chöre  ^), 
während  die  Stadtgöttin  eine  ähnliche  Huldigung  an  dea 
grossen  und  kleinen  Panathenäen  erhielt  ^.  Die  Summen, 
welche  Athen  in  dem  Jahrhundert  von  Beginn  der  Panathenäen 
bis  zu  Demosthenes'  Zeit  für  diesen  Zweck  ausgab,  waren 
riesige;  man  denke  nur,  dass  Dichter  und  Flötenspieler^ 
Honorar  bekamen  und  die  Choreuten  Dicht  bloss  zu  bezahlen 
waren,  sondern  auch  einen  glänzenden  Unterhalt  beanspruchten, 
dann  aber  vor  allem,  dass  der  Ehrgeiz  der  Choregen  Gold  und 
Purpur  für  die  Kostüme  des  Chors  bald  unentbehrlich  werden 
liess.  Trotz  dieses  verschwenderischen  Aufwandes  blieb  Athen 
die  Genugthuung,  einen  einheimischen  Lyriker  von  Bedeutung 
aufweisen  zu  können^),  versagt,  weil  die  durch  Talent  und 
Kunst  dazu  befähigten  Männer  die  Tragödie  vorzogen,  wogegen 
Sparta,  der  angebliche  Militärstaat,  zahlreiche  Liederdichter 
besass  ^).  Sowohl  die  äussere  Ueberzahl  der  Poeten  als  die  grund- 
legenden Dichtungen  eines  Stesichoros  und  das  musikalische 
Primat,  welches  das  dorische  Argos  zur  Zeit  Solons  inne  hatte  % 
hatten  die  nach  griechischen  Verhältnissen  notwendige  Folge, 
dass  der  dorische  Dialekt,  wenn  auch  durch  viele  epische 
Zusätze  des  Partikularismus  entkleidet,  die  Kunstsprache  der 
chorischen  Lyrik  wurde. 

Wie  die  Tragödie,  ruht  die  Lyrik  der  klassischen  Zeit  auf 
drei  mustergiltigen  Dichtem:   Pindar,  Simonides  und  Bakcliy- 


1)  DaraDf  beziehen  sich  die  6.  Bede  dee  Antiphon  nnd  die  21.  des 
Lysias,  vgl.  S.  57  A.  1  nnd  Ps.  Xenoph.  de  rep.  Athen.  3,  4. 

2)  Lys.  21,  2,  Tgl.  Ps.  Xenoph.  a.  O.  Demosth.  21,  156.  Ein  nicht- 
dionysischer Chor  ist  anf  dem  bekannten  Relief  des  Atarbos  daigestellt  (L.  v. 
Sybel  Katalog  der  Scnlptnren  zn  Athen  S.  385  Nr.  6151,  abgebildet  bei 
Benl^  Vacropole  d' Äthanes,  Paris  1854  n  pl.  4). 

3)  Ein  Flötenspieler  gehört  zu  jedeo  Chor;  dämm  hUt  Aristoteles 
(polit.  8,  6  p.  1341  a  33)  einen  Fall,  wo  ein  spartanischer  Chorführer  selbst 
die  Flöte  blies,  der  Anfzeichnnng  für  wert. 

4)  Plntarch.  glor.  Athen.  5. 

5)  Athen.  14,  632  f. 

6)  Vgl.  Herod.  3,  131. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  59 

• 

lides^),  deren  grosse  Stilverschiedenheit,  wenn  die  äusseren 
Zeugnisse  fehlten,  kaum  ahnen  liesse,  dass  sie  Zeitgenossen  waren. 
Der  älteste  von  ihnen  war  der  bald  nach  Peisistratos' 
erstem  Staatsstreiche  in  der  keischen  Stadt  lulis  dem  Leoprepes 
geborene  Simonides*).  Der  glückliche  Stern,  unter  welchem 
sein  Leben  dahinfloss,  ebnete  ihm  schon  in  der  Jugend  den 
schwierigen  Weg  zum  Dichtertum.  Sein  gleichnamiger  Gross- 
vater war  nämUch  Dichter  und,  beruht  auch  die  Angabe,  dass 
er  noch  488  (Ol.  72,  4)  in  Athen  einen  Sieg  davontrug  •),  auf 
Verwechslung,  so  führte  er  doch  auf  jeden  Fall  den  Enkel  in 
die  verwickelte  Kunst  des  hellenischen  Lyrikers  ein.  Auf  Keos 
selbst,  wo  man  besonders  Dionysos  durch  Feste  ehrte ^),  hatte 
der  junge  Dichter  Gelegenheit  genug,  um  die  Lehre  des  Gross- 
vaters thäüg  zu  erproben^).  Griechenland  wurde  auf  das  neue 
Grenie  zuerst  aufmerksam,  als  er  unter  der  Herrschaft  der 
Peisistratiden  in  Athen  erschien*).  Dann  begann  ein  wahrer 
Siegeszug  durch  alle  griechischen  Gaue;  oder  verdient  der 
Dichter  dieses  Wort  nicht,  dessen  sechsundfünfzig  Ehrenpreise 
gewiss  kein  anderer  vor  oder  nach  ihm  aufzuweisen  hatte  ^)? 


1)  Von  den  nenn  oder  Eehn  Elasaikem  der  Lyrik  gehören  die  drei  ge- 
nannten in  diese  Periode;  als  die  Römer  unter  jenen  eine  engere  Wahl  trafen, 
fiel  sie  anf  Simonides,  Pindar  nnd  Alkaios  (Hieron.  epist.  53,  7). 

2)  Chamaileon  schrieb  über  ihn  (Athen.  10,  456c.  18,  611a.  14,656c); 
Simonidis  carminam  reliqniae  ed.  F.  G-.  Schneidewin,  Brannschweig  1885, 
Fragmente  bei  Bergk  III^  p.  382  ff.;  E.  Cesati  Simonide  di  Ceo,  Casale  1888. 
Das  Qebnrtsdatnm  bei  Eosebios  (Ol.  55,  4  armenisch  und  Hieron.  A,  55,  1  PS 
oder  Ol.  56,  1  irrtümlich  ab  Blütezeit  bei  Snidas  nnd  CyriU.  contra  Julian.  I 
p.  13  nnd  obendrein  nach  OL  53  verschoben  Chronicon  Paschale  p.  143  Dn- 
cange)  ist  ans  epigr.  147  errechnet;  der  Vater  hiess  Leoprepes:  Epigr.  146. 
Herod.  7,  228;  Inlis:  Qrabschrift  bei  Tzetz.  Chil.  1,  685  ff.  Chamaileon,  vgl. 
Athen.  10,  456 d;  der  Phratrie  nach  TXtxldY)^  (O.  Schneider  Callimaohea 
n  8.  234). 

3)  Marmor  Parinm  Z.  64. 

4)  Halbherr  Mnseo  Italiano  di  antichitä  dassica  I  p.  192. 

5)  CHuimaileon  bei  Athen.  10,  456  f  (das  Erzählte  brancht  allerdings 
nicht  gerade  in  seine  Jngend  zn  fallen). 

6)  Ps.  Plat.  Hipparch.  228  c;  daher  wird  seine  Blüte  von  den  Chrono- 
graphen in  diese  Zeit  gesetzt  (Enseb.  armen.  Ol.  60,  4,  Hieron.  AF  60,  1, 
P  59,  4,  vnlg.  61,  8,  Synkell.  62,  8,  Suidas  ol  3i  62);  Bival  des  Lasos  Aristoph. 
Veap.  1450. 

7)  Orabschrift  Y.  1  (55  nach  Tzetz.  Chil.  4,  487,  einer  seiner  zahlreichen 
OedJkhtoisfehler). 


Digitized  by  CjOOQ IC 


ßO  IV.  Kapitel. 

# 
Wir   können   dem   nnstäten    Manne    auf  seinen    Kreuz-    und 

<^uerzügen  nicht  folgen^).    Marksteine  seines  Lebens  sind  zwei 

Athenische   Siege;    den    ersten    trug  er,    als  die  Athener  eine 

Elegie    auf    die    bei   Marathon    Gefallenen    wünschten,    über 

Aeschylus   davon,  wie  dessen  Biographen  melden.     Der  zweite 

fiel  477  (Ol.  75,4)  dem  volle  achtzig  Jahre   alten  Dichter  zu, 

äIs  Aristeides  der  Gerechte  sein  Chorege  war*).     Bald   darauf, 

vielleicht  schon  476  (Ol.  76,  1),  folgte  der  lebensfrische  Greis 

«iner  Einladung  Hierons  und  genoss  in  Syrakus,    weil  er  den 

Tyrannen  in  Dichtungen  verherrlichte'),  das  höchste  Ansehen*), 

wodurch  es  ihm  möglich  wurde,  einen  Krieg  zwischen  Hieron 

und  dessen  Schwiegervater  Theron,  dem  Tyrannen  von  Akragas, 

beizulegen^).     Ol.  78,  1  (469/8)  ist  Simonides  im  Vollgenusse 

der  Fürstengmist,    dem  neunzigsten  Jahre   nahe,   gestorben^); 

sein  Grab  lag  vor  den  Mauern  von  Syrakus,    bis  es  bei  einer 

Belagerung  zerstört  wurde  ^). 

Dass    Simonides    Weltmann    comme    il    faut   war,    darin 

stimmen    alle    überein.     Mit    den    vornehmsten    und    reichsten 

Leuten    Griechenlands    stand    er    auf    vertrautem   Fuss;     ich 

nenne  ausser  Hieron  die  Fürsten  von  Thessalien  und  die  zwei 

Männer,    welche   Sparta  und  Athen  im  Xerxeskriege   geleitet 

haben  ®).   Nicht  minder  war  Simonides  zugleich  gewissermassen 

der  offizielle  Dichter  der  griechischen  Freistaaten*).     Der  geist- 


1)  Eine  Anekdote  bei  Phaedrus  fab.  4,  22  zeigt  ihn  in  Asien. 

2)  Epigr.  147  (notiert  im  Mann.  Par.  Z.  70). 
S)  Synes.  epist.  49. 

4)  VgL  den  xenophontischen  „Hieron".  Ps.  Plato  epist.  2  p.  311a. 
Aristot.  rhet.  2,  16.  Cic.  nat.  d.  1,  22,  60,  Leo  Sternbach  meletemata 
Oraeca  p.  139. 

5)  Timaios  bei  Schol.  Pind.  Ol.  2,  29. 

6)  Mannor  Parium  Z.  73  (nach  Suidaa  Ol.  78) ;  89  Jahre  alt  Saidas, 
90  Marm.  Par.,  über  90  Ps.  Lacian.  piaxpoßioi  26.  Die  Epigramme  anf  den 
Bieg  am  Euiymedon  (105.  106.  142)  sind  trotz  Bergk  (in  der  Ausgabe  und 
de  Simonidis  epigrammatis  in  Cimonis  victoriam  ad  Eniymed.,  Halle  1867) 
gewiss  nicht  echt.    Vgl.  auch  Br.  Keil  Hermes  20,  341  ff. 

7)  Callimach.  fr.  71  bei  Suidaa  (Schneider  U  223  ff.). 

8)  Aleuaden:  Theocrit.  16,  34  ff.  Sozomen.  bist.  eccl.  I  praef.  p.  394 
«d.  Valesins,  vgl.  fr.  34;  Pausanias:  Ps.  Plat.  epist.  2  p.  311a.  Plutarch. 
consol.  ad  ApoUon.  6  a.  E.  =  Aelian.  var.  bist.  9,  41 ;  Themistoklee :  Plutarch. 
Themist.  5  a.  E.  =  regum  apophth.  8e{jLiot.  9. 

9)  Fr.  1-3.  82-84. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  61 

reiche  '  Scharfsinn  des  Mannes  imponierte  allen  ^)  und  eine 
Fülle  von  mehr  oder  minder  wahrscheinlichen  Anekdoten  ver- 
ewigte seinen  unerschöpflichen  schlagfertigen  Witz^,  dem  er 
doch  nicht  unbesonnen  die  Zügel  schiessen  Hess,  eingedenk 
des  Spruches,  Schweigen  sei  besser  als  Reden  ^).  Man  könnte 
Simonides  als  einen  Vorläufer  des  Sophistentums  bezeichnen, 
weil  er  z.  B.  sein  Gedächtnis  zu  ausserordentiicher  Stärke 
ausgebildet*)  und  sich  mit  der  Reform  der  Orthographie^)  oder 
der  Ordnung  des  Alphabetes  *)  befasst  haben  soll ;  auch  zeigte 
er  für  das  Geistesspiel  schwieriger  Rätsel  Vorliebe  ^).  Bei  solchen 
geistigen  Vorzügen  war  sein  hässliches  Aeussere^  nicht  die 
HüUe  einer  schöneren  Seele.  Die  Alten  stimmten  nur  zu  sehr 
darin  überein,  Simonides  habe  den  Fehler  der  Habsucht  in  so 
hohem  Masse  besessen,  dass  seine  Muse  auch  einem,  den  er 
nicht  achten  konnte,  für  Geld  feil  war^).  Er  gestand  dies 
selbst  unverfroren  ein^®)  imd  machte  kein  Hehl  daraus,   das» 


1)  Plat.  rep.  1,  331  e  <3o«pö<;  xal  ^etoc  6  ivf^p;  p.  335  e  ist  er  mit  Bia» 
und  Pittakos  znsammengesteUt. 

2)  Ephoros  bei  Athen.  8,  352  c.  Chamaileon  bei  Athen.  14,  656  cd  u.  s.  w, 

3)  ApoUon.  Tyan.  epist.  81. 

4)  Wegen  fr.  146  heisst  er  Erfinder  der  Mnemonik  (Marmor  Parium 
Z.  70.  Plin.  nat.  bist.  7,  89.  Suidas,  ygl.  Gast.  Jak.  Cnrtmann  Simonide» 
et  Pytbagoras  artis  mnemonicae  inventores,  Giessen  1827;  Karl  Morgen- 
iftern  de  arte  vetemm  mnemonica,  Dorpat  1885).  Daran  knüpft  sich  die 
brannte  Anekdote  vom  Einsturz  des  Skopadenpalastes,  nachdem  der  Dichter 
Ton  den  Diosknren  heransgerafen  worden  war  (Callimach.  fr.  71;  Qaintilian. 
11,  2,  11  ff.  citiert  ausser  diesem  Enphorion,  ApoUodoros,  Eurypylos  und 
Apollas,  8.  auch  Cic.  de  or.  2,  86,  351  f.  Phaedr.  4,  25  (26).  Val.  Max.  1,  8 
ext,  7,  Aristid.  or.  26  p.  512,  18  ff.  Dind.  Alciphr.  epist.  3,  68,  2;  vgl.  Lehr s 
populäre  Aufsätze  S.  '387).  Den  Anlass  zu  dieser  Fabel  gab  offenbar  das 
Trauerlied  auf  Skopas,  worin  wahrscheinlich  das  verhängnisvolle  Gastmahl 
anschaulich  geschildert  war. 

5)  Er  erfand  (!)  H  und  ö  (Plin.  nat.  bist.  7,  57.  Schol.  Dionys.  Thr. 
Villolson,  Anecd.  Gr.  n  p.  187  mit  Wachsmuth  Rhein.  Mus.  20,  376.  Tzetz. 
Chü.  12,  52)  oder  diese  und  S^F  (Suidas,  vgl.  Plutarch.  symp.  9,  3,  2). 

6)  „Einige'*  bei  Lucian.  jud.  vocal.  5. 

7)  Chamaileon  bei  Athen.  10,  456  c  ß, 

8)  Plutarch.  Themist.  6  a.  E. 

9)  Schon  der  alte  Xenophanes  schalt  ihn  xt|jLßi$  (Schol.  Aristoph.  Pac. 
698  [696]) ;  s.  auch  Aristoph.  Pax  697  flf.  Plat.  Protag.  346  b.  Aristoph.  eth. 
Nioom.  4,  2  p.  1121  a  7.    Callimach.  fr.  77  u.  Sp. 

10)  Synes.  epist.  49. 


Digitized  by 


Google 


^2  IV,  Kapitel. 

ihm  Reichtum  mehr  imponierte  als  Geistesgaben  ^).  Die  Medi- 
sauce erzählte  von  der  leeren  Geldtruhe,  durch  welche  der 
Dichter  seine  Wünsche  bezüglich  des  Honorares  stumm  aus- 
sprach ^^  dann  wie  geldgierig  er  sich  zeigte,  als  er  den  Sieg 
«ines  Maultiergespannes  besingen  sollte ') ;  dass  Simonides  keine 
Hymnen  auf  die  Götter  verfasst  habe,  weil  er  dafür  kein  Geld 
1KU  erwarten  gehabt,  ist  zwar  nicht  wahr,  aber  gut  erfunden^). 
Uebrigens  lebte  der  Dichter  ungeachtet  aller  Skrupellosigkeit  *) 
trotzdem  nicht  in  glänzenden  Verhältnissen  ^.  Geldgier  befleckte 
seinen  Charakter  nicht  allein;  von  Themistokles  verlangte  er 
einen  ungerechten  Urteilsspruch  ^)  und  alle  betrog  er ,  ausser 
die  Thessalier,  weil  sie  zu  einfältig  waren,  als  dass  er  ein 
Vergnügen  an  der  üeberiistung  gefunden  hätte  ^.  Wenn  man 
Simonides  den  griechischen  Voltaire  nennt,  dürfte  man  dem 
-Charakter  keines  von  beiden  Unrecht  thun. 

Bei  Simonides  trat,  so  viel  wir  wenigstens  wissen,  das 
Ohorlied  zuerst  in  den  Dienst  Einzelner^),  indem  er  für  ver- 
schiedene, welche  bei  den  Nationalspielen  einen  Sieg  errungen 
hatten,  Festlieder  schrieb**^),  so  für  Skopas,  den  rheginischen 
Tyrannen  ^naxilas,  Xenokrates  von  Agrigent  und  Glaukos 
von  Karystos.  Von  diesem  letzten  versicherte  er,  selbst  Poly- 
deukes  und  Herakles  würden  sich  nicht  mit  ihm  in  einen 
Faustkampf  einlassen").    Wie  glänzend  muss   der  Mann    ihn 


1)  Aristot.  rhetor.  2,  16  p.  1391  a  8  flf. 

2)  Platarch.  de  sera  nnm.  Tind.  5  p.  555  f.  Aigam.  Theocrit.  XVI. 
Stob.  flor.  10,  39.  Schol.  Aristoph.  Pac.  698  (699).  Tzete.  Chü.  8,  228  ff. 
317  ff.,  zum  Guten  gewendet  Platarch.  curios.  10.   Vgl.  Bergk  zu  fr.  239. 

3)  Aristot.  rhet  3,  2  p.  1405  b  23.    HeracUd.  poUt.  25. 

4)  Tzetz.  Chil.  8,  833  f. 

5)  Noch  anderes  erzählt  Chamaileon  (Athen.  14,  656  d). 

6)  Vgl.  Aristophanes  bei  Tzetz.  Chil.  1,  623.    Phaedros  4,  22,  2. 

7)  Platarch.  regam  apophth.  Bsfiiot.  9.  Themist.  5  a.  £. 

8)  Plutarch.  and.  poet  1. 

9)  Es  ist  daher  nicht  ganz  falsch,  wenn  einige  behaupten,  Simonides 
habe  znerst  Siegeslieder  fclr  Geld  geschrieben  (Schol.  Aristoph.  Pac.  698. 
Schol.  Pindar.  Isthm.  2,  9.    Tzetz.  Chil.  10,  788.  8,  816). 

10)  'E^xcopLia  Suidas,  tntv^xta  Theophyl.  Balg,  epist.  8.    Sie  worden  nach 
4er  Eampfart  geschieden:  TtO'pticita  fr.  14,   izivxa^Xa  fr.  12,  ticivtxoi   $po}iioc 
bei  Eallimachos  (Schneider  II  p.  689  ff. ;  Bergk  p.  384  f.). 
3)  Fr.  8. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  63 

bezahlt  haben!  Zugleich  sieht  man  aber,  wie  er  die  Poesie 
verweltlichte. 

Nächstdem  behandelte  Simonides  zuerst  eine  andere  Art 
der  Lyrik,  während  sie  zuvor  in  der  Hand  professionsmässiger 
KJagefrauen  gelegen  war:  Das  Trauerlied  (dp^voc)^).  Sein 
berühmtester  Threnos  galt  dem  thessaUschen  Fürsten  Skopas, 
den  samt  seinem  Neffen  der  einstürzende  Palast  erschlagen 
hatte«  Abgesehen  von  solchen  privaten  Wünschen  hatte  Simo- 
nides in  offiziellem  Auftrag  ein  PreisUed  auf  die  Helden  von 
Thermopylä  zu  dichten*).  Bald  darauf  musste  er  den  Sieg 
von  Artemision  besingen  (Fr.  1 — 3)  und  der  gleiche  ehrenvolle 
Auftrag  wurde  ihm  nach  der  Schlacht  von  Salamis  zu  Teil, 
doch  wählte  er  diesmal  die  elegische  Form*),  wonach  die  im 
Kampfe  Gefallenen  und  nicht  die  überlebenden  Sieger  im 
Mittelpunkt  des  Gedichtes  gestanden  sein  dürften. 

Im  übrigen  lauten  die  Nachrichten  über  den  Umfang  von 
8imonides'  Thätigkeit  sehr  unbestimmt.  Man  spricht  von 
Hymnen,  z.  B.  auf  den  olympischen  Zeus*)  und  Poseidon, 
und  von  Päanen^),  wozu  noch,  was  die  äussere  Form  anlangt, 
Tanzlieder,  in  denen  seine  Meisterschaft  anerkannt  war*),  und 
dorisch  komponierte  Lieder  für  Mädchenchöre  ^)  erwähnt  werden. 
Die  in  Athen  erlangten  Siege  setzten  Dithyramben  voraus,  auf 
die  sich  dann  auch  die  Titel  Europa,  Memnon  und  Danaes 
Klage  beziehen^).  Von  der  simonideischen  „Tragödie**  soll 
später  die  Rede  sein.  Von  der  zweifelhaften  Zuverlässigkeit 
der  berühmten  Epigrammensammlung  wurde  bereits  (S.  38  f.) 
gesprochen^. 

1)  Acro  in  Horat  carm.  2,  1.  Fr.  32—36. 

2)  Fr.  4  (bei  Diodor  bezeugen  die  Worte  r^%m\i.ioy  iv  ^  \i^9i  die  Selb- 
stfi&digkeit  des  Credichtes). 

3)  Snidas. 

4)  Fr.  20.  Aas  Himer.  or.  5,  2  wird  nicht  klar,  ob  er  Elis  in  einem 
eigenen  Liede  oder  in  der  Einleitung  des  Hymnus  pries.  In  letzterem  Falle 
behandelte  er  den  Hymnus  wie  ein  Loblied  auf  einen  Menschen. 

5)  Snidas,  daraus  stammt  wohl  it.  26  a.  Sehr  bedenklich  ist  das  Citat 
iv  %ax9oyaiq  fr.  24. 

6)  Plutarch.  symp.  9,  16,  2;  6«opx-fi|x«'^<*  fr»  30.  31. 

7)  Plutarch.  mus.  17  («ap^veta). 

8)  Fr.  28.  27  corr.  37. 

9)  Die  Geschichte  der  Regierung  des  Kambyses  und  Dareios  in  dorischer 
Knndart  (Suidas)  gehört  ohne  Zweifel  dem  jüngeren  Simonides. 


Digitized  by 


Google 


H4  IV.  Kapitel. 

Simonides  sucht  das  Poetische  in  milder  Anmut  und 
sanfter  Rührung  ^) ,  nicht  in  erschütterndem  Pathos.  Für 
ersteres  ist  sein  vielberufener  Vergleich,  die  Poesie  sei  eine 
sprechende  Malerei,  charakteristisch  *) ;  in  der  That  ragt  er 
gerade  in  malerischen  Schilderungen  hervor*  Ebenso  gelangen 
ihm  die  rührenden  Trauerlieder  bei  weitem  am  besten').  So 
fehlt  denn  auch  seinem  Stil  das  Grossartige  und  Leidenschaft- 
Uche,  denn  er  spricht  einfach  und  schUcht,  ohne  besondere 
Reizmittel  aufzuwenden*),  aber  gerade  die  scheinbare  Natürlich- 
keit und  das  Treffende  des  an  sich  begrenzten  Ausdrucks^) 
rufen  einen  angenehmen  Eindruck  hervor,  den  die  Alten  gerne 
mit  der  Süsse  des  allbeliebten  Honigs  vergUchen  haben  ^). 
Alle  Vorzüge  seines  Talentes  wirken  in  der  berühmten  Klage 
der  Danae  zusammen,  wo  die  unglückliche  Königstochter,  von 
den  Meereswellen  getragen,  ihr  ahnungslos  schlummerndes  Kind 
anredet.  Alle  Wörter  sind  hier  fein  gewählt,  fast  jedes  Haupt- 
wort ist  durch  ein  Epitheton  gemalt  oder  doch  geschmückt, 
und  dabei  setzt  der  Dichter  die  Worte  so  klar,  dass  das  Lied 
dem  Verständnis  keine  höheren  Schwierigkeiten  als  Prosa  bietet, 
wie  der  Rhetor  Dionysios,  dem  wir  diesen  kostbaren  Rest 
keischer  Nänie  verdanken,  bemerkt'').  Ueber  technische  Eigen- 
tümlichkeiten des  Simonides  verlautet  leider  wenig  bestimmtes®); 

1)  Cic.  nat.  d.  1,  22,  60  poeta  suavis.  Quintil.  10,  1,  64  jucunditate 
quadam  commeDdari  potesti  Dionys.  vet.  Script,  cens.  2,  6  xb  olxTtfeod-at  ji*^ 

2)  Plutarch.  glor.  Athen.  3. 

3)  Vgl.  Dionys.  Halic.  vet.  Script,  cens.  2,  6  (s.  o.).  CatnU.  38  Ceae 
lacrumae.  Horat.  carm.  2,  1,  38  Ceae  naeniae.  Quintil.  10,  1,  64.  Aristid. 
or.  11  p.  134  (126  D.).  Basil.  epist.  379  (74)  col.  445  b  Migne.  Georg.  Gale- 
siota  bei  Leo  Allatius,  de  Symeonum  scriptis  p.  210. 

4)  Vgl.  Labbert  de  elocutione  Pindari  p.  3  flf.  Tennis  Quintil.  10, 1, 64. 

5)  Dionys.  a.  O.  StficuviSoo  Sc  naparfjpsi  rJjv  txXo7">|v  täv  ^vojidttcov,  rrjc 
cov^^ocüx;  rrjv  ^ixptßsiav.     Quintil.  10,  1,  64  sermone  proprio. 

6)  Er  hiess  „Jti  xb  tjSo"  MeXtxlprrjc  (Suidas);  4j8üfi6Xt5pd'(yfXOC  Anthol. 
9,  571,  2;  Y>^ox6p'i|  oeXtc  Anthol.  9,  184,  5. 

7)  Compos.  verb.  26  a.  E.  (Fr.  37);  Ahrens  ^imonidis  lamentatio 
Danaae,  Hannover  1853;  C.  Volckmar  Philol.  7,  743  flf.;  F.  Nietzsche 
Rhein.  Mus.  23,  480  AT.  und  Fr.  Blass  PhüoL  32,  140  ff.  versuchen,  das 
Erhaltene  auf  Grund  der  Worte  des  Dionysios  antistrophisch  zu  gliedern.  Es 
ist  kein  Grand,  das  Lied  zu  den  d-p-yjvot  zu  rechnen.  [Wilamowitz  Isyllos  p.  147]. 

8)  Aristoph.  Av.  917  ff,  werden  xax^  xa  Si}ia>vidoo  neben  x6xXia  und 
«ap^-evEta  genannt. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  65 

ein  paar  Versmasse  tragen  seinen  Namen  ^)  und  nach  Suidas 
führte  er  den  dritten  f^ö^Yoc  auf  der  Lyra  ein*). 

Simonides'  Reichtum  an  geistvollen  Gedanken  und  seine 
höfische  Glätte  gewannen  ihm  die  Gebildeten.  Selbst,  Plato 
stellte  ihn  hoch  genug,  um  ihn  in  einem  Atem  mit  Homer 
und  Hesiod  zu  nennen').  Allerdings  war  auch  für  Simonides 
eine  Zeit,  wo  er  den  leidenschaftlichen  Verehrern  der  fortge- 
schrittenen Musik  altmodisch  vorkam,  hereingebrochen  *).  Noch 
die  alexandrinische  Gelehrsamkeit  kümmerte  sich  um  seine 
Dichtungen  wenig;  höchstens  hat  vielleicht  Aristophanes  das 
Verständnis  seiner  Versmasse  geklärt^).  Im  ersten  Jahrhunderte 
vor  Christus  jedoch  begegnen  wir  vielleicht  von  dem  auf- 
blühenden Atticismus  veranlasste  Urteile,  welche  den  Wettstreit 
zwischen  Pindar  lind  Simonides  durchaus  noch  nicht  endgiltig 
zu  Gunsten  des  ersteren  entschieden  erscheinen  lassen^.  Nun 
behandelte  Tryphon  den  Dialekt  des  Keers'')  und  Palaiphatos 
lieferte  die  notwendigste  Vorarbeit  für  einen  Kommentar,  indem 
er  Einleitungen  zu  den  einzelnen  Gedichten  schrieb*).  Noch 
unter  den  Kaisern  gab  es  Bewunderer  der  simonideischen  Manier, 
zu  ihnen  gehörten  der  Elegiker  Mnasalkas  von  Platää^)  und 
der  ägyptische  Lyriker  Pankrates,  ein  Zeitgenosse  Hadrians  ^^, 
Indes  wurde  Simonides  offenbar  viel  mehr  gerühmt  als  gelesen, 
andernfalls  müssten  von  seinen  Dichtungen,  die  Epigramme 
ungerechnet,  zahlreichere  Fragmente  vorhanden  sein.  Wirklich 
populär  war  er  nur  als  Epigrammendichter,  wobei  man  es  mit 
der  Echtheit  nicht  eben  genau  nahm. 

1)  Die  daktylische  Tetrapodie  (Servios  3.  Victorinos  2,  2,  34.  Plotins 
3,  60)  und  Pentapodie  (Victorin.  2,  2). 

2)  Plin.  nat.  hist.  7,  57  schreibt  ihm  die  Erfindung  der  achten  Saite  zn. 

3)  Protag.  p.  316  d. 

4)  Aristoph.  Nub.  1362  und  EapoHs  (?)  fr.  139  bei  Athen.  14,  638  e. 

5)  Dionys.  Halic  compos.  26. 

6)  Vgl.  Dionys.  vet.  Script,  cens.  2,  6.  Philodem,  de  mosica  IV  ooL 
26,  32  f.  p.  96.  29,  28  f.  p.  99  ed.  Kemke;  im  Titel  des  Werkes  von  Tiyphon 
stand  Simonides  an  der  Spitze  der  Lyriker. 

7)  Snidas  n .  Tpotpoov ;  in  unserer  Zeit  schrieb  Überdieselbe  Frage  W.  S  c  h  a  n  m- 
berg  qnaestiones  de  dialecto  Simonidis  Cei  Bacchylidis  Ibyci,  Pr.  t.  Celle  1878 ; 
A.  F ü h Ter ,  Sprache  und  Entwickelnng  der  griech.  Lyrik,  Progr.  t.  Münster  1885. 

8)  Snidas:  Sicod-Ioeic  tlc  SifjLtt>vt8Y)v. 

9)  Tbeodoridas  Anthol.  Pal.  13,  21. 

10)  Plutarch.  mns.  20  (vgl  Athen.  15,  677  d). 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  ni.  5 


Digitized  by 


Google 


66  rV.  Kapitel. 

Simoiiides'  Neffe  ^)  eiferte  seinem  Beispiele  rühmlich  nach. 
Bakchylides  hatte,  offenbar  durch  den  Oheim  eingeführt, 
die  Ehre,  für  Gelon  und  Hieron  Lieder  zu  verfassen  *) }  letzterer 
berief  ihn  überdies  persönlich  zu  sich  und  soll  dem  gewandten 
Intriganten  vor  Pindar  den  Vorzug  gegeben  haben'),  wofür 
sich  der  thebanische  Meister,  wie  die  Alten  behaupten,  durch 
verschleierte  .  Angriffe  in  seinen  Gedichten  rächte*).  Weniger 
glücklich  als  Simonides,  musste  sich  Bakchylides  den  gross- 
mütigen  Fürsten  durch  den  Tod  entrissen  sehen  und  dazu  kam 
noch,  dass  Keos  die  Verbannung  über  ihn  verhängte;  so  starb 
er  weder  zu  Hause  noch  am  Fürstenhofe,  sondern  als  Flüchtling 
irgendwo  im  Peloponnes  *).  Mehr  ist  über  sein  Leben  nicht 
tiberliefert,  weil  Bakchylides  wahrscheinlich  zu  anderen  Fürsten 
oder  Bürgerschaften  keine  Beziehungen  hatte  und  in  Athen, 
wenn  anders  er  je  dort  weilte,  nie  durch  einen  grossen  Erfolg 
Aufsehen  erregte^).  Und  doch  hatte  sich  sein  Leben  wahr- 
scheinlich bis  zum  Anfange  des  peloponnesischen  Krieges 
erstreckt^). 

Die  Citate  der  Dichtungen  des  Bakchylides®)  sind  so  spärlich, 
dass  aus  ihnen  ein  klares  Bild  seiner  Richtung  nicht  entsteht. 
Die  religiösen  Dichtungen  nahmen  bei  ihm  wahrscheinlich  viel 
mehr  Raum  ein  als  bei  Simonides;  man  nennt  Päane  (Fr.  13 
bis  16),  apollinische  wpoocpSCat  (Fr.  19 — 21),  Hyporcheme  (Fr.  22), 
Dithyramben  (Fr.  16 — 18)  und  viele  JungfrauenUeder  in  dorischer 

1)  Strabo  10,  486  (daher  verlegt  Eusebios  seine  Blüte  in  das  Todesjahr 
des  Simonides,  OL  78,  1,  armenisch  78,  3);  der  Vater  hiess  nach  Suidas 
Medon  (in  den  Handschriften  MaiScuv)  oder  Meidylos  (so  nenut  ihn  auch 
Etym.  Magn.  p.  582,  20) ;  ans  Julis  fr.  58. 

2)  SchoL  Aristid.  p.  317,  31.  36  Dind. ;  s.  z.  B.  fr.  6  mit  Beigks  Note. 

3)  Aelian.  var.  hist.  4, 15;  Schol.  Find.  Pyth.  2,  166  u.  „einige"  zxx  V.  131. 

4)  Z.  B.  Ol.  2,  95  ff.  s.  Schol.  Ol.  2,  154.  Nem.  3,  143.  Pyth.  2,  97. 
131.  161.  166.  Schon  Fr.  Aug.  Wolf  Vorlesungen  über  die  Altertumswiss. 
n  S.  229  zweifelte  daran. 

5)  Plutarch.  de  exilio  14. 

6)  Vgl.  ü.  Y.  Wilamowitz  Hermes  20,  70;  Kpaval^av  Antiioi.  PaL 
6y  313,  2  ist  nur  eine  schlechte  Koigektnr. 

7)  Eusebios  setzt  Ol.  87,  2  (Hieion.,  87,  1  P,  87,  3  armen.)  allerdings 
zum  dritten  Male  seine  Blüte  an  (das  zweite  Mal  steht  er  neben  Empedokles, 
Ol.  82,  2  oder  1,  weil  er  dessen  vieUeicht  Erwähnung  that  oder  eine  empedo- 
kleisch  scheinende  Lehre  vortrug). 

8)  Fragmente  gesammelt  von  Ch.  F.  Neue,  Berlin  1822;  Bergk  III*  p.  569  flf. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  '  67 

Tonart*),  dazu  im  allgemeinen  Hymnen  (Fr.  11.  12)*)  und 
Geleithymnen*).  Diesen  stehen  nur  drei  Fragmente  von  Sieges- 
liedem  (Fr.  1.  2.  4)  entgegen;  das  Traueriied  fehlt  ganz,  wo- 
gegen Bakchylides  Liebeslieder  verfasste*). 

Korrektheit  und  Glätte  zeichneten  Bakchylides  in  noch 
höherem  Grade  als  seinen  Oheim  aus^).  Die  poetische  Klein- 
malerei  ging  bis  zur  Weitschweifigkeit  %  wovon  die  »Schilderung 
des  Friedens  im  dreizehnten  Fragment  eine  Probe  gibt  (Fr.  13). 
Dazu  passt  es  vortrefflich,  dass  er  ähnlich  wie  Simonides  die 
Malerei  zum  Vergleiche  beizieht  ^).  Auch  bekundet  er  Neigung 
zur  Allegorie^),  durch  welche  die  dichterische  Unmittelbarkeit 
Schaden  leidet.  Schöpferisches  Talent  scheint  der  Dichter 
nicht  besessen  zu  haben,  denn  die  Geschichte  der  Musik 
schweigt  von  ihm  und  in  der  Metrik  hat  er  weniges  geneuert^); 
im  Gefühle  seiner  Abhängigkeit  betont  er  demgemäss,  dass 
alles  Wissen  auf  UeberUeferung  berulie^^). 

Da  Bakchylides  unter  die  neun  oder  zehn  Musterschrift- 
steller der  Lyrik  Aufnahme  gefunden  hatte,  versah  der  emsige 
Didymos  seine  Dichtungen  mit  einem  Kommentar  ^^).  Dank 
seiner  die  Rhetoren  anziehenden  Korrektheit  wurde  er  in  der 
Kaiserzeit  lange  gelesen :  Horaz  bearbeitete  ein  Gedicht  in 
der  fünfzehnten  Ode  des  ersten  Buches^*).  Stobaeus'  Blumen- 
lese enthält  nicht  wenige  senteuziöse  Stellen  aus  Bakchylides 


1)  Plutarch.  mus.  17. 

2)  A.uf  die  itoniache  Athene  fr.  23  u.  Delos  (SchoL  Callim.  in  Del.  28). 

3)  *TjjLvot  aitoitcfwtttxot  (für  Städte,  wo  man  das  Scheiden  einer  Grottheit 
feierte)  Menandros  in  Walz'  rhetores  Gr.  IX  p.  132,  11  (Ivtot).  140,  5. 

4)  'EpwTtxof  fr.  24  (nachJWelcker  kleine  Schriften  I   S.  233  KatStxol 
8^voi),  8.  S.  42;  Bergk  nimmt  auch  icapoivca  au  (fr.  27,  28). 

5)  IIcpl   Sij'ooc   33,   5   wird  er  mit  Jon   zu   den   ciStaictüutot  xal   $y  t(f> 
«CXa^opcp  xexaXXiYpa?''}}J'^voi  gerechnet. 

6)  Aa>.8  Sttp-f^v  Anthol.  9,  184,  1;  >.apa  «pd-EYSato  Anthol.  9,  571,  4. 

7)  Ammian.  25,  4,  3. 

8)  O.  H  e  n  s  e  poetische  Personifikationen  in  griechischen  Dichtern  S.  X.  201 . 

9)  Atil.  Fortunat.  de  arte  metr.  1,  4,  14.  Serv.  centim.  2,  5  p.  459,  19  K. 
Kach  Hephaistion  c.  13    verfasste  er  ganze  Lieder   in   kretischen  Rhythmen. 

10)  Fr.  14,  1  etepoc  14  kxipoo  oocpoc  x6  te  TcdXai  x6  xc  vöv. 

11)  'Ev  &icojivY|jiaTt  Dax^oXtSoü  eictvtxwv  Ammonius  p.  97  Valck. 

12)  So  behauptet  der  Kommentar  des  Porphyrio ;  vielleicht  gab  ein  Dithy- 
rambofl  „Eassandra"  das  Vorbild  ab. 

5* 


Digitized  by 


Google 


68  rv.  Kapitel. 

und  der  Kaiser  Julian  war  sogar  ein  ausgesprochener  Verehrer 
des  keischen  Dichters  *). 

Mochten  Simonides  und  Bakchylides  auch  zu  Lebzeiten 
durch  verschiedene  Mittel  mehr  äusseren  Erfolg  als  Pin  dar 
haben,  der  Wahrspruch  der  Zeit  hat  diesem  nicht  allein  einen 
Platz  weit  über  ihnen,  sondern  auch  an  der  Spitze  der  griechischen 
Lyriker  überhaupt  zugesprochen. 

Waa  die  alten  Biographien  dieses  genialen  Lyrikers  anlangt,  so  haben 
wir  von  gesonderten  Biographien  des  Peripatetikers  Chamaileon  (Athen. 
13,  573c)  and  des  bekannten  Plntarchos  (Sopatros  bei  Phot.  bibl.  16t 
p.  104  b  3.  Eostath.  Z.  2)  Kunde,  unter  den  erhaltenen  (vgL  E.  von 
L  e  n  t  s  c  h  Philol.  11,  1  ff. ,  gesammelt  in  Westermanns  ßtoYp^foi  p.  90  £f. 
nnd  in  den  Piodaransgaben)  ist  die  relativ  älteste  in  Hexametern  nach 
Nonnos'  Muster,  also  nicht  vor  dem  fünften  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung 
verfasst  (A.  L  u  d  w  i  c  h  Rhein.  Mus.  34,  357  flf.,  wo  sie  S.  359  f.  wieder  ab- 
gedruckt ist,  über  die  Handschriften  E.  A  b  e  1  a.  O.  S.  368  f.  Wir  bezeichnen 
sie  im  Folgenden  mit  v).  Diese  Biographie  nahm  der  gelehrte  E  u  s  t  a  - 
t  h  i  o  s  (damals  noch  Diakon)  in  die  Einleitung  seines  Pindarkommentar» 
auf,  nicht  ohne  seinerseits  eine  selbständige  Biographie  in  Prosa  voranzu- 
schicken (üpoXoYO?  tÄv  üivSapixüuv  KapcxßoXwv,  zuerst  von  Tafel  Eustathi 
opuscula  p.  53  flf.,  separat  von  Schneidewin,  Göttingen  1837  veröftentlicht). 
Femer  enthält  der  codex  Rehdigeranus  A  einen  wichtigen  anonymen  Bio^ 
I\ivh&poo  (im  folgenden  mit  V  bezeichnet),  den  zuerst  E.  C.  Sch-ueider 
apparatus  Pindarici  snpplem.  ex  codicibus  Vratislav. ,  Breslau  1844  p.  44  ff. 
bekannt^  machte ;  mindestens  Z.  27^30  gehen  in  letzter  Instanz  auf  Plutarcb 
zurück.  Ebenso  wertvoll  ist  der  Artikel  IltySapoc  im  Lexikon  des  S  u  i  d  a  s. 
Thomas  Magistros  entlehnte  für  seine  ScholiE;n  aus  einem  älteren 
Kommentar  eine  unbedeutende  Biographie,  die  er  etwas  überarbeitete. 

In  neuerer  Zeit  ist  das'  Leben  Pindars  oft  dargestellt  worden.  Unter 
den  biographischen  Einleitungen  der  erklärenden  Ausgaben  verdienen  die  von 
B ö c k h  (Bd.  U  2  S.  13  ff.)  und  Schneidewin  verfassten  besondere  Er- 
wähnung ;  gesonderte  Biographien  schrieben  Tycho  Mommsen  Pindaros. 
Zur  Geschichte  des  Dichters  und  der  Parteikämpfe  seiner  Zeit,  Kiel  1845 v 
Georg  Bippart  Pindars  Leben,  Weltanschauung  und  Kunst,  Jena  1848; 
Leopold  Schmidt  Pindars  Leben  und  Dichtung,  Bonn  1862  (gegen  ihn 
richtet  sich  Fr.  Mezger  disputationes  Pindaricae  H.  Progr.  von  Augsburg 
1873) ;  Ed.  Labbert  Pindaros  von  Kynoskephalä.  Rede ,  Kiel  1878  und 
Pindars  Leben  und  Dichtungen,  Vortrag,  Bonn  1882. 

Alle  diese  Schriften  erstrecken  sich  mehr  auf  die  Dichtungen  als  auf  die 
Person  des  Dichters;  die  ausgesprochene  Absicht,  in  das  richtige  Verständnis 
jener  einzufahren,  haben  Rudolf  Rauchenstein  zur  Einleitung  in  Pindars 
Siegeslieder,  Aarau  1843  und  Alfred  Croiset  la  podsie  de  Pindare  et  les 
lois  du  lyrisme  grec,   Paris  1880,  2.  Aufl.  1886.     Wir  reihen  diesen  Büchern 


1)  Ammian.  25,  4,  3. 

Digitized  by  CjOOQIC 


Chorlieder.  69 

«inige  Schriften  von  populärer  Form  an,  welche  aich  in  derselben  Richtung 
bewegen :  Vanvilliers  eesai  sur  Pindare,  Paris  1772;  Sommer  le 
•caractöre  et  le  g^nie  de  Pindare ,  Paris  1847  und  Villemain  essais  sur 
Pindare  et  sur  la  po^ie  lyrique  dans  ses  rapports  avec  T^lövation  morale  et 
religieuse  des  peuples,  Paris  1859. 

Eines  der  ältesten  Adelsgeschlechter  der  hellenischen  Nation 
war  es,  aus  welchem  ihr  gefeiertster  Lyriker  hervorging.  Nach 
mannigfachen  Wechselfellen  hatte  ein  Zweig  der  Aigeiden  in 
Theben  einen  festen  Sitz  gefunden  und  der  böotischen  Bürger- 
schaft sich  eingegliedert,  wobei  er  indes  weder  seine  ruhmvolle 
Oeschichte  vergass  noch  den  uralten  Familienkult  des  karneischen 
Apollo  aufgab*).  In  Theben  am  Dirkebach  stand  im  Schatten 
von  Heiligtümern  das  Haus  des  Dichters*);  geboren  ist  er  aber 
nach  der  Ueberlieferung  in  einer  auf  den  Kynoskephalaihügeln 
gelegenen  Villa*).  Wann  der  berühmte  Mann  das  Licht  der 
Welt  erblickte,  wusste  niemand  mit  Bestimmtheit  zu  sagen. 
Er  selbst  hat  mit  dem  Selbstgefühl  eines  Lieblings  des  Musen- 
gottes das  eine  verkündet,  dass  es  während  der  grossen  pythischen 
Festspiele  (also  im  dritten  Jahre  einer  Olympiade)  geschah*). 
Demnach  wurde  er  im  delphischen  Monate  Bukatios  (August — 
September)  und  zwar  vermutlich  dem  des  Jahres  522  (Ol.  64,  3) 
geboren  ^). 


1)  Pyth.  5,  72  ff.,  vgl.  G.  Hermann  Berichte  der  sächs.  Gesellschaft 
der  Wiss.  I  (1848)  S.  221  ff.  =  oposcola  8,  93  ff.,  Ranchenstein  Zeitsch. 
f.  Altertomsw.  1847  Sp.  736  ff.,  Tycho  Mommsen  Piudaros  8.  10  ff.  und 
Ztscbr.  t  Altert.  1846  Nr.  1,  2,  Lübbert  in  Pindari  locum  de  Aegeidis  et 
sacris  CamelB,  Progr.  der  üniv.  Bonn  1883;  bestritten  von  G.  Gilbert 
Stodien  zur  altspartanischen  Geschichte  S.  65  f.  und  L.  Bornemann  Pbilol. 
43,  79  fl: 

2)  Pyth.  3,  77  ff.  mit  Schollen ;  Anonymus  bei  Steph.  Byz.  u.  Kovoa- 
xtffokai;  Pausan.  9,  25,  3;  Theben  ist  ihm  daher  seine  Mutter,  die  ihn  er- 
zogen (Isthm.  1,  1,  fr.  180).« 

^  V  1.  Steph.  Byz.  s.  v.,  daher  vielleicht  BoiMtESsc  SXat  Mosch.  (?) 
B,  88  (89).  Eust.  3  und  Thom.  4  leiten  vermittelnd  die  Eltern  aus  Eynos- 
kephalai  her.  Dass  dies  nicht  einmal  eine  Ortschaft  war,  zeigt  Xenoph. 
Ages.  2,  22. 

4)  Fr.  175  bei  Plutarch.  symp.  8,  1. 

5)  So  nehmen  Böckh,  Schneidewin,  Bemhardy,  L.  Schmidt  (S.  8  f.)  und 
Andere  in  üebereinstimmung  mit  Synkellos,  nach  welchem  die  Blütezeit  des 
Dichters  Ol.  74,  3  (Euseb.  armen,  u.  Hieron.  73,  2,  B  73,  1,  PF  73,  3)  fiel, 
AH,  wfthrend  G.  Hermann  (opuscula  2,  161),  T.  Mommsen  (S.  28  ff.)  u.  Bergk 
jm  Ol.  65  festhalten;  aber  Snidas*  Angabe  beruht,    wie  der  Zusatz  xat^  rrjv 


Digitized  by 


Google 


70  IV.  Kapitel. 

Der  Weg  zur  Poesie  lag  geebnet  vor  dem  Knaben,  denn 
abgesehen  davon,  dass  die  Familie  vermögend  war^),  regte  der 
erwähnte  Kult  des  kameischen  Gottes  die  AigeYcJen  zur  Pflege 
der  musischen  Künste  an  und  obendrein  war  Theben  ein 
günstiger  Ort  wie  wenige,  um  die  musikalische  Technik  voll- 
kommen zu  erlernen;  zudem  war  das  Rittertum  in  der  Familie 
ohnehin  durch  den  auf  dem  Anstand  und  in  den  Gymnasien 
seinen  Mann  stellenden  Bruder  Eritimos  würdig  vertreten^. 
So  wurde  Pindar  in  der  Verehrung  der  Musen  auferzogen  ^). 
Wie  gewöhnlich,  gönnten  die  Gelehrten  die  Ehre  der  Lehrer- 
schaft vielen*),  allein  nur  der  thebanische  Flötenspieler  Skope- 
linos  *)  und  der  athenische  Chormeister  Agathokles  oder  Apollo- 
doros  scheinen  einen  ernsthaften  Anspruch  darauf  zu  haben ; 
letzterer  weihte  den  jungen  Pindar  in  die  Führung  lyrischer 
Chöre  ein  und  Hess  sich  von  ihm  vertreten^). 

Als  er  dann  selbständig  aufzutreten  begann,  wie  hätte  es 
ihm  fehlen  sollen,  da  er  durch  Abkunft  und  Verschwägerung  ^) 


Hip5oü  oTpatetav  wv  Itäv  jjl'  zeigt,  auf  dem  verbreiteten  Synchronismus  von 
Pindars  Blute  und  dem  Perserkriege  (Diodor.  11,  26,  8.  v  21  ff.  E  45.  V  35  ff. 
Thom.  9.  15.  Schol.  Isthm.  5  (4),  60).  Pindar  kann  sein  erstes  Lied  nicht 
schon  mit  sechzehn  Jahren  verfasst  haben. 

1)  Nem.  1,  31. 

2)  Fr.  180. 

3)  V  4. 

4)  Lasos  (E.  10.  Thom.  6),  und  Simonides  (E  32  <faoi.  Thom.  55)  sind 
als  die  berühmtesten  unter  Pindars  älteren  Zeit-  und  Eunstgenossen  genannt  v 
warum  man  ihnen  die  Böoterinen  Murtis  (Suidas,  s.  aber  Ck)rinn..fr.  12)  und 
Korinna  (s.  S.  47,  1)  beigibt,  liegt  auf  der  Hand. 

5)  Dieser  wurde  von  einigen  (E  6.  V  3  Ivtoi.  Thom.  2  ol  Sl,  nach  einigen 
identisch  mit  Daiphautos  E  11.  Thom.  3)  Pindars  Vater,  von  anderen  ver- 
mittelnd sein  Stiefvater  genannt  (Suidas.  E  13.  V  3  tivl^.  Thom.  4  ol  2i)» 
Für  den  Vater  geben  wieder  andere  den  Namen  ^Aat<pavtoc  (E  6.  V  2.  Thom. 
1.  3.  Philostr.  imag.  2,  12.  Steph.  Byz.  u.  Kuvooxe(pa)^ai.  Tzetz.  Chil.  1, 8. 
618.  Aus  Aatcpdvtoo  machte  v  2  das  unbdotische  AaTcpdvrqc ,  s.  Ludwich  a.  Or 
S.  365;  AaTtpavtüpac  Tzetz.  Anecd.  Ozon.  III  350,  3),  der  aus  Pindars  gleich- 
namigem Sohn  (v  25.  E  20.  V  41)  erschlossen  sein  dürfte,  oder  na^cuvSa^ 
(E  4.  V  2  fvtot.  Th.  3  ol  U)  an. 

6)  E  79  ff.  (9aot\  V  10  ff.;  Agathokles  v  11.  E.  79.  V  10  (ol  ji.{v). 
Apollodoros  6  to6c  5(i.vooc  YP^^'^^  ^^  ^o°  Erotianos  p.  366  (Bergk  m* 
378)  einmal  angeführt. 

7)  Pindars  Mutter  hiess  Kleodike  (v  2.  E  14  elol  h'ol.  V  cod.  Ambros.); 
bei  Myrto  (E  7.  Th.  4),  d.  h.  Myrtis   trat   eine   ähnliche  Verwechslung   von 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  71 

freundschaftliche  Beziehungen  zu  den  vornehmen  Geschlechtern 
griechischer  Städte  überkommen  haben  dürfte?  Ein  Anderer 
wäre  schwerlich,  erst  zwanzig  Jahre  alt  und  noch  unberühmt, 
von  den  stolzen  Aleuaden  Thessaliens  beauftragt  worden,  den 
pythischen  Sieg  eines  ihrer  Familienmitglieder  zu  besingen, 
wie  es  Pindar  im  Jahre  502  (Ol.  69,  3)  widerftihr.  Sein 
Erstlingswerk  —  wir  kennen  wenigstens  kein  früheres*)  — 
liegt  noch  vor;  es  ist  die  zehnte  pythische  Ode.  Leider  ist  es 
uns  versagt,  die  erhaltenen  und  verlorenen  Dichtungen  Pindars 
in  eine  zuverlässige  Zeitfolge  zu  bringen,  woraus  hervorginge, 
wie  Pindar  äusserlich  seine  Klientel,  innerlich  Wirkensgebiet 
und  Kunstfertigkeit  nach  und  nach  erweiterte^.  Doch  hebt 
sich  die  glänzendste  Episode  des  Dichterlebens  bestimmt  ab. 

Die  erste  Gelegenheit,  dass  Pindar  mit  dem  erlauchten 
Protector  der  Poesie  in  Syrakus  eine  Verbindung  anknüpfte'), 
bot  sich,  als  ein  Fohlengespann  Hierons  in  Theben  beim 
Heraklesfeste  den  Preis  erhielt*).  Damals  —  es  war  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  das  Jahr  477  (Ol.  75,  4)  ^),  als 
Hieron  kaum  ein  Jahr  den  Thron  inne  hatte  —  sandte  Pindar 


Ab<ttammuDg  und  Lehre  ein,  wie  bei  SkopeÜDOS.  Pindars  Fran  Megakleia 
(E  21.  V  40)  oder  Timoxena  (v  24)  entstammte  möglicher  Weise  dem  Alk- 
meonidengeschlechte  (T.  Mommsen  S.  19). 

1)  Für  die  zwanzig  Jahre  passt  auch  der  Ausdruck  veavcoxo^  bei  Pausan. 
9,  23,  2.  3  gut. 

2|  Leop.  Schmidt  (s.  S.  68,  dazu  de  justa  ratione  interpretationis 
Pindaricae,  ind.  lect.  hib.  Marburg  1864,  Gommentatt.  in  hon.  Mommseni 
p.  48  ff.  und  supplementnm  quaestionis  de  Pindaricorum  carminum  chrono- 
logia,  ind.  lect.  von  Marburg  1880)  yersncht  an  den  erhaltenen  Oden  den 
Entwicklungsgang  seines  Talentes  nachzuweisen  und  daraus  die  Zeitfolge  der- 
selben zu  bestimmen. 

d)Lübbert  de  Pindari  poetae  et  Hieronis  regis  amicitiae  primordiis 
et  progressu,  ind.  lect.  aest.  von  Bonn  1886;  über  die  sicilischen  Oden  s.  W. 
Watkins  Lloyd  the  history  of  Sicily  to  the  Athenian  war  with  elucidations 
of  tbe  Sicilian  ödes  of  Pindar,  London  1872,  Buch  11. 

4)  Die  Alten  nahmen  einen  pythischen  Sieg  an,  aber  Fohlengespanne 
worden  zu  den  Festspielen  von  Delphi  erst  viel  später  zugelassen.  Böckh 
verweist  auf  V.  3;  ein  Jolaosfest'  ist  nach  Didymos  bei  Schol.  Nem.  4,  32 
ausgeschlossen. 

5)  Vgl.  y.  18 f.  mit  Bdckh's  Bemerkung;  Bergk  I*  p.  6  setzt  die  Ode 
später. 


Digitized  by 


Google 


72  IV.  Kapitel. 

mit  dem  Schiffe,  das  die  Freudenbotschaft  überbrachte^),  die 
zweite  pythische  Ode  an  den  Fürsten.  Dieser  nahm  sie  wohl- 
ge&llig  auf  und  wählte  seinerseits,  als  er  im  folgenden  Jahre 
(476)*)  einen  olympischen  Sieg  errang,  unseren  Poeten  zum 
Festdichter.  Pindar  dankte  ihm  dies  ehrenvolle  Vertrauen 
durch  „das  herrlichste  aller  Lieder,"*)  die  erste  olympische 
Ode,  deren  Vortrag  er  gewiss  keinem  Fremden  überliess*). 
Schwerlich  blieb  Pindar  damals  für  längere  Zeit,  nach  Art  des 
Simonides,  im  königlichen  Palaste;  aber  473/4  war  er  wieder 
in  Syrakus,  um  die  dritte  und  bald  darauf  (Ol.  76,  3)  die  erste 
pytliische  Ode  aufzuführen^).  Auch  Hierons  Schwager  Ohro- 
mios  übertrug  Pindar  die  Verherrlichung  zweier  Siege,  doch 
steht  über  die  Zeit  derselben  nicht  mehr  fest^  als  über  die 
Olympiade,  wo  Hierons  treuer  Helfer  Agesias,  der  Held  der 
sechsten  olympischen  Ode,  einen  Preis  erhielt;  Pindar  sandte 
ihm   das  Lied   aus  Theben   in  seine  alte  Heimat  Stymphalos 


1)  y.  3  f.  67  f.  (xata  ^oiviooav  tfiicoXov  hiesse  prosaisch :  mit  parpamem 
S^el). 

2)  Ol.  76  nach  Didymos  (Schol.  V.  33),  ebenso  Bergk  p.  3  f.  480,  Alb. 
de  Jongh  Pindarica,  Utrecht  1845,  Lübbert  a.  0.  S.  Vff.  wegen  Pausan. 
6,  9,  4;  Ol.  77  (472)  nach  Böckh,  Bastgen  quo  tempore  et  consilio  Pindarus 
Carmen  Olymp,  ü.  et  III.  composnerit,  Diss.  v.  Münster  1883  S.  11  flf.,  Mezger 
und  Leop.  Schmid^  Ck)mmentatt.  in  hon.  Momms.  p.  48  ff.  mit  Berufung 
auf  den  Schollasten,  aber  dessen  Angabe  ist  verderbt,  s.  Lübbert  S.  VI. 

3)  Lncian.  gall.  7. 

4)  Vgl.  auch  V.  17  f. 

5)  Wegen  nap  'Alxvaiov  4^vov  V.  69  ist  die  dritte  nach  der  Gründung 
Ton  Aitna  Ol.  76,  1  verfasst;  hingegen  ist  der  pythische  Sieg  von  Ol.  76,  3 
(nach  Bergk  77,  3)  noch  nicht  erwähnt. 

6)  Nem.  I.  ist  nach  Böckh  Ol.  76,  4  and  vor  Nem.  IX.  gedichtet,  nach 
T.  Lentsch  Philol.  14,  57,  weil  er  in  V.  24  eine  Aospielang  auf  N.  IK. 
findet,  später  und  zwar  Ol.  77,  1  oder  2  (ebenso  Bergk  p.  9) ;  nach  L.  Schmidt 
8.  457  hingegen  Ol.  75,  1  oder  wahrscheinlicher  Ol.  75,  4.  Die  schon  Didy- 
mos bekannte  üeberschrift  von  N.  I.  Xpo{jLi<{>  Altvat«}),  wonach  Chromios,  ob- 
gleich er  noch  in  Syrakus  Wohnte  (V.  19),  Hieron  zu  Liebe  sich  als  Bärger 
von  Aitna  ausrufen  liess,  dürfte  aus  den  Siegerlisten  geschöpft  sein ;  dann 
fiel  der  Sieg  nicht  vor  OL  76,  1.  Nei^.  IX.  gilt  einem  früher  in  Sikyon  ge- 
wonnenen Sieg;  Chromios  wohnt  hier  in  dem  neugegründeten  Aitna  (V.  2). 
Böckh  und  v.  Leutsch  bestimmen  die  Zeit  der  Ode  auf  Ol.  77,  1,  Leop. 
Schmidt  S.  240 f.  auf  OL  76,  2.  Merkwürdiger  Weise  setzt  Eusebios  Pindar 
zum  zweiten  Male  Ol.  77,  1  an. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  73 

und  zwar  wahrscheinlich  Ol.  77 ,  1  ^).  Der  Grass ,  den  der 
Dichter  gleichzeitig  Hieron  entbietet,  zeigt  sie  noch  in  gutem 
Einvernehmen.  Seitdem  begegnet  aber  keine  Spur  eines  persön- 
lichen Yerhältnisses  mehr,  im  Gegenteil  lässt  das  Schweigen 
von  Kndars  Leier,  als  Hieron  das  zweite  Mal  in  Olympia 
siegte  (Ol.  78,  1),  auf  eine  Erkaltung  der  Freundschaft  schliessen. 
Hieron  war  ja  ohnehin  misstrauisch  und  durch  KränkUchkeit 
gereizt;  in  fürstliche  Launen  sich  zu  schicken  verstand  der 
gewandte  Simonides  besser  und  Bakchylides  machte  ddr  Schule 
des  Oheims  auch  in  dieser  Beziehung  gewiss  keine  Unehre. 
Ob  Pindar  gegen  diese  seine  Rivalen  in  Gedichten  einige  Pfeile 
entsandte,  dafiir  sind  zwar  anspielungssüchtige  Scholiästen 
schlechte  Zeugen  '^ ,  indes  darf  man  zugestehen,  dass  es  schon 
unter  den  Zeitgenossen  der  Dichter  Leute  gegeben  haben  mag, 
welche  das  spöttische  Wort  von  der  versilberten  Muse^),  wie 
immer  es  Pindar  selbst  gemeint  hat,  auf  Simonides  bezogen. 
Um  aber  wieder  zu  Hieron  zurückzukehren,  so  veranlasste 
Pindar  die  Ungnade  gewiss  nicht  selbst  durch  Taktlosigkeiten, 
wie  sie  ihm  manche  Erklärer  zutrauen,  wenn  er  auch  vor  dem 
unsicheren  Tyrannenthron  nicht  das  Knie  beugte,  sondern  an 
die  Vergänglichkeit  alles  Menschlichen  erinnerte  und  vielleicht 
manchen  Rat  und  manche  Mahnung  in  der  höflichsten  und 
schicklichsten  Form  erteilte. 

Welchem  Fürsten  eine  solche  mannhafte  Art  nicht  miss- 
fiel, dem  stand  Pindars  Muse  zu  Gebote  und  es  waren  nicht 
die  schlechtesten,  die  ihn  dem  Simonides  vorzogen:  Theron, 
der  thatkräftige  Herr  von  Akragas  mit  seinem  Bruder  Xeno- 
krates*),  und  Alexandres,  der  den  Griechen  wohlgesinnte  Ahne 
Alexanders  des  Grossen*);  auch  Kyrenes  König  Arkesilaos 
(der  vierte  seines  Namens)  erhielt  von  Pindar,  weil  sie  als 
AigeXden  sozusagen  verwandt  waren,    zu   seinem  Ol.  78,  3  in 


1)  Oh  78,  1  nach  Leop.  Schmidt  S.  274  f. 

2)  S.  66,  4;  dazu  Ol.  9,  74.  Isthm.  2,  9.  Nem.  4,  60. 

3)  T4jv  jioöoav  dp^opiav  icoioüjjlcvo^  fr.  287  (120),  vgl.  Sternbach  mele- 
temata  Graeca,  Wien  1886  p.  138  ff. 

4)  OL  n.  ni.;  Pyth.  VI.  Isthm.  IL 

6)  Fr.  97.  98.  Dionys.  Halic.  de  vi  die.  Dem.  26.    Dio  Chrysost.  2,  83. 
Sollnns  c.  24.  E.  28. 


Digitized  by 


Google 


74  rV.  Kapitel. 

Delphi  errungenen  Siege  zwei  Oden^).  Die  meisten  der  pinda- 
Tischen  Lieder  sind  für  hervorragende  Privatleute  gedichtet, 
mit  deren  Familie  der  Dichter  nicht  selten  das  Band  der 
Gastfreundschaft  verknüpfte;  zumal  den  rührigen  Bürgern 
Aiginas,  die  bei  allen  bedeutenden  und  unbedeuteuden  Spielen 
der  Griechen  seit  alter  Zeit  auflfallend  viele  Preise  empfingen, 
konnte  ihr  Konsul*)  eine  solche  Bitte  nicht  abschlagen  und 
verfasste  ihnen  nicht  weniger  als  elf  Oden,  ein  volles  Viertel 
der  erhaltenen  Sammlung. 

Hat  sich  nun  ein  so  hochgeborener  und  vielbekannter 
Mann  in  der  bewegten  Geschichte  seiner  Vaterstadt  gar  nicht 
bemerkbar  gemacht?  Hat  er,  als  Aristokraten  und  Demokraten 
mit  mehrmals  wechselndem  Glücke  um  die  Herrschaft  rangen, 
den  durch  seine  Ahnenschaft  ihm  zustehenden  Platz  einge- 
nommen? Die  Antwort  muss  verneinend  ausfallen ;  das  schein- 
bare Rätsel  klärt  sich,  wenn  wir  aus  Pindars  Gedichten  sein 
politisches  Glaubensbekenntnis  erforschen  ^).  Er  war  freilich  ein 
Aristokrat  vom  Scheitel  bis  zur  Zehe,  dem  die  Unveränderlich- 
keit  der  dorischen  Satzungen  das  Ideal  war*),  wie  er  an  dem 
einzelnen  Manne  die  angestammte  ererbte  Tüchtigkeit  auf  das 
höchste  schätzte  und  von  dem  self-made  man  nichts  hielt  ^).  Aber 
diese  aufrichtige  Ueberzeugung,  so  oft  und  unverhohlen  Pindar 
sie  auch  aussprach,  drängte  er  niemanden  auf  und  hielt  sich 
von  dem  Getriebe  der  Parteien  ferne,  wenn  gleich  er  sonst 
wie  den  Freund  zu  lieben,  so  den  Feind  aus  ganzer  Seele  zu 
hassen  verstand^.  Im  Gegenteil  erkannte  Pindar  auch  demo- 
kratische Staaten  vorurteilslos   an,    wenn  sie  so  mächtig  und 


1)  Pyth.  IV.  V.;  nach  Dnncker  Geschichte  des  Altertums  VIII  S.  290 
A.  2  spielen  sie  auf  den  462  in  Aegypten  aasgebrocheuen  Aufstand  an. 

2)  Nem.  7,  66  Kpo^tvicf  ni^zoi^'  (Tycho  Mommsen,  Christ  und  Mezger 
lesen  xal  (tvia). 

3)  üeber  Pindars  politische  Ansichten  handeln  speziell  W.  Wachs- 
mut h  de  Pindaro  reipublicae  oonstituendae  et  regendae  praeceptore  disputatt. 
n.  Kiel  1823.  1824;  J.  Marcus  de  argumento  politico  Pindari  carminibus 
intexto,  Triest  1856. 

4)  P.  1,  62f.  fr.  1.  Vgl.  P.  10,  1.  J.  6,  12ff. 

5)  Tycho  Mommsen  Pindaros  S.  19  A.  63;  Rauchenstein  zur  Einl. 
in  Pind.  Siegesl.  S.  57 f.,  Croiset  a.  O.  p.  226ff.,  z.  B.  Ol.  9,  lOD  t6  H 
(po^  xpctTiotoy  &icav.  2,  9J  ootpöc  6  icoXXd  cliux;  fo^, 

6)  Pyth.  2,  83  f. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  75^ 

dabei  doch  so  massvoll  auftraten  wie  das  A.then  des  Aristeides. 
Der  Dichter  sprach  dies  ungescheut  aus,  als  eiu  solches  Wort 
in  Theben  gefllhrlich  war;  weil  er  Athen  „das  Bollwerk  von 
Hellas'*  hiess'),  belegten  ihn  seine  Mitbürger  mit  einer  Geld- 
strafe, wofür  ihn  Athen  sofort  entschädigte  und  durch  die 
Emennimg  zum  Konsul  ehrte*).  Jener  Preis  Athens  stand 
in  einem  Dithyrambofi,  welchen  Pindar  in  Athen  zur  Auf- 
führung brachte;  die  Athener  haben  sich  noch  lange  mit  Stolz, 
daran  erinnert^).  Siegeslieder  dagegen  dichtete  er  nur  zweimal 
für  athenische  Adelige. 

Ob  der  grösste  Lyriker  der  Zeit  der  Perserkriege  das 
seiuige  beigetragen  habe,  damit  der  Freiheitskampf  den  Nach- 
kommen im  verklärenden  Lichte  der  Poesie  erschiene,  haben 
viele  gefragt,  unter  ihnen  Polybios,  der  denn,  als  er  statt  der 
erwarteten  waflFenklirrenden  Lieder  fand,  dass  Pindar  damals, 
wie  sonst*),  Euhe  als  die  erste  Bürgerpflicht  empfohlen  habe, 
über  diese  Teilnahmslosigkeit  sich  ereiferte*);  fehlte  es  doch 
an  patriotischen  Dichtungen,  worin  gewöhnlich  die  Perser  kriege 
dem  Trojazuge  entgegengestellt  wurden,  damals  durchaus  nicht ^), 
Daran,  dass  Pindar  von  Marathon  schweigt,  ist  bei  der  mehr 
lokalen  Bedeutung  des  Sieges  nichts  wunderbares;  was  hin- 
gegen den  Xerxeskrieg  anlangt,  so  erinnere  man  sich,  dass 
Pindars  Mitbürger  und  Standesgenossen  den  Kern  des  persischen 
Heeres  ausmachten,  —  wie  konnte  er  also  für  einen  Krieg  sich 
begeistern,  welcher  keineswegs  die  ganze  Nation  auf  der  einen 
Seite  vereinigte?  —  dass  Theben  für  diese  Haltung  schwer 
büssen  musste  —  wie  durfte  er  da  ein  Jubellied  anstimmen? 
Hätte  Pindar  so  etwas  über  sich  gewinnen  können,  wo  er  über 
den   Ehrungen   der  Fremdeü   nie   die  engere  Heimat  vergass 


1)  'EXXci^oc  fp»toji.a  fr.  76. 

2)  Isoer.  15,  166.  Ps.  Aeechin.  epist.  IV.  I«etzfcerer  läset  die  Statne, 
-welche  Paasanias  1,  8,  4  erwähnt,  hei  diesem  Anlasse  errichtet  werden,  was 
nach  Demoeth«  Aristocr.  196  unwahrscheinlich  ist;  übertrieben  Libanios  m 
27.  407,  8.  Anecd.  Oxon.  IV  155  f. 

3)  Fr.  75flf,  8.  Bergk  zu  fr.  76;  Pindar  bei  den  Dionysien,  in  einer 
TOD  Himerios  (or.  11,  4)  berührten  Anekdote. 

4)  Pyth.  8,  Iflf.  11,  55.  Ol.  4,  14  und  6. 

5)  4,  31,  5.  6;  vgl.  Böokh  index  lect.  von  Berlin  1881  =  gesammelte 
kleine  Schriften  4,  436  ff. 

6)  VgL  Isocrat.  4,  158;  z.  B.  die  „Perser**  des  Timotheos. 


Digitized  by  CjOOQIC 


76  rV.  Kapitel. 

\ind  stolz  sein  Ansehen  gegen  das  Hohnwort  „böotische 
Schweine'*  in  die  Wag^chale  warf  ^)?  Von  dem  Unglück  des 
Vaterlandes  tief  getroffen ,  wusste  der  thebanische  Dichter 
keinen  anderen  Trost  als  das  Vergangene  zu  vergessen  und 
nur  der  Gegenwart  zu  leben  *).  In  Salamis  sieht  er  also  zuerst 
einfach  die  Stätte  einer  furchtbaren  Völkerschlacht,  wo  das 
göttliche  Unwetter  zahllose  Männer  vernichtete,  wie  der  Hagel 
die  Aehren  (Isthra.  4,  49  f.).  Erst  später  fasste  er  den  Kampf 
zwischen  Griechen  und  Barbaren  vom  nationalen  Standpunkte 
auf  ^).  Denken  wir  uns  statt  Pindars  Verhältnissen  die  Befreiungs- 
kriege und  etwa  einen  sächsischen  Dichter,  so  werden  wir  den 
Thebaner  vielleicht  am  richtigsten  verstehen. 

Die  Mangelhaftigkeit  der  biographischen  Ueberlieferung 
wird  glücklicher  Weise  durch  den  ausdrucksvollen  Charakter 
des  Dichters  aufgewogen.  Aus  seinen  Liedern  spricht  eine  edle 
mannhafte  Persönlichkeit ;  sie  hat  ihm  allgemeine  Achtung  ver- 
flchaflt  und  den  Erfolg  seiner  Dichtungen  nicht  unwesentlich 
gefördert.  Das  bedeutende  Selbstgefühl,  mit  welchem  Pindar 
von  sich  selbst  zu  sprechen  pflegt*),  indem  er  sich  z.  B.  mit 
<Jem  Adler  und  Löwen  vergleicht,  während  seine  Gegner 
kreischende  Krähen  und  freche  Füchse  sind^),  war  nach  grie- 
chischer Anschauung  keine  Schwäche,  weil  er  sein  Genie  de- 
mütig der  Gnade  der  Götter  allein  zuzuschreiben  nicht  ermüdete ; 
er  fühlte  sich  beim  Schäften  von  göttlichem  Geiste  bewegt  und 
sprach  wie  ein  Prophet  und  Priester  der  himmlischen  Gott- 
heiten •);   denn  er  war  ein  tief  religiöser  Mann^,    der  an  dem 


1)  O.  6,  90.  fr.  83. 

2)  Jsthm.  7,  7 ff.  wird  allerdings  seflr  verschieden  gedentet  (s.  Mezger 
Pindars  Siegeslieder  S.  353.  Croiset  p.  271  f.). 

3)  Pyth.  1,  75flf.,  fr.  77,  78. 

4)  Karl  Seidenadel  de  Plndaro  non  immodesto  ex  Pindaro  adnm- 
bratio,  Progr.  von  Brnchsal,  Karlsruhe  1855;  s.  B.  O.  1,  112ff.  n.  6.  Vgl. 
Plntarch.  de  lande  sui  1.  Aristid.  or.  49  III  p.  643f.  (11  509  D.).  Schol. 
Aeschin.  3,  156. 

5)  N.  3,  80.  5,  21.  fr.  237. 

6)  Fr.  90,  5  ÄotJtjiov  Iliepidatv  ttpo^pitav,  150  (118),  [i.avt»üto,  Motoa, 
icpotpattoocü  8'iY«"i  vgJ«  O.  11  (10),  8  ff. 

7)  Limburg-Brouwer  essai  snr  la  beant^  morale  des  po^es  de 
Pindare,  Brüssel  1830;  O.  F.  L.  Petri  anthologia  Pindarica  theologioo-moralis, 
Halle  1831;   Zeyss  qnid  Homerns  et  P.  de  yirtnte  civitate  diis  statnerint, 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  77 

Glauben  seiner  Väter  nicht  rtittelt^,  sondern  ilin  idealisierte^ 
indem  er  die  seiner  hohen  Auffassung  des  Göttlichen  nicht 
entsprechenden  Mythen  entrüstet  verwarft).  Darum  genoss  der 
fromme  Dichter  in  dem  Mittelpimkte  des  hellenischen  Priester- 
tums  hohes  Ansehen  und  galt  den  Delpbiem  wie  einer  der 
Ihrigen,  so  dass  der  Gott  bei  jedem  Opfermahl  Pindar  durch 
den  Mund  der  Priester  zu  Gaste  lud,  eine  Auszeichnung,  welche 
sich  sogar  auf  seine  Nachkommen  vererbte*).  Pausanias  sah 
im  Heiligtum  noch  einen  eisernen  Stuhl,  auf  dem  Pindar  oft 
vom  pythischen  Apollo  gesungen  haben  solP);  Lieder  erachtete^ 
er  ja  för  die  kostbarste  Gabe,  die  er  einer  Gottheit  weihen 
mochte*).  Doch  war  der  gottesfürchtige  Mann  so  wenig,  wie 
in  der  Politik,  in  seiner  Religiosität  einseitig:  Aus  Kyrene  brachte 
er  von  seinen  Verwandten  den  Kult  des  Zeus  Ammon,  von  dem 
es    zuvor   in  Griechenland    weder  Tempel   noch  Bild   gegeben 


Jena  1832;  de  Jongh  Pindari  sapientia,  Utrecht  1837;  Ant.  Eberz  theo- 
logumena  Pindari  lyrici.  Manchen  1839;  Alex.  Gabr.  Sj Ostrom  de  ethici» 
in  Pindaro  monitionibos,  Helsingf.  1840;  Qilquin  commentatio  Pindarica, 
Utrecht  1843;  M.  Seebeck  Rhein.  Ma8.3  (184^)  S.  509fr.;  Koch  de  hominis 
statn  ac  natura  in  P.  carmm.  expressa,  Gotha  1845;  Winiewski  über  die 
Quelle  von  Pindars  Glanben  über  den  Znstand  der  Seelen  nach  dem  Tode, 
ind.  lect.  hib.  Münster  1845;  G.  Bippart  theolognmena  Pindarica,  Diss.  y.. 
Jena  1846;  J.  C.  H.  Clausen  theolognmena  Pindari  lyr.  I.  Pr.  v.  Eiber- 
feld  1854;  Nägelsbach  die  nachhomerische  Theologie  des  griech.  Volks- 
glaubens, Kömberg  1857;  Böthke  Pindars  Ideen  über  das  Loos  der  Menschen^ 
Jahrb.  f.  Phil.  80  (1859)  S.  185 ff.;  P.  Montöe  quis  et  qualis  P.  moralium 
auctor  exstiterit,  Paris  1860;  Dronke  Ztsch.  f.  das  Gymnasial w.  14  (1861) 
S.  68 ff.;  H.  Skelnik  P.  et  Aeschyli  sententiae  ad  deos  deorumque  cultum 
pertinentes,  Eönigsb.  1864;  Const.  Bnlle  de  Pindari  sapientia,  Bonn  1866; 
£.  Buch  holz  die  sittliche  Weltanscbanung  des  Pindaros  und  Aeschylos,  Lpg. 
1869;  Konr.  Ohler  t  de  heroologia  Pindarica,  Diss.  v.  Jena,  Königsberg  1870; 
Loth.  Böhme  quid  P.  tum  de  jure  humano  tum  de  jure  divino  judicarit, 
Diss,  V.  Giessen,  Lpg.  1872;  H.  Fritzsche  der  &VY)p  ä-^aHt;  bei  P.,  Ver- 
handl.  der  Eostocker  Phil.  Vers.,  Lpg.  1876  S.  30  ff.;  Franc.  Cipolla  Riv. 
di  filologia  6,  366 ff.;  J.  J.  Schwickert  kritisch>exeget.  Erörterungen  zu  P. L 
Pr.  V.  Trier  1882. 

1)  Ol.  1,  53  f.  9,  35  ft. 

2)  Pausan.  9,  23,  3.  v  16  ff.   E  47 ff.  Th.  17  ff.  vgl.  Preller  in   Pole- 
monis  fragm.  p.  68,  Aug.  Mommsen  Delphica  pr.  3. 

3)  10,  24,  5  s.  auch  Plut.  symp.  8,  1,  1. 

4)  Philodem,  de  musica  IV  col.  21,  10  ff.  p.  89  Kemke. 


Digitized  by 


Google 


78  rV.  Kapitel. 

hatte,  nach  Theben  mit^);  der  Artemis  Eukleia  stellte  er  ein 
kostbares  Weihgeschenk  auf^;  er  kam  nach  Eleusis,  um  die 
'Geheimnisse  der  attischen  Mysterien  zu  schauen,  und  besang 
nachmals  in  einem  herrlichen  Trauerliede  ihre  beseligende  Kraft'). 
Endlich  errichtete  Pindar  neben  seinem  Wohnhause  der  Götter- 
mutter ein  Heiligtum*)  Vielleicht  hatte  er  selbst  ein  Priester- 
amt  ererbt^),  jedenfalls  erlebte  er  noch  die  Freude,  seineu 
Bohn  DaKphantos  in  der  Würde  eines  Apollopriesters  zu  sehen, 
wozu  er  ihm  ein  ProzessionsUed  dichtete^). 

Ein  Liebling  der  Götter  war  der  Dichter  nach  der  Legende 
sein  Leben  lang:  Schon  als  er  in  jungen  Jahren  auf  dem  Helikon 
der  Jagd  pflog,  setzte  sich  eine  Biene,  das  heilige  Tierchen  der 
Musen,  auf  seinen  Mund,  worauf  die  Göttergabe  honigsüssen 
Gesanges  ihn  durchströmte^).  Ein  Lied  des  Meisters  hörte  man 
den  Gott  Pan  in  den  Bergen  singen  ^.  Auch  der  Tod  des 
Dichters  ist  von  solchen  Legenden  verklärt.  Nach  den  einen 
Uess  der  Greis  Apollo  fragen,  was  das  Beste  für  den  Menschen 
sei,  und  erfuhr  es  bald  darauf  im  Tode*).  Nach  den  anderen 
holte  ihn  Persephon^e,  ungehalten  dass  sie  allein  unter  den 
<jröttem  von  ihm  noch  nicht  besungen  war,  zu  sich  und  empfing 
in  der  Unterwelt  von  dem  Schatten  des  Dichters  diese  Hul- 
digung*®).    Er  starb   nicht  nach  hartem  Leiden,    sanft   schlief 


1)  Pauaau.  9,  16,  1. 

2)  Pausan.  9,  17,  2. 

3)  Fr.  129—133.  Deswegen  wird  er  auch  zu  den  Pythagoreeru  ge- 
rechnet (dem.  Alex,  ström.  5,  709  P,  598  S). 

4)  Pausan.  9,  25,  3. 

5)  Leop.  Schmidt  S.  13. 

6)  V  41  (8a«pvYj«poptx6v  ^ojjia). 

7)  Chamaileon  und  Istros  bei  £.  72  ff.  (ol  Zi  leitet  eine  rationalistische 
Deutung  ein).  Pausan.  9,  23,  2 ;  im  Knabenalter  nach  einem  philostratischen 
Bude  (2,  12),  Aelian.  var.  bist.  12,  45.  v  20ff.  E  82  ff.  (tivi^;  Antipatros 
<Anthol.  Planud.  305,  3  f.)  lässt  das  Alter  unbestimmt.  Ueber  die  Bienen 
PhUostrat.  imag.  2,  8  p.  413,  29  K. 

8)  Antip.  a.  O.  u.  A.,  b.  Bergks  Note  zu  fr.  95. 

9)  Plutarch.  consol.  ad  Apoll.  14;  statt  ApoUo  setzen  £  97  ff.  u.  V  33ff. 
Ammon. 

10)  Pausan.  9,  23,  3.  V  20  ff.  E  69  ff. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  79 

«r,  an  seinen  Liebling  Theoxenos  gelehnt  ein^),  und  zwar  wie 
es  lieisst  in  Argos  *).  Der  Leib  des  Sängers ,  den  .  so  oft  der 
Sieg  eines  edlen  ßossegespannes  zu  den  schönsten  Liedern 
begeistert  hatte,  wurde  in  der  Rennbahn  von  Theben  beige- 
setzt*). Er  hatte  ein  Alter  von  sechsundachtzig  Jahren  erreicht*) ; 
ist  dies  nicht  erfunden,  so  starb  Pindar  436/5  (Ol.  86,  1)^). 
Die  zuverlässigen  Anspielungen ,  welche  in  den  Gedichten  zu 
finden  sind,  reichen  bis  zum  Jahre  451  (Ol.  82,.  1),  in  dem  die 
vierte  olympische  Ode  gedichtet  ist. 

Pindars  Werke  waren  an  Zahl  und  Umfang  so  gross,  dass  sie 
siebzehn  Bände  füllten;  es  gab  zwei  verschiedene  Anordnungen, 
deren  üblichere  vielleicht  von  dem  alexandrinischen  Grammatiker 
Aristophanes  herrührte^.  Gemäss  der  Sinnesart  Pindars  waren 
volle  zehn  Bücher  ausschliesslich  den  Göttern  gewidmet.  Von 
religiösen  Dichtungen  fand  man  hier  alle  Arten :  Tpot,  icatave<;, 
«pooöSta,  ;cap*ivta  in  dorischer  Tonart^)  und  8t*6pa|ißoi.  Die 
eine  Liste  weist  den  drei  letztgenannten  Gattungen  je  zwei 
Bücher  zu;  wie  diese  entstanden,  zeigt  Suidas,  welcher  ausser- 
dem anführt:  'Ev^poviofioC  (Hymnen  an  die  Göttermutter)®), 
dafVTjfopixd   (Prozessionslieder  für  das  thebanische  Apollofest), 


1)  Im  Gymnasion  (Valer.  Max.  9,  12  ext.  7,  nach  Leop.  Schmidt  S .  29 
Kombination)  oder  im  Theater  (Suidas ;  wie  E.  28  ff.  zeigt,  kombiniert) ; 
Theoxenos*  Name  ist  vieUeicht  ans  fr.  123  (vgl.  Athen.  13,  601  c)  entlehnt. 

2)  Epigramm  bei  E  2^  =  Y  50. 

3)  Paosan.  9,  23,  2. 

4)  E  19  und  Th.  54  ist  statt  66  gewiss  86  zu  schreiben;  abgerundet 
SO  T  31.  fvtot  E.  19,  weshalb  Böckh  för  Ol.  84,  3  spricht. 

5)  Ol.  86  nach  E  18.  Th.  55  (86,  4  Tycho  Mommsen  S.  29). 

6)  Diese  steht  V.  43 ff.  (ähnlich  E.  172  ff.),  die  andere  bei  Suidas.  Vgl. 
Bergk  p.  367 ff.  Lubbert  ind.  lect.  von  Bonn  1884  p.  11  f.  Dagegen  er- 
klärt Hill  er  Hermes  21,  357 ff.  die  Besonderheiten  der  zweiten  Liste  für 
erdichtet.  Nach  der  Buchteilnng  des  Biographen  sind  jedenfSftUs  citiert  fr. 
71.  72.  95.  103»  104;  von  dem  Suidas  Eigentümlichen  erwähnen  Athen.  13, 
573  e,  Suidas  u.  'A^vaia<;  und  die  Wiener  Handschrift  des  Thomas  die 
ox6Xia. 

7)  Plntarch.  mus.  17;  fr.  95  tmd  104  h  zoXz  xe^cupiafievotc  tü>v  nap- 
^vMov,  8.  8.  81  A.  4. 

8)  Vgl.  Suidas  u.  'Op(p«a^;  ich  habe  durch  die  Ordnung  angedeutet, 
wie  diese  in  die  obige  Liste  einzureihen  sind.  Philodemos  citiert  fr.  80  ftv 
t4» . .  GIN  . .;  man  vermutet  icpooifii({>.  Wenn  wirklich  so  stand,  war  es  für 
icpoooBup  4>der  icapoivicp  verhöct. 


Digitized  by 


Google 


80  IV.  KapiteL 

Baxxtxd^)  und  Spafiaxa  tpa^ixA^,  sämtlich  Dichtungen,  welche 
mit  den  Kulten  Thebens  zusammenhängen.  Dazu  kamen  mehr 
oder  minder  weltliche  Gedichte,  nämlich  die  vier  Bücher  Sieges- 
lieder, ferner  Trinklieder,  lY)M«>[ita  (vielleicht  von  der  eigentlichen 
Sammlung  ausgeschlossene  Siegeslieder')  und  Festgedichte  nach 
Art  der  letzten  nemeischen  Ode)  und  endlich  Trauerlieder,  in 
denen  Pindar  hinter  Simonides  kaum  zurückstand^).  Gegen 
keine  dieser  zahlreichen  Dichtungen  entstanden,  so  viel  uns  be- 
kannt ist,  Zweifel  an  der  Echtheit,  wie  auch  die  Bedenken 
Neuerer  eine  überzeugende  Kraft  nicht  haben  ^);  der  Kukuk 
legt  seine  Eier  nicht  in  das  Nest  des  Adlers.  Höchstens  war 
bei  konventionellen  Epigrammen  und  Sprüchen  in  Prosa  eine 
Unterschiebung  möglich  und  eine  solche  ist  denn  auch  nicht 
ausgeblieben  *). 

Von  diesen  sämtlichen  Dichtungen  sind,  obgleich  noch  im 
dreizehnten-  Jahrhundert  Eustathios  und  Theodoros  Metochites 
viel  mehr  als  Wir  lasen  ^),  die  Siegeslieder  (lirtvtxoi  oder  iTrtvixta)^ 
allein  erhalten,   weil  sie  sowohl  in  Hinsicht  auf  den  Ausdruck 


1)  Niwh  Böckh  p.  556  'loßaxxot,  nachLübbert  a.  O.  p.  13  balfchiscbe 
Prozessionslieder;  Bergk  p.  371  vermutet  'loßax^^txdc. 

2)  iC  (bei  Suidas)  ist  das  Additionsergebnis  eines  misstraniscben  Lesers 
(vgl,  Welcker  griecb.  Trag.  S.  1290). 

3)  Z.  B.  dos  Istbm.  I.  erwäbnte  Lied  auf  ein^n  deliscben  Sieg. 

4)  Vgl.  Georg.  Galesiota  (citiert  S.  64  A.  3). 

5)  E.  G.  Cb.  Bach  dnbitationes  de  anthentia  Pindari  Istbmiorum  carm. 
Vm.,  Erfurt  1806;  E.  v.  Leu t seh  Philol.  1,  116 flf.  zweifelt  mit  Zustim- 
mung von  Rossbach  und  Westphal  Metrik  in  S.  362  ff.,  Leopold  Schmidt 
S.  388  f.  und  Bergk  p.  5  die  f&nfte  olympische  Ode  an  wegen  des  Scholions : 
AüTY]  4|  ({)§•}]  Iv  p.^v  Toic  ft8a?ptotc  ohn  •Jjv,  h  hi  tote  Ai$6p,oo  6K0fj.VYjp.aaiv 
ecpipcTo  öiz  IlivSdcpoo  (d.  h.  der  nach  Didymos  lebende  Gewährsmann  des 
Scholiasten  fand  die  Ode  in  den  von  ihm  eingesehenen  Handschriften  nicht) ; 
8.  dagegen  G.  Hermann  Ber.  über  die  Verh.  der  sächs.  Ges.  der  Wiss.  1847 
S.  322 ff.  Vgl.  auch  Hoekstra  Verslagen  en  Mededelingen  der  Akad.  te 
Amsterdam,  letterkunde,  HI  1  (1885). 

6)  Suidas.  E.  147  f.  ttuv  Iv  tig  üivSapix'g  ßtßX(|>  xei^ji^vwv  fvcufjuxcov  8iico(p- 
^»YjJ^iTtov, 

7)  S.  z.  B.  Eust.  171.  176  (jidXtota !). 

8)  Bergk  p.  23,  zusammengefasst  unter  dem  Namen  (•?]  XeYojA^vYj)  nepio- 
8oc  Thomas  M.  Z.  31.  Der  allgemeinere  Name  war  ({>8ai  (Bergk  p.  24)  oder 
eTo-rj  (Eust.  34,  s.  Bergk  p.  25). 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  gl 

als  auf  das  Mythologische  die  geringsten  Schwierigkeiten  boten  ^). 
Den  obersten  Einteilungsgrund  gab  nicht  wie  bei  den  simoni- 
deischen  Liedern  die  Art  des  Wettkampfes,  sondern  der  Ort 
des  Sieges  ab.  Mithin  sonderte  man  'OXo{iiciovtxai ,  Ilo^iovlxai, 
Ne|ieoytxai  und  lo^iovixai^,  welche  dann  wieder  unter  sich 
nach  den  Kampfarten  geordnet  waren.  Unter  den  pythischen 
Oden  verdient  die  zweite  ihre  Stelle  nicht,  da  sie  sich  vielmehr 
auf  einen  in  Theben  gewonnenen  Preis  bezieht  (S.  71).  Während 
dies  den  alten  Gelehrten  entging,  machten  sie  bewusst  am 
Schlüsse  der  Sammlung  —  die  Ns|jL80Vtxai  standen  nämUch 
früher  am  Ende*)  —  einen  Anhang  von  drei  Chorliedem,  welche 
sonst  nirgends  imterzubringen  waren  ^);  die  neunte  und  zehnte 
.,nemeische**  Ode  sind  nämlich  für  Sieger,  welche  in  Sikyon 
und  Argos  auftraten,  verfertigt^),  die  elfte  vollends  saug  ein 
Chor  zu  Ehren  eines  Mannes,  der  zwar  nach  Pindars  liebens- 
würdiger Versicherung  zu  den  olympischen  und  pythischen 
Siegern  hätte  zählen  können  (V.  22  flf.),  in  Wirklichkeit  jedoch 
die  weniger  glänzende  Würde  eines  Prytanen  von  Tenedos  er- 
langte. Aus  diesem  Anlasse  wurde  ein  kleines  Fest  gefeiert, 
welches  Pindars  Muse  verschönerte  ^.  Leider  ist  die  Sanmilung 
nicht  ganz  vollständig  erhalten,  weil  die  letzten  der  isthmischen 
Oden  untergingen.  Der  codex  Mediceus  B  enthält  hinter  der 
VII.  (Vni.)  wenigstens  noch  eine  Strophe  (Fr.  1);  für  den  Rest 
müssen  einige  Citate  (Fr*  2  fif.)  genügen^). 

Da  ein  neidisches  Geschick  uns  nur  ein  ganz  einseitiges 
Urteil  über  den  grossen  Meister  gestattet,  steht  dem  Literar- 
historiker um  so  mehr  die  Pflicht  zu,  das,  was  uns  geblieben 


1)  Eust  Z.  176  f.  Öti  xb  &v^pa>TCtxa>t8pot  etvat  xal  ÖXt^ofi^ot  xal  ji-rjÖi 
«dtvo  e^Biv  Äaa^ic  xatA  f^  "^^  5XXa. 

2)  In  den  jüngeren  Handschriften  steht  'OXojATCta,  flad'ia  n.  s.  w.  Ueber  den 
Titel  s.  Bergk  p.  23  f.  Der  alte  stammt  aus  Pindar  selbst  (Ol.  3,  3  'OXop.«tovtxav 
opov.  4,  70  'OXojiictovtxav    xäjaov.    7,  88  ßp.voo  te^^iv  'OXojiictovixav). 

3)  Dies  bestätigen  zwei  Breslauer  Handschriften  des  Thomas  p.  100, 2  W. 

4)  Schol.  zu  Nem.  JX  p.  256,  4  Abel  M  x6X(i>pio|iivat  f^povxai. 

5)  Auch  der  Held  der  achten  stand  nach  Didymos  in  der  nemeischen 
Liste  nicht. 

6)  Dionjsios  von  Phaseiis  und  Didymos  (in  den  Schollen  p.  332,  14 
Abel)  rechneten  die  Ode  zu  den  Rapoivia. 

7)  Beizufögen  ist  Frg.  adesp.  lyr.  103  p.  722.  üeber  die  Z&hlung  der 
Isthmien  s.  Bergk  p.  21. 

Sittl,  Gesebichte  der  griechischen  Literatur.  HI.  q 


Digitized  by 


Google 


82  IV.  Kapitel. 

ist,  in  das  gebührende  Licht  zu  stellen;  fällt  es  doch  dem  mo- 
dernen Menschen  unendlich  schwer,  die  enthusiastische  Bewun- 
derung, welche  ein  Grieche  bei  einer  pindarischen  Ode  empfand, 
verständnisvoll  und  ohne  Affektation  nachzufühlen.  Wir  spüren 
alle  den  Hauch  eines  grossartigen  Genius,  sowie  wir  uns  jedoch 
über  diesen  Eindruck  Rechenschaft  geben  wollen,  tritt  uns  das 
Fremdartige  seiner  Dichtungsweise  klar  vor  Augen.  Darum  sei 
hier  zuvörderst  versucht,  das  Wesen  des  griechischen 
Siegesliedes  im  einzehien  zu  zergliedern;  was  davon  Simo- 
nides,  was  Pindar  zum  Ruhme  gereicht,  wer  möchte  dies  zu 
bestimmen  wagen? 

Den  Nichtgriechen  frappiert  vor  allem  der  Gegenstand, 
wiewohl  am  Ausgange  des  Mittelalters  unsere  Literatur  etwas 
annähernd  ähnliches  in  den  Festgedichten  der  ritterlichen  Wappen- 
dichter und  der  bürgerÜchen  Pritschen meister  besass.  Die  Ver- 
anlassung scheint  mit  dem  hohen  Fluge  der  pindarischen  Muse 
nicht  in  dem  richtigen  Verhältnisse  zu  stehen.  Faustkärapfer, 
WetÜäufer,  Ringer,  Rennpferde  —  was  ist  daran  begeisterndes 
oder  poetisches?  Griechenland  dachte  darüber  eben  anders; 
in  wie  weit  es  dabei  Recht  oder  Unrecht  hatte,  gehört  nicht 
in  die  Literaturgeschichte.  Es  war  nun  einmal  dem  hellenischen 
Bürger  kaum  möglich,  auf  anderem  Wege  höheren  Ruhm  zu 
erreichen  als  wenn  ihm  in  einem  der  vier  Nationalspiele  ein 
Preis  zufiel  ^).  Man  sah  in  diesen  die  f^anzschule  der  höchsten 
ipetn},  wenn  sie  sich  auch  mehr  in  körperlicher  Beziehung  be- 
thätigte,  und  verehrte  den  Sieger  wie  einen  erklärten  Güustling 
des  Gottes,  welchem  das  Spiel  geheiligt  war.  Darum  warteten 
des  Glücklichen  unendliche  Ehren:  Am  Festorte  selbst  trug 
der  Heroldsruf  seinen  Namen  zu  den  leidenschaftlichen  Anteil 
nehmenden  Vertretern  aller,  auch  der  entferntesten  Gaue,  wo 
es  nur  Hellenen  gab;  die  heimische  Bürgerschaft  ehrte  den 
„Hieronikos**  als  Wohlthäter  des  Gemeinwesens  durch  ausser- 
ordentliche Privilegien,  nicht  selten  verewigten  Münzbilder  Renn- 
siege*), ja  eine  Stadt  riss  in  die  Mauern  eine  Bresche,  damit 

1)  Das  Antiquarische  ist  bei  J.  H.  Krause  HeUenika  od.  Institute, 
Sitten  und  Bräuche  des  alten  fleUas,  I  1\  2.  11  2.  Lpg.  1841  und  Olympia 
od.  Darstellung  der  grossen  olymp.  Spiele,  Wien  1838  gesammelt. 

2)  B.  Stuart  Poole  the  use  of  the  coins  in  Illustration  of  the  fourth 
and  fifth  Olympian  Ödes  of  Pindar,  Transactions  of  the  royal  society  of  Ute- 
rature,  Vol.  X  p.  m  n.  s. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  83 

der  Sieger  glanzvoll  einziehen  könne;  für  die  Familie  endlich 
gab  es  keinen  höheren  Stolz  als  solche  Ehrenpreise  aufzuweisen 
oder  zu  ererben,  die  man  nicht  geringer  schätzte  als  römische 
Patrizier  Triumphe  ihrer  Ahnen  ^).  Unter  derartigen  Verhält- 
nissen kannte  Pindar  kein  besseres  und  edleres  Glück  als  einen 
solchen  Sieg,  so  dass  er  wiederholt  den  Gefeierten  mahnt,  er 
möge,  der  Vergänghchkeit  des  höchsten  irdischen  Glanzes  ein- 
gedenk,  sich  nicht  vermessen  den  Göttern  gleichstellen. 

Das  Fest  wäre  nach  griechischen  Begriffen  nicht  vollkommen 
gewesen,  hätte  es  des  Schmuckes  der  Poesie  entbehrt.  Seitdem 
es  überhaupt  Wettkämpfe  gab,  „lange  vor  Adrastos  und  dem 
Streite  der  Kadmeer'*^),  wurde  dem  Sieger  zugesungen;  schon 
bei  dem  ersten  olympischen  Spiele  des  Herakles,  stellt  Pindar 
sich  vor,  erscholl  die  ganze  Altis  von  frohen  Liedern^).  Erst 
ging  diese  Huldigung  von  Verwandten  und  Freunden  des 
Siegers  aus.  Auf  Aigina,  das  zahllose  Preise  eroberte,  blühte 
auch  das  Enkomion*)  und  Pindar  erwähnt  bei  einem  aigi- 
netischen  Knaben  ausdrücklich,  dass  dessen  Grossvater  Euphanes 
den  Sieg  seines  Sohnes  besungen  habe  und  dass  der  Vater 
Timokritos,  wenn  er  noch  lebte,  dem  jungen  Timasarchos  das- 
selbe bereiten  würde  ^).  Als  sich  jedoch  die  lyrische  Kunst  so 
verfeinerte ,  dass  ein  Dilettant  die  technischen  Schwierigkeiten 
nicht  mehr  leicht  überwand,  nahmen  wirkliche  Dichter  diese 
Art  in  die  Hand,  zuerst  wahrscheinUch  von  prachtliebenden 
Fürsten  eingeladen,  bis  der  Ehrgeiz  reicher  Adeliger  denselben 
dieses  Vorrecht  streitig  machte.  Simonides  ist,  so  viel  die 
Alten  melden,  derjenige,  welcher  das  Siegeslied  zu  einer  Literatur- 
gattung erhob;  ihm  folgen  Pindar,  Bakchylides  und  Diagoras. 
Sonst  wird  noch  eine  Ode,  mit  welcher  angeblich  der  Tragiker 
Eoripides  einen  Sieg  des  Alkibiades  feierte,  erwähnt,  doch  ist 
aus  dem  Stillschweigen   der  Gelehrten   nichts    weiter   als   das 


1)  Cicero  pro  Flacoo  13,  31. 

2)  Find.  Nem.  8,  61.         ' 

3)  Ol.  10  (11),  76  f.  ÄeiSftto  8i  icäv  tljitvo«:  tspKvaiot  d-aXtat«:  t6v  h(%oi\i.t.o'^ 
&}i.f  l  tpoicov. 

4)  Vgl  Nem.  6,  31  ff.  7,  9  «oXtv  «ptXojioXnov.  fr.  1  (4),  6  tajitat  oo<pol 
Moco&v  ^Ytov^cov  t'aid'Xcov;  auch  an  den  Lokrern  Ol.  10  (11),  14.  11  (10),  16  ff. 
und  Korinthern  OL  13,  22  rühmt  Pindar  die  Pfl^e  der  masischen  Künste. 

5)  Nem.  4,  13  ff.  89  f. 

6* 


Digitized  by 


Google 


84  IV.  Kapitel. 

Fernbleiben  anderer  bedeutender  Dichter  zu  schliessen *). 
Man  fühlt  bei  Pindar  noch,  dase  die  Beiziehung  eines  eigent- 
lichen Dichters  keine  eingewurzelte  Sitte  war;  infolge  dessen 
kommt  er  immer  wieder  auf  den  Gedanken  zurück ,  selbst  die 
höchste  Ruhmesthat  verklinge  spurlos,  wenn  der  Sänger  sie 
nicht  im  Liede  festhalte  und  der  Nachwelt  zur  Bewunderung 
überliefere. 

Dass  der  Dichter  für  seine  Mühewaltung  ein  ansehnlichea 
Honorar  empfing*),  ist  selbstverständlich;  vielleicht  würde 
niemand  davon  sprechen,  stiesse  man  sich  nicht  an  der  Be- 
zahlung eines  Lobliedes.  Wir  werden  in  kurzem  sehen,  dass 
dieses  nicht  in  einen  Panegyricus  ausartete;  übrigens  hat 
niemand  Pindar  mit  Siraonides  zusammengestellt  *).  Der  Dichter 
rechnet  es  sich  im  Gegenteil  zum  Verdienste  an,  dass  seine 
Kunst  das  Andenken  der  Tüchtigkeit  erhält*),  und  rühmt  sich 
der  Wahrhaftigkeit,  womit  er  „das  Löbliche  lobt  und  den 
Frevlern  Tadel  sät***).  Feierlich  ruft  er  Zeus'  Tochter  Ala- 
theia  an,  sie  möge  jegliche  Unwahrheit  ferne  halten*).  Dies 
schhesst  nicht  aus,  dass  Pindar  manche  dunkle  Seite  des  My- 
thus verschweigt;  aber  er  bekennt  es  offen ^)  und  rechtfertigt 
sich  mit  dem  Spruche:  „Das  Glück  soll  man  überall  verkünden, 
dagegen  das  von  Gott  gesendete  Missgeschick  verbergen**®). 
Ausserdem  wollen  wir  nicht  vergessen,  dass  der  Dichter  — 
wir  dürfen  vielleicht  sagen  —  in  allen  Fällen  mit  dem  Gefeierten 
durch  Freundschaft  und  Achtung  verbunden  war.  Als  Aigeide 
stand   er   Arkesilaos   und    wahrscheinlich    auch    Telesikrates  ^) 


1)  Ein  «grosses  anonymes  Fragment  steht  bei  Bergk  III*  p.  714  (frg. 
adesp.  85).  Vielleicht  gehört  auch  ''Ituv  8v  tij)  elc  Sxo^tdÄYjv  i^^tuH-^^)  (Sprich- 
wörter in  Millers  melaut^es  364)  hieher. 

2)  Mia^öc  P.  11,  41  fif. ;  dreitausend  Drachmen  in  einer  Anekdote  Schol. 
Nem.  5,  1. 

3)  Ausser  Tzetz.  schol.  alleg.  Iliad.  6,  65,  der  manche  Stellen  der 
Pindarscholien  zu  pessimistisch  anffasste.  Pindar  selbst  protestiert  g^en  den 
Ruf  eines  «ptXoxcpÄ-rjc  (J.  2,  6). 

4)  N.  7,  11  ff.  fr.  121  u.  ö. 

5)  N.  8,  39 ;  vgl.  O.  2,  101.  4,  15.  13,  98.  N.  7,  68. 

6)  O.  10,  4.  fr.  205. 

7)  O.  13,  91.  N.  5,  Uff.  6,  72 ff. 

8)  Fr.  42. 

9)  Pyth.  IX. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  g5 

nahe;  an  die  Äigineten  knüpfte  ihn,  wie  gesagt,  die  Proxenie 
und  überdies  sprachen  die  Thebaner  im  allgemeinen  auf  Grand 
eines  Mythos  von  ihrer  Verwandtschaft  mit  jenen  ^).  In 
Anderen  schätzte  der  Dichter  ohhe  Zweifel  liebe  Gastfreunde*). 
Bei  Hieron,  Arkesilaos  und  den  Äigineten  Aristokleidas  und 
Sogenes  gebraucht  er  selbst  das  Wort  „Freund**').  Mit  Recht 
mag  man  daher  die  Helden  der  pindarischen  Oden  des  Dichters 
Freunde  nennen^).  Andererseits  bedürfte  es  kaum  der  aristo- 
phanischen „Vögel'*,  damit  wir  überzeugt  sind,  dass  die  traurige 
Figur  des  selbst  mit  NaturaUen  zufriedenen  Betteldichters  dem 
klassischen  Hellas  wohl  bekannt  war. 

Der  Chor  setzte  sich  nicht  aus  Mietlingen,  sondern  aus 
jungen  Mitbürgern,  welche  aufrichtigen  Herzens  sein  Lob  sangen, 
zusammen*).  Der  Dichter  oder  dessen  Stellvertreter  begleitete 
ihn  auf  der  siebensaitigen  Lyra,  während  ein  Flötenspieler  den 
Ton  hielt  ^).  Die  Musik,  deren  besonderen  Charakter  Simonides 
festgestellt  hatte ^),  war  in  dorischer,  äolischer  und  lydischer 
Tonart^.    In    der  Regel   bauten  Simonides   und  Pindar   das 


1)  Herodot.  5,  80;  vgl.  P.  8,  98  At^tva  <ptXa  p.öT8p. 

2)  Die  Familie  des  Opuntiers  Lampromachos  hatte  die  Proxenie  von 
Theben  oder  Pindar  die  der  Opontier  (O.  9,  83);  vgl.  E.  Labbert  de  Pin- 
daro  Locrornm  Opnntioram  amico  et  patrono,  ind.  lect.  hib.  Bonn.  1882. 

3)  Pyth,  1,  92;  Pyth.  4,  1;  Nem.  3,  76.  7,  62. 

4)  A.  Bemh.  Lntterbeck  die  Freunde  Pindar«,  Gieesen  1865. 

5)  Nem.  2,  24  o»  «oXtxat.  Ol.  6,  7  tictxopoat^  3Kp^6vü>v  ioxwv  iv  ip,«pxal(; 
ioildi^.  P.  5,  103  Iv  &oi3qi  v^u>v.  N.  3,  5  vsaviac.  66  v^oiv.  P.  10,  6  3iv3ptt>v 
nXotdv  «ica,  vgl.  P.  1,  98.  10,  55.  N.  3,  3flf. 

6)  ^opfiiifS  bei  Anrede  des  Dichters  an  sich  selbst  oder  die  Mose  0. 1, 18. 
9, 13.  P.  1,  1,  vgl.  O.  2,  1.  4,  2.  P.  2,  70.  N.  4,  5.  J.  2,  2  oder  Xopa  N.  10, 22, 
vgL  O.  2,  52.  6,  97.  P.  8,  31.  N.  3,  12,  vgL  noixtXov  xt^ptCa)v  N.  4,  14, 
itw,xi\of6p^ifi  äoi^6L  O.  4,  2,  siebensaitig  P.  2,  70.  N.  5,  24  (nach  Theocrit. 
16,  44  ff.  war  die  Lyra  des  Enkomion  icoXoxopdov  ßdpßixov);  tthXoi  O.  5,  19. 
N.  3,  79,  xÄXajioc  O.  10,  84,  beide  zusammen  O.  3,  8.  7,  11  f.  10,  93  f.  N.  9,  8  f. 
vgl  J.  4  (5),  27.  Nach  PhUochoros  (Athen.  14,  637  f)  hatte  Epigonos  die 
Verbindung  beider  eingeführt.  Sie  scheint  gerade  beim  Symposion  beliebt 
gewesen  zu  sein  (vgl.  Frg.  lyr.  adesp.  %  p.  720,  dargesteUt  auf  einer  Vase 
des  Biygos,  AnnaU  d.  Inst.  1872  p.  294).  Die  dabei  verwendeten  Flöten 
hiesaen  a&Xol  xid'aptax'r^pcot  (Aristoxenos  bei  Athen.  14,  634  f),  die  Sache 
la|ißaoXscv  (He^oh.). 

7)  YgL  Plutarch.  mus.  20  (nicht  chromatisch). 

8)  Dorisch  O.  3,  5,  vieUeicht  auch  1,  18,  vgl.  fr.  67.  191;  ftolisch  0. 1, 
105.  N.  3,  79,  vgl.  P.  2,  69;  lydisch  O.  5,  19.  N.  4,  45  f.  8,  15.    Die  Musik 


Digitized  by 


Google 


86  rV.  Kapitel.* 

Siegeslied  epodisch  und  zwar  folgt  bei  Pindar  die  Epode  in 
den  erhaltenen  Liedern  regelmässig  auf  ein  Strophenpaar,  doch 
konnte  die  Zahl  der  gleichartigen  Strophen  zwei  übersteigen^); 
das  späte  Mittelalter  gibt  uns  biefür  deutsche  Ausdrücke  an 
die  Hand,  weil  jedes  liet  oder  Gesätz  in  zwei  „Stollen**  und 
den  „Abgesang"  zerfiel.  Nur  einige  Lieder  (OL  XIV.  Pyth. 
VL  XH.  Nera.  IT.  IV.  IX.  Isthm.  VII.)  sind  monostrophisch, 
weshalb  man  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  vermutet,  dass  sie 
der  Chor  im  Schreiten  sang. 

Dem  Festdichter  waren  mannigfache  Gelegenheiten  zur 
Erprobung  seiner  Kunst  geboten.  Die  eigentliche  Siegesfeier 
erfolgte  allerdings,  weil  sie  am  Abend  des  grossen  Tages  statt- 
fand*), zu  rasch,  als  dass  ein  so  kompliciertes  Kunstwerk  wie 
die  griechische  Ode  hätte  improvisiert  werden  können.  So 
war  der  poetische  Teil  des  xo^iioc  auf  den  üblichen  Sieges- 
hymnus des  Archilochos  mit  dem  populären  Refrain  TnjveXXa 
xaXXivixe  oder  höchstens  gutgemeinte  Improvisationen  be- 
schränkt *).  Ist  doch  die  achte  olympische  Ode,  welche  viel- 
leicht am  Tage  nach  dem  Ringkampf  oder  höchstens  einige 
Tage  später  gesungen  wurde,  als  Alkimedon  dem  olympischen 
Gotte  den  Kranz  weihte*),  keine  wahre  Ausnahme;  Pindar 
hatte  nämlich  den  Auftrag  viel  früher  erhalten,  weil  der  glück- 
liche Erfolg  von  dem  Orakel  des  Zeus  im  voraus  verbürgt  war*). 

Wenn  dagegen  der  Sieger  unterwegs  bei  Freunden  eine 
vorläufige  Feier  veranstaltete,  wie  z.  B.  Telesikrates  von  Kyrene 
bei  seinen  thebanischen  Verwandten  bliebt  und  der  Syraku- 
saner   Agesi^    zunächst    nach  Stymphalos,    dem    Stammsitze 


heisst   „bunt"   (O.  6,  87.   N.  5,  42,    vgl.  O.  4,  2.  N.  4,  16),   weil   das   Lied 
künstliche  ictoxai  hat  (O.  1,  108  (106)  nXotalot  8at8aXü)o6|i«v  5ji^va)v  utoxatc). 

1)  Hephaestio  de  poemate  c.  4  p.  68  W. 

2)  Find.  Ol.  10  (11),  73 ff.;  vgl.  Nem.  10,  33ff: 

3)  Aristarchos  bei  Schol.  Nem.  3,  1  p.  73,  10  ff^.  Abel. 

4)  V.  10  t6v8«  xu>p,oy  %a\  otsfavafopiav  d^^at;  über  den  Ort  Y.  9  f. 

5)  y.  2  ff.  Aehnlich  Hess  ein  olympischer  Sieger  im  Vertrauen  auf  den 
günstigen  Bescheid  des  Ammonorakels  schon  vorher  seine  Statue  anferti^n 
(Pansan.  6,  8,  3).  Bei  der  siebenten  pythischen  Ode  (vgl.  Mezger  Pindars 
Siegeslieder  S.  318)  liegt  kein  stichhaltiger  Grund  vor,  warum  sie  nicht  in 
Athen  aufgeführt  sein  könnte. 

6)  Pyth.  IX,  s.  V.  91  ic6Xtv  tävJ»,  dazu  V.  88;  die  Ode  wurde  nach 
Böckh  p.  326  vielleicht  wiederholt  (nach  Croiset  p.  115  bei  einer  Hochzeit). 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  87 

seiner  Familie,  ging^),  oder  auch  wenn  er  nach  dem  gewöhn- 
lichen Brauche,  von  den  jubelnden  Verwandten  und  Freunden 
geleitet,  in  die  ß[eimat  einzog  *)  und  zunächst  zum  Tempel  der 
von  ihm  besonders  verehrten  Gottheit  fuhr,  um  ihr  bescheiden 
den  Siegespreis  zu  weihen  oder  überhaupt  seine  Huldigung 
darzubringen  %  konnte  er  von  dem  Dichter  leicht  das  notwendige 
Lied  erhalten. 

Am  Abend  des  Einzugtages  vereinigte  ein  grosses  Fest 
alle  Freunde  im  Hause  des  Siegers.  Ein  Chor  von  Jünglingen*) 
zog  dorthin  und  stimmte  oft  beim  Eintritte  in  den  Hof  ein 
das  Fest  eröffnendes  Ijied  an^);  für  diese  Gelegenheit  sind  die 
elfte  olympische,  die  zweite  und  neunte  nemeische  und  die 
siebente  isthmische  Ode,  mit  Ausnahme  der  ersten  mono- 
strophisch, gedichtet.  Allen  ist  eine  auf  den  Beginn  des  Festes 
gehende  Auflforderuug  gemeinsam*)  und,  falls  die  Feier  einen 
besonderen  Schutzpatron  hat,  wird  dessen  hilfreiche  Gnade 
zum  Schlüsse  angefleht"^).  Das  eigentÜche  Lied  trug  der  Chor 
entweder  an  der  Thüre  des  Hofes®),  damit  auch  die  nicht 
geladenen  Städter  an  der  Siegesfeier  als  Zuschauer  Anteil 
nähmen,  oder  im  Saale  selbst  Angesichts  der  gelagerten  Tisch- 
genossen vor^^.  Beide  Lieder  hat  Pindar  dem  Lokrer  Agesida- 
mos  gedichtet,  um  ihn  für  sein  Versäumnis  zu  entschädigen^^); 

1)  OL  VI.,  vgl.  Pyth.  IV.  X.,  s.  Härtung  Philol.  1,  121. 

2)  Pyth.  VI.,  8.  V.  IfF, 

3)  Ol.  V.  (V.  If.  ox«<p(iva)v  fitotov U%6o),  Pyth.  Vm.  (V.  5  Ilofrtovtxov 

tt|jLÄv  'AptoTojiivst  8^x6o).  Xn.  (V.  5  U%ai  oxef  <iva)|ia  t68e).  Weil  dieses  Lied 
im  Schreiten  gesungen  wnrde,  besteht  der  letzte  Vers  jeder  Strophe  ans  Epi- 
teiten;  OLIV.  (V.  7  f.  Sixso  tovBb  xÄjiov.    9  'FaojAtoc  ?x»t  &x^ü»v).  XTV  V.  15  f. 

kaxoolTJ xovS«  xdifiov),  vielleicht  auch  VI.,   wenn  V.  105  Bergk  richtig 

liest  ep.(i>y  &(ivu>v  hk  ÄbJ'  «irgpicic  Ävfro^. 

4)  Nach  Didymos  (Schol.  Nem.  1,  7)  die  Gäste  selbst;  er  vermutet  von 
dieser  Ode,  dass  sie  Hieron  beim  Feste  des  Zeus  Aitnaios  singen  liess. 

5)  Isthm.  7,  3. 

6)  O.  11,  16  oo^xiojidtSate.  N.  2,  24  f.  &  KoXlxai,  Xü>jt(i5<»t«  Ttjio5-rj|i<}> 
ouv  e&xXii  vooxcp,  dSojjicXsl  V  l^dpxcxe  <p(uva.  9,  1  ff.  x(i>}Ldao}iev  . . . .  ic  Xpofiioo 
StojjLa  (vgl.  V.  48  oojJLitootov).  J.  7,  1  ff.  KXsdcvSpcp  xic  .  .  .  Ä  vfiot  .  .  .  iraxpi? 
o^Xa^v  TeXfiodp)^oo  izctpä  ;cp6d'opoy  l(i)v  iivv^sipixtu  xa)|ioy. 

7)  P.  6,  50f.  N.  9,  53 ff. 

8)  N.  1,  19  foxav  V  In^  a5Xetatc  ««öpatc. 
.     9)  O.  1,  17f.  P.  1,  97. 

10)  Daher  O.  10,  9  x6xoc;  weil  O.  XI.  das  Vorspiel  ist,    steht  V.  19 


Digitized  by 


Google 


88  IV.  KapiteL 

aber  auch  für  den  olympischen  Sieg  Therons  musste  er  zwei 
Oden  verfassen^). 

Doch  mit  der  Hauptfeier  begnügte  sich  der  Ehrgeiz  reicher 
Familien  selten,  sondern  das  Andenken  des  Sieges  wurde  oft, 
entweder  am  Jahrestage,  oder  bei  hervorragenden  Gelegenheiten, 
etwa  einem  grossen  Volks-  oder  Familienfest,  erneuert;  z.  B. 
sind  die  in  der  dritten  pythischen  und  der  neunten  nemeischen 
Ode  gepriesenen  Siege  längst  vergangen*),  ja  der  Sieger  der 
zweiten  isthmischen  war  bereits  gestorben.  Die  elfte  pythische 
Ode  wurde  bei  den  Theoxenien  im  Tempel  des  ismenischen 
Apollo  zu  Theben  gesungen,  wie  ein  lokrischer  Chor  die  neunte 
olympische  anstimmte,  als  man  ein  Fest  des  heimischen  Heros 
Aias  feierte*);  Arkesilaos  gab  an  den  Karneen  ein  Erinnerungs- 
mahl mit  Chorgesang*).  Die  zehnte  nemeische  Ode  vollends 
galt  nicht  einmal  einem  bestimmten  einzelnen  Siege  ^). 

Damit  waren  die  mögUchen  Fälle  lange  nicht  erschöpft; 
hören  wir  doch  z.  B.  von  einem  Korinthier  Xenophon,  dass 
er  ausser  dem  üblichen  Enkomion  —  es  ist  unter  den  olym- 
pischen das  dreizehnte  —  von  dem  würdigen  Sänger  unbe- 
denklich ein  Lied  für  das  heitere  Mahl,  das  er  den  Dienerinen 
Aphrodites  im  Haine  der  korinthischen  Göttin  gab,  verlangte; 
Pindar  bezeichnete  es  halb  entschuldigend  selbst  als  Skolion^. 

Da  das  Siegeslied  ein  Gelegenheitsgedicht  ist,  setzt  es  eine 
Grundlage  von  Thatsachen  voraus,  die  wir  die  prosaischen 
Elemente  des  Siegesliedes  nennen  möchten.  Den  Sieger  selbst 
mit  vielen  Worten  zu  preisen,    war   nicht   althellenische  Art, 

1)  Phil.  Bastgen  qno  tempore  et  consilio  Pindaros  carmen  Ol.  11  et 
m.  composnerit,  Dies.  y.  Münster  1883.  Vielleicht  wurde  das  zweite  im 
Hanse  gesungen,  das  dritte  nach  den  Schollen  und  der  Ueberschrift  beim 
Theoxenienfeste. 

2)  notl  P.  3,  74.  N.  9,  52.  Dagegen  kann  h^i  ncp  N.  8,  80,  wie  das 
folgende  zeigt,  bedeuten,  dass  der  langsam  arbeitende  Dichter  auf  sich  warten 
liees ;  allerdings  heisst  es  V.  2  tv  Upojifjvtqt  Nep.6d8t,  aber  nach  den  Schollen 
ist  dies  bildlich  zu  verstehen. 

3)  V.  112.  —  Bei  Nem.  Vn.  vermutet  Croiset  p.  115  den  Geburtstag 
oder  die  Mannbarwerdung  des  Siegers  als  Anlass  der  Wiederholung. 

4)  Pyth.  V.  nach  Leop.  Schmidt  (Pyth.  IV.  war  dann  für  die  wirkliche 
Feier  verfertigt  gewesen;  umgekehrt  Fr.  Thiersch  I  S.  96). 

5)  V.  23ff. 

6)  Fr.  99  bei  Athen.  13,  573  ef. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  89 

sondern  es  fiel  unangenehm  auf,  als  Simonides  von  dem  Faust- 
kämpfer Glaukos  behauptete,  Polydeukes  und  Hecakles  könnten 
68  mit  ihm  nicht  aufnehmen  ^) ;  man  fürchtete  ihm  dadurch 
eher  wie  durch  den  bösen  Blick  üebles  zuzuziehen,  zum  min- 
destens war  die  neidische  Missgimst  seiner  Mitbürger  gewiss^). 
Seine  persönlichen  Vorzüge  werden  demgemäss  höchstens  mit 
wenigen  Worten  angedeutet,  im  Gegenteil  berührt  der  Dichter 
ein  etwaiges  Unglück  mit  zarten  Trostworten;  nur  muss  auf 
jeden  Fall  erwähnt  werden,  ob  ihm  schon  früher  ein  Sieges- 
preis zugefallen  ist.  Der  Grieche  lässt  dem  Einzelnen  nur  als 
Glied  einer  edlen  Familie  oder  als  Bürger  einer  vielgenannten 
Stadt  seine  volle  Ehre  widerfahren.  Der  Vorfahren  und  der 
Heimat  Ruhm  ist  also  jedem  hellenischen  Lobredner,  mag  er 
in  Prosa  oder  in  Versen  sprechen,  die  reichste  Quelle  des  Preises, 
so  lange  überhaupt  das  gebildete  Heidentum  das  Andenken 
an  seine  Sagenzeit  bewahrte'),  um  wie  viel  mehr  für  Pindar, 
den  aristokratischen  Sänger  der  ererbten  und  von  Alters  her 
überkommenen  Tüchtigkeit !  Gemäss  dem  religiösen  Sinne  der 
Griechen  durfte  ferner  der  Dichter  die  Gottheit  nicht  übergehen, 
weil  sie  dem  Sänger  durch  ihre  Gnade  das  höchste  Glück 
bescherte^).  Der  fromme  Pindar  weist  den  Glücklichen  in 
der  Regel  deshalb  auf  die  Gottheit  hin,  damit  er  sich  nicht 
überhebe.  Die  Betonung  der  menschlichen  Hinfälligkeit  klingt 
hie  und  da  so  stark  hervor,  dass  der  melancholische  Ton  in 
den  Festjubel  nicht  hineinzupa^en  scheint^).  Der  Vorgang 
des  Wettkampfes  selbst  blieb  wegen  seiner  Trivialität  unberührt, 
wenn  nicht  ein  ungewöhnlicher  Zwischenfall,  wie  bei  dem  Flöten- 
spieler Midas,  Interesse  erregt.  Dass  bei  dem  Siege  von  Renn- 
pferden Wagenlenker  und  Rosse  über  dem  eigentlich  verdienst- 

1)  Fr.  8  p.  390  Bergk. 

2)  N.  8,  21  o^/ov  8i  X6Yot  yd-ovepoiotv. 

8)  Man  wird  mit  Natzen  vergleichen,  was  die  Rhetoren  über  die  Lob- 
rede sagen  (z.  B.  Hermogenes  progymn.  c.  7,  Aphthon.  prog.  c  8,  Theon 
«poY.  c.  8).  Aehnlich  angelegt  sind  die  Epigramme  der  Weihgeschenke,  z.  B. 
enthUt  Kaibel  932  das  Lob  des  Siegers,  seiner  Heimat,  deren  Metropolis  u. 
des  Vaters.  Vgl.  anch  im  Allgemeinen  Jacobs  Nachträge  zu  Salzers  Theorie 
der  schönen  Künste  I  49  ff. 

4t)  Ueber   das  „Glück"   der   Sieger   s.   Dissen   in   seiner   Aasgabe    S. 

xvn— xxn. 

5)  Dies  tadelten  einige  au  der  achten  pythischen  Ode  (Schollen  zaV.  96). 


Digitized  by 


Google 


90  IV.  Kapitel. 

losen  Herrn  derselben  nicht  ganz  ignoriert  würden,  forderte 
die  natürliche  Gerechtigkeit;  aus  einem  ähnlichen  Beweggrunde 
nannte  man  bei  Knaben  den  Lehrer,  welchem  sie  ihre  gym- 
nastische Fertigkeit  verdankten  ^).  Endlich  ziemt  sich  der  Glück- 
wunsch, der  Sieger  möge  sowohl  im  Allgemeinen  glücklich  sein 
als  auch  weitere  Kränze,  zumal  bei  den  höchstgeachteten 
Olympien  erringen. 

Diese  Punkte  bot  die  reale  Welt  dem  Dichter,  ohne  dass 
seine  Phantasie  durch  sie  gehemmt  und  an  die  Heerstrasse 
des  Konventionellen  gebannt  worden  wäre;  denn  die  Freiheit, 
das  ThatsächUche  möglichst  kurz  oder  in  poetischer  Umhüllung 
zu  berühren,  blieb  ihm  unbenommen,  wovon  schon  vor  Pindar 
das  bei  Plato  erhaltene  Lied  des  Simonides  Zeugnis  ablegt. 
Sodann  zeigte  er  seine  Meisterschaft  gerade  darin,  dass  er,  im 
Gegensatze  zu  dem  prosaischen  Panegyriker,  eine  Regelschablone 
verschmähte,  vielmehr  das  Material  nach  künstlerischen  Rück- 
sichten frei  gruppierte,  wenn  es  auch  in  der  Natur  der  Sache 
lag,  dass  das  Lied  von  dem  Ereignis  des  Tages  entweder 
sofort*)  oder  nach  einer  kurzen  Einleitung^)  ausging  und  am 
Schlüsse  darauf  zurücklenkte.  Ausserdem  kam  ihm  der  Um- 
stand zu  statten,  dass  je  nach  den  oben  aufgezählten  Gelegen- 
heiten des  Siegesfestes  manches  mehr  hervorgehoben  werden 
musste,  anderes  weggelassen  werden  durfte;  so  hatte  der 
Dichter  besonders  bei  Wiederholung  der  Feier  eine  viel 
grössere  Bewegungsfreiheit. 

Vor  allem  aber  erschloss  jene  hellenische  Scheu  vor  dem 
Lobe  des  einzelnen  dem  Dichter  ein  Stoffgebiet,  welchem  er 
leichter  als  der  nach  griechischen  Begriffen  nicht  idealisierbaren 
Gegenwart  eine  poetische  Seite  abgewinnen  konnte;  das  Reich 
der  althellenischen  Poesie  war  aber  die  Heroensage  und  somit 
bildete  schon  bei  Simonides  *)  den  glänzendsten  Teil  des  Sieges- 
liedes  ein   Mythus*).     Nun    leitete   jede    vornehme   Familie 


1)  O.  8,  55  ff.  11,  16  ff.  N.  5,  48  f.,  vgl.  J.  IIL  a.  E. 

2)  £>er  Sieger  wird  aber  nur  ansnahmsweise  (Pyth.  IX.)  sogleich  genannt. 

3)  Diese  hiess  yielleicht  Rpoxtup-tov  (N.  4,  11,  anders  die  Schollen),   wo- 
gegen P.  7,  2  npoolfiiov  den  Ansgangspankt  bezeichnet. 

4)  Schol.  Nem.  4,  60. 

5)  Konr.  Ohlert  de  heroologia  Pindarica,   Diss.   y.  Jena,    EÖnigsbeig 
1870;    H.   Panse   (Gebrauch   der  Mythen   in   den   Pindarischen   Epinikien, 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  91 

Griechenlands  ihren  Stammbaum  über  die  Gründung  der  Stadt 
hinaus  zur  grauen  Vorzeit  zurück;  hatte  Pindar  für  einen 
solchen  Sieger  die  Muse  zu  bemühen,  dann  wählte  er  natürlich 
einen  Mythus  aus  der  Pamiliensage ,  so  Ol.  IV.  einfach  die 
Geschichte  des  Ahnherrn  der  Jamiden  und  ähnlich  im  elften 
nemeischen  Liede.  Sonst  nahm  der  Dichter,  wenn  nicht,  wie 
bei  den  sicilischen  und  italischen  Kolonien,  die  prähistorische 
Zeit  fehlte,  zum  Sagenschatz  der  Heimat  des  Siegers  seine 
Zuflucht,  welchem  Brauche  wir  eine  lange  Reihe  herrlich  er- 
zählter Sägen  verdanken,  z.  B.  den  ganzen  Argonautenzug, 
dessen  Darstellung  die  vierte  pythische  Ode  füllt;  der  Dichter 
verdient  namentlich  bei  den  zahlreichen  Aiginetenliedern  darum 
besonderes  Lob,  weil  er  immer  neues  zu  erzählen  weiss.  Dann 
besitzt  der  Ort  der  Spiele  gleichfalls  seine  Mythen,  die  berück- 
sichtigt werden  können,  zumal  wenn  das  Fest  nicht  am  Wohn- 
orte des  Siegers  abgehalten  wird.  Für  Olympia  ergeben  die 
erste,  dritte  und  zehnte  Ode  einen  vollständigen  Cyklus  der 
Gründungssagen,  der  Herakles,  Pelops  und  die  Pflanzung  der 
ersten  heiligen  Olive  umfasst  ^) ;  auch  Nemea  erhält  im  neunten 
Liede  den  gebührenden  Preis.  Als  ferner  einmal  ein  Flöten- 
spieler sich  an  Pindar  gewandt,  lag  es  nahe,  dass  der  Dichter 
die  Erfindung  der  Flötenmusik  zum  Mythus  des  Liedes  (Pyth. 
XH.)  wählte. 

Obschon  die  Griechen  durch  die  Vorträge  der  Rhapsoden 
und  Dithyrambiker  daran  gewöhnt  waren,  eine  beliebige  Sage, 
wenn  sie  nur  schön  erzählt  war,  anzuhören,  forderte  doch  die 
besondere  Veranlassung  und  der  private  Charakter  der  Feier 
einige  Rücksichten,  so  dass  der  Dichter  über  jene  durch  die 
Volksanschauung  gerechtfertigten  Klassen  von  Sagen  nicht  leicht 
hinausging.  Wenn  er  aligemein  gehaltene  Weisheitssprüche 
durch  irgend  welche  mythische  Beispiele  belegte  und  beleuchtete, 
that  er  es  demgemäss  in  der  Regel  mit  kurzen  Hinweisen. 
Weiter  ausgeführte  Mythen,  welche  nicht  auf  die  Geschichte 
der  Familie,    der  Heimat   oder  des  Festspieles  Bezug  haben, 


Oreiffenbeig  i.  P.  1871;   Vitaliano  Menghini  Ercole  nei  canü   di  Pindaro. 
Saggio  sol  valore  e  8iüla  proprietä  del  mito  nella  poesia  pindarica,  MUano  1878. 
1)  Labbert   de    Pindari    carminnin   qnibns    Olympiae   origines    canit 
fonübiis,  Progr.  v.  Bonn  1882. 


Digitized  by 


Google 


92  rV.  Kapitel. 

gehen  stets  auf  einen  individuellen  Anlass  zurück.  Warum 
sollte  Pindar  einem  im  Wettlauf  siegreichen  Knaben  nicht 
Perseus,  das  Heroentdeal  des  Schnellläufers,  zur  Nacheiferung 
vor  Augen  stellen^)?  Solche  beziehungsreiche  Sagen  wählt 
Pindar  in  Ermanglung  einer  alten  Geschichte  bei  drei  Siciliern  : 
Als  Hieron  krank  lag,  verglich  ihn  der  Dichter,  tröstend  und 
ehrend  zugleich,  mit  dem  leidenden  Philoktetes  und  erinnerte 
an  die  heilkundigen  Heroen  Asklepios  und  Chiron  *).  Bei  dem 
grauköpfigen  Psaumis  gedenkt  er  einer  Episode  des  Argonauten- 
zuges, wo  der  durch  ebenfalls  früh  gebleichtes  Haar  auffallende 
Erginos  siegte*).  Auch  bei  Chromios  hat  der  Mythos  von  Ixion 
eine  besondere  persönüche  Beziehung,  wenngleich  sie  für  die 
Unbeteiligten  nicht  klar  zu  Tage  liegt;  denn  der  Dichter 
fürchtete  nach  eigenem  Greständnisse  dadurch  Anstoss  zu  er- 
regen *).  Gelegentlich  trug  Pindar  dem  Lokalpatriotismus  seinen 
Tribut  ab,  wenn  er  vor  demselben  Chromios,  weil  die  neue 
Stadt  Aitna  einer  Geschichte  entbehrte,  Herakles,  Thebens 
Stolz,  schildert*);  allerdings  nahm  dieser  Heros  eine  sozusagen 
universelle  Stellung  ein.  So  bleibt  die  elfte  für  einen  jugend- 
lichen Mitbürger  gedichtete  Ode  übrig,  wo  die  Orestessage 
V.  16  flf.  so  unmotiviert  eingefügt  ist,  dass  der  Dichter,  um 
wieder  zu  seinem  Thema  einzulenken,  fragt,  ob  er  auf  einem 
Kreuzwege  von  der  rechten  Strasse  abgekommen  oder  wie  ein 
Seeboot  durch  den  Wind  abgetrieben  worden  sei,  worauf  er 
scherzhaft  die  Muse  ermahnt,'  sie  möge  sich  durch  das  Lob 
des  Siegers  für  das  empfangene  Honorar  dankbar  erweisen 
(V.  38  ff.).  In  diesem  einen  Falle  brauchte  der  Dichter  wahr- 
scheinlich keine  persönlichen  Rücksichten  zu  nehmen.  Nur  in 
einigen  meist  kurzen  Oden  fehlt  der  mythische  Teil  ganz^) 
oder  er  ist  auf  Anspielungen  eingeschränkt^).  Die  Griechen 
betrachteten  eben  solche  mythologische  Abschweifungen  («apex- 


1)  Pyth.  10,  29  ff. 

2)  Pyth.  1,  öOff.  3,  1  ff. 

3)  Ol.  4,  17  ff. 

4)  Pyth.  2,  52  ff. 

5)  Nem.  1,  33  ff.  Mit  den  Worten  iv  xopofaic  &psx&v   (it^aXai^   scheint 
Pindar  anzudeuten,  dass  er  Herakles  als  Idealhellenen  fasst. 

6)  Ol.  V.  XI.  (X).  Xn.  Pyth.  VIL 

7)  Ol.  IV.  Nem.  H.  Isthm.  I. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  93 

ßdaetc,  wie  die  Scholien  sagen)  als  selbstverständliche  Zugabe 
des  Enkomions^).  Um  gerecht  über  Pindar  zu  urteilen,  be- 
achte, wem  die  Reden  der  Kaiserzeit  keine  genügende  Recht- 
fertigung scheinen ,  die  Abschweifungen  in  des  gefeierten 
Isokrates  „Helena",  wo  doch  dem  Rhetor  ein  ausgebildeter  reicher 
StoflF,  der  schon  für  sich  vollkommen  gentigt  hätte,  vorlag. 

Was  die  äusserliche  Einführung  der  Mythen  betrifft,  so 
knüpft  sie  der  Dichter  in  der  Regel  lose  an  eine  Sentenz  oder 
an  die  vergleichende  Nennung  eines  Heroennamens  an  ^ ;  nur 
der  zuletzt  erwähnte  unmotivierte  Mythus  ist  in  mehr  äusser- 
licher  Weise  herangezogen.  An  den  von  Pindar  ausführlicher 
berichteten  Sagen  kann  man  den  Unterschied  der  epischen 
und  lyrischen  Erzählungsweise  studieren.  Weit  entfernt  von  der 
behaglichen  Breite  Homers,  wenngleich  in  längerem  Bericht  die 
Personen  oft  nach  epischer  Weise  redend  auftreten,  bewegt 
sich  eine  pindarische  Erzählung  sprungweise  vorwärts.  Zuerst 
pflegt  der  Hauptinhalt  oder  der  Ausgang  des  Mythus  mit 
markigen  Worten  hingestellt  zu  werden.  Hierauf  beginnt  der 
Dichter  von  Anfang  an,  hebt  aber  nur  das  aus^  was  ihm 
wichtig  scheint.  Bald  bleibt  er  stehen,  bald  schlägt  er  einen 
weiteren,  doch  anmutigen  Seitenpfad  ein,  dann  eilt  er  auf  dem 
nächsten  Wege  zum  Ziele,  nie  sich  verirrend,  selbst  wenn  er 
den  Anschein  davon  annimmt.  Am  Ende  sind  wir  auf  den 
verschlungenen  Pfaden  zum  Eingang  wieder  zurückgeführt. 
Wenn  die  Fülle  des  Stoffes  drängt,  schaltet  er  auch  wohl  einen 
Teil  kunstvoll  in  der  Form  einer  Prophezeiung  ein  %  Von  der 
Objektivität  des  Epos  ist  keine  Spur  vorhanden.  Der  Dichter 
prüft  sinnig  sowohl  das  Einzelne  wie  das  Allgemeine  sub  specie 
aetemi,  indem  es  ihn  zu  sittlichen,  oft  an  Sprüche  des  Volkes 
und  der  Literatur  gelehnten  Gedanken  anregt.  Er  rühmt 
sich  seines  Gedankenreichtums,  dass  er  „viele  rasche  Geschosse 
im  Köcher  habe,  laut  redend  für  die  Verständigen,  während 
die  Menge  Dolmetscher  bedarf*^).    Viele  Oden  beginnen  mit 


1)  Aristot.  rhet.  3,  17  p.  1418  a  33flf.  xp"*l  "^^^  Xoyov  iirsiooJtoöv  ^naivoic 
tu  s.  w.  Cicero  orator  19,  65  a  re  saepe  discedunt,  intexant  fabnlas. 

2)  Fein  z.  B.  Nem.  7,  22  flf. 

3)  Pyth.  9,  51  ff.  Nem.  1,  61  ff.,  vgl.  Pyth.  4,  9  ff. 

4)  Ol.  2,  91  ff.  vgl.  Pyth.  3,  80. 


Digitized  by 


Google 


94  IV.   Kapitel. 

allgemeiueu  Betrachtungen^)  und  die  meisten  endigen  in  ein 
Sprichwort  oder  eine  Gnome.  Vom  Allgemeinen  geht  Pindar 
zum  Besonderen  über  und  vom  Besonderen  hinwiederum  zum 
Allgemeinen.  Obgleich  er  über  die  phantasiearmen  Wiederholer 
spottet*),  erkennt  er  trotzdem,  dass  die  Fülle  nicht  das  Ideal 
der  Kunst  sei.  Unter  einer  Menge  einströmender  Ideen  die 
geeigneten  auszuwählen,  weil  die  Kürze  der  angewiesenen  Zeit 
den  Sänger  zur  Beschränkung  nötigt'),  erscheint  ihm  als  eine 
hohe  Gabe*).  Andererseits  fürchtet  er  bei  den  Hörern  Ueber- 
Sättigung,  die  ja  selbst  „beim  Honig  und  Aphrodites  Freuden 
eintritt**^).  Darum  gleicht  nach  seinem  schönen  Bilde  die 
Muse  des  Enkomions  der  Biene,  die  des  lieblichen  Honigs 
wegen  von  Blume  zu  Blume  schwärmt  %  und  an  einem  anderen 
Orte  wird  die  Ode  mit  einem  farbenbunten  Gewebe  Lydiens 
zusammengestellt  ^). 

Ungeachtet  dieser  eigenen  Versicherungen  des  Dichters 
begnügte  man  sich  mit  der  eben  auseinandergesetzten  AVmahme 
durchaus  nicht.  Die  alten  Grammatiker  brachten  ihre  aus 
allen  Scholien  sattsam  bekannte  Gewohnheit,  überall  persönliche 
Anspielungen  aufzuspüren,  ganz  besonders  bei  Pindar  zur  An- 
wendung. Aber  erst  die  neuere  Philologie  strebte  methodisch 
die  Aufstellung  einer  bestimmten  Formel  an ;  Erasmus  Schmids 
logische  Kategorien  fanden  keinen  Beifall.  Dagegen  nehmen 
manche  einen  ethischen  Grundgedanken  der  einzelnen  Oden 
an^,  während  Böckh  und  andere,  indem  sie  gleichfalls  eine 
Grundabsicht   aufsuchen,    die  Beziehungen  des  Einzelnen  auf 


1)  Ol.  I.  XI.  Pyth.  V.  X.  Nem.  IV.  VI.  Isthm.  IH. 

2)  Nem.  7,  104  f. 

3)  Nem.  4,  33  f.  Isthm.  1^  62  f.,  vgl.  Isthm.  5  (6),  56  f. 

4)  Pyth.  9,  78 f.;  6  Zk  xaipöc  6p>oia>c  icavxö^  l/ti  xopo^dtv,  ähnlich  Frg. 
adesp.  lyr.  86  a  p.  717. 

5)  Kopoc  Pyth.  1,  82,  vgl.  Nem.  7,  52flf.  10,  21. 

6)  Pyth.  10,  53 f.  rfxa>p.ia>v  ^ap  £a>TO(;  5}iv(ov  hvi*  SXkcrz*  &\\ov  a>tt  }it- 
Xiooa  ^vti  X6yov  ;  vgl.  11,  42  £XXox'  iWcf  tapaool}itv. 

7)  Nem.  8,  15  Ao$tav  {iixpav  xava/Yj^äc  icticotxiX}Uvav,  vgl.  P.  9,  77  f. 
ßaiÄ  S'ev  p.axpoic  icoixiXXtiv,  &xoä  oo^oic*  fr.  194  (206)  icoixiXov  x6op.ov  a6Sdi- 
»vta  X6yov.  179  (170)  6^aiv(o  ....  iroixtXov  Äv8Y)ji.a. 

8)  So  beeondeis  Bissen  in  seiner  Ausgabe,  auch  Welcker  Rhein. 
Mus.  1,  461  ff:  kleine  Schriften  1,  176 fi.  191  £f.  und  O.  Malier  Vorrede  £u 
Dissens  opuscula  1842. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  95 

die  persönlichen  Verhältnisse  des  Siegers  hervorheben^).  Bei 
keiner  dieser  Methoden  kommt  die  Poesie^  oder  auch  nur  die 
Forderungen  des  Festes  zu  ihrem  Rechte.  Pindar  hatte  keinen 
moralischen  Satz  durchzuführen'),  sondern  die  Freuden  eines 
Familienfestes  zu  erhöhen.  Doppelsinnige  Anspielungen  hätten 
im  Kreise  der  Hörer  eher  Unruhe  hervorgerufen,  zum  mindesten 
aber  ihre  Empfänglichkeit  für  den  herrlichen  Gesang  gestört; 
noch  weniger  konnte  es  Pindar  einfallen,  an  dem  Ehrentage 
seiner  Freunde  und  Gönner  durch  unzeitige  aufdringliche 
Mahnungen  ihren  Neidern  eine  Waflfe  in  die  Hand  zu  drücken. 
Wie  wir  auseinander  gesetzt  haben,  war  nicht  die  oft  recht 
menschliche  ladividuahtät  des  Siegers  der  Mittelpunkt  des 
Festes,  sondern  das  ruhmbedeckte  Glied  einer  Familie  und 
einer  Bürgerschaft,  der  fromme  Günstling  einer  Gottheit.  Das 
ist,  wenn  man  will,  der  „Grundgedanke**  aller  Oden  und  ihr 
A  und  fi  im  vollen  Sinne  des  Wortes. 

Den  Gelehrten  interessiert  an  den  Mythen  nicht  wenig 
ihr  Inhalt.  Man  darf  bei  einem  Dichter  voraus  setzen,  dass 
er  mit  den  alten  Meistern  des  Gesanges  wohl  vertraut  war; 
wie  hätte  er  sonst  in  manchen  Dichtungen  die  Mythen  „aus 
vollem  Sacke  säen**  können?  Da  er  nun  besonders  mit  Homer 
und  Hesiod  häufig  übereinstimmt,  liegt  die  Annahme,  dass  sie 
oft  seine  Autoritäten  waren,  sehr  nahe*);  allerdings  waren 
Hesiod  und  Pindar  dem  gleichen  Stamme  entsprossen  und 
somit  vielleicht  beide  unabhängige  Verkündiger  einheimischer 
Sagenformen*  Natürlich  musste  der  thebanische  Sänger  die 
einheimischen  Traditionen  der  Sieger  und  besonders,  was  mit 
den  örtlichen  Kulten  zusammenhing,  wohl  beachten^).  Als 
Dichter  und  als  Besinger  weit  von  einander  entfernter  Städte 


1)  Bdckh  in  der  Ausgabe  und  ges.  kleine  Schriften  7,  369 fi.;  Mezger 
Pindars  Siegeslieder  S.  30 £f.,  vgl.  Leop.  Schmidt  de  josta  ratione  inter- 
pretationis  Pindaricae,  ind.  lect.  hib.  Marburg  1864. 

2)  6.  Hermann  opuscula  6,  l£f.  7,  97 £f.  (VI  S.  31:  „Eine  poetische 
Idee  ist  ein  Gedanke  der  das  Gefühl  in  Anspruch  nimmt"),  ähnlich  Croiset 
p.  2d3ff. 

3)  A6Ytt>v  xopu^a  Pyth.  3,  80  ist  ganz  anders  gemeint. 

4)  E.  Lübbert  de  Pindari  studüs  Heeiodeis  et  Homericis,  ind.  lect. 
jiib.  von  Bonn  1881/2.  Man  schrieb  Pindar  Hesiods  Grabschrift  zu  (Bergk  p.  383), 

5)  Vgl.  Pausan.  9,  22,  7. 


l 


Digitized  by  CjOOQ IC 


96  ^'  Kapitel. 

empfand  er  kein  Bedenken,  wenn  er  einen  Mythos  bald  so 
bald  in  einer  anderen  Fassung  vortrug,  z.  B.  äusserte  er  sich 
über  die  Heimat  des  Dithyrambos  dreimal  verschieden^).  Aber 
die   Gelehrten    rühmten   Pindars   Zuverlässigkeit  und  Treue*). 

So  waren  Stoff  und  Formen  des  Siegesliedes  beschaffen'). 
Pindars  Individualität  konnte  dabei  in  einer  Weise  hervor- 
treten, die  man  nur  empfinden,  aber  nicht  beschreiben  kann 
ausser  mit  Worten  des  Dichters  selbst:  Wie  ein  Adler  erhebt 
er  sich  majestätisch  über  die  gemeinen  Vögel.  Doch  ist  seine 
Würde  nicht  kalt  und  frostig  gleich  einer  Statue,  denn  Pindar 
tritt  stürmisch  wie  ein  kampfesmutiger  Athlet  oder  ein  reissen- 
der  Bergstrom  auf*).  Seine  Poesie  beruht  auf  genialer  Inspi- 
ration*), so  dass  er  sich  der  ihm  ^  von  allen  Seiten  zufliessenden 
Gedanken  kaum  zu  erwehren  weiss.  Schon  das  Proömium  ist 
in  der  Regel  energisch  und  ein  solches  njXaoY^c  ÄpöocoTcov, 
dass  es  sofort  die  gespannte  Aufmerksamkeit  der  Hörer  erweckt. 

Leichter  ist  Pindars  Eigenart  in  stilistischer  Hinsicht 
zu  erfassen*).  Er  wird  von  den  alten  Rhetoren  unter  den 
Hauptvertretern  des  strengen  Stiles  genannt  und  dies  mit 
vollem  Recht').  Schlichte  Anmut,  einfache  Natürlichkeit, 
zarte  Lieblichkeit  sind  ihm  nicht  gegeben,  wenn  schon  er 
selbst  glaubt,  dass  er,  ein  Liebling  der  Grazien,  süsser  als 
Honig  singe*).  Man  möchte  fast  sagen,  sein  Stil  setze  sich 
aus  Dissonanzen  zusammen,  die  in  ihrer  Gesammtheit  einen 
imponierenden  Eindruck  machen;  Boileaus  berühmtes  Wort 
„Chez  eile  un  beau  däsordre  est  un  effet  de  Part'*  (art  po6- 
tique  n  72)  ist  thatsächlich  mehr  als  eine  geistreiche  Antithese. 
Pindars  Oden  zeigen  eine  merkwürdige  Verbindung  von  reicher 

1)  Ol.  13,  18  mit  Scholien. 

2)  Aristid.  or.  48 IH  p.  610  (H  p.  484  Dind.). 

3)  Die  Form  heisst  xs^ii.6(:  Nem.  4,  33,  Teö-p-ic  5|ivoo  Ol.  7,  88;  vgL 
Aeschyl.  Snppl.  1035  mit  Scholien. 

4)  Vgl.  N.  5,  20  ^x"*  '{ov&x(ov  ftXa<ppöv  6pp.div.  Antip.  Sidon. .  AnthoL 
Plannd.  305  üiepixäiv  Q&Xiz'^c^a,  besonders  Horat.  carm.  4,  2,  5  ff. 

5)  PlAto  Men.  81b   reebnet  ihn  zu  den  d-slot,   was  er  p.  99  c  erläutert, 

6)  Ed.  Lübbert  de  elocutione  Pindari,  Diss.  v.  Halle  1853;  Edm. 
Pan  nicke  de  snblimitate  Pindari,  Progr.  v.  Cüstrin  1873. 

7)  A5oTY|pi  dpjiovta  Dionys.  comp.  verb.  22.  vet.  scr.  cens.  2,  5.  Quin- 
til.  10,  1,  61. 

8)  Fr.  152  (uXioGoxeüxtwv  xfjpiwv  ejia  Y^oxspwtspoc  iftfi;  Ol.  9,  27. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  97 

Fülle*)  und  karger  Knappheit*).  Er  verfügt  über  einen 
unerschöpflich  scheinenden  Reichtum  an  den  herrlichsten 
kühnsten  Bildern,  wie  er  keinem  zweiten  ausser  Aeschylus  zu 
Gebote  steht ')^  imposante  Appositionen  und  ganze  Gruppen 
volltönender  Eigenschaftswörter  geben  von  dem  gepriesenen 
Gegenstande  eine  grossartige  Idee^);  daneben  sind  dem  Dichter 
auch  Augenblicke,  wo  die  Sturmflut  der  Inspiration  plötzlich 
stille  steht,  nicht  erspart,  freilich  nur  Augenblicke*).  Weit 
gedehnte  mächtig  dahin  rauschende  Perioden  —  in  der  zehnten 
pythischen  Ode  fordert  das  kurze  Versmass  einen  ähnlichen 
Satzbau,  welche  Entschuldigung  für  die  zweite  nemeische  nicht 
gilt  —  paaren  sich  mit  hastigen  Sätzchen  ^;  wenn  ein  neuer 
Gedanke  sich  aufdrängt,  lässt  der  Dichter  die  einmal  begonnene 
Ausdrucksform  plötzlich  fallen').  Wie  eigenartig  seine  Wort- 
stellung ist^,  weiss  jeder  Leser;  trotzdem  hat  schwerlich  einer 
die  Empfindung,  Pindar  sei  durch  die  schwierigen  Versmasse 
dazu  genötigt,  es  ist  vielmehr  als  ob  die  Dunkelheit,  über 
welche  schon  die  Alten  klagten^,  zu  dem  prophetischen  Tone 


1)  Lübbert  a.  O.  p.  14 fi.;  CtoU.  17,  10,  8  nimis  opima  pingaiqne 
esse  facundia. 

2)  Labbert  a.  O.  S.  2St 

3)  Löbbert  a  O.  S.  9ff.  39ff.  M.  Godofredns  de  elocntione  Pin- 
dari,  Susati  1865;  O.  Goram  PhUoL  U,  241  ff.  478 ffl  M.  Ring  zur  Tropik 
Pindars,  Peeth  1873;  Bemb.  Scbmeier  de  translationibns  ab  honüne  petitis 
apnd  Aescbylom  et  Pindamm  oomm.,  Eönigsbeig  1882;  anch  G.  C.  Hense 
ober  personificirende  Adjectiva  und  Epitheta  bei  griecb.  Dichtem,  Halber- 
stadt 1855. 

4)  Pannicke  a.  O.  p.  6f.;  Th.  F.  Brännig  de  a4jectivi8  compositis 
apnd  Pindamm  (I.  Altena  1880)  Berlin  1881;  S.  Tessing  de  compositis 
nominibus  Aeechyleia  et  Pindaricis,  Diss.  y.  Lnnd  1884;  £.  Bickmann  in 
cnmolandis  epithetis  qnas  leges  sibi  scripserint  poetae  Graeci  maxime  lyrid, 
Diss.  y.  Leipzig,  Hirschberg  1884. 

5)  nspl  5<]^oDc  33. 

6]  Lübbert  p.  16  ff.  Pannicke  p.  3  ff.  Wohl  die  gedehnteste  Periode  steht 
am  Anfange  von  Pyth.  IV.  üeber  Asyndeta:  l^cho  Mommsen  adnotat. 
crit.  snpplem.  p.  192.        ' 

7)  Anakoluthe:  Pannicke  p.  12 ff.;  über  verschiedene  Eigentümlichkeiten 
der  Syntax:  Ernst  Friese  de  casunm  singolari  apnd  Pindamm  nsn,  Berlin 
1866;  Oskar  Wilpert  de  schemate  Pindarico  et  Alcmanico,   Breslau  1878. 

8)  Paulos  Harre  de  verbomm  apud  Pindamm  conlocatione,  Berlin 
1867;  Pannicke  p.  701 

9]  Eustath.  c.  34  (aber  nicht  Eupolis  bei  Athen.  1,  3al]. 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  literator.  m.  7 


Digitized  by 


Google 


98  IV.  Kapitel. 

des  gottbegeisterten  Sängers  unumgänglich  und  natürlich  gehörte. 
Pindar  machte  den  Eindruck  der  Altertümlichkeit  ^),  während 
doch  der  glättere  Simonides  älter  war.  Doch  fehlt  es  nicht 
an  Stellen,  die  der  letztere  gedichtet  haben  könnte;  ich  erinnere 
an  den  auf  Zeus'  Scepter  schlafenden  Adler,  die  Flammen- 
ströme  des  Aetna  und  die  Blumen  des  Frühlings,  von  denen 
Pindar  in  dem  athenischen  Dithjn^ambos  singt.  Es  mag  sein, 
dass  der  thebanische  Dichter  von  dem  Erbfehler  der  ßöotier 
nicht  frei  war,  indem  er  bei  weitem  mehr  mit  der  Sprache  zu 
kämpfen  hatte  als  der  zungengewandte  lonier  Simonides,  aber 
vielleicht  gerade  deshalb  hat  er  ihr  ungeahnte  Schätze  ab- 
gerungen *). 

Dieser  inspirierte  Geist  sammelte  nach  seinem  stolzen 
Worte  ^)  nicht  mühsam  das  Regen wasser,  sondern  seine  Poesie 
glich  einer  lebendig  sprudelnden  Quelle;  demungeachtet  widmete 
er ,  auf  ein  Gedicht  sich  ganz  koncentrierend  *) ,  der  jeweiligen 
Aufgabe  einen  unendlichen  Fleiss.  Die  überraschende  Mannig- 
faltigkeit, womit  Pindar  das  trivialste  ausdrückt,  so  dass  er 
sogar  den  Namen  des  Festortes,  des  Siegers  und  seines  V^ater- 
landes  äusserst  selten  in  derselben  Weise  nennt  ^),  muss  er- 
arbeitet sein;  wenn  ferner  an  der  gleichen  Stelle  der  Strophe 
und  Gegenstrophe  gerne  gleich  oder  doch  ähnlich  klingende 
Wörter  vorkommen*),  wie  es  überhaupt  die  Griechen  lieben^), 
ist  dies  ebenfalls  mehr  als  ein  blosser  Zufall.  Nicht  einmal 
gewissen   Künsteleien   seiner   Zeit   entzog   sich  Pindar,    z.    ß. 


1)  Dionys.  compos.  verb.  22  tö  ap)^atx6v  exslvo  xal  xb  aoaxfjpov. 

2)  Horat.  carui.  4,  2,  lOf.  p6r  audaces  nova  dithyrarabos  verba  devolvit. 

3)  Quintilian.  10,  1,  109  (fr.  258);  Dio  Chrys.  2,  32  hebt  Xa^i-pox-rj; 
Tijc  f  üotcüc  hervor. 

4)  Isthm.  1,  Iflf. 

5)  Karl  Bitter  de  Piudari  studio  nomina  variandi,  Dissertatt.  philol. 
Argeot.  IX  (1885)  p.  239  ff. 

6)  Mezger  Pindars  Siegeslieder  S.  37 ff.  Desselben  Gelehrten  damit 
verbundene  Annahme,  welche  von  Westphal  Prolegoraena  zu  Aeschylus' 
Tragödien  S.  81  ff.  (eigentlich  schon  von  Fr.  Thierse h  üebers.  I  S.  62  f.) 
herrührt,  dass  Pindar  das  terpandrische  Nomenschema  auf  die  Chorlieder 
übertrug,  hat  alles  gegen  sich.  S.  auch  Macan  Transactions  of  the  Oxford 
phil.  Society  1882/3  p.  16  ff. 

7)  AI.  Rzach  über  antistrophische  Wort-  und  Gedankeuresponsion 
in  den  Chorliedem  der  sophokleischen  Dramen,  Progr.  v.  Prag  1874. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  99 

dichtete  er  einmal  ein  Lied  ohne  Sigma^).  Selbst  für  einen 
solchen  Enthusiasten  bleibt  es  wahr:  „Natur  und  Kunst,  sie 
scheinen  sich  zu  fliehen,  und  haben  sich,  eh'  man  es  denkt, 
gefunden.** 

Die  chorische  Lyrik  war  ja  im  vollen  Sinne  des  Wortes 
eiue  Kunst  und  dem  entsprach  es,  dass  Pindar  nach  griechischer 
Gewohnheit  in  einem  Kunstdialekt  dichtete *).  Die  böo tische 
Mundart,  welche  Korinna,  weil  sie  an  ihre  Landsleute  allein 
sich  wandte,  wohl  anstand,  passte  natürlich  für  einen  vielum- 
worbenen Dichter  nicht,  wenn  er  bald  in  Sicilien,  bald  auf 
Aegina,  bald  in  einer  anderen  fernen  Stadt  eine  Probe  seiner 
Kunst  ablegte,  sondern  hätte  eher  Spott  hervorgerufen.  Leider 
gehen  uns  die  Mittel  zur  Bestimmung  von  Pindars  Dialekt 
völlig  ab').  Die  Alten  bezeichneten  ihn  als  ein  mit  Aeolismen 
vermischtes  Dorisch,  und  wollten  obendrein  Atticismen  vor- 
finden*). Soviel  dürfen  wir  als  sicher  annehmen,  dass  er  nicht 
der  delphische  war^),  aber  auch  nicht  der  böotische*),  die 
Gedichte,  die  für  ßöotier  bestimmt  waren,  möglicher  Weise 
ausgenommen').  Man  nimmt  an,  dass  der  dorische  Charakter 
oder  das  äolische  Element  mehr  hervortrat,  je  nachdem  eine 
Ode  in  dorischer  oder  äolischer  Mundart  komponiert  war*). 
Aber  korrigierende  Grammatiker  und  nachlässige  Abschreiber 
wetteiferten,  das  Charakteristische  unwiederbringlich  zu  ver- 
wischen. 


1)  Klearchos  fr.  63  bei  Athen.  10,  448  d,  vgl.  Pindar.  79  xb  oav  xt^- 
iakov  ötv^ptoKotocv  aizb  aTO|j.axu*v. 

2)  G.  Hermann  de  dialecto  Pindari  observationes,  Lpz.  1809  =  Oi)us- 
cnla  I  p.  245 flf.;  Tycho  Mona  ms en  Jahrbb.  f.  Phil.  83,  4001;  W.  Aug. 
Peter  de  dialecto  Pindari,  Diss.  v.  Halle,  Berlin  1866;  Aug.  He  im  er  studia 
Pindarica,  Lund  1885. 

3)  U.  V.  Wilamowitz  homerische  Untersnchnngen  S.  dl9f. 

4)  Eustath.Od.  p.  1702,  4  f.;  Dorisch  Suidas;  über  Atticismen  Schol. 
Aristoph.  Acharn.  728  (720). 

5)  Ahrens  über  die  Mischung  der  Dialekte  in  der  griech.  Lyrik,  Ver- 
handl.  der  Phil.  Vers,  in  Göttingen  1853  S.  71  flf. 

6)  A.  Führer  PhUol.  44,  69flf. 

7)  Z.  B.  haben  zwei  Handschriften  Ol.  14,  8  das  böo  tische  'Ep;^o|jLevo5 
bewahrt. 

8)  8o  G.  Hermann  und  Ahrens. 


Digitized  by 


Google 


100  IV.  Kapitel. 

Pindars  Verdienste  um  Metrik  und  Musik  ^)  entziehen 
sich  völlig  unserer  Kenntnis ;  eine  grosse  Lücke  unseres 
Wissens,  zumal  da  der  Dichter  auf  Rhythmus  und  Melodie 
kein  geringeres  Gewicht  als  auf  die  Worte  legte  *)1  Doch  gibt 
uns  die  Benennung  von  Versmassen  einen  Fingerzeig,  da  gerade 
drei  antispastische  Metren  pindarisch  heissen'}.  Sein  Lieblings- 
mass  waren  die  daktyloepitritischen  Strophen,  welche  ruhige 
Würde  athmen,  ohne  schwerfällig  zu  sein*). 

Der  imponierende  Eindruck  des  pindarischen  Genius  war 
so  mächtig,  dass  vor  den  französischen  Spöttern  Malherbe, 
PeiTault*)  und  Voltaire  keine  ernstUche  Opposition  sich  regte, 
wenn  man  ihn  den  Meister  der  antiken  Lyrik  nannte;  denu 
gerade  in  dieser  konventionellen  Gattung  empfand  jeder  die 
Bedeutung  einer  grossen  Persönlichkeit  Pindar  wurde  natürlich 
von  seinen  engeren  Landsleuten  unter  die  Klassiker  der  Musik 
aufgenommen  %  aber  auch  in  Athen  war  er  schon  im  fünften 
Jahrhundert  durch  Aufführungen  so  wohlbekannt,  dass  die 
Komiker  seiner  Erwähnung  thaten  und  Verse  parodierten'). 
Im  vierten  Jahrhundert  gehörten  Pindars  Päane  zu  den  beliebten 
Tischgesängen*).  Der  äussere  Ruhm  des  Dichters  erstrahlte 
noch  heller,  als  Alexander  bei  der  Eroberung  Thebens  ausser 
den  Göttertempeln  nur  Pindars  Haus  verschonte,  weil  dieser 
einen   Sieg   seines  gleichnamigen  Ahnherrn   besungen  habe*). 

1)  G.  Hermann  im  III.  Bnnd  von  Heynes  Ansgabe;  Aag.  Böckh  de 
metris  Pindari,  Bd.  n  T.  2  seiner  Ansgabe;  W.  Christ  die  metrische  Ueber- 
liefemng  der  pindarischen  Oden,  Manchen  1868  (ans  den  Abhandl.  der  bayer. 
Akad.  XI  3  S.  129fi.);  J*  H.  H.  Schmidt  die  Enrhythmie  in  den  Chor- 
gesftngen  der  Griechen,  Lpg.  1868  (darin  Schemata  sämmtlicher  pindarischer 
Epinikien);  Mor.  Schmidt  die  Taktmaasse  einiger  olympischer  Oden  Pindars, 
Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  1872  n  406 flf.;  Fei.  Vogt  de  metris  Pindari 
quaestt.  tres,  Strassbarg  1880  (Dissertatt.  philol.  Argentor.  IV.);  Mor.  Seh  midt 
über  den  Ban  der  pindarischen  Strophen,  Lpg.  1882. 

2)  VgL  Dionys.  de  vi  Demosth.  26  ictpl  xa  [^.i'kT^  xal  to6c  ^d^^ouc 
^äXXov  ^  icspl  TY)v  Xi^iv  taicooSaxox;. 

3)  Hephaest.  c.  15  p.  52.  Schol.  Pind.  Pyth.  6,  9.  2  epod.  7. 

4)  C.  Hermann  Jahrbb.  f.  Phü.  180,  481  flf. 

5)  Vgl.  Boileau  reflexions  snr  Longinns  VIEL 

6)  Aristoxenos  bei  Plntarch.  mns.  31. 

7)  Aristoph.  Av.  924  ff.  939;  Enpolis  bei  Athen.  1,  3a. 

8)  Timaios  bei  Athen.  6,  250  b. 

9)  Hin.  nat.  bist.  7,  29.  Plntarch.  Alex.  11  a.  E.  Arrian.  anab.  1, 9, 10 
(Xi^ooGt,  er  fögt  anch  den  Schatz  der  Nachkommen  bei).    Dio  Chrys.  or.  2, 33. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  101 

Durch  diese  demonstrative  Verordnung  wurde  Pindar  den 
Diadochenhöfen  empfohlen;  da  überdies  die  Philosophen  die 
Lesung  des  sentenziösen  hochsinuigen  Dichters  anrieten^), 
gehörte  er  zum  Kreise  der  Schulschriftsteller  *) ,  was  ihm  die 
Beachtung  aller  Grammatiker  sicherte.  Nachdem  bereits  Z  e  n  o  - 
dot  den  Text  recensiert  hatte*),  ordnete  Aristophanes  von 
Bjzanz  säratiiche  Dichtungen  Pmdars,  reinigte  den  Text 
tm^  trennte  die  Versö*);  seine  Arbeit  blieb  wahrscheinlich  in 
den  Hauptzügen  massgebend^).  Auch  der  grösste  des  Trium- 
virates hielt  sich  von  Pindar  nicht  ferne:  Es  gab  eine  mit 
kritischen  Zeichen  und  Kommentar  versehene  Ausgabe  des 
Aristarchos,  indes  stand  sie  hinter  der  Homerrecension 
erheblich  zurück*).  Ihm  lagen  bereits  mehrere  Kommentare 
vor^);  der  älteste,  den  wir  noch  kennen,  rührt  von  Aristo- 
phanes' Schüler  Kailistrat os  her®).  An  Aristarchos  schlössen 
sich  verschiedene  Schüler  und  Anhänger  in  der  Pindarforschung 
Äu:  Ammonios,  sein  Nachfolger,  Aristodemos  von  Elis^) 
und  Aristonikos  *®),  ferner  Chairis"),  der  Sidonier  Dio- 
nysios^^,  Asklepiades,   welcher  die  offiziellen  Siegerlisten 


Liban.  t  n  p.  218.  y  27 ff.  Soidas.  £  95  ff:  Tzetz.  GhU.  7  bist.  139.  Th. 
24  ff.  (übertragen  auf  PauRanias  and  die  Spartaner,  obgleich  diese  Theben 
nie  aserstörten,  Solin.  9,  16.  E  91  ff.  V.  24  ff.  Th.  21  ff.).  Das  Haas  worde 
später  in  das  Prytaneion  verwandelt  (V.  27.  E.  96  f.). 

1)  VgL  Diogen.  Laert.  4,  31. 

2)  Ps.  Aeschin.  epist.  4,  2.  Dionys.  Thraz  bei  Sext.  Empir.  adv.  math. 
1,  58.  —  Kallimachos  ahmte  Pindar  nach   (Schneider  zu.  hymn.  2,  87.  112). 

3)  SchoL  Ol.  2,  7.  6,  91. 

4)  Ordnnng  Thomas  Mag.  Z.  57  West.;  Kritik  Schol.  Ol.  2,  48;  Vers- 
teilong  Dionys.  compos.  verb.  22.  26  (Tzetzes  schrieb  Anecd.  Paris.  I  p.  73 
diese  Arbeit  einem  tu>v  ao^div  tcov  icaXaitdTmv  zn). 

5)  Lübbert  de  Pindari  carminibns  dramaticis,  ind.  leot.  hib.  1884  p.  10. 

6)  Paol  Feine  de  Aristarcho  Pindari  interprete,  Halle  1883  (anch  in 
den  Commentationes  philol.  Halenses) ;  Engen  Hörn  de  Aristarchi  stndiis 
Kndaricis,  Diss.  v.  Greifswald  1883. 

7)  Schol.  Nem.  1,  49  p.  34,  8  Abel. 

8)  Böckh  in  der  SchoUenansgabe  p.  XHI. 

9)  Böckh  p.  XTV;  tv  f  tctpl  Iltv^apot)  Athen.  11,  495  f. 

10)  Schol.  Ol,  3,  31,  vor  Didymos  Ol.  1,  38.  7,  153. 

11)  Wahrscheinlich  ebenfalls  Tor  Didymos  (SchoL  Pyth.  4,  496). 

12)  Schol.  Pyth.  1,  172;  Dionysios  ohne  Zusatx  Ol.  11,  55.  Pyth.  1,  109. 


Digitized  by 


Google 


102  IV.  Kapitel. 

einsah^),  Chrysippos^,  Menekrates')  und  Agestratos*> 
Der  Pergamener  Artemon  besctoänkte  sich  auf  die  Erklärung 
der  eicilischen  Oden^)/  Einzelne  Lesarten  werden  unter  dem 
Namen  des  berühmten  Krates,  des  Dionysios  Charmidu 
und  Leptines  eitiert*).  Andere  beschäftigten  sich  mit  der 
Bestimmung  der  Odenarten :  Kallim ach os  in  Verbindung  mit 
seinen  Katalogen^),  Aristophanes'  Schüler  Dionysodoros^, 
Apollonios  „der  Eidograph**^,  Dionysios  von  Phaseiis ^®> 
und  Hephaistion"). 

Die  wenig  leseeifrigen  Gelehrten  der  Kaiserzeit  gingen  am 
liebsten  auf  den  Kommentar  des  fleissigen  Didymos  zurück^ 
der  alle  diese  Forschungen  zum  grössten  Teile  der  Werke 
Pindars  zusammenfasste  ^*). 

In  der  Kaiserzeit  steht  die  Suprematie  Pindars  bei  Griechen 
wie  bei  Römern  fest^*).  Di©  Jugend  muss  ihn  in  der  Schule 
lesen  ^*),  weshalb  der  Presbyter  Apollinaris  von  Laodikeia  Imi- 
tationen christlichen  Inhalts  an  seine  Stelle  zu  setzen  versuchte  **)• 
Trotzdem  erwälmt  Suidas  an  Kommentatoren  dieser  Zeit  nur 
einen  Palamedes,-  wozu  eine  metrische  Abhandlung  Drakons 

1)  Vor  Didymos  Scbol.  Nom.  2,  19;  Siegerlisten  Schol.  Nem.  VI.  a.  A. 

2)  BÖckta  p.  xn  identificiert  ihn  ohne  Grand  mit  dem  Stoiker;  s, 
Christ.  Aronis  Xpaaiicicoc  '(pa\i.it.axnn6<:,  Jena  1885. 

3)  Schol.  Ol.  2, 16.  Isthm.  4,  104 

4)  Schol.  Pyth.  10,  85;  Ptolemaios  Epithetes  ist  vielleicht  ancb 
hieher  zu  rechnen  (Schol.  Ol.  5,  44). 

5)  Schol.  Ol.  5,  1.  Pyth.  1,  1.  3,  48.  Isthm.  2  praef. ;  vor  Menekrate» 
Ol.  2,  16. 

6)  Schol.  Nem.  2,  16;  Nem.  7,  35;  Ol.  11,  55  unsicher. 

7)  Schol.  Pyth.  H.  a.  A. 

8)  Schol.  Isthm.  2,  54. 

9)  Schol.  Pyth.  IL  a.  A.,  vgL  1,  3. 

10)  Schol.  Pyth.  H.  a.  A.;  Nem.  XL  p.  332,  14  Abel. 

11)  Schol.  Isthm.  V  p.  427,  1  AbeL 

12)  'E5y)yy)ok:  nivSapixY}  Lactant.  fals.  relig.  1,  22,  19;  Eust  Z,  172  o^ 
ji-^v  xä  K&vxa  6ict{ivnQ{iaTio{iiva,  Ammon.  u.  Srfia'(tvtX<; :  Iv  6icoji.vYyiaTt  ty  icpu>t<f>^ 
td>v  icaidvtt>v ;  Fragmente  bei  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalcenteri  fragmenta, 
Lpg.  1854,  p.  214  ff. 

13)  Cicero  orator  1,  4.  Horat.  carm.  4,  2.  IIcpl  Bfj/otx;  33,  5.  Petron.  2 
(Pindaras  novemqne  lyrici).  Quintil.  10,  1,  61.  Stat.  silv.  4,  7,  5.  MartiaL 
8,  18.  6.  Pintarch.  symp.  7,  5,  4.  Antipater  Anthol.  Plannd.  305. 

14)  Lncian.  opfiicoo.  17.  Palladas  Anthol.  9,  175,  1. 

15)  Socomen.  bist  eccles.  5,  18. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  103 

(«spl  TÄv  IlivSdpoo  jjieXÄv)  und  eine  mystische  Schrift  des  Por- 
phyrios  „über  die  Nilquellen  bei  Pindar"  kommen^).  Doch 
gehört  der  Kern  unserer  SchoUen  in  diese  Zeit;  die  Namen 
von  Kompilatoren  wurden  eben  leicht  vergessen.  Dafür  kann 
man  pindarische  Einflüsse  in  der  schönen  Literatur  nach- 
weisen. So  dichtete  zu  Plutarchs  Zeit  Pankrates  in  pindarischer 
Manier*);  vor  ihm  hatten  schon  die  Römer  Titius  und  Rufus, 
durch  Horazens  berühmtes  Wort,  dass  dem  verwegenen  Nach- 
ahmer das  Schicksal  des  Ikaros  bevorstehe,  nicht  abgeschreckt, 
dieser  Selbsttäuschung  gehuldigt^.  Gelegentlich  findet  man 
80  manchen  pindarischen  Edelstein  in  fremder  Fassung  wieder, 
z.  B.  bei  Horaz  *)  und  im  Proömium  des  Periegeten  Dionysios  ^)* 
Auch  Philostratos  und  andere  Sophisten  der  Kaiserzeit  holten 
sich  glänzende  Floskeln  aus  dem  Dichter,  obgleich  Hermogenes 
verständig  abmahnte^). 

Desgleichen  thaten  byzantinische  Prosaiker^).  Denn  so 
schwer  ihnen  auch  das  Verständnis  Pindars  fiel,  Hessen  doch 
die  Byzantiner  nicht  von  der  Schultradition  ab ;  indes  scheint 
Pindar  dem  höheren  Unterricht  vorbehalten  worden  zu  sein^. 
Um  die  Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts  veranstaltete  Johannes 
Barbukallos,  Grammatiker  an  der  Universität  Berytos,  eine 
Recension  des  Textes*).  Von  dem  Kommentar  des  gelehrten 
Eustathios,  welchen  Basel  einst  besessen  haben  soll,  ist  bisher 
nur  die  Einleitung  aufgefunden  (S.  68).    In  dessen  Zeit  begann 


1)  Vgl.  Bergk  za  Pindar.  fi*  282. 

2)  Plutarch.  mns.  20.  Athen.  15,  677  de. 

3)  Horat.  epist.  1,  3, 10.  Orid.  ex  Ponto  4, 16,  28,  vgl.  Reiffers  che  id 
eoDjectanea  nova,  index  lect.  hib.  von  Breslau  1880  S.  7. 

4)  Th.  Arnold  de  Horati  stadiis  Graecis  I  p.  12. 

5)  Eastath.  zu  Y.  1 ;  viele  Imitationen  verzeichnet  Tafel  dilucidationuni 
Pindaricamm  spec.  I.  Tübingen  1819. 

6)  Walz,  rhet  Or.  in  p.  226;  Fr.  Matz  de  Philostratornin  descriptionis 
imaginnm  fide,  Bonn  1867  p.  115 f.;  Karl  Nemitz  de  Philostratomm  ima- 
gtnibns,  Breslau  1875  p.  46 f.;  Karl  Teuber  qnaestiones  Himerianae,  Breslau 
1882  p.  7f.  25flF. 

7)  Agatiiias:  s.  z.  B.  Teuf  fei  PhiloL  1,  501  A.  29;  Joh.  Malchin  de 
Choricii  Gazaei  veterum  Graecomm  scriptorum  studiis,  Kiel  1884  p.  58  fif. ; 
anf  verschiedenes  weisen  Boissonades  Ausgaben,  z.  B.  von  Tzetzes,  hin. 

8)  YgL  Michael  Psellos  in  Sathas'  (leaaicuv.  ßißXio^.  V.  p.  92. 

9)  AnthoL  Palat.  9,  629;  vgl.  Bergk  p.  35. 


Digitized  by 


Google 


104  in.  Kapitel 

das  Studium  des  Dichters  sich  mehr  zu  verbreiten,  was  das 
Bedürfnis  nach  praktischen  schulmässigen  Hilfismitteln  rege 
machte.  Die  anonjrmen  Scholien  der  erhaltenen  Hand- 
schriften^) sind  aus  älteren  Kommentaren  bald  genauer  bald 
oberflächlicher  und  kürzer  ausgezogen  und  für  den  Standpunkt 
der  Schule  bearbeitet.  Das  Byzantinische  überwiegt  in  den 
jüngeren  Handschriften,  an  deren  Scholien  namentlich  Thomas 
Magistros,  £manuel  Moschopulos  und  Demetrios  TrikUnios 
beteiligt  waren*).  Nicht  weniges  stammt  erst  aus  dem  sech- 
zehnten Jahrhundert,  wie  die  Noten  von  Melchisedek,  einem 
Metropoliten  von  Rhaedestos  (in  der  Frankfurter  Ausgabe)  und 
Alexandres  Phortios  (in  den  patmischen  Scholien),  und  rührt 
zum  Teil  nicht  einmal  von  griechischen  Gelehrten  her^.  Zu 
Böckhs  Schoüensammluug ,  von  welcher  der  erste  Teil  Athen 
1841  nachgedruckt  wurde,  lieferten  C.  E.  Christ.  Schneider*), 
Julius  Resler*),  Tycho  Mommsen*)  und  Semitelos  ^)  ansehnliche 
Nachträge;  eine  neue  Ausgabe  unternahm  Eugen  Abel,  wovon 
vorläufig  der  zweite  die  Scholien  zu  den  Nemeen  und  Isthmien 
enthaltende  Band  (Berlin  1884)  erschienen  ist.  Man  kann  wirk- 
liche Anmerkungen,  bei  der  Lektüre  gemachte  Interlinearglossen 

1)  Bock h  in  der  Ausgabe  der  Scholien  p.  IX  ff.;  L.  v.  Sybel  de 
scholiis  veteribus  in  Pindari  carmina,  Marborg  1872;  K.  Lehrs  die  Pindai* 
scholien,  Lpg.  1873  (Nachtrag :  Königsberger  wiasensch.  Monatsblätter  6, 27  ff.). 
Der  Verfasser  einer  dieser  Kommentare  erläuterte  zugleich  Aischines  (Schol. 
Aeschin.  3,  91.  179]  und  Thukydides  (ib.  1,  29).  Aus  einem  solchen  ist 
ferner  das  dritte  Argument  zur  euripideischen  „Biedea"  geschöpft  (Dindorfe 
Schol.  Eurip.  IV  p.  4).  ^ 

2)  Christ.  Schneider  apparatus  Pindarici  supplementum  ex  codicibus 
Vratislav.  I.  Thomae  Magistri  et  Dem.  Tricl.  schoUa  in  Pythia  qnatuor  prima 
ex  cod.  Vrat.  E,  Breslau  1840;  Tycho  Mom  m  sen  scholia  recentiora  Thomano- 
Tricliniana  in  P.  Nemea  et  Isthmica,  Frankf.  a.  M.  1865,  in  Pyth.  V.— Xn., 
Frankfurt  1867. 

3)  Z.  B.  das  von  Lehrs  a.  0.  S.  96 f.  angefahrte;  Olossen  tod  Petrus 
Victorius.  Acta  philol.  Monac.  I  p.  310 ff.;  Tycho  Mommsen  scholia  Ger- 
mani  in  Pindari  Olympia  e  cod.  Vindob.,  Kiel  1861. 

4)  S.  A.  2  und  Vetera  in  Pindarum  scholia  denuo  ex  cod.  Rhediger. 
edita,  Progr.  der  üniv.  Breslau  1843. 

5)  Ultimae  Pindari  Isthmiae  scholia  maximam  partem  nunc  primum 
ed.,  Diss.  y.  Breslau  1847  u.  PhUol.  4,  510ff. 

6}  S.  A.  2.  3. 

7)  IlivSdpoo  ox^JLta  Uatpiiaxa  . .  .  ixS.  6ic6  Ay)}!.  £t{ittiXoo,  Athen  1875 
(von  Sakkelion  in  zwei  Exemplaren  der  Ausgabe  von  Kalliergis  entdeckt). 


Digitized  by 


Google 


Ohorlieder.  105 

(von  denen  die  meisten  ungedruckt  sind)  und  Paraphrasen  des 
Textes  scheiden.  Letztere  sind  auch  zusammenhängend  über- 
liefert*). Denn  der  Dialekt  Pindars  bereitete  sogar  den  Gelehrten 
grosse  Schwierigkeiten*),  weshalb  Gregor  von  Korinth  statt 
selbständiger  Sammlungen  mit  der  Kopie  der  sprachUchen 
Scholien  zu  den  drei  ersten  Olympien  sich  begnügte').  Das 
Metrum  vollends  war,  obgleich  Trichas*)  und  Isaak  Tzetzes*) 
die  Studierenden  durch  kurze  Leitfäden  zu  unterstützen  ver- 
Buchten ,  den  meisten  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln  %  Darum 
ist  -es  kaum  glaublich,  dass  eine  bestimmte  Ueberlieferung 
über  die  musikalische  Komposition  der  piudarischen  Oden 
damals  noch  existiert  haben  sollte.  Wenn  nun  der  gelehrte 
Athanasius  Elircher  „aus  einer  Handschrift  des  Klosters  S.  Salva- 
tore  bei  Messina''  die  fünf  Anfangsverse  der  ersten  pythischen 
Ode  mit  beigeschriebenen  Musikuoten  veröflfentlichte ,  so  zahlte 
er  damit  dem  fälschungslustigen  Jahrhundert  seinen  Tribut^). 
Allerdings  las  man  Pindars  Verse  nach  einer  Art  von  musika- 
lischen Takten  zerteilt®),  aber  ohne  durch  die  Ueberlieferung 
dazu  berechtigt  zu  sein*);  auch  wenn  der  musikkundige  Michael 
Psellos  sagt,  dass  Pindar  für  Flötenmusik  komponierte  ^®),  bringt 
er  damit  eine  eigene  Vermutung  vor. 


1)  Z.  B.  Codex  Vatic.  Palat.  Graec.  128  p.  61  Stevenson  (zu  den 
Olympien). 

2)  Gr^^r.  Corinth.  p.  12  (5  Eoen.);  Anonymus  hinter  demselben  p.  170. 

3)  MoTsbach  Rhein.  Mus.  31,  574  ff. 

4)  Vgl.  Ang.  Jnng   de  Trichae  metrici  vita  et  scriptis,   Breslau  1858. 

5)  Geruckt  bei  Cr  am  er  aneodota  Paris.  I.  am  Ende  des  ersten  Bandes. 

6)  Anonymus  bei  Panl  de  Lagarde  Symmikta  p.  174,  10  Ilivdapoc 
iiva  {lirpa  xal  xoic  vov  £f  voiota.  Kann  übrigens  Horaz  alle  Metren  erftksst 
haben,  wenn  er  sagt:  nnmerisque  fertur  lege  solutis  (carm.  4,  2,  11  f.)? 

7)  Er  machte  sie  1650  in  der  musurgia  universalis  I  p.  541  bekannt, 
verriet  sich  aber  durch  das  dreisilbige  ic^Xaia^  und  besonders  die  Aufhahme 
TOD  Schmids  Konjektur  tcov  (ppoi{i[<nv  (statt  icpoocfiuov).  Die  Noten  stimmen 
mit  denen,  welche  Alypios  für  die  lydische  Tonart  vorschreibt  und  zwar  sind 
«wei  Verse  ifir  Geeang  und  die  übrigen  drei  für  Instrumente  gesetzt.  Mit 
der  Echtheit  fallen  die  von  Fr.  Thiersoh  (üebers.  I  S.  142  ff.)  daran  geknüpften 
Kombinationen  über  die  Teilung  des  piudarischen  Chors. 

8)  Schol.  Dionys.  Thrac.  Bekker  Anecd.  n  751  adn.  u>c  6pqi(;  tot  xob 
TLtvZdpöo  ooYxtxofi.}i.iv(oc  ix^tp6)jLtva. 

9)  Ebend.  p.  752, 1  f. 

10)  In  Sathas'  (itaatcov.  ßißXiod.  V.  538. 


Digitized  by 


Google 


106  IV.  Kapitel. 

Die  Handschriften^),  welche  alle  Gedichte  enthalten, 
müssen  auf  einen  verstümmelten  Archetypus  zurückgehen, 
in  welchem  die  letzten  isthmischen  Oden  bis  auf  ein  in 
einer  einzigen  Handschrift  erhaltenes  Stück  —  die  anderen 
Abschreiber  liessen  es  absichtlich  weg  —  verloren  gegangen 
waren.  Kein  Kodex  reicht  über  das  zwölfte  Jahrhundert 
zurück,  indes  unterrichten  über  die  ältere  Vulgata  die  SchoUen. 
Unter  den  älteren  Handschriften,  deren  bisher  fünfundvierzig 
verglichen  sind,  ragen  Ambrosianus  A  (Ol.  I. — ^XH.),  Parisinus  G 
(Ol.  I  1  —  Pyth.  V  67)  und  die  vollständigen  Handschriften 
Vaticanus-Ursinus  B,  Parisinus  C  und  Mediceo-Laürentianus  D 
hervor.  Die  zahlreichen  Exemplare  der  Recension  des  Thomas 
(meistens  nur  die  olympischen  und  die  zwei  ersten  pythischen 
Oden  enthaltend)  und  die  durch  häufige  erläuternde  Inter- 
polationen entstellten  Moschopulos-  und  Triklinioshandschriften 
gewähren  nicht  viel  Nutzen.  Die  Inschrift  eines  angeblich  in 
Syrakus  gefundenen  Ziegels,  welche  einige  Verse  der  sechsten 
olympischen  Ode  enthält,  ist  im  besten  Falle  eine  Kuriosität'). 

Pindar  wurde  dem  lateinischen  Europa  nicht  eben  früh 
bekannt.  Die  Berühmtheiten  der  italienischen  Renaissance 
ignorierten  den  uneleganten  Denker,  weil  er  ernsthaftes  Studium 
forderte,  ausser  dass  ihn  Angelo  Poliziano  gegen  die  kirchlichen 
Psalmen  ausspielte.  Erst  1513  erschienen  seine  Dichtungen 
zugleich  mit  Kallimachos,  Dionysios  Periegetes  und  Lykophron 
in  Venedig  bei  Aldus  und  Andreas  Asulanus,  welche  schon 
1515  der  Kreter  Zacharias  Kalliergis  in  Rom  mit  einer  auch 


1)  Tycbo  Mommsen  Rhein.  Mos.  6,  435ff.  Ztacta.  f.  d.  Altertamsw. 
1846  Nr.  114  und  besonders  in  seiner  kritischen  Ausgabe;  Beigk  p.  34 ff.; 
Jnl.  £.  Resler  Philol.  4,  510 ff.;  E.  Abel  zur  Handschriftenknnde  des  Pindar, 
Wien  1882,  Wiener  Studien  4,  224fr.  (aber  den  Stammbaum  8.  249  ff.);  Hand- 
schrift von  Dannstadt:  Acta  philol.  Monac  3,  423 ff.;  Keapel:  Freese  de 
codidbns  Mss.  Neapolitanis  Pindari,  Pr.  v.  Stargard  1835;  Barcelona:  E.V olger 
Philol.  18,  714f.;  Petersburg:  Aug.  Nanck  Bull,  de  Tacad.  de  St  Petersb. 
6,  296 ff:  =  M^langes  Gr^oo-Rom.  n  487 ff.;  Lesarten  des  Yictorius:  Acta 
philol.  Monac.  1,  314.  — .  üeber  die  Grundlagen  der  Kritik  im  allgemeinen : 
Bdckh  über  die  krit.  Behandlung  der  pindar.  Gedichte,  Ges.  kleine  Schriften 
V  8.  248—396;  W.  Christ  die  metrische  Textüberlieferung  des  Pindar, 
Philol.  25,  607 fll 

2)  Herausgegeben  von  P.  Matranga  Annali  d.  instituto  arch.  1844 
p.  235  f.  mit  Tafel  M. 


Digitized  by 


Google 


Cfhorlieder.  107 

Schollen  enthaltenden  Quartausgabe  überbot.  In  Deutschland 
wurde  Pindar  durch  die  von  Zwingli  eingeleitete  Ausgabe 
Cratanders  (zuerst  1526),  woran  Joh.  Lonicerus'  beliebte  Prosa- 
übersetzung (Basel  1528  u.  ö.)  anknüpfte,  bekannt  und  durch 
den  Tübinger  Philhellenen  Martin  Crusius  empfohlen*).  In 
Frankreich,  wo  seit  1560  Henricus  Stephanus  mit  einer  nied- 
lichen eine  wörtliche  Uebersetzung  und  die  Lyrikerftttgmente 
einschliessenden  Sedezausgabe  grossen  Erfolg  hatte,  wurde  Pindar 
unter  Heinrich  III.  von  Sudorius  (le  Sueur)  in  lateinische 
Verse  übertragen  (Paris  1575),  während  Bonsard  (1524 — 1585) 
an  der  Spitze  einer  zahlreichen  Schule  gelehrter  Dichter  den 
Ehrennamen  des  französischen  Pindar  anstrebte  •).  Aus  dieser 
anempfundenen  Begeisterung  erwuchs  der  Wissenschaft  keine 
andere  Frucht  als  Johannes  Benedictus'  Ausgabe  mit  Para- 
phrase und  tüchtigem  Kommentar  (Saumur  1620)').  Viel 
neues  brachte  dagegen  Erasmus  Schmid,  welcher  durch  Ver- 
gleichung  von  Handschriften,  Emendation  und  Erläuterung  des 
Textes  in  der  IlivSdpot)  icspfoSoc  (Wittenberg  1616),  wenn  auch 
seine  metrischen  Grundsätze  und  vollends  die  Erklärungsweise 
gänzlich  verfehlt  waren,  respektables  leistete;  der  humanistische 
Mathematiker  wollte  nämlich  das  pindarische  Flügelross  unter 
das  Joch  eines  logischen  Schemas  beugen.  In  England  erstand 
nach  französischem  Muster  eine  für  Pindar  schwärmende  Dichter- 
schule, welche  Abraham  Cowley,  „der  brittische  Pindar"  (1618 
— 1667),  ins  Leben  rief*);  er  gab  nicht  nur  den  Anstoss  dazu, 
dass  noch  im  vorigen  Jahrhundert  zahlreiche  Pindariker,  wie 
Gray,  Akenside,  Mason  und  andere,  den  englischen  Parnass 
belebten,  sondern  der  Verskünstler  hatte  auch  indirekt  die 
Oxforder  Folioausgabe  (1697)   von  Richard  West  und  Robert 


1)  Vgl.  C.  F.  Schnitzer  Eos  2,  334 ff. 

2)  Eog.  6 an  dar  Bonsard  oonsider^  comme  imitateor  d'Hom^re  et  de 
Pindare,  Paris  1854. 

3)  Den  ersten  vollständigen  Kommentar  gab  Franc  Portns  heraus  (Genf 
1583).  Vgl.  auch  Blondel  oomparaison  de  Pindare  et  d'Horace,  Amster- 
dam 16d3. 

4)  Pindarick  ödes  written  in  Imitation  of  the  style  and  manner  of  the 
ödes  of  Pindar  1681  (Poetical  works,  Edinburgh  1784  H  p.  171  ff.),  um  die- 
selbe Zeit  nahm  Italien  an  der  Pindarmode  durch  die  metrische  Uebersetzung^ 
von  A.  Adimari  (Pisa  1631—32)  Teil. 


Digitized  by 


Google 


108  IV.  Kapitel. 

Welsted  veranlasst,  deren  selbständiger  Wert  in  der  Heran- 
ziehung englischer  Handschriften  und  einem  reichen  Register 
besteht.  Deutschland  wurde  nach  dem  Verblassen  des  Huma* 
nismus  eigentlich  erst  wieder  von  Klopstock  an  den  griechischen 
Lyriker  erinnert  und  graduierte  Willamow  für  die  1766  ge- 
druckten Dithyramben  zum  deutschen  Pindar.  Nun  drängen 
sich  dichterische  Huldigungen  und  gelehrte  Arbeiten  ^) :  Herder 
übersetzte  zehn  Oden^  und  von  ihm  lernte  den  thebanischen 
Sänger  der  junge  Goethe  lieben,  welcher  in  der  Ode  „Wanderers 
Sturmlied'*  seinen  Enthusiasmus  zu  erreichen  sich  bemühte, 
und  sogar  die  fünfte  olympische  Ode  übersetzte').  In  jenen 
Jahren  erschienen  auch  die  Ausgabe  von  C.  G.  Heyne  (Göttingen 
L  Text  177&  H.  Uebersetzung  1774)  und  die  erste  grössere 
Fragmentensammlung  (Carminum  Pindaricorum  fragmenta  cur. 
J.  Gottl.  Schneider,  Strassburg  1776);  jene  errang  einen  erheb- 
lichen Erfolg  erst  in  der  zweiten  selbständigeren  Bearbeitung 
von  1 797 — 99,  weil  Gottfried  Hermann  metrische  Abhandlungen 
dazu  beisteuerte*). 

Für  das  Verständnis  des  Sinnes  sowohl  als  der  Rhythmen 
leistete  das  bedeutendste  August  Böckh  (Lpg.  1811 — 21,  Th.  I. 
Text  H  1.  Schollen  2.  Metrik)*^),  von  dem  alle  neueren  Arbeiten 
ausgehen.  Zur  Textkritik  zog  erst  Tycho  Mommsen  (Berlin 
1864  2  Bde.)  die  meisten  Handschriften  heran  und  stellte 
ihren  Wert  fest;  der  Text  der  kritischen  Ausgabe  von  Bergk 
(poetaelyricaeGraeciL*  1843,*  1878)  weicht  hauptsächlich  durch 
zahlreiche  kühne  Konjekturen  ab.  Zwischen  dieser  und  der 
konservativen  Richtung  Mommsens  hält  die  Textausgabe  W. 
Christs  (Leipzig  1869)  die  Mitte«). 


1)  Schon  im  folgenden  Jahre  schrieb  der  durch  Gk>ethe  bekannte  Clodins 
in  „Versuche  aus  der  Literatur  und  Moral^^  (1767)  I  S.  49  ff.  über  Pindar. 

2)  Zur  schönen  Literatur  und  Kunst  X.  Tübingen  1808. 

3)  Bd.  m  S.  379  f.  Hempel,  vgl.  M.  Bernays  (Goethes  Briefe  an  Fr. 
A.  Wolf  8.  7.  122. 

4)  8.  Aufl.  Lpg.  1817,  3  Bde.  Abdruck  London  1824.  C.  D.  Becks  Aus- 
gabe (Lpg.  1792—95,  2  Bde.  mit  Schollen  und  Anmerkungen)  blieb  un- 
Yollendet. 

5)  Vgl.  über  die  kritische  Behandlung  der  pindar.  Gedichte,  Abb.  der 
BerL  Akad.  1822/8  =  gee.  kleine  Schriften  5,  248-396. 

6)  Vgl.  Phüol.  25,  607  ff. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  109 

Bezüglich  der  Erklärung,  über  deren  Richtungen  S.  94  f. 
gesprochen  ist,  können  wir  eine  klassische  Ausgabe  nicht 
namhaft  machen.  Friedrich  Mezgers  „Pindars  Siegeslieder'* 
(Lpg.  1880)  besitzen  namentlich  den  Vorzug,  dass  hier  die 
Abhandlungen  über  einzelne  Oden  verzeichnet  stehen  *) ;  Eng- 
land hat  eine  vollständige  Ausgabe  von  C.  A.  M.  Fennell 
(Olympien  und  Pythien,  Cambridge  1879,  Nemeen  und  Isth- 
mien,  London  1883)  erhalten.  Alle  übrigen  Ausgaben  sind 
unvollständig:  Schneidewins  Bearbeitung  der  älteren  Ausgabe 
L  Dissens  (Gotha  1847  —  50)  umfasst  nur  Olympien  und 
Pythien*).  Um  die  Olympien  haben  sich  Albert  de  Jongh 
(Utrecht  1865),  Moritz  Schmidt  (Pindars  olympische  Sieges- 
gesänge, Jena  1869)  und  Schwickert  (F.  0.  S.,  Trier  1878), 
um  Olympien  und  Pythien  B.  Gildersleeve  (New- York  1885) 
verdient  gemacht.  Ausserdem  ist  W.  Furtwängler  als  Verfasser 
von  „Pindars  Siegesgesänge  in  einer  Auswahl  nach  den  wesent- 
lichen Gesichtspunkten  erklärt''  (Freiburg  i.  B.  1859)  zu  nennen. 
Die  zweite  und  sechste  Olympika  bearbeitete  Sim.  Karsten 
(Utrecht  1825). 

Auf  die  Uebersetzung  des  unübersetzbarsten  aller 
Griechen  wurde  unsägliche  Mühe  verwendet,  zuöaal  von  den 
Franzosen,  wie  wenn  sie  die  Sprödigkeit  ihrer  Sprache  besonders 
reizte;  ich  verkenne  dabei  keineswegs,  welche  Bedeutung  die 
wörtlichen  Uebertragungen  für  das  Aufblühen  der  Pindarstudien 
hatten.  Von  den  meisten  Versuchen,  ob  mehrere  gleich  Namen 
von  bestem  Klange  wie  Melanchthon,  Herder,  Wilhelm  von 
Humboldt  tragen,  nennen  wir  nur  die  philologisch  bemerkens- 
werten Arbeiten  von  J.  Gurlitt  (Olympische  Siegesgesänge, 
Lpg.  1809;   Pythische  S.  1.— 12.  1816;   8.  isthm.  S.  1818;    1. 

1)  Dazn  kommen  jetzt:  Ol.  VI.  U.  y.  Wilamowitz  IsyUos  von  £pi- 
damos  8.  162 ff.;  Ol.  VH.  Th.  Fritzsche  Beitr.  zur  Kritik  u.  Erklärung^ 
des  Pindar  I.  Güstrow  1880;  Ol.  X.  E.  Lübbert  diss.  de  Pindari  carmine 
Olympico  X.,  Progr.  der  Un.  Kiel  1881;  Pyth.  n.  E.  Lübbert  de  Pindari 
carmine  Pythico  secundo,  Kiel  1880;  Pyth.  IX.  Ed.  Lübbert  proleg.  in 
Pindari  Carmen  Pyth.  IX.,  ind.  schol.  aest.  Bonn  1883;  Pyth.  X.  G.  Prac- 
caroli  la  Pitia  X.  di  Pindaro,  Verona  1880;  Nem.  VII.  C.  Steffen  zu 
Pindar  Nem.  VH.,  Progr.  v.  Lpg.  1882. 

2)  £.  Y.  Leu t seh  additamentoram  ad  Lnd.  Disseni  in  Pindari  carmina 
commentarinm  spec.  I.  1865.  n.  1866.  in  1.  und  2.  IV.  1868  (Universitäts-^ 
sehriften  von  Göttingen]. 


Digitized  by 


Google 


110  IV.  Kapitel. 

u.  10.  nem.  S.  1818),  Friedrich  Thiersch  (Lpg.  1820,  2  Bde. 
mit  umfassender  Einleitung),  Tycho  Mommsen  (Lpg.  1846) 
und  J.  A.  Härtung  (Lpg.  1855—56,  4  Bde.). 

Die  Pindarforschung  entbehrte  des  notwendigen  Wörter- 
buches, da  die  Lexika  von  AemiUus  Portus  (lexicon  Pindaricum, 
Hannover  1606),  Damm  (novum  lexicon  Gr.  etymol.  et  reale, 
Berlin  1765)  und  Heinr.  Ernst  Bindseil  (concordantia  omnium 
vocum  carminum  integrorum  et  fragmentorum  Pindari,  Berlin 
1874)  nicht  genügten,  bis  Kumpel  durch  sein  Lexicon  Pin- 
daricum (Lpg.  1883)  diese  Lücke  ausfüllte. 

Um  das  Dreigestirn  der  Dichter,  welche  wir  im  Vorstehen- 
den zvi  schildern  versuchten,  drängten  sich  eine  Menge  unbe- 
deutender Tagesberühmtheiten,  von  denen  der  Koer  Amphi- 
men  es  dadurch  allein,  dass  er  Pindar  feind  war,  seinen  Namen 
fortpflanzte  ^). 

Ein  persönliches  Interesse  wenigstens  beansprucht  der 
Melier  Diagoras^),  während  er  als  lyrischer  Dichter  —  es 
werden  zwei  Siegeslieder  genannt  —  der  Bedeutung  entbehrte^). 
Obgleich  diese  Gedichte  den  Frommen  keinen  Anstoss  gaben, 
beging  er  einmal  die  Unvorsichtigkeit,  die  athenischen  Mysterien 
zu  verspotten,  worauf  die  gereizten  Athener  einen  hohen  Preis 
auf  seinen  Kopf  setzten  und  ein  Städtchen  verfluchten,  weil  es 
ihn  nicht  auslieferte*).     Jenes  Dekret   war  noch  415  in  Kraft, 


1)  Aristoteles  bei  Diog.  Laert.  2,  46. 

2)  Vgl.  Bergk  reliq.  comoed.  Atticae  p.  ITlflf.  J.  L.  Mounier  de 
"Diagora  Melio,  Rotterdam  1838;  Theod.  Münchenberg  de  D.  M.,  Diss.  v. 
HaUe  1877 ;  Sohn  des  TÄlekleides  oder  Teleklytos  (Telekletos  Schol.  Aristopb. 
Ran.  323),  nach  anderen  Sklave  und  Schuler  des  Demokrit  (Suidas).  Tatlanos 
(adv.  Graecos  27  p.  164)  bezeichnet  ihn  irrtümlich  als  Athener;  Mt^Xco^  wird 
oft  in  MxX-fjotoc  verderbt. 

3)  Philodem.  ic.  c&osß.  p.  85  Gomperz;  nach  (p.ixa.  codd.)  Pindar  und 
Bakchylides,  aber  vor  Melanippides  (Saidas);  Zeitgenosse  des  Simonides  und 
Pindar  (Schol.  Arist.  Ran.  323),  des  Bakchylides  (Euseb.  chron.  Ol.  78,  1(3); 
Ol.  74,  3  zielt  auf  Gelous  Thronbesteigung,  bezieht  sich  also  ebenfalls  auf 
Simonides  oder  seineu  Neffen).  Sext.  Empir.  math.  9,  53  nennt  ihn  BtO-o- 
pa}j.ßonoi6(,  dies  ist  aber  aus  Aristoph.  Ran.  320  erschlossen,  wie  die  Schollen 
zeigen. 

4)  Ps.  Lysias  contra  Andocid.  7.  Melanthios  u.  Erateros  bei  Schol. 
Aristoph.  Av.  1073.  Ran.  323  auf  Grund  der  Urkunde.  Die  chronologischen 
Angaben   sind  irrtämlich   (Ol.  91,  2,   Hermenfrevel   Diodor.    13,  6,  7    wegen 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  111 

selbst  zehn  Jahre  später  war  der  Skandal  noch  nicht  vergessen  ^) ; 
dagegen  scheint  Diagoras  399,  als  Andokides  angeklagt  wurde, 
bereits  tot  gewesen  zu  sein.  Er  starb  in  Frieden  zu  Korinth  *), 
dessen  Bürgerschaft  ihm  die  Aergerung  der  verhassten  Athener 
gerne  verzieh ;  sie  hätte  ihm  allerdings  keinen  Schutz  gewähren 
dürfen,  wenn  es  wahr  wäre,  dass  er  die  Götter  leugnete  *).  Dies 
ist  jedoch  nur  aus  einigen  Komikerstellen,  wo  Freidenker  durch 
den  Spitznamen  „Diagoras**  beschimpft  und  zu  ähnlicher  Be- 
ßtrafting  denunciert  werden  sollen*),  herausgelesen;  ein  solcher 
Zweifler  benützte  das  Pseudonym  für  eine  atheistische  Schrift  % 
für  welche  Diagoras  ebenso  wenig  die  Verantwortlichkeit  trägt 
als  für  die  entschuldigende  Begründung  seines  Atheismus^  und 
die  komische  Anekdote,  dass  er  mit  einer  hölzernen  Herakles- 
statue den  Küchenherd  heizte ').  Diagoras  war  weder  ein  himmel- 
stürmender Philosoph  noch  ein  hervorragender  Dichter. 

^  Zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  war  die  neue  Gat- 

tung des  Siegesliedes  durch  den  Dithyrambos^,  welchen  der 
Kitharöde  Arion  nach  der  Ueberlieferung  zuerst  geregelt  hatte 
(Bd.  I  S.  314  flf.),  bereits  in  den  Schatten  gestellt;  Athen  er- 
kannte an,  dass  aus  dem  bisherigen  Dionysoshymnus  eine  selb- 
stÄndige  Literaturgattung  herausgewachsen  war,  indem  es  kurz 
nach  dem  Sturze  der  Zwingherrschaft  im  Jahre  508  (Ol.  68, 1) 
den  Dithyrarabos  in  das  stehende  Programm   des  grossen  Dio- 


Aristoph.  Av.  1071;  nach  der  Erobernng  von  Melos  Schol.  Arist.  Av.  1073); 
nach  Protagoras  Lactant.  instit.  div.  1,  2,  2,  jedenfalls  in  Friedenszeit,  weil 
Peloponnesier  sich  anschlössen  (Erateros  bei  Schol.  Ban.  323). 

1)  Aristophan.  Av.  1071.  Ran.  320. 

2)  Snidas. 

3)  In  diesem  Rufe  kommt  er  schon  bei  Philodemos  (a.  O.)  und  später 
oft  bei  den  christlichen  Apologeten  vor. 

4)  Aristoph.  Ran.  318  (nach  Aug.  W.  Winkelmann  Acta  societ. 
Graecae  n  p.  8fif.  ist  Euripides  gemeint),  Nub.  830. 

5)  'AnofcopYiCovxs^  Xo^oc  Suidas;   über  die  Unechtheit  Philodem.  a.  O. 

6)  Schol.  Aristoph.  Nub.  832  (828).  Suidas. 

7)  SchoL  Arist.  a.  O.  Athenag.  apol.  4.  Clem.  Alex,  protr.  p.  21 P. 

8)  Im  Altertum  schrieb  der  Thraker  Demosthenes  icepl  Sid'upafi- 
ßoKouuv;  Tgl.  Lütke  de  Graecorum  dithyrambis,  Diss.  v.  Berlin  1829;  Moritz 
Schmidt  diatriba  in  dithyrambum  poetarumque  dithyrambicornm  reliquias, 
Berlin  1845;  Härtung  Philol.  1,  397 ff. 


Digitized  by 


Google 


112  IV.  KapiteL 

nysosfestes  aufnahm.  In  jener  Zeit,  wo  Aristokraten  und  Demo- 
kraten um  die  Herrschaft  rangen,  während  zugleich  die  An- 
hänger des  Hippias  noch  Hoffnungen  auf  seine  Wiederkehr 
hegten,  mussten  die  Regierenden  das  Volk  sowohl  für  manches 
Schaugepränge,  das  mit  der  fürstlichen  Hofhaltung  verschwunden 
war,  entschädigen  als  auch  durch  Erhöhung  der  Festpracht  in 
gute  Laune  versetzen.  Im  ersten  Agon  erhielt  ein  sonst  nicht 
genannter  Dichter  den  Preis,  Hypodikos  von  Chalkis*); 
waren  doch  die  Lyriker  der  eubOischen  Stadt  im  alten  Athens 
hochangesehen,  wie  die  Beliebtheit  von  Tynnichos'  Päan  bezeugt. 
Der  Dithyrambos  machte  damals  gerade  eine  bedeutende  Um- 
gestaltung durch,  deren  Verdienst  Lasos  gebührt*),  einem  Bürger 
der  argolischen  §tadt  Hermione,  welche  alljährlich  zu  Ehren 
des  Dionysos  Melanaigis  musische  Wettspiele  abhielt*)  und  in 
Themistokles^  Jugendzeit  Athen  den  gefeiertsten  Kitharaspieler 
sendete  *).  Lasos  war  schon  von  dem  Peisistratiden  Hipparchos  , 
nach  Athen  gezögen  worden  und  hatte  damals  die  Schwinde- 
leien des  Mystikers  Onomakritos  entlarvt  %  Später  vielleicht  kam 
er  als  Konkurrent  des  Simonides  wieder  in  die  Ilissosstadt  ^) 
und  hinterliess  dort  das  Andenken  eines  geistreichen,  aber 
spitzfindigen  Mannes'^),    weshalb   ihn   manche  Spätere  gar  den 

1)  Marm.  Par.  Z.  61.  Der  Preis  war  ein  Stier  (Schol.  Plat.  400  B,  da- 
her Aca>v6ooio  £vaxto^  ßoo^ovov  d'spdicovta  =  $id^pa}j.ßov  Simonides  bei  Cha- 
xnaileon  Athen.  10,  456  c). 

2)  In  alter  Zeit  schrieb  Chamaileon  über  ihn  (Athen.  8,  338 b),  in 
neuerer  Schneidewinde  Laso  Hermionensi,  ind.  lect.  hib.  von  Göttingen  1842, 
Der  Vater  hiess  Chabrinos  (Aristoxenos  bei  Diogen.  Laert.  1,  42,  Charbinos 
Suidas,  Xaßpioo  Isaac  Tzetz.  in'  Lycoph.  p.  252  M,  nach  Schneidewin  p.  7 
Xap}j.lvo(,  nach  Pape-Benseler  Xapcvoc ;  Hermippos  bei  Diog.  f&hrt  ausserdem 
Charmantides  n.  Sigymbrios  an).  Aaooc  (nicht  Adooc)  nach  Aristoph.  Vesp.  1412. 

3)  Pausan.  2,  35,  1. 

4)  Plutarch.  Themist.  5. 

5)  Herodot.  7,  6;  Seil  neide  w  in  PhUoI.  10,  356  f.  wiU  Herod.  5,  43 
ix  tu>v  Adooo  XP'H^H-^^  herstellen,  aber  dort  verlangt  der  Zusammenhang 
einen  alten  böotischen  Propheten. 

6)  Aristoph.  Vesp.  1410  f.  U.  K  ö  h  1  e  r  (bei  Löschcke,  Progr.  v.  Dorpat 
1883  S.  5  A.  5)  vermutet,  dass  Pausanias  1,  8,  4  eine  Statue  des  Lasos,  nicht 
des  Kaiadas  neben  der  Pindars  erwähnte. 

7)  Anekdoten:  Chamaileon  bei  Athen.  8,  338b.  Ps.  Aristot.  bei  Stob, 
flor.  29,  70.  Plutarch.  de  vitioso  pudore  5.  Hesychios  hat  aus  einem  Komiker 
(fr.  ine.  158  M.)  das  Wort  Aaoio}i.ata,  tue  oocpiotoS  to&  Adooo  xal  icoXoicX6xoOy 
woraus  Suidas  macht:  toöc  Sptoxtxoö?  eloYjY'fjoato  Xi^oo?. 


Digitized  by 


Google 


GhorHeder.  113 

sieben  Weisen  beizählten^),  Obgleich  die  Grammatiker  in  dem 
Dichter  den  ersten  wahren  Dithyrambiker  zu  erblicken  pflegten  ^, 
lag  nichts  mit  seinem  Namen  vor,  was  nicht  Zweifel  erregt 
hätte:  Ein  von  allen  Sigma  freier  Hymnus  an  Demeter,  die 
Hauptgöttin  Hermiones,  beruhte  auf  der  bedenklichen  Autorität 
des  pontischen  Herakleides'),  eine  gleichartige  Künstelei,  y,die 
Kentauren'*  betitelt,  wurde  von  mehreren  verworfen*)  und  zur 
Echtheit  der  Dithyramben  hatte  man  gleichfalls  kein  Ver- 
trauen^). Noch  bedenklicher  ist  eine  Prosaschritt  über  Musik, 
worin  der  vermeintliche  Lasos  bereits  auf  Schauspieler  Bezug 
nahm^I 

Wie  war  nun  der  Dithyrambos  des  Lasos  und  seiner  Zeit- 
genossen beschaffen?  Der  allgemeine  Charakter,  der  sich  in 
ihm  aussprach,  war  der  des  dionysischen  Kultes  überhaupt, 
ekstatische  Erregung  mit  fröhlicher  Weinlaune  gepaart '').  Dazu 
stimmten  der  aufgeregte  Rhythmus ,  in  welchem  der  davon 
benannte  Bakeheios  besonders  hervortrat  ®),  voll  Raschheit  ^)  und 
der  Tyrbasia  genannte  bakchantische  Tanz^®),  wiewohl  sich 
die  Griechen  zu  der  wilden  Raserei  kleinasiatischer  Orgien 
nicht  herabwürdigten;  dafür  bürgt  die  kraftvolle  und  würdige 
dorische  Tonart,   welche  dem  alten  Dithyrambos  der  Pelopon- 


1)  Hermippos  bei  Diogen.  Laert.  1,  42.  ttvec  bei  Suidas,  weshalb  er  in 
die  58.  Olympiade  versetzt  wird. 

2)  Antipatros  u.  Eaphronios  bei  Schol.  Aristoph.  Av.  1403 ;  Clem.  Alex. 
Strom.  I  p.  365  P,  308  S;  auch  Snidas*  Angabe :  «pÄto?  hh  o&ioc  .  .  .  Std-üpajißov 
elc  ^(uva  xaiiariqae  muss  gegen  das  urkundliche  Zeugnis  der  pariseben  Chronik 
zurückstehen.  Nachfolger  Arions  Schol.  Pind.  Ol., 13,  25.  Is.  Tzetz.  in  Lycophr. 
p.  ^2M. 

3)  Athen.  10,  455  ed.  14,  624  ef.;  über  die  Abneigung  der  Griechen 
gegen  diesen  Zischlaut  Schneidewin  a.  O.  S.  13 f. 

4)  Athen.  10,  455  c. 

5)  Aelian.  bist.  an.  7,  47  ev  tote  Aaooo  Xrf  op.4voic  Bid-opdtjißoti; ;  die  dürf- 
tigen Fragmente  bei  Bergk  III*  376  f. 

6)  Suidas,  benützt  Mart  Cap.  9,  936,  nicht  notwendig  Theo  Smyrn. 
mus.  12  (tpaai)  und  Aristoxen.  härm.  elem.  I  p.  3  Meibom. 

7)  Plutarch.  de  EI  ap.  Delphos  9  p.  389  a  \i.t\i.v^ii.hfiv  ttvi  naihicf.  %al 
üßpst  xal  CTcooS^  xal  ^kancf.  3cyu)}i.aXiav. 

8)  Scholia  Hephaestion.  p.  159. 

9)  Proklos  a.  O.  Z.  14  f. 

10)  Pollux  4,  104,  mit  dem  lateinischen  turba  verwandt. 
Siitl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  III.  3 


Digitized  by 


Google 


114  IV.  Kapitel. 

nesier  zukam  ^)  UDd  zwar  in  einer  demselben  eigenen  Variation, 
die  Lasos  festgestellt  hatte*).  Die  Begleitung  besorgte  ein 
Flötenspieler'^).  Der  den  Dithyrambos  singende  Chor  bestand 
aus  fünfzig  jungen  Bürgern  des  Ortes*),  geführt  von  dem  Vor- 
sänger (l£dtpxo>v),  der  vielleicht  mit  dem  Chormeister  (StSdoxaXoc) 
eine  Person  zu  sein  pflegte,  weshalb  Aristoteles  den  Schau- 
spieler-Dichter der  ältesten  Tragödie  davon  ableitet^);  die 
Choreuten  traten  zu  Ehren  des  gefeierten  Gottes  gewisser- 
massen  als  sein  Gefolge  im  Kostüm  von  Satyrn  ^ ,  das  Haupt 
mit  Epheu  umkränzt ''),  auf. 

Hinsichtlich  des  Stoffes  legte  die  Religion  den  Dichtern 
keinerlei  Beschränkung  auf;  denn  wenngleich  der  Herr  des 
Festes  erwähnt  werden  musste  und  der  übliche  Schluss ,  des 
Gesanges  ein  Gebet  war*),  hatten  sie  doch,  wie  bei  den  Sieges- 
gesängen, die  Freiheit,  alle  möglichen  Sagen  der  Mythologie 
zu  behandeln^);  was  die  Dithyramben  der  älteren  Generation 
anbelangt,  so  stehen  zwar  nur  die  Titel  Memnon  (von  Simonides) 
und   Achilleus   (Praxilla)    fest,    nichtsdestoweniger   reichen    sie 

1)  Aa>pioic  •  .  .  6v  ahXol^  Ps.  Simonid.  epigr.  148,  7  (s.  Wil»mowit  z 
Hernes  20,  03  f.)  wird  durch  PratiDas  fr.  1,  17  nnd  die  Analogie  des  alten 
Satyrspiels  verteidigt;  daher  sagt  Dionys.  Halic.  comp.  verh.  19  napd  ^6 
WC  dtpy(OLioi(:  xuaYliivoc  "^v  6  Sid'opajj.ßoc. 

2)  Platarcli.  mas.  29  a.  E.  Adoo^  hh  b  'Ep^iiovsoc  sie  '^v  8(dvpa}i.ßix'^v 
ä'^üy(^v  {istaoxY^oa^  to6(  ^(»O'^j.oöc  "^oX  tv  xoiv  a5Xd>v  icoXocpcuviqc  xataxoXoo^aac 
icXtioot  TS  «p^oYYOt?  ital  $ieppifj.}i.evoi(;  '^prio6L\t^voq  de  |i8xdd'80iv  x4]v  icpoOicdpxoooav 

3)  KoxXtoc  ttöX-qx^c  CJG.  1586.  2758.  Phiynich.  ecl.  p.  167  Lobeck' 
Lucian.  saltat.  2  (xoxXixoc).  26,  vgl.  S.  56  A.  2.  Nach  Aasweis  der  Inschriften 
war  es  nur  einer.     Seine  F15ten  hiessen  xoxXioi  ahXol  (Hesych.). 

4)  Zahl:  Simonid.  epigr.  147,  4;  Bürger:  Aristot.  problem.  19,  15. 

5)  Aristot.  poet.  11. 

6)  Auf  einem  attischen  Vasenbild  (Welcker  alte  Denkmäler  m  S.  125  ff. 
T.  X  2)  erscheint  der  personificierte  Dithyrambos  in  Oestalt  eines  epheu- 
bekränzten  Satyrs;  vgl.  dazu  Suidas  a.  *Apiu>v :  Saxopoo^  slosveYxslv,  ^}j.}i.txpa 
X^Yovxac,  auch  den  von  PoUux  4,  104  beschriebenen  Tanz  der  Spartaner. 
Pratinas  fr.  1,  3  wird  so  verständlich. 

7)  Ausser  dem  eben  erwähnten  Vasenbild  bezeugt  dies  Ps.  Simonid. 
148,  2,  vgL  Lncian.  Nero  11.  In  der  Zeit  des  höchsten  Luxus  waren  diese 
Kränze  von  Gold  (Demosth.  21,  16). 

8)  Aristides  orat.  XTV  p.  329  (369  D). 

9)  Plutarch.  mns.  10  a.  £.  p.  1134e;  vgl.  E.  Scheibel  de  dithyram- 
borum  argnmentis,  Pr.  v.  Liegnitz  1862.  Jevons  histoiy  of  Oreek  litera« 
ture  p.  167  schreibt  Simonides  die  Erweiterung  des  Stoffgebietes  zu. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  115 

2ur  Bestätigung  voUkommen  hin.  Sollte  nicht  hierin  ein  An* 
zeichen  zu  erblicken  sein,  dass  der  Dithyrambos  als  Literatur- 
gattung nicht  vollkommen  organisch  aus  dem  religiösen  Brauche 
'erwuchs,  sondern  in  höherem  Grade  ein  ihm  aufgepfropftes 
KuQstprodukt  war? 

Ueber  die  Ausführung  des  Einzelnen  schweigt  die  Ueber- 
Jieferung;  denn  dass  die  Sprache  nicht  so  pomphaft  wie  im 
feierlichen  Nomos  war*),  ist  eigentlich  selbstverständlich.  Mehr- 
fach werden  nach  Art  der  pindarischen  Mythen  Personen  redend 
«ingeführt,  obgleich  Piatos  Bemerkung,  der  Dichter  selbst  komme 
am  meisten  in  den  Dithyramben  zum  Wort,  gewiss  richtig 
ist*).  Inwieweit  der  Vorsänger  eine  selbständige  Rolle  hatte, 
wissen  wir  nicht '^).  Von  den  Dithyrambencyklen  zu  sprechen, 
versparen  wir  uns  Ueber  auf  die  Anfänge  der  Tragödie. 

Vielleicht  auf  keinem  Gebiete  der  Lyrik  hat  eine  solche 
Zahl  von  Dichtem  gewirkt.  Dithyramben  verfassten  nämlich 
die  drei  berühmten  Meister  der  Chordichtung,  Simonides,  Bak- 
cbyüdes  und  Pindar*),  dann  die  Tragiker  Phrynichos  und 
Jon*),  ferner,  um  weniger  berühmte  Namen  anzuführen,  die 
Athener  Lamprokles  (Erfinder  einer  Variation  der  mixolydischen 
Tonart  und  Lehrer  des  berühmten  Musikers  Dämon)  ^),  Anti- 
genes^), der  um  die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  auf 
vielen  Denkmälern  genannte  Archestratos®),  Hierony mos *),  der 


1)  Prokloß  a.  O.  Z.  15. 

2)  Staat  3,  394  c. 

3)  Gomperz  Jahrbb.  f.  Phil.  133,  772 f.  nimmt  für  den  jüngeren 
Dithyrambos  an,  dass  der  Musiker  nnd  der  Chorführer  ge Wissermassen  Gegen- 
spieler waren,  was  er  mit  Aristot.  poet.  26  (olov  ol  ^aöXoi  a5Xir}xal  .... 
iXxovts^  xbv  xopo^alov,  Av  SxoXXav  ot&Xäioiv)  belegt;  aber  vertritt  dort  nicht  der 
Chorführer  vielmehr  die  Gefährten  des  Odysseos,   welche  die  Skylla  packt? 

4)  Frg.  27 f.;  Bergk  m«  574 f.;  Bergk  V  390ff. 

5)  Bergk  m«  561;  Bergk  n«  255f. 

6)  Athen.  11,  491c;  Plntarch.  mos.  16;  Sohn  oder  Sqhüler  des  Midon 
Schol.  Aristoph.  Nnb.  961  (964) ;  Schüler  des  Agathokles  und  Lehrer  Dämons 
SehoL  Plat.  p.  135  B. 

7)  Ein  Siegesepigramm  ist  erhalten,  s.  U.  v.Wilamowitz  Hermes  20, 63  f. 

8)  Panaitios  bei  Plntarch.  Aristid.  1. 

9)  SehoL  Aristoph.  Nnb.  347. 

8* 


Digitized  by 


Google 


116  IV.  Kapitel. 

ältere  und  der  jüngere  Kedeides^),  Kydias*),  Nikostratos  •)  und 
Pantakles*)  (ein  allgemein  aber  nicht  gerade  rühmlich  bekannter 
Dithyrambiker).  Ich  habe  diese  Namen  und  weiter  unten  die 
der  jüngeren  Generation  sämmtlich  aufgezählt,  um  zu  zeigen, 
wie  viele  sich  in  ganz  Griechenland  diesem  Dichtungszweige- 
gewidmet  haben  mögen,  wenn  aus  Athen  allein  so  viele  und 
diese  meist  durch  reinen  Zufall  bekannt  sind.  Es  ergibt  sich 
aber  noch  eine  andere  Lehre  aus  der  durch  die  unten  ange- 
führten jüuge/en  Dichter  zu  ergänzenden  Liste.  Fast  alle 
trugen  bei  dem  glänzendsten  Dithyrambenkampfe  Griechenlands 
erste  Preise  davon  und  was  ist  von  ihnen  geblieben  ?  Höchstens 
eine  beiläufige  Nennung  des  Namens  oder  die  Inschrift,  welche^ 
ihren  Sieg  meldete,  ohne  den  geringsten  Rest  der  siegreichen 
Dichtungen.  Schon  damals  blieb  also  die  Mittelmässigkeit 
nicht  unbelohnt,  wenn  sie  mit  dem  flüchtigen  Tagesruhme 
zufrieden  war.   • 

Der  Dithyrambos  blühte  vor  allem  in  der  böotischen  Hei- 
mat des  Weingottes,  welche  kein  geringerer  als  Pindar  auf 
diesem  Gebiete  vertrat.  Hinter  Theben  stand  die  kleine  Stadt 
Phleius,  die  wegen  ihrer  herrlichen  Weingelände  Dionysos  und 
Ganymeda  seit  uralter  Zeit  dankbar  verehrte^),  nicht  zurück. 
Zwar  erstand  dort  kein  Pindar;  immerhin  brauchte  Pratinas^) 
auf  dem  begrenzten  Gebiete  der  dionysischen  Dichtung  einen 
Vergleich  mit  dem  vielseitigeren  Genie  nicht  zu  schämen.    Von 


1)  Inschrift  ans  der  Mitte  des  peloponnesischen  Kriegs  (Mittheil,  des^ 
deutschen  Inst,  in  Athen  8,  34);  nach  U.  Köhler  ist  dieser  der  Enkel  de» 
Cratin.  panopt.  fr.  6  und  Aristoph.  Nub.  985  erwähnten  alten  K-tixsiSy)?,  aus 
Hermione  nach  Schol.  Aristoph.  Nub.  961  (964).  Ueber  die  Varianten  des 
Namens  Nauck  Rhein.  Mus.  6,  431  f. 

2)  Plato  Charraid.  155  d. 

3)  CIA.  I  336;   Nixo...?  CIA.  I  421  in  sehr  alter  Schrift. 

4)  CIA.  I  337 ,  Inschrift  bei  Steph.  Byz.  u.  'Arfivr).  Antipho  6,  11. 
Aristoteles  bei  Harpocr.  u.  BiSdoxaXog.  Eupolis  fr.  293.  Aristoph.  Ran.  1036  f. 

5)  Bursian  Geographie  von  GriechenhiDd  II  S.  33.  34.  Auch  der  Kult 
eines  ehernen  Ziegenbildes  (Pausan.  2,  13,  6)  gehört  dazu;  neben  ihm  lag 
der  Sohn  des  Pratinas  begraben. 

6)  Welcker  Satyrspiel  S.  276 ff.  K.  Fr.  Hermann  Philol.  3,  507 ff. 
ü.  V.  Wilamowitz  Hermes  20,  67 ff.;  Herkunft  aus  Phleius  Athen.  14,  617b. 
11,  461  e.  vgl.  Anthol.  7,  37,  3.  Der  Vater  hiess  Pyrrhonides,  poetisch  En- 
komios  (Suidas). 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  117 

i 

«einen  berühmten  Satyi-spielen  soll  au  dem  geeigneten  Orte  ge- 
«procben  werden;  unter  den  spärlichen  Resten  seiner  Lyrik ^) 
lenkt  ein  Bruchstück  eines  Dithyrarabos  (Fr.  1)  die  besondere 
Aufmerksamkeit  auf  sich,  weil  es  ein  merkwürdiges  Licht  über 
■die  äußere  Geschichte  der  griechischen  Musik  verbreitet.  Pra- 
tinas  kämpft  nämlich  gegen  das  Ueberhandnehmen  des  Flöten- 
spiels bei  den  Dionyeosfesten  scharf  an:  Nur  mit  Wetttrinken 
und  Kraftproben  wird  der  Gott  nach  seiner  Auffassung  wahr- 
haft geehrt;  die  Aulöden  gehören  in  die  dionysische  Orchestra 
nicht*).  Bei  einer  anderen  Gelegenheit  eiferte  er  für  die  äolische 
Tonart  gegen  die  Sinnlichkeit  der  neueren  Musik  (Fr.  5). 

Der  Dichter  trat  nicht  bloss  in  Athen,  sondern  auch  in 
Sparta  auf,  wo  er  den  Dithyrambos  „Aftajtatvat  ^  KapoAttSsc" 
ßingen  Hess').  Die  Musiker  bewahrten  ihm  lange  ein  gutes 
Andenken  und  verwendeten  seine  Kompositionen  beim  Un- 
terricht *). 

Im  nahen  Sikyon,  das  gleichfalls  an  der  Gabe  des  Dionysos 
nicht  arm  war  und  den  Gtott  darob  hochhielt^),  erreichte  die 
-dionysische  Dichtung  ihren  Höhepunkt  durch  eine  Frau, 
Praxilla  mit  Namen ^),  welche  etwa  in  der  perikleischen  Zeit 
gelebt  haben  dürfte.  Von  ihren  Dithyramben  ist  nur  der  Titel 
„Achilleus"  (Fr.  1)  bekannt,  ein  zweiter,  „Adonis'*  (Fr.  2)  sehr 


1)  Bergk  HI*  p.  557  flf. 

2)  Dass  das  Fragment  sich  gegen  die  AulÖden  richtet,  zeigt  besonders 
V.  10  f.  ttaU  TÖv  4>püYa  töv  iotöoö  icotxtXoo  «poax^ovta;  V.  12  f.  werden  die 
langen  Wörter  des  Nomos  verspottet.  Athenaios,  der  das  Fragment  (14,  617  b) 
anführt,  nimmt  an,  dass  die  Flötenspieler  damals  von  singenden  Chören  be- 
gleitet worden.    YgL  anch  Horat.  a.  p.  214  C 

3)  Der  Ort  der  Anfführnng  wird  dnrch  Athen.  9,  392  f  tote  Adixu>at 
nnd  Hesych.  n.  Aoofi^ivai,  al  iv  Sicdprj^  x^P^^^^^^£  Bdx^^ai  indirekt  bezeugt; 
Also  war  die  Dichtung  wahrscheinlich  ein  Dithyrambos  (Bergk  p.  559  f.  Hi  Her 
Bhein.  Mns.  39,  322  A.  2),  nicht  ein  örama  (Wilamowitz Hermes  20, 68  A.  1). 

4)  Aristoxenos  bei  Plntarch.  mns.  31. 

5)  Pansan.  2,  7,  5;  hiebei  spricht  er  von  einheimischen  Hymnen.  Man 
zeigte  die  Flöten  des  Marsyas  (§.  9). 

6)  Fr.  Neue  de  Praxillae  reliqniis,  ind.  lect.  von  Dorpat  1844;  Frag- 
mente bei  Bergk  HI^  566  ff.  650  (Praxilla  gehören  wohl  anch  die  sieben  sikyo- 
nischen  Glossen  des  Hesychios);  Heimat:  Polemon  bei  Zenob.  4,  21.  Pau- 
«anias  bei  Enstath.  H.  p.  326,  39  ff.  Athen.  13,  603  a.  Hejiych.  n.  Btkxxoo 
Auovv)c. — .  Die  Dichterin  Kleitagora  ist  von  Seholiasten  ans  dem  Klei- 
togora-Liede  (Aristoph.  Vesp.  1246  ff.  Lys.  1236  f.)  erdichtet. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


118  IV.  Kapitel. 

wahrscheinlich.  Ihnen  stehen  Trinkh'eder  in  freiem  Tone  zur 
Seite ^);  sie  waren  so  beliebt,  dass  Aristophanes  in  seinen  Ko- 
mödien auf  sie  anspielte  ^  und  ihr  Name  allerlei  fremdes  herren- 
loses Gut  zu  decken  hatte').  Der  Dichterin  Landsmann  Lysip- 
pos  verfertigte  eine  Statue,  wobei  er  die  Dichterin  auflFasste^ 
wie  sie,  selbst  des  Gottes  voll,  auf  der  Flöte  zu  einem  Trink- 
lied aufspielte*). 

In  Sikyon  ward  der  Dithyrambos  noch  lange  Zeit  geübt; 
Zeuge  dessen  ist  eine  343  (Ol.  109, 1)  in  Athen  gesetzte  Inschrift, 
welche  den  Sieg  des  Sikyoniers  Epikuros  verewigt^). 

Der  jüngere  „reichere"  Dithyrambos  •) ,  wie  ihn  Melanip- 
pides  festgestellt  hat,  weicht  von  dem  älteren  in  erheblichen 
Stücken  ab,  und  man  könnte  ihn  sogar  eine  neue  Schöpfung 
nennen,  die  von  dem  alten  Dithyrambos  nicht  viel  mehr  als 
Namen,  Stoff  und  Tonlage  übernahm  ^).  Ein  vollständig  ver- 
änderter Eindruck  entstand  vor  allem  dadurch,  dass  man  die 
regelmässige  Abwechslung  von  Strophe  und  Gegenstrophe  auf- 
gab und  zum  freien  Wechsel   der  Rhythmen   übergingt).     Die 

1)  Ilapolvia  fr.  3,  ox6Xia  Athen.  15,  694  a  (das  Citat  tv  toi;  }i.iXtoiv,  y. 
1.  ßpoic  Zenob.  4,  21  ist  unzuverlässig).  Nach  PraxiUa  sind  zwei  Metren 
benannt:  Drei  Daktylen  und  zwei  Trochäen  (Hephaest.  c  7  p.  25  W.)  und 
ein  brachykatalektischer  Trimeter  (Hephaest.  c  11  p.  36  W,  der  ihn  schon 
bei  Sappho  nachweist ;  Schol.  Hephaest.  189.  vgl.  Serv.  Gramm.  IV  p.  464, 8). 
Ueber  den  Ton  der  (Gedichte  Tatian.  ady.  Graec.  52. 

2)  Vesp.  1289.  Tbesm.  529  mit  Scholien. 

8)  Fr.  4  Ix  t&v  tl?  HpdSiXXav  &va(ptpo}i.iva>v ;  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1279 
(1232)  Iv  tolc  npa^lXX'qc  tpipttai  icapoivtoc^ ;  z.  B.  das  Admetoslied  Pausanias 
a.  O.  Um  die  Autorennamen  der  Skolien  stand  es  überhaupt  sehr  bedenk- 
lich, z.  B.  wurde  das  berühmte  Harmodioslied  einem  Kallistratos  zuge* 
schrieben  (Hesych.  u.  'ApfjLoSioo  fj.iXo(;). 

4)  Tatian.  c.  52,  identisch  mit  der  „temulenta  tibicina''  bei  Plin.  84,  63, 
vgl.  Rieh.  Förster  Rhein.  Mus.  40,  637.  Deswegen  braucht  Praxilla  noch 
nicht  eine  Zeitgenossin  des  Künstlers  zu  sein;  yerfertigte  er  doch  auch  von 
Sokrates,  Aesop  und  den  sieben  Weisen  Porträts.  Synkellos  stellt  sie  in 
seiner  Chronik  oberflächlich  zu   ihren  Genossinnen  Telesilla  und  Kleobulina. 

5)  Mittheil,  des  Inst,  in  Athen  2,  189.  Dittenberger,  qrUoge  414  (Reisch 
music  certam.  p.  35). 

6)  Theophrastos  bei  Cicero  de  oratore  3,  48,  185. 

7)  Der  Tp6ico(  der  Musik  blieb  gleich,  wenn  schon  das  ^^^  sich  ge- 
ändert hatte  (Philodem,  de  musica  I  18  p.  9  Kemke). 

8)  Aristoph.  Pac.  830.  Aristot  rhetor.  3,  9  p.  1409  b  26  statt  acvtlotpotpoc 
tritt  6ivaßoX*f)  ein).  Problem.  19,  15;  Pindar.  fr.  75  macht  von  der  alten  Sitte 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  119 

musikalische  Begleitung,  gewöhnlich  phrygisch  gesetzt,  wenn 
schon  Philoxenos  zur  dorischen  Tonart  zurückzukehren  ver- 
suchte^), strebte  Tonmalerei  an*),  z.  B.  stellte  Philoxenos  im 
„Kyklopen*'  das  Blöken  und  Meckern  der  Herden  dar,  was 
der  aristophanische  Plutos  parodiert  (V.  290  flf.).  Anstatt  der 
Strophen  wechselten  nun  in  einem  und  demselben  Liede  die 
Tonarten  ^  und  selbst  die  Tongeschlechter,  weil  zu  dem  bisher 
allein  übUcheu  chromatischen  Tongeschlecht  das  sehr  schwierig 
zu  handhabende  enharmonische  und  das  diatonische  traten*). 
Zwischen  den  Musikern  der  alten  und  neuen  Richtung  erhob 
sich  über  die  Prinzipien  Melodie  oder  Tonmalerei  ein  Kampf, 
der  an  Heftigkeit  kaum  dem  von  uns  erlebten  nachstand ;  viel- 
leicht war  er  in  Griechenland  noch  ernsthafter,  weil  die  Hellenen 
mit  den  Prinzipien  der  Musik  die  gesellschaftliche  Ordnung  ver- 
knüpft glaubten^).  Die  Komiker  verhöhnten,  wie  gewöhnlich, 
die  neue  Richtung  mit  ätzendem  Spotte*). 

Zugleich  mit  dieser  inneren  Umgestaltung  des  Dithyrambos 
erfolgte  eine  Revolution  der  äusseren  Verhältnisse.  Für  den 
alten  einfachen  Dithyrambos  hatten  die  Choristen  anderer  Vor- 
bildung als  derer,  welche  jeder  Sohn  eines  guten  Hauses  in 
der  Schule  sich  aneignete,  nicht  bedurft,  während  die  künst- 
liche neue  Manier  professionsmässige  Sänger  forderte'),  welche 
der  Choreg  mit  schweren  Kosten  in  guter  Stimmung  erhalten 
musste®),    weil    sie   nicht   so   leicht   zu    ersetzen  waren.     Der 

Flötenspieler  vollends,    der   früher  von  dem  Dichter  abhängig 

_i 

keine  Ansnahme,  weU  hier  kein  eigentlicher  Dithyrambos  vorliegt,  sondern 
das  Lied  eines  dionysischen  Chores,  der  über  den  Markt  zog. 

1)  Aristot.  poUt.  9,  7  p,  1842  b  7  ff. 

2)  MtjiYjxtxo«  Aristot.  problem.  19,  48,  vgl.  Plat.  rep.  3,  3%b.  397  a. 
Daher  verfiel  der  exaltierte  Anaxandrides  anf  die  Idee,  anch  änsserliche  Mimik 
anzuwenden,  indem  er  als  Chorführer  zn  Pferde  einritt  (Chamaileon  bei 
Athen.  9,  374  a  berichtet  dies  wie  etwas  aussergewöhnliches). 

3)  Aristot.  rhetor.  a.  O.  Dionys.  comp.  19;  der  technische  Aasdruck 
war  3ivaßoXal  (z.  B.  Aristoph.  Av.  1385.  Pac.  830);  ^o}i.atoxd}i.nTai  Aristoph. 
Kub.  333 ;  fJLOooix*!]  icpocY}!^  toxi  ßad*»  ti  xal  xa}i.ic6Xov  Eupolis  fr.  336 ; 
9ca(jiitXtiotooTp6ß'/}tov  ^iXoq  Tzetz.  Anecd.  Oxon.  m  339,  6  aus  alter  Quelle. 

4)  Dionys.  compos.  verb.  19,  vgl.  Aristox.  harmon.  I  p.  19  Meibom. 

5)  Plat.  rep.  4,  424  c. 

6)  A.  3.  Pherekrates  Chiron  fr.  1. 

7)  Aristot.  Problem.  19,  15. 

8)  Vgl.  Aristoph.  Nub.  888  f. 


Digitized  by 


Google 


120  IV.  Kapitel. 

gewesen  war  *),  8Üeg  nun  zu  einer  wichtigen  Person  empor  und 
wurde  ehrgeizig,  weshalb  er  ungefähr  um  die  Scheide  des  fünften 
und  vierten  Jahrhunderts  durchsetzte,  dass  sein  Name  in  den 
Inschriften  gleichberechtigt  neben  dem  Dichter  genannt  wurde*); 
um  einen  solchen  Flötenspieler  bemühten  sich  die  Choregen  so 
sehr,  dass,  wie  bei  den  Dichtem,  das  Los  einem  Streite  vor- 
beugen musste ').  Nötigenfalls  übernahm  sogar  der  Musiker  an 
Stelle  des  Dichters  die  nötige  Einübung  des  Chores*).  Obgleich 
die  Dithyrambiker  selbst  den  Text  zu  Gunsten  der  Musik  zu- 
rückgesetzt hatten ,  wollten  sie  jene  natürlichen  Konsequenzen 
nicht  zugeben.  Schon  Melanippides,  der  Begründer  der  neuen 
Ordnung,  eiferte  gegen  die  sich  vordrängenden  Flötenspieler^) 
und  versuchte  ein  Gegengewicht  zu  schaffen,  indem  er,  damit 
die  Flöte  nicht  unentbehrlich  wäre,  eine  zwölfsaitige  Kithara 
einführte  ^.  So  hält  denn  auf  dem  vorhin  erwähnten  attischen 
Vasenbilde  der  personincierte  Dithyrambos  eine  Kithara  in  der 
Hand  und  ähnliche  Darstellungen  begegnen  auf  mehreren  unter- 
italischen Gefässen ').  Das  Flötenspiel  war  indes  im  dionysischen 
Kult  zu  fest  eingebürgert,  als  dass  seine  Stellung  ernsthaft  er- 
schüttert hätte  werden  können. 

Der  Stoff  wurde  immer  noch  der  Heroensage  entnommen, 
wie  z.  B.  „Asklepios'*  (von  Kinesias),  der  „Kyklope"  (Philoxe- 
nos)  oder  „Geryones"  ®)  zeigen.  Aber  gerade  der  eben  genannte 
Dithyrambos  des  Philoxenos  weist  auf  eine  Modegattung  von 
Mythen ,  die  erst  Antimachos  wahrhaft  erschlossen  hatte ,  hin, 
nämUch  die  erotischen  Mythen ;  hier  hatte  ja  die  neue  Musik 
die  günstigste  Gelegenheit,  um  ihren  bestrickenden  Reiz  üppig 
zu  entfalten. 

Die  Umgestaltung  des  Dithyrambos  Hess  naturgemäss  den 
Stil  ebenfalls  nicht  unangetastet;    er  wurde  prunkvoller   und 


1)  Plutarch.  mus.  30. 

2)  Reisch  de  musicis  Graecoram  certaminibus,  Wien  1884  p.  28  ff. 

8)  Demoeth.  21,  13;  vgl.  Antiphon  6,  11.  Ampbis  fr.  14  (Kock  II  p.  239). 

4)  Demoeth.  21,  17. 

5)  Fr.  2  p.  590  Bergk. 

6)  Pherekrates  bei  Plutarch.  mus.  30  V.  5. 

7)  Welcker  alte  Denkmäler  HI  8.  130 ff.;   daraus  erklären  sich  «-pex- 
tavf  X6  Aristoph.  Plut.  290.  296  und  die  Inschrift  bei  Le  Bas,  Asie  Mineure  n.  93. 

8)  Aristot.  Problem.  19,  48. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  121 

eignete  sich  besonders  vom  Nomos  die  umfangreichen  zusammen- 
gesetzten Wörter  an*).  Je  mehr  aber  die  Musik  überwog  und 
von  dem  Dithyrambiker  die  höchste  Anspannung  erforderte, 
desto  mehr  wuchs  die  Gieichgiltigkeit  gegen  den  Text.  Man 
gab  sich  keine  Mühe  mehr,  den  Eingang  mit  der  eigentlichen 
Dichtung  in  Zusammenhang  zu  setzen*)  und  überhaupt  wurde 
das  leere  Wortgeklingel  des  Dithyrambos  fast  zum  Sprich worte^). 
Die  Musik  hat  den  Text  überwuchert  und  an  der  unlösbar 
scheinenden  Verbindung  der  beiden  Künste  ist  schliesslich  die 
griechische  Lyrik  für  immer  erstorben. 

Der  Kühne,  welcher  den  Umsturz  alle«  Bestehenden  her- 
vorrief und  dann  die  Bewegung  sich  selbst  über  den  Kopf 
wachsen  sah ,  war  Melanippides^),  ein  Landsmann  des 
Mehers  Diagoras,  was  vermuten  lässt,  dass  auf  der  dorischen 
Insel  Dionysosfeste  die  dichterischen  Talente  zur  Pflege  des 
Dithyrambos  ermunterten.  Von  seinen  berühmten  Dichtungen 
sind  kaum  nennenswerte  Splitter  erhalten^).  Bei  den  Titeln 
Danaiden,  Marsyas  und  Persephone  wäre  die  Möglichkeit, 
dass  der  eine  oder  der  andere  nicht  zu  einem  Dithyrambos, 
sondern  zu  einem  kitharödischen  Nomos  gehörte,  nicht  ganz 
ausgeschlossen;  denn  Melanippides  war  ein  vielseitiger  Mann. 
Suidas  schreibt  ihm  Episches,  Elegien  und  Epigramme  zu, 
welch'  letztere  Meleagros  in  seine  Anthologie  aufnahm^.  Auf 
die  Ijebensverhältnisse  dieses  Mannes,  welchen  die  Zeitgenossen 
des  Sokrates  für  den  ersten  Lyriker  ihrer  Nation  hielten ''), 
bezieht  sich  die  einzige  Nachricht,  dass  er  am  makedonischen 
Hofe  verweilte^). 

1)  Aristüt.  rhetor.  3, 3  p.  1406b  11.  poet.  22  p.  1469  a  9.  Schol.  Philostrat. 
Vit.  Apoll,  p.  179  Kayser;  8t0^pap.ßd»8e<:  Plat.  Cratyl.  409  c.  Aristopbanes 
parodiert  Hie  genie,  z.  B.  Nab.  335  £f.  Pac.  831. 

2)  Schol.  Aristoph.  Pac.  826  (831). 

3)  Kai  5tdopdi|i.ßü>v  voüv  f/'^C  iXdrcova  Schol.  Aristoph.  Av.  1392  aus 
einem  Komiker. 

4)  E.  6  ch  ei  bei  de  Melanippide  Melio  dithyrambormn  poeta,  Projjr.  v. 
Gaben  1848  und  1853;  aas  Melo9  nach  Athen.  14,  651  f;  Sohn  des  Kriton 
nach  ,Snida8,  welcher  irrtümlich  zwei  Dichter  des  Namens  unterscheidet 
(Roh de  Rhein.  Mus.  33,  213  f.). 

5)  Bei^k  m*  p.  589  flf. 

6)  Vorrede  V.  7. 

7)  Xenoph.  memor.  1,  4,  3. 

8)  Nach  Suidas  bei  Perdikkas   (dem    zweiten,    der   454—413  regierte). 


Digitized  by 


Google 


122  rvr.  Kapitel, 

In  den  musikalischen  Kreisen  Athens  war  Kinesias, 
'  der  Sohn  des  Kitharöden  Meles ,  der  Hauptverfechter  der 
neuen  Richtung^).  Den  Komikern  gab  er  daher  eine  beliebte 
Zielscheibe  ab  *)  und  lieferte  Strattis  den  Stoff  zu  einem  ganzen 
Lustspiel").  Wir  erfahren  von  ihnen  wohl,  dass  er  sehr  lang 
und  mager  war,  im  Alter  kränkelte  und  im  Rufe  eines  Frei- 
geistes stand ^);  dagegen  sucht  man  dort  vergeblich,  was 
Kinesias  als  Dichter  und  Musiker  bedeutete^),  zu  erfahren, 
obgleich  in  den  Komödien  gewiss  viele  Parodien  gegen  ihn 
standen.  Indes  sind  sie  unseren  Scholiasten  entgangen,  weil 
sie  nichts  von  Kinesias  lasen.  Dass  seine  Dithyramben  nicht 
leicht  verständlich  waren*),  was  ist  daran  individuelles?  Von 
Aristophanes  wurde  er  wegen  einer  Schilderung  der  Schrecken 
der  Unterwelt  verspottet).  Kinesias  erscheint  in  der  richtigen 
Beleuchtung  nur  durch  die  tadelnde  Bemerkung  Piatos,  er 
habe,  einer  höheren  Auffassung  seines  Berufes  entbehrend, 
dem  Geschmack  des  grossen  Haufens  nachgegeben  ^.  Dem- 
gemäss  war  er  ein  sehr  beliebter  Dichter;  wie  hätten  ihn  sonst 
die  Komiker  der  unausgesetzten  Angriffe  wert  gehalten?  Auch 
zu  dem  älteren  Dionysios  scheint  Kinesias  Beziehungen  unter- 
halten zu  haben ,  weil*  er  für  ihn  an  den  Lenäen  von  393 
(Ol.  96,  3)  ein  Ehrendekret  beantragte®).  Wahrscheinlich  hat 
er  seinen  Feind  Aristophanes  überlebt*®). 


schwerlich  erst  bei  dessen  Nachfolger  Archelaos   (Plutarch.   adv.   Epicnrum 
13  p.  1095  d). 

1)  Vgl.  Pherekrates  "Afptot  bei  SchoL  AriPtoph.  Av.  859  und  bei  Plut. 
mns.  30;  Sohn  des  Melee  Plato  Gorg.  501  e;  aus  Theben  nach  SchoL  Aristoph. 
Ran.  153. 

2)  Meineke  historia  crit.  com.  Graec  p.  227 ff. 

3)  Athen.  12,  551  d. 

4)  Athen,  a.  O.  Aelian.  var.  bist.  10,  6.  Schol.  Aristoph.  Ran.  153  — 
Lysias  bei  Athen.  12,  552  ab,  s.  auch  Plato  com.  Meineke  U  679—  Athen. 
12,  551  e. 

5)  KoxXUov  xop<uv  icoiirjrJic  Aelian.  a.  O.  xoxXUov  ^oixdxcov  icotirjrric  Schol, 
Aristoph.  Av.  1379;  Fragmente  bei  Bergk  m^  593  f. 

6)  Schol.  Aristoph.  Av.  1377. 

7)  Im  rfjpoxd^c  bei  Athen.  12,  551  b. 

8)  Plat.  Gorg.  501  f. 

9)  CIA.  n  8. 

10)  Es  erwftbnt  ihn  noch  Anaxilas  in  der  „Kirke"  (Athen.  3,  95  b,   von 
Meineke  p.  228  bezweifelt). 


Digitized  by 


Google 


ChorUeder.  123 

Gefllhrlicher  wurde  dem  Ruhme  des  Melanippides  dessen 
Sklave  und  nachmaliger  Schüler  Philoxenos^).  Um  435  auf 
der  lakonischen  Insel  Kythera  geboren*),  verlor  er,  als  die 
Spartaner  (wahrscheinlich  nach  der  sicilischen  Katastrophe) 
das  Eiland  der  Aphrodite  wieder  gewannen,  seine  Freiheit; 
zum  Glücke  kam  er  später  in  Melanippides'  Besitz  und  wurde 
sodann  aus  einem  Sklaven  dessen  Schüler  und  Nachfolger*). 
Kunstfertigkeit  und  Witz  errangen  ihm  das  Wohlwollen  Dionys 
des  Aelteren*);  aber  der  kecke  Abenteurer  spann  mit  Galateia, 
der  schönen  Geliebten  des  Tyrannen,  einen  Roman  an,  der 
ihn  in  die  berüchtigten  Steinbrüche  von  Syrakus  brachte*). 
Später  freigelassen  oder  entwischt^,  rächte  sich  der  Dichter 
durch  einen  komischen  Dithyrambos  „Galateia  und  der  Ky- 
klope"''):  Odysseus  -  Philoxenos  macht  dem  ungeschlachten 
Sicilier  Polyphemos-Dionysios  die  schöne  Galateia  abspenstig, 
worauf  sich  der  Verschmähte  mit  —  den  Musen  tröstet.  Und 
doch   hatte  der  Tyrann   ihm   die  vielgenannte  Lais  geschenkt, 


1)  Gg.  Bippart  PhiloxeDi  Timythei  Telestis  dithyrambograpboram 
reliquiae,  Lpg.  1843  (Preisschriffc) ;  Ludw.  Aug.  Berglein  de  Philoxeno 
Cytiierio  dithyrambornm  poeta,  Göttingen  1843;  W.  Klingender  de  Philo- 
xeno Cytherio,  Marburg  1845. 

2)  Doris  bei  Scbol.  Theoer.  6,  7.  Hermesianax  V.  69  u.  Sp.;  nach 
Kallistratos  ans  dem  pontischen  Herakleia  (Snidas);  aber  das  Gebartsjahr 
Mann.  Par.  Z.  82. 

3)  Snidas.  Ein  Komiker  nannte  ihn  daher  Ao6Xa>v  (Hesych.)  und  E&Xt>- 
«i^C  (als  Name  des  Vaters  bei  Snidas). 

4)  Vgl.  Phanias  bei  Athen.  1,  6ef;  wie  das  Dekret  CIA.  II  8  zeigt, 
gehörte  er  393  zu  dessen  intimem  Kreise. 

5)  Athen.  1,  6f,  vgl.  Hermesianax  V.  71flf.  Duris  (a.  O.)  erwähnt  aller- 
dings die  Iiiebesgeschichte  nicht.  Später  brachten  Spötter  die  Strafe  mit  den 
schlechten  Tragödien  des  Fürsten  in  Verbindung;  er  soll  die  Entwürfe  zu 
stark  korrigiert  (Plutarch.  Alex,  virt  111),  nicht  gelobt  haben  (Suidas  u. 
4>tXo5^oo  YpajijiÄtcDV,  Apostol.  proverb.  17,  5)  oder  yerlftnmdet  worden  sein, 
dfiss  er  darüber  spotte  (Lucian.  SiaßoX.  14,  Bd.  m  p.  144  Reiz).  Daran 
knüpft  sich  das  bekannte  Bonmot:  „Lieber  wieder  in  die  Steinbrüche  als 
diese  Tragödien  anhören  I''  (Helladios  bei  Phot.  bibl.  279  p.  532b  34  f.).  Man 
zeigte  den  Fremden  die  schönste  Höhle  als  Entstehungsort  des  „Kyklopen*^ 
(Aelian.  var.  bist.  12,  44). 

6)  Schol.  Aristoph.  Plut.  290.  ApostoL  cent.  17,  5  (nach  Kroton).  Suidas 
a.  O.  (nach  Tarent),  vgl.  Aristid.  orat  46  HI  p.  388  (U  309  D.). 

7)  Athen.  1,  7a;  vgl.  Härtung  Philol.  1,  415 ff.  O.  Ribbeck  preuss. 
Jahrbücher  82  (1873)  S.  59 ff.    Holland  Leipziger  Studien  7,  184 ff. 


Digitized  by 


Google 


124  IV.  Kapitel. 

welche  er  nach  Korinth  brachte  ^).  Dieses  abenteuerliche  Leben, 
das  die  Verwechslung  mit  dem  gleichnamigen  Parasiten  (S.  35) 
verachuldete,  fand  in  dem  lebenslüstigen  Ephesos  Ol.  100,  1 
(380/79)  einen  frühen  Abschluss«). 

Den  Kern  der  Werke  des  Philoxenos  bildeten  vierund- 
zwanzig Dithyramben^),  über  deren  Eigenart  dies  allein  mit- 
geteilt wird,  dass  er  Arien  einlegte*)  und  so  die  lyrische 
Dichtung  dem  Drama  annäherte;  z.  ß.  führte  er  im  „Kyklopen" 
die  eiözehien  Personen  singend  ein ,  so  dass  dieses  Gedicht 
nicht  ohne  Grund  von  manchen  als  Drama  bezeichnet  wurde  ^). 
Die  neue  Manier  des  Tonwechsels  und  der  musikalischen  Malerei 
handhabte  Philoxenos  meisterhaft^,  wie  auch  der  Text  nicht 
trivial,  sondern  bezeichnend  geschrieben  war^).  Er  befolgte 
im  Gegensatze  zur  idealistischen  Richtung  des  Timotheos  eine 
realistische^. 

Philoxenos  war  so  wenig  als  seine  Genossen  ausschliesslich 
Dithyrambiker.  Zwar  verrät  Suidas  nicht,  zu  welcher  Gattung 
seine  lyrische  ,, Stammsage  der  Aeakiden**  gehörte;  aber  Philo- 
xenos vermochte  einmal  einen  alle  Hörer  hinreissenden  Hoch- 
zeitsgesang zu  improvisieren  ^)  und  er  war  auch  als  Dichter 
aulödischer  Nomen,  bei  welchen  er  sich  den  bekannten  Thebaner 
Antigenidas  zum  Gehilfen  nahm^®),  hoch  geachtet"). 

Philoxenos  befand  sich  in  glücklicherer  Lage  als  sein 
Lehrer,  welcher  erst  den  hartnäckigen  Widerstand  der  Gewohn- 
heit hatte  brechen  müssen.     Schon  zu  seinen  Lebzeiten  sang 


1)  Schol.  Aristoph.  Plut.  179. 

2)  Ort:  Suidas,  vgl.  auch  Hermesianax  V.  72;  Zeit:  Marm.  Par.  Z.  82, 
vgl.  DiodoT.  14,  46,  6. 

3)  Suidas. 

4)  So  ist  wohl  Plutarch.  mus.  30  p.  1142  a  8t<;  xobz  xoxXiooc  yopobz 
|i.4X*r)  tloiQviY^a'co  zu  verstehen. 

5)  Schol.  Aristoph.  Plut.  290.  Zenob.  5,  46.  Vgl.  Etym.  M.  u.  öpeifiav: 
X^Ystat  8&  Spdcfiata  xal  xä  bizb  tfiv  dt)fj.eXtx<t>v  (codd.  ^eatpix&v)  }it{j.v)X<I>(; 
1filfvop.8va  w^  iv  ÖTCOxptoet.     OÖtü»?  'Aptoto<pdvir|(;. 

6)  Ueber  eine  Erfindung  PoUux  4,  66. 

7)  Antiphanes  bei  Athen.  14,  643  d. 

8)  Aristot.  poet.  2  p.  1448  a  16. 

9)  Athen.  1,  6  a. 

10)  Suidas  n.  'Avtc^evlÄiric. 

11)  Polyb.  4,  20,  9. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  125 

man  die  Lieder  auf  der  Gasse  ^)  und  dem  toten  Dichter  widmete 
der  angesehene  Komiker  Antiphanes  einen  enthusiastischen 
Nachruf,  worin  es  hiess :  „Er  war  wahrhaft  göttlich,  er  verstand 
die  wahre  Musik"*).  Alexander  der  Grosse  und  das  alexandri- 
nische  Zeitalter  erfreuten  sich  an  Philoxenos' Kompositionen^); 
also  konnten  so  strenge  Anhänger  der  alten  Musiktheorie,  wie 
Aristoxenos  einer  war,  bei  ihrer  Verdammung  des  Dichters*) 
auf  die  Zustimmung  des  Publikums  nicht  rechnen,  das  in  ihm 
vielmehr  den  Meister  des  Dithyrambos  sah'*). 

In  ähnlicher  Weise  dichteten  der  Rheginer  Kleomenes^) 
und  besonders  Tel  est  es  von  Selinunt,  den  noch  Aristoxenos, 
sein  Biograph,  sah '').  Letzterer  war  mit  Ton  wechseln  sehr  frei- 
gebig®) und  bevorzugte  ofifenbar  die  Musik  gegenüber  dem 
Texte,  weil  er  gegen  Melanippides  für  die  Flöten kunst  auftrat 
(Fr.  1).  Fürstengunst  ehrte  den  Dichter:  Alexander  der  Grosse 
hörte  seine  Dithyramben  gerne  ^)  und  der  sikyonische  Tyrann 
Aristaratos  Hess  das  Grabdenkmal  des  Dichters  durch  den  be- 
rühmten Künstler  Nikomachos  mit  Malereien  schmücken^®). 

Unter  die  fortgeschrittenen  Musiker  gehört  ferner  Kr  exos"), 
welchem  die  Einführung  der  Parakataloge  in  die  Lyrik  zuge- 
schrieben wird").  Die  anderen  sind,  obgleich  zu  ihrer  Zeit 
durch    glänzende    Siegespreise    geehrt,     für    uns    verschollen: 


1)  Arkesilaos  bei  Dlogen.  Laert.  4,  36. 

2)  Athen.  14,  643  d. 

3)  Plutarch.  Alex.  8.  Polyb.  4,  20,  9. 

4)  Plutarch.  mus.  31. 

5)  Isaak  Tzetzes  proleg.  in  Lycophr.  p.  252. 

6)  Schol.  Aristoph.  Nah.  332  (ans  Komikern).    Athen.  9,  402a  kannte 
noch  Dithyramben,  damnter  einen  „Meleagros^^ ;  s.  auch  S.  41. 

7)  Fragmente  bei  Bippart  (S.  123  A.  1)  und  Bergk  p.  626  ff. 

8)  Dionys.  compos.  verb.  19,  vgl.  Böckh  de  metris  Pindari  p.  274  f. 

9)  Plutarch.  Alex.  8. 

10)  Plin.  nat  bist.  35,  109. 

11)  Plutarch.  mus.  12. 

12)  Plutarch.  mus.  28  a.  E.;  Phüodem.  mus.  IV.  col.  10,  2  ff.  p.  74 
K.  rühmt  ein  erhebendes  Lied  von  ihm.  Auch  der  Komiker  Anaxandrides- 
führte  einen  Dithyrambos  auf  (Chamaileon  bei  Athen.  9,  374  a). 


Digitized  by 


Google 


126  IV.  Kapitel. 

Aristarchos  ^) ,  Eukles  *) ,  Lysiade«  •) ,  Paideas  *) ,  Pamphilos  *), 
Philophron")  und  Stesichoros,  ein  Nachkomme  des  berühmten 
'alten  Lyrikers '),  und  vollends  der  Dithyrambiker  aus  Selymbria, 
dessen  um  390  errungenen  Sieg  die  parische  Chronik  einer  Er- 
wähnung würdigt®);  denn  man  kann  jetzt  nicht  einmal  den 
allein  erhaltenen  Anfangsbuchstaben  S  zu  einem  vollen  Namen 
ergänzen. 

Polyidos  endlich  dichtete  Dithyramben,  kitharödische 
Nomen  und  Tragödien,  woneben  er  auch  in  Malerei  dilettierte*). 
Diese  Vielseitigkeit  darf  kein  Vorurteil  gegen  ihn  erwecken;  er 
kann  wenigstens  als  Musiker  nicht  unbedeutend  gewesen  sein, 
da  noch  viel  später  Kitharöden  seine  nach  Timotheos'  Muster 
gearbeiteten  Komi>ositionen  vortrugen*®). 

Mehrere  von  den  Sophisten  beschäftigten  sich  mit  der 
Theorie  der  Rhythmik  und  Musik  und  es  wäre  ein  Wunder 
gewesen,  wenn  sie  nicht  selbst  nebenbei  praktische  Versuche 
angestellt  hätten,  wie  dies  Plato  ironisch  von  Hippias  erzählt. 
Währtod  jedoch  dieser  und  so  mancher  andere  mit  dem  münd- 
Uchen  Vortrag  ihrer  dichterischen  Produkte  zufrieden  gewesen 
zu  sein  scheinen,  gab  der  Sophist  Likymnios  von  Chios 
(Bd.  II  S.  46)  Hymnen  und  Dithyramben  heraus  **),  freilich  nur 


1)  Inschrift  aas  der  ersten  Hälfte  des   vierten  Jahrhunderts  (Büttheil. 
des  Inst,  in  Athen  3,  239  f.    Reisch  de  mnsicis  Graecor.  certam.  p.  38). 

2)  Inschrift  von  Ol.  109,  1  (344/3)  Dittenbergers  sylloge  411 ;  Reisch  p.  33. 

3)  CIG.   223.  Reisch   p.   35,   10  und  CIG.  221.  Dittenb.  415.    Reisch 
p.  35,  12  an*8  Ol.  111,  2  (335/4). 

4)  Inschrift  von  Salamis  (Anfang  des  4.  Jahrh.)  Bulletin  de  correspond. 
hellen.  VI.  521.  Reisch  p.  55. 

5)  Inschrift  von  Ol.  103,  2  (schweriich  114,  2),  s.  Reisch  p.  32  A.  6. 

6)  Inschrift  von  Ol.  99,   1  (384/3)  Rangab^   antiq.    hell.    972.   Reisch 
p.  32  Nr.  5. 

7)  Er  siegte  in  Athen  Ol.  102,  3  oder  4  (369  oder  368)  Marm.  Par.  Z.  85. 

8)  Marm.  Par.  Z.  81  ^zwischen  Ol.  95,  3  und  99,  4,  398—381). 

9)  Diodor.  14,  46,  6 ;  Fragmente  bei  Bergk  m^  632. 

10)  CIG.  3053  =:  Le  Bas,  Asie  ^mineure  81  (danach  hiess  er  IIoX6i8o<;, 
nicht  IloXuei8oc);  über  die  Manier  Plntarch.  mus.  21. 

11)  Hymnus  an  Hygieia  fr.  4;  Sext.  Empir.  adv.  math.  11,  49  p.  556 
«itiert  unter  seinem  Namen  Verse  aus  dem  Päan  des  Ariphron;  Dithyramben: 
Athen.  13,  603  d.    Fragmente:  Beigk  m«  598. 


Digitized  by 


Google 


Chorlieder.  127 

damit  sie  melodisch  gelesen  würden  ^) ;  denn  zur  Einübung  eines 
Chores  fehlte  einem  Theoretiker  zwar  nicht  der  Mut,  aber  doch 
die  handwerksmässige  Uebung  und  Erfahrung.  An  den  Frag- 
menten fällt  stilistisch  die  gesuchte  Sprache,  inhaltlich  eine  un- 
verkennbare Neigung  zu  erotischen  Mythen,  dem  Lieblings- 
gegenstande des  jüngeren  Dithyrambus,  in  die  Augen  ^.. 

In  der  Mode  wie  der  Dithyrambos,  besonders  im  vierten 
Jahrhunderte,  war,  so  dass  er  alle  anderen  Gattungen  der  Lyrik 
überstrahlte  %  draog  seuie  Manier  auch  in  diese  ein ;  Plato  be- 
zeugt dies  ausdrücklich  von  späteren  Thronen,  Hymnen  und 
Päanen  *),  obgleich  das  Volk  gerade  an  beliebten  Päanen  älterer 
Zeit  zähe  festhielt  und  sie  denen  der  drei  berühmten  Lyriker 
und  der  jüngeren  Musiker  vorzog ;  solcher  Gunst  erfreuten  sich 
das  einzige  Werk  des  Chalkidiers  Tynnichos,  „fast  das 
schönste  aller  Lieder***),  ein  Päan  auf  die  Göttin  der  Gesund- 
heit, von  dem  Sikyonier  Ariphron  gedichtet •),  und  ganz  be- 
sonders des  Sophokles  Hymnus  an  Asklepios,  welcher  über  den 
Tragödien  durchaus  nicht  vergessen  wurde.  Zu  den  jüngeren 
Päanendichtem  gehörte  •  gar  der  Tyrann-  Dionysios  ^).  Wie  es 
scheint,  wurde  nach  dem  Vorgange  der  Dithyrambiker  die 
früher  gewöhnliche  antistrophische  oder  epodische  Gliederung 
in  allen  Arten  der  Lyrik  aufgegeben  und  durch  freie  Rhyth- 
men ersetzt*). 


1)  Daher  rechnet  ihn  Aristoteles  rhetor.  3,  12  p.  1413  b  14  zu  den 
ävaYvcoottxou 

2)  Fr.  3;  fr.  3.  5.  6. 

3)  Repräsentant  der  Lyrik  Plato  apol.  22  b.  Xenoph.  mem.  1,  4,  3. 
Aristot.  poet.  1  p.  144?  a  15.  rhet.  3,  14  p.  1415  a  10. 

4)  Plato  leg.  3,  700  d. 

5)  Plato  Jon  534  d;  Valesius  stellt  den  Namen  auch  Ptolem.  Hephaest. 
Phot  bibl.  190  p.  151a  9  her. 

6)  Bergk  m  p.  595£  Athen.  15,  702  a;  inschrifblich  aufgezeichnet 
CIA.  m  p.  66.  Kaibels  epigr.  Gr.  1027b  p.  433 ff.,  nicht  lange  nach  dem 
Ende  des  peloponnesischen  Krieges  in  Athen  gesungen  (Hermes  n  S.  28; 
Beisch  a.  O.  S.  44),  auch  von  Lucian  und  Biaximos  erwfthnt. 

.  7)  Timaios  bei  Athen.  6,  250  bc. 

8)  Aristot.  rhetor.  3,  8  p.  1409  a  26. 


Digitized  by 


Google 


128  IV.  Kapitel. 

Es  ist  bereits  hervorgehoben  worden ,  dass  das  Vorwiegen 
der  Musik  der  Poesie  grossen  Eintrag  that;  dadurch  boten  die 
späteren  Lyriker  viele  schwache  Stellen.  Wie  in  Athen  die 
Komiker  jeden  Lyriker  von  bekannterem  Namen  mit  Lauge  über- 
gössen, so  warfen  sich  in  Unteritalien,  dem  Lande  der  Tra- 
vestie, die  professionsmässigen  Spassmacher  auf  die  Parodierung 
des  Dithyrambos  und  des  kitharödischen  Nomos^).  Man  darf 
diese  lebhafte  Opposition  trotz  ihres  pöbelhaften  Charakters 
durchaus  nicht  unterschätzen.  Unter  einer  solchen  Gegner- 
schaft, welche  der  Lacher,  also  des  grossen  PubUkums,  sicher 
ist,  haben  mit  den  des  Angriflfes  Würdigen  jederzeit  auch  ver- 
diente Dichter  zu  leiden. 


1)  S.  42;  AristoxeDOfl  bei  Athen.  1,  19  f.  Auf  die  Travestie  eines  Päans 
bezieht  sich  anch  der  apon^e  Komikervers  (305  M.) :  TfivelTo  SVlo^pcuc  xXä>ya 
icpög  xaXöv  8a9VYj(;  6  ^oißo^  oh  npoac|)§d. 


Digitized  by 


Google 


V*  Kapitel. 
Anfänge  der  Tragödie. 

Alte    and    neue   Schriften    über    die  Tragödie;    Ursprung   des    griechischen 
Trauerspiels;  Thespis,  Choirilos  und  Phrynichos. 


Bei  den  zahlreichen  Schriften,  welche  die  alten  Grammatiker  zur 
Aufhellung  der  Bühnengeschichte  verfassten,  geben  wenigstens  die  Titel,  da 
die  Citate  von  geringem  Belang  sind,  die  Möglichkeit,  mehrere  Gruppen 
zu  sondern. 

Aristoteles  Hess  sich  neben  seinen  grossartigen  Forschungen  die 
Mühe,  die  Urkunden  der  attischen  Dichtung  zusammenzustellen,  nicht 
verdrieasen,  damit  die  SiSaaxaXlai  oder  vcxai  Aiovootaxal  ^otcxal  xal  Xf^valxai 
die  authentische  Grundlage  für  die  Creschichte  des  Dramas  und  des  ftusser- 
lich  damit  verbundenen  Dithyrambos  (SchoL  Aristoph.  Av.  1886  (1379)  und 
Harpocr.  u.  IlavtaxXY]<:)  abgäben.  Die  Gelehrten  der  folgenden  Zeit  benützten 
alle  statt  der  Originalurkunden  diese  bequeme  ZusammensteUung  (Val.  Rose 
Aristoteles  pseudepigraphus  p.  552  ff.  und  Aristotelis  qui  ferebantur  librorum 
firagmenta  p.  388  fif.  fr.  618—630);  wie  des  Pergameners  Earystios  Schrift 
icepl  8(8aoxaXiu>v  (Athen.  6,  235  e.  Vita  Sophodis)  sich  dazu  verh&lt,  wissen 
wir  nicht,  ^uf  jenem  Didaskalienbuche  ruht  die  bei  der  „Antigone^^  und 
,yAlkestis'*  wahrnehmbare  Numerierung  der  Stücke  nach  der  Folge  ihrer  Auf- 
führung (Tgl.  Bitschi  parerga  Plautina  p.  322 f.  W.  Wagner  Ztsch.  f.  d. 
Altertumsw.  1853  Sp.  299  fr.;  anders  Böckh  trag,  prindp.  p.  108,  Teuf  fei 
Bhein.  Mus.  21,  471,  U.  v.  Wilamowitz  analecta  Euripidea  p.  133).  Von 
der  offiziellen  Liste  der  siegreichen  Tragiker,  welche  darin  wahrscheinlich 
chronologisch  und  zwar  nach  der  2ieit  ihres  ersten  bei  den  grossen  Dionysien 
gewonnen«!  Sieges  aufgezählt  waren,  sind  leider  nur  kleine  Fragmente  (CIA. 
n  977 ab)  erhalten;  mit  ihr  hängt  Ealli machos'  Werk  iciva£  xal  &va- 
Ypa^  zm  xatd  xp^^oo^  xal  &ic*  ^PX"^^  '{tvo^tAvoiV  ScSaoxdXcüV  (Suidas)  zu- 
sammen. Auf  den  Standpunkt  des  Epigraphikers  stellte  sich  der  Perieget 
^^liodoros,  als  er  „über  die  Dreifüsse  (welche  die  siegreichen  Choregen 
als  Preis  erhielten  und  dann  öffentlich  aufstellten)  in  Atben^^  schrieb  (Harpoor. 
Q.  'Oy4)to>p);  dieselbe  Arbeit  ist  nach  Massgabe  der  bisherigen  Entdeckungen 
Sittl,  Geichichte  der  griecblichen  Literatur  in.  9 


Digitized  by 


Google 


130  V.  Kapitel. 

neuerdings  von  Bei  s ob  de  musicis  Graecorum  certaminibas,  Wien  1885 
p.  31  ff.  und  Brink  inscriptiones  Graecae  ad  choregiam  pertinentes,  Halle 
1885  unternommen. 

Der  grosse  Stagirit  blieb  aber  nicht  in  handwerksmässiger  Material* 
Sammlung  befangen,  sondern  erhob  sich,  weil  er  das  klassische  Drama  mit 
Recht  f&r  abgeschlossen  erachtete,  zur  Auflrtellung  der  Gesetze  der  Poesie.' 
Ausser  der  Poetik,  dem  Schmerzenskinde  der  Aristotelesforschung,  (f&r  diesen 
Abschnitt  ist  besonders  wichtig:  Jak.  Bernays  Grundzüge  der  verlorenen 
Abhandlung  des  Aristoteles  ober  die  Wirkung  der  Tragddie,  Abhandlungen 
der  hist-phil.  Gesellschaft  in  Breslau  I  (1857)  S.  135  ff.)  dürfte  die  Schrift 
icspl  TpaY(}>Stä>v  (Diog.  Laert.  5,  26  und  Vita  AristoteUs  Menagiana  nach  dem 
Ambrosianus)  hieher  gehören,  welchen  Titel  auch  ein  Buch  desPhilochoros 
trug  (Schol.  Eurip.  Hec.  3  I  p.  221,  12  Dind.);  icepl  tpaYtpStac  schrieben 
Duris,  ein  Schüler  Theophrasts  (Athen.  14,  636 f)  und  noch  einer  der  Philo 
st  rate  (Suidas  ^iXöotpato^  L).  Manche  Beste  solcher  Untersuchungen  liegen 
noch  in  den  Schollen,  besonders  in  den  feinsinnigen  Noten  zu  einigen  Stücken 
des  Sophokles,  verstreut,  woraus  Ad.  Trend  eleu  bürg  grammaticomm  Grae- 
corum de  arte  tragica  judiciorum  reliquiae,  Bonn  1867  die  einschlägigen  Be- 
merkungen zog. 

Das  rein  Literarhistorische  bearbeitete  Aristoteles  zwar  nicht 
persönlich,  aber  er  richtete  die  Aufhierksamkeit  seiner  Schüler  darauf:  Aristo- 
zenos  schrieb  ictpl  TpaY(|>So7coi(uy  (Ammon.  u.  ^asa^ai,  Müllers  fragm.  histor. 
Graec.  11  p.  283),  also  über  die  Person  der  Tragiker,  ein  Buch,  das,  wie 
icepl  aoXYjTwVy  einen  Abschnitt  seiner  biographischen  Encyklopftdie  (ßtot  avSpuiv) 
gebildet  haben  dürfte.  Dem  gleichen  Stoffe  widmete  der  Peripatetiker  Hiero- 
nymos  (Suidas  u.  ^Ava^opdacoc  2aC{j.<uv,  vgl.  Vita  Soph.  Plutarch.  non  posse 
snav.  vivi  13)  ein  Buch  seines  Werkes  ictpl  icocv)Ta>v  (Athen.  14,  635  f),  während 
der  Pontiker  Herakleides  sich  auf  die  drei  Klassiker  beschränkte,  Duris 
sogar  nur  auf  Enripides  und  Sophokles  (Athen.  4,  184  d).  Biographien  Ein- 
zelner werden  an  geeigneter  Stelle  zu  nennen  sein. 

Ein  viertes  Gebiet  endlich  ward  zur  selben  Zeit  bereits  erschlossen, 
doch  nicht  in  literarhistorischem  oder  ästhetischem  Interesse,  sondern  um 
der  Prunkrede  und  der  rhetorischen  Geschichtsschreibung  einq^  Fundgrube 
für  mythologische  Vergleiche  abzugeben:  Der  Isokrateer  Asklepiades  von 
Tragilos  stellte  nämlich  die  Stoffe  der  Tragödien  (TpaYipSoufXBva)  mit 
vergleichender  Beiziehung  der  Sagenbücher  zusammen  (Werfer  Acta  philo- 
logorum  Monac.  11  foBC  4  p.  491  £f.  K.  MüUei;  fragm.  histor.  Graec.  III 
p.  298 ffl  vgl.  Bobert  de  Apollodori  bibliotheca  p.  74,  Wilamowitz  ana- 
lecta  Euripidea  p.  181).  Ein  Werk  des  gleichen  Inhalts  verfasste  später  ein 
Demaratos  (Müllers  tr&gm,  histor.  IV  p.  379 f.).  Dikaiarchos  von 
Messana  zog  wenigstens  von  einer  Anzahl  euripideischer  und  sophokleischer 
Stücke  den  Inhalt  aus  (Sezt.  Empir.  adv.  mathem.  3,  3)  und  Philo choros 
schrieb  icepl  So^oxXiooc  (xu^cüv  wie  ein  Glaukos  tctpl  Alo^oXco  p^O'u>v.  Von 
der  angenehmen  Meinung,  dass  Hygins  lateinisches  Fabelbnch  für  den  Ver- 
lust dieser  Werke  einen  erheblichen  Ersatz  biete,  ist  man  jetzt  zurückgekommen. 
Wir  müssen  uns  mit  den  Inhaltsangaben  (6ico^ioet<;)  begnügen;  mehrere 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  131 

derselben  wollen  dem  Leser  dnrch  die  Ueberschrift 'Aptato«pdvooc  YP^^H'f^A'^^^o^ 
imponieren^  aber  welche  sind  die  echten,  die  in  Prosa  geschriebenen  (Aeschyl. 
Eam.;  Soph.  Antig.;  Eurip.  Bacch.  Bhes.  Phoen.  nnd  Med.  nach  cod.  C)  oder 
<die  ans  zehn 'Jamben  bestehenden  (8oph.  OB.  nnd  vor  den  Komödien  des 
Aristophanes) ?  Vgl.  Fr.  Schneidewin  de  hypothesibus  tragoediamm  Grae- 
<;amm  Aristophani  Byzantio  vindicandis,  Abhondl.  der  €rÖtt.  Ges.  der  Wisp. 
VI.  1858  S.  3ff. ;  Karl  Bachoven  von  Echt  de  vetemm  grammaticornm 
ATgnmentis  qnae  in  Soph.  editioftibus  Oedipodi  regi  vnlgo  praemittantur, 
Progr.  von  Cösfeld  1869;  skeptisch  Nanck  Aristoph.  Byz.  p.  256  nnd  Din- 
4orf  scholia  in  Sophoclis  trag.  p.  XXTT.  Die  Tragodnmena  nnd  Inhalts- 
angaben haben  einen  nicht  nnbedentenden  Schaden  angerichtet.  Den  K&nst- 
lem  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  (Jahn  n.  Michaelis  griechische  Bilder- 
Chroniken,  Bonn  1873  S.  83  fi.  n.  ö.  Ro  b  e  r  t  de  Apoliodori  bibliotheca  p.  85  f. 
nnd  Bnliettino  dell*  institnto  1874  p.  216f^)  nnd  den  Pantomimen  (Dilthey 
Archftol.  Ztg.  1875  S.  71)  mag  man  es  verzeihen,  wenn  sie  sich  die  Lesnng 
der  Tragödien  selbst  ersparten.  Doch  anch  gebildete  Mftnner  begingen  oft 
^nng  eine  solche  Nachlässigkeit,  was  man'ches  falsche  Citat  verschnldete  (vgl. 
U.  V.  Wilamowitz  analecta  Enripidea  p.  182 ff.  Bobert  Bild  nnd  Lied 
S.  242 ff.);  schon  Staphy los. verwies  statt  anf  die  Tragödien  anf  die  TpaYC(>So6- 
lisva  (Sext.  Empir.  math.  1,  261). 

Bei  der  Grclndnng  der  alexandrinischen  Bibliothek  erhielt  der  Aetolier 
Alexandros  Tragödie  nnd  Satyrspiel  zugewiesen  (Anon.  de  comoedia  VIII 
19);  aber  seine  Nachfolger  schweigen  von  ihm  nicht  minder  als  von  dem 
athenischen  Staatsezemplar  der  drei  Tragiker,  welches  Ptolemaios  Phila- 
4elphQ6  gegen  eine  enorme  Kantion  entliehen  nnd  nicht  mehr  zurückgegeben 
hatte  (Galen,  in  Hippocr.  epidem.  3,  2  t.  XVU  1  p.  607  Kfihn). 

Die  nächstliegende  Aufgabe  war  die  Katalogisierung  aller  bekannten 
Stücke;  der  grosse  Katalog  des  Kallimachos,  welchen  Aristophanes  mit  einem 
kritischen  Anhange  versah,  wurde  durch  das  pergamenische  Verzeichnis  (Athen, 
h,  336  e)  ergänzt. 

Die  Kritik  und  Exegese  des  Textes  ging  von  Aristophanes  von 
Byzanz  ans ;  doch  wollen  wir  die  Leistungen  desselben  und  seiner  zahlreichen 
Nachfolger  bei  den  einzelnen  Tragikern  besprechen.  Nur  soviel  sei  hier 
bemerkt,  dass  die  Alexandriner  auch  für  die  Tragiker  kritische  Zeichen 
•(das  xrh^^f^^^  ^°^  ^^^  Obelos)  erfanden  (Herm.  Schrader  de  notatioue 
critica  a  veteribus  grammaticis  in  poetis  scaenicis  adhibita,  Bonn  1864)  und 
durch  andere  Zeichen  das  Metrische  berücksichtigten  (Hephaestio  de  poemate 
45.  10  p.  77  W.,  dem  Triklinios  folgt,  s.  Dindorf  scholia  in  Soph.  trag. 
p.  386  a),  wie  denn  überhaupt  die  in  den  Handschriften  übliche  Verseinteiluiig 
der  Chorgesänge  aus  dieser  Zeit  zu  stammen  scheint  (vgl.  W.  Christ  über 
den  Wert  der  überlieferten  Kolometrie  in  den  griechischen  Dramen,  Sitzungsber. 
der  bayer.  Akad.  1871  S.  603  ff.). 

Antiquarische  Untersuchungen  hatte  Aristoteles'  Schüler  Dikai- 
archos  mit  dem  Buche  iispl  {xooaixwv  ^'^^vmv  (Müllers  fragm.  histor.  Graec. 
n  p.  248  ff.  £r.  43— 45.  50)  eröffnet;   auch  der  sonst  unbekannte  Charikles 

9* 


Digitized  by 


Google 


132  V.  Kapitel. 

schrieb  Ttepl  to5  3totixo5  ä'^mo^  (über  die  grossen  Dionysieni  Athen.  8,  360  c)^ 
Gleichzeitig  handelte  Aristoxenos  ausführlich  Yon den  Tftnzen des  tragischei> 
Chors  (Harpokr.  n.  xopSaxtofidc.  Bekkers  Anecd.  I  p.  101.  Etym.  M.  =  Phot, 
n.  Stxtw'.c:  hv  a  icepl  Tpa^tx-rjc  ip^-fjoeo»?,  Müllers  fragm.  bist.  Ör.  11  p.  283  f, 
fr.  44 £f.).  Dann  stellte  Aristophanes  von  Byzanz  die  Masken  des  Drama» 
zasammen  (icspl  icpoou»ic(uv  Athen.  14,  659  b.  Festos  n.  Maeson),  der  Alexan- 
driner Amarantos  schilderte  die  Bühnenverhältnisse  (Athen.  8,  343 e.  10, 
414f  icspl  oxYjvYic)  und  Menaichmos  von  Sikyon  (vgl.  G.  Kiessling  de 
Menaechmo  Sicyon.  et  Hieronymo  Cardiano,  Pr.  v.  2^itz  1830,  K.  Müller 
Script.  Alex.  Magni  p.  145)  widmete  den  xtyiyXxai  ol  icepl  xbv  Aiovoaov  eine 
bis  von  Homer  ausholende  üntersuchnng  (tcepl  tex^tttttv  Athen.  2,  65  b,  vgl. 
14,  635b.  637 f.  638a;  znm  Titel  s.  Lüders  die  dionysischen  Künstler 
S.  58.  61.  114).  Neben  solchen  wichtigen  Kapiteln  zogen  auch  kleinliche- 
Fragen  manche  an,  z.  B.  schrieb  ein  Ptolemaios,  der  Vater  des  bekannten 
Homerikers  Aristonikos,  «epl  täv  b\t.oioi^  tlpY)^^v(uv  icapot  tot?  Tpa^ixotc  (über 
Wiederholnngen  nnd  Entlehnungen,  Snidas)  und  Dionysodoros,  was  für 
die  Pedanterei  der  Zeit  sehr  bezeichnend  ist,  nepl  tuiy  icapä  toc^  tpafixotc 
4}(j.ap'C'r)fiivoi(;  (Sehol.  Eurip.  Rhes.  508  I  p.  34,  4  Dind.  z.  B.  über  geographische 
Irrtümer,  an  denen  Strabo  gleichfalls  nörgelt). 

,  Der  unermüdliche  Didymos  eröffnet  die  Zeit  der  Lexika  und  der 
Kompilationen  mit  einem  grossen  mindestens  28  Bücher  umfassenden 
Wörterbuch  der  tragischen  Sprache  (Xe^ic  tpaY4>Soe)fi8VY)  oder  xpaYixY^v 
28.  Buch  bei  Macrob.  sat.  5,  18;  £.  Bohde  de  Jul.  Poll.  in  rebus  scaen, 
enarr.  fontt.  p.  10 f.  A.  1  vermutet,  dass  es  alphabetisch  angelegt  war  und 
jeder  Buchstabe  zwei  Bücher  umfasste,  wovon  immer  das  zweite  für  Sophokles 
reserviert  war);  es  ist  von  Diogeneianos-Hesychios  excerpiert  (Bruchstücke 
von  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalcenteri  fragmenta  p.  82—111  gesammelt). 
Palamedes,  ein  Zeitgenosse  des  Athenaios  (9,  397 a),  schrieb  ein  Konkurrenz- 
werk. Epitherses,  ein  Grammatiker  des  ersten  christlichen  Jahrhunderts, 
scheint  nur  ein  Glossar  verfasst  zu  haben  (irepl  X^^scuv  tpaYtxÄv  Steph.  Byz. 
u.  Ntxata).  Aus  diesen  Werken  sind  viele  der  Kritik  nützliche  Artikel  der 
erhaltenen  Lexika  (bis  herab  auf  das  sogenannte  Lexicon  Vindobonense) 
geschöpft. 

Die  antiquarischen  Untersuchungen  der  älteren  Zeit  fassten  der  gelehrte 
Maurenkönig  Juba  in  der  d-catpcxY]  latopia  von  mindestens  17  Büchern 
(Müllers  fragmenta  histor.  HI  p.  481  f.  fr.  73—80),  woraus  nach  Rohde  de 
Julii  PoUucis  in  apparatu  scaenico  enarrando  fontibus,  Lpg.  1870  der  Atticist 
Julius  PoUux  IV  123—132  seines  Onomastikons  geschöpft  hat,  der  unter 
Hadrian  lebende  jüngere  Dionysios  von  Halikamass,  der  Verfasser  einer 
36  Bücher  umfassenden  fioootxT)  loxopta  (vgl.  O.  Schneider  Callimachea 
II  29flf.)  und  Ruf  OS  in  der  jxoüotx-}]  (Spajxaxtx'«])  lotopia,  wovon  Sopatros  die 
ersten  fünf  und  das  achte  Buch  excerpierte  (Phot.  biblioth.  161  p.  103  b  12. 
16 ff.  Dass  Rufos  nicht  einen  Auszug  aus  Dionysios  machte,  wie  O.  Schneider 
Callimachea  II  p.  29  f.  behauptet,  zeigt  das  Citat  Toü<poc  >tal  Atovüotog  Schol. 
Aristid.  p.  537  D.  Nach  Wilamowitz  Antigonos  von  Karystios  S.  328- 
A.  12  von  Hesychios-Suidas  benützt)   zusammen;    ein  anonymes  Excerpt  ex 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  133 

Tfiz  fioooix^c  laxopia^  steht  am  Ende  der  Aescbylusbiographie.  Der  römische 
Encyklopädist  Suetonias  behandelte  in  einem  Bache  der  Lndicra  historia 
•(Bei  ff  er  scheid  Sneton.  imfcm,  ^.461  f.,  s.  dasn  Leop.  Cohn  Jahrbb. 
£app].  13,  858  f.  A.  1)  vieles  bieher  gehörige. 

Ein  biographisches  Sammelwerk  veranstaltete  nnter  Hadrian  der  Perga- 
mener  TelepLos  (ßtoi  xpaYixüiv  %a\  xa>fj.txa)v  Suidas).  Ausserdem  sind  zwei 
Sammlungen  von  Stadien  zu  nennen,  des  als  Metriker  bekannten  Hephaistion 
^pafixÄv  aKopYjfi.(iTu*v  Xooeic  (Suidas)  und  Nestors  d-saxpixa  öitojivYjjxaxa 
(Athen.  10,  415  a,  vgl.  K.  Müllers  fragm.  histor.  Graec.  in  485*). 

Den  Metren  und  Bhythmen  der  Tragiker  wurde  von  den  Gelehrten 
•des  Altertums  keine  besondere  wissenschaftliche  Schrift  gewidmet;  erst  am 
Eingange  des  byzantinischen  Zeitalters,  nnter  dem  Kaiser  Anastasios  zergliederte 
-der  Grammatiker  Eugenios  die  lyrischen  Verse  der  damals  gewöhnlich  ge- 
lesenen fünfzehn  Tragödien,  nämlich  je  drei  von  Aeschylns  und  Sophokles 
und  neun  von  Euripides  (xcuXojiexpia  täv  jieXtxwv  Suidas). 

Die  Byzantiner  bewahrten  von  dieser  reichen  Literatur,  wenn  vrir  die 
£cholien  und  Inhaltsangaben  nicht  in  Betracht  ziehen,  nur  das  wenige,  was 
2wei  anonyme  Abschnitte  über  die  el^Y)  der  Tragödie  (Gramer,  Anecdota  Pari- 
.äna  I  p.  19,  5ff.  u.  19,  24fr.,  vgl.  Vitelli  Museo  Italiano  di  antichit^ 
•dassica  I  p.  1  und  Studemund  Philol.  46.  25 f.)  und  zwei  SchuUeitföden 
des  Johannes  Tzetzes  icspl  xpafixYjc  icoiYjoeiug,  der  eine  in  Versen,  der  andere 
in  Prosa  geschrieben  (hrog.  v.  Däbner  Rhein.  Mus.  4,  402  ff.  5,  152 ff.  O. 
Müller  ebend.  S.  333 ff.  =  kleine  Schriften  1,  488ff.  Westphal  Prolegomena 
zu  Aeschylus  Tragödien  S.  Vni  ff.),  worin  er  sich  auf  Enkleides  und  Erates 
beruft,  enthalten.  Aehnlich  redncierte  sich  im  Westen  die  historische  Kenntnis 
.auf  den  Artikel  „de  tragoedia^^  (hrsg.   von  Usener  Rhein.  Mus.  28,  418 f.). 

Wer  in  der  neueren  Zeit  die  gesamte  Tragödie  der  Griechen  einer 
Untersuchung  unterwirft,  pflegt  sich  auf  eine  einzelne  Frage  zu  beschränken. 
Die  weniger  eng  begrenzten  Werke  gehen  entweder  mehr  auf  eine  ästhetische 
Würdigung  der  erhaltenen  Stücke  aus,  wie  Aug.  Wilh.  Schlegel  Vorlesungen 
tlber  dramatische  Kunst  und  Litteratur  IV.— XIV.  (sämtliche  Werke  Bd.  V. 
1846),  O.  F.  Gruppe  Ariadne:  Die  tragische  Kunst  der  Griechen  in  ihrer 
Entwickelung  und  in  ihrem  Zusammenhange  mit  der  Volkspoesie,  Berlin  1833, 
Moritz  Rapp  Geschichte  des  griechischen  Schauspiels  vom  Standpunkt  der 
dramatischen  Kunst,  Tübingen  1862,  Fr.  Nietzsche  die  Geburt  der  Tragödie 
aus  dem  Geiste  der  Musik,  Lpg.  1872,  *1874,  Paul  de  Saint-Victor  les 
deux  masques,  Paris  1880—81,  2  Bde.  und  besonders  Patin  ötudee  sur  les 
tragiques  grecques.  Eschyle,  6.  6d.  Paris  1883,  Sopbocle,  7.  6d.  1884,  Euripide, 
^.  ed.  1884,  2  Bde.,  welcher  die  modernen  Bearbeitungen  der  alten  Stoffe 
am  eingehendsten  berücksichtigt,  oder  sie  versuchen  den  Gang  der  verlorenen 
'Tragödien  wieder  herzustellen.  F.  G.  Welcker  (die  griechischen  Tragödien 
mit  Rücksicht  auf  den  epischen  Cyclus  geordnet,  Bonn  1839—41,  3  Thle. 
als  zweiter  Supplementband  des  Rheinischen  Museums)  wird  durch  feine 
Empfindung  für  das  Poetische  und  scharfsinnige  Kombination  immer  der 
Bewunderung  würdig  sein;  unter  den  an  ihn  anknüpfenden  Untersuchungen 


Digitized  by 


Google 


134  V.  Kapitel. 

ragt  O.  Ribbecks  Buch  ,,die  römische  Tragödie  im  Zeitalter  der  Republik*^ 
(Leipzig  1875)  hervor.  Vielerlei  einschlägiges  liegt  in  zahlreichen  mythologi- 
schen and  archäologischen  Ahhandlangen,  neuerdings  vor  allem  von  ü.  v. 
Wilamowits  und  Robert  samt  ihren  Schülern,  zerstreut;  die  Grenzen  einer 
Monographie  überschreitet  Friedr.  Schlie  die  Darstellungen  des  troischen 
Sagenkreises  auf  etruskischen  ABchenkisten,  Stuttgart  1868.  Endlich  dürfen 
wir  das  anregende  Erstlingswerk  von  Böckh  Graecae  tragoediae  prindpum, 
Aeschyli  SophocUs  Euripidis,  num  ea  quae  supersnnt,  et  genuina  omnia 
sint  et  forma  primitiva  servata,  an  eorum  familüs  aliquid  debeat  ex  iis 
tribui,  Heidelbeig  1808  (im  folgenden  mit  trag,  princip.  citiert)  nicht 
▼ergessen. 

Schliesslich  haben  wir  von  den  Ausgaben  aller  Dramen  oder  Tragödien  zu 
sprechen:  Das  vorige  Jahrhundert  war  von  „le  theätre  des  Grecs"  (Paris- 
1730,  in  drei  Quartbänden)  des  Jesuiten  Brnmoy  beherrscht,  dessen  letzte 
Bearbeitung  (Paris  1785—89,  18  Bde.)  von  Rochefort,  du  Thell  und  Prövost 
herrührt.  Dann  folgt:  Poetae  scenici  Graecorum.  Rec.  et  annot.  siglisque 
metrids  instr.'Fridr.  Henr.  Bothe,  Lipsiae  1825—58, 10  Bde.  (1.  2.  Enripides. 
3.  4.  Sophokles.  5.-8.  (2.  Aufl.  1845—58)  Aristophanes,  9.  10.  Aeschylus) 
mit  dem  Anhang:  Poetarum  soenicorum  Graecorum  quorom  integi;»  opera 
snpersunt  iVagmenta,  Lpg.  1844—46,  4  Thle.  Hierauf  gab  W.  Dindorf  die 
vier  Dramatiker  samt  Fragmenten  in  kritischer  Becension  heraus  (Poetarum 
scenicomm  Graecorum  Aeschyli  Sophodis  Euripidis  et  Aristophanis  fabulae 
superstites  et  perditarum  fragmenta,  Oxford  1846.  '1869,  Lpg.  '1869,  vgl. 
Jahrbb.  f.  Phil.  97,  393  ff.).  Die  Fragmente  sämtlicher  verlorener  Tragödien 
sammelte  Fr.  W.  Wagner,  zuerst  in:  Poetarum  tragicorum  Graecorum  frag- 
menta, Breslau  I.  Aeschylus  und  Sophokles  1852.  ü.  Enripides  1844,  m.  die 
übrigen  1848,  dann:  Fragmenta  Euripidis  iterum  ed.,  perditorum  tragicorum 
omninm  nunc  primum  coli.,  Paris  1846.  Die  vollständigste  Sammlung  ist: 
Tragicorum  Graecorum  fragmenta  rec.  Aug.  Nauck,  Lpg.  1856  (Nach- 
träge in  seiner  Ausgabe  des  Enripides  Bd.  m  S.  XVff.,  zweite  Auf-- 
läge  angekündigt). 

Das  Drama  der  Hellenen  ist  unter  den  diesen  Namen  wahr- 
haft verdienenden  das  einzige,  welches  von  der  eigenen  Nation 
entdeckt  und  gepflegt,  durch  keinerlei  fremde  Einflüsse  beirrt^ 
seinen  natürlichen  Weg  ging.  Diese  Originalität  gerade  er- 
schwert die  vollkommene  Aufdeckung  seines  Werdens  und  ge- 
stattet bloss  eine  wahrscheinliche  Skizze  des  Entwicklungs- 
ganges^),   während   in  den  übrigen  Literaturen    vor  allem   die 


1)  W.  Schneider  de  originibus  tragoediae  Graecae,  Breslau  1817,. 
2  Bde.;  Chr.  Dan.  Beck  acoessionnm  ad  Fabricii  bibliothecam  Graecam^ 
spec.  II.  Lpg.  1828;  O.  Müller  kleine  Schriften  1,  388 ff.;  Fr.  V.  Fritz- 
sche  de  origine  tragoediae,  index  lect.  Rostock  1863/4;  £.  v.  Leutsch 
Philol.   37,   342ff.;'  E.  Roh  de  AfterphUologie ,   Lpg.  1872   S.  29  ff.;  ü.  v. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  135 

Frage  zu  stellen  ist,-  wann  man  das  griechische  Drama  direkt 
oder  indirekt  kennen  lernte  mid  wie  viel  man  davon  dem  Ge- 
schmacke  des  Volkes  und  der  Zeit  anpasste. 

Mit  allen  geheimnisvollen  Kulten  Griechenlands  war,  wie 
vielleicht  überall  auf  Erden,  der  Brauet  verbunden,  dass  die 
Hauptlegende  alljährlich  so  dargestellt  wurde  als  ob  die  in  ihr 
enthaltenen  Ereignisse  von  den  Gläubigen  selbst  neu  erlebt 
würden  *).  An  vielen  Orten  traten  solche  mimische  Chöre  auch 
an  öffentlichen  Festen  auf*);  wenn  man  z.  B.  auf  Delos  die 
weite  Wanderung  der  Hyperboreer  darstellte,  deuteten  die  Mäd- 
chen des  Chores  durch  Nachahmung  fremder  Sprachen  die 
vielen  durchzogenen  Länder  an  ^).  Ein  religiöses  Schauspiel 
dagegen,  ich  meine  ein  Mysterium  im  Sinne  des  Mittelalters, 
bat  im  heidnischen  Griechenland  nie  existiert^),  weil  alle  der- 
artigen Bräuche,  aus  denen  sich  ein  solches  hätte  entwickeln 
können,  jederzeit  Kultusakte  blieben^ 

So  verharrten  die  ekstatischen  Orgien  des  Dionysos  trotz 
ihrer  Beliebtheit  auf  dieser  Stufe.  Dagegen  lag  ein  frucht- 
tragender Keim  in  der  Weise,  wie  man  den  Gott  bei  den 
öfifentlichen  Volksfesten  ehrte.  Als  wir  im  vorhergehenden 
Kapitel  von  dem  Dithyrambos  handelten,  sf^gten  wir,  der  Chor 
sei    in    Gestalt   von    Satyrn   aufgetreten.     Wenn   nun   Pindar 


Wilamowitz  Zukunftsplülologiel  Berlin  1872,  2.  Stack  1873  (vgL  Nietz- 
sche s.  o.  S.  133);  Job.  Stahl  de  tragoediae  primordüs  et  incrementis 
ab  Azistotele  adumbratis,  ind.  lect.  hib.  Monster  1881;  Ed.  Hill  er  Rhein. 
Mus.  39,  321  ff. 

1)  Fr.  Back  de  Graecomm  caeremonüs  in  qnibns  homines  deomm  Tice 
fongebantar,  Berlin  1883 ;  z.  B.  schildert  Ludan  im  Alexandroe  c.  38  f.  etwas 
der  Art.  Ueber  dramatische  Erntefeste  s.  Mannhardt  antike  Wald-  and 
Feldknlte  S.  183  ff. 

2)  Lob  eck  Aglaophamas  p.  174  a.  ö.  K.  Fr.  Hermann  Lehrbuch 
der  griechischen  Antiquitäten  H  §  29,  18.  23  f.  z.  B.  Philostrat.  vit.  Apoll. 
4,  21  p.  73  K. 

3)  Hymn.  Hom.  in  Apoll.  1,  160  ff. 

4)  T'^v  ^sppstpdttYjc  exxpaY(}>do5oai  dtpicaY*qv  Clem.  Alex,  protr.  p.  14  P, 
bedeutet  nach  spätgriechischem  Sprachgebrauche  nur,  dass  die  athenischen 
Frauen  den  Baub  b^ammerten,  und  Ay^o»  xal  Köpf}  2pd{i.a  ^ctvtoOnqv 
}iootix6v  (ib.  p.  12)  wird  durch  das  folgende  (xal  t^v  icXdviQV  xal  f^v 
dpuaY'^v  xal  tö  «Ivd-oc  ahxal^  *EXeoolc  8qt8oox«l)  erläutert. 


Digitized  by 


Google 


136  V.  Kapitel. 

„lyrische**  tpaYcpSiat  (S.  80)  und  Simonides  ebenfalls  eine  solche  ^) 
ziigeteilt  werd^i,  was  könnte  dieser  Name  anderes  als  den  Ge- 
sang der  Böcke,  d.  h.  des  in  Bocksfelle  gemummten  Chores  be- 
zeichnen*)? Die  Tragodia  war  also  zu  Anfang  gewiss  eine 
Abart  des  Dithyrambos,  wenn  auch  nicht  ein  eigentlicher  Spröss- 
ling  desselben,  weil  sonst  schwerlich  beide  Gattungen  unab- 
hängig neben  einander  fortbestanden  hätten^);  indes  reichen 
die  Nachrichten  nicht  hin,  um  den  Unterschied  zu  erkennen. 
Da  die  Alten  darin  einig  sind,  dass  die  Tragödie  ursprünglich 
aus  Cborgesängen  bestand^),  darf  man  vielleicht  an  einen 
Dithyrambenzyklus  denken,  wie  Timotheos  eine  dithyrambische 
„Odyssee**  in  wenigstens  vier  Teilen  dichtete  ^).  Weil  jene 
Dichtungsform  auch  anderen  Kulten  sich  anpassen  liess,  trat 
das  bakchische  Element  möglicher  Weise  nicht  ebenso  stark 
wie  im  Dithyrambos  hervor.  Herodot  erzählt  nämlich,  dass  in 
Sikyon  zu  Ehren  des  Heros  Adrastos  „tragische  Chöre"  auf- 
traten .*  bis  sie  der  Tyrann  Kleisthenes ,  etwa  um  die  Zeit  der 
solonischen  Gesetzgebung,  aus  politischen  Gründen  Dionysos 
„zurückgab**  *).  Die  Chronik  von  Sikyon ')  zählte  nicht  weniger 
als   tiinfzehn   Vorgänger   des  Thespis,    an    ihrer  Spitze   einen 


1)  Der  beste  Kodex  des  Saidas  bietet  den  Singalar  TpaY(}>Sta,  ebenso 
die  von  Mosüros  benützte  Handschrift  desselben  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1451 
(1402).  Nach  Lübbert  comm.  de  Pindari  carminibns  dramatibis  tragicis 
eorumqne  cum  epiniciis  cognatione,  ind.  lect.  hib.  von  Bonn  1884  p.  16  ist 
diese  Tragodia  mit  dem  „Memnon"  identisch.  Böckh  Staatshaoshaltnng 
nd62f.  and  zu  CIG.  I  765  f.  stellte  eigent&mliche  Ansichten  über  die 
lyrische  Tragödie  auf,  welche  6.  Hermann  oposcnla  VH  211fr.  und 
P.  Foucart  de  collegüs  scenic.  artificum  p.  71  ff.  bekämpften. 

2)  Etym.  M.  p.  764,  5  ff. ;  Tpdfoc  heisst  Satyr  Aeschyl.  fr.  190  D.  und 
Hesych.  n.  xpä-^oo^.  Bei  den  dionysischen  Orgien  trugen  die  Jungfrauen 
Ziegenfelle  (Hegych.  u.  xpa-^fi^Spoi), 

3)  Aristoteles  bezeichnet,  um  Verwechslungen  vorzubeugen,  poet.  4 
p,  1449  a  11  die  lyrische  Tragödie  mit  dem  Worte  ^td-opajtßoc. 

4)  Athen.  14,  630 c.  Diogen.  Laert.  3,  56.  Euanthins  de  oomoedia  p.  4, 
13  ff.  Reiff. 

5)  Orion  bei  Etym.  Magn.  p.  630,  41. 

6)  Herod.  5,  67 ;  daher  sagt  Themistios  or.  19  p.  486,  die  Tragödie  sei 
in  Sikyon  erfunden. 

7)  Bernhardy  Lit.  Gesch.  H  2,  10;  Lübbert  a.  O.  p.  21  ff.  (vgl. 
Plutarch.  mus.  3).  Der  Vermittler  der  Nachricht  dürfte  Menaichmos  (S.  132) 
gewesen  sein. 


Digitized  by 


Google 


Anfönge  der  Tragödie.  137 

Epigenes,   auf  ^),  doch  wusste  Aristoteles  noch  nichts   von  so 
alt«n  Dichtern  oder  er  wollte  nichts  davon  wissen*). 

Derselbe  Kleisthenes  hatte  sich  zum  Tochtermann  den 
reichen  athenischen  Patrizier  Megakles  erwählt;  als  dieser  nach 
Peisistratos'  zweiter  Vertreibung  der  leitende  Politiker  Athens 
war,  mag  er  das  Volk,  weil  ein  neuer  Staatsstreich  drohte, 
durch  Erhöhung  des  Festvergnügens  zu  fesseln  versucht  haben, 
wie  er  es  von  seinem  klugen  Schwiegervater  gelernt  hatte.  Ol.  61  •) 
wahrscheinlich  im  Jahre  540,  da  538  bereits  die  dritte  Regier- 
ung des  Peisistratos  begonnen  haben  dürfte,  fand  in  Athen  der 
erste  Wettkampf  von  Tragödien  an  den  grossen  Dionysien  statt, 
wobei  Thespis  siegte.  Dieser  Erfolg  und  dass  schriftliche 
Aufzeichnungen  sonst  fehlten,  verschaffte  ihm  bei  vielen  der 
Späteren  den  Ruhm,  dass  er  für  den  ältesten  Tragiker  oder, 
besser. gesagt,  für  den  ältesten  tragischen  Schauspieler  galt*), 
während  doch  eben  jener  Sieg  gleichzeitige  Rivalen  voraussetzt. 

Aristoteles  war  daher  nicht  so  voreilig;  über  die  Frage, 
wann  die  lyrische  Tragödie  durch  Einführung  eines  einzelnen 

1)  Snidas  u.  Bioici^  (vgl.  Pbot.  and  Saidas  Oh^kv  icpöc  xöv  Aiovoaov). 
Die  Ziffer  fünfzehn  könnte  errechnet  «ein ,  indem  mau  Epigenes  gleichzeitig 
mit  Phalkas,  dem  ersten  Heraklidenkönig  von  Sikyon,  d.  h.  15  Generationen 
früher  (Lübbert  a.  O.  S.  23)  oder  vielleicht  an  den  Regierangsantritt  des 
Kleisthenes  (vgl.  B  a  s  o  1 1  griechische  Geschichte  I  S.  466  A.  2)  15  Olympiaden 
vor  Thespis  setzte. 

2)  Poet.  3  p.  1448a  29 ff. 

3)  Saidas  a.  B^aicig.  In  der  paiiscben  Chronik  Z.  58  ist  die  Zahl  ver- 
loren; es  durfte  277  zu  ergänzen  sein  (die  Grenzen  sind  Ol.  61,  1  und 
66,  1).  Bei  Ensebios  ist  er  schon  Ol.  48,  1  (armenisch)  oder  47,  2  (Hieron.) 
gesetzt,  also  in  die  Zeit  des  Solon  and  Kleisthenes;  auch  Plutarch.  Sol.  29 
and  Diogen.  Laert.  1 ,  59  gilt  er  für  einen  Zeitgenossen  des  athenischen 
Gesetzgebers. 

4)  Thespis  wird  Aristoph.  Vesp.  1479  und  Ps.  Plat.  Minos  p.  321  a,  der 
aber  g^^n  die  Erfindung  der  Tragödie  protestiert  (ebenso  denkt  Pollux  4, 
123),  als  der  älteste  bekannte  erwähnt  Aristoteles  scheint  ihn  zu  ignorieren 
(poet  4  p.  1449a  10,  vgL  Hiller  Rhein.  Mus.  39,  321  ff.)  und  Chamaüeon, 
der  über  Thespis  ein  Buch  schrieb,  dürfte  ibu  als  ersten  Dichter  einer  ernst- 
haften Tragödie  gefosst  haben  (Phot.  Suidas  ohhiv  icp6c  töv  Aiovooov).  Den 
Schauspieler  führte  er  ein  nach  Horat.  a.  p.  275  fif.  Diog.  Laert.  3,  56.  dem. 
Strom.  I  365  P,  309  S,  8.'auch  Plut.  Sol.  29;  auf  das  platte  Land  versetzt 
ihn  Bioskorides  AnthoL  7,  410.  411  und  der  Grammatiker,  welcher  seinen 
Vater  Ikarios  nannte  (Snidas). 


Digitized  by 


Google 


138  V-  Kapitel. 

Sprechers  zum  Drama  wurde,  ein  berechnetes  Schweigen  beob- 
achtend, spricht  er  darüber  allein,  wie  dieses  imendlich  folgen- 
reiche Ereignis  herbeigeführt  worden  sein  dürfte,  eine  Ver- 
mutung aus.  Der  Philosoph  verweist  nämlich  auf  den  Vorsänger 
des  dithyrambischen  Chors,  also  den  Chormeister ^)  oder  viel- 
mehr den  Dichter  selbst;  denn  vielleicht  hat  dieser  manche 
Stellen  als  Solo  vorgetragen.  Hat  Aristoteles  Recht,  so  sonderte 
sich  der  Vorsänger  allmählig  von  dem  Chore  ganz  ab;  was 
aber  von  weit  grösserer  Tragweite  war,  er  musste  seine  Indi- 
vidualität aufgeben  und  im  Sinne  eines  anderen  sprechen.  Erst 
dadurch  ward  der  Giroxpitr]«;  fertig*).  Aristoteles  nimmt  an,  dass 
er  anfänglich  seine  Rolle  improvisierte^.  An  dem,  was  der 
grosse  Gelehrte  zweihundert  Jahre  nach  Thespis  vertreten  zu 
können  geglaubt  hat,  wollen  wir  uns  genügen  lassen. 

Die  Fabeln  hingegen,  welche  die  Schriftsteller  der  Kaiser- 
zeit, wenn  sie  von  den  Anfängen  der  Tragödie  sprechen,  vor- 
tragen, sind  so  eingewurzelt  und  zugleich  für  die  literar- 
historische Ueberlieferung  so  lehrreich,  dass  wir  ihnen  ausnahms- 
weise einen  Platz  im  Texte  nicht  versagen  dürfen. 

Aus  dem  Namen  tpa^cpS^a  zuvörderst  las  man  bald  heraus, 
dass  der  tragische  Chor  in  der  alten  Zeit,  wenn  dem  Dionysos 
ein  Bock  geopfert  wurde,  sang*),  bald  dass  der  Preis  der  Sieger 
in  einem  Bock  bestand  *). 

1)  Hiller  a.  O.  S.  325. 

2)  Ueber  den  Namen  Sommerbrodt  Bhein.  Mos.  22,  513ff.  30,  456  ff. 
=  scaenica  collecta  p.  259 ff.  288 ff.  Heimsöth  de  voce  önoxpirf^i;  comm., 
Bonn  1874.  Unrichtig  deuten  ihn  als  Antworter  ApoUon.  soph.  p.  161  B. 
PoUux  4,  123  (^oiC  xop'Ofat?  3ttcexptv8xo).  Hesych.  u.  6iroxpCvotTo,  ebenso  G. 
Cnrtins  Ber.  der  sftcbs.  Ges.  1866  m  S.  148  ff.  und  Rhein.  Mos.  23,  265  ff. 
S.  anch  A.  Müller  die  griech.  Bnhnenaltertümer  S.  170  f.  Richtig  Eustath. 
opnsc.  p.  88  f.  Xm  c  4.  5. 

3)  Poet.  4  p.  1449  a  9  f. 

4)  Enanthins  de  comoedia  p.  3,  2  ff.  Reiff.  vgl.  Eratosthenes  bei  Hygin. 
2,  4  'Ixapioo  itoot  icpaita  wepl  ipd^ov  ^pyfyoavxo, 

5)  Mann.  Par.  Z.  58.  Dioscor.  AnthoL  7,  410,  3.  Horat  a.  p.  220 
(Sidon.  Apoll,  carm.  1,  234  f.).  Eoseb.  chron.  Qaidam  bei  Sneton.  p.  6,  3 
Reiff.  Etym.  M.  p.  764,  2.  Schol.  Dion.  Thr.  Bekk.  Anecd.  H  p.  746,  22. 
Anon.  bei  Schol.  Enrip.  I  p.  7  adn.  ed.  Dindorf.  Is.  Tzets.  proleg.  in  Lycophr. 
p.  254.  Joh.  Tzetz.  Anecd.  Ozon,  m  337,  17.  Euanthins  de  com.  p.  3,  5. 
Donatns  de  com.  p.  8,  24  f.  Reiffl  Anon.  de  tragoedia  Rhein.  Mos.  28,  419 
Z.  4.  Isid.  orig.  8,  7,  5.    Vgl.  daza  Nonn.  Dionys.  19,  599. 


Digitized  by 


Google 


Asfänge  der  Tragödie.  1 39^ 

Bekanntlich  nannte  Aristophanes  seine  eigene  Kunst  mit 
scherzhafter  Travestie  tpoifcpSta,  woraus  einige  für  Witze  unem- 
pfängliche Grammatiker  den  ernsthaften  Schluss  zogen,  di^ 
ältesten  Komiker  hätten  ihr  Gesicht  mit  Weinhefe  (xpbi)  be* 
schmiert 0;  sie  dachten  offenbar  an  den  attischen  Brauch,  bei 
der  Weinernte  das  Bild  des  Gottes  mit  Weinhefe  und  frischen 
Feigen  einzureiben  ^.  Die  bäuerischste  Form  eines  Dankopfers  l 
Andere  meinten,  die  Sieger  hätten  zur  Belohnung  Weinmost 
bekommen  •).  Schlimmer  war  es  aber,  dass  man  tpaifcpfita  und 
TpoYcpSCa  unterschiedslos  zusammenwarf  und  demzufolge  beide 
etymologische  Fabeln  auf  die  Tragödie  übertrug*),  ja  sogar 
noch  eine  dritte  Etymologie,  nämlich  dass  das  Drama  bei  der 
Weinlese  {'cpiyffi)  entstanden  sei.^)  Dies  bedingte  hinwiederum 
den  ländlichen  Ursprung  und  lenkte  den  Gedanken  sofort  auf 
den  ältesten  Sitz  des  attischen  Dionysoskultes,  den  Gau  Ikaria  ^. 
Jetzt  brauchte  nur  noch  ein  schlechter  Etymologe  oxyjvtJ  ala 
schattenspendende  Laubhütte  (oxtd)  zu  deuten^),  damit  die 
idyllische  Vorstellung  von  dem  Bauernspiel  fertig  war,  welche 
besonders  die  Römer,  ihrer  ländUchen  Satura  zu  Liebe,  mit  Be- 
gierde aufgriffen®). 


1)  Anon.  de  comoedia  m  2.  Schol.  Aristoph.  Acharn.  504  (498).  Nub, 
296.  Tzetz.  Anecd.  Oxon.  IH  p.  335,  20,  vgl.  336,  1. 

2)  Plutarch.  proverb.  Alexandr.  40. 

3)  Schol.  Ariatoph.  Acham.  405  (397).  604  (498).  Etym.  M.  p.  764,  12, 
Anon.  de  comoedia  ni  2. 

4)  Beecbmieren  des  Gesichtes:  Horat.  a.  p.  277.  Alii  bei  Sneton.  p.  6, 
13  Reiff.  Qnidam  bei  Porphyrie  in  Hör.  a.  p.  277.  Eoanthius  p.  3,  6  f.  Is, 
Tzetz  prol.  in  Lyc.  p.  256;  Preis:  ^vioi  bei  Dindorfs  Scholi  üi  Eorip.  I  p.  7 
adn.  Alii  bei  Sneton.  p.  7,  4ff.  Etym.  M. 'p.  764,  3.  Enanthios  a.  O.  Is. 
Tzetz  a.  O. 

6)  Athen.  2,  40  b. 

6)  Athen.  2,  40  b;  s.  S.  138  A.  4. 

7)  Ovid.  ars  am.  1,  105  f.  Serv.  Verg.  Aen.  1,  164.  Georg.  3,  24  (die 
gemeinsame  Quelle  dürfte*  Varro  sein). 

8)  Verg.  Georg.  2,  381  f.  Horat.  a.  p.  275  ff.,  der  wie  Schol.  Ariatoph. 
Knb.  296  anch  noch  ^<p'  dt{ia£Y|C  hereinmischt ;  dies  ist  der  bedenkliche  Ur- 
sprung des  Thespiskarrens  I  'Ev  ä^P^^^  ^S^  ^^^^  ^^  Lexikon,  ans  welchem 
das  Etymologicum  magnnm,  Orion  und  Kyrillos  den  Artikel  ^0{iiXY^ 
schöpften. 


Digitized  by 


Google 


140  V,  KapiteL 

Der  Tranchiertisch  (iXeö;)  endlich,  von  dem  der  Schau- 
spieler dereinst  herab  gesprochen  haben  solP),  ist  selbstver- 
ständlich der  Scherz  eines  Komikers,  der  die  Bühne  damit 
verglich,  weil  er,  wie  Metagenes  sich  einem  Koche,  der  das 
Publikum  zu  bewirten  hat,  gleichstellte*). 

Doch  kehren  wir  von  diesen  handgreiflichen  Erfindungen 
zu  Aristoteles  und  den  urkundlichen  Thatsachen  zurück. 

Nächst  Thespis  stand  der  Athener  Choirilos  seit  der 
64.  Olympiade  mit  dreizehn  Siegen  in  den  Theaterlisten  ver- 
zeichnet ^) ;  er  soll  sogar  noch  gleichzeitig  mit  Sophokles  aufge- 
treten sein*). 

Die  ältesten  athenischen  Tragiker  hatten  die  mächtige  Kon- 
kurrenz des  Peloponnes  zu  bekämpfen.  Man  weiss  noch  von 
zwei  hervorragenden  Phleiasiern,  Pratinas*),  der  in  Athen 
einen  ersten  Preis  bekam  und  in  der  siebzigsten  Olympiade 
gegen  Choirilos  und  den  jungen  Aeschylus  stritt  ^,  und  Pratinas' 
Sohn  Aristias;  letzterer  trat  Ol.  78,1  mit  einer  Trilogie 
seines  Vaters  auf).  Dass  er  in  Phleius  ein  noch  von  Pausanias 
erwähntes  Grabdenkmal  besass®),  lässt  auf  grosses  Ansehen 
scbliesseu. 

Ueber  die  Werke  dieser  vier  Tragiker  stehen  sehr  unge- 
nügende Nachrichten  zu  unserer  Verfügung.  Sagt  auch  Suidas 
von  Thespis,  dass  folgende  Titel  von  Stücken  erwähnt  werden : 
Leiclienspiele  des  Pelias  oder  Phorbas  (nach  einer  attischen 
Lokalsage) ^),  Pentheus,   die  Priester,  die  Junggesellen,  so  be- 


1)  PoUux  4,  123;  der  Chor  nach  Orion  p.72  =  Etym.  Magn.  p.  458,  30 
(weshalb  Hill  er  Rhein.  Mu«.  39,  329  eine  Travestie  des  Wortes  Öt)-|iiXYj  an- 
nimmt). Hesych.  n.  ^Xc6v  .  .  Ixpiov  zeigt,  dass  nicht  jedem  klar  war,  ob  der 
Komiker  Bühne,  Orchestra  oder  Zaschanerraum  meinte. 

2)  Bei  Athen.  10,  459  b,  ähnUch  Aristoph.  Eqnit.  538  f.  üebrigens  er- 
innert pulpitum  merkwürdig  an  pulpa. 

3)  Näke  Choeril.  (s.  o.  8.  18  A.  11)  cap.  1;  Suidas  u.  XotptXo?.  CyriU. 
c.  Julian.  1,  13  sagt  irrtümlich  Ol.  74,  wie  auch  £usebios  ihn  Ol.  74,  2  setzt. 

4)  Schol.  Aristoph.  Ran.  73,  vgl.  Suidas  n.  £o(poxX^(;. 

5)  Welcker  Satyrepiel  S.  276 ff.  K.  Fr.  Hermann  Philol.  3,  507 ff, 
ü.  V.  Wilamowitz  Hermes  20,  67ft. 

6)  Suidas  u.  Dpativag. 

7)  Argum.  Aeschyl.  Sept. 

8)  Pausan.  2,  13,  5. 

9)  Schol.  Piudar.  Nem.  5,  89. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  141 

hauptet  dagegen  Aristoxenos,  freilich  ein  nicht  unparteiischer 
Zeuge,  der  pontische  Herakleides  habe  diese  Tragödien  ge- 
fälscht^). Choirilos  soll  gar  160  Dramen  gedichtet  haben, 
von  denen  der  einzige  Titel  „Alope"  bekannt  ist*);  indes  ver- 
kündet ein  Vers  seinen  einstigen  Ruhm :  „Als  Choirilos  im  Satyr- 
spiele König  war"').  Dagegen  versichert  Pausanias,  dass,  von 
den  äschyleischen  abgesehen,  die  Satyrspiele  des  Pratinas 
und  Aristias  den  grössten  Ruf  hatten*).  Von  den  32  Satyr- 
spielen und  18  Tragödien  des  ersteren  ist  nichts  geblieben  % 
wogegen  seine  lyrischen  Dichtungen  etwas  mehr  Eindruck  ge- 
macht zu  haben  scheinen  (S.  116).  Aus  den  Dramen  seines 
Sohnes  (Antaios,  Atalante,  die  Keren,  der  Kyklope,  Orpheus) 
haben  Grammatiker  ein  paar  Verse  seltener  Wörter  wegen  ge 
rettet. «) 

So  wenig  als  Aristoteles  angeben  konnte,  wann  der  Dichter 
an  der  Spitze  des  Chores  zu  singen  aufhörte  und  ihm  als  Schau- 
spieler entgegentrat,  ebenso  ist  der  zweite  bedeutungsvolle  Wende- 
punkt, die  Scheidung  von  Satyrdrama  und  Tragödie, 
unseren  Blicken  entzogen.  War  die  von  Satyrn  gespielte  mytho- 
logische Posse,  gemäss  dem  heiteren  ausgelassenen  Charakter 
der  dionysischen  Feste,  das  ursprüngliche  ?  So  denkt  offenbar 
Aristoteles,  wenn  er  sagt,  die  Tragödie  habe  erst  später  einen 
ernsten  Ton  angenommen  ^).  Dazu  würde  die  Mitteilung  stimmen, 
dass   die  ältesten  Spieler   sich   das  .Gesicht   mit  Blättern   ver- 


1)  Diogen.  Laert.  5,  92;  die  Fragmente  bei  Nauck  p.  647  sind  schon 
durch  das  jambische  Metram  als  nuecht  erweislich;  s.  auch  C.  J.  Ho  ff  mann 
Jahns  Archiv  2  (1833)  S.  33  ff. 

2)  Pansan.  1,  14,  3.   ' 

3)  ^Hvtxa  jxiv  ßaotX.86c  ^|v  XotptXoc  Iv  Saxopototv  Mar.  Plot.  de  metris  c.  3. 

4)  Paus.  2,  13,  5;  deshalb  legt  der  etwas  spätere  Alkiphron  (epist.  3, 12) 
einem  musikalischen  Ziegenhirten  den  Namen  Pratinas  bei. 

5)  Snidas;  Böckh  trag,  princip.  p.  125  will  nicht  mehr  als  12  Satyr- 
spiele zugeben.  Die  von  Aristias  zur  Anffühning  gebrachten  Stücke  hiessen : 
Perseiis,  Tantalos,  die  Ringer. 

6)  Fragmente  bei  Nauck  p.  562  ff. 

7)  Acä  t6  1%  oatupixo5  pLsxaßaXeiv  h^l  3(ic6O6{jLVuv0»r]  poet.  4  p.  1449  a  20; 
ähnlich  sagt  Aristophanes  Ran.  1004  von  Aeschylus:  *AXX'  J»  iipÄtO(;  täv 
^EXXyjvüjv  «op^ttioac  f-fiptaxa  ocjjLva  xal  xocjj.'fjGac  xpa^tx^v  X'?ipov,  vgl.  Vita  Z.  74. 
Horat.  a.  p.  280. 


Digitized  by 


Google 


142  V.  Kapitel. 

hüllten,  wie  die  Phallophoren,  um  nicht  erkannt  zu  werden^) 
—  wenn  anders  dies  eine  glaubhafte  Ueberlieferung  ist.  Aber 
auch  der  Name  „Gesang  der  Böcke"  spricht  für  den  Stagiriten ; 
4enn  wann  wäre  ein  Satyr  feierlich  gewesen  ?  Auf  der  anderen 
Seite  ist  daran  erinnert  worden,  dass  der  Dionysoskult,  wie 
Freud  und  Leid  stets  beisammen  liegen,  mit  der  Freude  auch 
das  Schmerzgefühl  in  sich  schloss.  Die  Melancholie  sprach  sich 
in  der  That  nicht  bloss  in  dem  berühmten  Spruche  des  Silenos 
(Das  beste  sei  für  den  Menschen,  nicht  geboren  zu  werden,  das 
nächste,  früh  zu  sterben)  und  in  dem  heidnischen  Allerseelen- 
feste der  Agrianien  und  Choes  aus,  sondern  fand  auch  in  den 
Gesängen  einen  Ausdruck,  insofern  der  Dithyrambos  der  win- 
terlichen Dionysien,  wo  die  Erde  kahl  und  freudlos  dalag,  eine 
mehr  wehmütige  Stimmung  aussprach  *).  Diese  Ansicht  wäre 
vortrefflich,  wenn  die  Tragödien  von  den  Authesterien  ausge- 
gangen wären.  In  Wirklichkeit  bestand  jedoch  zwischen  beiden 
nicht  einmal  eine  Verbindung,  sondern  die  Tragödie  hängt  ge- 
rade mit  den  grossen  Dionysien,  den  Tagen  der  allgemeinen 
Freude,  wo  die  Natur  aus  langem  Schlafe  zu  neuem  Leben  er- 
wacht, zusammen.  Also  wird  Aristoteles  dennoch  Recht  be- 
halten. Die  edle  Schwermut  der  Tragödie  ist  nicht  der  Volks- 
seele nachgefühlt,  sondern  das  eigene  Empfinden  weihevoller 
Dichter.  Die  Redensart  oü8sv  Tcpöc  töv  Atövooov  konnte,  wenn 
^ie  Sprich  Wörtersammler  Glauben  verdienen,  die  Enkel  an  die 
Opposition  gemahnen,  mit  welcher  solche  Veredler  des  Volks- 
geschmackes anfangs  zu  kämpfen  hatten.  Wenn  von  jenen 
dieser  Ruhmestitel  Thespis  eingeräumt  wird  *),  begehen  sie  frei- 
lich einen  Anachronismus.  Einige  dachten  statt  seiner  an 
Choirilos*),  während  Plutarch  versichert,  dass  Phrynichos  und 
Aeschylus  die  Verfasser  der  ersten  Trauerspiele  waren*),  und 

1)  Saidas  u.  Beoicic  mit  Semos  bei  Athen.  14,  622  c. 
2]  Dissenim  Kommentar  zu  Pindar  p.  621.  625 ;  Mor.  Schmidt  diatribe 
in  dithyrambum  p.  211;  Lübbert  de  Pindari  carmlnibns  dramaticis  p.  14 ff. 

3)  Daher  schreibt  ihm  wahrscheinlich  eine  Quelle  des  Snidas  die  Erfindung 
der  Masken  zu. 

4)  Suidas  sagt  wenigstens,   er  habe  nach  einigen  die  Masken  und  d^e 
tragische  Kleidung  eingeführt,  nämlich  an  Stelle  des  Satyrkostümes. 

5)  Quaest.  symp»   1,    1,   6  ^povi^oo    *at    Alax'^^o^    ^v    xpaftpBtav   «Ic 
ftü^ooc  xal  irdd-rj  wpoaYovxwv;  verballhornt  von  Quintilian.  10,  1,  66. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  143 

um  die  Verwirrung  zu  vollenden,  schreibt  Suidas  Pratinas  die 
frühesten  Satyrstücke  zu.  Diese  Ansichten  richteten  sich  offen- 
bar danach,  wie  der  betreffende  Gewährsüiann  über  die  Echt- 
heit der  voräschyleischen  Dramen  dachte;  strenge  Kritiker 
haben,  wie  es  scheint,  keine  älteren  Satyrspiele  als  von  Pratinas 
und  kein  älteres  Trauerspiel  als  von  der  Hand  des  Phrynichos 
anerkannt. 

Sicherlich  war  der  Athener  Phrynichos^)  der  einzige 
der  vor  Aeschylus  auftretenden  Dichter,  welcher  auch  in  der 
klassischen  Zeit  noch  als  wirklicher  Tragiker  anerkannt  und 
bühnenfUhig  war  *).  Als  er  das  erste  Mal  seinen  Namen  in  die 
Liste  der  Sieger  eintragen  lassen  durfte  •),  hatte  Athen  eben 
durch  den  Sturz  des  Hippias  und  die  daran  sich  reihenden 
Verfassungskämpfe  eine  so  schwere  Krisis  durchgemacht,  da?s 
die  Bürger,  auf  welche  ohnehin  die  Neuordnung  des  Staates 
einen  reifenden  Einfluss  ausübte,  auch  für  einen  ernsteren  Ge- 
nuss  und  ein  edleres  Vergnügen  Sinn  haben  mochten.  Doch 
einmal  mutete  der  Dichter  ihnen  zu  viel  zu:  Als  er  die  Zer- 
störung von  Milet  (494)  vorführte,  erzielte  er  den  verhängnis- 
vollen Erfolg,  dass  alle  Zuschauer  in  bittere  Thränen  ausbrachen, 
worauf  Phrynichod  in  Strafe  genommen  wurde,  weil  —  die 
Motivierung  ist  sehr  interessant  —  er  häusliches  Leid  in  Er- 
innerung gebracht  habe  *).     Indes  hatte  der  Dichter  die  Gunst 


1)  C.  J.  Hoffmann  Jahns  Archiv  1833  S.  40ff.  Soidas  unterscheidet 
irrtümlich  (Bentley  diss.  npon  Phalaris  p.  259  flf.  =  283 ff.  Wagner)  zwei 
Tragiker  Phrynichos;  ans  Athen  Schol.  Aristoph.  Thesm.  164;  Sohn  des  Me- 
lanthas  (Snidas  2.);  die  angeblichen  Vatemamen  Polyphradmon  (Pansanias 
10,  31,  4.  Schol.  Aristoph.  Av.  749)  nnd  Chorokles  (Snidas)  sind  von  Söhnen 
des  Dichters  entlehnt;  Minyros  (Snidas)  rährt  von  einem  Komiker  her,  wie 
Aristophanes  Vesp.  219  das  Wort  {itvop^Covts^  anf  seine  Ghorlieder  anwendet. 

2)  Vgl.  z.  B.  Aristoph.  Thesm.  166.  Nach  V.  165  war  er  ein  schöner 
elegant  gekleideter  Mann.  In  den  Fröschen  V.  910  wird  er  als  der  bedeutendste 
Vorgänger  des  Aeschylus  genannt. 

3)  Suidas  sagt,  er  habe  in  der  67.  Olympiade  gesiegt. 

4)  Herod.  6,  21  (c[>c  ^va{iv*^oayTa  olxY)Ia  xaxa).  Eallisthenes  bei  Strab. 
14,  635.  Die  andere  Anekdote  bei  Aelian.  yar.  bist.  3,  8  (woraus  ituppixac 
Suid.  2.  geschöpft  ist)  ist  dagegen  von  einem  erfanden,  der  von  einem  Feld- 
herrn Phrynichos  las,  worauf  er  die  vermeintliche  Ernennung  damit  moti- 
vierte, dass  er  in  einer  Tragödie  die  Lieder  der  Eriegstänzer  so  kriegerisch 
komponiert  habe,  aber  jener  war  von  dem  Dichter  verschieden  und  starb 
erst  Ol.  92,  2  (Thucyd.  8,  50  f). 


Digitized  by 


Google 


144  V.  Kapitel. 

des  Publikums  damit  nicht  für  immer  verloren ;  denn  noch  476 
(OL  75,4),  in  dem  Jahre,  wo  die  griechische  Bundesflotte  zum 
Angrifiskrieg  aussegelte,  gewann  Phrynichos,  dem  Themistokles 
als  Choreg  zur  Seite  stand,  den  Sieg  ^).  Zwölf  Jahre  später  ist 
bereits  der  Sohn  Polyphradmon  an  seiner  Stelle  in  den  Wett- 
kampf eingetreten*);  einen  anderen  hiess  Phrynichos  zum  Ge- 
dächtnisse seines  eigenen  Huhmes  Chorokles  und  dessen  Sohn 
Phrynichos  widmete  sich  wenigstens  als  Schauspieler  der 
Bühne  ^. 

In  den  Tragödien  des  Phrynichos  überwogen  die  Chorge- 
sänge, und  so  fiel,  weil  er  vor  allem  auf  die  Mannigfaltigkeit 
derselben  bedacht  sein  musste,  der  Schwerpunkt  seiner  Thätig- 
keit  mehr  auf  die  Lyrik  als  das  Dramatische^);  hat  er  sich 
doch  auch  selbständig  in  der  Dichtung  von  Päanen  versucht  % 
Aristophanes  spottet  über  den  kläglichen  an  Vogelstimmen  er- 
innernden Ton  der  Gesänge*),  obgleich  er  sich  der  höflichsten 
Ausdrücke  bedient,  weil  es  zu  seiner  Zeit  noch  Verehrer  der- 
selben gab  ')♦  Jambische  Tetrameter  und  Jonici  a  minore  waren 
Phrynichos'  Lieblingsmasse®).  Neben  der  Musik  bemühte  er 
sich  viel  um  die  Tanzbewegungen  des  Chors  und  rühmte  in 
einem  Gedichte  selbst,  dass  er  so  zahlreiche  Tanzfiguren  wisse, 
als  eine  Sturmnacht  im  Meere  Wellen  erregt®).     Worin  jedoch 

1)  Inschrift  bei  Plutarch.  Themist.  5. 

2)  Snidas  s.  v.  Argum.  Aeschjl.  Sept.;  CIA.  U  977a  3  ist  der  Name 
noXo<ppao{jLu>y  geschrieben. 

3)  Schol.  Aristoph.  Av.  749;  dieser  Stammbaum  ist  allerdings  nicht 
ansdrücklich  überliefert. 

4)  Aristot.  Problem.  19,  81.     , 

5)  Timaios  bei  Athen.  6,  250b;  oder  ist  etwa  der  Name  des  Tynnichos 
(S.  127)  herzusteUen? 

6)  Aristoph.  Vesp.  219  f.  jitvoptCovxc?  F'*^^*'!  äp^^atoot^üivo-^ppovt^-'^pata. 
At.  749 — 61  vom  Vogelsang  fv^ev  &aic8p  «^  (itXixta  ^povtxoc  ^(ißpooicuv  jis- 
X£u>v  äiceßooxsxo  xapic6v  atX  <pipu>v  Y^o^^iav  ({>$dv. 

7)  Z.  B.  scheint  das  Einzngslied  der  Phdnikerinnen  beliebt  gewesen  zn 
sein  (s.  Hesych.  n.  y^oxspcj)  Sl$ovi(|>  ans  einem  Komiker). 

8)  Nach  Snidas  von  ihm  erfanden;  die  Parodie  Aristoph.  Vesp.  230 ff. 
ist  in  jambischen  Tetrametem.  Ein  Metram  war  nach  ihm  benannt  (Servins, 
Keü  IV.  p.  464,  23). 

9)  Plntarch.  quaest.  symp.  8,  9,  3;  vgL  Athen.*  1,  22a.  Bentleydiss. 
npon  Phalaris  p.  267  (289  f.)  deutet  den  Spott  itrrjooat  ^povtjpz  &<:  tt?  iXixKop 
(Aristoph.  Vesp.  1490),  den  Aelian.  var.  bist.  13,  17  auf  den  Tragiker  be- 
zieht, mit  Bezug  darauf;  das  richtige  sah  Nauck  zu  fr.  16  p.  561. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  145 

seine  Verdienste  um  das  eigentliche  Drama  bestanden,  wird 
nicht  berichtet,  abgesehen  davon,  dass  der  Dichtter  Frauen- 
masken einführte  ^),  was  soviel  heisst  wie  dass  er  zuerst  Frauen 
auftreten  li^s. 

Die  Titel  der  neun  später  noch  bekannten  Stücke  gewähren 
einen  lehrreichen  EinbUck  in  die  StoflFwahl  des  Dichters.  „Die 
Einnahme  von  Milet"  und  „die  Phönikerinnen"  waren  mit 
kühnem  Griffe  der  Zeitgeschichte  entnommen;  jenes  Stück  zog 
dem  Dichter  die  erwähnte  Strafe  zu,  das  zweite  fasste  die  per- 
sische Niederlage  von  einem  ähnlichen  Standpunkt  wie  Aeschylus* 
,, Perser**  auf;  nur  Hess  Phrynichos  die  Niederlage  schon  bei 
Anfang  des  Stückes,  wo  ein  Eunuch  für  die  königlichen  Räte 
die  Stühle  herrichtete,  bekannt  sein^.  Den  ganzen  Rest  des 
Stückes  werden  Klagelieder,  teils  von  den  persischen  Rats- 
herrn, teils  von  sidonischen  Palastdienerinnen  gesungen,  aus- 
gefüllt haben;  der  Titel  des  Dramas  setzt  nämlich  mindestens 
zwei  verschiedene  Chöre  voraus').  Im  übrigen  können  wir 
über  die  Neuerungen  des  Aeschylus  nichts  wissen;  denn  dass 
Phrynichos  im  Jahre  476  durch  das  Los  Themistokles  zum 
Choregen  erhielt,  berechtigt  nicht  einmal,  eine  politische  Ver- 
bindung zwischen  beiden  vorauszusetzen,  geschweige  denn  die 
„Phönikerinen'*  samt  den  „Persern"  zu  Tendenzstücken  zu 
stempeln  *).  Von  den  anderen  Tragödien  bezieht  sich  die  einzige 
„Erigone'*  auf  die  Dionysossagen.  Dagegen  bemerkt  man  eine 
deutliche  Vorliebe  für  alles  Wunderbare :  Die  Verwandlung  des 
,.Aktaion",  die  Auferstehung  der  „Alkestis**,  den  Tod  des  Melea- 
gros  durch  das  zauberkräftige  Holzscheit  (in  den  „Frauen  von 


1]  Snidas. 

2)  Glaukos  im  Argument  der  Perser. 

3)  4>otvtooai  Athen.  14,  635  c.  Glaukos  a.  O.;  Atxatoi  [^  Il^poai,  von 
Aesobylus  entlehnt,  wie  Blomfield  sah]  9|  oov^toxoi  (nur  zwei  verschiedene 
Titel  des  Staatsrates)  Suidas;  Wieland  attisches  Museum  IV  S.  10  erkannte 
die  Identität  der  Stücke.  Droysen  Kieler  Studien  1841  S.  43flf.  nimmt 
einen  dritten  Chor  von  Persem  an. 

4)  So  meinte  schon  Bentley  diss.  upon  the  epistles  of  Phalaris  p.  257 
(281);  vgl.  ausser  den  von  den  fischyleischen  Persern  handelnden  Schriften 
Heinr.  Brentano  tlber  die  Perser  des  Aeschylus  mit  Vergleichung  der  PhÖ- 
uissen  des  Ph.,  Diss.  von  München  1832;  K.  O.  Müller  Jahns  Archiv  3,  637 ff. 
und  ind.  lect.  Gott.  1835/6;  Joh.  Gust.  Droysen  Phrynichos,  Aeschylos  und 
die  Trilogie,  Kiel  1841  (Kieler  Studien). 

S 1 1 1 1 ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  10 


Digitized  by 


Google 


146  V.  Kapitel. 

Pleujon  ^)  dargestellt).  Einen  ähnlichen  Reiz  übt  das  Fremd- 
artige ferner  Länder  auf  das  Gemüt  aus;  so  hängen  denn  eben- 
falls drei  Tragödien  mit  dem  geheimnisvollen  dunklen  Weltteile 
zusammen:  „Andromeda",  „Antaios  oder  die  Libyer"  und  ,,die 
Töchter  des  Danaos**,'  von  denen  „die  Aegypter**  schwerlich 
verschieden  waren*  Dürfen  wir  nicht  den  Schluss  wagen,  dass 
die  frühesten  Tragiker  Griechenlands,  Aeschylus  nicht  ausge- 
nommen, auf  die  Erzielung  starker  Eflfekte  hinarbeiteten?  Die 
vergleichende  Literaturgeschichte  könnte  dieselbe  Erscheinung 
auf  den  Bühnen  aller  europäischen  Völker  nachweisen.  Ueber- 
haupt  ist  das  Einfache  und  Natürliche  in  der  Literatur  nie 
das  Ursprüngliche,  sondern  es  wird  erst  nach  vielen  Versuchen 
und    häufigem  Misslingen  von   begnadeten  Talenten   entdeckt. 

Aristoteles'  Poetik  enthält,  ohne  Phrynichos'  Namen  zu 
erwähnen,  so  manche  wertvolle  Andeutung  über  die  erste  histo- 
rische Periode,  wenn  wir  so  sagen  dürfen,  der  griechischen 
Tragödie.  Danach  stand  dem  Chor  ein  einziger  Schauspieler 
und  zwar  der  Dichter  in  eigener  Person  gegenüber,  infolge  wo- 
von ein  Gespräch  nur  zwischen  dem  Chor  und  diesem  einen 
geführt  werden  konnte  und  der  Chor  nach  dessen  Abgange, 
während  er  sich  zu  einer  neuen  Rolle  umkleidete,  singen  musste. 
Das  Versmass  der  natürlich  wenig  umfangreichen  Dialogpartien 
war  noch  nicht  der  Jambus,  sondern  der  trochäische  Tetra- 
meter*), welcher  als  lebhaftes  Tanzmetrum  in  Wahrheit  dem 
Satyrspiel  zukam;  danmi  begann  schon  Phrynichos  ihm  den 
jambischen  Trimeter  entgegenzusetzen^.  Der  Kreis  der  behan- 
delten Stoflfe  war  weit  grösser  als  später,  wo  man  sich  haupt- 
sächlich auf  die  Schicksale  einiger  Fürstenhäuser  beschränkte  *) ; 
wussten  doch  Phrynichos  und  seine  Zeitgenossen  weder  von 
dem  Aufbau  einer  tragischen  Handlung  noch  von  der  Peripetie 
etwas,  so  dass  ihnen  jeder  Stoff  dramatisierbar  schien.  Viele 
Mühe  kostete  ihnen  dies  ja  nicht:    Die  Handlung  war  dürftig 


1)  nXeopcttviai  Paosan.  10,  31,  4. 

2)  C.  4  p.  1449  a  21. 

3)  Bei  Snidas  n.  ^povc^oc  ist  e6pst^c  'cpc^j.itpoo  rjc^^^'^^  '^  lesen,  wie 
Fr.  5.  9.  12.  16.  19  zeigen  (Stahl  de  tragoediae  primordiis  p.  6  A.]. 

4)  C.  13  p.  1453a  17ff. 


Digitized  by 


Google 


Aofönge  der  Tragödie.  147 

^ind  bestand  aus  wenigen  Scenen  ^),  trotzdem  wurden  diese  ohne 
Kunst  zusammengefügt  ^  und  nicht  einmal  die  £inheit  der  Zeit 
fand  Beachtung  %  sei  es,  dass  der  Dichter  innerhalb  des  gleichen 
.Stückes  die  zeitliche  Kontinuität  ausser  Augen  setzte,  wofür  die 
^wei  gleichberechtigten  Chöre  der  „PhÖnikerinen"  sprechen 
dürften,  oder  dass  er  sie  durch  Anwendung  der  Trilogie,  wor- 
über wir  im  nächsten  Kapitel  handeln  werden,  umging. 

Auf  dieser  bescheidenen  Grundlage  errichteten  die  Meister 
der  Tragödie  ihr  allbewundertes  Gebäude.  Jeden  der  drei 
Klassiker  für  sich  abgeschlossen  zu  betrachten,  erlaubt  weder 
die  historische  Methode,  noch  gestattet  es  die  lückenhafte  Ueber- 
lieferung.  Der  Betrachtung  der  Dichterindividuen  möge  viel- 
mehr eine  Schilderung  der  antiken  Tragödie  vorhergehen ,  in 
welcher  ihr  innerer  Bau  niit  den  ihn  bedingenden  äusseren  Ver- 
hältnissen in  Beziehung  gesetzt  werden  soll. 


1)  C.  4  p.  1449  a  19  f.   ?xt  U  xb   (iIy^^oc   »x    {iixpcov  ....  (lexaßaXtlVy 
•daxm  ist  Z.  28  iicscaodicuv  icXY)d^  zu  erwftgen. 

2)  C.  6  p.  1450a  35ff. 

3)  C.  5  p.  1449  b  16. 


10* 

Digitized  by  CjOOQIC 


VI.  Kapitel. 
Technik  der  Tragödie. 

Spieltage;  Preiskonkurrenz;  das  Publikum;  der  Dichter  und  seine  Zeit.  Die- 
Stoffe  und  ihre  Behandlung;  die  auftretenden  Personen  und  ihre  Charaktere;, 
der  Dialog;  Charakteristik  der  Handlung:  Peripetie  und  tragische  Ironie; 
Schluss,  Intriguen  und  Spannung;  Familienscenen  (Liebe);  Unglück;  Realismus 
und  stürmische  Scenen;  Wunderbares  und  Prunk.  Exposition,  Prolog  und 
Schluss,  deus  ex  machina  und  die. Moral  des  Stückes.  Der  Chor;  Histori- 
sches ;  Zahl ;  Verhältnis  zur  Handlung ;  Ort  und  Aufstellung ;  Einheitlichkeit ; 
Gesang,  Musik,  Arten  der  Lieder,  Tanz  nud  Gestikulation,  Dialekt.  Folgen 
des  Chors:  Yersmaass  des  Dialoges  und  Kesponsion;  Singen  der  Schauspieler ; 
die  tragische  Sprache;  Ort  der  Handlung;  Einheit  des  Ortes  und  die  Boten- 
erzählungen; die  Einheit  der  Zeit  und  die  Trilogien;  Monologe  und  vertrau- 
liche Scenen ;  Sceneneiuteilung ;  Ankündigung  des  Auftretens  und  des  Schlusses; 
Zurücktreten  des  Chors;  Vielseitigkeit  der  Dichter;  Regelraässigkeit  der  Tra- 
gödie; das  Erhaltene. 


Ueber  die  Technik  des  griechischen  Dramas  ist  keine  zusammenfassende 
Schrift  vorhanden.  Dagegen  findet  mau  zahlreiche  Bemerkungen  zerstreut  in 
allgemeinen  Schriften  wie  Lessings  hamburgischer  Dramaturgie,  Goethe  und 
Schillers  Briefwechsel,  Schillers  ästhetischen  Abhandlungen  (besonders  „Ueber 
den  Grund  des  Vergnügens  an  tragischen  Gegenständen"  und  „Ueber  die 
tragische  Kunst'^),  Manso  über  einige  Verschiedenheiten  in  dem  griechischen 
und  deutschen  Trauerspiel  (Nachträge  zu  Sulzers  allgemeiner  Theorie  der 
schönen  Künste  H  2,  229ff.),  Solger  Wiener  Jahrbuch  7,  91  ff.  =  Nachgel. 
Schriften  2,  513 ff.,  Süvern  über  Schillers  Wallenstein  in  Beziehung  auf  die 
griech.  Tragödie,  Berlin  1800  und  über  den  historischen  Charakter  des  Dramas, 
Abhandl.  der  Berliner  Akad.  1825,  W.  Wackernagel  über  die  dramatische 
Poesie,  Basel  1838,  Bob.  Hamerling  über  die  Grundideen  der  griechischen 
Tragödie,  Progr.  v,  Graz  1854,  Gust.  Frey  tag  die  Technik  des  Dramas, 
Lpg.  1863.  '1872,  Sigm.  Günther  Grundzüge  der  tragischen  Kunst.  Ana 
dem  Drama  der  Griechen  entwickelt,  Berlin  1885  u.  A.,  femer  in  den  an  Ari- 
stoteles' Poetik  anknüpfenden  Abhandlungen  und  den  S.  133  f.  angeführten 
Büchern. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  149 

Das  Bühnenwesen  behandeln  im  allgemeinen  A.W.Schlegel  über 
4ie  ßcenische  Anordnung  der  griechischen  Schauspiele,  Werke  V  S.  253  fl'., 
•C,  A.  Böttiger  opnscula  ed.  SiUig,  Dresden  1837  p.  284—362,  Gottl.  K. 
W.  Schneider  das  attische  Theaterwesen,  Weimar  1835,  K.  Ed.  Geppert, 
die  altgriechische  Bühne,  Lpg.  1843  (mit  6  Tafeln),  Aug.  Witzschel  die 
tragische  Bühne  zu  Athen,  Jena  1847,  Friedr.  Wie  sei  er  Theatergebäude 
ond  Denkmäler  des  Bühnenwesens  bei  den  Griechen  und  Römern,  Göttiugen 
1851  (mit  11  Tafeln),  ders.  in  Ersch  n.  Grnbers  Encykl.  Sektion  I  Bd.  83 
S,  159  fr.  mit  Tafel,  de  difficilioribus  quibusdam  PoUucia  aliorumqne  scrip- 
toram  veterum  locis  ad  rem  scaenicam  spectantibus,  Progr.  der  Uuiv.  Göt- 
tingen 1866,  A.  Schönborn  die  Skeue  der  Hellenen,  Lpg.  1858,  L.  Loh  de 
4ie  Skene  der  Alten,  Winckelmannsprogr.  Berlin  1860,  Otto  Benndorf  Bei- 
tröge zur  Kenntnis  des  attischen  Theaters,  Wien  1876,  separat  aus  Ztsch.  f. 
Österreich.  Gymn.  26,  1  £f.  83£f.  579ff.  731£f.,  Jnl.  Sommerbrodt  scaenica 
■coUecta,  Berlin  1876  mit  1  Tafel,  Hilding  Andersson  quaestiones  scenicae, 
Diss.  V.  Lund  1878,  Sammelwerk:  Albert  Maller  die  griechischen  Böhnen- 
altertümer,  Freihurg  1886  (K.  Fr.  Hermanns  Lehrbuch  der  griechischen  Anti- 
■quitäten,  Bd.  III.  2.  Abteilung  der  Neubearbeitung). 

Die  Aufführung  einer  neuen  Tragödie  war  in  Athen  eine 
Angelegenheit  des  Staates,  die,  wie  alles  mit  dem  städtischen 
Dionysosfest  zusammenhängende ,  dem  höchsten  Beamten 
der  Republik  anvertraut  war  und  Verordnungen,  die  das  Volk 
fjelbst  getroffen  hatte  und  überwachte,  unterlag,  so  dass  jede 
nennenswerte  Abänderung  einen  ausdrücklichen  Volksbeschluss 
2ur  Bedingung  hatte. 

In  erster  Linie  waren  die  Spieltage  bestimmt  geregelt^). 
Weil  das  Drama  ursprünglich  zu  Ehren  des  Dionysos  eingesetzt 
war,  blieb  es  in  Athen  st«ts  auf  Dionysosfeste  beschränkt,  wie 
man  im  Mittelalter  die  religiösen  Schauspiele  an  den  kirchlichen 
Hauptfesten  spielte,  und  zwar  fanden  Aufführungen  neuer  Tra- 
gödien im  fünften  Jahrhundert  nur  einmal  des  Jahres  an  dem 
Hauptfeste  des  Gottes,  den  städtischen  Dionysien  statt,  bis  wäh- 
rend des  peloponnesischen  Krieges  auch  an  den  Lenäen  ein 
Agon  für  einzelne  "Tragödien  eingerichtet   wurde*);    bei   einem 

1)  M.  Schmerl  quibus  Athenieusium  diebus  festis  fabulae  in  scaenam 
•commissae  sint,  Diss.  v.  Breslau  1879;  die  Schriften  über  die  Dionysosfeste 
verzeichnet  A.  Müller  a.  O.  S.  309  A.  1,  s.  besonders  Böckh  vom  Unter- 
fichiede  der  attischen  Lenäen,  Anthesterien  und  ländlichen  Dionysien,  Abh. 
der  Berl.  Akad.  1816—17. 

2)  Athen.  5 ,  217  a.  Volksbeschluss  bei  Demosth.  21 ,  10 ;  der  Tyrann 
Dionysios  siegte  dort  Ol.  103,  2,  dann  Apharens,  der  Adoptivsohn  des  Iso- 
krates  Ps.  Plut.  vit.  Isoer.  p.  839  d.    Daher  ist  bei  dem  jüngeren  Euripides 


Digitized  by  CjOOQ IC 


150  VI.  Kapitel. 

solchen  errang  Agathon  seinen  von  Plato  verewigten  Sieg  und 
vielleicht  stand  Sophokles  an  der  Spitze  der  Siegerliste  der 
Lenäen  ^).  Die  Wiederaufführung  günstig  aufgenommener  Stücke^ 
war  den  ländlichen  Dionysien  und  damit  den  einzelnen  Gemein- 
den anheimgestellt  *),  die  denn  zu  diesem  Zweck  mit  den  Dich- 
tern und  später  mit  den  Schauspielern  erster  Klasse,  weil  diese- 
auch  den  Regisseur  und  Theaterdirejstor  machten,  sich  in  Ver- 
bindung setzten  und,  wenn  es  ihre  Mittel  erlaubten,  sogar 
stehende  Theater  errichteten;  natürlich  gingen  dabei  die  reichen 
Hafenorte,  weil  das  internationale  Schiffervolk  sein  Vergnügen 
mögUchst  bequem  haben  wollte,  mit  gutem  Beispiele  vorauf. 
Erst  viel  später,  als  kein  neuer  Klassiker  mehr  auftrat,  nahm 
sich  der  Staat  um  die  Wiederholung  an  und  Hess  bei  den 
grossen  Dionysien  auch  alte  Stücke  zu,  während  er  voriger  nur 


406  oder  405  ausdrücklich  bemerkt,  er  habe  iv  £otei  gesiegt  (Schol.  Aristoph. 
Kan.  67);  vgl.  aach  Sannyrion  fr.  2  bei  Athen.  12,  551c  MeXY]tov  xöv  äKb- 
AiQvaioo  vtxp6v;  von  einem  Wettkampf  der  Schauspieler  spricht  Schol. 
Aeschin.  2, 15.  üeber  jene  Frage  handeln  in  yerschiedenem  Sinne  E.  Brnhn 
Jahrbb.  f.  Phil.  Snppl.  15,  318 ff.  and  U.  v.  Wilamowitz  Hermes  21, 
614f.  A.  3  ^  Madvig  kleine  philol.  Schriften  S.  436ff.,  U.  Köhler 
Mittheil,  des  deutschen  Instituts  in  Athen  3,  133,  Schmerl  a.  O.  S.  10  f. 

1)  Dies  acheint  mir  die  ungesuchteete  Erklärung  der  bekannten  Worte 
des  Suidas  u.  Do<poxX'Yjc:  ^p^i  xoö  Spafia  icp6^  8pä(ia  iL'^(a\>iita%'ai  (anders 
Böckh  ind.  schol.  hib.  Berlin  1861  =  kleine  Schriften  4,  505  ff.).  Aristoteles- 
Terzeichnete  auch  diese  Siege  (S.  129). 

2)  Rohde  Rhein.  Mus.  38,  288  f.,  Haussoulier  la  vie  municipale- 
en  Attique,  Paris  1884  p.  164 f.;  vgl.  Demosth.  18,  262. 

3)  Peiraieus  (zuerst  Xenoph.  Hell.  2,  4,  32  erw&hnt),  s.  A.  Müller 
S.  107  A.  5;  Munichia  (zuerst  Thucyd.  8,  93),  s.  Müller  a.  0.;  Salamis 
CIA.  n  469.  470.  594  Z.  30ff.;  EleusU  CIA.  II  574,  6.  Dittenberger  syUoge 
345,  10  f.  (Mitte  des  4.  Jahrb.),  s.  A.  Müller  S.  106,  4;  Aixone  CIA.  U  579. 
585;  in  Thorikos  ist  das  eigenartige  Theater  noch  erhalten  (Bursian  Geogr. 
V.  Griechenl.  I  353,  Lolling  Bädekers  Griechenland  S.  117  f.  Peltz  Archäol/ 
Ztg.  1878  S.  29,  abgebildet  Do d  well  views  pl.  23)  und  wurde  kürzlich  von 
der  „amerikanischen  Schule"  blossgelegt.  In  Eollytos  (Demosth.  18,  180. 
Aeschin.  1,  157)  und  Phlya  (Isae.  8,  15 1)  brauchen  keine  stehenden  Theater 
gewesen  zu  sein.  Auf  eine  Mehrzahl  von  Theatern  geht  Aristoph.  Thesmoph. 
390.  Der  reiche  Piräusgau  scheint  auch  für  neue  Stücke  Preise  ausgesetzt 
zu  haben,  sonst  wäre  die  ausgezeichnete  Nennung  seiner  Trauerspiele  CIA. 
II  589,  28 f.  164  und  im  Dekret  des  Euegoros  Dem.  21,  10  schwer  erklärlich; 
Aelian.  bist.  an.  2 ,  13  ist  nicht  gänzlich  falsch ,  sondern ,  wie  CIA.  H  470, 
58  zeigen  dürfte,  ein  Anachronismus. 


Digitized  by  LjOOQIC 


Technik  der  Tragödie.  151 

mit  den  Stücken  des  Aeschylus  zu  dessen  besonderer  Ehrung 
eine  Ausnahme  gemacht  wurde*).  Die  Wiederholung  war  aber, 
seitdem  Athen  überhaupt  ein  wirkliches  Drama  besass,  herkömm- 
lich; denn  schon  bei  dem  unseligen  Stücke  des  Phrynichos 
wurde  ein  ausdrückliches  Verbot  der  WiederauflFührung  für  not- 
wendig befunden*). 

Die  Athener  kannten  also  nur  Festspiele  und  durchaus 
keine  Theatersaison ;  denn  auch  wenn  das  lau  gewordene  Volk 
sich  um  den  religiösen  Zusammenhang  der  Tragödie  imd  der 
Dionysosfeiertage  nicht  hätte  kümmern  wollen,  würden  jeden- 
falls die  äusseren  Verhältnisse  im  Wege  gestanden  sein.  Wie 
in  der  Einleitung  gesagt  ist,  gab  es  vor  der  Schlacht  von 
Chaironeia  in  Athen  kein  stehendes  Theater.  Da  wollten  nun 
die  Tausende  der  von  allen  Enden  Attikas  herbeigepilgerten 
und  über  das  Meer  gekommenen  Zuschauer  Sitzplätze  und  die 
Schauspieler  brauchten  eine  hölzerne  Bühne  *),  ausserdem  Räum- 
Uchkeiteu  für  sich  und  für  die  Theaterrequisiten,  wozu  dann 
die  immer  kompliziertere  Scenerie  *)  trat.  Es  war  jedesmal  eine 
neue  Bühnen  wand,  jedesmal  die  drehbaren  Seitenkoulissen  zu 
errichten  und  überdies  mit  Dekorationen  zu  versehen.  Wer 
wollte  freilich  die  Bühne  der  klassischen  Zeit  eingehend  zu  schil- 
dern wagen?  Die  Tragödien  ersetzen  den  Mangel  eingehender 
Ueberlieferung  nicht  genügend,  weil  der  Leser  nicht  wissen  kann, 
was  der  Zuschauer  mit  eigenen  Augen  sah  oder  sich  vorstellen 
sollte.  Ein  Zeitgenosse  der  ausgebildeten  raffinierten  Dekorations- 
malerei kann  sich  kaum  in  die  Lage  der  älteren  Tragiker  hinein- 
denken. Die  jetzt  auch  einem  Gehilfen  geläufigen  Regeln  der 
optischen  Perspektive  waren  damals  von  Anaxagoras  und  Demo- 
krit,  den  grössten  Gelehrten  des  Zeitalters,  kaum  erst  entdeckt  ^) ; 

1)  Seitdem  erhielten  in  den  sogenannten  Ehrendekreten  die  Dionysien 
den  Beisatz  xpaY(|)8olc  tcj)  xaiv<)>  ä^Ävt  oder  tpaY<|>8otc  xatvolc  (Köhler  Mit- 
theil, des  Inst,  in  Athen  3,  133). 

2)  Herod.  6,  21. 

3)  Hesych.  n.  oxy)vy}.  Dazn  stimmen  die  Reste  des  alten  Theaters  in 
Athen  und  im  Biräns  (A.  Müller  S.  23  A.  2.  415).  Dieses  Brettergerüst  hiess 
^pißa^  (Plat.  conviv.  Id4b  ^vaßaiv^vtoc  inX  xöv  öxptßavxa  piti^  ttt>v  6no- 
xptxÄv  XX.  A.,  8.  A.  Müller  S.  53  A.  2). 

4)  Wörmann  die  Landschaft  in  der  Ennst  der  Alten,  München  1876 
8.  173 ff.;  Alb.  MüUer  S.  110 ff. 

5)  Vitniv.  7  praef.  11. 


Digitized  by 


Google 


152  VI.  Kapitel. 

SO  konnte  erst  Sophokles  ihre  Forschungen  für  die  Scenerie 
verwerten,^).  Bemalte  Leinwand  und  kunstvolle  Gobelins  ge- 
währten jetzt  einen  prunkvollen  Anblick*),  obschon  derselbe  von 
unserer  auf  Illusion  ausgehenden  Manier  soweit  als  möglich  ab- 
stand ;  zeigen  doch  die  klassischen  Kunstwerke,  wie  gleichgiltig 
die  Griechen  gegen  das  Detail  und  den  Hintergrund  waren. 
Man  verstand  übrigens  schon  damals  mit  gemalten  Prospekten 
plastische  Dekoration  zu  verbinden^):  Die  Paläste  müssen  in 
verschiedenen  Stücken  feste  flache  Dächer,  wo  nach  der  Sitte 
der  Levante  Personen  sich  aufhalten  konnten,  gehabt  haben*); 
der  blinde  Oedipus  findet  einen  Felsensitz  und  verbirgt  sich 
zwischen  den  Bäumen  des  Euraenidenhaines ;  Prometheus  und 
Andromeda  waren  an  einen  Felsen  gefesselt;  wie  Neoptolemos 
zur  Höhle  des  Philoktet  emporstieg,  so  sprach  Euadne  auf  einem 
das  Gebäude  überragenden  Hügel,  von  wo  sie  sich  in  den 
Scheiterhaufen  stürzte.  Die  griechischen  Künstler  waren  durch 
die  bemalten  Giebelrehefs  auf  solche  Arbeiten  eingeschult. 
Rechnet  man  dazu  noch  die  üblichen  Altäre  und  Statuen*), 
ferner  den  keineswegs  unbedeutenden  Maschinenapparat  ^),  so 
kann  tnan  die  unendliche  Mühe,  welche  durch  eine  Vorstellung 
verursacht  wurde,  ahnen. 

Wenn  man  sie  aber  einmal  aufwendete,  wollten  die  Athener 
gleich  den  Menschen  des  Mittelalters,  um  femer  Hegende  Pa- 
rallelen bei  Seite  zu  lassen,  die  seltene  Ergötzung  ausgiebig  ge- 
niessen,  weshalb  sie  von  den  fünf  Tagen  der  grossen  Dionysien 
der  Tragödie  drei  volle  Vormittage  zuwiesen '),  ja,  als  im  vierten 


1)  Aristot.  poet.  4;  dagegen  müssen  natürlich  Vitruv.  a.  O.  und  Vita 
Aeschyli  Z.  74  f.  W.,  welche  die  Erfindung  schon  in  Aeschylus'  Zeit  verlegen, 
zurückstehen. 

2)  Vgl.  Antiphanes  hei  Athen.  13,  587  b  und  Phot.  Suid.  u.  Nawtov. 
Anon.  de  com.  8,  33.  PoUux  4,  131.  Donatus  de  comoedia  p.  12,  3  f.  aulaea 
quoque  in  scaena  intexta  sternuntur. 

3)  A.  MüUer  S.  139  ff. 

4)  So  im  Agamemnon,  Orestes  und  Phönikerinen. 

5)  A.  MüUer  S.  137  i. 

6)  Pollux  4,  127-132. 

7)  Aug.  Mommsen  Heortologie  S.  387  ff.  Sauppe  Ber.  d.  sächs. 
Ges.  der  Wiss.  1855  S.  16ff.  Usener  Symbola  philol.  Bonn.  p.  583  ff. ; 
Vormittags  Aristoph.  Av.  785 ff.  (s.  O.  Ribbeck  Rhein.  Mu».  24,  133  f.). 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie,  153 

Jahrhundert  das  Fest  verlängert  wurde,  die  Zahl  der  Spieltage 
auf  wahrschemlich  fünf  erhöhten^). 

Da  die  Zahl  der  Spieltage  und  der  Choregen  gesetzlich  fest- 
gelegt war,  hatte  der  Staat  demzufolge  die  Zahl  der  Kon- 
kurrenten entsprechend  eingeschränkt.  In  der  Zeit  der 
höchsten  Blüte  wurden  nicht  mehr  als  drei  zugelassen  *),  während 
im  vierten  Jahrhundert  wahrscheinlich  fünf  um  die  ausgesetzten 
Preise  kämpften*);  doch  scheinen  dies  Maximalzahlen  gewesen 
zu  sein  und  es  konnten  statt  drei  auch  nur  zwei  auftreten*). 
Da  sich  aber  in  der  Regel  viel  mehr  zur  Ehre,  auf  der  ersten 
Bühne  Griechenlands  zu  erscheinen,  drängten,  entschied  der 
Archon  über  die  Zulassung  der  Kandidaten*).  Ein  trefflicher 
Archon  konnte  nun  freilich  ein  schlechter  Kritiker  sein  und  so 
kam  es  vor,  dass  Sophokles  zu  Gunsten  eines  obskuren  Gne- 
sippos  zurückgesetzt  wurde  und  einmal,  als  das  Publikum  Aeschy- 
lus  erwartete,  ein  Theognis  auftrat*).  Solche  persönliche  Be- 
vorzugungen und  Rancünen  wurden  durch  das  hohe  Honorar') 
nur  verschärft;  aber  der  Archon  war  höchstens  den  Komikern 
für  sein  Urteil  verantwortlich ,  denn  der  kurze  Zeit  vor  dem 
Feste,  an  der  den  8.  Elaphebolion  stattfindenden  Asklepiosfeier 
abgehaltene  Proagon  ohne  Masken  und  Kostüme,  entsprach  nicht 
etwa  einer  ersten  Konkurrenz,  sondern  eher  unserer  Leseprobe; 
er  fand  vor  dem   Archon    und    einigem  Publikum    im    Odeon 


1)  Mindestens  vier  Philochoros  bei  Plutarch.  an  seni  ger.  3 ;  es  sind 
die  Fünfzahl  der  Eonknrrenteu  (s.  n.)  und  die  (zuerst  beim  ,^lDtos"  nach- 
iiveisbare)  gleiche  Zahl  der  Komödien  damit  zu  verbinden.  Usener  Symbol, 
philol.  Bonn,  in  hon.  Ritsch.  II  p.  583  ff.  nimmt  für  die  verlängerten  Dio- 
nysien  11. — 16.  Elaphebolion  an ;  ans  Plant.  Pseudolns  321  (309)  sind  sechs 
Tage  freilich  nicht  sicher  zu  erschliessen  (s.  Lorenz  znr  Stelle). 

2)  Argnm.  Aesch.  Sept.;  Arg.  Enrip.  Hippol.  Med. 

3)  Isaens  5,  36  titapTo?  l-^htxo  TpaY<i>5ot<;  xal  icüppt^totatc  ooiaxoc ; 
e.  A.  1. 

4)  Bei  Arg.  Enrip.  Alcest.  nnd  Aelian.  var.  bist.  2,  8  könnte  man  an- 
nehmen, dass  sie  den  Dritten  ans  Gleichgiltigkeit  übergingen;  aber  nach 
CIA.  n  972  traten  419  und  418  nur  je  zwei  in  den  Wettkampf  ein  (ü.  Köhler 
bezieht  die  Inschrift  auf  die  Lenäen). 

5)  Xopöv  altttv  Aristoph.  Eq.  513 ;  vgl.  Plat.  rep.  2,  383  c  mit  Scholien 
(=  Suidas  n.  x^P^^  $t$(o(ii,  vgl.  Cohn  Jahrbb.  Snppl.  13,  812). 

6)  Eratinos  fr.  15 K.  bei  Athen.  14,  638  f;  Aristoph.  Acharn.  10. 

7)  Plato  Laches  183a;  vgl.  Madvig  kleine  phUol.  Schriften  S.  449 ff. 


Digitized  by 


Google 


154  VI-  Kapitel. 

statt  ^) ;  doch  die  Entscheidung  des  Regierungskommissärs  war 
schon  viel  früher  gefallen,  als  er  den  für  das  laufende  Jahr  zur 
Choregie  herangezogenen  Bürgern  die  Dichter  durch  das  Los 
zuwies  *). 

Der  athenische  Staat  hatte  also  die  Produktion  der  Tragödien 
gewissermassen  monopolisiert  und  mit  weiser  Mässigung  das 
Interesse  des  Volkes  auf  einige  Tage  des  Jahres  koncentriert. 
Unter  solchen  Umständen  fällt  es  nicht  auf,  wenn  das  ganze 
Land  über  den  seltenen  Genuss  wie  über  die  wichtigste  Staats- 
angelegenheit in  Aufregung  war').  Die  Athener  machten  sich 
schon  vor  Tagesanbruch  nach  dem  Theater  auf  und  rauften 
nötigenfalls  um  einen  guten  Platz*);  das  lebhafte  Volk  hatte 
sogar  so  viel  Geduld,  mehrere  Tage  hintereinander  vom  frühen 
Morgen  an  bis  Mittag  ununterbrochen  im  Theater  zu  sitzen  *). 
Unsere  Vorfahren  übten  allerdings  gegenüber  den  grossen 
Mysterienspielen  eine  gleich  grosse  Geduld  und  von  den  Japa- 
nesen wird  soeben  das  nämliche  berichtet.  Statt  einem  ge- 
wählten Kreise  verwöhnter  Menschen  einige  Stunden  lang  die 
abgestumpften  Nerven  zu  erregen  und  die  ermüdeten  Sinne  zu 
reizen,  machte  die  Darstellung  neuer  Tragödien  in  Athen  den 
Hauptteil  und  Glanzpunkt  eines  grossartigen  Volksfestes  aus. 
Ein  grosser  Teil  der  Gesamtbevölkerung  Attikas  und  viele 
schaulustige  Fremde,  welchen,  auch  wenn  sie  nicht  durch  die 
Ablieferung  der  Steuern  und  die  Eröffnung  der  Gerichte  ge- 


1)  Vgl.  Aeschin.  8,  67.  Plat  leg.  7,  817  d.  CIA.  n  307,  auf  die  Schau- 
spieler bezogen  SchoL  Aeschin.  3,  67  (ohne  Masken  und  Kostüme).  Hesych. 
Phot.  Suid.  u.  vsp.*^06ic  6:coxpitu>y.  Vgl.  Rohde  Rhein.  Mus.  38,  262  ff.  A. 
Müller  S.  363  ff.  Zeit :  Aeschin.  3, 67 ;  Publikum :  xöv  Sy]ji.ov  Vita  Eurip.  Z.  42  W., 
vgl.  Terent.  Eunuch,  prol.  20ff.  Ort:  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1109.  Schol. 
Aeschin.  3,  67. 

2)  Antipho  6,  ll;Lipsius  Bemerkungen  über  die  dramatische  Chor^ie, 
Ber.  der  phil.-hist.  Ol.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  1885  S.  412  ff. 

3}  Plutarch.  sympos.  7,  7  a.  E.  curios.  6.  Lex.  rbet  Bekk.  An.  p.  309 
n.  tpaYC}>Solot. 

4)  Schol.  Lucian.  Tim.  49. 

5)  Vom  frühen  Morgon  an:  Aeschin.  3,  76,  vgl.  Xenoph.  oecon.  3,  7 
(von  Dithyramben  Demosth.  21,  74,  von  Kitharöden :  Plutarch.  non  posse 
suav.  viv.  13);  ohne  Pause:  Aristoph.  Av.  786 ff.,  sogar  während  der  Zeit 
des  £ptatoy  Plutarch.  Alex.  72,  vgl.  Philostrat.  vit.  soph.  1,  25,*  3  a.  E.  Eunap. 
Ir.  54  p.  37 f.  Müller;  nach  dem  £ptotov:  Philochoros  bei  Athen.  11,  464 f. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  15& 

nötigt  in  die  Bundeshauptstadt  zogen,  die  eben  eröffnete  Schiff- 
fahrt das  Kommen  erleichterte,  strömten,  viele  Tausende  an 
der  ZahP),  nach  dem  SQdabhange  der  Akropolis;  der  Bürger 
wanderte,  seitdem  die  strenge  Abschliessung  der  Frauen  ge- 
mildert war,  mit  Weib  und  Kind  in  das  Theater*).  Für  die 
Bezahlung  seines  Platzes  hatte  er  keine  Sorge  zu  tragen ;  denn 
seit  Perikles  bezalilte  der  Staat  dem  Erbauer  des  Theatern 
(8.  4)  für  die  Eintrittsmarken,  welche  jeder  Besucher  umsonst 
bekam ^),  alljährlich  eine  beträchtliche  Summe,  auf  dass  auch 
der  Arme  nicht  um  eine  so  edle  Ergötzung  komme.  Der  Reiche 
hatte  keinen  Vorzug*),  wenn  er  nicht  zur  rechten  Zeit  kam 
oder  einen  unterthänigen  Schmeichler,  der  ihm  seinen  guten 
Platz  abtrat,  fand*). 

Der  politische  Charakter  der  Theaterversammlungen  ist 
bereits  S.  t)  angemerkt  worden;  zugleich  gab  ihnen  die  Weihe 
der  Tage  einen,  freilich  oberflächlichen,  religiösen  Anstrich^. 
Das  Theater  der  Tragiker  stand  auf  dem  heiligen  Grunde  des 
Dionysos,  dessen  Bild  für  die  Dauer  des  Festes  dorthin  ver- 
bracht wurde '^),  und  war  gewöhnlich  mit  Altären  und  Götter- 
bildern geziert^);  den  Ehrenplatz  nahm  vor  allen  Staatsbeamten 
der  Priester  des  Gottes  ein,  umgeben  von  der  ganzen  athenischen 
Priesterschaft*),  während  alles  Volk   zum  Zeichen  des   hohen 


1)  Plat.  sympos.  175  e. 

2)  Vitruv.  5,  3,  1.  Dio  Chrysost.  32,  42;  Satyros  bei  Athen.  12,  584c 
nnd  Vita  Aeschyli  Z.  50  West,  setzen  vorans,  dass  schon  im  fünften  Jahr- 
hundert die  Franen  das  Theater  besuchten,  aber  Aristoph.  Theem.  895  ff.  Av. 
793  ff.  sprechen  dagegen  nnd  der  Staat  zahlte  für  sie  nicht.  Erst  Plat.  leg. 
2,  658  cd.  Gorg.  502 d  bezeugt  es.  Hat  nicht  auch  Shakespeare  unter  seinem 
Pnblikum  die  Franen  der  besseren  Stände  höchstens  verlarvt  gesehen  ?  Knaben : 
Plat.  Gorg.  502  d.  Theophr.  9.  80.    Vita  Aeschyli  Z.  50.  Pausan.  1,  3,  8. 

3)  Wieseler  de  tesseris  ebumeis  osseisqne  theatralibus  I.  II.  Göttingen 
1866;  A.  Dumont  de  plumbeis  apud  Graecos  tesseris  oomm.  I.  Paris  1870; 
Benndorf  Beiträge  S.  36 ff.  41  ff.  (mit  Tafel);  Engel  Bulletin  de  correspond. 
heUcn.  8,  1  ff.;  A.  Müller  S.  299 ff. 

4)  Demosth.  18,  28  könnte  höchstens  beweisen,  dass  die  Preise  fär  die 
den  Fremden  angewiesenen  Plätce  yerschieden  waren. 

5)  Plutarch.  adul.  et  am.  15. 

6)  Demosthenes  hebt  ihn  in  der  Anklage  des  Meidias  geflissentlich  hervor. 

7)  A.  MäUer  S.  867,  1. 

8)  A.  Müller  S.  137  f. 

9)  Die  Stühle  tragen   noch   die  Titel    der  Inhaber   (A.  Müller  8.  92 f.). 


Digitized  by 


Google 


156  VI.  Kapitel. 

Festes  Kränze  auf  dem  Haupte  trug^).  Die  südliche  Lebhaftig- 
keit liess  sich  dadurch  freilich  nicht  zähmen  und  nahm  ebenso 
wenig  auf  die  Theaterpolizei*)  viel  Rücksicht.  Was  gefiel, 
wurde,  sowohl  bei  offener  Scene  als  am  Ende  des  Stückes, 
lebhaft  beklatscht  und  belobt').  Dem  unglücklichen  Dichter 
oder  Schauspieler  dagegen  erging  es  nicht  besser  als  im  modernen 
Italien:  Das  Publikum  pfiff,  schnalzte,  trampelte  und  bewarf 
die  Bühne*);  versprach  sich  ein  Schauspieler  bloss  ein  wenig 
oder  verfehlte  er  die  richtige  Quantität,  spottete  man  Jahre 
nachher  über  eine  solche  Kleinigkeit  ^) ,  wie  es  Hegelochos 
passierte,  als  er  ^aXfJv  6pö  statt  YaXvjv'  dpö  sagte  ^).  Von  einer 
Claque  verlautet  nichts,  weil  das  Publikum  zu  zahlreich  war. 
Zum  Schlüsse  sprachen  vereidigte  Vertreter  des  Volkes  das 
Urteil,  wer  von  den  Konkurrenten  einen  Preis  verdiene*^).  Die 
Durchgefallenen  schrien  natürlich  über  Bestechlichkeit®).  Wie 
immer  man  über  jener  uns  überlieferte  Urteile  denken  mag, 
darin  verdienen  sie  Anerkennung,  dass  der  Ruf  eines  grossen 
Namens  den  günstigen  Erfolg  durchaus  nicht  verbürgte,  was 
Aeschylus  und  Sophokles  erfahren  mussten.  Ausserdem  legten 
die  Alten  gerade  auf  das,  was  wir  kaum  beurteilen  können, 
das  Hauptgewicht,  nämlich  auf  die  Chöre,  weshalb  der  Staat 
nur  den  Chormeister  (5t8dtoxaXoc),  aber  nicht  den  Dichter  offiziell 
anerkannte,  und  sie  fällten  ja  zugleich  über  die  Leistung  des 
Choregen,  weil  dieser  nominell  den  Preis  erhielt,  ein  UrteiP). 
So  waren  die  Hörer  geartet,  deren  Beifall  der  alte  Dichter 
bei  SchaflTung  seines  Werkes  erhoffte.     An  dem  höchsten  und 


1)  PhUochoros  bei  Athcu.  11,  464f. 

2)  6K*rjpitat  Demosth.  21,  179.    Ueber  die  Komödie  s.  u. 

3)  Plat.  rep.  6,  492  b,  am  Schluss:  Aristopb.  Eq.  547.  S.  A.  Müller 
S.  305;  auch  Aelian.  var.  bist.  2,  13.  Plutarch.  Cim.  8. 

4)  E.  V.  Leu  tscb  Philol.  11,  725.  Sappl.  1,  115  A.  239;  A.  Müller  S.  306. 

5)  DioD.  Hai.  comp.  verb.  11.  Cicero  parad.  3,  2.  de  orat.  1,  61,  259. 
3,  50,  196.  orator  61,  173. 

6)  Aristopb.  Ran.  302  mit  Scbolien  und  Scbol.  Eurip.  Or.  279. 

7)  G.  Hermann  de  qninque  judicibus  poetarum,  Lpz.  1834  (Opus- 
<!ula  VII  Nt.  4);  Sauppe  Berichte  der  sächs.  Ges.  der  Wiss.  1856  S.  16 ff.; 
W.  Heibig  Ztsch.  f.  Gymnasialw.  16,  97 ff.;  E.  Petersen  über  die  Preis- 
richter der  grossen  Dionysien  zu  Athen,  Dorpat  1878. 

8)  Aristopb.  Av.  1105.  Demosth.  21,  5.  18. 

9)  Darauf  zielt  Isae.  5,  36. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  157 

heitersten  Feste  des  attischen  Jahres  wollten  die  Leute  Politik 
und  Gelderwerb  vergessen  und  sich  unterhalten.  Für  den 
Scherz  hatte  ihnen  die  Komödie,  für  das  wunderbar  Erhabene 
die  Tragödie  zu  sorgen  und  dies  erreichte  letztere  dadurch, 
dass  sie  ihnen  eine  andere  Welt  aufthat,  die  ihnen  doch  nicht 
fremd  erschien.  Mochten  die  Republikaner  die  Monarchie  im 
wirklichen  Leben  verabscheuen,  sie  freuten  sich,  wenn  Könige 
und  Heroen  vor  iliren  Augen  agierten,  ihnen  wohlbekannt 
und  gewissermassen  vertraut,  weil  die  Heldenzeit  das  erste 
war,  was  die  Jugend  kennen  lernte,  und  doch  der  Wirklichkeit 
zu  sehr  entrückt,  als  dass  das  ärgste  sie  betreffende  Leid  das 
Herz  der  Zuschauer  mit  einem  wahren  Schmerze  erschüttert  hätte. 
Die  Tragödie  der  Alten  empfing  ihre  Eigentümlichkeit 
nicht  von  einem  traurigen  Schlüsse,  sondern  davon,  dass  sie 
rührende  und  erschütternde  Ereignisse  der  Heroen- 
zeit vor  Augen  führte,  um  dadurch  echt  menschliche 
Empfindungen,  Schauder  vor  dem  Furchtbaren  und  Mitleid 
mit  den  Leidenden  zu  wecken  *).  Diese  Wirkung  erzielten 
wahre  Dichter  und  Schauspieler  bei  den  leicht  erregbaren  Zu- 
hörern ohne  Mühe;  es  kam  in  Athen  wie  in  Rom  oft  vor, 
dass  sie  weinten  und  schluchzten  *),  wozu  sich  der  Gebildete 
der  Neuzeit  nicht  leicht  herablässt.  Doch  die  Thränen,  welche 
das  Geschick  eines  vor  Jahrhunderten  verschollenen  Königs- 
hauses den  Hellenen  entlockte,  waren  nicht  schmerzlich,  sondern 
eine  Erleichterung,  wie  denn  die  Empfindung  des  Mitleides  zu 
den  angenehmen  gehört^). 


1)  Plat.  Phaedr.  268  c  f»"fjo6t<: olxxpocc   xal    xo6vavxtov   ah    «poßepac 

xal  ^iTCstXirjTtxÄc.  Aristot.  poet.  6  ^C  h\ioo  xal  <p6ßoü  u.  ö.  (was  er  unter 
foßoc  versteht,  erheUt  ans  c.  13  p.  1453  a  5  und  fXeoc  erörtert  er  rhetor. 
2,  8  p.  1385  b  11  ff.).  Quintü.  11,  3,  5.  Plutarch.  symp.  7,  8,  3.  Anon.  de 
com.  IV  6.  XI  1,  vgJ.  Vni  13. 

2)  Xenoph.  sympos.  3,  11.  Isoer.  paneg.  168.  Aeschin.  3, 153.  Plutarch. 
de  se  ipsum  laud.  17.  Alexand.  virt.  seu  fort  2,  1.  Pelopid.  29  (vgl.  Aelian. 
var.  bist.  14,  40).  Lucian.  Anach.  23.  Tox.  9.  Quintil.  11,  3,  5. 

3)  Diese  Beobachtung  führte  Aristoteles,  als  er  nach  Philosopbenart  den 
moralischen  Nutzen  des  Dramas  erforschte,  auf  die  vielberufene  Lehre  von 
der  Katharsis,  welche  wir  den  Gescbichtsschreibem  der  Philosophie  und  den 
Apologeten  des  Theaters  überlassen;  deutlicher  drückt  sich  Plutarch  ans 
(quaest.  symp.  3,  8,  2  a.  E.) :  4]  ^pirjvcpSia  xal  b  tKi.y.'rfitioz  atikh^  8v  äpyj^ 
icd^o^  xtvet  xal  Bdxpoov  IxßdXXsi,  TTpoctYCttV  ZI  ri]v  ^'OX'^v  sx<;  oixtov  oüxu)  xara 


Digitized  by 


Google 


158  VL  Kapitel. 

Als  Phrynichos  durch  seine  Schilderung  des  Falles  von 
Milet  die  Athener  in  einen  wirklichen  herzbewegenden  Schmerz 
versetzte,  musste  er  es  schwer  büssen  (S.  143).  Darum  hat  nie 
wieder  ein  Dichter  der  klassischen  Zeit  ein  historisches 
Drama  in  unserem  Sinne  gewagt^).  Die  zwei  Perserdramen, 
^ie  „Phönikerinen"  des  Phrynichos  und  Aeschylus'  „Perser*' 
spielen  aus  dem  nämlichen  Grunde  nicht  in  Griechenland  selbst, 
sondern  in  der  Ferne,  gewissermassen  auf  neutralem  Boden. 
Nicht  einmal  Gelegenheitsdichtungen,  wie  die  „Aetnäerinen" 
-des  Aescbylus  oder  der  euripideische  „Archelaos'*,  haben  sich 
<ier  allgemeinen  Regel  entzogen*).  Stand  es  etwa  auf  dem 
<jebiete  der  zeichnenden  Künste  anders?  Die  unabhängigen 
Künstler  —  ich  meine,  wenn  sie  keinen  offiziellen  Auftrag  zu 
^inem  Historiengemälde  hatten  —  entnahmen  vor  der  Zeit 
Alexanders  des  Grossen,  wo  der  irdische  Herrscher  alle  Rechte 
-des  Gottes  zu  beanspruchen  begann,  die  Motive  sämtlicher 
dargestellter  Handlungen  ausschliessUch  der  Sagenwelt.  Die 
einzigen  Ausnahmen  beziehen  sich  wieder  nur  auf  fremde 
Länder  ^)  und  die  berühmte  Dareiosvase  ist  aus  derselben  An- 
schauungsweise wie  jene  Perserdramen  erwachsen. 

Wie  der  Stoff  des  gesammten  Stückes  den  noch  unge- 
klärten Kämpfen  der  Gegenwart  nicht  entnommen  werden 
durfte,  so  waren  politische  Anspielungen  ausgeschlossen, 
weil  sie  bei  der  Leidenschaftlichkeit  des  Volkes  einen  grellen 
Misston  in  die  behagliche  Feststimmung  hineingetragen  hätten ; 
-durch   scharfe   Bemerkungen  gegen    die  unredlichen  Politiker 


jttxpöv  h^aipti  xal  ÄvaXioxct  tö  Xi)irfjttx6v,  Vgl.  Adod.  de  comoed.  XI.  1. 
Timokles  bei  Athen.  6,  223  cd.  Im  Widersprach  damit  zergliedert  Augustin. 
confess.  3,  2  sehr  fein  die  Lust  des  tragischen  Schmerzes.  Mark  Aurel 
(comm.  II,  6)  meint,  durch  den  Anblick  des  Unglücks  tragischer  Helden 
lerne  der  Unglückliche  sein  eigenes  Geschick  leichter  tragen,  was  bereits  der 
Komiker  Timokles  (fr.  6  bei  Athen.  6,  223  b)  scherzhaft  vorgetragen  hatte. 
Wie  sich  die  christlichen  Theologen  den  Nutzen  dieses  Unterrichtsmittels  zu- 
recht legten,  zeigt  Enstathios  opuscula  p.  88  XIII  c.  1 — 3. 

1)  O.  Bibbeck  über   einige  historische  Dramen  der  Griechen,   Rhein. 
Hns.  30,  145if.  Alfr.  Wagner  das  historische  Drama  der  Griechen,  Halle  1878. 

2)  „MaussoUos'^  des  Theodektes  (GeU.  10,  18,  7)  kann  wie  „Archelaos'' 
einen  gleichnamigen  Ahnen  vorgeführt  haben. 

3)  Vgl.  z.  B.  H.  H  ey  dem  an  n  Alexander  der  Grosse  und  Dareios  Kodo- 
jnannos,  Winckelmannsprogr.  von  Halle  1883  S.  8fif. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  159 

und  Maulhelden^)  oder  gegen  die  verhassten  Spartaner  fühlte 
sich  ja  kein  Athener  verletzt  oder  durfte  es  wenigstens  nicht 
bekennen.  Die  Alten  dachten  über  die  politische  Dichtung 
wie  Goethe  und  ihre  Dichter  übten,  was  Lessing  vortrefflich  in 
folgende  Worte  gekleidet  hat:  „Der  tragische  Dichter  sollte 
alles  vermeiden,  was  die  Zuschauer  an  ihre  Illusion  erinnern 
kann;  denn  sobald  sie  daran  erinnert  sind,  so  ist  sie  weg''^). 
Wenn  nun  der  Athener  dem  Schauspieler  einen  Sprachfehler, 
der  ihn  aus  der  Illusion  riss,  nicht  nachsah,  wie  hätte  er  eine 
politische  Anspielung,  wodurch  plötzlich  das  widrige  Gezanke 
der  Werktage  vor  seinem  Geiste  erschien,  aufgenommen? 
Solche  unzeitige  Worte  wären  am  ehesten  einem  Euripides 
zuzutrauen;  aber  wer  sie  geflissentlich  aufspürt,  verdient  von 
den  Dichtern  keinen  Dank^). 

Wenn  das  heitere  Fest  dem  Dichter  die  poetische  Ver- 
klärung der  Tragödien  des  täglichen  Lebens  verbot,  fiel  es 
andererseits  niemanden  ein ,  diesen  durch  das  fremdartige 
Kostüm  ferner  Länder  einen  künstlichen  Reiz  zu  verleihen. 
Die  Hellenen  begnügten  sich  gesunden  Sinnes  mit  ihren  herr- 


1)  Vgl.  Böckh  trag,  princip.  cap.  14  und  15;  Süvern  über  einige 
historische  nnd  politische  Anspielungen  in  der  alten  Tragödie,  Abhandl.  der 
Berl.  Akad.  1824  (Berliii  1826  S.  Iff.);  A.  de  Treverret  quae  in  Attica 
republica  partes  a  scenicis  scriptoribus  vulgo  defensae  fuerint,  th6se  von 
Paris  1868. 

2)  Hamburgische  Dramat.  42.  Stück  (S.  234  Hempel),  vgl.  Laokoon, 
Anhang  (Hempel)  6,  2. 

3)  Schon  die  Alten  schoben  manchen  Stellen  eine  politische  Beziehung 
unter  (z.  B.  Schol.  Eurip.  Orest.  772),  dann  besonders  Böckh  (s.  A.  1),  A.  L. 
G.  Jacob  Sophocleae  quaestiones  I.  Warschau  1821,  Süyern  s.  A.  1,  über 
den  historischen  Charakter  des  Dramas,  Abb.  der  Berl.  Akad.  1825  (1828 
S.  75if.)  und  Uebeis.  der  Sieben  g^;en  Theben;  O.Müller  Eumeniden  S.  115ff.; 
Herrn.  Zirndorfer  de  chronologia  fiEibularum  Euripidearum,  Marbu]:gl839; 
Henri  Weil  de  tragoediarum  Graecarum  cum  rebus  publicis  co^junctione, 
Paris  1845;  Heinr.  K  ölst  er  Sophoclesne  interdum  ad  sui  temporis  res  gestag 
nos  ableget  quaeritur,  Progr.  y.  Meldorf  1855;  Friedr.  Schmalfeld  Ztsch.  f. 
d.  Gymnadalw.  13  (1859)  S.  369ff.;  G.  Kotek  Historisches  in  den  Trag, 
des  Soph.,  Pr.  v.  Linz  1875 ;  Walter  Schmidt  qua  ratione  Eur.  res  sua 
aetate  gestas  adhibuerit  in  Heraclidis  potissimum  quaeritur,  Diss.  v.  Halle 
1881;  B.  y.  Braitenberg  die  historischen  Anspielungen  in  den  Trag,  des 
Soph.,   Pr.  y.  Prag-Neustadt  1881.    Ablehnend  yerhalten   sich  Lehrs  popu- 


Digitized  by 


Google 


160  VI.  Kapitel. 

liehen  natioualen  Sagen,  welche  ihr  volles  Interesse  in  Anspruch 
nahmen,  schon  deshalb,  weil  dort  königliche  Personen  auf- 
traten, welche  auch  gesinniingstüchtigen  Republikanern  mehr 
als  Ihresgleichen  imponieren  *).  Die  Tragiker  zogen  aus  jener 
Geschmacksrichtung  den  unermesslichen  Vorteil,  dass  sie  den 
Stoff  (oÄÖdeotc)  nicht  erst  aus  dem  Rohen  herauszuarbeiten, 
nicht  erst  in  eine  höhere  Sphäre  zu  versetzen  brauchten,  weil 
ihre  epischen  Vorläufer  schon  eine  poetische  Welt  daraus  ge- 
schaffen hatten;  denn  die  ganze  Tragödie  wurzelte,  wie  kein 
denkender  Grieche  verkannte,  in  dem  nationalen  Epos*),  so 
dass  Aeschylus  seine  Stücke  bescheiden  als  AbfiOle  von  Homers 
Tafel  bezeichnete  *). 

Dieses  Verhältnis  hat  mit  dem  zwischen  der  spätmittel- 
alterlichen Novellistik  und  den  Dramatikern  des  sechzehnten 
und  siebzehnten  Jahrhunderts  obwaltenden  eine  nicht  mehr 
als  oberflächliche  Aehnlichkeit ;  denn  das  Epos  war  in  Athen 
allen  Zuschauern  von  der  Schule  her  und  durch  öffentliche 
Deklamationen  vollkommen  geläufig.  Infolge  dessen  fiel  jed- 
wede romanhafte  Spannung  von  vornherein  weg,  im  Gegenteil 
war  das  Publikum  an  das  Alte  so  gewöhnt,  dass  die  jüngeren 
Tragiker  die  nämlichen  Stoffe  wie  ihre  Vorgänger  behandeln 
durften;  wenn  nur  ein  wichtiges  neues  Motiv  hineingebracht 
wurde,    sprach   kein  Mensch  von  Plagiat*)*     Auf  diese  Weise 

läre  Aufsätze  ans  dem  Altertum  S.  '71  und  Victor  Gützlaff  qnaestioniim 
de  tragicis  res  gestas  sui  temporis  respicientibns  epicrisis,  Diss.  v.  Königs- 
berg, Halle  1865,  anch  Mommsen  römische  Geschichte  I  •909, 

1)  Vgl.  Synesins  de  regno  c.  3  (col.  1060  b  Migne).  Antik  gedacht  ist, 
was  Schiller  sagt:  „Was  kann  denn  dieser  Misere  grosses  begegnen,  was  kann 
grosses  denn  durch  sie  geschehen?" 

2)  Plato  rep.  10,  598  d  rf|v  xt  tpaY^Stav  xal  xiv  4|Y8p.6va  aörrj^  "Ojjtirjpov. 
Dieser  Gedanke  durchzieht  die  aristotelische  Poetik.  Vgl.  Max  Lechner  de 
Aeschyli  studio  Homerico,  Pr.  v.  Erlangen,  Berlin  1862  u.  de  Sophode  poeta 
'OjjtfjptxcütdKj),  Pr.  V.  Erlangen  1859;  Ludw.  Schmidt  über  die  epischen 
Keminiscenzen  bei  Aesch. ,  Langbeins  pädag.  Archiv  5,  430 ff.  609 ff.  730  ffl 
6,  416 ff.  J.  Hemmerling  Sophocles  quo  jure  Homeri  Imitator  dicatur,  Pr. 
V.  Köln  1869;  auch  Bruhns  Jahrbb.  Suppl.  15,  300  ff. 

3)  Athen.  8,  347  e. 

4)  Davon  ist  überhaupt  nur  bei  Enripides'  Medea  die  Bede.  Selbst 
Verse  wurden  mit  geringen  Aenderungen  wiederholt,  s.  Böckh  trag, 
princip.  p.  243 ff. ;  Fr.  Schröder  de  iteratis  apud  tragioos  Graecos,  Dlss. 
V.  Strafisburg  1882. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


Technik  der  Tragödie.  161 

konnte  die  beim  ersten  Hören  frappierende  Erscheinung  ein- 
treten, dass  der  von  den  Tragikern  bearbeitete  Sagenkreis  im 
Laufe  der  Zeit  enger  wurde*),  während  man  von  vornherein 
vermuten  sollte,  die  Späteren  hätten  lieber  ein  unbekanntes 
Feld  aufgesucht,  statt  sich  auf  Sagen  von  erprobter  Wirkung  zu 
beschränken.  Es  kam  sogar  vor  —  bei  Sophokles  ist  der  Nach- 
weis noch  möglich  — ,  dass  ein  und  derselbe  Dichter  den  näm- 
lichen Stoff  mehr  als  einmal  bearbeitete. 

*  Diesen  Zustand  ermöglichte  ausser  der  Genügsamkeit  des 
Publikums  die  grosse  Freiheit,  womit  der  Tragiker  die 
Mythen  zurechtmachen  durfte.  Da  die  Sagen  sowohl 
bei  den  epischen  Gewährsmännern  als  in  der  mündlichen  Ueber- 
lieferung  erheblich  von  einander  abwichen,  ja  zum  Teil  sich 
widersprachen,  bestand  kein  religiöses  Bedenken  gegen  ein- 
schneidende Umbildungen;  dennoch  dürfte  der  praktische  Ge- 
danke, dass  Missverständnisse  eintreten  könnten  und  die  Ex- 
position erschwert  würde,  die  besonnenen  Dichter  von  der  Ver- 
werfung einer  fest  eingewurzelten  Sagenform  in  der  Regel 
abgehalten  haben,  z.  B.  mussten  Klytaimestra*)  und  Eriphyle 
auf  jeden  Fall  durch  ihre  Söhne  sterben,  während  die  näheren 
Umstände  der  That  beliebiger  Umgestaltung  unterlagen').  Ausser- 
dem durften  die  athenischen  Tragiker  den  Ueberlieferungen 
ihres  Volkes  nicht  zu  nahe  treten,  wogegen  eine  den  Ruhmes- 
glanz der  Stadtgeschichte  erhöhende  Ausschmückung  und  Aus- 
gestaltung derselben  bei&Uiger  Aufnahme  sicher  war;  die  Tragödie 
hat  in  der  That  an  dem  merkwürdigen  Anwachsen  des  atheni- 
schen Legendenkranzes  den  Hauptanteil  gehabt*). 

Statt  eine  Handlung  frei  erfinden  zu  müssen,  suchte  der 
hellenische  Tragiker  in  dem  überkommenen  Vorwurfe  eine  ein- 
heitliche Grundidee^),  von  welcher  aus  er  denselben  poetisch 
durchdringen  konnte,    indem  das  füi*  seinen  Zweck  Uubraucb- 

1)  Aristot.  poet.  13  p.  1463a  19ff. 

2)  Ich  bediene  mich  dieser  Fonn,  weil  Papageorgios  und  Wecklein  ihre 
Richtigkeit  nachgewiesen  haben. 

3)  Vgl.  Aristot.  poet.  14  p.  1453  b  22  ff. 

4)  Vgl.  Schol.  Sophocl.  Oed.  Col.  457  icoXXaxoö  81  ol  xpaYtxol  x^p^Coytat 
täte  icttTpiotv  fvta. 

5)  Vgl.  Aristot.  poet.  14  p.  1453  b  25  ff.  aJtöv  e6pioxeiv  Sei  xal  xotc 
:capa8e3op.evoi(;  XP^°^°^-  xaXtt>c> 

Slttl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  III.  n 


Digitized  by 


Google 


162  VI.  Kapitel, 

bare  wegblieb  und  dafür  die  notwendigen  Bindeglieder  eintraten. 
Aeschylus  fand  den  springenden  Punkt  der  Handlung  mehr 
ausserhall;>  der  handelnden  Personen  in  dem  Walten  einer  über- 
irdischen Macht.  Bei  Euripides,  dem  Vertreter  des  entgegen- 
gesetzten Extremes,  überwiegt  die  alles  fortreissende  Gewalt 
einer  menschlichen  Leidenschaft,  wenn  anders  ihm  die  Auf- 
stellung eines  einheitlichen  Planes  gelingt.  Am  höchsten  steht 
Sophokles ,  weil  er  stets  die  gesamte  Handlung  aus  dem 
Charakter  der  Hauptpersonen  heraus  zu  entwickeln  sich  be- 
müht, so  dass  die  Ereignisse  nicht  nach  einander,  sondern  aus 
einander  „notwendig  wie  des  Baumes  Frucht**  erfolgen. 

Nach  einem  solchen  Grundgedanken  also  formt  der  Dichter 
die  überlieferten  Mythen  um.  Leider  ist  uns  kaum  hie  und 
da  ein  Blick  in  diesen  wichtigen  Teil  des  poetischen  Schaffens 
gegönnt ,  weil  der  fast  gänzliche  Verlust  so  vieler  Epen 
und  lyrischer  Dichtungen  die  zuversichtliche  Beantwortung 
der  Frage,  was  an  dem  Stoffe  eines  Stückes  der  Ueberlieferung 
und  was  der  Phantasie  des  Dichters  entsprungen  ist,  erschwert, 
wenn  nicht  unmöglich  macht  ^).  Zaghaft  waren  aber  die  Tragiker 
sicherlich  nicht,  wie  hätte  sonst  Sophokles  den  Inhalt  der  „Anti- 
gene" und  des  „Oedipus  auf  Kolonos"  so  gut  wie  völlig  zu 
erfinden  gewagt?  Gerade  an  der  Oedipussage  mag  man  die 
Art,  wie  die  Dichter  je  nach  Bedürfnis  eine  Sage  in  verschie- 
denen Stücken  verschieden  vorführen,  mit  grosser  Belehrung 
beobachten  *). 

Aus  dem  Wegfall  mühsamer  Vorarbeiten  und  langen  Suchens 
nach  einem  geeigneten  Stoffe,  wovon  der  Nachlass  unserer  Dra- 
matiker traurige  Kunde  gibt,  entsprang  die  Möglichkeit  rascher 
Produktion.     Wie  nutz  voll  aber  dieselbe  für  die  Tragiker  war, 


1)  Diese  Unteisnchungen  wurden  besonders  von  Welcker  in  Floss  ge- 
bracht und  sind  sowohl  in  den  neueren  erklftrenden- Ausgaben  der  einzelnen 
Tragödien  als  auch  in  vielen  Abhandlungen  erörtert. 

2)  Friedr.  Lübker  die  Oedipus-Sage  und  ihre  Behandlung  bei  Sophokles, 
Progr.  V.  Schleswig  1847  u.  Gesammelte  Schriften  1852  S.  BOff,;  Fr.  W. 
Schneidewin  die  Sage  von  Oedipus,  Verb,  der  GÖtt.  Ges.  der  Wiss.  1851 
Bd.  5;  Heinr.  Otte  de  fabula  Oedipodea  apud  Sophoclem,  Berlin  1879;  H. 
Geist  de  fabula  Oedipodea,  Pr.  v.  Bndingen  1879;  A.  Ste in berg er  Blätter 
£  bayer.  Gymnasialw.  22,  260  ff.  — .  üeber  Variationen  der  nämlichen  Sagen 
bei  Euripides  Böckh  trag,  princip.  p.  258. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  163 

mag  Goethe  uns  lehren;  er  schreibt  an  Schiller  (II*  S. 6):  „Das 
.«cheint  mir  offenbar  beim  dramatischen  Dichter  notwendig,  dass 
6r  oft  auftrete,  die  Wirkung,  die  er  gemacht  hat,  immer  wieder 
erneuere  und,  wenn  er  das  Talent  hat,  darauf  fortbaue."  Dichter 
nun,  die,  wie  die  meisten  Attiker  wenige  Jahre  vorübergehen 
Hessen,  ohne,  nicht  etwa  ein  Stück,  sondern  deren  vier  einzu- 
reichen, erlangten  dadurch  notwendig  eine  ausgezeichnete  Bühnen - 
routine. 

Andererseits  brachte  die  Begrenztheit  der  tragischen  Stoffe 
auch  eine  grosse  Gefahr  mit  sich.  Je  öfter  nämlich  die  gleiche 
Sage  bearbeitet  wurde,  desto  mehr  wurden  die  Dichter,  damit 
sie  etwas  neues  böten,  zu  Spitzfindigkeiten  und  zu  raffinierter 
Verwicklung  des  Konfliktes  getrieben;  dieser  Fluch  des  Epi- 
gonentums lastet  auf  verschiedenen  Stücken  des  Euripides^) 
und  doch  war  dieser  Dichter  lange  nicht  der  kühnste ;  so  tötete 
bei  Astydamas  Alkmeon  seine  Mutter  unwissentlich^.  Man 
ging  noch  weiter  und  behielt  aus  der  Ueberlieferung  bloss  ein 
oder  zwei  Hauptpersonen  bei,  die  in  eine  beh'ebig  erfundene 
Umgebung  versetzt  wurden^). 

Jetzt  fehlte  nur  mehr  ein  kleiner  Schritt,  damit  nach  Art 
der  Komödie  die  ganze  Handlung  erfunden  ward.  Von 
derartigen  Versuchen  ist  uns  bloss  Agathons  ),Anthos"  dem 
Titel  nach  bekannt*).  Doch  war  das  alte  Griechenland  für  die 
Gattung  des  romantischen  Schauspiels*  kein  günstiger  Boden ; 
man  darf  stark  zweifeln,  ob  Agathon  und  seine  Genossen,  wie- 
wohl „Anthos"  nach  AriÄoteles'  Versicherung  gefiel,  für  solche 
traditionswidrige  Dichtungen  überhaupt  eine  Bühne  fanden  und 
nicht  vielmehr  an  gebildete  Zirkel  allein  sich  wandten. 

Das  fest  umschriebene  Stoffgebiet  bedingt  den  Kreis,  aus 
welchem  der  Dichter  seine  Personen  (xpöGco^a)  wählt.  Die  Haupt- 
spieler sind  regelmässig  Glieder  von  Königsfamihen  der  Heroen- 

1)  lieber  die  Sagenbebandlong  des  Earipides:  M.  Mayer  de  Euripidis 
mythopoeia,  Berlin  1884  (über  die  troischeD  Sagen);  Fuchs  aber  die  Mythen- 
behandlnng  des  Earipides,  Pr.  v.  St.  Gallen  1859/60. 

2)  Aristot.  poet.  U  p.  1453  b  32. 

3)  Aristot.  poet.  9  p.  1451b  19. 

4)  Aristot.  poet.  a.  O.  Z.  21;  vgl.  Isoer.  9,  36.  florat.  a.  p.  125  flf. 
Jedenfiedls  gehört  aach  das  Miya  dp&p.«  des  Ion  hieher;  man  bemerke,  dass 
es  nicht  Mc^aX-r]  xpaY^Sia  heisst. 

11* 


Digitized  by 


Google 


164  VI.  Kapitel. 

zeit  in  mannigfachen  Altersstufen.  Daß  Jünglingsalter  bildet 
nach  unten  keine  entschiedene  Grenze.  Schon  Sophokles  brachte- 
im  Aias  ein  Kind  auf  die  Bühne  und  Hess  dem  verzweifelnden 
Oedipüs  seine  zwei  weinenden  Töchterchen  zuführen  *),  ein  Rühr- 
mittel, das  Euripides,  zumal  für  Abschiedsscenen,  weidhch  aus- 
beutete ;  weil  Kinderstimmen  für  das  ungeheuere  Theater  nicht 
ausgereicht  hätten,  schwiegen  sie  in  der  Regel*)  und  in  der 
„Medea"  hört  man  sie  hinter  der  Bühne  jammern.  Knaben 
sprechen  oder  singen  aber  in  der  „Alkestis"  und  „Andromache**^ 
und  die  „Schutzflehenden'*  (V.  1123  ff.)  enthalten  sogar  einen 
Kinderchor.  Menoikeus  und  Antigone  in  den  „Phönissen"  sind 
zwar  dem  Kindesalter  entwachsen,  aber  doch  jugendlich*). 

In  der  Umgebung  der  fürstlichen  Personen  ragen  die  altert 
Diener  hervor,  welche  als  ihre  Erzieher  durch  Pietätsbande  mit 
ihnen  verbunden  und  ihre  zuverlässigsten  Vertrauten  sind ;  da- 
rum hat  der  Pädagog,  wenn  er  auch  in  den  „Phönissen"  und 
„Medea"  unschwer  zu  ersparen  gewesen  wäre,  in  den  beiden 
Elektren  und  Ion  eine  *  bedeutende  Rolle  auszufüllen*  Dia 
Amme  kommt  zwar  schon  in  den  „(Jhoephoren*'  und  der 
sophokleischen  „Niobe"*)  vor,  ist  aber  erst  bei  Euripides  eine 
fast  ständige  Begleiterin  der  Königin  und  erfährt  deren  ge- 
heimste Gedanken,  wofür  sie  ihr  auf  guten  und  schlechten  Wegen 
Hilfe  leiht.  Diese  euripideische  Figur  gewann  eine  solche  Popu- 
larität, dass  die  Künstler  der  alexandrinischen  Zeit  bei  heroi- 
schen Scenen  sehr  gerne  die  Amme  als  Nebenperson  anbringen  *). 
Ihr  ist  die  Kammerfrau  der  neueren  Tragödie  nachgebildet. 
Spielt  ein  Stück  bei  Asiaten,  so  vertritt  die  Stelle  des  Pädagogen 
der  Eunuch,  welcher,  zuerst  von  Phrynichos  in  den  „Phöni- 
kerinen''  vorgeführt,  im  sophokleischen  „Troilos**  auftrat^);  ohne 


1)  Fr.  779  D.  =  736  N.  ist,  wie  Nauck  und  Dindorf  sahen,  schwerlich 
von  Sophokles. 

2)  In   Hekabe,    Herakles,    Herakliden,    Iphigenie    in   Aulis,    Troerinen, 
Hypsipyle  (fr.  756  Nauck)  und  Telephos  (ßibbeck  römische  Tragödie  S.  108). 

3)  Dagegen    wird  Ion    mit   Unrecht   hieher  gezählt    (V.  316.  322.  78a 
794,  auch  102).     Vgl.  im  allgemeinen  Horat.  a.  p.  168  ff. 

4)  Plutarch.  quaest.  symp.  G,  6,  2. 

5)  Vgl.  O.  Jahn  archäologische  Beiträge  S.  355  A.  9. 

6)  Fr.  549  Dindorf. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  165 

Uot,  um  der  blossen  Seltsamkeit  willen  kommt  ein  solcher  im 
^»Orestes"  des  Euripides  vor. 

Von  freien  Männern  gelten  in  der  Regel  nur  Priester, 
Seher  und  Herolde,  welche  der  Schutz  der  Gottheit  adelt,  für 
bühnenfähig,  wogegen,  abgesehen  von  den  Botenrollen,  dem 
^igentUchen  Volke  oder  auch  den  Aeltesten  desselben  der  Chor 
^ein  offen  steht.  Erst  der  Realist  Euripides  hat  in  der  „Elektra" 
«inen  freien  Bauersmann  eingeführt;  im  „Rhesos*'  kommen  der 
AUS  Homer  bekannte  Dolon  und  Rhesos'  Wagenlenker  zum 
Worte  ^).  Vielleicht  gehört  Euripides  auch  das  „imglückliche 
-alte  Weiblein'*,  dessen  Maske  in  den  griechischen  Theatergar- 
-deroben  sich  befand  ^.  Sophokles  folgte  ihm  in  seinem  letzten 
Stücke  mit  dem  „Mann  von  Kolonos".  Euripides  neigte  sich 
unverkennbar  der  bürgerlichen  Tragödie  zu');  es  ist  bemerkens- 
wert, dass  niemand  den  Gedanken  aufnahm  und  fortbildete, 
-da  doch  in  dem  demokratischen  England  die  politischen  Ver- 
hältnisse naturgemäss  das  bürgerliche  Trauerspiel  erweckten. 
Dem  stand  eben  in  Griechenland  die  Ideen  Verbindung  von  Tra- 
gisch und  Heroisch  entgegen. 

Den  König^i  fehlt  also  eigentlich  eine  Folie;  denn  dafür 
kann  man  die  Sklaven  nicht  ansehen,  welche  meistens  Boten 
oder  Wächter  zu  sein  pflegen  und  manchmal  einen  etwas  komi- 
-schen  Anstrich  haben,  wie  der  Wächter  des  „Agamemnon** 
und  der  „Antigone*^  wenn  sie  ihr  beschränktes  Eigeninteresse 
inmitten  der  grossartigen  Ereignisse  ängstlich  wahrnehmen. 
Indes  duldet  die  Würde  des  griechischen  Trauerspiels  keinen 
fio  starken  Kontrast,  wie  ihn  Shakespeare  mit  der  Amme  in 
^,Romeo  und  Julie*'  und  dem  Wächter  im  „Macbeth**  wagt. 

Die  griechischen  Dichter  fürchteten  offenbar  ihr  Publikum 
-durch  viele  Rollen  zu  verwirren,  ja  sie  muteten  ihm  nicht  ein- 
mal die  Namen  aller  Spieler  zu.  Wenn  man  statt  der  Personen- 
Verzeichnisse  die  Stücke  selbst  liest,  wird  man  leicht  bemerken, 
4la8S  untergeordnete  Personen   und  Kinder   keinen   Namen 


1)  Jenem  entspricht  Theraites  in  Chairemons  *AxiXXt6c  Otpoixoxtövoc 
<8.  Aoch  Aliston  bei  Diogen.  L.  7,  160),  diesem  der  Knappe  im  „Phaethon^^ 
(Blass'  Ansgabe  p.  13). 

2)  Pollüx  4,  139. 

3)  Aristoph.  Ban.  952  hyi\i.o%pav,%by  y^P  <^^'c'  iicoioov. 


Digitized  by 


Google 


166  VI.  Kapitel. 

tragen*),  selbst  wenn  der  Dichter  durch  seine  Quellen  der 
Erfindung  überhoben  gewesen  wäre ;  der  aus  Homer  allbekannte 
Herold  Talthybios  in  der  „Hßkabe"  und  Eurysakes,  dessen 
Name  ein  charakteristisches  Attribut  seines  Vaters  Aias  ver- 
gegenwärtigt, sind  kaum  als  wahre  Ausnahmen  zu  bezeichnen  *). 
Stets  dem  Grundsatze,  dass  alles  Ueberflüssige  störend'  sei, 
getreu,  beschwerten  die  Dichter  das  Gedächtnis  der  Zuschauer 
nicht  durch  unnötige  Namen,  sondern  sorgten  teils  durch  das^ 
Gespräch,  teils  durch  stehende  Eigentümlichkeiten  der  Kleidung 
für  die  klare  Sonderung  der  Rollen.  Eine  feste  Kostümregel 
bildete  sich  allerdings  erst  mit  der  Zeit.  In  dem  ältesten 
Stücke  des  Aeschylus  zeigte  der  König  von  Argos  seine  Würde 
noch  nicht  äusserlich ') ,  aber  schon  Xerxes  und  Aigisthoa 
müssen  an  Diadem  und  Scepter  erkennbar  gewesen  sein*)^ 
einer  Auszeichnung,  die  später  ausser  den  regierenden  Königen 
Achilleus  und  seinem  Sohne  zustand  ^).  Den  Odysseus  charak- 
terisierte, wie  in  der  gesamten  Kunst,  die  Schiflferkappe ^, 
Herakles  und  Theseus  die  Keule').  Kassandra,  die  Pythia 
und  Teiresias  erkannte  jedermann  sofort  an  dem  Propheten- 
kostüm ^.  Pädagog  und  Amme  waren  ebenfalls ,  jener  durch 
den  weissen  Ueberwurf,  diese  durch  den  von  hinten  zum 
Scheitel  emporgezogenen  Sh&wl,  allen  kenntlich;  wer  hätte 
vollends,   wenn  er  einen  Heroldstab  sah*),   gezweifelt,  dass  er 


1)  Siegr.  Pfaff  wie  haben  die  griechischen  Tragiker  die  auflretendea 
Personen  kenntlich  gemacht?  Pr.  v.  Schweinfürt  1856;  E.  Hill  er  Herme» 
8,  444ff.;  Wilamowitz  analecta  Earipidea  p.  186f.  199ff. 

2)  Noch  weniger  der  Sklavenname  KiXtooa  (Aesch.  Cho.  732). 

3)  Aesch.  Snppl.  247  f. 

4)  Die  Könige  tmgen  auch  das  x6Xica>}ia  PoUux  4,  116. 

5)  Donatas  de  comoedia  p.  11, 17  ff.;  bestätigt  dnrch  ein  pomp^'anische» 
Gemälde  (Monum.  d.  Inst.  11,  T.  30,  4,  auch  A.  MüUer  S.  227). 

6)  Donatus  de  comoedia  p.  11,  13  ff. 

7)  Daran  werden  sie  Alcest.  476  ff.  und  Hipp.  790  ff.  Suppl.  87  ff.  sofort 
erkannt. 

8)  Aesch.  Ag.  1265  oxYjirtpa  xal  }iavt»ia  «tpl  Hpr^  0Te«p*r],  vgl.  1269^ 
Eurip.  Tro.  256;  Teiresias  in  der  „Antigone"  und  den  „PhÖnissen*'.  Die^ 
Priester  trugen  das  netzartige  ä'(pr^/6v  (Pollux  4,  116,  s.  Literatur  bei  A» 
Müller  S.  235  A.  3,  dazu  Stephan!  €k>mpte  rendu  de  Tacad.  de  St.  Petersb.. 
p.  ra.  1870/1  p.  185  f.). 

9)  PoUux  4,  117. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  167 

einen  Herold  vor  sich  habe?  Aeschylus  trieb,  weil  er  an  Zu- 
schauer, nicht  an  Leser  dachte,  die  Sparsamkeit  mit  Worten 
so  weit,  dass  er  in  den  „Persern"  Xerxes  und  Dareios  allein 
nannte,  während  er  den  natürlich  viel  weniger  bekannten 
Namen  Atossas  bei  Seite  liess*).  Durch  die  langen  Personen- 
verzeichnisse der  shakespearischen  Dramen  dürfen  wir  uns 
nicht  zu  einer  blendenden  Antithese  verleiten  lassen,  weil  auch 
der  englische  Dichter  im  Stücke  selbst  die  Namen  viel  spar- 
samer anwendet,  z.  B.  wird  im  „Macbeth*'  der  König  Duncan 
erst  in  der  fünften  Scene  beiläufig  genannt,  wie  die  Athener 
in  der  „taurischen  Iphigenie"  erst  durch  V.  1285  erfuhren, 
wie  der  skythische  König  heisst. 

Mit  diesem  begrenzten  Kreise  von  Personen  war  die  Frei- 
heit der  Wahl  nicht  abgeschlossen,  weil  in  jedweder  griechischen 
Dichtung  die  Götter  leibhaftig  erschienen.  Dionysos  durfte 
natürlich,  wie  im  Satyrspiel,  so  auch  auf  der  tragischen  Bühne, 
die  ja  für  sein  Eigentum  galt,  unbehindert  auftreten*).  Aber 
schon  Phrynichos  wagte  den  Todesgott  in  eigener  Person  zu 
Alkestis  heraufzufiihren  ^).  Dann  hat  Aeschylus,  grossartig  wie 
er  war,  übermenschliche  Wesen  sogar  mit  Vorliebe  herange- 
zogen; das  grösste  Wagnis  bezeichnet  seine  Prometheustrilogie, 
wo  der  einzige  Herakles  und  lo  die  Menschheit  vertraten,  eine 
Kühnheit  der  Phantasie,  die  sonst  nur  die  „Gigantomachie** 
eines  unbekannten  Tragikers  anstrebte*).  Wie  ragt  dann  ferner 
die  Götterwelt  bei  Aeschylus  herein  in  den  „Pflegerinen  des 
Dionysos'*,  „Phorkiden",  „Heliaden",  „Kabiren"  und  „Nereiden", 
in  der  berühmten  „Seelenwägung"^),  den  „Eumeniden"  und 
auch  in  den  „Phrygem",  an  deren  Anfang  Hermes  mit  Achil- 
leus  spricht^.    Sophokles  und  Euripides  pflegen  das  Eingreifen 


1)  In  den  heutigen  „Herakliden"  kommt  der  Name  der  Heldin  Makaria 
nirgends  yor.  Usener  Rhein.  Mas.  23,  157  vermutet,  dass  er  in  einer  ver- 
lorenen Stelle  stand,  s.  aber  U.  v.  Wilamowjtz  analecta  Euripidea  p.  255 f. 

2)  Ausser  in  vorSschyleischen  Stücken  ist  er  jetst  noch  in  den  „Bak- 
chen^*  des  Euripides  und  im  „Dionysos"  des  Chairemon  nachweisbar. 

3)  Fr.  8  bei  Serv.  Verg.  Aen.  4,  694. 

4)  Die  Gigantomachie  wird  Argum.  Aristoph.  Av.  n.  als  tragischer  Stoft 
genannt ;  Gigantenmasken  zfthlt  Polluz  4, 142  unter  dem  Bühnenapparat  auf. 

5)  PoUux  4,  130;  vgl.  Vita  AeschyU  Z.  %f. 

6)  Vita  Aeschyli  Z.  36 ff.;  Tbetis  fr.  281 D. 


Digitized  by 


Google 


168  VI.  Kapitel. 

der  Götter  auf  die  Katastrophe  und  den  Prolog,  wovon  wir 
später  sprechen  wollen,  zu  beschränken  und  weisen  diesen 
hilfreichen  Gewalten  einen  Balkon  hoch  oben  in  der  Luft  (*so- 
XoYslov)  an  *).  Ausserdem  helfen  Atibene  und  Demeter  im 
„Aias",  „Rhesos**  und  „Triptolemos'*  •)  persönlich  und  Iris 
geleitet  die  Lyssa  in  Herakles'  Haus;  auch  der  „Asklepios'* 
des  Aristarchos  ^)  und  die  „Mören*'  des  Achaios  *)  gehören 
ihrem  Titel  nach  hieher.  Damit  ist  aber  das  Vorkommen  von 
Göttern  noch  lange  nicht  erschöpft;  denn  Pollux,  dessen 
Gewährsmann  die  Tragiker  noch  vollständig  las,  verzeichnet 
ausserdem  Gorgo,  Dike,  Hören,  Nymphen,  Pleiaden,  Triton, 
Berg'  und  Flüssgötter,  Kentauren  und  sogar  den  hundert- 
äugigen  Argos^).  Man  hatte  also  nicht  einmal  gegen  die 
Vorführung  mythologischer  Mischwesen  Bedenken.  Selbstver- 
ständlich traten  die  Götter  in  derjenigen  ^Gestalt  auf,  wie  sie 
das  Volk  abgebildet  zu  sehen  gewohnt  .war,  weshalb  der 
Tragiker  nur  auf  ihr  Erscheinen  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken 
brauchte,  damit  das  Publikum  sie  sofort  erkannte.  Sophokles 
scheint  an  den  Theatergöttern  den  wenigsten  Gefallen  gefunden 
zu  haben ;  darum  verwendete  er  sie  nicht  nur  am  seltensten, 
sondern  Hess  im  „Aias"  nur  die  Stimme  Athenes  ertönen,  was 
darauf  im  „Rhesos'*  wiederholt  und  übeilxieben  wurde  ^). 

Die  Griechen  waren  durch  ihren  Kultus  an  allegorische 
Personifikationen  so  gewöhnt,  wie  das  Roccocozeitalter durch 
die  Kunst.  Dies  benätzten  die  Tragiker,  um  da,  wo  der  moderne 
Dichter  eine  getreue  psychologische  Schilderung  anstrebt,  mensch- 
liche Affekte  verkörpert  einzuführen.    Wir  könnten  aus  jedem 


1)  A.  Müller  S.  151  ff. ;  dort  erschienen  ancb  Iris  n.  Lyssa  im  „rasenden 
Herakles"  (V.  815  ff.). 

2)  Dionys.  Halic.  antiq.  Rom.  1,  12. 

3)  Aelianns  bei  Snid.  n.  'Apiotapxoc. 

4)  Nanck  fragm.  p.  588  f. 

5)  4,  14 f.;  §.  126  spricht  er  von  Meeresgöttem;  Härtung  Euripides 
restitntns  U  p.  844  nnd  Robert  ArchäoL  Ztg.  1878  8.  18  vermuten,  daes 
am  Anfonge  der  „Andromeda"  Echo  personificiert  auftrat;  aber  stünde  dann 
die  zu  einem  hochberühmten  Stücke  gehörige  Maske  nicht  bei  Polluz  auf- 
geführt? 

6)  Auf  der  späteren  Bühne  erschien  Athene  im  „Aias"  leibhaftig,  wie 
das  Scholion  zu  V.  14  andeutet;  aber  der  „Bhesos*S  wo  Athene  unmittelbar 
darauf  als  Aphrodite  zu  Paris  spricht,  zeigt  das  Richtige. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  1  65 

der  drei  Meister  bloss  eiuen  einzigen  Fall  nennen^),  wenn 
nicht  wieder  Poliux  auf  Grund  der  verlorenen  Stücke  eine 
ganze  Liste  gäbe  *) :  Apate,  Hybris  %  Lyssa,  Methe  *) ,  Oistros, 
Oknos  (eine  von  Polygnot  dargestellte  Figur  des  Volksmärchens  % 
Peitho  (die  Begleiterin  Aphrodites)  und  Phthonos^.  Man  sieht, 
dass  die  Tragiker  namentlich  das  plötzliche  Auftauchen  einer 
Sinnesverwirrung  oder  einer  frevelhaften  Leidenschaft  dufth 
solche  dämonische  Wesen  verständUch  zu  machen  suchten ; 
dazu  hatten  freüich  die  Künstler  mehr  Berechtigung,  die  denn 
nach  Ausweis  der  jüngeren  Vasenbilder  den  von  der  Tragödie 
gewiesenen  Weg  gingen^). 

Ein  modemer  Betrachter  könnte  aus  dieser  Personenüber- 
eicht  das  Vorurteil  fassen,  es  müsste  sich  etwas  daraus  ergeben 
haben,  was  dem  Drama  des  siöcle  de  Louis  quatorze  und  im- 
seren  Haupt-  und  Staatsaktionen  gliche.  Obschon  nun  die 
Tragödie  der  Griechen  äusserlich  zu  der  AUtagswelt  keine  Be- 
ziehungen hatte,  wurde  ihr  Lebeusstrom  trotzdem  nicht  unter- 
bunden, weil  die  gesellschaftlichen  Verhältnisse  und  Formen 
der  Griechen  höchst  ungezwungen  und  ihre  Götter  voll  Mensch- 
lichkeit waren.  Die  Darstellung  einer  längst  vergangenen  Zeit 
führte  glückhcherweise  nicht  zum  sogenannten  Alexandrinertum, 
da  die  vor  dem  Stimrunzeln  der  Grammatiker  sicheren  Tragiker 
keineswegs  ängstlich  frugen,  ob  etwa  ein  Anachronismus 
unterlaufe*);  dieser  gerechtfertigten  Gleichgiltigkeit  verdanken 
wir  Sophokles'  prächtige  Schilderung  des  pythischen  Wettfahrens, 


1)  Lyssa  in  den  Sdvrpiai  des  Aeschylns  (fr.  165  bei  Phot.  Suidas  a. 
^toicoov)  und  im  „rasenden  Herakles"  des  Euripides  (vgl.  Baccb.  977);  Apate 
im  s^hokleischen  „Tereus". 

2)  4,  142. 

3)  In  Athen  verehrt  Zenob.  4,  36;  in  einem  Orakel  bei  Herodot.  8,  77. 

4)  Von  Pausias  gemalt  Paosan.  2,  27,  3,  vgl.  anch  6,  24,  8. 

5)  Preller  griech.  Mythologie  V  682. 

6)  Vgl.  Eurip.  Troad.  768. 

7)  &.  Körte  aber  Personifikationen  paychologisdier  Affekte  in  der 
fip&teren  Vasenmalerei,  Berlin  1874.  Durch  Beischriften  sind  ausser  Peitho 
und  Eris  gesichert:  Apate,  Mania,  Oistros  und  Phtfaonos. 

8)  Carl  G Ocker  Sophocles  quomodo  remm  sui  temporis  statum  in 
heioioam  aetatem  transtnlerit  L  Göttingen  1866;  F.  Gast  et  s  Sopfaodem 
aequaliam  snorom  mores  in  tragoedüs  saepius  imitatum  esse  oontenditur, 
Diss.  ▼.  Paris,  Nimes  1873. 


Digitized  by 


Google 


170  VI.  Kapitel. 

welche  die  Scholiasten   vor   pedantischer  Bedenklichkeit  nicht 
recht  würdigen* 

Statt  Marionetten  und  leeren  Gebilden  der  Phantasie  traten 
lebenswahre  Personen  auf.  Von  den  Charakteren  der  älteren 
Tragödie  allerdings  gilt  ohne  Zweifel  das  gleiche,  was  man  den 
Göttergestalten  der  archaischen  Kunst  gesagt  hat,  dass  sie  haupt- 
säJjhlich  durch  Aeusserlickeiten  von  einander  unterscheidbar 
seien.  Die  Schuld  lag  nicht  allein  an  dem  Ungeschick  der 
Künstler  und  Dichter,  sondern  ein  äusserer  Grund  wirkte  wesent- 
lich mit. 

Dass  nämlich  der  Schauspieler  nicht  mit  unverändertem 
Gesichte  auftrat,  versteht  sich  von  selbst.  So  lange  nun  ein 
einziger  für  alle  Rollen  aufkam,  musste  er  zu  wiederholten 
Malen  die  Kleidung  wechseln.  Dazu  war  allerdings  während 
des  Chorgesanges  Zeit  vorhanden,  aber  war  es  ihm  auch  mög- 
lich, dass  er  ausserdem  sein  Gesicht  so  umgestaltete,  dass 
man  beispielsweise  statt  eines  Greises  eine  Frau  erblickte?  Denn 
Frauen  schloss  die  athenische  Sitte  von  der  Bühne  unbedingt 
aus,  ohne  dass  diese  dadurch  geschädigt  wurde  ^).  Die  Griechen 
entschlossen  sich  daher  zu  leinernen  Masken  (Tcpöowica,  Tcpo- 
odöTueta)  *) ,  weil  im  Komos,  dem  ältesten  Teile  der  Dionysos- 
feier, jeder,  um  sich  ungeniert  der  Fastnachtstollheit  hingeben 
zu  dürfen,  eine  Larve  trug  ^).  Phrynichos  soll  die  Frauenmasken 
erfunden  haben  (S.  145),  bedurften  doch  dieser  die  Schau- 
spieler begreiflicherweise  zunächst;  dann  wird  Aesch^^lus  die 
männlichen  Masken  eingeführt  haben*).     Sie  gewährten   einen 


1)  Goethe  über  Italien  IIL  spricht  lehrreich  über  die  gleiche  in  Born 
zu  seiner  Zeit  noch  übliche  Sitte.  Shakespeare  entbehrte  ebenfalls  der  Schau- 
spielerinnen. —  K.  Brnchmaun  über  die  Darstellung  der  Frauen  in  der 
griech.  Tragödie,  Berlin  1882. 

2)  Fr.  de'  Fieoroni  de  larris  scenicis  et  fignris  comicis  antiquorum 
Romanorum,  ed.  IL  Rom  1754  mit  85  Tafeln;  G.  A.  Böttiger  Opuscula 
p.  220 flf.  kleine  Schriften  3,  402flf.;  Beruh.  Arnold  Verhandl.  der  29. Vers, 
deutecher  Phüol.  in  Innsbruck  1874  S.  IGfil;  Robert  Archäol.  Ztg.  1878 
S.  13  fr.  A.  MüUer  S.  270  ff.  — .  Ueber  das  Material  der  Masken  Piaton  fr. 
142.    Kock  bei  Pollux  10,  167. 

3)  Vgl.  Demosth.  19,  287 ;  Aristophanes  gibt  (fr.  131  Kock)  als  Erken- 
nungszeichen des  Dionysostempels  an:  "Owoo  ti  (jLop(ioXux6ia  icpooxpefjLdwoTai. 

4)  Erfinder  der  Masken  überhaupt  Horat  a.  p.  278  (Euanthius  de 
comoed.  p.  3,  7);  s.  auch  S.  142,  4. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  171 

seltsamen  Eindruck^)  und  das  Publikum  diirfte  sich  wie  in 
Rom  erst  allmälig  daran  gewöhnt  haben.  Dennoch  konnte 
nicht  einmal  die  spätere  Bühne  darauf  verzichten ,  weil ,  ob- 
gleich die  Architekten  sorgfältig  auf  die  Akustik  der  Theater 
achteten  und  besondere  Schallgefilsse  aufstellten^,  die  Schau- 
spieler einzig  vermöge  des  weiten  Mundstückes  der  Masken*) 
wie  durch  ein  Sprachrohr,  unter  freiem  Himmel  wie  sie  waren, 
bis  zu  den  höchsten  Stufen  des  Zuschauerraumes  sich  ver- 
ständlich machen  konnten  und  andererseits  das  lebendige  Mienen- 
spiel höchstens  von  den  ersten  Bänken  aus  bemerkbar  ge- 
wesen wäre. 

Die  Masken  drückten  zwar  Unterschiede  des  Geschlechtes, 
Alters  oder  Standes  aus  und  eventuell  die  unglückliche  Lage 
des  Spielenden,  aber  keine  Charaktereigenschaften,  ausser  dass 
„der  schwarzhaarige  Mann"  grimmig  blickte*).  Wie  hätte  auch 
die  Malerei  zur  Zeit  des  Phrynichos  und  Aeschylos  mehr  ver- 
mocl^t,  da  doch  erst  Polygnots  Hand  die  Physiognomik  wirk- 
lich darzustellen  verstand?  Der  Dichter  wurde  also  durch  die 
Masken  von  vorneherein  angewiesen,  jedes  Individuum  einer 
bestimmten  Rubrik  zuzuweisen,  und  so  bildete  er,  um  mit 
Lessing  zu  reden,  „mehr  die  personificierte  Idee  eines  Charakters  . 
als  eine  charakterisierte  Person"  *),  was  die  Alten  mit  -Jj^oc-  aus- 


1)  Die  Komiker  gebrauchten  von  ihnen  die  Spottworte  (lopfjLoXoxelov 
nnd  fopY^^^^^^  (PoUax  4,  115);  spanische  Provinzler  liefen  entsetzt  davon 
(Phiiostrat.  vita  Apoll.  l*yan.  6,  9),  s.  anch  Ennap.  fr.  54  (Müllers  fragm. 
histor.  IV.  p.37f.). 

2)  A.  MüUer  S.  42  ff. 

3)  Zx6\i,a  xe^^ovic  K&^\i,r^a  «u^  xataict6jievov  To6g  ^atdtc  Lncian.  salt.  27, 
ähnlich  Anach.  23;  vgl.  Gavins  Bassns  bei  Gell.  noct.  Att  5,  7.  Cassiodor. 
▼ar.  1,  50. 

4)  Verzeichnis  bei  Pollnx  4,  133 ff.;  über  den  (jiiXac  äv-f^p  §.  134.  Vei^ 
schiedenes  hier  einschlagendes  bietet  R.  Förster  die  Physiognomik  der 
Griechen,  Kiel  1864. 

5)  HamburgiBche  Dramaturgie  95.  Stück;  Schiller  ist  gleichfalls  der  An« 
sieht,  dass  „die  Charaktere  des  griechischen  Trauerspiels  mehr  oder  weniger 
idealische  Masken  nnd  keine  Individaen  sind*^  — .  Ueber  die  Charaktere  der 
alten  Tragiker  im  allgemeinen:  H.  F.  Nntzhorn  Tidskrifb  for  Filologi  m 
(1862)  p.  219  ff.  245  ff.;  Job.  Karl  Fl  ei  seh  mann  kritische  Studien  über 
die  Kunst  der  Charakteristik  bei  Aeschylos  nnd  Soph.,  Dies.  v.  Erlangen, 
Piogr.  V.  Nürnberg  1875  (Einleitung  und  Orestes)  und  Jahrbb.  f.  Phil.  115^ 
513  ff.  (Klytaimestra). 


Digitized  by 


Google 


172  VI.  Kapitel. 

-drückten.  Von  aeschyleischen  Charakteren  kann  man  mit 
80  viel  mid  so  wenig  Berechtigung  reden  wie  von  individuellen 
JZügen  der  Aiginetenstatuen,  weil  er  sich,  wenn  wir  nicht  irren, 
mit  den  vom  Epos  umrissenen  Silhouetten  begnügt.  Dem 
Tragiker  lag  gegenüber  Homer  und  den  Kyklikern  eine  ähn- 
liche Aufgabe  vor,  wie  dem  Künstler,  welcher  nach  einem 
Flächenbilde  ein  plastisches  Werk  schaffen  soll.  Das  von 
Shakespeare  uns  gezeigte  Ziel  hat  eigentlich  kein  alter  Tragiker 
vollkommen  erreicht:  immerhin  findet  sich  die  klassische  Ent- 
Wicklung  der  Charakterzeichnung,  soweit  sie  das  griechische 
Trauerspiel  übte,  bei  Sophokles,  weil  er,  wie  gesagt,  die  Ab- 
leitung der  Ereignisse  von  den  Charakteren  aus  ins  Werk  setzt  *). 
Die  Grandezza  der  Tragödie  verlangt,  dass  die  Personen 
fürstlichen  Standes  in  allem,  mögen  sie  edel  oder  tadelnswert 
sein,  weit  über  das  Mass  gewöhnlicher  Menschen  hinausreichen. 
Aeschylus  drückte  dies  schon  in  der  äusseren  Erscheinung  aus, 
indem  er  den  Schauspielern  zu  den  prunkvollen  Gewändern, 
wie  sie  sonst  nur  die  Priester  von  Eleusis  und  vielleicht  die 
dionysischen  trugen^,  ganz  eigenartige  Hilfsmittel  gab,  damit 
sie  grösser  erschienen ;  die  Griechen  dachten  sich  ja,  teils  durch 
bekannte  Verse  Homers,  teils  durch  Funde  urweltlicher  Knochen 
veranlasst,  die  Heroen  von  riesenhafter  Gestalt.  Die  Schau- 
spieler erhielten  deshalb  von  Aeschylus  *)  zunächst  hohe  Schuhe 
(ijißdtat) *).     Damit  dieser  Kunstgriff  verdeckt  würde,   mussten 

1)  Daher  nennt  gerade  ihn  Aristoteles  poet.  3  bei  der  Charakterzeich- 
nnng.  Joh.  Alois  Capellmanndie  weiblichen  Charaktere  bei  Soph.,  2.  Aufl., 
Bonn  1865;  Louis  Schulze  über  die  Charaktere  in  der  Tragödie  des  Soph., 
Fr.  V.  Guben  1872;  Joh.  Alton  ein  Wort  zur  Charakteristik  der  Charaktere 
des  Soph.,  Progr.  y.  Prag-Neustadt  1875  und  1876. 

2)  Aristoph.  Ran.  1061  f.  xal  y^P  'co^C  Ifiattotc  'J^p.iov  xp<üvTat  itoXu  oefjLvo- 
Tipotoiv,  &  '(io5  Xpfiox&^  xataS»  ifttvtoc  Si9Xo(jL'f)va>  au.  Athen.  1,  21e; 
über  das  Kostüm:  Schöne  de  personarum  in  Euripidis  Bacchabus  habitu 
scenioo,  Lpg.  1831;  Wieseler  de  difficilioribus  quibusdam  PoUuds  aliorum- 
que  scriptorum  veterum  loois  qui  ad  omatum  scaenicum  spectant,  ind.  schol. 
▼on  Gtöttingen  1869/70;  Dierks  de  tragicorum  hiotrionam  habitu  scaenico, 
Göttingen  1883;  A.  MüUer  S.  226  ff.  (S.  226  A.  3  verzeichnet  er  die  Dar- 
stellungen von  Theatersoenen). 

3)  Horat.  a.  p.  280.  PhUostr.  vit.  soph.  1,  9,  1.  Themist.  or.  26 
p.  316  d  (angeblich  aus  Aristoteles). 

4]  K^a-opvoc  (PoUux  4,  115.  Vit.  Aeschyl.  Z.  79  W.  und  bei  den  Körnern) 
ist  der  Gattungsname  aller   nicht    nach   dem  Fusse  geschnittener  Schuhe; 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  173- 

ihre  Kleider  bis  zum  Boden  reichen  ^)  und  die  Königinen  waren 
durch  eine  Schleppe  ausgezeichnet*);  traten  kummerbeladene 
Personen  auf,  dann  zeigte  das  Nachschleifen  des  Gewandes  ihre 
melancholische  Gleichgiltigkeit  gegen  Aeusserlichkeiten  an  *). 
Man  verstand  auch  genug  von  den  optischen  Verhältnissen,  um 
zu  wissen,  dass  lange,  senkrechte  Falten  die  Gestalten  grösser 
erscheinen  lassen ;  auch  in  dieser  Beziehung  passte  der  gefältelte 
Leineurock,  das  Kennzeichen  des  alten  Athens*).  Dem  gleichen 
Zwecke  diente  die  hohe  Gürtung  des  Kleides,  welche  das  Volk 
an  einem  der  ehrwürdigsten  Priester,  dem  eleusinischen  Eüero- 
phanten,  sah*).  Dementsprechend  wurde  der  Körperumfaug 
künstlich  erweitert®),  was  den  Schauspielern  eine  imposante 
Figur  gab ').  Selbst  der  Kopf  erhielt  teils  durch  wallende» 
Haar  und  vollen  Bart^  teils  durch  besondere  Toilettenkünste 


8{jLßdltac  sagen  Hippobotos  bei  Diogenes  Laert.  6,  102,  Ptolemaios  von  Aska- 
lon  in  Fabric.  bibl.  Gr.  VI  *  p.  159  Nr.  42  n.  Sp.  (fälschlich  efißdaec  Pollux 
4, 115.  Schol.  Lucian.  Menipp.  16.  Schol.  Dion.  Thr.  Bekk.  An.  II  746 ,  18  nnd 
entsprechend  von  der  Komödie  lp.ßdtat  Schol.  Lucian.  necyom.  16,  denn  jene 
tragen  gewöhnliche  Leute,  s.  Kock  zu  Aristoph.  Ritt.  870).  Die  Tragiker  gebrau- 
chen die  Worte  e  {jl  ß  a o  tc  ico§6^  (Aesch.  Agam.  945)  oder  apßüXai  (Aesch.  Agam. 
944.  Eurip.  Bacch.  638).  Vgl.  Böttiger  kleine  Schriften  1,  213  ff.  282  ff., 
Wiesel  er  Satyrspiel  S.  72  ff.  mit  Tafel  VH;  D  ier  ks  Archäol.  Ztg.  1885  Sp.  44. 

1)  XtTüjy  iroBYip-T)?  Diog.  Laert.  6,  102.  Iftdxta  ico^pf]  Schol.  Dion.  Thr. 
Bekk.  An.  U  746  und  Rhein.  Mus.  20,  380;  vgl.  Lucian.  Gall.  26  (man  sieht 
bei  dem  Sturze  eines  Schauspielers  die  unförmlichen  Schuhe). 

2)  ^opx6<;  Pollux  4,  118,  Suidas  u.  ipO-ooteiSta. 

3)  Donatus  de  comoedia  p.  12,  2  f.  aopfia  Pollux  7,  67.  Vita  Aeschyli 
Z.  78.  Cram.  Anecd.  Par.  I  19.  Epictet.  diss.  1,  29,  41.  Juvenal.  8,  229.  15, 
30.  Martial.  12,  94,  4;  pallia  traben tes  Varro  sat.  311,  vgl.  Veget.  art. 
veter.  5,  21,  1. 

4)  Boottc  und  otaxot  Duris  bei  Plutarch.  Alcib.  32  (vgl.  Schol.  Aristoph. 
Lysiatr.  46.   Favorinus  bei  Phrynich.  ecl.   p.  238.   Arrian.  Epictet.  2,  16,  9). 

5)  Strabo  11,  530;  so  stellte  eine  vatikanische  Statue  Melpomene  dar 
(abgeb.  in  Baumeisters  Denkmälern  Nr.  1183  S.  971),  s.  auch  A.  MüUer 
S.  231  A.  6.  Hierophant  von  Eleusis :  Yasenbild  in  Compte-rendu  de  l'Acad. 
de  St.  Petersb.  1862  T^el  HI.  (Baumeisters  Denkm.  S.  473). 

6)  Den  Grund  gibt  Lucian.  salt.  27  richtig  an.  Ueber  die  technischen 
Ausdrücke  Wieseler  diff.  loc.  x>.  3 ff.  Sommerbrodt  Rhein.  Mus.  25, 
424  ff.  =  seaenica  coUecta  p.  273  ff. 

7)  Lucian.  a.  O.  Seneca  epist.  76,  31. 

8)  Haar  Ovid.  amor.  3,  1,  12.  Lucian.  somn.  26.   Bart  Lucian.  somn.  9,. 


Digitized  by 


Google 


174  VI.  Kapitel. 

^inen  erheblichen  Zuwachs  *)  und  nicht  einmal  die  Arme  wurden 
vergessen  *).  Damit  indes  dieses  schwerfällige  Rüstzeug  die  Be- 
wegung nicht  zu  sehr  hemme,  musste  der  Schauspieler,  abge- 
sehen davon,  dass  er  einen  Stab  zur  Stütze  trug*),  einen  gym- 
nastischen Cursus  durchmachen^).  Mochte  ihm  aber  auch  die 
ungezwungene  Leichtigkeit  des  Bewegens  mangeln,  so  sah 
man  eben  den  gemessenen  Gang  für  majestätisch  und  heroisch 
an,  so  dass  der  Dichter,  wenn  er  seine  Fürsten  einmal  in  leb- 
haftere Bewegung  versetzte,  sich  gewissermassen  entschuldigte^). 
Wie  ihre  Aktion,  war  die  Sprache  gemessen,  aber  so  laut  und 
gewallig,  als  sich  für  Recken  geziemte;  die  dazu  notwendige 
Stärke  der  Stimme  erzielten  die  Schauspieler  durch  unsäglich 
mühevolle  Uebungen^. 

Der  übermenschlichen  Erscheinung  der  Helden  entsprach 
die  gewaltige  Seele,  welche  die  Tragiker  hineinlegten.  Nicht 
einmal  Pbiloktet  fühlt  durch  zehn  Jahre  unsäglichen  Leidens 
seine  Kraft  gebrochen ;  denn  ist  ihm  auch  das  Handeln  versagt, 
wiegt  er  dies  durch  die  unbeugsame  Hartnäckigkeit  des  Ver- 
neinens  auf.  Der  männlichen  Härte  stellt  Sophokles  allerdings 
gern  weibliche  Anmut  zur  Seite,  die  aufopferungsvolle  Antigone 
neben  ihrem  starrsinnigen  Vater,  Tekmessas'  liebevolle  Hin- 
gebung neben  Aias'  Heldentrotz ;  doch  auch  die  Frauen  bewahrt 
das  fürstliche  Blut  vor  gemeiner  Schwächlichkeit.  Wenn  sich 
ihr  Heroen  tum  meist  im  würdigen  Dulden  äussert,  so  hat 
Sophokles  daneben  in  „Antigene*'  und  „Elektra**  Heroinen 
von  fast  männlicher  Seele  geschaflfen,  die  an  die  herben 
kräftigen  Göttinenbilder  der  alten  Kunst  erinnern ;  ihnen  dienen 
die  Schwestern  zur  Folie,  weil  sie  nur  den  Mut  des  Leidens 
und  Duldens  haben.     Solche  Kontraste  liebt  das  klassische 


wie   an   der   Maske,   welche   die   erwähnte    Melpomene  hält.     Die    Frauen 
tragen  grosse  Hanben  (Gramer  Anecd.  Paris.  I  p.  19). 

1)  "0^x05  PoUux  4,  133,  vgl.  Varro  sat.  Men.  156  Buch.  Lncian.  salt.  27. 

2)  Xeipi$s{  Vita  Aeschyli  78.  Lncian.  Jap.  trag.  41. 
8)  Satyros  in  Vita  Sophocl.  Z.  29;  A.  Müller  S.  197. 

4)  Cicero  orator  4,  14. 

5)  Soph.  £1.  871  6<p'  *^Sov9j^  xoc,  tpiXxdrr),  Sia»xo{JLac  xb  x6o(jliov 
|i.ed>elaa  a6y  tdtxei  {jloXsIv  n.  ö. ,  s.  v.  Lentsch  Vorlesungen  über  Metrik 
§425. 

6)  A.  Müller  S.  194  f. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  175 

Drama  Athens  und  nicht  die  derberen  zwischen  Gut  und 
Schlecht,  wie  sie  den  Modernen  geläufig  sind.  Die  Nebenrollen 
werden  überhaupt  um  eine  Stufe  niedriger  gestellt  oder  auch 
farbloser  und  typischer  gehalten,  z.  B.  zerfallen  die  Könige, 
wenn  sie  nicht  die  Hauptrolle  innehaben,  in  zwei  Gattungen, 
rücksichtslose  wohlmeinendem  Rat  unzugängliche  Autokraten, 
die  Bösewichte  der  alten  Tragödie,  weil  die  Republikaner  nichts 
80  leidenschaftlich  wie  die  Tyrannis  hassten,  und  in  parlamen- 
tarische Könige  nach  dem  Muster  des  Theseus  der  athenischen 
Geschichtslegende;  der  älteste  Vertreter  der  letzteren  Art  ist 
Aeschylus'  König  Pelasgos,  welcher,  persönlich  wohlmeinend, 
gewissenhaft  die  Willensmeinung  des  Volkes  einholt.  Da  solche 
Königsrollen  wenig  ausdrucksvoll  waren,  fielen  sie  dem  dritten 
Schauspieler  anheim  ^). 

Die  Hauptpersonen^  ob  sie  nun  gut  oder  schlecht  sind, 
besitzen  die  idealen  Eigenschaften,  welche  der  Grieche  von 
dem  Holden,  den  er  bewundem  soll,  fordert  —  dass  er  seiner 
Tüchtigkeit  sich  bewusst,  um  seinen  Ruhm  besorgt,  den  Freun- 
den hold,  den  Feinden  ein  Schrecken,  wenn  auch  nicht  ohne 
Tadel,  doch  jedenfalls  ohne  Furcht  sei.  Germanen  mögen  es 
weibisch  schelten,  wenn  ein  Heros  im  Schmerze  laut  weint 
und  klagt,  wie  Sophokles'  Herakles,  Philoktetes  und  Odysseus  *), 
und  sie  haben  bei  Tegnörs  Frithjof,  dem  nordischen  Recken, 
ein  Recht  dazu;  in  den  Augen  des  Südländers  hingegen  galt 
ein  derartiger  Gefühlsausbruch  für  die  natürliche  Befriedigung 
eines  echt  menschlichen  Dranges.  Hundert  Jahre  später  ver- 
langte höfischere  Sitte,  dass  Philoktet  seinen  Schmerz  so  lange 
als  möglich  unterdrücke*). 

Das  alte  Athen  fand  auf  der  Bühne  die  Verkörperung 
seiner  Ideale.  Die  Aufklärung  erschütterte  davon  eines  nach 
dem  anderen  und  liess  die  herkömmlichen  Ansichten  von  dem 
Rechten  und  Guten  altmodisch  erscheinen.  Dafür  analysierten 
die  Sophisten  die  menschlichen  Stimmungen  und  Schwächen, 


1)  Demosth.  19,  247  (Kreon).  18,  180  (Krespbontes ,  Kreon  nnd  Oino- 
maos);  vgl.  Juba  bei  Scbol.  Demostb.  19,  246  iiceiÄt]  ^txdv  lott  itadYjttxd  xal 
6icipoYxa.    Plntarcb.  LyB.  23.  reip.  ger.  praec.  21,  3. 

2)  Cicero  Tnscnl.  n  §  19—25;   vgl.  Lessing  Laokoon  Kap.  I. 

3)  So  Tbeodektes  (Aristot.  etb.  Nicom.  7,  8  p.  1150  b  9),  dem  überdies 
eine  Verwundung  der  Hjand  anständiger  vorkam. 


Digitized  by 


Google 


176  VI.  Kapitel. 

um  sich  ihrer  zum  eigenen  Vorteil  zu  bedienen.  Die  dieser 
Strömung  folgenden  Tragödien  weisen  demzufolge,  weil  hier 
wie  in  der  gleichzeitigen  Kunst  die  in  grossen  Zügen  gezeich- 
neten Charaktertypen  Gemälden  vorübergehenden  Stimmungen  *) 
weichen  müssen,  ein  bewegteres  Bild  des  menschlichen  Gemütes 
auf.  Darüber  werden  die  heroischen  Tugenden  ganz  ausser 
Ächl  gelassen  oder  wenigstens  mit  der  Schwächlichkeit  ge- 
wöhnlicher Menschen  so  verquickt,  dass  sie  zu  imponieren 
aufhören.  Weil  die  Dichter  selbst,  wie  es  scheint,  einen  uner- 
freulichen Eindruck  davon  empfingen ,  tritt  im  Drama  des 
vierten  Jahrhunderts  die  Charakteristik  hinter  die  Handlung 
zurück  ^.  Berühren  die  nämlichen  Wandlungen  nicht  auch 
die  Kunst?  .  Beginnt  nicht  Parrhasios  zuerst  die  Mannigfaltig- 
keit der  Stimmung  in  den  Mienen  darzustellen ')  ?  Beruht  nicht 
der  geistige  Unterschied  zwischen  Phidias  und  Praxiteles  auf 
dem  Uebergange  von  dem  Bleibenden  zur  Darstellung  des 
flüchtigen  Augenblicks?  • 

Wer  die  ideale  Welt  skeptisch  läugnete,  griflf  natürlich  in 
das  ihn  umgebende  menschliche  Leben  hinein;  wie  Praxiteles 
Genrescenen  bildete,  so  stellte  Euripides  nach  dem  berühmten 
Ausspruche  des  Sophokles  die  Menschen,  wie  sie  sind,  dar*). 
Aristoteles  fand  diesen  realistischen  Zug  in  allen  Künsten 
seiner  Zeit  ausgeprägt  ^).  Was  jedoch  das  Leben  dem  Auge 
des  Dichters  und  Künstlers  bietet,  ist  gar  verschieden:  Wo 
Praxiteles  die  Modelle  zu  reizenden  und  anmutsvollen  Gestalten 
fand,  da  erblickte  der  grübelnde  Euripides  wenig  erfreuliches. 
Rücksichtsloser  Eigennutz ,  unmännliche  Zaghaftigkeit  und 
Mangel  an  innerem  Halte  sind  bei  den  Männern  seiner  Tra- 
gödien, Leidenschaft,  Rachgier  und  Hinterlist  bei  den  Frauen 
überaus  häufig   und  wirken  im  „Orestes"  zu  einem   düsteren 


1)  Atdivoiai  Aristot.  poet.  6.  ^  a.  E. 

2)  Aristot.  poet.  6  p.  1460  a  26  ff. 

3)  Vgl.  Conze  über  den  G^ichtsansdruck  in  der  Antike,  Preussische 
Jahrbücher  1874  H.  1. 

4)  Aristot.  poet.  25  p.  1460  b  a.  E.;  Franz  Winzenz  Versuch  die 
verschiedenen  Tendenzen  und  Motive  der  trag.  Charakteristik  bei  Soph.  u. 
Eur.  hervorzuheben  u.  an  einem  Beispiele,  der  Elektra,  nachzuweisen,  Pr.  v. 
Klattau  1866. 

5)  Poet.  2. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  177 

Oeeammtbilde  zusammen,  ohne  dass  der  Dichter,  wie  Aristoteles 
fein  bemerkt,  zu  einer  solchen  Charakteristik  durch  die  Hand- 
lung gedrängt  wäre,  während  Sophokles  abstossende  Charaktere 
nie  ohne  Not  und  nie  mit  grellen  Farben  zeichnet.  Ohne 
dessen  eigenen  Ausspruch  möchte  man  sogar  glauben,  Euripides 
habe  sein  Volk  der  Masse  nach  zu  pessimistisch  beurteilt. 
Jedenfalls  missglückte  der  letztere  —  ich  spreche  im  Sinne 
der  Griechen  —  darin,  dass  er  die  Heroen  von  ihrem  Piede- 
stal  auf  den  Boden  der  gewöhnlichen  Wirklichkeit  zu  versetzen 
unternahm.  Denn  ungewöhnlich  schlechte,  jedes  versöhnenden 
Zuges  entbehrende  Menschen  wollte  auch  Euripides  nicht, 
weil  die  Alten  einen  Mann  wie  Richard  den  Dritten  für  völlig 
untragisch  gehalten  hätten  ^). 

Während  Euripides  schwankende  imbeständige  Menschen, 
z.  B.  die  Heldin  in  der  „aulischen  Iphigenie**  und  ihren  Vater,  . 
sehr  oft  mit  Geschick  zeichnet,  und  oft  unter  den  Einfluss 
zweier  Triebe  (wie  Ehrgeiz  oder  Rachsucht  und  Liebe  zu  dea 
Kindern)  stellt*),  ist  das,  was  wir  den  inneren  Konflikt 
nennen,  bei  Aeschylus  und  Sophokles  nur  in  schwachen  An- 
fängen wahrnehmbar;  der  letztere  liefert  das  einzige  ausge- 
prägte Beispiel  im  „Philoktet**,  wo  Neoptolemos,  indem  ihm 
Philoktets  vertrauensselige  Hilflosigkeit  das  Unedle  seines  Thuns 
zum  Bewusstsein  bringt,  einen  harten  Zwiespalt  zwischen  Ver- 
stand und  Herz  durchkämpft.  Wenn  sonst  ein  prinzipieller 
Konflikt  vorhanden  ist,  streiten  Vertreter  der  entgegengesetzten 
Grundsätze  wie  Antigone  und  Kreon.  Zum  Heldentum  gehört 
ja  gerade  die  Festigkeit  des  Charakters  ;  darum  tritt  jeder  fertig 
in  sich  abgeschlossen  auf  ^.  Die  kurze  Spanne  Lebens,  welche 
eine  Tragödie  vorführt,  gestattet  höchstens  einen  Wechsel 
einzelner  Entschlüsse  — ich  denke  an  Kreon  und  Neoptolemos 


1)  „Es  wird  jederzeit  der  höchsten  Vollkommenheit  seines  Werkes  Ab- 
brach thnn,  wenn  der  tragische  Dichter  nicht  ohne  einen  Bösewicht  aus- 
kommen kann  und  wenn  er  gezwungen  ist,  die  Grösse  des  Leidens  von  der 
Grösse  der  Bosheit  herznleiten^^  (Schiller). 

2)  E.  Rnmpe  Enr.  u.  der  seelische  Kampf  in  seinen  Stücken,  Pr.  v. 
Posen  1882. 

3)  Orestes  ist  keine  Ausnahme;  denn  er  wäre  ein  Ungeheuer,  wenn  er 
nicht  zauderte.  Vgl.  Trahndorff  über  den  Orestes  der  alten  Tragödie  und 
den  Hamlet  des  Shakespeare,  Pr.  des  Fr.  W.  Gymn.  Berlin  1833. 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  literatar.  m.  12 


Digitized  by 


Google 


178  VI.  Kapitel. 

—  während  eine  wie  immer  beschaffene  Entwicklung  oder 
Wandlung  des  Charakters,  wovon  die  Neueren  gerne  reden, 
der  Natur  Hohn  sprechen  würde;  Kreon  bleibt  ein  Autokrat, 
auch  wenn  er  einmal  aus  Angst  um  das  Leben  seines  einzigen 
Sohnes  einen  Befehl  zurück,  nimmt.  Reich  war  die  Charakte- 
ristik der  Alten  infolgedessen  freilich  nicht ;  wie  hätte  sie  auch 
anders  sein  können,  da  sie  doch  nicht  unmittelbar  aus  dem 
Leben,  sondern  aus  epischer  Ueberlieferung  erwachsen  war? 
Der  heutige  Dichter  mag  sich  über  die  bescheidenen  Mittel  des 
Alten  erhaben  fühlen  und  doch  fehlte  diesem  vielleicht  weniger 
das  Können  als  das  Wollen.  Wie  wenn  er  überhaupt  die 
Personen  nicht  schildern,  sondern  einfach  handelnd  vorführen 
wollte?  Darf  er  dann  nicht  verlangen,  dass  man  an  ihn  den 
Massstab  allein  anlege,  ob  Reden  und  Handeln  zusammen- 
stimmen ? 

Denn  die  Handlung  stand  den  wahren  Tragikern  über 
den  Charakteren.  Nicht  als  ob  sie  in  der  Reichhaltigkeit  der- 
selben einen  Vorzug  gesucht  hätten  I  Verbot  doch  nicht  allein 
die  Notwendigkeit,  der  Gesammtheit  des  Volkes  verständlich 
zu  bleiben,  eine  verwickelte  Handlung,  sondern  auch  die 
äusseren  Bedingungen  der  Tragödie  wirkten  in  dem  gleichen 
Sinne. 

Von  Staatswegen  erhielt  der  Dichter  zunächst  nur  einen 
Chor  zu  seiner  Verfügung,  wie  der  Dithyrambiker  ^) ,  und 
musste,  weil  es  anfänglich  Schauspieler*)  überhaupt  nicht 
gab,  ohne  Beihilfe  selbst  alle  Rollen  spielen ') ;  während  also 
der  Chor  das  Publikum  durch  lange  Lieder  unterhielt,  legte 
er  in  Eile  hinter  der  Scene  das  jedesmal  erforderliche  Kostüm 
an.  Wie  dürftig  die  Handlung,  wenn  ein  Zwiegespräch  nur 
zwischen  einer  Person  und  dem  Chor  stattfand,  war,  kann 
man  sich  leicht  vorstellen.    Nicht  eher  als  bis  Aeschylus  durch- 


1)  Der  amtliche  Ansdrack  xopbv  Sidovat  (Bergk  reliq.  comoediae  Atticae 
p.  31)  blieb  noch  lange;  r.  auch  S.  153  A.  5. 

2)  Konr.  Bnrsian  Schauspieler  und  Schaospielkanst,  Historisches 
Taschenbach  5.  Folge  5.  Jahrg.  (1875)  S.  1  flf.  Fr.  Völker  de  Graecornm 
fabolarom  actoribos,  Diss.  v.  Halle  1880  (Dissert.  philol.  Halens.  IV  149  ff.). 

3)  Aristot.  rhetor.  3,  1  p.  1413b  23;  vgl.  Paul  Niki tin  znr  Geschichte 
der  dramatischen  Wettkämpfe  in  Athen,  Petersburg  1882  (rassisch,  s.  Berl. 
PhiL  Woch.  1883  S.  961  flf.). 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  179 

setzte,  dass  dem  Dichter  ein  professionsmässiger  Schauspieler 
an  die  Seite  gegeben  ward  *) ,  konnte  sich  ein  wahrer  Dialog 
in  Verbindung  mit  einer  grösseren  Mannigfaltigkeit  der  Rollen 
entwickeln.  Selbst  jener  kühne  Geist  ging  nur  zagenden 
Schrittes  auf  dieser  Bahn  vorwärts:  In  den  „Schutzflehenden** 
und  „Persern**  kommen  nur  drei  resp.  vier  Rollen  vor  und 
der  von  den  Schauspielern  selbst  geführte  Dialog  steckt  dort 
in  den  ersten  Anfängen,  jedenfalls  ßchweigt  der  Chor,  wenn 
auf  der  Bühne  gesprochen  wird  *).  Noch  immer  geht  eine 
eigentliche  Handlung  auf  der  Bühne  so  gut  wie  ganz  vor; 
man  hört  fast  bloss  von  ihr.  Ein  wenig  mannigfaltiger  ge- 
staltete Aeschylus  das  Drama  durch  Beiziehung  eines  Hilfs- 
schauspielers, welcher  einige  Verse  sprach,  wie  der  Herold  in 
den  „Sieben**  ^)  und  Kratos  am  Anfange  des  „Prometheus**  *) ; 
weit  wichtiger  war  aber  der  in  diesen  Stücken  bekundete 
innere  Fortschritt,  insoferne  der  Dichter  das  Zwiegespräch 
jetzt  gewandter  und  sicherer  führte. 

Der  junge  Sophokles  wusste,  abgesehen  davon,  dass  er 
sich  selbst ^aus  persönUchen  Gründen  vertreten  Hess,  einen 
zweiten  Schauspieler  zu  erlangen  *) ;  der  Altmeister  benützte 
sofort  die  Dreizahl ,  z.  B.  wahrscheinlich  in  der  Iliastrilogie  *) 
und  sicher  in  der  Orestie,  freilich  etwas  schüchtern,  wie 
Sophokles  in  dem  frühesten  uns  geretteten  Stücke,  und  ver- 
wendete sogar  an  vierter  Stelle  einen  Hilfsschauspieler,  um  in 
den  „Choephoren**  Pylades  drei  Verse  sprechen  zu  lassen  ^), 
wie  Paris  im  „Rhesos**  vierzehn  Verse  sagt.     Einen   bedeuten - 


1)  Arißtot.  poet.  4  p.  1449b  17. 

2)  Pers.  515  f.  gibt  der  Chor  sein  Gesammturteil  ab,  nachdem  der  Bote 
sich  zarückgezogen  hat. 

8)  V.  1005  flf.  (27  Verse). 

4)  48  Verse.  Dies  scheint  passender  als  die  Annahme,  in  der  ersten 
Bcene  habe  eine  Holzpappe  Prometheus  vertreten  (Welcker  äschyleische 
Trilogie  S.  SO  A.  n.  A.,  s.  A.  Maller  S.  175,  2);  der  Titane  wurde  natürlich 
nicht  getragen,  sondern  geführt. 

5)  Aristoteles  poet.  4  p.  1449  a  IS ;  Oikaiarchos  in  Vita  AeschyU  Z.  82. 

6)  Fr.  260  D.  scheint  Achilleus,  Priamos  u.  Andromache  vorauszusetzen. 

7)  Bezüglich  des  „Memnon"  (PoUux  4,  110)  steht  die  Sache  nicht  fest, 
fl.  A.  Müller  S.  178,  1. 

12* 


Digitized  by 


Google 


180  VI.  Kapitel. 

deren  Umfang  hat  die  Rolle  des  Vierten  im  „Oedipus  auf 
Kolonos".  Diese  Zahl  war  die  äusserste,  welche  die  griechische- 
Tragödie,  sogar  in  den  spätesten  Zeiten,  sich  erlaubte  *).  Kinder- 
rolleu  fallen  natürlich  aus  der  Regel  heraus,  ebenso  habei> 
verschiedene  Stücke  eine  stumme  Person*).  Shakespearische* 
Volksscenen  sind  im  alten  Trauerspiel  mithin  ganz  unmögUchr 
soweit  nicht  der  Chor  etwas  dergleichen  andeuten  kann.  Hin- 
gegen waren  die  damaligen  Schauspieler  vielseitiger  als  die- 
Mimen  unserer  stehenden  Theater,  indem  sie  in  einem  und 
demselben  Stücke  so  viele  Rollen,  als  die  Folge  der  Scenen' 
überhaupt  gestattete,  zugleich  übernahmen*).  Wir  könnea 
jedoch  nicht  glauben,  dass  eine  einzige  Rolle  je  unter  zwei 
oder  mehrere  Schauspieler  verteilt  wurde;  um  nur  äussere  Be- 
denken zu  erwähneA,  hätten  diese  dann  gleiche  Stimme  und 
Statur  haben  müssen.  Mit  der  feststehenden  Zahl  hatte  der 
Dichter  wohl  oder  übel  zu  rechnen;  ausser  dass  er  den  Schau- 
spielern Gelegenheiten  zum  Umkleiden  bieten  musste*),  nahm 
er  von  vornherein  auf  die  Rangklassen  der  drei  Rücksicht,, 
weil  im  Ensemblespiel  der  Protagonist  gegen  den  Deuterago- 
nisten  und  dieser  gegen  den  Tritagonisten  hervortrat*),  so- 
dass alle  Rollen  auf  eine  dreifache  Abstufung  einzurichten 
waren.  Dem  Protagonisten  fiel  ohne  Zweifel  die  Titelrolle^ 
wenn  eine  solche  vorhanden  war,  in  der  Regel  zu,  wogegen 
der  letzte  Schauspieler  die  obligaten  Theaterkönige,  bei  denen 
weder  feine  Individualisierung  noch  ergreifender  Vortrag  erforder- 


1)  Horat.  a.  p.  290  nee  quarta  loqui  persona  laboret,  wie  Saetonios  bei 
Diomedes  p.  491,  2. 

2)  Ausser  Dienern  bei  Aeschylus  Bia  (Prometheus),  bei  Sophokles  Pyladets^ 
(Elektra),  bei  Euripides  Akanias  (Herakliden),  Pylades  (Elektra)  und  Manto- 
(Phoenissen). 

3)  Lucian.  Menipp.  16  a.  E.  Nigrin.  19.  Maxim.  Tyr.  VU.  Anf.  (Reiske). 
Synes.  de  provid.  13  p.  106  ab.  Schol.  Aeschyl.  Choeph.  899.  Eur.  Phoen.  93^ 

4)  Schol.  Eurip.  Phoen.  93  macht  eine  gute  Bemerkung  darüber. 

5)  Cicero  div.  in  Caecil.  15,  48.  Ueber  die  Rollenverteilung  handeln^ 
alle  Erklärer  der  erhaltenen  Dramen,  im  einzelnen  C.  Böttiger  opuscula 
p.  311  ff.  K.  Lachmann  de  mensura  tragoediarnm,  Berlin  1822;  K.  Fr. 
Hermann  de  distributione  personarum  inter  histriones  in  tragoediis  GraeciSr 
Marburg  1841;  Jul.  Richter  die  Verteilung  der  Rollen  unter  den  Schau- 
spielern der  griechischen  Tragödie,  Berlin  1842;  Friedr.  Fritssche  quatuor 
ieges  scenicae  Graecorum  poesis  ab  Horatio  in  arte  poetica  latae,  Lpg.  1858  S.  4  ffl 


Digitized  by 


Google 


T6chnik  der  Tragödie.  181 

lieh  war,  deklamierte^);    aber  auch  einer  Boten-  oder  Diener- 
rolle schämte  sich  der  erste  Schauspieler  nicht  ^. 

Die  geringe  Zahl  der  Spieler  harmonierte  mit  der  Einfach- 
heit des  Dialoges*),  bezüglich  dessen  die  hellenischen 
"Tragiker  an  das  Auffassungsvermögen  ihres  Publikums  keine 
-ßo  hohen  Ansprüche  wie  Shakespeare  und  die  Modernen 
stellten.  Die  langsame  Entwicklung  des  Gespräches  ist  bereits 
•oben  angedeutet;  auch  als  drei  Schauspieler  zur  Verfügung 
fitanden,  scheuten  sich  die  Dichter  vor  jeglichem  Durcheinander- 
^sprechen,  damit  der  Zuschauer  darüber,  wer  gerade  rede,  jederzeit 
im  Klaren  sei,  und  Hessen  unbedenklich  eine  dritte  auf  der 
Bühne  befindliche  Person  längere  Zeit  schweigen.  Aus  dem 
gleichen  Grunde  pflegen  die  Tragiker  ausdrücklich  und  oft 
mit  einer  stehenden  Formel,  welche  alle  Zuschauer  rasch 
aufmerksam  macht,  das  Auftreten  einer  neuen  Person  anzu- 
kündigen *)  und  lassen  bloss  ausnahmsweise  zu,  dass  zwei  Per- 
sonen völlig  gleichzeitig  von  verschiedenen  Seiten  erscheinen  *). 

Dass  die  drei  grossen  Tragiker  die  notgedrungene  Ein- 
schränkung des  Gespräches  nicht  immer  angenehm  empfanden, 
•darf  man  glauben ;  darum  suchten  sie  aus  der  Not  eine  Tugend 
zu  machen,  indem  sie  das  Schweigen  begründeten.  Besonders 
Aeschylus  war  wegen  des  stummen  Trotzes  mancher  seiner 
flelden  berühmt:  Der  um  den  Freund  mit  verhülltem  Haupte 
trauernde  Achilleus  der  „Phryger**  *),  JJiobe,  die  alle  ihre  Kinder 
verloren  hat^),  Prometheus,  zum  Orte  der  Qual  geführt,  sind 
in  Schmerz  oder  Trotz  wie  erstarrt.  Der  unversöhnliche  Oedipus 
gibt  ebenso  seinem  flehenden  Sohne  anfänglich  keine  Antwort^ 
während  bei  Euripides  Andromeda  aus  jungfräulicher  Scham 


1)  S.  175  A.  1  Dasselbe  geschah  nach  Prinz  Ck>ntis  Zeugnisse   im  klas- 
sischen französischen  Drama. 

2)  Proverb.  Coislin.  124.  Plnt.  Lys.  23. 

3)  'A(ioißaIa  Schol.  Soph.  Ai.  38. 

4)  Kai  (i-^jv  Aesch.  Sept  378.  Soph.  Ai.  1223.  Enr.  Ale  510.  Hec.216. 
665.  Her.  119.  Or.  348.  456. 

5)  AeschyL  Sept.  369  ff. 

6)  Vit«  Aeschyli  Z.  34  ff.  Schol.  Aristoph.  Ran.  938  (942),  vgl.  Enstath. 
4>pasc  p.  197,  2  ed.  Tafel. 

7)  Schol.  Aepch.    Prom.  436    (anch    mit    Sophokles  verwechselt,    SchoL 
Aristoph.  Ban.  912,  s.  Bergk  Hermes  18,  481  ff.). 


Digitized  by 


Google 


182  VI.  Kapitel. 

schweigt^),  uud  die  den  Händen  des  Todesgottes  entrissene 
Alkestis,  bevor  sie  von  der  Unterwelt  gewissermassen  losgekauft 
ist,  den  Mund  nicht  öflFnen  darf^.  Aus  Ähnlicher  Ursache 
erflehte  Aeschylus'  Telephos  mit  stumm  gesenktem  Haupte 
die  Sühnung  seiner  Mordthat'). 

Der  Dialog  spiegelt  die  Eigenart  des  griechischen  Volkes 
wieder;  denn  das  eigentümliche  Abspringen  von  poetischer 
Ekstase  und  plastischer  Anschaulichkeit  zu  spitzfindigen  kaum 
poetischen  Gedanken  und  Wortspielen*)  ist  echt  volkstümlich 
und  dies  bedingt  die  Aehnlichkeit  der  platonischen  Dialoge  mit 
den  Gesprächen  des  Dramas.  Auch  der  häufig  angewendete 
regelmässige  Wechsel  von  Vers  und  Vers  (ottxoji.o^ta)'*)  oder 
von  Versepaaren  •)  frappierte,  während  er  im  neueren  Drama, 
z.  B.  im  „Richter  von  Zalamea"  mehr  scherzhaft  angewendet 
wird,  die  an  die  gerichtlichen  Verhöre  gewöhnten  Athener  umso- 
weniger,  als  die  Dichter  die  Eintönigkeit  der  Wiederholung 
durch  gelegentliche  Einschiebung  eines  überzähligen  Verses 
(von  vielen  Kritikern  als  Interpolation  verworfen)  aufzuheben 
pflegten.  Solche  rasche  lebendige  Wortwechsel,  wobei  der  eine 
dem  anderen  oft  ungeduldig  das  Wort  aus  dem  Munde  nimmt, 
werden  von  langen  pathetischen  Reden  (^ijostc)  voll  lebens- 
frischer  unaufdringlicher  Details  und  satter  Ausmalung  jedes 


1)  Fr.  127. 

2)  Aloest.  1143  ff. 

3)  Amphis  com.  fr.  30,  6  bei  Athen.  6,  224  d  mit  Kocks  Note. 

4)  Vgl.  R.  Hecht  de  etymologiis  apad  poetas  Graecos  obviis,  Dias,  von 
Königsberg ;  Grasbergerdie  griechischen  Stichnamen  S.  ^3 ;  Gräfenhan 
Geschichte  der  Philologie  1,  155  ff. ;  Hermann  zn  Soph.  Ai.  430;  Nanck  zu 
Soph.  OR.  70;  Elmsley  zu  Eurip.  Bacch.  508;  Köchly  zu  Eur.  IT.  500; 
Wilamowitz  analecta  Euripidea  p.  190;  Meinck  AUg.  Musikzeitung 
1885  Nr.  43-45. 

5)  C.  G.  Firnhaber  Ztschr.  f.  Altertumsw.  1841  Nr.  111.  112;  Fr. 
Witten  de  tragicomm  Graecomm  stichomjrthia,  Pr.  v.  Helmstedt  1872;  bei 
Sophokles:  Nik.  Wecklein  in  Festgruss  der  philol.  Gesellschaft  zu  Würz- 
burg an  die  26.  PhiL  Vers.  1868  S.  119 ff.;  bei  Euripides:  Kviöala  Ztsch. 
f.  österr.  Gymn.  9  (1858)  S.  609 ff.  Herm.  Behrns  de  stichomythia  Euri- 
pidea, Pr.  V.  Wetzlar  1864;  Prosper  Wesen  er  über  Störungen  der  Sticho- 
mythie  bei  Eor.,  Pr.  v.  Inowraclaw  1871 ;  Aug.  Funke  legem  stichomythiae 
quibns  rationibus  obseryaverit  Eur.,  Dias.  v.  Rostock  1875. 

6)  Z.  B.  Soph.  OR.  87  ff.  320 ff.  Burip.  Bacch.  923  ff. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  183 

Gedankens  ^),  den  Glanzstellen  der  dialogischen  Partien,  abgelöst 
und  zwar  dienen  diese  häufig  dazu,  um  mit  wohlgeordneter 
Aufzählung  aller  Argumente  den  grundsätzlichen  Standpunkt 
von  zwei  Gegnern  darzulegen  (ivttppTjoeK;)  *).  Wir  können  diese 
Standreden  nur  dann  wahrhaft  würdigen,  wenn  wir  uns 
erinnern,  dass  die  Tragiker  hier  nicht  nach  einer  toten  dekla- 
matorischen Konvention  arbeiteten,  sondern  im  Gerichtssaale 
und  in  der  Volksversammlung,  wie  die  Künstler  in  den  Ring- 
schulen, das,  was  sie  poetisch  verklärten,  täglich  wahrnahmen 
und  gar  oft  selbst  übten;  infolge  dessen  unterlag  die  Tragödie 
wenigstens  in  gewissem  Grade  den  Modewechseln,  welche  in 
der  öffentlichen  Rede  eintraten ,  dadurch ,  dass  sie  besonders 
die  sophistischen  Antithesen  annahm  und  einzelne  Dichter  der 
Manier  des  Gorgias  und  Isokrates  huldigten. 

Wie  in  dieser  Hinsicht,  so  wich  auch  in  Bezug  auf  die 
Handlung  selbst  der  Geschmack  der  Griechen  von  dem 
unsrigen  und  sogar  von  dem  römischen  ab.  Als  die  Tragödie 
entstand,  war  der  Hellene  an  den  ruhigen  weitschweifigen  Gang 
des  Epos  und  die  gedehnten  Reflexionen  der  Chorlieder  gewöhnt 
und  der  Athener  im  besonderen  fand  an  allen  Reden,  wenn 
sie  nur  gut  vorgetragen  wurden.  Gefallen,  ohne  dass  er  auf 
den  Inhalt  viel  Gewicht  legte.  Die  Elömer  hingegen,  durch 
Gladiatorenspiele  und  Triumphzüge  in  ihrem  Geschmack  ver- 
bildet, wollten  auf  der  Bühne  unaufhörlich  Thaten  sehen,  wie 
sie  selbst  Weltgeschichte  zu  machen  nicht  müde  wurden.  Auch 
dem  raschlebigen  Menschen  der  neueren  Zeit  fehlt  die  Genüg- 
samkeit der  Griechen,  die  gegen  einen  nicht  mit  einem  Male 
zu  übersehenden  Plan  eher  Abneigung  empfanden  ^).  Mochte 
auch  das  Drama  vom  Handeln  benannt  sein,  es  stellte  dennoch 
ursprünglich  eine  Verbindung  von  Lyrik   mit  dramatisiertem 


1)  Z.  B.  wird  oft  ein  allgeineiner  Begriff  in  zwei  Gegensätze  zerlegt, 
wie  ol  t'  Svtec  o?  t*  ändvrtc  oder  o5xf  icÄoxa>v  o5te  8pÄv. 

2)  Schol.  Soph.  El.  328.  Intereseant  ist  der  Ansdmck  4)  x^c  MsXavtic- 
ic-Tjc  f^otc  Aristot.  poet.  16  p.  14Ma  31,  ebenso  rijv  too  UupoitoQ  ^Yjotv  Lacian. 
qnom.  bist,  oonscr.  1;  Aristoph.  Vesp.  680  Sx  t^c  Ntpß'rjc  ^Xkiq  f-rjotv  r^v 
xaXXbtiqv  dnioki^az.  Solche  ^'r^oetc  wurden  von  den  Gebildeten  ansgescbrieben 
(Aristoph.  Ban.  161)  und  von  Schanspielem  privatim  deklamiert  (Arist.  Yesp. 
680.  Ephipp.  fr.  16,  3  bei  Ath.  11,  482  d). 

3)  VgL  Aristot.  poet.  18  p.  1466  a  12  ff. 


Digitized  by 


Google 


184  VI,  Kapitel 

Epos  dar,  während  das  moderne  Schauspiel  umgekehrt  von 
der  dramatisierten  Geschichte  ausging.  In  den  „P^i's^rn*'  und 
den  „Scbutzflebenden''  vermissen  wir  eine  eigentliche  Handlung; 
ihr  Kern  besteht  in  Erzählungen  und  dem  Ausdruck  lyrischer 
Empfindungen,  und  die  zwei  „historischen**  Dramen  des  Phry- 
nichos  werden  nicht  anders  geartet  gewesen  sein.  Wo  Aeschylus 
überhaupt  Handlung  gibt,  da  schreitet  sie  geraden  Weges  auf 
das  Ziel  los  und  einp  Erweiterung  des  einfachen  Planes  wird 
höchstens  durch  Einlagen  herbeigeführt,  welche  man  eher  als 
Episoden  bezeichnen  könnte,  z.  B.  die  loscene  im  „Prome- 
theus**. Denn  wenn  lo  gleich  durch  ihren  Nachkommen 
Herakles  zu  Prometheus  eine  tiefere  Beziehung  hat,  so  war  es 
doch  Aeschylus  bei  dieser  Einlage  gewiss  mehr  um  die  prunk- 
volle Schilderung  ihrer  Irrfahrten  zu  thun. 

Erst  nach  Aeschylus  tritt  die  künstlichere  Konstruktion 
der  Tragödie,  welche  auf  dem  „Umschwung**  (TceptÄ^teta) 
beruht,  ein  *) ;  sie  hängt  im  Grunde  psychologisch  mit  der  so- 
genannten tragischen  Ironie  zusammen*).  Seit  Sophokles 
zumal  wird  nämlich  die  Tragödie  ein  Bild  der  menschlichen 
Kurzsichtigkeit');  „Der  Mensch  denkt  und  Gott  lenkt**,  predigte 
jedes  Stück  unermüdlich.  Endigt  das  Spiel  glücklich,  so  pflegt 
der  Nerv  der  Handlung  darauf  zu  beruhen,  dass  engverbundene 
Personen,  da  sie  einander  nicht  kennen,  sich  böses  zufügen 
wollen ,  bis  eine  glückliche  Fügung  ihren  Irrtum  aufklärt, 
z.  B.  würde  Iphigenie  ihren  Bruder  fast  opfern  und  Merope 
erhebt  eben  das  Beil  gegen  ihren  unerkannten  Sohn,  als  der 
alte  Pädagog  ihn  rettet;  im  entgegengesetzten  Falle  wird  ein 
befürchtetes  Unglück  dahin  gelenkt^  dass  die  Beteiligten  einen 
glücklichen    Ausgang  hoflfen*),    und   in    diesem   Augenblicke 


1)  Theophrast  scheint  sie  als  unentbehrlich  anzusehen,  wenn  er  die 
Tragödie  definiert  4]ptt»U'^c  'c^X'9^  icepioxaoi^  (Sneton.  p.  6,  IfL  Beiftersch.). 
Vgl.  Aristot.  poet.  c.  11;  am  Anfang  von  c.  13  stellt  er  diese  Anlage  am 
höchsten. 

2)  C.  Thirlwall  on  the  irony  of  Sophocles,  Philological  Mosenm  II 
p.  483flf.  =  PhiloL  6,  81flf.  254flf.;  J.  H.  Schlegel  die  trag.  Ironie  bei 
Soph.,  Tanberbi^ho&heim  1874  (Progr.  von  1869,  1870, 1872);  J.  Pokorny 
die  Amphibolie  bei  Aeschylus  und  Sophokles  I.  Pr.  v.  Ungarisch-Hradisch  1884. 

3)  '"ÄYvoia  Lucian.  calumn.  1. 

4)  Ilapixtaoic  Donat.  Terent.  Adelph.  3,  1,  10. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  185 

bricht  die  Katastrophe  mit  verdoppelter  Wucht  über  sie  herein. 
So  erschallt  im  „Aias",  in  der  „Antigene"  und  den  „Trachi- 
nierinen'*  heiterer  Chorgesang  vor  der  Schreckensbotschaft^), 
der  korinthische  Bote  glaubt  Oedipus  eine  Freudennachricht 
%\x  bringen,  da  er  doch  den  Schleier  des  furchtbaren  Geheim- 
nisses lüftet;  im  euripideischen  „Phaethon'*  naht  Merops  mit 
dem  heiter  singenden  Hochzeitszuge,  um  den  Bräutigam  abzu- 
holen, dessen  zerschmetterte  Leiche  im  Hause  liegt.  Schon 
Aeschylus  scheint  seine  Nachfolger  auf  diese  Erschütternden 
Kontraste  hingewiesen  zu  haben,  indem  er  in  den  „Danaiden'' 
den  Neuvermählten  ein  Wecklied  singen  Hess*).  Nicht  ganz 
rein  ist  die  tragische  Ironie  im  „Agamemnon",  wo  die  Heim- 
kehrenden allein  eidlich  aller  Plage  enthoben  zu  sein  glauben, 
wogegen  der  Chor  eine  unheimliche  Ahnung  nicht  unter- 
drücken kann;  wie  Aeschylus  wirkungsvolle  äusserliche  Mittel 
nie  verschmäht,  so  lässt  er  den  ahnungslosen  Agamemnon  als 
Triumphator  auf  Purpurteppichen  in  den  Palast  dem  Tode 
entgegenschreiten.  In  allen  Fällen  aber  machen  die  Dichter 
den  Zuschauer  zum  Mitwisser  der  wahren  Sachlage',  damit 
sie  die  Ahnungslosigkeit  der  Betroflfenen  in  feinen  Zügen 
mannigfaltig  ausdrücken  können. 

In  der  Peripetie  befindet  sich  die  höchste  Steigerung  der 
Handlung');  denn  der  Schluss  bedeutet  für  Aeschylus  und 
Sophokles  keinen  Bühneneffekt,  kein  künstlich  arrangiertes 
Tableau.  Die  Tragödie  kUngt  lyrisch  aus,  sowohl  äusserUch 
als  innerlich  genommen.  Hiebet  setzen  sich  die  Dichter  mit 
unserem  Geschmacke  wiederum  in  Zwiespalt,  was  namentlich 
der  gerechten  Beurteilung  des  „Aias**  Eintrag  gethan  hat;  das 
Ende  der  „Elektra"'  ist  gleichfalls  nach  unseren  Begriffen  matt 
und  Euripides  hätte  den  geblendeten  Oedipus  gewiss  nicht, 
wie  Sophokles  that,  auf  das  endgiltige  Urteil  Apollos  vertröstet, 
sondern  sofort  mit  Antigene  in  das  Elend  hinausziehen  lassen. 
Er  bildet  in  Hinsicht  auf  den  Schluss  die  moderne  Bühnen- 
mache bereits  vor  und  beeitiflusst  das  ästhetische  Urteil  seines 


1)  SchoL  Soph.  Ai.  698  B5tici^opoc   S^   h  7coiy)x4)c  iicl  xä^  toiaotac  }itXo- 

2)  Fr.  40  Dind. 

3)  Tb  oov»xt(x<0Taxov  xoh  Bpdfiatoc  Schol.  Soph.  Ol.  1456. 


Digitized  by 


Google 


186  VI.  Kapitel. 

Volkes;   infolge  dessen  tadelte  bereits   ein  alter  Erklärer  den 
Schluss  des  „Aias"  *). 

Nicht  einmal 'die  jüngeren  Zeitgenossen  der  drei  grossen 
Tragiker  und  ihre  Nachfolger  gingen  in  der  Regel  von  der 
Einfachheit  der  Handlung  ab;  Versuche  einer  Dramatisierung 
langer  Geschichten,  wie  Ilions  Zerstörung  oder  Niobes  Schick- 
sale missglückten ,  selbst  als  ein  Agathon  sich  dazu  verirrte  ^. 
Die  Doppelhandlung  der  euripideischen  „Hekabe**  entsprang 
mehr  einem  Fehlgriffe  als  bewusster  Neuerung,  wie  denn  Euripi- 
des,  dem  ein  straffer  Bau  des  Dramas  selten  gelingt,  wiederholt 
Episoden  sich  zu  Schulden  kommen  lässt,  weil  gerade  bei 
solchen  unorganischen  Scenen  die  Schauspieler  ihre  Rechnung 
fanden^);  z.  B.  ist  in  den  „Phönissen"  die  Scene,  wo  Anti- 
gene mit  dem  Pädagogen  die  Heere  beschaut,  eine  zwecklose 
Umbildung  der  homerischen  Mauerschau  und  bezeichnet  gegen- 
über den  Botenberichten  der  „Sieben"  einen  entschiedenen 
Rückschritt.  Bei  Sophokles  hingegen  dürfte  eine  wirkliche 
Episode  kaum  zu  finden  sein;  denn  das  feierliche  Sühnopfer 
im  „Oedipus  auf  Kolonos"  erschien  den  Frommen  Athens 
und  dem  priesterlichen  Dichter  unbedingt  notwendig,  auf  dass 
nicht  bloss  Athens  Gottesfurcht  jederzeit  bethätigt,  sondern 
auch  der  künftige  Heros  von  Kolonos  von  jedem  Makel  der 
vergangenen  Schreckensthaten  gereinigt  würde.  Dennoch  müssen 
die  Dutzenddichter  in  diesem  Punkte  viel  gesündigt  haben, 
andernfalls  hätte  das  Wort  iTretaöSiov  (Scene)  nicht  zur  Zeit 
des  Aristoteles  die  heutige  Bedeutung  erhalten*).  Kleinere 
Abschweifungen  gestattete  sich  freilich  auch  ein  Sophokles 
unbedenklich ;  wie  hätte  sonst  in  „Helenas  Rückforderung'* 
von  den  späteren  Schicksalen  des  Sehers  Kalchas  *)  und  in 
den  „Kolcherinen"  von  Prometheus  •)  gesprochen  werden 
können  ? 


1)  Schol.  Soph.  Ai.  1123. 

2)  Aristot.  poet.  18  p.  1456  a  16  ff. 

3)  Aristot.  poet.  9  p.  1451  b  37  6ici  Zk  tcbv  &Ya6'd>y  Ziä  xob^  öitoxpitdc  a.s.  w. 

4)  Aristot.  poet.  17  gg.   E.  vgl.  9   p.    1451b   34    al    ft]tetoo$ia>$ei(   clol 
X^ipiotat. 

5)  Fr.  188  Dind. 

6)  Arg.  Aesch.  Prom. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  .  187 

Die  Handlung  wickelte  sich  klar  und  durchsichtig  ab; 
Intriguen  waren  nicht  beliebt  ^)  und  auch  nicht  gut  möglich, 
weil,  abgesehen  vom  Anfange  des  Stückes,  der  Chor  immer 
anwesend  zu  sein  pflegte,  was  jeden  Monolog  und  alle  geheimen 
Beratungen  verhinderte.  Die  an  den  Intriganten  streifende 
Figur  des  verschlagenen  Odysseus  war  schon  durch  das  Epos 
gegeben,  wenngleich  im  Drama  die  Sympathie  für  seinen  Rivalen, 
den  attischen  Heros  Aias,  besonders  aber  die  lockende  Anti- 
these zwischen  Rat  und  That,  List  und  Gewalt  sein  Charakter- 
bild entstellte  *).  Die  Alten  sahen  viel  weniger  als  wir  auf 
eine  kunstreich  angelegte  Handlung;  hätte  sonst  Aristoteles 
schon  ein  Stück  mit  Peripetie  oder  Erkennung  ein  verwickeltes 
genannt  *)  ? 

Der  griechische  Tragiker  verzichtet  überhaupt  auf  eine 
ernstliche  Spannung  der  Hörer  und  lässt  sie,  weit  entfernt 
an  Ueberraschung  zu  denken,  stets  mehr  als  die  auftretenden 
Personen  wissen.  Bei  Euripides  tritt  deshalb  zu  wiederholten 
Malen  ein  überirdisches  Wesen  vor  der  eigentlichen  Handlung 
auf,  damit  es  dem  Zuschauer  gewissermassen  einen  Abriss 
alles  dessen,  was  er  im  Folgenden  sonst  nicht  leicht  verstehen 
könnte,  gebe.  Vor  ihm  war  ein  mehr  auf  die  religiöse  Phantasie 
berechnetes  Mittel  üblich;  es  gibt  nämlich  wenige  Tragödien, 
worin  Orakel,  Prophezeiungen  oder  Träume  gänzlich  fehlten, 
da  im  fünften  Jahrhundert  die  Skeptiker,  welche  über  solche 
Dinge  ihi-e  eigene  Ansicht  hatten,  noch  sehr  in  der  Minder- 
zahl und  deshalb  zum  Schweigen  genötigt  waren. 

Wir  kommen  hiemit  wieder  darauf  zurück,  dass  das  alte 
Trauerspiel  weder  auf  die  Nerven  der  Zuschauer  wirkte ,  noch 
auch  durch  eine  kunstvoll  verschlungene  Anlage  an  den  Ver- 
stand sich  wandte,  weil  die  Griechen  das  wahre  Tragische  so- 
wohl im  Rührenden  als  im  Furchtbaren  fanden.    Jener  Empfin- 


1)  Voltaire  bemerkt  vortreflflicb  gegen  Corneille:  Si  votis  traitez  Iphi- 
genie  on  Electre  on  P^nelope,  n'y  mSlez  point  de  petite  intrigne  de  conr, 
was  er  eingehend  motiviert. 

2)  Wilh.  Marcowits  Ulixis  ingeninm  qaale  et  Homerns  finxerit  et 
tragici  Graecorum  poetae,  Pr.  v.  Dösseidorf  1854;  J.  P.  Mahaffy  Herma- 
thena  II.  p.  266  ff. 

3)  Poet.  c.  10. 


Digitized  by 


Google 


188  VI.  Kapitel. 

dung  galten  die  Fainilienscenen*),  sei  es  dass  Engverwandte, 
Eltern  und  Kinder  oder  Geschwister  den  letzten  Abschied  von 
einander  nehmen  oder  zQ  nehmen  glauben,  sei  es  dass  sie  nach 
langer  Trennung  sich  jubelnd  in  die  Arme  sinken.  Die  Rührung 
solcher  Augenblicke  wird  oft  dadurch  gesteigert,  dass  das  eine 
das  andere  lange  Zeit  verkennt  und  etwa  gar  einen^  Feind  in 
ihm  sieht,  bevor  ihr  Verhältnis  klar  wird.  An  dergleichen  Er- 
kennungsscenen  (iva^viopCoetc)  voll  Jubelliedern  und  Freude- 
thränen  haben  sich  die  Griechen  nie  satt  gesehen  und  später, 
<als  der  Roman  an  die  Stelle  der  Tragödie  trat,  nicht  satt  ge- 
lesen. Aristoteles  trägt  dieser  Geschmacksrichtung  dadurch 
Rechnung,  dass  er  jenen  in  der  Poetik  einen  besonderen  langen 
Abschnitt  einräumt*). 

Die  Liebesscenen  dagegen,  welche  das  Ueberwuchern 
der  Romane  auf  unsern  Bühnen  unvermeidlich  gemacht  hat, 
waren  den  griechischen  Tragikern  ganz  unbekannt,  weil  sie  den 
Sitten  und  Anschauungen  der  Hellenen  gänzlich  ferne  lagen. 
Euripides  allein  hat,  soviel  wir  wissen,  in  der  ,.Andromeda" 
einen  Ansatz  dazu  gemacht  und  doch  zeigt  gerade  das  davon 
Bekannte  den  tiefen  Unterschied  zwischen  Griechen  imd  Mo- 
dernen :  Perseus,  von  Andromedas  Schönheit  zur  Liebe  entflammt, 
drückt  seine  Gefühle  aus  und  sie  —  sagt  nach  längerem  Zögern 
weder  nein  noch  ja.  Trotz  dieser  Diskretion  hat  Euripides 
mehr  von  Liebe  in  das  Trauerspiel  gebracht  als  seinen  Zeit- 
genossen recht  war,  im  „Chrysippos**  vollends  dramatisierte  er 
ungescheut  die  Knabenliebe  ^).  Freilich  wich  er  im  Allgemeinen 
von  der  Gewohnheit  des  gi'iechischen  Dramas  nicht  ab,  zwar 
nicht  jene  Leidenschaft  selbst,  aber  dadurch  beeinflusste  Hand- 
lungen darzustellen,  wie  Sophokles,  obgleich  er  zuerst  in  die 
Antigonesage  Haimons  Liebe  gebracht  hat,  dennoch  bloss  ihre 
verhängnisvolle  Wirkung  fühlen  lässt.  In  den  „Trachinierinen'' 
wirkt  Herakles'   Zuneigung   zu  lole  gleichfalls    wie    aus   dem 


1)  Vgl.  G.  Dalmass  la  famiglia  in  Sofocle,  Pr.  v.  Rovereto  1886. 

2)  Cap.  16,  vgl.  11. 

3)  Ovid.  (trist.  2,  406)  fügt  aas  der  späteren  Tragödie  Hylas  nnd  Gany- 
medes  bei.  Epigrammatiker  gaben  daher  dem  Drama  das  Beiwort  icaiSepaatag 
(Athen.  13,  601b).  Im  „Aohillens"  des  Aeechjlos  und  der  sophokleischen 
„Niobe*^  (Athen.  13,  601  ab)  kam  diese  Empfindung  nur  nebenbei,  um  die 
Kührang  su  verstärken,  vor. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  lgi> 

Hintergrund,  etwas  kühner  war  Sophokles  bei  Hippodameia  ^)» 
doch  mied  er  alle  anstössigen  Themen*).  Hingegen  hebt 
Aeschylus ,  der  Sprosse  einer  strengeren  Zeit,  bei  Aristophanes 
hervor,  nie  habe  er  ein  liebendes  Weib  auf  die  Bühne  gebracht*) ; 
in  der  That  war  selbst  bei  der  Danaidin  Hypermestra  das  Liebes- 
nK>tiv  in  eine  Fügung  Aphrodites  gewandelt  und  sozusagen 
personifiziert.  Die  hellenische  Tragödie  fasst  überhaupt  Aphrodite 
mit  Eros  und  Peitho*)  als  unheimliche  dämonische  Gewalten^ 
die  den  Menschen  unaufhaltsam  zu  vielem  Schlimmen  fort- 
reissen.  Die  Tragiker  der  Aufklärungszeit  scheuten  nicht  einmal 
vor  so  bedenklichen  Problemen  des  Seelenlebens  wie  Makareus 
und  Kanake,  Kinyras  und  Myrrha  zurück*).  Euripides  fördert  die 
erotische  Auffassung  der  Mythologie  ungemein  und  verhilft  ihr 
in  der  Literatur  und  Kunst  der  Folgezeit  zum  Siege.  *) 

Obgleich  jeder  jähe  Umschlag,  bald  ein  plötzlicher  Schick- 
salswechsel bald  eine  rührende  Erkennung,  auf  Griechen  die- 
ergreifendste  Wirkung  ausübte,  erschien  es  ihnen  doch  auch 
tragisch,  wenn  den  Helden  ein  gewaltiges  Leid  oder  der  Tod 
traf  "O,  wie  z.  B.  Aias  sich  selbst  tötete  und  Ixion  von  Zeus  in 
den  Hades  geschleudert  wurde  ^).  Der  Selbstmord  zumal  und 
zwar  namentlich  das  Erhängen  erschütterte  die  Herzen  am 
meisten^),  weshalb  ihn  Sophokles,  wo  er  nur  kann  (in  der 
Antigone  gar  dreimal),  anwendet.  Oft  bilden  Leichen  (durch 
Puppen  dargestellt)  den  Gegenstand   einer  ergreifenden  Klage,. 


1)  Fr.  421  D.  4dON.  bei  Athen.  13,  564  bo;  Tgl.  Ribbeck  römische 
Tragödie  S.  434  f.  Liebe  war  auch  in  den  Kolcherinnen,  Skyrierinnen  und 
Phoidra  ein  tragisches  Motiv. 

2)  Nikephoros  in  Walz'  rhetores  I  445,  3 f.;  s.  jedoch  fr.  736. 

3)  Aristoph.  Ran.  1044  f. 

4)  Vgl.  Chr.  Jessen  Ztsoh.  f.  Gymnasialwesen  VI  (1852)  S.  737 fiT. 
Charakteristisch  ist  hiefur  der  berühmte  Chorgesang  der  „Antigone*'  (V.  781  ff.)» 

5)  Ersteres  im  euripideischen  Aiolos;  letzteres  Joseph,  antiq.  Jud.  19, 1, 13. 

6)  Ovid  (trist.  2,  381—409)  gibt  ein  langes  Verzeichnis  erotischer  Tra- 
gÖdienstoiSe;  die  blässliche  Jünglingsmaske  der  Theatergarderobe  deutet  Erark- 
heit  oder  Liebe  an  (PoUux  4,  137);  über  die  Kunst:  Ad.  Fnrtwftngler 
Eros  in  der  Vasenmalerei,  München  1874. 

7)  Ila^oc  Aristot  poet.  11  a  E. 

8)  Aristot  poet  18  p.  1455  b  a.  E. 

9)  8oph.  OR.  1230  f.  xu»v  hi  iciqfi.oyä)V  {X^Xcota  Xoico&o'  att  (pavd>o'  ah- 
^atpttoc;  über  das  Erhängen  Nauck  zu  Soph.  Oed.  R.  1374. 


Digitized  by 


Google 


190  VI.  Kapitel. 

z.  B,  richtete  schon  in  den  „Myrmidonen"  des  Aeschylus  Achilleus 
an  den  toten  Freund  eine  rührende  Ansprache  *). 

Damit  das  Unglück  mit  voller  Macht  wirke,  verschmähten 
die  Alten  einen  kräftigen  Realismus  durchaus  nicht.  Man 
führte  nicht  etwa  bloss  Blinde  wie  Teiresias  und  Phineus*), 
sondern  auch  Oedipus  mit  blutenden  Augenhöhlen  vor.  Blut 
war  überhaupt  so  wenig  als  bei  den  griechischen  Künstlern ')  ver- 
pönt: Klytaimestra  trat  bei  Aeschylus  mit  dem  Blut  ihres  Gatten 
besudelt  (V.  1390),  bei  einem  anderen  das  blutige  Beil  tragend 
heraus*)  und  Agaue  trug  in  ihrer  Verblendung  triumphirend 
das  abgerissene  Haupt  ihres  Sohnes  ^).  Nicht  einmal  Sophokles 
hielt  sich  auf  der  schmalen  Linie  der  idealen  Schönheit;  denn 
er  ersparte  den  Zuschauern  die  Erblindung  des  Thamyras^ 
und  das  blaugeschlagene  Antlitz  der  misshandelten  Tyro^)  so 
wenig  als  die  grässlichen  Schmerzen  des  sterbenden  Herakles 
oder  die  Krämpfe  Philoktets,»  an  welche  vielleicht  Aeschylus 
schon  das  Publikum  gewöhnt  hatte®).  Euripides  überbot  ihn 
mit  gebärenden  Frauen  ^)  und  Thyestes'  Schreckensmahl  ^®). 
Den  Wahnsinn  der  lo,  des  Herakles  und  der  berühmten  Mutter- 
mörder Hessen  sich  die  Dichter  und  wiederum  Euripides  und 
Aeschylus  vor  anderen  nicht  entgehen"). 

Viel  zurückhaltender  waren  sie  hingegen,  wenn  es  sich  um 
Gewaltthaten,  welche  lebhafte  Bewegung  bedingten,  handelte. 


1)  Fr.  131—33,  8.  Ribbeck  röm.  Tragödie  S.  355;  die  Leichen  wurden 
natürlicb  dnrch  Puppen  dargestellt. 

2)  PoUux  4,  141. 

3)  Brunn  die  philostratischen  Gremälde,  Jahrbb.  Suppl.  4,  217 f. 

4)  Heßych.  u.  AY||j.Yjtptoc  6  IliXsxoc. 

5)  Vgl.  Plutarch.  Craas.  33. 

6)  Daher  hatte  die  Maske  zweierlei  Augen  (Pollux  4,  141). 

7)  PoUux  4,  141. 

8)  G.  Hermann  opuscula  3,  126;    über   das  Ekelhafte  in   der  alten 
Poesie  L  es  sing  Laokoon  Kap.  25  S.  149  und  Anhang  S.  279  H. 

9)  Eanake  im  „Aiolos^^  Sueton.  Nero  21 ;  Auge  Schol.  Paris,  zu  Aristoph. 
Ran.  1080. 

10)  „Kreterinen"  fr.  470—71. 

11)  lo  und  Orestes  bei  Aeschylus,  Orestes,  Herakles  und  Alkmeon  (ge- 
schildert von  Tatian.  ad  Graec.  24  z.  B.  f  opei  oxoX'yjv  3i:cav^pa>icov)  bei  Euri- 
pides; Sophokles  schrieb  einen  „wahnsinnigen  Odysseus*S  der  jüngere  Asty- 
damas  einen  „wahnsinnigen  Aias". 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  191 

Zwar  überschätzt  man  jetzt  die  lästigen  Folgen  des  Kothurns. 
Wie  oft  kommt  es  vor,  dass  eine  Person  flehend  auf  die  Kniee 
niederfällt  oder  zu  Boden  sinkt  ^).  Wie  oft  wird  jemand  wider 
seinen  Willen  fortgeschleppt!  Euadne  springt  in  den  Scheiter- 
haufen und  Nausikaa  spielt  Ball.  Allein  zum  Gebrauch  der 
Waffen  kam  es  auf  der  Bühne  nie,  obgleich  Merope  gegen 
ihren  Sohn  die  Axt  erhob,  der  Wächterchor  des  „Rhesos" 
Odysseus  im  Laufschritt  verfolgte  ^  und  Telephos,  wie  Alexan- 
dros,  um  ihr  Leben  zu  retten,  vor  den  gezückten  Schwertern 
auf  einen  Altar  sich  flüchten  mussten  ^.  Wenn  am  Palast  des 
Bühnengebäudes  oben  ein  Ziegeldach  angebracht  war,  von  dem 
aus  in  einem  Stücke  Ziegelsteine  auf  die  anstürmenden  Feinde 
geworfen  wurden,  so  geschah  dies  gewiss  keineswegs  auf  die 
Bühne  herab*).  Weil  also  die  Waffen  nie  gebraucht  wurden, 
kam  ein  Totschlag  auf  offener  Scene  nicht  vor.  Wiewohl 
ein  religiöses  Bedenken  dagegen  nicht  vorhanden  gewesen  wäre 
—  es  war  ja  ein  scheinbar  Sterbender  nicht  unreiner  als  eine 
fingierte  Leiche  — ,  zögerten  die  Dichter  soweit  vorzugehen, 
teils  weil  sie  die  Schauspieler  notwendig  brauchten  und  an  dem 
chinesischen  Brauche,  dass  die  Toten  selber  von  der  Bühne 
gehen,  keinen  Gefallen  finden  konnten,  teils  weil  bei  solchen 
Vorgängen  das  Erschütternde  sehr  leicht  in  das  Lächerliche 
umzuschlagen  pflegt.  Der  Selbstmord  des  Aias  erforderte  ge- 
wiss einen  ungewöhnlich  taktvollen  Schauspieler  und  Sophokles 
hatte  sich  zu  diesem  gefährlichen  Experimente  nur  deshalb 
entschlossen,  weil  er  die  Botenerzählung  seines  Vorgängers 
Aeschylus  nicht  überbieten  zu  können  meinte.  Er  Uess  den 
Schauspieler  im  Hintergrund  zwischen  Bäumen  und  Gebüsch  *) 


1)  Z.  B.  Eur.  Andr.  529  flf.  579-718  n.  ö.,  s.  Albert  MtiUer  S.  198  A.; 
sogar  ein  ganzer  Chor,  wie  in  den  „Persem"  und  den  „Bakchen"  (V.  604f.). 

2)  Dass  diese  Scene  nicht  vereinzelt  war,  zeigt  Schol.  Aristoph.  Acham.  210. 

3)  Ribbeck  röm.  Tragödie  S.  108.  Derselbe  vermntet  8.  442,  dass 
die  Yerfolgnng  des  Pelops  durch  Oinomaos  (Demochares  in  Vita  Aeschinis 
p.  269,  29  West.)  in  einem  Satyispiel  des  Sophokles  yorkam;  aber  anch  in 
der  „Niobe*'  eilte  ein  Knabe  Hilfe  rufend  über  die  Bühne  (Plutarch.  ana- 
torins  p.  760  de). 

4)  PoUux  4,  129  a.  £. 

5)  Rhetor.  ad  Herenn.  I  11,  18  Aiax  in  Silva  .  •  .  gladio  occubuit; 
dazu  passt  vdicoc  V.  892. 


Digitized  by 


Google 


192  VI.  KapiteL 

niederstürzen,  worauf  ihn  Tekmessa  mit  einem  Gewände  yer- 
liüllte  (915  f.);  nachdem  während  der  Klagegesänge  eine  Puppe 
an  seine  Stelle  gelegt  worden  war,  deckte  Teukros  (V*  1003  ff.) 
die  Leiche  auf.  Der  Dichter  stand  damit  nicht  allein,  wenn 
auch  derartiges  bei  den  Griechen  selten  vorkam  ^)  Aber  man 
richtete  doch  für  TodesfiQle  durch  das  Schwert  oder  durch  Er- 
trinken eine  besondere  Maschinerie  her*). 

Nicht  alle  Stücke  erregten  Mitleid  und  Furcht  der  Zu- 
schauer, sondern  viele  riefen  zunächst*  Staunen  durch  die  vor- 
geführten Wunder  hervor');  glaubte  doch  das  griechische 
Volk  zur  Zeit  der  Perserkriege  wenigstens  an  Wunder  nicht 
weniger  zuversichtlich  als  das  Mittelalter.  Erst  als  der  Glaube 
erschüttert  und  das  Uebernatürliche  zu  einem  Kunststückchen 
für  Gaffer  herabgesunken  war,  legte  Aristoteles  mit  Recht  gegen 
die  verschwenderische  Anwendung  Protest  ein.  Aber  die  Dichter 
der  Blütezeit  Hessen  die  Gesetze  der  Natur  durch  die  göttliche 
Macht  durchbrechen :  der  geistesumnachtete  Aias  nahm  Odysseus 
nicht  wahrj  letzterer  war  im  „Philoktet"  des  Euripides  nach 
homerischem  Muster  von  Athene  unkenntUch  gemacht;  im 
sophokleischen  „Tereus**  führte  sogar  die  Stimme  des  Webe- 
schiffchens die  furchtbare  Erkenntnis  herbei*).  Ferner  wurden 
trotz  der  bekannten  Vorschrift  der  Kunstrichter*)  bei  Euripides 
Kekrops  in  eine  Schlange,  Hippe  in  ein  Pferd  verwandelt  und 
Aktaion  trat  mit  einem  Hirschgeweih,  wie  die  aeschyleische 
lo  mit  Kuhhörnem,  auf,  eine  Andeutung  der  Metamorphose, 
welche  die  Kunst  den  Tragikern  lehrte  *).  Der  gleiche  Tragiker 
liess  in  seiner  Kühnheit  Bellerophon  und  Perseus  durch  die 
Luft  reiten  und  fliegen'')  weil  Aeschylus  bereits  für  das  Herab- 
schweben und  Emporsteigen  der  Götter  die  notwendigen  Ma- 
schinen eingeführt  hatte®).    Denn  die  Götter  griffen,  wie  oben 


1)  Schol.  Soph.  Ai.   815  ^oxi   hh   xä  xoiaüta  napä  xoic  naXaiolc  oicavca. 

2)  Itpo<pslov  PoUux  4,  132. 

3)  E.  RoQx  essai  sar  le  merveilleux  dans  la  trag^ie  grecque,  thtoe 
von  Paris  1846. 

4)  Aristot.  poet.  16  p.  1464  b  a.  E.  . 
6)  Horat.  a.  p.  187. 

6)  Fr.  922  N.  PoUux  4,  141. 

7)  PoHux  4,  128.  Eurip.  fr.  123  N. 

8)  So  Okeanos  und  seine   Töchter   (vgl.  129.  135)   im    „Prometheus"; 
letztere  verlassen  erst  Y.  279 ff.  ihren  wunderbaren  Wagen  (anders  Wieseler 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  193 

gesagt  wurde  (8.  167),  sehr  häufig  in  eigener  Person  ein.  Die 
Unterweit  entsandte  die  fackelschwingenden  Erinyen*)  und 
Schattengestalten  auf  der  sogenannten  charontischen  Stiege 
empor*),  was  wiederum  Aeschylus  in  den  ,^mneniden'*  (anders 
in  den  „Persern'*)  eingeführt  hatte.  Bei  Sophokles  stieg  Achil- 
leus'  Gteist  in  der  „Polyxena"  an  die  Oberwelt  herauf,  xnn  das 
Blut  der  trojanischen  Prinzessin  zu  fordern  ^)  Euripides  erregte 
mitleidsvolle  Rührung,  wenn  der  ruhelose  Geist  des  jungen 
Polydoros  sein  klägliches  Geschick  erzählte.  Man  versetzte  die 
Scene  überhaupt  in  die  Unterwelt,  wie  Euripides  (?)  die  des 
Peirithus*). 

Die  alten  Dichter  wussten  nicht  schlechter  als  ihra 
neueren  Kollegen ,  dass  die  Mehrzahl  der  Zuschauer  nicht 
bloss  hören,  sondern  auch  sehen  wollte,  —  spricht  doch  auch 
der  Deutsche  von  Schauspiel  —  und  hatten  als  Bürger  einer 
demokratischen  Republik  den  Wünschen  der  Mehrheit  Rech- 
nung zu  tragen.  Aristoteles  zählt  daher  die  Ausstattung 
(&j)tc),  wiewohl  er  das  Unkünstlerische  solcher  Mittel  hervor- 
hebt, zu  den  Grundbestandteilen  der  Tragödie*).  Aeschylus 
machte  mit  den  Kostümen  den  Anfang,  indem  er  die  Sinne 
der    Zuschauer    durch    Purpur^,    Goldstickerei^,   buntfarbige 


de  difficilior.  qoib.  Poll.  locis  p.  6  u.  C.  Fr.  Müller  die  soenische  Darstel- 
lung des  aeschyleischen  Promethens,  Stade  1871  S.  13).  Polloz  weiss  4,  128 
die  Ausdrücke  der  Maschinisten  nicht  auseinander  zu  halten. 

1)  Aristopb.  Hnt.  423  f. 

2)  Xapwvtot  xXtfiaxec  Pollnx  4,  127.  132,  vgl.  A.  Müller  S.  149  ff.  Die 
Erscheinungen  hiessen  ävaB8CY{J.axa  (Hesych.  s.  v.,  s.  u.  SvBspYF''^)* 

3)  Ft.  469  Dind.;  vielleicht  auch  Amphiaraos  in  den  „Epigonen**  (Bib- 
beck  röm.  Tragödie  8.  491  ff.). 

4)  Fr.  594  (Gr^.  Cor.  Walz  rhet.  7,  1312) ;  vgl  Aristot.  poet,  18  p.  1456  a 
3.  Anon.  de  comoedia  ym  33.  Anecd.  Par.  I  p.  3. 

5)  Poet.  c.  6  p.  1449  b  32  u.  ö. 

6)  Philemon  fr.  115  M  =  106,  4  K.  Horat.  a.  p.  228.  Plutarch.  glor. 
Athen.  5.  Demetr.  41;  fotvixi^  PoUux  4,  116  (auch  die  Ifarcxi^  war  rot); 
oopxi^  KopfopoDc  bei  den  Königinnen  ders.  4,  118;  sogar  die  Riemen  der 
Schuhe  waren  purpurn  (Vergil.  Ecl.  7,  32.  Aen.  1,  337). 

7)  XXa{jL&c  Stdxpaoo^,  xp^sönaotoc  Pollux  4,  116;  vgl.  Horat.  a.  p.  228. 
Plut.  Demetr.  41.  Pollux  4,  116.  Ludan.  somn.  26.  Menipp.  16.  Icaromen. 
29  a.  E.,  auch  epist.  Saturn.  2,  28.  Nigrin.  11  (xpooc^);  picti  cothumi  Ovid. 
am.  2,  18,  15  (vgL  Wieseler  Denkm&ler  T.  IV  10),  wie  Dionysos  in  dem 
alezandrinischen   Zuge   6)Jißd8ec    xpooor^pa^tl^  trfigt   (Athen,   5,  200  d).    Der 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  m.  ]^3 


Digitized  by 


Google 


194  VI.  Kapitel. 

Gewänder  *) ,  goldenen  Schmuck  *)  und  Elfenbeingriflfe  der 
Schwerter^)  bestach.  Zugleich  gab  er  durch  Einführung  von 
Triumphzügen  den  Anstoss  dazu,  dass  der  Chorege  kostbares 
Geräte,  z.  B.  Silbergefilsse *) ,  zusammenschaflfle.  So  führt  Aga- 
memnon, als  er  stolz  zu  Wagen  eintUhrt,  die  troische  Beute  mit 
sich*),  auch  in  den  „Trachinierinen'*  tritt  ein  Beutezug  auf. 
Euripides  vollends  triflFt  die  Schuld,  dass  er  das  Publikum  zu- 
erst durch  ein  reines  Schaustück  ergötzte;  bevor  nämlich  die 
Handlung  des  „Orestes'*  begann,  wurde  Helenas  Einzug  stumm 
vorgeführt*).  Zu  solchen  Schaustücken  brauchte  man  zahl- 
reiches Volk  (8opüyöpTf]|ia)^  und,  wenn  auch  die  Sklaven  die  wohl- 
feilsten Statisten  waren,  sollten  doch  ihre  Gewänder  prächtig 
sein^).  Die  Eröflfnungsscenen  der  „Sieben"  und  von  „König 
Oedipus",    sowie   die  Areopagsitzung  in  den  „Eumeniden**  ver- 


Chor trug  goldgestickte  Grewänder  (Antiphanes  fr.  202,  6  M.).  Deshalb  haupt- 
sächlich beliefen  sich  die  Kosten  einer  tragischen  Choregie  bis  auf  ein  halbes 
Talent  (Lysias  21,  1),  obgleich  es  damals  schon  Eostttmverleiher  gegeben  zu 
haben  scheint  (Pollux  7,  78).  Man  stellte  »ich  Dionysos  selbst  '^pi}<36si\i.6(: 
vor  (Revue  nrcheol.  1870/1  p.  107  Z.  14).  Die  Schauspieler  erhielten  das 
Privilegium  der  xpö^ofopia  (CIA.  II  562  c  8). 

1)  Enrip.  Andr.  148;  ßatpaxU  Pollux  4,  116.  Man  darf  vielleicht  daran 
erinnern,  dass  Polygnot,  Aeschylns*  Zeitgenosse,  seine  Frauenbilder  mit  bunten 
Hauben  zu  schmucken  pflegte  (Plin.  nat.  hist.  35,  58). 

2)  Enrip.  Andr.  147.  Duris  fr.  31  bei  Athen.  12,  535  e  (hier  ist  zu  lesen 
4u9XiSa  xpt>ooÖ9avtov  xal  y(fiO(3obv  ox8<pavov   (itl  icepov^g).     Lucian.   Anach.    23. 

3)  Lucian.  somn.  26. 

4)  Philemon  fr.  115  =  105,  4  K. 

5)  Eine  der  drei  Thüren  des  Scenengeb&udes  war  für  Wägen  eingerichtet 
(vgl.  Wecklein  Philol.  31,  442 ff.).  Zu  Wagen  erscheinen  ausserdem  Atossa 
(das  erste  Mal  Pers.  607),  der  argivische  König  (Suppl.  170  ff.)  u«d  Athene 
(Eum.  405),  dann  bei  Euripides  Klytaimestra  El.  998  (vgl.  1135  f.)  und  lA. 
607  ff.  und  Andromache  Tro.  568  f. 

6)  Scholien  z.  Y.  58;  so  etwas  hiess  wahrscheinlich  icpotiooBtov  (Heli- 
odor.  Aethiop.  8,  17). 

7)  Plutarch.  mor.  p.  791  e.  Julian.  Caes.  p.  310  o,  Bopo<p6poi  Plut.  glor. 
Ath.  5,  vgl.  Koob  de  mutis  quae  vocantur  personis  in  Graecorum  tragoedüs, 
Halle  1882  p.  22  ff. 

8)  Plutarch.  Phoc.  19;  auch  quaest.  symp.  7,  6,  20  8opo<pop^|j.atoc 
Xa{j.icpo&.  Si^  trugen  eben&Us  Masken  (Hippocr.  lex  2,  5.  Lucian.  Tox.  9). 
Insofern  sie  nichts  zu  sagen  haben,  heissen  sie  %^l^fä  icp6oa>ica  (A.  Müller 
8.  179,  4). 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  195 

langten  deren  viele  *)  und  im  „Oedipus  von  Kolonos"  und  den 
„Schutzflehenden**  (V.  843)  erschien  Theseus  mit  seinem  Heere. 
Den  Schluss  der  „Eumeniden"  bildete  ein  grossartiger  jZug  von 
Frauen  und  Mädchen  in  Purpurkleidern  (V.  1004  flf.).  Euripides 
liess  einen  vollen  Leichenzug  über  die  Bühne  ziehen  ^  und  in 
der  „auUschen  Iphigenie"  von  der  Dienerschaft  Klytaimestras 
die  mitgebrachte  Ausstattung  auspacken. 

Der  Chor  trug,  um  Aufsehen  zu  erregen,  gerne  ausländische 
Kleider,  z.  B.  traten  in  Ions  „Omphale*'  lydische  Harfen- 
flpielerinnen,  in  Euripides'  „Kretern'*  die  Kureten  in  weissen 
Gewändern  auf  und  derselbe  Dichter  ersetzte  den  thebanischen 
-Chor  der  „Sieben**  durch  phönikische  Frauen,  weil  ihm  dies 
interessant€jf  schien.  Die  Tragiker  waren  ja,  wie  die  Komiker 
zeigen,  auch  für  die  Kostüme  und  ßcheinbar  so  geringfügige 
Details,  wie  brennende  Fackeln^),  verantwortUch. 

Zur  Hilfe  des  Maschinenmeisters  nahmen  sie  ebenfalls  in 
vielen  Fällen  ihre  Zuflucht  und  zwar  gerade  schlechte  Dichter, 
wieXenokles,  „dör  Maschinenerfinder**  oder  „der  zwölfmaschinige'^ 
beigenannt*).  Die  Himmlischen  sprachen  mit  Blitz  und  Donner 
2U  den  Menschen^).  Vor  allem  gebrauchten  Aeschylus  und 
Euripides  die  Maschinerie  zur  Erzielung  eines  effektvollen  Ab- 
schlusses: Der  Fels,  an  welchen  der  Titane  geschmiedet  war, 
versank  samt  den  Töchtern  des  Okeanos  in  die  Tiefe.  In  den 
„Schutzflehenden**  sah  man  die  Scheiterhaufen  auflodern,  wie 
Pentheus'  Palast  in  Flammen  eingehüllt  erschien^),  und  die 
,,Troerinen**  schlössen  mit  dem  Einstürze  der  brennenden 
Trümmer  Ilions. 

Wir  möchten  zu  den  sinnlichen  Elementen  des  Trauerspiels 
endlich  die  geographischen  Exkurse  rechnen,  insoweit 
die  gehäuften  Namen  nie  gehörter  Länder  und  Orte  den  Hörer 
in   Staunen   versetzten;    Aeschylus   fand   hieran   ausnehmend 


1)  Zawadzkl  die  Anzahl  der  Areopagiten  in  Aeschjlos'    Eom.,  Pr.  v. 
Bnhrort  1884. 

2)  Aloest.  607  flf.,  vrI,  625  flf. 

3)  Aristophan.  fr.  800  b  =  599  E.    (gegen  Agathon),    ebenso  Ear.    UeK 
.865  ff.  und  am  Ende  der  Enmeniden. 

4)  Aristoph.  Pac.  791  mit  Schollen. 

5)  Das  ßpovtstov  wird  z.  B.  im  „Oedipns  auf  Kolonos"  verwendet. 

6)  Bacch.  594£f.  624  f. 

13* 


Digitized  by 


Google 


196  VI.  Kapitel. 

Gefallen,  indes  zahlten  auch  Sophokles  und  Euripides  im  Trip- 
tolemos*)  und  den  „Bakchen"  dieser  Manier  ihren  Tribut. 

Von  der  Art  von  Trauerspielen,  welche  Aristoteles  die 
ethische  nennt,  weil  sie  des  Pathos  entbehrte^,  besitzen  wir 
kein  Beispiel  mehr.  Wir  müssten  denn  die  euripideischa 
,,HölöDa''  hieher  zählen,  indes  steht  sie  hinsichtlich  ihrer 
ziemUch  verwickelten  Handlung  dem  modernen  lutriguenstücke 
näher,  während  sonst  diese  Gattung,  wie  gesagt,  den  Hellenen 
fremd  war.  Man  glaube  darum  nicht,  dass  sie  die  Tragödien» 
mit  dem  blossen  Gefühle  und  nicht  auch  mit  dem  Yerstanda 
beurteilten;  im  Gegenteil  bemerkten  sie  UnwahrscheinUchkeiten 
recht  wohl  und  Uessen  sie  sich  höchstens  dann  gefallen,, 
wenn  sie  wie  im  „König  Oedipus**  vor  der  dargestellten 
Handlung  lagen;  ich  meine  den  seltsamen  Umstand,  dass  der 
Herrscher  um  die  Ermordung  seines  Vorgängers  sich  nicht 
bekümmert  hat*). 

Entsprechend  der  Einfachheit  des  Stoffes  wurde  die  Aus- 
führung  mit  den  einfachsten  Mitteln  besorgt.  Da  nun  die 
Exposition*)  verhältnismässig  die  grössten  Schwierigkeiten 
bereitete,  blieb  man  am  liebsten  bei  einer  bereits  in  der  Praxis^ 
bewährten  Methode,  so  dass  der  Dichter  leicht  etwas  schablonen- 
haft arbeitete  und  der  Schauspieler  durch  gewandten  taktvollen 
Vortrag  die  Absichtlichkeit  verdecken  musste.  Die  alten  Tra- 
giker waren  im  Vergleich  mit  ihren  modernen  Kunstgenossen» 
mag  auch  z.  B.  Shakespeare  in  mehreren  histories,  besonders^ 
in  „Richard  HI.**  die  Kenntnis  der  vorherliegenden  Ereignisse^ 
voraussetzen,  unvergleichlich  günstig  gestellt,  weil  die  Zuschauer 
die  Stoffe  mindestens  in  grossen  Zügen  kannten  und  mit  den 
Namen  der  Hauptspieler  wohl  vertraut  waren  ^).  Die  einfache 
Entwicklung  des  „König  Oedipus"  wäre  in  unseren  Zeiten 
unmöglich,  wie  Schiller  klarer  als  je  einsah,  als  er  zur  Expo- 
sition  des  „Wallenstein''    mehr  Akte  als   für  die   eigentliche 


1)  Strabo  1,  27. 

2)  Aristot.  poet.  18  p.  1456  a  1. 

3)  Aristot.  poet.  15  p.  1454  b  7  f. 

4)  Ernst  Ziehl  über  die  dramatische  Exposition,  Diss.  v.  Rostock  1869» 

5)  Dies   hebt   der   Komiker  Antiphanes  (fr.  191 K.  bei  Athen.  6,  222a) 
drastisch  hervor. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  197 

Handlung  gebrauchte  ^).  Demgemäss  kam  es  für  den  griechischen 
Dichter  darauf  an,  dass  er  zuvörderst  den  Zuschauer  unter- 
richtete, welche  Sage  den  Gegenstand  der  aufzuführenden 
Tragödie  abgäbe,  sodann  in  welchem  Sinne  er  dieselbe  auf- 
iasste.  Je  mehr  die  Tragiker  der  OriginaUtät  wegen  die  her- 
Jcömmliche  Fassung  der  Mythen  umgestalteten,  desto  mehr 
nahm  die  Schwierigkeit  und  Wichtigkeit  der  Exposition  zu. 

Aeschylus  durfte  in  den  „Persem",  „Schutzflehenden", 
^jMyrmidonen'*  *)  und  dem  „gelösten  Prometheus"  ')  sofort  den 
-Chor  auftreten  lassen,  der  Vorwurf  dieser  Dramen  war  ja  ent- 
weder an  sich  so  einfach  oder  durch  ein  unmittelbar  vorher- 
gehendes Stück  so  klar  gelegt,  dass  einige  Anapäste  zur  Auf- 
klärung hinreichten.  Mit  der  Fortbildung  des  Trauerspiels 
wurde  aber  ein  besonderer  Prolog*)  in  Trimetem  unver- 
meidlich: Die  „Sieben"  eröffnet  eine  lange  Rede  des  Eteokles 
an  das  thebanische  Volk;  auch  in  den  „Choephoren"  ist  der 
Allein  redende  Orestes  doch  nicht  allein.  Diese  Art  liegt  in 
-der  Mitte  zwischen  dem  wirklichen  Monolog,  den  Aeschylus  im 
^,Agamemnon"  massvoll  und  darum  glücklich  anwendet  *),  und 
'Cinem  lebendigen  Dialoge,  wie  er  den  „Prometheus"  einleitet, 
wo  der  Dichter  bei  seinem  Publikum  so  viel  voraussetzt,  dass 
^r  den  Namen  der  Hauptperson  erst  im  66.  Verse  ausdrücklich 
nennt.  Beide  Mittel  vereinigt  Aeschylus  in  den  „Eumeniden", 
freilich  in  noch  wenig  bühnenmässiger  Weise:  Die  ersten  33 
Verse  hängen  mit  der  Handlung  nicht  zusammen,  sondern 
die   Pythia   spricht   ihr   tägliches   Morgengebet    und   lädt   die 

1)  Brief  an  Goethe  vom  2.  Oktober  1797. 

2)  Fr.  128  D.  =  127  N. 

8)  Frocop.  bist.  Gotb.  4,  6  und  Aeschyl.  fr.  191. 

4)  DpoXo^oc,  insofern  er  vor  dem  Chorliede  gesprochen  wird,  Aristoph. 
Ban.  1119,  1177.  Aristot.  poet.  12;  sloßoXY),  weil  er  die  Exposition  enthftlt, 
Antiphanes  a.  O.  V.  19.  Strabo  13,  616.  Arg.  Earip.  Med.  Schol.  Aristoph. 
Ban.  1.  Thesm.  1066.  Schol.  Hephaeet.  p.  126.  Friedr.  Th.  Ellen  dt  de 
prologo  tragoediae  Graecae,  Habilitationsschr.  v.  Königsberg  1819 ;  C.  G.  F  i  r  n- 
haber  Jahns  Archiv  17  (1851)  S.  545ff.;  E.  W.  Voss  de  tragoediamm 
Oraecarum  prologo,  Diss.  v.  Berlin  1864;  Gas  per  s  über  die  Prologe  der 
Kriech.  Tragödie,  Pr.  v.  Saargemünd  1874. 

5)  Ebenso  vieUeicht  in  den  „Mysem"  (fr.  141 D.)  und  der  „Niobe*^ 
<fr.  155),  sowie  in  den  „Plenronierinen"  (p.  558  Nanck)  nnd  „Phönikerinen*^ 
des  Phrynichoe  (fr.  9  p.  559). 


Digitized  by 


Google 


198  ^'  Kapitel. 

Wallfahrer  zum  Orakel;  hierauf  lässt  die  Priesterin  die  Bühne 
leer,  aber  rasch  wieder  herauskommend,  schildert  sie  entsetzt, 
was  sie  im  Tempel  gesehen,  und  übergibt  gewis8ermassei> 
Apollo  das  Wort,  der  hierauf  mit  Orestes  spricht. 

Sophokles  pflegt  das  Notwendigste  der  Exposition  mit 
unübertrefflicher  Leichtigkeit  zunächst  in  einen  Dialog  einzu- 
flechten;  wenn  Oedipus  in  beiden  Stücken  sich  selbst  beim 
Namen  nennt  *) ,  klingt  das  doch  gerade  bei  diesem  selbst- 
bewussten  Heros  vollkommen  natüriich.  Sophokles  erschwert 
sich  die  Aufgabe  nicht  dadurch,  dass  er  ein  vollständiges  Bild 
der  Sachlage  entwirft,  ohne  Not,  sondern  ist  mit  dem  dramatisch 
Notwendigen  zufrieden.  Ein  alter  Kritiker  macht  die  feine 
Bemerkung,  dass  Oedipus  dem  Chor  von  Kolonos  sein  Schicksal 
nicht  des  langen  und  breiten  auseinandersetze^  wogegen  bei 
Euripides  Theseus  von  Adrastos  vieles  unnötige  erfragt*);  ja 
Sophokles  lässt  lieber  Theseus  den  Thebaner  sofort  erkennea 
als  dass  er  bei  strenger  Einhaltung  der  Wahrscheinlichkeit  die 
Exposition  in  irgend  einer  Weise  wiederholte  ^).  Was  nicht  in 
den  eigentlichen  Prologen  anzubringen  ist,  streut  der  Dichter 
geschickt  an  passenden  Gelegenheiten  ein*).  Nicht  ganz  auf 
der  Höhe  der  übrigen  Stücke  stehen  die  „Trachinierinen'*,  wa 
Deianeira  mit  langatmiger  Rede,  welche  eigentlich  an  das- 
Publikum  und  nicht  an  ihre  Kammerfrau  gerichtet  ist,  anhebt^). 
Nachdem  diese  kurz  erwidert,  beginnt  eine  neue  Scene  zwischen 
der  Königin  und  Hyllos  sofort  die  eigentliche  Handlung. 

Euripides  knüpft  mehr  an  die  ältere  Manier  an^).  Abge- 
sehen   von    dem    verstümmelten   ,»Rhesos*'   und    der   unechten 


1)  Weniger  motiviert  ist  das  gleiche  in  den  äscbyleischen  Eingangsreden 
(z.  B.  bei  Eteokles). 

2)  Schol.  Soph.  OC.  220. 
d)  Vgl.  OC.SOlflf. 

4)  8.  z.  B.  Schol.  Ant.  155. 

5)  Vielleicht  sprach  Prokne  am  Anfange  des  „Tereus"  einen  fthnlicbei» 
Prolog  (fr.  517 D.),  nach  Ribbeck  röm.  Trag.  S.  578  dagegen  Apate. 

6)  Lessing  hambnrgische  Dramaturgie,  Stück  48;  Ferd.  Commer 
de  prologomm  Euripideomm  causa  ae  ratione,  Bonn  1864;  Voss  de  prologi» 
Enripideis,  Progr.  v.  Halle  1873;  Jos.  Klinkenberg  de  Enripideornm  pro- 
logornm  arte  et  interpolatione ,  Berlin  1881  (der  Anfang  Diss.  v.  Bonn  1880) 
und  Euripidea  I.  (über  [den  Piolog  zum  Ion),  Pr.  v.  Aachen  1883;  Job.  v» 
Arnim  de  prologomm  Euripideorum  arte  et  interpolatione,  Greifswald  1882. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  199 

Einleitung  der  „aulischen  Iphigenie*^  liess  er  regelmässig  eine 
einzelne  Person  auftreten,  aus  deren  Selbstgespräch  die  Hörer 
alles  notwendige  erfuhren;  Selbstgespräch,  sage  ich,  denn  die 
Prologe  nahmen  trotz  aller  inneren  Absichtlichkeit  nie  auf  die 
Zuschauer  unmittelbar  Bezug.  Bei  näherer  Betrachtung  zeigen 
sich  bewusste  Unterschiede.  Wo  nämlich  der  Zuschauer,  damit 
er  das  Kommende  richtig  verstehe  und  besonders  die  tragische 
Ironie  wohl  beachte,  ein  den  handelnden  Personen  verborgenes 
Geheimnis  der  Vergangenheit  oder  auch  die  Zukunft  kennen 
soll,  wird  ein  Gott  oder  ein  Geist  hercitiert  und  diese  Prolog- 
gattung erkennt  Aristoteles  an  ^) ;  Sophokles  freilich  wusste  im 
„Aias**  dasselbe  Ziel  auf  viel  künstlerischere  Art  zu  erreichen. 
Jene  Rolle  spielen  Aphrodite  im  „Hippolytos"  und  wahrschein- 
lich im  „Alexandres"^,  Hermes  im  „Ion'*  und  der  Geist  in 
der  „Hekabe*'.  Am  Eingange  der  „Troerinen"  eröffnen  Poseidon 
und  Athene  einen  Ausblick  in  die  Zukunft.  Hingegen  wäre 
es  zur  Exposition  wahrlich  nicht  notwendig  gewesen,  in  der 
„Alkestis"  Apollo  und  dann  den  Todesgott  auf  die  Bühne 
zu  bemühen. 

Soll  hingegen  die  allen  Beteiligten  offenbare  Lage  darge- 
stellt werden,  dann  tritt  eine  Person  des  Stückes  selbst  auf. 
Am  tadelnswertesten  geschieht  dies  in  den  „Phoenissen",  wo 
lükaste  gleich  unmotiviert  kommt  und  wieder  abgeht;  die 
Priesterin  Iphigenia  will  doch  wenigstens  nach  griechischer 
Sitte  ihren  beängstigenden  Traum  unter  freiem  Himmel  aus- 
sprechen (V.  43)  und  sieht  sich  dann  nach  ihren  säumigen 
Dienerinnen  um.  Sonst  pflegt,  nachdem  der  eigentliche  Prolog 
beendigt,  eine  zweite  Person  aufzutreten,  nach  deren  Abgang, 
wenn  der  Chor  noch  nicht  erschienen  ist,  ein  (oft  lyrischer) 
Monolog  des  ersten  Schauspielers  folgt  ^).  Nur  in  den  „Bak- 
chen"  und  „Schutzflehenden"  erhebt  der  Chor,  welcher  schon 
anwesend  war,  unmittelbar  nach  dem  Prologe  seine  Stimme. 
Von  der  „Andromeda"  wissen  wir  leider  das  eine  allein,   dass 


1)  Poet  15  p.  1454  b  3flf.;  solche  PrologfignreD,  die  später  nicht  wieder 
anftraten,  hiessen  itpoiatix^  icpöocuna  Donat.  in  Terent.  Andr.  praef. 

2)  Bibbeck  röm.  Tragödie  S.  82f. 

3)  Androm.  Hei.  El.  Med.  Or.,  anders  Heracl.  und  Herc.  fnr. 


Digitized  by 


Google 


200  VI.  Kapitel. 

das  Stück  mit  einem  Liede  der  Heldin  begann^).  Euripides 
legt# keinen  Wert  darauf,  dass  eine  Hauptperson  des  Dramas 
den  Prolog  spricht;  im  Gegenteil  weist  er  die  wichtige  Ex- 
position der  „Medea*'  der  Amme  zu  und  man  möchte  sogar, 
wenn  er  statt  Elektra  ihren  nominellen  Gatten  das  erste  Wort 
haben  lässt,  eine  Absicht  vermuten.  Mit  der  Motivierung  des 
Sprechens  gibt  er  sich  keine  Mühe,  wenn  es  auch  kein  Zufall 
ist  ^,  dass  meistens  Frauen  und  obendrein  schwer  bekümmerte 
ihre  Sorgen  ausschütten.  Sonst  muss  man  diese  Prologe  als 
eine  ärgere  Uunatürlichkeit  bezeichnen  als  die  meisten  Monologe 
des  neuen  Dramas,  insofern  diese  einem  lebhaften  Auftritt  zu 
folgen  pflegen  und  die  Seele  durch  jenen  immerhin  in  so  starke 
Schwingungen  versetzt  sein  kann,  dass  das  Bedürfnis  des  lauten 
Aussprechens  rege  wird.  Die  Prologe  haben  fast  alle  eine  grosse 
Aehnlichkeit  untereinander  *).  Die  Sprecher  müssen  sich  gleich 
in  den  ersten  Versen  nennen,  wogegen  z.  B.  in  der  als  muster- 
giltig  gepriesenen  Exposition  des  „Tartuflfe"  von  allen  Personen 
des  ersten  Aktes  wohl  das  Verwandtschaftsverhältnis,  nicht 
aber  der  Name  mitgeteilt  wird  und  Schiller  die  Moustreexposition 
des  „Wallenstein*'  für  Leser  geschrieben  hat;  denn  Illo  spricht 
zwei  Auftritte  hindurch  ungenannt  und  der  Ort  der  Handlung 
ist  nur  in  der  Regiebemerkung  angegeben.  Auf  letzteren  legt 
Euripides  weniger  Gewicht,  während  die  Genealogie  mit  einer 
uns  frappierenden  Ausführlichkeit  behandelt  wird;  dass  der 
König  Archelaos  seinen  hellenischen  Stammbaum  von  Danaos 
bis  Archelaos  I.  gerne  autgezählt  hörte*),  begreift  man  aller- 
dings ohne  Mühe. 

Da  die  grausamen  Witze  der  Komiker  Euripides  von  seiner 
Manier  nicht  abbrachten,  muss  er  diesen  Weg  mit  reiflicher 
Ueberlegung  eingeschlagen  liaben.  In  der  That  hatte  der 
kühne  Umbildner  der  überlieferten  Sagen  dem  Publikum  bei 
weitem  mehr  als  Aeschylus  und  selbst  Sophokles  zur  Aufklär- 


1)  Fr.  114  (Schol.  Aristoph.  Tbesmoph.  1066  tou  icpoXoYoo  x^^  'Av^po- 
}jii$ac  sloßoXt)).  116;  Härtung  Euripides  restitutus  II  344  und  Robert 
»rchäoL  Ztg.  1878  S.  18  bezweifeln  dies;  aber  auch  den  „Alkmeon  in  Psophis^' 
scheint  eine  Arie  eröffiiet  zu  haben  (fr.  66). 

2)  Vgl.  Eur.  Androm.  93flf. 

3)  Nur  ,,Herakliden"  und  „Medea^*  sind  feiner  und  dramatisch  ausgeführt. 

4)  Eurip.  fr.  230. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  201 

ting  mitzuteilen.  Wendete  er  nun  die  feine  Expositionsart  des 
letzteren  an,  so  war  Gefahr,  dass  der  Masse  der  Hörer  wichtige 
Punkte  entgingen,  und  obendrein  wäre  ihre  Aufmerksamkeit 
von  den  pathetischen  Situationen,  welche  ihm  die  Hauptsache 
waren,  ein  wenig  abgelenkt  worden.  Weil  sogar  die  neuere 
Komödie  sich  für  dieselbe  Methode  entschied,  dürfen  wir  ver- 
sichert sein,  dass  die  gesamte  jüngere  Tragödie  auch  in  diesem 
Punkte  von  Euripides  abhing. 

Unter  den  Teilen  der  Tragödie  sondert  sich  neben  dem 
Prolog  der  Schluss  (SJoSoc)  deutlich  ab.  Es  ist  bereits  be- 
merkt, dass  die  Alten,  besonders  Sophokles,  auf  einen  effekt- 
vollen Abschluss  weniger  als  wir  Gewicht  legten.  Ein  übliches 
Schema,  wie  für  den  Anfang,  besteht  bezüglich  des  Ausganges 
nicht,  wenn  nicht  der  deus  ex  machina  erscheint  und,  um 
diesen  recht  zu  würdigea,  müssen  wir  etwas  weiter  von  der 
Moral  des  Trauerspiels  ausholen.  Im  Altertum  hätte  niemand 
zu  behaupten  gewagt,  der  Dichter  dürfe  sich  ein  eigenes  Sitten- 
gesetz zurecht  machen;  so  fest  wurzelte  die  Auffassung,  dass 
die  Poesie  und  im  besonderen  die  tragische-  Bühne  „eine 
moralische  Anstalt*'  oder,  wie  die  Griechen  sagten,  die  Schule 
der  Männer  sei  ^).  Denn  das  Volk  war,  mit  Montesquieu  zu 
reden,  in  seinem  Geschmacke  ehrbar,  ohne  es  in  seinen  Sitten 
zu  sein.  Wiewohl  von  der  vermeintlichen  Lösung  sittlicher 
oder  sozialer  Fragen  damals  keine  Rede  war,  forderten  die 
Griechen,  religiöser  Bücher  entbehrend,  von  jedem  Dichter, 
dass  die  heranwachsende  Generation  in  seinen  Werken  edle 
Lehren  finde,  die  durch  die  Unterstützung  des  Rhythmus  und 
den  Zauber  der  poetischen  Sprache  fester  als  die  bürgerlichen 
Gesetze  hafteten.  Demgemäss  galten  die  zahlreichen  Sitten- 
sprüche ^  welche  die  Tragiker  sowohl  im  Dialog  als  basonders 
in  den  Chorliedern  mit  freigebiger  Hand  ausstreuten,  keines- 
wegs für  eine  lästige  Beigabe,  sondern  sie  waren  der  vollen 
Aufmerksamkeit  des  PubUkums   sicher;   auffallende  Sentenzen 


1)  Sehr  lehrreich  ist,  was  Aeschylns  in  den  Fröschen  des  Aristophanes 
darüber  sagt ;  ausser  zahlreichen  übereinstimmenden  Aussprüchen  gehört  eine 
besondere  freilich  etwas  puritanisch  geförbte  Abhandlung  von  Plutarch:  i(&^ 
ZtX  xbv  viov  icoiY){j^ttt>v  ftxoüfttv  hieher. 

2)  Vgl.  C.  S.  Köhler  die  Weisheit  der  Tragiker.  Realconcordanz  der 
Sprüche  und  Lehren  in  den  Tragödien  des  Aeschylos  Soph.  Eur.,  Hitlle  1883. 


Digitized  by 


Google 


202  ^I-  Kapitel. 

riefen  Bewegung  und  Unruhe  hervor*),  indem  man  sie  be- 
klatschte und  da  capo  verlangte*)  oder  stürmisch  ablehnte.  In 
der  Zeit  der  beginnenden  Aufklärung  achteten  die  Leute  arg- 
wöhnisch auf  skeptisch  angehauchte  Stellen  und  erhoben,  wie 
es  heisst,  gegen  vermeintliche  Gottlosigkeiten  des  Euripides 
lauten  Protest;  bei  der  Aufführung  des  „Ixion"  soll  er  per- 
sönlich das  entrüstete  PubUkum  auf  das  traurige  Ende  des 
Gotteslästerers  vertrösten  haben  müssen^. 

In  der  That  war  ja  der  Ausgang  des  Dr'Samas*)  für 
die  Moral  von  grösserer  Bedeutung  als  einzehie  möglicherweise 
zur  Charakteristik  des  Sprechers  bestimmte  Schlagworte ,  ob- 
gleich die  Dichter  durch  die  Ueberlieferung  des  Mythos  eigent- 


1)  KtvYital  Toö  d-eatpoü  Schol.  Soph.  OR.  294;  dies  iUustriert  Philon 
qnod  omnis  prob.  IIb.  p.  886  ed.  Fr. 

2)  Platarch.  de  aud.  poet.  12.  Sen.  ep.  116;  Cic.  Tubc  4,  29,  63  (man 
rief  wohl  aäO-tc,  Xenoph.  conviv.  9,  4). 

3)  Sen.  epist.  115.  Es  erinnert  lebhaft  an  eine  von  Goethe  in  der  itali- 
enischen Reise  (Venedig  6.  Oktober)  erzählte  Scene. 

4)  Die  ältere  Literatur,  welche  von  dem  tragischen  Schicksal  handelt, 
verzeichnet  Nägelsbach  de  religionibus Orestiam  continentibns,  Jnbilänms- 
schrifb  der  ün.  Erlangen  1843  S.  26flF.  (vgl.  nachhom.  Theologie  S.  335 ff.); 
Ranmer  Historisches  Taschenbuch  1841  S.  254 ff.;  Ign.  Haentjes  über 
die  Schicksalsidee  bei  Homer  und  den  Tragikern,  Pr.  v.  Köln  1848;  Lehr» 
Vorstellung  der  Griechen  über  den  Neid  der  Götter  und  die  Ueberhebung. 
Populäre  Aufsätze  aus  dem  Altertum,  Lpg.  '1875  S.  35 ff.;  Fr.  R.  Camboulin 
essai  snr  la  fatalit^  dans  le  theätre  grec,  Paris  1855;  Ed.  Tonrnier  N^m^is 
et  la  Jalousie  des  dieux,  Paris  1863;  Eugen  Heinr.  Schmitt  moderne  und 
antike  Schicksalstragödie,  Berlin  1874;  K.  W.  Osterwald  de  notione  fati 
in  tragoediis  Graecis  expressa,  Pr.  v.  Mnhlhausen  i.  Th.  1878;  suAeschylus: 
Arthur  Jung  de  fato  Aeschyleo,  Diss.  v.  Königsberg  1862;  Grein  er  de 
fato  Aeschyleo,  Pr.  der  Realschule,  Weimar  1869;  Herwig  das  ethisch-religiöse 
Fundament  der  äschyleischen  Tragödie,  Pr.  v.  Constanz  1877  ;zaSophokles: 
Jos.  Ehlinger  de  fati  apud  Sophoclem  notione  indole  vi,  I.  Berlin  1852; 
Ad.  Hoppe  de  deornm  Sophodeomm  fatali  potestate,  Halle  1852;  Aug. 
Hagemann  de  lato  Sophocleo  I.  Diae.  v.  Berlin  1853  IL  Pr.  v.  Bielefeld 
1858;  Fährmann  die  Schicksalsidee  in  den  Tragödien  des  Soph.,  Pr.  v. 
Lauban  1857;  Ed.  Platner  über  die  Idee  der  (Gerechtigkeit  in  Aesch.  n. 
Soph.,  Lpg.  1858;  Hnb.  Charge  de  fati  qnale  Sophocles  sibi  finzerit  natura, 
Köln  1859;  H.  G.  A.  Bakhoven  de  Sophoclis  fati  natione,  Diss.  v.  Utrecht 
1865;  Vasiadis  ^EXXiqvix^  ^1X0X0^.  ooXXoyoc  I^'  p.  135 ff.;  dazu  unten  die 
über  die  religiösen  Anschauungen  der  einzelnen  Tragiker  handelnden  Auf- 
sätze, und  die  Monographien  über  den  „König  Oedipus". 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  205 

lieh  der  moralischen  Verantwortlichkeit  enthoben  zu  sein 
pflegten.  Das  Ergebnis  eines  Stückes  hängt,  wenn  wir  die 
Sache  ohne  Phrase  ins  Auge  fassen,  jederzeit  von  den  religiösen 
und  philosophischen  Anschauungen  des  Dichters  und  seiner 
Zeitgenossen  ab.  Wo  der  gläubige  Christ  Recht  und  Unrecht 
nach  Verdienst  beurteilt  sehen  will,  da  beruhigt  sich  der  Grieche 
bei  dem  unergründlichen  Etwas,  das  er  Schicksal  nennt,  und 
findet  seinen  Trost  in  der  Notwendigkeit^)  und  Allgemeinheit 
des  Leides,  ohne  davon,  wie  der  moderne  Mensch,  den  Ein- 
druck des  Grässlichen  zu  erhalten;  Goethe  triflEl  in  „Shakespeare 
und  kein  Ende"  den  Gegensatz  des  Empfindens  scharf  mit  den 
Worten;  „Bei  den  Alten  überwiegt  das  Sollen,  bei  den  Neuen 
das  Wollen."  Immerhin  sah  es  das  instinktmässig  das  Richtige 
fühlende  Publikum  gerne,  wenn  am  Schlüsse  die  Guten  be- 
lohnt und  die  Bösen  bestraft  wurden*);  doch  machte  eigentlich 
nur  das  letztere  nach  griechischer  Vorstellung  die  höhere  Ge- 
rechtigkeit aus^)  Der  oft  besprochene  „Kampf*  des  Helden 
gegen  das  Schicksal  wäre  den  Alten  frevelhaft  und  eines  ver- 
nünftigen Mannes  unwürdig  erschienen*),  wogegen  sie  eben 
darin,  dass  der  Held  von  dem  ihm  Beschiedenen  keine  Ahnung 
hat  und  blindlings  in  sein  Verhängnis  stürzt,  die  Tragik  fanden. 
Ebensowenig  kennt  Aristoteles  das  Phantom  einer  „tragischen*' 
Schuld,  das  einem  Kompromiss  zwischen  Aesthetik  und  Moral 
entstaiürat.  Dagegen  wünscht  der  Philosoph  an  dem  Helden 
der  Tragödie  einen  Fehler  zu  finden^),  das  will  sagen,  eine 
Menschlichkeit,  wodurch  jener  das  Schicksal  eines  Menschen 
verdient.  Die  aristotelische  Kodifikation  der  Tragödie  beruht 
hier  offenbar  auf  Sophokles'  Dramen.  Wendet  doch  dieser 
Dichter  vor  allen  eine  besondere  Kunst  darauf,  dass  die  uner- 


1)  Eurip.  fr.  757,  9  8siv6v  f^p  o&8iv  tu>v  ^iva^xaicuv  ßpotoZ^;  auch  die 
zahlreichen  attischen  Grabdenkmäler  des  fünften  Jahrhunderts  sprechen  trost- 
lose Traner  ans  (Duhn  Archäol.  Ztg.  1885  Sp.  21). 

2)  Aristot.  poet.  13  a.  E. 

3)  Die  Spruchsammlnng  in  den  Eklogen  des  Stobaens  I  c.  3  p.  52  ff. 
ed.  Wachsmnth  zeigt  dies  klar. 

4)  Vgl.  z.  B.  Sophocles  fr.  205 D.  bei  Stob,  floril.  99,  20  icd><;  o^v 
|L^/(u|i.ai  ^YjTÖc  tt)v  ^8ta  toxn? ;  und  das  von  A.  Otto  Archiv  f.  latein.  Lexikogn 
in  S.  207.  385  dtierte. 

5)  Poet.  cap.  13  (dfxaptia). 


Digitized  by 


Google 


204  VI.  Kapitel. 

^  forschliche  Grenze  zwischen  Bestimmung  und  persönlicher 
Schuld  in  einen  geheimnisvollen  Schleier  gehüllt  bleibt.  Wir 
wollen  wiederum  Goethe,  obwohl  seine  Worte  sioli  auf  Shakespeare 
beziehen,  das  Wort  geben :  „Seine  Stücke  drehen  sich  alle  um 
den  geheimen  Punkt,  den  noch  kein  Philosoph  gesehen  und 
bestimmt  hat,  in  dem  das  eigentümliche  unseres  Ich,  die  prä- 
destinierte Freiheit  unseres  WoUens  mit  dem  notwendigen  Gang 
des  Ganzen  zusammenstösst.*'  Wenn  der  , »König  Oedipus** 
immer  wieder  für  das  Muster  der  antiken  Schicksalstragödie 
ausgegeben  wird,  trägt  Sophokles  wahrlich  nicht  die  Schuld 
daran;  denn,  konnte  er  auch  aus  der  Sage  das  überlieferte 
Orakel  nicht  entfernen,  so  schilderte  er  doch  den  Helden  in 
solcher  Weise,  dass  dessen  Jähzorn  das  schreckliche  G-eschick 
herbeigeführt  zu  haben  scheint^)  Mehr  als  den  Schein  aber 
bedurfte  Sophokles  nicht,  weil  er  Dichter  und  kein  Philosoph 
war.  Allerdings  mag  es  Leute  geben,  welche,  der  ästhetischen 
Schablone  zu  Liebe,  jene  Doppelheit  des  tragischen  Motive  an 
dem  griechischen  Trauerspiel  wie  an  unserem  „Wallenstein!' 
tadeln. 

Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  schon  jetzt  über  „Anti- 
gene" zu  sprechen,  weil  viele  eine  gewisse  Schuld,  zum 
mindesten  eine  „tragische**  nach  Art  der  Desdemonas  heraus- 
zufinden bemüht  sind,  sei  es,  dass  man  ihr  den  Ungehorsam 
gegen  das  Willkürgebot  eines  leidenschaftlichen  Despoten,  ob« 
gleich  es  Sophokles  selbst  fortwährend  verurteilt,  oder  den 
Selbstmord,  der  doch  nur  den  sicheren  Hungertod  verkürzte*), 
zum  Vorwurfe  macht ').    Als  ob  Antigone  etwas  anderes  gethan 


1)  Sophokles  spricht  selbst  OC.  371  diese  Verflechtung  mit  den  Worten 
ans:  ix  ^ttt>v  xoo  xa$  ^iXitpia^  cppevoc. 

2)  Dass  Sophokles  selbst  ihn  als  eine  göttliche  Strafe  Kreons  anffasste, 
zeigen  Y.  1103  f.  Antigone  ruft  925  fl.  die  Götter  zn  Richtern  zwischen  ihr 
nnd  Kreon  auf,  nnd  was  geschieht  sofort?  Wodurch  hat  Eurjdike  ihr  Ge- 
schick veischnldet? 

3)  Böckh  Sophokles'  Antigone  S.  *134ff.;  Konr.  Schwenck  über  des 
Soph.  Ant,  Pr.  v.  Frankfurt  a.  M.  1842;  Hermann  Köchly  über  Soph/ 
Ant,  Dresden  n.  Lpg.  1844;  Konr.  Dnden  de  Sophoclis  Ant.,  Marburg  1855. 
Fär  die  Schuldlosigkeit  sprechen  Ohlenschläger  Lebenserinnerungen  II 
118,  A.  W.  Schlegel  Beitr.  zur  Gesch.  der  Litt.  n.  Kunst  I  117.  122, 
Günther  Grundzüge  der  tragischen  Kunst  S.  130ff.,  Schnei  dewin  u.  A.; 


Digitized  by 


Google 


AnÄnge  der  Tragödie.  205 

als  eine  jederzeit  in  Hellas  gepredigte  Pflicht,  von  welcher  sich 
nur  hie  und  da  der  erhitzteste  Parteihass  ledig  glaubte,  erfüllt 
hätte;  sie  stirbt  freiwillig  dafür,  dennoch  konnte  der  Grieche 
in  einem  solchen  Tode  kein  Unglück  erblicken.  Hätte  Anti- 
gone  Kreons  unnatürlichem  Befehle  gefolgt,  dann  hätte  sie  in 
Frieden  Haimon  geheiratet  und  Kinder  geboren  und  wäre 
schliesslich  ebenso  verschollen,  wie  die  meisten  Königsfrauen 
und  auch  ihre  Schwester  Ismene.  So  aber  ward  ihr  Name 
hochberühmt,  und  stand  dem  echten  Hellenen  ein  ruhmvoller 
Tod  nicht  höher,  als  vergessen  zu  leben  ^)?  Wenn  der  Mann 
für  das  Vaterland  sterben  konnte,  that  es  das  Mädchen  mit 
nicht  geringerem  Heroismus  für  die  Schwesterpflicht.  Mag 
Kreon  immerhin  am  Leben  bleiben  1  Er  geht,  in  Wahrheit 
eine  „lebendige  Leiche"  (V.  1167),  einem  trostlosen  Greisen- 
alter entgegen,  weil  kein  Sohn  die  griechische  Kindespflicht 
an  ihm  erfüllen  kann  und  die  schreckliche  Erinnerung  ihn 
nie  verlassen  wird.  So  hängt  der  Ausgang  der  Tragödien 
auch  damit  zusammen,  wie  jedes  Zeitalter  über  den  Tod  denkt  *). 

Der  harmonische  Abschluss  der  sophokleischen  Stücke 
hält  die  scharfe  Sonde  eines  Philosophen  freilich  nicht  aus. 
In  dieses  poetische  Halbdunkel  bringt  Euripides  ein  grausames 
Licht,  indem  er  die  Trostlosigkeit  des  griechischen  Glaubens 
unbarmherzig  aufdeckend,  die  Tücke  des  Verhängnisses  und 
die  Menschlichkeit  der  Götter  mit  Bitterkeit  schildert.  Aus 
dieser  seiner  Geistesrichtung  erklären  sich  zwei  EigentümUch- 
keiten  der  euripideischen  Tragödienschlüsse,  erstens  dass  er 
ungewöhnlich   viele   Stücke  unglücklich   enden  Hess,    was  bei 

eine  Uebersicht  gibt  J.  Girard  Revae  des  deux  mondes  1877  1.  Jan  vier. 
S.  anch  Fr.  Tb.  Hertel  leidet  die  sopb.  Ant.  schuldig  oder  nnscbnldig? 
Pr.  V.  Torgau  1876;  A.  Eolbe  Bemerkungen  über  die  trag.  Schuld  in  Sopb. 
Ant.,  Pr.  T.  Treptow  1883. 

1)  y.  96  f.  ffstoofiai  Y^P  ^^  toaoutov  oh^lv  &<5Xt  fi.4]  ob  %aköi^  ^avelv 
(dies  erinnert  an  Ai.  479  ^  xaXü><;  Cyjv  ^  xaXcü^  tedvrjxivou  tiv  k6y6vy]  xP'^l)» 
und  besonders  V.  817  ff. 

2)  Sophokles  IIy|X«ü?  bei  Stob.  flor.  121,  9  xh  jx*^  y^P  '^^"^  xpctooov  ^ 
xb  C'V)v  xaxQx;  (ähnlich  Aeschylus  ib.  16.  17) ;  dasselbe  Kapitel  des  Stobaens 
enthält  viele  gleichartige  Aussprüche  der  Alten.  Vgl.  O.  Busch  quaestiones 
Euripideae  I.  de  morte  obeunda  quid  senserit  Eur.,  Pr.  v.  Meissen  1868  j 
auch  W.  Furtwängler  die  Idee  des  Todes  in  den  Mythen  und  Kunst- 
denkmälern  der  Griechen,  Freiburg  1860. 


Digitized  by 


Google 


206  VI.  Kapitel. 

dem  Publikum  der  Dionysien  Austoss  erregte^),  zweitens  der 
vielverspottete  deus  ex  machina  (deöc  äinb  |i'>]xavfjc)  *) ,  der 
treue  Repräsentant  der  Götterwillkür,  welcher  den  Knoten  zer- 
haut, worauf  der  Chor  zufrieden  singen  kann:  twv  S'  aSoxKJtwv 
ÄÖpov  e&pe  *6Öc.  Aristoteles  gestattet  diese  äusserliche  Lösung 
des  Knotens  nur,  wenn  der  Stoff  wirklich  ein  übermenschhches 
Wesen  fordert ,  damit  es  nämlich  die  Zukunft  vorhersage ') ; 
um  diese  begründete  Regel  unbekümmert,  bedient  sich  Euripi- 
des  des  deus  ex  machina,  wie  wenn  er  zum  gewöhnUchen 
Handwerkszeug  der  Tragiker  gehörte*,  so  dass  ein  Komiker 
nicht  Unrecht  hat,  wenn  er  spottet,  die  Tragiker  citierten, 
wenn  sie  in  Not  seien,  einen  Gott  herbei*);  haben  doch  unter 
den  erlialtenen  Stücke^**)  nur  vier  einen  natürlichen  Schluss, 
welche  Zahl  bei  strengerer  Prüfung  auf  zwei  (die  Herakliden 
und  Phoenissen)  herabsinkt,  denn  Medeas  Flucht  geschieht 
ebenfalls  auf  übernatüriiche  Weise  und  in  der  „aulischen  Iphi- 
genie"  trat  Artemis  nach  der  ursprünglichen  Fassung  persöuüch 
auf.  Die  Erfindung  des  deus  ex  machina  fällt  indes  Euripides 
nicht  zur  Last;  schon  Aeschylus  Hess  die  angeklagte  Danaos- 
tochter  Hypermestra  durch  Aphrodite  retten  und  eine  Gottheit 
verkündigte  in  den  „Aetnäerinen"  und  „Heliaden"  die  Zukunft^. 
Sophokles  führt  Herakles  zu  „Athamas",  damit  die  Schicksale 
von  Phrixos  und  Helle  geoffenbart  werden^),  wogegen  derselbe 
Gott  im  „Philoktet**  eine  verwickelte  Lage  entwirren  muss. 

1)  Aristot.  poet.  13  p.  1453  a  25. 

2)  Jacobs  Nachträge  zu  Snizers  Theorie  der  schönen  Künste  V  406  ff. ; 
7r.  Fritzsche  quatnor  leges  scenicae  p.  57 ff.;  Herrn.  Schrader  Rhein. 
Mus.  22,  544 ff.  23,  103 ff.;  Enhlenbeck  der  deus  ex  machina  in  der  griech. 
Tragödie,  Pr.  t.  Osnabrück  1874;  vom  Regiestandpunkt:  C.  A.  Böttiger 
de  deo  ex  machina  in  re  scenica  vet.,  Weimar  1800. 

3)  Poet.  15  p.  1454b  3ff. 

4)  Antiphanes  fr.  191,  13  ff.  Kock;  ebenso  Plat.  Cratyl.  425  d.  Cic.  nat. 
d.  1,  53  u.  Sp. 

5)  Ausserdem  sehen  wir  Dionysos  in  der  „Antigone'*,  Hermes  in  der 
„Antiope"  und  Athene  im  „Erechtheus**  (vielleicht  auch  im  „Philoktet")  ein- 
greifen. 

6)  Fr.  41  bei  Athen.  13,  600a;  Fr.  5;  Plin.  nat  bist  37,  2,  11  wird 
durch  das  Futur  von  fr.  67  (Bekker,  Anecd.  346,  9)  bestätigt ;  vielleicht  ge* 
hört  auch  „Niobe"  hieher  (G.  Hermann  opuscula  3,  56). 

7)  VieUeicht  schloss  ein  Gott  auch  „Alkmeon"  (Ribbeck  röm.  Tragödie 
S.  496)  und  „Tereus'<  (ders.  S.  584).  — .    Dass  Alkmene  auf  zwei  Vasenbildem 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  207 

Jene  Meister  dachten  also  über  den  deus  ex  machina 
anders  als  Aristoteles,  weil  zu  ihrer  Zeit  der  Götterglaube  noch 
plastisch  und  lebendig  war:  In  der  Persernot  hatten  Apollo 
und  Pan  die  Griechen  geschützt  und  die  Dioskuren  waren  leib- 
haftig erschienen,  Asklepios  diKchwandelte  allnächtlich  seine 
Heiligtümer  in  Epidauros  und  neben  dem  Theater  Athens  und, 
wenn  es  einer  Uterarischen  Erinnerung  bedurft  hätte,  würde 
Homer  den  jugendlichen  Gemütern  die  thätige  Hilfe  der  Götter 
eingeprägt  haben.  Mit  dem  gleichen  Rechte  wendete  der  fromme 
Calderon,  weil  er  und  sein  Volk  von  ganzem  Herzen  an  Wunder 
glaubten,  einen  deus  ex  machina  an.  Wie  hätte  dagegen  ein 
Mann  des  vierten  Jahrhunderts,  dem  nicht  einmal  die  Welt- 
ordnung, sondern  der  bhnde  Zufall  alle  menschUchen  Dinge 
zu  leiten  schien*),  in  jenen  Göttern  etwas  anderes  als  ein  be- 
quemes Werkzeug  des  Dramatikers  sehen  sollen? 

Wer  von  den  Dramen  des  Euripides  eine  Untergrabung  des 
Volksglaubens  fürchtete,  war  im  Rechte  und  doch  hatte  jener 
geradeso  wie  die  gläubigen  Dichter  Aeschylus  und  Sophokles 
die  Absicht,  sein  Volk  zu  veredeln  —  ohne  dass  einer  von  ihnen 
irgendwelches  Stück  auf  eine  kurze  Sentenz  reduziert  wissen 
wollte,  was  man  den  Grundgedanken  zu  nennen  gewohnt 
ist.  Denn  „dem  dramatischen  Dichter  ist  es  gleichviel,  ob  sich 
aus  seiner  Fabel  eine  allgemeine  Wahrheit  folgern  lässt  oder 
nicht"  ^).  Die  Schlussworte  bedeuten  nicht  die  moralische  Absicht 
des  Stückes;  höchstens  Euripides  kann  sich  die  ßelehrungs- 
freude  auch  an  dieser  Stelle  nicht  völlig  versagen  *) 

Wir  haben  bisher  von  den  Elementen  der  Tragödie,  welche 
das  Altertum  mit  der  Neuzeit  gemeinsam  hat,  gesprochen;  es 
fehlt  aber  noch  der  Grundstein  des  griechischen  Dramas,  der 
unmittelbar  und  mittelbar  seine  Eigenart  bestimmte  —  der 
Chor*). 

von  Zens  vor  der  Todesstrafe  gerettet  wird  (Engelmann  Annali  dell*  Inst. 
1872  p.  5  fr.)  dürfte  ebenüEills  einer  Tragödie  entstammen. 

1)  Chairemon  fif.  2  p.  607  Nanck  (vgl.  fr.  19)  Tox^j  xä  «viritwv  Kp6i^\i,at\ 
oh%  e6ßooXCa;  ebenso  denken  die  Dichter  der  neueren  Komödie  (Ötob.  ecl.  I 
c.  6  u.  7.  p.  83  ft.  Wachsmath). 

2)  Lessing  hambnrg.  Dramaturgie  33.  Stück  S.  194  H. 

3)  Z.  B.  Androm.  1279  ff. 

4)  L.  Heeren  de  chori  Graeoomm  tragici  natura  et  indole,  Gtöttingen 
1784;  Schiller  Einleitung   zur  „Braut   von  Messina^';   W.  v.  Humboldt 


Digitized  by 


Google 


208  VL  Kapitel. 

Der  Chor  war  in  Griechenland  nicht  der  Einfall  eines  ex- 
perimentierenden Dichters,  noch  weniger  ein  raffinierter  Archa- 
ismus, sondern,  bevor  es  überhaupt  ein  Drama  in  unserem 
Sinne  gab,  war  er  längst  vorhanden  und  das  griechische  Volks- 
bewusstsein  verband  Götterfeste  und  Chorlieder  so  unauflöslich, 
dass  die  klassische  Zeit  in  dem  Chor  die  Hauptsache  zu  er- 
blicken fortfuhr;  der  Chor  wird  vom  Staate  dem  Dichter  zu- 
gewiesen, der  Chor  verhilft  ihm  zum  Siege,  der  Chor  gibt  der 
Mehrzahl  der  Tragödien  den  Namen. 

Nach  dem,  was  wir  S.  179  über  die  Entwicklung  des 
Dialoges  gesagt  haben,  begröift  man,  dass  die  Bedeutung  des 
Chors  in  gleichem  Masse  sank  als  das  dramatische  Gespräch 
an  Wichtigkeit  und  Umfang  zunahm»  Aeschylus  war  nach 
dem  berühmten  Worte  des  Aristoteles  derjenige,  welcher  dem 
Dialog  den  ersten  Platz  einräumte;  nichtsdestoweniger  mutete 
er  den  Hörern  wiederholt  viel  -  mehr  als  sechs  oder  sieben 
Strophen  zu :  Die  „Schutzflehenden*',  das  älteste  der  erhaltenen 
Stücke,  beginnen  mit  vierzig  Anapästen  und  vollen  sechzehn 
Strophen!  Diese  Zahl  überschritt  Aeschylus  denn  doch  nicht; 
aber  auch  die  j,Perser''  heben,  die  noch  gedehntere  Ana- 
pästenreihe  ungerechnet,  mit  einem  zehnstrophigen  Liede  an; 
in  den  „Sieben'*  nehmen  gleichviel  Strophen  (V.  720  flf.)  die 
Mitte  ein ;  der  Chor  des  „Agamemnon**  trägt  anfangs  dreizehn 
Strophen  und  später  acht  vor  (V.  681  ff.)*  Letztere  Zahl  wird 
in  den  „Choephoren"  (V.  585  ff.)  und  „Eumeniden**  (V.  321  ff.) 


Briefe  an  Schüler  S.  465 ff.;  O.  Mai  1er  Aesch.  Eumeniden  S.  71  ff.;  G.Her- 
mann opnscula  2,  129 ff.;  J.  L.  Knneberg  observationes  quaedam  circa 
chomm  tragicum,  Diss.  y.  Helsingfofs  1833;  Chr.  Alb.  Elander  de  choro 
Sophocleo,  Preisschrifb  v.  Kiel  1840;  Schreiter  Abh.  über  den  trag.  Chor 
bei  Sbph.,  Pr.  v.  Rendsborg,  Altona  1840;  A.  WeUauer  Jahns  Archiv  10 
(1843),  S.  443 ff.;  P.  J.  Uylenbroek  de  choro  tragico  Graecorum,  Leiden 
1846;  Am.  Ekker  de  choro  Aeschyleo,  Diss.  v.  Utrecht  1849;  C.  Friede- 
richs chorns  Enripidens  comparatns  cum  Sophodeo,  Erlangen  1853;  Sommer- 
brodt  scenica  coUecta  p.  5 ff.;  Otto  Gallns  über  die  Bedentang  des  Chores 
in  der  griech.  Tragödie,  Pr.  y.  Landskron  1875;  Thom.  Jnngwirth  über 
den  Chor  der  griech.  speziell  der  sophokl.  Tragödie,  Pr.  v.  Melk  1875 ;  Cnno 
Fe  cht  qnaestiones  choricae  Enripideae,  Freibarg  1878;  Frz.  St  ölte  de  chori 
qualis  in  perfecta  Graecor.  tragoedia  apparet  ratione  et  indole,  Pr.  v.  Rietberg 
1882;  A.  Zernecke  de  choro  Sophocleo  et  Aeschyleo,  Breslaa  1885  and 
andere  im  folgenden  verzeichnete  Schriften. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  209 

nicht  Überstiegen  *).  Dagegen  nehmen  die  Chorlieder  des  „Pro- 
metheus" wenig  Raum  ein,  weil  der  Held  dort  immer  auf  der 
Bühne  anwesend  ist  und  der  Chor  keine  Pausen  auszufüllen 
hat,  vor  allem  aber,  weil  der  Trimeter  ohnehin  durch  die  Solo- 
arien wesentliche  Einschränkung  erleidet*).  Bei  Aeschylus' 
Nachfolgern  sind  die  Chorpartien  an  Umfang  sehr  bedeutend 
herabgemindert 

Sowie  die  ChorUeder  hinter  den  Dialog  zurücktraten,  musste 
die  Zahl  des  Chores  erheblich  vermindert  werden,  damit 
sie  den  Schauspieler  nicht  zu  stark  in  den  Schatten  stellte. 
Die  Zahl  fünfzig  gaben  die  Athener  nicht  erst  wegen  der 
Frauen,  die  sich  über  Aeschylus'  fünfzig  scheussliche  Erinyen 
so  arg  entsetzt  haben  sollen,  auf,  wie  ein  phantasievoller 
Grammatiker  meinte^),  welcher  der  Ansicht  war,  dass  in  den 
aeschyleischen  „Nereiden"  und  „Schutzflehenden"  die  fünfzig 
Meeresgöttinen  und  Danaiden  vollzählig  aufgetreten  seien, 
während  doch  der  Dichter  deren  Zahl  absichtlich  verschweigt 
und  andererseits  Dienerinen  erwähnt*).  Thatsächlich  belief 
sich  die  nachweisbare  Zahl  von  Choristen  auf  höchstens  sech- 
zehn, ohne  ganz  genau  festgesetzt  zu  sein  *).    Zwölf  Choreuten  *) 


1)  Diese  vier  6pfxaO'oi  scheiDen  bei  ihm  das  gewöhnliche  gewesen  zu 
sein  (Aristoph.  Ran.  914  f.). 

2)  Ersteres  sagt  Wecklein  S.  22  seiner  Aasgabe  richtig,  während 
Bergk  Rhein.  Mns.  20,  289  verrnntet,  die  Ghorgesänge  seien  hierund  in  der 
sophokleischen  „Elektra**  far  eine  spätere  Anfführnng  abgekürzt  worden. 
Nach  den  Prozentverhällniasen  von  Chor  und  Dialog  (vgL  R.  Engelmann 
Philol.  27,  736)  darf  man  nicht  die  Stücke  chronologisch  ordnen;  die  drei 
Stücke  der  Orestie  weichen  erheblich  von  einander  ab.  Dazu  kommen  die 
Lücken  nnd  besonders  die  unsichere  Zählung  lyrischer  Verse  in  Betracht. 

3)  Pollnx  4,  110;  schon  von  G.  Herm  ann  opusc.  2, 130. 140  bekämpft 
S.  auch  Schol.  Enm.  575. 

4)  V.  954.  977 flf.  1023  (bno^i^aa^'s  8'iita8ol  \Lk\o^),  Reinh.  Schnitze 
Jährbb.  f.  Phil.  75,  264 f.  n.  Herm.  Freericksde  Aeschyli  Supplicnm  choro, 
Diss.  V.  Leipzig,  Duderstadt  1883  nehmen  zwölf  Choristen  an.  Vgl.  auch 
Em.  A 1  berti  de  Aeschyli  choro  Supplicum,  Diss.  v.  Berlin,  Frankfhrt  a.  0. 1841. 

5)  Diomedes  p.  491  in  choris  numerus  personarum  definitus  non  est 
(ebenso  Blomfield  Aeschyl.  Pers.  p.  XXI).  Vgl.  G.  Hermann  opusculd 
2,  129 ff.  O.  Müller  Eumeniden,  Anhang  S.  75fif.  Bdckh  trag,  prindp. 
p.  57  ff.  75  ff.  u.  s.  w. 

6)  Suidas  u.  SocpoxXY)^    und    Vita  Soph.   Z.   25  f.,  welche  vermittelnd 
Sittl,  Geflchichte  der  griechischen  Literatur  HL  j[4 


Digitized  by 


Google 


210  VI.  Kapitel. 

erschlosß  man  aus  dem  „gelösten  Prometheus",  weil  es  so 
viele  Titanen  gab,  und  es  waren  allem  Anscheine  nach  wirklich 
zwölf,  welche  im  „Agamemnon"  beim  Morde  des  Königs 
nach  einander  ihre  Meinung  aussprachen  ^).  Vierzehn ,  sieben 
Fürstinen  und  ebenso  viele  Dienerinen  bildeten  wahrscheinlich 
in  den  „Schutzflehenden"  des  Euripides  den  Chor*).  Wie  ver- 
hielten sich  aber  die  Dichter  zu  der  herkömmUchen  Dreizahl 
der  Eumeniden  ') ,  Moiren  und  Phorkiden  und  zu  den  sieben 
HeHaden  ?  Musste  die  Zahl  des  Chores  nicht  dann  zumal, 
wenn  der  Dichter  von  seinem  Choregen  zwei  verschiedene 
Chöre  oder,  richtiger  gesagt,  zu  dem  Hauptchore  einen  Neben- 
.chor  verlangte,  Schwankungen  unterliegen?  Dieser  Fall  trat 
in  den  „Phönikerinen"  des  Phrynichos,  den  „Eumeniden"  des 
Aeschylus  und  mehreren  euripideischen  Tragödien  ein*).  Mit- 
hin dürfte  sich  die  Zahl  des  Chores  nach  dem  Erfordernis  des 
jeweiligen  Stückes  gerichtet  haben. 

Wie  ist  nun  das  innere  Verhältnis,  in  welchem  der 
Chor  zur  Handlung  steht,  beschaffen?  Man  hat  ihn  sehr  mit 
Unrecht  den  idealisierten  Zuschauer  genannt.     Allerdings  legt 


sagen,  so  gross  sei  die  Zahl  vor  Sophokles  gewesen,  was  schon  Böckhtrng. 
princip.  p.  60  anzweifelte. 

1)  V.  1344  ff.  Es  werden  zwölf  Vorschläge  in  je  zwei  Versen  gemacht, 
aher  auch  die  Zahl  fanizehn  ist  nicht  unmöglich,  weil  drei  einzelne  Verse 
vorhergehen,  und  fär  diese  scheinen  sich  die  meisten  Alten  entschieden  zu 
haben  (PoUux  4,  108.  Suidas  u.  Vit.  Soph.  a.  O.  Schol.  Aeschyl.  Agam.  1347. 
Eum.  575.  Schol  Aristoph.  Av.  297  und  besonders  Eq.  593  [586]).  Vgl.  R. 
Arnold t  der  Chor  im  Agamemnon  des  Aeschylus,  Halle  1881.  Fnn&ehn 
nimmt  Bücheier  Rhein.  Mus.  32,  312 ff.  für  Sept.  78fif.  an.  Die  Ziffer 
sechzehn  ergab  sich  den  Brüdern  Tzetzes  (in  Lycophr.  p.  254  M.,  Anecd. 
Oxon.  in  338,  1  u.  de  comoed.  (Vm)  34)  durch  irrige  Zurechnung 
eines  gesonderten  Chorführers.  Von  drei  ototxot  spricht  Photios  u.  tpitoc 
ctpiQxtpob. 

2)  V.  963;  daraus  Vita  Aeschyli  Z.  107.  Schol.  Dion.  Thrac.  bei  Bekk. 
An.  n  746  u.  ViUoison  Anecd.  n  178  (I  A  in  I  A  entstellt,  als  Variante  bei 
Isaak  Tzetz.  proleg.  in  Lyc.  p.  254).  Auf  dem  Wandgemälde  in  Wieselers 
Denkm.  d.  B.  XTTT,  2  zählt  man  sieben  Chorenten. 

3)  Eum.  675  steht  icoXXal  fiiv  cojxev;  vgl.  R.  Ellis  on  the  number 
of  the  Enmenides  of  Aeschylus,  London  1873. 

4)  Alexandros  und  Antiope  (Schol.  Hippol.  58),  Hippolytos  und  Phaethon 
(Blass  p.  11.  13.  14). 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  211 

der  Dichter  dem  Chor  viele  etlifsche  Betrachtungen  in  den 
Mund,  aber  dies  war  ja  überhaupt  für  jedwedes  Chorlied,  auch 
das  nicht  dramatische,  charakteristisch  und,  wenngleich  in 
mehreren  euripideischen  Stücken  der  Tragiker  seine  subjektive 
Ansicht  im  Chorliede  kundgibt  *) ,  haben  doch  Aeschylus  und 
Sophokles,  weil  sie  nicht  gleich  dem  lyrischen  Dichter  selbst 
au  der  Spitze  des  Chores  standen,  die  Individuaütät  des  Chores 
geachtet  *).  Er  personificiert  die  vox  populi ,  aber  nicht  die 
vox  dei.  In  der  , »Antigene'*  z.  B.  unterwerfen  sich  die  Aeltesten 
der  Thebaner  demütig  den  königUchen  Befehlen  und  wagen 
ihren  Widerspruch  nicht  anders  als  in  höflichen  Bedenken 
und  diplomatischen  Umschreibungen  auszudrücken,  bevor  nicht 
Kreons  moralischer  Zusammenbruch  ihnen  Mut  macht;  ganz 
wie  es  in  Wirklichkeit  geschehen  wärel  Ebenso  will  es  der 
Chor  der  „Andromache"  mit  dem  Schwiegervater  seines  Königs 
nicht  verderben  *).  Im  „Philoktet**  helfen  die  Myrmidonen 
ihrem  Herrn  den  Helden  hintergehen  und,  als  Hyllos  seiner 
Mutter  die  ungerechtesten  Vorwürfe  macht,  halten  die  „Trachi- 
nierinen*'  ihr  besseres  Wissen  vorsichtig  zurück.  Nicht  einmal 
die  SchiflFsleute  von  Salamis  stehen  entschieden  für  Teukros 
ein,  sondern  scheuen  die  obersten  Feldherrn  *). 

Dennoch  wird  gerade  dieser  Chor  für  ein  Muster  hinge- 
gestellt, weil  den  Salaminiern  als  freigeborenen  Männern,  Lands- 
leuten und  Unterthanen  des  Helden  Freimut,  Teilnahme  und 
Ehrfurcht,  die  drei  Charakterzüge  des  echten  Tragödienchores, 
zukommen  *) ;  denn  der  Chor  darf,  obgleich  er  alle  Handlungen 
mit  regem  Interesse  begleitet,  dennoch  nicht  anders  als  passiv 
oder  durch  Ratschlag  und  Meinuugsabgabe  sich  daran  beteiligen. 
Selbst  wo  ein  thätiges  Eingreifen  bevorzustehen  scheint,  wie 
am  Ende  des  „Agamemnon*'  und  im  „Üedipus  auf  Kolonos" 
bleibt  es  bei  blossen  Drohungen.     Zu    einer   solchen    passiven 


1)  PoUqx  4,  111  (danach  scheineu  die  Erklärer  auch  in  maochen  Stücken 
dee  Sophokles  ähnliche  Anspielnngen  aufgespürt  zn  haben). 

2)  Vgl.  Aristot.  poet.  18  p.  145l>a  25  ff.    Günther  Grundzüge  S.  92  ff. 

3)  Darum  spricht  er  z.  B.  V.  642  ff",  und  besonders  727  f. 

4)  Schollen  zu  Ai  1091.  1264. 

5)  SchoUen  z.  V.  134. 

14* 


Digitized  by 


Google 


212  VI.  Kapitel. 

Teilnahme^)    passen    natürlich    Greise,    Frauen    oder    Männer 
niederen  Standes*)  am  besten. 

Dieses  Verhältnis  gab  sich  schon  durch  den  Standort 
des  Chores  kund,  weil  dieser  in  der  Mehrzahl  der  Stücke  nicht 
auf  der  Bühne  neben  den  Schauspielern ,  sondern  abgesondert 
von  ihnen  in  der  Orchestra  seinen  Platz  hatte  ').  Indes  durch- 
brachen besondere  Fälle  diese  Regel*),  z.  B.  war  der  Chor  der 
beiden  „Schutzflehenden**  im  Verein  mit  Schauspielern,  Hilfe 
suchend,  um  einen  Altar  gruppirt;  die  Erinyen  umlagerten  das 
Heiligtum  Apollos  und  die  Okeaniden  versanken  mit  Prometheus 
in  die  Tiefe;  im  „Philoktet**  mussten  die  Begleiter  des  Neopto- 
lemos  in  seinem  Gefolge  auf  der  Bühne  auftreten^)  Manch- 
mal kam  der  Chor  aus  dem  Palaste,  z.  B.  in  den  „Choephoren'* 
und  ,, Helena**.  Doch  dürfen  wir  uns  den  Chor,  auch  wenn  er 
in  der  Orchestra  weilte,  nicht  durch  einen  weiten  Zwischen- 
raum von  den  Schauspielern  getrennt  denken,  sobald  er  etwas 
zu  sprechen  hatte  ^.  Daher  konnte  er  unter  Umständen  einer 
Person  in  den  Wejg  treten,  was  im  „Oedipus  auf  Kolonos**  und 
, Helena**  geschieht,  den  schlafenden  „Orestes**  in  der  Nähe 
betrachten  und  zum  Schlüsse  sich  mit  den  Schauspielern  zum 
Abzüge  vereinigen. 

Nach  der  Beschaffenheit  des  Standorte  war  die  Aufstel- 
lung und  Gruppierung  des  Chores  geregelt.    Wie  die  kreis- 


1)  Aristot.  Problem.  19,  48  ^ott  Y^p  ^  X^?^^  x*rj§eot4|<;  SicpaxTog  -covotav^ 
Y^p  jjLovov  7zapiy(txai  olg  icaptottv.   Vgl.  Horat.  a.  p.  196  flf. 

2)  Bei  Aeschylus  z.  B.  AtxxüooXxot  und  SaXa^ioitotoi,  bei  Sophokles 
noipievfc  (aus  der  troischen  Sage),  TtCofOfiot  (aus  der  Medeasage)  und  Tüji- 
icavLoxai  (Phineussage  s.  fr.  565.  571).  In  den  erhaltenen  Stücken  des  Enri- 
pides  kommen  vierzehn  weibliche  Chöre  vor. 

8)  Pollux  4,  123. 

4)  A.  Müller  S.  ]08f.  124fif.;  Höpken  de  theatro  Attico  saeculi  a, 
Chr.  quinti,  Diss.  von  Bonn  1884  versetzt  die  Schauspieler  gleichfalls  in  die 
Orchestra^  s.  aber  Nie  jähr  de  Pollucis  loco  qui  ad  rem  scaenicam  spectat, 
Pr.  v.  Greifswald  1885  n.  Alb.  Müller  Philol.  Anzeiger  15,  525fi.;  umge- 
kehrt Höpken  Tirocinium  philologum,  Berlin  1883  p.  14  f. 

5)  Nach  Wecklein  Philol.  31,  459  weist  sie  später  Neoptolemos  mit 
einer  Geberde  (V.  148  «pi?  ftfi.*^v  iel  yjlpo^  zpoyjup&v)  in  die  Orchestra;  vgl. 
auch  Ion  510  f. 

6)  Vgl.  Soph.  Ai.  1182.  Eur.  Med.  1293. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  213 

förmige  Gestalt  des  lyrischen  Chores  (ö.  56)  durch  die  runde 
Form  der  Orchestra  bedingt  war,  so  machte  die  Abechneidung 
«Ines  Segmentes  durch  Errichtung  einer  Bühne  diese  Form  un- 
möglich, weshalb  der  Chor  nach  Massgabe  der  geraden  Bühne 
eine  viereckige  Aufstellung  einnahm  ^) ;  die  Dichter  waren  indes 
dadurch  nicht  abgehalten,  den  Chor,  wie  wir  eben  sahen,  in 
loserer  Gruppierung  auf  die  Bühne  zu  bringen. 

Mit  diesem  Punkte  hängt  sodann  die  Einheit  des  tragi- 
schen Chores  zusammen,  eine  Frage,  die  ihrer  eminenten 
Wichtigkeit  gemäss  mit  regem  Eifer  erörtert  wurde  und  wird. 
Niemand  kann  verkennen,  dass  der  Chor  hie  und  da  nicht 
geschlossen,  sondern  in  gelösten  Gruppen^  das  Theater  betrat, 
so  wenn  die  Thebanerinnen  bei  Aeschylus  entsetzt  hereineilen, 
oder  der  Chor  der  Koloneer  nach  dem  unheimlichen  Fremd- 
ling späht,  die  Dienerinnen  im  „Ion**  plaudernd  die  Sehens- 
würdigkeiten betrachten  oder  zu  Anfang  des  euripideischen 
„Phaethon**  den  Vorplatz  räuchern  *);  in  allen  diesen  Fällen  war 
der  Gesang  natürlich  ebenfalls  nicht  gemeinsam*)  Der  Streit 
dreht  sich  aber  vor  allem  um  das,  was  der  Chor  nach  seinem 
Eintritt  spricht  oder  singt. 

Von  den  Trimeterü  nehmen  fast  alle  Neueren^)  überein- 
stimmend an,  der  Chorführer*)  habe  sie  allein  im  Namen  seiner 
Gefährten  gesprochen.  Die  Alten,  welche  doch  die  Stücke 
selbst   spielen    sahen,    waren    nicht  dieser  Ansicht  ^)    und    wir 

1)  Etym.  M.  p.  764,  5.  Schol.  Dion.  Thrac.  bei  ViUois.  Auecd.  II  178 
n.  Bekker  Anecd.  746,  27.  Is.  Tzetz.  proleg.  in  Lycophr.  p.  254  M.  Joh^ 
Tzetz.  Auecd.  Oxod.  HI  p.  337,  15  f. 

2)  Sitop(i3f|v  Vita  Aeschyli  Z.  49  (wonach  einige  dies  von  den  „Eame- 
uiden'*  annahmen).  Nach  der  Ueberlieferung  erwacht  zuerst  eine  von  den 
Erinyen  (Schol.  Eam.  140). 

3)  V.  54f.  p.  5  ed.  Blass. 

4)  Dadurch  kann  man  die  Worte  des  Aristoteles  (poet.  12)  «ipoSo^  -rj 
icp(ux-r}  \iiiz  SXoo  yi^opob  rechtfertigen.  Wir  fügen  dazu  die  ^iriicdtpo^oc  des 
Aias  (Schol.  V.  866.  879). 

5)  Seit  Tyrwhitt  Aristot.  poet.  p.  153;  ausgenommen  Heimsöth 
Beiträge  zur  richtigen  Lektüre  der  griechischen  Dramen  I.  vom  Vortrag  des 
Chores,  Bonn  1841. 

6)  Kopotpaloc  Suidas;  [isa^xopoc  Plin.  ep.  2,  14,  7. 

7)  Z.  B.  SchoL  Eurip.  Alcest.  137  (5Xoc  Xl^tt  6  xopö«  taöta).  Med.  521. 
759.  U.  V.  Wilamowitz  analecta  Euripidea  p.  91  glaubt  jedoch  in  Hand- 
schriften eine  gewisse  Unterscheidung  wahrzunehmen. 


Digitized  by 


Google 


214  VI.  Kapitel. 

möchten  daran  erinnern,  dass,  wenn  der  Chorführer  allein,  der 
Bühne  zugewendet,  gesprochen  hätte,  die  Worte  in  dem  weiten 
freien  Räume  notwendig  verhallt  wären.  Schlichte  Zuschauer 
nehmen  erfahrungsmässig  an  korrektem  Zusammensprechen 
keinen  Anstoss  und  die  unisono  gesprochenen  Stellen  der 
„Braut  von  Messina*'  machten  nach  Zelters  Bericht  auf  Schillers 
Zeitgenossen  eine  erschütternde  Wirkung,  während  man  den 
Eindruck  der  entgegengesetzten  Art  an  Wilbrandts  Bearbeitung 
der  sophokleischen  Chöre  selbst  erproben  mag.  Zum  mindestens 
rauss  man  zugeben,  dass  die  aeschyleischen  Eumeniden  ihre 
Sache  einstimmig  führten  ^).  Diesem  und  ähnlichen  Fällen  ^) 
stehen  sichere  Belege  des  Einzelsprechens ^)  gegenüber;  es  wird 
daher  am  geratensten  sein,  weder  das  eine  noch  das  andere  als 
einzig  üblich  hinzustellen. 

In  anderen  Fällen  spaltet  sich  der  Chor,  wie  so  mancher 
lyrische,  in  zwei  Teile,  z.  B.  am  Ende  der  „Sieben",  wo  er  die 
Leichen  der  feindlichen  Brüder  getrennt  hinausgeleitet ;  Euripides 
führt  in  den  „Schutzflehendon"  (V.  598  ff.)  einen  Wechsel- 
gesang zwischen  den  Frauen  und  ihren  Dienerinnen  ,  welche 
jene  bisher  mit  stummen  Geberden  oder  höchstens  auch  mit 
Jammerrüfen  begleitet  hatten,  vor.  Das  SoloUed  eines  Choristen 
finden  wir  in  der  „Alkestis"  (V.  903  ff.)*).  Wie  steht  es  da- 
gegen um  den  Schluss  der  aeschyleischen  „Schutzflehenden", 
die  Anapäste  der  „Alkestis"  V.  93  ff.  105  ff.  und  ähnliche 
Lieder?  Singen  hier  Halbchöre  oder  Reihen  oder  Einzelne^)? 
Die  sicheren  Ergebnisse  der  zahlreichen  Untersuchungen  ^  sind 


1)  V.  585. 

2)  Aeech.  Sappl.  209  ff.  465 flf.  Soph.  OR.  276  ff.  Eur.  flipp.  7 13  f. 

3)  Ear.  Hippel.  782  f.,  vgl.  Aesch.  Sept.  369  fi.;  die  Anapäste  Aesch, 
Pers.  150—64  spricht  der  Chorführer,  woranf  der  Chor  mit  den  Tetrametem 
V.  155 — 58  einfällt.    Dazu  kommt  die  oben  erwähnte  Abstimmung. 

4)  Daher  sagt  Pollnx  4,  109:  bn6x9  jjiiv  ivrl  xtx&pxoo  ÖTtoxpttoö  Uoi 
ttvÄ  TÄv  xop8üT(öv  glretlv  ^v  <|)  5  ■§ ,  napaoxYjVtov  xaXeltai  xb  np&'(\t.a^  wc  hv 
'AYapL^jxvovt  AloxüXoü. 

5)  ScIIol.  Aeschyl.  Sept.  97  xabxa  hi  ttvec  tüiv  toD  ^opou  Yovaixd>y  itpö^ 
xäq  ixipaz  (paoiv. 

6)  Den  Anstoss  daza  gab  die  „Brant  von  Messina".  Vgl.  im  Allge- 
meinen G.  Hermann  in  seinen  Ausgaben;  O.  Müller  Eumeniden  S.  71ff.; 
O.  Hense  Rhein.  Mus.  31,  582ft.;  W.  Christ  die  Teilung  des  Chors  im 
attischen  Drama,  Abh.  der  bayer.  Akad.  Bd.  14,  Abt.  2  S.  159  ff.,    besonder» 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  215 

naturgemäss  äusserst  gering.  Im  ganzen  überwog  jedenfalls 
der  einstimmige  Chorgesang,  weshalb  der  Chor  sehr  oft  im 
Singular  angeredet  wird*);  auch  die  Seltsamkeit,  dass  die 
Choristen  sich  einstimmig  ansprechen  oder  auffordern ,  haben 
gewiss  nicht  erst  die  Neueren  aufgebracht^. 

Der  Gesang  war  jedoch  wahrscheinlich  nicht,  wie  man 
anzunehmen  pflegt,  unisono  *)  Die  musikalischeBegleitung 
desselben  besorgte  statt  des  modernen  Orchesters  ein  einzelner 
Flötenspieler*),  welcher  den  Gesang  unterstützte,  ohne  dem 
Publikum  sonderlich  vernehmbar  zu  sein;  dass  er  in  der 
Orchestra  seinen  Platz  einnahm  und  dem  abziehenden  Chor 
voranschritt  %  fiel  den  Griechen  so  wenig  als  unsern  Vätern  das 


S.  184 ff.  n.  Metrik  der  Giiechen  u.  Römer  S.  %29f.  652 ff.;  Zacher  Verh. 
der  33.  Phil.  Vers,  zu  Gera  S.  64ff. ;  zu  Aeschylus:  Ferd.  Bamberg  er 
opuscula  I  Iff.  (Diss.  v.  Marburg  1832);  Grotefend  Ztsch.  f.  Altertumsw. 
1841  Nr.  106—9.  1842  Sp.  686 ff.;  Chr.  Muff  de  choro  Persarum  febulae 
Aeschyleae,  HaUe  1878  u.  der  Chor  in  den  Sieben  des  Aesch.,  Halle  1882; 
B.  Arnoldt  der  Chor  im  Agamemnon  des  Aesch.  scenisch  erläutert,  Halle 
1881;  8.  o.  S.  209  A.  4;  Nik.  Wecklein  Technik  u.  Vortrag  der  Chor- 
gesänge des  Aesch.,  Jahrbb.  Suppl.  XHI  (1882)  S.  213  ff.;  zu  Sophokles: 
O.  Hense  lihein.  Mus.  32,  489 ff.;  Chr.  Muff  die  chorische  Technik  des 
Soph.,  Halle  1877,  s.  auch  Jahrbb.  f.  Phil.  117,  Iff.  81  ff.  145 ff.  (bestritten 
von  Hoppe  Wissenschaftl.  Monatsblätter  1872  S.  141  ff.,  vgl.  Weck  lein 
Philol.  Anzeiger  8,  34  ff.);  O.  Hense  der  Chor  des  Sophokles,  Berlin  1877 
und  Jahrbb.  f.  Phil.  117,  Iff.  81ff.  145ff.;  zu  Euripides:  O.  Hense  de 
lonis  fabulae  Enripideae  partibus  choricis,  Lpg.  1876;  R.  Arnoldt  die 
chorische  Technik  des  Eur.,  HaUe  1878  (vgl.  Wecklein  Ztsch.  f.  Gym- 
naslalw.32,470ff.);  Cnno  Fecht  quaestiones  choricae  Enripideae,  Freiburg  1878. 

1)  Nauck  zu  Soph.  OC.  175;  es  kommt  sogar  vor,  dass  der  Chor  ab- 
strakt als  männliche  Einheit  gefasst  wird,  mag  er  gleich  aus  Frauen  bestehen 
(W.  Dindorf  zu  Eurip.  Hippol.  1105). 

2)  Schol.  Aristoph.  Ran.  372.' 

3)  Ps.  Aristot.  de  mundo  6.  ev  x^PH*  ^opo^aEoo  xatciipSavxoc,  oov8TCT,X6t 
izä^  6  X°P^^  äv8gd>v  xal  fovatxÄv  iv  8tacp6pot(;  ^cuval^. 

4)  Aesch.  Prom.  574  f.  Soph.  Trach.  217.  Euf.  El.  879.  Iph.  Tanr.  146 
(vgl.  auch  Aesch.  Ag.  990.  Eur.  Hei.  184).  Inschriften  bei  A.  Müller  S.  405, 1. 
Schol.  Aristoph.  Nub.  311.  Daher  wnrden  die  Flötenspieler  zu  den  icspl  töv 
Atovooov  texvttat  gerechnet  (Gell.  noct.  Att.  20,  4,  2).  Ueber  die  Musik  über- 
haupt Räumer  Historisches  Taschenbuch  1841  S.  243 ff.,  Vincent  de  la 
mnsique  dans  la  trag^ie  grecque,  Paris  1844;  Gevaert  histoire  et  th^rie 
de  la  mnsique  de  Tantiquite,  Bd.  n  S.  501  ff. 

5)  Schol.  Aristoph.  Vesp.  580. 


Digitized  by 


Google 


216  VI.  Kapitel. 

Orchester  unangenehm  auf.  Die  Kithara  wurde  vielleicht  nach 
Art  lyrischer  Chöre  (S.  85)  beigefügt  ^),  jedenfalls  begleitete  eine 
kleine  Lyra  viele  Arien  *) ;  obgleich  Aeschylus  solche  im  Äp^toc 
vd(io<;  komponierte*),  hat  man  kein  Recht,  das  Schema  des 
terpandrischen  Nomos  auf  ganz  anders  geartete  Chorgesänge 
anzuwenden  *).  Der  Chor  sang  gewöhnlich  klagend  und  ruhig  *) 
nach  der  mixolydischen  Tonart,  weil  ihr  Pathos  für  das  Trauer- 
spiel am  besten  passte,  oder  auch  in  der  dorischen,  welche  von 
dem  altpeloponnesischen  Satyrspiel  herstammte,  und  selbst  in 
der  phrygischen  und  jonischeu^),  je  nachdem  das  Lied  be- 
schaffen war. 

Für  die  zahlreichen  Arten  der  Chorlieder'')  reichen 
die  überlieferten  Bezeichnungen  bei  weitem  nicht  aus.  Ein  in 
Anapästen  gedichtetes  Einzugslied,  icdpoSoc  im  engeren  Sinne 
geheissen  ®),  bietet  Aeschylus  in  den  „Schutzflehenden'*,  „Persern" 
und  „Agamemnon"  in  der  Weise,  dass  ein  langes  Standlied 
(oTdot|iov)  daran  sich  schliesst,  eine  Manier,  der  Sophokles  nur 
in  dem   ältesten  überlieferten  Stück,    dem  „Aias",    treu  blieb  ; 


1)  Sezt.  Empir.  adv.  math.  6,  17  (als  alte  Sitte  bezeichnet)»  Maxim. 
Tyr.  7,  6.  CIG.  2759  xopo^i^apel  xpaYtxcj)  (aber  Le  Bas  Asie  min.  1620 d 
gibt  xopH>  tp.). 

2)  Aristoph.  Ran.  1304,  wozu  das  von  Hermippos  Vita  Earip.  Z.  79  fi., 
erzählte  passt;  vgl.  Aristot.  probl.  19,  43;   E.  v.  Lentsch  Metrik  S.  341  ff. 

3)  Timachidas  bei  Schol.  Aristoph.  Ran.  1308  (1315). 

4)  Westphal  Prolegomena  zu  Aeschylus*  Tragödien  S.  69 ff. ;  J.  0 b e r - 
dick  Ztech.  f.  Österreich.  Gymn.  27,  346 ff. 

5)  Aristot.  Problem.  19,  48. 

6)  Plutarch.  mus.  16.  20;  Aristoxenos  bei  Plut.  mus.  16,  vgl.  c.  17 
tpayixol  oixtoi  icote  licl  too  Aiupiou  tpoicou  IpLsXtpBt^d^aav ;  Aristoxenos  bei 
Vita  Sophod.  §  23;  Herakleides  bei  Athen.  14,  625  b.  Das  chromatische 
Tongeschlecht  war  der  Tragödie  firemd  (Plüt.  mus.  20).  Der  tpa^ixi^  tpoitoc 
war  öicatoeiBY}^  (Aristides  Quintil.  11  p.  29  f.)  und  von  Arion  erfunden  (Sui- 
das  Q.  'Apccuv),  d.  h.  er  stimmte  mit  dem  dithyrambischen  xpoicoc  äberein 
(Anstoxenos  bei  Vita  Sophocl.  §  23).  Die  alten  Partituren  besass  man  noch 
gegen  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung  (Dionys.  compos.  verb.  11). 

7)  A.  Ed.  Chaignet  des  formes  diverses  du  choeur  dans  la  trag^ie 
grecque,  Paris  1865. 

8)  Aristot.  poet.  12  TC(iipo5oc  icpcurq  Xs^i^  SXoo  -^opob  und  zwar,  wie  aus 
den  folgenden  Worten  hervorgeht,  in  Anapästen ;  später  als  Einzugslied  über- 
haupt (Schol.  Eurip.  Phoen.  202,  ähnlich  Argum.  Aesch.  Pers.  und  Tzetz.  de 
tragoed.  35  ff.  aus  Eukleides)  oder  Einzug  (Pollux.  4,  108.   Schol.   Hephaest. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  217 

ist  hingegen  schon  ein  Schauspieler  auf  der  Bühne  oder  tritt 
er  gleichzeitig  mit  dem  Chor  auf,  gestaltet  sich  die  Parodos 
oft  zu  einem  ganz  oder  zur  Hälfte  anapästischen  Zweigesang, 
dem  auch  wohl  noch  ein  anderer  Sänger  beitritt^).  Ira  „Ion" 
vollends  ersetzt  die  Soloarie  die  Parodos  so  gut  wie  ganz. 

Aristoteles  unterscheidet  des  weiteren  Stand-  und  Tanz- 
lieder, Stasima  und  Hyporchemata  nach  dem  Metrum,  indem 
er  jenen  Anapäste  und  Tetrameter  abspricht  uud  gleichzeitig 
diesen  die  letzteren  stillschweigend  als  charakteristisches  Mass 
zuweist.  Leider  ist  die  Sonderung  in  Wirklichkeit  nicht  so 
einfach  zu  vollziehen  und  unsere  Kenntnis  der  antiken  Metrik*), 
schon  weil  die  musikaUsche  Begleitung  fehlt,  nicht  so  voll- 
kommen, dass  wir  die  erhaltenen  Chorlieder  hienach  klassifi- 
zieren könnten.  Eher  treten  dem  Inhalte  nach  die  Haupt- 
gattungen des  melancholisch  betrachtenden  Liedes,  des  Trauer- 
gesanges (^p^voc)  ^)  und  des  religiösen  Liedes  *),  zu  dessen 
Unterarten  der  Jubelhymnus  gehört,  auseinander.  Der  letzt- 
genannte wird  mit  grosser  Wirkung  im  Dienste  der  tragischen 
Ironie  verwendet;  so  eröffnet  der  Chor  der  „Antigone*'  seinen 
Gesang  mit  einem  Preisliede,  weil  er  durch  den  glänzenden  Sieg 
sich  aller  Sorgen  enthoben  glaubt;  aber  was  folgt,  stimmt  ihn 
zu  schwermütigen  Gedanken,  bis  Kreons  Nachgiebigkeit  (V.  11 1 5  flf.) 
den    aufathmenden  Greisen    ein    fröhliches  Lied    auf  Dionysos 


p.  138  G.)  gefasst.  Vgl.  Waldästel  de  tragoed.  Graecoram  membris  ex 
verbis  Aristotelis  recte  constituendis,  Nenbrandenburg  1837;  Th.  Kock  über 
die  P.  der  griech.  Tragödie,  Pr.  v.  Posen  1860,  Berlin  1854  u.  Jahrbb.  f.  Phil. 
75,  660 ff.  Leop.  Schmidt  de  parodi  tragoediae  Graecae  notione,  Pr.  d. 
Univ.  Bonn  1855  u.  Rhein.  Mns.  18,  268 ff.;  Aacherson  de  p.  et  epiparodo 
tragoediarntn  Graec. ,  Berlin  1856  u.  Jahrbb.  Snppl.  4,  419  ff.;  Westphal 
Prolegomena  S.  57ff. ;  Myriantheus  Marschlieder  der  griech.  Trag.,  Mün- 
chen 1875;  Oehmichen  de  compositione  episodiornm  tragoediae  Grnecae 
externa,  Erlangen  1881  p.  6  fr. 

1)  Aeschyl.  Prom.  Eurip.  Iph.  Taur.  Troad.  Rhes. ;  Soph.  OC.  Eurip.  Hec. 

2)  W.  Dindorf  de  metrijs  poetamm  scenicorum,  in  der  editio  V.  der 
poetae  scenid;  J.  H.  Schmidt  die  Knnstformen  der  griechischen  Poesie  I. 
Lpg.  1868;  W.  Christ  die  rhythmische  Continuität  der  griech.  Chorgesänge, 
Abhandl.  der  bayer.  Aka^.  Bd.  14,  3.  Abth.  1878. 

3)  0pY|VYjTtxÄ  SchoL  Aesch.  Prom.  128;  O-ptjvoc  Aesch.  Agam.  991. 
Eurip.  Suppl.  88. 

4)  E6xttxd  PoUux  4,  53. 


Digitized  by 


Google 


218  VI.  Kapitel, 

in  den  Mund  legt,  auf  welches  die  Unglücksbotschaft  wie  eine 
schrille  Dissonanz  folgt.  Gleich  geartet  ist  des  „Aias"  bewegtes 
Tanzlied  auf  Pan  ^).  Im  besonderen  schweben  den  Dichtern 
die  herkömmlichen  Formen  des  Päan^  und,  insoferne  Dionysos 
an  der  Handlung  beteiligt  ist,  des  Dithyrambos  vor').  Was 
das  Trauerlied  anlangt,  so  ist  auf  poetische  Bezeichnungen, 
welche  die  Dichter  selbst  gebrauchen,  wie  „Jalemos"  oder 
„Päan  an  den  unterirdischen  Gott"*),  nicht  viel  zu  geben;  hin- 
gegen weist  der  Refrain  des  ersten  Chorgesanges  des  Agamem- 
non auf  die  volkstümlichen  Linoslieder  (Bd.  I.  S.  24)  zurück. 
Jene  verbreiteten  Namen  „Stasima"  und  „Hyporchemata** 
gehen  offenbar  von  den  Bewegungen  des  Chors  aus*),  denn 
den  Ausdruck  Tanz  vermeiden  wir  besser,  um  falsche  Vor- 
stellungen fern  zu  halten.  Da  die  Alten,  wie  noch  heute  die 
Völker  des  Südens,  jegliche  rhythmische  Körperbewegung  als 
Tanz  bezeichneten,  darf  kein  Zweifel  daran  bestehen,  dass  der 
Chor  die  „Standlieder"  wirklich,  wie  die  alten  Grammatiker 
versichern®),  an  einem  und  demselben  Orte  stehend  sang  und 
den  sogenannten  Tanz  auf  Geberden  beschränkte'),  z.  B.  schlugen 

1)  V.  701  vöv  '(äp  cjiol  \i.i\ti  ^opeücai,  wie  OR.  1095  xoptotQ^a.^ 
Kpöc  •^jiÄv,  Aesch.  Eam.  307  fi^e  S-rj     xal  )^opöv  &i}/ü)jiev. 

2)  Soph. '  Trach.  205  ff.  Ear.  Ale.  220  ff.  569  ff.  Das  Argument  de« 
„AgamemnoD"  wendet  anf  das  Siegeslied  die  Bezeichnung  naiaviCooot  au, 
ebenso  sagt  Aeschylas  selbst  V.  268  «atdvtoov  von  dem  Hymnus  Sept.  287  ff. 

3)  Z.  B.  jedenfalls  in  den  Bakchen. 

4)  Eurip.  Suppl.  281,  vgl.  Aescb.  Cho.  424;  Eurip.  Ale.  424,  vgl. 
Aesch.  Cho.  151. 

5)  O.  Müller  Eumeniden  S.  94ff. ;  G.  Hermann  opuscula  VI  2, 
158  ff. ,  Herrn.  Buchholtz  die  Tanzkunst  des  Euripides,  Lpg.  1871;  Fr. 
Chr.  Kirchhoff  die  orchestische  Eurhythmie  der  Griechen,  Altona  1873, 
2  Thle.  Die  Alten  sprachen  von  lji|j.eX5ta  (Aristoxenos  fr.  44  M.  bei  Etym. 
M.  p.  712,  54  u.  8p.,  vom  Satyrtanz  Aeschyl.  fr.  17),  dies  ist  aber,  wie  Plato 
leg.  7,  816  b  zeigt,  weder  der  besondere  Name  des  tragischen  Tanzes  noch 
einer  tragischen  Tanzart  (wie  PoUux  4,  53  u.  Tzetzes  V.  31  zu  glauben 
scheinen),  sondern  dem  Kri^stanze  entgegengesetzt. 

6)  A.  Müller  S.  221  A.  1 ;  vgL  Plato  com.  fr.  180  K.  bei  Athen.  14, 
628  e  &0T*  tX  ttc  ipxo^^'  »&,  ^iaji.'  ^v,  vöv  hh  dpuioiv  o584v,  äW  &oitep  iii6iiX7|x- 
xot  at^dYjv  iota>t6C  (upoovtai.  Athen.  14,  629 d  x6l  ^i  ataaifj.cutepa  xal 
icoixiXcutepa  xal  t4]v  op^^rjotv  d^Xcootipotv  f)^ovTa,  Hieher  gehören  die  Cho- 
ristentitel BeSto-,  dpiatspo-,  icpiuto-,  tptto-otdirrj^. 

7)  Reinhard  Schnitze  de  chori  Graecomm  tragici  habitu  externo, 
Preisschrifb  v.  Berlin  1857. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  219 

die  Frauen  nach  der  Sitte  des  wirklichen  Lebens  bei  Trauer- 
liedern ihre  Brüste;  in  den  „Schutzflehenden"  des  Euripides 
vertreten  die  Dienerinnen  die  üblichen  Klagefrauen,  indem  sie 
sich  schlagen  und  die  Wangen  zerkratzen^).  Auch  die  Perser 
schlugen  die  Hände  zusammen  und  warfen  sich  gleich  Euripides' 
Phönikerinnen  ehrfurchtsvoll  zu  Boden*).  Die  ältere  Tragödie 
bewegte  jedoch  den  Chor  bei  vielen  Gesängen  von  der  Stelle, 
insofern  er  nach  anapästischem  Rhythmus  eine  Schwenkung 
ausführte,  bevor  er  sich  zum  Stasimon  aufstellte*).  Ueber  die 
wirklichen  Fussbewegungen  und  Reigenfiguren  des  Chors  wissen 
wir,  obgleich  eine  Anzahl  termini  technici  überliefert  sind*), 
nichts  bestimmtes  zu  sagen.  Was  helfen  jene?  Nicht  mehr 
als  die  Schlussscene  der  „Wespen",  worin  Aristophanes  die 
gekünstelten  Tänze  des  Tragikers  Karkinos  und  seiner  Familie 
verhöhnt.  Wir  müssen  uns  an  der  eigentlich  selbstverständ- 
lichen Angabe  genügen  lassen,  dass  der  allgemeine  Charakter 
würdevoll  und  gemessen  war**);  bildeten  doch  häufig  alte  auf 
Stöcke  gestützte  Männer  den  Chor^.  Dass  der  Chor  bei  der 
Antistrophe  sich  wendete  und  die  Epodos  gegen  den  Altar  des 
Dionysos  hin  sang,  ist  eine  durch  häufige  Wiederholung  ein- 
gebürgerte Vermutung  eines  etymologisierenden  Scholiasten '') 

Da  die  Chorlieder  durch  Musik  und  Tanz  mit  den  lyrischen 
Dichtungen  auf  das  engste  verwandt  waren,  teilten  sie  mit 
diesen  auch  den  Kunstdialekt,  die  dorische  Mundart,  was 
nach  griechisclien  Begriffen  um  so  natürlicher  war,  als  Athen 
die  tragischen  Chöre  von  den  dorischen  Städten  Sikyon  und 
Phleius  entlehnt  hatte.  Das  lauge  A,  der  Kern  des  tragischen 
Dorismus,  haftet  demgemäss  an  allen  rein  lyrischen  Teilen  des 


1)  V.  72  ff.  87. 

2)  Pere.  152.  Phoen.  293. 

3)  Aeschyl.  Sappl.  625  ff.  Pers.  532  ff.  623  ff.  Ag.  355  ff.  Eam.  307  ff. 
Sept.  832  ff.  (vor  einem  Wechselgesang  Cho.  306  ff.).  Dagegen  sind  die  Lieder 
Snppl.  1014  ff.  Cho.  931  ff.  1063  ff.  von  Trimetem  eingeleitet. 

4)  PoUux  4,  105.  Hesych.  n.  ÄnoSttpECetv. 

5)  Bapö  xal  oe|j.v6v  Athen.  14,  630  e. 

6)  Vgl.  Aeschyl.  Ag.  75.  Eurip.  Hercf.  108. 

7)  Schol.  Enrip.  Hecnb.  647,  nnhestimmter  Enanthins  de  comoedia 
p.  4,  14  f.  Aristoph.  Thesm.  985  &XX'  sl  hn*  £XX'  äydoipttp'  t&p6^q>  icoSi  kann 
es  nicht  beweisen. 


Digitized  by 


Google 


220  VI.  Kapitel. 

Dramas^);  über  die  Anapäste  könuen  wir  bei  der  Unzu- 
verlässigkeit  und  Regellosigkeit  der  Handschriften  keinen  be- 
stimmten Satz  aussprechen  *). 

Wie  hätte  sich  aus  den  ursprünglichen  Cyklen  von  Chor- 
gesäugen  ein  Schauspiel  der  modernen  Art  entwickeln  können? 
Die  Schöpfer  der  italienischen  Oper  glaubten  nicht  ganz  mit 
Unrecht  durch  ihr  Singspiel  der  alten  Tragödie  näher  zu 
kommen  als  den  blossen  Jambendichtern  gelungen  war.  Ein 
gelehrter  Musikfreund  hat  jene  mit  der  Gluck'schen  Oper  ver- 
glichen*); wenngleich  diese  dem  griechischen  Drama  in  ihrer 
Art  verhältnismässig  am  nächsten  stehen  dürfte,  ist  doch 
nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  bei  den  Griechen  der  klas- 
sischen Zeit  die  Musik  nicht  mehr  als  eine  Dienerin  des  Textes 
w^ar;  sie  kannten  nicht  einmal  eine  Ouvertüre,  eine  Erfindung, 
welche  den  unersättlichen  Römern*)  vorbehalten  blieb. 

Bei  allem  dem  konnte  neben  den  Chorliedern  ein  prosaischer 
Dialog  nicht  aufkommen.  Das  äusserste,  was  die  Dichter  wagten, 
war,  dass  sie  die  regelmässige  Versfolge  durch  Interjektionen 
unterbrachen  ^)  oder  manche  Trimeter  in  lebhafter  Wechselrede 


1)  C.  W.  Schneider  de  dialecto  Sophoclis  ceterorumqne  tragicorum 
Graecoram  quaestiones,  Jena  1822;  Karl  Kühlstftdt  observationes  criticae 
de  tragicorum  Graec.  dialecto,  Preisschrift  v.  Dorpat,  Reval  1832;  Herra. 
Schäfer  de  Dorismi  in  Graecis  tragoediis  usu,  Pf.  v.  Cottbns  1866;  Karl 
Herrn.  Althans  de  tragicorum  Graecorum  dialecto  I.  de  Dorismo,  Berlin 
1866,  curae  secundae,  Pr.  v.  Spandow  1870;  Beruh.  Gerth  quaestt.  de 
Graecae  tragoediae  dialecto,  Lpg.  1868  (Curtius'  Studien  I  2,  191  flf.);  Rieh. 
Dreasel  de  Dorismi  natura  atque  usu  in  tragoediarum  Graecaruin  diverbiia 
et  anapaestis,  Jena  1868;  bei  Aeschylus:  C.  A.  J.  Hoff  mann  fonnarum 
Doiicarum  quinam  (it  in  lyricis  tragoediarum  partibus  apnd  A.  usum,  Celle 
1842,  Aesch.  u.  Sophokles:  W,  Köhler  de  Dorismi  cum  metris  apnd  Aesch. 
et  Soph.  necessitudine,  Pr.  v.  Poseu  1877;  Euripides:  J.  Weidgen  qua 
ratione  Eur.  in  carminibos  melicis  Doricam,  in  anapaestis  Atticam  dialectum 
temperaverit,  Jena  1874. 

2)  Vgl.  ausserdem  W.  Dindorf  ad  Soph.  Ant.  ed.  Oxou.  III  p.  22; 
Gust.  Wol ff  Rhein.  Mus.  18,  606f. ,  Rob.  Nieberding  de  anapaestorum 
apud  Aesch.  et  Soph.  ratione  antisystematica,  Berlin  1867  p.  59  ff. 

3)  Fr.  Y.  Raumer  Historisches  Taschenbuch  1841  S.  171  f.  243  f. 

4)  Vgl.  Donatus  de  comoedia  p.  12,  11  f.,  auch  Cic.  Acad.  pr.  U  7,  20. 

5)  Rieh.  Müller  de  Inteijectionum  apnd  Sophoclem  Enripidemqne  usu 
significatione  ratione  metrica  I.  Jena  1885. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  221 

unter  zwei  Sprecher  verteilten \\  Das  ,Versmass  des  Dialoges 
der  alten  Tragödie  war  entsprechend  dem  satyresken  Tone  der 
Grundrhythmus  der  Tanzlieder,  nämlich  der  trochäische  Tetra- 
meter gewesen*).  Sowie  aber  das  Gespräch  aus  seiner  ab- 
hängigen Stellung  befreit  wurde  und  das  Drama  einen  feier- 
lichen Ton  anschlug,  wich  der  Tetrameter  dem  jambischen  Tri- 
meter,  da  dieses  Mass  nicht  für  Spottgedichte  und  Komödien 
allein  verwendet  wurde,  sondern  seinem  rhythmischen  Charakter 
nach  der  natürlichen  Rede  am  nächsten  kam.  Indes  ging  diese 
Umwandlung,  welche  die  Emancipatiou  des  Dialoges  äusserlich 
anzeigte,  Schritt  für  Schritt  vor  sich;  in  Aeschylus'  „Persem'* 
beherrscht  der  Tetrameter  noch  das  Gespräch^),  während  der 
Trimeter  den  von  dem  Zusammenhange  mit  den  Chorliedern  mehr 
gelösten  Erzählungen  zukommt.  In  den  übrigen  Stücken  ist  der 
sechsfüssige  Jambus  bereits  durchgedrungen  und  zum  Tetrameter 
wird  nur  in  Fällen,  wo  jener  zu  schwach  und  ruhig  klingen 
würde,  gegriffen:  Ein  klassisches  Beispiel  bietet  Aeschylus  hie- 
für  in  dem  bewegten  Schluss  des  „Agamemnon*'.  Bei  Sophokles 
kündigt  der  Tetrameter  das  Ende  des  Stückes  an  (wie  im  König^ 
Oedipus  und  Philoktet)  oder  begleitet,  dem  Namen  tpoxaioc 
entsprechend,  das  hastige  Auftreten  eines  Schauspielers  *).  Euri- 
pides  bindet  sich  an  diese  Regel  durchaus  nicht  ^) ,  sondern 
verwertet  jenes  Versmass,  besonders  in  späteren  Stücken, 
zur  pathologischen  Erregung.  Nur  in  den  Bakchen  (604 — 41} 
und  im  Orestes  (729—806.  1506—36)  sind  ganze  Scenen  in 
Tetrametern  componiert;  sonst  eröffnen  dieselben  einen  Auf- 
tritt oder  beschliessen  ihn,  je  nachdem  die  Stimmung  der 
Sprechenden   leidenschaftlicher   wird    oder  sich   beruhigt^),   in 


1)  'AvxtXaßai  (Hesych.  s.  v.);  Nauck  zu  Soph.  El.  1220;  U.  v.  Wilamo- 
witz  analecta  Euripidea  p.  195 ff. 

2)  Aristot.  poet.  24  p.  1460  a.  Anf.;  vgl.  Schütze  über  den  Gebrauch 
der  Alexandriner  bei  den  griechischen  Tragikern,  Pr.  v.  Dessau  1868. 

3)  Vgl.  auch  Fr.  57  der  „Edoner". 

4)  Oed-.  Col.  886  fi.  (890  ^Ja  «-äooov  ^  xa^'  4i8ov^v  noSoc). 

5)  Am  Schlüsse  im  Ion  und  den  Phönissen;  bei  raschem  Auftreten  Or. 
729  ff.  1506 ff.  1549ff.  (V.  1550  öSoicoov),  Phoen.  1307  f.  1335—39;  Rhes. 
683-91. 

6)  lo  5)0-65.  1250-60.  Iph.  Aul.  317—401.  854-916.  1338-140U 
Herc.  f.  855—74.    Iph.  Taur.  1203  -33.  Phoen.  588—637. 


Digitized  by 


Google 


222  VI.  Kapitel. 

den  „Troerinen*'  vollends  geht  Kassandra  in  ihrer  langen  Rede 
plötzlich  in  der  Erregung  zu  Tetrametern  über  ^). 

Der  tragische  Trimeter*)  ist  —  man  kann  nicht  eigent- 
lich sagen  —  strenger,  aber  gewichtiger  als  sein  leichtfüssiger 
Bruder  von  der  Komödie  gebaut.  Wiewohl  die  Dichter,  um 
den  würdigen  Ton  nicht  zu  verfehlen,  gutwillig  mancherlei 
Gesetzen  sich  unterwerfen,  prägen  sie  doch  ihre  Eigenart  dem 
Verse  auf.  Während  Aeschylus  seine  wuchtigen  schwergerüsteten 
Worte  in  majestätische  Verse  einschliesst,  leiht  Euripides  seinen 
weniger  heroischen  und  mehr  beweglichen  Figuren  raschere  und 
beschwingtere  Trimeter;  der  massvolle  Sophokles  hält,  wie  ge- 
wöhnlich, die  goldene  Mitte  ein').  Sollte  es  nicht  gelingen, 
statt  dass  man  nach  den  Prozentverhältnissen  der  Auflösungen 
die  Dramen  in  ein  chronologisches  System  nötigt,  in  die  Werk- 
stätte der  Dichter  einen  tieferen  Einblick  zu  thun,  wie  sie  näm- 
lich nach  dem  jeweiligen  Tone  der  Handlung  nicht  bloss  das 
Versmass  im  allgemeinen,  sondern  auch  die  feineren  Nuancen 
der  einzelnen  Metren  ausgewählt  haben?  Denn  wer  könnte  z.  B. 
verkennen,  dass  der  ungewöhnlich  bewegte  Rhythmus  der  Tri- 
meter dem  bakchantischen  Grundtone  der  „Bakchen"  meister- 
haft angepasst  ist? 

Sogar  das  Gesetz  der  Responsion,  dem  die  Chorlieder 
unterliegen,  hat  den  dialogischen  Teil  gestreift ;  bei  Gegenüber- 
stellung von  lyrischen  Versen  wenigstens  pflegen  auch  die 
Jamben  an  Zahl  sich  zu  entsprechen,  wie  z.  B.  der  Bote  zwischen 


1)  Troad.  443-61. 

2)  Grandlegend  war  Rieh.  Porsons  Vorrede  zur  zweiten  Ausgabe  der 
«nripideischen  Hekabe  (1802),  deren  Resultate  G.  Hermann  ergänzte;  Gnst. 
Engelmann  de  yario  uru  trimetri  in  diverbiis  tragoediarum  Aeschyli  et 
Sophoclis,  Pr.  v.  Neusohl  1874;  A.  Ed.  Chaignet  de  iambico  versu,  Diss. 
y.  Paris  1862;  J.  Burg  caesura  in  the  iambic  trimeters  of  Aeschylus,  Journal 
of  philology  1886  p.  76ff.;  Wecklein  Studien  zu  Aeschylus,  Berlin  1872 
S.  130;  Naumann  die  Cäsuren  im  Trim.  der  soph.  Elektra,  Pr.  v.  Beigard 
1877;  Ed.  Philipp  der  iamb.  Trim.  u.  sein  Bau  bei  Soph.,  Pr.  v.  Prag  1879. 

3)  C.  Fr.  Müller  de  pedibus  solutis  in  dialogorum  senariis  Aeechyli 
Bophoclis  Enripidis,  Berlin  1866;  J.  Rumpel  die  Auflösungen  im  Trim.  des 
Soph.  u.  Aesch.  Philol.  28,  599ff.;  E.  Szelinski  die  Auflösungen  im  Trim. 
des  A.  u.  S.,  Pr.  v.  Uohenst.  1868;  W.  Hamacher  de  anapaesto  in  tri- 
metris  Aeschyli,  Pr.  v.  Trier  1867;  C.  Fr.  Müller  de  pedibus  solutis  in 
tragicorum  minorum  trimetris  iambicis,  Berlin  1879. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  223 

den  kurzen  Chorgesäugeu  der  „Perser'*  (V.  260  ff.)  fünfmal 
zwei  Verse  spricht  ^).  Ebenso  leicht  verständlich  ist  es,  warum 
die  von  dem  Chor  des  „Prometheus**  gesproclienen  Jamben  in 
der  Zahl  korrespondieren^).  Dagegen  erweckt  die  Aufstellung 
weiterer  Responsionen,  die  berühmten  sieben  Redepaare  in  den 
„Sieben  gegen  Theben'*,  welche  den  Anstoss  zu  dem  Probleme 
gegeben  haben  %  nicht  ausgenommen,  kein  Vertrauen,  weil 
man  zur  Annahme  von  Lücken  und  Interpolationen  greifen 
muss,  um  dadurch  nichts  anderes  als  das  Bild  versezählender 
Pedanten  zu  gewinnen*).     Damit  sei  durchaus  nicht  geläugnet, 


1)  Vgl.  Heiland  metrische  MittheilangeD,  Stendal  1855. 

2)  Welcker  Nachtrag  zur  Tril.  S.  69. 

3)  Ritschi  Jahrbb.  f.  Phil.  77  (1858>  S.  761  flf.  79,  96.  81,  824  = 
Opuscala  I  300  ff.  u.  gleichzeitig  Karl  P  r  i  e  n  Beiträge  zar  Kritik  von 
Aeschylus*  Sieben  gegen  Theben ,  Lübeck  1856 ;  bestritten  von  Enger 
Jahrbb.  f.  Phil.  1857  S.  52  flf.  Keck  Jahrbb.  81 ,  810  flf.  W.  D  i  n  d  o  r  f 
Fhilol.  16,  193 flf.  n.  Tb.  Stisser  qnid  jndicandum  sit  de  F.  Ritschelii 
Beotentia  in  Aeschyli  Septem  c.  Th.  singnlos  nnntii  sermones  et  regis  responsa 
aeqaabiliter  dimensa  esse  existimantis,  Diss.  v.  Göttingen.  Pr.  v.  Aurich  1872. 

4)  Zu  Aeschylus:  O.  Ribbeck  qua  A.  arte  in  Prometheo  diverbia 
composnerit,  Pr.  d.  Univ.  Bern  1859;  Alfr.  Ludwig  Sitzungsber.  der  Wiener 
Akad.  33  (1860)  S.  415 flf.;  H.  Weil  Jahrbb.  f.  Phil.  79,  721  flf.  u.  Separat- 
ausgabe der  Choephoren;  £.  Martin  de  responsionibus  diverbii  apud  Aeschy- 
lum,  Berlin  1862;  Wecklein  Ausg.  des  Prometheus;  C.  Conradt  über 
Zahlenverhältnisse  in  dem  Bau  der  aeschyleischen  Tragödie  „die  Sieben  g. 
Th.",  Pr.  V.  Schlawe  1874  u.  Verhandl.  der  Philol.  Vers,  in  Gera,  Lpg.  1879 
S.  137  flf.;  Ch.  Herwig  Jahrbb.  f.  Phil.  119,  449  flf.  (Agamemnon);  Oehmi- 
€hen  de  compositione  episodiorum  tragoediae  Graecae  externa  I.,  Erlangen 
1881;  Klotz  studia  Aeschylea,  Pr.  v.  Lpg.  1884;  vgl.  auch  Thurot  Revue 
arcb^ologique  1862  p.  228 flf. ;  zu  Sophokles:  Alb.  Zip p m a n n  zur 
Theorie  der  Responsion  bei  den  Tragikern  u.  bes.  bei  Soph.  Oed.  Rez,  Pr. 
V.  Schneidemühl  1871;  L.  Drewes  die  symmetrische  Composition  der  soph. 
Tragödie  König  Oed.,  Helmstedt  1880;  J.  J.  Oeri  die  grosse  Responsion 
in  den  späteren  soph.  Tragödien,  im  Kyklops  und  in  den  Herakliden.  Berlin 
1880;  zu  Euripides:  H.  Hirzel  de  Euripidis  in  componendis  diverbiis 
arte,  Diss.  v.  Bonn,  Lpg.  1862;  Usener  Rhein.  Mus.  1868  S.  166  flf. ;  A. 
Schmidt  Rhein.  Mus.  23,  439  flf.  u.  Festschrift  des  Gymn.  zu  Parchim  1877 
S.  25 flf.;  Jul.  Czwalina  de  Euripidis  studio  aequabilitatis ,  Diss.  v.  Bonn, 
Berlin  1867  u.  de  locis  aliquot  Euripideis  symmetria  versuum  insignitis,  Pr. 
V.  Mors  1872;  Oeri  Verh.  der  Phil.  Vers,  in  Tübingen  1876,  Lpg.  1877 
S.  156  flf.  u.  Interpolation  u.  Responsion  in  den  jambischen  Partien  des  Eur., 
Berlin  1882.  Vgl.  im  allgemeinen  über  die  Fr^e:  B.  Nake  Rhein.  Mus. 
17,  508  flf. ;   Fr.  Heimsöth  de  interpolationibus  V.  ind.  aest.  Bonn  1873,  u. 


Digitized  by 


Google 


224  VI.  Kapitel. 

dass  die  Tragiker  wie  die  Künstler  in  der  Symmetrie  eine 
wesentliche  Bedingung  der  Schönheit  fanden ,  aber  das  Gleich- 
gewicht darf,  wenn  anders  es  einen  ästhetischen  Eindruck  her- 
vorbringen soll,  nicht  peinlich  abgemessen  sein. 

Nicht  genug,  dass  der  Schauspieler  seine  Worte  dem  Chor 
durch  Versmass  und  Responsion  anpasst,  stimmt  er,  wo  die 
Steigerung  der  Freude  oder  des  Schmerzes  den  höchsten  Grad 
erreicht,  selbst  in  den  Gesang  ein.  Die  erste  Stufe  war  jeden- 
falls der  Wechselgesang  (i{w)ißaia)  von  Schauspieler  und  Chor, 
dann  traten  dem  Chor  zwei  Sänger  gegenüber^)  und  endlich 
schwieg  der  Chor  überhaupt  ganz,  worauf  man  auch  reine 
Soloarien  (|jLov(j)Siat)  wagte  ^,  auch  wenn  sie  nicht,  wie  im 
„Prometheus**  vor  dem  Auftreten  des  Chores,  gewissermassen 
notwendig  waren.  Die  üblichst«  Form  des  Duettes  oder  Ter- 
zettes, von  welcher  die  ganze  Gattung  den  Namen  erhielt,  ist 
der  Komm  OS,  d.  h.  die  Klage  ^).  Als  der  Chor  mehr  zur 
Ausfüllung  der. Pausen  diente,  fiel  dafür  der  rührende  pathetische 
Gesang  mehr  und  mehr  den  Schauspielern  zu.  Euripides  ging 
in  seiner  Vorliebe  für  Arien  so  weit,  dass  er  nicht  allein  Ammen 
und  andere  Personen  niedersten  Standes  hierin  mit  den  eigent- 
lichen Acteuren  auf  die  gleiche  Stufe  stellte*),  sondern  auch 
den  Gesang  an  leidenschaftslosen  Stellen,  wo  die  Oper  das 
Recitativ  verwendet,  anbrachte;  ich  erinnere  nur  an  Ion,  der 
unter  Gesang  den  Vorplatz  des  Tempels  säubert*). 


kritische  Studien  zu  den  griechischen  Tragikern  I.  Bonn.  1865;  Christ  und 
Prien  Verh.  der  32.  Phil.  Vers,  in  Wiesbaden  1877  S.  142 ff.;  Christ 
Metrik  der  Griechen  und  Romer  S.  * 602 ff.;  Wecklein  PhUol.  31,  743 ff. 

1)  Aeschyl.  Ag.  1114  ff.  Prom.  115  ff.  Suppl.  836  ff.  u.  s.  w.;  mit  zwei 
Schauspielern  Aesch.  Prom.  1040ff.  Cho.  306ff.  (unvollkommen  Sept.  861  ff.) 
u.  s.  w.;  selbst  drei  Soph.  OC.  1670ff. 

2)  Movü)Sia  unterscheidet  schon  Aristoph.  Ran.  1330  von  ix^Xyj  (den 
Chorliedem,  V.  1329). 

3)  Kojijioc  Aristot.  poet.  12,  xo(j.jiaTtxd  PoUux  4,  53;  z.  B.  Aesch.  Cho. 
423 ff.  (423  exoija  xo|j.|ji6v).  Pers.  908 ff.  Soph.  El.  86 ff.  (vgl.  Chr.  Kirch- 
hoff  Ztscb.  f.  d.  Gymn.-W.  1866    S.  337ff.).    Eurip.    Suppl.  798ff.  u.  s.  w. 

4)  Z.  B.  singt  die  Amme  in  der  „Medea"  und  im  „Phaethon^^  (Blass 
p.  14  f.).    Lucian  (saltat.  27)  tadelt  dies. 

5)  Aristoph.  Ran.  1331  ff.  (vgl.  auch  944)  parodiert  diese  wohlfeile  An- 
wendung des  Gesanges. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  225 

Wahrscheinlich  erhob  jedoch  der  Schauspieler  nicht  immer 
seine  Stimme  zu  wirklichem  Gesänge;  denn  die  Tragödie  kannte, 
wie  es  scheint,  bereits  das  Recitativ  (xataXoYij),  einerseits 
bei  Anapästen  und  Tetrametem^),  andererseits  bei  jenen  sym- 
metrisch gegliederten  Trimetem,  welche  zwischen  lyrische  Verse 
als  ruhigere  Gegenrede  eingelegt  waren,  weil  diese  irapaxata- 
XoYif  den  Griechen  des  Kontrastes  wegen  tragisch  schien^. 

Ausser  in  Mass  und  Vortrag  näherte  der  dialogische  Teil 
in  der  Sprache  dem  lyrischen  sich  an;  denn  wenngleich  der 
Dorismus  hier  nicht  durchgeführt  wurde,  drangen  doch  mancherlei 
dorische  Formen  ein,  darunter  so  viel  verbreitete  wie  vtv  ^).  Das 
epische  Element*)  rührt  vielleicht  ebenfalls  aus  der  Lyrik  her, 
man  könnte  aber  auch  einen  schwachen  Versuch,  den  Zeitton 
zu  treffen,  darin  sehen,  wie  bei  uns  kein  der  älteren  deutschen 
Geschichte  entnommenes  Stück  ohne  altertümliche  Wendungen 
und  Formen  denkbar  ist.  Tiefer  ging  die  Bestimmung  des 
ganzen  Niveaus  der  Ausdrucksweise;  denn  neben  dem  hohen 
Schwünge  der  lyrischen  Lieder  durfte  der  Dialog  nicht  in  der 
Umgangssprache  geführt  werden,  weil,  wie  wir  schon  öfter 
hervorgehoben  haben,  die  Griechen  gegen  grelle  Kontraste 
empfindlicher  als  Shakespeare  und  seine  Landsleute  waren. 
So  bildeten  die  Tragiker  einen  eigenartigen  Stil  aus,  der  einer- 


1)  Heeycb.  xataXo^Yj,  xh  xä  $o|i,axa  {i^j  bnb  {liXti  X^siv;  Xenoph.  symp. 
6,  3  tetpdipLstpa  nph^  t6v  ahXbv  xat^Xe^sv;  von  Tetrametern  sagt  auch  Cic. 
TnBcnl.  1,  16 :  haec  preasis  et  flebilibus  modis  ....  concinimtar. 

2)  Aristot  Problem.  19,  6  hiä  xi  4)  napaxaxaXcr^^  Iv  talc  4*Balc 
xpttYtxov;  *?)  Itä  t^v  &vtt>(iaX[av;  (darauf  bezieben  sieb  Plntareb.  mns.  28 
ttt>v  lapißeccov  xh  xä  p,^v  Xi^'o^ai  napa  t^v  xpoöoiv,  xä,  hh  ^^Seodai.  Lncian. 
Salt.  27  lviQX9  xal  fctpiqc^cuv  tdi  lajxßeia);  z.  B.  Sopb.  Ai'd4ffff.;  die  FftUe 
bei  Aeschylus  bespricht  H.  Weil  Jahrbb.  f.  Phil.  83,  897 ff.  Vgl.  W.  Christ 
die  Parakataloge  im  griechischen  u.  römischen  Drama,  Abb.  der  bayer.  Akad. 
13,  3,  156—222;  Wecklein  Ztsch.  f.  Gymnasialwesen  32,  491. 

3]  Vgl.  Karl  Barlen  de  vocalis  A  pro  H  in  tragicomm  Graecomm 
versibos  trimetris  nsa,  Diss.  v.  Bonn  1878;  Ic  ist  vieUeicht  auch  Dorismus, 
s.  Meisterhans  Grammatik  der  attischen  Inschriften  S.  102. 

4)  Ludw.  Chr.  Zimmermann  de  formis  lonicis  yel  epids  in  dialecto 
Graecomm  tragica  L  Pr.  y.  Darmstadt  1825;  Hubert  Eich  1er  de  formamm 
quas  dicnnt  epicarum  in  tragoediis  Aeschyli  atque  Sophoclis  usu,  Diss.  v. 
Göttingen,  Frankfurt  a.  O.  1873;  über  die  Abwerfung  des  Augmentes:  Gust. 
Sorof  de  augmento  in  trimetris  tragicis  abjecto,  Breslau  1851. 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  15 


Digitized  by 


Google 


226  VI.  Kapitel. 

seits  an  das  Epos,  das  poetische  Abbild  der  Heroenzeit,  anderer- 
seits an  die  Lyrik  anknüpfte  und  doqh  zugleich  aus  der  ge- 
bildeten Verkehrssprache  ein  belebendes  Ferment  empfing  *). 
Vieles  schufen  die  Dichter  selbst  neu,  nicht  ohne  dem  Tadel 
strenger  Grammatiker  zu  verfallen  ^.  Während  ausgeführte 
Vergleiche  für  die  energische  Gedrungenheit  der  Jamben  weniger 
passten,  entbehrte  fast  kein  Vers  eines  bildlichen  Ausdrucks  •); 
den  überströmenden  Reichtum  an  Metaphern  brachten  sie  aus 
der  ganzen  sie  umgebenden  Welt  zusammen,  am  liebsten  jedoch 
von  Meer  und  Schiffahrt,  den  Quellen  des  vaterländischen 
Reichtums  *).  Wuchtige  Zusammensetzungen  (sesquipedalia 
verba)  waren  den  Tragikern  schon  durch  das  Vorbild  der  Lyrik 
nahe  gelegt^),  wogegen  Verkleinerungsformen  des 'hohen  Ko- 
thurns kaum  für  würdig  galten  ^.  Um  Glätte  und  Anmut 
unbekümmert,  wollten  sie  imponieren  und  erschüttern.  Darum 
war  der  tragische  Stil  dem  herben  Oxymoron  sehr  geneigt'). 
Obwohl  bis  jetzt  weder  eine  lexikographische  noch  eine  syste- 
matische Darstellung  der  tragischen  Sprache,  welche  trotz  vieler 


1)  Die  tragische  Sprache  ist  in  einen]  Exkurs  von  W.  G.  Ratherford 
the  new  Phrynichos,  London  1881  (übersetzt :  Zur  Geschichte  des  Attidsmns, 
Lpg.  1883,  separat  aus  Jahrbb.  Suppl.  XIII.,  s.  auch  Yerrall  Journal  of 
heUenic  studies  I  260ff.  II.  179 ff.)  eigentümlich  aufgefasst.  —  Chr.  Lobeck 
de  sublimitate  tragoediae  Graecae  propria  I.  Wittenberg  1802. 

2)  Plutarch.  curios.  10  spricht  von  Solöcismen. 

3)  Hoppe  de  comparationum  et  metaphorarum  apud  tragicos  Graeoos 
usu^  Pr.  d.  G.  z.  grauen  Kl.  Berlin  1859;  Gust.  Radtke  de  tropis  apud 
tragicos  Graecos,  Diss.  v.  Berlin  1865  (Landbau);  G.  F.  H.  Conen  de 
comparationibus  et  metaphoris  apud  Atticos  praesertim  poetas,  Utrecht  1875 ; 
J.  Rappold  die  Gleichnisse  bei  Aisch.,  Soph.  u.  Eur.,  I.  Pr.  v.  Klagenfurt 
1876  (über  Zahl  und  Form).  1877.  1878;  W.  Pecz  die  Tropen  des  Aesch., 
Soph.  u.  Eur.,  Berlin  1885  (Berliner  Studien  III);  J.  Herzer  metaphoriscJie 
Studien  zu  griech.  Dichtem  I.  Die  auf  Unglück  u.  Verwandtes  bezüglichen 
Metaphern  u.  Bilder  bei  den  Trag.,  Pr.  v.  Zweibrücken  1884. 

4)  Radtke  de  tropis  apud  tragicos  Graecos,  II.  Pr.  v.  Krotoschin  1867, 
u.  8.  bei  den  einzelnen  Tragikern. 

5)  J.  Schmidt  de  epithetis  compositis  in  tragoediis  Graecis  usurpatis, 
Berlin  1865;  Karl  Rieck  de  adjectivorum  compositomm  usu  Euripideo,  Pr. 
y.  Neu-Strelitz  1877;  Friedr.  Römheld  de  epitbetorum  compositomm  apud 
Euripidem  usu  et  formatione,  Giessen  1877. 

6)  Jansen  Jahns  Archiv  1832  I  S.  5590. 

7)  Vgl.  SchoL  Aeschyl.  Eum.  69. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  227 

individueller  Wschiedenheiten  der  Dichter  von  allen  anderen 
Stilarten  scharf  sich  abhebt,  erzielt  ist  %  vermöchte  der  Forscher 
aus  zahlreichen  einzelnen  Beobachtungen  ein  Bild  von  der 
Eigenart  zu  gewinnen.  Was  die  Späteren  der  Tragödie  mit 
ungeschickter  Hand  entlehnt  haben,  sticht  auf  den  ersten 
Blick  aus  seiner  Umgebung  hervor*). 

Dies  sind  die  formellen  Wirkungen  des  Chors;  aber  auch 
die  Anlage  des  Dramas  selbst  wäre  ohne  ihn  ganz  anders 
gestaltet  worden. 

Zuvörderst  musste  das  Stück  im  Freien  spielen.  Dies 
fiel  den  griechischen  Dichtem  nicht  so  schwer  als  ein  Germane 
denkt,  weü  der  Südländer  überhaupt  mehr  auf  oder  an  der 
Strasse  als  in  dumpfige  Zimmer  eingeschlossen  zu  leben  gewohnt 
ist;  verlangte  auch  die  attische  Sitte  von  den  Frauen  strenge 
Zurückgezogenheit,  so  entschuldigte  doch  das  homerische  Epos 
das  Auftreten  der  stets  von  Zofen  begleiteten  Königinen. 
Trotzdem  sprach  natürUch  die  Wahrscheinlichkeit  dagegen, 
dass  der  ganze  Inhalt  des  Mythus  im  Freien  vor  sich  ginge. 
Wie  behalf  sich  nun  der  Dichter  in  diesem  Falle?  Er  Hess 
das  innerhalb  eines  Palastes  oder  Tempels  Geschehene  in  der 
Eegel  entweder  durch  eine  Person  des  Stückes  oder  durch  die 
stereotype  Figur  des  'ESd^^eXoc')  erzählen;  das  mit  Homers 
Epen  auferzogene  Publikum  war  ja  für  Erzählungen  dankbar, 
vorausgesetzt  dass  sie  einem  phantasievollen  Manne  die  un- 
mittelbare Anschauung  hinreichend  ersetzten.  Aeschylus  ent- 
wickelte, mit  diesem  Auskunftsmittel  nicht  zufrieden,  im  „Aga- 
memnon** zwei  grossartige  Ideen,  welche  die  Phantasie  des 
Zuschauers  gewaltiger  erregen,  als  wenn  die  That  vor  seinen 


1)  Grottfr.  Ffthse  lexicon  Graecam  in  tragicos,  Prenzlaa  1830—32, 
2  Bde.  ist  eine  alphabetische  Sammlung  der  lexikalischen  Scholien;  Beat  so  u 
index  in  tragicoa,  Canterbniy  1829fr.  3  Bde.;  J.  Bernhard  index  Graeci- 
tatis  tragicae  continens  tragicomm  minomm  fragmenta  et  adeepota  I.  Pr.  v. 
Bautzen,  Lpg.  1871. 

2)  Z.  B.  bei  den  Philostraten:  CarlNemitz  de  Philostratoram  imagini- 
boB,  Breslau  1875  p.  481^;  überhaupt  studierten  die  Sophisten  der  Eaiserzeit 
(Phüostrat.  vit.  soph.  1,  21,  6  p.  221,  5  f.  2,  1,  14  p.  i.44,  13.  10,  7  p.  257, 
2.  4.  27,  6  p.  271,  9)  die  Tragödie  fleissig. 

3)  In  „Oedipus  Ednig*^  und  „Antigone*'  ist  er  noch  nachweisbar;  der 
lateinische  Titel  lautete:   denuntiator  ab  scaena  Graeca  CI  Lat.  VI  10095. 

15» 


Digitized  by 


Google 


228  VI.  Kapitel. 

Augen  geschehen  würde  ^).  Zuerst  schildert  die  Seherin  Kas- 
Sandra  in  prophetischer  Verzückung,  weil  der  Blick  ihres^ 
Geistes  durch  die  Mauern  dringt  und  die  Zukunft  offen  sieht, 
die  Vorbereitungen  der  Mörder  und  die  filutthat  selbst,  sodann- 
hört  man  den  Weheruf  des  getroffenen  Königs  hinter  d^  Scene. 
Jener  geniale  Gedanke  bedurfte  eines  Aedchylus  zur  Ausführung,, 
das  letztere  Motiv  jedoch  konnten  die  Folgenden  nachahmen 
und  haben  es  sich  auch  nicht  entgehen  lassen^;  im  Gegenteil 
beuteten  sie  es  noch  stärker  aus:  Aias  stöhnt  laut  im  Zelte^ 
(V.  333  ff.)  gleich  Medea  (V.  96  ff.),  und  sein  Bruder  meldet 
vor  Hast  die  eigene  Ankunft  durch  einen  Ruf  an  (974) ,  wie 
man  Elektro  schon  vor  ihrem  Auftreten  klagen  hört  (V.  77). 
Phaidras  Tod  wird  durch  das  Hilferufen  und  Befehlen  der 
Amme  angekündigt  (776  ff.)  und  Merops  schreit  entsetzt  auf^ 
als  er,  in  das  Haus  getreten,  den  Lieichnam  Phaethons  erblickt  *). 
Um  wie  viel  mächtiger  dieses  Kunstmittel  die  Phantasie  erregt 
als  die  Vorführung  der  That  selbst,  können  wir  an  dem  gleich- 
artigen Schlüsse  des  „Wallenstein"  erproben.  Euripides  wendet 
den  aus  dem  Hintergrunde  tönenden  Ruf  in  seinem  mädchen- 
haften „Bakchen'^  an,  um  den  dämonischen  Enthusiasmus  der 
Gesamtstimmung  zu  verstärken^). 

Die  eigentümliche  Zwiespältigkeit  der  aeschyleischen  Dicht- 
ung, hochfliegende  Phantasie  und  Ausnützung  äusserer  Mittel, 
bewährt  sich  hier  wiederum,  insofern  der  Maschinenmeister 
dem  Dichter  die  Einheit  des  Ortes  zu  umgehen  helfen  muss. 
Aeschylus  fordert  nämlich  einen  zweiten  Bühnenraum  im  Hinter- 
grund, welcher  das  Innere  darstellt,  um  hier  z.  B.  die  zweite 
Scene  der  „Eumeniden"  spielen  zu  lassen,  eine  Einrichtung^ 
welche  Sophokles  im  „Aias''  und  Euripides  im  „rasenden 
Herakles"  verwerteten.  Das  Theater  Shakespeares  war  gleich- 
artig eingerichtet,  nur  war  der  Raum,  wo  z.  B.  Desdemonaa 
Mord  und  Heinrichs  IV.  Tod  vor  sich  ging,  mit  einem  Vorhang 


1)  Schol.  Soph.  El.  1404. 

2)  Sophokles  in  der  „Elektra",  Euripides  in    „Medea"    und   „Orestes**; 
frg.  adesp.  trag.  64    (offenbar  von  Agamemnon  gem&n)   bei  Athen.  3,    107  e* 

3)  Blass'  Ausgabe  p.  14. 

4)  Bacch.  y.  576  £f. ;  vielleicht  bildete  dies  ebenfalls  Aeschylos  im  „Lyknr-^ 
gos"  (fr.  125  D.)  vor. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Tragödie.  229 

verhüllt,  der  im  Notfalle  auseinander  gezogen  wurde^  während 
^e  Alten  eine  Maschinerie^  das  sogenannte  ^xoxXirjpLa  oder  ela- 
^xXif)(ia,  anwendeten  ^).  Die  Beschaffenheit  dieses  Drehwerkes 
war  nicht  einmal  den  Gelehrten  der  Kaiserzeit  bekannt*),  weil 
auf  der  damaligen  Bühne  in  solchen  Fällen  die  Scenenwand 
jiuseinandergezogen  worden  zu  sein  scheint^. 

Die  Anwesenheit  des  Chores  bedingte  nicht  allein  die 
Oeflfentlichkeit  der  Handlung,  sondern  sie  bannte  dieselbe 
zugleich  an  einem  Orte  fest;  denn  Schauspieler  mögen  leicht 
von  einer  Scene  an  einen  anderen  Ort  versetzt  werden,  aber 
-der  Chor  stand  einerseits  nicht  gar  weit  von  Hörern  entfernt 
in  der  Orchestra,  andererseits  wäre  der  Dichter,  wenn  er  ein 
wiederholtes  Auftreten  der  nämlichen  Schaar  motivieren  hätte 
müssen,  in  arge  Verlegenheiten  geraten.  Daher  forderten  die 
Tragiker  selten,  dass  der  Chor  abtrete  und  wieder  hereinkomme  *), 
und  noch  viel  seltener  verbanden  sie  damit  einen  Wechsel  des 
Standortes.  Waren  doch  die  mechanischen  Einrichtungen  des 
^  Athenischen  Theaters  nicht  so  vollkommen ,  dass  sie  einen 
Wechsel  der  Dekorationen  bei  offener  Scene  —  der  Vorhang 
fiel  erst  am  Ende  — ,  Notfalle  ausgenommen,  gestattet  hätten. 
Man  pflegt  gewöhnlich  anzunehmen,  dass  den  Hintergrund  der 
tragischen  Bühne  ein  mächtiger  Königspalast  mit  Nebenge- 
bäuden *)  ausmachte,  und  dies  gilt  in  der  That,  wenn  mr  statt 
<Jes  Palastes  auch  einen  Tempel  oder,  was  verschiedene  Troer- 
fitücke  anlangt,  ein  Fürstenzelt  gestatten,  für  die  meisten  klas- 
sischen Tragödien^).    Die  Philoktetes-  und  Andromedadramen, 

1)  nire  BewegnDgen  hiessen  IxxuxXslv  und  eloxoxXtlv.  G.  Hermann 
opnscola  VI  2,  165 ff.;  Volkm.  Fritzsche  de  ecc^rclemate,  ind.  lect.  von 
Eoetock  1846/7;  Wecklein  Jahrbb.  f.  Phil.  101,  572  u.  Philol.  31,  451; 
A.  Müller  Philol.  23,  328 ff.  u.  Bühnenaltert  S.  142 ff. 

2)  Hesychius  8.  v.  Pollux  4,  128  f.  Schol.  Clem.  Alex,  protr.  p.  11  col. 
779  d  Migne.  Vgl.  Scbol.  Aristoph.  Acham.  415  (407);  Schol.  Aesch.  Eam. 
64  oxpacpivxa  ii-rixavT^aTa.  Schol.  Aesch.  Cho.  970  ÄvoiYtxac  4)  ox-rivv]  xal 
iicl  i'^'iiLovX'rijiLaxoz  hp&xai  xa  oiufiaxa  scheint  beide  Manieren  zu  vereinigen. 

3)  Servios  zn  VergiL  Georg.  3,  24  (scaena  dnctilis). 

4)  Mstdotaaic  nnd  liciicapoSoc  PoUnz  4,  106;  Frdr.  Ascherson  de 
parodo  et  epiparodo  tragoedianim  Graecarnm,  Preisschrift  von  Berlin  1856. 
Dies  geschieht  Enrip.    Alcest.  741—861.  Hei.  385—515   ohne  ScenenwechseL 

5)  Enrip.  Alcest.  543,  vgl.  anch  546  ff. 

6)  A.  Maller  S.  114 f.  vgl.  auch  Joh.  Dähn  de  rebus  scaenids  in  En- 
Tipidis  BacchiB  I.  Halle  1880. 


Digitized  by 


Google 


230  VI.  Kapitel. 

sowie  der  zweite  Oedipus  und  Euripides'  Antiope  spielten  hin- 
gegen in  ländlicher  Oegend  und  der  letztgenannte  Dichter  stieg 
in  der  „Elektra"  zu  einem  Bauernhöfe  herab,  während  sich 
andere  Anhänger  seiner  realistischen  Richtung  mit  einem  an- 
sehnlichen Hause  ^)  begnügten.  Teils  weil  die  Dekoration  der 
sophokleisch-euripideischen  Bühne  mannigfaltiger,  teils  weil  sie,, 
wie  S.  152  gesagt  ist,  zum  Teil  plastisch  war,  würde  ein 
ScenenwechseP)  dem  Regisseur  grosse  Schwierigkeiten  bereitet 
haben.  Wenn  ^daher  ein  solcher  gerade  in  dem  frühesten 
unserer  sophokleischen  Stücke,  dem  „Aias"  vorkommt,  müssen 
wir  für  diese  Zeit  noch  eine  sehr  einfache  Bühnendekoration 
annehmen ;  umsomehr  setzt  natürlich  Aeschylus  in  den  „Eume- 
niden"  ^  und ,  ohne  dass  der  Chor  die  Orchestra  verlässt,  in 
den  „Choephoren"  *)  solche  bescheidene,  aber  dafür  ungebun- 
denere Verhältnisse  voraus.  Seine  Stücke  bedurften  ja  einer 
sehr  geringen  Scenerie  *) ;  der  später  übliche  Palast  oder  Tempel 
kommt  nur  in  der  späten  Atridentrilogie  vor,  wogegen  „Prome- 
theus" bloss  einen  Fels  und  die  „Schutzflehenden**  einen  Altar 
verlangen.  Die  „Perser**  setzen  den  Grabhügel  des  Dareios 
und  einen  „alten  Bau**  (V.  140)  voraus,  wohin  der  Chor  eben 
zur  Beratung  gehen  will,  als  die  ankommende  Königin  ihn 
abhält.  In  den  „Sieben**  scheinen  die  Tempel  der  Burg  durch 
Götterbilder  angedeutet  gewesen  zu  sein.  Eine  solche  Dekora- 
tion war  freilich  mit  geringer  Mühe  gewechselt^,   wenn  nicht 


1)  Olxoc  rv8o£o«  bei  PoUux  4,  124. 

2)  MttaoxtodCscv  r^v  ox-rjv^v  in  übertragener  Bedeutung  bei  Lucian.. 
apol.  2. 

3)  Beinh.  Schnitze  de  re  scenica  in  Aescbyli  Enmen.,  Pr.  y.  Colberg^ 
1859;  HeimsÖth  de  scena  in  parte  Enmenidnm  Aescbyli  Atbeniensi  non 
mntata,  ind.  schoL  bib.  Bonn  1870;  J.  Nilsson  de  mntationibuB  scenae  qnae 
sunt  in  fiftbnlis  Graecomm,  Diss.  v.  Land  1884;  Niejabr  quaeetiones  Aristopb. 
scaenicae  p.  6ff.;  A.  M&ller  S.  161. 

4)  Wftbrend  der  Cbor  Y.  585—651  aingt,  wird  das  Grabmal  entfernt 
nnd  man  siebt  wieder  den  Palast  der  Atriden;  wie  Y.  660  n.  881  zeigen, 
soll  sieb  der  Znscbaner  eine  längere  Zwischenzeit  denken. 

5)  Wilamowitz  Hermes  20,  596 ff. 

6)  In  den  „Enmeniden"  konnte  sogar  der  Tempel  bleiben;  b6cbstens 
war  der  Yorbang  mit  Apollos  Statne  dnrcb  einen  Atbene  darstellenden  zu 
ersetzen,  wenn  V.  17  nnd  242  dies  wirklich  notwendig  machen.  Den  Areopag 
sah  man  nicht ;  s.  A.  Müller  8.  161  A.  2. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  231 

der  Dichter  das  Publikum  dadurch  aus  der  Illusion  zu  reissen 
fürchtete. 

Soust  wies  ihn  die  übliche  Einheit  des  Ortes  auf  Boten- 
e  r  z  ah  1  u  n  g  e  n  an  ^).  Wenn  Philostratos  berichtet ,  dass  die 
typische  Figur  des  Boten  von  Aeschylus  herrührte^,  so  ist 
diese  Angabe  nicht  unwahrscheinUch.  Denn  da  die  älteste 
Tragödie  gleich  allen  primitiven  Bühnen  die  dramatischen 
Einheiten  nicht  achtete,  bedurfte  sie  nicht  notwendig  ein  der- 
artiges Auskunftsmittel.  Der  Schöpfer  des  klassischen  Trauer- 
spiels handhabte  seine  Erfindung  bereits  mit  grosser  Kunst- 
fertigkeit; Zeuge  dess  ist  der  lebensvolle  anschauliche  Bericht  in 
den  „Persern"  und  den  „Sieben".  Infolge  häufiger  Anwendung 
bildete  sich  ein  festes  Schenla  heraus;  gewöhnUch  klärte 
ein  kurzes  einleitendes  Gespräch  zwischen  dem  Boten  und 
einem  Schauspieler  oder  dem  Chor  über  die  Hauptsache  auf, 
damit  die  Hörer  auf  der  Bühne  wie  auf  den  Sitzen,  von 
Spannung  befreit,  die  Einzelheiten  der  folgenden  Erzählung, 
jene  mit  ruhiger  Fassung,  diese  ohne  zum  Ende  drängende 
Spannung,  in  sich  aufnähmen.  Die  Griechen  vermieden  ja 
die  bekannten  kurzen  Zwischenreden,  ohne  welche  der  moderne 
Dichter  die  Geduld  seines  Publikums  zu  erschöpfen  fürchtet, 
sie  forderten  vielmehr  einen  unzerstückten  Bericht,  der  ihnen, 
von  den  besten  Schauspielern  meisterhaft  vorgetragen'),  ein 
volles  abgerundetes  Bild  gewährte.  Als  Musterstücke  galten 
ausser  der  berühmten  Erzählung  der  aeschyleischen  Klytai- 
mestra  die  Botenreden  am  Ende  der  „Polyxena**  des  Sophokles 
und  der  „taorischen  Iphigenie"  *),  denen  wir  aus  den  erhaltenen 
Dramen  noch  viele  andere,  z.  B.  die  Erzählungen  und  Schilder- 
ungen in  Euripides'  „Bakchen",  beifügen  könnten.  Dieser 
Tragiker  sucht  augenscheinlich  die  typische  Figur,  dadurch, 
dass   er   über  die  persönlichen  Verhältnisse  des  Boten  einige 


1)  G.  Hermann  Enrip.  Cydops  p.  VI  ff.;  H.  Hornung  de  nnntionim 
in  tragoediia  GraecU  x^ersonis  et  narrationibas  Pr.  der  Ritterakad.  Branden- 
burg 1869;  Bassow  qnaestt.  selectae  de  Enripideomm  nnnüoram  narrationi- 
bna,  Dies.  v.  Greifswald  1883. 

2)  Phüostr.  Vit.  sophist.  1,  9,  1. 

3)  Z.  B.  wird  von  Nikostratoe  berichtet,  daes  er  in  Botenrollen  am 
glücklichsten  war  (Proverb.  Coislin.  124). 

4)  n»pl  5f|*ooc  15,  7. 


Digitized  by 


Google 


232  VI.  Kapitel. 

Angaben  macht,  ein  wenig  zu  individualisieren  ^),  was  für  ihn, 
weil  er  in  vier  Stücken  je  zwei  Boten  verwendete  *) ,  in  der 
That  ratsam  war. 

Auch  in  diesem  Punkte  griffen  die  Theatermaschinen  hilf- 
reich ein,  indem  sie  einen  Ausblick  auf  das  ausserhalb  des 
engen  Bühnenrahmens  Oeschehende  eröffneten.  Die  drehbaren 
Seitenkoulissen  ^  zeigten  in  der  Regel  die  Umgestaltung  des 
Schauplatzes  perspektivisch  an,  konnten  aber  eventuell  die  das 
Auftreten  eines  Gottes  begleitenden  Blitze  oder  etwaige  ferne 
Feuerzeichen  (wie  im  „Agamemnon")  vermittelst  Umdrehung 
andeuten  %  Auch  andere  Maschinen,  über  deren  Beschaffenheit 
wir  nichts  wissen,  machten  entfernte  Ereignisse  sichtbar*^). 

Mit  der  Einheit  des  Ortes  haben  sich  die  griechischen 
Tragiker  in  der  Regel  so  taktvoll  abgefunden,  dass  die  Künste- 
leien des  klassischen  französischen  Trauerspiels  vermieden 
wurden.  Einen  ernstlichen  Anstoss  bereitet  nur  wieder  Euri- 
pides  seinen  Hörern;  denn  die  raffinierte  Erfindung,  dass  Poly- 
neikes  mit  freiem  Geleit  in  die  Burg  des  wortbrüchigen  Bruders 
eintritt,  liefert  zwar  pathetische  Scenen,  wird  jedoch  bei  jedem 
Denkenden,  zumal  da  er  Polyneikes  selbst  die  Lage  richtig 
beurteilen  hört,  einigen  Anstoss  erregen. 

Da  die  Einheit  des  Ortes  mit  der  Einheit  der  Zeit*) 
in  unlösUchem  Zusammenhang  steht,  war  diese  in  der  älteren 
Tragödie  nicht  strenger  beobachtet  als  jene;  Aeschylus  setzt 
sich  in  der  Atridentrilogie  kühn  darüber  hinweg,  während  die 
„Schutzflehenden''  an  des  Zuschauers  Gefälligkeit  keine  höheren 
Anforderungen  als  unzählige  andere  Dramen  stellen ;  aber 
nirgends  nimmt  man  bei  ihm  eine  zielbewusste  Wahl  des 
Reifepunktes  der  Lage  wahr,  wie  sie  Sophokles,  den  wahren 
Schüler  des  Schöpfers  der  Ilias  und  Odyssee  auszeichnet;   be- 


1)  Wilamowitz  analecta  Enripidea  p.  204. 

2)  In  Bakchen,  Helena,  der  tanriachen  Iphigenie   nnd  den  Phoeniasen, 
nach  Bassow  a.  O.  p.  18 f.  nnr  in  den  spätesten  Stücken. 

8)  üspeaxtot  PoUnx  4,  131  (versurae  Vitruv.  5,  6,  3.  7,  8). 

4)  PoUnx  4,  129.  180.  Vitruv.  5,  7,  8. 

5)  *H)itxuxXiovn.otpof»IovPollnx4, 131f.;  vgl.Wecklein  Philol.31,451t 

6)  Theod.  Thom.   Jnngwirth   das   sogenannte   Eintagegesetas   in   den 
uns  erhaltenen  Tragödien  des  Sophokles,  Pr.  y.  Melk  1871. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  233 

wundernd  yergisst  man,  dass  der  Dichter  im  Interesse  der 
Zuspitzung  so  manche  Unwahrscheinlichkeit  zugelassen  wie  die, 
dass  Oedipus  nach  langjähriger  Herrschaft  jetzt  erst  um  die 
Ermordung  des  Laios  sich  bekümmert ;  Aristoteles  entschuldigt 
dies,  weil  es  vor  dem  Anfang  des  Stückes  liege  ^).  Die  unver- 
gleichliche Kunst  des  Sophokles  hat  Euripides  nicht  erreicht,  , 
geschweige  denn  die  Anderen;  während  bei  Sophokles  nicht 
viele  der  prosaischen  Erwägung,  dass  im  „Aias"  und  „Oedipus 
auf  Kolonos*'  ein  Gerücht  mit  Unmöglicher  Schnelligkeit  sich 
verbreitet,  Raum  geben  werden,  fällt  nun  die  Absichtlichkeit 
störend  in  die  Augen.  Solche  beanspruchten  das  Privilegium, 
die  Handlung  solle  sich  über  etwas  mehr  als  einen  Tag 
erstrecken  dürfen  *),  indem  z.  B.  das  Stück  vor  Sonnenaufgang 
begann  •) ,  und  versetzten  die  Herolde  wie  im  Fluge  von  einer 
Stelle  an  die  andere*);  wir  müssen  auch  Sophokles  glauben, 
dass  während  eines  Chorgesanges  eine  Schlacht  an  einem  ent- 
fernten Orte  geschlagen  oder  eine  Volksversammlung  abgehalten 
wird ;  man  versuche  nur  beispielsweise  an  die  euripideischen 
„Schutzflehenden**  den  Massstab  des  bürgerlichen  Lebens  anzu- 
legen. Ja  es  wurde  sogar  die  Zerstörung  Ilions  und  die  Niobe- 
fabel  in  ein  Stück  gepresst*).  Indes  fassten  die  Griechen  die 
Einheit  der  Zeit  mehr  als  lückenlose  Kontinuität  der  Handlung 
auf;  Karkinos  wurde  ausgepfiflfen,  weil  er  im  „Anjphiaraos" 
die  Rückkehr  des  Helden  aus  dem  Tempel  übersprangt). 

Wiewohl  die  hellenischen  Dichter  Dank  der  Einheit  der 
Zeit  einer  Klippe,  an  welcher  fast  alle  Schriftsteller  scheitern, 
entgingen,  ich  meine  das  lästige  Erzählen  des  innerhalb  längerer 
Zwischenzeit  Vorgefallenen,  legte  sie  ihnen  zugleich  grosse 
Beschränkungen  auf.     Einen  Ausweg   gewährte  allerdings  die 

1)  Poet  24  p.  1460a  30. 

2)  Arietot.  poet.  6  p.  1449  b  12flf. 

3}  Aeschyl.  Agam.?;  Soph.  Aiaa  Antigone;  Earip.  £1.  Hec.  (V.  69). 
Phaethon ;  der  Bhesos  spielt  ganz  bei  Nacht,  ebenso  die  von  Accios  übersetzte 
„Nachtwache"  und,  mindestens  teilweise,  der  „Nauplios"  (s.  besonders  Sophocl. 
fr.  383 D.);  das  Ende  der  „Choephoren'*  ist  bei  Nacht  gedacht  (V.  881)  vgl. 
Cramers  Anecd.  Paris.  I.  p.  3. 

4)  Dio  Chrysost.  52,  7;  dies  wird  dnrch  das  von  Lessing  hamb. 
Dramat.  45.  St  (S.  245  H.)  bemerkte  entschuldigt. 

5)  Aristot  poet  18  p.  1456  a  16  ff. 

6)  Aristot  poet  17  p.  1455  a  27  ff. 


Digitized  by 


Google 


234  VI.  Kapitel. 

eigentümliche  Einrichtung,  dass  die  Tragiker  bei  dem  öflfent- 
lichen  Preisspiele  der  Dionysien  mit  mehreren  Stücken  zugleich 
kämpften,  und  zwar  wurden  seit  Aeschylus'  Zeit  bis  in  die 
Periode  des  peloponnesischen  Krieges  von  jedem  Dichter  vier 
Dramen  (tetpaXoYia)  verlangt,  welche  in  Verbindung  mit  einer 
Komödie  einen  ganzen  Festtag  ausfüllten;  das  vierte  Stück 
pflegte,  die  von  der  „Alkestis"  beschlossene  Tetralogie  ausge- 
nommen^ ein  Satyrspiel  zu  sein^).  Dann  scheint  man  sich 
mit  drei  Tragödien  begnügt  zu  haben  *)  und  im  Jahre  340 
endlich  brachten  alle  drei  Bewerber  bloss  je  zwei  Tragödien  *). 
Erst  als  die  Lenäen  den  Tragikern  eröffiiet  wurden,  erkannte 
der  Staat  einzelne  Tragödien  an  (S.  149) ;  denn  dass  bei  Wieder- 
auflführungen  die  Schauspieler  stets  ein  einziges  Drama  gaben  *), 
hatte  auf  die  Dichter  selbst  keiuen  Bezug  ^). 

Soviel  steht  jedenfalls  fest,  dass  den  Tragikern  Gelegenheit 
geboten  war,  eine  längere  Geschichte  der  Heroenzeit  in  jene 
drei  Stücke,  eine  Trilogie^),  zu  zerlegen,  gleichwie  die  alten 
Meister  der  Malerei  eine  Handlung,  z.  B.  die  Schlacht  von 
Marathon  in  der  Poikile  und  Theseus'  Heldenleben  im  Thöseion, 
gerne  in  drei  Momenten  darstellten.     Vielleicht  war  die  Drei- 


1)  Argnm.  Aeschyl.  Sept.  Agam.  Fers.  Enrip.  Med.;  noch  415  führte 
Euripidee  Alexaodros,  Palamedes,  die  Troerinen  nnd  Sisyphoe  anf  (Aelian. 
var.  hist.  2,  8). 

2)  CIA.  II  972  (aus  den  Jahren  419  und  418);  Argnm.  Enrip.  Phoen.; 
femer  waren  es  drei  St&cke,  die  nach  seinem  Tode  aufgeführt  wurden  (CIA. 
n  973  im  Jahr  341). 

3)  CIA.  n  973,  20  flf. 

4)  Z.  B.  CIA.  n  973,  2.  19.  31  u.  A. 

5)  Die  Späteren  verfallen  aber  deshalb  leicht  in  den  Fehler,  von  dem 
Siege  eines  einzigen  Dramas  su  sprechen,  z.  B.  Argnm.  Soph.  Antig.  Philoct. 
Enrip.  HippoL,  Diod.  13,  103,  4.  Vita  Soph.  Z.  69.  Athen.  1,  3  f.  Schol. 
Aristoph.  Pao.  830  (835).    Vita  Eurip.  Z.  31  ed.  Nauck.  Suidas  u.  xb  Späjia. 

6)  Den  Ausdruck  tpiXo^i«  gebrauchten  schon  Aristarchos  und  ApoUonioe 
(Schol.  Aristoph.  Ran.  1148  [1155]).  Vgl.  G.  Hermann  opuscuia  II  306 ff.; 
Droysen  Ztsch.  f.  Altertumsw.  1844  Nr.  13—16;  S.  Karsten  de  tetralogia 
tragica  et  didascalia  Sophoclea,  Amsterdam  1846;  Westphal  Prolegomena 
zu  Aeschylus*  Trag.  S.  Iff.;  Friedr.  Heimsöth  de  tragoediae  Graecae  tri- 
logiis,  ind.  lect.  aest.  Bonn  1869;  Eng.  Rademaoher  quaestt.  de  tragica 
trüogia  Graeoorum,  Königsberg  1867  (Diss.  1866);  M.  Haupt' in  Belgers  M. 
Haupt,  S.  204ff.;  Madvig  kleine  philol.  Schriften  S.  443ff.;  Goodrick 
Jonmal  of  philology  14,  183 ff.;  Herb.  Richards  ib.  7,  279ff.;  Haighib. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  235 

zahl  der  tragischen  Chöre  obendrein  durch  religiöses  Herkommen 
geheiligt,  wenn  anders  die  Mänaden  Dionysos  gleichfalls  in 
drei  Chören  zu  huldigen  pflegten  ^).  Bekanntlich  besitzen  wir 
an  Aeschylus'  Agamemnon,  Choephoren  und  Eumeniden  eine 
fälschlisch  „Orestie"  genannte  Trilogie*);  das  dazu  gehörige 
Satyrspiel  „Proteus",  dessen  Handlung  (Menelaos  in  Aegypten) 
ebenfalls  mit  der  Sage  zusammenhängt,  ist  verloren  gegangen. 
Von  der  thebanischen  Tetralogie  „Laios,  Oedipus,  Sieben  gegen 
Theben,  Sphinx'*  und  den  Prometheusstücken  entging  je  eine 
Tragödie  allein  dem  Untergang.  Diese  und  die  Atridentrilogie 
haben  einen  versöhnenden  Abschluss,  wahrend  der  auf  dem 
Geschlechte  des  Laios  lastende  Fluch ')  mit  dem  Tode  der 
feindlichen  Brüder  eine  bloss  äusserliche  Lösung  gefunden  hat. 
Ausserdem  ist  eine  das  Erdenwallen  des  Dionysos  umfassende 
aeschyleische  Trilogie  ausdrücklich  bezeugt*),  wie  auch  Poly- 
phrasmon  diesen  Sagenkreis  zu  einem  Cyklus  benützt  hat. 
Sonst  hat  geistreiche  Kombination  weitere  aeschyleische  Trilogien 
entweder  durch  einen  allgemeinen  Grundgedanken  zu  verknüpfen 
oder,  durch  die  Ueberlieferung  nicht  gestützt,  zusammenzustellen 
versucht*).  Später  mag  der  eine  oder  der  andere  Tragiker, 
zumal  ein  Nachkomme  des  Aeschylus,  nach  dem  Vorbilde  des 
Pfadfinders  eine  Trilogie  verfasst  haben  *),  auch  stellte  Euri- 
pides   gelegentlich   Stücke   ähnlichen  Inhalts   zusammen,    wie 

1886  p.  257  flf.;  J.  Wetzel  qaaestt.  de  trilogia  Aeschylea,  Pr.  des  franz.  G. 
BerUn  1882. 

1)  Vgl.  E.  V.  Lentsch  Philol.  Supplem.  1,  76. 

2)  Mit  'OpsoTsia  bezeichnet  Aristoph.   Ban.  1124   nur   die  Choephoren. 

3)  Das  Fortwnchern  desselben  ist  Sept.  741  £f.  besonders  deutlich  her- 
vorgehoben. 

4)  Schol.  Aristoph.  Thesmoph.  135  (141),  während  der  Dichter  selbst 
mit  AoxoopYsta  gewiss  „Lyknrgos"  allein  meinte. 

5)  Anonymus  in  Blomfields  Agamemnon,  Leipzig  1821  S.  240  Anm,; 
Fr.  6.  Welcker  die  äschyleische  Trilogie  Prometheus  und  die  Kabiren- 
weihe  zu  Lemnos,  nebst  Winken  über  die  Trilogie  des  Aeschylus  überhaupt, 
Darmstadt  1824,  Nachtrag  Frankfl  a.  M.  1826  und  kleine  Schriften  4,  lOOfL 
136fi.  147fr.  180ff.  Bhein.  Mus.  16,  147  ff.;  U.  y.  Wilamowitz  homerische 
Untersuchungen  S.  194  A.;  ablehnend  Nitzsch  Sagenpoesie  S.  644  fil  Gust. 
Einer  de   schola  Aeschyli  et  trilogiamm  ratione,  Breslau  1840  S.  30 ff*. 

6)  Philokles  verfasste  eine  IlavSiovl^  xvtpakfy^la  (Schol.  Aristoph.  Av. 
284  (282)  aus  Aristoteles,  vgl.  G.  Hermann  opuscula  2,  308 f.),  Meletos 
eine  Oldiicodia. 


Digitized  by 


Google 


236  VI.  Kapitel. 

Alexandros ,  Palamedes  und  die  Troerinen  ^).  Indes  ist  die 
Tragödie  nach  Aristoteles'  Schilderung  ein  in  sich  abge- 
schlossenes Stück. 

Es  ist  sehr  begreiflich,  wenn  die  Aesthetik  unserer  Zeit 
gegen  die  Thatsache,  dass  die  Griechen  an  einem  Tage  drei 
dem  Stoffe  nach  nicht  zusammenhängende  Stücke  in  kurzen 
Pausen  nacheinander  betrachtet  haben,  ungläubig  sich  sträubt 
und  vor  allem  ihren  LiebUng  Sophokles  von  einer  höchst  un- 
poetisch scheinenden  Sitte  befreien  will  *).  Allein  nimmt  etwa 
bei  uns  jemand  Anstoss,  wenn  eine  Intendanz  entweder  einem 
Stücke,  das  den  Abend  nicht  „füllt**,  einen  Einakter  voraus- 
schickt oder  gar  drei  zusammenhangslose  Einakter  spielen  lässt? 
Nun,  was  jetzt  ein  Theaterabend,  war  dem  athenischen  Volk 
ein  Vormittag.  Diesen  Zeitraum  hindurch  wollte  es  unterhalten 
sein,  was  doch  zweifellos  am  besten  durch  den  nämlichen 
Dichter  geschah.  Die  attische  Verwaltung  mochte  ausserdem 
erwägen,  dass  die  fünfzig  Choristen  des  Dithyrambos  ziemlich 
genau  den  Chören  von  vier  Stücken  entsprachen*).  Aber  wie 
konnten  sich  die  Dichter  zu  einer  solchen  Einrichtung  herbei- 
lassen ?  Erinnern  wir  uns  nur,  wie  wenig  die  Griechen  damals 
auf  den  positiven  Inhalt  des  Stückes  sahen  1  Weit  höher  stand 
in  ihrem  Urteil  die  —  wir  würden  jetzt  sagen  —  lyrische 
Stimmung,  welche  teils  das  Drama  im  allgemeinen  teils  der 
Chorgesang   im   besonderen   in    ihrer   Seele    hervorrief.     Dass 


1)  Vgl.  auch  G^org  Regel  inter  Euripidis  Medeam  Philoctetem  Diciyn 
quae  fabulae  una  tradantnr  datae  esse  qaaenam  rationes  intercesserint,  Diss. 
V.  Rostock,  Gotha  1875;  U.  v.  Wilamowitz  analecta Euripidea  p.  175  and 
Hermes  11,  301  f.;  Robert  Hermes  15,  485. 

2)  Ad.  Seh  öll  Beiträge  zur  Geschichte  der  griech.  Poesie  I.  zur  Kenntnis 
der  tragischen  Poesie  der  Griechen  Bd.  I.  Die  Tetralogien  der  attischen 
Tragiker,  Berlin  1839,  Uebersetzung  des  Sophokles,  Stuttgart  1856  ff.  und 
gründlicher  Unterricht  über  die  Trilogien  des  attischen  Theaters  u.  die  Kom- 
positionsweise des  Soph.,  Lpz.  1859  (popularisiert  v.  Fr.  Th.  Vi  scher  Bei- 
lage der  Allgem.  Ztg.  1861  Nr.  186 — 89);  dagegen  polemisieren  Welcker 
griech.  Tragödien  S.  1546ff.,  Friedr.  Schmal  feld  Ztsch.  f.  das  Gymnasiale. 
14  (1860)  S.  273  ff.  und  Leop.  Schmidt  Symbola  philol.  Bonnens.  in  hon. 
Bitschel.  I  {f.  217  ff.  (doch  lehnt  dieser  p.  257  f.  eine  Trilogie  Aias,  Teukros 
und  Eurysakes  nicht  ab).  S.  auch  Förster  Ztsch.  f.  österr.  Gymn.  1869 
S.  7 15 ff.  und  F.  Strauch  die  Trilogienfrage  bei  Soph.  auf  Grund  der  er- 
haltenen Tragödien,  Pr.  y.  Wien  1874. 

3)  O.  Müller  Aeschylus'  Eumeniden  S.  88;  Härtung  Philol.  1,  403. 


Digitized  by 


Google 


Techoik  der  Tragödie.  237 

aber  die  harmonische  Einheit  der  Empfindung  innerhalb  einer 
Trilogie  keine  Störung  erlitt,  dafür  zu  sorgen  verstanden  die 
Griechen  ohne  Frage  besser  als  ein  Modemer ;  nicht  unwesent- 
lich trug  dazu  die  Sitte  bei,  dass  ein  und  derselbe  Protagonist 
in  allen  vier  Stücken  spielte  ^). 

Doch  wir  haben  die  Folgen,  welche  die  Anwesenheit  eines 
Chores  für  das  Drama  mit  sich  brachte,  noch  lange  nicht 
erschöpft.  Monologe  konnten,  wie  schon  bemerkt,  nur  vor 
dem  Auftreten  des  Chores  einen  Platz  finden,  falls  der  Chor 
nicht  ausnahmsweise  von  der  Bühne  entfernt  wurde,  durch 
welches  Mittel  Sophokles  das  herrliche  Selbstgespräch  des  zum 
Tode  entschlossenen  Telamoniers  ermöglichte^.  Bei  Seite 
zu  sprechen  aber  begegnete  in  dem  antiken  Theater,  wo 
die  Schauspieler  ihre  volle  Lungeukraft  aufboten,  grossen  Be- 
denken;  nichtsdestoweniger  stellte  der  verwegene  Euripidea 
die  Kunst  der  Mimen  dennoch  hin  und  wieder  auf  die  Probe  ^). 
Für  solche  Virtuosen  berechnete  er  auch  die  zahlreichen  Ausätze 
zu  Monologen,  welche  der  Leser  leicht  an  der  Selbstanrede 
erkennt*).  Gleich  den  Monologen  waren  vertrauliche 
Scenen  äusserst  eingeschränkt,  ausgenommen  wenn  einer 
Fürstin  und  ihrer  treuen  Dienerin  ein  weiblicher  Chor  zur 
Seite  stand;  die  Athener  erfuhren  es  ja  oft  bei  sich  selbst, 
dass  das  schwächere  Geschlecht  sich  gegen  seine  Herrn  zu- 
sammenthat.  In  derartigen  Boudoirscenen  übertrifft  der  Dichter 
des  „Hippolytos"  seinen  idealeren  Genossen,  dessen  „Trachi- 
nierinen"  in  gewissem  Sinne  hieher  gehören,  bei  weitem. 
Hiemit  sind  die  stereotypen  Vertrauten  der  französischen  Tra- 
gödienhelden bereits  vorgebildet,  doch  haben  Männer,  von  den 
treuen  Pädagogen  abgesehen,  eine  solche  unselbständige  Rolle 
selten,  da  Pylades'  Gestalt  schon  aus  uralter  Sage  überkommen 
war;  es  verdient  aber  Beachtung,  dass  Euripides  im  „Philoktet" 
einen  lemnischen  Freund   des  Helden   eigens   zu  dem  Zweck 


1)  CIA.  IL  972,  s.  Roh  de  Rhein.  Mas.  39,  161. 

2)  Menelaos'  Monolog  in  der  enripideischen  „Helena^*  wollen  wir  lieber 
nicht  in  einem  Atem  damit  nennen. 

3)  Med.  899  mit  Schollen;  Bacch.  215—251.    Dem   ist   das  Leisereden 
am  Anfange  des  „Orestes*^  und  Ion  1521  ff.  an  die  Seite  za  stellen. 

4)  Wie  ^[1.4   und   ähnliches   (parodiert  von   Aristoph.   Acham.  480  ff.), 
sogar  &  Ycpatfc  «oöc  Tro.  127;  auch  '^X&aaoL  Soph.  (?)  fr.  696  D. 


Digitized  by 


Google 


238  VI.  Kapitel. 

-erfand  *) ,  damit  Philoktet  ihm  seine  Leiden  erzählen  konnte. 
£ndlich  ging  das  Belauschen  einer  Unterhaltung,  jene 
beliebte  Triebfeder  unserer  Intriguenstücke,  höchstens  bei  einer 
so  günstigen  Kombination  der  Umstände,  wie  sie  der  sopho- 
kleische  „Philoktet"  darbietet,  an.  Alles  dies  beförderte  die 
Schlichtheit  der  klassischen  Tragödie  und  stand  zugleich  ein- 
schneidenden Neuerungen  im  Wege. 

Die  Dichter  zogen  auf  der  anderen  Seite  aus  der  An- 
wesenheit des  Chores  so  viel  Nutzen,  als  nur  irgendwie  möglich 
war.  Er  war  ihnen  unentbehrlich,  damit  die  wenigen  Schau- 
spieler während  seiner  Gesänge  Zeit  zum  Umkleiden  fanden; 
so  kommt  es,  dass  der  Chor  zwar  durch  seine  beständige  An- 
wesenheit die  Kontinuität  der  Handlimg  erzwingt,  aber  sie 
doch  auch  durch  die  Stand-  und  Tanzlieder  in  eine  Art  von 
Scenen  abteilt*).  Was  also  zwischen  zwei  Chorgesängen  lag, 
hiess  von  dem  „Hinzutreten"  eines  Schauspielers  iicetoöStov '). 
Die  Dramen  des  Aeschylus  haben,  höchstens  die  „Eumeniden" 
ausgenommen,  vier  lyrische  Marksteine;  rechnet  man  Prolog 
und  Schluss  als  besondere  Scenen,  so  erhält  man,  wenn  der 
erstere  nicht  fehlt,  die  Pünfzahl,  welche  bekanntlich  durch 
Vermittlung  des  Horaz  *)  für  das  klassicierende  Drama  der 
Neuzeit  kanonisch  geworden  ist,  obgleich  die  Griechen  keines- 
wegs eine  Regel  daraus  machten ;  man  denke  nur  an  die 
sophokleische  „Elektra".  Ueberhaupt  fällt  Chorlied  und  Wechsel 
der  Schauspieler  selten  so  genau  zusammen,  wie  in  den  „Choe- 
phoren",  wo  der  Chor  jede  Person  entweder  mit  einem  anti- 
strophischen Liede  oder  wenigstens  mit  Anapästen  geleitet.  Im 
Gegenteil  waren  die  Tragiker  eher  einen  solchen  allzu  regel- 
mässigen Wechsel  zu  verwischen  bemüht,  indem  sie  entweder 
das  Chorlied  durch  ein  grosses  Duett  ersetzten,  oder  die  Auf- 
tritte   selbst    mittelst    kurzer   Gesänge,    welche    überwallende 


1)  Dio  Chiysost.  orat.  52,  8;  da  auch  Senecas  „Thyestes"  eine  solche 
Rolle  enthält,  scheint  Earipides  Nachahmer  geftinden  zu  haben. 

2)  Der  allgemeine  Ausdruck  för  einen  Abschnitt  war  {i^poc  (Vita  Aeschyli 
Z.  35  cod.  Medic.  Sux;  xpitoo  [kipotx:  wie  Aristoph.  Ran.  1120  xb  icpwxov  )i.^pog). 

3)  Aristot.  poet.  12,  vgl.  Wecklein  Philol.  31,  461.  Später  wendete 
man  für  den  ursprünglichen  Begriff  zum  Unterschiede  icapecao$o<:  an  (Schol. 
Sophod.  Ai.  66). 

4)  Ars  poet.  189. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  2S9 

Empfindung  dem  Chor  auf  die  natürlichste  Weise  zu  entringen 
schien,  in  kleinere  Abschnitte  zerlegten.  Geht  schon  eine 
Sceneueinteilung  nicht  ohne  Zwang  ab,  so  kann  man  noch 
weniger  von  Akten  sprechen.  Wiewohl  es  nämlich  häufig  vor- 
kommt, dass  die  Bühne  von  Schauspielern  leer  wird,  herrscht 
darin  kein  bestimmtes  Gesetz,  vielmehr  vermeiden  selbst  die 
trefflichsten  Dichter  nicht  das  Entgegengesetzte,  ich  meine, 
dass  Personen  stille  dastehen  müssen,  während  der  Chor  sein 
Lied  singt.  Wie  oben  gesagt  wurde  (S.  181),  motivierten 
Aeschylus  und  Sophokles  dieses  Schweigen  bei  manchen  ihrer 
Helden  durch  deren  trotzigen  Charakter."  Prometheus  ent- 
schuldigt selbst  (V*  436  flf.)  seine  Zurückhaltung  und  bei  Ad- 
metos  begreift  man,  dass  der  Kummer  ihn  stumm  macht  ^). 
Aber  es  mangelt  durchaus  nicht  an  Fällen  *),  wo  keine  derartige 
Begründung,  sondern  nur  die  historische  Erklärung  statthat, 
wie  z.  B.  in  den  „Schutzflehenden'*  des  Aeschylus  das  Her- 
kommen des  älteren  Trauerspiels  dem  Chor  und  nicht  Danaos 
die  BbuptroUe  anwies. 

Wenn  wir  auch  die  kleineren  Dienste,  welche  der  Chor  dem 
Tragiker  leistete,  nicht  übergehen  wollen,  so  ist  vor  allem  noch 
die  Sitte  zu  erwähnen,  dass  der  Chor  häufig  der  grösseren 
Deutlichkeit  wegen  auftretende  Personen  dem  Pubhkimi  an- 
kündigt *),  und  zwar  geschieht  dies  öfters  in  dem  anapästischen 
Rhythmus,  um  dadurch  das  Heranschreiten  musikalisch  auszu- 
drücken; doch  ist  diese  Sitte  bei  Sophokles  nur  in  der  „Anti- 
gene** nachweisbar.  Da  solche  Anapäste  eigentlich  den  Schluss 
eines  lyrischen  Liedes  zu  bilden  pflegten,  bevor  Sophokles  sie 
selbständig  machte  *),  verwendete  Aeschylus  ausserdem  Trimeter ; 
dies  zieht  Sophokles  in  der  Kegel  vor,  wobei  wir  die  unver- 
gleichliche Kleinkunst  des  Dichters  bewundern  müssen,  weil 
er    die    Formel    höchst    mannigfaltig    zu    wenden    und    dem 


1)  Alcest  569  flf.  962  ff. 

2)  Z.  B.  Kreon  in  der  Antigone  V.  582  fr.  944ff.,  Penthens  Baoch.  370  fr. 
In  solchen  Fällen  beginnt  der  Dialog  mehrmfds  mit  dem  formelhaften  Worte : 
EI«v  (Etwa:  Genng!). 

3)  B.  Kuhlenbeck  über  die  Ankündigung  des  Anf-  und  Abtretens 
der  Personen  in  den  Dramen  des  Sophokles,  Pr.  v.  Weinheim  1869. 

4)  Antig.  1257fr.  (mit  xal  ii.y\v  eingeleitet);  Eorip.  Androm.  1166.1226. 
El.  988.  SnppL  1114.  Phoen.  1480.  (Iph.  Aul.  1619  f.). 


Digitized  by 


Google 


240  VL  Kapitel. 

Gespräche  glücklich  emzupassen  versteht^).  Allein  in  nicht 
seltenen  Fällen  geht  die  Anmeldung  der  Kommenden  von 
Schauspielern  aus  oder  sie  wird  wenigstens  zwischen  Chor 
und  Schauspieler  verteilt  ^.  Manchmal  begleitet  der  Ohor  auch 
den  Abgang  teilnahmsvoll  mit  Anapästen^). 

Der  Chor  pflegt  femer  die  langen  Reden  (^tJosic;)  der 
handelnden  Personen  mit  zwei  Trimetern  abzuschhessen  *), 
weniger  deshalb  damit  er  den  Hörer  zu  unbefangenem  Urteil 
anleite  —  dazu  sind  seine  Worte  bald  zu  allgemein  und  trivial^ 
bald  zu  einseitig  —  als  dass  die  Erregung  ausklinge.  Endlich 
pflegt  er  den  Schluss  des  ganzen  Stückes  anzukündigen.  Bei 
Aeschylus  hängt  allerdings  der  letzte  Gesang  mit  der  Handlung 
unmittelbar  zusammen  und  kann  deshalb  von  einem  Schau- 
spieler vorgetragen  werden;  in  der  Folge  jedoch,  als  die 
trilogische  Gliederung  aus  der  Mode  kam,  Hess  man  den  Chor 
häufig  nur  eine  Sentenz  sprechen*)  oder,  wenn  es  der  Zu- 
sammenhang erlaubte,  geradezu  zum  Gehen  auflFordem^, 
Euripides  machte  den  Schluss  oft  noch  deutlicher,  indem  er 
den  Chor  bald  eine  bestimmte  Formel  singen ''X  bald  sogar  an 
die  Siegesgöttin  einen  Appell  richten  Uess^. 

Man  kann  es  den  Dichtern  nicht  verargen,  wenn  der  Chor, 
je  weiter  der  Ursprung  der  Tragödie  zeitlich  zurücktritt,  ihnen 
immer  lästiger  fiel.  Man  fühlt  dies  schon  in  der  Art,  wie  der 
Chor  eingefÄhrt  wird.  Aeschylus  pflegt  sein  Auftreten  zu 
motivieren  *)    und     sogar    wiederholt    die    einzelnen    Gesänge 

1)  Kai  |iY]v  ist  in  solchen  Jamben  nur  in  der  spätesten  Tragödie  (00. 
549  f.)  nachzuweisen. 

2)  Z.  B.  Aesch.  Prom.  561  ff.  und  Soph.  Trach.  968  ff. 

3)  Z.  B.  AeschyL  Sappl.  966  ff. 

4)  Oehmichen  de  compositione  episodiornm  tragoediae  Graecae  ex- 
terna, Erlangen  1881  p.  20  ff.  verzeichnet  die  Zwischenreden  des  Ohors  bei 
Aeschylns  und  Sophocles. 

5)  In  Anapästen  Soph.  Ai.  Antig.  El.  Trach.  Enr.  El.  Hippol. ;  in  Tetra- 
metem  Soph.  OR.  Enrip.  lo;  Fr.  Ritter  Philol.  17,  422ff:  verwirft  alle 
Schlossworte  des  Chors.    Senecas  Tragödien  entbehren  derselben. 

6)  Soph.  Phil.  Eurip.  Hec  Herad.  Herc  f.  Snppl.  ähnlich  Tro.;  vgl. 
Höpoc  OCol.  xzXtüiHv  Soph.  EL 

7)  Alceet.  Andrem.  Bacch.  Hei.,  ähnlich  Med. 

8)  Iph.  Taar.,  ähnlich  Rhes.,  abgerissen  Orest  n.  Phoen. 

9)  Im  „Philoktet*'  motivierte  er  allerdings  nicht,  warum  der  Chor  ge- 
rade jetzt  erst  auftritt  (Dio  Chrysost.  52,  7). 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  241 

eutweder  durch  den  Chor  selbst  oder  durch  die  AuflForderuug 
einer  Person  zu  begründen^).  Sophokles  hält  wenigstens  an 
der  ersten  Sitte  treulich  fest,  wobei  er  Lob  verdient,  weil  der 
Chor  der  „Antigone"  den  Grund  des  Erscheinens  nicht  sofort 
mitteilt*);  der  Chor  nimmt  ja  bei  ihm  an  der  Handlung  üoch 
immer  wirkUchen  Herzensanteil  ®).  Dagegen  handhabt  Euripides 
die  ihm  unbequeme  Einrichtung  ohne  Konsequenz ;  wenn  z.  ß. 
der  Chor  der  „Hekabe"  eine  eigentlich  dem  Dialog  zustehende 
Meldung,  die  für  die  Handlung  Wichtigkeit  hat,  bringt,  werden 
wir  an  die  aeschyleische  Manier  erinnert.  Andererseits  gibt  er 
für  das  Auftreten  verschiedener  Chöre  einen  so  gesuchten  und 
so  wenig  mit  der  Handlung  zusammenhängenden  Anlass  an, 
dass  man  eine  Verlegenheitsauskunft  darin  erblicken  muss; 
beispielsweise  wollen  in  der  „aulischen  Iphigenie*'  die  Frauen 
das  Schififslager  betrachten,  im  „Ion"  beschauen  die  Dienerinen 
Delphis  Sehenswürdigkeiten  und  Elektra  wird  von  den  Nach- 
barinen zu  einem  Feste  abgeholt.  Alles  erkünstelte  Entschuldig- 
ungen, die  sofort,  nachdem  sie  ausgesprochen  sind,  vergessen 
werden!  Die  Individualität  des  Chores  wird  selten  beachtet; 
er  singt  gewöhnlich  Gedanken  des  Dichters  und  ist  für  das 
eigentliche  Drama  viel  weniger  eine  Hilfe  als  ein  lästiger 
Zeuge;  oder  wäre  der  Chor  der  „auhschen  Iphigenie"  nicht 
besser  abwesend,  wenn  die  Atriden  ihre  intimsten  Angelegen- 
heiten bereden? 

Agathon  war  entschlossener  und  konsequenter.  Statt  für 
jedes  Stück  mit  der  Komposition  von  besonderen  Chorliedern 
sich  zu  plagen,  führte  er  einfach  die  Sitte  ein,  die  Pausen 
durch  beliebige  Lieder  auszufüllen;  die  Epigonen  machten  es 
ihm  nach*). 

In  der  That  stellte  der  Chor  an  den  Dichter  nicht  bloss 
in  poetischer  Hinsicht  drückende  Anforderungen.  Wie  viele 
Männer  mochte  es  geben,  welche  für  drei  oder  vier  Dramen 
zugleich  Dichter,  Schauspieler,  Komponisten,  Regisseure  und 
Balletmeister  in  einer  Person  waren,  zumal  seitdem  jede  einzelne 


1)  Agam.  352ff.;  Pere.  623  ff.   (619ff.).   Sept.  287  ff.    (V.  2650:).   Snppl. 
524  ff.  (520ff:). 

2)  Schollen  zu  V.  155. 

3)  Aristot.  i>oet.  18  a.  E. 

4)  Aristot.  poet.  18  a.  £.  (e|jiß6Xifi.a). 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  literatar.  JH.  iß 


Digitized  by 


Google 


242  VI.  Kapitel. 

Kunst  komplicierter  und  anspruchsvoller  geworden  war?  Darum 
kam  eine  nach  der  anderen  in  die  Hände  von  Spezialisten  ^) 
Zuerst  entwickelte  sich  ein  professionsmässiger  Schauspieler- 
stand, mit  welchem  die  Dichter  selbst  nicht  konkurrieren 
konnten  *) ,  hierauf  überliessen  sie  die  Anordnung  von  Reigen- 
figuren anderen  *)  und  damit  fiel  bald  das  schwierige'  Ein- 
studieren eines  Stückes  überhaupt,  während  vorher  8t8dc3xaXo<: 
die  offizielle  Bezeichnung  der  Dichter  gewesen  war,  einem 
besonderen  Stande  von  Regisseuren  zu*),  zuletzt  Hessen  die 
Tragiker  wahrscheinlich  den  Text  durch  Musiker  komponieren, 
was  in  Rom  die  Regel  war;  man  sagte  bereits  Euripides  nach, 
Kephisophon  helfe  ihm  bei  seinen  Arien*).  Liess  nicht  auch 
Praxiteles  seine  Statuen  durch  den  Maler  Nikias  kolorieren  ? 
Trotzdem  drang  diese  Scheidung  nicht  allgemein  durch.  Das 
Altertum  sah  eben  in  dem  ausserhalb  seines  "Fachet  hilflosen 
Spezialistentum  nichts  bewundernswertes;  musste  doch  auch 
der  Schauspieler  mehrere  Rollen  und  überdies  männliche  und 
weibliche  ohne  Unterschied  zugleich  übernehmen  können  und 
dabei  ein  geübter  Sänger  sein  ^. 

Obendrein  unterwarfen  sich  die  Dichter  strengen  Regeln. 
Das  griechische  Drama  entwickelt  sich,  weil  es  von  seinen 
Jüngern  umfassende  Fertigkeiten  verlangt,  gewissermassen  zunft- 
massig,  indem  der  jüngere  Dichter  bei  dem  älteren  in  die 
Schule  geht  und  manche  Familie  die  Uebung  der  Tragödie 
von  Geschlecht   zu   Geschlecht  vererbt;    die   Einzelnen    selbst 


1)  Wolft.  Hei  big  qnaestiones  scenicae  p.  Iff.^ 

2)  Agathon  trat  noch  selbst  auf  (Plat.  sympos.  194  b  wird  durch  Suidas 
u.  fi.opfi.'f^xwv  äxpaicoöc  u.  xoptx6c:  bestätigt),  anders  O.  Jahn  de  loco  Piatonis, 
ind.  lect.  aest.  Bonn  1866  n.  Sommerbrodt  scaenica  coli.  p.  268 ff.,  ebenso 
Ischandros  (Harpocr.  s.  v.  Vita  Aeschyli  Z.  27  W.);  dagegen  hält  den  Asty- 
damas  Zenob.  5,  100  irrtümlich  für  einen  Schauspieler.  Vgl.  Paul  Ni  kitin 
zur  Greschichte  der  dramatischen  Wettkämpfe  in  Athen,  Petersburg  1882 
(russisch),  s.  Bursians  Jahresber.  40,  361. 

3)  Hätte  sich  sonst  Aeschylus  bei  Aristophanee  (Athen.  1,  21  f )  rühmen 
können,  dass  er  es  selbst  that?  Vgl.  Chamaileon  bei  Athen  1,  21  e  (öpx'H^^^' 
8c$dcaxaXoc). 

4)  TicoSt8dioxaXo<:  Plato  Ion  536  a  (Pollux  4, 106),  dann  xopodtd^<3xaXoc 
Aristoph.  Ecdes.  809.  Aeschin.  1,  98,  vgl.  Demosth.  21,  58  f.,  Xenoph.  mem. 
3,  4,  4;  über  ^tSetoxaXoc  Heibig  a.  O.  p.  7flf. 

5)  Aristoph.  Ran.  944. 

6)  In  Rom  halfen  bekanntlich  specielle  Sänger  aus. 


Digitized  by 


Google 


Technik  der  Tragödie.  243  . 

blieben  der  Bühne  ihr  Leben  hindurch  treu  und  bewahrten 
«ich  dadurch  eine  Stetigkeit,  die  Schiller  und  Goethe  vollständig 
fehlt.  Weil  sie  ferner  unmittelbar  für  die  Bühne  und  Zu- 
fichauer  arbeiteten ,  passten  sie  sich  von  vornherein  den 
Schranken  der  äusseren  Verhältnisse  an,  während  die  neueren 
Dichter,  bei  denen  die  Bühnenbearbeitung  nur  zu  oft  einem 
Fremden  überlassen  bleibt,  in  der  Buchform  den  Freibrief  für 
alle  Experimente  haben  und  vergessen,  dass  jede  wahre  Tra- 
gödie den  Hörer  und  nicht  den  Leser  ergreifen  soll.  Gerade 
jener  Meister  des  deutschen  Theaters,  welcher  verhältnismässig 
am  wenigsten  für  die  AufiFührüng  sorgte,  hat  ein  Wort  ge- 
sprochen, das  die  Klassiker  des  hellenischen  Dramas  unüber- 
trefflich kennzeichnet:  „In  der  Beschränkung  zeigt  sich  erst 
der  Meister".  Daher  wird  sie  am  aufrichtigsten  bewundern, 
wer  die  Schwierigkeiten,  mit  welchen  sie  zu  kämpfen  hatten, 
vollständig  ermisst;  aber  derselbe  wird  auch  sagen,  dass  die 
Nachahmung  der  alten  Formen  unter  den  heutigen  Bühnen- 
verhältnissen ein  gelehrtes  Kunststück  entstehen  macht,  und 
nicht  zugeben,  dass  sie  modernisiert  werden  körnten,  ohne 
verdorben  zu  werden.     Sint  ut  sunt! 

Wir  haben  im  Vorstehenden  einen  Einblick  in  die  Verhält- 
nisse, mit  welchen  der  antike  Tragiker  rechnete,  zu  eröffnen 
versucht,  möchten  aber,  weil  so  oft  aus  den  verhältnismässig 
wenigen  erhaltenen  Stücken  Regeln  konstruiert  werden,  daran 
erinnern,  dass  die  griechische  Tragödie,  wie  sie  uns  jetzt  vor- 
liegt, mit  den  Resten  einer  hellenischen  Stadt  zu  vergleichen 
ist,  von  der  nur  mehr  drei  zerfallene  Tempel  in  einsamer 
Grösse  aufragen  und  durch  ihre  Trümmer  eine  Ahnung  des 
herrlichen  Baues  geben ,  während  von  allem  übrigen  einige 
formlose  Steinbrocken  und  schriftliche  Denkmäler  spärliche 
Kunde  gewähren;  selbst  die  dürftigen  Ueberbleibsel  der 
römischen  Tragödie  können  ja  zeigen,  von  wie  vielen  grie- 
chischen Stücken,  die  man,  nachdem  seit  ihrer  ersten  Auf- 
führung Jahrhunderte  vergangen  waren,  des  Uebersetzens  wert 
erachtete,  nicht  einmal  der  Name  geblieben  ist.  Unter  solchen 
Verhältnissen  ist  es  jedenfalls  leichter  und  geratener,  von  dem 
Trauerspiel  im  Allgemeinen  als  von  den  einzelnen  Tragikern 
zu  sprechen. 

Digitized  by  CjOOQIC 


VIL  Kapitel. 
Aeschylus. 


Biographien;   Leben    des    Dichters;    Charakter    und    dichterische  Bedeutung  f 
Werke:  Anerkennung  bei  der  Folgezeit. 


Eine  besondere  Biographie  des  Aeschylus  verfasste  der  Peripatetiker~ 
Chamaileon  (Athen.  9,  375  f.  10,  428  f;  in  einem  Bücherverzeichnis  CIA. 
II  992  I  Z.  4  ist  der  Titel  irspl  Ala/üXou  ohne  Verfassernamen  erhalten;  er- 
halten ist  uns  ausser  dem  Artikel  des  Siiidas  eine  anonyme  Lebensbeschreibung, 
welche  in  den  verschiedenen  Handschriften  bald  kürzer  bald  länger  ist,  weil 
sie  von  den  Scholiasten  aus  verschiedenen  Excerpten  zusammengestellt  wurde 
(abgesehen  von  den  Ausgaben  des  Textes  und  der  Scholien  in  Westermunns 
BioYp^foi  p.  117  ff.  und  Ritters  Didymi  Chalcenteri  opuscula  p.  154  ff.,  weil 
dieser  sie  Didymos  zuschreibt,  gedruckt). 

F.  Chr.  Petersen  de  Aeschyli  vita  et  fabulis,  Kopenhagen  1814;  Ed. 
Bhld.  Lange  de  Aeschylo  poeta,  Pr.  des  Friedrichg.  Berlin  1832;  Rud. 
Victor  Dahns  de  Aeschyli  vita,  Berlin  1860;  Frz.  Susemi  hl  de  vita  Aeschyli 
qnaestt.  epicriticae,  ind.  lect.  v.  Greifswald  1876;  Fr.  Scholl  de  locis  non- 
nuUis  ad  Aeschyli  vitam  et  ad  historiam  tragoediae  Graecae  pertinentibus,  in 
der  „Gratulationsschrilt  von  Rud.  u.  Fr.  Scholl  zum  70.  Geburtstag  von  Ad, 
Scholl",  Jena  1876  S.  87flf.;  derselbe  hat  in  Ritschis  Ausgabe  der  „Sieben''' 
die  testimonia  zusammengestellt  (p.  "36  ff.) — .  Rud.  West  phal  Prolegomena 
zu  Aeschylus*  Tragödien,  Lpz.  1869  erörtert  allgemeinere  Fragen,  welche  dem 
vorigen  Kapitel  zugehören. 

Das  alte  Athen  der  solonischen  Zeit,  das  würdevoll  im  langen 
faltenreichen  Leinenchiton  mit  wallendem  Haar  einherscbritt 
und  gottesfürchtig  an  der  Zucht  seiner  Väter  hing,  wird  im 
Schauspiel  durch  Aeschylus  vertreten.  Seine  Heimat  war  der 
geheiligte    eleusinische  Gau*)   und    der  Vater    Euphoriou    ent- 


1)  Schol.    Aristoph.    Ran.    886;    Antip.  Thessal.    Anthol.    Pal.  7,  39,  a. 
Aelian.  nat.  an.  7,  16.  Aristid.  or.  19  p.  421 D. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  245 

-stammte  einem  der  altadeligen  Geschlechter*);  so  wachs  der 
Knabe  gewissermassen  in  einer  Zeit  auf,  welche  damals  von 
dem  gährenden  Staate  schon  überwunden  war.  Seine  Geburt 
fiel  wahrscheinlich  noch  in  die  letzten  Regierungsjahro  des  alten 
Peisistratos  ^.  Schon  in  der  siebzigsten  Olympiade ,  499  ,  un- 
mittelbar vor  deih  Ausbruche  des  jonischen  Aufstamies,  dessen 
ungeahnte  Folgen  die  bescheidene  Ilissosstadt  aus  ihrer  schlichten 
Ruhe  reissen  sollten,  trat  Aeschylus  vor  seine  Landsleute ^) ; 
<[er  jugendliche  Dichter  soll  von  dem  Gott  Dionysos  selbst  im 
Traume  ermutigt  worden  sein  *).  Doch  erst  485  (Ol.  73,4)  ge- 
noss  Aeschylus  die  Freude  des  Sieges*).  Sein  Name  hatte  da- 
mals schon  einen  guten  Klang,  nicht  sowohl  bei  der  dionysischen 
Festversammlung  als  bei  den  Veteranen  von  Marathon ,  wo  er 
tapfer  fechtend  eine  schwere  Wunde  erhalten  hatte,  wenn  er  auch 
nicht  so  tollkühn  wie  sein  Bruder  Kynegeiros  in  die  Feinde  ge- 
stürmt war  %  Der  Dichter  nahm  an  allen  Schlachten  des  Xerxes- 
krieges  Anteil  und  zog  vielleicht  noch  476  unter  Kimon  vor 
<lie  thrakischen  Einbruchsvesten  der  Perser ').  Seine  tapferen 
Thaten  retteten  ihm  später,  als  er  der  in  einer  Tragödie  be- 
gangenen Verletzung  des  Mysteriengeheimnisses  angeklagt 
wurde,  das  Leben ;    denn  dass  die   in  diesem  Punkte  äusserst 


1)  Eaphorioa:  Grabschrift  in  der  Biographie  Z.  63  und  Herodot  2, 156 ; 
Adel:  Vita  Z.  3. 

2)  Ol.  63,  4  (Marin.  Parium  Z.  63  f.,  analog  Suidas,  abgerundet  zu  Ol. 
•64  Vita  Z.  10)  ist  aus  dem  Datum  des  ersten  Sieges  Ol.  73,  4  erreohuet. 
Vgl.  C.  Löscbhorn  Comm.  de  Aescbyli  anno  natalicio,  Posen  1874.  Wenn 
er  476  noch  der  Feldarmee  angehörte,  war  er  in  der  That  irühestens  425 
geboren. 

3)  Nach  Suidas  u.  Alaj^oXo^  (Opattva«:)  war  er  Ol.  70  25  Jahre  alt, 
was  Ol.  63,  4—70,  1  zu  ergeben  scheint;  Eusebio«  setzt  ihn  zuerst  Ol.  70,4 
(armeu.)  oder  71,  1  (Hieron.  AP). 

4)  Pausan.  1,  21,  2  (als  |Astpdxiov).     Vgl.  Vita  Z.  3. 

5)  Marmor  Parium  Z.  65. 

6)  Herakleides  bei  Eustratios  zu  Aristot.  eth.  Nicom.  3,  2  p.  Ulla  10; 
•die  Grabschrift  bestätigt  dies  indirekt.  Kynegeiros:  Herod.  6,  114;  Ameinias 
aber  kann  sein  Bruder  trotz  Diodor.  11,  27,  2.  Aelian.  var.  bist.  5,  19.  Ps. 
Themistocl.  epist.  11  p.  751  H.  Aristodem.  1,  3  p.  2  M.  Vita  3.  15  nicht 
gewesen  sein,  weil  er  einem  arideren  Gau  angehörte  (Herod.  8,  84.  93j. 

7)  Artemision:  Pausan.  1,  14,  5;  Salamis:  Ion  bei  Schol.  Perp.  429; 
entstellt  Vita  16  t?j<  tv  llXaTatalc  vaojia/iai;;  Thrakien:  nach  Fr.  Blass 
Rhein.  Mus.  29,  481  flF.  wegen  der  Pers.  492  flf.  868  fle.  bewiesenen  Ortskenntnis. 


Digitized  by 


Google 


246  Vn.  Kapitel. 

empfindlichen  Richter  seine  Versicherung,  er  habe  den  Fehler 
absichtslos  begangen,  sich  gefallen  Hessen,  dankte  er  der  Er- 
innerung an  die  Schlacht  von  Marathon.  In  der  ersten  Auf- 
wallung des  Fanatismus  hätte  die  erbitterte  Menge  den  Tragiker 
(er  spielte  ja  die  Hauptrolle  selbst)  auf  der  Bühne  gesteinigt,, 
wenn  ihm  nicht  der  Altar  des  Dionysos  Schutz  gewährt  hätte  ^). 
Dieser  widrige  Vorfall,  dergleichen  selbst  eine  Freisprechung  in 
der  öffentlichen  Meinung  nicht  vergessen  machen  konnte,  war 
es  ohne  Zweifel ,  was  Aeschylus  die  Heimat  verleidete  *).  Zur 
Zeit  des  höchsten  Aufschwunges  von  Athen  folgte  er  einer  Ein- 
ladung Hierons  nach  dem  Lieblingslande  der  eleusinischen  Göt- 
tin und  führte,  sei  es  bei  der  Gründung  der  Stadt  Aitna  oder 
bei  einer  Feier  des  Jahrestages  das  Schauspiel  „die  Aetnäerinen'' 
auf ').  Schwerlich  blieb  es  bei  diesem  einen  Stücke,  da  Aeschy- 
lus der  Parodie  des  Epicharmos  verfiel*).  Indes  hatte  er  der 
Vaterstadt  nicht  für  immer  den  Rücken  gekehrt,  sondern  er 
gewann  dort  während  Hierons  Regierung  mindestens  zweimal, 
472  und  467,  den  ersten  Preis  und  noch  458  wurde  ihm  für 
die  Atridentrilogie  derselbe  Triumph  zu  Teil.  Trotzdem  ver- 
Hess  der  alte  Dichter  Athen,  wo  die  politischen  Leidenschaften 
bis  zur  Ermordung  des  Demokratenführers  gestiegen  waren,  und 
das  im  Bruderkampfe  sich  zerfleischende  Hellas  überhaupt  von 
neuem,  um  das  blühende  Sicilien  wieder  aufzusuchen.  Er  starb 
Ol.  81,  1  (456/5)  zu  Gela  und  erhielt  von  der  dortigen  Bürger- 


/ 


1)  Aristot.  eth.  Nioom.  3,  2  and  Herakleides  bei  Eostratios  im  Kommentar 
zn  dieser  Stelle  (entstellt  Aelian.  yar.  bist.  5,  19.  Apsines  2, 2  p.  478, 10  Walz. 
Clem.  Alex,  ström.  2,  887);  vgl.  Lobeck  Aglaophamns  p.  76 ff. ;  Schneide' 
win  Philol.  3,  367 ff. 

2)  Die  Späteren  rieten  anf  allerlei :  weil  er  Sophokles  (Plntarch.  Cim.  8. 
Vita  Z.  43  ff.)  oder  Simonides  (Vita  Z.  45 ff.)  unterlag  oder  weil  sich  das 
Publikum  über  den  Erinyenchor  entsetzte  (Vita  Z.  48 ff.,  vgl.  Apsines  Walz^ 
IX  478,  was  Bdckh  trag,  princip.  p.  35  ff.  auf  eine  vermeintliche  frühere 
Aufführung  deutet)  oder  weil  das  Theater  einbrach  (Suidas).  Besser  9^6voc 
aoTÄv  i-ciLoxoz  Diodoros  Anthol.  PaL  7,  40.  Welcker  Trilogie  S.  521  f, 
und  Ritter  a.  O.  S.  84  ziehen  politische  Gründe  vor. 

3)  Vita  Z.  43.  51ff.  Pausan.  1,  2,  3;  Böckh  trag,  princip.  p.  46  0. 
versucht  die  Chronologie  festzustellen. 

4)  Schol.  Aeechyl.  Eum.  616;  er  soll  auch  die  „Perser"  in  Sicilien  auf- 
geführt haben  (Eratosthenes  u.  Andere  bei  Schol.  Aristoph.  Ran.  1055  (1061), 
Vita  Z.  93),  was  nach  dem  Inhalt  des  Stückes  nicht  glaubhaft  ist. 


Digitized  by 


Google 


AeschylDS.  247 

Schaft  an  ehrenvoUer  Stelle  ein  Grab  ^).  Weder  die  Gunst  des 
fremden  Fürsten  noch  jene  glänzenden  Siege  hatten  Aeschylus, 
obgleich  er  früher  einmal,  von  einem  Gegner  besiegt,  den  stol- 
zen Ausspruch  gethan  hatte ,  er  appelliere  an  die  Zukunft  *), 
die  Herzensfreude  des  Schaffens  wiedergeben  können.  Sein  Volk 
schätze,  meinte  er,  die  Werke  seines  Geistes  nicht  gebührend; 
nur  die  Thaten  seiner  Hand  habe  man  ihm  zu  Gute  gerechnet. 
Darum  sollte  nun  auch  der  Leichenstein  von  dem  Dichter 
Aeschylus  schweigen  und  einzig  die  Erinnerung  an  den  tapferen 
Wehrmann  von  Marathon  festhalten : 

AloyjAov  E&fopia>voc  'A^Tjvaiov  töSe  X66^6t 

{jLVYjiJLa  xata(p*(juvov  Tcopoyöpoio  FdXac* 
aXxirjv  S'8&Söxi(Jiov  Mapad-covtov  SXooc  äv  ewcoi 

xal  ßa^oxatmjetc  Mf)8oc  I«totd(i6vo<: '). 
Das  kann  niemand  anderer  als  der  verbitterte  alte  Dichter 
geschrieben  haben.  Aristophanes  entwirft  in  den  „Fröschen" 
ein  lebensvolles  Bild  von  dem  stolzen  Manne,  der,  seines  Genies 
wohl  bewusst,  von  heiligem  Eifer  für  das  Schöne  und  Edle 
glühte  und  gegen  jeden  daran  tastenden  in  leidenschaftlichen 
Zorn  entbrannte.  Viel  Feind  viel  Ehr,  hätte  sein  Wahlspruch 
sein  können.  Seine  Vaterlandsliebe  hat  er  Aug  um  Aug  mit 
den  Persern  bewiesen  und  die  Bürgertreue  auch  von  der  Dich- 
tung nicht  ausgeschlossen ,    ohne   dass  er  gleich  seinen  Nach- 


1)  Zeit:  Marm.  Par.  Z.  74  und  ^hol.  Aristoph.  Acham.  10;  daher  be- 
rechnet der  Biograph  Z.  71  sein  Alter  anf  63  Jahre,  ein  anderer  Z.55  auf  65; 
Soidas  sagt  58,  wofür  G.  Hermann  opnsc.  2,  161  68  vermntet,  d.  h.  OL 
64—81;  Ort:  Grabschrift;  Grab:  Vita  Z.  60ff.  Man  fabelte,  ein  Adler  habe 
anf  seiner  Glatze  eine  Schildkröte  zerschmettern  wollen  (Vita  Z,  56  ff.  92. 
Suidas.  Sotades  (?)  bei  Stob.  flor.  98,  9  V.  18.  Plin.  nat.  bist  10,  3.  VaL 
Max.  9,  12  ext.  2.  Aelian.  nat.  an.  7,  16,  abgebildet  anf  einer  Gemme  bei 
Welcker,  Alte  Denkmäler  II  16,  34).  Die  älteren  Anfisätze  (Welcker 
Rhein.  Mas.  7,  139 ff.  u.  alte  Denkmäler  n  S.  dd7ff.,  Bergk  ebend.  S.  343, 
Tenffel  Rhein.  Mns.  9,  148 ff.,  Göttling  de  morte  fabnlosa  Aeschyli, 
ind.  1.  Jena  1854  =  oposc.  acad.  p.  230 ff.)  sind  antiquiert,  seit  £.  Rohde 
Jahrbb.  f.  Philol.  121,  22  ff.  ein  Volksmärchen  als  Quelle  nachwies;  anf 
Aeschylus  wurde  es  übertragen,  da  er  dem  Odysseus  (fr.  270  bei  Schol.  Odyss. 
X  134)  ein  ähnliches  Los  prophezeien  liess  (O.  C  r  n  s  i  u  s  Rhein.  Mus.  37, 308  ff.). 
S.  auch  K  Piccolomini  sulla  morte  favolosa  di  Eschilo,  Sofode,  Euripide, 
Eupoli,  Pisa  1884. 

2)  Theophrastos  oder  Chamaileon  bei  Athen.  8,  347  e. 

3)  Bergks  poetae  lyr.  Gr.  U*  p.  241. 


Digitized  by 


Google 


248  VIL  Kapitel. 

folgern  dem  Chauvinismus  der  Athener  schmeichelte  ^).  Der 
konservative  Aristokrat  sah  freilich  in  der  Vernichtung  des 
Areopag  eine  unheilvolle  Erschütterung  des  Staates  und  erhob 
in  den  „Eumeniden'*  seine  warnende  Stimme  *).  Dennoch  lässt 
der  Dichter  nie  den  Parteimann  laut  werden ;  oder  musste  etwa 
das  zwischen  Athen  und  Argos  460  vereinbarte  Bündnis  offiziell 
geschlossen  sein,  damit  er  Argos  sowohl  in  den  „Schutzflehen- 
den" als  in  den  Atridenstückeu  mit  einem  gewissen  Wohlwollen 
behandelte  ')?  Das  Ueberirdische  zu  begreifen  masst  sich  Aeschy- 
lus  nicht  an  oder  sucht  wenigstens  die  Gerechtigkeit  des  Schick- 
sals aufzudecken.  Indem  er  sich,  des  Trostes  der  Mysterien 
voll,  in  das  unergründUche  Verhängnis  ergibt,  hängt  er  gläubig 
an  den  schon  durch  das  Alter  elirwürdig  erscheinenden  Kulten 
seines  Volkes*);    denn   für  Prometheus'   oder  Niobes    himmel- 


1)  Doch  dichtete  er  iu  den  „Eleusiniern^',  daas  Tbeseus  die  gefallenen 
Argiver  bestattete. 

2)  Peter  Dettweiler  quid  Aeschylos  de  republica  Atheniensium  judi- 
caverit,  Giessen  1878  p.  5flF.  Nach  L.  D  öder  lein  de  Aeschyli  Eumenidibus, 
Pr.  V.  Erlangen  1820  S.  5 f.  war  die  Reform  damals  noch  nicht  vollzogen; 
da  die  Zeit  derselben  sonst  nicht  festzustellen  ist  (vgl.  Philipp!  der  Areo- 
pag und  die  Epheten  S.  248  fr.),  spricht  die  poetische  Wahrscheinlichkeit 
für   ihn. 

3)  Dettweiler  a.  O.  p.  18flf. 

4)  Vgl.  Aristoph.  Ran.  886  f  Ueber  Aeschylus'  Religiosität  handeln 
ausser  den  S.  202  aufgeführten  Schrifiten:  Rud.  Heinr.  Klausen  theologu- 
mena  Aeschyli  tragici  I.  Berlin  1829;  Rud.  Haym  de  rerum  divinarum  apud 
Aeschylum  conditione,  Diss.  v.  Halle,  Berlin  1843;  Stacke  Jahns  Archiv 
17,  403 ff.;  C.  G.  Haupt  Beitr.  zur  Theologie  des  Aesch.,  Büdingen  1856; 
W.  H  o  f  f  m  a  n  n  Aeschylos  n.  Herodol  über  den  (p^ovoc  der  Gottheit,  PhiloL  15, 
224  ff*. ;  Gnst.  Pronke  die  relig;  u.  sittlichen  Vorstellungen  des  Aeschylos  u. 
Soph.,  Lpg.  1861  (Jahrbb.  Suppl.  JV);  H.  Skelnik  Pindari  et  Aeschyli  sen- 
tentiae  ad  deos  deorumque  cultum  et  religionem  pertinentes,  Diss.  v.  Königs- 
berg 1864;  Rieh.  Kraft  de  hominum  peccatis  quid  Aesch.  nos  doceat,  Halle 
1865;  Bemh.  Stensloff  Zeus  u.  die  Gottheit  bei  Aesch.,  Pr.  v.  Lissa  1867; 
E.  Buchholz  die  sittliche  Weltanschauung  des  Pindaros  u.  Aeschylos,  Lpg. 
1869;  W.  Hoffmann  das  Walten  der  Gottheit  im  Menschenleben  nach 
Aeschylos  n.  Soph.  I.  Pr.  des  Sophieng.  Berlin  1869;  Joh.  Kitt  quae  ac 
quanta  sit  inter  Aesch.  et  Herodotnm  et  consilii  opernm  et  religionis  simili- 
tado,  Breslau  1869;  Heinr.  Dinges  de  divina  rerum  hnmanarum  apud  Aesch. 
moderatione,  Pr.  v.  Bensheim  1871.  1872;  A.  Oldenberg  Aesch.  als  reli- 
giöser Lyriker,  Pr.  v.  Altenburg  1875;  Ernst  Berch  die  Bedeutung  der  Ate 
bei  Aesch.,  Frankf.  a.  M.  1876;  Chr.  Herwig  das  ethisch-religiöse  Fundament 


Digitized  by 


Google 


Aeechylus.  249 

stürmende  Worte  übernahm  er  unmöglich  selbst  die  Verant- 
wortlichkeit ^).  Man  wird  zwischen  ihm  und  Pindar  in  religiöser 
Beziehung  keine  principiellen  Unterschiede  finden,  weshalb  die 
Nachwelt  diese  zwei  gewaltigen  verwandten  Geister  durch  Freund- 
fichaft  verbunden  dachte*). 

Beide  stimmen  nicht  ininder  darin  überein,  dass  ihr  Genie 
auf  enthusiastischer  Inspiration  beruht,  aus  welchem  Grunde 
man  unserem  Dichter  scherzhaft  nachsagte,  er  dichte  vom 
Trank  des  Dionysos  erfüllt*).  Sophokles  meinte  daher,  zu 
dichten  verstehe  der  alte  Meister  gar  wohl,  doch  obne  seiner 
Kunst  sich  bewusst  zu  sein  *).  Allein  dies  ist  von  Aeschylus 
so  wenig  richtig  als  von  Pindar.  Der  Mann,  der  das  attische 
Drama  von  der  Gesammtanlage  der  Tragödie  bis  zu  den 
Schuhen  der  Schauspieler  herab  begründet  hat  ^) ,  kann  kdn 
zuchtloses  Genie,  kein  unklarer  Phantast  gewesen  sein.  Wir 
stellen  aus  dem  vorigen  Kapitel  die  Schöpfungen  des  aeschy- 
leischen  Geistes  kurz  wiederholend  zusammen :  Der  „Vater 
der  Tragödie"  ^)  schränkte  die  vorher  überwiegenden  Chöre 
ein  und  wies  dem  Dialog  die  erste  Stelle  an'');  damit  hing  die 
Einführung  eines  zweiten  Schauspielers  zusammen,  eine  princi- 
piell  viel  wichtigere  Massregel  als  die  nachmalige  Zufügung 
eines  dritten.  Aeschylus  sonderte  ferner  das  Darstellbare  von 
dem  Unschönen,  welches  er  durch  Boten  erzählen  Hess  ^),  und 


der  äschyl.  Tragödie,  Pr.  v.  Konstanz  1878;  Löscbhorn  de  notione  dei 
Aeschylea  et  patrum  eccleaiast,  Wittenberg  1879;  Fr.  Cipolla  Rivista  dl 
filol.  G,  366  ff.;  L.  Campbell  Journal  of  hellenic  studles  6,  153  ff. 

1)  Vgl.  Plato  rep.  2,  380  a,  anders  freUicb  2,  383  a. 

2)  Eustath.  Vita  Pindari  Z.  16  f.  West. 

3)  Chamaileon  bei  Athen.  1,  22a  u.  10,  428  f  (Kallistbenes  bei  Lncian. 
Demosth.  enc.  15.  Plat.  symp.  quaest.  1,  5,  1.  7,  10,  2) ;  daher  ist  er  auf  der 
oben  erwähnten  Gemme  mit  dem  Becher  dargestellt. 

4)  Chamaileon  bei  Athen.  10,  428  f. 

5)  S.  besonders  Vita  Z.  74ff. ;  vgl.  J.  Sommerbrodt  de  Aeschyli  re 
scenica,  Pr.  v.  Liegnitz  1848.  1851.  .<nclam  1858  (Berlin)  (auch  in  scaenica 
collect  a). 

6)  Philostrat.  vit.  Apoll.  6  praef.  11  p.  113,  4  ff. 

7)  Aristot.  poet.  4  p.  1449  a  17  f.  xä  xoo  -/^opob  -riXattcDac  xal  tiv  Xoyov 
«paitaYtttVtorJjv  icapeaxeuaasv. 

8)  Philostr.  a.  O.  u.  vit.  sophist.  1,  9. 


Digitized  by 


Google 


250'  Vn.  Kapitel. 

was  immer  wir  sonst  von  den  Kunstgesetzen  des  Dramas  ins 
Auge  fassen,  stets  werden  wir  bei  Aeschylus  zum  mindesten 
eine  Ahnung  des  Rechten  finden.  Seine  schöpferische  Thätig- 
keit  erstreckte  er  zugleich  auf  alles  übrige,  was  mit  dem  Drama 
in  Beziehung  stand.  Weit  entfernt,  von  Phrynichos'  gefäUigen 
Melodien  abhängig  zu  bleiben,  komponierte  Aeschylus  neue 
Weisen  und  ersann  die  schönste  Musik  von  allen  Tragikern, 
wobei  er  sich  an  den  kitharödischen  Nomos  anlehnte  *) ;  natür- 
lich haftete  den  Liedern  manche  EigentümUchkeit  ihres  Zeit- 
alters an,  z.  B.  der  Refrain  und  regelmässige  durch  Musik 
ausgefüllte  Pausen  ^.  In  der  Erfindung  von  Chortänzen  bewies 
der  Dichter  gleichfalls  eine  fruchtbare  Phantasie').  Wie  er  der 
Gesetzgeber  des  Dramas  als  Dichtungsart  war,  so  stellte  er  end- 
lich die  Grundzüge  ihrer  äusseren  Einrichtung ,  vor  allem  die 
Erscheinung  der  Schauspieler  für  immer  fest. 

Aeschylus  *)  besass  weder  die  einschmeichelnde  Liebenswür- 
digkeit seines  jüngeren  Rivalen  oder  dessen  Kunst  der  sanften 
Rührung  noch  den  philosophischen  Geist  desEuripides^),  aber 
seine  wahrhaft  vulkanische  Natur  übte  auf  jeden  einen  gewal- 
tigen Zauber  aus*  Trotzdom  dass  vieles  unvollkommen  und 
ungefüge  war,  konnte  doch  niemand  das  gottbegnadete  Genie 
in  der  stürmisch  wie  ein  Bergstrom  dahinrauschenden;  wie  ein 
Orkan  brausenden  Gewalt  seiner  Dichtung  verkennen  ^).  Wer 
freilich  deti  Masstab  der  geglätteten  regelrechten  Tragödien  des 
Sophokles  an  ihn  legt,  könnte  ihm  leicht  den  Namen  eines 
Tragikers  versagen  wollen.     Cbarakterzeichnung  und  Handlung 

1)  Aristoph.  Ran.  1254  ff.  1282. 

2]  Aristoph.  Ran.  1264 ff.  1285 ff.;  über  den  Refrain  GottL  K.  W. 
Schneider  de  epiphtbegmaticis  versibos  Aeschyli,  Pr.  v.  Weimar,  Jena 
1829,  z.  B.  in  der  Parodos  des  Agamemnon  nnd  der  Schutzflehenden. 

3)  Athen.  1,  21  dff.;  vgl.  Aristophanes  bei  Athen.  1,  21  f. 

4)  A.  H.  L.  Heeren  über  die  dramatische  Knnst  des  Aesch.,  Bibliothek 
der  alten  Litt.  n.  Kunst,  Gott.  1791  S.  Iff.;  Jacobs  Nachträge  zn  Solzers 
allg.  Theorie  der  schönen  Künste  II  1,  39 ff.;  Andr.  Borschke  Aesch.  u. 
Sophokles.  Eine  dramatische  Studie,  Pr.  des  Schotteng.  Wien  1872;  Paul 
Hennig  Aristophanis   de  Aeschyli  poesi  judicia,  Diss.  v.  Jena,  Lpg.  1874. 

5)  Vita  Z.  31  f.  40f. 

6)  Baxxtlo^  5va5  Aristoph.  Ran.  1259,  iptßpcjiitac  814.  xof  u>c  T*P  ^" 
ßaiv&iv  icapaoxfoäCttat  848,  änb  twv  ^^XaCuiv  852,  &ontp  icpivo^  i}iicpY)0^tic 
859;  wie  ein  Bergstrom  Dioskorides  Anthol.  Pal.  7,  411,  3. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylos.  261 

sind  ja  noch  höchst  unvollkommen ,  denn  einerseits  blickt  der 
Dichter  selbst  durch  die  Maske  der  Hauptpersonen,  andererseits 
bestand  so  manches  Stück  einer  wahren  Handlung  entbehrend 
aus  Erzählung;  gegenüber  solchen  Zwittern  gab  es  nicht  viele 
Dramen  mit  einem  tragischen  Konflikte^).  Der  schroffe  leiden- 
schaftliche Mann  versteht  auch  nicht  zu  rühren,  aber  Niemand 
hat  in  gleichem  Masse  die  Einbildungskraft  erregt  und  erschüt- 
tert. Alles  Grosse  und  Wunderbare  zieht  ihn  an  ^.  Götter  und 
mythologische  Fratzengestalten, 'wie  die  Phorkiden,  die  Erinyen 
in  scheuslicben  Masken,  den  grässlichen  Kratos,  bringt  Aeschy- 
lus  so  unbefangen,  als  ob  sie  ganz  gewöhnliche  Figuren  wären. 
Der  eigenartige  Reiz  entlegener  Fabel-  und  Barbarenländer  *) 
veranlasste  ihn  sowohl  zu  den  „Persem*-  und  „Phorkiden**  als 
zu  den  geographischen  Abschweifungen  in  der  Prometheustri- 
logie  und  „Glaukos*).**  Von  allen  menschhchen  Stimmungen 
weiss  der  Dichter  den  übernatürhchen  Aufschwung  der  Seele 
am  mächtigsten  zu  schildern:  Semele  trat,  selbst  des  Gottes 
Dionysos  voll  und  jeden  sie  berührenden  in  dionysische  Be- 
geisterung versetzend,  auf*);  der  „Agamemnon**  vollends  ent- 
hält das  höchste  Produkt  tragischer  Phantasie:  Kassandra  in 
Ekstase  vor  dem  Atridenpalast,  in  dessen  Inneres  ihr  Jfropheten- 
auge,  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  zugleich  erschauend, 
dringt;  nicht  bloss  der  erst  ungläubige,  spöttische  Chor,  selbst 
der  Leser  —  um  wie  viel  mehr  einst  der  Zuschauer  I  —  geräth 
in  Erregung  und  glaubt  die  blutigen  Gestalten  der  Vision 
wirküch  vor  sich  aufsteigen  zu  sehen.  Die  Scene,  wo  Orestes 
nach  dem  Mutterraorde  die  Erinyen  zu  erblicken  meint,  steht 
an  grausiger  Anschaulichkeit  hinter  jener  nicht  zurück.  Aeschylus 
versteht  die  Kunst,  das  Haar  vor  Entsetzen  sträuben  zu  machen, 
weshalb  späte  Rhetoren  ein  unsagbares  Unglück  seines  Pathos 
allein    würdig   nennen  *).     Er  vermöchte  jenes   nicht  so  sehr,. 


1)  Vita  Z.  27  ff.  82  ff.  100  f.,    snsammenfassend  Qnintil.  10,  1,  66  rndis 
in  plerisqae  et  incompositiis. 

2)  Vita  Z.  41  f.  "Av^pcuitov  ^'^p{.0Ti0{.6v  Aristoph.  Ran.  837. 

3)  Vgl.  Aristoph.  Ran.  937 f.,  s.  auch  P.  W.  Forchhammer  VerhandL 
der  Philol.  Vers,  zu  Frankfurt,  Lpg.  1863. 

4]  G.  Hermann  opuscnla  n  67 ff. 

5)  Fr.  223  Bind. 

6)  Himer.  orat.  23,  4.  Basil.  epist.  379.  Theodoret.  hist.  eccl.  3,  7. 


Digitized  by 


Google 


252  VII.  Kapitel. 

wenn  er  nicht  stets  plastisch  bliebe.  Ein  kräftiger  gesunder 
Realismus,  der  an  Dante  erinnert,  durchzieht  seine  Schöpfungen 
und  schliesst,  wie  bei  dem  grossen  Florentiner,  gelegenüich 
einen  komischen  Zug,  soweit  ihn  Melpomenes  Würde  duldet, 
nicht  aus;  hat  doch  Aeschylus  nicht  allein  den  Prolog  des 
„Agamemnon*'  geschaffen,  sondern  auch  Trunkene  auf  die 
Bühne  gebracht  ^).  Ja,  in  der  Ausmalung  des  Grässlichen  ging 
er  so  weit,  dass  er  hart  an  die  das  Erhabene  und  das  Lächer- 
liche sondernde  Linie  streifte,"  z.  B.  wenn  seine  Erinyen  im 
Traume  schnauben.  Indes  verstand  Aeschylus  jede  bedeutende 
Erzählung  durch  plastische  Lebenswahrheit  anschauUch  zu 
machen.  Ein  wahres  Muster,  wenn  auch  innerhalb  der  Tra- 
gödie nicht  recht  begründet,  ist  in  ihrer  Art  die  Beschreibung, 
welche  Klytaimestra  von  den  Feuerzeichen,  der  Zerstörung 
Trojas  und  der  Sieger  Heimkehr  gibt ;  die  berühmte  Schilderung 
des  Wettfahrens  in  der  sophokleischen  „Elektra"  scheint  durch 
eine   gleichartige  Episode  des   „Glaukos  Potnieus*'*)  angeregt. 

Die  Sprache  %  welche  dem  lyrischen  Stile  näher  steht  als 
dem  eigentlich  dramatischen,  war  in  der  Hand  des  Dichters 
ein  bedeutungsvolles  Dokument  und  Werkzeug  seiner  Geistes- 
richtung. Grossartigkeit  ist  ihr  Grundzug*).  An  phantasievoller 
Verwegenheit  der  Bilder*)  kann  Pindar  allein  mit  dem  athenischen 


1)  Chamaileon  bei  Athen.  10,  428  cf,  vgl.  1,  17  c. 

2)  G.  Hermann  opuscula  2,  62. 

3)  Max  Lechner  de  arte  Aeschyli  rhetorica,  Pr.  v.  Hof,  Berlin  1867; 
Karl  Frey  Aeschylus -Studien,  Pr.  v.  Schaffhausen  1875;  C.  Th.  üllmaun 
proprietates  sermonis  Aeschylei  quatenus  in  diverbio  perspectae  sunt,  I.  Pr. 
V.  Baden-Baden  1881;  J.  Bury  Journal  of  hellenic  studies  6,  167  ff. 

4)  Me^aXo^psiceta  Dionys.  vet.  script.  cens.  1,  10,  jic^aXocpcovötatoc 
Phrynichos  bei  Phot.  cod.  158,  jis^aXocpoivta  Himer.  erat.  23  p.  774W.,  snb- 
limis  et  gravis  et  grandiloquus  saepe  usque  ad  Vitium  Quintil.  10,  1,  66; 
vgl.  Vita  Z.  24  ff. 

5)  S.  226,  dazu  F.  G.  Schulze  de  imaginibus  et  figurata  Aeschyli  elo- 
cutione,  Pr.  v.  Halberstadt  1854;  Tuch  de  Aeschyli  figurata  elocutione,  Pr. 
V.  Wittenberg  1869;  Sven  Dahlgren  de  Aeschyli  metaphoris  et  similitndini- 
bus  a  re  navali  dednctis,  Diss.  v.  Upsala,  Stockholm  1875  u.  de  imaginibus 
Aeschyli  I.  akad.  Abh.  v.  Stockholm  1877  (s.  von  unbelebten  Dingen,  2.  aus 
der  Naturgeschichte);  H.  Rüter  de  metaphora  abstracta^  notionis  pro  con- 
creta  apud  Aeschylum,  Halle  1877;  K.  Frey  Aeschylusstudien  U.  Berlin 
1879;  über  die  Personifikationen:  Herm.  Ritters  de  conformationum  usu 
Aeschyleo,  Lpg.  1882. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylüs.  253- 

Tragiker  sich  messen,  doch  weiss  der  letztere  die  rechten  Grenzen 
nicht  immer  inne  zu  halten*);  gar  manches  klänge  im  Munde 
eines  Dichters,  welchem  man  den  dionysisclien  Enthusiasmus- 
weniger  anfühlte,  gesucht,  gekünstelt,  sogftr  lächerlich  %  während 
es  bei  dem  eleusinischen  Dichter  zum  ganzen  Tone  passt.  Der 
Wortschatz  seiner  Vorgänger  genügt  ihm  so  wenig,  dass  er 
zahlreiche  Wörter  neu  bildet  ^)  und  zwar  natürlich  gewichtigen 
Zusammensetzungen  den  Vorzug  gibt*);  nicht  nur  das  Impo- 
sante, sondern  auch  das  Ungewöhnliche  zieht  ihn  auf  diesem 
Gebiete  gleichfalls  an  *).  Selbst  wo  der  Dichter  mit  dem  weniger 
Seltenen  sich  begnügt,  liebt  er  die  breite,  leider  nicht  selten  in 
Schwulst  ausartende  Fülle  ^)  und  gibt  der  Sprache  durch  Gleich- 
klänge und  Tonmalerei  einen  sinnUchen  Reiz '').  Aber  von 
Begeisterung  hingerissen,  gelangt  er  nicht  zur  vollen  Klärung; 
in  unruhiger  Hast  lässt  der  Dichter  viele  Sätze  ohne  Verbindung  ^ 
oder  springt  plötzHch  von  der  Konstruktion  ab  ^).  Er  achtet 
ebenso  wenig  darauf,  wenn  ihm  ein  eben  gebrauchtes  Wort 
wiederum  in  den  Sinn  kommt  *^).  Wiewohl  der  erste  Tragiker 
die  kühne  Sprache  der  lyrischen  Gesänge  und   die  gezügeltere 


1)  Ilepl  ^oo<z  3,  1.  15,  5  f.  Johann.  Sicel.  Walz  rbetor.  VI  225. 

2)  Z.  B.  irpöc  obpavhv  IScpielv,  ßopeac  täte  Soal  aiaYOOt  «pocwv. 

3)  Aristoph.  Ran.  929  f.  Vita  Z.  25;  Bernh.  Todt  comm.  de  Aeschyla 
Tocabalonun  inventore,  Pr.  des  Pädag.  in  Halle  1855. 

4)  Jos.  San neg  de  vocabnlornm  compositione  Graecap raecipue  Aescbylea,. 
Halle  1865;  P.  Dettweiler  zusammengesetzte  Adjektiva  bei  Aescb.  U.,  Pr. 
V.  Gieasen  1882. 

5)  Aristopb.  Ran.  926  f»-fyxaxa  .  .  .  .  Äf^tüta  xot<  O-ecupievoi^ ;  L.  Na  st 
über  die  ÄJcaJ  Xs^ofieva  und  seltenen  poetischen  Wörter  bei  A.,  Pr.  v.  Giim- 
binnen  1882. 

6)  Hanpt  Jabrbb.  Snppl.  1,  226.  245  ff. 

7)  Panl  Herrmanowski  de  homoeotelentis  qnibnsdam  tragicornm  et 
consonantiis  repetitione  ejosdam  vocabali  ab  Aesohylo  effectis,  Berlin  1882;. 
Allitteration :  Teuf  fei  zu  Pers.  681. 

8)  Mart.  Burgard  quaestt.  gramm.  Aeschyleae,  Diss.  y.  Breslau,  Berlin 
1861;  Gust.  Bromig  de  asyndeti  natura  et  apud  Aescbylum  usu,  Münster 
1879  p.  36ff. 

9)  Heinr.  Hartz  de  auacolutbis  apud  Aescbylum  et  Sopbodem,  Biss. 
T.  Berlin  1856;  J.  Wrobel  de  auacolutbis  ap.  tragicos  Graecos  I.  Bres- 
lau 1865. 

10)  Wellauer  comm.  Aeschylear.  spec,  Breslau  1819   p.  13flf.    Ludwig 
Schmidt  Ztsch.  f.  Gymnasial w.  22,  646  ff. 


Digitized  by 


Google 


^64  VII.  Kapitel, 

•des  Dialogs  ziemlich  auseinander  hält,  hat  er  das  Geheimnis, 
wie  er  die  einzelnen  Personen  im  Stil  unterscheiden  könnte, 
noch  nicht  entdeckt.  Ueberall  ist  es  Aeschylus,  der  aus  ihnen 
heraus  spricht,  selbst  wo  er  den  König  von  Argos  erklären 
lässt ,  sein  Volk  sei  langen  Reden  feind  *).  Ein  gewisses  indi- 
viduelles Kolorit  besitzen  die  „Perser"  in  einigen  geschickt 
verteilten  Orientalismen  *).  Ungeachtet  der  sonstigen  Einförmig- 
keit gelingt  es  Aeschylus  nicht  immer,  ganz  deutlich  zu  sprechen '), 
wiewohl  viele  jetzt  dunkle  Stellen  den  Abschreibern  und  nicht 
•dem  Dichter  zur  Last  fallen. 

Alles  in  allem  genommen  harmonierte  Aeschylus^  Stil 
wunderbar  mit  der  Tragödie,  wie  er  sie  auflfasste.  „Aeschylus' 
stolzes  Auftreten  und  seine  Altertümlichkeit,  dazu  die  Kühn- 
heit von  Gedanke  und  Wort  passte  für  die  Tragödie  und  die 
Weise  der  alten  Heroen;  nichts  war  gesucht,  nichts  spitzfindig 
oder  niedrig"  ^).  Er  war  vermöge  seiner  Religiosität  und  seiner 
.  <Jithyrambischen  Begeisterung  der  echte  Tragiker  der  Dionysien. 

Ueber  die  Zahl  der  aeschyleischen  Dichtungen  gehen 
die  Angaben  der  Alten  erheblich  auseinander.  Während  Suidas 
neunzig  Dramen  nennt,  spricht  der  Biograph  (Z.  71  f.)  von 
«iebzig,  abgesehen  von  fünf  zweifelhaften  Satyrspielen,  und 
Handschriften  geben  ein  damit  übereinstimmendeg  alphabetisches 
Verzeichnis  derselben,  wobei  nur  die  Dublette  der  „Aetnäerinen" 
den  Vorwurf  der  Unechtheit  erhält  *).  Die  Anzahl  der  gelegentlich 
citierten  Stücke  ist  etwas  grösser,  doch  kommen  in  dieser 
Beziehung  so  viele  Irrtümer  vor,  dass  wir  nicht  den  Ueber- 
schuss  durch  Annahme  von  Doppeltiteln  zu  entfernen  wagen*). 
Dass  nicht  weniger  als  38  Dramen  nach  dem  Chor  bekannt 
fiind,  kann  in  der  Zeit  des  Aeschylus  nicht  auffallen ;  wir  hoben 
ausserdem  bereits  hervor,  dass  übermenschliche  und  barbarische 


1)  Suppl.  273. 

2)  G.  Herrn  an  n  opnscala  2,  102. 

3)  Vgl.  Aristoph.  Ran.  927  oa^p^c  S'£y  slicsv  ohU  iy. 

4)  Dio  Chrysost.  or.  52,  4. 

5)  I1popL*r)6'86(:  icupxasuc  uDd  FXaoxo^  IIoTvituc  sind  hinter  ähnlichen 
Titeln  ansgefallen. 

6)  Nach  Welcker  griech.  Trag.  S.  1503  ist  „der  Löwe"  vieUeicht  mit 
„Atalante"  ein  Stnck,  nach  Wilamowitz  „der  entlaufene  Sisyphos"  mit  dem 
..Steinewälzenden". 


Digitized  by 


Google 


Aeschylos.  255 

Chöre,  aber  auch  Vertreter  der  gemeinen  Leute  bei  Aeschylus 
verhältnismässig  häufig  vorkommen.  Ueber  die  trilogische 
Gruppierung  dürfte  8.  234  fif.  bereits  das  Notwendige  gesagt 
worden  sein. 

Mit  Ausnahme  zahlreicher  Citate  und  eines  Abschnittes 
von  „Karer  oder  Europa",  welchen  ein  in  Paris  vorhandenes 
Papyrusstück  bewahrt  hat  ^), /sind  jene  75  Dramen  bis  auf 
sieben  verloren  gegangen.  Die  Güte  der  erhaltenen  Scholien 
setzt  uns  in  den  Stand,  von  fünf  derselben  Zeit  und  Zusammen- 
hang anzugeben :  Die  „Perser"  gehören  nämlich  zu  der  472 
(Ol.  76,  4)  aufgeführten  Tetralogie  „Phineus,  Perser,  Glaukos 
und  Prometheus"  *).  Die  „Sieben  gegen  Theben"  beschlossen 
eine  thebanische  Trilogie  und  waren  von  „Laios"  und  „Oedipus" 
vorbereitet;  das  damit  susammenhängende  Satyrspiel  hiess 
^jSphinx";  Aeschylus  äiegte  mit  diesen  vier  Stücken  467  (Ol. 
78,  1)  über  Aristias  und  Polyphrasmon '*).  EndUch  verschaflfte 
die  Trilogie  „Agamemnon,  Choephoren,  Eumeniden",  deren 
heiteren  Beschluss  das  Satyrspiel  „Proteus"  machte,  dem  Dichter 
noch  458  (Ol.  80,  2)  den  ersten  Siegespreis.  Ueber  die  Zeit 
des  „gefesselten  Prometheus"  und  der  „Schutzflehenden"  fehlen 
derartige  Angaben,  indes  spielt  der  Dichter  in  jenem  V.  367  ff. 
auf  den  berühmten  Aetnaausbruch  von  479/8  (Ol.  75,  2)  an; 
ich  möchte  hinzufügen,  dass  die  Prometheustrilogie  erst  nach 
472  aufgeführt  worden  sein  muss,  sonst  hätte  Aeschylus  damals 


1)  Heraasgeg.  von  Blass  Rhein.  Mus.  35,  83 ff.,  bestimmt  von  Bücheier 
a.  O.  Ueber  die  verlorenen  Stücke  handelt  nächst  Welcker  G.  Hermann 
opasciüa  n.—V.  Vn.  VHI.;  Lykurgie:  M.  Croiset  Annuaire  de  l'assoc.  pour 
l'enc.  des  6t.  gr.  16,  88 ff.;  Myrmidonen:  Bergk  Hermes  18,  481  ff.  Bobert 
Bild  nnd  Lied  S.  132 ff.;  Niobe:  Frz.  Yolkm.  Fritzsche  de  Aeschyli  Niobe 
comm.,  Pr.  d.  Univ.  Rostock  1836;  Phaethon:  Knaack  qoaestiones  Phae- 
thonteae,  Berlin  1886  S.  17ff.;  Telephos:  W  e  c  k  1  e  i  n  Sitznngsber.  der  bayer. 
Akad.  1878  S.  198;  Sdvtptat:  Böckh  trag,  princip.  p.  28  f. 

2)  „Glaukos^'  hatte  nach  den  jüngeren  Scholien  den  Beinamen  Ilotvieuc 
(nach  Welcker  Ilövttoc) ;  über  den  Inhalt  Asklep.  TragiL  bei  Pro.  Verg.  Georg. 
3,  266,  V.  Lentsch  in  dem  Artikel  der  Hall.  Encykl.  n.  Gäde che ns Glau- 
kos der  Meergott,  65tt.  1860 ;  über  „Prometheus"  s.  u.  Wegen  dieses  Sieges 
ist  er  vielleicht  in  der  Chronik  des  Ensebios  zu  OL  76,  2  (armen,  u.  Hier. 
A)  gesetzt. 

3)  Aug.  Wald ey er  de  Aeschyli  Oedipodea  spec.  II.,  Pr,  v.  Leob- 
schütz  1873. 


Digitized  by 


Google 


256  .  Vn.  Kapitel. 

dem  Satyrspiel ,, Prometheus*'  nach  griechischem  Brauche  einen 
unterscheidenden  Beinamen  gegeben  ^).  Zählt  dieses  Werk 
mithin  zu  den  Schöpfungen  des  gereiften  Dichters,  so  stellen 
die  „Schutzflehenden"  ('Ix^ttSec)  augenscheinlich  die  älteste 
für  uns  wahrnehmbare  Stufe  des  dichterischen  Bildungs- 
ganges dar. 

Hier  *)  überwiegen  die  Gesänge  des  Chores ,  der  ohnehin 
den  Mittelpunkt  der  Handlung  bildet,  den  Dialog  noch  bei 
weitem  und  zugleich  beobachtet  man,  dass  seit  der  Einführung 
des  zweiten  Schauspielers  erst  wenige  Jahre  verstrichen  sein 
können;  sonst  würde  nicht  der  Chor,  sondern  Danaos,  wie  es 
natürHch  wäre,  dem  König  die  Lage  auseinandersetzen  und 
derselbe  später  seinem  Versprechen  gemäss  mit  ihm  zurück- 
kehren ^).  Dass  der  Bund  mit  Argos  von  Athen  bereits  ge- 
schlossen gewesen  sei*),  dürfte  ni^cht  erwiesen  werden  können. 
Höchst  wahrscheinlich  bildete  das  Drama  mit  den  „Aegyptern**^ 
und  „Danaiden'*  eine  Trilogie  in  der  Weise,  dass  alle  drei 
Tragödien  ohne  grösseren  Zwischenraum  sich  an  einander 
schlössen    und    die   Aufnahme   der   Danaiden    in    Argos,    die 

1)  Vermutungen  über  die  Zeit:  Für  eine  frühe  Abfassung  G.  Her- 
mann opnsc.  2,  313;  R.  Westphal  Metrik  d.  Griech.  1868  S.  XLVH  u.  Pro- 
legomena  S,  8;  B.  Engelmann  Philol.  27,  736;  Wecklein  Ausg.  S.  21; 
sonst:  Fr.  Passow  melet.  critica  in  Persas  Aeschyli  p.  2;  A.  Schmidt  de 
cae^nra  media  in  Gr.  trim.  iamb.,  Bonn  1865  p.  19;  R.  Förster  de  attrac- 
tionis  usu  Aeschyleo,  Breslau  1866  p.  44;  £.  Martin  de  resj^nsionibn» 
diverbii  ap.  Aescb.,  Berlin  1867  p.  71. 

2)  L.  A.  Madsen  de  fontibus  Supplicum  Aesch.,  Kiel  1820;  Job.  H, 
Gottl.  Schmidt  de  Aeschyli  Supplicibqs,  Pr.  v.  Augsburg  1839;  K.  Gust, 
Em.  A 1  b  e  r  t  i  de  Aeschyli  choro  Supplicum ,  Diss.  v.  Berlin ,  Frankf. 
a.    O.    1841. 

3)  Vgl.  Gilbert  Rhein.  Mus.  28,  480flf.,  auch  Lachmann  de  men- 
sura  tragoed.  p.  9f.    Wilamowitz  Hermes  21,  608 f. 

4)  Nach  Böckhs  Vorgang  Bncheler  Rhein.  Mus.  40,  625 ff.  (er  bezieht 
ausserdem  V.  145 f.  auf  den  Bau  des  Parthenon);  vgl.  auch  O.  Müller  Eu- 
meniden  S.  122 f.  (dagegen  Oncken  Athen  u.  Hellas  I  S.  219 f.);  Bergk 
de  cantico  Supplicum*,  Gratulationsschr.  d.  Univ.  Freiburg  1857  p.  5  ff.  ver- 
mutete sogar  (wegen  angeblicher  Dorismen),  das  Stück  sei  zur  Aufführung  in 
Argos  bestimmt  gewesen.  Nach  Duncker  Geschichte  des  Altertums  VHI 
S.  285  A.  1  setzt  V.  761  voraus,  dass  die  Athener  mit  Aegypten  noch  keinen 
näheren  Verkehr  hatten.  S.  noch  Oberdick  quaestt.  Aeschyleae,  Münster 
1878  =  kritische  Studien  I.  1884  Nr.  U. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylns.  257 

Erzwingung   der  Heirat   und   den   Mord    samt   Hypermestras 
Freisprechung  schilderten  *). 

„Der  gefesselte P  ro  meth  eu  s'*  (HpoiiYj^eöc  Seopuonjc)  kann 
einzig  im  trilogischen  Zusammenhange  richtig  aufgefasst  werden  *) 
Ausser  dem  erhaltenen  Stück  werden  drei  weitere  Prometheus- 
dramen, durch  die  Beinamen  Xoöfi^voc ,  Tcopyöpoc  und  wopxae6c 
unterschieden,  angeführt.  Was  das  erste  dieser  drei  anlangt, 
so  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  es  die  Befreiung 
des  Japetossohnes  vorführte.  In  dem  erhaltenen  Drama  waren 
die  alten  und  die  neuen  Götter  noch  durch  Groll  und  Miss- 
trauen geschieden  und  Kronos'  Fluch  liess  Zeus  seiner  Herr- 
schaft nicht  froh  werden.  Doch  die  Zeit  —  dreissigtausend 
Jahre  setzt  der  überall  das  Grossartige  liebende  Dichter  an  — 
hat  die  Titanen  zur  Einsicht  iu  Zeus'  kluges  Walten  gebracht; 
Zeus  ist  mit  dem  Geschlechte  des  Uranos  ausgesöhnt.  Als 
nun  Herakles,  der  Nachkomme  los,  welcher  einst  Prometheus 
die  Zukunft  enthüllt,   den  jenen  peinigenden  Adler  tötet,   ent- 


1)  Welcker  Rhein.  Mus.  4,  481  ff.  =  kleine  Schriften  4,  100  ft.; 
Gruppe  Ariadne  S.  74ff.;  Tittler  Ztsch.  f.  Altertnmsw.  1838  Sp.  951fr.; 
G.  Hermann  Ber.  der  sächs.  Ges.  der  Wlss.  1847  S.  123 ff. 

2)  E.  C,  Christ.  Schneider  de  Aeschyli  Prom.,  ind.  1.  Breslau  1823; 
Bemh.  Tdpelmann  de  Aesch.  Prom.,  Lpg.  1829;  Welcker  (s.  o.  S.  235 
A.  5);  G.  Hermann  opnscula  IV  Nr.  5;  Bellmann  de  Aesch.  temione 
Prom.  I.  Breslau  1839;  Schutt  de  Promethei  Aeschylei  natura,  Pr.  v.  Husum 
1842;  T.  Katterfeld  Jahns  Archiv  19  (1853)  S.  406ff.;  Jak.  Meister  über 
den  Prom.  des  A.,  Troppau  1853;  Anselm  Feuerbach  nachgel.  Schriften, 
Braunschw.  1853  IV  S.  29ff.;  Schömann  opnscula  3,  95 ff.  120 ff.  Noch 
ein  Wort  über  A.,  Pr.  v.  Greifewald  1859;  CÄsar  Ztsch.  f.  Altert.  1845 
Nr.  41.  1846  Nr.  113.  114  u.  der  Prom.  des  A.,  Marburg  1860;  H.  Keck 
der  theologische  Charakter  des  Zeus  in  Aesch.,  Pr.  y.  Gläckstadt  1851;  H. 
Köchly  akad.  Vorträge  u.  Reden  1,  Iff.  387ff.;  W.  Vischer  über  die 
Promethenstragödien  des  A.,  Basel  1859;  W.  Teuf  fei  über  des  A.  Promethie 
u.  Orestie,  Pr.  d.  ün.  Tübingen  1861;  W.  Marcowitz  de  A.  Prometheo, 
Düsseldorf  1865;  Westphal  Prolegomena  zu  Aesch.  Trag.  S.  207ft.;  H. 
Martin  Mömoires  de  Tacad.  des  inscr.  28,  2,  Iff.;  Paul  Schwarz  die 
Darst.  des  Zeus  im  Pr.  des  A.,  Pr.  y.  Salzwedel  1875;  F.  Seelmann  de  Pr. 
Aeschyleo,  Pr.  y.  Dessau  1876;  Alex.  Kolisch  der  Pr.  des  A.,  Berlin  1876; 
V.  £.  Orlando  il  Prometeo  di  Eschilo  e  il  Pr.  della  mitologia  greca,  Fir. 
1879  (estr.);  über  die  Scenerie:  Pet.  Jos.  Meyer  A.  Pr.  yinctus  ubi  agi  vide- 
atur,  Bonn  1861;  Bemh.  Foss  de  loco  in  quo  P.  apud  A.  yinctus  sit,  Bonn 
1862  mit  Karte;  C.  Fr.  Müller  die  scenische  Darstellung  des  äsch.  Pr.,  Pr» 
y.  Stade  1871;  W.  Otto   quaestt.  de  Promethei  re  scenica,   Berlin  1872. — . 

Sittl,  Geschichte  der  griechlflcben  literatur  III.  ^7 


Digitized  by 


Google 


258  Vn.  Kapitel. 

hüllt  der  Titane  das  Geheimnis,  womit  er  vorher  Zeus  bedroht  ^). 
Jetzt  wird  er  von  Hephaistos,  der  ihn  ehemals  widerwillig  an- 
geschmiedet hatte,  entfesselt,  worauf  der  unheilbar  verwundete 
Chiron  an  seiner  Stelle  in  die  Unterwelt  geht,  auf  dass  Zeus' 
Schwur  (V.  1027  flf.)  dem  Wortlaute  nach  gewahrt  bleibe.  Hie- 
mit  hätte  jeder  andere  Tragiker  den  Stoff  abgeschlossen  be- 
trachtet, nur  nicht  ein  athenischer ,  denn  in  diesem  Lande 
allein  empfing  Prometheus  als  „Feuerbringer"  göttUche  Ehren 
und  wurde  durch  ein  glänzendes  Fest  gefeiert.  Die  Einsetzung 
dieser  alten  Bräuche  war  für  die  Athener  natürlich  höchst  in- 
teressant und  ohne  Zweifel  so  umständlich  überliefert,  dass  sie 
Aeschylus  zu  einem  religiöspatriotischen  Drama  hinlänglichen 
Stoff  lieferte;  man  denke  z.  B.  an  den  Stein,  in  dem  die 
Athener  Prometheus'  Fusspur  zeigten,  und  den  die  Freund- 
schaft mit  Hephaistos  besiegelnden  gemeinsamen  Altar,  der 
obendrein  in  Athenes  Heiligtum  stand  *).  Wie  hiess  aber  dieses 
drittes  Drama?  Jedenfalls  IIpoixTj^soc  Trop^öpoc,  denn  weil  hier 
von  jener  dreissigtausend jährigen  Gefangenschaft  die  Rede  war, 
kann  dieses  Stück  die  Trilogie  nicht  eröfihet  haben,  abgesehen 
davon,  dass  dann  die  umständHche  und  mehr  als  einmal  wieder- 
holte Exposition  des  „gefesselten  Prometheus*' überflüssig  war.  ^) 
Dagegen  erhielt  das,  wie  oben  erwähnt,  der  Persertrilogie  beige- 
gebene Satyrspiel,  worin  die  Satyrn  mit  dem  noch  nie  gesehenen 
Feuer  täppisch  umgingen  *),  später  den  Beinamen  Tropxaeig. 

Aeschylus  hat  die  alte  Sage  von  dem  Schlaukopf,  welcher 
dafür,  dass  er  die  Menschen  Zeus  überlisten  lehrt,  büssen  muss, 
unendlich  vertieft,  indem  er  zwischen  der  weitschauenden  Vor- 


P.  W.  Forchhammer  die  Wanderungen  d.  Inachostochter  lo  zugl.  z.  Ver- 
stftndn.  des  gefess.  Pr.,  Kiel  1881,  mit  Karte.  —  Th.  Konitzer  de  fabulne 
Prometheae  in  arte  litterisqne  usn,  Königsb.  1885. 

1)  Diese  Folge  der  Ereignisse  geht  aus  V.  771  ttc  oov  o'  6  Xiacov  iotlv 
ÄxovTo?  At6c;  hervor. 

2)  S.  Soph.  OC.  55.  Apollodoros  bei  Schol.  Soph.  OC.  56;  vgl.  auch 
Westpbal  Prolegomena  S.  207 ff.;  Wecklein  Ausgabe  S.  17f. 

3)  Schollen  zu  V.  94.  Der  codex  Medicens  führt  den  nopf  opog  zv^ischen 
$60{xu>ry)c  tind  Xu6}i8voc  auf;  aber  dass  letzterer  die  zvreite  Stelle  einnahm, 
zeigen  nicht  bloss  die  Schollen  zu  V.  511  und  522  [Iv  x(^  i^'^C  $päp.axi), 
sondern  auch  die  dem  Personenverzeichnis  angehängten  Namen  Fy)  ^HpaxXYjc, 
Vielehe  aus  der  Liste  des  folgenden  Stückes  hieher  gerieten. 

4)  Fr.  190  Dlnd.  (Plutarch.  mor.  p.  86f.). 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  259 

-sehung  des  Olympiers,  der  ein  vollkommeneres  Geschlecht 
schaffen  will,  und  der  beschränkten  Fürsorge  des  Prometheus 
^inen  tragischen  Gegensatz  fand.  Ist  es  nun  aber  nicht  ein 
Fehler,  dass  das  Anfangsstück  für  sich  allein  diese  Idee  nicht 
klar  ausspricht,  sondern,  einseitig  betrachtet,  zu  merkwürdigen 
Philosophemen  verführt  hat?  Der  Dichter  könnte  darauf  er- 
widern ,  die  ideale  Göttlichkeit  wäre  undramatisch  gewesen ; 
darum  habe  er  den  dauernden  Bestand  der  Zeusherrachaft  in 
Prometheus'  Hand  gelegt  und  diese  ungöttliche  Schwäche  durch 
den  Fluch  des  entthronten  Vaters  begründet  ^).  Indes  verwirrte 
er  ohne  Not  die  Fäden  durch  Hereinziehen  des  Verhängnisses  *), 
obgleich  andererseits  Prometheus  wider  vernünftigeres  Wollen 
(V.  522  ff.)  durch  seine  Leidenschaft  hingerissen  wird,  Zeus 
zu  drohen  und  sich  dadurch  erst  unsägliche  Qualen  zuzieht. 
Themis  ist  dazu  allein  da,  dem  einzigen  Prometheus  das  Ge- 
heimnis zu  enthüllen,  und  der  Chor  versinkt,  wiewohl  er  noch 
V.  1036  ff.  so  vernünftig  geredet ,  mit  Prometheus ,  auf  ^dass 
sein  ruhiger  Abzug  den  Effekt  nicht  schwäche.  Konnte  auch 
Aeschylus  die  Sprödigkeit  des  uudramatischen  Stoffes  nicht  voll- 
ständig bezwingen,  entfaltete  er  doch  die  Erhabenheit  seiner 
Sprache  und  Schilderungsgabe  hier  vielleicht  am  glücklichsten. 
Die  thebanische  Königssage  lud  den  Dichter  wie  von  selbst 
zu  dreiteihger  Behandlung  ein:  Laios  wird  vom  Vater  des  ge- 
raubten Chrysippos  verwünscht ,  die  Erfüllung  des  Fluches 
«türzt  Oedipus  in  das  Verderben  und  das  dritte  Geschlecht 
geht  am  Vaterfluche  zu  Grunde.  Die  Trilogie^)  klingt  nicht 
friedlich  aus,  denn  die  „Sieben  gegen  Theben"  ('ETcta  ^tcI 
ÖTJßac*)  sind  wahrhaft,  wie  Aristophanes  unseren  Dichter  sagen 

1)  AnchMilton  und  Klopstock  lie&sen  sich  solche  „notwendige Fehler"  (I<  e  s  - 
sing  Laokoon  Anhang  11  d  S.294H.)  gegen  die  Theologiezn  Schulden  kommen. 

2)  Z.  B.  V.  511  ff.  873  f. 

3)  Welcker  kleine  Schriften  4,  136 ff. ;  Fr.  Vater  de  Aeschyli  Oedipo, 
Jahns  Archiv  16,  110 ff.;  Carl  Krnse  de  Aeschyli  Oedipodea,  Diss.  v.  Greifs- 
wald, Stralsund  1855;  Aug.  Näke  Rhein.  Mus.  27,  193 ff.;  Max  Planck 
Ztsch.  f.  AUertumsw.  1847  Nr.  110—13;  Ludw.  Schmidt  ehend.  1856  Nr. 
49—51;  Fr.  Susemihl  ebend.  1857  Sp.  lOOff.;  Aug.  Waldeyer  de  Aesehyli 
Oedipodea,  I.  Pr.  v.  Neuss  1863;  II.  Pr.  v.  Leobschütz  1873. 

4)  J.  H.  Warren  de  Aesch.  Septem  et  Eurip.  Phoen.,  Groningen  1832; 
K.  O.  Müller  de  AeschyU  Septem  c.  Th.,  Göttingen  1836;  A.  F.  Nöke 
Rhein.  Mus.  27,  196  ff. 

17* 


Digitized  by 


Google 


260  VII.  Kapitel. 

lässt,  „des  Ares  voll"*);  „es  gibt  keine  Erlösung'*,  möchte  der 
Hörer  mit  dem  sophokleisehen  Thebauercbor  sprechen,  wenn  er 
den  Fluch  des  Oedipus  (V.  696  S.  720  flf.)  so  schrecklich  wirke» 
sieht.  Wenn  man  daher  vor  der  Entdeckung  der  Auflführungs- 
notiz  meinte,  die  „Sieben'*  seien  das  Mittelstück  einer  Trilogie 
gewesen  und  einer  „Antigone"  vorausgegangen,  so  hatte  diese 
Ansicht  eine  gewisse  Berechtigung.  Allein  auch  ohne  jene  Ur- 
kunde könnten  wir  nachweisen,  dass  für  eine  „Antigone"  keitt 
Raum  mehr  ist.  Denn  da  sie  ihre  edle  Absicht  im  vornherein 
öffentlich  ausspricht,  bleibt  über  den  Thäter  kein  Zweifel  und 
wie  soll  mau  sie  bestrafen,  wenn  die  eine  Hälfte  der  thebanischeu' 
Jungfrauen  mitschuldig  ist?  Endlich  hat  nicht  ein  eigensinniger 
Tyrann  das  Gebot  erlassen,  sondern  die  Vorsteher  des  Volke» 
(V.  1006) ,  das  leicht  seinen  Entschluss  ändert  *).  Sophokles'' 
Stück  hingegen  ist  aus  freier  Phantasie  geschaffen ,  weshalb 
Aeschylus  natürlich  keine  Rücksicht  darauf  nehmen  konnte, 
so  wenig  als  auf  die  nach  ihm  entstandene  Sage  von  Kolonos. 
Letztere  hätte  freilich  ein  befriedigenderes  Ende  geboten. 

Der  Stoffe  der  Atriden trilogie*)  war,  wenigstens  für  einei^ 
athenischen  Dichter ,  günstiger  gelagert.  Die  grässliche  That 
des  Atreus  Hess  Aeschylus  mit  gutem  Geschmacke  nur  wie  ge- 
spensterhaft in  Kassandras  Vision,  der  bei  der  Aufführung 
wirkungsvollsten  Scene  *)  erscheinen,  und  lieh  sie  Aigisthos  zur 
Rechtfertigung  des  Mordes,  wie  die  Opferung  Iphigenies  seiner 
Mitschuldigen.     Indem  der  Tragiker  im  „Agamemnon"  *)so- 

1)  Aristoph.  Ran.  1021 ;  .Ihnliches  dem  Georgias  zugeschrieben :  Plutarch, 
qnaest.  symp.  7,  10,  2  (offenbar  anch  Philodem,  de  mus.  III  16,  10  p.  127 
Kemke). 

2)  Darauf  deuten  schon  die  Worte  Spata*  xt  koXic  >ial  fi*']  SpctTai  xob^ 
xXdtovtac  üoXovetx'rj  V.  1066  f. ;  nach  V.  1055  f.  betrachtet  Aeschylos  das  Ge- 
schlecht als  ausgerottet,  mithin  hat  alles  ein  Ende.  U.  v.  Wilamowitz- 
Hermes  21,  606  A.  3  verwirft  die  Schi ussscene,  die  schon  Rochefort  the&tre 
de  Bmmoy  I  418  für  überflässig  erklärt  hatte.  Vgl.  Joh.  Oberdick  de 
exitu  fabulae  Aeschyleae  quae  Septem  adv.  Th.  inscribitur,  Pr.  v.  Arns- 
berg 1877. 

3)  K.  Fr.  Nägelsbach  de  religionibus  Orestiam  continentibus.  Erlangen 
1843;  Mo  11  wo  Darlegung  des  inneren  Ganges  der  äsch.  Orestie,  Pr.  v.  Parchim 
1862;  Ferd.  Hüttemann  die  Poesie  der  Orestessage  I.  Pr.  v.  Braunsberg  1871^ 

4)  So  berichtet  das  Argument. 

5)  K.  Frd.  Nägelsbach  quaestiones  Aeschyleae,  Gratulationsschrift  v. 
Erlangen  1858;    Ferd.  Bamberger   opuscula    p.  37 ff.;   Max  Planck  über 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  26 1 

wohl  auf  feinere  Charakteristik  der  Personen  (S.  166  A.  1) 
als  auf  sorgfältige  Begründung  der  Bluttbat  verzichtet,  strebt 
^r  einerseits  einheitliche  Grundstimmung  andererseits  die  Vor- 
bereitung des  Folgenden  an.  So  ruht  über  der  Handlung  eine 
unheimliche  gewitterschwüle  Stimmung ,  weil  Klytaimestra  die 
Maske  der  treuen  Frau  in  der  Oeffentlichkeit  noch  nicht  fallen 
gelassen  hat^).  Durch  ihre  arglistige  Falschheit  ruft  sie  unsere 
Verachtung  hervor,  welchen  Eindruck  der  zugleich  freche  und 
feige  Aigisthos  nur  verstärkt;  auch  ohne  dass  der  Chor  aus- 
drücklich auf  Orestes  hinweist,  fühlt  ein  jeder,  dass  eine  solche 
T?hat  nicht  unbestraft  bleiben  darf. 

Die  „Choep hören"*),  nach  dem  Frauenchor,  welcher 
mit  Elektra  zu  Agamemnons  Grabe  Spenden  bringt ,  benannt, 
•schildern  die  verdiente  Strafe ,  so  dass  natürlich  Orestes ,  der 
Vollstrecker  derselben  im  Mittelpunkt  steht,  während  Aeschylus' 
Elektra  die  Zurückhaltung  der  sophokleischen  Chrysothemis  be- 
obachtet. Die  Erkennung  der  Geschwister  und  die  Rache  sind 
mit  naiver  Einfachheit  geschildert ;  denn  Aeschylus  stellt  wieder 
den  pathetischen  Eindruck  über  den  dramatischen  Aufbau. 
Er  bringt  also  die  Tötung  des  Aigisthos  mit  richtigem  Gefühle 
vor  dem  Höhepunkt,  dem  Muttermord,  wodurch  zugleich  das 
matte  Ende  der  sophokleischen  Elektra  vermieden  und  ein  er- 
greifender Uebergang  zum  dritten  Stücke  gewonnen  wird.  Denn 
obgleich  Orestes  in  langer  Hin-  und  Herrede ,    dergleichen  die 


den  Gmndgedanken  des  äsch.  Ag.,  Pr.  v.  Ulm,  Tübingeu  1859;  Conr.  Rahe 
de  Ag.  Aeschjleo,  Pr.  v.  Rheine,  Münster  1864. 

1)  Aeschylus  zieht  absichtlich  das  Geschick  des  kleinen  Orestes  nicht 
in  Betracht. 

2)  Oskar  Baumgarten  quaestt.  scenicae  in  Aeschyli  Choephoris,  Diss. 
V.  Halle,  Berlin  1878.  Die  „Cboephoren^^  sind  sehr  oft  mit  den  beiden  Elektren 
▼erglichen  worden:  Karl  Ferd.  Wieck  zwei  Abh.  über  die  El.  des  Soph.  u. 
die  Ch.  des  A.,  Pr.  v.  Merseburg  1825;  Job.  Vinc.  Westrick  de  Aeschyli 
-Cb.  deque  Electra  cum  Sophoclis  tum  Eur.,  Leiden  1826;  Wissowa  de 
Ch.  Aesch.,  Soph.  et  Eur.  EI.,  Leobschütz  1835;  F.  F.  Feld  mann  Aesch. 
Choßphori,  Sophoclisque  Euripidisque  El.  idem  argumentum  tractantes  inter 
se  comparatae,  Pr.  v.  Altona  1839;  Gruppe  Ariadne  S.  Iff. ;  Borschke 
Aesch.  u.  Soph.,  Wien  1872  S.  19ff.;  W.  Gerhard  van  der  Weerd  d.  Aesch. 
•Choepb.  et  Soph.  Euripidisque  Electris  ad  elegantiae  rationes  inter  se  com- 
paratis,  Diss.  ▼.  Utrecht,  Deventer  1874;  Ludw.  Fischer  die  Choeph.  des 
Aesch.  u.  die  Elektren  des  Soph.  u.  Eur.,  Pr.  v.  Feldkircb,   Innsbruck  1875. 


Digitized  by 


Google 


262  Vn.  Kapitel. 

prozessliebenden  -^^hener  gerne  hörten,  das  Recht  der  Blutrache 
scheinbar  siegreich  gegen  seme  Mutter  verteidigt  hat,  bricht 
die  Naturgewalt  Göttergebot  und  Menschenrecht ;  es  erscheinen, 
ihm  allein  sichtbar  *),  die  Erinyen  und  treiben  den  Verzweifeln- 
den von  der  Stelle  des  Mordes  fort.  Der  Chor  stellt  Apollos 
Hilfe  in  Aussicht  (V.  1059  f,). 

Das  dritte  Stück,  die  ,,Eu  meniden*'^  enthält  mehrdea 
'  Erstaunhchen  als  des  Pathetischen.  Eumeniden,  Götter,  Geister, 
Volksversammlungen  —  das  gab  viel  zu  schauen,  aber  eine 
wahre  Tragödie  entstand  daraus  nicht.  Das  Stück  hat  ein 
zwischen  den  Choephoren  und  der  Sühne  vermittelndes  Vorspiel, 
damit  man  den  delphischen  Gott  in  eigener  Person  die  Ent- 
scheidung an  die  Athener  verweisen  höre.  In  Athen  findet  eine 
regelrechte  Gerichtsverhandlung  statt,  doch  der  Dichter  interessiert 
sich  und  sein  Publikum  viel  mehr  für  die  ehrenvolle  Rolle  der 
Stadt  und  die  Einsetzung  des  Eumenidenkultus  als  für  den 
unseligen  Muttermörder;  vor  allem  lenkt  die  Prozession,  womit 
das  Stück  beschlossen  wird,  die  Aufmerksamkeit  gänzlich  von 
ihm  ab.  Im  „Oedipus  auf  Kolonos"  dürften  die  Ansprüche 
des  Patriotismus  uud  der  Sühnungsgedanke  glücklicher  vermit- 
telt sein;  denn  Aeschylus  hat  den  Konflikt  zwischen  Erinyen- 
recht  und  Blutrache  doch  nur  äusserlich  befriedigend  gelöst, 
nach  der  heutigen  Anschauung  wenigstens ,  da  seine  Erlnyea 
statt  aus  rechtlicher  Ueberzeugung,  aus  selbstsüchtigen  Gründen* 
von  der  Verfolgung  abstehen.  Diese  uuversönlichen  Rächerinen 
waren  ja  auch  auf  der^  Wache  eingeschlafen  und  mussten  durch 
Klytaimestras  Geist  an  ihre  Pflicht  gemahnt  werden  ! 

Die  „Perser"^)  verdienen  als   einziges  Muster  des  histo- 
rischen Dramas  in  unserem  Sinne  das  höchste  Interesse.    Durch 


1)  y.  1061,  also  auch  deu  Zuschauern  so  wenig  als  ihnen  Kassandras^ 
Vision  leibhaftig  yorgefährt  wird. 

2)  Ludw.  Döderlein  de  Aeschyli  Eum.,  Erlangen  1820;  H.  Rötschßr 
de  Aesch.  Enm^nidnm  ratione  et  consilio,  Bromberg  1837;  Max  Emil  Seyss 
über  die  poetische  Komposition  der  Enm.  v.  Aischylos,    Pr.  v.  Villnch  1873. 

3)  S.  146  A.  4;  dazu:  K.  Prien  Rhein.  Mus.  7,  208ff.;  Gnst.  Friedr. 
Gilljam  de  fabula  Aeschylea  qnae  Persae  inscribitur,  Upsala  1857;  Comte 
de  Marcellus  Revue  arch^ol.  n.  s.  I.  (1860)  p.  286flf.;  Frz.  Ad.  Bülau  de 
Aeschyli  Persis,  Göttingen  1866;  Lundmann  Persae  Aeschylea  quo  con- 
silio conscripta  videatur,  Diss.  v.  Upsala  1869. 


Digitized  by 


Google 


Ae8chylu8.  263 

die  Einheit  des  Ortes  und  der  Zeit  war  der  Dichter  von  vorn- 
herein verhindert,  die  geschichtlichen  Handlungen  selbst  vor- 
zuführen, daher  gab  er,  wie  Wielaud,  indem  er  die  Perser  mit 
einer  Cantate  verglich,  zutreffend  bemerkte  '),  *,eine  Darstellung 
von  Gefühlen,  die  durch  eine  gegebene  Handlung  erregt  werden*'; 
dem  entspricht  das  Vorwiegen  der  pathetischeren  Tetrameter, 
während  der  Trimeter  hauptsächlich  den  Erzählungen  zukommt. 
Aeschylus  fasste  seine  Aufgabe  so  hoch  als  möghch,  in  der 
Weise,  dass  er  die  geistigen  Ideen  des  grossen  Krieges  abspiegelte. 
Er  erbhckte  in  ihm  nicht  allein  den  Verteidigungskampf  eines 
freiheitshebenden  Volkes,  auch  nicht  bloss  ein  Ringen  von 
Barbarentum  und  Hellenismus,  sondern  ein  leuchtendes  Beispiel, 
wie  die  Unsterblichen  dem  schlichten  Gottvertrauen  über  den 
prahlerischen  Uebermut  eines  unersättlichen  Despoten  den  Sieg 
verleihen  ^.  Hiemit  hat  der  Dichter  jedenfalls  Herodots  Auf- 
fassung bestimmt;  doch  mögen  ähnliche  Ideen  damals  gang 
und  gäbe  gewesen  sein,  da  die  Athener  eine  Ötatue  der  Nemesis 
nach  Marathon  weihten.  Wo  war  aber  nun  jene  Auffassung 
realisierbar  ?  Auf  dem  Schauplatze  des  Krieges,  wo  die  Sieger 
sich  kleinlich  um  den  Ehrenplatz  und  den  Siegespreis  stritten 
und  nicht  einmal  in  der  höchsten  Gefahr  von  ihren  Zänkereien 
abliessen?  Nein,  die  Grösse  des  hellenischen  Erfolges  erscheint, 
durch  solche  KleinUchkeiten  ungetrübt,  in  dem  Jammer  des 
verödeten  Persiens  und  der  ratlosen  Gebrochenheit  der  einst  so 
übermütigen  FürstenfamiUe,  ohne  dass  der  würdige  Dichter  die 
besiegten  Feinde  verächtlich  macht  *).  Xerxes  trägt  nach  seiner 
Auffassung  die  Schuld;  der  Geist  des  Dareios  spricht  seinem 
Sohne  selbst  das  Urteil  und  deckt  die  sittUchen  Gründe  der 
Katastrophe  auf.  Auf  der  anderen  Seite  hebt  der  tapfere 
Streiter  die  Verdienste  seiner  Bürgerschaft  ohne  Ruhmredigkeit 
hervor,  wobei  er,  der  repubUkanischen  Eifersucht  Rechnung 
tragend,  keinen  Einzelnen  nennt ;  von  einer  FeindseUgkeit  gegen 
Themistokles    zu    sprechen,    gibt   Aeschylus   keinen   Anlass*). 


1)  Attiscbee  Mnseum  IV  8.  22. 

2)  Dieas  heisst  V.  362  ^sutv  (p^6vo(;. 

3)  Dennoch  woUten  Sintenis  de  Aeschyli  Persis,  Lpg.  1794  (dagegen 
AUg.  Lit.-Ztg.  1796  Nr.  252),  Blomfield  Ausg.  8.  Xn  nnd  Härtung  Vor- 
rede zur  Uebers.  Hohn  und  Schadenfreude  wahrnehmen. 

4)  8.  145;'Pas80w    oposcula   p.  Iff.;   W^elcker   Rhein.   Mus.   1837 


Digitized  by 


Google 


264  Vn.  Kapitel 

Auf  seinen  Feldzügen  und  auch  wohl  durch  erbeutete  Sklaven 
hatte  Aeschylus  leicht  eine  oberflächliche  Kenntnis  der  persischen 
Verhältnisse  gewonnen,  so  dass  er,  nach  athenischen  Begriffen 
wenigstens,  den  Lokalton  traf.  Allein  so  wenig  man  ihn  wegen 
eines  Irrtums  ^)  tadeln  dürfte,  so  irrig  wäre  es,  die  „Perser"  wie 
ein  Geschichtswerk  zu  benützen  *). 

Vor  Sophokles'  Auftreten  überstrahlte  Aeschylus  alle  seine 
Kunstgenossen  bei  weitem.  Er  erhielt  dreizehn  Mal  bei  den 
athenischen  Dionysien  'den  ersten  Preis ')  und  sein  Ruhm  drang 
nicht  bloss  zu  Hieron,  sondern  sogar  die  delphische  Priester- 
schaft trug  ihm  die  Abfassung  eines  Päans  auf,  was  der 
Dichter  bescheiden  ablehnte,  weil  er  mit  dem  mustergiltigeu 
Werke  des  Tynnichos  nicht  konkurrieren  wolle*).  Aeschylus 
durfte  stolzen  Sinnes  sagen:  „Meine  Dichtung*  ist  nicht  mit 
mir  gestorben"  *).  Trotzdem  dass  er  der  Heimat  verbittert 
den  Rücken  gekehrt  hatte  oder  vielleicht  gerade  deswegen  weil 
sie  ihr  Unrecht  wieder  gut  machen  wollten,  beschlossen  die 
Athener,  seine  Tragödien  ausnahmsweise  an  den  grossen  Dio- 
nysien zum  Wettkampf  mit  den  neuen  zuzulassen  *),  wie  wenn 
sie  sagen  wollten,  dass  Aeschylus'  Werke  immer  neu  blieben; 
auf  diese  Weise  errang  sein  älterer  Sohn  Euphorion,   welcher, 


B.  205  ff.;  anders  Bai  au  a.  O.  p.  15ff.  Er  erwähnt  z.  B.  die  heimliche 
Botschaft.  Ueher  das  Historische:  Eman.  Hannack  das  Historische  in  den 
Persern  des  Aischylos,  Pr.  des  akad.  G.,  Wien  1865;  Friedr.  van  Hoffs  de 
rerum  historicarnm  in  Aeschyli  Persis  tractatione  poetica,  Diss.  v.  Münster, 
Köln  1866;  Wilh.  Hamacher  die  Sohlacht  hei  Salamis  nach  den  Persern 
des  Aeschylos,  Trier  1871;  Weck  lein  Sitznugsber.  der  bayer.  Akad.  1876 
6.  239  fr. 

1)  Keiper  Acta  semlnaril  Erlangensis  I  175  fr.  Jahrbb.  f.  Philol.  119, 
93  ff.   Blätter  f.  bayer.  Gymnasialschalw.  15,  6  ff.  (über  Atossa). 

2)  Nach  Köchly  ging  der  Schlnss  der  Tragödie  verloren,  was  G.Wille 
de  Persarum  fabnlae  Aeschyleae  parte  extrema,  Pr.  v.  Bangershausen  1886 
bestreitet.    S.  auch  Aug.  Ferd.  Näke  Opuscula  philol.  I  p.  193  ff. 

3)  Vita  Z.  14.  Suidas  ol  li  (sonst  28). 

4)  Porphyr,  abstin.  2,  18. 

5)  Aristoph.  Ran.  868. 

6)  Schol.  Aristoph.  Acham.  10.  Ran.  893  (892).  Philostrat.  vit.  ApoU. 
6  praef.  11.  Vita  a.  0.,  vgl  Roh  de  Rhein.  Mus.  38,  289  f.  So  ist  Ari£topb. 
Acharn.  10  zu  erklären;  auch  die  „Perser^'  (Ran.  1026 f.)  blieben  auf  diese 
Weise  populär. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  265 

wie  der  andere  Euaion  genannte,  in  Aeschylus'  Fusstapfen 
trat,  ohne  mehr  als  der  Sohn  eines  berühmten  Mannes  zu 
werden,  vier  Siege  mit  den  Stücken  des  Vaters  ^).  Damit  ist 
durchaus  nicht  gesagt,  dass  bei  solchen  Wiederholungen  der 
ursprüngliche  Text  verbessert ,  wie  ein  Alter  meinte  *) ,  oder 
nach  der  Ansicht  einiger  Neueren  verschlechtert  wurde  ^)]  wenn 
Aristophanes  auf  die  „Perser'*  anspielte,  wird  er  nicht  ein 
schiiftliches  Exemplar  nachgeschlagen  haben.  Dem  Sinne  nach 
trifft  er  ja  vollkommen  das  Richtige*). 

In  dem  Ringen  der  Religiosität  und  alten  Sitte  mit  Auf- 
klärung und  Radikalismus  ward  Aeschylus  ein  Streitname  für 
die  Konservativen  und  die  heftige  Opposition,  welche  Euripides 
erregte,  kam  ihm  zu  Gute;  denn  wer  dessen  Grundsätze  verab- 
scheute, zog  sich  zu  Aeschylus,  dem  dichterischen  Vertreter 
des  ehrenfesten  Altathen,  zurück.  Solche  verlangten  im  Theater 
aeschyleische  Stücke  und  sangen  bei  Tische  Lieder  von  ihm*). 
Indes  kann  man  nicht  verkennen,  dass  in  der  Zeit  der  Epigonen 
das  Verständnis  für  Aeschylus  schwand.  Plato  steht  ihm  kühl 
gegenüber  und  Aristoteles  verhält  sich,  ohne  direkte  Polemik, 
entschiedend  ablehnend  gegen  seine  Eigenart.  Immerhin  blieb 
Aeschylus  auf  dem  Repertoire^,  lieferte  den  Alexandrinern 
manches  pompöse  Wort  ^)  und  bot  dem  Pantomimus  wirkungs- 
volle  Schaustücke,    z.   B.    stellte   Telestes   die   „Sieben   gegen 


1)  Saidas  n.  E&^opicov. 

2)  Quintilian.  10,  1,  66. 

8)  Prometheus:  Bich.  Förster  de  attractionis  nsa  Aeschyleo,  Breslau 
1866;  Herrn.  Kr  am  er  Prometheam  vinctum  esse  fabnlam  correctam,  Frei- 
bürg  1878;  Alb.  Röhlecke  Septem  advers.  Thebas  et  Prom.  vincfcum  esse 
fabulas  post  Aeschylum  correctas,  Berlio  1882;  Brubus  Jahrbb.  Sappl.  15, 
298 f.;  „Sieben":  W.  Richter  quaestiones  Aeschyleae,  Berlin  1878  (dagegen 
Wecklein  Jen.  Literatarztg.  1879  Nr.  14);  Böhlecke  a.  O. 

4)  Ran.  1026  f.  Eratosthenes  und  Andere  vermuteten  deshalb,  er  meine 
eine  in  Syrakus  (I)  aufgeführte  Bearbeitung  der  Tragödie  (Eine  ähnliche  Kom- 
bination machte  Aristarch  zu  Y.  1230  (1237)  bezüglich  des  euripideischen 
Archelaos).    Auch  Gruppe  Ariadne   S.  83  ft.    nimmt   eine  Umarbeitung  an. 

5)  Aristoph.  Acham.  10  und  besonders  in  den  „Fröschen'^;  Nub.  1367 
mit  Schollen  n.  im  Gerytades  bei  Athen.  8,  365  b. 

6)  Vgl.  Amphis  fr.  30,  6  mit  Kocks  Note;  Alciphr.  epist.  3,48,  1  (wohl 
aus  einem  Komiker). 

7)  O.  Schneider  Callimachea,  im  Register  II  S.  850;  Is.  Tzetz.  in 
Lycophr.  855. 


Digitized  by 


Google 


266  Vn.  Kapitel. 

Thebeu**  dar^).    Am  meisten  scheint  man  noch  die  Satyrspiele 
anerkannt  zu  haben  '). 

Die  Gelehrten  der  alexandriniscben  Zeit  Hessen  Aeschylus, 
soweit  er  nicht  im  Zusammenhang  mit  seinen  beiden  Genossen 
betrachtet  wurde,  gleichgiltig  bei  Seite ^).  Die  Schriften  von 
Glaukos  *)  und  Chamaileon  (S.  244)  haben  wir  bereits  erwähnt. 
Der  Atticismus  erhöhte  Aeschylus'  Ansehen  wieder  etwas :  Der 
Rhetor  Dionysios  fällte  ein  verhältnismässig  sehr  günstiges 
Urteil  über  ihn^),  der  junge  Cicero  bearbeitete  „Glaukos' '  in 
Tetrametern  ^)  und  auch  unter  den  Dichtern  hatte  der  Tragiker 
manchen  Freund').  Gelesen  wurde  er  immer,  weshalb  D lo- 
gen ei  an  os  ein  Glossar  verfasste^,  aber  teils  die  ziemliche 
Spärlichkeit  memorierbarer  Sentenzen,  teils  die  Schwierigkeit 
des  Verständnisses  ^)  führten  dazu ,  dass  man  schon  am  Ende 
des  fünfton  Jahrhunderts,  wie  der  metrische  Leitfaden  des 
Eugenios  zeigt  (S.  133),  über  drei  Dramen  nicht  hinauszugehen 
pflegte,  die  jedenfalls  keine  anderen,  als  die  von  den  Byzantinern 
in  den  Schulen  gelesenen  Stücke  Prometheus ,  Sieben  und 
Perser^®)  waren.  Diese  wmrden  denn  unendlich  oft  abgeschrieben 
und  mit  Anmerkungen  versehen,  z.  B.  von  Thomas  Ma- 
gistros  und  Triklinios  ^^).     So.  ist  es  eigentlich  aufifallend, 

1)  Aristokles  bei  Athen.  1,  22  a. 

2)  Vgl.  Menedemos  bei  Diogen.  Laert.  2,  133. 

3)  Aristophanes  ist  nicht  mit  Sicherheit  den  Erklärern  beizuzählen 
(vgl.  Schneidewin  Philol.  9,  159;  Nauck  Aristoph.  Byz.  frgm.  p.  G2); 
einen  Kommentar  Aristarchs  zum  Lykurgos  citiert  Schol.  Theocrit.  10, 18; 
Didymos:  Job.  Jos.  Frey  de  AeschyJi  scholiis  Mediceis,  Bonn  1857  p.  32  ff. 

4)  Argum.  Pers. 

5)  Vet.  Script,  cens.  10. 

6)  Plntarch.  Cic.  2. 

7)  Propert.  2,  25,  41  f.i  lobende  Epigramme  Anthol.  Pal.  VII  39.  40.  411. 

8)  Schol.  Hermog.  Bekker  Anecd.  p.  1073  =  Walz,  rhetor.  V  486  adn.; 
Imitationen  bei  Chorikios:  Job.  Malchin  de  Choricii  Gazaei  veterum  Grae- 
cornm  scriptorum  studiis,  Kiel  1884  p.  44  f. 

9)  Tzetz.  ad  Aristoph.  Ran.  1328. 

10)  Vgl.  Job.  Tzetz.  epist.  22. 

11)  Diudorf  Philol.  20,  Iff.  (Triklinioa  zu  Agamemnon),  S.  385  ff. 
(Thomas  zu  den  Sieben),  21,  193  ff.  (Triklinioa  zu  den  „Sieben";  er  verweist 
in  seinem  Sophokleskommentar  p.  279,  12.  298,  26.  322,  18  Dind.  darauf); 
Mor.  Schmidt  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  21,  280  f.  und  Mitteilungen 
ans  Wiener  Handschriften  1856  S.  14 ff.;  zum  Argument  der  „Perser"  Stude- 
mund  Anecdota  p.  238  f. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


Aeschylus.  267 

dass  die  übrigen  vier  Tragödien  erhalten  blieben;  allerdings 
ruht  unsere  Kenntnis  auf  einer  einzigen  Stammhandschrift,  in 
welcher  die  Schlussverse  des  Agamemnon  und  der  Anfang  der 
Choephoren  herausgerissen  waren.  Der  beste  Vertreter  ist  ohne 
Frage  der  berühmte  Mediceolaurentianus  (32,  9)  aus  dem 
Anfange  des  elften  Jahrhunderts  *) ,  sowohl  was  den  Text  als 
was  die  in  Uncialschrift  beigesetzten  Schoüen  anlangt;  da  er 
den  Agamemnon  sehr  lückenhaft  (ohne  295 — 1026  und  1118  ff.) 
enthält,  haben  hier  andere  Handschriften,  besonders  eine  rund 
um  1400  geschriebene  Florentiner  und  ein  nur  Ag.  1 — 348 
enthaltender  Codex  der  Marciana  Wert.  Man  kann  von  der 
Vortrefflichkeit  des  Mediceus  überzeugt  sein,  ohne  deshalb  die 
anderen  Handschriften  zu  ignorieren*);  sind  doch  ihre  Schollen 
unabhängig  und  von  den  mediceischen ,  welche  im  Ver- 
gleich mit  den  Schollen  zu  Sophokles  und  Euripides  gar 
wenige    Gelehrsamkeit  gerettet   haben  *),   nicht   sonderlich    ab- 


1)  Vgl.  Ritscbl  in  der  Ausgabe  der  „Sieben"  und  Weckleins  Ausgabe, 
ATelcbe  die  genaueste  Kollation  enthält;  Merkels  Abdruck  (Oxford  1861)  ist 
unzuverlässig  (Rud.  Scholl  Hermes  11,  219 ff.). 

2j  Die  Alleinherrschaft  des  Mediceus  stellte  zuerst  G,  Burgess  in  der 
Ausgabe  der  Snpplices  1821  p.  41  auf;  dann  Cobet,  Kirchhoff,  W.  Dindorf 
PhUol.  18,  55  ff.  und  in  der  Vorrede  der  Leipziger  Ausgabe ;  K.  PrienBeitr, 
zur  Kritik  v.  Aeschylus'  Sieben,  Lübeck  1858  S.  45  ff. ;  M.  S  o  r  o  f  de  ratione 
quae  inter  eos  Codices  recentiores  qnibus  Aeschyli  fabulae  Prom.  Sept.  adv, 
Th.  Persae  continentur  et  cod.  Laur.  intercedat,  Berlin  1882;  Wecklein 
Berliner  philol.  Wochenschrift  1884  Sp.  903  ff.  u.  PhUol.  31,  718  ff. ;  anders 
Mor.  Haupt  in  G.  Hermanns  Ausgabe;  H.  L.  Ah rens Philol.  Sappl.  1,214 ff.; 
Heimsöth  die  indirekte  Ueberlieferung  des  Aeschylu»-Textes,  Bonn  1862 
8.  5  ff.  176  f.  epistula  Florentina  de  codice  Laurentiano  IX.  plut.  XXXII, 
Bonn  1876;  H.  Keck  Ausg.  des  Agam.  S.  198 ff.  Ad.  Reuter  de  Promethei 
Sept.  Pers.  Aeschyli  fabularum  codicibus  recentioribus,  Diss.  v.  Rostock, 
Hirschberg  1883.  —  Mitteilungen  über  Handschriften:  Vauvilliers  Nach- 
richt Y.  fünf  Pariser  Handschr.  des  Aesch.,  Hildbnigh.  1792;  Pierron  An* 
nuaire  de  Tassoc.  pour  Tenc  des  4t.  gr.  1869  p.  22ff.;  E.  Miller  Revue 
arch^l.  20  (1869  H)  p.  50 ff.;  Acta  philol.  Monac.  L  316 ff.;  R.  Merkel 
Aesch.  in  italienischen  Handschr.,  Lpg.  1868  (unvollendet);  Dindorf  Philo). 
18,  60.  64 f.  (über  einen  Kodex  von  Neapel);  Nauck  Bulletin  de  l'acnd.  de 
St.  Petersb.  6  (1863)  p.  296  ff.  =:  M^langes  Gr^corom.  U.  p.  487  ff. ;  K.  Zacher 
Hermes  18,  472  ff.  (Codex  Bononiensis). 

3)  Job.  Jos.  Frey  de  Aeschyli  scholiis  Mediceis,  Bonn  1857  verzeichnet 
p.  31  f.  die  Citate,  p.  24  f.  die  Anführungen  früherer  Erklärer  und  p.  27  f. 
die  kritischen  Zeichen. 


Digitized  by 


Google 


268  Vn.  Kapitel. 

Stechend^).  Die  letztere  Frage  ist  übrigens  nicht  von  grossem 
Belaug,  denn  aus  byzantinischen  Paraphrasen  eines  schwierigen 
verderbten  Textes  eigentümliche  alte  Lesarten  herauszuschälen, 
dürften  wenige  den  Mut  haben*). 

Im  Drucke  erschien  der  Text  der  aeschyleischen  Tragödien 
erst  1518  durch  die  vereinte  Bemühung  von  Aldus  Manutius 
und  Franc.  Asulanus.  Fr.  Robortellus  gab  zu  Venedig  1552 
(in  welches  Jahr  auch  ein  Pariser  Druck  von  Tumebus  fällt) 
den  Text  nach  besseren  Handschriften  heraus  und  fügte  die 
Schoüen  in  einem  besonderen  Bändchen  bei ').  Der  Wert  der 
1557  erschienenen  Bearbeitung  des  Henricus  Stephanus  (gleich- 
falls von  Scholien  begleitet)  beruht  teils  auf  Petrus  Victorius* 
Beiträgen ,  teils  auf  der  Vervollständigung  des  „Agamemnon", 
nachdem  Robortellus  die  Choephoren  abgesondert  hatte.  Unter 
allen  Kritikern  dieser  Zeit  leuchtete  J.  Auratus  (Jean  Dorat),  nach 
G.  Hermann  (zu  Ag.  1396)  „omnium  qui  Aeschylum  attigerunt 
priiiceps**,  hervor,  obgleich  er  nur  eine  Probe  („Prometheus", 
Paris  1548)  selbst  veröftentUchte.  Den  ersten  tüchtigen  Kom- 
mentar gab  Thomas  Stanley  (London  1663  foL).  Die  gelehrten 
Bemerkungen  der  älteren  Philologen  sind  in  mehreren  Sammel- 
ausgaben aufgespeichert,  zuerst  von  Chr.  G.  Schütz  (Halle  1782 
—94,  3  Bde.;  die  dritte  Auflage,  1809—21(2),  ist  durch  zwei 
die  Schohen  und  Fragmente  enthaltenden  Bände  vermehrt), 
S.  Butler  (Canterbury  1809—15,  8  Bde.)  und  A.  Wellauer 
(Leipzig  1823 — 30,   3  Bde.,    zu    denen  ein  Wörterbuch  kam). 


1)  Nur  eine  Verwässerung  der  mediceischen  Scholien  nach  Sorof  (s.  o.), 
W.  Dindorf  und  Weck  lein  philol.  Wochenschrift  1882  Sp.  l()92f.;  umge- 
kehrt erklärt  Heimsöth  de  ratlone  quoe  intercedat  inter  Aeschyli  scholia 
Medicea  et  scholiostam  A,  Bonn  1868  die  mediceischen  für  ein  Excerpt.  Die 
gegenseitige  Uuahhängigkeit  vertritt  W.  Seelraann  de  propagatione  scholi- 
orum  Aeschyleorum,  HaUe  1875.  —  Ueher  die  Scholien  vgl.  auch  £.  J.  Kiehl 
de  Prometheo  Aeschyli  denuo  edendo,  Leiden  1850. 

2)  Dies  versucht  Heimsöth  die  indirekte  Ueherlieferung  des  Aesch., 
Bonn  1862  u.  die  Wiederherstellung  der  Dramen  des  Aeschylos,  Bonn  1861; 
über  den  textkritischen  Wert:  Com.  Mar.  Francken  vanMuiden  de  anti- 
quarum  Aeschyli  interpretationum  ad  genuiuam  leotionem  restit.  usn  et  auc- 
toritate,  Utrecht  1845  u.  de  Aeschyli  scholüs  Laurentianis,  Miscellanea  philol. 
fasc.  I.  Amsterdam  1854,  welche  Arbeiten  durch  Weckleins  Ausgabe  anti- 
quiert sind  (s.  Philol.  Wochenschrift  1884  Sp.  905  ff.). 

3)  Marckscheffel  Rhein.  Mus.  5,  164 ff. 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  26^ 

Der  von  Ritscbl  besorgte  Apparatus  criticus  et  exegeticus  in 
Aeschyli  tragoedias  (Halle  1832,  2  Bde.)  umfasst  Stanleys 
Commentar  und  Abreschs  animadversiones  ad  Aeschylum 
(Middelb.  u.  ZwoUe  1743—63,  2  Bde.). 

In  unserem  Jahrhundert  tiberwiegt  die  Kritik  weit  über 
die  Erklärung:  R.  Porson  (Glasgow  1794,  London  1806,  2  Bde., 
wiederholt  von  Schäfer,  Lpg.  1812  u.  ö.  u.  Dindorf  ed.  IT.  Lpg. 
1850)  und  G.  Hermann  (hrsg.  von  M.  Haupt,  Lpg.  1852,  2  Bde.^ 
2.  A.  BerUn  1859)  ^)  zeichnen  sich  auf  dem  Gebiete  der  Divi- 
nationskritik  aus;  die  Benützung  der  Handschriften  begründete 
W.  Dindorf  (Oxford  1840—51.  Lpg.  1857.  *  1865) «).  Die  Aus- 
gäbe  von  Wecklein  (Berlin  1885,  2  Bde.)  bietet  die  genaueste 
Kollation  des  Mediceus  (für  Text  und  Schollen)  und  verzeichnet 
Tausende  von  Konjekturen  *);  durch  jene  werden  Ritschis 
berühmte  Bearbeitung  der  „Sieben"  (mit  Scholien  und  testi- 
monia,  Elberfeld  1853,  2.  A.  Lpg.  1875)  und  Kirchhoffs  mit  den 
Varianten  und  Scholien  des  Mediceus  versehene  Ausgabe  (Berlin 
1880)  wesentlich  berichtigt.  Den  lesbarsten  Text  mit  dem  nötigen 
Kommentar  hat  Heinrich  Weil  (Giessen  1858 — 67 ,  2  Bde., 
Paris  1861—66,  2  Bde.,  2.  A.  1884)  hergestellt. 

Die  Erklärung  erhielt  durch  C.  J.  Blomfield  (Canterbury 
1810—24,  Lpg.  1822—24,  ohne  Supplices  und  Eumenidae) 
eine  solide  grammatische  Grundlage.  An  Gesamtkommentaren 
ist  nach  Weil  höchstens  die  Ausgabe  F.  A.  Paleys  (Canterbury 
1846 — 51.  London  1870)  zu  nennen.  Von  den  erklärenden 
Ausgaben  einzelner  Stücke  verdienen  Erwähnung ;  Perser  von 
W.  Teuflfel,  Lpg.  1866,  3.  A.  von  Nik.  Wecklein  1886  (mit 
allgemeiner  Einleitung),  L.  Schiller,  Berlin  1869,  Job.  Oberdick, 
Berlin  1876;  Prometheus  von  G.  F.  Schömann,  Greifswald 
1844  (mit  Uebersetzung),  L.  Schmidt,  Berlin  1870,  Nik.  Weck- 
lein, Lpg.  1872;  Sieben  von  Ritschi  (s.  o.);  Orestie:  J. 
Franz,   Lpg.    1846;    Agamemnon:    R.  H.   Klausen,    Gotha 


1)  Vgl.   Frz.    V.    Frit zache   de    Aeschylo   Henuanni,   Ind.    lect.    von 
Rostock  1880. 

2)  Die  Oxforder  Ausgabe   enthält   auch   notae  variornm    (Bd.  n.)    nnd 
Scholien  (Bd.  IH.). 

3)  Allerdings  ohne  Fundort;  Nachträge  gibt  L.  Schmidt  Berl.  philol. 
l\^ochenschr.  1885  Sp.  804  ff. 


Digitized  by 


Google 


270  VII.   Kapitel. 

1833,  2.  A.  V.  R.  Enger,  I^pg.  1863;  C.  G.  Haupt,  Berlin  1837 
(mit  Scholien);  Th.  W.  Peile,  London  1840;  R.  Enger,  Lpg. 
1855,  2.  A.  V.  W.  Gilbert  1874-,  S.  Karsten,  Utrecht  1855,  K. 
H.  Keck,  Lpg.  1863  mit  Uebersetzung,  Fr.  Nägelsbach,  Erlangen 
1863  mit  Uebersetzung ,  F.  W.  Schneidewin,  Berlin  185B, 
2.  A.  von  0.  Hense  1883,  C.  van  Heusde,  Haag  1864  (mit 
Scholien);  Choephoren:  R.  H.  Klausen,  Gotha  1835,  F. 
Bamberger,  Göttingen  1840,  A.  de  Jongh,  Utrecht  1856; 
Eumeniden:  griechisch  u.  deutsch  mit  erläut.  Abhandl.  von 
O.  Müller,  Gott.  1833,  Anhänge  1834. 1835  (vgl.  Frz.  V.  Fritzsche, 

Recension  des  Buches Lpg.  1834,    zweiter  Anhang  zu 

Herrn  K.  0.  M's  E.  1835  u.  G.  Hermann  opuscula  VI  2); 
Schwenck,  Bonn  1821  u.  G.  Linwood,  Oxf.  1844  (beide  mit 
Scholien);  Schutzflehende:  Fr.  J.  Schwerdt,  Berlin  1858, 
J.  Oberdick,  BerUn  1869. 

Der  Uebersetzer  des  Aeschylus  *)  hat  kaum  geringere 
Schwierigkeiten  zu  überwinden  als  der  Pindars.  Vor  dem  Ende 
des  letzten  Jahrhunderts  war  daher  Aeschylus  ausserhalb  der 
gelehrten  Kreise  so  gut  wie  unbekannt,  was  für  die  nationale 
Literatur,  da  auf  diese  Weise  sonderbare  Nachahmungsversuche, 
wie  Bodmers  Karl  von  Burgund,  vereinzelt  blieben,  eher  ein 
Vorteil  war.  Erst  Fr.  Jacobs  weckte  durch  seine  Charakteristik 
des  Dichters,  die  Uebertragung  des  Prometheus  und  Beurteilung 
der  Perser  ein  richtigeres  Verständnis  für  die  altertümliche 
Schönheit.  Jetzt  häufen  sich  die  Zeichen  der  Teilnahme : 
Goethe  denkt  daran  die  „Schutzflehenden"  fortzusetzen,  Flax- 
man  wird  1795  zu  Illustrationen  begeistert,  F.  L.  zu  Stolberg 
übersetzt  vier  Stücke  (Hamburg  1802,  1823)  und  selbst  der 
Italiener  Alfieri  überträgt  die  Perser.  Dass  dieses  Interesse  sich 
nicht  minderte,  bewirkte  W.  von  Humboldts  Agamemnon 
<Lpg.  1816,  1857),  den  Goethe  „abgöttisch  verehrte",  vielleicht 
auch  die  irrige  Auffassung  des  „Prometheus".  Wir  nennen  an 
späteren  Versuchen  nur  die  Uebersetzungen  von  J.  G.  Droysen 
{Berlin  1832,  2  Bde.  » 1868),  Minckwitz  (Stuttgart,  zuletzt  1869), 
J.  C.  Donner  (Stuttg.  1854.  1869,  2  Bde.)  und  Ud.  v.  Wilamo- 
witz  (Agamemnon,  Berlin  1886). 


1)  Vgl.  Karl  Eichhoff  Jahrbb.  f.  Philol.  116,  186  ff.  609  ff . 


Digitized  by 


Google 


Aeschylus.  27 1 

Nützliche  Hilfsmittel  sind  W.  Di  ndorf  lexicon  Aeschyleum 
<Lpg.  1873)^)  und  Rud.  Klussmann  index  commentationum 
Aeschylearum  ab  a.  1858  maxime  in  Germania  editarum, 
Berlin  1878  % 


1)  Nachträge   ^bt   Ludw.    Schmidt    Ztsch.    1.    Gymnasialwesen    1873 
S.  893  ff. 

2)  S.  anch  Catalogue  of  printed  books  in  the  British  Museum.  Aeschy- 
lus, London  1883. 


Digitized  by 


Google 


Vm.  Kapitel. 
Sophokles. 


Biographien;   Leben    nnd  Cbarakter;   Zeit  der  Stücke;   die  beiden  Oedipns, 

Antigene,   Elektra,    Aias,    Philoktet;    G^eschicbte    der   Dichtungen;    Scholien, 

Handschriften  und  Ausgaben. 


Auch  über  Sophokles^  Leben  belehren  uns  in  zusammenhängender  Weise 
eine  anonyme  Biographie,  in  der  oft  ältere  Gewährsmänner,  namentlich  Istros 
und  Satyros,  citiert  werden,  (die  Triklinioshandschriften  bieten  sie  in  der 
Beceusion  des  Thomas  Magistros,  vgl.  Dindorf  Scholia  in  Soph.  tragg. 
p.  405)  und  ein  Artikel  des  Snidas  (vgl.  E.  v.  Leutsch  Philol.  25,  278; 
Philol.  Anz.  7,  205 f.).  Ich  eitlere  die-  Biographie  nach  O.  Jahns  Ausgabe 
der  Elektra,  wo  die  übrigen  testimonia  beigefügt  sind ;  mit  kritischem  Apparat 
steht  sie  auch  in  Dindorfs  Scholia  in  Soph.  tragg.  p.  1  ff.  (dazu  kommen  die 
von  Tischendorf  analecta  sacra  et  profana  ed.  II.  p.  225  mitgeteilten 
Varianten  einer  Handschrift  von  Kairo). 

Die  von  Lessing  1760  in  Bayles  Manier  verfasste  Biographie  des  Dichters 
(Sophokles.  Erstes  Buch.  Von  dem  Leben  des  Dichters,  Berlin  1790,  in 
I^chmanns  Ausgabe  6,  282  ff.)  ist  itlr  seine  Zeit  eine  hervorragende  Leistung. 
Jetzt  sind,  abgesehen  von  zahlreichen  populären  Vorträgen,  nur  K.  W.  Lange 
comm.  de  Sophoclis  vita  particnla,  Diss.  v.  Halle  1823;  Ferd.  Schultz  de 
vita  Sophoclis  poetae,  Preisschr.  von  Berlin  1836;  Ad.  Scholl  Sophokles. 
Sein  Leben  und  Wirken,  Frankf.  1842  (Abdruck  Prag  1870);  W.  Dindorf 
commentatio  de  vita  Sophoclis,  dritte  Oxforder  Ausgabe  Bd.  VUI  S.  m— LXX 
zu  nennen. 

Wenn  Aeschylus,  wie  wir  gesagt  haben,  das  alte  Athen 
würdevoll  repräsentiert,  veranschaulicht  Sophokles  den  peri- 
kleischen  Staat.  Schon  ihre  Abstammung  begründet  diesen 
Gegensatz,    denn  Sophokles'  Vater  Sophillos  ^)  war  keineswegs 

1)  Ueber  die  Schreibung  des  Namens  s.  Dindorf  Stephani  thesaurus 
VII  p.  525  u.  Naucks  Ausgabe  I  p.  2*;  XX  durch  Anthol.  Pal.  7,  21,  1 
gesichert. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


Sophokles.  273 

einem  altadeligen  Geschlechte  entsprossen,  sondern  ein  wohl- 
habender Fabrikant,  der  zum  Gau  Kolonos  Hippios  gehörte  ^). 
Das  Geburtsjahr  des  berühmten  Dichters  ist  wie  gewöhnlich 
nicht  genau  zu  bestimmen;  die  alten  Literarhistoriker  schwankten 
zwischen  Ol.  70,  4  (497/6)  und  71,  2  (495/4)«).  In  jungen 
Jahren  widmete  sich  Sophokles  der  Gymnastik  und  der  Musik, 
in  welch'  letzterer  der  bekannte  Lampros  ihn  unterrichtete, 
mit  soviel  Eifer  und  Geschick,  dass  er  öffenthche  Preise  erhielt  % 
Da  ihn  überdies  körperliche  Schönheit  auszeichnete*),  durfte 
der  Sohn  eines  einfachen  Bürgers,  als  man  den  Sieg  von  Salamis 
feierte,  den  Festreigen  der  Knaben  mit  der  Lyra  in  der  Hand 
anführen  *).  Noch  später  sprach  man  davon ,  wie  meisterhaft 
er  auf  der  Bühne  in  der  Rolle  des  Thamyras  die  Leier  gespielt, 
so  dass  der  Künstler,  welcher  ihn  in  der  Stoa  Poikile  darzu- 
stellen hatte,  ihm  dieses  sein  Lieblingsinstrument  in  die  Hand 
gab  *).  Sophokles  war  nicht  so  wie  der  geniale  Aeschylus 
geartet,  dass  er  mit  Ungestüm  die  Laufbahn,  zu  der  er  sich 
berufen  fühlte,  eingeschlagen  hätte.  Erst  mit  ungefähr  acht- 
undzwanzig Jahren,  nachdem  er,  wie  man  sagt,  bei  Aeschylus 
die  schwierige  Kunst  des  Inscenierens  erlernt  hatte  ^),  Ol.  77, 
4  (469),  trat  der  augenscheinlich  wohl  vorbereitete  Dichter  vor 


1)  TlxTü)v  ^  y(akTii6<;  Aristoxenos  in  der  V.  §.  1,  jj.axatpoicoi6(:  Istros 
V.  1  (der  Biograph  selbst  neigt  sich  zur  Ansicht  des  PUjiins  nat.  hist.  37,  40 
princifmli  loco  genitus) ;  wohlhabend  mass  die  Familie  gewesen  sein,  weil  sie 
eine  Gruft  besass  (V.  15).  Kolonos:  CIA.  I  237.  Androtion  fr.  44a  bei  Schol. 
Aristid.  p.  485  Dind.  (Campbell  Joamal  of  Philol.  7,  116 ff.  schildert  die 
Gegend) ;  V.  1  citiert  Straten  (Variante :  Istros)  für  Phleius,  offenbar  weil  er  in 
einem  Epigramm  sich  ähnlich  wie  Dioskorides  Anthol.  Pal.  7,  37,  3.  707,  4 
ausdrückte. 

2)  Nach  der  parischen  Chronik  war  er  469  bei  seinem  ersten  Siege 
28  Jahre  (Z.  72)  und  Ol.  93,  3,  als  er  starb,  91  Jahre  alt  (Z.  78),  wofür  L. 
Mendelsohn  Acta  soc.  philol.  Lips.  n  1  p.  169  ffl  eintritt;  nach  V.  2  (cpaot) 
Ol.  71,  2,  ebenso  Böckh  Antigene  S.  120;  Ol.  73  Snidas;  7  Jahre  nach 
Aeschylus,  24  vor  Euripides  V.  2.  Schol.  Aristoph.  Ran.  75.  Vgl.  AI.  Kolisch 
de  Sophoclis  anno  et  natali  et  fatali,  Diss.  v.  Halle  1878. 

3)  Istros  V.  3;  Lampros:  V.  3.  Athen.  1,  20  f. 

4)  Athen.  1,  20e  wird  durch  die  Bilder  des  Dichters  bestätigt. 

5)  V.  3.  Athen.  1,  20  f. 

6)  Athen.  1,  20  f.  V.  5  (?aoi). 

7)  V.  4. 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  13 


Digitized  by 


Google 


274  "^^ni.  Kapitel. 

das  Volk  und  erprobte  wieder  sein  merkwürdiges  Glück  ^) :  Der 
Anfänger  überwand  den  sieggewohnten  Altmeister  I  Damit  war 
er  sofort  ein  berühmter  Mann  geworden.  Dank  seiner  Liebens- 
würdigkeit und  Anmut  rang  er  dem  Volk  und  den  Choregen 
die  Erhöhung  der  Schauspielerzahl  und  die  malerische  Dekoration 
der  Scene  ab.  Da  aber  in  jenen  Zeiten  keiner,  der  nicht 
im  öflFentlichen  Leben  seinen  Platz  voll  ausfüllte,  etwas  galt, 
kam  ihm  das  Wohlwollen  der  Mitbürger  auch  hierin  zu  statten. 
Sophokles  wurde  in  Gesandtschaften  gewählt^,  mehrmals  gehörte 
er  zu  den  Strategen  und  zwar  einmal  in  einer  Zeit,  wo  der 
Abfall  von  Samos  die  athenische  Machtstellung  in  Frage  stellte 
(Ol.  85,  1);  Perikles  war  freilich  nicht  ganz  mit  ihm  zufrieden  *). 
Im  Jahre  443/2  (Ol.  84,  2)  sass  der  Dichter  gar  in  dem  Finanz- 
kollegium der  Bundesschatzmeister  *).  Noch  in  dem  stürnjischen 
Jahre  411  treffen  wir  ihn  in  der  Stellung  eines  Probulos  % 
Zugleich  war  Sophokles  mit  dem  Priestertum  des  heilkräftigen 
Heros  Alkon  betraut  und  scheint  in  dieser  Eigenschaft  den 
Kult  des  Asklepios  in  Athen  eingeführt  oder  wenigstens  ver- 
breitet zu  haben ;  vielleicht  geschah  dies  zur  Zeit  der  grossen 
Pest  ^).    Jedenfalls   begeisterte    der  Dichter  das  Volk  für  den 

1)  Ol.  77,  4  Chron.  Par.  Z.  72 ;  Ol.  77,  3  Hieron.  A,  2  Euseb.  armen. 
II.  Hieron.  P,  1  Hier.  F.  Mit  jener  Zahl  stimmen  die  „ungefähr  145  Jahre 
vor  Alexanders  Tod"  bei  Plin.  nat.  bist.  18,  65,  woraus  Lessing  schloss,  dass 
Sophokles  mit  dem  „Triptolemos"  debütierte;  aber  Plinins  sah  natürlich 
nicht  die  Didaskalien,  sondern  eine  Chronik  ein,  worin  er  Sophokles  zu  Ol. 
77,  4  notiert  fand.  Der  Sieg  wurde  von  der  Sage  umsponnen,  s.  Plutarch. 
Cim.  8. 

2)  V.  1  a.  E. 

3)  Androtion  fr.  44  a  bei  Schol.  Aristid.  p.  485  (vgl.  Fr.  R  i  1 1  e  r  Rhein. 
Mus.  2,  180ff.    E.  v.  Leutsch  Philol.  35,  226);  auf  der  Fahrt  nach  Lesbos: 

.Ion  bei  Athen.  13,  603  f;  Anekdote  Plutarch.  Per.  8;  Ol.  84,4  nachBöckh 
Soph.  Antig.  '106  ff. ;  nach  Y.  2  nahm  er  am  Feldzug  gegen  Anaia  Teil 
(Thucyd.  3,  19).  Mit  Thukydides  V.  1,  in  höherem  Alter  mit  Nikias  Stratege 
Plutarch.  Nie.  15;  der  Feldherr  dagegen,  welcher  Ol.  88,  3  nach  Sicilien 
geschickt  wurde,  ist  ein  anderer,  obgleich  Synkellos  den  Dichter  deswegen 
zu  Ol.  88,  3  ansetzt. 

4)  CIA.  I.  237. 

5)  Aristot.  rhet.  8,  18  p.  1419a  26  ff.,  jedenfaUs  derselbe  wie  1416a  15 
(Gilbert  Beitr.  zur  inneren  Oesch.  Athens  S.  290  ff.,  ein  anderer  nach  E. 
Curtius  griech.  Geschichte  I  »835  A.  162). 

6)  Alkon:  V.  11,  vgl.  C.  Paucker  de  Sophocle  medici  herois  sacer- 
dote,  Dorpat  1850;  Altar  des  Asklepios:  Etym.  Magn.  p.  256,  12,  vgl.  Anthol. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  275 

-zuvor  kaum  gekannten  Gott  durch  einen  Päan,  in  welchem  er 
dichtete,  dass  der  Gott  Asklepios  selbst  zu  ihm  gekommen  sei, 
wie  einst  Dionysos  zu  Ikarios  ^).  Kein  griechischer  Hymnus 
hat  eine  gleiche  Beliebtheit  genossen ;  war  der  Päan  doch  noch 
im  fünften  christlichen  Jahrhundert  zu  Athen  allbekannt  *). 

Obgleich  Sophokles  ausserdem  im  gesellschaftlichen  Leben 
Athens  eine  ansehnliche  Rolle  spielte,  fand  er  doch  Müsse  um 
über  hundert  Tragödien  und  Satyrspiele,  ungerechnet  einige 
Elegien,  zu  verfassen.  Dies  wurde  ihm  nächst  den  angeborenen 
Geistesgabeu  dadurch  allein  ermöglicht,  dass  er  bei  voller  Frische 
des  Körpers  und  des  Geistes  ein  ungewöhnlich  hohes  Alter  er- 
reichte^). Der  Tragiker  zählt  zu  den  wenigen  berühmten  Männern, 
denen  dies  zu  Teil  wird,  ohne  dass  sie  sich  selbst  überleben; 
und  Sophokles  hatte  zudem  den  fortgeschrittenen  Euripides 
2ura  Rivalen  1  Dem  Ende  der  achtziger  Jahre  nahe,  verfasste  er 
den  „Oedipus  auf  Kolonos*'  mit  ungeminderter  Meisterschaft, 
doch  diese  patriotische  Dichtung  persönlich  auf  die  Bühne  zu 
bringen,  hinderte  der  40G  ihn  überraschende  Tod*);  Sophokleö; 
-erreichte  ein  Alter  von  über   neunzig  Jahren^).     Mochte  aüc^Ii 


Pal.  6,  145  (nach  Sternbach  melet.  Graeca  p.  111  von  Simias),  d^egen" 
Marin,  vit.  Procl.  29  a.  E.  xoö  anb  SocpoxXIooc  eitttpavoöc  'AoxXvjirtetöbV  ^^l»' 
L.  V.  Sybel  Mittheil,  des  Inst,  in  Athen  10,  97  ff.  Nach  ü.  v.  ^iV&m^^^ 
Witz  Isyllos  S.  83  (vgl.  S.  188 ff.)  kam  der  Kult  schon  um  460 nach  Athelu? 
Bei  einer  späteren  Pest  führten  die  Athener  die  Verehrung  de^^f)äq[io|^;Tela^«, 
phoros  ein  (Kaibel  epigramm.  Gr.  ex  lapid.  coli.  p.  435). 

1)  Etyni.  M.  p.  256,  6  ff.   Plntarch.  non  posse  suav.  v.  22.  Num.  4. 

2)  Plutarch.  Num.  4.  Lucian.  enc.  Dem.  27.    Philostr.  vita  A|5pll.^'3,  17 
p.  50,  27  K.  Philostr.  jun.  imag.  13.  Marin,  a.  O.  Der  .erhaltene  i*%n  "(CIA. 
m  add.  171b.  Bergks  poet.  lyr.  Gr.  m*  p.  676 ff.)  wird  von  Kaii>äl  Eheiu. 
Mus.  34,  302  und  U.  v.  Wilamowitz  Isyllos  8.  83, '5^ äls'd^r  sophoklpische , 
betrachtet;  für  den  Verfasser  ist  Asklepios  kein  Gott,  sondcirn  .nur  Äii^.  EÖlm'on 

(V.  12. 19).  " :/     '"  '   ' 

,3)  Als  er  mit  achtzig  Jahren  einen  Prozessliatte.lbefiauptete,  der  Kläger, 
er  sei  gar  kein  Greis,  sondern  zittere  bloss  zum  Sdieine  (Äristot.'  rliet.  3,  15 
p.  1416a  15ff.).  ,.*.--,.        .,:,"'<     1       ' 

4)  Als  am  Anfange  von  405  die  „Frösche"  aufgeführt  Wurden/  war  er 
tot;  er  starb  nach  Diod.  13,  103,  4  (vgl.  Apul.  apol.  ^7)  und  Euseb^^  cbron.! 
(arm.  Ol.  92,  3.  Hieron.  93,  1)  kurz  nach  l^uripid^s.   .     .  *    .,    _* ' 

5)  91  nach  Marm.  Par.  Z.  78  (zu  90  abgerundet  Diodor.  a^JO-Snida?) ; 
95  Ps.  Lucian.  fiaxp6ß.  24  (übertrieben!  „beinahe  hundert"  Val!  Aiax.  8,  7 
ext.    12).  ''/]'.        .f"     •     -' 


Digitized  by 


Google 


276  VIII.  Kapitel. 

der  lebeusfrische  Greis  die  Unzuträglichkeiten  des  Alters  un- 
gern  empfinden  ^) ,  alles  pries  ihn  glücklich  ,  weil  sein  langem 
Leben  ungetrübt  verlaufen  und  durch  einen  sanften  Tod  gleich 
schön  beendigt  war*).  Dazu  erinnerte  man  sich  jenes  mystischen 
Päans  und  gedachte  eines  wunderbaren  Traumes,  da  Herakles 
dem  gottgeliebten  Manne  erschienen  war  und  ihm  einen  Tem- 
pelräuber entdeckt  hatte  ^).  Endlich  soll  Dionysos  dem  Führer 
des  spartanischen  Invasionsheeres  geboten  haben,  das  Begräbnis 
seines  Lieblings  nicht  zu  stören  *).  Wer  möchte  da  sich  wun- 
dern ,  wenn  ihn  die  Athener  gleich  einem  schützenden  Heros^ 
unter  dem  Namen  Dexion  verehrten  und  auf  irgend  ein  be- 
stimmtes Wunder  hin  Schutz  gegen  die  Winde  von  ihm  er- 
hofften ^)? 

Tod  und  Greisenalter  des  Dichters  sind  von  einem  Legen- 
denkranze umsponnen.  Die  einen  behaupteten  ,  er  habe  sich 
beim  Vorlesen  der  Antigone  (1)  zu  sehr  angestrengt,  wogegen 
nach  anderen  die  Freudenbotschaft  eines  Sieges  ihm  den  Tod 
brachte^).  Beides  verdient  nicht  mehr  Glauben  als  was  die 
Späteren  mit  merkwürdiger  Einstimmigkeit  über  einen  Familien- 
zwist berichten.  lophon,  sein  ältester  Sohn  von  Nikostrate  ^), 
soll  nämlich  beantragt  haben,  den  uralten  Mann  wegen  Schwach- 
sinn unter  Kuratel  zu  stellen,  worauf  Sophokles  durch  Vorlesung 
seines  letzten  Werkes  seine  ungetrübte  Geisteskraft  glänzend 
dargethan  habe^.     Aber  Aristophanes  weiss  in  den  „Fröschen'*^ 


1)  Oed.  Col.  1215  flf. 

2)  Phrynichos  im  Argum.  Oedip.  Colon. 

3)  Hieronymos  V.  12.  Cic.  de  div.  1,  25,  54.  Tertiill.  de  auima  46. 

4)  Pausan.  1,  21,  1,  fälschlich  auf  Lysaudros  bezogen  V.  15.  Pliu.  nat. 
h.  7,  109;. vgl.  Plnt.  Nnm.  4. 

5)  Istros  V.  17.  Etym.  M.  p.  256,  7  ff.;  Dexioo  hiess  er  als  Wirt  de» 
Asklepios,  wie  der  König,  bei  welchem  Herakles  eingekehrt  war,  Dexameuos. 

G)  V.  14  (da«  erstere  ans  Satyros).  Diodor.  13,  103,  4.  Val.  Max.  9, 12 
ext.  5  (ausgeschmückt).  Plin.  nat.  hist.  7,  180.  Den  poetischen  Ausdruck 
oivuj:röv  Bduyioo  ßoxpov  IpeictöfAcvoc  Anthol.  Pal.  7,  20  (simonideisch)  nahm- 
man  wörtlich,  als  ob  er  an  einer  Weinbeere  erstickt  sei  (Istros  u.  Neanthe» 
V.  14.  Sotades  (?)  bei  Stob.  flor.  98,  9  V.  14.  Ps.  Lucian.  fiaxpoß.  24). 

7)  V.  13.  Schol.  Aristoph.  Ran.  *73.  Puidas  u.  'lo'fcüv. 

8)  V.  7  (zum  Teil  aus  Satyros)  =  Apul.  apol.  37  (a  filio  suomet)  =  Ps. 
Lucian.  ^axpoß.  24 ;  anders  (von  ollen  Söhnen)  Plutarch.  an  seni  ger.  3  = 
Cic.    sen.    7,  22.     Vgl.   Welcker   griech.    Trag.    S.  263 ff.     Oswald   Wolff 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  277 

^ron  einem  solchen  skandalösen  Zwiste  nicht  das  geringste;  dazu 
kommt ,  dass  lophon  dem  Vater  ein  Grabmal  mit  rühmender 
Aufschrift  setzte  und  den  „Oedipusauf  Kolonos'*  auf  die  Bühne 
braclite  ^).  Die  ganze  Fabel  ist  oflFenbar  aus  diesem  Stück 
herausgedeutelt,  weil  der  greise  Held  Polyneikes  wegen  seines 
unkindlichen  Benehmens  verflucht  *).  Sie  gewinnt  dadurch, 
dass  sie  manchmal  mit  einer  romantischen  Geschichte  in  Zu- 
sammenhang gebracht  wurde,  nicht  an  Wahrscheinlichkeit.  Der 
-ewig  junge  Greis  habe  sich  nämlich,  sagte  man,  in  die  Sikyo- 
nierin  Theoris  verliebt  und  von  ihr  einen  Sohn  mit  Namen 
Anston  gehabt  ^) ,  dessen  Knabe  Sophokles  sein  Liebling  ge- 
wesen sei.  In  Wirklichkeit  stammte  der  letztere  von  lophon 
ab,  wie  urkundlich  nachgewiesen  werden  kann  *).  Als  Sophokles 
arglos  die  Worte  dichtete:  <ttXY]Yapif)  dswpti:^),  hatte  er  keine 
Ahnung,  wie  verhängnisvoll  sie  seinem  Rufe  werden  sollten. 

Der  geistreiche  Ion  charakterisiert  Sophokles  mit  folgenden 
Worten :  „Ein  heiterer  Gesellschafter  und  gewandt ,  aber  im 
<5fifentUchen  Leben  weder  als  Doktrinär  noch  als  Praktiker  her- 
vorragend, sondern  ein  wackerer  Bürger  und  nicht  mehr*'  % 
Diesem  Bilde  entspricht  die  Geschichte,  welche  er  in  seinen 
Memoiren  mitteilt;   wir  bemerken    einen    amüsanten  Causeur, 


qnaestioues  lophonteae,  Meissen  1882  u.  de  lophonte  poeta  traglco,  Diss.  v. 
Lpg.,  Meissen  1884  p.  8ff.;  Hill  er  Philol.  Anz.  1885  S.  212  ff.;  J.  Gal- 
lina über  die  Tradition  des  Prozesses,  welclien  I.  gegen  seinen  Vater  S.  an- 
gestrengt haben  soll.  Fr.  v.  Trebitsch  1884. 

1)  Aristoph.  Ran.  78 ff.;  Inschrift:  Valer.  Max.  8,  7  ext.  12.  Vgl.  V.  IL 

2)  Nach  G.  Hermann  Oed.  Col.  p.  XI  und  E.  v.  Lentsch  Philol. 
35,  254  (ähnlich  Nauck  Aasg.  F  S.  13)  stammt  die  Geschichte  aus  dem 
aristophanischen  Stück  Apifiata,  weil  Schol.  Arist.  Ran.  73  sagt:  elo*rj*^aYe 
^s  Koxe  So^oxXyjc  ev  8pÄ|j.axc  xöv  'locpÄvta  (pO-ovoovxa,  ähnlich  V.  13. 

3)  Hesych.  u.  Ofcupt*;,  vgl.  Hermesianax  V.  57  ff.  bei  Athen.  13,  598  c  d. 
V.  13.  Arg.  Oed.  Col.  Suidas  u.  So^poxX-rj?  H.;  Kipper  Philol.  27,  33Bff. 

4)  CIA.  II  672,  37;  er  hatte  wieder  einen  Sohn  lophon  ('E^Y||j.gpl<; 
iLpy(aio\(r(,  4111). 

5)  Athen.  13,  592  b,  womit  die  Glosse  des  Hesychios  ^euipiSe^,  al  :cBpl 
tov  diovoaov  Bdx/ai  zusammenzustellen  ist.  Bei  den  Lügen  eines  Hegesandros 
und  Hieronymos  (Athen.  13,  592  ab  f.  604  d)  brauchen  wir  uns  nicht  auf- 
zuhalten. 

6)  Athen.  13,  603  f.  604  d;  Phrynichos  (a.  O.)  nennt  ihn  t68at|j.ü)v  iv-Jjp 


Digitized  by 


Google 


278  Vm.  Kapitel. 

auch  über  sich  selbst  ein  weuig  zu  spotten  bereit,  und  einea 
für  Schönheit  begeisterten  Mann.  Eros  machte  ihm  viel  zu 
schaffen,  doch  rühmte  sich  Sophokles,  im  Alter  von  Regungen, 
die  sich  nicht  mehr  ziemten,  frei  zu  sein^).  Von  dem  leiden- 
schaftlichen reizbaren  Aeschylus  und  dem  verdrossenen  Euripi- 
des  stach  der  höfliche  und  liebenswürdige  Dichter  vorteilhaft 
ab^,  was  für  ihn  unter  anderem  die  angenehme  Folge  hatte^ 
dass  er  von  der  Komödie  selten  und  nicht  empfindlich  gezaust 
wurde ;  das  schlimmste ,  was  wir  bei  Aristophanes  über  ihn 
lesen,  ist  ein  Vergleich  mit  Simonides,  den  man  auf  Habsucht 
gedeutet  hat*).  Jene  Liebenswürdigkeit  hinderte  Sophokles 
freilich  nicht,  Schwächen  seiner  Rivalen  oflFen  zu  rügen ;  während 
er  sich  seinem  Vorgänger  in  der  Erkenntnis  der  dichterischen 
Gesetze  überlegen  glaubte*),  tadelte  er  den  Realismus  der  euri- 
pideischen  Charaktere^).  Doch  hielt  er  die  von  Euripides  be- 
liebten Seitenhiebe  von  seinen  Dichtungen  fern  und,  als  jener 
starb,  liess  er  seinen  Chor  in  Trauerkleidern  auftreten ;  ^)  selbst 
wenn  diese  Erzählung  erfunden  sein  sollte,  zeigt  sie  immerhin, 
welches  Bild  seines  Charakters  in  der  Volksmeinung  fortlebte. 
So  war  der  Dichter  als  Privatmann  geartet.  Im  Amte  mag  er 
mehr  zuvorkommend  als  nützlich  gewesen  sein;  sicherlich  ge- 
hörte  er  der  Regierungspartei ,  also  der  Richtung  des  Perikles, 
an.  Die  „Eumeniden**  hätte  Sophokles  nicht  gedichtet ,  wenn 
er  auch  die  üblichen  Verwünschungen  aller  Demagogen  und 
Volksverführer  nicht  spart');   sein  eigener  Patriotismus  war  in 


1)  Plato  republ.  1,  329  bc. 

2)  Aristoph.  Bau.  82  (eoxoXoc)  und  besonders  V.  787  flf.  V.  7. 

3)  Friede  V.  697  flf.  mit  SchoUen. 

4)  Chamaileon  bei  Athen.  10,  428  f,  vgl.  1,  22  a  (Stob.  flor.  18,  33)^ 
Plutarch.  mor.  p.  79  b;  s.  W.  Hei  big  Ztsch.  f.  Gymnasial  w.  16,  99;  A.  M. 
Marx  über  das  persönliche  Verhältnis  zwischen  Aiscbylos  n.  S.,  Fr.  v. 
Landskron,  Frag  1879. 

5)  Aristot.  poet.  25  p.  1460 ;  wertlos  Fs.  Euripides  epist.  II.  V  6.  Hiero- 
symos  bei  Athen.  13,  557  e.  Serenos  bei  Stob.  flor.  6,  36.  Ezcerpta  Job. 
Damasceni  2,  30,  10;  angebliche  Polemik:  Schol.  Eurip.  Fhoen.  1.  Fol- 
lux  4,  111. 

6)  Vita  Eurip.  Z.  42  flf.  W.  (X^Y^üot);  Fritzsche  in  G.  Hermanna 
opuscula  V  203  bezieht  es  auf  den  Tod  des  Aeschylus. 

7)  B.  J.  Floos  van  Amstel  de  sententiis  quibusd.  polit.  in  Soph.  tra- 
goed.  Leiden  1847;  O.  Eallsen  Soph.   ein  Vertreter  seines  Volkes  auch  ia 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  279 

der  That  treu  und  echt,  er  hätte  trotz  lockender  Einladungen 
sein  teueres  Athen  um  keinen  Preis  mit  einem  fremden  Hofe 
vertauscht  *).  Sophokles'  Verehrung  für  Perikles  erstreckte  sich 
jedoch  auf  das  religiöse  Gebiet*)  nicht,  der  Priester  des  Alkon 
und  Asklepios  hing  vielmehr  treulich  an  der  hergebrachten 
Götterverehrung,  ^)  im  besonderen  der  attischen ,  wobei  er  eine 
begreifliche  Voreingenommenheit  für  die  eleusinischen  Mysterien 
bekundete ,  insofern  sie  ihm  für  alleinseligmachend  galten  *). 
Waren  auch  Sophokles'  sittliche  Anschauungen  für  einen  Griechian 
edel  und  trefflich^),  so  fehlte  ihnen  doch  das  Tiefe  und  Charak- 
tervolle^ das  an  Pindar  und  Aeschylus  so  sehr  anzieht. 

Auch  in  Hinsicht  auf  schöpferische  Phantasie  kommt  So- 
phokles seinem  genialen  Vorgänger  nicht  gleich  ^.   Seine  Grösse 

politiBcher  Hinsicht,  Pr.  v.  Rendsburg  1850;  Alfr.  Wiedmann  de  civitato 
ac  vita  publica  quid  Sophocles  senserit,  Bonn  1865. 

1)  Vita  10  (die  Anekdote  bei  Gregor.  }Taz.  poem.  mor.  9,  335  ff.  spielt 
irrtümlich  bei  Archelaos) ;  er  sagte  in  einer  Tragödie  (fr.  788  N.) :  „Wer  zu 
einem  Tyrannen  wandert,  ist  sein  Diener,  auch  wenn  er  frei  kommt*'. 

2)  S.  202  A.  4  u.  248  S.  4;  dazu  G.  Schwab  de  religione  Soph. 
rational!  I.  Stuttgart  1820;  Chr.  Mor.  Fittbogen  de  Sophoclis  sententiis 
ethid?,  Diss.  v.  Berlin  1842;  Franz  Peters  theologumena  Sophoclea,  Diss. 
V.  Münster  1845  u.  de  peccati  in*  tragoediis  Sophocleis  vi  et  natura,  Pr.  v. 
Conitz  1849;  Friedr.  Lübker  die  sophokleische  Theologie  u.  Ethik,  Pr.  t. 
Parchim  (Kiel)  1852  u.  1855;  Max  Trütschel  de  Sophoclis  poetae  in  deos 
pietate  I.  Pr.  v.  Braunsberg  1853;  Frz.  Winiewski  de  animarum  post  mor- 
tem statu  apud  Soph.,  Pr.  d.  Univ.  Münster  1857;  J.  Fechner  die  sittlich- 
religiöse Weltanschauung  des  S.,  Bromberg  1859;  Ant.  Lehmann  de  Jove 
Homerico  et  Sophocleo,  Diss.  v.  Berlin  1863 ;  Alb.  Kirchner  über  die  soph. 
Tragödie  insonderheit  über  die  in  ihr  enthaltenen  sittlich-religiösen  Vorstel- 
lungen, Pr.  V.  Burg  1864;  Max  Heubach  theolognmen.  Soph.  particula, 
Königsberg  1865;  Ant.  Fichna  S\  reb'giöse  u.  sittliche  Gedanken,  Pr.  y. 
Cilli  1867;  C.  F.  Wassmuth  in  Sophoclis  de  natura  hominum  doctrina 
multa  inesse  quibus  adducamur  ad  doctrinam  Christ,  Pr.  y.  Kreuznach 
1868;  £rn.  Wüst  quid  S.  de  immortalitate  animae  et  de  inferis  tradiderit, 
Diss.  V.  Jena,  Königsberg  1869  u.  der  Hades  u.  das  Leben  der  Ver- 
storbenen in  demselben  bei  S.,  Pr.  d.  Realsch.  auf  d.  Burg,  Breslau  1870; 
Jos.  Feldkircher  Sophoclis  de  philosophiae  morumque  praeceptis,  Pr.  y. 
Oberhollabrunn  1877;  Carl  Tumlirz  die  Idee  des  Zeus  bei  S.,  Pr.  y.  Krumau 
1878.  —  Scholz  de  deorum  ap.  S.  epithetis,  Pr.  v.  Güterloh  1861. 

3)  SchoL  Soph.  El.  831  xal  '^äp  elc  'Jjv  twv  ^cooeßsoxdttwv. 

4)  Bei  Plutarch.  aud.  poet.  4  a.  £. 

5)  £1.  47  Iftsst  er  es  allerdings  auf  einen  Meineid  ankommen. 

6)  Charakteristik:  Jacobs  Nachträge  zu  Sulzer  4,  86 ff. 


Digitized  by 


Google 


280  Vm.  Kapitel. 

besteht  auf  allen  Gebieten  in  der  Verfeinerung  und  harmonischen 
Abrundung  von  Aeschylus'  Erfindungen.  Aeschylus  hatte  das 
tragische  Kostüm  geschaffen,  Sophokles  führte  eine  zierliche 
Beschuhung  ^)  und  stützende  Stäbe  (S.  174)  ein.  Von  dem 
ersteren  war  der  ganze  Theaterapparat  erdacht  worden ; 
sein  Nachfolger  verwertet  die  von  Polygnot  und  seinen 
Zeitgenossen  errungenen  Portschritte  der  Malerei  zur  Theater- 
dekoration (S.  152).  Ebenso  wenig  wird  ihm  eine  prinzipielle 
Neuerung  in  den  Grundlagen  der  Tragödie  zugeschrieben ;  denn 
selbst  wenn  es  wahr  wäre ,  dass  er  die  Zahl  des  Chores  um 
drei  erhöhte  (S.  209,  6),  hätte  dies  nicht  viel  bedeutet.  Von 
grösseren  Folgen  war  es,  dass  Sophokles  die  Gewährung  eines 
dritten  Schauspielers  beim  Volke  durchsetzte  (S.  179).  Während 
Aeschylus'  Reform  epochemachend  gewesen  war,  bezeichnete 
diese  Neuerung  eigentlich  nur  eine  Vervollkommnung  und  Be- 
reicherung der  gegebenen  Grundlage  der  Tragödie.  Doch  wir 
wollen  die  bedeutenden  Ergebnisse  derselben  durchaus  nicht 
herabsetzen.  Konnte  doch  der  Dichter  jetzt  erst  eine  breitere 
Handlung  schaflfen  und  erlangte  dadurch  zugleich  die  Möglich- 
keit, die  trilogische  Gliederung  der  Handlung  aufzugeben.  Statt 
dessen  richtete  er  söin  Augenmerk  auf  den  Höhepunkt  einer 
Sage,  auf  jene  Zeit,  wo  gleichsam  die  Wolken  sich  zusammen- 
geballt haben ,  um  nach  einer  Weile  der  Beängstigung  einen 
Blitz  zu  entsenden.  Sophokles'  glücklicher  Blick  ist  über  alles 
Lob  erhaben.  Doch  sah  der  denkende  Tragiker  recht  wohl 
ein,  dass  damit  noch  lange  nicht  alles  gethan  sei.  Die  epische 
Aufeinanderfolge  der  Ereignisse  hätte  auf  der  Bühne  verwirrend 
gewirkt;  dagegen  wusste  er,  .welchen  erfreulichen  Eindruck  der 
Anblick  zielbewussten  Thuns  auf  das  menschliche  Gemüt  macht, 
und  so  verkettete  er  die  Ereignisse  fein  und  natürlich  ,  ohne 
durch  eine  Lücke  den  Hörer  zu  einer  kritischen  Frage  zu  reizen. 
Den  durchlaufenden  Faden  gewann  Sophokles  aus  den  Charak- 
teren der  Hauptpersonen ;  wer  möchte  zu  behaupten  wagen, 
dass  der  Dichter  irgend  einmal  den  Einwurf  verdiene:  „So 
kann  ein  so  gearteter  Mensch  in  diesem  Falle  nicht  gehandelt 
haben"? 


1)    Istros    V.    §.    8   (weisse    xpYjTCtSsc)  ,    miss verstanden     Serv.     Verg. 
E.  8,  10. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  281 

Bereits  die  alten  Kritiker  würdigten  seine  unvergleichliche 
Kunst  des  Charakterisierens  ^).  Statt  dass  die  Personen  durch 
unnatürliche  Monologreflexionen  sich  selbst  bespiegeln  oder 
durch  den  Mund  Anderer  Zug  um  Zug  porträtiert  werden, 
liess  er  sie  natürlich  sprechen,  wobei  er  die  Worte  ohne  ver- 
stimmende Absichtlichkeit  so  klug  setzte,  dass  der  sinnige 
Hörer  und  Leser  oft  aus  einem  halben  Verse  oder  einem  einzigen 
Worte  eine  bedeutungsvolle  Eigenschaft  des  Sprechenden  errät. 
Diese  Kunst  ist  um  so  mehr  zu  bewundern,  als  Sophokles  die 
Menschen  nicht  so  realistisch  wie  Euripides  schildert,  sondern 
heroische  Charaktere  zeichnen  will.  Wie  nahe  lag  da  die  Gefahr, 
dass  der  Tragiker  in  schablonenmässige  Einförmigkeit  verfiel 
oder  dass  wenigstens  die  ungezwungene  Natürlichkeit  des 
Gespräches  nicht  immer  glückte!  Sophokles  hat  jedoch  den 
hohen  Ruhm,  Mannigfaltigkeit  und  seltenen  Takt  zu  seinen 
Hauptvorzügen  zählen  zu  dürfen  ^) ,  während  seltsamer  Weise 
gerade  der  Realist  Euripides  gegen  ihn  in  dem  letzteren  Punkte 
wesentUch  zurücksteht.  Vielleicht  trug  die  rege  und  vielseitige 
Beteiligung  am  öffentlichen  Leben  zur  Entfaltung  dieser  Gabe 
fordernd  bei. 

Der  vielbeschäftigte  Staatsbeamte  und  beliebte  Gesellschafter 
führte  natürlich  auch  mit  der  Feder  eine  gewandtere  Konver- 
sation als  der  würdevolle  Held  von  Marathon  und  eine  volks- 
tümlichere als  der  Schüler  der  Philosophen,  weil  er  nicht  bei 
sophistischen  Disputationen ,  sondern  in  Volksversammlungen 
und  Gerichtssitzungen  seine  Fertigkeit  erlangt  hatte ').  Im 
Verkehr  mit  vielen  verschiedenen  Menschen  beobachtete  er  das 
eigentümliche  Zusammenstimmen  von  Sprache  und  Individuum, 


1)  Pliitarch.  mor.  p.  348d.  Vit.  21;  S.  172  A.  1.  176  A.  4.  Hasper 
die  Feinheit  der  Oekouomie  ii.  der  Charakterzeichnung  in  den  einzelnen 
Dramen  des  S.  u.  der  Kern  der  sittlichen  Anschauung  derselben,  Pr.  von 
Oross-Glogau  1881. 

2)  Vit.  20  TCOtxtXta  und  cüxaipia  (vgl.  Plutarch.  mor.  p.  348  d). 

3]  Ueber  den  sophokleischeu  Stil:  Lud.  Benloew  de  Sophocleae  dicti- 
onis  proprietate  cum  Aeschyli  Euripidisque  dicendi  genere  comparata,  Paris 
1847;  Alb.  Lindner  cothurnus  Sophocleus,  Diss.  v.  Berlin  1860;  Friedr. 
Schubert  Beitrag  zu  einer  zusammenfassenden  Darst.  der  Eigentümlich- 
keiten der  soph.  Diktion,  Pr.  v.  Prag  1868;  Max  Lechner  de  rheloricae 
nsu  Sophocleo,  Berlin  1877. 


Digitized  by 


Google 


282  Vni.  Kapitel. 

als  Diplomat  achtete  er  auf  den  Doppelsinn  der  Rede,  den  er 
für  die  tragische  Ironie  unvergleichlich  schön  anwendete  (S.  184)^ 
hier  flössen  ihm  jene  Ausdrücke  der  lebendigen  Volkssprache- 
zu,  welche  den  Rhetoren  an  dem  über  so  erhabene  und  feier- 
liche Worte  gebietenden  Dichter  störend  vorkamen  ^).  Hätten 
sie  sich  jedoch  die  Mühe  genommen,  seine  Absichten  ehrfurchts- 
voll zu  erforschen,  würden  sie  im  Gegenteil  die  vielseitige  Kunst 
des  Charakterisierens  aufs  neue  bewundert  haben.  Sophokles 
hat  im  allgemeinen  die  Grandezza  der  aeschyleischen  Sprache 
um  einen  Grad  herabgestimrat  *),  weil  er,  obgleich  seine  Chor- 
heder  durch  Anmut  und  Wohlklang  gefielen  '),  den  Schwer- 
punkt seiner  Dichtung  von  der  Lyrik  in  das  Dramatische  ver- 
legte.  Wiewohl  er  dementsprechend  zu  der  Kühnheit  des 
Lyrikers  nicht  emporsteigt,  gebietet  er  doch  über  einen  statt- 
hchen  Reichtum  an  Bildern,  zumal  an  solchen,  welche  eine 
sinnige  Naturbetrachtung  offenbaren  *).  Den  Wortschatz  der 
griechischen  Dichter  hat  Sophokles  durch  nicht  wenige  Erfind- 
ungen gemehrt^),  wie  auch  vieles  Alte  infolge  eigenartigen 
Gebrauches  den  Eindruck  des  Neuen  macht  ^ ;  vor  allem  ver- 
bindet er  die  Wörter  auffallend  oft  in  besonderer  Weise  unter 


1)  Diooys.  vet.  Script,  cens.  2,  11.  Ilepl  ßtjoü^  33;  vgl.  Plutarch.  rect. 
rat.  aad.  13. 

2)  DioDjsios  (compos.  verb.  24,  auch  Dio  Chrys.  or.  52,  15)  rechnet  ihn 
daher  £ur  mittlereu  Gattung. 

3)  Schol.  Oed.  Col.  668.  Ai.  1199. 

4)  S.  226  A.  3.  4;  Ed.  Müller  über  die  soph.  Naturanschaaung,  Pr.  v. 
Liegnitz  1842;  Karl  Schirlitz  das  Bildliche  in  den  Trag,  des  Soph.  I.  Pr. 
V.  Wernigerode  1870;  Heinr,  Kühlbrandt  quomodo  S.  res  inanimas  vita 
humana  indnerit,  Lpg.  1880;  P.  KödstrÖm  de  imaginibus  Sophocleis  a  rernm 
natura  snmptis,  Diss.  v.  Stockholm  1883;  £.  Krichauff  de  imaginnm  apud 
ß.  usn,  Pr.  V.  Lyck  1884.  üeber  den  metonymischen  Gebrauch  der  Götter- 
namen: Max  Heu b ach  theologumenon  Sophocl.  particula,  Königsberg 
1865  cap.  1. 

5)  Arn.  Juris  de  Sophoclis  vocibns  singularibus,  Diss.  y.  Halle  1876  ; 
Paul  Künstler  de  vocibus  primnm  apud  8.  obviis  I.  Diss.  r.  Jena,  Grossen- 
hain 1877 ;  K.  F.  S  c  h  i  n  d  1  e  r  de  Sophocle  verborum  inventore  I.  de  nominum 
compositione,  Breslau  1877;  Herm.  Schulz  qnae  nova  S.  protulerit  nomina 
composita,  Diss.  v.  Königsberg  1882. 

6)  W.  Mohr  observationes  Sophocleae,  Bonn  1863 ;  Karl  Schambach 
S.  qua  ratione  vocabulomm  significationes  mutet  atque  variet  I.  Diss.  v. 
Göttingen  1867,  II.  Pr.  v.  Nordhausen  1878;  Frd.  Slameczka  über  Eigen- 
tümlichkeiten im  Gebrauche  der  Epitheta  bei  S.,  Pr.  v.  Teschen  1869. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  28? 

einander  ^).  Für  durch  Präpositionen  verlängerte  Verba  zeigt 
der  Tragiker,  weil  sie  voller  klingen,  eine  unverkennbare  Vor- 
liebe. ^)  Denn,  wenn  er  Aeschylus'  überquellenden  Wortreichtum 
eindämmt,  verzichtet  er  darum  doch  nicht  auf  eine  kräftige 
Fülle  der  Sprache  *). 

Sophokles  ist  unter  allen  Dichtern  des  klassischen  Hellenis- 
raus  unbestritten  derjenige,  dessen  Schöpfungen  jeden  Freund 
und  Kenner  des  Griechentums  am  sympathischsten  berühren; 
allein  eben  weil  die  klassische  Schönheit  in  der  Harmonie  von 
Stoff  und  Form,  von  Wollen  und  Ausführen  beruht,  ist  es 
kaum  möglich,  ihm  anders  völlig  gerecht  zu  werden  als  indem 
wir  sagen,  dass  er  die  Fehler  seiner  beiden  Rivalen  glücklich 
vermied.  Anmut  war  das  Kennzeichen  der  sophokleischen 
Poesie,  weshalb  ihn  bereits  die  Komiker  seiner  Zeit  mit  der 
honigspendenden  Biene  verglichen*).  Allein  es  war  die  an  der 
rechten  Stelle  mit  Herbheit  gemischte  Lieblichkeit  Homers  ^). 
Der  Dichter  verstand  nicht  allein  aus  den  Schönheiten  seines 
Heimatlandes  einen  reizvollen  idyllischen  Hintergrund  für  den 
„Oedipus  auf  Kolouos**  zu  weben  *),  sondern  der  nämliche 
Tragiker  schilderte  die  Leiden  des  Philoktet  und  Herakles  mit 
grässlicher  Anschaulichkeit ;  man  glaubt  mit  eigenen  Augen  zu 
sehen,  wie  das  giftige  Blut  des  Kentauren  schöussliche  Blasen 
treibt  und   Lichas'   zerschmettertes   Gehirn   hervorquillt.     Und 


1)  L.  Struve  de  dictione  Sopboclis,  Berlin  1854;  W.  Mohr  (s.  A.  6). 

2)  Aug.  Theod.  Lud  ewig  de  dictionis  Soph.  nbertate  qnae  in  verbis 
cum  praepos.  compos.  conspicitur,  Berlin  1864. 

3)  05  irtptTxö^  6v  tolc  XoYotc»  ^^^'  ctvaYxato^  Dlonys.  vet.  Script,  cens. 
2,  11;  vgl.  Fr.  W.  Schmidt  de  ubertate  orationis  Sophocleae  I.  Pr.  v, 
Magdeburg  1855,  IL  Pr.  v.  Nenstrelitz  1862;  Mor.  Bottger  de  singulari 
quadam  yerbi  parapbrasi  apud  Sophoclem  oblata,  Pr.  v.  Königsberg  i.  d. 
N.  1879. 

4)  Schol.  Soph.  OC.  17.  Ai.  1199.  Vit.  20.  u.  A.;  }i.iUxi  xcxpifAtvoc 
Aristophanes  bei  Dio  Chrys.  52,  17;  y^^^'^'^^C  Plutarch.  mor.  p.  348  d.  Vit. 
20,  Y^^iti>?  Phrynichos  Attic.  bei  Phot.  cod.  158. 

5)  Dionys.  compos.  verb.  24 ;  der  Komiker  Phrynichos  sagte  fein  (Diog. 
Laert.  4,  20)  ob  y^'>5'C  oö8'  bizoyoxoi;  aXXa  IIpa{jiyio(.  Auch  V.  20  spricht  von 
Sophokles'  „Kühnheit". 

6)  D.  Bassi  il  sentimento  della  natura  in  Sofocle,  Kivista  di  filol. 
12,  Iflf.  57  ff. 


Digitized  by 


Google 


284  VIII.  Kapitel. 

wie  mag  er  die  Frevel  des  Atreus,  der  seine  Gemahlin  in  das 
Meer  warf,  dem  Thyestes  die  Kinder  zur  Speise  vorsetzte  und 
endlich  ihn  selbst  tötete,  geschildert  haben  ^)?  Indes  bewahrte 
der  Dichter .  sein  feines  Gefühl  für  das  edle  Ebenmass  vor 
dem  Unpoeüschen.  Die  Abgeklärtheit  seiner  Poesie  war  ihm 
sowenig  als  irgend  einem  anderen  Menschen  angeboren,  sondern 
die  Frucht  reiflicher  Erwägungen.  Jene  Aeusserungen  über 
Aeschylus  und  Euripides  zeigen,  dass  er  viel  über  seine  Kunst 
nachgedacht  hat*).  Die  Inspiration  ist  weise  gezügelt,  ohne 
die  Frische  des  Natürlichen  dadurch  zu  verlieren  ;  denn  eine 
gewisse  Leichtlebigkeit  und  heitere  Genusskraft  bannten  das 
Grübeln,  wodurch  die  Poesie  seines  jüngeren  Genossen  ange- 
kränkelt ist,  und  erhielten  Sophokles  die  Harmonie  der  Seele, 
die  für  die  Poesie  unumgänglich  notwendig  ist.  So  stand  er 
4er  geistigen  Bewegung  seiner  Zeit  vollkommen  ferne,  weshalb 
man  bei  einer  Vergleichung  mit  Eiuripides  glauben  möchte, 
Sophokles  sei  der  SprössUng  einer  früheren  Generation  und 
habe  das  Auftreten  des  Anaxagoras,  geschweige  der  Sophisten 
nicht  mehr  erlebt;  wer  die  perikleische  Zeit  wirklich  verstehen 
will,  muss  beide  Männer  in  einem  Bilde  zusammenhalten. 

Wir  müssen  nach  diesem  Versuche  einer  Charakteristik 
des  Dichters  von  einer  Massregel  sprechen,  die,  scheinbar  ganz 
nebensächlich,  dennoch  für  die  Umwandlung  der  Tragödie  und 
sodann  ganz  besonders  für  die  Fortpflanzung  des  Dramas 
bedeutungsvoll  geworden  ist.  Davon,  dass  diQ  älteren  Tragiker 
zugleich  die  leitenden  Schauspieler  waren ,  ist  schon  die  Rede 
gewesen.  Da  jedoch  Sophokles'  Stimme  den  hohen  Anforder- 
ungen des  griechischen  Theaters  nicht  genügte,  trat  er  nur  in 
Rollen  auf,  wo  er  diesen  Mangel  durch  eine  besondere  Virtuosität 
verdecken  konnte:  als  Thamyris  entzückte  er  durch  sein  Kithara- 
spiel  und  in  der  Rolle  der  Nausikaa  warf  der  gymnastisch 
Wohlgeschulte  zieriich  den  Ball  *).  Wenn  er  nun  die  Rolle  des 
Protagonisten  für  gewöhnlich  abgab,  erhob  er  damit  die  Schau- 
spieler von  abhängigen  Gehilfen  des  Dichters  zu  selbständigen 
Interpreten  seiner  Gedanken,    womit  der  erste  Anstoss  zu  der 


1)  Schol.  Enrip.  Or.  812  (H  p.  211,  10  ff.). 

2)  Gast.  Welcker  de  Sophocle  suae  artis  aestimatore,  Halle  1861. 

3)  Vita  4.  5.  Athen.  1,  20  f. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  285 

hochentwickelten  Schauspielkunst  des  vierten  Jahrhunderts^ 
gegeben  wurde  ^).  Zugleich  sah  es  Sophokles  für  seine  Pflicht 
an,  fähige  Künstler  heranzubilden ,  und  er  ist  denn  auch  der 
erste,  welcher  einen  Schauspielerverein  oder,  wenn  man  lieber 
will ,  eine  Zunft  begründet  hat  ^) ,  eine  Einrichtung ,  welche  in 
ihrer  späteren  grossartigen  Entfaltung  das  athenische  Drama 
über  die  ganze  gebildete  Welt  verbreiten  und  viele  Jahrhunderte 
hindurch  treuHch  erhalten  sollte  % 

Wir  haben  schon  oben  die  ausserordentliche  Thätigkeit 
des  Dichters  erwähnt.  Die  Zahl  der  Dramen  ist  nicht  mit 
voller  Sicherheit  anzugeben,  soviel  aber  scheint,  kannte  Aristo- 
phanes  von  Byzanz  130  Stücke,  von  denen  er  sieben  an- 
zweifelte*). Letztere  sind  dem  Namen  nach  bekannt;  sonst 
werden  im  Ganzen  über  hundert  Titel  angeführt,  wozu  neuestens 
„Moöaat"  in  einem  inschriftlichen  Katalog  kam  ^).  Allein 
mehrere  Stücke  dürften  Doppeltitel  gehabt  haben  ^  und  überdies 


1)  Dass  er  für  bestimmte  Schauspieler  schrieb  (Istros  in  V.  6),  beruht 
auf  Missverständnis  von  Scholiastenkombinationen  (Schol.  Aristoph.  Nub.  1254 
[1267].  Apollonios  bei  Schol.  Aristoph.  Ran.  804);  denn  die  Schauspieler 
wurden  durch  das  Loos  verteilt  (Hesych.  Suid.  u.  vefi-fjoetc  6iroxptxd>v,  s.  Herrn. 
Seh  rader  Liber  miscellaneus  editus  a  sociefc.  phil.  Bonnensi  1864  p.  1 — 10) 
u.  0.  S.  178  A.  2. 

2)  Istros  in  V.  6  talc  8i  Moooat?  ^taoov  ex  tcüv  TceicaiSeofL^voiv  (vorher  ist 
von  Schauspielern  die  Rede)  oüva^aYetv  (verschieden  gedeutet:  Sommer- 
brodt  Hermes  10,  123  ff.  =  scenica  coUecta  p.  291  flf.;  L.  v.  Sybel  Hermes 
9,  248 £f.;  U.  Köhler  Rhein.  Mus.  39,  293 ff.);  Chamaileon  setzt  einen  Schau- 
spielerverein in  der  Zeit  des  Alkibiades  voraus  (Athen.  9,  407  c);  ebenso  kennt 
solche  Aristoteles  (rhetor,  3,  2  p.  1405  a  23). 

3)  O.  Lüders  die  dionysischen  Künstler,  Berlin  1872  (Nachtrag:  Bul- 
lett.  d.  Inst.  1874  p.  104 fl.);  L.  Friedlander  de  artificibus  Dionysiacis, 
ind.  lect.  Königsberg  1874;  P.  Foucart  de  collegiis  scenicorum  artificum 
apud  Graecos,  Paris  1873;  H.  Sauppe  de  collegio  artificum  scenic.  Attic, 
Göttingen-1876;  Alb.  Müller  Bnhnenaltertümer  S.  392 ff. 

4)  Die  Handschriften  von  V.  §.  18  schwanken  zwischen  PA  und  PA 
und  geben  iC  als  Zahl  der  unechten  Dramen  an.  Entscheidend  ist  Suidas' 
Ziffer  pxf';  Bergk  liest  richtig  C,  weil  ein  i  vorhergeht  {pi^  Böckh  trag, 
princip.  p.  110 f.;  vgl.  F.  W.  Wagner  Ztsch.  f.  Altertumsw.  1851  Nr. 34. 35). 

5)  CIA.  II  992  I  25. 

6)  Z.  B.  Al^tOTtsc  und ,  M^pivoiv,  MdooI  und  T'rjXecpoc,  vielleicht  auch 
'E^i^ovot  und  'Ept^ üXyj  (Welcker  S.  269),  KIütatpL-fjoTpa  u.  'l^fc^v^'"  (Welcker 
und  Dindorf).  Die  Existenz  einer  „Oreithyia"  leugnet  Wolff  Philol.  28, 
343 f.     Ueber  den  Titel  der  IovSsiävoi  Rud.  Scholl  Hermes  4,  163,  1. 


Digitized  by 


Google 


286  Vm.  Kapitel. 

kommt  eine  Verwechslung  der  drei  grossen  Tragiker  gerade  so 
oft  vor ,  wie  die  von  Schiller  und  Goethe  ^) ;  drei  Tragödien 
lagen  in  zwei  Bearbeitungen  vor,  nämlich  Athamas,  Tyro  und 
Phineus.  Als  Satyrspiele  werden  sicher  achtzehn  Stücke  be- 
zeichnet, ohne  dass  damit  die  wirkliche  Zahl  erschöpft  wäre^). 

Von  diesem  reichen  Nachlasse  haben  seltsamer  Weise  nicht 
mehr  als  sieben  Stücke  das  Altertum  überdauert,  während  von 
den  übrigen  nur  kleine  Bruchstücke,  allerdings  in  erheblicher 
Anzahl,  geblieben  sind^).  Denn  die  340  Verse  einer  „Klytai- 
mestra",  mit  welchen  Matthiä  (Moskau  1805)  die  Philologen 
überraschte,  wurden  bald  als  Fälschung  erkannt*).  Bevor  wir 
von  jenen  Tragödien  sprechen,  seien  hier  anders  geartete  Werke 
des  Tragikers  rasch  erwähnt.  Sein  lyrisches  Talent  bethätigte 
er  ausser  in  den  Chorliedern  durch  den  berühmten  Päan  auf 
Asklepios  (S.  275);  er  verfasste  ausserdem  Elegien  ^),  von  denen 
eine  an  einen  Herodotos ,  der  durchaus  nicht  der  grosse 
Geschichtsschreiber  zu  sein  braucht,  gerichtet  ist.  Eine  prosaische 
Schrift  über  den  Chor*)  passte  an  sich  für  den  über  seine 
Kunst  reflektierenden  Dichter  recht  wohl,  indes  was  brauchte 
er  nach  Aeschylus  noch  gegen  die  altmodischen  Dichter  Thespis 


1)  Vgl.  z.  B.  Nanck  tragic.  Graec.  fragm.  p.  IX  ff. 

2)  Sehr  wahrscbeinlich  „Andromeda"  (Bibbeck  röm.  Trag.  S.  163 
A.  169,  8.  fr.  131  D.,  anders  Robert  arcbäol.  Ztg.  1878  8.  17  A.  12),  viel- 
leicht auch  „Daidalos"  (Welcker  S.  73  ff.  u.  Dindorf),  „Danae"  (Meineke 
analecta  Sophoclea  p.  276,  nach  Dindorf  mit  „Akrisios"  identisch),  „Eris** 
<Dindorf),  „Nanaikaa**  (Valckenaer  ad  Eurip.  Hippol.  125,  Böckh  trag, 
princ.  p.  129),  „Phrixos**  (Ribbeck  a.  O.  8.526),  nach  G.  Hermann  opns- 
-cula  3,  38 ff.  auch  „Niobe",  wogegen  Athen.  13,  60Ia  spricht;  nach  Böckh 
a.  O.  p.  125  ff.  waren  mehrere  unecht. 

3)  Nauck  trag.  Graec.  frg.  p.  103 ff.,  Dindorf  p.  120 ff.;  'AX8<i3at: 
Frd.  Vater  die  Aleaden  des  8.,  Berlin  1835;  Adexaivai:  K.  Paucker  Doppel- 
palladienraub nach  den  Lakonerinen  des  8.  auf  einer  Vase  v.  Armento,  Mitau 
1851;  Aaoxotttv:  Robert  Bild  u.  Lied  8.  193 ff.;  IloXoS^va:  Gruppe  Ariadne 
8.  598;  TptTttoXcfio? :  Strube  der  Bildet  kreis  von  Eleusis  8.  17  ff.;  Xpüo-rjc: 
Robert  Archäol.  Ztg.  1875  8.  134  A.  3. 

4)  8truve,  Riga  1807;  G.  Hermann  opnscula  I  60 ff, 

5)  Von  Zurborg   Hermes    10,  203 ff.   gegen    E.   v.   Leutsch  Philol. 
'21,  225  (s.  auch  Ascherson  ebend.  8.  681  f.)    verteidigt;   nach  8uidas   ver- 
fasste der  jüngere  8ophokles  Elegien.     Fragmente  in  Bergks  poetae  lyr.  Gr. 
n  *243ft.,  vgl.  Clemm  Jahrbb.  f.  Phil.  127,  14  f. 

6)  8uidas. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.^  287 

und  Choirilos   zu   polemisieren?    Dies   schmeckt   nach   einem 
Altertümler. 

Ueber  die  Zeit  der  erhaltenen  Stücke  fliessen  die  Nach- 
richten sehr  spärlich  ^) ;  bestimmt  wird  nur  gesagt ,  dass  „Phi- 
loktet"  409  (Ol.  92,  3)  und  „Oedipus  auf  Kolonos"  nach  dem 
"Tode  des  greisen  Dichters  401  (Ol.  94,3)  aufgeführt  wurde  *). 
Hingegen  berichten  die  Alten  über  die  Zeit  der  „Antigene" 
nur  Fabelhaftes,  indem  Satyros  und  andere  sie  als  das  letzte 
Werk  des  Dichters  betrachten,  weshalb  sie  nach  Lukillos  von 
"Tarrha  gar  erst  durch  lophon  aufgeführt  worden  sein  solH), 
wogegen  nach  Versicherung  Anderer  die  Athener  über  die  „An- 
tigene" so  entzückt  waren,  dass  sie  den  Dichter  dafür  zum 
Strategen  ernannten  *).  Beides  hat  nicht  mehr  Wert  als  wenn 
jede  Angabe  fehlte ,  wie  es  bei  den  übrigen  Stücken  der  Fall 
ist.  Diesem  Mangel  sucht  man  durch  verschiedene  Methoden 
abzuhelfen.  Von  der  Metrik  können  wir  indes  bei  der  geringen  An- 
zahl unserer  Dramen  keine  Hilfe  erwarten ;  dies  zeigt  am  besten 
G.  Hermanns  Behauptung,**)  der  „Oedipus  auf  Kolonos*'  sei 
seiner  metrischen  Form  zufolge  nicht  nach  der  89.  Olympiade 
geschrieben.  Andere  legen  Wert  darauf,  dass  ein  unter  zwei 
Schauspieler  verteilter  Trimeter  der  „Antigene"  abgehe^  und 
dass,  was  allerdings  Beachtung  verdient,  der  dritte  Schauspieler 
im  „Aias"  wenig  hervortrete.  Gegen  das  Aufspüren  pohtischer 
Tendenzen  haben  wir  uns  bereits  S.  159  ausgesprochen.  Sopho- 
kles  hat    weder  im   „Philoktet*'  noch  im  zweiten  „Oedipus"^) 


1)  F.  Bernhard  die  Frage  nach  der  chronologischen  Beihenfolge  der 
-erhaltenen  soph.  Tragödien,   Pr.  v.  Oberhollabrunn  1886. 

2)  Damit  stimmt  die  Grabschrift  überein  (Valer.  Max.  8,  7  ext.  12). 

3)  Cramers  Anecdota  Oxon.  DT  315.  ^ 

4)  Argnm.  Antig. 

5)  In  Erfurdte  Ausgabe  des  Oedipns  rex  p.  478. 

6)  Wilms  de  personamm  mntatione  ....  in  verslbus  dialogicis  usur- 
pata,  Düsseldorf  1855.  1858. 

7)  Die  Vermutungen  verzeichnet  C.  Th.  Lion  Oedipus  Rex  quo  tem- 
pore a  Sophocle  docta  sit,  €rött.  1861  p.  31  f.  (neuerdings  Hieron.  Munt ean 
f&ber  die  Zeit  u.  Absicht  der  Tragödie  des  S.  O.  auf  E.,  Pr.  v.  Suczawa, 
Czemowitz  1878);  Ad.  Scholl  PhiloL  26,  385 flf.  nimmt  eine  Ueberarbeitung 
der  Tragödie  an.  S.  aber  Rud.  Nicolai  de  Sophodis  Oedipi  Colone!  consilio 
et  aetate,  Diss.  v.  Halle  1858;  Jos.  Noväk  über  einige  angebliche  politische 
Anspielungen  in  S'.  O.  in  K.,  Pr.  v.  Neuhaus  1875. 


Digitized  by 


Google 


288  Vni.  Kapitel. 

noch  im  „Aias**^)  die  Politik  auf  die  Bühne  gebracht,  am  wenig- 
sten kann  er  im  „König  Oedipus"  durch  die  Pest  an  ein  frisches 
Nationalunglück  erinnert  haben  ^).  Nicht  besser  ist  es  um  die 
Anspielungen,  die  man  in  Bezug  auf  frühere  Stücke  bat  finden 
wollen^),  bestellt;  erwägen  wir  abgesehen  von  ästhetischen  Be- 
denken nur,  dass  Sophokles  im  ,,Oedipus  auf  Kolon os"  auf 
die  populäre  „Antigene**  nicht  im  mindesten  anspielte,  sondern: 
die  triviale  Antigonesage  allein  voraussetzte. 

Der  eigenartige  Zauber  der  sophokleischen  Poesie  oflFenbart 
sich  am  lebendigsten  in  den  drei  dem  thebanischen  Sagenkreise 
entnommenen  Tragödien  ,  weshalb  wir  mit  diesem  beginnen 
wollen. 

„König  Oedipus*'*)  behandelt  einen  StoflF,  der  auf  die 
griechischen  Tragiker    eine  ausserordentliche   Anziehungskraft 


1)  Ch/ Hennings  die  Zeitbestimmung  des  soph.  Aias,  Pr.  v.  Rendsbarg 
1862;  G.  Bertbold  ab  Atbeniensi  Sophocie  scriptum  esse  Aiacem,  Rostock  1875. 

2)  Literatur  bei  C.  Tb.  Lion  a.  O.  p.  9  ff.,  dazu  Hugo  Hagelüken 
quo  tempore  Sophoclis  Oedipus  Rex  acta  sit,  Rostock  1873. 

3)  Philoct.  412  ff.  1047  ff.  auf  „Aias"  nacb  Böckh  trag.princ.  p.  137. 

4)  Sopbokles  selbst  nannte  ibn  OlBt^cooc;  seit  es  aber  einen  „Oedipua 
auf  Kolonos"  gab,  setzte  man  irpoxcpoc  oder  tüpawoc  (wegen  V.  514  n.  925) 
bei  (Argum.  11.  Unsere  Citate  geben  stets  das  letztere  Beiwort).  Ludw.  Eanne- 
giesser  über  den  ersten  Oe.  des  S.,  Pr.  v.  Prenzlau  1817;  Ant.  van  Meur» 
de  Soph.  Oedipo  t.,  Diss.  v.  Groningen  1825;  H.  F.  W.  Hin  rieh  s  das  Wesen 
der  antiken  Tragödie  durchgeführt  au  den  beiden  Oe.  des  S.  im  allg.  u.  an 
der  Antigone  insbes.,  Halle  1827;  C.  Jeep  de  O.  R.  fabulae  argumento  et 
compositione,  Wolfenbüttel  1834;  Chr.  Wilbrandt  über  den  K.  Oe.  des  S.^ 
Pr.  V.  Rostock  1836;  Fr,  Wüllner  über  den  K.  Oe.  des  S.,  Pr.  v.  Düssel- 
dorf 1840;  Herm.  Schmidt  die  Einheit  der  Handlung  im  K.  Oe.  des  S., 
Pr.  V.  Wittenberg  1848;  Aug.  Geffers  de  Oedipi  Sophoclei  culpa,  Pr.  v. 
Göttiugen  1850;  Theod.  Kock  soph.  Studien  I.  (Pr.  v.  Elbing  1851,  2,  3> 
Berlin  1854,  H.  (Pr.  v.  Guben)  1857;  L'orenz  über  Komposition,  Charaktere, 
Idee  des  soph.  K.  Oe.,  Pr.  v.  Soest  1857;  C.  J.  Spat  diss.  de  tragicae  com- 
positionis  in  Sophoclis  O.  r.  oratione  et  praestantia,  Groningen  1857 ;  Ferd. 
V.  Heiuemann  zur  ästhet.  Kritik  v.  S.  K.  Oe.,  Pr.  v.  Braunschweig  1858; 
Bergenroth  ist  der  K.  Oe.  des  S.  eine  Schicksalstragödie?  Pr.  v.  Thorn 
1861;  Sig.  Weclewski  de  Sophoclis  O.  R.,  Diss.  v.  HaUe  1863;  Jak.  Berlin 
om  de  olika  uppfattningarua  af  Sophokles'  konung  O.,  Diss.  v.  Stockholm 
1866;  E.  Ant.  Ahrens  über  Zweck  u.  Komposition  der  Rede  des  Oe.  Soph. 
O.  R.  216 ff.,  Verhandl.  der  Würzb.  Phil.  Vers.,  Lpg.  1869  S.  160 ff.;  Alois 
Siess  die  dram.  Kunst  des  S.,  nachgewiesen  am  K.  Oe.,  Pr.  v.  Marburg 
i.  St.  1871;  E.  Porazil  die  cüoiactc  twv  ^rpaY^Lattuv  in  S.  Oe.  K.,  Pr.  v. 
Wiener  Xeustadt,  Wien  1873;    Gevers  über  Schillers  Braut  von  Messina  u. 


Digitized  by  CjOOQIC 


Sophokles.  289 

ausübte;  schrieben  doch  nicht  blos  Aeschylus  und  Euripides, 
sondern  ausserdem  sieben  weniger  berühmte  Tragiker  einen 
„Oedipus**,  weil  die  tragische  Ironie  die  Dichter  reizte.  Die 
von  Sophokles  vorgefundene  Gestalt  der  Sage  ist  ziemlich  ge- 
nau bekannt,  so  dass  wir  in  diesem  Falle  seine  Verdienste  wür- 
digen können.  Der  Dichter  knüpft  sofort  die  lockeren  Fäden 
der  Ueberlieferung  fester.  Nicht  ein  Zufall  bringt  das  ausge- 
setzte Kind  in  die  Hände  von  Hirten ,  wie  wäre  sonst  später 
die  Herkunft  unwiderJeglich  zu  erweisen  gewesen?  Und  der 
Hirt ,  der  es  empfängt ,  ist  gerade  des  Königs  von  Korinth 
Knecht,  weil  dessen  Land  in  der  Heroenzeit  an  Böotien  grenzte. 
Ferner  wird  die  erschütternde  Wirkung  des  Vatermordes  kunst- 
voll dadurch  erhöht,  dass  beide  eben  bei  dem  delphischen  Apollo 
Klarheit  zu  finden  meinen,  als  sie  an  dem  phokischen  Kreuz- 
weg zusammentreffen.  Sophokles  hat  die  Zeitdauer  der  vor 
dem  Stücke  liegenden  Handlung  in  Uebereinsümmung  mit 
Aeschylus  gestreckt,  obgleich  daraus  eine  Unwahrscheinlichkeit 
entspringt,  die  Aristoteles  gleichzeitig  rügt  und  entschuldigt 
(S.  233).  Wie  meisterhaft  die  Erkennung  eingeleitet  ^)  und  stu- 
fenweise durchgeführt  ist,  wie  eines  um  das  andere  in  der 
schrecklichen  Erkenntnis  weiter  kommt,  bis  das  Ganze  in  fürch- 
terlicher Klarheit  allen  offen  liegt,  das  ist  hier  nicht  nachzuer- 
zählen, schon  aus  dem  Grunde  weil  Sophokles  die  tragische 
Ironie  bis  ins  kleinste  durchgeführt  hat  ^.  Sein  Oedipus 
schreitet  wie  ein  Nachtwandler  mit  träumerischer  Sicherheit 
einher  und  führt,   wie  schon  früher  (Seite  204)  hervorgehoben 

den  K,  Oe.  des  S.,  Pr.  v.  Verden  1874;  Mart.  Stier  Langbeins  pädag.  Archiv 
19  (1877)  8.  321  ff.;  P.  Graffunder  Jahrbb.  f.  Phil.  132,  389 ff.;  M.  H. 
Vetter  über  die  Schuldfrage  im  K.  Oe.,  Pr.  v.  Freiberg  1885.  —  C.  Franke 
de  natura  chori  in  Soph.  Oed.  T.,  Pr.  v.  Sagan  1849;  Chr.  VoUbehr  deO. 
R.  S.  oeconomia  scenica,  Pr.  y.  Glückstadt  1856;  C.  Fischer  dramaturgische 
Tafel  zu  S\  Oe.  R.,  Pr.  v.  Lemberg  1883.  —  Kvicala  zur  Beurteilung  der 
drei  theb.  Trag,  des  S.,  Ztsch.  f.d.  öst.  G.  1870  S.  595 ff.;  Job.  Müller  die 
theban.  Tragödien  des  S.  als  £inzeldramen  ästhetisch  gewürdigt,  Inns- 
bruck 1871. 

1)  Nach  Nauck  war  die  Pest  schon  von  Aeschylus  verwendet;  er  be- 
zieht nämlich  fr.  336  (Philo  Jud.  de  provid.  n  p.  102  Auch.)  auf  dessen 
„Oedipus". 

2)  Arn.  Hug  PhUol.  31,  66ff.;  s.  auch  S.  185. 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Ldteratur  m.  ^9 


Digitized  by 


Google 


290  Vm.  Kapitel. 

wurde,  durch  die  eigene  Masslosigkeit^)  die  Butdeckung  her- 
bei, infolge  dessen  er  nicht  als  völlig  schuldloses  Opfer  des 
Verhängnisses  erscheint;  noch  mehr ,  statt  sein  Geschick  er- 
geben zu  tragen ,  vernichtet  der  leidenschaftliche  Mann  in  der 
ersten  wilden  Verzweiflung  sein  Augenlicht  und  bereitet  sich 
„über  das  Geschick  hinaus"  Verderben.*).  Indem  Sophokles 
seine  ganze  Kunst  auf  die  ergreifende  Ironie  und  die  Charak- 
teristik koncentriert,  vernachlässigt  er  die  Exposition  auffallend ; 
wie  leicht  hätte  der  grosse  Meister  die  kleinen  Unebenheiten,  dass 
Oedipus  und  der  Priester  sich  selbst  vorstellen  und  der  fürsorgliche 
Vater  des  Volkes  erst  jetzt  von  dem  Jammer  seiner  ünter- 
thanen  zu  hören  scheint,  vermeiden  können.  Pedantisch  wäre 
es  jedoch ,  wenn  man  dem  Dichter  vorwerfen  wollte ,  dass  er 
sein  Drama  auf  eine  Kette  von  Zuf&Uen,  unter  denen  die  Ab- 
se^dung  des  alten  Mannes  sogar  der  prosaischen  Wahrschein- 
lichkeit widerspricht,  aufgebaut  hat. 

Diese  herrliche  Dichtung,  „der  König"  unter  Sophokles' 
Dramen '),  gewann  ihm  dennoch  nicht  den  Sieg ,  welcher  dem 
wenig  bedeutenden  Philokles  zufiel^).  Schon  den  Alten  kam 
dieses  Urteil  unbegreiflich  vor,  aber  die  Zuschauer  konnten 
ja  entweder  durch  die  Auflführung  oder  die  geringere  Vor- 
trefflichkeit der  gleichzeitig  dargestellten  Stücke  verstimmt 
werden. 

Dem  Inhalte  nach  folgt  auf  dieses  Drama  „Oedipus  auf 
Kolon  OS"  (OlSlTcoDC  licl  KoXcovi^^),   ohne   dass  beide  Stücke  in 

1)  A5»a8ia  V.  549. 

2)  V.  1300  ff.  Ti?  6  TCYjSYjoa?  {leiCova  dai{j,a>y  xäv  {laxioxaiv  itpöc  o^  8t>a- 
dai{j,ovi  ixoipqc;    erinnert    an  den   homerischen  Vers    Ol    ZI    xal    aöTol    oqpigaiv 

3)  Argum.  II. 

4)  Dikaiarchos  bei  Argum.  n. 

5)  Ol.  iv  x<f)  K.  Argum.  Oed.  Reg.  m.;  Fr.  Kannegiesser  über  des 
S.  Oe.  zu  Colonus,  Pr.  v.  Prenzlau  1820;  B.  Fr.  Denhard  de  Sophoclis 
O.  Coloneo,  Diss.  v.  Marburg  1830;  Carl  Herguet  über  die  Idee  des  Oe. 
a.  K.,  Marburg  1859;  Heinr.  Holst  er  die  Komposition  des  Oe.  a.  K.,  Pr. 
V.  Meldorf,  Berlin  1865;  Graf  Paul  York  von  Warten  bürg  die  Katharsis 
des  Aristoteles  u.  der  Oe.  Koloneus  des  S.,  Berlin  1866;  J.  Mähly  der  Oe. 
Koloneus  des  S.,  Basel  1868;  Th.  Fei  1er  de  Sophoclis  O.  C,  Pr.  v.  Zittau 
1869;  Karl  Aldenhoven  Jahrbb.  f.  Phil.  95,  809 ff.;    Kegel  de  Sophoclis 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  291 

Wirklichkeit  zusammenhingen.  Im  Gegenteil  beruht  die  Hand- 
lung jetzt  gerade  darauf,  dass  Kreon  das  von  Oedipus  unmittel- 
bar nach  der  Katastrophe  ausgesprochene  Verlangen,  ihn  aus 
Theben  fortzustossen^  nicht  erfüllt  hat,  und  den  damals  gezeig- 
ten Edelsinn  durchaus  vermissen  lässt.  Wer  mag  es  wohl  ge- 
wesen sein,  der  aus  Localpatriotismus  das  Grab  des  verbannten 
Oedipus  nach  dem  Kolonos  Hippies  verlegte?  Man  möchte  selbst- 
verständlich an  unseren  Dichter,  den  berühmtesten  Sohn  jenes 
Gaues ,  denken ,  wenn  nur  nicht  schon  einige  Jahre  früher 
Euripides  am  Schlüsse  der  „Phoenissen  (V.  1705  ff.)  auf  diese 
Sage  angespielt  hätte.  Die  Athener  verfielen  darauf  offenbar, 
nachdem  sie  sich  glauben  gemacht,  die  Sieben  gegen  Theben 
seien  in  Eleusis  bestattet;  unter  den  zahllosen  Orakeln,  womit 
ihre  leichtgläubige  Stadt  während  des  peloponnesischen  Krieges 
überschwemmt  wurde,  mag  sich  eines  befunden  haben,  das  aus 
Hass  gegen  Theben  ein  Grab  des  Oedipus  in  Kolonos  (wo 
man  gar  keines  zeigen  konnte  ^) !)  fingierte ,  um  davon  den 
Athenern  den  Schutz  des  Heros  in  Aussicht  zu  stellen'),  und 
wahrscheinlich  hatten  die  Böoter  bei  einem  Einfall  gerade  am 
Kolonoshügel  eine  Schlappe  erlitten.  Mehr  kann  Sophokles 
nicht  vorgelegen  sein ;  darum  ignorieren  die  attischen  Künstler 
diese  von  ihm  allein  ausgesponnene  Sage  gänzlich  ^). 

Während  der  Tragiker  im  ersten  Drama  eines  durchaus 
nicht  tadellosen  Helden  bedurft  hatte ,  lag  die  Sache  jetzt  an- 
ders *);  denn  statt  Vernichtung  findet  Oedipus  einen  durch  gött- 


O.  C,  Pr.  V.  Dillenbnrg  1873.—  Teuf  fei  die  RoUenverteilTiDg  im  8oph.  Oe. 
n.  K.,  Rhein.  Mus.  9  (1854)  S.  136  flf.;  Ferd.  Ascherson  Philol.  12,  750 ff.  — 
Heiur.  Kolsier  de  adornata  Oedipodis  Colonei  scena,  Pr.  v.  Meldorf  1846.  — 
J.  K.  G.  Schutt  über  den  Polyneikes  des  Oe.  a.  K.,  Pr.  v.  Görlitz  1855; 
E.  A.  Bruch  Ztsch.  f.  Gymnasialw.  26  (1872)  S.  92ff.  —  s.  auchS.288  A.4. 

1)  OC.  1522  0.  1757  fL;  später  zeigte  man  in  Athen  selbst  das  Grab 
(Pansan.  1,  28,  7.  30,  4);  in  Kolonos  selbst  gab  es  nur  eine  Oedipus  mit 
Adrastos,  Thesens  und  Peirithoos  gemeinsam  geweihte  Kapelle.  Vgl.  K.  Fr. 
Hermann  de  sacris  Coloni  et  religg.  c.  Oed.  fab.  conj.,  Marburg  1837. 

2)  Die  Scholien  teilen  zu  Y.  57  leider  nur  den  Anfang  eines  Orakels  mit. 

3)  Das  Vasenbild  bei  Millingen  unedited  monuments  I  pl.  36  ist 
eigentlich  keine  Ausnahme. 

4)  Ueber  den  Charakter  des  Oedipus:  D.  M.  Kan  de  Sophodis Oedipo, 
Groningen  1828;   Frdr.  Schmalfeld  Ztsch.    f.   d.    Gymnasialw.    14  (1860) 

19* 


Digitized  by 


Google 


292  VnL  Kapitel. 

liehe  Gnade  verherrlichten  »Tod  und  ist  der  Ehren  eines  Heros 
sicher.  Wenn  man  freilich  sagen  wollte ,  der  Held  sei  durch 
das  Unglück  geläutert,  würde  man  dem  Dichter  eine  chiistliche 
Idee  aufdrängen.  Denn  dass  die  Leidenschaft  des  Greises  noch 
immer  fortglüht,  erfahren  Kreon  und  Polyneikes  zu  ihrem  Ent- 
setzen; wird  ja  auch  König  Lear  im  Unglück  nicht  sanfter. 
Dagegen  hebt  Sophokles  jetzt  geflissentlich  das  Gute  hervor  und 
thut  wiederholt  die  Absichtslosigkeit  des  Geschehenen  ausdrück- 
lich dar  *).  Jene  Leidenschaft  bricht  nicht  mehr  wie  ehedem 
auf  einen  schwachen  Argwohn  oder  eine  geringe  Veranlassung 
hin  los ;  denn  jetzt  verflucht  er  Kreon,  der,  nachdem  er  ihn  in 
das  Elend  gestossen,  seinen  einzigen  Trost  raubt,  dann  ver- 
wünscht Oedipus  seineu  Sohn,  weil  er,  obgleich  der  ältere  der 
Brüder  (dies  hat  Sophokles  absichtlich  geneuert),  seinen  Vater 
teilnamslos  vertreiben  liess  und  nun  einzig  aus  eigennützigen 
Beweggründen  kommt.  Der  veränderten  Lage  zu  Liebe  ändert 
der  grosse  Künstler  der  Charakteristik  die  Auflassung  Kreons  *), 
der  früher  durch  Besonnenheit  sich  vorteilhaft  von  Oedipus 
abgehoben  hatte,  jetzt  aber,  wiewohl  seine  patriotischen  Ab- 
sichten ihn  einigermassen  entschuldigen,  die  dunkle  Folie  zu 
dem  Helden  bildet.  Theseus,  der  ritterliche  Beschützer  der 
Schwachen,  ist  zwar  an  sich  tadelloser  als  Oedipus,  indes  war 
Sophokles  ungeachtet  seiner  Begeisterung  für  die  Heimat  zu 
sehr  Dichter,  als  dass  er  durch  ihn  die  Hauptperson  des  Dramas 
irgendwie  in  den  Schatten  gestellt  hätte. 


S.  288 ff.;  Leop.  Schmidt  Symbolae  philol.  Bonn.  I.  p.  283 ff.;  E.  A.  Berch 
Ztsch.  f.  Gymnasialw.  26  (1872)  S.  145  ff.  313  ff.  27(1873)  S.  417  ff.  28(18.74) 
8.  498 ff.,  Volk.  Hölzer  ebend.  1873  S.  161  ff.,  Hertel  ebend.  1872  S.  767 ff.; 
H.  Lei  dl  off  der  Charakter  des  Oe.  im  Oe.  Tyrannus  des  S.,  Pr.  v.  Holz- 
minden 1873;  Ant.  Fischer  znr  Charakteristik  des  soph.  Oe.,  Pr.  v.  Eger 
1876;  Emil  Müller  über  den  Charakter  der  Hauptperson  im  König  Oe.  des 
8.,  Festschrift  des  Zittauer  Gymn.  1886  p.  61  ff.  —  Friedr.  Lübker  8'.  Oe. 
u.  8hake8peare's  Lear,  Pr.  v.  Parchim  1861;  J.  Richter  Oedipus  u.  Lear. 
Eine  Studie  zur  Vergleichung  Shakespeares  mit  Soph.,  Pr.  v.  Lörrach  I. 
1884.  n.  1886. 

1)  Z.  B.  266  ff.  545  ff.,  besonders  in  der  grossen  Rede  gegen  Kreon  960  ff. ; 
vgl.  Rupert  Kun^merer  über  das  Schuldbewnsstsein  des  soph.  Oe.  auf  K., 
Pr.  V.  Pettau  1872. 

2)  Phil.  Mayer  über  den  Charakter  des  Kreon  in  den  beiden  Oedipen 
des  S.,  Pr.  v.  Gera  1846  u.  1848. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  293 

Der  ganze  Ton  des  Stückes  weicht  gleichfalls  von  dem 
des  ,, König  Oedipus"  völlig  ab.  Dort  sieht  der  Zuschauer  bange 
das  Verderben  leisen  Schrittes  herannahen  und  endlich,  das 
stolze  Königshaus  unrettbar  zusammenbrechen  ;  hier  erbUckt  er 
einen  glückUchen  Ausgang  und  zwar  lässt  der  Dichter,  ehe 
noch  ein  aufregender  Zwischenfall  die  Erwartung  spannt,  durch 
göttliche  Orakel  versichern,  Oedipus'  unseUges  Leben  werde 
sich  endlich  zum  Guten  wenden.  Die  Zuschauer  können  sich 
also  bei  Kreons'  Gewaltthat  den  Empfindungen  reiner  Rührung 
hingeben.  Wenn  aber  Oedipus,  der  Fremdling,  dem  attischen 
Lande  für  alle  Zukunft  angehören  sollte,  durfte  sein  Entschluss 
nicht  als  unüberlegter  Ausfluss  massloser  Leidenschaft  erscheinen; 
der  Dichter  lässt  ihn  daher  aller  Ueberredung  unerschütterlichen 
Widerstand  leisten.  Kreons  dialektische  Rede  bleibt  wirkungs- 
los, selbst  die  brutale  Gewalt  fruchtet  nicht,  obgleich  Oedipus 
auf  das  tiefste  erschüttert  wird;  Polyneikes  scheint  in  seiner 
Schutzlosigkeit  und  Demut  schwächer  als  jener  zu  sein ,  doch 
er  ist  trotz  allem,  was  geschehen  ist,  der  Sohn  des  Greises  und 
kommt  unter  dem  Schutze  der  Gottheit.  Erst  als  Oedipus  diese 
schwerste  der  drei  Prüfungen  bestanden,  lässt  ihn  der  Dichter 
auf  Kolonos  die  ewige  Ruhe  finden. 

In  der  gemächlichen  Breite  und  Fülle  der  Reden,  vielleicht 
auch  in  mancher  Nachlässigkeit  des  Ausdrucks,  macht  Sopho- 
kles sein  hohes  Alter  ein  wenig  fühlbar;  auch  der  berühmte 
Lobgesang,  welcher  den  Preis  des  heimatlichen  Gaues  mit  dem 
des  gesaraten  Landes  fein  verbindet,  schildert  den  Reiz  der 
Gegend  mit  einer  innigen  Empfindung,  wie  sie  dem  Scheiden- 
den innezuwohnen  pflegt. 

Indem  Polyneikes  vor  seinem  Abgange  Antigene  um  seine 
dereinstige  Bestattung  bittet,  wenden  sich  unsere  Gedanken  dem 
dritten  thebanischen  Stücke  zu,  das  mit- „König  Oedipus''  um 
die  Krone  kämpft*).     Von   Antigone's  Schuld    nach    dem 


1)  Aug.  Böckh  über  die  A.  des  S.,  Abb.  der  Berl.  Akad.  1824.  1828, 
in  seiner  Ausgabe  wiederholt;  J.  G.  Ottern a  de  S.  Antigona,  Diss.  v.  Utrecht 
1828;  G.  Ant.  Heigl  über  die  A.  u.  die  Elektra.'des  S.,  (Passau)  Regeus- 
burg  1828;  J.  £.  Schliepbtein  quam  primariam  S.  in  componenda  Anti- 
genes fabnla  persequutas  sit  sententiam,  Susati  1830;  Frd.  Stadelmann 
de  8.  Antigona,    Pr.   v.   Dessau  1831;    Gr^.  W.  Nitzsch    de   S.  Ajitigone, 


Digitized  by 


Google 


294  Vni.  Kapitel. 

S.  204  f.  gesagten  absehend,  wollen  wir  uns  mit  dem  Tliat be- 
stände allein  beschäftigen.  Dass  Antigene  ihren  Bruder  wider 
den  Willen  der  Herrscher  begrub,  war  thebanische  Sage  ^),  aber 
Aeschylus  hatte  noch  keine  tragische  Folgerung  daraus  gezogen 
(S.  260).  Sophokles  fand  in  diesem  Mädchen,  das  allen  Droh- 
ungen trotzt  und  ihre  eigenen  Wünsche  zu  opfern  bereit  ist 
eine  Heldip  nach  seinem  Sinne,  und  machte  dadurch,  dass  er 
an  ihren  ungestümen  Vater  erinnert  (V.  471  f.),  ihre  Sinnesart 
natürlich  und  begreiflich.  Um  jedoch  das  Ungewöhnliche  ihrer 
Handlungsweise  scharf  abzuheben,  setzt  der  Dichter  Antigene 
ihre  zartere  Schwester  Ismene  entgegen ,  an .  welcher  er  edle 
Mädchenart  darstellt;  bei  einer  so  verwegenen  That  mitzuhan- 
deln  zagt  sie  zwar,  aber  mitleiden  möchte  sie  wohl,  Selbst  die 
Geronten  von  Theben  furchten  das  strenge  Regiment  Kreons 
mehr  als  seine  heroische  Nichte  und  vertreten  (auch  wenn  der 
König  sie  nicht  hört)  den  beschränkten  Unterthanenverstand  *). 


ind.  lect.  aeet.  Kiel  1836;  J.  Lessmann  de  samma  sententia  quam  S.  secutua 
est  in  A.  febula,  Pr.  v.  Paderborn  1837;  Böckh,  Tölken,  Fr.  Förster 
über  die  A.  des  S.  u.  ihre  Darstellung  auf  dem  kgl.  Schlosstheater,  Berlin 
1842;  Ueber  S\  A.  u.  ihre  Darst.  auf  dem  deutschen  Theater,  Lpg.  1842; 
Theod.  Schacht  über  die  Trag.  A.  nebst  einem  vergl.  Blick  auf  S.  u.  Shake- 
speare, Darmst.  1842;  Seh  er  m  Darst.  der  A.  des  S.,  Pr.  v.  Konstanz  1842;  H. 
Köchly  über  S'.  A.,  Dresden  u.  Lpg.  1844;  A.  Richter  über  die  A.  des  S., 
Pr.  V.  Elbing  1844;  Frz.  Wolfg.  U  Irich  über  die  relig.  u.  sittl.  Bed.  der  A.  des 
S.,  Pr.  V.  Hamburg  18&3;  Ziegler  über  die  A.  des  S.,  Pr.  v.  Stuttgart, 
Tüb.  1856;  Gy  Iden  iden  i  Sofokles'  A.,  Diss.  v.  HeUingfors  1857;  Ed.  Her- 
mann die  Konstruktion  der  A.  des  S.,  Pr.  v.  Detmold  1858;  W.  Kocks  die 
Idee  des  Tragischen  entw.  an  der  A.  des  S.  Pr.  v. Köln  1858 ;G.  Thudichum 
zu  8\  A.,  Pr.  V.  Büdingen,  Darmstadt  1858;  J.  B.  Hutter  über  Plan  u. 
Idee  der  A.  des  S.,  Pr.  ▼.  München  1862;  K.  Lehrs  Jahrbb.  f.  Phil.  85 
(1862)  S.  297  flf.;  W.  Vischer  Rhein.  Mus.  20,  444flf.  =  kleine  Schriften 
II  632  flf.;  R.  Seidel  über  die  A.  des  S.,  Pr.  v.  Bochum  1867;  Leop.  Selig- 
mann die  A.  des  S.,  Halle  1869;  G.  J.  Dahlbäck  är  S.  A.  en  tragisk  per- 
sonlighet  ?  Falun  1870;  Mart.  S  ti  er  Langbeins  päd.  Archiv  15  (1873)  S.  241  ff. ; 
K.  Riedel  das  Stget  der  soph.  A.,  Pr.  v.  Waidhofen  1883;  £.  Jochum 
die  von  Aristoteles  in  der  Poetik  aufgestellten  Normen  angewendet  auf  A. 
des  S.,  Pr.  v.  Brixen  1884.  —  üeber  Alfieris  Bearbeitung  E.  Q.  Visconti 
due  discorsi  inediti,  Milano  1841. 

1)  Eine  Stelle  hiess  S6p{i.a  'Avti^övY}«;  Paosan.  9,  25,  2. 

2)  Besonders  deutlich  in  den  vorsichtigen  Versen  872  flf.,  über  den  Chor 
der  Antigone:  Joh.  Christoph  Held  Bemerkungen  zur  Charakteristik  des 
Chors  in  der  A.  des  S.,  Pr.  v.  Bayreuth  1847;  Em.  Leonh.  Wiener  die  Be- 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  295 

Ich  möchte  fast  sagen,  Sophokles  hat  die  Grösse  der  That  nicht 
allein  durch  den  Kontrast  anderer  Charaktere  erhoben;  denn 
Antigone  selbst  bleibt  sich  nicht  gleich.  Jeder  Nerv  hat  sich 
an  ihr  gespannt ,  die  Schwösterpflicht  unbekümmert  um  alles 
andere  zu  vollziehen  und  ihr  Recht  zu  verteidigen;  von  ihrem 
Verlobten  spricht  sie  nicht  und  will  auch  nicht  an  ihn  denken. 
Sowie  jedoch  die  That  vollbracht  ist,  wird  die  Heldin  wieder 
zum  Mädchen.  Bereut  sie  auch  ihre  That  nicht,  lässt  sie  doch 
jetzt  ahnen  ,  was  sie  ihr  Entschluss  gekostet  hat.  Sagt  nicht 
auch  Marquis  Posa:  „0  Qottl  Das  Leben  ist  doch  schön*'? 
Mit  weniger  Worten  zwar,  weil  er  ein  Mann  ist,  aber  mit  gleicher 
Empfindung.  Die  Ellage  der  einem  schauerlichen  Tode  ent- 
gegengehenden Antigone  ist  demnach  psychologisch  ebenso 
wahr  als  sie  dem  griechischen  Tragiker,  der  Mitleid  und  Rühr- 
ung anstrebt,  notwendig  ist. 

Ihr  gegenüber  steht  Kreon  ^),  welcher,  nachdem  er  aus  übel 
verstandenem  Patriotismus  das  Gebot  erlassen,  dieses  aus  be- 
leidigter Eitelkeit  (nicht  im  Staatsinteresse,  wie  Haimon  nach- 
weist) über  Naturgebot  und  alle  natürliche  Empfindung  setzt. 
Schwesterpflicht,  das  Recht  der  Toten,  die  Liebe  seines  Sohnes 
rührt  ihn  so  wenig,  dass  er  Antigones  Rechtfertigung  zum  An- 
lass  einer  raffinierten  Strafe  nimmt;  aber  die  Unterwelt  lässt 
ihrer  nicht  spotten.  Dennoch  hat  Sophokles  keinen  unnatür- 
lichen Wüterich  gezeichnet;  auf  Teiresias'  erschütternde  Droh- 
ungen hin  möchte  Kreon  alles  wieder  gut  machen.  Gelingt 
ihm  dies  auch  nicht  mehr,  so  ist  er  doch  nun  im  Unglücke  des 
Mitleids  nicht  unwürdig.  Trotzdem  hat  doch  jeder  Grieche  in  Anti- 
gone und  nicht  in  Kreon  die  Hauptperson  des  Stückes  erblickt*), 


deotuDg  des  Chors  in  der  A.  des  S.,  Pr.  v.  Tescben  1856;    Berch  Ztech.  f. 
d.  Gynmasialw.  1873  S.  1  ff. 

1)  Job.  Christ.  Held  über  den  Charakter  Kreons  in  der  A.  des  S.,  Pr. 
V.  Bayreuth  1842;  W.  Doorenbos  de  moribns  Creontis  qaalem  descripsit 
S.,  Groningen  1845;  F.  G.  Schöne  Abhaudl.  über  die  Rolle  des  Kreon  in 
S.  A.,  Anbang  zu  „Schnlreden*^  Halle  1847;  Berch  Ztsch.  1*.  das  Gymnasialw. 
27  (1873)  S.  257  ff.;  £.  Symons  die  Sage  vom  theban.  Kreon  in  der  griech. 
Poesie,  Dis«.  v.  Jena,  Berlin  1873. 

-  2)  Demostb.  18,  180.  19,  246  f.  beweist,  dass  der  niederste  Schauspieler 
Kreon  spielte,  wie  auch  in  der  Komödie  die  Bollen  der  Bösen  dem  Tritago- 
nisten  zufielen  (Menander  bei  Stob.  flor.  106,  8). 


Digitized  by 


Google 


296  VIII.  Kapitel. 

wiewohl  diese  Rolle  den  moderneu  Hörer  mehr  anzieht,   dem 
modernen  Schauspieler  mehr  bietet^). 

Die  Heldin  erinnert  in  manchen  Beziehungen  anElektra'). 
Während  Aeschylus,  als  er  den  gleichen  Stoff  in  den  „Choepho- 
ren**  behandelte,  der  Trilogie  wegen  Orestes,  den  Rächer  seines 
Vaters,  in  den  Mittelpunkt  der  Handlung  stellen  musste,  konnte 
ihn  Sophokles,  von  jener  Rücksicht  frei,  zu  einer  interessanten 
Charakterfigur  nicht  gebrauchen,  weil  ihm,  der  weder  den  Vater 
noch  den  Mord  geschaut  noch  auch  das  wüste  Treiben  der  Ver- 
brecher erlebt  hatte ,  eine  aus  dem  Herzen  quellende  Leiden- 
schaft natürlich  fremd  war.  Orestes'  That  war,  insofern  ihn 
sowohl  die  Pflicht  der  Blutrache  als  Apollos  Orakel  trieb,  eher 
verstandesmässig  und  darum  erschüttert  ihn  die  That  nicht  so 
wie  den  äschyleischen  Helden,  wie  durfte  auch  ein  seiner  gött- 
lichen Sendung  bewusster  Mann  über  der  Ausführung  des  Ge- 
botes dem  Wahnsinn  verfallen?  Während  der  sophokleische 
Orestes  also  nur  den  Arm  zur  That  leiht,  teilt  der  Dichter  die 
pathetische  Rolle  seiner  Schwester  Elektra  zu,  welche  jenes  alles 
geschaut  und  durchlebt  hatte  und  durch  die  unwürdigste  Be- 
handlung täglich  von  neuem  daran  erinnert  wurde  ^).  So  wuchs 
in  ihrer  Seele  eine  unauslöschliche  Rachsucht  auf,  welche  alles 


1)  Daher  teilt  Karl  Frey  Jahrbb.  f.  PhU.  117,  460 flf.  (vgl.  Preller 
ueue  jenaische  Literaturzeitung  1844  S.  214 ff.)  Kreon  die  Hauptrolle  zu;  s. 
dagegen  Härtung  Festschrift  f.  ürlicha,  Würzburg  1882  S.  25.  49.  Lucian. 
apol.  5.  necyom.  16  darf  man  nicht  dafür  anfahren,  denn  er  nennt  wie  Jnp. 
trag.  3  bekannte  Schaaspielernamen  als  Vertreter  des  gesamten  Standes. 

2)  Jos.  Heimbrod  de  Sophoclis  E.,  Pr.  v.  Gleiwitz  1848;  Friedr. 
Lübker  Zergliederung  u.  veigl.  Würdigung  der  E.  des  S.,  Pr.  v.  Parchim 
1851;  E.  Ziel  in  Sophoclis  fab.  E.  quae  fuerit  cum  scenae  disposito  tum 
argnmenti  tractatio;  Pr.  v.  Hildesheim  1860 ;  Frdr.  Schmalfeld  einige  Bem. 
znr  E.  des  S.  mit  einem  Seitenblick  auf  Shakespeares  Hamlet,  Pr.  v.  Eis- 
leben 1868;  Günther  Mayrhofer  des  S.  Electra  u.  die  Trilogie,  Pr.  v. 
Kremsmünster  1870;  W'.  Junghans  eine  vermeintliche  Lücke  in  der  Ex- 
position der  soph.  E.,  Pr.  v.  Lüneburg  1874;  F.  Braungar teu  die  sittliche 
Anschauung  u.  die  Charakterzeichnung  nach  ihren  Motiven  u.  Tendenzen  in 
S'.  E.,  Pr.  V.  Mies  1884.  —  Job.  Christ.  Held  Bemerkungen  über  den  Chor 
in  der  E.  des  S.,  Pr.  v.  Bayreuth  1861.  —  A.  Heintze  Versuch  einer  Parallele 
zwischen  dem  soph.  Orestes  u.  dem  shakesp.  Hamlet,  Pr.  v.  Treptow  1857.  — 
Vgl.  ausserdem  die  S.  261  A.  2  angeführten  Schriften. 

3)  Ueber  ihren  Charakter  Jacobs  Nachtrftge  zu  Sulzer  4,  %  ff. ; 
Günther  Grnndzüge  der  tragischen  Kunst  S.  144 fi. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  297 

Frauenhafte  erstickt.  Elektra  würde ,  wenn  ihr  Bruder  nicht 
käme,  mit  eigener  Hand  die  Rache  wagen  und  sie  ruft,  als  er 
den  tötlichen  Streich  gegen  die  Mutter  geführt  hat,  dasi  grauen- 
hafte Wort  ihm  zu:  „Schlag'  noch  einmal,  wenn  du  kannst*'. 
Wenn  der  Dichter  auch  diesmal  der  Heldin  in  Chrysothemis 
eine  sanftere  Schwester  an  die  Seite  stellt,  erzielt  er  damit 
keinen  so  glückhchen  Kontrast  wie  in  der  „Antigone",  wenn 
anders  letztere,  sowie  es  der  Griechin  im  Unterschiede  von  dem 
hellenischen  Manne  geziemt,  edel  sagt:  „Nicht  mitzuhassen, 
sondern  mitzulieben  ward  ich  geboren".  Vielleicht  ist  der  feine 
Kenner  des  schönen  Ebenmasses  in  der  Charakteristik  Elektras 
über  die  sonst  so  wohl  behütete  Grenze  etwas  hinausgegangen, 
weil  er  „Antigone'*  vorher  gedichtet  hatte  und  einen  gewissen 
Stolz  darein  setzte,  immer  wieder  einen  ganz  neuen  Charakter 
an  dem  Haupthelden  zu  zergliedern  ^).  Doch  vielleicht  dachte 
überhaupt  kein  Grieche  an  solche  Bedenken;  jedenfalls  gehörte 
„Elektra*'  zu  den  Lieblingsstücken  der  Zeit  der  römischen  und 
byzantinischen  Kaiser. 

Der  Verzicht  auf  die  trilogische  Gliederung  veranlasste 
ferner  den  Dichter,  dass  er  Klytaimestra  und  Aigisthos  absicht- 
lich in  dunklen  Farben,  obgleich  nicht  jeder  Entschuldigung 
bar^,  malte,  damit  ihr  Tod  gerade  in  der  höchsten  Not,  als 
Aigisthos  Elektra  sogar  vom  Tageslichte  verschwinden  lassen 
will,  eintretend,  eine  vollauf  verdiente  Sühne  ist.  Im  Uebrigen 
sucht  Sophokles  die  aeschyleische  Anlage  zu  bessern  ,  indem 
er  Aigisthos  zufällig  abwesend  sein  lässt,  so  dass  Klytaimestra 
scljutzlos  ist;  durch  diese  Anordnung  lenkt  er  gleichzeitig  Orestes, 
weil  dieser  noch  an  Aigisthos'  Beseitigung  zu  denken  hat,  von 
düsteren  Gewissenserwägungen  ab.  Hieraus  entsprang  freilich 
die  unserem  Geschmacke  nicht  zusagende  letzte  Scene,  wo  er  Aigi- 
sthos in  das  Haus  führt,  um  ihn  an  der  Stelle  des  Mordes  zu 
töten ;  Nicht  bloss  Racines  Athalie .  sondern  auch  die  „Choe- 
phoren'*  haben  eine  analoge  Situation  glücklicher  gewendet.  Die 
einfache  Handlung  des  letzteren  Stückes  ist  von  Sophokles  mit 

1)  Die  Maske  der  Antigone  und  Elektra  war  übrigens  gleich  (Dios- 
korides  Anthol.  Pal.  7, 37,  7  ff.) 

2)  Im  Gegenteil  rnft  die  falsche  Todesbotschaft  den  Rest  der  Mutter- 
liebe wach,  ein  feiner  Zug,  wovon  Aeschylns  nichts  weiss. 


Digitized  by 


Google 


298  Vin.  Kapitel. 

einem  gewissen  Raffinement  verwickelt  worden ;  denn  statt  dass 
Elektra  sofort  durch  ihren  Bruder  Trost  empfängt,  lässt  er  durch 
die  falsche  Botschaft  nicht  allein  die  Schuldigen,  sondern  auch 
die  Schwester  getäuscht  werden  und  setzt  dann  ihrer  wilden 
Verzweiflung  Chrysothemis'  frohe  Hoffnung  entgegen.  Dieses 
Widerspiel  führt  Sophokles  mit  gewohnter  Meisterschaft  durch ; 
da  er  nach  der  Sitte  seiner  Zeit  die  Hörer  über  den  wahren 
Sachverhalt  aufklären  muss,  führt  der  Prolog  Orestes  mit  seinem 
alten  Pädagogen  ohne  rechten  Grund  vor  ^),  wiewohl  die  Expo- 
sition im  einzelnen  sorgfältig  ausgeführt  ist');  auch  das  Auf- 
treten des  Chors  hat  er  nicht  recht  motiviert. 

„Äias*'^)  hat  eine  äusserst  einfache  Handlung:  Der  im 
Waffenstreite  besiegte  Aias  ermordet  sich,    als  er  aus  seinem 

1)  U.  V.  Wilamowitz  Hermes  18,  214. 

2)  Scbol.  prol.  1.  3.  32. 

3)  Im  Altertam  ATac  ji.aoTtYOf6po<:  (Argam. ,  Athen.  7,  277  c.  Clem. 
Alex.  Strom.  6,  740  P,  263  8.  Zenob.  cent.  4,  4.  Schol.  Vatic.  Eurip.  Ale. 
897.  Enstath.  in  II.  p.  757,  16.  1139,  61,  anch  in  Handschriften,  s.  Dindorfs 
schol.  in  Soph.  p.  406)  wegen  V.  110  nnd  242  zum  Unterschiede  von  Atac 
Aoxpoc  genannt.  —  Joh.  W.  Süvern  de  S.  Aiace  flagellifero,  Pr.  v.  Thorn 
1800;  A.  F.  Bernhardt  über  den  Ajax  des  S.,  Pr.  des  Friedrichsg.,  Berlin 
1813;  Frdr.  Osann  über  des  S.  Ajax,  Berlin  1820;  Jos.  Heimbrodde  Soph. 
Aiace,  Pr.  v.  Gleiwitz  1825  o.  Jahns  Archiv  6,  34 £f.;  Immermann  über 
den  rasenden  Ajax  des  S. ,  Magdeburg  1826;  G.  Welcker  Rhein.  Mus.  3 
(1829)  S.  44 £f.  229 ff.,  mit  Zusatz  kleine  Schriften  2,  264 ff.;  L.  Benloew 
de  Sophoclis  A.,  Göttingen  1839;  Fr.  Wüllner  Ztsch.  f.  Philos.  u.  kathol. 
Theol.  N.  F.  3  (1842)  S.  Iff.;  L.  Döderlein  Reden  u.  Ansätze  1843;  Chr. 
Vollbehr  de  Sophoclis  Aiace,  Pr.  v.  Plön  1848;  Eramhals  über  den  A. 
des  S.,  Pr.  v.  Riga  1850;  Franz  Rot  he  über  die  Composition  u.  Idee  des 
soph.  Ajax,  Pr.  v.  Eisleben  1859;  Karl  Weismann  über  S\  A.,  Pr.  v.  Fulda 
1852;  Frdr.  Lübker  Prolegomena  zu  S.*  A.,  Pr.  v.  Parchim  1853  =  gesamm. 
Schriften  zur  Philol.  II  (1868)  S.  62  ff.;  J.  Seiz  Darst.  des  Gedankenzusammen- 
hangs in  A.  von  S.  V.  1—590,  Pr.  v.  München  1856;  Fr.  S.  Romeis  de 
Aiacis  Sophoclei  oompositione,  Pr.  v.  Neuburg  1863;  Kvicala  Ztech.  f.  öst. 
Gymn.  1870  S.  677 ff.;  Wilh.  Hukestein  S.  quam  sententiam  et  qua  arte 
in  A.  fabnia  persecutus  sit,  Pr.  v.  Recklinghausen  1876;  Graul  de  Sophoclis 
A.,  Pr.  V.  Soest  1878;  E.  La  m bin  Ajax,  Paris  1878.  —  Ueber  den  Charakter 
des  Helden:  Ed.  G5 bei  Ztech.  f.  österr.  G.  1857  S.  181  ff.;  H.  Maschek 
der  Char.  des  A.  in  dem  gleichnamigen  Drama  des  S.,  Pr.  v.  Wien  1873.  — 
K.  W.  Piderit  scenische  Analyse  des  soph.  Dramas  A.  Mast.,  Pr.  v.  Hers- 
leld,  Cassel  1850;  Felix  Muche  quaestt.  de  re  scenica  fabulae  Sophocleae 
quae  A.  inscrib.  I.  Breslau  1879. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  299 

Wahnsinn  erwacht.  Aber  was  hat  Sophokles  daraus  gemacht! 
Anfangs  wird  die  geheimnisvolle  Hinschlachtung  allmälig  und 
kunstreich  aufgeklärt ;  auf  diese  Entdeckung  hin  will  der  stolze 
Held  nicht  mehr  leben.  Seine  Getreuen  mühen  sich  ihn  abzu- 
halten, endlich  meinen  sie,  durch  zweideutige  Rede  getäuscht, 
es  sei  ihnen  gelungen,  und  freuen  sich  der  Ankunft  des  lange 
herbeigesehnten  Teukros,  da  stürzt  sie  plötzlich  ein  Propheten- 
wort aus  ihrem  Jubel  und  wirklich  gibt  sich  Aias  nach  einem 
ergreifenden  Selbstgespräche  den  Tod  ;  bei  Sophokles  wird  dieser 
auf  der  Bühne  vorgeführt,  während  Aeschylus  zu  einem  Boten- 
bericht gegrififen  hatte  (S.  191).  Hiemit  durfte  ein  athenischer 
Dichter  nicht  abschliessen ,  denn  wie  konnte  A.then  den  zu 
seinen  geehrtesten  Heroen  rechnen,  den  die  Schutzgöttin  des 
Landes  selbst  in  Wahnsinn  gestürzt  und  dem  Odysseus  nach- 
gesetzt hatte  ^)  ?  Aus  diesem  Grunde  erkannte  der  Letztere, 
nachdem  zuvor  Aias'  Recht  und  Unrecht  von  Freund  und 
Feind  erörtert  war,  wider  Erwarten  die  überlegene  Tüchtigkeit 
des  Helden  neidlos  an  *).  Indes  ist  der  zweite  Teil  des  Stückes 
mehr  als  ein  gutpatriotisches  Nachspiel.  Einerseits  begründet 
er  die  Eingangsscene,  insofern  nach  den  Schmähworten  des 
Aias  und  seiner  Gefährten  Odysseus  sich  des  göttlichen  Schutzes 
würdig  erweist;  Sophokles  scheint  zu  jener  Idee  durch  einen 
edlen  Vers  seines  Vorbildes  Homer  inspiriert  worden  zu  sein^), 
weshalb  er  von  der  in  der  Tragödie  herkömmlichen  Charak- 
teristik des  Odysseus  zur  homerischen  zurückkehrt.  Dafür 
fällt  der  Schatten  auf  die  zwei  Atriden,  ohne  dass  der  Dichter 
feige  neidische  Intriganten  zeichnet,  wie  Euripides  an  seiner 
Stelle  gethan  hätte.  Endlich  bangte  jeder  echte  Grieche  um 
die  würdige  Bestattung  der  Leiche;  oder  war  etwa  ein  Motiv, 
aus  dem  ganze  Tragödien  („Antigone"  und  die  euripideischen 
„Schutzflehenden")  entwickelt  wurden,  zu  jener  Zeit  für  ein 
Nachspiel  zu  unbedeutend  und  matt*)? 


1)  V.  118  ff.   758  ff.     Der  Dichter   sucht   durch    feine   Zuge   ein    über- 
mässiges MiÜeid  fernzuhalten  (Schol.  112.  118.  766). 

2)  Seine  Absicht  deutet  Sophokles   V.  924  «»<;  xal   Kap'  «x^P**^^  ^i^o^ 
^pYjvoo  To^elv  an. 

3)  05x  6otYj  xxa(ilyo(0(v  eic'  avSpdoiv  e^xe'caao^at  (Odyss.  x  412).     Auch 
der  Schlnss  des  „TelP'  ergänzt  die  moralische  Beurteilung. 

4)  Schol.  V.  1123  und  Lobeck  sprachen  Tadel  aus,  entschiedener  Beigk 


Digitized  by 


Google 


300  Vni.  Kapitel. 

An  der  Fabel  des  „Philok tet"^)  versuchten  die  drei 
Meister  der  Tragödie  wetteifernd  ihre  Kunst  mit  solchem  Glück, 
dass  dei'  Rhetor  Dion  Chrysostomos,  welcher  in  der  LII.  Rede 
die  drei  Stücke  gegen  einander  abwägt  *),  keinem  von  ihnen  den 
Preis  zuzuerkennen  wagt  Was  den  Entwurf  des  Ganzen  be- 
trifft, scheint  doch  Sophokles  den  Vorzug  zu  verdienen ;  er  war 
allerdings  diesmal  in  der  günstigen  Lage,  zu  Aeschylus'  Auf- 
fassung auch  die  euripideische  verwerten  zu  können.  Es  han- 
delt sich  darum,  dass  Philoktet,  der  einst  auf  Lemnos  ausge- 
setzt worden  war,  mit  dem  Bogen  des  Herakles  in  das  SchiflFs- 
lager  gebracht  würde,  eine  Aufgabe,  der  nur  die  List  des  Laer- 
tiaden  gewachsen  war.  Aeschylus  nun  nahm  einfach  an,  Phi- 
loktet kenne  Odysseus  nach  den  verflossenen  zehn  Jahren  nicht 
mehr,  was  Euripides ,  welcher  aus  dem  Epos  Diomedes  (wir 
wissen  nicht  mehr,  zu  welchem  Zweck)  beifügte,  durch  Athenes 
Hilfe  glaubwürdiger  machte.  Die  Ausführung  beschränkte  Aeschy- 


(Ausg.  XXXV);  Osann  a.  O.  S.  35flF.  u.  Ad.  SchöU  nahmen  eine  Trilogie 
au.  S.  ansser  den  erwähnten  Schriften  Grnppe  Ariadne  S.  208 ff.;  £. 
Keichard  de  interpolatione  fabulae  Sophocleae  quae  inscr.  A. ,  Diss.  v. 
Jena  1880;  J.  v(^n  Lee u wen  comm.  de  authentia  et  integritate  Ajacis 
Sophoclei,  Utrecht  1881;  R.  Ruby  nonnulla  de  Ajacis  Sophoclei  integritate, 
Pr.  V.  Mährisch-Weisskirchen  1884. 

1)  Lessing  Laokoon  L  FV. ;  Herder  kritische  Wälder  L  Kap.  2.  5; 
A.  F.  Bernhard!  über  den  Ph.  des  S.,  Berlin  1811.  «1825;  Fr.  W.  Hassel- 
bach über  den  Philoctetes  des  S. ,  Stralsund  1818;  Aug.  Buttmann  de 
Sophoclis  Philocteta,  Pr.  v.  Prenzlau  1839;  E.  Pause  die  Entwicklung  im 
soph.  Ph. ,  Pr.  V.  Weimar  1839;  E.  Greverus  Würdigung  der  Trag.  Ph. 
des  S. ,  Pr.  v.  Oldenburg  1840;  Heinr.  Kolster  über  den  Philoctet  des  S., 
Pr.  V.  Meldorf  1844;  Kour.  Seh  wenck  über  des  S.  Philoctetes,  Pr.  v.  Frank- 
furt a.  M.  1844;  Frdr.  Zimmermann  über  den  Ph.  des  S.  in  ästhetischem 
Betrachte,  Pr.  v.  Darmstadt  1847;  F.  A.  Hekmeijer  Philoctetae  Sophoclis 
enarratio,  Utrecht  1851;  J.  E.  Ried  er  Abh.  über  den  soph.  Ph.,  Pr.  v.  Graz 
1852;  Aug.  Geffers  de  deo  ex  mach,  in  Ph.  Sophoclis  interveniente ,  Pr.  v. 
Gott.  1854;  C.  Lenormant  du  Ph.  de  S.,  Paris  1856;  G.  Rentsc h  über 
die  versch.  Auffassungen  des  soph.  Ph.  Pr.  v.  Detmold  1859;  Heinr.  Abeken 
die  tragische  Lösung  im  Ph.  des  S.,  Berlin  1860;  Dav.  Ernst  Kurze  de 
fabula  Philoctetae  I.  Diss.  v.  Halle  1864;  Ahlqnist  de  tabula  Sophoclea 
quae  inscr.  Ph. ,  Diss.  v.  Upsala  1866;  Gust.  Wen  dt  über  den  Ph.  des  S., 
Pr.  V.  Hanau  1866;  R.  Matthäi  der  Ph.  des  S.,  Pr.  v.  Stade  1874.  — 
Karl  Reichel  über  den  Chor  des  soph.  Ph.,  Pr.  v.  Laibach  1855. 

2)  Vgl.  Gruppe  Ariadne  S.  418 ff. 

Digitized  by  CjOOQIC 


Sophokles.  301 

lu8  auf  die  listige  Erlangung  des  Bogens;  Euripides  kam  es 
hingegen  auf  die  Ueberredung  des  Helden  an  und  so  liess  er 
scharf  pointierend  Odysseus  mit  einer  Gesandtschaft  der  Troer 
streiten,  worauf  Philoktet  aus  freiem  Willen ,  trotz  der  grossen 
Versprechungen  der  Feinde,  sich  wieder  den  Griechen  zuwendet. 
Sophokles  wählte  hinsichtlich  des  ersten  Punktes  das  Natür- 
liche, indem  er  Odysseus  das  Unternehmen  aus  dem  Hinter- 
grunde leiten  Hess.  Welcher  Grieche  nun  konnte  allein  ohne 
Schuldbewusstsein  vor  Philoktet  erscheinen?  Kein  anderer  als 
der  eben  erst  in  den  Krieg  gezogene  Sohn  des  Achilleus.  Ihm 
allein  wird  der  misstrauische  Kranke  vertrauen  und  auch  den 
Bogen  nicht  vorenthalten.  Damit  wäre  nach  Aeschylus'  äusser- 
licher  Anschauung  das  Ziel  erreicht,  aber  Sophokles  prüft  den 
sittlichen  Gehalt  des  Vorganges  strenger.  Ziemte  es  dem  jungen 
Helden  einen  hilflosen  Mann  zu  betrügen  ?  Neoptolemos'  Gefühl 
des  Rechten  kann  durch  das  staatskluge  Raisonnement  des 
Odysseus  eine  Zeit  lang  eingeschläfert  werden ,  doch  bricht  es 
unaufhaltsam  hervor,  als  Philoktets  Leiden  sein  tiefstes  Mitleid 
erweckt,  und  gibt  den  Erfolg  der  Intrigue  grossmütig  preis. 
Man  erwartet  nun,  Philoktet  werde,  durch  diese  Ehrlichkeit  ge- 
rührt, Neoptolemos  freiwillig  folgen.  Allein  jahrelanges  Leiden 
und  die  Pein  der  trostlosen  Einsamkeit  haben  nach  Sophokles 
dem  Kranken  den  Feindeshass  zur  zweiten  Natur  gemacht ; 
mag  dies  auch  psychologisch  richtig  sein,  berührt  doch  die 
verstockte  allem  Zuspruch  unzugängliche  Starrheit  peinlich.  Herak- 
les zerhaut  als  deus  ex  machina  den  Knoten.  So  hat  das  Stück 
einen  faät  pathologischen  Zug,  welchen  Eindruck  die  realistische 
Schilderung  der  Krankheit  verstärkt,  zumal  da  sie  einst  auf 
der  Bühne  natürlich  viel  krasser  als  im  Buche  wirkte.  Der 
Chor  hingegen  spricht  unstreitig  zu  Gunsten  unseres  Dichters. 
Denn  ein  Chor  von  Lemniern  hatte  etwas  befremdendes,  weil 
er  nach  so  vielen  Jahren  plötzlich  kam ,  wie  bei  Aeschylus ; 
Euripides  machte  die  Sache,  wenn  er  die  Lemnier  sich  deswegen 
ausdrücklich  entschuldigen  liess,  nur  schlimmer.  Wie  natürlich 
war  es  dagegen ,  dass  Neoptolemos  mit  seinen  Schiflfsleuten 
auftrat  1 

Sowohl    mythisch    als    durch    die    drastische   Darstellung 
schweren  Leides  steht  das  nach  dem  Chor  „Trachinierinen" 


Digitized  by 


Google 


302  Vin.  Kapitel. 

betitelte  Stück  ^)  mit  „Piiiloktet"  in  Verbindung ;  es  ist  Ton 
den  sieben  erhaltenen  Dramen  das  schwächste,  freilich  immerhin 
ein  Werk  des  Sophokles.  Weder  das  Auftreten  und  das  Be- 
nehmen des  Chors  noch  die  Euripides^  Prologmanier  nahe 
kommende  Exposition*)  bewähren  Sophokles'  gewohnte  Kunst. 
Er  spannt  dieses  Mal  ein  wenig  durch  das  doppelsinnige  Orakel, 
Herakles  werde  um  diese  Zeit  das  Ende  seiner  Mühen  finden; 
überhaupt  verbreiten  allerlei  zweideutige  Prophezeiungen  und 
Missverstäüdnisse  über  das  Drama  eine  beengende  Schwüle,  von 
welcher  nicht  einmal  der  Schluss  befreit,  denn  Herakles  nötigt 
seinem  Sohn  vor  dem  Tode  noch  das  Versprechen  ab,  er  werde 
lole,  die  er  als  die  Ursache  von  seiner  Mutter  Tod  verabscheut, 
heiraten.  Hier  hat,  wenn  dies  den  Alten  auch  weniger  als  uns 
widerstrebte,  die  Poesie  der  festen  Ueberlieferung  ein  Zugeständ- 
nis machen  müssen ;  denn  jeder  Dorier  leitete  die  Fürsten  seines 
Stammes  von  Hyllos  und  lole  ab.  Im  allgemeinen  hätte  der  Stoff, 
schon  wegen  des  treibenden  Motives,  Deianeiras  Eifersucht,  für 
Euripides'  Eigenart  besser  gepasst 

Nicht  bloss  zu  Lebzeiten  war  Sophokles  ein  Liebling  des 
athenischen  Volkes,  welches  seinen  Dramen  oftmals  den  ersten 
Preis  zusprach ')  imd  kein  einziges  verwarf,  sondern  auch  nach 


1)  A.  W.  Schlegel  zweifelte  die  Echtheit  an;    nach  AI.   Cap  eil  manu 
Allg.  Schulztg.  1832  H  Nr.  111  S.  901  nnd  Bernhardy  Grundriss  II  S.  818 
nicht  vollendet;  eine  Jugendarbeit  nach  L.  Diesen  kleine  Schriften  S.  342 
überarbeitet  nach  G.  Hermann   (vgl.  Yal.  Key  mann   quae  de  dnplici  fabu- 
lanim  quarundnm  Graecarnm  recensione  memoriae  prodita  sunt,  Pr.  v.  Afarien 
Werder  1840).     S.  anch  W.  Hamacher  de  Tr.  Sophoclis,  Berlin  1831;  Ant 
Bronikowski  animadv.  in  Tr.  Sophocleam  I.  Breslaa  1842;  C.H.Thiele 
mann  über  die  Tr.  des  8.,  Pr.  v.  Mersebnrg  1843;   C.  H.  Vo  Ick  mar  de  S 
Tr.  I.  Pr.  V.  Ilfeld,  Nordhansen  1839  u.  de  aetate  Tr.  S.  conjectura,   PhUol 
6  (1851)  S.  359 f.;    Ludw.  0x6  de  Sophoclis  Tr.,    Pr.   v.    Krenznach  1851 
Fr.  W.  Schneidewin  über  die  Tr.  des  S.,  Gott.  1854  (Abhandl.  der  Gott, 
Ges.   der  Wiss.  VI);    Franz   Rothe  de   Sophoclis   Trachiniarnm    argumento, 
Pr.  V.  Eisleben  1862;  Mart.  Stier  über  die  Tr.  des  S.,  Pr.  von  Neu-Rappin 
1876;  R.  Schreiner  zur  Würdigung  der  Trachiniai  des  S.  I.  Pr.  v.  Znaim, 
Wien  1886. 

2)  Mor.   Axt    comm.    crit.    qua    Tr.    Soph.   prolognm  subditicium   esse 
demoustratur,  Cliviae  1830. 

3)  Nach  der  Siegerliste  (S.  129)  20  mal,  nach  Diodor.   13,   103,  4  acht- 
zehnmal. 


Digitized  by 


Google 


Sophokka.  303 

seinem  Tode  wurden  sie  oft  wiederholt  ^).  Die  Mehrzahl  fand, 
wenn  sie  zwischen  den  drei  Tragikern  abwog,  in  Sophokles  das 
Ideal  des  Tragikers*)  oder,  wie  manche  sich  zierlicher  aus- 
drückten, den  Homer  der  Tragödie*).  Bei  Lykophron  und 
anderen  Dichtem  der  alexandrinischen  Zeit  nimmt  man  zahl- 
reiche Spuren  ihres  Interesses  für  den  grossen  Tragiker  wahr. 
Ueber  die  gelehrten  Arbeiten  derselben  Periode  sind  wir  un- 
genügend unterrichtet.  Ob  Praxiphanes,  ein  Schüler  Theo- 
phrasts,  einen  Kommentar  oder  nicht  vielmehr  Aporien  schrieb  *), 
bleibt  zweifelhaft.  Philochoros  handelte  ausführlich  von 
den  Stoffen  der  sophokleischen  Dramen,  weil  er  für  seine  Atthis 
vieles  daraus  ziehen  konnte  *).  Was  hingegen  die  eigentlichen 
Grammatiker  betriflFb,  findet  mau  nur  verschiedene  Bemerkungen 
Aristarchs  angeführt®).  Auf  Grund  der  älteren  Kommen- 
tare ')  veranstaltete  D  i  d  y  m  o  s  eine  erklärende  Ausgabe  mit 
kritischen  Zeichen®).  Unsere  Schollen  beruhen  jedoch  nicht 
unmittelbar  auf  ihm,  sondern  auf  Kommentaren  der  Kaiser- 
zeit, z.  B.  des  P  i  o  8  ^)  und  des  unter  Theodosius  lebenden 
Horapollon  ^^),  dem  die  Professur  in  der  Reichshauptstadt 


1)  Z.  B.  Dem.  19,  246.  Schol.  Soph.  Ai.  564. 

2)  Xenoph.  mem.  1,  4,  3.  Meuedemos  bei  Diog.  Laert.  2,  113.  Dios- 
korides  Anthol.  Pal.  7,  37.  Anthol.  Pal.  6,  146,  2.  Vita  Aeschyli  Z.  86  ff.  W. 
Vita  Sophoclis.  Tpaftxoc  %at'  eSox'^v  Anon,  progymn.  c.  3  (Walz,  ihetor.  I  602). 

3)  PolemoD  bei  Diogen.  4,  20  nud  Suidas  o.  "Oji.'rjpoc,  vgl.  Aristot.  poet. 
3.  Vita  20  mit  Note.  Papyrus  Rainer  bei  Oomperz  Anz.  der  Wiener  Akad. 
1886,  10.  Febr. 

4)  Schol.  OC.  900,  vgl.  Preller  de  Praxiphane  Peripat.,  iud.  1.  Dorpat 
1842  p.  25. 

5)  Soidas  n.  ^iXo^opo^  :  Tcspl  t(uv  So^oxXiot)(:  jxud'cuv  ßißXia  1. 

6)  Mehrfach  in  den  Schollen,  ausserdem  Harpocr.  u.  8Bpjifjorfj(;  und 
Hesych.  u.  Aoxoxxovoo  9'scb;  M.  Schmidt  Didymi  frg.  p.  262. 

7)  Ol  6icoji.viQjiaxtoTal  citiert  Didymos  bei  Schol.  Antig.  45,  s.  M. 
Schmidt  a.  p.  261. 

8)  Schol.  OC.  239;  vgl.  Schmidt  Didym.  fragm.  p.  241  f.  272 f.  Lehrs 
Jahrbb.  f.  Phil.  7  (1828)  S.  141  ff.,  der  wie  Gust.  Wolff  Didymos  für  die 
Hanptqnelle  unserer  Schollen  hält,  wogegen  die  Citierweise  spricht. 

9)  Mor.  Schmidt  a.  O.  p.  273  f.  354. 

10)  Suidas  s.  v.  (Dieser  könnte  z.  B.  die  Bemerkung  über  Alexandrien 
Schol.  Ai.  135  geschrieben  haben).  Zu  Ant.  523.  1326.  £1.  448  wird  wie  in 
den  Aristophanesscholien  xo  6K6)jLVY}{j,a  anonym  citiert.  Dass  Epaphrodeitos 
kein  sophokleisches  Olossar  schrieb,  weisen  O.  Jahn  Jahrbb.  f.  Phil.  67,  509 
n.  Mor.  Schmidt  Didymi  fragm.  p.  29  not.  nach. 


Digitized  by 


Google 


304  Vm.  Kapitel. 

gewiss  eine  autoritative  Stellung  verlieh;  eine  Hypothesis  des 
„Oedipus  auf  Kolonos"  trägt  den  Namen  des  Salustios. 
Die  Römer  der  klassischen  Zeit  schlössen  sich  natürlich  dem 
Urteile  ihrer  griechischen  Lehrer  an  ^)  und  bearbeiteten  viele 
Stücke,  wovon  leider  nur  Senecas  Verballhornung  des  „König 
Oedipus"  erhalten  ist  *).  Vielleicht  steht  seine  „Phaedra"  zur 
sophokleischen  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse'). 

Gegen  die  allgemeine  Bewunderung  erhoben  die  Rhetoren 
Einspruch.  Nicht  als  ob  sie  Sophokles  gering  geschätzt  hätten, 
aber,  auf  ein  ästhetisches  Urteil  verzichtend,  gaben  sie  für 
ihre  Studien  Euripides,  weil  der  angehende  Redner  daraus 
mehr  lernen  könne,  den  Vorzug*),  Dieses  Urteil  verhinderte 
zwar  nicht,  dass  Sophokles,  wie  zahlreiche  Anspielungen  und 
Imitationen  beweisen,  von  den  Männern  der  Feder  viel  gelesen 
wurde  %  doch  untergrub  es  sein  Ansehen ,  so  dass  selbst 
.Plutarch  in  seiner  Bewunderung  unsicher  ward  ^.  Die  Byzan- 
tiner ehrten  Sophokles  sehr '),  obgleich  nicht  so  wie  Euripides ; 
darum  erhielten  sie  bloss  sieben  Dramen  von  ihm  und  selbst 
von  dieser  geringen  Zahl  genügten  den  meisten  drei,  nämlich 
König  Oedipus,  Elektra  und  Aias  ®) ,  infolge  wovon  es  bloss 
für   diese   Stücke   drei   verschiedene   Handschriften   der   alten 


1)  Cicero  orator  1,  4.  fin.  5,  1,  3.  Verg.  ecl.  8,  10.  Ovid.  amor.  1,  15, 
15.  Plin.  nat.  bist.  37,  40.  Martial.  3,  20,  7.  50,  30,  1.  Javenalis  6,  636. 
Statilius  Flaccus  Anthol.  Pal.  9,  98. 

2)  J.  Köhler  Senecae  trag.,  quae  Oedipus  inscr.,  cum  Soph.  O.  R. 
comparata,  Neuss  1865;  W.  Braun  Rheiu.  Mus.  22,  245 ff. 

3)  C.  W.  Swahn    de   Hippolyti  Euripideae  fabula  I.   Stockholm  1867. 

4)  I^aher  der  S.  282,  1  erwähnte  Tadel  des  sophokleischen  Stils ! 

5)  Vgl.  z.  B.  Joh.  Malchin  de  Choricii  G«zaei  veternm  Graec.  scripta 
studiis,  Kiel  1884  S.  45  f.;  Nauck  zu  OR.  786,  795  u.  ö. 

6)  S.  de  aud.  poet.  7  p.  45  b  gegen  glor.  Athen.  348  d;  vielleicht  f^Ut 
die  sonderbare  Schrift  eines  Alexandriners  Phllostratos  „über  Sophokles* 
Plagiate"  [mpl  Ttjc  llotpoxXiooc  xXotcyj?,  Porphyrios  bei  Euseb.  praep.  evang. 
10,  3,  8)  in  diese  Zeit. 

7)  Als  Moster  für  Jamben  empfohlen  von  Joseph  Ehakendytes,  Walz  III 
p.  562,  13;  sogar  in  der  vulgärgriechischen  Tt|jL<it8a  irp6c  BcXiodeptov  V.  537  flf. 
wird  er  citiert. 

8)  Schon  in  der  Blumenlese  des  Stob&ns  treten  diese  drei  Tragödien 
hervor,  während  Dioskorides  (Anthol.  Pal.  7,  37)  „Antigone"  und  „Elektra**, 
Statilius  Flaccus  (Anthol.  Pal.  9,  98)  die  beiden  „Oedipus",  „Elektra"  und 
„Thyestes"  hervorgehoben  hatte. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  305 

Schoiien  (Laurentianus  von  zweiter  Hand,  Florentinus  F  (y) 
und  das  zwischen  beiden  stehende  Exemplar,  welches  Suidas  in 
seinem  Lexikon  benützte  ^),  gibt,  während  im  übrigen  der  Lau- 
rentianus die  einzige  reine  Quelle  ist;  andere  Codices,  wie  der 
Parisinus  A,  enthalten  Excerpte  des  alten  Kommentars^).  Was 
die  Byzantiner  selbst,  vor  allem  Tzetzes  %  Thomas  Magistros  *) 
Emanuel  Moschopulos  und  Demetrios  Triklinios,  der  seinem 
Kommentar  eine  Einleitung  in  die  sophokleische  Metrik  und 
Rhetorik  vorausschickte  *),  über  die  drei  Schulstücke  gearbeitet 
haben,  besitzt  mir  für  die  Geschichte  der  Philologie  Interesse. 
Die  alten  Schoiien  wurden  schon  von  Janus  Lascaris  (commen- 
tarius  in  Sophoclem,  Rom  1518)  bekannt  gemacht.  In  der  Jun- 
tina (Florenz  1522),  und  den  Ausgaben  von  Turnebus ,  John- 
son (Glasgow  1745)  und  Brunck  (1786)  drängen  sich  die  jünge- 
ren Noten  ein.  Elmsley  kehrte  in  der  Sonderausgabe  (Oxford 
1825.  Lpg.  1826^)  zum  Laurentianus  zinrüek;  eine  Ergänzung 
dieser  Ausgabe  lieferte  W.  Dindorf  im  zweiten  Bande  der  Ox- 
forder Ausgabe  (1852),  Die  notwendige  Neubearbeitung  der 
Laurentianischen  SchoUen  ist  von  Petros  N.  Pappageorgios  an- 
gekündigt ^).  Massvoll  benützt,  können  sie  der  Kritik  des  Textes 
nicht  unbedeutenden  Nutzen  bringen^. 

1)  W.  Kausch  de  Sophoclis  fabnlarum  apud  Snidam  reliqniis,  Halle 
1883  p.  d4ff.;  P.  Jahn  qnaeett.  de  scholiis  Laarentianis  in  Sophodeiu  I. 
Diss.  V.  Berlin  1884. 

2)  L.  L  a  n  g  e  de  codice  scboliornm  Sopb.  Lobkowiciano  9pec.  IV.  Giessea 
1866—69.  Ueber  zwei  im  14.  Jabrbnndert  gescbriebene  Handschriften  eines 
makedonischen  nnd  eines  lesbischen  Klosters  Papadopnlos-Keramens 
*EU.  SoXX.  IZ'  ipx-  itap.  p.  43  nnd  Maopo^opStit.  ßtßXto«-.  p.  124. 

3)  W.  Dindorf  scbolia  p.  37.  46. 

4)  W.  Dindorf  scbolia  p.  404 ff.  ans  einer  Dresdner  Handschrift. 

5)  Dindorf  a.  O.  p.  XIX £F.  383 flf.,  ««pl  jiitptov  olc  ixp'h^*'^®  SofpoxXtj^ 
nnd  fcspl  ax'r){jLd'cu>v  in  der  Ausgabe  von  Tnmebns.  Die  Ausgaben  enthalten 
zahlreiche  anonyme  Inhaltsangaben,  denen  beizufügen  sind:  Distichen  zum 
„Oedipus  auf  Eolonos^*  (Thiersch  Acta  philol.  Monac.  I  p.  322  und  Nie. 
Pico  Ol  08  Supplement  ä  Tanthologle  grecque,  Paris  1853  p.  212  ff.)  und  une- 
dierte  Jamben  zum  „Philoktet"  (Pico o los  a.  O.  p.  219 f.). 

6)  Die  Schoiien  zu  „König  Oedipus"  wurden  separat  nachgeliefert. 

7)  Nachträge  zur  Kollation  des  Laurentianus:.  Dindorf  scbolia  p.  31  ff., 
Wolff  Ztsch.  f.  Altertumsw.  1855  S.  65  ff.;  Jahn  in  der  Ausgabe  der  Elektra, 
Pappageorg  kritische  u.  palaiograph.  Beitr.  zu  den  alten  Sophoklesscholien, 
Lpg.  1881  u.  Jahrbb.  f.  Phil.  Suppl.  13,  403  ff. 

8)  Ed.  Wunder  de  scholiorum  in  Sopb.  tragg.  anctoritate  I.  Pr.  v. 
S  i  1 1 1 ,  QeBChichte  der  griechischen  liteiator.  m.  20 


Digitized  by 


Google 


306  VnL  Kapitel. 

Unter  den  Handschriften  des  Textes  geniesst  der  be- 
rühmte codex  Lauren tianus,  welcher  auch  den  Aeschylus  ent- 
hält (S.  267)  das  grösste  Ansehen  ^).  Man  könnte  ihn  für  den 
Archetypus  der  übrigen  Handschriften  höchstens  in  der  Form, 
welche  ihm  der  Schreiber  der  Schollen  gab,  ausgeben,  da  dieser 
nicht  allein  vieles  aus  einer  ähnlichen  Handschrift  korrigierte,  *) 
sondern  zugleich  fünf  von  dem  ersten  Schreiber  übersehene 
Verse  nachtrug ;  die  durch  spätere  Korrekturen  undeutlich  gewor- 
denen Stellen  führt  eine  derselben  Bibliothek  angehörige  Kopie 
(plut.  31,2)  in  der  ursprünglichen  Gestalt  vor.  Indes  kann  eine 
Pariser  Handschrift  (A,  2712)  aus  dem  zwölften  Jahrhundert 
keineswegs  entbehrt  werden,  sondern  verdient  an  nicht  wenigen 
Stellen  den  Vorzug^),  während  der  für  die  Schollen  wichtigen 
Handschrift  T  schwerUch  eine  gleichberechtigte  Stellung  zuge- 
wiesen werden  darf*).  Ausserdem  enthalten  die  minderwertigen 
Handschriften  hin  und   wieder  noch  das  Richtige^).     Die  Re- 


Grimma 1838;  Gnst.  G.  Wolff  de  Soph.  scholionim  Laurent,  variis  lectioni- 
bns,  Diss.  v.  Lpg.  1842,  vollständig  1843;  Otto  Pauli  de  scholiorum  Laorent. 
ad  Sophoclis  verba  restituenda  usu,  Gott.  1865  u.  quaestt.  cntt.  de  scholiorum 
Laur.  usu,  Pr.  v.  Soest  1880;  Chr.  Heimreich  krit.  Beiträge  zur  Würdigung 
der  alten  Sophoklesscholien,  Pr.  v.  Ploen  1884;  bestritten  vonDindorf  ed. 
Ox.  in  p.  XIV  f.  u.  Pappageorg  a.  O.  S.  24  flf. 

1)  Jahns  „Elektra**  enthält  das  Facsimile  einer  Seite;  die  Society  for 
promotion  of  Hellenic  studies  bereitet  eine  photographische  Reproduktion 
vor.  Die  verschiedenen  Arten  von  Verderbnissen  rubriciert  Karl  Sturen - 
bürg  quaestiones  Sophocleae,  Berlin  1864. 

2)  Nauck  Jahrbb.  f.  Philol.  1862  S.  179;  L.  Schumacher  quaestt. 
Sophocl.  spec.  I.  Jena  1868  p.  68.  Auch  die  von  Suidas  benützte  Hand- 
schrift steht  dem  L  nahe  (Schneidewin  Jahrbb.  f.  Phil.  67, 497 ;  K  ausch  a.O.). 

3)  Die  neueste  Kollation  steht  in  Schuberts  Ausgabe  (für  „Aias"  und 
„Antigone**  müssen  vorläufig  noch  H.  Lipsius  appendicis  Sophoclei  supple* 
mentnm,  Pr.  des  Nicolaig.  Lpg.  1867  und  Dindorf  ed.  Oxon.  Bd.  III.  praef. 
eintreten).  Den  Parisinus  würdigen  H.  Lipsius  de  Sophoclis  emendandi 
praesidiis,  Pr.  der  Fürstenschule  in  Meissen,  Lpg.  1860;  J.  Kvicala  Ztsch. 
f.  österr.  Gjmn.  1866  S.  21  ft.,  A.  Nauck  Jahrbb.  f.  Phü.  85,  166  ff.,  wo- 
gegen Reisig  Oedip.  Colon,  p.  IXf.,  Cobet  de  arte  interpretandi,  Leiden 
1847  p.  105  und  W.  Dindorf  die  Alleinherrschaft  des  Laurentianus  ver- 
treten; 8.  auch  Campbell  Jonrntd  of  philology  5, 125 ff.  Bud.  Schneider 
Jahrbb.  f.  Phil.  115,  441  ff. 

4)  Ant.  Seyffert  quaestt.  crit.  de  codicibus  Sophoclis  recte  aestimandis, 
HaUe  1863. 

5)  Z.  B.  oaivti  OC.  320  in  Paris.  B.  —  Victoriana:  Acta  philol.  Monac. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  307 

cension,  welche  Demetrius  Triklinios  um  1390  nach  willkürlichen 
metrischen  Grundsätzen  veranstaltete^),  hat  nur  Unheil  ge- 
stiftet. 

Denn  wiewohl  die  editio  princeps,  eine  Venediger  Aldina 
von  1502,  von  welcher  die  Juutaausgaben  von  1522  und  1547 
abhängen,  nach  nicht  schlechten  Handschriften  gemacht  ist, 
lenkte  Adrianus  Tumebus  die  Sophokleskritik  durch  Veröffent- 
lichung der  Trikliniosrecension  (Paris  1563)  in  eine  verfehlte 
Bahn,  weil  Henricus  Stephanus  diesen  Text  für  seine  gefällige 
mit  dem  von  Joachim  Camerarius  in  Basel  1556  veröflfenthchten 
Kommentar  bereicherte  Ausgabe  (1568)  benützte ;  im  besonderen 
blieb  der  von  Guilelmus  Canterus  (Antwerpen  1579)  festgestellte 
Text  bis  in  das  vorletzte  Jahrzehnt  des  verflossenen  Jahrhunderts 
massgebend.  Es  mag  dies  damit,  dass  der  Dichter  mehr  be- 
wundert als  gelesen  wurde,  zusammenhängen ;  freilich  besass  er 
allezeit  einen  kleinen  Kreis  ausgezeichneter  Verehrer:  Diebei- 
den Scaliger  übersetzten  nämlich  „König  Oedipus"  und  „Aias*' 
(Antwerpen  1600),  Racine  konnte  vieles  auswendig.  Lessing  ver- 
suchte den  griechischen  Dichter  nachzuahmen  ^  und  Alfieri  be- 
arbeitete den  „Philoktet".  Erst  Philipp  Brunck  brach  in  der 
berühmten  Strassburger  Ausgabe  von  1786,  deren  zwei  Quart- 
bände Text,  Uebersetzung,  Anmerkungen,  Fragmente  und  Wör- 
terbuch enthielten,  mit  dem  Trikliniostexte ').  An  diese  durch 
unnötige  Aenderungen  entstellte  Arbeit  knüpften  Musgrave  (Ox- 
ford 1800,  2  Bde.  dazu  1801  Schollen),  Fr.  Heinr.  Bothe  (Lpg. 
1806,  2  Bde.  und  poetae  scenici  IIL  IV.  1827—28)  und  G.  A. 
Erfufdt  (Lpg.  1802-11,  Oed.  Kol.  1825  von  Heller  und  Döder- 
lein)  an.  Des  letzteren  kleinere  Ausgabe  revidierte  G.  Hermann 
in  zierlichen  Bändchen  (Lpg.  1817  ff.).  Epoche  macht  in  der 
Kritik  Peter  Elrasley  (Oxford  1826,  2  Bde.  und  Lpg.  1827, 
8  Bde.)  durch  Heranziehung  des  Codex  Laurentianus»  W.  Din- 
dorf  sammelte  trotz  seiner  Voreingenommenheit  tür  diesen  Codex 
einen  apparatus  criticus,  dazu  die  Schollen  in  der  Oxforder  Aus- 
gabe   (1835 — 36 ,  3  Bde.).     Mit  kurzen   kritischen  Noten   sind 


I  321  ff. ;    über  eine  Handschrift  von  Alexandrien:    Tischeudorf  anecdota 
Sacra  et  profana  p.  '225  f. 

1)  In  der  Pariser  Handschrift  Nr.  2711  enthalten. 

2)  „Philotas"  und  Entwürfe  (Lachmann  U  S.  515.  XI  S.  390). 

3)  2.  Ausgabe  1786—89  in  4  Oktavbdn.,  3.  A.  1788  in  3  Oktavbdn. 

20* 


Digitized  by 


Google 


308  Vm.  Kapitel. 

Dindorfs  spätere  Bearbeitungen  (Oxford  *1860,  in  poetae  sce- 
nici  ed.  V.  Lpg.  1869),  ^  die  von  Th.  Bergk  (Lpg.  1858),  Nauck 
(Berlin  1867)  und  Friedr.  Schubert  (Lpg.  1883  ff.)  ausgestattet. 
Kritische  meist  mit  Scholien  versehene  Ausgaben  einzehier 
Stücke  bearbeiteten  O.  Jahn  (Elektra,  3.  Auflage  Bonn  1882 
von  Michaelis),  M.  Schmidt  (Antigone,  Jena  1880),  Subkoff 
(Trachinierinnen,  Moskau  1879)  und  R.  C.  Jebb  (Oedipus  tyrannus, 
Cambridge  1884,  Oed.  Col.  1886).  Die  Verseinteilung  weicht 
in  den  Ausgaben  erhebUch  ab ,  weshalb  W.  Brambach  *)  auf 
die  Handschriften  zurückging.  In  der  modernen  Divinations- 
kritik  herrschen  zwei  Richtungen :  Die  eine  von  Nauck  und 
O.  Hense  (Studien  zu  Sophokles,  Lpg.  1880)  geführt,  betrachtet 
nicht  nur  die  Handschriften  als  sehr  fehlerhaft,  sondern  glaubt 
den  Wortlaut  des  Originals  herstellen  zu  können,  während  die- 
andere  den  ganzen  Sophokles  von  einer  Menge  kleinerer  und 
grösserer  Interpolationen  durchzogen*)  und  durch  Umstell- 
ungen verwirrt  sieht;  sie  ist  von  W.  Dindorf  in  Fluss  gebracht 
worden*). 

Die  Erklärung  machte  nach  jenen  älteren  Ausgaben  durch 
Ed.  Wunders  lateinischen  Kommentar  (Gotha  1831  ff.,  jetzt  von 
Wecklein  für  Teubners  Verlag  neu  bearbeitet)  einen  erheblichen 
Fortschritt.  Die  Ausgaben  von  I.  A.  Härtung  (Lpg.  1850—61, 
8  Bde.  mit  Uebersetzung),  Schneidewin-Nauck  (Berlin  1849  ff, 
u.  ö.),  Gust.  Wolff-Bellermann  (Lpg.  1858  ff.  u.  ö.),  C.Schmel- 
zer (1885  ff.),  Wecklein  (München  1874  ff.) ,  Eduard  Tournier 
(Paris  1868 ,  »1886) ,  Campbell  und  S.  Abbott  (London  1886, 
2  Bände.)  haben  jede  ihre  eigenartigen  Vorzüge.  Unter  den 
Bearbeitungen    einzelner   Stücke    ragt    Chr.    August   Lobeck» 

1)  Die  Leipziger  Textansgabe  wurde  1885  i^on  S.  Mekler  revidiert. 

2)  Metrische  Stadien  zu  Sophokles,  Lpg.  1869. 

3)  L.  G.  van  Deventer  de  interpolationibus  qnibasdam  in  Soph.  tra^ 
goediis,  Leiden  1851 ;  Karl  Stürmbarg  qaaestiones  Soph.,  Berlin  1864  p.  ASfL 
(za  Gunsten  der  Responsion);  Bonif.  Lazarewicz  de  versibas  spuriis  ap. 
Soph.,  Berlin  1856;  Alb.  Zippmann  atheteseon  Sophodeanun  spec.,  Bonn 
1864;  Edm.  Reinhard  de  interpolatlone  fabalae  Sophodeae  qaae  inscr. 
Aias,  Bremen  1880. 

4)  R.  Morstadt  Beitrfige  zur  Exeg.  n.  Kritik  d.  soph.  Aias,  Schaff- 
hansen  1883  a.  do.  d.  soph.  Tragödien  El.,  Aias  n.  Ant.,  Schaffh.  1864; 
Oottl.  Elsperger  Beitrag  zur  Erkl.  der  El.  des  S.,  Pr.  v.  Ansbach  1867; 
£.  Mollweida  symbola  Sophodea,  Lpg.  1869. 


Digitized  by 


Google 


Sophokles.  309 

Aias  (Berlin  1809.  '1866)  durch  Gelehrsamkeit  hervor ;  ausser- 
dem sind  zu  nennen:  Antigonevon  Wex,  Lpg.  1831,  2  Bde. 
Böckh,  2.  Aufl.  Lpg,  1886;  A.  Jacob,  Berlin  1849;  Semitelos, 
Athen  1886;  Elektra  v.  R.  C.  Jebb,  London  1882;  üedipus 
Tyr.  von  Fr.  Brandscheid,  Wiesbaden  1882  und  Jebb  (s.  o.); 
Oedipus  auf  Kol.  von  Karl  Reisig,  Jena  1820,  P.  Elmsley, 
Lpg.  1824  und  Jebb  (s.  o.);  Philo  ktet  von  M.  Seyffert, 
Berlin  1867. 

Ein  wertvolles  Hilfsmittel  der  Sophoklesphilologie  ist  das 
Lexicon  Sophocleum  von  Priedr.  Ellendt  (Berlin  1834  f.),  neu 
bearbeitet  von  Herrn.  Genthe  (1867—72).  Letzterer  veröffent- 
lichte als  Supplement  einen  brauchbaren  Index  commentationum 
Sophoclearum  ab  a.  1836  editarum  triplex  (1874),  aus  welchem 
unsere  Literaturangaben  zu  ergänzen  sind. 


Digitized  by 


Google 


IX.  Kapitel. 
Euripides. 


Biographien;   Lebeosumstände ;   Charakter  nod  Denkangsweise ;    dichterische 
Eigenart;  Zahl  und  Entstehnngszeit  der  Dramen;    Rhesos;  die  übrigen  Tra- 
gödien  in  alphabetischer  Ordnung;   das  Verlorene.     Fortleben    der   Dramen; 
Scholien,  Handschriften  und  Ausgaben. 


lieber  das  Leben  des  Dichters  schrieb  im  Altertum  (vgl.  Felix  Brüll 
de  fontibus  vitae  Euripidis,  Diss.  v.  Münster  1877)  zuerst  Philochoro» 
(Suida^  s.  y.,  nach  Nauck  Eurip.  I  p.  X  A.  1  in  dem  Werke  icepl  TpaY((>dtu>v) ; 
Sabirius  (?)  Pollio  fälschte  Briefe  des  Euripides  (nach  ApoUonides  6  Kiq^so^ 
in  der  Vita  Arati  I  Z.  130  West.);  es  sind  deren  fünf,  von  Bentley  disser- 
tation  upon  the  epistles  of  Euripides  (in  Wagners  Ausgabe  p.  554  ff.)  richtig 
gewürdigt,  überliefert.  Mehrere  Handschriften  enthalten  verschiedene  bio- 
graphische Excerpte,  welche  Ritter  Didymos,  dagegen  M.  Schmidt  Didymi 
fragm.  p.  275  Anm.  Alexandros  von  Kotyaion  zuschreibt  (aus  einem  Am- 
brosianus  bei  Elmsley  ad  Eurip.  Bacchas  p.  192;  Vindobonensis  in  Zimmer- 
manns Schulztg.  1828  II  Nr.  2;  Havniensis  in  Friedemann  u.  Seebodes  Mis- 
cellauea  critica  1822  I  p.  894  ff. ;  Parisinus :  Journal  des  savans  1832  p.  240  ff.  ^ 
diese  sind  in  Westermanns  Bto^p^tpoi  p.  133  ff.  und  Dindorfs  Scholienausgabe 
I  p.  1  ff.  gesammelt.  Welcker  verglich  eine  athenische  Handschrift,  Rhein. 
Mus.  3,  468  und  Eirchhoff  zog  noch  einen  Vaticanus  bei.  Ich  eitlere  nach 
Naucks  Recension,  in  seiner  Ausgabe  I  p.  V  ff.).  Solche  Excerpte  überarbeitete 
Thomas  Magistros  vor  seiner  Erklärung  der  Hekabe.  Manche  Abschreiber 
kopierten  den  Artikel  des  Suidas,  welchem  Aldus  in  seiner  Ausgabe  willkür- 
lich den  Namen  des  Manuel  Moschopulos  voraussetzte.  Ausserdem  widmete 
Gellius  ein  Kapitel  seiner  noctes  Atticae  (XV  20)  den  Lebensumständen  des 
Dichters. 

Die  alte  Ueberliefenmg  stellten  sowohl  andere  Heransgeber  als  besonder» 
Nanck  einleitungaweise  zusammen.  Vgl.  O.  Ribbeck  Euripides  und  seine 
Zeit,  ein  Vortrag,  Pr.  von  Bern  1860. 


Digitized  by 


Google 


Enripides.  311 

Euripides'  ^)  Geburt  fiel  in  stürmische  Zeiten ;  er  kam  480 
auf  der  Insel  Salamis,  wohin  die  Athener  ihre  Familien  vor 
den  Persem  in  Sicherheit  gebracht  hatten,  zur  Welt  *)  und  zwar 
angeblich  gerade  am  Tage  der  welthistorischen  Seeschlacht*). 
Die  Eltern  des  Dichters  waren  von  guter  Familie,  weshalb  der 
junge  Euripides  bei  einem  uralten  Apollofeste  seines  Gaues 
Phlya  unter  den  vornehmen  Knaben  das  Ehrenamt  des  Mund- 
schenken versah  und  in  einem  anderen  Apollokulte  das  Feuer 
trug*),  alleiu  sie  scheinen  in  den  Vermögensverhältnissen  her- 
untergekommen zu  sein;  denn  der  Vater  Mnesarchides  oder 
Mnesarchos  trieb  Handel  ^)  und  die  Mutter  Kleito  soll  ebenfalls 
ihren  Gemüsegarten  verwertet  haben,  was  die  Komiker  ihm 
vorzuhalten  nicht  müde  wurden  •).  Der  Dichter  befand  sich, 
ohne  arm  zu  sein,  nicht  in  sehr  günsiger  Lage  und  die  Klage, 
dass  Armut  und  Gelehrsamkeit  beisammen  seien,  ist  gewiss 
aus  seiner  eigenen  Brust  gekommen'');  es  sei  gleich  bemerkt, 
dass  auch  Euripides'  Söhne  ihr  Brod  verdienen  mussten:  Mne- 


1)  Der  Name  wurde  sp&ter  auch  Ehptiiiihri<;  (CIG.  6051.  6052.  Demetrios 
Kspl  icoiY2}idtu>v  Volum.  Herc.  ed.  Oxon.  I  p.  115)  oder  E5piicici8*»jc  (CIG.  I 
213.  Ephem.  archaiolog.  3896)  geschrieben. 

2)  V.  2flf.,  daher  SaXa|ntvtoc  CIG.  6052. 

3)  Timaios  bei  Plutarch.  symp.  8, 1,  1  u.  A.  Einzig  die  parische  Chronik 
Z.  65  setzt  die  Geburt  des  Dichters  schon  Ol.  73,  4  (485)  und  zwar  einem 
Synchronismus  zu  Liebe,  weil  Aeschylus  damals  den  ersten  Sieg  gewann ;  die 
Angaben  des  Philochoros  und  Eratosthenes  (V.  34)  stimmen  zu  480. 

4)  Philochoros  bei  Suidas  u.  Thomas  Mag.  Z.  3  ff.,  Theophrastos  bei 
Athen.  10,  424  ef.  V.  17  f.;  über  den  Demos  auch  Harpocr.  u.  Suid.  u.  ^Xosio, 
entstellt  zu  ^Xidoioc  Mich.  PseUos,  Sathas  asoattuv.  ßißX.  V.  538).  Unglaub- 
würdig Aristoph.  Ran.  947.  Nikol.  Dam.  bei  Stob.  flor.  44,  41  p.  187,  17  aus 
einem  Komiker  (vermittelnd  Suid.). 

5)  Mnesarchides:  CIG.  6052.  Orakel  bei  Euseb.  praep.  ev«  5,  33, 1  (aus 
Oinomaos).  V«  1  u.  111  cod.  B.  Suid.;  Mnesarchos  (mit  der  Variante  Mne- 
starchos,  s.  Dindorfs  Scholia  I  p.  1  A.  2) ;  CIG.  6051.  Schol.  Aristoph.  Thesm. 
1.  910.  V.  1 A  u.  athen.  Handschr.  (Thom.).  Suid. ;  die  Komiker  machten 
einen  Krämer  daraus  (V.  1). 

6)  Kleito  V.  2  (KXata»  A).  Suid. ;  nach  Valer.  Max.  3,  4  ext.  2  war  der 
Name  der  Mutter  unbekannt.  AaxavoiccuX'fjTpia  Aristoph.  Thesm.  387,  vgl. 
456.  Ach.  478.  Eq.  19.  Ran.  840;  The6pompos  bei  GeU.  §.  1.  Komiker  bei 
Suid.  u.  ox^di4;  Philochoros  erhob  Einspruch  (Suidas). 

7)  Er  hatte  eine  Klage  wegen  ftyriSooic  su  bestehen  (Aristot.  rhet.  3, 15 
p.  1416a  30);  fr.  642,  3,  s.  auch  Dikaiarchos  bei  Plutarch.  de  £1 
Delph.384d. 


Digitized  by 


Google 


312  IX.  Kapitel. 

sarchides  als  Kaufmann  und  Mnesilocbos  als  Schauspieler^). 
Weil  dem  Vater  geweissagt  war,  dass  sein  Sohn  Siegeskränze 
davontragen  werde,  Hess  er  ihn  in  der  Athletik  ausbilden  und 
wirklich  gewann  er  in  Eleusis  und  beim  Theseusfeste  Preise  *). 

Spätere  Aeusserungen  des  Dichters  lassen  ahnen,  dass  er 
nur  mit  Widerwillen  den  Wünschen  seines  Vaters  entsprochen 
hatte;  als  nun  der  Philosoph  Anaxagoras  nach  Athen  kam, 
vermochte  nichts  mehr  Euripides  in  den  Gymnasien  länger  zu 
halten.  Unter  den  jungen  Athenern,  welche  voll  Bildungsdrang 
dem  grossen  Gelehrten  nahe  traten,  befand  sich  Euripides^). 
Die  damals  empfangenen  Eindrücke  treu  bewahrend,  sammelte 
er  eine  philosophische  Bibliothek*),  drang  in  die  Rätselworte 
des  Herakleitos  ein  *)  und  suchte  den  Umgang  aller  bedeutenden 
Philosophen,  namentlich  des  Protagoras,  Prodikos  ^  und  Sokrates, 
welchem  man  ein  lebhaftes  Interesse  an  Euripides'  Dichtungen, 
sogar  thätige  Mitwirkung  zuschrieb.') 

Dennoch  war  der  Dichter  für  die  reine  Philosophie  weder 
80  boanlagt  noch  so  begeistert,  dass  er  sie  zum  ausschliesslichen 
Lebensberuf  hätte  erwählen  wollen,  zumal  da  die  Glanzzeit  des 
Sophistentums  noch  nicht  angebrochen  war.  Eine  neue  Wand- 
lung   dieses  mannigfaltigen   Geistes   wird   durch  die  trockene 

1)  V.  27  ff.  (gekurat  Snid.). 

2)  Orakel  bei  Oinomaos  (S.  311,  5).  Gell.  §.  2.  3.  V.  5ff.;  der  Maler  Eu- 
ripidee  (V.  16  f.  113.  Said.)  dürfte  ein  anderer  gewesen  sein. 

3)  Aristophanes  bei  Grell.  15,  20,  8  (aos  Alex.  Aetol.,  s.  Nauck  p.  IX 
n.  Sp.);  Valokenaer  diatribe  in  Enr.  perditornm  dramatnm  reliqnias 
p.  34—37;  E.  Köhler  die  Philosophie  den  Ear.  I.  Anas.  n.  E.,  Pr.  v. 
Bückeburg  1873. 

4)  Athen.  1,  3a;  vgl.  Aristoph.  Ran.  1409.  943. 

5)  Fr.  Lommer  in  qnantum  Ear.  Heracliti  rationem  anctoritatemque 
ensceperit,  Pr.  v.  Metten  1879. 

6)  Protagoras:  Diogen.  9,  54.  V.  10.  Vgl.  PhUochoros  bei  Diog.  9,  55; 
Piodikos:  OelL  §  4.  V.  10.  Said. 

7)  Komikerstellen  bei  Diogen.  2,  18  n.  V.  11  ff.;  Aelian.  v.  h.  2,  13 
p.  23,  29  ff.  y.  10.  Vgl.  Cic  Tose.  4,  29,  63.  Er  soll  gar  im  „Palamedes'' 
ihof  Sokrates'  Tod  angespielt  (Diogen.  2,  44,  welche  Meinang  schon  Philochoros 
zurückgewiesen  zu  haben  scheint)  und  Plato  nach  Aegypten  begleitet  haben 
(Diogen.  3,  6) !  Schüler  des  Sokrates  Gell.  §  4.  Said.,  el>en8o  wird  Archelaos 
»US  einem  Mitschüler  (Euseb.  praep.  oy.  10,  14,  8)  sein  Lehrer  (V.  114.  ol  Zk 
Suidas  u.  'Apx^^aoc).  Anders  klingt  die  Anekdote  Diogen.  2,  33.  Vgl.  U. 
T.  Wilamowitz  Zukunftsphilologie  I  S.  26. 


Digitized  by 


Google 


Earipides.  313 

Notiz,  dass  der  Dichter  455  (Ol.  81,1),  also  im  sechsundzwan- 
zigsten Jahre  stehend,  das  erste  Mal  sein  Glück  auf  der  Bühne 
versuchte,  angekündigt^).  Durch  den  Misserfolg  ungeschreckt, 
setzte  Euripides  seinen  Weg  energisch  fort,  obgleich  Athen 
erst  442  (Ol.  84,3),  als  er  dem  vierzigsten  Jahre  nicht  mehr 
fern. war,  ihn  krönte*). 

Ueber  das  Leben  des  viel  geschmähten  Tragikers  wissen 
wir  gerade  aus  der  Zeit  seines  poetischen  Wirkens  nichts  als 
eine  Klatschgeschichte.  Choirine,  die  angebliche  Frau  des 
Dichters*),  brachte  man  mit  dem  in  seinem  Hause  lebenden 
Musiker  Kephisophon,  der  sein  Mitarbeiter  hiess*),  in  Verbindung. 
Aber  obgleich  die  Fabeln  darüber,  über  eine  zweite  Frau  Na- 
mens Melito  und  seine  Bigamie,  sowie  den  Schwiegervater  Mne- 
silochos,  von  dem  nur  feststeht,  dass  man  ihn  ebenfalls  an 
Euripides'  Tragödien  beteiligt  glaubte^),  nicht  vollkommen  zu 
entwirren  sind,  genügt  auf  jeden  Fall  ein  Vers  seines  grim- 
migsten Hassera,  des  Aristophanes,  zum  Beweise,  dass  Euripides 
bis  zum  Tode  im  Kreise  seiner  Familie  und  mit  Kepbisophou 
innig  befreundet  lebte  ^. 

Eine- so  gesicherte  Stellung,  wie  sie  Sophokles  inne  hatte, 
konnte  Euripides  trotz  aller  Bemühungen  nicht  erringen ;  darum 

1)  Ol.  81, 1  V.  30  f.  121  f. ;  26  Jahre  alt^ V.  21, 25  Jahre  Thom.  21  (anrichtig 
18  Jahre  Gell.  %  4,  weshalb  Eosebios  Ihn  wahrschelDlich  Ol.  78,  1  zum 
«raten  Male  nennt);   nach  Snid.  war  er  42  Jahre  lang  fär  die  Bühne  thfttig. 

2)  Marm.  Par.  Z.  75 ;  daher  setzt  ihn  Ensebios  das  zweite  Mal  Ol.  84,  2. 
Im  Jahre  449  diente  Euripides  wahrscheinlich  auf  Ojpem,  denn  nach  Bacch. 
406  (vgl.  Löher  Oypem  S.  258,  s.  ü.  v.  Wilamowitz  Kydathen  S.  77) 
dürfte  er  Paphos  gesehen  haben. 

3)  V.  27.  Suidas.  Schol.  Aristoph.  Thesm.  1  (XotptX-r)  V.  67.  Snid.  v.  1.); 
nach  U.  v.  Wilamowitz  anal.  Eurip.  p.  149  adn.  Spottname;  mir  scheint, 
dass  den  Anlass  Aristoph.  Thesm.  289  gab,  wo  der  vermeintliche  Mnesiloohos 
««agt:  rrjv  ^ofat^pa  ^olpov  ÄvJpoc  Jitot  tox^Tv  irXootoövTOC. 

*  4)  Aristoph.  Ran.  944.  1452 f.  Er  kann  seinem  Namen  nach  kein  Sklave 
gewesen  sein,  wie  Schol.  Ran.  971  (975)  n.  V.  90  meinten,  weil  sie  den  in 
den  Acharnem  V.  395  ff.  auftretenden  Pförtner  des  Euripides  ftir  Kephisophon 
hielten.  Nachrede :  V.  67 ff.  Ist  Sv  xal  oovtlvat  t^  '^o'^awl  ahxob  xo>)i()>$oo9i 
Schol.  Arist.  Ran.  971  (975)  wörtlich  zn  nehmen? 

5)  Melito:  V.  26  (vgl.  74 f.  nnd  Suid.);  Bigamie:  GeU.  §  6;  Mnesiloohos: 
Schwiegervater  Suid.  (and  Handschriften  der  Thesmophoriazusen),  Mitarbeiter: 
Telekleides  V.  13. 

6)  Ran.  1408  a5t6c,  tot  icatBt*,  4)  •(oyr^f  Kiqf  toocpdiv. 


Digitized  by 


Google 


314  IX.  Kapitel. 

haftete  er  auch  nicht  so  an  der  Heimat,  sondern  verliess  gleich 
Aeschylus  hochbejahrt,  frühestens  im  Sommer  408,  nachdem 
er  an  den  Dionysien  eine  Tetralogie  aufgeführt  hatte,  Athen  *), 
das  er  nicht  wiedersehen  sollte,  um  sich  zunächst  nach  der 
thessalischen  Stadt  Magnesia  zu  begeben,  wo  er  möglicherweise 
von  seinem  Vater  her  Verbindungen  hatte.  Obgleich  die 
Bürgerschaft  den  berühmten  Mann  durch  hohe  Privilegien  an 
sich  zu  fesseln  suchte^,  folgte  er  bald  einer  Einladung  des 
makedonischen  Königs  Archelaos;  hier  wurde  er,  imgeachtet 
dass  er  sich  nicht  zur  Rolle  des  Schmeichlers  herabliess,  mit 
den  grössten  Geschenken  und  Ehren  überhäuft,  wofür  er  poe- 
tischen Dank  in  dem  Drama  „Archelaos'*  (zu  Ehren  des  gleich- 
namigen Ahnherrn)  abstattete^). 

Die  Athener  sollten  nicht  einmal  die  sterblichen  üeber- 
reste  des  Euripides  besitzen.  Der  Dichter  starb  in  Makedonien 
406,  über  siebzig  Jahre  alt*),  eines  kläglichen  Todes,  werm  anders 
es  wahr  ist,  dass  er  von  Hunden  zerrissen  wurde  ^).  Der  tief 
erschütterte  König  Hess  ihn  glanzvoll  begraben  und  an  der 
Quelle   Arethusa   ein  Denkmal    errichten  *).     Als    die  Athener 


1)  Wegen  seines  Familien  Unglücks  Tbom.  31,  vielleicht  schon  Philodem, 
de  vitiis  X  p.  20  ed.  Sauppe,  auch  Suid. 

2)  V.  21  f. 

3)  Anekdote  bei  Dikaiarchos  (Plutarch.  de  El  Delph.  1);  nach  V.  24  f- 
wnrde  er  e:cl  xcüv  Btoix*r)a6u»v  gesetzt,  vgl.  Aristot.  polit.  5,  10  p.  1311b  30ff. 
Solinus  9,  15.  GeU.  5,  20,  9.  Suid.;  V.  22; 

4)  Philochoros  V,  34 f.;  75  nach  Eratosthenes  V.  35  (Suid.);  78  nach 
Mann.  Par.  Z.  77,  der  den  Tod  schon  Ol.  93,  1  (409/8)  setzt. 

5)  Angeblich  schon  von  Sotades  erzählt  (Stob.  flor.  98,  9  V.  15);  1.  bei 
einem  Ausfluge:  Diodor.  13,  103,  5,  im  Haine  der  Artemis  Ovid.  Ibis  477, 
593  f.  vgl.  y.  54,  in  Bormiskos  Steph.  Byz.  u.  Bop(itoxoc ;  mit  dem  Sprichwort 
xuvöc  2ix*r)  in  Verbindung  gebracht  Y.  48 ff.;  2.  bei  Nacht,  als  er  aus  dem 
Palaste  heimging  V.  120.  Yaler.  Max.  9,  12  ext.  4,  oder  bei  einem  Liebes- 
abenteuer Hermesianax  V.  65  fl.  Suid. ;  die  That  wurde  von  Feinden  oder 
Rivalen  angestiftet  Diogenian.  7,  52.  Apostol.  14,  83.  Gell.  §  9.  Suid. ;  an  die 
Stelle  der  Hunde  setzten  andere  wütende  Weiber  (Suid.) ,  worauf  Addaios 
AnthoL  Pal.  7,  51,  der  den  natürlichen  Tod  verteidigt,  anspielt.  Fabel  nach 
Lehrs  populäre  Aufsätze  aus  dem  Altertum  S.  207 ff.  Die  angebliche  Todesart 
Epikurs  und  Ludan  darf  man  nicht  zum  Vergleiche  beiziehen,  da  Euripides 
später  nicht  gleich  diesen  als  Atheist  verschrien  war. 

6)  Begräbniss:  Solin.  9,  15,  vgl.  Valer.  Max.  bei  Walther  Burley  (Philo- 
logns  Bd.  8,  384);   Denkmal:   Plutarch.  Lycurg.  31.  Addaios  Anthol.  Pal.  7, 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  315 

4ie  Auslieferung  seiner  Asche  forderten,  wurde  sie  ihnen  mit 
Recht  verweigert  und  so  hatte  Athen  von  dem  populärsten 
Tragiker  der  griechischen  Welt  ein  blosses  Kenotaph  aufzu- 
weisen ;  dass  der  ßlitz  des  Zeus  dasselbe  traf,  trug  zur  höheren 
Wertschätzung  des  Dichters  viel  bei  ^). 

Die  Natur  hatte  Euripides  die  Gaben,  welche  Sophokles 
allgemein  beliebt  machten,  versagt:  Von  den  schönen  edlen 
Zügen  des  letzteren  stach  das  von  einem  struppigen  Bart  und 
Warzen  entstellte  Gesicht  unseres  Tragikers  nicht  zu  seinem 
Vorteil  ab  *).  Büsste  er  schon  hiedurch  bei  den  alles  Schöne 
liebenden  Athenern  sehr  ein,  so  ersetzte  er  dieses  wenig  an- 
ziehende Aeussere  keineswegs  durch  ein  gewinnendes  Benehmen. 
Euripides'  Blick  war  finster,  und  nicht  einmal  der  Wein  ent- 
lockte ihm  ein  Scherzwort').  Statt  in  der  athenischen  Gesell- 
schaft eine  seinen  Talenten  entsprechende  Rolle  zu  spielen, 
weilte  er  lieber  zurückgezogen  in  seinem  Studierzimmer  oder, 
ferne  von  dem  Getriebe  der  lebhaften  Stadt,  am  öden  Strande 
von  Salamis,  wo  man  später  eine  Grotte  als  „studio"  des  für 
die  Naturschönheit  und  das  Meerleben  empfänglichen  Dichters 
zeigte*).  Wenn  die  Athener  ihn  einmal  in  der  Oeffentlichkeit 
sahen,  kündigte  die  angehängte  Notiztafel  den  rastlosen  Ar- 
beiter an  ^).  Seine  Tragödien  bewiesen ,  dass  Euripides  die 
schlimmen  Seiten  der  menschlichen  Natur  gründlich  kennen 
gelernt  hat;  wie  er  aber  die  Menschen  im  Leben  fand,  so 
stellte  er  sie  im  Theater  dar,  die  Frauen  nicht  ausgenommen. 
So  sehr  nun  die  Athener  an  den  Weiberkarrikaturen  in  der 
Komödie  ihre  Freude  hatten,    erregten    die   treulosen   Frauen 


51.  Ammian.  27,  4,  8,   oDgenan  Plin.  nat.  bist.  31,  19.  Vitrov.  8,  3,  16,  in 
PeUa  Soid. 

1)  Gell.  §  10;  PaosaD.  1,  2,  2.  V.  36fr.,  vgl.  D^thier  ^tudes  arch^- 
logiques,  Koustantinopel  1881  S.  Iff.;  Plntarch  a.  O. 

2)  Aristoph.  Thesm.  190,  vgl.  160  mit  175;  V.  25  f.  aus  einem  Komiker. 

3)  Aristophanes  bei  GeUins  §  8  (S.  312,  3).    V.  64  iL.  Suidas. 

4}  Im  Studierzimmer  zeigen  ihn  Aristophanes  „Achamer*';  Missachtung 
des  Publikums:  Y.  115 ff.;  Salamis:  V.  61  ff.  (5dev  xal  sx  ^aXdooYjc  Xa(i- 
p<iv«t  xdc  itXttooc  xÄv  6)toia»oeo>v),  vgl.  77;  Philochoroe  bei  Crell.  §  5;  vgl. 
6.  W  e  1  ck  e  r  Archftol.  Ztg.  1848  S.  315  ff.  Die  Zurückgezogenheit  charakterisiert 
den  Weisen  Ion  598  f.,  vgl.  Or.  919.  fr.  193. 

5)  YgL  Macbon  bei  Athen.  13,  582  c. 


Digitized  by 


Google 


316  IX.  Kapitel. 

der  euripideischen  Dramen,  wie  Aörope,  Pasiphaö,  Stheneboia, 
<las  höchste  Missfallen  ^)  und  „die  kluge  Merope**  war  mit  ihrer 
Emancipation  nicht  dazu  angethan,  diese  Strengen  zu  besänf- 
tigen. Euripides  hat  in  Wirklichkeit  nur,  was  vor  ihm  Hesiod 
und  Simonides  über  gute  und  schlechte  Frauen  unbeanstandet 
ausgesprochen,  dargestellt  *),  aber  man  wollte  nun  einmal  zu 
seiner  Zeit  diesen  Realismus  auf  der  tragischen  Bühne  nicht. 
Der  Tragiker  schilderte  andererseits  in„Alkestis"  und  „Protesilaos" 
den  Gipfel  der  ehelichen  Liebe  und  so  hat  er  noch  manches 
Ideal  gezeichnet.  Allein  im  allgemeinen  gab  er  die  Menschen 
so  wieder,  wie  er,  mit  einer  unseligen  Klarheit  des  Blickes  be- 
gabt, die  überwiegende  Mehrzahl  sah  ^).  Die  meisten  seiner  Per- 
sonen handeln  aus  eigensüchtigen  Beweggründen  und  liefern 
für  die  fides  Graeca  drastische  Belege;  Aphrodite  und  Eros*), 
natürlich  nicht  im  Sinne  Piatos  gefasst,  vernichten  das  Glück 
der  Familien  und  spotten  selbst  der  Naturgränzen  %  Nicht  ein- 
mal der  eigenen  Kinder  schont  die  rachsüchtige  Medea;  auch 
Ajitiope  und  Kreusa  sind  durch  wilde  Rachgier  entstellt.  Der 
grausame  Zug,  der  vielen  Personen  des  Euripides  anhaftet,  er- 
innert unwillkürlich  an  die  Blutscenen  des  peloponnesischen 
Krieges,  der  nach  Thukydides'  bekanntem  Worte  die  Moral  zer- 
rüttete. 

Politisch  stand  EuripMes  mit  seinen  Sympathien  auf  Seite 
des  tüchtigen  strebsamen  Bürgertums,    das   er   zuerst  bühnen- 


1)  S.  z.  B.  Aristoph.  Thesm.  153.  547.  Ran.  849.  1043. 

2)  Vgl.  Lenz  Bibliothek  der  scböoen  WissenschafleQ  58,  195fr.;  Em. 
Herrn.  Braut  Eur.  mulieram  osor  nnm  recte  dicatnr,  Dias.  v.  Berlin  1859 
n.  £.  de  matrimonio  quid  senserit,  Pr.  y.  Marienbnrg  1862,  aacb  Peter  J. 
C oster  diatribe  in  Enripideae  philosopbiae  locam  qui  est  de  amore,  Disa. 
V.  Utrecht  1835;  Ant.  Göbel  E.  de  vita  privata  ac  domestica  quid  senserit, 
Diss.  Y.  Münster  1849.  —  Ganz  unbegründet  sind  die  Verleumdungen  von 
Hieronymos  bei  Athen.  13,  557  e.  604  f,  vgl.  603  e  und  Serenus  bei  Stob.  flor. 
6,  36,  8.«auch  Apostol.  17,  42  u.  dazu  v.  Leutsch. 

3)  S.  176f.;  E.  Steinhart  E*.  Charakteristik  u.  Motivierung  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Eulturentwicklung  des  Altertums,  Gosches  Archiv  f. 
Literaturgesch.  I  1  ff. 

4)  Roh  de  der  griechische  Boman  S.  31  Ü\ 

5)  Wie  die  Kinder  des  Aiolos  Aristoph.  Ran.  1081.  Schol.  Aristoph. 
Nub.  1371. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


Enripides.  317 

fähig  machte  und  trat  für  eine  gemässigte  Demokratie  ein  ^). 
(S.  165).  Der  Verächter  der  demagogischen  Emporkömmlinge  ^> 
hätte  den  ihm  in  neuerer  Zeit  verliehenen  Titel  eines  Dichters 
der  Ochlokratie  mit  Enti-üstung  zurückgewiesen.  Voll  Hass^ 
gegen  Sparta  and  dessen  Heros  Menelaos  gerne  verunglimpfend^ 
hing  er  von  ganzer  Seele  Athen  an.  An  den  „Herakhden**  und 
„Schutzflehenden**  bleibt  ausser  dem  Patriotismus  wenig  mehr 
zu  loben,  auch  im  ,  Jon**  bildet  der  Tragiker  die  Sage  zum  Ruhme 
der  Athener  dahin  um,  dass  von  den  Heroen  der  hellenischen 
Stämme  Ion  allein  einen  göttlichen  Vater  erhält,  und  bringt 
die  ganze  Urgeschichte  von  Athen  episodisch  (V.  265  ff.)  an  ^). 
Als  Bürger  unterscheidet  er  sich  mithin  von  Sophokles 
nicht  sonderlich,  desto  mehr  dagegen  als  Denker  *) ;  denn  wäh- 
rend  dieser  über  das  Warum  und  Woher  der  Dinge,  soweit  sie 
ausserhalb  des  Menschen  hegen,  nicht  viel  nachsann,  war  Eu- 


1)  SappL  244 ff.  fr.  628.  Phoen.  535  ff. 

2)  Fr.  328.    Vgl.  auch  Hec.  254ff.  Ion  595  ff.  Med.  294  ff. 

1)  K.  Sehen  kl  Ztsch.  f.  österr.  Gymn.  1862  S.  357  ff.  485  ff.;  Rieh. 
Haupt  die  äussere  Politik  des  E.  I.  Pr.  v.  Entin  1870,11.  Pr.  v.  Ploen  1877 
(Berlin);  C.  Göcker  zur  äusseren  Politik  des  E.,  I.  Pr.  v.  Ratzebur«  1872; 
D.  Th.  Belajew  Journal  des  mss.  Ministeriums  für  Volksauf  kl.  1882.  188& 
in.  Abt.  S.  459  ff. 

2)  Friedr.  Bouterwek  Commentatt.  societ.  reg.  scieni.  Gott.  IV 
(1816/8);  J.  A.  Schneither  disp.  de  E.  philosopho,  Groningen  1828;  Chr. 
Jessen  über  den  religiösen  Standpunkt  des  E.,  Pr.  v.  Flensburg  I.  1843.  II. 
1849;  Karl  Hasse  Euripidis  tragici  poetae  philosophia  quae  et  qualis  fuerit,. 
Pr.  y.  Magdeburg  1843;  ders.,  Ursprung,  Gegensatz  u.  Kampf  des  Guten  u. 
Bösen  im  Menschen.  Entwickelt  aus  der  physischen  Lehre  des  Eur.  u.  nach- 
gewiesen an  einigen  Charakteren  seiner  Dramen  I.  Magdeh.  1859  II.  1870  v 
L.  Maignien  morale  d^Euripide,  Paris  1856;  Jos.  Janske  de  philosophia 
Euripidis,  Pr.  v.  Breslau  I.  1857  IL  1866;  Fr.  Lübker  über  die  eharakt. 
Unterschiede  des  £.  von  Soph.,  Terh.  der  Pbil.  Vers,  in  Braunschweig,  Lpg. 
1861  S.  70  ff.  u.  zur  Theologie  u.  Ethik  des  Eur.,  Pr.  v.  Parchim  1863;  Fr. 
Winiewski  de  Euripidis  res  ad  extremam  hominis  sortem  spectantes  trac- 
tandi  ratione,  Pr.  d.  Univ.  Münster  1860  und  Index  lect.  1864;  Spengler 
theologumena  Euripidis  tragici,  Pr.  v.  Köln  1863;  Po  hie  de  rebus  dirinis  quid 
senserit  E.,  Pr.  v.  Trier  1868;  Franz  Warmhold  die  Ansichten  des  E.  vom 
Tode  u.  Jenseits,  Pr.  v.  Bemburg  1871  u.  Bcitr.  zu  eur.  Ethik  L,  Pr.  v.  Zerbst 
1875;  Wilamowitz  analecta  Eurip.  p.  162 ff.;  Franc.  Zambaldi  de  Eur. 
sapientia,  Born  1875  u.  E.  de  rebus  divinis  et  humanis  quid  senserit,  Pr. 
des  Lje.  Visconti,  Rom.  1875;  Karl  Strobl  E.  u.  die  Bedeutung  seiner 
Aussprüche  über  göttliches  u.  allgemein  menschliche^  Wesen,  Pr.  y.  Wien  1876. 


Digitized  by 


Google 


318  IX.  Kapitel. 

ripides  ein  Grübler.  Da  er  in  der  Aufklärung  die  Lösung  der 
Welträtsel  erlangen  zu  können  glaubte ,  führte  er  das  Schlag- 
wort „Bildung''  unermüdet  im  Munde  *),  wie  wenn  sie  eine  Pa- 
nacee  wäre,  und  idoch  gewährte  sie  seinem  eigenen  Geiste  keine 
volle  Befriedigung.  Sehen  wir  auf  Euripides'  einzelne  Sentenzen, 
so  hören  wir  bald  einen  gläubigen  Mann  ,  der  von  dem  Fort- 
leben nach  dem  Tode  überzeugt  ist*),  bald  einen  unbedingten 
Anhänger  des  Anaxagoras,  mit  dem  er  in  den  Göttern  Personi- 
fikationen der  Natur  erblickt  und  die  Seelen  in  den  Aether  auf- 
gelöst werden  lässt');  an  anderen  Stellen  hinwiederum  wendet 
er  sich  im  Sinne  Pindars  und  Aeschylus  gegen  die  unmoraUschen 
Vorstellungen  des  Epos*).  Wieder  andere  Verse  stellen  die  Ge- 
rechtigkeit der  Götter  oder  gar  ihre  Existenz  überhaupt  in 
Frage  ^).  Namentlich  der  „Ixion'*  erregte  bei  der  Aufführung 
durch  seine  Gotteslästerungen  Anstoss ;  der  Dichter  verteidigte 
sich  dagegen,  dass  er  Ixion  zum  Schlüsse  elend  untergehen 
lasse*),  wie  Freunde  zu  seinen  Gunsten  vorbrachten,  er  lege 
seinen  Personen  vieles,  wofür  er  selbst  keine  Verantwortung 
trage,  um  ihrer  Charakterisierung  willen  in  den  Mund').  Als 
aber  bei  einem  Prozesse  der  Gegner  Euripides  die  berüchtigte 
Stelle  des  Hippolytos  „Die  Zunge  hat  geschworen,  doch  mein 
Herz  weiss  nichts  davon"  vorwarf,  griff  Euripides  nicht  zu  jener 
Entschuldigung,  sondern  wich  aus®).  In  der  That  wäre  er 
nicht  dazu  berechtigt  gewesen.  Man  betrachte  nur  seine  Göt- 
tergestalten, wie  sie  nichts  anderes  als  Menschen  und  zwar 
euripideische  Menschen  sind  :  Aphrodite  (im  Hippolytos)^)  rächt 
ihre  beleidigte  Eitelkeit  auf  entsetzliche  Weise;  Apollo  vernichtet 


1)  So(p6«,  Schol.  Med.  665;  Nauck  a,  O.  p.  XXX,  51.    Er  bildet  sogar 
die  bekannte  Formel  zu  touc  ao(po6{  te  xa^a^ouc  fr.  284,  23  um. 

2)  Z.  B.  Heracl,  901  ff. 

3)  Fr.  836.  935.  Tro.  884  ff. ;  Hei.  1015.  Fr.  961  (anders  ist  Suppl.  1139  ff. 
gemeint),  S.  312  A.  3. 

4)  Herc.  f.  1341  ff.  auch  IT.  380  ff.  u.  ö. 

5)  Vorsichtig   El.  583.   Herc,  f.  347.  fr.  294,  7.  1030,  5;  kühner   z.  B. 
Phoen.  86  f.  155.;  Tro.  884  ff.  fr.  288.  483.  9r)4,  2. 

6)  Plutarch.  and.  poet.  4. 

7)  Schollen  zu  Med.  300. 

8)  Aristot.  rhetor.  3,  15  p.  1416  a  29  ff. 

9)  Der  Pädagog  sagt  umsonst  zu  Aphrodite  Y.  118  f.  fx*^   26x(&  toutoo 


Digitized  by 


Google 


Enripides.  319 

Inder  „Andromacbe"  den  lästigen  Mahner Neptolemos  (V.  1161  flF.), 
er  schämt  sich  im  „Ion'*  vor  seiner  verlassenen  Geliebten  und 
in  der  „Alkestis^*  bat  er  die  Schicksalsgöttinen  überlistet,  aber 
an  Thanatos  wagt  er  sich  trotz  seines  Bogens,  der  doch  jenem 
gewaltig  imponiert ,  nicht ,  sondern  Held  Herakles  muss  ganz 
allein  den  Kampf  bestehen.  Und  wie  benimmt  sich  sogar  der 
höchste  Gott  in  der  Handlung  des  „rasenden  Herakles**  unge- 
achtet des  Appells  ,  welchen  Amphitryon  mit  beweglichen ,  ja 
beleidigenden  Worten  (V.  339  ff.)  an  sein  Ehrgefühl  richtet? 
In  gleicher  Weise  führt  die  Art ,  wie  Euripides  seine  Stücke 
zum  Ziele  bringt,  in  seine  wahre  Denkungsart  ein.  Denn  Eu- 
ripides kennt  nur  ein  blindes  hartes  Schicksal,  das  zwischen 
Recht  und  Unrecht  keinen  Unterschied  macht,  mögen  es  die 
Menschen  mit  dem  Namen  einzelner  Götter  oder  sonst  wie  be- 
zeichnen \  Weil  indes  die  Athener  in  religiösen  Dingen  äusserst 
empfindlich  waren,  musste  der  Tragiker,  wenn  er  ihre  Toleranz 
nicht  auf  eine  gefährliche  Probe  stellen  wollte,  sich  möglichst 
vorsichtig  ausdrücken  und,  wenn  möglich,  die  konventionellen 
Ausdrücke  wählen.  Dennoch  möchten  wir  ihn  von  irgend- 
welcher Heuchelei  freisprechen.  Euripides  war  nicht  der  dra- 
matische Herold  der  Aufklärung,  wie  etwa  auf  der  Bühne  Frank- 
reichs Voltaire  gegenüber  den  religiösen  Tragikern  Corneille  und 
Racine,  sonst  hätte  er  sich  der  Philosophie  voll  hingegeben. 
Er  that  vielmehr  den  charakteristischen  Ausspruch:  „Philoso- 
phieren sollen  wir,  aber  wenig;  ausschliesslich  ist  nicht  recht. 
Von  ihr  kosten  soll  man ,  aber  sich  nicht  darein  vertiefen**  *). 
Sein  Leben  lang  rang  der  Dichter  nach  Wahrheit.  Nachdem 
er,  zum  Pessimismus  neigend  *),  in  jüngeren  Jahren  bei  den  or- 
phischen  Mysterien  Trost  gesucht  hatte*),  zog  ihn  der  Strom 
der  Aufklärung  mit  sich,  aber  als  Greis  schrieb  er  die  merk- 
würdigen „Bakchen**  ^),  worin  er  für  den  edlen  Kern  des  Volks- 


1)  Hec.  488  ff.  beispielsweise  hätte  Epikur  sagen  können. 

2)  Von  Ennius  übersetzt  (Cic.  Tuscul.  2,  1,  1.  €teU.  B,  15,  9). 

3)  Beispiele  bei  Nanck  S.  XXTU  A.  56.  Sein  Unglaube  war,  wie 
Mommsen  r§m.  G^eschichte  I  ^907  sagt,  „der  verzweifelnde  Glaube". 

4)  Alcest.  966  ff.  Hippel.  962  ff. 

5)  8.  z.  B.  1150  ff.  1325  f.  Dionysos  wird  wider  Euripides'  Gewohnheit 
immer  gerechtfertigt.  YgL  G.  Bernhardy  theologumen.  Graec.  p.  m. 
Euripidis  Bacchae,  Pr.  d.  ün.  Halle  1847. 


Digitized  by 


Google 


320  IX.  Kapitel. 

glaubeus  ohne  Schwanken  eintritt  und  gegen  die  Religions- 
Spötter  und  Materialisten  ankämpft,  ähnlich  wie  Shakespeare  in 
seinen  letzten  Werken  dem  positiven  Christentum  näher  tritt. 
Aber  gerade  seine  Werke  hatten  bereits  den  Samen  des  Zwei- 
fels weithin  ausgestreut  und  in  Kreise,  welche  der  eigentlichen 
Philosophie  unzugänglich  waren,  getragen;  Euripides  „hat  die 
Leute  überredet,  es  gebe  keine  Götter**^). 

Seine  Dramen  popularisierten  ausserdem  zahlreiche  sophi- 
stische Lehren,  von  denen  wir  wenigstens  die  auflFallendsten 
hervorheben  wollen.  Euripides  ist  im  Altertum  der  hervor- 
ragendste Vertreter  der  Menschenrechte.  „Den  wackeren 
Sklaven,  sagt  er,  schändet  der  Name  nicht,  viele  sind  besser 
als  die  Freien"^,  Aber  diese  geläuterte  Anschauung,  die 
übrigens  damals  nur  in  Athen  möglich  war,  überträgt  er  echt 
griechisch  auf  die  Barbaren  nicht,  im  Gegenteil,  sind  sie  in 
den  „Troerinen"  wie  im  Rhesos  zum  Teil  wahrhaft  karrikiert, 
und  auch  in  „Hekabe"  und  „Medea"  mit  grellen  Farben 
gemalt.  Da  ferner  die  Sophistik  an  den  Gymnasien  die  gefähr- 
lichsten Konkurrenzanstalten  hinsichtlich  der  Neigungen  der 
jungen  Männer  hatte,  eiferte  sie  und  in  ihrem  Gefolge  Euripides 
gegen  das  den  Materialismus  fördernde  Athleten  tum,  weshalb 
Amphion  in  „Antiope"  die  Sache  der  musischen  Künste  mit 
beredten  Worten  gegen  seinen  Bruder  Zethos  führte^).  Das 
dritte  gewichtige  Schlagwort  der  Bewegung  war  Frauenemanci- 
pation ;  welch'  eine  Kluft  liegt  zwischen  dem  Worte  des  sopho- 
kleischen  Aias  „Den  Frauen  ziemt  Schweigen'*  und  Euripides 
Melanippe,  die  trotz  einem  Rhetor  Vorträge  über  die  Frauen - 
frage  hält.  Der  Tragiker  scheut  nicht  einmal  vor  einer  Debat- 
tierung der  Weibergemeinschafb  zurück*). 

Ueber  die  Denkungsweise  des  Euripides  sind  wir  in  jeder 
Beziehung  besser  als  was  die  zwei  anderen  Tragiker  anlangt, 
unterrichtet.     Wenn  sie  auch  viele  gehaltvolle  Sentenzen  ihren 


1)  Aristophan.  Thesmoph.  457. 

2)  Fr.  515,  vgl.  828,  Ion  854,  ähnlich  in  Alexandros,  (fr.  49—60),  Andro- 
mache,  Hekabe  nnd  den  Troerinen;  im  allgemeinen  s.  Stobaens  floril.  IV  18  (62). 

3)  Bibbeck  römische  Tragödie  S.  285  fi.;  anch  Androm.  599. 

4)  Fr.  655.   Gegen   daa   die  Justiz  hemmende  Asylrecht   polemisiert  er 
Ion  1312  ff. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  321 

Hörern  mitgegeben  haben,  empfindet  man  doch,  weil  sie  selten 
den  Zusammenhang  mit  dem  von  dem  Drama  eben  Geforder- 
ten verlieren,  nur  ausnahmsweise  die  Absichtlichkeit  derselben. 
Bei  Euripides  hingegen  wimmelt  alles  von  Sentenzen,  was  aber 
schlimmer  ist,  sie  passen  häufig  nicht  entweder  zur  Situation 
oder  überhaupt  zum  Sprechenden.  Vom  König  bis  zum  Skla- 
ven herab  philosophiert  alles'),  und  dies  im  höchsten  Schmerze 
wie  in  fröhlicher  Weinlaune  *).  Es  spricht  eben  immer  der 
Dichter  und  der  hat  nun  einmal  das  Bedürfnis,  alle  seine  Ge- 
danken auszubreiten*).  Er  redet  gerne  von  Büchern  und  Stu- 
dien *) ,  ja  weil  ihm  die  Astronomie  Interesse  einflösst ,  fliesst 
sein  Mund  davon  über  *).  Der  Dialog  ist  spitzfindig  und  silben- 
wägend, als  ob  zwei  Philosophen  disputierten;  besonders  neigt 
Euripides  zur  dialektischen  Erörterung  eines  socialen  Problems, 
die  dann  die  Glanzstelle  des  ganzen  Stückes  wird,  z.  B.  dis- 
putierten in  der  „Antiope*'  Amphion  und  Zethos  über  den 
Wert  von  Musik  und  Gymnastik,  während  die  Frauenfrage  in 
der  „Melanippe",  der  Abstand  von  Griechen  und  Barbaren  im 
„Philoktet**  *),  das  Sklaventum  im  „Alexandros"  erörtert  wurde. 
Wer  sollte  vollends  erwarten ,  dass  Theseus  in  den  „Schutz- 
flehenden'* (V.  403  ff.)  mit  dem  thebanischen  Herold  eine  De- 
batte über  konstitutionelle  Verfassung  eingeht?  Um  wie  viel  mehr 
missbrauchte  Euripides  den  Chor  zum  Ausdruck  seiner  persön- 
lichsten Gedanken  ^)1  Der  Name  des  Bühnen philosopBen,  welchen 
ihm  so  viele  im  Altertum  erteilten  ®) ,  gereicht  dem  Tragiker 
wahrlich  nicht  zur  Ehre. 


1)  Darauf  zielt  Aristoph.  Ach.  400.  Rao.  949 f.   Auf  EoripideB  geht  Aristot. 
rhetor.  3,  2  p.  1404  b  15  tl    öoöXoc    xaXXceTcoito    ^    Xtav    veoc,    iirptireottpov. 
-      2)  Theon  progymo.  1  p.  149,  2  Walz;  Schollen  zu  Alcest.  780. 

3)  Vgl.  Lucian.  Juppit.  trag.  41. 

4)  Alcest.  962  ff.  Heicf.  673  ff.  Hippol.  266.  451  f.  954.  lA.  798.  fr.  370, 
6  f.  629.  902.  auch  Hei.  513.  Med.  422;  vgl.  Plutarch.  de  se  ipsum  laud.  1. 

5)  Schollen  zu  Alcest.  962.  Phoeu.  1.  Iltpl  5«^oo<  15;  Georg  Hof  mann 
Astronomie  der  Griechen  bis  auf  den  Dichter  Enr.  u.  seine  Zeitgenossen,  Fr. 
T.  Triest  1865. 

6)  Ribbeck  römische  Tragödie  8.  393 f. 

7)  Plutarch.  de  se  ipsum  laud.  1.    Auch  sonst  z.  B.  Androm.  622  f. 

8)  '0  eicl  xr^z  ox-rjvYjg  (oxYjvtxö;)  <pt>.6oo<poc  Vitruv.  8  praef.  1.  Sext.  Empir. 
math.  1,  288.  Athen.  4,  l58e.  13,  561a.  Clem.  Alex,  ström.  5,  688  P,  5818. 
Origen.  c.  Cels.  4  p.  214,  vgl.  Diogen.  Laert.  5,  2. 

Sittl,  Gescbichte  der  giiechiichen  Literatur,  m.  21 


Digitized  by 


Google 


322  IX.  Kapitel. 

Die  Unbefangenheit  des  echten  gottbegnadeten  Künstlers 
fehlt  Euripides  vollständig;  weil  demgemäss  die  Reflexion  die 
harmonische  Ausgestaltung  seiner  Werke  beeinträchtigt,  haben 
sie  sehr  verschiedene  Eindrücke  hinterlassen.  Während  im  Al- 
tertum die  Beurteilung  des  Dichters  anfangs  an  der  reUgiösen 
Seite,  dann  an  der  rhetorischen  NützUchkeit  seiner  Dramen  zu 
haften  pflegte,  begann  in  der  Renaissance  der  Streit,  ob  Euri- 
pides den  Dichtern  ersten  Ranges  zuzuzählen  sei ,  wobei  Bero- 
aldus'  Angriffen  eine  Apologie  von  Franc.  Flor.  Sabinus  ent- 
gegentrat ^).  Die  mehr  oder  minder  entschiedenen  Bewunderer, 
worunter  der  englische  Herausgeber  Barnes  durch  Enthusias- 
mus auffiel,  beherrschten  jedoch  die  öffentliche  Meinung*),  be- 
vor August  W.  Schlegel  in  der  fünften  seiner  berühmten  Vor- 
lesungen über  die  Geschichte  des  Dramas  den  dichterischen 
Wert  der  euripideischen  Tragödien  anzweifelte.  Nachdem  dieses 
Urteil  wieder  Verteidigungen  hervorgerufen^),  dürfte  die  Wahl 
eines  Mittelweges  jetzt  auf  die  meiste  Zustimmung  rechnen 
können*),  wie  sie  auch  den  Forderungen  der  Gerechtigkeit  ent- 
spricht, t 

Ueber  den  Gesamtbau  der  Tragödie  hat  schon  Aristoteles 
das  richtige  Wort  gesprochen  *).  Gegenüber  der  straffen  ziel- 
bewussten  einheitlichen  Handlung  der  sophokleischen  Dramen 
ist  ein  ungeheuerer  Abfall  wahrnehmbar.  Euripides  steht  Aeschy- 
lus  hierin  näher,  denn,  was  Einheit  der  Handlung  ist,  hat  er 
nie  recht  erfasst,  sonst  hätte  er  keine  „Hekabe*'  und  keinen 
„rasenden  Herakles",  auch  keine  „Andromache"  geschrieben. 
Wie  hätte  er  auch  die  Scenen  in  einen  inneren  Zusammenhang 
bringen  können ,  wo  er  sich  nicht  gleich  Sophokles  bemühte, 
sie  aus  dem  Charakter  der  Hauptpersonen  heraus  begreiflich 
und    wahrscheinlich    zu    machen?    Zeichnet    doch    Euripides 


1)  Lectionnm  sabcisarnm  1.  n  cap.  13. 

2)  Vgl.  Jacobs  Nachträge  zu  Salzers  Theorie  der  schönen  Künste  V 
S.  336  flf. 

3)  Jan.  Bake  Annales  acad.  Lngd.  Bat.  1815—16  p.  99 ff.;  E.  van 
Limb nrg-Bron wer  over  de  zedelgke  schoonheid  d.  poezy  v.  Eur.,  Groningen 
1833;  Fr.  Eanmer  Historisches  Taschenbuch  1841  S.  161—276,  dann  be- 
sonders Härtung  im  Euripides  restitutus. 

4)  Vgl.  Mommsen  römische  Geschichte  V  906  ff. 

5)  Poet.  13  p.  1463  a  29  el  xal  xä  fiXXa  jjl->|  zl  olxovojiel. 


Digitized  by 


Google 


Emripides.  323 

keine  konsequenten  Charaktere,  schon  weil  die  Flut  glänzender 
Rhetorik  und  Dialektik  die  Individualitäten  verwischt*);  den 
Mangel  an  innerem  poetischen  Zusammenhang  sucht  Euripides 
durch  äusserliche  Motivierungen  zu  ersetzen^,  als  ob  der  Dich- 
ter nicht  oft  mit  der  nüchternen  Alltagswahrscheinlichkeit  in 
Widerstreit  kommen  müsste.  Nicht  genug,  dass  er  das  Auf- 
treten der  Personen  und  des  Chors  wiederholt  in  kleinlicher 
Weise  motivierte  (z.  B.  hört  der  Chor  des  „Hippolytos"  von 
einer  Freundin  am  Waschtrog,  Phaidra  sei  krank),  glaubte  er 
sich  sogar  berechtigt,  die  geniale  Sorglosigkeit  seiner  Vorgänger 
durch  tadelnde  Anspielungen  gegen  seine  vermeintliche  Gründ- 
lichkeit herabzusetzen  ^.  War  diese  nicht  ebenso  unpoetisch, 
wie  die  Vollständigkeit,  mit  der  er  alles  zur  einschlägigen  Sage 
gehörige  ohne  Rücksicht  auf  die  dramatischen  Zwecke  im  Pro- 
log und  sogar  an  anderen  Stellen  zusammenstellte? 

Indem  Euripides  die  Oekonomie  des  Stückes  vernach- 
lässigte und  die  Exposition  durch  einen  undramatischen  Prolog 
vorwegnahm  (S.  198  flf.),  koncentrierte  er  sein  Bemühen  auf 
die  einzelnen  Scenen.  Hat  ihn  die  kunstgerechte  Herbeiführung 
eines  Allen  vorher  bekannten  Ergebnisses  wenig  interessiert 
und  hielt  er  als  Vorläufer  mancher  Moderner  , ,1a  sc^ne  ä  faire'* 
für  die  Hauptsache  oder  fehlte  das  Geschick?  Jenes  hat,  da 
Euripides  überall  nach  Originalität  ringt,  die  Wahrscheinlichkeit 
für  sich.  Auf  jeden  Fall  muss  man  zugeben,  dass  er  an  mächtig 
erschütternden  Einzelscenen  Aeschylus  und  Sophokles  übertri£Ft. 
Wenn  das  Ziel  der  alten  Tragödie  die  Erweckung  von  Mitleid 
und   Furcht   war,    ist  er   der   tragischste   unter   allen*).     Die 


1)  Dies  bemerkt  Isaak  Tzetzes  zu  Lycophr.  14. 

2)  Vgl.  Dio  Chrysost,  52,  11.  14. 

3)  Herrn.  Richard  de  Earipide  Aeschyli  Sophoclisque  correctore  et 
Titnperatore,  Dias.  v.  Kiel  1870.  Dies  erstreckte  sich  bis  aaf  einzelne  Aus- 
drücke, s.  z.  B.  Aristot.  poet.  22  p.  1458  b  23  ff. 

4)  TpaYWwtaxoc  Y®  '^<**^  itocrjtt&v  «pacvcxat  Aristot.  poet.  13  p.  1463  a  30 ; 
vgl.  dazu  ausser  den  Aristotelikem  Jos.  Cron  de  looo  poeticae  Aristoteleae 
quo  £.  poetamm  maxime  tragicns  dicator.  Erlangen  1845;  E.  Schwabe 
Jahrbb.  f.  Phil.  109,  97  ff.;  Emil  Neid har dt  de  Earipide  poetamm  maxime 
tragico,  Diss.  v.  Halle  1878  (Dissert.  philol.  Hai.  3,  279 ff.);  Ad.  Stein- 
berg er  de  catharsi  tragica  et  qualis  ea  fiat  in  Euripidis  fabnlls,  Diss.  y. 
München,  Füssen  1882. 

21» 


Digitized  by 


Google 


324  IX.  Kapitel. 

Nerven  der  Zuschauer  wurden  durch  die  tragische  Ironie  auf 
das  höchste  gespannt,  so  z.  B.  wenn  Merope  das  Beil  gegen 
ihren  unbekannten  Sohn  erhob  und  Antiopes  Söhne  ihre  Mutter 
ohne  Ahnung  der  Verwandtschaft  mit  dem  Tode  bedrohten. 
Noch  lieber  schildert  Euripides  eine  unglückliche  Lage  in , 
drastischen  Farben :  Fürstliche  Personen  in  elendem  Gewände 
sind  eine  Spezialität  dieses  Dichters,  die  bei  seinen  Gegnern 
viel  Spott  erregte  ^) ;  er  führte  den  wunden  Telephos  in  Bettler- 
kleidung ein  *) ,  die  greisen  Könige  Peleus  und  Oineus  den 
Blinden  im  Elend  umherirrend ,  den  kranken  Phoinix  und  deii 
verbannten  Thyestes  in  Lumpen,  Elektra  als  hartarbeitende 
Bäuerin,  Antiope  von  Schmutz  entstellt,  die  bleiche  und  elend 
gekleidete  Ino,  den  vom  Pegasus  in  den  Staub  geworfenen 
Bellerophon*),  eine  ganze  Galerie  von  Jammergestalten.  Eine 
besondere  Probe  seiner  realistischen  Kunst  legt  der  Tragiker 
in  den  Anfangsscenen  des  „Orestes"  ab,  wo  der  unglückHche 
Held  mit  blassem  eingefallenem  Gesicht,  das  verwirrte  zusammen- 
geklebte Haare  halb  bedecken,  unter  der  Obhut  seiner  treuen 
Schwester  schlummert  und,  dann  erwacht,  von  neuem  in  Hal- 
lucinationen  ver&Ut.  Euripides  versteht  ja  nichts  besser  als 
eine  angeregte  Menschenseele  lebhaft  und  packend  zu  schildern, 
ein  Zug  seiner  Poesie,  den  Schiller  als  „die  vollständigste 
Darstellung  des  Zustandes"  gewürdigt  hat;  dieser  dachte  dabei 
ohne  Zweifel  an  Charaktergemälde,  wie  die  liebeskranke  Phaidra 
oder  Medea.  '  Leider  begnügt  sich  Euripides  nicht  mit  den 
rührenden  herzbewegenden  Situationen,  welche  die  Volkssagen 
nahe  legen,  sondern  verwirrt  die  Fäden  oft  durch  raffinierte 
Einfalle  möglichst  künstlich.  So  stürzt  sich  Euadn^  in  den 
„Schutzflehenden"  gerade  vor  den  Augen  ihres  verzweifelnden 
Vaters  in  den  Scheiterhaufen  des  toten  Gemahls;  Melanippe 
muss  auf  Befehl  ihres  Vaters  die  eigenen  Kinder  zum  Tode 
vorbereiten;  wenn  Andromache  sich  nicht  selbst  opfert,  wird 
ihr  Knabe  getötet ;  es  ward  schon  bemerkt,  dass  Euripides  sich 


1)  Aristoph.  Ran.  842.  1063.  Nub.  922.  Eq.  813.  Ach.  411  ff. 

2)  Beschrieben  Aristoph.  Acharn.  439.  448.  453.  459.  463.  469,  vgl. 
Antisthenes  bei  Diog.  Laert.  6,  87. 

3)  Pelens  und  Oinens :  Aristoph.  Ach.  412  ff.  1063  f. ;  Antiope :  Pacuv. 
Antiop.  fr.  15;  Ino:  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1413;  ^ellerophon:  Aristoph. 
Ran.  846.  Ach.  426  ff. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  325 

ZU  einer  gebärenden  Frau  verstieg.  Ein  zweites,  eigentlich 
nicht  rein  poetisches  Mittel,  um  auf  die  Hörer  pathetisch  zu 
wirken ,  war  die  häufige  Verwendung  lyrischer  Masse  mit 
musikalischer  Begleitung.  Nicht  bloss  Tetrameter  (S.  221), 
sondern  auch  Sololieder  *)  kommen  bei  Euripides  sehr  häufig 
vor,  auch  wo  keine  ungewöhnliche  Erregung  der  Seele  sie 
begründet^;  freiUch  muss  man  zugestehen,  dass  sie,  für  sich 
allein  betrachtet,  von  hervorragender  Schönheit  sind,  gerade 
wie  viele  Chorlieder,  wenn  sie  auch  vom  dramatischen  Stand- 
punkte aus  entbehrlich  wären,  zu  den  Perlen  der  chorischen 
Lyrik  zählen  ^) ;  wie  mögen  sie  erst  bei  der  AuflPiihrung  ent- 
zückt haben,  denn  Euripides  war  ein  ausgezeichneter  Komponist*). 
wÄJistophanes  macht  freilich,  besonders  wegen  des  Anhaltens 
einzelner  Silben  und  der  Wiederholung  von  Wörtern  seine 
Lieder  in  den  „Fröschen"  lächerHch^),  aber  die  Triebfeder 
dieses  Spottes  liegt  darin,  dass  der  Tragiker  sich  der  neueren 
Richtung  des  Musikreformators  Timotheos  anschloss  ®)  und  statt 
der  herben  Strenge  der  alten  Musik  volkstümliche  Melodien  — 
Gassenhauer ,  meinte  Aristophanes  —  einführte ').  Dass  man 
ihm  nachsagte,  die  Musiker  Kephisophon  und  Timokrates 
unterstützten  ihn  %  ist  gewiss  kein  ungünstiges  Zeugnis. 

Neben  der  Situationstragik  unterscheidet  die  reaUstische 
Anschauungsweise  unseren  Dichter  scharf  von  seinen  Genossen. 
Wagt  er  auch  nur  wie  verstohlen  dem  bürgerlichen  Element 
den  Zutritt  zu  der  Fürstentragödie  zu  gestatten^),  hat  er  doch 
den    geistigen  Gehalt   der  Tragödie   dem  Niveau  des  neueren 


1)  S.  224;  Volkm.  Fritzsche  de  mouodiis  Earipideis  I.  Rostock  1842; 
ders.  disp.  de  Phrygio  cautico  in  Eurip.  Oreste,  ind.  lect.  hib.  Rostock  1842. 

2)  Dies  hat  die  Parodie  Aristoph.  Ran.  1331  ff.  im  Auge. 

3)  Z.  B.  JA.  1037—98,   besonders  1063—80;  Dio  Chrysost.  52,  14  lobt 
wenigstens  die  Sittenlehren. 

4)  Vita  Z.  124  f.,    womit  Axionikos'  4>tXeüptiit8Yi<:   bei    Athen.   4,  175  b 
übereinstimmt. 

5)  Aristoph.  Ran.  1314.  1348;  1338.  1352  ff. 

6)  Vgl.  Plntarch.   an   seni  ger.  23  a.  E.     Nach  einigen  verfasste  dieser 
die  Grabschrift  des  Dichters. 

7)  Ran.  1301  ff.;  litoXXia  nennt  er  sie  Pac.  532. 

8)  Vita  Z.  15;  Kephisophon:  Aristophanes  V.  97. 

9)  S.  165.  Vgl.  Aristoph.  Ran.  959. 


Digitized  by 


Google 


326  IX.  Kapitel. 

bürgerlichen  Schauspiels  angenähert.  Die  euripideischen  Heroen 
sind  ja,  obgleich  sie  berühmte  Namen  tragen,  imverkennbar 
Athener  aus  Kydathen  oder  dem  Piräus;  diese  nahmen  sich 
nun  freilich  in  der  idealen  Welt  der  herkömmlichen  Tragödie 
etwas  seltsam  aus;  es  half  wenig,  dass  Eurif)ides  überhaupt 
zeitgenössische  Elemente,  soviel  er  konnte,  einmengte.  Ich 
meine  damit  nicht  die  Anspielungen  auf  seine  Zeit,  z.  B.  auf 
den  Tod  des  Protagoras  und  Anaxagoras'  oder  Perikles'  Stand- 
haftigkeit  ^),  sondern  dass  er  beispielsweise  den  obligaten  Haus- 
meister der  athenischen  Häuser,  den^ophokles'  Elektra  ignoriert, 
und  die  Höflichkeitsformen  seiner  Zeit*)  von  der  Tragödie 
nicht  ausschliesst.  Glücklicher  war  Euripides  in  der  Demo- 
kratisierung oder,  wenn  man  lieber  will,  Modernisierung  des 
tragischen  Stiles  *).  Er  zeigte  zuerst ,  dass  der  Dichter  auch 
ohne  Aufhäufung  von  Seltenheiten  gewählt  und  edel  sprechen 
könne.  Die  sogenannten  „Glossen*'  und  überhaupt  die  an  die 
homerischen  Helden  erinnernden  Archaismen ,  haben  im  Ver- 
gleich zu  Sophokles  und  vollends  zu  Aeschylus  bedeutend  ab- 
genommen *).  In  der  Erfindung  neuer  Bilder  zeigt  Euripides 
dementsprechend  geringe  Kühnheit,  sondern  geht  über  den 
herkömmlichen  Vorrat  der  Tragödie  nicht  weit  hinaus  %  wobei 
er  an  gewissen  manierierten  Lieblingswendungen  haftet*). 

Der  Dichter  war  indes  weit  davon  entfernt,  äu  der  ge- 
bildeten Umgangssprache  herabzusteigen,  vielmehr  lehnte  er 
sich  an   die  Kunstprosa,    also   die  von  den  Sophisten  gelehrte 


1)  Philochoros  bei  Diogen.  Laert.  9,  55 ;  Alcest.  903,  8.  U.  v.  W  i  1  a  m  o- 
witz  anal].  Eur.  p.  154. 

2)  Z.  B.  Suppl.  1180  flf.  mit  Wiiamowitz'  Note. 

3)  Tö  TCoXtTix6v  Dio  Chrysost.  or.  52,  11;  vgl.  Aristoph.  Run.  941  ff. 
Aristot.  rhet.  3,  2  p.  1404  b  25.  Hepl  o^/oix;  40.  Quintil.  10,  1,  68.  Prosaisch 
ist  z.  B.  aÖTÖc  a6ioö  beim  Superlativ.  —  K.  Rieck  de  proprietatibus  qui- 
biisdam  sermonis  Euripidei,  Halle  1877. 

4)  Allerdings  bleibt  Euripides  nicht  konsequent,  z.  B.  gebraucht  er  ^hi 
Herc.  f.  30.  Hec.  327.  —  K.  Rieh.  Schirlitz  de  Euripide  novi  sermonis 
eonditore,  Diss.  v.  Halle  1864  u.  de  sermonis  tragici  per  Eurip.  incremen tis  I. 
de  vocabulorum  thesauro,  Halle  1865. 

5)  S.  226  A.  3. 4;  M  agdeburg  über  Bilder  u.  Gleichnisse  bei  Eur.,  Pr.  v. 
Danzig  1884;  Tadel  von  Metaphern:  Aristot.  rhetor.  3,  2  p.  1405a  28 ff. 

6)  Z.  B.  Tü<pX6<  bei  «o6c  und  x^^P  (Porson  zu  Phoen.  1722)^ 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  327 

Behandlung  der  Sprache  an  *).  Der  Dialog  und  lange-  Reden 
sind  nach  ihren  Vorschriften  angelegt  und  gegliedert  *),  ebenso 
baut  der  Dichter  die  einzelnen  Sfttze  in  ausgeklügelter  und 
spitzfindiger  Weise  und  verfällt  nicht  selten  in  gesuchte  und 
spitzfindige  Antithesen  *).  Die  pointierte  Figur  des  Oxymoron 
beutet  er  noch  mehr  als  die  anderen  Tragiker  aus^).  An 
Gleichklängeu  ist  ebenfalls  kein  Mangel  ^)  und  den  Freund  des 
Prodikos  kennzeichnet  die  scharfe  Unterscheidung  verwandter 
Ausdrücke  ®).  Eine  solche  epigrammatische  Zuspitzung  behagte 
den  debattelustigen  Griechen  mehr  als  uns,  wogegen  sie  an 
Euripides  die  breite  Geschwätzigkeit  aussetzten  '^).  In  der 
That  pflegt  er  jeden  Gedanken  vollständig  auszuführen ,  ohne 
auf  das  schöne  Mass  zu  aditen;  dabei  begegnet  es  ihm  oft, 
dass  er  nicht  nur  ein  Wort  nach  kurzer  Pause  von  neuem 
verwendet  ®),  sondern  gar  oft  einen  und  denselben  Satz  bloss 
variiert,  wo  dann  neuere  Kritiker  von  Interpolationen  sprechen, 
wiewohl  Aristoteles  dies  ausdrücküch  für  bühnenmässig  erklärt^. 
Es  ist  auch  sehr  charakteristisch  für  seine  Arbeitsweise,  dass 
er  mehrere  Verse,  wenig  oder  gar  nicht  verändert,  in  verschie- 
denen Stücken  abermals  verwendete^®). 


1)  Vj?l.  Aristoph.  Ran.  956  ff.  775.  Pac.  534.  Qaintilian.  10,  1,  68.  Dio 
Chrys.  52,  11;  Max  Lechner  de  Earipide  rhetorum  discipalo,  Pr.  v.  Ans- 
bach, Berlin  1874;  J.  Fraccaroli  de  Enripidis  scribendi  artificio,  Turin  1885. 

2)  Dionys.  vet.  script.  cens.  2,  11.  Qnintil.  a.  O. 

3)  Vgl.  Aristoph.  Kan.  901  f.;  Lechner  a.  O.  p.  19;  KöchlyzuEur. 
IT.  504.  512;  falsche  Antithesen:  Ed.  Müller  Gesch.- der  Theorie  der  Kunst 
bei  den  Alten  I.  S.  276  f.;  Ad.  Römer  Jahrbb.  f.  PhU.  131,  680. 

4)  Ed.  Müller  a.  O.;  Anakoluthe:  R.  Koch  de  anaoolnthis  apnd  £. 
capp.  sei.  V.,  Diss.  v.  Halle  1881. 

5)  Karl  Rieck  de  proprietatibns  qnibusdam  sermonis  Enripidei,  Halle 
1877  p.  8  ff; 

6)  Le ebner  a.  O.  S.  19 f.;  in  diesem  Sinne  schulmeistert  er  Aiistoph. 
Ran.  1154  ffl  den  Aeschylns. 

7j  StwfioXcoooXXtxtdi^C  Arist.  Ran.  841,  vgl.  1069.  1160 ;  XaXia  Plutarch. 
rect.  rat.  and.  13;  ev  toi?  &}iotßaio&(:  «eptooö?  xal  «popxtxo?  Vita  125  f.  — 
Ueber  Pleonasmen  und  Umschreibungen:  Rieck  a.  O.  p.  14 ff.  25 ff. 

8)  Rieck  a.  O.  p.  23 ff.,  s.  A.  10;  die  Alten  tadelten  sogar  die  Häufung 
eines  Buchstaben  in  Med.  476  lotuoä  o'  &<:  Toaoiv  (Piaton  nnd  Eubulos  bei 
Schol.  Med.  476). 

9)  Rhetor.  3,  12  p.  1413  b  17  ff. 

10)  Paul  Treplin  de  repetitis  apud  E.  verflbui,  Pr.  v.  Schrimm  1866; 


Digitized  by 


Google 


328  IX.  Kapitel. 

Das  Hocbpathetische  der  einzelneu  Scenen  und  zugleich 
der  Realismus  eröffneten  den  Schauspielern  einen  bisher  unge- 
ahnten Wirkungskreis;  denn  von  dem  Erfolge  der  Glanzscene 
und  dem  Vortrage  „der  Rede"  (S.  183,  2)  hing  die  Wirkung 
des  ganzen  Stückes  ab.  Der  Tragiker  stellte  in  Deklamation 
und  Gesang  an  den  Schauspieler  einerseits  viel  höhere  Auf- 
gaben ;  man  denke  nur  an  das  bei  Seite  Sprechen  (S.  237), 
das  fjeisereden  und  die  Lieder  der  sterbenden  Alkestis.  Aber 
auch  die  mimische  Begleitung  wurde  erst  durch  die  euripi- 
deischen  Stücke  kunstgerecht  ausgebildet,  denn,  leidenschaftlich 
wie  alle  seine  Personen  sind,  drücken  sie  ihre  Gefühle  unge* 
scheut  in  heftigen  Bewegungen  aus:  Hermione  zerreisst  ihr 
Gewand  und  schlägt  die  Brust  und  die  greise  lokaste  belegt 
sich  gar  in  der  Freude  des  Wiedersehens  „tanzend*'  (wie  die 
Griechen  sagen)  um  ihren  Sohn  ^).  Der  Erfolg  der  „Melanippe" 
vollends  hing  von  dem  richtigen  Geberdenspiel  ab  ^). 

Wollen  wir  aus  diesen  einzelnen  Punkten  ein  Gesamturteil 
ziehen,  so  hat  Euripides  den  Horizont  des  hellenischen  Dramas 
ungeheuer  erweitert  und  in  gewissem  Sinne  das  moderne  Trauer- 
spiel vorbereitet,  aber  dabei  ist  ihm  die  bezaubernde  Harmonie 
des  Sophokles  verloren  gegangen,  denn  die  überlieferten  Formen 
hemmenden  ungehinderten  Aufschwung  seines  strebenden  Geistes, 
so  dass  man  unwillkürlich  des  Wortes  gedenkt:  „Neuen  Wein 
soll  man  nicht  in  alte  Schläuche  füllen ,  denn  so  verderben 
beide."  ~  Freilich  ziemt  es  uns  Lesern  über  einen  Tragiker,  der 
vor  allem  anderen  die  Bühnenwirkung  im  Auge  gehabt  hat, 
mit  Zurückhaltung  zu  urteilen  ;  es  ist  kein  Zufall ,  dass  unter 
den  Neueren  gerade  die  bühnenkundigen  Dichter  Euripides  am 
besten  zu  schätzen  wussten.  Was  würden  die  Meister  der  moder- 
nen Malerei  sagen,  beurteilte  man  sie  nach  Holzschnitten,  wo 
der  koloristische  Reiz  mangelt  und  dafür  manche  schülerhaft 
scheinende  Verzeichnung  hervorsticht?  Euripides  befindet  sich 
jetzt,  der  untei-stützenden  Künste  beraubt,  in    einer  ähnlichen 


Prosp.  Wesen  er  de  repetitione  versäum  in  fnbulis  Euripideis,  Diss.  v.  Bonn 
1866;  L.  V.  Sybel  de  repetitionibus  verborum  in  fabulis  Euripideis,  Diss. 
T.  Bonn  1868. 

1)  Androm.  830fi.  Phoen.  315  f.  txsloe  xal  tö  Ätöpo  itjptxöpeooooa. 

2)  Cicero  off.  1,  31,  114. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  329 

Lage.  Dass  der  büchergelehrte  Mann  nichts  weniger  als  Buch- 
dramen schrieb ,  gehört  eben  zu  den  vielen  Widersprüchen 
seines  Wesens  und  seiner  Zeit. 

Auf  diese  Weise  geschah  es,  dass  schon  hundert  Jahre 
nach  seinem  Tode  eine  erhebliche  Anzahl  von  Dramen,  offen- 
bar weil  sie  nicht  mehr  gespielt  wurden ,  gänzlich  verschollen 
war.  Während  man  nämlich  aus  den  Registern  der  athenischen 
Bühne  92  Stücke,  d.  h.  23  Tetralogien  errechnete^),  besassen 
die  Bibliotheken  nicht  mehr  als  78  *) ,  worunter  obendrein  die 
Kritiker  drei  unechtö  (Tennes,  Rhadamanthys,  Peirithoos)  be- 
obachteten ,  so  dass  die  wirkliche  Zahl  auf  75  sank  ^).  Diese 
zerfielen  wieder  in  67  Tragödien  und  8  Satyrspiele,  von  welch' 
letzteren  eines  angezweifelt  wurde*).  Dank  der  grossen  Be- 
üebtheit  des  Dichters  sind  achtzehn  Tragödien  und  ein  Satyr- 
spiel vollständig  erhalten.  Von  den  übrigert  besitzen  wir  nicht 
allein  weit  über  tausend  Bruchstücke ,  namentlich  Sentenzen, 
deren  Euripides  eine  grosse  Fülle  zum  Citieren  bot*),  sondern 
von  drei  Stücken  sind  auf  anderem  Wege  nicht  unbe- 
deutende Reste  auf  uns  gekommen.  In  dem  berühmten  Codex 
Claromontanus  (Paris.  107)  der  Paulusbriefe  enthalten  zwei  viel- 
leicht dem  fünften  Jahrhundert  entstammende  Palimpsestblätter 
so  bedeutende  Stücke  des  „P  h  ae  t  h  o  n**,  dass  im  Zusammenhalt 
mit  sonstigen  Nachrichten  der  Verlauf  dieses  wirkungsvollen 
Stückes  ziemlich  klar  liegt;  bereits  der  greise  Goethe  machte 
den  glücklichen  Versuch  einer  Nachdichtung.  Eine  kritisch  be- 
richtigte Ausgabe  ist  von  Friedrich  Blass  (dissertatio  de  Pha- 
ethontis  Euripideae  fragmentis  Claromontanis ;  accedit  tabula 
photolithographica,  Kiel  1885)  hergestellt  ®).    Neuestens  wurden 

1)  Vita  Z.  33  cod.  A  (98  cod.  B)  u.  Thomas  M. 

2)  V.  Z.  33;  8.  Wilamowitz  anaU.  Euripidea  p.  144 f. 

3)  Varro  bei  GeUiua  17,  4,  3. 

4)  V.  Z.  130 f.;  das  „Marmor  Albanum",  eine  Statuette  des  Louvre 
(WinckelmaDu  monumenti  inediti  168;  Claruc  mns^e  pl.  294)  enthält 
ein  alphabetisches  Verzeichnis  von  37  Titeln. 

5)  Nachtrag  züi  Nanck:  Wilamowitz  Hermes  11,  303  f. 

6)  Die  editio  princeps  rührt  von  G.  B urgess  Classlcal  Jonrnal  22,156 ff. her. 
Goethe  fnsste  auf  Gottfried  Hermann  (Lpz.  1821,  oposcnla  HI  1  ff.) ;  s.  anch 
Härtung  Rhein.  Mus.  5,  573  ff.;  über  die  Phaethonsage:  ü.  v.  Wilamo- 
witz Hermes  *18,  396 ff.;  Robert  eb.  S.  431ff. ;  Kuaack  qoaestiones  Phae- 
thonteae,  Berlin  1886  8.  19  ff. 


Digitized  by 


Google 


30  IX-  Kapitel. 

zwei  Papyrusreate ,  welche  Hoffiiangen  auf  die  Zukunft  wach 
halten,  aufgefunden :  Ein  in  Paris  befindlicher  Streifen  enthält 
44  Verse  des  „K  resp  honte  s'*  ^);  ferner  kam  ein  vielleicht 
noch  in  der  Kaiserzeit  geschriebenes  Stück  mit  einem  Abschnitt 
der  ,, eingekerkerten  Melanippe**  (MeXavteTnj  i^  SeojiÄtic) 
aus  dem  Fajjüm  ^. 

Obgleich  Euripides  von  Aristophanes  unendUch  oft  paro- 
diert wurde,  ergibt  sich  daraus  uuglücklicher  Weise  zwar  für 
verschiedene  verlorene  Stücke  ein  teriüinus  ante  quem,  dagegen 
eine  einzige  brauchbare  Notiz  bezüglich  der  erhaltenen,  dass 
nämlich  die  „Herakliden**  vor  den  422  aufgeführten  „Wespen** 
entstanden  ').  Mithin  ist  der  Literarhistoriker  hauptsächlich  auf 
die  didaskalischen  Notizen  angewiesen ;  438  (Ol.  85,2)  erhielt 
Euripides  den  zweiten  Preis  mit  Kreterinen,  Alkmeon  in  Psophis, 
Telephos  und  Alkestis;  4SI  (Ol.  87,  1)  führte  er  Medea, 
Philoktet,  Diktys  und  die  Schnitter  auf;  428  (Ol.  87,4)  fällt 
der  erhaltene  Hippoly  tos  ;  415  (Ol.  91,1)  werden  Alexandres, 
Palamedes,  Troerinen  und  Sisyphos  aufgeführt*),  412(01. 
91,4)  Andromeda  und  Helena*^);  408  (Ol,  92,4)  folgt  der 
Orestes®).    Die  Phoenissen  werden  bald  mit  diesem  Stück 


1)  Herausg.  t.  H.  Weil  un  papyrus  in^dit,  Paris  1880  (mit  3  Tafeln) 
QDd  C.  G.  Cobet  fragmenta  inedita  poetarum  Graecoram,  Leiden  1880;  dann 
Blass  Rhein.  Mus.  35,  74 ff.,  von  Buche  1er  ebend.  B.  244  ff.  richtig  be- 
stimmt  (nach  Kock  ebend.  S.  264  ff.  ans  „Archelaos"). 

2)  Blnss  Rhein  Mus.  35,  290 ff. 

3)  Vesp.  1160  (vgl.  V.  1006),  hingegen  beruhen  die  Scholienangaben 
bezüglich  Ach.  119  (aus  Medea)  und  Eq.  214  f.  (aus  Heraklideu)  sicher  oder 
wahrscheinlich  auf  Irrtum,  falls  letztere  Stelle  nicht  zu  den  jetzt  verlorenen 
Abschnitten  gehörte  (Wilamowitz  anall.  Kur.  p.  151;  Joh.  Höveler  de 
Heraclidarum  Euripidis  scaena  et  tempore,  Münster  1878  p.  23  f.);  in  welcher 
Bearbeitung  der  Wolken  (V.  708.  1157)  ist  Hekabe  parodieH?  R.  Arnold 
Jahrbb.  f.  Phil.  131,  591  f.  will  nachweisen,  dass  der  „Ion"  in  den  Vögeln 
parodiert  sei.« 

4)  Aelian.  var.  bist  2,  8;  das  Jahr  der  Olympiade  wird  durch  Schol. 
Vesp.  1366  (1317)  bestimmt;  Herrn.  Planck  de  Euripidis  Troica  didascalia, 
Diss.  y.  Göttingen  1840. 

5)  Schol.  Arist.  Thesm.  1060.  1012;  letzteres  wird  durch  Thesm.  V. 
855 f.  bestätigt.  Vgl.  Heinisch  prolegomena  ad  Euripidis  Helenam,  Diss. 
v.  Breslau  1825  p.  61  f. 

6)  Schol.  Orest.  371. 


Digitized  by 


Google 


Eoripidee.  331 

bald  mit  „Hypsipyle"  und  „Antiope*'  oder  „Oinomaos"  und 
„Chrysippos**  zusammengestellt  ^).  Endlich  sind  I  p  li  i  g  e  n  i e 
in  Au  11 8,  Alkmeon  in  Korinth  und  die  Bakchen  zu  Athen 
erst  nach  des  Dichters  Tod  gespielt  worden  *). 

Für  die  andere  Hälfte  der  erhaltenen  Tragödien  suchten 
die  Forscher,  abgesehen  von  den  politischen  Anspielungen  ^), 
die  Zeit  auf  verschiedenen  Wegen  zu  orschUessen;  z.  B.  stellte 
G.  Hermann  *)  die  Theorie  auf,  seit  der  89.  oder  90.  Olympiade 
habe  Euripides  die  Trimeter  nachlässiger  gebaut,  aber  hiebei 
wäre  doch  wohl  der  Charakter  der  einzelnen  Scenen  zu  berück- 
sichtigen (S.  222)  und  ausserdem  müsste  zuvor  über  den  Umfang 
der  Interpolationen  eine  Verständigung  erzielt  sein.  Tycho 
Mommsens  interessante  Forschungen  über  die  zunehmende 
Häufigkeit  der  prosaischen  Präposition  pistd  ^)  erweisen  sich, 
wenn  man  die  Didaskalien  vergleichend  beizieht,  zu  einem 
genaueren  Ansatz  nicht  ausreichend.  Auch  mehr  der  Poesie 
Rechnung  tragende  Theorien,  wie  die  von  Herm.  Zirndorfer, 
welcher  die  Stücke  nach  ihrem  glücklichen  oder  unglücklichen 
Ausgang  sondert  ^),  oder  von  U.  v.  Wilamowitz,  der  die  Wahl 
gewisser  MythenstoflFe  auf  bestimmte  Zeitabschnitte  beschränkt '), 
vermögen  den  Mangel  eines  festen  Untergrundes  nicht  zu 
ersetzen. 

Wir  beginnen  die  Beurteilung  der  einzelnen  Stücke  mit 
einer  Tragödie,  die,  wenn  sie  sich  als  echt  erweist,  das  älteste 
Denkmal  der  euripideischen  Poesie  vorstellt.  In  den  Registern 
des   athenischen    Theaters    war    nämlich    ein    „Rhesos*^    des 


1)  Schol.  Or.  1481  citiert  Phoen.  638  flf.  mit  ev  14)  tpcttp  Spijiatc;  Schol. 
Arist.  Ran.  53;  Argain.  Phoeu.  p.  392,  10.  in\  NaootxpAtooc  (408)  cod.  Ven. 

2)  Scliol.  Aristoph.  Ran.  67. 

3)  Dass  El.  1347  ff,  sich  auf  die  bc^irohte  sicilische  Expedition  bezögen, 
weist  Rieh.  Haupt  Ztech.  f.  österr.  Gymn.  24,  660  ff.  mit  Recht  zurfick 
(trotz  Bruhns  Jabrbb.  Suppl.  15,  3161!.);  eine  solche  Anspielung  hätte  an 
den  Dionysien  nicht  gepaßst. 

4)  Elementa  doctrinae  metricae  p.  71.  83.  115.  119.  123;  praef.  ad  Eur. 
Hei.  p.  IV.  Bacch.  p.  XXXIX.  XLI  f. 

5)  Gebrauch  von  oov  u.  fLttdt  c.  Gen.  bei  Euripides,  Frankfurt  a.  M.  1876. 

6)  De  chronologia  fabularum  Euripidearum,  Preisschrifl  von  Marburg 
1839  cap.  2  (vgl.  W.  C.  L.  Ciarisse  symbolae literariae  V.  Amsterdam  1843). 

7)  Analecta  Euripidea,  Berlin  1875  p.  176  ff. 


Digitized  by 


Google 


332  IX.  Kapitel. 

Euripides  eingetragen ,  den  der  Dichter  in  jungen  Jahren  ver- 
fasst  hatte  *).  Das  erhaltene  gleichnamige  Stück  wurde  von 
dem  Pergamener  Krates,  Dionysodoros  und  dem  Ariötarcheer 
Parmeniskos  für  jenes  gehalten,  und  wahrscheinlich  dachte 
Aristarch  selbst  nicht  anderö  davon  *).  Nur  einige  zweifelten 
daran ,  weil  sie  manche  Gewohnheiten  des  Euripides  nicht 
vorfanden ,  und  sprachen  von  sophokleischera  Charakter '). 
Mit  dem  Beginne  des  Dramas  hatte  es  eine  besondere  Bewandtnis 
und  zwar  stand  zur  Zeit  des  Verfassers  der  Einleitung  die 
Sache  so,  dass  das  Stück  in  den  meisten  Exemplaren  ebenso 
wie  jetzt  begann,  einige  jedoch  vorher  einen  zwischen  Athene 
und  Hera  geteilten  Prolog  enthielten,  der  hinwiederum  von 
dem  bei  Dikaiarchos  angeführten  abwich.  Dieses  Verhältnis 
dürfte  ähnlich  wie  bei  der  ,, aulischen  Iphigenie*'  zu  erklären 
sein ;  weil  man  den  monologischen  Prolog,  welchen  Dikaiarchos 
las,  wegschaffen  wollte,  bearbeitete  ihn  einer  zu  einem  Dialog, 
andere  stinchen  ihn  als  überflüssig,  der  deus  ex  machina  hin- 
gegen war  bei  diesem  Drama  nicht  zu  entfernen.  Von  einem 
zweiten  „Rhesos"  ist  keine  Spur  vorhanden,  denn  gegen  die 
Vermutung ,  dass  der  Römer  Accius  seine  im  griechischen 
Lager  spielende  „Nyctegresia"  nach  Euripides'  Originalstück 
gearbeitet  habe^),  spricht  schon  der  Titel.  Das  Trauerspiel 
enthält  nichts,  was  den  Einrichtungen  der  athenischen  Bühne 
widerspräche^),  denn  weder  dass  die  Handlung  in  die  Nacht 
fällt  (S.  233,  3),  noch  dass  ein  vierter  Hilfsschauspieler  eintritt, 
noch  auch  das  Abtreten  des  Chors  können   einen   begründeten 

1)  Argum.  und  Krates  zu  V.  528. 

2)  Schol.  V.  5.  528;  499  (508);  528;  Aristarch:  541. 

3)  Argum.  (vgl.  Scliol.  41),  vielleicht  z.  B.  weil  Athene,  wie  im  „Aias**, 
unsichtbar  zu  Odysseus  spricht.  Diese  paradoxe  Ansicht  wurde  nach  Scaliger 
und  A.  W.  Schlegel  von  Gruppe  Ariadne  S.  285 ff.  aufgenommen. 

4)  Welcker  Ztsch.  f.  Altertumsw.  1834  Sp.  629  ff.  —  griech.  Trag. 
S.  1101  ff.  Härtung  Euripides  restitutus  I  p.  11  ff.;  Welcker  nimmt  wie 
G.  Hermann  opuscnla  HI  262  ff.  den  Prolog  bei  Dikniaithos  als  Rest  des 
echten  Stückes  an.  Die  verschiedenen  Ansichten  über  den  „Bhesos^^  ver- 
zeichnen Vater  in  seiner  Spezialausgabe  undFriedr.  Hagenbach  de  Rheso 
tragoedia,  Diss.  v.  Basel  1863  p.  6  f. 

5)  Hagenbach  erklärt  es  für  ein  Bnchdrama,  andeice  (darunter  G.  Her- 
mann opusc.  3,  261  ff.  und  O.  Menzer  de  Rheso  tragoedia,  Berlin  1867) 
schreiben  es  einem  Alexandriner  zu. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  333 

Anstoss  erwecken.  Wenn  die  Muse  mit  der  Leiche  ihres 
Sohnes  in  der  Luft  schweben  musste,  war  der  Maschinen- 
meister, der  im  ^Prometheus"  für  die  Okeaniden  sorgte,  um 
die  Darstellungsweise  nicht  verlegen.  Man  bringt  ferner  gegen 
den  „Rhesos**  vor,  Aristophanes  kenne  ihn  nicht,  sonst  hätte  er 
vieles  zu  parodieren  gefunden.  Aber  die  Komiker  wählten 
hiezu  Stücke,  welche  allgemein  bekannt  waren,  also  entweder 
neue  oder  sehr  berühmte ;  keines  von  beiden  traf  auf  diese 
obendrein   lange   vor  dem  Komiker  aufgeführte  Tragödie  zu. 

Das  Drama  enthält  nichts,  was  Euripides  nicht  geschrieben 
haben  könnte  ^) ,  im  Gegenteil  zeigt  es  unverkennbar  diese 
eigenartige  Natur  in  der  Entwicklung.  Mit  dem  Chor  konnte 
er  sich  schon  damals  nicht  abfinden;  die  angeblichen  Wächter 
haben  zuerst  ihren  Posten  verlassen  und  kommen,  nachdem 
sie  abgelöst  sind,  erst  recht  wieder.  Das  Opernmässige  des 
Dialogs  tritt  hingegen  so  sehr  heraus,  dass  sogar  der  deus  ex 
machina  singt.  Die  Charaktere  sind  mit  euripideischem  Pathos 
aufgefasst,  wenn  auch  der  gereifte  Dichter  später  nicht  mehr 
mit  so  grellen  Farben  malte.  Die  Sprache  verrät  schon  den 
künftigen  Reformator  des  tragischen  Stiles;  vorläufig  hat  er 
freiUch  den  richtigen  Weg  noch  nicht  gefunden,  sondern  will 
vor  allem  originell  schreiben  *).  Entscheidend  für  die  Echtheits- 
fipage  dürfte  aber  die  richtige  Beurteilung  des  religiösen  Ele- 
mentes sein;  der  Dichter  hatte  damals,  wie  die  Verwendung 
der  dei  ex  machina  ahnen  lässt,  seine  Abkehr  von  der  Volks- 
religion  bereits  vollzogen,  aber  er  suchte  zu  jener  Zeit  das  Heil 
in  den  Mysterien  des  Orpheus  •) ,  von  denen  er  sich ,  wie  wir 
gesehen   haben   (S.  319),    später   unbefriedigt   abwandte.     Der 


1)  Far  die  Echtheit  trat  neuerdings  Paul  Albert  de  Rheso  tragoedia, 
Halle  1B76  ein;  K.  Schenkl  Philol.  20,  484 ff.  hebt  die  Nachahmung  des 
Aeschylus  hervor. 

2)  lieber  die  zahlreichen  &nai  etp-rjuiva  und  untragischen  Wörter  Hagen- 
bach p.  33  ff.  Albert  p.  33  ff. 

3)  V.  943  f.  965  f.  972  f.  Daher  dürfte  die  Vorliebe  für  das  Wort  8acji.ü>v 
stammen,  daher  auch  die  berühmte  Frage  Iloloy  npootoyitzat  t6v  Sicatov  ^sov 
(703);  sie  klingt  übrigens  an  fr.  960  ^t6v  8t  icocov,  tlice  jiot,  vo'rjt^ov;  und 
Tro.  889  s&x^^  ^^  Ixaivioac  ^suiv  an.  Ein  alexandrinischer  Jude,  wie  man 
gemeint  hat,  kann  dieses  durch  und  durch  heidnische  Stück  nicht  gemacht 
haben. 


Digitized  by 


Google 


334  IX.  Kapitel. 

„Rhesos**  ist  trotz  seiner  grellen  Schwächen  von  höchstem  Werte, 
weil  er  uns  sozusagen  einen  Einblick  in  die  Sturm-  und  Drang- 
zeit des  Dichters  gewährt  Kein  Wunder,  dass  solche  Stücke 
die  durch  Sophokles  bereits  verwöhnten  Athener  nicht  be- 
friedigten. 

Die  zweite  Entwicklungsstufe  des  Tragikers  ist  durch  die 
438  aufgeführte  Alkestis  gekennzeichnet.  Der  bekannte  Streit 
Wielands  ^)  und  des  jungen  Goethe  fiel  in  eine  Zeit,  wo  keine 
Partei  das  Griechentum  ganz  objektiv  auflfasste.  Unter  den 
Philologen  würde  über  den  Charakter  des  Stückes  schwerlich 
eine  Meinungsverschiedenheit  herrschen,  zeigte  nicht  die  in  der 
alten  Einleitung  mitgeteilte  Didaskalie  „Alkestis"'  an  vierter 
Stelle,  was  Anlass  gab,  satyreske  Züge  aufzusuchen*).  Allein 
das  Grandmotiv  der  „Alkestis"  hatte  für  einen  Alten  nicht 
das  mindeste  Komische,  da  die  Griechen  über  den  Wert  der 
Frauen  und  Greise  gegenüber  einem  in  der  Vollkraft  stehenden 
Manne  äusserst  gering  urteilten  und,  wenn  ein  solcher  durch 
den  Opfertod  einer  jener  unnützen  Wesen  sein  Leben  retten 
konnte,  in  der  unbedenklichen  Benützung  einer  solchen  Hilfe 
etwas  selbstverständliches  erblickten.  Der  griechische  Zuschauer 
war  hiemit  soweit  davon  entfernt,  Admetos  wegen  seines  Egois- 
mus zu  zürnen,  dass  er  sich  dem  Mitleid  ohne  einen  kritischen 


1}  Er  veröffentlichte  im  Tentsclien  Merkar  1773,  Janaar  and  März  fünf 
Briefe,  welche  Goethes  Farce:  Götter,  Helden  and  Wieland  hervorriefen. 

2)  Gottl.  Ad.  Wagner  de  A.  Ear.,  Lpg.  1797;  Fr.  W.  Glam  de  Euri- 
pidis  Ale,  Dias.  v.  Berlin  1836;  H.  Köchly  Historisches  Taschenbach  1847, 
S.  359fr.,  welcher  eine  uene  Dramaart  annimmt;  dagegen  sind  fär  eine  Tra- 
gödie Goethe,  Gk)ttfr.  Hermann,  Tieck  (Historisches  Taschenbach  1841  S.  276), 
Hartang  and  Yillemain  tableaa  de  la  litt^ratare  aa  XVUI.  siMe,  43.  le^on; 
8.  aach  H.  Düntzer  Jahns  Archiv  5,  192f^;  Bad.  Raachenstein  die 
Alk.  des  E.  als  besondere  Gattang  des  griech.  Drama,  Pr.  v.  Aaraa  1847; 
Bendixen  de  A.  Earipidis,  Pr.  v.  Altona  1851  (gegen  Köchly);  E.  Bach- 
holz de  A.  Earipidea,  Pr.  v.  Osnabrück  1864;  Em.  Wilken  de  A.  Enri- 
pidea,  Diss.  v.  Greifswald,  Berlin  1867;  Wlad.  Eolanowski  de  natara  atqae 
indole  fobalae  Earipideae  qaae  A.  inscribitar,  Pr.  v.  Ostrowo  1868;  Gast. 
Bissjnger  über  die  Dichtangsgattang  and  den  Grandgedanken  der  Ale.  des 
E.,  Pr.  V.  Erlangen  1869  a.  1871.  Nach  U.  v.  Wilamowitz  Isyllos  v.  Epi- 
daaros  S.  66  f.  wirkte  das  barleske  Drama  des  Phiynichos  aaf  Earipides 
ein.  —  Alb.  Alüller  scenische  Fragen  zar  Alk.  des  E.,  Pr.  des  Lyc.  v.  Han- 
nover 1860. 


Digitized  by  CjOOQ IC 


Enripides.  335 

Gedanken  hingab,  wenn  er  die  rührenden  Abschiedsscenen  und 
die  Klage  des  verlasseneu  Gatten  hörte ^).  Es  ist  wahr,  dass 
der  alte  Vater  des  Königs  weder  von  diesem  so  unkindlich 
getadelt  werden  noch  selbst  mit  so  würdeloser  Zähigkeit  am 
Leben  hängen  sollte,  dennoch  konnte  Euripides  diesen  pein- 
lichen Auftritt  genügend  entschuldigen:  Das  egoistische  Be- 
nehmen der  Eltern  gehörte  offenbar  der  volkstümlichen  lieber- 
lieferung  an  ^)  und  das  Sprichwort  sagte  schon  damals ,  dass 
die  alten  Leute  mehr  als  die  jüngeren  am  Leben  hängen  ^). 
Vor  allem  aber  bedurfte  der  Dramatiker  dieser  Scene,  damit 
die  Üpferwilligkeit  der  Gattin  durch  die  Selbstsucht  der  Eltern 
eine  kontrastierende  Folie  erhielt.  Eni  zweiter,  echt  euripi- 
deischer  Kontrast  entsteht  dadurch,  dass  der  Dichter  die  Fröhlich- 
keit des  im  Trauerhause  ahnungslos  zechenden  Herakles  mit 
derbem  Pinsel  malt*).  Wenn  der  Held  es  mit  dem  Todesgotte, 
vor  dem  sogar  Apollo  zittert,  aufnehmen  soll,  muss  ja  Admetos 
ihm  etwas  grossartiges,  ja  unerhörtes  gethan  haben.  Wo  hätte 
man  aber  einen  zweiten  Gastfreund  gefunden,  der  seine  Thränen 
zurückhält,  nur  damit  der  müde  Fremdling  in  seinem  Behagen 
nicht  gestört  wird  ?  Zum  Schlüsse  muss  hinwiederum  Admetos 
zeigen,  dass  er  durch  seine  Treue  Herakles'  Helden that  wirklich 
verdient.  Racine  erklärte,  nichts  rührenderes  als  diese  Tragödie 
zu  kennen.  Sie  war  in  der  That  dazu  angethan,  die  Thränen 
fliessen  zu  machen.  Was  uns  daran  abstösst ,  beruht  teils  auf 
der  Verschiedenheit  der  Anschauungsweise  *)  teilsauf  den  outrier- 
ten  Kontrasten,  obgleich  sie  schon  feiner  und  zielbewusster  a  s 
im  „Rhesos'*  angelegt  sind.  Mit  solchen  Dramen  gewann  Eu- 
ripides bereits  dauernden  Erfolg;  denn  wäre  es  nicht  im  vierten 


1)  Vgl.  Plato  sympos.  208  d.  Die  Römer  freilich  dachten  äher  Admet 
anders  (Val.  Max.  4^  6,  1),   weil  sie  den  Wert  der  Frauen   höher   schätzten. 

2)  Man  vergleiche  das  Mftrchen,  welches  Po  litis  fj-sX^rq  tcepl  xo5  ßioo 
xd>v  V8a>t^pu>v  ^EXX'Tjvmv  I  p.  278  f.  mitteilt. 

3)  Eurip.  fr.  537.  Sophocl.  fir.  64D;  dieser  schilderte  Akrisios  ähn- 
lich (fr.  65). 

4)  Trunkene  in  der  Tragödie  S.  252;  auch  Ion  schilderte  Herakles  in 
der  „Omphale"  mehr  volkstümlich  als  tragisch  (fr.  29). 

5)  Man  könnte  es  z.  B.  auch  komisch  finden,  wenn  Orestes  bei  Aeschy- 
lus  (Cho.  300  f.)  das  Orakel,  die  Blutrache  und  —  X9W^'^^'^  ^x^'l^^*  ^  Motive 
des  Muttermordes  anführt. 


Digitized  by 


Google 


336  IX.  Kapitel. 

Jahrhundert  auf  dem  Repertoire  geblieben,  hätten  die  Komiker 
Antiphanes  und  Alexis  „Alkestis**  nicht  travestiert. 

Da  die  übrigen  Dramen  trotz  ihrer  verschiedenen  Qualität 
im  allgemeinen  auf  derselben  Stufe  der  Technik  stehen,  wollen 
wir  in  der  alphabetischen  Ordnung  fortfahren. 

„Andromache*)  zerfällt  in  zwei  eigentlich un verbundene 
Hälften,  wie  auch  sogar  Hermione,  die  zuerst  in  blutdürstiger 
Eifersucht  Audromache  verfolgt,  plötzlich  und,  wie  ihre  Amme 
selbst  sagt  (V.  8ß6  flF.) ,  ohne  rechten  Grund  ihren  Charakter 
ändert.  Der  zweite  Teil  zerfällt  obendrein  in  mehrere  lose  an- 
einander gereihte  Scenen,  welche  sogar  die  Einheit  der  Zeit 
vermissen  lassen.  Die  argen  Mängel  des  Entwurfes  werden 
nicht  einmal  durch  ergreifende  Scenen  aufgewogen ;  die  Schil- 
derung von  Neoptolemos'  Tod  (V.  1136  ff.)  ist  von  grässlicher 
Anschaulichkeit  und  doch,  insofern  der  Dichterdessen  Begleiter 
ignoriert,  ganz  unwahracheinlich.  Die  alten  Kritiker  haben  die 
Tragödie  nach  Verdienst  gewürdigt*)  und  Euripides  selbst 
scheint  nicht  viel  davon  gehalten  zu  haben,  denn  er  gab  sich  nicht 
die  Mühe  sie  selbst  aufzuführen ,  sondern  in  den  Listen  war 
ein  sonst  unbekannter  Chormeister  Demokrates  eingezeichnet  ')• 
Die  Gehässigkeit  gegen  die  Spartaner  ist  so  unverhohlen  aus- 
gedrückt, dass  schon  die  Alten  das  Drama  in  den  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  versetzten*);  da  überdiess  mit  Bitter- 
keit von  dem  Glücke  der  Spartaner  die  Rede  ist},  könnten  V. 
733  ff.  auf  die  Oetagegend,  die,  seit  426  jenen  entfremdet,  im 
Winter  413/2  dem  König  Agis  Geiseln  stellen  musste,  zu  be- 
ziehen sein. 


1)  V.  Knapp  ^tude  comparative  sur  la  composition  et  le  d^veloppe- 
ment  des  caractöres  dans  TAndromaque  d^Euripide  et  de  Racine,  Wetzlar 
1878;  E.  Johne  die  A.  des  Eur.,  Pr.  v.  Landskron,  Wien  1883.  Härtung 
Eurip.  restit.  n  108  fr.  versucht  die  Einheit  der  Handlung  nachzuweisen. 

2)  Schollen  zu  V.  32. 

3)  Schollen  zu  V.  445;  Bergk  Hermes  18,  493  identificiert  ihn  mit 
dem  argivischen  Musiker  Timokrates  vlt.  Eur.  Z.  15,  dessen  Namen  wie  das 
danebenstehende  *Io<p<i»vTa  verderbt  sein  konnte. 

4)  V.  445,  vgl.  733;  die  Annahmen  der  Neueren  schwanken  zwischen 
den  Extremen  Ol.  87,  2  (Firnhaber  Philol.  8,  408 flf.)  und  Ol.  92,  1 
(Hardion). 


Digitized  by 


Google 


«  Earipides.  '  337 

Die  Bakchen^),  welche  Pentheus'  Untergang  vorführen, 
sind  ein  wahrhaft  bakchisches  Stück;  da  es  am  meisten  unter 
allen  einen  einheitlichen  Ton  hat,  war  es  in  aller  Mund  und 
Goethe  erklärte,  gefolgt  von  A.  W.  Schlegel,  die  Tragödie  für 
sein  liebstes  Stück*).  Dionysos,  der  wunderthuende  Gott  im 
Mittelpunkt,  um  ihn  geschart  ein  begeisterter  Chor  phrygischer 
Frauen  mit  Tambourins,  der  greise  Teiresias  und  der  alte  Kad- 
mos  im  Gewände  von  Bakchanten ,  alles  vereinigt  sich  dazu, 
eine  wunderbare  Stimmung  hervorzurufen ,  so  dass  selbst  der 
ungläubige  Pentheus  widerwillig  davon  fortgerissen  wird  ^).  Den 
Glanzpunkt  des  Stückes  bilden  die  zwei  Erzählungen  des  Boten, 
worin  das  frohe  dionysische  Treiben  in  den  schattigen  Gründen 
des  Kithäron  und  dann  als  Gegenstück  der  fürchterliche  Aus- 
bruch bakchantischer  Wut  lebhaft  geschildert  wird.  Zum  Schlüsse 
führt  der  Dichter  die  wahnverwirrte  Agaue  mit  dem  blutigen 
Haupt  ihres  Sohnes  vor.  Das  Drama  ist  leider  durch  mehrere 
Lücken  entstellt ;  dieselben  sind  freilich  im  allgemeinen  nicht 
schwer  zu  ergänzen*).  Die  unmotivierte  Hervorhebung  von 
Makedonien  und  Pierien  berechtigt  zu  der  Vermutung,  dass 
Euripides  dieses  Stück  für  das  Schlosstheater  von  Pella  dich- 
tete^); in  Athen  wurde  es  ja,  wie  oben  berichtet,  erst  nach 
seinem  Tode  aufgeführt. 

Die  „Elektra**  liefert  aus  dem  Grunde,  weil  sie  einen  be- 
reits von  Aeschylus  und  Sophokles  bearbeiteten  Stoff  erneuert, 
zur  Erkenntnis  der  euripideischen  Arbeitsmethode  einen  wich- 
tigen Beitrag  ^.     Man  merkt  dem  Dichter  an ,  wie  klug  er  die 


1)  Gerh.  H.  Meyer  de  Enripidis  Bacchabus,  Diss.  v.  Göttingen  1833; 
Ernst  Wold.  Silber  de  E.  Bacehis,  Diss.  v.  Berlin  1837;  A.  Keuscher 
de  E.  B.,  Perleberg  1856;  J.  Bamberg  er  de  E.  B.,  Pr.  v.  Bensheim  1869. 
—  Frdr.  Gotth.  Schöne  de  personamm  in  E.  Bacchabus  habitu  scenico, 
Lpg.  1831;  Bruno  Arnold  de  E.  re  scenica  IL  continens  Bacchas  et  Phoen., 
Nordhausen  1879;  F.  J.  Däh  n  de  rebus  scaenicis  in  E.  B.  I.  Diss.  v.  HaUe  1880. 

2)  Bei  Müller,  Unterhalt,  v.  19.  Okt.  1823  S.  70;  er  analysierte  sie  in 
„Kunst  und  Altertum"  VI  1  S.  71  ff.  (Werke  Bd.  33  8.  Uff.) 

3)  Ferd.  Lach  mann  der  Charakter  des  P.  in  den  B.  des  E.,  Zittau  1870. 

4)  Robert  Hermes  13,  137,  besonders  aus  Nonnos  und  dem  Xpioxöc 
sdaxtuv  (s.  Ausgabe  von  G.  Brambs  p.  17). 

5)  Madvig  kleine  philoL  Schriften.  S.  459,  1;  s.  V.  409flf.  560flf. 

6)  8.  261  A.  2;  Gust.  Ad.  Qu  eck  de  Enripidis  E.,  Preisschrift  v.  Jena 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  III.  22 


Digitized  by 


Google 


338  IX.  Kapitel. 

Fehler  seiner  Vorgänger  vermieden  zu  haben  meint.  Da  die 
misstrauischen  Verbrecher  ihre  Burg  durch  Wachen  gesichert 
haben  werden  (V.  615  ff.),  muss  die  ßachethat  nach  seiner  An- 
sicht auf  das  Land  hinaus  verlegt  werden ;  Aigisthos  mag  dort 
ein  Opfer  darbringen,  wogegen  Klytaimestra  durch  einen  be- 
sonderen Vorwand  hinauszulocken  ist,  und  diesen  bereitet  der 
Dichter  durch  einen  gesuchten  Einfall  vor :  Elektra  ist,  um  un- 
schädlich zu  werden,  an  einen  unbemittelten  Bürger  verheiratet 
worden  ^);  damit  der  Fortgang  des  Mythus  keine  Störung  erfährt, 
handelt  er  natürUch  als  edelsimiiger  Mann.  Nächst  dieser  Neuge- 
staltung der  Grundlage  hat  Euripides,  indem  er  gegen  Aeschylus 
und  vielleicht  noch  einen  anderen  Dichter  (V.  524  ff.)  selbst- 
gefällig polemisiert,  die  Erkennung  der  Geschwister  spitzfindig 
abgewogen  und  die  Herbeiführung  derselben,  da  er  keinen  er- 
heblichen Altersunterschied  zwischen  Orestes  und  Elektra  an- 
nahm*), folgerichtig  dem  alten  Erzieher  übertragen. 

Man  darf  nicht  verschweigen,  dass  Euripides  auch  in  sitt- 
licher Beziehung  das  Ende  des  sophokleischen  Stückes  gebessert 
hat.  Ihm  graute  vor  dessen  hartem  kaum  einer  Gewissens- 
regung zugänglichen  Rächer,  den  Orestes  müssen  nach  des 
Dichters  richtigem  Gefühle  die  Erinyen  ereilen,  und  nicht  blos 
.  ihn,  auch  Elektra  wird  von  ihnen  gequält ;  es  fällt  ihr  beson- 
ders dies  schwer  auf  das  Herz,  dass  ihr  Apollo  den  Muttermord 
nicht  befohlen  habe  (V.  1303  f.).  Trotz  dieser  tieferen  Auffas- 
sung hinterlässt  „Elektra"  ein  peinliches  Gefühl,  denn  wie  soll 
man,  wenn  Apollo  von  den  Dioskuren  wegen  seines  Befehles 
getadelt  wird  (V.  1302.  1296  f.),  in  der  Bestrafung  der  Meu- 
chelmörder das  Walten  höherer  Gerechtigkeit  und  nicht  die 
bUnde  Notwendigkeit  (V.  1301)  finden?  Ausserdem  sind  die 
Charaktere  der  Hauptpersonen  so  realistisch  gezeichnet,  dass  sie 
keine  Sympathien  erwecken*). 


1844;  Andr.  Nenmeyer   parallele  Charaktere   n.  Zustände   in   Enr.   £.  n. 
Goethes  natürlicher  Tochter,  Pr.  v.  Amherg  1873. 

1)  Er  ist  aus   gutem  Geschlechte  (V.  37  f.,  vgl.  57).    Die  Bezeichnung 
ahxoo^bz  wäre  besser  zn  meiden. 

2)  Vergl.  14flf.  573  f. 

3)  Ueber    den    Charakter    Elektras    s.    U.   v.   Wilamowitz    Hermes 
18,  224  flf. 


Digitized  by 


Google 


Enripides.  339 

Wir  haben  bereits  augedeutet,  dass  wir  das  sophokleische 
Stück  für  älter  halten  ^)  ;  eine  deutliche  Anspielung  auf  den 
matten  Schluss  desselben  scheint  in  dem  Vers  (893)  zu  liegen: 
„Ich  habe  Aigisthos  nicht  mit  Worten,  sondern  thatsächlich  ge- 
tötet*'. Man  begreift  aber,  warum  Euripides  das  Stück  seines 
Zeitgenossen  im  Allgemeinen  ignorierte  und  lieber  mit  Aeschy- 
lus  den  Kampf  aufnahm. 

„Hökabe"^)  vöreinigt  wie  ,,Andromache**  zwei  durch  die 
Person  der  Titelheldin  verbundene  Handlungen ;  aber  das  Drama 
machte  grossen  Eindruck ,  zumal  da  sofort  am  Eingange  der 
ruhelose  Geist  Polymestors  die  Herzen  erschütterte  und  für  die 
unglückliche  Mutter  mitleidsvoll  stimmte  *).  Nur  der  Schluss 
fällt  rasch  ab ;  Polymestor  wird  nämlich,  nachdem  er  sich  wie 
ein  wildes  Tier  geberdet,  mit  einem  Male  zum  Propheten,  um 
Hekabes  Verwandlung  zu  verkündigen  ;  wie  Euripides  seiner 
Zunge  überhaupt  nicht  leicht  Einhalt  thut,  fügt  der  Thrakier 
noch  rasch  das  Geschick  Kassandras  und  Agamemnons  hinzu. 
Die  Charaktere  der  Griechen  sind,  wenn  auch  nicht  imponierend, 
<loch  gut  und  wahrscheinlich  gezeichnet,  während  die  Masslo- 
sigkeit  der  Barbaren,  welche  ja  die  hellenische  Sophrosyne  nicht 
kennen  sollten ,  an  ,,Rhesos"  erinnert.  Wie  wenig  Hekabes 
Leidenschaftlichkeit  zu  ihren  abgewogenen  und  berechneten 
Reden  stimmt,  ward  schon  im  Altertum  bemerkt. 

Welcher  Abschnitt  des  troischen  Sagenkreises  hätte  den 
pessimistischen  Dichter  mehr  anziehen  können  als  die  Helena- 
sage*),  so  wie  Stesichoros  sie  in  der  berühmten  Palinodie  hin- 

1)  Queck  a.  O.  p.  86flf.;  O.  Ribbeck  Leipziger  Studien  8,  382ff.; 
R.  Haupt  Ztsch.  f.  österr.  Gymu.  24,  660 flf.  umgekehrt  Gruppe  Ariadne 
S.  453  fif.;  H.  Kolster  über  die  Zeit  der  Abfassung  der  E.  des  S.  n.  £., 
Pr.  V.  Meldorf  1849;  U.  v.  Wilamowitz  Hermes  18,  214ff.;  Bruhns 
Jahrbb.  Suppl.  16,  314  fif. 

2)  J.  B.  Hütte r  über  die  Einheit  der  Handlung  in  der  Hecuba  des 
E.,  Pr.  V.  München  1836;  Christ  Lor.  Sommer  de  Euripidis  H.,  4  Pr.  v. 
Rudolstadt  1838,  40,  42,  44;  Otto  Wolter  de  E.  H.  disp.,  Pr.  v.  Ilfeld  1853; 
Trede  qua  arte  H.  Euripidea  composita  sit,  Pr.  v.  Kiel  1863. 

3)  Cicero  Tuscuf.  1,  16. 

4)  C.  W.  Wie  1  and  Neues  attisches  Museum  U  (1808)  S.  3flF.;  Frz. 
Heinisch  prolegomena  ad  Eur.  H.,  Diss.  v.  Breslau  1825;  B.  v.  Hoff  de 
mytho  Helenae  Euripideae,  Leiden  1843;  E.  Hirsch  de  Eur.  H.  I.  Pr.  v. 
Breslau  1861;  Herrn.  Dingeist  ad  de  Eur.  H.,  Diss.  v.  Münster  1865. 

22* 


Digitized  by 


Google 


340  IX.  Kapitel. 

gestellt  hatte?  Man  denke  nur:  Hunderttausende  von  Menschen 
wüten  zehn  Jahre  lang  gegen  einander,  und  richten  um  den 
Preis  zahlloser  Leben  ein  stolzes  Reich  zu  Grunde,  und  dies 
um  ein  Schattenbild,  weil  die  rachsüchtige  Hera  ihrem  Belei- 
diger die  wirkliche  Helena  nicht  gönnte,  sondern  sie  in  Aegypten 
barg!  Euripides  hielt  diese  Situation  für  günstig,  um  einmal, 
durch  keine  detaillierte  Ueberlieferung  gestört,  seiner  Phantasie 
völlig  die  Zügel  zu  überlassen.  Helenas  Schönheit  führte  ihn 
auf  die  Liebe  als  dramatisches  Motiv.  Also  liess  er  den  alten 
Proteus,  ihren  Hüter,  gestorben  sein  und  dessen  Sohn  Theokly- 
menos  nach  ihrer  Schönheit  begehren,  während  die  in  Griechen- 
land für  die  personificierte  Untreue  geltende  Frau  ihrem  Gatten 
treu  bleibt.  Wie  wird  nun  Menelaos,  wenn  er,  mit  eben  jenem 
teuer  erkauften  Schattenbilde  heimkehrend ,  nach  Aegypten 
gerät  und  die  wahre  Helena  erblickt,  sich  entsetzen  I  Fügen 
wir  dazu,  dass  andererseits  Helena  nach  dem,  was  der  mit 
einem  sehr  gesuchten  Vorwande  auftretende  Teukros  ihr  erzählt 
hat,  ihren  Gatten  für  tot  halten  muss,  dass  ferner  Theokly- 
menos  aus  Rache  jeden  griechischen  Fremdling  töten  will  I 
Als  Menelaos  durch  einen  glücklich  hinzukommenden  Boten 
die  Wahrheit  erkannt,  hat,  soll  er  Gemahlin  und  Leben  retten. 
Dies  wird  durch  eine  an  die  „taurische  Iphigenie"  erinnernde 
Intrigue  eingeleitet  und  dank  dem  Eingreifen  von  Proteus' 
Tochter  und  der  göttlichen  Brüder  Helenas  zu  glücklichem 
Ende  geführt.  Dieses  raffinierte  Intriguenstück  hat  unter  den 
erhaltenen  Tragödien  seinesgleichen  nicht ;  damit  der  antike 
Zuschauer  die  verwickelten  Verhältnisse  hinlänglich  überblickte, 
bedurfte  Euripides  ausser  dem  ungewöhnlich  laugen  und  trockenen 
Anfangsprologe  gar  einen  zweiten  gleich  schablonenhaften,  den 
Menelaos  beim  Auftreten  spricht  (V.  386  ff.). 

„Der  rasende  Herakles'*^)  entbehrt  wieder  der  Einheit 
der  Handlung,  da  der  zweite  Teil  allein  die  im  Titel  auge- 
deutete Sage  behandelt,  wogegen  der  erste  innerUch  gar  nicht 
damit  zusammenhängende  die  Bedrohung  von  Herakleö'  Familie 
durch  den  Usurpator  Lykos  vorführt;  in  der  höchsten  Not 
kommt  der  Held  aus  der  Unterwelt  zur  Rettung  aufgestiegen. 
Trotz  der  Mängel  der  Anlage  —  die  Einführung  des  Tröster» 


1)  Jul.  Zastra  quaestt.  de  Eur.  H.  f.,  Pr.  v.  Breslau  1847. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  341 

Theseus  ist  ein  patriotischer  Exkurs  —  muss  die  Tragödie  zu 
4en  wirkungsvollsten  gezählt  werden,  denn  die  einzelnen  Situ- 
ationen, vor  allem  die  erschütternden  des  zweiten  Teiles,  sind 
meisterhaft  ersonnen  und  ungemein  naturgetreu. 

„Die  H e r a k  1  i d e n"  ^)  hingegen  konnten  nur  einen 
Patrioten,  der  in  seiner  Stadt  die  Beschützerin  der  verfolgten 
Unschuld  bewunderte,  befriedigen.  Euripides  zeigt  nämlich 
Herakles'  Waisen  in  Marathon*)  gegen  Eurystheus  beschützt. 
Dieser  kommt  zuletzt  selbst  gefangen  auf  die  Bühne,  auf  dass 
er  ein  Athen  günstiges  Orakel  verkünde,  welches  wenigstens 
soviel  lehrt,  dass  das  Stück  nach  dem  Anfange  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  geschrieben  ist ').  Sonst  würde  man  schwer- 
lich vermuten,  dass  es  von  einem  erfahrenen  Dichter  herrührt. 
Zwischen  der  Masse  des  Trivialen  fällt  höchstens  ein  origineller 
Gedanke  auf;  wir  denken  an  die  jugendliche  Kampflust 
des  altersschwachen  lolaos,  wobei  Euripides  freilich  an  das 
Komische  streift. 

Der  „Hippoly  tos"  *)  zeigt,  dass  Euripides  gegen  Kritik 
sich  nicht  hartnäckig  verschluss.  Als  er  nämlich  das  erste 
Mal  die  Liebe  Phaidras  zu  ihrem  Stiefsohne  bearbeitete,  brachte 
die  Frivolität  der  Heldin  das  Drama  zu  Falle,  Da  Hippolytos 
vor  Abscheu  das  Gesicht  verhüllte,    hiess  dieses  Drama  später 


1)  Fr.  Aag.  Gotthold  Bemerkungea  über  die  H.  des  E.,  Königsberg 
1827;  Job.  Theis  de  E.  H.,  Diss.  v.  Münster  1868;  Frz.  Potthast  de  E. 
H.,  Diss.  V.  Münster  1872;  ü.  v.  Wilamowitz  Hermes  17,  337  flf.  n.  de 
E.  H.,  Pr.  V.  Greifewald  1882. 

2)  y.  32 f.  (nach  dem  Argument  Z.  5  Athen);  s.  Höveler  de  Herac- 
lidarnm  Enr.  scaena  et  tempore,  Diss.  v.  Münster  1878  p.  1  ff.  Dies  be- 
leuchtet den  Inhalt  von  Lykophrons  „Marathoniern'S 

3)  y.  1030  ff.  beziehen  sich  auf  das  Thucyd.  3,  89  erzählte  Ereignis, 
weil  Eurystheus  am  Isthmos  begraben  lag  (Zirndorfer  a.  O.  p.  34 f.); 
andere  yermu tungen  verzeichnen  HÖveler  a.  O.  p.  11  flf.  und  Potthast 
«.  O.  p.  11  flf. 

4)  Ewald  Scheibel  de  Eur.  H.,  Diss.  v.  Beriin  1841;  R.  Schreiber 
der  H.  des  E.  nach  Anlage,  Idee  u.  Entwicklung,  Pr.  v.  Ansbach  1854;  Alb. 
Weigert  der  Hippolyt  des  E.  u.  die  Phädra  des  Racine,  nebst  einer  voraus- 
gesandten Würdigung  des  E.,  Diss.  v.  Freiburg,  (Breslau)  Berlin  1869;  F. 
^eyhe  zur  sittlichen  Würdigung  des  eurip.  H.,  Pr.  v.  Seehausen  1876;  Fr. 
Greschl  in  „Sammlung  philol.  Arbeiten,  herausg.  zur  F.  des  25 j.  Jub.  v. 
Kvieala"  Prag  1884  (böhmisch)  S.  202  ff. 


Digitized  by 


Google 


342  IX.  Kapitel. 

„der  verhüllte  Hippolytos'*  ^).  Euripides  gab  es  nämlich  aller- 
dings heraus  —  noch  Seneca  benützte  es  — ,  aber  er  bearbeitete 
den  StoflF  zum  zweiten  Male,  und  dieser  Fassung  gab  man 
davon,  dass  der  Held  in  der  ersten  Scene  seiner  Lieblings- 
göttin einen  Kranz  darbringt  (V.  73  ff.),  den  Beinamen  Steya- 
vtac  oder  Steyavifjyöpoc.  Euripides  verlegte  den  Schwerpunkt 
der  Fabel  von  Phaidra,  welcher  Sophokles,  nach  dem  Titel 
seines  Stückes  zu  schliessen,  die  erste  Rolle  angewiesen  hatte, 
auf  Hippolytos.  Jene  erscheint  ihm  ja  nur  als  unschuldiges 
Werkzeug  der  beleidigten  Aphrodite,  deren  Rachsucht  sie  selbst 
zum  Opfer  fällt ^  und  deshalb  des  Mitleides,  nicht  des  Tadels 
wert  *) ;  so  allein  und  nicht  aus  beleidigter  Eitelkeit  wird  der 
verhängnisvolle  Brief  erklärt.  Der  Dichter  entwirft  ein  zart- 
sinniges Gemälde  der  unseligen  Frau,  in  welcher  die  Leiden- 
schaft gegen  das  Rechtsgefühl  einen  schweren  Kampf  zu  be- 
stehen hat,  worin  letzteres  siegte,  wenn  nicht  die  ungebetene 
Dienstfertigkeit  der  Amme  und  vielleicht  auch  dazu  ein  gewisser 
Fatalismus  die  andere  Schale  beschwerten.  In  Hippolytos  hin- 
gegen scheint  Euripides  sich  selbst  idealisiert  zu  haben,  oder 
ist  nicht  die  innige  Naturliebe  (V.  73flF.)>  ^^^  Bücherstudium, 
das  für  den  Jäger  der  Sage  nicht  eben  passt  *),  und  vor  allem 
der  schroffe  Hass  gegen  Aphrodite  unmittelbar  aus  eigensten 
Empfindungen  des  Dichters  selbst  [geschöpft?  Die  peinliche 
Gewissenhaftigkeit,  mit  der  er  widerwillig  den  ihm  abgelockten 
Eid  hält,  sichert  ihm  die  Sympathien;  diese  .würde,  bei  den 
Griechen  wenigstens,  allerdings  etwas  beeinträchtigt,  wenn  er 
dadurch  sein  Verderben  heraufbeschwöre.  Aber  was  hätte  ein 
Wortbruch  gefruchtet,  wo  der  Vater  natürlich  dem  Vermächt- 
nisse einer  teueren  Toten  unbedingten  Glauben  schenkte?    Da 


1)  *Iirir6Xt)xo?  xaXöirT6|ievo<:  Pollax  9,50.  Schol.  Theocrit.  2,  10;  vgl. 
Seneca's  Phacdra  und  Ovids  vierte  Heroide,  dann  Ed.  Hiller  Tiber  miscel- 
laneus  ed.  a  soc.  philol..  Bona  1864  p.  34ff.;  Birt  Rhein.  Mas.  32,  403  ff. ^ 
Leo  L.  Annaei  Senecae  tragoediae  I  p.  173 ff.;  A.  Kalkmann  de  Hippo- 
lytis  Earipideis,  Bonn  1882  (besonders  p.  24 ff.);  Max  Mayer  de  Earipidis 
mytbopoeia,  Berlin  1883  p.  65  ff. 

2)  üeber  den  Charakter  Phaedras:  Wilamowitz  analecta  Euripide» 
p.  210ff. ;  F.  Pnntoni  de  Phaedrae  indole  et  moribas  ex  Eur.  H.,  Pisa  1885. 

3)  V.  952 f.;  Welcker  kleine  Schriften  H  474,  Trag.  S.  749  u.  Kalk- 
mann  a.  O.  p.  6  suchen  orphische  Zdge.    VgL  S.  319,  4. 


Digitized  by 


Google 


Enripides.  .  343 

die  Alten  an  Aphrodites  Grausamkeit,  wie  es  scheint,  keinen 
Anstoss  nahmen,  rechneten  sie  das  Stück  zu  den  vorzüglichsten 
Werken  des  Euripides ;  es  erhielt  bereits  bei  der  ersten  Aufführung 
(428)  die  höchste  Anerkennung. 

.  „lon*'^)  kommt  der  „Helena**  sehr  nahe,  weil  die  ver- 
wickelte Handlung  mit  Ausnahme  der  Namen  der  Personen 
gänzlich  erfunden  ist  %  so  dass  selbst  der  athenische  Zuschauer 
den  aufklärenden  Prolog  des  Hermes  dringend  notwendig  hatte. 
Apollo,  der  einst  seine  Geliebte  Kreusa  im  Stiche  gelassen  und 
ihr  Kind  Ion  im  delphischen  Tempel  ausgesetzt,  glaubt  die 
Sache  recht  klug  zu  machen,  als  er  durch  ein  Orakel  Kreusas 
Gatten  Xuthos  zu  dem  Glauben,  dass  Ion  dessen  Sohn  sei, 
verleitet;  aber  der  weise  Gott  hat  Kreusas  Erbitterung  nicht 
in  Rechnung  gezogen.  Sie  will  Ion  vergiften,  und  wird,  nach- 
dem ihr  Helfershelfer  durch  seine  UngeschickHchkeit  die  Ab- 
sicht verraten  hat,  von  jenem  mit  dem  Tode  bedroht.  Im 
rechten  Augenblicke  führt  die  Pythia  die  Erkennung  zwischen 
Mutter  und  Sohn  herbei,  worauf  Athene  zum  Schlüsse  den 
Scheidenden  Ruhm  und  Segen  in  Aussicht  stellt.  Diese  raffinierte 
Handlung  ist  um  den  Preis  starker  Unwahrscheinlichkeiten 
gewonnen :  Warum  langt  Kreusa  vor  ihrem  Gatten  und  oben- 
drein gerade  kurz  vor  dessen  Ankunft  in  Delphi  an?  Wozu 
kommt  sie  selbst,  wozu  der  uralte  Pädagog?  Und  was  wird 
Xuthos  von  der  plötzlichen  Versöhnung  der  Feinde  denken  ? 
Diese  Mängel  mussten  die  S^auspieler,  besonders  der  Spieler 
der  dankbaren  Titelrolle,  durch  virtuosen  Vortrag  verdecken*). 
Welche  Modulationen  verlangte  z.  B.  sogleich  das  von  dem 
auftretenden  Ion  vorgetragene  idyllische  Recitativ,  dessen  An- 
fangsverse das  Emporsteigen  der  Sonne  wunderbar  schildern  1 

Die  „Iphigenie  in  Aulis"  eröffnet  der  höheren  Kritik 
interessante   Probleme.     Unmittelbar   am    Anfang  erregen    die 


1)  Wieland  Neues  attisches  Museum  I  (1805)  S.  3 ff.;  Peter  Fütterer 
de  £ar.  L,  Dias.  v.  Munster;  L.  Enshoven  de  I.  fabula  Euripidea  quaestt. 
sei.,  Bonn  1880;  L.  Eysert  über  die  Echtheit  des  Prologes  in  Eur.  L,  Pr. 
T.  Prag  1880;  J.  Klinkenberg  Enripidea  I.  Pr.  v.  Aachen  1884;  G- 
S  c  h  m  i  d  Euripidea,  de  Jone,  Lpg.  1884. 

2)  U.  y.  Wilamowitz  Hermes  15,  484,  3. 

3)  Vgl.  Demeti'.  de  eloc.  195, 


Digitized  by 


Google 


344  IX-  Kapitel. 

ersten  48  anapästischen  Verse  gerechten  Anstoss ;  wiewohl  näm- 
lich ein  solcher  Beginn  nicht  unmöglich  war  (S.  200),  folgt  ein 
nach  gewohnter  Manier  gefertigter  Prolog  und  macht  jenen  Ein- 
gang vöUig  überflüssig,  was  von  keinem  anderen  antiken  Pro- 
loge gesagt  werden  könnte.  Mithin  ist  der  Eingang  sicher  nicht 
euripideisch  ^).  Nicht  anders  darf  das  Urteil  über  die  Schluss- 
scene  lauten:  Nachdem  der  Chor  Iphigenies  Abgang  durch 
ein  Lied  begleitet  hat,  tritt  nach  der  heutigen  Fassung  ein  Bote 
auf,  um  der  herbeigerufenen  Klytaimestra  die  wunderbare  Ret- 
tung ihrer  Tochter  zu  erzählen.  Sie  selbst  spricht  teils  Alber- 
nes (Z.  B.  V.  1536)  teils  Nichtssagendes;  jene  Erzählung  ent- 
hält einen  zu  deutHchen  Anklang  an  die  parallele  der  „Hekabe**, 
ausserdem  haben  feinhörige  Metriker  einen  Abfall  im  Versbau 
wahrgenommen.  Mit  einem  Worte,  der  Schluss  ist  des  Dichters 
unwürdig^).  Endlich  hat  die  Parodos  des  Chors  eine  wahrhaft 
aeschyleische  Länge,  wodurch  gegen  die  zweite  Hälfte  (V.  231 
bis  302)  ein  Verdacht  rege  wird  %  den  die  Beobachtung  einer 
uneuripideischen  Sagenversion  zur  Gewissheit  erhebt*).  Anderer- 
seits beweisen  einige  Citate,  dass  dafür  Echtes  unterging*),  im 
besonderen  geht  aus  Aelian  hervor,  dass  in  seinem  Exemplar 
Artemis  persönlich  die  unglückliche  Mutter  tröstete*).  Blicken 
wir  im  Zusammenhang  damit  auf  den  Prolog,  so  erkennen  wir 
eine  planmässige  Verdrängung  des  monologischen  Prologes  und 


1)  Aeltere  Literatar  bei  Jacobs  Nachträge  zn  Sulzer  5,  402;  J.  H. 
Bremi  Philol.  Beiträge  aus  der  Schweiz^  (Zürich  1819)  S.  143 ff.;  Weck- 
lein Ztsch.  f.  österr.  Gymn.  1878  S.  721  ff.;  Bob  n  ho  ff  der  Prolog  der  I. 
in  A.  des  E.,  Fr.  v.  Freienwalde  1885;  verteidigt  von  Hutter  über  den 
Prolog  n.  Epilog  in  Enr.  Tragödie  Ipbigenia  in  A.,  Pr.  v.  München  1844  n. 
Herrn.  Hennig  de  Iph.  Anlid.  forma  ac  condicione,  Berlin  1869  p.  21  ff. 
(doch  gibt  er  p.  29  Interpolationen  des  jüngeren  Euripides  zu);  Vitz  de 
Ipbigeniae  Anlid.  anctore  et  fatis,  Pr.  v.  Torgau  1862  u.  1863. 

2)  Dies  erkannte  zuerst  Porson  supplem.  ed.  praef.  Hecabae  p.  XXI, 
auch  Schiller  nahm  Anstoss.    S.  die  A.  1  citierten  Schriften. 

3)  BÖckh  trag,  princip.  cap.  19  und  Andere  (bei  Hennig  p.  32  ver- 
zeichnet). 

4)  Zu  V.  242  ff.  Hennig  p.  32  ff. 

5)  Schol.    Aristoph.    Ran.  1318  ff.    Aelian.    bist.   an.    7,  39.    Hesych.  u. 

6)  S.  Musgravius  exercitatt.  in  Eurip.  I  8.  25  und  Pr^vost  the^tre 
des  Grecs  VH  121  leiten  das  Citat  aus  dem  angeblich  verlorenen  Original- 
prolog  ab,  Tvogegen  s'f^v  spricht. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  345 

des  deus  ex  machina,  gegen  welche  der  Komikerspott  sicL 
richtete ,  wie  der  Prolog  des  „Rhesos''  entfernt  wurde  und  ein 
Späterer  den  getadelten  Schluss  der  Andria  des  Terenz  umar- 
beitete^). Man  möchte  zunächst  an  den  jüngeren  Euripides, 
welcher  das  Stück  zuerst  aufführte,  denken ;  ist  es  indes  glaub- 
lich ,  dass  er  die  von  seinem  Vater  oder  Oheim  mit  hartnäck- 
iger Konsequenz  durchgeführte  Manier  so  rasch  verleugnet  habe? 
Dies  möchte  um  so  weniger  der  Wahrheit  entsprechen  als  jene 
ältere  Fassung  der  Iphigenie  natürlicher  Weise  eben  von  dem 
jüngeren  Euripides  aus  des  Dichters  Nachlasse  veröflfentlicht 
wurde  *).  Die  Bearbeitung  rührt  also  von  einem  Schauspieldi- 
rektor des  vierten  oder  dritten  Jahrhunderts  her ;  Ennius  kannte 
ßie  nämlich  bereits^). 

Von  den  späteren  Zusätzen  befreit,  erscheint  die  Tragödie 
als  eine  ausgezeichnete  Leistung  des  alten  Dichters,  die  sich 
den  gleichzeitigen  „ßakchen'*  würdig  an  die  Seite  stellt*).  Der 
Entwurf  der  Handlung  ist  allerdings  etwas  verwickelt  und  an 
das  Intrjguenhafte  streifend,  aber  nirgends  vielleicht  ist  es  Eu- 
ripides so  gut  gelungen,  Handlungen  und  Charaktere  in  innere 
Beziehung  zu  setzen.     Alle  Personen  werden  lebendig  und  in- 


1)  Ritschi  parerga  Plautina  et  Terentiana  p.  583  ff. 

2)  Dem  jüngeren  Euripides  schreiben  die  Bearbeitang  besonders  Böckh 
trag,  ptincip.  cap.  17  f.  p.  214  ff.  (gegen  ihn  wendet  sich  Moritz  Seyffert 
de  duplici  recensione  Tph.  Aul.,  Diss.  v.  Halle  1831),  H.  Bremi  a.  O.  u. 
A.  Matthiä  Ausg.  VII  321  ff.  zu;  hingegen  denkt  G.  Hermann  opusc.  VHI 
218  ff.  das  Stück  verstümmelt  und  später  interpoliert.  Joh.  Peter  Bang  de 
auctore  Iph.  Aul,,  Diss.  v.  Kopenhagen  1867  spricht  wie  Gruppe  Ariadne 
S.  561  ff.  das  Stück  Euripides  überhaupt  ab.  Letzterer  erschliesst  ans  dem 
irrigen  Citat  Athen.  13,  562  e  Chairemon  als  Verfasser  (widerlegt  von  Heinr. 
Bartsch  de  Euripide  Iph.  A.  auctore,  Breslau  1837). 

3)  Ribbeck  röm.  Tragödie  S.  44 f.;  also  nicht  erst  nach  Stobaeus,  wie 
Härtung  meinte.  Die  Konstruktion  V.  1603  (1594)  xaoxYjv  jidXtoTa  xyjc 
-KopYjc  ÄoicaCexat  dürfte  vor  Aristoteles  (p.  112  a  33)  nicht  nachzuweisen  sein. 

4)  Analyse  bei  Gruppe  Ariadne  S.  462  ff.;  s.  auch  J.  P.  E.  Greverus 
Eur.'  Iphigeneia  in  A.  bes.  in  ästhetischer  Hinsicht,  Oldenburg  1837  u.  1838 ; 
G.  P.  Kieffer  Darlegung  des  Gedankenzusammenhangs  in  der  aul.  Iph.  des 
E.,  Pr.  v.  Nürnberg  1837  u.  1838;  Joh.  Ludw.  Berger  de  I.  A.  Eur.  trag., 
Pr.  v.  Celle  1843,  wozu  die  Vergleichungen  von  Euripides'  und  Racine's 
Stück  kommen. 


Digitized  by 


Google 


346  I^-  Kapitel. 

teressant  charakterisiert  ^),  wobei  der  Dichter  der  naheliegenden 
Gefahr  eines  gespreizten  unnatürhchen  Heroismus  glücklich 
ausweicht.  „Was  einige*)  an  dem  Charakter  Iphigeniens  aus- 
setzen, (sagt  Schiller),  wäre  ich  sehr  versucht,  dem  Dichter  als 
einen  vorzüglich  schönen  Zug  anzuschreiben ;  diese  Mischung 
von  Schwäche  und  Stärke,  von  Zaghaftigkeit  und  Heroismus, 
ist  ein  wahres  und  reizendes  Gemälde  der  Natur**. 

Die  früher  verfasste  „t aurische  Iphigenie"')  ragt 
weniger  durch  solche  Charakterbilder  und  rührende  Scenen  als 
durch  die  fein  ausgearbeitete  Erkennung  der  Geschwister  her- 
vor ,  obgleich  die  Exposition  der  der  sophokleischen  Elektra 
nicht  ebenbürtig  ist.  Kein  Deutscher  wird  dieses  Drama 
lesen,  ohne  Goethes  Dichtung  im  Geiste  damit  zu  vergleichen  *); 
wer  eine  in  sich  harmonische  Nationaldichtung  modernen  Ge- 
danken in  antikem  Gewände ,  mögen  sie  an  sich  noch  so  an- 
mutig sein,  vorzieht,  wird  in  seinem  Urteile  nicht  schwanken; 
vom  griechischen  Standpunkte  entwickelt  ja  Euripides  die  Fabel 
ganz  folgerichtig,  denn  Thoas  ist  ein  Barbarenkönig  und  han- 
delt als  solcher ,  Iphigenie  hat  ihm  nichts,  sondern  alles  der 
Göttin  ihrer  Retterin  zu  danken,  das  Orakel  befahl  ferner  aus- 
drücklich den  Raub  des  Bildes,  weshalb  weder  auf  Iphigenie 
noch  auf  Orestes  ein  Schatten  fällt.  Selbst  der  deus  ex  machina 
verdient  diesmal  keinen  Tadel;  statt  nämlich  einen  unlöslich 
verwirrten  Knoten  zu  zerhauen  ,  beruhigt  Athene  blos  ängst- 
liche Zuschauer  über  die  sichere  Flucht  der  Geschwister  und 
befriedigt  das  patriotische  Selbstgefühl  der  Athener.  „Iphigenie'* 
gehört,  mit  einem  Worte,  zu  den  wenigen  Stücken  des  Euripi- 
pides,  in  denen  kein  widriger  Eindruck,  keine  manierierte  Ueber- 
treibung  verstimmt. 


1)  £.  Buchholz  de  personarnm  descriptione  in  Iph.  Aal.  Euripidis 
exhibita,  Pr.  v.  Clausthal  1854. 

2)  Unter  ihnen  befand  sich  sogar  Aristoteles  (poet.  15  p»  1454a  32). 

3)  Christoph  Ehemann  zur  scenischen  Aufführung  der  taur.  Iphi- 
genia  des  E.,  Pr.  v.  Kaiserslautern  1875. 

4)  S.  ausser  vielen  anderen  O.  Jahn  Aus  der  Altertumswissenschaft. 
Populäre  Aufsätze  S.  353 ff.;  A.  Legrelle  de  celeberrima  ap.  Germanoa 
fabula  quae  inscr.  I.  T.,  Paris  1864. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  347 

Die  431  aufgeführte  „Medea**  ^)  soll  Euripides,  wenn  anders 
wir  die  verderbte  Ueberlieferung  richtig  verstehen ,  nach  der 
gleichnamigen  Tragödie  Neophrons  bearbeitet  haben*).  Allein 
was  wir  von  dieser  wissen  ,  führt  gerade  auf  das  Gegenteil, 
Neophron  verbesserte  nämlich  offenbar  gewisse  Schwächen  des 
euripideischen  Stückes,  indem  er  die  seltsame  Prophezeiung 
über  Jasons  Tod  änderte  und  die  Ankunft  des  athenischen 
Königs  Aigeus  begründete,  da  diesen  Euripides  ohne  drama- 
tische Notwendigkeit '),  bloss  von  seinem  Patriotismus  verleitet, 
eingeführt  hatte.  Ausserdem  wird  ausdrücklich  ihm  und  nicht 
Neophron  die  für  das  Drarca  hochwichtige  Neuerung  zuge- 
schrieben, dass  Medea  selbst  ihre  Kinder  ermordete ,  während 
nach  der  landläufigen  Sage  Kreons  Verwandte  die  Rachethat 
vollführten  *).  Der  Tragiker  legte  sich  also  die  schwere  Auf- 
gabe ,  die  unnatürliche  That  durch  Medeas  Seelenzustand  zu 
motivieren,  freiwiUig  auf.  In  der  That  hat  er  die  Erstickung 
des  mütterlichen  Gefühles  durch  Eifersucht  und  Rachsucht, 
welche  Triebe  das  Barbarentum  zu  fördern  schien,  so  meister- 
haft gezeichnet  ^) ,  dass  kein  anderes  Stück  ihm  soviel  Ruhm 
und  soviele  Nachahmer  gewann  %     Dennoch   fanden   sich   im 


1)  B.  Hauber  über  die  Einheit  der  Handlung  in  der  M.  des  £., 
München  1836.  —  C.  E.  Geppert  über  die  Aufführung  der  M.  des  E.,  Lpg. 
1843;  Wecklein  über  die  Scenerie  der  m!  des  E.,  Philol.  34,  182 flf. 

2)  Das  Argument  berichtet  aus  Dikaiarchos  und  (Ps.)  Aristoteles  ev 
6icop.v'fjpiaat :  Tb  Spajia  $oxel  (!)  6icoßaXio^ai  '^tv^aio^povior:  (Beck  6  Sixocuvtoc 
Ns6(fpa>v,  Nauck  izapä  Ne6<ppovo<:)  Siaaxeodtoac ;  nach  Dlog.  L.  2,  134  teilten 
einige  das  Stück  dem  Sikyonier  Neophron  zu.  Nach  O.  Ribbeck  I^eipziger 
Studien  8,  386  ff.  führte  Neophron  die  erste  Fassung  der  euripideischen 
Medea  auf. 

3)  Aristot.  poet.  25  a.  E. 

4)  Pausan.  2,  3,  6;  man  behauptete,  Euripides  habe  die  Sage  den 
Eorinthiem  zu  Liebe  abgeändert  (Schol.  V.  10  (vgl.  273)  aus  den  „Philo- 
sophen^* und  Parmeniskos;  Aelian.  var.  bist.  5,  21).  üeber  die  Sage  s.  K. 
Theod.  Pyl  de  Medea  fabula,  Diss.  v.  Berlin  1851  u.  Ztsch.  f.  Altert.  1854 
Sp.  405  ff.  481  ff.  1855  Sp.  505  ff.  521  ff.  529  ff. ;  Leo  Hermes  15,  311  ff.;  U.  v. 
Wilamowitz  ebend.  S.  481  ff. 

5)  Oust.  Ljunggren  Enripidis  M.  karakteriserad  och  jemförd  med 
Shakespeares  Othello,  Pr.  d.  Univ.  Lund  1847;  Heinr.  Bartsch  der  Charakter 
der  M.  d.  E.,  Pr.  v.  Breslau,  Mainz  1852. 

6)  Meisterwerk  des  Euripides  Anthol.  Pal.  7,  50,  6,  Lieblingswerk  des 
Menedemos  Diog.  Laert.  2,  134;  Job.  Ludw.  Buneberg  spec.  acad.  Medeam 


Digitized  by 


Google 


348  IX.  KapHel. 

Altertum  Kritiker,  die  den  lebenswahren  Zug,  dass  Medea  mitten 
in  ihrer  erheuchelten  Ruhe  konvulsivisch  zu  weinen  beginnt,  als 
Inkonsequenz  tadelten  ^).  Das  Interesse  ist  voll  auf  die  Heldin 
koncentriert,  wogegen  Euripides  die  Üekonomie  der  Handlung 
nicht  tadellos  behandelt;  vor  allem  hatte  Aristoteles  Recht, 
wenn  ihm  der  opernhafte  Schluss  (Medea  entschwebt  auf  einem 
mit  Drachen  bespannten  Wagen)  missfiel  *). 

Wenn  Suidas  unter  den  Stücken  des  jüngeren  Euripides 
eine  „Medea**  anführt,  braucht  diese  nicht  notwendig  die  uns 
gerettete  zu  sein*);  ebensowenig  berechtigen  uns  einige  Ge- 
dächtnisfehler der  ihrem  Gedächtnis  zuviel  vertrauenden  griech- 
ischen Gelehrten  zur  Annahme  einer  zweiten  Bearbeitung*). 

„Orestes*)''  muss  man  als  einen  seltsamen  Einfall  des 
greisen  Dichters  bezeichnen ,  der  sich  hier  wie  im  „Ion*  von 
der  herkömmhchen  Sage  gänzlich  frei  machen  wollte.  Die  von 
Anfang  bis  zu  Ende  erfundene  Handlung  beruht  darauf,  dass 
Euripides  die  volkstümliche  Vorstellung  von  Erinyen,  welche 
den  Muttermörder  ruhelos  hetzen,  nicht  anerkennt.  Was  Orestes 
^u  fürchten  hat,  sind  die  quälenden  Visionen  des  beunruhigten 
Gewissens ,  und  ajs  sein  Gemüt  unter  der  Pflege  der  treuen 
Schwester  ein  wenig  zur  Ruhe  kommt,  bedroht  die  Blutrache 
ihr  Leben,  indem  der  alte  Tyndareos  das  Volk  gegen  die  Mör- 

trag.  Euripidis  cum  M.  Senecae  comparans,  Helsingfors  1880;  K.  Th.  Pyl 
Ztsch.  f.  d.  Altertumsw.  1854  Nr.  51  ff.  1855  Nr.  64ff.;  L.  Schiller  M.  Im 
Drama  alter  u.  neuer  Zeit,  Ansbach  1865;  Bühler  Aehnlichkeiten  u.  Ver^ 
schiedenheiten  der  M.  des  £.,  Seneca  u.  Corneille,  Pr.  v.  Donaneschingen 
1876;  H.  Furt  seh  er  die  Medea  des  £.  verglichen  mit  der  von  Grillparzer 
n.  Klinger,  Fr.  v.  Feldkirch  1880. 
1}  Im  Argument. 

2)  Poet.  15  p.  1454  b  1. 

3)  Samuel  Fetitus  miscellanea  VIc.  15;  Hieron.  Müller  M.,  eine 
griech.  Trag.,  Frankfurt  1811. 

4)  Böckh  trag,  princip.  c.  13  p.  164 ff.;  Aug.  Frdr.  Wolper  de  M. 
Euripidis  trag,  correcta  et  denuo  edita,  Göttingen  1818  =  Commentationes 
tres,  Lpg.  1825;  widerlegt  von  Berger  de  M.  Eur.  trag,  ab  histrionibus 
interpolata,  Göttingen  1830  u.  de  duplici  recensione  Medeae  Euripideae,  Pr. 
V.  Celle  1863;  Zirndorfer  a.  O.  p.  13 ff.;  Th.  Klette  quid  de  iterata 
Eur.  Medeae  editione  sit  judicandum,  Lpg.  1875. 

5)  Casp.  Bax  de  naturae  simplicitate  in  Eur.  O.,  Diss.  v.  Utrecht  1816; 
L.  Ziemssen  Didaskalia  zu  E/  O.,  Fr.  v.  Stargard  1867. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  349 

der  seiner  Tochter  aufreizt.  Käme  jetzt  schon  der  deus  ex 
machina,  der  am  Schlüsse  Orestes  nach  Athen  zur  traditionellen 
Entsühnung  weist  und  eine  Doppelheirat  anordnet ,  hätte  da» 
Stück  die  übliche  Länge  nicht  erreicht.  Deshalb  schiebt  Euri- 
pides eine  Sparta  feindliche  Episode  ein  ;  Menelaos  befindet  sich 
nämlich  eben  in  Argos  auf  der  Heimkehr,  verweigert  aber  den 
Kindern  seines  Bruders  feige  jegüche  Hilfe.  Da  wollen  die 
Geschwister  nach  Pylades'  Rat  wenigstens  nicht  ungerächt 
sterben ;  sie  würden  Helena  töten,  wenn  sie  nicht  Apollo  zu  ihrem 
göttlichen  Vater  entrückte ,  und ,  als  sie  statt  ihrer  Hermione 
ergreifen,  ist  die  Zeit,  dass  jener  Gott  auftreten  darf,  endlich 
gekommen.  Ausser  der  Nebenrolle  des  treulBU  Pylades  kommt 
keine  einzige  sympathische  Gestalt  vor,  deren  Schicksal  herz- 
lichen Anteil  erwecken  könnte,  im  Gegenteil  muss  man  mit 
Aristoteles  die  karrikierte  Zeichnung  des  Menelaos  tadeln  ^). 
Immerhin  machten  einzelne  schöne  Scenen  (besonders  die  un- 
vergleichUche  Einleitung) ,  vielleicht  auch  die  grellen  Farben 
Glück.  ») 

Die  „P  h  ö  n  i  k  e  r  i  n  e  n**  (4>o^vtooat)  ^)  zeigen ,  wie  Euri- 
pides bei  einem  schon  vor  ihm  behandelten  Stoffe  übermässig 
nach  Selbständigkeit  hascht.  Wer  würde  aus  dem  blossen 
Titel  vermuten,  dass  die  Tragödie  den  aeschyleischen  „Sieben 
gegen  Theben"  entspricht?  Euripides  hat  nämlich  aus  keinem 
anderen  Grunde  als  der  Seltsamkeit  wegen  einen  Chor  phöni- 
kischer  Frauen ,  die  angeblich  auf  der  Reise  zum  delphischen 
Orakel  begriffen  sind,  eingeführt,  als  ob  nicht  die  notwendige 
Aufklärung  dieses  Zufalls  das  Drama  stören  müsste.  Auch 
die    Schilderung   des    Belagerungsheeres,    von    Aeschylus    der. 


1)  Poet  15  p.  1454  a  29.  25  a.  E.,  vgl.  argum.  I.  a.  E. 

2)  Tö  Bpä|ia  täv  lizi  oxyjvvj^  652oxi|ioüvicuv  Argum.  I.;  tpäp.a  Sc^wutatov 
Strattis  fr.  1,  2. 

3)  Fr.  Aug.  Ootthold  Ästhet.  Beurteilurg  der  Phönik.  des  E.,  Pr.  v. 
Königsberg  1834;  H.  B.  E.  St  enden  er  de  E.  Ph.,  Pr.  t.  Bossleben  1849; 
A.  Liebt enaner  des  E.  Phönissen,  Pr.  v.  Landshut  1852;  W.  Horn- 
bostel  über  die  Ph.  des  E.,  Pr.  v.  Batzeburg  1862;  Leidloff  de 
Eor.  Phoenissarum  argumento  atqne  compositione ,  Pr.  v.  Holzminden 
1863;  Frd.  Spiro  de  Eur.  Ph.,  Diss.  v.  Berlin  1884.  —  Heinr.  Haacke 
de  Euripidis  fabola  cui  Phoenissarum  nomen  inditum  est,  iternm  et  acta  et 
recensita,  Diss.  v.  Breslau,  Schweiduitz  1851. 


Digitized  by 


Google 


350  IX.  Kapitel. 

Handlung  glücklich  eingewebt,  bildet  jetzt,  wo  der  Pädagog 
die  junge  Antigene  hoch  oben  vom  Palaste  herabblicken  lässt, 
eine  Episode  und  erscheint  dadurch ,  dass  •  nachher  ein  Bote 
kommt,  noch  überflüssiger.  Die  Handlung  ist  durch  den  Opfer- 
tod des  Menoikeus  und  die  Yerjagung  des  alten  Oedipus  be- 
reichert, wenn  auch  nur  äusserlich.  Euripides  schreckte  sogar 
vor  dem  unwahrscheinlichen  Einfalle,  dass  Polyneikes  auf 
lokastes  Drängen  mit  seinem  meineidigen  Bruder  in  Theben 
eine  Zusammenkunft  hat,  nicht  zurück,  weil  er  dadurch  eine 
effektvolle  Scene  mehr  gewann.  An  solchen  war  das  Stück 
überhaupt  reich ,  was  seinen  Bühnenerfolg  sicherte  *).  Eine 
durch  Seneca  irre  geleitete  Zeit  erklärte  die  „Phoenissen"  für 
das  Meisterwerk  des  Tragikers;  sagt  doch  Hugo  Grotius  in 
dem  Vorwort  seiner  Uebersetzung ;  „Quantum  Euripides  alios 
vincit,  tantum  ejus  alias  tragoedias  a  Phoenissis  vinci  et  veteres 
critici  notant  et  res  ipsa  loquitur".  Dann  begeisterte  man  sich 
namentlich  in  der  Sturm-  und  Drangperiode  für  das  deklama- 
torische Stück;  Klinger  bildete  es  in  den  „Zwillingen",  Leise- 
witz in  „Julias  von  Tarent"  nach;  noch  Schillers  „Braut  von 
Messina**  ist  durch  die  eiuripideische  Tragödie,  von  welcher  er 
einen  Teil  übersetzte,  inspiriert,  besonders  will  der  Prolog 
augenscheinlich  eine  Verbesserung  des  griechischen  sein. 

Die  „Schutz  fleh  enden**  ('loUttSsc)  *)  behandeln  einen 
von  Aeschylus  in  den  „Eleusiniern**  eingeführten  patriotischen 
Stoff,  indem  sie  wieder  Athen  als  Hort  der  Unglücklichen  ver- 
herrlichen, während  das  verhasste  Theben  die  Göttergebote 
nicht  achtet.  Wie  Theseus  Kreon  zur  Auslieferung  der  Leichen 
der  Sieben  nötigt,  konnte  nur  auf  Kosten  dei*  Einheit  der  Zeit 
dargestellt  werden.  Aus  dem  mehr  lyrischen  Ausdruck  von 
Trauer  und  Dank  ragt  eine  romantische  Episode  heraus:  Euadne 
stürzt  sich,  von  ihrem  Vater  Iphis  vergebUch  zurückgehalten, 
in  den  Scheiterhaufen  ihres  Gemahls  Kapaneus.  Vom  drama- 
tischen Staudpunkte  aus  ist  sonst  nichts  an  dem  Stücke  zu 
rühmen '). 


1)  Argam.  II  p.  392,  22  ff.    Der  Komiker  Strattis  parodierte  es. 

2)  Ad.  Sötbeer  de  mjthico  argamento  Euripidis  Sappl.,  Diss.  v.  Gdt- 
tingen  1837;  Jal.  Zastra  Untersnchungen  über  das  earip.  Trauerspiel:  Die 
Hiketiden,  Pr.  v.  Neisse  1848. 

3)  Hartang  (in  der  Einleitang  zar  aalischen  Iphigenie)   zweifelt   daher 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  351 

Die  „Troerinen**  ^)  zerfallen  eigentlich  in  drei  Scenen 
ohne  inneren  Zusammenhang :  Die  Achäer  verfügen  über  die 
gefangenen  Troerinen,  hierauf  holen  sie,  um  das  Königsge- 
schlecht auszurotten,  Astyanax  zum  Tod,  dann  trifft  Menelaos 
mit  seiner  treulosen  Gemahlin  zusammen,  wobei  ihn  Hekabe 
ohne  Erfolg  zur  Hache  aufstachelt  —  wieder  eine  Satire  auf 
die  Spartaner.  Zum  Schlüsse  sah  man  Troja  brennen;  was 
weiter  geschieht,  hat  der  Zuschauer  gleich  anfangs  von  Poseidon 
und  Athene  erfahren.  Der  lyrische  Teil  des  Stückes  ist  von 
hoher  Schönheit,  während  Euripides  gegen  das  Dramatische 
gleichgiltiger  als  je  gewesen  ist. 

Ueber  die  verlorenen  Stücke  des  Euripides  ist  dank  seiner 
Popularität  weit  mehr  als  bei  Sophokles  und  Aeschylus  bekannt; 
trotzdem  müssen  wir  es  uns  versagen,  auf  die  zahlreichen 
scharfsinnigen  Vermutungen,  welche  den  Gang  dieser  Dramen 
betreffen,  einzugehen,  wollen  jedoch  die  umfängliche  Literatur 
nicht  ignorieren. 

Abgesehen  von  Valckenaer  diatr.  iu  Enrip.  perditoram  dramatnm 
reliquias,  Leiden  1767  (Lpg.  1824)  und  Härtung  Euripides  restitutus,  Ham- 
burg 1843 — 46,  2  Bde.  handeln  speciell  über  Al^euc:  M.  Mayer  de  Enri- 
pidis  mythopoeia  p.  59 fi.;  AioXo^:  Rohde  der  griech.  Roman  S.  101  A.  2; 
'AXeSavJpoc:  Bruhns  Jahrbb.  Suppl.  15,  303;  'AXxfiicov  6  8ti  Kop. : 
Frd.  A.  Basedow  de  E.  fabula  quae  inscr.  'A.  6  S.  K.,  Diss.  v.  Rostock, 
Lpg.  1872;  ^AXx|iY^vif):  R.  Engelmann  Annali  dell'  inst,  archepl.  1872 
p.  13ff.  u.  Beiträge  zum  Eur.  L  Berlin  1882;  'Av8po|i^8a:  Trendeleu- 
burg  Ann.  d.  inst.  1872  p.  115 f.;  Robert  Archäol.  Ztg.  1878  S.  18; 
'AvTtfovYj:  Schneidewin  Philol.  6,  593ff.;  Heydemann  über  ein- 
nacheuripideische  Antigone,  Berlin  1868  u.  Arch.  Ztg.  1871  S.  108flf.;  Kltig- 
mann  Ann.  d.  inst.  1876  p.  178 flf.;  Wecklein  Sitzungsber.  der  bayer. 
Akad.  1878  H  8.  170ff.;  Mayer  a.  O.  p.  73ff.;  *AvTt6i:-rj:  O.Jahn 
Archäol.  Ztg.  1853  S.  73,  27.  76;  Wecklein  a.  O.;  Mayer  a.  O.  p.  75 f.;  Em. 
Johne  die  A.  des  E.,  Pr.  y.  Landskron  1880;  Ernst  Graf  die  Antiopesage 
bis  auf  Eur.,  Diss.  v.  Zürich,  Halle  1884  p.  29 flf.;  'Apx^Xao(;:  Herwerden 
Verslagen  en  Mededelingen  der  Akad.  te  Amsterd.  Letterkunde  HI  1 ;  A&f'h 
Wilamowitz  analL  Eurip.  p.  186flr.;  'Ep6x^s(><::  Adelh.  Nagel  de 
Er.  trag.  Eur.  perdita,  Berlin  1842 ;  0  y}  o  e  6  c  :  Jahn,  archäol.  Beiträge  S.  252  f.; 
M.  Mayer  a.  O.  p.  63flr. ;  eo^oxvj«:  W.  Braun,  der  Th.  des  E.,  Wesel  1882 
Kps<3(f6vxrii:  Frdr,  A.  Basedow,  de  Enrip.  fabula  quae  inscr.  Cr.  L  Pr.  v. 


die  Echtheit   an.    Schol.   Soph.    Oed.   Col.  213   macht   die  gute  Bemerkung, 
dass  Theseus  Adrastos  nicht  kennt,  „damit  das  Stück  verlängert  werde'^ 

3)  Em.  Th.  Wagler  de  Eur.  Tr.,  Diss.  t.  Marburg,  Brandenburg  1845. 


Digitized  by 


Google 


352  IX.  Kapitel. 

Eberswalde  1878;  Wecklein,  über  den  Kr.  des  E.,  Würzburg  1881 ;  KpYjtec: 
Jahn  a.  O.  8.  238 f.;  E.  Kuhnert,  Jahrbb.  f.  Phil.  Suppl.  15,  192 ff.;  G.  Körte, 
Historische  u.  pbilol.  Aufsätze  E.  Cartius  gewidmet,  Berlin  1884  S.  195 ff  ; 
MeXiafpoc:  M.  Meyer  a.  O.  p.  77fl.;  Ol5t7roü(;:  K.  Fr.  Hermann,  quaesti- 
onum  Oedipodearnm  capita  tria,  Marburg  1873;  G.  Hermann,  Ztsch.  f.  Alter- 
tumsw.  1837  S.  793 ff.;  Vollbehr,  de  Oedipi  Enripidei  fragm.,  Pr.  v.  Glück- 
stadt  1861;  W.  Braun,  Rhein.  Mus.  22,  245ff.;  IlsXtd^cc:  Robert  ArchäoL 
Ztg.  1875  Taf.  13;  Wilamowitz  Hermes  15,  485,  1;  DpcDTto  tXaoc : 
Kiessling,  analecta  Oatnlliana,  Greifswald  1877  p.  5  ff.  u.  conjectaneoram 
spicilegium  II. ,  ind.  lect.  hib.,  Greifswald  1884  N.  X ;  M.  Mayer ,  Hermes 
20,  101  ff.;  SüXbüc:  O.  Jahn,  Archäol.  Ztg.  1861  S.  157 ff.;  T-riX8<po(;:  Jac. 
Geel,  Oommentatt.  Latinae  UI.  classis  Institut!  reg.  Belgici  IV  (1833);  O. 
Jahn,  Telephos  n.  Troilos,  Kiel  1841  u.  Arch.  Ztg.  1863  8.  233 ff.;  Fr.  Beck, 
Blätter  f.  bayer.  Gymn.  1869  8.  324 ff.;  Wecklein  a.  O.;  4>tXox'c-rjTYj<;: 
8.  300,  dazu  Eng.  Petersen,  de  Ph.  Euripidea,  Diss.  v.  Erlangen  1862;  G. 
Regel,  inter  Enr.  Medeam  Philoctetam  Dictyn  etc.,  Diss.  v.  Rostock,  Gotha 
1875  p.  6  ff. ;  Joh*  v.  Arnim,  de  prologorum  Euripideor.  arte  et  interiwlatione, 
Greilsw.  1882  p.  101  ff. 

Ueber  das  Satyrspiel  „der  Kyklope*'  wollen  wir,  da  es 
der  einzige  Vertreter  seiner  Gattung  ist,  in  dem  vom  Satyr- 
spiele handelnden  Abschnitte  sprechen.  Ausser  Dramen  wurde 
Euripides  ein  Enkomion  auf  einen  olympischen  Sieg  des  Alki- 
biades  beigelegt,  doch  stand  die  Authenticität  nicht  fest^). 

Liess  Euripides  nichts,  was  (Jen  Athenern  durch  alte  Ueber- 
lieferung  teuer  war,  unangetastet,  so  musste  er  denn  die  Fol- 
gen seiner  Kühnheit  tragen.  Nicht  nur  glückte  es  ihm  bloss 
vier  mal ,  dem  Volke  die  volle  Anerkennung  abzuringen  *), 
sondern  er  wurde  obendrein  von  den  Koöiikern  so  hartnäckig 
und  so  grausam  wie  kein  zweiter  Tragiker  verspottet.')  Freilich 
lag  darin  zugleich  die  Anerkennung ,    dass    keines  zweiten  In- 


1)  Plntarch.  Alcih.  11.  Demosth.  1  (Bergk  poetae  lyr.  Gr.  II*  p.  266). 

2)  Snidas.  Yarro  bei  Gellins  17,  4,  d  rechnet  den  fünften  nach  seinem 
Tod  errnngenen  Sieg  ein. 

3)  Ueber  die  Kritik  des  Aristophanes  A.  Wissowa  über  des  Aristot. 
Beurteil,  der  trag.  Dichter  seiner  Zeit,  insbes.  des  Enr.,  Leobschütz  1830; 
Stallbanm  de  persona  Euripidis  in  Rauls  Aristophanis,  Pr.  v.  Lpg.  1843; 
F.  Blanchet  de  Ar.  Euripidis  censore,  Paris  1855;  Job.  Peters  Aristophanis 
Judicium  de  summis  suae  aetatis  traglcis,  Diss.  y.  Münster  1858;  Emil  Jasper 
des  Ar.  Urteil  über  die  drei  grossen  Tragiker  Athens,  Pr.  v.  Altona  1863; 
Job.  van  Leen  wen  de  Ar.  Eur.  censore,,  Amsterdam  1876;  Karl  Leasing 
de  Ar.  Eur.  inrisore,  Diss.  t.  Halle  1877;  C.  Schwabe  Ar.  u.  Aristoteles 
als  Kritiker  des  E.,  Pr.  v.  Crefeld  1878. 


Digitized  by 


Google 


Enripides.  353 

dividualitftt  so  bestechend  wirkte.  Thatsächlich  hatte  Euripides 
alle  Philosophen,  unter  denen  Sokrates  ihn  ftr  den  bedeutend- 
sten Tragiker  erklärte*),  auf  seiner  Seite  und  wie  die  „Frösche*' 
widerwillig  einräumen,  war  ihm  zuletzt  auch  die  Masse  des 
Volkes  zugefallen,  ja  sein  ärgster  Feind  Äristophanes  musste 
zugeben,  dass  er  ihm  seine  Feinheiten  ablernte*).  Welche  Er- 
folge vollends  hatte  er  im  Auslande  aufzuweisen.^)  und  dies 
nicht  allein,  wo  er  persönlich  erschien,  wie  in  Magnesia  und 
Makedonien,  sondern  man  erzählt,  dass  viele  der  in  Siciiien  ge- 
fangenen Athener  durch  Vortragen  dessen ,  was  sie  von  Euri- 
pides' Dramen  im  Gedächtnisse  behalten  hatten  ,  ihr  trauriges 
Loos  Underten*). 

Mag  Euripides  bei  Lebzeiten  mit  einer  erbitterten  Oppo- 
sition zu  kämpfen  gehabt  haben,  ihm  gehörte  doch  die  Zukunft, 
weil  die  von  ihm  vertretene  Weltanschauung  alle  gebildeten 
Hellenen  durchdrangt).  Wenn  auch  Athen  des  Dichters  Leib 
nicht  besass,  machte  es  jetzt  an  seinen  Werken,  was  es  an  ihm 
selbst  versäumt  hatte,  wieder  gut.  Euripides  beherrscht  bei 
weitem  das  Repertoire  der  athenischen  Bühne;  denn  er  bot 
den  grossen  Schauspielern  des  vierten  Jahrhunderts  die  lockend- 
sten Aufgaben.  Es  ist  kein  Zufall,  dass  das  Bruchstück  des 
Theaterregisters  aus  den  Jahren  341 — 330  nur  euripideische 
Stücke  aufführt  ®)  und  die  Komiker  fast  nur  diese  travestierten ''). 
Der  Enthusiasmus  ging  soweit,  dass  zwei  Dichter  die  Figur 
des  „Euripidesschwärmers"  (4>tXsopt7ci8Y)(;)  auf  die  Lustspielbühne 


1)  Plato  rep.  8,  568  a;  vgl.  Aelian.  var.  bist.  2,  13.  Plato  citiert  ihn 
am  häufigsten  von  den  drei  Tragikern. 

2)  Fr.  471  ed.  Kock:  xF^P'^^ic  y°*P  oLhxoö  toö  ox6|iato^  T(j)  otpoYYo^*}»,  vgl. 
Valckenaer  zu  Eurip.  Phoen.  1517. 

3)  Vifa  84flf. 

4)  Plutarch.  Nie.  29  (<paat). 

5)  R.  de  Block  influence  morale  et  litteraire  d'Eur.  chez  les  anciens, 
Revue  de  Tinstr.  publ.  en  Belgiqne  XXI  2,  73flf.;  Ant.  Widemann  das 
euripideische  Drama  u.  dessen  Einfluss  auf  die  dramatische  Literatur  der 
späteren  Zeit  I.— IV.,  Pr.  v.  Regensbnrg  1874,  75,  77,  78. 

6)  CIA.  II  973. 

7)  Dass  der  wahre  Titel  des  „Polyidos"  „Glaukos"  (wie  Stobäus  bat) 
ist,  zeigen  die  Parodien  des  Autiphanes,  Anaxilas  und  Eubulos.  Der  „Oino- 
maos"  hatte  den  Nebentitel  „Pelops"  (wie  Antiphanes  und  Eubulos  auf 
gleichem  Wege  uns  andeuten),   der  sophokleische   hingegen   „Hippodameia". 

S  ittl ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  m.  23 


Digitized  by 


Google 


354  IX.  KapiteL 

brachten.  Ein  solcher  möchte  sich  in  einer  Komödie  des  Phi- 
lemon  aufhängen,  um  mit  dem  Euripides  eher  zusammentref- 
fen %  und  Diphiios  nennt  ihn  den  „goldigen  Euripides*'  *),  was 
durchaus  kein  bösegemeinter  Spott  sein  sollte,  denn  die  mora- 
lisierende neuere  Komödie  zehrte  von  den  Sentenzen  des  Eu- 
ripides *),  dessen  Pessimismus  der  Glaube  der  gebildeten  Stände 
war,  und  wurde  durch  die  Spötter  nicht  abgeschreckt,  selbst  die 
Prologmanier  und  den  deus  ex  machina  nachzumachen*).  Es 
ist  auch  nicht  unrichtig ,  wenn  man  in  Intriguenstücken  wie 
„lon^*  den  Keim  der  meuandrischen  Lustspiele  sieht.  Um  so 
mehr  hingen  die  jüngeren  Tragiker,  schon  als  der  Meister  unter 
den  Lebenden  weilte,  ihm  bewundernd  an*),  was  der  Tyrann 
Dionysios  öflfentlich  dadurch  ausdrückte,  dass  er  aus  seiner 
Hinterlassenschaft  Lyra ,  Schreibtafel  und  Griffel  des  Dichters 
für  ein  Talent  kaufte ,  um  sie  im  Tempel  der  Musen  aufzu- 
hängen^. In  gleichem  Masse  empfing  die  Kunst  aus  seinen 
Dichtungen  die  wichtigsten  Anregungen  ^),  und  der  Kunsthand- 
werker knüpfte  nicht  minder  als  ein  Meister  wie  Timomacbos 
an  ihn  an.  Der  grosse  Theoretiker  der  griechischen  Tragödie 
endlich  beurteilte  Euripides  zwar  strenge,  gestand  aber  im  Hin- 
blick auf  die  ausserordentliche  Bühnenwirkung  zu,  dass  er  der 
tragischste  aller  Dichter  sei  (S.  323)  und  citierte  gleich  Plato 
geistreiche  Stellen  mit  Vorliebe.    Je  spärlicher   solche  Dichter- 


1)  Pbilemon  fr.  iuc.  40  a  am  Ende  der  Biographie. 

2)  ^0  xatdxP^o^C  EöptittÖTjc  Diphiios  bei  Athen.  10,  422  b. 

3)  Qnintil.  10,  1,  69;  Meineke  fragmenta  comie.  Graec.  vol.  IV  epi- 
metrum  n  (Menander  imitntor  Euripidis). 

4)  Meineke  Menandri  et  Pbilem.  fragm.  p.  284;  Enanthius  de  comoedia 
p.  6,  5  ff. 

5)  Aristoph.  Ran.  99.  964.  Später  ahmte  beispielsweise  Ptolemaios 
Philopator  das  Echo  der  „Andromeda^^  im  „Adonis^'  nach. 

6)  Hermippos  in  Vita  Z.  79  0". 

7)  G.  Kinkel  £.  n.  die  bildende  Kunst,  (Berlin)  Lpg.  1872;  J.  Vogel 
Scenen  enripideischer  Tragödien  in  griech.  Vasengemälden,  Lpg.  1885;  sn 
Alkestis:  K.  Dissel  der  Mythos  von  Admetos  n.  A.,  s.  Entst.  u.  s.  Darst. 
in  d.  bild.  Kunst,  Pr.  v.  Brandenb.  1882;  zu  Hippolytos:  A.  Kalk  mann 
Archäol.  Ztg.  1883  S.  38 ff.  105  ff.;  V.  Puntoni  le  rappreeentanse  figarate 
relative  al  mito  di  Ippolito,  Torino  1882;  zur  taurischen  Iphi^enie :  C.  Robert 
Archäol.  Ztg.  1876  S.  133  ff.;  R.  Engel  mann  de  Jone  diss.  archaeol.,  Halle 
1868;  dazu  gehören  die  S.  351  f.  dtierten  archäologischen  Schriften. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  355 

citate  bei  den  athenischen  Rednern  sind,  desto  mehr  verdienen 
die  euripideischen  Stellen  bei  Aischines  und  Lykurgos  Be- 
achtung. 

Mit  der  Verbreitung  der  athenischen  Bildung  über  die  ganze 
griechische  Welt  wuchs  der  äussere  Kreis  seiner  Bewunderer  ; 
als  zugleich  das  Bildungswesen  eine  Regelung  erfuhr,  wurde 
Euripides  dem  üblichen  Studienplane  in  der  Weise  eingegliedert, 
dass  der  Grammatiker  ihn  schon  mit  den  Knaben  las  *)  und 
später  der  junge  Rhetor  diesen  Dichter  teils  wegen  der  an- 
regenden Fülle  epigrammatischer  Gedanken  teils  wegen  seiner 
der  Prosa  nahestehenden  und  doch  feinen  Ausdrucksweise  am 
liebsten  studierte  *).  Den  Römern  wurde  Euripides  durch  Ver- 
mittlung des  Ennius,  dessen  gefeiertste  Tragödien  von  jenem  ab- 
hingen ^) ,  vertraut  und  heb  *).  In  der  Kaiserzeit  führte  man, 
solange  überhaupt  eine  tragische  Bühne  bestand,  seine  Stücke 
am  häufigsten  auf*)  und  räumte  ihm  den  ersten  Platz  unter 
den  Tragikern  ein*),  suchte  ihn  auch  wohl,  so  gut  es  ging, 
nachzuahmen  ^) ;  selbst  der  gefährliche  Rival  der  Tragödie,  der 
Pantomimus  scheint  von  den  tragischen  Stoflfen  die  euripide- 
ischen bevorzugt  zu  haben  ®).  Dass  ferner  Euripides  Schulschrift- 
steller blieb,  zeigen  die  Prosawerke  d^r  atticistischen  Renaissance 
durch  zahllose  Anspielungen  und  Anklänge  *). 

Euripides  repräsentierte  beim  Durchdringen  des  Christen- 
tums die  heidnische  Tragödie  in  solchem  Masse,  dass  der  Pres- 


1)  DioDysios  Thrax  bei  Sext.  Emp.  math.  1,  58. 

2)  Die  52.  Rede  des  Dion  ist  hiefiir  bezeichnend;  Urteil  des  Philosophen 
Krates  Diog.  Laert.  4,  26. 

3)  Vgl.  Anon.  de  tragoedia  Rhein.  Mus.  28,  419  Z.  9. 

4)  Val.  Max.  3,  7  ext.  1  am  Ende;  Benützung  bei  Horaz:  G.  Göbel 
Ztsch.  f.  Gymnasialw.  1851  S.  298  ft. 

5)  Vgl.  Philostrat.  vit.  Apoll.  5,  7.  Plntarch.  de  ser.  num.  vini.  11.  de 
esn  earn.  2,  5.  consol.  ad  Apollon.  15.  Polyaen.  *praef.  12.  Philostr.  imag. 
2,  23  p.  428,  12. 

6)  S.  304;  vgl.  Plutarch.  symp.  7,  5,  4.  Lucian.  pisc.  3.  Dio  Chrys.  17 
p.  248.  18  p.  254. 

7)  Vgl.  Addaios  Anthol.  7,  51;  daher  parodiert  ihn  Lucian,  der  über- 
dies Jup.  trag.  1  sagt:  EöptittSfjv  8Xov  xataicciccuxaficv. 

8)  CILat.  V  5889  (Ion  und  Troades  waren  die  Glanzrollen  des  Theo- 
kritos). 

9)  8. 227,  2;  für  Heliodor  s.  Roh  de  der  griechische  Roman  8.  460  A,  2. 

23* 


Digitized  by 


Google 


356  IX.  Kapitel. 

byter  Apollinaris  gerade  ihn  durch  christliche  Imitationen  zu 
ersetzen  gedachte  *) ,  weshalb  dann  auch  das  ganze  christliche 
Schauspiel  des  Orients,  die  verlorene  „Susanua"  des  Johannes 
von  Damaskus  *)  und  der  vielberufene  „Xptotöc  icdox<«>v**  ,  ein 
langweiliges  Buchdrama  eines  gelehrten  Geistlichen,  der  es 
auf  Wunsch  eines  Schülers  centoartig  zusammenstoppelte  % 
nach  euripideischem  Muster  gearbeitet  sind.  Bei  den  Byzan- 
tinern gehörte  ja  Euripides  zu  den  Schriftstellern,  zu  deren 
Lesung,  wie  man  schon  an  den  euripideischen  Floskeln  aller 
gewandteren  Prosaiker  empfindet,  jeder  Gebildete  verpflichtet 
war.*)  Aus  diesem  Grunde  sind  auch  verhältnismässig  soviele 
Stücke  und  von  diesen  so  viele  Handschriften  erhalteu. 

FolgUch  kann  höchstens  Homer  mit  Euripides  hinsichtlich 
des  Einflusses  auf  das  gesamte  Altertum  und  das  griechische 
Mittelalter  verglichen  werden.  Mag  immerhin  Sophokles  tlieo- 
retisch  mehr  bewundert  worden  sein,  er  genoss  doch  nie  die 
Popularität  des  Euripides.  Denn  der  scharfe  pessimistische 
Geist,  welcher  Euripides'  Dichtuugen  durchzieht,  entsprach  dem 
Denken  und  Fühlen  der  hellenischen  Welt,  seitdem  die  alten 
Formen  von  Staat  und  Religion  innerlich  zerfallen  waren.  Der 
Christ  sodann  erfreute  sich  an  der  Polemik  gegen  die  heidnischen 
Götter  und  empfand  in  dem  unruhigen  Bemühen  und  Grübeln 


1)  SozomeD.  bist.  eccl.  5^  8. 

2)  '0  Aa(iaaK*r)v6c  kann  für  den  Metropoliten  Eastathios  (Migne  patrol. 
Bd.  136  col.  508)  natürlich  kein  anderer  als  der  bernhmte  Kirchenvater  and 
nicht  Nikolaos  von  Damaskos  sein. 

3)  G.  Brambs  de  auctoritate  tragoediae  Cbristianae  qnae  inscribi  solet, 
XptoTÖc  n&o-^otyf  Gregorio  Nazianzeno  falso  attribntae,  Diss.  v.  München,  Pr. 
VvrEichstädt  1884  und  Christas  patiens  (Insgabe),  Lpg.  1884;  vgl.  Is.  Hil- 
berg  Wiener  Studien  8,  282  ff.  Sittl  Philol.  Rund.«ichaa  1886  S.  148  f.  Der 
Verfasser  benützte  nur  sieben  Stücke  (Bakchen,  Hekabe,  Medea,  Hippolytos, 
Orestes,  Rhesos,  Troerinen)^  Im  ersten  Akte  treten  nicht  weniger  als  fünf 
Boten  (98.  124.  147.  361.  637)  anf.  Das  Stück  zerfällt  in  fünf  Akte  mit 
jedesmaligem  Scenenwechsel ;  Y.  2270 — 2377  wird  ein  Dialog  erzählt! 

4)  Vgl.  Michael  Psellos  in  Sathas  fieoaicuv.  ßißX.  V.  538;  Balsamon  ad 
62.  canon.  synodi  Trull.;  an  der  Spitze  der  Tragiker  Paul  de  Lagarde,  aufJi- 
fiixia  p.  174  (wogegen  Tzetzes  ad  Hes.  Erg.  414  Aeschylns  höher  za  stellen 
affektiert).  Ueber  Imitationen:  Job.  Malchin  de  Choricii  Gkizaei  yetenim 
Graec.  Script,  studiis,  Kiel  1884  p.  46  ff.;  Vitelli  Mnseo  Italiano  di  antich. 
classica  I  p.  32,  1. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  357 

des  Dichters   einen    ihm   sympathischen  Zug  nach  dem  unbe- 
kannten Gotte. 

Doch  wir  haben  diese  Zeiten  noch  einmal  zu  durchwan- 
dern, jetzt  führt  aber  der  Weg  durch  die  Studiersäle  der  Ge- 
lehrten. Für  diesen  Dichter  bekundeten  schon  vor  den  Philologen 
die  Philosophen  ein  reges  Interesse:  Aristoteles  soll  euripi- 
deische  Fragen"  behandelt  haben  *)  und  Dikaiarchos  sprach, 
wenigstens  im  „Leben  von  Hellas*'  und  den  S.  130  f.  er- 
wähnten Schriften  von  dem  Tragiker.  *)  Eine  philologische 
Grundlage  stellte  Aristophanes  von  Byzauz  durch  eine  mit 
kritischen  Zeichen  versehene  Ausgabe  her*),  an  welche  sein 
Schüler  Kallistratos  anknüpfte*).  In  den  Scholien  begegnen 
uns  ferner,  vom  Rhesos  abgesehen,  die  Namen  Aischines,  ApoUo- 
doros  von  Kyrene  und  von  Tarsos,  Lysanias,  Parmeniskos  und 
Timachidas  *).  DenSchluss  der  alexandrinischen  Periode  macht, 
wie  gewöhnlich,  Didymos  ^).  Der  Kaiserzeit  gehörten  Eirenaios, 
Helladios  und  Soteridas  an  '').  Unsere  Scholien  nehmen  auf 
viele  Kommentare  und  auf  kritische  Zeichen  Bezug  %  aber  wir 
wären  in  Verlegenheit,  wenn  wir  ihre  direkten  Quellen  bestim- 
men müssten  %  hätte  nicht  .die  Handschrift  B  hinter  den  Scho- 
lien zur  Medea  die  lehrreiche  Unterschrift:  IIpöc  Std^pa  avtt- 
Ypa^a.  Aiovüoto!)  oXooxepäc  xal  ttvd  zm  At86|jioo  und  hinter 
denen    zum   Orestes;    lipo«:    8ta<popa    avttVpaya.     UoLpafi'^goLKx ai 

1)  ^ AKopri\i.oLXfA  EüptKtBoü  Vita  Menagiana. 

2)  Argum.  Rhes.  und  Med.;  der  Schreiber  von  codex  Florent.  32,  2 
stellt  seineu  Namen  willkürlich  dem  ersten  Argument  von  Medea  nnd  Alkestis 
voraus. 

3)  Schol.  Hippol.  172  (Zeichen).  612.  Or.  483.  714.  1037.  1287;  vgl. 
M.  Schmidt  Didymi  Chalc.  fragm.  p.  274  f. 

4)  Schol.  Or.  1037. 

5)  Schol.  Or.  12  p.  37,  8.  1371;  Or.  1385:  Med.  148.  169;  Andr.  10 
(Möller  fragra.  histor.  Gr.  IV  661  vermutet  Aooifiaxo':) ;  Didymos  bei  Schol. 
Med.  273;  Schol.  Med.  1.  167. 

6)  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalc.  fragmenta  p.  274 ff. 

7)  Schol.  B  Med.  218  (oStcoc  ElpYjvatoc).  613  (oötox;  'EXXtfcSto?).  Snidas 
u.  Sü)Tif|ptSac. 

8)  S.  Dindorfs  Register  unter  dem  Wort  6TC0|iv^|xata ;  über  die  Zeichen 
M.  Schmidt  a.  O.  p.  277  f. 

9)  Vgl.  Carl  Brunne  mann  de  anctoribns  scholiorum  Vaticanorum  ad 
Enrip.  Troades,  Berlin  1846;  Th.  Barthold  de  scholiorum  in  Eurip.  veterum 
fontibus,  Bonn  1864  p.  33flf.;  M.  Schmidt  a.  O.  p.  274 ff. 


Digitized  by 


Google 


358  EK.  Kapitel. 

i%  toö  AtovooCoo  o:co|i,vi(5{jwttoc  Ükoayjipßx:  xal  k%  täv  (itxt^dv  ^).  Den 
Kern  bildet  also  der  Kommentar  eines  der  vielen  Dionyse  und 
ein  Mischkommentar,  derExcerpte  aus  Didymos  enthielt  *).  Die 
Scholien,  welche  die  erwähnte  Handschrift  zu  den  sieben  Schul- 
dramen enthält,  sind  die  ausführlichsten  und  stehen  denen  des 
Marcianus  M  und  des  Vaticanus,  welche,  zuerst  von  Hier.  Amati 
in  der  Glasgower  Euripidesausgabe  von  1821  veröffentlicht,  in 
einem  praktischen  Sonderabdruck  von  Cobet  (Leiden  1846  hin- 
ter den  Phönisseu  von  Geel,  separat  von  Witzschel,  Lpg.  1849) 
vorliegen,  nahe.  Die  zweite  Klasse  besteht  aus  kurzen  Schul- 
anmerkungen. Die  dritte  Klasse  bilden  die  wertlosen  Kompi- 
lationen des  Thomas  Magistros,  der  auch  eine  Paraphrase  ver- 
fasste'),  Maximos  Planudes*),  Emanuel  Moschopulos  und 
Demetrios  Triklinios;  der  letztgenannte  analysierte  aucli  die 
Versmasse  der  Phönissen '^).  Die  vollständigste  Sammlung  von 
Scholien  veranstaltete  W.  Dindorf  in  vier  Bänden  unter  dem 
Titel  Scholia  Graeca  in  Euripides  tragoedias  (Oxford  1863  ff.  ^. 
Eine  neue  Ausgabe^)  ist  um  so  mehr  notwendig  als  die 
Scholien  den  kritischen  Apparat  nicht  ohne  Nutzen  erweitern 
könnten  ^. 

Die  Handschriften  waren  ursprünglich,  solange  die  Papyrus- 
rolle herrschte,  so  eingerichtet,  dass  eine  kleine  Rolle  ein  bis 
drei  Stücke,  eine  grössere  deren  fünf  enthielt,  wobei  die  alpha- 


1)  Etwas  ähnliches  stand  ofifenbar  in  dem  verlorenen  €k)dex  Vat.  Palat. 
Oraec.  336  p.  195  Stevenson. 

2)  Der  Scholiast  B  citiert  diese  Kompilation  za  Or.  1385  mit  6  6ico)jivyi- 
(jiaTtodfitvoc. 

3)  Bei  Arsenios  gedruckt,  vgl.  Schol.  Or.  988;  aach  der  verlorene  Codex 
Yatic.  Palat.  Or.  336  (Stevenson  p.  195)  enthielt  Phönissen,  Medea  und  Hippo- 
lytoe  mit  Paraphrase. 

4)  Schol.  Hecub.  147.  169. 

5)  Gedruckt  bei  Dindorf  HI  p.  12—29. 

6)  Bd.  I.  enthält  die  Scholien  zn  Rhes.  Ti-oad.  Hippol.  Hec.,  n.  Or., 
ni.  Phoen.,  IV.  Med.  Alcest.  Andrem,  and  Nachträge  (p.  221  ff.  zn  Bd.  I., 
254 ff.  zn  U.,  260ff.  zn  m.). 

7)  ü.  V.  V^ilamowitz  Kydathen  S.  92. 

8)  Th.  Barthold  Liber  miscellanens  editns  a  societ.  philol.  Bonnensi 
1864  p.  19ff. ;  G.  Franssen  qnaest.  de  scholiomm  Earipideornm  in  poetae 
verbis  restituendis  auctoritate  et  nsu  spec.,  Diss.  v.  Göttingen  1872. 


Digitized  by 


Google 


Euripidee.        v  359 

betische  Reihenfolge  der  Titel  zu  Gründe  lag  *).  Später  jedoch 
wirkten  der  Pergamentband  und  die  geringe  Leselust  zusammen, 
damit  die  beliebtesten  Dramen  von  den  Buchhändlern  ausge- 
wählt wurden.  Da  man  im  besonderen  für  die  gewöhnliche 
Schullektüre  die  drei  pathetischen  Tragödien  Hekabe,  Orestes 
und  Phönissen  bestimmte,  existieren  von  diesen  zahlreiche  von 
den  Lehrern  korrigierte  und  interpolierte  Handschriften.  Ein 
zweiter  weiterer  Kreis  umfesste  neun  Stücke  (nämUch  ausser 
jenen  dreien  Alkeetis,  Andromache,  Hippolytos,  Medea,  Rhesos 
und  Troerinen)  *),  vollständig  nur  im  codex  Vaticanus  B  (909) 
aus  dem  zwölften  oder  dreizehnten  Jahrhundert  erhalten;  der 
Schreiber  der  Kopenhagener  Handschrift  ^)  ergänzte  sein 
schlechtes  Schulexemplar  aus  einer  besseren  Handschrift  durch 
jene  sechs  Stücke.  Wertvoller  ist  der  Marcianus  471  (A)  aus 
dem  zwölften  Jahrhundert,  nur  dass  er  zu  den  drei  Stücken 
bloss  Andromache  und  Teile  des  Hippolytos  enthält.  Unsere 
neunzehn  Dramen  stehen  heute  in  keinem  einzigen  Codex  bei- 
sammen, da  in  dem  reichhaltigsten  Florentinus  C  (32,  2)  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  die  Troerinen  und  der  Schluss  der 
Bakchen  fehlen ;  allein  der  wichtige  Palatinus  B  (287)  und 
eine  Handschrift  der  florentinischen  Badia  (Laurent.  2664) 
ergänzen  sich  genau  und  haben  ursprünglich  einen  Band 
gebildet*).  Ueber  den  kritischen  Wert  der  einzelnen  Hand- 
schriften ist  das  letzte  Wort  noch  nicht  gesprochen,  besonders 
da  verschiedenes  erst  in  den  letzten  Jahren  genauer  bekannt 
geworden  ist  *).     Ein  ägyptisches  Fragment  des  Hippolytos  ist. 


1)  Dies  können  wir  ans  dem  Katalc^  einer  Gymnasialbibliothek  des 
Peiraiens  CIA.  n  992  erschliessen. 

2)  Ursprünglich  gehörten  auch  die  Bakchen  dazn^  s.  Wilamowitz 
anall.  Enrip.  p.  51  n.  Robert  Hermes  13,  136  f. 

3)  Vgl.  Prinz  Rhein.  Mus.  30,  129  ff. 

4)  Vgl.  Prinz  Jahrbb.  f.  Phil.  105,  525 f.  107,  315 ff.  113,  737 ff.  ; 
Schenkl  Ztoch.  f.  österr.  6ymn.  25,  82f.  n.  Hermes  11,  255 f.;  Wilamo- 
witz analectu  Euripidea  p.3ff.  53 f.;  Robert  Hermes  13,  133 ff.;  Vitelli 
Rivista  di  filol.  8,  514;  über  C  und  B:  Bruhn  Jahrbb.  Suppl.  15,  251  ff. ; 
Ck>llation  von  C  für  Hippolytos:  Puntoni  in  Piccolomini's  Stndi  di  filologia 
greca  I  p.  328ff. 

5)  Ueber  einen  Palimpsfist  im  Sawaskloster  am  toten  Meer  (saec.  XI.  in.) 
Tischendorf  anecdota  sacra  et  profana  p.  *223  f .  (Proben  aus  Orestes, 
Phönissen  nnd  Andromache) ;  Codex  von  Saloniki :  Pet.  N.  Pappageorgios 


Digitized  by 


Google 


360  /       IX.  Kapitel. 

*  / 

obgleich  d/dr  älteste  Rest,  weil  die  NiederschreibuDg  nicht  unter 
das  sechste  Jahrhundert  herabgeht,  dennoch  ohne  sonderliche 
Bedeutung  ^).  Ein  merkwürdiges  Denkmal  der  Euripidesstudien 
bietet  eine  Handschrift  des  zwölften  Jahrhunderts  in  einer 
umfangreichen  Sentenzensammlung  ^).  Von  der  Hochschätung 
des  Cento  Xpwtöc  icAox<«>v ')  ist  man  zurückgekommen. 

Durch  den  Druck  machte  zuerst  Janus  Lascaris  Euripi- 
deisches  bekannt,  indem  er  in  Florenz  um  das  Jahr  1496  die 
vier  Stücke  Medea,  Hippolytos,  Alkestis  und  Andromache 
veröffenthchte.  Die  wahre  editio  princeps,  die  Grundlage  der 
späteren  Vulgata,  erschien  bei  Aldus  Manutius  1503  (vielleicht 
von  dem  Kreter  Markos  Musuros  besorgt),  aber  hier  fehlte 
noch  die  „Elektra**,  welche  erst  Petrus  Victorius  Rom  1545 
bekannt  machte*),  sowie  die  Schollen;  diese  gab  der  Grieche 
Arsenios  zu  Venedig  1534  heraus.  Ein  etwas  besserer  Text 
erschien  bei  Herwagen  (ed.  H.  1544)  und  von  Wilhelm  Canter 
(Antwerpen  1571.  16).  Josua  Barnes,  welcher  1694  in  Cam- 
bridge unseren  Dichter  bearbeitete,  that  sich  mehr  durch  über- 
schwängliche  Begeisterung  als  durch  Scharfsinn  hervor  und 
wurde  von  seinem  englische  Handschriften  benutzenden  Lands- 
mann King  (1726.  1748)  leicht  überholt.  Die  echte  Euripides- 
philologie  brach  mit  Valckenaers  Prüfung  der  Fragmente  und 
seinen  epochemachenden  Ausgaben  der  Phönissen  (zuerst  1755) 
und  des  Hippolytos  (1768)  an^  welchem  Samuel  Musgrave 
(Oxford  1778,  4  Bde.  mit  tüchtiger  Fragmentensammlung; 
vermehrt  von  Nath.  Morus  u.  Gh.  Dan.  Beck,  Lpg.  1778 — 88, 
3  Bde.)  und  besonders  Richard  Porson  (L  Hecuba  H.  Orestes 
ni.  Phoenissae  IV.  Medea,  zuerst  1797,   bearbeitet  von  G.  H. 


'A^Tivatov  X  286  ff.;  Marcianus  226:  Prinz  Jahrbb.  f.  Phil.  99,  760  ff.; 
R.  RödiDg  fabalas  Euripideas  quae  insunt  in  codice  Parisino  2712  iterum 
cousulit,  Diss.  v.  Upsala  1876.  üeber  englische  Handschriften  P.  Paley 
Ausg.  ni  p.  XXIV  ff.;  Facsimile  einer  Münchner  Handschrift:  Baumeisters 
Denkmäler  S.  1135;  zur  taurischen  Iphigenie :  Ziegler  Berl.  philol.  Wochen- 
eehrift  1883  Sp.  1276. 

1)  Kirchhoff  Monatsberichte  der  Berliner  Akademie    1881    S.  982  ff. 

2)  O.  Hense  Acta  societat.   philol.  Lips.  6,  333 ff.   (ans  acht  Stücken; 
von  jenen  neun  sind  nämlich  „die  Troerinen"  übergangen). 

3)  Vgl.  A.  Döring  Phüol.  23,  577  ff.  25,  221  ff. 

4)  Ueber  seine  Handschrift  handelt  Prinz  Jahrbb.  f.  Phil.  113,  742  ff 


Digitized  by 


Google 


Earipides.  361 

Schäfer,  Lpg.  [Berlin]  ^  1824)  würdig  ^  die  Seite  traten.  Gott- 
fried Hermann  (I.  IL  III.  1.  Lpg.  1831—41)  Hess  gleichfalls 
seinen  Scharfsinn  dem  Dichter  zu  Gute  kommen. 

Auf  Grund  von  Handschriftenvergleichungen  arbeiteten  ^ 
zuerat  Elmsley  (Medea,  Oxford  1818),  W.  Dindorf  (in  den  poetae 
scenici  und  separat)  und  Fix  (Didotausgabe  1843)  methodisch. 
Die  Klassifikation  der  Handschriften  rührt  von  Adolf  Kirch - 
hoff  (Berlin  1855,  2  Bde.,  kleinere  Ausgabe  1867—68,  3  Bde.) 
her;  doch  dürften  die  minderen  Handschriften  etwas  mehr  zu 
beachten  sein  *).  Ud.  v.  Wilamowitz  bearbeitete  in  den  ana- 
lecta  Euripidea  p.  73  ff.  probeweise  die  Supplices  mit  kritischem 
Apparat.  Eine  neue  kritische  Ausgabe  ist  von  R.  Prinz  (I. 
1.  Medea,  Lpg.  1878,  2.  Alcestis  1879,  3.  Hecuba  1883)  unter- 
nommen.  Eine  Textesrecension  veranstaltete  August  Nauck 
(Lpg.  1854,  3.  Ausg.  1869—71,  3  Bde.  mit  Fragmenten);  die 
von  Th.  Barthold  begonnene,  von  welcher  der  Hippolytus  (Lpg. 
1885)  erschienen  sind,  und  die  der  „Medea*'  und  „Iphigenie. 
in  Taurien"  von  Chr.  Ziegler  (2.  A.  Freiburg  1884)  ^  zeichnen 
sich  durch  neue  Kollationen  aus.  In  den  letzten  Jahren  wird 
die  Aufspürung  von  Interpolationen  immer  eifriger  betrieben.^) 

Wenn  wir  einen  Kommentar  zu  allen  Werken  des  Euri- 
pides  suchen,  finden  wir  nur  Kompilationen:  Aug.  Matthiä, 
Lpg.  1813 — 36,  10  Bde.,  eine  anonyme  Ausgabe  von  Glasgow 
1821,  9  Bde.  und  W.  Dindorfs  Oxforder  Ausgabe  (Bd.  III. 
1840).  J.  A.  Härtung  versah  sämtliche  Stücke  mit  metrischer 
üebersützung  und  Anmerkungen  (Lpg.  1848  ff. ,  19  Bdchen). 
Die  Ausgabe,    welche  Jul.  Edm.  Pflugk   begann  und  Reinhold 

1)  K.  Schenkl  Philol.  20,  306 ;  Nauck  atudia  Earipidea  II  127 
(M^moires  de  Tacad.  de  St.  Pet.  VII  1  n.  12.  V  n.  6). 

2)  Ders.  Andromeda  a.  Corrigenda  zam  apparatus  critieus  der  Ipb. 
Tanr.  n.  der  Medea  des  Ear.,  Stuttgart  1883. 

3)  Die  ausgedehnte    Literatur   ist  bei  W.   Zipperer  de  Eur.  Phoeuis- 
sarom   versibus  suspectis   et  interpolatis,   Diss.  v.  Würzburg  1875  p.  1  flf.  u.     ^' 
Karl    Schulze   de    versibus  supp.  et   interp.  Iphig.  Taur.  fab.  Enripideae, 

I.  Diss.  V.  Halle  1881  p.  IV.  V  verzeichnet;  seitdem  kamen  dazu:  J.  Klin- 
kenberg de  Euripideorum  prolog.  arte  et  interpolatione,  Bonn  1881  (dagegen 
J.  V.  Arnim  de  prologorum  Euripideor.  arte  et  interpol.,  Diss.  v.  Greifswald, 
Jena  1882);  Herrn.  Gogue  t  de  nonn.  flelenae  fab.  Enripideae  interpolationibus 
Breslau  1882. 


Digitized  by 


Google 


362  IX.  Kapitel. 

Klotz  fortsetzte  (Gotha  ii.  Lpg.  1829 ff.),  umfasst  nur  elf 
Stücke;  von  der  Nik.  Wecklein  anvertrauten  Neubearbeitung 
erschienen  bisher:  Hecuba  1877,  Hercules  furens  1877  und 
Phoenissae  1881.  An  Einzelausgaben  verdienen  Erwähnung: 
Andromache  mit  Schollen  von  J.  Lenting,  Zutphen  1829; 
Bakchen  G.  F.  Schöne,  Berlin  ^858  u.  J.  E.  Sandys,  Cam- 
bridge 1885  (mit  lUustr.);  Elektra  Peter  Camper,  Leiden 
1831,  Theob.  Fix,  Paris  1845;  Hecuba  H.  Weil,  Paris  1871; 
Herakliden  E.  A.  Beck,  Cambridge  1881;  Hippolytos 
Theob.  Fix,  Paris  1848,  H.  Weil,  Paris  1869,  F.  A.  S.  Free- 
land,  London  1876;  Ion  Ch.  Badham,  London  «1867  u.  H. 
van  Herwerden,  Utrecht  1875 ;  Iphigenie  in  Aulis  C. 
G.  Firnhaber,  Lpg.  1841,  Theob.  Fix  et  Ph.  Le  Bas,  Paris 
1868,  H.  Weil,  Paris  1870,  Girol.  Vitelli,  Florenz  1878;  Iphi- 
genie in  Taurien  G.  F.  Schöne  u.  Köchly,  Berlin  »1872, 
Nik.  Wecklein,  Lpg.  1876,  H.  Weil,  Paris  1878;  Medea  N. 
Wecklein,  Lpg.  *  1880,  A.  W.  Verrall,  London  1881,  S.  Mekler, 
Gotha  1886;  Phönissen  Jak.  Geel,  Leiden  1846,  Gottfr. 
Kinkel,  Berlin  (Lpg.)  1871,  Mahaflfy,  London  1881;  ßhesos 
Fr.  Vater,  Berlin  1837.     Ein  Wörterbuch  fehlt  noch  *). 

Wir  können  Euripides  nicht  verlassen,  ohne  hervorzuheben, 
welchen  tiefen  Eindruck  seine  Dichtungen  bei  den  hervor- 
ragendsten Geistern  der  neueren  Zeit  hinterlassen  haben.  Be- 
ginnen wir  mit  der  Renaissance,  so  finden  wir  Hekabe  und 
die  aulische  Iphigenie  von  einem  Erasmus  (zuerst  Paris  1506, 
auch  im  ersten  Bande  der  Opera)  übersetzt,  in  welcher  Gestalt 
diese  Stücke  zur  Lieblingslektüre  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
gehörten;  ein  Philipp  Melanchthon  übersetzte  die  Troerinen 
(Strassburg  1578)  und  hielt  Vorlesungen  über  den  Dichter 
(benützt  in  dem  von  W.  Xylander  eingeleiteten  lateinischen 
Euripides  von  Basel  1558,  vollständiger  Frankfurt  1562  gedruckt); 
ein  Hugo  Grotius  erprobte  seine  berühmte  Uebersetzungskunst 

1)  Von  Aug.,  CoDSt.  Q.  Bernh.  Matthiä  lexioon  Euripideom  erschien 
nnr  der  erste  A— F  umfassende  Teil  (Lpg.  1841);  Tb.  Barthold  spec. 
lexici  Enr.  quo  explicatnr  usus  particnlae  cu^,  Pr.  v.  Posen  1869;  Walter 
Berger  spec.  lex.  Eur.  quo  adverbia  percensentor  qaibus  praepositionnm 
more  casus  adjunguntur,  Pr.  y.  Brandenburg  1870;  Paul  Stoppel  spec.  lex. 
Eur.  in  der  Festschrift  für  Nöltiog,  Wismar  1886  (umfasst  Z).  Sonst  ist  man 
noch  auf  den  Index  von  Beck  (1788)  angewiesen. 


Digitized  by 


Google 


Euripides.  363 

an  den  Phönissen  (Paris  1630  u.  ö.)  und  zahlreichen  Glanz- 
stellen, die  er  für  die  Excerpta  tragieorum  et  comicorum  (Paris 
1626)  aushob.  Gehen  wir  dann  auf  die  gelehrten  Dichter  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  über,  glänzt  unter  den  Engländern 
Milton  hervor;  er  hinterliess  Bemerkungen,  welche  Barnes 
nützte.  Auf  die  Klassiker  der  französischen  Tragödie  hinzu- 
weisen ist  kaum  nötig,  da  jeder  von  Racines  Euripidesstudien, 
aus  denen  Andromaque,  Iphigönie  en  Aulide  und  PhÄdre  her- 
vorgingen ,  weiss  ^)  und  auch  Corneille  im  Examen  de  M6d6e 
sein  Interesse  ausdrücklich  kundgab.  So  grundverschieden  die 
Koryphäen  unserer  klassischen  Bühne  von  jenen  Franzosen 
sind,  in  der  Verehrung  des  Dichters  stimmen  sie  mit  ihnen 
überein.  Von  Goethes  Iphigenie  und  Phaethon  ward  schon  ge- 
sprochen, der  zweite  Teil  des  Faust  weist  unverkennbar  auf 
„Helena"  hin;  ausserdem  hielt  er  seine  allgemeine  Anerkennung 
des  Griechen  nicht  zurück  *).  Schiller  hat  uns  leider  nur 
einige  meisterhafte  üebersetzungsproben  mit  feinen  Bemerk- 
ungen gegönnt.  Um  die  Dichter  zweiten  und  dritten  Ranges, 
welche  seit  dreihundert  Jahren  euripideische  Stoffe  dem  Ge- 
schmacke  ihrer  Zeit  anzupassen  suchen,  aufzuzählen,  wäre  ein 
besonderes  Buch  erforderhch.  Patin  hat  in  seinen  essais  eine 
grosse  Menge  zusammengebracht  nnd  teilweise  analysiert'). 

1)  Kr  ick  Racines  Verhältnis  zu  Eor.,  Pr.  v.  Aachen  1884.  Seine  Noten 
sind  in  die  Uehersetzung  von  £.  Pessonneanx  (Paris  *1880,  2  Bde.)  auf- 
genommen. 

2)  Briefwechsel  mit  Zelter  VI  S.  343;  Gespräche  mit  Eckermann  II 
269;  Tiecks  UrteU  steht  Histor.  Taschenbuch  1841  8.  274  ff. 

3)  8.  341  A.  4  und  347  A.  6;  Og.  Ellinger  Alkeste,  in  der  modernen 
Litteratur,  Halle  1885. 


Digitized  by 


Google 


X.  Kapitel. 

Die  Zeitgenossen  und  Nachfolger  der 
grossen  Tragiker. 

Ion,  Achaios  und  Agatlion,  Aristarchos,  die  Familien  der  drei  Klassiker  und 
des  Karkinos,  Neophron,  Kritias  und  Andere;  die  Tragiker  des  vierten  Jahr- 
hunderts: die  beiden  Astydamas,  Karkinos,  Antiphon  und  die  Dilettanten. 
Der  Niedergang  der  Tragödie.  Hochstellung  der  Klassiker;  Verbreitung  des 
athenischen  Dramas  ausserhalb  Attikas. 


Wilh.  Karl  Kayser  historia  critica  tragicoruni  Graecorum,  Göttingen 
1845,  3  Thle.  Fragmente  s.  S.  139. 

Unter  den  Tragikern  des  fünften  Jahrhunderts  nahmen  den 
zweiten  Platz  in  der  Wertschätzung  der  Späteren  wiederum  zwei 
ein,  nämlich  Ion,  Achaios  und  Agathon  ^). 

Ion  von  Chios  *)  bethätigte  die  ungemeine  Rührigkeit  des 
jonischen  Geistes  auf  dem  literarischen  Gebiet,  so  dass  es  vor 
der  dilettierenden  alexandrinischen  Zeit  ausser  Hippias  kein 
zweites  gleich  mannigfaltiges  Talent  gab.     Er  musste  bereits  in 

1)  Diese  drei  bearbeitete  Didymos;  das  Tragikerverzeichnis  bei  Tzetz. 
proleg.  ad  Lycophr.  p.  256  u.  in  Lagardes  Symmikta  I  p.  175,  54  nennt  nur 
die  ersten  zwei.  Auch  Hesychios  und  PoUux  führen  bloss  sie  von  den  Zeit- 
genossen der  grossen  Meister  an;  bei  Atheuaios  treten  sie  gleichfalls  stark 
hervor. 

2)  Bentley  epistola  ad  MUlium  1691  p.  26flf.;  E.  Siegfr.  Köpke  diss. 
de  lonis  Chii  poetae  vita  et  fragmentis,  Berlin  1836;  Karl  Nieberding  de 
lonis  Chii  vita  moribus  et  studiis  doctrlnae  scripsit  fragmentaque  coli.,  Lpg. 
1836;  Ztsch.  f.  Altertnmsw.  1836  Sp.  589 ff.;  Welcker  griech.  Tragödien 
S.  938 ff.;  Friedr.  Scholl  Rhein.  Mus.  32,  145  ff.  —  Sohn  des  Ortbomenes 
(ein  Komiker  sagte  scherzhaft  Xuthos)  Harpocr.  s.  v.  Snidas ;  Chioe :  Aristoph. 
Pac.  835  u.  A 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  365 

der  Geschichte  der  Prosa  genannt  werden  (Bd.  II  S.  367) ;  da- 
neben war  ihm  aber  keine  Dichtungsart,  das  nicht  mehr  recht 
moderne  Epos  allein  ausgenommen,  fremd:  Tragödien  und  Komö- 
dien, Dithyramben  und  Päane,  Hymnen  undSkolien,  Elegien 
und  Epigramme,  alles  verstand  er  ^).  Näheres  darüber  wie  über 
den  Dichter  im  allgemeinen  wissen  wir  nur,  insoweit  Ion  zu 
Athen  in  Beziehungen  trat.  Einer  der  reichsten  Grundbesitzer 
seiner  Lisel,  schloss  er  sich  entschieden  an  den  Vorort  des 
Seebundes  an  und  zwar  besonders  an  Kimons  Partei,  während 
er  Perikles  abgeneigt  war.  Schon  in  jungen  Jahren  hatte  er 
Athen  aufgesucht  und  scheint  dort  oft  längeren  Aufenthalt  ge- 
nommen oder  auch  von  da  aus  Kimons  Züge  mitgemacht  zu 
haben  *).  In  den  Wettkampf  der  Tragiker  trat  er  seit  der 
82.  Olympiade  (451 — 48)  ein,  wobei  ihm  einmal  das  seltene 
Glück  zu  Teil  ward ,  nicht  bloss  hier  den  ersten  Preis  zu  be- 
kommen, sondern  zugleich  mit  einem  Dithyrambos  zu  siegen. 
Aus  Freude  hierüber  schenkte  Ion ,  reich  wie  er  war ,  jedem 
Athener  ein  Fässchen  Chierwein  *) ;  schätzte  er  doch  selbst  die 
Herrlichkeit  der  Dionysosgabe  im  Verein  mit  Frauenschönheit 
mehr  als  billig*).  Im  Jahre  428(01.  87,4)  unterlag  der  Dichter 
dem  „Hippolyt"  des  Euripides ;  bald  darauf  muss  er  gestorben 
sein,  da  Aristophanes  421  (OL  89,3)  im  „Frieden"  seiner  wie 
eines  gestorbenen  Erwähnung  thut.  So  erlebte  Ion  den  412 
erfolgten  Abfall  von  Chios  nicht  mehr,  wo  sein  Sohn  Tydeus 
die  Bundestreue  mit  dem  Tode  büssen  musste^). 

Ion  verdankte  seine  schriftstellerische  Berühmtheit  am  meisten 
den  Tragödien.    Die  Angaben  über  deren  Zahl  scheinen  dieAuf- 

1)  Schol.  Aristoph.  h.  O.  Suidiis  erwähnt  unr  Tragödien,  nennt  ihn  abet 
Xüpixoc;  Harpokration  spricht  von  Tragödien  und  vielen  Liedern.  Kirch- 
hoff Hermes  5,  57  schreibt  Ion  das  dreiteilige  Epigramm  bei  Plntarch  Cim. 
7  zu,  was  Holzapfel  Unters uchnngen  über  die  Darstell,  der  griech.  Ge- 
schichte S.  129  bestreitet. 

2)  Ion  bei  Plntarch.  Cim.  9,  vgl.  16;  er  kannte  Aeschylos  noch  per- 
sönlich (vgl    Plntarch.  prob,  in  virt.  8). 

3)  Schol.  Aristoph.  a.  O.  «paoi  (Interpolation  bei  Suidas),  verkürzt  Epit. 
Athen.  1,  3  f ;  anf  der  Burg  wurde  die  Basis  eines  spätestens  Ol.  83  gesetzten 
Weibgeschenkes  gefunden  (Kirchhoff  Hermes  5,  59 f.).  Von  Ion  rührt  viel- 
leicht ein  zweites  Epigramm  (a.  O.  S.  48  f.)  her. 

4)  Baton  bei  Athen.  10,  436  f.  Aelian.  var.  bist.  2,  41. 

5)  Thucyd.  8,  38. 


Digitized  by 


Google 


366  X.  Kapitel. 

führung  von  zehn  Tetralogien  und  das  Vorhandensein  von  zwölf 
Stücken  anzudeuten  ^) ;  wir  kennen  noch  die  Titel  von  zehn 
Trauerspielen  und  einem  Satyrstück  *),  wonach  man  vermuten 
darf,  dass  Ion  am  liebsten  die  von  seinem  Landsmanne  Homer 
erfundenen  Mythen  wählte®),  Das  „grosse  Drama"  (Fr.  15 — 17) 
dürfte  zu  den  wenigen  frei  erfundenen  Dichtungen  der  griechi- 
schen Tragödie  zählen  (S.  163,  4).  Eine  nicht  durch  seelische 
Erregung  gerechtfertigte  Arie  (Fr.  14)  und  das  Auftreten  einer 
Amme  (Fr.  54)  erinnern  an  Euripides.  Ueber  Ions  Stil  urteilt 
ein  geistreicher  Kritiker  des  Altertums,  er  sei  korrekt  und  zier- 
lich, ohne  an  die  echte  Genialität  des  Sophokles  von  weitem 
heranzureichen  *). 

Jene  Eigenschaft  jedoch  lockte  vielleicht  gerade  die  Spä- 
teren zur  Beschäftigung  mit  Ion  an:  Baton  von  Sinope^)  und 
der  Philosoph  Arkesilaos^  schrieben  über  ihn;  ebenso  arbeite- 
ten Aristarch,  Didymos,  Epigenes  (der  Kritiker  der  Orpheus- 
literatur) und  Andere  auf  diesem  Gebiete  ^). 

Achaios®)  stammte  ebenfalls  nicht  aus  Athen,  sondern 
von  der  euböischen  Stadt  Eretria,  deren  grosses  Dionysosfest  ^) 
offenbar  auch  durch  Tragödien  verschönert  wurde.  Etwas  älter 
als  Euripides,  war  er  angeblich  Ol.  74  geboren  ^^)  und  kämpfte 
Ol.  83  gegen  jenen  glücklicheren  Genossen.  Obgleich  Achaios 
elfmal  auftrat,  trug  er  nur  einmal  den  Sieg  davon,  wie  denn 
auch  die  Aristophanesscholien  bloss  eine  vereinzelte  Parodierung 
dieses  Dichters  nachzuweisen    wissen.     Als  die  „Frösche"  auf- 


1)  12  oder  30  oder  40  nach  Suidas  (anders  Welcker  a.  O.  S.  941  f.). 

2)  Fragmente  bei  Nanck  p.  567  £f. 

8)  Urlichs  Achaei  Eretriensis  quae  supersunt  p.  7. 

4)  nspl  ^oo<i  33,  5. 

5)  Athen.  10,  436  f. 

6)  Diogen.  Laert.  4,  31  "Jcova  hk  xal  lyia.pa%vi\pi(it  v4o^  äv. 

7)  Aristarch:  Athen.  14,  634c;  Didymos:  Athen.  11,  468d,  dagegen  ist 
nach  Mor.  Schmidt  Didymi  fragm.  p.  303,  4  tv  tat«:  «pö«  "Iwva  ivtt5'rjY''l<3eot 
der  Name  in  'Iwßav  za  ändern,  doch  verteidigt  K.  A.  Bapp  Leipziger  Stadien 
8,  129  ff.  die  Ueberliefemng. 

8)  L.  Urlichs  Achaei  Eretriensis  quae  supersunt,  Bonn  1834,  Nach- 
trag Philol.  1,  558  f.  (über  den  Aithon).  —  Nach  Suidas  hiess  der  Vater 
PythodoroB  oder  Pythodorides.  Ovid.  Ibis  539  geht  möglicher  Weise  auf  Achaios. 

9)  Bursian  Geographie  von  Griechenland  U  S.  420  mit  Anm. 
10)  Suidas  (f^ove?);  auch  Athen.  6,  270  c  stellt  ihn  als  älter  dar. 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  367 

geführt  wurden,  war  Achaios  bereits  tot.  Die  alten  Bibliotheken 
besassen  höchstens  vierundzwanzig  Stücke  von  ihm^);  die  Ci- 
tate  *)  bieten  Titel  von  sechs  Satyrspielen,  welcher  Gattung  ge- 
wiss noch  mehrere  der  ausserdem  citierten  zwölf  Dramen  bei- 
zurechnen sind^),  denn  Achaios'  Landsmann  Menedemos  wies 
ihm  in  dieser  Specialität  den  Platz  nach  dem  Meister  Aeschylus 
an*).  Nach  Athenaios  war  der  Stil  des  Dichters  zierlich,  aber 
oft  dunkel^).  Es  scheint,  dass  Didymos  auch  Achaios  kommen- 
tierte ^. 

Der  jüngste  von  den  Dreien  war  Agathon''),  des  vor- 
nehmen und  reichen  Atheners  Teisamenos  Sohn  ®).  Noch  sehr 
jung  erwarb  er  an  den  Lenäen  des  Jahres  416  (Ol.  90,  4)  mit 
einer  Tragödie  einen  Sieg,  den  Piatons  Gastmahl  verewigt  hat*); 
zwei  Jahre  später,  im  Frühling  414  (Ol.  91,  2)  wagt«  er  sich 
das  erste  Mal  in  den  Wettkampf  der  grossen  Dionysien  ^®).    Aga- 


1)  Suidas  bietet  die  drei  Zahleu  44,  30  (lies  33 !)  u.  24,  vgl.  S.  366  A.  1 

2)  Fragmente  bei  Nanck  p   578  flf. 

3)  Nach  Welcker  a.  O.  S.  960  'A^Xa  und  Molpai,  vgl.  Friebel 
Batyrogr.  p.  57;  nach  diesem  p.  55  auch  Kuxvoc;  doch  wohl  auch  Mtufio«:. 
Der  eigentämliche  Titel  ^ACäveg  steht  vielleicht  mit  dem  420  zwischen  Athen 
und  Mantineia  geschlosseneu  Bündnisse  in  Verbindung  (Urli  chs  a.  O.  p.  20). 

4)  Diogen.  Laert.  2,  133. 

5)  Athen.  10,  451c. 

6)  Athen.  15,  689  b. 

7)  Welcker  griech.  Trag.  8.  981ft.;  Ritschi  de  Agatbonis  tragicl 
aetate,  Halle  1829  (opuscula  I  p.  411  ff.);  Clem.  Bon.  Martini  de  A.  poeta, 
Pr.  V.  Deutsch-Croue  1839  und  de  tragoedia  Agathonis,  Progr.  v.  Deutsch- 
Crone  1846  (mit  Fragmenten);  Rob.  Reichardt  de  Ag.  poetae  tragicl  vita  et 
poesi,  Pr.  v.  Ratibor  1853;  N.  Georgiades  Aristotelis  de  Ag.  poeta  trag. 
Judicium,  Dlss.  v.  Zürich  1865;  J.  Mayrhofer  über  den  griech.  Tragiker 
A.,  Pr.  V.  Villach  1878. 

8)  Vater:  Schol.  Plat.  p.  HIB.  Schol.  Lucian.  Anecd.  Oxon.  IV  269, 
21  u.  bei  Jacobe  IV  p.  222;  reich  und  vornehm:  Varro  sat.  Men.  fr.  6  Buech., 
wozu  das  platonische  Symposion  und  des  Aristophanes  Thesmophoriazusen 
stimmen. 

9}  Jugend:  Plat.  symp.  198a  vsavtoxoc,  175e  vioo  ovxoc,  Aristoph- 
Thesm.  173 f.;  Lenäen!  S.  149 f.;  Datum:  Athen.  5,  217a.  Vgl.  W.  S. 
Teuf  fei  Rhein.  Mus.  22,  440  f.  (erweitert:  Studien  u.  Char.  zur  griech.  u. 
röm.  Litt.  S.  144ff.);  Jul.  Sommerbrodt  Rhein.  Mus.  23,  533ff.;  Rieh. 
Grosser  Rhein.  Mus.  35,  432ff. 

10)  Schol.  Aristoph.  Thesm.  32.  Der  vermeiutliche  Widerspruch  mit 
Athenaios,  welchen  man  durch  die  Konjektur  icevte  zu  heben  versuchte,  exi- 
stiert nicht. 


Digitized  by 


Google 


368  X.  Kapitel. 

tbon  fiel  in  Athen  sowohl  durch  Eleganz  auf  als  dadurch^  dass 
er  es  ähnlich  gemacht  zu  haben  scheint,  wie  Voltaire,  welcher 
den  „Catilina'*  in  römischem  Kostüm  dichtete^);  aber  dem  schein- 
bar weibischen  Elegant  fehlte  der  Mannesmut  durchaus  nicht; 
oder  gehörte  etwa  kein  fester  Sinn  dazu ,  um  während  der 
Stürme  des  Jahres  41 1  die  Verteidigungsrede  Antiphons ,  des 
Führers  des  Staatsstreiches,  öffentlich  zu  billigen  *)  ?  Dies  wird 
eine  bedrohliche  Misstimmung  hervorgerufen  haben,  weshalb  es 
ihm  rätlich  schien,  Athen  zu  verlassen.  Der  Dichter  ging,  von 
seinem  unzertrennlichen  Freunde  Tansanias  begleitet^,  nach 
Makedonien  und  sah,  wie  es  scheint,  Athen  nicht  wieder.  Da- 
rum kann  man  nicht  einmal  sagen,  ob  er  das  Ende  des  fünften 
Jahrhunderts  erlebte*). 

Von  Agathons  Tragödien  sind  wenige  Titel  bekannt  %  da- 
runter zwei  allein  aus  Aristoteles,  welcher  „die  Blume*'  als  Bei- 
spiel einer  völlig  erfundenen  Handlung  und  „Ilions  Zerstörung** 
zum  Beweise ,  dass  epische  Stoffe  für  das  Trauerspiel  nicht 
passen,  vorführt  •).  MögUcherweise  schuf  Agathon  den  Mythus 
von  der  Verwandlung  des  Anthos,  welchen  Antoninus  Liberalis 
erzählte  ^.  Ausserdem  verfasste  Agathon  natürlich  Satyrstücke  ^ 
und  vielleicht  Elegien  (S.  374).  Wenn  die  sophistische  Richt- 
ung bei  Euripides  durch  die  Philosophie  des  Anaxagoras  und 
die  Sprachtheorie  des  Prodikos  vertreten  ist,  trat  in  den  Dramen 


1)  So  schildern  ihn  Aristophanes  in  der  zweiten  Scene  der  Thesmopho- 
riaza^en  und  im  Gerytades  (Schol.  Plat.  «.  Schol.  Lucian.  a.  O.)  und  andere 
Komiker  (Schol.  Aristoph.  Thesm.  98). 

'2)  Aristot.  eth.  Eudem.  3,  5  p.  1232  b  6  flf. 

3)  Marsyas  der  jüngere  bei  Schol.  Plat.  u.  Luc;  über  die  Freundschaft 
Plato  Protag.  p.  315  d.  vgl.  symp.  193  be.  177  e.  Xenoph.  conv.  8,  32. 

4)  Zar  Zeit,  wo  die  Erzählung  Piatos  gedacht  ist ,  war  Agathon  schon 
viele  Jahre  von  Athen  fern  (p.  172  c).  V.  85  K  p.axdpa)v  s2>ü>xiav  der  „Frösche" 
besagt  nicht  mehr  als  dass  der  Dichter  am  Königshofe  schwelgte  (vgl.  Plat. 
Phaed.  115  d).  Was  die  Scholiasten  (auch  Suidas)  beibringen ,  ist  reine  Ver- 
mutung. 

5)  Nauck  p.  592  ff. 

6)  Poet.  15  p.  1464  b.  14.  18  p.  1456  a  18.' 

7)  Dann  könnte  Aristoph.  Av.  72  ff.  das  Stück  parodieren;  die  von 
Mnasigeiton  bei  Plutarch.  quaest.  Graec.  19  erzählte  Creschichte  ist,  weil  da- 
bei eine  Erkennung  vorkommt,  vielleicht  fßr  eine  Tragödie  noch  passender. 

8)  Aristoph.  Thesm.  148  ff. 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  369 

Agathons  nicht  bloss  Prodikos'  Manier  *),  sondern  vor  allem  die 
gorgianische  Rhetorik  und  empedokleische  Philosophie  hervor  ^. 
Er  suchte  nach  gekünstelten  Ausdrücken,  neuen  Wörtern,  frap- 
pierenden  Sentenzen,  geistreichen  Pointen  und  besonders  durf- 
ten spitzige  klingelnde  Antithesen  nicht  fehlen ').  Aristophanes' 
Hohn  zog  Agathon  ausserdem  durch  den  Beitritt  zur  neuen 
Musikrichtung,  indem  er  die  Anabole  und  das  chromatische  Ton- 
geschlecht in  die  Tragödie  einführte,  auf  sich*);  andererseits 
unterschätzte  der  Tragiker  die  Chorlieder  so  sehr,  dass  er  die 
Unsitte,  den  Chor  ganz  beliebige  Einlagen  singen  zu  lassen,  auf- 
brachte ^).  Endlich  scheint  Aristophanes  das  Vorwiegen  der 
weiblichen  Rollen  verspottet  zu  haben  ®). 

Nächst  diesen  drei  Tragikern  zweiten  Ranges  genoss 
noch  Aristarchos  von  T^gea '),  ein  Zeitgenosse  des  Euri- 
pides,  welcher  in  der  Chronik  des  Eusebios  zum  Jahre  455 
(Ol.  81,  2)  erw^ähnt  ist,  ein  gewisses  Ansehen,  obgleich  seine 
siebzig  Dramen  ihm  während  seines  über  hundert  Jahre  dauern- 
den Lebens  nicht  mehr  als  zwei  Siege  einbrachten.  Das  Drama 
„Asklepios"  war  als  eine  Art  Votivdichtung  durch  seinen  Ent- 
stehungsgrund, die  wunderbare  Heilung  des  Dichters,  merk- 
würdig. Alles  übrige  verscholl  bis  auf  ein  paar  Sprüche^; 
trotzdem  muss  Aristarchos  in  der  ersten  Hälfte  des  alexandri- 
nischen  Zeitalters  nicht  unbeliebt  gewesen  sein ,  wie  hätte 
sonst   Ennius    seinen  „Achilleus"  und   vielleicht   noch  anderes 


1)  Plat.  Protog.  315  d. 

2)  Gorgias:  Plat.  S3rmp.  198  c;  darnm  hiesa  er  oo(p6c  (Philostr.  vit. 
sopb.  1,  9,  1,  vgl.  Varro  sat.  fr.  6). 

3)  Bd.  n  S.  44 ;  Arißtoph.  Theem.  49.  52.  55.  60.  146  f.  198  f.  Athen. 
5,  187  c.    Aelian.  var.  bist.  14,  13. 

4)  Aristoph.  Thesm.  67  f.  99  ff.  Aristoxenos  bei  Plntarcb.  mua.  IK). 
Plat.  sympos.  3,  1,  1.  Die  Komiker  warfen  seiner  Mosik  Sinnlicbkeit  vor 
(Pbilodem.  mos.  1,  28  Eemke  XIV  39  p.  80)  und  spotteten  über  das  'A^a- 
ö-iuvtov  aoX-qjta  (Hesycb.  Snid.  s.  v.). 

5)  Aristot.  poet.  18. 

6)  Tbesmopb.  148  ff. 

7)  Snidas  s.  v.    In  Tegea  batte  Dionysos  zwei  Heiligtümer. 

8)  Nanck  p.  564  f.  (einer  davon  ans  „Tantalos*^). 

S  i  1 1 1 ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur,  m.  24 


Digitized  by 


Google 


370  X.  Kapitel. 

übersetzt?^)  Der  Gewährsmann,  welchem  Saidas  die  Notiz 
verdankt,  dass  Achaios  die  Tragödien  auf  ihren  „jetzigen" 
Umfang  brachte,  ist  leider  unbekannt. 

Von  den  übrigen  Ti'agikern  des  fünften  Jahrhunderts  sind 
im  besten  Falle  einzelne  Dramentitel  und  lächerliche  oder 
schlimme  Eigenschaften,  welche  die  Komiker  verewigten,  über- 
liefert. Indes  ziehen  manche  durch  ihre  Familienverbindung, 
weil  in  Griechenland  gar  häufig  der  Vater  die  schwierige 
Technik  der  Tragödie  auf  den  Sohn  vererbte,  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich.  Die  oft  ausgesprochene  Regel,  dass  berühmte  Väter 
unbedeutende  Kinder  haben ,  wird  durch  die  Familie  des 
Aeschylus  bestätigt  *) ;  denn  von  ihm  stammte  eine  ganze 
Schaar  von  Tragikern  ab,  auf  welche  sein  Genie  nicht  über- 
gegangen war.  Seine  Söhne  E  u  a  i  o  n  und  Euphorion, 
welch'  letzterer  mit  Tragödien  des  Vaters  viermal  siegte,  sind 
eben  nur  als  seine  Kinder  bekannt^).  Etwas  bedeutender  war 
Aeschylus'  Schwestersohn,  Philokles*),  wenn  er  auch  dem 
Oheim  nur  in  der  Zahl  der  Stücke  gleichkam;  er  schrieb 
nämhch  deren  hundert^),  wobei  er  aus  Anhänglichkeit  an 
Aeschylus  die  tetralogische  Gliederung  nicht  völlig  aufgab  ^). 
Uebrigens  siegte  Philokles  einmal  über  Sophokles  und  oben- 
drein dessen  König  Oedipus  (S.  290).  Dennoch  sind  die 
Komiker   in   seiner  Verhöhnung   einhellig')«     Philokles'    Sohn 


1)  Eddius  in  Achille  Aristarchi,  Festus  p.  242  ;  Anonymus  de  tragoedia 
Rhein.  Mus.  28,  419  Z.  9  spricht  von  einigen  Stacken.  Die  einzige  mytho- 
graphische  Notiz  (Schol.  Soph.  OC.  1320)  stammt  wohl  aus  Philochoros. 

2)  Exner  de  schola  Aeschyli,  Breslau  1840. 

3)  Snidas  u.  Ato^oXoc  u.  Eötpoptuiv.  Argum.  Eur.  Med.  (ein  bedenkliches 
Fragment  bei  Clem.  Alex,  ström«  5  p.  718:  s.  Nauck  p.  589). 

4)  Suidas  s.  v.  Schol.  Aristoph.  Av.  281  (Sohn  des  Philopeithes  oder, 
scherzhaft,  des  *AXjjLtü*v,  Schol.  a.  O.)  Auf  die  Verwandtschaft  spielt  Teleklei- 
des  fr.  14  E.  bei  Schol.  Thesm.  168  an. 

5)  Nauck  S.  589  f.;  ^tXoxrfjrrjc  ist  vielleicht  der  aeschyleische ,  den  er 
aufführte  (Bibb^ck  römische  Tragödie  S.  376  [A.  3).  Snidas  nennt  sie- 
ben Titel. 

6)  Ilav^tovt?  Aristoteles  bei  Schol.  Aristoph.  Av.  281. 

7)  Kratinor  fr.  431.  ine.  156.  Aristoph.  Thesm.  168.  Av.  281.  Vesp.  462 ; 
Spitznamen:  x^^'h  Sc^ol.  u.  Suidas,  xopudog  Arist.  Av.  1295  (Dies  bezieht 
Wilamowitz  Hermes  7,  150  A.  5  wegen  Suidas  auf  seine  Poesie;  der 
Schauspieler  Likymnios  wurde  wegen  seiner  unangenehmen  Stimme  a&xoxopo- 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  371 

Morsiinos  wäre  sogar  ohne  ihre  Spöttereien  gänzlich  ver- 
schollen ^).  Er  scheint  ein  Bruder  des  wortreichen  M  e  1  a  n  - 
t  h  i  o  8  gewesen  zu  sein,  welcher  das  eine  vor  ihm  voraus  hat, 
dass  er  dank  seinem  Witze  in  verschiedenen  Anekdoten  figu- 
riert ^.  Dieser  trat  noch  selbst  als  Schauspieler  auf  ^).  Das 
Oeschlecht  des  alten  Meisters  kam  erst  durch  Astydamas  wieder 
zu  Ehren;  über  ihn  werden  wir  später  sprechen. 

Etwas  mehr  Ruhm  erwarben  sich  die  Nachkommen  des  Sopho- 
kles. Sein  ältester  Sohn,  den  er  von  Nikostrate  hatte,  lophon  mit 
Namen*)  kann  nicht  unbedeutend  gewesen  sein,  sonst  hätten 
die  Athener  seinen  Vater  schwerlich  im  Verdachte  haben  können, 
er  helfe  ihm  bei  seinen  Tragödien ;  doch  spotteten  die  Komiker 
über  seine  Frostigkeit  ^).  Er  erhielt  bereits  428  (OL  87 ,  4), 
als  Euripides  mit  dem  „Hippolytos''  siegte,  den  zweiten  Preis. 
Von  seinen  fünfzig  Stücken  werden  nur  die  ,,Bakchen*'  und 
das  Satyrspiel  „die  Aulöden"  citiert.^)Iophons  Bruder  Aris ton 
soll  ebenfalls  Tragödien  verfasst  haben ')  und  sein  Sohn  (S.  277,  4) 
welcher  den  Namen  des  berühmten  Grossvaters  trug,  brachte 
seit  395  (Ol.  96,  1)  zehn  Tetralogien,  siebenmal  mit  glücklichem 
Erfolge,  zur  Aufführung®) ;  ausserdem  schrieb  er  Elegien.    Noch 

^0?  genannt,  Alciphr.  epist.  3,  48),  ino^  Arist.  Av.  281  wegen  jener  Tetralo- 
gie; Hässlichkeit:  Arist.  Tbesm.  168  mit  Scholien. 

1)  Aristoph.  Ran.  151.  Eq.  401.  Pax  801.  fr.  bei  Hesych.  u.  KUjicvoc. 
rinto  com.  fr.  125. 

2)  üeber  die  Verbindung  Aristoph.  Pax  801  ff,  (bestritten  von  B  u  r- 
sian  Lit.  Centralblatt  1881  Sp.  838);  ein*  einziger  Vers  bei  Plutarch.  mor.  p. 
453  f;  Geschwätzigkeit:  Plato  fr.  132  K.  bei  Scbol.  Aristoph.  Av.  151  ;  Schma- 
rotzer, Leckermaul  und  Weichling:  Pherecr.  fr.  139.  Eupol.  41.  164  Arist.  Pax 
1009  ff.  Kallias  fr.  11  bei  Schol.  Arist.  Av.  151.  Plato  com.  128.  Leuk.  2. 
Arcbipp.  28.  Klearchos  bei  Athen.  1,  6  c,  vgl.  Athen.  8,  343  c.  Aussätzig: 
Aristoph.  Av.  161  mit  Scholien ;  Anekdoten :  Weicker  S.  1031  A.  8. 

3)  Aristoph.  Pax  805. 

4)  S.  276 f.;  Schol.  Aristoph.  Kan.  73. 

5)  Aristoph.  Ran.  73  mit  Scholien;  ein  Grammatiker  legte  ihm  sogar 
die  „Antigone"  bei  (Anecd.  Oxon,  IV  315). 

6)  Stob.  ecl.  2,  1,  9.  Clem.  Alex,  ström.  I  p.  329,  s.  Nauck  p.  590  f. 
Suidas  zählt  sieben  oder  acht  Titel  auf. 

7)  Diogen.  Laert.  7,  164. 

8)  Zeit:  Diodor.  14,  53;  Suidas  gibt  wieder  zwei  Zahlen,  vierzig  u.  elf, 
an,  wovon  die  zweite  sich  auf  das  später  Erhaltene  beziehen  dürfte  (anders 
Weicker  p.  978,  Wolff  S.  5 ff.),  vgl.  S.366  A.  1  und  367  A.  1;  Siege:  Suidas 
(12  nach  Diodor.  a.  O.). 

24* 


Digitized  by 


Google 


372  X.  Kapitel 

in  später  Zeit  wurde  ein  Nachkomme  des  grossen  Tragikers* 
durch  die  ominöse  Namensgleichheit,  sich  der  Tragödie  zu  wid- 
men, ermutigt*). 

Euripides  machte  mehr  unter  den  ferner  Stehenden  als  in 
seinem  Hause  Schule;  indes  führte  doch  der  jüngere  Euripi- 
des, sei  es  dass  er  sein  Sohn  oder  sein  Neffe  war*),  nicht 
allein  die  drei  von  ihm  hinterlassenen  Tragödien  auf,  sondern 
dichtete  selbständig  Orestes,  Medea  und  Polyxena.  Suidaslegt 
ihm  eine  Homerrevision  bei,  aber  Euripides'  Homer  war  natür- 
lich nichts  weiter  als  eine  Bibliothekenrarität  oder,  wenn  man 
will,  eine  Uterarische  Reliquie  des  ersten  Büchersammlers  unter 
den  Schriftstellern. 

Eine  andere  Familie,  welche  den  Athenern  an  den  Diony- 
sien  viele  unfreiwillige  Erheiterung  bereitete  ,  hatte  keinen  sa 
berühmten  Dichter  zum  Ahnen  und  teilte  wohlweislich  ihren 
Ehrgeiz  zwischen  der  tragischen  Poesie  und  leichter  erreichbaren 
Beamtenposten ').  Der  älteste,  welcher  den  in  Athen  nicht  un- 
gewöhnlichen Namen  K  a  r  k i  n  o  s  trug  *),  wird  als  Dichter  kaum 
genannt.  Von  seinen  vier  Söhnen  wandten  sich  zwei  wenig- 
stens als  Schauspieler  der  tragischen  Bühne  zu ,  während  ein 
dritter  Tragödien  dichtete  ^) ;  dieser,  Xenokles  geheissen  ^), 
übertraf  seinen  Vater  nicht.     Die   Komiker   hielten   ihm   den 


1)  Suidas  8.  V. 

2)  Sohn:  Vita  £ur.,  Sclio).  Arist.  Ran.  67;  Neffe:  Suidas  ans  Dionysios. 
Der  Komiker  Epbippos  verspottete  ihn  (Athen.  11, 482  cd). 

3)  Welcker  griech.  Trag.  S.  1016 fi.  Meineke  fragm.  com.  Gr.  I 
p.  505 ff.  J.  Nicole  M^langes  Graax  p.  163 ff.  —  ^ikap-^oi  Schol.  Aristoph. 
Vesp.  1500  aus  Pherekrates,  vgl.  Meineke  a.  O.  p.  516. 

4)  Kapxivoc  (s.  Welcker  S.  1017  und  Pape-Benselers  griech.  Namens- 
vrörterbnch) ;  aus  Agrigent  nach  Suidas  u.  Kapxtvoc,  aber  da  ihn  Pherekrates 
(a.  o.)  naxpod-iv  (6  öuiptxtoo)  nennt,  war  er  athenischer  Bürger.  Jenes  war 
ein  Komikerwitz;  der  Krebs  gab  nämlich  das  Wappen  der  sicilischen  Gross- 
stadt ab  (Bursian  Liter.  Centralbl.  1881  Sp.  838).  Dichter:  Aristoph.  Pax 
793  f.  Nub.  1261. 

5)  Aristoph.  Vesp.  1498  ff.  auch  Pax  782  ff.  (beide  SteUen  unterstutzea 
Athen.  1,  22  a  Bentleys  Vermutung  Kapxtvo?  an  Stelle  von  Kpattvoc);  Phere- 
krates in  den  "^A^ptot. 

6)  Piaton  fr.  134  K.  bei  Schol.  Arist.  Pac.  792.  Aristoph.  Thesm.  169. 
440 ff.  Ran.  86  mit  Schollen;  nach  dem  einen  Scholiasten  zu  Aristoph.  Vesp, 
1500  hiess  er  Philokles.    Spottname  Meineke  p.  515. 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  373 

nachlässigen  durch  Allegorien  verdunkelten  Stil  und  das 
Aufgebot  vieler  Maschinen  vor  *).  Es  soll  übrigens  zwei  Tragi- 
ker dieses  Namens  gegeben  haben  ^).  Die  Familie  gelangte 
etwa  gleichzeitig  mit  Aeschylus'  Nachkommen  durch  den  jüng- 
eren Karkinos  zu  Ansehen. 

Unter  deif  einzelstehenden  Tragikern  ragt  der  Sikyonier 
-Neophron  oder  Neophon*),  Verfasser  von  120  Tragödien 
hervor,  weil  er  nach  Suidas  angeblich  die  Rolle  des  Pädagogen 
einführe  und  sogar  die  Sklavenfolterung  auf  die  Bühne  brachte. 
Obgleich  die  erstere  Notiz  und,  was  über  sein  Verhältnis  zur 
euripideischen  „Medea"  berichtet  wird  (S.  347)  ihn  zu  einem 
älteren  Zeitgenossen  des  Euripides  stempeln  würden,  raten  doch 
der  pathetische  Ton  der  Fragmente  und  die  thatsächliche  Ab- 
hängigkeit von  Euripides  Suidas'  Bemerkung,  Neophron  sei 
ein  Freund  des  Kallisthenes  gewesen  und  von  Alexander  dem 
Grossen  gleichfalls  hingerichtet  worden,  nicht  rundweg  abzu- 
weisen. 

Dem  Ion  kam  der  bekannte  Kritias  (Bd.  II  S.  89  ft.) 
An  Vielseitigkeit  nahe ;  was  die  Tragödien  anlangt ,  so  soll  er 
deren  zwei,  „Peirithus"  und  „Sisyphos''  verfasst  haben ,  indes 
legten  sie  andere  Euripides  bei*).  Alles  Uebersinnliche  ist 
Menschentrug,  verkündigt  deren  Verfasser  gleich  den  Rationa- 
listen des  vorigen  Jahrhunderts,  wobei  der  euripideische  Wort- 
schwall und  das  unzeitige  Philosophieren  die  Ansicht  jener  Li- 
terarhistoriker vollkommen  entschuldigen. 

Wir  wollen  rasch  die  übrigen  uns  bekannten  schlechten 
Tragiker  des  fünften  Jahrhunderts  mustern :  Dikaiogenes,  zu- 


1)  Schol.  Aristoph.  Ran.  86;  Bü>88xaji.-f|xavo;  Piaton  a.  O. ;  Aristo- 
phanes  parodierte  nach  £npbronios  zu  Nab.  1254   (1267)    den    „Likymnios". 

2)  Schol.  Aristoph.  Ran.  86  (^asi);  oder  mischt  der  Scholiaat  Philokles 
(8.  372  A.  6)  herein? 

3)  Suidas;  Runkel  Seebodes  Archiv  1825  II  S.  682 ff.;  Fragmeute 
bei  Nauck  p.  565  f. 

4)  Peirithus:  Athen.  11,  496b.  Vita  Eurip.  Z.  33;  Fragmente  aus 
Stobäus  bei  Nauck  p.  600 f.;  Sisyphos:  Sext.  Emp.  adv.  math.  9,  54  p.403, 1. 
Bei  PoUux  7,  31  ist  'Aptoxiac  zu  lesen. 


Digitized  by 


Google 


374  X.  Kapitel. 

gleich  Di thyrambiker  ^) ,  der  wortreiche  Diogenes*),  KaUi- 
Stratos'*)  Kleomachos  (von  Kratinos  als  schlechter  Dichter 
und  weil  er  einen  Chor  lydischer  Frauen  süssliche  Lieder  singen 
liess,  verspottet)^),  Meletos,  der  bekannte  Ankläger  des  So- 
krates,  welcher  unter  anderem  eine  Oedipus-Tetralogie  aufinhrte 
und  ausserdem  Trink-  und  Liebeslieder  dichtete^),  Menekra- 
tos  ^),  Nikomachos  von  Athen ^),  Pythang*elos^),  Spin- 
t h a r 0 8  aus  Herakleia ®),  Sthenelos,  dessen  Dichtungen  immer- 
hin bis  zu  Aristoteles'  Zeit,  der  die  Triviahtät  der  Sprache 
tadelte,  ihr  Dasein  fristeten  ^%  und  endlich  Theognis,  einer  der 
Dreissig ").  Von  anderen  Objekten  des  Komikerwitzes  weiss 
man,  weil  die  Scholiasten  den  Mangel  einer  Ueberlieferung  oft 


1)  Harpokr.  s.  v.  Suidas;  Zeitgenosse  des  Aristophanes :  Schol.  Arist 
Eccl.  1.  Küicptot  (Eurysakes)  Aristot.  poet.  16  p.  1455  a  1.  M-fj^eta  Schol. 
£nr.  Med.  169.  Excerpte  bei  Stobäas  s.  Nanck  p.  601  f. 

2)  Zeitgenosse  des  Melantbios  Plutarch.  de  aud.  poet.  41c,  vgl.  Meiueke- 
ezercit.  in  Athen.  I  p.  46  ff. 

3)  Inschrift  CIA.  U  972  von  Ol.  90,  2  (418);  Stücke: , 'AjiL9tX6x<|)r 

4)  Athen.  14,  638  f. 

5)  Ueber  die  Form  des  Namens  Welcker  S.  973  f.  Nach  Favorinus 
(Diog.  Laert  2,  40)  stand  in  der  Anklageurkunde  MiXvjxo?  MjXyjtoo  ntTO-eüc; 
vgl.  Plato  Euthyphr.  a.  A.  apol.  22  a.  25  d.  Lysias  bei  Schol.  Plat.  p.  330B; 
Tetralogie:  Aristoteles  bei  SchoL  Plat.,  daher  6  Aatoo  scherzweise  genannt 
Schol.  Plat.  Von  Aristophanes  (Athen.  12,  551b)  und  Sannyrion  (a.  O.  c) 
verhöhnt,  tue  ^oyi^pb^  iv  t^  irotYjOKt  xal  cuc  novqpö?  töv  xpoicov  (Schol.  Aristoph. 
Ran.  1329  [1337]);  Lieder:  Aristoph.  Ran.  1302.  Epikrates  bei  Athen.  13,605 e. 

6)  Er  trat  422  auf  (Athen.  8,  344d  aus  alten  QueUen);  vgl.  CIA. 
n  971b. 

7)  Suidas  (aus  dem  vorhergehenden  Artikel  ist  hinter  ivixY|a6  tpiXoYcf 
beizufügen);  ein  Lexikograph  erwähnt  zwei  Wörter  (Anecd.  Bekk.  337,  11. 
349,  11). 

8)  Aristoph.  Ran.  87. 

9)  Aristoph.  Av.  762;  zwei  Titel  bei  Suidas. 

10)  Aristot.  poet.  22  p.  1458  a  20;  nach  Harpokr.  s.  v.  in  den  Didas- 
kalien  erwähnt  und  von  Piaton  verspottet:  Aristoph.  bei  Ath.  9,  367b,  vgL 
Yesp.  1313  (nach  den  Schollen  Schauspieler).  Phot.  lex.  p,  510,  18;  ver- 
ft^-hieden  von  dem  Epiker  Sthenelos  Athen.  10,  428  a. 

11)  Aristoph.  Ach.  11  (mit  Schollen).  140.  Thesm.  170.  Suidas  n.  Ncxo- 
fiaxoc.  Nauck  bezieht  Demetr.  eloc.  85  auf  ihn.  —  Der  Name  Alkestis 
(eines  rasch  sudelnden  Zeitgenossen  des  Euripides,  Yaler.  Biax.  3,  7,  ext.  1> 
ist  augenscheinlich  verderbt.  In  der  inschriftlichen  Didaskalia  von  419  (CIA.^ 
n  972)  steht  der  verstümmelte  Name  'Hpax 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  375 

durch  ilire  eigenen  Vermutungen  überdecken  ,  nicht  bestimmt, 
ob  sie  Dichter  oder  Chormeister  oder  Schauspieler  waren ;  ich 
meine  Akestor  mit  dem  Spitznamen  Sakas^),  Dorillos  oder  Do- 
rialos  *),  Hieronymos  ^)  und  Morychos  *).  Beim  Tode  der  gros- 
sen Meister  gab  es  nach  Aristophanes  in  Athen  eine  Menge 
Jüngelchen,  die  eine  unglaubliche  Anzahl  von  Tragödien  fertig- 
ten und  an  Geschwätzigkeit  ihr  Vorbild  Euripides  weit  hinter 
sich  Hessen  *).  Dieser  traurige  Zustand  talentloser  Schnellpro- 
duktion dauerte  ein  paar  Jahrzehnte ,  worauf  das  athenische 
Trauerspiel  Dank  drei  Abkommen  des  Aescliylus  und  Karki- 
nos eine  Nachblüte  erlebte ;  es  ist  ja  begreiflich,  dass  in  Zeiten 
des  Niederganges,  wenn  kein  Genie  aufsteht,  derjenige,  welcher 
Talent  mit  gründlicher  Schulung  verbindet ,  am  ehesten  sich 
auszeichnet  und  eben  diese  empirische  Bildung  durch  Familien- 
tradition gewissermassen  spielend  gewonnen  wird. 

Der  ältere  Astydamas,  ein  Sohn  des  oben  erwähnten  Tra- 
gikers Morsimos®),  arbeitete  seit  398  (OL  95,  2)  für  das  athe- 
nische Theater^),  wurde  jedoch  von  seinem  gleichnamigen  Sohn, 
einem  Schüler  des  Isokrates  *),  welcher  zuerst  372  (Ol.  101,  4) 
einen  Preis  erhielt,  verdunkelt;  341  (Ol.  109,  3)  siegte  er  mit 
Achilleus,  Athamas  und  Antigone ;  im  folgenden  Jahre  gefielen 
„Parthenopaios**  und  „Lykaon*'  so  ausgezeichnet^),  dass  das 
begeisterte  Volk  Astydamas  eine  Statue  im  Theater  zu  errichten 

1)  Phot.    Snid.    Sdxag.  Suid.  vojicxSs?.  Kallias   com.   fr.   13   5v  ol  x^po^ 

2)  Aristoph.  fr.  367  (Kock  siebt  darin  einen  Spitznamen). 

3)  Nach  Schol.  Ar.  Nub.  347  war  er  des  Xenophantos  Sohn  u.  Dithy- 
rambiker,  nach  Schol.  Ar.  Ach.  395  (387)  Lyriker  und  schlechter  Tragiker; 
Suidas  u.  ''AtSo?  xovyj. 

4)  Schol.  Ar.  Ar.  895  (887),  vgl.  Suid.  s.  v. ;  wahrscheinlich  nur  ein 
Spitzname,  da  der  Gott  Dionysos  auch  so  hiess  (Stndemunds  Anecdota  I  p.  268). 

5)  Ran.  89ff. ;  vgl.  Graven borst  de  causis  corruptae  post  bellum  Felo- 
ponnesiacum  apnd  Graecos  artis  tragicae,  Pr.  v.  Lüneburg  1838. 

6)  Köpke  Ztsch.  f.  Altertumsw.  1840  Nr.  58  f.;  Fragmente  beider  Asty- 
damas bei  Nauck  p.  603  fr.;  Sohn  des  Morsimos:  Schol.  Aristoph.  Av.  281. 
Ran.  151.  Zenob.  cent.  5,  100.  Suidas.  Tzetz.  in  Hermog.  Anecd.  Ozon. 
IV.  143,  4. 

7)  Diodor.  14,  43,  5  (er  wnrde  sechzig  Jahre  alt). 

8)  Suidas. 

9)  Die  drei  Siege  sind  dnrch  Marm.  Par.  Z.  83  mnd  CIA.  n  973  Z.  3ff. 
20  ff.  bestimmt. 


Digitized  by 


Google 


376  ^-  Kapitel. 

erlaubte,  obgleich  diese  Ehre  bisher  noch  keinem  Tragiker  er- 
wiesen worden  war  ^).  Indes  verstimmte  Astydamas  seine  Mit- 
bürger, als  er  eine  eitle  Aufschrift  dafür  verfasste;  infolge  des- 
sen ist  seine  Selbstgefälligkeit  durch  einen  Sflottvers  des  Komi- 
kers Philemon  bei  den  späteren  Griechen  sprichwörtlich  gewor- 
den ^.  Der  jüngere  Astydamas  soll  nicht  weniger  als  220  Tra- 
gödien verfasst  und  damit  fünfzehn  Preise  errungen  haben  % 
Leider  lehren  uns  die  geringen  Reste  der  Dichtungen  nur  so- 
viel, dass  er  die  Alkmeonsage  sehr  frei  behandelte ,  indem  er 
nämlich  den  Helden  seine  Mutter  unwissentlich  töten  lies. 
Astydamas'  Bruder  Philo  kies,  der  jüngere  dieses  Namens  *), 
führte  wahrscheinlich  im  Jahre  340  „Phrixos"  und  „Oedipus** 
auf  ^).  Dessen  Sohn  Thymoteles  gehörte  der  athenischen  Schau- 
spielergesellschaft an  % 

Die  Karkinosfamilie  erlangte  eine  ernsthafte  Berühmtheit 
erst  durch  den  jüngeren  Karkin  os ,  einen  Sohn  des  Xenokles  ^). 
Er  war  gleichfalls  ein  ausserordenthch  fruchtbarer  Dichter,  den- 
noch errang  er  trotz  seiner  180  Tragödien  in  Athen  bloss  elf- 
mal den  Sieg  ®) ,  aber  der  Grund  hievon  dürfte  darin  liegen, 
dass  die  meisten  seiner  Stücke  ausserhalb  Athen  aufgeführt 
wurden.  Dies  geschah  zum  z.  B.  am  Hofe  des  bekannten 
Alexandros,  der  369 — 359  das  thessalische  Pherai  beherrschte  *); 


1)  Herakleides  bei  Diogeu.  2,  43  (Welcker  S.  1054  schreibt  8v  TcpcBxov 
TÄv  icjpl  AloxüXov.  Indes  ist  täv  icepl  Alo)^6Xov  nur  eine  Abkürzung  för 
Aeschy]us  und  seine  zwei  Genossen) ;  Fragment  der  Basis :  Mitteil,  des  deutschen 
Inst,  in  Athen  UI  S.  116,  1. 

2)  Phot.  Suid.  V.  oaoTYjv  eiratvEi<;.  Zenob.  5,  100.  Proverb.  Bodl.  855. 
Apostol.  15,  36.  Arsen.  46,  73,  vgl.  Basil.  epist.  39  col.  341b.  Schol.  Liban. 
epist.  317  p.  153.  Tzetz.  a.  O. 

3)  Suidas;  Welcker  S.  1053  ändert  die  Zahl  in  120. 

4)  Schol.  Arittoph.  Av.  281. 

5)  Die  Didaskalie  CIA.  II  972,  23  hat  noch  .  .  .  oxXyjc;  allerdings  wäre 
auch  TipLoxXYjc  möglich. 

6)  Ltiders  die  Vereine  der  dionys.  Künstler  S.  171  Nr.  75  Z.  37.  45. 

7)  Harpocr.  s.  v.  Suidas;  letzterer  nennt  den  Vater  an  erster  Stelle 
Theodektes. 

8)  CIA.  n  977  b  (also  ist  bei  Suidas  d  in  ca'  zu  korrigieren).  Der  bos- 
hafte Stratonikos  verspottete  ihn  (Athen.  8,  351  f).  Lysias  soll  seiner  ge- 
dacht haben  (Harpocr.  8.  v.). 

5)  Vgl.  Aelian.  var.  bist.  14,  40. 


Digitized  by 


Google 


Die  dbrigen  Tragiker.  377 

namentlich  aber  verweilte  Karkinos  öfters  bei  dem  jüngeren 
Dionysios  (3ti8  —  357)  ^).  Aristoteles  berücksichtigt  Karkinos 
wiederholt  in  der  Poetik,  denn  seine  Tragödien  wurden,  soviel 
mir  scheint,  wiederholt  aufgeführt ;  spottete  doch  noch  Menander 
darüber  *).  Demgemäss  werden  sie  verhältnismässig  oft  citiert  *), 
ohne  dass  wir  aus  den  Fragmenten  ein  Bild  des  Dichters  ge- 
winnen könnten ;  nur  nimmt  man  eine  sentimentale  Auffassung 
der  Mythen  wahr,  z.  ß.  unterdrückt  Kerkyon  wie  Theodektes' 
Philoktet  seinen  Schmerz  und  Medea  schickt  ihre  Kinder,  statt 
sie  zu  töten ,  heimlich  fort  *). 

Als  höfischer  Dichter  ist  dem  Karkinos  Antiphon  an 
die  Seite  zu  stellen ;  allein  dieser  wusste  auf  dem  schlüpfrigen 
Boden  nicht  festen  Fuss  zu  fassen.  Der  ältere  Dionysios,  dem 
er  bei  dessen  Tragödien  geholfen  haben  soll,  Hess  ihn  wegen 
Teilnahme  ^n  einer  Verschwörung  martervoll  töten  ^).  Die 
Philosophen  schätzten  an  Antiphon  die  feinen  psychologischen 
Beobachtungen  ^^,  leider  ist  ihm  ausser  einigen  von  Aristoteles 
angeführten  Versen  nichts  mit  Sicherheit  zuzuweisen  ^). 

Diese  beiden  Dichter  weilten  also  an  Fürstenhöfen ,  war 
doch  jetzt  das  Tragödienschreiben  in  diesen  Kreisen  Mode  ge 
worden.  Der  ältere  Dionysios  hatte  das  Unglück,  unter 
den  schlechten  Dichtern  durch  seine  hohe  Stellung  aufzufallen ; 
er  versuchte  sich  wie  sein  Nachbar  Mamerkos,  der  Tyrann 
von  Katana  %  als  Tragiker,  ohne  bei  allen  Unabhängigen  etwas 


1)  Polykritos  bei  Diogenes  Laert.  2,  63;  vgl.  Diodor.  5,  5. 

2)  Phot.  Soidas  v.  Kapxivoo  iroffjfjLaxa. 

3)  Fragmente  bei  Nauck  p.  619  ö. 

4)  Aristot.  eth.  Nicom.  7,  8  p.  1150b  6 ff.;  rhetor.  2,  23  p.  1400b  10  ff. 
Wilamowitz  auall.  Earip.  p.  199,  1* sieht  in  Karkinos  einen  Nachahmer 
des  Euripides. 

6)  Aristot.  rhet.  2,  6  p.  1385  a  9  ff. ;  wegen  eines  republikanischen  Bon- 
mot Plutarch.  adul.  et  am.  27.  Stoic.  repugn.  37.  Philostr.  vit.  soph.  1, 15, 3 
(nach  anderen  weil  er  seine  Tragödien  verspottete),  aber  dieselbe  Antwort 
wird  Diogenes  (Diog.  Laert.  6,  50)  und  Plalo  (Kasiri  u.  Tzetz.  chil.  5,  140) 
beigelegt.  Welcker  S.  1040  A.  bezieht  Ovid.  Ibis  547  auf  Antiphon,  üeber 
Mithilfe  bei  Dionys'  Tragödien  Ps.  Plutarch.  vit.  X  or.  p.  833  c. 

6)  Aristot.  eth.  Eud.  7,  4  p.  1239  a  37.  rhet.  2,  2  p.  1379  b  15.  Der 
Philosoph  Adrantos  sprach  deshalb  ausführlich  über  ihn  (Athen.  15,  673  ef). 

7)  Frf^mente  bei  Nanck  p.  615  f. 

8)  Plutarch.  Timol.  31. 


Digitized  by 


Google 


378  X.  Kapitel. 

anderes  als  Spott  zu  ernten  ^) ,  dagegen  verdankte  er  es  aus- 
schliesslich seinen  Regimentern  und  Kriegsschiffen ,  wenn  die 
Athener  an  den  Lenäen  von  393  (Ol.  96,  3)  auf  Antrag  des 
Karkinos  ein  Ehrendekret  im  Theater  aufstellten  und  au  dem 
gleichen  Feste  des  Jahres  367  einer  Tragödie  den  Sieg  zu- 
sprachen. Die  Ironie  des  Schicksals  wollte,  dass  die  über- 
mässige Freude  dem  Tyrannen  den  Tod  brachte  *)•  Den 
Athenern  zu  Gefallen  hatte  er  seiner  Bewunderung  für  Euri- 
pides  einen  wahrhaft  fürstlichen  Ausdruck  (S.  354)  gegeben 
und  auf  dem  Papier  sich  als  vorurteilslosen  toleranten  Herrscher 
aufgespielt  %  Indes  fehlte  es  Dionysios  nicht  bloss  an  Talent, 
sondern  er  machte  sich  durch  gesuchte  Wortbildungen  und 
Wortspiele  lächerlich  ^). 

Die  Tragödie  wurde  überhaupt  mehr  und  mehr  ein  Tummel- 
platz von  Dilettanten,  z.  B.  fertigte  der  Sophist  P  o  1  y  i  d  o  s  unter 
vielen  anderen  auch  Tragödien  *).  Den  ersten  Jahrzehnten  des 
vierten  Jahrhunderts  gehörte  der  korrekte  Chairemon  an, 
von  welchem  Aristoteles  urteilt,  dass  seine  Tragödien  mehr  zur 
Lektüre  als  zur  Darstellung  geeignet  seien*).  Er  scheint  in 
metrische  Künsteleien  einen  gewissen  Ehrgeiz  gesetzt  zu  haben, 
indem  er  eine  „Rhapsodie"  „der  Kentaur"  (Chiron,  welcher 
Achilleus  belehrt)  in  mannigfaltigen  Versmassen  dichtete ''). 
Den    Späteren    empfahl   sich    Chairemon    durch    Reichtum   an 


1)  Fragmente  bei  Nauck  S.  616  ff. ;  Ephfppos  fr.  16,  1  bei  Athen. 
11,  482  d.  Plutarch.  Timol.  15.  Tzetz.  Chil.  5,  160  ff.  10, 844  ff.  Der  Komiker 
Eubnlos,  der  einen  „Dionysios"  schrieb,  parodierte  wahrscheinlich  in  Aixwve^ 
^  A-rfia  die  „Leda"  des  Tyrannen. 

2)  Dekret:  CIA.  HS,  vgl.  U.  Köhler  Mitteil,  des  deutschen  Inst,  in 
Athen  1876  S.  Iff.;  Sieg:  Diodor.  15,  74.  Plin.  7,  180.  Tzetz.  Chil.  5, 180 ff. 

3)  Z.  B.  Fr.  4. 

4)  Athen.  3,  98  d  (teilweise  aus  Athanis).  HeJladios  bei  Phot.  bibl. 
p.  532  b  27  ff.  33. 

5)  Diodor.  14,  46,  6.  Plutarch.  mus.  21.  Etym.  Magn.  p.  164;  eine 
taurische  Iphigenie  nennt  Aristot.  poet.  16  p.  1455  a  6,  vgl.  17  p.  1455  b  10. 

6)  Dies  wollen  die  Worte  ol  ivaYvwoTtxol  olov  XatpYjjjwov  'aet.  3,  12 
p.  1413b  13  besagen,  wie  der  Zusammenhang  zeigt.  Eubulos  (Athen.  2,43c) 
und  Ephippos  (11,  482c)  spotten  über  ihn. 

7)  Poet.  1  p.  1447  b  21  ff.  c.  24,  vgl.  Athen.  13,  608  e  8pajjLa  iroXotietpov ; 
Trimeter  und  Tetrameter  Aristot.  poet.  24  p.  1460  a  2.  Auch  Theodektee 
hat  ein  hexametrisches  Stock  in  einer  Tragödie  (fr.  18). 


Digitized  by 


Google 


Die  übrigen  Tragiker.  379 

Sentenzen.  Des  Dichters  augenscheinliche  Vorliebe  für  Blumen 
passt  zur  Sentimentalität  des  Zeitalters ;  er  schwärmt  auch  für 
Körperschönheit  und  zieht  geradezu  Kunstwerke  zum  Ver- 
gleich herbei  *). 

Da  die  sogenannte  mittlere  Komödie,  die  beständige  Ver- 
folgerin der  Tragödie,  bis  auf  geringe  Brüchstücke  verschwun- 
den ist,  kennen  wir  wenige  Namen  unbedeutender  Tragiker 
wie  Euaretos,  der  341  und  340  bei  der  Konkurrenz  unter- 
lagt, Kleainetos,  Demosthenes'  Zeitgenossen  ') ,  T  i  m  o  - 
kies  (zugleich  Tragiker,  Komiker  und  Satyriker)  *) ,  D  e  m  o  - 
phon,  Theoros,  Laches^),  Theophilos^)  und 
Kleophon.  Den  an  letzter  Stelle  genannten  tadelt  Aristo- 
teles, weil  er  wie  Sthenelos  die  Tragödie  in  das  Gewöhnliche 
herabzog '),  indem  er  auf  dem  von  Euripides  betretenen  Wege 
vorwärts  ging. 

Die  Geschichte  der  griechischen  Tragödie  hat  den  merk- 
würdigen Verlauf,  dass  nach  kurzer  Entwicklungszeit  ein  Genie 
den  Grund  legt  und  zwei  ebenbürtige  Nachfolger,  neben  einander 
und  doch  grundverschieden,  gewissermassen  die  Brennpunkte 
des  klassischen  Trauerspiels  darstellen.  Das  Zusammentreffen 
dreier  solcher  Sterne  einem  philosophischen  Grunde  zuzu- 
schreiben, wäre  gesucht.     Wohl  aber  darf  man  den  Ursachen, 


1)  Athen.  13,  608  afi.  (fr.  5—14);  sogar  Theopbrast  (bist,  plant.  5,9,5) 
citierle  ihn  deswegen.  Fr.  1.  14.^  Die  ziemlich  erheblichen  Fragmente  stehen 
bei  Nnnck  S.  606  £f.  Der  Snidasartikel  gehört  zu  den  Znsfitzen  des  Epito- 
mators,  wie  täv  $pa|idiTa>v  a5toö  anzeigt  (s.  KapxtvocII.,  KXeo^uiv,  ^povtxc^IV.). 

2)  CIA.  II  973  (Ton  den  Tragödientiteln  sind  noch  lesbar:  Teukros, 
Achilleus  nnd  Alkmeon). 

3)  '0  Tpa^ixöc  Alexis  bei  Athen.  2,  55c;  b  y[opoM6LO%ako<:  Aeschin. 
1,  98;  ein  Fragment  bei  Stobäns  floril.  79,  5.  99,  2. 

4)  Athen.  9,  407 d;  340  führte  er  das  Satyrspiel  „Lykurgos"  auf  (CIA. 
II  973,  17). 

5)  Diese  drei  nennt  Ephippos  bei  Athen.  11,  482  d. 

6)  CIA.  n  97lc  (wahrscheinlich  aus  dem  Jahre  387).  Der  Tragiker 
Moschion  braucht  durchaus  nicht  der  berühmte  Parasit  zu  sein,  wie  Mad  vig 
kleine  philol.  Schriften  S.  474  A.  1  gegen  Friedr.  W.  Wagner  de  Moschi 
onis  poetae  tragici  vita,  Breslau  1846  richtig  bemerkt. 

7)  Poet.  2.  22  p.  1458a  20.  rhet.  3,  7  p.  1408a  Uff.  Snidas  wieder- 
holt irrtümlich  (s.  A.  1)  die  zuvor  bei  lophon  genannten  Titel.  Vgl.  By  water 
Journal  of  philology  12,  17  ff. 


Digitized  by 


Google 


380  X.  Kapitel. 

warum  jene  hehren  Vorbilder  die  Epigonen  nicht  bei  einer 
anständigen  Mittelmässigkeit  erhielten,  nachforschen.  Die  Schuld 
daran  trägt  die  Sophistik.  Der  Rationalismus  war  es,  welcher 
den  natürlichen  Quell  der  Poesie  ausgetrocknet  hat ;  dass  Euri- 
pides,  trotzdem  er  das  Künsteln  und  Raffinieren  gelernt  hat, 
dennoch  nicht  ein  grosser  Dichter  zu  sein  aufhörte,  möchten 
wir  für  den  sichersten  Beweis  seines  reichen  echten  Talentes 
erklären.  Die  Aufklärung  ruft  den  Dilettantismus  hervor  und 
lässt  tiefer  angelegte  Talente  unter  der  Menge  verschwinden, 
die  Aufklärung  lenkt  die  Dichter  von  der  guten  Popularität 
ab  und  macht  sie  den  gebildeten  Cirkeln,  den  Pflegestätten 
korrekter  akademischer  Versekunst,  unterwürfig.  Die  Rhetorik 
und  Sprachtheorie  endlich  beeinträchtigen  den  natürlichen  Fluss 
der  poetischen  Sprache  *).  Nachdem  Prodikos  und  Gorgias 
die  Tragiker  ihrer  Zeit  zu  ihren  Schülern  gemacht,  beginnt 
Isokrates'  unwiderstehliche  Sprachkunst  die  Dichter  in  seinen 
Bann  zu  ziehen  (Bd.  11  S.  134 f.);  von  dessen  Schule  that 
sich  ausser  seinem  Stiefsohn  Aphareus^  der  bekannte  Rhetor 
Theodektes  auf  diesem  Gebiete  hervor ^).  Zugleich  ver- 
bildeten die  schauspielerischen  Virtuosen  des  vierten  Jahr- 
hunderts (wie  der  „AflFe"  Kallippides)  das  Publikum  in  gefähr- 
licher Weise*),  weil  die  Dichter  jetzt  auf  Bühneneffekte  hin- 
arbeiteten. 

Während  der  jüngere  Ä.stydamas  in  jenem  Epigramm 
selbstgefällig  bedauerte,  dass  er  nicht  mit  den  alten  Dichtern 
den  Wettkampf  aufnehmen  könne,  verzweifelten  die  Athener 
an  einer  lebensfähigen  Fortentwicklung  ihrer  Tragödie.  Dies 
erhellt  zunächst  aus  dem  Beschluss,  einen  Teil  der  grossen 
Dionysien  den  WiederauflFührungen  alter  Tragödien  einzuräumen 
(S.  160 f.),  worin  man  in  der  Zeit  Alexanders  des  Grossen 
bereits  so  weit  ging,  dass  für  die  neuen  Stücke  ein  einziger 
Tag  frei  blieb  ^),  sodann  aus  dem  Antrag  des  Verwaltungschefs 


TL)  Aristot.  poet.  6  p.  1450b  7  f.    ol   jxiv  y«?   OLp-^aloi  iroXtxtxÄc  ticoioov 
Xi^ov^ac,  ol  hk  fTjXoptxÄc.  , 

2)  Ps.  Plutarcb.  vit.  X  or.  839  c. 

3)  Fragmente  bei  Nauck  S.  622  £f. 

4)  Aristot.  poet.  26  p.  1461b  a.  E, ;   rbet.  3,  1  ixttCov  Bovavtat  v5v  täv 
«otYjTÄv  ol  6i:oxpixtti. 

5)  Plutf»rcb.    de  exilio  10   p.  603  c,    vgl.   Theopbr.    char.  9.    Im  Jabre 


Digitized  by 


Google 


Die  übr5gen  l.agiker.  381 

Lykurgos,  man  solle  Statuen  der  drei  grossen  Tragiker  im 
Theater  errichten  und  die  Stücke  derselben  in  ein  offizielles 
Exemplar  eintragen ;  mit  diesem  hatte  der  Staatssekretär  die 
Schauspieler  zu  überwachen^),  denn  die  Dramen  waren,  weit 
ihre  Wiederaufführung  in  den  Händen  der  Schauspieler  lag, 
allerlei  bedenklichen  Experimenten  der  übermütigen  Mimen 
ausgesetzt,  denen  entgegenzutreten  der  Staat,  wenn  er  die 
drei  Tragiker  gew^issermassen  zu  den  offiziellen  Bühnendichtern 
ernannte,  die  Pflicht  hatte.  Allein  von  jenen  Bühnenexemplaren 
hing  die  Textesüberiieferung  durchaus  nicht  ab,  wie  dies  leider 
bei  vielen  Dramen  Shakespeares  der  Fall  ist;  wurden  doch 
die  Stücke  sogleich  nach  ihrer  Aufführung  durch  den  Buch- 
handel verbreitet  *).  Die  „aulische  Iphigenie"  und  „Rhesos*' 
waren  zielbewusste  Bearbeitungen  nach  bestimmten  Grund- 
sätzen und  auch  sie  verdrängten  die  echte  Fassung  ei^t  im 
Laufe  der  Kaiserzeit.  Die  bösen  Schauspieler  dagegen,  welclie 
die  Personeneinteilung  verderben,  ein  Wort  schlecht  aussprechen» 
Verse  umstellen  oder  gar  interpolieren^),  sind  nicht  mehr  und 
nicht  minder  Phantasiegebilde  der  hellenischen  Kritiker,  als 
z.  B.  die  „Diaskeuasten"  im  Homer. 

Weil    alle   hervorragenden  Tragiker  nach  Athen   zogen  % 
verdunkelte  das  athenische  Trauerspiel  alle  ähnlichen  Versuche 


340  führte  jeder  Dichter  nur  zwei  Stücke  auf  (CIA.  II  973).  Auch  die  Lenäen 
standen  zur  Zeit  des  Demosthenes  den  alten  Stücken  offen  (Schol.  AeschiUr 
3,  15;  hieher  gehört  wahrscheinlich  CIA.  II  977  o). 

1)  Ps.  Plutarch.  vit.  X  orat.  841  f.,  vgl.  Korn  de  publico  Aeschyli 
Soph.  Eur.  exemplari  Lycurgo  auctore  confecto,  Dlss.  v.  Bonn  1863;  Sommer- 
brodt  Rhein.  Mus.  19,  130ff.  =  scaeuica  p.  253  ff.  u.  A.  (s.  Alb.  Müller 
griech.  Bühnenaltert.  S.  359,  1). 

2)  Vgl.  Aristoph.  Ran.  52,  ebenso  die  Komödien  V.  1114. 

3)  Apollodoros  v.  Tarsos  bei  Schol.  Med.  169;  Schol.  Med.  85.  228. 
Phoen.  264;  Didymos  zu  Med.  356  u.  379;  Schol.  Androm.  6.  Or.  1366.  Zn 
Med.  910  wird  bemerkt:  ol  Äi  bnoxpixotX  xal  aY^o-rjoavtec  fpafoootv,  vgl.  85. 
228.  169.  356.  379.  Nach  Fr.  Heimsöth  de  voce  öicoxptfrjc  commentariolnSy 
ind.  schol.  hib.  Bonn  1873  heisst  das  Wort  hier:  „Erklärer*'.  Man  könnte 
auch  annehmen,  dass  Didymos  das  Exemplar  eines  Schauspielersyllogos  ein- 
sah. Aber  analog  wird  Schol.  II.  X  26  eine  Rhapsodenerklärung  citiert.  In 
die  moderne  Kritik  sind  die  Schauspieler  von  Pierson  verisimilia  p.  57  ff., 
und  Valckenaer  Eurip.  Phoeniss.  p.  433  eingeführt. 

4)  Plato  Laches  p.  183  a. 


Digitized  by 


Google 


382  X.  Kapitel. 

der  übrigen  Griechen  und  vor  allem  die  peloponnesischen 
Tragödien^)  und  die  sicilischen,  welche  die  ,, Tragiken: ödie'' 
des  Deinolochos  voraussetzt;  andererseits  hebt  Plutarch  an  den 
alten  Spartanern  wie  etwas  besonderes  hervor,  dass  sie  weder 
Komödien  noch  Tragödien  anhörten  *).  Doch  alles  jenes  wurde 
durch  die  attischen  Schauspielertruppen  verdrängt,  die  nach 
dem  von  Aeschylus,  Euripides  und  Agathon  gegebenem  Beispiel, 
seit  dem  korinthischen  Kriege  etwa,  von  Stadt  zu  Stadt  zogen 
und  mit  obrigkeitlicher  Erlaubnis  auf  den  Marktplätzen  ihre 
hölzerne  Bühne  aufschlugen  ^).  Man  nahm  sie  überall  mit 
Freuden  auf  und  selbst  die  Kriegführenden  schonten  die  Schütz- 
linge des  Dionysos,  weshalb  sie  unter  Umständen  offiziöse 
Vertrauenspersonen  spielten  *). 


1)  Aristol.  poet.  3  p.  1448  a  35. 

2)  PlDtarch.  instit.  Lac.  32.  Auf  nichtattische  Dramen  weisen  auch 
Plato  a.  O.  und  Aristot.  poet.  7  p.  1451a  9  hin.  Eine  aus  der  Zeit  Alexanders 
des  Grossen  stammende  Inschrift  (Journal  of  Hellenic  studies  IV  237)  er- 
wähnt einen  tragischen  Agou  in  Priene. 

3)  Plat.  leg.  7,  817  c.  Die  von  Istros  und  Neanthes  erzählte  Anekdote 
Vit.  Soph.  §.  14  setzt  diese  Sitte  schon  für  das  Jahr  405  voraus.  Anekdote 
von  Pelopidas  (Plutarch.  Pelop.  29)  oder  Alexandros  von  Pherai  (Aelian.  var. 
bist.  14,  40) ;  Neoptolemos  bei  König  Philipp  Diodor.  16,  92.  Sueton.  Calig. 
57.  Joseph,  antiq.  19,  1,  13.  Stob,  floril.  98,  70,  ebenso  der  Komiker  Satyros 
Demosth.  19,  192  ff.    Aeschin.  2,  156,  vielleicht  auch  Anaxandrides  Suidas  s.  v. 

4)  Aeschin.  2,  15.  19. 


Digitized  by 


Google 


XL  Kapitel. 
•  Das  Satyrspiel. 

Schriften  über  das  Satyrspiel ;  dessen  Entwicklung  nud  Formen ; 
„der  Kyklope"  des  Euripides. 


Im  Altertum  schrieb  Chamaileon  icepl  oaxopcüv  (Snidas  u.  3iicu>Xeaa^), 
in  der  Neuzeit:  Oasanbonus  de  satyrica  Graecornm  poesi  et  Komanorum 
saiira,  Pari»  1605,  hrsg.  v.  Rambach,  Halle  1774;  Abr.  Eichstädt  de  dra- 
mate  Graecorum  comico-satyrico  impr.  de  Sosithei  Lityersa,  Lpg.  1793;  G. 
Hermann  Comment.  soc.  philolog.  I  p.  245 ff.  =  opuscula  I  p.  44 ff.;  G. 
Pinzger  de  dramatls  Graecorum  satyrici  origine,  Breslau  1822;  G.  M. 
Dur  seh  de  Graecorum  poesi  satyrica,  Pr.  v.  Ehingen  1829;  Welcker 
Nachtrag  zu  der  ....  äschyleischeu  Trilogie  nebst  einer  Abhandlung  über 
das  Satyrspiel  (S.  185  ff.),  Frankfurt  a.  M.  1826;  G.  Friebel  fragmenta 
Graecorum  satyrographorum  exceptis|iis  quae  sunt  Aeschyli  Sophoclis  Euripidis, 
Berlin  1837;  Friedr.  Wiesel  er  das  Satyrspiel,  Göttinger  Studien  II  (1847) 
S.  565—770  und  separat  (auf  Grund  der  berühmten  Vase  von  Ruvo,  ver- 
öffentlicht Monumenti  deir  Instituto  IH  31,  verkleinert  in  Schreibers  kultur- 
hist.  Atlas  I  Tafel  HI  1),  auch  comm.  de  Pane  et  Paniscis  atque  Satyris  cor- 
nutis,  Gott.  1869;  R.  Meeks  de  poesi  Graecorum  satyrica,  Diss.  v.  Rostock 
1873;  dazu  kommen  die  den  „Kyklops^^  behandelnden  Monographien. 

Die  Tragödie  entstand,  wie  wir  sahen,  aus  den  Gesängen, 
welche  Männer  im  Gewände  von  Satyrn  zu  Ehren  des 
Dionysos  sangen;  als  sie  aber  einen  ernsthaften  Charakter 
annahm  und  dieses  possenhafte  Kostüm  verschmähte,  schien 
der  Gott  zu  verlangen,  dass  ihm  die  Ergötzung  durch  seine 
Diener  nicht  geraubt  werde  ^).     Eine  Mischung  von  Posse  und 

1)  Die  Erkl&rer  des  Sprichwortes  OhUv  irpöc  t6v  At6vöoov  hielten  das 
Satyrspiel  für  eine  jüngere  Erfindung  (s.  auch  Horat.  a.  p.  221.  Demetr.  eloc. 
169.  Eustath.  opusc.  p.  89,  42flf.). 


Digitized  by 


Google 


384  XI.  Kapitel. 

Trauerspiel,  dergleichen  die  altenglische  Bühne  durch  den  Clown 
und  Fool,  die  spanische  durch  den  Gracioso  besass,  hätte  den 
Griechen  nicht  zugesagt,  ebensowenig  konnte  die  italienische 
Manier,  zwischen  die  ernsten  Akte  ein  heiteres  Zwischenspiel 
einzuschieben  ,  den  Hellenen  gefallen ,  sondern ,  sie  wählten 
dieselbe  Manier,  welche  nachmals  in  Rom  ^)  auf  der  altenglischen 
Bühne  und  der  deutschen  des  siebzehnten  Jahrhunderts  gang 
und  gäbe  war,  dass  nämlich,  wenn  das  Volk  an  den  Trauer- 
spielen sich  satt  gewundert  und  geweint  hatte ,  ein  heiteres 
Satyrspiel  es  zu  der  heiteren  Feststimmung  zurückführte.  Da 
den  ersten  Tragikern  eine  unverhältnismässig  grosse  Zahl  von 
Satyrspielen  beigelegt  wird  (S.  141),  hat  die  Vermutung,  dass 
sie  damals  der  Tragödie  noch  ebenbürtig  gewesen  seien,  man- 
ches für  sich.  Die  klassischen  Tragiker  hingegen  wiesen  dieser 
Gattung  nur  den  letzten  Platz  in  einer  Tetralogie  an  (S.  234), 
ja  selbst  dieser  blieb  ihr,  wie  Euripides'  Alkestis  zeigt,  nicht 
unbestritten ;  denn  die  Verquickung  von  Trauer  und  Posse 
scheint  bei  zunehmender  Verfeinerung  der  Sitten  missfallen  zu 
haben,  so  dass  spätestens  im  vierten  Jahrhundert  die  Verbindung 
von  Satyrspiel  und  Tragödie  gelöst  wurde  und  ersteres,  von  be- 
sonderen Dichtern  bearbeitet,  die  dramatischen  Spiele  der  Diony- 
sien  einleitete ;  natürlich  setzte  nun  das  Volk  besondere  Preise 
dafür  aus,  zum  Beispiel  siegte  im  Jahre  340  Timokles  mit 
„Lykurgos^'^). 

Das  Satyrspiel  war,  obgleich  es  oflFiziell  den  neuen  Namen 
odtopot  erhielt  ^) ,  doch  in  Wirklichkeit  das  alte  Spiel  der  tpayot, 
denn  der  Chor  besteht,  welche  Fabel  der  Mythologie  auch  auf- 
geführt werden  mag,  unwandelbar  aus  Satyrn.  Diese,  an  Zahl 
angeblich  den  Choristen  der  Tragödie  gleich*),  sind  mit  Aus- 
nahme des  Gesichtes   und   der  Hände   am  ganzen  Körper  be- 


1)  Nach  den  Tragödien  kam  eine  Atellane,  an  deren  SteUe  später  ein 
Mimns  trat  (Cic.  epist.  9,  16,  7). 

2)  CIA.  II  973.  Schon  die  Trilogien  von  419  und  418  (CIA.  U  972) 
entbehrten  der  Satyrspiele.  Wegen  der  erwähnten  Ordnung  gebraucht  Zenobr 
5,  40  das  Wort  itpotioar^siv, 

3)  Z.  B.  Aristoph.  Thesm.  157. 

4)  Sechszehn  nach  Tzetzes  Anecd.  Oxon.  III  338,  1;  vierzehn  oder  elf 
Is.  Tzetz.  proleg.  ad  Lycophr.  p.  254;  auf  der  Vase  zählen  wir  elf.  Vgl. 
Alb.  Müller  griech.  Bühnenalterth.  S.  204,  2. 


Digitized  by 


Google 


Das  Satyrspiel.  385 

haart,  mit  steifem  Pballos  Und  Schwanz  ausgestattet  und  tragen 
keine  andere  Kleidung  als  ein  Bocksfell  um  die  Hüfte  ^).  Das 
satyreske  Element  ist  ausser  dem  Chor  unter  den  Schauspielern 
durch  die  Silene  vertreten,  welche,  vor  jenen  durch  würdigere 
Bekleidung  ausgezeichnet,  sich  von  einander  im  Alter  unter- 
scheiden; der  älteste  ist  der  Papposilenos*).  Den  feigen,  halb- 
tierischen Charakter  dieser  drolligen  Calibane  spiegeln  zahlreiche 
Vasenbilder*  ab  *),  deren  Verfertiger  den  Geist  der  Satyrstücke 
in  sich  aufgenommen  zu  haben  scheinen. 

Diesen  treten  die  Helden  der  Tragödien  gegenüber ,  am 
öftesten  der  liebkosend  Heryllos  genannte  Herakles  *),  weil  seine 
urkräftige  Sinnlichkeit  mit  dem  Satyrwesen  eine  gewisse  Ver- 
wandtschaft hat.  Die  komischen  Situationen ,  in  welche  der 
Held  mit  den  Satyrn  gerät  %  mögen  teils  dem  Volkswitze  teils 
der  eigenen  Phantasie  der  Dichter  entstammen  ;  für  den  Ver- 
lust der  Dramen  bieten  zahlreiche  späte  Vasen bilder  inhaltlich 
einigen  Ersatz*).  Ueberhaupt  entstammen  viele  bildliche  Dar- 
stellungen, wo  die  Satyrn  die  StaflFage  einer  heroischen  Hand- 
lung abgehen,  direkt  oder  mittelbar  diesem  Literaturzweige ^), 


1)  A.  Müller  a.  O.  S.  241ff.;  V^leseler  Satyrepiel  S.  30  ff.  161  flf. 
183  ff.  PhaUoA  Eur.  Qycl.  439;  oov  tqlJ«  xp6p(oo  x^atvqt  CycL  80,  daher 
nadavit  Horat.  a.  p.  221,  fo^tyr^xai  hp^^l^^^^  LnciaD.  Bacch.  3.  Masken: 
PoUux  4,  141;  Alb.  Möller  8.  280  f. 

2)  PollQx  4,  118,  vgl.  104;  Wieseler  S.  28  ff.  Sie  tragen  einen  zottigen 
Chiton  (xopratoc,  Alb.  Müller  8.  242,  4). 

3)  Conze  Lntzows  Zeitschrift  f.  bild.  Ennst  3,  157 ö.;  Heydemann 
hnmoristische  Vasenbilder  aus  Unteiitalien,  Berlin  1870  S.  12  ff. ;  über  den 
Satyrtypns:  Furtwftngler  Annali  d.  Inst.  1877  p.  240 ff. 

4)  Enstath.  in  Iliad.  p.  989,  47. 

5)  Z.  B.  wird  er  im  enripideischen  ,,Syleu8"  von  Hermes  als  Sklave 
verkauft  (fr.  688).  Anderes  Aristid.  HI  515  (U  p.  405  D.).  Ps.  Jnstinns  ad 
geutes  3. 

6)  O.  Jahn  Philol.  27,17 ff.  n.  Bilderchroniken  8.42  A.  277;  Stephani 
der  auimhende  Herakles  8.  197  ff.;  Preller  griech.  Mythologie  H*  266 ff.; 
Matz  Annali  d.  Inst.  1872  p.  294 ff.;  Heydemann  humoristische  Vasen- 
bilder aus  ünteritalien,  Winckelmannsprogr.,  Berlin  1870  8.  3  ff.  u.  Vase 
Caputi  mit  Theaterdarstellungen,  Winckelmannspr.,  Halle  1884  8.  8  ff.  mit 
Tafel  n. 

7)  O.  Jahn   Philol.   27,  16  mit   T.  I.   Monum.  d.  Inst.  VI  T.  24,   im 
allgemeinen  Berichte  der  sftchs.  Gesellsch.  der  Wiss.  1846/7  8.  291  ff. 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur.  XU.  25 


Digitized  by 


Google 


386  XI.  Kapitel. 

Es  kann  nicht  ausbleiben,  dass  die  Einführung  der  Satyrn  oft 
auf  schwachen  Füssen  steht ;  so  greift  Euripides,  um  die  Poly- 
phemsage  für  ein  Satyrspiel  verwerten  zu  können,  zu  dem  Ein- 
falle, eine  Schaar  Satyrn  sei  durch  Stürme  nach  Sicilien  ver- 
schlagen worden  und  in  die  Gefangenschaft  des  Kyklopen  ge- 
raten. Man  denke  nun  aber  nicht,  dass  im  Satyrspiel  der  My- 
thus travestiert  und  die  Helden  lächerlich  gemacht  worden  ^eien. 
Mochten  die  Satyrn  die  Narrenfreiheit  zu  den  kecksten  Obsce- 
nitäten  ausnützen,  die  heroischen  Personen  benahmen  sich  nach 
Horazens  berühmten  Ausdruck  ^),  wie  eine  ehrsame  Bürgersfrau 
im  Festreigen,  unter  diesen  frechen  Gesellen  etwas  verschämt, 
doch  immerhin  ihrer  Würde  bewusst.  Die  Dichter  heben  diese 
beiden  Klassen  sogar  in  den  Versen  von  einander  ab*)  und 
halten  den  Tonfall  des  satyrischen  Trimeters  etwa  in  der  Mitte 
zwischen  Tragödie  und  Komödie.  Nur  einige  Personen  waren 
mehr  komischer  Natur,  einerseits  Autolykos  und  Sisyphos,  die 
Schelme  der  Heroensage,  andererseits  die  einfältigen  Menschen- 
fresser Polyphem  und  Busiris  ^;. 

Zu  den  Satyrn  passte  das  Vorkommen  von  Tiere,  z.  B. 
erschienen  im  „Kyklopen**  Herden,  in  Sophokles'  „Liebhabern 
des  Achilleus**  (Fr.  166)  Hunde  auf  der  Bühne.  An  die  Heroen 
hinwiederum  reihten  sich  oft  Olympier  und  anderei  Gottheiten, 
wie  der  Flussgott  Inachos,  oder  Ungetüme  gleich  dem  hundert- 
äugigen  Argos  *) ;  darum  waren  zwei  Stücke  des  Achaios  (He- 
phaistos  und  Iris)  nach  Göttern  benannt.  Der  Schauplatz  pflegt 
entsprechend  dem  gewissermassen  das  Naturleben  personificieren- 
den  Satyrchor  eine  ländliche  Gegend  darzustellen*). 

Die  Oekonomie  des  Satyrspiels  dürfte,  da  ihm  die  gleiche 
Schauspielerzahl  zugewiesen  war,  in  den  allgemeinen  Grund- 
sätzen von  der  Tragödie  nicht  viel  abgewichen  sein.  Näheres 
wissen  wir  jedoch  nur  über  den  Chor.  Dessen  Einzugslied  be- 
stand gewöhnlich  aus  den  raschen  Proceleusmatikern  %  während 


1)  A.  p.  225  flf. 

2)  G.  Hermann  Eurip.  Cycl.  p.  XIV  flf. 

3)  Vgl.  Sneton.  p.  16,  2  ff,  Reifferscheid;  Bosiris  ist  auch  auf  verschie- 
denen Vasen  karrikiert. 

4)  Sophocl.  fr.  256.  264. 

5)  Vitruv.  5,  8,  1. 

6)  Manns  Victorinus  2,  11  a.  E. 


Digitized  by 


Google 


Das  Satyrspiel.  387 

in  den  eigentlichen  Tanzliedern  der  trochäische  Tetrameter  über- 
wog *).  Der  gewöhnliche  in  Sprüngen  und  lebhaften  Armbe- 
wegungen bestehende  Tanz  hiess  mit  einem  Barbaren worte  Sf- 
kinnis*),  neben  welchem  auch  der  lascive  Kordax  vorkam  ^), 
Wir  hören  sogar,  dass  im  sophokleischen  „Amphiaraos*'  einer 
die  Buchstaben  tanzte  *).  In  der  Musik  spiegelte  sich  die  wech- 
selnde Auffassung  der  Satyrn ;  erinnert  doch  die  energische 
feierliche  dorische  Tonweise  von  Pratinas' Schauspielen,  welche 
>erst  der  Alexandriner  Sosigenes  wieder  in  Aufnahme  brachte  % 
an  den  langbärtigen  Dionysos  der  archaischen  Kunst  und  den 
würdigen  Süen ,  der  nach  der  alten  Sage  Midas  tiefe  Lebens- 
weisheit gepredigt.  Wie  musste  dagegen  der  dionysische  Cha- 
rakter des  Spieles  verwischt  worden  sein  ,  wenn  nicht  einmal 
im  Satyrspiel  die  bakchische  Flöte  vor  der  Konkurrenz  der 
apoUinischen  Kithara  geschützt  war!^  Zumal  seitdem  das  Sa- 
tyrspiel aus  dem  Tragödienverbande  ausgeschieden  war,  scheint 
•es  der  parodischen  Komödie  angenähert  worden  sein.  Aller- 
dings fallt  das  polemische  Satyrspiel  „Agen'*  jenseits  der  Gren- 
zen des  klassischen  Zeitalters ,  aber  der  oben  erwähnte  Ti- 
mokles,  ein  Zeitgenosse  des  Demosthenes ,  war  eigentlich  Ko- 
miker ''). 

Diese  eigentümliche  Art  des  Dramas  gestattet  leider*  keine 
eingehendere  Schilderung,  da  die  alten  Grammatiker  wenig  da- 


1)  Aristot.  poet.  4  p.  1449  a  22. 

2)  Aristoxenos  fr.  44  bei  Etym.  M.  p.  712,  54.  Athen.  14,  630  b  (per- 
sisch 629  d).  vgl.  Eiirip.  Cycl.  37.  Gell.  20,  3;  oxtp-cot  Anthol.  Pal.  7,  707,  3, 
ov.tpTY)fi]<;  odcTüp^o?  Mosch.  6,  2,  oxtptYjTsxol  £vd-pu>icoc  Lncian.  deor.  concil.  4, 
vgl.  Athen.  14,  630 d.  Hesych.  u.  Etym.  M.  n.  otxtwic.  Cram.  Auecd.  Par.  I 
20  bestätigt  durch  Enrip.  Cycl.  222  ff.  und  Sophokles  bei  Hesych.  u.  Sv^ptuoxe. 
Gestikulation:  Stephanos  zu  Arist.  rhet.  Anecd.  Paris.  I  307. 

3)  Lucian.  Dionys.  1.  Icaromen.  27. 

4)  Athen.  10,  454  f. 

5)  Dioskorides  Anthol.  7,  707,  4.  7;  Flötenbläser  Wieselers  Denkni. 
d.  Bnhneuw.  T.  6,  1 ;  otxivvoxopßYj  eine  Flötenweise  Athen.  14,  618  c. 

6)  Wieselers  Denkm.  d.  B.  T.  6,  2.  Satyrn  werden  überhaupt  wieder- 
holt mit  der  Kithara  dargestellt  z.  B.  in  dem  berühmten  Vasenbilde  von 
Kertsch  Corapte-rendu  de  l'ac.  de  St.  Pet.  1861  Taf.  4  (Baumeisters  Denkra. 
S.    104). 

7)  Es  wäre  also  nicht  ganz  unmöglich,  daas  die  Athen.  10,  411a  (Nauck 
p.  604)  Astydamas  beigelegten  enpolideischen  Verse  wirklich  einem  Satyrspiel 
desselben  entnommen  waren. 

25* 


Digitized  by 


Google 


388  XI.  Kapitel. 

von  sprechen  und  selten  Verse  eitleren;  das  einzige  erhaltene^ 
Satyrspiel  ^)ist  der  „Kyklope**  (K6xXco<|))  desEurlpides  *)  und  dieser 
war  weder  ein  Meister  des  Satyrdramas  wie  Aeschylus  oder  Achaioff 
(S.  367)^  noch  entstammte  er  der  alten  Glanzzeit  desselben,  „al» 
Choirilos  im  Satyrspiel  König  war**  (S.  141).  Das  eurlpideische  Pro- 
dukt reicht  also  nattlrlich  nicht  bin,  um  zu  begreifen,  wie  die  Grie- 
chen an  solchen  Scherzen  die  grösste  Freude  haben  konnten«^ 
Wer  leugnen  möchte,  dass  der  wahre  dionysische  Ton,  dessen 
tragische  Seite  der  Dichter  in  den  „Bakchen**  meisterhaft  dar- 
stellte, nicht  getroffen  ist,  betrachte  nur  die  Versmasse ;  gerade 
die  chamkteristischen  Tetrameter  und  Proceleusmatiker  fehlen. 
Das  Stück  ist  freilich ,  wenn  man  von  vornherein  auf  die  Be- 
obachtung unserer  Anstandsregeln  verzichtet,  recht  amüsant^ 
aber  es  entbehrt  der  hinreissenden  Genialität.  „Der  Kyklope"^ 
machte  an  die  Regie  nicht  unerhebliche  Ansprüche,  da  Herden 
vorkamen  und  verschiedene  Geschäfte  der  Hirten  öffentlich  ab- 
gemacht wurden.  Den  Zuschauer  vollends  mutete  der  Dichter 
viel  Gefälligkeit  zu ;  die  aus  der  Odyssee  bekannte  Handlung^ 
war  allerdings  der  Bühne  schwierig  anzupassen.  Wenn  man^ 
aus  dem  „Kylopen'*  einen  allgemeinen  Schluss  ziehen  darf,, 
hatte  das  Satyrspiel  einen  bedeutend  kleineren  Umfang  als  die 
Tragödie  und  Komödie;  oder  hat  ihn  Euripides  geflissentlich 
eingeschränkt  ? 


1)  Beaafis  Eustathios  noch  mehr?  Vgl.  opnsc.  p.  89,  45 f.  Taaoiv  ahxä. 
o\  lvx9'cojyi%6x9i  icaXaioIc  icovY^fxaoiv  (uc  hXi-^a  xtyä  nepitpspettti.  Aach 
Tzetzes  (Anecd.  Oxoo.  UI  p.  337)  spricht  von  oaTuptxoI^  Spdfiaaiv  EopticiSoo. 

2)  Spezialansgaben  von  Genthe,  Halle  1828,  Grotlfr.  Hermann,  Lpg. 
1838  nnd  Sidgwick,  London  '1886;  Wiessner  in  Cycl.  Enr.  commentatt.  IL, 
Pr.  y.  Breslau  1860.  1866;  Jos.  An  trän  ^tndes  grecques.  Le  Cyclope^ 
d'apr^  Enripide,  Paris  1863;  Brnno  Arnold  de  rebus  scenicis  in  Enr.  CjcL 
Nordhausen  1875;  Wieseler  adnotatt.  criticae  ad.  Eur.  C,  ind.  schol.  hib. 
Göttingen  1879. 

3)  Is.  TiEetz.  proleg.  in  Lyoophr.  p.  257  hebt  Pratinas  hervor. 


Digitized  by 


Google 


XU.  Kapitel. 
Anfänge  der  Komödie. 

Schriften  über  die  Komödie  in  alter  und  neuer  Zeit.    Keime  des  Lustspiels; 

-megarische  Komödie:  Epicbarmos,  Phormos  und  Deinolochos.    Ursprung  der 

dionysischen  Komödie  in  Attika;  Susarion. 


Die  von  der  Komödie  handelnde  Literatur  beginnt  mit  drei  theoretischen 
Schriften,  der  Poetik  des  Aristoteles  in  der  einstigen  G^talt  (vgl.  Jak. 
Bernays  Rhein.  Mus.  8,  561  ff.)  und  Abhandlungen  nspl  xii>(X(|>Sia^  von 
.seinem  Nachfolger  Theophrast  (Athen.  6,  261  d.  Diogen.  Laert.  5,  47)  und 
-dem  athenischen  Akademiker  Krates  (ApoUodoros  bei  Diog.  Laert.  4,  23), 
'welche  offenbar  alle  von  der  Theorie  des  Lächerlichen  ausgingen  (Aristot. 
Thet.  1,  11  p.  1372a  1.  3,  18  p.  1419b 6.  Athen,  a.  O.).  Dengleichen  Titel 
führten  umfängliche  Werke  sehr  gemischten  Lihaltes,  woraus  hauptsächlich 
Anekdoten  und  lexikalische  Bemerkungen  angeführt  werden,  zunächst  icepl 
•ap^aia^  xa>(X(|>diac  von  den  Peripatetikem  Ghamaileon  (mindestens  sechs 
Bücher  Athen.  9,  374  a.  406  e,  mit  Einschluss  der  mittleren  Komödie)  und 
Eumelos  (SchoL  Aeschin.  1,  39),  dann  mindestens  neun  Bücher  icspl  xw- 
^(|>$iac  von  Lykophron  (Athen.  11,  485 dj,  welchen  Ptolemaios  Philadel- 
phos  mit  der  Revision  der  Komikerabteilung  der  alexandrinischen  Bibliothek 
betraute  (Anon.  de  oomoedia  VUI  19);  Eratosthenes  entgegnete  ihm  mit 
«inem  Werke  von  nicht  weniger  als  zwölf  Büchern  (iv  iß^  icepl  xwfKpStac 
Phot.  u.  E&xXeia,  Iv  toZc  nspl  x.  PoUnx  10,  60,  (v  T<j>  ta*  n.  x.  Athen.  11, 
^1  d) ,  wozu  wahrscheinlich  der  apxttsxtovtxoc  und  oxtooYpa^^xöc  gehörten 
<vgl.  Bernhardy  Eratosthenica  p.  203ff.;  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalc. 
fragm.  p.  46  ff.;  C.  Strecker  de  Lyoophrone  Euphronio  Eratosthene  comi- 
<x>rum  interpretibus,  Greifswald  1885);  Auch  der  Aristophaneer  Diodoros 
Ton  Tarsos  (Fabricius  bibliotheca  Graec  IV^  380)  schrieb  in  dieser  Sache 
icp^c  Aox6fpova  (Athen.  11,  478  b,  vgl.  11,  501  d.  Schol.  Aristoph.  Thesm. 
.389.  Hesych.  u.  AiaYopa^).  In  der  Kaiserzeit  verfasste  Soteridas,  der  be- 
kannten Pamphile  Gatte,   ein  Werk  über  die  Komödie  (Suidas).    Von  den 


Digitized  by 


Google 


390  XII.  Kapitel. 

AnoD.  de  com.  VIII  29  aDgefahrten  Gewährsmännern  Dionysios,  Eratee  nn^ 
Eukleides  wissen  wir  nichts  (s.  aber  S.  133). 

Die  Komödie  gab  femer  zn  vielen  Einzelnntersachungen  Anlass.  Die 
ästhetische  Kritik  vertrat  der  alexaudrinische  Tragiker  Dionysiades  mit 
XapaxTtjptc  ^  <piXoxa>(X(|>$6(  ftv  <}>  xoö?  ^^apaxrijpa^  di.na'^^kWti  xuiv  icoiyjx&v 
Saidas),  den  Standpunkt  des  Moralisten  der  philosophische  Arzt  Galenos 
in  der  verlorenen  Schrift  tl  xp'O^'H''^^  &vdYVtt>a^a  xolc  icatSeoofiivocc  4}  nakaiä 
xu>fi(|>$ta.  Verschiedene  philologische  Fragen  erörterten  die  xa>(xixd»v  dicopY)- 
(idtcuv  Xuoctcdes  als  Metriker  bekannten  Alexandriners  Hephaistion  (Snidas). 
Homeros'  Schrift  ic(pl  xwv  xwfitxuiv  irpoauiiccuv  (Snidas  III)  dürfte  sich  auf  die 
neuere  Komödie  bezogen  haben.  Im  besonderen  wnrde  die  Real-  nnd  Wort- 
erklärnng  berücksichtigt.  Ein  Schüler  des  Krates,  Herodikos  stellte  alles 
in  den  Komödien  verspottete  (xa>fi<|>$o6(X(ya)  zusammen  (Athen.  13,  586  a  — 
591c  benützt  das  sechste  Buch,  welches  die  in  den  Komödien  vorkommen- 
den Hetären  besprochen  zu  haben  scheint;  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1277  (1231) 
ist  der  Name  in  Harmodios  entstellt  (Süvern  common t.  de  Aristoph.  Avibus 
p.  28  u.  A.),  wo  Schol.  V.  1285  (1238)  das  richtige  zeigt);  noch  unter 
Hadrian  behandelte  Nikanor  denselben  Gegenstand  (Suidas).  Antiochoa 
von  Alexandrien  hatte  sich  dagegen  auf  die  in  der  mittleren  Komödie  ver- 
spotteten Tragiker  und  Lyriker  (icepl  tu>v  gy  t^  y^io-g  x(})(i(})$iq(  xa)(X(})$oa(iiytt>v 
icot*r)X(»y,  Athen.  11,  482c)  beschränkt;  hingegen  waren  die  xu>(xixal  loxoptat 
des  Kyzikeners  Protagorides,  weun  der  Titel  richtig  ist,  Humoresken  (Athen. 
3,  124  d)  und  entsprachen  seinen  ^xpodioecc  epoixixai  Athen.  4,  162  b  c). 

Seitdem  der  Atticismus  in  die  Mode  gekommen  war,  also  ungefähr  seit 
dem  Ende  der  römischen  Republik,  studierten  die  Gebildeten  aus  den  alten^ 
Komödien  die  echtattische  Konversationssprache  und  den  athenischen  Esprit 
(Aristid.  rhet.  2,  7;  über  Lucians  diesbezügliche  Studien  Rabastö  quid 
oomicis  debuerit  L.,  Pari»  1866;  Ernst  Ziegel  er  de  L.  poetarum  judice  et 
imitatore,  Göttingen  1872:  Paul  Schulze  qnae  ratio  intercednt  inter  L.  et 
comicos  Graecorum  poetas,  Diss.  v.  Berlin  1883).  Für  den  ersteren  Zweck 
entstanden  Glossare  (xtt>(xix4)  Xl^t^);  aafDidymos  (Meineke  fragm.  com. 
Graec.  I  p.  14;  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalc.  fragm.  p.  27  ff.),  welcher 
Lykophron  und  Eratosthenes  benützte  und  seinerseits  von  Pamphilos  (M^ 
Schmidt  a.  O.  p.  74.  77),  Diogeneianos  (Hesychios)  und  Anderen  au9ge« 
beutet  wurde  (über  die  Aristophanesglossen  des  Hesychios  Novati  Studi  dl 
filologia  greca  I  p.  59  ff.)  folgten  Aelius  Theon,  ebenfalls  ein  Gewährs- 
mann  des  Hesychios  (vgl  auch  Phrynich.  ecl.  p.  377),  Epitherses  (Steph.. 
Byz.  u.  Ntxaia,  icspl  Xl^^cuv  'Axttxcuy  xal  xcufitxwy  xal  xpa^ixaiv,  vgl.  Erotianus- 
p.  88  Bepotc  Iv  8«oxlp(p  töv  XI5«tt>v)  und  Palamedes  (Suidas.  Etym.  M. 
p.  145,  44.  Schol.  Aristoph.  Pac.  913,  vgl.  O.  Jahn  Palamedes,  Hamburg 
1836  S.  58  ff.).  Der  Grammatiker,  welcher  sich  Schol.  Apoll.  4,  973  u.  1614 
6y  tg  xcDfitx^  Xi£ti  xf  oo}ifiixx(|> ,  x6  xa>fitx6v  Xs$tx6y  (anders  Schol.  Arist. 
Plnt.  313  ly  xf  xcoficxf  Xi^tt  924  b  x^  xoifiix'^y  Xi$iy  YP^4'tt<)  nach  Hemster- 
husius  ad  Plut.  p.  98  Palamedes,  nach  0.  Schneider  de  vett.  in  Arist. 
Schol.  fönt.  p.  95  Didymos)  citiert,  ist  Aelius  Theon.  Galenos  endlich 
schrieb  Xtt»y  l^ia»y   6yo(idttt>v  xa>(iix(i)v   icapa9tiY(iata   (IV  p.  368  Bas.).    Dazo 


Digitized  by 


Google 


Ani&Dge  der  Komödie.  391 

fnge  man  die  8.  129  ff.  erwähnten  Schriften,  welche  das  gesamte  Drama 
amfassen,  und  die  einzehie  Komiker  betreffenden  Arbeiten,  am  ein  volles 
Bild  von  dem  Reichtum  an  Stoff,  den  die  griechische  Philologie  aus  der 
Komödie  zog,  zu  gewinnen.  Was  wäre  ohne  sie  die  kolossale  Excerpten- 
Sammlung  des  Athenaios?  Wie  viele  Komikerwitze  figurieren  in  den 
Sammlungen  als  Sprichwörter,  wie  sehr  haben  ihre  Scherze  und  Angriffe, 
weil  die  Grammatiker  die  Komödie  zu  fleissig  lasen,  die  literarhistorische 
Ueberlieferung  entstellt  I 

Jetzt  muss  man  die  Bruchstücke  jener  Lexika  aus  den  Wörterbüchern 
und  Scholien  mühsam  zusammensuchen  (Kock  verspricht  eine  Sammlung 
für  den  Anhang  seiner  Fragmentensammlung).  Die  Aristophane^scholien 
enthalten  sehr  viele  Kombinationen  und  wenig  Ueberlieferung,  weil  hier  die 
ununterbrochene  Bühnentradition  der  Tragödie  fehlte  (die  Regiebemerkungen, 
T:ap9Ktr(p(iffai  genannt,  sammelten  £.  Droysen  quaestt.  de  Aristophanis  re 
scaenica,  Bonn  1868  p.  21  ff.  und  K.  v.  Holzinger  über  die  Parepigrapbae 
zu  Aristophanes,  Wien  1883);  die  alte  Komödie  wurde  ja  in  der  alexandri- 
nischen  Zeit  von  der  neuen  vollständig  verdrängt,  bis  der  Atticismus  sie 
künstlich  wiederbelebte  (Quintil.  10,  1,  65;  Plutarch.  comp.  Aristoph.  et  Men. 
c.  4  Aof.  ist  leider  lückenhaft;  schon  ApoUonios  von  Tyana  hoffte  in  Athen 
Komödien  mit  Parabasen  zu  hören,  Philostr.  vit.  Apoll.  Tyan.  4,  21  p.  73  K.). 
Was  die  (beschichte  und  die  Technik  der  alten  Komödie  anlangt,  finden  uns 
die  Aristophaneshandschriften  und  die  Scholien  znr  Grammatik  des  Thrakers 
Dionysios  mit  einigen  dürftigen  Excerpten  für  den  Schulgebrauch  ab  (ge- 
sammelt in  Meinekes  fragmenta  comic  Graec.  I  p.  531  ff.  n  1234  ff.,  vor  der 
Dindorfscheu  und  Pariser  Ausgabe  der  AristophanesschoUen  und  vor  Bergks 
Textausgabe,  nach  welcher  ich  unter  der  Chiffre  Anon.  de  com.  eitlere).  Mit 
Namen  nennt  sich  von  diesen  Handweisem  nur  Platonios,  welcher  über 
die  drei  Zeitalter  der  Komödie  (ic(pl  Stacpop&c  xa>(Xf{>Sid>v ;  über  die  Zusammen- 
setzung dieses  Abschnittes  s.  Fr.  Leo  quaestiones  Aristophaneae,  Bonn  1873 
p.  12  ff.)  und  ir«pl  8ta<pop&c  x*P**'^P">^  (vielleicht  mittelbar  nach  Diony- 
siades),  über  die  drei  Klassiker  der  alten  Komödie  handelt.  Nr.  ni  ist  ein 
wertvoller  leider  gegen  den  Schluss  immer  kürzer  werdender  üeberblick  über 
die  Geschichte  der  Komödie  mit  Zifferangaben;  aus  einem  ähnlichen  V^er- 
zeichnis  ist  YII.  excerpiert.  X.  icepl  xdSeux;  iconQToiv  stammt  von  dem  Peri- 
patetiker  Andronikos  aus  Rhodos,  ebenso  vielleicht  das  Excerpt  XI.,  das 
jedenfalls  aus  derselben  philosophischen  Schule  herrührt  (L.  Spengel 
Münchner  gel.  Anz.  11  [1840]  Nr.  133  S.  27ff. ;  J.  Bernays  Rhein.  Mus. 
^,  561  ff.).  IV.  handelt  von  Erfindung  und  Ziel  der  Komödie,  V.  (zu  einer 
Erklärung  des  „Plutos^*  gehörig)  von  ihren  Perioden,  VI.  von  dem  Lächer- 
lichen und  dem  Chor.  Das  wichtigste  Stück  ist  das  sogenannte  „plautinische 
Scholion^^  (griechisch  zuerst  in  Cramers  Anecdota  Parisina  I  3 ff.,  dann  Keil 
Rhein.  Mus.  6,  108  ff.  und  besser  in  Ritschis  opuscula  I  p.  197  ff.).  In 
Wahrheit  fasst  dieser  Name,  wie  der  neueste  Herausgeber  Studemund 
Philol.  46,  1 — 26  nachweist,  zwei  von  einander  unabhängige  Excerpte  zu- 
sammen, nämlich  §  1—18,  die  nichts  enthalten,  was  wir  nicht  schon  auB 
anderen  Excerpten  kennen   (IX  2  ff.   IV.   6  ff.    V.   VI.  1.  2)  und  §  19—39, 


Digitized  by 


Google 


392  XU.  Kapitel. 

wovou  die  einleitenden  §  19—23  (über  Ptolemaios  and  Peisistratos)  nicht 
hieher  gehören,  ebenso  eigentlich  auch  die  von  den  Dichtangen  überhaupt 
handehiden  §  26-28.  33—39.  So  bleiben  §  24.  25  (auf  die  Perioden  der 
Komödien  bezüglich)  und  eine  ans  Dionysios,  Krates  nnd  Enkleides  ge- 
schöpfte Uebersicht  der  Bestandteile  der  Komödie  §  29—32,  welche  an  das, 
was  Tzetzes  über  die  Tragödie  schrieb  (S.  133)  erinnert;  von  Tzetzes 
rühren  jedenfalls  ia(xßoi  texvtxol  ictpl  xti>(x<|>diac  (Anecdota  Oxon.  HI  p.  340  (f.) 
her.  Auch  die  an  Terenz  angeschlossenen  Arbeiten  lateinischer  Grammatiker 
enthalten  manchen  Best  griechischer  Gelehrsamkeit,  besonders  die  als  Einheit 
überlieferte  Einleitung  von  Euanthins  (Professor  der  Grammatik  in  Kon- 
fltantinopel,  f  360)  nnd  Donatns  (hrsg.  y.  Aug.  Beifferscheid ,  index  lect. 
Breslau  1874 ;  von  p.  8,  4  an  scheint  Donatns  zu  sprechen).  Der  mit  Sueton 
zusammenhängende  Artikel  de  oomoedia  der  Encyklopädie  von  St.  Gallen 
(ähnlich  bei  Isidor  orig.  8,  7)  ist  von  Usener  Rhein.  Mus.  28,  418  f.  ver- 
dffentlicht. 

Eine  sehr  wichtige  Quelle  ist  ein  offizielles  chronologisch  geordnetes 
Verzeichnis  aller  Komiker,  welche  an  den  Dionysien  Siege  errangen;  die 
Bruchstücke  des  Steines  findet  man  CIA.  II  977  bekannt  gemacht. 

Die  früheren  Hellenisten  schätzten  die  Komikerfragmente  nur  wegen 
ihres  sentenziösen  Gehaltes.  Von  diesem  Gesichtspunkte  sind  die  ältesten 
Sammlungen  von  Jakob  Hertel  (Vetustorum  comicorum  L  sententiae  qoae 
supersunt  Gr.  et  Lat.,  Basel  1560)  und  Henricus  Stephanus  (Ck>micorum  Grae- 
corum  sententiae  Latinis  versibns  redd.,  Paris  1569)  angelegt.  P.  F.  Kann- 
giesser  die  alte  komische  Bühne  in  Athen,  Breslau  1817  war  nicht  be- 
deutend. Erst  Tbeod.  Bergk  commentatioues  de  reliquiis  comoediae  Atticae 
antiquae,  Lpg.  1838  eröffnete  die  wissenschaftliche  Bearbeitung  dieses  Ge- 
bietes. Schon  im  nächsten  Jahre  erschien  von  Aug.  Meineke  historia 
critica  comoediae  Graecae  als  erster  Band  des  fünfteiligen  Werkes  Comicorum 
Graecorum  fragmenta  (Berlin  1839—57;  Bd.  II  ist  der  alten  Komödie,  III. 
der  mittleren,  IV.  der  neuen,  V.  einem  Glossar  von  H.  Jacobi,  der :  In  comicos 
Graecos  adnotationum  coroUarium,  Pr.  v.  Posen  1861  nachtrug,  und  den 
Addenda  eingeräumt;  editio  minor,  Berlin  1847).  Bald  nachher  gab  Bot  he, 
nachdem  er  die  Schrift  „Die  griechischen  Komiker.  Eine  Beurteilung  der 
neuesten  Ausgabe  ihrer  Fragmente"  (Lpg.  1844)  verfasst  hatte^  Poetarum 
comicorum  Graecorum  fragmenta  (Paris  1855)  heraus.  Eine  neue  Sammlung 
der  fieste  der  attischen  Komödie  hat  Th.  Kock  (Comicorum  Atticorum  frag- 
menta I.  alte  Komödie,  Lpg.  1880;  II  1.  Die  Jüngeren  ausser  Menander, 
Lpg.  1884;  Ergänzungen:  Nauck  Bulletin  de  TAcad.  de  St.  Petersboui^ 
XXX  (1885)  p.  109  ff.;  0.  Kahler  Hermes  21,  628  ff.  u.  Wochenschrift  f. 
klass.  Philol.  II  (1885)  S.  902  ff.  unternommen.  Eine  specielle  Geschichte 
der  Komödie  ist  seit  Meineke  nicht  erschienen,  einige  populär  gehaltene  Dar- 
stellungen ausgenommen:  Benoit  ^tudes  sur  la  comödie  publique  ä  Äthanes 
au  temps  de  la  guerre  du  P^loponn^  Paris  1850;  Nicol.  Louis  Artaud 
fragmenta  pour  servir  ä  Thistoire  de  la  com^ie  antique.  Epicharme,  Mönandre, 
Plante,  Paris  1863;  Edelestan  du  M^ril  histoire  de  la  oomedie  ancienne, 
Paris  1864—69,  2  Bde.;  J.  Denis  esprit  et  Constitution  de  la  com^die   ari- 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Komödie.  393 

fitophanesqne,  Caen  1885  o.  la  comödie  grecqne,  Paris  1887i  2  Bde.  Einzelne 
Fragen  behandeln:  J.  G.  Car.  Bnrmann  de  poetis  comoediae  Atticae  qui 
«ommemorantnr  ab  Aristophane,  Diss.  v.  Rostock,  Berlin  1868;  Ud.  v.W Hä- 
mo wits  observationes  criticae  in  comoediam  Graecam  selectae,  Diss.  v.' 
Berlin  1870;  Job.  Mnbl  znr  Geschiebte  der  attischen  Komödie,  Pr.  v.  Angs- 
borg  1881;  H.  Lübke  observationes- criticae  in  historiam  veteris  comoediae, 
Pisa«  V,  Berlin  1883;  £.  Brandes  observatt.  critt.  de  comoediarum  aliquot 
Attic.  temporibns,  Diss.  v.  Bostock  1886. 

Die  Komödie  beruht  in  Griechenland  auf  der  Veranlagung 
des  Volkes,  man  möchte  sagen,  sie  war  bei  der  uatio  comoeda, 
wie  sie  Juvenal  (3,100)  nannte,  eine  Notwendigkeit.  Die  Hel- 
lenen spotteten  ja  gerne  überjedwedeGebrechen  Anderer,  hatten 
aber  zugleich  von  der  Natur  die  Gabe,  eine  witzige  Form  dafür 
zu  finden,  erhalten.  Zu  Athen  vollends  besass,  während  in 
vielen  anderen  Städten  Griechenlands  besondere  Posseureisser 
ihre  Mitbürger  erheiterten  ^) ,  die  ganze  Bürgerschaft  eine  den 
Fremden  unheimliche  Spottlust,  die  ihr  verblieb,  als  die  Musen 
die  nissosstadt  längst  verlassen  hatten  ;  jeder  irgendwie  auffal- 
lende Mann  bekam  seinen  Beinamen  ^,  jeder  Gau  eine  Uebelrede') 
und  dem  Kunsthandwerk  lieferten  Karrikaturen  einen  unerschöpf- 
lichen Stoff*).  Wie  aber  die  griechische  Dichtung  überhaupt  ihre 
Wurzeln  im  Kultus  hatte,  so  war  es  auch  bei  der  Komödie  der 
Fall  *)♦    Die   Ausgelassenheit   erreichte ,   nachdem    die  Bauern 


1)  Z.  B.  in  Sparta  SsixsXixtai  (Sosibios  bei  Athen.  14,  621  de,  Soidas 
u.  £(oocßio^  mit  Bembardys  Note,  Hesycb.  n.  SixY)Xov,  Plutarch.  apopbtb. 
Laced.  ^Ayyjo.  57),  welche  Obst-  und  Traubendiebe  oder  firemde  Aerzte  lächer- 
lich machten,  ßpuXXixi<3tai  in  karrikierten  Weibermasken  (Hesycb.  s.  t.  n. 
ßpuXXcxiSStO  n.  fit(iY)Xoi  (Sosibios  bei  Suidas),  in  Italien  fXuaxe^  n.  lXap<pSot 
(Hiller  Rhein.  Mos.  30,  68 ff.),  anderwärts  oocpioxat  (Athen,  a.  O.)  oder 
a^ToxdßSaXoi  (Semos  bei  Suidas  n.  Sy)^oc). 

2)  Anazandrides  bei  Athen.  6,  242 e;  Lor.  Grasbergerdie  griechischen 
Stichnamen,  2.  Aug.,  Wnrzburg  1883. 

3)  Z.  B.  Suidas  u.  Apua^apveo;  Grasb erger  a.  0.  S.  57  ff. 

4)  S.  z.  B.  Martha  catalogne  des  figurines  en  terre  cuite  du  mnsee 
de  la  soc.  arch.  d' Äthanes,  im  Register  p.  213. 

5)  Dahlmann  primordia  et  successus  veteris  comoediae  Athen,  et 
tragoediae  historia  comparatur,  Kopenhagen  1811;  W.  Schneider  de  origi- 
nibus  comoediae  Graecae,  Breslau  1817;  Gundolfde  comoediae  apud  Graecos 
origine,  Paderborn  1833;  £.  v.  Leutsch  Philol.  Suppl.  1,  65 ff.;  Lorenz 
Leben  und  Schriften  des  Koers  Epicharmos  S.  18ff. ;  Gust.  Gramer  die 
altgriech.  Komödie  u.  ihre  geschichtliche  Entwicklung  bis  auf  Aristophanes 


Digitized  by 


Google 


394  XIL  Kapitel. 

8cl)on  bei  der  Erutearbeit  vor  Freude  über  die  ihnen  winkende 
Rahezeit  die  Vorübergehenden  verhöhnt  ^),  ihren  Höhepunkt  an 
den  Erntefesten,  also  im  Kultus  des  Weingottes  und  der  Frucht- 
göttin. ')  Hinsichtlich  letzterer  koncentrierte  sich  die  attisch- 
jonische  Sage  in  der  Magd  Jambe,  von  welcher  die  Frauen 
das  sonderbare  Recht  herleiteten,  an  den  Eleusinien,  Thesmo- 
phorien  und  Stenien  öflfentlich  die  zügellosesten  Reden  zu  füh- 
ren *).  Auch  im  achäischen  Pallene  verhöhnten  Männer  und 
Frauen  am  Feste  der  Demeter  einander*).  Aus  solchen  Kult- 
gebräuchen erwuchs  bei  den  loniern  die  jambische  Spottdicht- 
ung. Die  Dörfer  dagegen  scheinen  nicht  gewollt  zu  haben,  das» 
ein  Einzelner  sich  so  vordränge;  wir  hören  wenigstens,  dass 
auf  Aigina  zu  Ehren  der  aus  Epidauros  eingeführten  Frucht- 
göttinen  Damia  und  Auxesia  Prauenchöre  den  weiblichen  Teil 
der  Bürgerschaft  verspotteten;  jeder  Göttin  wurden  ausserdem 
zehn  männliche  Chorführer  erwählt*).  Das  sind  unverkennbare 
Keime  einer  wirklichen  Komödie.  Ebenso  liebte  man  inSyra- 
kus,  wo  sich  ausserdem  die  Einzelnen  am  Demeterfest  unflätige 
Worte  zuriefen,  ®)  nichts  mehr  als  die  Chöre  der  Jambisten  ^. 
Wie  aus  jenem  Brauche  die  sicilische  Jambendichtung  —  ich 
erinnere  an  den  Selinuntier  Aristoxenos  —  hervorging,  so  legten 
solche  Chorlieder  den  Grund  zur  dorischen  Komödie  ®). 


Pr.  V.  Beniburg,   Köthen    1874;   Kaetorchis  'A^vatov  6,  71flf.;  Usener- 
RheiD.  Ma8.  28,  417  ff.,  besonders  422  ff. 

1)  Diese  antike  Sitte  ist  meines  Wissens  jetzt  unr  mehr  in  den  ib- 
ruzzen  erhalten  (Eberh.  Gothein  die  Enlturent wieklang  Süditaliens,  Breslau 
1886  S.  262). 

2)  Vgl.  Etym.  M.  p.  764,  15  f. 

3)  Preller  Demeter  und  Persephone  S.  100.  389;  Heflych.  n.  Ft^upi^ 
und  Fe^pupiotai  von  dem  gleichen  Branche  der  Männer;  Eleomedes  de  mete- 
oris  2  p.  1120;  Lexikographen  n.  Srf^via. 

4)  Pansan.  7,  27,  10;  das  gleiche  fand  im  Apolloknltus  von  Anaphe 
statt  (Apoll.  Argon.  4, 1725  f.).  Merkwördiger  Weise  leitet  Enanthins  p.  3, 9  ff. 
die  Komödie  von  der  Apolloverehmng  ab. 

5)  Herodot.  5,  83.  Hieher  darf  ich  wohl  den  grossgriechischen  Kult 
der  Korythalia  stellen,  der  zn  Ehren  Mftuner  mit  hölzernen  Masken  als 
Possenreisser  auftraten  (Hesych.  u.  xopittoi). 

6)  Diodor.  5,  4,  5. 

7)  Athen.  5,  181c. 

8)  G.  A.  Scholl  de  origine  Oraeci  draroatis  dissert.  pars  I.  Tübingen 
1828;   O.  Müller   Dorier  II  348 ff.;   Karl  Jos.  Grysar  de  Doriensinm  oo- 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Komödie.  395 

Man  pflegt  den  Megarern  dieses  VerdieDst  zuzuschreiben 
und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  Megara  zur  Zeit  des  Aristo- 
teles eine  polemische  Komödie  —  wird  doch  ihre  Entstehung 
mit  der  demokratischen  Freiheit  in  Zusammenhang  gebracht  — 
besass.  ^)  Zudem  war  Demeter  eine  der  ältesten  und  beliebte- 
sten Gottheiten  des  Ländchens  und  das  Volk  zu  Scherz  und 
Spott  sehr  aufgelegt  ^,  mochten  auch  seine  feineren  Nachbarn 
die  Witze  plump  finden ').  Weiter  zurück  reichen  die  Nach- 
richten bezüglich  der  gleichnamigen  Kolonie,  des  sicilischen 
Megara ,  welches  wir  für  die  Geburtsstätte  der  literarischen 
Komödie  ansehen  müssen  *).  Vor  der  im  Jahre  485  durchge- 
führten Vernichtung  besass  die  Stadt  eine  regsame  Bürgerschaft  *) ; 
ihr  angeborener  Humor  konnte  in  der  neuen  Umgebung  nur 
verfeinert  und  belebt  werden,  denn  den  Siciliem  ging  es  nach 
Ciceros  berühmtem  Worte  nie  so  schlecht,  dass  sie  um  einen 
treffenden  Witz  verlegen  gewesen  wären  ^  Trotzdem  scheinen 
wir  die  erste  Anregung  von  einem  anderen  Punkte  herleiten  zu 
müssen. 

Jener  interessante  Gottesdienst  der  Aigineten  war  nämlich 
aus  Epidauros  entlehnt  und  dessen  Bürger  hatten  die  kleinasi- 
atische Insel  Kos  besiedelt.    Epicha r mos' ^)  Vater  Helothaies 


moedia  qnaestt.  L  Köln  1827;  Lorenz  a.  O.  —  Das  spätere  Theater  von 
Syrakns  lag,  wie  es  scheint,  neben  dem  Demetertempel  (Cic.  Yerr.  4,  119). 
Später  entschwand  freilich  das  Bewnssteein  des  Zusammenhangs  zu  Gunsten 
des  Dionysos  (vgl.  Theocrit.  epigr.  8  (17),  3  und  die  erdichteten  Namen  von 
Epicharmos'  Vater). 

1)  Poet.  3  p.  1448a  32.  eth.  Nicom.  4,  6  p.  n23a  23f.;  ü.  v.  Wilamo- 
witz  Hermes  9,  319  ff.  dentet  die  megarische  Komödie  nach  Art  der  Atellana. 

2)  Welcker  Theognis  prol.  p.  57;  J.  Girard  de  Megarensinm  ingenio, 
Paris  1854. 

3)  Mtfapixic  Y^Xfoc  Aristoph.  Vesp.  57  mit  Schollen  (daraus  Hesych. 
Snid.  n.  f^^^'^c)* 

4)  Vgl.  Aspas.  in  Aristot.  eth.  Nie  4,  2. 

5)  Z.  B.  blöhte  das  Ennsthandwerk,  s.  Bullettino  della  comm.  di  an- 
tichitlk  e  belle  arti  di  Sicilia  N.  6.  Sett.  1873. 

6)  Cic.  in  Verrem  4,  95. 

7)  Diogen.  La€rt.  vit  philos.  Vm  c.  3  §.  78;  Fr.  G.  Welcker  über 
Epicharmus  (1830),  Kleine  Schriften  1,  271  ff.;  Epicharmi  fragmenta  coli. 
H.  Polman  Kmsemann,  Harlem  1834;  Epicharmos  des  Koers  L^ben  n.  Schriften. 
Nebst  einer  Fragmentensammlnng.  Hrsg.  v.  Aug.  O.  Fr.  Lorenz,  Berlin 
1864;  M.  Haupt  qnaestt.  Epicharmeae  (1861),  opuscula  U  (1876)  p.  190-94. 


Digitized  by 


Google 


396  XII.  Kapitel. 

nun  *),  war  ein  Anhänger  des  koischen  Tyrannen  Kadmos,  wel- 
cher 494/3  freiwillig  nach  Zankle  auswanderte  und  dann  Gelons 
Vertrauensmann  wurde  *).  Mit  dessen  wechselvollen  Schick- 
salen hängt  es  wohl  zusammen,  dass  man  Epicharmos,  der  als 
Knabe  die  Heimatinsel  verliess,  bald  nachMegara,  bald  in  das 
Sikanerstädtchen  Krastos  und  endlich  nachSyrakus  verweist'). 
In  dieser  Grosstadt  entfaltete  Epicharmos  unter  dem  Schutze 
Gelons  seine  Wirksamkeit.  Wenn  ein  Chronist  gerade  sechs 
Jahre  vor  den  Perserkriegen,  also  486  (Ol.  73,  3)  zur  Zeitbe- 
stimmung nannte^),  schwebte  ihm  wahrscheinlich  ein  eklatanter 
Sieg  dabei  vor,  keineswegs  aber  der  Anfang  der  Dichterthätig- 
keit ;  war  doch  Epicharmos  viel  älter  als  die  frühesten  athen- 
ischen Komiker,  die  ihrerseits  schon  vor  dem  Perserkriege  auf- 
zutreten anfingen  ^).  Dank  der  Länge  seines  Lebens  —  er  wurde 
nämlich  mindestens  neunzig  Jahre  alt  ^)  —  erlebte  Epicharmos 
auch  die  Herrschaft  Hierons  und  gehörte  zu  den  vertrauten 
Genossen  dieses  Fürsten  ^). 

Epicharmos  war  durchaus   nicht    der  früheste  Komiker®), 
sonst  hätte  er  nicht   in    öflfentlichera  Wettkampf  mit  Konkur- 


1)  Diog.;  Tityros  oder  Cbimaros  (Saidas,  codd.  Xtifiiapoc)  nnd  Tbyraos 
(Jamblich.  vit.  Pyth.  34,  241)  sind  von  Epigrammatikern  erfanden ;  der  Mutter- 
narne  Sixic  (Suidas)  ist  wohl  ans  Iixtwi^  entstellt,  also  gleichfalls  ein  sym- 
bolischer dionysischer  Name.  Epicharms  Name  kam  in  der  That  auf  dem 
nahen  Rhodos  vor  (Rhein.  Mas.  N.  F.  4,  166).  Ein  Harmonistiker  nahm  au, 
Epicharm  sei  nach  Kos  verbannt  worden  (Sneton.  p.  8,  8  Reiff.). 

2)  Suidas  (ttvl«)  vgl.  Herod.  7,  164. 

3)  Megara:  Aristot.  poet.  3  p.  1448 a  33,  vgL  c.  5.  £Uoi  bei  Saidas; 
Krastos:  Neanthes  bei  Steph.  Bys.  Suidas  (nach  Welcker  8.  1,  3  ein  Wort- 
spiel mit  xipac);  Syrakas:  Athen.  8,  362 d.  15,  698  c.  Ck>lum.  7,  3,  6.  Epi- 
gramm der  Statue.    Suidas. 

4)  Suidas;  Ol.  73  Anon.  de  comoed.  III5;  s.  auch  Saidas  u.  AtivoXoxo^. 

5)  Aristot.  poet.  3  p.  1448a  33  f. 

6)  Diog.;  97:  Ps.  Lucian.  jxaxpoß.  25  (XC^ttac);  Greis:  Aelian.  var.  bist. 
2,  34.  Stat.  sUv.  5,  3,  151. 

7)  Marmor  Par.  Z.  71.  Timaios  bei  Clem.  AI.  ström.  I.  14  p.  353  P, 
130 S.  Jamblich.  vit.  Pyth.  36,  266.  Schol.  Pind.  Pyth.  1,  98;  Anekdote: 
Plutarch.  apophth.  reg.  *Upü»v  5  p.  175  c.  adul.  et  am.  27  p.  68  a.  Vgl.  noch 
*Eopt&  xal  vöoot  fr.  3. 

8)  Theocrit.  epigr.  8  (17),  1.  Sneton.  p.  8,  8  Reiff.  («nnt  qui). 


Digitized  by 


Google 


Anfltoge  der  Komödie.  397 

renten  um  den  Sieg   ringen    müssen  ^) ,   wohl  aber  Begründer 
des  Lustspiels  als  einer   regelrechten  Art   des  Dramas^.    Der 
Umfang, des  echten  literarischen  Nachlasses   stand   nicht  ganz* 
sicher  fest*);  die  Titel  der  Stücke  bezogen  sich  zum  grösseren 
Teil  auf  Götter  (Atov&aoi,  die  Musen,  Hebes  Hochzeit,  Bdxxat^ 
'A7pa>ottvo<;*)  oder  Heroen,  besonders  den  nimmersatten  Herak- 
les *)  (auf  der  Fahrt  nach  dem  Gürtel,  H.  bei  Pholos,  Busiris) 
und  den  pfiffigen  Odysseus,  als  Ueberläufer,  als  Schiffbrüchiger,, 
der  Kyklop*),  die  Sirenen,  dann  Pyrrha  und  Prometheus,  Ata- 
lante,  Philoktet,  die  Troer  oder  endlich  Unholde  wie   Ökiron 
und  Sphinx,  wobei  die  Mythologie  in  das  Plebejische  travestiert 
wurde ,   z.   B.   erschienen   die  Musen   bei   Hebes  Hochzeit  ala 
J^schweiber.     Die  „Perser**  parodierten  vielleicht  das  Stück  de» 
in  Sicilien  wohlbekannten  Aeschylus.    Femer   benützte   schon 
Epicharmos  die  Personifikationen  zu  komischer  Wirkung,  indem 
er  bald  einen  Chor  daraus  bildete  (die  Inseln,  die  Monate,  die 
Dreissigsten  ^)  bald  sie  dem  Anschein  nach  als  Personen  gegen- 
überstellte,   z.  B.   Erde  und  Meer,   Hoffnung  oder  Reichtum, 
AöYoc  xal  AoY^^a  (wobei  an  den  Aö^oc  Stxatoc  und   äStxoc  der 
„Wolken**  erinnert  sein  mag).     Andere  Titel  klingen  genrehaft^ 
wie  die  Festdeputation,  das  Fest,  das  Siegeslied,  die  Räubereien, 
die  Tanzenden,  die  Töpfe.     Bestimmte  Charakterrollen  hingegen 
sind  durch  bloss  drei  Titel,  „die  Megarerin**,  „der  Vomedran**^ 
(IlepCaXXoc)  und  „der  Demagog*'  ('Opoa),    angedeutet;    der   zu- 
letzt genannte  schmeckt  allein    nach  Politik ,    wie   hätte   auch 
selbst  die  mildeste  Tyrannis  ein  politisches  Lustspiel  geduldet, 
ausser  wenn  es  über  unruhige  Raisonneure  herging?  Die  Sprache 

1)  Die  Richter  waren  fönf  an  der  Zahl  (Epicharm  bei  Hesych.  Suid. 
SV  nivxt  xpitwv  Y^vaoi). 

2)  Aristot  poet.  5  p.  1449  b  6.  Anou.  de  com.  III  5  itpditoc  rJjv  xü)|i.<|)- 
Jiav  dceppifjLfjL^v  iv»xrrjoato  icoXX^  icpoo^piXotcxvYjoa?. 

3)  Nach  Snidaa  52  (Bergk  42)  Stücke,  nach  Lykon  (bei  Said.,  Lykophron?, 
nach  Kohde  Helikonios)  36,  nach  Anon.  de  com.  m  5  40,  wovon  vier  be- 
stritten waren. 

4)  Wahrscheinlich  ein  Dftmon,  da  nach  Hesych ios  Nymphen  'AYpü>otlvat 
hiessen. 

5)  Drastisch  schildert  er  ihn  bei  Athen.  10,  411  b. 

6)  Vgl.  Holland  Iicipeiger  Studien  7,  149 ff. 

7)  D.  h.  des  Monats  (Tpiaxd^e;),  vgl.  Hesiod.  E.  766  ffl 


Digitized  by 


Google 


938  Xn.  Kapitel. 

dieser  kleinbürgerlichen  Possen  war  natürlich  der  Dialekt  des 
gemeinen  syrakusauischen  Volkes,  wofür  Epicharmos  den  Gram- 
matikern als  Hauptqaelle  diente.  ^)  Nichtsdestoweniger  schrieb 
er  in  Versen  und  zwar  in  Trimetern  oder  trochäischen  Tetra- 
metern *),  was  nicht  recht  verständlich  wäre,  hätten  nicht  auch 
hier  die  Chorgesänge  den  ursprünglichen  Kern  ausgemacht'), 
lieber  die  Anlage  wissen  wir  leider  nichts  als  dass  die  Stücke 
geistreich  erfunden  und  sorgfältig  ausgeführt  waren  *).  Wenn 
der  Dichter  dem  witzigen  Volke  gefallen  wollte,  musste  er  viel 
Geist  aufwenden,  obgleich  auch  derbe  Scherze  auf  Kosten  von 
Betrunkenen  und  Schmarotzern  nicht  mangelten*).  Da  indes 
die  Landsleute  eines  Empedokles  nicht  bloss  lachen ,  sondern 
auch  ihren  Verstand  unterhalten  wollten,  erfreute  sie  der  Ko- 
miker durch  eine  unerschöpfliche  Fülle  geistreicher  und  tief- 
sinniger Sprüche  *).  Diesen  verdankte  er  es,  dass  er  von  Plato 
der  hervorragendste  Komiker  genannt^)  und  in  den  Schulen 
des  vierten  Jahrhunderts  gelesen  wurde ').  ^  Manche  rechneten 
sogar  Epicharmos  zu  den  sieben  Weisen  ®)  und  die  Pythagoreer 
beanspruchten  ihn  für  sich,  wenn  sie  ihn  auch  hochmütig  nur 
dem  äusseren  Schülerkreise  zugewiesen  ^®). 

Die  philosophische  Hochschätzung  hatte  die  Fälschung  ver- 
schiedener Lehrschriften  zur  Folge,  welche  teilweise  schon  im 


1)  Vgl.  Saidas  u.  ^tX65«voc  u.  Tpo^poDV.  U.  v.  Wilamowits  homerische 
Untersach angeu  S.  319  leitet  die  Grammatikercitate  aas  Apollodoros  icepl 
AoDpi^oc  ab.  In  den  Handschriften  sind  die  mnndurtlichen  Formen  sehr  ent- 
stellt. Die  Ueberliefemng  war  schon  früh  verderbt  (Schol.  A  in  Hephaest. 
1,  27  p.  111,  5  ff.  W.). 

2)  Mar.  Victorin.  2,  58. 

3)  Für  Megara  ist  der  Chor  durch  Aristot.  eth.  Nicom.  4,  6  p.  1123  a 
23  xu>fjL(|>dotc  xop'')Y^^  ansdrücklich  bezeigt. 

4)  Anon.  m  5;  s.  S.  397  A.  2.  Aristot.  poet,  5  p.  1449  b  3  rfi-q  ^i 
oxri\i.axa  tivd  a6rrj(;  ^x^üo-rjc  warnt  allerdings  vor  »u   hohen  Vorstellangep. 

5)  Vgl.  Cic.  Tusc.  1,  8;  Betrunkene:  Athen.  10,  429a;  Schmarotzer: 
Athen.  6,  235e  ff. 

6)  Anon.  de  com.  III  5.  Theocrit.  epigr.  8  (17). 

7)  Theaet.  152  e;  auch  Xenophon  citiert  ihn  (mem.  2,  1,  20,  von  Diu- 
dorf  verworfen). 

8)  Alexis  fr.  135,  6  K.;  daher  führt  Menander  fr.  526  M.  ihn  an. 

9)  Hippobotos  bei  Diogen.  Laert.  1,  42. 

10)  Diog.  Jamblich.  vit.  Pythag.  36,  266,  vgl.  166.   Clem.   Alex,  ström. 
5,  708  P,  255  S.  Theodoret.  cur.  äff.  Gr.  I  p.  478.  VI  p.  564. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Komödie.  399 

vierteD  Jahrhundert  existierten.  So  verfasste  der  Flötenspieler 
Chrysogonos  das  Lehrgedicht  „IIoXtTsfa**  in  Tetrametern  ^) ;  im 
gleichen  Metrum  waren  die  Lehren  des  „Chiron"  geschrieben  T). 
Das  philosophische  Gedicht  „über  die  Natur"  bearbeitete  Ennius 
in  lateinischen  Trochäen  ^).  Der  „Kanon**  und  die  „Gnomen**, 
wahrscheinlich  ebenfalls  metrisch,  rührten  von  dem  Lokrer  oder 
Sikyonier  Axiopistos  her*).  Ausserdem  gab  es,  vielleicht  weil 
man  Epicharmos  mit  Empedokles  verwechselte  oder  doch  paral- 
lelisierte,  ein  sogar  die  Veterinärkunde  mit  einbegreifendes 
medicinisches  Lehrgedicht,  das  Pliuius  benützte  und  Columella 
rühmte*),  sodann  eine landwirtschaftUche  Schrift,  ^  ein  berühm- 
tes Traumbuch^),  eine  Rede  an  Antenor  und  gar  auch  ein 
Kochbuch  ®).  Die  Fälscher  trieben  in  mehreren  Fällen  die  Vor- 
sicht so  weit ,  dass  sie  die  Echtheit  durch  Akrostiche  beglau- 
bigten. Wegen  jener  Dichtungen  stellte  man  Epicharmus  dem 
alten  Hesiod  an  die  Seite.  Vermöge  derselben  konnte  Apollo- 
doros  freilich  die  Epicharmea  in  zehn  Bände  zerlegen^. 

Epicharms  Komödien  dürften  die  Entwicklung  des  athen- 
ischen Lustspiels,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  unerhebUch  be- 
einflusst  haben ;  noch  in  der  augusteischen  Zeit  stellten  sie  Kri- 
tiker den  hochgepriesenen  menandrischen  an  die  Seite  ^^) ,  aber 
das  Ueberhandnehmen  der  einseitig  rhetorischen  Beurteilmig 
drängte  den  derberen  Dörfer  rasch  hinter  den  eleganten  Athe- 
ner zurück,  so  dass  Quintilian  in  seiner  Musterung  der  griech- 
ischen Dichter  bereits  ganz  von  ihm  schweigt.  Epicharmos 
verblieb  den  Grammatikern  und   gelehrten  Philosophen  bis  in 


1)  Aristoxenoe  bei  Athen.  14,  648  d ;  Citat  Clem.  ström.  5,  719  P,  258  S. 

2)  Athen.  14,  648  d. 

3)  Lorenz  a.  O.  fr.  B  n.  1. — 12.  Man  citierte  die  Uebersetzang  unter 
dem  Titel  „Epicharmus**. 

4)  Phüochoros  bei  Athen.  14,  648  d ;  s.  fr.  B  13—25. 

5)  Diogen.  Columella  7,  3,  6;  vgl.  Lorenz  S.  65  f.  Fr.  C  15,  anch  16. 17. 

6)  Columella  1,1,8  (wird  angefochten,  s.  Fabricius-Harles,  bibl.  Graeca 
n  299  A.). 

7)  Tertullian.  de  anima  46. 

8)  Plntarch.   Kum.  8   (Pythagoras   erhftlt   das  römische   Bürgerrecht!): 
h^QKOita:  Antiatticista  Bekk.  Anecd.  Gr.  I.  99. 

9)  Porphyr,  vit.  Plotin.  24. 
10)  Vgl.  Horat.  epist.  2,  1,  57  f. 


Digitized  by 


Google 


400  XII.  Kapitel. 

(las  elfte  Jahrhundort  hinein  ^),  aber  es  ist  merkwürdig,  dass  in 
der  späteren  Kaiserzeit  niemand  mehr  über  den  Dichter  schrieb, 
während  vorher  der  jüngere  Dionys  von  Syrakus  und  Aristoxe- 
nos  Abhandlungen  verfasst  *)*,  der  berühmte  ApoUodoros  eine 
kommentierte  Ausgabe  veranstaltet')  und  Alkimos  die  Philoso- 
phie des  Dichters  im  Hinblick  auf  die  platonische  behandelt 
hatte*). 

Von  Epicharmos'  Gegnern  und  Zeitgenossen  werden  noch 
zwei  genannt:  Der  Syrakusaner  Ph  ormos,  eigentlich  dem  ar- 
kadischen Mainalos  entstammt,  soll  Erzieher  der  Kinder  Gelons, 
nach  anderen  diesem  und  Hieron  im  Kriege  nützlich  gewesen 
sein  *).  Die  sieben  Stücke,  welche  die  Alten  von  ihm  kannten, 
führen  alle  mythologische  Namen ;  ein  achtes,  die  „Atalanten", 
war  zwischen  ihm  und  Epicharmos  streitig  •).  Phormos  führte 
die  bis  zum  Boden  reichenden  Gewänder  (oflfenbar  um  die 
Tragödie  auch  äiisserlich  zu  parodieren)  und  eine  Scenerie  aus 
Leder  ein '),  ein  Luxus,  der  vielleicht  auf  ihn  den  reichen  Mann  ®) 
beschränkt  blieb.  Der  zweite D ein olochos  war  ausSjrrakus 
oder  Akragas  und  hiess  des  Epicharmos  Sohn  oder  Schüler 
oder  Konkurrent;  seine  vierzehn  Possen  fielen  der  Vergessen- 
heit auheim  % 

Zu  diesen  dürftigen,  keine  deutliche  Vorstellung  des  sicili- 
schen  Lustspieles  gewährenden  Nachrichten  tritt  eine  interessante 
Notiz,  welche  ein  Streiflicht  auf  seine  stehenden  Figuren  wirft. 


1)  Michael  PseHos  in  Sathas'  |i.eoata>v  ßtßX.  V  p.  92. 

2)  Suidafl  u.  Aiovoaioc;  Schol.  Hepbaest.  in  Studemnnd  u.  SchöIIs 
Anecdota  I  p.  143  icp6(  t6  Y^p^iQveuxivac  }i,6vov  toö  '^Apiatofivoa  xbv 
^  Eict)^apjtov. 

3)  Suidas  u.  xap^Kutteiv.  Ath.  14,  648  de,  8.  S.  399  A.  9. 

4)  Diogen.  Laert.  3,  9  ff. 

5)  SuidaB  s.  v. ;  bei  Aristot.  poet.  5  nnd  Paasan.  5,  27,  1.  2  heisst  er 
^opfjLt^  (vgl.  Lob  eck  pathologiae  proleg.  p.  502);  Lorenz  Epicharmos 
S.  85  f.). 

6)  Athen.  14,  652  a.    "Iititoc  war  jedenfalls  das  trojanische  Pferd. 

7)  Athen.  14,  652  a  (ax-rjv}]  Sep^dtwv;  das  dahinter  überlieferte  <potvi- 
xoDc,  welches  man  in  <potvtxu>v  zu  ändern  pflegt,  ist  eine  aaf  das  Folgende 
bezägliche  Randglosse ;  übrigens  hatte  schon  Asi>asi'os  zu  Aristot.  eth.  Nicom. 
4,  6  die  heutige  Lesart  vor  sich). 

8)  Pausan.  a.  O. 

9)  Suidas  s.  v.;  Konkurrent:  Aelian.  bist.  an.  6,  51,  womit  die  Zeit- 
angabe des  Suidas  (Ol.  73)  übereinstimmt. 


Digitized  by 


Google 


Anfänge  der  Komödie.  401 

Die  Megarer,  schon  in  Hellas  als  Feinschmecker  bekannt^), 
fanden  in  ihrer  Niederlassung  den  berühmten  hybläischen  Honig 
Tor,  ein  Produkt,  ohne  das  im  Altertum  wie  noch  jetzt  in  der 
Levante  die  feinere  Kochkunst  unmöglich  war;  ausserdem  be- 
sassen  die  sicilischen  Diners  überhaupt  einen  sprichwörtlichen 
Ruf  ^*  Da  die  Köche  also  im  wirklichen  Leben  eine  wichtige 
Rolle  spielten,  beschäftigte  sich  auch  die  Posse  Siciliens  viel 
mit  ihnen,  wobei  der  fremde  gemietete  Koch,  dessen  attischen 
Doppelgänger  wir  zur  Genüge  kennen,  Tettix^)  hiess,  während 
der  unfreie  Hauskoch  den  unteritalischen  Namen  Maison,  weil 
von  dorther  natürUch  viele  Sklaven  kamen,  trug*). 

Es  ist  oben  bereits  hervorgehoben  worden,  das»  die  länd- 
lichen Feste  nicht  bloss  zur  Ehre  der  Fruchtgöttin  gefeiert  wur- 
den, sondern  auch  Dionysos  überall,  wo  man  Wein  baute,  die 
gebührende  Verehrung  empfing.  Da  aber  der  Bauer  diesen  Gott 
in  dem  rohen  Phallossymbol  zu  verehren  pflegte,  war  die  aioxpo- 
Xo^ia  von  vornherein  erlaubt,  ja  ermuntert.  In  vielen  Städten 
trat  eine  Schaar  mit  einem  hölzernen  Phallos  öflfentlich  auf 
um,  nachdem  sie  auf  den  Gott  ein  Lied  abgesungen  hatte,  an 
missliebigen  Mitbürgern  ihr  Mütchen  zu  kühlen  ^).     Aristoteles 


1)  Diogenes  bei  Tertnllian.  apologet.  39. 

2)  Lorenz  a.  O.  93;  A.  Otto  Archiv  f.  latcin.  Lexikographie  3,  373. 
Der  sicilischen  Köche  gedachte  der  jüngere  Eratiuos  (fr.  1). 

3)  Athen.  14,  659  a ;  in  der  nenen  attischen  Komödie  hiess  ein  ^paiccuv 
so  (PoUux  4,  149). 

4)  Athen,  a.  O.  (Maioa>vix&  oxü>fjL}iaTa  b,  Matotovtx'r)  ico(poi}i.ia  Diogeu. 
praef.,  Tgl.  Zenob.  2,  11).  Pollnx  4,  148.  149.  Festns  n.  Maesones,  nach 
Aristophanes  von  einem  Schauspieler,  welcher  die  Maske  erfand,  oder  nach 
anderen  von  einem  Dichter  benannt,  aber  dann  müsste  sie  Matawvioc  heissen, 
wie  'Ep}iLu>vioc  und  Aoxofii'f^Ssio^  (Pollnx  4,  143).  Der  Name,  welcher  scherz- 
haft in  Mooofuv  verdreht  wnrde  (Heeych^  n.  MooowvtO,  kommt  in  einer 
messapischen  Inschrift  (Fabretti,  Corpus  inscript.  Ital.  2942)  vor ;  also  ist  die 
Ableitung  des  Chrysippos  (von  }iLaoaoji.ai,  Athen,  a.  O.)  falsch.  Polemon 
(Athen.  14,  659  c)   betont  ausdrücklich   den  sicilischen  Ursprung  der  Maske. 

5)  Sie  hieesen  <paXXo<p6poi  (Athen.  14 ,  621  f.  Semos  ib.  622  cd)  oder 
l^ü<paXXoi  (Semos  622  bc,  vgl.  Suid.  v.  SYjfiioc.  Harpocr.  s.  v.  s.  auch  Suid. 
u.  Hesych.  s.  v.),  vgl.  Grenz  er,  Dionys.  p.  232  flf.;  Fritzsche  de  Lenaeis 
mantissa,  Kostock  1837  p.  29  ff.  Mit  letzterem  Worte  hängen  offenbar  die 
Td-o^ßpi  genannten  Spottterse  zusammen  (Hesych.  u.  id'Ofiißoc). 

Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  IH.  26 


Digitized  by 


Google 


402  Xn.  Kapitel. 

leitet  davon  die  attische  Komödie  ab,  ohne  jedoch  über  die 
Mittelglieder  Auüschluss  geben  zu  können  *).  In  der  That  hören 
wir  sonst,  den  Dithyrambos  ausgenommen  von  dionysischen 
Chorliedem  nichts,  wälirend  die  an  den  Ohoen  und  Lenäenin 
der  Stadt  herumfahrenden  Masken ,  welche  die  Leute  „vom 
Wagen  herab"  verspotteten*),  den  oben  erwähnten  Nachfolger- 
inen Jambes  zu  vergleichen  sind.  Allerdings  gingen  jene  Phallos- 
gesänge  nicht  nur  nicht  in  die  Komödie  auf,  sondern  sie  über- 
dauerten das  alte  Lustspiel  bei  weitem  und  wurden  mit  der 
Zeit  auch  bei  anderen  Gelegenheiten  vorgetragen ') ;  während 
der  Dionysien  konnte  man  solche  Reigentänze  an  .mehreren 
Orten  der. Stadt  und  in  den  Dörfern  sehen,  weshalb  Freunde 
der  Musen  an  dem  Feste  herum  wanderten  *).  Andererseits  führte 
die  Komödie  den  allgemeineren  Namen  Komos-Gesang ,  d.  h. 
Lied,  welches  ein  Zug  froher  Zecher  sang  %  Dies  ist  ja  die 
einzige  zulässige  Erklärung,  obgleich  schon  zur  Zeit  des  Aristo- 
teles gebildete  Dörfer  zu  Gunsten  des  dorischen  Ursprungs  den 
Namen  von  dem  unattischen  xo>(i'y]  (Dorf)  ableiteten;  da  diese 
Etymologie  den  Späteren  am  meisten  zusagte,  fabulierten  sie 
des  weiteren,  geschädigte  Bauern  hätten  sich  zuerst  zu  einer 
Art  ^aberfeldtreiben    zusamraengethan  ^)   oder  die  Jugend    sei 


1)  Poet.  4  p.  1449  a  11. 

2)  Plat.  leg.  1,  637  b.  Menandros  bei  Harpokr.  Suidas  u.  atp'  dt}iLdi£Y)(; ; 
aber  den  gemeinen  Ton  Demostb.  18,  122;  Masken:  Ders.  19,  287.  Daher 
rührt  der  eigentämliche  Gebrauch  des  Wortes  icopiictüsiv.  Auf  die  Komödie 
beziehen  den  Brauch  Schol.  Aristoph.  Nub.  296.  Eq.  551  (544).  Phot.  Snid. 
6$  dfjLdi£-r)c,  -<i>v,  Apostol.  16,  4  u.  A.;  s.  S.  139  A.  8.  Die  Lieder,  welche 
weibliche  Chöre  bei  der  Erigonefeier  sangen,  gehören  trotz  ihres  in  Kolophon 
zügellosen  Tones  nicht  hieher;  nach  Aristoteles  verfiEtsste  Theodoros  derartige 
Gesänge  (Athen.  14,  618  ef). 

3)  Z.  B.  als  die  Athener  Demetrios  Poliorketee  empfingen  (Demochares 
bei  Athen.  6,  253  c),  und  bei  Trinkgelagen  Alexanders  des  Grossen  (Hippolo- 
chos  bei  Athen.  4,  129  d). 

4)  Plato.  rep.  5,  475  d. 

5)  Vgl.  Aristot.  poet.  3  p.  1448  a  38  u.  A.  Thaleia  hält  daher  auf 
einer  Neapler  Vase  Thyrsos  und  Fackel  (Gerhard,  Neapels  antike  Bildwerke 
I  S.  365)  und  „Eomodia"  trägt  auf  einem  anderen  Gefösse  (Miliin,  peintures 
de  vases  ant.  I  9)  Thyrsos  und  Becher. 

6)  Anon.  IV  1.  VHI  2  ff.  Etym.  M.  p.  764,  20  ff.  Donatus  p.  8,  18  ff. 
Tzetz.  Anecd.  Oxon.  IH  335,  2  ff. 


Digitized  by 


Google 


Aufftnge  der  Komödie.  403 

ehemals  in  den  Dörfern  herumgezogen ,  um  mit  Singen  Geld 
zu  verdienen  *).  Der  Name  der  Komödie  wird  durch  eine  merk- 
würdige Stelle  des  Pbilodemos,  worin  er  von  dem  Lindier  An- 
tbeas  spricht  ^,  am  besten  erläutert :  ,,Er  weihte  sein  ganzes 
Leben  dem  Dionysos,  indem  er  dionysisches  Gewand  trug  und 
viele  Bakchanten  ui^terhielt,  und    führte   regelmässig   bei  Tag 

und  Nacht  einen  Komos  an Er  dichtete  auch  xiA^8(a(: 

und  vieles  andere  der  Art ,  welches  er  an  der  Spitze  seiner 
Phallosträger  sang".  Auf  Rhodos  kämpften  nämlich  Bürger- 
chöre dem  Dionysos  zu  Ehren  *). 

Jedenfalls  bestand  die  Komödie  gleich  der  Tragödie  anfemgs 
aus  Chorgesängen  allein  ^),  deren  Ausgestaltung  zu  einem  Drama 
um  nichts  klarer  vor  unseren  Augen  liegt.  Die  parische  CHiro- 
nik  meldet  kurz  und  trocken ,  dass  in  der  dritten  oder  vierten 
Dekade  des  sechsten  Jahrhunderts  Susarion  mit  einem  ko- 
mischen Chor  auftrat  und,  weil  er  gefiel,  ein  echt  dionysisches 
Geschenk,  einen  Krug  Wein  und  einen  Korb  getrocknete  Feigen 
empfing  ^).  Spätere  wussten  freilich  von  diesem  einige  lam- 
beh  anzuführen ,  worin  er  sich  Sohn  des  Philinos  aus  dem 
megarischen  Tripodiskos  nennt  ^) ;  sollten  jedoch   diese   Verse 

1)  (Aristot.  poet.  3  p.  1448  a  88)  Varro  bei  Saeton.  p.  7,  13  ff.  Beifi. 
Anon.  III  1 ;  ganz  nnbranchbar  sind  die  Ableitungen  von  Ka»c  (als  Epicharma 
Heimat,  sant  qui  bei  Sneton.  p.  8,  8  Reiff.)  und  xm^ka  Schlaf  Anon.  Vlll 
10.  IV  6.  IX  10.  Etym.  M.  p.  764,  17.  Thom.  Mag.  vita  Ariatoph.  6  (man 
darf  zar  Entschuldigung  an  Philostrat.  imag.  1,  2,  wo  Heyne  und  Zo§ga  den 
Komos  als  Schlafgott  erklären,  erinnern). 

2)  Athen.  10,  445  b. 

3)  Vgl.  Ariatides  orat.  44  H  399  (I  841). 

4)  Enanthius  p.  4,  13  ff. 

5)  Marm.  Par.  Z.  55  (Die  jetzt  verlorene  Jahreszahl  lag  zwischen  Ol.  49, 
4  und  54,  3,  also  581  und  562).  Susarion  heisst  daher  Erfinder  der 
attischen  Komödie  (Anon.  V  2  =  VHI  16),  ungenau  der  Komödie  überhaupt 
(Clem.  Alex,  ström.  I  365  P,  133  S.  Anon.  HI  1.  Vm  6  =  IX  5.  Greg. 
Cor.  Walz  VII  1328,  16.  Tzetz.  Aneed.  Oxon.  m  336.  Anon.  de  com.  Rhein. 
Mus.  28,  418  Z.  16). 

6)  Anon.  VHI  6  =  IX  5  (Meineke  I  20  ff.  Kock  I  3  f.),  schon  Sueton. 
p.  9,  12  ff.  bekannt ,  dagegen  ignorierte  sie  die  Quelle  von  Marm.  Par.  und 
Clem.  Alex.  a.  O.,  welche  Susarion  nach  Ikaria  versetzt  (vgl.  auch  Anon. 
HI  1).     ü.  V.  Wilamowitz  Hermes  9,  338  beanstandet  die  Anrede  8*1)^6 tai. 

26* 


Digitized  by 


Google 


404  Xn.  Kapitel. 

überhaupt  echt  sein,  müssten  sie  iambischen  Gedichten  in  der 
Art  des  Phokylides  entstammen.  Wenn  man  sich  jedoch  er- 
innert, dass  der  offene  Krieg  zwischen  Athen  und  Megara  erst 
um  570  aufhörte  und  die  einen  Nisaia,  die  anderen  Salamis  zu 
verschmerzen  hatten,  dann  erscheint  die  Behauptung,  ein  Dich* 
ter  der  verhassten  Nachbarstadt  habe  sich  bald  darauf  nach 
Athen  begeben  und  obendrein  einen  Sieg  errungen,  in  bedenk- 
lichem Lachte. 

Susarions  Name  leuchtet  vereinzelt  aus  dem  Dunkel  heraus. 
Man  könnte  sich  sogar  darQber  wundern,  dass  dieser  eine  noch 
überliefert  ist ;  bezeugt  doch  Aristoteles,  die  Anfänge  der  Komö- 
die seien  unbekannt,  weil  man  sie  anfangs  nicht  geachtet  habe. 
Sie  sei  lange  Zeit  von  Freiwilligen  dargestellt  worden  und  erst 
spät  habe  sich  der  Staat  darum  angenommen  ^).  Dies  gibt  uns 
das  Recht,  gegen  die  von  Suidas  erwähnten  Zeitgenossen  des 
Epicharmos  (Euetes ,  Euxenides  und  Myllos)  •),  wie  gegen  die  be- 
stimmte Angabe,  dass  Chionides  acht  Jahre  vor  dem  Perser- 
kriege imAgon  siegte*).  Misstrauen  zu  hegen.  Bei  Myllos  kann 
man  übrigens  erraten  ,  wie  er  zu  der  Ehre  kam;  die  Gram- 
matiker, welche  in  den  „Kleobulinen**  des  Kratinos  das  Scherz- 
wort „Myllos  hört  alles"  lasen,  machten  unbedenklich  einen 
komischen  Schauspieler  daraus  und  dieser  verwandelte  sich,  wie 
es  ähnlich  gar  oft  geschah ,  mit  der  Zeit  in  einen  komischen 
Dichter*).  Es  sei  uns  genug,  dass  der  Verfasser  der  Didaska- 
lien  Magnes  und  Chionides  die  ältesten  Dichter  der  attischen 
Komödie  nennt  und  sie  lange  nach  Epicbarms  Auftreten  setzt  ^). 
Das  Jahr  des  ersten  öffentlichen  Agons,  womit  die  Komödie  in 


1)  Poet.  5  p.  1449  b  1  f. 

2)  Suidas  u.  'EittxapH^o? ;  statt  Eicxirjc  (vgl.  C.  Keil  spec.  onomatolog. 
Graec.  p.  61)  hat  Vitrav.  VI  praef.  Encrates.  S.  auch  Wilamowits 
Hermes  9,  339.  341. 

3)  Dies  nahm  offenbar  der  Gewährsmann  der  entstellten  Notiz  des 
Suidas  u.  XtovtJirjc  an. 

4)  Schauspieler:  Eustath.  in  Odyss.  p.  1885,  21;  Dichter:  Sueton.  p.  9, 
9  Reiff.  Diogenian.  6,  40  u.  A.  Hesycb.  u.  jxuXXov.  Arcad.  de  accent.  p.  53, 
15  ed.  Barker. 

5)  Poet.  3  p.  1448  a  35. 


Digitized  by 


Google 


Anflinge  der  Komödie.  405 

die  Literatur  eintritt,  ist  leider  nicht  einmal  annähernd  zu  be- 
stimmen ^). 


1)  Seibit  die  Insohrüt  CIA.  II  971  a,  wo  die  Au£Pahnmg  einer  Komödie 
des  Magnes  mit  einem  Siege  des  Aesohylos  vereinigt  ist,  hilft  nicht  weiter, 
da  Aeschylns^  Stücke  bekanntlich  auch  nach  seinem  Tode  in  den  Dionysien 
siegten.  Vgl.  ober  die  Frage  Leo  Rhein.  Mns.  33,  139 ff.;  Bergk  Rhein. 
Mus.  34,  292  ff.  (nach  seiner  Annahme  wurden  die  Lenäen  den  Komödien 
OL  79,  1,  die  Dionysien  OL  84  eröffiiet);  ü.  Köhler  Mittheil,  des  deatschen 
arch.  Inst,  in  Athen  3,  104  ff.  (um  Ol.  78). 


Digitized  by 


Google 


Xm.  Kapitel. 
Die  altathenische  Komödie. 

Staatliche  Ordnang;  Publikum;  Technik:  Stofte  und  Penouen  (Bürger, 
Fremde,  Götter,  Personifikationen,  nicht  erfundene  Personen);  Preesfreiheit; 
Earrikatnren ;  politische  Haltung;  Yerfolgnng  der  Philosophen  und  Musiker; 
lächerliche  Garderobe,  Obscenitftten,  Parodie,  Zerstörung  der  Illusion;  Oeko- 
nomie  und  Dialog,  Schauspieler  und  Chor,  Parabase;  Musik  und  Tanz ;  Vers- 
mass  und  Sprache;  Einheit  des  Ortes  und  der  Zeit;  Gesamturteil. 


Fr.  Schlegel  von  dem  künstlerischen  Werte  der  alten  Komödie  (1794), 
sämtliche  Werke  (Wien  1846)  Bd.  4  S.  22fi^;  W.  Gerhard  Brill  quaeetiones 
selectae  de  oomoedia  Aristophania,  Leiden  1837 ;  H.  T.  Hörn  u ng  de  partibus 
comoediarum  Graecarum,  Diss.  v.  Berlin  1861;  Hub.  d'Avis  de  priscae 
^moediae  Atticae  natura  forma  et  legibus,  Marburg  1868 ;  £.  W.  H.  B  r  e  n- 
tano  Untersuchungen  über  das  griechische  Drama  I.  Frankfhrt  a.  M.  1871; 
Jul.  Bock  über  Inhalt  und  Darstellungsformen  des  politischen  Lustspiels 
der  Griechen,  Pr.  v.  Nenstrelitz  1875;  Texte r  zur  dramatischen  Technik  des 
Aristophanes,  Pr.  v.  Stettin  1884  und  1885;  Th.  Zielinski  die  Gliederung 
der  altattischen  Komödie,  Lpg.  1885  u.  Journal  des  Minist  der  Yolksaufkl. 
m.  Abt  1885  Januar  Iff.  März  129  ff.  1886  November  S.  53  ff.  Dezember 
S.  117  ff. 

Der  Staat  bebandelte  die  Komödie,  seitdem  er  sie  über- 
haupt  anerkannte,  mit  der  Tragödie  gleichberechtigt,  indem 
er  die  komische  Choregie  unter  die  von  den  Vermögenden 
jahrlich  zu  übernehmenden  Ehrenämter  aufnahm  und  seiner- 
seits den  Dichter  honorierte  ^).  Diese  Einrichtung  ermöglichte 
während  des  fünften  Jahrhunderts  nicht  allein  an  den  grossen 


1)  Hesych.  u.  fiLio^6(. 


Digitized  by 


Google 


Die  altatbenieche  Komödie.  407 

Dioiiysien  drei  Komödien,  wahrscheinlich  in  der  Weise,  dass 
jeder  der  drei  Spieltage  (S.  152)  durch  eine  Komödie  heiter 
beschlossen  wurde  ^).  Erst  im  folgenden  Jahrhundert  wurde 
die  Zahl  gleichzeitig  mit  der  Verlängerung  der  Dionysien  auf 
fünf  erhöht  ^.  Wer  sich  nicht  vor  die  grosse  panhellenische 
Versammlung  der  Dionysien  wagte,  dem  standen  die  winter- 
lichen Leuaien,  wo  die  Athener,  weil  die  Schiffahrt  ruhte, 
unter  sich  waren,  offen.  Auch  hier  wurden,  wie  die  Didas- 
kalieu  aristophanischer  Stücke  zeigen,  drei  Konkurrenten  zu- 
gelassen. Da  die  Komödien  nicht  trilogienweise,  sondern  einzeln 
gespielt  wurden,  konnte  der  Archon  gestatten,  dass  fruchtbare 
Dichter  mit  zwei  Stücken  zugleich  in  den  Wettkampf  eintraten, 
um  das  doppelte  Honorar  und  eventuell  zwei  Preise  zu  er- 
langen ^).  Uebrigens  wollte  der  Staat  durch  die  Einweisung 
von  drei  oder  fünf  Choregen  die  Produktion  von  Komödien 
fördern,  nicht  aber  einschränken.  Wie  nun  vorher  der  Chor 
aus  FreiwiUigen  bestanden  hatte,  so  stand  auch  noch  unter 
den  veränderten  Verhältuisson  einem  vierten  Dichter  der  Zutritt 
zum  Agon  frei,  wenn  er  selbst  für  den  Chor  sorgte  und  auf 
Honorar  verzichtete*).  Für  die  Wiederaufführung  älterer  Stücke 
bestimmte  man  wiederum  die  ländlichen  Dionysien  %  ausserdem 
aber  in  älterer  Zeit  auch  die  Chytren,  was  Lykurgos  wieder 
in  Aufnahme   brachte  ^) ;    die  Wiederholung  lag  gleichfalls  in 


1)  Nach  dem  Mittagessen  Aristoph.  Av.  789,  wozu  Philochoroe'  £r- 
zftblnng  bei  Athen.  11,  464 e  paast.  In  Inschriften  werden  aUerdings  die 
Komödien  vor  den  Tragödien  genannt  (Alb.  Müller  griech.  Bühnenaltert. 
S.  322,  3). 

2)  Zuerst  388  (aus  der  Didaskalie  des  „Plutoe^^)  nachzuweisen;  CIA.  II 
972;  Sanppe  Gott.  Nachrichten  7, 20fr.;  Petersen  Wiener  Stndien  7,  181  ff. 

3)  Dies  that  nachweislich  im  Jahre  353  Diodoros  (CIA.  II  972). 

4)  Auf  solche  Weise  führte  z.  B.  Kratinos  die  „Hirten"  auf  (vgl.  fr.  18  K. 
bei  Hesych.  u.  nopicepe^X^^  b*  auch  Aelius  Dionysios  bei  Eustath.  in  II.  K  227). 
Vielleicht  fehlten  die  Ooopioicipaai  des  Metagenes  und  Nikophons  „Sirenen" 
eben  aus  diesem  Grunde  in  der  offiziellen  Liste  (Athen.  6,  270  a). 

5)  Aeschin.  1,  157.  Das  Gesetz  des  Enegoros  (Demosth.  21,  10)  hebt 
hierbei  wieder  den  Piräus  hervor  (S.  150  A.  3). 

6)  PS.  Plutarch.  Lycui^.  841  ef  (vgl.  Rohde  Rhein.  Mus.  38,  276 f.); 
Xutpivoi  &Y <uvt<;  Philochoros  fr.  137  bei  SchoL  Aristoph.  Bau.  220 ;  vgl.  Aristoph. 
Ran.  215;  Hippolochos  bei  Athen.  4,  130  d  (zur  Zeit  Theophrasts) ;  Ol.  92,3 
wird  eine  Diobelie  inr  die  Chytren  ausgeteilt  (CIA.  I  188). 


Digitized  by 


Google 


408  Xm.  Kapitel. 

den  Händen  der  Protagonisten,    die  ihrerseits  um  ausgesetzte 
Preise  stritten  *). 

Das  Publikum,  welches  der  Komiker  im  Auge  hatte,  war 
weniger  feierlich  als  das  seines  tragischen  Kollegen  gestimmt; 
wenigstens  hatte  er  die  dankbarsten  Hörer  an  den  jungen 
Leuten  •).  Man  hat  darüber,  ob  Frauen  im  Theater  anwesend 
waren,  viel  gestritten  *).  Die  Polizei  legte  zwar  ihrem  Eintritte 
kein  Hindernis  in  den  Weg,  allein  wenn  im  fünften  Jahr- 
hundert die  Athener  ihre  Frauen  gewöhnlich  nicht  in  die 
Tragödie  liessen  (S.  155,  2),*  um  wie  viel  mehr  musste  ihre 
Anwesenheit  in  der  Komödie  der  guten  Sitte  zuwiderlaufen! 
Wir  reden  natürlich  nur  von  den  Frauen  der  gebildeten 
Stände.  War  doch  am  Spätnachmittag  eines  Dionysosfestes 
die  Masse  der  Zuschauer,  zumal  sie  fortwährend  tranken  und 
naschten*),  gewiss  nicht  mehr  in  vollkommen  nüchternem 
Zustand.  Dass  dagegen  die  Demimonde  nicht  ausblieb,  ver- 
stünde sich  auch  ohne  ausdrückliche  Bestätigung  von  selbst^). 
Jedenfalls  war  der  Komiker  durch  keinerlei  Anstandsrück- 
sichten  gebunden. 

Der  athenischen  Komödie  stand  das  ganze  Gebiet  des 
Lächerlichen  ^)  unbeschränkt  offen,  denn  das  Volk  wollte,  nach- 


1)  Einen  solchen  SchauspielerRieg  verzeichnet  die  Vorbemerkung  zum 
„Frieden''  (Bob de  Rhein.  Mus.  38,  285  f.). 

2)  Plato  leg.  2,  658  d,  vgl.  Eapolis  fr.  244  K.  Aristoph.  Pac.  50. 

3)  Der  Witz  Aristoph.  Nnb.  355  (s.  Teafiel)  beweist  nichts  gegen  ihre 
Anwesenheit,  ebensowenig  Av.  793  ff.,  andererseits  ist  Schol.  Arist.  Eccl.  22 
(Snid.  n.  Sf  Dpofiiaxoc)  Kombination.  Pac.  964  f.  weisen  allein  die  Anwesenheit 
von  verheirateten  Franen  nach.  Gelengnet  von  Fr.  A.  Wolf  Wolken,  Einl. 
u.  Egg  er  essai  snr  Thistoire  de  la  critiqne  p.  504  ff.,  anders  K.  Fr.  Her- 
mann in  Beckers  Charikles  III'  139  ff.,  s.  auch  Jacobs  vermischte  Schriften 
4,  303  ff.;  Böttiger  kleine  Schriften  1,  295 ff.;  J.  Bichter  zur  Wardigang 
der  aristoph.  Kom.,  Berlin  1845  S.  20 ff.;  Ed^lestand  du  M^ril  Revue  archM. 
n.  s.  Vm  (1863),  128ff.;  Wecklein  PhUol.  31,  457. 

4)  Philochoros  bei  Athen.  11,  464 e,  vgl.  Aristot.  eth.  Nicom.  10,  5 
p.  1175b  12. 

5)  Alexis  fr.  41;  Meineke  Menauder  et  Philem.  p.  345. 

6)  Die  theoretischen  Erörterungen  (Cic.  de  oratore  II  c.  58—72.  Qain- 
tilian.  VI  c.  3,  Jean  Paul  Vorschule  der  Aesthetik  I.  Stuttgart  «1813;  F. 
W.  E.  Rost  de  natura  ridiculi,  Lpg.  1814;  Rüge  neue  Vorschule  der  Aesthetik, 
Halle  1834;    Friedr.  Th.  Vi  scher  über  das  Erhabene  und  Komische,  Stutt- 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komddie.  409 

dem  es  in  d^  Tragödie  Thränen  vergosssen  hatte ,  in  der 
Komödie  nach  Herzenslust  lacken  und  weiter  nichts ,  so 
dass  jede  Neigung  zur  comödie  larmoyante  von  vornherein 
undenkbar  war.  Auf  welche  Weise  nun  der  Lacherfolg  erzielt 
wurde,  darüber  machten  sich  weder  Dichter  noch  Publikum 
Skrupel.  Moliöre  erklärte,  seine  Absicht  sei  faire  rire  les 
honnßtes  gens;  die  Alten  waren  nicht  so  delikat.  Vor  allem 
sollte  die  Masse  unterhalten  werden  und  dieser  gefielen  nicht 
bloss  die  trivialen  Gassenwitze ,  wie  über  die  Kahlköpfigen  *), 
sie  wollte  kräftigeres,  Prügeleien,  Räusche,  Jagd  auf  Flöhe  und 
Wanzen*),  und  fand  selbst  die  öflfentliche  Darstellung  unum- 
gänglicher, aber  doch  nicht  anständiger  Verrichtungen  zulässig'). 
Brachte  nun  ein  Dichter  wie  Aristophanes  auch  den  Gebildeten 
etwas,  glaubte  er  sich  dessen  schon  öflfentlich  rühmen  zu  dür- 
fen. Wir  begreifen  ,  dass  die  Philosophen  mit  seltener  Ein- 
stimmigkeit von  den  athenischen  Komikern  mit  der  grössten 
Verachtung  sprachen  *)  und  kein  tragischer  Schauspieler ,  ge- 
schweige denn  ein  Tragiker  zur  Komödie  sich  herabUess^),  wie- 
wohl die  Dionysosverehrung  beide  Gattungen  verband.  Nicht 
anders  urteilte  aber  auch  die  öflfentliche  Meinung  ^.  Wehe  dem 
Areopagiten,  der  eine  Komödie  zu  schreiben  gewagt  hätte!') 
Unter  dem  Drucke  solcher  Missachtung  Hessen  die  Dichter  auf- 


gart 1837;  Aug.  Bohtz  über  das  Komische  und  die  Komödie,  Gott.  1844; 
Hecker  die  Physiologie  n.  Psychologie  des  Lachens  a.  des  Komischen, 
Berlin  1873;  Knno  Fischer  über  die  Entstehung  u.  die  Entwickln ngsformen 
des  Witzes,  Heidelberg  1871)  berncksichtigen  die  Vorbedingungen  der  alten 
Komödie  nicht;  nnseren  Zwecken  liegt  Jnst.  Moser  Harlekin  oder  Verteidigung 
des  Groteske-Komischen,  Bremen  1777  näher. 

1)  Aristoph.  Nub.  540. 

2)  Aristoph.  Pnc.  740 ff.;  Betrunkene:  Krates  bei  Athen.  10,  429a  und 
Schlussscene  der  Wespen,  auch  noch  bei  Alexis  (fr.  87.  301)  und  in  der  neuen 
Komödie  (Dio  Chrys.  or.  32,  94). 

3)  Z.  B!  Eccl.  311  flf.  Ran.  479 ff.  Thesm.  611  ff.  Vesp.  935 ff.;  Speien 
Acharn.  585.  Piaton  f^.  185. 

4)  Z.  B.  Plato  leg.  7,  816  de.  Aristot.  eth.  Nicom.  IV  9,  6.  Krates  bei 
Diogen.  6,  89.  Phüodem.  mns.  IV  col.  12,  38.  Plutarch.  quaest.  symp.  7, 8, 3. 
Per.  13  und  in  seinem  ,,Vergleich  von  Aristophanes  und  Menander",  ebenso 
Isokrates  bei  jeder  Grelegenheit. 

5)  Plato  rep.  3,  395  a. 

6)  Vgl.  Eupolis  fr.  857  K  (302  M.). 

7)  Plutarch.  glor.  Ath.  5  p.  91. 


Digitized  by 


Google 


410  Xm.  Kapitel. 

fallend  oft  lieber  ihrem  Regisseur  die  Ehre  des  ^eges  ^)  als  dass 
sie  selbst,  wie  es  das  Herkommen  verlangte,  die  erste  Rolle 
ihres  Werkes  spielten*).  In  der  demosthenJschen  Zeit  werden 
aber  die  Hauptschauspieler  bereits  ausdrücklich  angegeben, 
doch  blieb  Anüphanes ,  vielleicht  auch  Menauder  dem  alten 
Brauche  treu  ^).  *  Selbst  von  den  Choreuten  verlangte  die  Sitte, 
dass  sie  sich  durch  Masken  unkenntlich  machten;  andernfalls 
galt  einer  für  einen  schamlosen  Menschen^).  Die  Zuschauer 
beobachteten  demgemäss  ein  äusserst  rücksichtsloses  Benehmen 
und  der  Komiker  war,  wenn  er  missfiel,  einem  Steinhagel  aus- 
gesetzt*). Die  altattische  Komödie  war  eben,  weun  wir  sie  rich- 
tig benennen  wollen,  ein  Fastnachtsschwank.  Von  diesem  Ge- 
sichtspunkte aus  wird  man  alle  ihre  Eigentümlichkeiten  ver- 
stehen. 

Bei  der  Erfindung  des  Stoffes  kaimten  die  Dichter  keine 
andere  Schranken  als  die  ihrer  Phantasie,  da  sie,  im  Unter- 
schiede von  den  Tragikern,  ihre  Stoflfe  frei  zu  erfinden  hatten. 
Eine  traditionelle  Grundlage  war  nur  dann  geboten,  wenn  sie 
einen  Mythus  oder  eine  Tragödie  travestierten,  wie  z.  B.  schon 
Hermippos  „Athenes  Geburt'*  und  Kratinos  „die  Odysseus** 
verfassten  ^).  Holbergs  „Ulysses  von  Ithacien''  vermag  dem 
Modernen  vielleicht  am  ehesten  eine  Vorstellung  von  solchen 
mythologischen  Komödien  zu  geben.  Götter  und  Heroen  spiel- 
ten darin  eine  nicht  eben  glänzende  Rolle;  es  war  noch  der 
harmloseste  Witz,  wenn  der  Laertiade  Homer  und  Euripides 
citiert  O-  Der  Schluss  musste  natürlich  immer  heiter  sein,  wes- 
halb z.  B.  Orestes  und  Aigisthos  als  gute  Freunde  abgingen®). 


1)  Wolfg.  Hei  big  quaestiones  scenicne  p.  34  ff. 

2)  Aristoph.  Acharn.  502  ff.  Pac.  763  f.  nach  Hei  big  a.  O.  p.  23  (be- 
stritten von  Edm.  Meyer  de  Aristophanearam  fabularam  commiasionibos, 
Dias.  V.  Berlin  1863  p.  37).  Vita  Aristoph.  19  Z.  13  W.  Aignm.  Eqait.  II. ; 
von  Hegemon  Chamaileon  bei  Athen.  9,  406  f. 

3)  Antiphanes  CIA.  H  972;  Meuander  Alciphr.  epist.  2,  4,  5. 

4)  Theophrast.  charact.  6. 

5)  So  ist  die  von  Chamaileon  (Athen.  9,  406  f)  mitgeteilte  Erzählung 
zn  versieben.  Auch  die  Lictoreu  (^aßSoöxoi)  werden  Aristoph.  Pac.  734  za 
den  Komikern  in  eine  bedenkliche  au  Rom  erinnernde  Beziehung  gesetzt. 

6)  Verzeichnet  bei  Meineke  I  S.  283  ff. 

7)  Theopomp.  fr.  33.  34  K.  =  34.  35  M. 

8)  Aristot.  poet.  13  a.  E. 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenischQ  Komödie.  411 

Solche  TravestiekomOdien,  für  welche  der  syrakusanische  Dich- 
ter  ein  klassisches  Vorbild  abgeben  konnte,  nahmen  erst  im 
vierten  Jahrhundert,  als  die  nächstliegenden  komischen  Ideen 
vorw^genommen  waren,  an  Zahl  erhebUch  zu;  der  alte  Aristo- 
phanes,  welcher  gegen  Ende  seines  Lebens,  als  ihn  seine  uner- 
^höpäich  scheinende  Einbildungskraft  verliess ,  zu  diesem  be- 
quemen Auskunftsmittel  griff,  zeigt  damit  eine  bedeutungsvolle 
Wendung  in  der  athenischen  Komödie  an.  Bei  der  grossen 
Konkurrenz  war  es  in  der  That  keine  Kleinigkeit,  etwas  ganz 
neues  auszudenken.  Auf  der  einen  Seite  wollte  das  Volk  durch 
besondere  EinfWe  unterhalten  sein,  ')  auf  der  anderen  kamen 
die  Dichter  gar  oft  mit  einander  in  Streit,  wenn  einer  dem  an- 
deren eine  gute  Erfindung  ablauschte*),  oder  verspotteten  vor 
allen  Leuten  den  Genossen,  welcher  einen  alten  Stoff  noch  ein- 
nml  benützte*)  oder  auch  von  Anderen  sich  helfen  liess*). 
Hätten  die  alten  Komiker  Bilder  des  wirklichen  Lebens  gegeben, 
wie  Menander  und  Grenossen,  dann  wären  die  Typen  des  neuen 
Lustspiels  um  hundert  Jahre  früher  festgestellt  worden;  allein 
ihre  Werke  trugen  im  Gegenteil  einen  phantastischen  Charak- 
ter *).  Sie  versetzten  das  Volk  in  eine  Phantasiewelt,  wenn  nicht 
unmittelbar  in  die  goldene  Zeit  ^) ,  doch  in  ein  Märchenreich, 
insofern  es  für  sie  nichts  unmögliches  gibt:  Alte  Leute  werden 
wieder  jung ,  Tote  und  Tiere  reden ,  Sykophanten  gelten  als 
wertvolle  Tauschware ') ,  Götter  treten  in  Mitte  von  Menschen 
auf  und  lassen  sich  das  ärgste  gefallen.     Dennoch  entsteht  da- 


1)  Aristoph.  Eccl.  580  f.  (Nub.  546  flf.).  Metagenes  fr.  14  K.  ^12  M.);  Bekk. 
Anecd.  I  p.  309  u.  xpaYcpSotGt. 

2)  Cratin.  fr.  200.  Eupolia  fr.  78.  Lysipp.  fr.  4.  Aristoph.  Nub.  553  f. 
fr.  54.  Darauf  spielt  Enrip.  Anclrom.  476 f.  an.  lieber  Plagiate  Stanger 
Blfttter  mi  bayer.  Gymnas.  2,  204  ff. 

3)  Das  nannten  sie  ,^ck8cbasteru*'  (4TCtxatx6«tv)  oder  KT8pvtC«tv  (Phry- 
nich.  app.  sophist.  p.  39,  19). 

4)  Dies  sagten  dem  Ekpbantides  and  Phrynichos  ihre  Gegner  nach 
(Cratin.  fr.  335.  Hermipp.  fr.  64). 

5)  Deshalb  verglich  sich  der  Romanschriftsteller  Antonius  Diogenes  mit 
einem  Dichter  der  alten  Komödie,  weil  er  „unglaubliches  und  erlogenes" 
erzählte  (Photius  bibl.  166  p.  lila  34,  vgl.  Roh  de  Jahrbb.  f.  Phil.  119,  17). 

6)  Graf  Leipziger  Studien  8,  59 ff. 

7)  Verjüngung:  In  den  „Rittern**  und  im  „Alter"  (Athen.  3,  109  f); 
sprechende  Leiche:  Aristoph.  Ran.  173  ff.;  Sykophanten :  Aristoph.  Acham.  904  ff. 


Digitized  by 


Google 


412  xm.  Kittel. 

raus  keine  romantische  Peerie ,  sondern  der  Zuschauer  behält 
stets  das  klare  Bewusstsein,  dass  unter  den  tollen  Masken  Mit- 
büi*ger  stecken  und  die  Zeit  der  unglaublichsten  Posse  immer 
die  Gegenwart  ist.  Man  kann  hiefür  keine  bessere  Analogie 
als  die  deutschen  Fastnachtsschwänke  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts finden.  Ebensowenig  darf  die  Hervorhebung  des 
Märchenhaften  zu  einer  Herabsetzung  der  individuellen  Einbil- 
dungskraft der  Dichter  führen ;  denn  die  Komödien  entsprangen, 
ob  sie  zwar  auch  hin  und  wieder  durch  Volkswitze  angeregt 
wurden,  wie  denn  Aristophanes  im  „Frieden"  selbst  (V.  129  f.) 
auf  die  äsopische  Fabel  vom  Mistkäfet  hinweist,  dennoch  in 
der  Hauptsache  dem  persönlichen  Genie;  wenn  die  Dichter  den 
Humor  des  Volkes  zu  ganzen  Stücken  ausgenützt  hätten  ^), 
würde  es  solchen  gewiss  nicht  den  Preis  erteilt  haben. 

Welche  Personen  zogen  nun  die  Komiker  in  dieses  aus- 
gelassene Treiben  hinein*)?  Die  meisten  Rollen  fallen  natürlich 
dem  niederen  d.  h.  wenig  bemittelten  Bürgerstande  und  der 
Sklaven  weit  an.  Die  meisten  von  jenen  haben  gar  keine  Namen 
oder  der  Dichter  legt  ihnen  beliebige  bei^),  nötigt  aber  das 
Publikum  durchaus  nicht  den  Namen  zu  behalten  ;  *)  die  Per- 
sonenverzeichnisse der  Handschriften  dürfen  uns  darüber  nicht 
täuschen,  z.  B.  sind  Kephisophon  der  „Acharner**  und  Mnesilo- 
chos  der  „Thesmophoriazusen**  der  Phantasie  der  Grammatiker 
entsprungen,  während  thatsächliche  Namen  nicht  öfter  als  ein- 
oder  zweimal  vorzukommen  pflegen.  Eine  Ausnahme  machen 
charakteristische  Namen ,  welche  den  Grundzug  der  Rolle  an- 
deuten, wie  Dikaiopolis  im  „Frieden**  und  die  der  beiden  Helden 
der  „Vögel**  Die  alte  Komödie  entbehrt  ja  der  feinen  Charak- 
terzeichnung *) ;  sie  kennt  höchstens  Vertreter  einer  bestimmten 
Tendenz,  z.  B.  der  guten  alten  Zeit,  oder  eines  auffallenden 
Berufes,  wie  des  bösartigen  Sykophanten.  Kein  Alter  und  kein  Ge- 


ll Th.  Zielinski  die  MftrcheDkomddie  in  Athen,  Petersburg  1885; 
ähnlich  schon  Engen  Lev6qne  les  mythes  et  les  Inendes  de  linde  et  de 
la  Perse  dans  Aristophane,  Piaton,  Aristote  etc.,  Paris  1880.  Bei  den  T&rken 
Tertritt  allerdings  der  Biärchenerzähler  (meddah)  die  satirische  Komödie. 

2)  A.  Croiset  de  personis  apnd  Aristophanem,  th^se  von  Paris  1873. 

3)  Aristot.  poet.  9. 

4)  Vgl.  Hiller  Hermes  8,  442  f. 

5)  Plntarch.  compar.  Arist.  et  filen.  1  a.  E. 


Digitized  by 


Google 


Die  altatbenische  Komödie.  413 

schlecht  blieb  von  der  Komödie  verschont,  nur  dass  die  athenische 
Sitte  das  Auftreten  von  Jungfrauen  verpönte  ^).  Die  Sklaven  tragen 
die  in  Athen  üblichsten  Bedientennamen  *)  und  sind  ausser  an  der 
Tracht  durch  rote  Haare  kenntlich  *).  Die  vorlauten  Bedienten 
unserer  Lustspiele  hätten  ihre  Ahnen  in  der  Stadt  der  Xan- 
thias  zu  suchen ,  aber  dass  sie  häufig  klüger  als  ihre  strengen 
Herrn  seien,  gaben  erst  Menanders  Zeitgenossen  zu;  im  fünf- 
ten Jahrhundert  waren  die  Sklaven  in  der  Literatur  nur  lächer- 
lich :  vorlaut,  klatschsüchtig,  der  Speisekammer  wie  dem  Keller 
gefährlich  und  stets  zum  Davonlaufen  bereit.  Vermöge  dieser 
bedenklichen  Eigenschaften  lieferten  sie  den  gewöhnlichen  Ko- 
mikern reichen  Stoflf  zu  plebejischen  Witzen*).  Dass  Parasiten 
und  Hetären ,  die  unvermeidlichen  Stützen  der  jüngeren  Ko- 
mödie, im  Lustspiel  des  fünften  Jahrhunderts  nur  hin  und 
wieder  vorkommen  und  letztere  vorerst  wenigen  Stücken  den 
Titel  geben,  hängt  mit  den  socialen  Verhältnissen  des  athen- 
ischen Volkes  zusammen^). 

Das  athenische  Lustspiel  wurzelte,  wie  jedes  wahrhafte,  im 
nationalen  Boden  oder  noch  richtiger  gesagt,  in  seiner  Heimat- 
stadt, womit  allerdings  ausserathenische  Personen  nicht  ausge- 
schlossen waren ,  liebt  doch  jedes  Volk  über  Nachbarn  und 
Fremde  zu  spotten,  besonders  wenn  es  von  jenen  eine  Demüti- 
gung erfahren  hat.  Während  also  die  verbüncjeten  Jonier  ausser 
einigen  nicht  beleidigenden  Erwähnungen  ihrer  Ueppigkeit  ®)  vor 
den  Komikern  sicher  waren,  mussten  die  derben  Megarer  und 
die  appetitreichen  Böoter,  besonders  aber  die  Erbfeinde  in  Sparta 

1)  Für  die  nene  Komödie  gibt  dies  Donatas  in  Ter.  Andr.  prol.  aas- 
drücklich  an. 

2)  Earion  und  X;an  thias  Aeschiu.  2,  156  (321),  jener  z.  B.  im  ,, Pin  tos", 
dieser  Av.  656  f.  Thesm.  238  n.  ö,  und  in  den  „Fröschen",  Kephisodoros 
fr.  1,  Vase  bei  Heydemann  Vase  Guputi,  Halle  1884  T.  1;  Tibios :  Leukon 
fr.  3  (Phot.  u.  Ttßtot).  Sosias,  Getas  (Schol.  Aristoph.  Ach.  243)  und  Daos 
(Dio  Cbrys.  or.  32,  94,  lateinisch  Davns)  scheinen  der  neuen  Komödie,  aus 
deren  Fragmeuten  sie  belegbar  sind,  anzugehören. 

3)  Arist.  Ran.  730  icoppiai^  (mit  Scholien). 

4)  Arist.  Pac.  742  flf.  und  am  Anfang  der  „Frösche".  O.  Kahler  de 
partibns  servorum  qui  sunt  in  Ar.  Equitt.  Vesp.  Pace,  Pr.  v.  Weimar  1877. 

5)  Athen.  13,  567  c.  Pherekrates  schrieb:  Fetale,  Korianno,  Thalatta 
(ebenso  Diokles),  Philyllios  oder  Eunikos:  Antheia.  üeber  Theopompos' 
„Nemea"  s.  Kock  I  p.  741. 

6)  Kallias  fr.  5;  mundartliches  Aristoph.  Fax  47  f.  930.  fr.  543  u.  934  K. 


Digitized  by 


Google 


414  Xm.  Kapitel. 

oft  die  Kosten  des  Gelächters  tragen,  wäre  es  auch  nur,  dass 
man  über  ihre  kaum  verständlichen  Mundarten  lachte*):  die 
Dichter  gaben  diese,  wie  kaum  ausdrücklich  gesagt  zu  werden 
braucht,  nicht  mit  philologischer  QründUchkeit  wieder*),  gleich- 
wie man  deutsche  Mundarten  nicht  aus  unserai  Lustspielen  und 
Witzblättern  studieren  wird.  Barbaren  einzuführen,  war  hin- 
gegen nicht  so  leicht,  weil  sie  ja  sprechen  sollten;  doch  kannten 
die  Athener  das  griechische  Kauderwälsch  ihrer  skythischen  Po- 
lizeieoldaten  recht  gut,  weshalb  Aristophanes  einem  solchen  eine 
kleine  Rolle  der  Thesmophoriazusen  übertragen  durfte.  Aehnlich 
Hessen  Piaton  und  Hermippos  die  Mütter  des  Kleophon  und 
Hyperbolos,  weil  sie  die  griechische  Abstammung  derselben  leug- 
neten, stammeln^.  Hinsichtlich  der  fremden  Sprachen  selbst 
aber  haben  die  Athener  den  bekannten  Witz  eingeführt ,  dass 
Schelme  die  unverständlichen  Worte  nach  dem  Klange  verdol- 
metschten; so  ergeht  es  in  den  „Acharnern**  einem  Perser,  in 
den  „Vögeln**  einem  Triballer  *).  Denkmäler  der  persischen  oder 
gar  der  triballischen  Sprache  darf  man  hier  freilich  nicht  ent- 
decken wollen. 

Die  Komiker  besassen  allein  von  den  Athenern  die  Narren- 
freiheit, von  den  Göttern  unziemlich  reden  zu  dürfen^),  damit 
nicht  zufrieden,  bildeten  sie  die  tragischen  Theatergötter  nach 
ihrer  Weise   um.     Am  häufigsten  sah  man  den  feistwanstigen 

1)  Megai-er  Ach.  729  Ö.;  Böoter  Ach.  860  ff.  fr.  726  K.  Strattis  47. 
Aristonymbs  fr.  9.  Eabnlos  fr.  12.  Athen.  10,  417  b  ff.  (wie  die  Thessalier 
418  b  ff.);  Lakedämonier:  Arist.  Lysistr.  Fax  214;  Krates  bei  PoUnx  4,  188; 
Eapolis  (?)  ETXcuxec  fr.  140  u.  444  K.  Die  xopccg  heissen  Kopivd-ioi  Arist. 
Nub.  710;  anderes  Piaton   Ar.   75.  96,   s.  Gras  berger  Stichnamen   S.  51  ff. 

2)  Ahrens  de  dialectis  Graecis  I  p.  165.  II  20 f.:  Krampe  de  dialecto 
Laconica,  Münster  1867  p.  9. 

3)  Piaton  fr.  60  K.  Hermipp.  fr.  11.  12  K. 

4)  Der  feinere  Antiphanes  dagegen  lässt  fr.  172  K.  einen  Perser  gut 
hellenisch  sprechen. 

5)  Lysias  bei  Athen.  12,  551  f;  Böttiger  opascula  ed.  Sillig  p.  64ff ; 
W.  Behaghel  de  vetere  comoedia  deos  irridente  I.  Gott.  1856;  Karl  Kock 
Arist.  n.  die  Götter  des  Volksglanbens,  Jahrbb.  Sappl.  3,  65  ff.,  separat  Lpg. 
1857;  J.  Girard  Revue  de  deux  mondes  1878  1.  aoüt,  15.  nov.;  J.  A.  Hild 
Arist.  impietntis  reus,  th^se  v.  Paris,  Besan9on  1880.  —  Paul  Wen  dl  er 
mediae  ac  recentioris  comoedine  Atticae  poetae  quid  de  diis  senserint  I.  Diss. 
V.  Breslau,  Görlitz  1870. 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  415 

feigen  Säufer  Dionysos*),  den  Falstaff  des  alten  Lustspiels, 
und  den  ewig  hungrigen  Fresser  Herakles  in  lächerlichem 
Gtowande  von  Safranfarbe  *) ,  sodann  auch  den  verliebten  Zeus 
auf  der  Scene  agieren ').  Am  kecksten  sind  in  religiöser  Be- 
ziehung unter  den  erhaltenen  Komödien  die  ,, Vögel";  hier 
schwört  Poseidon  wie  ein  athenischer  Bürger  „beim  Poseidon", 
Herakles  denkt  an  nichts  als  an  die  Stillung  seines  Hungers, 
Iris  muss  sich  freche  Witze  gefallen  lassen  und  der  feige  Prome- 
theus spielt  unter  seinem  Sonnenschirm  die  kläglichste  Rolle 
von  der  Welt.  Ja,  Aristophanes  nimmt  an,  es  gebe  unter  den 
Göttern  ebenfalls  Barbaren,  welche  einen  Triballer  als  Ver- 
treter abschicken  1  Im  „Plutos"  zittert  der  göttliche  Titelheld 
vor  allen  Menschen  und  Hermes  bettelt  hungernd  um  ^ein  Stück 
Brot ;  der  letztere  ist  überhaupt  eine  Lieblingsfigur  der  Komödie, 
weil  er  für  den  Sklaven  des  Zeus  gilt  und  so  diese  verachtete 
Klasse  im  Olymp  repräsentiert*).  Der  Hauptwitz  bestand  bei 
der  Einführung  der  (an  ihrer  karrikierten  Maske  leicht  kennt- 
lichen) Götter  darin,  dass  sie  sich  möglichst  ungöttiieh  benehmen, 
wie  wenn  sie  in  irgend  einer  Gasse  Athens  geboren  wären;  so 
etwas  gefiel  dem  Pöbel  über*  die  Massen ,  gleichwie  er  noch  in 
unserem  Jahrhunderte  an  den  ihm  selbst  zum  Verwechseln 
ähnlichen  Göttern  der  vormärzlichen  Wiener  Posse  sich  höchlich 
ergötzte»  Piaton  (Fr.  188)  brachte  ferner  eine  sprechende  dä- 
dalische  Hermesstatue  aus  Holz  auf  die  Bühne;  andere  ver- 
stiegen   sich   zu   den  Göttergeburten,  was  Apelles'  Bruder  den 

1)  Arist.  Kan.  200  m.  Scholien ;  abgeseheu  vou  den  „Frö8cheo^\  tulirteu 
ihn  Aristophanes  (Babylonier  Athen.  11,  494  d),  Enpolis  (Taziarchen),  Her 
mippoB  (Kerkopen  Athen.  12,  551b)  nnd  Ameipsias  ('AitoxottaßiCovtsc;  fr.  4)  vor, 

2)  Dio  Chrys.  or.  32,  94,  vgl.  Aristoph.  Pac.  741.  fr.  12.  Cratin.  fr.  308. 
Phrynich.  fr.  23.  Strattis  fr.  11.  Archippos  bei  Athen.  14,  656  b.  Die  Ge 
frässigkeit  der  Helden  ist  ein  stehender  Zag  des  griechischen  Volksmärchens; 
das  trapeziintische  Volkslied  in  Digenis  Akritas  ed.  Sathas  p.  CXI  nnd  andere 
Märchen  legen  sie  Porphyrios,  dem  Herakles  des  griechischen  Mittelalters, 
gleichfalls  bei. 

3)  Vgl.  Schol.  Aristoph.  Pac  742  (740).  Julian,  misopog.   p.  473,  10  H. 

4)  Er  erscheint  auch  im  „Frieden"  und  den  „Vögeln",  sowie  Piaton 
fr.  185;  ausserdem  finden  wir  in  den  ,,FrÖschen"  Plnton;  Poseidon  spricht 
bei  Piaton  fr.  24;  in  den  verlorenen  ,,The8mophoTiazusen"  sprach  Demeters 
Begleiterin  Kalligeneia  den  Prolog  (Schol.  Arist.  Thesm.  298). 


Digitized  by 


Google 


416  ^3^ni.  Kapitel. 

Anstoss  gab,  ein  freches  Bild  von  Zeus'  Wehen  zu  malen  ^). 
Trotzdem  war  die  in  vielen  Kulten  bemerkenswerte  Mischung 
der  ärgsten  Ausgelassenheit  und  einer  gewissen  Religiosität 
nicht  einmal  der  Komödie  fremd.  Hymnen  der  „Tbesmo- 
phoriazusen''  und  „Frösche'*  hätten  unverändert  in  einem 
Tempel  gesimgen  werden  können.  Kein  Wunder,  es  stand  ja 
regelmässig  ein  Altar  des  Dionysos  auf  der  Bühne  *), 

Da  die  Komödie  nichts,  was  die  Tragödie  besitzt,  unver- 
sucht lässt,  zieht  sie  zu  den  gewöhnlichen  Menschen  und  den 
Göttern  hinzu  —  die  Travestie  erfordert  selbstverständlich  auch 
Könige  und  Heroen®)  —  allegorische  Figuren  in  ihren 
Bereich.  Zu  den  Göttern  gehört  gewissermassen  noch  der 
Demos,  der  Repräsentant  des  athenischen  Volkes,  weil  er  gött- 
liche Ehren  empfing  *).  Aristophanes  und  Piaton  brachten  ihn 
in  poUtischen  Komödien  auf  das  Theater^).  Man  mag  auch 
Lykabettos  in  Theopompos'  „Meder"  und  Knoithideus  bei 
Antiphanes  als  Berggötter  hieher  rechnen  %  Dazu  kommen 
indes  einige  reine  Allegorien^  und  zwar  als  wirkliche  RoUen  die 
gerechte  und  die  ungerechte  Rede,  welche  in  den  „Wolken" 
mit  einander  streiten,  der  Krieg  und  das  Kampfgetümmel 
(Kydoimos)  im  „Frieden",  dazu  die  Armut  des  nüchternen 
„Friedens";  meistens  sind  jedoch  solche  Figuren  stumm,  wie 
in  den  „Vögeln"  die  Basileia'),  im  „Frieden"  ausser  dem 
Kolossalbild  Eirenes  Opora  und  Theoriai,  in  den  „Rittern"  die 
Spondai  (V.  1389),  zu  vergleichen  mit  den  Diallagai  der 
„Lysistrata"  (V.  1114).  Aber  lasse  sich  niemand  durch  diese 
feierlichen  Namen  imponieren  1     Theoria  und  Opora  erschienen 

1)  Plin.  nat.  bist.  35,  140. 

2)  Dies  darf  man  ans  der  römischen  Nachäffang  scbliessen  (Donatns  de 
comoedia  p.  11,  11  f.). 

3)  Plntarch.  compar.  Aristoph.  et  Menandri  1. 

4)  Fr.  Leo  qnaestiones  Aristophaneae  p.  34  A.  3.  / 

5)  Aristophanes  in  den  „Kittem*^,  Piaton  fr.  185. 

6)  Theop.  Schol.  Pindar.  Pyth.  2,  75  (fr.  29);  Knoithideus  steht  im 
Titel  (wie  der  priapische  Dämon  Tychon  bei  demselben  Antiphanes).  Die 
Polemik  von  Gerber  Jahrbb.  Snppl.  11,  300 ff.  gegen  Brunn  Sitzungsber. 
der  bayer.  Akad.  1874  II  S.  23flf.  (vgl.  Waldstein  essays  on  the  art  of 
Pheidias  p.  172  ff.)  ist  also  philologisch  verfehlt. 

7)  Auch  bei  Kratinos  Schol.  Aristoph.  Av.  1543  (1535). 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  417 

im  Hetärengewande  %  und  die  Reden  der  „Wolken**  waren  wie 
Kampfwachteln  in  die  übliche  Kiste  gestellt  *).  Daraus  mag 
man  auf  das  Aussehen  dieser  Allegorien  überhaupt  einen 
Schluss  ziehen. 

Zu  den  zahlreichen  Statisten  ^  gehörte  eine  nicht  der 
Tragödie,  aber  dem  Satyrspiel  gestattete  Gattung,  die  Tiere; 
dank  diesem  Brauch  kann  Strepsiades  die  neumodische  Sprach- 
wissenschaft an  einem  Hühnerpaar  demonstrieren  und  Philo- 
kleon  über  einen  Hund  zu  Gerichte  sitzen*). 

Leider  war  dies  nicht  das  einzige  Zugeständnis,  welches 
dem  Pöbel  gemacht  wurde;  denn  eine  nicht  eben  berechtigte 
Eigentümlichkeit  der  alten  Komödie  bestand  darin,  dass  sie 
wirkliche  Personen  mit  karrikierten  Porträt •  Masken  ^) 
vorführte.  Bei  ihrer  argen  Derbheit  wäre  es  doch  nicht  ange- 
gangen, dass  der  Staat  ihr  volle  Freiheit  gelassen  hätte.  Die 
aristophanischen  Komödien  legen  selbst  noch  das  unver- 
fälschteste Zeugnis  für  das  wechselnde  Verhalten  des  Staates 
ab.  Die  älteste  der  erhaltenen,  „die  Acharner"  (426),  ist 
nämlich  die  einzige,  wo  neben  dem  Dichter  Euripides  und  dem 
Deuunzianten  Nikarchos  zwei  politische  Persönlichkeiten,  der 
Volksredner  Amphitheos  und  der  Stratege  Lamachos  auftraten. 
Aber  unmittelbar  nachher  muss  die  Regierungspartei  durch 
einen  Volksbeschluss  wenigstens  sich  selbst  vor  den  Jüngern 
Thaliens  gesichert  haben,  indem  sie  das  an  den  Pranger  stellen 
der  Beamten  verbot  ®),  sonst  hätte  Aristophanes  in  den  „Rittern" 
nicht  jeden  veriUnglichen  Namen  und  selbst  die  Maskenähnlich- 
keit'') vermieden.     Bei  dieser  Verordnung  blieb  es  offenbar,  so 


1)  Ar.  Pac.  849;  ebenso  wahrscheinlich  die  Spondai  £q.  1389  £f. 

2)  Schol.  Nnb.  891  (886)  spricht  von  einem  Käfig  (olxioxo^),  weil  er  das 
Wort  vr{kia  (Aeschin.  1,  53  mit  Schollen.  Schol.  Arist.  Plut.  1037)  nicht 
recht  verstand. 

3)  Aopo(p6p*r]{j.a  Lucian.  histor.  conscr.  4.  Icarom.  9. 

4)  Nah.  847  ff.  Vesp.  836  ff.,  ausserdem  z.  B.  ein  schreiender  Esel  (Vesp. 
179  f.),  ein  Hahn  (Vesp.  815),  eine  Taube  (Pherecr.  fr.  135  K.);  Xanthiae 
reitet  in  den  „Fröschen^*  auf  einem  Esel.  Im  „Frieden"  braucht  man  ein 
Schaf  zum  Opfer, 

5)  Pollux  4,  143;  Anekdote:  Aelian.  var.  bist.  2,  13. 

6)  Apollonios  bei  Schol.  Ar.  Ran.  504. 

7)  Eq.  230;  vgl.  Viti  Aristoph.  16.   Dagegen  ist  der  „Hyperbolos"  Pla- 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatar  ni.  27 


Digitized  by 


Google 


418  ^^n*  Kapitel. 

dass,  während  Eupolis  Hyperbolos  gleichfalls  unter  einem 
Spitznamen  vorführte,  von  nun  an  bloss  unpolitische  Männer, 
vor  allem  Gelehrte  und  Dichter  (Sokrates,  Meton,  Kinesias; 
Euripides,  Agathon)  ^)  diesem  Lose  ausgesetzt  waren,  die  Toten 
ausgenommen,  die  freilich  nicht  verhöhnt,  sondern  zur  Be- 
schämung der  Lebenden  gepriesen  wurden.  *)  Als  Kuriosität 
sei  erwähnt,  dass  Aristophanes  einmal  sich  selbst  spielte  '). 

Im  übrigen  konnten  sich  die  Komiker  Athens,  wenn  wir 
den  entsprechenden  modernen  Ausdruck  wählen  wollen,  über 
die  Pressgesetze  nicht  beklagen  *).  Hätte  das  strenge  Gesetz 
von  Thurioi,  dass  nur  Ehebrecher  und  Klatschsüchtige  der 
Komödie  preisgegeben  waren  %  gegolten,  dann  wäre  das  Lust- 
spiel der  aristophanischen  Zeit  wie  der  Demeterjambus  des 
Archilochos  überhaupt  unmöglich  gewesen.  Indes  bestanden 
immerhin  gewisse  Rücksichten;  hatte  doch  selbst  jener  ge- 
fürchtete Satiriker  gesagt,  tote  Männer  zu  schmähen,  sei  nicht 
edel,  und  Solon  ausdrücklich  verboten,  Gestorbenen  übles  nach- 
zureden^); die  Ansichten  über  die  Grenzen  des  Erlaubten  und 
des  Beleidigenden  entsprachen  freilich  den  christlichen  nicht. 
Dann  kannte  selbst  die  radikale  Republik  eine  Art  crimen 
laesae  majestatis,  wonach  die  Demokratie  nicht  angegriffen 
werden   durfte'),    ein   Gesetz,    kraft   dessen   Kleon  gegen  die 


toDS  jedenfalls   nach   der  Yerbanniing   des  Parteiführers   (Meineke  I  S.  195) 
gedichtet. 

1)  Ausserdem  Kleisthenes  in  den  „Tbesmophoriazoseu**,  Kepbisophon 
Aristoph.  fr.  580;    Sokrates  trat  anch  im  Komos   des  Ameipsias   (fr.  9)    aut. 

2)  Solon  in  den  Xipcuvt^  des  Kratinos  fr.  228  K. ;  dann  besonders  in 
den  „Demeu'^  des  Eupolis;  bei  Piaton  fr.  183  Themistokles,  fr.  191  Dämon. 

3)  In  den  iIxY|vac<;  xataXajißivooaat  fr.  471  K.;  Vita  Aristoph.  Z.  72flf. 
(s.  Bergk  bei  Meineke  II  2,  1176). 

4)  Bergk  Ztsch.  f.  Altertnmsw.  hrsg.  v.  Ad.  Schmidt  11.  =  kleine 
Schriften  II  S.  444 ff.;  H.  Brentano  Ar.  n.  Aristoteles  oder  über  ein  an- 
gebliches Privileginm  der  alten  attischen  Komödie,  Pr.  v.  Frankfurt  a.  M., 
Berlin  1873;  Fr.  Leo  quaestiones  Aristophaneae,  Bonn  1873  p.  11  ff.;  O. 
Keck  quaestt.  Aristoph.  historicae,  Diss.  y.  Kiel,  Halle  1876;  Lü  bke  (S.  393) 
cap.  1;  Zielinski  de  lege  Antimachea  scaenica,  Petersburg  1884. 

5)  Plutarch.  curios.  8.  Aristot.  eth.  Nicom.  4,  14  p.  1128a  30  ol  ^h 
vojio^ttai  svca  XoiSoptiv  xcuXoooai. 

6)  Plutarch.  Solon  21  a.  E.  vgl.  Schol.  Aristoph.  Pac.  649  (647). 

7)  Ps.  Xenophon  de  rep.  Athen.  2,  18  xa>}i.(f>d8lv  xal  xaxu>c  Xf^tiv  xbv 
jiiv  Z9^\kov  o6x  ecuotv.  - 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  419 

„Babylonier"  des  jugendlichen  Aristophanes  Klage  stellte^  es 
hatte  die  Folge,  dass  an  den  Dionysien,  wo  viele  Fremde  in 
Athen  weilten,  politisch  farblose  Stücke  wie  die  „Wolken**  und 
Kratinos'  „Flasche*'  aufgeführt  zu  werden  pflegten,  während 
an  den  Lenäen  grössere  Freiheit  herrschte  ^).  Nur  einmal,  als 
der  Abfall  der  Samier  die  Athener  in  die  grösste  Gefahr  brachte 
(440),  traf  sozusagen  der  Belagerungszustand  auch  die  Komödie ; 
doch  schon  437  (Ol.  85,  4)  wurde  dieser  Diktaturparagraph 
wieder  aufgehoben  *).  Alle  weiteren  Notizen  über  ähnliche 
Gesetze  sind  durch  ihre  Undeutlichkeit  und  Unbestimmtheit 
wertlos  ^).  Man  durfte  jedenfalls  von  einer  zügellosen  Wort- 
freiheit der  Komödie  sprechen*),  lebten  doch  die  Komiker  in 
einer  freien  Republik,  unter  einem  Volke  scharfer  Zunge,  das 
gerne  seinem  Nächsten  Schlimmes  oder  doch  Lächerliches  nach- 
sagen hörte  %  Was  hätte  da  ein  Komiker,  dessen  Worte  ohnehin 
jedermann  in  Fastnachtsstimmung  aufnahm,  bieten  müssen, 
damit  ihn  ein  Geschworenengericht  verurteilt  hätte?  So  schleu- 
dern sie  denn  keck  gegen  jedermann  die  ehrenrührigsten  Vor- 
würfe, bei  denen  jetzt  ein  anständiger  Mann  zu  lachen  auf- 
hört. Der  aristophanische  Sokrates  ist  nicht  bloss  lächerlich, 
er  erscheint  verächtlich,  er  ist  ein  gemeiner  Dieb  ®),  und  wenn 
Kimons  Verhältnis  zu  seiner  Halbschwester  für  die  Nachwelt 
getrübt,  wenn  Aspasia  ihren  ehrlichen  Namen  verloren  hat, 
tragen  Eupolis  und  Genossen  die  Schuld  daran  '^).  So  gleich- 
mütig wie  Sokrates  nahmen  nicht  alle  solche  Beschimpfungen 


1)  Leo  a.  O.  p.  31. 

2)  Schol.  Arist.  Ach.  67. 

3)  Gesetz  des  Antimachos:  Schol.  Ach.  1149  (sSoxsi).  Diogeniau.  8,  71 
(8ox«l);  da  der  Komiker  Phrynichos  (fr.  26  bei  Schol.  Ar.  Av.  1297)  sagte: 
„Syrakoslos  kriege  die  Kränke,  denn  er  Hess  mich  die  nicht  verspotten,  die 
ich  wünschte,"  fand  ein  Kommentator  darin  ein  Verbot  angedeutet,  jeden- 
falls betraf  es  nicht  ^vo}iaoxl  x(u}i(|>$siy ;  wie  hätte  sonst  der  Dichter  Syra- 
kosios  mit  Namen  nennen  dürfen?;  Gesetz  wegen  Alkibiades'  Gewaltthat: 
Schol.. Aristid.  p.444D. 

4)  Lysias  bei  Athen.  12,  551  e.  Isoer.  8,  14. 

5)  Ps.  Xenoph.  rep.  Ath.  2,  18  IBtqt  hh  (xu>{j.()>S6lv)  xeXsüooocv,  ei  xtc  xiva 
ßo6X«Tat  (daraus  machen  Cicero  rep.  4,  10  nnd  Themistius  or.  8  p.  110  b 
eine  gesetzliche  Bestimmung). 

6)  Nub.  175  ff. 

7)  Schol.  Aristid.  t.  m  p.  515  D. 

27* 


Digitized  by 


Google 


420  Xm.  Kapitel. 

auf;  Poliagros  wurde  zum  Selbstmorde  getrieben  ^).  Er  hätte 
sieb  damit  trösten  können ,  dass  er  die  hervorragendsten  Per- 
sönlichkeiten Athens  zu  Qeföhrten  hatte.  Es  wäre  schlimm, 
wenn  man  die  altathenische  Komödie  als  historische  Quelle 
benützen  wollte*);  hier  hat  man  die  idealisierte  Herrlichkeit 
des  perikleischen  Athens  nicht  zu  suchen,  ja  nicht  einmal  ein 
mit  niederländischem  Realismus  ausgeführtes  Bild.  Dem  Be* 
schauer  tritt  von  allem  ein  wahres  Zerrbild  entgegen;  nicht 
als  ob  die  einzelnen  Züge  erfunden  wären,  aber  der  Dichter 
stellt  mit  seltenen  Ausnahmen,  welche  in  ihrer  Vereinsamung 
nur  das  Dunkel  kontrastierend  heben,  geflissentlich  unter  dem 
Mittelmasse  stehende  Charaktere  dar:  Die  Politiker  sind  t«il9 
Feiglinge,  die  dem  Volke  in  allem  zu  Willen  sind,  teils  abge- 
feimte Schmeichler,  die  es  betrügen  und  ihren  Einfluss  zur 
Befriedigung  ihrer  Laster  rücksichtslos  ausbeuten;  die  gewöhn- 
lichen Bürger  sind  in  groben  Materialismus  versunken  uud 
denken  nur  daran,  wie  sie  sich  ein  vergnügtes  Leben  ver- 
schaffen und  Andere  übers  Ohr  hauen  können;  die  heran- 
wachsende Generation  erscheint  auschweifend,  verschwenderisch, 
um  Hahnenkämpfe,  schöne  Pferde,  Essen  und  Trinken  und 
Weiber  allein  bekümmert.  Wie  könnte  es  auch  anders 
sein,  wo  noch  ihre  grauhaarigen  Väter  ähnliche  Gelüste  haben 
und  keine  alte  Frau  einem  Krug  Wein  und  einem  jungen 
Mann  widerstehen  kann?  Eine  passende  Ergänzung  findet 
diese  würdige  Gesellschaft  an  elenden  Denunzianten,  nimmer- 
satten  Schmarotzern  und  schwindelhaften  Gelehrten.  Die  Komiker 
machten  nun  hiebei  keinen  Unterschied,  ob  sie  eine  Person 
ohne  Namen  oder  mit  erdichtetem  auftreten  Hessen  oder  ihr 
den  Namen  eines  Mitbürgers  gaben;  leider  kam  es  vor,  dass 
die  Privatrache  die  Freiheit  der  Komödie  ausbeutete  ^).^ 

Die  Komiker  waren  sozusagen  die  Hofnarren  des  souve- 
ränen Volkes  von  Athen,  weshalb  es  von  ihnen  unter  Grimassen 

1)  Aelian.  var.  hist.  5,  8 ;  Alciphr.  ep.  3,  62  XloXidt^poo  tou  xoptoo  jiaXa- 
xcuttpoc  stammt  aas  einem  Komiker. 

2)  W.  Vischer  über  die  BenütziiDg  der  alten  Komödie  als  geschicht- 
liche QneUe,  Basel  1840 ;  Müller-Strübing  Arist.  u.  die  historische  Kritik^ 
Lpg.  1873  S.  1—172;  M.  Harwardt  de  Aristophanis  irrisionibas  earamqae 
fide  et  usn  I.  Eönigsb.  1883.  Joh.  Richter  de  prosopographia  Aristophanea, 
Pr.  T.  Rastenbnrg  1864,  67,  Meseritz  71. 

8)  Aristoph.  Vesp.  1024  ff. 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  421 

und  Possen  die  derbste  Wahrheit  und  die  ärgste  Schmähung 
annahm,  ohne  in  einem  solchen  Dichter  mehr  als  einen  „lustigen 
Rat'*  zu  sehen.  Man  wird  sich  darüber  nicht  wundem,  wenn 
die  politische  Seite  der  Komödie^)  richtig  aufgefasst  wird. 
In  demokratischen  Staaten  findet  ja  die  Satire  an  der  PoUtik 
immer  den  fruchtbarsten  Stoflf.  Wäre  jedoch  die  Komödie  ein 
Organ  der  antidemokratischen  Opposition  gewesen  *) ,  hätte  die 
Regierungspartei,  wie  sie  immer  das  Recht  der  unbeschränkten 
Meinungsäusserung  ihren  Gesinnungsgenossen  vorbehielt,  einen 
60  lauten  Gegner  rasch  mundtot  gemacht.  Jenes  Missverständnis 
wurde  dadurch  hervorgerufen,  dass  die  Komiker  stadtbekannte 
Leute  zur  Zielscheibe  ihres  Witzes  nehmen  wollten ;  dies  waren 
nun  zum  grossen  Teil  Männer,  welche  auf  der  Rednerbühne 
das  grosse  Wort  führten,  während  die  still  auf  eine  günstigere 
Zeit  harrenden  Konservativen  nichts  zu  lachen  gaben.  Wir 
können  in  der  politischen  Satire  beobachten,  dass  der  Spott 
von  der  Regierungspartei  aus  matter  und  wirkungsloser  zu  sein 
pflegt,  weil  die  Opposition  die  Aureole  des  Mutes  —  und  der 
Uneigennützigkeit  für  sich  hat,  Uebrigens  vertrat  die  Komödie 
natürlich  noch  weniger  als  ein  athenischer  Politiker  der  nach- 
perikleischen  Zeit  ein  wirkhches  Parteiprogramm,  sondern  der 
Streit  bezog  sich  auf  der  Bühne  wie  in  der  Pnyx  nur  auf 
Personen,  die  grosse  Frage :  Krieg  oder  Frieden  ?  ausgenommen. 
Musste  aber  nicht  die  Stimmung  der  Masse  bei  einem  heiteren 
Bakchanal  auf  den  Wunsch,  es  möchte  immer  so  lustig  fort- 
gehen, gerichtet  sein?  An  solchen  Tagen  sprach  der  Dichter 
der  Mehrzahl  aus  dem  Herzen,  wenn  er  als  Ideal  des  Friedens 
«inen  fröhlichen  Festschmaus  vorführte  und  sie  daran  erinnerte, 
dass  der  Krieg  Hasenbraten  und  böotische  Aale  rar  gemacht 
habe.  Die  Komiker  hatten  überhaupt  für  die  öflfentliche 
Meinung  ein  feines  Ohr.  Unter  den  Politikern  nahmen  sie 
vor  allem  solche  auf  das  Korn,  welche,  obgleich  sie  viel  von 
Bich  reden  machten,  der  Menge  dennoch  als  Emporkömmlinge 
nicht  in  dem  Grade  wie  z.  B.  Nikias  und  Alkibiades  mit  ihren 
langen  Stammbäumen  imponierten.    In  Folge  dessen   mussten 

1)  Mü)ler-Strabing  a.  O.  S.  72E  106ff.;  Eärl  Grönland  hafVa 
A.'  komedier  en  oUgarchisk  tendens?  Helsingfors  1857;  Kock  Khein.  Mos. 
39,  132  flf. 

2)  Dies  wird  schon  durch  Ps.  Xeuoph.  rep.  Ath.  2,  18  widerlegt. 


Digitized  by 


Google 


422  Xni.  Kapitel. 

Kleon  und  Hyperbolos  diese  bekannte  Eigentümlichkeit  de» 
Volkes  auf  der  Bühne  (letzterer  auch  im  Leben)  zu  ihrem 
Schaden  erfahren.  Wenn  erst  gar  das  Bürgerrecht  und  die 
athenische  Herkunft  der  Mutter  nicht  gegen  jeden  Zweifel 
sicher  stand,  dann  wurde  der  unglückliche  Sohn  die  Komiker, 
so  lange  er  lebte^  nicht  los;  wie  viele  Lustspiele  bestritt  allein 
Hyperbolos  mit  seiner  angeblich  ungriechischen  Mutter^).  Die 
dritte  unerschöpfliche  Quelle  von  Angriffen  fällt  in  eine  dunkle 
Seite  des  griechischen  Lebens.  Kurz,  was  die  Athener  in  den 
Barbierstuben  am  Marktplatz  von  ihren  Parlamentariern  einander 
erzählten,  das  wurde  vergröbert  auf  der  Bühne  vor  Tausenden 
von  Menschen  gesagt. 

Der  Menge  behagte  es  auch,  wenn  die  Komiker,  obgleich 
ihre  eigene  Religiosität  kaum  probehaltig  war,  gegen  die  atheisti- 
schen Sophisten  und  Philosophen  loszogen  oder  die  aus  der 
Fremde  eingeführten  Kulte  verspotteten  *).  Alle  musikalischen 
Neuerungen  hatten,  wie  wir  in  der  Geschichte  der  Lyrik  sahen, 
gleichfalls  an  den  Komikern  die  grimmigsten  Feinde.  Sowie 
aber  das  Ohr  des  Volkes  sich  an  die  Reformen  gewöhnt  hatte, 
machte  der  Spott  enthusiastischer  Bewunderung  Platz,  gerade 
wie  man  sich  zu  Euripides  verhielt. 

Wir  sind  zu  diesen  Erörterungen  gelangt,  als  wir  die  grund- 
sätzliche Karrikierung  von  Individuen  und  Typen  besprachen. 
Oft  Hegt  das  Lächerliche  nicht  blo?8  in  dem,  was  die  Personen 
sagen  und  thun  ,  sondern  schon  in  der  blossen  Erscheinung. 
Alle  Komiker  strengten  ihre  Phantasie  zur  Erfindung  grotes- 
ker Masken^)  an ;  abgesehen  von  den  phantastischen  Figuren 
erinnere  ich  beispielsweise  an  den  Perser  mit  dem  Titel  „Auge 
des  Königs" ;  das  Komische  erstreckte  sich  auf  die  unbedeu- 
tendsten Kleinigkeiten,  z.  B*  trugen  die  Philokieon  bewachen- 
den Sklaven  Bratspiesse  als  Waffen*). 

Wenn  das  politische  Element  aus  dem  Bereiche  des  Lächer- 
lichen nicht  ausgeschlossen  wurde,  um  wie  viel  mehr  schützte 


1)  Aristopb.   Nnb.    551  f. ;    vgl.    Fritzsche    Acta    societ.    Graecae   I 
p.  127  ff. 

2)  Z.  B.  in  den  9p-gooai  des  Kratinoe,  den  Bdicxai  des  Enpolis  nnd  bei 
Aristopbanes  Pac.  277  ff.  n.  ö. 

3)  Dierks  ArcbäoL  Zeitung  1885  8.  33  ff. 

4)  Vesp.  364.  Bemerkenswert  ist  die  Scbilderung  Agatbons  Thesm.  136  flC 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  423 

die  F astnachtsfreiheit  die  Obscenitäten  (aloxpoXo-y ta)  ^) ,  so 
dass  sie  Aristoteles  für  einen  selbstverständlichen  Bestandteil 
der  Komödie  hält*).  Derartige  Witze  sind  nicht  zu  zählen; 
nicht  zufrieden  damit,  an  natürlich  gegebene  Anlässe  anzu- 
knüpfen, streut  sie  der  Dichter  in  den  Dialog  unverbunden  ein. 
Der  auftretende  Schauspieler  charakterisierte  den  Ton  dessen, 
was  er  zu  sagen  hatte,  schon  äusserlich  durch  einen  riesigen 
ledernen  Phallos  *) ,  das  Symbol,  unter  welchem  Dionysos  von 
den  Bauern  verehrt  wurde.  Wo  Worte  zu  arg  waren ,  half  er 
mit  Geberden  nach*).  Ganze  Scenen  sind  bloss  ihrer  Obsceni- 
tät  wegen  eingelegt,  z.  B.  Kinesias'  Begegnung  mit  seiner  Frau ; 
sie  stehen  öfters  wie  in  den  Wespen ,  dem  Plutos  und  den 
Thesmophoriazusen  dem  Ende  des  Stückes  nahe  um  den  Bei- 
fall des  Pöbels  zu  erzwingen.  Bei  allem  dem  ist  Aristophanes 
wenigstens  nicht  zu  dem  Grade  der  Rohheit,  der  in  vielen 
deutschen  Fastnachtsspielen  des  fünfzehnten  und  sechzehnten 
Jahrhunderts  herrschte,  herabgesunken.  Wer  möchte  sich  je- 
doch für  seine  weniger  geistreichen  Kollegen  in  dieser  Bezieh- 
ung verbärgen? 

Das  dritte  unentbehrliche  Werkzeug  der  alten  Komödie 
war  die  Parodie*).  Da  diese  zur  vollen  Wirkung  eine  echte 
Popularität  der  betröflFenen  Dichter  voraussetzt ,  wäre  Homer 
am  nächsten  liegend  gewesen,  indes  wich  das  Metrum  zu  sehr 
ab,  als  dass  solche  Parodien  hätten  zahlreich  sein  können ;  das 
nämliche  gilt  von  den  übrigen  Epikern,  unter  denen  am  ehe- 
sten Hesiod,  z.  B.  wenn  Chiron   auftrat,    ausgenützt    wurde ^, 


1)  Plat.  rep.  3,  895  f;  vgl.  Platarch.  sympoB.  7,  8,  3.  adv.  Stoicos 
p.  1065  extr.;  Müller-ätrübing  Amtoph.  n.  die  hist.  Kritik  8.  113  ff. 

2)  Poet.  5.  eth.  Nicom.  4,  14  p.  1128a  23. 

3)  Ar.  Nab.  538  f.  Thesm.  643;  Wiesel  er  Salyrspiel  S.  184  ff.  Theater- 
gebäade  S.  58b  Tafel  IXll;  Alb.  Müller  Philol.  35,  353;  Heydemaiin 
Terraootten  T.  3,  4. 

4)  Z.  B.  Av.  443  mit  Note  von  Blaydes.  Lys.  862.  958.   Thesra.  643  ff. 

5)  H.  Tftaber  de  nsn  parodiae  apad  Aristophanem,  Pr.  des  Joachimg. 
Berlin  1849;  Wold.  Ribbeck  de  nsn  parodiae  apnd  comicos  Athen.,  Pr. 
des  köln.  G.,  Berlin  1861  (epische  Parodien),  ZUch.  f.  Gymnasialw.  17  (1863) 
S.  321  ff.  (Tragisches)  und  in  der  Ausgabe  der  Acharner  1864  S.  267  ff.;  W. 
H.  Bakhnyzen  de  parodia  in  comoediis  Aristophanis,  Utrecht  1877. 

6)  Ausser  den  Komödien  Xcpoiv  und  ^HoioSoi  Hermipp.  fr.  63.  82;  über 
epische  Formen  Kock  comic.  Att.  fragm.  I  p.  42. 


Digitized  by 


Google 


,  424  Xni.  Kapitel. 

näcbstdem  eine  Aufbeben  en^egende  Novität,  wie  das  poetische 
Kochbuch  des  Pbiloxenos  ^).  Anders  stand  es  um  die  Einflecht- 
ung  lächerlicher  Orakel*).  Doch  lieferte  die  Odyssee  die  herr- 
liche Scene  der  Wespen  (V.  180  flf.),  wo  Philokieon,  ein  zweiter 
Odysseus,  unter  dem  Bauche  des  Esels  entwischen  will.  So- 
wohl an  Popularität  wie  durch  das  Metrum  lagen  die  Tragö- 
dien den  Komikern  am  nächsten  '),  weshalb'  diese  ihnen  ihre 
gesuchten  Bilder  abhörten  oder  zum  mindesten,  ohne  eigentlich 
den  Tragiker  selbst  verspotten  zu  wollen,  einem  pathetischen 
Verse  ein  lächerliches  Ende  anhängten,  das  sicherste  Mittel, 
Gelächter  zu  erzielen ;  denn  der  Hörer  brauchte  sich  gar  nicht 
genau  zu  erinnern,  wer  der  eigentliche  Verfasser  sei,  wenn  er 
nur  den  Kontrast  der  tragischen  und  vulgären  Sprache  oder 
der  tragischen  Worte  und  der  lächerlichen  Situation  empfand; 
der  Stil  beider  Dichtungsarten  war  ja  so  verschieden,  dass  auch 
der  Ungebildete  sofort  die  Travestie  merkte.  Vor  allem  boten 
Tragödien  nach  Art  der  euripideischen  mit  ihren  spitzfindigen 
Phrasen  %  viele  Blossen.  Die  Komiker  warfen  sich  nicht  etwa 
bloss  auf  einzelne  Worte  und  Verse,  ganze  Scenen  wurden  bos- 
haft karrikiert:  Dort  Andromeda  an  den  Fels  gekettet  und  Per- 
seus  zu  ihrer  Rettung  nahend,  hier  Euripides' Schwäherin  den 
Block  gelegt  und  der  Tragiker  über  seine  Befreiung  nachsin- 
nend ;  dort  Telephos  mit  dem  kleinen  Orestes  an  Agamemnons 
Hausaltar,  von  den  feindlichen  Achäern  umringt,  hier  Dikai- 
opolis  mit  dem  geraubten  Kohlenkorb  durch  die  acharnischen 
Köhler  bedroht.  Die  kläglichen  Kinderarien  des  Euripides 
macht  der  Komiker  im  „Frieden"  (V.  114  flf.)  nach  und 
lässt  in  dem  gleichen  Stücke  (V.  60  flf.)  nach  tragischer 
Sitte  Jammerrufe  aus  dem  Innern  erschallen.  Die  modischen 
Cbortänze  verhöhnte  Aristophanes  an  Karkinos  *).    Dazu  kommt 

1)  Piaton  fr.  173. 

2)  Crntin.  fr.  78. 142. 143. 153.  154.  207  ff.,  Aristophanes  in  den  Rittern  n. 
fr.  29,  Piaton  fr.  29,  Piaton  fr.  3  n.  A. 

3)  ITapatpaYV^^tv  (PoUnx  10,  92  u.  A.)  Plaut.  Pseud.  686  (707)  aus 
dem  griechischen  OriginaL 

4)  Joh.  van  Leenwen  de  Aristophaue  Enripidis  censore,  Amsterdam 
1876  p.  124—55;  Karl  Lessing  de  Aristophane  Euripidis  inrlsore,  Diss.  v. 
Halle,  BerUn  1877  p.  22  ff. 

5)  Etwas  ähnliches  scheint  bei  Metageueft  (fr.  7  p.  707  K.)  vorgekommen 


Digitized  by 


Google 


Die  altatheuische  Komödie.  425 

die  Verhöhnung  auffallender  Kostüme,  z.  B.  der  Lumpen  euri- 
pideischer  Helden,  und  der  Theaterraaschinen:  Die  Flugma- 
schme^)  war  von  Holz,  damit  sie  auch  der  Kurzsichtige  nicht 
übersah,  und  das  Ekkyklema  dürfte  wie  auch  das  Hängegerüst 
und  die  Donnermaschine  weniger  als  scenisches  Hilfsmittel  denn 
zur  Erhöhung  der  Heiterkeit  gedient  haben  ^.  Zu  einem  an- 
dern Gebiete  führt  uns  die  Travestie  der  musikalischen  Be- 
gleitung, wovon  vielleicht  nach  Massgabe  des  Namens  die  Tca- 
p(|)Sla  ausging;  hier  zeigt  die  Komödie  wieder  ihr  Janusge- 
sicht, bald  parodiert  sie  altvaterische  Melodien  %  bald  höhnt  sie 
die  Anhänger  der  neuen  Richtung,  einen  Agathon  (in  den  Thes- 
mophoriazusen) ,  Euripides  (in  den  Fröschen)  und  Philoxenos 
(im  Plutos).  Mit  diesen  zusammen  verfallen  ihre  lyrischen  Ge- 
nossen, die  Dithyrambiker  der  Zeit,  dem  gleichen  Schicksale, 
wobei  wir  besonders  die  kühnen  Wortbildungen  verspottet  be- 
merken *).  Endlich  verdrehen  die  Komiker  volkstümliche  Sprich- 
wörter oft  recht  glückUch  ^). 

Die  gleiche  psychologische  Grundlage,  den  komischen  Ein- 
druck der  Disharmonie,  hat  die  absichtliche  Zerstörung 
der  Illusion;  während  nämlich  der  tragische  Dichter  alles 
aufbietet,  um  sein  Publikum  von  der  Wirklichkeit  des  Geschau- 
ten zu  überzeugen  ,  erinnert  es  der  Komiker  geflissentlich  an 
die  Täuschung.  Von  der  iambischen  Poesie  hatte  er  das  Vers- 
mass  übernommen  und  machi;  nun  selbst  durch  Zwischenbe- 
merkungen ohne  Metrum  ®)  auf  die  Unnatürlichkeit,  dass  Plebe- 
jer in  Versen  reden,  aufmerksam.  Die  Komödie  hatte  von  der 
Tragödie  manche  Maschinen  entlehnt;  aber   während  diese  sie 


1)  Z.  B.  im  Frieden  (174)  and  den  Vögeln  (1199 fif.)  angewendet;  vgl. 
Pollux  4,  129.  . 

2)  Ekkyklema:  Thesmophoriaznsen ;  xpep.'id'pa :  Wolken ;  Donner:  V^Tolken 
V.  292  mit  Scholien. 

3)  Z.  B.  Phiynichoa  im  Weckliede  der  „Wespen"  V.  273  ft.  (s.  V.  220 
und  269). 

4)  Plato  apol.  18 cd. 

5j  Z.  B.  Lysistr.  111  n^  298  mit  Schollen;  W.  Ribbeck  Acharner 
S.  323  f. 

6)  Z.  B.  Ach.  43.  61.  123.  237.  241.  735,  auch  bei  Eupolis  oft,  be- 
sonders aufiällig  bei  Archippos  fr.  27. 


Digitized  by 


Google 


426  XUL  Kapitel. 

soviel  als  möglich  verbirgt ,  richten  die  Komiker  das  Augen- 
merk der  Zuschauer  aus  freien  Stücken  darauf,  ja  sie  reden 
ausdrücklich  den  Maschinenmeister  an*).  Wer  könnte  ferner 
den  Flötenspieler,  welcher  den  Chor  begleitet,  ignorieren,  wenn 
dieser  nicht  bloss  angesprochen  wird*),  sondern  sogar  in 
den  „Vögeln"  seine  Maske  abnimmt?  Unbefangen  zeigt  So- 
krates  auf  den  „Eingang-'  des  Theaters ,  wo  die  Wolken  her- 
einziehen ^).  Trygaios  verrät  (V.  1022) ,  dass  das  Schaf  nicht 
auf  der  Bühne  geopfert  wird,  damit  es  der  Choreg  erspare.  Der 
Zuschauer  wird  oft  in  noch  rücksichtsloserer  Weise  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  alles  nur  ein  Scherzspiel  sei.  Nicht 
genug,  dass  der  Dichter  den  Gang  der  Handlung  mitten  im 
Stücke  mit  der  seinen  eigenen  Anliegen  oder  den  Tagesfragen 
gewidmeten  Parabase  unterbricht,  bringt  er  auch  sonst  persön- 
Uch  hie  und  da  Beschwerden  vor,  wie  Kratinos  in  den  „Hirten", 
als  ihm  der  Archou  einen  Chor  verweigerte  *) ,  oder  verspottet 
Konkurrenten  ^).  Damit  nicht  genug  1  Die  Schauspieler  reden 
oft  das  Publikum  an  ^)  und  deuten  auf  einzelne  mitNamenuen- 
nung  hin  ^) ,  oder  sie  nehmen  doch  auf  die  Richter  ^  und  auf 
die  Gesamtheit  der  Zuschauer  Bezug.  Am  häufigsten  kommt 
derartiges  am  Anfange  des  Stückes  vor,  damit  der  Hörer  die 
Exposition  auf  dem  kürzesten  Wege  erfahre  %  ein  Mittel ,  das 
in  gewissem  Sinne  eine  der  Komödie  würdige  Analogie  mit  den 
euripideischen  Monologen  hat.  Manche  Komiker,  die  ihrem 
eigenen  Witze  nicht  viel  zutrauten,  Hessen  Nüsse  und  anderes 

1)  S.  S.  425  A.  1  u.  2;  Fax  174  flf.  Eq.  232.  Daedal.  fr.  188  K. 

2)  Eccl.  890.  Av.  682  ff.  859;  Kratinos  (fr.  276  K.  bei  Saidas  u.  UoSioi 
vöfioi)  liess  ihn  sogar  einige  Worte  sprechen. 

3)  Nnb.  326;  ähnlich  Av.  295.  fr.  388  K. 

4)  Hesych.  u.  Kop^ipi^x^^  vgl.  Aristoph.  Ach.  377  ff.  1149  ff. 

5)  Z.  B.  Aristophanes  am  Anfang  der  „Frösche** ;  vgl.  Plant.  Psend.  1223. 

6)  Z.  B.  Eccl.  583.  888.  1141.  Nnb.  1096  ff.  1201  n.  ö.,  vgl.  Jacobi 
comicae  dictionis  index  (Meinekes  fragm.  V)  p.  456  n.  O^arr^g  nnd  d-iatpov; 
Lorenz  Plantns  Psendolns  8.  35   A.  35. 

7)  Z.  B.  Eq.  136.  228.  233.  1210.  1318  n.  ö.  Piaton  ^aiSapiov  bei  Scbol. 
Ar.  Ran.  308.  Vgl.  auch  Antiphanes  fr.  217,  16. 

8)  Eccl.  1142.  1154.  Enpolis  fr.  223.  244. 

9)  Kratinos  bei  Aristid.  49  p.  521  D.  Pherecrat.  fr.  154.  Eq.  36  ff.  Vesp. 
54  ff.  71  ff.  Pax.  9.  20.  43  ff.  Av.  30  ff.  Piaton  fr.  167  K. 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  427 

Naschwerk  unter  das  Publikum  werfen*),  in  der  Absicht,  das» 
die  Kinder  sich  zum  Vergnügen  des  gemeinen  Volkes  darum 
rauften;  selbst  Aristophanes  tbat  dies  im  „Frieden"  (V.  962flF.> 
mit  der  Opfergerste.  Wenn  derselbe  Dichter  in  der  zweiten 
Bearbeitung  der  Wolken  (1103  flf.)  einen  Spieler  unter  das  Volk 
flüchten  und  im  „Frieden"  (V.  905  flf.)  die  Theoria  ebenfalls 
dorthin  führen  liess,  wohin  mögen  weniger  geniale  Köpfe  ge* 
raten  sein? 

Die  Komiker  setzten,  das  Lächerliche  um  jeden  Preis  zu 
erreichen  bestrebt,  um  dieses  Zieles  willen  alles  andere  hintan. 
Eine  geregelte  dramatische  Technik,  wie  sie  das  Trauerspiel 
besass,  fehlte  der  Komödie  fast  völlig,  denn  die  moralische 
Schraukenlosigkeit  kann  sich  mit  der  Gewissenhaftigkeit, 
strengen  Regeln  dauernd  zu  folgen,  nicht  vertragen.  Die 
Einheit  der  Handlung  war  ihr  so  fremd  *),  dass  die 
Dichter  im  Gegenteil  ihr  hauptsächliches  Bestreben  darauf, 
dass  jede  Scene  eine  neue  Lachen  erregende  Idee  brachte, 
richteten  ^.  Während  das  Intriguenlustspiel  der  alexandrinischen 
Zeit,  welches  sich  an  dem  euripideischen  Schauspiel  heraus- 
gebildet hat,  mit  der  Posse  der  klassischen  Zeit  keinen  Zusammen- 
hang hat,  könnte  man  diese  der  Satura,  Farsa,  Farce  in  der 
ursprünglichen  Wortbedeutung  an  die  Seite  stellen.  Dennoch 
übte  die  Tragödie  einen  bildenden  und  gewissermassen  zähmen- 
den Einfluss.  Der  Beginn  des  Stückes  *)  klärt  den  Zu- 
schauer selten  sofort  über  die  Handlung  auf,  z.  B.  beginnen 
die  „Acharner**  und  „Frösche"  mit  Witzen,  die  für  jede  be- 
liebige Komödie  passen.  Dass  das  erstere  Stück  und  die 
„Wolken"  mit  einem  langen  Selbstgespräch  eingeleitet  werden, 
hat  auf  euripideischen  Prologe  keinen  Bezug.  Später  hingegen 
nimmt  die  Komödie  dieselbe  zunächst  travestierend  an^),  doch 


1)  Arißt  Plut.  797  ff.  Vcsp.  58  f. 

2)  Th.  Kock  Bhein.  Mus.  39,  125 ff. 

3)  Metagenes  fr.  14  bei  Athen.  10,  459  b:  Kax'  iictiooSiov  ^itxaßeiXXa» 
xhv  XÄ^ov,  <ü?  5v  xaivatoi  icapotj'ioi  xal  icoXXalc  86a>)^'f]oa>  xb  ^^atpov. 

4)  EloßoX-f]  Antipbanes  fr.  190,  20,  tio^tocc  Schol.  Ar.  Ach.  a.  Auf.; 
die  „Hirten*'  des  Eratinos  begännen  nach  äschyleificher  Art  mit  einem  Chor- 
gesang (Fr.  18). 

5)  Wie  in  den  Ekklesiasusen,  Aiokwikon  (fr.  1)  und  wahrscheinlich 
auch  in  den  verlorenen  Thesmophoriazusen  (Schol.  Ar.  Thesm.  298)  und  den 


Digitized  by 


Google 


428  Xin.  Kapitel. 

schon  im  ,,PIutos'*  ist  dadurch,  dass  der  Sklave  zuerst  spricht, 
als  ob  er  allein  wäre,  kein  Scherz  beabsichtigt,  sondern  die 
Hörer  mussten  annehmen ,  dass  ihn  sein  Herr  nicht  hörte  ^). 
Auf  die  letzte  Scene  legt  man  grossen  Wert,  nicht  in 
Bezug  darauf,  dass  sie  sich  logisch  aus  dem  Vorhergehenden 
ergibt,  was  selbst  einem  Aristophanes  nicht  oft  nachzurühmen 
ist,  sondern  mit  Rücksicht  auf  die  lächerliche  Bühnenwirkung. 
Gewöhnlich  läuft  sie  in  eine  komische  Prozession,  zu  welcher 
die  Schauspieler  in  die  Orchestra  hinabsteigen^),  aus,  mag  es 
•ein  Komos  (Acharner  und  ähnlich  Ekklesiazüsen),  ein  Hochzeits- 
zug (Frieden  und  Vögel),  eine  wirkliche  Prozession  (Plutos  und 
Lysistrata)  oder  ein  Fackelzug  (Frösche)  sein.  Die  „Wespen** 
endigt  ein  heiteres  Ballet;  die  „Wolken**  schliessen  mit  dem 
der  Tragödie  abgelauschten  Effekt ,  dass  Sokrates'  Haus  in . 
Flammen  aufgeht.  •  Nur  die  „Thesmophoriazusen**  entbehren 
eines  gleich  drastischen  Schlusses^. 

Der  Dialog  eilt  in  raschem  Flusse,  Schlag  auf  Schlag 
dahin;  dies  empfindet  selbst  der  Leser  noch  an  dem  be- 
schwingten Gange  der  oft  durch  Anapäste  oder  Auflösungen 
beschwingten  Trimeter,  wie  der  Rhythmus  der  Umgangssprache 
beschaffen  ist*),  und  an  der  engen  Verflechtung  der  Verse, 
indem  der  letzte  Vokal  abgestossen  wird  oder  der  Artikel,  an 
das  Ende  gestellt,  sofort  auf  das  folgende  Substantiv  hinweist  ^). 
Verse  sind  seit  Epicharraos  gar  oft  unter  verschiedene  Personen 
verteilt  ^.  Das  lebendige  Sprühfeuer  des  Gespräches  sollte  dem 
Hörer  keine  Zeit  zu  fragen  lassen,  ob  denn  dies  alles  mögUch 
sei.  Der  Komiker  entbehrte  trotzdem  des  Feingefühls  für  das 
schöne  Ebenmass  durchaus  nicht;  man  kann  auch  hier  die  so- 
genannte Responsion  beobachten')     Das  Vorbild  derTrag- 

Xip(i>vt(  Kratins  (fr.  228),  femer  aach  in  des  Anaxaudrides  „Nereus**  (fr.  30 
Kock)  und  bei  Heniochos  (fr.  5). 

1)  Um  so  mehr  verwertet  die  neue  Komddie  (s.  B.  Menander  in  der 
„Erbtochter")  den  enripideischen  Prolog  (Wecklein  Philol.  31,  469  f.). 

2)  Vesp.  1514  ff,  Ecd.  1152. 

3)  Der  Scblnss  der  „Ritter"  ist  verloren  gegangen. 

4)  Schol.  Hephaest.  p.  132  Stndemnnd.   J.  Bnmpel  PhUol.  28,  699  ff. 

5)  Beispiele  bei  Kock  I  p.  606  sn  Piaton  fr.  24. 

6)  Wilamowitc  analecta  Euripidea  p.  194. 

7)  Wolft.  Heibig  Rhein.  Mns.  15,  251  ff.;  Fr.  Witten  qna  arte  Aristo- 
phanes diverbia  composuerit,  Halle  1878. 


Digitized  by 


Google 


Die  altatbenische  Komödie.  429 

ödie  war  in  noch  so  manchen  Nebenpunkten  z.  B.  darin,  dasar 
auftretende  Personen  angekündigt  wurden  ^),  nützlich. 

Die  Anlage  der  Komödie  war  natürlich  in  hervorragendem 
Masse  durch  das  verfügbare  Personal  bedingt.  Als  die  Komödie 
Staatsinstitut  wurde,  wies  man  ihr  gleich  der  Tragödie  drei 
Schauspieler  zu*);  indes  war  hier,  falls  der  Dichter  eines 
vierten  bedurfte,  leichter  Rat  zu  schaflfen,  denn  welche  Vor- 
bildung brauchte  ein  Athener,  um  etwa  den  zweiten  Sklaven 
der  „Wespen**  zu  spielen*)?  Ausserdem  waren  die  Kostümein 
der  Regel  so  einfach  ,  in  der  älteren  Zeit  sogar  so  ärmlich  *), 
dass  sowohl  die  Zahl  der  Rollen  als  auch  die  der  Statisten  sehr 
bedeutend  sein  durfte.  Denken  wir  nur  an  die  Volksversamm- 
lung^) am  Anfange  der  Acharner!  Da  jeder  Schauspieler  gleich 
dem  tragischen  möglichst  viele  Rollen  übernahm,  waren  Masken 
selbstverständlich  ^.  Abgesehen  davon,  dass  sie  äusserst  karri- 
kiert  und  grotesk  aussahen,  gab  mau  ihnen  mittelst  Mennig  die 
Leibfarbe  des  Dionysos '). 

Den  Schauspielern  stand  wie  in  der  Tragödie  ein  Chor 
gegenüber,  weil  die  Komödie  gleichfalls  davon  ausgegangen  war  ^. 

1)  Z.  B.  Thesm.  36  ff.  95,  nach  tragischer  Art  mit  xal  p.Y|v  Plut.  332  ff. 

2)  Anon.  VIU  16  (von  Kratinos  eingef&hrt,  woi;egen  Aristot.  poet.  b 
p.  1449b  5  zu  sprechen  scheint,  s.  freilich  Usener  Rhein.  Mns.  28,  426  f.); 
Carl  Beer  über  die  Zahl  der  Schauspieler  bei  Arist.,  Lpg.  1844;  Rob.  Enger 
de  histrionnm  in  Aristophanis  Tbesmoph.  nnmero,  Pr.  y.  Oppeln  1840  n.  die 
Rollenverteilung  in  der  Lysistratn  des  Ar.,  Pr.  v.  Ostrowo  1848. 

3)  Hieher  gehört,  abgesehen  von  den  Kinderrollen,  z.  B.  Plnton  am 
Ende  der  Frösche. 

4)  Baumgarten  Untersuchungen  über  die  Tracht  der  Athener  auf 
Grundlage  aller  einzelnen  Ausdrücke,  welche  sich  in  den  Kom.  u.  Fragm. 
des  A.  finden,  Pr.  v.  Mies  1876;  Dierks  Archäol.  Ztg.  1885  S.  31  ff.;  Alb, 
Müller  Bühnenaltert.  S.  246 ff.;  Aristoph.  fr.  253  (Athen.  2,  57a).  Pherekr. 
fr.  185  sagt  von  dem  Chor  der  alten  Tragödie  ha^d[Ltvo<:  Sdcici^ag  xal  oTpcu- 

5)  Auch  bei  Alexis  fr.  62. 

6)  Aristoph.  fr.  31  xcü^icpSixöv  fiopfioXoxetov. 

7)  Nach  Schol.  Arist  Eq.  230.  Vit.  Arist.  19  soll  bloss  das  Gesicht  mit 
Mennig  bestrichen  worden  sein.  Der  von  Tibull.  2,  1,  55  übersetzte  Alexan- 
driner beschrftnkte  dies  auf  die  älteste  Bauemkomödie.  Man  vergleiche  da- 
mit, wie  das  Gesicht  von  zwei  alten  Dionysosbildem  (Pansan.  2,  2,  6)  und 
den  alexandrinischen  Satyrn  (Athen.  5,  198a)  geförbt  war. 

8)  Rieh.  Arnoldtde  choro  Aristophanis  quaestt.  scaen.,  Diss.  v.  Königs- 
berg 1868,  scen.  Untersuchungen  über  den  Chor  bei  A.,    Pr.  v.  Elbing  1871,. 


Digitized  by 


Google 


430  ^^^I-  Kapitel. 

Die  Zahl  der  Mitglieder  war  nicht  bestimmt  ^)  ,  wahr- 
scheinlich aber  grösser  als  die  des  tragischen  Chors,  da  die  Ko- 
miker ihren  Chor  sehr  häufig  in  zwei  Hälften  spalteten  ^.  In 
anderen  Fällen  führten  sie  einen  zweiten  Chor  ein,  z.  ß.  die 
lakonischen  Männer  in  der  „Lysistrata" ,  die  Frauen  in  der 
Parodos  der  „Frösche"  und  die  Knabenschar  der  „Daitales'). 
Der  Chor  war  hinsichtlich  seines  Standortes  durchaus  nicht  an 
die  Orchestra  gebunden^);  beispielsweise  setzten  sich  die  Thes- 
mophoriazusen  und  £kklesiazusen  auf  der  Bdhne  nieder,  während 
in  der  „Lysistrata**  wahrscheinlich  die  eine  Hälfte  auf  der  Bühne, 
die  andere  in  der  Orchestra  stand  ^).  Damit  hängt  es  zusam- 
men, dass  der  Chor  der  Komödie  leichter  aktiv  in  die  Hand- 
lung eingreifen  konnte,  wie  wenn  in  der  „Lysistrata**  die  Män- 
ner Holz  herbeischleppen  und  Feuer  machen,  worauf  die  Frauen 
Wasser  holen  und  jene  überschütten,  femer  dass  er  sich  wie- 
derholt (z.  B.  in  den  Acharnern  und  Ekklesiazusen)  entfernte 
und  wiederkam.  Auch  das  Auftreten  geschah  mit  entsprechen- 
der Leichtigkeit.  Die  Ritter,  Acharner  und  der  Chor  des  Frie- 
dens rückten  nach  der  raschen  Melodie  trochäischer  Tetrameter 
im  Sturmschritt  herein ,  alte  Leute ,  wie  die  Wespen  und  der 
Chor  des  Plutos,  humpelten  eilig  mit  ihren  Stöcken   nach  Ok- 

die  Cborpartien  bei  A.  scenisch  erläatert,  Lpg.  1873;  M.  Georg iewsky  de 
chori  in  Arist.  Ecclesiaznsis  partibus,  Journal  des  Büniat.  f.  Volksaufkläning, 
Petersb.  1886,  III.  Abt,  Augnst  S.49  ff. ;  F.  L.  Marcoa  de  cboro  et  carmine 
lyrico  apud  Ar.,  th^se  von  Paris  1859;  Chr.  Mn  ff  der  Chor  in  der  gr.  Korn, 
vor  Ar.,  Pr.  v.  Halle  1871. 

1)  Saeton.  p.  11,  14  Keiff.;  wie  Schol.  Ar.  Av.  295  u.  £q.  593  (586) 
zeigen,  ist  die  gewöhnlich  genannte  Zahl  24  (PoUnx  4,  15.  Vita  Arist.  Z.  78 
adu.  Vita  Aeschyl.  Z.  107.  Anon.  de  comoed.  VIII  34.  Is.  Tzetc.  prol.  in 
Lycopbr.  p.  254  [Variante  t?'].  Job.  Tzetz.  An.  Oxon.  m  337)  aas  den 
„Vögeln"  des  Aristophanes  erschlossen.  In  den  „Ekklesiazusen"  werden  sieben 
mit  Namen  genannt,  wozu  dann  „sehr  viele"  (V.  52)  hinzutreten;  auch  die 
Wolken  waren  „sehr  viele"  (V.  324).  Der  Chor  von  Kratinos'  Pylaia  hatte 
nach  seiner  eigenen  Angabe  sechs  Co'^a  (Schol.  Arist.  Pac.  733);  die  oxoixot 
erwähnt  Aristoph.  fr.  79. 

2)  Die  besten  Handschriften  geben  die  Halbchöre  oft  an  (Amoldt  S.  180 f., 
berichtigt  von  Alb.  Müller  S.  219,  3).  lieber  die  Teilung  des  Chors  Christ  Ab- 
handl.  der  bayer.  Akad.  14,2, 176ff.  Zi  elinski  die  Gliederung  der  Rom.  8. 249  ff. 

3)  Thesm.  101  ff.  nimmt  der  Scholiast  mit  Recht  an,  dass  Agathon 
allein  das  Chorlied  singt;  der  gleiche  Fall  liegt  Plutarch.  Lys.  15  vor. 

4)  Zielinski  Gliederung  der  altatt.  Korn.  S.  162ff. 

5)  Scholien  zu  V.  321. 


Digitized  by 


Google 


Die  altatheniflcbe  Komödie.  431 

tonaren  einher.  Die  Vögel  indes  traten  einzeln  auf,  damit  die 
Zuschauer  die  komische  Erfindung  einer  jeden  Maske  gesondert 
in  Müsse  besahen  und  gebührend  belachten.  In  den  „Ekkle- 
siazusen"  und  „Thesmophoriazusen"  schHesst  sich  Aristophanes 
an  die  Wirklichheit  ah ,  wogegen  er  in  den  „Wolken"  und 
„Fröschen"  den  Phantasie  erregenden  Kunstgriflf,  den  Gesang 
schon  hinter  der  Scene  erschallen  zu  lassen,  gebraucht. 

Innerhalb  des  Stückes  selbst  scheint  der  Chor  keine 
„Standlieder"  (azdoi^a)  gesungen  zu  haben  ^).  Lange  anti- 
strophische Gesänge  waren  überhaupt  in  der  Komödie  nicht 
üblich ;  hingegen  liebt  sie  teils  einstrophige  Lieder  *) ,  teils 
komische  Duette  und  Terzette*),  wobei  die  Schauspieler  sich 
am  Tanze  gleichfalls  beteiligen.  Nach  tragischem  Muster  singt 
auch  wohl  ein  einzelner  Ohoreut  einige  Verse  *).  Hie  und  da 
wird  der  tragische  Chor  durch  plötzliche  Ausrufe  des  Schreckens 
und  der  Freude  travestiert*). 

Der  wichtigste  Bestandteil  der  Chorgesänge  ist  aber  die 
Parabase*),  welche  wir  etwa  mit  den  eingelegten  Couplets 
der  Singpossen  vergleichen  können.  Sowie  nämlich  die 
Handlung  des  Stückes  vollkommen  entwickelt  ist  und  das 
Eintreten  einer  Pause  gestattet,  verlassen  alle  Schauspieler  die 
Bühne,  worauf  die  Choristen,  nachdem  sie  deren  Abgehen  mit 
einigen  lyrischen  oder  anapästischen  Versen  (xo|i.|jLAttov  oder 
lieXÖHSptov)  begleitet,  ihre  Ueberröcke  abwerfen ')  und  sich  neben 

1)  Schol.  Arist.  Vesp.  270  Hess  sich  durch  otivtac  beirren. 

2)  Z.  B.  Ran.  398  flf.  416  flf.  814  ff. 

3)  Z.  B.  Plut.  487  ff.  Thesm.  700  ff. 

4)  Vesp.  235 ff. ;  vgl.  ausser  Arnoldt  G.  Hermann  de  choro  Vespartim 
Aristophanis,  Lpg.  1843. 

5)  Z.  B.  Plut.  V.  637.  639  f. 

6)  Pollux  4, 111.  Hephaesfc.  tcspl  TCoc-qji.  9  p.  73  W.  Piaton.  1 11  ff.  Anon. 
VI  3.  Vni  30.  Schol.  Arist.  Eq.  512  (505).  Argum.  Nub.  I.  Vita  Aristoph. 
14;  Kolster  de  parabasi  veteris  comoediae  Atticae  parte  antiqnissima,  Altena 
1829;  O.  Müller  kleine  Schriften  I  494 ff.;  C.  Kock  de  parabasi  antiquae 
com.  Att.  interlndio,  Anclam  1856;  Agthe  die  Parabase  u.  die  Zwischenakte 
der  att.  Komödie,  Altena  1866,  Anhang  1868;  Westphal  Prolegomena  zu 
Aeschylus'  Tragödien  S.  38 ff.;  Muff  über  den  Vortrag  der  chor.  Partien  bei 
Ar.,  Halle  1871  S.  86 ff.;  Christ  Abh.  der  bayer.  Akad.  XTV  2,  164 ff. 
u.  Metrik  S.  664ff.;  Zielinski  Gliederung  S.  175 ff.;  Alb.  Müller 
Bühnenaltert.  S.  214  ff. 

7)  Arist.  Acharn.  627. 


Digitized  by 


Google 


432  ^^^'  Kapitel 

einander,  dem  Zuschauer  zugewendet,  aufstellen  ^),  um  die 
,,Anapäste**,  d.  h.  anapästische  Tetrameter  (in  den  „Wolken** 
durch  sogenannte  Eupolis- Verse  vertreten)  *),  welche  von  kürzeren 
anapästischen  Versen  ([laxpöv  oder  tcvI^oc)  beschlossen  werden, 
vorzutragen.  Der  zweite  Hauptteil  ist  für  den  Tfiinz  einge- 
richtet und  zerfällt  in  die  lyrische  4>8i»J  (otpo^Yj)  und  das  SirCp- 
pY]|i.a  *)  (in  trochäischen  oder  auch  kretischen  Tetrametern)  mit 
ihren  Responsionen  (avtiotpoycx:  oder  ivtcpSiJ  und  ivtsffippifjjta). 
In  voller  Kraft  steht  die  Parabase  nur  in  den  älteren  vor  die 
sicilische  Katastrophe  fallenden  Stücken  des  Aristophanes,  wo- 
von vier,  Achamer  (V.  626  flf.)»  Ritter  (V.  498  flf.),  Wespen 
(V.  1009  ff.)  und  Vögel  (V.  676  ff.)  jenes  komplicierte  System 
vollständig  veranschaulichen,  wogegen  die  „Wolken"  (V.  510  ff.) 
des  (taxpöv  und  der  „Friede"  (V.  729  ff.)  des  inippiq^  samt 
Responsion  entbehren;  ausserdem  enthalten  alle  diese  Stücke 
noch  eine  Art  zweiter  Parabase,  da  in  den  „Acharnern"  eine 
Art  Kommation  und  das  Epirrhema  mit  Responsion  (V.  1143  ff. )^ 
dagegen,  was  wir  als  zweiten  Hauptteil  bezeichneten,  in  den 
„Rittern**  (V.  1263 ff.)*),  Vögeln  (V.  1058 ff.)  und  im  Frieden 
(V-  1127  ff)  vollständig,  in  den  „Wespen''  (V.  1265  ff.)  mit 
Ausnahme  der  Antode  und  in  den  „Wolken**  (V.  1115  ff.)  auf 
das  Epirrhema  eingeschränkt  später  einen  zweiten  Einschnitt 
abgibt.  Die  jüngei*en  Stücke  hingegen  zeigen  den  unverkenn- 
baren Verfall  der  eigentümlichen  Einrichtung :  In  den  „Fröschen** 
mangelt  der  Parabase  (V.  675  ff.)  gerade  der  charakteristische 
erste  Teil,  während  in  den  „Thesmophoriazusen**  (V.  785 ff.) 
der  zweite  auf  das  Epirrhema  herabgemindert  ist;  in  der  „Lysi- 
strata**  vollends  wird  die  Parabase  durch  ein  langes  Chorduett 
(V.  614  ff.)  ersetzt  und  „Ekklesiazusen**  (abgesehen  von  V.  1155  ff.) 
wie  „Plutos**  haben  nicht  einmal  dieses  Surrogat  An  die  Stelle 
der  Parabase  tritt  im  vierten  Jahrhundert  der  persönliche  Prolog  % 


1)  i]p6c  xb  ^axpov  icapaß-rjvai  Eq.  508,  ebenso  Ach.  629.   Thesm.  785, 
icapaßag  Pac.  735,  icapißtqv  u.  oxpi^^ai  StDpo  Piaton  fr.  92. 

2)  Vgl.  Scholia  Hephaestion.  p.  151  ed.  Studemund. 

3)  Ueber  den  Vortrag  R.  Enger  Rhein.  Mus.  10,  119  ff. 

4)  Die  Scholien  nennen  dies  ooCoY^*  sinppYjp.axtx'fi. 

5)  Antiphanes  bei  Athen.  VI.  a.  Anf.,  vgl.  Donatus  de  comoedia  p.  10, 9  ff. 
(anders  Euanthius  p.  6,  4  f.). 


Digitized  by 


Google 


Die  altatbemaclie  Komödie.  433 

der  ursprünglich  gleich  jener  eingeschoben  gewesen  zu  sein 
scheint  ^).  Gleichzeitig  mit  der  äusseren  Einschränkung  hatte 
die  Parabase  eine  innere  Wandlung  durchgemacht.  Anfangs 
benutzten  sie  nämlich  die  Dichter  zu  persönlichen  Erörterungen, 
sei  es,  dass  sie  sich  durch  den  Chor  nennen  Hessen  oder 
geradezu  in  der  ersten  Person  der  Einzahl  redeten.  Aristo- 
phanes  spricht  an  dieser  Stelle  z.  B.  von  seiner  Laufbahn  und 
von  Anfeindungen,  von  Vorgängern  und  Nebenbuhlern ;  in  der 
zweiten  Bearbeitung  der  „Wolken"  gedachte  er  dem  Publikum 
seinen  Unverstand,  den  es  durch  Verwerfung  des  Lustspiels  be- 
kundet habe,  vorzuhalten.  Allein  in  den  „Vögeln"  wird 
bereits  der  Zusammenhang  des  Gesanges  mit  der  Hand- 
lung durchgängig  festgehalten  ,  wodurch  der  Unterschied 
zwischen  der  Parabase  und  einem  gewöhnlichen  Chorgesange 
schwindet. 

Der  Chor  wird  überhaupt  von  Aristophanes  nicht  gleich- 
massig  behandelt.  Die  „Acharner"  und  die  „Vögel**  beteiligen 
sich  an  der  Handlung  energisch  wie  Schauspieler  und  auch 
die  Chöre  der  übrigen  politischen  Stücke  und  der  drei  Frauen- 
komödien stehen  kräftig  zu  den  Einzelvertretem  ihrer  Wünsche; 
die  wenigste  Lebensfrische  hat  der  Chor  im  „Frieden**,  weil  er, 
eine  Art  Deputation  von  ganz  Griechenland  vorstellend,  zu  ab- 
strakt ist.  Auf  den  Gedanken ,  wozu  der  Chor  überhaupt  da 
sei,  verfällt  man  indes  nur  bei  dem  Schmerzenskinde  der  ari- 
stophanischen Muse  und  in  späten  Stücken,  wie  den  „Fröschen*' 
und  „Plutos**.  Freilich  nahm  sich  der  Dichter  der  alten  Ko- 
mödie oft  das  Recht,  den  Chor  lieber  als  Werkzeug  der  Posse 
denn  als  ein  dramatisches  Hauptmoment  einzuführen ,  indem 
er  am  meisten  für  die  komische  Wirkung  der  Erscheinung 
sorgte.  Infolge  dessen  war  der  Chor  nicht  allein  oft  aus  alle- 
gorischen Figuren  (Wolken,  Städten,  Inseln  u.  dgl.),  sondern  so- 
gar aus  Tieren,  (wie  Fröschen  oder  Vögeln)  zusammengesetzt. 
Deren  lächerliche  Maske*)  war  es,  welche   die  Zuschauer  vor 


1)  So  im  Miles  gloriosns,  der  Cistellaria  and  anderen  älteren  Komödien 
der  Römer  (Donat  in  Ter.  Phorm.  praef.  a.  £.).  Noch  mehr  erinnert  die 
vom  choragna  gesprochene  vierte  Soene  des  Cnrcnlio  an  die  Parabase. 

2)  Yogelmasken  anf  Yasenbildem:  Dierks  Archäol.  Ztg.  1885 
Sp.   82,  3. 

Sittl,  Geschichte  der  griechiflchen  Ltteiator.  m.  28 


Digitized  by 


Google 


434  Xm.  Kapitel. 

allem  ergötzen  sollte;  also  sah  man  gewiss  auch  die ,, Frösche^' 
mit  Augen  *). 

Wann  und  warum  der  Chor  zurücktrat,  sei  lieber  in  der 
Darstellung  der  mittleren  Komödie  auseinander  gesetzt;  jetzt 
haben  wir  noch  von  seiner  Beeinflussung  des  Dramas  zu  sprechen. 
Er  machte  die  Komödie,  um  das  Ganze  kurz  zusammen  zu 
fassen,  zu  einem  Singspiel.  Da  die  Athener,  noch  als  Aristo- 
phanes  seine  letzten  Stücke  aufführte,  den  Wert  des  Lustspiels 
zunächst  aus  den  Chören  beurteilten*),  war  es  eine  der  wich- 
tigsten Aufgaben  des  komischen  Dichters,  die  Lieder  zu  kom- 
ponieren^) und  neue  Masse  zu  erfinden,  worauf  sie  das  Publi- 
kum selbstgefällig  aufmerksam  machen*).  Die  musikalische  Be- 
gleitung übernahm  ein  Flötenspieler^),  der  mit  dem  Chor  ein- 
marschierte und  mit  der  Krupeza  den  Takt  trat  *) ;  noch  mehr, 
er  trug  in  den  „Vögeln"  ein  Solostück  vor ').  Damit  waren 
andere  Instrumente,  wie  die  Lyra^}  und  das  Psalterion*),  nicht 
ausgeschlossen,  zudem  scheint,  da  das  dionysische  Tympanon 
zu  den  Attributen  der  komischen  Muse  gehört,  ^®)  dieses  wenig- 
stens zum  Kordax  geschlagen  worden  zu  sein.  Der  Chor  wies 
nämlich  dem  Tanz  auch  in  der  Komödie  einen  hervorragen- 
den Platz  an.  Natürlich  trat  hier  an  die  Stelle  der  tragischen 
Ruhe  und  Feierlichkeit  die   dem  Komödientone  entsprechende 


1)  Aristophanes  bezeugt  dies  fQr  die  „Frösche*^  des  Magnes  durch  die 
Worte  £q.  523  ßaTcxop-tvoc  ßatpa^eiot;;  anders  Schol.  Aristoph.  Ran.  212. 

2)  Eccl.  1162  xpivtiv  to6(  X^P^'^C  ^p^dx;  aei.  £q.  5^1  Bc  TcXtiota   -/^o^mv 
Tü>v  ävtiniXtiiV  vtxYjc  forrjoi  tpowala. 

3)  W.  Beiuhold  Versuch    über  die   Anwendung   der   Musik   in    den 
Komödien  der  Alten,  Pasewalk  1839;  Zielinski.Gliederung  S.  288  ff.  315  ff. 

4)  Pherekrates  fr.  79  K.  vgl.  Hephaestio  c.  15.  Tereutian.  Maur.  2243  ff. 
Zur  Metrik:  M.  Gitlbauer  philologische  Streifzüge  4,  268 ff. 

5)  Inschriften  bei  Alb.  Müller    S.  405   A.  1.    Nach  Wie  sei  er    advers. 
in  Aesch.  Prom.  V.  et  Ar.  Aves  p.  37  ff.  erforderten  die  Vögel  vier  Musiker. 

6)  Polluz  7,  87.    Hesych.    u.  xpouicsCa,    abgebildet   bei   Ficoroni    de 
larvis  scenicis  ed.  U.  t.  80  (Baumeisters  Denkm.  IX  1159  Abb.  1350). 

7)  Nach  V.  222;   zu  Kau.   1263    wird   bemerkt    SiauXiov   icpooauXsc    (s. 
Schollen  und  Suidas  u.  $ia6Xiov). 

8)  Arist.  Thesm.  327  f.  beim  Hymnus. 

9)  Schol.  Juvenal.  2,  91  über  Eupolis'  Bapten. 

10)  Vase:  Gerhard  Neapels  antike  Bildwerke  I  S.  365;    Statue:    Bau- 
meisters Denkmäler  Nr.  1184  S.  971. 


Digitized  by 


Google 


Die  altatbenische  Komödie.  43Ö 

Beweglichkeit  und  Äusgelasseuheit.  Am  beliebtesten  war  der 
unanständige  Cancan ,  dessen  üblicher  Rhythmus  trochäisch 
war*);  der  Chor,  welcher  dazu  das  Oberkleid  ablegte,  tanzte 
ihn  auch  wohl  im  Verein  mit  Schauspielern,  z.  B.  bei  Eupolig 
mit  einem  betrunkenen  alten  Weibe  ^.  Aristophanes  thut  sich 
etwas  darauf  zu  Gute,  dass  er  in  den  „Wolken**  einen  solchen 
Cancan  wegliess  (V.  540).  Die  Komödientraditiou  bot  ihm  ja 
noch  andere  Tänze,  beispielsweise  den  Zweischritt,  zur  freien 
Wahl  3). 

Diese  Vereinigung  der  drei  schönen  Künste  bestimmte  die 
Gestaltung  der  Dialogpartien.  Sie  waren  nicht  bloss  überhaupt 
in  Versen  geschrieben,  sondern  hatten  in  den  Massen  einen 
mannigfaltigen  Wechsel,  da  zu  den  Jamben  nach  dem  Vorbilde 
der  iambischen  Dichter*)  trochäische  Tetrameter  und  anapäst- 
ische Verse  ^)  in  viel  grösserem  Umfange  als  bei  den  Tragikern 
traten.  Da  diese  offenbar  vom  Flötenspieler  begleitet  wurden, 
unterlagen  sie  ungeachtet  ihrer  grossen  Anzahl  dem  Gesetze 
der  Responsiou.*) 


1)  K6p8a$  Aristoxenos  fr.  44  bei  Etym.  M.  p.  712,  54.  Lacian.  salt.  26. 
Athen.  14,  630  e.  631  d,  xopdaxtop.6<;  Nikopbon  bei  Harpocr.  s.  v.  Mneeimach. 
com.  fr.  4,  18  (Kock  U  437);  trochftisch:  Aristot.  rhetor.  3,  8  p.  1408  b  36 
6  U  xpo-^oLiOi  xopBaxixwxtpoc  (vgl.  Quintil.  9,  4,  88).  Caesios  Baseas  p.  307, 
z.  B.  Pac.  801  flF.  Av.  1470  ff.  1553  ff. 

2)  Nackt  Lysistr.  615;  Eopolis:  Arist.  Nub.  555.  Ein  Parasit  tanzt  ihn 
beim  Mahle  (Alciphr.  epist.  3,  46,  1),  vgl.  Demosth.  2, 18.  Springen:  atptod' 
Äviü  Arist.  Eccl.  1179. 

3)  Aticodia  Arist.  Plnt.  1245  (nach  den  Scholien  von  Kratinos,  eben- 
fiOls  erwähnt),  8iico8coji.6c  Athen.  14,  630a;  iK6xcvo(;  Athen.  14,  629 cf;  xoUtJ 
Hesych.  n.  x6XX'.xo<;  vojiov  (aus  einem  Komiker),  angeblich  =  xopJaJ.  Die 
Thesmophoriaznsen  fahren  Y.  953  ff.  einen  Ringel reigen  auf. 

4)  Terentian.  Manr.  2243  ff.  Hephaestio  c.  5;  vgl.  auch  Piaton.  II.  1. 
Ein  Stück  des  Kratinos  hiess  'Apx^Xoxot;  Aristophanes  hielt  diesen  Dichter 
hoch  (Cic.  ad  Att.  16,  11,  2)  und  spielte  Ran.  704  anf  ihn  an,  wie  Y.  661 
auf  Hipponax.  Aristoteles  stellt  Jamben  und  Komödien  moralisch  gleich 
(polit.  7,  17  p.  1336  b  20). 

5)  Die  anapästischen  Tetrameter,  ein  Lieblingsmass  des  Aristophanes, 
hatte  der  sicilische  Jambendichter  Aristoxenos  eingeführt   (Hephnef»tio  c.  8). 

6)  Av.  460 — 538  =:  548—626  (um  so  mehr  korrespondieren  die  ein- 
leitenden Choriieder  451—59  und  539—47),  fast  ebenso  Lysistr.  (476)  483-538 
^=  (541)  548—602.  Ygl.  G.  Hermann  elementa  doctrinne  metricae  p.  723; 
W.  Hei  big  Rhein.  Mus.  15,  251  ff. ;  Jak,  0er  i  de  responsionis  ap.  Ar.  ratio- 


Digitized  by 


Google 


436  3^ni.  Kapitel. 

Der  Chor  war  es  gleichfalls ,  um  dessen  willen  der  Ton 
der  komischen  Sprache  im  fünften  Jahrhmidert  höher  war 
als  seitdem  die  Lyrik  nur  zur  Ausfüllung  der  Lücken  diente, 
wiewohl  die  älteren  Dichter  von  der  Manieriertheit  der  jüngeren 
Zeit  sich  ferne  hielten  ^).  Den  Grundstock  bildete  natürlich  die 
Umgangssprache  der  Kreise ,  denen  die  meisten  Personen  ange- 
hörten, mithin  des  gewöhnlichen  Volkes^,  welches  lächerliche 
Peminutiva  und  Desiderativa,  sprichwörtliche  Redensarten  und 
vollends  Euphemismen  für  alle  uaturalia  in  Hülle  und  Fülle 
lieferte^«  Eine  reine  Quelle  der  Volkssprache  sind  indes  die 
Komödien  nicht,  so  wenig  als  etwa  im  heutigen  Griechenland 
das  Witzblatt  „Palaeanthropos*'.  Denn  die  älteren  Komiker 
behandelten  dieses  derbe  Material  mit  freier  Willkür  und  be- 
reicherten  es  durch  selbständige  Einfälle  und  Neubildungen, 
z.  B.  Zusammensetzungen  von  riesigen  Dimensionen  ^) ,  lächer- 
lich fingierte  Ortsnamen  und  Patronymika  von  unwiderstehlicher 
Wirkung*),  wozu  noch  die  zahllosen  Parodien  kamen  (S.  423)*). 
Das  Wortspiel  wurde  in  allen  möglichen  Arten  gepflegt,  was 
zur  Beförderung  der  Moralität  des   Tones  nicht  sonderlich  bei- 

nibns  atqae  generibas,  Dies.  v.  Bonn,  Berlin  1865;  Jabrbb.  f.  Phil.  101,  352  fif, 
n.  noTae  in  responsionem  Aristopbaneam  animadversiones ,  SchaiThaasen 
1876;  Frdr.  Witten  qua  arte  Ar.  diverbia  compoenerit,  Diss.  v.  Halle  1&I& 
(p.  6ft.  dber  Sticbomythie) ;  Zielinski  Oliedernng  S.  347  ff. 

1)  Anon.  y  1  =  Vin  15 ;  Manieriertheit :  Der  Scholiast  bemerkt  zu 
Plat.  515  AfjoDc  O^ptoao^at:  „Dieser  Vera  schmeckt  schon  nach  der  mittleren 
Komödie**. 

2)  O.  Lottich  de  sermone  valgari  Atticomm  maxime  ex  Aristophani» 
fabnlis  oognoscendo,  HaUe  1881;  C.  8etti  Mnseo  Ital.  di  antichitä  I  113  ff* 

3)  Deminntiva:  Aristot  rbet.  3,  2  p.  1405b  29ff.;  Uck ermann  de 
Arist.  comici  vocabalomm  formatione  et  compositione,  Marburg  1879;  Deddera- 
ti?a  auf  c&v  s.  Kock  zu  Arist.  £q.  61;  Sprichwörter:  O.  L.  Rohdewald 
de  osn  proverbionun  ap.  Ar.,  Pr.  v.  Bnrgsteinfart,  Münster  1857;  L.  Baack 
de  proTerbiis  aliisqne  locntionibas  ex  usn  vitfie  comm.  i>etitis  ap.  Ar.  com., 
KÖnigsb.  1880;  Anakolathe:  A.  Brinkmann  de  anaoolnthis  ap.  Ar.^ 
HaUe  1883. 

4)  Oeflers    bei    Aristophanes    z.   B.    Vesp.   505,   Enpoiis   BA.  701,  32* 

5)  Ortsnamen:  Uckermann  a.  O.  p.  24;  Patronymika:  Kock  sa 
Eratin.  fr.  10  p.  15;  Beiwörter:  Karl  Brinckmann  de  epithetomm  nso- 
Aristophanea,  Dias.  v.  Bostock,  Bchlawe  1875. 

6)  Insofern  hatte  Plutarch  das  Recht,  symp.  7,  8,  3  von  Äva>}i.aXia  ztk 
sprechen. 


Digitized  by 


Google 


Die  altathenische  Komödie.  437 

iarug  *).  Endlich  benützten  die  Komiker  von  den  Errungen- 
schaften der  gleichzeitigen  Rhetorik  am  meisten  die  Antithese 
und  den  Klingklang  der  Reime  *). 

Wenn  wir  bei  der  Tragödie,  wie  der  Chor  deren  inneren 
Bau  beeinflusste,  darzustellen  versucht  haben,  können  wir  hier 
davon  fast  nichts  wiederholen,  da  nicht  einmal  die  Scenen- 
einteilung  ausschliesslich  von  jenem  abhängt.  Was  hätte  der 
Dichter  in  der  phantastischen  Fastnachtswelt  der  Komödie  um 
Einheit  des  Ortes  und  der  Zeit  sich  kümmern  sollen,  da  er 
doch  nichts  weniger  als  Illusion  anstrebte?  Anfangs  spielte 
man  einfach  auf  dem  Rasen,  wie  später  noch  die  sogenannten 
Phlyaken  thaten^.  Dann  schlugen  die  Komiker  neben  dem 
Dionysostempel  ein  hölzernes  Gerüste  auf,  dergleichen  unter- 
italische Vasenbilder  uns  vorführen*),  wobei  den  Hintergrund 
der  athenischen  Bühne  gewöhnUch  ein  von  einem  Hof  umge- 
benes kleines  Bürgerhaus,  dessen  Dach  die  Schauspieler  nötigen- 
falls bestiegen,  einnahm*).  Bevor  die  Schauspieler  das  Gerüst 
betraten,  konnten  sie  ä  part  zum  Publikum  oder  unter  sich 
sprechen,  wie  wenn  sie  die  oben  stehenden  nicht  hörten  ^.  Die 
Handlung  war  auf  der  Strasse  gedacht^) ;  konnte  dies  aber  ganz 


1)  Karl  Holzinger  de  verbornm  Insu  ap.  Ar.,  Pr.  des  Theresianams, 
Wien  1876  u.  ictpl  t&v  nap*  'Apiotof Äv«i  änb  rvj;  Xiftcoc  icacdidiv,  Pr.  des 
Theres.,  Wien  1877;  Friedr.  Frommann  de  ambigaoram  in  Aristophanis 
«omoediis  usu,  Pr.  v.  Donzig,  Jena  1876. 

2)  Z.  B.  Nub.  711  ff.  Vgl.  Plntarch.  compar.  Arist.  et  MenandrL 

3)  Donattis  p.  8,  21  f.;  cpXoaxtc:  Vasenbilder,  z.  B.  ArohftoL  Ztg.  1885 
T.  5,  2. 

4)  Daher  &vdßaivt  £q.  149,  vielleicht  anch  xataßaiyttc  Eccl.  1152 ;  Ab- 
bildungen: Wieseler  Theatergebände  T.  9,  15,  Annali  d.  I.  1853  t.  CD. 
1870  t.  J.,  Heydemann  Vase  Caputi,  Halle  1884  T.  1  u.  Archfiol.  Ztg. 
1885  T.  5,  1;  es  heisst  ^o^^iXt]  bei  Schol.  Arist.  £q.  149  n.  Schol.  Aristid. 
p.  444  D. 

5)  Alb.  MüUer  S.  115  f.  (ein  Stück  des  Antipbanes  setzte  eine  Werk- 
stätte Yorans,  Pollax  4,  124;  Vitrar.  5,  8,  1  bezieht  sich  auf  die  nene  Ko- 
mödie). Das  Dach  ivird  am  Ende  der  Wolken  und  in  den  Wespen  benütst, 
s.  anch  Ach.  262;  Hof:  Vesp.  131  f.  Kosten  machte  die  Soenerie  immerhin 
(Lysias  21,  4  o6v  -q}  rij^  ox-tjvtjc  iva^oti). 

6)  Jenes  Plnt  635 ff.;  dieses  Acham.  729 ff. 

7)  Ueber  diese  nnd  ähnliche  Fragen  Alb.  Hüll  er  die  scenisohe  Ein- 
richtung in  des  Ar/  Ach.,  Lüneburg   1856;  M.  Hanpt  de  scaena  Acham. 


Digitized  by 


Google 


438  XTTT.  Kapitel. 

und  gar  nicht  stattfinden,  liess  der  Komiker  rasch  entschlossen 
das  Zimmer  heransrollen.  So  nimmt  in  den  „Wolken''  das 
Häuschen  des  Philosophen  den  Mittelgrund  ein,  wogegen  Strep- 
siades'  Haus  zur  Seite  lag.  Beim  Beginne  des  Stückes  ist  des- 
sen Schlafzimmer  herausgerollt*);  nach  der  ersten  Scene  ver- 
schwindet aber  der  Sohn  plötzlich  samt  den  Betten ,  hierauf 
öftnet  sich  das  Philosophenhaus  und  zeigt  zunächst  die  Schul- 
stube, dann  sind  aber  die. Schüler  mit  einem  Male  weg  und 
dafür  erscheint  der  Philosoph  hoch  oben  in  der  Luft*).  Damit 
ein  Wechsel  der  Scenerie  so  wenig  als  möglich  notwendig  war^ 
gingen  die  Schauspieler,  so  oft  das  PubUkum  einen  andern  Ort 
sich  denken  sollte,  ab  und  auf  der  andern  Seite  wieder  herein '), 
Dennoch  konnte  irgendwelche  Unterstützung  der  Phantasie  iu 
eigenartigen  Stücken  nicht  umgangen  werden,  z.  B.  wenn  die 
Spieler,  wie  in  den  „Fröschen"  des  Aristophanes  und  in  den 
'OSoaofjc  des  Kratinos  (Fr.  139)  eine  Zeit  lang  in  einem  Schiffe 
sich  befinden.  Der  Anfang  der  „Acharner"  spielte  auf  der 
Pnyx,  hierauf  erfolgte  ein  Scenenwechsel ,  nach  welchem  die 
Bühne  drei  Häuser,  das  des  Dikaiopolis  mit  einem  festen  Dache 
(V.  262)  in  der  Mitte ,  auf  der  einen  Seite  die  Wohnung  des 
Euripides,  welcher  aus  dem  oberen  Stockwerk  herausgerollt  wurde, 
auf  der  anderen  die  grotesk  ausgeschmückte  Behausung  des 
Lamachos  (V.  1072)  zeigte.  Sozusagen  in  zwei  Stockwerke  war 
die  Handlung  der  „Lysistrata"  und  des  „Friedens**  verteilt,  wo- 
für uns  die  mittelalterliche  Mysterienbühne  eine  passende  Ana- 
logie an  die  Hand  gibt,  Der  Schauplatz  von  Lysippos'  Bakchen 
war  vielleicht  ähnUch  eingerichtet,  da  ein  Teil  in  einer  Cisteme 
spielte^).  Der  Chor  störte  bei  solchen  kühnen  Ortswechseln 
durchaus  nicht,  im  Gegenteil  machten  sich  die  Dichter  selbst 
über  sein  unglaubliches  Dabeistehen  lustig*).    Wie  hätte  unter 


Ar.,  iDd.  lect.  bibeni.  Berl.  1872  =  oposcula  II  458 ff.;  Joh.  Niejahr 
quaeAtionen  Arifttoph.  scaenicae.  Dies.  v.  Greifswald  1877;  Joh.  Mnbl  sym- 
bolae  ad  rem  soen.  Acham.  Aviamqne  Ar.  fabb.  nccnratius  cognoaceDdamy 
Diss.  y.  München,  Angsbnrg  1879;  Alb.  M&ller  Bübnenaltert.  8.  111  ff. 

1)  Daher  sagt  er  V.  19  zu  den  Sklaven  ^xf  tpt  xb  fpap-^attlov. 

2)  V.  183 f.  vgl.  195.  198 f.;  201  ff 

3)  ^Exontoit  Thesm.  277,  vgl.  279,  Eq.  756  (749)  ff.  n.  ö. 

4)  Fragment  bei  Athen.  3,  124  d. 

5)  Allst.  Aoham.  443 


Digitized  by 


Google 


Die  altatheniBche  Komödie.  439 

solchen  Umständen  das  bei  Seite  Beden  und  heimliche  Spre- 
chen ,  das  alle  in  dem  ungeheueren  Theater ,  nur  nicht  die 
ein  paar  Schritte  entfernten  Schauspieler  hörten*),  verpönt  sein 
sollen? 

Die  Einheit  der  Zeit  durfte  keine  grössere  Rücksicht 
erwarten.  Wollten  wir  die  Zeitdauer  der  aristophanischen  Lust- 
spiele berechnen,  würde  der  lange  Tag  der  aristotelischen  Tra- 
gödie bei  weitem  nicht  ausreichen  ,  z.  B.  geht  in  den  „Achar- 
nern'*  ein  Bote  nach  Sparta  und  von  da  zurück,  Dikaiopolis 
feiert  die  ländUchen  Dionysien,  auf  die  Kunde  vom  Vertrage 
kommen  Händler  aus  Megara  und  Böotien  und  mit  V.  1000 
hebt  plötzlich  das  lange  später  stattfindende  Choenfest  an,  dann 
zieht  Lamachos  ins  Feld  und  kehrt  verwundet  zurück.  Eine 
solche  Rücksichtslosigkeit  zeigt  zwar  kein  zweites  der  erhaltenen 
Lustspiele,  aber  auch  die  „Wolken**  und  „Lysistrata"  (V.  881) 
setzen  jedenfalls  mehrere  Tage  voraus.  Noch  in  dem  letzten 
Stücke  des  „Plutos"  liegt  zwischen  V.  626  und  627  eine  ganze 
Nacht  (  V.  743),  während  deren  der  Chor  singt,  als  ob  es  Tag 
wäre ;  der  Chor  geniert  ja  auch  im  Punkte  der  Zeit  den  ko- 
mischen Dichter  nicht  im  geringsten. 

Die  alte  Komödie  ist  also,  auch  wenn  wir,  von  dem  mo- 
derneu Standpunkte  absehend,  den  Menanders  innehalten,  nicht 
als  eigentliches  Lustspiel  zu  definieren;  sie  war  vielmehr  eine 
dionysische  Fastnachtsposse ,  welche  durch  mehrere  geniale 
Dichter  aus  dem  plebejischen  Unflat  herausgehoben  wurde. 


1)  Das  erstere  z.  B.  Ach.  809f.  Av.  61  f.  £q.  1193 f.,  das  letztere  Ran. 
40  ff.  u.  ö. 


Digitized  by 


Google 


XIV.  Kapitel. 
Die  Dichter  der  alten  Komödie. 

Magnes  nod  Chionides;    Kratinos  mit  seinen  Genossen;    Krates  and  Phere- 

krates;    Phrynichos    und    Eapolis;    Aristophanes:    Biographien,    Leben, 

Charakter,  Werke,  Bedeutung  und  Wertschfttzung,  Scholien,  Handschriften  und 

Ausgaben;  Theopompos,  Strattis  und  Piaton  mit  ihren  Zeitgenossen. 


Unter  der  ersten  Generation  der  staatlich  anerkannten 
Komiker  Athens  genoss  Magnes,  so  lange  er  in  seiner  Voll- 
kraft war,  die  grösste  Beliebtheit,  was  die  hohe  Zahl  seiner 
Siege  bestätigt,  doch  überlebte  er  seinen  Ruhm  ^).  Aristophanes 
rühmt  seine  schnurrigen  Einf&lle,  indem  er  auf  Chöre  von 
wilden  Tieren,  Psalterspielern,  Vögeln,  Lydem,  Feigenwespen 
und  Fröschen  anspielt  *).  Von  seinen  Gegnern  kennen  wir 
den  einzigen  Chionides,  der  den  ersten  urkundlich  aufge- 
zeichneten Sieg  davongetragen  zu  haben  scheint  *).  Keiner  von 
beiden  trug  für  die  Fortpflanzung  seiner  Werke  Sorge;  denn 
die  neun  Magnes  zugeschriebenen  Komödien^)  führten  gleich 


1)  Aristoph.  £q.  521.  524 f.;  elf  Siege  Anon.  m  6,  zwei  Suidas,  vgl. 
die  S.  392  erwähnte  Inschrift;  aus  Ikarios  (sie)  oder  Athen  Suidas  (das  letstere 
auch  Anon.  1116);  jung,  als  Epicharmoe  alt  war  (Suidas). 

2)  £q.  522  f.,  vgl.  Bcholien  (ron  Suidas  und  Hesychios  u.  ^'''IviCfuv 
benutzt). 

8)  Suidas:  8v  %a\  X^ooot  fcpcotaYcoviorvjy  (!)  -^tvio^ai  t^c  ^p^aia^  xü>p.c|>- 
Sia^,  nach  ihm  (X^ooot)  acht  Jahre  vor  den  Perserkriegen,  doch  nach  Aristot. 
poet.  3  viel  jünger  als  Epicharmoe;  vgl.  Meineke  I27f.;  Bergk  Rhein. 
Mus.  34,  317  f.  Die  Schreibung  Xio>v&dY|<:  ist  bewer  als  Xiovl^c  (Meineke  I  29). 

4)  Anon.  m  6.  Suidas;  Athen.  9,  367 f.  14,  646 e.  Der  yon  Phot.  u. 
AodidCcov  (=  Snid.  u.  Ao^Q  und  Hesych.  n.  AodiCcuv  benützte  Aristophanes- 
erklärer  gab  wenigstens  zu,  dass  die  ursprüngliche  Fassung  nicht  erhalten 
sei.    Fragmente:  Meineke  n  S.  9ff.  Kock  IS.  7  ff. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  441 

den  drei  nach  Cbionides  benannten  ^)  diese  alten  Namen  ohne 
Berechtigung. 

An  der  Spitze  der  literarischen  Komödie  steht  mithin  ihr 
jüngerer  Zeitgenosse,  welcher  alle  weit  überragte  und  in  Schatten 
stellte,  der  Athener  Kratinos*).  Die  Laufbahn  des  Dichters 
begann  wahrscheinlich  453  (Ol.  81,  3) '),  kurz  nachdem  Perikles 
seinen  Rivalen  Kimon  hatte  zurückrufen  müssen,  und  sein 
erster  Sieg  fiel  wieder  in  ein  Jahr  (439  =  Ol.  85,  1),  wo 
Perikles'  gesamte  Stellung  infolge  des  Abfalles  von  Samos  ins 
Schwanken  geraten*),  was  das  Volk  vielleicht  gerade  dazu 
bestimmte,  dass  es  dem  grimmigen  Feinde  des  grossen  Staats- 
mannes *),  ehe  das  Kriegsglück  seine  FoUtik  gerechtfertigt  hatte, 
Beifall  zujubelte.  In  den  folgenden  Jahren  errang  Kratinos 
sieben  glänzende  Siege  ®),  doch  als  Aristophanes'  Stern  aufging, 
schien  sein  Ruhm  für  immer  verblichen;  durch  den  Sieg  der 
Achamer  (426)  und  Ritter  (424)  übermütig  gemacht,  sprach  der 
junge  Gegner  schon  mitleidig  von  den  Sudelarbeiten  des  alten 
Säufers.  Der  Dichter  war  nämlich  der  Gabe  seines  Gönners 
Dionysos  mehr  als  billig  ergeben''),  wofür  ihm  ein  weniger 
grober  Komiker  den  Titel  eines  Kommandanten  des  Wein- 
bataillons verliehen  hatte  ^.  Da  raffte  sich  Kratinos  auf  und 
schrieb  die  „Flasche",  worin  er,  die  komische  Muse,  seine 
Ehefrau,  auf  die  Trunksucht  (Md^Yj)  eifersüchtig  sein  lassend, 
die  Gemeinsamkeit  von  Wein   und  Poesie  mit  einem   „Uissos" 


1)  Athen.  14,  638 d.  4,  137 e;  Fragmente:  Heineke  n  S.  5ff.;  Eock 
I  S.  4  ff. 

2)  Karl  W.  Lucas  Cratinos  et  Enpolis,  Dias.  v.  Bonn  1826;  Fritzsche 
quaestt.  Aristoph.  p.  258 ff.;  Bergk  reliq.  com.  Att.  über  I.;  Meineke  I 
p.  43  ff.    Der  Vater  hiess  Kallimedes  (Snidas). 

3)  Easebios  setzt  ihn  zu  diesem  Jahr;  hieher  gehört  offenbar  das  gegen 
Perikles  gerichtete  Fragment  bei  Plntarch.  Athen,  praest.  a.  Anf. 

4)  Anon.  in,  7? 

6)  Plntarch.  Pericl.  3.  13. 

6)  Snidas  zfthlt  im  ganzen  nenn;  die  drei  CIA.  n  977 d  6  scheinen 
dionysische  zn  sein.    noXX<p  ^tuoa^  icot*  licatv(j>  Aristoph.  Eq.  526  f. 

7)  S.  auch  Arist.  Eq.  534,  400.  Hingegen  ist  der  ausschweifende  (Snidas) 
und  feige  (Paroem.  u.  ^Eictioo  dttX6tepo{)  Kratinos  ein  anderer  (Aristoph. 
Acham.  848  ff.  1172). 

8)  Die  Sprichwdrtersammlungen  (u.  'Eictio&  d8iX6ttpo{)  sagen  ernsthaft 
ta^tap^'yjoat  rvjc  OlvY)ido(:  (poXYjc,  s.  Zielinski  Rhein.  Mus.  39,  301  A.  1. 


Digitized  by 


Google 


442  XIV.'  Kapitel. 

von  Versen  nachwies  ')•  Diese  geistreiche  Selbstironie  brachte, 
als  er  in  der  Parabase  über  den  unselbständigen  Aiistophanes 
loszog,  die  Lacher  auf  seine  Seite  und  gewann  ihm  an  den 
grossen  Dionysieu  von  423  (Ol.  89,  1)  den  ersten  Preis  *).  Der 
Besiegte  schwieg  zunächst  wohlweislich,  erst  421  machte  er  im 
„Frieden"  beiläufig  (V*  700)  den  Scherz,  den  Kratinos  habe 
beim  Einfall  der  Spartaner  der  Aerger  umgebracht,  weil  die 
Feinde  seinen  Weinkeller  zerstörten.  Soll  der  Witz  erträgUch 
sein,  war  Kratinos  damals  nicht  wirklich  gestorben  ').  Diesen 
falschen  Schluss  zog  auch  nur  ein  anerkannt  unglaubwürdiger 
Schriftsteller,  nach  welchem  die  „Flasche"  im  siebenund- 
neunzigsten Lebensjahr  verfasst  war*).  Nach  besseren  Zeug- 
nissen fuhr  der  Dichter,  obgleich  damals  schon  alt  (Fr.  181,  4), 
Komödien  zu  schreiben  fort  und  soll  die  Herrschaft  der  Dreissig 
überlebt  haben*).  Dessen  ungeachtet  brachte  er  nicht  mehr 
als  23  Lustspiele  «u  Stande  % 

Kratinos  scheint  unter  den  Komikern  eine  ähnliche  Natur 
wie  Aeschylus  unter  den  Tragikern  gewesen  zu  sein ').  In 
ihm  lebte  eine  wirkliche  dionysische  Begeisterung®).     Wie  ein 


1)  Scbol.  Aristopb.  Eq.  401  (399) ;  benützt  in  dem  Epigramm  bei  Atben. 
2,  39  c  =  Antbol.  13,  29. 

2)  Scbol.  Arist.  Eq.  535  (528);  Argam.  Nab.  V. 

3)  Vgl.  Acbarn.  15  tyjtsc  $'a:rsd-avov  xal  SitoTpdcpYjv.  Za  dem  Scberze 
gab  Kratinos  selbst  dnrcb  fr.  187,  3  f.  Anlass;  die  Muse  drobt  nämlicb: 
aovTpi<|/a>  ahxob  toüc  X°®^* 

4)  Ps.  Lucian.  {laxpoß.  25  (die  Zabl  97  kommt  davon  her,  dass  als 
Blütezeit  der  Xerxeszag  angesetzt  ist).  Vgl.  Cobet  observatt.  critt.  in  Pla- 
touis  comici  reliqoiaB  p.  87  ff.;  Mad  vig  kleine  pbilol.  Schriften  S.  426  A.  1; 
Zielinski  Rhein.  Mas.  39,  301  ff.;  Conat  Annales  de  la  fac.  des  lettres 
de  Bordeaux  1884  p.  73  ff.;  Nab  er  Verslagen  en  Mededeelingen  der  k.  Aka- 
demie Tan  Wetenschapen,  letterknude  n.  reeks  XU.  deel  (1883)  p.  264  ff. 

5)  Die  „Nemesis^*  wurde  nach  den  „Vögeln**  des  Aristophanes  aufge- 
führt (Schol.  Arist.  Av.  521 ;  fr.  111  bei  Flut.  Per.  3  beweist  dagegen  nichts, 
weil  Perikles*  Geist  aufgetreten  sein  kann);  die  „Odysses**  sollen  nach  der 
Herrschaft  der  Dreissig  gedichtet  sein  (Platonios  1 17,  Tgl.  10.  Anon.  Vm  25); 
in  einem  Stücke  spielte  er  auf  den  jüngeren  Kallias  an  (Schol.  Lucian.  Jupp. 
trag.  48). 

6)  21  Suidas  und  Anon.  IH  7 ;  s.  S.  443. 

7)  Anon.  IH  7.     • 

8)  Daher  sagt  Aristophanes  Ban.  357  Kpativeo  tou  taopofdYOo  YAwttiQC 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  443^ 

reisseuder  Bergstarom  ergoas  sich  sein  Spott  über  alles  *)  und 
zerschmetterte  den  Gegner  förmlich,  weil  dem  Dichter  die  ver- 
söhnende Grazie  .des  £apolis  und  Aristophanes  fehlte  ^.  Wenn 
die  polemische  Komödie  damals  noch  nicht  ausgebildet  war, 
dann  müsste  ein  solcher  Charakter  sie  begründet  haben  ^). 
Eine  komische  Idee  rasch  hinzuwerfen,  gelang  seinem  Genie 
ausgezeichnet,  wogegen  es  erlahmte,  wenn  die  Entwicklung  und 
Einzelausführung  an  die  Keihe  kam^).  Für  diese  Mängel  ent- 
schädigten hinwiederum  sein  hoher  poetischer  Schwung,  die 
Fülle  und  Kraft  seiner  Bilder  und  kühne  Wortschöpfung  % 
Leider  wissen  wir  nicht,  inwiefern  sich  Kratinos  um  die  Technik 
der  alten  Komödie  verdient  gemacht  hat;  denn  die  Angabe, 
dass  er  die  Dreiheit  der  Personen  eingeführt  habe,  widerstreitet 
der  bestimmten  Angabe  des  Aristoteles  (S.  429,  2).  Die  Gelehrten 
kannten  nur  eben  keine  älteren  zweifelfreien  Stücke  als  jene 
23  des  Kratinos  oder,  richtiger  gesagt,  21  ^),  da  bereits  die 
AJexandriner  die  xstP'^^Cöfwvot  und  „die  Satyrn"  nicht  mehr 
besassen ') ;  bei  den  Titeln  springt  sofort  das  Vorwiegen  des 
Chores  m  die  Augen:  Wir  finden  nicht  bloss  Lakonier®)  und 
Seriphier  (eine  Verspottung  der  Perseussage) ,  thrakische  und 
delische  Frauen,  Hirten,  durchgegangene  Sklavinen,  Weichlinge, 
die  Abbrändler  am  Ida  ^) ,  die  Seekranken  und  icavöirtat  *®), 
sondern  auch  die  athenische  Kitharödenfamilie  der  Eunelden 


1)  Aristopli.    Eq.    527  /. ;    fr.    186    gibt    er    eine    inter essante    Selbst- 
schilderaDg. 

2)  Piaton.  n  1.  Vita  Arist.  1. 

3)  Anon.    V  3  =  VIII  16;    vgl.    Pereias    1,    124    audax.    Chriatodor. 
»xf  p.  357  ff. 

4)  Piaton.  n  1  (statt  iictßoXalc  dürfte  tloßoXalc   zu  lesen  sein);    Anon. 
V  4  =  Vin  16. 

5)  notY|ttxft»Tatoc  Anon.  III  7 ;  «oXX-^^  rTj?  tpoir?|c  to^x^vti  Piaton.  II 1 ; 
Tgl.  Bergk  reliq.  com.  Att  p.  252  ff. 

6)  Fragmente  bei  Heineke  n  S.  15  ff.  n.  Kock  I  S.  11  ff. 

7)  Argnm.  Aristoph.  Acbarn.  Eq.   (sonst  wenigstens  nie  citiert] ;  wahr- 
scheinlich gab  sie  Kratinos  ans  Erbitterung  tiber  seine  Niederlage  nicht  heraus. 

8)  Ailerdings  könnte  der  Gewährsmann  von  Clem.  Alex,  ström.  6,  738  P, 
263  S  die  gleichnamige  Posse  Piatons  falsch  citiert  haben. 

9)  Auch  diese  Komödie  steht  nicht  ganz  fest  (Kock  I  6.  32). 

10)  Schol.  Arist.  Nnb.  96   gibt  kein  Recht  zu   dem  Schlüsse,   dass   das 
Stück  hauptsächlich  gegen  den  Philosophen  Hippon  gerichtet  war. 


DigitizÄ:!  by 


Google 


444  XIV.  Kapitel. 

und  aus  der  übermenschlichen  Region  Satyrn  und  Hören  ^). 
Besonders  fällt  aber  dies  auf,  dass  Individuen  der  Mythologie 
oder  der  Literaturgeschichte  in  der  Mehrzahl  entweder  zu 
einem  Chor  vervielfältigt  oder  als  Doppelgänger  auftraten; 
letztere  Annahme  scheint  hinsichtlich  der  Odysseus  (einer  von 
persönlichen  Augriffen  freien  Travestie  der  Odyssee)  notwendig, 
weil  dieses  Stück  eines  eigentlichen  Chors  entbehrte  *}.  In  das 
Gebiet  der  Allegorie  versetzen  die  „Oesetze''  und  wohl  auch 
die  AiSaoxaX^ai ').  Unter  den  übrigen  Werken  ragt  die  erwähnte 
„Flasche"  (IIortvY])  hervor.  Zwei  andere,  die  Thermopylen- 
messe  (IloXala)  und  Trophonios,  knüpften  an  religiöse  Bräuche 
an,  während  der  Mythologie  „Nemesis"  (Helenas  Mutter)  ent- 
nommen war*),  ohne  von  politischen  Spitzen  frei  zu  sein. 

Kratinos'  Popularität  erhellt,  von  seinen  äusseren  Erfolgen 
abgesehen,  aus  der  Nachricht,  dass  man  Lieder  seiner  Komödien 
zum  Weine  sang*).  Ob  Alexander  der  Grosse  wirklich  ein 
Stück  des  Dichters  unter  seinem  Kopfkissen  zu  haben  pflegte, 
darüber  wollen  wir  mit  Ptolemaios  Hephaistion  nicht  rechten. 
Die  Kommentare  des  Aristophaneers  Kallistratos ,  Asklepiades 
von  Myrlea  und  Didymos  zeugen  für  seine  fortdauernde  Beliebt- 
heit®). Die  atticistische  Richtung  sicherte  Kratinos  unter  den 
Klassikern  der  Rhetorenschulen  einen  Platz  ^,  weshalb  der  viel- 
seitige Galenos  zwei  Bücher  über  seine  ÄoXtttxa  6vd(iaTa  schrieb. 
Nicht  bloss  der  bekannte  Kirchenvater  Dionysios  Areopagita' 
scheint  den  Dichter  noch  gelesen  zu   haben  ^) ,    sondern   man 


1)  Ueber  den  Inhalt  gegen  Meineke  Welcker  griechische  Tragödien 
S.  1026  ff. 

2)  Piaton.  I  17.  10;  über  diese  Titel  überhaupt  s.  Bergk  a.  0.  p.  130 ff. 

3)  Meineke  I  p.  58  bezweifelt  diesen  Titel. 

4)  Der  „Biisiris",  welchen  nur  PoUux  10,  81  citiert,  gehört  vielleicht 
dem  jüngeren  Eratinoe  (Meineke  I  57.  413) ;  Meineke  I  56  f.  nimmt  Tom 
„Dionysalexanäros"'  dasselbe  an' 

5)  Aristoph.  Eqnit.  5291: 

S)  Kallistratos:  Athen.  11,  495a:  Asklepiades:  Athen.  11,  501e;  Didy- 
mos: Hesych.  n.  Kopoaxic.  Athen.  11,  501  e;  diese  seine  Scholle  (ron 
Bergk  reliq.  com.  Att.  p.  66  besweifelt)  citiert  er  zu  Arist  Yesp.  151 
(M.  Schmidt  Did.  Chalc.  £rg.  p.  290). 

7)  Qnintilian.  10,  1,  66. 

8)  Epist.  8  ^n  318,  fr.  180  Kock). 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  44& 

wird  nicht  leugnen  können,  dass  er  noch  lange  zu  dem  Schrift- 
stellercyklus  der  Gelehrtenschulen  gehörte*). 

Schon  damals  gab  es  zwischen  den  Komikern  allerlei 
Scharmützel:  Der  sonst  selten  genannte  Ekphantides  bekam 
von  Kratinos  den  Spottnamen  „der  Räucherige**  angehängt  und 
musste  sich  nachsagen  lassen,  Choirilos  helfe  ihm  zu  seinen 
Stücken  *);  aber  einen  glänzenden  Sieg  hat  er  doch  einmal 
errungen,  wo  dann  sein  Chorege  vor  Freude  ein  Votivbild 
weihte^.  An  der  Seite  Kratins  kämpfte  gegen  Perikles*) 
Telekleides,  welcher  dann  auch  noch  an  der  Hetze  gegen 
Sokrates  Teil  nahm  (Fr.  39.  40)  und  für  Nikias  g^en  Kleon 
eintrat.  Die  fünf  später  noch  bekannten  Stücke  —  ein  sechstes 
war  zweifelhaft^)  —  benannte  er  nach  dem  Chor:  Politisch 
waren  die  „Prytanen**,  in  den  „Amphiktyonen**  schilderte  eine 
Gottheit  (wahrscheinUch  Theoria)  die  goldene  Zeit  und  den 
Stücken  wie  Odysses  u.  dgl.  entspraclien  die  „Hesiode**,  den 
„Weichlingen**  der  Charakterchor  der  „Starren**  (EteppoC). 

In  den  letzten  Jahren  der  perikleischen  Zeit,  als  dem 
Regenten  Athens  in  Kleon  bereits  ein  gefähriicher  Gegner 
erwachsen  war,  trat  Hermippos  gegen  ihn  auf  ^;  wiewohl 
er  auch  Jamben  und  Tetrameter  dichtete '),  verfasste  er  dennoch 
mehr   Komödien   als   irgend   einer  dieser  älteren  Generation, 


1)  Isaak  Tsetzes  proleg.  in  Lycophr.  p.  256  (vg].  lo.  Tsetz.  Anecd, 
Ozon,  m  336,  25  f. ;  Lagaide,  Symmikta  p.  175,  54)  rechnet  ihn  mit  Piaton, 
EnpoliB  nnd  Pherekrates  sn  den  icpatt6p.8voi,  womit  Anon.  IX  8  Kpativo^  fy 
%a\  icpaxTÖfuvoc  stimmt;  Enstathios  war  gleichfalls  noch  nicht  anf  Aristophanes 
allein  beschiftnkt  (opnsc.  p.  89,  58  ff.  ed.  Tafel).  In  der  alphabetischen  Syn- 
tax Bekk.  Anecd.  I  119  £  wird  nur  Kratinos  (p.  129,  14.  144,  27),  nie  Ari- 
stophanes  citiert. 

2)  Schol.  Aristoph.  Yesp.  151  (Hesych.  n.  Kanvia^);  Hesych.  n.  'Exxt* 
X0tpiXa»|iiyir2,  vgl.  n.  XoipiXov  'Excpavtidoc. 

3)  Aristot  polit.  8,  6  p.  1341  a  85 f.;  nnr  Athen.  3,  96  bc  citiert  ein 
Stück  Sdtopoi,  aber  hinter  Pherekrates  und  Antiphanes. 

4)  Fr.  17.  Plutarch,  Per.  3.  16.  Athen.  10,  436  f. 

5)  'A<|^to)tl(  Phrynich.  ed.  Att  p.  291.  SchoL  Aristoph.  Yesp.  506; 
sechs  Anon.  YII;  Fragmente:  Meineke  n  361  ff.  Kock  I  209 ff.  Die  Sieger- 
liste I  4  nennt  f&nf  dionysische  Siege  und  fuhrt  ihn  Tor  Kratinos  auf. 

6)  Fr.  46,  vgl.  fr.  61;  Fragmente:  Meineke  n  380 ff  Kock  I  224 ff. ^ 
einftugig  (Suidas);  Sohn  des  Lysis  Suid.  u.  MoptiXoc. 

7)  Fragmente  bei  Meineke  I  96  ff.  Kock  I  245  ff.  Bergk  H  p.  505f. 


Digitized  by 


Google 


446  XIV.  Kapitel. 

nämlich  vierzig,  welche  ilim  vier  Dionysieiipreise  einbrachten  *). 
Von  den  neun  bekannten  Titeln  fallen  nur  fünf,  die  Brod- 
bäckerinen  (gegen  die  Mutter  des  Hyperbolos  gerichtet),  die 
Lastträger,  Gaugenossen  und  Soldaten,  wohl  auch  die  Götter 
dem  Chor  zu;  Hermippos  ist  der  erste,  bei  welchem  rein 
mythologische  Possen  nachgewiesen  werden  können,  da  er 
Athenes  Geburt,  Europe,  die  Mören  und  die  Kerkopen  ver- 
fasste.  Sein  Bruder  Myrtilos  bearbeitete  anscheinend  dasselbe 
Gebiet,  wenn  anders  die  Titel  Tttavöicavec  und  die  „Liebes- 
götter" richtig  sind  *). 

Dieses  Brüderpaar  bildet  den  Uebergang  zu  Krates'), 
welcher  Elratinos  gewissermassen  ergänzte  und  infolge  dessen 
mit  ihm  so  vortrefflich  stand,  dass  er  gelegentlich  die  Ein- 
studierung peiner  Dramen  besorgte  *).  Die  Chronik  des  Eusebios 
setzt  ihn,  wahrscheinlich  weil  er  Kimons  Tod  erwähnte,  Ol.  82, 
4  (449)  an;  zur  Zeit  der  „Ritter"  war  er  schon  tot*).  Vor  den 
persönlichen  Angriflfen  des  Kratinos  zuiückschreckend ,  wählte 
er  für  seine  sieben  oder  acht  Komödien*)  allgemeine  Stoffe^), 
mit  anderen  Worten :  Er  geisselte  statt  Einzelner  allgemein 
menschliche  Thorheiten.  Aristophanes  rühmt  Witz  und  Humor 
an  ihm,  jedenfalls  brachte  Krates  das  Publikum  zu  herzlichem 
Lachen  ^),  freilich  mit  so  drastischen  Mitteln,  wie  dadurch,  dass 
er  den  Athenern  zuerst  Betrunkene  vorführte  ®).  Nach  Aus- 
scheidung der  zweifelhaften  Titel  gelangen  wir  gerade  auf  jene 


1)  Suidas;  Siegerliste  I  8. 

2)  Suidas  s.  v.  Kock  I  S.  253  f.;  er  siegte  an  den  Dionysien  einmal 
(Liste  I  10). 

3)  Bergk  p.  276,  Meineke  I  58 f.;  Zeitgenosse  des  Aeschylus  (?)  nach 
Demetrios  ictpl  icotiQp.dTa>v  bei  Gomperz  Rhein.  Mus.  32,  477. 

4)  Schol.  Arist.  Eq.  541  (534)  icpwtoc  6ic»xptvtto  d.  h.  tl^Y*T'  (^°^) 
Kpativoü,  missverstanden  von  Anon.  in  8  toutov  6icoxp&tY|v  (paoi  •ft'^oyivai  xb 
icpd>tov,  wie  Philonides  and  Kallistratos  6icoxptTa&  des  Aristophanes  heissen 
(Vita  Arist.  15.  Schol.  Arist.  Nub.  531). 

5)  Arist.  Eq.  537  ff.,  vgl.  auch  fr.  313  E.  Anon.  in  8. 

6)  Suidas,  welcher  irrtümlich  zwei  Krates  unterscheidet,  gibt  im  1.  Artikel 
die  2^hl  7  (ebenso  An.  III8)  und  6  Titel,  im  2.  drei  andere  Titel  an ;  8  Stacke 
nach  Anon.  VII. 

7)  Aristot.  poet.  5  p.  1449  b  7. 

8)  Anon.  III  8;  indes  erlangte  er  an  den  Dionysien  keinen  Preis. 

9)  Athen.    10,  429  a.  Anon.  DI  8. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödien.  447 

sieben  oder  acht  Stücke*):  Die  Nachbarn,  die  Samier,  die 
Heroen,  dann  zwei  Personifikationen,  die  Spiele  und  die  Keck- 
heiten, ferner  nach  Magnes'  Muster  redende  Thiere  (in  der 
goldenen  Zeit  spielend).  „Lamia"  endlich  dürfte  der  mytho- 
logischen Gattung  angehören.  Auch  Krates  hatte  einen  Ge- 
nossen und  Bruder  Namens  Epilykos,  von  dem  nur  ein 
„Koraliskos"  genannt  wird  *). 

An  die  Richtung  des  Krates  schloss  sich  der  etwas  jüngere 
Pherekrates  an*),  welcher  zu  ihm  vielleicht  dieselben  Be- 
ziehungen wie  jener  zu  Kratinos  unterhielt  *).  437  (Ol.  85,  3) 
gewann  er  den  ersten  Sieg  *).  Während  Pherekrates  auf  persön- 
liche Polemik  fast  ganz  verzichtete®),  that  er  sich  durch  Er- 
findung ganz  neuer  Lustspielstoffe  und  elegante  Sprache  unter 
seinen  Kollegen  hervor'').  Seine  siebzehn  oder  achtzehn  Ko- 
mödien *)  sind  zara  grössten  Teile  dem  Titel  nach  bekannt : 
Die  Ueberläufer  *)  und  die  alten  Weiber  bildeten  offenbar  den 
Chor;  „die  Wilden"  (d.  h.  die  Menschenfeinde)  *®)  und  die  in 
der  Unterwelt   spielenden  „Heller*-  (KpaicdttaXot)  versetzten  in 


1)  Fragmente:  Meineke  II  233  ff.  Eock  I  130  ff.  In  einem  Bücherver- 
zeichnis ans  dem  Piräus  steht  der  vemtümmelte  Titel  .  .  icvidcatpia  CIA.  n  992. 
Fünf  andere  Stücke  (Dionysos,  Vögel,  Pedetai ,  der  Habsüchtige,  der  Schatz) 
sind  verdächtig,  weil  Fragmente  fehlen  (s.  anch  Meineke  I  p.  64) ;  es  dürfte 
bei  der  Nennung  des  Verfassers  ein  Irrtum  obwalten,  wie  bei  den  faktisch 
von  Pherekrates  verfassten  „Metöken**  Etym.  M.  p.  698,  9).  Meineke  165,2 
vermutet  bei  Athen.  9,  369  c  6v  ^ptuoiv  statt  cv  f-^topatv. 

2)  Suidas  bezeichnet  ihn  als  Epiker,  s.  S.  11. 

3)  Bergk  n  cap.  2,  Meineke  I  66  f.  Suidas  berichtet  irrtümlich,  duss 
er  Alexander  den  Grossen  begleitet. 

4)  Anon.  III  9  entstellt  es  wieder  zu  6  hl  6:ioTcptr>]c  sC^^lXtuoe  KpdtTYjxa. 

5)  Dobreö  liest  bei  Anoo.  in  9  vtxqt  I'kX  OeoBwpoo  (statt  ^t&xpoo);  dazu 
stimmt  die  Siegerliste ,  welche  Pherekrates  I  7  mit  zwei  Preisen  unmittelbar 
hinter  dem  Ol.  85,  1  oder  2  siegreichen  Kratinos  aufführt. 

6)  Anon.  in  9,  Ausnahmen  bei  Meineke  I  66  f. 

7)  Anon.  III  9,  'Arctxwtatoc  Athen.  6,  268  e.  Phrynichos  bei  Steph. 
Byz.  u.  'A^vat  =  Suid.  n.  A6-irjva^a^.  Eigentümlicbkeiten  der  Sprache: 
Meineke  I  p.  67. 

8)  17  Suidas,  18Anon.Vn;  Fragmente:  Meineke  II 252  ff.  KockI145ff. 

9)  Nach  Meineke  I  81  wegen  fr.  19  (vgl.  Thucyd.  5,  47,  8)  nach  Ol.  90,3 
verfasst. 

10)  An  den  Lenäen  von  Ol.  89,  4  aufgeführt  (Athen.  5,  218  d),  vgl.Plat. 
Protag.  327  d  ol  Sv  x(p  X**P4*  ]i^o&v9-pioK6i, 


Digitized  by 


Google 


448  ^^*  Kapitel. 

eine  phantastische  Welt;  ein  anderes  Lustspiel  personificierte 
die  Nippsachen  (Ai)poi) ;  ganz  neuartig  sind  dagegen  „der  Ofen 
oder  die  Nachtfeier"  und  ,,die  Tyrannen",  während  „der  Ver- 
gessliche  oder  Thalatta*S  Fetale  ^)  und  Korianno  die  Demimonde 
zum  ersten  Male  bühnenfähig  machten.  In  der  zuletzt  genannten 
Komödie  fand  man  schon  die  Lieblingsstoffe  des  vierten  Jahr- 
hunderts, die  Gourmandie  (Fr.  67,  68),  den  verliebten  Alten 
samt  dem  verliebten  Sohn  (71 — 74)  und  die  trunksüchtige  Alte 
(69,  70,  76),  vorgebildet;  „der  Sklavenlehrer"  schilderte  die 
Freuden  des  Sklavenlebens.  Zur  mythologischen  Travestie 
gehörten  die  Ameisenmenschen  und  der  an  den  ersten  Teil 
der  „Frösche"  erinnernde  falsche  Herakles.  Andere  Stücke 
wurden  angezweifelt  *).  Pherekrates  muss  zu  den  bedeutendsten 
Vertretern  der  alten  Komödie  gehört  haben,  da  man  ihn  nächst 
den  drei  Häuptern  derselben  zu  nennen  pflegte.  Andere  da- 
gegen sind  fast  gänzlich  verschollen,  wie  Xenophilos,  welcher 
die  offizielle  Siegerliste  eröffnet,  und  Kratius  Zeitgenosse 
Aristomenes,  der  ebendort  mit  zwei  Siegen  vor  dem  letzteren 
steht  und  gleich  diesem  den  ,, Rittern**  unterlagt). 

Die  zweite  Generation  der  älteren  Komiker*)  leiten  Phry- 
n  ich  OS  und  Eupolis  ein.  Ersterer,  des  Eunomides  Sohn^) 
und  von  dem  Tragiker  verschieden,  führte  429  (Ol.  87,  3)  die 
erste  Komödie  auf  und  setzte  seine  Thätigkeit,  welcher  zehn  Stücke 
entsprangen,  bis  über  das  Todesjahr  des  Sophokles,  welchem  er 
405  in  den  „Musen'*  ein  schönes  Ehrendenkmal  setzte,  hinaus 


1)  Dass  80  eine  Hetäre  hiess,  dürfte  ans  zwei  Briefen  des  Alkiphron 
(1  d5.  36)  hervorgehen. 

2)  „Chiron"  nach  anderen  von  dem  Rhythmiker  Nilbomachos  (Athen. 
8,  364  a,  gleichzeitig  mit  Ismenias  Plin.  nat.  h.  37,  7),  wie  anch  „die  Me- 
tallarbeiter*^ nach  Eratoethenes  bei  Harpocr.  u.  jittaXXsI^  ,  vgl.  Phot.  n.  tb^-iy 
Aaxttoo,  „die  Gaten**,  auch  Strattis  zngeschrieben  (Athen.  6,  248  c),  „Perser*^ 
Athen.  3,  78  d.  11,  502  a.  15,  684  f.  Schol.  Arist.  Ban.  364  (365).  Die  „Me- 
töken"  sind  wahrscheinlich  die  Piatons  (Meineke  I  p.  70). 

3)  Wahrscheinlich  rerschieden  von  dem  Ar  istomenes,  der  gegen  den 
Plutos  „Admetos**  anffährte  und  von  Snidas  zu  den  ^ictStottpoi  der  alten  Ko- 
mödie gerechnet  wird;  beider  Fragmente  Meineke  n  730 ff.  Eock  I  690  ff. 
(ßo-rj^ot,  FoYittc,  At6voooc  ioxYjrric)  Polemische  Stellen  fehl^  ganz. 

4)  Saldos  n.  ^pavt^o^. 

5)  Didymos  bei  Schol.  Aristoph.  Kan.  13;  Phradmon  (Anon«  UI  10) 
hicss  der  Vater  des  Tragikers. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  449 

fort  *).  Die  gleichzeitigen  Komiker  feindeten  ihn  sowohl  per- 
sönlich, weil  sein  Bürgerrecht  erschlichen  sei,  wie  als  Dichter 
heftig  an ;  die  Stoflfe  seien  unbedeutend ,  die  Verse  schlecht, 
die  Witze  plump  und  so  manches  aus  anderen  Dichtern  ge- 
stohlen *).  Die  Titel  seiner  Stücke')  weisen  sechs  Chöre  auf: 
die  Nachtschwärmer,  Mysten,  Jäterinen,  Satyrn  und  dazu  zwei 
literarische,  die  Musen  und  „die  tragischen  Schauspieler  oder 
die  Freigelassenen**.  Die  mythologische  Komödie  war  durch 
,,Kronos'*  und  eine  von  Aristophanes  verhöhnte  Travestie  der 
Andromedasage  vertreten  *).  Drei  Lustspiele  trugen  Einzelnamen : 
Der  Einsiedel  (Movckpoiroc,  415  aufgeführt),  der  schlimme  Geist 
Ephialtes  und  Konnos  (der  bekannte  Musiklehrer)  %  Didymos 
schrieb  zu  Phrynichos'  Komödien  einen  Kommentar^. 

Mitihm  war  Ameipsias  eng  verbrüdert,  indem  er  dessen 
Lustspiele  „die  Nachtschwärmer  und  „Konnos**  mit  solchem 
Geschick  in  Scene  setzte ,  dass  die  Athener  ihm  ,  der  offiziell 
als  Didaskalos  genannt  wurde ,  zweimal  vor  Aristophanes  den 
Vorzug  gaben ').  Ameipsias  gehörte  natürlich  ebenfalls  zu  den 
Gegnern  des  Letzteren®).  Die  fünf  des  weiteren  überlieferten 
Titel  beleuchten  seine  poetische  Richtung  nicht,  doch  sei  er- 
wähnt, dass  er  die  erste  „Sappho**  schrieb^).  Zur  selben  Aristo- 
phanes verfeindeten  Clique  gehörten  der  vergessene  L  y  k  i  s 
oder  Lyko8*°),  Aristonymos,   Verfasser   von  zwei   mytholo- 


1)  Ol.  87,  3  Anon.  in  11,  Ol.  86  nach  Snidas ;  zwei  Siege  Liste  I  9;  zehn 
Stücke:  Anon.  VH.  Snidas;  nicht  alles  war  erhalten  (Didymos  a.  O.). 

2)  Schol.  Aristoph.  Ran.  13.  Arist.  Ran.  12,  Hermippos  fr.  64. 

3)  Fragmente:  Meineke  n  252  ff.  Kock  I.  369  ff. 

4]  Aristoph.  Nnb.  556;    nach    Rock  I   372    war  Kp6voc   vielleicht   mit 
Kowoc  identisch. 

5)  Er   war    gegen    die    oocptotat   (Musiker   und   Philosophen)   gerichtet 
(Meineke  I  p.  203). 

6)  Athen.  9,  371  f. 

7)  Argum.  Nub.  Av.,   vgl.   Bergk  p.  155.  369,  70;   der  „Konnos"  wird 
daher  mehrere  Male  unter  seinem  Namen  citiert. 

8)  Vita  Aristoph.  2;  daher  Arist.  Ran.  12  verspottet. 

9)  Ausserdem  „Die  Kottabosspieler",  die  „Ehebrecher",  Sf  ev86vY|,  nicht 
ganz  sicher  Kateod'twv ;  Fragmente :  Meineke  11  701  ff.,  Kock  I  670  ff. 

10)  Aristoph.  Ran.  14  mit  Scholien. 
Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  IB.    '  29 


Digitized  by 


Google 


450  XIV.  Kapitel. 

gischen  Possen,    „Theseus**   und   der  frierende  Helios  ^) ,    und 
Sannyrion  *). 

Als  Aristopbanes  die  eraten  praktischen  Versuche  auf  der 
Bühne  machte,  fand  er  einen  Förderer  an  dem  trotz  seiner 
Jugend  schon  berühmten  Sohn  des  Atheners  SosipoUs^.  Eu- 
polis  betrat  bereits  mit  siebzehn  Jahren  429  (Ol.  87,  3)  die 
komische  Bühne ^);  ungeachtet  der  Gunst  des  Publikums,  das 
ihm  siebenmal  den  Sieg  zusprach  ^) ,  verfasste  er  nur  vierzehn 
Stücke^);  es  mag  dies  damit  zusammenhängen,  dass  ihm  kein 
langes  Leben  beschieden  war.  Er  fiel  nämlich  während  der  letz- 
ten Phase  des  peloponnesischen  Krieges  in  den  Kämpfen  am  Helle- 
spont  ^),  der  einzige  athenische  Dichter,  welcher  für  das  Vater- 
land starb ;  darum  machte  das  Ereignis  solchen  Eindruck,  dass 
die  Athener  von  nun  an  alle  Dichter  wie  die  Choreuteu  vom 
Kriegsdienste  befreiten  ®). 

Eupolis  verfolgte  den  von  Kratinqs  gewiesenen  Weg*). 
Wegen  der  schneidenden  Satire  waren  die  „Gemeinden"  be- 
rühmt, worin  er  die  gefeierten  Leiter  des  alten  Athen ,  Solon, 
Miltiades,    Aristides  und  Perikles,   aus  der  Unterwelt  citierte, 


1)  Vita  Aristoph.  2.  Sehol.  Plat.  p.  331B;  Fragmente:  Meineke  H  698 fi. 
Kock  I  668  ff. 

2)  Scbol.  Plat.  a.  O.  Fragmente:  Meineke  U  873 ff.  Kock  I  793 ff. 
(FiXcoc,  Aav(iY|,  'Itu,  woxu  Saidas  aus  Atbenaios  (?)  ^o^^'^'^^^  f&gt). 

3)  Suidas. 

4)  Anon.  III  11;  über  sein  Alter  Suidas. 

5)  Snidas ;  die  offizielle  Liste  gibt  drei  dionysiscbe  Siege  an  (1 11). 

6)  Anon.  m  11,  nach  Snidas  siebzebn.  Die  Fragmente  (Meineke  II 
426  ff.  Kock  I  258  ff.)  sind  dreizehn  Stücken  entnommen.  Aia&twv,  Aia^, 
KXoicai  nnd  A^xwvt^  sind  sebr  zweifelbaft,  nocb  mebr  die  nnr  von  Ptole- 
maios  Hepbaistion  bezeugten  TßptoToSixat. 

7)  Wabrscbeinlicb  in  der  Scblacbt  bei  Kynossema  411,  woraus  leicht 
die,  allerdings  auf  Aigina  spielende,  Anekdote  bei  Aelian.  hist.  an.  10,  41 
entstehen  konnte.  Der  Eupolis,  dessen  Grabmal  bei  Sikyon  lag  (Pansan.  2, 7, 3), 
war  natürlich  ein  anderer. 

8)  Snidas;  schon  Eratosthenes  widerlegte  die  Fabel,  Alkibiades  habe  ihn 
ans  Rache  für  die  „Baptai'*  bei  der  siciliscben  Expedition  ertrftnken  lassen 
(Tbemist.  or.  8,  110  b.  Anon.  Vm  6.  Schol.  Aristid.  p.  444  D.  SchoL  Juven. 
2,  92,  Allgemeiner  Piaton.  I  6),  durch  den  Nachweis  spftterer  Komödien 
(Cicero  adAtt.  6,  1,  18);  Anon.  Vin  24  vermittelt;  vgl.  Lehrs  populäre  Auf- 
sätze S.  *  396  f. 

9)  Anon.  m  11. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  451 

auf  dass  sie,  aus  dem  Gespräch  mit  Nikias  und  Myronides  die 
Verkorameubeit  des  Staates  ersehend^  das  Athen  ihrer  Zeit 
wieder  herstellten^).  Das  entsprechende  Gegenstück  aus  der 
äusseren  Politik  waren  „die  (Bundes-)  Städte".  Das  Militärwesen 
persiflierten  „die  Obersten".  Auch  „die  Heloten"  dürften  poli- 
tisch gewesen  sein.  Vier  andere  Komödien  richteten  sich  gegen 
ganze  Klassen  der  Bevölkerung:  „Die  Fahnenflüchtigen  oder 
die  Mannweiber"  gegen  die  vielen,  welche  sich  der  Dienstpflicht 
entzogen,  die  Bdirtat  ^)  gegen  die  religionslose  Jugend,  als  deren 
Rädelsführer  Alkibiades  denunciert  wurde,  während  ,,die 
Schmeichler",  421  (Ol.  89,  3)  mit  bestem  Erfolge  an  den  Di- 
onysien  aufgeführt'),  die  philosophischen  Hausfreunde,  an  ihrer 
Spitze  den  berühmten  Protagoras,  geisselten*).  In  den  „Pros- 
paltiern'*  traf  der  Dichter  die  Processierfreude  seiner  Landsleute, 
unter  denen  er  die  der  Komödie  den  Namen  gebende  Gemeinde 
aus  einem  ähnlichen  Grunde  wählte ,  wie  Aristophanes  die 
,,Acharner"  zu  Vorkämpfern  der  Kriegspartei  machte.  Eupolis 
ging  sogar  soweit  dass  er  über  einzelne  Personen  ganze  Komö- 
dien schrieb ,  freilich  in  einer  Weise ,  die  seinem  Mute  keine 
Ehre  macht.  Denn  „Autolykos"  ,  worin  der  aus  Xenophons 
Gastmahl  bekannte  Knabe,  weil  ilim  der  Stadtklatscb  ein  Ver- 
hältnis zum  Krösus  des  damaligen  Athens  zuschrieb,  hart  mitge- 
nommen wurde ,  Hess  er  420  (Ol.  89 ,  3)  durch  Demostratos 
aufführen  ^),  damit  man  ihn  selbst  nicht  mit  einer  Beleidigungs- 
klage fassen  konnte.  Da  die  Sache  für  ihn  gut  verlief,  brachte 
er  die  Komödie  neun  Jahre  später  umgearbeitet  wieder  auf 
die  Bühne  *).     Das  zweite  Mal  (421)  ^)  wagte   sich  Eupolis   an 


1)  Wahrscheinlicli  kurz  vor  424  geacbrieben ,  weil  er  noch  Hipponikos 
verspottete  (Bergk  p.  336  ff.).  Auf  die  YorznnehmeDde  Reform  bezieht  sich 
fr.  100.     Vgl.  Raspe  de  Enpolidis  ?^y|}io&(  ac  icoXsa&v  Lpg.  1832. 

2)  Vgl.  BnttmaQn  Abhandlungen  derBerUner  Akad.  1822/23  S.215ff.; 
Lobeck  Aglaophamns  p.  1007  ff. 

3)  Argnm.  Arist.  Pac. 

4)  Anch'  Sokrates  kam  darin  vor  (Schol.  Arist.  Nub.  96.  Luciau. 
pisc.  25). 

5)  Athen.  5,  216  d. 

6)  Galen,  in  Hippocr.  de  acut.  morb.  XV  p.  424  K.  (V  p.  38  b).  Die 
Zeit  bestimmte  Meineke  I  110.  116  ff.  richtig  aas  fr.  43  (Schol.  Vict.  II.  13, 
JB53,  wo  6v  AI>toX6xoi(  eine  Verdrehung  von  6v  A&toXax({>  ß'  vorstellt). 

•  7)  Eratosthenes  bei  Schol.  Aristoph.  Nub.  552. 

29* 


Digitized  by 


Google 


452  XrV.  Kapitel. 

den  bekannten  Politiker  Hyperbolos,  wobei  er  jenen  infolge 
des  Censurgesetzes  unter  dem  obscönen  Namen  Marikas  nls 
Barbarensklaven  auftreten  Hess  und  obendrein  die  Handlung 
auf  das  Land  verlegte  *) ;  die  alte  Mutter  des  Titelhelden  tanzte 
im  Rausche  Cancan  *).  Hieraus  begreifen  wir  freilich  das 
Urteil,  feiner  gewählter  Witz  sei  nicht  Sache  dieses  Dichters 
gewesen  *).  Die  „Freunde'*  sind  unklar.  Die  „Neumondstage' % 
mit  denen  Eupolis  426  durchfiel*),  weshalb  er  das  Manuskript 
nicht  veröfifentlichte ,  können  sich  auf  die  am  Neumond  statt- 
findenden Strategenwahlen  bezogen  haben  ^) ,  wenn  der  Titel 
nicht,  wie  Holbergs  „elfter  Juni",  den  Zahltermin  meinte.  Die 
Fabelwelt  endlich  thut  sich  in  den  nach  dem  vierfüssigen  Chor 
benannten  „Ziegen"  (gegen  die  zeitgenössische  Musik  gerichtet)  *) 
und  der  „goldenen  Zeit** '')  ^uf. 

Anmut  mit  Kraft  und  einer  gewissen  Erhabenheit  ver- 
einigend, war  Eupolis  in  der  Ersinnung  komischer  Stoffe,  wie 
schon  die  Titel  zeigen ,  ungemein  phantasiereich  und  in  der 
Ausführung  genial  %  Dies  sicherte  ihm  einen  der  drei  Ehren- 
plätze unter  den  alten  Komikern  *),  weshalb  Galenos  auch  ihn 
in  einem  dreibücherigen  Werke  lexikalisch  behandelte,  nachdem 
Didymos  das  Verständnis  durch  einen  Kommentar  erleichtert 
hatte*®).  Noch  um  das  Jahr  vierhundert  setzte  ein  lateinischer 
Schriftsteller  die  allgemeine  Bekanntschaft  des  Namens  voraus  "). 

So  sehr  auch  Eupolis  beliebt  und  geschätzt  war,  den 
ersten  Platz  nahm  ihm  der  etwa  gleichalterige  Aristo- 
phanes  vorweg. 


1)  QaiDUlian.  1,  10,  18,  vgl.  fr.  190,  Hesycb.  u.  Maptx&c;  fr.  183  K. 

2)  Aristoph.  Nab.  555. 

3)  AnoD.  de  com.  Hill. 

4)  Argum.  Arist.  Acbani. 

5)  Belocb  die  attiecbe  Politik  seit  Perikles,  Lpg.  1884  S.  34  A.  2. 

6)  Vor  424  gescbrieben,  weil  Htpponikos  Docb  lebte  (Bergk  reliq.  com. 
Att.  p.  336 ff.),  Ol.  88,  2  nach  U.  t.  Wilamowitz  obsenr.   crit.   p.  24.  36. 

7)  Xpooouv  Y^voc;  Kleon  lebte  damals  noeb  (Fr.  290,  1). 

8)  Piaton.  II  2;  Anon.  UI  11  '^Z'foyoi<:  Sovatöc  rj  Xi^tt,, 

9)  Horat.  sat.  1,  4,  1.  YeU^ns  1,  16,  3.  Qnintilian.  10, 1,  66.  Euantbina 
de  com.  p.  4,  3. 

10)  Mor.  Schmidt  Didymi  Cbalc.  fragm.  p.  308 f. 

11)  Macrob.  Saturn,  7,  5. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  453 

Die  zusammenhäDgenden  biographischen  Quellen  bestebeu  in  der 
längeren  und  kürzeren  Fassung  eines  anonymen  ßtoc  (dem  Titel  einer  Hand- 
schrift zufolge  hat  Thomas  Magistros  die  letztere  verwässert)  und  dem  Artikel 
des  Suidaslexikons,  der  mit  einem  Platoscholion  (p.  83  B.  330  f)  verwandt 
ist  und  im  codex  Ambrosianus  L  39  sup.  abgesondert  steht;  hier  schliesat 
sich  eine  Liste  aller  Stucke  daran  (veröffentlicht  von  K  o  v  ati  Hermes  14,  461  ff.). 
Jene  Biographien  sind  in  Meinekes  bist.  crit.  com.  Gr.  p.  547  ff.,  Wester« 
manns  Bco^pdf  oi  p.  155  ff.,  Dnbners  Schol.  Aristopb.  p.  XTTT  ff.  und  Aristo- 
phanesausgaben  gesammelt  und  mit  Beiziehung  zerstreuter  Notizen  in  den 
Einleitungen  der  Ausgaben  Thierschs  (1. 1830  von  C.  F.  Ranke,  separat  Lpg. 
1845)  und  Meinekes  und  vor  Teuffels  Ausgabe  der  Wolken  verarbeitet. 

Die  Wiege  „des  ungezogenen  Lieblings  der  Grazien"  stand 
im  ältesten  Teile  der  Stadt  Athen  nahe  dem  Dionysostheater  ^), 
mochten  ihn  auch  seine  Feinde  vor  Gericht  und  auf  der  Bühne 
für  einen  in  die  Bürgerliste  eingeschmuggelten  Khodier  oder 
Ji^aukrateer  ausgeben*).  So  war  ihm  die  heilige  Stätte  des 
Dionysos  von  Jugend  auf  vertraut;  nichtsdestoweniger  diente 
er  bei  der  Komödiö  sozusagen  von  der  Pike  auf*),  indem  er 
zuerst  Schauspieler  war,  dann  wahrscheinlich  als  Gehilfe  der 
Dichter  das  Insccuieren  der  Dramen  erlernte.  Trotz  dieser 
Vorschule  '  wagte  Aristophanes  vorerst  keinen  selbständigen 
Sehritt.  Seine  zwei  ersten  Stücke  sind  nicht  bloss  unter  dem 
Namen  eines  anderen  aufgeführt,  sondern  mit  dessen  Beihilfe 
entstanden ,  nachdem  Aristophanes  vielleicht  schon  früher 
komische  Ideen  zu  fremden  Arbeiten  beigesteuert  hatte*).     So 

1)  KüSaö-Y^va'.jüc  V.  Z.  1.  Thoiu.  3;  die  Eltern  hiessen  Pbilippides  (so 
steht  auf  der  in  Florenz  befindlichen  Porträtherme)  oder  Philippos  (Auon. 
III  12.  V.  1.  31.  70.  Thom.  2,  irrig  Bion  Porphyrio  in  Hör.  ep.  2,  2,  GO) 
und  Zenodora  (Thom.  2  codd.  LM). 

2)  Lindos  (V.  28)  oder  Kamiros  Suidas  (nach  A.  v.  Gutschmid,  wie  die 
Zeitangabe,  aus  dem  Artikel  'AvaSav^piSirjc  eingedrungen);  Kankratis  Helio- 
doros  bei  Athen.  6,  229  e,  vgl.  Suidas.  Wegen  Acharn.  653  f.  wurde  er  mit 
Aegina  bald  in  diese  bald  in  jene  Verbindung  gebracht  (Besitzungen  und 
Aufenthaltsort  V.  28  flf.,  Kleruchie  Theagenes  bei  Schol.  Plat.,  Heimat  des 
Vaters  V.  30  f.),  aber  andere  erinnerten  richtig  daran,  dass  Kallistratos  diese 
Worte  sprach  oder  mindestens  sagen  Hess,  s.  bes.  Mülle  r •  St rübing  Aristo- 
phanes und  die  historische  Kritik  S.  604  ff. 

3)  Acharn.  541  ff. 

4)  Vesp.  1018  ff.  Ueber  das  Verhältnis  zu  Kallistratos  und  Philonides: 
Hanow  exercitationes  criticae,  Halle  1830  p.  3 ff.;  Th.  Kock  de  Phil,  et 
Call.,  Pr.  V.  Guben  1865;  W.  Heibig  quaestiones  acaenicae,  Bonn  1861 
p.  16  ff.;  R.  Enger  Jahrbb.  f.  PhiL  73,  337  ff.;    E.  Meyer  de  Arist.  fabu- 


Digitized  by 


Google 


454  ^^-  Kapitel. 

setzte  zuerst  der  Komiker  Eallistratos,  von  dem  kein  einziges 
Lustspiel  den  Verfasser  überlebte,  427  (Ol.  88,  1)  die  AattaXfjc 
in  Scene  *) ;  das  Stück  exemplificierte  an  zwei  Brüdern  die  Er- 
gebnisse der  altathenischen  Erziehung  und  des  sophistischen 
Unterrichts,  wobei  die  Heraklesbruderschaft  den  Chor  bildete  *). 
Im  nächsten  Jahre  (426)  stellten  beide  „die  Babylonier"  fertig, 
in  denen  zunächst  die  Behandlung  der  Bundesgenossen,  die 
wahrscheinlich  mit  dem  aus  gebrandmarkten  Mühlsklaven  be- 
stehenden Chor  gemeint  sind ,  getadelt  wurde ').  Dies  nahm 
der  Demokratenführer  Kleon  nicht  ruhig  hin,  sondern  stellte 
gegen  Kallistratos  beim  Rate  Klage,  weil  er  eid  Grundgesetz 
der  Demokratie,  das  Verlosen  der  Aemter,  lächerlich  gemacht 
habe  und  dies  an  den  Dionysien  vor  Fremden,  allein  der 
AngriflF  bUeb  ohne  Erfolg*).  Der  triumphierende  Kallistratos 
ging  mit  Aristophanes  sofort  425  der  Partei  Kleons  mit  den 
erhaltenen  „Acharneni**  näher  zu  Leibe  ^).  Als  nun  dieses 
Lustspiel  mit  dem  ersten  Preise  geehrt  worden,  wollte  Aristo- 
phanes Lohn  und  Ruhm  nicht  länger  einem  anderen  über- 
lassen ;  wusste  doch  das  Publikum  nicht,  dass  ihm  der  Haupt- 
anteil zustand^).  Der  Zuspruch  der  Freunde  überwand  seine 
merkwürdige  Zaghaftigkeit^),    vielleicht  liess  sich   auch  Kalli- 

larnm  commissionibas,  Berlin  1863;  E.  Petersen  Jahrbb.  f.  Phil.  85, 649  ff. ; 
Mor.  Zwerger  de  primis  Ar.  fabalis  qua  ratione  in  scenam  commissae 
yideantnr,  Dias.  v.  Rostock  1868  o.  A.  (s.  Alb.  Müller  Bohnenaltert.  S.  353  A.  4). 

1)  Anon.  m  12  (entsteUt  V.  15.  Schol.  Nab.  531). 

2)  Fritzsohede  Aristophanis  Daetalensibns,  Lpg.  183 1 ;  U.  v.  W i  1  a m o- 
witz  observatt.  critt.  in  com.  Graec  p.  6ff.;  Bonstedt  quaestt.  Aristo- 
phaneae,  Diss.  v.  Jena,  Frankfurt  a.  M.  1872.     Vgl.  Aristoph.  Nnb.  528  f. 

3)  Fritzsche  de  Aristophanis  Babyloniis,  Lpg.  1830;  Joh.  A.  Gun- 
ning  de  Bab.  Ar.  fabnla,  Diss.  v.  Amsterdam,  Utrecht  1882.  Kallistratos: 
Snidas  u.  Sa|iiü>v  b  Sy^iioc.  Chor:  Hesych.  u.  Sa|iio>v  b  2'7)p.o<  (vgl.  Baßo- 
Xwvioi);  U.  Schrader  Philol.  42,  577 ff. 

4)  Acham.  377—382.  502  f.  630—664,  welche  teils  Kallistratos  in  erster 
Person  als  Protagonist  teils  der  Chor  sprach  (richtig  Schol.  Vesp.  1284) ;  von 
Aristophanes  wusste  Kleon  nichts  (s.  A.  6) ;  vgL  ausser  den  S.  453  A.  4  ver- 
zeichneten Schriften  Gilbert  Beiträge  zur  inneren  Geschichte  Athens  S.  148 ff.; 
Herrn.  Schrader  Philol.  36,  385 ff.  iwo  Literatur  angegeben  ist);  Joh.  H. 
Gunning  a.  O.  p.  59 ff. 

5)  Schol.  Acham.  661. 

6)  Dies  bezeugen  Nub.  530  f.  und  Vesp.  1018  (vgl.  dagegen  1021  <f>avrpa»<;). 

7)  Acham.  513. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  455 

Stratos  zu  einem  direkten  Angriffe  auf  Kleon  nicht  mehr 
herbei,  jedenfalls  war  Aristophanes  schon  ein  gereifter  Mann  *), 
als  er  424  mit  den  „Rittern"  zum  ersten  Male  persönlich  vor 
die  Oeffentlichkeit  trnt.  Kleon,  den  natürlich  jedermann  in 
dem  Paphlagonier  erkannte,  vermochte  nur  mittelbar  an  dem 
Komiker  sich  zu  räclien,  dadurch  dass  er  eine  Anklage  wegen 
unbefugter  Ausübung  des  Bürgerrechtes  erhob,  wogegen  Aristo- 
phanes mit  einem  parodischen  Citat  aus  Homer  sich  glücklich 
verteidigt  haben  soll  *).  Einen  sichereren  Weg  hatte  der  leiden- 
schaftliche Lederfabrikant  eingeschlagen,  als  er,  ähnlich  wie 
es  Voltaire  passierte,  Aristophanes  sofort  im  Theater  prügeln 
liess^).  Jetzt  fand  es  der  Dichter  geratener,  die  Politik  ein 
wenig  ruhen  zu  lassen,  aber  „die  Wolken'*,  womit  er  den 
Gedankengang  seines  ersten  Stückes  aufnahm,  fielen  423  gänzlich 
durch.  Dann  überwarf  sich  der  Dichter  mit  Eupolis,  der  ihm 
zu  den  „Rittern"  einen  Beitrag  geliefert  hatte*),  und  reizte 
den  alten  Kratinos  durch  übermütigen  Spott,  weshalb  er  sich 
alles  mögliche  vorhalten  lassen  musste:  Dass  er  kein  Bürger 
sei,  dass  er  eine  Glatze  habe  und  den  Wein  übermässig  liebe, 
dass  er  für  fremden  Nutzen  arbeite  und  doch  bei  anderen 
stehle  *).  Auf  dies  hin  beobachtete  Aristophanes  wieder  die 
Vorsicht,  anderen  die  öflfentliche  Verantwortlichkeit  zu  über- 
lassen. Zunächst  leistete  ihm  Ph  ilonides  diesen  Freundschafts- 
dienst*), als  er,  durch  jenen  Misserfolg  zur  Anspannung  aller 


1)  Dies  zeigen  Acham.  541.  512  ff.  (vgl.  513);  nach  ScböL  Ran.  502 
tritt  er  anf  a/tSöv  |i8ipaxioxo<  u>v! 

2)  Vit.  24  (danach  vor  den  „Rittern").  31  f.  Schol.  Acham.  386  (377); 
oder  liegt  etwa  eine  Verwechslung  mit  dem  bei  Lysias  13,  59  ff.  genannten 
Aristophanes  vor?  Vit.  35  nimmt  drei  Anklagen  an. 

3)  Vesp.  1285  f. 

4)  Nach  alter  Ueberlieferung  einen  Teil  der  zweiten  Parabase  (Agthe 
schedar.  Aristoph.  specimen  II.  Jena  1861;  Kirch  hoff  Hermes  13,  287  ff.); 
über  den  Streit  £.  A.  Strnve  de  Enpolidis  Maricante,  Kiel  1841. 

5)  Fremd:  Eapolis  fr.  357;  Kahlköpfig  Enpolis  fr.  78  (dem  brach  er 
dnrch  Selbstironie  die  Spitze  ab:  Fax  767 ffl  Nub.  545,  vgl.  Plntarch.  symp. 
2,  1,  12);  Wein:  Athen.  14,  429a,  bestätigt  durch  Plato  symp.  176b.  223c 
und  das  Lob  des  Weines  £q.  90 ff.,  f&r  andere  arbeitend:  Vit.  11  ff. 

6)  Die  Komödien  ^iXitacpoc,  'Aicyjvy]  und  K6^opvoi  (Fragmente  bei 
Meineke  n  421  ff.  Kock  I  254  ff.)  scheinen  eher  einem  jüngeren  Philonides 
zu  gehören,  wofür  die  Sentenzen  fr.  16—18  sprechen  dflrfben. 


Digitized  by 


Google 


456  XIV.  Kapitel.  ^ 

Kräfte  gereizt,  für  die  Lenäen  von  Ol.  89,  2  (422)  zwei  Stücke, 
die  „Wespen"  und  die  „Probe"  (Proagon)  geschrieben  hatte  *). 
Derselbe  besorgte  an  den  Lenäen  von  Ol.  91,  2  (414)  „Amphi- 
araos",  während  Kallistratos  erst  wieder  an  den  Dionysien 
dieses  Jahres  für  die  „Vögel"  und  411  (Ol.  92,  1)  für  „Lysi- 
strata"  seinen  Namen  hergab.  Aristophanes  selbst  hingegen 
bekannte  sich  innerhalb  dieses  Zeitraumes,  soviel  wir  wissen, 
nur  zum  „Frieden"  von  421  (Ol.  89,  3) ;  erst  seit  408  (Ol.  92,  4) 
scheint  er  auf  fremde  Beihilfe  dauernd  verzichtet  zu  haben,  da 
die  Frösche  (Lenäen  von  Ol.  93,  3  =  405),  Ekklesiazusen 
(Ol.  97,  3  =  389)  und  die  zwei  „Plutos"  (Ol.  92,  4  =  408 
und  Ol.  97,  4  =  388)  öfifentlich  seinen  Namen  führten.  Mit 
dem  zuletzt  erwähnten  Stücke  nahm  Aristophanes  von  der 
Bühne  Abschied ;  denn  weil  alle  seine  vier  Söhne'  Philippos, 
Nikostratos,  Philetairos  und  Araros  ebenfalls  der  ko- 
mischen Muse,  wenn  auch  mit  geringerem  Erfolge,  huldigten  *), 
tiberliess  er  dem  jüngsten,  der  die  Beihilfe  am  nötigsten  gehabt 
zu  haben  scheint^),  seine  zwei  letzten  Stücke,  ,, Kokalos"  und 
„Aiolosikon",  um  ihn  dadurch  beim  Volke  günstig  einzuführen. 
Seit  379  (Ol.  100,  1)  trat  Araros  selbständig  auf*),  während 
der  alte  Dichter  verstummt  war;  sein  Lebensende  dürfte  also 
von   dem  Geburtsjahr    des   Demosthenes    nicht    weit   abliegen. 

Ueber  die  politischen  und  religiösen  Ansichten  des  Aristo- 
phanes haben  wir,  weil  er  keine  eigenartige  Richtung  hatte, 
nicht  viel  zu  sagen ;  gegen  die  Chauvinisten  ,  die  Demagogen 
und  Sykophanten ,  sowie  die  Philosophen  eiferten  ja  Kratinos 
und  Eupolis  ebenso  kräftig.  Wie  wenig  es  ihm  um  eine  ernst- 
hafte Reform*),   sondern    um   die  blosse  Satire   zu   thun    war. 


1)  Jul.  Richter  Ausg.  der  Wespen,  Berlia  1858  zieht  die  Angabe  der 
Didaskalie  in  Zweifel  und  Petersen  Jahrbb.  f.  Phil.  1862  S.  663  streicht 
Ziä  ^iXutvidoo;  8.  aber  S.  407  A.  3.    S.  auch  Hiller  Hermes  7,  404. 

2)  V.  70flf.  Thom.  5.  Schol.  Plat.  (rgl.  Kock  11  S.  219).  Andere  lehnten 
beide  Namen  ab  (V.  72).  Fragmente:  Philippos  Kock  II  215,  Araros  Kock  II 
215flf.,  Nikostratos  p.  219  ff.,  Philetairos  230  ff. 

3)  Alexis  verspottete  seine  Frostigkeit  (Athen.  3,  123  e). 

4)  Snidas. 

5)  Herm.  Pol  de  A.  poeta  com.  ipsa  arte  boni  civis  officium  prae.stante, 
Groningen  1834;  Friedr.  Lorentz  de  Arist.  spe  atqne  imagine  reip.  Atheni- 
ensinm   restituendae,    Berlin  1865;   Teuf  fei    Aristoph.'  Stellung   zu   seiner 


Digitized  by 


Google 


Did  Dichter  der  alteu  Komödie.  457 

sieht  man  daraus ,  dass  er  sich  nie  am  politischen  Leben  be- 
teiligte. Trotzdem  hatte  der  Komiker  von  seiner  Kunst  ver- 
hältnismässig reine  Ansichten.  Was  freilich  seine  Behauptung 
anlangt,  er  greife  nur  angesehene  Männer,  nicht  aber  macht- 
lose Privatleute  und  Frauen  an  ^),  hat  er  sich  leider  oft  genug 
selbst  Lügen  gestraft,  aber  wir  dürfen  ihm  vertrauen ,  dass  er 
für  das  Rechte  zu  kämpfen  glaubte^.  Der  doktrinäre  Zug 
seiner  Zeit,  den  Aristophaues  so  grausam  verspottete,  bestimmte, 
ohne  dass  er  es  selbst  wusste,  seine  ganze  Anschauungsweise. 
War  der  Dichter  noch  ein  wahrer  Vertreter  der  dionysischen 
Komödie,  wenn  er  sich  mit  Vorliebe  an  die  Gebildeten  wendete 
und  an  die  Bildung  seiner  Zuschauer  appellierte^)?  Wie  klang 
^ies  anders  als  wenn  Kratinos  von  dem  Lernasumpf  des  Pub- 
hkums  sprach  und  es  für  das  Irrenhaus  reif  erklärte  ^).  Die 
Athener  werden  gemäss  der  Geringschätzung  der  Komödie,  wenn 
Aristophanes  unter  lächerlichen  Grimassen  sich  als  den  Lehr- 
meister und  Wohlthäter  des  Volkes  aufspielte*'^),  anfangs  ge- 
lächelt oder  dies  für  einen  sonderlich  gelungenen  Witz  belacht 
haben.  Doch  Dichter  und  Publikum  verfielen  trotz  ihres  Wider- 
strebens  nach  und  nach  dem  sophistischen  Zeitgeiste  und  der 
ärgste  Feind  des  Euripides  wurde  in  Wirklichkeit  selbst  der 
Euripides  der  Komödie ,  ist  doch  die  Manier ,  eine  Principien- 
frage  in  einem  i'^m  zu  diskutieren,  ganz  unverkennbar  von 
diesem  entlehnt. 

Aristophanes  hinterliess  vierundvierzig  Komödien  ®) ,  deren 
vier  (Poesie,  der  schiffbrüchige  Dionysos,  die  Inseln,  die  Dramen 
oder  Niobe)  von  manchen  ihm  abgesprochen  und  dem  gleich- 
zeitigen Komiker  Archippos^)    beigelegt   wurden ;    besorgte 

Zeit,  Morgenblatt  1855  Nr.  33  f.  =  Stadien  u.  Charakt.  zur  griech.  u.  röm. 
Liter.  S.  94flf. 

1)  Fax  V.  751. 

2)  Acharn.  633  ff.  645.  655.  Eq.'ölO.  1273.  Ran.  686  ff. 

3)  Hiefur  sind  namentlich  die  „Wolken"  lehrreich,  ausserdem  Ran. 
676  f.  1109  ff.  Vesp.  65.  1013  f. 

4)  Fr.  347;  329.     Aehnlich  ^ÄXasaa  xoiXyj  Com.  ine.  95»  bei  Hesych. 

5)  Schon  in  den  Parabase  der  ,,Acharner".  Vgl.  V.  Z.  3  ff. 

6)  Suidas.  V.  76  f.  (verschrieben  43  V.  cod.  Vb  oder  54  V.  cod.  Rb. 
Anon.  m  12.  Thom.  10). 

7)  Fragmente:  Meineke  II  715 ff.  Kock  I  679 ff.  Er  verfasste  ausser 
mythologischen  Possen    (Amphitryon  in  zwei  Fassungen,  die  Hochzeit   des 


Digitized  by 


Google 


458  XIV.  Kapitel. 

dieser  etwa,  wie  Philonides  und  Kallistratos,  die  Aufführung? 
Aber  auch  vierzig  Stücke  waren  für  einen  Dichter  der  alten 
Komödie,  da  er  alles  frei  erfinden  musste,  viel  und  Aristopha- 
nes  hätte  eine  solche  Zahl  nicht  erzielt,  wenn  er  nicht  einerseits 
ungewöhnlichen  Fleiss  und  unerschöpfliche  Einbildungskraft  be- 
kundet, andererseits  vier  Stoffe  (Frieden ,  Wolken ,  Plutos  und 
Aiolosikon)  ^)  zweimal  bearbeitet  hätte. 

Der  Schwerpunkt  der  aristophanischen  Komödie  liegt  wie 
bei  Kratinos  und  Eupolis  in  der  politischen  Satire,  welcher  un- 
zweifelhaft die  bedeutendsten  Werke  des  Dichters  angehören. 
DieMisstimmung  des  durch  den  peloponnesischen  Krieg  ruinierten 
Bauernstandes  trieb  ihn  vor  allem  in  den  Kampf  gegen  die 
grossmachtssüchtigen  Chauvinisten.  Die  im  Januar  426  auf- 
geführten „Acharner*'*),  von  den  Richtern  mit  dem  ersten 
Preise  bedacht,  trugen  ihren  Namen  nach  dem  Chor,  welcher 
aus  Angehörigen  des  Gaues  Acharnai  bestand.  Dieser  be- 
völkertste  Kreis  Attikas  war,  weil  die  Mehrzahl  nicht  aus 
Bauern,  sondern  Holzarbeitern  und  Kohlenbrennern  bestand, 
dem  Kriege  durchaus  nicht  abgeneigt,  wogegen  Dikaiopolis  den 
Sprecher  der  nach  Frieden  sich  sehnenden  Bauernschaft  macht. 
Das  Stück  zer&llt  in  ein  Vorspiel')  und  zwei  Hauptteile:  Da 
die  Kriegspartei,  wie  man  sieht,  die  Volksversammlung  terrori- 
siert, schliesst  Dikaiopolis  mit  Sparta  in  höchst  komischer  Weise 


Herakles)  Rhinon  (einem  der  411  eingesetzten  zehn  Staatskommissäre  geltend), 
Plntos,  des  Esels  Schatten,  die  Fische  (worin  die  FiHche  den  Chor  bildeten). 
Er  siegte  Ol.  91  (Snidas);  man  spottete  über  seine  Kalaner  (Schol.  Arist. 
Vesp.  600  [479]). 

1)  Athen.  9,  372  a.  Schol.  Hephaest.  9  p.  180  W.  Ambrosianasindex 
Hermes  14,  464.  Vgl.  im  allgemeinen  Fritzsche  de  fabnlis  ab  A.  retrac- 
tatis  spec.  I.— V.,  Pr.  der  Univ.  Rostock  1849—52. 

2)  Fritzsche  de  Acharnensibns  Aristophanis ,  Lpg.  1831;  Alkoin 
Schaibe  de  Ar.  Ach.,  Diss.  v.  Kasan*1861;  0er i  die  A.  des  Ar.,  Pr.  v. 
Crenzbnrg  1869;  Ernst  Bonstedt  qnaestt.  Arist.,  Diss.  v.  Jena,  Frankfurt 
1872;  Ferrieri  gli  Acamesi  di  A.,  Pr.  des  Liceo,  Palermo  1880;  O.  Rib- 
beck Leipziger  Stadien,  8,  379  IT.  —  Ueber  die  Scenerie  S.  437  A.  7.  — 
C.  Lion  de  parabasi  in  A.  Ach.,  Pr.  v.  Magdeburg  1862. 

3)  Fr.  Leo  qaaestiones  Arist.,  Bona  1873  p.  Iff.  h&lt  wegen  Schol. 
1242  (1226)  den  Anfang  fQr  verstümmelt,  dagegen  setzt  dort  Bergk  Jahrbb. 
f.  Phil.  117,  46fr.  nach  ScaXtYVtvoc  xal  ein;  s.  anch  Holzinger  Barsians 
Jahresbericht  21,  150 £f.  Vielleicht  fiel  am  V.  250  herum  etwas  aus. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  459^ 

einen  Separatfrieden.  Nun  bekommt  er  es  aber  mit  den  Achar- 
nern  zu  thun  und  wird  sie  erst  los,  nachdem  er,  in  die  Lum- 
pen euripideiscber  Helden  gewickelt ,  eine  grosse  Lobrede  auf 
den  Frieden  gehalten.  Diese  theoretische  Auseinandersetzung 
ergänzt  der  zweite  Teil  praktisch,  indem  der  Mann  des  Frieden? 
an  Wein,  Weib  und  Gesang  sich  erfreut,  während  der  Bramar- 
bas Lamachos  in  den  Krieg  ziehen  muss,  um  am  Ende  ver- 
wundet unter  Aechzen  und  Stöhnen   heimgebracht  zu  werden. 

Der  „Fried eO"  welcher  421  (Ol.  89,  3)  an  den  grossen 
Dionysien  über  die  Bühne  ging,  überholte  den  förmüchen  Ab- 
schluss  des  Friedens  um  nicht  mehr  als  ein  paar  Wochen.  Da 
der  Dichter  denselben  mithin  bei  seiner  Arbeit  zuversichtlich 
erwarten  durfte,  neigte  er  schon  von  gereizter  Satire  zu  einer 
humoristischeren  Auffassung  der  Frage.  Nachdem  die  Friedens- 
störer im  Kampfe  gefallen,  hält  noch  Ares  die  Friedensgöttin 
gefangen.  Die  komische  Idee  des  Dramas  beruht  auf  einer 
Verbindung  der  äsopischen  Fabel,  wo  der  Mistkäfer  in  den 
Olymp  «uffliegt,  mit  einer  Parodie  des  euripideischen  Bellerophon, 
in  der  Weise,  dass  Trygaios  (wie  der  Name  ausdrückt,  aber- 
mals eine  Pei*sonifikation  der  Bauern),  um  Eirene  aus  ihrem  Ge- 
fängnis zu  erlösen ,  auf  dem  Mistkäfer  in  den  Olymp  reitet, 
worauf  wieder  eine  Schilderung  des  ausgelassenen  sorglosen 
Treibens  der  Friedenszeit  folgt.  Die  Richter  erkannten  mit 
gutem  Grund  dem  Stück,  worin  Aristophanes'  Genie,  da  es  von 
Natur  zur  kräftigen  Offensive  berufen  ist,  sich  wenig  bethätigt, 
nur  den  zweiten  Preis  zu  *). 

In  ganz  anderer  Stimmung  schrieb  er  die  „Lysis  träte**'); 
im  Jahre  411  (Ol.  92,  1)  waren  ja  die  durch  die  sicilische  Ka- 
tastrophe   und    den    Abfall   der    Bundesgenossen    erschöpften 


1)  W.  Rohdewald  über  die  Eom5die  des  A.:  Der  Friede,  Pr.  v.  Det- 
mold 1854;  über  die  Scenerie  R.  Enger  Rhein.  Mns.  9,  568 ff. 

2)  A.ri8tophane8  behandelte  den  Gegenstand  noch  einmal  (Argnm.  Pac 
m  ans  Krates).  Die  vier  Citate  fV.  294—7  K.  sind  höchst  bedenklich.  Ob 
dfls  erhaltene  Drama  das  frühere  oder  das  si^ltere  ist,  kann  man  nicht  ent- 
scheiden.   Stanger  über  Umarbeitung  aristophan.  Komödien  S.  80 ff. 

3)  G.  Chr.  Jftp  qno  anno  et  qnibns  diebns  festis  Lys.  atqne  Thesmo- 
phoriaznsae  doctae  sint,  Pr.  v.  Entin  1859.  Einige  zögen  wegen  V.  389  den 
Titel  'A2o>vidCoooac  (Schol.  a.  O.),  andere  Ata^Xa^ai  (Schol.  V.  1114  u.  am- 
bros.  Verzeichnis)  vor. 


Digitized  by 


Google 


460  XIV.  Kapitel. 

Athener  des  Krieges  herzlich  müde  und  unter  sich  ,  wie  bald 
darauf  der  Staatsstreich  schrecklich  darthat,  in  erbitterte  Parteien 
iserklüftet.  Bei  diesen  trüben  Aussichten  war  der  Komiker, 
wenn  er  überhaupt  den  Gegenstand  berühren  wollte ,  beinahe 
gezwungen,  ihn  in  der  Weise  eines  obscönen  Schwankes  zu  be- 
handeln :  Weil  nämlich  die  Männer  keine  Vernunft  annehmen, 
izwingen  die  Frauen  in  Athen  wie  in  Sparta  ihre  Gatten  durch 
Vorenthaltung  der  ehelichen  Rechte  zum  Frieden. 

Gegen  einen  einzelnen  Parteiführer  ging  Aristophanes  nur 
in  den  „Rittern*'  vor ,  wogegen  er  Hyperbolos  dem  Eupolis 
überliess.  Die  „R  i  tter'*  ^)  errangen  an  den  Lenäen  des  Jahres  424 
(Ol.  88,  4)  den  ersten  Preis,  ein  Resultat,  wozu  politische  Gründe 
nicht  unerheblich  mitgewirkt  haben  dürften.  Die  Pointe  des 
Stückes  kann  man  kurz  in  das  Sprichwort  „Auf  einen  Schelm 
anderthalb"  zusammenfassen;  ausgehend  von  der  populären 
Personifikation  des  Demos  (S.  41H),  schilderte  der  Komiker 
das  athenische  Volk  als  einen  allen  Schmeicheleien  zugäng- 
lichen Alten,  der  die  Volksführer  zu  Sklaven  hat.  In  seinem 
frechen  Günstling  aus  Paphlagonien  erkennt  jeder  sofort  Kleon, 
wie  in  dessen  zwei  zurückgesetzten  zaghaften  Genossen  Nikias 
und  Demosthenes ,  welche  Aristophanes  nach  dem  S.  417  ge- 
sagten natürlich  auch  in  der  Buchausgabe  nicht  mit  Namen 
nennen  durfte.  Jener  Paphlagonier  wird  nun  von  dem  Wurst- 
händler Agorakritos ,  einer  echten  athenischen  Marktpflanze, 
an  Unverschämtheit  und  plumper  Schmeichelei  überboten  und 
gestürzt.  Doch  auf  diese  ausseiest  komischen  Scenen  lässt  Ari- 
stophanes einen  wenig  passenden  doktrinären  Schluss  folgen: 
Der  Demos  erscheint,  von  Agorakritos,  der  sich  aus  einem  Ga- 
min  unversehens  in  einen  Volksbeglücker  verwandelt  hat,  neu 
verjüngt. 

Die  inneren  Schäden  des  attischen  Staates  berührte  Aristo- 
phanes in  zahlreichen  weniger  persönlich  zugespitzten  Stücken. 
Die  älteste  erhaltene  derselben  fasst  eine  Schattenseite  des 
athenischen  Charakters   humoristisch   auf:    Die   „Wespen**, 


1)  Ullrich  quaestt.  Arist.  I.  Uambarg  1832,  1839;  K.  Fr.  Hermann 
progymnasmata  in  Aristophanis  Equites,  Marburg  1835  a.  äe  Arist.  £q.  1842; 
Stanger  Ztach.  f.  österr.  Gymn.  Bd.  22  S.  409  fi.  Die  zahlreichen  Benr- 
teilungen  Kleons  müssen  wir  fortlassen. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  4g  1 

welche  an  den  Lenäen  von  422  (OL  89,  2)  den  zweiten  Preis 
bekamen  ^) ,  sollten  die  bekannte  Prozessucht  der  Athener, 
welche  obendrein  durch  die  Richterbesoldung  vom  Staate  rege 
erhalten  wurde,  und  noch  mehr  das  leichtfertige  Urteilen  der 
Geschworenen  geissein.  Ein  Sprichwort  (V.  1090)  leitete  Aristo- 
phanes  auf  die  Idee,  die  den  Chor  bildenden  Geschworenen 
von  Profession  mit  einem  Wespenstachel  auszurüsten.  Was 
aber  die  eigentliche  Handlung  anlangt,  so  ist  der  alte  Philo - 
kleon  (auch  hier  gilt  Kleon  als  die  Personifikation  aller  Fehler 
Athens)  von  einer  solchen  Richtmanie  befallen,  dass  ihn  sein 
vernünftiger  Sohn  Bdelykleon  eingesperrt  hält.  Die  Lösung 
des  Konfliktes  entlehnt  Aristophanes  ebenfalls  dem  Volkswitze 
(V.  799  fif.),  indem  nämlich  der  Alte  ein  Extratribunal  im  eigenen 
Hause  und  die  Gerichtsbarkeit  über  Tiere  und  Sklaven  erhält. 
Den  Schluss  bildet  ein  vom  dramatischen  Standpunkte  au& 
unpassender,  aber  durch  die  Geschichte  der  Komödie  gerecht- 
fertigter Komos  des  betrunken  heimwankenden  Alten  ^. 

Später,  als  das  wirkliche  Leben  immer  trüber  sich  ge- 
staltete, Hessen  sich  die  Athener  gerne  von  Aristophanes  in 
eine  heitere  Phantasiewelt  versetzen.  Im  Jahre  414  (Ol.  91,  2) 
zumal  lastete  auf  den  Teilnehmern  der  grossen  Dionysien  trots^ 
alles  Leichtsinns  ein  schwerer  Druck;  noch  empfand  man  die 
Nachwirkung  des  blutigen  demoralisierenden  Hermokopiden- 
prozesses*)  und  schon  kamen  schlimme  Nachrichten  aus  Syrakus, 
während  Alkibiades  in  Hellas  alle  Feinde  zum  energischen 
Angriff  aufstachelte;  da  war  es  wohl  glaubUch,  dass,  weil  man 
alles  elc  xöpaxac  wünschte*),  zwei  unternehmungslustige  Athener 
ihrer  heillos  verrotteten  Heimat  den  Rücken  kehrend  in  das 
Reich  der  Vögel  —  ein  deutscher  Aristophanes  hätte  dafür 
etwa  das  Pfefiferland  setzen  müssen  —  auswandern.  Sie  gründen 
wirklich  mit  den  Vögeln  die  Stadt  „Wolkenkukuksheim'S  in 
deren    Scliilderung  ideale   und   possenhafte    Zöge    zusammen- 


1)  S.  466  A.  1. 

2)  StaDger  über  UmarbeitnDg  aristophan.  Komödien  8.48 ff.  scbliesst 
darans  aaf  eine  Umarbeitnng  des  Stockes,  wfthrend  P.  J.  Hoekstra  quaestt. 
de  Aristophanis  Vespis,  Leiden  1878  p.  63  ft.  besondere  Absiebten  vermatet. 

3)  J.  G.  Droysen  Rbein.  Mus.  3,  161  ff.  4,  27  ff. 

4)  Aristopbanes  wnrde  vielieicbt  anch  dnrcb  dns  berühmte  Orakel,  Athen 
werde  „ein  Adler  in  den  Wolken  sein",  angeregt. 


Digitized  by 


Google 


462  XIV.  Kapitel. 

fliessen;  die  unleidlichen  Typen  ihrer  alten  Vaterstadt  werden 
in  einigen  Karrikatüren  episodisch  vorgeführt.  Damit  das  Stück 
mit  einem  heiteren  Zuge  abschliesse,  heiratet  Peithetairos,  der 
Hauptfaiseur  des  Ganzen,  die  allegorische  Basileia.  Der  Dichter 
denkt  nicht  daran,  jene  Auswanderer  zu  persiflieren,  sonst 
würde  Zeus  am  Ende  die  ganze  geträumte  Herrlichkeit  zusammen- 
schmettern.  Nein,  der  Dichter  fordert,  wenn  es  wirklich  gut 
werden  soll ,  einen  ganz  neuen  Staat  und  ganz  neue  Götter  ^). 
In  den  „E  k  k  1  e  s  i  a  z  u  s  a  i"  (Frauen  in  der  Volksver- 
sammlung) hingegen  spricht  Aristophanes  die  radikale  Umge- 
staltung aller  Verhältnisse  den  Männern,  weil  sie  ihre  Unfähig- 
keit erwiesen,  gänzlich  ab;  war  schon  die  Frauenemancipation, 
welche  manche  Philosophen  predigten ,  in  den  Augen  der 
damaligen  Athener  ein  lächerlicher  Einfall,  um  wie  viel  mehr 
der  Gedanke  des  Komikers,  wenn  nur  die  Frauen  allein  den 
Staat  regierten,  werde  alles  gut  gehen.  Die  Frauen  setzen  es 
in  der  Volksversammlung  durch,  indem  sie  in  den  Kleidern 
ihrer  Männer  abstimmen.  Nach  der  karrikierten  Entwicklung 
grosser  kommunistischer  Projekte,  welche  wahrscheinUch  mehr 
auf  socialistische  Wühler  als  auf  wenig  bekannte  philosophische 
Theorien  gemünzt  sind  *),  verläuft  das  Stück  ins  Obscöne.  Der 
Dichter  nimmt  über  die  Missstände  des  Staates  kein  Blatt  vor 
den  Mund;  solche  politische  Ausfälle  klären,  da  eine  Didaskalie 
fehlt,  über  die  ungefähre  Zeit  der  Komödie  auf.  V.  193  geht 
nicht  auf  das  Bündnis,  welches  Athen  395  mit  Böotien  schloss, 
in  welchem  Falle  das  Stück  393  aufgeführt  wäre*),  sondern 
auf  den  sechs  Jahre  später  unter  einem  gleichnamigen  Archonten 


1)  So  fassten  schon  die  Alten  das  Stück  anf  (argnm.  II,  vgl.  I  a.  £.  a.  III), 
ähnlich  Köchly  über  die  V.  des  A.,  Pr.  d.  Univ.  Zarich  1857.  Anders 
Kock  Jahrbb.  f.  Phil.  1,  373  £f.,  Bursian  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad. 
1875  n  S.  375  ff.  n.  A.  Eine  Uebersicht  über  die  Frage  gibt  W.  Behaghel 
Geschichte  der  Auffassung  der  ar.  V.  I.  Pr.  v.  Heidelberg  1878,  II.  1879;  s. 
jetzt  auch  Paranikas  ^EXXf^v.  ^ikok,  oü^Xo^oc  IE  p.  Iff. 

2)  S.  K.  B.  V.  408 ff.  Bd.  U  S.  330  A.  4,  331  A.  1;  dazn  Paul  Stein 
de  Ar.  Ecclesiazusamm  aigumento  e  qnarto  reip.  Piatonis  libro  snmpto,  HaUe 
1880;  Stnllbanm  Plat.  repubL  proll.  p.  G — GX.  Der  erste,  welcher  das 
Stück  auf  Plato  bezog,  war  Le  Bean  M^moires  de  Tacad.   des  inscr.  XXX. 

3)  Philochoros  bei  Schol.  V.  193,  vgl.  Sam.  Petit  misoell.  I  c.  15  nnd 
Jol.  Zastra  de  Ar.  Ecclesiazusamm  fabnlae  tempore  atque  oonsilio ,  Bres- 
lau 1836. 


Digitized  by 


Google 


Dte  Dichter  der  alten  Komödie.  463 

eiug^angenen  Vertrag,  OL  97,  3  (389)^),  weil  V.  197  f.  auf 
die  Absendung  einer  von  Thrasybulos  befehligten  Flotte 
anspielen. 

Ist  schon  hier  die  immer  brennender  werdende  soziale 
Frage  angerührt,  so  ging  im  nächsten  Jahre  (388)  Aristophanes 
direkt  auf  sie  em.  Der  Gott  PI u tos,  dessen  Namen  die 
Komödie  trägt  *),  wird  von  einem  ehrlichen  Bürger  im  Tempel 
des  Asklepios  sehend  gemacht,  so  dass  er  von  nun  an  zwischen 
Gerechten  und  Ungerechten  unterscheiden  kann.  Die  komische 
Ader  des  gealterten  Dichters  sprudelt  nicht  mehr  recht  frisch 
und  verwegen,  und  die  einstige  Flut  von  politischen  Ausfällen 
und  Obscönitäten  ist  versiegt.  Aristophanes  hatte  den  Grund- 
gedanken des  Dramas  schon  früher  (Ol.  92,  4)  in  emer  gleich- 
namigen Komödie  dargelegt'). 

Der  politischsocialen  Gattung  dürfte  die  Mehrzahl  der  ver- 
lorenen Ko.Tiödien  zuzurechnen  sein.  Das  Amphiaraosorakel 
(von  Philouides  gleichzeitig  mit  den  „Vögeln"  in  Scene  gesetzt), 
die  Bauern  und  die  Kauffahrteischiflfe  (unverkennbar  zwei  den 
Frieden  empfehlende  Dichtungen)*),  ferner  das  Erstlingswerk: 
der  Opferverein  (AattaXiJc),  dann  die  (epoymen)  Heroen,  das 
Alter  ^),  die  zweiten  Thesmophoriazusen,  welche  mit  den  erhaltenen 
bloss  den  Titel  gemeinsam  hatten*),  die  Inseln,  die  Störche, 
die  Plätze   mit  Beschlag   belegenden    Frauen^),   die   Pfannen- 


1)  Tschorzewski  opnscula  postama  ed.  J.  Th.  Stnive,  Kasan  1856 
p.  116 ff.;  G.  Götz  Acta  soc.  philol.  Lips.  n  p.  335 ff.,  anders  A.  v.  Velsen 
Phüol.  Anzeiger  6,  392  ff. 

2)  Fr.  Ritter  de  Ar.  PI.,  Bonn  1828;  G.  Lindgren  Ar.  comoedia 
qaae  nXo&to<  inscr.,  Upsala  1884;  H.  J.  Heldermann  qnaestt.  in  Ar. 
Platnm,  Utrecht  1861.  Nach  Argnm.  Ran.  IV  wollte  Aristophanes  dem  da- 
maligen Archon  ein  Kompliment  machen. 

3)  Fr.  Ritter  Jahrbb.  11,  303 ff.;  K.  Fr.  Hermann  gesammelte  Ab- 
handlungen S.  39  ff.;  Sam.  Petitns  misceUanea  I  c.  16  hält  den  heutigen 
Plutos  f&r  eine  Kontamination. 

4)  Fr.  109  K.;  Argum.  Pac.  Ueber  erstece  Ullrich  quaestt.  Aristo- 
phanear.  spec.  I.,  Hamburg  1832  p.  30  ff.  A.  44. 

5)  Süvern  über  Ar.'  ]>rama  benannt  das  Alter,  Berlin  1827.  Es  ist 
nach  dem  Archontat  des  Enkleides  gedichtet,  weil  f^.  146  die  Auslosung  der 
Richter  vorkommt. 

6)  Demetrios  von  Troizen  schlug  daher  den  Titel  6eap.o^optdioaoai  vor 
(Athen.  1,  29a);  vgl.  Fritzsche  de  Th.  Ar.  posterioribus,  Lpg.  1831. 

7)  Kock  I  S.  512;  Schol.  Thesm.  657. 


Digitized  by 


Google 


464  XIV.  Kapitel. 

brüder  (TaYTfjvtatat),  die  Wahrsager  von  Telemessos  (TsXsjtTjao'^c:) 
und  die  Hören.  Nach  ötdichteten  Personen  waren  Gerytades  *) 
und  Triphales  benannt;  Anagyros  hatte  von  dem  Schutzhoros 
eines  attischen  Gaues  seinen  Namen. 

Zu  einer  andern  Kategorie  leiten  die  „Wolken''  ^)  über, 
welche  auf  dasselbe  Ziel  wie  das  kurz  nachher  aufgeführte 
Stück  des  Eupolis  „die  Schmeichler"  gerichtet  sind;  falls  die 
zwei  Dichter  sich  vorher  sozusagen  über  die  Arbeitsteilung  ver- 
ständigten, fiel  Aristophanes  entschieden  der  ungünstigere  Teil 
zu  oder  es  gelang  ihm  nicht,  den  StoflF  von  der  richtigen  Seite 
aufzufassen.  Denn  obgleich  der  Sokrates  von  422  den  Sophisten 
ohne  Zweifel  viel  näher  stand  als  der  greise  Philosoph ,  den 
man  in  den  Schriften  Piatos  und  Xenophons  bewundert,  konnte 
er  doch  keinesfalls  als  Vertreter  der  sittenverderbenden  Auf- 
klärer gefasst  werden,  wie  dies  Aristophanes  that^).  Statt  die 
aufifalle^iden  Manieren  des  Philosophen  in  das  Lächerliche  zn 
ziehen,  stellte  Aristophanes  einen  verworfenen  und  verächtlichen 
Menschen  dar.  Die  Plebejer  fanden  dies  recht  und  schön  und 
wurden  in  ihrem  Argwohn  gegen  den  unheimlich  scharfsinnigen 
Mann  bestärkt^).     Dennoch    war   das  Stück  im   einzelnen  nur 


1)  Kock  I  427  zählt  sie  den  Literatnrkomödien  zn. 

2)  Wieland  Attisches  Mnseum  III  57 ff.;  Süvern  über  die  W.  des 
A.,  Berlin  1827;  Reisig  Rhein.  Mns.  1828  S.  191  ff.  455  f.;  Rötscher 
Ar.  S.  268—360;  Ranke  de  Nub.  Ar.,  Berlin  1844;  Ang.  0 1 1  o  de  Ar.  Nub. 
consilio,  Pr.  r.  Neisse  1844;  Edelestand  du  M^ril  mölanges  archeol.  et  litt., 
Paris  1850  chap.  4;  A.  Böhringer  Ober  die  W.  des  A.,  Pr.  v.  Carlsnihe 
1863;  Fr.  Ritter  Philol.  34,  447  ff.;  M.  Oddenino  le  Nabi  ossia  Aristo- 
fane  e  Socrate,  Turin  1882;  G.  Perez  le  nnvole  di  A.  nel  secolo  XIX., 
Palermo  1883;  W.  H.  Thompson  Journal  of  philology  12,  169 ff;  Ch.  A. 
Petersen  A.  u.  die  Philosophen  seiner  Zeit,  Monatsschr.  f.  Wl<«sen8chaft 
u.  Lit.  1852  S.  1007  ff. 

3)  Vesp.  1037  ff.  vgl.  Argum.  Ran.  IV.  Schol.  Nub.  96.  Vgl.  Jac.  Anne 
Orot  he  de  Socrate  Aristophanis,  Utrecht  1843;  Joh.  Zorn  A.  in  seinem 
Verb,  zu  S.,  Pr.  v.  Bayreuth  1845;  M.  Landsberg  Philol.  8,  94 ff.;  Ed. 
Goguel  A.  et  S.,  Paris  1859;  C.  van  Heus  de  Verslagen  en  Mededeelingen 
d.  k.  Akad.  van  Wetensch.,  Letterk.  IV  (1859)  p,  310 ff.;  Ch.  H.  Bertram 
der  S.  des  Xenopbon  u.  der  des  A.,  Pr.  v.  Magdeburg  1865 ;  Ang.  Geh  ring 
über  den  S.  in  des  A.  W.,  Pr.  v.  Gera  1873;  Fr.  Gerlach  A.  u.  S.,  Basel 
1876;  Odd.  Michele  Rivista  di  filologia  10,  465  ff. 

4)  Plat.  apolog.  p.  18  b.  Die  späteren  Sokratiker  schoben  ihm  allerlei 
Motive  unter  (Schol.  V.  629  (627).  Argum.  I.  H.  Vin.  IX.  X.  Aelian.  var. 
bist.  2,  13.  Eunap.  vit.  soph.  p.  21  f.). 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  465 

für  die  Gebildeten  geniessbar,  da  diese  aber  Sokrates  besser 
kannten,  machte  es  Aristophanes  keinem  recht.  Der  Chorder 
Wolken  vollends,  an  sich  kein  üblicher,  hatte  einen  zu  ernst- 
haften nicht  einmal  durch  eine  komische  Maske  beeinträchtig- 
ten Charakter*).  So  fiel  das  Stück  Verdientermassen  durch*). 
Voll  Entrüstung  über  die  Geschmacklosigkeit  des  Publikums, 
da  er  selbst  seine  Kenntnisse  von  der  Philosophie  bewundernd 
das  beste  geleistet  zu  haben  glaubte^),  übergab  Aristophanes 
das  Stück  dem  Buchhandel,  ging  aber  sofort^)  an  eine  Umge- 
staltung desselben ,  damit  er  dadurch  das  Kecht  erhielte ,  das 
Urteil  der  Athener  zum  zweiten  Male  herauszufordern.  Warum 
er  diesen  Vorsatz  nicht  ausführte*),  wissen  wir  nicht;  nur 
glaube  man  nicht,  er  habe  etwa  sein  Urteil  über  Sokrates 
berichtigt,  denn  er  führte  nicht  bloss  in  den  „Fröschen" 
(V.  491  ff),  einen  Hieb  auf  den  Philosophen ,  sondern  machte 
auch  die  Umarbeitung  bekannt.  Die  Alten  besassen  also  zwei 
„Wolken" ,  über  deren  Unterschiede  ein  Kommentator  interes- 
sante Mitteilungen  macht  ^.    Danach  sind  in  der  uns  erhaltenen 


1)  Man  versteht  den  Witz  V.  344  falsch,  wenn  man  meint,  die  Wolken 
hätten  lange  Nasen  gehabt. 

2)  Arg.  Nah.  n.  X.  fabeln,  dass  Alkibiades  die  Schnld  daran  getragen 
habe. 

3)  Nnb.  520  flf.  Vesp.  1043  £f. 

4)  Nach  421  wäre  der  iK>litische  Eingang  schwerlich  stehen   geblieben. 

5)  Eratosthenes  in  den  Schollen  zu  V.  552  (vgl.  549)  n.  Arg.  VI;  da- 
gegen kann  die  Angabe  von  Arg.  V.,  dass  er  Ol.  89,  2  (422)  znm  zweiten 
Mal  durchfiel,  nicht  aufkommen,  sie  bemht  aof  Schol.  549.  552  (auch  592). 
vielleicht  erkl&ren  der  Erfolg  von  Eupolis'  „Schmeichlern"  und  zugleich  der 
Plagiatstreit  Aristophanes'  Benehmen. 

6)  Argnm.  VI,  vgl.  Schol.  V.  520.  543.  Allerdings  kannte  Kallimachos 
(Eratosth.  a.  O.)  nur  ein  Stück,  ebenso  fehlen  ausdrückliche  Citate,  denn 
sowohl  NefiXaic  asoripaic  Athen.  7,  299b.  8,  345  f.  Lex.  rhet.  fiekk.  An.  85, 
28  als  npoxipaic  N.  Athen.  4,  171  c,  N.  d  SchoL  Plat.  p.  465  beziehen  sich 
auf  das  erhaltene  Drama.  Vgl.  W.  Esser  de  prima  et  altera  quae  fertnr 
Nubium  Ar.  editione,  Bonn  1821;  K.  Fr.  Hermann  de  Ar.  £ftb.  quae  N- 
inscr.,  ind.  1.  Marbnrg  1833  =  Jahns  Archiv  1833  S.  412 fi.;  Fritzsche 
quaestiones  Aristoph.,  Lpg.  1835  p.  111  ff.  u.  de  fabulis  ab  Ar.  retractatis 
spec.  I.,  Rostock  1849;  Teuffei  Philol.  7,  325 ff.  Rhein.  Mus.  10,  214fi.  n. 
in  der  latein.  Ausgabe;  Enger  Rhein.  Mus.  11,  536 ff.;  C.  Göttling  Ber. 
der  Sachs.  Ges.  der  Wiss.  8  (1856)  S.  15  ff.  =  gesammelte  Abh.  2,  175  ff. ; 
H.  Köchly  akadem.  Vorträge  I  (1859)  S.  414 ff;  Bücheier  Jahrbb.  f. 
Phil.  83,  657 ff.;  Kock  quaestt.  Aristoph.  p.  61  ff.;  Fr.  Ritter  Phüol.  34, 
8  i  1 1 1 ,  Oeecfaiohte  der  griechischen  Liteiatnr.  m.  30 


Digitized  by 


Google 


466  XrV.  Kapitel. 

zweiten  ßearbeituug  neu  eingefügt  der  grosse  Prinzipienstreit 
der  personificierten  gerechten  und  ungerechten  Rede,  das  Ende 
des  Ganzen  und  die  gereizte  Parabase,  ausserdem  waren  sicher- 
lich im  Detail  gleichfalls  viele  Aenderungen  vorgenommen.  Ari- 
stophanes  hat  die  Umarbeitung  nicht  völlig  zu  Ende  geführt, 
was  mancherlei  Widersprüche  und  Sprünge  der  Handlung  ent- 
schuldigen muss  *). 

Mit  den  Sophisten  stand  Euripides,  in  religiöser  und 
musikalischer  Beziehung  fortgeschritten,  in  dem  gewöhnlichen 
Urteil  so  ziemlich  auf  einer  Stufe ,  was  ihn  den  Komikern 
als  ein  gleich  geeignetes  Ziel  für  Angriffe  erscheinen  liess. 
Die  Art  und  Weise  jedoch,  wie  ihn  Aristophanes  ,  der 
doch  selbst  von  ihm  zu  lernen,  nicht  verschmäht •),  unermüd- 
lich bis  über  das  Grab  hinaus  verfolgte*),  gestattet  keine  an- 
dere hinreichende  Erklärung  als  einen  persönlichen  Hass.  Ab- 
gesehen davon,  dass  er  nie  eine  Gelegenheit,  ihn  lächerlich  zu 
machen  vorbeigehen  liess,  trug  Euripides  die  Kosten  mehrerer 
besonderer  Stücke,  von  denen  „Die  Dramen  oder  der  „Kentaur*'  *) 
und  der  Ol.  89,  2  von  Philonides  aufgeführte  „Proagon*^  (S.  456) 
verloren  sind.  Aber  „Thesmophoriazusen"  und  die  „Frösche" 
haben  die  bittere  Feindschaft  hinlänglich  verewigt. 

Die  „Thesmop  horiazusen  *) ,  d.  h.  „die  Frauen  am 
Thesmophorienfest"  fallen  sicherlich  in  den  Januar  des  Jahres  411 
(Ol.  92,  1),  als  die  Vorbereitungen  zum  Staatsstreich  .schon  be- 


447  flf.;  Paul  Weyland  de  N.  Ar.,  Greiiswald  1871 ;  G.  Sauerwein  osten- 
ditur  qui  loci  in  superstite  Nub.  com.  e  priore  earnndem  N.  recensione  qnae 
in  Att.  theatro  commissa  erat  adhuc  servati  sunt,  Rostock  1872;  Fr.  Witten 
de  Nabium  fab.  ab  A.  retractata,  Pr.  v.  Erfurt  1877. 

1)  Schol.  581  ex  xäv  icputtcov  hk  N.  toxi  xaöta,  vgl.  592. 

2)  Kratinos  nannte  ihn  E6piici8apioto^avi(tt>v  (fr.  307),  worauf  er  fr.  471 
zugestand:  x?*^V^^^  T^P  ahzob  xob  ot6|iaTO{  x^  oxpv('(6\if, 

8)  Tb.  Kumpel  de  A.  poeta  Euripidis  adversario,  Halle  1839;  C.  C. 
Hense  de  Euripidis  persona  ap.  A.,  Pr.  v.  Halberstadt  1845;  F.  Blanchet 
de  A.  Euripidis  ceusore,  th6se  von  Paris,  Strassburg  1856;  R.  H.  Rudioff 
de  A.  Euripidis  irrisore,  Diss.  v.  Berlin  1865. 

4)  Ueber  den  Titel  s.  Rud.  Scholl  Hermes  4,  167;  vgl.  Schol.  Acharn. 
61  cod.  Ven. 

5)  J.  Zastra  über  den  Zweck  von  Ar.  Tb.,  Breslau  1841;  6.  Haag 
Ar.  in  Thesm.,  Pr.  v.  Stettin  1884;  s.  S.  463  A.  6.  —  Marzsen  über  das 
Verb,  des  plat.  Symposiums  zu  den  Th.  des  A.,  Pr.  v.  Rendsburg  1853. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  4g7 

gönnen  hatten^).  Da  die  Frauen  Athens  an  Euripides  für 
seinen  allbekannten  Weiberhass  Rache  zu  nehmen  gedenken, 
sucht  er  einen,  der  sich  in  Frauenkleidung  unter  sie  wagt,  um 
ihn  zu  verteidigen.  Als  der  weibische  Agathon  ablehnt,  be- 
redet der  Dichter  einen  Verwandten  seiner  Frau  •)  dazu;  dieser 
wird  entdekt  und  von  Amtswegeu  in  den  Bock  gespannt,  zu- 
letzt jedoch  von  Euripides ,  nachdem  dieser  mit  den  Frauen 
einen  Friedensvertrag  geschlossen,  befreit.  Vom  Standpunkte 
der  dramatischen  Oekonomie  gehört  das  Stück  zu  den  gelungen- 
sten aristophanischen  Komödien;  nur  muss  der  denkende  Be- 
trachter sich  darüber  wundern,  dass  der  Komiker  die  Sitten- 
losigkeit  und  Trunksucht  der  Weiber  höchst  drastisch  schildert, 
während  an  Euripides  selbst  nicht  viel  komisches  ist;  allein 
für  konsequente  Moralisten  dichtete  Aristophanes  nicht  1 

Mit  den  bald  nach  Euripides'  Tod,  im  Januar  405  (Ol  .93,3) 
aufgeführten  „Frösche n**')  begab  sich  Aristophanes  auf  ein 
fast  ausschliesslich  literarisches  Gebiet;  denn,  von  mehreren 
possenhaften  Episoden  und  der  politischen  Parabase  abgesehen, 
erörtert  das  Lustspiel  die  Frage ,  ob  die  zeitgenössische  Tra- 
gödie Aeschylus  oder  Euripides  zum  Muster  nehmen  solle. 
Dionysos  steigt  wegen  des  traurigen  Zustandes  seiner  tragischen 
Bülme  selbst  in  die  Unterwelt  hinab,  um  den  wahren  Tragiker 
wieder  heraufzuholen ;  im  Wettkampfe  siegt  Aeschylus  glänzend. 
Der  strenge  Theoretiker  findet  an  dieser  Komödie  viel  zu  tadeln. 

1)  Nach  y.  1060  ist  die  Komödie  ein  Jabr  nach  der  „Andromeda**  des 
Euripides  anfgef&hrt,  womit  Schol.  V.  841  übereinstimmt.  V.  804  bezieht 
sich  auf  das  Seegefecht  von  Syme.  S.  auch  V.  814,  1168  f.  1143  ff.  Vgl. 
W.  C.  L.  Ciarisse  ad  Thncydideam  belli  Pelop.  epocham  annotatio,  Leiden 
1838  p.  129 ff.;  6.  Chr.  Jeep  qno  anno  et  diebns  festis  Ar.  Th.  doctae 
fiint,  Pr.  V.  £atin  1859. 

2)  Aristophanes  nennt  ihn  xf^Storf^c  Tic  In  den  Personenangaben  der 
Handschriften  heisst  er  ohne  Grund  Mnesilochos. 

3)  Aug.  W.  Bohtz  de  Ar.  Ranis,  Gotha  1828;  Ed.  Meier  de  Ar.  K., 
ind.  schol.  Halle  1836/7. 1851.  1852  =  opuscula  I  p.  1—73;  Fr.  W.  Wagner 
quaestt.  de  R.  A.  spec.  I.  Breslau  1837.  '1846;  Heinr.  J.  Seemann  de 
Ranar.  fab.  Aristophaneae  consilio,  Pr.  v.  Neisse  1846;  Pr.  H.  Ken  nicke 
de  Ran.  Aristophaneae  fab.  indole  atque  proposito,  Pr.  v.  C5slin  1855;  J. 
Radeok  de  R.  A.  fab.,  Pr.  von  Lüneburg  1871;  Wecklein  Studien  zu  Ar.' 
Fr.,  Pr.  V.  München  1872  u.  Philol.  36,  221  ff.;  Alex.  Drescher  quaestt. 
de  Aj.  R.  I.  Mainz  1879.  —  Ueber  den  Chor:  Rossiguol  Revue  archeol. 
X  (1854)  p.  445  ff. 

30* 


Digitized  by 


Google 


468  ^^*  Kapitel. 

An  dem  Kerne  der  Handlung  selbst  ist  zwar  höchstens  dies 
auszusetzen ,  dass  auf  Aeschylus  ebenfalls  allerlei  lächerliche 
Streiflichter  fallen,  aber  weder  der  Chor  der  Frösche,  nachwel' 
eben  Aristophanes  trotz  ihrer  Nebensächlichkeit  der  Menge  zu 
Liebe  die  Komödie  benannte,  noch  der  der  seligen  Mystea 
stehen  mit  jener  in  Zusammenhang,  ebensowenig  die  komische 
Einleitung,  wo  Dionysos  von  Herakles  dessen  Ausrüstung  borgt. 
Ueberdies  stammen  die  Frösche  von  Magnes,  der  falsche  Herak- 
les  von  Pherekrates  und  derselbe  Dichter  führte  bereits  auch 
Aeschylus  in  der  Unterwelt  vor  ^).  Damit  soll  keineswegs  ge- 
sagt sein,  das  Stück  sei  in  dieser  Gestalt  des  Aristophanes  un- 
würdig, mithin  überarbeitet').  Wir  begreifen  vollkommen,  wie 
das  Volk,  im  Inneren  vor  einem  Staatsstreich,  nach  aussen  von 
Lysander  ängstlich  zitternd ,  dem  Dichter  gerne  in  das  bunte 
Reich  der  Fastnachtsphantasie  folgte  und  für  das  Sprühfeuer 
seiner  Witze,  wie  für  die  versöhnlichen  Worte  V.  1431  fif.  so  dank- 
bar war,  dass  es  zu  dem  ersten  Preise  den  ehrenvollen  Beschluss,, 
die  Frösche  nochmals  wie  ein  neues  Stück  darstellen  zu  lassen, 
fügte  ^.  Eine  durchschlagende  Wirkung  muss  der  Refrain 
Xyjx&^iov  iiccoXeoev  erzielt  haben,  denn  ;,das  Fläschchen^'  wurde 
von  nun  an  die  stehende  Bezeichnung  des  tragischen  Verses  *). 

Aristophanes  parodierte  ausserdem  drei  euripideische  Tra- 
gödien, nämlich  Aiolos  in  dem  zweimal  von  ihm  bearbeiteten 
Aiolosikon,  Polyidos  und  Phoinissai ;  sämtliche  sind  verloren 
gegangen.  Jenes  wiederfuhr  auch  den  „Lemnierinen**  des  So- 
phokles.     Die     Gattung    der  mythologischen   Posse    scheinen 


1)  Scholz  Pac.  749  in  den  KpaicdtaXXoc. 

2)  Bo  meinten  Welcker  ftschyleische  Trilogie  S.  426,  Bernhardy- 
gr.  LG.  n  664.  944,  £.  v.  Lentach  Philol.  Sappl.  1,  124 ff.,  Stanger 
über  die  Umarbeitnng  einiger  arist.  Rom.  S.  5 ff.,  Em.  Schinck  in  der 
Gratul.  des  phil.  Sem.  an  Bemhardy,  Halle  1872,  Zielinski  Gliedern ug 
der  altatt.  Komödie  S.  149  iL ;  Schol.  Fiat.  p.  330  B  ist  ein  Oedächtnisfehler. 
V.  1430  ff.  erkannten  schon  Apollonios  nnd  Aristarch  als  Interpolation. 

3)  Dikaiarchos  im  Ai^m.  in.  (Eine  ähnliche  Ehre  widerfuhr  dem  „Eu* 
Dnchus'*  des  Terenz).  Er  soll  ausserdem  för  die  Parabase  einen  Zweig  des 
heiligen  Oelbanms  erhalten  haben  (Vita  46  ff.). 

4)  Schon  Kallimachos  (ßr.  98  c  bei  Schol.  Hephaest.  A  6,  3  p.  156)  sagte 
TpaY<})i^  |ioöoa  XY)xad-lCoooa ;  iio(i.ico).-r|xo^oi  Schol.  a.  O.  p.  157;  ampnllari 
Horat.  ep.  1,  3,  14,  ampnlla  a.  p.  97.  Rad.  Hanow  de  Aristophanis  am- 
pnlla  versäum  corruptrice,  Pr.  v.  Znllichau  1844;  Wecklein  a.  O.  S.  26fL 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  469 

höchstens  drei  Stücke,  nämlich  Daidalos,  die  Dauaiden  und  Ko- 
kalos *),  zu  vertreten. 

Da  wir,  was  sonst  von  dem  einen  Aristophanes  gesagt  zu 
werden  pflegt, ')  grösstenteils  in  die  allgemeine  Schilderung  des 
alten  Lustspiels  eingeflochten  haben,  werden  wir  uns  zur  rich- 
tigen Beurteilung  seiner  Individualität  mit  dem  Urteil  der 
Alten^  welche  zwischen  ihm  und  seinen  dichterischen  Genossen 
einen  Vergleich  anstellen  konnten ,  zufrieden  geben.  Sie 
nennen  ihn  den  genialsten  und  schwungvollsten  unter  Allen 
und  setzen  nur  die  Mattigkeit  der  Ohorlieder  aus  •).  Aristophanes 
xühmt  sich,  wie  er  überhaupt  sein  Licht  nicht  unter  den  ScheflFel  zu 
stellen  pflegt,  selbst  seines  Ideenreichtums  und  der  Neuheit  seiner 
EinftlUe*);  im  allgemeinen,  wiewohl  er  weder  von  Wiederholungen 
noch  von  Entlehnungen  ganz  frei  ist,  war  dieses  Selbstbewusst- 
«ein  gerechtfertigt  *).  Aristophanes'  Witz  fand  allgemeinen  Bei- 
fall, weil  er  weder  die  Derbheit  des  Kratinos  noch  die  Spitzig- 
keit des  Eupohs  besass^).  Wenn  der  Komiker  bei  Laune  ist, 
sprudelt  er  von  Uebermut,  ohne  an  die  Sittenrichter  sich  zu 
kehren ;  Hegel  sagt  treffend  ^) :  „Ohne  ihn  gelesen  zu  haben, 
lässt  sich  kaum  wissen,  wie  dem  Menschen  sauwohl  sein  kann*'. 
In  beiderlei  Hinsicht  könnte  nur  Rabelais  den  Wettkampf  mit 
dem  griechischen  Dichter  aufnehmen.  Unter  der  ungeheueren 
Menge  von  Witzen  befinden  sich  natürlich  auch  viele  schale 
und  noch  mehr  solche ,  deren  Absichtlichkeit  in  die  Augen 
fällt.  Soviel  die  Lückenhaftigkeit  der  Ueberlieferung  zu  urteilen 
verstattet,  scheint  es,  dass  er  zwar  das  Lustspiel  in  keinem 
funkte  theoretisch  und  schöpferisch  vervollkommnete,  dagegen 

1)  Vgl.  E.  Knhnert  Jahrbb.  Snppl.  15,  197  f. 

2)  Jacobs  Nachträge  za  Salzer  7,  113 ff.  =  vermischte  Schriften,  Lpg. 
1829  m  S.  322 ff.;  Tbeod.  Rötscher  de  Ar.  ingenü  prinoipio,  Berlin  1825 
ti.  indicia  vetemm  et  recentiorum  de  A.  poeta  brevit^  in  conspectn  posita, 
Pr.  T.  Bromberg  1841;  Ed.  Müller  Theorie  der  Kunst  bei  den  Alten  I 
(Breslau  1834)  S.  134 ff.;  Jnl.  Richter  zur  Würdigung  der  arist.  Komödie, 
Pr.  y.  Berlin  1845;  Deschanel  etudes  sur  Ar.,  Paris  1867. 

3)  Anon.  m  12  (JLaxpoXoYtotatoc  'A6nQvaui>v  xal  t&^ot^  ffdtvtac  6ic»paipa»y 

....  TOlc    hi    (JL^XtSl   XtlCT^ttpOC. 

4)  Nub.  546  ff.  Pac.  749  ff. 

5)  Th.  Kock  Rhein.  Mus.  39,  120  ff. 

6)  Piaton.  n  3;  Tgl.  V.  5. 

7)  Aesthetik  m  S.  560. 


Digitized  by 


Google 


470  XIV.  Kapitel. 

das  Ueberkommene  mit  unvergleichlichem  Esprit  behandelte^ 
So  sehr  Plato  jeden  Komödianten  verachtete ,  als  genialsten 
Vertreter  der  Gattung  rausste  er  Aristophanes  nennen*). 

Als  jedoch  Menander  und  dessen  Genossen  das  bürger«' 
liehe  Lustspiel  mustergiltig  und  regelrecht  ausgebildet  hatten, 
verlor  man  allen  G^chmack  an  den  scharfgewürzten  Possen, 
zu  deren  vollem  Verständnis,  weil  sie  fortwährend  auf  Interessen 
des  Tages  anspielten,  ein  Grammatiker  notwendig  war*);  ver- 
geblich  hat  man  die  erste  Scene  der  Frösche  auf  einem  Vasen- 
bilde nachzuweisen  gesucht ').  Aristophanes  verblieb  thatsächlich 
drei  Jahrhunderte  lang  den  Gelehrten ,  f(ir  die  er  eine  Haupt- 
quelle  der  attischen  Sprache  und  Realien. abgab*).  Aristo- 
phanes von  Byzanz  besorgte  eine  Ausgabe ,  doch  die  er- 
haltenen je  zehn  Trimeter  umfassenden  Inhaltsangaben,  welche 
praktische  das  Memorieren  erleichternde  Einrichtung  allerdings 
alte  römische  Grammatiker  bei  den  Komikern  anwendeten, 
enthalten  keine  Spur  gelehrter  Gründlichkeit;  sein  Schüler 
Kallistratos  folgte  ihm  aueh  auf  dieses  Gebiet  Gleichzeitig 
wandte  Aristarchos  dem  Komiker  seine  Aufmerksamkeit  in 
Bezug  auf  den  Text  und  die  Erklärung  zu  ^) ;  aus  seiner  Schule 
gingen  Kommentare  von  Chairis,  Euphronios,  vielleicht  aucjj 
die  des  ApoUonios  und  Demetrios  Ixion  hervor*).    Die  Perga- 


1)  Seine  angebliche  Bewunderung  des  Aristophanes  (V.  Arist.  54  ff.  Vit 
Fiat.  98  ff.  Thom.  M.  5)  ist  ans  dem  „Symposion"  hergeleitet.  Auch  Ari- 
stoteles  nennt  Aristophanes  poet.  3  p.  1448  a  28  als  Klassiker  der  Komödie, 
Benützung  bei  Dichtem  des  vierten  Jahrhunderts:  E.  t.  Leutsch  PhiloU 
Suppl.  I  121  A.  266.  —  Ueber  Aristophanes'  Ansehen:  Schetti  Rivisto  di 
filol.  10,  182  ff. 

2)  Plutarch.  symp.  7,  8,  3. 

3)  Welcker  alte  Denkmäler  m  498 ff.  Archäol.  Ztg.  1849  T.  UI  I 
(Baumeisters  Denkm.  S.  821  Abb.  904);  hier  tritt  ja  der  wirkliche  Heraklee  auf, 

4)  Ferd.  Stöcke/  de  Sophodis  et  Ar.  interpretibus  Graecis,  Pr.  v, 
Hamm  1826;  O.  Schneider  de  Teterum  in  Aristophanem  scholiomm  fonti- 
bus,  Diis.  T.  Berlin,  Stralsund  1888.  üeber  die  Athetesen  Gust.  Ehrhardt 
de  Ar.  fabnlamm  interpolatione,  HaUe  1881  p.  8  ff. ;  Bemerkungen  über  die 
Homonymen  :  E.  Maass  de  biographis  Graeds  p.\}dOf.  139-41 ;  P.  Stengel 
ad  res  sacras  oognoscendas  cujusnam  momenti  slnt  scholia  Aristophanea, 
Symbolae  loacbimicae,  Berlin  1880. 

5)  Osk.  Gerhard  de  Aristarcho  Aristophanis  interprete,  Dias.  v. 
Bonn  1860. 

6)  Chairis:  Schol.  Arist.  Ban.  1056  (1060);  Euphronios:  Aug  Blau  de 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  471 

mener  stellten  erst  viel  später  in  Herodikos  und  Asklepiades 
von  Myrlea,  vielleicht  auch  dem  Rhodier  Timachidas  Kommen- 
tatoren ^). 

Mit  der  atticistischen  Renaissance  änderte  sich  dieses  Ver- 
hältnis vollständig.  Weil  jeder,  der  gebildet  heissen  will,  jetzt 
aus  den  alten  Komikern  attische  Phrasen  memorieren  muss 
(S.  390)*),  kommt  Aristophanes  in  die  Mode.  Er  heisst  graziös  % 
und  Komiker  %az  Hox^t^  *)  und  empfängt  die  übliche  Huldigung 
der  Epigrammatiker.  Der  Verfertiger  der  Doppelherme  von 
Tusculum  ^)  gönnt  nur  ihm ,  nicht  auch  Menander  die  Sieger- 
binde. Obgleich  die  strengen  Philosophen,  wie  Plutarch  in  der 
Sö-ptpiot«:  'AptatoyAvotK;  xal  MevAvSpoo,  wovon  leider  nur  ein 
Excerpt  vorliegt,  energisch,  ja  gereizt  gegen  eine  solche  Wert- 
schätzung des  sittlich  austössigen  Dichters  Protest  erheben, 
können  sie  doch  nicht  verhindern,  dass  alle  sorgfältigen  Stilisten, 
die  Kirchenväter  nicht  ausgenommen*),  Aristophanes  attische 
Sprachfeinheiten  abzulauschen  sich  bemühen,  zu  welchem  Zwecke 
der  gelehrte  Galenos  fünf  Bücher  lexikaHschen  Inhalts  schrieb ; 
am  Üebsten  las  man  die  „Wolken* •  wegen  ihres  Inhalts  ^).  Der 
gelehrteste  Kommentar  dieser  Periode  rührt  wieder  von  Didy- 


AriBtarchi  discipnlis,  Jena  1883  S.  67fL;  Apollonios:  Blau  p.  50  ff.  (Eigen- 
tümlich sagt  Schol.  Av.  1242  iv  xol^  ticiYtYpa(L(Livoic  ^AicoXXoivtou ;  nach 
Wilamowitz  Kydathen  S.  154  f.  A.  72  ist  er  der  Sohn  des  Chairis  Schol. 
Yesp.  1239,  aber  die  dortige  Stelle  hat  der  Scholiast  ans  Artemidoros  ge- 
schöpft); Demetrios  Ixion:  Stftsche  de  Demetrii  Ixionis  grammat.  scriptis, 
HaUe  1883  p.  25 ff.  52 ff.;  Dionysios:  Hesych.  n.  'loxpiava. 

1)  Herodikos:  Schol.  Ran.  1055  (1060);  Asklepiades:  Schollen  n.  He^ych. 
n.  KoXaxocpcupoxXfii^^ ;  Timachidas  wiederholt  in  den  Schollen  der  Frösche 
genannt. 

2)  Dazn  dient  Aristophanes  Achill.  Tat.  8,  9. 

3)  XapUt(  Athen.  7,  276  d.  13,  569  f.  Schon  Cicero  verehrte  ihn  (ad 
Qn.  fr.  3,  1,  6)  nnd  nannte  ihn  den  witzigsten  Dichter  der  alten  Komödie 
(de  leg.  2,  15,  vgl.  Gell.  1,  15.  13,  25). 

4)  Hermogen.  ictpl  dsivöt.  34  p.  440,  13;  ebenso  in  Schollen  Rivista  di 
filologia  10,  148  Anm.  1. 

5)  Welcker  Annali  d.  Inst  1853  p.  251  ff.  Monnm.  d.  Inst.  5,  55, 
Archfiol.  etg.  1858  Sp.  lOff.,  anders  Stark  Archflol.  Ztg.  1857  8p.  87  ff. 

6)  Ueber  Johannes  Chrysoetomos  Villoison  Long.  p.  XIV;  anch  be- 
achtet ihn  z.  B.  Isidoros  v.  Peinsion  ep.  V  331.    S.  anch  Themist.  or.  23,  350. 

7)  Vgl.  Synes.  Dio  p.  40,  anch  Lncian.  Prometh.  6 ;  Rieh.  Förster  Hermes 
12,  214  f. 


Digitized  by 


Google 


472  XIV.  KapitcL         ^ 

mos  her^),  dessen  Anmerkungen  manchmal  noch  in  der  ur- 
sprünglichen Form  erhalten  sind*).  Auf  seiner  mühsamen 
Arbeit  ruhten  die  Kommentare  von  Symmachos')  und 
Phaeinos^).  Aus  diesen  HilÜBmitteln  und  Heliodoros' 
metrischer  Analyse  der  lyrischen  Abschnitte  ^)  bestehen  unsere 
alten  Scholien,  welche  die  notizenreichsten  aller  griechischen 
Kommentare  sind,  besonders  wenn  man  die  zahlreichen  von 
Suidas  aus  einer  besseren  und  vollständigeren  Handschrift  ge- 
zogenen Artikel  beizieht  ^.  Der  beste  der  erhaltenen  Codices 
ist  der  von  Ravenna,  welchem  in  der  Ausgabe  der  Schollen 
von  Dindorf  (Lpg.  u.  Oxford  1819,  3  Bde.)  und  auch  von 
Dübner  (Paris  1843)  —  Musuros'  editio  princeps  ist  wertlos 
und  interpoliert  —  leider  noch  nicht  die  gebührende  Berück- 
sichtigung zu  Teil  geworden  ist '). 

1)  O.  Schneider  a.  O.  p.  14ff.;  Mor.  Schmidt  Didymi  Chalc. 
fragm.  p.  246  ff. 

2)  Z.  B.  SchoL  Plnt.  9  p.  6,  21  Dind.,  wo  er  seinen  Pindarkommentar 
citiert,  und  Schol.  Av.  1508  iv  tote  'AtxaXtioic  thpov  oxidSiov  xal  Iv  tif 
fcaXaiij)  xip  e^Lij). 

d)  M.  Schmidt  a.  O.  p.  289ff.;  Ad.  Schanenbnrg  de  Symmachi 
in  Ar.  interpretatione  snbeidiis,  Halle  1881;  nach  Wilamowitc  Kydathen 
6.  166  röhren  die  Selbstcitate  mit  cu^  stpiqtai  von  ihm  her.  Er  wird  von 
Herodian  (ic.  (ioviQp.  Xt^.  39)  angeführt. 

4)  Auf  sie  yerweisen  die  snbscriptiones :  Ua.pa'^k^panxat  .1%  to5  ^attvo5 
xal  ^o\L[i.&xoo  xal  £XXcuv  Ttvdiv  (unter  den  Wolken,  verkürzt  unter  dem  Frieden 
und  den  Wögelu).  In  diesen  Kommentaren  waren  auch  die  verlorenen  Stücke 
erklärt,  wie  Schol.  Lysistr.  1237,  Ach.  106,  Yesp.  579  zeigen. 

5)  ^Apiotofdvtioc  xü>Xo(L8Tpta ;  hinter  den  Wolken  und  dem  Frieden 
findet  sich  die  Unterschrift  xtxcuXioxai  ix  x&v  'HXcoScupoo.  Heliodori  colo- 
metriae  Aristophaneae  quantum  superest  cum  reliquis  scholiis  in  Aristophanem 
metricis  ed.  Carol.  Thiemann,  Halle  1869;  O.  Hense  Heliodoreische  Unter- 
suchungen, Lpg.  1870;  W.  Christ  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  1871  S. 617 ff. 

6)  6g.  Bünger  de  Ar.  Equitum  Lysistr.  Thesm.  ap.  Suidam  reliquüs, 
Strassb.  1878  p.  70  ff.  =I>issert.  Argentorat.  I.  p.  149  ff.  (auch  Hesychios  hat 
Scholien  excerpiert,  so  z.  B.  den  Artikel  ^aXXo(p6poc).  Gregor  von  Korinth 
benützte  die  Scholien  zu  den  Achamem  (Morsbach  Rhein.  Mus.  31,  576 f., 
Tgl.  580  f.). 

7)  Holzinge r  Wiener  Studien  4,  Iff.;  A.  Martin  les  scoUes  du 
manuscrit  d*A.  &  Ravenne,  Paris  1882.  Ueber  die  Scholien  des^Venetus 
Augsberger  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  1877  S.  254 ff.;  Holzinger 
Wiener  Studien  5,  205 ffl  (zum  Frieden);  Ambrosianus:  Schnee  Ztsch.  f. 
üsterr.  Gymn.  35,  805 ff.  üeber  den  kritischen  Wert  O.  Lange  variae  lecti- 
oues  in  scholiis  Aristophaneis  latentes,  Diss.  v.  Greifiiwald  1872. 


Di^itized  by 


Google 


Die  dichter  der  alten  Komddie.  473 

Die  Byzantiner  fuhren,  wie  viele  aristophanische  Phrasen 
i&ahlreicher  Schriftsteller  zeigen^),  mit  dem  fleissigen  Studium 
des  Komikers  fort,  wenn  auch  manche  Menander  höher  stellten  *). 
Jeder  Gebildete  las  wenigstens  die  drei  Stücke  Plutos,  Wolken 
und  Frösche;  eine  höhere  Bildungsstufe  bezeichnet  die  sieben 
Lustspiele  enthaltene  Sammlung  der  Venediger  Handschrift; 
auf  unsere  elf  Stücke  war  bereits  Suidas  beschränkt.  Bedauer- 
licher Weise  erscheinen  uns  die  Aristophanesstudien  der  byzanti- 
nischen Gelehrten  jetzt  in  höchst  unvorteilhaftem  Lichte.  Eu- 
stathios'  Kommentar  ging  nämlich  ganz  verloren'),  während 
von  T  z  e  t  z  e  s'  in  der  Ambrosiana  liegendem  Kommentar 
ausser  den  bekannten  Leitfäden  (S.  392)  und  einigen  Proben 
nichts  veröffentlicht  ist*),  obgleich  er  von  Thomas  und  Trikli- 
nios^)  sich  vorteilhaft  unterscheidet.  Den  Schulbetrieb  charak- 
terisieren die  Kürzung  der  alten  Schollen  zu  den  seltener 
gelesenen  Stücken,  die  Fabrikation  von  Inhaltsangaben*)  und 
Faraphrasierung  der  drei  Schulstücke '). 

Die  Handschriften  belaufen  sich  auf  eine  hohe  Summe  % 


1)  VgL  Walz^  rhetores  Graeci  III  534,  8.  Vieles  ist  in  Kommentaren 
(z.  B.  Wold.  Bibbecks  Acharnern)  zerstreut;  Joh.  Malchin  de  Choricü  Gazaei 
vetemm  Graecomm  scriptomm  stndiis,  Kiel  1884  p.  50 ff.;  Alb.  Jahn  anec- 
dota  Graeca,  Bern  1839  p.  XXXm,  30,  Ztsch.  f.  historische  Theologie  1845 
IV  8.  66 f.  nnd  bei  Migne,  patrolog.  Gr.  36,  766c;  Stern bach  meletemata 
Oraeca  I  p.  150  ff.  (zu  Tzetzee). 

2)  Psellos  bei  Sathas,  (JLto.  ßißX.  V  538;  Lagardes  symmikta  p.  174. 

3)  Doch  bewahrt  der  Homerkommentar  manche  Reste  z.  B.  p.  1397, 24  ff. 
tvgl.  Schol.  Ban.  1400). 

4)  Heinr.  Keil  Rhein.  Mns.  6,  616  ff.;  van  Her  werden  8oph.  Oed. 
R.  ed.  m^jor,  Utrecht  1866  p.  212ff.;  D&bner  n.  Mor.  Schmidt  Philol. 
25,  687 ff.  (zu  Plnt.  137);  A.  v.  Velsen  Philol.  35,  699  ff.  (zu  Plut.  1—34); 
fitudemund  Philol.  46,  4f.  Der  Text  ist  kritisch  wertlos  (A.  v.  Velsen 
^  O.  S.  696  ff.;  Studemund  Anecdota  p.  248 ff). 

5)  Die  editio  princeps  enthält  auch  einen  Abschnitt  icspl  (i^tpiov  von 
letzterem. 

6)  Fr.  Leo  Rhein.  Mus.  33,  405  ff.;  O.  Ulrich  Tirocinium  seminarii 
Bonn.  1883  p.  27. 

7)  Plutos  mit  Interlinearparaphrase  im  cod.  Pal.  Vat.  Gr.  363  p.  220 
Stey.  Die  Handschrift  von  Cremona  enthält  eigenartige,  aber  wertlose  Scholien 
und  viele  Glossen  (Novati  Rivista  di  filologia  8,  235 ff.  257 ff.). 

8)  Blaydes  verzeichnet  in  der  editio  minor  I  p.  LXXV  96  Handschriften, 
darunter  65  der  Schulstücke.  Vgl.  R.  S  c  h  n  e  e  de  Aristophanis  manuscriptis 
quibus  Ranae  et  Aves  traduntnr,  Hamburg  1886. 


Digitized  by 


Google 


474  XIV.  Kapitel. 

doch  enthalten  zwei  Drittel  derselben  nur  Schulkomödien  und 
zwar  entweder  einzelne  oder  alle  drei.  Obgleich  kein  einziger 
Codex  die  Alleinherrschaft  beanspruchen  kann  und  alle  von 
Fehlem  wimmeln,  ragen  doch  einige  an  Güte  hervor,  vor 
allem  der  berühmte  codex  Ravennas,  im  elften  Jahrhundert 
mit  Uncialbuchstaben  geschrieben,  einst  Urbinas,  jetzt  aber  dem 
Oamaldulenserkloster  La  Classe  bei  Ravenna  gehörig  ^) ;  ihn> 
steht  an  Wert  eine  gleich  alte  Venediger  Handschrift  (Marcianua 
474)  zunächst,  deren  sieben  Stücke  aus  mehreren  ungleich- 
wertigen Manuskripten  zusammengestellt  sind  *) ,  dann  ein 
Ambrosianus  %  mit  welchem  Suidas'  Handschrift  verwandt  ist*), 
zwei  Laurentiani  und  ein  Cremonensis  %  Ein  aus  Aegypten 
nach  Paris  gebrachtes  Pergamentblatt  mit  Versen  der  „Vögel** 
ist  mehr  durch  Alter  als  durch  Wert  ehrwürdig  •). 

Die  erste  von  dem  Kreter  Musuros  für  Aldus  veranstaltete 
Folioausgabe  (Venedig  1498)  enthielt  die  Lysistrate  und  Thes- 
mophoriazuseu  noch  nicht  ^);  die  erste  Juntaausgabe  (Florenz  1645) 
wich  davon  nicht  viel  ab^,  der  Verleger  lieferte  aber  jene  zwei 
aus  jenem  Codex  Ravennas  nach.  A.  Francinus  (Florenz 
1525) ,  Nikolaus  Frischlin  (Frankfurt  1586.  1597 ,  fünf  Stücke 
mit  lateinischer  Uebersetung  und  Verteidigung  des  Dichters) 
und  Joseph  Scaliger  (Leiden  1624.  1670)  verbesserten  den  Text; 
AemiliusPortus (Orleans  1607),  LudolphKüster  (Amsterdaml710), 
Steph.  ßergler  (Leiden  1760,  2  Bde).  und  P.    Brunck  (Strass- 


1)  A.  V.  V eisen  fiber  den  Codex  Urbinas  der  Lys.  n.  der  Thesm.  des 
Ar.,  Pr.  V.  Saarbrdeken,  HaUe  1881;  W.  G.  Clark  Journal  of  pbilology  ni 
(1871)  p.  153  ff. ;  A.  M  a  r  ti  n  a.  O.  (p.  Iff.  Gescbichte  der  Handsehrift,  p.  IX  ff. 
Beschreibung  derselben). 

2)  Facsimile:  Wattenbach  Schrifttnfeln  38.  39.  exempla  46.  47; 
über  das  Verhältnis  cum  Ravennas:  G.  Hermann  Nnbes  p.  IX;  Alb.  Bam- 
b erger  de  Ravennate  et  Veneto  Aristophanis  oodicibos,  Diss.  v.  Bonn  1865. 

3)  Vgl.  Rnd.  Schnee  de  Ar.  codicibns  capita  duo,  Halle  1876  (Kol- 
lation von  Ven.,  Ambr.  u.  der  Lanr.  für  die  „Wolken"). 

4)  Bünger  a.  O.  (S.472  A.6). 

5)  Fr.  Novati  Rivista  di  filologia  6,  499  ff.  8,  226  ff.  (Varianten  zu  den 
Wolken);  Piccolomini  Studi  de  filologia  greca  I  p.  19 ff.  (FrQsche).  — 
Victoriana:  Acta  pbilol.  Monac.  I  341  ff.;  Ambroe.  L  39  snp.:  Piccolo- 
mini  a.  O.;  Tübinger  Handschrift:  Tafel  Seebodes  Archiv  1829  Nr.  24. 

6)  H.  Weil  Revne  de  philoL  VI  179 ff. 

7)  Beschrieben  bei  Legrand  bibliographie  hell^niqne  I  p.  45 ff.  (über 
die  Noten  des  Musnros  I  p.  CIX  A.  2). 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  47&' 

bürg  1783,  3  Bde.)  sorgten  auch  für  die  Erklärung;  indes 
wurde  das  Zeitalter  des  französischen  Geschmackes  von  den 
Derbheiten  der  alten  Komödie  abgestossen,  höchstens  den  ziem- 
lich wohlanständigen  „Plutos"  liess  man  noch  passieren,  ja  der 
gräcisierende  Dichter  Ronsard  machte  sich  zuerst  mit  einer 
üebersetzung  dieses  Stückes  bekannt.  Racines  zeitgemässe  Be- 
arbeitung der  ,^Wespen**  (les  plaideurs)  konnte  jedoch  nicht  ver- 
hindern ,  dass  Diderot  den  Athener  einen  originellen  Possen- 
reisser  hiess  und  Voltaire  von  ihm  sagte,  er  sei  weder  Komiker 
noch  Dichter.  Goethes  „Vögel**  waren  ebenfalls  nicht  geeignet, 
Aristophanes  in  seiner  Eigenart  zu  würdigen;  selbst  Wieland» 
kongeniale  Üebersetzung  der  Achamer,  Wolken ,  Ritter  und 
Vögel  (Wien  1813 — 14)  blieb  wirkungslos.  Der  athenische  Ko- 
miker verdankt  die  Wiedererweckung  seines  Ruhmes  dem 
Durchdringen  der  historischen  Betrachtungsweise,*).  I.  Bekker 
(London  1829)  verwertete  zuerst  den  Ravennas;  auf  derselben 
Grundlage  bauten  W.  Dindorf ,  der  zuvor  die  Sammelausgabe 
von  Invernizzi  (Lpg.  1794—1834,  Bd.  1.  2.  Text,  3.-9.  Kom- 
mentar, 10. — 12.  Schollen,  13.  Mitchellii  prolegomena)  zu  Ende 
geführt  hatte,  in  den  poetae  scenici  und  der  Oxforder  Aus- 
gabe von  1835—37  (Bd.  IV.  Schollen) ,  Dübner  (Paris  1842), 
Bergk  (Lpg.  1851.  M857X  Meinekke  (Lpg.  1860)  weiter;  Arthur 
von  Velsen  begann  auf  Grund  genauer  Handschriftenvergleich- 
ungen eine  kritische  Ausgabe  des  Textes,  von  der  bisher  die 
Ritter  (Lpg.  1869),  Thesmophoriazusen  (1883),  Ekklesiazusen 
(1883),  Frösche  (1881)  und  Plutos  (1881)  erschienen  sind ;  die 
Fortführung  liegt  in  den  Händen  Konrad  Zachers,  welcher  zu- 
nächst eine  neue  Ausgabe  der  Ritter  mit  den  alten  Schollen 
veröffentlichen  wird.  Blaydes  (ed.  major  1880  ff.  I. — VI.  Thesm., 
Lysistr.,  Eccles.,  Aves,  Pax,  Plut,  X.  fragmenta*),  ed.  minor 
Halle  1886,  2  Bde.)  bringt  weder  einen  wahren  commentarius 
perpetuus  noch  einen  verlässigen  Apparat«  Eüngegen  liegen 
nützliche  Kommentare  zu  einzelnen  Stücken  in  grosser  Zahl 
vor:  Achamer  P.  Elmsley,  Oxford  1809,  Lpg.  1830.  Albert 

1)  Eine  vorarteilslose  Beurteilung  ist  freilich  anch  jetzt  nicht  hänfig ; 
Brentano  nnd  Stanger  meinten  sogar,  weil  das  Erhaltene  ihrem  Idealbilde 
nicht  entsprach,  der  echte  Aristophanes  sei  gftnzlich  verdorben  worden.  S. 
anch  6.  Ehrhardt  de  Ar.  fabulamm  interpolatione,  Halle  1881. 

2)  Nachträge:  Stern bach  V^iener  Stndien  8,  231  flf. 


Digitized  by 


Google 


476  XIV.  Kapitel. 

Müller,  Hannover  1863.  Wold.  Ribbeok  Lpg.  1864  (Griech.  u. 
deutsch);  Frieden  Jul.  Richter,  Berlin  1860;  Frösche 
B.  Thiersch,  Lpg.  1830,  V.  Fritzsche,  Zürich  1846,  Herb.  Per- 
nice,  Lpg.  1856,  Th.  Kock,  Berlin  »1881 ;  Lysistrate  R.  Enger, 
Bonn  1844  (mit  Schollen);  PlatosTib.  Hemsterhuis,  Harlem 
1744,  Herrn.  Schäfer,  Lpg,  1811  (Sammelausgabe),  I.P.Fischer 
und  Küinöl,  Giessen  (1804.5)  1816,  B.  Thiersch,  Lpg.  1830,  H.  ß. 
€ooke8ley,  London  1834,  Carlo Castellani,  Florenz  1872,  Ritter 
W.  Ribbeck,  Berlin  1867,  Kock,  Berlin  M 882;  Thesmopho- 
riazusen  R.  Enger,  Bonn  1844  (mit  Scholien);  Vögel 
Th.  Kock,  Berlin »1876;  Wespen  (kritisch  R.  H.  Hirschig, 
Leiden  1847)  Jul.  Richter,  Berlin  1858;  Wolken  Fr.  August 
Wolf,  Berlin  1812  (griechisch  und  deutsch),  Gottfr.  Hermann, 
Lpg.  1799.  1830 ,  W.  Teuflföl,  Lpg.  lat. » 1863 ,  deutsch  1867, 
Th.  Kock,  Berlin '  1876 ,  übers,  von  A.  Franchetti ,  eingeleitet 
und  erklärt  von  D.  Comparetti  (Firenze  1881).  Das  grössere 
Publikum  pflegt  Aristophanes  durch  die  Uebersetzung  von  Job. 
Gust.  Droysen  (Lpg. "  1869,  2  Bde.,  kleinere  Ausg.  1871)  kennen 
2U  lernen.  Ein  Wörterbuch  ist  im  Werden  (0.  Bachmann, 
lexici  Aristophanei  spec,  Pr.  v.  Frankf.  a.  O.  1884);  einstweilen 
müssen  genügen :  J.  Sanxay,  lexicon  Aristophanicum,  Oxf.  1811, 
J.  Caravella,  index  Aristophanicus,  Oxf.  1822,  H.  Holden,  Ono- 
masticon  Arist.,  Cambridge"  1869  und  H.  Dunbar,  a  complete 
concordance  to  the  comedies  and  fragmentsof  A.,  London  1884. 
Seit  dem  peloponnesischen  Krieg  nahm  die  Zahl  der 
Komiker  erheblich  zu,  ohne  dass  das  Ueberlieferte  zu  einer 
genügenden  Schilderung  der  damaligen  attischen  Bühne  hin- 
reicht. Es  ist  die  stets  unerfreuliche  Zeit  des  Uebergangs,  des 
Suchens  nach  etwas  Neuem.  Im  allgemeinen  nehmen  die 
Travestien  mythologischer  Stoffe  unverkennbar  zu,  aber  auch 
so  manches  neuartige  dringt  ein.  So  ist  Kallias^)  eigentlich 
nur  wegen  seiner  seltsamen  ABC-Tragödie  *),  in  welcher  er  die 

1)  Sohn  des  Lysimachos  mit  dem  Spitznamen  Sx^^^^^  (Snidas);  kurz 
Tor  Strattis  Athen.  10,  453  c.  Er  verspottete  in  den  RtSYjtai  (fr.  11  £f.)  Enri- 
pides  und  Sokrates,  Akestor  und  Melanthios,  dann  den  Seher  Lampon.  Frag- 
mente von  sechs  St&cken  (die  „Kyklopen^^  worden  auch  Dioklee  zugeschrieben) 
Meineke  H  78511:  Kock  I  693  £f. 

2)  rpaf&(LaTcx4]  TpaY<|»Sta;  Böokh  tragoediae  princ.  p.  86ff.;  Bergk 
reliq.  com.  Att.  p.  117 ff.;  Welcker  kleine  Schriften  1 137 ff.;  Rieh.  Pietssch 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  477 

Tragödientechnik  mit  Prolog  und  Chorgesängen  geschmacklos 
parodierte,  bekannt.  Aehnlich  wie  Klopstock  in  seinen  „gram- 
matischen Gesprächen''  die  Buchstaben  personificierte  und 
sprechen  Hess,  war  im  Dialog  von  den  Vokalen  die  Rede, 
während  der  weibliche  Chor  Silben  sang  *).  Die  Chorüeder 
sollten  rhythmisch  und  musikalisch  die  euripideische  Medea 
parodieren*),  worin  der  ganze  Einfall  gegipfelt  haben  dürfte. 
Uebrigens  war  das  Alphabet  den  Athenern  durchaus  nicht 
etwas  so  unbedeutendes  und  selbstverständliches  wie  in  der 
Zeit  des  Schulzwanges,  sondern  galt  für  eine  Offenbarung 
Athenes  *)  und  wurde  nicht  selten  auf  Vasen  u.  dgl.  ange- 
bracht*); vielleicht  fiel  das  Stück  obendrein  in  das  Jahr,  wa 
die  staatliche  Annahme  des  jonischeu  Alphabetes,  zu  welchem 
sich  Kallias  bereits  bekannte,  auf  der  Tagesordnung  stand. 
Das  abgeschmackte  Stück  hat  eine  historische  Bedeutung,  weil 
es  die  Rätselkömödie  des  vierten  Jahrhunderts  einleitet^). 
Vielleicht  steht  es  in  irgend  einer  Beziehung  zur  KcofMpSo- 
xpaYcpSia  des  A 1  k  a  i  o  s ,  der  Ol.  97,  4  mit  dem  alten  Aristo- 
phanes  kämpfte^;  an  eine  veränderte  Zeit  mahnen  auch  die* 
Titel  „die  Schwestern"  und  „Palaistra",  wie  auch  Diokles^> 
und  Kephisodoros^)  unter  anderem  „Thalatta**  und  „Anti- 
lais**  verfassten,  an  die  wir  die  einzige  bekannte  Komödie  des 
Parodiendichters    Hegemon^    „Philinne**    betitelt,    anreihen 


de  Calliae  grammatioa  qnae  adpellatar  tragoedia,  HaUe  1861;  O.  Hense 
Rhein.  Maa.  31,  582 ff.;  nach  ü.  y.  Wilamowitz  Hermes  15,  487,  1  eine 
Spieleiei  des  Strattis. 

1)  Athen.  10,  458  c. 

2)  Verdreht  bei  Athen.  7,  276a  n.  10,  458  e  (aus  Klearchos,  der  jeden- 
falls einen  Dichter  der  mittleren  Komödie  zum  Gewährsmann  hatte).  Man 
spottete  auch,  Sophokles  habe  die  ^vtiXaßai  (S.  287,  6)  von  Kalilas  gelernt. 

3)  Münchner  Vase  in  Gerhards  aaserlesenen  Vasenbildem  T.  244. 

4)  Urlichs  Beiträge  zor  Kunstgeschichte  S.  41. 

5)  Vgl.  Athen.  10,  448  b.  Der  AIyoictio«  wäre  ein  Vorläufer  der  Typen- 
komödie,  aber  da  bloss  Suidas  den  Titel  erwähnt,  ist  er  nicht  ganz  unbe- 
bedenklich. 

6)  Fragmente:  Meineke  U  824 ff.;  Kock  I  756 ff.  Sohn  des  Mikkos  nnd 
Verfasser  von  zehn  Komödien  (Suidas).     Sonst  parodierte  er  erotische  Mythen. 

7)  Fragmente:  Meineke  U  838 ff.,  Keck  I  766 ff. 

8)  Fragmente:  Meineke  11  883  ff.,  Kock  I  800  ff.  Er  siegte  zweimal 
(CIA.  n  977  16).    Vgl  Lysias  21,  4. 


Digitized  by 


Google 


478  ^^'  Kapitel. 

^S.  21).  Das  auf  dieselbe  Gesellschaftsstufe  bezügliche  Lust- 
spiel „Anteia"  war  gleich  den  (auch  Aristophanes  beigelegten) 
„Städten*'  zwischen  E  u n  i k  o s  und  P  h  i  1  y  1  ii o s  streitig ; 
unter  den  sicheren  Stücken  des  letzteren  ^)  wird  der  „Brunnen- 
Gräber"  genannt,  wobei  der  Singular,  da  er  eine  Einzelrolle 
andeutet,  Beachtung  verdient.  Ueber  Aristophanes'  Söhne 
-{S.  466),  Nikochares,  den  Sohn  seines  Freundes  Philo- 
nides'),  welcher  gleichfalls  zu  den  Rivalen  des  „Plutos"  gehörte, 
und   vielen   anderen  ist  nichts  charakteristisches  überhefert  *). 

Etwas  bestimmter  treten  nur  drei  Personen  aus  dem  ver- 
wiiTenden  Gewimmel  von  Namen  heraus:  Der  Athener  Theo- 
pompos  *)  griff  den  in  der  zweiten  Hälfte  des  peloponnesischen 
Krieges  bekannt  gewordenen  Laispodias  (Fr.  39)  an,  nahm 
aber  auch  die  platonische  Philosophie  zur  Zielscheibe  (Fr.  15), 
schmähte  den  Rhetor  Isaios  ^)  und  führte  den  „Meder**  (Fr.  30) 
auf,  als  Kallistratos  schon  geraume  Zeit  zu  den  politischen 
Führern  gehörte.  Die  Zahl  seiner  Lustspiele  wird  bald  auf 
-Siebzehn     bald    auf    vierundzwanzig    angegeben  %      Die   ver- 


1)  Fragmente:  Meineke  II  857  flf.,  Kock  I  781  ff.  Sieg  CIA.  n  977  e  10. 

2)  Fragmente:  Meineke  U  842 ff.,  Kock  I  770 ff.  Die  Titel  betreffen 
Mythen  oder  Tragödien. 

3)  Apollophanes:  Mein.  II  879ff.,  Kock  I  797  f.  ('I(ptY^P«"v  wurde 
auch  Strattis  zugeschrieben);  Aristagoras:  Mein.  II  761  f.,  Kock  I  710 f.; 
Antokrates:  Mein.  U  891f.,  Kock  I  806;  Demetrios:  Mein.  H  876ff., 
Kock  I  795f.;  Epilykos:  Mein.  U  887 ff.,  Kock  I  803f.;  Euthykles: 
Mein,  n  890,  Kock  I  805;  Kalliades  Athen.  13,  577b  (Gegner  des  Politikers 
Aristophon;  Meineke  I  213  identificiert  ihn  ohne  Not  mit  Kallias);  Kan- 
tharos:  Mein.  U  835 ff.,  Kock  I  764ff.;  Leukon  Mein.  TL  749 f.,  Kock  I 
703  f.  (mit  den  Ilpioßetc  und  Opdctepe^  fiel  er  gegen  die  „Wespen''  und  den 
„Frieden"  durch ;  rXoxcov  Choerobosc.  in  Hephaest.  p.  77,  15Stud.);  Lysip- 
pos:  Mein.  II  744 ff.,  Kock  I  700 ff.  (Fr.  6  wird  Lampon  verspottet);  M eta- 
genes: Mein.  II  751  ff.,  Kock  I  704  ff.  (Die  Oooptoiripoat  wurden  nie  auf- 
geföhrt,  Athen.  6,  270a);  Philonikos  CIA.  n  977e  11;  Polyzelos: 
Mein.  II  867  ff.,  Kock  I  789  ff. 

4)  Nach  Suidas  Sohn  des  Tbeodektes  oder  Theodoros,  nach  Aelian  bei 
^Suidas   8.   V.   des   Teisamenos;    aber   das   dort   beschriebene   Weihgeschenk 

rührte  vielleicht  gar  nicht  vou    dem  Komiker  her.    Zwei  dionysische  Siege 
"CIA.  n  977  e  3. 

5)  Ps.  Plutarch.  Isae.  p.  839  f. 

6)  Anon.  VII.;  Suidas.  Fragmente:  Meineke  U  792  ff.,  Kock  I  733  ff. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  479 

minderte  Bedeutung  des  Chors  merken  wir  an  der  geringen 
Zahl  pluraliseher  Titel  (Knaben,  Krämerinen,  die  Mädchen  in 
Uniform ,  deren  Idee  Theopompos  wahrscheinlich  aus  der 
„Ekklesiazusen"  geschöpft  hatte) ;  drei  nach  einzelnen  Athenern 
benannte  Stücke  (Kallaischros,  Pantaleon  %  Teisamenos)  weisen 
auf  die  alte  Komödie  zurück,  auch  erinnert  der  „Friede"  an 
Aristophanes ,  aber  volle  sieben  waren  mythologische  Possen, 
vier  weitere  der  Halbwelt  gewidmet:  Das  Aphroditefest,  das 
Dirnchen  (BatöXif]),  Neraea,  Pamphile.  „Der  Meder"  und  „der 
Lebemann"  ('HSoxApiQC)  endlich  hatten  ihre  Titel  von  Charakter- 
rollen. Der  zweite  von  jenen ,  Strattis,  stand  zwar  in 
keinem  besonderen  Ansehen*),  dennoch  fielen  seine  Werke 
durch  ihren  verhältnissmässigen  Umfang  ins  Gewicht').  Hier 
ist  wieder  das  nämliche  zu  beobachten  :  Geringe  Wertschätzung 
des  Chors  (nur  die  Sommerfrischler  [Wo^oLozai]  und  die  Pota- 
mier  sind  danach  benannt),  einige  nur  gegen  Dichter  uiid 
Schauspieler  gerichtete  persönliche  Satiren  (Kinesias,  die  Make- 
donier  oder  Pausanias,  Kallippides),  acht  Travestien  von  Mythen 
oder  Tragödien,  worunter  „Atalantos"  (statt  Atalante,  wie  Nio- 
bos)  *)  und  „Limnomeda"  (statt  Andromeda)  *)  schon  durch  die 
Verballhornung  auffallen.  Zur  neuen  Gattung  dagegen  gehört 
,,der  Wüterich"  ('Ay^pcoÄoppaifoq]«:) ,  vielleicht  auch  „das  Ver- 
brennen des  Zopyros".  Strattis  reichte  ja  weit  in  das  Zeitgebiet 
der  mittleren  Komödie  hinein;  verspottete  er  doch  noch 
Isokrates'  Johannestrieb. 

Die  erste  Stelle  unter  den  jüngeren  Zeitgenossen  des  Aristo- 
phanes gebührte  jedoch  unbestritten  P 1  a  t  o  n  ^,  welcher  nicht 

1)  lieber  den  Verfasser  war  man  nicht  einig  (Pollax  10,  41). 

2)  Hesych.  u.  xoXexdvoi:  cv  xC^  (popTix(j>  ^pa\t.axit^, 

3)  Anon.  VII.:  16  Komödien;  Fragmente:  Meineke  II  763 ff.,  Kock  I 
711  ff.  Drei  Stücke  waren  streitig:  ^A'^ad'oi  (mit  Pherekrates),  'ApYöpto«> 
afavcojAoc  (Antiphanes,  Epigenes  und  Philippides),  'If ipepoiv  (ApoUophanea). 
IlüTcooc  ist  wahrscheinlich  verderbt. 

4)  Das  richtige  hat  Schol.  Arist.  Ban.  146,  sonst  wird  *AxaX(l(vt)|}  oder 
^Axakdvxaiz  citiert.  Der  Ver£ASser  der  'AxaXt&vtai  war  unbekannt  (Hesych. 
n.  Atovoooxooitüpcovnfjv.  Schol.  Arist.  Av.  1294). 

5)  A'fiiLvo}t.ihcf.  ist  falsch. 

6)  Meineke  II  615 ff.,  Kock  I  601  ff.;  Gobet  observationes  criticae  in 
Piatonis  comici  reliqnias,  Amsterdam  1840.  Die  Zeitangaben  bei  Snidas, 
Eosebios  und  Kyrillos  sind  oberflächliche  Synchronismen. 


Digitized  by 


Google 


480  ^^'  Kapitel. 

viel  mehr  als  ein  Jahrzehnt  später  als  Aristophanes  in  den 
Wettkampf  der  Komiker  eingetreten  zu  sein  scheint.  Denn  er 
verdiente  sich  die  Sporen  an  Hyperbolos,  als  dieser  noch  auf 
der  Pnyx  das  grosse  Wort  führte*),  nach  dessen  Vernichtung 
Kleophon  an  die  Reihe  kam;  die  „Gesandten'*  galten  Epikrates, 
welcher  zur  Zeit  des  korinthischen  Krieges  an  den  Perser- 
könig gesandt,  sich  bestechen  liess;  ihn  löst  endlich  Agyrrhios 
als  Stratege,  welches  Amt  er  Ol.  97,  3  (390/89)  bekleidete,  ab  *). 
Die  Alten  besassen  dreissig  mit  seinem  Namen  bezeichnete 
Komödien*);  wenn  wir  die  drei  zweifelhaften  bei  Seite  lassen *), 
so  mutet  uns  ein  erheblicher  Teil  des  Restes  ganz  aristo- 
phanisch an.  Ich  meine  erstens  Hyperbolos,  Kleophon,  Peisan- 
dros  (nach  berühmten  Demagogen  benannt),  dann  Hellas  oder 
die  Inseln,  die  Siege ^  die  Gesandten  (worin  Epikrates  selbst 
auftrat),  ferner  die  Feste,  die  Metökeu,  die  Sophisten,  die  vom 
Opfer  heimkehrenden  Frauen  (al  ay'  UpÄv),  nicht  minder  auch 
die  phantastischen  „Greife"  und  „Ameisen".  Allein  volle  acht 
gehörten  doch  der  mythologischen  Travestie  an.  Der  OL  97,  1 
aufgeführte  „Phaon'*  ^)  war,  nachdem  Ameipsias'  „Sappho" 
vorausgegangen,  nichts  prinzipiell  neues.  Das  höchste  Interesse 
beanspruchen  dagegen  vom  geschichtlichen  Standpunkt  die 
vier  Stücke  „Der  Dichter'*,  „Das  Kind",  „Der  Jammerer" 
(TCfiptoXYTfJc)  und  „Der  Lump"  (oöpyafi).  Leider  gebrauchen  die 
alten    Grammatiker,    wenn    sie  Piaton   ausserordentliches  Lob 


1)  Das  Fragment  bei  Flui.  Nie.  11.  Ale.  13  bezieht  sich  nicht  auf  die 
Verbannung;  Kleon  war  schon  als  „Kerberos''  in  der  Unterwelt  fr.  216; 
fr.  107  liess  also  Plato  nicht  in  seinem  eigenen  Namen  sprechen.  Wegen 
Marcellin.  vit.  Thncyd.  29  vermntet  Wilamowitz  Hermes  12,  357,  dass  er 
zum  Kreise  des  Königs  Archelaos  gehörte. 

2)  Fragment  bei  Plutarch.  rzokix,  irapa^Y-  4. 

3)  Snidas;  Andronikos  verzeichnet  sie  in  zwei  alphabetischen  Reihen, 
wobei  Odctt>v  ausfiel.  Schol.  Arist.  Flut.  174  schreibt  ihm  noch  einen  „Amphia- 
reos"  zu. 

•4)  Adxüivt^  ^  icoiiQTai  (Harpocr.  n.  Sd'ivtXoc),  MafijjLdcxa^oc  (Metagenes), 
die  Gaiderobe  (Ixtaai,  Aristophanes,  Athen.  14,  628  e).  Ans  Armut  musste 
er  sich  mit  anderen  Komikern  associieren  (Parömiographen  über  'ApxdcSa^ 
}i.i(iou^evoi,  fr.  99),  weshalb  vielleicht  das  „Bündnis'^  auch  Kantharos  beige- 
legt ist  (Meineke  I  163.  185.  251). 

5)  Schol.  Arist.  Flut.  179,  vgl.  Kock  I  646. 


Digitized  by 


Google 


Die  Dichter  der  alten  Komödie.  481 

spenden,  so  allgemeine  Ausdrücke  ^) ,  dass  wir  daraus  für  die 
Bestimmung  seiner  Individualität  bloss  den  Zug  der  Korrektheit 
gewinnen;  aber  es  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  Piaton  von 
mehreren  als  das  Haupt  der  mittleren  Komödie  bezeichnet  wird  *). 
Seine  Lustspiele  hinterliessen  also  einen  anderen  Eindruck  als 
die  aristophanischen. 


1)  Andronikos  de  comoedia  X.  Saidas.  Adod.  IV  5. 

2)  AndroD.,  Anon.  IV  5.  VIII  9.  IX  9 ;  deshalb  nennt  ihn  Horaz  sat. 
2,  3,  11  (Wilamowitz  Hermes  12  S.  357)  und  liest  die  Kaiserzeit  seine 
Komödien  noch  (a.  O.  S.  358). 


Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur.  III.  31 

/Google 


Digitized  by  ' 


XV.  Kapitel. 
Die  mittlere  Komödie. 

Charakteristik:    Chor  und  Lyrisches;    Stoffe,  Yerfeineniog   des  Tons;    regel- 
mässige Figuren;    Eubulos,  Timokles,  Antiphanes,  Alexaudridas,  Alexis  und 
die  unbedeutenderen  Dichter. 


Was  war  aber  nun  die  sogenannte  mittlere  Komödie^)?  Die 
alten  Literarhistoriker  fassten  mit  diesem  Namen  die  nach  Ali- 
stophanes  und  vor  Men ander  und  Philemon  aufgeführten  Stücke 
zusammen,  wobei  maji  über  den  Piaton  anzuweisenden  Platz, 
wie  wir  sahen,  nicht  einig  werden  konnte.  Die  Frage,  wodurch 
dieses  Zeitalter  von  dem  aristophanischen  einerseits  und  dem 
menandrischen  andererseits  absticht,  ist  bei  dem  Verluste  aller 
Stücke  ungemein  schwierig ,  wenn  überhaupt  zu  beantworten  ; 
indes  wollen  wir  die  Bequemlichkeit  verschiedener  Grammatiker 
der  Kaiserzeit,  welche  nur  alte  und  neue  Komödie  scheiden, 
nicht  nachmachen  *). 

Die  wichtigste  äussere  Veränderung  betraf  den  Chor. 
Nach  der  Ueberlieferung   hat  der  Dithyramben  dichtende  Par- 


1)  RÖder  de  trium  qnae  Graeci  coluemnt  comoediae  generum  ratione 
ac  proprietatibus,  Sns.  1831. 

2)  Zuerst  B5mer:  Yellcäns  1,  16,  3.  Quintilian.  10,  1,65  ff.  Euanthius 
p.  4,  21  ff.  Rhein.  Mus.  28,  418,  dann  auch  Plntarch.  mor.  712  a.  Hsrpocr. 
u.  6pvt^«orfic.  Anon.  de  com.  V.  VII.  VIII  14.  Vita  Aiistoph.  1.  Dagegen 
muss  schon  die  alexandrinische  Zeit  die  mittlere  Komödie  abgesondert 
haben,  weil  man  nur  Stücke  der  neuen  wiederholte  (Köhler  Mitteil,  des 
Inst,  in  Athen  3,  130  f.);  der  Alexandriner  Antiochos  schrieb  icepl  tcbv  sv 
x-fi  \Kio^  %(»\i.if^ief,  xtt>f&({)doof&BVtt>v  icoi'r]xu>v  (Athen.  11,482  c);  8.auchS.  481  A.2 
(Fielitz  de  Atticorum  comoedia  bipartita,  Bonn  1866  will  dies  als  eine 
Neuerung  der  Kaisenseit  hinstellen). 


Digitized  by 


Google 


Die  mittlere  Komödie.  483 

lameutarier  Kinesias,  um  sicI)  für  die  Angriffe  der  Komödie  zu 
rächen,  auf  die  Abschaffung  der  Komödieuchoregie  hingearbeitet 
oder  sie  wirklich  durchgesetzt  ^).  Dies  geht  auf  einen  missver- 
fitandenen  Witz  zurück^;  denn  die  Komödie  besass  mindestens 
noch  zur  Zeit,  als  Aristoteles  die  Poetik  und  Theophrast  die 
Charaktere  schrieb ,  einen  Chor ').  Indes  hatte  dieser  einen 
gegen  früher  wesentlich  geringeren  Spielraum.  Im  „Plutos*'  be- 
teiligt er  sich  zwar  am  Zwiegespräch  und  Duett,  aber  die  von 
ihm  allein  gesungenen  Lieder  hängen  mit  dem  Stücke  nicht 
mehr  zusammen,  sondern  der  Dichter  überliess  dem  jeweiligen 
Regisseur  die  Auswahl;  dies  bedeutet  der  Vermerk  Xopoö,  den 
wir  schon  das  Jahr  vorher  an  mehreren  Stellen  der  „Ekklesia- 
zusen  (V.  729.  875.  1111),  ja  sogar  schon  einmal  in  der  zweiten 
Bearbeitung  der  „Wolken**  (V.  888)  lesen.  In  dem  letzten 
Stücke  des  Aristophanes  vollends  (dem  Aiolosikon),  wie  in  den 
„Odysseus"  Kratins  und  „vielen  anderen  alten  Stücken'*  diente 
der  Chor  zur  blossen  Ausfüllung  der  Pausen,  welche  Aufgabe 
ihm  in  der  mittleren  und  neuen  Komödie  regelmässig  zufällt  *). 
Da  schon  vorher  Agathon  dieselbe  Unsitte  in  der  Tragödie  auf- 
gebracht hatte,  muss  das  Publikum  damals  den  dramatischen 
Chorliedern  im  allgemeinen  abhold  geworden  sein. 

Hiemit  stand  natürlich  die  Einschränkung  der  lyrischen 
Partien  *)  überhaupt  in  notwendigem  Zusammenhang,  wenn  auch 
Tetrameter  und  Anapäste  noch  einen  breiten  Raum  einnahmen. 
Noch  fühlbarer  wurde  der  Abfall  hinsichtlich  der  Sprache  ,  in- 


1)  Schol.  Aristoph.  Ban.  153.  406,  vgl.  Platon.  I  7.  8.  15.  18,  miss- 
▼erstandeo  Horat.  a.  p.  281  ff. 

2)  Strattis  nannte  ihn  nftmlich  den  Cbortöter  (Schol.  Arist.  Ran.  404), 
das  sollte  heissen,  er  bringe  die  Chöre  mit  seinen  elenden  Dithyramben  um. 

3)  Arist.  poet.  1  p.  1447  b  27.  Theophr.  char.  6;  daza  passen  Antiphau. 
fr.  91  nnd  die  Inschrift  Mitteil,  des  Inst,  in  Athen  III  348,  s.  auch  CIA.  II 
971  d.  Noch  in  den  späten  Inschriften  von  Delphi  (Wescher  et  Foncart,  in- 
«eript.  de  Delphes  p.  11)  kommen  sieben  komische  Choristen  vor. 

4)  Platon.  I  10,  vgl.  8.  15.  17.  Vita  Arist  Z.  64  ff.,  auch  Donat.  in 
Terent.  Adelph.  praef.  Der  „Aiolosikon^^  hatte  einen  Chor  (fr.  14  K.),  aber 
keine  besonderen  Chorlieder,  dagegen  besass  solche  noch  der  „Kokalos'^  (Yit:t 
Arist.  Z.  60  ff.  ist  ganz  verwirrt). 

5)  Ich  finde  lyrische  Masse  noch  Enbul.  35.  104.  105.  Nicostr.  7.  Philet. 
19.  Annxilas  12.  13;  parodische  Hexameter  sind  beliebt;  Distichen  Anti- 
phanee  149. 

31» 


Digitized  by 


Google 


484  XV.  Kapitel. 

sofern  sich  Niemand  zu  den  Kühnheiten  eines  Aristophanes 
und  Kratinos  aufschwang,  sondern,  obgleich  die  konventionelle. 
Gleichmässigkeit  des  menandrischen  Stils  noch  nicht  hergestellt 
war,  doch  in  der  Regel  bei  der  schmucklosen  Sprache  des  täg- 
lichen Lebens  bUeb  *) ;  die  verwegenen  Zusammensetzungen  bei- 
spielsweise, jenes  Charakteristikon  der  alten  Komödie,  waren  jetzt 
eine  Seltenheit  geworden*). 

Diese  Aenderungen  entsprangen  der  wandelbaren  Geschmacks- 
mode ,  aber  die  Erschütterungen  des  peloponnesischen  KriegesF 
und  der  Schreckensherrschaft  waren  auch  an  den  socialen  Ver- 
hältnissen nicht  ohne  tiefgehende  Nachwirkungen  vorüberge- 
gangen ^).  Das  perikleische  Athen ,  welches  in  allem ,  selbst 
in  der  Ausgelassenheit,  etwas  genial  grossartiges  gezeigt  hatte, 
sank,  seiner  Machtstellung  beraubt  und,  was  den  grössten  Teil 
der  Bürgerschaft  anlangt,  verartnt,  unaufhaltsam  zu  einer  Klein- 
stadt herab.  Wie  es  früher  im  politischen  Leben  einem  aus- 
schweifenden Sanguinismus  gehuldigt  hatte,  so  waren  ihm  da- 
mals die  märchenhaften  Unmöglichkeiten  der  Komödie  an  den 
Dionysien  die  liebste  Unterhaltung  seines  regen  Geistes  gewesen. 
Jetzt  wurde  es  prosaischer :  Die  Athener  Hessen  sich  etwas  Un- 
glaubliches nur  mehr  in  der  Form  der  mythologischen  Travestie 
gefallen,  einer  Komödiengattung,  welche  gerade  im  vierten  Jahr- 
hundert ihre  Blütezeit  hatte.  Die  darauf  bezüglichen  Titel  sind  zahl- 
los; unter  ihnen  bilden  die  Göttergeburten  bedenkhcher  Weise  eine 
ganze  Gruppe ;  „Sappho"  (von  Ephippos  und  Antipbanes)  und 
„Phaon"  von  Antipbanes)  hängen  eben  durch  die  Phaonfabel  mit 
diesen  mythologischen  Stücken  zusammen.  Das  Volksmärchen  ist 
durch  „Akko"  (von  Amphis)  und  ,,Aesop'*  (von  Alexis)  vertreten. 
Im  übrigen  stammen  allegorische  Figuren  wie  Abulia ,  die 
augenscheinlich  der  Tragödie  entlehnt  sind,  und  tote  Vertreter 
eines  Principes*)  allein  aus  dem  Reiche  der  Phantasie.  Sonst 
liebt  aber  das  Volk  die  nüchterne  Wirklichkeit  ^) ,  die  damals 
recht  einförmig  gestaltet  war.    Mochte  auch  Athen  dazumal  viel 

1)  Aristot.  rhetor.  3,  7  p.  1408  a  14;  Anon.  IH  14. 

2)  Z.  B.  Ephipp.  fr.  14,  3. 

3)  Fr.  Blass  die  socialen  Zustände  Athens  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.^ 
Rede.  Kiel  1885. 

4)  Wie  Euripides  Eubnl.  27;  Solon  iin  ^jAisopos"  des  Alexis  fr.  9. 

5)  TTCOÖ-ioei<;  Anon.  IH  13. 


Digitized  b'y 


Google 


Die  mittlere  Komödie.  485 

mehr  als  früher  von  Fremden  besucht  werden  und  durch  regeren 
Verkehr  mit  Aegypten  und  Vorderasien  einen  etwas  erweiterten 
Gesichtskreis  haben,  fuhren  die  attischen  Komiker,  obgleich  so- 
gar sie  jetzt  viele  und  bedeutende  Fremde  unter  sich  zählten, 
über  die  gefrässigen  Böotier*),  die  weichlichen  Jonier*)  u.  s.  w. 
zw  spotten  und  die  anderen  Mundarten  nachzuäffen  *)  fort,  wenn 
schon  sie  jetzt  den  Nichtathenern  einen  entsprechenden  Anteil 
an  der  Rollenzahl  einräumten*);  hingegen  waren  jetzt  die  An- 
sichten über  die  politischen  und  persönlichen  Angriffe  geklärter 
geworden.  Ein  Eingreifen  der  Gesetzgebung  ist  nicht  "wahr- 
nehmbar ,  denn  die  Polemik  hört  nicht  mit  einem  Male  auf, 
aber  einerseits  mussten  die  fremden  Dichter,  welche  Athens 
Gastfreundschaft  genossen,  grosse  Vorsicht  beobachten,  anderer- 
seits pflegt  eine  Verfeinerung  der  Volkssitten ,  welche  damals 
durch  die  Verbreitung  populärwissenschaftlicher  Bildung  un- 
verkennbar eingetreten  war,  den  Stachel  der  Satire  abzustum- 
pfen oder ,  besser  gesagt ,  zuzuschleifen.  '  Wenn  nun  jetzt  die 
Komödie  von  der  politischen  Opposition  und  von  Schmähungen 
^u  zehren  und  wirkliche  Personen  auf  die  Bühne  zu  bringen, 
aufgehört  hat  %  verzichtet  sie  darum  doch  nicht  auf  die  Narren- 
freiheit ,  nur  dass  sie  sich  feiner  und  versteckter  ausdrückt*). 
Die  Kosten  des  Gelächters  tragen  am  häufigsten  die  Philosophen, 
vor  allen  die  Pythagoreer  und  Plato  mit  seiner  Schule,  sodann 
Dichter,  Schauspieler  und  Musiker '').  Allein  auch  die  Politiker 
blieben  nicht  verschont;  am  meisten  hatten  die  Führer  der 
Chauvinistenpartei,  „der  Briareos"  Demosthenes  (,,das  lanzen- 
fressende  Ungetüm*')  und  der  Gourmand  Hypereides  zu  leiden, 
denn  die  Komödie  blieb  der  Verteidigung  des  Friedens  treu, 
ausserdem  wollten  die  Komiker  mit  dem  Auslande ,  wo  ihnen 
Fürstengunst  und  reicher  Lohn  zu  winken  begann,  auf  gutem 
Fusse  stehen,  so  dass  auswärtige  Machthaber  vor  ihnen  sicherer 


1)  Eubulos  in  der  „Antiope",  dann  fr.  39.  63.  66;  Alexis  fr.  237. 

2)  EnbuL  42,  5.  50.  Antiphan.  91;  Argiver  Ephipp.  2. 

3)  Thessalisch  Timocl.  11;  dorisch  Anaxilas  15;  böotisch  Eabal.  12. 

4)  Z.  B.  kommt  ein  Aegypter  Nicostrat.  25  vor,  ein  Akanthier  Amphis 
36,  ein  Syrer  Eriph.  6,  1,  ein  Chalkidier  Alexis  143. 

5)  Aristot.  poet.  9  p.  1451  b  12  ff. 

6)  Anon.  IV  4.  Vm  8.  9.  IX  7.;  daher  alvtYJitatcu^c  Andronikos  X. 

7)  Meineke  I  287  ff. 


Digitized  by 


Google 


486  XV.  Kapitel. 

als  einheiniische  Politiker  waren  ;  man  kann  als  einzige  Namen 
Eubulos'  „Dionysios/*  vielleicht  auch  Menesaichmos'  „Philippos** 
nennen.  Wir  berühren  mit  letzterem  eine  schwierige  Frage; 
zur  mittleren  Komödie  gehören  nämlich  zahlreiche  Stücke,  welche 
einen  Personennamen  zum  Titel  haben,  ohne  dass  wir  wissen, 
ob  damit  eine  wirkUche  oder  eine  fingierte  Person  gemeint  ist ; 
nach  Aristoteles  waren  allerdings  zu  seiner  Zeit  erdichtete 
Namen  das  übliche*). 

Aus  der  Verfeinerung  der  Sitten  entsprang  ferner  eine  ver- 
schiedene  Beurteilung  der  Anständigkeitsgrenzen.  Denn  wenn 
auch  nicht  die  Sittlichkeit,  pflegt  doch  die  Prüderie  zuzunehmen '). 
Dem  entsprechend  pflegte  die  mittlere  Komödie  mehr  die  Zwei- 
deutigkeit als  die  grobe  Zote  %  wie  auch  die  gleichzeitigen  Va- 
senmaler von  den  Derbheiten  ihrer  Vorgänger  abliessen  *).  Natur- 
heb  wurde  der  Phallos  aufgegeben  ,  an  welcher  Natürlichkeit 
schon  Aristopbanes  gerüttelt  hatte.  Dass  die  Dionysientollheit 
trotzdem  nicht  zu  kurz  kam,  dafür  sorgte  die  damals  übliche 
Lebensweise  der  meisten  Athener.  Dürfte  es  doch  nicht  viele 
Griechen  gegeben  haben,  die  so  berühmt  wie  im  vierten  Jahr- 
hundert Phryne  und  Lais  waren.  Weil  nun  die  meisten  Lust- 
spiele sich  um  Hetären  drehten,  waren  viele  sogar  nach  ihnen 
benannt*).  Damals  hatte  die  Demimonde  ihre  Glanzzeit,  bevor 
die  Athener  teils  durch  die  Kriege  mit  Makedonien  und  die 
Gründung  Alexandriens  ärmer  teils  von  jenem  unnatürlichen 
Taumel  blasierter  wurden ;  dann  zogen  sie  Romane  mit  Bür- 
gerstöchtern vor  oder,  wenn  sie  eine  Hetäre  interessieren  sollte, 
musste  sie  am  Ende  als  Bürgermädchen  erkannt  werden  und 
zuletzt  mit  ihrem  Liebhaber  eine  vernünftige  Ehe  eingehen, 
was  der  alte  Aristopbanes  schon  im  „Kokalos'*  vorgezeichnet 
hatte*).  Zar  Zeit  der  mittleren  Komödie  jedoch  hörte  man  die 
Ehe  immer  für  das  ärgste  Unglück  hinstellen  ^).    Beinahe  noch 

1)  Poet.  9  p.  1461b  13. 

2)  Levesqae  memoire  aar  Aristophane,  M^moires  de  TiDstitat  uationaU 
Litt.  I.  Paris  an  6. 

3)  Aristot  eth.  Nioom.  4,  14  p.  1128  a  22  ff.  S.  aber  Enbal.  53. 

4)  Dierks  Archäol.  Ztg.  1886  Sp.  37 f. 
6)  Meineke  I  276. 

6)  Vita  Aristopb.  Z.  60ff. ;  Andpbanes  scbeiot  in  der  „Hydria'^  etwa« 
ftbnlicbes  dargestellt  zn  babeu,  ancli  Enbnl.  fr.  80. 

7)  Antiphanes  251.  252. 292. 221.  Anaxandr.  52.  Aristopbon  26.  AlexU  262. 


Digitized  by 


Google 


Die  mittlere  Komödie.  487 

mehr  als  die  Hetären  lagen  jedoch  den  Athenern  Essen  und 
Trinken  am  Herzen.  Athenaios  hat  für  diesen  Gegenstand  an 
der  mittleren  Komödie  eine  wahrhaft  unerschöpfliche  Quelle. 
Allen  geht  das  Herz  auf,  wenn  sie  von  ihren  Lieblingsspeisen 
reden ,  und  oft  wird  gar  coram  publico  geschmaust  und  ge- 
zecht ^).  Da  eine  wahre  Fischmanie  herrschte,  gab  es  in  Athen 
keine  wichtigeren  Personen  als  die  Fischhändler ;  von  dem  Ge- 
fühle ihres  Ansehens  durchdrungen,  waren  sie  unzugänglicher 
als  die  höchsten  Beamten  und  würdigten  den  Feilschenden  keiner 
Antwort,  obgleich  sie  sich  nicht  für  zu  gut  hielten,  das  Publi- 
kum auf  alle  Weise  zu  betrügen.  Nächst  ihnen  kam  der  diebische 
Koch,  der  von  seinem  Handwerk  —  er  selbst  sagt  nur :  Wis- 
senschaft —  die  höchste  Meinung  hat  und  seinem  Mietshei-m 
mit  gelehrt  klingenden  Phrasen  imponiert.  In  jener  Zeit  war 
ein  glücklicher  Thmifischfang  den  Athenern  eine  angenehmere 
Botschaft  als  eine  glückliche  Schlacht  und  ein  süsser  Kuchen 
fand  mehr  Interessenten  als  ein  Staatsgeschäft;  die  Ver- 
schwendung nahm  einen  so  bedrohlichen  Umfang  an,  dass  so- 
gar der  republikanische  Staat  von  dem  Grundsatze  des  Gehen- 
lassens  abging^.  Ausser  denen,  welche  ein  Vermögen  zu  ver- 
prassen hatten,  gab  es  genug  andere,  welchen  bei  den  gleichen 
Neigungen  die  Mittel  abgingen  und,  da  der  lebhafte  Grieche  in 
Gesellschaft  zu  schmausen  und  zu  zechen  gewohnt  war,  ent^^ 
stand  die  traurige  Klasse  der  nimmersatten  Schmarotzer,  die, 
statt  mit  ehrlicher  Arbeit  sich  schlecht  und  recht  zu  sättigen, 
ein  leckeres  Mahl  mit  Verhöhnungen  und  Misshandlungen  aller 
Art  erkauften  und  jeden  Morgen  von  neuem  die  Suche  nach 
einem  freigebigen  Wirte  begannen.  SeitAraros*)  gab  es  kaum 
eine  Komödie  ohne  Parasiten,  wie  kein  Festdiner  ohne 
diese  unentbehriiche  Würze.  Die  stehende  Parasitenmaske  der 
neueren  Komödie*)  ist  von  Alexis  ausgebildet^). 


1)  Z.  B.  Alexis  fr.  111. 

2)  Athen.  6,  245 ab. 

3)  Athen.  6,  237  a. 

4)  O.  Ribbeck  Kolax,  eine  ethologische  Studie,  Lpg.  1883.  In  Lncians 
Dialog  iccpl  napaoitoo  sind  o£fenbar  die  pathetischen  Parasitenreden  der 
Komödien  (z.  B.  Diodor.  fr.  2)  verwertet. 

5)  Karystios  bei  Athen.  6,  235  e;  jeden&Us  war  der  Parasit  zn  seiner 
Zeit  eine  stehende  Fignr  geworden  (fr.  116,  2). 


Digitized  by 


Google 


488  ^V.  Kapitel. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  der  mittleren  Komödie  von 
dem  menandrischen  Lustspiel  besteht  nämlich  darin,  dass  die 
typischen  Rollen  desselben  vorerst  noch  im  Entstehen  be- 
griffen und  nach  der  Seite  des  Derblächerlichen  hin  entwickelt 
sind  ^);  die  mittlere  Komödie  stellt  ja  noch  nicht  das  wirkliche 
Leben,  sondern  eine  Karrikatur  desselben  dar ') ,  während  die 
neue  von  dieser  Tendenz  hauptsächlich  bloss  die  äusseren  Mas- 
kenzüge beibehält.  Trotzdem  bereitet  jene  die  Typenkomödie 
dadurch  vor,  dass  die  Dichter  in  eine  schablonenhafte  Massen- 
produktion verfielen  *).  Der  Dialog  sogar  hat  etwas  merkwür- 
dig Oleichartiges ,  so  dass  öftei-s  die  nämlichen  Gedanken  mit 
ähnlichen  Worten  in  verschiedenen  Dramen  wiederkehren  *). 
Es  tauchen  schon  geistreiche  Sentenzen,  wenn  auch  noch  nicht 
in  dem  Masse  wie  bei  den  späteren  Komikern,  auf*),  und,' 
weil  Unterhaltungsspieie  damals  ausserordentlich  beliebt  waren, 
brachten  die  Dichter  künstUche  Rätsel,  z.  B.  in  der  Kleobuline 
des  Alexis  und  der  Sappho  des  Antiphanes  ®).  Auf  die  Gebil- 
deten waren  endlich  die  zahlreichen  Parodien  populärer  Dichter 
berechnet '). 

Ueber  die  57  Dichter  der  mittleren  Komödie  haben  wir 
leider  wenig  zu  sagen  ;  eine  Aufführung  der  zufällig  citierten 
Titel  wäre  zwecklos.  Sondern  wir  Athener  und  Fremde,  so 
konnte  die  Heimat  der  Komödie  selbst  sich  besonders  desEu- 
bulos  rühmen.  Jener  wird  an  die  Grenze  der  alten  und  mitt- 
leren Komödie   in   die    101.    Olympiade   gesetzt^),    durchlebte 

1)  Z.  B.  auch  der  keifende  knauserige  Hausvater  (Xpi^t-riz  xiq  9|  <&ti8a)v 
xlc  ixoopiTcetai  Antiphanes  bei  Athen.  6j,  223  a)  und  der  Flegel  {&^pot,iiLO<:, 
Meineke  I  332,  O.  Ribbeck  Agroikos,  Lpg.  1885). 

2)  Aristot.  rhet.  2,  6  p.  1384  b  10.  poet.  c.  2  a.  E. 

3)  Atbenaios  (8,  366  d)  kannte  über  achthundert  Komödien  aus  dieser 
Zeit;  Anon.  in  13  zfthlt  617  Stücke,  während  der  alten  Komödie  (§  3)  mit 
Eihrechnung  der  unechten  nur  365  zugewiesen  werden. 

4)  PhUetaer.  5.  8.  Eubul.  67.  84;  Meineke  I  358  f. 

5)  Z.  B.  to  'Ava^avSpt^oo  xh  licaivoo^evov  Aristot  rhetor.  3,  11p.  1412  b  17. 

6)  Konr.  Ohlert  Rätsel  und  (Gesellschaftsspiele  der  alten  Griechen, 
Berlin  1886  S.  93  ff. 

7)  Piaton.  I  16.  Anon.  m  13;  s.  8.  482  A.  2. 

8)  Snidas  (Sohn  des  Euphranor,  dem  Demos  nach  K'fixtcoc).  Er  ver- 
spottete den  älteren  Dionysios. 


Digitized  by 


Google 


Die  mittlere  Komödie.  489 

aber  noch  die  demosthenische  Zeit^).  Von  seinen  104  Komö- 
dien*) führte  Aristophanes' Sohn  Philippos  einige  auf*).  Timo- 
kles  ist  weniger  als  Dichter  denn  als  Charakterkopf  merkwür- 
dig, indem  er  den  lebhaftesten  Anteil  an  der  Politik  (besonders 
in  den  „Volkssatyrn")  bekundet*).  Kein  Athener  konnte  indes 
leugnen,  dass*  das  Ansehen  der  komischen  Bühne  wesentUch 
mehreren  fremden  Dichtern  verdankt  wurde;  der  angesehenste 
Komiker  des  vierten  Jahrhunderts,  Antiphanes  war  ja  wahr- 
scheinlich ein  Kleinasiate**),  der  Ol.  93  geboren,  seit  Ol.  98  in 
Athen  auftrat  und  dreizehnmal  dort  den  Preis  bekam  ^).  Er 
starb  104  Jahre  alt  in  Kion,  nachdem  er  noch  das  Königtum 
des  Seleukos  erlebt  hatte  (306,  Ol.  118,  2)^).  Dank  diesem  hohen 
Alter  und  einer  unverwüstlichen  Frische  brachte  der  Dichter 
weit  über  200  Komödien  fertig®).  Seine  Zeitgenossen  schätzten 
ihn  so  hoch  ,  dass  der  athenische  Staat  die  Gebeine  des  Anti- 
phanes einholte  und  dessen  Leiter  Demetrios  von  Phaleron  über 
ihn  schrieb  *),  Auch  die  Späteren  hatten  von  seiner  dichter- 
ischen Begabung  eine  hohe  Meinung*®).     Einige  seiner  Stücke 

1)  Athen.  13,  569  a.  Hypereides  (?)  bei  Phot.  u.  ESßooXo^. 

2)  Suidas;  Fragmente:  Meineke  HI  203  flf.,  Kock  11 164  ff.  6  diouy8ische 
Siege  CIA.  H  977  f  5. 

3)  SchoL  Plat.  p.  331 B,  z.  B.  Ndwtov  Athen.  13,  568  f.  Aaibakot: 
Themist.  ad  Aristot.  de  anima  I  3.  Ka^jinoXiöiv  wird  bald  Eubnlos  bald 
Araros  beigel^. 

4)  Fragmente:  Meineke  III  590  ff.  Kock  n  451  ff.  Ein  dionysischer  Sieg 
CIA.  n  977  g  7. 

5)  Nach  Suidas  aus  Kion  (wo  er  starb)  oder  Smyma  (ebenso  Stob.  flor. 
29,  51?)  oder  nach  Dionysios  v.  Halikamass  aus  Rhodos  (vgl.  Anazan- 
drides),  nach  Anon.  III  14  aus  dem  thessalischen  Larissa  und  von  Dömos- 
thenes  zum  Bürger  gemacht.  Sohn  des  Demophanes  oder  Stephanos  (auch 
Anon.,  wie  sein  Sohn  hiess)  und  der  Oinoe,  nach  anderen  von  Sklaven  ab- 
stammend (Suidas). 

G)  Ol.  93  '^ifovt  Suidas,  98  Anon.  III  14,  Si^e:  Suidas,  darunter  8 
dionysische  CIA.  II  977f  7;  Ol.  106,  2  (354)  fiel  er  nach  CIA.  U  972  mit 
den  avaa({>C6fi.evoi  durch. 

7)  Bei  Suidas  lesen  wir  o8',  aber  die  Aeuderung  ist  notwendig  (vgl. 
Meineke  p.  307),  weil  die  nap6x$cdo}i.^vY|  auf  König  Seleukos  anspielte  (fr. 
187,  4).  Anon.  in  14  (v  Xi(i>  ist  aus  iv  Ki(i>  entstellt. 

8)  Suidas:  366  oder  280,  Anon.  III  14:  260,  vgl.  Meineke  I  310  ff. 
Fragmente:  Meineke  HE  3 ff.,  Kock  11  11  ff. 

9)  Anon.  IH  14;  Diog.  Laert.  5,  81. 

10)  Anon.  HI.  14,  b  x^^p'^^K  Athen.  1,  27  d,  4|86(;  4,  156  c.   Diodoros  von 


Digitized  by 


Google 


490  XV.  Kapitel. 

führte  sein  Sohn  Stephanos  auf*).  Sein  ihm  fast  ebenbür- 
tiger Genosse,  Anaxandrides  stammte  aus  dem  rhodischen 
Kamiros»)  und  begann  376  (OL  100,4)  seine  ßühuenthätigkeit «). 
Obgleich  er  ein  Fremder  war,  riss  ihn  seine  leidenschaftliche 
Gemütsart  zu  politischer  Parteinahme  hin.  Sie  liess  ihn  zugleich 
gegen  sich  selbst  wüten;  wenn  nämlich  eines  seiner  Lustspiele 
keinen  Erfolg  gehabt  hatte ,  gab  er  es ,  ohne  es  umzuarbeiten 
oder  von  der  Zukunft  eine  bessere  Aufnahme  zu  erhoffen,  so- 
fort als  Makulatur  an  die  Krämer^).  Infolge  dessen  werden 
von  seinen  65  Stücken  nicht  mehr  als  36  citiert,  unter  denen 
sich  jedenfalls  die  zehn  mit  dem  ersten  Preise  gekrönten  be- 
finden*). Anaxandrides  darf  sich  der  offenen  Wertschätzung 
des  Aristoteles  rühmen  %  Vielleicht  verdankte  er  dessen  Em- 
pfehlung, dass  ihn  König  Philipp  zu  sich  berief  ^).  Alexis  end- 
lich vertritt  als  Sprössling  von  Thurii  Grossgriechenland  würdig. 
Vor  390  geboren,  erstreckte  er  sein  Leben  mindestens  bis  287  ®) 
und  wurde  106  Jahre  alt,  ja  noch  mehr,  der  Tod  ereilte  den 
Greis,  als  er  eben  mit  einer  Komödie  gesiegt  hatte  ^) ;  wie  man 
sieht,  überbot  er  sogar  Antiphanes  an  ünverwüstlichkeit.  Die 
Zahl  seiner  Stücke  belief  sich  auf  245,  obwohl  die  Authenticität 
einiger  nicht  ganz  sicher  stand  ^®).  Vielleicht  dankt  er  es  sehier 
italischen  Herkunft,  dass  er  zu  den  von  den  Römern  am  lieb- 
sten übersetzten  Komikern  gehörte  ^').     Wenn  wir  nicht  einmal 

Askalon  schrieb  ircpl  'Avxt^pdvoo?  xal  «cpl  rrj<;  icap&  tol<;  vstotipoic  xü)ji.txol(:  jiat- 
xü7]<;  (Athen.  14,  662  f). 

1)  Auou.  in  14,  vgl.  Suidas  u.  'Avttcpdv^c. 

2)  Chamaileon  bei  Athen.  9,  374  b  (mit  Xi^^^^^  vgl-  Saidas),  nach  an- 
deren aan  Kolophon  (Snidas). 

3)  Marm«)r  Parium  Z.  82. 

4)  Chamaileon  bei  Athen.  9,  374  ab. 

5)  Snidas.  Fragmente:  Meineke  HE  161  ff.,  Kock  n  135  ff.  Drei  diony- 
sische Siege  CIA.  II  977  f  3. 

6)  Rhetor.  IH  10.  11.  12.  eth.  Nicom.  7,  11  p.  1152  a  22. 

7)  Ol.  108  nach  Suidas  (111  nach  A.  v.  Gutschmid). 

8)  Er  erwähnt  fr.  244  (s.  Kock  p.  386)  Ptolemaios  Phüadelphos,  der 
damals  Berenike,  da  sie  bloss  seine  Schwester  heisst,  offenbar  noch  nicht 
geheiratet  hatte.  Thnrii  wurde  Ol.  97,  3  zerstört. 

9)  Alter :  Plutarch.  def.  orac.  p.  420e;  Tod:  Plntarch.  sen.  adm.  p.  785b. 

10)  Athen.  2,  59  f  gibt  ihm  das  Prädikat  x^P^<^^*    Fragmente:   Meineke 
in  161  ff.,  Kock  n  297  ff.  CIA.  II  977  f  11. 

11)  Genius  2,  23,  1. 


Digitized  by 


Google 


Die  mittlere  Komödie.  49  t 

von  diesen  Häuptern  etwas  näheres  sagen  können,  wie  sollte 
dies  bezüglich  der  Masse  gelingen?  Wir  heben  also  nur  die 
Fremden  heraus ,  Epikrates  von  Ambrakia  *) ,  Diodoros  und 
Dionysios  von  Sinope*),  den  Dialektiker  Eubulides  aus  Milet^  und 
Söphilos  aus  Sikyon  oder  Theben*)  und  zählen  die  übrigen  rasch 
alphabetisch  mit  Verweisung  auf  die  Fragmentensammlungen 
von  Meineke  (Bd.  III)  und  Kock  (Bd.  II)  auf,  wobei  wir  die 
durch  die  offizielle  Siegerliste  bekannt  gewordenen  Namen-  ein- 
reihen :  Alkenor  (Kol.  IV  Z.  6) ,  Amphis  (645  flF. ,  236  flF.), 
Anaxilas  341  ff. ,  264  flf.),  Antidotos  (528  f.,  410  f.),  Aristophon 
(356  ff.,  276  ff.,  Kol.  m  Z.  12),  Athenokles  (IV.  4),  Augeas*) 
Axionikos  (530  ff.,  411  ff.),  Choregos  (III  2),  Dromon  (541,  419), 
Ephippos  (III  6,  657  ff.,  250  ff.),  Epigenes  (537  ff.  416  ff.)«). 
Eriphos  (556  ff.  428  ff.),  Euphanes  (III 10)  ^  Hemochos(560ff., 
431  ff.),  Herakleides  (565,  435),  Herakleitos  (566,  435),  Kalli- 
krates  (536,  416),  Klearchos  (562  ff.,  408  ff.,  IV  3),  Kratinos 
der  jüngere  (374  ff.,  289  ff.),  Mnesimachos  (III 8,  567  ff.,  436  ff.) 
Nausikrates  (575  ff.,  295 f.  III  9.  p  4),  üphelion  (380f.,  293  f.); 
Philiskos  (579  f.,  443  f.),  Phoinikides  (353  auftretend ,  CIA.  II 
972),  Prokleides  (IV  8  als  der  letzte  der  mittleren  Komödie^ 
auch  CIA,  II  971  d  gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts),  Pyr.  .  . 
(IV  5),  Simylos  (353  siegend  CIA.  II  972),  Sotades  (585  ff., 
447  ff.),  Straton»),  Theophilos  (626  ff.,  473  ff.),  Timotheos  (589 
450  f.)  und  Xenarchos  (614  ff.,  467  ff.), 

1)  Meineke  HI  365  flf.,  Kock  U  282  ff. 

2)  Diodoros  trat  353  (OL  106,  3)  mit  zwei  Stücken  auf  (CIA.  H  972), 
Meineke  m  543 ff.,  Kock  II  420 ff.;  Dionysios:  Meineke  HI  547 ff.,  Kock 
n  423  ff. 

3)  Meineke  in  559,  Kock  n  431. 

4)  Saidas;  Fragment«:  Meineke  in  581  ff.,  Kock  11  444 ff. 

5)  Suidas,  s.  Meineke  I  p.  416  f. 

6)  Es  gibt  sowohl  einen  jangeren  Komiker  Ephippos  (Athen.  8,  346  f), 
als  einen  Epigenes  (Pollux  7,  29,  CIA.  II  975  V  2),  ebenso  einen  jangeren 
Timokles  (Pollux  10,  154.  Suidas).  Die  Inschriften  zeigen,  wie  vorsichtig  m  an 
bei  einen  üblichen  Namen  tragenden  Dichtem  sein  mnss. 

7)'Steph.  Byz.  u.  Ildpvirjc  (verderbt  'Ev«pav4|<;). 
8)  Suidas,  s.  Meineke  I  235. 


Digitized  by 


Google 


XVI.  Kapitel. 
Der   Mimos. 

PosseDreisser  in  Sicilien;  Sophron  und  Xenarchos. 


Nie.  Calliachias  de  ludis  scenicis  mimorum  et  pantomimomm,  Padna 
1713;  Hnschke  de  C.  Annio  Cimbro,  Rostock  1824  p.  59 ff.;  Grysar  de 
Sopbrone  mimographo,  Fr.  v.  Köln  1838;  £.  Heitz  des  mimes  de  Sophron, 
tb^e  y.  Strassburg  1851;  L.  Botzon  quaestionnm  mimicaram  specimen, 
Berlin  1852,  de  Sopbrone  et  Xenarcbo  mimographis,  Fr.  t.  Lyck  1856  n. 
Sopbroneomm  mimorum  reliquias  oonqnis.,  Fr.  v.  Marienbnrg  1867;  J.  A« 
Führ  de  mimis  Graecoram,  Berlin  1860. 

Während  in  Sicilien  und  Athen  die  versificierte  Komödie 
im  Zusammenhang  mit  den  öffentlichen  Götterfesten  sich  ent- 
wickelte, liebten  die  Griechen  auch  bei  famiUären  Gastereien 
Ergötzung  durch  allerlei  Augen-  und  Ohrenschmaus.  Neben 
den  Gauklern  und  den  Musikern,  welche  freigebige  Wirte  von 
der  Art  des  in  Xenophons  „Gastmahl"  geschilderten  ihren 
Gästen  vorführten,  trugen  bei  den  Athenern  die  oben  erwähnten 
Schmarotzer  dadurch  selbstthätig  zur  Belustigung  bei,  dass  sie 
sich  gegenseitig  ohrfeigten  und  mit  „gesalzenen"  Anapästen 
verspotteten*);  an  anderen  Orten  trat  dagegen  ein  professions- 
mässiger  Mimos  auf*),  der,  wie  der  Name  besagt,  irgend  etwas 
aus  dem  täglichen  Leben  nachahmen  musste.  Solche 
Leute  fanden  in  dem  lustigen  Grossgriechenland  und  auf 
Sicilien  den  meisten  Beifall.    Als  der  beste  italische  Mime  wird 


1)  Alciphr.  epist.  3,  43,  2. 

2)  6aofiatoicoi6(  ^  \i.l\ko^  9|   oopixrr^c  Aristot.  probl.  18,  6,  fthnlich  zu- 
sammengestellt Diodor.  20,  63,  2.  Athen.  10,  452  f. 


Digitized  by 


Google 


Der  Büinos.  493 

Kleon    6    (it(iaoXoc,    der   auf  eine  Maske   verzichtete,    heraus- 
gehoben *). 

Diesem  Teile  der  griechischen  Welt  gebührt  denn  auch 
der  Ruhm,  den  Mimos  —  das  Gesprochene  trug  mit  dem 
Sprecher  den  gleichen  Namen  —  zu  einer  Literaturgattung 
ausgebildet  zu  haben.  Die  Ueberlieferuug  benannte  die  ältesten 
Denkmäler  derselben  nach  dem  Syrakusaner  S  o  p  h  r  o  n  , 
ohne  über  seine  Person  etwas  zu  wissen*);  er  gab  überhaupt, 
wie  Aristoteles  andeutet^),  einen  blossen  Gattungsnamen  ab. 
Eine  etwas  pedantische  wahrscheinlich  von  Theophrast  her- 
rührende Definition  lautet:  „Der  Mimos  ist  eine  Nachbildung 
des  Lebens  und  umfasst  die  anständigen  und  unanständigen 
Seiten  desselben  .ohne  Unterschied***).  Hiebei  fehlt  gerade 
etwas  charakteristisches,  dass  er  nämlich  in  Prosa  (natürUch 
dorisch)  verfasst  ist*).  Wenn  man  später  Handlungs-  und 
Charaktermimen  unterschied  ^,  so  waren  die  sophronischen  der 
letzteren  Gattung  zuzuweisen;  sie  führten  nämlich  einzelne 
Typen  aus  dem  Leben  vor,  weshalb  die  Bibliothekare  die 
Mimen  recht  äusserlich  in  männliche  und  weibliche  einteilen 
konnten  ^).  Dürfen  wir  vielleicht  die  Volkskomiker  des  alten 
Wien,  die  vom  „Brettl**  herab  irgend  eine  Charakterfigur  ihrer 
Stadt  drastisch  darstellten ,  mit  diesen  Mimen  vergleichen  ? 
Die  sophronischen  Mimen  stellten  z.  B.  einen  Thunfischjäger, 
einen  Boten,  die  Brautschmückerin,  die  Näherinen  dar,  andere 


1)  Klearchos  bei  Athen.  10,  452  f. 

2)  Nach  Suidas  lebte  er  zur  Zeit  des  Xerxes  (als  Genosse  des  Epicharmos) 
nnd  des  Enripides  (weil  das  Wort  ji.t|ioc  znerst  Rhes.  256  nachzuweisen  ist). 
Derselbe  unterscheidet  irrtümlich  zwei;  die  Eltern  nennt  er  Agathokles  und 
Damnasyllis. 

3)  Toöc  xaXou}i.8voo{  Sui^ppovo^  \i.i\koo':, 

4)  Bei  Snetonins  p.  13,  3  f.  BeifT.  \t.l\t.6^  eott  ji.tfiY|otc  ßtoo,  xi  oo^Hex*»?"'!- 
(ilva  xal  dLOiyc^toprixa  icepi^x^v.  Demosthenes  2, 19  sagt  Teräcbtlich  filfioc 
feXotcov. 

5)  Aristot.  poet.  1  p.  1447b  11;  Santeu  in  Terentian.  p.  165  ff.  ver- 
suchte trotzdem  Metren  dnrcbzuföhren. 

6)  Die  letzteren  Wessen  ri^oX&^oi  Polyb.  31,  4.  Diodor.  20,  63,  2  (bei 
Mahlzeiten  auftretend  Plutarch.  symp.  5  praef.  a.  E.). 

7)  Suidas  und  öfters  bei  Athennios.  Schon  Apollodoros  legte  diese  Ein- 
teilung, seinem  Kommentar  zu  Grunde.  Fragmente:  Ähren s  de  dialecto 
Dorica  appendix  H.  und  Botzon  a.  O. 


Digitized  by 


Google 


494  XVI.  Kapitel. 

sind  betitelt:  Die  Schwägerin,  Liebling  wohin  fliehst  du?  Der 
Fisclier  und  der  Jäger,  die  Frauen  sagen  sie  hätten  gegen 
Demeter  Klage  gestellt;  an  die  Mythologie  erinnert  nur  der 
Titel  „Prometheus"  ^).  „Ein  einzelner  einfacher  Vorfall,  ein 
glücklich  naives,  ja  ein  albernes  Wort,  ein  Missverstand,  eine 
Paradoxie,  eine  geistreiche  Bemerkung,  persönUche  Eigenheiten 
oder  Angewohnheiten,  ja  eine  bedeutende  Miene  und  was  nur 
immer  in  einem  bunten  rauschenden  Leben  vorkommen  mag, 
-alles  ward  in  Form  des  Dialogs,  der  Katechesation ,  einer 
bewegten  Handlung,  eines  Schauspiels  dargestellt" ').  Wie  jene 
Definition  darlegt,  war  im  Mimus  allerdings  viel  obscönes  und 
possenhaftes  (z.  B.  wurden  die  Weiber  wegen  ihrer  unkorrekten 
Sprechweise  verspottet)'),  auf  der  anderen  Seite  enthielten  sie 
so  viel  interessantes,  dass  Plato  Sophron  sehr  hoch  stellte*) 
und  auch  Rhetoren  ihn  bewunderten*).  Das  Lehrhafte  scheint 
-weniger  aufdringlich  als  bei  Publilius  und  hauptsächlich  in 
volkstümlichen  Sprichwörtern  ausgedrückt  gewesen  zu  sein, 
welche  nach  Sancho  Pansas  Art  zu  zweien  und  dreien  vor- 
kamen %  dass  man  aus  Sophron  ein  reichhaltiges  Sprichwörter- 
buch hätte  zusammenstellen  können.  Obgleich  innerhalb  der 
klassischen  Zeit  nur  noch  Xenarchos,  der  unter  dem 
ülteren  Dionysios  dichtete,  als  Mimendichter  genannt  wird  ^) 
und  der  syrakusanische  Dialekt  die  weite  Verbreitung  nicht 
beförderte  ^ ,   hat  diese  Art  trotzdem  feste  Wurzeln  geschlagen 


1)  Nach  O.  Müller  Dorier  II  349  und  Sehne idewin  exercit.  critt. 
YIII  52  schrieb  er  einen  Mimos  ^HpoXXoc  (Herakles  als  Pygmäe),  was  O.  Jahn 
Persii  proleg.  p.  XCV  bestreitet. 

2)  Goethe  moralisch-politisches  Puppenspiel  (Dichtung  und  Wahrheit, 
Buch  Xni). 

3)  Etym.  Magn.  p.  774,  41  £f.    Auf  die  Possen  zielt  Tatianus  p.  169  Paris. 

4)  Diog.  Laert.  3,  18.  Olympiodor.  Z.  62  ft,  Vit.  Plat.  Z.  105  ff.  Quintil. 
1,  10,  17.  Tzetz.  Chil.  10,  806 ff.  (s.  dazu  Wachsmuth  siilograph. 
•Oraec.   p.    133j. 

5)  Demetr.  eloc.  128.  156;  OKOoSatot  Ulpian.  in  Demosth.  Ol.  n  p.  30. 

6)  Demetr.  eloc.  156. 

7)  Aristot.  poet.  1  p.  1447  b  11.  Phot.  Suid.  u.  Ttj-ftvooc  (angeblich 
^Sophrons  Sohn). 

8)  Daher  implicitus  Stat.  silv.  3,  5,  158;  der  bekannte  Apollodoros 
^erfasste  einen  ausführlichen  Kommentar  (Athen.  3,  89  a.  7,  281  e.  309  d). 


Digitized  by 


Google 


Der  Mimos.  495 

und  das  Drama  mit  der  Zeit  weseutlich  beeinträchtigt,  zuletzt 
sogar  ganz  verdrängt.  Daneben  entwickelte  sich  aus  ihr  heraus 
das  hexametrische  „Bildchen"  (slSoXXtov),  zuerst  noch  in  der 
Hand  ßhinthons  und  anderer  Unteritaliener  zur  Satire  neigend  ^), 
dann  von  Theokrit  zur  lldylle,  wie  wir  das  Wort  verstehen, 
verfeinert  *) ;    auf  Jener  Manier  griff  zuletzt  Persius  zurück  ^). 

1)  Job.  Lydos  de  magistrat.  1,  41. 

2)  Argum.  U.  XV.  Vgl.  Valckenaer  ad  Theocrit.  Adoniaz.   p.  193  ü. 

3)  Job.  Lydus  a.  O. 


Digitized  by 


Google 


S  c  h  1  u  s  s. 


Sehen  wir  auf  die  Entwicklung,  welche  die  griechische 
Poesie  von  den  Perserkriegen  bis  auf  Alexanders  Zeitalter  nahm, 
zurück,  können  wir  Plutarch  nicht  Unrecht  geben,  wenn  er  sie 
im  Gegensatz  zu  der  von  Religiosität  durchdrungenen  Dichtung 
der  früheren  Zeit  als  S-satpiXT]  (loöoa  charakterisiert  ^).  In  der 
That  wird  die  Verbindung  von  Religion  und  Poesie  ,  welche 
noch  der  aeschyleischen  und  pindarischen  Dichtung  einen  so 
imposanten  Eindruck  verlieh,  immer  lockerer  und  äusserlicher, 
bis  im  vierten  Jahrhundert  jene  nicht  mehr  als  den  äusseren 
Anstoss  und  den  Verwand  zur  Aufführung  musischer  Werke 
leiht.  Dies  übt  wieder  auf  den  Dichter  eine  bedeutende  Rück- 
wirkung aus.  Die  griechische  Poesie  hat  zwar,  so  weit  wir  sie 
zurü^kverfolgen  können,  nie  individuelle  Freiheit  und  Schranken- 
losigkeit  gekannt,  sondern  ist  jederzeit  in  streng  stilisierter  Ge- 
stalt aufgetreten.  Aber  die  aristokratisch  zu  nennende  Kon- 
vention, wobei  das  Genie  so  gut  wie  der  Dutzendschriftsteller 
pietätvoll  an  das  Ueberlieferte  anknüpft  und  es  mit  schonender 
Hand  bessert,  doch  nicht  um  jeden  Preis  ändert,  hört  mit  So- 
phokles auf;  an  ihre  Stelle  tritt  schon  zu  seiner  Zeit  die  aka- 
demische Konvention.  „Regel  wird  alles  und  alles  wird  Wahl 
und  alles  Bedeutung"  *).  Der  Sophist  lehrt  die  einzelnen  Worte 
genau,  ja  kleinlich  abwägen,  er  zeigt,  wie  man  die  Gedanken 
nach  wohlberechneter  Ordnung  setzt,  er  zergliedert  sogar  das 
menschliche  Gemüt,  um  die  Wirkung  der  Poesie  und  Rede- 
kunst abzumessen.  Wie  hätte  neben  so  nüchterner  Verständig- 
keit der  poetische  Enthusiasmus;  der  götthche  Funke  der  alten 

1)  Plutarch.  miis.  27. 

2)  Die  gleichzeitige  Entwicklang  der  Kunst  gewährt  ein  entsprechendee 
Bild  (F.  V.  Duhn  Archäol.  Ztg.  1885  Sp.  3  f.). 


Digitized  by 


Google 


Schlnss.  497 

Kunst  ungeschwächt  fortbestehen  können?  Selbst  ein  Plato 
spricht  jetzt  von  dem  ungelehrten  Rhapsoden  Ion,  welcher  seine 
Kunst  der  blossen  Begeisterung  verdankt,  mit  Ironie  und  Ari- 
stoteles zeichnet  als  merkwürdig  auf,  dass  der  syraküsanische 
Dichter  Marakos  im  Zustand  des  Enthusiasmus  glückücher 
war^).  Warfen  sich  Dichter  dieser  Richtung  nicht  freiwillig  in 
die  Arme,  so  wurden  sie  durch  ihr  Publikum  dazu  getrieben ; 
denn ,  seit  viele  zu  den  Füssen  der  Sophisten  gesessen  hatten, 
war  die  Unbefangenheit  des  naiven  Kunstgenusses  unwider- 
bringlich dahin  *).  Lebhaften  Geistes ,  waren  die  Athener  mit 
dem  Gelernten  überall  bei  der  Hand,  indem  sie  mehr  nach  der 
Zweckmässigkeit  und  Korrektheit  des  Gebotenen  frugen  als 
dessen  Wirkung  unbefangen  an  sich  erprobten.  Nicht  die  Phi- 
losophen allein  disputierten  über  die  schönen  Künste,  auch  die 
dionysische  Komödie,  voran  Aristophanes ,  trug  die  literarische 
Kritik  unter  die  Menge.  Die  Gelehrten  beherrschte  sogar  ein 
ausgeprägtes  UebelwoUen  gegen  die  Poesie  %  von  dem  nicht  ein- 
mal eine  so  poetisch  angelegte  Natur  wie  Plato  frei  war.  Man 
übte  an  Sentenzen  die  strengste  Censur  und  nörgelte  nach 
Protagoras'  Vorgang  an  jeder  ungewöhnlichen  Ausdrucksweise. 
Die  Reflexion  wurde  ausserdem  dadurch  befördert,  dass  schon 
am  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  wenigstens  die  Athener  die 
Dichtungen  nicht  mehr  bloss  durch  den  Mund  berufener  künst- 
lerisch gebildeter  Interpreten  kennen  lernten  ,  sondern  leicht 
Abschriften  erhalten  konnten.  Es  ist  überhaupt  ein  natürliches 
Gesetz,  dass  die  Verfeinerung  und  Verallgemeinerung  der  Bil- 
dung die  echte  Poesie  beeinträchtigt. 

Ich  weiss  nicht ,  ob  es  mir  gelungen  ist,  die  unheilvolle 
Wirkung  des  prosaischen  Geistes  bei  den  einzelnen  Arten  deutlieh 
zu  machen.  Er  ist  es,  der  von  nun  über  der  griechischen  Literatur 
herrscht,  und  so  ist  auch  die  athenische  Prosa,  nicht  die  Poesie 
für  die  fernere  Gestaltung  der  Kultur  massgebend  geworden. 

1)  Aristot.  Problem.  30, 1. 

2)  Zum  folgenden  vgl.  Ed.  Müller  Geschichte  der  Theorie  der  Kunst  bei 
den  Alten,  Breslau  1834—37,  2  Bde. ;  Egger  histoire  de  la  eritique  chez  les 
Grecs,  Paris  1886. 

3)  Z.  B.  Aristot.  poet.  18  p.  1456  a  5  m?  vov  ooxocpavtoöot  touc  wotirjxdc. 


Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Literatur.  III.  32 

Digitized  by  CjOOQIC 


Nachträge. 


S.  15  ist  statt  Aristarch  Aristophanes  zu  schreiben;  ich  meine 
Plutarch.  sol.  anim.  18. 

S.  24  A.  4:  Fr.  Riaux  essai  sur  Parmenide  d'Elee  suivi  du  texte  avec 
traduction  des  fragm.,  Paris  1840. 

S.  27,  6:  Sozomenos,  der  Empedokles'  Dichtungen  noch  gekannt  zu  haben 
scheint,  gibt  eine  wohlwollende  Erklärung  des  Todes  (bist.  eccl.  2,  24  p.  477  c). 

S.  27,  7:  Usener  Rhein.  Mus.  23,  316 fP. 

S.  41:  Ein  Ständchen  hiess  xpooold-opov  (Hesych.). 

S.  46 :  Für  die  Aulöden  wai*en  an  den  Panathenäen  zwei  Preise  ausgesetzt 
(CIA.  n  965  fr.  a). 

S.  58:  Ueber  die  Chöre  der  Hephästien,  Promethien  und  in  Mensis  Rud. 
Scholl  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  1887  S.  3f:  14 f. 

S.  70,  5:  Aat^pavÖ-üpac  gehört  zu  Tzetzes'  Flüchtigkeiten;  es  stammt  aus 
Philostr.  imag.  2,  12  p.  417,  If.  iicl  xic  to5  Aa?<p(ivxoü  ö-opa;. 

S.  85:  Wie  mich  ein  musikkundiger  Freund  belehrt,  musste  ich  sagen: 
„während  ein  Flötenspieler  den  Ton  aus  hielt". 

S.  98,  6  fielen  zwei  Bonner  Universitätsprogramme  von  1885  aus:  Ed. 
Lübbert  de  poesis  Pindaricae  in  archa  et  sphragide  componendis  arte  imd 
de  priscae  cujusdam  epiniciorum  formae  apud  Pindarum  vestigiis. 

S.  100,  9:  Pindars  Haus  wurde  noch  im  vierten  Jahrhundert  n.  Chr. 
gezeigt  (Himer.  erat.  18,  3). 

S.  102,  14:  Phüostrai  imag.  2,  24  p.  428,  31. 

S.  104 f.:  Von  Interlinearglossen   gibt  Res  1er  Philol.  4,  519  ff.  Proben. 

S.  113,  3:  Der  Hynmus  auf  Demeter  setzt  die  Kenntnis  des  Makedonischen 
voraus  (Athen.  10,  455  d)! 

S.  124,  10:  Dinse  de  Antigenida  Thebano  musico,  Berlin  1856. 

S.  131:  Ueber  die  kritischen  Zeichen  der  Alten  Mor.  Schmidt  Didymi 
Chalcent.  fragm.  p.  262  ff.  (zu  Sophokles).  277  f.  (zu  Euripides). 

S.  149:  Gust.  Oehmichen  griechischer  Theaterbau  nach  Vitruv  und 
den  üebonesten,  Berlin  1886. 

S.  157,  3 :  Die  Katharsis  erläutert  auch  Ps.  Jamblich,  de  mysterüs  1, 11. 

S.  162,  2:  E.  Sterk  de  Labdacidarum  historia  a  tragicis  in  soena  pro- 
posita,  Leiden  1829. 


Digitized  by 


Google 


Nachträge.  499 

S.  164,  5:  üeber  Ammen  u.  dgl.  als  Nebenpersonen:  Stephan!  Compte- 
rendu  de  la  comm.  arch.  Petereb.  1863  p.  171  ff. 

S.  165:  E.  Moncourt  de  parte  satyrica  et  comica  in  tragoediis  Euripidis, 
ihese  von  Paris  1851. 

S.  168 f.:  ü«ber  Pei^onifikationen  Baumeister  Denkmäler  des  klass. 
Alterth.  S.  1299  ff. 

S.  233,  3 :  Himerios  bezeichnet  gerade  die  Nacht  als  tragisch  (pt.  23,  22). 

S.  247,  1:  Die  Gemme  ist  jetzt  in  Baumeisters  Denkmälern  S.  34  abge- 
bildet zu  finden. 

S.  260,  1:  statt  Georgias  lies  Gorgias. 

S.  279,  6:  Bergk  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe;  C.  Sucro  de  So- 
phocleae  imprimis  Musae  arte  et  praestantia,  Pr.  v.  Magdeburg  1856. 

S.  337,  4:  Benützung  der  „Bakchen"  durch  Nonnos  XIHI. :  Reinh. 
Köhler  über  die  Dionysiaka  des  Nonnos,  Halle  1853  p.  86 f. 

S.  373 :  Vielleicht  deutet  das  Variieren  des  Namens  auf  zwei  verschiedene 
^Tragiker,  von  denen  der  eine,  älter  als  Euripides,  die  Pädagogen  einführte, 
wähi-end  der  andere  Alexanders  Zeitgenosse  war. 

S.  374:  statt  Menekratos  lies  Menekrates. 

S.  374  A.  11:  Stockt  hinter  Alcestis  etwa  Acestor? 

S.  375:  Zu  Morychos*  Konsorten  gehört  nach  Schol.  Ravenn.  Arist.  Ran. 
^,  vgl.  Pac.  289  (Meine ke  historia  crit  com.  Graec.  p.  513)  Datis,  ein 
Sohn  des  Karkinos. 

S.  379,  5:  Theoros  könnte  auch  bloss  ein  Schauspieler,  Laches  ein 
Lyriker  sein. 

S.  419:  Der  Narrenfi'eiheit  entspricht  die  Atovootax*}]  eXeo^-Bpta  (Lucian. 
PrometL  6). 

S.  448:  Aristomenes  wird  auch  CIA.  11  977  a'  neben  einem  Kephi- 
flodoros  genannt. 

S.  456:  Philippos  steht  m  der  Siegerliste  CIA.  977  ÜI. 

S.  472:  F.  Clausen  de  schohis  veteribus  in  Avos  Ar.  compos.,  Kiel  1881. 


Digitized  by 


32* 

Google 


Generalregister. 


Die  lateinischen  Ziffern  bezeichnen  den  Band,   die  arabischen  die  Seite, 
hinter  einem  Komma  stehenden  die  Anmerkungen. 


die 


Abaris  I  213.  209,  6. 

Abrutalus  EI  31,  3. 

Abydenos  H  391,  2. 

Accius  m  332. 

Achaios  von  Ei'etiia  UI  30B  f. 

ActiUeus  I  35. 

Adonislied  I  23. 

Adrantos  m  377,  6. 

Adrastos  II  345. 

Advokaten  11  7. 

Aehanus  E  390,  11. 

Aeneas,  Taktiker  E  492  f.  481,  4. 

AeoUer  I  36  ff. 

Aeolismen  bei  Homer  I  42  f.  58,  6, 
Alkman  I  300  f. 

Aeschines  von  Arkadien  E  133,  3. 

Aeschines  dor  Redner  E  246  ff. 
Reden  250  ff.  182,  2. 

Aeschines  von  Si»hettos,  Sokratiker  E 
275,  9.  280  ff.  290. 

Aesch ylus  EI  244 ff.  197.  208.  230, 
Ansehen  264ff.,  Ausgaben  268 ff.,  Bio- 
graphien 244,  Charakteristik  249  ff.. 
Elegien  36.  37,  4,  Epigramme  38. 
247,  A.  u.  Homer  I  154  f.,  Gelehile 
^Studien  266  ff.,  Handschi-iften  267  f., 
Leben  244  ff.  ra.  Nachtr.,  Persönlich- 
keit 247  ff.,  Svholien  267  f.,  Trilogien 
235,  Uol  ersctzungen  270,  AVerke 
254  ff.;  Agamemnon  260 f.  185.210. 


227  f.  255,  Choephoren  261  f.  233,  3, 
Eimieniden  262.  228.  230.  248,  Glau- 
kos 255,  2,  Pei-ser  263  ff.  145.  230. 
246,  4.  254.  255.  265,  Pi-ometheus 
257  ff.  179.  184.  209.  255  f.,  Schutz- 
tlehendo  256  f.  209.  248,  Sieben 
259  f.  255. 

Aesop  I  27  f. 

Aosthetik  der  Aloxandiiner  I  136,  2c 
IE  130. 

Aethioi)is  I  173. 

AethUos  II  353,  2. 

Agatharchides  E  422.  EI  17. 

Agathias  E  390,  10.  391,  2.  423,  3. 
EI  103,  7. 

Agathoklcs  El  70. 

Agathen  IE  367  ff.  241.  242  A.  2.  E 
44,  Elegien  El  37,  4. 

Agestratos  EI  102. 

Agias  I  176. 

Agone  lil  2  ff.  57  f.  137.  153  f.  406  f. 

Aigeiden  EI  69. 

Aigimios  I  179.    . 

Aigina,  Enkomien  IE  83,  Verhältnis 
zu  Theben  und  Pindar  85. 

Aineias,  Taktiker  E  492  f.  481,  4. 

Ais('hiu(s  s.  Aeschines,  Grammatiker 
III  357. 

Ai.schylos  s.  Aeschylus. 

Aision  E  183,  3. 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


501 


Akademie  n  286. 

Akestor  m  375.  Xachtr.  zu  374,  11. 

Akren  H  491. 

Akusilaos  I  346  f. 

Albinos  zu  Plato  H  305,  7.  343,  1.  345. 

Alchymie  TL  299.  482. 

Alexamenos  11  275. 

Alexandres  n  55.  DI  48.  v.  Aetolien 
I  303.  m  131.  V.  Kotyaeion  H  391. 
m  310.  Numeniu  H  239.  424,  2. 

Alexis  Komiker  HI  490,  Historiker 
n  353,  2. 

Alkaios  Lj-riker  I  318 ff.;  zu  fr.  41 
I  321,  6;  Kitharöde  m  53,  6;  Ko- 
miker m  477. 

Alkenor  HI  491. 

Alkestis  III  374.  11  m.  Nachtr. 

Alkibiades  H  81. 

Alkidamas  n  46ff.,  das  ihm  Zu- 
geschriebene 49. 

Alkimos  lU  400. 

Alkinoos  II  345. 

Alkmaion  v.  Ki-oton  II  487.   ' 

Alkmaionis  I  178. 

AlkmanI296ff. 

Allegorie  III  67. 

Allegorische  Figuren  in  der  Komödie 
m  416  f.,  der  mittieren  m  484,  in 
der  Tragödie  IH  168  m.  Nachtr. 

Allitteration  I  8. 

Alphabet  auf  Vasen  u.  dgl.  IQ  476. 

Amai-antos  UI  132. 

Amazonia  I  173.  183. 

Ameipsias  III  449. 

Ameisen,  goldgral>ende  I  213,  7. 

Amelesagoi-as  I  345. 

Amme  iu  der  Tragödie  HI  164  m. 
Nachtr. 

Ammonios  I  138.  H  343,  1.  HI  101. 

Amoibeus  HI  53. 

Amphiaraos  I  215. 

Amphimones  DI  110. 

Amphis  m  491. 

Anabole  m  119.  369. 

Anachronismen  der  Tragiker  IH  169  f. 

Anacreon  de  natura  deorum  I  341. 

Anagnostikoi  IH  378. 


Anagraphai  I  342. 

Anakreon  I  333 ff. 

Anakreonteen  I  338  ff. 

Anaki'eontiker  I  340. 

Ananios  I  283. 

Anaxagoras  Philosoph  H  475  ff.  III 
318,  Isoki-ateer  Jl  133,  3. 

Anaxandrides  HI  490. 

Anaxilas  Id  491. 

Anaximandros  1  351,  der  jüngere  U 
25,  Historiker  H  358. 

Anaximenes,  Philosoph  I  352. 

Anaximenes  von  Lampsakos  I  352. 

Andokides  H  91ff.,  1.  u.  2.  Rede 
94 ff.;  3.  83;  4.  gegen  Alkibiades 
82 f.;  an  die  Genossen  88 f. 

Andren  H  484. 

Androuikos  HI  391. 

Androtion  H  133.  226. 

Anecdotum  Romanimi  I  135,  1. 

Anekdoten  H  367. 

Anna  Komnena  H  470. 

Annalen  I  346. 

Anthes  I  20. 

Antidotes  HI  491. 

Antigenes  I  115. 

Antigenidas  HI  124,  10  m.  Nachtr. 

Antüabe  HI  221,  1.  428,  6. 

Antimachos  von  Tees  I  184,  von 
Kolophon  HI  14 ff.,  Epigramme  HI 
39,  über  Homer  H  25. 

Antimoiros  von  Mende  H  22. 

Antiochos  v.  Syrakus  II  354  f. ,  v. 
Alexandrien  HI  390. 

Antipatros  HI  16,  4. 

Antiphanes  HI  489. 

Antiphon  H  62 ff.;  Poütiker  64 f.; 
Sophist  und  Traumdeuter  65  f.  495. 
425;  epideiktische  Reden  63  f.;  ge- 
richtliche 62  f.  67  ff.  495;  Lehrbuch 
63;  philosophisches  64;  Tetralogien 
63;  Ti-aumbuch  66. 

Antiphon,  Epiker  IH  11. 

Antiphon,  Tragiker  HI  377. 

Antisthenes  H  277 f.  290. 

Antistrophische  Güederung  HI  98.  127. 

Antithese  H  38. 


Digitized  by 


Google 


502 


Generah-egister. 


AntyUos  U  401.  402.  424,  2. 
Anyte  DI  12,  von  Tegea  12,  4. 
Apellikon  I  126. 
Aphareus  m  380. 
Aphroditehymnen  I  20. 
Aphthonios  11  401. 
Apion  I  142.  143. 

Apollinaris  von  Laodikeia  DI  102.  356. 
ApoUodoros  1 143.  H  225.  m  70.  398, 

1.  399.  400,   Lyriker  m  70,  6,   v. 

Kyrene  m  357 ,  v.  Tarsos  IH  357. 
Apollohymnen  I  15  ff. 
ApoUonides  von  Nikaia  11  238. 
ApoUonios  von  Rhodos  I  125  f. 
Apollonios  Sophistes  1 143.  144,  Hero- 

dot  n  391,  Pindar  m  102,  Rhetor 

n  247,  1.  254. 
Apollophanes  m  478  A.  3. 
Aporien  bei  Homer  I  139.  11  22  ff. 
Appianos  n  390,  10. 
Apulejus  IT  283.  340. 
Arabische  üebersetzungen :  Demokiitü 

483,  Kebes276,  Piatos  Biographie  283 

u.  Schriften  298  f.  340,  Proklos  343, 7. 
Araros  HE  456. 
Aratos  m  30.  33,  8. 
Arbeitslieder  I  13  f. 
Archaismen  bei  Homer  I  43. 
Archelaos  von  Athen  n  477. 
Archesti-atos  I  151.  HI  115. 
Archilochos   I  270 ff.,   seine. Zeit 

249,   Elegien  245,   u.  die  Komödie 

m  435,  4. 
Archinos  H  30.  82.  99,  4. 
Archippos  HI  457. 
Architekten  I  357. 

Archytas  H  287.  288,  4.  486,  9.  488  f. 
Ardalos  I  291. 
Areios  I  153. 
Areopag  11  5. 
Argas  HI  42. 
Argivischo  Epen  I  190. 
Argonautenepen  I  183. 
Argonautensage  I  41. 
Arien  s.  Monodien. 
Arignotos  HI  53,  6. 
Arim&speia  I  213. 


Arion  I  315. 

Ariphron  HI  127.  126,  11. 

Aristagoras  HI  478  A.  3. 

Aristarchos  v.  Samothrake :  Homer  I 
128  ff.  80,  2.  130.  135.  142,  Hesiod 
1  226,  Archilochos  I  278,  Anakreon 
I  338,  Pindar  m  101,  Aeschylus  HI 
266,  3,  Sophokles  m  303. 

Aristarchos  v.  Tegea  in  369  f. 

Aristeas  I  213.  209,  6. 

Aristias  m  140.  141. 

Aristippos  n  275.  290. 

Aristodemos  HI  101. 

Aristogeiton  H  267. 

Aristokleitos  HL  48. 

Aristomenes  HI  448  m.  Nachtr. 

Ariston  HI  371. 

Aristonikos:  Homer  I  135  f.  139.  143, 
144.  Hesiod  I  226,  Pindar  m  101. 

Alistonus  HI  53. 

Aristonymos  DI  449. 

Aristophanes  von  Byzanz :  Homer  I 
127  V 135,  Hesiod  1 225,  Ärchüochos- 
I  278,  Anakreon  I  338,  Plato  TL 
296.  305,  7,  Di-ama  m  "131.  132. 
266,  3.  357,  Simonides  HI  65,  Pin- 
dar HI  101. 

Aristophanes,  der  Komiker  IH 
452 ff..  Ansehen  469 ff.,  Ausgaben 
453 ff.,  Biographien  474,  Charak- 
teristik 469  ff.,  u.  Euripides  352,  Ge- 
lehrte Studien  470  ff.,  Handschriften 
473 ff.,  Leben  453 ff.,  Pei-sönUchkeit 
456 ff.,  Schonen472f.  ra.  Nachtr., 
Werke  457  ff.,  Achamer  458  f.  433. 
438.  439. 438.,  Babylonier  454. 418  f., 
Ekklesiazusen  462.    456    (V.  1152: 

437,  4),    Fiieden   459.   456.   433. 

438,  Frösche  467  f.  456.  433.  434^ 
Lysistrate  459  f.  456.  437.  438,  Plu- 
tos  463.  456.  433.  439,  Ritter  460. 

455.  417  (V.  149:  437,  4),  Thesmo- 
phoriazusen  463.  466 f.,  Vögel  461. 

456.  433.  434,  Wespen  460  f.  456,. 
Wolken  464  ff.  455.  417.  433.  438, 

Aristophanes  von  Theben  H  353,  2. 
Aristophon  HI  491. 


Digitized  by 


Google 


(jeneralregister. 


503 


Aristoteles:  Homer  I  134.  139,  Plato 

n'282.  299,  4,   Tragödie  ni  129. 

130.  357,  Komödie  in  389,  Katharsis 

m  157,  3;  Politik  H  458,  3;  Poetik 

m  S.  129  ff.  passim,  zu  c.  12  S.  213 

A.  4. 
Aristoxenos  von  Selinuut  I  284. 
Aristoxenos  von  Tarent  n  282.  488, 

5.  m  130.  132.  400. 
Arkadier  I  44. 
Arkesilaos  HE  366. 
Arktinos  I  173. 
Arrianos  H  390,  10.  391,  2.  423,  3. 

463.  469. 
Artemishymnen  I  18. 
Artemon  III  102. 
Asios  I  191 1  278,  Elegie  261. 
Asinins  Pollio  II  423. 
Asklepiades   von  Myiiea   I   144.    m 

444.  471. 
Asklepiades  von  Tragiloa  IH  130. 
Asklepios  11  402. 
Aspis  I  180. 

Astronomie  11  490  f.,  Gedichto  I  32  ff. 
Astj^damas  III  375  f.  387,  7. 
Athamas  n  485,  7. 
Athanis  U  430f. 
Athen  I  Öchluss.   II  Einl.  HI  Einl.  u. 

Schluss. 
Athenaios  1,  22a:  m  372,  4;  6,  250b: 

I  306,  3;  12,  535e:  UI 194,  2;  14, 

629a:   III  57,   5;    14,  652a:   FI 

400,  7. 
Athenokles  LH  491. 
Attikos  n  242.  347. 
Attischer  Dialekt  U  61.  136.  399.  430; 

00  und  TT  n  495. 
Attische  Sagen  bei  Homer  I  123  f.,  in 

den  Tragödien  III  161. 
Augeas  HI  491.  » 
Aulödischer  Nomos  I  290  ff.  IH  45  f. 

m.  Nachtr.  117.  124. 
Auswendiglernen  H  12. 
Autodoros  I  218. 
Autoki-ates  HI  478  A.  3. 
Axionikos  HI  491. 
Axiopistos  HI  399. 


Bakchylides  IH  66 ff. 

Bakis  I  239. 

Balbilla  I  331. 

Ballade  I  29  f. 

Balletmeister  HI  241  f. 

Basileides  I  142. 

Basileios  H  238,  3. 

Basilikos  H  238,  3. 

Baton  HE  366. 

Batrachomyomachie  I  151.  HI  21,  1. 

Beredsamkeit  H  33  ff. 

Berggötter  HI  416. 

Bergk  über  Homer  I  75. 

BetteUieder  I  10.  15. 

Bibliotheken  H  11. 

Biene  als  Beiname  IH  47,  4. 

Biographien  U  447. 

Bion  von  Abdera  H  490. 

Bion  von  Prokonnesos  I  345. 

Blinde  Sänger  I  11. 

Boethos  II  346. 

Bolos  H  484. 

Bennos  I  23. 

Boten  im  Di-ama  IH  227  ff. 

Boten  H  76. 

Briefe  des  Abaris  I  213,  Aeschines  H 
252,  Demosthenes  H  227,  Epimenides 
I  212,  Euripides  HI  310,  Isokrates 
H  118,  Plato  n  299. 

Brj'son  H  272. 

Buchhandel  H  10. 

Bühne  IH  151  f. 

Bugonia  I  189. 

Byzantinische  Musik  I  286,  1. 

Caecilius  von  Kaiakte  H  237. 

CatuUus  I  330. 

Centonen,  homerische  I  153  f. 

Certamen  Homeri  et  Hesiodi  I  55  f. 
217  f.  H  48. 

Chaii-emon  HE  378  f.  345,  2,  Epi- 
gramme 38  f. 

Chairephon  H  494,  3. 

Chairis  Kitharöde  HI  53,  6,  Gramma- 
tiker HI  101.  470. 

Chalcidius  H  340. 

ChaUds  m  112. 


Digitized  by 


Google 


504 


Generalregistcr. 


Chamaüeon  I  303.  310.  327.  33V.  m 
59,  2.  68.  112,  4.  137,  4.  244  383. 

Charikles  HI  131. 

Chariton  H  391,  1.  423,  3. 

Charixene  HI  41,  6. 

Charon  H  360. 

Chersias  I  188. 

Chersiphron  I  357. 

CMonides  m  440f. 

Chirons  Sprüche  I  230. 

Choirilos  von  Jasos  IE  19. 

Choirilos  von  Samos  El  18  ff. 

Choirilos,  derTragikerin  140. 141. 142. 

Choliainben  I  280  ff. 

Chor  der  SiegesHeder  HI  85.  105,  7, 
des  Dithyrambos  III  114.  119,  der 
Komödie  m  429  ff.  482  f.  des  Satyr- 
spiels m  384 f.,  der  Tragödie  UI 
207  ff.  (Zahl  209  f.,  Nebenchor  210, 
Aufstellung  212  f.,  Einheit  213,  Ge- 
sang 215). 

Choregie  IH  5.  406. 

Choregos  IH  491. 

Chorizonten  I  101.  n  25. 

ChorUeder  I  280  ff.  LQ  54  ff. 

Christliche  Fälschungen  11  482. 

Christodoros  n  357,  4. 

Christos  Paschon  m  356.  337,  4.  360. 

Chroniken  II  353  ff. 

Chrysippos  m  102. 

Chrysogonos  m  399. 

Chrysothemis  I  17. 

Chytren  m  407. 

Gcero  H  236.  340.  454.  471.  m  266. 

aemens  H  346. 

Codex  Crippsianus  und  Oxoniensis  der 
Redner  n  71.  495. 

Cowley  m  107. 

Daünachos  n  359. 
Daktj'lenepos  I  212. 
DamasMos  n  342.  343,  5. 
Damastes  H  358.  363  f. 
Dämon  n  81. 
Damophile  I  331. 
Danais  I  190. 
Dares  I  160. 


Datis  m  Nachtr.  zu  375. 

Deikeliktai  m  393,  1. 

Deinarchoß,  Historiker  H  353. 

Deinarchos,  Redner  H  191.  217,  4. 
228,  5.  7.  235.  253,  6.  267.  269. 

Deinolochos  HI  400. 

Deinon  v.  Kolophon  H  399. 

Deiochos  I  346. 

Dekoration  der  Bühne  HE  152. 

Dolos  I  17. 

Delphische  Sprüche  I  216. 

Demades  H  80.  236,  2. 

Demaratos  HI  130. 

Demeterhynmen  I  18. 

Demeterkult  I  269  f.  284.  HI  394. 

Demotrios  v.  Chalkedon  H  58,  4. 

Demetrios  Ldon  I  136.  226.  470. 

Demetrios  Komiker  HI  478  A.  3. 

Demetrios   v.    Phaleron:    Antiphanes 

'    m  489. 

Demetrios  v.  Skepsis  I  143. 

Demochareß  H  193. 

Demodokos  von  Leros  I  260,  Epiker 
I  181. 

Demokleides  H  269. 

Demokies  I  346. 

Demokrates  H  481,  3. 

Demokritos  H  478ff.  I  141.  H  25. 
343,  1.  490  f. 

Demophon  HI  379. 

Demosthenes  H  166 ff.,  Ausgaben 
244 f.,  Beredsamkeit 229 ff.,  Biogi^a- 
phien  166  ff. ,  Charakter  193  ff.,  Hand- 
schriften 241  ff.,  Nachahmer  und  Be- 
wunderer 235  ff.,  Scholien238;  Reden: 
L— HL  176  ff,  IV.  174,  V.  181, 
Yl.  183,  YH.  200.  234,  YiH.  185, 
IX.  185,  X.  198,  XL  198.  234,  1, 
XH.  199.  234,  XIV.  172,  XV.  174, 
XVI.  173,  XVII.  201.  234,  XVIH. 
210,  XIX.  182.  208  f.,  XX.  203, 
XXI.  206,  XXH.  202,  XXHL  206, 
XXIV.  205,  XXV.—XXVI.211. 234, 
XXIX.— XXXI.  214.  221,  XXXU. 
— nX.  216  ff.,  LX.  225,  LXI.  226, 
Pi-oömien  226  f.,  Briefe  227,  Ver- 
lorenes und  unechtes  228  f. 


Digitized  by 


Google 


Oeneralregister. 


505 


Demosthenes  Thi-ax  I  228.  m  111.  8. 

Derk^'los  n  355. 

Deus  ex  machina  in  206. 

Dexippos  n  423,  3. 

Dexitheos  III  53,  6. 

Diagoras  ZU  110  f.  II  485. 

Dialekt   der   Elegie  I   247.   268,    des 

Epigramms  I  268,   des  Epos  I  142, 

des    Jambus    I    273,     Pindai-s    111 

99,  des  Simonides  m  65, 7,  Theognis 

I  266;  .Dialekte  in  der  Komödie  DI 

413  f.  485. 
Dialektikter  E  270  ff. 
Dialog  n  270  ff. 
Diaskeuosten  I  66  ff. 
Dict^'S  I  160. 

Didsitische  Poesie  I  215  ff.  HI  23  ff. 
Didaskalien  DI  129. 
Didymos  1 137  f.  139. 144.  327.  H.  137. 

165,  1.  237.  346.  HI  67.  102.  132. 

244.303. 357. 366. 367. 390. 444. 471. 
Didymosscholien  zu  Homer  I  146. 
Dieuchidas  D  355,  4. 
Digenis  Akritas  I  160, 
Dikaiarchos  1 125. 323.  HI  130. 131 .  357. 
Dikaiogenes  m  373. 
Diodoros  E  395,  3.   438.  443,  2,   von 

Erj-thi-ä  I  176,  von  Sinope  EI  491, 

von  Tai-sos  IE  389. 
Diogenoianos  E  346,  8.  IE  132. 266. 390. 
Diogenes  von  ApoUonia  E  477  f. 
Diogenes  lAertios  E  282. 
Diogenes  Tragiker  IE  374. 
Diokles  EI  42.  E  46,  Komiker  IE.  477. 
Diomos  I  13,  11. 
Dion  Clir>sostomos  E  282.  469. 
Dion  Cassius  E  390,  10.  423,  3. 
Dionysiades  IE  390. 
Dionysien  EI  2  ff .  149  ff.  407. 
Dionysios  V  E  238,  3.  EI  357. 
Dionysios  Chalkus  EI  37.  38.   E.  81. 
Dionysios  Charmidu  IE  102. 
Dionysios  v.  Halikamass  E  237.  247, 

1.  337,  4.  345,  2.  390,  10.  419,  3. 

422.  EI  266,   der  jüngere  IE  132. 
Dionysios  v.  Olynth  E  25. 
Dionysios  Periegetes  EI  103. 


Dionysios  v.  Pkaselis  I  143.  IE  18. 102. 
Dionysios  v.  Sidon  IE  101,  v.  Sinope 

IE  491. 
JDionysios  Skytobrachion  E  356. 
Dionysios  Thrax  I  137,  3.  141. 
Dionysios,  Tyrann,  der  ältei-e  IE  377  f., 

7.  12.  122. 123. 127. 354,  der  jüngere 

IE  7.  400. 
Dionysodoros  E  272.  EI  102.  132,  von 

CMos  E  76. 
Dionysoshymnen  I  19  f. 
Dioskurides  E  114,  3.  134.  ' 
Diotimos  I  181. 
Diphüos,  Epiker  EI  12,  5.  40,  Choli- 

amben  I  283. 
Distichon  I  247  f.  IE  14. 
Dith\i-ambos  I  314  ff.  IE  111  ff  118  ff. 

129. 
Dorier  I  359. 
Doiillos  EI  375. 
Dorion  I  141,  1. 
Dorischer  Dialekt  in  der  Lyrik  EI  58, 

Tragödie  219  f. 
Dorische  Epen  I  179. 
Dorotheos  von  Askalon  I  144. 
Dositheos    E   357,   4,    Asti'onom    IE 

34,  2. 
Drakon  I  323.  331.  EI  102. 
Dramatische  Kulte  El  135.  393  ff. 
Dramaturgische  Literatur  IE  129  ff. 
Dromon  IE  491. 
Düntzer:  Homer  I  74. 
Duris  m  130. 

Bchembi-otos  I  292. 

Eintrittsmarken  IE  155. 

Eirenaios  E  391,  4.  EI  357. 

Eiresione  I  10.  237. 

Ekkyklema  EI  228  f.  425.  438. 

Ekphantides  IE  445. 

Eleaten  E  271. 

Elegie  1 244  ff.  IE  36  ff.,  alexandrinische 

IE  17  f. 
Embaterien  I  13. 
Emmeleia  IE  218,  5. 
Empedokles  IE  25ff.  m.   Nachtr. 

39.  E  34.  39,   der  jüngere  EI  28. 


Digitized  by 


Google 


506 


Gonendregister. 


Enkomien,  lyrische  IH  81  ff. 

Ennius  und  Homer  1 159,  u.  Aristarch 
m  370,  1,  u.  Euripides  HI  356. 

Eöen  I  186. 

Epaphroditos :  Hesiod  I  227. 

Ephippos  m  491. 

Ephoros  n  134.  440,  5. 

Ep  icharm  OS  DI  395  ff.  11  39,  Epi- 
gramme in  39. 

Epigenes  v.  Rhodos  n  484,  Orphiker 
m  366,  Komiker  EI  491. 

Epigonen  I  178. 

Epigramm  1 268  f.  III  38  ff.,  homciische 
I  238  ff. 

Epikerfragmente  I  170. 

Epikrates  m  491. 

Epikui-os  V.  Sikyon  m  118. 

Epilykos  Komiker  III  11.  447. 

Epimenides  I  211  f.  183  f.  209,  Histo- 
riker n  355.  358. 

Epinikien  m  81  ff. 

Epische  Lieder  I  29. 

E^ithalamien  I  11. 

Epithei-ses  UI  132.  390. 

Epodischer  Bau  I  273.  275  m  27. 86  f. 

Epos  I  26 ff.  in  9ff.  n  44,  Einfluss 
auf  die  Elegie  I  246  f.,  Quelle  der 
Tragödie  m  160. 

Eratosthenes  I   218.  II  364.  HI  389. 

Erginos  H  99,  4. 

Erinna  I  332. 

Eriphos  111  491. 

Eristiker  H  270  ff. 

Erntefest  III  394. 

Eros  mit  der  LjTa  IH  42. 

Erotische  1  lichtung  1 306.  312.  IH.  41  f. 

Erotische  Mj-then  HI  127. 

Erziehung  U  Einl. 

'Hd-txal  BtaXiSttc  n  272  ff. 

Etymolog.^  Magnum  p.  4,  6  HI  16,  4; 
u.  Spctfiaxa  HI  124,  5. 

Euagoras'  Totenfeier  HI  8. 

Euaion  HI  370. 

Euarctos  HI  379. 

Euboios  IH  22. 

Eubulides  von  Milet  H  169,  4.  274. 
IH  491. 


Eubulos  m  488f.  378,  1.  Redner  H 
343,   1. 

Eudemos  v.  Naxos  1 34,  5,  v.  Faros  1 345. 

Eudokia  I  154. 

Eudoxos  V.  Knidos  IH  32ff.  H  491,  v. 
Rhodos  m  34,  2. 

Euenos  IH  32.  37. 

Euetes  IH  403. 

Eugaion  I  346. 

Eugammon  I  177. 

Eugenios  IH  133. 

Eukleides  v.  Athen  HI  22,  v.  Megara 
II  274,  Mathematiker  HI  34,  2, 
Bibliothek  H  11,  1,  Grammatiker 
m  133. 

Eukles  m  126. 

Eumelos  I  188,  Phüosoph  HI  389. 

Eumolpia  I  210  f.  " 

Eumolpos  I  18.  211,  9. 

Eunikos  HI  477. 

Eunomos  I  17,  1. 

Euphanes  IH  491. 

Euphorien  I  218.  IH  16,  4,  Tragiker 
IH  370. 

Euphronios  IH.  470. 

Eupolis  IH  460ff. 

Euripides  HI  310ff.;  Ansehen  322. 
352  ff.,  Ausgaben  360 ff.,  Bibliothek 
H  11, 1,  Biographien  310,  Charakte- 
ristik 320  ff.,  Gelehrte  Arbeiten  357  f., 
Handschiiften  358 ff.,  Kunst  354, 
M)cn  311  ff.,  Pei-sönlichkeit  315  ff., 
Prologo  198  ff.,  Schollen  357  ff.,  Stil 
326  f.  U  28,  üebersetzungen  362  f., 
Werke  319ff.,  Alkestis  334ff  330. 
354,  7,  Andromache  336.  168,  6, 
Andromeda  199  f.  351,  Bakchen  337. 
222.  330,  Elektra  337 ff.,  Hekabe 
339.  330,  Helena  339  f.  330,  der 
rasende  Herakles  340  f.,  Herakliden 
341.  167,  1,  Hippolytos  341  ff.  330. 
354,  7,  Ion  343.  164,  3.  330,  3.  354, 
7,  Iphigenie  in  Aulis  343  ff.  241. 
330,  taurischc  Iphigenie  346.  354,7, 
Kyklops  388,  Medea  347  f.  330, 
Orestes  348  f.  176  f.  194.  330,  Phae- 
thoü  329  f.,  Phönissen  349  f.  186.  330, 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


507 


Rhesos  331  ff.,  die  Schutzflehenden 
350.  210,  Ti-oerinen  330.  351,  Ver- 
lorenes 351  f.  353,  7,  Enkomion352. 
83,  Epigramm  38,  Elegien  37,  4. 

Euiipides,  der  jüngei-o  DI  372. 

Europia  I  189. 

Eurytos  11  485,  5. 

Eusebios  11  391,  5. 

Enstathios :  Aiistophanes  IH  473,  Ho- 
mer I  146  f.,  Pindar  m  68.  80.  103. 

Euthydemos  n  76.  272.  11,  1. 

Euthykles  m  478  A.  3. 

Euxcnides  III  403. 

Exangelos  TU  227.. 

Exekestides  IQ  53. 

FabeM  26  ff.,  bei  Archüochos  I  274, 
Simonides  I  280. 

Familien  der  Ti-agiker  IH  370  ff.   242. 

Favorinus  II  282. 

Firmus  Cashicius  11  343,  1. 

Fischhändler  in  der  Komödie  IH  487. 

Flöte  I  244.  289,  nüt  Kithara  ver- 
bunden lU  85,  in  Sparta  I  251  f. 

Flötennomos  I  290  ff.  m  45 f.  117.  124. 

Flötenspieler  des  Dithyrambos  IH  114. 
119 f.,  der  Komödie  IE  434.  426, 
der  Tragödie  HE  215. 

Fi-auen  im  Theater  m  155,  2.  408. 

Gajus  n  343,  1. 

Galeuos  H  344. 345, 2.  m  390. 444. 471. 
Gaza,  Anakieontiker  I  339,  2. 
Gediichtniskimst  HI  61. 
Geister  HI,  193  in  der  Tragödie. 
Gemeinplätze  II  8.  44. 
Gemistos  Plethon  IE  445.  470,  7. 
Genealogion  n  357. 
Genealogische  Epen  I  185  ff. 
(jeogi-aphen  II  364  ff. 
Geographisches  Epos  I  235. 
Geographisches  in  der  Tragödie  HI  195  f. 
Georgios  Lekapenos  n  440,  5. 
Geschichtsschreibung  I  342  ff.  IE  352  ff. 
Gesetze  bei  den  Rednern  n  66. 
Gestikulation  der  Redner  n  78.  232. 
Gigantonkampf  I  201. 


Glauko  m  46,  3. 

Glaukon  n  22,  Piatos  Bruder  n  275. 

Glaukos  V.  Rhegion  n  64,  v.  Samos 
n  492,  4. 

Glaukos  zu  Aeschylus  III  130. 

Gleichklang  H  38.  39. 

Gnesippos  III  41. 

Gnomiker  I  215ff. 

Götter  in  der  Komödie  m  414  ff.,  Tra- 
gödie m  167  ff. 

Götterideale  I  165. 

Goldene  Verse  m  25*  9. 

Gorgianer,  Stoffe  n  51  ff. 

Gorgias  n  34ff.  495. 

Gourmandsliteratur  IH  35. 

Grabschriften  I  239.  268. 

Grammatik  11  18  f. 

Gregor  v.  Korinth  m  105. 

Gymnasios  E  238,  3. 

Hadesfahrt  des  Epimenides  I  212,  3, 
Pythagoras  m  31,»  Theseus  I   183. 

Ha^  I  176. 

Harpalyke  I  24. 

Harpokration  H  70.  158,  1.  237.  262. 
346.  390,  V.  Argos  11  343,  1. 

HebräischeUebersetzung  Piatos  II 340, 4 

Hegemon  HL  21.  477. 

Hegesianax  11  483,  3. 

Hegesias  I  172. 

Hegesinus  I  191. 

HegesipposH  201. 202, 2,Epiker  m  40, 1. 

Hegias  I  176,  10. 

Hekataios  I  347  ff.  H  378,  4. 

Hektor  I  39. 

Helena  I  36. 

Helikon  I  218  f.  242. 

HeHodoros  HI  472,  Perieget  HI  129. 

HeUadios  m  357. 

Hellanikos  n  360ff. 

Hollanikos,  Chorizont  I  101. 

Heniochos  HI  491. 

Hephästien:  Nachtr.  zu  IH  58. 

Hephaistion  IH  102.  133.  390.  H  470. 

Herak  [Ti-agiker  IH  374,  11. 

Herakleen  I  181.  HI  13. 

Herakleides,  Komiker  HI  491. 


Digitized  by 


Google 


508 


Generalregister. 


Herakleides  v.  Heraklea  I  218,  v.  Kyme 
n  400. 

Herakleides  v.  Müet  I  130. 

Herakleides  Pontikos  I  139.  277.  H 
483,  2.  m  130.  141. 

Herakleitos  I  353  ff.  HI  312,  Briefe 
355.   n  423,   3;  Komiker  m  491. 

Herakleitos'  hom.  Allegorien  I  140. 

Herakles  I  41.  181  mit  Anm.  10,  in 
der  Komödie  HI  415,  im  Satyrspiel 
m  385. 

Hermeias  H  342.  495. 

Hermen  1  269. 

Hermes  HI,  31,  2. 

Hermesianax  HI  16,  2.  17;  V.  41: 
HI  15,  4. 

Hermione  HI  112. 

Hermippos,  Komiker  HI  40.  445  f., 
Grammatiker  I  283.  H  132,  2.  166. 

Hermodoros  H  282. 

Hermogenes  v.  Smyma  I  143,  ßhetor 
n  238. 

Herodas  I  283.* 

Herodianos  I  130  f.  138.  144. 

Herodikos  HI  390.  471. 

Herodoros  I  185,  3.  H  359. 

Herodot  H  368fP.,  Ansehen  470,  4, 
Ausgaben  393,  Charakteristik  373  ff., 
Geschichte  des  "Werkes  389  ff.,  Hand- 
schriften 391  ff.,  Homerisches  I  155, 
Komposition  383 ff.,  Quellen  360, 
Stil  387  ff.,  Theognis  I  266,  7. 

Herodots  Homerbiographie  I  54  f. 

Heron  H  238,  3.  391,  4.  424,  2.  470. 

Herondas  I  283. 

Heropythos  H  353,  2. 

Hesiod  I  121.  189,  6.  Aigimios  179, 
Aspis  180,  Astronomia  230,  Aus- 
gaben 228,  Biographien  21 7  f.,  Chiron 
230,  Dialekt  223.  229,  Eöen  186, 
Erga  221  f.,  Erga  megala  230,  Ge- 
lehrte Studien  225 f.,  Handschriften 
228,  Keyx'  Hochzeit  180,  Katalog 
der  Frauen  186,  in  der  Komödie  HI 
423,  Leben  218  ff,  Manier  221,  Name 
217,  Orakelhaftes  212,  Pindar  m  95, 
Kuhm  224  ff.,-  Schild  180,   Scheuen 


226 f.,  Theogonie  201  ff.  (Hekate- 
hymnus  200,  V.  1013  I  207  A.), 
Zeit  219. 

Hesychios  I  143.   142,  5  E  355,  4, 
m  132.  390;  u.  äbUixai:  TU.  45,  8. 

Hetäi-en  H  85.  HI  413.  486. 

Hexameter  I  17.  30  f. 

Hexensprüche  I  13. 

Hierokles  I  231,  2.  U  342. 

Hieron  ...  HI  66.  71ff. 

Hiei-onjTTios  I  227.  m  115.  130.  375, 
V.  Megalopolis  H  133,  3. 

Hilaroden  HI  393,  1. 

Himorios  H  341,  1. 

Hipparchos  I  217.  269.  m  3,  Asti-o- 
nom  HI  33,  8. 

Hippasos  H  485,  7. 

Hippeus,  Historiker  H  353. 

Hippias  V.  Elis  H  29  ff.,  v.  Dolos  H 
31,  5,  V.  Thasos  H  23. 

Hippokrates  v.  Chios  H  490. 

Hippon  m  31.  443,  10. 

Hipponax  I  281  ff.  m  21. 

Hippys,  Physiker  H  355,  s.  Hippeus. 

Hirtenlieder  I  13. 

Hochzeitslieder  I  11. 

Homer  I  45 ff.  Aeolismen  42 f.  58,6, 
allegorische  Ei'klärung  134.  140,  An- 
schaulichkeit 48,  Aporion  H  22  ff., 
Apostrophe  51,  Athetosen  130. 135, 2. 
136,  1,  Attisches  123  f.,  Ausgaben 
132  ff.  147  f.,  Batrachorayomachie 
151.  m  21, 1,  Beiwörter  46,  Bildliche 
Darstellungen  I  60  f.,  Biographien 
54  ff..  Breite  53,  Bucheinteilung  125, 
Centonen  153  ff.,  Chai*akteristik  51, 
Chorizonten  101.  H  25,  Citate  132, 
Dialektmischung  142,  Dichter  xax' 
tSox-^v  149,  Dichtungen  62.  169, 
Doloneia  92  ff.,  Eindichtungen  78  ff., 
Einfluss  auf  die  Geister  149  ff.,  m  9  f., 
Eiresione  10.  237,  Epigramme  237  ff., 
Exegese  im  Altertum  133  ff.  139  ff., 
fallengelassene  Motive  52,  Formeln 
46  f.,  Fragmente  123,  Gegner  157  f., 
Gleichnisse  50,  Glossarien  134,  Gram- 
matiken 148,  göttlicheVerehrungl57, 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


50» 


alte  Handschriften  125,  erhaltene 
131  fif.,  Heimat  56  f.,  Hias  86  ff.,  in- 
disch 159,  4,  Interpolationen  76  ff., 
Ionisches  57 f.,  Komposition  72 ff., 
kritische  Schiiften  135  ff.,  kiitischo 
Zeichen  134,  Kiystallisationstheorie 
74ff.,  Kunst  163  ff.,  H.  u.  die  Kyk- 
liker  170,  lateinisch  158  f.,  Lexika 
148,  Liedertheorie  70  ff.,  literarische 
Wirkung  154  ff.,  Metaphrasen  140  f., 
Metrik  148,  Miniaturen  163,  Mono- 
graphien I  141  ff.,  mündliche  Fort- 
pflanzung 69,  Name  61  f.,  Obelos  135, 
Objektivität  54,  Odyssee  104  ff.  (Unter- 
schied von  der  Hias  100  ff.),  Papyrus- 
fragmonte  131  f.,  Paraphrasen  140  f., 
Parodien  150,  Philosophen  alß  Gegner 
157,  als  Erkläi-er  134,  Polyhistor  156, 
retardierende  Momente  52  f.,  Eheto- 
risches  58  f.,  Römer  158  f.,  Schüfe- 
katalog 88,  Scholien  144  ff.,  Sprache 
141  f.  79,  Städtehandschriften  124, 
sjiisch  160,  Text  123  ff.,  Tod  14,  5, 
Tnitarier  69  f.,  im  Unterricht  149  f., 
Versbau  79,  Verhältnis  zui*  Volks- 
poesio  45  ff.,  Vorschweigen  von  Mo- 
menten 47  f.,  Vulgata  130,  Wahr- 
scheinlichkeit 51  f.,  Werke  169, 
Zahlent^-pik  47,  Zeit  58  ff. 

Hörnenden  I  118. 

Honain  H  283. 

Honorai'  füi*  Siegeslieder  HI  84,  der 
Tragiker  m  153. 

Hoi-apollon  I  323.  HI  303. 

Horaz  Epoden  HI  16,  4,  Oden  HI  67. 
103;  Archilochos  I  277,  Auakreon 
I  337. 

Hyakinthien  I  18. 

Hyginus  HI  130. 

Hylas  I  23. 

Hymenäus  I  11. 

Hymnen  115  ff.,  epische  I  193  ff.,  home- 
rische I  194  ff.,  L  195,  n.  196,  HI. 
197,  IV.  198,  V.  198,  VH.  199,  die 
übrigen  199. 

Hyperbolos  IH  422. 

Hypobole  I  68,  2. 


H5T)odikos  v.  Chalkis  HI  112. 
HjT)orchema  I  293.  IH  217. 
Hypotheseis  HI  130  f. 

Jahrbücher  H  353. 

Jalemos  I  24. 

Jambe  I  269. 

Jambische  Dichtung  I  269  ff.  IH  40. 

Jamblichos  H  341.  342. 

Ibykos  I  310.  311  ff. 

Idomeneus  H  282. 

Idyll  m  495. 

Hias  I  86  ff. 

Hias,  kloine  I  175. 

Hiu  Pei-sis  I  174. 

Improvisation  H  52. 

Indogermanische  Dichtung  I  8. 

Inhaltsangaben  der  Tragödien  III  130. 

Inschriften  in  Distichen  I  268  f. 

Interpolationen:    Euiipides    HI     361, 

Homer  I  76  ff ,  Sophokles  HI  308, 

der  Schauspieler  IH  381. 
Johannes  Barbukallos  HI  103. 
Johannes  von  Damaskos  HI  356. 
Johaimes  Diakonos  Galenos  I  227. 
Johannes  von  Epiphania  H  423,  3. 
Johannes  Kinnamos  H  470. 
Johannes  Pediasimos  I  227  f. 
Johannes  Protospatharios  I  227. 
Ion  HI  365  ff.  37.  84,  1.  H  367. 
lonier:  Epos  I  36  ff.  343  f.  358.  II 14. 
Ionische  Lieder  I  337,  3,  joniseher 

Dialekt  H  354.  366. 
lophou  HI  371.  276  f. 
H-onie,  tragische  IH  184.  217  f. 
Isaios  H 160  ff.,  u.  Demosthones  169. 2. 3. 
Isokratcs  H  297  ff.,  Ausgaben  139  f., 

Charakteristik  121  ff. ,  Demosthenes 

169,  Einfluss  135 ff.,  Handschriften 

138 ff..   Schule  132 ff.,   Thukydides 

422,   4,   Tragödie    134  f.    IH   380. 

Reden;   L  119.  137,   H.   109,    HI. 

117,  IV.  109,  V.  108,  VL  111,  VH. 

112,  Vm.  112,  IX.  108,  X.  104, 

XI.  104,  XH.  114,  XIH.  103,  XIV. 

HO,   XV.  116,   X\T  105,   XVH. 

100,   XVHI.  100,   XJX.  101,   XX. 


Digitized  by 


Google 


510 


Generalregister. 


101,  XXI.  102,   Briefe  118,   Rhe- 
torik 135,  Spriicho  117,  1.  137. 

Isokrates  der  jüngere  n  120.  132. 

Juba  n  489,  8,  DI  132. 

Julian,  Kaiser  IQ  68. 

JKadmos  von  Milet  I  344  f. 

Kaiadas  Ul  53,  6. 

Kalliades  m  478  A.  3. 

KaUias,  Komiker  HI  476,  v.  Lesbos 
I  323.  351;  v.  Syrakns  H  133,  3. 

Kallikrates  U  120;   Komiker  EI  491. 

Kallimachos  H  229.  237.  483,  3.  m 
101,  2.  102.  129.  131. 

Kallinos  I  248  ff.,  Historiker  H  353. 

Kallistratos,  Komiker  m  454.  456. 

Kallistratos,  Tragiker  m  374;  Gram- 
matiker: Euripides  HI  357,  Homer 
I  128.  136;  Kratin  m  444,  Pindar 
m  101 ;  Redner  H  169,  4. 

Kantharos  m  478  A.  3. 

Karische  Klagelieder  I  23,  Namen  m 
12,  7. 

Karkinos  v.  Naupaktos  I  186. 

Karkinos  UL  372,  der  jüngere  376. 

Kameen  I  18. 

Karrikaturen  HI  393. 

Karten  I  349.  352. 

Karj-stios  HI  129. 

Katalog  der  Heldenfrauen  I  186,  der 
Dramen  HI  131. 

Katharsis  HI  157,  3  m.  Nachtr. 

Kaukalos  H  132. 

Kebes  H  275.  276 f. 

Kedeides  HI  116. 

Kekeides  HI  116,  1. 

Keos  m  59. 

Kephalos  H  82. 

Kephisodoi*os  H  134,  Komiker,  Nachtr. 
zu  m  448.  477. 

Korkidas  IH  43  f. 

Kerkops  I  180.  186. 

KejTc'  Hochzeit  T  180. 

Kinaithon  I  191.  176.  178.  181. 

Kinesias  HI  122. 

Kinnamos  H  470. 

Kinyras  I  23. 


Kircher  Athanasius  IH  105. 

Kirchhoff  I  104  ff. 

Kithara  s.  Lyra. 

Kitharödischer  Nomos  I  287  ff.  IH  46  ff. 

Klagelied  I  12.  22  f. 

Klaudios  Didymos  H  424,  2. 

Kleainetos  HI  379. 

Klearchos,  Komiker  HI  491. 

Klearchos  v.  Heraklea  H  133,  3,  v. 
Soloi  H  282. 

Kleidemos  H  353,  5. 

Kleinomachos  v.  Thurioi  H  274. 

Kleitagora  HI  117,  6. 

Kleitodemos  H  353,  5. 

Kleobulina  I  260. 

Kleobulos  I  239.  260. 

Kleomachos  HI  374. 

Kleomenes  IH  41.  125,  KjTÜker  I  218. 

Kleon  H  79,  v.  Halikarnass  H  458,  4, 
V.  Theben  HI  53,  Mime  HI  493. 

Kleophon  HI  20.  379. 

Kleostratos  H  491.  HI  34. 

Klonas  I  291. 

Knaben  in  der  Tragödie  HI  155,  12. 

Köche  in  der  Komödie  HI  487. 

Könige  als  Mäcene  HI  7  f. 

Kokkos  H  133,  3. 

Kolometrie  IH  133.  472. 

Kolophon  I  254,  m  17. 

Komanos  I  137. 

Kometas  I  131,  1.  139. 

Komisches  HI  408,  6. 

Kommos  HI  224. 

Komödie  HI  389  ff.,  Dialog  428,  Ein- 
heit  der  Handlung  427  ff.,  des  Ortes 
437  f.,  der  Zeit  439,  Episoden  427  ff., 
Fi-agmente  392,  historischer  Wert 
425  f.,  Obscönität  423,  Personen  412  ff., 
Phantastisches  411  f..  Politisches 
421  f.,  Porträts  417,  Scenerie  437, 
Schlussscene  428,  Sprache  436  f., 
staatliche  Einrichtung  406  ff^  u»  Ein- 
schi-änkung  417  ff.,  Stoffe  410,  Tiere 
417,  Unwahrscheinhchkeit  425f.,  Ur- 
sprung 389  ff.,  Witze  409  f.,  Wortfrei- 
heit 419  m.  Nachtr.,  Wortspiel  496  f. 

Komponist  HI  242. 


Digitized  by 


Google 


Goneralregister. 


511 


Konstantinos  Pori)hyrogennetos  I  55,  7. 

Konventionalität  III  496. 

Korax   v.   Syrakns   II  57,    v.    Chios 

n  132. 

Kordax  in  435.  387. 
Koiinna  IQ  46  ff.,  die  jüngere  III  47,  4. 
Korinth  ra  7.  83,  4. 
Korinthisches  Epos  I  188. 
Komutos  1  227. 
Koryphaios  IH  213. 
Kosmas  v.  Jerusalem  I  154. 
Kostüm:   komisches   IH   193 f.,    tra- 
gisches 166  f.  172  f. 
Kothurn  m  172. 
Kraniche  des  Ibykos  I  311. 
Krantor  U  341. 
Krates,  Komiker  in  446. 
Krates  v.  Mallos:  Drama  HI  133.  390, 

Hesiod  I  226,  Homer  I   130.   137. 

142,  Pindar  HI  102. 
Krates  v.  Tralles  n  133,  3. 
Krates,  Akademiker  IH  389. 
Kratinos   der  ältere   m  441  ff.,  483, 

438. 
Kratinos  der  jüngere  HI  491.  444,  4, 

Liederdichter  III  41,  6. 
Kratippos  H  422.   494. 
Kreophylos  I  118.   179,  Historiker  II 

353,  2. 
Kreta  I  294.  295,  3. 
Krexos  IH  125. 

Kritias  II  89  f.  303.   IH  37.  38.  372. 
Kritik,  literarische  HI  497. 
Kritische  Zeichen  in  der  Tragödie  HI 

131  m.  Nachtr. 
Kriton  n  275,  v.  Naxos  HI  34,  2. 
Ktesias  U  393 ff. 
Ktesikles  II  165,  5. 
Kimst:  Verhältnis  zu  Homer  I  163  ff., 

zu  den  Inhaltsangaben  der  Dramen 

m  131,  historische  Kunst  III  158. 
Kydias  III  116. 
Kykliker  I  167,  Verhältnis  zu  Homer 

170: 
Kyklische  Chöre  HI  56. 
Kyklos,  epischer  I  167. 
Kjuaithos  I  118  f.  191.  196. 


Kyprien  I  172. 
K>i)seloskasten  I  190. 

JLaches  HI  379  m.  Nachtr. 

Lachmann  I  70  f. 

Lakritos  v.  Phaseiis  U  132. 

Lamachos  n  190. 

Lamiamärchen  I  29. 

Lamprokles  m  115. 

Lamynthios  III  41. 

Landkarten  I  349.  352. 

Lasos  III  112  f.  m.  Nachtr. 

Lehigedicht  I  215  ff.  HI  23  ff. 

Lenaeen  IH  149.  407. 

Leodamas  II  133.  247,  1. 

Leon  II  297. 

Leptines  HI  102. 

Lesbonax  H  422,  5. 

Lesbos  I  318. 

Lesches  I  175. 

Lesen  II  10  f. 

Leseprobe  HI  153. 

Leukippos  II  478. 

Leukon  UI  478  A.  3. 

Lexika  zu  den  Tragikern  in  132. 

libanios  II  236.  239,  4. 

Liebeslied  I  11.  m  41  f.  m.  Nachtr. 

Lieder,  epische  I  31  ff.,    einstimmige 

I  317  ff.  III  41  ff. 
likymnios  II  46.  m  126. 
Linos  I  25.  209. 
Linoslied  I  24. 
Listen  I  342,    der   tragischen   Sieger 

in  129.  392. 
lityerses  I  24. 
livius  Andronicus  I  158. 
Lobon  I  231.  234,  9.  259.  260. 
Logographen  I  343. 
Lokrische  Lieder  I  11.  m  83,  4. 
Longinus:  Antimachos  IH  18,  Homer 

I   140.    142,    10;   Demosthenes   n 

238,  Plato  n  342. 
Lucretius  H  423,  1.  m  29.  30. 
LuMan  II  236.  423,  3,  HI  355,  7.  390, 

Halkyon  297,  jonische  Schriften  391, 

12,  Thukydides  423,   3;   Makrobioi 

442,  4. 


Digitized  by 


Google 


512 


Goneralrcgister. 


Lupercus  II  70,  6.  345,  2. 

Lyde  IH  15  f. 

Lykophron  n  51.  in  389. 

Lykos  III  449. 

Lykurgos  II  262  ff. 

Lykurgos'  Theater  lU  4  f. 

Lyra :  siebensaitig  I  289,  Münzzeichen 
II  14,  im  DithjTambos  III 120,  zum 
Chorlied  III  48  f.  50.  65,  im  Satyi*- 
spiel  III  387,  der  Tragödie  m  216, 
mit  der  Flöte  verbunden  III  85. 

Lyrische  Dichtimg  I  285  ff.  IH  36  ff. 

Lyrische  Tragödie  III  80.  135  ff. 

Lysander  II  458,  4.  m  8. 

Lysanias  III  357. 

Lysiades  HI  126. 

Lysias II 140 ff.,  Ckaraktenstik  154ff., 
Handschriften  158  ff. ,  Nachahmer 
157  f. ;  Epitaphios  145,  Erotikos  143, 
Gcrichtsreden  146  ff. ,  Olynipiakos 
144,  Sendschreibon  143,  Khotorisches 
146,  über  die  ath.  Veifassung  144, 
Verteidigung  des  Nikias  144,  des 
Sokrates  146. 

Lysippos  III  478  A.  3. 

Mäichen  I  29.  in  412. 

Maeson  lU  401. 

Magnes  Komiker  III 440,  Rhapsode  118  4. 

Maison  ni  401. 

Makarios  Chrj-sokephalos  II  470,  7. 

Mamerkos  UI  377. 

Manuel  Moschopulos  s.   Moschopulos. 

Marathon:  Elegie  lU  36. 

Marcellinus  II  401. 

Margites  I  236  f. 

Mariuos  II  342. 

Marmor  Parium.  III  137,  3. 

Maschinen   in    der   Tragödie    III  232, 

Komödie  III  425  f. 
Masken   in    der   Tragödie   III    170  ff., 

Komödie  III  410.  422.  429. 
Mathematik  II  490  f.,  Piatos  II  294. 
Matou  II  76,  6. 
Matron  III  35. 
Miiussoll,,s'  Leichenfeier  II    133.    III 

8.  14. 


Maximos   Planudes:    Aosop   I  27,   7, 

Hesiod  I  227,  1. 
Maximos  v.  Tyros  II  344. 
Medicin  II  491  f.,  Gedichte  III  34. 
Mcgariker  II  274. 
Megarische  Komödie  m  395  ff. 
Melampodia  I  212. 
Melanippides    HI    121,     Epiker    III 

12. 
Melanopos  I  18,  Ti-agiker  HI  371. 
Melanthios  Ul  36. 
Melchisedek  III  104. 
Meles  III  53,  6. 
Melesagoi-as  I  345. 
Meletos  III  41.  374. 
Meliamben  HI  44. 
Mehk  I  285  ff.  III  47,  4. 
Melissos  II  272. 
Meliton  III  25,  2. 
Memoiren  IL  367. 
Menaichmos  II  343,   1.  490.   III  132. 

136,  7. 
Menandros  v.  Laodikeia  II  238,  3. 
Menekrates  III  102.  374  (nicht  Mene- 

kratosl) 
Menesaichmos  II  269. 
Monogenes  I  143. 
Menon  II  51. 
Messaila  Continus  II  261. 
Metagenes   Aixihitekt  I  357,  Komiker 

in  478,  3.  407,  4. 
Meton  II  491. 

Metrik  der  Chorlieder  Jll  55. 
Meti-iker:  Tragödie  III  133. 
Metrf)doros  v.  Chios  II 132,  v.  I^mp- 

sakos  n  25. 
Metrophanes  II  345.  470. 
Mimnermos  I  254 ff.  245. 
Mimen  in  492  ff. 
Minukianos  II  238,  3. 
Mnyas  I  179. 
Mimas  II  273. 
Mnasalkas  III  65. 
Mnemonik  II  29,  7.  HI  61,  4. 
Miiesimachos  III  491. 
*  Mucsitheos,ein  athenischerArzt,  dessen 

Alexis  fr.  216,   3  gedenkt,   schrieb 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


513 


ein  Buch  „über  Speisen"  (K8pl  Iht- 
oTwv),  wovon  Athenaios  in  den  drei 
ersten  Büchern  und  8,  357  a  be- 
deutende Auszüge  machte,  und  einen 
Brief  iiepl  xa>d'a>vto|i.o&  (Athen.  11, 
483  f) ;  s.  auch  Pausan.  1,  37,  3. 

Monodien  III  224. 

Monostrophischer  Bau  in  86. 

Morsimos  m  371. 

Morychos  m  375. 

Moschion  in  379,  6. 

Moschopulos  zu  Euripides  m  310. 358, 
Hesiod  l  227,  Homer  l  147,  Pindar 
m  104.  106,  Sophokles  Hl  305. 

Moschos,  Eitharöde  m  53,  6. 

Mxmdart  s.  Dialekt 

Murtis  ni  47. 

Musaios  Y.  Ephesos  III  20,  4. 

Musaios  der  Theolog  I  18.  210  f.  Tita- 
nomachie  I  201,  Eosmogonie  I  209. 

Musen  I  20.  22.  30. 

Musik  I  205.  286,  im  Chorlied  m  55, 
in  der  Elegie  I  245,  der  Komödie 
m  434,  im  Siegeslied  m  85,  in  der 
Tragödie  IH  215. 

Myes  n  354,  1. 

Myia  IH  47,  4. 

MyUos  m  403. 

Myrtilos  m  446. 

Myrtis  m  47. 

Mystas  H  273. 

Mystische  Gedichte  I  210  ff. 

Mythus  in  den  Siegesliedem  IH  90  ff. 

Naher  I  75. 

Naturgefühl  I  3.  m  283. 
Naukrates  v.  Erythrai  n  132. 
Naupaktisches  I^os  I  186. 
Nausiki-ates  DI  491. 
Nausimachos  II  364. 
Nenia  I  22,  5. 

Neophix)n  in  373.  347,  3  m.  Nachtr. 
Neoteles  I  144. 

Nestor  I  215,  Grammatiker  III  133. 
Neugiiechische  Volkslieder  I  15.  48. 
120,  Paraphrase  Homers  I  141,  4. 
Neunzahl  der  Lyriker  m  48.  59,  1. 
6  i  1 1 1 ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur. 


Niese  I  75  f. 

Nikagoras  n  492. 

Nikander  m  14,  3.  17. 

Nikephoros  Gregoras  1 140,  7.  U  391, 2. 

Nikanor  I  139.  144.  m  390. 

Nikeratos  m  17. 

Nikias  v.  Syrakus  n  58,  1. 

Niko[,  Dithyrambiker  m  116,  3. 

Nikochares  m  22,  Komiker  lU  456. 
478. 

Nikolaos  von  Damaskus  n  357. 

Nikohiachos,  Rhythmiker  m  448,  2, 
Tragiker  m  374. 

Nikon  ni  53,  6. 

Nikophon  in    407,  4. 

Nikostratos  Dithyrambiker  m  116. 

Nomos  l  17,  kitharödischer  I  287  ff. 
in  46  ff.,  aulödischer  I  290  ff.,  HI 
45  f.  Nomenschema  in  der  Elegie  I 
248.  290f.  bei  Pindar  HI  98,  6  m. 
Nachtr.,  in  der  Tragödie  m  216.  250. 

Nonnos  HI  68. 

Nosten  I  176.  190. 

Nothippos  in  41,  2. 

Numenios  n  238,  3. 

Numerierung  der  Dramen  ni  129. 

Ode  s.  Lied. 

Odeion  m  3f. 

Odyssee  I  104  ff. 

Odysseus  I  39  f.  165,  bei  den  Tragikern 

in  187. 
Oedipodie  I  178. 
Oedipussage  in  der  Tragödie  m  162 

m.  Nachtr. 
Oichallas  Einnahme  I  179. 
Ginopas  m  42. 
Oinopides  U  490. 
Gionichos  HI  41. 
OkeUos  II  486.  I  356. 
Ölen  I  17. 
Olymp  I  20  ff. 

Olympia,  Vorträge  m  12,  2. 
Olympiadenrechnung  n  352.  430. 
Olympiodoros  n  282.  343  f. 
Olympos  I  290. 
Onesikritos  U  469. 
ni.  33 


Digitized  by 


Google 


514 


Generalregister. 


Onomakritos  I  203.  209.  211. 

Onosandros  n  343,  1. 

Oper  m  220. 

Ophelion  m  491. 

Optimos  I  154. 

Orakel  I  238.  m  35.  424. 

Orchestik  s.  Tanz. 

Orchestra  m  4.  561  212. 

Oroß  V.  Müet  I  138. 

Orpheus  I  21  f. 

Orpheus  von  Kroton  I  67. 

Orphiker  I  200.  209.  HI  35. 

Ovid  fasti  m  14,  liebeslieder  III 48. 

Paean  I  16.  293.  m  127. 

Pädagog  in  der  Tragödie  m  164. 

Paideas  m  126. 

Palaiphatos  I  209  Eosmogonie.  m  65. 

Palaniedes  U  132.  m  102.  390. 

Pamphila  n  398. 

Pamphüos  I  138.  m  126.  390. 

Pamphos  I  18. 

Panaitios  II  303. 

Panathenäen  m  3f.  9.  49.  58. 

Pankrates  m  65.  103. 

Pantakles  in  116. 

Pantomimen  m  131.  265  f.  355. 

Panyasis  UI  12  if.  U  369,  2. 

Papyrus  II  10. 

Parabase  m  431  ff. 

Paradoxe  Stoffe  H  53. 

Parakataloge  UI  225. 

Parasiten  m  413.  487. 

Paropigraphe  HI  391. 

Paris  I  38. 

Parmcnides  m  23  f.  m.  Nachtr. 

Parmeniskos  I  137,  3.  m  857. 

Parodie  I  150.  282.  m  21  f.   128,  in 

der  Komödie  HI  423  f. 
Parodos  m  216. 
Paron  n  485,  7. 
Parthenien  I  293. 
Parthenios  m  16,  2. 
Pa.siphon  n  276.  280.  281. 
Patriotische  Dichtung  DI  75. 
Patroklea  I  310. 
Paulos  n  158. 


Pansanias  H  390,  11.  423,  3.  in  368. 

Peisandros  I  182. 

Peisistratos  m  3,  Hesiod  I  260,  Homer 

I  66ff. 
Pelagios  I  153  f.  U  482,  7. 
Pentameter  I  247  f. 
Peiiander  I  260. 
Peiiandros,  Arzt  ni  34f. 
Perikles  HI  Iff.  n  78  f..  Reden  U  81. 
Peripetie  m  184. 
Perserkriege  in  der  Poesie  HI  75. 
Persisches  Königsbuch  n  396. 
Persische  Lieder  n  448,  5. 
Persius  m  495. 
Phaidimos  I  181. 
Phaidon  H  275. 
Phalaris  H  423,  3. 
Phaleas  n  329,  4. 
Phallos  in  423. 
PhaUosUed  I  11. 
Phanias  n  282. 
Phanokritos  m  32,  2. 
Phaon  I  325. 
Phavorinos  U  440,  5. 
PhayUos  H  359. 
Pherekrates  III  447  f. 
Pherekydes  v.  Leros  I  851.  n  857. 
Phei-ekydes  v.  Syros  I  350  f.  II  658, 2. 
Phidias  u.  Homer  1 165. 
Philainis  n  74. 
Philammon  I  17. 
Philemon  I  130.  139.  n  391. 
Phüetairos  III  456. 
Phüotas  I  136  f.  142.  155,  5.  n  353. 
Philinos  II  268. 

Philippos,  Komiker  UI  456  m.  Nachtr. 
Philippos  von  Opus  U  282.  303. 
Philiskos  n  262,  4,  Komiker  HI  491. 
Philistos  n  428  ff. 
Phüochoros  I  303.  m  130.  303.  310. 

370,  1. 
Philodemos  I  156. 
Phüokles  m  370.  372,  6.  376. 
Phüolaos  n  487  f.  292,  1. 
Phüon  n  486,  6. 
Philonides  UI  455  f. 
Phüonikos  ni  478,  3,     - 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


515 


Phüophron  HI  126. 

Fhiloponos  n  343,  1. 

Phüosophie  I  350  ff.  H  475  ff. 

Philosophische  Dichtung  in  23  ff. 

Phüostratos  I  141.  U  390,  11.  391, 
2.  m  103.  130.  227,  2. 

Phüostratos  v.  Alexandrien  III  304,  6. 

Philoxenos,  Dithyrambiker  III  123  f., 
y.  Leukas  in  35. 

Philoxenos,  Grammatiker:  Homer  I 
135  f.  A.  1.  142. 

Phüteas  n  353. 

PhüyUios  m  478. 

Phleius  m  116. 

Phlyakes  ni  393,  1.  437. 

Phoibammon  11  424,  2. 

Phoinikides  m  491. 

Phoinix  I  10,  6. 

Phokais  I  179. 

Phok'ylidesI232. 245,  Phocylidea  1 231. 

Phormos  (-is)  in  400. 

Phoronis  I  190.  347. 

Phortius  in  104. 

Photios  U  399.  465  mit  A.  6;  zu  bibl. 
279  p.  533  b  12  S.  44,  1. 

Phrynichos,  Komiker  m  448  f. 

PhrjTÜchos,  Tragiker  ni  143  ff.  142. 

Phrynis  III  48  f. 

Phyleneinteilung  im  Theater  in  6. 

Pierien  I  20  ff. 

Pigres  I  237   m  14. 

Pindar  m  68ff.  u.  Aeschylus  249, 
Ausgaben  106 ff.,  Biographien  68 f., 
Charakter  76 ff.,  Dialekt  99.  105, 
Einleitungsschriften  68  f.,  Epigramme 
38.  80,  Fortleben  lOOff.  m.  Nachtr., 
Geburtsjahr  69,  Gelehrte  Studien 
101  ff.,  Handschriften  106,  Kunst 
98  f.,  Leben  69  ff.  m.  Nachtr.,  Metrik 
100.  105,  Musik  105,  poUtisches 
74  ff.,  Religiosität  76  ff.,  Schollen 
104f.  m.  Nachtr.,  Siegeslieder  80  ff., 
Sprüche  80,  Stil  96  f.,  Theognis  I 
266,  7,  Todesjahr  781,  Uebersets- 
ungen  109 f.,  Wahrhaftigkeit  841, 
Werke  79  ff. 

Pindarus  Thebanus  I  159. 


Pios  m  303. 

Piräus;  Theater  m  150,  3.  407,  5. 

Pisander  I  182. 

Pisistratus  m  3,  Hesiod  I  260,  Homer 
I  66  ff 

Pittakos  I  260. 

Pittheus  I  216. 

Plagiat  im  Drama  HI  160. 

Planudes:  Aesop  I  27,  7,  Euripides 
m  358,  Hesiod  I  227,  1. 

Plato  n  282 ff.,  Anachronismen  336, 
Biographien  282  f.,  Echtheitsfrage 
301  ff.  u.  Isokrates  129  ff.,  Leben 
283 ff.,  Mythen  294,  Persönlichkeit 
289  ff.,  politische  Ansichten  292  f., 
Reihenfolge  der  Dialoge  304,  Reli- 
giosität 293  f.  201,  Soholien  346  f., 
als  Schriftsteller  335  ff. ,  Uebei'setz- 
ungen  340  ff.,  Zeit  308.  Alkibiades 
L  315,  n.  303,  Anterastai  303,  Apo- 
logie 310,  Axiochos  298,  Briefe  299, 
Charmides  320,  Definitionen  299,  De- 
modokos  297,  Epigramme  n  291. 
in  39,  Epinomis  303,  Eryxias  297, 
Euthydemos  322.  310,  Euthyphron 

312.  333,  Gesetze  333.  294.  335,  6, 
Gorgias  317,  Halkyon  297,  Hip- 
parchos  304,   der  grössere  Hippias 

313,  der  kleinere  316,  Ion  312, 
Kleitophon  304,  "Kratylos  318.  294, 
Kritias  332,  Kriton  312,  Laches  316, 
Lysis  321.  292,  Menexenos  311.  309. 
337,  Menon  318.  309,  Minos  304, 
Parmenides  327,  Phaidon  323,  Phai- 
dros  313.  295.  805.  310.  341,  Phi- 
lebos  319,  Politikos  332,  Protagoras 
321.  309.  336,  Sisyphos  297,  Staat 
328.  292.  309.  387.  341,  1,  Sympo- 
aion  324.  309.  341 ,  Sophistes  332, 
Theages  317,  Theaitetos  319.  309. 
447,  3,  Timaios  331.  291.  344,  Ver- 
lorenes 296  f.  298  f. 

PUton,  Komiker  m  479  ff  n  291.  m 

39.  417,  7. 
Platonios  n  391. 
Plotinos  U  343,  1. 
Plutarch:  Leben  Homers  l  55.  139, 


Digitized  by 


Google 


616 


Oeneralregister. 


Leben  des  Demosthenes  n  166,  Hero- 
dot  n  890.  Hesiod  I  218.  226,  Pindar 
m  68,  zehn  Reden  n  166  u.  ö., 
Thukydides  n  423,  3,  Xenophen  II 
443. 

Plutaroh  der  jüngere  n  843,  1. 

Polemon  v.  Ilion  n  365.  447,  3,  Rhe- 
tor  n  470. 

Politische  Beredsamkeit  n  78  ff. 

Politische  Dichlung  I  253. 

Politisches  in  der  Tragödie  m  158  f. 

PoUes  I  144. 

PoUion  n  238,  3.  378,  4.  398,  4. 

PoUux  ra  132. 

Polos  n  45. 

Polyainos  II  238,  3.  276. 

Polybos  n  492. 

Polydeukes  n  73,  4,  v.  Achaia  m  42. 

Polyeuktos  H  267.  ' 

Polyidos  m  126.  378. 

Polykrates  t.  Athen  H  72  ff.  450. 

Polymnestos  I  292. 

Polyphradmon  HI  144. 

Polyxenos  H  272. 

Polyzelos  m  478,  3. 

Porphyrios  1  55,  7.  140.  143.  144. 
145.  n  282.  342.  344.  424,  2.  m 
103. 

Poseidonhymnen  I  20. 

Poseidonios  H  239,  4. 

Possenreisser  m  393. 

Potamon  H  341,  Historiker  353,  2. 

Pratinas:  Lyrisches  m  116t,  drama- 
tisches 140.  141.  143.  387,  zu  fr. 
lyr.  1  m  114,  6.  117. 

Prwcagoras  U  391,  2. 

Praxilla  m  117  f. 

Praxiphanes  m  303. 

Preisrichter  m  156.  397,  1. 

Priamos  I  38  f. 

Priestersänger  I  17.  20  ff. 

Priscianos  U  343,  1. 

Proagon  m  153. 

Procnlejus  I  227. 

Prodikos,  Epiker  I  179. 

Prodikos,  Sophist  n  26  ff.  m  312. 

Prokleides  m  491. 


Proklos:  Chrestomathie  1 168.  175,  1, 

sonst  I  56.  226,  H  300.  303.  343. 

344. 
Prokop  V.  Gaza  I  141. 
Prokop,  Historiker  U  423,  3. 
Prolog:  Komödie  HI  427 ff.,  Tragödie 

m  197  ff. 
Proömien  =  Hymnen  I  193  ff. 
Propis  m  53,  6. 
Prosa:  Anfänge  I  342  ff. 
Prosodien  I  293. 

Protagoras  UlAfL  270.  m  312. 
Protagorides  lU  390.     . 
Protagonist  m  180  f. 
PseUos  I  140,  7.  141,  4,  H  345  u.  A. 

2.  391,  2. 
Ptolemaios  v.  Askalon  1 138,  Epithetes 

I  144.  m  102,  4,  Sohn  des  Aristoni- 

kos  m  132. 
Publikum  des  Komikers  m  408  f.,  des 

Tragikers   m    154  ff. ,    im  Theater 

überhaupt  m  6. 
Pyr[  III  491. 
Pythagoras:    Goldene   Verse    I   231, 

Sprüche  I  356,   Prosa  H  489,  8, 

Hades&hrt  m  31. 
Pythagoreer  I  356 f.  H  485 ff.,  Verse 

in  3L 
Pythangefos  HI  374. 
Pytheas  U  268. 
Python  von  Byzanz  H  133. 

quadratus  U  391,  2. 

Bätsei  I  14.  m  488. 
Rechtskonsulenten  II  7. 
Reden  für  Andere  verfasst  n  8. 
Reden  bei  Thukydides  n  416  ff.  ver- 

öffentiicht  H  40. 
Redner  H  33  ff. 
Refrain  I  9. 
Regisseur  HI  242. 
Reigen  m  55  ff. 
Reim  I  8.  H  38.  39. 
Reisebeschreibimgen  H  361. 
Rehgion  n  1  f . 
Rehgiöse  Lyrik  I  286  ff. 


Digitized  by 


Google 


Generalregifiter. 


517 


Religiöser  Charakter  der  Literatur  m 

496. 
Responsion  in  der  Komödie  m  435. 

428,  in  der  Tragödie  m  222  ff. 
Bhapsoden  I  117  ff.,  in  Athen  m  9f. 
Ehesos  m  331  ff. 
Ehetor:  Name  n  36. 
Ehetorik  an  Alexander  n  76.  136. 
Ehianos  I  125.  m  13,  2. 
Ehinton  m  495. 
Eollenvertilgung  m  180,  5. 
Eonsard  m  107. 
Eufus  m  103.  132. 

tSlabinos  I  346.  H  424,  2. 

Sabirius  PoUio  m  310. 

Sängerstand  I  30. 

Sagen  I  33  f.  34  ff. 

Sakodas  I  291. 

Sakos  m  375. 

Salustios  n  236  f.  238,  3.  303.  391,  4. 

Sannyrion  III  450. 

SapphoI313ff.,  zu  fr.  94  I  321,  6. 

Satire  s.  iambisohe  Dichtung. 

Satyrn  m  384  f. 

Satyros  II  166. 

Satyrspiel  in  383 ff.,  Scheidung  von 
der  Tragödie  m  141. 

Scenerie  der  Komiker  m  437,  Tra- 
gödie 230  ff. 

Schauspieler :  Einführung  Hl  137  f. 
242.  283.  410,  Zahl  178  ff.,  Manieren 
III  174,  in  der  Komödie  m  429, 
Wettkampf  III  408,  Folgen  für  die 
Kritik  m  381. 

Schauspielerinen  IQ  170,  1. 

Schauspielervereine  m  284. 

Scherzepos  I  235  ff. 

Schicksal  in  der  Tragödie  in  202  ff. 

Schild  des  Herakles  I  180. 

Scholion  Plautinum  in  391. 

Schrift:  Einführung  I  64ff.  und  Prosa 
II  10. 

Schwalbenlied  I  10.  15. 

Seleukos  I  130.  138.  142.  226. 

Seneca  III  342. 

Serenos  I  142,  10. 


SibyUe  I  238  f. 

Sicilien  H  34.  56. 

Sicilische  Komödie  m  395  ff. 

Sidonier  =  Phöniker  I  59. 

Sieben  Weise  I  216.  231.  260. 

Siegerliste,  offizielle  in  129.  392. 

Siegeslieder  III  81  ff. 

Sikinnis  III  387. 

Sikyon  HI  117,  Tragödie  m  136  f. 

Silene  m  385. 

Silius  Italiens  I  159. 

Simmias  v.  Theben  n  273,  1.  275. 
m  40,  1. 

Simon  v.  Athen  n  461.  493  f.,  der 
Schuster  U  272,  7.  275. 

Simonides  v.  Amorgos  I  278  ff. 

Simonides  v.  Keosin  59ff.  36.  38f. 
60,  6.  II  463,  der  Historikor  II  358. 

Simonides  v.  Syrakus  n  448. 

Simos  in  35. 

Simylos  III  491. 

Sisenna  U  422. 

Sisyphos  v.  Kos  I  42. 

Skamon  H  363. 

Skephros  I  25. 

SklavenroUen  in  165.  413. 

SkoUen  I  12.  289. 

Skylax  n  364  ff. 

Skj-thinos  II  359. 

Smyma  I  37. 

Sokrates  als  Dichter  m  37.  48,  bei 
Aristophanes  m  461  f.,  Euripides' 
Freund  m  312,  Gespräche  II 273. 

Sokratiker  n  273  ff. 

Selon  I  257 ff.  245,  11. 

Sopatros,  Spottgedichte  in  21,  3. 

Sopatros  I  331.  n  237.  238,  5.  363. 

Sophainetos  II  437  f.  440,  2. 

Sophüos  ni  491. 

Sophisten  n  12  f.,  Stoffe  H  51  ff. 

Sophokles  m  272fL  198.  211.  239; 
Ansehen  283  ff.  302ff.,  Ausgaben 
307  ff.,  Biographien  272,  Charakte- 
ristik 279fL  m.  Nachtr.  S.  u.  Hero- 
dot  II  370,  2,  8.  u.  Homer  299,  Ge- 
lehrte Arbeiten  303  ff.,  Handschriften 
306  ff.,  Leben  272  ff.  Päan  274  f..  Per- 


Digitized  by 


Google 


518 


Generalregister. 


sönlichkeit  277  £f.,  Schollen  304f. 
303  f.,  Werke  285 ff.,  Aias  298 f.  211. 
288,  Antigene  293  fif.  204  f.  241.  287, 
Elektra296if.,  Oedipus  König  288  ff. 
196.  204.  232f.  288,  Oedipus  auf 
'  Kolonos  290  ff.  186.  198.  275.  287., 
Phüoktet  300f.  212.  287,  Trachini- 
erinen  301  f.,  Elegien  886.  37,  4, 
Epigramme  38. 

Sophokles  der  jüngere  m  371.  37,  4,* 
277.  286,  5. 

Sophokles  zu  Theognis  I  266,  7. 

Sophron  IH  493  f. 

Sosibios:  Alkman  I  303. 

Sotades  III  491. 

Soteridas  lU  389. 

Spai-ta  I  358  f.  Epos  1 191,  Volksüeder 
I  14. 

öpeusippos  II  28l  299. 

S]>ielliedor  I  10. 

Spinthaios  HI  374. 

Spitznamen  HI  393. 

Spottlied  I  14. 

Sprichwörter  I  26.  m  436,  3. 

Spruchdichtung  I  215  ff. 

Staat  und  Poesie  III  1  ff. 

Staatsexemplar   der  Tragiker  III  381. 

Stasimon  III  216. 

Stasinos  I  172. 

Statisten:  Komödie  IH  417.  429,  Tra- 
gödie III  194  f. 

Statins  m  18. 

Stephanos  lU  490.  U  425. 

Stophanos   v.    Alexandrien  n  483,  7. 

Stesandros  I  122. 

Stesichoros  I  303ff.,   der  jüngere 

m  126. 

Stesimbrotos  n  23. 

Sthenelos  HI  374. 

Stichomj-thie  m  182. 

Stilisierung  m  496. 

Stilpon  n  274. 

Stobaeus :  (Theognis)  1 267.  H  471.  IH  67. 

Straton  Komiker  ni491,  Epigramm  m 

278,  1. 
Stratonikos  UI 52  f.  1 151.  H 133, 3. 495. 
Strattis  ra  479. 


Strophentheorie  bei  Hesiod  1 204.  207, 
bei  Homer  I  31,  in  der  Elegie  I  248, 
bei  Simonides  y.  Amorgos  I  280. 

Strophische  Ghederung  I  9,  dreiteilige 
I  308,  in  der  Ode  I  317. 

Stumme  Personen  in  derTragödie  111180. 

Suetonius  über  die  kritischen  Zeichen 

I  135,  1,  Drama  III  133. 

Suidas  I  56.  m  379,  1.  7.u.  So^oxXyjc 
in  150,  1,  u.  e^oYvtc  I  261.  264. 
Suidas,  Historiker  n  358,  7. 
Susanen  IH  403  ff. 
Syennesis  II  492. 
Sykophanten  U  7. 
Symmachos  III  472. 
Synegoros  II  8. 

Synesios  zu  Demokrit  Jl  483,  7. 
Sjuodos  der  Schauspieler  IH  284. 
Syrakus  III  394. 
SjTianos  H  342. 
Syiische   Uebei*setzungen:    I   160.    II 

II  298.  299,  4.  340,  8.  485. 

Tabulae  Iliacae  1 164.  168. 

Tacitus  n  422,  7. 

Tagelied  I  11. 

Tanz  des  Chores  III  55,  des  komischen 

III  434,  des  tragischen  III  218  f. 
Tanzlied  I  13.  293. 

Tatianos:  Homer  I  154. 

Tauros  v.  Berytos  II  342. 

Tegea  IH  369. 

Tekuges  H  485,  7. 

Teisias  II  57  f. 

Telegonie  I  177. 

Telekleides  I  212.  Komiker  HI  445. 

Telephos  v.  PergamonI  143. 144.  III 133. 

Telosilla  III  44  f. 

Telesis  I  201.  3. 

Telestes  m  125. 

Teilen  m  44. 

TeUis  m  44,  8. 

Tenella  I  276  f. 

Terpander  1 287  f..  Nachkommen  III 48. 

Terpes  I  287,  3.  288,  1. 

Terpsion  m  35. 

Tetralogie  UI  334ff. 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


519 


Tetrameter   in   der  Tragödie  III  146. 

221  f.,  Komödie  m  435  lu  A.  1. 
Thaies  I  230.  351. 
Thaletas  I  294f. 
Thamyris  I  22.  201.  209. 
Thargelien  m  5a 
Thasos  n  14.  23. 

Theagenes  v.  Rhegion  1 134.  357.  n  22. 
Theaitetos  n  490. 
Theano  II  485. 
Thearidas  H  485,  7. 
Theater  III  149  m.  Nachti*.,  in  Athen 
III  84.  151  f.,  in  den  attischen  Le- 
rnen m  150,  sonst  III  7,  Akustik 
m  171,  Polizei  HI  156,  Saison  HI 
149  ff. 
Thebais  I  178.  III  14f. 
Themistagoras  U  359. 
Themistios;   Sappho  I  331,   Plato  H 

343,  1. 
Themistogenes  n  438. 
Theodektes  n  132.  HI  158,  2.  380. 
Theodoios  Architekt  I  357,  v.  Byzanz 
II  61,  V.  Gadara  II  61,  7,  v.Kyrene 
n  22.  490,  Prodromos  1 152,  v.  Soloi 
II  345. 
Theognis   I  261  ff.   245  f.,   Tragiker 

ra  374. 
Theologen,  heidnische  I  210. 
Theon  Aelius  H  137.  238,  3.  470.  III 
390,  Valerius  II  96,  v.  Alexandrien 
II 298.  in  31, 1. 2,  V.  Smyma  H  345. 
Theophüos  III  379.  491. 
Theophrastn483,  2.  in389,  v.  Pierlen 

m  49,  1. 
Theopompos,  Komiker  HI  478,  v.  Kolo- 
phon  m  17;  n   133.  391.   445,  2. 
Theoros  III  370  m.  Nachti*. 
Theramenes  n  76.  89. 
Theseis  1 183.  HI  12,  Theseus'  Hades- 
fahrt I  183. 
Thespis  m  137 ff.  140 f»  142,  -karren 

m  139,  8. 
Thestorides  v.  Phokaia  I  176.  179. 
Thimbron  n  458. 

Thonwtö  Magistros :  Aeschylus  m  266, 
Anstophanes  ni  473,  Eoripides  in 


310.  358,  Pindar  III  68.  104.  106, 
Sophokles  IH  212.  305. 

Thraker  I  24,  mythische  I  21. 

Thra.syUo8:  Plato  II  296.  347,  Demo- 
krit  n  481.  483. 

Thrasymachos  v.  Chalkedon  II  58. 

Threnos  I  12.  in  63.  217. 

Thukydide8n401ff.,Ansehen470,4, 
Antimachos  354,  Demosthenes  170, 1. 
422,  4,  Ausgaben  426  ff.,  Buchein- 
teilung 425  f.,  Chai-akteristik  409 ff., 
Handschriften  424  ff.,  Herodot  372, 
Interpolationen  424  f.,  Komposition 
405ff.,  PoUtik  411  f..  Prodikos  n  28, 
QueUen  412  ff.,  Reden  416  ff  424, 
Religion  410  f.,  SchoHen  424,  Stil 
419  ff.,  Theognis  I  266,  7. 

Thukydides,  Epiker  U  404,  6.  m  12. 
39,  1,  Epigramm  m  39. 

Thymele  ni  57.  437,  4. 

Tiberios  H  237,  11.  391,  4.  424,2.  470. 

Tierepos  I  152. 

l^machidas  m  357. 

Tunaios  von  Lokroi  II  486,  Platoniker 
n  346. 

Timokles  m  379.  384.  387.  489. 

Timokreon  Hl  42  f.,  Epigramm  39. 

Timonides  II  448. 

Timotheos  v.  Milet  m  50ff.  49, 4. 325; 
Flötenspieler  m  51, 8.  — .  m  491. 

Tisias  U  57f. 

Titanomachie  I  168,  2.  190.  201. 

Titius  m  103. 

Tonarten  IH  55. 

Totenfeier  HI  8. 

Totenklage  I  12.  15.  22  f. 

Ti-agiker  m  129  ff.,  Fragmente  HI  134, 
Statuen  der  drei  berühmten  in  381. 

Tragödie  IH  129ff.  Aktemteilung 
238  f. ,  Ankündigung  v.  Personen 
239 f.,  Ausstattung  193 f.,  bewegte 
Scenen  190f.,  Bilder  226,  Bösewichte 
177,  bürgerliches  Schauspiel  165, 
Charaktere  170  ff.  281,  Dialog  181  ff., 
Duett  224,  Einheit  des  Ortes  229, 
der  Zeit  232  ff.,  Episoden  186  f., 
Erkennungsscenen   188,   Exposition 


Digitized  by 


Google 


520 


Generalregister. 


196  ff.,  Familiensconen  188,  Grund- 
gedanken 207,  Halbchöre  214  f.,  Hand- 
lung 178,  Intriguen  187,  Kinder  164, 
Könige  175,Komische8 165  m.Nachtr., 
Konkurrenten  153 ff.,  liebesscenen 
188,  Monologe  237,  Moral  201  f., 
Nacht  233,  3  m.  Nachtr.,  Namen 
165  ff.,  Personen  163  ff.,  religiöser 
Charakter  155  f.,  Routine  162  f., 
Scenerie  230ff.,  Schauplatz  227  ff., 
Schicksal  202  ff.,  Schluss  185  f.,  201  f. 
240,  Schweigen  181,  Selbstmord  189, 
Sittensprüche  201  f.,  Spannung  187, 
Sprache  225  f.,  Stoffe  157  ff.,  Totschlag 
191,  Ursprung  134  ff..  Vertrauliche 
Scenen  237,  Wortspiel  182,  Wimdcr 
192. 

TrauerUed  I  12.  m  63.  217. 

Traumbücher  II  494. 

Travestie  m  410  f. 

Trichas  HI  105. 

Trigonon  lU  42,  1. 

Triklinios:  Aeschylus  m  266,  Aristo- 
phanes  HI  473,  Euripides  m  358, 
Hesiod  I  227,  Pindar  HI  104.  106, 
Sophokles  IH  305.  307. 

Trilogie  HI  234  ff. 

Trimeter,  komischer  IH  428,  satyresker 
m  386,  tragischer  HI  221  f. 

Trinklied  I  12.  IH  41  f. 

Tritagonist  IH  175.  180f.  295,  2. 

Trochäische  Dichtungen  1  269  f. 

Troja  I  36,  bei  Homer  I  84. 

Tryphon  r  138.  142. 

Tynnichos  I  314.  IH  127.  144,  5. 

Typische  Rollen  IH  400f.  488. 

Tyrannen  als  Mäcene  m  7f. 

Tyrannion  I  38.  310.  HI  65. 

Tyrbasia  HI  113. 

Tyrtaios  I  250ff: 

Tzetzes  Isaak  III  105. 

Tzetzes  I  55,  8.  56.  140,  7.  147.  217. 
226.  ni  138.  305.  892.  473. 

Ulpianos  H  239. 
Unteritalien  m  128  Parodien. 
Urkunden  in  den  Rednern  n  240.  254. 


Talerius  Maximus  III  7  ext  1:  III 
Nachtr.  zu  S.  374,  11. 

Vergil,  Georgica  11  454,  2. 

Verordnungsblätter  n  11. 

Versmass,  ältestes  I  30,  der  Chor- 
gesänge in  131,  der  Komödie  m 
434  f.  425.  428. 

Vestinos  H  61.  237. 

Vogelmasken  HI  433. 

Volksepos  I  72  f. 

VolksUeder  I  8ff. 

Vorhomerische  Dichter  I  42. 

Vorlesen  HU. 

Wanderleben  der  Dichter  III  6. 

Wächterlieder  I  13. 

Weinen,  in  der  Tragödie  IH  175. 

Wettkämpfe  HI  2  f.  10. 

Widersprüche  Homers  I  80  f. 

Wiederaufführung  von  Dramen  m  150- 
264f.  380. 

Wiederholungen  von  Versen  bei  Homer 
I  105,  1,  in  der  Komödie  m  488, 
in  der  Tragödie  m  160,  4.  327. 

Wiegenlieder  I  9  f.  15. 

Wolf  Fr.  A.  I  64  ff. 

X von  Selymbria  IH  126. 

Xanthos  Lyriker  I  310,  Historiker  n 
355f.,  zu  Empedokles  HI  25,  1. 

Xenarchos  Komiker  III  491 ,  Mime 
III  494. 

Xenodamos  I  295  f. 

Xenokles  HI  372. 

Xenokrates,  Lyi-iker  III  41,  6,  Philo- 
soph II  282.  341,  Taktiker  II  493. 

Xenokritos  I  2951 

Xenomedes  II  364. 

Xenon  I  81. 

Xenophanes  I  232  ff.  245.  m  21. 

Xenophilos  II  357,  4,  Komiker  HI  448. 

Xenophon  II  432ff.,  Ausgaben 471  f., 
Charakter  436  ff.,  Handschriften  470  f., 
Plato  290,  Reihenfolge  der  Schriften 
464 ff.,  Stü  466 ff.;  Agesilaos446ff., 
Anabasis  437  ff.  464,  Apologie  455  f., 
über  die  Einkünfte  489,  Erinnerungen 


Digitized  by 


Google 


Generalregister. 


521 


an  Soki-ates  450if.,  Hellenika  440ff., 
Hieron  463,  Hipparchikos  460  f.,  Jagd- 
buch 461,  Kyropädie  448. 330,  Oiko- 
nomikos  453  f.,  Reiterdienst  461  f., 
Symposion  464.  326,  Verlorenes  463 
—  Staat  der  Athener  H  86  ff.,  Ro- 
mane n  449. 
Xuthos  n  485,  7. 

Zanberlieder  I  13. 
Zenödoros  I  142. 


Zenodotos  v.  Ephesos :  Anakreon  1 338, 

Hesiod  I  225,   Homer  I  126  f.  135, 

Pindar  HI  101. 
Zenodotos  v.  Mallos  I  136.   139.  142. 
Zenon  II  158,  1,  Demosthenes  238,  3. 

239,   2,    V.   Elea  n  271,    Rhetor 

n  470. 
Zoüos  I  157  f.  n  74ff.  282. 
Zosimos   T.    Alexandrien  n   282,    v. 

Askalon  H  158,  1.  166.  238. 
Zotikos  II  345.  m  18. 


Digitized  by 


Google 


KOL.  Hör-  k  URIYSBSXTiTS-BUOHDRÜCKSBBI  VOIT  Db.  C.  WOLF  k  SOHW. 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google 


Digitized  by 


Google