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ii:
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GESCHICHTE
DER
GRIECHISCHEN LITERATUR
BIS AUF
ALEXANDER DEN GROSSEN
VON
D»- KARL SITTL.
DRITTER TEIL
MIT GENERALREGISTER.
:2mÜNCHEN
THEODOR ACKERMANN
KOKIGUOHEB HOrBUOHHlin>LEE
1887.
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{jn^^
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Vorrede.
Da eine griechische Literaturgeschichte sicherlich zu den
Arbeiten, welche „nie fertig werden**, gehört, muss man nach
Groethes Wort sich bescheiden, wenn nach Zeit und Umstän-
den das Mögliche geschehen ist. In dem Bewusstsein, meine
physischen Kräfte nicht geschont zu haben, mache ich jetzt
einen vorläufigen Abschluss. Sind trotz des verhältnismässig
raschen Erscheinens in dem Plan wie in den Einzelheiten
manche Ungleichheiten zwischen den drei Bänden eingetreten,
80 ist dies wohl nicht in höherem Masse als in so ziemlich
allen mehrbändigen Werken geschehen. Dass im ersten Band
der wissenschaftliche Apparat nicht mit der Vollständigkeit
wie in) zweiten und dritten gegeben ist, dazu bestimmten mich
Gründe, die sich später als irrig erwiesen; dagegen hielt ich
an der Ansicht fest, dass über die Dichter als solche nicht der
gelehrteste Philologe, sondern wiederum ein Dichter, dessen
Berühmtheit ihn vor kleinlichem Neide sichert, am besten zu
urteilen vermag und so findet der Leser auch hier wieder die
Gutachten von Männern , welche few latin and less greek ver-
standen, soweit nicht die Unkenntnis der Thatsachen ihr Urteil
trübte, gewürdigt.
Bei der Massenhaftigkeit des Stoffes sind Versehen unver-
meidlich und ich kann nicht hoffen, dass die Kontrole die-
selben alle entfernt hat. Denn nur zu oft ist wohl der Geist
willig, aber die Hand ungeberdig, in anderen Fällen machte
die widrige Nachricht, dass ein Buch ausgeliehen oder gar
nicht auffindbar sei, die Revision unmöglich. Ich werde für
aDe öffentlichen und privaten Berichtigungen, auch wenn ihre
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IV Vorrede.
Form wenig Verständnis für die Entschuldbarkeit eines Schreib
oder Druckfehlers verraten sollte, dankbar sein. Das Register
ist so ausführlich angelegt, dass es hofientlich allen billigen
Wünschen genügen wird; auch hier wird mir der Nachweis
etwaiger Lücken willkommen sein.
Indem ich nach langjähriger Anspannung von Geist und
Körper die Feder niederlege, treten mir die bisherigen fata des
Buches vor die Seele, am deutlichsten die vielen Freuden des
Forschens und Findens, die Niemand rauben kann ; mit Dank
gedenke ich auch derer, die mir durch Uebersendung ihrer
Schriften oder sonstwie förderlich Waren, vor allen aber meines
Herrn Verlegers, welcher mir opferwillig und verständnisvoll
zur Seite stand.
München, den 1. Mai 1887.
Karl SittL
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Inhalts -Verzeichnis.
Seite
Einleitung 1
Oeffentliche Pflege der Poesie.
1. Kapitel: Das heroische Epos 9
Produktionen von Rhapsoden und Epikern ; Panyasis ,
Antimachos , Choirilos und ihre Genossen ; Parodien
(Hegemon).
2. Kapitel: Die Lehrdichtung 23
Empedokles, Parmenides, die Pythagorerr und Hippon;
Eudoxos und andere Lehrdichter der Spezialwissen-
schaften; gastronomische und abergläubische Literatur.
3. Kapitel: Die nicht chorische Lyrik 36
Elegie : Archelaos, Melanthios, Dionysios und Ion, Tragiker
und Sophisten ; Epigramm ; Liebeslied ; Timokreon ; Tele-
silla; aulödischer und kitharödischer Nomos (Korinna,
Phrynis, Timotheos).
4. Kapitel: Chorlieder 54
Das Choriied im Allgemeinen; Simonides, Bakchylides und
Pindar; der klassische Dithyrambos.
5. Kapitel Anfänge der Tragödie 129
Alte und neue Schriften über die Tragödie; Ursprung
des grifcchischen Trauerspiels; Thespis, Choirilos und
Phrynichos.
6. Kapitel : Technik der Tragödie 148
Spieltage; Preiskonkurrenz; das Publikum; der Dichter und
seine Zeit. Die Stoffe und ihre Behandlang; die auf-
tretenden Personen und ihre Charaktere; der Dialog;
Charakteristik der Handlung: Peripetie und tragische
Ironie; Schluss, Intriguen und Spannung; Familiensceneü
(Liebe); Unglück; Realismus und stürmische Scenen;
Wunderbares und Prunk. Exposition, Prolog und Schluss,
dens ex machina und die Moral des Stückes. Der
Chor: Historisches ; Zahl ; Verhältnis zur Handlung ;
Ort und Aufstellung; Einheitlichkeit; Gesang, Musik,
Arten der Lieder, Tanz und Gestikulation, Dialekt.
Folgen des Chors: Versmass des Dialoges und Respon-
sion; Singen der Schauspieler; die tragische Sprache;
Ort der Handlung; Einheit des Ortes und die Boten-
erzählungen ; die Einheit der Zeit und die Trilogien ;
Monologe und vertrauliche Scenen ; Sceueneinteilung ;
Ankündigung des Auftretens und des Schlusses; Zurück-
treten des Chors; Vielseitigkeit der Dichter ; Regelmässig-
keit der Tragödie; das Erhaltene.
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Seite
7. Kapitel: Aeschylus 244
Bioj^raphien ; Leben des Dichters; Charakter und dichterische
Bedeutung; Werke; Anerkennung bei der Folgezeit.
6. Kapitel: Sophokles 272
Biographien; Leben und Charakter; Zeit der Stücke; die
beiden Oedipus, Antigene, Elektra, Aias, Philoktet;
Geschichte der Dichtungen; Suholien, Handschriften und
Ausgaben.
9. Kapitel: Euripides 310
Biographien ; Lebensumstände ; Charakter und Denkungs-
weise; dichterische Eigenart; Zahl und Entstehnngszeit
der Dramen; Rhesos; die übrigen Tragödien in alpha-
betischer Ordnung; das Verlorene. Fortleben der Dramen ;
Scholien, Handschriften und Ausgaben.
10. Kapitel: Die Zeitgenossen und Nachfolger der grossen Tragiker . 364
Ion, Achaios und Agathon, Aristarchos, die Familie der
drei Klassiker und des Karkinos, Neophron, Kritias nnd
Andere; die Tragiker des vierten Jahrhunderts: die beiden
Astydamas, Karkinos, Antiphon und die Dilettanten. Der
Niedergang der Tragödie. Hochstellung der Klassiker;
Verbreitung des athenischen Dramas ausserhalb Attikas.
11. Kapitel: Das Satyrspiel 383
Schriften über das Satyrspiel; dessen Entwicklung und
Formen; „der Kyklope" des Euripides.
12. Kapitel: Anfänge der Komödie 389
Schriften über die Komödie m alter und neuer Zeit. Keime
des Lustspiels; megarische Komödie: Epicharmos, Phormos
und Deinolochos. Ursprung der dionysischen Komödie in
Attika; Snsarion.
13. Kapitel: Die altathenische Komödie 406
Staatliche Ordnung; Publikum; Technik: Stoffe und Personen
(Bürger, Fremde, Götter, Personifikationen, nicht erfundene
Personen); Pressfreiheit; Karrikaturen; politische Haltung;
Verfolgung der Philosophen nnd Musiker; lächerliche
Garderobe, Obscönität^n, Parodie, Zerstörung der Illusion ;
Oekonomie und Dialog, Schauspieler und Chor, Parabase ;
Musik und Tanz; Versmass und Sprache; Einheit des
Ortes und der Zeit; Gesamt urteil.
iA, Kapitel: Die Dichter der alten Komödie 440
Magnes und Chionides; Kratinos mit seinen Genossen;
Krates und Pherekrates; Phrynichos und Enpolis; Aristo-
phan es: Biographien, Leben, Charakter, Werke, Bedeutung
und Wertschätzung, Scholien, Handschriften und Ausgaben;
Theopompos, Strattis und Piaton mit ihren Zeitgenossen.
15. Kapitel: Die mittlere Komödie 482
Charakteristik: Chor und Lyrisches; Stoffe, Verfeinerung des
Tons; regelmässige Figuren; Eubnlos, Timokles, Anti-
phanes, Anaxandridas , Alexis nnd die unbedeutenderen
Dichter.
J 6. Kapitel: Der Mimos 492
Possenreisser in Sicilien; Sophron und Xenarchos.
Schluss 494
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Einleitung.
Oeffentliche Pflege der Poesie.
Während die Vertreter der Prosa, statt beim Staate oder
wenigstens bei der öfifentlichen Meinung Aufmunterung und
eine moralische Stütze zu finden, einen schweren nicht unge-
filhrlichen Kampf gegen die Vorurteile ihres Volkes zu führen
hatten, kam den Dichtern Alles nach wie vor freundlich ent-
gegen und auch der kleinste Staat bot alle Mittel auf, damit
die Gabe der Musen eine edle Zierde der allgemeinen Feste
sei. Das alte Hellas hatte nichts anderes als die Ehre der
Götter dabei im Auge gehabt, allein durch prachtliebende
Usurpatoren, wie Polykrates imd die Peisistratiden, welche
durch prunkvolle Feste und imponierende Bauwerke für die
Zerstreuung ihrer widerwilligen Unterthanen sorgten, waren die
Griechen des jonischattischen Stammes verwöhnt worden. Von
nun an musste jede wie immer geartete Regierung mit der
vorhergehenden in der Veranstaltung glänzender Schaustellungen
wetteifern und durfte, sobald es die Feiertage zu verschönern
galt, vor keiner Ausgabe zurückschrecken, selbst wenn die
politischen Verhältnisse eine zweckmässigere Verwendung nahe
legten.
Perikles, dem die Matrikularbeiträge der Bundesgenossen
zur Verfügung standen, wendete sie, vne immer man über die
Rechtsfrage denken mag, in der grossartigsten Weise an, ohne
dass der rasch emporgeblühte Staat auf die Abwege unver-
ständiger Emporkömmlinge geriet. Der kundigen Leitung dieses
feingebildeten Edelmannes dankte Athen alles jenes Herrliche,
zu dem bald aus ganz Griechenland und später aus der ganzen
Sittl, Geschichte der giiechischen Literatur, m. ^
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2 Einleitung.
gebildeten Welt die Kunstfreunde zusammenströmten^). Doch
vor allem musste das perikleische System dem über jene Ver-
schwendung murrenden Volke die Tage des Vergnügens mehren
und mannigfaltiger gestalten. Nun löste in Athen, wie in
keinem anderen Orte, ein Fest beinahe das andere ab*). In
solcher Weise zeigte ja eine griechische Stadt ihren Reichtum ').
Mit dem Aufschwünge des Festlebens hing die Verfeinerung
des Geschmackes zusammen. Als die grossen Nationalspiele
eingesetzt worden waren, hatte das Volk noch die Erprobung
körperlicher Gewandtheit und Kraft für das Rühmlichste
angesehen. Wenn schon in so ziemlich allen Kulten Chöre
die Gottheit zu besingen wetteiferten und bei jeder Gelegen-
heit Rhapsoden epischer Gedichte um die ausgesetzten Preise
kämpften, besassen doch nur die musischen Agone von Delphi
und Sparta, dem geistigen und dem weltlichen Vorort des
Apollodienstes, eine über die Stadtmarken hinausreichende
Bedeutung*).
Athen hatte anfangs auf die fremden Meister keine An-
ziehungskraft ausgeübt, weil seine Bewohner für die musischen
Künste, wie sie von Doriem und Aeoliern geübt wurden, weder
hervorragende Anlagen noch eine gleich rege EmpföngHchkeit
besassen. Da tritt plötzlich der lebhafte Dienst des Weingottes,
über dessen Vorgeschichte leider wenig zu erkunden ist*), in
den Vordergrund und damit ist, weil ihm die hieratische Ge-
bundenheit der Verehrung der eigentlichen olympischen Gtötter
abgeht, der Anstoss zu neuen folgenreichen Einrichtungen
gegeben; schon das sechste Jahrhundert brachte Athen die
Wettbewerbungen von Tragödien und Komödien, woraus, wie
1) Perikles' Verdienste w&rdigt unter den Klassikern Isokrates (15, 234).
Der Komiker Lysippos (fr. 7 p. 702 Kock) sagt : el p.*^ ta^aoat xac ' AO-fjvac,
oxiXf/OQ el.
2) „Vom Staate der Athener'* 3, 8 Äf®^^^ P-^^ iopxdg BtirXaoiooc ^ oi
fiXXot, vgl. 2, 9. 3, 2. Thucyd. 2, 38, 1.
3) Aristoph. Plnt. 1162 f. nXo6tC|) y^P ^'^'^ xobxo oop-^opiotaiov , tcouIv
ÄY&vac jJ.oootxo6(: xal Yop^vtHooc.
4) Ueber die (j.ouoixol ir^mvzt: im allgemeinen handelt Emil R ei seh de
rnnsids Graecomm oertaminibns, Diss. v. Wien 1885.
5) Otto Ribbeck Anfänge und Entwicklang des Dionysosealtes in
Attica, Progr. der Univ. Kiel 1869; C. Mittelhaas de Bacoho Attico, Diss.
V. Breslau 1874.
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Einleitung. 3
primitiv sie auch immer damals gewesen sein mögen, mit der
Zeit das klassische Drama erwuchs.
Peisistratos' Herrschaft machte, wie es scheint, in der
Grescbichte der Poesie nicht Epoche, weil sein Interesse mehr
der Kunst zugewendet war; von einer Unterbrechung der vor
ihm eingesetzten poetischen Agone kann zwar keine Rede sein ^),
trotzdem ist es für den Tyrannen charakteristisch, dass die
von ihm eingerichteten grossen Panathenäen den Olympien
und nicht den universelleren Pythien glichen. Erst sein Sohn
Eßpparchos wetteiferte, während der ältere Bruder Hippias die
Regierungsgeschäfte führte, mit Periandros und Polykrates,
indem er sich mit hervorragenden Dichtern umgab; damals
worden wahrscheinlich die üblichen Rhapsoden vortrage, so ver-
ständig geregelt, dass das Volk wenigstens an den Pana-
thenäen die homerischen Dichtungen unzerstückelt als Ganzes
vernehmen und geniessen konnte.
Kaum hatte aber Athen die Freiheit wieder gewonnen,
als abermals Dionysos der Poesie in dem Wettkampfe von
DiÜiyramben ein neues Feld eröffnete» Die drei dionysischen
Dichtungs&rten allein errangen nun in Athen eine wahre
Popularität, wiewohl Perikles, unablässig darum bemüht, dass
Athen in keiner Beziehung hinter einem anderen griechischen
Staate zurückstehe, alles that, um die ausgezeichnetsten Lyriker
und Musiker seiner Zeit anzuziehen. Diesem Gedanken zu
Ldebe setzte er, mit den altberühmten Karneen Spartas wett-
eifernd, an den grossen Panathenäen Preise für Gesang und
Musik aus*) und überbot die alte „Scbattenhalle" (ExtAc) der
Spartaner^ durch ein eigenartiges geschlossenes Gebäude, in
welchem von den Deklamationen und Koncerten kein Laut
verloren ging, das sogenannte Odeion. In diesem neuen Bau
fSeind 446 der erste Wettkampf statt, wobei der berühmte les-
1) Aristoteles (oecoD. 2, 5) gebraucht das Wort yop-rjYetv von der Zeit
des Hippias.
2) Flatarch. Pericl. 13; Furtwftngler arcbftol. Zeitung 1881 S. 303
fihjt gegen diese üeberliefemng eine altertamliche (?) panatbenäiscbe Vase
«a, 8. aber ürlichs Beiträge zur Ennstgescbicbte S. 56 A. 76. Letzterer
bea^ndit s. O. S. 52 die Darstellungen siegreicber Elitbaröden und Flöten-
spieler ftof panatben&ischen Vasen. — Breuer de musicis Panatbenaeorum
eertamiDibas, Dias, von Bonn 1865.
3) Albert Muller, die griecbiscben Bdbnenaltertümer S. 67.
1*^
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4 Einleitung.
bische Eütharöde Phrynis den Sieg davon trug^). Wie man
sieht, hatte Perikles seine Absicht schon beim ersten Versuche
erreicht. Wo sich hingegen zumeist inländische Dichter an der
Konkurrenz beteiligten, — selbst die grossen Dionysien nicht
ausgenommen — da mussten den Chören kreisrunde gepflasterte
Tanzplätze (öpx'JJotpat) genügen^; solche befanden sich auf
dem städtischen Marktplatze') und in den heiligen Bezirken
der gefeierten Gottheiten*). Sonst sorgte der Staat nur dafür,
dass an den grossen Dionysien, welche die grösste Zahl Schau-
lustiger herbeizogen, ein Baumeister^) hölzerne Gerüste er-
richtete®) und vermietete; in anderen Fällen mussten sich die
Zuschauer, wie im alten Rom, zum Stehen bequemen^), denn
die Heimat der gefeierten Tragiker besass kein stehendes
Theater, bis nach der Schlacht von Chairoiieia Lykurgos neben
1) Elratinos (Plutarch. Pericl. 13) klärt nns über die Zeit des Baues
auf; Vitruvius, welcher statt Perikles Themistokles nennt (5, 9, 1), schöpft
ans einem Antor, den die vermeintliche Aehnlichkeit des Odeions mit dem
persischen Eönigszelte zn dem Trugschlüsse verleitete. Die Vollendung des
Baues hftngt offenbar mit dem ersten Panathenäensieg zusammen, über den
Schol. Aristoph. Nub. 965 (967) = Suidas u. ^pövic berichten (Meier de
Panathenaeis p. 286 A. 80 stellt statt KaXXioo richtig den Archontennamen
KaXXifxdtxou (Ol. 83, 3) her). Alle alten Schriftsteller kennen vor Hdrodes
Atticus ein einziges Odeion (Hill er Hermes 7, 393 ff., s. ausserdem über
diese viel umstrittene Frage das Resumö von Albert Müller a. O. S. 101 ff.).
Ueber die Benützung des Odeion Hesychios u. 'äidslov.
2) Ud. V. Wilamowitz die Bahne des Aischylos, Hermes 21, 597 ff.
3) Wachsmuth die Stodt Athen I S. 170. 509; Milchhöfer Bau-
meisters Denkm. des klass. Altert. I S. 165; vgl. Fr. Wieseler de loco quo
ante theatrum Bacchl lapideuro exstructum Athenis acti sint ludi scenici,
Progr. der Univ. Göttingen 1860; Alb. Müller Philol. 35, 291 ff.; O. Rib-
beck a. O. S. 23 f.
4) Daher stammen die Ausdrücke 6 IkX AYjvaiq) dL'^iiiv (Aristoph. Acharn.
404, vgl. Wilamowitz Hermes 21, 615 ff.) und xi AYjvaixov (PoUux 4, 121).
Bezüglich Krntinos' Scherz icap' alYsipoo ^a (fr. 339 Eock) waren schon die
Alten auf Vermutungen (Alb. Müller a. O. S. 84 A. 3) angewiesen.
5) 'Apxit^xTü)v (Demosth. 18, 28. CIA. H 164) war sein offizieller Name;
sonst hiess er auch ^taxpoicu»XY)c (Arlstophanes bei PoUux 7, 199) oder d^a-
Tpu»vY)c (Tbeophrast. char. 11, 3).
6) ''Ixpia (Ixpia) Kratinos fr. 323, 3. Aristoph. Thesm. 395 (s. auch Alb.
Müller a. O. S. 3« 61, 3),* £3 ist wohl möglich, dass sie einmal zusammen-
brachen (Suidas u. Alo^^uXoc und Opoixivoic)*
7) Aristoph. Acham. 915 xu»v icepuatwicuv , und zwar nahe bei den
Schauspielern (Acham. 257).
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Einleitung. 5
dem Dioiiysostheater am Südabhang der Akropolis einen früher
begonnenen steinernen Zuschauerraum anlegte*), und vielleicht
hätte er nicht einmal dies durchgesetzt, wenn das Theater nicht
an Werktagen für Volksversammlungen bestimmt worden wäre.
Hingegen hielt man es selbst damals, als Athen schon von
dem Ruhme seiner Geistesheroen zehrte, für überflüssig, eine
ständige Bühne zu errichten*).
Dafür gab Athen den Dichtern nicht bloss Gelegenheit
und Anregung zur Bethätigung ihres geistigen Könnens, indem
es glänzende Preise aussetzte, sondern es that mittelbar ebenso
viel, damit sie volle Bewegungsfreiheit erhielten. Denn statt
mit bureaukratischer Knauserei kämpfen und in die allgemeine
Schablone sich schicken zu müssen, erhielt der Dichter, wenn
er mit einem Chore auftrat, von Staatswegen einen reichen
Bürger als Choregen zugewiesen'), für welchen es Ehrensache
war, sein möglichstes zu thun, dass die Konkurrenten über-
troflfen und in den Schatten gestellt würden; wurde doch,
wenn der Dichter siegte, sein Name neben ihm, ja vor ihm
genannt*). Der Choreg liess sich deshalb gerne zu ausser-
ordentlichen Leistungen herbei ^). Mithin brauchten die Dichter
in der Regel ihrer Phantasie durch Rücksicht auf die Kosten
keiue Schranken zu setzen und fanden leicht einen ehrgeizigen
Helfer, der ihnen zu einer Neuerung die Mittel gab*).
Poesie und Musik interessierton ja das gesamte Volk,
nicht bloss einen durch Glücksgüter gesegneten Bruchteil des-
selben'; lieber gab der Staat selbst enorme Summen her, wenn
1) Hypereides fr. 121; genauer [xb O-iatpov to] Atovootaxiv H^jp^daato
CIA. II 240. Ps. Plutarch. Lycurg. 852c, vgl. 841c, s. Alb. Müller a. O.
8. 87, 4. ALek) irrt Saidas n. IIpaTivac, der deu Baa in die Zeit des Aeschylas
veTBetzt.
2) Dörpfeld in Alb. Müllers griech. Bühnenaltertümer S. 415 f. Viel-
leicht unterliess man es absichtlich, weil Holz eine bessere Akustik gewährt
als Stein (Vitrav. 5, 5, 7).
3) y. Thumser de civium Atheniensium mnneribus, Wien 1880 p. 83 ff.
4) Im Namen seiner Phyle handelte er nur bei lyrischen Chören, während
die glückliche Aufführung eines Dramas wahrscheinlich ihm persönlich die
Auszeichnung brachte (Lipsiud Berichte der sächsischen Gesellschaft der
Wiss. 1885 S. 412 flt).
5) IIapaxop*f}YY)fjLa nannte man dies; vgl. Alb. Müller a. O. S. 177 ff.
6} Bei dem Komiker Amphis (fV. 14, n 239 Eock) sagt ein nenerungs-
süchtiger Dichter: ^oX'vjv ic6pi)jiiva> GcpoBpa cpiXovetxouaav Xa)(8lv ttv\
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6 Einleitung. .
nur auch der von der Hand in den Mund lebende Bürger,
tier Sorge um das tägliche Brod enthoben, behaglich an dem
Vergnügen Teil hatte. Dass das Publikum der Dichter das
Volk im wahren Sinne des Wortes war, kam schon äusserlich
zum Ausdruck, weil es sich nach der politischen Phylenein-
teilung gUederte ^). Darum leiteten die höchsten Staatsbeamten
die Abhaltung der Feste. Bei den grossen Dionysien zeigte
Athen Freunden und Gegnern seinen Reichtum und wie es
die Waisen der für das Vaterland Gefallenen und die Patrioten
ehrte ^; hier vor dem ganzen Volke bekränzt zu werden, war
die höchste äussere Ehre, die ein athenischer Staatsmann an-
strebte, bevor sie durch leichtfertige Verleihung an Wert ver-
loren hatte. Nicht einmal der Krieg durfte auf die Festtage
störend wirken, weshalb die Athener alle diejenigen, welche in
einen Chor eingetreten waren, von der Wehrpflicht befreiten
und, als EupoUs im Kriege umgekommen, das Privilegium auf
die Dichter ausdehnten; die Chöre bestanden nämlich nicht
aus beliebigen Mietlingen, sondern einzig und allein aus freien
Bürgern des Landes.
Hinsichtlich der Dichter dagegen gab es keine parti-
kularistische Engherzigkeit. Wer unter seines Gleichen her-
vorzuragen glaubte, führte ein Wanderleben von Stadt zu
Stadt und von Fest zu Fest, wo immer nur Preise ausgesetzt
waren. Durch Perikles' Massregeln war Athen der Ort geworden,
wo jeder fahrende Künstler, um für berühmt zu gelten, sich
gezeigt haben musste, und so war das stolze Wort jenes Staats-
mannes, Athen sei die hohe Schule von Hellas'), durchaus
nicht übertrieben, während weniger besonnene Chauvinisten
sich zu der Behauptung verstiegen, sie, die Athener, seien in
der Dichtkunst wie in der Kriegskunst die ersten*). That-
sächUch verhielt sich Athen auch auf dem geistigen Gebiete
zu den meisten hellenischen Städten, wie ein Stapelplatz des
1) Benndorf Beiträge zar KenntDis des nttischeo Theaters S. Id ff.
(vgl. Alb. Müller die griech. Bähnenaltert. (S. 296 ff. 415). Die Rateherm
hatten Ehrenplätze (BooXeotix6v Aristoph. Av. 794).
2) Isocrates 8, 82.
3) Thncyd. 2, 41, 1 JoveXwv xe X^w rfjv xt jiÄoav jtoXiv rfjc *EXXa5oc
naiSeuoiv shai . . .
4) Aristoph. (Zq. 583 ff.
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Einleitung. 7
Welthandels zu einem Landstädtchen. Demzufolge zogen die
grossen Dionysien und Panathenäen Besucher aus allen Teilen
Griechenlands an*) und, wem in Athen ein Preis zu Teil
geworden war, der stand vor ganz Hellas geachtet da^).
Nichtsdestoweniger dürfen wir nicht vergessen, dass die
das Altertum überdauernde Ueberlieferung einseitig zu Gunsten
Athens spricht. Die Zeitgenossen erkannten ihm damals aller-
dings den Vorrang im Drama zu, hingegen waren die lyrisch-
musikalischen Aufführungen von Korinth berühmter^ und
ein äusserer Umstand genügt zum Beweise, wie schwer Athen
der Sieg im geistigen Wettstreite gemacht wurde. Wie spät
entstand dort ein steinernes Theater und doch besassen damals
schon viele Städte Griechenlands ein solches*); die einzige
Thatsache, dass die nicht sehr bedeutende Stadt Chalkis mehr
als ein Theater enthielt, lässt einen merkwürdigen Schluss auf
das übrige Hellas zu^). Der älteste steinerne Bau war unseres
Wissens das prachtvolle Kurtheater, welches in Epidauros von
Poly kleitos errichtet wurde ^.
Eine nicht minder bedrohliche Konkurrenz machten der
athenischen Demokratie Könige und Tyrannen, namentlich die
bekannten Herrscher von Syrakus und der makedonische König
Archelaos, welche nach dem berühmten Worte Soyol töpawot
TÄv ao^Äv Tcapooatfqf — der jüngere Dionysios soll seine eigen-
nützigen Absichten offen eingestanden haben ') — viele Celebri-
täten ihrer Zeit um sich versammelten ; auch bei dem herrsch-
1) Vgl. Isokr. 4, 45. Aristoph. Acharn. 405. Plato symp. 175 e. Aeschin.
3, 34. Rede gegen Neaira 31. Ps. Fiat. Parmenid. 127 b. Ps. Andocid. 4, 20.
2) Vgl. ÜBOcr. 4, 46.
3) Stratonikoe bei Athen. 7, 350 b.
4) Korinth Xenoph. HeU. 4, 4, 3; Megalopolifl? Pausan. 8, 32, 1. 2,
27, 5; Aigina? Suidas n. Apdxwv; Thasos Hippocr. epidem. 1, 2 p. 404 K.;
Rhodos Plotarch. Demetr. 21 a. E.; Herakleia Hermippos bei Diog. Laert.
5, 91 (zur 2teit des Herakleides Pontikos); Syrukus (Sophron fr. 136 Botzon
bei Enstath. in Odyss. p. 1457, 24) Platarch. Timol. 34 a. E. 38; Agrigent
Frontin. strateg. 3, 2, 6; (in Selinnnt, nach einer Vermutung von Schub-
ring ArchÄol. Ztg. 1872 S. 100); das ddaxpov in Olympia (Xenoph. Hell. 7,
4^ 31) muss hölzern gewesen sein.
5) Dicaearch. p. 260 § 28 ed. MdUer.
6) Pausan. 2, 27, 5; über die Ruinen s. die bei Alb. Müller a. O.
S. 5, 4 verzeichneten Schriften.
7) Plutarch. reg. apophth. Aiovoa. vewt. 1.
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3 Einleitung.
süchtigen Spartaner Lysandros, der gern den König spielte,
konnte man leicht erraten, dass er einen Homer seiner Thaten
suchte *). Doch bei anderen war das Mäcenatentum von solchen
Nebengedanken frei, sonst hätten nicht der ältere Dionysios
und Mamerkos persönlich invita Minerva dilettiert. Indes wenn
solche Freunde der Poesie der Tod ereilte, war der Musensitz
mit einem Schlage vernichtet, weil eine kunstsinnige Dynastie
fehlte. Solche Anregungen blieben trotz allem augenblicklichen
Glänze gerade so vorübergehend, wie die grossartigen Toten-
feiern , z. B. beim Begräbnis des Euagoras *) und Maussollos,
wo Dichter und Musiker in grosser Zahl für einige wenige Tage
zusammenströmten, und hinterliessen keine bleibende Spur.
Ward auch die hellenische Poesie in ihrer höchsten Blüte-
zeit — um mit Schiller zu reden — vom Ruhme gepflegt und
entfaltete sie auch ihre Blume wirklich am Strahle der Volks-
und Fürstengunst, sei doch auch andererseits nicht vergessen,
dass die Poesie keine Treibhauspflanze 4st. Waren nicht nach
dem Tode der grossen Meister jene äusseren Vorbedingungen
noch günstiger? Hätte man nicht einen neuen Sophokles,
einen zweiten Pindar gleich Göttern geehrt? Demungeachtet
nahm allein die Zahl der Dichter zu, weil eben das Zusammen-
treffen so vieler Genies ein wunderbares Spiel der Natur und
nicht das notwendige Ergebnis einer Reihe günstiger Ursachen
gewesen war.
1) Vgl. Plntarch. Lys. 18.
2) Isoer. 9, 1.
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I. Kapitel.
Das heroische Epos.
Produktionen von Bhapeoden and Epikern; Panyasis, Antimachoe, Choirilos
nnd ihre Genossen; Parodien (Hegemon).
Mochte auch der Geschmack der Hellenen in den zwischen
Homer und Perikles liegenden Jahrhunderten manche Wand-
lungen durchmachen, an Empfänglichkeit für das Epos fehlte
es der klassischen Periode wahrlich nicht. Homer fuhr fort,
jedem Dichter ein hehres Vorbild zu sein, zugleich gaben seine
Gesänge die Grundlage der griechischen Bildung ab ; war doch
die Ilias das erste Buch, das der junge Grieche in die Hand
bekam, damit er aus ihr möglichst viele Stellen, welche
poetische Anmut mit weiser Belehrung vereinten, seinem Ge-
dächtnis einpräge. Er hatte sogar am Feste der Apaturien
öflFentlich von seiner Kenntnis derselben Rechenschaft abzu-
l^en*). Die Eindrücke der Schule wurden in den Heran-
gewachsenen dadurch wach erhalten, dass an zahlreichen Festen
Rhapsoden auftraten, welche um die ausgesetzten Preise rangen*).
Die, wie es heisst, von dem schöngeistigen Peisistratiden Hip-
parchos veranlasste Vorschrift, dass an dem höchsten Feste
Athens, den grossen Pauathenäen, Homers gesammte Epen
im Zusammenhange vorgetragen werden sollten, bestand noch
lange nachher fort'); ein Volksbeschluss verbot ausdrücklich
1) Proklos sa Plat Tim. p. 27 e.
^ 2) Greg. W. Nitzsch meletematum de historia Homeri fasc. ü. p. m."
de rhapeodis aetatis Atticae, Kiel 1835; vgl. Bd. I S. 122 A. 9.
3) Ps. Plato Hipparch. p. 228 b; auf Selon überträgt die Einrichtung
Diogen. Laert. 1, 57.
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10 Das heroische Epos.
für dieses Fest den Vortrag eines anderen Dichters, als ob
dafür nur der beste eben gut genug sei^). In Athen bildeten
die Rhapsoden eine besondere Zunft, die ihr eigenes Fest
hatte *). Doch auch sonst fanden die Tausende von Menschen,
welche die Recitation des Mäoniden zum Lebensberufe erwählt
hatten, Stätten genug, wo den Geschicktesten £hren und
Preise belohnten^; in diese Seite des literarischen Lebens
führt uns Piatos Dialog „Jon" mit anmutiger Ironie ein. Endlich
öfinete sich dem Epos ausser Schule und Festversammlung
das Studierzimmer, indem, wie Bd. II S. 23 ff. gezeigt ist, die
Gebildeten an der Hand gelehrter Forscher in das Verständnis
der Heldendichtung tiefer einzudringen sich beeiferten.
Wer aber einwerfen wollte, dass gerade diese pietätvolle
Schätzung des alten Epos eine ungünstige Voreingenommenheit
gegen das Streben der Jüngeren hervorgerufen haben könnte,
würde den Griechen Unrecht thun. Es fehlte nämlich an
Gelegenheiten, wo ein begabter Epiker seinen Ehrgeiz be-
friedigen konnte, durchaus nicht. Wenn schon von Athen
zufällig keine darauf bezügliche Einrichtung überliefert ist,
steht doch fest, dass wenigstens in Jonien und Böotien, den
alten Heimstätten des Epos, dem TcoiYjTiiic noch Jahrhunderte
später ein Platz in dem Repertoire der musischen Spiele
gesichert war*).
Die Sagen der Heroenzeit nach den alten liebgewonnenen
Epen von neuem zu behandeln, war freilich ein gefährliches
Wagnis; aber lag nicht ein unermesslicher an herrlichen
1) Lycarg. Leocrat. 132. Wenn Soidas u. XoipiXoc sagt: o6v tol^ '0(XY)poo
&vaYiYV<^<3X60^ai Itj/Yj^^a^, so heisst dies nicht, dass Choirilos davon ausge-
nommen wurde (Breuer de mnsicis Panathenaeornm oertaminibus p. 10
nimmt zu den kleinen Panathenäen seine Zuflucht) ; Bemhardy n 349 denkt
an die Schullektüre.
2) Klearchos von Soloi bei Athen. 7, 275b.
3) Vgl. Bd. I S. 120, auch Aristot. rhet. 3, 11 pag. 1413 a 8 ff. Nach
Hesychios u. Bpaopotv^oK; wurde an den Brauronien die Ilias (wahrscheinlich
si 6icoX-r)<{/ea>^ vollständig) vorgetragen.
4) In Samos bei der Herafeier (vgl. Plutarch. Lysand. 18), wahrschein-
lich auch bei dem Eronosfeste von Theben (Aristoteles bei Ps. Plutarch. vit.
Hom. 4) ; später inschriftlich nachweisbar in Akraiphia (C I O. 1587 ticd>v
:coi*r)TY|^) und bei den Xapixsbta in Orchomenos (nouiia^ C I G. 1583 = Lar-
feld 32 = CoUitz 503, vielleicht aus dem Anfange des zweiten Jahrhunderts,
Ussing, inscr. Gr. ined. Nr. 53).
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I. Kapitel. H
Episoden reicher Stoff unbearbeitet da? Wenn den meisten
die jüngsten glorreichen Thaten für die epische Objectivität
zeitlich zu nahe standen, so harrten ja noch die grossen
Wanderungen der hellenischen Stämme und die kühnen Züge
der Seefahrerschaaren eines gottbegeisterten Sängers.
Dass trotz dieser lockenden Verhältnisse kein neuer lebens-
kräftiger Aufschwung des Epos erfolgte, sondern diese Gattung
hinter Drama und Lyrik zurückstand, verschuldete weniger
das Publikum als die Dichter, insoferne die hervorragenderen
Talente, statt, wie früher, in Homers Fussstapfen zu treten,
jetzt der Tragödie sich zuwandten^).
Dennoch müssen wir, wenn wir billig sein wollen, gestehen,
dass das siegreiche Vordringen des prosaischen Geistes den
epischen notwendig ertötete. Epos und Geschichtsschreibung
können höchstens dann ohne Schaden für das erstere neben
einander hergehen, wenn sie die Stoffe unter sich teilen; beginnt
aber der Geschichtsschreiber die mythische Zeit kritisch zu
zersetzen, wie kann die erzählende Poesie in voller Kraft und
Natürlichkeit fortbestehen? Kritik und Forschung sind ihre
gefährlichsten Feinde, weil, je mehr die historische Literatur
unter das Volk dringt, desto mehr die von dem Poeten
geforderte Unbefangenheit der Hörer schwindet. Davon wissen
die Dichter, welche in neuerer Zeit historische Stoffe bearbeiteten,
zu erzählen. Zu den Geschichtsschreibern gesellten sich sodann
die Homerforscher, deren spitzfindige iiroptat und Ci'J'njiMtta alles
dichterische Gefühl zu ersticken geeignet waren. Endlich ver-
fehlten die gegen die Götter des Epos, einen Lebensnerv dieser
Gattung, gerichteten Angriffe der Philosophen bei den Gebildeten
ihre Wirkung nicht.
Folglich kann es niemand Wunder nehmen, wenn die
Epiker dieser Zeit, da die meisten von ihnen gleichzeitig mit
anderen Zweigen der Poesie sich beschäftigten, augenscheinlich
ohne unmittelbaren inneren Beruf in Hexametern dichten und
statt des Natürlichen lieber das Ungewöhnliche aufsuchen.
Aus der Schaar der Dutzenddichter sind der Prophet
Antiphon (Bd. II S. 65 f.), der Komiker Epilykos«), der
1) Aristot. poet. 4 p. 1449a 2 ff.
2) Snidas n. Kpdirr)^» wenn Saidas ihn nicht aas Versehen icoiiqrv)^
t^cxoc nennt.
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12 ^A8 heroische Epos.
bekannte Dithyrambiker Melanippides^), Dionysios*) der
Aeltere, ein Thukydides*) und „der weibliche Homer''
Anyte*) wenigstens dem Namen nach bekannt, wogegen dem
Verfasser der „Theseis'' nicht einmal der populäre Stoff ein
dauerndes Andenken sichern konnte^). Nur drei Männer, die —
gewiss nicht zuföUig — alle dem jonischen Stamme angehörten,
wurden mit Ehren neben ihren gefeierten Vorgängern genannt.
Der älteste von ihnen entfernte sich so wenig von den
Bahnen des älteren Epos, dass vielmehr dessen Wiederbelebung
sein Werk war®). Panyassis') war ein Bürger der klein-
asiatischen Stadt HaUkamassos ^) und, wip es heisst, mit dem
Geschichtsschreiber Herodot verwandt (Bd. II S. 369, 2).
Ueber seine Lebensumstände^) fanden die Forscher in der
1} Snidas u. MsXaviiiTciSiq^ (icoit^ixaia incxd)?
2) Er liess seine Prodaktionen darch Rhapsoden Id Olympia vortragen
(Diodor. 14, 109, 1. 2. 15, 7, 2. 3).
3) Bd. n S. 404 Anm. 6.
4) Antip. Thessal. Anthol. Pal. 9, 26, 3. Pansan. 10, 38, 13. Eathy-
krates und Kephisodotas fertigten die Statne der Dichterin (Tatian. or. ad
Graecos 33 p. 130 Otto). Steph. Byz. n. Tv^ia. erwähnt eine Lyrikerin Anyte
aus Tegea.
6) '0 rijc 0Yjoiqi8oc Kotfjrfj«: Plutarch. Thes. 28, 6 0iqoiqi8a -^pä^az
Schol. Pind. Ol. lU 52; Schol. Pind. Ol. 10 (11), 83 sagt At^tXo« 6 t4jv
OiqoiqlSa icot-rjoac Fär das Alter des Epos bärgt Aristot. poet. 8 p. 1451a 20.
6) Snidas u. Davottoic: Sc eitavfifaYe oßsoö-jlsav x-Jjv «otYjxtxvjv.
7) Die Schreibung Ilav6aaai( ist durch eine halikarnassische Inschrift
(Bull, de corresp. hellen. VI p. 192 Z. 14) gesichert (über die karischen
Namen auf aaoi^ s. ebend. IV S. 318; der scharfe Zischlaut ist Röhl 500, ^5
durch T ausgedruckt, vgl. Hinrichs griech. Epigraphik S. 396 ff.). Doch
steht in einer Inschrift von Orchomenos Larfeld 12 = GoUitz 474, 10 IIa-
v6aoi{. — . Pistotheus Tzsc hirner de Panyasidis Halicarn. epici poetae vita
et carminibus diss. I. Breslau 1836, wiederholt nnd mit einer Sammlung
der Fragmente vermehrt Breslau 1842; Fr. Phil. Funcke de Panyasidis Halic.
vita ac poesi, Diss. v. Bonn 1837. Die Fragmente sind zuletzt in Kinkels
Epicorum Graecorum fragmenta p. 253 ff. ediert.
8) Pansan. 10, 8, 9. Clemens Alex, ström. VI p. 266 S., 751 P. Snidas.
Dieser und Pausanias nennen ihn IloXadpxoa. Duris beanspruchte nach Snidas
Panyassis (wohl auf die 'icuvixd gestützt) fSr seine Heimat Samos und gab
ihm Diokles zum Vater.
9) Snidas nennt ihn irrtümlich Tepatoax6ico^ ; denn dieser Titel kommt
einem spftteren Halikamassier des gleichen Namens zu, der ein Traumbuch
schrieb (Suidas u. Ilavoaotc II. Artemidor. 1, 66. 2, 35, vgl. Fabricius
bibl. Graeca H* 35).
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I. Kapitel. 13
Stadtchronik nur dies, dass ihn Lygdamis, der dritte karische
Herrscher von Halikarnass , hinrichten liess , ohne Zweifel
wegen einer Verschwörung, bevor die Stadt in den athenischen
Bund eintrat^).
Panyassis verdankt seinen Ruhm einem neuntausend
Verse umfassenden Epos, das die Thaten des Herakles besang
('HpaxXeöx) ^. Bei einem Kleinasiaten von zweifelhafter Rein-
heit des griechischen Blutes kann es nicht auffallen, dass er
den Kreis der Heraklessagen durch den Omphalemythus er-
weiterte ^. Auch das Volksmärchen musste ihm, wie es scheint,
manchen Zug liefern; oder hatte der Dichter, wenn die Kunst
des Trinkens mit besonderem Behagen gelehrt wird (Fr. 12
bb 14), nicht den immer hungerigen und durstigen Herakles
des gemeinen Volkes im Sinne? Das alte Epos von Oichalias
Einnahme soll er etwas stark benützt haben ^). Die Herakles-
dichtung gefiel so gut, dass manche Panyassis in der Rang-
ordnung der Epiker Homer zunächst stellten*), während ihm
andere Hesiod und Antimachos vorzogen *). Zwischen der Manier
dieser beiden hielt Panyassis die Mitte und übertraf sie in
der Komposition'). Die drei grösseren Bruchstücke (12 — 14)
erinnern im Ton an sympotische Elegien.
Noch mehr tritt der Einfluss der Elegie in dem auffallen-
den Unternehmen, die Gründungssagen der jonischen Kolonien
('Ift>vtxdi) in einer grossen Dichtung von siebentausend Versen
darzustellen^, hervor, denn, während Panyassis dem Epos
hienoit ein neues weites Feld erschloss, brach er gleichzeitig
1) Saidas; die chronologiHchen Ansätze sind anbranchbar: zur Zeit der
Perserkriege (Snidas) oder Ol. 72, 4 (Easebios), d. h. beim ersten Perserkriege
oder OL 78 (Saidas), weil der Sieg am EaTymedon Ol. 78, 4 Halikarnass frei
machte.
2) Nicht ^HpaxXsidic, wie bei Suidas steht; durch diesen kennen wir
den Umfong der Dichtung. Sie war später in 14 Bücher eingeteilt (Suidas),
was Bhianoe in seiner Herakleia nachmachte (Meineke analecta Alexan-
drina, Berlin 1843 epimetrum VU p. 363 ff.).
3) Schol. Apoll. Rhod. 4, 1149, vgl. Steph. Byz. n. TpeiiiX-v}.
4) Clemens Alex, ström. 6, 266 S, 761 P.
5) Suidas; Anecd. Oxon. III p. 189, 22; zwischen Hesiod und Anti-
maehos steht er bei Is Tzeties prol^. in Lycophr. p. 251 ed. Müller.
6) Suidas.
7) Dionys. vet. seript. cens« 2, 4^ ungünstiger Quintilian. 10, 1, 54.
8} Vielleicht gebdrtoa fr. 24 und 25 dazu.
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14 Das heroische Epos.
mit der Tradition durch Anwendung des elegischen Versmasses,
der erste Fall, wo dieses Metrum seiner ursprünglichen Be-
stimmung entfremdet und einem umfassenderen Stoffe ange-
passt wurde ^). Ovids „fasti** vergegenwärtigen uns noch das
Bedenkliche eines solchen Versuches.
Diese Dichtung des Panyassis dürfte seinen Landsmann
Pigres, des Maussollos Schwager, auf den sonderbaren Ge-
danken gebracht haben, zwischen die einzelnen Hexameter
der Ilias Pentameter einzuschieben *). Bekanntlich schrieben
diesem manche den Margites (Bd. I S. 237) und die Batrachomyo-
machie (Bd. I S. 151) zu.
Elegie und Epos einten sich gleichfalls in dem Kolophonier
Antimachos'), einem wahren Vorläufer der alexandrinischen
Zeit, weil er nicht bloss Dichter, sondern auch Gelehrter war;
er heisst Grammatiker*) und Schüler sowohl des Panyassis
als des Homerikers Stesimbrotos ^) und hat sich auf den Beruf
eines Epikers durch eine kritische Recension der homerischen
Gedichte, aus der die Alexandriner manche Lesart anführen,
vorbereitet^), gerade wie später Apollonios von Rhodos und
Rhianoa.
Sein Hauptwerk war eine umfangreiche Dichtung vom
Zuge der Sieben und ihrer Epigonen gegen Theben (OYjßatc) ^),
1) Der gelehrte Artikel des Saidas sagt wenigstens ev it6VTa|XKTp(|>; Ver-
dacht erweckt allerdings Aristot. poet. 24 p. 1460a 2 hib o58etc jxaxpÄv
oooxaciv Iv £XX(}) iceiroi*r)xev ^ T<j> Y|p<f><}>.
2) Saidas n. üiYpt)«;; er verwechselt die jüngere Artemisia, des Maus-
sollos Gattin, mit der berühmten Vasallin des Xerzes. Die hellenenfüreund-
liehe Stimmung, die im vierten Jahrhundert am karischen Hofe herrschte,
trat in der Todesfeier des Manssollos zu Tage.
3) Kolophon ist dnrch Herakleides Pontikos bei ProcL in Tim. I p. 28 c,
den Kolophonier Hermesianax (V. 45) n. A. bezeugt; nach Ovid tri^t. 1, 6, 1
war er ans dem nahegelegenen zu Kolophon gehörigen Klaros (wie Nikandros
nach Schol. diem. Alex, protr. p. 10). Der Vater hiess Hyparchos (Saidas).
— . Die Fragmente sammelte zuerst Ad. GU>ttl. Schellenberg (Halle 1786, ver-
mehrt von J. A. Giles, London 1838), dann H. W. StoU (mit Biographie,
DiUenburg 1845).
4) Suidas.
5) Suidas; nach einigen Diener des Panyassis (Suidas).
6) Die Varianten sind zuletzt bei A. Ludwich Aristarchs homerische
Textkritik I S. 3 verzeichnet.
7) Cic. Brut. 51, 191 magnum illud quod novistisTOlamensunm; citiert
w\Tt\ Wr 7TiTn fi^T)ff<»n Bnohe (fr. 28). Porphyrie, welcher zu Hör. a. p. 146
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I. Kapitel. 15
worin er, weit entfernt, den Hörer sofort in medias res einzu-
fahren, bis auf den Tod des Meleagros zurückgriff ^). Je weniger
Antimachos das Geheimnis der homerischen Komposition er-
fasst hatte, desto mehr wimmelte die Dichtung im einzelnen
von homerischen Reminiscenzen, wobei Antimachos durch kleine
Veränderungen eine gewisse Selbständigkeit wahrte*); natür-
lich kam in dem Epos die obligate Schildbeschreibung vor
(Fr. 35).
In höherem Grade als dieses schwerfällige Werk fand ein
eigentümliches Buch Anklang, das eine neue Literaturgattung,
die freilich erst nach der klassischen Periode in die Mode kam,
einleitete*). Gleich dem würdigen Aristarch und anderen
Leuchten der alten Wissenschaft fehlte in dem Leben des
kolophonischen Gelehrten die Liebesromantik nicht. Von einer
schönen Lydierin*) so bezaubert, dass er ihr in ihr Vaterland
folgte^), verlor Antimachos seine Geliebte durch frühen Tod.
Einem formgewandten Landsmann des Mimnermos lag es nahe,
seine Trauer in Elegien ausströmen zu lassen, doch selbst hier
verleugnete der Pedant seine Natur nicht, sondern trug, nüchtern
und ohne Leidenschaft^, aus seinen Büchern alle Geschichten
der Heroensage zusammen^), wo ein Liebespaar auseinander
gerissen wurde, ein Geschick, das z. B. Jason und Medea traf
(Fr. 7 — 15), deren Abenteuer bereits Mimnermos in einem
behftuptet, die Einleitung allein habe 24 Bücher gefallt, verdient so wenig
Glauben als Ps. Apnlejns de orthographia p. 11, nach welchem ,,Lyde**
140 Bacher hatte! 'Ev 'E^tYovotc citiert Schol. Aristoph. Pac. 1269. Die
Fragmente der Thebais wurden zuletzt von Kinkel p. 273 ff. gesammelt.
1) Porphyrio und Acro wenigstens beziehen Horat a. p. 146 auf Anti-
machos. "^
2) Porphyrios bei Easeb. praep. evang, 10, 3, 13 ff., vgl. Enstath. ad
n. A 1 p. 9, 48.
8) Roh de der griechische Roman S. 72 f.
4) Au^ Klearchos bei Athen. 18, 597 a; bei Hermesianax V. 41 ist
Nwrrjtdoc zu lesen. Vgl. auch Asklepiades Anthol. Pal. 9, 68, 1. Also accen-
tnieren viele Abschreiber unrichtig Ao^y} (vgl. Stephanns^ Thesaurus Y p. 416.
Sehneider Callimach. II p. 229).
5) Der moralische Piutarch (consoL ad Apoll. 9) versichert, dass er sie
heiratete.
6) Too Ott»9povo( *AvTt|X(ixoto Poseidonios Anthol. Pal. 12, 168, 1 ; adfec-
tilyns . . . deficitar QaintU. 10, 1, 58.
7) 'Hptocxal aojjLcpopa^ Piutarch. a. O.
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16 Das heroische Epos.
Liebesliede verwertet hatte ^). Diese umständlich erzählten
Novellen füllten mindestens zwei Bücher^, waren aber von
dem Dichter, wie schon der Titel A087J andeutet, als Einheit
gedacht und so systematisch zusammengestellt, dass Agathar-
chides aus den von Antimachos erwähnten Mythen ein
Geschichtenbuch bearbeitete *) ; dies sagt schon alles. Die
Anführungen anderer Werke des Dichters sind für uns ebenso
viele Rätsel*).
Antimachos kümmerte sich wenig darum, ob das grosse
Publikum ihm Beifall spendete; er schrieb nach der Sophisten-
mode als Gelehrter für die ao^oi, wenn er absichtlich die
gewöhnUchen Wege vermied % seltene Formen und Ausdrücke,
selbst Dorismen zusammensuchte^, was übrigens der erste
Kritiker des Altertums als charakteristische Eigentümlichkeit
des Epos bezeichnete^) und an Bildern eine besondere Freude
hatte®). Infolge dessen litt der Stil an Manieriertheit, Härte
und Undeutlichkeit^). Ausserdem tadelten missgünstige Kritiker
an ihm Schwulst, Breite, Mangelhaftigkeit der Komposition
und das Nachlässige der Ausführung ^^). Kraftvoll und edel
1) Fr. 11; auch fr. 21 und 22 beziehen sich anf erotische Mythen.
2) *Ev i^eotepq) fr. 1 (Steph. Byz. n. *Au)xiov); ein drittes Bach (Phot.
Said. u. 6pYsa>vec) beruht nur auf Vermutung. Sie ist allerdings sehr wahr-
scheinlich, da die ähnlichen Dichtungen des Hermesianax und Parthenios
ebenfalls drei Bücher nmfassten. Die Frai^mente stehen in Bergks poetae
lyricj Gr. II* p. 289 ff.
3) Phot. biblioth. 213 p. 171a 24.
4) A^Xtoc Athen. 7, 300 d, nach Bergk a. O. p. 292 vielleicht elegisch.
Für 'laxtvYj (Etym. Magn. p. 4, 6 u. aßX*f|xo>p) vermutet Bergk Katax^jv-rj;
mir gefiele besser ^Iva^it), welche Horaz in den Epoden vorgeschwebt haben
könnte (Euphorion wird Schol. Clem. Alex, protr. p. 11 ev xq 'latia xal tcj»
'Iv^xV angeführt). 'Avxtjiaxoc iv 'Apttjit5o<; ß' Steph. Byz. u. KoxoXatov ist
längst entfernt. Anthol. Palat. 9, 321 steht ein Epigramm eines Antimachos,
welches Benndorf Antipatros zuteilt ; vgl. Fr. Spiro de Euripidis Phoenissis,
Berlin 1884 p. 26 A. 29, der auf fr. 47 verweist.
5) Dion. Halic. vet. Script, cens. 2, 3. Antip. Thessal. AnthoL Pal. 7, 409, 5.
6) Schol. Nicand. Ther. 3.
7) Rhetor. 3, 3 p. 1406 b 2 f.
8) ProcL in Plat. Tim. I 20e.
9) Plutarch. Timol. 30; der Rhetor Dionysios rechnet ihn zur aüoxYjpd
<ip)jLovla (compos. verb. 22) und spricht von ^L'iiovi.^xiv.^iz xpaxoxYjxo^ (vet. Script,
cens. 2, 3); Quintil. 10, 1, 53 jncunditate . . . deficitur.
10) Callimach. fr. 74 b Sehn. Ao54j xal naxt> yP^H-P^o^ ^<*'t ©^ xopov, Catull.
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I. Kapitel. 17
war jedoch der Dichter auch nach dem Urteile dieser Strengen ^)
und trotz seiner Gelehrsamkeit der poetischen Freiheit sich
soweit bewusst, um der Phantasie in der Erfindung von aus-
schmückenden Einzelheiten keinen Zügel anzulegen^. Unbe-
deutend ist der Kolophonier sicherlich nicht gewesen. Dass
ihn der ruhmsüchtige Lysander mit sich führte und für einige
Lobverse mit einem Hut voll Geld belohnte*), bedeutet wenig,
wie umgekehrt, dass er beim Lysanderfeste dem Herakleoten
Nikeratos, der zugleich Rhapsode war,*) unterlag*); weit
mehr fällt jedoch das Urteil des strengen Plato in das Gewicht.
Der Philosoph forderte nämlich seinen Hörer Herakleides auf,
nach Kolophon zu reisen und dort die (sonst wohl wenig ver-
breiteten) Dichtungen zu sammeln^.
Für die alexandrinische Poesie vollends wurde nächst
Homer kein Dichter so bedeutungsvoll wie Antimachos. Er
gab jedenfalls den Anstoss zum Erstehen der kolophonischen
Dichterschule'), von der wir noch Theopompos ®), den berühmten
Nikandros, einen ausgesprochenen Nachahmer des Antimachos ^,
dazu Hermesianax, der mit seinem Elegienkranz ,,Leontion'*
Antimachos' Manier getreulich kopierte ^^), kennen. Ueberhaupt
knüpft die erotische Elegie der alexandrinischen Zeit und dera-
9&, 10 tmnidus; Geschwätzigkeit Plutarch. garml. 21; Quintil. dispositione
ei omnino arte deficitar.
1) Dionys. yet. scr. cens. 2, 3 t&xovia ; Qaintil. vis et gravitas et mininie
vulgare eloqnendi genus habet laadem; Plutarch. Tlmol. 36.
2) Z. B. bei der Schilderang des böotischen Hügels Tenmesos (Strabo
9, 409).
3) Plntarch. Lys. 18; Apollodoros setzte daher Antimachos in die Zeit
dee Artaxerxes Mnemon (Diodor. 13, 108, 1).
4) Thrasymachos bei Aristot. rhet. 3, 11 p. 1413 a 8.
5) Plntarch. a. O.; Nikeratos wird auch Marcellin. vit. Thnc. 29 erwähnt,
wonach er sich bei Archelaos anfgehalten zn haben scheint.
6) Proklos a. O.; in Anekdoten (Cic. Bmt. 51, 191. Plntarch. a. O.)
werden Dichter und Philosoph persönlich zasammengelnhrt (vgL dazu Welcker
epischer Cydns I 105 flf.).
7) Nikandros schrieb ein Buch itepl twv ex KoXotpdivoc roitjtäv (Schol.
Kicand. Ther. 3).
8) Verfasser von 'Apfxdtioy (Athen. 4. 183a).
9) Schol. Nicandr. Ther. 5; vgl. R. Volkmann commentationes epicae
p. 59 f.
10) Er nennt V. 45 die AoS-Jj begeistert „ßtßXoix; Upd««*.
SIttl, Geschichte der griecbiBchen Literatur III.. 2
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lg Das heroische Epos.
nach auch die römische mehr oder minder an ihn an^); selbst
Kallimachos widerstand, obgleich er seinen Tadel nicht zurück-
hielt, dem mächtigen Eindrucke nicht ganz •). Es war für jeden,
dw für gebildet gelten wollte, notwendig, wenigstens die Elegien
gelesen zu haben '), während die Grammatiker mit den sprach-
lichen Raritäten und den A^nspielungen auf abgelegene Kulte
und Sagen genug Beschäftigung hatten. Dionysios von Phaseiis.
der über die Dichtung des Antimachos schrieb*), dürfte in
Pergamon zu suchen sein, weil die Gelehrten von Alexftndrien
den Dichter der Realphilologie überliessen. In der Schätzung
der literarischen Kritik stand Antimachos gewöhnKch unmittel-
bar hinter Homer ^), an dessen Stelle ihn der barocke Kaiser
Hadrian zu setzen gedachte*). Der Verfasser der erhaltenen
römischen Thebais, Statins, verhielt sich als Anhänger des
Kallimachos gegen unseren Dichter ablehnender als man von
vornherein vermuten sollte '). Das dritte christUche Jahrhundert,
wo Longinos ein Glossar verfasste®) und Zotikos, ein Schüler
des Philosophen Plotinos, den Text revidierte*), scheint Anti-
machos nicht lange überdauert zu haben.
Mit Panyassis und Antimachos, den Klassikern der epischen
Renaissance ^®), kann sich der Samier C h o i r i 1 o s ") an Bedeutung
1) Roh de der griechische Bomao S. 73 ff.
2) Vf^l. Bergk zu Antimach. fr. 6; Lykophron lobte die AbänderuDg
eines homerischeo Verses (Porphyrios bei Enseb. praep. ev. 10, 3, 14). S. auch
Krates Anthol. Pal. U, 218. Poseidippos Anthol. 12, 168, 1 f. Propert. 2, 25, 45.
3) Asklepiades Anthol. 9, 63, 3 Tic oh% avcXigaio Ao3-fjv; Catull, 95, 10
at popnlus tnmido gaadeat Antimacho.
4) Vita Nicandri p. 61 Westermann.
5) Dionys. vet. Script, cens. 2, 3. Qaintil 10, 1, 53, hinter Homer und
Hesiod Sopatros bei Phot. bibl. 161 p. 103 b 37, hinter Panyassis s. o. S. 13
A. 6. 7; vgl. Antip. Thessal. Anthol. Pal. 7, 409. Plutarch. Tiraol. 36. Schol.
Stat. Theb. 3, 466.
6) Spartian. Hadr. 15. Cassius Diou bei Suidas u. ^ASptavoc.
7) Welcker ep. Cyclus I 103, Fr. Spiro de Euripidis Phoenissie,
.Berlin 1884 p. 26. Schol. Theb. 3, 466 gibt die Benutzung nur mit eiuem
vorsichtigen dicont zu.
8) Suidas u. Ao^lvoq.
9) Porphyr, vita Plotini 7 p. 106 West.
10) Diese zwei vertreten in der Epikerliste bei de Lagarde Symmicta I
p. 175, 52 die klassische Zeit; die Byzantiner (a. O. p 174) wussten von
ihnen nichts mehr.
11) Choerili Samii quae supersunt. Coli, et illustr. A. Ferd. Naeke, I<pg.
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I. Kapitel. 19
nicht messen, obgleich er den aus lasos stammenden Begleiter
Alexanders des Grossen, welcher mit ihm zusammengeworfen
zu werden pflegte^), weit überragte. Choirilos sollte wie Anti-
macbos seinen Mäcen Lysandros verewigen^) und beschloss
sein Leben am makedonischen Hofe, nachdem er Archelaos'
f&rstliche Freigebigkeit lebenslustig ausgenützt hatte ^).
„Glücklich, wer in jener Zeit ein sangeskundiger Diener
der Musen war, als die Flur noch unberührt stand ; jetzt aber
wo alles verteilt ist und die Künste ihre Grenzen erreicht haben,
bleiben wir wie die letzten im Laufe zurück und es ist ganz
unmöglich, mag man sich überall umschauen, einen neube-
spannten Wagen heranzuführen", singt Choirilos und heisst die
Muse ihm einen neuen Stoff eingeben, „wie aus dem Lande
Asia der grosse Krieg nach Europa kam/' Möchte man es
jetzt glauben, dass ein Dichter, weil er die grösste Epoche der
griechischen Geschichte statt der erschöpften Mythenzeit wählte,
eine Entschuldigung für notwendig hielt? So befangen war
damals die Mehrzahl im Herkommen. Allerdings mussten
Choirilos' Hörer anfangs darüber frappiert sein, dass der Götter-
apparat und ähnliche Requisiten des heroischen Epos in eine
kaum vergangene Zeit hineingetragen wurden ; denn jenes dürfen
wir, obschon es bloss bei den Annalen des Ennius feststeht,
von der IIspaTjfc:*) voraussetzen. Allein solche Dinge waren
wohl bei den Dichtern der Roccocozeit gelehrte Schnörkel, hin-
gegen glaubten die Kämpfer von Marathon und Salamis noch
so fest an das thätige Eingreifen der Götter, dass selbst Hero-
dots Prosageschichte, die Quelle des Dichters^), ein ähnliches
anthropomorphistisches Gepräge trug. Die Athener schätzten
1817, Nachträge im index lect. von Bonn 1827/8, 1838/9 (Opnscula I p. 158 ff.
273 ff.); Kinkel p. 265 ff.
1) Z. B. im Artikel des Saidas.
2) Plut. Lysand. 18.
3) Saidas; Istros bei Athen. 8, 345 d; vgl. Praxiphanes bei Marcelliu.
Vit. Thac. 29. Als Verfasser der Perseis soll er die Perserkriege wenigstens
in jungen Jahren geschant haben (^Saidas). Wie Antimachos, heisst Choirilos
Sklave von Gebart (Saidas); vielleicht verwechselte man ihn mit dem bei
Hesych. u. t%%9y[o^pikii}iLi>'q genannten Choirilos.
4) So lautet der Titel bei Stob. flor. 27, 1, prosaisch llepsixi Herodian.
s. jtovTip. XsJ. p. 19, 'AO-#jvai<«v vtxfj xaxa Eipioo Saidas,
5) Darum heisst er Choirilos^ Lehrer (Suidas).
12*
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20 ^As heroische Epoe.
den Herold ihrer Tapferkeit natürlich über Gebühr*) und Ari-
stoteles würdigte ihn der Erwähnung *). weil er zu den Lieblings-
schriftstellern seiner Zeit zählte^. Indes, wenn schon ihm
der Dichter Euphorion seine Gunst zuwandte*), brach doch
bald das Gefühl durch, dass der Perserkrieg seinen Homer
noch erst zu erwarten habe, und Choirilos zweites Werk
„samische Sagen" (Sa|iiaxd), womit er dem von Panyasis
gegebenen Beispiele folgte, verscholl gänzlich*).
Konnte auch ein Dichter einem so populären Gegenstand
gerecht werden, wenn er Vergleiche nicht, wie Homer, von dem,
was jedem lieb und vertraut war, hernahm, sondern das Ab-
gelegene vorzog*)? Aus dem angeführten Eingang des Perser-
epos erhellt zur Genüge, wie geschmacklos Choirilos die ver-
schiedenartigsten Metaphern zusammenwürfelte, dass die Parodie
dieser Manier förmlich herausgefordert wird.
Diese gekünstelte Richtung rief naturgemäss einen Rück-
schlag hervor, zumal da das von Euripides beeinflusste vierte
Jahrhundert von übermenschlichem Heroen tum weder in Literatur
noch in Kunst mehr etwas wissen wollte. Wie Aristoteles mitteilt,
stellte der Epiker Kleophon statt heroischer Charaktere Durch-
schnittsmenschen dar ^), und damit stimmt die zweite Nachricht
des Philosophen vortrefflich, dass nämlich die Epiker seiner
Zeit in der Sprache der Prosa sich näherten ®). Vielleicht haben
sie dafür das Epos dramatisch belebt, weil damals die Rhapsoden
den schauspielerischen Vortrag zu kopieren begannen*).
Möglicherweise übte die Rhetorik, wenigstens was die
Richtung des Gorgias anlangt, einen unmittelbaren Einfluss
1) S. 10, 1; Plato soll gegen die öffentliche Meinnng za Gnnsten des
Antimachos angekämpft haben (Procl. in Plat. Tim. p. 28c).
2) Rbet. 3, 14 p. 1415 a 3. 17 f.
3) Alexis im Atvoc (Meineke III 443, Kock n 346).
4) Krates spottet darüber Anthol. Pal. 11, 218 (v>il. Meineke ana-
iecta Alexandr. p. 30); damit steht gewiss ein pergamenisches Konknrrenz-
werk, die Il8pOY|t€ des Ephesiers Mnsaios, in Verbindnng. Propertins spielt
vielleicht Enphorlon zn Liebe 2, 1, 22 anf ihn an.
5) So ist mit Dnub bei Snidas statt Aafiiaxdi herznstellen.
6) Aristot. top. 8, 1 p. 153 a 14 ff.
7) Aristot. poet. 2 p. 1448 a 12.
8) Aristot. rhet. 3, 1 p. 1404a 34.
9) Vgl. Aristot. poet. 26 p. 1462 a 6.
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L Kapitel. 21
aof das Epos aus (Bd. n S. 44), doch gestattet die Dürftigkeit
des Ueberlieferten keine stilistische Beurteilung der Dichter.
Schon die Satiriker Hipponax un(l Xenophanes hatten
manche pomphafte Wendung des Epos in das Lächerüche
gezogen^); noch mehr musste die Manier des Antimachos und
Cboirilos Spötter anlocken. Der erste, welcher die Genügsamkeit
hatte, seinen Witz auf die Parodie*) zu beschränken, war
Hegemon von Thasos*), einer Insel, wo Homers Dichtungen
wirklich in das Volk gedrungen waren (Bd. H S. 23). Nach-
dem er mutig zur Bundeshauptstadt gezogen war, erntete er
hier den grössten Beifall, nicht sowohl als Komiker — er scheint
nur das Lustspiel „Philine" verfasst zu haben*) — als mit
seinen Parodien, die er an Festen öflfentlich vortrug '^). Ein
eigentümlicher Zufall wollte, dass er mit seiner beliebtesten
Dichtung, der Gigantomachie , gerade an dem Tage, da die
Katastrophe der sicilischen Expedition bekannt wurde, die
Heiterkeit der Athener auf das höchste erregte*). Hegemon
war auch zu Improvisationen befähigt, wobei er freilich, wenn
ihm nicht gleich ein passender Versschluss einfiel, zur Ergötzung
der Zuhörer sich mit dem Lückenbüsser xal xb IldpStxoc ox4Xo^
behalf ''). Zu den Gönnern des schlagfertigen Parodisten gehörte
der lebensfrohe Alkibiades®).
1) HippoDax: Polemon bei Athen. 15, 698b; Xenophanes: Athen. 2, 54e;
auch diese Stellen sprechen gegen eine frühe Abfassung der Batrachomyomachie.
2) Moser über die parodische Poesie der Griechen, in den Stadien von
Danb und Creuxer VI S. 267 ff. 330 ff.; A. Weland de praecipnis parodi-
ararn scriptoribus apnd Oraecos, Göttingen 1833; Eckstein in Ersch und
Gmbers Encyclopädie Section III Bd. 12 S. 266 ff.; Bemh. Jos. Peltzer de
parodica Graecornm poesi et de Hipponactis Hegemonis Matronis parodiaram
(ragmentis, Münster 1855; Corporis paroedornm Graecornm pars I. ed. H. S
toe Laer, Amsterdam 1867; Schrader Rhein. Mus. 20, 186 ff.
3; Aristot. poet. 2 p. 1448 a 13. Chamaileou bei Athen. 9, 406 e; er
nannte sich selbst ^axY] (Chamaileon bei Athen. 9, 406 ef, vgl. Ath. 1, 5b.
15, 699 a. Eustath. p. 1239, 29. 1572, 55) wie Sopatros *dxtov (Athen. 4, 158 d).
4) Athen. 15, 699a, vgl. 3, 108e; Chamaileon bei Athen. 9, 406f (er-
l&utert von E. v. Leutsch Philol. 10, 704 ff.), wasMeineke historia crit.
comicomm Gr. p. 215 auf eine andere Komödie bezieht.
5) Schrader a. O. S. 180 f. Polemon bei Athen. 15, 698b.
6} Chamaileon bei Athen. 9, 407 ab.
7) Corpus paroemiogr. Gr. I 406. Ich weiss nicht, wie sich der Refrain
des bekannten Liedes \,Als ich auf meiner Bleiche** zu Hegemons Lücken-
büsser verbUt.
8) ChamaUeon bei Athen. 9, 407 b.
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22 ^^ heroische Epos.
Der glänzende Erfolg Hegemons führte bald mehrere auf
den nämlichen Weg. Aristoteles nennt noch die ,,Hasenfussiade''
(AstXidc) eines Nikochares*) und führt parodiscbe Hinkjamben
des Atheners Eukleides an*). In Phihpps Zeit war Euboios
von Faros, also wiederum ein Jonier, der beliebteste in seiner
Art; er hinterliess vier Bücher Parodien^. Solche Travestien
tragen an dem Niedergange des Epos eine nicht unbedeutende
Schuld, weil sie den Geschmack der Masse verwirrten und
verdarben.
1) Aristot. poet. 2 p. 1448a 14 (man korrigiert AiqXtd?).
2) Poet. 22 p. 1459 b 7 (6 'A^valoc, nicht atpxato;).
3) Athen. 15, 698 ab; Aristoxenos (Ath. 14, 638 b) kannte bereits einige
(xiviq) Parodienmacher.
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IL Kapitel.
Die Lehrdichtung.
Empedokles, Pannenides, die Pythagoreer nnd Hippon; Endoxos und andere
Lehrdichter der Spezialwissenschafben ; gastronomische und abergläubische
Literatur.
Im vorhergehenden Bande ist gezeigt, wie die Prosa nach
und nach das Gebiet der Philosophie erkämpfte; während nun
Italien auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung bahnbrechend
wirkte, hielten gerade des Westens Philosophen an dem Verse
noch lange fest^), vielleicht weil Charondas für seine berühmten
Gesetze die metrische Fassung gewählt hatte imd von der
pythagoreischen Schule eine höhere vergeistigte Wertschätzung
der schönen Künste ausging.
Die Lebenszeit des bekannten Parmenides von Elea*)
fiel noch vor die Entwicklung einer künstlerischen Prosa; er
war ja des Empedokles Lehrer^), also ein Zeitgenosse der Perser-
kriege*), weshalb er recht wohl bei Anaximandros und Xeno-
1) Gnill. Breton essai sar )a po^ie philosophiqne en Grece: Xeno-
pbane, Parni^nide, Emp^ocle, Paris 1883 (thtee).
2) Der Vater hiees Pyres (Gren. Ilop'rjxo*;, Tbeophrastos bei Alex. Aphrod.
in metaph , SchoL Aristot. p. 536 a 10 Brandis). — . Die philosophische Lite-
ratur verzeichnet Ueberweg — H e i n z e Grundriss der Gesch. der Philos. I* 58 f.
3) Alkidamas bei Diog. Laert. 8, 56.
4) Er war viel ältet als Sokrates, der Ol. 77, 4 (469) geboren ist (Plat.
soph. 217c. 237a). Theaet. 183e; der Altersunterschied betmg über vierzig
Jahre, wenn man Ps. Plat. Parmenid. p. 127 bc (wonach Parmenides ungefähr
65 Jahre zählte, als Sokrates sehr jnng war) glauben darf, noch mehr nach
Athen. 11, 505 f. Macrob. sat. 1, 1. Die Ansätze der Chronographen sind
wertlos, s. Diels Rhein. Mns. 31, 34 ff. Diogenes 9, 23 setzt die Blüte
OL 69 an, wofür Scaliger 79 verrnntete; aber jene Zahl kommt davon her,
dass für Parmenides' Lehrer Xenophanes Ol. 59 (wo die Phokäer auswan-
derten) angegeben wurde.
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24 n. Kapitel
phanes in die Schule gegangen sein kann^). Parmenides ver-
einigte gelehrte Forschung und treuliche Erfüllung der Bürger-
pflichten in ungewöhnlicher Weise, so dass er, weil sein edler
Charakter und die Untadelhaftigkeit des Lebenswandels an-
erkannt, ja sprichwörtlich waren*), den ehrenvollen Auftrag
erhielt, seiner Vaterstadt ein Gesetzbuch abzufassen*).
Der eleatische Philosoph war bekanntlich der eigentliche
Gründer der dialektischen Methode. Von einer solchen Philo-
sophie darf man billig vermuten, dass sie für poetische Dar-
stellung zu spröde war. Weil indes Parmenides sich hierin
von dem Herkommen seines Landes nicht losmachen konnte
und wollte, schrieb er sein System in Hexametern nieder*).
Die Einleitung war phantasievoll genug: Die Töchter des
Helios führen den Weisen auf ihrem Wagen zur Göttin der
Wahrheit empor, worauf ihn diese über Wirklichkeit und Schein
gesondert belehrt. Doch der Kern des Buches war versificierte
Prosa und selbst die Verse schlecht gebaut. Da ausserdem
Kalliraachos die Echtheit anzweifelte^), nahmen sich nicht
viele die Mühe, das Buch zu lesen und so verscholl es bald.
1) Theopbrastos bei Diogen. 9, 21 nnd Suidas; Aristot. metaph. 1, 5
j). 986 b 22 (XrcBxai). Nacb Sotion (Diogen. 9, 21) empfing er anch bei zwei
Pytbagoreern Unterriebt. Heraklitiscben Einflnss nimmt Diels a. O. S. 35 an.
2) Plat. Theaet. 183 e. soph. 237 a (6 ft^ac). Timon bei Diog. 9, 23
napp.6vi$oo X6 ßtiQv p.t'ca^ofpova rrjv icoX68o5ov. Cebee icivaS 2.
3) Speasippos bei Diogen. 9, 23.
4) Ilcpl <p63su>c Theopbrastos bei Diog. 8, 55. Sext. Empir. math. 7, 111.
fpuoioXoYia Snidas; ictpl xob alod-r)xoö Proklos in Parmenid. Y 310 Coasin,
icept xob voY|xo5 ovxoc Simplic. in Aristot. pbys. fol. 9 p. 38, 19 Diels und
xoofLOYovia Plutarcb. amator. 9 sind keine Titel, sondern bezeichnen den Inhalt
von Abschnitten. — . Fragmeute: Empedoclis et Parmenidis fragm. ex cod.
Taurin. bibl. restit. et ill. Amad. Peyrou, Leipzig 1810, Sim. Karsten philo-
sophorum G-raec. veterum praesertim qni ante Platouem florueruut operum
icliqniae, vol. I p. 2. Haag 1835, Mull ach Aristotelis de Melisso Xenoph.
et Gorgia disputt. cum Eleaticorum philosophorum fragmentis, Berlin 1845
und fragm. philos. Graec. I p. 109 ff., Theod. Vatke Parmenidis Velejensis
doctrioa qualis faerit, Berlin 1864 p. 3 £f.; Heinrich Stein Symbola philol.
Bonn, in hon. Ritachelii p. 763—806 (Fragmente p. 803 ff.).
5) Diogen. 9, 23; die Echtheit sichern aber Plat. soph. 237a. symp. 195c
und Theophrastos bei Diogen. 8, 55. Suidas: ^pa^^t .... SXXa xivd xaxaXo-
Y^diQv (Lv pi^vYjxai llXdxcuv beruht auf Missverständnis. Man kannte stets
nur ein Werk (Diogen. prooem. 16).
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Die Lehrdichtang. 25
Parmenides' Schüler und Nachfolger Zenon zog bereits die
KoDsequeuzen seiner Methode, indem er zur Prosa überging.
Die philosophische Dichtung erreichte jedoch erst nach
Farmenides ihren Höhepunkt in einem eigentümlichen unserem
Paracelsus nicht unähnlichem Manne. Empedokles^), Metons
Sohn*) und Enkel des älteren Empedokles, eines reichen Öport-
mannes, welcher im olympischen Rennen der 71. Olympiade
den Nationalpreis davon trug^), entstammte der sicilischen
Grossstadt Akragas*). Der Eleate Parmenides führte ihn in
die Philosophie ein % infolge wovon die Diphtungen des Empe-
doklee das Bemühen, Parmenides nachzueifern, verrieten*);
ausserdem hörte er auch den etwas älteren Anaxagoras') und
wusste selbst in die pythagoreischen Kreise — vielleicht als er
das eben gegründete Thurioi besuchte ^) — Eingang zu finden ^).
1) Alte Biographien von Xauthos (Diogen. 8, 63) und Diogenes Laert.
Vni c. 2; Empedocles Agrigentinus. De vita et philosophia ejus exposuit
canninnm rell. ex antiquis Script, coli., reo. ill., praefationeni et indd. adj.
Frid. Gull. Sturz, Lpg. 1805, 2 Bde.; Steinhart Ersch und Grubers Encycl.
Section I Bd. 34 8. 83—105; philosophisches b. üeberweg — Heinze S. 72.
2) Apollodoros bei Diog. § 52. Hippobotos bei Diog. § 51 u. Sp. (von
Byzantinern, die an eine bekannte christliche Schrift dachten, in MeXtxuiv
entsteUt: Tzetz. Chil. 2, 901. 4, 526. alleg. II. 10, 88 mit Scholieu, Variante
bei Justin, coh. ad Graecos c. 4, s. Otto) ; Exaiiletos (nach dem gleichnamigen
Sohne des Philosophen) Satyros bei Diog. 53 (Suidas); Archinomos Ps. TeJanges
bei Diog. 53 (Suidas).
3) Aristoteles, Herakleides uu^ Timaios bei Diog. 51; mit dem Philo-
sophen verwechselt von Satyros bei Diog. 53, Athen. 1, 3e, Philostrat. vit.
Apoll. I 1 (3). Mich. PseUos bei Sathas, fwoatoiv. ßtßX. V 108. Aus Ol. 71
ist Ol. 81, 1 abgeleitet, wohin die Chronik des Eusebios Empedokles versetzt,
üeber die Zeitangaben vgl. Di eis Rhein. Mus. 31, 37 Ö. Unger Philol.
Snppl. 4, 511 fi.
4) Dies bezeugt er selbst in den xad-app,oi (Diog. 54).
5) Alkidumas bei Diog. 56 (icaiSixd nach Porphyrios bei Suidas) ; Schüler
des Xenophanes nach Hermippos bei Diog. 56.
6) Theophrastos bei Diog. 55.
7) Alkidamus a. O.; über diis Zeitverhältnis Aristot. metaph. 1,3 p.
984a 11 ff.
8) Glaukos bei Diogen. 52, darum wird er Ol. 84 angesetzt (Diogen. 74,
vgl Diels a. O. S. 38 f.).
9) Aikidamas und Theophrastos a. O ; irrtümlich erscheint er als Schüler
des E^thagoras (Timaios bei Diog. 54. Maxim. Planudes, Walz rhetor. Y
459, 2), Telaogee (Theodoret. Graec. äff. vol. IV p. 733. Suidas. Tzetz. Chil.
2, 902), weil diesem ein unechtes Gedicht gewidmet war (dippobotos bei
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26 n. Kapitel.
unter seinen Mitbürgern genoss Empedokles ein ungeheures
Ansehen, dank einer damals ausserordentlichen Meisterschaft
der Rede ^) und gewiss auch nicht wenig wegen seines feier-
lichen und prunkvollen Auftretens*). Damit zufrieden, miss-
brauchte er aber das Vertrauen seiner Verehrer nicht zur
eigenen Erhöhung^), sondern es war ihm genug, dass er die
Demokratisierung des Staates durchsetzte*) und, erfahren in
der Medicin, wie er war^), für die Gesundheit der von der
Malaria heimgesuchten Stadt sorgte*); das ihm aus ähnlichem
Grunde zu Danke ^verpflichtete Selinus '') stellte später dafür
sein Bild auf Münzen dar. Ungeachtet seiner Eigennützigkeit
und seines tiefen Wissens gefiel sich Empedokles in den
Manieren eines Charlatans, was der Menge freilich mehr impo-
nierte als das stille prunklose Forschen eines Demokritos. Wie
ein göttliches Wesen sich hinstellend ®), versicl^erte er, dass ihm
die Zukunft enthüllt sei^), dass die Winde ihm gehorchten^®)
und die Wetterwolken seinem Gebote wichen ^^), es wird sogar
nicht ohne Empedokles' Zuthun von einer Art Totenerweckung
gesprochen ^*). Für so etwas gibt es keine andere haltbare Ent-
schuldigung, als dass er eine excentrische Natur war*^.
Diog. 43), Hippasos und BroDtinos (Ps. Telanges bei Diog. 55) oder gar des
viel jüngeren Archytas (Suidas n. 'Ap^otac). Eine Anekdote erzählt Neanthes
bei Diog. 55; zwei ,,Goldene Verse** werden ihm Jamblich, theol. arithm.
p. 20 (18 Ast) zugeschrieben.
1) Aristoteles bei Diog. 57 ; Timon bei Diog. 66 ^opaiiov Xy|xy|T7J(: eici(ttv.
2) Diodoros von Ephesos bei Diog. 70. Aelian. var. bist. 12, 32 ; in Purpur
Philostr. Vit. Apoll. 8, 6, ausgeführt von Favorinus bei Diog. 73. Suidas.
3) Aristoteles bei Diog. 63, ausgeschmückt von Xanthos bei Diog. 63.
4) Timaios bei Diog. 64. 65, vgl. Diog. 66, auch Timon § 67.
5) Vgl. Satyros bei Diog. 58; C. Gtlo. Kühn de philosophis ante Hip-
pocratem medicinae cultoribus spec. I. Lipsiae 1781 (Opnscula academica I.
Lpg. 1827).
6) Plntarch. de curiositate 1.
7) Diodoros v. Ephesos bei Diog. 70.
8) Diogeu. 59; entschuldigt von Sext. Emp. mnth. 1, 302.
9) Fragment bei Diogen. 62 V. 9.
10) Ka>Xooav£{j.ac nannte er sich offenbar selbst, vgl.. Timaios bei Diogen. 60
und die Verse bei Diog. 59 und Clem. Alex, stiom. 6, 267 S, 754 P.
11) Verse bei Diogen. 59 V. 6 ff.
12) Herakleides bei Diog. 61 und Spätere; vgl. V. 9 des eben citierten
Fragmentes.
13) Aristot. Problem. 30. 1 (£X3taTtxo<;).
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Die Lehrdichtung. 27
Allein nicht einmal der Ruf überuatüclicher Kräfte bewahrte
Empedokles vor der Undankbarkeit des Volkes , das er 'doch
zur Herrschaft gebracht hatte; in späteren Jahren musste er
die Heimat verlassen und starb , sechzig Jahre alt ^), in der
Fremde, im Peloponnes^. Die letzte Ruhestätte des einst so
gefeierten Mannes war völlig unbekannt*). Grund genug, damit
Aberglaube und Nationaleitelkeit ^) die seltsamsten üerüchte
aber den Tod des Wundermannes aussannen. Zauberer sterben
ja nach der Volksmeinung keines natürlichen Todes, nur wussten
die Hellenen nichts von einem Ende, wie es das Mittelalter
dem Dr. Faustus und seinen Genossen andichtete. Fromme
Gemüter glaubten Empedokles durch die Gottheit entführt^),
während Skeptiker spotteten, er habe sich in den Aetna gestürzt,
damit jenes Gerücht entstünde, sei aber, als' der Vulkan eine
seiner ehernen Sandalen auswarf, verraten worden®).
Obgleich Empedokles nach dem schwerwiegenden Zeugnisse
des Aristoteles den Anstoss zur Entwicklung einer Redekunst
gab (Bd. n S. 34), büeb er als Schriftsteller bei der poetischen
Einkleidung, die zu seinem Gebahren besser stimmte^). Das
Pausanias gewidmete Hauptwerk fasste in etwa zweitausend
auf zwei Bücher verteilten Versen die empirischen Naturkennt-
nisse des Philosophen und seine Theorie der Weltentsteh ang
1) Arifltoteles and Herakleides bei Diog. 52.7^ (77 Jahre nach Favorinns
§ 73, 109 nach anderen § 74, was von seinem Genossen Gorgias entlehnt ist,
Di eis a. O. S. 39). Diels setzt den Tod in das Jahr 424; nach Steinhart
beteiligte sich der Philosoph 425 am Kriege gegen die Athener, aber bei
Diog. 52 (ans ApoUodoros) handelte es sich wohl nm einen Namensvetter,
den man bei Philistos 415/4 erwähnt las.
2) Timaios bei Diogen. 67. 71.
3) Timaios bei Diogen. 72.
4) Das sicilische Megara wies ein Grab des Philosophen auf (Favorinus
bd Diogen. 77).
5) Henikleides bei Diogen. 67. 68.
6) Schon Timaios kämpfte gegen diese später nnaufhörlich wiederholte
Fabel an (Diogen. 71).
7) Die Fragmente sind gesammelt bei Sturz (S. 25 A. 1), Peyron (S. 24
A. 4), Karsten (S. 24 A. 4) Bd. n, Gaisford im dritten Band der poetae
minores Graeci, Heinrich Stein Empedoclis Agrigentini fragmenta, Bonn
1852 und Mull ach am Anfange der Fragmenta philoeoph. Graec. Bd. I.
Paris 1860; Nachträge und Besserungen gibt Diels Hermes 15, 161 flf. Siehe
•nch Hesych. n. ifiw^ta u. s. w.
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28 n. Kapitel.
zusammen *). Vielleicht noch bekannter waren die xai^apitot,
ein über die mystischen Reinigungen handelndes Gedicht von
dreitausend Versen in drei Büchern*), dessen Echtheit trotz
seines auflfallenden Inhalts durch Aristoteles gesichert scheint').
Ausserdem gab es ein medicinisches Lehrgedicht von sechs-
hundert Versen*). Alles übrige gehörte entweder einem jüngeren
Empedokles, wie die Tragödien^), oder war untergeschoben, wie
die üoXtTtxd ^) und wahrscheinlich auch die unbedeutenden Epi-
gramme auf den Arzt Akron, der zur Zeit der grossen Epidemie
in Athen wirkte"^), und seinen Freund Tansanias ®). Eine merk-
würdige Ueberlieferung versichert, Empedokles' Schwester oder
Tochter habe die Manuskripte ihres Vaters verbrannt. Aehn-
liches ist allerdings schon oft vorgekommen, aber woher wusste
der Erzähler die Titel der vernichteten Entwürfe')?
Trotz des unpoetischen Stoffes^®), wiewohl sein System in
Liebe und Hass der Elemente eine anmutsvolle Idee birgt,
entwickelte Empedokles ein nicht unbedeutendes dichterisches
1) Ueber Pausanins Diogeu. 61, der deshalb für sein icaiBixd galt (Ark-
tippos oud Sopatros § 60); Titel: föctxa Aristot. meteor. 4, 4 p. 381b 32.
Ä6pl cp6asü>€ Diogen. 60. 77. Galen, ad Hippocr. tc. «püotoc av^p. 1 t. V. p. 1,
iiEpl (p6aE(u( Tä>v ovicuv Saidas; Abteilangen : xoap.oiioiia Aristot. phys. 2. 4
p. 196a 22. Siiuplic. in Arist. phys. p. 74 b, irtpl veixoo^ Tzetz. in Lycophr.
507; wepl Cwwv IStorriioc Jellan. hist. anim. 16, 29, icepl XiO-oiv bei Psellos;
Umfang: Diogeu. 77 im Zusammenhalt mit Suidas (die Variaute ßcß>«ia Suo
wird durch Tzetz. Chil. 7, 523, der das dritte Buch der xaO'apjiot citiert,
widerlegt).
2) Ueber den Umfang s. die vorige Anmerkung; ufjivoi hcissen sie Meuand.
de eucom. 2. Philostr. vit. Apoll. 8, 7, 6.
3) Aristot. rhet. 1, 13 p. 1373 b 14.
4) Diogen. 77.
5) Herakleides 6 Xapanuuvoc bei Diogen. 58, nach Suidas sein Tochter-
söhn; Jugendarbeit des Philosophen nach Neauthes § 58.
6) Diogen. § 58.
7) Schon Timaios bekannt (Diogen. § 65, vgl. Berg k poetae lyr. Gr. 11^
260); Plutarch. Is. et Os. 79. Suidas u. "Axptuv.
8) Diogen. § 61.
9) flepaixd (bei Aristot. probl. 21, 22 wird richtig foanaolz hergestellt)
oder S4p$oo didßaaic, was Anlass gab, Empedokles in Synchronismus mit
dem Perserkriege zu bringen (Gellius 17, 21, 14) uud npooif^iov t\<; 'AicaVMuva
(Hieronymos § 57).
10) Vgl. Aristot. poet. 1 p. 1447 b 18 und Spätere.
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Die Lehrdichtang. 29
Können ^) , wobei sein Studium Homers *) treffliche Früchte
trog. In der Erfindung von Bildern und Beiwörtern bewährte
er eine glückliche Selbständigkeit*). Die erhaltenen Reste
weisen einen gewandten, für den ernsten Gegenstand beinahe
ZQ flüssigen Versbau auf, weiss doch der Philosoph beispiels-
weise die Cäsuren zu rhythmischer Malerei zu verw^önden *).
Da sich die Dichtungen im allgemeinen mehr durch Kraft als
durch Anmut auszeichneten*), wurde Empedokles den Vertretern
des herben strengen Stils beigesellt*). Der Klarheit that z. B.
die Vorliebe für die Tmesis, welche auf Empedokles' Bewunderer
Lucretius überging'), etwas Eintrag.
Das Orakelhafte und der Enthusiasmus seiner Werke übten
einen eigenen Zauber aus®). Ohne dass Empedokles eine wahre
dauernde Schule gründete, wurden die Schriften gerne recitiert
and gelesen*) und die „Reinigungen" erfuhren sogar die Ehre,
vor der olympischen Festversammlung von dem Rhapsoden
Kleomenes vorgetragen zu werden^®). Theophrast, der Epikureer
Hermarchos, Xanthos, der Römer Sallustius und Plutarch nahmen
die empedokleische Philosophie zum Gegenstand besonderer
Untersuchungen^^); auch Chrysippos interessierte sich dafür").
1) Cic. de oratore I § 50 egregium poema.
2) Aristoteles bei Diogen. 57; ein Beispiel gibt Di eis Hermes 15, 167.
Ueber die episcbe Mandart vgl. K. Merzdorf qnaestiones Empedocieae in den
Commentat. philolog. Scripserant semin. philol. reg. sodales, Lpg. 1874 p. 41 £f.
3) Vgl. Aristoteles a. O.; Plut. qnaest. symp. 5, 8, 2.
4) Di eis Hermes 15, 172 Anm.
5) Vgl. Aristoteles a. O.
6) Dionys. compos. verb. 22; Eontatb. in OJyss. p. 1881, 27 spricht von
7) Emil Ha liier Lncreti carmina e fragmentis Empedoclis adnrabrata,
Jena 1857 p. 12.
8) Aristot. rhet. 3, 5 p. 1407a 35, vgl. Theodoret. affect. Graec. v. IV
p. 952. Jamblicb. vit. Pythag. 104. Simplic. ad Aristot. de coelo 1 p. 32.
pbys. 1 p. 5b; Araber bei Ang. Müller die griecb. Philosophen in der arab.
üeberlief. S. 35.
9) Vgl. Lysias bei Snidas n. 'Ejj.Ke8oxXeoü<; f^^pa. Aristot. eth. Nicom.
7, 4 p. 1147a 20, Aristoteles spricht rhet. 3, 5 p. 1407a 36 von Hörern,
nicht von Lesern.
10) Dikaiarchos fr. 47 M. bei Athen. 14, 620 d.
11) Diogen. 5, 43. 10, 25. 8, 63. Cic. ad Quint. fr. 2, 11, 4. Hippolyt.
refht. haer. 5, 20.
12) Galen, in Hippocr. et Plat. dogm. I p. 267.
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30 U. Kapitel.
Lucretius vollends ruft begeistert aus: „Nichts herrlicheres hat
das so gesegnete Siciiien hervorgebracht als diesen Mann***).
Selbst über Details wurde noch im zweiten Jahrhundert debat-
tiert*). Als aber der römische Staat damals bestimmte Philo-
sophenschulen privilegierte, begann der einsame Forscher in
den Hintergrund gedrängt zu werden und so konnten schon
im fünften Jahrhundert die gelehrten Philosophen seine Schriften
nicht mehr auftreiben ') ; immerhin besassen noch die Araber
das Hauptwerk in Uebersetzung *) und rechneten nach Anleitung
ihrer syrischen Lehrer Empedokles zu den fünf Säulen der
Philosophie*). Darum ist es von vornherein nicht ganz unglaub-
lich, dass Aurispa im fünfzehnten Jahrhundert Empedokleisches
aus Griechenland mit sich brachte*).
Es erging aber dem Nachlasse des Empedokles ähnlich
wie dem Demokrits: Untergeschobenes drängte die echten Er-
zeugnisse seines Geistes zurück. Schon frühzeitig im Rufe
eines Zauberers') und mit den Magiern in Verbindung ge-
bracht®), musste Empedokles allerlei Curiosa mit seinem Namen
decken, die uns nur durch die Araber bekannt sind^. Ausser-
dem führen eine aus Aratos geschöpfte Beschreibung des Tier-
1) I 717 ff. Vgl. Hallier a. O. Alb. Bästleiu quid Lacretias de-
buerit Empedocli AgrigentiDO, Pr. v. Schlensingen 1875.
2) Gellins 6, 11, 10. Daher stebea im Wörterbuch des Diogeueiaoos-
Hesychios zahlreiche empedokleische Glossea (s. z. B. Blass Jahrb. f. Phil.
127, 19).
3) Job. Philopouus Id Aristot. de gener. anim. fol. 17.
4) Hadschi Khalfa V p. 144.
5) Aug. Müller a. O. 8. 32. 34; über seine orientalischen Anhänger
belehrt uns eine arabische und eine rabbinische Stelle bei Sturz I p. 12.
6] Laut Brief an Ambrogio Traversari (Martäne, Vett. scriptorum et
monum. . . . amplissima collectio III p. 713), s. dazu Morelli bei Sturz I
p. 77 f.
7) Satyros bei Diogen. § 59. Suidas u. ätcvooc. TcpaToXo^tat Cedrenus
I p. 157.
8) Plin. nat. hißt. 30, 9. Philostr. vit. Apoll. I. praef. 2
9) Besonders „Über die Auferstehung der Seele'^ (kit^b el-meäd el ruh&ni,
Hadschi Khalfa V p. 152), s. auch Wenrich de anctorum Graecorum versi-
onibus et coram. Syriacis Arab. Arm. Pers. Lpg. 1842 p. 90 f. ; nach den
Orientalen war Empedokles ein Zeitgenosse Davids (Hadschi Kalfa I 72.
V 144. 152) und nach Abulfaradsch (a. O.) Schüler Lokmans und Lehrer
Salomons.
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Die LehrdichtuDg. 31
kreises in 168 Jamben ^) und dreizehn Hexameter über die Pla-
neten*) in einigen Handschriften den Namen des sicilischen
Philosophen. Von einer medicinischeu Prosaschrift, deren Suidas
gedenkt, liegen vielleicht noch lateinische Fragmente vor*).
In Italien hielt man überhaupt, wie gesagt, an der philo-
sophischen Versmacherei hartnäckig fest, selbst die Py t ha-
ger eer entschlossen sich endlich dazu^); so kannte bereits
Aristoxenos eine „Hadesfahrt des Pythagoras," welche Pytha-
goras selbst in den Mund gelegt war und den Seelen der Pytha-
goreer allein ein glückliches Jenseits verhiess*). Sonst ist über
diese Literatur nichts näheres bekannt, ebenso wenig als über
die philosophischen Arbeiten des Atheisten Hippon ^, welcher,
ein Bürger von Samos, zur perikleischen Zeit in Athen und
Rhegion auftaucht^); von seinen Versen ist bloss ein einziger
Hexameter, welcher die Viel wisserei verspottet, erhalten^.
1) Zuerst von Fed. Morellus , Paria 1586 heranagegeben , dann von
Fabricins in der Bibliotheca Graeca I* 814 flf. ; auch dem Astronomen Theon
xQgeschrieben (Maass analecta Eratosthenica p. 140).
2) Sonst Theon oder Hermes beigelegt nnd oft gedruckt.
3) Der Abrutalus, welcher in einer medicinischen Schrift des Mittel-
alters erscheint , ist nämlich wahrscheinlich aus der arabischen Schreibung
des Namens entstellt (Ben an Academie des iuscriptions. Comptes rendus
1876 p. 18).
4) Cbrysippos (bei Gell. 7 (6), 2, 12) citiert einen Hexameter mit der
Einleitung: At6 xal bizb td>y IIod-aicopeia>v zlf^xan.
5) Schol. Apoll. Rhod. 1, 645, vgl. Rohde Rhein. Mus. 26, 557 f.
A. 1; dem Philosophen in den Mund gelegt Diogeu. 8, 14; die Tendenz
deotet der Komiker Aristophon bei Diogen. 8, 38 an.
6) Schleiermacher gesammelte Werke 3. Abtheilung UI 405 fif.
Bergk de reliquiis comoediae Atticae p. 164 flf. {anders poet. lyr. Gr. H*
259). Van den Brink variae lectiones, Leiden 1842 p. 36 ff.
7) Die samische Abkunft ist durch Aristoxenos (Censorinns de die nat. 5)
gesichert, Rhegiou: Galen, philos. bist. 5. Sext. Emp. Pyrrh. 3 30. math. 9,
361. Hippolyt. refut. haer. 1, 16; irrtümlich Melos (wie Diagoras) Clem.
Alex, protr. p. 20 P.; mit Hippasos verwechselt (Bergk a. O. p. 178), gerät
er in die Liste der Pythagoreer (Jamblich. vit. Pyth. 267) uud heisst Meta
pontiner (Censonn. de die nat. 5. 7.). Eratinos griff ihn in den IlavoKTat an
(Schol. Aristoph. Nub. 96. Schol. Clem, Alex, protr. p. 103 ed. Lips., Migne
89, 781d); far einen Atheisten (Athen. 13, 610b. Plutarch. adv. Stoic. 31
n. Sp.) galt er wegen der Worte seiner Grabschrift „Den die Moira im Tode
den unsterblichen Göttern gleichmachte" (Clem. Alex, protr. p. 48 P, Alexand.
Aphr. in Aristot. met. 1, 3 fol. 6). Aristoteles recbuet ihn zu den cpoptixco-
tspot (ttcpl ^o^/r^z 1, 2 p. 405 a 2).
8) Athen! 13, 610 b.
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32 n. Kapitel.
Seit dem peloponnesischen Kriege scheint der Vers, abge-
sehen von Spruchdichtungen, der Philosophie nicht mehr genügt
zu haben, und sie hatte nun ohnehin keinen Grund mehr, ihn
vorzuziehen. War doch die bereits ausgebildete Prosa in gsrnz
anderem Masse zum deutlichen Ausdruck der spitzigsten Ge-
danken befähigt und dem Gebildeten nicht weniger anziehend
als die Lehrdichtung.
Da die Vertreter der Fachwissenschaften gewiss nicht ver
kannten, wie grossen Wert das Metrum für die gedächtnis-
raässige Aneignung besitzt, und auf ein solches mechanisches
Hilfsmittel noch nicht verächtlich herabsahen — der Sophist
Buenos wandte thatsächlich Memorierverse aiL^) — begegnen
wir neben den im vierzehnten Kapitel des zweiten Bandes be-
sprochenen Prosawerken einer wenn auch kleineren, aber
doch nicht unbedeutenden Zahl von Lehrgedichten. Zumal
die Astronomie, welche an Hesiod gewissermassen einen
poetischen Leitstern hatte, war glänzend vertreten, weil
der hervorragendste Astronom der klassischen Zeit in Versen
schrieb.
Eudoxos von Knidos*) war nicht so glücklich wie die
meisten seiner gelehrten Zeitgenossen gestellt. Seine ärmlichen
Verhältnisse schienen nach damaügen Begriffen die Wahl eines
wissenschaftlichen Berufes auszuschliessen , da erbarmte sich
der Arzt Theomedon des strebsamen Jünglings und nahm den
dreiundzwanzigjährigen mit sich nach dem Piräus, von wo
er täglich die Gelehrten Athens und zwar am liebsten Plato auf-
suchte *) ; auch den Unterricht des bekannten Pythagoreers
Archytas und des sicilischen Arztes Philistion genoss Eudoxos
während seiner Lemjahre*). Den bedeutendsten Ertrag warf
1) Plato Phaedr. 267 a.
2) Im Altertum schrieben über ihn Phanokritos (Athen. 7, 276 f), Diog.Laeri.
in der Philosophengeschichte Vm c. 8 (hauptsächlich aus Sotion), woraos
das meiste entnommen ist, und Philostratos (ßioi oo^ioxüiy I 1), wozn ein Artikel
des Snidaslexikons kommt; L. Ideler über Endoxos, Abhandlangen der
Berliner Akademie 1828. 1830, Berlin 1831. 1832; Letronne Jonmal des
savants 1840 p. 741 fi. 1841 p. 65 ff. 538 ff.; Allman Hermathena 1884
p. 212 ff. — . Sohn eines Aiachines nach Diog. und Snidas.
3) Strab. 14, 656. Plutarch. adv. Colot. 32. Athen. 7, 276 f. Diog. Philostr.
Procl. in Enclidem prol. II p. 67, 3 Fr.; dagegen IlXaxwvoc 4jXtxttorr)c Suidas»
4) Kallimachos bei Diogen. 86.
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Die Lehrdichtang. 33
ihm aber ein Aufenthalt in Aegypten ab^), welchen ihm die
Freigebigkeit seiner Grönner ermöglichte; denn Dank einer
Empfehlung des Königs Agesilaos erhielt Eudoxos zur priester-
Uchen Hochschule der Sonnenstadt Zutritt^. Nach Vollendung
dieser vielseitigen Studien hielt Eudoxos in Kyzikos und anderen
Städten der Propontis glänzende Vorträge^, auch am Hofe
seines Landesherrn Maussollos (377 — 351) und des jüngeren
Dionysios*) weilte er; doch der grösste Erfolg ward ihm in
Athen zu TeiL Später kehrte Eudoxos nach Enidos zurück,
wo man ihm hohe Ehren erwies und die Revision des städtischen
Gesetzbuches anvertraute^), imd starb bereits im dreiund-
f&nfzigsten Lebensjahre; ungeachtet der Kürze der ihm
beschiedenen Zeit hatte er sich durch astronomische und
geometrische Entdeckungen unsterblich gemacht^.
Diese Leistungen gehören der Geschichte seiner Wissen-
schaft an^. Wir fragen hier nur nach dem Schriftsteller. Es
miterliegt nun keinem Zweifel, dass trotz seines rednerischen
Talentes das astronomische Hauptwerk in Versen geschrieben
war^ und dementsprechend die poetische Aufschrift „Spiegel''
1) Strab. 17, 807 (man zeigte damals bei Heliopolis sein Observatorinm ;
nach einigen bei Strab. p. 806 hätte er Plato begleitet). Seneca nat. qaaest.
7, 3. Diodor. 1, 96, 2. 98, 4. Diog. u. Phüoetr.; böswiUig ansgel^ PhUostr.
yit Apoll. 1, 35 (43).
2) Diogen. § 87 ; Plutarcb Is. et Os. 10 und Favorinns bei Dio^. 90
nemien seinen Lehrer Chonnphis.
3) Möglicherweise ist dies nnr ans Ps. Plat. epist. 13 p. 360c '£Xixa>y,
tö Zi -^ivoq H EoCixoo, }xa^Y}x^< 81 £6§64oo erschlossen. Seiner Redegabe
wegen rechnet ihn Philostratos^ zu den Sophisten.
4) Aelian. var. bist. 7, 17 ; daher nahm ApoUodoros Ol. 103 als Blütezeit
an (Diogen. 90). Die Angaben des Eosebios (Ol. 89, 3 armen, nnd Hier. F
oder 1 Hieron. A P und Ol. 97, 1) hängen wahrscheinlich mit astronomischen
Angaben des Meisters zusammen.
5) Platarch. adv. Colot. 32. Hermippos bei Diogen. 88. SiȊter konnte
man dort seine Sternwarte sehen (Poseidonios bei Strab. 2, 119, vgl. 17, 807).
6) öcooB-rj^ Eratosth. Anthol. appendix 25, 9.
7) Vgl. ausser den S. 32 A.- 2 erwähnten Schriften Aug. Böckh gesamm.
kleine Schriften m S. 343—448, Schiaparelli (s. Bd. U S. 490, 7) und
ünger Phüol. 28, 37 f.
8) Plutarcb. de Pythiae oraculis 18. Suidas. Nach Vita Arati p. 53, 48 ff.
West (anders p. 59, 28) wäre es in Prosa gewesen und Aratos hätte den
Abschnitt über die 9atv6fjieva in Verse gebracht, aber der Kommentar des
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur, m. 3
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34 n. Kapitel.
führte^). Die Nachrichten über andere Schriften sind ganz
verworren*). Was ein Papyrus des Louvre als Eö8ö£oo t^vtj
bietet, ist nicht ein Original werk, sondern wahrscheinUch ein
Kollegienheft»).
Der Astronom Kleosträtos von Tenedos, welcher vom
hohen Gipfel des Ida den Stemenlauf beobachtete^), bediente
sich ebenfalls des epischen Versmasses ^) ; der Zeit nach ging
er wahrscheinlich Eudoxos vor').
Aristoteles spielt in der Poetik auf medicinische Lehr-
dichtungen an '). In der That wird nicht nur ein solches
Werk des Empedokles erwähnt, sondern auch der Arzt Peri-
Hipparchos (heransgeg. von P. Victorias, Florenz 1561 und in Petavins' üra-
nologinm) zeigt, dass die zwei Schriften sich nicht deckten.
1) KÄToittpov Vita Arati p. 53, 49 u. 54, 55 West., fvoittpov Hipparch.
in Arat. I p. 171 ed. Petav. (prosaisch de astrologia Probus in Verg. Ecl. 3, 40).
2) Diogenes §88 sagt bloss: 6ioxpokor^o6\L9va xal YS(u}J>6Tpo6fj.6va xal Step
&xxa 6e4i6XoYa. Die 'OxTaetY)ptg (Diog. 87 and Saidas) war nach anderen
von dem Naxier Kriton (Saidas a. Kptxcuv), nach den meisten von Dositheos,«
einem jüngeren Zeitgenossen des Archimedes, (Censorin. d. nat. 18, 5) verfasst
(Unger Zeitrechnung der Griechen und Römer S. 596 nimmt zwei ver-
schiedene Fassangen an); die Ünechtheit wies bereits Eratosthenes nach
(AchiU. Tat. isagog. 19 p. 139 Petav., s. O. Jahn Rhein. Mos. 4, 477 £f.).
üeber die ^ atv6(xeva s. Bd. 11 S. 491 A. 4; die xuvä>v StdcXo^oi waren
angeblich ans dem Aegyptischen übersetzt (Eratosthenes bei Diogen. § 89);
iiepl TÄv taxox'^taiv Simplic. in Aristot. de coelo pag. 120b. Sehr be-
merkenswert ist, was Proklos (in Eudid. prol. n p. 68, 7 flf. Fr.) von Ea-
klßides sagt: IloXXäc pi^v xu>v E&864ou Guvtd^ac. Einige, worunter auch Strabo
sich befindet, verwechselten den Knidier mit dem späteren Verfasser einer
Geographie (die Verschiedenheit erkannte schon Sem 1er Geschichte der
griech. Astronomie bis auf Eratosthenes S. 254), welcher aus Rhodos stammte
(Marcian. epist. ad Menipp. 2. Apollon. mirab. c. 24) und auch ein Geschichts-
werk verfasste (Diog. 8, 90. Etym. M. p. 18, 57). Die Verwechslang lag
schon desshalb nahe, weil auch dieser Aegypten bereist hatte (Platarch. Is.
et Os. 6 a. E.).
3) Notices et extraits de manoscrits XVni 2 Nr. 1 p. 25 £f. mit Tafel
1—5, vgl. Blass in J. Müllers Handbach der klass. Altert.-Wiss. I S. 281.
4) Theophrast. de signis aq. et vent
5) Parmeniakos bei Schol. Enrip. Rhes. 515 (524) ; ^axpoXo^Ca Lykophron
bei Athen. 7, 278b.
6) Jtinger als Anaximandros nach Plin. nat. bist. 2, 31 (vgl. Hygin. poet.
astr. 2, 13); U. v. Wilamowitz Antigonos von Karystoa S. 153 teilt ihn
dem sechsten Jahrhundert zu.
7) Poet 1 p. 1447 b 17.
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Die LehrdicbtuDg. 35
Ändros soll im vierten Jahrhundert über seine Wissenschaft
schlechte Verse gemacht haben ^).
Auch diese Dichtungsart entging der humoristischen An-
wendung nicht Seit Athen der erste Handelsplatz Griechen-
lands war, wohin von allen Seiten das Beste und Vorzüglichste
griechischer und barbarischer Städte zusammenströmte, bildeten
dieGourmands eine förmliche Wissenschaft aus *), die anfangs
auf vertrauliche Fortpflanzung von Mund zu Mund angewiesen
war. Diese Lücke der Literatur füllte in den ersten^ Jahren
des korinthischen Krieges der Leukadier Philoxenos (nicht
mit dem berühmten Lyriker zu verwechseln) aus, indem er ein
Gastmahl comme il faut in Hexametern schilderte^); nach diesem
sozusagen epischen Versuche, der ungeheuren Erfolg hatte*)
und erst durch den unter Alexander auftretenden Matron in
Schatten gestellt wurde, kamen systematische Lehrbücher in
Versen (YaorpoXoYiat), von welchen das des Terpsion, dessen
Schüler Archestratos die erste Autorität dieses Gebietes wurde,
noch innerhalb die Grenzen des klassischen Zeitalters fällt '^);
nicht viel später als er kann Simos gedichtet haben, weil ihn
schon im „Linos" des Alexis der junge Herakles zum Lieblings-
klassiker wählt**).
Der Vollständigkeit halber sei endlich der abergläubischen
Literatur gedacht, welche in den traurigen Zeiten der nie
ruhenden Bruder- und Bürgerkriege, durch das Zunehmen des
Zweifels an den Göttern des Staates unterstützt, allenthalben
auf empßlngUche Herzen traf. Orakelbücher wurden in Hülle
und Fülle, wie die aristophanischen Lustspiele zeigen, fabriciert
und verbreitet; die orphische Gemeinde erbaute sich an ver-
meinüichen Schriften des Orpheus, Musaios und Linos, von
denen vieles gewiss damals erst entstanden ist.
1) Plutarch. apophth. Laced. 'Ap^c^. 'ÄY'rjotX. 3.
2) H. C. Eich st ad de poesi culinaria, Jena 1831 2 Thle.
3) Berglein de Philoxeno Cytherio, Gott. 1843; Bergk reliq. comoed.
Att. p. 210 flf. (er bezieht Arist. Eccl. 1169 flF. anf das Gedicht); Fragmente
hei Meineke fragm. comic. Graec. III p. 635 ff. Der Identität der beiden
Philoxenos, dieFritzsche AristojJ^h. Ban. p. 308 behauptet, ist nicht sicher
Athen. 4, 146 f.
4) Aristoteles bei Athen. 1, 6d; der Komiker Piaton erwähnt das Aslnvov
OL 97, 1 als Neuigkeit (Athen. 1, 5 b).
5) Klearchos bei Athen. 8, 337 b.
6) Athen. 4, 164b.
3»
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ni. Kapitel.
Die nicht chorische Lyrik.
Elegie: Archelaos, Melanthios, Dionysios nnd Ion, Tragiker nnd Sophisten;^
Epigramm; Liebeslied; Timokreon; Telesilla; aulödischer nnd kitharödischer
Nomos (EoriDBa, Phrynis, Timotheos).
Die Perserkriege erweckten keinen Kallinos, geschweige
denn einen Tyrtaios, wiewohl die Elegie an Dichtern reich
und des allgemeinen Entgegenkommens sicher war. Nach der
Schlacht von Marathon stellte der athenische Staat für eine
die gefallenen Bürger preisende Elegie einen Wettbewerb an,,
wobei ein Simonides und ein Aeschylus um den Sieg rangen^);
doch waren ihre Gedichte mehr durch den Namen der Ver-
fasser berühmt als wahrhaft volkstümlich. Simonides besang
die Helden von Plataiai ebenfalls in elegischen Verseng.
Die am meisten bewunderte Leistung der klassischen ElegiC;.
Antimachos' Lyde, wurde bereits gewürdigt (S. 15). Als Lied
der Trauer fasste auch der athenische Philosoph Archelaoff
(durch seinen Schüler Sokrates berühmt) die Elegie, als er an
Kimon beim Tode seiner GemahUn ein Gedicht richtete^).
Denselben tapferen Helden besang Melanthios nach seinem
Tod, während er an den Lebenden heitere Elegien gerichtet
hatte ^). Die Elegie war ja bereits überwiegend dem Weine
und der Liebe geweiht.
1) Vita Aeschyli Z. 46 ff. West.; vgl. C. Göttling de Aeschyli et Si-
monidis epigrammatis in pagnam Marathoniam, Progr. der Univ. Jena 1859,
deutsch in: Gesammelte Abhandl. II (1863) S. 151 ff.
2) Platarch. malign. Herod. 42 (Bergk IH* 424 f.).
3) Panaitios bei Platarch. Cim. 4.
4) Bergk poetae lyr. Gr. II* p. 258; fr. 1; fr. 3.
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Die nicht chorische Lyrik. 37
In dem nämlichen Sinne dichteten zwei Dilettanten, der
athenische Politiker Dionysios, welchen der Volks witz den
Kupfernen (XoXxoöc) zubenannte, seitdem er einige Jahre vor
dem peloponnesischen Kriege die Kupfermünzen eingeführt
hatte ^), ein nicht sonderlich geschmackvoller Schriftsteller*), und
der vielseitige Chier Ion'). Hervorragende Tragiker verfassten
gelegentlich eine oder die andere Elegie, ohne dadurch ihrem
Lorbeer ein neues Blatt einzufügen oder auch nur durch ihren
berühmten Namen die Erhaltung dieser Parerga zu vermitteln*).
Zum Schlüsse fiel die Elegie in die Hände der Sophisten,
wo sie einen docierenden Ton annahm. Sokrates paraphra-
sierte in seinen letzten Tagen äsopische Fabeln in Distichen^);
Kritias gebrauchte die elegische Form, um Reisefrüchte und
politische Expektorationen mit trockener Breite einzukleiden^),
während der aus Plato bekannte Sophist Euenos vonParos^)
morahsche Lehren vortrug®).
1) Osann Beiträge zar griech. nad röm. Literaturgeschichte I S. 79 £f.
Welcker kleine Schriften n S. 218 ff.; Fragmente hei Bergk II* p. 262 ffl;
er führte die Kupfermünzen ein (Hnltsch griech. nnd röm. Metrologie
B. * 227 f.) und war hei der Anlegung der Kolonie Thurioi beteiligt (Plutarch.
2fic. 5. ol hi bei Phot. u. 9oüptofj.dvTet(:).
2) Aristot. rhet. 3, 2 p. 1405a 32; die Gedichte waren noch zur Zeit
Plntarchs erhalten (Nie. 5).
3) Fragmente bei Bergk 11* p. 251 ff.
4) AeschyluB eXsfsia nach Suidas, vgl. S. 36 A. 1. Plutarch. quaest.
symp. I 10, 3; Sophokles iXrfsia Suidas (Bergk 11* p. 243 f.); der jüngere
Sophokles iXs^^ia^ Suidas; Euripides I^ixy)$8cov auf die Vernichtung der
fiicilischen Expedition Plutarch. Nie. 17; von Agathen ist es hingegen sehr
zweifelhaft, ob ein Distichon bei Stobaios ecl. phys. I 8, 16 (Bergk II* 268)
ihm gehört, s. Y^achsmuths Ausgabe Bd. I adn. zu p. 95, 13. 96, 4.
5) Plat. Phaed. p. 60d; später war höchstens eine Fabel erhalten (Diog.
2, 42, wo der Anfang mitgeteilt ist; Suidas).
6) Bergk H* 279 ff.
7) Die Identität ist durch Eratosthenee (bei Harpocr. s. v., excerpiert bei
Photios = Suidas) gesichert; Blüte Ol. 80, 1 nach dem armenischen Eusebios.
YgL Fr. W. Y^agner de Euenis poetis elegiacis eorumque carminibus, Breslau
1888; Fr. Schreiber disp. de Euenis Pariis poetis elegiads^ Gtöttingen 1839;
J. Cäsar Ztsch. für Altertumsw. 1838 Nr. 146; Benndorf de anthol. Gr.
epigramm. quae ad artes spectant p. 16 f.; Bergk n^ 271 ff. Die Scheidung
zwischen dem Eigentum des Pariers und des späteren Euenos aus Askalon
dürfte kaum möglich sein.
8) Fragmente bei Bergk n* 269 ff., s. o. S. 32; dass noch Menander ihn
oo<p6<: nannte (Auson. eento nupt. am Ende), stimmt zur Fortpflanzung seiner
Gedichte.
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38 ni. Kapitel
Es kann nicht Wunder nehmen, dass die nämUche Zeit
auf metrische Künsteleien verfiel: So stellte Dionysios den
Pentameter an die erste Stelle ^), wogegen ihn Kritias in einem
Verse durch den iambischen Trimeter ersetzte^. Derselbe
Geist der Nüchternheit und Gesuchtheit, durch welchen das
Epos angekränkelt ward, hat die Elegie so gründlich zu Boden
gedrückt, dass im vierten Jahrhundert vor Aristoteles und
Philiskos nicht ein einziger El^iker auch nur mit Namen
genannt wird.
In dem Masse wie die Elegie sank, stieg die Miniaturelegie,
das Epigramm, empor. In einem Zeitalter da eine Fülle der
herrlichsten Bauten entstand, da alle Tempel und Plätze mit
kostbaren und künstlerischen Weihgeschenken sich füllten, da
man verdiente Tote fast vergötterte, da eine Künstlerhand
selbst das Grab des Privatmannes anmutig schmückte, waren
die Aufschriften eine Beigabe, auf deren zierliche Form man
nicht unbedeutenden Wert legte. BekanntUch verschmähte es
der berühmte Simonides nicht, sowohl für Staaten als für
Einzelne einige Distichen , welche teils auf Gräbern teils auf
Weihgeschenken angebracht wurden, zu verfertigen, mögen
auch die Späteren alle auf den Perserkrieg und überhaupt auf
das ganze Zeitalter bezüglichen Epigramme ohne eine Spur
von Kritik mit dem gefeierten Namen versehen haben ').
Wenn Simonides allein dies alles geschrieben hätte, müsste er
ein dürftiges Talent besessen haben; so vieles kehrt wieder*).
Auch viele andere Namen von gutem Klange zieren erhaltene
Epigramme: Pindar, die drei Meister der Tragödie und Chai-
1) Athen. 13, 602c
2) Fr. 3, 2.
3) Em. Aug. Jnnghahn de Sim. Cei epigrammatis qaaestt., Progr. des
Lnisenstftdt. Gymn. Berlin 1869; Kaibel Bhein. Mus. 28, 436 £f.; Adolf
Menk de Anthologiae Palatinae epigrammatis sepolcralibas, Marburg 1884
p. 30 fif. Bergks Sammlung (poet. lyr. Gr. m* p. 426 fif.). wimmelt von
unechten Epigrammen, z, B. werden epigr. 91 und 92 durch Herodot evident
als unecht erwiesen; Anthol. Palat 13, 28 ist attisch, s. U. v. Wila mo wits
Hermes 20, 62 fif.; epigr. 105 (Anthol. 7, 258) ist einem inschriftlichen Epi-
gramm nachgebildet (Br. Keil Hermes 20, 842 fif.); über ep. 146, s. Kaibel
Rhein. Mus. 28, 454.
4) üeber die Formelsprache der Epigrammes. Me n k a. O. p. 8 fif. ; über Imi-
tation der Simonidea Kaibel epigrammata Graeca ex lapidibus collecta p. 693»
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Die nicht ohonsche Lyrik. 39
remon, Antimachos, Timokreon, Epicharmos , Empedokles,
Plato und Thukydides ^). Aber wer wollte sich für die Echtheit
dieser meist unbedeutetiden Sinngedichte verbürgen?
Nicht bloss nahm die Wertschätzung des Epigramms zu,
auch im Charakter desselben ging eine tiefe Veränderung vor.
UrsprüngUch enthält es nur Dinge, welche ebenso gut, wenn
auch nicht ebenso schön in Prosa gesagt werden könnten.
Schon damals als Hipparchos auf den Hermensäulen moraUsche
Sentenzen anbrachte, lockerte sich der Zusammenhang von
Aufschrift und Denkmal *). Als vollends der witzreichste Mann
Griechenlands dieser Gattung näher trat, da drang ein anderer
Geist hinein, unterstützt von dem Zeitgeschmacke, der geist-
reiche Pointen liebte. Schon an den Inschriften von Thermo-
pylä zeigt sich diese Wandlung recht deutUch. Während die
bäurischen Lokrer noch im alten referierenden Stile schreiben:
To6o8s Ä0*6t 9fti(iivoo(: bnkp "EXXdSoc ivt(a Miij8a»v
(jLTjrpÖÄoXic AoxpÄv so^ovöjJLCDV 'Oicöetc,
worin höchstens das Wort ÄO*et etwas sentimentales hat, trägt
die Grabstele der Spartaner die berühmte Inschrift:
^ö fetv' i.'^'^iXkBDf Aaxe8at(i.ovioi(:, Stt rgSe
Die Heimat der Toten ist hier fein umschrieben, ihr
Lrebensende als bekannt vorausgesetzt und dafür das Motiv
der Gesetzestreue hervorgehoben. Wir müssen, schon weil die
Unsicherheit des Materials entschiedene Ergebnisse ausschUeset,
darauf verzichten, das allmähge Aufkommen „epigrammatischer*^
Zuspitzung zu verfolgen, und können nicht einmal die Frage
beantworten, wann das Epigramm ausschliessHch Aufschrift zu
sein aufhörte, und die heute übliche Bedeutung annahm. Hier
geben nur die mythographischen Epigramme des Aristoteles
einen ziemUch festen Stützpunkt ab, vorher jedoch liegt alles
im Dunkel, weil zu wenige verlässig^ Epigramme vorhanden
sind. Immerhin scheint so viel sicher, dass Simonides mit
dieser Emancipation nichts zu thun hat^). Die Entwicklung
1) Beigk I^ 479. n^ 239 £f.; nach Bergk p. 267 ist unter Thnkydides
der Dichter dieses Namens (Bd. II S. 404, 6) z\x verstehen.
2) Trotzdem hiess der Epigrammendichter noch später auch &va^(xa-
ttxoc (Is. Ttetz. proleg. in Lycophr. p. 249 ed. Müller).
3) Epigr. 167 nnd 171, wozu 172 und 173 gehören, werden als Impro-
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40 HL Kapitel.
wird in der Weise vor sich gegangen sein, dass zunächst beim
Tode berühmter Männer poetische Freunde einen kurzen Nachruf
in Form einer Grabschrift auf sie dichteten, ohne dass sie damit
dem Steinhauer etwas zu thun gaben. Anhänger der Sophisten
mögen dann, wenn sie etwas bedeutendes knapp zusammen-
zudrängen (Bd. n S. 18. 52) und aus der Person eines Helden
der Sage heraus zu sprechen (Bd. 11 S. 55) sich übten, neben
der Prosa gelegentlich die metrische Form versucht haben.
Letzteres Bemühen leitete zu den Grabschriften von Heroen,
wie wir sie bei Aristoteles finden, wogegen ersteres jedwede
Verbindung mit dem historischen Ausgangspunkt aufhob und
das Epigramm zum blossen geistreichen Impromptu stempelte;
falls man damals noch die Verwandtschaft des Epigramms mit
der Elegie empfand, gewann es vielleicht zuerst die weiten
Gebiete der Liebe und der Weinseligkeit, um sich dann aller
einengenden Regel ledig zu ergehen. Weil also das Epigramm
damals erst allmälig aufhörte, nicht mehr als ein wenig be-
deutendes Gelegenheitsgedicht zu sein, gab es vorläufig noch
keinen eigentUchen Epigrammatiker^).
Die iambische Poesie, in deren Grenzen das jüngere
Epigramm teilweise eingriff, wurde durch die Komödie aufge-
sogen*), obgleich Archilochos und Hipponax fortdauernd die
Gunst der Griechen genossen'). Da der Epiker Diphilos
Hipponax' Manier folgte (Bd. I S. 283)*), war der Komiker
Hermippos^) der einzige Verfasser reiner Jamben und Tetra-
meter und gerade dies bestätigt, dass der Jambus an der
visationen beim Mahle, folglich als kleine Elegien, bezeichnet; 168 gilt einem
Weihgeechenk; 176 ist anklar, das übrige von Bergk m' 505 fif. zusamTmen-
gesteUte unzuverlässig.
1) Jacobs will Hegesippos, einen Dichter der Anthologie, dieser Periode
zuweisen; Anthol. 7, 21 und 22 gehören nach Sternbach meletemata Graeca
p. 116 dem Sokratiker Simias, anders Bergk U^ 313 f.
2) Aristot. poet. 4 p. 1449 a 2 fif.
3) Z. B. wurden die Gedichte des ersteren von dem Zakynthier Simo-
nides öffentlich vorgetragen (Elearchos bei Athen. 14, 620 c). Deshalb verbot
Aristoteles polit. 7, 17 p. 1336b 20 jungen Leuten das Anhören iambischer
Bedtationen.
4) Bergk W 509 versetzt wider aUe Wahrscheinlichkeit Hero(n)das in
die klassische Zeit.
. 5) Bergk W 505 f. Ueber Kerkidas s. u. S. 43 f.
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Die nicht chorische Lyrik. 41
Personalunion mit der Komödie zu Grund ging. Erst nachdem
das Lustspiel den ausgelassenen aggressiven Ton aufgegeben
hatte, hesass der Jambus wieder eine Berechtigung und so
Mt das Wiederaufblühen dieses Zweiges in die Zeit der
decenteren neuen Komödie.
Das einstimmige Lied wollte ebenfalls nicht recht
fortblOhen, weil ein hervorragender Vertreter fehlte, welcher
das Publikum trotz Älkaios, Sappho und Anakreon dauernd
hätte fesseln können. Nicht einmal die alten unerschöpflichen
Stoffe; Wein, Liebe, Hass, bUeben in demselben Dichter ver-
emigt, sondern das Spottlied trennte sich ab. Das Trink- und
Liebeslied gewann dafür freilich eine grosse Ausdehnung;
nahm doch schon im fünften Jahrhundert, wie die Vasenbilder
zeigen, das zügellose Nachtleben, zumal bei den Athenern und
Joniem , die grössten Dimensionen an. Die rausikkundige De-
mimonde brauchte hiezu ein Liederrepertoire ^) so gut als die
jeunesse dorö für ihre Ständchen Arien verlangte. Diesem
Verlangen kamen zahlreiche mit Prüderie unbekannte Dichter
entgegen, von denen freilich ausser dem Namen verdienter-
massen so gut wie nichts überliefert ist. Wiewohl keiner den
alten Kolophonier Polymnestos (Bd. I S. 292), nach welchem
diese Liedergattung IIoXopi^Gtsia hiess, überbieten und aus den
Musikschulen verdrängen konnte, errang doch nächst ihm
Gnesippos als Dichter derber Ständchen den Beifall der
Ijebemänner *), Dann nennt man den Tragiker Meletos')
und den Rheginer Dithyrambendichter Kleomenes*), sowie
Oionichos^) und L'amynthios von Milet^) unter dieser
1) Hieher passt die von Alkiphron epist. fr. 6, 11 p. 96 Herch. ge-
aehildeite Scene.
2) In den Komödien ETXcuxec (Enpolis fr. 39 E.) und Ilxa>xo^ (Ghionides?)
wird er erwfihnt (Athen. 14, 638 de); die Komiker Telekleidee und Hermippos
nannten Um znm Spotte Nod-cnicoc (Athen. 8, 344 cd), s. ü. v. Wilamowitz
observatt. critt. in comoediam Graecam selectae, Berlin 1870 p. 27, 8.
3) Epikrates bei Athen. 14, 605 d.
4) Ghionides nnd Epikrates a. O. Tgl. Athen. 9, 402 a.
5) Aristoph. Eq. 1287 mit Schollen; bei einem Komiker stand Olu>vixoo
(Mooelov (Hesych.).
6) Epikrates a. O. Klearchos bei Athen. 13, 597 a (er verfasste ein lied
auf seine lydische Geliebte) ; vieUeicht gehören anch der Liederdichter Xe no-
krat es (Aristozenos fr. 54 bei Diog. Laert. 4, 15) und der als Ehebrecher
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42 ni. Kapitel.
Schaar. Ihre musikalischen Instrumente waren, weil Lydien
hiebei einen demoraUsierenden Einfluss ausübte, kleinasiatische
und gestatteten eine bunte Koloratur der Begleitung^); indes
gab es auch erotische Lieder in dorischer Tonart^), womit
wahrscheinUch Bakchylides' Gedichte gemeint sind. Die Popu-
larität des LiebesUedes drückte am Ende des klassischen Zeit-
alters der vielberufene Maler Pausias in einem Bilde aus, wo
Eros Bogen und Pfeil mit der Lyra vertauscht hat^). Oder
wollte er den Gedanken personificieren , welchen Euripides in
die Worte gekleidet hatte: „Eros macht zum Dichter, auch
wem die Muse vorher fern gebUeben"*)? Von solclien impro-
visierten Dichtern weiss die Literaturgeschichte sonst allerdings
nichts zu vermelden.
Es verging nicht lange Zeit, so verfielen solche Sänger
auf den schlimmen Scherz, die feierlichen Weisen eines Terpan-
dros und Phrynichos zu obscener Travestie zu missbrauchen.
Hätten die Griechen nicht Oinopas, der jenen Einfall zuerst
hatte, Beifall geklatscht, würden gewiss nicht der Achäer
Polyeuktos und Diokles aus dem verrufenen arkadischen
Ländchen Kynaitha^), dann bald Telenikos von Byzanz und
Argas^) denselben bedenklichen Weg betreten haben.
Nicht gleich rasch verflüchtigte sich der Ruhm eines
satirischen Lyrikers. Timokreon') gehörte der Bürgerschaft
der uralten rhodischen Stadt Jalysos an, bis sie ihn wegen
und LüstliDg verspottete Kratinos (Schol. Aristoph. Acham. 856 (849) }isXu>v
icoiY^rr^c) zn dieser Gmppe. Dass die Flötenbläserin (?) Charixene, welche in
Komödien vorkommt, Gedichte gemacht habe (einige bei Etym. M. pag.
367, 22. EoHtath. in U. p. 326, 45), ist nicht glaublich.
1) ^la^ißoxif) und xpif<ovov (abgebildet in der Hand einer Hetäre von
einem Yasenmaler Mnseo Borbon. V 51 ^ Baumeisters Denkmäler des klass.
Altert. Abb. 391 S. 366), s. ETXwtsc a. O. ^
2) PlQtarch. mns. 17.
3) Pausan. 2, 27, 3.
4) Eurip. fr. 666.
5) Aristoxenos bei Athen. 14, 638b; über die Eynaither s. Bnrsian
Geographie von Griech. U 266 f.
6) Phanias bei Athen. 14, 638 c; Argas (die Handschriften bieten 'ApY^Cy
''ApYag, 'ApYciic) sang bei der Hochzeit des Iphikrates (Anaxandr. npo>t€oiX.
bei Athen. 4, 131b V. 17).
7) Böckh de Timocreonte Bhodio, ind. lect. von Berlin 1833 = Ge-
sammelte kleine Schriften IV S. 375 fif.
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Die nicht chorische Lyrik. 45
persischer Gesinnung ausstiess, welches Schicksal ihn nach der
Befireiungsschlacht von Mykale (479) betroffen haben dürfte.
Weil Themistokles, der damals mächtigste Mann Griechenlands,
sein Gastfreund war, forderte Timokreon von diesem seine
Restitution und, als der athenische Staatsmann sich dazu nicht
herbeilassen wollte oder konnte, stellte er in einem leidenschaft-
lichen Gedichte die Sache so hin , als wenn jenen Timokreons
Feinde bestochen hätten (Fr. 1, 6 ff.). Später triumphierte
Timokreon schadenfroh über die Verbannung des Gehassten^).
Die Rhodier hatten ihm indes, soviel wir beurteilen können,
durchaus nicht Unrecht gethan, weil der Dichter später in der
Residenz des Grosskönigs sich aufhielt*). Dass er von Beruf
eigentlich ein Athlet war^), machte die Aeusserungen seiner
Zunge gewiss nicht feiner. Ein witziger Kopf*) widmete ihm
den spöttischen Nachruf:
IloXXa ya^wv xal noKkä «wov xal «oXXi xdx' el7rd>v
'Av^pcöTcooc %et|Jiat Ti|i.o%p8a>y TöStoc
Timokreons Dichtungen*) müssen anfangs weit verbreitet
und bekannt gewesen sein, weil Aristophanes^) und Plato^)
darauf anspielen. Später gerieten sie ziemlich in Vergessenheit®).
Mit Titel werden bloss ein Trinklied (Fr. 8) und Epigramme
(Fr. 9) citiert»).
Diesem Timokreon träte Kerkidas^^, der Verfasser von
1) Platarch. Themistocl. 41, vgl. H. L. Ähren s Rhein. Mns. 2, 457 ff.;
R. Enger de Timocreontis Rhodii cannine a Hatarcho servato, Posen 1866
ß^rogr. des Mariengymn.); über das Historische: Kirchhoff Herrn. 11, 38 ff.
2) Fr. 3. Thrasymachos bei Athen. 10, 416 a.
3) Athen. 10, 415 f. Aelian. var. bist. 1, 27.
4) Man vermntete Simonides in ihm (Anthol. Pal. VH 348 hat von
zweiter Hand das Randlemma Si^koviSoo, daher bei Bergk Nr. 169 B); Kirch-
hoff Hermes 11, 46 A. 1 denkt an Poseidippos. Athenaios 10, 415 f hielt
das Epigramm gar far die wirkliche Grabschrift.
5) Fragmente bei Bergk IH^ S. 536 ff.
6) Didymos bei Schol. Aristoph. Vesp. 1099 (1068).
7) Gorg. 493 a, vgl. dazu fr. 6.
8) Die Quelle des Suidas weiss nur mehr von den aus Biographen be-
kannten Themistoklesliedem.
9) Nach Hephaistion 71 bestand ein ganzes Gedicht ans Versen, welche
ttn AnapAst und ein Amphimacer bildeten.
10) Ktpxidag oder Ktpxid&c (Arcadins 21, 16. Herodian. ic. fj.oviqp. Xe^.
10, 16) geschrieben; Meineke analecta Alexandrina p. 385 ff.; Fragmente
bei Bdgk H« p. 513—15.
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44 HL Kapitel.
<iori8chen (teXia|Jißot ^) , d. h. Spottliedern in lyrischen Massen,
und von gewöhnlichen Jamben und Choliamben *) an die Seite,
falls er wirklich mit dem berühmten Gesetzgeber von Megalo-
polis eine Person wäre®). Obgleich dieser in der That Vor-
liebe für Poesie dadurch öffentlich bekundete, dass er das
Studium Homers gesetzlich forderte*) und angeblich den Anfang
der Dias mit sich begraben liess^), kann er trotzdem jene
Gedichte nicht gemacht haben, denn wie sollte er von dem
Kyniker Diogenes, der höchstens sein jüngerer Zeitgenosse
war, wie von einem lange Verstorbenen sprechen®)? Der
Dichter war also gewiss ein anderer Kerkidas und zwar ein
Kreter, welcher zur Schule der Kyniker gehörte').
Wohl aber besass die klassische Zeit wahrscheinlich einen
zweiten Satiriker an dem Flötenspieler Teilen, dessen Spott-
gedichte sprichwörtlich waren®), trotzdem aber spurlos ver-
schwanden.
Gegenüber der einstigen hohen Blüte des Liedes ist ein
bedauernswerter Zustand der Gesunkenheit vom Standpunkte
der Moral wie der Poesie wahrnehmbar. In jener Hinsicht
wenigstens wurde die Ehre Griechenlands durch eine edle Frau
gerettet. Telesilla^), einer vornehmen Familie von Argos
entsprossen, war durch Kränklichkeit dem Dienste der Musen
zugeführt worden, was ihrem Vaterlande zu unverhofftem Segen
gereichen sollte; als nämlich einige Jahre vor dem Perser-
1) So hat der cod^ B Schowii bei Stob. flor. d, 43 (aber statt 6 ^leXo-
noioc Helladios bei Phot. bibl. 279 p. 533 b 12 fordert der ZuBanimenhang
b McfaXoicoXtTiqc); folscb sind die Lesarten fj.ifj.tafj.ßoc (Stob. flor. 58, 10;
solche iambische Genrebilder verfasste Herondas) and '^fj.iafj.ßoi.
2) Athen. 12, 554 d.
3) So Athen. 8, 347 e. 12, 554 d.
4) Porphyrios bei £;astath. D. p. 263, 35.
5) Ptolem. Heph. bei Phot. bibl. 190 p. 151a 14; vgl. noch Aelian. var.
bist. 13, 20.
6) ^0 itdipog f ^ Siv(üitea<; ft>. 2.
7) Diogen. Laert. 6, 76 Kspxi^ac 6 MBYaXoicoXttYj^ ^ Kp-fj^.
8) "Atihu zä T^XXiQvoc Dikaiarchos bei Zenob. 2, 15 und die Paroemio-
graphen; Plntarch. reg. et imp. apophth. 20 nnd liban. ep. 548 spielen
darauf an. Der Fabulist Ptolemaio« Hephaistion meint mit xö ßcßXiov TsX-
XtSoc jedenfalls ihn (Phot. bibUoth. 190 p. 151a 7 flf.).
9) Fr. Nene de Telesillae Argivae reliqniis, Progr. d. üniv. Dorpat 1843.
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Die nicht chorische Lyrik. 4&
kriege ^) eine blutige Niederlage Arg08* Mauem von Verteidigern
entbl^ysst hatte, rief die Dichterin die Frauen zum Kampfe
g^en die Spartaner auf und feuerte, ein zweiter Tyrtaios, alle»
durch ihre Lieder erfolgreich zum Aushalten an *). Wenngleich
Herodot, nicht eben ein Freund von Argos, über diese merk-
würdige Episode der Kämpfe zwischen Sparte und Argos
schweigt*), konnten sich die Argiver auf ein Denkmal der
gefallenen Frauen, den eigentümlichen Areskultus der Weiber^)
und ein ReUefbild Telesillas stützen, welche, einen Helm in der
Hand und Bücher zu ihren Füssen, vor dem Tempel Aphro-
dites stand ^). Ihre Dichtungen sind fast spurlos verschollen*),
obgleich Metriker ^ und Lexikographen sie beachteten.
Bei den Festen hatte das Splolied eine bleibende Stätte
nur im religiösen Nomos. Im aulödischen Nomos trug,
bekanntlich zur Musik des Flöteükünstlers ein Sänger den
Text vor, während ein Chor die entsprechenden Geberdeu
und Bewegungen machte ®). Diese Verbindung der drei Künste
1) Vgl. Herod. 6, 76 ff. Nach Pansan. 3, 4 Ol. 64 (s. Gurtins griech.
Geschichte V S. 6&0 Anm. 159), nach Eosebios Ol. 82 (4 arm., 2 Hieron.,.
1 Hier. A), weil Argos nnd Sparta Ol. 82, 3 einen dreissigjährigen Waffen-
stillstand schlössen; vor Pindar nach Fragm. post Censor. 9.
2) Sokrates von Argos bei Flut. mul. vlrt. 4 übertreibt, während Maxim»
Tyr. or. 37, 5 nnr von begeistemden Eriegsliedem spricht; s. anch Polyaen.
strat. 8, 33 (dazu Melber Jahrbb. Snppl. 14, 683). Pansan. 2, 20, 8. Rand-
glosse zn Prod. in Plat. Tim. 15c n. A.; verworfen von O. Müller Dorier
I 173. n 374, 8 und Kägi Jahrbb. Snppl. 6, 446; Dnncker Geschichte
des Altertnms IV 645 f. vermittelt.
3) 6, 76—83; doch ist das Orakel c. 77 iXX'Stav 4j ^Xsta -cöv Äppsva
wü'Tioaoa litk&o'Q nicht anders als anf Telesillas Heldenmut zn deuten.
4) Beides erwähnt Plutarch. a. O., das letztere Lucian. amor. 30.
5) Pansan. 2, 20, 7. 9.
6) Bergk m^ 380 f.; ir. 1 redet sie & xopai an, was natürlich keinen
Beweis für Chorlieder abgibt. Fr. 2. 3. 5 nnd 1. 4 beziehen sich anf Apollo
and Artemis.
7) Hephaest. c. 11 p. 33 W.; Fragm. post Censor. 9 minntiores edidit
nnmeros; dies spricht nicht gerade für Chorlieder.
8) Sftnger: in Inschriften von Orchomenos (CIG. 1579. 1580 = Larfeld,
inacr. Boeot. 24. 25 = Collitz 477. 478) nnd Plutarch. conjug. praec. 32;
Chor: in den Inschriften, Stratonikos bei Athen. 8, 350 f, Plutarch. quaest.
symp. 7, 5, 1. Lucian. Harmonides 1, offiziell genannt Sv^psoai (böotisch,
vieUeicht anch a5Xtixai s. Hesych. s. v.) oder a5XY)tai<; 8iv$pdoi (Demosth. 21,
156, vgl. 17. 61. Plutarch. Alcib. 1. CIG. 3089), vgl. Reis ch de musicis
Oraecorum certaminibns p. 59.
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46 ni. Kapitel.
war zwar bei vielen Festfeiem Griechenlands, auch den Pythien
und Panathenäen, anerkannt ; weil aber die Athener das Flöten-
spiel schon früh etwas zurücksetzten (stellte doch bereits Myron
die beziehungsvolle Sage von Athene und Marsyas dar), schweigt
die UeberUeferung von dieser Gattung der Lyrik, so dass wir
nur wissen, dass der Inhalt des Gesanges der mythischen Zeit
entlehnt zu werden pflegte^). Beiläufig hören wir, dass die
gefeierten Lyriker Timotheos und Philoxenos bei ihrer Lieblings-
beschäftigung des aulödischen Nomos nicht ganz vergassen,
indes von eigentUchen Aulöden nichts verlautet.
Dagegen fliessen die Nachrichten über die mannigfachen
Wandlungendes kitharödischen Nomos*) reichUcher. Die
alte Form desselben mit sieben musikalischen Sätzen und
hexametrischem Texte bUeb bis auf Phrynis, den Zeitgenossen
des Perikles, in ihren Grundlagen unverändert. Während die
Kitharöden, welche am Anfange des fünften Jahrhunderts die
Griechen entzückten, über dem Ruhme der jüngeren Neuerer
völlig vergessen wurden, verdankt eine Frau ihrem Geschlechte')
imd ihrer eigenartigen die Gelehrten anziehenden Mundart, dass
sie von diesem Schicksale ausgenommen blieb.
Die rührigste Stadt des östUchen Böotiens, das durch sein
Kunstliandwerk allbekannte Tanagra, wies den Fremden stolz
das Bild der einheimischen Dichterin K-orinna*) in Stein und
gemalt^), aber viel glaubwürdiges bekamen jene dabei nicht
zu hören ^). Dafür fabelte man allerlei über ihr Verhältnis zu
ihrem genialen jüngeren Zeitgenossen Pindar, wobei sie im
1) Vgl. Dio Chrysoet. 11, 9.
2) Ueber diesen handelte Hieronymos im f&nften Bache des Werkes
-rcspl «ofrjxÄv (Athen. 14, 685 £)•
3) Kitharödin war anoh Glanke (Platarch. de solertia anim. 18 a. E.).
4) F. Gottl. Welcker de Erinna et Ck>rinna poetriis, Eüeine Schriften
n S. 145 ft; Ygl. Böckh znm Ck>rpns Inscriptionnm Graecarnm I p. 720 ff.
Zum Namen veigleiche man Kopcwu» (Ck>llit2 599?) nnd K6piXXa (Larfeld 184
=r Ck>Uitz 635); ist Koppivdc^a^ (Larfeld 219 = GoUits 770) verschrieben?
Aber anch in Handschriften, z, B. des Hephaistion steht K6ppiwa. Tanagra
war, wie Fr. 20 zeigt, die Heimat; Soidas leitet sie als angebliche Lehrerin
Pindars von Theben her.
5) Die Statne war von dem BQdhaner Silanion (Tatian. adv. Oraec 52);
aber das Gemftlde Pansan. 9, 22, 3 (der auch von ihrem Grabe spricht).
6) Nach Snidas hiessen die Eltern Acheloodoros und Prokrat«ia.
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Die Bicht chorische Lyrik. 47
vorteilhaftesten Lichte erscheint, sei es dass sie den noch
unklaren Jüngling fördert^) oder dass sie über den Meister
einmal, nach anderen fünfmal siegt*) während Pindar nicht
einmal der Huhm selbstbewossten Gleichmutes bleibt; er soll
n&mlich seinem Zorn durch das Schimpfwort „Böotisches
Schwein" Luft gemacht habend, er, der wiederholt gegen
diese sprichwörtliche Herabsetzung seiner Landsleute protestiert
hat. In ihrem Eifer vergassen jedoch die guten Gelehrten von
Tanagra, dass Korinna selbst in einem ihrer Gedichte (Fr. 21)
Murtis, die Dichterin von Anthedon*), tadelte, weil sie als
Frau mit Pindar in einen Wettstreit sich eingelassen habe.
Ausser Epigrammen legt Suidas Korinna kitharödische
Nomen bei, die zusammen fünf Bücher ausmachten^) und
mythologische Titel, wie „Heimfahrt** (des tanagräischen Heros
Orion), „Jolaos** und „Die Sieben vor Theben" trugen^.
Ausserdem dichtete sie Lieder für die weiblichen Festchöre
ihrer Bürgerschaft; ein solcher mag z. B. das Gedicht auf
Athenes wunderbaren Schild vorgetragen haben ^).
Der tanagräische Dialekt, in dem Korinna schrieb, weil
1) Vita Pindari Z. 124; Anekdoten bei Plutarch. glor. Ath. 4 p. 347 f.
SchoL Aristoph. Ach. 728 (720).
2) Pansan. 9, 22, 3 (Enstath. in D. 11 711); fünfmal in Theben Aelian.
TAT. bist. 13, 25. Saidas (cbc Xd^oc). Die Erzähler bemühen sich, das urteil
der Preisrichter zu erklären.
3) Aelian. var. bist. 13, 25.
4) Plutarch. qnaest. Graec. 40 (Mopxic mit altböotischer Aussprache);
sie war also weder die Lehrerin Pindars noch die Korinnas (Suidas). Tatian
adv. Graec. 52 erwähnt ihre Statue. Antipatros von Thessalonike (Anthol.
Palat. 9, 26, 7) sagt sehr allgemein Y^^^oa^^a Müpttv. — Die dritte Dichterin
Bdotiens trug ebenfalls den Namen Korinna und stammte wahrscheinlich aus
Thespiä (Suidas); diese, nicht die berühmte erhielt den Beinamen Mola (vgl.
Welcker a. O. S. 153 ff.), der sogar ihren wirklichen Namen verdrängte
(Suidas Mola, 9eaiccax4] XopixY), Lucian. muscae enoom. 11, verderbt M6yva bei
Grammat. Leid. p. 639). Als Gegensatz schwebte M^Xiooa, wie offenbar die
Tanagräerin gleich Sappho und Erinna (Christodor. ecphr. 69) hiess, vor.
Welcker will nur eine Korinna zugeben.
5) Nd(Loi Xopixot, vgl. das Citat fr. 9 und dazu G^rg. Ghoerob. in
Stndemunds Anecdota I p. 56, 12 t; Fragmente bei Ahrens de dialecto
AeoUea p. 277 ff. und Beigk HL* p. 543 ff.
6) Kax&nkooQ 2. 4. *I6Xaoc 5. *'Ekx'* IkX e-fjßacc 6. Sehr unsicher ist
BocMtoc 1. und noch mehr ^Ettpoioofx^vcuv d Anton. Liberal. 25.
7) Flg. 20. Antip. ThessaL Anihol. 9, 26, 5 t
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48 ni. Kapitel.
sie schon ihr Geschlecht von dem internationalen Wanderleben
der griechischen Lyriken ausschloss, verhinderte zwar, dass ihre
Werke ausserhalb Böotiens Grenzen populär wurden , aber er
gerade war es, der sie vom frühen Untergange rettete, da die
Grammatiker an den Dichtungen Korinnas die böotische Mundart
studierten, wobei sie leider Handschriften, welche den spät-
böotischen Vokalismus aufwiesen, benützten ^). Ein Alexandro»
verfasste zu den Gedichten einen Kommentar*). Noch in der
Eaiserzeit waren vielbelesene Männer mit der Böoterin bekannt;
solche tadelten an ihr Mangel an Schwung und die Schwer-
verständlichkeit'), doch gab es höflichere Gelehrte, welche der
Neunzahl klassischer Lyriker Eorinna als zehnte anfügten^).
Die Liebeslieder Ovids gaben den Anstoss, dass Korinna Phanta-
siename und Vorbild geistreicher Frauen wurde; die Deutsch-
russin Elisabeth Kulmann bemühte sich, Korinna nachzu-
dichten.
Der alten Kitharödenmanier hing noch der Philosoph
Sokrates an, als er auf Apollo ein Proömium in Hexametern
dichtete^).
Wiederum war ein Lesbier und zwar diesmal ein Mity-
lenäer^) berufen, in der Geschichte der Kitharödik Epoche zu
macheu. In Terpanders Familie hatte sich die Kunst auf
Aristokleitos , einen Zeitgenossen der Perserkriege, fortgeerbt').
Von diesem wurde Phrynis unterrichtet, aber darum blieb
er nicht, wie sein Lehrer, an der überkommenen Lehre haften.
Phrynis gestaltete nämlich den Rhythmus mannigfaltiger, indem
er unter die Hexameter lyrische Masse mischte^); in folge
dessen reichten die sieben Saiten der terpandrischen Leier für
1) Rieb. Meister, die griechischen Dialekte I S. 212.
2) Schol. in ApoU. Rh. 1, 551, s. Maass Deutsche Litt. Ztg. 1887 Sp. 55»
3) Statins silv. 5, 3, 158 tennisqne arcana €k»rinnae.
4) Bekker Anecd. n p. 751, 26 ff. Isaak Tzetz. proleg. in Lycopbr.
p. 252, Joh. Tzetz. Anecd. Ozon, m 334, 24 ff.
5) Themist. orat. H p. 27 c; Bergk H* 287 f.
6) Proklos bei Phot. bibUoth. p. 320 b 8. Schol. Aristoph. Nub. 965
(967). Sohn des Eamon, Timotheos bei Plntarch. de se ips. land. 1. Nach
Istros (Schol. Aristoph. a. O.) soll er früher Sklave, zuerst Hierons, dann
Aristokleitos* gewesen sein.
7) Schol. Aristoph. a. O.
8) Proklos a. O. Z. 9.
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Die nicht chorisclie Lyrik. 49
die kompliziertere Begleitung nicht mehr aus *). So wenig aber
Terpander jenes Instrument erfunden hatte', so wenig war
Phrynis der erste, welcher auf neun Saiten spielte; schon die
Aegyptier wussten ja mehr als sieben Saiten zu handhaben^
und die Gelehrten fanden auch in Griechenland Belege älterer
Anwendung^). Die konservativen Spartaner wollten allerdings
von dem alten Brauche nicht lassen, und Hessen, wie man
sagt, Phrynis, als er bei den Kameen auftreten wollte, die
überschüssigen Saiten wegschneiden*). In Athen scheint die
Opposition mehr passiv gewesen zu sein, indem wohl die
Mehrzahl der älteren Vasenbilder die terpandrische Lyra dar-
stellt*); allein zur Zeit des Aristophanes war letztere bereits
aus der Mode gekommen^. Auf der anderen Saite bestand
eine Virtuosität des Mitylenäers darin, dass er mit nicht mehr
als fünf Saiten die schwierigsten Kompositionen spielte'). Als
Dichter soll er frostig gewesen sein^). Phrynis' Name ist mit
dem perikleischen Zeitalter enge verknüpft, weil er, wie in der
Einleitung erzählt ist (S. 3), den ersten Sieg im kitharödischen
Wettkampf der Panathenäen davontrug. Wie viele mögen
darum gekämpft haben, da Perikles, um möglichst viele anzu-
locken, den Kitharöden nicht weniger als fünf Preise erwirkte %
Erschien schon Phrynis den Verehrern des terpandrischen
Nomos in dem Lichte eines kecken Umstürzlers**^), so entfesselte
1) Proklos a. O. Z. 10; Nloomach. härm. man. lib. n. p. 35 Meib. weiss
mchts daTon. Ebenso schreiben Nicomachos (a. O.) nnd Boethios (mos. I 20
p. 208, 10 Fr.) die Erfind ang der nennten Saite dem Pierier Theophrastos
oder Prophrastoe zn.
2) Wilkinson the manners and cnstoms of the andent Egyptians,
reYlsed and corrected by S. Birch toI. I. bildet p. 476, 242, 1 eine acht-
saitige nnd p. 477, 243 eine zehnsaitige Lyra ab.
3) Artemon bei Athen. 14, 636 e.
4) Plntarcb. prof. in virt. 13 a. E. apophth. Laced. p. 220 c; von Timo-
theos wird fast das gleiche erzählt (Artemon a. O., gefälschtes Dekret bei
Boethins de mnsica p. 182 Friedl.); ohne Namen Dio Chrys. 32, 67.
5) Enrip. Alcest. 446. Jon. 881 dag^en kann ein absichtlicher
Archaismus sein.
6) Fr. 659 Kock.
7) Pherekrates bei Plntarch. mns. 30 ev nivte xop^alc ^wSex' dpjtovlac fx"*^»
8) SchoL Aristoph. a. O. ans K'omikem.
9) Inschrift in Rangab^ antiq. heUen. 961 = C. J. A. IE 965 a.
10) Vgl. Aristoph. Nnb. 971.
B 1 tt 1 , Geschichte der griechischen Literatur, m. ' 4
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50 in. Kapitel.
sein jüngerer Zeitgenosse Timotheos von Milet*) einen wahren
Sturm gegen sich. Durch ihn erhielt der kitharödische Nomos
die endgiltige Fixierung^. Seine ersten Nomen waren noch
in Hexametern gedichtet, wiewohl der dithyrambische Charakter
der Sprache die zukünftigen Neuerungen gewisserraassen vor-
bereitete^). Nachdem nämlich Timotheos seine Selbständigkeit
errungen hatte, band er sich in den Metren nicht einmal
soweit als Phrynis an die Tradition*) und statt der sieben-
oder neunsaitigen Lyra benützte er bald eine von ihm erfundene
elfsaitige^) bald die asiatische M&gadis^) und ein zwölfsaitiges
Instrument^), weil er das Anziehende des aulödischen Nomos
auf den kitharödischen übertragen wollte^; dabei wurde die
vielleicht durch lydische Melodien beeinflusste Musik süss und
einschmeichelnd^), die Sprache durchdrang statt apollinischer
Würde und Feierlichkeit dithyrambisches Feuer und Pathos *®).
Selbst den gestikulierenden Chor, neidete Timotheos den Au-
löden ") , was bald auch die blossen Kithara- und Flötenspieler
nachmachten^*); freilich bedurfte der kühne Musiker einer
mimischen Begleitung schon deshalb, weil er sich die hohe
1) Milet ist durch sein eigenes Zeugnis (Platarch. de se ips. laad. 1),
das des Pherekrates (Platarch. mos. 30) und die Grabschrift (Steph. ßjz,
n. MiXir)to(:) gesichert. Der Vater hiess Thersandros (Alex. Aetol. bei Macrob.
sat 5, 22).
2) Proklos a. O. Z. 10 f.
3) Plntarch. mns. 4.
4) Hephaestio p. 66.
5) Nioomach. harmon. manuale n. p. 35 Meib. Dekret bei Boeth. mos.
p. 183» 6 Fr. Suidas.
6) Boeth. mos. 1, 20 p. 209, 1. Artemon bei Athen. 14, 636 e.
7) Pherekrates bei Platarch. mos. 30.
8) Vgl. Plato leg. 3, 700 d.
9) Saidas, vgl. Platarch. mas. 12 ; von Neuerungen spricht Fragm. post
Censorin. 12 a. £.
10) Plntarch. mos. 4 hv ^ictoi Scaficfvoüiv St^opajißtx'^v Xi£cy , vgl. Plutarch.
Philopoem. 11 toö ictpl r)jv icot7|otv 0^x00 Qo\LKpi^avxo<:, Horat. a. p. 216 flf.
Die Komiker parodierten dies (Antiphanes bei Athen. 10, 433 c. Anaxan-
drides 11, 455 f ).
11) Clem. Alex, ström. 1, 365 P, 133 S vojioo^ icpa>to<; 'j^otv iv xoptf» %oil
xt^dp(y, vgl Aristot. poet. 1 p. 1447 b 26 ff.
12) PhUochoros bei Athen. 14, 638 a; Chares bei Athen. 12, 538 f. Schon
Aristoteles i>oet. 1 p. 1447 a 24 deutet es durch die Worte xal ^o^-fitp an.
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Die nicht cborische Lyrik. 51
Au%ibe stellte, Vorgänge der Natur, z. ß. einen Sturm,
musikalisch zu malen ^). Wie es nicht anders möglich war,
•erntete der radikale Neuerer, „der rothaarige Milesier"*), von
<ien einen Hohn und Anfeindung^, von anderen überschwäng-
ücbe Bewunderung, z. B. belohnte ihn die Bürgerschaft von
Ephesos für einen Hymnus auf ihre Stadtgöttin mit einer
Ehrengabe von tausend Goldsekeln *). Der König Archelaos lud,
wie er sich für alle Berühmtheiten Griechenlands interessierte,
Timotheos an seinen Hof*); ohne Zweifel versuchte der ältere
Dionysios dasselbe, denn Timotheos beschloss erst 357 in einem
Alter von mindestens neunzig Jahren sein Leben ^.
Die Werke des musikalischen Revolutionärs'') füllten acht-
isehn Rollen und umfassten ausser 3(> Vorspielen (icpovöiita)
von durchschnittlich etwa dreissig Verseng im ganzen acht-
tausend Verse, nämlich 19 kitharödische Nomen, 8 Siaoxeoat
»(Umarbeitungen?), 18 Dithyramben, 21 Hymnen und Loblieder,
wozu Suidas einzelne Titel (Artemis®), Perser**^), Nauplios, die
^hne des Phineus, Laertes) fügt. Andere Titel sind: Semeies
Wehen"), der rasende Aias (ein Dithyrambos)^*), der Ky-
klope"), Niobe**), Elpenor und erst kürzlich ist ein Nomos,
^,Klage des Odysseus**, gesichert worden").
1) Athen. 8, 338 b, ebenso das Jammern der gebärenden Semele, Strato-
niko» bei Athen. 8, 362 a.
2) Pherekiates bei Platarch. mus. 30.
3) Pherekrates a. O. Plutarch. de aud. poet. 4 a. E. = snperstit. 10,
4) Alex. Aetol. bei Macrob. saturn. 5, 22.
5) Plutarch. Alex. virt. n 1. reg. apophth. 'Apx^X. 4. Steph. Byz. und
MiXir}toc; dort soll er Enripidee die Grabschrifb verfasst haben.
6) Marmor Parium ep. 88 (76); 97 Jahre gibt Suidas an.
7) Vgl. Suidas u. Steph. Byz. u. MiXy)to^; Fragmente bei Bergk II^ 619 ff.
8) Bemhardy n 1, 754 schreibt sie dem Flötenspieler Timotheos zu,
-welcher bei Alexander dem Grossen lebte (Chares bei Athen. 12, 538 f n. A.).
9) Ein Sololied nach Plutarch. (s. A. 3).
10) Nach Plutarch. Philop. 11 und Pausan.S, 50, 3 ein kitharödischerNomos.
11) S. A. 1, Dekret bei Boethius de rausica p. 182; (das gleiche Thema
behandelten Flötenspieler, Bio Chrysost. 78, 32).
12) Lucian. Harmonid. 1.
13) Vgl. Suse mihi Rhein; Mus. 35, 486 ff.
14) Dithyrambos nach Lübbertde Pindari carminibus dramaticis p. 18 ff.
15) Durch einen Papyrus Rainer, s. Gomperz Anzeiger d. philos. bist. Klasse
^. Wiener Akad. 1886, 10. Febr. u. Jahrbb. f. Phil. 133, 771 ff. ; vgl. Aristot. poet.
15. 26, 'OSooottac 8' Origenes bei Etym. Magn. p. 630, 42 ff.
4*
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52 ni. Kapitel.
, Nach dem Tode des Musikreformators verstummte die
Opposition und man rechnete ihn einstimmig zu den Klassikern
seiner Kunst, weshalb in Athen und an anderen Orten Timo-
theos' Dithyramben immer wieder aufgeführt wurden*) und
unter den Statuen der berühmtesten Schriftsteller, welche die
Bibliothek von Pergamon zierten, den neuesten Ausgrabungen
zufolge die des Timotheos nicht fehlte. Nicht einmal in der
Kaiserzeit erfuhr sein Ruhm eine Minderung*), wenn schon
Polyidos' Manier beliebter war*).
Von den Kitharöden, welche mit Timotheos nicht konkur-
rieren konnten, zieht ein geistreicher Mann, der, als Musiker
nicht so schöpferisch % das unstäte Zigeunerleben dieser Virtu-
osen auf das beste vor Augen führt, unsere Aufmerksamkeit
auf sich; der Athener Stratonikos durchzog, bald als Kitha-
röde auftretend, bald die Kithara allein spielend, bald auch
die Theorie der Musik und Komposition lehrend^), die klein-
asiatischen Seestädte und Inseln von Phaseiis an bis hinauf
nach Herakleia und die thrakische Küste von Byzanz bis
Makedonien®). Im eigentlichen Griechenland trat er bei den
Volksfesten auf ^), doch ebenso sehr war er in halbbarbarischen
Fürstenpalästen, wie bei dem pontischen Könige Berisades und
Euagoras' Sohn Nikokreon zu Hause ^). Doch bei diesem stürzte
ihn die vorlaute niemand schonende Zunge in das Verderben:
Durch eine Aeusserung gereizt, brach die gewaltthätige Natur
1) ^At3|jLa 'EXTCTjvtüp Tt|jLo^ioo erscheint zweimal auf einer athenischen
Choregeninschrift von 320/19 (U. Köhler Mittel!, des deutschen archäol.
Inst, in Athen 10, 231 flf.); CIG. 3053 = Le Bas Asie Mineure 81. Lucian.
Harmonid. 1. Pausan. 8, 50, 3.
2) Diodor. 14, 46 a. E. (und zwar rechnet ihn dieser zu den Klassikern
des Dithyramhos). Dio Chrysost. 32, 61.
3) Plntarch. mus. 21.
4) Ueber das von ihm eingefdhrte spricht Athen. 8, 349 de.
5) Aus Athen: Phanias bei Athen. 8, 352 c; Kitharöde: Machon bei
Athen. 8, 349 de; Kitharist: Klearchos bei Athen. 8, 349f; vgl. 347 f. 348 d;
Lehrer: Athen. 8, 348 d. 352 a. Phanias bei Athen. 8, 352 c.
6) S. die Anekdoten im achten Buch des Athenaios p. 349 f — 352 b.
7) Z. B. in Sikyon Ath. 8, 351 e f. 352 b; Aufenthalt in Korinth:
Machon 349 d.
8) Machon bei Ath. 8, 349 df; natürlich nicht auch bei einem Ptole-
mäer, wie Capito 350 c behauptete.
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Die nicht chorische Lyrik. 53
<ies Fürsten unter dem dünnen Firnis isokrateischer Bildung
hervor und Stratonikos wurde, kurzweg bei Seite geräumt^).
Wo sind die anderen Leuchten der Kitharödik geblieben,
der Thebaner Kleon, welcher doch „mehr Kränze als je ein
Sterblicher empfing", wie die Inschrift seiner Statue versicherte*),
Aristonus, sechsmal pythischer Sieger*), Amoibeus, der
in Athen für jedes Koncert ein Talent bekam*), der bei den
Pythien, Kameen und Panathenäen von Nike begünstigte
Exekestides*) imd vollends die lange Reihe weniger hervor-
ragender oder weniger glücklicher Musiker*)? Dem Kitharöden
flocht in Wahrheit die Nachwelt keine Kränze, denn nur dem
Meister ersten Ranges bewahrte sie ein dauerndes Andenken.
Aber weil die Kitharöden allem Anscheine nach den Text
sehr nebensächlich behandelten, dauerten die vorzügüchsten
Lieder besten Falls bis zur Aufhebung der hellenischen Feste,
mit anderen Worten so lange sie gesungen und gespielt
wm'denj Leser fanden sie nicht.
1) Er wurde nach Phanlas a. O. 352 d vergiftet, nach Machon a. O.
nächtlicher Weile in das Meer geworfeD.
2) Athen. 1, 19 b; er trug den Beinamen Booc (Machon bei Athen. 8, 349 c).
3) Plutarch. Lysand. 18.
4) Aristeas bei Athen 14, 623 d.
5) Aristoph. Av. 11 mit Scholien.
6) Zafimig sind noch folgende Namen erhalten: Alkaios Enpolis fr.
280 bei Schol. Aristoph. Thesm. 162; Arignotos Aristoph. Eq. 1277 ff.
Yesp. 1275 ff. Aischines bei Athen. 5, 220 b; C hairis Pherekratee bei Schol.
Aristoph. Av. 858; Dexitheos SchoL Aristoph. Acham. 11 (noO-iovixYig) ;
Kaiadas Pansan. 1, 8, 4 (s. dazn MilchhÖfer Baumeisters Denkm. des
JÜass. Alterth. I. S. 165); Meles (Sohn des Peisias und Vater des bekannten
Kinesias) Pherekrates a. O.; Mose hos Aristoph. Acharn. 13 mit Scholien;
Kikon Aristot. rhet. 3, 11 p. 1412a 34; Propis von Rhodos Klearchos bei
Athen. 8, 347 f.
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IV. Kapitel.
Chorlieder.
Das Chorlied im Allgemeinen; Simonides, Bakcbylides nnd Pindar;
der klassische Dithyrambos.
Wenn die Griecbeu ihren Gtöttem von Staatswegen eina
poetische Huldigung darbrachten, geschah diese regelmässig in
der Form des Chorliedes, weil der Chor gewissermassen eine-
Gesandtschaft der gesammten Bürger darstellte. Wäre man
auch aus der Ausschliessung der Fremden einen ähnlichen
Schluss auf den Dichter und „Lehrer'' (SiSdoxaXoc) des .Chore»
zu machen berechtigt, zogen doch die Griechen in Wirklichkeit
oft dem Mitbürger einen bedeutenderen Fremden vor, selbst-
wenn derselbe nicht persönlich zur Einstudierung seiner Dichtung
herreisen konnte. Dies war nämlich eine ungemein schwierige
und verantwortungsvolle Aufgabe, welche der Dichter, wenn
möglich, selbst besorgte; andern Falls sandte er einen ver-
lässigen Stellvertreter, zu welchem Auskunflsmittel der viel*^
umworbene Pindar, der selbst seine Laufbahn in diesem Amte
begonnen hatte ^), zu wiederholten Malen sich entschloss *).
Die Kunst des hellenischen Lyrikers war nicht wenig^
mühevoll. Der Gegenstand seiner Lieder war in der Regel
schon oft behandelt und schwer von einer neuen Seite aufzu-
fassen^), weshalb die Dichter ausdrücklich ihre Selbständigkeit
1) Eostath. Tita Find. § 27.
2) Pyth. 2, 68 xolt . . . (jl^Xoc 6iclp icoXi&c dXöc ictjucttat, ähnlich OL
7, 8. Nem. 3, 77. fr. 124 (89), 2. Der SteUvertreter wird OL 6, 88 genannt
und erh< Y. 90 f. die ehrenvollen Beinamen 'Hox6{i.u>v oxotdXa Moto&Vy.
7X0X6C xpat^p ä'^aff^ir^^xtü'^ äot^v.
3) BakchyUdes fr. U; vgl. Pindar. Nem. 6, 61 f.
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Chorlieder. 55
ZU rühmen pflegen^). Weil es umso schwerer fiel, gegen eine
ältere ähnliche Dichtung aufkommen, lässt sich Pindar einmal
zur Bitte herab , man möge zwar den alten Wein , aber die
Blüte neuer Lieder vorzuziehen*), weil die Leute gegen alles
Neue Vorurteil hegen *). Zum Worte müsste der Dichter sodann
den Rhythmus und die Musik selbständig erfinden. Das Mittel-
alter hat von seinen Lyrikern ähnliches gefordert, während man
aber damals zufrieden war, wenn ein Sänger seinen eigenen
„Ton" erfand oder höchstens einige neue dem überkonmienen
Gemeingute an Melodien hinzufügte, sah sich der Grieche
genötigt, innerhalb der üblichen Tonarten — zur Zeit des
Simonides und Pindar ward ausser den später gebräuchlichen
auch die lokrische angewendet*) — für jedes neue Festgedicht
eine neuartige Kombination von Versmassen auszusinnen^).
Daher der überraschende Reichtum der hellenischen Metrik
und die zahlreichen, beinahe sich überstürzenden Neuerungen
in der Musik ^!
Damit nicht genug 1 Er durfte nicht vergessen, dem Chor
für den Tanz Anweisungen zu geben, worunter die Hellenen
allerdings nicht unseren Tanz, sondern wie ihre heutigen Ab-
kommen, wohlabgemessene anziehende Körperbewegungen und
bunt verschlungene Reigen verstanden^). Jene schlössen sicii
zur Zeit Pindars an den Text pantomimisch an^^ die Fuss-
1) Terpand. 5, 2 viooc x8XadY]ao{jLsy 5|jLyooc. Alcraan fr. 1 jieXoc v80X}iov.
Find. Ol. 3, 4 veooi'YaXov töpdvxt Tpoicov. Isihin. 4(5), 63 viov Sjivov. Fragm.
ndesp. lyr. 112 p. 724 ved^ota |is).sa (imitiert Hör. carm. 4, 9, 3).
2) Ol. 9, 48.
3) Nem. 8, 20 f.
4) Herakleides Pontikos bei Athen. 14, 625 e.
5) Die dritte isthmische Ode darf nicht in zwei Gedichte gespalten
werden, wie nach dem Vorgange von codex Yaticanos B alle Heransgeber
vor BÖckh ausser der Aldina, nachher Bergk, Bulle Pindars dritter and
vierter isthmischer Siegesgesang, Pr. von Bremen 1869 nnd O. Schröder
stndia Pindarica, Berlin 1878 behaupten.
6) Vgl. Anaxilas bei Athen. 14, 623 f: 'H jioootx-)] 8*tt>o«sp AtßoT) itpög
xiov dtfttv äEi ti xaivöv xax' Iviaotöv ^ptov xixtei (Kock 11 272).
7) Pindars GMichte liefern über den Tanz folgende Andeutungen : Pyth.
1, 2 ßaatc, Ol. 13, 114 xo6(foic icootv, 14, 17 xoo<pa ^ißatyr*, Nem. 8, 19 totafiai
xoool xo6tpotc, vgL dazu 1599 ff. Callimach. hymn. 3, 246 f. ApoUon. Argon. 1,539.
8) Athen. 1, 15 d; daraus dürfte die auffaUende Bemerkung entstanden
sein, dass Pindar die 6ic6px'y]otc einführte (Clem. Alex, ström. I. p. 365 P, 183 S).
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56 rV. Kapitel.
bewegungen aber waren danach verschieden, ob der bekränzte
Chor in Prozession das icpoodStov singend, zum Heiligtum
wandelte oder im Inneren eines Tempels vor dem göttlichen
Bilde stand oder endlich in Mitten einer Festversammlung um
den Altar und die Statue des gefeierten Gottes einen Kreis
bildete, wobei sich die Tanzenden bei den Händen hielten^).
In Athen sprach man daher, die viereckigen Chöre des Dramas
in Gegensatz stellend, von den „kreisrunden" Ijrrischen Chören
(x6xXtot x^P^O^ ^^^ ^^S^ ^^^ Tanzplätze (öpx^^'cpat) in Form
eines vollen Kreises an*). Der Dichter hatte nicht bloss für
den Chor einen zierlichen Reigen zu erfinden, sondern er führte
selbst mit der Lyra den Chor und stimmte den Gesang persönlich
an*); doch gab es Fälle, wo ein Mitglied des Chores selbst,
wie der jugendliche Sophokles, dieses Ehrenamt erhielt^).
Der Schauplatz des reügiösen Chorliedes war im allgemeinen
natüriich das heilige Gebiet des Gottes, dem die jeweilige Feier
galt, in Athen also z. B. an den Dionysien das Dionysostheater,
bei den Thargelien hingegen die dem pythischen Apollo geweihte
1) Aristoph. Thesm. 953 flf. 8pji.a x^^P^^ xoöcpa «ootv, Ä^' «Ic xoxXov, y(tip\
oüvaitte x"P»- 958. 968. Ran. 440. Av. 1379 u. Sp.; um Altar und BUd:
Eurip. Iph. Aul. 1480 ff. iXiaott* &|jL<pl ßu>|jL6v tocv Svaaoav '"Aptepity. Callimacb.
bymn. 3, 267 icepl ßa>|jLÖv xoxXu»aaa^at. 4, 312 f. ApoU. Argon. 1, 538, daher
Soph. Oed. R. 161 a xoxXoevt' ^c^opA^ 6'p6vov thvXia ^<koou (über diesen
weit verbreiteten Gebrauch s. Grünbaum Ztschr. d. deutschen morg. Ge-
sellsch. 40, 277 f.); der Chor hält sich an den Händen: lUas S 594. Eurip.
Herc. für. 689 f. Aristoph. Thesm. 955, daher xop^v &^m[i.zv AeschyL Eumed. 307.
2) Eurip. Hei. 1312 (vgl. Iph. Aul. 1055). Aristoph. Nub. 333. Ran.
366. Gerytad. fr. bei Athen. 12, 551 c (vgl. Av. 918). Pherekrates bei Plut.
mus. 30. Lys. 21, 2 (die Handschriften haben xuxXtx<}> x^?^* ^^^ Athen. 12,
551 b). Xenoph. oecon. 8, 20. Aeschin. 3, 232 u. Sp. ; xoxXioBi^daxaXoc heisst
der Dichter Aristoph. Av. 1403. Der Vater des Arion hat den Namen Kox-
Xeuc. K6xXiO(: ist auch ein Beiname einer Art von Daktylen und Choriamben
(Christ Metrik der Griechen und Römer 8. 74). Weil in Athen der Dithy-
rambos überwog, schränken späte Grammatiker den Namen auf ihn ein.
3) Dörpfeld in A. Müllers griech. Bühnenalterth. S. 414; dies sichert
die oben gegebene Erklärung des Namens (s. auch Bergk reliq. comoed.
Att. p. 83, Wecklein PhUol. 31, 467 ff., Härtung Philol. 1, 401 ff).
4) Darum spricht Pindar in der ersten Person der Einheit und von dem
($dtpxtt>v des Dithyrambos leitete Aristoteles den Schauspieler • Dichter der
ältesten Tragödie ab.
5) Daher sagt ein Skolion (19 p. 649 Bergk) : ETO-t Xopa xaX-^ •^tvoiii.fiv
^XstpavxivY) xai {xe xaXol ical$8( fpipotev Aiovuaiov t( )^op6v.
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Chorlieder. 57
Stätte^). Weiterer Vorkehrungen, z. B. eines Gerüstes, wie
man gemeint hat*), bedurfte der Chor nicht; die Griechen
stellten aber Beobachtungen darüber an, wie der Boden be-
schaffen sein müsse, um eine gute Resonanz zu geben ^),
Höchstens zog man Linien oder unterstützte die Aufstellung
der Reihen durch schachbrettartige Pflasterung der Orchestra*)*
Nicht selten gab der Staat ohne weiteres einem bestimmten
Dichter den Auftrag, ein Festlied zu dichten, und dieser Fall
trat immer ein, wenn. ein Privatmann eine Feier veranstaltete;
bei grossen Festen hingegen, die, von Alters her abgehalten,
eine mehr als lokale Bedeutung gewonnen hatten, standen dem
Tüchtigsten Preise in Aussicht, z. B. bei dem uralten Feste
der heUkonischen Musen*). Diese Form wählten die Athener
dem demokratischen Princip der freien Konkurrenz zu Liebe,
wenn der Preis gleich nicht dem glücküchen Dichter, sondern
nominell der von dem Chor gleichsam vertretenen': Phyle
des Volkes zufiel^. Ihr glänzendstes Fest, wo Chöre von
Knaben und Erwachsenen in einen solchen Wettkampf ein-
1) Daher wurden dort von Siegern Dreifüsse aufgestellt (Isaeas 5, 41.
Plat. Gorg. 472 a. CIA. I. 422).
2) Mit der Thymele (die verschiedenen Aasichten zählt A. Müller
griech. Bohnenalterth. S. 129 ff. anf) dürfte es sich folgendermassen verhalten:
Die Tragiker gebrauchen das Wort ^o^jl^Xy] in der Bedeutung Altar oder
HeUigtum (A. Müller a. O. S. 130 A. 3. 4), andere Dichter von der diony-
sischen Orchestra (Pratinas fr. l, 2 InX Aiovu3ia8a izoXoiza'za'^aL ^oiLikoLv. Frg.
adesp. lyr. 107 p. 723. Simmias Authol. Pal. 7, 21, 3. CIG. 6750). Später
bedeutet 6v(iiXv) das in der Orchestra aufgeschlagene Gerüst (auf einem Vai^n-
bild Annali d. Inst, archeol. 1871 t. d*agg. J roh abgebildet), wo die davon
^{jLs/.ixol genannten Musiker und Sänger auftraten. Während Thomiis Mag.
p. 179R. den Sachverhalt richtig darstellt, hat Pollux 4,123 durch die Worte
sits ßrjfjid t: ouca eitt ßa>)i.6<; Verwirrung gestiftet; ß*/)}!.» ist einfach ein nnklassi-
scher Anachronismus, wie in der Anekdote Anecd. Oxon. IV 253.
3) Aristot. probl. 11, 25 ^lä xt ßxav a^^P^^^''^^ ^^ öp^'^jotpat, •Jjttov ol
yoftol '^v^iit'^aQiv; gewöhnlich waren sie gepflastert (A. Müller a. O. S. 37).
4) Linien: Hesych. u. •^^a\i.[i.a\; Schachbrett im Odeion des Herodes.
5) Eine Siegerinschrifb teilt Athen. 14, 629 a mit. (Im Text des Athe-
naioe ist icai2a>v <%a\ öcvBpÄv» hpx'^'^^^^ zu schreiben). In lasos wurde zur
Zeit Alexanders des Grossen ein Agon abgehalten, laut der Inschrift CIG. 2671,
20 p. 461. Einen Agon nimmt Fr. Thiersch (in seiner Uebersetzung Pindars
I 8. 99) auf Grund von Pind. Byth. 1, 45. Nem. 4, 37 f. 9, 54 f. auch für
manche Siegeslieder an ; vgl. auch Croisetla poesie de Pindare ^d. IL p. 42 ff.
6) S. 5 A. 4.
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58 IV. Kapitel.
traten, waren unstreitig die grossen Dionysien und ihnen zu-
nächst die Lenäen, beide den Dithyrambikern offen stehend;
zu Ehren Apollos wetteiferten an den Thargelien Chöre ^),
während die Stadtgöttin eine ähnliche Huldigung an dea
grossen und kleinen Panathenäen erhielt ^. Die Summen,
welche Athen in dem Jahrhundert von Beginn der Panathenäen
bis zu Demosthenes' Zeit für diesen Zweck ausgab, waren
riesige; man denke nur, dass Dichter und Flötenspieler^
Honorar bekamen und die Choreuten Dicht bloss zu bezahlen
waren, sondern auch einen glänzenden Unterhalt beanspruchten,
dann aber vor allem, dass der Ehrgeiz der Choregen Gold und
Purpur für die Kostüme des Chors bald unentbehrlich werden
liess. Trotz dieses verschwenderischen Aufwandes blieb Athen
die Genugthuung, einen einheimischen Lyriker von Bedeutung
aufweisen zu können^), versagt, weil die durch Talent und
Kunst dazu befähigten Männer die Tragödie vorzogen, wogegen
Sparta, der angebliche Militärstaat, zahlreiche Liederdichter
besass ^). Sowohl die äussere Ueberzahl der Poeten als die grund-
legenden Dichtungen eines Stesichoros und das musikalische
Primat, welches das dorische Argos zur Zeit Solons inne hatte %
hatten die nach griechischen Verhältnissen notwendige Folge,
dass der dorische Dialekt, wenn auch durch viele epische
Zusätze des Partikularismus entkleidet, die Kunstsprache der
chorischen Lyrik wurde.
Wie die Tragödie, ruht die Lyrik der klassischen Zeit auf
drei mustergiltigen Dichtem: Pindar, Simonides und Bakcliy-
1) DaraDf beziehen sich die 6. Bede dee Antiphon nnd die 21. des
Lysias, vgl. S. 57 A. 1 nnd Ps. Xenoph. de rep. Athen. 3, 4.
2) Lys. 21, 2, Tgl. Ps. Xenoph. a. O. Demosth. 21, 156. Ein nicht-
dionysischer Chor ist anf dem bekannten Relief des Atarbos daigestellt (L. v.
Sybel Katalog der Scnlptnren zn Athen S. 385 Nr. 6151, abgebildet bei
Benl^ Vacropole d' Äthanes, Paris 1854 n pl. 4).
3) Ein Flötenspieler gehört zu jedeo Chor; dämm hUt Aristoteles
(polit. 8, 6 p. 1341 a 33) einen Fall, wo ein spartanischer Chorführer selbst
die Flöte blies, der Anfzeichnnng für wert.
4) Plntarch. glor. Athen. 5.
5) Athen. 14, 632 f.
6) Vgl. Herod. 3, 131.
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Chorlieder. 59
•
lides^), deren grosse Stilverschiedenheit, wenn die äusseren
Zeugnisse fehlten, kaum ahnen liesse, dass sie Zeitgenossen waren.
Der älteste von ihnen war der bald nach Peisistratos'
erstem Staatsstreiche in der keischen Stadt lulis dem Leoprepes
geborene Simonides*). Der glückliche Stern, unter welchem
sein Leben dahinfloss, ebnete ihm schon in der Jugend den
schwierigen Weg zum Dichtertum. Sein gleichnamiger Gross-
vater war nämUch Dichter und, beruht auch die Angabe, dass
er noch 488 (Ol. 72, 4) in Athen einen Sieg davontrug •), auf
Verwechslung, so führte er doch auf jeden Fall den Enkel in
die verwickelte Kunst des hellenischen Lyrikers ein. Auf Keos
selbst, wo man besonders Dionysos durch Feste ehrte ^), hatte
der junge Dichter Gelegenheit genug, um die Lehre des Gross-
vaters thäüg zu erproben^). Griechenland wurde auf das neue
Grenie zuerst aufmerksam, als er unter der Herrschaft der
Peisistratiden in Athen erschien*). Dann begann ein wahrer
Siegeszug durch alle griechischen Gaue; oder verdient der
Dichter dieses Wort nicht, dessen sechsundfünfzig Ehrenpreise
gewiss kein anderer vor oder nach ihm aufzuweisen hatte ^)?
1) Von den nenn oder Eehn Elasaikem der Lyrik gehören die drei ge-
nannten in diese Periode; als die Römer unter jenen eine engere Wahl trafen,
fiel sie anf Simonides, Pindar nnd Alkaios (Hieron. epist. 53, 7).
2) Chamaileon schrieb über ihn (Athen. 10, 456c. 18, 611a. 14,656c);
Simonidis carminam reliqniae ed. F. G-. Schneidewin, Brannschweig 1885,
Fragmente bei Bergk III^ p. 382 ff.; E. Cesati Simonide di Ceo, Casale 1888.
Das Qebnrtsdatnm bei Eosebios (Ol. 55, 4 armenisch und Hieron. A, 55, 1 PS
oder Ol. 56, 1 irrtümlich ab Blütezeit bei Snidas nnd CyriU. contra Julian. I
p. 13 nnd obendrein nach OL 53 verschoben Chronicon Paschale p. 143 Dn-
cange) ist ans epigr. 147 errechnet; der Vater hiess Leoprepes: Epigr. 146.
Herod. 7, 228; Inlis: Qrabschrift bei Tzetz. Chil. 1, 685 ff. Chamaileon, vgl.
Athen. 10, 456 d; der Phratrie nach TXtxldY)^ (O. Schneider Callimaohea
n 8. 234).
3) Marmor Parinm Z. 64.
4) Halbherr Mnseo Italiano di antichitä dassica I p. 192.
5) CHuimaileon bei Athen. 10, 456 f (das Erzählte brancht allerdings
nicht gerade in seine Jngend zn fallen).
6) Ps. Plat. Hipparch. 228 c; daher wird seine Blüte von den Chrono-
graphen in diese Zeit gesetzt (Enseb. armen. Ol. 60, 4, Hieron. AF 60, 1,
P 59, 4, vnlg. 61, 8, Synkell. 62, 8, Suidas ol 3i 62); Bival des Lasos Aristoph.
Veap. 1450.
7) Orabschrift Y. 1 (55 nach Tzetz. Chil. 4, 487, einer seiner zahlreichen
OedJkhtoisfehler).
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ßO IV. Kapitel.
#
Wir können dem nnstäten Manne auf seinen Kreuz- und
<^uerzügen nicht folgen^). Marksteine seines Lebens sind zwei
Athenische Siege; den ersten trug er, als die Athener eine
Elegie auf die bei Marathon Gefallenen wünschten, über
Aeschylus davon, wie dessen Biographen melden. Der zweite
fiel 477 (Ol. 75,4) dem volle achtzig Jahre alten Dichter zu,
äIs Aristeides der Gerechte sein Chorege war*). Bald darauf,
vielleicht schon 476 (Ol. 76, 1), folgte der lebensfrische Greis
«iner Einladung Hierons und genoss in Syrakus, weil er den
Tyrannen in Dichtungen verherrlichte'), das höchste Ansehen*),
wodurch es ihm möglich wurde, einen Krieg zwischen Hieron
und dessen Schwiegervater Theron, dem Tyrannen von Akragas,
beizulegen^). Ol. 78, 1 (469/8) ist Simonides im Vollgenusse
der Fürstengmist, dem neunzigsten Jahre nahe, gestorben^);
sein Grab lag vor den Mauern von Syrakus, bis es bei einer
Belagerung zerstört wurde ^).
Dass Simonides Weltmann comme il faut war, darin
stimmen alle überein. Mit den vornehmsten und reichsten
Leuten Griechenlands stand er auf vertrautem Fuss; ich
nenne ausser Hieron die Fürsten von Thessalien und die zwei
Männer, welche Sparta und Athen im Xerxeskriege geleitet
haben ®). Nicht minder war Simonides zugleich gewissermassen
der offizielle Dichter der griechischen Freistaaten*). Der geist-
1) Eine Anekdote bei Phaedrus fab. 4, 22 zeigt ihn in Asien.
2) Epigr. 147 (notiert im Mann. Par. Z. 70).
S) Synes. epist. 49.
4) VgL den xenophontischen „Hieron". Ps. Plato epist. 2 p. 311a.
Aristot. rhet. 2, 16. Cic. nat. d. 1, 22, 60, Leo Sternbach meletemata
Oraeca p. 139.
5) Timaios bei Schol. Pind. Ol. 2, 29.
6) Mannor Parium Z. 73 (nach Suidaa Ol. 78) ; 89 Jahre alt Saidas,
90 Marm. Par., über 90 Ps. Lacian. piaxpoßioi 26. Die Epigramme anf den
Bieg am Euiymedon (105. 106. 142) sind trotz Bergk (in der Ausgabe und
de Simonidis epigrammatis in Cimonis victoriam ad Eniymed., Halle 1867)
gewiss nicht echt. Vgl. auch Br. Keil Hermes 20, 341 ff.
7) Callimach. fr. 71 bei Suidaa (Schneider U 223 ff.).
8) Aleuaden: Theocrit. 16, 34 ff. Sozomen. bist. eccl. I praef. p. 394
«d. Valesins, vgl. fr. 34; Pausanias: Ps. Plat. epist. 2 p. 311a. Plutarch.
consol. ad ApoUon. 6 a. E. = Aelian. var. bist. 9, 41 ; Themistoklee : Plutarch.
Themist. 5 a. E. = regum apophth. 8e{jLiot. 9.
9) Fr. 1-3. 82-84.
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Chorlieder. 61
reiche ' Scharfsinn des Mannes imponierte allen ^) und eine
Fülle von mehr oder minder wahrscheinlichen Anekdoten ver-
ewigte seinen unerschöpflichen schlagfertigen Witz^, dem er
doch nicht unbesonnen die Zügel schiessen Hess, eingedenk
des Spruches, Schweigen sei besser als Reden ^). Man könnte
Simonides als einen Vorläufer des Sophistentums bezeichnen,
weil er z. B. sein Gedächtnis zu ausserordentiicher Stärke
ausgebildet*) und sich mit der Reform der Orthographie^) oder
der Ordnung des Alphabetes *) befasst haben soll ; auch zeigte
er für das Geistesspiel schwieriger Rätsel Vorliebe ^). Bei solchen
geistigen Vorzügen war sein hässliches Aeussere^ nicht die
HüUe einer schöneren Seele. Die Alten stimmten nur zu sehr
darin überein, Simonides habe den Fehler der Habsucht in so
hohem Masse besessen, dass seine Muse auch einem, den er
nicht achten konnte, für Geld feil war^). Er gestand dies
selbst unverfroren ein^®) imd machte kein Hehl daraus, das»
1) Plat. rep. 1, 331 e <3o«pö<; xal ^etoc 6 ivf^p; p. 335 e ist er mit Bia»
und Pittakos znsammengesteUt.
2) Ephoros bei Athen. 8, 352 c. Chamaileon bei Athen. 14, 656 cd u. s. w,
3) ApoUon. Tyan. epist. 81.
4) Wegen fr. 146 heisst er Erfinder der Mnemonik (Marmor Parium
Z. 70. Plin. nat. bist. 7, 89. Suidas, ygl. Gast. Jak. Cnrtmann Simonide»
et Pytbagoras artis mnemonicae inventores, Giessen 1827; Karl Morgen-
iftern de arte vetemm mnemonica, Dorpat 1885). Daran knüpft sich die
brannte Anekdote vom Einsturz des Skopadenpalastes, nachdem der Dichter
Ton den Diosknren heransgerafen worden war (Callimach. fr. 71; Qaintilian.
11, 2, 11 ff. citiert ausser diesem Enphorion, ApoUodoros, Eurypylos und
Apollas, 8. auch Cic. de or. 2, 86, 351 f. Phaedr. 4, 25 (26). Val. Max. 1, 8
ext, 7, Aristid. or. 26 p. 512, 18 ff. Dind. Alciphr. epist. 3, 68, 2; vgl. Lehr s
populäre Aufsätze S. '387). Den Anlass zu dieser Fabel gab offenbar das
Trauerlied auf Skopas, worin wahrscheinlich das verhängnisvolle Gastmahl
anschaulich geschildert war.
5) Er erfand (!) H und ö (Plin. nat. bist. 7, 57. Schol. Dionys. Thr.
Villolson, Anecd. Gr. n p. 187 mit Wachsmuth Rhein. Mus. 20, 376. Tzetz.
Chü. 12, 52) oder diese und S^F (Suidas, vgl. Plutarch. symp. 9, 3, 2).
6) „Einige'* bei Lucian. jud. vocal. 5.
7) Chamaileon bei Athen. 10, 456 c ß,
8) Plutarch. Themist. 6 a. E.
9) Schon der alte Xenophanes schalt ihn xt|jLßi$ (Schol. Aristoph. Pac.
698 [696]) ; s. auch Aristoph. Pax 697 flf. Plat. Protag. 346 b. Aristoph. eth.
Nioom. 4, 2 p. 1121 a 7. Callimach. fr. 77 u. Sp.
10) Synes. epist. 49.
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^2 IV, Kapitel.
ihm Reichtum mehr imponierte als Geistesgaben ^). Die Medi-
sauce erzählte von der leeren Geldtruhe, durch welche der
Dichter seine Wünsche bezüglich des Honorares stumm aus-
sprach ^^ dann wie geldgierig er sich zeigte, als er den Sieg
«ines Maultiergespannes besingen sollte ') ; dass Simonides keine
Hymnen auf die Götter verfasst habe, weil er dafür kein Geld
1KU erwarten gehabt, ist zwar nicht wahr, aber gut erfunden^).
Uebrigens lebte der Dichter ungeachtet aller Skrupellosigkeit *)
trotzdem nicht in glänzenden Verhältnissen ^. Geldgier befleckte
seinen Charakter nicht allein; von Themistokles verlangte er
einen ungerechten Urteilsspruch ^) und alle betrog er , ausser
die Thessalier, weil sie zu einfältig waren, als dass er ein
Vergnügen an der üeberiistung gefunden hätte ^. Wenn man
Simonides den griechischen Voltaire nennt, dürfte man dem
-Charakter keines von beiden Unrecht thun.
Bei Simonides trat, so viel wir wenigstens wissen, das
Ohorlied zuerst in den Dienst Einzelner^), indem er für ver-
schiedene, welche bei den Nationalspielen einen Sieg errungen
hatten, Festlieder schrieb**^), so für Skopas, den rheginischen
Tyrannen ^naxilas, Xenokrates von Agrigent und Glaukos
von Karystos. Von diesem letzten versicherte er, selbst Poly-
deukes und Herakles würden sich nicht mit ihm in einen
Faustkampf einlassen"). Wie glänzend muss der Mann ihn
1) Aristot. rhetor. 2, 16 p. 1391 a 8 flf.
2) Platarch. de sera nnm. Tind. 5 p. 555 f. Aigam. Theocrit. XVI.
Stob. flor. 10, 39. Schol. Aristoph. Pac. 698 (699). Tzete. Chü. 8, 228 ff.
317 ff., zum Guten gewendet Platarch. curios. 10. Vgl. Bergk zu fr. 239.
3) Aristot. rhet 3, 2 p. 1405 b 23. HeracUd. poUt. 25.
4) Tzetz. Chil. 8, 833 f.
5) Noch anderes erzählt Chamaileon (Athen. 14, 656 d).
6) Vgl. Aristophanes bei Tzetz. Chil. 1, 623. Phaedros 4, 22, 2.
7) Platarch. regam apophth. Bsfiiot. 9. Themist. 5 a. £.
8) Plutarch. and. poet 1.
9) Es ist daher nicht ganz falsch, wenn einige behaupten, Simonides
habe znerst Siegeslieder fclr Geld geschrieben (Schol. Aristoph. Pac. 698.
Schol. Pindar. Isthm. 2, 9. Tzetz. Chil. 10, 788. 8, 816).
10) 'E^xcopLia Suidas, tntv^xta Theophyl. Balg, epist. 8. Sie worden nach
4er Eampfart geschieden: TtO'pticita fr. 14, izivxa^Xa fr. 12, ticivtxoi $po}iioc
bei Eallimachos (Schneider II p. 689 ff. ; Bergk p. 384 f.).
3) Fr. 8.
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Chorlieder. 63
bezahlt haben! Zugleich sieht man aber, wie er die Poesie
verweltlichte.
Nächstdem behandelte Simonides zuerst eine andere Art
der Lyrik, während sie zuvor in der Hand professionsmässiger
KJagefrauen gelegen war: Das Trauerlied (dp^voc)^). Sein
berühmtester Threnos galt dem thessaUschen Fürsten Skopas,
den samt seinem Neffen der einstürzende Palast erschlagen
hatte« Abgesehen von solchen privaten Wünschen hatte Simo-
nides in offiziellem Auftrag ein PreisUed auf die Helden von
Thermopylä zu dichten*). Bald darauf musste er den Sieg
von Artemision besingen (Fr. 1 — 3) und der gleiche ehrenvolle
Auftrag wurde ihm nach der Schlacht von Salamis zu Teil,
doch wählte er diesmal die elegische Form*), wonach die im
Kampfe Gefallenen und nicht die überlebenden Sieger im
Mittelpunkt des Gedichtes gestanden sein dürften.
Im übrigen lauten die Nachrichten über den Umfang von
8imonides' Thätigkeit sehr unbestimmt. Man spricht von
Hymnen, z. B. auf den olympischen Zeus*) und Poseidon,
und von Päanen^), wozu noch, was die äussere Form anlangt,
Tanzlieder, in denen seine Meisterschaft anerkannt war*), und
dorisch komponierte Lieder für Mädchenchöre ^) erwähnt werden.
Die in Athen erlangten Siege setzten Dithyramben voraus, auf
die sich dann auch die Titel Europa, Memnon und Danaes
Klage beziehen^). Von der simonideischen „Tragödie** soll
später die Rede sein. Von der zweifelhaften Zuverlässigkeit
der berühmten Epigrammensammlung wurde bereits (S. 38 f.)
gesprochen^.
1) Acro in Horat carm. 2, 1. Fr. 32—36.
2) Fr. 4 (bei Diodor bezeugen die Worte r^%m\i.ioy iv ^ \i^9i die Selb-
stfi&digkeit des Credichtes).
3) Snidas.
4) Fr. 20. Aas Himer. or. 5, 2 wird nicht klar, ob er Elis in einem
eigenen Liede oder in der Einleitung des Hymnus pries. In letzterem Falle
behandelte er den Hymnus wie ein Loblied auf einen Menschen.
5) Snidas, daraus stammt wohl it. 26 a. Sehr bedenklich ist das Citat
iv %ax9oyaiq fr. 24.
6) Plutarch. symp. 9, 16, 2; 6«opx-fi|x«'^<* fr» 30. 31.
7) Plutarch. mus. 17 («ap^veta).
8) Fr. 28. 27 corr. 37.
9) Die Geschichte der Regierung des Kambyses und Dareios in dorischer
Knndart (Suidas) gehört ohne Zweifel dem jüngeren Simonides.
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H4 IV. Kapitel.
Simonides sucht das Poetische in milder Anmut und
sanfter Rührung ^) , nicht in erschütterndem Pathos. Für
ersteres ist sein vielberufener Vergleich, die Poesie sei eine
sprechende Malerei, charakteristisch *) ; in der That ragt er
gerade in malerischen Schilderungen hervor* Ebenso gelangen
ihm die rührenden Trauerlieder bei weitem am besten'). So
fehlt denn auch seinem Stil das Grossartige und Leidenschaft-
Uche, denn er spricht einfach und schUcht, ohne besondere
Reizmittel aufzuwenden*), aber gerade die scheinbare Natürlich-
keit und das Treffende des an sich begrenzten Ausdrucks^)
rufen einen angenehmen Eindruck hervor, den die Alten gerne
mit der Süsse des allbeliebten Honigs vergUchen haben ^).
Alle Vorzüge seines Talentes wirken in der berühmten Klage
der Danae zusammen, wo die unglückliche Königstochter, von
den Meereswellen getragen, ihr ahnungslos schlummerndes Kind
anredet. Alle Wörter sind hier fein gewählt, fast jedes Haupt-
wort ist durch ein Epitheton gemalt oder doch geschmückt,
und dabei setzt der Dichter die Worte so klar, dass das Lied
dem Verständnis keine höheren Schwierigkeiten als Prosa bietet,
wie der Rhetor Dionysios, dem wir diesen kostbaren Rest
keischer Nänie verdanken, bemerkt''). Ueber technische Eigen-
tümlichkeiten des Simonides verlautet leider wenig bestimmtes®);
1) Cic. nat. d. 1, 22, 60 poeta suavis. Quintil. 10, 1, 64 jucunditate
quadam commeDdari potesti Dionys. vet. Script, cens. 2, 6 xb olxTtfeod-at ji*^
2) Plutarch. glor. Athen. 3.
3) Vgl. Dionys. Halic. vet. Script, cens. 2, 6 (s. o.). CatnU. 38 Ceae
lacrumae. Horat. carm. 2, 1, 38 Ceae naeniae. Quintil. 10, 1, 64. Aristid.
or. 11 p. 134 (126 D.). Basil. epist. 379 (74) col. 445 b Migne. Georg. Gale-
siota bei Leo Allatius, de Symeonum scriptis p. 210.
4) Vgl. Labbert de elocutione Pindari p. 3 flf. Tennis Quintil. 10, 1, 64.
5) Dionys. a. O. StficuviSoo Sc naparfjpsi rJjv txXo7">|v täv ^vojidttcov, rrjc
cov^^ocüx; rrjv ^ixptßsiav. Quintil. 10, 1, 64 sermone proprio.
6) Er hiess „Jti xb tjSo" MeXtxlprrjc (Suidas); 4j8üfi6Xt5pd'(yfXOC Anthol.
9, 571, 2; Y>^ox6p'i| oeXtc Anthol. 9, 184, 5.
7) Compos. verb. 26 a. E. (Fr. 37); Ahrens ^imonidis lamentatio
Danaae, Hannover 1853; C. Volckmar Philol. 7, 743 flf.; F. Nietzsche
Rhein. Mus. 23, 480 AT. und Fr. Blass PhüoL 32, 140 ff. versuchen, das
Erhaltene auf Grund der Worte des Dionysios antistrophisch zu gliedern. Es
ist kein Grand, das Lied zu den d-p-yjvot zu rechnen. [Wilamowitz Isyllos p. 147].
8) Aristoph. Av. 917 ff, werden xax^ xa Si}ia>vidoo neben x6xXia und
«ap^-evEta genannt.
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Chorlieder. 65
ein paar Versmasse tragen seinen Namen ^) und nach Suidas
führte er den dritten f^ö^Yoc auf der Lyra ein*).
Simonides' Reichtum an geistvollen Gedanken und seine
höfische Glätte gewannen ihm die Gebildeten. Selbst, Plato
stellte ihn hoch genug, um ihn in einem Atem mit Homer
und Hesiod zu nennen'). Allerdings war auch für Simonides
eine Zeit, wo er den leidenschaftlichen Verehrern der fortge-
schrittenen Musik altmodisch vorkam, hereingebrochen *). Noch
die alexandrinische Gelehrsamkeit kümmerte sich um seine
Dichtungen wenig; höchstens hat vielleicht Aristophanes das
Verständnis seiner Versmasse geklärt^). Im ersten Jahrhunderte
vor Christus jedoch begegnen wir vielleicht von dem auf-
blühenden Atticismus veranlasste Urteile, welche den Wettstreit
zwischen Pindar lind Simonides durchaus noch nicht endgiltig
zu Gunsten des ersteren entschieden erscheinen lassen^. Nun
behandelte Tryphon den Dialekt des Keers'') und Palaiphatos
lieferte die notwendigste Vorarbeit für einen Kommentar, indem
er Einleitungen zu den einzelnen Gedichten schrieb*). Noch
unter den Kaisern gab es Bewunderer der simonideischen Manier,
zu ihnen gehörten der Elegiker Mnasalkas von Platää^) und
der ägyptische Lyriker Pankrates, ein Zeitgenosse Hadrians ^^,
Indes wurde Simonides offenbar viel mehr gerühmt als gelesen,
andernfalls müssten von seinen Dichtungen, die Epigramme
ungerechnet, zahlreichere Fragmente vorhanden sein. Wirklich
populär war er nur als Epigrammendichter, wobei man es mit
der Echtheit nicht eben genau nahm.
1) Die daktylische Tetrapodie (Servios 3. Victorinos 2, 2, 34. Plotins
3, 60) und Pentapodie (Victorin. 2, 2).
2) Plin. nat. hist. 7, 57 schreibt ihm die Erfindung der achten Saite zn.
3) Protag. p. 316 d.
4) Aristoph. Nub. 1362 und EapoHs (?) fr. 139 bei Athen. 14, 638 e.
5) Dionys. Halic compos. 26.
6) Vgl. Dionys. vet. Script, cens. 2, 6. Philodem, de mosica IV ooL
26, 32 f. p. 96. 29, 28 f. p. 99 ed. Kemke; im Titel des Werkes von Tiyphon
stand Simonides an der Spitze der Lyriker.
7) Snidas n . Tpotpoov ; in unserer Zeit schrieb Überdieselbe Frage W. S c h a n m-
berg qnaestiones de dialecto Simonidis Cei Bacchylidis Ibyci, Pr. t. Celle 1878 ;
A. F ü h Ter , Sprache und Entwickelnng der griech. Lyrik, Progr. t. Münster 1885.
8) Snidas: Sicod-Ioeic tlc SifjLtt>vt8Y)v.
9) Tbeodoridas Anthol. Pal. 13, 21.
10) Plutarch. mns. 20 (vgl Athen. 15, 677 d).
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur ni. 5
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66 rV. Kapitel.
Simoiiides' Neffe ^) eiferte seinem Beispiele rühmlich nach.
Bakchylides hatte, offenbar durch den Oheim eingeführt,
die Ehre, für Gelon und Hieron Lieder zu verfassen *) } letzterer
berief ihn überdies persönlich zu sich und soll dem gewandten
Intriganten vor Pindar den Vorzug gegeben haben'), wofür
sich der thebanische Meister, wie die Alten behaupten, durch
verschleierte . Angriffe in seinen Gedichten rächte*). Weniger
glücklich als Simonides, musste sich Bakchylides den gross-
mütigen Fürsten durch den Tod entrissen sehen und dazu kam
noch, dass Keos die Verbannung über ihn verhängte; so starb
er weder zu Hause noch am Fürstenhofe, sondern als Flüchtling
irgendwo im Peloponnes *). Mehr ist über sein Leben nicht
tiberliefert, weil Bakchylides wahrscheinlich zu anderen Fürsten
oder Bürgerschaften keine Beziehungen hatte und in Athen,
wenn anders er je dort weilte, nie durch einen grossen Erfolg
Aufsehen erregte^). Und doch hatte sich sein Leben wahr-
scheinlich bis zum Anfange des peloponnesischen Krieges
erstreckt^).
Die Citate der Dichtungen des Bakchylides®) sind so spärlich,
dass aus ihnen ein klares Bild seiner Richtung nicht entsteht.
Die religiösen Dichtungen nahmen bei ihm wahrscheinlich viel
mehr Raum ein als bei Simonides; man nennt Päane (Fr. 13
bis 16), apollinische wpoocpSCat (Fr. 19 — 21), Hyporcheme (Fr. 22),
Dithyramben (Fr. 16 — 18) und viele JungfrauenUeder in dorischer
1) Strabo 10, 486 (daher verlegt Eusebios seine Blüte in das Todesjahr
des Simonides, OL 78, 1, armenisch 78, 3); der Vater hiess nach Suidas
Medon (in den Handschriften MaiScuv) oder Meidylos (so nenut ihn auch
Etym. Magn. p. 582, 20) ; ans Julis fr. 58.
2) SchoL Aristid. p. 317, 31. 36 Dind. ; s. z. B. fr. 6 mit Beigks Note.
3) Aelian. var. hist. 4, 15; Schol. Find. Pyth. 2, 166 u. „einige" zxx V. 131.
4) Z. B. Ol. 2, 95 ff. s. Schol. Ol. 2, 154. Nem. 3, 143. Pyth. 2, 97.
131. 161. 166. Schon Fr. Aug. Wolf Vorlesungen über die Altertumswiss.
n S. 229 zweifelte daran.
5) Plutarch. de exilio 14.
6) Vgl. ü. Y. Wilamowitz Hermes 20, 70; Kpaval^av Antiioi. PaL
6y 313, 2 ist nur eine schlechte Koigektnr.
7) Eusebios setzt Ol. 87, 2 (Hieion., 87, 1 P, 87, 3 armen.) allerdings
zum dritten Male seine Blüte an (das zweite Mal steht er neben Empedokles,
Ol. 82, 2 oder 1, weil er dessen vieUeicht Erwähnung that oder eine empedo-
kleisch scheinende Lehre vortrug).
8) Fragmente gesammelt von Ch. F. Neue, Berlin 1822; Bergk III* p. 569 flf.
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Chorlieder. ' 67
Tonart*), dazu im allgemeinen Hymnen (Fr. 11. 12)*) und
Geleithymnen*). Diesen stehen nur drei Fragmente von Sieges-
liedem (Fr. 1. 2. 4) entgegen; das Traueriied fehlt ganz, wo-
gegen Bakchylides Liebeslieder verfasste*).
Korrektheit und Glätte zeichneten Bakchylides in noch
höherem Grade als seinen Oheim aus^). Die poetische Klein-
malerei ging bis zur Weitschweifigkeit % wovon die »Schilderung
des Friedens im dreizehnten Fragment eine Probe gibt (Fr. 13).
Dazu passt es vortrefflich, dass er ähnlich wie Simonides die
Malerei zum Vergleiche beizieht ^). Auch bekundet er Neigung
zur Allegorie^), durch welche die dichterische Unmittelbarkeit
Schaden leidet. Schöpferisches Talent scheint der Dichter
nicht besessen zu haben, denn die Geschichte der Musik
schweigt von ihm und in der Metrik hat er weniges geneuert^);
im Gefühle seiner Abhängigkeit betont er demgemäss, dass
alles Wissen auf UeberUeferung berulie^^).
Da Bakchylides unter die neun oder zehn Musterschrift-
steller der Lyrik Aufnahme gefunden hatte, versah der emsige
Didymos seine Dichtungen mit einem Kommentar ^^). Dank
seiner die Rhetoren anziehenden Korrektheit wurde er in der
Kaiserzeit lange gelesen : Horaz bearbeitete ein Gedicht in
der fünfzehnten Ode des ersten Buches^*). Stobaeus' Blumen-
lese enthält nicht wenige senteuziöse Stellen aus Bakchylides
1) Plutarch. mus. 17.
2) A.uf die itoniache Athene fr. 23 u. Delos (SchoL Callim. in Del. 28).
3) *TjjLvot aitoitcfwtttxot (für Städte, wo man das Scheiden einer Grottheit
feierte) Menandros in Walz' rhetores Gr. IX p. 132, 11 (Ivtot). 140, 5.
4) 'EpwTtxof fr. 24 (nachJWelcker kleine Schriften I S. 233 KatStxol
8^voi), 8. S. 42; Bergk nimmt auch icapoivca au (fr. 27, 28).
5) IIcpl Sij'ooc 33, 5 wird er mit Jon zu den ciStaictüutot xal $y t(f>
«CXa^opcp xexaXXiYpa?''}}J'^voi gerechnet.
6) Aa>.8 Sttp-f^v Anthol. 9, 184, 1; >.apa «pd-EYSato Anthol. 9, 571, 4.
7) Ammian. 25, 4, 3.
8) O. H e n s e poetische Personifikationen in griechischen Dichtern S. X. 201 .
9) Atil. Fortunat. de arte metr. 1, 4, 14. Serv. centim. 2, 5 p. 459, 19 K.
Kach Hephaistion c. 13 verfasste er ganze Lieder in kretischen Rhythmen.
10) Fr. 14, 1 etepoc 14 kxipoo oocpoc x6 te TcdXai x6 xc vöv.
11) 'Ev &icojivY|jiaTt Dax^oXtSoü eictvtxwv Ammonius p. 97 Valck.
12) So behauptet der Kommentar des Porphyrio ; vielleicht gab ein Dithy-
rambofl „Eassandra" das Vorbild ab.
5*
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68 rv. Kapitel.
und der Kaiser Julian war sogar ein ausgesprochener Verehrer
des keischen Dichters *).
Mochten Simonides und Bakchylides auch zu Lebzeiten
durch verschiedene Mittel mehr äusseren Erfolg als Pin dar
haben, der Wahrspruch der Zeit hat diesem nicht allein einen
Platz weit über ihnen, sondern auch an der Spitze der griechischen
Lyriker überhaupt zugesprochen.
Waa die alten Biographien dieses genialen Lyrikers anlangt, so haben
wir von gesonderten Biographien des Peripatetikers Chamaileon (Athen.
13, 573c) and des bekannten Plntarchos (Sopatros bei Phot. bibl. 16t
p. 104 b 3. Eostath. Z. 2) Kunde, unter den erhaltenen (vgL E. von
L e n t s c h Philol. 11, 1 ff. , gesammelt in Westermanns ßtoYp^foi p. 90 £f.
nnd in den Piodaransgaben) ist die relativ älteste in Hexametern nach
Nonnos' Muster, also nicht vor dem fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung
verfasst (A. L u d w i c h Rhein. Mus. 34, 357 flf., wo sie S. 359 f. wieder ab-
gedruckt ist, über die Handschriften E. A b e 1 a. O. S. 368 f. Wir bezeichnen
sie im Folgenden mit v). Diese Biographie nahm der gelehrte E u s t a -
t h i o s (damals noch Diakon) in die Einleitung seines Pindarkommentar»
auf, nicht ohne seinerseits eine selbständige Biographie in Prosa voranzu-
schicken (üpoXoYO? tÄv üivSapixüuv KapcxßoXwv, zuerst von Tafel Eustathi
opuscula p. 53 flf., separat von Schneidewin, Göttingen 1837 veröftentlicht).
Femer enthält der codex Rehdigeranus A einen wichtigen anonymen Bio^
I\ivh&poo (im folgenden mit V bezeichnet), den zuerst E. C. Sch-ueider
apparatus Pindarici snpplem. ex codicibus Vratislav. , Breslau 1844 p. 44 ff.
bekannt^ machte ; mindestens Z. 27^30 gehen in letzter Instanz auf Plutarcb
zurück. Ebenso wertvoll ist der Artikel IltySapoc im Lexikon des S u i d a s.
Thomas Magistros entlehnte für seine ScholiE;n aus einem älteren
Kommentar eine unbedeutende Biographie, die er etwas überarbeitete.
In neuerer Zeit ist das' Leben Pindars oft dargestellt worden. Unter
den biographischen Einleitungen der erklärenden Ausgaben verdienen die von
B ö c k h (Bd. U 2 S. 13 ff.) und Schneidewin verfassten besondere Er-
wähnung ; gesonderte Biographien schrieben Tycho Mommsen Pindaros.
Zur Geschichte des Dichters und der Parteikämpfe seiner Zeit, Kiel 1845 v
Georg Bippart Pindars Leben, Weltanschauung und Kunst, Jena 1848;
Leopold Schmidt Pindars Leben und Dichtung, Bonn 1862 (gegen ihn
richtet sich Fr. Mezger disputationes Pindaricae H. Progr. von Augsburg
1873) ; Ed. Labbert Pindaros von Kynoskephalä. Rede , Kiel 1878 und
Pindars Leben und Dichtungen, Vortrag, Bonn 1882.
Alle diese Schriften erstrecken sich mehr auf die Dichtungen als auf die
Person des Dichters; die ausgesprochene Absicht, in das richtige Verständnis
jener einzufahren, haben Rudolf Rauchenstein zur Einleitung in Pindars
Siegeslieder, Aarau 1843 und Alfred Croiset la podsie de Pindare et les
lois du lyrisme grec, Paris 1880, 2. Aufl. 1886. Wir reihen diesen Büchern
1) Ammian. 25, 4, 3.
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Chorlieder. 69
«inige Schriften von populärer Form an, welche aich in derselben Richtung
bewegen : Vanvilliers eesai sur Pindare, Paris 1772; Sommer le
•caractöre et le g^nie de Pindare , Paris 1847 und Villemain essais sur
Pindare et sur la po^ie lyrique dans ses rapports avec T^lövation morale et
religieuse des peuples, Paris 1859.
Eines der ältesten Adelsgeschlechter der hellenischen Nation
war es, aus welchem ihr gefeiertster Lyriker hervorging. Nach
mannigfachen Wechselfellen hatte ein Zweig der Aigeiden in
Theben einen festen Sitz gefunden und der böotischen Bürger-
schaft sich eingegliedert, wobei er indes weder seine ruhmvolle
Oeschichte vergass noch den uralten Familienkult des karneischen
Apollo aufgab*). In Theben am Dirkebach stand im Schatten
von Heiligtümern das Haus des Dichters*); geboren ist er aber
nach der Ueberlieferung in einer auf den Kynoskephalaihügeln
gelegenen Villa*). Wann der berühmte Mann das Licht der
Welt erblickte, wusste niemand mit Bestimmtheit zu sagen.
Er selbst hat mit dem Selbstgefühl eines Lieblings des Musen-
gottes das eine verkündet, dass es während der grossen pythischen
Festspiele (also im dritten Jahre einer Olympiade) geschah*).
Demnach wurde er im delphischen Monate Bukatios (August —
September) und zwar vermutlich dem des Jahres 522 (Ol. 64, 3)
geboren ^).
1) Pyth. 5, 72 ff., vgl. G. Hermann Berichte der sächs. Gesellschaft
der Wiss. I (1848) S. 221 ff. = oposcola 8, 93 ff., Ranchenstein Zeitsch.
f. Altertomsw. 1847 Sp. 736 ff., Tycho Mommsen Piudaros 8. 10 ff. und
Ztscbr. t Altert. 1846 Nr. 1, 2, Lübbert in Pindari locum de Aegeidis et
sacris CamelB, Progr. der üniv. Bonn 1883; bestritten von G. Gilbert
Stodien zur altspartanischen Geschichte S. 65 f. und L. Bornemann Pbilol.
43, 79 fl:
2) Pyth. 3, 77 ff. mit Schollen ; Anonymus bei Steph. Byz. u. Kovoa-
xtffokai; Pausan. 9, 25, 3; Theben ist ihm daher seine Mutter, die ihn er-
zogen (Isthm. 1, 1, fr. 180).«
^ V 1. Steph. Byz. s. v., daher vielleicht BoiMtESsc SXat Mosch. (?)
B, 88 (89). Eust. 3 und Thom. 4 leiten vermittelnd die Eltern aus Eynos-
kephalai her. Dass dies nicht einmal eine Ortschaft war, zeigt Xenoph.
Ages. 2, 22.
4) Fr. 175 bei Plutarch. symp. 8, 1.
5) So nehmen Böckh, Schneidewin, Bemhardy, L. Schmidt (S. 8 f.) und
Andere in üebereinstimmung mit Synkellos, nach welchem die Blütezeit des
Dichters Ol. 74, 3 (Euseb. armen, u. Hieron. 73, 2, B 73, 1, PF 73, 3) fiel,
AH, wfthrend G. Hermann (opuscula 2, 161), T. Mommsen (S. 28 ff.) u. Bergk
jm Ol. 65 festhalten; aber Snidas* Angabe beruht, wie der Zusatz xat^ rrjv
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70 IV. Kapitel.
Der Weg zur Poesie lag geebnet vor dem Knaben, denn
abgesehen davon, dass die Familie vermögend war^), regte der
erwähnte Kult des kameischen Gottes die AigeYcJen zur Pflege
der musischen Künste an und obendrein war Theben ein
günstiger Ort wie wenige, um die musikalische Technik voll-
kommen zu erlernen; zudem war das Rittertum in der Familie
ohnehin durch den auf dem Anstand und in den Gymnasien
seinen Mann stellenden Bruder Eritimos würdig vertreten^.
So wurde Pindar in der Verehrung der Musen auferzogen ^).
Wie gewöhnlich, gönnten die Gelehrten die Ehre der Lehrer-
schaft vielen*), allein nur der thebanische Flötenspieler Skope-
linos *) und der athenische Chormeister Agathokles oder Apollo-
doros scheinen einen ernsthaften Anspruch darauf zu haben ;
letzterer weihte den jungen Pindar in die Führung lyrischer
Chöre ein und Hess sich von ihm vertreten^).
Als er dann selbständig aufzutreten begann, wie hätte es
ihm fehlen sollen, da er durch Abkunft und Verschwägerung ^)
Hip5oü oTpatetav wv Itäv jjl' zeigt, auf dem verbreiteten Synchronismus von
Pindars Blute und dem Perserkriege (Diodor. 11, 26, 8. v 21 ff. E 45. V 35 ff.
Thom. 9. 15. Schol. Isthm. 5 (4), 60). Pindar kann sein erstes Lied nicht
schon mit sechzehn Jahren verfasst haben.
1) Nem. 1, 31.
2) Fr. 180.
3) V 4.
4) Lasos (E. 10. Thom. 6), und Simonides (E 32 <faoi. Thom. 55) sind
als die berühmtesten unter Pindars älteren Zeit- und Eunstgenossen genannt v
warum man ihnen die Böoterinen Murtis (Suidas, s. aber Ck)rinn..fr. 12) und
Korinna (s. S. 47, 1) beigibt, liegt auf der Hand.
5) Dieser wurde von einigen (E 6. V 3 Ivtoi. Thom. 2 ol Sl, nach einigen
identisch mit Daiphautos E 11. Thom. 3) Pindars Vater, von anderen ver-
mittelnd sein Stiefvater genannt (Suidas. E 13. V 3 tivl^. Thom. 4 ol 2i)»
Für den Vater geben wieder andere den Namen ^Aat<pavtoc (E 6. V 2. Thom.
1. 3. Philostr. imag. 2, 12. Steph. Byz. u. Kuvooxe(pa)^ai. Tzetz. Chil. 1, 8.
618. Aus Aatcpdvtoo machte v 2 das unbdotische AaTcpdvrqc , s. Ludwich a. Or
S. 365; AaTtpavtüpac Tzetz. Anecd. Ozon. III 350, 3), der aus Pindars gleich-
namigem Sohn (v 25. E 20. V 41) erschlossen sein dürfte, oder na^cuvSa^
(E 4. V 2 fvtot. Th. 3 ol U) an.
6) E 79 ff. (9aot\ V 10 ff.; Agathokles v 11. E. 79. V 10 (ol ji.{v).
Apollodoros 6 to6c 5(i.vooc YP^^'^^ ^^ ^o° Erotianos p. 366 (Bergk m*
378) einmal angeführt.
7) Pindars Mutter hiess Kleodike (v 2. E 14 elol h'ol. V cod. Ambros.);
bei Myrto (E 7. Th. 4), d. h. Myrtis trat eine ähnliche Verwechslung von
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Chorlieder. 71
freundschaftliche Beziehungen zu den vornehmen Geschlechtern
griechischer Städte überkommen haben dürfte? Ein Anderer
wäre schwerlich, erst zwanzig Jahre alt und noch unberühmt,
von den stolzen Aleuaden Thessaliens beauftragt worden, den
pythischen Sieg eines ihrer Familienmitglieder zu besingen,
wie es Pindar im Jahre 502 (Ol. 69, 3) widerftihr. Sein
Erstlingswerk — wir kennen wenigstens kein früheres*) —
liegt noch vor; es ist die zehnte pythische Ode. Leider ist es
uns versagt, die erhaltenen und verlorenen Dichtungen Pindars
in eine zuverlässige Zeitfolge zu bringen, woraus hervorginge,
wie Pindar äusserlich seine Klientel, innerlich Wirkensgebiet
und Kunstfertigkeit nach und nach erweiterte^. Doch hebt
sich die glänzendste Episode des Dichterlebens bestimmt ab.
Die erste Gelegenheit, dass Pindar mit dem erlauchten
Protector der Poesie in Syrakus eine Verbindung anknüpfte'),
bot sich, als ein Fohlengespann Hierons in Theben beim
Heraklesfeste den Preis erhielt*). Damals — es war aller
Wahrscheinlichkeit nach das Jahr 477 (Ol. 75, 4) ^), als
Hieron kaum ein Jahr den Thron inne hatte — sandte Pindar
Ab<ttammuDg und Lehre ein, wie bei SkopeÜDOS. Pindars Fran Megakleia
(E 21. V 40) oder Timoxena (v 24) entstammte möglicher Weise dem Alk-
meonidengeschlechte (T. Mommsen S. 19).
1) Für die zwanzig Jahre passt auch der Ausdruck veavcoxo^ bei Pausan.
9, 23, 2. 3 gut.
2| Leop. Schmidt (s. S. 68, dazu de justa ratione interpretationis
Pindaricae, ind. lect. hib. Marburg 1864, Gommentatt. in hon. Mommseni
p. 48 ff. und supplementnm quaestionis de Pindaricorum carminum chrono-
logia, ind. lect. von Marburg 1880) yersncht an den erhaltenen Oden den
Entwicklungsgang seines Talentes nachzuweisen und daraus die Zeitfolge der-
selben zu bestimmen.
d)Lübbert de Pindari poetae et Hieronis regis amicitiae primordiis
et progressu, ind. lect. aest. von Bonn 1886; über die sicilischen Oden s. W.
Watkins Lloyd the history of Sicily to the Athenian war with elucidations
of tbe Sicilian ödes of Pindar, London 1872, Buch 11.
4) Die Alten nahmen einen pythischen Sieg an, aber Fohlengespanne
worden zu den Festspielen von Delphi erst viel später zugelassen. Böckh
verweist auf V. 3; ein Jolaosfest' ist nach Didymos bei Schol. Nem. 4, 32
ausgeschlossen.
5) Vgl. y. 18 f. mit Bdckh's Bemerkung; Bergk I* p. 6 setzt die Ode
später.
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72 IV. Kapitel.
mit dem Schiffe, das die Freudenbotschaft überbrachte^), die
zweite pythische Ode an den Fürsten. Dieser nahm sie wohl-
ge&llig auf und wählte seinerseits, als er im folgenden Jahre
(476)*) einen olympischen Sieg errang, unseren Poeten zum
Festdichter. Pindar dankte ihm dies ehrenvolle Vertrauen
durch „das herrlichste aller Lieder,"*) die erste olympische
Ode, deren Vortrag er gewiss keinem Fremden überliess*).
Schwerlich blieb Pindar damals für längere Zeit, nach Art des
Simonides, im königlichen Palaste; aber 473/4 war er wieder
in Syrakus, um die dritte und bald darauf (Ol. 76, 3) die erste
pytliische Ode aufzuführen^). Auch Hierons Schwager Ohro-
mios übertrug Pindar die Verherrlichung zweier Siege, doch
steht über die Zeit derselben nicht mehr fest^ als über die
Olympiade, wo Hierons treuer Helfer Agesias, der Held der
sechsten olympischen Ode, einen Preis erhielt; Pindar sandte
ihm das Lied aus Theben in seine alte Heimat Stymphalos
1) y. 3 f. 67 f. (xata ^oiviooav tfiicoXov hiesse prosaisch : mit parpamem
S^el).
2) Ol. 76 nach Didymos (Schol. V. 33), ebenso Bergk p. 3 f. 480, Alb.
de Jongh Pindarica, Utrecht 1845, Lübbert a. 0. S. Vff. wegen Pausan.
6, 9, 4; Ol. 77 (472) nach Böckh, Bastgen quo tempore et consilio Pindarus
Carmen Olymp, ü. et III. composnerit, Diss. v. Münster 1883 S. 11 flf., Mezger
und Leop. Schmid^ Ck)mmentatt. in hon. Momms. p. 48 ff. mit Berufung
auf den Schollasten, aber dessen Angabe ist verderbt, s. Lübbert S. VI.
3) Lncian. gall. 7.
4) Vgl. auch V. 17 f.
5) Wegen nap 'Alxvaiov 4^vov V. 69 ist die dritte nach der Gründung
Ton Aitna Ol. 76, 1 verfasst; hingegen ist der pythische Sieg von Ol. 76, 3
(nach Bergk 77, 3) noch nicht erwähnt.
6) Nem. I. ist nach Böckh Ol. 76, 4 and vor Nem. IX. gedichtet, nach
T. Lentsch Philol. 14, 57, weil er in V. 24 eine Aospielang auf N. IK.
findet, später und zwar Ol. 77, 1 oder 2 (ebenso Bergk p. 9) ; nach L. Schmidt
8. 457 hingegen Ol. 75, 1 oder wahrscheinlicher Ol. 75, 4. Die schon Didy-
mos bekannte üeberschrift von N. I. Xpo{jLi<{> Altvat«}), wonach Chromios, ob-
gleich er noch in Syrakus Wohnte (V. 19), Hieron zu Liebe sich als Bärger
von Aitna ausrufen liess, dürfte aus den Siegerlisten geschöpft sein ; dann
fiel der Sieg nicht vor OL 76, 1. Nei^. IX. gilt einem früher in Sikyon ge-
wonnenen Sieg; Chromios wohnt hier in dem neugegründeten Aitna (V. 2).
Böckh und v. Leutsch bestimmen die Zeit der Ode auf Ol. 77, 1, Leop.
Schmidt S. 240 f. auf OL 76, 2. Merkwürdiger Weise setzt Eusebios Pindar
zum zweiten Male Ol. 77, 1 an.
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Chorlieder. 73
und zwar wahrscheinlich Ol. 77 , 1 ^). Der Grass , den der
Dichter gleichzeitig Hieron entbietet, zeigt sie noch in gutem
Einvernehmen. Seitdem begegnet aber keine Spur eines persön-
lichen Yerhältnisses mehr, im Gegenteil lässt das Schweigen
von Kndars Leier, als Hieron das zweite Mal in Olympia
siegte (Ol. 78, 1), auf eine Erkaltung der Freundschaft schliessen.
Hieron war ja ohnehin misstrauisch und durch KränkUchkeit
gereizt; in fürstliche Launen sich zu schicken verstand der
gewandte Simonides besser und Bakchylides machte ddr Schule
des Oheims auch in dieser Beziehung gewiss keine Unehre.
Ob Pindar gegen diese seine Rivalen in Gedichten einige Pfeile
entsandte, dafiir sind zwar anspielungssüchtige Scholiästen
schlechte Zeugen '^ , indes darf man zugestehen, dass es schon
unter den Zeitgenossen der Dichter Leute gegeben haben mag,
welche das spöttische Wort von der versilberten Muse^), wie
immer es Pindar selbst gemeint hat, auf Simonides bezogen.
Um aber wieder zu Hieron zurückzukehren, so veranlasste
Pindar die Ungnade gewiss nicht selbst durch Taktlosigkeiten,
wie sie ihm manche Erklärer zutrauen, wenn er auch vor dem
unsicheren Tyrannenthron nicht das Knie beugte, sondern an
die Vergänglichkeit alles Menschlichen erinnerte und vielleicht
manchen Rat und manche Mahnung in der höflichsten und
schicklichsten Form erteilte.
Welchem Fürsten eine solche mannhafte Art nicht miss-
fiel, dem stand Pindars Muse zu Gebote und es waren nicht
die schlechtesten, die ihn dem Simonides vorzogen: Theron,
der thatkräftige Herr von Akragas mit seinem Bruder Xeno-
krates*), und Alexandres, der den Griechen wohlgesinnte Ahne
Alexanders des Grossen*); auch Kyrenes König Arkesilaos
(der vierte seines Namens) erhielt von Pindar, weil sie als
AigeXden sozusagen verwandt waren, zu seinem Ol. 78, 3 in
1) Oh 78, 1 nach Leop. Schmidt S. 274 f.
2) S. 66, 4; dazu Ol. 9, 74. Isthm. 2, 9. Nem. 4, 60.
3) T4jv jioöoav dp^opiav icoioüjjlcvo^ fr. 287 (120), vgl. Sternbach mele-
temata Graeca, Wien 1886 p. 138 ff.
4) OL n. ni.; Pyth. VI. Isthm. IL
6) Fr. 97. 98. Dionys. Halic. de vi die. Dem. 26. Dio Chrysost. 2, 83.
Sollnns c. 24. E. 28.
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74 rV. Kapitel.
Delphi errungenen Siege zwei Oden^). Die meisten der pinda-
Tischen Lieder sind für hervorragende Privatleute gedichtet,
mit deren Familie der Dichter nicht selten das Band der
Gastfreundschaft verknüpfte; zumal den rührigen Bürgern
Aiginas, die bei allen bedeutenden und unbedeuteuden Spielen
der Griechen seit alter Zeit auflfallend viele Preise empfingen,
konnte ihr Konsul*) eine solche Bitte nicht abschlagen und
verfasste ihnen nicht weniger als elf Oden, ein volles Viertel
der erhaltenen Sammlung.
Hat sich nun ein so hochgeborener und vielbekannter
Mann in der bewegten Geschichte seiner Vaterstadt gar nicht
bemerkbar gemacht? Hat er, als Aristokraten und Demokraten
mit mehrmals wechselndem Glücke um die Herrschaft rangen,
den durch seine Ahnenschaft ihm zustehenden Platz einge-
nommen? Die Antwort muss verneinend ausfallen ; das schein-
bare Rätsel klärt sich, wenn wir aus Pindars Gedichten sein
politisches Glaubensbekenntnis erforschen ^). Er war freilich ein
Aristokrat vom Scheitel bis zur Zehe, dem die Unveränderlich-
keit der dorischen Satzungen das Ideal war*), wie er an dem
einzelnen Manne die angestammte ererbte Tüchtigkeit auf das
höchste schätzte und von dem self-made man nichts hielt ^). Aber
diese aufrichtige Ueberzeugung, so oft und unverhohlen Pindar
sie auch aussprach, drängte er niemanden auf und hielt sich
von dem Getriebe der Parteien ferne, wenn gleich er sonst
wie den Freund zu lieben, so den Feind aus ganzer Seele zu
hassen verstand^. Im Gegenteil erkannte Pindar auch demo-
kratische Staaten vorurteilslos an, wenn sie so mächtig und
1) Pyth. IV. V.; nach Dnncker Geschichte des Altertums VIII S. 290
A. 2 spielen sie auf den 462 in Aegypten aasgebrocheuen Aufstand an.
2) Nem. 7, 66 Kpo^tvicf ni^zoi^' (Tycho Mommsen, Christ und Mezger
lesen xal (tvia).
3) üeber Pindars politische Ansichten handeln speziell W. Wachs-
mut h de Pindaro reipublicae oonstituendae et regendae praeceptore disputatt.
n. Kiel 1823. 1824; J. Marcus de argumento politico Pindari carminibus
intexto, Triest 1856.
4) P. 1, 62f. fr. 1. Vgl. P. 10, 1. J. 6, 12ff.
5) Tycho Mommsen Pindaros S. 19 A. 63; Rauchenstein zur Einl.
in Pind. Siegesl. S. 57 f., Croiset a. O. p. 226ff., z. B. Ol. 9, lOD t6 H
(po^ xpctTiotoy &icav. 2, 9J ootpöc 6 icoXXd cliux; fo^,
6) Pyth. 2, 83 f.
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Chorlieder. 75^
dabei doch so massvoll auftraten wie das A.then des Aristeides.
Der Dichter sprach dies ungescheut aus, als eiu solches Wort
in Theben gefllhrlich war; weil er Athen „das Bollwerk von
Hellas'* hiess'), belegten ihn seine Mitbürger mit einer Geld-
strafe, wofür ihn Athen sofort entschädigte und durch die
Emennimg zum Konsul ehrte*). Jener Preis Athens stand
in einem Dithyrambofi, welchen Pindar in Athen zur Auf-
führung brachte; die Athener haben sich noch lange mit Stolz,
daran erinnert^). Siegeslieder dagegen dichtete er nur zweimal
für athenische Adelige.
Ob der grösste Lyriker der Zeit der Perserkriege das
seiuige beigetragen habe, damit der Freiheitskampf den Nach-
kommen im verklärenden Lichte der Poesie erschiene, haben
viele gefragt, unter ihnen Polybios, der denn, als er statt der
erwarteten waflFenklirrenden Lieder fand, dass Pindar damals,
wie sonst*), Euhe als die erste Bürgerpflicht empfohlen habe,
über diese Teilnahmslosigkeit sich ereiferte*); fehlte es doch
an patriotischen Dichtungen, worin gewöhnlich die Perser kriege
dem Trojazuge entgegengestellt wurden, damals durchaus nicht ^),
Daran, dass Pindar von Marathon schweigt, ist bei der mehr
lokalen Bedeutung des Sieges nichts wunderbares; was hin-
gegen den Xerxeskrieg anlangt, so erinnere man sich, dass
Pindars Mitbürger und Standesgenossen den Kern des persischen
Heeres ausmachten, — wie konnte er also für einen Krieg sich
begeistern, welcher keineswegs die ganze Nation auf der einen
Seite vereinigte? — dass Theben für diese Haltung schwer
büssen musste — wie durfte er da ein Jubellied anstimmen?
Hätte Pindar so etwas über sich gewinnen können, wo er über
den Ehrungen der Fremdeü nie die engere Heimat vergass
1) 'EXXci^oc fp»toji.a fr. 76.
2) Isoer. 15, 166. Ps. Aeechin. epist. IV. I«etzfcerer läset die Statne,
-welche Paasanias 1, 8, 4 erwähnt, hei diesem Anlasse errichtet werden, was
nach Demoeth« Aristocr. 196 unwahrscheinlich ist; übertrieben Libanios m
27. 407, 8. Anecd. Oxon. IV 155 f.
3) Fr. 75flf, 8. Bergk zu fr. 76; Pindar bei den Dionysien, in einer
TOD Himerios (or. 11, 4) berührten Anekdote.
4) Pyth. 8, Iflf. 11, 55. Ol. 4, 14 und 6.
5) 4, 31, 5. 6; vgl. Böokh index lect. von Berlin 1881 = gesammelte
kleine Schriften 4, 436 ff.
6) VgL Isocrat. 4, 158; z. B. die „Perser** des Timotheos.
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76 rV. Kapitel.
\ind stolz sein Ansehen gegen das Hohnwort „böotische
Schweine'* in die Wag^chale warf ^)? Von dem Unglück des
Vaterlandes tief getroffen , wusste der thebanische Dichter
keinen anderen Trost als das Vergangene zu vergessen und
nur der Gegenwart zu leben *). In Salamis sieht er also zuerst
einfach die Stätte einer furchtbaren Völkerschlacht, wo das
göttliche Unwetter zahllose Männer vernichtete, wie der Hagel
die Aehren (Isthra. 4, 49 f.). Erst später fasste er den Kampf
zwischen Griechen und Barbaren vom nationalen Standpunkte
auf ^). Denken wir uns statt Pindars Verhältnissen die Befreiungs-
kriege und etwa einen sächsischen Dichter, so werden wir den
Thebaner vielleicht am richtigsten verstehen.
Die Mangelhaftigkeit der biographischen Ueberlieferung
wird glücklicher Weise durch den ausdrucksvollen Charakter
des Dichters aufgewogen. Aus seinen Liedern spricht eine edle
mannhafte Persönlichkeit ; sie hat ihm allgemeine Achtung ver-
flchaflt und den Erfolg seiner Dichtungen nicht unwesentlich
gefördert. Das bedeutende Selbstgefühl, mit welchem Pindar
von sich selbst zu sprechen pflegt*), indem er sich z. B. mit
<Jem Adler und Löwen vergleicht, während seine Gegner
kreischende Krähen und freche Füchse sind^), war nach grie-
chischer Anschauung keine Schwäche, weil er sein Genie de-
mütig der Gnade der Götter allein zuzuschreiben nicht ermüdete ;
er fühlte sich beim Schäften von göttlichem Geiste bewegt und
sprach wie ein Prophet und Priester der himmlischen Gott-
heiten •); denn er war ein tief religiöser Mann^, der an dem
1) O. 6, 90. fr. 83.
2) Jsthm. 7, 7 ff. wird allerdings seflr verschieden gedentet (s. Mezger
Pindars Siegeslieder S. 353. Croiset p. 271 f.).
3) Pyth. 1, 75flf., fr. 77, 78.
4) Karl Seidenadel de Plndaro non immodesto ex Pindaro adnm-
bratio, Progr. von Brnchsal, Karlsruhe 1855; s. B. O. 1, 112ff. n. 6. Vgl.
Plntarch. de lande sui 1. Aristid. or. 49 III p. 643f. (11 509 D.). Schol.
Aeschin. 3, 156.
5) N. 3, 80. 5, 21. fr. 237.
6) Fr. 90, 5 ÄotJtjiov Iliepidatv ttpo^pitav, 150 (118), [i.avt»üto, Motoa,
icpotpattoocü 8'iY«"i vgJ« O. 11 (10), 8 ff.
7) Limburg-Brouwer essai snr la beant^ morale des po^es de
Pindare, Brüssel 1830; O. F. L. Petri anthologia Pindarica theologioo-moralis,
Halle 1831; Zeyss qnid Homerns et P. de yirtnte civitate diis statnerint,
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Chorlieder. 77
Glauben seiner Väter nicht rtittelt^, sondern ilin idealisierte^
indem er die seiner hohen Auffassung des Göttlichen nicht
entsprechenden Mythen entrüstet verwarft). Darum genoss der
fromme Dichter in dem Mittelpimkte des hellenischen Priester-
tums hohes Ansehen und galt den Delpbiem wie einer der
Ihrigen, so dass der Gott bei jedem Opfermahl Pindar durch
den Mund der Priester zu Gaste lud, eine Auszeichnung, welche
sich sogar auf seine Nachkommen vererbte*). Pausanias sah
im Heiligtum noch einen eisernen Stuhl, auf dem Pindar oft
vom pythischen Apollo gesungen haben solP); Lieder erachtete^
er ja för die kostbarste Gabe, die er einer Gottheit weihen
mochte*). Doch war der gottesfürchtige Mann so wenig, wie
in der Politik, in seiner Religiosität einseitig: Aus Kyrene brachte
er von seinen Verwandten den Kult des Zeus Ammon, von dem
es zuvor in Griechenland weder Tempel noch Bild gegeben
Jena 1832; de Jongh Pindari sapientia, Utrecht 1837; Ant. Eberz theo-
logumena Pindari lyrici. Manchen 1839; Alex. Gabr. Sj Ostrom de ethici»
in Pindaro monitionibos, Helsingf. 1840; Qilquin commentatio Pindarica,
Utrecht 1843; M. Seebeck Rhein. Ma8.3 (184^) S. 509fr.; Koch de hominis
statn ac natura in P. carmm. expressa, Gotha 1845; Winiewski über die
Quelle von Pindars Glanben über den Znstand der Seelen nach dem Tode,
ind. lect. hib. Münster 1845; G. Bippart theolognmena Pindarica, Diss. y..
Jena 1846; J. C. H. Clausen theolognmena Pindari lyr. I. Pr. v. Eiber-
feld 1854; Nägelsbach die nachhomerische Theologie des griech. Volks-
glaubens, Kömberg 1857; Böthke Pindars Ideen über das Loos der Menschen^
Jahrb. f. Phil. 80 (1859) S. 185 ff.; P. Montöe quis et qualis P. moralium
auctor exstiterit, Paris 1860; Dronke Ztsch. f. das Gymnasial w. 14 (1861)
S. 68 ff.; H. Skelnik P. et Aeschyli sententiae ad deos deorumque cultum
pertinentes, Eönigsb. 1864; Const. Bnlle de Pindari sapientia, Bonn 1866;
£. Buch holz die sittliche Weltanscbanung des Pindaros und Aeschylos, Lpg.
1869; Konr. Ohler t de heroologia Pindarica, Diss. v. Jena, Königsberg 1870;
Loth. Böhme quid P. tum de jure humano tum de jure divino judicarit,
Diss, V. Giessen, Lpg. 1872; H. Fritzsche der &VY)p ä-^aHt; bei P., Ver-
handl. der Eostocker Phil. Vers., Lpg. 1876 S. 30 ff.; Franc. Cipolla Riv.
di filologia 6, 366 ff.; J. J. Schwickert kritisch>exeget. Erörterungen zu P. L
Pr. V. Trier 1882.
1) Ol. 1, 53 f. 9, 35 ft.
2) Pausan. 9, 23, 3. v 16 ff. E 47 ff. Th. 17 ff. vgl. Preller in Pole-
monis fragm. p. 68, Aug. Mommsen Delphica pr. 3.
3) 10, 24, 5 s. auch Plut. symp. 8, 1, 1.
4) Philodem, de musica IV col. 21, 10 ff. p. 89 Kemke.
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78 rV. Kapitel.
hatte, nach Theben mit^); der Artemis Eukleia stellte er ein
kostbares Weihgeschenk auf^; er kam nach Eleusis, um die
'Geheimnisse der attischen Mysterien zu schauen, und besang
nachmals in einem herrlichen Trauerliede ihre beseligende Kraft').
Endlich errichtete Pindar neben seinem Wohnhause der Götter-
mutter ein Heiligtum*) Vielleicht hatte er selbst ein Priester-
amt ererbt^), jedenfalls erlebte er noch die Freude, seineu
Bohn DaKphantos in der Würde eines Apollopriesters zu sehen,
wozu er ihm ein ProzessionsUed dichtete^).
Ein Liebling der Götter war der Dichter nach der Legende
sein Leben lang: Schon als er in jungen Jahren auf dem Helikon
der Jagd pflog, setzte sich eine Biene, das heilige Tierchen der
Musen, auf seinen Mund, worauf die Göttergabe honigsüssen
Gesanges ihn durchströmte^). Ein Lied des Meisters hörte man
den Gott Pan in den Bergen singen ^. Auch der Tod des
Dichters ist von solchen Legenden verklärt. Nach den einen
Uess der Greis Apollo fragen, was das Beste für den Menschen
sei, und erfuhr es bald darauf im Tode*). Nach den anderen
holte ihn Persephon^e, ungehalten dass sie allein unter den
<jröttem von ihm noch nicht besungen war, zu sich und empfing
in der Unterwelt von dem Schatten des Dichters diese Hul-
digung*®). Er starb nicht nach hartem Leiden, sanft schlief
1) Pauaau. 9, 16, 1.
2) Pausan. 9, 17, 2.
3) Fr. 129—133. Deswegen wird er auch zu den Pythagoreeru ge-
rechnet (dem. Alex, ström. 5, 709 P, 598 S).
4) Pausan. 9, 25, 3.
5) Leop. Schmidt S. 13.
6) V 41 (8a«pvYj«poptx6v ^ojjia).
7) Chamaileon und Istros bei £. 72 ff. (ol Zi leitet eine rationalistische
Deutung ein). Pausan. 9, 23, 2 ; im Knabenalter nach einem philostratischen
Bude (2, 12), Aelian. var. bist. 12, 45. v 20ff. E 82 ff. (tivi^; Antipatros
<Anthol. Planud. 305, 3 f.) lässt das Alter unbestimmt. Ueber die Bienen
PhUostrat. imag. 2, 8 p. 413, 29 K.
8) Antip. a. O. u. A., b. Bergks Note zu fr. 95.
9) Plutarch. consol. ad Apoll. 14; statt ApoUo setzen £ 97 ff. u. V 33ff.
Ammon.
10) Pausan. 9, 23, 3. V 20 ff. E 69 ff.
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Chorlieder. 79
«r, an seinen Liebling Theoxenos gelehnt ein^), und zwar wie
es lieisst in Argos *). Der Leib des Sängers , den . so oft der
Sieg eines edlen ßossegespannes zu den schönsten Liedern
begeistert hatte, wurde in der Rennbahn von Theben beige-
setzt*). Er hatte ein Alter von sechsundachtzig Jahren erreicht*) ;
ist dies nicht erfunden, so starb Pindar 436/5 (Ol. 86, 1)^).
Die zuverlässigen Anspielungen , welche in den Gedichten zu
finden sind, reichen bis zum Jahre 451 (Ol. 82,. 1), in dem die
vierte olympische Ode gedichtet ist.
Pindars Werke waren an Zahl und Umfang so gross, dass sie
siebzehn Bände füllten; es gab zwei verschiedene Anordnungen,
deren üblichere vielleicht von dem alexandrinischen Grammatiker
Aristophanes herrührte^. Gemäss der Sinnesart Pindars waren
volle zehn Bücher ausschliesslich den Göttern gewidmet. Von
religiösen Dichtungen fand man hier alle Arten : Tpot, icatave<;,
«pooöSta, ;cap*ivta in dorischer Tonart^) und 8t*6pa|ißoi. Die
eine Liste weist den drei letztgenannten Gattungen je zwei
Bücher zu; wie diese entstanden, zeigt Suidas, welcher ausser-
dem anführt: 'Ev^poviofioC (Hymnen an die Göttermutter)®),
dafVTjfopixd (Prozessionslieder für das thebanische Apollofest),
1) Im Gymnasion (Valer. Max. 9, 12 ext. 7, nach Leop. Schmidt S . 29
Kombination) oder im Theater (Suidas ; wie E. 28 ff. zeigt, kombiniert) ;
Theoxenos* Name ist vieUeicht ans fr. 123 (vgl. Athen. 13, 601 c) entlehnt.
2) Epigramm bei E 2^ = Y 50.
3) Paosan. 9, 23, 2.
4) E 19 und Th. 54 ist statt 66 gewiss 86 zu schreiben; abgerundet
SO T 31. fvtot E. 19, weshalb Böckh för Ol. 84, 3 spricht.
5) Ol. 86 nach E 18. Th. 55 (86, 4 Tycho Mommsen S. 29).
6) Diese steht V. 43 ff. (ähnlich E. 172 ff.), die andere bei Suidas. Vgl.
Bergk p. 367 ff. Lubbert ind. lect. von Bonn 1884 p. 11 f. Dagegen er-
klärt Hill er Hermes 21, 357 ff. die Besonderheiten der zweiten Liste für
erdichtet. Nach der Buchteilnng des Biographen sind jedenfSftUs citiert fr.
71. 72. 95. 103» 104; von dem Suidas Eigentümlichen erwähnen Athen. 13,
573 e, Suidas u. 'A^vaia<; und die Wiener Handschrift des Thomas die
ox6Xia.
7) Plntarch. mus. 17; fr. 95 tmd 104 h zoXz xe^cupiafievotc tü>v nap-
^vMov, 8. 8. 81 A. 4.
8) Vgl. Suidas u. 'Op(p«a^; ich habe durch die Ordnung angedeutet,
wie diese in die obige Liste einzureihen sind. Philodemos citiert fr. 80 ftv
t4» . . GIN . .; man vermutet icpooifii({>. Wenn wirklich so stand, war es für
icpoooBup 4>der icapoivicp verhöct.
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80 IV. KapiteL
Baxxtxd^) und Spafiaxa tpa^ixA^, sämtlich Dichtungen, welche
mit den Kulten Thebens zusammenhängen. Dazu kamen mehr
oder minder weltliche Gedichte, nämlich die vier Bücher Sieges-
lieder, ferner Trinklieder, lY)M«>[ita (vielleicht von der eigentlichen
Sammlung ausgeschlossene Siegeslieder') und Festgedichte nach
Art der letzten nemeischen Ode) und endlich Trauerlieder, in
denen Pindar hinter Simonides kaum zurückstand^). Gegen
keine dieser zahlreichen Dichtungen entstanden, so viel uns be-
kannt ist, Zweifel an der Echtheit, wie auch die Bedenken
Neuerer eine überzeugende Kraft nicht haben ^); der Kukuk
legt seine Eier nicht in das Nest des Adlers. Höchstens war
bei konventionellen Epigrammen und Sprüchen in Prosa eine
Unterschiebung möglich und eine solche ist denn auch nicht
ausgeblieben *).
Von diesen sämtlichen Dichtungen sind, obgleich noch im
dreizehnten- Jahrhundert Eustathios und Theodoros Metochites
viel mehr als Wir lasen ^), die Siegeslieder (lirtvtxoi oder iTrtvixta)^
allein erhalten, weil sie sowohl in Hinsicht auf den Ausdruck
1) Niwh Böckh p. 556 'loßaxxot, nachLübbert a. O. p. 13 balfchiscbe
Prozessionslieder; Bergk p. 371 vermutet 'loßax^^txdc.
2) iC (bei Suidas) ist das Additionsergebnis eines misstraniscben Lesers
(vgl, Welcker griecb. Trag. S. 1290).
3) Z. B. dos Istbm. I. erwäbnte Lied auf ein^n deliscben Sieg.
4) Vgl. Georg. Galesiota (citiert S. 64 A. 3).
5) E. G. Cb. Bach dnbitationes de anthentia Pindari Istbmiorum carm.
Vm., Erfurt 1806; E. v. Leu t seh Philol. 1, 116 flf. zweifelt mit Zustim-
mung von Rossbach und Westphal Metrik in S. 362 ff., Leopold Schmidt
S. 388 f. und Bergk p. 5 die f&nfte olympische Ode an wegen des Scholions :
AüTY] 4| ({)§•}] Iv p.^v Toic ft8a?ptotc ohn •Jjv, h hi tote Ai$6p,oo 6K0fj.VYjp.aaiv
ecpipcTo öiz IlivSdcpoo (d. h. der nach Didymos lebende Gewährsmann des
Scholiasten fand die Ode in den von ihm eingesehenen Handschriften nicht) ;
8. dagegen G. Hermann Ber. über die Verh. der sächs. Ges. der Wiss. 1847
S. 322 ff. Vgl. auch Hoekstra Verslagen en Mededelingen der Akad. te
Amsterdam, letterkunde, HI 1 (1885).
6) Suidas. E. 147 f. ttuv Iv tig üivSapix'g ßtßX(|> xei^ji^vwv fvcufjuxcov 8iico(p-
^»YjJ^iTtov,
7) S. z. B. Eust. 171. 176 (jidXtota !).
8) Bergk p. 23, zusammengefasst unter dem Namen (•?] XeYojA^vYj) nepio-
8oc Thomas M. Z. 31. Der allgemeinere Name war ({>8ai (Bergk p. 24) oder
eTo-rj (Eust. 34, s. Bergk p. 25).
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Chorlieder. gl
als auf das Mythologische die geringsten Schwierigkeiten boten ^).
Den obersten Einteilungsgrund gab nicht wie bei den simoni-
deischen Liedern die Art des Wettkampfes, sondern der Ort
des Sieges ab. Mithin sonderte man 'OXo{iiciovtxai , Ilo^iovlxai,
Ne|ieoytxai und lo^iovixai^, welche dann wieder unter sich
nach den Kampfarten geordnet waren. Unter den pythischen
Oden verdient die zweite ihre Stelle nicht, da sie sich vielmehr
auf einen in Theben gewonnenen Preis bezieht (S. 71). Während
dies den alten Gelehrten entging, machten sie bewusst am
Schlüsse der Sammlung — die Ns|jL80Vtxai standen nämUch
früher am Ende*) — einen Anhang von drei Chorliedem, welche
sonst nirgends imterzubringen waren ^); die neunte und zehnte
.,nemeische** Ode sind nämlich für Sieger, welche in Sikyon
und Argos auftraten, verfertigt^), die elfte vollends saug ein
Chor zu Ehren eines Mannes, der zwar nach Pindars liebens-
würdiger Versicherung zu den olympischen und pythischen
Siegern hätte zählen können (V. 22 flf.), in Wirklichkeit jedoch
die weniger glänzende Würde eines Prytanen von Tenedos er-
langte. Aus diesem Anlasse wurde ein kleines Fest gefeiert,
welches Pindars Muse verschönerte ^. Leider ist die Sanmilung
nicht ganz vollständig erhalten, weil die letzten der isthmischen
Oden untergingen. Der codex Mediceus B enthält hinter der
VII. (Vni.) wenigstens noch eine Strophe (Fr. 1); für den Rest
müssen einige Citate (Fr* 2 fif.) genügen^).
Da ein neidisches Geschick uns nur ein ganz einseitiges
Urteil über den grossen Meister gestattet, steht dem Literar-
historiker um so mehr die Pflicht zu, das, was uns geblieben
1) Eust Z. 176 f. Öti xb &v^pa>TCtxa>t8pot etvat xal ÖXt^ofi^ot xal ji-rjÖi
«dtvo e^Biv Äaa^ic xatA f^ "^^ 5XXa.
2) In den jüngeren Handschriften steht 'OXojATCta, flad'ia n. s. w. Ueber den
Titel s. Bergk p. 23 f. Der alte stammt aus Pindar selbst (Ol. 3, 3 'OXop.«tovtxav
opov. 4, 70 'OXojiictovtxav xäjaov. 7, 88 ßp.voo te^^iv 'OXojiictovixav).
3) Dies bestätigen zwei Breslauer Handschriften des Thomas p. 100, 2 W.
4) Schol. zu Nem. JX p. 256, 4 Abel M x6X(i>pio|iivat f^povxai.
5) Auch der Held der achten stand nach Didymos in der nemeischen
Liste nicht.
6) Dionjsios von Phaseiis und Didymos (in den Schollen p. 332, 14
Abel) rechneten die Ode zu den Rapoivia.
7) Beizufögen ist Frg. adesp. lyr. 103 p. 722. üeber die Z&hlung der
Isthmien s. Bergk p. 21.
Sittl, Gesebichte der griechischen Literatur. HI. q
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82 IV. Kapitel.
ist, in das gebührende Licht zu stellen; fällt es doch dem mo-
dernen Menschen unendlich schwer, die enthusiastische Bewun-
derung, welche ein Grieche bei einer pindarischen Ode empfand,
verständnisvoll und ohne Affektation nachzufühlen. Wir spüren
alle den Hauch eines grossartigen Genius, sowie wir uns jedoch
über diesen Eindruck Rechenschaft geben wollen, tritt uns das
Fremdartige seiner Dichtungsweise klar vor Augen. Darum sei
hier zuvörderst versucht, das Wesen des griechischen
Siegesliedes im einzehien zu zergliedern; was davon Simo-
nides, was Pindar zum Ruhme gereicht, wer möchte dies zu
bestimmen wagen?
Den Nichtgriechen frappiert vor allem der Gegenstand,
wiewohl am Ausgange des Mittelalters unsere Literatur etwas
annähernd ähnliches in den Festgedichten der ritterlichen Wappen-
dichter und der bürgerÜchen Pritschen meister besass. Die Ver-
anlassung scheint mit dem hohen Fluge der pindarischen Muse
nicht in dem richtigen Verhältnisse zu stehen. Faustkärapfer,
WetÜäufer, Ringer, Rennpferde — was ist daran begeisterndes
oder poetisches? Griechenland dachte darüber eben anders;
in wie weit es dabei Recht oder Unrecht hatte, gehört nicht
in die Literaturgeschichte. Es war nun einmal dem hellenischen
Bürger kaum möglich, auf anderem Wege höheren Ruhm zu
erreichen als wenn ihm in einem der vier Nationalspiele ein
Preis zufiel ^). Man sah in diesen die f^anzschule der höchsten
ipetn}, wenn sie sich auch mehr in körperlicher Beziehung be-
thätigte, und verehrte den Sieger wie einen erklärten Güustling
des Gottes, welchem das Spiel geheiligt war. Darum warteten
des Glücklichen unendliche Ehren: Am Festorte selbst trug
der Heroldsruf seinen Namen zu den leidenschaftlichen Anteil
nehmenden Vertretern aller, auch der entferntesten Gaue, wo
es nur Hellenen gab; die heimische Bürgerschaft ehrte den
„Hieronikos** als Wohlthäter des Gemeinwesens durch ausser-
ordentliche Privilegien, nicht selten verewigten Münzbilder Renn-
siege*), ja eine Stadt riss in die Mauern eine Bresche, damit
1) Das Antiquarische ist bei J. H. Krause HeUenika od. Institute,
Sitten und Bräuche des alten fleUas, I 1\ 2. 11 2. Lpg. 1841 und Olympia
od. Darstellung der grossen olymp. Spiele, Wien 1838 gesammelt.
2) B. Stuart Poole the use of the coins in Illustration of the fourth
and fifth Olympian Ödes of Pindar, Transactions of the royal society of Ute-
rature, Vol. X p. m n. s.
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Chorlieder. 83
der Sieger glanzvoll einziehen könne; für die Familie endlich
gab es keinen höheren Stolz als solche Ehrenpreise aufzuweisen
oder zu ererben, die man nicht geringer schätzte als römische
Patrizier Triumphe ihrer Ahnen ^). Unter derartigen Verhält-
nissen kannte Pindar kein besseres und edleres Glück als einen
solchen Sieg, so dass er wiederholt den Gefeierten mahnt, er
möge, der Vergänghchkeit des höchsten irdischen Glanzes ein-
gedenk, sich nicht vermessen den Göttern gleichstellen.
Das Fest wäre nach griechischen Begriffen nicht vollkommen
gewesen, hätte es des Schmuckes der Poesie entbehrt. Seitdem
es überhaupt Wettkämpfe gab, „lange vor Adrastos und dem
Streite der Kadmeer'*^), wurde dem Sieger zugesungen; schon
bei dem ersten olympischen Spiele des Herakles, stellt Pindar
sich vor, erscholl die ganze Altis von frohen Liedern^). Erst
ging diese Huldigung von Verwandten und Freunden des
Siegers aus. Auf Aigina, das zahllose Preise eroberte, blühte
auch das Enkomion*) und Pindar erwähnt bei einem aigi-
netischen Knaben ausdrücklich, dass dessen Grossvater Euphanes
den Sieg seines Sohnes besungen habe und dass der Vater
Timokritos, wenn er noch lebte, dem jungen Timasarchos das-
selbe bereiten würde ^). Als sich jedoch die lyrische Kunst so
verfeinerte , dass ein Dilettant die technischen Schwierigkeiten
nicht mehr leicht überwand, nahmen wirkliche Dichter diese
Art in die Hand, zuerst wahrscheinUch von prachtliebenden
Fürsten eingeladen, bis der Ehrgeiz reicher Adeliger denselben
dieses Vorrecht streitig machte. Simonides ist, so viel die
Alten melden, derjenige, welcher das Siegeslied zu einer Literatur-
gattung erhob; ihm folgen Pindar, Bakchylides und Diagoras.
Sonst wird noch eine Ode, mit welcher angeblich der Tragiker
Eoripides einen Sieg des Alkibiades feierte, erwähnt, doch ist
aus dem Stillschweigen der Gelehrten nichts weiter als das
1) Cicero pro Flacoo 13, 31.
2) Find. Nem. 8, 61. '
3) Ol. 10 (11), 76 f. ÄeiSftto 8i icäv tljitvo«: tspKvaiot d-aXtat«: t6v h(%oi\i.t.o'^
&}i.f l tpoicov.
4) Vgl Nem. 6, 31 ff. 7, 9 «oXtv «ptXojioXnov. fr. 1 (4), 6 tajitat oo<pol
Moco&v ^Ytov^cov t'aid'Xcov; auch an den Lokrern Ol. 10 (11), 14. 11 (10), 16 ff.
und Korinthern OL 13, 22 rühmt Pindar die Pfl^e der masischen Künste.
5) Nem. 4, 13 ff. 89 f.
6*
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84 IV. Kapitel.
Fernbleiben anderer bedeutender Dichter zu schliessen *).
Man fühlt bei Pindar noch, dase die Beiziehung eines eigent-
lichen Dichters keine eingewurzelte Sitte war; infolge dessen
kommt er immer wieder auf den Gedanken zurück , selbst die
höchste Ruhmesthat verklinge spurlos, wenn der Sänger sie
nicht im Liede festhalte und der Nachwelt zur Bewunderung
überliefere.
Dass der Dichter für seine Mühewaltung ein ansehnlichea
Honorar empfing*), ist selbstverständlich; vielleicht würde
niemand davon sprechen, stiesse man sich nicht an der Be-
zahlung eines Lobliedes. Wir werden in kurzem sehen, dass
dieses nicht in einen Panegyricus ausartete; übrigens hat
niemand Pindar mit Siraonides zusammengestellt *). Der Dichter
rechnet es sich im Gegenteil zum Verdienste an, dass seine
Kunst das Andenken der Tüchtigkeit erhält*), und rühmt sich
der Wahrhaftigkeit, womit er „das Löbliche lobt und den
Frevlern Tadel sät***). Feierlich ruft er Zeus' Tochter Ala-
theia an, sie möge jegliche Unwahrheit ferne halten*). Dies
schhesst nicht aus, dass Pindar manche dunkle Seite des My-
thus verschweigt; aber er bekennt es offen ^) und rechtfertigt
sich mit dem Spruche: „Das Glück soll man überall verkünden,
dagegen das von Gott gesendete Missgeschick verbergen**®).
Ausserdem wollen wir nicht vergessen, dass der Dichter —
wir dürfen vielleicht sagen — in allen Fällen mit dem Gefeierten
durch Freundschaft und Achtung verbunden war. Als Aigeide
stand er Arkesilaos und wahrscheinlich auch Telesikrates ^)
1) Ein «grosses anonymes Fragment steht bei Bergk III* p. 714 (frg.
adesp. 85). Vielleicht gehört auch ''Ituv 8v tij) elc Sxo^tdÄYjv i^^tuH-^^) (Sprich-
wörter in Millers melaut^es 364) hieher.
2) Mia^öc P. 11, 41 fif. ; dreitausend Drachmen in einer Anekdote Schol.
Nem. 5, 1.
3) Ausser Tzetz. schol. alleg. Iliad. 6, 65, der manche Stellen der
Pindarscholien zu pessimistisch anffasste. Pindar selbst protestiert g^en den
Ruf eines «ptXoxcpÄ-rjc (J. 2, 6).
4) N. 7, 11 ff. fr. 121 u. ö.
5) N. 8, 39 ; vgl. O. 2, 101. 4, 15. 13, 98. N. 7, 68.
6) O. 10, 4. fr. 205.
7) O. 13, 91. N. 5, Uff. 6, 72 ff.
8) Fr. 42.
9) Pyth. IX.
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Chorlieder. g5
nahe; an die Äigineten knüpfte ihn, wie gesagt, die Proxenie
und überdies sprachen die Thebaner im allgemeinen auf Grand
eines Mythos von ihrer Verwandtschaft mit jenen ^). In
Anderen schätzte der Dichter ohhe Zweifel liebe Gastfreunde*).
Bei Hieron, Arkesilaos und den Äigineten Aristokleidas und
Sogenes gebraucht er selbst das Wort „Freund**'). Mit Recht
mag man daher die Helden der pindarischen Oden des Dichters
Freunde nennen^). Andererseits bedürfte es kaum der aristo-
phanischen „Vögel'*, damit wir überzeugt sind, dass die traurige
Figur des selbst mit NaturaUen zufriedenen Betteldichters dem
klassischen Hellas wohl bekannt war.
Der Chor setzte sich nicht aus Mietlingen, sondern aus
jungen Mitbürgern, welche aufrichtigen Herzens sein Lob sangen,
zusammen*). Der Dichter oder dessen Stellvertreter begleitete
ihn auf der siebensaitigen Lyra, während ein Flötenspieler den
Ton hielt ^). Die Musik, deren besonderen Charakter Simonides
festgestellt hatte ^), war in dorischer, äolischer und lydischer
Tonart^. In der Regel bauten Simonides und Pindar das
1) Herodot. 5, 80; vgl. P. 8, 98 At^tva <ptXa p.öT8p.
2) Die Familie des Opuntiers Lampromachos hatte die Proxenie von
Theben oder Pindar die der Opontier (O. 9, 83); vgl. E. Labbert de Pin-
daro Locrornm Opnntioram amico et patrono, ind. lect. hib. Bonn. 1882.
3) Pyth, 1, 92; Pyth. 4, 1; Nem. 3, 76. 7, 62.
4) A. Bemh. Lntterbeck die Freunde Pindar«, Gieesen 1865.
5) Nem. 2, 24 o» «oXtxat. Ol. 6, 7 tictxopoat^ 3Kp^6vü>v ioxwv iv ip,«pxal(;
ioildi^. P. 5, 103 Iv &oi3qi v^u>v. N. 3, 5 vsaviac. 66 v^oiv. P. 10, 6 3iv3ptt>v
nXotdv «ica, vgl. P. 1, 98. 10, 55. N. 3, 3flf.
6) ^opfiiifS bei Anrede des Dichters an sich selbst oder die Mose 0. 1, 18.
9, 13. P. 1, 1, vgl. O. 2, 1. 4, 2. P. 2, 70. N. 4, 5. J. 2, 2 oder Xopa N. 10, 22,
vgL O. 2, 52. 6, 97. P. 8, 31. N. 3, 12, vgL noixtXov xt^ptCa)v N. 4, 14,
itw,xi\of6p^ifi äoi^6L O. 4, 2, siebensaitig P. 2, 70. N. 5, 24 (nach Theocrit.
16, 44 ff. war die Lyra des Enkomion icoXoxopdov ßdpßixov); tthXoi O. 5, 19.
N. 3, 79, xÄXajioc O. 10, 84, beide zusammen O. 3, 8. 7, 11 f. 10, 93 f. N. 9, 8 f.
vgl J. 4 (5), 27. Nach PhUochoros (Athen. 14, 637 f) hatte Epigonos die
Verbindung beider eingeführt. Sie scheint gerade beim Symposion beliebt
gewesen zu sein (vgl. Frg. lyr. adesp. % p. 720, dargesteUt auf einer Vase
des Biygos, AnnaU d. Inst. 1872 p. 294). Die dabei verwendeten Flöten
hiesaen a&Xol xid'aptax'r^pcot (Aristoxenos bei Athen. 14, 634 f), die Sache
la|ißaoXscv (He^oh.).
7) YgL Plutarch. mus. 20 (nicht chromatisch).
8) Dorisch O. 3, 5, vieUeicht auch 1, 18, vgl. fr. 67. 191; ftolisch 0. 1,
105. N. 3, 79, vgl. P. 2, 69; lydisch O. 5, 19. N. 4, 45 f. 8, 15. Die Musik
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86 rV. Kapitel.*
Siegeslied epodisch und zwar folgt bei Pindar die Epode in
den erhaltenen Liedern regelmässig auf ein Strophenpaar, doch
konnte die Zahl der gleichartigen Strophen zwei übersteigen^);
das späte Mittelalter gibt uns biefür deutsche Ausdrücke an
die Hand, weil jedes liet oder Gesätz in zwei „Stollen** und
den „Abgesang" zerfiel. Nur einige Lieder (OL XIV. Pyth.
VL XH. Nera. IT. IV. IX. Isthm. VII.) sind monostrophisch,
weshalb man mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet, dass sie
der Chor im Schreiten sang.
Dem Festdichter waren mannigfache Gelegenheiten zur
Erprobung seiner Kunst geboten. Die eigentliche Siegesfeier
erfolgte allerdings, weil sie am Abend des grossen Tages statt-
fand*), zu rasch, als dass ein so kompliciertes Kunstwerk wie
die griechische Ode hätte improvisiert werden können. So
war der poetische Teil des xo^iioc auf den üblichen Sieges-
hymnus des Archilochos mit dem populären Refrain TnjveXXa
xaXXivixe oder höchstens gutgemeinte Improvisationen be-
schränkt *). Ist doch die achte olympische Ode, welche viel-
leicht am Tage nach dem Ringkampf oder höchstens einige
Tage später gesungen wurde, als Alkimedon dem olympischen
Gotte den Kranz weihte*), keine wahre Ausnahme; Pindar
hatte nämlich den Auftrag viel früher erhalten, weil der glück-
liche Erfolg von dem Orakel des Zeus im voraus verbürgt war*).
Wenn dagegen der Sieger unterwegs bei Freunden eine
vorläufige Feier veranstaltete, wie z. B. Telesikrates von Kyrene
bei seinen thebanischen Verwandten bliebt und der Syraku-
saner Agesi^ zunächst nach Stymphalos, dem Stammsitze
heisst „bunt" (O. 6, 87. N. 5, 42, vgl. O. 4, 2. N. 4, 16), weil das Lied
künstliche ictoxai hat (O. 1, 108 (106) nXotalot 8at8aXü)o6|i«v 5ji^va)v utoxatc).
1) Hephaestio de poemate c. 4 p. 68 W.
2) Find. Ol. 10 (11), 73 ff.; vgl. Nem. 10, 33ff:
3) Aristarchos bei Schol. Nem. 3, 1 p. 73, 10 ff^. Abel.
4) V. 10 t6v8« xu>p,oy %a\ otsfavafopiav d^^at; über den Ort Y. 9 f.
5) y. 2 ff. Aehnlich Hess ein olympischer Sieger im Vertrauen auf den
günstigen Bescheid des Ammonorakels schon vorher seine Statue anferti^n
(Pansan. 6, 8, 3). Bei der siebenten pythischen Ode (vgl. Mezger Pindars
Siegeslieder S. 318) liegt kein stichhaltiger Grund vor, warum sie nicht in
Athen aufgeführt sein könnte.
6) Pyth. IX, s. V. 91 ic6Xtv tävJ», dazu V. 88; die Ode wurde nach
Böckh p. 326 vielleicht wiederholt (nach Croiset p. 115 bei einer Hochzeit).
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Chorlieder. 87
seiner Familie, ging^), oder auch wenn er nach dem gewöhn-
lichen Brauche, von den jubelnden Verwandten und Freunden
geleitet, in die ß[eimat einzog *) und zunächst zum Tempel der
von ihm besonders verehrten Gottheit fuhr, um ihr bescheiden
den Siegespreis zu weihen oder überhaupt seine Huldigung
darzubringen % konnte er von dem Dichter leicht das notwendige
Lied erhalten.
Am Abend des Einzugtages vereinigte ein grosses Fest
alle Freunde im Hause des Siegers. Ein Chor von Jünglingen*)
zog dorthin und stimmte oft beim Eintritte in den Hof ein
das Fest eröffnendes Ijied an^); für diese Gelegenheit sind die
elfte olympische, die zweite und neunte nemeische und die
siebente isthmische Ode, mit Ausnahme der ersten mono-
strophisch, gedichtet. Allen ist eine auf den Beginn des Festes
gehende Auflforderuug gemeinsam*) und, falls die Feier einen
besonderen Schutzpatron hat, wird dessen hilfreiche Gnade
zum Schlüsse angefleht"^). Das eigentÜche Lied trug der Chor
entweder an der Thüre des Hofes®), damit auch die nicht
geladenen Städter an der Siegesfeier als Zuschauer Anteil
nähmen, oder im Saale selbst Angesichts der gelagerten Tisch-
genossen vor^^. Beide Lieder hat Pindar dem Lokrer Agesida-
mos gedichtet, um ihn für sein Versäumnis zu entschädigen^^);
1) OL VI., vgl. Pyth. IV. X., s. Härtung Philol. 1, 121.
2) Pyth. VI., 8. V. IfF,
3) Ol. V. (V. If. ox«<p(iva)v fitotov U%6o), Pyth. Vm. (V. 5 Ilofrtovtxov
tt|jLÄv 'AptoTojiivst 8^x6o). Xn. (V. 5 U%ai oxef <iva)|ia t68e). Weil dieses Lied
im Schreiten gesungen wnrde, besteht der letzte Vers jeder Strophe ans Epi-
teiten; OLIV. (V. 7 f. Sixso tovBb xÄjiov. 9 'FaojAtoc ?x»t &x^ü»v). XTV V. 15 f.
kaxoolTJ xovS« xdifiov), vielleicht auch VI., wenn V. 105 Bergk richtig
liest ep.(i>y &(ivu>v hk ÄbJ' «irgpicic Ävfro^.
4) Nach Didymos (Schol. Nem. 1, 7) die Gäste selbst; er vermutet von
dieser Ode, dass sie Hieron beim Feste des Zeus Aitnaios singen liess.
5) Isthm. 7, 3.
6) O. 11, 16 oo^xiojidtSate. N. 2, 24 f. & KoXlxai, Xü>jt(i5<»t« Ttjio5-rj|i<}>
ouv e&xXii vooxcp, dSojjicXsl V l^dpxcxe <p(uva. 9, 1 ff. x(i>}Ldao}iev . . . . ic Xpofiioo
StojjLa (vgl. V. 48 oojJLitootov). J. 7, 1 ff. KXsdcvSpcp xic . . . Ä vfiot . . . iraxpi?
o^Xa^v TeXfiodp)^oo izctpä ;cp6d'opoy l(i)v iivv^sipixtu xa)|ioy.
7) P. 6, 50f. N. 9, 53 ff.
8) N. 1, 19 foxav V In^ a5Xetatc ««öpatc.
. 9) O. 1, 17f. P. 1, 97.
10) Daher O. 10, 9 x6xoc; weil O. XI. das Vorspiel ist, steht V. 19
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88 IV. KapiteL
aber auch für den olympischen Sieg Therons musste er zwei
Oden verfassen^).
Doch mit der Hauptfeier begnügte sich der Ehrgeiz reicher
Familien selten, sondern das Andenken des Sieges wurde oft,
entweder am Jahrestage, oder bei hervorragenden Gelegenheiten,
etwa einem grossen Volks- oder Familienfest, erneuert; z. B.
sind die in der dritten pythischen und der neunten nemeischen
Ode gepriesenen Siege längst vergangen*), ja der Sieger der
zweiten isthmischen war bereits gestorben. Die elfte pythische
Ode wurde bei den Theoxenien im Tempel des ismenischen
Apollo zu Theben gesungen, wie ein lokrischer Chor die neunte
olympische anstimmte, als man ein Fest des heimischen Heros
Aias feierte*); Arkesilaos gab an den Karneen ein Erinnerungs-
mahl mit Chorgesang*). Die zehnte nemeische Ode vollends
galt nicht einmal einem bestimmten einzelnen Siege ^).
Damit waren die mögUchen Fälle lange nicht erschöpft;
hören wir doch z. B. von einem Korinthier Xenophon, dass
er ausser dem üblichen Enkomion — es ist unter den olym-
pischen das dreizehnte — von dem würdigen Sänger unbe-
denklich ein Lied für das heitere Mahl, das er den Dienerinen
Aphrodites im Haine der korinthischen Göttin gab, verlangte;
Pindar bezeichnete es halb entschuldigend selbst als Skolion^.
Da das Siegeslied ein Gelegenheitsgedicht ist, setzt es eine
Grundlage von Thatsachen voraus, die wir die prosaischen
Elemente des Siegesliedes nennen möchten. Den Sieger selbst
mit vielen Worten zu preisen, war nicht althellenische Art,
1) Phil. Bastgen qno tempore et consilio Pindaros carmen Ol. 11 et
m. composnerit, Dies. y. Münster 1883. Vielleicht wurde das zweite im
Hanse gesungen, das dritte nach den Schollen und der Ueberschrift beim
Theoxenienfeste.
2) notl P. 3, 74. N. 9, 52. Dagegen kann h^i ncp N. 8, 80, wie das
folgende zeigt, bedeuten, dass der langsam arbeitende Dichter auf sich warten
liees ; allerdings heisst es V. 2 tv Upojifjvtqt Nep.6d8t, aber nach den Schollen
ist dies bildlich zu verstehen.
3) V. 112. — Bei Nem. Vn. vermutet Croiset p. 115 den Geburtstag
oder die Mannbarwerdung des Siegers als Anlass der Wiederholung.
4) Pyth. V. nach Leop. Schmidt (Pyth. IV. war dann für die wirkliche
Feier verfertigt gewesen; umgekehrt Fr. Thiersch I S. 96).
5) V. 23ff.
6) Fr. 99 bei Athen. 13, 573 ef.
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Chorlieder. 89
sondern es fiel unangenehm auf, als Simonides von dem Faust-
kämpfer Glaukos behauptete, Polydeukes und Hecakles könnten
68 mit ihm nicht aufnehmen ^) ; man fürchtete ihm dadurch
eher wie durch den bösen Blick üebles zuzuziehen, zum min-
destens war die neidische Missgimst seiner Mitbürger gewiss^).
Seine persönlichen Vorzüge werden demgemäss höchstens mit
wenigen Worten angedeutet, im Gegenteil berührt der Dichter
ein etwaiges Unglück mit zarten Trostworten; nur muss auf
jeden Fall erwähnt werden, ob ihm schon früher ein Sieges-
preis zugefallen ist. Der Grieche lässt dem Einzelnen nur als
Glied einer edlen Familie oder als Bürger einer vielgenannten
Stadt seine volle Ehre widerfahren. Der Vorfahren und der
Heimat Ruhm ist also jedem hellenischen Lobredner, mag er
in Prosa oder in Versen sprechen, die reichste Quelle des Preises,
so lange überhaupt das gebildete Heidentum das Andenken
an seine Sagenzeit bewahrte'), um wie viel mehr für Pindar,
den aristokratischen Sänger der ererbten und von Alters her
überkommenen Tüchtigkeit ! Gemäss dem religiösen Sinne der
Griechen durfte ferner der Dichter die Gottheit nicht übergehen,
weil sie dem Sänger durch ihre Gnade das höchste Glück
bescherte^). Der fromme Pindar weist den Glücklichen in
der Regel deshalb auf die Gottheit hin, damit er sich nicht
überhebe. Die Betonung der menschlichen Hinfälligkeit klingt
hie und da so stark hervor, dass der melancholische Ton in
den Festjubel nicht hineinzupa^en scheint^). Der Vorgang
des Wettkampfes selbst blieb wegen seiner Trivialität unberührt,
wenn nicht ein ungewöhnlicher Zwischenfall, wie bei dem Flöten-
spieler Midas, Interesse erregt. Dass bei dem Siege von Renn-
pferden Wagenlenker und Rosse über dem eigentlich verdienst-
1) Fr. 8 p. 390 Bergk.
2) N. 8, 21 o^/ov 8i X6Yot yd-ovepoiotv.
8) Man wird mit Natzen vergleichen, was die Rhetoren über die Lob-
rede sagen (z. B. Hermogenes progymn. c. 7, Aphthon. prog. c 8, Theon
«poY. c. 8). Aehnlich angelegt sind die Epigramme der Weihgeschenke, z. B.
enthUt Kaibel 932 das Lob des Siegers, seiner Heimat, deren Metropolis u.
des Vaters. Vgl. anch im Allgemeinen Jacobs Nachträge zu Salzers Theorie
der schönen Künste I 49 ff.
4t) Ueber das „Glück" der Sieger s. Dissen in seiner Aasgabe S.
xvn— xxn.
5) Dies tadelten einige au der achten pythischen Ode (Schollen zaV. 96).
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90 IV. Kapitel.
losen Herrn derselben nicht ganz ignoriert würden, forderte
die natürliche Gerechtigkeit; aus einem ähnlichen Beweggrunde
nannte man bei Knaben den Lehrer, welchem sie ihre gym-
nastische Fertigkeit verdankten ^). Endlich ziemt sich der Glück-
wunsch, der Sieger möge sowohl im Allgemeinen glücklich sein
als auch weitere Kränze, zumal bei den höchstgeachteten
Olympien erringen.
Diese Punkte bot die reale Welt dem Dichter, ohne dass
seine Phantasie durch sie gehemmt und an die Heerstrasse
des Konventionellen gebannt worden wäre; denn die Freiheit,
das ThatsächUche möglichst kurz oder in poetischer Umhüllung
zu berühren, blieb ihm unbenommen, wovon schon vor Pindar
das bei Plato erhaltene Lied des Simonides Zeugnis ablegt.
Sodann zeigte er seine Meisterschaft gerade darin, dass er, im
Gegensatze zu dem prosaischen Panegyriker, eine Regelschablone
verschmähte, vielmehr das Material nach künstlerischen Rück-
sichten frei gruppierte, wenn es auch in der Natur der Sache
lag, dass das Lied von dem Ereignis des Tages entweder
sofort*) oder nach einer kurzen Einleitung^) ausging und am
Schlüsse darauf zurücklenkte. Ausserdem kam ihm der Um-
stand zu statten, dass je nach den oben aufgezählten Gelegen-
heiten des Siegesfestes manches mehr hervorgehoben werden
musste, anderes weggelassen werden durfte; so hatte der
Dichter besonders bei Wiederholung der Feier eine viel
grössere Bewegungsfreiheit.
Vor allem aber erschloss jene hellenische Scheu vor dem
Lobe des einzelnen dem Dichter ein Stoffgebiet, welchem er
leichter als der nach griechischen Begriffen nicht idealisierbaren
Gegenwart eine poetische Seite abgewinnen konnte; das Reich
der althellenischen Poesie war aber die Heroensage und somit
bildete schon bei Simonides *) den glänzendsten Teil des Sieges-
liedes ein Mythus*). Nun leitete jede vornehme Familie
1) O. 8, 55 ff. 11, 16 ff. N. 5, 48 f., vgl. J. IIL a. E.
2) £>er Sieger wird aber nur ansnahmsweise (Pyth. IX.) sogleich genannt.
3) Diese hiess yielleicht Rpoxtup-tov (N. 4, 11, anders die Schollen), wo-
gegen P. 7, 2 npoolfiiov den Ansgangspankt bezeichnet.
4) Schol. Nem. 4, 60.
5) Konr. Ohlert de heroologia Pindarica, Diss. y. Jena, EÖnigsbeig
1870; H. Panse (Gebrauch der Mythen in den Pindarischen Epinikien,
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Chorlieder. 91
Griechenlands ihren Stammbaum über die Gründung der Stadt
hinaus zur grauen Vorzeit zurück; hatte Pindar für einen
solchen Sieger die Muse zu bemühen, dann wählte er natürlich
einen Mythus aus der Pamiliensage , so Ol. IV. einfach die
Geschichte des Ahnherrn der Jamiden und ähnlich im elften
nemeischen Liede. Sonst nahm der Dichter, wenn nicht, wie
bei den sicilischen und italischen Kolonien, die prähistorische
Zeit fehlte, zum Sagenschatz der Heimat des Siegers seine
Zuflucht, welchem Brauche wir eine lange Reihe herrlich er-
zählter Sägen verdanken, z. B. den ganzen Argonautenzug,
dessen Darstellung die vierte pythische Ode füllt; der Dichter
verdient namentlich bei den zahlreichen Aiginetenliedern darum
besonderes Lob, weil er immer neues zu erzählen weiss. Dann
besitzt der Ort der Spiele gleichfalls seine Mythen, die berück-
sichtigt werden können, zumal wenn das Fest nicht am Wohn-
orte des Siegers abgehalten wird. Für Olympia ergeben die
erste, dritte und zehnte Ode einen vollständigen Cyklus der
Gründungssagen, der Herakles, Pelops und die Pflanzung der
ersten heiligen Olive umfasst ^) ; auch Nemea erhält im neunten
Liede den gebührenden Preis. Als ferner einmal ein Flöten-
spieler sich an Pindar gewandt, lag es nahe, dass der Dichter
die Erfindung der Flötenmusik zum Mythus des Liedes (Pyth.
XH.) wählte.
Obschon die Griechen durch die Vorträge der Rhapsoden
und Dithyrambiker daran gewöhnt waren, eine beliebige Sage,
wenn sie nur schön erzählt war, anzuhören, forderte doch die
besondere Veranlassung und der private Charakter der Feier
einige Rücksichten, so dass der Dichter über jene durch die
Volksanschauung gerechtfertigten Klassen von Sagen nicht leicht
hinausging. Wenn er aligemein gehaltene Weisheitssprüche
durch irgend welche mythische Beispiele belegte und beleuchtete,
that er es demgemäss in der Regel mit kurzen Hinweisen.
Weiter ausgeführte Mythen, welche nicht auf die Geschichte
der Familie, der Heimat oder des Festspieles Bezug haben,
Oreiffenbeig i. P. 1871; Vitaliano Menghini Ercole nei canü di Pindaro.
Saggio sol valore e 8iüla proprietä del mito nella poesia pindarica, MUano 1878.
1) Labbert de Pindari carminnin qnibns Olympiae origines canit
fonübiis, Progr. v. Bonn 1882.
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92 rV. Kapitel.
gehen stets auf einen individuellen Anlass zurück. Warum
sollte Pindar einem im Wettlauf siegreichen Knaben nicht
Perseus, das Heroentdeal des Schnellläufers, zur Nacheiferung
vor Augen stellen^)? Solche beziehungsreiche Sagen wählt
Pindar in Ermanglung einer alten Geschichte bei drei Siciliern :
Als Hieron krank lag, verglich ihn der Dichter, tröstend und
ehrend zugleich, mit dem leidenden Philoktetes und erinnerte
an die heilkundigen Heroen Asklepios und Chiron *). Bei dem
grauköpfigen Psaumis gedenkt er einer Episode des Argonauten-
zuges, wo der durch ebenfalls früh gebleichtes Haar auffallende
Erginos siegte*). Auch bei Chromios hat der Mythos von Ixion
eine besondere persönüche Beziehung, wenngleich sie für die
Unbeteiligten nicht klar zu Tage liegt; denn der Dichter
fürchtete nach eigenem Greständnisse dadurch Anstoss zu er-
regen *). Gelegentlich trug Pindar dem Lokalpatriotismus seinen
Tribut ab, wenn er vor demselben Chromios, weil die neue
Stadt Aitna einer Geschichte entbehrte, Herakles, Thebens
Stolz, schildert*); allerdings nahm dieser Heros eine sozusagen
universelle Stellung ein. So bleibt die elfte für einen jugend-
lichen Mitbürger gedichtete Ode übrig, wo die Orestessage
V. 16 flf. so unmotiviert eingefügt ist, dass der Dichter, um
wieder zu seinem Thema einzulenken, fragt, ob er auf einem
Kreuzwege von der rechten Strasse abgekommen oder wie ein
Seeboot durch den Wind abgetrieben worden sei, worauf er
scherzhaft die Muse ermahnt,' sie möge sich durch das Lob
des Siegers für das empfangene Honorar dankbar erweisen
(V. 38 ff.). In diesem einen Falle brauchte der Dichter wahr-
scheinlich keine persönlichen Rücksichten zu nehmen. Nur in
einigen meist kurzen Oden fehlt der mythische Teil ganz^)
oder er ist auf Anspielungen eingeschränkt^). Die Griechen
betrachteten eben solche mythologische Abschweifungen («apex-
1) Pyth. 10, 29 ff.
2) Pyth. 1, öOff. 3, 1 ff.
3) Ol. 4, 17 ff.
4) Pyth. 2, 52 ff.
5) Nem. 1, 33 ff. Mit den Worten iv xopofaic &psx&v (it^aXai^ scheint
Pindar anzudeuten, dass er Herakles als Idealhellenen fasst.
6) Ol. V. XI. (X). Xn. Pyth. VIL
7) Ol. IV. Nem. H. Isthm. I.
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Chorlieder. 93
ßdaetc, wie die Scholien sagen) als selbstverständliche Zugabe
des Enkomions^). Um gerecht über Pindar zu urteilen, be-
achte, wem die Reden der Kaiserzeit keine genügende Recht-
fertigung scheinen , die Abschweifungen in des gefeierten
Isokrates „Helena", wo doch dem Rhetor ein ausgebildeter reicher
StoflF, der schon für sich vollkommen gentigt hätte, vorlag.
Was die äusserliche Einführung der Mythen betrifft, so
knüpft sie der Dichter in der Regel lose an eine Sentenz oder
an die vergleichende Nennung eines Heroennamens an ^ ; nur
der zuletzt erwähnte unmotivierte Mythus ist in mehr äusser-
licher Weise herangezogen. An den von Pindar ausführlicher
berichteten Sagen kann man den Unterschied der epischen
und lyrischen Erzählungsweise studieren. Weit entfernt von der
behaglichen Breite Homers, wenngleich in längerem Bericht die
Personen oft nach epischer Weise redend auftreten, bewegt
sich eine pindarische Erzählung sprungweise vorwärts. Zuerst
pflegt der Hauptinhalt oder der Ausgang des Mythus mit
markigen Worten hingestellt zu werden. Hierauf beginnt der
Dichter von Anfang an, hebt aber nur das aus^ was ihm
wichtig scheint. Bald bleibt er stehen, bald schlägt er einen
weiteren, doch anmutigen Seitenpfad ein, dann eilt er auf dem
nächsten Wege zum Ziele, nie sich verirrend, selbst wenn er
den Anschein davon annimmt. Am Ende sind wir auf den
verschlungenen Pfaden zum Eingang wieder zurückgeführt.
Wenn die Fülle des Stoffes drängt, schaltet er auch wohl einen
Teil kunstvoll in der Form einer Prophezeiung ein % Von der
Objektivität des Epos ist keine Spur vorhanden. Der Dichter
prüft sinnig sowohl das Einzelne wie das Allgemeine sub specie
aetemi, indem es ihn zu sittlichen, oft an Sprüche des Volkes
und der Literatur gelehnten Gedanken anregt. Er rühmt
sich seines Gedankenreichtums, dass er „viele rasche Geschosse
im Köcher habe, laut redend für die Verständigen, während
die Menge Dolmetscher bedarf*^). Viele Oden beginnen mit
1) Aristot. rhet. 3, 17 p. 1418 a 33flf. xp"*l "^^^ Xoyov iirsiooJtoöv ^naivoic
tu s. w. Cicero orator 19, 65 a re saepe discedunt, intexant fabnlas.
2) Fein z. B. Nem. 7, 22 flf.
3) Pyth. 9, 51 ff. Nem. 1, 61 ff., vgl. Pyth. 4, 9 ff.
4) Ol. 2, 91 ff. vgl. Pyth. 3, 80.
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94 IV. Kapitel.
allgemeiueu Betrachtungen^) und die meisten endigen in ein
Sprichwort oder eine Gnome. Vom Allgemeinen geht Pindar
zum Besonderen über und vom Besonderen hinwiederum zum
Allgemeinen. Obgleich er über die phantasiearmen Wiederholer
spottet*), erkennt er trotzdem, dass die Fülle nicht das Ideal
der Kunst sei. Unter einer Menge einströmender Ideen die
geeigneten auszuwählen, weil die Kürze der angewiesenen Zeit
den Sänger zur Beschränkung nötigt'), erscheint ihm als eine
hohe Gabe*). Andererseits fürchtet er bei den Hörern Ueber-
Sättigung, die ja selbst „beim Honig und Aphrodites Freuden
eintritt**^). Darum gleicht nach seinem schönen Bilde die
Muse des Enkomions der Biene, die des lieblichen Honigs
wegen von Blume zu Blume schwärmt % und an einem anderen
Orte wird die Ode mit einem farbenbunten Gewebe Lydiens
zusammengestellt ^).
Ungeachtet dieser eigenen Versicherungen des Dichters
begnügte man sich mit der eben auseinandergesetzten AVmahme
durchaus nicht. Die alten Grammatiker brachten ihre aus
allen Scholien sattsam bekannte Gewohnheit, überall persönliche
Anspielungen aufzuspüren, ganz besonders bei Pindar zur An-
wendung. Aber erst die neuere Philologie strebte methodisch
die Aufstellung einer bestimmten Formel an ; Erasmus Schmids
logische Kategorien fanden keinen Beifall. Dagegen nehmen
manche einen ethischen Grundgedanken der einzelnen Oden
an^, während Böckh und andere, indem sie gleichfalls eine
Grundabsicht aufsuchen, die Beziehungen des Einzelnen auf
1) Ol. I. XI. Pyth. V. X. Nem. IV. VI. Isthm. IH.
2) Nem. 7, 104 f.
3) Nem. 4, 33 f. Isthm. 1^ 62 f., vgl. Isthm. 5 (6), 56 f.
4) Pyth. 9, 78 f.; 6 Zk xaipöc 6p>oia>c icavxö^ l/ti xopo^dtv, ähnlich Frg.
adesp. lyr. 86 a p. 717.
5) Kopoc Pyth. 1, 82, vgl. Nem. 7, 52flf. 10, 21.
6) Pyth. 10, 53 f. rfxa>p.ia>v ^ap £a>TO(; 5}iv(ov hvi* SXkcrz* &\\ov a>tt }it-
Xiooa ^vti X6yov ; vgl. 11, 42 £XXox' iWcf tapaool}itv.
7) Nem. 8, 15 Ao$tav {iixpav xava/Yj^äc icticotxiX}Uvav, vgl. P. 9, 77 f.
ßaiÄ S'ev p.axpoic icoixiXXtiv, &xoä oo^oic* fr. 194 (206) icoixiXov x6op.ov a6Sdi-
»vta X6yov. 179 (170) 6^aiv(o .... iroixtXov Äv8Y)ji.a.
8) So beeondeis Bissen in seiner Ausgabe, auch Welcker Rhein.
Mus. 1, 461 ff: kleine Schriften 1, 176 fi. 191 £f. und O. Malier Vorrede £u
Dissens opuscula 1842.
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Chorlieder. 95
die persönlichen Verhältnisse des Siegers hervorheben^). Bei
keiner dieser Methoden kommt die Poesie^ oder auch nur die
Forderungen des Festes zu ihrem Rechte. Pindar hatte keinen
moralischen Satz durchzuführen'), sondern die Freuden eines
Familienfestes zu erhöhen. Doppelsinnige Anspielungen hätten
im Kreise der Hörer eher Unruhe hervorgerufen, zum mindesten
aber ihre Empfänglichkeit für den herrlichen Gesang gestört;
noch weniger konnte es Pindar einfallen, an dem Ehrentage
seiner Freunde und Gönner durch unzeitige aufdringliche
Mahnungen ihren Neidern eine Waflfe in die Hand zu drücken.
Wie wir auseinander gesetzt haben, war nicht die oft recht
menschliche ladividuahtät des Siegers der Mittelpunkt des
Festes, sondern das ruhmbedeckte Glied einer Familie und
einer Bürgerschaft, der fromme Günstling einer Gottheit. Das
ist, wenn man will, der „Grundgedanke** aller Oden und ihr
A und fi im vollen Sinne des Wortes.
Den Gelehrten interessiert an den Mythen nicht wenig
ihr Inhalt. Man darf bei einem Dichter voraus setzen, dass
er mit den alten Meistern des Gesanges wohl vertraut war;
wie hätte er sonst in manchen Dichtungen die Mythen „aus
vollem Sacke säen** können? Da er nun besonders mit Homer
und Hesiod häufig übereinstimmt, liegt die Annahme, dass sie
oft seine Autoritäten waren, sehr nahe*); allerdings waren
Hesiod und Pindar dem gleichen Stamme entsprossen und
somit vielleicht beide unabhängige Verkündiger einheimischer
Sagenformen* Natürlich musste der thebanische Sänger die
einheimischen Traditionen der Sieger und besonders, was mit
den örtlichen Kulten zusammenhing, wohl beachten^). Als
Dichter und als Besinger weit von einander entfernter Städte
1) Bdckh in der Ausgabe und ges. kleine Schriften 7, 369 fi.; Mezger
Pindars Siegeslieder S. 30 £f., vgl. Leop. Schmidt de josta ratione inter-
pretationis Pindaricae, ind. lect. hib. Marburg 1864.
2) 6. Hermann opuscula 6, l£f. 7, 97 £f. (VI S. 31: „Eine poetische
Idee ist ein Gedanke der das Gefühl in Anspruch nimmt"), ähnlich Croiset
p. 2d3ff.
3) A6Ytt>v xopu^a Pyth. 3, 80 ist ganz anders gemeint.
4) E. Lübbert de Pindari studüs Heeiodeis et Homericis, ind. lect.
jiib. von Bonn 1881/2. Man schrieb Pindar Hesiods Grabschrift zu (Bergk p. 383),
5) Vgl. Pausan. 9, 22, 7.
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96 ^' Kapitel.
empfand er kein Bedenken, wenn er einen Mythos bald so
bald in einer anderen Fassung vortrug, z. B. äusserte er sich
über die Heimat des Dithyrambos dreimal verschieden^). Aber
die Gelehrten rühmten Pindars Zuverlässigkeit und Treue*).
So waren Stoff und Formen des Siegesliedes beschaffen').
Pindars Individualität konnte dabei in einer Weise hervor-
treten, die man nur empfinden, aber nicht beschreiben kann
ausser mit Worten des Dichters selbst: Wie ein Adler erhebt
er sich majestätisch über die gemeinen Vögel. Doch ist seine
Würde nicht kalt und frostig gleich einer Statue, denn Pindar
tritt stürmisch wie ein kampfesmutiger Athlet oder ein reissen-
der Bergstrom auf*). Seine Poesie beruht auf genialer Inspi-
ration*), so dass er sich der ihm ^ von allen Seiten zufliessenden
Gedanken kaum zu erwehren weiss. Schon das Proömium ist
in der Regel energisch und ein solches njXaoY^c ÄpöocoTcov,
dass es sofort die gespannte Aufmerksamkeit der Hörer erweckt.
Leichter ist Pindars Eigenart in stilistischer Hinsicht
zu erfassen*). Er wird von den alten Rhetoren unter den
Hauptvertretern des strengen Stiles genannt und dies mit
vollem Recht'). Schlichte Anmut, einfache Natürlichkeit,
zarte Lieblichkeit sind ihm nicht gegeben, wenn schon er
selbst glaubt, dass er, ein Liebling der Grazien, süsser als
Honig singe*). Man möchte fast sagen, sein Stil setze sich
aus Dissonanzen zusammen, die in ihrer Gesammtheit einen
imponierenden Eindruck machen; Boileaus berühmtes Wort
„Chez eile un beau däsordre est un effet de Part'* (art po6-
tique n 72) ist thatsächlich mehr als eine geistreiche Antithese.
Pindars Oden zeigen eine merkwürdige Verbindung von reicher
1) Ol. 13, 18 mit Scholien.
2) Aristid. or. 48 IH p. 610 (H p. 484 Dind.).
3) Die Form heisst xs^ii.6(: Nem. 4, 33, Teö-p-ic 5|ivoo Ol. 7, 88; vgL
Aeschyl. Snppl. 1035 mit Scholien.
4) Vgl. N. 5, 20 ^x"* '{ov&x(ov ftXa<ppöv 6pp.div. Antip. Sidon. . AnthoL
Plannd. 305 üiepixäiv Q&Xiz'^c^a, besonders Horat. carm. 4, 2, 5 ff.
5) PlAto Men. 81b reebnet ihn zu den d-slot, was er p. 99 c erläutert,
6) Ed. Lübbert de elocutione Pindari, Diss. v. Halle 1853; Edm.
Pan nicke de snblimitate Pindari, Progr. v. Cüstrin 1873.
7) A5oTY|pi dpjiovta Dionys. comp. verb. 22. vet. scr. cens. 2, 5. Quin-
til. 10, 1, 61.
8) Fr. 152 (uXioGoxeüxtwv xfjpiwv ejia Y^oxspwtspoc iftfi; Ol. 9, 27.
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Chorlieder. 97
Fülle*) und karger Knappheit*). Er verfügt über einen
unerschöpflich scheinenden Reichtum an den herrlichsten
kühnsten Bildern, wie er keinem zweiten ausser Aeschylus zu
Gebote steht ')^ imposante Appositionen und ganze Gruppen
volltönender Eigenschaftswörter geben von dem gepriesenen
Gegenstande eine grossartige Idee^); daneben sind dem Dichter
auch Augenblicke, wo die Sturmflut der Inspiration plötzlich
stille steht, nicht erspart, freilich nur Augenblicke*). Weit
gedehnte mächtig dahin rauschende Perioden — in der zehnten
pythischen Ode fordert das kurze Versmass einen ähnlichen
Satzbau, welche Entschuldigung für die zweite nemeische nicht
gilt — paaren sich mit hastigen Sätzchen ^; wenn ein neuer
Gedanke sich aufdrängt, lässt der Dichter die einmal begonnene
Ausdrucksform plötzlich fallen'). Wie eigenartig seine Wort-
stellung ist^, weiss jeder Leser; trotzdem hat schwerlich einer
die Empfindung, Pindar sei durch die schwierigen Versmasse
dazu genötigt, es ist vielmehr als ob die Dunkelheit, über
welche schon die Alten klagten^, zu dem prophetischen Tone
1) Lübbert a. O. p. 14 fi.; CtoU. 17, 10, 8 nimis opima pingaiqne
esse facundia.
2) Labbert a. O. S. 2St
3) Löbbert a O. S. 9ff. 39ff. M. Godofredns de elocntione Pin-
dari, Susati 1865; O. Goram PhUoL U, 241 ff. 478 ffl M. Ring zur Tropik
Pindars, Peeth 1873; Bemb. Scbmeier de translationibns ab honüne petitis
apnd Aescbylom et Pindamm oomm., Eönigsbeig 1882; anch G. C. Hense
ober personificirende Adjectiva und Epitheta bei griecb. Dichtem, Halber-
stadt 1855.
4) Pannicke a. O. p. 6f.; Th. F. Brännig de a4jectivi8 compositis
apnd Pindamm (I. Altena 1880) Berlin 1881; S. Tessing de compositis
nominibus Aeechyleia et Pindaricis, Diss. y. Lnnd 1884; £. Bickmann in
cnmolandis epithetis qnas leges sibi scripserint poetae Graeci maxime lyrid,
Diss. y. Leipzig, Hirschberg 1884.
5) nspl 5<]^oDc 33.
6] Lübbert p. 16 ff. Pannicke p. 3 ff. Wohl die gedehnteste Periode steht
am Anfange von Pyth. IV. üeber Asyndeta: l^cho Mommsen adnotat.
crit. snpplem. p. 192. '
7) Anakoluthe: Pannicke p. 12 ff.; über verschiedene Eigentümlichkeiten
der Syntax: Ernst Friese de casunm singolari apnd Pindamm nsn, Berlin
1866; Oskar Wilpert de schemate Pindarico et Alcmanico, Breslau 1878.
8) Paulos Harre de verbomm apud Pindamm conlocatione, Berlin
1867; Pannicke p. 701
9] Eustath. c. 34 (aber nicht Eupolis bei Athen. 1, 3al].
Sittl, Geschichte der griechischen literator. m. 7
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98 IV. Kapitel.
des gottbegeisterten Sängers unumgänglich und natürlich gehörte.
Pindar machte den Eindruck der Altertümlichkeit ^), während
doch der glättere Simonides älter war. Doch fehlt es nicht
an Stellen, die der letztere gedichtet haben könnte; ich erinnere
an den auf Zeus' Scepter schlafenden Adler, die Flammen-
ströme des Aetna und die Blumen des Frühlings, von denen
Pindar in dem athenischen Dithjn^ambos singt. Es mag sein,
dass der thebanische Dichter von dem Erbfehler der ßöotier
nicht frei war, indem er bei weitem mehr mit der Sprache zu
kämpfen hatte als der zungengewandte lonier Simonides, aber
vielleicht gerade deshalb hat er ihr ungeahnte Schätze ab-
gerungen *).
Dieser inspirierte Geist sammelte nach seinem stolzen
Worte ^) nicht mühsam das Regen wasser, sondern seine Poesie
glich einer lebendig sprudelnden Quelle; demungeachtet widmete
er , auf ein Gedicht sich ganz koncentrierend *) , der jeweiligen
Aufgabe einen unendlichen Fleiss. Die überraschende Mannig-
faltigkeit, womit Pindar das trivialste ausdrückt, so dass er
sogar den Namen des Festortes, des Siegers und seines V^ater-
landes äusserst selten in derselben Weise nennt ^), muss er-
arbeitet sein; wenn ferner an der gleichen Stelle der Strophe
und Gegenstrophe gerne gleich oder doch ähnlich klingende
Wörter vorkommen*), wie es überhaupt die Griechen lieben^),
ist dies ebenfalls mehr als ein blosser Zufall. Nicht einmal
gewissen Künsteleien seiner Zeit entzog sich Pindar, z. ß.
1) Dionys. compos. verb. 22 tö ap)^atx6v exslvo xal xb aoaxfjpov.
2) Horat. carui. 4, 2, lOf. p6r audaces nova dithyrarabos verba devolvit.
3) Quintilian. 10, 1, 109 (fr. 258); Dio Chrys. 2, 32 hebt Xa^i-pox-rj;
Tijc f üotcüc hervor.
4) Isthm. 1, Iflf.
5) Karl Bitter de Piudari studio nomina variandi, Dissertatt. philol.
Argeot. IX (1885) p. 239 ff.
6) Mezger Pindars Siegeslieder S. 37 ff. Desselben Gelehrten damit
verbundene Annahme, welche von Westphal Prolegoraena zu Aeschylus'
Tragödien S. 81 ff. (eigentlich schon von Fr. Thierse h üebers. I S. 62 f.)
herrührt, dass Pindar das terpandrische Nomenschema auf die Chorlieder
übertrug, hat alles gegen sich. S. auch Macan Transactions of the Oxford
phil. Society 1882/3 p. 16 ff.
7) AI. Rzach über antistrophische Wort- und Gedankeuresponsion
in den Chorliedem der sophokleischen Dramen, Progr. v. Prag 1874.
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Chorlieder. 99
dichtete er einmal ein Lied ohne Sigma^). Selbst für einen
solchen Enthusiasten bleibt es wahr: „Natur und Kunst, sie
scheinen sich zu fliehen, und haben sich, eh' man es denkt,
gefunden.**
Die chorische Lyrik war ja im vollen Sinne des Wortes
eiue Kunst und dem entsprach es, dass Pindar nach griechischer
Gewohnheit in einem Kunstdialekt dichtete *). Die böo tische
Mundart, welche Korinna, weil sie an ihre Landsleute allein
sich wandte, wohl anstand, passte natürlich für einen vielum-
worbenen Dichter nicht, wenn er bald in Sicilien, bald auf
Aegina, bald in einer anderen fernen Stadt eine Probe seiner
Kunst ablegte, sondern hätte eher Spott hervorgerufen. Leider
gehen uns die Mittel zur Bestimmung von Pindars Dialekt
völlig ab'). Die Alten bezeichneten ihn als ein mit Aeolismen
vermischtes Dorisch, und wollten obendrein Atticismen vor-
finden*). Soviel dürfen wir als sicher annehmen, dass er nicht
der delphische war^), aber auch nicht der böotische*), die
Gedichte, die für ßöotier bestimmt waren, möglicher Weise
ausgenommen'). Man nimmt an, dass der dorische Charakter
oder das äolische Element mehr hervortrat, je nachdem eine
Ode in dorischer oder äolischer Mundart komponiert war*).
Aber korrigierende Grammatiker und nachlässige Abschreiber
wetteiferten, das Charakteristische unwiederbringlich zu ver-
wischen.
1) Klearchos fr. 63 bei Athen. 10, 448 d, vgl. Pindar. 79 xb oav xt^-
iakov ötv^ptoKotocv aizb aTO|j.axu*v.
2) G. Hermann de dialecto Pindari observationes, Lpz. 1809 = Oi)us-
cnla I p. 245 flf.; Tycho Mona ms en Jahrbb. f. Phil. 83, 4001; W. Aug.
Peter de dialecto Pindari, Diss. v. Halle, Berlin 1866; Aug. He im er studia
Pindarica, Lund 1885.
3) U. V. Wilamowitz homerische Untersnchnngen S. dl9f.
4) Eustath.Od. p. 1702, 4 f.; Dorisch Suidas; über Atticismen Schol.
Aristoph. Acharn. 728 (720).
5) Ahrens über die Mischung der Dialekte in der griech. Lyrik, Ver-
handl. der Phil. Vers, in Göttingen 1853 S. 71 flf.
6) A. Führer PhUol. 44, 69flf.
7) Z. B. haben zwei Handschriften Ol. 14, 8 das böo tische 'Ep;^o|jLevo5
bewahrt.
8) 8o G. Hermann und Ahrens.
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100 IV. Kapitel.
Pindars Verdienste um Metrik und Musik ^) entziehen
sich völlig unserer Kenntnis ; eine grosse Lücke unseres
Wissens, zumal da der Dichter auf Rhythmus und Melodie
kein geringeres Gewicht als auf die Worte legte *)1 Doch gibt
uns die Benennung von Versmassen einen Fingerzeig, da gerade
drei antispastische Metren pindarisch heissen'}. Sein Lieblings-
mass waren die daktyloepitritischen Strophen, welche ruhige
Würde athmen, ohne schwerfällig zu sein*).
Der imponierende Eindruck des pindarischen Genius war
so mächtig, dass vor den französischen Spöttern Malherbe,
PeiTault*) und Voltaire keine ernstUche Opposition sich regte,
wenn man ihn den Meister der antiken Lyrik nannte; denu
gerade in dieser konventionellen Gattung empfand jeder die
Bedeutung einer grossen Persönlichkeit Pindar wurde natürlich
von seinen engeren Landsleuten unter die Klassiker der Musik
aufgenommen % aber auch in Athen war er schon im fünften
Jahrhundert durch Aufführungen so wohlbekannt, dass die
Komiker seiner Erwähnung thaten und Verse parodierten').
Im vierten Jahrhundert gehörten Pindars Päane zu den beliebten
Tischgesängen*). Der äussere Ruhm des Dichters erstrahlte
noch heller, als Alexander bei der Eroberung Thebens ausser
den Göttertempeln nur Pindars Haus verschonte, weil dieser
einen Sieg seines gleichnamigen Ahnherrn besungen habe*).
1) G. Hermann im III. Bnnd von Heynes Ansgabe; Aag. Böckh de
metris Pindari, Bd. n T. 2 seiner Ansgabe; W. Christ die metrische Ueber-
liefemng der pindarischen Oden, Manchen 1868 (ans den Abhandl. der bayer.
Akad. XI 3 S. 129fi.); J* H. H. Schmidt die Enrhythmie in den Chor-
gesftngen der Griechen, Lpg. 1868 (darin Schemata sämmtlicher pindarischer
Epinikien); Mor. Schmidt die Taktmaasse einiger olympischer Oden Pindars,
Sitzungsber. der bayer. Akad. 1872 n 406 flf.; Fei. Vogt de metris Pindari
quaestt. tres, Strassbarg 1880 (Dissertatt. philol. Argentor. IV.); Mor. Seh midt
über den Ban der pindarischen Strophen, Lpg. 1882.
2) VgL Dionys. de vi Demosth. 26 ictpl xa [^.i'kT^ xal to6c ^d^^ouc
^äXXov ^ icspl TY)v Xi^iv taicooSaxox;.
3) Hephaest. c. 15 p. 52. Schol. Pind. Pyth. 6, 9. 2 epod. 7.
4) C. Hermann Jahrbb. f. Phü. 180, 481 flf.
5) Vgl. Boileau reflexions snr Longinns VIEL
6) Aristoxenos bei Plntarch. mns. 31.
7) Aristoph. Av. 924 ff. 939; Enpolis bei Athen. 1, 3a.
8) Timaios bei Athen. 6, 250 b.
9) Hin. nat. bist. 7, 29. Plntarch. Alex. 11 a. E. Arrian. anab. 1, 9, 10
(Xi^ooGt, er fögt anch den Schatz der Nachkommen bei). Dio Chrys. or. 2, 33.
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Chorlieder. 101
Durch diese demonstrative Verordnung wurde Pindar den
Diadochenhöfen empfohlen; da überdies die Philosophen die
Lesung des sentenziösen hochsinuigen Dichters anrieten^),
gehörte er zum Kreise der Schulschriftsteller *) , was ihm die
Beachtung aller Grammatiker sicherte. Nachdem bereits Z e n o -
dot den Text recensiert hatte*), ordnete Aristophanes von
Bjzanz säratiiche Dichtungen Pmdars, reinigte den Text
tm^ trennte die Versö*); seine Arbeit blieb wahrscheinlich in
den Hauptzügen massgebend^). Auch der grösste des Trium-
virates hielt sich von Pindar nicht ferne: Es gab eine mit
kritischen Zeichen und Kommentar versehene Ausgabe des
Aristarchos, indes stand sie hinter der Homerrecension
erheblich zurück*). Ihm lagen bereits mehrere Kommentare
vor^); der älteste, den wir noch kennen, rührt von Aristo-
phanes' Schüler Kailistrat os her®). An Aristarchos schlössen
sich verschiedene Schüler und Anhänger in der Pindarforschung
Äu: Ammonios, sein Nachfolger, Aristodemos von Elis^)
und Aristonikos *®), ferner Chairis"), der Sidonier Dio-
nysios^^, Asklepiades, welcher die offiziellen Siegerlisten
Liban. t n p. 218. y 27 ff. Soidas. £ 95 ff: Tzetz. GhU. 7 bist. 139. Th.
24 ff. (übertragen auf PauRanias and die Spartaner, obgleich diese Theben
nie aserstörten, Solin. 9, 16. E 91 ff. V. 24 ff. Th. 21 ff.). Das Haas worde
später in das Prytaneion verwandelt (V. 27. E. 96 f.).
1) VgL Diogen. Laert. 4, 31.
2) Ps. Aeschin. epist. 4, 2. Dionys. Thraz bei Sext. Empir. adv. math.
1, 58. — Kallimachos ahmte Pindar nach (Schneider zu. hymn. 2, 87. 112).
3) SchoL Ol. 2, 7. 6, 91.
4) Ordnnng Thomas Mag. Z. 57 West.; Kritik Schol. Ol. 2, 48; Vers-
teilong Dionys. compos. verb. 22. 26 (Tzetzes schrieb Anecd. Paris. I p. 73
diese Arbeit einem tu>v ao^div tcov icaXaitdTmv zn).
5) Lübbert de Pindari carminibns dramaticis, ind. leot. hib. 1884 p. 10.
6) Paol Feine de Aristarcho Pindari interprete, Halle 1883 (anch in
den Commentationes philol. Halenses) ; Engen Hörn de Aristarchi stndiis
Kndaricis, Diss. v. Greifswald 1883.
7) Schol. Nem. 1, 49 p. 34, 8 Abel.
8) Böckh in der SchoUenansgabe p. XHI.
9) Böckh p. XTV; tv f tctpl Iltv^apot) Athen. 11, 495 f.
10) Schol. Ol, 3, 31, vor Didymos Ol. 1, 38. 7, 153.
11) Wahrscheinlich ebenfalls Tor Didymos (SchoL Pyth. 4, 496).
12) Schol. Pyth. 1, 172; Dionysios ohne Zusatx Ol. 11, 55. Pyth. 1, 109.
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102 IV. Kapitel.
einsah^), Chrysippos^, Menekrates') und Agestratos*>
Der Pergamener Artemon besctoänkte sich auf die Erklärung
der eicilischen Oden^)/ Einzelne Lesarten werden unter dem
Namen des berühmten Krates, des Dionysios Charmidu
und Leptines eitiert*). Andere beschäftigten sich mit der
Bestimmung der Odenarten : Kallim ach os in Verbindung mit
seinen Katalogen^), Aristophanes' Schüler Dionysodoros^,
Apollonios „der Eidograph**^, Dionysios von Phaseiis ^®>
und Hephaistion").
Die wenig leseeifrigen Gelehrten der Kaiserzeit gingen am
liebsten auf den Kommentar des fleissigen Didymos zurück^
der alle diese Forschungen zum grössten Teile der Werke
Pindars zusammenfasste ^*).
In der Kaiserzeit steht die Suprematie Pindars bei Griechen
wie bei Römern fest^*). Di© Jugend muss ihn in der Schule
lesen ^*), weshalb der Presbyter Apollinaris von Laodikeia Imi-
tationen christlichen Inhalts an seine Stelle zu setzen versuchte **)•
Trotzdem erwälmt Suidas an Kommentatoren dieser Zeit nur
einen Palamedes,- wozu eine metrische Abhandlung Drakons
1) Vor Didymos Scbol. Nom. 2, 19; Siegerlisten Schol. Nem. VI. a. A.
2) BÖckta p. xn identificiert ihn ohne Grand mit dem Stoiker; s,
Christ. Aronis Xpaaiicicoc '(pa\i.it.axnn6<:, Jena 1885.
3) Schol. Ol. 2, 16. Isthm. 4, 104
4) Schol. Pyth. 10, 85; Ptolemaios Epithetes ist vielleicht ancb
hieher zu rechnen (Schol. Ol. 5, 44).
5) Schol. Ol. 5, 1. Pyth. 1, 1. 3, 48. Isthm. 2 praef. ; vor Menekrate»
Ol. 2, 16.
6) Schol. Nem. 2, 16; Nem. 7, 35; Ol. 11, 55 unsicher.
7) Schol. Pyth. H. a. A.
8) Schol. Isthm. 2, 54.
9) Schol. Pyth. IL a. A., vgL 1, 3.
10) Schol. Pyth. H. a. A.; Nem. XL p. 332, 14 Abel.
11) Schol. Isthm. V p. 427, 1 AbeL
12) 'E5y)yy)ok: nivSapixY} Lactant. fals. relig. 1, 22, 19; Eust Z, 172 o^
ji-^v xä K&vxa 6ict{ivnQ{iaTio{iiva, Ammon. u. Srfia'(tvtX<; : Iv 6icoji.vYyiaTt ty icpu>t<f>^
td>v icaidvtt>v ; Fragmente bei Mor. Schmidt Didymi Chalcenteri fragmenta,
Lpg. 1854, p. 214 ff.
13) Cicero orator 1, 4. Horat. carm. 4, 2. IIcpl Bfj/otx; 33, 5. Petron. 2
(Pindaras novemqne lyrici). Quintil. 10, 1, 61. Stat. silv. 4, 7, 5. MartiaL
8, 18. 6. Pintarch. symp. 7, 5, 4. Antipater Anthol. Plannd. 305.
14) Lncian. opfiicoo. 17. Palladas Anthol. 9, 175, 1.
15) Socomen. bist eccles. 5, 18.
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Chorlieder. 103
(«spl TÄv IlivSdpoo jjieXÄv) und eine mystische Schrift des Por-
phyrios „über die Nilquellen bei Pindar" kommen^). Doch
gehört der Kern unserer SchoUen in diese Zeit; die Namen
von Kompilatoren wurden eben leicht vergessen. Dafür kann
man pindarische Einflüsse in der schönen Literatur nach-
weisen. So dichtete zu Plutarchs Zeit Pankrates in pindarischer
Manier*); vor ihm hatten schon die Römer Titius und Rufus,
durch Horazens berühmtes Wort, dass dem verwegenen Nach-
ahmer das Schicksal des Ikaros bevorstehe, nicht abgeschreckt,
dieser Selbsttäuschung gehuldigt^. Gelegentlich findet man
80 manchen pindarischen Edelstein in fremder Fassung wieder,
z. B. bei Horaz *) und im Proömium des Periegeten Dionysios ^)*
Auch Philostratos und andere Sophisten der Kaiserzeit holten
sich glänzende Floskeln aus dem Dichter, obgleich Hermogenes
verständig abmahnte^).
Desgleichen thaten byzantinische Prosaiker^). Denn so
schwer ihnen auch das Verständnis Pindars fiel, Hessen doch
die Byzantiner nicht von der Schultradition ab ; indes scheint
Pindar dem höheren Unterricht vorbehalten worden zu sein^.
Um die Mitte des sechsten Jahrhunderts veranstaltete Johannes
Barbukallos, Grammatiker an der Universität Berytos, eine
Recension des Textes*). Von dem Kommentar des gelehrten
Eustathios, welchen Basel einst besessen haben soll, ist bisher
nur die Einleitung aufgefunden (S. 68). In dessen Zeit begann
1) Vgl. Bergk za Pindar. fi* 282.
2) Plutarch. mns. 20. Athen. 15, 677 de.
3) Horat. epist. 1, 3, 10. Orid. ex Ponto 4, 16, 28, vgl. Reiffers che id
eoDjectanea nova, index lect. hib. von Breslau 1880 S. 7.
4) Th. Arnold de Horati stadiis Graecis I p. 12.
5) Eastath. zu Y. 1 ; viele Imitationen verzeichnet Tafel dilucidationuni
Pindaricamm spec. I. Tübingen 1819.
6) Walz, rhet Or. in p. 226; Fr. Matz de Philostratornin descriptionis
imaginnm fide, Bonn 1867 p. 115 f.; Karl Nemitz de Philostratomm ima-
gtnibns, Breslau 1875 p. 46 f.; Karl Teuber qnaestiones Himerianae, Breslau
1882 p. 7f. 25flF.
7) Agatiiias: s. z. B. Teuf fei PhiloL 1, 501 A. 29; Joh. Malchin de
Choricii Gazaei veterum Graecomm scriptorum studiis, Kiel 1884 p. 58 fif. ;
anf verschiedenes weisen Boissonades Ausgaben, z. B. von Tzetzes, hin.
8) YgL Michael Psellos in Sathas' (leaaicuv. ßißXio^. V. p. 92.
9) AnthoL Palat. 9, 629; vgl. Bergk p. 35.
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104 in. Kapitel
das Studium des Dichters sich mehr zu verbreiten, was das
Bedürfnis nach praktischen schulmässigen Hilfismitteln rege
machte. Die anonjrmen Scholien der erhaltenen Hand-
schriften^) sind aus älteren Kommentaren bald genauer bald
oberflächlicher und kürzer ausgezogen und für den Standpunkt
der Schule bearbeitet. Das Byzantinische überwiegt in den
jüngeren Handschriften, an deren Scholien namentlich Thomas
Magistros, £manuel Moschopulos und Demetrios TrikUnios
beteiligt waren*). Nicht weniges stammt erst aus dem sech-
zehnten Jahrhundert, wie die Noten von Melchisedek, einem
Metropoliten von Rhaedestos (in der Frankfurter Ausgabe) und
Alexandres Phortios (in den patmischen Scholien), und rührt
zum Teil nicht einmal von griechischen Gelehrten her^. Zu
Böckhs Schoüensammluug , von welcher der erste Teil Athen
1841 nachgedruckt wurde, lieferten C. E. Christ. Schneider*),
Julius Resler*), Tycho Mommsen*) und Semitelos ^) ansehnliche
Nachträge; eine neue Ausgabe unternahm Eugen Abel, wovon
vorläufig der zweite die Scholien zu den Nemeen und Isthmien
enthaltende Band (Berlin 1884) erschienen ist. Man kann wirk-
liche Anmerkungen, bei der Lektüre gemachte Interlinearglossen
1) Bock h in der Ausgabe der Scholien p. IX ff.; L. v. Sybel de
scholiis veteribus in Pindari carmina, Marborg 1872; K. Lehrs die Pindai*
scholien, Lpg. 1873 (Nachtrag : Königsberger wiasensch. Monatsblätter 6, 27 ff.).
Der Verfasser einer dieser Kommentare erläuterte zugleich Aischines (Schol.
Aeschin. 3, 91. 179] und Thukydides (ib. 1, 29). Aus einem solchen ist
ferner das dritte Argument zur euripideischen „Biedea" geschöpft (Dindorfe
Schol. Eurip. IV p. 4). ^
2) Christ. Schneider apparatus Pindarici supplementum ex codicibus
Vratislav. I. Thomae Magistri et Dem. Tricl. schoUa in Pythia qnatuor prima
ex cod. Vrat. E, Breslau 1840; Tycho Mom m sen scholia recentiora Thomano-
Tricliniana in P. Nemea et Isthmica, Frankf. a. M. 1865, in Pyth. V.— Xn.,
Frankfurt 1867.
3) Z. B. das von Lehrs a. 0. S. 96 f. angefahrte; Olossen tod Petrus
Victorius. Acta philol. Monac. I p. 310 ff.; Tycho Mommsen scholia Ger-
mani in Pindari Olympia e cod. Vindob., Kiel 1861.
4) S. A. 2 und Vetera in Pindarum scholia denuo ex cod. Rhediger.
edita, Progr. der üniv. Breslau 1843.
5) Ultimae Pindari Isthmiae scholia maximam partem nunc primum
ed., Diss. y. Breslau 1847 u. PhUol. 4, 510ff.
6} S. A. 2. 3.
7) IlivSdpoo ox^JLta Uatpiiaxa . . . ixS. 6ic6 Ay)}!. £t{ittiXoo, Athen 1875
(von Sakkelion in zwei Exemplaren der Ausgabe von Kalliergis entdeckt).
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Ohorlieder. 105
(von denen die meisten ungedruckt sind) und Paraphrasen des
Textes scheiden. Letztere sind auch zusammenhängend über-
liefert*). Denn der Dialekt Pindars bereitete sogar den Gelehrten
grosse Schwierigkeiten*), weshalb Gregor von Korinth statt
selbständiger Sammlungen mit der Kopie der sprachUchen
Scholien zu den drei ersten Olympien sich begnügte'). Das
Metrum vollends war, obgleich Trichas*) und Isaak Tzetzes*)
die Studierenden durch kurze Leitfäden zu unterstützen ver-
Buchten , den meisten ein Buch mit sieben Siegeln % Darum
ist -es kaum glaublich, dass eine bestimmte Ueberlieferung
über die musikalische Komposition der piudarischen Oden
damals noch existiert haben sollte. Wenn nun der gelehrte
Athanasius Elircher „aus einer Handschrift des Klosters S. Salva-
tore bei Messina'' die fünf Anfangsverse der ersten pythischen
Ode mit beigeschriebenen Musikuoten veröflfentlichte , so zahlte
er damit dem fälschungslustigen Jahrhundert seinen Tribut^).
Allerdings las man Pindars Verse nach einer Art von musika-
lischen Takten zerteilt®), aber ohne durch die Ueberlieferung
dazu berechtigt zu sein*); auch wenn der musikkundige Michael
Psellos sagt, dass Pindar für Flötenmusik komponierte ^®), bringt
er damit eine eigene Vermutung vor.
1) Z. B. Codex Vatic. Palat. Graec. 128 p. 61 Stevenson (zu den
Olympien).
2) Gr^^r. Corinth. p. 12 (5 Eoen.); Anonymus hinter demselben p. 170.
3) MoTsbach Rhein. Mus. 31, 574 ff.
4) Vgl. Ang. Jnng de Trichae metrici vita et scriptis, Breslau 1858.
5) Geruckt bei Cr am er aneodota Paris. I. am Ende des ersten Bandes.
6) Anonymus bei Panl de Lagarde Symmikta p. 174, 10 Ilivdapoc
iiva {lirpa xal xoic vov £f voiota. Kann übrigens Horaz alle Metren erftksst
haben, wenn er sagt: nnmerisque fertur lege solutis (carm. 4, 2, 11 f.)?
7) Er machte sie 1650 in der musurgia universalis I p. 541 bekannt,
verriet sich aber durch das dreisilbige ic^Xaia^ und besonders die Aufhahme
TOD Schmids Konjektur tcov (ppoi{i[<nv (statt icpoocfiuov). Die Noten stimmen
mit denen, welche Alypios für die lydische Tonart vorschreibt und zwar sind
«wei Verse ifir Geeang und die übrigen drei für Instrumente gesetzt. Mit
der Echtheit fallen die von Fr. Thiersoh (üebers. I S. 142 ff.) daran geknüpften
Kombinationen über die Teilung des piudarischen Chors.
8) Schol. Dionys. Thrac. Bekker Anecd. n 751 adn. u>c 6pqi(; tot xob
TLtvZdpöo ooYxtxofi.}i.iv(oc ix^tp6)jLtva.
9) Ebend. p. 752, 1 f.
10) In Sathas' (itaatcov. ßißXiod. V. 538.
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106 IV. Kapitel.
Die Handschriften^), welche alle Gedichte enthalten,
müssen auf einen verstümmelten Archetypus zurückgehen,
in welchem die letzten isthmischen Oden bis auf ein in
einer einzigen Handschrift erhaltenes Stück — die anderen
Abschreiber liessen es absichtlich weg — verloren gegangen
waren. Kein Kodex reicht über das zwölfte Jahrhundert
zurück, indes unterrichten über die ältere Vulgata die SchoUen.
Unter den älteren Handschriften, deren bisher fünfundvierzig
verglichen sind, ragen Ambrosianus A (Ol. I. — ^XH.), Parisinus G
(Ol. I 1 — Pyth. V 67) und die vollständigen Handschriften
Vaticanus-Ursinus B, Parisinus C und Mediceo-Laürentianus D
hervor. Die zahlreichen Exemplare der Recension des Thomas
(meistens nur die olympischen und die zwei ersten pythischen
Oden enthaltend) und die durch häufige erläuternde Inter-
polationen entstellten Moschopulos- und Triklinioshandschriften
gewähren nicht viel Nutzen. Die Inschrift eines angeblich in
Syrakus gefundenen Ziegels, welche einige Verse der sechsten
olympischen Ode enthält, ist im besten Falle eine Kuriosität').
Pindar wurde dem lateinischen Europa nicht eben früh
bekannt. Die Berühmtheiten der italienischen Renaissance
ignorierten den uneleganten Denker, weil er ernsthaftes Studium
forderte, ausser dass ihn Angelo Poliziano gegen die kirchlichen
Psalmen ausspielte. Erst 1513 erschienen seine Dichtungen
zugleich mit Kallimachos, Dionysios Periegetes und Lykophron
in Venedig bei Aldus und Andreas Asulanus, welche schon
1515 der Kreter Zacharias Kalliergis in Rom mit einer auch
1) Tycbo Mommsen Rhein. Mos. 6, 435ff. Ztacta. f. d. Altertamsw.
1846 Nr. 114 und besonders in seiner kritischen Ausgabe; Beigk p. 34 ff.;
Jnl. £. Resler Philol. 4, 510 ff.; E. Abel zur Handschriftenknnde des Pindar,
Wien 1882, Wiener Studien 4, 224fr. (aber den Stammbaum 8. 249 ff.); Hand-
schrift von Dannstadt: Acta philol. Monac 3, 423 ff.; Keapel: Freese de
codidbns Mss. Neapolitanis Pindari, Pr. v. Stargard 1835; Barcelona: E.V olger
Philol. 18, 714f.; Petersburg: Aug. Nanck Bull, de Tacad. de St Petersb.
6, 296 ff: = M^langes Gr^oo-Rom. n 487 ff.; Lesarten des Yictorius: Acta
philol. Monac. 1, 314. — . üeber die Grundlagen der Kritik im allgemeinen :
Bdckh über die krit. Behandlung der pindar. Gedichte, Ges. kleine Schriften
V 8. 248—396; W. Christ die metrische Textüberlieferung des Pindar,
Philol. 25, 607 fll
2) Herausgegeben von P. Matranga Annali d. instituto arch. 1844
p. 235 f. mit Tafel M.
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Cfhorlieder. 107
Schollen enthaltenden Quartausgabe überbot. In Deutschland
wurde Pindar durch die von Zwingli eingeleitete Ausgabe
Cratanders (zuerst 1526), woran Joh. Lonicerus' beliebte Prosa-
übersetzung (Basel 1528 u. ö.) anknüpfte, bekannt und durch
den Tübinger Philhellenen Martin Crusius empfohlen*). In
Frankreich, wo seit 1560 Henricus Stephanus mit einer nied-
lichen eine wörtliche Uebersetzung und die Lyrikerftttgmente
einschliessenden Sedezausgabe grossen Erfolg hatte, wurde Pindar
unter Heinrich III. von Sudorius (le Sueur) in lateinische
Verse übertragen (Paris 1575), während Bonsard (1524 — 1585)
an der Spitze einer zahlreichen Schule gelehrter Dichter den
Ehrennamen des französischen Pindar anstrebte •). Aus dieser
anempfundenen Begeisterung erwuchs der Wissenschaft keine
andere Frucht als Johannes Benedictus' Ausgabe mit Para-
phrase und tüchtigem Kommentar (Saumur 1620)'). Viel
neues brachte dagegen Erasmus Schmid, welcher durch Ver-
gleichung von Handschriften, Emendation und Erläuterung des
Textes in der IlivSdpot) icspfoSoc (Wittenberg 1616), wenn auch
seine metrischen Grundsätze und vollends die Erklärungsweise
gänzlich verfehlt waren, respektables leistete; der humanistische
Mathematiker wollte nämlich das pindarische Flügelross unter
das Joch eines logischen Schemas beugen. In England erstand
nach französischem Muster eine für Pindar schwärmende Dichter-
schule, welche Abraham Cowley, „der brittische Pindar" (1618
— 1667), ins Leben rief*); er gab nicht nur den Anstoss dazu,
dass noch im vorigen Jahrhundert zahlreiche Pindariker, wie
Gray, Akenside, Mason und andere, den englischen Parnass
belebten, sondern der Verskünstler hatte auch indirekt die
Oxforder Folioausgabe (1697) von Richard West und Robert
1) Vgl. C. F. Schnitzer Eos 2, 334 ff.
2) Eog. 6 an dar Bonsard oonsider^ comme imitateor d'Hom^re et de
Pindare, Paris 1854.
3) Den ersten vollständigen Kommentar gab Franc Portns heraus (Genf
1583). Vgl. auch Blondel oomparaison de Pindare et d'Horace, Amster-
dam 16d3.
4) Pindarick ödes written in Imitation of the style and manner of the
ödes of Pindar 1681 (Poetical works, Edinburgh 1784 H p. 171 ff.), um die-
selbe Zeit nahm Italien an der Pindarmode durch die metrische Uebersetzung^
von A. Adimari (Pisa 1631—32) Teil.
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108 IV. Kapitel.
Welsted veranlasst, deren selbständiger Wert in der Heran-
ziehung englischer Handschriften und einem reichen Register
besteht. Deutschland wurde nach dem Verblassen des Huma*
nismus eigentlich erst wieder von Klopstock an den griechischen
Lyriker erinnert und graduierte Willamow für die 1766 ge-
druckten Dithyramben zum deutschen Pindar. Nun drängen
sich dichterische Huldigungen und gelehrte Arbeiten ^) : Herder
übersetzte zehn Oden^ und von ihm lernte den thebanischen
Sänger der junge Goethe lieben, welcher in der Ode „Wanderers
Sturmlied'* seinen Enthusiasmus zu erreichen sich bemühte,
und sogar die fünfte olympische Ode übersetzte'). In jenen
Jahren erschienen auch die Ausgabe von C. G. Heyne (Göttingen
L Text 177& H. Uebersetzung 1774) und die erste grössere
Fragmentensammlung (Carminum Pindaricorum fragmenta cur.
J. Gottl. Schneider, Strassburg 1776); jene errang einen erheb-
lichen Erfolg erst in der zweiten selbständigeren Bearbeitung
von 1 797 — 99, weil Gottfried Hermann metrische Abhandlungen
dazu beisteuerte*).
Für das Verständnis des Sinnes sowohl als der Rhythmen
leistete das bedeutendste August Böckh (Lpg. 1811 — 21, Th. I.
Text H 1. Schollen 2. Metrik)*^), von dem alle neueren Arbeiten
ausgehen. Zur Textkritik zog erst Tycho Mommsen (Berlin
1864 2 Bde.) die meisten Handschriften heran und stellte
ihren Wert fest; der Text der kritischen Ausgabe von Bergk
(poetaelyricaeGraeciL* 1843,* 1878) weicht hauptsächlich durch
zahlreiche kühne Konjekturen ab. Zwischen dieser und der
konservativen Richtung Mommsens hält die Textausgabe W.
Christs (Leipzig 1869) die Mitte«).
1) Schon im folgenden Jahre schrieb der durch Gk>ethe bekannte Clodins
in „Versuche aus der Literatur und Moral^^ (1767) I S. 49 ff. über Pindar.
2) Zur schönen Literatur und Kunst X. Tübingen 1808.
3) Bd. m S. 379 f. Hempel, vgl. M. Bernays (Goethes Briefe an Fr.
A. Wolf 8. 7. 122.
4) 8. Aufl. Lpg. 1817, 3 Bde. Abdruck London 1824. C. D. Becks Aus-
gabe (Lpg. 1792—95, 2 Bde. mit Schollen und Anmerkungen) blieb un-
Yollendet.
5) Vgl. über die kritische Behandlung der pindar. Gedichte, Abb. der
BerL Akad. 1822/8 = gee. kleine Schriften 5, 248-396.
6) Vgl. Phüol. 25, 607 ff.
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Chorlieder. 109
Bezüglich der Erklärung, über deren Richtungen S. 94 f.
gesprochen ist, können wir eine klassische Ausgabe nicht
namhaft machen. Friedrich Mezgers „Pindars Siegeslieder'*
(Lpg. 1880) besitzen namentlich den Vorzug, dass hier die
Abhandlungen über einzelne Oden verzeichnet stehen *) ; Eng-
land hat eine vollständige Ausgabe von C. A. M. Fennell
(Olympien und Pythien, Cambridge 1879, Nemeen und Isth-
mien, London 1883) erhalten. Alle übrigen Ausgaben sind
unvollständig: Schneidewins Bearbeitung der älteren Ausgabe
L Dissens (Gotha 1847 — 50) umfasst nur Olympien und
Pythien*). Um die Olympien haben sich Albert de Jongh
(Utrecht 1865), Moritz Schmidt (Pindars olympische Sieges-
gesänge, Jena 1869) und Schwickert (F. 0. S., Trier 1878),
um Olympien und Pythien B. Gildersleeve (New- York 1885)
verdient gemacht. Ausserdem ist W. Furtwängler als Verfasser
von „Pindars Siegesgesänge in einer Auswahl nach den wesent-
lichen Gesichtspunkten erklärt'' (Freiburg i. B. 1859) zu nennen.
Die zweite und sechste Olympika bearbeitete Sim. Karsten
(Utrecht 1825).
Auf die Uebersetzung des unübersetzbarsten aller
Griechen wurde unsägliche Mühe verwendet, zuöaal von den
Franzosen, wie wenn sie die Sprödigkeit ihrer Sprache besonders
reizte; ich verkenne dabei keineswegs, welche Bedeutung die
wörtlichen Uebertragungen für das Aufblühen der Pindarstudien
hatten. Von den meisten Versuchen, ob mehrere gleich Namen
von bestem Klange wie Melanchthon, Herder, Wilhelm von
Humboldt tragen, nennen wir nur die philologisch bemerkens-
werten Arbeiten von J. Gurlitt (Olympische Siegesgesänge,
Lpg. 1809; Pythische S. 1.— 12. 1816; 8. isthm. S. 1818; 1.
1) Dazn kommen jetzt: Ol. VI. U. y. Wilamowitz IsyUos von £pi-
damos 8. 162 ff.; Ol. VH. Th. Fritzsche Beitr. zur Kritik u. Erklärung^
des Pindar I. Güstrow 1880; Ol. X. E. Lübbert diss. de Pindari carmine
Olympico X., Progr. der Un. Kiel 1881; Pyth. n. E. Lübbert de Pindari
carmine Pythico secundo, Kiel 1880; Pyth. IX. Ed. Lübbert proleg. in
Pindari Carmen Pyth. IX., ind. schol. aest. Bonn 1883; Pyth. X. G. Prac-
caroli la Pitia X. di Pindaro, Verona 1880; Nem. VII. C. Steffen zu
Pindar Nem. VH., Progr. v. Lpg. 1882.
2) £. Y. Leu t seh additamentoram ad Lnd. Disseni in Pindari carmina
commentarinm spec. I. 1865. n. 1866. in 1. und 2. IV. 1868 (Universitäts-^
sehriften von Göttingen].
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110 IV. Kapitel.
u. 10. nem. S. 1818), Friedrich Thiersch (Lpg. 1820, 2 Bde.
mit umfassender Einleitung), Tycho Mommsen (Lpg. 1846)
und J. A. Härtung (Lpg. 1855—56, 4 Bde.).
Die Pindarforschung entbehrte des notwendigen Wörter-
buches, da die Lexika von AemiUus Portus (lexicon Pindaricum,
Hannover 1606), Damm (novum lexicon Gr. etymol. et reale,
Berlin 1765) und Heinr. Ernst Bindseil (concordantia omnium
vocum carminum integrorum et fragmentorum Pindari, Berlin
1874) nicht genügten, bis Kumpel durch sein Lexicon Pin-
daricum (Lpg. 1883) diese Lücke ausfüllte.
Um das Dreigestirn der Dichter, welche wir im Vorstehen-
den zvi schildern versuchten, drängten sich eine Menge unbe-
deutender Tagesberühmtheiten, von denen der Koer Amphi-
men es dadurch allein, dass er Pindar feind war, seinen Namen
fortpflanzte ^).
Ein persönliches Interesse wenigstens beansprucht der
Melier Diagoras^), während er als lyrischer Dichter — es
werden zwei Siegeslieder genannt — der Bedeutung entbehrte^).
Obgleich diese Gedichte den Frommen keinen Anstoss gaben,
beging er einmal die Unvorsichtigkeit, die athenischen Mysterien
zu verspotten, worauf die gereizten Athener einen hohen Preis
auf seinen Kopf setzten und ein Städtchen verfluchten, weil es
ihn nicht auslieferte*). Jenes Dekret war noch 415 in Kraft,
1) Aristoteles bei Diog. Laert. 2, 46.
2) Vgl. Bergk reliq. comoed. Atticae p. ITlflf. J. L. Mounier de
"Diagora Melio, Rotterdam 1838; Theod. Münchenberg de D. M., Diss. v.
HaUe 1877 ; Sohn des TÄlekleides oder Teleklytos (Telekletos Schol. Aristopb.
Ran. 323), nach anderen Sklave und Schuler des Demokrit (Suidas). Tatlanos
(adv. Graecos 27 p. 164) bezeichnet ihn irrtümlich als Athener; Mt^Xco^ wird
oft in MxX-fjotoc verderbt.
3) Philodem. ic. c&osß. p. 85 Gomperz; nach (p.ixa. codd.) Pindar und
Bakchylides, aber vor Melanippides (Saidas); Zeitgenosse des Simonides und
Pindar (Schol. Arist. Ran. 323), des Bakchylides (Euseb. chron. Ol. 78, 1(3);
Ol. 74, 3 zielt auf Gelous Thronbesteigung, bezieht sich also ebenfalls auf
Simonides oder seineu Neffen). Sext. Empir. math. 9, 53 nennt ihn BtO-o-
pa}j.ßonoi6(, dies ist aber aus Aristoph. Ran. 320 erschlossen, wie die Schollen
zeigen.
4) Ps. Lysias contra Andocid. 7. Melanthios u. Erateros bei Schol.
Aristoph. Av. 1073. Ran. 323 auf Grund der Urkunde. Die chronologischen
Angaben sind irrtämlich (Ol. 91, 2, Hermenfrevel Diodor. 13, 6, 7 wegen
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Chorlieder. 111
selbst zehn Jahre später war der Skandal noch nicht vergessen ^) ;
dagegen scheint Diagoras 399, als Andokides angeklagt wurde,
bereits tot gewesen zu sein. Er starb in Frieden zu Korinth *),
dessen Bürgerschaft ihm die Aergerung der verhassten Athener
gerne verzieh ; sie hätte ihm allerdings keinen Schutz gewähren
dürfen, wenn es wahr wäre, dass er die Götter leugnete *). Dies
ist jedoch nur aus einigen Komikerstellen, wo Freidenker durch
den Spitznamen „Diagoras** beschimpft und zu ähnlicher Be-
ßtrafting denunciert werden sollen*), herausgelesen; ein solcher
Zweifler benützte das Pseudonym für eine atheistische Schrift %
für welche Diagoras ebenso wenig die Verantwortlichkeit trägt
als für die entschuldigende Begründung seines Atheismus^ und
die komische Anekdote, dass er mit einer hölzernen Herakles-
statue den Küchenherd heizte '). Diagoras war weder ein himmel-
stürmender Philosoph noch ein hervorragender Dichter.
^ Zur Zeit des peloponnesischen Krieges war die neue Gat-
tung des Siegesliedes durch den Dithyrambos^, welchen der
Kitharöde Arion nach der Ueberlieferung zuerst geregelt hatte
(Bd. I S. 314 flf.), bereits in den Schatten gestellt; Athen er-
kannte an, dass aus dem bisherigen Dionysoshymnus eine selb-
stÄndige Literaturgattung herausgewachsen war, indem es kurz
nach dem Sturze der Zwingherrschaft im Jahre 508 (Ol. 68, 1)
den Dithyrarabos in das stehende Programm des grossen Dio-
Aristoph. Av. 1071; nach der Erobernng von Melos Schol. Arist. Av. 1073);
nach Protagoras Lactant. instit. div. 1, 2, 2, jedenfalls in Friedenszeit, weil
Peloponnesier sich anschlössen (Erateros bei Schol. Ban. 323).
1) Aristophan. Av. 1071. Ran. 320.
2) Snidas.
3) In diesem Rufe kommt er schon bei Philodemos (a. O.) und später
oft bei den christlichen Apologeten vor.
4) Aristoph. Ran. 318 (nach Aug. W. Winkelmann Acta societ.
Graecae n p. 8fif. ist Euripides gemeint), Nub. 830.
5) 'AnofcopYiCovxs^ Xo^oc Suidas; über die Unechtheit Philodem. a. O.
6) Schol. Aristoph. Nub. 832 (828). Suidas.
7) SchoL Arist. a. O. Athenag. apol. 4. Clem. Alex, protr. p. 21 P.
8) Im Altertum schrieb der Thraker Demosthenes icepl Sid'upafi-
ßoKouuv; Tgl. Lütke de Graecorum dithyrambis, Diss. v. Berlin 1829; Moritz
Schmidt diatriba in dithyrambum poetarumque dithyrambicornm reliquias,
Berlin 1845; Härtung Philol. 1, 397 ff.
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112 IV. KapiteL
nysosfestes aufnahm. In jener Zeit, wo Aristokraten und Demo-
kraten um die Herrschaft rangen, während zugleich die An-
hänger des Hippias noch Hoffnungen auf seine Wiederkehr
hegten, mussten die Regierenden das Volk sowohl für manches
Schaugepränge, das mit der fürstlichen Hofhaltung verschwunden
war, entschädigen als auch durch Erhöhung der Festpracht in
gute Laune versetzen. Im ersten Agon erhielt ein sonst nicht
genannter Dichter den Preis, Hypodikos von Chalkis*);
waren doch die Lyriker der eubOischen Stadt im alten Athens
hochangesehen, wie die Beliebtheit von Tynnichos' Päan bezeugt.
Der Dithyrambos machte damals gerade eine bedeutende Um-
gestaltung durch, deren Verdienst Lasos gebührt*), einem Bürger
der argolischen §tadt Hermione, welche alljährlich zu Ehren
des Dionysos Melanaigis musische Wettspiele abhielt*) und in
Themistokles^ Jugendzeit Athen den gefeiertsten Kitharaspieler
sendete *). Lasos war schon von dem Peisistratiden Hipparchos ,
nach Athen gezögen worden und hatte damals die Schwinde-
leien des Mystikers Onomakritos entlarvt % Später vielleicht kam
er als Konkurrent des Simonides wieder in die Ilissosstadt ^)
und hinterliess dort das Andenken eines geistreichen, aber
spitzfindigen Mannes'^), weshalb ihn manche Spätere gar den
1) Marm. Par. Z. 61. Der Preis war ein Stier (Schol. Plat. 400 B, da-
her Aca>v6ooio £vaxto^ ßoo^ovov d'spdicovta = $id^pa}j.ßov Simonides bei Cha-
xnaileon Athen. 10, 456 c).
2) In alter Zeit schrieb Chamaileon über ihn (Athen. 8, 338 b), in
neuerer Schneidewinde Laso Hermionensi, ind. lect. hib. von Göttingen 1842,
Der Vater hiess Chabrinos (Aristoxenos bei Diogen. Laert. 1, 42, Charbinos
Suidas, Xaßpioo Isaac Tzetz. in' Lycoph. p. 252 M, nach Schneidewin p. 7
Xap}j.lvo(, nach Pape-Benseler Xapcvoc ; Hermippos bei Diog. f&hrt ausserdem
Charmantides n. Sigymbrios an). Aaooc (nicht Adooc) nach Aristoph. Vesp. 1412.
3) Pausan. 2, 35, 1.
4) Plutarch. Themist. 5.
5) Herodot. 7, 6; Seil neide w in PhUoI. 10, 356 f. wiU Herod. 5, 43
ix tu>v Adooo XP'H^H-^^ herstellen, aber dort verlangt der Zusammenhang
einen alten böotischen Propheten.
6) Aristoph. Vesp. 1410 f. U. K ö h 1 e r (bei Löschcke, Progr. v. Dorpat
1883 S. 5 A. 5) vermutet, dass Pausanias 1, 8, 4 eine Statue des Lasos, nicht
des Kaiadas neben der Pindars erwähnte.
7) Anekdoten: Chamaileon bei Athen. 8, 338b. Ps. Aristot. bei Stob,
flor. 29, 70. Plutarch. de vitioso pudore 5. Hesychios hat aus einem Komiker
(fr. ine. 158 M.) das Wort Aaoio}i.ata, tue oocpiotoS to& Adooo xal icoXoicX6xoOy
woraus Suidas macht: toöc Sptoxtxoö? eloYjY'fjoato Xi^oo?.
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GhorHeder. 113
sieben Weisen beizählten^), Obgleich die Grammatiker in dem
Dichter den ersten wahren Dithyrambiker zu erblicken pflegten ^,
lag nichts mit seinem Namen vor, was nicht Zweifel erregt
hätte: Ein von allen Sigma freier Hymnus an Demeter, die
Hauptgöttin Hermiones, beruhte auf der bedenklichen Autorität
des pontischen Herakleides'), eine gleichartige Künstelei, y,die
Kentauren'* betitelt, wurde von mehreren verworfen*) und zur
Echtheit der Dithyramben hatte man gleichfalls kein Ver-
trauen^). Noch bedenklicher ist eine Prosaschritt über Musik,
worin der vermeintliche Lasos bereits auf Schauspieler Bezug
nahm^I
Wie war nun der Dithyrambos des Lasos und seiner Zeit-
genossen beschaffen? Der allgemeine Charakter, der sich in
ihm aussprach, war der des dionysischen Kultes überhaupt,
ekstatische Erregung mit fröhlicher Weinlaune gepaart ''). Dazu
stimmten der aufgeregte Rhythmus , in welchem der davon
benannte Bakeheios besonders hervortrat ®), voll Raschheit ^) und
der Tyrbasia genannte bakchantische Tanz^®), wiewohl sich
die Griechen zu der wilden Raserei kleinasiatischer Orgien
nicht herabwürdigten; dafür bürgt die kraftvolle und würdige
dorische Tonart, welche dem alten Dithyrambos der Pelopon-
1) Hermippos bei Diogen. Laert. 1, 42. ttvec bei Suidas, weshalb er in
die 58. Olympiade versetzt wird.
2) Antipatros u. Eaphronios bei Schol. Aristoph. Av. 1403 ; Clem. Alex.
Strom. I p. 365 P, 308 S; auch Snidas* Angabe : «pÄto? hh o&ioc . . . Std-üpajißov
elc ^(uva xaiiariqae muss gegen das urkundliche Zeugnis der pariseben Chronik
zurückstehen. Nachfolger Arions Schol. Pind. Ol., 13, 25. Is. Tzetz. in Lycophr.
p. ^2M.
3) Athen. 10, 455 ed. 14, 624 ef.; über die Abneigung der Griechen
gegen diesen Zischlaut Schneidewin a. O. S. 13 f.
4) Athen. 10, 455 c.
5) Aelian. bist. an. 7, 47 ev tote Aaooo Xrf op.4voic Bid-opdtjißoti; ; die dürf-
tigen Fragmente bei Bergk III* 376 f.
6) Suidas, benützt Mart Cap. 9, 936, nicht notwendig Theo Smyrn.
mus. 12 (tpaai) und Aristoxen. härm. elem. I p. 3 Meibom.
7) Plutarch. de EI ap. Delphos 9 p. 389 a \i.t\i.v^ii.hfiv ttvi naihicf. %al
üßpst xal CTcooS^ xal ^kancf. 3cyu)}i.aXiav.
8) Scholia Hephaestion. p. 159.
9) Proklos a. O. Z. 14 f.
10) Pollux 4, 104, mit dem lateinischen turba verwandt.
Siitl, Geschichte der griechischen Literatur III. 3
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114 IV. Kapitel.
nesier zukam ^) UDd zwar in einer demselben eigenen Variation,
die Lasos festgestellt hatte*). Die Begleitung besorgte ein
Flötenspieler'^). Der den Dithyrambos singende Chor bestand
aus fünfzig jungen Bürgern des Ortes*), geführt von dem Vor-
sänger (l£dtpxo>v), der vielleicht mit dem Chormeister (StSdoxaXoc)
eine Person zu sein pflegte, weshalb Aristoteles den Schau-
spieler-Dichter der ältesten Tragödie davon ableitet^); die
Choreuten traten zu Ehren des gefeierten Gottes gewisser-
massen als sein Gefolge im Kostüm von Satyrn ^ , das Haupt
mit Epheu umkränzt ''), auf.
Hinsichtlich des Stoffes legte die Religion den Dichtern
keinerlei Beschränkung auf; denn wenngleich der Herr des
Festes erwähnt werden musste und der übliche Schluss , des
Gesanges ein Gebet war*), hatten sie doch, wie bei den Sieges-
gesängen, die Freiheit, alle möglichen Sagen der Mythologie
zu behandeln^); was die Dithyramben der älteren Generation
anbelangt, so stehen zwar nur die Titel Memnon (von Simonides)
und Achilleus (Praxilla) fest, nichtsdestoweniger reichen sie
1) Aa>pioic • . . 6v ahXol^ Ps. Simonid. epigr. 148, 7 (s. Wil»mowit z
Hernes 20, 03 f.) wird durch PratiDas fr. 1, 17 nnd die Analogie des alten
Satyrspiels verteidigt; daher sagt Dionys. Halic. comp. verh. 19 napd ^6
WC dtpy(OLioi(: xuaYliivoc "^v 6 Sid'opajj.ßoc.
2) Platarcli. mas. 29 a. E. Adoo^ hh b 'Ep^iiovsoc sie '^v 8(dvpa}i.ßix'^v
ä'^üy(^v {istaoxY^oa^ to6( ^(»O'^j.oöc "^oX tv xoiv a5Xd>v icoXocpcuviqc xataxoXoo^aac
icXtioot TS «p^oYYOt? ital $ieppifj.}i.evoi(; '^prio6L\t^voq de |i8xdd'80iv x4]v icpoOicdpxoooav
3) KoxXtoc ttöX-qx^c CJG. 1586. 2758. Phiynich. ecl. p. 167 Lobeck'
Lucian. saltat. 2 (xoxXixoc). 26, vgl. S. 56 A. 2. Nach Aasweis der Inschriften
war es nur einer. Seine F15ten hiessen xoxXioi ahXol (Hesych.).
4) Zahl: Simonid. epigr. 147, 4; Bürger: Aristot. problem. 19, 15.
5) Aristot. poet. 11.
6) Auf einem attischen Vasenbild (Welcker alte Denkmäler m S. 125 ff.
T. X 2) erscheint der personificierte Dithyrambos in Oestalt eines epheu-
bekränzten Satyrs; vgl. dazu Suidas a. *Apiu>v : Saxopoo^ slosveYxslv, ^}j.}i.txpa
X^Yovxac, auch den von PoUux 4, 104 beschriebenen Tanz der Spartaner.
Pratinas fr. 1, 3 wird so verständlich.
7) Ausser dem eben erwähnten Vasenbild bezeugt dies Ps. Simonid.
148, 2, vgL Lncian. Nero 11. In der Zeit des höchsten Luxus waren diese
Kränze von Gold (Demosth. 21, 16).
8) Aristides orat. XTV p. 329 (369 D).
9) Plutarch. mns. 10 a. £. p. 1134e; vgl. E. Scheibel de dithyram-
borum argnmentis, Pr. v. Liegnitz 1862. Jevons histoiy of Oreek litera«
ture p. 167 schreibt Simonides die Erweiterung des Stoffgebietes zu.
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Chorlieder. 115
2ur Bestätigung voUkommen hin. Sollte nicht hierin ein An*
zeichen zu erblicken sein, dass der Dithyrambos als Literatur-
gattung nicht vollkommen organisch aus dem religiösen Brauche
'erwuchs, sondern in höherem Grade ein ihm aufgepfropftes
KuQstprodukt war?
Ueber die Ausführung des Einzelnen schweigt die Ueber-
Jieferung; denn dass die Sprache nicht so pomphaft wie im
feierlichen Nomos war*), ist eigentlich selbstverständlich. Mehr-
fach werden nach Art der pindarischen Mythen Personen redend
«ingeführt, obgleich Piatos Bemerkung, der Dichter selbst komme
am meisten in den Dithyramben zum Wort, gewiss richtig
ist*). Inwieweit der Vorsänger eine selbständige Rolle hatte,
wissen wir nicht '^). Von den Dithyrambencyklen zu sprechen,
versparen wir uns Ueber auf die Anfänge der Tragödie.
Vielleicht auf keinem Gebiete der Lyrik hat eine solche
Zahl von Dichtem gewirkt. Dithyramben verfassten nämlich
die drei berühmten Meister der Chordichtung, Simonides, Bak-
cbyüdes und Pindar*), dann die Tragiker Phrynichos und
Jon*), ferner, um weniger berühmte Namen anzuführen, die
Athener Lamprokles (Erfinder einer Variation der mixolydischen
Tonart und Lehrer des berühmten Musikers Dämon) ^), Anti-
genes^), der um die Zeit des peloponnesischen Krieges auf
vielen Denkmälern genannte Archestratos®), Hierony mos *), der
1) Prokloß a. O. Z. 15.
2) Staat 3, 394 c.
3) Gomperz Jahrbb. f. Phil. 133, 772 f. nimmt für den jüngeren
Dithyrambos an, dass der Musiker nnd der Chorführer ge Wissermassen Gegen-
spieler waren, was er mit Aristot. poet. 26 (olov ol ^aöXoi a5Xir}xal ....
iXxovts^ xbv xopo^alov, Av SxoXXav ot&Xäioiv) belegt; aber vertritt dort nicht der
Chorführer vielmehr die Gefährten des Odysseos, welche die Skylla packt?
4) Frg. 27 f.; Bergk m« 574 f.; Bergk V 390ff.
5) Bergk m« 561; Bergk n« 255f.
6) Athen. 11, 491c; Plntarch. mos. 16; Sohn oder Sqhüler des Midon
Schol. Aristoph. Nnb. 961 (964) ; Schüler des Agathokles und Lehrer Dämons
SehoL Plat. p. 135 B.
7) Ein Siegesepigramm ist erhalten, s. U. v.Wilamowitz Hermes 20, 63 f.
8) Panaitios bei Plntarch. Aristid. 1.
9) SehoL Aristoph. Nnb. 347.
8*
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116 IV. Kapitel.
ältere und der jüngere Kedeides^), Kydias*), Nikostratos •) und
Pantakles*) (ein allgemein aber nicht gerade rühmlich bekannter
Dithyrambiker). Ich habe diese Namen und weiter unten die
der jüngeren Generation sämmtlich aufgezählt, um zu zeigen,
wie viele sich in ganz Griechenland diesem Dichtungszweige-
gewidmet haben mögen, wenn aus Athen allein so viele und
diese meist durch reinen Zufall bekannt sind. Es ergibt sich
aber noch eine andere Lehre aus der durch die unten ange-
führten jüuge/en Dichter zu ergänzenden Liste. Fast alle
trugen bei dem glänzendsten Dithyrambenkampfe Griechenlands
erste Preise davon und was ist von ihnen geblieben ? Höchstens
eine beiläufige Nennung des Namens oder die Inschrift, welche^
ihren Sieg meldete, ohne den geringsten Rest der siegreichen
Dichtungen. Schon damals blieb also die Mittelmässigkeit
nicht unbelohnt, wenn sie mit dem flüchtigen Tagesruhme
zufrieden war. •
Der Dithyrambos blühte vor allem in der böotischen Hei-
mat des Weingottes, welche kein geringerer als Pindar auf
diesem Gebiete vertrat. Hinter Theben stand die kleine Stadt
Phleius, die wegen ihrer herrlichen Weingelände Dionysos und
Ganymeda seit uralter Zeit dankbar verehrte^), nicht zurück.
Zwar erstand dort kein Pindar; immerhin brauchte Pratinas^)
auf dem begrenzten Gebiete der dionysischen Dichtung einen
Vergleich mit dem vielseitigeren Genie nicht zu schämen. Von
1) Inschrift ans der Mitte des peloponnesischen Kriegs (Mittheil, des^
deutschen Inst, in Athen 8, 34); nach U. Köhler ist dieser der Enkel de»
Cratin. panopt. fr. 6 und Aristoph. Nub. 985 erwähnten alten K-tixsiSy)?, aus
Hermione nach Schol. Aristoph. Nub. 961 (964). Ueber die Varianten des
Namens Nauck Rhein. Mus. 6, 431 f.
2) Plato Charraid. 155 d.
3) CIA. I 336; Nixo...? CIA. I 421 in sehr alter Schrift.
4) CIA. I 337 , Inschrift bei Steph. Byz. u. 'Arfivr). Antipho 6, 11.
Aristoteles bei Harpocr. u. BiSdoxaXog. Eupolis fr. 293. Aristoph. Ran. 1036 f.
5) Bursian Geographie von GriechenhiDd II S. 33. 34. Auch der Kult
eines ehernen Ziegenbildes (Pausan. 2, 13, 6) gehört dazu; neben ihm lag
der Sohn des Pratinas begraben.
6) Welcker Satyrspiel S. 276 ff. K. Fr. Hermann Philol. 3, 507 ff.
ü. V. Wilamowitz Hermes 20, 67 ff.; Herkunft aus Phleius Athen. 14, 617b.
11, 461 e. vgl. Anthol. 7, 37, 3. Der Vater hiess Pyrrhonides, poetisch En-
komios (Suidas).
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Chorlieder. 117
i
«einen berühmten Satyi-spielen soll au dem geeigneten Orte ge-
«procben werden; unter den spärlichen Resten seiner Lyrik ^)
lenkt ein Bruchstück eines Dithyrarabos (Fr. 1) die besondere
Aufmerksamkeit auf sich, weil es ein merkwürdiges Licht über
■die äußere Geschichte der griechischen Musik verbreitet. Pra-
tinas kämpft nämlich gegen das Ueberhandnehmen des Flöten-
spiels bei den Dionyeosfesten scharf an: Nur mit Wetttrinken
und Kraftproben wird der Gott nach seiner Auffassung wahr-
haft geehrt; die Aulöden gehören in die dionysische Orchestra
nicht*). Bei einer anderen Gelegenheit eiferte er für die äolische
Tonart gegen die Sinnlichkeit der neueren Musik (Fr. 5).
Der Dichter trat nicht bloss in Athen, sondern auch in
Sparta auf, wo er den Dithyrambos „Aftajtatvat ^ KapoAttSsc"
ßingen Hess'). Die Musiker bewahrten ihm lange ein gutes
Andenken und verwendeten seine Kompositionen beim Un-
terricht *).
Im nahen Sikyon, das gleichfalls an der Gabe des Dionysos
nicht arm war und den Gtott darob hochhielt^), erreichte die
-dionysische Dichtung ihren Höhepunkt durch eine Frau,
Praxilla mit Namen ^), welche etwa in der perikleischen Zeit
gelebt haben dürfte. Von ihren Dithyramben ist nur der Titel
„Achilleus" (Fr. 1) bekannt, ein zweiter, „Adonis'* (Fr. 2) sehr
1) Bergk HI* p. 557 flf.
2) Dass das Fragment sich gegen die AulÖden richtet, zeigt besonders
V. 10 f. ttaU TÖv 4>püYa töv iotöoö icotxtXoo «poax^ovta; V. 12 f. werden die
langen Wörter des Nomos verspottet. Athenaios, der das Fragment (14, 617 b)
anführt, nimmt an, dass die Flötenspieler damals von singenden Chören be-
gleitet worden. YgL anch Horat. a. p. 214 C
3) Der Ort der Anfführnng wird dnrch Athen. 9, 392 f tote Adixu>at
nnd Hesych. n. Aoofi^ivai, al iv Sicdprj^ x^P^^^^^^£ Bdx^^ai indirekt bezeugt;
Also war die Dichtung wahrscheinlich ein Dithyrambos (Bergk p. 559 f. Hi Her
Bhein. Mns. 39, 322 A. 2), nicht ein örama (Wilamowitz Hermes 20, 68 A. 1).
4) Aristoxenos bei Plntarch. mns. 31.
5) Pansan. 2, 7, 5; hiebei spricht er von einheimischen Hymnen. Man
zeigte die Flöten des Marsyas (§. 9).
6) Fr. Neue de Praxillae reliqniis, ind. lect. von Dorpat 1844; Frag-
mente bei Bergk HI^ 566 ff. 650 (Praxilla gehören wohl anch die sieben sikyo-
nischen Glossen des Hesychios); Heimat: Polemon bei Zenob. 4, 21. Pau-
«anias bei Enstath. H. p. 326, 39 ff. Athen. 13, 603 a. Hejiych. n. Btkxxoo
Auovv)c. — . Die Dichterin Kleitagora ist von Seholiasten ans dem Klei-
togora-Liede (Aristoph. Vesp. 1246 ff. Lys. 1236 f.) erdichtet.
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118 IV. Kapitel.
wahrscheinlich. Ihnen stehen Trinkh'eder in freiem Tone zur
Seite ^); sie waren so beliebt, dass Aristophanes in seinen Ko-
mödien auf sie anspielte ^ und ihr Name allerlei fremdes herren-
loses Gut zu decken hatte'). Der Dichterin Landsmann Lysip-
pos verfertigte eine Statue, wobei er die Dichterin auflFasste^
wie sie, selbst des Gottes voll, auf der Flöte zu einem Trink-
lied aufspielte*).
In Sikyon ward der Dithyrambos noch lange Zeit geübt;
Zeuge dessen ist eine 343 (Ol. 109, 1) in Athen gesetzte Inschrift,
welche den Sieg des Sikyoniers Epikuros verewigt^).
Der jüngere „reichere" Dithyrambos •) , wie ihn Melanip-
pides festgestellt hat, weicht von dem älteren in erheblichen
Stücken ab, und man könnte ihn sogar eine neue Schöpfung
nennen, die von dem alten Dithyrambos nicht viel mehr als
Namen, Stoff und Tonlage übernahm ^). Ein vollständig ver-
änderter Eindruck entstand vor allem dadurch, dass man die
regelmässige Abwechslung von Strophe und Gegenstrophe auf-
gab und zum freien Wechsel der Rhythmen übergingt). Die
1) Ilapolvia fr. 3, ox6Xia Athen. 15, 694 a (das Citat tv toi; }i.iXtoiv, y.
1. ßpoic Zenob. 4, 21 ist unzuverlässig). Nach PraxiUa sind zwei Metren
benannt: Drei Daktylen und zwei Trochäen (Hephaest. c 7 p. 25 W.) und
ein brachykatalektischer Trimeter (Hephaest. c 11 p. 36 W, der ihn schon
bei Sappho nachweist ; Schol. Hephaest. 189. vgl. Serv. Gramm. IV p. 464, 8).
Ueber den Ton der (Gedichte Tatian. ady. Graec. 52.
2) Vesp. 1289. Tbesm. 529 mit Scholien.
8) Fr. 4 Ix t&v tl? HpdSiXXav &va(ptpo}i.iva>v ; Schol. Aristoph. Vesp. 1279
(1232) Iv tolc npa^lXX'qc tpipttai icapoivtoc^ ; z. B. das Admetoslied Pausanias
a. O. Um die Autorennamen der Skolien stand es überhaupt sehr bedenk-
lich, z. B. wurde das berühmte Harmodioslied einem Kallistratos zuge*
schrieben (Hesych. u. 'ApfjLoSioo fj.iXo(;).
4) Tatian. c. 52, identisch mit der „temulenta tibicina'' bei Plin. 84, 63,
vgl. Rieh. Förster Rhein. Mus. 40, 637. Deswegen braucht Praxilla noch
nicht eine Zeitgenossin des Künstlers zu sein; yerfertigte er doch auch von
Sokrates, Aesop und den sieben Weisen Porträts. Synkellos stellt sie in
seiner Chronik oberflächlich zu ihren Genossinnen Telesilla und Kleobulina.
5) Mittheil, des Inst, in Athen 2, 189. Dittenberger, qrUoge 414 (Reisch
music certam. p. 35).
6) Theophrastos bei Cicero de oratore 3, 48, 185.
7) Der Tp6ico( der Musik blieb gleich, wenn schon das ^^^ sich ge-
ändert hatte (Philodem, de musica I 18 p. 9 Kemke).
8) Aristoph. Pac. 830. Aristot rhetor. 3, 9 p. 1409 b 26 statt acvtlotpotpoc
tritt 6ivaßoX*f) ein). Problem. 19, 15; Pindar. fr. 75 macht von der alten Sitte
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Chorlieder. 119
musikalische Begleitung, gewöhnlich phrygisch gesetzt, wenn
schon Philoxenos zur dorischen Tonart zurückzukehren ver-
suchte^), strebte Tonmalerei an*), z. B. stellte Philoxenos im
„Kyklopen*' das Blöken und Meckern der Herden dar, was
der aristophanische Plutos parodiert (V. 290 flf.). Anstatt der
Strophen wechselten nun in einem und demselben Liede die
Tonarten ^ und selbst die Tongeschlechter, weil zu dem bisher
allein übUcheu chromatischen Tongeschlecht das sehr schwierig
zu handhabende enharmonische und das diatonische traten*).
Zwischen den Musikern der alten und neuen Richtung erhob
sich über die Prinzipien Melodie oder Tonmalerei ein Kampf,
der an Heftigkeit kaum dem von uns erlebten nachstand ; viel-
leicht war er in Griechenland noch ernsthafter, weil die Hellenen
mit den Prinzipien der Musik die gesellschaftliche Ordnung ver-
knüpft glaubten^). Die Komiker verhöhnten, wie gewöhnlich,
die neue Richtung mit ätzendem Spotte*).
Zugleich mit dieser inneren Umgestaltung des Dithyrambos
erfolgte eine Revolution der äusseren Verhältnisse. Für den
alten einfachen Dithyrambos hatten die Choristen anderer Vor-
bildung als derer, welche jeder Sohn eines guten Hauses in
der Schule sich aneignete, nicht bedurft, während die künst-
liche neue Manier professionsmässige Sänger forderte'), welche
der Choreg mit schweren Kosten in guter Stimmung erhalten
musste®), weil sie nicht so leicht zu ersetzen waren. Der
Flötenspieler vollends, der früher von dem Dichter abhängig
_i
keine Ansnahme, weU hier kein eigentlicher Dithyrambos vorliegt, sondern
das Lied eines dionysischen Chores, der über den Markt zog.
1) Aristot. poUt. 9, 7 p, 1842 b 7 ff.
2) MtjiYjxtxo« Aristot. problem. 19, 48, vgl. Plat. rep. 3, 3%b. 397 a.
Daher verfiel der exaltierte Anaxandrides anf die Idee, anch änsserliche Mimik
anzuwenden, indem er als Chorführer zn Pferde einritt (Chamaileon bei
Athen. 9, 374 a berichtet dies wie etwas aussergewöhnliches).
3) Aristot. rhetor. a. O. Dionys. comp. 19; der technische Aasdruck
war 3ivaßoXal (z. B. Aristoph. Av. 1385. Pac. 830); ^o}i.atoxd}i.nTai Aristoph.
Kub. 333 ; fJLOooix*!] icpocY}!^ toxi ßad*» ti xal xa}i.ic6Xov Eupolis fr. 336 ;
9ca(jiitXtiotooTp6ß'/}tov ^iXoq Tzetz. Anecd. Oxon. m 339, 6 aus alter Quelle.
4) Dionys. compos. verb. 19, vgl. Aristox. harmon. I p. 19 Meibom.
5) Plat. rep. 4, 424 c.
6) A. 3. Pherekrates Chiron fr. 1.
7) Aristot. Problem. 19, 15.
8) Vgl. Aristoph. Nub. 888 f.
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120 IV. Kapitel.
gewesen war *), 8Üeg nun zu einer wichtigen Person empor und
wurde ehrgeizig, weshalb er ungefähr um die Scheide des fünften
und vierten Jahrhunderts durchsetzte, dass sein Name in den
Inschriften gleichberechtigt neben dem Dichter genannt wurde*);
um einen solchen Flötenspieler bemühten sich die Choregen so
sehr, dass, wie bei den Dichtem, das Los einem Streite vor-
beugen musste '). Nötigenfalls übernahm sogar der Musiker an
Stelle des Dichters die nötige Einübung des Chores*). Obgleich
die Dithyrambiker selbst den Text zu Gunsten der Musik zu-
rückgesetzt hatten , wollten sie jene natürlichen Konsequenzen
nicht zugeben. Schon Melanippides, der Begründer der neuen
Ordnung, eiferte gegen die sich vordrängenden Flötenspieler^)
und versuchte ein Gegengewicht zu schaffen, indem er, damit
die Flöte nicht unentbehrlich wäre, eine zwölfsaitige Kithara
einführte ^. So hält denn auf dem vorhin erwähnten attischen
Vasenbilde der personincierte Dithyrambos eine Kithara in der
Hand und ähnliche Darstellungen begegnen auf mehreren unter-
italischen Gefässen '). Das Flötenspiel war indes im dionysischen
Kult zu fest eingebürgert, als dass seine Stellung ernsthaft er-
schüttert hätte werden können.
Der Stoff wurde immer noch der Heroensage entnommen,
wie z. B. „Asklepios'* (von Kinesias), der „Kyklope" (Philoxe-
nos) oder „Geryones" ®) zeigen. Aber gerade der eben genannte
Dithyrambos des Philoxenos weist auf eine Modegattung von
Mythen , die erst Antimachos wahrhaft erschlossen hatte , hin,
nämUch die erotischen Mythen ; hier hatte ja die neue Musik
die günstigste Gelegenheit, um ihren bestrickenden Reiz üppig
zu entfalten.
Die Umgestaltung des Dithyrambos Hess naturgemäss den
Stil ebenfalls nicht unangetastet; er wurde prunkvoller und
1) Plutarch. mus. 30.
2) Reisch de musicis Graecoram certaminibus, Wien 1884 p. 28 ff.
8) Demoeth. 21, 13; vgl. Antiphon 6, 11. Ampbis fr. 14 (Kock II p. 239).
4) Demoeth. 21, 17.
5) Fr. 2 p. 590 Bergk.
6) Pherekrates bei Plutarch. mus. 30 V. 5.
7) Welcker alte Denkmäler HI 8. 130 ff.; daraus erklären sich «-pex-
tavf X6 Aristoph. Plut. 290. 296 und die Inschrift bei Le Bas, Asie Mineure n. 93.
8) Aristot. Problem. 19, 48.
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Chorlieder. 121
eignete sich besonders vom Nomos die umfangreichen zusammen-
gesetzten Wörter an*). Je mehr aber die Musik überwog und
von dem Dithyrambiker die höchste Anspannung erforderte,
desto mehr wuchs die Gieichgiltigkeit gegen den Text. Man
gab sich keine Mühe mehr, den Eingang mit der eigentlichen
Dichtung in Zusammenhang zu setzen*) und überhaupt wurde
das leere Wortgeklingel des Dithyrambos fast zum Sprich worte^).
Die Musik hat den Text überwuchert und an der unlösbar
scheinenden Verbindung der beiden Künste ist schliesslich die
griechische Lyrik für immer erstorben.
Der Kühne, welcher den Umsturz alle« Bestehenden her-
vorrief und dann die Bewegung sich selbst über den Kopf
wachsen sah , war Melanippides^), ein Landsmann des
Mehers Diagoras, was vermuten lässt, dass auf der dorischen
Insel Dionysosfeste die dichterischen Talente zur Pflege des
Dithyrambos ermunterten. Von seinen berühmten Dichtungen
sind kaum nennenswerte Splitter erhalten^). Bei den Titeln
Danaiden, Marsyas und Persephone wäre die Möglichkeit,
dass der eine oder der andere nicht zu einem Dithyrambos,
sondern zu einem kitharödischen Nomos gehörte, nicht ganz
ausgeschlossen; denn Melanippides war ein vielseitiger Mann.
Suidas schreibt ihm Episches, Elegien und Epigramme zu,
welch' letztere Meleagros in seine Anthologie aufnahm^. Auf
die Ijebensverhältnisse dieses Mannes, welchen die Zeitgenossen
des Sokrates für den ersten Lyriker ihrer Nation hielten ''),
bezieht sich die einzige Nachricht, dass er am makedonischen
Hofe verweilte^).
1) Aristüt. rhetor. 3, 3 p. 1406b 11. poet. 22 p. 1469 a 9. Schol. Philostrat.
Vit. Apoll, p. 179 Kayser; 8t0^pap.ßd»8e<: Plat. Cratyl. 409 c. Aristopbanes
parodiert Hie genie, z. B. Nab. 335 £f. Pac. 831.
2) Schol. Aristoph. Pac. 826 (831).
3) Kai 5tdopdi|i.ßü>v voüv f/'^C iXdrcova Schol. Aristoph. Av. 1392 aus
einem Komiker.
4) E. 6 ch ei bei de Melanippide Melio dithyrambormn poeta, Projjr. v.
Gaben 1848 und 1853; aas Melo9 nach Athen. 14, 651 f; Sohn des Kriton
nach ,Snida8, welcher irrtümlich zwei Dichter des Namens unterscheidet
(Roh de Rhein. Mus. 33, 213 f.).
5) Bei^k m* p. 589 flf.
6) Vorrede V. 7.
7) Xenoph. memor. 1, 4, 3.
8) Nach Suidas bei Perdikkas (dem zweiten, der 454—413 regierte).
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122 rvr. Kapitel,
In den musikalischen Kreisen Athens war Kinesias,
' der Sohn des Kitharöden Meles , der Hauptverfechter der
neuen Richtung^). Den Komikern gab er daher eine beliebte
Zielscheibe ab *) und lieferte Strattis den Stoff zu einem ganzen
Lustspiel"). Wir erfahren von ihnen wohl, dass er sehr lang
und mager war, im Alter kränkelte und im Rufe eines Frei-
geistes stand ^); dagegen sucht man dort vergeblich, was
Kinesias als Dichter und Musiker bedeutete^), zu erfahren,
obgleich in den Komödien gewiss viele Parodien gegen ihn
standen. Indes sind sie unseren Scholiasten entgangen, weil
sie nichts von Kinesias lasen. Dass seine Dithyramben nicht
leicht verständlich waren*), was ist daran individuelles? Von
Aristophanes wurde er wegen einer Schilderung der Schrecken
der Unterwelt verspottet). Kinesias erscheint in der richtigen
Beleuchtung nur durch die tadelnde Bemerkung Piatos, er
habe, einer höheren Auffassung seines Berufes entbehrend,
dem Geschmack des grossen Haufens nachgegeben ^. Dem-
gemäss war er ein sehr beliebter Dichter; wie hätten ihn sonst
die Komiker der unausgesetzten Angriffe wert gehalten? Auch
zu dem älteren Dionysios scheint Kinesias Beziehungen unter-
halten zu haben , weil* er für ihn an den Lenäen von 393
(Ol. 96, 3) ein Ehrendekret beantragte®). Wahrscheinlich hat
er seinen Feind Aristophanes überlebt*®).
schwerlich erst bei dessen Nachfolger Archelaos (Plutarch. adv. Epicnrum
13 p. 1095 d).
1) Vgl. Pherekrates "Afptot bei SchoL AriPtoph. Av. 859 und bei Plut.
mns. 30; Sohn des Melee Plato Gorg. 501 e; aus Theben nach SchoL Aristoph.
Ran. 153.
2) Meineke historia crit. com. Graec p. 227 ff.
3) Athen. 12, 551 d.
4) Athen, a. O. Aelian. var. bist. 10, 6. Schol. Aristoph. Ran. 153 —
Lysias bei Athen. 12, 552 ab, s. auch Plato com. Meineke U 679— Athen.
12, 551 e.
5) KoxXUov xop<uv icoiirjrJic Aelian. a. O. xoxXUov ^oixdxcov icotirjrric Schol,
Aristoph. Av. 1379; Fragmente bei Bergk m^ 593 f.
6) Schol. Aristoph. Av. 1377.
7) Im rfjpoxd^c bei Athen. 12, 551 b.
8) Plat. Gorg. 501 f.
9) CIA. n 8.
10) Es erwftbnt ihn noch Anaxilas in der „Kirke" (Athen. 3, 95 b, von
Meineke p. 228 bezweifelt).
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ChorUeder. 123
Gefllhrlicher wurde dem Ruhme des Melanippides dessen
Sklave und nachmaliger Schüler Philoxenos^). Um 435 auf
der lakonischen Insel Kythera geboren*), verlor er, als die
Spartaner (wahrscheinlich nach der sicilischen Katastrophe)
das Eiland der Aphrodite wieder gewannen, seine Freiheit;
zum Glücke kam er später in Melanippides' Besitz und wurde
sodann aus einem Sklaven dessen Schüler und Nachfolger*).
Kunstfertigkeit und Witz errangen ihm das Wohlwollen Dionys
des Aelteren*); aber der kecke Abenteurer spann mit Galateia,
der schönen Geliebten des Tyrannen, einen Roman an, der
ihn in die berüchtigten Steinbrüche von Syrakus brachte*).
Später freigelassen oder entwischt^, rächte sich der Dichter
durch einen komischen Dithyrambos „Galateia und der Ky-
klope"''): Odysseus - Philoxenos macht dem ungeschlachten
Sicilier Polyphemos-Dionysios die schöne Galateia abspenstig,
worauf sich der Verschmähte mit — den Musen tröstet. Und
doch hatte der Tyrann ihm die vielgenannte Lais geschenkt,
1) Gg. Bippart PhiloxeDi Timythei Telestis dithyrambograpboram
reliquiae, Lpg. 1843 (Preisschriffc) ; Ludw. Aug. Berglein de Philoxeno
Cytiierio dithyrambornm poeta, Göttingen 1843; W. Klingender de Philo-
xeno Cytherio, Marburg 1845.
2) Doris bei Scbol. Theoer. 6, 7. Hermesianax V. 69 u. Sp.; nach
Kallistratos ans dem pontischen Herakleia (Snidas); aber das Gebartsjahr
Mann. Par. Z. 82.
3) Snidas. Ein Komiker nannte ihn daher Ao6Xa>v (Hesych.) und E&Xt>-
«i^C (als Name des Vaters bei Snidas).
4) Vgl. Phanias bei Athen. 1, 6ef; wie das Dekret CIA. II 8 zeigt,
gehörte er 393 zu dessen intimem Kreise.
5) Athen. 1, 6f, vgl. Hermesianax V. 71flf. Duris (a. O.) erwähnt aller-
dings die Iiiebesgeschichte nicht. Später brachten Spötter die Strafe mit den
schlechten Tragödien des Fürsten in Verbindung; er soll die Entwürfe zu
stark korrigiert (Plutarch. Alex, virt 111), nicht gelobt haben (Suidas u.
4>tXo5^oo YpajijiÄtcDV, Apostol. proverb. 17, 5) oder yerlftnmdet worden sein,
dfiss er darüber spotte (Lucian. SiaßoX. 14, Bd. m p. 144 Reiz). Daran
knüpft sich das bekannte Bonmot: „Lieber wieder in die Steinbrüche als
diese Tragödien anhören I'' (Helladios bei Phot. bibl. 279 p. 532b 34 f.). Man
zeigte den Fremden die schönste Höhle als Entstehungsort des „Kyklopen*^
(Aelian. var. bist. 12, 44).
6) Schol. Aristoph. Plut. 290. ApostoL cent. 17, 5 (nach Kroton). Suidas
a. O. (nach Tarent), vgl. Aristid. orat 46 HI p. 388 (U 309 D.).
7) Athen. 1, 7a; vgl. Härtung Philol. 1, 415 ff. O. Ribbeck preuss.
Jahrbücher 82 (1873) S. 59 ff. Holland Leipziger Studien 7, 184 ff.
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124 IV. Kapitel.
welche er nach Korinth brachte ^). Dieses abenteuerliche Leben,
das die Verwechslung mit dem gleichnamigen Parasiten (S. 35)
verachuldete, fand in dem lebenslüstigen Ephesos Ol. 100, 1
(380/79) einen frühen Abschluss«).
Den Kern der Werke des Philoxenos bildeten vierund-
zwanzig Dithyramben^), über deren Eigenart dies allein mit-
geteilt wird, dass er Arien einlegte*) und so die lyrische
Dichtung dem Drama annäherte; z. ß. führte er im „Kyklopen"
die eiözehien Personen singend ein , so dass dieses Gedicht
nicht ohne Grund von manchen als Drama bezeichnet wurde ^).
Die neue Manier des Tonwechsels und der musikalischen Malerei
handhabte Philoxenos meisterhaft^, wie auch der Text nicht
trivial, sondern bezeichnend geschrieben war^). Er befolgte
im Gegensatze zur idealistischen Richtung des Timotheos eine
realistische^.
Philoxenos war so wenig als seine Genossen ausschliesslich
Dithyrambiker. Zwar verrät Suidas nicht, zu welcher Gattung
seine lyrische ,, Stammsage der Aeakiden** gehörte; aber Philo-
xenos vermochte einmal einen alle Hörer hinreissenden Hoch-
zeitsgesang zu improvisieren ^) und er war auch als Dichter
aulödischer Nomen, bei welchen er sich den bekannten Thebaner
Antigenidas zum Gehilfen nahm^®), hoch geachtet").
Philoxenos befand sich in glücklicherer Lage als sein
Lehrer, welcher erst den hartnäckigen Widerstand der Gewohn-
heit hatte brechen müssen. Schon zu seinen Lebzeiten sang
1) Schol. Aristoph. Plut. 179.
2) Ort: Suidas, vgl. auch Hermesianax V. 72; Zeit: Marm. Par. Z. 82,
vgl. DiodoT. 14, 46, 6.
3) Suidas.
4) So ist wohl Plutarch. mus. 30 p. 1142 a 8t<; xobz xoxXiooc yopobz
|i.4X*r) tloiQviY^a'co zu verstehen.
5) Schol. Aristoph. Plut. 290. Zenob. 5, 46. Vgl. Etym. M. u. öpeifiav:
X^Ystat 8& Spdcfiata xal xä bizb tfiv dt)fj.eXtx<t>v (codd. ^eatpix&v) }it{j.v)X<I>(;
1filfvop.8va w^ iv ÖTCOxptoet. OÖtü»? 'Aptoto<pdvir|(;.
6) Ueber eine Erfindung PoUux 4, 66.
7) Antiphanes bei Athen. 14, 643 d.
8) Aristot. poet. 2 p. 1448 a 16.
9) Athen. 1, 6 a.
10) Suidas n. 'Avtc^evlÄiric.
11) Polyb. 4, 20, 9.
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Chorlieder. 125
man die Lieder auf der Gasse ^) und dem toten Dichter widmete
der angesehene Komiker Antiphanes einen enthusiastischen
Nachruf, worin es hiess : „Er war wahrhaft göttlich, er verstand
die wahre Musik"*). Alexander der Grosse und das alexandri-
nische Zeitalter erfreuten sich an Philoxenos' Kompositionen^);
also konnten so strenge Anhänger der alten Musiktheorie, wie
Aristoxenos einer war, bei ihrer Verdammung des Dichters*)
auf die Zustimmung des Publikums nicht rechnen, das in ihm
vielmehr den Meister des Dithyrambos sah'*).
In ähnlicher Weise dichteten der Rheginer Kleomenes^)
und besonders Tel est es von Selinunt, den noch Aristoxenos,
sein Biograph, sah ''). Letzterer war mit Ton wechseln sehr frei-
gebig®) und bevorzugte ofifenbar die Musik gegenüber dem
Texte, weil er gegen Melanippides für die Flöten kunst auftrat
(Fr. 1). Fürstengunst ehrte den Dichter: Alexander der Grosse
hörte seine Dithyramben gerne ^) und der sikyonische Tyrann
Aristaratos Hess das Grabdenkmal des Dichters durch den be-
rühmten Künstler Nikomachos mit Malereien schmücken^®).
Unter die fortgeschrittenen Musiker gehört ferner Kr exos"),
welchem die Einführung der Parakataloge in die Lyrik zuge-
schrieben wird"). Die anderen sind, obgleich zu ihrer Zeit
durch glänzende Siegespreise geehrt, für uns verschollen:
1) Arkesilaos bei Dlogen. Laert. 4, 36.
2) Athen. 14, 643 d.
3) Plutarch. Alex. 8. Polyb. 4, 20, 9.
4) Plutarch. mus. 31.
5) Isaak Tzetzes proleg. in Lycophr. p. 252.
6) Schol. Aristoph. Nah. 332 (ans Komikern). Athen. 9, 402a kannte
noch Dithyramben, damnter einen „Meleagros^^ ; s. auch S. 41.
7) Fragmente bei Bippart (S. 123 A. 1) und Bergk p. 626 ff.
8) Dionys. compos. verb. 19, vgl. Böckh de metris Pindari p. 274 f.
9) Plutarch. Alex. 8.
10) Plin. nat bist. 35, 109.
11) Plutarch. mus. 12.
12) Plutarch. mus. 28 a. E.; Phüodem. mus. IV. col. 10, 2 ff. p. 74
K. rühmt ein erhebendes Lied von ihm. Auch der Komiker Anaxandrides-
führte einen Dithyrambos auf (Chamaileon bei Athen. 9, 374 a).
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126 IV. Kapitel.
Aristarchos ^) , Eukles *) , Lysiade« •) , Paideas *) , Pamphilos *),
Philophron") und Stesichoros, ein Nachkomme des berühmten
'alten Lyrikers '), und vollends der Dithyrambiker aus Selymbria,
dessen um 390 errungenen Sieg die parische Chronik einer Er-
wähnung würdigt®); denn man kann jetzt nicht einmal den
allein erhaltenen Anfangsbuchstaben S zu einem vollen Namen
ergänzen.
Polyidos endlich dichtete Dithyramben, kitharödische
Nomen und Tragödien, woneben er auch in Malerei dilettierte*).
Diese Vielseitigkeit darf kein Vorurteil gegen ihn erwecken; er
kann wenigstens als Musiker nicht unbedeutend gewesen sein,
da noch viel später Kitharöden seine nach Timotheos' Muster
gearbeiteten Komi>ositionen vortrugen*®).
Mehrere von den Sophisten beschäftigten sich mit der
Theorie der Rhythmik und Musik und es wäre ein Wunder
gewesen, wenn sie nicht selbst nebenbei praktische Versuche
angestellt hätten, wie dies Plato ironisch von Hippias erzählt.
Währtod jedoch dieser und so mancher andere mit dem münd-
Uchen Vortrag ihrer dichterischen Produkte zufrieden gewesen
zu sein scheinen, gab der Sophist Likymnios von Chios
(Bd. II S. 46) Hymnen und Dithyramben heraus **), freilich nur
1) Inschrift aas der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts (Büttheil.
des Inst, in Athen 3, 239 f. Reisch de mnsicis Graecor. certam. p. 38).
2) Inschrift von Ol. 109, 1 (344/3) Dittenbergers sylloge 411 ; Reisch p. 33.
3) CIG. 223. Reisch p. 35, 10 und CIG. 221. Dittenb. 415. Reisch
p. 35, 12 an*8 Ol. 111, 2 (335/4).
4) Inschrift von Salamis (Anfang des 4. Jahrh.) Bulletin de correspond.
hellen. VI. 521. Reisch p. 55.
5) Inschrift von Ol. 103, 2 (schweriich 114, 2), s. Reisch p. 32 A. 6.
6) Inschrift von Ol. 99, 1 (384/3) Rangab^ antiq. hell. 972. Reisch
p. 32 Nr. 5.
7) Er siegte in Athen Ol. 102, 3 oder 4 (369 oder 368) Marm. Par. Z. 85.
8) Marm. Par. Z. 81 ^zwischen Ol. 95, 3 und 99, 4, 398—381).
9) Diodor. 14, 46, 6 ; Fragmente bei Bergk m^ 632.
10) CIG. 3053 =: Le Bas, Asie ^mineure 81 (danach hiess er IIoX6i8o<;,
nicht IloXuei8oc); über die Manier Plntarch. mus. 21.
11) Hymnus an Hygieia fr. 4; Sext. Empir. adv. math. 11, 49 p. 556
«itiert unter seinem Namen Verse aus dem Päan des Ariphron; Dithyramben:
Athen. 13, 603 d. Fragmente: Beigk m« 598.
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Chorlieder. 127
damit sie melodisch gelesen würden ^) ; denn zur Einübung eines
Chores fehlte einem Theoretiker zwar nicht der Mut, aber doch
die handwerksmässige Uebung und Erfahrung. An den Frag-
menten fällt stilistisch die gesuchte Sprache, inhaltlich eine un-
verkennbare Neigung zu erotischen Mythen, dem Lieblings-
gegenstande des jüngeren Dithyrambus, in die Augen ^..
In der Mode wie der Dithyrambos, besonders im vierten
Jahrhunderte, war, so dass er alle anderen Gattungen der Lyrik
überstrahlte % draog seuie Manier auch in diese ein ; Plato be-
zeugt dies ausdrücklich von späteren Thronen, Hymnen und
Päanen *), obgleich das Volk gerade an beliebten Päanen älterer
Zeit zähe festhielt und sie denen der drei berühmten Lyriker
und der jüngeren Musiker vorzog ; solcher Gunst erfreuten sich
das einzige Werk des Chalkidiers Tynnichos, „fast das
schönste aller Lieder***), ein Päan auf die Göttin der Gesund-
heit, von dem Sikyonier Ariphron gedichtet •), und ganz be-
sonders des Sophokles Hymnus an Asklepios, welcher über den
Tragödien durchaus nicht vergessen wurde. Zu den jüngeren
Päanendichtem gehörte • gar der Tyrann- Dionysios ^). Wie es
scheint, wurde nach dem Vorgange der Dithyrambiker die
früher gewöhnliche antistrophische oder epodische Gliederung
in allen Arten der Lyrik aufgegeben und durch freie Rhyth-
men ersetzt*).
1) Daher rechnet ihn Aristoteles rhetor. 3, 12 p. 1413 b 14 zu den
ävaYvcoottxou
2) Fr. 3; fr. 3. 5. 6.
3) Repräsentant der Lyrik Plato apol. 22 b. Xenoph. mem. 1, 4, 3.
Aristot. poet. 1 p. 144? a 15. rhet. 3, 14 p. 1415 a 10.
4) Plato leg. 3, 700 d.
5) Plato Jon 534 d; Valesius stellt den Namen auch Ptolem. Hephaest.
Phot bibl. 190 p. 151a 9 her.
6) Bergk m p. 595£ Athen. 15, 702 a; inschrifblich aufgezeichnet
CIA. m p. 66. Kaibels epigr. Gr. 1027b p. 433 ff., nicht lange nach dem
Ende des peloponnesischen Krieges in Athen gesungen (Hermes n S. 28;
Beisch a. O. S. 44), auch von Lucian und Biaximos erwfthnt.
. 7) Timaios bei Athen. 6, 250 bc.
8) Aristot. rhetor. 3, 8 p. 1409 a 26.
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128 IV. Kapitel.
Es ist bereits hervorgehoben worden , dass das Vorwiegen
der Musik der Poesie grossen Eintrag that; dadurch boten die
späteren Lyriker viele schwache Stellen. Wie in Athen die
Komiker jeden Lyriker von bekannterem Namen mit Lauge über-
gössen, so warfen sich in Unteritalien, dem Lande der Tra-
vestie, die professionsmässigen Spassmacher auf die Parodierung
des Dithyrambos und des kitharödischen Nomos^). Man darf
diese lebhafte Opposition trotz ihres pöbelhaften Charakters
durchaus nicht unterschätzen. Unter einer solchen Gegner-
schaft, welche der Lacher, also des grossen PubUkums, sicher
ist, haben mit den des Angriflfes Würdigen jederzeit auch ver-
diente Dichter zu leiden.
1) S. 42; AristoxeDOfl bei Athen. 1, 19 f. Auf die Travestie eines Päans
bezieht sich anch der apon^e Komikervers (305 M.) : TfivelTo SVlo^pcuc xXä>ya
icpög xaXöv 8a9VYj(; 6 ^oißo^ oh npoac|)§d.
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V* Kapitel.
Anfänge der Tragödie.
Alte and neue Schriften über die Tragödie; Ursprung des griechischen
Trauerspiels; Thespis, Choirilos und Phrynichos.
Bei den zahlreichen Schriften, welche die alten Grammatiker zur
Aufhellung der Bühnengeschichte verfassten, geben wenigstens die Titel, da
die Citate von geringem Belang sind, die Möglichkeit, mehrere Gruppen
zu sondern.
Aristoteles Hess sich neben seinen grossartigen Forschungen die
Mühe, die Urkunden der attischen Dichtung zusammenzustellen, nicht
verdrieasen, damit die SiSaaxaXlai oder vcxai Aiovootaxal ^otcxal xal Xf^valxai
die authentische Grundlage für die Creschichte des Dramas und des ftusser-
lich damit verbundenen Dithyrambos (SchoL Aristoph. Av. 1886 (1379) und
Harpocr. u. IlavtaxXY]<:) abgäben. Die Gelehrten der folgenden Zeit benützten
alle statt der Originalurkunden diese bequeme ZusammensteUung (Val. Rose
Aristoteles pseudepigraphus p. 552 ff. und Aristotelis qui ferebantur librorum
firagmenta p. 388 fif. fr. 618—630); wie des Pergameners Earystios Schrift
icepl 8(8aoxaXiu>v (Athen. 6, 235 e. Vita Sophodis) sich dazu verh<, wissen
wir nicht, ^uf jenem Didaskalienbuche ruht die bei der „Antigone^^ und
,yAlkestis'* wahrnehmbare Numerierung der Stücke nach der Folge ihrer Auf-
führung (Tgl. Bitschi parerga Plautina p. 322 f. W. Wagner Ztsch. f. d.
Altertumsw. 1853 Sp. 299 fr.; anders Böckh trag, prindp. p. 108, Teuf fei
Bhein. Mus. 21, 471, U. v. Wilamowitz analecta Euripidea p. 133). Von
der offiziellen Liste der siegreichen Tragiker, welche darin wahrscheinlich
chronologisch und zwar nach der 2ieit ihres ersten bei den grossen Dionysien
gewonnen«! Sieges aufgezählt waren, sind leider nur kleine Fragmente (CIA.
n 977 ab) erhalten; mit ihr hängt Ealli machos' Werk iciva£ xal &va-
Ypa^ zm xatd xp^^oo^ xal &ic* ^PX"^^ '{tvo^tAvoiV ScSaoxdXcüV (Suidas) zu-
sammen. Auf den Standpunkt des Epigraphikers stellte sich der Perieget
^^liodoros, als er „über die Dreifüsse (welche die siegreichen Choregen
als Preis erhielten und dann öffentlich aufstellten) in Atben^^ schrieb (Harpoor.
Q. 'Oy4)to>p); dieselbe Arbeit ist nach Massgabe der bisherigen Entdeckungen
Sittl, Geichichte der griecblichen Literatur in. 9
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130 V. Kapitel.
neuerdings von Bei s ob de musicis Graecorum certaminibas, Wien 1885
p. 31 ff. und Brink inscriptiones Graecae ad choregiam pertinentes, Halle
1885 unternommen.
Der grosse Stagirit blieb aber nicht in handwerksmässiger Material*
Sammlung befangen, sondern erhob sich, weil er das klassische Drama mit
Recht f&r abgeschlossen erachtete, zur Auflrtellung der Gesetze der Poesie.'
Ausser der Poetik, dem Schmerzenskinde der Aristotelesforschung, (f&r diesen
Abschnitt ist besonders wichtig: Jak. Bernays Grundzüge der verlorenen
Abhandlung des Aristoteles ober die Wirkung der Tragddie, Abhandlungen
der hist-phil. Gesellschaft in Breslau I (1857) S. 135 ff.) dürfte die Schrift
icspl TpaY(}>Stä>v (Diog. Laert. 5, 26 und Vita AristoteUs Menagiana nach dem
Ambrosianus) hieher gehören, welchen Titel auch ein Buch desPhilochoros
trug (Schol. Eurip. Hec. 3 I p. 221, 12 Dind.); icepl tpaYtpStac schrieben
Duris, ein Schüler Theophrasts (Athen. 14, 636 f) und noch einer der Philo
st rate (Suidas ^iXöotpato^ L). Manche Beste solcher Untersuchungen liegen
noch in den Schollen, besonders in den feinsinnigen Noten zu einigen Stücken
des Sophokles, verstreut, woraus Ad. Trend eleu bürg grammaticomm Grae-
corum de arte tragica judiciorum reliquiae, Bonn 1867 die einschlägigen Be-
merkungen zog.
Das rein Literarhistorische bearbeitete Aristoteles zwar nicht
persönlich, aber er richtete die Aufhierksamkeit seiner Schüler darauf: Aristo-
zenos schrieb ictpl TpaY(|>So7coi(uy (Ammon. u. ^asa^ai, Müllers fragm. histor.
Graec. 11 p. 283), also über die Person der Tragiker, ein Buch, das, wie
icepl aoXYjTwVy einen Abschnitt seiner biographischen Encyklopftdie (ßtot avSpuiv)
gebildet haben dürfte. Dem gleichen Stoffe widmete der Peripatetiker Hiero-
nymos (Suidas u. ^Ava^opdacoc 2aC{j.<uv, vgl. Vita Soph. Plutarch. non posse
snav. vivi 13) ein Buch seines Werkes ictpl icocv)Ta>v (Athen. 14, 635 f), während
der Pontiker Herakleides sich auf die drei Klassiker beschränkte, Duris
sogar nur auf Enripides und Sophokles (Athen. 4, 184 d). Biographien Ein-
zelner werden an geeigneter Stelle zu nennen sein.
Ein viertes Gebiet endlich ward zur selben Zeit bereits erschlossen,
doch nicht in literarhistorischem oder ästhetischem Interesse, sondern um
der Prunkrede und der rhetorischen Geschichtsschreibung einq^ Fundgrube
für mythologische Vergleiche abzugeben: Der Isokrateer Asklepiades von
Tragilos stellte nämlich die Stoffe der Tragödien (TpaYipSoufXBva) mit
vergleichender Beiziehung der Sagenbücher zusammen (Werfer Acta philo-
logorum Monac. 11 foBC 4 p. 491 £f. K. MüUei; fragm. histor. Graec. III
p. 298 ffl vgl. Bobert de Apollodori bibliotheca p. 74, Wilamowitz ana-
lecta Euripidea p. 181). Ein Werk des gleichen Inhalts verfasste später ein
Demaratos (Müllers tr&gm, histor. IV p. 379 f.). Dikaiarchos von
Messana zog wenigstens von einer Anzahl euripideischer und sophokleischer
Stücke den Inhalt aus (Sezt. Empir. adv. mathem. 3, 3) und Philo choros
schrieb icepl So^oxXiooc (xu^cüv wie ein Glaukos tctpl Alo^oXco p^O'u>v. Von
der angenehmen Meinung, dass Hygins lateinisches Fabelbnch für den Ver-
lust dieser Werke einen erheblichen Ersatz biete, ist man jetzt zurückgekommen.
Wir müssen uns mit den Inhaltsangaben (6ico^ioet<;) begnügen; mehrere
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Anfänge der Tragödie. 131
derselben wollen dem Leser dnrch die Ueberschrift 'Aptato«pdvooc YP^^H'f^A'^^^o^
imponieren^ aber welche sind die echten, die in Prosa geschriebenen (Aeschyl.
Eam.; Soph. Antig.; Eurip. Bacch. Bhes. Phoen. nnd Med. nach cod. C) oder
<die ans zehn 'Jamben bestehenden (8oph. OB. nnd vor den Komödien des
Aristophanes) ? Vgl. Fr. Schneidewin de hypothesibus tragoediamm Grae-
<;amm Aristophani Byzantio vindicandis, Abhondl. der €rÖtt. Ges. der Wisp.
VI. 1858 S. 3ff. ; Karl Bachoven von Echt de vetemm grammaticornm
ATgnmentis qnae in Soph. editioftibus Oedipodi regi vnlgo praemittantur,
Progr. von Cösfeld 1869; skeptisch Nanck Aristoph. Byz. p. 256 nnd Din-
4orf scholia in Sophoclis trag. p. XXTT. Die Tragodnmena nnd Inhalts-
angaben haben einen nicht nnbedentenden Schaden angerichtet. Den K&nst-
lem im weitesten Sinne des Wortes (Jahn n. Michaelis griechische Bilder-
Chroniken, Bonn 1873 S. 83 fi. n. ö. Ro b e r t de Apoliodori bibliotheca p. 85 f.
nnd Bnliettino dell* institnto 1874 p. 216f^) nnd den Pantomimen (Dilthey
Archftol. Ztg. 1875 S. 71) mag man es verzeihen, wenn sie sich die Lesnng
der Tragödien selbst ersparten. Doch anch gebildete Mftnner begingen oft
^nng eine solche Nachlässigkeit, was man'ches falsche Citat verschnldete (vgl.
U. V. Wilamowitz analecta Enripidea p. 182 ff. Bobert Bild nnd Lied
S. 242 ff.); schon Staphy los. verwies statt anf die Tragödien anf die TpaYC(>So6-
lisva (Sext. Empir. math. 1, 261).
Bei der Grclndnng der alexandrinischen Bibliothek erhielt der Aetolier
Alexandros Tragödie nnd Satyrspiel zugewiesen (Anon. de comoedia VIII
19); aber seine Nachfolger schweigen von ihm nicht minder als von dem
athenischen Staatsezemplar der drei Tragiker, welches Ptolemaios Phila-
4elphQ6 gegen eine enorme Kantion entliehen nnd nicht mehr zurückgegeben
hatte (Galen, in Hippocr. epidem. 3, 2 t. XVU 1 p. 607 Kfihn).
Die nächstliegende Aufgabe war die Katalogisierung aller bekannten
Stücke; der grosse Katalog des Kallimachos, welchen Aristophanes mit einem
kritischen Anhange versah, wurde durch das pergamenische Verzeichnis (Athen,
h, 336 e) ergänzt.
Die Kritik und Exegese des Textes ging von Aristophanes von
Byzanz ans ; doch wollen wir die Leistungen desselben und seiner zahlreichen
Nachfolger bei den einzelnen Tragikern besprechen. Nur soviel sei hier
bemerkt, dass die Alexandriner auch für die Tragiker kritische Zeichen
•(das xrh^^f^^^ ^°^ ^^^ Obelos) erfanden (Herm. Schrader de notatioue
critica a veteribus grammaticis in poetis scaenicis adhibita, Bonn 1864) und
durch andere Zeichen das Metrische berücksichtigten (Hephaestio de poemate
45. 10 p. 77 W., dem Triklinios folgt, s. Dindorf scholia in Soph. trag.
p. 386 a), wie denn überhaupt die in den Handschriften übliche Verseinteiluiig
der Chorgesänge aus dieser Zeit zu stammen scheint (vgl. W. Christ über
den Wert der überlieferten Kolometrie in den griechischen Dramen, Sitzungsber.
der bayer. Akad. 1871 S. 603 ff.).
Antiquarische Untersuchungen hatte Aristoteles' Schüler Dikai-
archos mit dem Buche iispl {xooaixwv ^'^^vmv (Müllers fragm. histor. Graec.
n p. 248 ff. £r. 43— 45. 50) eröffnet; auch der sonst unbekannte Charikles
9*
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132 V. Kapitel.
schrieb Ttepl to5 3totixo5 ä'^mo^ (über die grossen Dionysieni Athen. 8, 360 c)^
Gleichzeitig handelte Aristoxenos ausführlich Yon den Tftnzen des tragischei>
Chors (Harpokr. n. xopSaxtofidc. Bekkers Anecd. I p. 101. Etym. M. = Phot,
n. Stxtw'.c: hv a icepl Tpa^tx-rjc ip^-fjoeo»?, Müllers fragm. bist. Ör. 11 p. 283 f,
fr. 44 £f.). Dann stellte Aristophanes von Byzanz die Masken des Drama»
zasammen (icspl icpoou»ic(uv Athen. 14, 659 b. Festos n. Maeson), der Alexan-
driner Amarantos schilderte die Bühnenverhältnisse (Athen. 8, 343 e. 10,
414f icspl oxYjvYic) und Menaichmos von Sikyon (vgl. G. Kiessling de
Menaechmo Sicyon. et Hieronymo Cardiano, Pr. v. 2^itz 1830, K. Müller
Script. Alex. Magni p. 145) widmete den xtyiyXxai ol icepl xbv Aiovoaov eine
bis von Homer ausholende üntersuchnng (tcepl tex^tttttv Athen. 2, 65 b, vgl.
14, 635b. 637 f. 638a; znm Titel s. Lüders die dionysischen Künstler
S. 58. 61. 114). Neben solchen wichtigen Kapiteln zogen auch kleinliche-
Fragen manche an, z. B. schrieb ein Ptolemaios, der Vater des bekannten
Homerikers Aristonikos, «epl täv b\t.oioi^ tlpY)^^v(uv icapot tot? Tpa^ixotc (über
Wiederholnngen nnd Entlehnungen, Snidas) und Dionysodoros, was für
die Pedanterei der Zeit sehr bezeichnend ist, nepl tuiy icapä toc^ tpafixotc
4}(j.ap'C'r)fiivoi(; (Sehol. Eurip. Rhes. 508 I p. 34, 4 Dind. z. B. über geographische
Irrtümer, an denen Strabo gleichfalls nörgelt).
, Der unermüdliche Didymos eröffnet die Zeit der Lexika und der
Kompilationen mit einem grossen mindestens 28 Bücher umfassenden
Wörterbuch der tragischen Sprache (Xe^ic tpaY4>Soe)fi8VY) oder xpaYixY^v
28. Buch bei Macrob. sat. 5, 18; £. Bohde de Jul. Poll. in rebus scaen,
enarr. fontt. p. 10 f. A. 1 vermutet, dass es alphabetisch angelegt war und
jeder Buchstabe zwei Bücher umfasste, wovon immer das zweite für Sophokles
reserviert war); es ist von Diogeneianos-Hesychios excerpiert (Bruchstücke
von Mor. Schmidt Didymi Chalcenteri fragmenta p. 82—111 gesammelt).
Palamedes, ein Zeitgenosse des Athenaios (9, 397 a), schrieb ein Konkurrenz-
werk. Epitherses, ein Grammatiker des ersten christlichen Jahrhunderts,
scheint nur ein Glossar verfasst zu haben (irepl X^^scuv tpaYtxÄv Steph. Byz.
u. Ntxata). Aus diesen Werken sind viele der Kritik nützliche Artikel der
erhaltenen Lexika (bis herab auf das sogenannte Lexicon Vindobonense)
geschöpft.
Die antiquarischen Untersuchungen der älteren Zeit fassten der gelehrte
Maurenkönig Juba in der d-catpcxY] latopia von mindestens 17 Büchern
(Müllers fragmenta histor. HI p. 481 f. fr. 73—80), woraus nach Rohde de
Julii PoUucis in apparatu scaenico enarrando fontibus, Lpg. 1870 der Atticist
Julius PoUux IV 123—132 seines Onomastikons geschöpft hat, der unter
Hadrian lebende jüngere Dionysios von Halikamass, der Verfasser einer
36 Bücher umfassenden fioootxT) loxopta (vgl. O. Schneider Callimachea
II 29flf.) und Ruf OS in der jxoüotx-}] (Spajxaxtx'«]) lotopia, wovon Sopatros die
ersten fünf und das achte Buch excerpierte (Phot. biblioth. 161 p. 103 b 12.
16 ff. Dass Rufos nicht einen Auszug aus Dionysios machte, wie O. Schneider
Callimachea II p. 29 f. behauptet, zeigt das Citat Toü<poc >tal Atovüotog Schol.
Aristid. p. 537 D. Nach Wilamowitz Antigonos von Karystios S. 328-
A. 12 von Hesychios-Suidas benützt) zusammen; ein anonymes Excerpt ex
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Anfänge der Tragödie. 133
Tfiz fioooix^c laxopia^ steht am Ende der Aescbylusbiographie. Der römische
Encyklopädist Suetonias behandelte in einem Bache der Lndicra historia
•(Bei ff er scheid Sneton. imfcm, ^.461 f., s. dasn Leop. Cohn Jahrbb.
£app]. 13, 858 f. A. 1) vieles bieher gehörige.
Ein biographisches Sammelwerk veranstaltete nnter Hadrian der Perga-
mener TelepLos (ßtoi xpaYixüiv %a\ xa>fj.txa)v Suidas). Ausserdem sind zwei
Sammlungen von Stadien zu nennen, des als Metriker bekannten Hephaistion
^pafixÄv aKopYjfi.(iTu*v Xooeic (Suidas) und Nestors d-saxpixa öitojivYjjxaxa
(Athen. 10, 415 a, vgl. K. Müllers fragm. histor. Graec. in 485*).
Den Metren und Bhythmen der Tragiker wurde von den Gelehrten
•des Altertums keine besondere wissenschaftliche Schrift gewidmet; erst am
Eingange des byzantinischen Zeitalters, nnter dem Kaiser Anastasios zergliederte
-der Grammatiker Eugenios die lyrischen Verse der damals gewöhnlich ge-
lesenen fünfzehn Tragödien, nämlich je drei von Aeschylns und Sophokles
und neun von Euripides (xcuXojiexpia täv jieXtxwv Suidas).
Die Byzantiner bewahrten von dieser reichen Literatur, wenn vrir die
£cholien und Inhaltsangaben nicht in Betracht ziehen, nur das wenige, was
2wei anonyme Abschnitte über die el^Y) der Tragödie (Gramer, Anecdota Pari-
.äna I p. 19, 5ff. u. 19, 24fr., vgl. Vitelli Museo Italiano di antichit^
•dassica I p. 1 und Studemund Philol. 46. 25 f.) und zwei SchuUeitföden
des Johannes Tzetzes icspl xpafixYjc icoiYjoeiug, der eine in Versen, der andere
in Prosa geschrieben (hrog. v. Däbner Rhein. Mus. 4, 402 ff. 5, 152 ff. O.
Müller ebend. S. 333 ff. = kleine Schriften 1, 488ff. Westphal Prolegomena
zu Aeschylus Tragödien S. Vni ff.), worin er sich auf Enkleides und Erates
beruft, enthalten. Aehnlich redncierte sich im Westen die historische Kenntnis
.auf den Artikel „de tragoedia^^ (hrsg. von Usener Rhein. Mus. 28, 418 f.).
Wer in der neueren Zeit die gesamte Tragödie der Griechen einer
Untersuchung unterwirft, pflegt sich auf eine einzelne Frage zu beschränken.
Die weniger eng begrenzten Werke gehen entweder mehr auf eine ästhetische
Würdigung der erhaltenen Stücke aus, wie Aug. Wilh. Schlegel Vorlesungen
tlber dramatische Kunst und Litteratur IV.— XIV. (sämtliche Werke Bd. V.
1846), O. F. Gruppe Ariadne: Die tragische Kunst der Griechen in ihrer
Entwickelung und in ihrem Zusammenhange mit der Volkspoesie, Berlin 1833,
Moritz Rapp Geschichte des griechischen Schauspiels vom Standpunkt der
dramatischen Kunst, Tübingen 1862, Fr. Nietzsche die Geburt der Tragödie
aus dem Geiste der Musik, Lpg. 1872, *1874, Paul de Saint-Victor les
deux masques, Paris 1880—81, 2 Bde. und besonders Patin ötudee sur les
tragiques grecques. Eschyle, 6. 6d. Paris 1883, Sopbocle, 7. 6d. 1884, Euripide,
^. ed. 1884, 2 Bde., welcher die modernen Bearbeitungen der alten Stoffe
am eingehendsten berücksichtigt, oder sie versuchen den Gang der verlorenen
'Tragödien wieder herzustellen. F. G. Welcker (die griechischen Tragödien
mit Rücksicht auf den epischen Cyclus geordnet, Bonn 1839—41, 3 Thle.
als zweiter Supplementband des Rheinischen Museums) wird durch feine
Empfindung für das Poetische und scharfsinnige Kombination immer der
Bewunderung würdig sein; unter den an ihn anknüpfenden Untersuchungen
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134 V. Kapitel.
ragt O. Ribbecks Buch ,,die römische Tragödie im Zeitalter der Republik*^
(Leipzig 1875) hervor. Vielerlei einschlägiges liegt in zahlreichen mythologi-
schen and archäologischen Ahhandlangen, neuerdings vor allem von ü. v.
Wilamowits und Robert samt ihren Schülern, zerstreut; die Grenzen einer
Monographie überschreitet Friedr. Schlie die Darstellungen des troischen
Sagenkreises auf etruskischen ABchenkisten, Stuttgart 1868. Endlich dürfen
wir das anregende Erstlingswerk von Böckh Graecae tragoediae prindpum,
Aeschyli SophocUs Euripidis, num ea quae supersnnt, et genuina omnia
sint et forma primitiva servata, an eorum familüs aliquid debeat ex iis
tribui, Heidelbeig 1808 (im folgenden mit trag, princip. citiert) nicht
▼ergessen.
Schliesslich haben wir von den Ausgaben aller Dramen oder Tragödien zu
sprechen: Das vorige Jahrhundert war von „le theätre des Grecs" (Paris-
1730, in drei Quartbänden) des Jesuiten Brnmoy beherrscht, dessen letzte
Bearbeitung (Paris 1785—89, 18 Bde.) von Rochefort, du Thell und Prövost
herrührt. Dann folgt: Poetae scenici Graecorum. Rec. et annot. siglisque
metrids instr.'Fridr. Henr. Bothe, Lipsiae 1825—58, 10 Bde. (1. 2. Enripides.
3. 4. Sophokles. 5.-8. (2. Aufl. 1845—58) Aristophanes, 9. 10. Aeschylus)
mit dem Anhang: Poetarum soenicorum Graecorum quorom integi;» opera
snpersunt iVagmenta, Lpg. 1844—46, 4 Thle. Hierauf gab W. Dindorf die
vier Dramatiker samt Fragmenten in kritischer Becension heraus (Poetarum
scenicomm Graecorum Aeschyli Sophodis Euripidis et Aristophanis fabulae
superstites et perditarum fragmenta, Oxford 1846. '1869, Lpg. '1869, vgl.
Jahrbb. f. Phil. 97, 393 ff.). Die Fragmente sämtlicher verlorener Tragödien
sammelte Fr. W. Wagner, zuerst in: Poetarum tragicorum Graecorum frag-
menta, Breslau I. Aeschylus und Sophokles 1852. ü. Enripides 1844, m. die
übrigen 1848, dann: Fragmenta Euripidis iterum ed., perditorum tragicorum
omninm nunc primum coli., Paris 1846. Die vollständigste Sammlung ist:
Tragicorum Graecorum fragmenta rec. Aug. Nauck, Lpg. 1856 (Nach-
träge in seiner Ausgabe des Enripides Bd. m S. XVff., zweite Auf--
läge angekündigt).
Das Drama der Hellenen ist unter den diesen Namen wahr-
haft verdienenden das einzige, welches von der eigenen Nation
entdeckt und gepflegt, durch keinerlei fremde Einflüsse beirrt^
seinen natürlichen Weg ging. Diese Originalität gerade er-
schwert die vollkommene Aufdeckung seines Werdens und ge-
stattet bloss eine wahrscheinliche Skizze des Entwicklungs-
ganges^), während in den übrigen Literaturen vor allem die
1) W. Schneider de originibus tragoediae Graecae, Breslau 1817,.
2 Bde.; Chr. Dan. Beck acoessionnm ad Fabricii bibliothecam Graecam^
spec. II. Lpg. 1828; O. Müller kleine Schriften 1, 388 ff.; Fr. V. Fritz-
sche de origine tragoediae, index lect. Rostock 1863/4; £. v. Leutsch
Philol. 37, 342ff.;' E. Roh de AfterphUologie , Lpg. 1872 S. 29 ff.; ü. v.
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Anfänge der Tragödie. 135
Frage zu stellen ist,- wann man das griechische Drama direkt
oder indirekt kennen lernte mid wie viel man davon dem Ge-
schmacke des Volkes und der Zeit anpasste.
Mit allen geheimnisvollen Kulten Griechenlands war, wie
vielleicht überall auf Erden, der Brauet verbunden, dass die
Hauptlegende alljährlich so dargestellt wurde als ob die in ihr
enthaltenen Ereignisse von den Gläubigen selbst neu erlebt
würden *). An vielen Orten traten solche mimische Chöre auch
an öffentlichen Festen auf*); wenn man z. B. auf Delos die
weite Wanderung der Hyperboreer darstellte, deuteten die Mäd-
chen des Chores durch Nachahmung fremder Sprachen die
vielen durchzogenen Länder an ^). Ein religiöses Schauspiel
dagegen, ich meine ein Mysterium im Sinne des Mittelalters,
bat im heidnischen Griechenland nie existiert^), weil alle der-
artigen Bräuche, aus denen sich ein solches hätte entwickeln
können, jederzeit Kultusakte blieben^
So verharrten die ekstatischen Orgien des Dionysos trotz
ihrer Beliebtheit auf dieser Stufe. Dagegen lag ein frucht-
tragender Keim in der Weise, wie man den Gott bei den
öfifentlichen Volksfesten ehrte. Als wir im vorhergehenden
Kapitel von dem Dithyrambos handelten, sf^gten wir, der Chor
sei in Gestalt von Satyrn aufgetreten. Wenn nun Pindar
Wilamowitz Zukunftsplülologiel Berlin 1872, 2. Stack 1873 (vgL Nietz-
sche s. o. S. 133); Job. Stahl de tragoediae primordüs et incrementis
ab Azistotele adumbratis, ind. lect. hib. Monster 1881; Ed. Hill er Rhein.
Mus. 39, 321 ff.
1) Fr. Back de Graecomm caeremonüs in qnibns homines deomm Tice
fongebantar, Berlin 1883 ; z. B. schildert Ludan im Alexandroe c. 38 f. etwas
der Art. Ueber dramatische Erntefeste s. Mannhardt antike Wald- and
Feldknlte S. 183 ff.
2) Lob eck Aglaophamas p. 174 a. ö. K. Fr. Hermann Lehrbuch
der griechischen Antiquitäten H § 29, 18. 23 f. z. B. Philostrat. vit. Apoll.
4, 21 p. 73 K.
3) Hymn. Hom. in Apoll. 1, 160 ff.
4) T'^v ^sppstpdttYjc exxpaY(}>do5oai dtpicaY*qv Clem. Alex, protr. p. 14 P,
bedeutet nach spätgriechischem Sprachgebrauche nur, dass die athenischen
Frauen den Baub b^ammerten, und Ay^o» xal Köpf} 2pd{i.a ^ctvtoOnqv
}iootix6v (ib. p. 12) wird durch das folgende (xal t^v icXdviQV xal f^v
dpuaY'^v xal tö «Ivd-oc ahxal^ *EXeoolc 8qt8oox«l) erläutert.
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136 V. Kapitel.
„lyrische** tpaYcpSiat (S. 80) und Simonides ebenfalls eine solche ^)
ziigeteilt werd^i, was könnte dieser Name anderes als den Ge-
sang der Böcke, d. h. des in Bocksfelle gemummten Chores be-
zeichnen*)? Die Tragodia war also zu Anfang gewiss eine
Abart des Dithyrambos, wenn auch nicht ein eigentlicher Spröss-
ling desselben, weil sonst schwerlich beide Gattungen unab-
hängig neben einander fortbestanden hätten^); indes reichen
die Nachrichten nicht hin, um den Unterschied zu erkennen.
Da die Alten darin einig sind, dass die Tragödie ursprünglich
aus Cborgesängen bestand^), darf man vielleicht an einen
Dithyrambenzyklus denken, wie Timotheos eine dithyrambische
„Odyssee** in wenigstens vier Teilen dichtete ^). Weil jene
Dichtungsform auch anderen Kulten sich anpassen liess, trat
das bakchische Element möglicher Weise nicht ebenso stark
wie im Dithyrambos hervor. Herodot erzählt nämlich, dass in
Sikyon zu Ehren des Heros Adrastos „tragische Chöre" auf-
traten .* bis sie der Tyrann Kleisthenes , etwa um die Zeit der
solonischen Gesetzgebung, aus politischen Gründen Dionysos
„zurückgab** *). Die Chronik von Sikyon ') zählte nicht weniger
als tiinfzehn Vorgänger des Thespis, an ihrer Spitze einen
1) Der beste Kodex des Saidas bietet den Singalar TpaY(}>Sta, ebenso
die von Mosüros benützte Handschrift desselben Schol. Aristoph. Vesp. 1451
(1402). Nach Lübbert comm. de Pindari carminibns dramatibis tragicis
eorumqne cum epiniciis cognatione, ind. lect. hib. von Bonn 1884 p. 16 ist
diese Tragodia mit dem „Memnon" identisch. Böckh Staatshaoshaltnng
nd62f. and zu CIG. I 765 f. stellte eigent&mliche Ansichten über die
lyrische Tragödie auf, welche 6. Hermann oposcnla VH 211fr. und
P. Foucart de collegüs scenic. artificum p. 71 ff. bekämpften.
2) Etym. M. p. 764, 5 ff. ; Tpdfoc heisst Satyr Aeschyl. fr. 190 D. und
Hesych. n. xpä-^oo^. Bei den dionysischen Orgien trugen die Jungfrauen
Ziegenfelle (Hegych. u. xpa-^fi^Spoi),
3) Aristoteles bezeichnet, um Verwechslungen vorzubeugen, poet. 4
p, 1449 a 11 die lyrische Tragödie mit dem Worte ^td-opajtßoc.
4) Athen. 14, 630 c. Diogen. Laert. 3, 56. Euanthins de oomoedia p. 4,
13 ff. Reiff.
5) Orion bei Etym. Magn. p. 630, 41.
6) Herod. 5, 67 ; daher sagt Themistios or. 19 p. 486, die Tragödie sei
in Sikyon erfunden.
7) Bernhardy Lit. Gesch. H 2, 10; Lübbert a. O. p. 21 ff. (vgl.
Plutarch. mus. 3). Der Vermittler der Nachricht dürfte Menaichmos (S. 132)
gewesen sein.
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Anfönge der Tragödie. 137
Epigenes, auf ^), doch wusste Aristoteles noch nichts von so
alt«n Dichtern oder er wollte nichts davon wissen*).
Derselbe Kleisthenes hatte sich zum Tochtermann den
reichen athenischen Patrizier Megakles erwählt; als dieser nach
Peisistratos' zweiter Vertreibung der leitende Politiker Athens
war, mag er das Volk, weil ein neuer Staatsstreich drohte,
durch Erhöhung des Festvergnügens zu fesseln versucht haben,
wie er es von seinem klugen Schwiegervater gelernt hatte. Ol. 61 •)
wahrscheinlich im Jahre 540, da 538 bereits die dritte Regier-
ung des Peisistratos begonnen haben dürfte, fand in Athen der
erste Wettkampf von Tragödien an den grossen Dionysien statt,
wobei Thespis siegte. Dieser Erfolg und dass schriftliche
Aufzeichnungen sonst fehlten, verschaffte ihm bei vielen der
Späteren den Ruhm, dass er für den ältesten Tragiker oder,
besser. gesagt, für den ältesten tragischen Schauspieler galt*),
während doch eben jener Sieg gleichzeitige Rivalen voraussetzt.
Aristoteles war daher nicht so voreilig; über die Frage,
wann die lyrische Tragödie durch Einführung eines einzelnen
1) Snidas u. Bioici^ (vgl. Pbot. and Saidas Oh^kv icpöc xöv Aiovoaov).
Die Ziffer fünfzehn könnte errechnet «ein , indem mau Epigenes gleichzeitig
mit Phalkas, dem ersten Heraklidenkönig von Sikyon, d. h. 15 Generationen
früher (Lübbert a. O. S. 23) oder vielleicht an den Regierangsantritt des
Kleisthenes (vgl. B a s o 1 1 griechische Geschichte I S. 466 A. 2) 15 Olympiaden
vor Thespis setzte.
2) Poet. 3 p. 1448a 29 ff.
3) Saidas a. B^aicig. In der paiiscben Chronik Z. 58 ist die Zahl ver-
loren; es durfte 277 zu ergänzen sein (die Grenzen sind Ol. 61, 1 und
66, 1). Bei Ensebios ist er schon Ol. 48, 1 (armenisch) oder 47, 2 (Hieron.)
gesetzt, also in die Zeit des Solon and Kleisthenes; auch Plutarch. Sol. 29
and Diogen. Laert. 1 , 59 gilt er für einen Zeitgenossen des athenischen
Gesetzgebers.
4) Thespis wird Aristoph. Vesp. 1479 und Ps. Plat. Minos p. 321 a, der
aber g^^n die Erfindung der Tragödie protestiert (ebenso denkt Pollux 4,
123), als der älteste bekannte erwähnt Aristoteles scheint ihn zu ignorieren
(poet 4 p. 1449a 10, vgL Hiller Rhein. Mus. 39, 321 ff.) und Chamaüeon,
der über Thespis ein Buch schrieb, dürfte ibu als ersten Dichter einer ernst-
haften Tragödie gefosst haben (Phot. Suidas ohhiv icp6c töv Aiovooov). Den
Schauspieler führte er ein nach Horat. a. p. 275 fif. Diog. Laert. 3, 56. dem.
Strom. I 365 P, 309 S, 8.'auch Plut. Sol. 29; auf das platte Land versetzt
ihn Bioskorides AnthoL 7, 410. 411 und der Grammatiker, welcher seinen
Vater Ikarios nannte (Snidas).
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138 V- Kapitel.
Sprechers zum Drama wurde, ein berechnetes Schweigen beob-
achtend, spricht er darüber allein, wie dieses imendlich folgen-
reiche Ereignis herbeigeführt worden sein dürfte, eine Ver-
mutung aus. Der Philosoph verweist nämlich auf den Vorsänger
des dithyrambischen Chors, also den Chormeister ^) oder viel-
mehr den Dichter selbst; denn vielleicht hat dieser manche
Stellen als Solo vorgetragen. Hat Aristoteles Recht, so sonderte
sich der Vorsänger allmählig von dem Chore ganz ab; was
aber von weit grösserer Tragweite war, er musste seine Indi-
vidualität aufgeben und im Sinne eines anderen sprechen. Erst
dadurch ward der Giroxpitr]«; fertig*). Aristoteles nimmt an, dass
er anfänglich seine Rolle improvisierte^. An dem, was der
grosse Gelehrte zweihundert Jahre nach Thespis vertreten zu
können geglaubt hat, wollen wir uns genügen lassen.
Die Fabeln hingegen, welche die Schriftsteller der Kaiser-
zeit, wenn sie von den Anfängen der Tragödie sprechen, vor-
tragen, sind so eingewurzelt und zugleich für die literar-
historische Ueberlieferung so lehrreich, dass wir ihnen ausnahms-
weise einen Platz im Texte nicht versagen dürfen.
Aus dem Namen tpa^cpS^a zuvörderst las man bald heraus,
dass der tragische Chor in der alten Zeit, wenn dem Dionysos
ein Bock geopfert wurde, sang*), bald dass der Preis der Sieger
in einem Bock bestand *).
1) Hiller a. O. S. 325.
2) Ueber den Namen Sommerbrodt Bhein. Mos. 22, 513ff. 30, 456 ff.
= scaenica collecta p. 259 ff. 288 ff. Heimsöth de voce önoxpirf^i; comm.,
Bonn 1874. Unrichtig deuten ihn als Antworter ApoUon. soph. p. 161 B.
PoUux 4, 123 (^oiC xop'Ofat? 3ttcexptv8xo). Hesych. u. 6iroxpCvotTo, ebenso G.
Cnrtins Ber. der sftcbs. Ges. 1866 m S. 148 ff. und Rhein. Mos. 23, 265 ff.
S. anch A. Müller die griech. Bnhnenaltertümer S. 170 f. Richtig Eustath.
opnsc. p. 88 f. Xm c 4. 5.
3) Poet. 4 p. 1449 a 9 f.
4) Enanthins de comoedia p. 3, 2 ff. Reiff. vgl. Eratosthenes bei Hygin.
2, 4 'Ixapioo itoot icpaita wepl ipd^ov ^pyfyoavxo,
5) Mann. Par. Z. 58. Dioscor. AnthoL 7, 410, 3. Horat a. p. 220
(Sidon. Apoll, carm. 1, 234 f.). Eoseb. chron. Qaidam bei Sneton. p. 6, 3
Reiff. Etym. M. p. 764, 2. Schol. Dion. Thr. Bekk. Anecd. H p. 746, 22.
Anon. bei Schol. Enrip. I p. 7 adn. ed. Dindorf. Is. Tzets. proleg. in Lycophr.
p. 254. Joh. Tzetz. Anecd. Ozon, m 337, 17. Euanthins de com. p. 3, 5.
Donatns de com. p. 8, 24 f. Reiffl Anon. de tragoedia Rhein. Mos. 28, 419
Z. 4. Isid. orig. 8, 7, 5. Vgl. daza Nonn. Dionys. 19, 599.
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Asfänge der Tragödie. 1 39^
Bekanntlich nannte Aristophanes seine eigene Kunst mit
scherzhafter Travestie tpoifcpSta, woraus einige für Witze unem-
pfängliche Grammatiker den ernsthaften Schluss zogen, di^
ältesten Komiker hätten ihr Gesicht mit Weinhefe (xpbi) be*
schmiert 0; sie dachten offenbar an den attischen Brauch, bei
der Weinernte das Bild des Gottes mit Weinhefe und frischen
Feigen einzureiben ^. Die bäuerischste Form eines Dankopfers l
Andere meinten, die Sieger hätten zur Belohnung Weinmost
bekommen •). Schlimmer war es aber, dass man tpaifcpfita und
TpoYcpSCa unterschiedslos zusammenwarf und demzufolge beide
etymologische Fabeln auf die Tragödie übertrug*), ja sogar
noch eine dritte Etymologie, nämlich dass das Drama bei der
Weinlese {'cpiyffi) entstanden sei.^) Dies bedingte hinwiederum
den ländlichen Ursprung und lenkte den Gedanken sofort auf
den ältesten Sitz des attischen Dionysoskultes, den Gau Ikaria ^.
Jetzt brauchte nur noch ein schlechter Etymologe oxyjvtJ ala
schattenspendende Laubhütte (oxtd) zu deuten^), damit die
idyllische Vorstellung von dem Bauernspiel fertig war, welche
besonders die Römer, ihrer ländUchen Satura zu Liebe, mit Be-
gierde aufgriffen®).
1) Anon. de comoedia m 2. Schol. Aristoph. Acharn. 504 (498). Nub,
296. Tzetz. Anecd. Oxon. IH p. 335, 20, vgl. 336, 1.
2) Plutarch. proverb. Alexandr. 40.
3) Schol. Ariatoph. Acham. 405 (397). 604 (498). Etym. M. p. 764, 12,
Anon. de comoedia ni 2.
4) Beecbmieren des Gesichtes: Horat. a. p. 277. Alii bei Sneton. p. 6,
13 Reiff. Qnidam bei Porphyrie in Hör. a. p. 277. Eoanthius p. 3, 6 f. Is,
Tzetz prol. in Lyc. p. 256; Preis: ^vioi bei Dindorfs Scholi üi Eorip. I p. 7
adn. Alii bei Sneton. p. 7, 4ff. Etym. M. 'p. 764, 3. Enanthios a. O. Is.
Tzetz a. O.
6) Athen. 2, 40 b.
6) Athen. 2, 40 b; s. S. 138 A. 4.
7) Ovid. ars am. 1, 105 f. Serv. Verg. Aen. 1, 164. Georg. 3, 24 (die
gemeinsame Quelle dürfte* Varro sein).
8) Verg. Georg. 2, 381 f. Horat. a. p. 275 ff., der wie Schol. Ariatoph.
Knb. 296 anch noch ^<p' dt{ia£Y|C hereinmischt ; dies ist der bedenkliche Ur-
sprung des Thespiskarrens I 'Ev ä^P^^^ ^S^ ^^^^ ^^ Lexikon, ans welchem
das Etymologicum magnnm, Orion und Kyrillos den Artikel ^0{iiXY^
schöpften.
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140 V, KapiteL
Der Tranchiertisch (iXeö;) endlich, von dem der Schau-
spieler dereinst herab gesprochen haben solP), ist selbstver-
ständlich der Scherz eines Komikers, der die Bühne damit
verglich, weil er, wie Metagenes sich einem Koche, der das
Publikum zu bewirten hat, gleichstellte*).
Doch kehren wir von diesen handgreiflichen Erfindungen
zu Aristoteles und den urkundlichen Thatsachen zurück.
Nächst Thespis stand der Athener Choirilos seit der
64. Olympiade mit dreizehn Siegen in den Theaterlisten ver-
zeichnet ^) ; er soll sogar noch gleichzeitig mit Sophokles aufge-
treten sein*).
Die ältesten athenischen Tragiker hatten die mächtige Kon-
kurrenz des Peloponnes zu bekämpfen. Man weiss noch von
zwei hervorragenden Phleiasiern, Pratinas*), der in Athen
einen ersten Preis bekam und in der siebzigsten Olympiade
gegen Choirilos und den jungen Aeschylus stritt ^, und Pratinas'
Sohn Aristias; letzterer trat Ol. 78,1 mit einer Trilogie
seines Vaters auf). Dass er in Phleius ein noch von Pausanias
erwähntes Grabdenkmal besass®), lässt auf grosses Ansehen
scbliesseu.
Ueber die Werke dieser vier Tragiker stehen sehr unge-
nügende Nachrichten zu unserer Verfügung. Sagt auch Suidas
von Thespis, dass folgende Titel von Stücken erwähnt werden :
Leiclienspiele des Pelias oder Phorbas (nach einer attischen
Lokalsage) ^), Pentheus, die Priester, die Junggesellen, so be-
1) PoUux 4, 123; der Chor nach Orion p.72 = Etym. Magn. p. 458, 30
(weshalb Hill er Rhein. Mu«. 39, 329 eine Travestie des Wortes Öt)-|iiXYj an-
nimmt). Hesych. n. ^Xc6v . . Ixpiov zeigt, dass nicht jedem klar war, ob der
Komiker Bühne, Orchestra oder Zaschanerraum meinte.
2) Bei Athen. 10, 459 b, ähnUch Aristoph. Eqnit. 538 f. üebrigens er-
innert pulpitum merkwürdig an pulpa.
3) Näke Choeril. (s. o. 8. 18 A. 11) cap. 1; Suidas u. XotptXo?. CyriU.
c. Julian. 1, 13 sagt irrtümlich Ol. 74, wie auch £usebios ihn Ol. 74, 2 setzt.
4) Schol. Aristoph. Ran. 73, vgl. Suidas n. £o(poxX^(;.
5) Welcker Satyrepiel S. 276 ff. K. Fr. Hermann Philol. 3, 507 ff,
ü. V. Wilamowitz Hermes 20, 67ft.
6) Suidas u. Dpativag.
7) Argum. Aeschyl. Sept.
8) Pausan. 2, 13, 5.
9) Schol. Piudar. Nem. 5, 89.
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Anfänge der Tragödie. 141
hauptet dagegen Aristoxenos, freilich ein nicht unparteiischer
Zeuge, der pontische Herakleides habe diese Tragödien ge-
fälscht^). Choirilos soll gar 160 Dramen gedichtet haben,
von denen der einzige Titel „Alope" bekannt ist*); indes ver-
kündet ein Vers seinen einstigen Ruhm : „Als Choirilos im Satyr-
spiele König war"'). Dagegen versichert Pausanias, dass, von
den äschyleischen abgesehen, die Satyrspiele des Pratinas
und Aristias den grössten Ruf hatten*). Von den 32 Satyr-
spielen und 18 Tragödien des ersteren ist nichts geblieben %
wogegen seine lyrischen Dichtungen etwas mehr Eindruck ge-
macht zu haben scheinen (S. 116). Aus den Dramen seines
Sohnes (Antaios, Atalante, die Keren, der Kyklope, Orpheus)
haben Grammatiker ein paar Verse seltener Wörter wegen ge
rettet. «)
So wenig als Aristoteles angeben konnte, wann der Dichter
an der Spitze des Chores zu singen aufhörte und ihm als Schau-
spieler entgegentrat, ebenso ist der zweite bedeutungsvolle Wende-
punkt, die Scheidung von Satyrdrama und Tragödie,
unseren Blicken entzogen. War die von Satyrn gespielte mytho-
logische Posse, gemäss dem heiteren ausgelassenen Charakter
der dionysischen Feste, das ursprüngliche ? So denkt offenbar
Aristoteles, wenn er sagt, die Tragödie habe erst später einen
ernsten Ton angenommen ^). Dazu würde die Mitteilung stimmen,
dass die ältesten Spieler sich das .Gesicht mit Blättern ver-
1) Diogen. Laert. 5, 92; die Fragmente bei Nauck p. 647 sind schon
durch das jambische Metram als nuecht erweislich; s. auch C. J. Ho ff mann
Jahns Archiv 2 (1833) S. 33 ff.
2) Pansan. 1, 14, 3. '
3) ^Hvtxa jxiv ßaotX.86c ^|v XotptXoc Iv Saxopototv Mar. Plot. de metris c. 3.
4) Paus. 2, 13, 5; deshalb legt der etwas spätere Alkiphron (epist. 3, 12)
einem musikalischen Ziegenhirten den Namen Pratinas bei.
5) Snidas; Böckh trag, princip. p. 125 will nicht mehr als 12 Satyr-
spiele zugeben. Die von Aristias zur Anffühning gebrachten Stücke hiessen :
Perseiis, Tantalos, die Ringer.
6) Fragmente bei Nauck p. 562 ff.
7) Acä t6 1% oatupixo5 pLsxaßaXeiv h^l 3(ic6O6{jLVuv0»r] poet. 4 p. 1449 a 20;
ähnlich sagt Aristophanes Ran. 1004 von Aeschylus: *AXX' J» iipÄtO(; täv
^EXXyjvüjv «op^ttioac f-fiptaxa ocjjLva xal xocjj.'fjGac xpa^tx^v X'?ipov, vgl. Vita Z. 74.
Horat. a. p. 280.
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142 V. Kapitel.
hüllten, wie die Phallophoren, um nicht erkannt zu werden^)
— wenn anders dies eine glaubhafte Ueberlieferung ist. Aber
auch der Name „Gesang der Böcke" spricht für den Stagiriten ;
4enn wann wäre ein Satyr feierlich gewesen ? Auf der anderen
Seite ist daran erinnert worden, dass der Dionysoskult, wie
Freud und Leid stets beisammen liegen, mit der Freude auch
das Schmerzgefühl in sich schloss. Die Melancholie sprach sich
in der That nicht bloss in dem berühmten Spruche des Silenos
(Das beste sei für den Menschen, nicht geboren zu werden, das
nächste, früh zu sterben) und in dem heidnischen Allerseelen-
feste der Agrianien und Choes aus, sondern fand auch in den
Gesängen einen Ausdruck, insofern der Dithyrambos der win-
terlichen Dionysien, wo die Erde kahl und freudlos dalag, eine
mehr wehmütige Stimmung aussprach *). Diese Ansicht wäre
vortrefflich, wenn die Tragödien von den Authesterien ausge-
gangen wären. In Wirklichkeit bestand jedoch zwischen beiden
nicht einmal eine Verbindung, sondern die Tragödie hängt ge-
rade mit den grossen Dionysien, den Tagen der allgemeinen
Freude, wo die Natur aus langem Schlafe zu neuem Leben er-
wacht, zusammen. Also wird Aristoteles dennoch Recht be-
halten. Die edle Schwermut der Tragödie ist nicht der Volks-
seele nachgefühlt, sondern das eigene Empfinden weihevoller
Dichter. Die Redensart oü8sv Tcpöc töv Atövooov konnte, wenn
^ie Sprich Wörtersammler Glauben verdienen, die Enkel an die
Opposition gemahnen, mit welcher solche Veredler des Volks-
geschmackes anfangs zu kämpfen hatten. Wenn von jenen
dieser Ruhmestitel Thespis eingeräumt wird *), begehen sie frei-
lich einen Anachronismus. Einige dachten statt seiner an
Choirilos*), während Plutarch versichert, dass Phrynichos und
Aeschylus die Verfasser der ersten Trauerspiele waren*), und
1) Saidas u. Beoicic mit Semos bei Athen. 14, 622 c.
2] Dissenim Kommentar zu Pindar p. 621. 625 ; Mor. Schmidt diatribe
in dithyrambum p. 211; Lübbert de Pindari carmlnibns dramaticis p. 14 ff.
3) Daher schreibt ihm wahrscheinlich eine Quelle des Snidas die Erfindung
der Masken zu.
4) Suidas sagt wenigstens, er habe nach einigen die Masken und d^e
tragische Kleidung eingeführt, nämlich an Stelle des Satyrkostümes.
5) Quaest. symp» 1, 1, 6 ^povi^oo *at Alax'^^o^ ^v xpaftpBtav «Ic
ftü^ooc xal irdd-rj wpoaYovxwv; verballhornt von Quintilian. 10, 1, 66.
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Anfänge der Tragödie. 143
um die Verwirrung zu vollenden, schreibt Suidas Pratinas die
frühesten Satyrstücke zu. Diese Ansichten richteten sich offen-
bar danach, wie der betreffende Gewährsüiann über die Echt-
heit der voräschyleischen Dramen dachte; strenge Kritiker
haben, wie es scheint, keine älteren Satyrspiele als von Pratinas
und kein älteres Trauerspiel als von der Hand des Phrynichos
anerkannt.
Sicherlich war der Athener Phrynichos^) der einzige
der vor Aeschylus auftretenden Dichter, welcher auch in der
klassischen Zeit noch als wirklicher Tragiker anerkannt und
bühnenfUhig war *). Als er das erste Mal seinen Namen in die
Liste der Sieger eintragen lassen durfte •), hatte Athen eben
durch den Sturz des Hippias und die daran sich reihenden
Verfassungskämpfe eine so schwere Krisis durchgemacht, da?s
die Bürger, auf welche ohnehin die Neuordnung des Staates
einen reifenden Einfluss ausübte, auch für einen ernsteren Ge-
nuss und ein edleres Vergnügen Sinn haben mochten. Doch
einmal mutete der Dichter ihnen zu viel zu: Als er die Zer-
störung von Milet (494) vorführte, erzielte er den verhängnis-
vollen Erfolg, dass alle Zuschauer in bittere Thränen ausbrachen,
worauf Phrynichod in Strafe genommen wurde, weil — die
Motivierung ist sehr interessant — er häusliches Leid in Er-
innerung gebracht habe *). Indes hatte der Dichter die Gunst
1) C. J. Hoffmann Jahns Archiv 1833 S. 40ff. Soidas unterscheidet
irrtümlich (Bentley diss. npon Phalaris p. 259 flf. = 283 ff. Wagner) zwei
Tragiker Phrynichos; ans Athen Schol. Aristoph. Thesm. 164; Sohn des Me-
lanthas (Snidas 2.); die angeblichen Vatemamen Polyphradmon (Pansanias
10, 31, 4. Schol. Aristoph. Av. 749) nnd Chorokles (Snidas) sind von Söhnen
des Dichters entlehnt; Minyros (Snidas) rährt von einem Komiker her, wie
Aristophanes Vesp. 219 das Wort {itvop^Covts^ anf seine Ghorlieder anwendet.
2) Vgl. z. B. Aristoph. Thesm. 166. Nach V. 165 war er ein schöner
elegant gekleideter Mann. In den Fröschen V. 910 wird er als der bedeutendste
Vorgänger des Aeschylus genannt.
3) Suidas sagt, er habe in der 67. Olympiade gesiegt.
4) Herod. 6, 21 (c[>c ^va{iv*^oayTa olxY)Ia xaxa). Eallisthenes bei Strab.
14, 635. Die andere Anekdote bei Aelian. yar. bist. 3, 8 (woraus ituppixac
Suid. 2. geschöpft ist) ist dagegen von einem erfanden, der von einem Feld-
herrn Phrynichos las, worauf er die vermeintliche Ernennung damit moti-
vierte, dass er in einer Tragödie die Lieder der Eriegstänzer so kriegerisch
komponiert habe, aber jener war von dem Dichter verschieden und starb
erst Ol. 92, 2 (Thucyd. 8, 50 f).
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144 V. Kapitel.
des Publikums damit nicht für immer verloren ; denn noch 476
(OL 75,4), in dem Jahre, wo die griechische Bundesflotte zum
Angrifiskrieg aussegelte, gewann Phrynichos, dem Themistokles
als Choreg zur Seite stand, den Sieg ^). Zwölf Jahre später ist
bereits der Sohn Polyphradmon an seiner Stelle in den Wett-
kampf eingetreten*); einen anderen hiess Phrynichos zum Ge-
dächtnisse seines eigenen Huhmes Chorokles und dessen Sohn
Phrynichos widmete sich wenigstens als Schauspieler der
Bühne ^.
In den Tragödien des Phrynichos überwogen die Chorge-
sänge, und so fiel, weil er vor allem auf die Mannigfaltigkeit
derselben bedacht sein musste, der Schwerpunkt seiner Thätig-
keit mehr auf die Lyrik als das Dramatische^); hat er sich
doch auch selbständig in der Dichtung von Päanen versucht %
Aristophanes spottet über den kläglichen an Vogelstimmen er-
innernden Ton der Gesänge*), obgleich er sich der höflichsten
Ausdrücke bedient, weil es zu seiner Zeit noch Verehrer der-
selben gab ')♦ Jambische Tetrameter und Jonici a minore waren
Phrynichos' Lieblingsmasse®). Neben der Musik bemühte er
sich viel um die Tanzbewegungen des Chors und rühmte in
einem Gedichte selbst, dass er so zahlreiche Tanzfiguren wisse,
als eine Sturmnacht im Meere Wellen erregt®). Worin jedoch
1) Inschrift bei Plutarch. Themist. 5.
2) Snidas s. v. Argum. Aeschjl. Sept.; CIA. U 977a 3 ist der Name
noXo<ppao{jLu>y geschrieben.
3) Schol. Aristoph. Av. 749; dieser Stammbaum ist allerdings nicht
ansdrücklich überliefert.
4) Aristot. Problem. 19, 81. ,
5) Timaios bei Athen. 6, 250b; oder ist etwa der Name des Tynnichos
(S. 127) herzusteUen?
6) Aristoph. Vesp. 219 f. jitvoptCovxc? F'*^^*'! äp^^atoot^üivo-^ppovt^-'^pata.
At. 749 — 61 vom Vogelsang fv^ev &aic8p «^ (itXixta ^povtxoc ^(ißpooicuv jis-
X£u>v äiceßooxsxo xapic6v atX <pipu>v Y^o^^iav ({>$dv.
7) Z. B. scheint das Einzngslied der Phdnikerinnen beliebt gewesen zn
sein (s. Hesych. n. y^oxspcj) Sl$ovi(|> ans einem Komiker).
8) Nach Snidas von ihm erfanden; die Parodie Aristoph. Vesp. 230 ff.
ist in jambischen Tetrametem. Ein Metram war nach ihm benannt (Servins,
Keü IV. p. 464, 23).
9) Plntarch. quaest. symp. 8, 9, 3; vgL Athen.* 1, 22a. Bentleydiss.
npon Phalaris p. 267 (289 f.) deutet den Spott itrrjooat ^povtjpz &<: tt? iXixKop
(Aristoph. Vesp. 1490), den Aelian. var. bist. 13, 17 auf den Tragiker be-
zieht, mit Bezug darauf; das richtige sah Nauck zu fr. 16 p. 561.
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Anfänge der Tragödie. 145
seine Verdienste um das eigentliche Drama bestanden, wird
nicht berichtet, abgesehen davon, dass der Dichtter Frauen-
masken einführte ^), was soviel heisst wie dass er zuerst Frauen
auftreten li^s.
Die Titel der neun später noch bekannten Stücke gewähren
einen lehrreichen EinbUck in die StoflFwahl des Dichters. „Die
Einnahme von Milet" und „die Phönikerinnen" waren mit
kühnem Griffe der Zeitgeschichte entnommen; jenes Stück zog
dem Dichter die erwähnte Strafe zu, das zweite fasste die per-
sische Niederlage von einem ähnlichen Standpunkt wie Aeschylus*
,, Perser** auf; nur Hess Phrynichos die Niederlage schon bei
Anfang des Stückes, wo ein Eunuch für die königlichen Räte
die Stühle herrichtete, bekannt sein^. Den ganzen Rest des
Stückes werden Klagelieder, teils von den persischen Rats-
herrn, teils von sidonischen Palastdienerinnen gesungen, aus-
gefüllt haben; der Titel des Dramas setzt nämlich mindestens
zwei verschiedene Chöre voraus'). Im übrigen können wir
über die Neuerungen des Aeschylus nichts wissen; denn dass
Phrynichos im Jahre 476 durch das Los Themistokles zum
Choregen erhielt, berechtigt nicht einmal, eine politische Ver-
bindung zwischen beiden vorauszusetzen, geschweige denn die
„Phönikerinen'* samt den „Persern" zu Tendenzstücken zu
stempeln *). Von den anderen Tragödien bezieht sich die einzige
„Erigone'* auf die Dionysossagen. Dagegen bemerkt man eine
deutliche Vorliebe für alles Wunderbare : Die Verwandlung des
,.Aktaion", die Auferstehung der „Alkestis**, den Tod des Melea-
gros durch das zauberkräftige Holzscheit (in den „Frauen von
1] Snidas.
2) Glaukos im Argument der Perser.
3) 4>otvtooai Athen. 14, 635 c. Glaukos a. O.; Atxatoi [^ Il^poai, von
Aesobylus entlehnt, wie Blomfield sah] 9| oov^toxoi (nur zwei verschiedene
Titel des Staatsrates) Suidas; Wieland attisches Museum IV S. 10 erkannte
die Identität der Stücke. Droysen Kieler Studien 1841 S. 43flf. nimmt
einen dritten Chor von Persem an.
4) So meinte schon Bentley diss. upon the epistles of Phalaris p. 257
(281); vgl. ausser den von den fischyleischen Persern handelnden Schriften
Heinr. Brentano tlber die Perser des Aeschylus mit Vergleichung der PhÖ-
uissen des Ph., Diss. von München 1832; K. O. Müller Jahns Archiv 3, 637 ff.
und ind. lect. Gott. 1835/6; Joh. Gust. Droysen Phrynichos, Aeschylos und
die Trilogie, Kiel 1841 (Kieler Studien).
S 1 1 1 1 , Geschichte der griechischen Literatur, m. 10
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146 V. Kapitel.
Pleujon ^) dargestellt). Einen ähnlichen Reiz übt das Fremd-
artige ferner Länder auf das Gemüt aus; so hängen denn eben-
falls drei Tragödien mit dem geheimnisvollen dunklen Weltteile
zusammen: „Andromeda", „Antaios oder die Libyer" und ,,die
Töchter des Danaos**,' von denen „die Aegypter** schwerlich
verschieden waren* Dürfen wir nicht den Schluss wagen, dass
die frühesten Tragiker Griechenlands, Aeschylus nicht ausge-
nommen, auf die Erzielung starker Eflfekte hinarbeiteten? Die
vergleichende Literaturgeschichte könnte dieselbe Erscheinung
auf den Bühnen aller europäischen Völker nachweisen. Ueber-
haupt ist das Einfache und Natürliche in der Literatur nie
das Ursprüngliche, sondern es wird erst nach vielen Versuchen
und häufigem Misslingen von begnadeten Talenten entdeckt.
Aristoteles' Poetik enthält, ohne Phrynichos' Namen zu
erwähnen, so manche wertvolle Andeutung über die erste histo-
rische Periode, wenn wir so sagen dürfen, der griechischen
Tragödie. Danach stand dem Chor ein einziger Schauspieler
und zwar der Dichter in eigener Person gegenüber, infolge wo-
von ein Gespräch nur zwischen dem Chor und diesem einen
geführt werden konnte und der Chor nach dessen Abgange,
während er sich zu einer neuen Rolle umkleidete, singen musste.
Das Versmass der natürlich wenig umfangreichen Dialogpartien
war noch nicht der Jambus, sondern der trochäische Tetra-
meter*), welcher als lebhaftes Tanzmetrum in Wahrheit dem
Satyrspiel zukam; danmi begann schon Phrynichos ihm den
jambischen Trimeter entgegenzusetzen^. Der Kreis der behan-
delten Stoflfe war weit grösser als später, wo man sich haupt-
sächlich auf die Schicksale einiger Fürstenhäuser beschränkte *) ;
wussten doch Phrynichos und seine Zeitgenossen weder von
dem Aufbau einer tragischen Handlung noch von der Peripetie
etwas, so dass ihnen jeder Stoff dramatisierbar schien. Viele
Mühe kostete ihnen dies ja nicht: Die Handlung war dürftig
1) nXeopcttviai Paosan. 10, 31, 4.
2) C. 4 p. 1449 a 21.
3) Bei Snidas n. ^povc^oc ist e6pst^c 'cpc^j.itpoo rjc^^^'^^ '^ lesen, wie
Fr. 5. 9. 12. 16. 19 zeigen (Stahl de tragoediae primordiis p. 6 A.].
4) C. 13 p. 1453a 17ff.
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Aofönge der Tragödie. 147
^ind bestand aus wenigen Scenen ^), trotzdem wurden diese ohne
Kunst zusammengefügt ^ und nicht einmal die £inheit der Zeit
fand Beachtung % sei es, dass der Dichter innerhalb des gleichen
.Stückes die zeitliche Kontinuität ausser Augen setzte, wofür die
^wei gleichberechtigten Chöre der „PhÖnikerinen" sprechen
dürften, oder dass er sie durch Anwendung der Trilogie, wor-
über wir im nächsten Kapitel handeln werden, umging.
Auf dieser bescheidenen Grundlage errichteten die Meister
der Tragödie ihr allbewundertes Gebäude. Jeden der drei
Klassiker für sich abgeschlossen zu betrachten, erlaubt weder
die historische Methode, noch gestattet es die lückenhafte Ueber-
lieferung. Der Betrachtung der Dichterindividuen möge viel-
mehr eine Schilderung der antiken Tragödie vorhergehen , in
welcher ihr innerer Bau niit den ihn bedingenden äusseren Ver-
hältnissen in Beziehung gesetzt werden soll.
1) C. 4 p. 1449 a 19 f. ?xt U xb (iIy^^oc »x {iixpcov .... (lexaßaXtlVy
•daxm ist Z. 28 iicscaodicuv icXY)d^ zu erwftgen.
2) C. 6 p. 1450a 35ff.
3) C. 5 p. 1449 b 16.
10*
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VI. Kapitel.
Technik der Tragödie.
Spieltage; Preiskonkurrenz; das Publikum; der Dichter und seine Zeit. Die-
Stoffe und ihre Behandlung; die auftretenden Personen und ihre Charaktere;,
der Dialog; Charakteristik der Handlung: Peripetie und tragische Ironie;
Schluss, Intriguen und Spannung; Familienscenen (Liebe); Unglück; Realismus
und stürmische Scenen; Wunderbares und Prunk. Exposition, Prolog und
Schluss, deus ex machina und die. Moral des Stückes. Der Chor; Histori-
sches ; Zahl ; Verhältnis zur Handlung ; Ort und Aufstellung ; Einheitlichkeit ;
Gesang, Musik, Arten der Lieder, Tanz nud Gestikulation, Dialekt. Folgen
des Chors: Yersmaass des Dialoges und Kesponsion; Singen der Schauspieler ;
die tragische Sprache; Ort der Handlung; Einheit des Ortes und die Boten-
erzählungen; die Einheit der Zeit und die Trilogien; Monologe und vertrau-
liche Scenen ; Sceneneiuteilung ; Ankündigung des Auftretens und des Schlusses;
Zurücktreten des Chors; Vielseitigkeit der Dichter; Regelraässigkeit der Tra-
gödie; das Erhaltene.
Ueber die Technik des griechischen Dramas ist keine zusammenfassende
Schrift vorhanden. Dagegen findet mau zahlreiche Bemerkungen zerstreut in
allgemeinen Schriften wie Lessings hamburgischer Dramaturgie, Goethe und
Schillers Briefwechsel, Schillers ästhetischen Abhandlungen (besonders „Ueber
den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen" und „Ueber die
tragische Kunst'^), Manso über einige Verschiedenheiten in dem griechischen
und deutschen Trauerspiel (Nachträge zu Sulzers allgemeiner Theorie der
schönen Künste H 2, 229ff.), Solger Wiener Jahrbuch 7, 91 ff. = Nachgel.
Schriften 2, 513 ff., Süvern über Schillers Wallenstein in Beziehung auf die
griech. Tragödie, Berlin 1800 und über den historischen Charakter des Dramas,
Abhandl. der Berliner Akad. 1825, W. Wackernagel über die dramatische
Poesie, Basel 1838, Bob. Hamerling über die Grundideen der griechischen
Tragödie, Progr. v, Graz 1854, Gust. Frey tag die Technik des Dramas,
Lpg. 1863. '1872, Sigm. Günther Grundzüge der tragischen Kunst. Ana
dem Drama der Griechen entwickelt, Berlin 1885 u. A., femer in den an Ari-
stoteles' Poetik anknüpfenden Abhandlungen und den S. 133 f. angeführten
Büchern.
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Technik der Tragödie. 149
Das Bühnenwesen behandeln im allgemeinen A.W.Schlegel über
4ie ßcenische Anordnung der griechischen Schauspiele, Werke V S. 253 fl'.,
•C, A. Böttiger opnscula ed. SiUig, Dresden 1837 p. 284—362, Gottl. K.
W. Schneider das attische Theaterwesen, Weimar 1835, K. Ed. Geppert,
die altgriechische Bühne, Lpg. 1843 (mit 6 Tafeln), Aug. Witzschel die
tragische Bühne zu Athen, Jena 1847, Friedr. Wie sei er Theatergebäude
ond Denkmäler des Bühnenwesens bei den Griechen und Römern, Göttiugen
1851 (mit 11 Tafeln), ders. in Ersch n. Grnbers Encykl. Sektion I Bd. 83
S, 159 fr. mit Tafel, de difficilioribus quibusdam PoUucia aliorumqne scrip-
toram veterum locis ad rem scaenicam spectantibus, Progr. der Uuiv. Göt-
tingen 1866, A. Schönborn die Skeue der Hellenen, Lpg. 1858, L. Loh de
4ie Skene der Alten, Winckelmannsprogr. Berlin 1860, Otto Benndorf Bei-
tröge zur Kenntnis des attischen Theaters, Wien 1876, separat aus Ztsch. f.
Österreich. Gymn. 26, 1 £f. 83£f. 579ff. 731£f., Jnl. Sommerbrodt scaenica
■coUecta, Berlin 1876 mit 1 Tafel, Hilding Andersson quaestiones scenicae,
Diss. V. Lund 1878, Sammelwerk: Albert Maller die griechischen Böhnen-
altertümer, Freihurg 1886 (K. Fr. Hermanns Lehrbuch der griechischen Anti-
■quitäten, Bd. III. 2. Abteilung der Neubearbeitung).
Die Aufführung einer neuen Tragödie war in Athen eine
Angelegenheit des Staates, die, wie alles mit dem städtischen
Dionysosfest zusammenhängende , dem höchsten Beamten
der Republik anvertraut war und Verordnungen, die das Volk
fjelbst getroffen hatte und überwachte, unterlag, so dass jede
nennenswerte Abänderung einen ausdrücklichen Volksbeschluss
2ur Bedingung hatte.
In erster Linie waren die Spieltage bestimmt geregelt^).
Weil das Drama ursprünglich zu Ehren des Dionysos eingesetzt
war, blieb es in Athen st«ts auf Dionysosfeste beschränkt, wie
man im Mittelalter die religiösen Schauspiele an den kirchlichen
Hauptfesten spielte, und zwar fanden Aufführungen neuer Tra-
gödien im fünften Jahrhundert nur einmal des Jahres an dem
Hauptfeste des Gottes, den städtischen Dionysien statt, bis wäh-
rend des peloponnesischen Krieges auch an den Lenäen ein
Agon für einzelne "Tragödien eingerichtet wurde*); bei einem
1) M. Schmerl quibus Athenieusium diebus festis fabulae in scaenam
•commissae sint, Diss. v. Breslau 1879; die Schriften über die Dionysosfeste
verzeichnet A. Müller a. O. S. 309 A. 1, s. besonders Böckh vom Unter-
fichiede der attischen Lenäen, Anthesterien und ländlichen Dionysien, Abh.
der Berl. Akad. 1816—17.
2) Athen. 5 , 217 a. Volksbeschluss bei Demosth. 21 , 10 ; der Tyrann
Dionysios siegte dort Ol. 103, 2, dann Apharens, der Adoptivsohn des Iso-
krates Ps. Plut. vit. Isoer. p. 839 d. Daher ist bei dem jüngeren Euripides
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150 VI. Kapitel.
solchen errang Agathon seinen von Plato verewigten Sieg und
vielleicht stand Sophokles an der Spitze der Siegerliste der
Lenäen ^). Die Wiederaufführung günstig aufgenommener Stücke^
war den ländlichen Dionysien und damit den einzelnen Gemein-
den anheimgestellt *), die denn zu diesem Zweck mit den Dich-
tern und später mit den Schauspielern erster Klasse, weil diese-
auch den Regisseur und Theaterdirejstor machten, sich in Ver-
bindung setzten und, wenn es ihre Mittel erlaubten, sogar
stehende Theater errichteten; natürlich gingen dabei die reichen
Hafenorte, weil das internationale Schiffervolk sein Vergnügen
mögUchst bequem haben wollte, mit gutem Beispiele vorauf.
Erst viel später, als kein neuer Klassiker mehr auftrat, nahm
sich der Staat um die Wiederholung an und Hess bei den
grossen Dionysien auch alte Stücke zu, während er voriger nur
406 oder 405 ausdrücklich bemerkt, er habe iv £otei gesiegt (Schol. Aristoph.
Kan. 67); vgl. aach Sannyrion fr. 2 bei Athen. 12, 551c MeXY]tov xöv äKb-
AiQvaioo vtxp6v; von einem Wettkampf der Schauspieler spricht Schol.
Aeschin. 2, 15. üeber jene Frage handeln in yerschiedenem Sinne E. Brnhn
Jahrbb. f. Phil. Snppl. 15, 318 ff. and U. v. Wilamowitz Hermes 21,
614f. A. 3 ^ Madvig kleine philol. Schriften S. 436ff., U. Köhler
Mittheil, des deutschen Instituts in Athen 3, 133, Schmerl a. O. S. 10 f.
1) Dies acheint mir die ungesuchteete Erklärung der bekannten Worte
des Suidas u. Do<poxX'Yjc: ^p^i xoö Spafia icp6^ 8pä(ia iL'^(a\>iita%'ai (anders
Böckh ind. schol. hib. Berlin 1861 = kleine Schriften 4, 505 ff.). Aristoteles-
Terzeichnete auch diese Siege (S. 129).
2) Rohde Rhein. Mus. 38, 288 f., Haussoulier la vie municipale-
en Attique, Paris 1884 p. 164 f.; vgl. Demosth. 18, 262.
3) Peiraieus (zuerst Xenoph. Hell. 2, 4, 32 erw&hnt), s. A. Müller
S. 107 A. 5; Munichia (zuerst Thucyd. 8, 93), s. Müller a. 0.; Salamis
CIA. n 469. 470. 594 Z. 30ff.; EleusU CIA. II 574, 6. Dittenberger syUoge
345, 10 f. (Mitte des 4. Jahrb.), s. A. Müller S. 106, 4; Aixone CIA. U 579.
585; in Thorikos ist das eigenartige Theater noch erhalten (Bursian Geogr.
V. Griechenl. I 353, Lolling Bädekers Griechenland S. 117 f. Peltz Archäol/
Ztg. 1878 S. 29, abgebildet Do d well views pl. 23) und wurde kürzlich von
der „amerikanischen Schule" blossgelegt. In Eollytos (Demosth. 18, 180.
Aeschin. 1, 157) und Phlya (Isae. 8, 15 1) brauchen keine stehenden Theater
gewesen zu sein. Auf eine Mehrzahl von Theatern geht Aristoph. Thesmoph.
390. Der reiche Piräusgau scheint auch für neue Stücke Preise ausgesetzt
zu haben, sonst wäre die ausgezeichnete Nennung seiner Trauerspiele CIA.
II 589, 28 f. 164 und im Dekret des Euegoros Dem. 21, 10 schwer erklärlich;
Aelian. bist. an. 2 , 13 ist nicht gänzlich falsch , sondern , wie CIA. H 470,
58 zeigen dürfte, ein Anachronismus.
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Technik der Tragödie. 151
mit den Stücken des Aeschylus zu dessen besonderer Ehrung
eine Ausnahme gemacht wurde*). Die Wiederholung war aber,
seitdem Athen überhaupt ein wirkliches Drama besass, herkömm-
lich; denn schon bei dem unseligen Stücke des Phrynichos
wurde ein ausdrückliches Verbot der WiederauflFührung für not-
wendig befunden*).
Die Athener kannten also nur Festspiele und durchaus
keine Theatersaison ; denn auch wenn das lau gewordene Volk
sich um den religiösen Zusammenhang der Tragödie imd der
Dionysosfeiertage nicht hätte kümmern wollen, würden jeden-
falls die äusseren Verhältnisse im Wege gestanden sein. Wie
in der Einleitung gesagt ist, gab es vor der Schlacht von
Chaironeia in Athen kein stehendes Theater. Da wollten nun
die Tausende der von allen Enden Attikas herbeigepilgerten
und über das Meer gekommenen Zuschauer Sitzplätze und die
Schauspieler brauchten eine hölzerne Bühne *), ausserdem Räum-
Uchkeiteu für sich und für die Theaterrequisiten, wozu dann
die immer kompliziertere Scenerie *) trat. Es war jedesmal eine
neue Bühnen wand, jedesmal die drehbaren Seitenkoulissen zu
errichten und überdies mit Dekorationen zu versehen. Wer
wollte freilich die Bühne der klassischen Zeit eingehend zu schil-
dern wagen? Die Tragödien ersetzen den Mangel eingehender
Ueberlieferung nicht genügend, weil der Leser nicht wissen kann,
was der Zuschauer mit eigenen Augen sah oder sich vorstellen
sollte. Ein Zeitgenosse der ausgebildeten raffinierten Dekorations-
malerei kann sich kaum in die Lage der älteren Tragiker hinein-
denken. Die jetzt auch einem Gehilfen geläufigen Regeln der
optischen Perspektive waren damals von Anaxagoras und Demo-
krit, den grössten Gelehrten des Zeitalters, kaum erst entdeckt ^) ;
1) Seitdem erhielten in den sogenannten Ehrendekreten die Dionysien
den Beisatz xpaY(|)8olc tcj) xaiv<)> ä^Ävt oder tpaY<|>8otc xatvolc (Köhler Mit-
theil, des Inst, in Athen 3, 133).
2) Herod. 6, 21.
3) Hesych. n. oxy)vy}. Dazn stimmen die Reste des alten Theaters in
Athen und im Biräns (A. Müller S. 23 A. 2. 415). Dieses Brettergerüst hiess
^pißa^ (Plat. conviv. Id4b ^vaßaiv^vtoc inX xöv öxptßavxa piti^ ttt>v 6no-
xptxÄv XX. A., 8. A. Müller S. 53 A. 2).
4) Wörmann die Landschaft in der Ennst der Alten, München 1876
8. 173 ff.; Alb. MüUer S. 110 ff.
5) Vitniv. 7 praef. 11.
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152 VI. Kapitel.
SO konnte erst Sophokles ihre Forschungen für die Scenerie
verwerten,^). Bemalte Leinwand und kunstvolle Gobelins ge-
währten jetzt einen prunkvollen Anblick*), obschon derselbe von
unserer auf Illusion ausgehenden Manier soweit als möglich ab-
stand ; zeigen doch die klassischen Kunstwerke, wie gleichgiltig
die Griechen gegen das Detail und den Hintergrund waren.
Man verstand übrigens schon damals mit gemalten Prospekten
plastische Dekoration zu verbinden^): Die Paläste müssen in
verschiedenen Stücken feste flache Dächer, wo nach der Sitte
der Levante Personen sich aufhalten konnten, gehabt haben*);
der blinde Oedipus findet einen Felsensitz und verbirgt sich
zwischen den Bäumen des Euraenidenhaines ; Prometheus und
Andromeda waren an einen Felsen gefesselt; wie Neoptolemos
zur Höhle des Philoktet emporstieg, so sprach Euadne auf einem
das Gebäude überragenden Hügel, von wo sie sich in den
Scheiterhaufen stürzte. Die griechischen Künstler waren durch
die bemalten Giebelrehefs auf solche Arbeiten eingeschult.
Rechnet man dazu noch die üblichen Altäre und Statuen*),
ferner den keineswegs unbedeutenden Maschinenapparat ^), so
kann tnan die unendliche Mühe, welche durch eine Vorstellung
verursacht wurde, ahnen.
Wenn man sie aber einmal aufwendete, wollten die Athener
gleich den Menschen des Mittelalters, um femer Hegende Pa-
rallelen bei Seite zu lassen, die seltene Ergötzung ausgiebig ge-
niessen, weshalb sie von den fünf Tagen der grossen Dionysien
der Tragödie drei volle Vormittage zuwiesen '), ja, als im vierten
1) Aristot. poet. 4; dagegen müssen natürlich Vitruv. a. O. und Vita
Aeschyli Z. 74 f. W., welche die Erfindung schon in Aeschylus' Zeit verlegen,
zurückstehen.
2) Vgl. Antiphanes hei Athen. 13, 587 b und Phot. Suid. u. Nawtov.
Anon. de com. 8, 33. PoUux 4, 131. Donatus de comoedia p. 12, 3 f. aulaea
quoque in scaena intexta sternuntur.
3) A. MüUer S. 139 ff.
4) So im Agamemnon, Orestes und Phönikerinen.
5) A. MüUer S. 137 i.
6) Pollux 4, 127-132.
7) Aug. Mommsen Heortologie S. 387 ff. Sauppe Ber. d. sächs.
Ges. der Wiss. 1855 S. 16ff. Usener Symbola philol. Bonn. p. 583 ff. ;
Vormittags Aristoph. Av. 785 ff. (s. O. Ribbeck Rhein. Mu». 24, 133 f.).
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Technik der Tragödie, 153
Jahrhundert das Fest verlängert wurde, die Zahl der Spieltage
auf wahrschemlich fünf erhöhten^).
Da die Zahl der Spieltage und der Choregen gesetzlich fest-
gelegt war, hatte der Staat demzufolge die Zahl der Kon-
kurrenten entsprechend eingeschränkt. In der Zeit der
höchsten Blüte wurden nicht mehr als drei zugelassen *), während
im vierten Jahrhundert wahrscheinlich fünf um die ausgesetzten
Preise kämpften*); doch scheinen dies Maximalzahlen gewesen
zu sein und es konnten statt drei auch nur zwei auftreten*).
Da sich aber in der Regel viel mehr zur Ehre, auf der ersten
Bühne Griechenlands zu erscheinen, drängten, entschied der
Archon über die Zulassung der Kandidaten*). Ein trefflicher
Archon konnte nun freilich ein schlechter Kritiker sein und so
kam es vor, dass Sophokles zu Gunsten eines obskuren Gne-
sippos zurückgesetzt wurde und einmal, als das Publikum Aeschy-
lus erwartete, ein Theognis auftrat*). Solche persönliche Be-
vorzugungen und Rancünen wurden durch das hohe Honorar')
nur verschärft; aber der Archon war höchstens den Komikern
für sein Urteil verantwortlich , denn der kurze Zeit vor dem
Feste, an der den 8. Elaphebolion stattfindenden Asklepiosfeier
abgehaltene Proagon ohne Masken und Kostüme, entsprach nicht
etwa einer ersten Konkurrenz, sondern eher unserer Leseprobe;
er fand vor dem Archon und einigem Publikum im Odeon
1) Mindestens vier Philochoros bei Plutarch. an seni ger. 3 ; es sind
die Fünfzahl der Eonknrrenteu (s. n.) und die (zuerst beim ,^lDtos" nach-
iiveisbare) gleiche Zahl der Komödien damit zu verbinden. Usener Symbol,
philol. Bonn, in hon. Ritsch. II p. 583 ff. nimmt für die verlängerten Dio-
nysien 11. — 16. Elaphebolion an ; ans Plant. Pseudolns 321 (309) sind sechs
Tage freilich nicht sicher zu erschliessen (s. Lorenz znr Stelle).
2) Argnm. Aesch. Sept.; Arg. Enrip. Hippol. Med.
3) Isaens 5, 36 titapTo? l-^htxo TpaY<i>5ot<; xal icüppt^totatc ooiaxoc ;
e. A. 1.
4) Bei Arg. Enrip. Alcest. nnd Aelian. var. bist. 2, 8 könnte man an-
nehmen, dass sie den Dritten ans Gleichgiltigkeit übergingen; aber nach
CIA. n 972 traten 419 und 418 nur je zwei in den Wettkampf ein (ü. Köhler
bezieht die Inschrift auf die Lenäen).
5) Xopöv altttv Aristoph. Eq. 513 ; vgl. Plat. rep. 2, 383 c mit Scholien
(= Suidas n. x^P^^ $t$(o(ii, vgl. Cohn Jahrbb. Snppl. 13, 812).
6) Eratinos fr. 15 K. bei Athen. 14, 638 f; Aristoph. Acharn. 10.
7) Plato Laches 183a; vgl. Madvig kleine phUol. Schriften S. 449 ff.
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154 VI- Kapitel.
statt ^) ; doch die Entscheidung des Regierungskommissärs war
schon viel früher gefallen, als er den für das laufende Jahr zur
Choregie herangezogenen Bürgern die Dichter durch das Los
zuwies *).
Der athenische Staat hatte also die Produktion der Tragödien
gewissermassen monopolisiert und mit weiser Mässigung das
Interesse des Volkes auf einige Tage des Jahres koncentriert.
Unter solchen Umständen fällt es nicht auf, wenn das ganze
Land über den seltenen Genuss wie über die wichtigste Staats-
angelegenheit in Aufregung war'). Die Athener machten sich
schon vor Tagesanbruch nach dem Theater auf und rauften
nötigenfalls um einen guten Platz*); das lebhafte Volk hatte
sogar so viel Geduld, mehrere Tage hintereinander vom frühen
Morgen an bis Mittag ununterbrochen im Theater zu sitzen *).
Unsere Vorfahren übten allerdings gegenüber den grossen
Mysterienspielen eine gleich grosse Geduld und von den Japa-
nesen wird soeben das nämliche berichtet. Statt einem ge-
wählten Kreise verwöhnter Menschen einige Stunden lang die
abgestumpften Nerven zu erregen und die ermüdeten Sinne zu
reizen, machte die Darstellung neuer Tragödien in Athen den
Hauptteil und Glanzpunkt eines grossartigen Volksfestes aus.
Ein grosser Teil der Gesamtbevölkerung Attikas und viele
schaulustige Fremde, welchen, auch wenn sie nicht durch die
Ablieferung der Steuern und die Eröffnung der Gerichte ge-
1) Vgl. Aeschin. 8, 67. Plat leg. 7, 817 d. CIA. n 307, auf die Schau-
spieler bezogen SchoL Aeschin. 3, 67 (ohne Masken und Kostüme). Hesych.
Phot. Suid. u. vsp.*^06ic 6:coxpitu>y. Vgl. Rohde Rhein. Mus. 38, 262 ff. A.
Müller S. 363 ff. Zeit : Aeschin. 3, 67 ; Publikum : xöv Sy]ji.ov Vita Eurip. Z. 42 W.,
vgl. Terent. Eunuch, prol. 20ff. Ort: Schol. Aristoph. Vesp. 1109. Schol.
Aeschin. 3, 67.
2) Antipho 6, ll;Lipsius Bemerkungen über die dramatische Chor^ie,
Ber. der phil.-hist. Ol. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1885 S. 412 ff.
3} Plutarch. sympos. 7, 7 a. E. curios. 6. Lex. rbet Bekk. An. p. 309
n. tpaYC}>Solot.
4) Schol. Lucian. Tim. 49.
5) Vom frühen Morgon an: Aeschin. 3, 76, vgl. Xenoph. oecon. 3, 7
(von Dithyramben Demosth. 21, 74, von Kitharöden : Plutarch. non posse
suav. viv. 13); ohne Pause: Aristoph. Av. 786 ff., sogar während der Zeit
des £ptatoy Plutarch. Alex. 72, vgl. Philostrat. vit. soph. 1, 25,* 3 a. E. Eunap.
Ir. 54 p. 37 f. Müller; nach dem £ptotov: Philochoros bei Athen. 11, 464 f.
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Technik der Tragödie. 15&
nötigt in die Bundeshauptstadt zogen, die eben eröffnete Schiff-
fahrt das Kommen erleichterte, strömten, viele Tausende an
der ZahP), nach dem SQdabhange der Akropolis; der Bürger
wanderte, seitdem die strenge Abschliessung der Frauen ge-
mildert war, mit Weib und Kind in das Theater*). Für die
Bezahlung seines Platzes hatte er keine Sorge zu tragen ; denn
seit Perikles bezalilte der Staat dem Erbauer des Theatern
(8. 4) für die Eintrittsmarken, welche jeder Besucher umsonst
bekam ^), alljährlich eine beträchtliche Summe, auf dass auch
der Arme nicht um eine so edle Ergötzung komme. Der Reiche
hatte keinen Vorzug*), wenn er nicht zur rechten Zeit kam
oder einen unterthänigen Schmeichler, der ihm seinen guten
Platz abtrat, fand*).
Der politische Charakter der Theaterversammlungen ist
bereits S. t) angemerkt worden; zugleich gab ihnen die Weihe
der Tage einen, freilich oberflächlichen, religiösen Anstrich^.
Das Theater der Tragiker stand auf dem heiligen Grunde des
Dionysos, dessen Bild für die Dauer des Festes dorthin ver-
bracht wurde '^), und war gewöhnlich mit Altären und Götter-
bildern geziert^); den Ehrenplatz nahm vor allen Staatsbeamten
der Priester des Gottes ein, umgeben von der ganzen athenischen
Priesterschaft*), während alles Volk zum Zeichen des hohen
1) Plat. sympos. 175 e.
2) Vitruv. 5, 3, 1. Dio Chrysost. 32, 42; Satyros bei Athen. 12, 584c
nnd Vita Aeschyli Z. 50 West, setzen vorans, dass schon im fünften Jahr-
hundert die Franen das Theater besuchten, aber Aristoph. Theem. 895 ff. Av.
793 ff. sprechen dagegen nnd der Staat zahlte für sie nicht. Erst Plat. leg.
2, 658 cd. Gorg. 502 d bezeugt es. Hat nicht auch Shakespeare unter seinem
Pnblikum die Franen der besseren Stände höchstens verlarvt gesehen ? Knaben :
Plat. Gorg. 502 d. Theophr. 9. 80. Vita Aeschyli Z. 50. Pausan. 1, 3, 8.
3) Wieseler de tesseris ebumeis osseisqne theatralibus I. II. Göttingen
1866; A. Dumont de plumbeis apud Graecos tesseris oomm. I. Paris 1870;
Benndorf Beiträge S. 36 ff. 41 ff. (mit Tafel); Engel Bulletin de correspond.
heUcn. 8, 1 ff.; A. Müller S. 299 ff.
4) Demosth. 18, 28 könnte höchstens beweisen, dass die Preise fär die
den Fremden angewiesenen Plätce yerschieden waren.
5) Plutarch. adul. et am. 15.
6) Demosthenes hebt ihn in der Anklage des Meidias geflissentlich hervor.
7) A. MäUer S. 867, 1.
8) A. Müller S. 137 f.
9) Die Stühle tragen noch die Titel der Inhaber (A. Müller 8. 92 f.).
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156 VI. Kapitel.
Festes Kränze auf dem Haupte trug^). Die südliche Lebhaftig-
keit liess sich dadurch freilich nicht zähmen und nahm ebenso
wenig auf die Theaterpolizei*) viel Rücksicht. Was gefiel,
wurde, sowohl bei offener Scene als am Ende des Stückes,
lebhaft beklatscht und belobt'). Dem unglücklichen Dichter
oder Schauspieler dagegen erging es nicht besser als im modernen
Italien: Das Publikum pfiff, schnalzte, trampelte und bewarf
die Bühne*); versprach sich ein Schauspieler bloss ein wenig
oder verfehlte er die richtige Quantität, spottete man Jahre
nachher über eine solche Kleinigkeit ^) , wie es Hegelochos
passierte, als er ^aXfJv 6pö statt YaXvjv' dpö sagte ^). Von einer
Claque verlautet nichts, weil das Publikum zu zahlreich war.
Zum Schlüsse sprachen vereidigte Vertreter des Volkes das
Urteil, wer von den Konkurrenten einen Preis verdiene*^). Die
Durchgefallenen schrien natürlich über Bestechlichkeit®). Wie
immer man über jener uns überlieferte Urteile denken mag,
darin verdienen sie Anerkennung, dass der Ruf eines grossen
Namens den günstigen Erfolg durchaus nicht verbürgte, was
Aeschylus und Sophokles erfahren mussten. Ausserdem legten
die Alten gerade auf das, was wir kaum beurteilen können,
das Hauptgewicht, nämlich auf die Chöre, weshalb der Staat
nur den Chormeister (5t8dtoxaXoc), aber nicht den Dichter offiziell
anerkannte, und sie fällten ja zugleich über die Leistung des
Choregen, weil dieser nominell den Preis erhielt, ein UrteiP).
So waren die Hörer geartet, deren Beifall der alte Dichter
bei SchaflTung seines Werkes erhoffte. An dem höchsten und
1) PhUochoros bei Athcu. 11, 464f.
2) 6K*rjpitat Demosth. 21, 179. Ueber die Komödie s. u.
3) Plat. rep. 6, 492 b, am Schluss: Aristopb. Eq. 547. S. A. Müller
S. 305; auch Aelian. var. bist. 2, 13. Plutarch. Cim. 8.
4) E. V. Leu tscb Philol. 11, 725. Sappl. 1, 115 A. 239; A. Müller S. 306.
5) DioD. Hai. comp. verb. 11. Cicero parad. 3, 2. de orat. 1, 61, 259.
3, 50, 196. orator 61, 173.
6) Aristopb. Ran. 302 mit Scbolien und Scbol. Eurip. Or. 279.
7) G. Hermann de qninque judicibus poetarum, Lpz. 1834 (Opus-
<!ula VII Nt. 4); Sauppe Berichte der sächs. Ges. der Wiss. 1856 S. 16 ff.;
W. Heibig Ztsch. f. Gymnasialw. 16, 97 ff.; E. Petersen über die Preis-
richter der grossen Dionysien zu Athen, Dorpat 1878.
8) Aristopb. Av. 1105. Demosth. 21, 5. 18.
9) Darauf zielt Isae. 5, 36.
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Technik der Tragödie. 157
heitersten Feste des attischen Jahres wollten die Leute Politik
und Gelderwerb vergessen und sich unterhalten. Für den
Scherz hatte ihnen die Komödie, für das wunderbar Erhabene
die Tragödie zu sorgen und dies erreichte letztere dadurch,
dass sie ihnen eine andere Welt aufthat, die ihnen doch nicht
fremd erschien. Mochten die Republikaner die Monarchie im
wirklichen Leben verabscheuen, sie freuten sich, wenn Könige
und Heroen vor iliren Augen agierten, ihnen wohlbekannt
und gewissermassen vertraut, weil die Heldenzeit das erste
war, was die Jugend kennen lernte, und doch der Wirklichkeit
zu sehr entrückt, als dass das ärgste sie betreffende Leid das
Herz der Zuschauer mit einem wahren Schmerze erschüttert hätte.
Die Tragödie der Alten empfing ihre Eigentümlichkeit
nicht von einem traurigen Schlüsse, sondern davon, dass sie
rührende und erschütternde Ereignisse der Heroen-
zeit vor Augen führte, um dadurch echt menschliche
Empfindungen, Schauder vor dem Furchtbaren und Mitleid
mit den Leidenden zu wecken *). Diese Wirkung erzielten
wahre Dichter und Schauspieler bei den leicht erregbaren Zu-
hörern ohne Mühe; es kam in Athen wie in Rom oft vor,
dass sie weinten und schluchzten *), wozu sich der Gebildete
der Neuzeit nicht leicht herablässt. Doch die Thränen, welche
das Geschick eines vor Jahrhunderten verschollenen Königs-
hauses den Hellenen entlockte, waren nicht schmerzlich, sondern
eine Erleichterung, wie denn die Empfindung des Mitleides zu
den angenehmen gehört^).
1) Plat. Phaedr. 268 c f»"fjo6t<: olxxpocc xal xo6vavxtov ah «poßepac
xal ^iTCstXirjTtxÄc. Aristot. poet. 6 ^C h\ioo xal <p6ßoü u. ö. (was er unter
foßoc versteht, erheUt ans c. 13 p. 1453 a 5 und fXeoc erörtert er rhetor.
2, 8 p. 1385 b 11 ff.). Quintü. 11, 3, 5. Plutarch. symp. 7, 8, 3. Anon. de
com. IV 6. XI 1, vgJ. Vni 13.
2) Xenoph. sympos. 3, 11. Isoer. paneg. 168. Aeschin. 3, 153. Plutarch.
de se ipsum laud. 17. Alexand. virt. seu fort 2, 1. Pelopid. 29 (vgl. Aelian.
var. bist. 14, 40). Lucian. Anach. 23. Tox. 9. Quintil. 11, 3, 5.
3) Diese Beobachtung führte Aristoteles, als er nach Philosopbenart den
moralischen Nutzen des Dramas erforschte, auf die vielberufene Lehre von
der Katharsis, welche wir den Gescbichtsschreibem der Philosophie und den
Apologeten des Theaters überlassen; deutlicher drückt sich Plutarch ans
(quaest. symp. 3, 8, 2 a. E.) : 4] ^pirjvcpSia xal b tKi.y.'rfitioz atikh^ 8v äpyj^
icd^o^ xtvet xal Bdxpoov IxßdXXsi, TTpoctYCttV ZI ri]v ^'OX'^v sx<; oixtov oüxu) xara
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158 VL Kapitel.
Als Phrynichos durch seine Schilderung des Falles von
Milet die Athener in einen wirklichen herzbewegenden Schmerz
versetzte, musste er es schwer büssen (S. 143). Darum hat nie
wieder ein Dichter der klassischen Zeit ein historisches
Drama in unserem Sinne gewagt^). Die zwei Perserdramen,
^ie „Phönikerinen" des Phrynichos und Aeschylus' „Perser*'
spielen aus dem nämlichen Grunde nicht in Griechenland selbst,
sondern in der Ferne, gewissermassen auf neutralem Boden.
Nicht einmal Gelegenheitsdichtungen, wie die „Aetnäerinen"
-des Aescbylus oder der euripideische „Archelaos'*, haben sich
<ier allgemeinen Regel entzogen*). Stand es etwa auf dem
<jebiete der zeichnenden Künste anders? Die unabhängigen
Künstler — ich meine, wenn sie keinen offiziellen Auftrag zu
^inem Historiengemälde hatten — entnahmen vor der Zeit
Alexanders des Grossen, wo der irdische Herrscher alle Rechte
-des Gottes zu beanspruchen begann, die Motive sämtlicher
dargestellter Handlungen ausschliessUch der Sagenwelt. Die
einzigen Ausnahmen beziehen sich wieder nur auf fremde
Länder ^) und die berühmte Dareiosvase ist aus derselben An-
schauungsweise wie jene Perserdramen erwachsen.
Wie der Stoff des gesammten Stückes den noch unge-
klärten Kämpfen der Gegenwart nicht entnommen werden
durfte, so waren politische Anspielungen ausgeschlossen,
weil sie bei der Leidenschaftlichkeit des Volkes einen grellen
Misston in die behagliche Feststimmung hineingetragen hätten ;
-durch scharfe Bemerkungen gegen die unredlichen Politiker
jttxpöv h^aipti xal ÄvaXioxct tö Xi)irfjttx6v, Vgl. Adod. de comoed. XI. 1.
Timokles bei Athen. 6, 223 cd. Im Widersprach damit zergliedert Augustin.
confess. 3, 2 sehr fein die Lust des tragischen Schmerzes. Mark Aurel
(comm. II, 6) meint, durch den Anblick des Unglücks tragischer Helden
lerne der Unglückliche sein eigenes Geschick leichter tragen, was bereits der
Komiker Timokles (fr. 6 bei Athen. 6, 223 b) scherzhaft vorgetragen hatte.
Wie sich die christlichen Theologen den Nutzen dieses Unterrichtsmittels zu-
recht legten, zeigt Enstathios opuscula p. 88 XIII c. 1 — 3.
1) O. Bibbeck über einige historische Dramen der Griechen, Rhein.
Hns. 30, 145if. Alfr. Wagner das historische Drama der Griechen, Halle 1878.
2) „MaussoUos'^ des Theodektes (GeU. 10, 18, 7) kann wie „Archelaos''
einen gleichnamigen Ahnen vorgeführt haben.
3) Vgl. z. B. H. H ey dem an n Alexander der Grosse und Dareios Kodo-
jnannos, Winckelmannsprogr. von Halle 1883 S. 8fif.
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Technik der Tragödie. 159
und Maulhelden^) oder gegen die verhassten Spartaner fühlte
sich ja kein Athener verletzt oder durfte es wenigstens nicht
bekennen. Die Alten dachten über die politische Dichtung
wie Goethe und ihre Dichter übten, was Lessing vortrefflich in
folgende Worte gekleidet hat: „Der tragische Dichter sollte
alles vermeiden, was die Zuschauer an ihre Illusion erinnern
kann; denn sobald sie daran erinnert sind, so ist sie weg''^).
Wenn nun der Athener dem Schauspieler einen Sprachfehler,
der ihn aus der Illusion riss, nicht nachsah, wie hätte er eine
politische Anspielung, wodurch plötzlich das widrige Gezanke
der Werktage vor seinem Geiste erschien, aufgenommen?
Solche unzeitige Worte wären am ehesten einem Euripides
zuzutrauen; aber wer sie geflissentlich aufspürt, verdient von
den Dichtern keinen Dank^).
Wenn das heitere Fest dem Dichter die poetische Ver-
klärung der Tragödien des täglichen Lebens verbot, fiel es
andererseits niemanden ein , diesen durch das fremdartige
Kostüm ferner Länder einen künstlichen Reiz zu verleihen.
Die Hellenen begnügten sich gesunden Sinnes mit ihren herr-
1) Vgl. Böckh trag, princip. cap. 14 und 15; Süvern über einige
historische nnd politische Anspielungen in der alten Tragödie, Abhandl. der
Berl. Akad. 1824 (Berliii 1826 S. Iff.); A. de Treverret quae in Attica
republica partes a scenicis scriptoribus vulgo defensae fuerint, th6se von
Paris 1868.
2) Hamburgische Dramat. 42. Stück (S. 234 Hempel), vgl. Laokoon,
Anhang (Hempel) 6, 2.
3) Schon die Alten schoben manchen Stellen eine politische Beziehung
unter (z. B. Schol. Eurip. Orest. 772), dann besonders Böckh (s. A. 1), A. L.
G. Jacob Sophocleae quaestiones I. Warschau 1821, Süyern s. A. 1, über
den historischen Charakter des Dramas, Abb. der Berl. Akad. 1825 (1828
S. 75if.) und Uebeis. der Sieben g^;en Theben; O.Müller Eumeniden S. 115ff.;
Herrn. Zirndorfer de chronologia fiEibularum Euripidearum, Marbu]:gl839;
Henri Weil de tragoediarum Graecarum cum rebus publicis co^junctione,
Paris 1845; Heinr. K ölst er Sophoclesne interdum ad sui temporis res gestag
nos ableget quaeritur, Progr. y. Meldorf 1855; Friedr. Schmalfeld Ztsch. f.
d. Gymnadalw. 13 (1859) S. 369ff.; G. Kotek Historisches in den Trag,
des Soph., Pr. v. Linz 1875 ; Walter Schmidt qua ratione Eur. res sua
aetate gestas adhibuerit in Heraclidis potissimum quaeritur, Diss. v. Halle
1881; B. y. Braitenberg die historischen Anspielungen in den Trag, des
Soph., Pr. y. Prag-Neustadt 1881. Ablehnend yerhalten sich Lehrs popu-
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160 VI. Kapitel.
liehen natioualen Sagen, welche ihr volles Interesse in Anspruch
nahmen, schon deshalb, weil dort königliche Personen auf-
traten, welche auch gesinniingstüchtigen Republikanern mehr
als Ihresgleichen imponieren *). Die Tragiker zogen aus jener
Geschmacksrichtung den unermesslichen Vorteil, dass sie den
Stoff (oÄÖdeotc) nicht erst aus dem Rohen herauszuarbeiten,
nicht erst in eine höhere Sphäre zu versetzen brauchten, weil
ihre epischen Vorläufer schon eine poetische Welt daraus ge-
schaffen hatten; denn die ganze Tragödie wurzelte, wie kein
denkender Grieche verkannte, in dem nationalen Epos*), so
dass Aeschylus seine Stücke bescheiden als AbfiOle von Homers
Tafel bezeichnete *).
Dieses Verhältnis hat mit dem zwischen der spätmittel-
alterlichen Novellistik und den Dramatikern des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts obwaltenden eine nicht mehr
als oberflächliche Aehnlichkeit ; denn das Epos war in Athen
allen Zuschauern von der Schule her und durch öffentliche
Deklamationen vollkommen geläufig. Infolge dessen fiel jed-
wede romanhafte Spannung von vornherein weg, im Gegenteil
war das Publikum an das Alte so gewöhnt, dass die jüngeren
Tragiker die nämlichen Stoffe wie ihre Vorgänger behandeln
durften; wenn nur ein wichtiges neues Motiv hineingebracht
wurde, sprach kein Mensch von Plagiat*)* Auf diese Weise
läre Aufsätze ans dem Altertum S. '71 und Victor Gützlaff qnaestioniim
de tragicis res gestas sui temporis respicientibns epicrisis, Diss. v. Königs-
berg, Halle 1865, anch Mommsen römische Geschichte I •909,
1) Vgl. Synesins de regno c. 3 (col. 1060 b Migne). Antik gedacht ist,
was Schiller sagt: „Was kann denn dieser Misere grosses begegnen, was kann
grosses denn durch sie geschehen?"
2) Plato rep. 10, 598 d rf|v xt tpaY^Stav xal xiv 4|Y8p.6va aörrj^ "Ojjtirjpov.
Dieser Gedanke durchzieht die aristotelische Poetik. Vgl. Max Lechner de
Aeschyli studio Homerico, Pr. v. Erlangen, Berlin 1862 u. de Sophode poeta
'OjjtfjptxcütdKj), Pr. V. Erlangen 1859; Ludw. Schmidt über die epischen
Keminiscenzen bei Aesch. , Langbeins pädag. Archiv 5, 430 ff. 609 ff. 730 ffl
6, 416 ff. J. Hemmerling Sophocles quo jure Homeri Imitator dicatur, Pr.
V. Köln 1869; auch Bruhns Jahrbb. Suppl. 15, 300 ff.
3) Athen. 8, 347 e.
4) Davon ist überhaupt nur bei Enripides' Medea die Bede. Selbst
Verse wurden mit geringen Aenderungen wiederholt, s. Böckh trag,
princip. p. 243 ff. ; Fr. Schröder de iteratis apud tragioos Graecos, Dlss.
V. Strafisburg 1882.
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Technik der Tragödie. 161
konnte die beim ersten Hören frappierende Erscheinung ein-
treten, dass der von den Tragikern bearbeitete Sagenkreis im
Laufe der Zeit enger wurde*), während man von vornherein
vermuten sollte, die Späteren hätten lieber ein unbekanntes
Feld aufgesucht, statt sich auf Sagen von erprobter Wirkung zu
beschränken. Es kam sogar vor — bei Sophokles ist der Nach-
weis noch möglich — , dass ein und derselbe Dichter den näm-
lichen Stoff mehr als einmal bearbeitete.
* Diesen Zustand ermöglichte ausser der Genügsamkeit des
Publikums die grosse Freiheit, womit der Tragiker die
Mythen zurechtmachen durfte. Da die Sagen sowohl
bei den epischen Gewährsmännern als in der mündlichen Ueber-
lieferung erheblich von einander abwichen, ja zum Teil sich
widersprachen, bestand kein religiöses Bedenken gegen ein-
schneidende Umbildungen; dennoch dürfte der praktische Ge-
danke, dass Missverständnisse eintreten könnten und die Ex-
position erschwert würde, die besonnenen Dichter von der Ver-
werfung einer fest eingewurzelten Sagenform in der Regel
abgehalten haben, z. B. mussten Klytaimestra*) und Eriphyle
auf jeden Fall durch ihre Söhne sterben, während die näheren
Umstände der That beliebiger Umgestaltung unterlagen'). Ausser-
dem durften die athenischen Tragiker den Ueberlieferungen
ihres Volkes nicht zu nahe treten, wogegen eine den Ruhmes-
glanz der Stadtgeschichte erhöhende Ausschmückung und Aus-
gestaltung derselben bei&Uiger Aufnahme sicher war; die Tragödie
hat in der That an dem merkwürdigen Anwachsen des atheni-
schen Legendenkranzes den Hauptanteil gehabt*).
Statt eine Handlung frei erfinden zu müssen, suchte der
hellenische Tragiker in dem überkommenen Vorwurfe eine ein-
heitliche Grundidee^), von welcher aus er denselben poetisch
durchdringen konnte, indem das füi* seinen Zweck Uubraucb-
1) Aristot. poet. 13 p. 1463a 19ff.
2) Ich bediene mich dieser Fonn, weil Papageorgios und Wecklein ihre
Richtigkeit nachgewiesen haben.
3) Vgl. Aristot. poet. 14 p. 1453 b 22 ff.
4) Vgl. Schol. Sophocl. Oed. Col. 457 icoXXaxoö 81 ol xpaYtxol x^p^Coytat
täte icttTpiotv fvta.
5) Vgl. Aristot. poet. 14 p. 1453 b 25 ff. aJtöv e6pioxeiv Sei xal xotc
:capa8e3op.evoi(; XP^°^°^- xaXtt>c>
Slttl, Geschichte der griechischen Literatur III. n
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162 VI. Kapitel,
bare wegblieb und dafür die notwendigen Bindeglieder eintraten.
Aeschylus fand den springenden Punkt der Handlung mehr
ausserhall;> der handelnden Personen in dem Walten einer über-
irdischen Macht. Bei Euripides, dem Vertreter des entgegen-
gesetzten Extremes, überwiegt die alles fortreissende Gewalt
einer menschlichen Leidenschaft, wenn anders ihm die Auf-
stellung eines einheitlichen Planes gelingt. Am höchsten steht
Sophokles , weil er stets die gesamte Handlung aus dem
Charakter der Hauptpersonen heraus zu entwickeln sich be-
müht, so dass die Ereignisse nicht nach einander, sondern aus
einander „notwendig wie des Baumes Frucht** erfolgen.
Nach einem solchen Grundgedanken also formt der Dichter
die überlieferten Mythen um. Leider ist uns kaum hie und
da ein Blick in diesen wichtigen Teil des poetischen Schaffens
gegönnt , weil der fast gänzliche Verlust so vieler Epen
und lyrischer Dichtungen die zuversichtliche Beantwortung
der Frage, was an dem Stoffe eines Stückes der Ueberlieferung
und was der Phantasie des Dichters entsprungen ist, erschwert,
wenn nicht unmöglich macht ^). Zaghaft waren aber die Tragiker
sicherlich nicht, wie hätte sonst Sophokles den Inhalt der „Anti-
gene" und des „Oedipus auf Kolonos" so gut wie völlig zu
erfinden gewagt? Gerade an der Oedipussage mag man die
Art, wie die Dichter je nach Bedürfnis eine Sage in verschie-
denen Stücken verschieden vorführen, mit grosser Belehrung
beobachten *).
Aus dem Wegfall mühsamer Vorarbeiten und langen Suchens
nach einem geeigneten Stoffe, wovon der Nachlass unserer Dra-
matiker traurige Kunde gibt, entsprang die Möglichkeit rascher
Produktion. Wie nutz voll aber dieselbe für die Tragiker war,
1) Diese Unteisnchungen wurden besonders von Welcker in Floss ge-
bracht und sind sowohl in den neueren erklftrenden- Ausgaben der einzelnen
Tragödien als auch in vielen Abhandlungen erörtert.
2) Friedr. Lübker die Oedipus-Sage und ihre Behandlung bei Sophokles,
Progr. V. Schleswig 1847 u. Gesammelte Schriften 1852 S. BOff,; Fr. W.
Schneidewin die Sage von Oedipus, Verb, der GÖtt. Ges. der Wiss. 1851
Bd. 5; Heinr. Otte de fabula Oedipodea apud Sophoclem, Berlin 1879; H.
Geist de fabula Oedipodea, Pr. v. Bndingen 1879; A. Ste in berg er Blätter
£ bayer. Gymnasialw. 22, 260 ff. — . üeber Variationen der nämlichen Sagen
bei Euripides Böckh trag, princip. p. 258.
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Technik der Tragödie. 163
mag Goethe uns lehren; er schreibt an Schiller (II* S. 6): „Das
.«cheint mir offenbar beim dramatischen Dichter notwendig, dass
6r oft auftrete, die Wirkung, die er gemacht hat, immer wieder
erneuere und, wenn er das Talent hat, darauf fortbaue." Dichter
nun, die, wie die meisten Attiker wenige Jahre vorübergehen
Hessen, ohne, nicht etwa ein Stück, sondern deren vier einzu-
reichen, erlangten dadurch notwendig eine ausgezeichnete Bühnen -
routine.
Andererseits brachte die Begrenztheit der tragischen Stoffe
auch eine grosse Gefahr mit sich. Je öfter nämlich die gleiche
Sage bearbeitet wurde, desto mehr wurden die Dichter, damit
sie etwas neues böten, zu Spitzfindigkeiten und zu raffinierter
Verwicklung des Konfliktes getrieben; dieser Fluch des Epi-
gonentums lastet auf verschiedenen Stücken des Euripides^)
und doch war dieser Dichter lange nicht der kühnste ; so tötete
bei Astydamas Alkmeon seine Mutter unwissentlich^. Man
ging noch weiter und behielt aus der Ueberlieferung bloss ein
oder zwei Hauptpersonen bei, die in eine beh'ebig erfundene
Umgebung versetzt wurden^).
Jetzt fehlte nur mehr ein kleiner Schritt, damit nach Art
der Komödie die ganze Handlung erfunden ward. Von
derartigen Versuchen ist uns bloss Agathons ),Anthos" dem
Titel nach bekannt*). Doch war das alte Griechenland für die
Gattung des romantischen Schauspiels* kein günstiger Boden ;
man darf stark zweifeln, ob Agathon und seine Genossen, wie-
wohl „Anthos" nach AriÄoteles' Versicherung gefiel, für solche
traditionswidrige Dichtungen überhaupt eine Bühne fanden und
nicht vielmehr an gebildete Zirkel allein sich wandten.
Das fest umschriebene Stoffgebiet bedingt den Kreis, aus
welchem der Dichter seine Personen (xpöGco^a) wählt. Die Haupt-
spieler sind regelmässig Glieder von Königsfamihen der Heroen-
1) lieber die Sagenbebandlong des Earipides: M. Mayer de Euripidis
mythopoeia, Berlin 1884 (über die troischeD Sagen); Fuchs aber die Mythen-
behandlnng des Earipides, Pr. v. St. Gallen 1859/60.
2) Aristot. poet. U p. 1453 b 32.
3) Aristot. poet. 9 p. 1451b 19.
4) Aristot. poet. a. O. Z. 21; vgl. Isoer. 9, 36. florat. a. p. 125 flf.
Jedenfiedls gehört aach das Miya dp&p.« des Ion hieher; man bemerke, dass
es nicht Mc^aX-r] xpaY^Sia heisst.
11*
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164 VI. Kapitel.
zeit in mannigfachen Altersstufen. Daß Jünglingsalter bildet
nach unten keine entschiedene Grenze. Schon Sophokles brachte-
im Aias ein Kind auf die Bühne und Hess dem verzweifelnden
Oedipüs seine zwei weinenden Töchterchen zuführen *), ein Rühr-
mittel, das Euripides, zumal für Abschiedsscenen, weidhch aus-
beutete ; weil Kinderstimmen für das ungeheuere Theater nicht
ausgereicht hätten, schwiegen sie in der Regel*) und in der
„Medea" hört man sie hinter der Bühne jammern. Knaben
sprechen oder singen aber in der „Alkestis" und „Andromache**^
und die „Schutzflehenden'* (V. 1123 ff.) enthalten sogar einen
Kinderchor. Menoikeus und Antigone in den „Phönissen" sind
zwar dem Kindesalter entwachsen, aber doch jugendlich*).
In der Umgebung der fürstlichen Personen ragen die altert
Diener hervor, welche als ihre Erzieher durch Pietätsbande mit
ihnen verbunden und ihre zuverlässigsten Vertrauten sind ; da-
rum hat der Pädagog, wenn er auch in den „Phönissen" und
„Medea" unschwer zu ersparen gewesen wäre, in den beiden
Elektren und Ion eine * bedeutende Rolle auszufüllen* Dia
Amme kommt zwar schon in den „(Jhoephoren*' und der
sophokleischen „Niobe"*) vor, ist aber erst bei Euripides eine
fast ständige Begleiterin der Königin und erfährt deren ge-
heimste Gedanken, wofür sie ihr auf guten und schlechten Wegen
Hilfe leiht. Diese euripideische Figur gewann eine solche Popu-
larität, dass die Künstler der alexandrinischen Zeit bei heroi-
schen Scenen sehr gerne die Amme als Nebenperson anbringen *).
Ihr ist die Kammerfrau der neueren Tragödie nachgebildet.
Spielt ein Stück bei Asiaten, so vertritt die Stelle des Pädagogen
der Eunuch, welcher, zuerst von Phrynichos in den „Phöni-
kerinen'' vorgeführt, im sophokleischen „Troilos** auftrat^); ohne
1) Fr. 779 D. = 736 N. ist, wie Nauck und Dindorf sahen, schwerlich
von Sophokles.
2) In Hekabe, Herakles, Herakliden, Iphigenie in Aulis, Troerinen,
Hypsipyle (fr. 756 Nauck) und Telephos (ßibbeck römische Tragödie S. 108).
3) Dagegen wird Ion mit Unrecht hieher gezählt (V. 316. 322. 78a
794, auch 102). Vgl. im allgemeinen Horat. a. p. 168 ff.
4) Plutarch. quaest. symp. G, 6, 2.
5) Vgl. O. Jahn archäologische Beiträge S. 355 A. 9.
6) Fr. 549 Dindorf.
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Technik der Tragödie. 165
Uot, um der blossen Seltsamkeit willen kommt ein solcher im
^»Orestes" des Euripides vor.
Von freien Männern gelten in der Regel nur Priester,
Seher und Herolde, welche der Schutz der Gottheit adelt, für
bühnenfähig, wogegen, abgesehen von den Botenrollen, dem
^igentUchen Volke oder auch den Aeltesten desselben der Chor
^ein offen steht. Erst der Realist Euripides hat in der „Elektra"
«inen freien Bauersmann eingeführt; im „Rhesos*' kommen der
AUS Homer bekannte Dolon und Rhesos' Wagenlenker zum
Worte ^). Vielleicht gehört Euripides auch das „imglückliche
-alte Weiblein'*, dessen Maske in den griechischen Theatergar-
-deroben sich befand ^. Sophokles folgte ihm in seinem letzten
Stücke mit dem „Mann von Kolonos". Euripides neigte sich
unverkennbar der bürgerlichen Tragödie zu'); es ist bemerkens-
wert, dass niemand den Gedanken aufnahm und fortbildete,
-da doch in dem demokratischen England die politischen Ver-
hältnisse naturgemäss das bürgerliche Trauerspiel erweckten.
Dem stand eben in Griechenland die Ideen Verbindung von Tra-
gisch und Heroisch entgegen.
Den König^i fehlt also eigentlich eine Folie; denn dafür
kann man die Sklaven nicht ansehen, welche meistens Boten
oder Wächter zu sein pflegen und manchmal einen etwas komi-
-schen Anstrich haben, wie der Wächter des „Agamemnon**
und der „Antigone*^ wenn sie ihr beschränktes Eigeninteresse
inmitten der grossartigen Ereignisse ängstlich wahrnehmen.
Indes duldet die Würde des griechischen Trauerspiels keinen
fio starken Kontrast, wie ihn Shakespeare mit der Amme in
^,Romeo und Julie*' und dem Wächter im „Macbeth** wagt.
Die griechischen Dichter fürchteten offenbar ihr Publikum
-durch viele Rollen zu verwirren, ja sie muteten ihm nicht ein-
mal die Namen aller Spieler zu. Wenn man statt der Personen-
Verzeichnisse die Stücke selbst liest, wird man leicht bemerken,
4la8S untergeordnete Personen und Kinder keinen Namen
1) Jenem entspricht Theraites in Chairemons *AxiXXt6c Otpoixoxtövoc
<8. Aoch Aliston bei Diogen. L. 7, 160), diesem der Knappe im „Phaethon^^
(Blass' Ansgabe p. 13).
2) Pollüx 4, 139.
3) Aristoph. Ban. 952 hyi\i.o%pav,%by y^P <^^'c' iicoioov.
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166 VI. Kapitel.
tragen*), selbst wenn der Dichter durch seine Quellen der
Erfindung überhoben gewesen wäre ; der aus Homer allbekannte
Herold Talthybios in der „Hßkabe" und Eurysakes, dessen
Name ein charakteristisches Attribut seines Vaters Aias ver-
gegenwärtigt, sind kaum als wahre Ausnahmen zu bezeichnen *).
Stets dem Grundsatze, dass alles Ueberflüssige störend' sei,
getreu, beschwerten die Dichter das Gedächtnis der Zuschauer
nicht durch unnötige Namen, sondern sorgten teils durch das^
Gespräch, teils durch stehende Eigentümlichkeiten der Kleidung
für die klare Sonderung der Rollen. Eine feste Kostümregel
bildete sich allerdings erst mit der Zeit. In dem ältesten
Stücke des Aeschylus zeigte der König von Argos seine Würde
noch nicht äusserlich ') , aber schon Xerxes und Aigisthoa
müssen an Diadem und Scepter erkennbar gewesen sein*)^
einer Auszeichnung, die später ausser den regierenden Königen
Achilleus und seinem Sohne zustand ^). Den Odysseus charak-
terisierte, wie in der gesamten Kunst, die Schiflferkappe ^,
Herakles und Theseus die Keule'). Kassandra, die Pythia
und Teiresias erkannte jedermann sofort an dem Propheten-
kostüm ^. Pädagog und Amme waren ebenfalls , jener durch
den weissen Ueberwurf, diese durch den von hinten zum
Scheitel emporgezogenen Sh&wl, allen kenntlich; wer hätte
vollends, wenn er einen Heroldstab sah*), gezweifelt, dass er
1) Siegr. Pfaff wie haben die griechischen Tragiker die auflretendea
Personen kenntlich gemacht? Pr. v. Schweinfürt 1856; E. Hill er Herme»
8, 444ff.; Wilamowitz analecta Earipidea p. 186f. 199ff.
2) Noch weniger der Sklavenname KiXtooa (Aesch. Cho. 732).
3) Aesch. Snppl. 247 f.
4) Die Könige tmgen auch das x6Xica>}ia PoUux 4, 116.
5) Donatas de comoedia p. 11, 17 ff.; bestätigt dnrch ein pomp^'anische»
Gemälde (Monum. d. Inst. 11, T. 30, 4, auch A. MüUer S. 227).
6) Donatus de comoedia p. 11, 13 ff.
7) Daran werden sie Alcest. 476 ff. und Hipp. 790 ff. Suppl. 87 ff. sofort
erkannt.
8) Aesch. Ag. 1265 oxYjirtpa xal }iavt»ia «tpl Hpr^ 0Te«p*r], vgl. 1269^
Eurip. Tro. 256; Teiresias in der „Antigone" und den „PhÖnissen*'. Die^
Priester trugen das netzartige ä'(pr^/6v (Pollux 4, 116, s. Literatur bei A»
Müller S. 235 A. 3, dazu Stephan! €k>mpte rendu de Tacad. de St. Petersb..
p. ra. 1870/1 p. 185 f.).
9) PoUux 4, 117.
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Technik der Tragödie. 167
einen Herold vor sich habe? Aeschylus trieb, weil er an Zu-
schauer, nicht an Leser dachte, die Sparsamkeit mit Worten
so weit, dass er in den „Persern" Xerxes und Dareios allein
nannte, während er den natürlich viel weniger bekannten
Namen Atossas bei Seite liess*). Durch die langen Personen-
verzeichnisse der shakespearischen Dramen dürfen wir uns
nicht zu einer blendenden Antithese verleiten lassen, weil auch
der englische Dichter im Stücke selbst die Namen viel spar-
samer anwendet, z. B. wird im „Macbeth*' der König Duncan
erst in der fünften Scene beiläufig genannt, wie die Athener
in der „taurischen Iphigenie" erst durch V. 1285 erfuhren,
wie der skythische König heisst.
Mit diesem begrenzten Kreise von Personen war die Frei-
heit der Wahl nicht abgeschlossen, weil in jedweder griechischen
Dichtung die Götter leibhaftig erschienen. Dionysos durfte
natürlich, wie im Satyrspiel, so auch auf der tragischen Bühne,
die ja für sein Eigentum galt, unbehindert auftreten*). Aber
schon Phrynichos wagte den Todesgott in eigener Person zu
Alkestis heraufzufiihren ^). Dann hat Aeschylus, grossartig wie
er war, übermenschliche Wesen sogar mit Vorliebe herange-
zogen; das grösste Wagnis bezeichnet seine Prometheustrilogie,
wo der einzige Herakles und lo die Menschheit vertraten, eine
Kühnheit der Phantasie, die sonst nur die „Gigantomachie**
eines unbekannten Tragikers anstrebte*). Wie ragt dann ferner
die Götterwelt bei Aeschylus herein in den „Pflegerinen des
Dionysos'*, „Phorkiden", „Heliaden", „Kabiren" und „Nereiden",
in der berühmten „Seelenwägung"^), den „Eumeniden" und
auch in den „Phrygem", an deren Anfang Hermes mit Achil-
leus spricht^. Sophokles und Euripides pflegen das Eingreifen
1) In den heutigen „Herakliden" kommt der Name der Heldin Makaria
nirgends yor. Usener Rhein. Mas. 23, 157 vermutet, dass er in einer ver-
lorenen Stelle stand, s. aber U. v. Wilamowjtz analecta Euripidea p. 255 f.
2) Ausser in vorSschyleischen Stücken ist er jetst noch in den „Bak-
chen^* des Euripides und im „Dionysos" des Chairemon nachweisbar.
3) Fr. 8 bei Serv. Verg. Aen. 4, 694.
4) Die Gigantomachie wird Argum. Aristoph. Av. n. als tragischer Stoft
genannt ; Gigantenmasken zfthlt Polluz 4, 142 unter dem Bühnenapparat auf.
5) PoUux 4, 130; vgl. Vita AeschyU Z. %f.
6) Vita Aeschyli Z. 36 ff.; Tbetis fr. 281 D.
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168 VI. Kapitel.
der Götter auf die Katastrophe und den Prolog, wovon wir
später sprechen wollen, zu beschränken und weisen diesen
hilfreichen Gewalten einen Balkon hoch oben in der Luft (*so-
XoYslov) an *). Ausserdem helfen Atibene und Demeter im
„Aias", „Rhesos** und „Triptolemos'* •) persönlich und Iris
geleitet die Lyssa in Herakles' Haus; auch der „Asklepios'*
des Aristarchos ^) und die „Mören*' des Achaios *) gehören
ihrem Titel nach hieher. Damit ist aber das Vorkommen von
Göttern noch lange nicht erschöpft; denn Pollux, dessen
Gewährsmann die Tragiker noch vollständig las, verzeichnet
ausserdem Gorgo, Dike, Hören, Nymphen, Pleiaden, Triton,
Berg' und Flüssgötter, Kentauren und sogar den hundert-
äugigen Argos^). Man hatte also nicht einmal gegen die
Vorführung mythologischer Mischwesen Bedenken. Selbstver-
ständlich traten die Götter in derjenigen ^Gestalt auf, wie sie
das Volk abgebildet zu sehen gewohnt .war, weshalb der
Tragiker nur auf ihr Erscheinen die Aufmerksamkeit zu lenken
brauchte, damit das Publikum sie sofort erkannte. Sophokles
scheint an den Theatergöttern den wenigsten Gefallen gefunden
zu haben ; darum verwendete er sie nicht nur am seltensten,
sondern Hess im „Aias" nur die Stimme Athenes ertönen, was
darauf im „Rhesos'* wiederholt und übeilxieben wurde ^).
Die Griechen waren durch ihren Kultus an allegorische
Personifikationen so gewöhnt, wie das Roccocozeitalter durch
die Kunst. Dies benätzten die Tragiker, um da, wo der moderne
Dichter eine getreue psychologische Schilderung anstrebt, mensch-
liche Affekte verkörpert einzuführen. Wir könnten aus jedem
1) A. Müller S. 151 ff. ; dort erschienen ancb Iris n. Lyssa im „rasenden
Herakles" (V. 815 ff.).
2) Dionys. Halic. antiq. Rom. 1, 12.
3) Aelianns bei Snid. n. 'Apiotapxoc.
4) Nanck fragm. p. 588 f.
5) 4, 14 f.; §. 126 spricht er von Meeresgöttem; Härtung Euripides
restitntns U p. 844 nnd Robert ArchäoL Ztg. 1878 8. 18 vermuten, daes
am Anfonge der „Andromeda" Echo personificiert auftrat; aber stünde dann
die zu einem hochberühmten Stücke gehörige Maske nicht bei Polluz auf-
geführt?
6) Auf der späteren Bühne erschien Athene im „Aias" leibhaftig, wie
das Scholion zu V. 14 andeutet; aber der „Bhesos*S wo Athene unmittelbar
darauf als Aphrodite zu Paris spricht, zeigt das Richtige.
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Technik der Tragödie. 1 65
der drei Meister bloss eiuen einzigen Fall nennen^), wenn
nicht wieder Poliux auf Grund der verlorenen Stücke eine
ganze Liste gäbe *) : Apate, Hybris % Lyssa, Methe *) , Oistros,
Oknos (eine von Polygnot dargestellte Figur des Volksmärchens %
Peitho (die Begleiterin Aphrodites) und Phthonos^. Man sieht,
dass die Tragiker namentlich das plötzliche Auftauchen einer
Sinnesverwirrung oder einer frevelhaften Leidenschaft dufth
solche dämonische Wesen verständUch zu machen suchten ;
dazu hatten freüich die Künstler mehr Berechtigung, die denn
nach Ausweis der jüngeren Vasenbilder den von der Tragödie
gewiesenen Weg gingen^).
Ein modemer Betrachter könnte aus dieser Personenüber-
eicht das Vorurteil fassen, es müsste sich etwas daraus ergeben
haben, was dem Drama des siöcle de Louis quatorze und im-
seren Haupt- und Staatsaktionen gliche. Obschon nun die
Tragödie der Griechen äusserlich zu der AUtagswelt keine Be-
ziehungen hatte, wurde ihr Lebeusstrom trotzdem nicht unter-
bunden, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse und Formen
der Griechen höchst ungezwungen und ihre Götter voll Mensch-
lichkeit waren. Die Darstellung einer längst vergangenen Zeit
führte glückhcherweise nicht zum sogenannten Alexandrinertum,
da die vor dem Stimrunzeln der Grammatiker sicheren Tragiker
keineswegs ängstlich frugen, ob etwa ein Anachronismus
unterlaufe*); dieser gerechtfertigten Gleichgiltigkeit verdanken
wir Sophokles' prächtige Schilderung des pythischen Wettfahrens,
1) Lyssa in den Sdvrpiai des Aeschylns (fr. 165 bei Phot. Suidas a.
^toicoov) und im „rasenden Herakles" des Euripides (vgl. Baccb. 977); Apate
im s^hokleischen „Tereus".
2) 4, 142.
3) In Athen verehrt Zenob. 4, 36; in einem Orakel bei Herodot. 8, 77.
4) Von Pausias gemalt Paosan. 2, 27, 3, vgl. anch 6, 24, 8.
5) Preller griech. Mythologie V 682.
6) Vgl. Eurip. Troad. 768.
7) &. Körte aber Personifikationen paychologisdier Affekte in der
fip&teren Vasenmalerei, Berlin 1874. Durch Beischriften sind ausser Peitho
und Eris gesichert: Apate, Mania, Oistros und Phtfaonos.
8) Carl G Ocker Sophocles quomodo remm sui temporis statum in
heioioam aetatem transtnlerit L Göttingen 1866; F. Gast et s Sopfaodem
aequaliam snorom mores in tragoedüs saepius imitatum esse oontenditur,
Diss. ▼. Paris, Nimes 1873.
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170 VI. Kapitel.
welche die Scholiasten vor pedantischer Bedenklichkeit nicht
recht würdigen*
Statt Marionetten und leeren Gebilden der Phantasie traten
lebenswahre Personen auf. Von den Charakteren der älteren
Tragödie allerdings gilt ohne Zweifel das gleiche, was man den
Göttergestalten der archaischen Kunst gesagt hat, dass sie haupt-
säJjhlich durch Aeusserlickeiten von einander unterscheidbar
seien. Die Schuld lag nicht allein an dem Ungeschick der
Künstler und Dichter, sondern ein äusserer Grund wirkte wesent-
lich mit.
Dass nämlich der Schauspieler nicht mit unverändertem
Gesichte auftrat, versteht sich von selbst. So lange nun ein
einziger für alle Rollen aufkam, musste er zu wiederholten
Malen die Kleidung wechseln. Dazu war allerdings während
des Chorgesanges Zeit vorhanden, aber war es ihm auch mög-
lich, dass er ausserdem sein Gesicht so umgestaltete, dass
man beispielsweise statt eines Greises eine Frau erblickte? Denn
Frauen schloss die athenische Sitte von der Bühne unbedingt
aus, ohne dass diese dadurch geschädigt wurde ^). Die Griechen
entschlossen sich daher zu leinernen Masken (Tcpöowica, Tcpo-
odöTueta) *) , weil im Komos, dem ältesten Teile der Dionysos-
feier, jeder, um sich ungeniert der Fastnachtstollheit hingeben
zu dürfen, eine Larve trug ^). Phrynichos soll die Frauenmasken
erfunden haben (S. 145), bedurften doch dieser die Schau-
spieler begreiflicherweise zunächst; dann wird Aesch^^lus die
männlichen Masken eingeführt haben*). Sie gewährten einen
1) Goethe über Italien IIL spricht lehrreich über die gleiche in Born
zu seiner Zeit noch übliche Sitte. Shakespeare entbehrte ebenfalls der Schau-
spielerinnen. — K. Brnchmaun über die Darstellung der Frauen in der
griech. Tragödie, Berlin 1882.
2) Fr. de' Fieoroni de larris scenicis et fignris comicis antiquorum
Romanorum, ed. IL Rom 1754 mit 85 Tafeln; G. A. Böttiger Opuscula
p. 220 flf. kleine Schriften 3, 402flf.; Beruh. Arnold Verhandl. der 29. Vers,
deutecher Phüol. in Innsbruck 1874 S. IGfil; Robert Archäol. Ztg. 1878
S. 13 fr. A. MüUer S. 270 ff. — . Ueber das Material der Masken Piaton fr.
142. Kock bei Pollux 10, 167.
3) Vgl. Demosth. 19, 287 ; Aristophanes gibt (fr. 131 Kock) als Erken-
nungszeichen des Dionysostempels an: "Owoo ti (jLop(ioXux6ia icpooxpefjLdwoTai.
4) Erfinder der Masken überhaupt Horat a. p. 278 (Euanthius de
comoed. p. 3, 7); s. auch S. 142, 4.
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Technik der Tragödie. 171
seltsamen Eindruck^) und das Publikum diirfte sich wie in
Rom erst allmälig daran gewöhnt haben. Dennoch konnte
nicht einmal die spätere Bühne darauf verzichten , weil , ob-
gleich die Architekten sorgfältig auf die Akustik der Theater
achteten und besondere Schallgefilsse aufstellten^, die Schau-
spieler einzig vermöge des weiten Mundstückes der Masken*)
wie durch ein Sprachrohr, unter freiem Himmel wie sie waren,
bis zu den höchsten Stufen des Zuschauerraumes sich ver-
ständlich machen konnten und andererseits das lebendige Mienen-
spiel höchstens von den ersten Bänken aus bemerkbar ge-
wesen wäre.
Die Masken drückten zwar Unterschiede des Geschlechtes,
Alters oder Standes aus und eventuell die unglückliche Lage
des Spielenden, aber keine Charaktereigenschaften, ausser dass
„der schwarzhaarige Mann" grimmig blickte*). Wie hätte auch
die Malerei zur Zeit des Phrynichos und Aeschylos mehr ver-
mocl^t, da doch erst Polygnots Hand die Physiognomik wirk-
lich darzustellen verstand? Der Dichter wurde also durch die
Masken von vorneherein angewiesen, jedes Individuum einer
bestimmten Rubrik zuzuweisen, und so bildete er, um mit
Lessing zu reden, „mehr die personificierte Idee eines Charakters .
als eine charakterisierte Person" *), was die Alten mit -Jj^oc- aus-
1) Die Komiker gebrauchten von ihnen die Spottworte (lopfjLoXoxelov
nnd fopY^^^^^^ (PoUax 4, 115); spanische Provinzler liefen entsetzt davon
(Phiiostrat. vita Apoll. l*yan. 6, 9), s. anch Ennap. fr. 54 (Müllers fragm.
histor. IV. p.37f.).
2) A. MüUer S. 42 ff.
3) Zx6\i,a xe^^ovic K&^\i,r^a «u^ xataict6jievov To6g ^atdtc Lncian. salt. 27,
ähnlich Anach. 23; vgl. Gavins Bassns bei Gell. noct. Att 5, 7. Cassiodor.
▼ar. 1, 50.
4) Verzeichnis bei Pollnx 4, 133 ff.; über den (jiiXac äv-f^p §. 134. Vei^
schiedenes hier einschlagendes bietet R. Förster die Physiognomik der
Griechen, Kiel 1864.
5) HamburgiBche Dramaturgie 95. Stück; Schiller ist gleichfalls der An«
sieht, dass „die Charaktere des griechischen Trauerspiels mehr oder weniger
idealische Masken nnd keine Individaen sind*^ — . Ueber die Charaktere der
alten Tragiker im allgemeinen: H. F. Nntzhorn Tidskrifb for Filologi m
(1862) p. 219 ff. 245 ff.; Job. Karl Fl ei seh mann kritische Studien über
die Kunst der Charakteristik bei Aeschylos nnd Soph., Dies. v. Erlangen,
Piogr. V. Nürnberg 1875 (Einleitung und Orestes) und Jahrbb. f. Phil. 115^
513 ff. (Klytaimestra).
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172 VI. Kapitel.
-drückten. Von aeschyleischen Charakteren kann man mit
80 viel mid so wenig Berechtigung reden wie von individuellen
JZügen der Aiginetenstatuen, weil er sich, wenn wir nicht irren,
mit den vom Epos umrissenen Silhouetten begnügt. Dem
Tragiker lag gegenüber Homer und den Kyklikern eine ähn-
liche Aufgabe vor, wie dem Künstler, welcher nach einem
Flächenbilde ein plastisches Werk schaffen soll. Das von
Shakespeare uns gezeigte Ziel hat eigentlich kein alter Tragiker
vollkommen erreicht: immerhin findet sich die klassische Ent-
Wicklung der Charakterzeichnung, soweit sie das griechische
Trauerspiel übte, bei Sophokles, weil er, wie gesagt, die Ab-
leitung der Ereignisse von den Charakteren aus ins Werk setzt *).
Die Grandezza der Tragödie verlangt, dass die Personen
fürstlichen Standes in allem, mögen sie edel oder tadelnswert
sein, weit über das Mass gewöhnlicher Menschen hinausreichen.
Aeschylus drückte dies schon in der äusseren Erscheinung aus,
indem er den Schauspielern zu den prunkvollen Gewändern,
wie sie sonst nur die Priester von Eleusis und vielleicht die
dionysischen trugen^, ganz eigenartige Hilfsmittel gab, damit
sie grösser erschienen ; die Griechen dachten sich ja, teils durch
bekannte Verse Homers, teils durch Funde urweltlicher Knochen
veranlasst, die Heroen von riesenhafter Gestalt. Die Schau-
spieler erhielten deshalb von Aeschylus *) zunächst hohe Schuhe
(ijißdtat) *). Damit dieser Kunstgriff verdeckt würde, mussten
1) Daher nennt gerade ihn Aristoteles poet. 3 bei der Charakterzeich-
nnng. Joh. Alois Capellmanndie weiblichen Charaktere bei Soph., 2. Aufl.,
Bonn 1865; Louis Schulze über die Charaktere in der Tragödie des Soph.,
Fr. V. Guben 1872; Joh. Alton ein Wort zur Charakteristik der Charaktere
des Soph., Progr. y. Prag-Neustadt 1875 und 1876.
2) Aristoph. Ran. 1061 f. xal y^P 'co^C Ifiattotc 'J^p.iov xp<üvTat itoXu oefjLvo-
Tipotoiv, & '(io5 Xpfiox&^ xataS» ifttvtoc Si9Xo(jL'f)va> au. Athen. 1, 21e;
über das Kostüm: Schöne de personarum in Euripidis Bacchabus habitu
scenioo, Lpg. 1831; Wieseler de difficilioribus quibusdam PoUuds aliorum-
que scriptorum veterum loois qui ad omatum scaenicum spectant, ind. schol.
▼on Gtöttingen 1869/70; Dierks de tragicorum hiotrionam habitu scaenico,
Göttingen 1883; A. MüUer S. 226 ff. (S. 226 A. 3 verzeichnet er die Dar-
stellungen von Theatersoenen).
3) Horat. a. p. 280. PhUostr. vit. soph. 1, 9, 1. Themist. or. 26
p. 316 d (angeblich aus Aristoteles).
4] K^a-opvoc (PoUux 4, 115. Vit. Aeschyl. Z. 79 W. und bei den Körnern)
ist der Gattungsname aller nicht nach dem Fusse geschnittener Schuhe;
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Technik der Tragödie. 173-
ihre Kleider bis zum Boden reichen ^) und die Königinen waren
durch eine Schleppe ausgezeichnet*); traten kummerbeladene
Personen auf, dann zeigte das Nachschleifen des Gewandes ihre
melancholische Gleichgiltigkeit gegen Aeusserlichkeiten an *).
Man verstand auch genug von den optischen Verhältnissen, um
zu wissen, dass lange, senkrechte Falten die Gestalten grösser
erscheinen lassen ; auch in dieser Beziehung passte der gefältelte
Leineurock, das Kennzeichen des alten Athens*). Dem gleichen
Zwecke diente die hohe Gürtung des Kleides, welche das Volk
an einem der ehrwürdigsten Priester, dem eleusinischen Eüero-
phanten, sah*). Dementsprechend wurde der Körperumfaug
künstlich erweitert®), was den Schauspielern eine imposante
Figur gab '). Selbst der Kopf erhielt teils durch wallende»
Haar und vollen Bart^ teils durch besondere Toilettenkünste
8{jLßdltac sagen Hippobotos bei Diogenes Laert. 6, 102, Ptolemaios von Aska-
lon in Fabric. bibl. Gr. VI * p. 159 Nr. 42 n. Sp. (fälschlich efißdaec Pollux
4, 115. Schol. Lucian. Menipp. 16. Schol. Dion. Thr. Bekk. An. II 746 , 18 nnd
entsprechend von der Komödie lp.ßdtat Schol. Lucian. necyom. 16, denn jene
tragen gewöhnliche Leute, s. Kock zu Aristoph. Ritt. 870). Die Tragiker gebrau-
chen die Worte e {jl ß a o tc ico§6^ (Aesch. Agam. 945) oder apßüXai (Aesch. Agam.
944. Eurip. Bacch. 638). Vgl. Böttiger kleine Schriften 1, 213 ff. 282 ff.,
Wiesel er Satyrspiel S. 72 ff. mit Tafel VH; D ier ks Archäol. Ztg. 1885 Sp. 44.
1) XtTüjy iroBYip-T)? Diog. Laert. 6, 102. Iftdxta ico^pf] Schol. Dion. Thr.
Bekk. An. U 746 und Rhein. Mus. 20, 380; vgl. Lucian. Gall. 26 (man sieht
bei dem Sturze eines Schauspielers die unförmlichen Schuhe).
2) ^opx6<; Pollux 4, 118, Suidas u. ipO-ooteiSta.
3) Donatus de comoedia p. 12, 2 f. aopfia Pollux 7, 67. Vita Aeschyli
Z. 78. Cram. Anecd. Par. I 19. Epictet. diss. 1, 29, 41. Juvenal. 8, 229. 15,
30. Martial. 12, 94, 4; pallia traben tes Varro sat. 311, vgl. Veget. art.
veter. 5, 21, 1.
4) Boottc und otaxot Duris bei Plutarch. Alcib. 32 (vgl. Schol. Aristoph.
Lysiatr. 46. Favorinus bei Phrynich. ecl. p. 238. Arrian. Epictet. 2, 16, 9).
5) Strabo 11, 530; so stellte eine vatikanische Statue Melpomene dar
(abgeb. in Baumeisters Denkmälern Nr. 1183 S. 971), s. auch A. MüUer
S. 231 A. 6. Hierophant von Eleusis : Yasenbild in Compte-rendu de l'Acad.
de St. Petersb. 1862 T^el HI. (Baumeisters Denkm. S. 473).
6) Den Grund gibt Lucian. salt. 27 richtig an. Ueber die technischen
Ausdrücke Wieseler diff. loc. x>. 3 ff. Sommerbrodt Rhein. Mus. 25,
424 ff. = seaenica coUecta p. 273 ff.
7) Lucian. a. O. Seneca epist. 76, 31.
8) Haar Ovid. amor. 3, 1, 12. Lucian. somn. 26. Bart Lucian. somn. 9,.
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174 VI. Kapitel.
^inen erheblichen Zuwachs *) und nicht einmal die Arme wurden
vergessen *). Damit indes dieses schwerfällige Rüstzeug die Be-
wegung nicht zu sehr hemme, musste der Schauspieler, abge-
sehen davon, dass er einen Stab zur Stütze trug*), einen gym-
nastischen Cursus durchmachen^). Mochte ihm aber auch die
ungezwungene Leichtigkeit des Bewegens mangeln, so sah
man eben den gemessenen Gang für majestätisch und heroisch
an, so dass der Dichter, wenn er seine Fürsten einmal in leb-
haftere Bewegung versetzte, sich gewissermassen entschuldigte^).
Wie ihre Aktion, war die Sprache gemessen, aber so laut und
gewallig, als sich für Recken geziemte; die dazu notwendige
Stärke der Stimme erzielten die Schauspieler durch unsäglich
mühevolle Uebungen^.
Der übermenschlichen Erscheinung der Helden entsprach
die gewaltige Seele, welche die Tragiker hineinlegten. Nicht
einmal Pbiloktet fühlt durch zehn Jahre unsäglichen Leidens
seine Kraft gebrochen ; denn ist ihm auch das Handeln versagt,
wiegt er dies durch die unbeugsame Hartnäckigkeit des Ver-
neinens auf. Der männlichen Härte stellt Sophokles allerdings
gern weibliche Anmut zur Seite, die aufopferungsvolle Antigone
neben ihrem starrsinnigen Vater, Tekmessas' liebevolle Hin-
gebung neben Aias' Heldentrotz ; doch auch die Frauen bewahrt
das fürstliche Blut vor gemeiner Schwächlichkeit. Wenn sich
ihr Heroen tum meist im würdigen Dulden äussert, so hat
Sophokles daneben in „Antigene*' und „Elektra** Heroinen
von fast männlicher Seele geschaflfen, die an die herben
kräftigen Göttinenbilder der alten Kunst erinnern ; ihnen dienen
die Schwestern zur Folie, weil sie nur den Mut des Leidens
und Duldens haben. Solche Kontraste liebt das klassische
wie an der Maske, welche die erwähnte Melpomene hält. Die Frauen
tragen grosse Hanben (Gramer Anecd. Paris. I p. 19).
1) "0^x05 PoUux 4, 133, vgl. Varro sat. Men. 156 Buch. Lncian. salt. 27.
2) Xeipi$s{ Vita Aeschyli 78. Lncian. Jap. trag. 41.
8) Satyros in Vita Sophocl. Z. 29; A. Müller S. 197.
4) Cicero orator 4, 14.
5) Soph. £1. 871 6<p' *^Sov9j^ xoc, tpiXxdrr), Sia»xo{JLac xb x6o(jliov
|i.ed>elaa a6y tdtxei {jloXsIv n. ö. , s. v. Lentsch Vorlesungen über Metrik
§425.
6) A. Müller S. 194 f.
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Technik der Tragödie. 175
Drama Athens und nicht die derberen zwischen Gut und
Schlecht, wie sie den Modernen geläufig sind. Die Nebenrollen
werden überhaupt um eine Stufe niedriger gestellt oder auch
farbloser und typischer gehalten, z. B. zerfallen die Könige,
wenn sie nicht die Hauptrolle innehaben, in zwei Gattungen,
rücksichtslose wohlmeinendem Rat unzugängliche Autokraten,
die Bösewichte der alten Tragödie, weil die Republikaner nichts
80 leidenschaftlich wie die Tyrannis hassten, und in parlamen-
tarische Könige nach dem Muster des Theseus der athenischen
Geschichtslegende; der älteste Vertreter der letzteren Art ist
Aeschylus' König Pelasgos, welcher, persönlich wohlmeinend,
gewissenhaft die Willensmeinung des Volkes einholt. Da solche
Königsrollen wenig ausdrucksvoll waren, fielen sie dem dritten
Schauspieler anheim ^).
Die Hauptpersonen^ ob sie nun gut oder schlecht sind,
besitzen die idealen Eigenschaften, welche der Grieche von
dem Holden, den er bewundem soll, fordert — dass er seiner
Tüchtigkeit sich bewusst, um seinen Ruhm besorgt, den Freun-
den hold, den Feinden ein Schrecken, wenn auch nicht ohne
Tadel, doch jedenfalls ohne Furcht sei. Germanen mögen es
weibisch schelten, wenn ein Heros im Schmerze laut weint
und klagt, wie Sophokles' Herakles, Philoktetes und Odysseus *),
und sie haben bei Tegnörs Frithjof, dem nordischen Recken,
ein Recht dazu; in den Augen des Südländers hingegen galt
ein derartiger Gefühlsausbruch für die natürliche Befriedigung
eines echt menschlichen Dranges. Hundert Jahre später ver-
langte höfischere Sitte, dass Philoktet seinen Schmerz so lange
als möglich unterdrücke*).
Das alte Athen fand auf der Bühne die Verkörperung
seiner Ideale. Die Aufklärung erschütterte davon eines nach
dem anderen und liess die herkömmlichen Ansichten von dem
Rechten und Guten altmodisch erscheinen. Dafür analysierten
die Sophisten die menschlichen Stimmungen und Schwächen,
1) Demosth. 19, 247 (Kreon). 18, 180 (Krespbontes , Kreon nnd Oino-
maos); vgl. Juba bei Scbol. Demostb. 19, 246 iiceiÄt] ^txdv lott itadYjttxd xal
6icipoYxa. Plntarcb. LyB. 23. reip. ger. praec. 21, 3.
2) Cicero Tnscnl. n § 19—25; vgl. Lessing Laokoon Kap. I.
3) So Tbeodektes (Aristot. etb. Nicom. 7, 8 p. 1150 b 9), dem überdies
eine Verwundung der Hjand anständiger vorkam.
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176 VI. Kapitel.
um sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen. Die dieser
Strömung folgenden Tragödien weisen demzufolge, weil hier
wie in der gleichzeitigen Kunst die in grossen Zügen gezeich-
neten Charaktertypen Gemälden vorübergehenden Stimmungen *)
weichen müssen, ein bewegteres Bild des menschlichen Gemütes
auf. Darüber werden die heroischen Tugenden ganz ausser
Ächl gelassen oder wenigstens mit der Schwächlichkeit ge-
wöhnlicher Menschen so verquickt, dass sie zu imponieren
aufhören. Weil die Dichter selbst, wie es scheint, einen uner-
freulichen Eindruck davon empfingen , tritt im Drama des
vierten Jahrhunderts die Charakteristik hinter die Handlung
zurück ^. Berühren die nämlichen Wandlungen nicht auch
die Kunst? . Beginnt nicht Parrhasios zuerst die Mannigfaltig-
keit der Stimmung in den Mienen darzustellen ') ? Beruht nicht
der geistige Unterschied zwischen Phidias und Praxiteles auf
dem Uebergange von dem Bleibenden zur Darstellung des
flüchtigen Augenblicks? •
Wer die ideale Welt skeptisch läugnete, griflf natürlich in
das ihn umgebende menschliche Leben hinein; wie Praxiteles
Genrescenen bildete, so stellte Euripides nach dem berühmten
Ausspruche des Sophokles die Menschen, wie sie sind, dar*).
Aristoteles fand diesen realistischen Zug in allen Künsten
seiner Zeit ausgeprägt ^). Was jedoch das Leben dem Auge
des Dichters und Künstlers bietet, ist gar verschieden: Wo
Praxiteles die Modelle zu reizenden und anmutsvollen Gestalten
fand, da erblickte der grübelnde Euripides wenig erfreuliches.
Rücksichtsloser Eigennutz , unmännliche Zaghaftigkeit und
Mangel an innerem Halte sind bei den Männern seiner Tra-
gödien, Leidenschaft, Rachgier und Hinterlist bei den Frauen
überaus häufig und wirken im „Orestes" zu einem düsteren
1) Atdivoiai Aristot. poet. 6. ^ a. E.
2) Aristot. poet. 6 p. 1460 a 26 ff.
3) Vgl. Conze über den G^ichtsansdruck in der Antike, Preussische
Jahrbücher 1874 H. 1.
4) Aristot. poet. 25 p. 1460 b a. E.; Franz Winzenz Versuch die
verschiedenen Tendenzen und Motive der trag. Charakteristik bei Soph. u.
Eur. hervorzuheben u. an einem Beispiele, der Elektra, nachzuweisen, Pr. v.
Klattau 1866.
5) Poet. 2.
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Technik der Tragödie. 177
Oeeammtbilde zusammen, ohne dass der Dichter, wie Aristoteles
fein bemerkt, zu einer solchen Charakteristik durch die Hand-
lung gedrängt wäre, während Sophokles abstossende Charaktere
nie ohne Not und nie mit grellen Farben zeichnet. Ohne
dessen eigenen Ausspruch möchte man sogar glauben, Euripides
habe sein Volk der Masse nach zu pessimistisch beurteilt.
Jedenfalls missglückte der letztere — ich spreche im Sinne
der Griechen — darin, dass er die Heroen von ihrem Piede-
stal auf den Boden der gewöhnlichen Wirklichkeit zu versetzen
unternahm. Denn ungewöhnlich schlechte, jedes versöhnenden
Zuges entbehrende Menschen wollte auch Euripides nicht,
weil die Alten einen Mann wie Richard den Dritten für völlig
untragisch gehalten hätten ^).
Während Euripides schwankende imbeständige Menschen,
z. B. die Heldin in der „aulischen Iphigenie** und ihren Vater, .
sehr oft mit Geschick zeichnet, und oft unter den Einfluss
zweier Triebe (wie Ehrgeiz oder Rachsucht und Liebe zu dea
Kindern) stellt*), ist das, was wir den inneren Konflikt
nennen, bei Aeschylus und Sophokles nur in schwachen An-
fängen wahrnehmbar; der letztere liefert das einzige ausge-
prägte Beispiel im „Philoktet**, wo Neoptolemos, indem ihm
Philoktets vertrauensselige Hilflosigkeit das Unedle seines Thuns
zum Bewusstsein bringt, einen harten Zwiespalt zwischen Ver-
stand und Herz durchkämpft. Wenn sonst ein prinzipieller
Konflikt vorhanden ist, streiten Vertreter der entgegengesetzten
Grundsätze wie Antigone und Kreon. Zum Heldentum gehört
ja gerade die Festigkeit des Charakters ; darum tritt jeder fertig
in sich abgeschlossen auf ^. Die kurze Spanne Lebens, welche
eine Tragödie vorführt, gestattet höchstens einen Wechsel
einzelner Entschlüsse — ich denke an Kreon und Neoptolemos
1) „Es wird jederzeit der höchsten Vollkommenheit seines Werkes Ab-
brach thnn, wenn der tragische Dichter nicht ohne einen Bösewicht aus-
kommen kann und wenn er gezwungen ist, die Grösse des Leidens von der
Grösse der Bosheit herznleiten^^ (Schiller).
2) E. Rnmpe Enr. u. der seelische Kampf in seinen Stücken, Pr. v.
Posen 1882.
3) Orestes ist keine Ausnahme; denn er wäre ein Ungeheuer, wenn er
nicht zauderte. Vgl. Trahndorff über den Orestes der alten Tragödie und
den Hamlet des Shakespeare, Pr. des Fr. W. Gymn. Berlin 1833.
Sittl, Geschichte der griechischen literatar. m. 12
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178 VI. Kapitel.
— während eine wie immer beschaffene Entwicklung oder
Wandlung des Charakters, wovon die Neueren gerne reden,
der Natur Hohn sprechen würde; Kreon bleibt ein Autokrat,
auch wenn er einmal aus Angst um das Leben seines einzigen
Sohnes einen Befehl zurück, nimmt. Reich war die Charakte-
ristik der Alten infolgedessen freilich nicht ; wie hätte sie auch
anders sein können, da sie doch nicht unmittelbar aus dem
Leben, sondern aus epischer Ueberlieferung erwachsen war?
Der heutige Dichter mag sich über die bescheidenen Mittel des
Alten erhaben fühlen und doch fehlte diesem vielleicht weniger
das Können als das Wollen. Wie wenn er überhaupt die
Personen nicht schildern, sondern einfach handelnd vorführen
wollte? Darf er dann nicht verlangen, dass man an ihn den
Massstab allein anlege, ob Reden und Handeln zusammen-
stimmen ?
Denn die Handlung stand den wahren Tragikern über
den Charakteren. Nicht als ob sie in der Reichhaltigkeit der-
selben einen Vorzug gesucht hätten I Verbot doch nicht allein
die Notwendigkeit, der Gesammtheit des Volkes verständlich
zu bleiben, eine verwickelte Handlung, sondern auch die
äusseren Bedingungen der Tragödie wirkten in dem gleichen
Sinne.
Von Staatswegen erhielt der Dichter zunächst nur einen
Chor zu seiner Verfügung, wie der Dithyrambiker ^) , und
musste, weil es anfänglich Schauspieler*) überhaupt nicht
gab, ohne Beihilfe selbst alle Rollen spielen ') ; während also
der Chor das Publikum durch lange Lieder unterhielt, legte
er in Eile hinter der Scene das jedesmal erforderliche Kostüm
an. Wie dürftig die Handlung, wenn ein Zwiegespräch nur
zwischen einer Person und dem Chor stattfand, war, kann
man sich leicht vorstellen. Nicht eher als bis Aeschylus durch-
1) Der amtliche Ansdrack xopbv Sidovat (Bergk reliq. comoediae Atticae
p. 31) blieb noch lange; r. auch S. 153 A. 5.
2) Konr. Bnrsian Schauspieler und Schaospielkanst, Historisches
Taschenbach 5. Folge 5. Jahrg. (1875) S. 1 flf. Fr. Völker de Graecornm
fabolarom actoribos, Diss. v. Halle 1880 (Dissert. philol. Halens. IV 149 ff.).
3) Aristot. rhetor. 3, 1 p. 1413b 23; vgl. Paul Niki tin znr Geschichte
der dramatischen Wettkämpfe in Athen, Petersburg 1882 (rassisch, s. Berl.
PhiL Woch. 1883 S. 961 flf.).
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Technik der Tragödie. 179
setzte, dass dem Dichter ein professionsmässiger Schauspieler
an die Seite gegeben ward *) , konnte sich ein wahrer Dialog
in Verbindung mit einer grösseren Mannigfaltigkeit der Rollen
entwickeln. Selbst jener kühne Geist ging nur zagenden
Schrittes auf dieser Bahn vorwärts: In den „Schutzflehenden**
und „Persern** kommen nur drei resp. vier Rollen vor und
der von den Schauspielern selbst geführte Dialog steckt dort
in den ersten Anfängen, jedenfalls ßchweigt der Chor, wenn
auf der Bühne gesprochen wird *). Noch immer geht eine
eigentliche Handlung auf der Bühne so gut wie ganz vor;
man hört fast bloss von ihr. Ein wenig mannigfaltiger ge-
staltete Aeschylus das Drama durch Beiziehung eines Hilfs-
schauspielers, welcher einige Verse sprach, wie der Herold in
den „Sieben** ^) und Kratos am Anfange des „Prometheus** *) ;
weit wichtiger war aber der in diesen Stücken bekundete
innere Fortschritt, insoferne der Dichter das Zwiegespräch
jetzt gewandter und sicherer führte.
Der junge Sophokles wusste, abgesehen davon, dass er
sich selbst ^aus persönUchen Gründen vertreten Hess, einen
zweiten Schauspieler zu erlangen *) ; der Altmeister benützte
sofort die Dreizahl , z. B. wahrscheinlich in der Iliastrilogie *)
und sicher in der Orestie, freilich etwas schüchtern, wie
Sophokles in dem frühesten uns geretteten Stücke, und ver-
wendete sogar an vierter Stelle einen Hilfsschauspieler, um in
den „Choephoren** Pylades drei Verse sprechen zu lassen ^),
wie Paris im „Rhesos** vierzehn Verse sagt. Einen bedeuten -
1) Arißtot. poet. 4 p. 1449b 17.
2) Pers. 515 f. gibt der Chor sein Gesammturteil ab, nachdem der Bote
sich zarückgezogen hat.
8) V. 1005 flf. (27 Verse).
4) 48 Verse. Dies scheint passender als die Annahme, in der ersten
Bcene habe eine Holzpappe Prometheus vertreten (Welcker äschyleische
Trilogie S. SO A. n. A., s. A. Maller S. 175, 2); der Titane wurde natürlich
nicht getragen, sondern geführt.
5) Aristoteles poet. 4 p. 1449 a IS ; Oikaiarchos in Vita AeschyU Z. 82.
6) Fr. 260 D. scheint Achilleus, Priamos u. Andromache vorauszusetzen.
7) Bezüglich des „Memnon" (PoUux 4, 110) steht die Sache nicht fest,
fl. A. Müller S. 178, 1.
12*
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180 VI. Kapitel.
deren Umfang hat die Rolle des Vierten im „Oedipus auf
Kolonos". Diese Zahl war die äusserste, welche die griechische-
Tragödie, sogar in den spätesten Zeiten, sich erlaubte *). Kinder-
rolleu fallen natürlich aus der Regel heraus, ebenso habei>
verschiedene Stücke eine stumme Person*). Shakespearische*
Volksscenen sind im alten Trauerspiel mithin ganz unmögUchr
soweit nicht der Chor etwas dergleichen andeuten kann. Hin-
gegen waren die damaligen Schauspieler vielseitiger als die-
Mimen unserer stehenden Theater, indem sie in einem und
demselben Stücke so viele Rollen, als die Folge der Scenen'
überhaupt gestattete, zugleich übernahmen*). Wir könnea
jedoch nicht glauben, dass eine einzige Rolle je unter zwei
oder mehrere Schauspieler verteilt wurde; um nur äussere Be-
denken zu erwähneA, hätten diese dann gleiche Stimme und
Statur haben müssen. Mit der feststehenden Zahl hatte der
Dichter wohl oder übel zu rechnen; ausser dass er den Schau-
spielern Gelegenheiten zum Umkleiden bieten musste*), nahm
er von vornherein auf die Rangklassen der drei Rücksicht,,
weil im Ensemblespiel der Protagonist gegen den Deuterago-
nisten und dieser gegen den Tritagonisten hervortrat*), so-
dass alle Rollen auf eine dreifache Abstufung einzurichten
waren. Dem Protagonisten fiel ohne Zweifel die Titelrolle^
wenn eine solche vorhanden war, in der Regel zu, wogegen
der letzte Schauspieler die obligaten Theaterkönige, bei denen
weder feine Individualisierung noch ergreifender Vortrag erforder-
1) Horat. a. p. 290 nee quarta loqui persona laboret, wie Saetonios bei
Diomedes p. 491, 2.
2) Ausser Dienern bei Aeschylus Bia (Prometheus), bei Sophokles Pyladets^
(Elektra), bei Euripides Akanias (Herakliden), Pylades (Elektra) und Manto-
(Phoenissen).
3) Lucian. Menipp. 16 a. E. Nigrin. 19. Maxim. Tyr. VU. Anf. (Reiske).
Synes. de provid. 13 p. 106 ab. Schol. Aeschyl. Choeph. 899. Eur. Phoen. 93^
4) Schol. Eurip. Phoen. 93 macht eine gute Bemerkung darüber.
5) Cicero div. in Caecil. 15, 48. Ueber die Rollenverteilung handeln^
alle Erklärer der erhaltenen Dramen, im einzelnen C. Böttiger opuscula
p. 311 ff. K. Lachmann de mensura tragoediarnm, Berlin 1822; K. Fr.
Hermann de distributione personarum inter histriones in tragoediis GraeciSr
Marburg 1841; Jul. Richter die Verteilung der Rollen unter den Schau-
spielern der griechischen Tragödie, Berlin 1842; Friedr. Fritssche quatuor
ieges scenicae Graecorum poesis ab Horatio in arte poetica latae, Lpg. 1858 S. 4 ffl
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T6chnik der Tragödie. 181
lieh war, deklamierte^); aber auch einer Boten- oder Diener-
rolle schämte sich der erste Schauspieler nicht ^.
Die geringe Zahl der Spieler harmonierte mit der Einfach-
heit des Dialoges*), bezüglich dessen die hellenischen
"Tragiker an das Auffassungsvermögen ihres Publikums keine
-ßo hohen Ansprüche wie Shakespeare und die Modernen
stellten. Die langsame Entwicklung des Gespräches ist bereits
•oben angedeutet; auch als drei Schauspieler zur Verfügung
fitanden, scheuten sich die Dichter vor jeglichem Durcheinander-
^sprechen, damit der Zuschauer darüber, wer gerade rede, jederzeit
im Klaren sei, und Hessen unbedenklich eine dritte auf der
Bühne befindliche Person längere Zeit schweigen. Aus dem
gleichen Grunde pflegen die Tragiker ausdrücklich und oft
mit einer stehenden Formel, welche alle Zuschauer rasch
aufmerksam macht, das Auftreten einer neuen Person anzu-
kündigen *) und lassen bloss ausnahmsweise zu, dass zwei Per-
sonen völlig gleichzeitig von verschiedenen Seiten erscheinen *).
Dass die drei grossen Tragiker die notgedrungene Ein-
schränkung des Gespräches nicht immer angenehm empfanden,
•darf man glauben ; darum suchten sie aus der Not eine Tugend
zu machen, indem sie das Schweigen begründeten. Besonders
Aeschylus war wegen des stummen Trotzes mancher seiner
flelden berühmt: Der um den Freund mit verhülltem Haupte
trauernde Achilleus der „Phryger** *), JJiobe, die alle ihre Kinder
verloren hat^), Prometheus, zum Orte der Qual geführt, sind
in Schmerz oder Trotz wie erstarrt. Der unversöhnliche Oedipus
gibt ebenso seinem flehenden Sohne anfänglich keine Antwort^
während bei Euripides Andromeda aus jungfräulicher Scham
1) S. 175 A. 1 Dasselbe geschah nach Prinz Ck>ntis Zeugnisse im klas-
sischen französischen Drama.
2) Proverb. Coislin. 124. Plnt. Lys. 23.
3) 'A(ioißaIa Schol. Soph. Ai. 38.
4) Kai (i-^jv Aesch. Sept 378. Soph. Ai. 1223. Enr. Ale 510. Hec.216.
665. Her. 119. Or. 348. 456.
5) AeschyL Sept. 369 ff.
6) Vit« Aeschyli Z. 34 ff. Schol. Aristoph. Ran. 938 (942), vgl. Enstath.
4>pasc p. 197, 2 ed. Tafel.
7) Schol. Aepch. Prom. 436 (anch mit Sophokles verwechselt, SchoL
Aristoph. Ban. 912, s. Bergk Hermes 18, 481 ff.).
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182 VI. Kapitel.
schweigt^), uud die den Händen des Todesgottes entrissene
Alkestis, bevor sie von der Unterwelt gewissermassen losgekauft
ist, den Mund nicht öflFnen darf^. Aus Ähnlicher Ursache
erflehte Aeschylus' Telephos mit stumm gesenktem Haupte
die Sühnung seiner Mordthat').
Der Dialog spiegelt die Eigenart des griechischen Volkes
wieder; denn das eigentümliche Abspringen von poetischer
Ekstase und plastischer Anschaulichkeit zu spitzfindigen kaum
poetischen Gedanken und Wortspielen*) ist echt volkstümlich
und dies bedingt die Aehnlichkeit der platonischen Dialoge mit
den Gesprächen des Dramas. Auch der häufig angewendete
regelmässige Wechsel von Vers und Vers (ottxoji.o^ta)'*) oder
von Versepaaren •) frappierte, während er im neueren Drama,
z. B. im „Richter von Zalamea" mehr scherzhaft angewendet
wird, die an die gerichtlichen Verhöre gewöhnten Athener umso-
weniger, als die Dichter die Eintönigkeit der Wiederholung
durch gelegentliche Einschiebung eines überzähligen Verses
(von vielen Kritikern als Interpolation verworfen) aufzuheben
pflegten. Solche rasche lebendige Wortwechsel, wobei der eine
dem anderen oft ungeduldig das Wort aus dem Munde nimmt,
werden von langen pathetischen Reden (^ijostc) voll lebens-
frischer unaufdringlicher Details und satter Ausmalung jedes
1) Fr. 127.
2) Aloest. 1143 ff.
3) Amphis com. fr. 30, 6 bei Athen. 6, 224 d mit Kocks Note.
4) Vgl. R. Hecht de etymologiis apad poetas Graecos obviis, Dias, von
Königsberg ; Grasbergerdie griechischen Stichnamen S. ^3 ; Gräfenhan
Geschichte der Philologie 1, 155 ff. ; Hermann zn Soph. Ai. 430; Nanck zu
Soph. OR. 70; Elmsley zu Eurip. Bacch. 508; Köchly zu Eur. IT. 500;
Wilamowitz analecta Euripidea p. 190; Meinck AUg. Musikzeitung
1885 Nr. 43-45.
5) C. G. Firnhaber Ztschr. f. Altertumsw. 1841 Nr. 111. 112; Fr.
Witten de tragicomm Graecomm stichomjrthia, Pr. v. Helmstedt 1872; bei
Sophokles: Nik. Wecklein in Festgruss der philol. Gesellschaft zu Würz-
burg an die 26. PhiL Vers. 1868 S. 119 ff.; bei Euripides: Kviöala Ztsch.
f. österr. Gymn. 9 (1858) S. 609 ff. Herm. Behrns de stichomythia Euri-
pidea, Pr. V. Wetzlar 1864; Prosper Wesen er über Störungen der Sticho-
mythie bei Eor., Pr. v. Inowraclaw 1871 ; Aug. Funke legem stichomythiae
quibns rationibus obseryaverit Eur., Dias. v. Rostock 1875.
6) Z. B. Soph. OR. 87 ff. 320 ff. Burip. Bacch. 923 ff.
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Technik der Tragödie. 183
Gedankens ^), den Glanzstellen der dialogischen Partien, abgelöst
und zwar dienen diese häufig dazu, um mit wohlgeordneter
Aufzählung aller Argumente den grundsätzlichen Standpunkt
von zwei Gegnern darzulegen (ivttppTjoeK;) *). Wir können diese
Standreden nur dann wahrhaft würdigen, wenn wir uns
erinnern, dass die Tragiker hier nicht nach einer toten dekla-
matorischen Konvention arbeiteten, sondern im Gerichtssaale
und in der Volksversammlung, wie die Künstler in den Ring-
schulen, das, was sie poetisch verklärten, täglich wahrnahmen
und gar oft selbst übten; infolge dessen unterlag die Tragödie
wenigstens in gewissem Grade den Modewechseln, welche in
der öffentlichen Rede eintraten , dadurch , dass sie besonders
die sophistischen Antithesen annahm und einzelne Dichter der
Manier des Gorgias und Isokrates huldigten.
Wie in dieser Hinsicht, so wich auch in Bezug auf die
Handlung selbst der Geschmack der Griechen von dem
unsrigen und sogar von dem römischen ab. Als die Tragödie
entstand, war der Hellene an den ruhigen weitschweifigen Gang
des Epos und die gedehnten Reflexionen der Chorlieder gewöhnt
und der Athener im besonderen fand an allen Reden, wenn
sie nur gut vorgetragen wurden. Gefallen, ohne dass er auf
den Inhalt viel Gewicht legte. Die Elömer hingegen, durch
Gladiatorenspiele und Triumphzüge in ihrem Geschmack ver-
bildet, wollten auf der Bühne unaufhörlich Thaten sehen, wie
sie selbst Weltgeschichte zu machen nicht müde wurden. Auch
dem raschlebigen Menschen der neueren Zeit fehlt die Genüg-
samkeit der Griechen, die gegen einen nicht mit einem Male
zu übersehenden Plan eher Abneigung empfanden ^). Mochte
auch das Drama vom Handeln benannt sein, es stellte dennoch
ursprünglich eine Verbindung von Lyrik mit dramatisiertem
1) Z. B. wird oft ein allgeineiner Begriff in zwei Gegensätze zerlegt,
wie ol t' Svtec o? t* ändvrtc oder o5xf icÄoxa>v o5te 8pÄv.
2) Schol. Soph. El. 328. Intereseant ist der Ansdmck 4) x^c MsXavtic-
ic-Tjc f^otc Aristot. poet. 16 p. 14Ma 31, ebenso rijv too UupoitoQ ^Yjotv Lacian.
qnom. bist, oonscr. 1; Aristoph. Vesp. 680 Sx t^c Ntpß'rjc ^Xkiq f-rjotv r^v
xaXXbtiqv dnioki^az. Solche ^'r^oetc wurden von den Gebildeten ansgescbrieben
(Aristoph. Ban. 161) und von Schanspielem privatim deklamiert (Arist. Yesp.
680. Ephipp. fr. 16, 3 bei Ath. 11, 482 d).
3) VgL Aristot. poet. 18 p. 1466 a 12 ff.
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184 VI, Kapitel
Epos dar, während das moderne Schauspiel umgekehrt von
der dramatisierten Geschichte ausging. In den „P^i's^rn*' und
den „Scbutzflebenden'' vermissen wir eine eigentliche Handlung;
ihr Kern besteht in Erzählungen und dem Ausdruck lyrischer
Empfindungen, und die zwei „historischen** Dramen des Phry-
nichos werden nicht anders geartet gewesen sein. Wo Aeschylus
überhaupt Handlung gibt, da schreitet sie geraden Weges auf
das Ziel los und einp Erweiterung des einfachen Planes wird
höchstens durch Einlagen herbeigeführt, welche man eher als
Episoden bezeichnen könnte, z. B. die loscene im „Prome-
theus**. Denn wenn lo gleich durch ihren Nachkommen
Herakles zu Prometheus eine tiefere Beziehung hat, so war es
doch Aeschylus bei dieser Einlage gewiss mehr um die prunk-
volle Schilderung ihrer Irrfahrten zu thun.
Erst nach Aeschylus tritt die künstlichere Konstruktion
der Tragödie, welche auf dem „Umschwung** (TceptÄ^teta)
beruht, ein *) ; sie hängt im Grunde psychologisch mit der so-
genannten tragischen Ironie zusammen*). Seit Sophokles
zumal wird nämlich die Tragödie ein Bild der menschlichen
Kurzsichtigkeit'); „Der Mensch denkt und Gott lenkt**, predigte
jedes Stück unermüdlich. Endigt das Spiel glücklich, so pflegt
der Nerv der Handlung darauf zu beruhen, dass engverbundene
Personen, da sie einander nicht kennen, sich böses zufügen
wollen , bis eine glückliche Fügung ihren Irrtum aufklärt,
z. B. würde Iphigenie ihren Bruder fast opfern und Merope
erhebt eben das Beil gegen ihren unerkannten Sohn, als der
alte Pädagog ihn rettet; im entgegengesetzten Falle wird ein
befürchtetes Unglück dahin gelenkt^ dass die Beteiligten einen
glücklichen Ausgang hoflfen*), und in diesem Augenblicke
1) Theophrast scheint sie als unentbehrlich anzusehen, wenn er die
Tragödie definiert 4]ptt»U'^c 'c^X'9^ icepioxaoi^ (Sneton. p. 6, IfL Beiftersch.).
Vgl. Aristot. poet. c. 11; am Anfang von c. 13 stellt er diese Anlage am
höchsten.
2) C. Thirlwall on the irony of Sophocles, Philological Mosenm II
p. 483flf. = PhiloL 6, 81flf. 254flf.; J. H. Schlegel die trag. Ironie bei
Soph., Tanberbi^ho&heim 1874 (Progr. von 1869, 1870, 1872); J. Pokorny
die Amphibolie bei Aeschylus und Sophokles I. Pr. v. Ungarisch-Hradisch 1884.
3) '"ÄYvoia Lucian. calumn. 1.
4) Ilapixtaoic Donat. Terent. Adelph. 3, 1, 10.
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Technik der Tragödie. 185
bricht die Katastrophe mit verdoppelter Wucht über sie herein.
So erschallt im „Aias", in der „Antigene" und den „Trachi-
nierinen'* heiterer Chorgesang vor der Schreckensbotschaft^),
der korinthische Bote glaubt Oedipus eine Freudennachricht
%\x bringen, da er doch den Schleier des furchtbaren Geheim-
nisses lüftet; im euripideischen „Phaethon'* naht Merops mit
dem heiter singenden Hochzeitszuge, um den Bräutigam abzu-
holen, dessen zerschmetterte Leiche im Hause liegt. Schon
Aeschylus scheint seine Nachfolger auf diese Erschütternden
Kontraste hingewiesen zu haben, indem er in den „Danaiden''
den Neuvermählten ein Wecklied singen Hess*). Nicht ganz
rein ist die tragische Ironie im „Agamemnon", wo die Heim-
kehrenden allein eidlich aller Plage enthoben zu sein glauben,
wogegen der Chor eine unheimliche Ahnung nicht unter-
drücken kann; wie Aeschylus wirkungsvolle äusserliche Mittel
nie verschmäht, so lässt er den ahnungslosen Agamemnon als
Triumphator auf Purpurteppichen in den Palast dem Tode
entgegenschreiten. In allen Fällen aber machen die Dichter
den Zuschauer zum Mitwisser der wahren Sachlage', damit
sie die Ahnungslosigkeit der Betroflfenen in feinen Zügen
mannigfaltig ausdrücken können.
In der Peripetie befindet sich die höchste Steigerung der
Handlung'); denn der Schluss bedeutet für Aeschylus und
Sophokles keinen Bühneneffekt, kein künstlich arrangiertes
Tableau. Die Tragödie kUngt lyrisch aus, sowohl äusserUch
als innerlich genommen. Hiebet setzen sich die Dichter mit
unserem Geschmacke wiederum in Zwiespalt, was namentlich
der gerechten Beurteilung des „Aias** Eintrag gethan hat; das
Ende der „Elektra"' ist gleichfalls nach unseren Begriffen matt
und Euripides hätte den geblendeten Oedipus gewiss nicht,
wie Sophokles that, auf das endgiltige Urteil Apollos vertröstet,
sondern sofort mit Antigene in das Elend hinausziehen lassen.
Er bildet in Hinsicht auf den Schluss die moderne Bühnen-
mache bereits vor und beeitiflusst das ästhetische Urteil seines
1) SchoL Soph. Ai. 698 B5tici^opoc S^ h 7coiy)x4)c iicl xä^ toiaotac }itXo-
2) Fr. 40 Dind.
3) Tb oov»xt(x<0Taxov xoh Bpdfiatoc Schol. Soph. Ol. 1456.
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186 VI. Kapitel.
Volkes; infolge dessen tadelte bereits ein alter Erklärer den
Schluss des „Aias" *).
Nicht einmal 'die jüngeren Zeitgenossen der drei grossen
Tragiker und ihre Nachfolger gingen in der Regel von der
Einfachheit der Handlung ab; Versuche einer Dramatisierung
langer Geschichten, wie Ilions Zerstörung oder Niobes Schick-
sale missglückten , selbst als ein Agathon sich dazu verirrte ^.
Die Doppelhandlung der euripideischen „Hekabe** entsprang
mehr einem Fehlgriffe als bewusster Neuerung, wie denn Euripi-
des, dem ein straffer Bau des Dramas selten gelingt, wiederholt
Episoden sich zu Schulden kommen lässt, weil gerade bei
solchen unorganischen Scenen die Schauspieler ihre Rechnung
fanden^); z. B. ist in den „Phönissen" die Scene, wo Anti-
gene mit dem Pädagogen die Heere beschaut, eine zwecklose
Umbildung der homerischen Mauerschau und bezeichnet gegen-
über den Botenberichten der „Sieben" einen entschiedenen
Rückschritt. Bei Sophokles hingegen dürfte eine wirkliche
Episode kaum zu finden sein; denn das feierliche Sühnopfer
im „Oedipus auf Kolonos" erschien den Frommen Athens
und dem priesterlichen Dichter unbedingt notwendig, auf dass
nicht bloss Athens Gottesfurcht jederzeit bethätigt, sondern
auch der künftige Heros von Kolonos von jedem Makel der
vergangenen Schreckensthaten gereinigt würde. Dennoch müssen
die Dutzenddichter in diesem Punkte viel gesündigt haben,
andernfalls hätte das Wort iTretaöSiov (Scene) nicht zur Zeit
des Aristoteles die heutige Bedeutung erhalten*). Kleinere
Abschweifungen gestattete sich freilich auch ein Sophokles
unbedenklich ; wie hätte sonst in „Helenas Rückforderung'*
von den späteren Schicksalen des Sehers Kalchas *) und in
den „Kolcherinen" von Prometheus •) gesprochen werden
können ?
1) Schol. Soph. Ai. 1123.
2) Aristot. poet. 18 p. 1456 a 16 ff.
3) Aristot. poet. 9 p. 1451 b 37 6ici Zk tcbv &Ya6'd>y Ziä xob^ öitoxpitdc a.s. w.
4) Aristot. poet. 17 gg. E. vgl. 9 p. 1451b 34 al ft]tetoo$ia>$ei( clol
X^ipiotat.
5) Fr. 188 Dind.
6) Arg. Aesch. Prom.
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Technik der Tragödie. . 187
Die Handlung wickelte sich klar und durchsichtig ab;
Intriguen waren nicht beliebt ^) und auch nicht gut möglich,
weil, abgesehen vom Anfange des Stückes, der Chor immer
anwesend zu sein pflegte, was jeden Monolog und alle geheimen
Beratungen verhinderte. Die an den Intriganten streifende
Figur des verschlagenen Odysseus war schon durch das Epos
gegeben, wenngleich im Drama die Sympathie für seinen Rivalen,
den attischen Heros Aias, besonders aber die lockende Anti-
these zwischen Rat und That, List und Gewalt sein Charakter-
bild entstellte *). Die Alten sahen viel weniger als wir auf
eine kunstreich angelegte Handlung; hätte sonst Aristoteles
schon ein Stück mit Peripetie oder Erkennung ein verwickeltes
genannt *) ?
Der griechische Tragiker verzichtet überhaupt auf eine
ernstliche Spannung der Hörer und lässt sie, weit entfernt
an Ueberraschung zu denken, stets mehr als die auftretenden
Personen wissen. Bei Euripides tritt deshalb zu wiederholten
Malen ein überirdisches Wesen vor der eigentlichen Handlung
auf, damit es dem Zuschauer gewissermassen einen Abriss
alles dessen, was er im Folgenden sonst nicht leicht verstehen
könnte, gebe. Vor ihm war ein mehr auf die religiöse Phantasie
berechnetes Mittel üblich; es gibt nämlich wenige Tragödien,
worin Orakel, Prophezeiungen oder Träume gänzlich fehlten,
da im fünften Jahrhundert die Skeptiker, welche über solche
Dinge ihi-e eigene Ansicht hatten, noch sehr in der Minder-
zahl und deshalb zum Schweigen genötigt waren.
Wir kommen hiemit wieder darauf zurück, dass das alte
Trauerspiel weder auf die Nerven der Zuschauer wirkte , noch
auch durch eine kunstvoll verschlungene Anlage an den Ver-
stand sich wandte, weil die Griechen das wahre Tragische so-
wohl im Rührenden als im Furchtbaren fanden. Jener Empfin-
1) Voltaire bemerkt vortreflflicb gegen Corneille: Si votis traitez Iphi-
genie on Electre on P^nelope, n'y mSlez point de petite intrigne de conr,
was er eingehend motiviert.
2) Wilh. Marcowits Ulixis ingeninm qaale et Homerns finxerit et
tragici Graecorum poetae, Pr. v. Dösseidorf 1854; J. P. Mahaffy Herma-
thena II. p. 266 ff.
3) Poet. c. 10.
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188 VI. Kapitel.
dung galten die Fainilienscenen*), sei es dass Engverwandte,
Eltern und Kinder oder Geschwister den letzten Abschied von
einander nehmen oder zQ nehmen glauben, sei es dass sie nach
langer Trennung sich jubelnd in die Arme sinken. Die Rührung
solcher Augenblicke wird oft dadurch gesteigert, dass das eine
das andere lange Zeit verkennt und etwa gar einen^ Feind in
ihm sieht, bevor ihr Verhältnis klar wird. An dergleichen Er-
kennungsscenen (iva^viopCoetc) voll Jubelliedern und Freude-
thränen haben sich die Griechen nie satt gesehen und später,
<als der Roman an die Stelle der Tragödie trat, nicht satt ge-
lesen. Aristoteles trägt dieser Geschmacksrichtung dadurch
Rechnung, dass er jenen in der Poetik einen besonderen langen
Abschnitt einräumt*).
Die Liebesscenen dagegen, welche das Ueberwuchern
der Romane auf unsern Bühnen unvermeidlich gemacht hat,
waren den griechischen Tragikern ganz unbekannt, weil sie den
Sitten und Anschauungen der Hellenen gänzlich ferne lagen.
Euripides allein hat, soviel wir wissen, in der ,.Andromeda"
einen Ansatz dazu gemacht und doch zeigt gerade das davon
Bekannte den tiefen Unterschied zwischen Griechen imd Mo-
dernen : Perseus, von Andromedas Schönheit zur Liebe entflammt,
drückt seine Gefühle aus und sie — sagt nach längerem Zögern
weder nein noch ja. Trotz dieser Diskretion hat Euripides
mehr von Liebe in das Trauerspiel gebracht als seinen Zeit-
genossen recht war, im „Chrysippos** vollends dramatisierte er
ungescheut die Knabenliebe ^). Freilich wich er im Allgemeinen
von der Gewohnheit des gi'iechischen Dramas nicht ab, zwar
nicht jene Leidenschaft selbst, aber dadurch beeinflusste Hand-
lungen darzustellen, wie Sophokles, obgleich er zuerst in die
Antigonesage Haimons Liebe gebracht hat, dennoch bloss ihre
verhängnisvolle Wirkung fühlen lässt. In den „Trachinierinen''
wirkt Herakles' Zuneigung zu lole gleichfalls wie aus dem
1) Vgl. G. Dalmass la famiglia in Sofocle, Pr. v. Rovereto 1886.
2) Cap. 16, vgl. 11.
3) Ovid. (trist. 2, 406) fügt aas der späteren Tragödie Hylas nnd Gany-
medes bei. Epigrammatiker gaben daher dem Drama das Beiwort icaiSepaatag
(Athen. 13, 601b). Im „Aohillens" des Aeechjlos und der sophokleischen
„Niobe*^ (Athen. 13, 601 ab) kam diese Empfindung nur nebenbei, um die
Kührang su verstärken, vor.
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Technik der Tragödie. lgi>
Hintergrund, etwas kühner war Sophokles bei Hippodameia ^)»
doch mied er alle anstössigen Themen*). Hingegen hebt
Aeschylus , der Sprosse einer strengeren Zeit, bei Aristophanes
hervor, nie habe er ein liebendes Weib auf die Bühne gebracht*) ;
in der That war selbst bei der Danaidin Hypermestra das Liebes-
nK>tiv in eine Fügung Aphrodites gewandelt und sozusagen
personifiziert. Die hellenische Tragödie fasst überhaupt Aphrodite
mit Eros und Peitho*) als unheimliche dämonische Gewalten^
die den Menschen unaufhaltsam zu vielem Schlimmen fort-
reissen. Die Tragiker der Aufklärungszeit scheuten nicht einmal
vor so bedenklichen Problemen des Seelenlebens wie Makareus
und Kanake, Kinyras und Myrrha zurück*). Euripides fördert die
erotische Auffassung der Mythologie ungemein und verhilft ihr
in der Literatur und Kunst der Folgezeit zum Siege. *)
Obgleich jeder jähe Umschlag, bald ein plötzlicher Schick-
salswechsel bald eine rührende Erkennung, auf Griechen die-
ergreifendste Wirkung ausübte, erschien es ihnen doch auch
tragisch, wenn den Helden ein gewaltiges Leid oder der Tod
traf "O, wie z. B. Aias sich selbst tötete und Ixion von Zeus in
den Hades geschleudert wurde ^). Der Selbstmord zumal und
zwar namentlich das Erhängen erschütterte die Herzen am
meisten^), weshalb ihn Sophokles, wo er nur kann (in der
Antigone gar dreimal), anwendet. Oft bilden Leichen (durch
Puppen dargestellt) den Gegenstand einer ergreifenden Klage,.
1) Fr. 421 D. 4dON. bei Athen. 13, 564 bo; Tgl. Ribbeck römische
Tragödie S. 434 f. Liebe war auch in den Kolcherinnen, Skyrierinnen und
Phoidra ein tragisches Motiv.
2) Nikephoros in Walz' rhetores I 445, 3 f.; s. jedoch fr. 736.
3) Aristoph. Ran. 1044 f.
4) Vgl. Chr. Jessen Ztsoh. f. Gymnasialwesen VI (1852) S. 737 fiT.
Charakteristisch ist hiefur der berühmte Chorgesang der „Antigone*' (V. 781 ff.)»
5) Ersteres im euripideischen Aiolos; letzteres Joseph, antiq. Jud. 19, 1, 13.
6) Ovid (trist. 2, 381—409) gibt ein langes Verzeichnis erotischer Tra-
gÖdienstoiSe; die blässliche Jünglingsmaske der Theatergarderobe deutet Erark-
heit oder Liebe an (PoUux 4, 137); über die Kunst: Ad. Fnrtwftngler
Eros in der Vasenmalerei, München 1874.
7) Ila^oc Aristot poet. 11 a E.
8) Aristot poet 18 p. 1455 b a. E.
9) 8oph. OR. 1230 f. xu»v hi iciqfi.oyä)V {X^Xcota Xoico&o' att (pavd>o' ah-
^atpttoc; über das Erhängen Nauck zu Soph. Oed. R. 1374.
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190 VI. Kapitel.
z. B, richtete schon in den „Myrmidonen" des Aeschylus Achilleus
an den toten Freund eine rührende Ansprache *).
Damit das Unglück mit voller Macht wirke, verschmähten
die Alten einen kräftigen Realismus durchaus nicht. Man
führte nicht etwa bloss Blinde wie Teiresias und Phineus*),
sondern auch Oedipus mit blutenden Augenhöhlen vor. Blut
war überhaupt so wenig als bei den griechischen Künstlern ') ver-
pönt: Klytaimestra trat bei Aeschylus mit dem Blut ihres Gatten
besudelt (V. 1390), bei einem anderen das blutige Beil tragend
heraus*) und Agaue trug in ihrer Verblendung triumphirend
das abgerissene Haupt ihres Sohnes ^). Nicht einmal Sophokles
hielt sich auf der schmalen Linie der idealen Schönheit; denn
er ersparte den Zuschauern die Erblindung des Thamyras^
und das blaugeschlagene Antlitz der misshandelten Tyro^) so
wenig als die grässlichen Schmerzen des sterbenden Herakles
oder die Krämpfe Philoktets,» an welche vielleicht Aeschylus
schon das Publikum gewöhnt hatte®). Euripides überbot ihn
mit gebärenden Frauen ^) und Thyestes' Schreckensmahl ^®).
Den Wahnsinn der lo, des Herakles und der berühmten Mutter-
mörder Hessen sich die Dichter und wiederum Euripides und
Aeschylus vor anderen nicht entgehen").
Viel zurückhaltender waren sie hingegen, wenn es sich um
Gewaltthaten, welche lebhafte Bewegung bedingten, handelte.
1) Fr. 131—33, 8. Ribbeck röm. Tragödie S. 355; die Leichen wurden
natürlicb dnrch Puppen dargestellt.
2) PoUux 4, 141.
3) Brunn die philostratischen Gremälde, Jahrbb. Suppl. 4, 217 f.
4) Heßych. u. AY||j.Yjtptoc 6 IliXsxoc.
5) Vgl. Plutarch. Craas. 33.
6) Daher hatte die Maske zweierlei Augen (Pollux 4, 141).
7) PoUux 4, 141.
8) G. Hermann opuscula 3, 126; über das Ekelhafte in der alten
Poesie L es sing Laokoon Kap. 25 S. 149 und Anhang S. 279 H.
9) Eanake im „Aiolos^^ Sueton. Nero 21 ; Auge Schol. Paris, zu Aristoph.
Ran. 1080.
10) „Kreterinen" fr. 470—71.
11) lo und Orestes bei Aeschylus, Orestes, Herakles und Alkmeon (ge-
schildert von Tatian. ad Graec. 24 z. B. f opei oxoX'yjv 3i:cav^pa>icov) bei Euri-
pides; Sophokles schrieb einen „wahnsinnigen Odysseus*S der jüngere Asty-
damas einen „wahnsinnigen Aias".
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Technik der Tragödie. 191
Zwar überschätzt man jetzt die lästigen Folgen des Kothurns.
Wie oft kommt es vor, dass eine Person flehend auf die Kniee
niederfällt oder zu Boden sinkt ^). Wie oft wird jemand wider
seinen Willen fortgeschleppt! Euadne springt in den Scheiter-
haufen und Nausikaa spielt Ball. Allein zum Gebrauch der
Waffen kam es auf der Bühne nie, obgleich Merope gegen
ihren Sohn die Axt erhob, der Wächterchor des „Rhesos"
Odysseus im Laufschritt verfolgte ^ und Telephos, wie Alexan-
dros, um ihr Leben zu retten, vor den gezückten Schwertern
auf einen Altar sich flüchten mussten ^. Wenn am Palast des
Bühnengebäudes oben ein Ziegeldach angebracht war, von dem
aus in einem Stücke Ziegelsteine auf die anstürmenden Feinde
geworfen wurden, so geschah dies gewiss keineswegs auf die
Bühne herab*). Weil also die Waffen nie gebraucht wurden,
kam ein Totschlag auf offener Scene nicht vor. Wiewohl
ein religiöses Bedenken dagegen nicht vorhanden gewesen wäre
— es war ja ein scheinbar Sterbender nicht unreiner als eine
fingierte Leiche — , zögerten die Dichter soweit vorzugehen,
teils weil sie die Schauspieler notwendig brauchten und an dem
chinesischen Brauche, dass die Toten selber von der Bühne
gehen, keinen Gefallen finden konnten, teils weil bei solchen
Vorgängen das Erschütternde sehr leicht in das Lächerliche
umzuschlagen pflegt. Der Selbstmord des Aias erforderte ge-
wiss einen ungewöhnlich taktvollen Schauspieler und Sophokles
hatte sich zu diesem gefährlichen Experimente nur deshalb
entschlossen, weil er die Botenerzählung seines Vorgängers
Aeschylus nicht überbieten zu können meinte. Er Uess den
Schauspieler im Hintergrund zwischen Bäumen und Gebüsch *)
1) Z. B. Eur. Andr. 529 flf. 579-718 n. ö., s. Albert MtiUer S. 198 A.;
sogar ein ganzer Chor, wie in den „Persem" und den „Bakchen" (V. 604f.).
2) Dass diese Scene nicht vereinzelt war, zeigt Schol. Aristoph. Acham. 210.
3) Ribbeck röm. Tragödie S. 108. Derselbe vermntet 8. 442, dass
die Yerfolgnng des Pelops durch Oinomaos (Demochares in Vita Aeschinis
p. 269, 29 West.) in einem Satyispiel des Sophokles yorkam; aber anch in
der „Niobe*' eilte ein Knabe Hilfe rufend über die Bühne (Plutarch. ana-
torins p. 760 de).
4) PoUux 4, 129 a. £.
5) Rhetor. ad Herenn. I 11, 18 Aiax in Silva . • . gladio occubuit;
dazu passt vdicoc V. 892.
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192 VI. KapiteL
niederstürzen, worauf ihn Tekmessa mit einem Gewände yer-
liüllte (915 f.); nachdem während der Klagegesänge eine Puppe
an seine Stelle gelegt worden war, deckte Teukros (V* 1003 ff.)
die Leiche auf. Der Dichter stand damit nicht allein, wenn
auch derartiges bei den Griechen selten vorkam ^) Aber man
richtete doch für TodesfiQle durch das Schwert oder durch Er-
trinken eine besondere Maschinerie her*).
Nicht alle Stücke erregten Mitleid und Furcht der Zu-
schauer, sondern viele riefen zunächst* Staunen durch die vor-
geführten Wunder hervor'); glaubte doch das griechische
Volk zur Zeit der Perserkriege wenigstens an Wunder nicht
weniger zuversichtlich als das Mittelalter. Erst als der Glaube
erschüttert und das Uebernatürliche zu einem Kunststückchen
für Gaffer herabgesunken war, legte Aristoteles mit Recht gegen
die verschwenderische Anwendung Protest ein. Aber die Dichter
der Blütezeit Hessen die Gesetze der Natur durch die göttliche
Macht durchbrechen : der geistesumnachtete Aias nahm Odysseus
nicht wahrj letzterer war im „Philoktet" des Euripides nach
homerischem Muster von Athene unkenntUch gemacht; im
sophokleischen „Tereus** führte sogar die Stimme des Webe-
schiffchens die furchtbare Erkenntnis herbei*). Ferner wurden
trotz der bekannten Vorschrift der Kunstrichter*) bei Euripides
Kekrops in eine Schlange, Hippe in ein Pferd verwandelt und
Aktaion trat mit einem Hirschgeweih, wie die aeschyleische
lo mit Kuhhörnem, auf, eine Andeutung der Metamorphose,
welche die Kunst den Tragikern lehrte *). Der gleiche Tragiker
liess in seiner Kühnheit Bellerophon und Perseus durch die
Luft reiten und fliegen'') weil Aeschylus bereits für das Herab-
schweben und Emporsteigen der Götter die notwendigen Ma-
schinen eingeführt hatte®). Denn die Götter griffen, wie oben
1) Schol. Soph. Ai. 815 ^oxi hh xä xoiaüta napä xoic naXaiolc oicavca.
2) Itpo<pslov PoUux 4, 132.
3) E. RoQx essai sar le merveilleux dans la trag^ie grecque, thtoe
von Paris 1846.
4) Aristot. poet. 16 p. 1464 b a. E. .
6) Horat. a. p. 187.
6) Fr. 922 N. PoUux 4, 141.
7) PoHux 4, 128. Eurip. fr. 123 N.
8) So Okeanos und seine Töchter (vgl. 129. 135) im „Prometheus";
letztere verlassen erst Y. 279 ff. ihren wunderbaren Wagen (anders Wieseler
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Technik der Tragödie. 193
gesagt wurde (8. 167), sehr häufig in eigener Person ein. Die
Unterweit entsandte die fackelschwingenden Erinyen*) und
Schattengestalten auf der sogenannten charontischen Stiege
empor*), was wiederum Aeschylus in den ,^mneniden'* (anders
in den „Persern'*) eingeführt hatte. Bei Sophokles stieg Achil-
leus' Gteist in der „Polyxena" an die Oberwelt herauf, xnn das
Blut der trojanischen Prinzessin zu fordern ^) Euripides erregte
mitleidsvolle Rührung, wenn der ruhelose Geist des jungen
Polydoros sein klägliches Geschick erzählte. Man versetzte die
Scene überhaupt in die Unterwelt, wie Euripides (?) die des
Peirithus*).
Die alten Dichter wussten nicht schlechter als ihra
neueren Kollegen , dass die Mehrzahl der Zuschauer nicht
bloss hören, sondern auch sehen wollte, — spricht doch auch
der Deutsche von Schauspiel — und hatten als Bürger einer
demokratischen Republik den Wünschen der Mehrheit Rech-
nung zu tragen. Aristoteles zählt daher die Ausstattung
(&j)tc), wiewohl er das Unkünstlerische solcher Mittel hervor-
hebt, zu den Grundbestandteilen der Tragödie*). Aeschylus
machte mit den Kostümen den Anfang, indem er die Sinne
der Zuschauer durch Purpur^, Goldstickerei^, buntfarbige
de difficilior. qoib. Poll. locis p. 6 u. C. Fr. Müller die soenische Darstel-
lung des aeschyleischen Promethens, Stade 1871 S. 13). Polloz weiss 4, 128
die Ausdrücke der Maschinisten nicht auseinander zu halten.
1) Aristopb. Hnt. 423 f.
2) Xapwvtot xXtfiaxec Pollnx 4, 127. 132, vgl. A. Müller S. 149 ff. Die
Erscheinungen hiessen ävaB8CY{J.axa (Hesych. s. v., s. u. SvBspYF''^)*
3) Ft. 469 Dind.; vielleicht auch Amphiaraos in den „Epigonen** (Bib-
beck röm. Tragödie 8. 491 ff.).
4) Fr. 594 (Gr^. Cor. Walz rhet. 7, 1312) ; vgl Aristot. poet, 18 p. 1456 a
3. Anon. de comoedia ym 33. Anecd. Par. I p. 3.
5) Poet. c. 6 p. 1449 b 32 u. ö.
6) Philemon fr. 115 M = 106, 4 K. Horat. a. p. 228. Plutarch. glor.
Athen. 5. Demetr. 41; fotvixi^ PoUux 4, 116 (auch die Ifarcxi^ war rot);
oopxi^ KopfopoDc bei den Königinnen ders. 4, 118; sogar die Riemen der
Schuhe waren purpurn (Vergil. Ecl. 7, 32. Aen. 1, 337).
7) XXa{jL&c Stdxpaoo^, xp^sönaotoc Pollux 4, 116; vgl. Horat. a. p. 228.
Plut. Demetr. 41. Pollux 4, 116. Ludan. somn. 26. Menipp. 16. Icaromen.
29 a. E., auch epist. Saturn. 2, 28. Nigrin. 11 (xpooc^); picti cothumi Ovid.
am. 2, 18, 15 (vgL Wieseler Denkm&ler T. IV 10), wie Dionysos in dem
alezandrinischen Zuge 6)Jißd8ec xpooor^pa^tl^ trfigt (Athen, 5, 200 d). Der
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur m. ]^3
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194 VI. Kapitel.
Gewänder *) , goldenen Schmuck *) und Elfenbeingriflfe der
Schwerter^) bestach. Zugleich gab er durch Einführung von
Triumphzügen den Anstoss dazu, dass der Chorege kostbares
Geräte, z. B. Silbergefilsse *) , zusammenschaflfle. So führt Aga-
memnon, als er stolz zu Wagen eintUhrt, die troische Beute mit
sich*), auch in den „Trachinierinen'* tritt ein Beutezug auf.
Euripides vollends triflFt die Schuld, dass er das Publikum zu-
erst durch ein reines Schaustück ergötzte; bevor nämlich die
Handlung des „Orestes'* begann, wurde Helenas Einzug stumm
vorgeführt*). Zu solchen Schaustücken brauchte man zahl-
reiches Volk (8opüyöpTf]|ia)^ und, wenn auch die Sklaven die wohl-
feilsten Statisten waren, sollten doch ihre Gewänder prächtig
sein^). Die Eröflfnungsscenen der „Sieben" und von „König
Oedipus", sowie die Areopagsitzung in den „Eumeniden** ver-
Chor trug goldgestickte Grewänder (Antiphanes fr. 202, 6 M.). Deshalb haupt-
sächlich beliefen sich die Kosten einer tragischen Choregie bis auf ein halbes
Talent (Lysias 21, 1), obgleich es damals schon Eostttmverleiher gegeben zu
haben scheint (Pollux 7, 78). Man stellte »ich Dionysos selbst '^pi}<36si\i.6(:
vor (Revue nrcheol. 1870/1 p. 107 Z. 14). Die Schauspieler erhielten das
Privilegium der xpö^ofopia (CIA. II 562 c 8).
1) Enrip. Andr. 148; ßatpaxU Pollux 4, 116. Man darf vielleicht daran
erinnern, dass Polygnot, Aeschylns* Zeitgenosse, seine Frauenbilder mit bunten
Hauben zu schmucken pflegte (Plin. nat. hist. 35, 58).
2) Enrip. Andr. 147. Duris fr. 31 bei Athen. 12, 535 e (hier ist zu lesen
4u9XiSa xpt>ooÖ9avtov xal y(fiO(3obv ox8<pavov (itl icepov^g). Lucian. Anach. 23.
3) Lucian. somn. 26.
4) Philemon fr. 115 = 105, 4 K.
5) Eine der drei Thüren des Scenengeb&udes war für Wägen eingerichtet
(vgl. Wecklein Philol. 31, 442 ff.). Zu Wagen erscheinen ausserdem Atossa
(das erste Mal Pers. 607), der argivische König (Suppl. 170 ff.) u«d Athene
(Eum. 405), dann bei Euripides Klytaimestra El. 998 (vgl. 1135 f.) und lA.
607 ff. und Andromache Tro. 568 f.
6) Scholien z. Y. 58; so etwas hiess wahrscheinlich icpotiooBtov (Heli-
odor. Aethiop. 8, 17).
7) Plutarch. mor. p. 791 e. Julian. Caes. p. 310 o, Bopo<p6poi Plut. glor.
Ath. 5, vgl. Koob de mutis quae vocantur personis in Graecorum tragoedüs,
Halle 1882 p. 22 ff.
8) Plutarch. Phoc. 19; auch quaest. symp. 7, 6, 20 8opo<pop^|j.atoc
Xa{j.icpo&. Si^ trugen eben&Us Masken (Hippocr. lex 2, 5. Lucian. Tox. 9).
Insofern sie nichts zu sagen haben, heissen sie %^l^fä icp6oa>ica (A. Müller
8. 179, 4).
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Technik der Tragödie. 195
langten deren viele *) und im „Oedipus von Kolonos" und den
„Schutzflehenden** (V. 843) erschien Theseus mit seinem Heere.
Den Schluss der „Eumeniden" bildete ein grossartiger jZug von
Frauen und Mädchen in Purpurkleidern (V. 1004 flf.). Euripides
liess einen vollen Leichenzug über die Bühne ziehen ^ und in
der „auUschen Iphigenie" von der Dienerschaft Klytaimestras
die mitgebrachte Ausstattung auspacken.
Der Chor trug, um Aufsehen zu erregen, gerne ausländische
Kleider, z. B. traten in Ions „Omphale*' lydische Harfen-
flpielerinnen, in Euripides' „Kretern'* die Kureten in weissen
Gewändern auf und derselbe Dichter ersetzte den thebanischen
-Chor der „Sieben** durch phönikische Frauen, weil ihm dies
interessant€jf schien. Die Tragiker waren ja, wie die Komiker
zeigen, auch für die Kostüme und ßcheinbar so geringfügige
Details, wie brennende Fackeln^), verantwortUch.
Zur Hilfe des Maschinenmeisters nahmen sie ebenfalls in
vielen Fällen ihre Zuflucht und zwar gerade schlechte Dichter,
wieXenokles, „dör Maschinenerfinder** oder „der zwölfmaschinige'^
beigenannt*). Die Himmlischen sprachen mit Blitz und Donner
2U den Menschen^). Vor allem gebrauchten Aeschylus und
Euripides die Maschinerie zur Erzielung eines effektvollen Ab-
schlusses: Der Fels, an welchen der Titane geschmiedet war,
versank samt den Töchtern des Okeanos in die Tiefe. In den
„Schutzflehenden** sah man die Scheiterhaufen auflodern, wie
Pentheus' Palast in Flammen eingehüllt erschien^), und die
,,Troerinen** schlössen mit dem Einstürze der brennenden
Trümmer Ilions.
Wir möchten zu den sinnlichen Elementen des Trauerspiels
endlich die geographischen Exkurse rechnen, insoweit
die gehäuften Namen nie gehörter Länder und Orte den Hörer
in Staunen versetzten; Aeschylus fand hieran ausnehmend
1) Zawadzkl die Anzahl der Areopagiten in Aeschjlos' Eom., Pr. v.
Bnhrort 1884.
2) Aloest. 607 flf., vrI, 625 flf.
3) Aristophan. fr. 800 b = 599 E. (gegen Agathon), ebenso Ear. UeK
.865 ff. und am Ende der Enmeniden.
4) Aristoph. Pac. 791 mit Schollen.
5) Das ßpovtstov wird z. B. im „Oedipns auf Kolonos" verwendet.
6) Bacch. 594£f. 624 f.
13*
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196 VI. Kapitel.
Gefallen, indes zahlten auch Sophokles und Euripides im Trip-
tolemos*) und den „Bakchen" dieser Manier ihren Tribut.
Von der Art von Trauerspielen, welche Aristoteles die
ethische nennt, weil sie des Pathos entbehrte^, besitzen wir
kein Beispiel mehr. Wir müssten denn die euripideischa
,,HölöDa'' hieher zählen, indes steht sie hinsichtlich ihrer
ziemUch verwickelten Handlung dem modernen lutriguenstücke
näher, während sonst diese Gattung, wie gesagt, den Hellenen
fremd war. Man glaube darum nicht, dass sie die Tragödien»
mit dem blossen Gefühle und nicht auch mit dem Yerstanda
beurteilten; im Gegenteil bemerkten sie UnwahrscheinUchkeiten
recht wohl und Uessen sie sich höchstens dann gefallen,,
wenn sie wie im „König Oedipus** vor der dargestellten
Handlung lagen; ich meine den seltsamen Umstand, dass der
Herrscher um die Ermordung seines Vorgängers sich nicht
bekümmert hat*).
Entsprechend der Einfachheit des Stoffes wurde die Aus-
führung mit den einfachsten Mitteln besorgt. Da nun die
Exposition*) verhältnismässig die grössten Schwierigkeiten
bereitete, blieb man am liebsten bei einer bereits in der Praxis^
bewährten Methode, so dass der Dichter leicht etwas schablonen-
haft arbeitete und der Schauspieler durch gewandten taktvollen
Vortrag die Absichtlichkeit verdecken musste. Die alten Tra-
giker waren im Vergleich mit ihren modernen Kunstgenossen»
mag auch z. B. Shakespeare in mehreren histories, besonders^
in „Richard HI.** die Kenntnis der vorherliegenden Ereignisse^
voraussetzen, unvergleichlich günstig gestellt, weil die Zuschauer
die Stoffe mindestens in grossen Zügen kannten und mit den
Namen der Hauptspieler wohl vertraut waren ^). Die einfache
Entwicklung des „König Oedipus" wäre in unseren Zeiten
unmöglich, wie Schiller klarer als je einsah, als er zur Expo-
sition des „Wallenstein'' mehr Akte als für die eigentliche
1) Strabo 1, 27.
2) Aristot. poet. 18 p. 1456 a 1.
3) Aristot. poet. 15 p. 1454 b 7 f.
4) Ernst Ziehl über die dramatische Exposition, Diss. v. Rostock 1869»
5) Dies hebt der Komiker Antiphanes (fr. 191 K. bei Athen. 6, 222a)
drastisch hervor.
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Technik der Tragödie. 197
Handlung gebrauchte ^). Demgemäss kam es für den griechischen
Dichter darauf an, dass er zuvörderst den Zuschauer unter-
richtete, welche Sage den Gegenstand der aufzuführenden
Tragödie abgäbe, sodann in welchem Sinne er dieselbe auf-
iasste. Je mehr die Tragiker der OriginaUtät wegen die her-
Jcömmliche Fassung der Mythen umgestalteten, desto mehr
nahm die Schwierigkeit und Wichtigkeit der Exposition zu.
Aeschylus durfte in den „Persem", „Schutzflehenden",
^jMyrmidonen'* *) und dem „gelösten Prometheus" ') sofort den
-Chor auftreten lassen, der Vorwurf dieser Dramen war ja ent-
weder an sich so einfach oder durch ein unmittelbar vorher-
gehendes Stück so klar gelegt, dass einige Anapäste zur Auf-
klärung hinreichten. Mit der Fortbildung des Trauerspiels
wurde aber ein besonderer Prolog*) in Trimetem unver-
meidlich: Die „Sieben" eröffnet eine lange Rede des Eteokles
an das thebanische Volk; auch in den „Choephoren" ist der
Allein redende Orestes doch nicht allein. Diese Art liegt in
-der Mitte zwischen dem wirklichen Monolog, den Aeschylus im
^,Agamemnon" massvoll und darum glücklich anwendet *), und
'Cinem lebendigen Dialoge, wie er den „Prometheus" einleitet,
wo der Dichter bei seinem Publikum so viel voraussetzt, dass
^r den Namen der Hauptperson erst im 66. Verse ausdrücklich
nennt. Beide Mittel vereinigt Aeschylus in den „Eumeniden",
freilich in noch wenig bühnenmässiger Weise: Die ersten 33
Verse hängen mit der Handlung nicht zusammen, sondern
die Pythia spricht ihr tägliches Morgengebet und lädt die
1) Brief an Goethe vom 2. Oktober 1797.
2) Fr. 128 D. = 127 N.
8) Frocop. bist. Gotb. 4, 6 und Aeschyl. fr. 191.
4) DpoXo^oc, insofern er vor dem Chorliede gesprochen wird, Aristoph.
Ban. 1119, 1177. Aristot. poet. 12; sloßoXY), weil er die Exposition enthftlt,
Antiphanes a. O. V. 19. Strabo 13, 616. Arg. Earip. Med. Schol. Aristoph.
Ban. 1. Thesm. 1066. Schol. Hephaeet. p. 126. Friedr. Th. Ellen dt de
prologo tragoediae Graecae, Habilitationsschr. v. Königsberg 1819 ; C. G. F i r n-
haber Jahns Archiv 17 (1851) S. 545ff.; E. W. Voss de tragoediamm
Oraecarum prologo, Diss. v. Berlin 1864; Gas per s über die Prologe der
Kriech. Tragödie, Pr. v. Saargemünd 1874.
5) Ebenso vieUeicht in den „Mysem" (fr. 141 D.) und der „Niobe*^
<fr. 155), sowie in den „Plenronierinen" (p. 558 Nanck) nnd „Phönikerinen*^
des Phrynichoe (fr. 9 p. 559).
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198 ^' Kapitel.
Wallfahrer zum Orakel; hierauf lässt die Priesterin die Bühne
leer, aber rasch wieder herauskommend, schildert sie entsetzt,
was sie im Tempel gesehen, und übergibt gewis8ermassei>
Apollo das Wort, der hierauf mit Orestes spricht.
Sophokles pflegt das Notwendigste der Exposition mit
unübertrefflicher Leichtigkeit zunächst in einen Dialog einzu-
flechten; wenn Oedipus in beiden Stücken sich selbst beim
Namen nennt *) , klingt das doch gerade bei diesem selbst-
bewussten Heros vollkommen natüriich. Sophokles erschwert
sich die Aufgabe nicht dadurch, dass er ein vollständiges Bild
der Sachlage entwirft, ohne Not, sondern ist mit dem dramatisch
Notwendigen zufrieden. Ein alter Kritiker macht die feine
Bemerkung, dass Oedipus dem Chor von Kolonos sein Schicksal
nicht des langen und breiten auseinandersetze^ wogegen bei
Euripides Theseus von Adrastos vieles unnötige erfragt*); ja
Sophokles lässt lieber Theseus den Thebaner sofort erkennea
als dass er bei strenger Einhaltung der Wahrscheinlichkeit die
Exposition in irgend einer Weise wiederholte ^). Was nicht in
den eigentlichen Prologen anzubringen ist, streut der Dichter
geschickt an passenden Gelegenheiten ein*). Nicht ganz auf
der Höhe der übrigen Stücke stehen die „Trachinierinen'*, wa
Deianeira mit langatmiger Rede, welche eigentlich an das-
Publikum und nicht an ihre Kammerfrau gerichtet ist, anhebt^).
Nachdem diese kurz erwidert, beginnt eine neue Scene zwischen
der Königin und Hyllos sofort die eigentliche Handlung.
Euripides knüpft mehr an die ältere Manier an^). Abge-
sehen von dem verstümmelten ,»Rhesos*' und der unechten
1) Weniger motiviert ist das gleiche in den äscbyleischen Eingangsreden
(z. B. bei Eteokles).
2) Schol. Soph. OC. 220.
d) Vgl. OC.SOlflf.
4) 8. z. B. Schol. Ant. 155.
5) Vielleicht sprach Prokne am Anfange des „Tereus" einen fthnlicbei»
Prolog (fr. 517 D.), nach Ribbeck röm. Trag. S. 578 dagegen Apate.
6) Lessing hambnrgische Dramaturgie, Stück 48; Ferd. Commer
de prologomm Euripideomm causa ae ratione, Bonn 1864; Voss de prologi»
Enripideis, Progr. v. Halle 1873; Jos. Klinkenberg de Enripideornm pro-
logornm arte et interpolatione , Berlin 1881 (der Anfang Diss. v. Bonn 1880)
und Euripidea I. (über [den Piolog zum Ion), Pr. v. Aachen 1883; Job. v»
Arnim de prologomm Euripideorum arte et interpolatione, Greifswald 1882.
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Technik der Tragödie. 199
Einleitung der „aulischen Iphigenie*^ liess er regelmässig eine
einzelne Person auftreten, aus deren Selbstgespräch die Hörer
alles notwendige erfuhren; Selbstgespräch, sage ich, denn die
Prologe nahmen trotz aller inneren Absichtlichkeit nie auf die
Zuschauer unmittelbar Bezug. Bei näherer Betrachtung zeigen
sich bewusste Unterschiede. Wo nämlich der Zuschauer, damit
er das Kommende richtig verstehe und besonders die tragische
Ironie wohl beachte, ein den handelnden Personen verborgenes
Geheimnis der Vergangenheit oder auch die Zukunft kennen
soll, wird ein Gott oder ein Geist hercitiert und diese Prolog-
gattung erkennt Aristoteles an ^) ; Sophokles freilich wusste im
„Aias** dasselbe Ziel auf viel künstlerischere Art zu erreichen.
Jene Rolle spielen Aphrodite im „Hippolytos" und wahrschein-
lich im „Alexandres"^, Hermes im „Ion'* und der Geist in
der „Hekabe*'. Am Eingange der „Troerinen" eröffnen Poseidon
und Athene einen Ausblick in die Zukunft. Hingegen wäre
es zur Exposition wahrlich nicht notwendig gewesen, in der
„Alkestis" Apollo und dann den Todesgott auf die Bühne
zu bemühen.
Soll hingegen die allen Beteiligten offenbare Lage darge-
stellt werden, dann tritt eine Person des Stückes selbst auf.
Am tadelnswertesten geschieht dies in den „Phoenissen", wo
lükaste gleich unmotiviert kommt und wieder abgeht; die
Priesterin Iphigenia will doch wenigstens nach griechischer
Sitte ihren beängstigenden Traum unter freiem Himmel aus-
sprechen (V. 43) und sieht sich dann nach ihren säumigen
Dienerinnen um. Sonst pflegt, nachdem der eigentliche Prolog
beendigt, eine zweite Person aufzutreten, nach deren Abgang,
wenn der Chor noch nicht erschienen ist, ein (oft lyrischer)
Monolog des ersten Schauspielers folgt ^). Nur in den „Bak-
chen" und „Schutzflehenden" erhebt der Chor, welcher schon
anwesend war, unmittelbar nach dem Prologe seine Stimme.
Von der „Andromeda" wissen wir leider das eine allein, dass
1) Poet 15 p. 1454 b 3flf.; solche PrologfignreD, die später nicht wieder
anftraten, hiessen itpoiatix^ icpöocuna Donat. in Terent. Andr. praef.
2) Bibbeck röm. Tragödie S. 82f.
3) Androm. Hei. El. Med. Or., anders Heracl. und Herc. fnr.
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200 VI. Kapitel.
das Stück mit einem Liede der Heldin begann^). Euripides
legt# keinen Wert darauf, dass eine Hauptperson des Dramas
den Prolog spricht; im Gegenteil weist er die wichtige Ex-
position der „Medea*' der Amme zu und man möchte sogar,
wenn er statt Elektra ihren nominellen Gatten das erste Wort
haben lässt, eine Absicht vermuten. Mit der Motivierung des
Sprechens gibt er sich keine Mühe, wenn es auch kein Zufall
ist ^, dass meistens Frauen und obendrein schwer bekümmerte
ihre Sorgen ausschütten. Sonst muss man diese Prologe als
eine ärgere Uunatürlichkeit bezeichnen als die meisten Monologe
des neuen Dramas, insofern diese einem lebhaften Auftritt zu
folgen pflegen und die Seele durch jenen immerhin in so starke
Schwingungen versetzt sein kann, dass das Bedürfnis des lauten
Aussprechens rege wird. Die Prologe haben fast alle eine grosse
Aehnlichkeit untereinander *). Die Sprecher müssen sich gleich
in den ersten Versen nennen, wogegen z. B. in der als muster-
giltig gepriesenen Exposition des „Tartuflfe" von allen Personen
des ersten Aktes wohl das Verwandtschaftsverhältnis, nicht
aber der Name mitgeteilt wird und Schiller die Moustreexposition
des „Wallenstein*' für Leser geschrieben hat; denn Illo spricht
zwei Auftritte hindurch ungenannt und der Ort der Handlung
ist nur in der Regiebemerkung angegeben. Auf letzteren legt
Euripides weniger Gewicht, während die Genealogie mit einer
uns frappierenden Ausführlichkeit behandelt wird; dass der
König Archelaos seinen hellenischen Stammbaum von Danaos
bis Archelaos I. gerne autgezählt hörte*), begreift man aller-
dings ohne Mühe.
Da die grausamen Witze der Komiker Euripides von seiner
Manier nicht abbrachten, muss er diesen Weg mit reiflicher
Ueberlegung eingeschlagen liaben. In der That hatte der
kühne Umbildner der überlieferten Sagen dem Publikum bei
weitem mehr als Aeschylus und selbst Sophokles zur Aufklär-
1) Fr. 114 (Schol. Aristoph. Tbesmoph. 1066 tou icpoXoYoo x^^ 'Av^po-
}jii$ac sloßoXt)). 116; Härtung Euripides restitutus II 344 und Robert
»rchäoL Ztg. 1878 S. 18 bezweifeln dies; aber auch den „Alkmeon in Psophis^'
scheint eine Arie eröffiiet zu haben (fr. 66).
2) Vgl. Eur. Androm. 93flf.
3) Nur ,,Herakliden" und „Medea^* sind feiner und dramatisch ausgeführt.
4) Eurip. fr. 230.
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Technik der Tragödie. 201
ting mitzuteilen. Wendete er nun die feine Expositionsart des
letzteren an, so war Gefahr, dass der Masse der Hörer wichtige
Punkte entgingen, und obendrein wäre ihre Aufmerksamkeit
von den pathetischen Situationen, welche ihm die Hauptsache
waren, ein wenig abgelenkt worden. Weil sogar die neuere
Komödie sich für dieselbe Methode entschied, dürfen wir ver-
sichert sein, dass die gesamte jüngere Tragödie auch in diesem
Punkte von Euripides abhing.
Unter den Teilen der Tragödie sondert sich neben dem
Prolog der Schluss (SJoSoc) deutlich ab. Es ist bereits be-
merkt, dass die Alten, besonders Sophokles, auf einen effekt-
vollen Abschluss weniger als wir Gewicht legten. Ein übliches
Schema, wie für den Anfang, besteht bezüglich des Ausganges
nicht, wenn nicht der deus ex machina erscheint und, um
diesen recht zu würdigea, müssen wir etwas weiter von der
Moral des Trauerspiels ausholen. Im Altertum hätte niemand
zu behaupten gewagt, der Dichter dürfe sich ein eigenes Sitten-
gesetz zurecht machen; so fest wurzelte die Auffassung, dass
die Poesie und im besonderen die tragische- Bühne „eine
moralische Anstalt*' oder, wie die Griechen sagten, die Schule
der Männer sei ^). Denn das Volk war, mit Montesquieu zu
reden, in seinem Geschmacke ehrbar, ohne es in seinen Sitten
zu sein. Wiewohl von der vermeintlichen Lösung sittlicher
oder sozialer Fragen damals keine Rede war, forderten die
Griechen, religiöser Bücher entbehrend, von jedem Dichter,
dass die heranwachsende Generation in seinen Werken edle
Lehren finde, die durch die Unterstützung des Rhythmus und
den Zauber der poetischen Sprache fester als die bürgerlichen
Gesetze hafteten. Demgemäss galten die zahlreichen Sitten-
sprüche ^ welche die Tragiker sowohl im Dialog als basonders
in den Chorliedern mit freigebiger Hand ausstreuten, keines-
wegs für eine lästige Beigabe, sondern sie waren der vollen
Aufmerksamkeit des PubUkums sicher; auffallende Sentenzen
1) Sehr lehrreich ist, was Aeschylns in den Fröschen des Aristophanes
darüber sagt ; ausser zahlreichen übereinstimmenden Aussprüchen gehört eine
besondere freilich etwas puritanisch geförbte Abhandlung von Plutarch: i(&^
ZtX xbv viov icoiY){j^ttt>v ftxoüfttv hieher.
2) Vgl. C. S. Köhler die Weisheit der Tragiker. Realconcordanz der
Sprüche und Lehren in den Tragödien des Aeschylos Soph. Eur., Hitlle 1883.
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202 ^I- Kapitel.
riefen Bewegung und Unruhe hervor*), indem man sie be-
klatschte und da capo verlangte*) oder stürmisch ablehnte. In
der Zeit der beginnenden Aufklärung achteten die Leute arg-
wöhnisch auf skeptisch angehauchte Stellen und erhoben, wie
es heisst, gegen vermeintliche Gottlosigkeiten des Euripides
lauten Protest; bei der Aufführung des „Ixion" soll er per-
sönlich das entrüstete PubUkum auf das traurige Ende des
Gotteslästerers vertrösten haben müssen^.
In der That war ja der Ausgang des Dr'Samas*) für
die Moral von grösserer Bedeutung als einzehie möglicherweise
zur Charakteristik des Sprechers bestimmte Schlagworte , ob-
gleich die Dichter durch die Ueberlieferung des Mythos eigent-
1) KtvYital Toö d-eatpoü Schol. Soph. OR. 294; dies iUustriert Philon
qnod omnis prob. IIb. p. 886 ed. Fr.
2) Platarch. de aud. poet. 12. Sen. ep. 116; Cic. Tubc 4, 29, 63 (man
rief wohl aäO-tc, Xenoph. conviv. 9, 4).
3) Sen. epist. 115. Es erinnert lebhaft an eine von Goethe in der itali-
enischen Reise (Venedig 6. Oktober) erzählte Scene.
4) Die ältere Literatur, welche von dem tragischen Schicksal handelt,
verzeichnet Nägelsbach de religionibus Orestiam continentibns, Jnbilänms-
schrifb der ün. Erlangen 1843 S. 26flF. (vgl. nachhom. Theologie S. 335 ff.);
Ranmer Historisches Taschenbuch 1841 S. 254 ff.; Ign. Haentjes über
die Schicksalsidee bei Homer und den Tragikern, Pr. v. Köln 1848; Lehr»
Vorstellung der Griechen über den Neid der Götter und die Ueberhebung.
Populäre Aufsätze aus dem Altertum, Lpg. '1875 S. 35 ff.; Fr. R. Camboulin
essai snr la fatalit^ dans le theätre grec, Paris 1855; Ed. Tonrnier N^m^is
et la Jalousie des dieux, Paris 1863; Eugen Heinr. Schmitt moderne und
antike Schicksalstragödie, Berlin 1874; K. W. Osterwald de notione fati
in tragoediis Graecis expressa, Pr. v. Mnhlhausen i. Th. 1878; suAeschylus:
Arthur Jung de fato Aeschyleo, Diss. v. Königsberg 1862; Grein er de
fato Aeschyleo, Pr. der Realschule, Weimar 1869; Herwig das ethisch-religiöse
Fundament der äschyleischen Tragödie, Pr. v. Constanz 1877 ;zaSophokles:
Jos. Ehlinger de fati apud Sophoclem notione indole vi, I. Berlin 1852;
Ad. Hoppe de deornm Sophodeomm fatali potestate, Halle 1852; Aug.
Hagemann de lato Sophocleo I. Diae. v. Berlin 1853 IL Pr. v. Bielefeld
1858; Fährmann die Schicksalsidee in den Tragödien des Soph., Pr. v.
Lauban 1857; Ed. Platner über die Idee der (Gerechtigkeit in Aesch. n.
Soph., Lpg. 1858; Hnb. Charge de fati qnale Sophocles sibi finzerit natura,
Köln 1859; H. G. A. Bakhoven de Sophoclis fati natione, Diss. v. Utrecht
1865; Vasiadis ^EXXiqvix^ ^1X0X0^. ooXXoyoc I^' p. 135 ff.; dazu unten die
über die religiösen Anschauungen der einzelnen Tragiker handelnden Auf-
sätze, und die Monographien über den „König Oedipus".
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Technik der Tragödie. 205
lieh der moralischen Verantwortlichkeit enthoben zu sein
pflegten. Das Ergebnis eines Stückes hängt, wenn wir die
Sache ohne Phrase ins Auge fassen, jederzeit von den religiösen
und philosophischen Anschauungen des Dichters und seiner
Zeitgenossen ab. Wo der gläubige Christ Recht und Unrecht
nach Verdienst beurteilt sehen will, da beruhigt sich der Grieche
bei dem unergründlichen Etwas, das er Schicksal nennt, und
findet seinen Trost in der Notwendigkeit^) und Allgemeinheit
des Leides, ohne davon, wie der moderne Mensch, den Ein-
druck des Grässlichen zu erhalten; Goethe triflEl in „Shakespeare
und kein Ende" den Gegensatz des Empfindens scharf mit den
Worten; „Bei den Alten überwiegt das Sollen, bei den Neuen
das Wollen." Immerhin sah es das instinktmässig das Richtige
fühlende Publikum gerne, wenn am Schlüsse die Guten be-
lohnt und die Bösen bestraft wurden*); doch machte eigentlich
nur das letztere nach griechischer Vorstellung die höhere Ge-
rechtigkeit aus^) Der oft besprochene „Kampf* des Helden
gegen das Schicksal wäre den Alten frevelhaft und eines ver-
nünftigen Mannes unwürdig erschienen*), wogegen sie eben
darin, dass der Held von dem ihm Beschiedenen keine Ahnung
hat und blindlings in sein Verhängnis stürzt, die Tragik fanden.
Ebensowenig kennt Aristoteles das Phantom einer „tragischen*'
Schuld, das einem Kompromiss zwischen Aesthetik und Moral
entstaiürat. Dagegen wünscht der Philosoph an dem Helden
der Tragödie einen Fehler zu finden^), das will sagen, eine
Menschlichkeit, wodurch jener das Schicksal eines Menschen
verdient. Die aristotelische Kodifikation der Tragödie beruht
hier offenbar auf Sophokles' Dramen. Wendet doch dieser
Dichter vor allen eine besondere Kunst darauf, dass die uner-
1) Eurip. fr. 757, 9 8siv6v f^p o&8iv tu>v ^iva^xaicuv ßpotoZ^; auch die
zahlreichen attischen Grabdenkmäler des fünften Jahrhunderts sprechen trost-
lose Traner ans (Duhn Archäol. Ztg. 1885 Sp. 21).
2) Aristot. poet. 13 a. E.
3) Die Spruchsammlnng in den Eklogen des Stobaens I c. 3 p. 52 ff.
ed. Wachsmnth zeigt dies klar.
4) Vgl. z. B. Sophocles fr. 205 D. bei Stob, floril. 99, 20 icd><; o^v
|L^/(u|i.ai ^YjTÖc tt)v ^8ta toxn? ; und das von A. Otto Archiv f. latein. Lexikogn
in S. 207. 385 dtierte.
5) Poet. cap. 13 (dfxaptia).
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204 VI. Kapitel.
^ forschliche Grenze zwischen Bestimmung und persönlicher
Schuld in einen geheimnisvollen Schleier gehüllt bleibt. Wir
wollen wiederum Goethe, obwohl seine Worte sioli auf Shakespeare
beziehen, das Wort geben : „Seine Stücke drehen sich alle um
den geheimen Punkt, den noch kein Philosoph gesehen und
bestimmt hat, in dem das eigentümliche unseres Ich, die prä-
destinierte Freiheit unseres WoUens mit dem notwendigen Gang
des Ganzen zusammenstösst.*' Wenn der , »König Oedipus**
immer wieder für das Muster der antiken Schicksalstragödie
ausgegeben wird, trägt Sophokles wahrlich nicht die Schuld
daran; denn, konnte er auch aus der Sage das überlieferte
Orakel nicht entfernen, so schilderte er doch den Helden in
solcher Weise, dass dessen Jähzorn das schreckliche G-eschick
herbeigeführt zu haben scheint^) Mehr als den Schein aber
bedurfte Sophokles nicht, weil er Dichter und kein Philosoph
war. Allerdings mag es Leute geben, welche, der ästhetischen
Schablone zu Liebe, jene Doppelheit des tragischen Motive an
dem griechischen Trauerspiel wie an unserem „Wallenstein!'
tadeln.
Ich kann es mir nicht versagen, schon jetzt über „Anti-
gene" zu sprechen, weil viele eine gewisse Schuld, zum
mindesten eine „tragische** nach Art der Desdemonas heraus-
zufinden bemüht sind, sei es, dass man ihr den Ungehorsam
gegen das Willkürgebot eines leidenschaftlichen Despoten, ob«
gleich es Sophokles selbst fortwährend verurteilt, oder den
Selbstmord, der doch nur den sicheren Hungertod verkürzte*),
zum Vorwurfe macht '). Als ob Antigone etwas anderes gethan
1) Sophokles spricht selbst OC. 371 diese Verflechtung mit den Worten
ans: ix ^ttt>v xoo xa$ ^iXitpia^ cppevoc.
2) Dass Sophokles selbst ihn als eine göttliche Strafe Kreons anffasste,
zeigen Y. 1103 f. Antigone ruft 925 fl. die Götter zn Richtern zwischen ihr
nnd Kreon auf, nnd was geschieht sofort? Wodurch hat Eurjdike ihr Ge-
schick veischnldet?
3) Böckh Sophokles' Antigone S. *134ff.; Konr. Schwenck über des
Soph. Ant, Pr. v. Frankfurt a. M. 1842; Hermann Köchly über Soph/
Ant, Dresden n. Lpg. 1844; Konr. Dnden de Sophoclis Ant., Marburg 1855.
Fär die Schuldlosigkeit sprechen Ohlenschläger Lebenserinnerungen II
118, A. W. Schlegel Beitr. zur Gesch. der Litt. n. Kunst I 117. 122,
Günther Grundzüge der tragischen Kunst S. 130ff., Schnei dewin u. A.;
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AnÄnge der Tragödie. 205
als eine jederzeit in Hellas gepredigte Pflicht, von welcher sich
nur hie und da der erhitzteste Parteihass ledig glaubte, erfüllt
hätte; sie stirbt freiwillig dafür, dennoch konnte der Grieche
in einem solchen Tode kein Unglück erblicken. Hätte Anti-
gone Kreons unnatürlichem Befehle gefolgt, dann hätte sie in
Frieden Haimon geheiratet und Kinder geboren und wäre
schliesslich ebenso verschollen, wie die meisten Königsfrauen
und auch ihre Schwester Ismene. So aber ward ihr Name
hochberühmt, und stand dem echten Hellenen ein ruhmvoller
Tod nicht höher, als vergessen zu leben ^)? Wenn der Mann
für das Vaterland sterben konnte, that es das Mädchen mit
nicht geringerem Heroismus für die Schwesterpflicht. Mag
Kreon immerhin am Leben bleiben 1 Er geht, in Wahrheit
eine „lebendige Leiche" (V. 1167), einem trostlosen Greisen-
alter entgegen, weil kein Sohn die griechische Kindespflicht
an ihm erfüllen kann und die schreckliche Erinnerung ihn
nie verlassen wird. So hängt der Ausgang der Tragödien
auch damit zusammen, wie jedes Zeitalter über den Tod denkt *).
Der harmonische Abschluss der sophokleischen Stücke
hält die scharfe Sonde eines Philosophen freilich nicht aus.
In dieses poetische Halbdunkel bringt Euripides ein grausames
Licht, indem er die Trostlosigkeit des griechischen Glaubens
unbarmherzig aufdeckend, die Tücke des Verhängnisses und
die Menschlichkeit der Götter mit Bitterkeit schildert. Aus
dieser seiner Geistesrichtung erklären sich zwei EigentümUch-
keiten der euripideischen Tragödienschlüsse, erstens dass er
ungewöhnlich viele Stücke unglücklich enden Hess, was bei
eine Uebersicht gibt J. Girard Revae des deux mondes 1877 1. Jan vier.
S. anch Fr. Tb. Hertel leidet die sopb. Ant. schuldig oder nnscbnldig?
Pr. V. Torgau 1876; A. Eolbe Bemerkungen über die trag. Schuld in Sopb.
Ant., Pr. T. Treptow 1883.
1) y. 96 f. ffstoofiai Y^P ^^ toaoutov oh^lv &<5Xt fi.4] ob %aköi^ ^avelv
(dies erinnert an Ai. 479 ^ xaXü><; Cyjv ^ xaXcü^ tedvrjxivou tiv k6y6vy] xP'^l)»
und besonders V. 817 ff.
2) Sophokles IIy|X«ü? bei Stob. flor. 121, 9 xh jx*^ y^P '^^"^ xpctooov ^
xb C'V)v xaxQx; (ähnlich Aeschylus ib. 16. 17) ; dasselbe Kapitel des Stobaens
enthält viele gleichartige Aussprüche der Alten. Vgl. O. Busch quaestiones
Euripideae I. de morte obeunda quid senserit Eur., Pr. v. Meissen 1868 j
auch W. Furtwängler die Idee des Todes in den Mythen und Kunst-
denkmälern der Griechen, Freiburg 1860.
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206 VI. Kapitel.
dem Publikum der Dionysien Austoss erregte^), zweitens der
vielverspottete deus ex machina (deöc äinb |i'>]xavfjc) *) , der
treue Repräsentant der Götterwillkür, welcher den Knoten zer-
haut, worauf der Chor zufrieden singen kann: twv S' aSoxKJtwv
ÄÖpov e&pe *6Öc. Aristoteles gestattet diese äusserliche Lösung
des Knotens nur, wenn der Stoff wirklich ein übermenschhches
Wesen fordert , damit es nämlich die Zukunft vorhersage ') ;
um diese begründete Regel unbekümmert, bedient sich Euripi-
des des deus ex machina, wie wenn er zum gewöhnUchen
Handwerkszeug der Tragiker gehörte*, so dass ein Komiker
nicht Unrecht hat, wenn er spottet, die Tragiker citierten,
wenn sie in Not seien, einen Gott herbei*); haben doch unter
den erlialtenen Stücke^**) nur vier einen natürlichen Schluss,
welche Zahl bei strengerer Prüfung auf zwei (die Herakliden
und Phoenissen) herabsinkt, denn Medeas Flucht geschieht
ebenfalls auf übernatüriiche Weise und in der „aulischen Iphi-
genie" trat Artemis nach der ursprünglichen Fassung persöuüch
auf. Die Erfindung des deus ex machina fällt indes Euripides
nicht zur Last; schon Aeschylus Hess die angeklagte Danaos-
tochter Hypermestra durch Aphrodite retten und eine Gottheit
verkündigte in den „Aetnäerinen" und „Heliaden" die Zukunft^.
Sophokles führt Herakles zu „Athamas", damit die Schicksale
von Phrixos und Helle geoffenbart werden^), wogegen derselbe
Gott im „Philoktet** eine verwickelte Lage entwirren muss.
1) Aristot. poet. 13 p. 1453 a 25.
2) Jacobs Nachträge zu Snizers Theorie der schönen Künste V 406 ff. ;
7r. Fritzsche quatnor leges scenicae p. 57 ff.; Herrn. Schrader Rhein.
Mus. 22, 544 ff. 23, 103 ff.; Enhlenbeck der deus ex machina in der griech.
Tragödie, Pr. t. Osnabrück 1874; vom Regiestandpunkt: C. A. Böttiger
de deo ex machina in re scenica vet., Weimar 1800.
3) Poet. 15 p. 1454b 3ff.
4) Antiphanes fr. 191, 13 ff. Kock; ebenso Plat. Cratyl. 425 d. Cic. nat.
d. 1, 53 u. Sp.
5) Ausserdem sehen wir Dionysos in der „Antigone'*, Hermes in der
„Antiope" und Athene im „Erechtheus** (vielleicht auch im „Philoktet") ein-
greifen.
6) Fr. 41 bei Athen. 13, 600a; Fr. 5; Plin. nat bist 37, 2, 11 wird
durch das Futur von fr. 67 (Bekker, Anecd. 346, 9) bestätigt ; vielleicht ge*
hört auch „Niobe" hieher (G. Hermann opuscula 3, 56).
7) VieUeicht schloss ein Gott auch „Alkmeon" (Ribbeck röm. Tragödie
S. 496) und „Tereus'< (ders. S. 584). — . Dass Alkmene auf zwei Vasenbildem
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Technik der Tragödie. 207
Jene Meister dachten also über den deus ex machina
anders als Aristoteles, weil zu ihrer Zeit der Götterglaube noch
plastisch und lebendig war: In der Persernot hatten Apollo
und Pan die Griechen geschützt und die Dioskuren waren leib-
haftig erschienen, Asklepios diKchwandelte allnächtlich seine
Heiligtümer in Epidauros und neben dem Theater Athens und,
wenn es einer Uterarischen Erinnerung bedurft hätte, würde
Homer den jugendlichen Gemütern die thätige Hilfe der Götter
eingeprägt haben. Mit dem gleichen Rechte wendete der fromme
Calderon, weil er und sein Volk von ganzem Herzen an Wunder
glaubten, einen deus ex machina an. Wie hätte dagegen ein
Mann des vierten Jahrhunderts, dem nicht einmal die Welt-
ordnung, sondern der bhnde Zufall alle menschUchen Dinge
zu leiten schien*), in jenen Göttern etwas anderes als ein be-
quemes Werkzeug des Dramatikers sehen sollen?
Wer von den Dramen des Euripides eine Untergrabung des
Volksglaubens fürchtete, war im Rechte und doch hatte jener
geradeso wie die gläubigen Dichter Aeschylus und Sophokles
die Absicht, sein Volk zu veredeln — ohne dass einer von ihnen
irgendwelches Stück auf eine kurze Sentenz reduziert wissen
wollte, was man den Grundgedanken zu nennen gewohnt
ist. Denn „dem dramatischen Dichter ist es gleichviel, ob sich
aus seiner Fabel eine allgemeine Wahrheit folgern lässt oder
nicht" ^). Die Schlussworte bedeuten nicht die moralische Absicht
des Stückes; höchstens Euripides kann sich die ßelehrungs-
freude auch an dieser Stelle nicht völlig versagen *)
Wir haben bisher von den Elementen der Tragödie, welche
das Altertum mit der Neuzeit gemeinsam hat, gesprochen; es
fehlt aber noch der Grundstein des griechischen Dramas, der
unmittelbar und mittelbar seine Eigenart bestimmte — der
Chor*).
von Zens vor der Todesstrafe gerettet wird (Engelmann Annali dell* Inst.
1872 p. 5 fr.) dürfte ebenüEills einer Tragödie entstammen.
1) Chairemon fif. 2 p. 607 Nanck (vgl. fr. 19) Tox^j xä «viritwv Kp6i^\i,at\
oh% e6ßooXCa; ebenso denken die Dichter der neueren Komödie (Ötob. ecl. I
c. 6 u. 7. p. 83 ft. Wachsmath).
2) Lessing hambnrg. Dramaturgie 33. Stück S. 194 H.
3) Z. B. Androm. 1279 ff.
4) L. Heeren de chori Graeoomm tragici natura et indole, Gtöttingen
1784; Schiller Einleitung zur „Braut von Messina^'; W. v. Humboldt
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208 VL Kapitel.
Der Chor war in Griechenland nicht der Einfall eines ex-
perimentierenden Dichters, noch weniger ein raffinierter Archa-
ismus, sondern, bevor es überhaupt ein Drama in unserem
Sinne gab, war er längst vorhanden und das griechische Volks-
bewusstsein verband Götterfeste und Chorlieder so unauflöslich,
dass die klassische Zeit in dem Chor die Hauptsache zu er-
blicken fortfuhr; der Chor wird vom Staate dem Dichter zu-
gewiesen, der Chor verhilft ihm zum Siege, der Chor gibt der
Mehrzahl der Tragödien den Namen.
Nach dem, was wir S. 179 über die Entwicklung des
Dialoges gesagt haben, begröift man, dass die Bedeutung des
Chors in gleichem Masse sank als das dramatische Gespräch
an Wichtigkeit und Umfang zunahm» Aeschylus war nach
dem berühmten Worte des Aristoteles derjenige, welcher dem
Dialog den ersten Platz einräumte; nichtsdestoweniger mutete
er den Hörern wiederholt viel - mehr als sechs oder sieben
Strophen zu : Die „Schutzflehenden*', das älteste der erhaltenen
Stücke, beginnen mit vierzig Anapästen und vollen sechzehn
Strophen! Diese Zahl überschritt Aeschylus denn doch nicht;
aber auch die j,Perser'' heben, die noch gedehntere Ana-
pästenreihe ungerechnet, mit einem zehnstrophigen Liede an;
in den „Sieben'* nehmen gleichviel Strophen (V. 720 flf.) die
Mitte ein ; der Chor des „Agamemnon** trägt anfangs dreizehn
Strophen und später acht vor (V. 681 ff.)* Letztere Zahl wird
in den „Choephoren" (V. 585 ff.) und „Eumeniden** (V. 321 ff.)
Briefe an Schüler S. 465 ff.; O. Mai 1er Aesch. Eumeniden S. 71 ff.; G.Her-
mann opnscula 2, 129 ff.; J. L. Knneberg observationes quaedam circa
chomm tragicum, Diss. y. Helsingfofs 1833; Chr. Alb. Elander de choro
Sophocleo, Preisschrifb v. Kiel 1840; Schreiter Abh. über den trag. Chor
bei Sbph., Pr. v. Rendsborg, Altona 1840; A. WeUauer Jahns Archiv 10
(1843), S. 443 ff.; P. J. Uylenbroek de choro tragico Graecorum, Leiden
1846; Am. Ekker de choro Aeschyleo, Diss. v. Utrecht 1849; C. Friede-
richs chorns Enripidens comparatns cum Sophodeo, Erlangen 1853; Sommer-
brodt scenica coUecta p. 5 ff.; Otto Gallns über die Bedentang des Chores
in der griech. Tragödie, Pr. y. Landskron 1875; Thom. Jnngwirth über
den Chor der griech. speziell der sophokl. Tragödie, Pr. v. Melk 1875 ; Cnno
Fe cht qnaestiones choricae Enripideae, Freibarg 1878; Frz. St ölte de chori
qualis in perfecta Graecor. tragoedia apparet ratione et indole, Pr. v. Rietberg
1882; A. Zernecke de choro Sophocleo et Aeschyleo, Breslaa 1885 and
andere im folgenden verzeichnete Schriften.
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Technik der Tragödie. 209
nicht Überstiegen *). Dagegen nehmen die Chorlieder des „Pro-
metheus" wenig Raum ein, weil der Held dort immer auf der
Bühne anwesend ist und der Chor keine Pausen auszufüllen
hat, vor allem aber, weil der Trimeter ohnehin durch die Solo-
arien wesentliche Einschränkung erleidet*). Bei Aeschylus'
Nachfolgern sind die Chorpartien an Umfang sehr bedeutend
herabgemindert
Sowie die ChorUeder hinter den Dialog zurücktraten, musste
die Zahl des Chores erheblich vermindert werden, damit
sie den Schauspieler nicht zu stark in den Schatten stellte.
Die Zahl fünfzig gaben die Athener nicht erst wegen der
Frauen, die sich über Aeschylus' fünfzig scheussliche Erinyen
so arg entsetzt haben sollen, auf, wie ein phantasievoller
Grammatiker meinte^), welcher der Ansicht war, dass in den
aeschyleischen „Nereiden" und „Schutzflehenden" die fünfzig
Meeresgöttinen und Danaiden vollzählig aufgetreten seien,
während doch der Dichter deren Zahl absichtlich verschweigt
und andererseits Dienerinen erwähnt*). Thatsächlich belief
sich die nachweisbare Zahl von Choristen auf höchstens sech-
zehn, ohne ganz genau festgesetzt zu sein *). Zwölf Choreuten *)
1) Diese vier 6pfxaO'oi scheiDen bei ihm das gewöhnliche gewesen zu
sein (Aristoph. Ran. 914 f.).
2) Ersteres sagt Wecklein S. 22 seiner Aasgabe richtig, während
Bergk Rhein. Mns. 20, 289 verrnntet, die Ghorgesänge seien hierund in der
sophokleischen „Elektra** far eine spätere Anfführnng abgekürzt worden.
Nach den Prozentverhällniasen von Chor und Dialog (vgL R. Engelmann
Philol. 27, 736) darf man nicht die Stücke chronologisch ordnen; die drei
Stücke der Orestie weichen erheblich von einander ab. Dazu kommen die
Lücken nnd besonders die unsichere Zählung lyrischer Verse in Betracht.
3) Pollnx 4, 110; schon von G. Herm ann opusc. 2, 130. 140 bekämpft
S. auch Schol. Enm. 575.
4) V. 954. 977 flf. 1023 (bno^i^aa^'s 8'iita8ol \Lk\o^), Reinh. Schnitze
Jährbb. f. Phil. 75, 264 f. n. Herm. Freericksde Aeschyli Supplicnm choro,
Diss. V. Leipzig, Duderstadt 1883 nehmen zwölf Choristen an. Vgl. auch
Em. A 1 berti de Aeschyli choro Supplicum, Diss. v. Berlin, Frankfhrt a. 0. 1841.
5) Diomedes p. 491 in choris numerus personarum definitus non est
(ebenso Blomfield Aeschyl. Pers. p. XXI). Vgl. G. Hermann opusculd
2, 129 ff. O. Müller Eumeniden, Anhang S. 75fif. Bdckh trag, prindp.
p. 57 ff. 75 ff. u. s. w.
6) Suidas u. SocpoxXY)^ und Vita Soph. Z. 25 f., welche vermittelnd
Sittl, Geflchichte der griechischen Literatur HL j[4
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210 VI. Kapitel.
erschlosß man aus dem „gelösten Prometheus", weil es so
viele Titanen gab, und es waren allem Anscheine nach wirklich
zwölf, welche im „Agamemnon" beim Morde des Königs
nach einander ihre Meinung aussprachen ^). Vierzehn , sieben
Fürstinen und ebenso viele Dienerinen bildeten wahrscheinlich
in den „Schutzflehenden" des Euripides den Chor*). Wie ver-
hielten sich aber die Dichter zu der herkömmUchen Dreizahl
der Eumeniden ') , Moiren und Phorkiden und zu den sieben
HeHaden ? Musste die Zahl des Chores nicht dann zumal,
wenn der Dichter von seinem Choregen zwei verschiedene
Chöre oder, richtiger gesagt, zu dem Hauptchore einen Neben-
.chor verlangte, Schwankungen unterliegen? Dieser Fall trat
in den „Phönikerinen" des Phrynichos, den „Eumeniden" des
Aeschylus und mehreren euripideischen Tragödien ein*). Mit-
hin dürfte sich die Zahl des Chores nach dem Erfordernis des
jeweiligen Stückes gerichtet haben.
Wie ist nun das innere Verhältnis, in welchem der
Chor zur Handlung steht, beschaffen? Man hat ihn sehr mit
Unrecht den idealisierten Zuschauer genannt. Allerdings legt
sagen, so gross sei die Zahl vor Sophokles gewesen, was schon Böckhtrng.
princip. p. 60 anzweifelte.
1) V. 1344 ff. Es werden zwölf Vorschläge in je zwei Versen gemacht,
aher auch die Zahl fanizehn ist nicht unmöglich, weil drei einzelne Verse
vorhergehen, und fär diese scheinen sich die meisten Alten entschieden zu
haben (PoUux 4, 108. Suidas u. Vit. Soph. a. O. Schol. Aeschyl. Agam. 1347.
Eum. 575. Schol Aristoph. Av. 297 und besonders Eq. 593 [586]). Vgl. R.
Arnold t der Chor im Agamemnon des Aeschylus, Halle 1881. Fnn&ehn
nimmt Bücheier Rhein. Mus. 32, 312 ff. für Sept. 78fif. an. Die Ziffer
sechzehn ergab sich den Brüdern Tzetzes (in Lycophr. p. 254 M., Anecd.
Oxon. in 338, 1 u. de comoed. (Vm) 34) durch irrige Zurechnung
eines gesonderten Chorführers. Von drei ototxot spricht Photios u. tpitoc
ctpiQxtpob.
2) V. 963; daraus Vita Aeschyli Z. 107. Schol. Dion. Thrac. bei Bekk.
An. n 746 u. ViUoison Anecd. n 178 (I A in I A entstellt, als Variante bei
Isaak Tzetz. proleg. in Lyc. p. 254). Auf dem Wandgemälde in Wieselers
Denkm. d. B. XTTT, 2 zählt man sieben Chorenten.
3) Eum. 675 steht icoXXal fiiv cojxev; vgl. R. Ellis on the number
of the Enmenides of Aeschylus, London 1873.
4) Alexandros und Antiope (Schol. Hippol. 58), Hippolytos und Phaethon
(Blass p. 11. 13. 14).
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Technik der Tragödie. 211
der Dichter dem Chor viele etlifsche Betrachtungen in den
Mund, aber dies war ja überhaupt für jedwedes Chorlied, auch
das nicht dramatische, charakteristisch und, wenngleich in
mehreren euripideischen Stücken der Tragiker seine subjektive
Ansicht im Chorliede kundgibt *) , haben doch Aeschylus und
Sophokles, weil sie nicht gleich dem lyrischen Dichter selbst
au der Spitze des Chores standen, die Individuaütät des Chores
geachtet *). Er personificiert die vox populi , aber nicht die
vox dei. In der , »Antigene'* z. B. unterwerfen sich die Aeltesten
der Thebaner demütig den königUchen Befehlen und wagen
ihren Widerspruch nicht anders als in höflichen Bedenken
und diplomatischen Umschreibungen auszudrücken, bevor nicht
Kreons moralischer Zusammenbruch ihnen Mut macht; ganz
wie es in Wirklichkeit geschehen wärel Ebenso will es der
Chor der „Andromache" mit dem Schwiegervater seines Königs
nicht verderben *). Im „Philoktet** helfen die Myrmidonen
ihrem Herrn den Helden hintergehen und, als Hyllos seiner
Mutter die ungerechtesten Vorwürfe macht, halten die „Trachi-
nierinen*' ihr besseres Wissen vorsichtig zurück. Nicht einmal
die SchiflFsleute von Salamis stehen entschieden für Teukros
ein, sondern scheuen die obersten Feldherrn *).
Dennoch wird gerade dieser Chor für ein Muster hinge-
gestellt, weil den Salaminiern als freigeborenen Männern, Lands-
leuten und Unterthanen des Helden Freimut, Teilnahme und
Ehrfurcht, die drei Charakterzüge des echten Tragödienchores,
zukommen *) ; denn der Chor darf, obgleich er alle Handlungen
mit regem Interesse begleitet, dennoch nicht anders als passiv
oder durch Ratschlag und Meinuugsabgabe sich daran beteiligen.
Selbst wo ein thätiges Eingreifen bevorzustehen scheint, wie
am Ende des „Agamemnon*' und im „Üedipus auf Kolonos"
bleibt es bei blossen Drohungen. Zu einer solchen passiven
1) PoUqx 4, 111 (danach scheineu die Erklärer auch in maochen Stücken
dee Sophokles ähnliche Anspielnngen aufgespürt zn haben).
2) Vgl. Aristot. poet. 18 p. 145l>a 25 ff. Günther Grundzüge S. 92 ff.
3) Darum spricht er z. B. V. 642 ff", und besonders 727 f.
4) Schollen zu Ai 1091. 1264.
5) SchoUen z. V. 134.
14*
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212 VI. Kapitel.
Teilnahme^) passen natürlich Greise, Frauen oder Männer
niederen Standes*) am besten.
Dieses Verhältnis gab sich schon durch den Standort
des Chores kund, weil dieser in der Mehrzahl der Stücke nicht
auf der Bühne neben den Schauspielern , sondern abgesondert
von ihnen in der Orchestra seinen Platz hatte '). Indes durch-
brachen besondere Fälle diese Regel*), z. B. war der Chor der
beiden „Schutzflehenden** im Verein mit Schauspielern, Hilfe
suchend, um einen Altar gruppirt; die Erinyen umlagerten das
Heiligtum Apollos und die Okeaniden versanken mit Prometheus
in die Tiefe; im „Philoktet** mussten die Begleiter des Neopto-
lemos in seinem Gefolge auf der Bühne auftreten^) Manch-
mal kam der Chor aus dem Palaste, z. B. in den „Choephoren'*
und ,, Helena**. Doch dürfen wir uns den Chor, auch wenn er
in der Orchestra weilte, nicht durch einen weiten Zwischen-
raum von den Schauspielern getrennt denken, sobald er etwas
zu sprechen hatte ^. Daher konnte er unter Umständen einer
Person in den Wejg treten, was im „Oedipus auf Kolonos** und
, Helena** geschieht, den schlafenden „Orestes** in der Nähe
betrachten und zum Schlüsse sich mit den Schauspielern zum
Abzüge vereinigen.
Nach der Beschaffenheit des Standorte war die Aufstel-
lung und Gruppierung des Chores geregelt. Wie die kreis-
1) Aristot. Problem. 19, 48 ^ott Y^p ^ X^?^^ x*rj§eot4|<; SicpaxTog -covotav^
Y^p jjLovov 7zapiy(txai olg icaptottv. Vgl. Horat. a. p. 196 flf.
2) Bei Aeschylus z. B. AtxxüooXxot und SaXa^ioitotoi, bei Sophokles
noipievfc (aus der troischen Sage), TtCofOfiot (aus der Medeasage) und Tüji-
icavLoxai (Phineussage s. fr. 565. 571). In den erhaltenen Stücken des Enri-
pides kommen vierzehn weibliche Chöre vor.
8) Pollux 4, 123.
4) A. Müller S. ]08f. 124fif.; Höpken de theatro Attico saeculi a,
Chr. quinti, Diss. von Bonn 1884 versetzt die Schauspieler gleichfalls in die
Orchestra^ s. aber Nie jähr de Pollucis loco qui ad rem scaenicam spectat,
Pr. v. Greifswald 1885 n. Alb. Müller Philol. Anzeiger 15, 525fi.; umge-
kehrt Höpken Tirocinium philologum, Berlin 1883 p. 14 f.
5) Nach Wecklein Philol. 31, 459 weist sie später Neoptolemos mit
einer Geberde (V. 148 «pi? ftfi.*^v iel yjlpo^ zpoyjup&v) in die Orchestra; vgl.
auch Ion 510 f.
6) Vgl. Soph. Ai. 1182. Eur. Med. 1293.
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Technik der Tragödie. 213
förmige Gestalt des lyrischen Chores (ö. 56) durch die runde
Form der Orchestra bedingt war, so machte die Abechneidung
«Ines Segmentes durch Errichtung einer Bühne diese Form un-
möglich, weshalb der Chor nach Massgabe der geraden Bühne
eine viereckige Aufstellung einnahm ^) ; die Dichter waren indes
dadurch nicht abgehalten, den Chor, wie wir eben sahen, in
loserer Gruppierung auf die Bühne zu bringen.
Mit diesem Punkte hängt sodann die Einheit des tragi-
schen Chores zusammen, eine Frage, die ihrer eminenten
Wichtigkeit gemäss mit regem Eifer erörtert wurde und wird.
Niemand kann verkennen, dass der Chor hie und da nicht
geschlossen, sondern in gelösten Gruppen^ das Theater betrat,
so wenn die Thebanerinnen bei Aeschylus entsetzt hereineilen,
oder der Chor der Koloneer nach dem unheimlichen Fremd-
ling späht, die Dienerinnen im „Ion** plaudernd die Sehens-
würdigkeiten betrachten oder zu Anfang des euripideischen
„Phaethon** den Vorplatz räuchern *); in allen diesen Fällen war
der Gesang natürlich ebenfalls nicht gemeinsam*) Der Streit
dreht sich aber vor allem um das, was der Chor nach seinem
Eintritt spricht oder singt.
Von den Trimeterü nehmen fast alle Neueren^) überein-
stimmend an, der Chorführer*) habe sie allein im Namen seiner
Gefährten gesprochen. Die Alten, welche doch die Stücke
selbst spielen sahen, waren nicht dieser Ansicht ^) und wir
1) Etym. M. p. 764, 5. Schol. Dion. Thrac. bei ViUois. Auecd. II 178
n. Bekker Anecd. 746, 27. Is. Tzetz. proleg. in Lycophr. p. 254 M. Joh^
Tzetz. Auecd. Oxod. HI p. 337, 15 f.
2) Sitop(i3f|v Vita Aeschyli Z. 49 (wonach einige dies von den „Eame-
uiden'* annahmen). Nach der Ueberlieferung erwacht zuerst eine von den
Erinyen (Schol. Eam. 140).
3) V. 54f. p. 5 ed. Blass.
4) Dadurch kann man die Worte des Aristoteles (poet. 12) «ipoSo^ -rj
icp(ux-r} \iiiz SXoo yi^opob rechtfertigen. Wir fügen dazu die ^iriicdtpo^oc des
Aias (Schol. V. 866. 879).
5) Seit Tyrwhitt Aristot. poet. p. 153; ausgenommen Heimsöth
Beiträge zur richtigen Lektüre der griechischen Dramen I. vom Vortrag des
Chores, Bonn 1841.
6) Kopotpaloc Suidas; [isa^xopoc Plin. ep. 2, 14, 7.
7) Z. B. SchoL Eurip. Alcest. 137 (5Xoc Xl^tt 6 xopö« taöta). Med. 521.
759. U. V. Wilamowitz analecta Euripidea p. 91 glaubt jedoch in Hand-
schriften eine gewisse Unterscheidung wahrzunehmen.
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214 VI. Kapitel.
möchten daran erinnern, dass, wenn der Chorführer allein, der
Bühne zugewendet, gesprochen hätte, die Worte in dem weiten
freien Räume notwendig verhallt wären. Schlichte Zuschauer
nehmen erfahrungsmässig an korrektem Zusammensprechen
keinen Anstoss und die unisono gesprochenen Stellen der
„Braut von Messina*' machten nach Zelters Bericht auf Schillers
Zeitgenossen eine erschütternde Wirkung, während man den
Eindruck der entgegengesetzten Art an Wilbrandts Bearbeitung
der sophokleischen Chöre selbst erproben mag. Zum mindestens
rauss man zugeben, dass die aeschyleischen Eumeniden ihre
Sache einstimmig führten ^). Diesem und ähnlichen Fällen ^)
stehen sichere Belege des Einzelsprechens ^) gegenüber; es wird
daher am geratensten sein, weder das eine noch das andere als
einzig üblich hinzustellen.
In anderen Fällen spaltet sich der Chor, wie so mancher
lyrische, in zwei Teile, z. B. am Ende der „Sieben", wo er die
Leichen der feindlichen Brüder getrennt hinausgeleitet ; Euripides
führt in den „Schutzflehendon" (V. 598 ff.) einen Wechsel-
gesang zwischen den Frauen und ihren Dienerinnen , welche
jene bisher mit stummen Geberden oder höchstens auch mit
Jammerrüfen begleitet hatten, vor. Das SoloUed eines Choristen
finden wir in der „Alkestis" (V. 903 ff.)*). Wie steht es da-
gegen um den Schluss der aeschyleischen „Schutzflehenden",
die Anapäste der „Alkestis" V. 93 ff. 105 ff. und ähnliche
Lieder? Singen hier Halbchöre oder Reihen oder Einzelne^)?
Die sicheren Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen ^ sind
1) V. 585.
2) Aeech. Sappl. 209 ff. 465 flf. Soph. OR. 276 ff. Eur. flipp. 7 13 f.
3) Ear. Hippel. 782 f., vgl. Aesch. Sept. 369 fi.; die Anapäste Aesch,
Pers. 150—64 spricht der Chorführer, woranf der Chor mit den Tetrametem
V. 155 — 58 einfällt. Dazu kommt die oben erwähnte Abstimmung.
4) Daher sagt Pollnx 4, 109: bn6x9 jjiiv ivrl xtx&pxoo ÖTtoxpttoö Uoi
ttvÄ TÄv xop8üT(öv glretlv ^v <|) 5 ■§ , napaoxYjVtov xaXeltai xb np&'(\t.a^ wc hv
'AYapL^jxvovt AloxüXoü.
5) ScIIol. Aeschyl. Sept. 97 xabxa hi ttvec tüiv toD ^opou Yovaixd>y itpö^
xäq ixipaz (paoiv.
6) Den Anstoss daza gab die „Brant von Messina". Vgl. im Allge-
meinen G. Hermann in seinen Ausgaben; O. Müller Eumeniden S. 71ff.;
O. Hense Rhein. Mus. 31, 582ft.; W. Christ die Teilung des Chors im
attischen Drama, Abh. der bayer. Akad. Bd. 14, Abt. 2 S. 159 ff., besonder»
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Technik der Tragödie. 215
naturgemäss äusserst gering. Im ganzen überwog jedenfalls
der einstimmige Chorgesang, weshalb der Chor sehr oft im
Singular angeredet wird*); auch die Seltsamkeit, dass die
Choristen sich einstimmig ansprechen oder auffordern , haben
gewiss nicht erst die Neueren aufgebracht^.
Der Gesang war jedoch wahrscheinlich nicht, wie man
anzunehmen pflegt, unisono *) Die musikalischeBegleitung
desselben besorgte statt des modernen Orchesters ein einzelner
Flötenspieler*), welcher den Gesang unterstützte, ohne dem
Publikum sonderlich vernehmbar zu sein; dass er in der
Orchestra seinen Platz einnahm und dem abziehenden Chor
voranschritt % fiel den Griechen so wenig als unsern Vätern das
S. 184 ff. n. Metrik der Giiechen u. Römer S. %29f. 652 ff.; Zacher Verh.
der 33. Phil. Vers, zu Gera S. 64ff. ; zu Aeschylus: Ferd. Bamberg er
opuscula I Iff. (Diss. v. Marburg 1832); Grotefend Ztsch. f. Altertumsw.
1841 Nr. 106—9. 1842 Sp. 686 ff.; Chr. Muff de choro Persarum febulae
Aeschyleae, HaUe 1878 u. der Chor in den Sieben des Aesch., Halle 1882;
B. Arnoldt der Chor im Agamemnon des Aesch. scenisch erläutert, Halle
1881; 8. o. S. 209 A. 4; Nik. Wecklein Technik u. Vortrag der Chor-
gesänge des Aesch., Jahrbb. Suppl. XHI (1882) S. 213 ff.; zu Sophokles:
O. Hense lihein. Mus. 32, 489 ff.; Chr. Muff die chorische Technik des
Soph., Halle 1877, s. auch Jahrbb. f. Phil. 117, Iff. 81 ff. 145 ff. (bestritten
von Hoppe Wissenschaftl. Monatsblätter 1872 S. 141 ff., vgl. Weck lein
Philol. Anzeiger 8, 34 ff.); O. Hense der Chor des Sophokles, Berlin 1877
und Jahrbb. f. Phil. 117, Iff. 81ff. 145ff.; zu Euripides: O. Hense de
lonis fabulae Enripideae partibus choricis, Lpg. 1876; R. Arnoldt die
chorische Technik des Eur., HaUe 1878 (vgl. Wecklein Ztsch. f. Gym-
naslalw.32,470ff.); Cnno Fecht quaestiones choricae Enripideae, Freiburg 1878.
1) Nauck zu Soph. OC. 175; es kommt sogar vor, dass der Chor ab-
strakt als männliche Einheit gefasst wird, mag er gleich aus Frauen bestehen
(W. Dindorf zu Eurip. Hippol. 1105).
2) Schol. Aristoph. Ran. 372.'
3) Ps. Aristot. de mundo 6. ev x^PH* ^opo^aEoo xatciipSavxoc, oov8TCT,X6t
izä^ 6 X°P^^ äv8gd>v xal fovatxÄv iv 8tacp6pot(; ^cuval^.
4) Aesch. Prom. 574 f. Soph. Trach. 217. Euf. El. 879. Iph. Tanr. 146
(vgl. auch Aesch. Ag. 990. Eur. Hei. 184). Inschriften bei A. Müller S. 405, 1.
Schol. Aristoph. Nub. 311. Daher wnrden die Flötenspieler zu den icspl töv
Atovooov texvttat gerechnet (Gell. noct. Att. 20, 4, 2). Ueber die Musik über-
haupt Räumer Historisches Taschenbuch 1841 S. 243 ff., Vincent de la
mnsique dans la trag^ie grecque, Paris 1844; Gevaert histoire et th^rie
de la mnsique de Tantiquite, Bd. n S. 501 ff.
5) Schol. Aristoph. Vesp. 580.
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216 VI. Kapitel.
Orchester unangenehm auf. Die Kithara wurde vielleicht nach
Art lyrischer Chöre (S. 85) beigefügt ^), jedenfalls begleitete eine
kleine Lyra viele Arien *) ; obgleich Aeschylus solche im Äp^toc
vd(io<; komponierte*), hat man kein Recht, das Schema des
terpandrischen Nomos auf ganz anders geartete Chorgesänge
anzuwenden *). Der Chor sang gewöhnlich klagend und ruhig *)
nach der mixolydischen Tonart, weil ihr Pathos für das Trauer-
spiel am besten passte, oder auch in der dorischen, welche von
dem altpeloponnesischen Satyrspiel herstammte, und selbst in
der phrygischen und jonischeu^), je nachdem das Lied be-
schaffen war.
Für die zahlreichen Arten der Chorlieder'') reichen
die überlieferten Bezeichnungen bei weitem nicht aus. Ein in
Anapästen gedichtetes Einzugslied, icdpoSoc im engeren Sinne
geheissen ®), bietet Aeschylus in den „Schutzflehenden'*, „Persern"
und „Agamemnon" in der Weise, dass ein langes Standlied
(oTdot|iov) daran sich schliesst, eine Manier, der Sophokles nur
in dem ältesten überlieferten Stück, dem „Aias", treu blieb ;
1) Sezt. Empir. adv. math. 6, 17 (als alte Sitte bezeichnet)» Maxim.
Tyr. 7, 6. CIG. 2759 xopo^i^apel xpaYtxcj) (aber Le Bas Asie min. 1620 d
gibt xopH> tp.).
2) Aristoph. Ran. 1304, wozu das von Hermippos Vita Earip. Z. 79 fi.,
erzählte passt; vgl. Aristot. probl. 19, 43; E. v. Lentsch Metrik S. 341 ff.
3) Timachidas bei Schol. Aristoph. Ran. 1308 (1315).
4) Westphal Prolegomena zu Aeschylus* Tragödien S. 69 ff. ; J. 0 b e r -
dick Ztech. f. Österreich. Gymn. 27, 346 ff.
5) Aristot. Problem. 19, 48.
6) Plutarch. mus. 16. 20; Aristoxenos bei Plut. mus. 16, vgl. c. 17
tpayixol oixtoi icote licl too Aiupiou tpoicou IpLsXtpBt^d^aav ; Aristoxenos bei
Vita Sophod. § 23; Herakleides bei Athen. 14, 625 b. Das chromatische
Tongeschlecht war der Tragödie firemd (Plüt. mus. 20). Der tpa^ixi^ tpoitoc
war öicatoeiBY}^ (Aristides Quintil. 11 p. 29 f.) und von Arion erfunden (Sui-
das Q. 'Apccuv), d. h. er stimmte mit dem dithyrambischen xpoicoc äberein
(Anstoxenos bei Vita Sophocl. § 23). Die alten Partituren besass man noch
gegen den Anfang unserer Zeitrechnung (Dionys. compos. verb. 11).
7) A. Ed. Chaignet des formes diverses du choeur dans la trag^ie
grecque, Paris 1865.
8) Aristot. poet. 12 TC(iipo5oc icpcurq Xs^i^ SXoo -^opob und zwar, wie aus
den folgenden Worten hervorgeht, in Anapästen ; später als Einzugslied über-
haupt (Schol. Eurip. Phoen. 202, ähnlich Argum. Aesch. Pers. und Tzetz. de
tragoed. 35 ff. aus Eukleides) oder Einzug (Pollux. 4, 108. Schol. Hephaest.
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Technik der Tragödie. 217
ist hingegen schon ein Schauspieler auf der Bühne oder tritt
er gleichzeitig mit dem Chor auf, gestaltet sich die Parodos
oft zu einem ganz oder zur Hälfte anapästischen Zweigesang,
dem auch wohl noch ein anderer Sänger beitritt^). Ira „Ion"
vollends ersetzt die Soloarie die Parodos so gut wie ganz.
Aristoteles unterscheidet des weiteren Stand- und Tanz-
lieder, Stasima und Hyporchemata nach dem Metrum, indem
er jenen Anapäste und Tetrameter abspricht uud gleichzeitig
diesen die letzteren stillschweigend als charakteristisches Mass
zuweist. Leider ist die Sonderung in Wirklichkeit nicht so
einfach zu vollziehen und unsere Kenntnis der antiken Metrik*),
schon weil die musikaUsche Begleitung fehlt, nicht so voll-
kommen, dass wir die erhaltenen Chorlieder hienach klassifi-
zieren könnten. Eher treten dem Inhalte nach die Haupt-
gattungen des melancholisch betrachtenden Liedes, des Trauer-
gesanges (^p^voc) ^) und des religiösen Liedes *), zu dessen
Unterarten der Jubelhymnus gehört, auseinander. Der letzt-
genannte wird mit grosser Wirkung im Dienste der tragischen
Ironie verwendet; so eröffnet der Chor der „Antigone*' seinen
Gesang mit einem Preisliede, weil er durch den glänzenden Sieg
sich aller Sorgen enthoben glaubt; aber was folgt, stimmt ihn
zu schwermütigen Gedanken, bis Kreons Nachgiebigkeit (V. 11 1 5 flf.)
den aufathmenden Greisen ein fröhliches Lied auf Dionysos
p. 138 G.) gefasst. Vgl. Waldästel de tragoed. Graecoram membris ex
verbis Aristotelis recte constituendis, Nenbrandenburg 1837; Th. Kock über
die P. der griech. Tragödie, Pr. v. Posen 1860, Berlin 1854 u. Jahrbb. f. Phil.
75, 660 ff. Leop. Schmidt de parodi tragoediae Graecae notione, Pr. d.
Univ. Bonn 1855 u. Rhein. Mns. 18, 268 ff.; Aacherson de p. et epiparodo
tragoediarntn Graec. , Berlin 1856 u. Jahrbb. Snppl. 4, 419 ff.; Westphal
Prolegomena S. 57ff. ; Myriantheus Marschlieder der griech. Trag., Mün-
chen 1875; Oehmichen de compositione episodiornm tragoediae Grnecae
externa, Erlangen 1881 p. 6 fr.
1) Aeschyl. Prom. Eurip. Iph. Taur. Troad. Rhes. ; Soph. OC. Eurip. Hec.
2) W. Dindorf de metrijs poetamm scenicorum, in der editio V. der
poetae scenid; J. H. Schmidt die Knnstformen der griechischen Poesie I.
Lpg. 1868; W. Christ die rhythmische Continuität der griech. Chorgesänge,
Abhandl. der bayer. Aka^. Bd. 14, 3. Abth. 1878.
3) 0pY|VYjTtxÄ SchoL Aesch. Prom. 128; O-ptjvoc Aesch. Agam. 991.
Eurip. Suppl. 88.
4) E6xttxd PoUux 4, 53.
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218 VI. Kapitel,
in den Mund legt, auf welches die Unglücksbotschaft wie eine
schrille Dissonanz folgt. Gleich geartet ist des „Aias" bewegtes
Tanzlied auf Pan ^). Im besonderen schweben den Dichtern
die herkömmlichen Formen des Päan^ und, insoferne Dionysos
an der Handlung beteiligt ist, des Dithyrambos vor'). Was
das Trauerlied anlangt, so ist auf poetische Bezeichnungen,
welche die Dichter selbst gebrauchen, wie „Jalemos" oder
„Päan an den unterirdischen Gott"*), nicht viel zu geben; hin-
gegen weist der Refrain des ersten Chorgesanges des Agamem-
non auf die volkstümlichen Linoslieder (Bd. I. S. 24) zurück.
Jene verbreiteten Namen „Stasima" und „Hyporchemata**
gehen offenbar von den Bewegungen des Chors aus*), denn
den Ausdruck Tanz vermeiden wir besser, um falsche Vor-
stellungen fern zu halten. Da die Alten, wie noch heute die
Völker des Südens, jegliche rhythmische Körperbewegung als
Tanz bezeichneten, darf kein Zweifel daran bestehen, dass der
Chor die „Standlieder" wirklich, wie die alten Grammatiker
versichern®), an einem und demselben Orte stehend sang und
den sogenannten Tanz auf Geberden beschränkte'), z. B. schlugen
1) V. 701 vöv '(äp cjiol \i.i\ti ^opeücai, wie OR. 1095 xoptotQ^a.^
Kpöc •^jiÄv, Aesch. Eam. 307 fi^e S-rj xal )^opöv &i}/ü)jiev.
2) Soph. ' Trach. 205 ff. Ear. Ale. 220 ff. 569 ff. Das Argument de«
„AgamemnoD" wendet anf das Siegeslied die Bezeichnung naiaviCooot au,
ebenso sagt Aeschylas selbst V. 268 «atdvtoov von dem Hymnus Sept. 287 ff.
3) Z. B. jedenfalls in den Bakchen.
4) Eurip. Suppl. 281, vgl. Aescb. Cho. 424; Eurip. Ale. 424, vgl.
Aesch. Cho. 151.
5) O. Müller Eumeniden S. 94ff. ; G. Hermann opuscula VI 2,
158 ff. , Herrn. Buchholtz die Tanzkunst des Euripides, Lpg. 1871; Fr.
Chr. Kirchhoff die orchestische Eurhythmie der Griechen, Altona 1873,
2 Thle. Die Alten sprachen von lji|j.eX5ta (Aristoxenos fr. 44 M. bei Etym.
M. p. 712, 54 u. 8p., vom Satyrtanz Aeschyl. fr. 17), dies ist aber, wie Plato
leg. 7, 816 b zeigt, weder der besondere Name des tragischen Tanzes noch
einer tragischen Tanzart (wie PoUux 4, 53 u. Tzetzes V. 31 zu glauben
scheinen), sondern dem Kri^stanze entgegengesetzt.
6) A. Müller S. 221 A. 1 ; vgL Plato com. fr. 180 K. bei Athen. 14,
628 e &0T* tX ttc ipxo^^' »&, ^iaji.' ^v, vöv hh dpuioiv o584v, äW &oitep iii6iiX7|x-
xot at^dYjv iota>t6C (upoovtai. Athen. 14, 629 d x6l ^i ataaifj.cutepa xal
icoixiXcutepa xal t4]v op^^rjotv d^Xcootipotv f)^ovTa, Hieher gehören die Cho-
ristentitel BeSto-, dpiatspo-, icpiuto-, tptto-otdirrj^.
7) Reinhard Schnitze de chori Graecomm tragici habitu externo,
Preisschrifb v. Berlin 1857.
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Technik der Tragödie. 219
die Frauen nach der Sitte des wirklichen Lebens bei Trauer-
liedern ihre Brüste; in den „Schutzflehenden" des Euripides
vertreten die Dienerinnen die üblichen Klagefrauen, indem sie
sich schlagen und die Wangen zerkratzen^). Auch die Perser
schlugen die Hände zusammen und warfen sich gleich Euripides'
Phönikerinnen ehrfurchtsvoll zu Boden*). Die ältere Tragödie
bewegte jedoch den Chor bei vielen Gesängen von der Stelle,
insofern er nach anapästischem Rhythmus eine Schwenkung
ausführte, bevor er sich zum Stasimon aufstellte*). Ueber die
wirklichen Fussbewegungen und Reigenfiguren des Chors wissen
wir, obgleich eine Anzahl termini technici überliefert sind*),
nichts bestimmtes zu sagen. Was helfen jene? Nicht mehr
als die Schlussscene der „Wespen", worin Aristophanes die
gekünstelten Tänze des Tragikers Karkinos und seiner Familie
verhöhnt. Wir müssen uns an der eigentlich selbstverständ-
lichen Angabe genügen lassen, dass der allgemeine Charakter
würdevoll und gemessen war**); bildeten doch häufig alte auf
Stöcke gestützte Männer den Chor^. Dass der Chor bei der
Antistrophe sich wendete und die Epodos gegen den Altar des
Dionysos hin sang, ist eine durch häufige Wiederholung ein-
gebürgerte Vermutung eines etymologisierenden Scholiasten '')
Da die Chorlieder durch Musik und Tanz mit den lyrischen
Dichtungen auf das engste verwandt waren, teilten sie mit
diesen auch den Kunstdialekt, die dorische Mundart, was
nach griechisclien Begriffen um so natürlicher war, als Athen
die tragischen Chöre von den dorischen Städten Sikyon und
Phleius entlehnt hatte. Das lauge A, der Kern des tragischen
Dorismus, haftet demgemäss an allen rein lyrischen Teilen des
1) V. 72 ff. 87.
2) Pere. 152. Phoen. 293.
3) Aeschyl. Sappl. 625 ff. Pers. 532 ff. 623 ff. Ag. 355 ff. Eam. 307 ff.
Sept. 832 ff. (vor einem Wechselgesang Cho. 306 ff.). Dagegen sind die Lieder
Snppl. 1014 ff. Cho. 931 ff. 1063 ff. von Trimetem eingeleitet.
4) PoUux 4, 105. Hesych. n. ÄnoSttpECetv.
5) Bapö xal oe|j.v6v Athen. 14, 630 e.
6) Vgl. Aeschyl. Ag. 75. Eurip. Hercf. 108.
7) Schol. Enrip. Hecnb. 647, nnhestimmter Enanthins de comoedia
p. 4, 14 f. Aristoph. Thesm. 985 &XX' sl hn* £XX' äydoipttp' t&p6^q> icoSi kann
es nicht beweisen.
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220 VI. Kapitel.
Dramas^); über die Anapäste könuen wir bei der Unzu-
verlässigkeit und Regellosigkeit der Handschriften keinen be-
stimmten Satz aussprechen *).
Wie hätte sich aus den ursprünglichen Cyklen von Chor-
gesäugen ein Schauspiel der modernen Art entwickeln können?
Die Schöpfer der italienischen Oper glaubten nicht ganz mit
Unrecht durch ihr Singspiel der alten Tragödie näher zu
kommen als den blossen Jambendichtern gelungen war. Ein
gelehrter Musikfreund hat jene mit der Gluck'schen Oper ver-
glichen*); wenngleich diese dem griechischen Drama in ihrer
Art verhältnismässig am nächsten stehen dürfte, ist doch
nicht ausser Acht zu lassen, dass bei den Griechen der klas-
sischen Zeit die Musik nicht mehr als eine Dienerin des Textes
w^ar; sie kannten nicht einmal eine Ouvertüre, eine Erfindung,
welche den unersättlichen Römern*) vorbehalten blieb.
Bei allem dem konnte neben den Chorliedern ein prosaischer
Dialog nicht aufkommen. Das äusserste, was die Dichter wagten,
war, dass sie die regelmässige Versfolge durch Interjektionen
unterbrachen ^) oder manche Trimeter in lebhafter Wechselrede
1) C. W. Schneider de dialecto Sophoclis ceterorumqne tragicorum
Graecoram quaestiones, Jena 1822; Karl Kühlstftdt observationes criticae
de tragicorum Graec. dialecto, Preisschrift v. Dorpat, Reval 1832; Herra.
Schäfer de Dorismi in Graecis tragoediis usu, Pf. v. Cottbns 1866; Karl
Herrn. Althans de tragicorum Graecorum dialecto I. de Dorismo, Berlin
1866, curae secundae, Pr. v. Spandow 1870; Beruh. Gerth quaestt. de
Graecae tragoediae dialecto, Lpg. 1868 (Curtius' Studien I 2, 191 flf.); Rieh.
Dreasel de Dorismi natura atque usu in tragoediarum Graecaruin diverbiia
et anapaestis, Jena 1868; bei Aeschylus: C. A. J. Hoff mann fonnarum
Doiicarum quinam (it in lyricis tragoediarum partibus apnd A. usum, Celle
1842, Aesch. u. Sophokles: W, Köhler de Dorismi cum metris apnd Aesch.
et Soph. necessitudine, Pr. v. Poseu 1877; Euripides: J. Weidgen qua
ratione Eur. in carminibos melicis Doricam, in anapaestis Atticam dialectum
temperaverit, Jena 1874.
2) Vgl. ausserdem W. Dindorf ad Soph. Ant. ed. Oxou. III p. 22;
Gust. Wol ff Rhein. Mus. 18, 606f. , Rob. Nieberding de anapaestorum
apud Aesch. et Soph. ratione antisystematica, Berlin 1867 p. 59 ff.
3) Fr. Y. Raumer Historisches Taschenbuch 1841 S. 171 f. 243 f.
4) Vgl. Donatus de comoedia p. 12, 11 f., auch Cic. Acad. pr. U 7, 20.
5) Rieh. Müller de Inteijectionum apnd Sophoclem Enripidemqne usu
significatione ratione metrica I. Jena 1885.
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Technik der Tragödie. 221
unter zwei Sprecher verteilten \\ Das ,Versmass des Dialoges
der alten Tragödie war entsprechend dem satyresken Tone der
Grundrhythmus der Tanzlieder, nämlich der trochäische Tetra-
meter gewesen*). Sowie aber das Gespräch aus seiner ab-
hängigen Stellung befreit wurde und das Drama einen feier-
lichen Ton anschlug, wich der Tetrameter dem jambischen Tri-
meter, da dieses Mass nicht für Spottgedichte und Komödien
allein verwendet wurde, sondern seinem rhythmischen Charakter
nach der natürlichen Rede am nächsten kam. Indes ging diese
Umwandlung, welche die Emancipatiou des Dialoges äusserlich
anzeigte, Schritt für Schritt vor sich; in Aeschylus' „Persem'*
beherrscht der Tetrameter noch das Gespräch^), während der
Trimeter den von dem Zusammenhange mit den Chorliedern mehr
gelösten Erzählungen zukommt. In den übrigen Stücken ist der
sechsfüssige Jambus bereits durchgedrungen und zum Tetrameter
wird nur in Fällen, wo jener zu schwach und ruhig klingen
würde, gegriffen: Ein klassisches Beispiel bietet Aeschylus hie-
für in dem bewegten Schluss des „Agamemnon*'. Bei Sophokles
kündigt der Tetrameter das Ende des Stückes an (wie im König^
Oedipus und Philoktet) oder begleitet, dem Namen tpoxaioc
entsprechend, das hastige Auftreten eines Schauspielers *). Euri-
pides bindet sich an diese Regel durchaus nicht ^) , sondern
verwertet jenes Versmass, besonders in späteren Stücken,
zur pathologischen Erregung. Nur in den Bakchen (604 — 41}
und im Orestes (729—806. 1506—36) sind ganze Scenen in
Tetrametern componiert; sonst eröffnen dieselben einen Auf-
tritt oder beschliessen ihn, je nachdem die Stimmung der
Sprechenden leidenschaftlicher wird oder sich beruhigt^), in
1) 'AvxtXaßai (Hesych. s. v.); Nauck zu Soph. El. 1220; U. v. Wilamo-
witz analecta Euripidea p. 195 ff.
2) Aristot. poet. 24 p. 1460 a. Anf.; vgl. Schütze über den Gebrauch
der Alexandriner bei den griechischen Tragikern, Pr. v. Dessau 1868.
3) Vgl. auch Fr. 57 der „Edoner".
4) Oed-. Col. 886 fi. (890 ^Ja «-äooov ^ xa^' 4i8ov^v noSoc).
5) Am Schlüsse im Ion und den Phönissen; bei raschem Auftreten Or.
729 ff. 1506 ff. 1549ff. (V. 1550 öSoicoov), Phoen. 1307 f. 1335—39; Rhes.
683-91.
6) lo 5)0-65. 1250-60. Iph. Aul. 317—401. 854-916. 1338-140U
Herc. f. 855—74. Iph. Taur. 1203 -33. Phoen. 588—637.
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222 VI. Kapitel.
den „Troerinen*' vollends geht Kassandra in ihrer langen Rede
plötzlich in der Erregung zu Tetrametern über ^).
Der tragische Trimeter*) ist — man kann nicht eigent-
lich sagen — strenger, aber gewichtiger als sein leichtfüssiger
Bruder von der Komödie gebaut. Wiewohl die Dichter, um
den würdigen Ton nicht zu verfehlen, gutwillig mancherlei
Gesetzen sich unterwerfen, prägen sie doch ihre Eigenart dem
Verse auf. Während Aeschylus seine wuchtigen schwergerüsteten
Worte in majestätische Verse einschliesst, leiht Euripides seinen
weniger heroischen und mehr beweglichen Figuren raschere und
beschwingtere Trimeter; der massvolle Sophokles hält, wie ge-
wöhnlich, die goldene Mitte ein'). Sollte es nicht gelingen,
statt dass man nach den Prozentverhältnissen der Auflösungen
die Dramen in ein chronologisches System nötigt, in die Werk-
stätte der Dichter einen tieferen Einblick zu thun, wie sie näm-
lich nach dem jeweiligen Tone der Handlung nicht bloss das
Versmass im allgemeinen, sondern auch die feineren Nuancen
der einzelnen Metren ausgewählt haben? Denn wer könnte z. B.
verkennen, dass der ungewöhnlich bewegte Rhythmus der Tri-
meter dem bakchantischen Grundtone der „Bakchen" meister-
haft angepasst ist?
Sogar das Gesetz der Responsion, dem die Chorlieder
unterliegen, hat den dialogischen Teil gestreift ; bei Gegenüber-
stellung von lyrischen Versen wenigstens pflegen auch die
Jamben an Zahl sich zu entsprechen, wie z. B. der Bote zwischen
1) Troad. 443-61.
2) Grandlegend war Rieh. Porsons Vorrede zur zweiten Ausgabe der
«nripideischen Hekabe (1802), deren Resultate G. Hermann ergänzte; Gnst.
Engelmann de yario uru trimetri in diverbiis tragoediarum Aeschyli et
Sophoclis, Pr. v. Neusohl 1874; A. Ed. Chaignet de iambico versu, Diss.
y. Paris 1862; J. Burg caesura in the iambic trimeters of Aeschylus, Journal
of philology 1886 p. 76ff.; Wecklein Studien zu Aeschylus, Berlin 1872
S. 130; Naumann die Cäsuren im Trim. der soph. Elektra, Pr. v. Beigard
1877; Ed. Philipp der iamb. Trim. u. sein Bau bei Soph., Pr. v. Prag 1879.
3) C. Fr. Müller de pedibus solutis in dialogorum senariis Aeechyli
Bophoclis Enripidis, Berlin 1866; J. Rumpel die Auflösungen im Trim. des
Soph. u. Aesch. Philol. 28, 599ff.; E. Szelinski die Auflösungen im Trim.
des A. u. S., Pr. v. Uohenst. 1868; W. Hamacher de anapaesto in tri-
metris Aeschyli, Pr. v. Trier 1867; C. Fr. Müller de pedibus solutis in
tragicorum minorum trimetris iambicis, Berlin 1879.
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Technik der Tragödie. 223
den kurzen Chorgesäugeu der „Perser'* (V. 260 ff.) fünfmal
zwei Verse spricht ^). Ebenso leicht verständlich ist es, warum
die von dem Chor des „Prometheus** gesproclienen Jamben in
der Zahl korrespondieren^). Dagegen erweckt die Aufstellung
weiterer Responsionen, die berühmten sieben Redepaare in den
„Sieben gegen Theben'*, welche den Anstoss zu dem Probleme
gegeben haben % nicht ausgenommen, kein Vertrauen, weil
man zur Annahme von Lücken und Interpolationen greifen
muss, um dadurch nichts anderes als das Bild versezählender
Pedanten zu gewinnen*). Damit sei durchaus nicht geläugnet,
1) Vgl. Heiland metrische MittheilangeD, Stendal 1855.
2) Welcker Nachtrag zur Tril. S. 69.
3) Ritschi Jahrbb. f. Phil. 77 (1858> S. 761 flf. 79, 96. 81, 824 =
Opuscala I 300 ff. u. gleichzeitig Karl P r i e n Beiträge zar Kritik von
Aeschylus* Sieben gegen Theben , Lübeck 1856 ; bestritten von Enger
Jahrbb. f. Phil. 1857 S. 52 flf. Keck Jahrbb. 81 , 810 flf. W. D i n d o r f
Fhilol. 16, 193 flf. n. Tb. Stisser qnid jndicandum sit de F. Ritschelii
Beotentia in Aeschyli Septem c. Th. singnlos nnntii sermones et regis responsa
aeqaabiliter dimensa esse existimantis, Diss. v. Göttingen. Pr. v. Aurich 1872.
4) Zu Aeschylus: O. Ribbeck qua A. arte in Prometheo diverbia
composnerit, Pr. d. Univ. Bern 1859; Alfr. Ludwig Sitzungsber. der Wiener
Akad. 33 (1860) S. 415 flf.; H. Weil Jahrbb. f. Phil. 79, 721 flf. u. Separat-
ausgabe der Choephoren; £. Martin de responsionibus diverbii apud Aeschy-
lum, Berlin 1862; Wecklein Ausg. des Prometheus; C. Conradt über
Zahlenverhältnisse in dem Bau der aeschyleischen Tragödie „die Sieben g.
Th.", Pr. V. Schlawe 1874 u. Verhandl. der Philol. Vers, in Gera, Lpg. 1879
S. 137 flf.; Ch. Herwig Jahrbb. f. Phil. 119, 449 flf. (Agamemnon); Oehmi-
€hen de compositione episodiorum tragoediae Graecae externa I., Erlangen
1881; Klotz studia Aeschylea, Pr. v. Lpg. 1884; vgl. auch Thurot Revue
arcb^ologique 1862 p. 228 flf. ; zu Sophokles: Alb. Zip p m a n n zur
Theorie der Responsion bei den Tragikern u. bes. bei Soph. Oed. Rez, Pr.
V. Schneidemühl 1871; L. Drewes die symmetrische Composition der soph.
Tragödie König Oed., Helmstedt 1880; J. J. Oeri die grosse Responsion
in den späteren soph. Tragödien, im Kyklops und in den Herakliden. Berlin
1880; zu Euripides: H. Hirzel de Euripidis in componendis diverbiis
arte, Diss. v. Bonn, Lpg. 1862; Usener Rhein. Mus. 1868 S. 166 flf. ; A.
Schmidt Rhein. Mus. 23, 439 flf. u. Festschrift des Gymn. zu Parchim 1877
S. 25 flf.; Jul. Czwalina de Euripidis studio aequabilitatis , Diss. v. Bonn,
Berlin 1867 u. de locis aliquot Euripideis symmetria versuum insignitis, Pr.
V. Mors 1872; Oeri Verh. der Phil. Vers, in Tübingen 1876, Lpg. 1877
S. 156 flf. u. Interpolation u. Responsion in den jambischen Partien des Eur.,
Berlin 1882. Vgl. im allgemeinen über die Fr^e: B. Nake Rhein. Mus.
17, 508 flf. ; Fr. Heimsöth de interpolationibus V. ind. aest. Bonn 1873, u.
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224 VI. Kapitel.
dass die Tragiker wie die Künstler in der Symmetrie eine
wesentliche Bedingung der Schönheit fanden , aber das Gleich-
gewicht darf, wenn anders es einen ästhetischen Eindruck her-
vorbringen soll, nicht peinlich abgemessen sein.
Nicht genug, dass der Schauspieler seine Worte dem Chor
durch Versmass und Responsion anpasst, stimmt er, wo die
Steigerung der Freude oder des Schmerzes den höchsten Grad
erreicht, selbst in den Gesang ein. Die erste Stufe war jeden-
falls der Wechselgesang (i{w)ißaia) von Schauspieler und Chor,
dann traten dem Chor zwei Sänger gegenüber^) und endlich
schwieg der Chor überhaupt ganz, worauf man auch reine
Soloarien (|jLov(j)Siat) wagte ^, auch wenn sie nicht, wie im
„Prometheus** vor dem Auftreten des Chores, gewissermassen
notwendig waren. Die üblichst« Form des Duettes oder Ter-
zettes, von welcher die ganze Gattung den Namen erhielt, ist
der Komm OS, d. h. die Klage ^). Als der Chor mehr zur
Ausfüllung der. Pausen diente, fiel dafür der rührende pathetische
Gesang mehr und mehr den Schauspielern zu. Euripides ging
in seiner Vorliebe für Arien so weit, dass er nicht allein Ammen
und andere Personen niedersten Standes hierin mit den eigent-
lichen Acteuren auf die gleiche Stufe stellte*), sondern auch
den Gesang an leidenschaftslosen Stellen, wo die Oper das
Recitativ verwendet, anbrachte; ich erinnere nur an Ion, der
unter Gesang den Vorplatz des Tempels säubert*).
kritische Studien zu den griechischen Tragikern I. Bonn. 1865; Christ und
Prien Verh. der 32. Phil. Vers, in Wiesbaden 1877 S. 142 ff.; Christ
Metrik der Griechen und Romer S. * 602 ff.; Wecklein PhUol. 31, 743 ff.
1) Aeschyl. Ag. 1114 ff. Prom. 115 ff. Suppl. 836 ff. u. s. w.; mit zwei
Schauspielern Aesch. Prom. 1040ff. Cho. 306ff. (unvollkommen Sept. 861 ff.)
u. s. w.; selbst drei Soph. OC. 1670ff.
2) Movü)Sia unterscheidet schon Aristoph. Ran. 1330 von ix^Xyj (den
Chorliedem, V. 1329).
3) Kojijioc Aristot. poet. 12, xo(j.jiaTtxd PoUux 4, 53; z. B. Aesch. Cho.
423 ff. (423 exoija xo|j.|ji6v). Pers. 908 ff. Soph. El. 86 ff. (vgl. Chr. Kirch-
hoff Ztscb. f. d. Gymn.-W. 1866 S. 337ff.). Eurip. Suppl. 798ff. u. s. w.
4) Z. B. singt die Amme in der „Medea" und im „Phaethon^^ (Blass
p. 14 f.). Lucian (saltat. 27) tadelt dies.
5) Aristoph. Ran. 1331 ff. (vgl. auch 944) parodiert diese wohlfeile An-
wendung des Gesanges.
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Technik der Tragödie. 225
Wahrscheinlich erhob jedoch der Schauspieler nicht immer
seine Stimme zu wirklichem Gesänge; denn die Tragödie kannte,
wie es scheint, bereits das Recitativ (xataXoYij), einerseits
bei Anapästen und Tetrametem^), andererseits bei jenen sym-
metrisch gegliederten Trimetem, welche zwischen lyrische Verse
als ruhigere Gegenrede eingelegt waren, weil diese irapaxata-
XoYif den Griechen des Kontrastes wegen tragisch schien^.
Ausser in Mass und Vortrag näherte der dialogische Teil
in der Sprache dem lyrischen sich an; denn wenngleich der
Dorismus hier nicht durchgeführt wurde, drangen doch mancherlei
dorische Formen ein, darunter so viel verbreitete wie vtv ^). Das
epische Element*) rührt vielleicht ebenfalls aus der Lyrik her,
man könnte aber auch einen schwachen Versuch, den Zeitton
zu treffen, darin sehen, wie bei uns kein der älteren deutschen
Geschichte entnommenes Stück ohne altertümliche Wendungen
und Formen denkbar ist. Tiefer ging die Bestimmung des
ganzen Niveaus der Ausdrucksweise; denn neben dem hohen
Schwünge der lyrischen Lieder durfte der Dialog nicht in der
Umgangssprache geführt werden, weil, wie wir schon öfter
hervorgehoben haben, die Griechen gegen grelle Kontraste
empfindlicher als Shakespeare und seine Landsleute waren.
So bildeten die Tragiker einen eigenartigen Stil aus, der einer-
1) Heeycb. xataXo^Yj, xh xä $o|i,axa {i^j bnb {liXti X^siv; Xenoph. symp.
6, 3 tetpdipLstpa nph^ t6v ahXbv xat^Xe^sv; von Tetrametern sagt auch Cic.
TnBcnl. 1, 16 : haec preasis et flebilibus modis .... concinimtar.
2) Aristot Problem. 19, 6 hiä xi 4) napaxaxaXcr^^ Iv talc 4*Balc
xpttYtxov; *?) Itä t^v &vtt>(iaX[av; (darauf bezieben sieb Plntareb. mns. 28
ttt>v lapißeccov xh xä p,^v Xi^'o^ai napa t^v xpoöoiv, xä, hh ^^Seodai. Lncian.
Salt. 27 lviQX9 xal fctpiqc^cuv tdi lajxßeia); z. B. Sopb. Ai'd4ffff.; die FftUe
bei Aeschylus bespricht H. Weil Jahrbb. f. Phil. 83, 897 ff. Vgl. W. Christ
die Parakataloge im griechischen u. römischen Drama, Abb. der bayer. Akad.
13, 3, 156—222; Wecklein Ztsch. f. Gymnasialwesen 32, 491.
3] Vgl. Karl Barlen de vocalis A pro H in tragicomm Graecomm
versibos trimetris nsa, Diss. v. Bonn 1878; Ic ist vieUeicht auch Dorismus,
s. Meisterhans Grammatik der attischen Inschriften S. 102.
4) Ludw. Chr. Zimmermann de formis lonicis yel epids in dialecto
Graecomm tragica L Pr. y. Darmstadt 1825; Hubert Eich 1er de formamm
quas dicnnt epicarum in tragoediis Aeschyli atque Sophoclis usu, Diss. v.
Göttingen, Frankfurt a. O. 1873; über die Abwerfung des Augmentes: Gust.
Sorof de augmento in trimetris tragicis abjecto, Breslau 1851.
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur, m. 15
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226 VI. Kapitel.
seits an das Epos, das poetische Abbild der Heroenzeit, anderer-
seits an die Lyrik anknüpfte und doqh zugleich aus der ge-
bildeten Verkehrssprache ein belebendes Ferment empfing *).
Vieles schufen die Dichter selbst neu, nicht ohne dem Tadel
strenger Grammatiker zu verfallen ^. Während ausgeführte
Vergleiche für die energische Gedrungenheit der Jamben weniger
passten, entbehrte fast kein Vers eines bildlichen Ausdrucks •);
den überströmenden Reichtum an Metaphern brachten sie aus
der ganzen sie umgebenden Welt zusammen, am liebsten jedoch
von Meer und Schiffahrt, den Quellen des vaterländischen
Reichtums *). Wuchtige Zusammensetzungen (sesquipedalia
verba) waren den Tragikern schon durch das Vorbild der Lyrik
nahe gelegt^), wogegen Verkleinerungsformen des 'hohen Ko-
thurns kaum für würdig galten ^. Um Glätte und Anmut
unbekümmert, wollten sie imponieren und erschüttern. Darum
war der tragische Stil dem herben Oxymoron sehr geneigt').
Obwohl bis jetzt weder eine lexikographische noch eine syste-
matische Darstellung der tragischen Sprache, welche trotz vieler
1) Die tragische Sprache ist in einen] Exkurs von W. G. Ratherford
the new Phrynichos, London 1881 (übersetzt : Zur Geschichte des Attidsmns,
Lpg. 1883, separat aus Jahrbb. Suppl. XIII., s. auch Yerrall Journal of
heUenic studies I 260ff. II. 179 ff.) eigentümlich aufgefasst. — Chr. Lobeck
de sublimitate tragoediae Graecae propria I. Wittenberg 1802.
2) Plutarch. curios. 10 spricht von Solöcismen.
3) Hoppe de comparationum et metaphorarum apud tragicos Graeoos
usu^ Pr. d. G. z. grauen Kl. Berlin 1859; Gust. Radtke de tropis apud
tragicos Graecos, Diss. v. Berlin 1865 (Landbau); G. F. H. Conen de
comparationibus et metaphoris apud Atticos praesertim poetas, Utrecht 1875 ;
J. Rappold die Gleichnisse bei Aisch., Soph. u. Eur., I. Pr. v. Klagenfurt
1876 (über Zahl und Form). 1877. 1878; W. Pecz die Tropen des Aesch.,
Soph. u. Eur., Berlin 1885 (Berliner Studien III); J. Herzer metaphoriscJie
Studien zu griech. Dichtem I. Die auf Unglück u. Verwandtes bezüglichen
Metaphern u. Bilder bei den Trag., Pr. v. Zweibrücken 1884.
4) Radtke de tropis apud tragicos Graecos, II. Pr. v. Krotoschin 1867,
u. 8. bei den einzelnen Tragikern.
5) J. Schmidt de epithetis compositis in tragoediis Graecis usurpatis,
Berlin 1865; Karl Rieck de adjectivorum compositomm usu Euripideo, Pr.
y. Neu-Strelitz 1877; Friedr. Römheld de epitbetorum compositomm apud
Euripidem usu et formatione, Giessen 1877.
6) Jansen Jahns Archiv 1832 I S. 5590.
7) Vgl. SchoL Aeschyl. Eum. 69.
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Technik der Tragödie. 227
individueller Wschiedenheiten der Dichter von allen anderen
Stilarten scharf sich abhebt, erzielt ist % vermöchte der Forscher
aus zahlreichen einzelnen Beobachtungen ein Bild von der
Eigenart zu gewinnen. Was die Späteren der Tragödie mit
ungeschickter Hand entlehnt haben, sticht auf den ersten
Blick aus seiner Umgebung hervor*).
Dies sind die formellen Wirkungen des Chors; aber auch
die Anlage des Dramas selbst wäre ohne ihn ganz anders
gestaltet worden.
Zuvörderst musste das Stück im Freien spielen. Dies
fiel den griechischen Dichtem nicht so schwer als ein Germane
denkt, weü der Südländer überhaupt mehr auf oder an der
Strasse als in dumpfige Zimmer eingeschlossen zu leben gewohnt
ist; verlangte auch die attische Sitte von den Frauen strenge
Zurückgezogenheit, so entschuldigte doch das homerische Epos
das Auftreten der stets von Zofen begleiteten Königinen.
Trotzdem sprach natürUch die Wahrscheinlichkeit dagegen,
dass der ganze Inhalt des Mythus im Freien vor sich ginge.
Wie behalf sich nun der Dichter in diesem Falle? Er Hess
das innerhalb eines Palastes oder Tempels Geschehene in der
Eegel entweder durch eine Person des Stückes oder durch die
stereotype Figur des 'ESd^^eXoc') erzählen; das mit Homers
Epen auferzogene Publikum war ja für Erzählungen dankbar,
vorausgesetzt dass sie einem phantasievollen Manne die un-
mittelbare Anschauung hinreichend ersetzten. Aeschylus ent-
wickelte, mit diesem Auskunftsmittel nicht zufrieden, im „Aga-
memnon** zwei grossartige Ideen, welche die Phantasie des
Zuschauers gewaltiger erregen, als wenn die That vor seinen
1) Grottfr. Ffthse lexicon Graecam in tragicos, Prenzlaa 1830—32,
2 Bde. ist eine alphabetische Sammlung der lexikalischen Scholien; Beat so u
index in tragicoa, Canterbniy 1829fr. 3 Bde.; J. Bernhard index Graeci-
tatis tragicae continens tragicomm minomm fragmenta et adeepota I. Pr. v.
Bautzen, Lpg. 1871.
2) Z. B. bei den Philostraten: CarlNemitz de Philostratoram imagini-
boB, Breslau 1875 p. 481^; überhaupt studierten die Sophisten der Eaiserzeit
(Phüostrat. vit. soph. 1, 21, 6 p. 221, 5 f. 2, 1, 14 p. i.44, 13. 10, 7 p. 257,
2. 4. 27, 6 p. 271, 9) die Tragödie fleissig.
3) In „Oedipus Ednig*^ und „Antigone*' ist er noch nachweisbar; der
lateinische Titel lautete: denuntiator ab scaena Graeca CI Lat. VI 10095.
15»
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228 VI. Kapitel.
Augen geschehen würde ^). Zuerst schildert die Seherin Kas-
Sandra in prophetischer Verzückung, weil der Blick ihres^
Geistes durch die Mauern dringt und die Zukunft offen sieht,
die Vorbereitungen der Mörder und die filutthat selbst, sodann-
hört man den Weheruf des getroffenen Königs hinter d^ Scene.
Jener geniale Gedanke bedurfte eines Aedchylus zur Ausführung,,
das letztere Motiv jedoch konnten die Folgenden nachahmen
und haben es sich auch nicht entgehen lassen^; im Gegenteil
beuteten sie es noch stärker aus: Aias stöhnt laut im Zelte^
(V. 333 ff.) gleich Medea (V. 96 ff.), und sein Bruder meldet
vor Hast die eigene Ankunft durch einen Ruf an (974) , wie
man Elektro schon vor ihrem Auftreten klagen hört (V. 77).
Phaidras Tod wird durch das Hilferufen und Befehlen der
Amme angekündigt (776 ff.) und Merops schreit entsetzt auf^
als er, in das Haus getreten, den Lieichnam Phaethons erblickt *).
Um wie viel mächtiger dieses Kunstmittel die Phantasie erregt
als die Vorführung der That selbst, können wir an dem gleich-
artigen Schlüsse des „Wallenstein" erproben. Euripides wendet
den aus dem Hintergrunde tönenden Ruf in seinem mädchen-
haften „Bakchen'^ an, um den dämonischen Enthusiasmus der
Gesamtstimmung zu verstärken^).
Die eigentümliche Zwiespältigkeit der aeschyleischen Dicht-
ung, hochfliegende Phantasie und Ausnützung äusserer Mittel,
bewährt sich hier wiederum, insofern der Maschinenmeister
dem Dichter die Einheit des Ortes zu umgehen helfen muss.
Aeschylus fordert nämlich einen zweiten Bühnenraum im Hinter-
grund, welcher das Innere darstellt, um hier z. B. die zweite
Scene der „Eumeniden" spielen zu lassen, eine Einrichtung^
welche Sophokles im „Aias'' und Euripides im „rasenden
Herakles" verwerteten. Das Theater Shakespeares war gleich-
artig eingerichtet, nur war der Raum, wo z. B. Desdemonaa
Mord und Heinrichs IV. Tod vor sich ging, mit einem Vorhang
1) Schol. Soph. El. 1404.
2) Sophokles in der „Elektra", Euripides in „Medea" und „Orestes**;
frg. adesp. trag. 64 (offenbar von Agamemnon gem&n) bei Athen. 3, 107 e*
3) Blass' Ausgabe p. 14.
4) Bacch. y. 576 £f. ; vielleicht bildete dies ebenfalls Aeschylos im „Lyknr-^
gos" (fr. 125 D.) vor.
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Anfänge der Tragödie. 229
verhüllt, der im Notfalle auseinander gezogen wurde^ während
^e Alten eine Maschinerie^ das sogenannte ^xoxXirjpLa oder ela-
^xXif)(ia, anwendeten ^). Die Beschaffenheit dieses Drehwerkes
war nicht einmal den Gelehrten der Kaiserzeit bekannt*), weil
auf der damaligen Bühne in solchen Fällen die Scenenwand
jiuseinandergezogen worden zu sein scheint^.
Die Anwesenheit des Chores bedingte nicht allein die
Oeflfentlichkeit der Handlung, sondern sie bannte dieselbe
zugleich an einem Orte fest; denn Schauspieler mögen leicht
von einer Scene an einen anderen Ort versetzt werden, aber
-der Chor stand einerseits nicht gar weit von Hörern entfernt
in der Orchestra, andererseits wäre der Dichter, wenn er ein
wiederholtes Auftreten der nämlichen Schaar motivieren hätte
müssen, in arge Verlegenheiten geraten. Daher forderten die
Tragiker selten, dass der Chor abtrete und wieder hereinkomme *),
und noch viel seltener verbanden sie damit einen Wechsel des
Standortes. Waren doch die mechanischen Einrichtungen des
^ Athenischen Theaters nicht so vollkommen , dass sie einen
Wechsel der Dekorationen bei offener Scene — der Vorhang
fiel erst am Ende — , Notfalle ausgenommen, gestattet hätten.
Man pflegt gewöhnlich anzunehmen, dass den Hintergrund der
tragischen Bühne ein mächtiger Königspalast mit Nebenge-
bäuden *) ausmachte, und dies gilt in der That, wenn mr statt
<Jes Palastes auch einen Tempel oder, was verschiedene Troer-
fitücke anlangt, ein Fürstenzelt gestatten, für die meisten klas-
sischen Tragödien^). Die Philoktetes- und Andromedadramen,
1) nire BewegnDgen hiessen IxxuxXslv und eloxoxXtlv. G. Hermann
opnscola VI 2, 165 ff.; Volkm. Fritzsche de ecc^rclemate, ind. lect. von
Eoetock 1846/7; Wecklein Jahrbb. f. Phil. 101, 572 u. Philol. 31, 451;
A. Müller Philol. 23, 328 ff. u. Bühnenaltert S. 142 ff.
2) Hesychius 8. v. Pollux 4, 128 f. Schol. Clem. Alex, protr. p. 11 col.
779 d Migne. Vgl. Scbol. Aristoph. Acham. 415 (407); Schol. Aesch. Eam.
64 oxpacpivxa ii-rixavT^aTa. Schol. Aesch. Cho. 970 ÄvoiYtxac 4) ox-rivv] xal
iicl i'^'iiLovX'rijiLaxoz hp&xai xa oiufiaxa scheint beide Manieren zu vereinigen.
3) Servios zn VergiL Georg. 3, 24 (scaena dnctilis).
4) Mstdotaaic nnd liciicapoSoc PoUnz 4, 106; Frdr. Ascherson de
parodo et epiparodo tragoedianim Graecarnm, Preisschrift von Berlin 1856.
Dies geschieht Enrip. Alcest. 741—861. Hei. 385—515 ohne ScenenwechseL
5) Enrip. Alcest. 543, vgl. anch 546 ff.
6) A. Maller S. 114 f. vgl. auch Joh. Dähn de rebus scaenids in En-
Tipidis BacchiB I. Halle 1880.
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230 VI. Kapitel.
sowie der zweite Oedipus und Euripides' Antiope spielten hin-
gegen in ländlicher Oegend und der letztgenannte Dichter stieg
in der „Elektra" zu einem Bauernhöfe herab, während sich
andere Anhänger seiner realistischen Richtung mit einem an-
sehnlichen Hause ^) begnügten. Teils weil die Dekoration der
sophokleisch-euripideischen Bühne mannigfaltiger, teils weil sie,,
wie S. 152 gesagt ist, zum Teil plastisch war, würde ein
ScenenwechseP) dem Regisseur grosse Schwierigkeiten bereitet
haben. Wenn ^daher ein solcher gerade in dem frühesten
unserer sophokleischen Stücke, dem „Aias" vorkommt, müssen
wir für diese Zeit noch eine sehr einfache Bühnendekoration
annehmen ; umsomehr setzt natürlich Aeschylus in den „Eume-
niden" ^ und , ohne dass der Chor die Orchestra verlässt, in
den „Choephoren" *) solche bescheidene, aber dafür ungebun-
denere Verhältnisse voraus. Seine Stücke bedurften ja einer
sehr geringen Scenerie *) ; der später übliche Palast oder Tempel
kommt nur in der späten Atridentrilogie vor, wogegen „Prome-
theus" bloss einen Fels und die „Schutzflehenden** einen Altar
verlangen. Die „Perser** setzen den Grabhügel des Dareios
und einen „alten Bau** (V. 140) voraus, wohin der Chor eben
zur Beratung gehen will, als die ankommende Königin ihn
abhält. In den „Sieben** scheinen die Tempel der Burg durch
Götterbilder angedeutet gewesen zu sein. Eine solche Dekora-
tion war freilich mit geringer Mühe gewechselt^, wenn nicht
1) Olxoc rv8o£o« bei PoUux 4, 124.
2) MttaoxtodCscv r^v ox-rjv^v in übertragener Bedeutung bei Lucian..
apol. 2.
3) Beinh. Schnitze de re scenica in Aescbyli Enmen., Pr. y. Colberg^
1859; HeimsÖth de scena in parte Enmenidnm Aescbyli Atbeniensi non
mntata, ind. schoL bib. Bonn 1870; J. Nilsson de mntationibuB scenae qnae
sunt in fiftbnlis Graecomm, Diss. v. Land 1884; Niejabr quaeetiones Aristopb.
scaenicae p. 6ff.; A. M&ller S. 161.
4) Wftbrend der Cbor Y. 585—651 aingt, wird das Grabmal entfernt
nnd man siebt wieder den Palast der Atriden; wie Y. 660 n. 881 zeigen,
soll sieb der Znscbaner eine längere Zwischenzeit denken.
5) Wilamowitz Hermes 20, 596 ff.
6) In den „Enmeniden" konnte sogar der Tempel bleiben; b6cbstens
war der Yorbang mit Apollos Statne dnrcb einen Atbene darstellenden zu
ersetzen, wenn V. 17 nnd 242 dies wirklich notwendig machen. Den Areopag
sah man nicht ; s. A. Müller 8. 161 A. 2.
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Technik der Tragödie. 231
der Dichter das Publikum dadurch aus der Illusion zu reissen
fürchtete.
Soust wies ihn die übliche Einheit des Ortes auf Boten-
e r z ah 1 u n g e n an ^). Wenn Philostratos berichtet , dass die
typische Figur des Boten von Aeschylus herrührte^, so ist
diese Angabe nicht unwahrscheinUch. Denn da die älteste
Tragödie gleich allen primitiven Bühnen die dramatischen
Einheiten nicht achtete, bedurfte sie nicht notwendig ein der-
artiges Auskunftsmittel. Der Schöpfer des klassischen Trauer-
spiels handhabte seine Erfindung bereits mit grosser Kunst-
fertigkeit; Zeuge dess ist der lebensvolle anschauliche Bericht in
den „Persern" und den „Sieben". Infolge häufiger Anwendung
bildete sich ein festes Schenla heraus; gewöhnUch klärte
ein kurzes einleitendes Gespräch zwischen dem Boten und
einem Schauspieler oder dem Chor über die Hauptsache auf,
damit die Hörer auf der Bühne wie auf den Sitzen, von
Spannung befreit, die Einzelheiten der folgenden Erzählung,
jene mit ruhiger Fassung, diese ohne zum Ende drängende
Spannung, in sich aufnähmen. Die Griechen vermieden ja
die bekannten kurzen Zwischenreden, ohne welche der moderne
Dichter die Geduld seines Publikums zu erschöpfen fürchtet,
sie forderten vielmehr einen unzerstückten Bericht, der ihnen,
von den besten Schauspielern meisterhaft vorgetragen'), ein
volles abgerundetes Bild gewährte. Als Musterstücke galten
ausser der berühmten Erzählung der aeschyleischen Klytai-
mestra die Botenreden am Ende der „Polyxena** des Sophokles
und der „taorischen Iphigenie" *), denen wir aus den erhaltenen
Dramen noch viele andere, z. B. die Erzählungen und Schilder-
ungen in Euripides' „Bakchen", beifügen könnten. Dieser
Tragiker sucht augenscheinlich die typische Figur, dadurch,
dass er über die persönlichen Verhältnisse des Boten einige
1) G. Hermann Enrip. Cydops p. VI ff.; H. Hornung de nnntionim
in tragoediia GraecU x^ersonis et narrationibas Pr. der Ritterakad. Branden-
burg 1869; Bassow qnaestt. selectae de Enripideomm nnnüoram narrationi-
bna, Dies. v. Greifswald 1883.
2) Phüostr. Vit. sophist. 1, 9, 1.
3) Z. B. wird von Nikostratoe berichtet, daes er in Botenrollen am
glücklichsten war (Proverb. Coislin. 124).
4) n»pl 5f|*ooc 15, 7.
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232 VI. Kapitel.
Angaben macht, ein wenig zu individualisieren ^), was für ihn,
weil er in vier Stücken je zwei Boten verwendete *) , in der
That ratsam war.
Auch in diesem Punkte griffen die Theatermaschinen hilf-
reich ein, indem sie einen Ausblick auf das ausserhalb des
engen Bühnenrahmens Oeschehende eröffneten. Die drehbaren
Seitenkoulissen ^ zeigten in der Regel die Umgestaltung des
Schauplatzes perspektivisch an, konnten aber eventuell die das
Auftreten eines Gottes begleitenden Blitze oder etwaige ferne
Feuerzeichen (wie im „Agamemnon") vermittelst Umdrehung
andeuten % Auch andere Maschinen, über deren Beschaffenheit
wir nichts wissen, machten entfernte Ereignisse sichtbar*^).
Mit der Einheit des Ortes haben sich die griechischen
Tragiker in der Regel so taktvoll abgefunden, dass die Künste-
leien des klassischen französischen Trauerspiels vermieden
wurden. Einen ernstlichen Anstoss bereitet nur wieder Euri-
pides seinen Hörern; denn die raffinierte Erfindung, dass Poly-
neikes mit freiem Geleit in die Burg des wortbrüchigen Bruders
eintritt, liefert zwar pathetische Scenen, wird jedoch bei jedem
Denkenden, zumal da er Polyneikes selbst die Lage richtig
beurteilen hört, einigen Anstoss erregen.
Da die Einheit des Ortes mit der Einheit der Zeit*)
in unlösUchem Zusammenhang steht, war diese in der älteren
Tragödie nicht strenger beobachtet als jene; Aeschylus setzt
sich in der Atridentrilogie kühn darüber hinweg, während die
„Schutzflehenden'' an des Zuschauers Gefälligkeit keine höheren
Anforderungen als unzählige andere Dramen stellen ; aber
nirgends nimmt man bei ihm eine zielbewusste Wahl des
Reifepunktes der Lage wahr, wie sie Sophokles, den wahren
Schüler des Schöpfers der Ilias und Odyssee auszeichnet; be-
1) Wilamowitz analecta Enripidea p. 204.
2) In Bakchen, Helena, der tanriachen Iphigenie nnd den Phoeniasen,
nach Bassow a. O. p. 18 f. nnr in den spätesten Stücken.
8) üspeaxtot PoUnx 4, 131 (versurae Vitruv. 5, 6, 3. 7, 8).
4) PoUnx 4, 129. 180. Vitruv. 5, 7, 8.
5) *H)itxuxXiovn.otpof»IovPollnx4, 131f.; vgl.Wecklein Philol.31,451t
6) Theod. Thom. Jnngwirth das sogenannte Eintagegesetas in den
uns erhaltenen Tragödien des Sophokles, Pr. y. Melk 1871.
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Technik der Tragödie. 233
wundernd yergisst man, dass der Dichter im Interesse der
Zuspitzung so manche Unwahrscheinlichkeit zugelassen wie die,
dass Oedipus nach langjähriger Herrschaft jetzt erst um die
Ermordung des Laios sich bekümmert ; Aristoteles entschuldigt
dies, weil es vor dem Anfang des Stückes liege ^). Die unver-
gleichliche Kunst des Sophokles hat Euripides nicht erreicht, ,
geschweige denn die Anderen; während bei Sophokles nicht
viele der prosaischen Erwägung, dass im „Aias" und „Oedipus
auf Kolonos*' ein Gerücht mit Unmöglicher Schnelligkeit sich
verbreitet, Raum geben werden, fällt nun die Absichtlichkeit
störend in die Augen. Solche beanspruchten das Privilegium,
die Handlung solle sich über etwas mehr als einen Tag
erstrecken dürfen *), indem z. B. das Stück vor Sonnenaufgang
begann •) , und versetzten die Herolde wie im Fluge von einer
Stelle an die andere*); wir müssen auch Sophokles glauben,
dass während eines Chorgesanges eine Schlacht an einem ent-
fernten Orte geschlagen oder eine Volksversammlung abgehalten
wird ; man versuche nur beispielsweise an die euripideischen
„Schutzflehenden** den Massstab des bürgerlichen Lebens anzu-
legen. Ja es wurde sogar die Zerstörung Ilions und die Niobe-
fabel in ein Stück gepresst*). Indes fassten die Griechen die
Einheit der Zeit mehr als lückenlose Kontinuität der Handlung
auf; Karkinos wurde ausgepfiflfen, weil er im „Anjphiaraos"
die Rückkehr des Helden aus dem Tempel übersprangt).
Wiewohl die hellenischen Dichter Dank der Einheit der
Zeit einer Klippe, an welcher fast alle Schriftsteller scheitern,
entgingen, ich meine das lästige Erzählen des innerhalb längerer
Zwischenzeit Vorgefallenen, legte sie ihnen zugleich grosse
Beschränkungen auf. Einen Ausweg gewährte allerdings die
1) Poet 24 p. 1460a 30.
2) Arietot. poet. 6 p. 1449 b 12flf.
3} Aeschyl. Agam.?; Soph. Aiaa Antigone; Earip. £1. Hec. (V. 69).
Phaethon ; der Bhesos spielt ganz bei Nacht, ebenso die von Accios übersetzte
„Nachtwache" und, mindestens teilweise, der „Nauplios" (s. besonders Sophocl.
fr. 383 D.); das Ende der „Choephoren'* ist bei Nacht gedacht (V. 881) vgl.
Cramers Anecd. Paris. I. p. 3.
4) Dio Chrysost. 52, 7; dies wird dnrch das von Lessing hamb.
Dramat. 45. St (S. 245 H.) bemerkte entschuldigt.
5) Aristot poet 18 p. 1456 a 16 ff.
6) Aristot poet 17 p. 1455 a 27 ff.
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234 VI. Kapitel.
eigentümliche Einrichtung, dass die Tragiker bei dem öflfent-
lichen Preisspiele der Dionysien mit mehreren Stücken zugleich
kämpften, und zwar wurden seit Aeschylus' Zeit bis in die
Periode des peloponnesischen Krieges von jedem Dichter vier
Dramen (tetpaXoYia) verlangt, welche in Verbindung mit einer
Komödie einen ganzen Festtag ausfüllten; das vierte Stück
pflegte, die von der „Alkestis" beschlossene Tetralogie ausge-
nommen^ ein Satyrspiel zu sein^). Dann scheint man sich
mit drei Tragödien begnügt zu haben *) und im Jahre 340
endlich brachten alle drei Bewerber bloss je zwei Tragödien *).
Erst als die Lenäen den Tragikern eröffiiet wurden, erkannte
der Staat einzelne Tragödien an (S. 149) ; denn dass bei Wieder-
auflführungen die Schauspieler stets ein einziges Drama gaben *),
hatte auf die Dichter selbst keiuen Bezug ^).
Soviel steht jedenfalls fest, dass den Tragikern Gelegenheit
geboten war, eine längere Geschichte der Heroenzeit in jene
drei Stücke, eine Trilogie^), zu zerlegen, gleichwie die alten
Meister der Malerei eine Handlung, z. B. die Schlacht von
Marathon in der Poikile und Theseus' Heldenleben im Thöseion,
gerne in drei Momenten darstellten. Vielleicht war die Drei-
1) Argnm. Aeschyl. Sept. Agam. Fers. Enrip. Med.; noch 415 führte
Euripidee Alexaodros, Palamedes, die Troerinen nnd Sisyphoe anf (Aelian.
var. hist. 2, 8).
2) CIA. II 972 (aus den Jahren 419 und 418); Argnm. Enrip. Phoen.;
femer waren es drei St&cke, die nach seinem Tode aufgeführt wurden (CIA.
n 973 im Jahr 341).
3) CIA. n 973, 20 flf.
4) Z. B. CIA. n 973, 2. 19. 31 u. A.
5) Die Späteren verfallen aber deshalb leicht in den Fehler, von dem
Siege eines einzigen Dramas su sprechen, z. B. Argnm. Soph. Antig. Philoct.
Enrip. HippoL, Diod. 13, 103, 4. Vita Soph. Z. 69. Athen. 1, 3 f. Schol.
Aristoph. Pao. 830 (835). Vita Eurip. Z. 31 ed. Nauck. Suidas u. xb Späjia.
6) Den Ausdruck tpiXo^i« gebrauchten schon Aristarchos und ApoUonioe
(Schol. Aristoph. Ran. 1148 [1155]). Vgl. G. Hermann opuscuia II 306 ff.;
Droysen Ztsch. f. Altertumsw. 1844 Nr. 13—16; S. Karsten de tetralogia
tragica et didascalia Sophoclea, Amsterdam 1846; Westphal Prolegomena
zu Aeschylus* Trag. S. Iff.; Friedr. Heimsöth de tragoediae Graecae tri-
logiis, ind. lect. aest. Bonn 1869; Eng. Rademaoher quaestt. de tragica
trüogia Graeoorum, Königsberg 1867 (Diss. 1866); M. Haupt' in Belgers M.
Haupt, S. 204ff.; Madvig kleine philol. Schriften S. 443ff.; Goodrick
Jonmal of philology 14, 183 ff.; Herb. Richards ib. 7, 279ff.; Haighib.
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Technik der Tragödie. 235
zahl der tragischen Chöre obendrein durch religiöses Herkommen
geheiligt, wenn anders die Mänaden Dionysos gleichfalls in
drei Chören zu huldigen pflegten ^). Bekanntlich besitzen wir
an Aeschylus' Agamemnon, Choephoren und Eumeniden eine
fälschlisch „Orestie" genannte Trilogie*); das dazu gehörige
Satyrspiel „Proteus", dessen Handlung (Menelaos in Aegypten)
ebenfalls mit der Sage zusammenhängt, ist verloren gegangen.
Von der thebanischen Tetralogie „Laios, Oedipus, Sieben gegen
Theben, Sphinx'* und den Prometheusstücken entging je eine
Tragödie allein dem Untergang. Diese und die Atridentrilogie
haben einen versöhnenden Abschluss, wahrend der auf dem
Geschlechte des Laios lastende Fluch ') mit dem Tode der
feindlichen Brüder eine bloss äusserliche Lösung gefunden hat.
Ausserdem ist eine das Erdenwallen des Dionysos umfassende
aeschyleische Trilogie ausdrücklich bezeugt*), wie auch Poly-
phrasmon diesen Sagenkreis zu einem Cyklus benützt hat.
Sonst hat geistreiche Kombination weitere aeschyleische Trilogien
entweder durch einen allgemeinen Grundgedanken zu verknüpfen
oder, durch die Ueberlieferung nicht gestützt, zusammenzustellen
versucht*). Später mag der eine oder der andere Tragiker,
zumal ein Nachkomme des Aeschylus, nach dem Vorbilde des
Pfadfinders eine Trilogie verfasst haben *), auch stellte Euri-
pides gelegentlich Stücke ähnlichen Inhalts zusammen, wie
1886 p. 257 flf.; J. Wetzel qaaestt. de trilogia Aeschylea, Pr. des franz. G.
BerUn 1882.
1) Vgl. E. V. Lentsch Philol. Supplem. 1, 76.
2) Mit 'OpsoTsia bezeichnet Aristoph. Ban. 1124 nur die Choephoren.
3) Das Fortwnchern desselben ist Sept. 741 £f. besonders deutlich her-
vorgehoben.
4) Schol. Aristoph. Thesmoph. 135 (141), während der Dichter selbst
mit AoxoopYsta gewiss „Lyknrgos" allein meinte.
5) Anonymus in Blomfields Agamemnon, Leipzig 1821 S. 240 Anm,;
Fr. 6. Welcker die äschyleische Trilogie Prometheus und die Kabiren-
weihe zu Lemnos, nebst Winken über die Trilogie des Aeschylus überhaupt,
Darmstadt 1824, Nachtrag Frankfl a. M. 1826 und kleine Schriften 4, lOOfL
136fi. 147fr. 180ff. Bhein. Mus. 16, 147 ff.; U. y. Wilamowitz homerische
Untersuchungen S. 194 A.; ablehnend Nitzsch Sagenpoesie S. 644 fil Gust.
Einer de schola Aeschyli et trilogiamm ratione, Breslau 1840 S. 30 ff*.
6) Philokles verfasste eine IlavSiovl^ xvtpakfy^la (Schol. Aristoph. Av.
284 (282) aus Aristoteles, vgl. G. Hermann opuscula 2, 308 f.), Meletos
eine Oldiicodia.
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236 VI. Kapitel.
Alexandros , Palamedes und die Troerinen ^). Indes ist die
Tragödie nach Aristoteles' Schilderung ein in sich abge-
schlossenes Stück.
Es ist sehr begreiflich, wenn die Aesthetik unserer Zeit
gegen die Thatsache, dass die Griechen an einem Tage drei
dem Stoffe nach nicht zusammenhängende Stücke in kurzen
Pausen nacheinander betrachtet haben, ungläubig sich sträubt
und vor allem ihren LiebUng Sophokles von einer höchst un-
poetisch scheinenden Sitte befreien will *). Allein nimmt etwa
bei uns jemand Anstoss, wenn eine Intendanz entweder einem
Stücke, das den Abend nicht „füllt**, einen Einakter voraus-
schickt oder gar drei zusammenhangslose Einakter spielen lässt?
Nun, was jetzt ein Theaterabend, war dem athenischen Volk
ein Vormittag. Diesen Zeitraum hindurch wollte es unterhalten
sein, was doch zweifellos am besten durch den nämlichen
Dichter geschah. Die attische Verwaltung mochte ausserdem
erwägen, dass die fünfzig Choristen des Dithyrambos ziemlich
genau den Chören von vier Stücken entsprachen*). Aber wie
konnten sich die Dichter zu einer solchen Einrichtung herbei-
lassen ? Erinnern wir uns nur, wie wenig die Griechen damals
auf den positiven Inhalt des Stückes sahen 1 Weit höher stand
in ihrem Urteil die — wir würden jetzt sagen — lyrische
Stimmung, welche teils das Drama im allgemeinen teils der
Chorgesang im besonderen in ihrer Seele hervorrief. Dass
1) Vgl. auch G^org Regel inter Euripidis Medeam Philoctetem Diciyn
quae fabulae una tradantnr datae esse qaaenam rationes intercesserint, Diss.
V. Rostock, Gotha 1875; U. v. Wilamowitz analecta Euripidea p. 175 and
Hermes 11, 301 f.; Robert Hermes 15, 485.
2) Ad. Seh öll Beiträge zur Geschichte der griech. Poesie I. zur Kenntnis
der tragischen Poesie der Griechen Bd. I. Die Tetralogien der attischen
Tragiker, Berlin 1839, Uebersetzung des Sophokles, Stuttgart 1856 ff. und
gründlicher Unterricht über die Trilogien des attischen Theaters u. die Kom-
positionsweise des Soph., Lpz. 1859 (popularisiert v. Fr. Th. Vi scher Bei-
lage der Allgem. Ztg. 1861 Nr. 186 — 89); dagegen polemisieren Welcker
griech. Tragödien S. 1546ff., Friedr. Schmal feld Ztsch. f. das Gymnasiale.
14 (1860) S. 273 ff. und Leop. Schmidt Symbola philol. Bonnens. in hon.
Bitschel. I {f. 217 ff. (doch lehnt dieser p. 257 f. eine Trilogie Aias, Teukros
und Eurysakes nicht ab). S. auch Förster Ztsch. f. österr. Gymn. 1869
S. 7 15 ff. und F. Strauch die Trilogienfrage bei Soph. auf Grund der er-
haltenen Tragödien, Pr. y. Wien 1874.
3) O. Müller Aeschylus' Eumeniden S. 88; Härtung Philol. 1, 403.
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Techoik der Tragödie. 237
aber die harmonische Einheit der Empfindung innerhalb einer
Trilogie keine Störung erlitt, dafür zu sorgen verstanden die
Griechen ohne Frage besser als ein Modemer ; nicht unwesent-
lich trug dazu die Sitte bei, dass ein und derselbe Protagonist
in allen vier Stücken spielte ^).
Doch wir haben die Folgen, welche die Anwesenheit eines
Chores für das Drama mit sich brachte, noch lange nicht
erschöpft. Monologe konnten, wie schon bemerkt, nur vor
dem Auftreten des Chores einen Platz finden, falls der Chor
nicht ausnahmsweise von der Bühne entfernt wurde, durch
welches Mittel Sophokles das herrliche Selbstgespräch des zum
Tode entschlossenen Telamoniers ermöglichte^. Bei Seite
zu sprechen aber begegnete in dem antiken Theater, wo
die Schauspieler ihre volle Lungeukraft aufboten, grossen Be-
denken; nichtsdestoweniger stellte der verwegene Euripidea
die Kunst der Mimen dennoch hin und wieder auf die Probe ^).
Für solche Virtuosen berechnete er auch die zahlreichen Ausätze
zu Monologen, welche der Leser leicht an der Selbstanrede
erkennt*). Gleich den Monologen waren vertrauliche
Scenen äusserst eingeschränkt, ausgenommen wenn einer
Fürstin und ihrer treuen Dienerin ein weiblicher Chor zur
Seite stand; die Athener erfuhren es ja oft bei sich selbst,
dass das schwächere Geschlecht sich gegen seine Herrn zu-
sammenthat. In derartigen Boudoirscenen übertrifft der Dichter
des „Hippolytos" seinen idealeren Genossen, dessen „Trachi-
nierinen" in gewissem Sinne hieher gehören, bei weitem.
Hiemit sind die stereotypen Vertrauten der französischen Tra-
gödienhelden bereits vorgebildet, doch haben Männer, von den
treuen Pädagogen abgesehen, eine solche unselbständige Rolle
selten, da Pylades' Gestalt schon aus uralter Sage überkommen
war; es verdient aber Beachtung, dass Euripides im „Philoktet"
einen lemnischen Freund des Helden eigens zu dem Zweck
1) CIA. IL 972, s. Roh de Rhein. Mas. 39, 161.
2) Menelaos' Monolog in der enripideischen „Helena^* wollen wir lieber
nicht in einem Atem damit nennen.
3) Med. 899 mit Schollen; Bacch. 215—251. Dem ist das Leisereden
am Anfange des „Orestes*^ und Ion 1521 ff. an die Seite za stellen.
4) Wie ^[1.4 und ähnliches (parodiert von Aristoph. Acham. 480 ff.),
sogar & Ycpatfc «oöc Tro. 127; auch '^X&aaoL Soph. (?) fr. 696 D.
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238 VI. Kapitel.
-erfand *) , damit Philoktet ihm seine Leiden erzählen konnte.
£ndlich ging das Belauschen einer Unterhaltung, jene
beliebte Triebfeder unserer Intriguenstücke, höchstens bei einer
so günstigen Kombination der Umstände, wie sie der sopho-
kleische „Philoktet" darbietet, an. Alles dies beförderte die
Schlichtheit der klassischen Tragödie und stand zugleich ein-
schneidenden Neuerungen im Wege.
Die Dichter zogen auf der anderen Seite aus der An-
wesenheit des Chores so viel Nutzen, als nur irgendwie möglich
war. Er war ihnen unentbehrlich, damit die wenigen Schau-
spieler während seiner Gesänge Zeit zum Umkleiden fanden;
so kommt es, dass der Chor zwar durch seine beständige An-
wesenheit die Kontinuität der Handlimg erzwingt, aber sie
doch auch durch die Stand- und Tanzlieder in eine Art von
Scenen abteilt*). Was also zwischen zwei Chorgesängen lag,
hiess von dem „Hinzutreten" eines Schauspielers iicetoöStov ').
Die Dramen des Aeschylus haben, höchstens die „Eumeniden"
ausgenommen, vier lyrische Marksteine; rechnet man Prolog
und Schluss als besondere Scenen, so erhält man, wenn der
erstere nicht fehlt, die Pünfzahl, welche bekanntlich durch
Vermittlung des Horaz *) für das klassicierende Drama der
Neuzeit kanonisch geworden ist, obgleich die Griechen keines-
wegs eine Regel daraus machten ; man denke nur an die
sophokleische „Elektra". Ueberhaupt fällt Chorlied und Wechsel
der Schauspieler selten so genau zusammen, wie in den „Choe-
phoren", wo der Chor jede Person entweder mit einem anti-
strophischen Liede oder wenigstens mit Anapästen geleitet. Im
Gegenteil waren die Tragiker eher einen solchen allzu regel-
mässigen Wechsel zu verwischen bemüht, indem sie entweder
das Chorlied durch ein grosses Duett ersetzten, oder die Auf-
tritte selbst mittelst kurzer Gesänge, welche überwallende
1) Dio Chiysost. orat. 52, 8; da auch Senecas „Thyestes" eine solche
Rolle enthält, scheint Earipides Nachahmer geftinden zu haben.
2) Der allgemeine Ausdruck för einen Abschnitt war {i^poc (Vita Aeschyli
Z. 35 cod. Medic. Sux; xpitoo [kipotx: wie Aristoph. Ran. 1120 xb icpwxov )i.^pog).
3) Aristot. poet. 12, vgl. Wecklein Philol. 31, 461. Später wendete
man für den ursprünglichen Begriff zum Unterschiede icapecao$o<: an (Schol.
Sophod. Ai. 66).
4) Ars poet. 189.
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Technik der Tragödie. 2S9
Empfindung dem Chor auf die natürlichste Weise zu entringen
schien, in kleinere Abschnitte zerlegten. Geht schon eine
Sceneueinteilung nicht ohne Zwang ab, so kann man noch
weniger von Akten sprechen. Wiewohl es nämlich häufig vor-
kommt, dass die Bühne von Schauspielern leer wird, herrscht
darin kein bestimmtes Gesetz, vielmehr vermeiden selbst die
trefflichsten Dichter nicht das Entgegengesetzte, ich meine,
dass Personen stille dastehen müssen, während der Chor sein
Lied singt. Wie oben gesagt wurde (S. 181), motivierten
Aeschylus und Sophokles dieses Schweigen bei manchen ihrer
Helden durch deren trotzigen Charakter." Prometheus ent-
schuldigt selbst (V* 436 flf.) seine Zurückhaltung und bei Ad-
metos begreift man, dass der Kummer ihn stumm macht ^).
Aber es mangelt durchaus nicht an Fällen *), wo keine derartige
Begründung, sondern nur die historische Erklärung statthat,
wie z. B. in den „Schutzflehenden'* des Aeschylus das Her-
kommen des älteren Trauerspiels dem Chor und nicht Danaos
die BbuptroUe anwies.
Wenn wir auch die kleineren Dienste, welche der Chor dem
Tragiker leistete, nicht übergehen wollen, so ist vor allem noch
die Sitte zu erwähnen, dass der Chor häufig der grösseren
Deutlichkeit wegen auftretende Personen dem Pubhkimi an-
kündigt *), und zwar geschieht dies öfters in dem anapästischen
Rhythmus, um dadurch das Heranschreiten musikalisch auszu-
drücken; doch ist diese Sitte bei Sophokles nur in der „Anti-
gene** nachweisbar. Da solche Anapäste eigentlich den Schluss
eines lyrischen Liedes zu bilden pflegten, bevor Sophokles sie
selbständig machte *), verwendete Aeschylus ausserdem Trimeter ;
dies zieht Sophokles in der Kegel vor, wobei wir die unver-
gleichliche Kleinkunst des Dichters bewundern müssen, weil
er die Formel höchst mannigfaltig zu wenden und dem
1) Alcest 569 flf. 962 ff.
2) Z. B. Kreon in der Antigone V. 582 fr. 944ff., Penthens Baoch. 370 fr.
In solchen Fällen beginnt der Dialog mehrmfds mit dem formelhaften Worte :
EI«v (Etwa: Genng!).
3) B. Kuhlenbeck über die Ankündigung des Anf- und Abtretens
der Personen in den Dramen des Sophokles, Pr. v. Weinheim 1869.
4) Antig. 1257fr. (mit xal ii.y\v eingeleitet); Eorip. Androm. 1166.1226.
El. 988. SnppL 1114. Phoen. 1480. (Iph. Aul. 1619 f.).
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240 VL Kapitel.
Gespräche glücklich emzupassen versteht^). Allein in nicht
seltenen Fällen geht die Anmeldung der Kommenden von
Schauspielern aus oder sie wird wenigstens zwischen Chor
und Schauspieler verteilt ^. Manchmal begleitet der Ohor auch
den Abgang teilnahmsvoll mit Anapästen^).
Der Chor pflegt femer die langen Reden (^tJosic;) der
handelnden Personen mit zwei Trimetern abzuschhessen *),
weniger deshalb damit er den Hörer zu unbefangenem Urteil
anleite — dazu sind seine Worte bald zu allgemein und trivial^
bald zu einseitig — als dass die Erregung ausklinge. Endlich
pflegt er den Schluss des ganzen Stückes anzukündigen. Bei
Aeschylus hängt allerdings der letzte Gesang mit der Handlung
unmittelbar zusammen und kann deshalb von einem Schau-
spieler vorgetragen werden; in der Folge jedoch, als die
trilogische Gliederung aus der Mode kam, Hess man den Chor
häufig nur eine Sentenz sprechen*) oder, wenn es der Zu-
sammenhang erlaubte, geradezu zum Gehen auflFordem^,
Euripides machte den Schluss oft noch deutlicher, indem er
den Chor bald eine bestimmte Formel singen ''X bald sogar an
die Siegesgöttin einen Appell richten Uess^.
Man kann es den Dichtern nicht verargen, wenn der Chor,
je weiter der Ursprung der Tragödie zeitlich zurücktritt, ihnen
immer lästiger fiel. Man fühlt dies schon in der Art, wie der
Chor eingefÄhrt wird. Aeschylus pflegt sein Auftreten zu
motivieren *) und sogar wiederholt die einzelnen Gesänge
1) Kai |iY]v ist in solchen Jamben nur in der spätesten Tragödie (00.
549 f.) nachzuweisen.
2) Z. B. Aesch. Prom. 561 ff. und Soph. Trach. 968 ff.
3) Z. B. AeschyL Sappl. 966 ff.
4) Oehmichen de compositione episodiornm tragoediae Graecae ex-
terna, Erlangen 1881 p. 20 ff. verzeichnet die Zwischenreden des Ohors bei
Aeschylns und Sophocles.
5) In Anapästen Soph. Ai. Antig. El. Trach. Enr. El. Hippol. ; in Tetra-
metem Soph. OR. Enrip. lo; Fr. Ritter Philol. 17, 422ff: verwirft alle
Schlossworte des Chors. Senecas Tragödien entbehren derselben.
6) Soph. Phil. Eurip. Hec Herad. Herc f. Snppl. ähnlich Tro.; vgl.
Höpoc OCol. xzXtüiHv Soph. EL
7) Alceet. Andrem. Bacch. Hei., ähnlich Med.
8) Iph. Taar., ähnlich Rhes., abgerissen Orest n. Phoen.
9) Im „Philoktet*' motivierte er allerdings nicht, warum der Chor ge-
rade jetzt erst auftritt (Dio Chrysost. 52, 7).
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Technik der Tragödie. 241
eutweder durch den Chor selbst oder durch die AuflForderuug
einer Person zu begründen^). Sophokles hält wenigstens an
der ersten Sitte treulich fest, wobei er Lob verdient, weil der
Chor der „Antigone" den Grund des Erscheinens nicht sofort
mitteilt*); der Chor nimmt ja bei ihm an der Handlung üoch
immer wirkUchen Herzensanteil ®). Dagegen handhabt Euripides
die ihm unbequeme Einrichtung ohne Konsequenz ; wenn z. ß.
der Chor der „Hekabe" eine eigentlich dem Dialog zustehende
Meldung, die für die Handlung Wichtigkeit hat, bringt, werden
wir an die aeschyleische Manier erinnert. Andererseits gibt er
für das Auftreten verschiedener Chöre einen so gesuchten und
so wenig mit der Handlung zusammenhängenden Anlass an,
dass man eine Verlegenheitsauskunft darin erblicken muss;
beispielsweise wollen in der „aulischen Iphigenie*' die Frauen
das Schififslager betrachten, im „Ion" beschauen die Dienerinen
Delphis Sehenswürdigkeiten und Elektra wird von den Nach-
barinen zu einem Feste abgeholt. Alles erkünstelte Entschuldig-
ungen, die sofort, nachdem sie ausgesprochen sind, vergessen
werden! Die Individualität des Chores wird selten beachtet;
er singt gewöhnlich Gedanken des Dichters und ist für das
eigentliche Drama viel weniger eine Hilfe als ein lästiger
Zeuge; oder wäre der Chor der „auhschen Iphigenie" nicht
besser abwesend, wenn die Atriden ihre intimsten Angelegen-
heiten bereden?
Agathon war entschlossener und konsequenter. Statt für
jedes Stück mit der Komposition von besonderen Chorliedern
sich zu plagen, führte er einfach die Sitte ein, die Pausen
durch beliebige Lieder auszufüllen; die Epigonen machten es
ihm nach*).
In der That stellte der Chor an den Dichter nicht bloss
in poetischer Hinsicht drückende Anforderungen. Wie viele
Männer mochte es geben, welche für drei oder vier Dramen
zugleich Dichter, Schauspieler, Komponisten, Regisseure und
Balletmeister in einer Person waren, zumal seitdem jede einzelne
1) Agam. 352ff.; Pere. 623 ff. (619ff.). Sept. 287 ff. (V. 2650:). Snppl.
524 ff. (520ff:).
2) Schollen zu V. 155.
3) Aristot. i>oet. 18 a. E.
4) Aristot. poet. 18 a. £. (e|jiß6Xifi.a).
Sittl, Geschichte der griechischen literatar. JH. iß
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242 VI. Kapitel.
Kunst komplicierter und anspruchsvoller geworden war? Darum
kam eine nach der anderen in die Hände von Spezialisten ^)
Zuerst entwickelte sich ein professionsmässiger Schauspieler-
stand, mit welchem die Dichter selbst nicht konkurrieren
konnten *) , hierauf überliessen sie die Anordnung von Reigen-
figuren anderen *) und damit fiel bald das schwierige' Ein-
studieren eines Stückes überhaupt, während vorher 8t8dc3xaXo<:
die offizielle Bezeichnung der Dichter gewesen war, einem
besonderen Stande von Regisseuren zu*), zuletzt Hessen die
Tragiker wahrscheinlich den Text durch Musiker komponieren,
was in Rom die Regel war; man sagte bereits Euripides nach,
Kephisophon helfe ihm bei seinen Arien*). Liess nicht auch
Praxiteles seine Statuen durch den Maler Nikias kolorieren ?
Trotzdem drang diese Scheidung nicht allgemein durch. Das
Altertum sah eben in dem ausserhalb seines "Fachet hilflosen
Spezialistentum nichts bewundernswertes; musste doch auch
der Schauspieler mehrere Rollen und überdies männliche und
weibliche ohne Unterschied zugleich übernehmen können und
dabei ein geübter Sänger sein ^.
Obendrein unterwarfen sich die Dichter strengen Regeln.
Das griechische Drama entwickelt sich, weil es von seinen
Jüngern umfassende Fertigkeiten verlangt, gewissermassen zunft-
massig, indem der jüngere Dichter bei dem älteren in die
Schule geht und manche Familie die Uebung der Tragödie
von Geschlecht zu Geschlecht vererbt; die Einzelnen selbst
1) Wolft. Hei big qnaestiones scenicae p. Iff.^
2) Agathon trat noch selbst auf (Plat. sympos. 194 b wird durch Suidas
u. fi.opfi.'f^xwv äxpaicoöc u. xoptx6c: bestätigt), anders O. Jahn de loco Piatonis,
ind. lect. aest. Bonn 1866 n. Sommerbrodt scaenica coli. p. 268 ff., ebenso
Ischandros (Harpocr. s. v. Vita Aeschyli Z. 27 W.); dagegen hält den Asty-
damas Zenob. 5, 100 irrtümlich für einen Schauspieler. Vgl. Paul Ni kitin
zur Greschichte der dramatischen Wettkämpfe in Athen, Petersburg 1882
(russisch), s. Bursians Jahresber. 40, 361.
3) Hätte sich sonst Aeschylus bei Aristophanee (Athen. 1, 21 f ) rühmen
können, dass er es selbst that? Vgl. Chamaileon bei Athen 1, 21 e (öpx'H^^^'
8c$dcaxaXoc).
4) TicoSt8dioxaXo<: Plato Ion 536 a (Pollux 4, 106), dann xopodtd^<3xaXoc
Aristoph. Ecdes. 809. Aeschin. 1, 98, vgl. Demosth. 21, 58 f., Xenoph. mem.
3, 4, 4; über ^tSetoxaXoc Heibig a. O. p. 7flf.
5) Aristoph. Ran. 944.
6) In Rom halfen bekanntlich specielle Sänger aus.
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Technik der Tragödie. 243 .
blieben der Bühne ihr Leben hindurch treu und bewahrten
«ich dadurch eine Stetigkeit, die Schiller und Goethe vollständig
fehlt. Weil sie ferner unmittelbar für die Bühne und Zu-
fichauer arbeiteten , passten sie sich von vornherein den
Schranken der äusseren Verhältnisse an, während die neueren
Dichter, bei denen die Bühnenbearbeitung nur zu oft einem
Fremden überlassen bleibt, in der Buchform den Freibrief für
alle Experimente haben und vergessen, dass jede wahre Tra-
gödie den Hörer und nicht den Leser ergreifen soll. Gerade
jener Meister des deutschen Theaters, welcher verhältnismässig
am wenigsten für die AufiFührüng sorgte, hat ein Wort ge-
sprochen, das die Klassiker des hellenischen Dramas unüber-
trefflich kennzeichnet: „In der Beschränkung zeigt sich erst
der Meister". Daher wird sie am aufrichtigsten bewundern,
wer die Schwierigkeiten, mit welchen sie zu kämpfen hatten,
vollständig ermisst; aber derselbe wird auch sagen, dass die
Nachahmung der alten Formen unter den heutigen Bühnen-
verhältnissen ein gelehrtes Kunststück entstehen macht, und
nicht zugeben, dass sie modernisiert werden körnten, ohne
verdorben zu werden. Sint ut sunt!
Wir haben im Vorstehenden einen Einblick in die Verhält-
nisse, mit welchen der antike Tragiker rechnete, zu eröffnen
versucht, möchten aber, weil so oft aus den verhältnismässig
wenigen erhaltenen Stücken Regeln konstruiert werden, daran
erinnern, dass die griechische Tragödie, wie sie uns jetzt vor-
liegt, mit den Resten einer hellenischen Stadt zu vergleichen
ist, von der nur mehr drei zerfallene Tempel in einsamer
Grösse aufragen und durch ihre Trümmer eine Ahnung des
herrlichen Baues geben , während von allem übrigen einige
formlose Steinbrocken und schriftliche Denkmäler spärliche
Kunde gewähren; selbst die dürftigen Ueberbleibsel der
römischen Tragödie können ja zeigen, von wie vielen grie-
chischen Stücken, die man, nachdem seit ihrer ersten Auf-
führung Jahrhunderte vergangen waren, des Uebersetzens wert
erachtete, nicht einmal der Name geblieben ist. Unter solchen
Verhältnissen ist es jedenfalls leichter und geratener, von dem
Trauerspiel im Allgemeinen als von den einzelnen Tragikern
zu sprechen.
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VIL Kapitel.
Aeschylus.
Biographien; Leben des Dichters; Charakter und dichterische Bedeutung f
Werke: Anerkennung bei der Folgezeit.
Eine besondere Biographie des Aeschylus verfasste der Peripatetiker~
Chamaileon (Athen. 9, 375 f. 10, 428 f; in einem Bücherverzeichnis CIA.
II 992 I Z. 4 ist der Titel irspl Ala/üXou ohne Verfassernamen erhalten; er-
halten ist uns ausser dem Artikel des Siiidas eine anonyme Lebensbeschreibung,
welche in den verschiedenen Handschriften bald kürzer bald länger ist, weil
sie von den Scholiasten aus verschiedenen Excerpten zusammengestellt wurde
(abgesehen von den Ausgaben des Textes und der Scholien in Westermunns
BioYp^foi p. 117 ff. und Ritters Didymi Chalcenteri opuscula p. 154 ff., weil
dieser sie Didymos zuschreibt, gedruckt).
F. Chr. Petersen de Aeschyli vita et fabulis, Kopenhagen 1814; Ed.
Bhld. Lange de Aeschylo poeta, Pr. des Friedrichg. Berlin 1832; Rud.
Victor Dahns de Aeschyli vita, Berlin 1860; Frz. Susemi hl de vita Aeschyli
qnaestt. epicriticae, ind. lect. v. Greifswald 1876; Fr. Scholl de locis non-
nuUis ad Aeschyli vitam et ad historiam tragoediae Graecae pertinentibus, in
der „Gratulationsschrilt von Rud. u. Fr. Scholl zum 70. Geburtstag von Ad,
Scholl", Jena 1876 S. 87flf.; derselbe hat in Ritschis Ausgabe der „Sieben'''
die testimonia zusammengestellt (p. "36 ff.) — . Rud. West phal Prolegomena
zu Aeschylus* Tragödien, Lpz. 1869 erörtert allgemeinere Fragen, welche dem
vorigen Kapitel zugehören.
Das alte Athen der solonischen Zeit, das würdevoll im langen
faltenreichen Leinenchiton mit wallendem Haar einherscbritt
und gottesfürchtig an der Zucht seiner Väter hing, wird im
Schauspiel durch Aeschylus vertreten. Seine Heimat war der
geheiligte eleusinische Gau*) und der Vater Euphoriou ent-
1) Schol. Aristoph. Ran. 886; Antip. Thessal. Anthol. Pal. 7, 39, a.
Aelian. nat. an. 7, 16. Aristid. or. 19 p. 421 D.
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Aeschylus. 245
-stammte einem der altadeligen Geschlechter*); so wachs der
Knabe gewissermassen in einer Zeit auf, welche damals von
dem gährenden Staate schon überwunden war. Seine Geburt
fiel wahrscheinlich noch in die letzten Regierungsjahro des alten
Peisistratos ^. Schon in der siebzigsten Olympiade , 499 , un-
mittelbar vor deih Ausbruche des jonischen Aufstamies, dessen
ungeahnte Folgen die bescheidene Ilissosstadt aus ihrer schlichten
Ruhe reissen sollten, trat Aeschylus vor seine Landsleute ^) ;
<[er jugendliche Dichter soll von dem Gott Dionysos selbst im
Traume ermutigt worden sein *). Doch erst 485 (Ol. 73,4) ge-
noss Aeschylus die Freude des Sieges*). Sein Name hatte da-
mals schon einen guten Klang, nicht sowohl bei der dionysischen
Festversammlung als bei den Veteranen von Marathon , wo er
tapfer fechtend eine schwere Wunde erhalten hatte, wenn er auch
nicht so tollkühn wie sein Bruder Kynegeiros in die Feinde ge-
stürmt war % Der Dichter nahm an allen Schlachten des Xerxes-
krieges Anteil und zog vielleicht noch 476 unter Kimon vor
<lie thrakischen Einbruchsvesten der Perser '). Seine tapferen
Thaten retteten ihm später, als er der in einer Tragödie be-
gangenen Verletzung des Mysteriengeheimnisses angeklagt
wurde, das Leben ; denn dass die in diesem Punkte äusserst
1) Eaphorioa: Grabschrift in der Biographie Z. 63 und Herodot 2, 156 ;
Adel: Vita Z. 3.
2) Ol. 63, 4 (Marin. Parium Z. 63 f., analog Suidas, abgerundet zu Ol.
•64 Vita Z. 10) ist aus dem Datum des ersten Sieges Ol. 73, 4 erreohuet.
Vgl. C. Löscbhorn Comm. de Aescbyli anno natalicio, Posen 1874. Wenn
er 476 noch der Feldarmee angehörte, war er in der That irühestens 425
geboren.
3) Nach Suidas u. Alaj^oXo^ (Opattva«:) war er Ol. 70 25 Jahre alt,
was Ol. 63, 4—70, 1 zu ergeben scheint; Eusebio« setzt ihn zuerst Ol. 70,4
(armeu.) oder 71, 1 (Hieron. AP).
4) Pausan. 1, 21, 2 (als |Astpdxiov). Vgl. Vita Z. 3.
5) Marmor Parium Z. 65.
6) Herakleides bei Eustratios zu Aristot. eth. Nicom. 3, 2 p. Ulla 10;
•die Grabschrift bestätigt dies indirekt. Kynegeiros: Herod. 6, 114; Ameinias
aber kann sein Bruder trotz Diodor. 11, 27, 2. Aelian. var. bist. 5, 19. Ps.
Themistocl. epist. 11 p. 751 H. Aristodem. 1, 3 p. 2 M. Vita 3. 15 nicht
gewesen sein, weil er einem arideren Gau angehörte (Herod. 8, 84. 93j.
7) Artemision: Pausan. 1, 14, 5; Salamis: Ion bei Schol. Perp. 429;
entstellt Vita 16 t?j< tv llXaTatalc vaojia/iai;; Thrakien: nach Fr. Blass
Rhein. Mus. 29, 481 flF. wegen der Pers. 492 flf. 868 fle. bewiesenen Ortskenntnis.
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246 Vn. Kapitel.
empfindlichen Richter seine Versicherung, er habe den Fehler
absichtslos begangen, sich gefallen Hessen, dankte er der Er-
innerung an die Schlacht von Marathon. In der ersten Auf-
wallung des Fanatismus hätte die erbitterte Menge den Tragiker
(er spielte ja die Hauptrolle selbst) auf der Bühne gesteinigt,,
wenn ihm nicht der Altar des Dionysos Schutz gewährt hätte ^).
Dieser widrige Vorfall, dergleichen selbst eine Freisprechung in
der öffentlichen Meinung nicht vergessen machen konnte, war
es ohne Zweifel , was Aeschylus die Heimat verleidete *). Zur
Zeit des höchsten Aufschwunges von Athen folgte er einer Ein-
ladung Hierons nach dem Lieblingslande der eleusinischen Göt-
tin und führte, sei es bei der Gründung der Stadt Aitna oder
bei einer Feier des Jahrestages das Schauspiel „die Aetnäerinen''
auf '). Schwerlich blieb es bei diesem einen Stücke, da Aeschy-
lus der Parodie des Epicharmos verfiel*). Indes hatte er der
Vaterstadt nicht für immer den Rücken gekehrt, sondern er
gewann dort während Hierons Regierung mindestens zweimal,
472 und 467, den ersten Preis und noch 458 wurde ihm für
die Atridentrilogie derselbe Triumph zu Teil. Trotzdem ver-
Hess der alte Dichter Athen, wo die politischen Leidenschaften
bis zur Ermordung des Demokratenführers gestiegen waren, und
das im Bruderkampfe sich zerfleischende Hellas überhaupt von
neuem, um das blühende Sicilien wieder aufzusuchen. Er starb
Ol. 81, 1 (456/5) zu Gela und erhielt von der dortigen Bürger-
/
1) Aristot. eth. Nioom. 3, 2 and Herakleides bei Eostratios im Kommentar
zn dieser Stelle (entstellt Aelian. yar. bist. 5, 19. Apsines 2, 2 p. 478, 10 Walz.
Clem. Alex, ström. 2, 887); vgl. Lobeck Aglaophamns p. 76 ff. ; Schneide'
win Philol. 3, 367 ff.
2) Die Späteren rieten anf allerlei : weil er Sophokles (Plntarch. Cim. 8.
Vita Z. 43 ff.) oder Simonides (Vita Z. 45 ff.) unterlag oder weil sich das
Publikum über den Erinyenchor entsetzte (Vita Z. 48 ff., vgl. Apsines Walz^
IX 478, was Bdckh trag, princip. p. 35 ff. auf eine vermeintliche frühere
Aufführung deutet) oder weil das Theater einbrach (Suidas). Besser 9^6voc
aoTÄv i-ciLoxoz Diodoros Anthol. PaL 7, 40. Welcker Trilogie S. 521 f,
und Ritter a. O. S. 84 ziehen politische Gründe vor.
3) Vita Z. 43. 51ff. Pausan. 1, 2, 3; Böckh trag, princip. p. 46 0.
versucht die Chronologie festzustellen.
4) Schol. Aeechyl. Eum. 616; er soll auch die „Perser" in Sicilien auf-
geführt haben (Eratosthenes u. Andere bei Schol. Aristoph. Ran. 1055 (1061),
Vita Z. 93), was nach dem Inhalt des Stückes nicht glaubhaft ist.
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AeschylDS. 247
Schaft an ehrenvoUer Stelle ein Grab ^). Weder die Gunst des
fremden Fürsten noch jene glänzenden Siege hatten Aeschylus,
obgleich er früher einmal, von einem Gegner besiegt, den stol-
zen Ausspruch gethan hatte , er appelliere an die Zukunft *),
die Herzensfreude des Schaffens wiedergeben können. Sein Volk
schätze, meinte er, die Werke seines Geistes nicht gebührend;
nur die Thaten seiner Hand habe man ihm zu Gute gerechnet.
Darum sollte nun auch der Leichenstein von dem Dichter
Aeschylus schweigen und einzig die Erinnerung an den tapferen
Wehrmann von Marathon festhalten :
AloyjAov E&fopia>voc 'A^Tjvaiov töSe X66^6t
{jLVYjiJLa xata(p*(juvov Tcopoyöpoio FdXac*
aXxirjv S'8&Söxi(Jiov Mapad-covtov SXooc äv ewcoi
xal ßa^oxatmjetc Mf)8oc I«totd(i6vo<: ').
Das kann niemand anderer als der verbitterte alte Dichter
geschrieben haben. Aristophanes entwirft in den „Fröschen"
ein lebensvolles Bild von dem stolzen Manne, der, seines Genies
wohl bewusst, von heiligem Eifer für das Schöne und Edle
glühte und gegen jeden daran tastenden in leidenschaftlichen
Zorn entbrannte. Viel Feind viel Ehr, hätte sein Wahlspruch
sein können. Seine Vaterlandsliebe hat er Aug um Aug mit
den Persern bewiesen und die Bürgertreue auch von der Dich-
tung nicht ausgeschlossen , ohne dass er gleich seinen Nach-
1) Zeit: Marm. Par. Z. 74 und ^hol. Aristoph. Acham. 10; daher be-
rechnet der Biograph Z. 71 sein Alter anf 63 Jahre, ein anderer Z.55 auf 65;
Soidas sagt 58, wofür G. Hermann opnsc. 2, 161 68 vermntet, d. h. OL
64—81; Ort: Grabschrift; Grab: Vita Z. 60ff. Man fabelte, ein Adler habe
anf seiner Glatze eine Schildkröte zerschmettern wollen (Vita Z, 56 ff. 92.
Suidas. Sotades (?) bei Stob. flor. 98, 9 V. 18. Plin. nat. bist 10, 3. VaL
Max. 9, 12 ext. 2. Aelian. nat. an. 7, 16, abgebildet anf einer Gemme bei
Welcker, Alte Denkmäler II 16, 34). Die älteren Anfisätze (Welcker
Rhein. Mas. 7, 139 ff. u. alte Denkmäler n S. dd7ff., Bergk ebend. S. 343,
Tenffel Rhein. Mns. 9, 148 ff., Göttling de morte fabnlosa Aeschyli,
ind. 1. Jena 1854 = oposc. acad. p. 230 ff.) sind antiquiert, seit £. Rohde
Jahrbb. f. Philol. 121, 22 ff. ein Volksmärchen als Quelle nachwies; anf
Aeschylus wurde es übertragen, da er dem Odysseus (fr. 270 bei Schol. Odyss.
X 134) ein ähnliches Los prophezeien liess (O. C r n s i u s Rhein. Mus. 37, 308 ff.).
S. auch K Piccolomini sulla morte favolosa di Eschilo, Sofode, Euripide,
Eupoli, Pisa 1884.
2) Theophrastos oder Chamaileon bei Athen. 8, 347 e.
3) Bergks poetae lyr. Gr. U* p. 241.
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248 VIL Kapitel.
folgern dem Chauvinismus der Athener schmeichelte ^). Der
konservative Aristokrat sah freilich in der Vernichtung des
Areopag eine unheilvolle Erschütterung des Staates und erhob
in den „Eumeniden'* seine warnende Stimme *). Dennoch lässt
der Dichter nie den Parteimann laut werden ; oder musste etwa
das zwischen Athen und Argos 460 vereinbarte Bündnis offiziell
geschlossen sein, damit er Argos sowohl in den „Schutzflehen-
den" als in den Atridenstückeu mit einem gewissen Wohlwollen
behandelte ')? Das Ueberirdische zu begreifen masst sich Aeschy-
lus nicht an oder sucht wenigstens die Gerechtigkeit des Schick-
sals aufzudecken. Indem er sich, des Trostes der Mysterien
voll, in das unergründUche Verhängnis ergibt, hängt er gläubig
an den schon durch das Alter elirwürdig erscheinenden Kulten
seines Volkes*); denn für Prometheus' oder Niobes himmel-
1) Doch dichtete er iu den „Eleusiniern^', daas Tbeseus die gefallenen
Argiver bestattete.
2) Peter Dettweiler quid Aeschylos de republica Atheniensium judi-
caverit, Giessen 1878 p. 5flF. Nach L. D öder lein de Aeschyli Eumenidibus,
Pr. V. Erlangen 1820 S. 5 f. war die Reform damals noch nicht vollzogen;
da die Zeit derselben sonst nicht festzustellen ist (vgl. Philipp! der Areo-
pag und die Epheten S. 248 fr.), spricht die poetische Wahrscheinlichkeit
für ihn.
3) Dettweiler a. O. p. 18flf.
4) Vgl. Aristoph. Ran. 886 f Ueber Aeschylus' Religiosität handeln
ausser den S. 202 aufgeführten Schrifiten: Rud. Heinr. Klausen theologu-
mena Aeschyli tragici I. Berlin 1829; Rud. Haym de rerum divinarum apud
Aeschylum conditione, Diss. v. Halle, Berlin 1843; Stacke Jahns Archiv
17, 403 ff.; C. G. Haupt Beitr. zur Theologie des Aesch., Büdingen 1856;
W. H o f f m a n n Aeschylos n. Herodol über den (p^ovoc der Gottheit, PhiloL 15,
224 ff*. ; Gnst. Pronke die relig; u. sittlichen Vorstellungen des Aeschylos u.
Soph., Lpg. 1861 (Jahrbb. Suppl. JV); H. Skelnik Pindari et Aeschyli sen-
tentiae ad deos deorumque cultum et religionem pertinentes, Diss. v. Königs-
berg 1864; Rieh. Kraft de hominum peccatis quid Aesch. nos doceat, Halle
1865; Bemh. Stensloff Zeus u. die Gottheit bei Aesch., Pr. v. Lissa 1867;
E. Buchholz die sittliche Weltanschauung des Pindaros u. Aeschylos, Lpg.
1869; W. Hoffmann das Walten der Gottheit im Menschenleben nach
Aeschylos n. Soph. I. Pr. des Sophieng. Berlin 1869; Joh. Kitt quae ac
quanta sit inter Aesch. et Herodotnm et consilii opernm et religionis simili-
tado, Breslau 1869; Heinr. Dinges de divina rerum hnmanarum apud Aesch.
moderatione, Pr. v. Bensheim 1871. 1872; A. Oldenberg Aesch. als reli-
giöser Lyriker, Pr. v. Altenburg 1875; Ernst Berch die Bedeutung der Ate
bei Aesch., Frankf. a. M. 1876; Chr. Herwig das ethisch-religiöse Fundament
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Aeechylus. 249
stürmende Worte übernahm er unmöglich selbst die Verant-
wortlichkeit ^). Man wird zwischen ihm und Pindar in religiöser
Beziehung keine principiellen Unterschiede finden, weshalb die
Nachwelt diese zwei gewaltigen verwandten Geister durch Freund-
fichaft verbunden dachte*).
Beide stimmen nicht ininder darin überein, dass ihr Genie
auf enthusiastischer Inspiration beruht, aus welchem Grunde
man unserem Dichter scherzhaft nachsagte, er dichte vom
Trank des Dionysos erfüllt*). Sophokles meinte daher, zu
dichten verstehe der alte Meister gar wohl, doch obne seiner
Kunst sich bewusst zu sein *). Allein dies ist von Aeschylus
so wenig richtig als von Pindar. Der Mann, der das attische
Drama von der Gesammtanlage der Tragödie bis zu den
Schuhen der Schauspieler herab begründet hat ^) , kann kdn
zuchtloses Genie, kein unklarer Phantast gewesen sein. Wir
stellen aus dem vorigen Kapitel die Schöpfungen des aeschy-
leischen Geistes kurz wiederholend zusammen : Der „Vater
der Tragödie" ^) schränkte die vorher überwiegenden Chöre
ein und wies dem Dialog die erste Stelle an''); damit hing die
Einführung eines zweiten Schauspielers zusammen, eine princi-
piell viel wichtigere Massregel als die nachmalige Zufügung
eines dritten. Aeschylus sonderte ferner das Darstellbare von
dem Unschönen, welches er durch Boten erzählen Hess ^), und
der äschyl. Tragödie, Pr. v. Konstanz 1878; Löscbhorn de notione dei
Aeschylea et patrum eccleaiast, Wittenberg 1879; Fr. Cipolla Rivista dl
filol. G, 366 ff.; L. Campbell Journal of hellenic studles 6, 153 ff.
1) Vgl. Plato rep. 2, 380 a, anders freUicb 2, 383 a.
2) Eustath. Vita Pindari Z. 16 f. West.
3) Chamaileon bei Athen. 1, 22a u. 10, 428 f (Kallistbenes bei Lncian.
Demosth. enc. 15. Plat. symp. quaest. 1, 5, 1. 7, 10, 2) ; daher ist er auf der
oben erwähnten Gemme mit dem Becher dargestellt.
4) Chamaileon bei Athen. 10, 428 f.
5) S. besonders Vita Z. 74ff. ; vgl. J. Sommerbrodt de Aeschyli re
scenica, Pr. v. Liegnitz 1848. 1851. .<nclam 1858 (Berlin) (auch in scaenica
collect a).
6) Philostrat. vit. Apoll. 6 praef. 11 p. 113, 4 ff.
7) Aristot. poet. 4 p. 1449 a 17 f. xä xoo -/^opob -riXattcDac xal tiv Xoyov
«paitaYtttVtorJjv icapeaxeuaasv.
8) Philostr. a. O. u. vit. sophist. 1, 9.
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250' Vn. Kapitel.
was immer wir sonst von den Kunstgesetzen des Dramas ins
Auge fassen, stets werden wir bei Aeschylus zum mindesten
eine Ahnung des Rechten finden. Seine schöpferische Thätig-
keit erstreckte er zugleich auf alles übrige, was mit dem Drama
in Beziehung stand. Weit entfernt, von Phrynichos' gefäUigen
Melodien abhängig zu bleiben, komponierte Aeschylus neue
Weisen und ersann die schönste Musik von allen Tragikern,
wobei er sich an den kitharödischen Nomos anlehnte *) ; natür-
lich haftete den Liedern manche EigentümUchkeit ihres Zeit-
alters an, z. B. der Refrain und regelmässige durch Musik
ausgefüllte Pausen ^. In der Erfindung von Chortänzen bewies
der Dichter gleichfalls eine fruchtbare Phantasie'). Wie er der
Gesetzgeber des Dramas als Dichtungsart war, so stellte er end-
lich die Grundzüge ihrer äusseren Einrichtung , vor allem die
Erscheinung der Schauspieler für immer fest.
Aeschylus *) besass weder die einschmeichelnde Liebenswür-
digkeit seines jüngeren Rivalen oder dessen Kunst der sanften
Rührung noch den philosophischen Geist desEuripides^), aber
seine wahrhaft vulkanische Natur übte auf jeden einen gewal-
tigen Zauber aus* Trotzdom dass vieles unvollkommen und
ungefüge war, konnte doch niemand das gottbegnadete Genie
in der stürmisch wie ein Bergstrom dahinrauschenden; wie ein
Orkan brausenden Gewalt seiner Dichtung verkennen ^). Wer
freilich deti Masstab der geglätteten regelrechten Tragödien des
Sophokles an ihn legt, könnte ihm leicht den Namen eines
Tragikers versagen wollen. Cbarakterzeichnung und Handlung
1) Aristoph. Ran. 1254 ff. 1282.
2] Aristoph. Ran. 1264 ff. 1285 ff.; über den Refrain GottL K. W.
Schneider de epiphtbegmaticis versibos Aeschyli, Pr. v. Weimar, Jena
1829, z. B. in der Parodos des Agamemnon nnd der Schutzflehenden.
3) Athen. 1, 21 dff.; vgl. Aristophanes bei Athen. 1, 21 f.
4) A. H. L. Heeren über die dramatische Knnst des Aesch., Bibliothek
der alten Litt. n. Kunst, Gott. 1791 S. Iff.; Jacobs Nachträge zn Solzers
allg. Theorie der schönen Künste II 1, 39 ff.; Andr. Borschke Aesch. u.
Sophokles. Eine dramatische Studie, Pr. des Schotteng. Wien 1872; Paul
Hennig Aristophanis de Aeschyli poesi judicia, Diss. v. Jena, Lpg. 1874.
5) Vita Z. 31 f. 40f.
6) Baxxtlo^ 5va5 Aristoph. Ran. 1259, iptßpcjiitac 814. xof u>c T*P ^"
ßaiv&iv icapaoxfoäCttat 848, änb twv ^^XaCuiv 852, &ontp icpivo^ i}iicpY)0^tic
859; wie ein Bergstrom Dioskorides Anthol. Pal. 7, 411, 3.
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Aeschylos. 261
sind ja noch höchst unvollkommen , denn einerseits blickt der
Dichter selbst durch die Maske der Hauptpersonen, andererseits
bestand so manches Stück einer wahren Handlung entbehrend
aus Erzählung; gegenüber solchen Zwittern gab es nicht viele
Dramen mit einem tragischen Konflikte^). Der schroffe leiden-
schaftliche Mann versteht auch nicht zu rühren, aber Niemand
hat in gleichem Masse die Einbildungskraft erregt und erschüt-
tert. Alles Grosse und Wunderbare zieht ihn an ^. Götter und
mythologische Fratzengestalten, 'wie die Phorkiden, die Erinyen
in scheuslicben Masken, den grässlichen Kratos, bringt Aeschy-
lus so unbefangen, als ob sie ganz gewöhnliche Figuren wären.
Der eigenartige Reiz entlegener Fabel- und Barbarenländer *)
veranlasste ihn sowohl zu den „Persem*- und „Phorkiden** als
zu den geographischen Abschweifungen in der Prometheustri-
logie und „Glaukos*).** Von allen menschhchen Stimmungen
weiss der Dichter den übernatürhchen Aufschwung der Seele
am mächtigsten zu schildern: Semele trat, selbst des Gottes
Dionysos voll und jeden sie berührenden in dionysische Be-
geisterung versetzend, auf*); der „Agamemnon** vollends ent-
hält das höchste Produkt tragischer Phantasie: Kassandra in
Ekstase vor dem Atridenpalast, in dessen Inneres ihr Jfropheten-
auge, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich erschauend,
dringt; nicht bloss der erst ungläubige, spöttische Chor, selbst
der Leser — um wie viel mehr einst der Zuschauer I — geräth
in Erregung und glaubt die blutigen Gestalten der Vision
wirküch vor sich aufsteigen zu sehen. Die Scene, wo Orestes
nach dem Mutterraorde die Erinyen zu erblicken meint, steht
an grausiger Anschaulichkeit hinter jener nicht zurück. Aeschylus
versteht die Kunst, das Haar vor Entsetzen sträuben zu machen,
weshalb späte Rhetoren ein unsagbares Unglück seines Pathos
allein würdig nennen *). Er vermöchte jenes nicht so sehr,.
1) Vita Z. 27 ff. 82 ff. 100 f., snsammenfassend Qnintil. 10, 1, 66 rndis
in plerisqae et incompositiis.
2) Vita Z. 41 f. "Av^pcuitov ^'^p{.0Ti0{.6v Aristoph. Ran. 837.
3) Vgl. Aristoph. Ran. 937 f., s. auch P. W. Forchhammer VerhandL
der Philol. Vers, zu Frankfurt, Lpg. 1863.
4] G. Hermann opuscnla n 67 ff.
5) Fr. 223 Bind.
6) Himer. orat. 23, 4. Basil. epist. 379. Theodoret. hist. eccl. 3, 7.
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252 VII. Kapitel.
wenn er nicht stets plastisch bliebe. Ein kräftiger gesunder
Realismus, der an Dante erinnert, durchzieht seine Schöpfungen
und schliesst, wie bei dem grossen Florentiner, gelegenüich
einen komischen Zug, soweit ihn Melpomenes Würde duldet,
nicht aus; hat doch Aeschylus nicht allein den Prolog des
„Agamemnon*' geschaffen, sondern auch Trunkene auf die
Bühne gebracht ^). Ja, in der Ausmalung des Grässlichen ging
er so weit, dass er hart an die das Erhabene und das Lächer-
liche sondernde Linie streifte," z. B. wenn seine Erinyen im
Traume schnauben. Indes verstand Aeschylus jede bedeutende
Erzählung durch plastische Lebenswahrheit anschauUch zu
machen. Ein wahres Muster, wenn auch innerhalb der Tra-
gödie nicht recht begründet, ist in ihrer Art die Beschreibung,
welche Klytaimestra von den Feuerzeichen, der Zerstörung
Trojas und der Sieger Heimkehr gibt ; die berühmte Schilderung
des Wettfahrens in der sophokleischen „Elektra" scheint durch
eine gleichartige Episode des „Glaukos Potnieus*'*) angeregt.
Die Sprache % welche dem lyrischen Stile näher steht als
dem eigentlich dramatischen, war in der Hand des Dichters
ein bedeutungsvolles Dokument und Werkzeug seiner Geistes-
richtung. Grossartigkeit ist ihr Grundzug*). An phantasievoller
Verwegenheit der Bilder*) kann Pindar allein mit dem athenischen
1) Chamaileon bei Athen. 10, 428 cf, vgl. 1, 17 c.
2) G. Hermann opuscula 2, 62.
3) Max Lechner de arte Aeschyli rhetorica, Pr. v. Hof, Berlin 1867;
Karl Frey Aeschylus -Studien, Pr. v. Schaffhausen 1875; C. Th. üllmaun
proprietates sermonis Aeschylei quatenus in diverbio perspectae sunt, I. Pr.
V. Baden-Baden 1881; J. Bury Journal of hellenic studies 6, 167 ff.
4) Me^aXo^psiceta Dionys. vet. script. cens. 1, 10, jic^aXocpcovötatoc
Phrynichos bei Phot. cod. 158, jis^aXocpoivta Himer. erat. 23 p. 774W., snb-
limis et gravis et grandiloquus saepe usque ad Vitium Quintil. 10, 1, 66;
vgl. Vita Z. 24 ff.
5) S. 226, dazu F. G. Schulze de imaginibus et figurata Aeschyli elo-
cutione, Pr. v. Halberstadt 1854; Tuch de Aeschyli figurata elocutione, Pr.
V. Wittenberg 1869; Sven Dahlgren de Aeschyli metaphoris et similitndini-
bus a re navali dednctis, Diss. v. Upsala, Stockholm 1875 u. de imaginibus
Aeschyli I. akad. Abh. v. Stockholm 1877 (s. von unbelebten Dingen, 2. aus
der Naturgeschichte); H. Rüter de metaphora abstracta^ notionis pro con-
creta apud Aeschylum, Halle 1877; K. Frey Aeschylusstudien U. Berlin
1879; über die Personifikationen: Herm. Ritters de conformationum usu
Aeschyleo, Lpg. 1882.
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Aeschylüs. 253-
Tragiker sich messen, doch weiss der letztere die rechten Grenzen
nicht immer inne zu halten*); gar manches klänge im Munde
eines Dichters, welchem man den dionysisclien Enthusiasmus-
weniger anfühlte, gesucht, gekünstelt, sogftr lächerlich % während
es bei dem eleusinischen Dichter zum ganzen Tone passt. Der
Wortschatz seiner Vorgänger genügt ihm so wenig, dass er
zahlreiche Wörter neu bildet ^) und zwar natürlich gewichtigen
Zusammensetzungen den Vorzug gibt*); nicht nur das Impo-
sante, sondern auch das Ungewöhnliche zieht ihn auf diesem
Gebiete gleichfalls an *). Selbst wo der Dichter mit dem weniger
Seltenen sich begnügt, liebt er die breite, leider nicht selten in
Schwulst ausartende Fülle ^) und gibt der Sprache durch Gleich-
klänge und Tonmalerei einen sinnUchen Reiz ''). Aber von
Begeisterung hingerissen, gelangt er nicht zur vollen Klärung;
in unruhiger Hast lässt der Dichter viele Sätze ohne Verbindung ^
oder springt plötzHch von der Konstruktion ab ^). Er achtet
ebenso wenig darauf, wenn ihm ein eben gebrauchtes Wort
wiederum in den Sinn kommt *^). Wiewohl der erste Tragiker
die kühne Sprache der lyrischen Gesänge und die gezügeltere
1) Ilepl ^oo<z 3, 1. 15, 5 f. Johann. Sicel. Walz rbetor. VI 225.
2) Z. B. irpöc obpavhv IScpielv, ßopeac täte Soal aiaYOOt «pocwv.
3) Aristoph. Ran. 929 f. Vita Z. 25; Bernh. Todt comm. de Aeschyla
Tocabalonun inventore, Pr. des Pädag. in Halle 1855.
4) Jos. San neg de vocabnlornm compositione Graecap raecipue Aescbylea,.
Halle 1865; P. Dettweiler zusammengesetzte Adjektiva bei Aescb. U., Pr.
V. Gieasen 1882.
5) Aristopb. Ran. 926 f»-fyxaxa . . . . Äf^tüta xot< O-ecupievoi^ ; L. Na st
über die ÄJcaJ Xs^ofieva und seltenen poetischen Wörter bei A., Pr. v. Giim-
binnen 1882.
6) Hanpt Jabrbb. Snppl. 1, 226. 245 ff.
7) Panl Herrmanowski de homoeotelentis qnibnsdam tragicornm et
consonantiis repetitione ejosdam vocabali ab Aesohylo effectis, Berlin 1882;.
Allitteration : Teuf fei zu Pers. 681.
8) Mart. Burgard quaestt. gramm. Aeschyleae, Diss. y. Breslau, Berlin
1861; Gust. Bromig de asyndeti natura et apud Aescbylum usu, Münster
1879 p. 36ff.
9) Heinr. Hartz de auacolutbis apud Aescbylum et Sopbodem, Biss.
T. Berlin 1856; J. Wrobel de auacolutbis ap. tragicos Graecos I. Bres-
lau 1865.
10) Wellauer comm. Aeschylear. spec, Breslau 1819 p. 13flf. Ludwig
Schmidt Ztsch. f. Gymnasial w. 22, 646 ff.
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^64 VII. Kapitel,
•des Dialogs ziemlich auseinander hält, hat er das Geheimnis,
wie er die einzelnen Personen im Stil unterscheiden könnte,
noch nicht entdeckt. Ueberall ist es Aeschylus, der aus ihnen
heraus spricht, selbst wo er den König von Argos erklären
lässt , sein Volk sei langen Reden feind *). Ein gewisses indi-
viduelles Kolorit besitzen die „Perser" in einigen geschickt
verteilten Orientalismen *). Ungeachtet der sonstigen Einförmig-
keit gelingt es Aeschylus nicht immer, ganz deutlich zu sprechen '),
wiewohl viele jetzt dunkle Stellen den Abschreibern und nicht
•dem Dichter zur Last fallen.
Alles in allem genommen harmonierte Aeschylus^ Stil
wunderbar mit der Tragödie, wie er sie auflfasste. „Aeschylus'
stolzes Auftreten und seine Altertümlichkeit, dazu die Kühn-
heit von Gedanke und Wort passte für die Tragödie und die
Weise der alten Heroen; nichts war gesucht, nichts spitzfindig
oder niedrig" ^). Er war vermöge seiner Religiosität und seiner
. <Jithyrambischen Begeisterung der echte Tragiker der Dionysien.
Ueber die Zahl der aeschyleischen Dichtungen gehen
die Angaben der Alten erheblich auseinander. Während Suidas
neunzig Dramen nennt, spricht der Biograph (Z. 71 f.) von
«iebzig, abgesehen von fünf zweifelhaften Satyrspielen, und
Handschriften geben ein damit übereinstimmendeg alphabetisches
Verzeichnis derselben, wobei nur die Dublette der „Aetnäerinen"
den Vorwurf der Unechtheit erhält *). Die Anzahl der gelegentlich
citierten Stücke ist etwas grösser, doch kommen in dieser
Beziehung so viele Irrtümer vor, dass wir nicht den Ueber-
schuss durch Annahme von Doppeltiteln zu entfernen wagen*).
Dass nicht weniger als 38 Dramen nach dem Chor bekannt
fiind, kann in der Zeit des Aeschylus nicht auffallen ; wir hoben
ausserdem bereits hervor, dass übermenschliche und barbarische
1) Suppl. 273.
2) G. Herrn an n opnscala 2, 102.
3) Vgl. Aristoph. Ran. 927 oa^p^c S'£y slicsv ohU iy.
4) Dio Chrysost. or. 52, 4.
5) I1popL*r)6'86(: icupxasuc uDd FXaoxo^ IIoTvituc sind hinter ähnlichen
Titeln ansgefallen.
6) Nach Welcker griech. Trag. S. 1503 ist „der Löwe" vieUeicht mit
„Atalante" ein Stnck, nach Wilamowitz „der entlaufene Sisyphos" mit dem
..Steinewälzenden".
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Aeschylos. 255
Chöre, aber auch Vertreter der gemeinen Leute bei Aeschylus
verhältnismässig häufig vorkommen. Ueber die trilogische
Gruppierung dürfte 8. 234 fif. bereits das Notwendige gesagt
worden sein.
Mit Ausnahme zahlreicher Citate und eines Abschnittes
von „Karer oder Europa", welchen ein in Paris vorhandenes
Papyrusstück bewahrt hat ^), /sind jene 75 Dramen bis auf
sieben verloren gegangen. Die Güte der erhaltenen Scholien
setzt uns in den Stand, von fünf derselben Zeit und Zusammen-
hang anzugeben : Die „Perser" gehören nämlich zu der 472
(Ol. 76, 4) aufgeführten Tetralogie „Phineus, Perser, Glaukos
und Prometheus" *). Die „Sieben gegen Theben" beschlossen
eine thebanische Trilogie und waren von „Laios" und „Oedipus"
vorbereitet; das damit susammenhängende Satyrspiel hiess
^jSphinx"; Aeschylus äiegte mit diesen vier Stücken 467 (Ol.
78, 1) über Aristias und Polyphrasmon '*). EndUch verschaflfte
die Trilogie „Agamemnon, Choephoren, Eumeniden", deren
heiteren Beschluss das Satyrspiel „Proteus" machte, dem Dichter
noch 458 (Ol. 80, 2) den ersten Siegespreis. Ueber die Zeit
des „gefesselten Prometheus" und der „Schutzflehenden" fehlen
derartige Angaben, indes spielt der Dichter in jenem V. 367 ff.
auf den berühmten Aetnaausbruch von 479/8 (Ol. 75, 2) an;
ich möchte hinzufügen, dass die Prometheustrilogie erst nach
472 aufgeführt worden sein muss, sonst hätte Aeschylus damals
1) Heraasgeg. von Blass Rhein. Mus. 35, 83 ff., bestimmt von Bücheier
a. O. Ueber die verlorenen Stücke handelt nächst Welcker G. Hermann
opasciüa n.—V. Vn. VHI.; Lykurgie: M. Croiset Annuaire de l'assoc. pour
l'enc. des 6t. gr. 16, 88 ff.; Myrmidonen: Bergk Hermes 18, 481 ff. Bobert
Bild nnd Lied S. 132 ff.; Niobe: Frz. Yolkm. Fritzsche de Aeschyli Niobe
comm., Pr. d. Univ. Rostock 1836; Phaethon: Knaack qoaestiones Phae-
thonteae, Berlin 1886 S. 17ff.; Telephos: W e c k 1 e i n Sitznngsber. der bayer.
Akad. 1878 S. 198; Sdvtptat: Böckh trag, princip. p. 28 f.
2) „Glaukos^' hatte nach den jüngeren Scholien den Beinamen Ilotvieuc
(nach Welcker Ilövttoc) ; über den Inhalt Asklep. TragiL bei Pro. Verg. Georg.
3, 266, V. Lentsch in dem Artikel der Hall. Encykl. n. Gäde che ns Glau-
kos der Meergott, 65tt. 1860 ; über „Prometheus" s. u. Wegen dieses Sieges
ist er vielleicht in der Chronik des Ensebios zu OL 76, 2 (armen, u. Hier.
A) gesetzt.
3) Aug. Wald ey er de Aeschyli Oedipodea spec. II., Pr, v. Leob-
schütz 1873.
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256 . Vn. Kapitel.
dem Satyrspiel ,, Prometheus*' nach griechischem Brauche einen
unterscheidenden Beinamen gegeben ^). Zählt dieses Werk
mithin zu den Schöpfungen des gereiften Dichters, so stellen
die „Schutzflehenden" ('Ix^ttSec) augenscheinlich die älteste
für uns wahrnehmbare Stufe des dichterischen Bildungs-
ganges dar.
Hier *) überwiegen die Gesänge des Chores , der ohnehin
den Mittelpunkt der Handlung bildet, den Dialog noch bei
weitem und zugleich beobachtet man, dass seit der Einführung
des zweiten Schauspielers erst wenige Jahre verstrichen sein
können; sonst würde nicht der Chor, sondern Danaos, wie es
natürHch wäre, dem König die Lage auseinandersetzen und
derselbe später seinem Versprechen gemäss mit ihm zurück-
kehren ^). Dass der Bund mit Argos von Athen bereits ge-
schlossen gewesen sei*), dürfte ni^cht erwiesen werden können.
Höchst wahrscheinlich bildete das Drama mit den „Aegyptern**^
und „Danaiden'* eine Trilogie in der Weise, dass alle drei
Tragödien ohne grösseren Zwischenraum sich an einander
schlössen und die Aufnahme der Danaiden in Argos, die
1) Vermutungen über die Zeit: Für eine frühe Abfassung G. Her-
mann opnsc. 2, 313; R. Westphal Metrik d. Griech. 1868 S. XLVH u. Pro-
legomena S, 8; B. Engelmann Philol. 27, 736; Wecklein Ausg. S. 21;
sonst: Fr. Passow melet. critica in Persas Aeschyli p. 2; A. Schmidt de
cae^nra media in Gr. trim. iamb., Bonn 1865 p. 19; R. Förster de attrac-
tionis usu Aeschyleo, Breslau 1866 p. 44; £. Martin de resj^nsionibn»
diverbii ap. Aescb., Berlin 1867 p. 71.
2) L. A. Madsen de fontibus Supplicum Aesch., Kiel 1820; Job. H,
Gottl. Schmidt de Aeschyli Supplicibqs, Pr. v. Augsburg 1839; K. Gust,
Em. A 1 b e r t i de Aeschyli choro Supplicum , Diss. v. Berlin , Frankf.
a. O. 1841.
3) Vgl. Gilbert Rhein. Mus. 28, 480flf., auch Lachmann de men-
sura tragoed. p. 9f. Wilamowitz Hermes 21, 608 f.
4) Nach Böckhs Vorgang Bncheler Rhein. Mus. 40, 625 ff. (er bezieht
ausserdem V. 145 f. auf den Bau des Parthenon); vgl. auch O. Müller Eu-
meniden S. 122 f. (dagegen Oncken Athen u. Hellas I S. 219 f.); Bergk
de cantico Supplicum*, Gratulationsschr. d. Univ. Freiburg 1857 p. 5 ff. ver-
mutete sogar (wegen angeblicher Dorismen), das Stück sei zur Aufführung in
Argos bestimmt gewesen. Nach Duncker Geschichte des Altertums VHI
S. 285 A. 1 setzt V. 761 voraus, dass die Athener mit Aegypten noch keinen
näheren Verkehr hatten. S. noch Oberdick quaestt. Aeschyleae, Münster
1878 = kritische Studien I. 1884 Nr. U.
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Aeschylns. 257
Erzwingung der Heirat und den Mord samt Hypermestras
Freisprechung schilderten *).
„Der gefesselte P ro meth eu s'* (HpoiiYj^eöc Seopuonjc) kann
einzig im trilogischen Zusammenhange richtig aufgefasst werden *)
Ausser dem erhaltenen Stück werden drei weitere Prometheus-
dramen, durch die Beinamen Xoöfi^voc , Tcopyöpoc und wopxae6c
unterschieden, angeführt. Was das erste dieser drei anlangt,
so kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es die Befreiung
des Japetossohnes vorführte. In dem erhaltenen Drama waren
die alten und die neuen Götter noch durch Groll und Miss-
trauen geschieden und Kronos' Fluch liess Zeus seiner Herr-
schaft nicht froh werden. Doch die Zeit — dreissigtausend
Jahre setzt der überall das Grossartige liebende Dichter an —
hat die Titanen zur Einsicht iu Zeus' kluges Walten gebracht;
Zeus ist mit dem Geschlechte des Uranos ausgesöhnt. Als
nun Herakles, der Nachkomme los, welcher einst Prometheus
die Zukunft enthüllt, den jenen peinigenden Adler tötet, ent-
1) Welcker Rhein. Mus. 4, 481 ff. = kleine Schriften 4, 100 ft.;
Gruppe Ariadne S. 74ff.; Tittler Ztsch. f. Altertnmsw. 1838 Sp. 951fr.;
G. Hermann Ber. der sächs. Ges. der Wlss. 1847 S. 123 ff.
2) E. C, Christ. Schneider de Aeschyli Prom., ind. 1. Breslau 1823;
Bemh. Tdpelmann de Aesch. Prom., Lpg. 1829; Welcker (s. o. S. 235
A. 5); G. Hermann opnscula IV Nr. 5; Bellmann de Aesch. temione
Prom. I. Breslau 1839; Schutt de Promethei Aeschylei natura, Pr. v. Husum
1842; T. Katterfeld Jahns Archiv 19 (1853) S. 406ff.; Jak. Meister über
den Prom. des A., Troppau 1853; Anselm Feuerbach nachgel. Schriften,
Braunschw. 1853 IV S. 29ff.; Schömann opnscula 3, 95 ff. 120 ff. Noch
ein Wort über A., Pr. v. Greifewald 1859; CÄsar Ztsch. f. Altert. 1845
Nr. 41. 1846 Nr. 113. 114 u. der Prom. des A., Marburg 1860; H. Keck
der theologische Charakter des Zeus in Aesch., Pr. y. Gläckstadt 1851; H.
Köchly akad. Vorträge u. Reden 1, Iff. 387ff.; W. Vischer über die
Promethenstragödien des A., Basel 1859; W. Teuf fei über des A. Promethie
u. Orestie, Pr. d. ün. Tübingen 1861; W. Marcowitz de A. Prometheo,
Düsseldorf 1865; Westphal Prolegomena zu Aesch. Trag. S. 207ft.; H.
Martin Mömoires de Tacad. des inscr. 28, 2, Iff.; Paul Schwarz die
Darst. des Zeus im Pr. des A., Pr. y. Salzwedel 1875; F. Seelmann de Pr.
Aeschyleo, Pr. y. Dessau 1876; Alex. Kolisch der Pr. des A., Berlin 1876;
V. £. Orlando il Prometeo di Eschilo e il Pr. della mitologia greca, Fir.
1879 (estr.); über die Scenerie: Pet. Jos. Meyer A. Pr. yinctus ubi agi vide-
atur, Bonn 1861; Bemh. Foss de loco in quo P. apud A. yinctus sit, Bonn
1862 mit Karte; C. Fr. Müller die scenische Darstellung des äsch. Pr., Pr»
y. Stade 1871; W. Otto quaestt. de Promethei re scenica, Berlin 1872. — .
Sittl, Geschichte der griechlflcben literatur III. ^7
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258 Vn. Kapitel.
hüllt der Titane das Geheimnis, womit er vorher Zeus bedroht ^).
Jetzt wird er von Hephaistos, der ihn ehemals widerwillig an-
geschmiedet hatte, entfesselt, worauf der unheilbar verwundete
Chiron an seiner Stelle in die Unterwelt geht, auf dass Zeus'
Schwur (V. 1027 flf.) dem Wortlaute nach gewahrt bleibe. Hie-
mit hätte jeder andere Tragiker den Stoff abgeschlossen be-
trachtet, nur nicht ein athenischer , denn in diesem Lande
allein empfing Prometheus als „Feuerbringer" göttUche Ehren
und wurde durch ein glänzendes Fest gefeiert. Die Einsetzung
dieser alten Bräuche war für die Athener natürlich höchst in-
teressant und ohne Zweifel so umständlich überliefert, dass sie
Aeschylus zu einem religiöspatriotischen Drama hinlänglichen
Stoff lieferte; man denke z. B. an den Stein, in dem die
Athener Prometheus' Fusspur zeigten, und den die Freund-
schaft mit Hephaistos besiegelnden gemeinsamen Altar, der
obendrein in Athenes Heiligtum stand *). Wie hiess aber dieses
drittes Drama? Jedenfalls IIpoixTj^soc Trop^öpoc, denn weil hier
von jener dreissigtausend jährigen Gefangenschaft die Rede war,
kann dieses Stück die Trilogie nicht eröfihet haben, abgesehen
davon, dass dann die umständHche und mehr als einmal wieder-
holte Exposition des „gefesselten Prometheus*' überflüssig war. ^)
Dagegen erhielt das, wie oben erwähnt, der Persertrilogie beige-
gebene Satyrspiel, worin die Satyrn mit dem noch nie gesehenen
Feuer täppisch umgingen *), später den Beinamen Tropxaeig.
Aeschylus hat die alte Sage von dem Schlaukopf, welcher
dafür, dass er die Menschen Zeus überlisten lehrt, büssen muss,
unendlich vertieft, indem er zwischen der weitschauenden Vor-
P. W. Forchhammer die Wanderungen d. Inachostochter lo zugl. z. Ver-
stftndn. des gefess. Pr., Kiel 1881, mit Karte. — Th. Konitzer de fabulne
Prometheae in arte litterisqne usn, Königsb. 1885.
1) Diese Folge der Ereignisse geht aus V. 771 ttc oov o' 6 Xiacov iotlv
ÄxovTo? At6c; hervor.
2) S. Soph. OC. 55. Apollodoros bei Schol. Soph. OC. 56; vgl. auch
Westpbal Prolegomena S. 207 ff.; Wecklein Ausgabe S. 17f.
3) Schollen zu V. 94. Der codex Medicens führt den nopf opog zv^ischen
$60{xu>ry)c tind Xu6}i8voc auf; aber dass letzterer die zvreite Stelle einnahm,
zeigen nicht bloss die Schollen zu V. 511 und 522 [Iv x(^ i^'^C $päp.axi),
sondern auch die dem Personenverzeichnis angehängten Namen Fy) ^HpaxXYjc,
Vielehe aus der Liste des folgenden Stückes hieher gerieten.
4) Fr. 190 Dlnd. (Plutarch. mor. p. 86f.).
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Aeschylus. 259
-sehung des Olympiers, der ein vollkommeneres Geschlecht
schaffen will, und der beschränkten Fürsorge des Prometheus
^inen tragischen Gegensatz fand. Ist es nun aber nicht ein
Fehler, dass das Anfangsstück für sich allein diese Idee nicht
klar ausspricht, sondern, einseitig betrachtet, zu merkwürdigen
Philosophemen verführt hat? Der Dichter könnte darauf er-
widern , die ideale Göttlichkeit wäre undramatisch gewesen ;
darum habe er den dauernden Bestand der Zeusherrachaft in
Prometheus' Hand gelegt und diese ungöttliche Schwäche durch
den Fluch des entthronten Vaters begründet ^). Indes verwirrte
er ohne Not die Fäden durch Hereinziehen des Verhängnisses *),
obgleich andererseits Prometheus wider vernünftigeres Wollen
(V. 522 ff.) durch seine Leidenschaft hingerissen wird, Zeus
zu drohen und sich dadurch erst unsägliche Qualen zuzieht.
Themis ist dazu allein da, dem einzigen Prometheus das Ge-
heimnis zu enthüllen, und der Chor versinkt, wiewohl er noch
V. 1036 ff. so vernünftig geredet , mit Prometheus , auf ^dass
sein ruhiger Abzug den Effekt nicht schwäche. Konnte auch
Aeschylus die Sprödigkeit des uudramatischen Stoffes nicht voll-
ständig bezwingen, entfaltete er doch die Erhabenheit seiner
Sprache und Schilderungsgabe hier vielleicht am glücklichsten.
Die thebanische Königssage lud den Dichter wie von selbst
zu dreiteihger Behandlung ein: Laios wird vom Vater des ge-
raubten Chrysippos verwünscht , die Erfüllung des Fluches
«türzt Oedipus in das Verderben und das dritte Geschlecht
geht am Vaterfluche zu Grunde. Die Trilogie^) klingt nicht
friedlich aus, denn die „Sieben gegen Theben" ('ETcta ^tcI
ÖTJßac*) sind wahrhaft, wie Aristophanes unseren Dichter sagen
1) AnchMilton und Klopstock lie&sen sich solche „notwendige Fehler" (I< e s -
sing Laokoon Anhang 11 d S.294H.) gegen die Theologiezn Schulden kommen.
2) Z. B. V. 511 ff. 873 f.
3) Welcker kleine Schriften 4, 136 ff. ; Fr. Vater de Aeschyli Oedipo,
Jahns Archiv 16, 110 ff.; Carl Krnse de Aeschyli Oedipodea, Diss. v. Greifs-
wald, Stralsund 1855; Aug. Näke Rhein. Mus. 27, 193 ff.; Max Planck
Ztsch. f. AUertumsw. 1847 Nr. 110—13; Ludw. Schmidt ehend. 1856 Nr.
49—51; Fr. Susemihl ebend. 1857 Sp. lOOff.; Aug. Waldeyer de Aesehyli
Oedipodea, I. Pr. v. Neuss 1863; II. Pr. v. Leobschütz 1873.
4) J. H. Warren de Aesch. Septem et Eurip. Phoen., Groningen 1832;
K. O. Müller de AeschyU Septem c. Th., Göttingen 1836; A. F. Nöke
Rhein. Mus. 27, 196 ff.
17*
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260 VII. Kapitel.
lässt, „des Ares voll"*); „es gibt keine Erlösung'*, möchte der
Hörer mit dem sophokleisehen Thebauercbor sprechen, wenn er
den Fluch des Oedipus (V. 696 S. 720 flf.) so schrecklich wirke»
sieht. Wenn man daher vor der Entdeckung der Auflführungs-
notiz meinte, die „Sieben'* seien das Mittelstück einer Trilogie
gewesen und einer „Antigone" vorausgegangen, so hatte diese
Ansicht eine gewisse Berechtigung. Allein auch ohne jene Ur-
kunde könnten wir nachweisen, dass für eine „Antigone" keitt
Raum mehr ist. Denn da sie ihre edle Absicht im vornherein
öffentlich ausspricht, bleibt über den Thäter kein Zweifel und
wie soll mau sie bestrafen, wenn die eine Hälfte der thebanischeu'
Jungfrauen mitschuldig ist? Endlich hat nicht ein eigensinniger
Tyrann das Gebot erlassen, sondern die Vorsteher des Volke»
(V. 1006) , das leicht seinen Entschluss ändert *). Sophokles''
Stück hingegen ist aus freier Phantasie geschaffen , weshalb
Aeschylus natürlich keine Rücksicht darauf nehmen konnte,
so wenig als auf die nach ihm entstandene Sage von Kolonos.
Letztere hätte freilich ein befriedigenderes Ende geboten.
Der Stoffe der Atriden trilogie*) war, wenigstens für einei^
athenischen Dichter , günstiger gelagert. Die grässliche That
des Atreus Hess Aeschylus mit gutem Geschmacke nur wie ge-
spensterhaft in Kassandras Vision, der bei der Aufführung
wirkungsvollsten Scene *) erscheinen, und lieh sie Aigisthos zur
Rechtfertigung des Mordes, wie die Opferung Iphigenies seiner
Mitschuldigen. Indem der Tragiker im „Agamemnon" *)so-
1) Aristoph. Ran. 1021 ; .Ihnliches dem Georgias zugeschrieben : Plutarch,
qnaest. symp. 7, 10, 2 (offenbar anch Philodem, de mus. III 16, 10 p. 127
Kemke).
2) Darauf deuten schon die Worte Spata* xt koXic >ial fi*'] SpctTai xob^
xXdtovtac üoXovetx'rj V. 1066 f. ; nach V. 1055 f. betrachtet Aeschylos das Ge-
schlecht als ausgerottet, mithin hat alles ein Ende. U. v. Wilamowitz-
Hermes 21, 606 A. 3 verwirft die Schi ussscene, die schon Rochefort the&tre
de Bmmoy I 418 für überflässig erklärt hatte. Vgl. Joh. Oberdick de
exitu fabulae Aeschyleae quae Septem adv. Th. inscribitur, Pr. v. Arns-
berg 1877.
3) K. Fr. Nägelsbach de religionibus Orestiam continentibus. Erlangen
1843; Mo 11 wo Darlegung des inneren Ganges der äsch. Orestie, Pr. v. Parchim
1862; Ferd. Hüttemann die Poesie der Orestessage I. Pr. v. Braunsberg 1871^
4) So berichtet das Argument.
5) K. Frd. Nägelsbach quaestiones Aeschyleae, Gratulationsschrift v.
Erlangen 1858; Ferd. Bamberger opuscula p. 37 ff.; Max Planck über
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Aeschylus. 26 1
wohl auf feinere Charakteristik der Personen (S. 166 A. 1)
als auf sorgfältige Begründung der Bluttbat verzichtet, strebt
^r einerseits einheitliche Grundstimmung andererseits die Vor-
bereitung des Folgenden an. So ruht über der Handlung eine
unheimliche gewitterschwüle Stimmung , weil Klytaimestra die
Maske der treuen Frau in der Oeffentlichkeit noch nicht fallen
gelassen hat^). Durch ihre arglistige Falschheit ruft sie unsere
Verachtung hervor, welchen Eindruck der zugleich freche und
feige Aigisthos nur verstärkt; auch ohne dass der Chor aus-
drücklich auf Orestes hinweist, fühlt ein jeder, dass eine solche
T?hat nicht unbestraft bleiben darf.
Die „Choep hören"*), nach dem Frauenchor, welcher
mit Elektra zu Agamemnons Grabe Spenden bringt , benannt,
•schildern die verdiente Strafe , so dass natürlich Orestes , der
Vollstrecker derselben im Mittelpunkt steht, während Aeschylus'
Elektra die Zurückhaltung der sophokleischen Chrysothemis be-
obachtet. Die Erkennung der Geschwister und die Rache sind
mit naiver Einfachheit geschildert ; denn Aeschylus stellt wieder
den pathetischen Eindruck über den dramatischen Aufbau.
Er bringt also die Tötung des Aigisthos mit richtigem Gefühle
vor dem Höhepunkt, dem Muttermord, wodurch zugleich das
matte Ende der sophokleischen Elektra vermieden und ein er-
greifender Uebergang zum dritten Stücke gewonnen wird. Denn
obgleich Orestes in langer Hin- und Herrede , dergleichen die
den Gmndgedanken des äsch. Ag., Pr. v. Ulm, Tübingeu 1859; Conr. Rahe
de Ag. Aeschjleo, Pr. v. Rheine, Münster 1864.
1) Aeschylus zieht absichtlich das Geschick des kleinen Orestes nicht
in Betracht.
2) Oskar Baumgarten quaestt. scenicae in Aeschyli Choephoris, Diss.
V. Halle, Berlin 1878. Die „Cboephoren^^ sind sehr oft mit den beiden Elektren
▼erglichen worden: Karl Ferd. Wieck zwei Abh. über die El. des Soph. u.
die Ch. des A., Pr. v. Merseburg 1825; Job. Vinc. Westrick de Aeschyli
-Cb. deque Electra cum Sophoclis tum Eur., Leiden 1826; Wissowa de
Ch. Aesch., Soph. et Eur. EI., Leobschütz 1835; F. F. Feld mann Aesch.
Choßphori, Sophoclisque Euripidisque El. idem argumentum tractantes inter
se comparatae, Pr. v. Altona 1839; Gruppe Ariadne S. Iff. ; Borschke
Aesch. u. Soph., Wien 1872 S. 19ff.; W. Gerhard van der Weerd d. Aesch.
•Choepb. et Soph. Euripidisque Electris ad elegantiae rationes inter se com-
paratis, Diss. ▼. Utrecht, Deventer 1874; Ludw. Fischer die Choeph. des
Aesch. u. die Elektren des Soph. u. Eur., Pr. v. Feldkircb, Innsbruck 1875.
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262 Vn. Kapitel.
prozessliebenden -^^hener gerne hörten, das Recht der Blutrache
scheinbar siegreich gegen seme Mutter verteidigt hat, bricht
die Naturgewalt Göttergebot und Menschenrecht ; es erscheinen,
ihm allein sichtbar *), die Erinyen und treiben den Verzweifeln-
den von der Stelle des Mordes fort. Der Chor stellt Apollos
Hilfe in Aussicht (V. 1059 f,).
Das dritte Stück, die ,,Eu meniden*'^ enthält mehrdea
' Erstaunhchen als des Pathetischen. Eumeniden, Götter, Geister,
Volksversammlungen — das gab viel zu schauen, aber eine
wahre Tragödie entstand daraus nicht. Das Stück hat ein
zwischen den Choephoren und der Sühne vermittelndes Vorspiel,
damit man den delphischen Gott in eigener Person die Ent-
scheidung an die Athener verweisen höre. In Athen findet eine
regelrechte Gerichtsverhandlung statt, doch der Dichter interessiert
sich und sein Publikum viel mehr für die ehrenvolle Rolle der
Stadt und die Einsetzung des Eumenidenkultus als für den
unseligen Muttermörder; vor allem lenkt die Prozession, womit
das Stück beschlossen wird, die Aufmerksamkeit gänzlich von
ihm ab. Im „Oedipus auf Kolonos" dürften die Ansprüche
des Patriotismus uud der Sühnungsgedanke glücklicher vermit-
telt sein; denn Aeschylus hat den Konflikt zwischen Erinyen-
recht und Blutrache doch nur äusserlich befriedigend gelöst,
nach der heutigen Anschauung wenigstens , da seine Erlnyea
statt aus rechtlicher Ueberzeugung, aus selbstsüchtigen Gründen*
von der Verfolgung abstehen. Diese uuversönlichen Rächerinen
waren ja auch auf der^ Wache eingeschlafen und mussten durch
Klytaimestras Geist an ihre Pflicht gemahnt werden !
Die „Perser"^) verdienen als einziges Muster des histo-
rischen Dramas in unserem Sinne das höchste Interesse. Durch
1) y. 1061, also auch deu Zuschauern so wenig als ihnen Kassandras^
Vision leibhaftig yorgefährt wird.
2) Ludw. Döderlein de Aeschyli Eum., Erlangen 1820; H. Rötschßr
de Aesch. Enm^nidnm ratione et consilio, Bromberg 1837; Max Emil Seyss
über die poetische Komposition der Enm. v. Aischylos, Pr. v. Villnch 1873.
3) S. 146 A. 4; dazu: K. Prien Rhein. Mus. 7, 208ff.; Gnst. Friedr.
Gilljam de fabula Aeschylea qnae Persae inscribitur, Upsala 1857; Comte
de Marcellus Revue arch^ol. n. s. I. (1860) p. 286flf.; Frz. Ad. Bülau de
Aeschyli Persis, Göttingen 1866; Lundmann Persae Aeschylea quo con-
silio conscripta videatur, Diss. v. Upsala 1869.
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Ae8chylu8. 263
die Einheit des Ortes und der Zeit war der Dichter von vorn-
herein verhindert, die geschichtlichen Handlungen selbst vor-
zuführen, daher gab er, wie Wielaud, indem er die Perser mit
einer Cantate verglich, zutreffend bemerkte '), *,eine Darstellung
von Gefühlen, die durch eine gegebene Handlung erregt werden*';
dem entspricht das Vorwiegen der pathetischeren Tetrameter,
während der Trimeter hauptsächlich den Erzählungen zukommt.
Aeschylus fasste seine Aufgabe so hoch als möghch, in der
Weise, dass er die geistigen Ideen des grossen Krieges abspiegelte.
Er erbhckte in ihm nicht allein den Verteidigungskampf eines
freiheitshebenden Volkes, auch nicht bloss ein Ringen von
Barbarentum und Hellenismus, sondern ein leuchtendes Beispiel,
wie die Unsterblichen dem schlichten Gottvertrauen über den
prahlerischen Uebermut eines unersättlichen Despoten den Sieg
verleihen ^. Hiemit hat der Dichter jedenfalls Herodots Auf-
fassung bestimmt; doch mögen ähnliche Ideen damals gang
und gäbe gewesen sein, da die Athener eine Ötatue der Nemesis
nach Marathon weihten. Wo war aber nun jene Auffassung
realisierbar ? Auf dem Schauplatze des Krieges, wo die Sieger
sich kleinlich um den Ehrenplatz und den Siegespreis stritten
und nicht einmal in der höchsten Gefahr von ihren Zänkereien
abliessen? Nein, die Grösse des hellenischen Erfolges erscheint,
durch solche KleinUchkeiten ungetrübt, in dem Jammer des
verödeten Persiens und der ratlosen Gebrochenheit der einst so
übermütigen FürstenfamiUe, ohne dass der würdige Dichter die
besiegten Feinde verächtlich macht *). Xerxes trägt nach seiner
Auffassung die Schuld; der Geist des Dareios spricht seinem
Sohne selbst das Urteil und deckt die sittUchen Gründe der
Katastrophe auf. Auf der anderen Seite hebt der tapfere
Streiter die Verdienste seiner Bürgerschaft ohne Ruhmredigkeit
hervor, wobei er, der repubUkanischen Eifersucht Rechnung
tragend, keinen Einzelnen nennt ; von einer FeindseUgkeit gegen
Themistokles zu sprechen, gibt Aeschylus keinen Anlass*).
1) Attiscbee Mnseum IV 8. 22.
2) Dieas heisst V. 362 ^sutv (p^6vo(;.
3) Dennoch woUten Sintenis de Aeschyli Persis, Lpg. 1794 (dagegen
AUg. Lit.-Ztg. 1796 Nr. 252), Blomfield Ausg. 8. Xn nnd Härtung Vor-
rede zur Uebers. Hohn und Schadenfreude wahrnehmen.
4) 8. 145;'Pas80w oposcula p. Iff.; W^elcker Rhein. Mus. 1837
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264 Vn. Kapitel
Auf seinen Feldzügen und auch wohl durch erbeutete Sklaven
hatte Aeschylus leicht eine oberflächliche Kenntnis der persischen
Verhältnisse gewonnen, so dass er, nach athenischen Begriffen
wenigstens, den Lokalton traf. Allein so wenig man ihn wegen
eines Irrtums ^) tadeln dürfte, so irrig wäre es, die „Perser" wie
ein Geschichtswerk zu benützen *).
Vor Sophokles' Auftreten überstrahlte Aeschylus alle seine
Kunstgenossen bei weitem. Er erhielt dreizehn Mal bei den
athenischen Dionysien 'den ersten Preis ') und sein Ruhm drang
nicht bloss zu Hieron, sondern sogar die delphische Priester-
schaft trug ihm die Abfassung eines Päans auf, was der
Dichter bescheiden ablehnte, weil er mit dem mustergiltigeu
Werke des Tynnichos nicht konkurrieren wolle*). Aeschylus
durfte stolzen Sinnes sagen: „Meine Dichtung* ist nicht mit
mir gestorben" *). Trotzdem dass er der Heimat verbittert
den Rücken gekehrt hatte oder vielleicht gerade deswegen weil
sie ihr Unrecht wieder gut machen wollten, beschlossen die
Athener, seine Tragödien ausnahmsweise an den grossen Dio-
nysien zum Wettkampf mit den neuen zuzulassen *), wie wenn
sie sagen wollten, dass Aeschylus' Werke immer neu blieben;
auf diese Weise errang sein älterer Sohn Euphorion, welcher,
B. 205 ff.; anders Bai au a. O. p. 15ff. Er erwähnt z. B. die heimliche
Botschaft. Ueher das Historische: Eman. Hannack das Historische in den
Persern des Aischylos, Pr. des akad. G., Wien 1865; Friedr. van Hoffs de
rerum historicarnm in Aeschyli Persis tractatione poetica, Diss. v. Münster,
Köln 1866; Wilh. Hamacher die Sohlacht hei Salamis nach den Persern
des Aeschylos, Trier 1871; Weck lein Sitznugsber. der bayer. Akad. 1876
6. 239 fr.
1) Keiper Acta semlnaril Erlangensis I 175 fr. Jahrbb. f. Philol. 119,
93 ff. Blätter f. bayer. Gymnasialschalw. 15, 6 ff. (über Atossa).
2) Nach Köchly ging der Schlnss der Tragödie verloren, was G.Wille
de Persarum fabnlae Aeschyleae parte extrema, Pr. v. Bangershausen 1886
bestreitet. S. auch Aug. Ferd. Näke Opuscula philol. I p. 193 ff.
3) Vita Z. 14. Suidas ol li (sonst 28).
4) Porphyr, abstin. 2, 18.
5) Aristoph. Ran. 868.
6) Schol. Aristoph. Acham. 10. Ran. 893 (892). Philostrat. vit. ApoU.
6 praef. 11. Vita a. 0., vgl Roh de Rhein. Mus. 38, 289 f. So ist Ari£topb.
Acharn. 10 zu erklären; auch die „Perser^' (Ran. 1026 f.) blieben auf diese
Weise populär.
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Aeschylus. 265
wie der andere Euaion genannte, in Aeschylus' Fusstapfen
trat, ohne mehr als der Sohn eines berühmten Mannes zu
werden, vier Siege mit den Stücken des Vaters ^). Damit ist
durchaus nicht gesagt, dass bei solchen Wiederholungen der
ursprüngliche Text verbessert , wie ein Alter meinte *) , oder
nach der Ansicht einiger Neueren verschlechtert wurde ^)] wenn
Aristophanes auf die „Perser'* anspielte, wird er nicht ein
schiiftliches Exemplar nachgeschlagen haben. Dem Sinne nach
trifft er ja vollkommen das Richtige*).
In dem Ringen der Religiosität und alten Sitte mit Auf-
klärung und Radikalismus ward Aeschylus ein Streitname für
die Konservativen und die heftige Opposition, welche Euripides
erregte, kam ihm zu Gute; denn wer dessen Grundsätze verab-
scheute, zog sich zu Aeschylus, dem dichterischen Vertreter
des ehrenfesten Altathen, zurück. Solche verlangten im Theater
aeschyleische Stücke und sangen bei Tische Lieder von ihm*).
Indes kann man nicht verkennen, dass in der Zeit der Epigonen
das Verständnis für Aeschylus schwand. Plato steht ihm kühl
gegenüber und Aristoteles verhält sich, ohne direkte Polemik,
entschiedend ablehnend gegen seine Eigenart. Immerhin blieb
Aeschylus auf dem Repertoire^, lieferte den Alexandrinern
manches pompöse Wort ^) und bot dem Pantomimus wirkungs-
volle Schaustücke, z. B. stellte Telestes die „Sieben gegen
1) Saidas n. E&^opicov.
2) Quintilian. 10, 1, 66.
8) Prometheus: Bich. Förster de attractionis nsa Aeschyleo, Breslau
1866; Herrn. Kr am er Prometheam vinctum esse fabnlam correctam, Frei-
bürg 1878; Alb. Röhlecke Septem advers. Thebas et Prom. vincfcum esse
fabulas post Aeschylum correctas, Berlio 1882; Brubus Jahrbb. Sappl. 15,
298 f.; „Sieben": W. Richter quaestiones Aeschyleae, Berlin 1878 (dagegen
Wecklein Jen. Literatarztg. 1879 Nr. 14); Böhlecke a. O.
4) Ran. 1026 f. Eratosthenes und Andere vermuteten deshalb, er meine
eine in Syrakus (I) aufgeführte Bearbeitung der Tragödie (Eine ähnliche Kom-
bination machte Aristarch zu Y. 1230 (1237) bezüglich des euripideischen
Archelaos). Auch Gruppe Ariadne S. 83 ft. nimmt eine Umarbeitung an.
5) Aristoph. Acham. 10 und besonders in den „Fröschen'^; Nub. 1367
mit Schollen n. im Gerytades bei Athen. 8, 365 b.
6) Vgl. Amphis fr. 30, 6 mit Kocks Note; Alciphr. epist. 3,48, 1 (wohl
aus einem Komiker).
7) O. Schneider Callimachea, im Register II S. 850; Is. Tzetz. in
Lycophr. 855.
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266 Vn. Kapitel.
Thebeu** dar^). Am meisten scheint man noch die Satyrspiele
anerkannt zu haben ').
Die Gelehrten der alexandriniscben Zeit Hessen Aeschylus,
soweit er nicht im Zusammenhang mit seinen beiden Genossen
betrachtet wurde, gleichgiltig bei Seite ^). Die Schriften von
Glaukos *) und Chamaileon (S. 244) haben wir bereits erwähnt.
Der Atticismus erhöhte Aeschylus' Ansehen wieder etwas : Der
Rhetor Dionysios fällte ein verhältnismässig sehr günstiges
Urteil über ihn^), der junge Cicero bearbeitete „Glaukos' ' in
Tetrametern ^) und auch unter den Dichtern hatte der Tragiker
manchen Freund'). Gelesen wurde er immer, weshalb D lo-
gen ei an os ein Glossar verfasste^, aber teils die ziemliche
Spärlichkeit memorierbarer Sentenzen, teils die Schwierigkeit
des Verständnisses ^) führten dazu , dass man schon am Ende
des fünfton Jahrhunderts, wie der metrische Leitfaden des
Eugenios zeigt (S. 133), über drei Dramen nicht hinauszugehen
pflegte, die jedenfalls keine anderen, als die von den Byzantinern
in den Schulen gelesenen Stücke Prometheus , Sieben und
Perser^®) waren. Diese wmrden denn unendlich oft abgeschrieben
und mit Anmerkungen versehen, z. B. von Thomas Ma-
gistros und Triklinios ^^). So. ist es eigentlich aufifallend,
1) Aristokles bei Athen. 1, 22 a.
2) Vgl. Menedemos bei Diogen. Laert. 2, 133.
3) Aristophanes ist nicht mit Sicherheit den Erklärern beizuzählen
(vgl. Schneidewin Philol. 9, 159; Nauck Aristoph. Byz. frgm. p. G2);
einen Kommentar Aristarchs zum Lykurgos citiert Schol. Theocrit. 10, 18;
Didymos: Job. Jos. Frey de AeschyJi scholiis Mediceis, Bonn 1857 p. 32 ff.
4) Argum. Pers.
5) Vet. Script, cens. 10.
6) Plntarch. Cic. 2.
7) Propert. 2, 25, 41 f.i lobende Epigramme Anthol. Pal. VII 39. 40. 411.
8) Schol. Hermog. Bekker Anecd. p. 1073 = Walz, rhetor. V 486 adn.;
Imitationen bei Chorikios: Job. Malchin de Choricii Gazaei veterum Grae-
cornm scriptorum studiis, Kiel 1884 p. 44 f.
9) Tzetz. ad Aristoph. Ran. 1328.
10) Vgl. Job. Tzetz. epist. 22.
11) Diudorf Philol. 20, Iff. (Triklinioa zu Agamemnon), S. 385 ff.
(Thomas zu den Sieben), 21, 193 ff. (Triklinioa zu den „Sieben"; er verweist
in seinem Sophokleskommentar p. 279, 12. 298, 26. 322, 18 Dind. darauf);
Mor. Schmidt Sitzungsber. der Wiener Akad. 21, 280 f. und Mitteilungen
ans Wiener Handschriften 1856 S. 14 ff.; zum Argument der „Perser" Stude-
mund Anecdota p. 238 f.
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Aeschylus. 267
dass die übrigen vier Tragödien erhalten blieben; allerdings
ruht unsere Kenntnis auf einer einzigen Stammhandschrift, in
welcher die Schlussverse des Agamemnon und der Anfang der
Choephoren herausgerissen waren. Der beste Vertreter ist ohne
Frage der berühmte Mediceolaurentianus (32, 9) aus dem
Anfange des elften Jahrhunderts *) , sowohl was den Text als
was die in Uncialschrift beigesetzten Schoüen anlangt; da er
den Agamemnon sehr lückenhaft (ohne 295 — 1026 und 1118 ff.)
enthält, haben hier andere Handschriften, besonders eine rund
um 1400 geschriebene Florentiner und ein nur Ag. 1 — 348
enthaltender Codex der Marciana Wert. Man kann von der
Vortrefflichkeit des Mediceus überzeugt sein, ohne deshalb die
anderen Handschriften zu ignorieren*); sind doch ihre Schollen
unabhängig und von den mediceischen , welche im Ver-
gleich mit den Schollen zu Sophokles und Euripides gar
wenige Gelehrsamkeit gerettet haben *), nicht sonderlich ab-
1) Vgl. Ritscbl in der Ausgabe der „Sieben" und Weckleins Ausgabe,
ATelcbe die genaueste Kollation enthält; Merkels Abdruck (Oxford 1861) ist
unzuverlässig (Rud. Scholl Hermes 11, 219 ff.).
2j Die Alleinherrschaft des Mediceus stellte zuerst G, Burgess in der
Ausgabe der Snpplices 1821 p. 41 auf; dann Cobet, Kirchhoff, W. Dindorf
PhUol. 18, 55 ff. und in der Vorrede der Leipziger Ausgabe ; K. PrienBeitr,
zur Kritik v. Aeschylus' Sieben, Lübeck 1858 S. 45 ff. ; M. S o r o f de ratione
quae inter eos Codices recentiores qnibus Aeschyli fabulae Prom. Sept. adv,
Th. Persae continentur et cod. Laur. intercedat, Berlin 1882; Wecklein
Berliner philol. Wochenschrift 1884 Sp. 903 ff. u. PhUol. 31, 718 ff. ; anders
Mor. Haupt in G. Hermanns Ausgabe; H. L. Ah rens Philol. Sappl. 1,214 ff.;
Heimsöth die indirekte Ueberlieferung des Aeschylu»-Textes, Bonn 1862
8. 5 ff. 176 f. epistula Florentina de codice Laurentiano IX. plut. XXXII,
Bonn 1876; H. Keck Ausg. des Agam. S. 198 ff. Ad. Reuter de Promethei
Sept. Pers. Aeschyli fabularum codicibus recentioribus, Diss. v. Rostock,
Hirschberg 1883. — Mitteilungen über Handschriften: Vauvilliers Nach-
richt Y. fünf Pariser Handschr. des Aesch., Hildbnigh. 1792; Pierron An*
nuaire de Tassoc. pour Tenc des 4t. gr. 1869 p. 22ff.; E. Miller Revue
arch^l. 20 (1869 H) p. 50 ff.; Acta philol. Monac. L 316 ff.; R. Merkel
Aesch. in italienischen Handschr., Lpg. 1868 (unvollendet); Dindorf Philo).
18, 60. 64 f. (über einen Kodex von Neapel); Nauck Bulletin de l'acnd. de
St. Petersb. 6 (1863) p. 296 ff. =: M^langes Gr^corom. U. p. 487 ff. ; K. Zacher
Hermes 18, 472 ff. (Codex Bononiensis).
3) Job. Jos. Frey de Aeschyli scholiis Mediceis, Bonn 1857 verzeichnet
p. 31 f. die Citate, p. 24 f. die Anführungen früherer Erklärer und p. 27 f.
die kritischen Zeichen.
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268 Vn. Kapitel.
Stechend^). Die letztere Frage ist übrigens nicht von grossem
Belaug, denn aus byzantinischen Paraphrasen eines schwierigen
verderbten Textes eigentümliche alte Lesarten herauszuschälen,
dürften wenige den Mut haben*).
Im Drucke erschien der Text der aeschyleischen Tragödien
erst 1518 durch die vereinte Bemühung von Aldus Manutius
und Franc. Asulanus. Fr. Robortellus gab zu Venedig 1552
(in welches Jahr auch ein Pariser Druck von Tumebus fällt)
den Text nach besseren Handschriften heraus und fügte die
Schoüen in einem besonderen Bändchen bei '). Der Wert der
1557 erschienenen Bearbeitung des Henricus Stephanus (gleich-
falls von Scholien begleitet) beruht teils auf Petrus Victorius*
Beiträgen , teils auf der Vervollständigung des „Agamemnon",
nachdem Robortellus die Choephoren abgesondert hatte. Unter
allen Kritikern dieser Zeit leuchtete J. Auratus (Jean Dorat), nach
G. Hermann (zu Ag. 1396) „omnium qui Aeschylum attigerunt
priiiceps**, hervor, obgleich er nur eine Probe („Prometheus",
Paris 1548) selbst veröftentUchte. Den ersten tüchtigen Kom-
mentar gab Thomas Stanley (London 1663 foL). Die gelehrten
Bemerkungen der älteren Philologen sind in mehreren Sammel-
ausgaben aufgespeichert, zuerst von Chr. G. Schütz (Halle 1782
—94, 3 Bde.; die dritte Auflage, 1809—21(2), ist durch zwei
die Schohen und Fragmente enthaltenden Bände vermehrt),
S. Butler (Canterbury 1809—15, 8 Bde.) und A. Wellauer
(Leipzig 1823 — 30, 3 Bde., zu denen ein Wörterbuch kam).
1) Nur eine Verwässerung der mediceischen Scholien nach Sorof (s. o.),
W. Dindorf und Weck lein philol. Wochenschrift 1882 Sp. l()92f.; umge-
kehrt erklärt Heimsöth de ratlone quoe intercedat inter Aeschyli scholia
Medicea et scholiostam A, Bonn 1868 die mediceischen für ein Excerpt. Die
gegenseitige Uuahhängigkeit vertritt W. Seelraann de propagatione scholi-
orum Aeschyleorum, HaUe 1875. — Ueher die Scholien vgl. auch £. J. Kiehl
de Prometheo Aeschyli denuo edendo, Leiden 1850.
2) Dies versucht Heimsöth die indirekte Ueherlieferung des Aesch.,
Bonn 1862 u. die Wiederherstellung der Dramen des Aeschylos, Bonn 1861;
über den textkritischen Wert: Com. Mar. Francken vanMuiden de anti-
quarum Aeschyli interpretationum ad genuiuam leotionem restit. usn et auc-
toritate, Utrecht 1845 u. de Aeschyli scholüs Laurentianis, Miscellanea philol.
fasc. I. Amsterdam 1854, welche Arbeiten durch Weckleins Ausgabe anti-
quiert sind (s. Philol. Wochenschrift 1884 Sp. 905 ff.).
3) Marckscheffel Rhein. Mus. 5, 164 ff.
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Aeschylus. 26^
Der von Ritscbl besorgte Apparatus criticus et exegeticus in
Aeschyli tragoedias (Halle 1832, 2 Bde.) umfasst Stanleys
Commentar und Abreschs animadversiones ad Aeschylum
(Middelb. u. ZwoUe 1743—63, 2 Bde.).
In unserem Jahrhundert tiberwiegt die Kritik weit über
die Erklärung: R. Porson (Glasgow 1794, London 1806, 2 Bde.,
wiederholt von Schäfer, Lpg. 1812 u. ö. u. Dindorf ed. IT. Lpg.
1850) und G. Hermann (hrsg. von M. Haupt, Lpg. 1852, 2 Bde.^
2. A. BerUn 1859) ^) zeichnen sich auf dem Gebiete der Divi-
nationskritik aus; die Benützung der Handschriften begründete
W. Dindorf (Oxford 1840—51. Lpg. 1857. * 1865) «). Die Aus-
gäbe von Wecklein (Berlin 1885, 2 Bde.) bietet die genaueste
Kollation des Mediceus (für Text und Schollen) und verzeichnet
Tausende von Konjekturen *); durch jene werden Ritschis
berühmte Bearbeitung der „Sieben" (mit Scholien und testi-
monia, Elberfeld 1853, 2. A. Lpg. 1875) und Kirchhoffs mit den
Varianten und Scholien des Mediceus versehene Ausgabe (Berlin
1880) wesentlich berichtigt. Den lesbarsten Text mit dem nötigen
Kommentar hat Heinrich Weil (Giessen 1858 — 67 , 2 Bde.,
Paris 1861—66, 2 Bde., 2. A. 1884) hergestellt.
Die Erklärung erhielt durch C. J. Blomfield (Canterbury
1810—24, Lpg. 1822—24, ohne Supplices und Eumenidae)
eine solide grammatische Grundlage. An Gesamtkommentaren
ist nach Weil höchstens die Ausgabe F. A. Paleys (Canterbury
1846 — 51. London 1870) zu nennen. Von den erklärenden
Ausgaben einzelner Stücke verdienen Erwähnung ; Perser von
W. Teuflfel, Lpg. 1866, 3. A. von Nik. Wecklein 1886 (mit
allgemeiner Einleitung), L. Schiller, Berlin 1869, Job. Oberdick,
Berlin 1876; Prometheus von G. F. Schömann, Greifswald
1844 (mit Uebersetzung), L. Schmidt, Berlin 1870, Nik. Weck-
lein, Lpg. 1872; Sieben von Ritschi (s. o.); Orestie: J.
Franz, Lpg. 1846; Agamemnon: R. H. Klausen, Gotha
1) Vgl. Frz. V. Frit zache de Aeschylo Henuanni, Ind. lect. von
Rostock 1880.
2) Die Oxforder Ausgabe enthält auch notae variornm (Bd. n.) nnd
Scholien (Bd. IH.).
3) Allerdings ohne Fundort; Nachträge gibt L. Schmidt Berl. philol.
l\^ochenschr. 1885 Sp. 804 ff.
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270 VII. Kapitel.
1833, 2. A. V. R. Enger, I^pg. 1863; C. G. Haupt, Berlin 1837
(mit Scholien); Th. W. Peile, London 1840; R. Enger, Lpg.
1855, 2. A. V. W. Gilbert 1874-, S. Karsten, Utrecht 1855, K.
H. Keck, Lpg. 1863 mit Uebersetzung, Fr. Nägelsbach, Erlangen
1863 mit Uebersetzung , F. W. Schneidewin, Berlin 185B,
2. A. von 0. Hense 1883, C. van Heusde, Haag 1864 (mit
Scholien); Choephoren: R. H. Klausen, Gotha 1835, F.
Bamberger, Göttingen 1840, A. de Jongh, Utrecht 1856;
Eumeniden: griechisch u. deutsch mit erläut. Abhandl. von
O. Müller, Gott. 1833, Anhänge 1834. 1835 (vgl. Frz. V. Fritzsche,
Recension des Buches Lpg. 1834, zweiter Anhang zu
Herrn K. 0. M's E. 1835 u. G. Hermann opuscula VI 2);
Schwenck, Bonn 1821 u. G. Linwood, Oxf. 1844 (beide mit
Scholien); Schutzflehende: Fr. J. Schwerdt, Berlin 1858,
J. Oberdick, BerUn 1869.
Der Uebersetzer des Aeschylus *) hat kaum geringere
Schwierigkeiten zu überwinden als der Pindars. Vor dem Ende
des letzten Jahrhunderts war daher Aeschylus ausserhalb der
gelehrten Kreise so gut wie unbekannt, was für die nationale
Literatur, da auf diese Weise sonderbare Nachahmungsversuche,
wie Bodmers Karl von Burgund, vereinzelt blieben, eher ein
Vorteil war. Erst Fr. Jacobs weckte durch seine Charakteristik
des Dichters, die Uebertragung des Prometheus und Beurteilung
der Perser ein richtigeres Verständnis für die altertümliche
Schönheit. Jetzt häufen sich die Zeichen der Teilnahme :
Goethe denkt daran die „Schutzflehenden" fortzusetzen, Flax-
man wird 1795 zu Illustrationen begeistert, F. L. zu Stolberg
übersetzt vier Stücke (Hamburg 1802, 1823) und selbst der
Italiener Alfieri überträgt die Perser. Dass dieses Interesse sich
nicht minderte, bewirkte W. von Humboldts Agamemnon
<Lpg. 1816, 1857), den Goethe „abgöttisch verehrte", vielleicht
auch die irrige Auffassung des „Prometheus". Wir nennen an
späteren Versuchen nur die Uebersetzungen von J. G. Droysen
{Berlin 1832, 2 Bde. » 1868), Minckwitz (Stuttgart, zuletzt 1869),
J. C. Donner (Stuttg. 1854. 1869, 2 Bde.) und Ud. v. Wilamo-
witz (Agamemnon, Berlin 1886).
1) Vgl. Karl Eichhoff Jahrbb. f. Philol. 116, 186 ff. 609 ff .
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Aeschylus. 27 1
Nützliche Hilfsmittel sind W. Di ndorf lexicon Aeschyleum
<Lpg. 1873)^) und Rud. Klussmann index commentationum
Aeschylearum ab a. 1858 maxime in Germania editarum,
Berlin 1878 %
1) Nachträge ^bt Ludw. Schmidt Ztsch. 1. Gymnasialwesen 1873
S. 893 ff.
2) S. anch Catalogue of printed books in the British Museum. Aeschy-
lus, London 1883.
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Vm. Kapitel.
Sophokles.
Biographien; Leben nnd Cbarakter; Zeit der Stücke; die beiden Oedipns,
Antigene, Elektra, Aias, Philoktet; G^eschicbte der Dichtungen; Scholien,
Handschriften und Ausgaben.
Auch über Sophokles^ Leben belehren uns in zusammenhängender Weise
eine anonyme Biographie, in der oft ältere Gewährsmänner, namentlich Istros
und Satyros, citiert werden, (die Triklinioshandschriften bieten sie in der
Beceusion des Thomas Magistros, vgl. Dindorf Scholia in Soph. tragg.
p. 405) und ein Artikel des Snidas (vgl. E. v. Leutsch Philol. 25, 278;
Philol. Anz. 7, 205 f.). Ich eitlere die- Biographie nach O. Jahns Ausgabe
der Elektra, wo die übrigen testimonia beigefügt sind ; mit kritischem Apparat
steht sie auch in Dindorfs Scholia in Soph. tragg. p. 1 ff. (dazu kommen die
von Tischendorf analecta sacra et profana ed. II. p. 225 mitgeteilten
Varianten einer Handschrift von Kairo).
Die von Lessing 1760 in Bayles Manier verfasste Biographie des Dichters
(Sophokles. Erstes Buch. Von dem Leben des Dichters, Berlin 1790, in
I^chmanns Ausgabe 6, 282 ff.) ist itlr seine Zeit eine hervorragende Leistung.
Jetzt sind, abgesehen von zahlreichen populären Vorträgen, nur K. W. Lange
comm. de Sophoclis vita particnla, Diss. v. Halle 1823; Ferd. Schultz de
vita Sophoclis poetae, Preisschr. von Berlin 1836; Ad. Scholl Sophokles.
Sein Leben und Wirken, Frankf. 1842 (Abdruck Prag 1870); W. Dindorf
commentatio de vita Sophoclis, dritte Oxforder Ausgabe Bd. VUI S. m— LXX
zu nennen.
Wenn Aeschylus, wie wir gesagt haben, das alte Athen
würdevoll repräsentiert, veranschaulicht Sophokles den peri-
kleischen Staat. Schon ihre Abstammung begründet diesen
Gegensatz, denn Sophokles' Vater Sophillos ^) war keineswegs
1) Ueber die Schreibung des Namens s. Dindorf Stephani thesaurus
VII p. 525 u. Naucks Ausgabe I p. 2*; XX durch Anthol. Pal. 7, 21, 1
gesichert.
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Sophokles. 273
einem altadeligen Geschlechte entsprossen, sondern ein wohl-
habender Fabrikant, der zum Gau Kolonos Hippios gehörte ^).
Das Geburtsjahr des berühmten Dichters ist wie gewöhnlich
nicht genau zu bestimmen; die alten Literarhistoriker schwankten
zwischen Ol. 70, 4 (497/6) und 71, 2 (495/4)«). In jungen
Jahren widmete sich Sophokles der Gymnastik und der Musik,
in welch' letzterer der bekannte Lampros ihn unterrichtete,
mit soviel Eifer und Geschick, dass er öffenthche Preise erhielt %
Da ihn überdies körperliche Schönheit auszeichnete*), durfte
der Sohn eines einfachen Bürgers, als man den Sieg von Salamis
feierte, den Festreigen der Knaben mit der Lyra in der Hand
anführen *). Noch später sprach man davon , wie meisterhaft
er auf der Bühne in der Rolle des Thamyras die Leier gespielt,
so dass der Künstler, welcher ihn in der Stoa Poikile darzu-
stellen hatte, ihm dieses sein Lieblingsinstrument in die Hand
gab *). Sophokles war nicht so wie der geniale Aeschylus
geartet, dass er mit Ungestüm die Laufbahn, zu der er sich
berufen fühlte, eingeschlagen hätte. Erst mit ungefähr acht-
undzwanzig Jahren, nachdem er, wie man sagt, bei Aeschylus
die schwierige Kunst des Inscenierens erlernt hatte ^), Ol. 77,
4 (469), trat der augenscheinlich wohl vorbereitete Dichter vor
1) TlxTü)v ^ y(akTii6<; Aristoxenos in der V. §. 1, jj.axatpoicoi6(: Istros
V. 1 (der Biograph selbst neigt sich zur Ansicht des PUjiins nat. hist. 37, 40
princifmli loco genitus) ; wohlhabend mass die Familie gewesen sein, weil sie
eine Gruft besass (V. 15). Kolonos: CIA. I 237. Androtion fr. 44a bei Schol.
Aristid. p. 485 Dind. (Campbell Joamal of Philol. 7, 116 ff. schildert die
Gegend) ; V. 1 citiert Straten (Variante : Istros) für Phleius, offenbar weil er in
einem Epigramm sich ähnlich wie Dioskorides Anthol. Pal. 7, 37, 3. 707, 4
ausdrückte.
2) Nach der parischen Chronik war er 469 bei seinem ersten Siege
28 Jahre (Z. 72) und Ol. 93, 3, als er starb, 91 Jahre alt (Z. 78), wofür L.
Mendelsohn Acta soc. philol. Lips. n 1 p. 169 ffl eintritt; nach V. 2 (cpaot)
Ol. 71, 2, ebenso Böckh Antigene S. 120; Ol. 73 Snidas; 7 Jahre nach
Aeschylus, 24 vor Euripides V. 2. Schol. Aristoph. Ran. 75. Vgl. AI. Kolisch
de Sophoclis anno et natali et fatali, Diss. v. Halle 1878.
3) Istros V. 3; Lampros: V. 3. Athen. 1, 20 f.
4) Athen. 1, 20e wird durch die Bilder des Dichters bestätigt.
5) V. 3. Athen. 1, 20 f.
6) Athen. 1, 20 f. V. 5 (?aoi).
7) V. 4.
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur, m. 13
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274 "^^ni. Kapitel.
das Volk und erprobte wieder sein merkwürdiges Glück ^) : Der
Anfänger überwand den sieggewohnten Altmeister I Damit war
er sofort ein berühmter Mann geworden. Dank seiner Liebens-
würdigkeit und Anmut rang er dem Volk und den Choregen
die Erhöhung der Schauspielerzahl und die malerische Dekoration
der Scene ab. Da aber in jenen Zeiten keiner, der nicht
im öflFentlichen Leben seinen Platz voll ausfüllte, etwas galt,
kam ihm das Wohlwollen der Mitbürger auch hierin zu statten.
Sophokles wurde in Gesandtschaften gewählt^, mehrmals gehörte
er zu den Strategen und zwar einmal in einer Zeit, wo der
Abfall von Samos die athenische Machtstellung in Frage stellte
(Ol. 85, 1); Perikles war freilich nicht ganz mit ihm zufrieden *).
Im Jahre 443/2 (Ol. 84, 2) sass der Dichter gar in dem Finanz-
kollegium der Bundesschatzmeister *). Noch in dem stürnjischen
Jahre 411 treffen wir ihn in der Stellung eines Probulos %
Zugleich war Sophokles mit dem Priestertum des heilkräftigen
Heros Alkon betraut und scheint in dieser Eigenschaft den
Kult des Asklepios in Athen eingeführt oder wenigstens ver-
breitet zu haben ; vielleicht geschah dies zur Zeit der grossen
Pest ^). Jedenfalls begeisterte der Dichter das Volk für den
1) Ol. 77, 4 Chron. Par. Z. 72 ; Ol. 77, 3 Hieron. A, 2 Euseb. armen.
II. Hieron. P, 1 Hier. F. Mit jener Zahl stimmen die „ungefähr 145 Jahre
vor Alexanders Tod" bei Plin. nat. bist. 18, 65, woraus Lessing schloss, dass
Sophokles mit dem „Triptolemos" debütierte; aber Plinins sah natürlich
nicht die Didaskalien, sondern eine Chronik ein, worin er Sophokles zu Ol.
77, 4 notiert fand. Der Sieg wurde von der Sage umsponnen, s. Plutarch.
Cim. 8.
2) V. 1 a. E.
3) Androtion fr. 44 a bei Schol. Aristid. p. 485 (vgl. Fr. R i 1 1 e r Rhein.
Mus. 2, 180ff. E. v. Leutsch Philol. 35, 226); auf der Fahrt nach Lesbos:
.Ion bei Athen. 13, 603 f; Anekdote Plutarch. Per. 8; Ol. 84,4 nachBöckh
Soph. Antig. '106 ff. ; nach Y. 2 nahm er am Feldzug gegen Anaia Teil
(Thucyd. 3, 19). Mit Thukydides V. 1, in höherem Alter mit Nikias Stratege
Plutarch. Nie. 15; der Feldherr dagegen, welcher Ol. 88, 3 nach Sicilien
geschickt wurde, ist ein anderer, obgleich Synkellos den Dichter deswegen
zu Ol. 88, 3 ansetzt.
4) CIA. I. 237.
5) Aristot. rhet. 8, 18 p. 1419a 26 ff., jedenfaUs derselbe wie 1416a 15
(Gilbert Beitr. zur inneren Oesch. Athens S. 290 ff., ein anderer nach E.
Curtius griech. Geschichte I »835 A. 162).
6) Alkon: V. 11, vgl. C. Paucker de Sophocle medici herois sacer-
dote, Dorpat 1850; Altar des Asklepios: Etym. Magn. p. 256, 12, vgl. Anthol.
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Sophokles. 275
-zuvor kaum gekannten Gott durch einen Päan, in welchem er
dichtete, dass der Gott Asklepios selbst zu ihm gekommen sei,
wie einst Dionysos zu Ikarios ^). Kein griechischer Hymnus
hat eine gleiche Beliebtheit genossen ; war der Päan doch noch
im fünften christlichen Jahrhundert zu Athen allbekannt *).
Obgleich Sophokles ausserdem im gesellschaftlichen Leben
Athens eine ansehnliche Rolle spielte, fand er doch Müsse um
über hundert Tragödien und Satyrspiele, ungerechnet einige
Elegien, zu verfassen. Dies wurde ihm nächst den angeborenen
Geistesgabeu dadurch allein ermöglicht, dass er bei voller Frische
des Körpers und des Geistes ein ungewöhnlich hohes Alter er-
reichte^). Der Tragiker zählt zu den wenigen berühmten Männern,
denen dies zu Teil wird, ohne dass sie sich selbst überleben;
und Sophokles hatte zudem den fortgeschrittenen Euripides
2ura Rivalen 1 Dem Ende der achtziger Jahre nahe, verfasste er
den „Oedipus auf Kolonos*' mit ungeminderter Meisterschaft,
doch diese patriotische Dichtung persönlich auf die Bühne zu
bringen, hinderte der 40G ihn überraschende Tod*); Sophokleö;
-erreichte ein Alter von über neunzig Jahren^). Mochte aüc^Ii
Pal. 6, 145 (nach Sternbach melet. Graeca p. 111 von Simias), d^egen"
Marin, vit. Procl. 29 a. E. xoö anb SocpoxXIooc eitttpavoöc 'AoxXvjirtetöbV ^^l»'
L. V. Sybel Mittheil, des Inst, in Athen 10, 97 ff. Nach ü. v. ^iV&m^^^
Witz Isyllos S. 83 (vgl. S. 188 ff.) kam der Kult schon um 460 nach Athelu?
Bei einer späteren Pest führten die Athener die Verehrung de^^f)äq[io|^;Tela^«,
phoros ein (Kaibel epigramm. Gr. ex lapid. coli. p. 435).
1) Etyni. M. p. 256, 6 ff. Plntarch. non posse suav. v. 22. Num. 4.
2) Plutarch. Num. 4. Lucian. enc. Dem. 27. Philostr. vita A|5pll.^'3, 17
p. 50, 27 K. Philostr. jun. imag. 13. Marin, a. O. Der .erhaltene i*%n "(CIA.
m add. 171b. Bergks poet. lyr. Gr. m* p. 676 ff.) wird von Kaii>äl Eheiu.
Mus. 34, 302 und U. v. Wilamowitz Isyllos 8. 83, '5^ äls'd^r sophoklpische ,
betrachtet; für den Verfasser ist Asklepios kein Gott, sondcirn .nur Äii^. EÖlm'on
(V. 12. 19). " :/ '" ' '
,3) Als er mit achtzig Jahren einen Prozessliatte.lbefiauptete, der Kläger,
er sei gar kein Greis, sondern zittere bloss zum Sdieine (Äristot.' rliet. 3, 15
p. 1416a 15ff.). ,.*.--,. .,:,"'< 1 '
4) Als am Anfange von 405 die „Frösche" aufgeführt Wurden/ war er
tot; er starb nach Diod. 13, 103, 4 (vgl. Apul. apol. ^7) und Euseb^^ cbron.!
(arm. Ol. 92, 3. Hieron. 93, 1) kurz nach l^uripid^s. . . * ., _* '
5) 91 nach Marm. Par. Z. 78 (zu 90 abgerundet Diodor. a^JO-Snida?) ;
95 Ps. Lucian. fiaxp6ß. 24 (übertrieben! „beinahe hundert" Val! Aiax. 8, 7
ext. 12). ''/]'. .f" • -'
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276 VIII. Kapitel.
der lebeusfrische Greis die Unzuträglichkeiten des Alters un-
gern empfinden ^) , alles pries ihn glücklich , weil sein langem
Leben ungetrübt verlaufen und durch einen sanften Tod gleich
schön beendigt war*). Dazu erinnerte man sich jenes mystischen
Päans und gedachte eines wunderbaren Traumes, da Herakles
dem gottgeliebten Manne erschienen war und ihm einen Tem-
pelräuber entdeckt hatte ^). Endlich soll Dionysos dem Führer
des spartanischen Invasionsheeres geboten haben, das Begräbnis
seines Lieblings nicht zu stören *). Wer möchte da sich wun-
dern , wenn ihn die Athener gleich einem schützenden Heros^
unter dem Namen Dexion verehrten und auf irgend ein be-
stimmtes Wunder hin Schutz gegen die Winde von ihm er-
hofften ^)?
Tod und Greisenalter des Dichters sind von einem Legen-
denkranze umsponnen. Die einen behaupteten , er habe sich
beim Vorlesen der Antigone (1) zu sehr angestrengt, wogegen
nach anderen die Freudenbotschaft eines Sieges ihm den Tod
brachte^). Beides verdient nicht mehr Glauben als was die
Späteren mit merkwürdiger Einstimmigkeit über einen Familien-
zwist berichten. lophon, sein ältester Sohn von Nikostrate ^),
soll nämlich beantragt haben, den uralten Mann wegen Schwach-
sinn unter Kuratel zu stellen, worauf Sophokles durch Vorlesung
seines letzten Werkes seine ungetrübte Geisteskraft glänzend
dargethan habe^. Aber Aristophanes weiss in den „Fröschen'*^
1) Oed. Col. 1215 flf.
2) Phrynichos im Argum. Oedip. Colon.
3) Hieronymos V. 12. Cic. de div. 1, 25, 54. Tertiill. de auima 46.
4) Pausan. 1, 21, 1, fälschlich auf Lysaudros bezogen V. 15. Pliu. nat.
h. 7, 109;. vgl. Plnt. Nnm. 4.
5) Istros V. 17. Etym. M. p. 256, 7 ff.; Dexioo hiess er als Wirt de»
Asklepios, wie der König, bei welchem Herakles eingekehrt war, Dexameuos.
G) V. 14 (da« erstere ans Satyros). Diodor. 13, 103, 4. Val. Max. 9, 12
ext. 5 (ausgeschmückt). Plin. nat. hist. 7, 180. Den poetischen Ausdruck
oivuj:röv Bduyioo ßoxpov IpeictöfAcvoc Anthol. Pal. 7, 20 (simonideisch) nahm-
man wörtlich, als ob er an einer Weinbeere erstickt sei (Istros u. Neanthe»
V. 14. Sotades (?) bei Stob. flor. 98, 9 V. 14. Ps. Lucian. fiaxpoß. 24).
7) V. 13. Schol. Aristoph. Ran. *73. Puidas u. 'lo'fcüv.
8) V. 7 (zum Teil aus Satyros) = Apul. apol. 37 (a filio suomet) = Ps.
Lucian. ^axpoß. 24 ; anders (von ollen Söhnen) Plutarch. an seni ger. 3 =
Cic. sen. 7, 22. Vgl. Welcker griech. Trag. S. 263 ff. Oswald Wolff
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Sophokles. 277
^ron einem solchen skandalösen Zwiste nicht das geringste; dazu
kommt , dass lophon dem Vater ein Grabmal mit rühmender
Aufschrift setzte und den „Oedipusauf Kolonos'* auf die Bühne
braclite ^). Die ganze Fabel ist oflFenbar aus diesem Stück
herausgedeutelt, weil der greise Held Polyneikes wegen seines
unkindlichen Benehmens verflucht *). Sie gewinnt dadurch,
dass sie manchmal mit einer romantischen Geschichte in Zu-
sammenhang gebracht wurde, nicht an Wahrscheinlichkeit. Der
-ewig junge Greis habe sich nämlich, sagte man, in die Sikyo-
nierin Theoris verliebt und von ihr einen Sohn mit Namen
Anston gehabt ^) , dessen Knabe Sophokles sein Liebling ge-
wesen sei. In Wirklichkeit stammte der letztere von lophon
ab, wie urkundlich nachgewiesen werden kann *). Als Sophokles
arglos die Worte dichtete: <ttXY]Yapif) dswpti:^), hatte er keine
Ahnung, wie verhängnisvoll sie seinem Rufe werden sollten.
Der geistreiche Ion charakterisiert Sophokles mit folgenden
Worten : „Ein heiterer Gesellschafter und gewandt , aber im
<5fifentUchen Leben weder als Doktrinär noch als Praktiker her-
vorragend, sondern ein wackerer Bürger und nicht mehr*' %
Diesem Bilde entspricht die Geschichte, welche er in seinen
Memoiren mitteilt; wir bemerken einen amüsanten Causeur,
qnaestioues lophonteae, Meissen 1882 u. de lophonte poeta traglco, Diss. v.
Lpg., Meissen 1884 p. 8ff.; Hill er Philol. Anz. 1885 S. 212 ff.; J. Gal-
lina über die Tradition des Prozesses, welclien I. gegen seinen Vater S. an-
gestrengt haben soll. Fr. v. Trebitsch 1884.
1) Aristoph. Ran. 78 ff.; Inschrift: Valer. Max. 8, 7 ext. 12. Vgl. V. IL
2) Nach G. Hermann Oed. Col. p. XI und E. v. Lentsch Philol.
35, 254 (ähnlich Nauck Aasg. F S. 13) stammt die Geschichte aus dem
aristophanischen Stück Apifiata, weil Schol. Arist. Ran. 73 sagt: elo*rj*^aYe
^s Koxe So^oxXyjc ev 8pÄ|j.axc xöv 'locpÄvta (pO-ovoovxa, ähnlich V. 13.
3) Hesych. u. Ofcupt*;, vgl. Hermesianax V. 57 ff. bei Athen. 13, 598 c d.
V. 13. Arg. Oed. Col. Suidas u. So^poxX-rj? H.; Kipper Philol. 27, 33Bff.
4) CIA. II 672, 37; er hatte wieder einen Sohn lophon ('E^Y||j.gpl<;
iLpy(aio\(r(, 4111).
5) Athen. 13, 592 b, womit die Glosse des Hesychios ^euipiSe^, al :cBpl
tov diovoaov Bdx/ai zusammenzustellen ist. Bei den Lügen eines Hegesandros
und Hieronymos (Athen. 13, 592 ab f. 604 d) brauchen wir uns nicht auf-
zuhalten.
6) Athen. 13, 603 f. 604 d; Phrynichos (a. O.) nennt ihn t68at|j.ü)v iv-Jjp
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278 Vm. Kapitel.
auch über sich selbst ein weuig zu spotten bereit, und einea
für Schönheit begeisterten Mann. Eros machte ihm viel zu
schaffen, doch rühmte sich Sophokles, im Alter von Regungen,
die sich nicht mehr ziemten, frei zu sein^). Von dem leiden-
schaftlichen reizbaren Aeschylus und dem verdrossenen Euripi-
des stach der höfliche und liebenswürdige Dichter vorteilhaft
ab^, was für ihn unter anderem die angenehme Folge hatte^
dass er von der Komödie selten und nicht empfindlich gezaust
wurde ; das schlimmste , was wir bei Aristophanes über ihn
lesen, ist ein Vergleich mit Simonides, den man auf Habsucht
gedeutet hat*). Jene Liebenswürdigkeit hinderte Sophokles
freilich nicht, Schwächen seiner Rivalen oflFen zu rügen ; während
er sich seinem Vorgänger in der Erkenntnis der dichterischen
Gesetze überlegen glaubte*), tadelte er den Realismus der euri-
pideischen Charaktere^). Doch hielt er die von Euripides be-
liebten Seitenhiebe von seinen Dichtungen fern und, als jener
starb, liess er seinen Chor in Trauerkleidern auftreten ; ^) selbst
wenn diese Erzählung erfunden sein sollte, zeigt sie immerhin,
welches Bild seines Charakters in der Volksmeinung fortlebte.
So war der Dichter als Privatmann geartet. Im Amte mag er
mehr zuvorkommend als nützlich gewesen sein; sicherlich ge-
hörte er der Regierungspartei , also der Richtung des Perikles,
an. Die „Eumeniden** hätte Sophokles nicht gedichtet , wenn
er auch die üblichen Verwünschungen aller Demagogen und
Volksverführer nicht spart'); sein eigener Patriotismus war in
1) Plato republ. 1, 329 bc.
2) Aristoph. Bau. 82 (eoxoXoc) und besonders V. 787 flf. V. 7.
3) Friede V. 697 flf. mit SchoUen.
4) Chamaileon bei Athen. 10, 428 f, vgl. 1, 22 a (Stob. flor. 18, 33)^
Plutarch. mor. p. 79 b; s. W. Hei big Ztsch. f. Gymnasial w. 16, 99; A. M.
Marx über das persönliche Verhältnis zwischen Aiscbylos n. S., Fr. v.
Landskron, Frag 1879.
5) Aristot. poet. 25 p. 1460 ; wertlos Fs. Euripides epist. II. V 6. Hiero-
symos bei Athen. 13, 557 e. Serenos bei Stob. flor. 6, 36. Ezcerpta Job.
Damasceni 2, 30, 10; angebliche Polemik: Schol. Eurip. Fhoen. 1. Fol-
lux 4, 111.
6) Vita Eurip. Z. 42 flf. W. (X^Y^üot); Fritzsche in G. Hermanna
opuscula V 203 bezieht es auf den Tod des Aeschylus.
7) B. J. Floos van Amstel de sententiis quibusd. polit. in Soph. tra-
goed. Leiden 1847; O. Eallsen Soph. ein Vertreter seines Volkes auch ia
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Sophokles. 279
der That treu und echt, er hätte trotz lockender Einladungen
sein teueres Athen um keinen Preis mit einem fremden Hofe
vertauscht *). Sophokles' Verehrung für Perikles erstreckte sich
jedoch auf das religiöse Gebiet*) nicht, der Priester des Alkon
und Asklepios hing vielmehr treulich an der hergebrachten
Götterverehrung, ^) im besonderen der attischen , wobei er eine
begreifliche Voreingenommenheit für die eleusinischen Mysterien
bekundete , insofern sie ihm für alleinseligmachend galten *).
Waren auch Sophokles' sittliche Anschauungen für einen Griechian
edel und trefflich^), so fehlte ihnen doch das Tiefe und Charak-
tervolle^ das an Pindar und Aeschylus so sehr anzieht.
Auch in Hinsicht auf schöpferische Phantasie kommt So-
phokles seinem genialen Vorgänger nicht gleich ^. Seine Grösse
politiBcher Hinsicht, Pr. v. Rendsburg 1850; Alfr. Wiedmann de civitato
ac vita publica quid Sophocles senserit, Bonn 1865.
1) Vita 10 (die Anekdote bei Gregor. }Taz. poem. mor. 9, 335 ff. spielt
irrtümlich bei Archelaos) ; er sagte in einer Tragödie (fr. 788 N.) : „Wer zu
einem Tyrannen wandert, ist sein Diener, auch wenn er frei kommt*'.
2) S. 202 A. 4 u. 248 S. 4; dazu G. Schwab de religione Soph.
rational! I. Stuttgart 1820; Chr. Mor. Fittbogen de Sophoclis sententiis
ethid?, Diss. v. Berlin 1842; Franz Peters theologumena Sophoclea, Diss.
V. Münster 1845 u. de peccati in* tragoediis Sophocleis vi et natura, Pr. v.
Conitz 1849; Friedr. Lübker die sophokleische Theologie u. Ethik, Pr. t.
Parchim (Kiel) 1852 u. 1855; Max Trütschel de Sophoclis poetae in deos
pietate I. Pr. v. Braunsberg 1853; Frz. Winiewski de animarum post mor-
tem statu apud Soph., Pr. d. Univ. Münster 1857; J. Fechner die sittlich-
religiöse Weltanschauung des S., Bromberg 1859; Ant. Lehmann de Jove
Homerico et Sophocleo, Diss. v. Berlin 1863 ; Alb. Kirchner über die soph.
Tragödie insonderheit über die in ihr enthaltenen sittlich-religiösen Vorstel-
lungen, Pr. V. Burg 1864; Max Heubach theolognmen. Soph. particula,
Königsberg 1865; Ant. Fichna S\ reb'giöse u. sittliche Gedanken, Pr. y.
Cilli 1867; C. F. Wassmuth in Sophoclis de natura hominum doctrina
multa inesse quibus adducamur ad doctrinam Christ, Pr. y. Kreuznach
1868; £rn. Wüst quid S. de immortalitate animae et de inferis tradiderit,
Diss. V. Jena, Königsberg 1869 u. der Hades u. das Leben der Ver-
storbenen in demselben bei S., Pr. d. Realsch. auf d. Burg, Breslau 1870;
Jos. Feldkircher Sophoclis de philosophiae morumque praeceptis, Pr. y.
Oberhollabrunn 1877; Carl Tumlirz die Idee des Zeus bei S., Pr. y. Krumau
1878. — Scholz de deorum ap. S. epithetis, Pr. v. Güterloh 1861.
3) SchoL Soph. El. 831 xal '^äp elc 'Jjv twv ^cooeßsoxdttwv.
4) Bei Plutarch. aud. poet. 4 a. £.
5) £1. 47 Iftsst er es allerdings auf einen Meineid ankommen.
6) Charakteristik: Jacobs Nachträge zu Sulzer 4, 86 ff.
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280 Vm. Kapitel.
besteht auf allen Gebieten in der Verfeinerung und harmonischen
Abrundung von Aeschylus' Erfindungen. Aeschylus hatte das
tragische Kostüm geschaffen, Sophokles führte eine zierliche
Beschuhung ^) und stützende Stäbe (S. 174) ein. Von dem
ersteren war der ganze Theaterapparat erdacht worden ;
sein Nachfolger verwertet die von Polygnot und seinen
Zeitgenossen errungenen Portschritte der Malerei zur Theater-
dekoration (S. 152). Ebenso wenig wird ihm eine prinzipielle
Neuerung in den Grundlagen der Tragödie zugeschrieben ; denn
selbst wenn es wahr wäre , dass er die Zahl des Chores um
drei erhöhte (S. 209, 6), hätte dies nicht viel bedeutet. Von
grösseren Folgen war es, dass Sophokles die Gewährung eines
dritten Schauspielers beim Volke durchsetzte (S. 179). Während
Aeschylus' Reform epochemachend gewesen war, bezeichnete
diese Neuerung eigentlich nur eine Vervollkommnung und Be-
reicherung der gegebenen Grundlage der Tragödie. Doch wir
wollen die bedeutenden Ergebnisse derselben durchaus nicht
herabsetzen. Konnte doch der Dichter jetzt erst eine breitere
Handlung schaflfen und erlangte dadurch zugleich die Möglich-
keit, die trilogische Gliederung der Handlung aufzugeben. Statt
dessen richtete er söin Augenmerk auf den Höhepunkt einer
Sage, auf jene Zeit, wo gleichsam die Wolken sich zusammen-
geballt haben , um nach einer Weile der Beängstigung einen
Blitz zu entsenden. Sophokles' glücklicher Blick ist über alles
Lob erhaben. Doch sah der denkende Tragiker recht wohl
ein, dass damit noch lange nicht alles gethan sei. Die epische
Aufeinanderfolge der Ereignisse hätte auf der Bühne verwirrend
gewirkt; dagegen wusste er, .welchen erfreulichen Eindruck der
Anblick zielbewussten Thuns auf das menschliche Gemüt macht,
und so verkettete er die Ereignisse fein und natürlich , ohne
durch eine Lücke den Hörer zu einer kritischen Frage zu reizen.
Den durchlaufenden Faden gewann Sophokles aus den Charak-
teren der Hauptpersonen ; wer möchte zu behaupten wagen,
dass der Dichter irgend einmal den Einwurf verdiene: „So
kann ein so gearteter Mensch in diesem Falle nicht gehandelt
haben"?
1) Istros V. §. 8 (weisse xpYjTCtSsc) , miss verstanden Serv. Verg.
E. 8, 10.
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Sophokles. 281
Bereits die alten Kritiker würdigten seine unvergleichliche
Kunst des Charakterisierens ^). Statt dass die Personen durch
unnatürliche Monologreflexionen sich selbst bespiegeln oder
durch den Mund Anderer Zug um Zug porträtiert werden,
liess er sie natürlich sprechen, wobei er die Worte ohne ver-
stimmende Absichtlichkeit so klug setzte, dass der sinnige
Hörer und Leser oft aus einem halben Verse oder einem einzigen
Worte eine bedeutungsvolle Eigenschaft des Sprechenden errät.
Diese Kunst ist um so mehr zu bewundern, als Sophokles die
Menschen nicht so realistisch wie Euripides schildert, sondern
heroische Charaktere zeichnen will. Wie nahe lag da die Gefahr,
dass der Tragiker in schablonenmässige Einförmigkeit verfiel
oder dass wenigstens die ungezwungene Natürlichkeit des
Gespräches nicht immer glückte! Sophokles hat jedoch den
hohen Ruhm, Mannigfaltigkeit und seltenen Takt zu seinen
Hauptvorzügen zählen zu dürfen ^) , während seltsamer Weise
gerade der Realist Euripides gegen ihn in dem letzteren Punkte
wesentUch zurücksteht. Vielleicht trug die rege und vielseitige
Beteiligung am öffentlichen Leben zur Entfaltung dieser Gabe
fordernd bei.
Der vielbeschäftigte Staatsbeamte und beliebte Gesellschafter
führte natürlich auch mit der Feder eine gewandtere Konver-
sation als der würdevolle Held von Marathon und eine volks-
tümlichere als der Schüler der Philosophen, weil er nicht bei
sophistischen Disputationen , sondern in Volksversammlungen
und Gerichtssitzungen seine Fertigkeit erlangt hatte '). Im
Verkehr mit vielen verschiedenen Menschen beobachtete er das
eigentümliche Zusammenstimmen von Sprache und Individuum,
1) Pliitarch. mor. p. 348d. Vit. 21; S. 172 A. 1. 176 A. 4. Hasper
die Feinheit der Oekouomie ii. der Charakterzeichnung in den einzelnen
Dramen des S. u. der Kern der sittlichen Anschauung derselben, Pr. von
Oross-Glogau 1881.
2) Vit. 20 TCOtxtXta und cüxaipia (vgl. Plutarch. mor. p. 348 d).
3] Ueber den sophokleischeu Stil: Lud. Benloew de Sophocleae dicti-
onis proprietate cum Aeschyli Euripidisque dicendi genere comparata, Paris
1847; Alb. Lindner cothurnus Sophocleus, Diss. v. Berlin 1860; Friedr.
Schubert Beitrag zu einer zusammenfassenden Darst. der Eigentümlich-
keiten der soph. Diktion, Pr. v. Prag 1868; Max Lechner de rheloricae
nsu Sophocleo, Berlin 1877.
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282 Vni. Kapitel.
als Diplomat achtete er auf den Doppelsinn der Rede, den er
für die tragische Ironie unvergleichlich schön anwendete (S. 184)^
hier flössen ihm jene Ausdrücke der lebendigen Volkssprache-
zu, welche den Rhetoren an dem über so erhabene und feier-
liche Worte gebietenden Dichter störend vorkamen ^). Hätten
sie sich jedoch die Mühe genommen, seine Absichten ehrfurchts-
voll zu erforschen, würden sie im Gegenteil die vielseitige Kunst
des Charakterisierens aufs neue bewundert haben. Sophokles
hat im allgemeinen die Grandezza der aeschyleischen Sprache
um einen Grad herabgestimrat *), weil er, obgleich seine Chor-
heder durch Anmut und Wohlklang gefielen '), den Schwer-
punkt seiner Dichtung von der Lyrik in das Dramatische ver-
legte. Wiewohl er dementsprechend zu der Kühnheit des
Lyrikers nicht emporsteigt, gebietet er doch über einen statt-
hchen Reichtum an Bildern, zumal an solchen, welche eine
sinnige Naturbetrachtung offenbaren *). Den Wortschatz der
griechischen Dichter hat Sophokles durch nicht wenige Erfind-
ungen gemehrt^), wie auch vieles Alte infolge eigenartigen
Gebrauches den Eindruck des Neuen macht ^ ; vor allem ver-
bindet er die Wörter auffallend oft in besonderer Weise unter
1) Diooys. vet. Script, cens. 2, 11. Ilepl ßtjoü^ 33; vgl. Plutarch. rect.
rat. aad. 13.
2) DioDjsios (compos. verb. 24, auch Dio Chrys. or. 52, 15) rechnet ihn
daher £ur mittlereu Gattung.
3) Schol. Oed. Col. 668. Ai. 1199.
4) S. 226 A. 3. 4; Ed. Müller über die soph. Naturanschaaung, Pr. v.
Liegnitz 1842; Karl Schirlitz das Bildliche in den Trag, des Soph. I. Pr.
V. Wernigerode 1870; Heinr, Kühlbrandt quomodo S. res inanimas vita
humana indnerit, Lpg. 1880; P. KödstrÖm de imaginibus Sophocleis a rernm
natura snmptis, Diss. v. Stockholm 1883; £. Krichauff de imaginnm apud
ß. usn, Pr. V. Lyck 1884. üeber den metonymischen Gebrauch der Götter-
namen: Max Heu b ach theologumenon Sophocl. particula, Königsberg
1865 cap. 1.
5) Arn. Juris de Sophoclis vocibns singularibus, Diss. y. Halle 1876 ;
Paul Künstler de vocibus primnm apud 8. obviis I. Diss. r. Jena, Grossen-
hain 1877 ; K. F. S c h i n d 1 e r de Sophocle verborum inventore I. de nominum
compositione, Breslau 1877; Herm. Schulz qnae nova S. protulerit nomina
composita, Diss. v. Königsberg 1882.
6) W. Mohr observationes Sophocleae, Bonn 1863 ; Karl Schambach
S. qua ratione vocabulomm significationes mutet atque variet I. Diss. v.
Göttingen 1867, II. Pr. v. Nordhausen 1878; Frd. Slameczka über Eigen-
tümlichkeiten im Gebrauche der Epitheta bei S., Pr. v. Teschen 1869.
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Sophokles. 28?
einander ^). Für durch Präpositionen verlängerte Verba zeigt
der Tragiker, weil sie voller klingen, eine unverkennbare Vor-
liebe. ^) Denn, wenn er Aeschylus' überquellenden Wortreichtum
eindämmt, verzichtet er darum doch nicht auf eine kräftige
Fülle der Sprache *).
Sophokles ist unter allen Dichtern des klassischen Hellenis-
raus unbestritten derjenige, dessen Schöpfungen jeden Freund
und Kenner des Griechentums am sympathischsten berühren;
allein eben weil die klassische Schönheit in der Harmonie von
Stoff und Form, von Wollen und Ausführen beruht, ist es
kaum möglich, ihm anders völlig gerecht zu werden als indem
wir sagen, dass er die Fehler seiner beiden Rivalen glücklich
vermied. Anmut war das Kennzeichen der sophokleischen
Poesie, weshalb ihn bereits die Komiker seiner Zeit mit der
honigspendenden Biene verglichen*). Allein es war die an der
rechten Stelle mit Herbheit gemischte Lieblichkeit Homers ^).
Der Dichter verstand nicht allein aus den Schönheiten seines
Heimatlandes einen reizvollen idyllischen Hintergrund für den
„Oedipus auf Kolouos** zu weben *), sondern der nämliche
Tragiker schilderte die Leiden des Philoktet und Herakles mit
grässlicher Anschaulichkeit ; man glaubt mit eigenen Augen zu
sehen, wie das giftige Blut des Kentauren schöussliche Blasen
treibt und Lichas' zerschmettertes Gehirn hervorquillt. Und
1) L. Struve de dictione Sopboclis, Berlin 1854; W. Mohr (s. A. 6).
2) Aug. Theod. Lud ewig de dictionis Soph. nbertate qnae in verbis
cum praepos. compos. conspicitur, Berlin 1864.
3) 05 irtptTxö^ 6v tolc XoYotc» ^^^' ctvaYxato^ Dlonys. vet. Script, cens.
2, 11; vgl. Fr. W. Schmidt de ubertate orationis Sophocleae I. Pr. v,
Magdeburg 1855, IL Pr. v. Nenstrelitz 1862; Mor. Bottger de singulari
quadam yerbi parapbrasi apud Sophoclem oblata, Pr. v. Königsberg i. d.
N. 1879.
4) Schol. Soph. OC. 17. Ai. 1199. Vit. 20. u. A.; }i.iUxi xcxpifAtvoc
Aristophanes bei Dio Chrys. 52, 17; y^^^'^'^^C Plutarch. mor. p. 348 d. Vit.
20, Y^^iti>? Phrynichos Attic. bei Phot. cod. 158.
5) Dionys. compos. verb. 24 ; der Komiker Phrynichos sagte fein (Diog.
Laert. 4, 20) ob y^'>5'C oö8' bizoyoxoi; aXXa IIpa{jiyio(. Auch V. 20 spricht von
Sophokles' „Kühnheit".
6) D. Bassi il sentimento della natura in Sofocle, Kivista di filol.
12, Iflf. 57 ff.
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284 VIII. Kapitel.
wie mag er die Frevel des Atreus, der seine Gemahlin in das
Meer warf, dem Thyestes die Kinder zur Speise vorsetzte und
endlich ihn selbst tötete, geschildert haben ^)? Indes bewahrte
der Dichter . sein feines Gefühl für das edle Ebenmass vor
dem Unpoeüschen. Die Abgeklärtheit seiner Poesie war ihm
sowenig als irgend einem anderen Menschen angeboren, sondern
die Frucht reiflicher Erwägungen. Jene Aeusserungen über
Aeschylus und Euripides zeigen, dass er viel über seine Kunst
nachgedacht hat*). Die Inspiration ist weise gezügelt, ohne
die Frische des Natürlichen dadurch zu verlieren ; denn eine
gewisse Leichtlebigkeit und heitere Genusskraft bannten das
Grübeln, wodurch die Poesie seines jüngeren Genossen ange-
kränkelt ist, und erhielten Sophokles die Harmonie der Seele,
die für die Poesie unumgänglich notwendig ist. So stand er
4er geistigen Bewegung seiner Zeit vollkommen ferne, weshalb
man bei einer Vergleichung mit Eiuripides glauben möchte,
Sophokles sei der SprössUng einer früheren Generation und
habe das Auftreten des Anaxagoras, geschweige der Sophisten
nicht mehr erlebt; wer die perikleische Zeit wirklich verstehen
will, muss beide Männer in einem Bilde zusammenhalten.
Wir müssen nach diesem Versuche einer Charakteristik
des Dichters von einer Massregel sprechen, die, scheinbar ganz
nebensächlich, dennoch für die Umwandlung der Tragödie und
sodann ganz besonders für die Fortpflanzung des Dramas
bedeutungsvoll geworden ist. Davon, dass diQ älteren Tragiker
zugleich die leitenden Schauspieler waren , ist schon die Rede
gewesen. Da jedoch Sophokles' Stimme den hohen Anforder-
ungen des griechischen Theaters nicht genügte, trat er nur in
Rollen auf, wo er diesen Mangel durch eine besondere Virtuosität
verdecken konnte: als Thamyris entzückte er durch sein Kithara-
spiel und in der Rolle der Nausikaa warf der gymnastisch
Wohlgeschulte zieriich den Ball *). Wenn er nun die Rolle des
Protagonisten für gewöhnlich abgab, erhob er damit die Schau-
spieler von abhängigen Gehilfen des Dichters zu selbständigen
Interpreten seiner Gedanken, womit der erste Anstoss zu der
1) Schol. Enrip. Or. 812 (H p. 211, 10 ff.).
2) Gast. Welcker de Sophocle suae artis aestimatore, Halle 1861.
3) Vita 4. 5. Athen. 1, 20 f.
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Sophokles. 285
hochentwickelten Schauspielkunst des vierten Jahrhunderts^
gegeben wurde ^). Zugleich sah es Sophokles für seine Pflicht
an, fähige Künstler heranzubilden , und er ist denn auch der
erste, welcher einen Schauspielerverein oder, wenn man lieber
will , eine Zunft begründet hat ^) , eine Einrichtung , welche in
ihrer späteren grossartigen Entfaltung das athenische Drama
über die ganze gebildete Welt verbreiten und viele Jahrhunderte
hindurch treuHch erhalten sollte %
Wir haben schon oben die ausserordentliche Thätigkeit
des Dichters erwähnt. Die Zahl der Dramen ist nicht mit
voller Sicherheit anzugeben, soviel aber scheint, kannte Aristo-
phanes von Byzanz 130 Stücke, von denen er sieben an-
zweifelte*). Letztere sind dem Namen nach bekannt; sonst
werden im Ganzen über hundert Titel angeführt, wozu neuestens
„Moöaat" in einem inschriftlichen Katalog kam ^). Allein
mehrere Stücke dürften Doppeltitel gehabt haben ^ und überdies
1) Dass er für bestimmte Schauspieler schrieb (Istros in V. 6), beruht
auf Missverständnis von Scholiastenkombinationen (Schol. Aristoph. Nub. 1254
[1267]. Apollonios bei Schol. Aristoph. Ran. 804); denn die Schauspieler
wurden durch das Loos verteilt (Hesych. Suid. u. vefi-fjoetc 6iroxptxd>v, s. Herrn.
Seh rader Liber miscellaneus editus a sociefc. phil. Bonnensi 1864 p. 1 — 10)
u. 0. S. 178 A. 2.
2) Istros in V. 6 talc 8i Moooat? ^taoov ex tcüv TceicaiSeofL^voiv (vorher ist
von Schauspielern die Rede) oüva^aYetv (verschieden gedeutet: Sommer-
brodt Hermes 10, 123 ff. = scenica coUecta p. 291 flf.; L. v. Sybel Hermes
9, 248 £f.; U. Köhler Rhein. Mus. 39, 293 ff.); Chamaileon setzt einen Schau-
spielerverein in der Zeit des Alkibiades voraus (Athen. 9, 407 c); ebenso kennt
solche Aristoteles (rhetor, 3, 2 p. 1405 a 23).
3) O. Lüders die dionysischen Künstler, Berlin 1872 (Nachtrag: Bul-
lett. d. Inst. 1874 p. 104 fl.); L. Friedlander de artificibus Dionysiacis,
ind. lect. Königsberg 1874; P. Foucart de collegiis scenicorum artificum
apud Graecos, Paris 1873; H. Sauppe de collegio artificum scenic. Attic,
Göttingen-1876; Alb. Müller Bnhnenaltertümer S. 392 ff.
4) Die Handschriften von V. §. 18 schwanken zwischen PA und PA
und geben iC als Zahl der unechten Dramen an. Entscheidend ist Suidas'
Ziffer pxf'; Bergk liest richtig C, weil ein i vorhergeht {pi^ Böckh trag,
princip. p. 110 f.; vgl. F. W. Wagner Ztsch. f. Altertumsw. 1851 Nr. 34. 35).
5) CIA. II 992 I 25.
6) Z. B. Al^tOTtsc und , M^pivoiv, MdooI und T'rjXecpoc, vielleicht auch
'E^i^ovot und 'Ept^ üXyj (Welcker S. 269), KIütatpL-fjoTpa u. 'l^fc^v^'" (Welcker
und Dindorf). Die Existenz einer „Oreithyia" leugnet Wolff Philol. 28,
343 f. Ueber den Titel der IovSsiävoi Rud. Scholl Hermes 4, 163, 1.
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286 Vm. Kapitel.
kommt eine Verwechslung der drei grossen Tragiker gerade so
oft vor , wie die von Schiller und Goethe ^) ; drei Tragödien
lagen in zwei Bearbeitungen vor, nämlich Athamas, Tyro und
Phineus. Als Satyrspiele werden sicher achtzehn Stücke be-
zeichnet, ohne dass damit die wirkliche Zahl erschöpft wäre^).
Von diesem reichen Nachlasse haben seltsamer Weise nicht
mehr als sieben Stücke das Altertum überdauert, während von
den übrigen nur kleine Bruchstücke, allerdings in erheblicher
Anzahl, geblieben sind^). Denn die 340 Verse einer „Klytai-
mestra", mit welchen Matthiä (Moskau 1805) die Philologen
überraschte, wurden bald als Fälschung erkannt*). Bevor wir
von jenen Tragödien sprechen, seien hier anders geartete Werke
des Tragikers rasch erwähnt. Sein lyrisches Talent bethätigte
er ausser in den Chorliedern durch den berühmten Päan auf
Asklepios (S. 275); er verfasste ausserdem Elegien ^), von denen
eine an einen Herodotos , der durchaus nicht der grosse
Geschichtsschreiber zu sein braucht, gerichtet ist. Eine prosaische
Schrift über den Chor*) passte an sich für den über seine
Kunst reflektierenden Dichter recht wohl, indes was brauchte
er nach Aeschylus noch gegen die altmodischen Dichter Thespis
1) Vgl. z. B. Nanck tragic. Graec. fragm. p. IX ff.
2) Sehr wahrscbeinlich „Andromeda" (Bibbeck röm. Trag. S. 163
A. 169, 8. fr. 131 D., anders Robert arcbäol. Ztg. 1878 8. 17 A. 12), viel-
leicht auch „Daidalos" (Welcker S. 73 ff. u. Dindorf), „Danae" (Meineke
analecta Sophoclea p. 276, nach Dindorf mit „Akrisios" identisch), „Eris**
<Dindorf), „Nanaikaa** (Valckenaer ad Eurip. Hippol. 125, Böckh trag,
princ. p. 129), „Phrixos** (Ribbeck a. O. 8.526), nach G. Hermann opns-
-cula 3, 38 ff. auch „Niobe", wogegen Athen. 13, 60Ia spricht; nach Böckh
a. O. p. 125 ff. waren mehrere unecht.
3) Nauck trag. Graec. frg. p. 103 ff., Dindorf p. 120 ff.; 'AX8<i3at:
Frd. Vater die Aleaden des 8., Berlin 1835; Adexaivai: K. Paucker Doppel-
palladienraub nach den Lakonerinen des 8. auf einer Vase v. Armento, Mitau
1851; Aaoxotttv: Robert Bild u. Lied 8. 193 ff.; IloXoS^va: Gruppe Ariadne
8. 598; TptTttoXcfio? : Strube der Bildet kreis von Eleusis 8. 17 ff.; Xpüo-rjc:
Robert Archäol. Ztg. 1875 8. 134 A. 3.
4) 8truve, Riga 1807; G. Hermann opnscula I 60 ff,
5) Von Zurborg Hermes 10, 203 ff. gegen E. v. Leutsch Philol.
'21, 225 (s. auch Ascherson ebend. 8. 681 f.) verteidigt; nach 8uidas ver-
fasste der jüngere 8ophokles Elegien. Fragmente in Bergks poetae lyr. Gr.
n *243ft., vgl. Clemm Jahrbb. f. Phil. 127, 14 f.
6) 8uidas.
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Sophokles.^ 287
und Choirilos zu polemisieren? Dies schmeckt nach einem
Altertümler.
Ueber die Zeit der erhaltenen Stücke fliessen die Nach-
richten sehr spärlich ^) ; bestimmt wird nur gesagt , dass „Phi-
loktet" 409 (Ol. 92, 3) und „Oedipus auf Kolonos" nach dem
"Tode des greisen Dichters 401 (Ol. 94,3) aufgeführt wurde *).
Hingegen berichten die Alten über die Zeit der „Antigene"
nur Fabelhaftes, indem Satyros und andere sie als das letzte
Werk des Dichters betrachten, weshalb sie nach Lukillos von
"Tarrha gar erst durch lophon aufgeführt worden sein solH),
wogegen nach Versicherung Anderer die Athener über die „An-
tigene" so entzückt waren, dass sie den Dichter dafür zum
Strategen ernannten *). Beides hat nicht mehr Wert als wenn
jede Angabe fehlte , wie es bei den übrigen Stücken der Fall
ist. Diesem Mangel sucht man durch verschiedene Methoden
abzuhelfen. Von der Metrik können wir indes bei der geringen An-
zahl unserer Dramen keine Hilfe erwarten ; dies zeigt am besten
G. Hermanns Behauptung,**) der „Oedipus auf Kolonos*' sei
seiner metrischen Form zufolge nicht nach der 89. Olympiade
geschrieben. Andere legen Wert darauf, dass ein unter zwei
Schauspieler verteilter Trimeter der „Antigene" abgehe^ und
dass, was allerdings Beachtung verdient, der dritte Schauspieler
im „Aias" wenig hervortrete. Gegen das Aufspüren pohtischer
Tendenzen haben wir uns bereits S. 159 ausgesprochen. Sopho-
kles hat weder im „Philoktet*' noch im zweiten „Oedipus"^)
1) F. Bernhard die Frage nach der chronologischen Beihenfolge der
-erhaltenen soph. Tragödien, Pr. v. Oberhollabrunn 1886.
2) Damit stimmt die Grabschrift überein (Valer. Max. 8, 7 ext. 12).
3) Cramers Anecdota Oxon. DT 315. ^
4) Argnm. Antig.
5) In Erfurdte Ausgabe des Oedipns rex p. 478.
6) Wilms de personamm mntatione .... in verslbus dialogicis usur-
pata, Düsseldorf 1855. 1858.
7) Die Vermutungen verzeichnet C. Th. Lion Oedipus Rex quo tem-
pore a Sophocle docta sit, €rött. 1861 p. 31 f. (neuerdings Hieron. Munt ean
f&ber die Zeit u. Absicht der Tragödie des S. O. auf E., Pr. v. Suczawa,
Czemowitz 1878); Ad. Scholl PhiloL 26, 385 flf. nimmt eine Ueberarbeitung
der Tragödie an. S. aber Rud. Nicolai de Sophodis Oedipi Colone! consilio
et aetate, Diss. v. Halle 1858; Jos. Noväk über einige angebliche politische
Anspielungen in S'. O. in K., Pr. v. Neuhaus 1875.
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288 Vni. Kapitel.
noch im „Aias**^) die Politik auf die Bühne gebracht, am wenig-
sten kann er im „König Oedipus" durch die Pest an ein frisches
Nationalunglück erinnert haben ^). Nicht besser ist es um die
Anspielungen, die man in Bezug auf frühere Stücke bat finden
wollen^), bestellt; erwägen wir abgesehen von ästhetischen Be-
denken nur, dass Sophokles im ,,Oedipus auf Kolon os" auf
die populäre „Antigene** nicht im mindesten anspielte, sondern:
die triviale Antigonesage allein voraussetzte.
Der eigenartige Zauber der sophokleischen Poesie oflFenbart
sich am lebendigsten in den drei dem thebanischen Sagenkreise
entnommenen Tragödien , weshalb wir mit diesem beginnen
wollen.
„König Oedipus*'*) behandelt einen StoflF, der auf die
griechischen Tragiker eine ausserordentliche Anziehungskraft
1) Ch/ Hennings die Zeitbestimmung des soph. Aias, Pr. v. Rendsbarg
1862; G. Bertbold ab Atbeniensi Sophocie scriptum esse Aiacem, Rostock 1875.
2) Literatur bei C. Tb. Lion a. O. p. 9 ff., dazu Hugo Hagelüken
quo tempore Sophoclis Oedipus Rex acta sit, Rostock 1873.
3) Philoct. 412 ff. 1047 ff. auf „Aias" nacb Böckh trag.princ. p. 137.
4) Sopbokles selbst nannte ibn OlBt^cooc; seit es aber einen „Oedipua
auf Kolonos" gab, setzte man irpoxcpoc oder tüpawoc (wegen V. 514 n. 925)
bei (Argum. 11. Unsere Citate geben stets das letztere Beiwort). Ludw. Eanne-
giesser über den ersten Oe. des S., Pr. v. Prenzlau 1817; Ant. van Meur»
de Soph. Oedipo t., Diss. v. Groningen 1825; H. F. W. Hin rieh s das Wesen
der antiken Tragödie durchgeführt au den beiden Oe. des S. im allg. u. an
der Antigone insbes., Halle 1827; C. Jeep de O. R. fabulae argumento et
compositione, Wolfenbüttel 1834; Chr. Wilbrandt über den K. Oe. des S.^
Pr. V. Rostock 1836; Fr, Wüllner über den K. Oe. des S., Pr. v. Düssel-
dorf 1840; Herm. Schmidt die Einheit der Handlung im K. Oe. des S.,
Pr. V. Wittenberg 1848; Aug. Geffers de Oedipi Sophoclei culpa, Pr. v.
Göttiugen 1850; Theod. Kock soph. Studien I. (Pr. v. Elbing 1851, 2, 3>
Berlin 1854, H. (Pr. v. Guben) 1857; L'orenz über Komposition, Charaktere,
Idee des soph. K. Oe., Pr. v. Soest 1857; C. J. Spat diss. de tragicae com-
positionis in Sophoclis O. r. oratione et praestantia, Groningen 1857 ; Ferd.
V. Heiuemann zur ästhet. Kritik v. S. K. Oe., Pr. v. Braunschweig 1858;
Bergenroth ist der K. Oe. des S. eine Schicksalstragödie? Pr. v. Thorn
1861; Sig. Weclewski de Sophoclis O. R., Diss. v. HaUe 1863; Jak. Berlin
om de olika uppfattningarua af Sophokles' konung O., Diss. v. Stockholm
1866; E. Ant. Ahrens über Zweck u. Komposition der Rede des Oe. Soph.
O. R. 216 ff., Verhandl. der Würzb. Phil. Vers., Lpg. 1869 S. 160 ff.; Alois
Siess die dram. Kunst des S., nachgewiesen am K. Oe., Pr. v. Marburg
i. St. 1871; E. Porazil die cüoiactc twv ^rpaY^Lattuv in S. Oe. K., Pr. v.
Wiener Xeustadt, Wien 1873; Gevers über Schillers Braut von Messina u.
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Sophokles. 289
ausübte; schrieben doch nicht blos Aeschylus und Euripides,
sondern ausserdem sieben weniger berühmte Tragiker einen
„Oedipus**, weil die tragische Ironie die Dichter reizte. Die
von Sophokles vorgefundene Gestalt der Sage ist ziemlich ge-
nau bekannt, so dass wir in diesem Falle seine Verdienste wür-
digen können. Der Dichter knüpft sofort die lockeren Fäden
der Ueberlieferung fester. Nicht ein Zufall bringt das ausge-
setzte Kind in die Hände von Hirten , wie wäre sonst später
die Herkunft unwiderJeglich zu erweisen gewesen? Und der
Hirt , der es empfängt , ist gerade des Königs von Korinth
Knecht, weil dessen Land in der Heroenzeit an Böotien grenzte.
Ferner wird die erschütternde Wirkung des Vatermordes kunst-
voll dadurch erhöht, dass beide eben bei dem delphischen Apollo
Klarheit zu finden meinen, als sie an dem phokischen Kreuz-
weg zusammentreffen. Sophokles hat die Zeitdauer der vor
dem Stücke liegenden Handlung in Uebereinsümmung mit
Aeschylus gestreckt, obgleich daraus eine Unwahrscheinlichkeit
entspringt, die Aristoteles gleichzeitig rügt und entschuldigt
(S. 233). Wie meisterhaft die Erkennung eingeleitet ^) und stu-
fenweise durchgeführt ist, wie eines um das andere in der
schrecklichen Erkenntnis weiter kommt, bis das Ganze in fürch-
terlicher Klarheit allen offen liegt, das ist hier nicht nachzuer-
zählen, schon aus dem Grunde weil Sophokles die tragische
Ironie bis ins kleinste durchgeführt hat ^. Sein Oedipus
schreitet wie ein Nachtwandler mit träumerischer Sicherheit
einher und führt, wie schon früher (Seite 204) hervorgehoben
den K, Oe. des S., Pr. v. Verden 1874; Mart. Stier Langbeins pädag. Archiv
19 (1877) 8. 321 ff.; P. Graffunder Jahrbb. f. Phil. 132, 389 ff.; M. H.
Vetter über die Schuldfrage im K. Oe., Pr. v. Freiberg 1885. — C. Franke
de natura chori in Soph. Oed. T., Pr. v. Sagan 1849; Chr. VoUbehr deO.
R. S. oeconomia scenica, Pr. y. Glückstadt 1856; C. Fischer dramaturgische
Tafel zu S\ Oe. R., Pr. v. Lemberg 1883. — Kvicala zur Beurteilung der
drei theb. Trag, des S., Ztsch. f.d. öst. G. 1870 S. 595 ff.; Job. Müller die
theban. Tragödien des S. als £inzeldramen ästhetisch gewürdigt, Inns-
bruck 1871.
1) Nach Nauck war die Pest schon von Aeschylus verwendet; er be-
zieht nämlich fr. 336 (Philo Jud. de provid. n p. 102 Auch.) auf dessen
„Oedipus".
2) Arn. Hug PhUol. 31, 66ff.; s. auch S. 185.
Sittl, Geschichte der griechischen Ldteratur m. ^9
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290 Vm. Kapitel.
wurde, durch die eigene Masslosigkeit^) die Butdeckung her-
bei, infolge dessen er nicht als völlig schuldloses Opfer des
Verhängnisses erscheint; noch mehr , statt sein Geschick er-
geben zu tragen , vernichtet der leidenschaftliche Mann in der
ersten wilden Verzweiflung sein Augenlicht und bereitet sich
„über das Geschick hinaus" Verderben.*). Indem Sophokles
seine ganze Kunst auf die ergreifende Ironie und die Charak-
teristik koncentriert, vernachlässigt er die Exposition auffallend ;
wie leicht hätte der grosse Meister die kleinen Unebenheiten, dass
Oedipus und der Priester sich selbst vorstellen und der fürsorgliche
Vater des Volkes erst jetzt von dem Jammer seiner ünter-
thanen zu hören scheint, vermeiden können. Pedantisch wäre
es jedoch , wenn man dem Dichter vorwerfen wollte , dass er
sein Drama auf eine Kette von Zuf&Uen, unter denen die Ab-
se^dung des alten Mannes sogar der prosaischen Wahrschein-
lichkeit widerspricht, aufgebaut hat.
Diese herrliche Dichtung, „der König" unter Sophokles'
Dramen '), gewann ihm dennoch nicht den Sieg , welcher dem
wenig bedeutenden Philokles zufiel^). Schon den Alten kam
dieses Urteil unbegreiflich vor, aber die Zuschauer konnten
ja entweder durch die Auflführung oder die geringere Vor-
trefflichkeit der gleichzeitig dargestellten Stücke verstimmt
werden.
Dem Inhalte nach folgt auf dieses Drama „Oedipus auf
Kolon OS" (OlSlTcoDC licl KoXcovi^^), ohne dass beide Stücke in
1) A5»a8ia V. 549.
2) V. 1300 ff. Ti? 6 TCYjSYjoa? {leiCova dai{j,a>y xäv {laxioxaiv itpöc o^ 8t>a-
dai{j,ovi ixoipqc; erinnert an den homerischen Vers Ol ZI xal aöTol oqpigaiv
3) Argum. II.
4) Dikaiarchos bei Argum. n.
5) Ol. iv x<f) K. Argum. Oed. Reg. m.; Fr. Kannegiesser über des
S. Oe. zu Colonus, Pr. v. Prenzlau 1820; B. Fr. Denhard de Sophoclis
O. Coloneo, Diss. v. Marburg 1830; Carl Herguet über die Idee des Oe.
a. K., Marburg 1859; Heinr. Holst er die Komposition des Oe. a. K., Pr.
V. Meldorf, Berlin 1865; Graf Paul York von Warten bürg die Katharsis
des Aristoteles u. der Oe. Koloneus des S., Berlin 1866; J. Mähly der Oe.
Koloneus des S., Basel 1868; Th. Fei 1er de Sophoclis O. C, Pr. v. Zittau
1869; Karl Aldenhoven Jahrbb. f. Phil. 95, 809 ff.; Kegel de Sophoclis
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Sophokles. 291
Wirklichkeit zusammenhingen. Im Gegenteil beruht die Hand-
lung jetzt gerade darauf, dass Kreon das von Oedipus unmittel-
bar nach der Katastrophe ausgesprochene Verlangen, ihn aus
Theben fortzustossen^ nicht erfüllt hat, und den damals gezeig-
ten Edelsinn durchaus vermissen lässt. Wer mag es wohl ge-
wesen sein, der aus Localpatriotismus das Grab des verbannten
Oedipus nach dem Kolonos Hippies verlegte? Man möchte selbst-
verständlich an unseren Dichter, den berühmtesten Sohn jenes
Gaues , denken , wenn nur nicht schon einige Jahre früher
Euripides am Schlüsse der „Phoenissen (V. 1705 ff.) auf diese
Sage angespielt hätte. Die Athener verfielen darauf offenbar,
nachdem sie sich glauben gemacht, die Sieben gegen Theben
seien in Eleusis bestattet; unter den zahllosen Orakeln, womit
ihre leichtgläubige Stadt während des peloponnesischen Krieges
überschwemmt wurde, mag sich eines befunden haben, das aus
Hass gegen Theben ein Grab des Oedipus in Kolonos (wo
man gar keines zeigen konnte ^) !) fingierte , um davon den
Athenern den Schutz des Heros in Aussicht zu stellen'), und
wahrscheinlich hatten die Böoter bei einem Einfall gerade am
Kolonoshügel eine Schlappe erlitten. Mehr kann Sophokles
nicht vorgelegen sein ; darum ignorieren die attischen Künstler
diese von ihm allein ausgesponnene Sage gänzlich ^).
Während der Tragiker im ersten Drama eines durchaus
nicht tadellosen Helden bedurft hatte , lag die Sache jetzt an-
ders *); denn statt Vernichtung findet Oedipus einen durch gött-
O. C, Pr. V. Dillenbnrg 1873.— Teuf fei die RoUenverteilTiDg im 8oph. Oe.
n. K., Rhein. Mus. 9 (1854) S. 136 flf.; Ferd. Ascherson Philol. 12, 750 ff. —
Heiur. Kolsier de adornata Oedipodis Colonei scena, Pr. v. Meldorf 1846. —
J. K. G. Schutt über den Polyneikes des Oe. a. K., Pr. v. Görlitz 1855;
E. A. Bruch Ztsch. f. Gymnasialw. 26 (1872) S. 92ff. — s. auchS.288 A.4.
1) OC. 1522 0. 1757 fL; später zeigte man in Athen selbst das Grab
(Pansan. 1, 28, 7. 30, 4); in Kolonos selbst gab es nur eine Oedipus mit
Adrastos, Thesens und Peirithoos gemeinsam geweihte Kapelle. Vgl. K. Fr.
Hermann de sacris Coloni et religg. c. Oed. fab. conj., Marburg 1837.
2) Die Scholien teilen zu Y. 57 leider nur den Anfang eines Orakels mit.
3) Das Vasenbild bei Millingen unedited monuments I pl. 36 ist
eigentlich keine Ausnahme.
4) Ueber den Charakter des Oedipus: D. M. Kan de Sophodis Oedipo,
Groningen 1828; Frdr. Schmalfeld Ztsch. f. d. Gymnasialw. 14 (1860)
19*
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292 VnL Kapitel.
liehe Gnade verherrlichten »Tod und ist der Ehren eines Heros
sicher. Wenn man freilich sagen wollte , der Held sei durch
das Unglück geläutert, würde man dem Dichter eine chiistliche
Idee aufdrängen. Denn dass die Leidenschaft des Greises noch
immer fortglüht, erfahren Kreon und Polyneikes zu ihrem Ent-
setzen; wird ja auch König Lear im Unglück nicht sanfter.
Dagegen hebt Sophokles jetzt geflissentlich das Gute hervor und
thut wiederholt die Absichtslosigkeit des Geschehenen ausdrück-
lich dar *). Jene Leidenschaft bricht nicht mehr wie ehedem
auf einen schwachen Argwohn oder eine geringe Veranlassung
hin los ; denn jetzt verflucht er Kreon, der, nachdem er ihn in
das Elend gestossen, seinen einzigen Trost raubt, dann ver-
wünscht Oedipus seineu Sohn, weil er, obgleich der ältere der
Brüder (dies hat Sophokles absichtlich geneuert), seinen Vater
teilnamslos vertreiben liess und nun einzig aus eigennützigen
Beweggründen kommt. Der veränderten Lage zu Liebe ändert
der grosse Künstler der Charakteristik die Auflassung Kreons *),
der früher durch Besonnenheit sich vorteilhaft von Oedipus
abgehoben hatte, jetzt aber, wiewohl seine patriotischen Ab-
sichten ihn einigermassen entschuldigen, die dunkle Folie zu
dem Helden bildet. Theseus, der ritterliche Beschützer der
Schwachen, ist zwar an sich tadelloser als Oedipus, indes war
Sophokles ungeachtet seiner Begeisterung für die Heimat zu
sehr Dichter, als dass er durch ihn die Hauptperson des Dramas
irgendwie in den Schatten gestellt hätte.
S. 288 ff.; Leop. Schmidt Symbolae philol. Bonn. I. p. 283 ff.; E. A. Berch
Ztsch. f. Gymnasialw. 26 (1872) S. 145 ff. 313 ff. 27(1873) S. 417 ff. 28(18.74)
8. 498 ff., Volk. Hölzer ebend. 1873 S. 161 ff., Hertel ebend. 1872 S. 767 ff.;
H. Lei dl off der Charakter des Oe. im Oe. Tyrannus des S., Pr. v. Holz-
minden 1873; Ant. Fischer znr Charakteristik des soph. Oe., Pr. v. Eger
1876; Emil Müller über den Charakter der Hauptperson im König Oe. des
8., Festschrift des Zittauer Gymn. 1886 p. 61 ff. — Friedr. Lübker 8'. Oe.
u. 8hake8peare's Lear, Pr. v. Parchim 1861; J. Richter Oedipus u. Lear.
Eine Studie zur Vergleichung Shakespeares mit Soph., Pr. v. Lörrach I.
1884. n. 1886.
1) Z. B. 266 ff. 545 ff., besonders in der grossen Rede gegen Kreon 960 ff. ;
vgl. Rupert Kun^merer über das Schuldbewnsstsein des soph. Oe. auf K.,
Pr. V. Pettau 1872.
2) Phil. Mayer über den Charakter des Kreon in den beiden Oedipen
des S., Pr. v. Gera 1846 u. 1848.
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Sophokles. 293
Der ganze Ton des Stückes weicht gleichfalls von dem
des ,, König Oedipus" völlig ab. Dort sieht der Zuschauer bange
das Verderben leisen Schrittes herannahen und endlich, das
stolze Königshaus unrettbar zusammenbrechen ; hier erbUckt er
einen glückUchen Ausgang und zwar lässt der Dichter, ehe
noch ein aufregender Zwischenfall die Erwartung spannt, durch
göttliche Orakel versichern, Oedipus' unseUges Leben werde
sich endlich zum Guten wenden. Die Zuschauer können sich
also bei Kreons' Gewaltthat den Empfindungen reiner Rührung
hingeben. Wenn aber Oedipus, der Fremdling, dem attischen
Lande für alle Zukunft angehören sollte, durfte sein Entschluss
nicht als unüberlegter Ausfluss massloser Leidenschaft erscheinen;
der Dichter lässt ihn daher aller Ueberredung unerschütterlichen
Widerstand leisten. Kreons dialektische Rede bleibt wirkungs-
los, selbst die brutale Gewalt fruchtet nicht, obgleich Oedipus
auf das tiefste erschüttert wird; Polyneikes scheint in seiner
Schutzlosigkeit und Demut schwächer als jener zu sein , doch
er ist trotz allem, was geschehen ist, der Sohn des Greises und
kommt unter dem Schutze der Gottheit. Erst als Oedipus diese
schwerste der drei Prüfungen bestanden, lässt ihn der Dichter
auf Kolonos die ewige Ruhe finden.
In der gemächlichen Breite und Fülle der Reden, vielleicht
auch in mancher Nachlässigkeit des Ausdrucks, macht Sopho-
kles sein hohes Alter ein wenig fühlbar; auch der berühmte
Lobgesang, welcher den Preis des heimatlichen Gaues mit dem
des gesaraten Landes fein verbindet, schildert den Reiz der
Gegend mit einer innigen Empfindung, wie sie dem Scheiden-
den innezuwohnen pflegt.
Indem Polyneikes vor seinem Abgange Antigene um seine
dereinstige Bestattung bittet, wenden sich unsere Gedanken dem
dritten thebanischen Stücke zu, das mit- „König Oedipus'' um
die Krone kämpft*). Von Antigone's Schuld nach dem
1) Aug. Böckh über die A. des S., Abb. der Berl. Akad. 1824. 1828,
in seiner Ausgabe wiederholt; J. G. Ottern a de S. Antigona, Diss. v. Utrecht
1828; G. Ant. Heigl über die A. u. die Elektra.'des S., (Passau) Regeus-
burg 1828; J. £. Schliepbtein quam primariam S. in componenda Anti-
genes fabnla persequutas sit sententiam, Susati 1830; Frd. Stadelmann
de 8. Antigona, Pr. v. Dessau 1831; Gr^. W. Nitzsch de S. Ajitigone,
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294 Vni. Kapitel.
S. 204 f. gesagten absehend, wollen wir uns mit dem Tliat be-
stände allein beschäftigen. Dass Antigene ihren Bruder wider
den Willen der Herrscher begrub, war thebanische Sage ^), aber
Aeschylus hatte noch keine tragische Folgerung daraus gezogen
(S. 260). Sophokles fand in diesem Mädchen, das allen Droh-
ungen trotzt und ihre eigenen Wünsche zu opfern bereit ist
eine Heldip nach seinem Sinne, und machte dadurch, dass er
an ihren ungestümen Vater erinnert (V. 471 f.), ihre Sinnesart
natürlich und begreiflich. Um jedoch das Ungewöhnliche ihrer
Handlungsweise scharf abzuheben, setzt der Dichter Antigene
ihre zartere Schwester Ismene entgegen , an . welcher er edle
Mädchenart darstellt; bei einer so verwegenen That mitzuhan-
deln zagt sie zwar, aber mitleiden möchte sie wohl, Selbst die
Geronten von Theben furchten das strenge Regiment Kreons
mehr als seine heroische Nichte und vertreten (auch wenn der
König sie nicht hört) den beschränkten Unterthanenverstand *).
ind. lect. aeet. Kiel 1836; J. Lessmann de samma sententia quam S. secutua
est in A. febula, Pr. v. Paderborn 1837; Böckh, Tölken, Fr. Förster
über die A. des S. u. ihre Darstellung auf dem kgl. Schlosstheater, Berlin
1842; Ueber S\ A. u. ihre Darst. auf dem deutschen Theater, Lpg. 1842;
Theod. Schacht über die Trag. A. nebst einem vergl. Blick auf S. u. Shake-
speare, Darmst. 1842; Seh er m Darst. der A. des S., Pr. v. Konstanz 1842; H.
Köchly über S'. A., Dresden u. Lpg. 1844; A. Richter über die A. des S.,
Pr. V. Elbing 1844; Frz. Wolfg. U Irich über die relig. u. sittl. Bed. der A. des
S., Pr. V. Hamburg 18&3; Ziegler über die A. des S., Pr. v. Stuttgart,
Tüb. 1856; Gy Iden iden i Sofokles' A., Diss. v. HeUingfors 1857; Ed. Her-
mann die Konstruktion der A. des S., Pr. v. Detmold 1858; W. Kocks die
Idee des Tragischen entw. an der A. des S. Pr. v. Köln 1858 ;G. Thudichum
zu 8\ A., Pr. V. Büdingen, Darmstadt 1858; J. B. Hutter über Plan u.
Idee der A. des S., Pr. ▼. München 1862; K. Lehrs Jahrbb. f. Phil. 85
(1862) S. 297 flf.; W. Vischer Rhein. Mus. 20, 444flf. = kleine Schriften
II 632 flf.; R. Seidel über die A. des S., Pr. v. Bochum 1867; Leop. Selig-
mann die A. des S., Halle 1869; G. J. Dahlbäck är S. A. en tragisk per-
sonlighet ? Falun 1870; Mart. S ti er Langbeins päd. Archiv 15 (1873) S. 241 ff. ;
K. Riedel das Stget der soph. A., Pr. v. Waidhofen 1883; £. Jochum
die von Aristoteles in der Poetik aufgestellten Normen angewendet auf A.
des S., Pr. v. Brixen 1884. — üeber Alfieris Bearbeitung E. Q. Visconti
due discorsi inediti, Milano 1841.
1) Eine Stelle hiess S6p{i.a 'Avti^övY}«; Paosan. 9, 25, 2.
2) Besonders deutlich in den vorsichtigen Versen 872 flf., über den Chor
der Antigone: Joh. Christoph Held Bemerkungen zur Charakteristik des
Chors in der A. des S., Pr. v. Bayreuth 1847; Em. Leonh. Wiener die Be-
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Sophokles. 295
Ich möchte fast sagen, Sophokles hat die Grösse der That nicht
allein durch den Kontrast anderer Charaktere erhoben; denn
Antigone selbst bleibt sich nicht gleich. Jeder Nerv hat sich
an ihr gespannt , die Schwösterpflicht unbekümmert um alles
andere zu vollziehen und ihr Recht zu verteidigen; von ihrem
Verlobten spricht sie nicht und will auch nicht an ihn denken.
Sowie jedoch die That vollbracht ist, wird die Heldin wieder
zum Mädchen. Bereut sie auch ihre That nicht, lässt sie doch
jetzt ahnen , was sie ihr Entschluss gekostet hat. Sagt nicht
auch Marquis Posa: „0 Qottl Das Leben ist doch schön*'?
Mit weniger Worten zwar, weil er ein Mann ist, aber mit gleicher
Empfindung. Die Ellage der einem schauerlichen Tode ent-
gegengehenden Antigone ist demnach psychologisch ebenso
wahr als sie dem griechischen Tragiker, der Mitleid und Rühr-
ung anstrebt, notwendig ist.
Ihr gegenüber steht Kreon ^), welcher, nachdem er aus übel
verstandenem Patriotismus das Gebot erlassen, dieses aus be-
leidigter Eitelkeit (nicht im Staatsinteresse, wie Haimon nach-
weist) über Naturgebot und alle natürliche Empfindung setzt.
Schwesterpflicht, das Recht der Toten, die Liebe seines Sohnes
rührt ihn so wenig, dass er Antigones Rechtfertigung zum An-
lass einer raffinierten Strafe nimmt; aber die Unterwelt lässt
ihrer nicht spotten. Dennoch hat Sophokles keinen unnatür-
lichen Wüterich gezeichnet; auf Teiresias' erschütternde Droh-
ungen hin möchte Kreon alles wieder gut machen. Gelingt
ihm dies auch nicht mehr, so ist er doch nun im Unglücke des
Mitleids nicht unwürdig. Trotzdem hat doch jeder Grieche in Anti-
gone und nicht in Kreon die Hauptperson des Stückes erblickt*),
deotuDg des Chors in der A. des S., Pr. v. Tescben 1856; Berch Ztech. f.
d. Gynmasialw. 1873 S. 1 ff.
1) Job. Christ. Held über den Charakter Kreons in der A. des S., Pr.
V. Bayreuth 1842; W. Doorenbos de moribns Creontis qaalem descripsit
S., Groningen 1845; F. G. Schöne Abhaudl. über die Rolle des Kreon in
S. A., Anbang zu „Schnlreden*^ Halle 1847; Berch Ztsch. 1*. das Gymnasialw.
27 (1873) S. 257 ff.; £. Symons die Sage vom theban. Kreon in der griech.
Poesie, Dis«. v. Jena, Berlin 1873.
- 2) Demostb. 18, 180. 19, 246 f. beweist, dass der niederste Schauspieler
Kreon spielte, wie auch in der Komödie die Bollen der Bösen dem Tritago-
nisten zufielen (Menander bei Stob. flor. 106, 8).
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296 VIII. Kapitel.
wiewohl diese Rolle den moderneu Hörer mehr anzieht, dem
modernen Schauspieler mehr bietet^).
Die Heldin erinnert in manchen Beziehungen anElektra').
Während Aeschylus, als er den gleichen Stoff in den „Choepho-
ren** behandelte, der Trilogie wegen Orestes, den Rächer seines
Vaters, in den Mittelpunkt der Handlung stellen musste, konnte
ihn Sophokles, von jener Rücksicht frei, zu einer interessanten
Charakterfigur nicht gebrauchen, weil ihm, der weder den Vater
noch den Mord geschaut noch auch das wüste Treiben der Ver-
brecher erlebt hatte , eine aus dem Herzen quellende Leiden-
schaft natürlich fremd war. Orestes' That war, insofern ihn
sowohl die Pflicht der Blutrache als Apollos Orakel trieb, eher
verstandesmässig und darum erschüttert ihn die That nicht so
wie den äschyleischen Helden, wie durfte auch ein seiner gött-
lichen Sendung bewusster Mann über der Ausführung des Ge-
botes dem Wahnsinn verfallen? Während der sophokleische
Orestes also nur den Arm zur That leiht, teilt der Dichter die
pathetische Rolle seiner Schwester Elektra zu, welche jenes alles
geschaut und durchlebt hatte und durch die unwürdigste Be-
handlung täglich von neuem daran erinnert wurde ^). So wuchs
in ihrer Seele eine unauslöschliche Rachsucht auf, welche alles
1) Daher teilt Karl Frey Jahrbb. f. PhU. 117, 460 flf. (vgl. Preller
ueue jenaische Literaturzeitung 1844 S. 214 ff.) Kreon die Hauptrolle zu; s.
dagegen Härtung Festschrift f. ürlicha, Würzburg 1882 S. 25. 49. Lucian.
apol. 5. necyom. 16 darf man nicht dafür anfahren, denn er nennt wie Jnp.
trag. 3 bekannte Schaaspielernamen als Vertreter des gesamten Standes.
2) Jos. Heimbrod de Sophoclis E., Pr. v. Gleiwitz 1848; Friedr.
Lübker Zergliederung u. veigl. Würdigung der E. des S., Pr. v. Parchim
1851; E. Ziel in Sophoclis fab. E. quae fuerit cum scenae disposito tum
argnmenti tractatio; Pr. v. Hildesheim 1860 ; Frdr. Schmalfeld einige Bem.
znr E. des S. mit einem Seitenblick auf Shakespeares Hamlet, Pr. v. Eis-
leben 1868; Günther Mayrhofer des S. Electra u. die Trilogie, Pr. v.
Kremsmünster 1870; W'. Junghans eine vermeintliche Lücke in der Ex-
position der soph. E., Pr. v. Lüneburg 1874; F. Braungar teu die sittliche
Anschauung u. die Charakterzeichnung nach ihren Motiven u. Tendenzen in
S'. E., Pr. V. Mies 1884. — Job. Christ. Held Bemerkungen über den Chor
in der E. des S., Pr. v. Bayreuth 1861. — A. Heintze Versuch einer Parallele
zwischen dem soph. Orestes u. dem shakesp. Hamlet, Pr. v. Treptow 1857. —
Vgl. ausserdem die S. 261 A. 2 angeführten Schriften.
3) Ueber ihren Charakter Jacobs Nachtrftge zu Sulzer 4, % ff. ;
Günther Grnndzüge der tragischen Kunst S. 144 fi.
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Sophokles. 297
Frauenhafte erstickt. Elektra würde , wenn ihr Bruder nicht
käme, mit eigener Hand die Rache wagen und sie ruft, als er
den tötlichen Streich gegen die Mutter geführt hat, dasi grauen-
hafte Wort ihm zu: „Schlag' noch einmal, wenn du kannst*'.
Wenn der Dichter auch diesmal der Heldin in Chrysothemis
eine sanftere Schwester an die Seite stellt, erzielt er damit
keinen so glückhchen Kontrast wie in der „Antigone", wenn
anders letztere, sowie es der Griechin im Unterschiede von dem
hellenischen Manne geziemt, edel sagt: „Nicht mitzuhassen,
sondern mitzulieben ward ich geboren". Vielleicht ist der feine
Kenner des schönen Ebenmasses in der Charakteristik Elektras
über die sonst so wohl behütete Grenze etwas hinausgegangen,
weil er „Antigone'* vorher gedichtet hatte und einen gewissen
Stolz darein setzte, immer wieder einen ganz neuen Charakter
an dem Haupthelden zu zergliedern ^). Doch vielleicht dachte
überhaupt kein Grieche an solche Bedenken; jedenfalls gehörte
„Elektra*' zu den Lieblingsstücken der Zeit der römischen und
byzantinischen Kaiser.
Der Verzicht auf die trilogische Gliederung veranlasste
ferner den Dichter, dass er Klytaimestra und Aigisthos absicht-
lich in dunklen Farben, obgleich nicht jeder Entschuldigung
bar^, malte, damit ihr Tod gerade in der höchsten Not, als
Aigisthos Elektra sogar vom Tageslichte verschwinden lassen
will, eintretend, eine vollauf verdiente Sühne ist. Im Uebrigen
sucht Sophokles die aeschyleische Anlage zu bessern , indem
er Aigisthos zufällig abwesend sein lässt, so dass Klytaimestra
scljutzlos ist; durch diese Anordnung lenkt er gleichzeitig Orestes,
weil dieser noch an Aigisthos' Beseitigung zu denken hat, von
düsteren Gewissenserwägungen ab. Hieraus entsprang freilich
die unserem Geschmacke nicht zusagende letzte Scene, wo er Aigi-
sthos in das Haus führt, um ihn an der Stelle des Mordes zu
töten ; Nicht bloss Racines Athalie . sondern auch die „Choe-
phoren'* haben eine analoge Situation glücklicher gewendet. Die
einfache Handlung des letzteren Stückes ist von Sophokles mit
1) Die Maske der Antigone und Elektra war übrigens gleich (Dios-
korides Anthol. Pal. 7, 37, 7 ff.)
2) Im Gegenteil rnft die falsche Todesbotschaft den Rest der Mutter-
liebe wach, ein feiner Zug, wovon Aeschylns nichts weiss.
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298 Vin. Kapitel.
einem gewissen Raffinement verwickelt worden ; denn statt dass
Elektra sofort durch ihren Bruder Trost empfängt, lässt er durch
die falsche Botschaft nicht allein die Schuldigen, sondern auch
die Schwester getäuscht werden und setzt dann ihrer wilden
Verzweiflung Chrysothemis' frohe Hoffnung entgegen. Dieses
Widerspiel führt Sophokles mit gewohnter Meisterschaft durch ;
da er nach der Sitte seiner Zeit die Hörer über den wahren
Sachverhalt aufklären muss, führt der Prolog Orestes mit seinem
alten Pädagogen ohne rechten Grund vor ^), wiewohl die Expo-
sition im einzelnen sorgfältig ausgeführt ist'); auch das Auf-
treten des Chors hat er nicht recht motiviert.
„Äias*'^) hat eine äusserst einfache Handlung: Der im
Waffenstreite besiegte Aias ermordet sich, als er aus seinem
1) U. V. Wilamowitz Hermes 18, 214.
2) Scbol. prol. 1. 3. 32.
3) Im Altertam ATac ji.aoTtYOf6po<: (Argam. , Athen. 7, 277 c. Clem.
Alex. Strom. 6, 740 P, 263 8. Zenob. cent. 4, 4. Schol. Vatic. Eurip. Ale.
897. Enstath. in II. p. 757, 16. 1139, 61, anch in Handschriften, s. Dindorfs
schol. in Soph. p. 406) wegen V. 110 nnd 242 zum Unterschiede von Atac
Aoxpoc genannt. — Joh. W. Süvern de S. Aiace flagellifero, Pr. v. Thorn
1800; A. F. Bernhardt über den Ajax des S., Pr. des Friedrichsg., Berlin
1813; Frdr. Osann über des S. Ajax, Berlin 1820; Jos. Heimbrodde Soph.
Aiace, Pr. v. Gleiwitz 1825 o. Jahns Archiv 6, 34 £f.; Immermann über
den rasenden Ajax des S. , Magdeburg 1826; G. Welcker Rhein. Mus. 3
(1829) S. 44 £f. 229 ff., mit Zusatz kleine Schriften 2, 264 ff.; L. Benloew
de Sophoclis A., Göttingen 1839; Fr. Wüllner Ztsch. f. Philos. u. kathol.
Theol. N. F. 3 (1842) S. Iff.; L. Döderlein Reden u. Ansätze 1843; Chr.
Vollbehr de Sophoclis Aiace, Pr. v. Plön 1848; Eramhals über den A.
des S., Pr. v. Riga 1850; Franz Rot he über die Composition u. Idee des
soph. Ajax, Pr. v. Eisleben 1859; Karl Weismann über S\ A., Pr. v. Fulda
1852; Frdr. Lübker Prolegomena zu S.* A., Pr. v. Parchim 1853 = gesamm.
Schriften zur Philol. II (1868) S. 62 ff.; J. Seiz Darst. des Gedankenzusammen-
hangs in A. von S. V. 1—590, Pr. v. München 1856; Fr. S. Romeis de
Aiacis Sophoclei oompositione, Pr. v. Neuburg 1863; Kvicala Ztech. f. öst.
Gymn. 1870 S. 677 ff.; Wilh. Hukestein S. quam sententiam et qua arte
in A. fabnia persecutus sit, Pr. v. Recklinghausen 1876; Graul de Sophoclis
A., Pr. V. Soest 1878; E. La m bin Ajax, Paris 1878. — Ueber den Charakter
des Helden: Ed. G5 bei Ztech. f. österr. G. 1857 S. 181 ff.; H. Maschek
der Char. des A. in dem gleichnamigen Drama des S., Pr. v. Wien 1873. —
K. W. Piderit scenische Analyse des soph. Dramas A. Mast., Pr. v. Hers-
leld, Cassel 1850; Felix Muche quaestt. de re scenica fabulae Sophocleae
quae A. inscrib. I. Breslau 1879.
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Sophokles. 299
Wahnsinn erwacht. Aber was hat Sophokles daraus gemacht!
Anfangs wird die geheimnisvolle Hinschlachtung allmälig und
kunstreich aufgeklärt ; auf diese Entdeckung hin will der stolze
Held nicht mehr leben. Seine Getreuen mühen sich ihn abzu-
halten, endlich meinen sie, durch zweideutige Rede getäuscht,
es sei ihnen gelungen, und freuen sich der Ankunft des lange
herbeigesehnten Teukros, da stürzt sie plötzlich ein Propheten-
wort aus ihrem Jubel und wirklich gibt sich Aias nach einem
ergreifenden Selbstgespräche den Tod ; bei Sophokles wird dieser
auf der Bühne vorgeführt, während Aeschylus zu einem Boten-
bericht gegrififen hatte (S. 191). Hiemit durfte ein athenischer
Dichter nicht abschliessen , denn wie konnte A.then den zu
seinen geehrtesten Heroen rechnen, den die Schutzgöttin des
Landes selbst in Wahnsinn gestürzt und dem Odysseus nach-
gesetzt hatte ^) ? Aus diesem Grunde erkannte der Letztere,
nachdem zuvor Aias' Recht und Unrecht von Freund und
Feind erörtert war, wider Erwarten die überlegene Tüchtigkeit
des Helden neidlos an *). Indes ist der zweite Teil des Stückes
mehr als ein gutpatriotisches Nachspiel. Einerseits begründet
er die Eingangsscene, insofern nach den Schmähworten des
Aias und seiner Gefährten Odysseus sich des göttlichen Schutzes
würdig erweist; Sophokles scheint zu jener Idee durch einen
edlen Vers seines Vorbildes Homer inspiriert worden zu sein^),
weshalb er von der in der Tragödie herkömmlichen Charak-
teristik des Odysseus zur homerischen zurückkehrt. Dafür
fällt der Schatten auf die zwei Atriden, ohne dass der Dichter
feige neidische Intriganten zeichnet, wie Euripides an seiner
Stelle gethan hätte. Endlich bangte jeder echte Grieche um
die würdige Bestattung der Leiche; oder war etwa ein Motiv,
aus dem ganze Tragödien („Antigone" und die euripideischen
„Schutzflehenden") entwickelt wurden, zu jener Zeit für ein
Nachspiel zu unbedeutend und matt*)?
1) V. 118 ff. 758 ff. Der Dichter sucht durch feine Zuge ein über-
mässiges MiÜeid fernzuhalten (Schol. 112. 118. 766).
2) Seine Absicht deutet Sophokles V. 924 «»<; xal Kap' «x^P**^^ ^i^o^
^pYjvoo To^elv an.
3) 05x 6otYj xxa(ilyo(0(v eic' avSpdoiv e^xe'caao^at (Odyss. x 412). Auch
der Schlnss des „TelP' ergänzt die moralische Beurteilung.
4) Schol. V. 1123 und Lobeck sprachen Tadel aus, entschiedener Beigk
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300 Vni. Kapitel.
An der Fabel des „Philok tet"^) versuchten die drei
Meister der Tragödie wetteifernd ihre Kunst mit solchem Glück,
dass dei' Rhetor Dion Chrysostomos, welcher in der LII. Rede
die drei Stücke gegen einander abwägt *), keinem von ihnen den
Preis zuzuerkennen wagt Was den Entwurf des Ganzen be-
trifft, scheint doch Sophokles den Vorzug zu verdienen ; er war
allerdings diesmal in der günstigen Lage, zu Aeschylus' Auf-
fassung auch die euripideische verwerten zu können. Es han-
delt sich darum, dass Philoktet, der einst auf Lemnos ausge-
setzt worden war, mit dem Bogen des Herakles in das SchiflFs-
lager gebracht würde, eine Aufgabe, der nur die List des Laer-
tiaden gewachsen war. Aeschylus nun nahm einfach an, Phi-
loktet kenne Odysseus nach den verflossenen zehn Jahren nicht
mehr, was Euripides , welcher aus dem Epos Diomedes (wir
wissen nicht mehr, zu welchem Zweck) beifügte, durch Athenes
Hilfe glaubwürdiger machte. Die Ausführung beschränkte Aeschy-
(Ausg. XXXV); Osann a. O. S. 35flF. u. Ad. SchöU nahmen eine Trilogie
au. S. ansser den erwähnten Schriften Grnppe Ariadne S. 208 ff.; £.
Keichard de interpolatione fabulae Sophocleae quae inscr. A. , Diss. v.
Jena 1880; J. v(^n Lee u wen comm. de authentia et integritate Ajacis
Sophoclei, Utrecht 1881; R. Ruby nonnulla de Ajacis Sophoclei integritate,
Pr. V. Mährisch-Weisskirchen 1884.
1) Lessing Laokoon L FV. ; Herder kritische Wälder L Kap. 2. 5;
A. F. Bernhard! über den Ph. des S., Berlin 1811. «1825; Fr. W. Hassel-
bach über den Philoctetes des S. , Stralsund 1818; Aug. Buttmann de
Sophoclis Philocteta, Pr. v. Prenzlau 1839; E. Pause die Entwicklung im
soph. Ph. , Pr. V. Weimar 1839; E. Greverus Würdigung der Trag. Ph.
des S. , Pr. v. Oldenburg 1840; Heinr. Kolster über den Philoctet des S.,
Pr. V. Meldorf 1844; Kour. Seh wenck über des S. Philoctetes, Pr. v. Frank-
furt a. M. 1844; Frdr. Zimmermann über den Ph. des S. in ästhetischem
Betrachte, Pr. v. Darmstadt 1847; F. A. Hekmeijer Philoctetae Sophoclis
enarratio, Utrecht 1851; J. E. Ried er Abh. über den soph. Ph., Pr. v. Graz
1852; Aug. Geffers de deo ex mach, in Ph. Sophoclis interveniente , Pr. v.
Gott. 1854; C. Lenormant du Ph. de S., Paris 1856; G. Rentsc h über
die versch. Auffassungen des soph. Ph. Pr. v. Detmold 1859; Heinr. Abeken
die tragische Lösung im Ph. des S., Berlin 1860; Dav. Ernst Kurze de
fabula Philoctetae I. Diss. v. Halle 1864; Ahlqnist de tabula Sophoclea
quae inscr. Ph. , Diss. v. Upsala 1866; Gust. Wen dt über den Ph. des S.,
Pr. V. Hanau 1866; R. Matthäi der Ph. des S., Pr. v. Stade 1874. —
Karl Reichel über den Chor des soph. Ph., Pr. v. Laibach 1855.
2) Vgl. Gruppe Ariadne S. 418 ff.
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Sophokles. 301
lu8 auf die listige Erlangung des Bogens; Euripides kam es
hingegen auf die Ueberredung des Helden an und so liess er
scharf pointierend Odysseus mit einer Gesandtschaft der Troer
streiten, worauf Philoktet aus freiem Willen , trotz der grossen
Versprechungen der Feinde, sich wieder den Griechen zuwendet.
Sophokles wählte hinsichtlich des ersten Punktes das Natür-
liche, indem er Odysseus das Unternehmen aus dem Hinter-
grunde leiten Hess. Welcher Grieche nun konnte allein ohne
Schuldbewusstsein vor Philoktet erscheinen? Kein anderer als
der eben erst in den Krieg gezogene Sohn des Achilleus. Ihm
allein wird der misstrauische Kranke vertrauen und auch den
Bogen nicht vorenthalten. Damit wäre nach Aeschylus' äusser-
licher Anschauung das Ziel erreicht, aber Sophokles prüft den
sittlichen Gehalt des Vorganges strenger. Ziemte es dem jungen
Helden einen hilflosen Mann zu betrügen ? Neoptolemos' Gefühl
des Rechten kann durch das staatskluge Raisonnement des
Odysseus eine Zeit lang eingeschläfert werden , doch bricht es
unaufhaltsam hervor, als Philoktets Leiden sein tiefstes Mitleid
erweckt, und gibt den Erfolg der Intrigue grossmütig preis.
Man erwartet nun, Philoktet werde, durch diese Ehrlichkeit ge-
rührt, Neoptolemos freiwillig folgen. Allein jahrelanges Leiden
und die Pein der trostlosen Einsamkeit haben nach Sophokles
dem Kranken den Feindeshass zur zweiten Natur gemacht ;
mag dies auch psychologisch richtig sein, berührt doch die
verstockte allem Zuspruch unzugängliche Starrheit peinlich. Herak-
les zerhaut als deus ex machina den Knoten. So hat das Stück
einen faät pathologischen Zug, welchen Eindruck die realistische
Schilderung der Krankheit verstärkt, zumal da sie einst auf
der Bühne natürlich viel krasser als im Buche wirkte. Der
Chor hingegen spricht unstreitig zu Gunsten unseres Dichters.
Denn ein Chor von Lemniern hatte etwas befremdendes, weil
er nach so vielen Jahren plötzlich kam , wie bei Aeschylus ;
Euripides machte die Sache, wenn er die Lemnier sich deswegen
ausdrücklich entschuldigen liess, nur schlimmer. Wie natürlich
war es dagegen , dass Neoptolemos mit seinen Schiflfsleuten
auftrat 1
Sowohl mythisch als durch die drastische Darstellung
schweren Leides steht das nach dem Chor „Trachinierinen"
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302 Vin. Kapitel.
betitelte Stück ^) mit „Piiiloktet" in Verbindung ; es ist Ton
den sieben erhaltenen Dramen das schwächste, freilich immerhin
ein Werk des Sophokles. Weder das Auftreten und das Be-
nehmen des Chors noch die Euripides^ Prologmanier nahe
kommende Exposition*) bewähren Sophokles' gewohnte Kunst.
Er spannt dieses Mal ein wenig durch das doppelsinnige Orakel,
Herakles werde um diese Zeit das Ende seiner Mühen finden;
überhaupt verbreiten allerlei zweideutige Prophezeiungen und
Missverstäüdnisse über das Drama eine beengende Schwüle, von
welcher nicht einmal der Schluss befreit, denn Herakles nötigt
seinem Sohn vor dem Tode noch das Versprechen ab, er werde
lole, die er als die Ursache von seiner Mutter Tod verabscheut,
heiraten. Hier hat, wenn dies den Alten auch weniger als uns
widerstrebte, die Poesie der festen Ueberlieferung ein Zugeständ-
nis machen müssen ; denn jeder Dorier leitete die Fürsten seines
Stammes von Hyllos und lole ab. Im allgemeinen hätte der Stoff,
schon wegen des treibenden Motives, Deianeiras Eifersucht, für
Euripides' Eigenart besser gepasst
Nicht bloss zu Lebzeiten war Sophokles ein Liebling des
athenischen Volkes, welches seinen Dramen oftmals den ersten
Preis zusprach ') imd kein einziges verwarf, sondern auch nach
1) A. W. Schlegel zweifelte die Echtheit an; nach AI. Cap eil manu
Allg. Schulztg. 1832 H Nr. 111 S. 901 nnd Bernhardy Grundriss II S. 818
nicht vollendet; eine Jugendarbeit nach L. Diesen kleine Schriften S. 342
überarbeitet nach G. Hermann (vgl. Yal. Key mann quae de dnplici fabu-
lanim quarundnm Graecarnm recensione memoriae prodita sunt, Pr. v. Afarien
Werder 1840). S. anch W. Hamacher de Tr. Sophoclis, Berlin 1831; Ant
Bronikowski animadv. in Tr. Sophocleam I. Breslaa 1842; C.H.Thiele
mann über die Tr. des 8., Pr. v. Mersebnrg 1843; C. H. Vo Ick mar de S
Tr. I. Pr. V. Ilfeld, Nordhansen 1839 u. de aetate Tr. S. conjectura, PhUol
6 (1851) S. 359 f.; Ludw. 0x6 de Sophoclis Tr., Pr. v. Krenznach 1851
Fr. W. Schneidewin über die Tr. des S., Gott. 1854 (Abhandl. der Gott,
Ges. der Wiss. VI); Franz Rothe de Sophoclis Trachiniarnm argumento,
Pr. V. Eisleben 1862; Mart. Stier über die Tr. des S., Pr. von Neu-Rappin
1876; R. Schreiner zur Würdigung der Trachiniai des S. I. Pr. v. Znaim,
Wien 1886.
2) Mor. Axt comm. crit. qua Tr. Soph. prolognm subditicium esse
demoustratur, Cliviae 1830.
3) Nach der Siegerliste (S. 129) 20 mal, nach Diodor. 13, 103, 4 acht-
zehnmal.
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Sophokka. 303
seinem Tode wurden sie oft wiederholt ^). Die Mehrzahl fand,
wenn sie zwischen den drei Tragikern abwog, in Sophokles das
Ideal des Tragikers*) oder, wie manche sich zierlicher aus-
drückten, den Homer der Tragödie*). Bei Lykophron und
anderen Dichtem der alexandrinischen Zeit nimmt man zahl-
reiche Spuren ihres Interesses für den grossen Tragiker wahr.
Ueber die gelehrten Arbeiten derselben Periode sind wir un-
genügend unterrichtet. Ob Praxiphanes, ein Schüler Theo-
phrasts, einen Kommentar oder nicht vielmehr Aporien schrieb *),
bleibt zweifelhaft. Philochoros handelte ausführlich von
den Stoffen der sophokleischen Dramen, weil er für seine Atthis
vieles daraus ziehen konnte *). Was hingegen die eigentlichen
Grammatiker betriflFb, findet mau nur verschiedene Bemerkungen
Aristarchs angeführt®). Auf Grund der älteren Kommen-
tare ') veranstaltete D i d y m o s eine erklärende Ausgabe mit
kritischen Zeichen®). Unsere Schollen beruhen jedoch nicht
unmittelbar auf ihm, sondern auf Kommentaren der Kaiser-
zeit, z. B. des P i o 8 ^) und des unter Theodosius lebenden
Horapollon ^^), dem die Professur in der Reichshauptstadt
1) Z. B. Dem. 19, 246. Schol. Soph. Ai. 564.
2) Xenoph. mem. 1, 4, 3. Meuedemos bei Diog. Laert. 2, 113. Dios-
korides Anthol. Pal. 7, 37. Anthol. Pal. 6, 146, 2. Vita Aeschyli Z. 86 ff. W.
Vita Sophoclis. Tpaftxoc %at' eSox'^v Anon, progymn. c. 3 (Walz, ihetor. I 602).
3) PolemoD bei Diogen. 4, 20 nud Suidas o. "Oji.'rjpoc, vgl. Aristot. poet.
3. Vita 20 mit Note. Papyrus Rainer bei Oomperz Anz. der Wiener Akad.
1886, 10. Febr.
4) Schol. OC. 900, vgl. Preller de Praxiphane Peripat., iud. 1. Dorpat
1842 p. 25.
5) Soidas n. ^iXo^opo^ : Tcspl t(uv So^oxXiot)(: jxud'cuv ßißXia 1.
6) Mehrfach in den Schollen, ausserdem Harpocr. u. 8Bpjifjorfj(; und
Hesych. u. Aoxoxxovoo 9'scb; M. Schmidt Didymi frg. p. 262.
7) Ol 6icoji.viQjiaxtoTal citiert Didymos bei Schol. Antig. 45, s. M.
Schmidt a. p. 261.
8) Schol. OC. 239; vgl. Schmidt Didym. fragm. p. 241 f. 272 f. Lehrs
Jahrbb. f. Phil. 7 (1828) S. 141 ff., der wie Gust. Wolff Didymos für die
Hanptqnelle unserer Schollen hält, wogegen die Citierweise spricht.
9) Mor. Schmidt a. O. p. 273 f. 354.
10) Suidas s. v. (Dieser könnte z. B. die Bemerkung über Alexandrien
Schol. Ai. 135 geschrieben haben). Zu Ant. 523. 1326. £1. 448 wird wie in
den Aristophanesscholien xo 6K6)jLVY}{j,a anonym citiert. Dass Epaphrodeitos
kein sophokleisches Olossar schrieb, weisen O. Jahn Jahrbb. f. Phil. 67, 509
n. Mor. Schmidt Didymi fragm. p. 29 not. nach.
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304 Vm. Kapitel.
gewiss eine autoritative Stellung verlieh; eine Hypothesis des
„Oedipus auf Kolonos" trägt den Namen des Salustios.
Die Römer der klassischen Zeit schlössen sich natürlich dem
Urteile ihrer griechischen Lehrer an ^) und bearbeiteten viele
Stücke, wovon leider nur Senecas Verballhornung des „König
Oedipus" erhalten ist *). Vielleicht steht seine „Phaedra" zur
sophokleischen in einem ähnlichen Verhältnisse').
Gegen die allgemeine Bewunderung erhoben die Rhetoren
Einspruch. Nicht als ob sie Sophokles gering geschätzt hätten,
aber, auf ein ästhetisches Urteil verzichtend, gaben sie für
ihre Studien Euripides, weil der angehende Redner daraus
mehr lernen könne, den Vorzug*), Dieses Urteil verhinderte
zwar nicht, dass Sophokles, wie zahlreiche Anspielungen und
Imitationen beweisen, von den Männern der Feder viel gelesen
wurde % doch untergrub es sein Ansehen , so dass selbst
.Plutarch in seiner Bewunderung unsicher ward ^. Die Byzan-
tiner ehrten Sophokles sehr '), obgleich nicht so wie Euripides ;
darum erhielten sie bloss sieben Dramen von ihm und selbst
von dieser geringen Zahl genügten den meisten drei, nämlich
König Oedipus, Elektra und Aias ®) , infolge wovon es bloss
für diese Stücke drei verschiedene Handschriften der alten
1) Cicero orator 1, 4. fin. 5, 1, 3. Verg. ecl. 8, 10. Ovid. amor. 1, 15,
15. Plin. nat. bist. 37, 40. Martial. 3, 20, 7. 50, 30, 1. Javenalis 6, 636.
Statilius Flaccus Anthol. Pal. 9, 98.
2) J. Köhler Senecae trag., quae Oedipus inscr., cum Soph. O. R.
comparata, Neuss 1865; W. Braun Rheiu. Mus. 22, 245 ff.
3) C. W. Swahn de Hippolyti Euripideae fabula I. Stockholm 1867.
4) I^aher der S. 282, 1 erwähnte Tadel des sophokleischen Stils !
5) Vgl. z. B. Joh. Malchin de Choricii G«zaei veternm Graec. scripta
studiis, Kiel 1884 S. 45 f.; Nauck zu OR. 786, 795 u. ö.
6) S. de aud. poet. 7 p. 45 b gegen glor. Athen. 348 d; vielleicht f^Ut
die sonderbare Schrift eines Alexandriners Phllostratos „über Sophokles*
Plagiate" [mpl Ttjc llotpoxXiooc xXotcyj?, Porphyrios bei Euseb. praep. evang.
10, 3, 8) in diese Zeit.
7) Als Moster für Jamben empfohlen von Joseph Ehakendytes, Walz III
p. 562, 13; sogar in der vulgärgriechischen Tt|jL<it8a irp6c BcXiodeptov V. 537 flf.
wird er citiert.
8) Schon in der Blumenlese des Stob&ns treten diese drei Tragödien
hervor, während Dioskorides (Anthol. Pal. 7, 37) „Antigone" und „Elektra**,
Statilius Flaccus (Anthol. Pal. 9, 98) die beiden „Oedipus", „Elektra" und
„Thyestes" hervorgehoben hatte.
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Sophokles. 305
Schoiien (Laurentianus von zweiter Hand, Florentinus F (y)
und das zwischen beiden stehende Exemplar, welches Suidas in
seinem Lexikon benützte ^), gibt, während im übrigen der Lau-
rentianus die einzige reine Quelle ist; andere Codices, wie der
Parisinus A, enthalten Excerpte des alten Kommentars^). Was
die Byzantiner selbst, vor allem Tzetzes % Thomas Magistros *)
Emanuel Moschopulos und Demetrios Triklinios, der seinem
Kommentar eine Einleitung in die sophokleische Metrik und
Rhetorik vorausschickte *), über die drei Schulstücke gearbeitet
haben, besitzt mir für die Geschichte der Philologie Interesse.
Die alten Schoiien wurden schon von Janus Lascaris (commen-
tarius in Sophoclem, Rom 1518) bekannt gemacht. In der Jun-
tina (Florenz 1522), und den Ausgaben von Turnebus , John-
son (Glasgow 1745) und Brunck (1786) drängen sich die jünge-
ren Noten ein. Elmsley kehrte in der Sonderausgabe (Oxford
1825. Lpg. 1826^) zum Laurentianus zinrüek; eine Ergänzung
dieser Ausgabe lieferte W. Dindorf im zweiten Bande der Ox-
forder Ausgabe (1852), Die notwendige Neubearbeitung der
Laurentianischen SchoUen ist von Petros N. Pappageorgios an-
gekündigt ^). Massvoll benützt, können sie der Kritik des Textes
nicht unbedeutenden Nutzen bringen^.
1) W. Kausch de Sophoclis fabnlarum apud Snidam reliqniis, Halle
1883 p. d4ff.; P. Jahn qnaeett. de scholiis Laarentianis in Sophodeiu I.
Diss. V. Berlin 1884.
2) L. L a n g e de codice scboliornm Sopb. Lobkowiciano 9pec. IV. Giessea
1866—69. Ueber zwei im 14. Jabrbnndert gescbriebene Handschriften eines
makedonischen nnd eines lesbischen Klosters Papadopnlos-Keramens
*EU. SoXX. IZ' ipx- itap. p. 43 nnd Maopo^opStit. ßtßXto«-. p. 124.
3) W. Dindorf scbolia p. 37. 46.
4) W. Dindorf scbolia p. 404 ff. ans einer Dresdner Handschrift.
5) Dindorf a. O. p. XIX £F. 383 flf., ««pl jiitptov olc ixp'h^*'^® SofpoxXtj^
nnd fcspl ax'r){jLd'cu>v in der Ausgabe von Tnmebns. Die Ausgaben enthalten
zahlreiche anonyme Inhaltsangaben, denen beizufügen sind: Distichen zum
„Oedipus auf Eolonos^* (Thiersch Acta philol. Monac. I p. 322 und Nie.
Pico Ol 08 Supplement ä Tanthologle grecque, Paris 1853 p. 212 ff.) und une-
dierte Jamben zum „Philoktet" (Pico o los a. O. p. 219 f.).
6) Die Schoiien zu „König Oedipus" wurden separat nachgeliefert.
7) Nachträge zur Kollation des Laurentianus:. Dindorf scbolia p. 31 ff.,
Wolff Ztsch. f. Altertumsw. 1855 S. 65 ff.; Jahn in der Ausgabe der Elektra,
Pappageorg kritische u. palaiograph. Beitr. zu den alten Sophoklesscholien,
Lpg. 1881 u. Jahrbb. f. Phil. Suppl. 13, 403 ff.
8) Ed. Wunder de scholiorum in Sopb. tragg. anctoritate I. Pr. v.
S i 1 1 1 , QeBChichte der griechischen liteiator. m. 20
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306 VnL Kapitel.
Unter den Handschriften des Textes geniesst der be-
rühmte codex Lauren tianus, welcher auch den Aeschylus ent-
hält (S. 267) das grösste Ansehen ^). Man könnte ihn für den
Archetypus der übrigen Handschriften höchstens in der Form,
welche ihm der Schreiber der Schollen gab, ausgeben, da dieser
nicht allein vieles aus einer ähnlichen Handschrift korrigierte, *)
sondern zugleich fünf von dem ersten Schreiber übersehene
Verse nachtrug ; die durch spätere Korrekturen undeutlich gewor-
denen Stellen führt eine derselben Bibliothek angehörige Kopie
(plut. 31,2) in der ursprünglichen Gestalt vor. Indes kann eine
Pariser Handschrift (A, 2712) aus dem zwölften Jahrhundert
keineswegs entbehrt werden, sondern verdient an nicht wenigen
Stellen den Vorzug^), während der für die Schollen wichtigen
Handschrift T schwerUch eine gleichberechtigte Stellung zuge-
wiesen werden darf*). Ausserdem enthalten die minderwertigen
Handschriften hin und wieder noch das Richtige^). Die Re-
Grimma 1838; Gnst. G. Wolff de Soph. scholionim Laurent, variis lectioni-
bns, Diss. v. Lpg. 1842, vollständig 1843; Otto Pauli de scholiorum Laorent.
ad Sophoclis verba restituenda usu, Gott. 1865 u. quaestt. cntt. de scholiorum
Laur. usu, Pr. v. Soest 1880; Chr. Heimreich krit. Beiträge zur Würdigung
der alten Sophoklesscholien, Pr. v. Ploen 1884; bestritten vonDindorf ed.
Ox. in p. XIV f. u. Pappageorg a. O. S. 24 flf.
1) Jahns „Elektra** enthält das Facsimile einer Seite; die Society for
promotion of Hellenic studies bereitet eine photographische Reproduktion
vor. Die verschiedenen Arten von Verderbnissen rubriciert Karl Sturen -
bürg quaestiones Sophocleae, Berlin 1864.
2) Nauck Jahrbb. f. Philol. 1862 S. 179; L. Schumacher quaestt.
Sophocl. spec. I. Jena 1868 p. 68. Auch die von Suidas benützte Hand-
schrift steht dem L nahe (Schneidewin Jahrbb. f. Phil. 67, 497 ; K ausch a.O.).
3) Die neueste Kollation steht in Schuberts Ausgabe (für „Aias" und
„Antigone** müssen vorläufig noch H. Lipsius appendicis Sophoclei supple*
mentnm, Pr. des Nicolaig. Lpg. 1867 und Dindorf ed. Oxon. Bd. III. praef.
eintreten). Den Parisinus würdigen H. Lipsius de Sophoclis emendandi
praesidiis, Pr. der Fürstenschule in Meissen, Lpg. 1860; J. Kvicala Ztsch.
f. österr. Gjmn. 1866 S. 21 ft., A. Nauck Jahrbb. f. Phü. 85, 166 ff., wo-
gegen Reisig Oedip. Colon, p. IXf., Cobet de arte interpretandi, Leiden
1847 p. 105 und W. Dindorf die Alleinherrschaft des Laurentianus ver-
treten; 8. auch Campbell Jonrntd of philology 5, 125 ff. Bud. Schneider
Jahrbb. f. Phil. 115, 441 ff.
4) Ant. Seyffert quaestt. crit. de codicibus Sophoclis recte aestimandis,
HaUe 1863.
5) Z. B. oaivti OC. 320 in Paris. B. — Victoriana: Acta philol. Monac.
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Sophokles. 307
cension, welche Demetrius Triklinios um 1390 nach willkürlichen
metrischen Grundsätzen veranstaltete^), hat nur Unheil ge-
stiftet.
Denn wiewohl die editio princeps, eine Venediger Aldina
von 1502, von welcher die Juutaausgaben von 1522 und 1547
abhängen, nach nicht schlechten Handschriften gemacht ist,
lenkte Adrianus Tumebus die Sophokleskritik durch Veröffent-
lichung der Trikliniosrecension (Paris 1563) in eine verfehlte
Bahn, weil Henricus Stephanus diesen Text für seine gefällige
mit dem von Joachim Camerarius in Basel 1556 veröflfenthchten
Kommentar bereicherte Ausgabe (1568) benützte ; im besonderen
blieb der von Guilelmus Canterus (Antwerpen 1579) festgestellte
Text bis in das vorletzte Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts
massgebend. Es mag dies damit, dass der Dichter mehr be-
wundert als gelesen wurde, zusammenhängen ; freilich besass er
allezeit einen kleinen Kreis ausgezeichneter Verehrer: Diebei-
den Scaliger übersetzten nämlich „König Oedipus" und „Aias*'
(Antwerpen 1600), Racine konnte vieles auswendig. Lessing ver-
suchte den griechischen Dichter nachzuahmen ^ und Alfieri be-
arbeitete den „Philoktet". Erst Philipp Brunck brach in der
berühmten Strassburger Ausgabe von 1786, deren zwei Quart-
bände Text, Uebersetzung, Anmerkungen, Fragmente und Wör-
terbuch enthielten, mit dem Trikliniostexte '). An diese durch
unnötige Aenderungen entstellte Arbeit knüpften Musgrave (Ox-
ford 1800, 2 Bde. dazu 1801 Schollen), Fr. Heinr. Bothe (Lpg.
1806, 2 Bde. und poetae scenici IIL IV. 1827—28) und G. A.
Erfufdt (Lpg. 1802-11, Oed. Kol. 1825 von Heller und Döder-
lein) an. Des letzteren kleinere Ausgabe revidierte G. Hermann
in zierlichen Bändchen (Lpg. 1817 ff.). Epoche macht in der
Kritik Peter Elrasley (Oxford 1826, 2 Bde. und Lpg. 1827,
8 Bde.) durch Heranziehung des Codex Laurentianus» W. Din-
dorf sammelte trotz seiner Voreingenommenheit tür diesen Codex
einen apparatus criticus, dazu die Schollen in der Oxforder Aus-
gabe (1835 — 36 , 3 Bde.). Mit kurzen kritischen Noten sind
I 321 ff. ; über eine Handschrift von Alexandrien: Tischeudorf anecdota
Sacra et profana p. '225 f.
1) In der Pariser Handschrift Nr. 2711 enthalten.
2) „Philotas" und Entwürfe (Lachmann U S. 515. XI S. 390).
3) 2. Ausgabe 1786—89 in 4 Oktavbdn., 3. A. 1788 in 3 Oktavbdn.
20*
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308 Vm. Kapitel.
Dindorfs spätere Bearbeitungen (Oxford *1860, in poetae sce-
nici ed. V. Lpg. 1869), ^ die von Th. Bergk (Lpg. 1858), Nauck
(Berlin 1867) und Friedr. Schubert (Lpg. 1883 ff.) ausgestattet.
Kritische meist mit Scholien versehene Ausgaben einzehier
Stücke bearbeiteten O. Jahn (Elektra, 3. Auflage Bonn 1882
von Michaelis), M. Schmidt (Antigone, Jena 1880), Subkoff
(Trachinierinnen, Moskau 1879) und R. C. Jebb (Oedipus tyrannus,
Cambridge 1884, Oed. Col. 1886). Die Verseinteilung weicht
in den Ausgaben erhebUch ab , weshalb W. Brambach *) auf
die Handschriften zurückging. In der modernen Divinations-
kritik herrschen zwei Richtungen : Die eine von Nauck und
O. Hense (Studien zu Sophokles, Lpg. 1880) geführt, betrachtet
nicht nur die Handschriften als sehr fehlerhaft, sondern glaubt
den Wortlaut des Originals herstellen zu können, während die-
andere den ganzen Sophokles von einer Menge kleinerer und
grösserer Interpolationen durchzogen*) und durch Umstell-
ungen verwirrt sieht; sie ist von W. Dindorf in Fluss gebracht
worden*).
Die Erklärung machte nach jenen älteren Ausgaben durch
Ed. Wunders lateinischen Kommentar (Gotha 1831 ff., jetzt von
Wecklein für Teubners Verlag neu bearbeitet) einen erheblichen
Fortschritt. Die Ausgaben von I. A. Härtung (Lpg. 1850—61,
8 Bde. mit Uebersetzung), Schneidewin-Nauck (Berlin 1849 ff,
u. ö.), Gust. Wolff-Bellermann (Lpg. 1858 ff. u. ö.), C.Schmel-
zer (1885 ff.), Wecklein (München 1874 ff.) , Eduard Tournier
(Paris 1868 , »1886) , Campbell und S. Abbott (London 1886,
2 Bände.) haben jede ihre eigenartigen Vorzüge. Unter den
Bearbeitungen einzelner Stücke ragt Chr. August Lobeck»
1) Die Leipziger Textansgabe wurde 1885 i^on S. Mekler revidiert.
2) Metrische Stadien zu Sophokles, Lpg. 1869.
3) L. G. van Deventer de interpolationibus qnibasdam in Soph. tra^
goediis, Leiden 1851 ; Karl Stürmbarg qaaestiones Soph., Berlin 1864 p. ASfL
(za Gunsten der Responsion); Bonif. Lazarewicz de versibas spuriis ap.
Soph., Berlin 1856; Alb. Zippmann atheteseon Sophodeanun spec., Bonn
1864; Edm. Reinhard de interpolatlone fabalae Sophodeae qaae inscr.
Aias, Bremen 1880.
4) R. Morstadt Beitrfige zur Exeg. n. Kritik d. soph. Aias, Schaff-
hansen 1883 a. do. d. soph. Tragödien El., Aias n. Ant., Schaffh. 1864;
Oottl. Elsperger Beitrag zur Erkl. der El. des S., Pr. v. Ansbach 1867;
£. Mollweida symbola Sophodea, Lpg. 1869.
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Sophokles. 309
Aias (Berlin 1809. '1866) durch Gelehrsamkeit hervor ; ausser-
dem sind zu nennen: Antigonevon Wex, Lpg. 1831, 2 Bde.
Böckh, 2. Aufl. Lpg, 1886; A. Jacob, Berlin 1849; Semitelos,
Athen 1886; Elektra v. R. C. Jebb, London 1882; üedipus
Tyr. von Fr. Brandscheid, Wiesbaden 1882 und Jebb (s. o.);
Oedipus auf Kol. von Karl Reisig, Jena 1820, P. Elmsley,
Lpg. 1824 und Jebb (s. o.); Philo ktet von M. Seyffert,
Berlin 1867.
Ein wertvolles Hilfsmittel der Sophoklesphilologie ist das
Lexicon Sophocleum von Priedr. Ellendt (Berlin 1834 f.), neu
bearbeitet von Herrn. Genthe (1867—72). Letzterer veröffent-
lichte als Supplement einen brauchbaren Index commentationum
Sophoclearum ab a. 1836 editarum triplex (1874), aus welchem
unsere Literaturangaben zu ergänzen sind.
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IX. Kapitel.
Euripides.
Biographien; Lebeosumstände ; Charakter nod Denkangsweise ; dichterische
Eigenart; Zahl und Entstehnngszeit der Dramen; Rhesos; die übrigen Tra-
gödien in alphabetischer Ordnung; das Verlorene. Fortleben der Dramen;
Scholien, Handschriften und Ausgaben.
lieber das Leben des Dichters schrieb im Altertum (vgl. Felix Brüll
de fontibus vitae Euripidis, Diss. v. Münster 1877) zuerst Philochoro»
(Suida^ s. y., nach Nauck Eurip. I p. X A. 1 in dem Werke icepl TpaY((>dtu>v) ;
Sabirius (?) Pollio fälschte Briefe des Euripides (nach ApoUonides 6 Kiq^so^
in der Vita Arati I Z. 130 West.); es sind deren fünf, von Bentley disser-
tation upon the epistles of Euripides (in Wagners Ausgabe p. 554 ff.) richtig
gewürdigt, überliefert. Mehrere Handschriften enthalten verschiedene bio-
graphische Excerpte, welche Ritter Didymos, dagegen M. Schmidt Didymi
fragm. p. 275 Anm. Alexandros von Kotyaion zuschreibt (aus einem Am-
brosianus bei Elmsley ad Eurip. Bacchas p. 192; Vindobonensis in Zimmer-
manns Schulztg. 1828 II Nr. 2; Havniensis in Friedemann u. Seebodes Mis-
cellauea critica 1822 I p. 894 ff. ; Parisinus : Journal des savans 1832 p. 240 ff. ^
diese sind in Westermanns Bto^p^tpoi p. 133 ff. und Dindorfs Scholienausgabe
I p. 1 ff. gesammelt. Welcker verglich eine athenische Handschrift, Rhein.
Mus. 3, 468 und Eirchhoff zog noch einen Vaticanus bei. Ich eitlere nach
Naucks Recension, in seiner Ausgabe I p. V ff.). Solche Excerpte überarbeitete
Thomas Magistros vor seiner Erklärung der Hekabe. Manche Abschreiber
kopierten den Artikel des Suidas, welchem Aldus in seiner Ausgabe willkür-
lich den Namen des Manuel Moschopulos voraussetzte. Ausserdem widmete
Gellius ein Kapitel seiner noctes Atticae (XV 20) den Lebensumständen des
Dichters.
Die alte Ueberliefenmg stellten sowohl andere Heransgeber als besonder»
Nanck einleitungaweise zusammen. Vgl. O. Ribbeck Euripides und seine
Zeit, ein Vortrag, Pr. von Bern 1860.
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Enripides. 311
Euripides' ^) Geburt fiel in stürmische Zeiten ; er kam 480
auf der Insel Salamis, wohin die Athener ihre Familien vor
den Persem in Sicherheit gebracht hatten, zur Welt *) und zwar
angeblich gerade am Tage der welthistorischen Seeschlacht*).
Die Eltern des Dichters waren von guter Familie, weshalb der
junge Euripides bei einem uralten Apollofeste seines Gaues
Phlya unter den vornehmen Knaben das Ehrenamt des Mund-
schenken versah und in einem anderen Apollokulte das Feuer
trug*), alleiu sie scheinen in den Vermögensverhältnissen her-
untergekommen zu sein; denn der Vater Mnesarchides oder
Mnesarchos trieb Handel ^) und die Mutter Kleito soll ebenfalls
ihren Gemüsegarten verwertet haben, was die Komiker ihm
vorzuhalten nicht müde wurden •). Der Dichter befand sich,
ohne arm zu sein, nicht in sehr günsiger Lage und die Klage,
dass Armut und Gelehrsamkeit beisammen seien, ist gewiss
aus seiner eigenen Brust gekommen''); es sei gleich bemerkt,
dass auch Euripides' Söhne ihr Brod verdienen mussten: Mne-
1) Der Name wurde sp&ter auch Ehptiiiihri<; (CIG. 6051. 6052. Demetrios
Kspl icoiY2}idtu>v Volum. Herc. ed. Oxon. I p. 115) oder E5piicici8*»jc (CIG. I
213. Ephem. archaiolog. 3896) geschrieben.
2) V. 2flf., daher SaXa|ntvtoc CIG. 6052.
3) Timaios bei Plutarch. symp. 8, 1, 1 u. A. Einzig die parische Chronik
Z. 65 setzt die Geburt des Dichters schon Ol. 73, 4 (485) und zwar einem
Synchronismus zu Liebe, weil Aeschylus damals den ersten Sieg gewann ; die
Angaben des Philochoros und Eratosthenes (V. 34) stimmen zu 480.
4) Philochoros bei Suidas u. Thomas Mag. Z. 3 ff., Theophrastos bei
Athen. 10, 424 ef. V. 17 f.; über den Demos auch Harpocr. u. Suid. u. ^Xosio,
entstellt zu ^Xidoioc Mich. PseUos, Sathas asoattuv. ßißX. V. 538). Unglaub-
würdig Aristoph. Ran. 947. Nikol. Dam. bei Stob. flor. 44, 41 p. 187, 17 aus
einem Komiker (vermittelnd Suid.).
5) Mnesarchides: CIG. 6052. Orakel bei Euseb. praep. ev« 5, 33, 1 (aus
Oinomaos). V« 1 u. 111 cod. B. Suid.; Mnesarchos (mit der Variante Mne-
starchos, s. Dindorfs Scholia I p. 1 A. 2) ; CIG. 6051. Schol. Aristoph. Thesm.
1. 910. V. 1 A u. athen. Handschr. (Thom.). Suid. ; die Komiker machten
einen Krämer daraus (V. 1).
6) Kleito V. 2 (KXata» A). Suid. ; nach Valer. Max. 3, 4 ext. 2 war der
Name der Mutter unbekannt. AaxavoiccuX'fjTpia Aristoph. Thesm. 387, vgl.
456. Ach. 478. Eq. 19. Ran. 840; The6pompos bei GeU. §. 1. Komiker bei
Suid. u. ox^di4; Philochoros erhob Einspruch (Suidas).
7) Er hatte eine Klage wegen ftyriSooic su bestehen (Aristot. rhet. 3, 15
p. 1416a 30); fr. 642, 3, s. auch Dikaiarchos bei Plutarch. de £1
Delph.384d.
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312 IX. Kapitel.
sarchides als Kaufmann und Mnesilocbos als Schauspieler^).
Weil dem Vater geweissagt war, dass sein Sohn Siegeskränze
davontragen werde, Hess er ihn in der Athletik ausbilden und
wirklich gewann er in Eleusis und beim Theseusfeste Preise *).
Spätere Aeusserungen des Dichters lassen ahnen, dass er
nur mit Widerwillen den Wünschen seines Vaters entsprochen
hatte; als nun der Philosoph Anaxagoras nach Athen kam,
vermochte nichts mehr Euripides in den Gymnasien länger zu
halten. Unter den jungen Athenern, welche voll Bildungsdrang
dem grossen Gelehrten nahe traten, befand sich Euripides^).
Die damals empfangenen Eindrücke treu bewahrend, sammelte
er eine philosophische Bibliothek*), drang in die Rätselworte
des Herakleitos ein *) und suchte den Umgang aller bedeutenden
Philosophen, namentlich des Protagoras, Prodikos ^ und Sokrates,
welchem man ein lebhaftes Interesse an Euripides' Dichtungen,
sogar thätige Mitwirkung zuschrieb.')
Dennoch war der Dichter für die reine Philosophie weder
80 boanlagt noch so begeistert, dass er sie zum ausschliesslichen
Lebensberuf hätte erwählen wollen, zumal da die Glanzzeit des
Sophistentums noch nicht angebrochen war. Eine neue Wand-
lung dieses mannigfaltigen Geistes wird durch die trockene
1) V. 27 ff. (gekurat Snid.).
2) Orakel bei Oinomaos (S. 311, 5). Gell. §. 2. 3. V. 5ff.; der Maler Eu-
ripidee (V. 16 f. 113. Said.) dürfte ein anderer gewesen sein.
3) Aristophanes bei Grell. 15, 20, 8 (aos Alex. Aetol., s. Nauck p. IX
n. Sp.); Valokenaer diatribe in Enr. perditornm dramatnm reliqnias
p. 34—37; E. Köhler die Philosophie den Ear. I. Anas. n. E., Pr. v.
Bückeburg 1873.
4) Athen. 1, 3a; vgl. Aristoph. Ran. 1409. 943.
5) Fr. Lommer in qnantum Ear. Heracliti rationem anctoritatemque
ensceperit, Pr. v. Metten 1879.
6) Protagoras: Diogen. 9, 54. V. 10. Vgl. PhUochoros bei Diog. 9, 55;
Piodikos: OelL § 4. V. 10. Said.
7) Komikerstellen bei Diogen. 2, 18 n. V. 11 ff.; Aelian. v. h. 2, 13
p. 23, 29 ff. y. 10. Vgl. Cic Tose. 4, 29, 63. Er soll gar im „Palamedes''
ihof Sokrates' Tod angespielt (Diogen. 2, 44, welche Meinang schon Philochoros
zurückgewiesen zu haben scheint) und Plato nach Aegypten begleitet haben
(Diogen. 3, 6) ! Schüler des Sokrates Gell. § 4. Said., el>en8o wird Archelaos
»US einem Mitschüler (Euseb. praep. oy. 10, 14, 8) sein Lehrer (V. 114. ol Zk
Suidas u. 'Apx^^aoc). Anders klingt die Anekdote Diogen. 2, 33. Vgl. U.
T. Wilamowitz Zukunftsphilologie I S. 26.
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Earipides. 313
Notiz, dass der Dichter 455 (Ol. 81,1), also im sechsundzwan-
zigsten Jahre stehend, das erste Mal sein Glück auf der Bühne
versuchte, angekündigt^). Durch den Misserfolg ungeschreckt,
setzte Euripides seinen Weg energisch fort, obgleich Athen
erst 442 (Ol. 84,3), als er dem vierzigsten Jahre nicht mehr
fern. war, ihn krönte*).
Ueber das Leben des viel geschmähten Tragikers wissen
wir gerade aus der Zeit seines poetischen Wirkens nichts als
eine Klatschgeschichte. Choirine, die angebliche Frau des
Dichters*), brachte man mit dem in seinem Hause lebenden
Musiker Kephisophon, der sein Mitarbeiter hiess*), in Verbindung.
Aber obgleich die Fabeln darüber, über eine zweite Frau Na-
mens Melito und seine Bigamie, sowie den Schwiegervater Mne-
silochos, von dem nur feststeht, dass man ihn ebenfalls an
Euripides' Tragödien beteiligt glaubte^), nicht vollkommen zu
entwirren sind, genügt auf jeden Fall ein Vers seines grim-
migsten Hassera, des Aristophanes, zum Beweise, dass Euripides
bis zum Tode im Kreise seiner Familie und mit Kepbisophou
innig befreundet lebte ^.
Eine- so gesicherte Stellung, wie sie Sophokles inne hatte,
konnte Euripides trotz aller Bemühungen nicht erringen ; darum
1) Ol. 81, 1 V. 30 f. 121 f. ; 26 Jahre alt^ V. 21, 25 Jahre Thom. 21 (anrichtig
18 Jahre Gell. % 4, weshalb Eosebios Ihn wahrschelDlich Ol. 78, 1 zum
«raten Male nennt); nach Snid. war er 42 Jahre lang fär die Bühne thfttig.
2) Marm. Par. Z. 75 ; daher setzt ihn Ensebios das zweite Mal Ol. 84, 2.
Im Jahre 449 diente Euripides wahrscheinlich auf Ojpem, denn nach Bacch.
406 (vgl. Löher Oypem S. 258, s. ü. v. Wilamowitz Kydathen S. 77)
dürfte er Paphos gesehen haben.
3) V. 27. Suidas. Schol. Aristoph. Thesm. 1 (XotptX-r) V. 67. Snid. v. 1.);
nach U. v. Wilamowitz anal. Eurip. p. 149 adn. Spottname; mir scheint,
dass den Anlass Aristoph. Thesm. 289 gab, wo der vermeintliche Mnesiloohos
««agt: rrjv ^ofat^pa ^olpov ÄvJpoc Jitot tox^Tv irXootoövTOC.
* 4) Aristoph. Ran. 944. 1452 f. Er kann seinem Namen nach kein Sklave
gewesen sein, wie Schol. Ran. 971 (975) n. V. 90 meinten, weil sie den in
den Acharnem V. 395 ff. auftretenden Pförtner des Euripides ftir Kephisophon
hielten. Nachrede : V. 67 ff. Ist Sv xal oovtlvat t^ '^o'^awl ahxob xo>)i()>$oo9i
Schol. Arist. Ran. 971 (975) wörtlich zn nehmen?
5) Melito: V. 26 (vgl. 74 f. nnd Suid.); Bigamie: GeU. § 6; Mnesiloohos:
Schwiegervater Suid. (and Handschriften der Thesmophoriazusen), Mitarbeiter:
Telekleides V. 13.
6) Ran. 1408 a5t6c, tot icatBt*, 4) •(oyr^f Kiqf toocpdiv.
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314 IX. Kapitel.
haftete er auch nicht so an der Heimat, sondern verliess gleich
Aeschylus hochbejahrt, frühestens im Sommer 408, nachdem
er an den Dionysien eine Tetralogie aufgeführt hatte, Athen *),
das er nicht wiedersehen sollte, um sich zunächst nach der
thessalischen Stadt Magnesia zu begeben, wo er möglicherweise
von seinem Vater her Verbindungen hatte. Obgleich die
Bürgerschaft den berühmten Mann durch hohe Privilegien an
sich zu fesseln suchte^, folgte er bald einer Einladung des
makedonischen Königs Archelaos; hier wurde er, imgeachtet
dass er sich nicht zur Rolle des Schmeichlers herabliess, mit
den grössten Geschenken und Ehren überhäuft, wofür er poe-
tischen Dank in dem Drama „Archelaos'* (zu Ehren des gleich-
namigen Ahnherrn) abstattete^).
Die Athener sollten nicht einmal die sterblichen üeber-
reste des Euripides besitzen. Der Dichter starb in Makedonien
406, über siebzig Jahre alt*), eines kläglichen Todes, werm anders
es wahr ist, dass er von Hunden zerrissen wurde ^). Der tief
erschütterte König Hess ihn glanzvoll begraben und an der
Quelle Arethusa ein Denkmal errichten *). Als die Athener
1) Wegen seines Familien Unglücks Tbom. 31, vielleicht schon Philodem,
de vitiis X p. 20 ed. Sauppe, auch Suid.
2) V. 21 f.
3) Anekdote bei Dikaiarchos (Plutarch. de El Delph. 1); nach V. 24 f-
wnrde er e:cl xcüv Btoix*r)a6u»v gesetzt, vgl. Aristot. polit. 5, 10 p. 1311b 30ff.
Solinus 9, 15. GeU. 5, 20, 9. Suid.; V. 22;
4) Philochoros V, 34 f.; 75 nach Eratosthenes V. 35 (Suid.); 78 nach
Mann. Par. Z. 77, der den Tod schon Ol. 93, 1 (409/8) setzt.
5) Angeblich schon von Sotades erzählt (Stob. flor. 98, 9 V. 15); 1. bei
einem Ausfluge: Diodor. 13, 103, 5, im Haine der Artemis Ovid. Ibis 477,
593 f. vgl. y. 54, in Bormiskos Steph. Byz. u. Bop(itoxoc ; mit dem Sprichwort
xuvöc 2ix*r) in Verbindung gebracht Y. 48 ff.; 2. bei Nacht, als er aus dem
Palaste heimging V. 120. Yaler. Max. 9, 12 ext. 4, oder bei einem Liebes-
abenteuer Hermesianax V. 65 fl. Suid. ; die That wurde von Feinden oder
Rivalen angestiftet Diogenian. 7, 52. Apostol. 14, 83. Gell. § 9. Suid. ; an die
Stelle der Hunde setzten andere wütende Weiber (Suid.) , worauf Addaios
AnthoL Pal. 7, 51, der den natürlichen Tod verteidigt, anspielt. Fabel nach
Lehrs populäre Aufsätze aus dem Altertum S. 207 ff. Die angebliche Todesart
Epikurs und Ludan darf man nicht zum Vergleiche beiziehen, da Euripides
später nicht gleich diesen als Atheist verschrien war.
6) Begräbniss: Solin. 9, 15, vgl. Valer. Max. bei Walther Burley (Philo-
logns Bd. 8, 384); Denkmal: Plutarch. Lycurg. 31. Addaios Anthol. Pal. 7,
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Euripides. 315
4ie Auslieferung seiner Asche forderten, wurde sie ihnen mit
Recht verweigert und so hatte Athen von dem populärsten
Tragiker der griechischen Welt ein blosses Kenotaph aufzu-
weisen ; dass der ßlitz des Zeus dasselbe traf, trug zur höheren
Wertschätzung des Dichters viel bei ^).
Die Natur hatte Euripides die Gaben, welche Sophokles
allgemein beliebt machten, versagt: Von den schönen edlen
Zügen des letzteren stach das von einem struppigen Bart und
Warzen entstellte Gesicht unseres Tragikers nicht zu seinem
Vorteil ab *). Büsste er schon hiedurch bei den alles Schöne
liebenden Athenern sehr ein, so ersetzte er dieses wenig an-
ziehende Aeussere keineswegs durch ein gewinnendes Benehmen.
Euripides' Blick war finster, und nicht einmal der Wein ent-
lockte ihm ein Scherzwort'). Statt in der athenischen Gesell-
schaft eine seinen Talenten entsprechende Rolle zu spielen,
weilte er lieber zurückgezogen in seinem Studierzimmer oder,
ferne von dem Getriebe der lebhaften Stadt, am öden Strande
von Salamis, wo man später eine Grotte als „studio" des für
die Naturschönheit und das Meerleben empfänglichen Dichters
zeigte*). Wenn die Athener ihn einmal in der Oeffentlichkeit
sahen, kündigte die angehängte Notiztafel den rastlosen Ar-
beiter an ^). Seine Tragödien bewiesen , dass Euripides die
schlimmen Seiten der menschlichen Natur gründlich kennen
gelernt hat; wie er aber die Menschen im Leben fand, so
stellte er sie im Theater dar, die Frauen nicht ausgenommen.
So sehr nun die Athener an den Weiberkarrikaturen in der
Komödie ihre Freude hatten, erregten die treulosen Frauen
51. Ammian. 27, 4, 8, oDgenan Plin. nat. bist. 31, 19. Vitrov. 8, 3, 16, in
PeUa Soid.
1) Gell. § 10; PaosaD. 1, 2, 2. V. 36fr., vgl. D^thier ^tudes arch^-
logiques, Koustantinopel 1881 S. Iff.; Plntarch a. O.
2) Aristoph. Thesm. 190, vgl. 160 mit 175; V. 25 f. aus einem Komiker.
3) Aristophanes bei GeUins § 8 (S. 312, 3). V. 64 iL. Suidas.
4} Im Studierzimmer zeigen ihn Aristophanes „Achamer*'; Missachtung
des Publikums: Y. 115 ff.; Salamis: V. 61 ff. (5dev xal sx ^aXdooYjc Xa(i-
p<iv«t xdc itXttooc xÄv 6)toia»oeo>v), vgl. 77; Philochoroe bei Crell. § 5; vgl.
6. W e 1 ck e r Archftol. Ztg. 1848 S. 315 ff. Die Zurückgezogenheit charakterisiert
den Weisen Ion 598 f., vgl. Or. 919. fr. 193.
5) YgL Macbon bei Athen. 13, 582 c.
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316 IX. Kapitel.
der euripideischen Dramen, wie Aörope, Pasiphaö, Stheneboia,
<las höchste Missfallen ^) und „die kluge Merope** war mit ihrer
Emancipation nicht dazu angethan, diese Strengen zu besänf-
tigen. Euripides hat in Wirklichkeit nur, was vor ihm Hesiod
und Simonides über gute und schlechte Frauen unbeanstandet
ausgesprochen, dargestellt *), aber man wollte nun einmal zu
seiner Zeit diesen Realismus auf der tragischen Bühne nicht.
Der Tragiker schilderte andererseits in„Alkestis" und „Protesilaos"
den Gipfel der ehelichen Liebe und so hat er noch manches
Ideal gezeichnet. Allein im allgemeinen gab er die Menschen
so wieder, wie er, mit einer unseligen Klarheit des Blickes be-
gabt, die überwiegende Mehrzahl sah ^). Die meisten seiner Per-
sonen handeln aus eigensüchtigen Beweggründen und liefern
für die fides Graeca drastische Belege; Aphrodite und Eros*),
natürlich nicht im Sinne Piatos gefasst, vernichten das Glück
der Familien und spotten selbst der Naturgränzen % Nicht ein-
mal der eigenen Kinder schont die rachsüchtige Medea; auch
Ajitiope und Kreusa sind durch wilde Rachgier entstellt. Der
grausame Zug, der vielen Personen des Euripides anhaftet, er-
innert unwillkürlich an die Blutscenen des peloponnesischen
Krieges, der nach Thukydides' bekanntem Worte die Moral zer-
rüttete.
Politisch stand EuripMes mit seinen Sympathien auf Seite
des tüchtigen strebsamen Bürgertums, das er zuerst bühnen-
1) S. z. B. Aristoph. Thesm. 153. 547. Ran. 849. 1043.
2) Vgl. Lenz Bibliothek der scböoen WissenschafleQ 58, 195fr.; Em.
Herrn. Braut Eur. mulieram osor nnm recte dicatnr, Dias. v. Berlin 1859
n. £. de matrimonio quid senserit, Pr. y. Marienbnrg 1862, aacb Peter J.
C oster diatribe in Enripideae philosopbiae locam qui est de amore, Disa.
V. Utrecht 1835; Ant. Göbel E. de vita privata ac domestica quid senserit,
Diss. Y. Münster 1849. — Ganz unbegründet sind die Verleumdungen von
Hieronymos bei Athen. 13, 557 e. 604 f, vgl. 603 e und Serenus bei Stob. flor.
6, 36, 8.«auch Apostol. 17, 42 u. dazu v. Leutsch.
3) S. 176f.; E. Steinhart E*. Charakteristik u. Motivierung im Zu-
sammenhang mit der Eulturentwicklung des Altertums, Gosches Archiv f.
Literaturgesch. I 1 ff.
4) Roh de der griechische Boman S. 31 Ü\
5) Wie die Kinder des Aiolos Aristoph. Ran. 1081. Schol. Aristoph.
Nub. 1371.
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Enripides. 317
fähig machte und trat für eine gemässigte Demokratie ein ^).
(S. 165). Der Verächter der demagogischen Emporkömmlinge ^>
hätte den ihm in neuerer Zeit verliehenen Titel eines Dichters
der Ochlokratie mit Enti-üstung zurückgewiesen. Voll Hass^
gegen Sparta and dessen Heros Menelaos gerne verunglimpfend^
hing er von ganzer Seele Athen an. An den „Herakhden** und
„Schutzflehenden** bleibt ausser dem Patriotismus wenig mehr
zu loben, auch im , Jon** bildet der Tragiker die Sage zum Ruhme
der Athener dahin um, dass von den Heroen der hellenischen
Stämme Ion allein einen göttlichen Vater erhält, und bringt
die ganze Urgeschichte von Athen episodisch (V. 265 ff.) an ^).
Als Bürger unterscheidet er sich mithin von Sophokles
nicht sonderlich, desto mehr dagegen als Denker *) ; denn wäh-
rend dieser über das Warum und Woher der Dinge, soweit sie
ausserhalb des Menschen hegen, nicht viel nachsann, war Eu-
1) SappL 244 ff. fr. 628. Phoen. 535 ff.
2) Fr. 328. Vgl. auch Hec. 254ff. Ion 595 ff. Med. 294 ff.
1) K. Sehen kl Ztsch. f. österr. Gymn. 1862 S. 357 ff. 485 ff.; Rieh.
Haupt die äussere Politik des E. I. Pr. v. Entin 1870,11. Pr. v. Ploen 1877
(Berlin); C. Göcker zur äusseren Politik des E., I. Pr. v. Ratzebur« 1872;
D. Th. Belajew Journal des mss. Ministeriums für Volksauf kl. 1882. 188&
in. Abt. S. 459 ff.
2) Friedr. Bouterwek Commentatt. societ. reg. scieni. Gott. IV
(1816/8); J. A. Schneither disp. de E. philosopho, Groningen 1828; Chr.
Jessen über den religiösen Standpunkt des E., Pr. v. Flensburg I. 1843. II.
1849; Karl Hasse Euripidis tragici poetae philosophia quae et qualis fuerit,.
Pr. y. Magdeburg 1843; ders., Ursprung, Gegensatz u. Kampf des Guten u.
Bösen im Menschen. Entwickelt aus der physischen Lehre des Eur. u. nach-
gewiesen an einigen Charakteren seiner Dramen I. Magdeh. 1859 II. 1870 v
L. Maignien morale d^Euripide, Paris 1856; Jos. Janske de philosophia
Euripidis, Pr. v. Breslau I. 1857 IL 1866; Fr. Lübker über die eharakt.
Unterschiede des £. von Soph., Terh. der Pbil. Vers, in Braunschweig, Lpg.
1861 S. 70 ff. u. zur Theologie u. Ethik des Eur., Pr. v. Parchim 1863; Fr.
Winiewski de Euripidis res ad extremam hominis sortem spectantes trac-
tandi ratione, Pr. d. Univ. Münster 1860 und Index lect. 1864; Spengler
theologumena Euripidis tragici, Pr. v. Köln 1863; Po hie de rebus dirinis quid
senserit E., Pr. v. Trier 1868; Franz Warmhold die Ansichten des E. vom
Tode u. Jenseits, Pr. v. Bemburg 1871 u. Bcitr. zu eur. Ethik L, Pr. v. Zerbst
1875; Wilamowitz analecta Eurip. p. 162 ff.; Franc. Zambaldi de Eur.
sapientia, Born 1875 u. E. de rebus divinis et humanis quid senserit, Pr.
des Lje. Visconti, Rom. 1875; Karl Strobl E. u. die Bedeutung seiner
Aussprüche über göttliches u. allgemein menschliche^ Wesen, Pr. y. Wien 1876.
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318 IX. Kapitel.
ripides ein Grübler. Da er in der Aufklärung die Lösung der
Welträtsel erlangen zu können glaubte , führte er das Schlag-
wort „Bildung'' unermüdet im Munde *), wie wenn sie eine Pa-
nacee wäre, und idoch gewährte sie seinem eigenen Geiste keine
volle Befriedigung. Sehen wir auf Euripides' einzelne Sentenzen,
so hören wir bald einen gläubigen Mann , der von dem Fort-
leben nach dem Tode überzeugt ist*), bald einen unbedingten
Anhänger des Anaxagoras, mit dem er in den Göttern Personi-
fikationen der Natur erblickt und die Seelen in den Aether auf-
gelöst werden lässt'); an anderen Stellen hinwiederum wendet
er sich im Sinne Pindars und Aeschylus gegen die unmoraUschen
Vorstellungen des Epos*). Wieder andere Verse stellen die Ge-
rechtigkeit der Götter oder gar ihre Existenz überhaupt in
Frage ^). Namentlich der „Ixion'* erregte bei der Aufführung
durch seine Gotteslästerungen Anstoss ; der Dichter verteidigte
sich dagegen, dass er Ixion zum Schlüsse elend untergehen
lasse*), wie Freunde zu seinen Gunsten vorbrachten, er lege
seinen Personen vieles, wofür er selbst keine Verantwortung
trage, um ihrer Charakterisierung willen in den Mund'). Als
aber bei einem Prozesse der Gegner Euripides die berüchtigte
Stelle des Hippolytos „Die Zunge hat geschworen, doch mein
Herz weiss nichts davon" vorwarf, griff Euripides nicht zu jener
Entschuldigung, sondern wich aus®). In der That wäre er
nicht dazu berechtigt gewesen. Man betrachte nur seine Göt-
tergestalten, wie sie nichts anderes als Menschen und zwar
euripideische Menschen sind : Aphrodite (im Hippolytos)^) rächt
ihre beleidigte Eitelkeit auf entsetzliche Weise; Apollo vernichtet
1) So(p6«, Schol. Med. 665; Nauck a, O. p. XXX, 51. Er bildet sogar
die bekannte Formel zu touc ao(po6{ te xa^a^ouc fr. 284, 23 um.
2) Z. B. Heracl, 901 ff.
3) Fr. 836. 935. Tro. 884 ff. ; Hei. 1015. Fr. 961 (anders ist Suppl. 1139 ff.
gemeint), S. 312 A. 3.
4) Herc. f. 1341 ff. auch IT. 380 ff. u. ö.
5) Vorsichtig El. 583. Herc, f. 347. fr. 294, 7. 1030, 5; kühner z. B.
Phoen. 86 f. 155.; Tro. 884 ff. fr. 288. 483. 9r)4, 2.
6) Plutarch. and. poet. 4.
7) Schollen zu Med. 300.
8) Aristot. rhetor. 3, 15 p. 1416 a 29 ff.
9) Der Pädagog sagt umsonst zu Aphrodite Y. 118 f. fx*^ 26x(& toutoo
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Enripides. 319
Inder „Andromacbe" den lästigen Mahner Neptolemos (V. 1161 flF.),
er schämt sich im „Ion'* vor seiner verlassenen Geliebten und
in der „Alkestis^* bat er die Schicksalsgöttinen überlistet, aber
an Thanatos wagt er sich trotz seines Bogens, der doch jenem
gewaltig imponiert , nicht , sondern Held Herakles muss ganz
allein den Kampf bestehen. Und wie benimmt sich sogar der
höchste Gott in der Handlung des „rasenden Herakles** unge-
achtet des Appells , welchen Amphitryon mit beweglichen , ja
beleidigenden Worten (V. 339 ff.) an sein Ehrgefühl richtet?
In gleicher Weise führt die Art , wie Euripides seine Stücke
zum Ziele bringt, in seine wahre Denkungsart ein. Denn Eu-
ripides kennt nur ein blindes hartes Schicksal, das zwischen
Recht und Unrecht keinen Unterschied macht, mögen es die
Menschen mit dem Namen einzelner Götter oder sonst wie be-
zeichnen \ Weil indes die Athener in religiösen Dingen äusserst
empfindlich waren, musste der Tragiker, wenn er ihre Toleranz
nicht auf eine gefährliche Probe stellen wollte, sich möglichst
vorsichtig ausdrücken und, wenn möglich, die konventionellen
Ausdrücke wählen. Dennoch möchten wir ihn von irgend-
welcher Heuchelei freisprechen. Euripides war nicht der dra-
matische Herold der Aufklärung, wie etwa auf der Bühne Frank-
reichs Voltaire gegenüber den religiösen Tragikern Corneille und
Racine, sonst hätte er sich der Philosophie voll hingegeben.
Er that vielmehr den charakteristischen Ausspruch: „Philoso-
phieren sollen wir, aber wenig; ausschliesslich ist nicht recht.
Von ihr kosten soll man , aber sich nicht darein vertiefen** *).
Sein Leben lang rang der Dichter nach Wahrheit. Nachdem
er, zum Pessimismus neigend *), in jüngeren Jahren bei den or-
phischen Mysterien Trost gesucht hatte*), zog ihn der Strom
der Aufklärung mit sich, aber als Greis schrieb er die merk-
würdigen „Bakchen** ^), worin er für den edlen Kern des Volks-
1) Hec. 488 ff. beispielsweise hätte Epikur sagen können.
2) Von Ennius übersetzt (Cic. Tuscul. 2, 1, 1. €teU. B, 15, 9).
3) Beispiele bei Nanck S. XXTU A. 56. Sein Unglaube war, wie
Mommsen r§m. G^eschichte I ^907 sagt, „der verzweifelnde Glaube".
4) Alcest. 966 ff. Hippel. 962 ff.
5) 8. z. B. 1150 ff. 1325 f. Dionysos wird wider Euripides' Gewohnheit
immer gerechtfertigt. YgL G. Bernhardy theologumen. Graec. p. m.
Euripidis Bacchae, Pr. d. ün. Halle 1847.
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320 IX. Kapitel.
glaubeus ohne Schwanken eintritt und gegen die Religions-
Spötter und Materialisten ankämpft, ähnlich wie Shakespeare in
seinen letzten Werken dem positiven Christentum näher tritt.
Aber gerade seine Werke hatten bereits den Samen des Zwei-
fels weithin ausgestreut und in Kreise, welche der eigentlichen
Philosophie unzugänglich waren, getragen; Euripides „hat die
Leute überredet, es gebe keine Götter**^).
Seine Dramen popularisierten ausserdem zahlreiche sophi-
stische Lehren, von denen wir wenigstens die auflFallendsten
hervorheben wollen. Euripides ist im Altertum der hervor-
ragendste Vertreter der Menschenrechte. „Den wackeren
Sklaven, sagt er, schändet der Name nicht, viele sind besser
als die Freien"^, Aber diese geläuterte Anschauung, die
übrigens damals nur in Athen möglich war, überträgt er echt
griechisch auf die Barbaren nicht, im Gegenteil, sind sie in
den „Troerinen" wie im Rhesos zum Teil wahrhaft karrikiert,
und auch in „Hekabe" und „Medea" mit grellen Farben
gemalt. Da ferner die Sophistik an den Gymnasien die gefähr-
lichsten Konkurrenzanstalten hinsichtlich der Neigungen der
jungen Männer hatte, eiferte sie und in ihrem Gefolge Euripides
gegen das den Materialismus fördernde Athleten tum, weshalb
Amphion in „Antiope" die Sache der musischen Künste mit
beredten Worten gegen seinen Bruder Zethos führte^). Das
dritte gewichtige Schlagwort der Bewegung war Frauenemanci-
pation ; welch' eine Kluft liegt zwischen dem Worte des sopho-
kleischen Aias „Den Frauen ziemt Schweigen'* und Euripides
Melanippe, die trotz einem Rhetor Vorträge über die Frauen -
frage hält. Der Tragiker scheut nicht einmal vor einer Debat-
tierung der Weibergemeinschafb zurück*).
Ueber die Denkungsweise des Euripides sind wir in jeder
Beziehung besser als was die zwei anderen Tragiker anlangt,
unterrichtet. Wenn sie auch viele gehaltvolle Sentenzen ihren
1) Aristophan. Thesmoph. 457.
2) Fr. 515, vgl. 828, Ion 854, ähnlich in Alexandros, (fr. 49—60), Andro-
mache, Hekabe nnd den Troerinen; im allgemeinen s. Stobaens floril. IV 18 (62).
3) Bibbeck römische Tragödie S. 285 fi.; anch Androm. 599.
4) Fr. 655. Gegen daa die Justiz hemmende Asylrecht polemisiert er
Ion 1312 ff.
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Euripides. 321
Hörern mitgegeben haben, empfindet man doch, weil sie selten
den Zusammenhang mit dem von dem Drama eben Geforder-
ten verlieren, nur ausnahmsweise die Absichtlichkeit derselben.
Bei Euripides hingegen wimmelt alles von Sentenzen, was aber
schlimmer ist, sie passen häufig nicht entweder zur Situation
oder überhaupt zum Sprechenden. Vom König bis zum Skla-
ven herab philosophiert alles'), und dies im höchsten Schmerze
wie in fröhlicher Weinlaune *). Es spricht eben immer der
Dichter und der hat nun einmal das Bedürfnis, alle seine Ge-
danken auszubreiten*). Er redet gerne von Büchern und Stu-
dien *) , ja weil ihm die Astronomie Interesse einflösst , fliesst
sein Mund davon über *). Der Dialog ist spitzfindig und silben-
wägend, als ob zwei Philosophen disputierten; besonders neigt
Euripides zur dialektischen Erörterung eines socialen Problems,
die dann die Glanzstelle des ganzen Stückes wird, z. B. dis-
putierten in der „Antiope*' Amphion und Zethos über den
Wert von Musik und Gymnastik, während die Frauenfrage in
der „Melanippe", der Abstand von Griechen und Barbaren im
„Philoktet** *), das Sklaventum im „Alexandros" erörtert wurde.
Wer sollte vollends erwarten , dass Theseus in den „Schutz-
flehenden'* (V. 403 ff.) mit dem thebanischen Herold eine De-
batte über konstitutionelle Verfassung eingeht? Um wie viel mehr
missbrauchte Euripides den Chor zum Ausdruck seiner persön-
lichsten Gedanken ^)1 Der Name des Bühnen philosopBen, welchen
ihm so viele im Altertum erteilten ®) , gereicht dem Tragiker
wahrlich nicht zur Ehre.
1) Darauf zielt Aristoph. Ach. 400. Rao. 949 f. Auf EoripideB geht Aristot.
rhetor. 3, 2 p. 1404 b 15 tl öoöXoc xaXXceTcoito ^ Xtav veoc, iirptireottpov.
- 2) Theon progymo. 1 p. 149, 2 Walz; Schollen zu Alcest. 780.
3) Vgl. Lucian. Juppit. trag. 41.
4) Alcest. 962 ff. Heicf. 673 ff. Hippol. 266. 451 f. 954. lA. 798. fr. 370,
6 f. 629. 902. auch Hei. 513. Med. 422; vgl. Plutarch. de se ipsum laud. 1.
5) Schollen zu Alcest. 962. Phoeu. 1. Iltpl 5«^oo< 15; Georg Hof mann
Astronomie der Griechen bis auf den Dichter Enr. u. seine Zeitgenossen, Fr.
T. Triest 1865.
6) Ribbeck römische Tragödie 8. 393 f.
7) Plutarch. de se ipsum laud. 1. Auch sonst z. B. Androm. 622 f.
8) '0 eicl xr^z ox-rjvYjg (oxYjvtxö;) <pt>.6oo<poc Vitruv. 8 praef. 1. Sext. Empir.
math. 1, 288. Athen. 4, l58e. 13, 561a. Clem. Alex, ström. 5, 688 P, 5818.
Origen. c. Cels. 4 p. 214, vgl. Diogen. Laert. 5, 2.
Sittl, Gescbichte der giiechiichen Literatur, m. 21
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322 IX. Kapitel.
Die Unbefangenheit des echten gottbegnadeten Künstlers
fehlt Euripides vollständig; weil demgemäss die Reflexion die
harmonische Ausgestaltung seiner Werke beeinträchtigt, haben
sie sehr verschiedene Eindrücke hinterlassen. Während im Al-
tertum die Beurteilung des Dichters anfangs an der reUgiösen
Seite, dann an der rhetorischen NützUchkeit seiner Dramen zu
haften pflegte, begann in der Renaissance der Streit, ob Euri-
pides den Dichtern ersten Ranges zuzuzählen sei , wobei Bero-
aldus' Angriffen eine Apologie von Franc. Flor. Sabinus ent-
gegentrat ^). Die mehr oder minder entschiedenen Bewunderer,
worunter der englische Herausgeber Barnes durch Enthusias-
mus auffiel, beherrschten jedoch die öffentliche Meinung*), be-
vor August W. Schlegel in der fünften seiner berühmten Vor-
lesungen über die Geschichte des Dramas den dichterischen
Wert der euripideischen Tragödien anzweifelte. Nachdem dieses
Urteil wieder Verteidigungen hervorgerufen^), dürfte die Wahl
eines Mittelweges jetzt auf die meiste Zustimmung rechnen
können*), wie sie auch den Forderungen der Gerechtigkeit ent-
spricht, t
Ueber den Gesamtbau der Tragödie hat schon Aristoteles
das richtige Wort gesprochen *). Gegenüber der straffen ziel-
bewussten einheitlichen Handlung der sophokleischen Dramen
ist ein ungeheuerer Abfall wahrnehmbar. Euripides steht Aeschy-
lus hierin näher, denn, was Einheit der Handlung ist, hat er
nie recht erfasst, sonst hätte er keine „Hekabe*' und keinen
„rasenden Herakles", auch keine „Andromache" geschrieben.
Wie hätte er auch die Scenen in einen inneren Zusammenhang
bringen können , wo er sich nicht gleich Sophokles bemühte,
sie aus dem Charakter der Hauptpersonen heraus begreiflich
und wahrscheinlich zu machen? Zeichnet doch Euripides
1) Lectionnm sabcisarnm 1. n cap. 13.
2) Vgl. Jacobs Nachträge zu Salzers Theorie der schönen Künste V
S. 336 flf.
3) Jan. Bake Annales acad. Lngd. Bat. 1815—16 p. 99 ff.; E. van
Limb nrg-Bron wer over de zedelgke schoonheid d. poezy v. Eur., Groningen
1833; Fr. Eanmer Historisches Taschenbuch 1841 S. 161—276, dann be-
sonders Härtung im Euripides restitutus.
4) Vgl. Mommsen römische Geschichte V 906 ff.
5) Poet. 13 p. 1463 a 29 el xal xä fiXXa jjl->| zl olxovojiel.
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Emripides. 323
keine konsequenten Charaktere, schon weil die Flut glänzender
Rhetorik und Dialektik die Individualitäten verwischt*); den
Mangel an innerem poetischen Zusammenhang sucht Euripides
durch äusserliche Motivierungen zu ersetzen^, als ob der Dich-
ter nicht oft mit der nüchternen Alltagswahrscheinlichkeit in
Widerstreit kommen müsste. Nicht genug, dass er das Auf-
treten der Personen und des Chors wiederholt in kleinlicher
Weise motivierte (z. B. hört der Chor des „Hippolytos" von
einer Freundin am Waschtrog, Phaidra sei krank), glaubte er
sich sogar berechtigt, die geniale Sorglosigkeit seiner Vorgänger
durch tadelnde Anspielungen gegen seine vermeintliche Gründ-
lichkeit herabzusetzen ^. War diese nicht ebenso unpoetisch,
wie die Vollständigkeit, mit der er alles zur einschlägigen Sage
gehörige ohne Rücksicht auf die dramatischen Zwecke im Pro-
log und sogar an anderen Stellen zusammenstellte?
Indem Euripides die Oekonomie des Stückes vernach-
lässigte und die Exposition durch einen undramatischen Prolog
vorwegnahm (S. 198 flf.), koncentrierte er sein Bemühen auf
die einzelnen Scenen. Hat ihn die kunstgerechte Herbeiführung
eines Allen vorher bekannten Ergebnisses wenig interessiert
und hielt er als Vorläufer mancher Moderner , ,1a sc^ne ä faire'*
für die Hauptsache oder fehlte das Geschick? Jenes hat, da
Euripides überall nach Originalität ringt, die Wahrscheinlichkeit
für sich. Auf jeden Fall muss man zugeben, dass er an mächtig
erschütternden Einzelscenen Aeschylus und Sophokles übertri£Ft.
Wenn das Ziel der alten Tragödie die Erweckung von Mitleid
und Furcht war, ist er der tragischste unter allen*). Die
1) Dies bemerkt Isaak Tzetzes zu Lycophr. 14.
2) Vgl. Dio Chrysost, 52, 11. 14.
3) Herrn. Richard de Earipide Aeschyli Sophoclisque correctore et
Titnperatore, Dias. v. Kiel 1870. Dies erstreckte sich bis aaf einzelne Aus-
drücke, s. z. B. Aristot. poet. 22 p. 1458 b 23 ff.
4) TpaYWwtaxoc Y® '^<**^ itocrjtt&v «pacvcxat Aristot. poet. 13 p. 1463 a 30 ;
vgl. dazu ausser den Aristotelikem Jos. Cron de looo poeticae Aristoteleae
quo £. poetamm maxime tragicns dicator. Erlangen 1845; E. Schwabe
Jahrbb. f. Phil. 109, 97 ff.; Emil Neid har dt de Earipide poetamm maxime
tragico, Diss. v. Halle 1878 (Dissert. philol. Hai. 3, 279 ff.); Ad. Stein-
berg er de catharsi tragica et qualis ea fiat in Euripidis fabnlls, Diss. y.
München, Füssen 1882.
21»
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324 IX. Kapitel.
Nerven der Zuschauer wurden durch die tragische Ironie auf
das höchste gespannt, so z. B. wenn Merope das Beil gegen
ihren unbekannten Sohn erhob und Antiopes Söhne ihre Mutter
ohne Ahnung der Verwandtschaft mit dem Tode bedrohten.
Noch lieber schildert Euripides eine unglückliche Lage in ,
drastischen Farben : Fürstliche Personen in elendem Gewände
sind eine Spezialität dieses Dichters, die bei seinen Gegnern
viel Spott erregte ^) ; er führte den wunden Telephos in Bettler-
kleidung ein *) , die greisen Könige Peleus und Oineus den
Blinden im Elend umherirrend , den kranken Phoinix und deii
verbannten Thyestes in Lumpen, Elektra als hartarbeitende
Bäuerin, Antiope von Schmutz entstellt, die bleiche und elend
gekleidete Ino, den vom Pegasus in den Staub geworfenen
Bellerophon*), eine ganze Galerie von Jammergestalten. Eine
besondere Probe seiner realistischen Kunst legt der Tragiker
in den Anfangsscenen des „Orestes" ab, wo der unglückHche
Held mit blassem eingefallenem Gesicht, das verwirrte zusammen-
geklebte Haare halb bedecken, unter der Obhut seiner treuen
Schwester schlummert und, dann erwacht, von neuem in Hal-
lucinationen ver&Ut. Euripides versteht ja nichts besser als
eine angeregte Menschenseele lebhaft und packend zu schildern,
ein Zug seiner Poesie, den Schiller als „die vollständigste
Darstellung des Zustandes" gewürdigt hat; dieser dachte dabei
ohne Zweifel an Charaktergemälde, wie die liebeskranke Phaidra
oder Medea. ' Leider begnügt sich Euripides nicht mit den
rührenden herzbewegenden Situationen, welche die Volkssagen
nahe legen, sondern verwirrt die Fäden oft durch raffinierte
Einfalle möglichst künstlich. So stürzt sich Euadn^ in den
„Schutzflehenden" gerade vor den Augen ihres verzweifelnden
Vaters in den Scheiterhaufen des toten Gemahls; Melanippe
muss auf Befehl ihres Vaters die eigenen Kinder zum Tode
vorbereiten; wenn Andromache sich nicht selbst opfert, wird
ihr Knabe getötet ; es ward schon bemerkt, dass Euripides sich
1) Aristoph. Ran. 842. 1063. Nub. 922. Eq. 813. Ach. 411 ff.
2) Beschrieben Aristoph. Acharn. 439. 448. 453. 459. 463. 469, vgl.
Antisthenes bei Diog. Laert. 6, 87.
3) Pelens und Oinens : Aristoph. Ach. 412 ff. 1063 f. ; Antiope : Pacuv.
Antiop. fr. 15; Ino: Schol. Aristoph. Vesp. 1413; ^ellerophon: Aristoph.
Ran. 846. Ach. 426 ff.
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Euripides. 325
ZU einer gebärenden Frau verstieg. Ein zweites, eigentlich
nicht rein poetisches Mittel, um auf die Hörer pathetisch zu
wirken , war die häufige Verwendung lyrischer Masse mit
musikalischer Begleitung. Nicht bloss Tetrameter (S. 221),
sondern auch Sololieder *) kommen bei Euripides sehr häufig
vor, auch wo keine ungewöhnliche Erregung der Seele sie
begründet^; freiUch muss man zugestehen, dass sie, für sich
allein betrachtet, von hervorragender Schönheit sind, gerade
wie viele Chorlieder, wenn sie auch vom dramatischen Stand-
punkte aus entbehrlich wären, zu den Perlen der chorischen
Lyrik zählen ^) ; wie mögen sie erst bei der AuflPiihrung ent-
zückt haben, denn Euripides war ein ausgezeichneter Komponist*).
wÄJistophanes macht freilich, besonders wegen des Anhaltens
einzelner Silben und der Wiederholung von Wörtern seine
Lieder in den „Fröschen" lächerHch^), aber die Triebfeder
dieses Spottes liegt darin, dass der Tragiker sich der neueren
Richtung des Musikreformators Timotheos anschloss ®) und statt
der herben Strenge der alten Musik volkstümliche Melodien —
Gassenhauer , meinte Aristophanes — einführte '). Dass man
ihm nachsagte, die Musiker Kephisophon und Timokrates
unterstützten ihn % ist gewiss kein ungünstiges Zeugnis.
Neben der Situationstragik unterscheidet die reaUstische
Anschauungsweise unseren Dichter scharf von seinen Genossen.
Wagt er auch nur wie verstohlen dem bürgerlichen Element
den Zutritt zu der Fürstentragödie zu gestatten^), hat er doch
den geistigen Gehalt der Tragödie dem Niveau des neueren
1) S. 224; Volkm. Fritzsche de mouodiis Earipideis I. Rostock 1842;
ders. disp. de Phrygio cautico in Eurip. Oreste, ind. lect. hib. Rostock 1842.
2) Dies hat die Parodie Aristoph. Ran. 1331 ff. im Auge.
3) Z. B. JA. 1037—98, besonders 1063—80; Dio Chrysost. 52, 14 lobt
wenigstens die Sittenlehren.
4) Vita Z. 124 f., womit Axionikos' 4>tXeüptiit8Yi<: bei Athen. 4, 175 b
übereinstimmt.
5) Aristoph. Ran. 1314. 1348; 1338. 1352 ff.
6) Vgl. Plntarch. an seni ger. 23 a. E. Nach einigen verfasste dieser
die Grabschrift des Dichters.
7) Ran. 1301 ff.; litoXXia nennt er sie Pac. 532.
8) Vita Z. 15; Kephisophon: Aristophanes V. 97.
9) S. 165. Vgl. Aristoph. Ran. 959.
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326 IX. Kapitel.
bürgerlichen Schauspiels angenähert. Die euripideischen Heroen
sind ja, obgleich sie berühmte Namen tragen, imverkennbar
Athener aus Kydathen oder dem Piräus; diese nahmen sich
nun freilich in der idealen Welt der herkömmlichen Tragödie
etwas seltsam aus; es half wenig, dass Eurif)ides überhaupt
zeitgenössische Elemente, soviel er konnte, einmengte. Ich
meine damit nicht die Anspielungen auf seine Zeit, z. B. auf
den Tod des Protagoras und Anaxagoras' oder Perikles' Stand-
haftigkeit ^), sondern dass er beispielsweise den obligaten Haus-
meister der athenischen Häuser, den^ophokles' Elektra ignoriert,
und die Höflichkeitsformen seiner Zeit*) von der Tragödie
nicht ausschliesst. Glücklicher war Euripides in der Demo-
kratisierung oder, wenn man lieber will, Modernisierung des
tragischen Stiles *). Er zeigte zuerst , dass der Dichter auch
ohne Aufhäufung von Seltenheiten gewählt und edel sprechen
könne. Die sogenannten „Glossen*' und überhaupt die an die
homerischen Helden erinnernden Archaismen , haben im Ver-
gleich zu Sophokles und vollends zu Aeschylus bedeutend ab-
genommen *). In der Erfindung neuer Bilder zeigt Euripides
dementsprechend geringe Kühnheit, sondern geht über den
herkömmlichen Vorrat der Tragödie nicht weit hinaus % wobei
er an gewissen manierierten Lieblingswendungen haftet*).
Der Dichter war indes weit davon entfernt, äu der ge-
bildeten Umgangssprache herabzusteigen, vielmehr lehnte er
sich an die Kunstprosa, also die von den Sophisten gelehrte
1) Philochoros bei Diogen. Laert. 9, 55 ; Alcest. 903, 8. U. v. W i 1 a m o-
witz anal]. Eur. p. 154.
2) Z. B. Suppl. 1180 flf. mit Wiiamowitz' Note.
3) Tö TCoXtTix6v Dio Chrysost. or. 52, 11; vgl. Aristoph. Run. 941 ff.
Aristot. rhet. 3, 2 p. 1404 b 25. Hepl o^/oix; 40. Quintil. 10, 1, 68. Prosaisch
ist z. B. aÖTÖc a6ioö beim Superlativ. — K. Rieck de proprietatibus qui-
biisdam sermonis Euripidei, Halle 1877.
4) Allerdings bleibt Euripides nicht konsequent, z. B. gebraucht er ^hi
Herc. f. 30. Hec. 327. — K. Rieh. Schirlitz de Euripide novi sermonis
eonditore, Diss. v. Halle 1864 u. de sermonis tragici per Eurip. incremen tis I.
de vocabulorum thesauro, Halle 1865.
5) S. 226 A. 3. 4; M agdeburg über Bilder u. Gleichnisse bei Eur., Pr. v.
Danzig 1884; Tadel von Metaphern: Aristot. rhetor. 3, 2 p. 1405a 28 ff.
6) Z. B. Tü<pX6< bei «o6c und x^^P (Porson zu Phoen. 1722)^
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Euripides. 327
Behandlung der Sprache an *). Der Dialog und lange- Reden
sind nach ihren Vorschriften angelegt und gegliedert *), ebenso
baut der Dichter die einzelnen Sfttze in ausgeklügelter und
spitzfindiger Weise und verfällt nicht selten in gesuchte und
spitzfindige Antithesen *). Die pointierte Figur des Oxymoron
beutet er noch mehr als die anderen Tragiker aus^). An
Gleichklängeu ist ebenfalls kein Mangel ^) und den Freund des
Prodikos kennzeichnet die scharfe Unterscheidung verwandter
Ausdrücke ®). Eine solche epigrammatische Zuspitzung behagte
den debattelustigen Griechen mehr als uns, wogegen sie an
Euripides die breite Geschwätzigkeit aussetzten '^). In der
That pflegt er jeden Gedanken vollständig auszuführen , ohne
auf das schöne Mass zu aditen; dabei begegnet es ihm oft,
dass er nicht nur ein Wort nach kurzer Pause von neuem
verwendet ®), sondern gar oft einen und denselben Satz bloss
variiert, wo dann neuere Kritiker von Interpolationen sprechen,
wiewohl Aristoteles dies ausdrücküch für bühnenmässig erklärt^.
Es ist auch sehr charakteristisch für seine Arbeitsweise, dass
er mehrere Verse, wenig oder gar nicht verändert, in verschie-
denen Stücken abermals verwendete^®).
1) Vj?l. Aristoph. Ran. 956 ff. 775. Pac. 534. Qaintilian. 10, 1, 68. Dio
Chrys. 52, 11; Max Lechner de Earipide rhetorum discipalo, Pr. v. Ans-
bach, Berlin 1874; J. Fraccaroli de Enripidis scribendi artificio, Turin 1885.
2) Dionys. vet. script. cens. 2, 11. Qnintil. a. O.
3) Vgl. Aristoph. Kan. 901 f.; Lechner a. O. p. 19; KöchlyzuEur.
IT. 504. 512; falsche Antithesen: Ed. Müller Gesch.- der Theorie der Kunst
bei den Alten I. S. 276 f.; Ad. Römer Jahrbb. f. PhU. 131, 680.
4) Ed. Müller a. O.; Anakoluthe: R. Koch de anaoolnthis apnd £.
capp. sei. V., Diss. v. Halle 1881.
5) Karl Rieck de proprietatibns qnibusdam sermonis Enripidei, Halle
1877 p. 8 ff;
6) Le ebner a. O. S. 19 f.; in diesem Sinne schulmeistert er Aiistoph.
Ran. 1154 ffl den Aeschylns.
7j StwfioXcoooXXtxtdi^C Arist. Ran. 841, vgl. 1069. 1160 ; XaXia Plutarch.
rect. rat. and. 13; ev toi? &}iotßaio&(: «eptooö? xal «popxtxo? Vita 125 f. —
Ueber Pleonasmen und Umschreibungen: Rieck a. O. p. 14 ff. 25 ff.
8) Rieck a. O. p. 23 ff., s. A. 10; die Alten tadelten sogar die Häufung
eines Buchstaben in Med. 476 lotuoä o' &<: Toaoiv (Piaton nnd Eubulos bei
Schol. Med. 476).
9) Rhetor. 3, 12 p. 1413 b 17 ff.
10) Paul Treplin de repetitis apud E. verflbui, Pr. v. Schrimm 1866;
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328 IX. Kapitel.
Das Hocbpathetische der einzelneu Scenen und zugleich
der Realismus eröffneten den Schauspielern einen bisher unge-
ahnten Wirkungskreis; denn von dem Erfolge der Glanzscene
und dem Vortrage „der Rede" (S. 183, 2) hing die Wirkung
des ganzen Stückes ab. Der Tragiker stellte in Deklamation
und Gesang an den Schauspieler einerseits viel höhere Auf-
gaben ; man denke nur an das bei Seite Sprechen (S. 237),
das fjeisereden und die Lieder der sterbenden Alkestis. Aber
auch die mimische Begleitung wurde erst durch die euripi-
deischen Stücke kunstgerecht ausgebildet, denn, leidenschaftlich
wie alle seine Personen sind, drücken sie ihre Gefühle unge*
scheut in heftigen Bewegungen aus: Hermione zerreisst ihr
Gewand und schlägt die Brust und die greise lokaste belegt
sich gar in der Freude des Wiedersehens „tanzend*' (wie die
Griechen sagen) um ihren Sohn ^). Der Erfolg der „Melanippe"
vollends hing von dem richtigen Geberdenspiel ab ^).
Wollen wir aus diesen einzelnen Punkten ein Gesamturteil
ziehen, so hat Euripides den Horizont des hellenischen Dramas
ungeheuer erweitert und in gewissem Sinne das moderne Trauer-
spiel vorbereitet, aber dabei ist ihm die bezaubernde Harmonie
des Sophokles verloren gegangen, denn die überlieferten Formen
hemmenden ungehinderten Aufschwung seines strebenden Geistes,
so dass man unwillkürlich des Wortes gedenkt: „Neuen Wein
soll man nicht in alte Schläuche füllen , denn so verderben
beide." ~ Freilich ziemt es uns Lesern über einen Tragiker, der
vor allem anderen die Bühnenwirkung im Auge gehabt hat,
mit Zurückhaltung zu urteilen ; es ist kein Zufall , dass unter
den Neueren gerade die bühnenkundigen Dichter Euripides am
besten zu schätzen wussten. Was würden die Meister der moder-
nen Malerei sagen, beurteilte man sie nach Holzschnitten, wo
der koloristische Reiz mangelt und dafür manche schülerhaft
scheinende Verzeichnung hervorsticht? Euripides befindet sich
jetzt, der untei-stützenden Künste beraubt, in einer ähnlichen
Prosp. Wesen er de repetitione versäum in fnbulis Euripideis, Diss. v. Bonn
1866; L. V. Sybel de repetitionibus verborum in fabulis Euripideis, Diss.
T. Bonn 1868.
1) Androm. 830fi. Phoen. 315 f. txsloe xal tö Ätöpo itjptxöpeooooa.
2) Cicero off. 1, 31, 114.
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Euripides. 329
Lage. Dass der büchergelehrte Mann nichts weniger als Buch-
dramen schrieb , gehört eben zu den vielen Widersprüchen
seines Wesens und seiner Zeit.
Auf diese Weise geschah es, dass schon hundert Jahre
nach seinem Tode eine erhebliche Anzahl von Dramen, offen-
bar weil sie nicht mehr gespielt wurden , gänzlich verschollen
war. Während man nämlich aus den Registern der athenischen
Bühne 92 Stücke, d. h. 23 Tetralogien errechnete^), besassen
die Bibliotheken nicht mehr als 78 *) , worunter obendrein die
Kritiker drei unechtö (Tennes, Rhadamanthys, Peirithoos) be-
obachteten , so dass die wirkliche Zahl auf 75 sank ^). Diese
zerfielen wieder in 67 Tragödien und 8 Satyrspiele, von welch'
letzteren eines angezweifelt wurde*). Dank der grossen Be-
üebtheit des Dichters sind achtzehn Tragödien und ein Satyr-
spiel vollständig erhalten. Von den übrigert besitzen wir nicht
allein weit über tausend Bruchstücke , namentlich Sentenzen,
deren Euripides eine grosse Fülle zum Citieren bot*), sondern
von drei Stücken sind auf anderem Wege nicht unbe-
deutende Reste auf uns gekommen. In dem berühmten Codex
Claromontanus (Paris. 107) der Paulusbriefe enthalten zwei viel-
leicht dem fünften Jahrhundert entstammende Palimpsestblätter
so bedeutende Stücke des „P h ae t h o n**, dass im Zusammenhalt
mit sonstigen Nachrichten der Verlauf dieses wirkungsvollen
Stückes ziemlich klar liegt; bereits der greise Goethe machte
den glücklichen Versuch einer Nachdichtung. Eine kritisch be-
richtigte Ausgabe ist von Friedrich Blass (dissertatio de Pha-
ethontis Euripideae fragmentis Claromontanis ; accedit tabula
photolithographica, Kiel 1885) hergestellt ®). Neuestens wurden
1) Vita Z. 33 cod. A (98 cod. B) u. Thomas M.
2) V. Z. 33; 8. Wilamowitz anaU. Euripidea p. 144 f.
3) Varro bei GeUiua 17, 4, 3.
4) V. Z. 130 f.; das „Marmor Albanum", eine Statuette des Louvre
(WinckelmaDu monumenti inediti 168; Claruc mns^e pl. 294) enthält
ein alphabetisches Verzeichnis von 37 Titeln.
5) Nachtrag züi Nanck: Wilamowitz Hermes 11, 303 f.
6) Die editio princeps rührt von G. B urgess Classlcal Jonrnal 22,156 ff. her.
Goethe fnsste auf Gottfried Hermann (Lpz. 1821, oposcnla HI 1 ff.) ; s. anch
Härtung Rhein. Mus. 5, 573 ff.; über die Phaethonsage: ü. v. Wilamo-
witz Hermes *18, 396 ff.; Robert eb. S. 431ff. ; Kuaack qoaestiones Phae-
thonteae, Berlin 1886 8. 19 ff.
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30 IX- Kapitel.
zwei Papyrusreate , welche Hoffiiangen auf die Zukunft wach
halten, aufgefunden : Ein in Paris befindlicher Streifen enthält
44 Verse des „K resp honte s'* ^); ferner kam ein vielleicht
noch in der Kaiserzeit geschriebenes Stück mit einem Abschnitt
der ,, eingekerkerten Melanippe** (MeXavteTnj i^ SeojiÄtic)
aus dem Fajjüm ^.
Obgleich Euripides von Aristophanes unendUch oft paro-
diert wurde, ergibt sich daraus uuglücklicher Weise zwar für
verschiedene verlorene Stücke ein teriüinus ante quem, dagegen
eine einzige brauchbare Notiz bezüglich der erhaltenen, dass
nämlich die „Herakliden** vor den 422 aufgeführten „Wespen**
entstanden '). Mithin ist der Literarhistoriker hauptsächlich auf
die didaskalischen Notizen angewiesen ; 438 (Ol. 85,2) erhielt
Euripides den zweiten Preis mit Kreterinen, Alkmeon in Psophis,
Telephos und Alkestis; 4SI (Ol. 87, 1) führte er Medea,
Philoktet, Diktys und die Schnitter auf; 428 (Ol. 87,4) fällt
der erhaltene Hippoly tos ; 415 (Ol. 91,1) werden Alexandres,
Palamedes, Troerinen und Sisyphos aufgeführt*), 412(01.
91,4) Andromeda und Helena*^); 408 (Ol, 92,4) folgt der
Orestes®). Die Phoenissen werden bald mit diesem Stück
1) Herausg. t. H. Weil un papyrus in^dit, Paris 1880 (mit 3 Tafeln)
QDd C. G. Cobet fragmenta inedita poetarum Graecoram, Leiden 1880; dann
Blass Rhein. Mus. 35, 74 ff., von Buche 1er ebend. B. 244 ff. richtig be-
stimmt (nach Kock ebend. S. 264 ff. ans „Archelaos").
2) Blnss Rhein Mus. 35, 290 ff.
3) Vesp. 1160 (vgl. V. 1006), hingegen beruhen die Scholienangaben
bezüglich Ach. 119 (aus Medea) und Eq. 214 f. (aus Heraklideu) sicher oder
wahrscheinlich auf Irrtum, falls letztere Stelle nicht zu den jetzt verlorenen
Abschnitten gehörte (Wilamowitz anall. Kur. p. 151; Joh. Höveler de
Heraclidarum Euripidis scaena et tempore, Münster 1878 p. 23 f.); in welcher
Bearbeitung der Wolken (V. 708. 1157) ist Hekabe parodieH? R. Arnold
Jahrbb. f. Phil. 131, 591 f. will nachweisen, dass der „Ion" in den Vögeln
parodiert sei.«
4) Aelian. var. bist 2, 8; das Jahr der Olympiade wird durch Schol.
Vesp. 1366 (1317) bestimmt; Herrn. Planck de Euripidis Troica didascalia,
Diss. y. Göttingen 1840.
5) Schol. Arist. Thesm. 1060. 1012; letzteres wird durch Thesm. V.
855 f. bestätigt. Vgl. Heinisch prolegomena ad Euripidis Helenam, Diss.
v. Breslau 1825 p. 61 f.
6) Schol. Orest. 371.
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Eoripidee. 331
bald mit „Hypsipyle" und „Antiope*' oder „Oinomaos" und
„Chrysippos** zusammengestellt ^). Endlich sind I p li i g e n i e
in Au 11 8, Alkmeon in Korinth und die Bakchen zu Athen
erst nach des Dichters Tod gespielt worden *).
Für die andere Hälfte der erhaltenen Tragödien suchten
die Forscher, abgesehen von den politischen Anspielungen ^),
die Zeit auf verschiedenen Wegen zu orschUessen; z. B. stellte
G. Hermann *) die Theorie auf, seit der 89. oder 90. Olympiade
habe Euripides die Trimeter nachlässiger gebaut, aber hiebei
wäre doch wohl der Charakter der einzelnen Scenen zu berück-
sichtigen (S. 222) und ausserdem müsste zuvor über den Umfang
der Interpolationen eine Verständigung erzielt sein. Tycho
Mommsens interessante Forschungen über die zunehmende
Häufigkeit der prosaischen Präposition pistd ^) erweisen sich,
wenn man die Didaskalien vergleichend beizieht, zu einem
genaueren Ansatz nicht ausreichend. Auch mehr der Poesie
Rechnung tragende Theorien, wie die von Herm. Zirndorfer,
welcher die Stücke nach ihrem glücklichen oder unglücklichen
Ausgang sondert ^), oder von U. v. Wilamowitz, der die Wahl
gewisser MythenstoflFe auf bestimmte Zeitabschnitte beschränkt '),
vermögen den Mangel eines festen Untergrundes nicht zu
ersetzen.
Wir beginnen die Beurteilung der einzelnen Stücke mit
einer Tragödie, die, wenn sie sich als echt erweist, das älteste
Denkmal der euripideischen Poesie vorstellt. In den Registern
des athenischen Theaters war nämlich ein „Rhesos*^ des
1) Schol. Or. 1481 citiert Phoen. 638 flf. mit ev 14) tpcttp Spijiatc; Schol.
Arist. Ran. 53; Argain. Phoeu. p. 392, 10. in\ NaootxpAtooc (408) cod. Ven.
2) Scliol. Aristoph. Ran. 67.
3) Dass El. 1347 ff, sich auf die bc^irohte sicilische Expedition bezögen,
weist Rieh. Haupt Ztech. f. österr. Gymn. 24, 660 ff. mit Recht zurfick
(trotz Bruhns Jabrbb. Suppl. 15, 3161!.); eine solche Anspielung hätte an
den Dionysien nicht gepaßst.
4) Elementa doctrinae metricae p. 71. 83. 115. 119. 123; praef. ad Eur.
Hei. p. IV. Bacch. p. XXXIX. XLI f.
5) Gebrauch von oov u. fLttdt c. Gen. bei Euripides, Frankfurt a. M. 1876.
6) De chronologia fabularum Euripidearum, Preisschrifl von Marburg
1839 cap. 2 (vgl. W. C. L. Ciarisse symbolae literariae V. Amsterdam 1843).
7) Analecta Euripidea, Berlin 1875 p. 176 ff.
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332 IX. Kapitel.
Euripides eingetragen , den der Dichter in jungen Jahren ver-
fasst hatte *). Das erhaltene gleichnamige Stück wurde von
dem Pergamener Krates, Dionysodoros und dem Ariötarcheer
Parmeniskos für jenes gehalten, und wahrscheinlich dachte
Aristarch selbst nicht anderö davon *). Nur einige zweifelten
daran , weil sie manche Gewohnheiten des Euripides nicht
vorfanden , und sprachen von sophokleischera Charakter ').
Mit dem Beginne des Dramas hatte es eine besondere Bewandtnis
und zwar stand zur Zeit des Verfassers der Einleitung die
Sache so, dass das Stück in den meisten Exemplaren ebenso
wie jetzt begann, einige jedoch vorher einen zwischen Athene
und Hera geteilten Prolog enthielten, der hinwiederum von
dem bei Dikaiarchos angeführten abwich. Dieses Verhältnis
dürfte ähnlich wie bei der ,, aulischen Iphigenie*' zu erklären
sein ; weil man den monologischen Prolog, welchen Dikaiarchos
las, wegschaffen wollte, bearbeitete ihn einer zu einem Dialog,
andere stinchen ihn als überflüssig, der deus ex machina hin-
gegen war bei diesem Drama nicht zu entfernen. Von einem
zweiten „Rhesos" ist keine Spur vorhanden, denn gegen die
Vermutung , dass der Römer Accius seine im griechischen
Lager spielende „Nyctegresia" nach Euripides' Originalstück
gearbeitet habe^), spricht schon der Titel. Das Trauerspiel
enthält nichts, was den Einrichtungen der athenischen Bühne
widerspräche^), denn weder dass die Handlung in die Nacht
fällt (S. 233, 3), noch dass ein vierter Hilfsschauspieler eintritt,
noch auch das Abtreten des Chors können einen begründeten
1) Argum. und Krates zu V. 528.
2) Schol. V. 5. 528; 499 (508); 528; Aristarch: 541.
3) Argum. (vgl. Scliol. 41), vielleicht z. B. weil Athene, wie im „Aias**,
unsichtbar zu Odysseus spricht. Diese paradoxe Ansicht wurde nach Scaliger
und A. W. Schlegel von Gruppe Ariadne S. 285 ff. aufgenommen.
4) Welcker Ztsch. f. Altertumsw. 1834 Sp. 629 ff. — griech. Trag.
S. 1101 ff. Härtung Euripides restitutus I p. 11 ff.; Welcker nimmt wie
G. Hermann opuscnla HI 262 ff. den Prolog bei Dikniaithos als Rest des
echten Stückes an. Die verschiedenen Ansichten über den „Bhesos^^ ver-
zeichnen Vater in seiner Spezialausgabe undFriedr. Hagenbach de Rheso
tragoedia, Diss. v. Basel 1863 p. 6 f.
5) Hagenbach erklärt es für ein Bnchdrama, andeice (darunter G. Her-
mann opusc. 3, 261 ff. und O. Menzer de Rheso tragoedia, Berlin 1867)
schreiben es einem Alexandriner zu.
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Euripides. 333
Anstoss erwecken. Wenn die Muse mit der Leiche ihres
Sohnes in der Luft schweben musste, war der Maschinen-
meister, der im ^Prometheus" für die Okeaniden sorgte, um
die Darstellungsweise nicht verlegen. Man bringt ferner gegen
den „Rhesos** vor, Aristophanes kenne ihn nicht, sonst hätte er
vieles zu parodieren gefunden. Aber die Komiker wählten
hiezu Stücke, welche allgemein bekannt waren, also entweder
neue oder sehr berühmte ; keines von beiden traf auf diese
obendrein lange vor dem Komiker aufgeführte Tragödie zu.
Das Drama enthält nichts, was Euripides nicht geschrieben
haben könnte ^) , im Gegenteil zeigt es unverkennbar diese
eigenartige Natur in der Entwicklung. Mit dem Chor konnte
er sich schon damals nicht abfinden; die angeblichen Wächter
haben zuerst ihren Posten verlassen und kommen, nachdem
sie abgelöst sind, erst recht wieder. Das Opernmässige des
Dialogs tritt hingegen so sehr heraus, dass sogar der deus ex
machina singt. Die Charaktere sind mit euripideischem Pathos
aufgefasst, wenn auch der gereifte Dichter später nicht mehr
mit so grellen Farben malte. Die Sprache verrät schon den
künftigen Reformator des tragischen Stiles; vorläufig hat er
freiUch den richtigen Weg noch nicht gefunden, sondern will
vor allem originell schreiben *). Entscheidend für die Echtheits-
fipage dürfte aber die richtige Beurteilung des religiösen Ele-
mentes sein; der Dichter hatte damals, wie die Verwendung
der dei ex machina ahnen lässt, seine Abkehr von der Volks-
religion bereits vollzogen, aber er suchte zu jener Zeit das Heil
in den Mysterien des Orpheus •) , von denen er sich , wie wir
gesehen haben (S. 319), später unbefriedigt abwandte. Der
1) Far die Echtheit trat neuerdings Paul Albert de Rheso tragoedia,
Halle 1B76 ein; K. Schenkl Philol. 20, 484 ff. hebt die Nachahmung des
Aeschylus hervor.
2) lieber die zahlreichen &nai etp-rjuiva und untragischen Wörter Hagen-
bach p. 33 ff. Albert p. 33 ff.
3) V. 943 f. 965 f. 972 f. Daher dürfte die Vorliebe für das Wort 8acji.ü>v
stammen, daher auch die berühmte Frage Iloloy npootoyitzat t6v Sicatov ^sov
(703); sie klingt übrigens an fr. 960 ^t6v 8t icocov, tlice jiot, vo'rjt^ov; und
Tro. 889 s&x^^ ^^ Ixaivioac ^suiv an. Ein alexandrinischer Jude, wie man
gemeint hat, kann dieses durch und durch heidnische Stück nicht gemacht
haben.
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334 IX. Kapitel.
„Rhesos** ist trotz seiner grellen Schwächen von höchstem Werte,
weil er uns sozusagen einen Einblick in die Sturm- und Drang-
zeit des Dichters gewährt Kein Wunder, dass solche Stücke
die durch Sophokles bereits verwöhnten Athener nicht be-
friedigten.
Die zweite Entwicklungsstufe des Tragikers ist durch die
438 aufgeführte Alkestis gekennzeichnet. Der bekannte Streit
Wielands ^) und des jungen Goethe fiel in eine Zeit, wo keine
Partei das Griechentum ganz objektiv auflfasste. Unter den
Philologen würde über den Charakter des Stückes schwerlich
eine Meinungsverschiedenheit herrschen, zeigte nicht die in der
alten Einleitung mitgeteilte Didaskalie „Alkestis"' an vierter
Stelle, was Anlass gab, satyreske Züge aufzusuchen*). Allein
das Grandmotiv der „Alkestis" hatte für einen Alten nicht
das mindeste Komische, da die Griechen über den Wert der
Frauen und Greise gegenüber einem in der Vollkraft stehenden
Manne äusserst gering urteilten und, wenn ein solcher durch
den Opfertod einer jener unnützen Wesen sein Leben retten
konnte, in der unbedenklichen Benützung einer solchen Hilfe
etwas selbstverständliches erblickten. Der griechische Zuschauer
war hiemit soweit davon entfernt, Admetos wegen seines Egois-
mus zu zürnen, dass er sich dem Mitleid ohne einen kritischen
1} Er veröffentlichte im Tentsclien Merkar 1773, Janaar and März fünf
Briefe, welche Goethes Farce: Götter, Helden and Wieland hervorriefen.
2) Gottl. Ad. Wagner de A. Ear., Lpg. 1797; Fr. W. Glam de Euri-
pidis Ale, Dias. v. Berlin 1836; H. Köchly Historisches Taschenbach 1847,
S. 359fr., welcher eine uene Dramaart annimmt; dagegen sind fär eine Tra-
gödie Goethe, Gk)ttfr. Hermann, Tieck (Historisches Taschenbach 1841 S. 276),
Hartang and Yillemain tableaa de la litt^ratare aa XVUI. siMe, 43. le^on;
8. aach H. Düntzer Jahns Archiv 5, 192f^; Bad. Raachenstein die
Alk. des E. als besondere Gattang des griech. Drama, Pr. v. Aaraa 1847;
Bendixen de A. Earipidis, Pr. v. Altona 1851 (gegen Köchly); E. Bach-
holz de A. Earipidea, Pr. v. Osnabrück 1864; Em. Wilken de A. Enri-
pidea, Diss. v. Greifswald, Berlin 1867; Wlad. Eolanowski de natara atqae
indole fobalae Earipideae qaae A. inscribitar, Pr. v. Ostrowo 1868; Gast.
Bissjnger über die Dichtangsgattang and den Grandgedanken der Ale. des
E., Pr. V. Erlangen 1869 a. 1871. Nach U. v. Wilamowitz Isyllos v. Epi-
daaros S. 66 f. wirkte das barleske Drama des Phiynichos aaf Earipides
ein. — Alb. Alüller scenische Fragen zar Alk. des E., Pr. des Lyc. v. Han-
nover 1860.
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Enripides. 335
Gedanken hingab, wenn er die rührenden Abschiedsscenen und
die Klage des verlasseneu Gatten hörte ^). Es ist wahr, dass
der alte Vater des Königs weder von diesem so unkindlich
getadelt werden noch selbst mit so würdeloser Zähigkeit am
Leben hängen sollte, dennoch konnte Euripides diesen pein-
lichen Auftritt genügend entschuldigen: Das egoistische Be-
nehmen der Eltern gehörte offenbar der volkstümlichen lieber-
lieferung an ^) und das Sprichwort sagte schon damals , dass
die alten Leute mehr als die jüngeren am Leben hängen ^).
Vor allem aber bedurfte der Dramatiker dieser Scene, damit
die Üpferwilligkeit der Gattin durch die Selbstsucht der Eltern
eine kontrastierende Folie erhielt. Eni zweiter, echt euripi-
deischer Kontrast entsteht dadurch, dass der Dichter die Fröhlich-
keit des im Trauerhause ahnungslos zechenden Herakles mit
derbem Pinsel malt*). Wenn der Held es mit dem Todesgotte,
vor dem sogar Apollo zittert, aufnehmen soll, muss ja Admetos
ihm etwas grossartiges, ja unerhörtes gethan haben. Wo hätte
man aber einen zweiten Gastfreund gefunden, der seine Thränen
zurückhält, nur damit der müde Fremdling in seinem Behagen
nicht gestört wird ? Zum Schlüsse muss hinwiederum Admetos
zeigen, dass er durch seine Treue Herakles' Helden that wirklich
verdient. Racine erklärte, nichts rührenderes als diese Tragödie
zu kennen. Sie war in der That dazu angethan, die Thränen
fliessen zu machen. Was uns daran abstösst , beruht teils auf
der Verschiedenheit der Anschauungsweise *) teilsauf den outrier-
ten Kontrasten, obgleich sie schon feiner und zielbewusster a s
im „Rhesos'* angelegt sind. Mit solchen Dramen gewann Eu-
ripides bereits dauernden Erfolg; denn wäre es nicht im vierten
1) Vgl. Plato sympos. 208 d. Die Römer freilich dachten äher Admet
anders (Val. Max. 4^ 6, 1), weil sie den Wert der Frauen höher schätzten.
2) Man vergleiche das Mftrchen, welches Po litis fj-sX^rq tcepl xo5 ßioo
xd>v V8a>t^pu>v ^EXX'Tjvmv I p. 278 f. mitteilt.
3) Eurip. fr. 537. Sophocl. fir. 64D; dieser schilderte Akrisios ähn-
lich (fr. 65).
4) Trunkene in der Tragödie S. 252; auch Ion schilderte Herakles in
der „Omphale" mehr volkstümlich als tragisch (fr. 29).
5) Man könnte es z. B. auch komisch finden, wenn Orestes bei Aeschy-
lus (Cho. 300 f.) das Orakel, die Blutrache und — X9W^'^^'^ ^x^'l^^* ^ Motive
des Muttermordes anführt.
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336 IX. Kapitel.
Jahrhundert auf dem Repertoire geblieben, hätten die Komiker
Antiphanes und Alexis „Alkestis** nicht travestiert.
Da die übrigen Dramen trotz ihrer verschiedenen Qualität
im allgemeinen auf derselben Stufe der Technik stehen, wollen
wir in der alphabetischen Ordnung fortfahren.
„Andromache*) zerfällt in zwei eigentlich un verbundene
Hälften, wie auch sogar Hermione, die zuerst in blutdürstiger
Eifersucht Audromache verfolgt, plötzlich und, wie ihre Amme
selbst sagt (V. 8ß6 flF.) , ohne rechten Grund ihren Charakter
ändert. Der zweite Teil zerfällt obendrein in mehrere lose an-
einander gereihte Scenen, welche sogar die Einheit der Zeit
vermissen lassen. Die argen Mängel des Entwurfes werden
nicht einmal durch ergreifende Scenen aufgewogen ; die Schil-
derung von Neoptolemos' Tod (V. 1136 ff.) ist von grässlicher
Anschaulichkeit und doch, insofern der Dichterdessen Begleiter
ignoriert, ganz unwahracheinlich. Die alten Kritiker haben die
Tragödie nach Verdienst gewürdigt*) und Euripides selbst
scheint nicht viel davon gehalten zu haben, denn er gab sich nicht
die Mühe sie selbst aufzuführen , sondern in den Listen war
ein sonst unbekannter Chormeister Demokrates eingezeichnet ')•
Die Gehässigkeit gegen die Spartaner ist so unverhohlen aus-
gedrückt, dass schon die Alten das Drama in den Anfang des
peloponnesischen Krieges versetzten*); da überdiess mit Bitter-
keit von dem Glücke der Spartaner die Rede ist}, könnten V.
733 ff. auf die Oetagegend, die, seit 426 jenen entfremdet, im
Winter 413/2 dem König Agis Geiseln stellen musste, zu be-
ziehen sein.
1) V. Knapp ^tude comparative sur la composition et le d^veloppe-
ment des caractöres dans TAndromaque d^Euripide et de Racine, Wetzlar
1878; E. Johne die A. des Eur., Pr. v. Landskron, Wien 1883. Härtung
Eurip. restit. n 108 fr. versucht die Einheit der Handlung nachzuweisen.
2) Schollen zu V. 32.
3) Schollen zu V. 445; Bergk Hermes 18, 493 identificiert ihn mit
dem argivischen Musiker Timokrates vlt. Eur. Z. 15, dessen Namen wie das
danebenstehende *Io<p<i»vTa verderbt sein konnte.
4) V. 445, vgl. 733; die Annahmen der Neueren schwanken zwischen
den Extremen Ol. 87, 2 (Firnhaber Philol. 8, 408 flf.) und Ol. 92, 1
(Hardion).
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« Earipides. ' 337
Die Bakchen^), welche Pentheus' Untergang vorführen,
sind ein wahrhaft bakchisches Stück; da es am meisten unter
allen einen einheitlichen Ton hat, war es in aller Mund und
Goethe erklärte, gefolgt von A. W. Schlegel, die Tragödie für
sein liebstes Stück*). Dionysos, der wunderthuende Gott im
Mittelpunkt, um ihn geschart ein begeisterter Chor phrygischer
Frauen mit Tambourins, der greise Teiresias und der alte Kad-
mos im Gewände von Bakchanten , alles vereinigt sich dazu,
eine wunderbare Stimmung hervorzurufen , so dass selbst der
ungläubige Pentheus widerwillig davon fortgerissen wird ^). Den
Glanzpunkt des Stückes bilden die zwei Erzählungen des Boten,
worin das frohe dionysische Treiben in den schattigen Gründen
des Kithäron und dann als Gegenstück der fürchterliche Aus-
bruch bakchantischer Wut lebhaft geschildert wird. Zum Schlüsse
führt der Dichter die wahnverwirrte Agaue mit dem blutigen
Haupt ihres Sohnes vor. Das Drama ist leider durch mehrere
Lücken entstellt ; dieselben sind freilich im allgemeinen nicht
schwer zu ergänzen*). Die unmotivierte Hervorhebung von
Makedonien und Pierien berechtigt zu der Vermutung, dass
Euripides dieses Stück für das Schlosstheater von Pella dich-
tete^); in Athen wurde es ja, wie oben berichtet, erst nach
seinem Tode aufgeführt.
Die „Elektra** liefert aus dem Grunde, weil sie einen be-
reits von Aeschylus und Sophokles bearbeiteten Stoff erneuert,
zur Erkenntnis der euripideischen Arbeitsmethode einen wich-
tigen Beitrag ^. Man merkt dem Dichter an , wie klug er die
1) Gerh. H. Meyer de Enripidis Bacchabus, Diss. v. Göttingen 1833;
Ernst Wold. Silber de E. Bacehis, Diss. v. Berlin 1837; A. Keuscher
de E. B., Perleberg 1856; J. Bamberg er de E. B., Pr. v. Bensheim 1869.
— Frdr. Gotth. Schöne de personamm in E. Bacchabus habitu scenico,
Lpg. 1831; Bruno Arnold de E. re scenica IL continens Bacchas et Phoen.,
Nordhausen 1879; F. J. Däh n de rebus scaenicis in E. B. I. Diss. v. HaUe 1880.
2) Bei Müller, Unterhalt, v. 19. Okt. 1823 S. 70; er analysierte sie in
„Kunst und Altertum" VI 1 S. 71 ff. (Werke Bd. 33 8. Uff.)
3) Ferd. Lach mann der Charakter des P. in den B. des E., Zittau 1870.
4) Robert Hermes 13, 137, besonders aus Nonnos und dem Xpioxöc
sdaxtuv (s. Ausgabe von G. Brambs p. 17).
5) Madvig kleine philoL Schriften. S. 459, 1; s. V. 409flf. 560flf.
6) 8. 261 A. 2; Gust. Ad. Qu eck de Enripidis E., Preisschrift v. Jena
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur III. 22
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338 IX. Kapitel.
Fehler seiner Vorgänger vermieden zu haben meint. Da die
misstrauischen Verbrecher ihre Burg durch Wachen gesichert
haben werden (V. 615 ff.), muss die ßachethat nach seiner An-
sicht auf das Land hinaus verlegt werden ; Aigisthos mag dort
ein Opfer darbringen, wogegen Klytaimestra durch einen be-
sonderen Vorwand hinauszulocken ist, und diesen bereitet der
Dichter durch einen gesuchten Einfall vor : Elektra ist, um un-
schädlich zu werden, an einen unbemittelten Bürger verheiratet
worden ^); damit der Fortgang des Mythus keine Störung erfährt,
handelt er natürUch als edelsimiiger Mann. Nächst dieser Neuge-
staltung der Grundlage hat Euripides, indem er gegen Aeschylus
und vielleicht noch einen anderen Dichter (V. 524 ff.) selbst-
gefällig polemisiert, die Erkennung der Geschwister spitzfindig
abgewogen und die Herbeiführung derselben, da er keinen er-
heblichen Altersunterschied zwischen Orestes und Elektra an-
nahm*), folgerichtig dem alten Erzieher übertragen.
Man darf nicht verschweigen, dass Euripides auch in sitt-
licher Beziehung das Ende des sophokleischen Stückes gebessert
hat. Ihm graute vor dessen hartem kaum einer Gewissens-
regung zugänglichen Rächer, den Orestes müssen nach des
Dichters richtigem Gefühle die Erinyen ereilen, und nicht blos
. ihn, auch Elektra wird von ihnen gequält ; es fällt ihr beson-
ders dies schwer auf das Herz, dass ihr Apollo den Muttermord
nicht befohlen habe (V. 1303 f.). Trotz dieser tieferen Auffas-
sung hinterlässt „Elektra" ein peinliches Gefühl, denn wie soll
man, wenn Apollo von den Dioskuren wegen seines Befehles
getadelt wird (V. 1302. 1296 f.), in der Bestrafung der Meu-
chelmörder das Walten höherer Gerechtigkeit und nicht die
bUnde Notwendigkeit (V. 1301) finden? Ausserdem sind die
Charaktere der Hauptpersonen so realistisch gezeichnet, dass sie
keine Sympathien erwecken*).
1844; Andr. Nenmeyer parallele Charaktere n. Zustände in Enr. £. n.
Goethes natürlicher Tochter, Pr. v. Amherg 1873.
1) Er ist aus gutem Geschlechte (V. 37 f., vgl. 57). Die Bezeichnung
ahxoo^bz wäre besser zn meiden.
2) Vergl. 14flf. 573 f.
3) Ueber den Charakter Elektras s. U. v. Wilamowitz Hermes
18, 224 flf.
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Enripides. 339
Wir haben bereits augedeutet, dass wir das sophokleische
Stück für älter halten ^) ; eine deutliche Anspielung auf den
matten Schluss desselben scheint in dem Vers (893) zu liegen:
„Ich habe Aigisthos nicht mit Worten, sondern thatsächlich ge-
tötet*'. Man begreift aber, warum Euripides das Stück seines
Zeitgenossen im Allgemeinen ignorierte und lieber mit Aeschy-
lus den Kampf aufnahm.
„Hökabe"^) vöreinigt wie ,,Andromache** zwei durch die
Person der Titelheldin verbundene Handlungen ; aber das Drama
machte grossen Eindruck , zumal da sofort am Eingange der
ruhelose Geist Polymestors die Herzen erschütterte und für die
unglückliche Mutter mitleidsvoll stimmte *). Nur der Schluss
fällt rasch ab ; Polymestor wird nämlich, nachdem er sich wie
ein wildes Tier geberdet, mit einem Male zum Propheten, um
Hekabes Verwandlung zu verkündigen ; wie Euripides seiner
Zunge überhaupt nicht leicht Einhalt thut, fügt der Thrakier
noch rasch das Geschick Kassandras und Agamemnons hinzu.
Die Charaktere der Griechen sind, wenn auch nicht imponierend,
<loch gut und wahrscheinlich gezeichnet, während die Masslo-
sigkeit der Barbaren, welche ja die hellenische Sophrosyne nicht
kennen sollten , an ,,Rhesos" erinnert. Wie wenig Hekabes
Leidenschaftlichkeit zu ihren abgewogenen und berechneten
Reden stimmt, ward schon im Altertum bemerkt.
Welcher Abschnitt des troischen Sagenkreises hätte den
pessimistischen Dichter mehr anziehen können als die Helena-
sage*), so wie Stesichoros sie in der berühmten Palinodie hin-
1) Queck a. O. p. 86flf.; O. Ribbeck Leipziger Studien 8, 382ff.;
R. Haupt Ztsch. f. österr. Gymu. 24, 660 flf. umgekehrt Gruppe Ariadne
S. 453 fif.; H. Kolster über die Zeit der Abfassung der E. des S. n. £.,
Pr. V. Meldorf 1849; U. v. Wilamowitz Hermes 18, 214ff.; Bruhns
Jahrbb. Suppl. 16, 314 fif.
2) J. B. Hütte r über die Einheit der Handlung in der Hecuba des
E., Pr. V. München 1836; Christ Lor. Sommer de Euripidis H., 4 Pr. v.
Rudolstadt 1838, 40, 42, 44; Otto Wolter de E. H. disp., Pr. v. Ilfeld 1853;
Trede qua arte H. Euripidea composita sit, Pr. v. Kiel 1863.
3) Cicero Tuscuf. 1, 16.
4) C. W. Wie 1 and Neues attisches Museum U (1808) S. 3flF.; Frz.
Heinisch prolegomena ad Eur. H., Diss. v. Breslau 1825; B. v. Hoff de
mytho Helenae Euripideae, Leiden 1843; E. Hirsch de Eur. H. I. Pr. v.
Breslau 1861; Herrn. Dingeist ad de Eur. H., Diss. v. Münster 1865.
22*
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340 IX. Kapitel.
gestellt hatte? Man denke nur: Hunderttausende von Menschen
wüten zehn Jahre lang gegen einander, und richten um den
Preis zahlloser Leben ein stolzes Reich zu Grunde, und dies
um ein Schattenbild, weil die rachsüchtige Hera ihrem Belei-
diger die wirkliche Helena nicht gönnte, sondern sie in Aegypten
barg! Euripides hielt diese Situation für günstig, um einmal,
durch keine detaillierte Ueberlieferung gestört, seiner Phantasie
völlig die Zügel zu überlassen. Helenas Schönheit führte ihn
auf die Liebe als dramatisches Motiv. Also liess er den alten
Proteus, ihren Hüter, gestorben sein und dessen Sohn Theokly-
menos nach ihrer Schönheit begehren, während die in Griechen-
land für die personificierte Untreue geltende Frau ihrem Gatten
treu bleibt. Wie wird nun Menelaos, wenn er, mit eben jenem
teuer erkauften Schattenbilde heimkehrend , nach Aegypten
gerät und die wahre Helena erblickt, sich entsetzen I Fügen
wir dazu, dass andererseits Helena nach dem, was der mit
einem sehr gesuchten Vorwande auftretende Teukros ihr erzählt
hat, ihren Gatten für tot halten muss, dass ferner Theokly-
menos aus Rache jeden griechischen Fremdling töten will I
Als Menelaos durch einen glücklich hinzukommenden Boten
die Wahrheit erkannt, hat, soll er Gemahlin und Leben retten.
Dies wird durch eine an die „taurische Iphigenie" erinnernde
Intrigue eingeleitet und dank dem Eingreifen von Proteus'
Tochter und der göttlichen Brüder Helenas zu glücklichem
Ende geführt. Dieses raffinierte Intriguenstück hat unter den
erhaltenen Tragödien seinesgleichen nicht ; damit der antike
Zuschauer die verwickelten Verhältnisse hinlänglich überblickte,
bedurfte Euripides ausser dem ungewöhnlich laugen und trockenen
Anfangsprologe gar einen zweiten gleich schablonenhaften, den
Menelaos beim Auftreten spricht (V. 386 ff.).
„Der rasende Herakles'*^) entbehrt wieder der Einheit
der Handlung, da der zweite Teil allein die im Titel auge-
deutete Sage behandelt, wogegen der erste innerUch gar nicht
damit zusammenhängende die Bedrohung von Herakleö' Familie
durch den Usurpator Lykos vorführt; in der höchsten Not
kommt der Held aus der Unterwelt zur Rettung aufgestiegen.
Trotz der Mängel der Anlage — die Einführung des Tröster»
1) Jul. Zastra quaestt. de Eur. H. f., Pr. v. Breslau 1847.
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Euripides. 341
Theseus ist ein patriotischer Exkurs — muss die Tragödie zu
4en wirkungsvollsten gezählt werden, denn die einzelnen Situ-
ationen, vor allem die erschütternden des zweiten Teiles, sind
meisterhaft ersonnen und ungemein naturgetreu.
„Die H e r a k 1 i d e n" ^) hingegen konnten nur einen
Patrioten, der in seiner Stadt die Beschützerin der verfolgten
Unschuld bewunderte, befriedigen. Euripides zeigt nämlich
Herakles' Waisen in Marathon*) gegen Eurystheus beschützt.
Dieser kommt zuletzt selbst gefangen auf die Bühne, auf dass
er ein Athen günstiges Orakel verkünde, welches wenigstens
soviel lehrt, dass das Stück nach dem Anfange des pelopon-
nesischen Krieges geschrieben ist '). Sonst würde man schwer-
lich vermuten, dass es von einem erfahrenen Dichter herrührt.
Zwischen der Masse des Trivialen fällt höchstens ein origineller
Gedanke auf; wir denken an die jugendliche Kampflust
des altersschwachen lolaos, wobei Euripides freilich an das
Komische streift.
Der „Hippoly tos" *) zeigt, dass Euripides gegen Kritik
sich nicht hartnäckig verschluss. Als er nämlich das erste
Mal die Liebe Phaidras zu ihrem Stiefsohne bearbeitete, brachte
die Frivolität der Heldin das Drama zu Falle, Da Hippolytos
vor Abscheu das Gesicht verhüllte, hiess dieses Drama später
1) Fr. Aag. Gotthold Bemerkungea über die H. des E., Königsberg
1827; Job. Theis de E. H., Diss. v. Münster 1868; Frz. Potthast de E.
H., Diss. V. Münster 1872; ü. v. Wilamowitz Hermes 17, 337 flf. n. de
E. H., Pr. V. Greifewald 1882.
2) y. 32 f. (nach dem Argument Z. 5 Athen); s. Höveler de Herac-
lidarnm Enr. scaena et tempore, Diss. v. Münster 1878 p. 1 ff. Dies be-
leuchtet den Inhalt von Lykophrons „Marathoniern'S
3) y. 1030 ff. beziehen sich auf das Thucyd. 3, 89 erzählte Ereignis,
weil Eurystheus am Isthmos begraben lag (Zirndorfer a. O. p. 34 f.);
andere yermu tungen verzeichnen HÖveler a. O. p. 11 flf. und Potthast
«. O. p. 11 flf.
4) Ewald Scheibel de Eur. H., Diss. v. Beriin 1841; R. Schreiber
der H. des E. nach Anlage, Idee u. Entwicklung, Pr. v. Ansbach 1854; Alb.
Weigert der Hippolyt des E. u. die Phädra des Racine, nebst einer voraus-
gesandten Würdigung des E., Diss. v. Freiburg, (Breslau) Berlin 1869; F.
^eyhe zur sittlichen Würdigung des eurip. H., Pr. v. Seehausen 1876; Fr.
Greschl in „Sammlung philol. Arbeiten, herausg. zur F. des 25 j. Jub. v.
Kvieala" Prag 1884 (böhmisch) S. 202 ff.
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342 IX. Kapitel.
„der verhüllte Hippolytos'* ^). Euripides gab es nämlich aller-
dings heraus — noch Seneca benützte es — , aber er bearbeitete
den StoflF zum zweiten Male, und dieser Fassung gab man
davon, dass der Held in der ersten Scene seiner Lieblings-
göttin einen Kranz darbringt (V. 73 ff.), den Beinamen Steya-
vtac oder Steyavifjyöpoc. Euripides verlegte den Schwerpunkt
der Fabel von Phaidra, welcher Sophokles, nach dem Titel
seines Stückes zu schliessen, die erste Rolle angewiesen hatte,
auf Hippolytos. Jene erscheint ihm ja nur als unschuldiges
Werkzeug der beleidigten Aphrodite, deren Rachsucht sie selbst
zum Opfer fällt ^ und deshalb des Mitleides, nicht des Tadels
wert *) ; so allein und nicht aus beleidigter Eitelkeit wird der
verhängnisvolle Brief erklärt. Der Dichter entwirft ein zart-
sinniges Gemälde der unseligen Frau, in welcher die Leiden-
schaft gegen das Rechtsgefühl einen schweren Kampf zu be-
stehen hat, worin letzteres siegte, wenn nicht die ungebetene
Dienstfertigkeit der Amme und vielleicht auch dazu ein gewisser
Fatalismus die andere Schale beschwerten. In Hippolytos hin-
gegen scheint Euripides sich selbst idealisiert zu haben, oder
ist nicht die innige Naturliebe (V. 73flF.)> ^^^ Bücherstudium,
das für den Jäger der Sage nicht eben passt *), und vor allem
der schroffe Hass gegen Aphrodite unmittelbar aus eigensten
Empfindungen des Dichters selbst [geschöpft? Die peinliche
Gewissenhaftigkeit, mit der er widerwillig den ihm abgelockten
Eid hält, sichert ihm die Sympathien; diese .würde, bei den
Griechen wenigstens, allerdings etwas beeinträchtigt, wenn er
dadurch sein Verderben heraufbeschwöre. Aber was hätte ein
Wortbruch gefruchtet, wo der Vater natürlich dem Vermächt-
nisse einer teueren Toten unbedingten Glauben schenkte? Da
1) *Iirir6Xt)xo? xaXöirT6|ievo<: Pollax 9,50. Schol. Theocrit. 2, 10; vgl.
Seneca's Phacdra und Ovids vierte Heroide, dann Ed. Hiller Tiber miscel-
laneus ed. a soc. philol.. Bona 1864 p. 34ff.; Birt Rhein. Mas. 32, 403 ff. ^
Leo L. Annaei Senecae tragoediae I p. 173 ff.; A. Kalkmann de Hippo-
lytis Earipideis, Bonn 1882 (besonders p. 24 ff.); Max Mayer de Earipidis
mytbopoeia, Berlin 1883 p. 65 ff.
2) üeber den Charakter Phaedras: Wilamowitz analecta Euripide»
p. 210ff. ; F. Pnntoni de Phaedrae indole et moribas ex Eur. H., Pisa 1885.
3) V. 952 f.; Welcker kleine Schriften H 474, Trag. S. 749 u. Kalk-
mann a. O. p. 6 suchen orphische Zdge. VgL S. 319, 4.
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Enripides. . 343
die Alten an Aphrodites Grausamkeit, wie es scheint, keinen
Anstoss nahmen, rechneten sie das Stück zu den vorzüglichsten
Werken des Euripides ; es erhielt bereits bei der ersten Aufführung
(428) die höchste Anerkennung.
. „lon*'^) kommt der „Helena** sehr nahe, weil die ver-
wickelte Handlung mit Ausnahme der Namen der Personen
gänzlich erfunden ist % so dass selbst der athenische Zuschauer
den aufklärenden Prolog des Hermes dringend notwendig hatte.
Apollo, der einst seine Geliebte Kreusa im Stiche gelassen und
ihr Kind Ion im delphischen Tempel ausgesetzt, glaubt die
Sache recht klug zu machen, als er durch ein Orakel Kreusas
Gatten Xuthos zu dem Glauben, dass Ion dessen Sohn sei,
verleitet; aber der weise Gott hat Kreusas Erbitterung nicht
in Rechnung gezogen. Sie will Ion vergiften, und wird, nach-
dem ihr Helfershelfer durch seine UngeschickHchkeit die Ab-
sicht verraten hat, von jenem mit dem Tode bedroht. Im
rechten Augenblicke führt die Pythia die Erkennung zwischen
Mutter und Sohn herbei, worauf Athene zum Schlüsse den
Scheidenden Ruhm und Segen in Aussicht stellt. Diese raffinierte
Handlung ist um den Preis starker Unwahrscheinlichkeiten
gewonnen : Warum langt Kreusa vor ihrem Gatten und oben-
drein gerade kurz vor dessen Ankunft in Delphi an? Wozu
kommt sie selbst, wozu der uralte Pädagog? Und was wird
Xuthos von der plötzlichen Versöhnung der Feinde denken ?
Diese Mängel mussten die S^auspieler, besonders der Spieler
der dankbaren Titelrolle, durch virtuosen Vortrag verdecken*).
Welche Modulationen verlangte z. B. sogleich das von dem
auftretenden Ion vorgetragene idyllische Recitativ, dessen An-
fangsverse das Emporsteigen der Sonne wunderbar schildern 1
Die „Iphigenie in Aulis" eröffnet der höheren Kritik
interessante Probleme. Unmittelbar am Anfang erregen die
1) Wieland Neues attisches Museum I (1805) S. 3 ff.; Peter Fütterer
de £ar. L, Dias. v. Munster; L. Enshoven de I. fabula Euripidea quaestt.
sei., Bonn 1880; L. Eysert über die Echtheit des Prologes in Eur. L, Pr.
T. Prag 1880; J. Klinkenberg Enripidea I. Pr. v. Aachen 1884; G-
S c h m i d Euripidea, de Jone, Lpg. 1884.
2) U. y. Wilamowitz Hermes 15, 484, 3.
3) Vgl. Demeti'. de eloc. 195,
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344 IX- Kapitel.
ersten 48 anapästischen Verse gerechten Anstoss ; wiewohl näm-
lich ein solcher Beginn nicht unmöglich war (S. 200), folgt ein
nach gewohnter Manier gefertigter Prolog und macht jenen Ein-
gang vöUig überflüssig, was von keinem anderen antiken Pro-
loge gesagt werden könnte. Mithin ist der Eingang sicher nicht
euripideisch ^). Nicht anders darf das Urteil über die Schluss-
scene lauten: Nachdem der Chor Iphigenies Abgang durch
ein Lied begleitet hat, tritt nach der heutigen Fassung ein Bote
auf, um der herbeigerufenen Klytaimestra die wunderbare Ret-
tung ihrer Tochter zu erzählen. Sie selbst spricht teils Alber-
nes (Z. B. V. 1536) teils Nichtssagendes; jene Erzählung ent-
hält einen zu deutHchen Anklang an die parallele der „Hekabe**,
ausserdem haben feinhörige Metriker einen Abfall im Versbau
wahrgenommen. Mit einem Worte, der Schluss ist des Dichters
unwürdig^). Endlich hat die Parodos des Chors eine wahrhaft
aeschyleische Länge, wodurch gegen die zweite Hälfte (V. 231
bis 302) ein Verdacht rege wird % den die Beobachtung einer
uneuripideischen Sagenversion zur Gewissheit erhebt*). Anderer-
seits beweisen einige Citate, dass dafür Echtes unterging*), im
besonderen geht aus Aelian hervor, dass in seinem Exemplar
Artemis persönlich die unglückliche Mutter tröstete*). Blicken
wir im Zusammenhang damit auf den Prolog, so erkennen wir
eine planmässige Verdrängung des monologischen Prologes und
1) Aeltere Literatar bei Jacobs Nachträge zn Sulzer 5, 402; J. H.
Bremi Philol. Beiträge aus der Schweiz^ (Zürich 1819) S. 143 ff.; Weck-
lein Ztsch. f. österr. Gymn. 1878 S. 721 ff.; Bob n ho ff der Prolog der I.
in A. des E., Fr. v. Freienwalde 1885; verteidigt von Hutter über den
Prolog n. Epilog in Enr. Tragödie Ipbigenia in A., Pr. v. München 1844 n.
Herrn. Hennig de Iph. Anlid. forma ac condicione, Berlin 1869 p. 21 ff.
(doch gibt er p. 29 Interpolationen des jüngeren Euripides zu); Vitz de
Ipbigeniae Anlid. anctore et fatis, Pr. v. Torgau 1862 u. 1863.
2) Dies erkannte zuerst Porson supplem. ed. praef. Hecabae p. XXI,
auch Schiller nahm Anstoss. S. die A. 1 citierten Schriften.
3) BÖckh trag, princip. cap. 19 und Andere (bei Hennig p. 32 ver-
zeichnet).
4) Zu V. 242 ff. Hennig p. 32 ff.
5) Schol. Aristoph. Ran. 1318 ff. Aelian. bist. an. 7, 39. Hesych. u.
6) S. Musgravius exercitatt. in Eurip. I 8. 25 und Pr^vost the^tre
des Grecs VH 121 leiten das Citat aus dem angeblich verlorenen Original-
prolog ab, Tvogegen s'f^v spricht.
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Euripides. 345
des deus ex machina, gegen welche der Komikerspott sicL
richtete , wie der Prolog des „Rhesos'' entfernt wurde und ein
Späterer den getadelten Schluss der Andria des Terenz umar-
beitete^). Man möchte zunächst an den jüngeren Euripides,
welcher das Stück zuerst aufführte, denken ; ist es indes glaub-
lich , dass er die von seinem Vater oder Oheim mit hartnäck-
iger Konsequenz durchgeführte Manier so rasch verleugnet habe?
Dies möchte um so weniger der Wahrheit entsprechen als jene
ältere Fassung der Iphigenie natürlicher Weise eben von dem
jüngeren Euripides aus des Dichters Nachlasse veröflfentlicht
wurde *). Die Bearbeitung rührt also von einem Schauspieldi-
rektor des vierten oder dritten Jahrhunderts her ; Ennius kannte
ßie nämlich bereits^).
Von den späteren Zusätzen befreit, erscheint die Tragödie
als eine ausgezeichnete Leistung des alten Dichters, die sich
den gleichzeitigen „ßakchen'* würdig an die Seite stellt*). Der
Entwurf der Handlung ist allerdings etwas verwickelt und an
das Intrjguenhafte streifend, aber nirgends vielleicht ist es Eu-
ripides so gut gelungen, Handlungen und Charaktere in innere
Beziehung zu setzen. Alle Personen werden lebendig und in-
1) Ritschi parerga Plautina et Terentiana p. 583 ff.
2) Dem jüngeren Euripides schreiben die Bearbeitang besonders Böckh
trag, ptincip. cap. 17 f. p. 214 ff. (gegen ihn wendet sich Moritz Seyffert
de duplici recensione Tph. Aul., Diss. v. Halle 1831), H. Bremi a. O. u.
A. Matthiä Ausg. VII 321 ff. zu; hingegen denkt G. Hermann opusc. VHI
218 ff. das Stück verstümmelt und später interpoliert. Joh. Peter Bang de
auctore Iph. Aul,, Diss. v. Kopenhagen 1867 spricht wie Gruppe Ariadne
S. 561 ff. das Stück Euripides überhaupt ab. Letzterer erschliesst ans dem
irrigen Citat Athen. 13, 562 e Chairemon als Verfasser (widerlegt von Heinr.
Bartsch de Euripide Iph. A. auctore, Breslau 1837).
3) Ribbeck röm. Tragödie S. 44 f.; also nicht erst nach Stobaeus, wie
Härtung meinte. Die Konstruktion V. 1603 (1594) xaoxYjv jidXtoTa xyjc
-KopYjc ÄoicaCexat dürfte vor Aristoteles (p. 112 a 33) nicht nachzuweisen sein.
4) Analyse bei Gruppe Ariadne S. 462 ff.; s. auch J. P. E. Greverus
Eur.' Iphigeneia in A. bes. in ästhetischer Hinsicht, Oldenburg 1837 u. 1838 ;
G. P. Kieffer Darlegung des Gedankenzusammenhangs in der aul. Iph. des
E., Pr. v. Nürnberg 1837 u. 1838; Joh. Ludw. Berger de I. A. Eur. trag.,
Pr. v. Celle 1843, wozu die Vergleichungen von Euripides' und Racine's
Stück kommen.
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346 I^- Kapitel.
teressant charakterisiert ^), wobei der Dichter der naheliegenden
Gefahr eines gespreizten unnatürhchen Heroismus glücklich
ausweicht. „Was einige*) an dem Charakter Iphigeniens aus-
setzen, (sagt Schiller), wäre ich sehr versucht, dem Dichter als
einen vorzüglich schönen Zug anzuschreiben ; diese Mischung
von Schwäche und Stärke, von Zaghaftigkeit und Heroismus,
ist ein wahres und reizendes Gemälde der Natur**.
Die früher verfasste „t aurische Iphigenie"') ragt
weniger durch solche Charakterbilder und rührende Scenen als
durch die fein ausgearbeitete Erkennung der Geschwister her-
vor , obgleich die Exposition der der sophokleischen Elektra
nicht ebenbürtig ist. Kein Deutscher wird dieses Drama
lesen, ohne Goethes Dichtung im Geiste damit zu vergleichen *);
wer eine in sich harmonische Nationaldichtung modernen Ge-
danken in antikem Gewände , mögen sie an sich noch so an-
mutig sein, vorzieht, wird in seinem Urteile nicht schwanken;
vom griechischen Standpunkte entwickelt ja Euripides die Fabel
ganz folgerichtig, denn Thoas ist ein Barbarenkönig und han-
delt als solcher , Iphigenie hat ihm nichts, sondern alles der
Göttin ihrer Retterin zu danken, das Orakel befahl ferner aus-
drücklich den Raub des Bildes, weshalb weder auf Iphigenie
noch auf Orestes ein Schatten fällt. Selbst der deus ex machina
verdient diesmal keinen Tadel; statt nämlich einen unlöslich
verwirrten Knoten zu zerhauen , beruhigt Athene blos ängst-
liche Zuschauer über die sichere Flucht der Geschwister und
befriedigt das patriotische Selbstgefühl der Athener. „Iphigenie'*
gehört, mit einem Worte, zu den wenigen Stücken des Euripi-
pides, in denen kein widriger Eindruck, keine manierierte Ueber-
treibung verstimmt.
1) £. Buchholz de personarnm descriptione in Iph. Aal. Euripidis
exhibita, Pr. v. Clausthal 1854.
2) Unter ihnen befand sich sogar Aristoteles (poet. 15 p» 1454a 32).
3) Christoph Ehemann zur scenischen Aufführung der taur. Iphi-
genia des E., Pr. v. Kaiserslautern 1875.
4) S. ausser vielen anderen O. Jahn Aus der Altertumswissenschaft.
Populäre Aufsätze S. 353 ff.; A. Legrelle de celeberrima ap. Germanoa
fabula quae inscr. I. T., Paris 1864.
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Euripides. 347
Die 431 aufgeführte „Medea** ^) soll Euripides, wenn anders
wir die verderbte Ueberlieferung richtig verstehen , nach der
gleichnamigen Tragödie Neophrons bearbeitet haben*). Allein
was wir von dieser wissen , führt gerade auf das Gegenteil,
Neophron verbesserte nämlich offenbar gewisse Schwächen des
euripideischen Stückes, indem er die seltsame Prophezeiung
über Jasons Tod änderte und die Ankunft des athenischen
Königs Aigeus begründete, da diesen Euripides ohne drama-
tische Notwendigkeit '), bloss von seinem Patriotismus verleitet,
eingeführt hatte. Ausserdem wird ausdrücklich ihm und nicht
Neophron die für das Drarca hochwichtige Neuerung zuge-
schrieben, dass Medea selbst ihre Kinder ermordete , während
nach der landläufigen Sage Kreons Verwandte die Rachethat
vollführten *). Der Tragiker legte sich also die schwere Auf-
gabe , die unnatürliche That durch Medeas Seelenzustand zu
motivieren, freiwiUig auf. In der That hat er die Erstickung
des mütterlichen Gefühles durch Eifersucht und Rachsucht,
welche Triebe das Barbarentum zu fördern schien, so meister-
haft gezeichnet ^) , dass kein anderes Stück ihm soviel Ruhm
und soviele Nachahmer gewann % Dennoch fanden sich im
1) B. Hauber über die Einheit der Handlung in der M. des £.,
München 1836. — C. E. Geppert über die Aufführung der M. des E., Lpg.
1843; Wecklein über die Scenerie der m! des E., Philol. 34, 182 flf.
2) Das Argument berichtet aus Dikaiarchos und (Ps.) Aristoteles ev
6icop.v'fjpiaat : Tb Spajia $oxel (!) 6icoßaXio^ai '^tv^aio^povior: (Beck 6 Sixocuvtoc
Ns6(fpa>v, Nauck izapä Ne6<ppovo<:) Siaaxeodtoac ; nach Dlog. L. 2, 134 teilten
einige das Stück dem Sikyonier Neophron zu. Nach O. Ribbeck I^eipziger
Studien 8, 386 ff. führte Neophron die erste Fassung der euripideischen
Medea auf.
3) Aristot. poet. 25 a. E.
4) Pausan. 2, 3, 6; man behauptete, Euripides habe die Sage den
Eorinthiem zu Liebe abgeändert (Schol. V. 10 (vgl. 273) aus den „Philo-
sophen^* und Parmeniskos; Aelian. var. bist. 5, 21). üeber die Sage s. K.
Theod. Pyl de Medea fabula, Diss. v. Berlin 1851 u. Ztsch. f. Altert. 1854
Sp. 405 ff. 481 ff. 1855 Sp. 505 ff. 521 ff. 529 ff. ; Leo Hermes 15, 311 ff.; U. v.
Wilamowitz ebend. S. 481 ff.
5) Oust. Ljunggren Enripidis M. karakteriserad och jemförd med
Shakespeares Othello, Pr. d. Univ. Lund 1847; Heinr. Bartsch der Charakter
der M. d. E., Pr. v. Breslau, Mainz 1852.
6) Meisterwerk des Euripides Anthol. Pal. 7, 50, 6, Lieblingswerk des
Menedemos Diog. Laert. 2, 134; Job. Ludw. Buneberg spec. acad. Medeam
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348 IX. KapHel.
Altertum Kritiker, die den lebenswahren Zug, dass Medea mitten
in ihrer erheuchelten Ruhe konvulsivisch zu weinen beginnt, als
Inkonsequenz tadelten ^). Das Interesse ist voll auf die Heldin
koncentriert, wogegen Euripides die Üekonomie der Handlung
nicht tadellos behandelt; vor allem hatte Aristoteles Recht,
wenn ihm der opernhafte Schluss (Medea entschwebt auf einem
mit Drachen bespannten Wagen) missfiel *).
Wenn Suidas unter den Stücken des jüngeren Euripides
eine „Medea** anführt, braucht diese nicht notwendig die uns
gerettete zu sein*); ebensowenig berechtigen uns einige Ge-
dächtnisfehler der ihrem Gedächtnis zuviel vertrauenden griech-
ischen Gelehrten zur Annahme einer zweiten Bearbeitung*).
„Orestes*)'' muss man als einen seltsamen Einfall des
greisen Dichters bezeichnen , der sich hier wie im „Ion* von
der herkömmhchen Sage gänzlich frei machen wollte. Die von
Anfang bis zu Ende erfundene Handlung beruht darauf, dass
Euripides die volkstümliche Vorstellung von Erinyen, welche
den Muttermörder ruhelos hetzen, nicht anerkennt. Was Orestes
^u fürchten hat, sind die quälenden Visionen des beunruhigten
Gewissens , und ajs sein Gemüt unter der Pflege der treuen
Schwester ein wenig zur Ruhe kommt, bedroht die Blutrache
ihr Leben, indem der alte Tyndareos das Volk gegen die Mör-
trag. Euripidis cum M. Senecae comparans, Helsingfors 1880; K. Th. Pyl
Ztsch. f. d. Altertumsw. 1854 Nr. 51 ff. 1855 Nr. 64ff.; L. Schiller M. Im
Drama alter u. neuer Zeit, Ansbach 1865; Bühler Aehnlichkeiten u. Ver^
schiedenheiten der M. des £., Seneca u. Corneille, Pr. v. Donaneschingen
1876; H. Furt seh er die Medea des £. verglichen mit der von Grillparzer
n. Klinger, Fr. v. Feldkirch 1880.
1} Im Argument.
2) Poet. 15 p. 1454 b 1.
3) Samuel Fetitus miscellanea VIc. 15; Hieron. Müller M., eine
griech. Trag., Frankfurt 1811.
4) Böckh trag, princip. c. 13 p. 164 ff.; Aug. Frdr. Wolper de M.
Euripidis trag, correcta et denuo edita, Göttingen 1818 = Commentationes
tres, Lpg. 1825; widerlegt von Berger de M. Eur. trag, ab histrionibus
interpolata, Göttingen 1830 u. de duplici recensione Medeae Euripideae, Pr.
V. Celle 1863; Zirndorfer a. O. p. 13 ff.; Th. Klette quid de iterata
Eur. Medeae editione sit judicandum, Lpg. 1875.
5) Casp. Bax de naturae simplicitate in Eur. O., Diss. v. Utrecht 1816;
L. Ziemssen Didaskalia zu E/ O., Fr. v. Stargard 1867.
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Euripides. 349
der seiner Tochter aufreizt. Käme jetzt schon der deus ex
machina, der am Schlüsse Orestes nach Athen zur traditionellen
Entsühnung weist und eine Doppelheirat anordnet , hätte da»
Stück die übliche Länge nicht erreicht. Deshalb schiebt Euri-
pides eine Sparta feindliche Episode ein ; Menelaos befindet sich
nämlich eben in Argos auf der Heimkehr, verweigert aber den
Kindern seines Bruders feige jegüche Hilfe. Da wollen die
Geschwister nach Pylades' Rat wenigstens nicht ungerächt
sterben ; sie würden Helena töten, wenn sie nicht Apollo zu ihrem
göttlichen Vater entrückte , und , als sie statt ihrer Hermione
ergreifen, ist die Zeit, dass jener Gott auftreten darf, endlich
gekommen. Ausser der Nebenrolle des treulBU Pylades kommt
keine einzige sympathische Gestalt vor, deren Schicksal herz-
lichen Anteil erwecken könnte, im Gegenteil muss man mit
Aristoteles die karrikierte Zeichnung des Menelaos tadeln ^).
Immerhin machten einzelne schöne Scenen (besonders die un-
vergleichUche Einleitung) , vielleicht auch die grellen Farben
Glück. »)
Die „P h ö n i k e r i n e n** (4>o^vtooat) ^) zeigen , wie Euri-
pides bei einem schon vor ihm behandelten Stoffe übermässig
nach Selbständigkeit hascht. Wer würde aus dem blossen
Titel vermuten, dass die Tragödie den aeschyleischen „Sieben
gegen Theben" entspricht? Euripides hat nämlich aus keinem
anderen Grunde als der Seltsamkeit wegen einen Chor phöni-
kischer Frauen , die angeblich auf der Reise zum delphischen
Orakel begriffen sind, eingeführt, als ob nicht die notwendige
Aufklärung dieses Zufalls das Drama stören müsste. Auch
die Schilderung des Belagerungsheeres, von Aeschylus der.
1) Poet 15 p. 1454 a 29. 25 a. E., vgl. argum. I. a. E.
2) Tö Bpä|ia täv lizi oxyjvvj^ 652oxi|ioüvicuv Argum. I.; tpäp.a Sc^wutatov
Strattis fr. 1, 2.
3) Fr. Aug. Ootthold Ästhet. Beurteilurg der Phönik. des E., Pr. v.
Königsberg 1834; H. B. E. St enden er de E. Ph., Pr. t. Bossleben 1849;
A. Liebt enaner des E. Phönissen, Pr. v. Landshut 1852; W. Horn-
bostel über die Ph. des E., Pr. v. Batzeburg 1862; Leidloff de
Eor. Phoenissarum argumento atqne compositione , Pr. v. Holzminden
1863; Frd. Spiro de Eur. Ph., Diss. v. Berlin 1884. — Heinr. Haacke
de Euripidis fabola cui Phoenissarum nomen inditum est, iternm et acta et
recensita, Diss. v. Breslau, Schweiduitz 1851.
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350 IX. Kapitel.
Handlung glücklich eingewebt, bildet jetzt, wo der Pädagog
die junge Antigene hoch oben vom Palaste herabblicken lässt,
eine Episode und erscheint dadurch , dass • nachher ein Bote
kommt, noch überflüssiger. Die Handlung ist durch den Opfer-
tod des Menoikeus und die Yerjagung des alten Oedipus be-
reichert, wenn auch nur äusserlich. Euripides schreckte sogar
vor dem unwahrscheinlichen Einfalle, dass Polyneikes auf
lokastes Drängen mit seinem meineidigen Bruder in Theben
eine Zusammenkunft hat, nicht zurück, weil er dadurch eine
effektvolle Scene mehr gewann. An solchen war das Stück
überhaupt reich , was seinen Bühnenerfolg sicherte *). Eine
durch Seneca irre geleitete Zeit erklärte die „Phoenissen" für
das Meisterwerk des Tragikers; sagt doch Hugo Grotius in
dem Vorwort seiner Uebersetzung ; „Quantum Euripides alios
vincit, tantum ejus alias tragoedias a Phoenissis vinci et veteres
critici notant et res ipsa loquitur". Dann begeisterte man sich
namentlich in der Sturm- und Drangperiode für das deklama-
torische Stück; Klinger bildete es in den „Zwillingen", Leise-
witz in „Julias von Tarent" nach; noch Schillers „Braut von
Messina** ist durch die eiuripideische Tragödie, von welcher er
einen Teil übersetzte, inspiriert, besonders will der Prolog
augenscheinlich eine Verbesserung des griechischen sein.
Die „Schutz fleh enden** ('loUttSsc) *) behandeln einen
von Aeschylus in den „Eleusiniern** eingeführten patriotischen
Stoff, indem sie wieder Athen als Hort der Unglücklichen ver-
herrlichen, während das verhasste Theben die Göttergebote
nicht achtet. Wie Theseus Kreon zur Auslieferung der Leichen
der Sieben nötigt, konnte nur auf Kosten dei* Einheit der Zeit
dargestellt werden. Aus dem mehr lyrischen Ausdruck von
Trauer und Dank ragt eine romantische Episode heraus: Euadne
stürzt sich, von ihrem Vater Iphis vergebUch zurückgehalten,
in den Scheiterhaufen ihres Gemahls Kapaneus. Vom drama-
tischen Staudpunkte aus ist sonst nichts an dem Stücke zu
rühmen ').
1) Argam. II p. 392, 22 ff. Der Komiker Strattis parodierte es.
2) Ad. Sötbeer de mjthico argamento Euripidis Sappl., Diss. v. Gdt-
tingen 1837; Jal. Zastra Untersnchungen über das earip. Trauerspiel: Die
Hiketiden, Pr. v. Neisse 1848.
3) Hartang (in der Einleitang zar aalischen Iphigenie) zweifelt daher
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Euripides. 351
Die „Troerinen** ^) zerfallen eigentlich in drei Scenen
ohne inneren Zusammenhang : Die Achäer verfügen über die
gefangenen Troerinen, hierauf holen sie, um das Königsge-
schlecht auszurotten, Astyanax zum Tod, dann trifft Menelaos
mit seiner treulosen Gemahlin zusammen, wobei ihn Hekabe
ohne Erfolg zur Hache aufstachelt — wieder eine Satire auf
die Spartaner. Zum Schlüsse sah man Troja brennen; was
weiter geschieht, hat der Zuschauer gleich anfangs von Poseidon
und Athene erfahren. Der lyrische Teil des Stückes ist von
hoher Schönheit, während Euripides gegen das Dramatische
gleichgiltiger als je gewesen ist.
Ueber die verlorenen Stücke des Euripides ist dank seiner
Popularität weit mehr als bei Sophokles und Aeschylus bekannt;
trotzdem müssen wir es uns versagen, auf die zahlreichen
scharfsinnigen Vermutungen, welche den Gang dieser Dramen
betreffen, einzugehen, wollen jedoch die umfängliche Literatur
nicht ignorieren.
Abgesehen von Valckenaer diatr. iu Enrip. perditoram dramatnm
reliquias, Leiden 1767 (Lpg. 1824) und Härtung Euripides restitutus, Ham-
burg 1843 — 46, 2 Bde. handeln speciell über Al^euc: M. Mayer de Enri-
pidis mythopoeia p. 59 fi.; AioXo^: Rohde der griech. Roman S. 101 A. 2;
'AXeSavJpoc: Bruhns Jahrbb. Suppl. 15, 303; 'AXxfiicov 6 8ti Kop. :
Frd. A. Basedow de E. fabula quae inscr. 'A. 6 S. K., Diss. v. Rostock,
Lpg. 1872; ^AXx|iY^vif): R. Engelmann Annali dell' inst, archepl. 1872
p. 13ff. u. Beiträge zum Eur. L Berlin 1882; 'Av8po|i^8a: Trendeleu-
burg Ann. d. inst. 1872 p. 115 f.; Robert Archäol. Ztg. 1878 S. 18;
'AvTtfovYj: Schneidewin Philol. 6, 593ff.; Heydemann über ein-
nacheuripideische Antigone, Berlin 1868 u. Arch. Ztg. 1871 S. 108flf.; Kltig-
mann Ann. d. inst. 1876 p. 178 flf.; Wecklein Sitzungsber. der bayer.
Akad. 1878 H 8. 170ff.; Mayer a. O. p. 73ff.; *AvTt6i:-rj: O.Jahn
Archäol. Ztg. 1853 S. 73, 27. 76; Wecklein a. O.; Mayer a. O. p. 75 f.; Em.
Johne die A. des E., Pr. y. Landskron 1880; Ernst Graf die Antiopesage
bis auf Eur., Diss. v. Zürich, Halle 1884 p. 29 flf.; 'Apx^Xao(;: Herwerden
Verslagen en Mededelingen der Akad. te Amsterd. Letterkunde HI 1 ; A&f'h
Wilamowitz analL Eurip. p. 186flr.; 'Ep6x^s(><:: Adelh. Nagel de
Er. trag. Eur. perdita, Berlin 1842 ; 0 y} o e 6 c : Jahn, archäol. Beiträge S. 252 f.;
M. Mayer a. O. p. 63flr. ; eo^oxvj«: W. Braun, der Th. des E., Wesel 1882
Kps<3(f6vxrii: Frdr, A. Basedow, de Enrip. fabula quae inscr. Cr. L Pr. v.
die Echtheit an. Schol. Soph. Oed. Col. 213 macht die gute Bemerkung,
dass Theseus Adrastos nicht kennt, „damit das Stück verlängert werde'^
3) Em. Th. Wagler de Eur. Tr., Diss. t. Marburg, Brandenburg 1845.
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352 IX. Kapitel.
Eberswalde 1878; Wecklein, über den Kr. des E., Würzburg 1881 ; KpYjtec:
Jahn a. O. 8. 238 f.; E. Kuhnert, Jahrbb. f. Phil. Suppl. 15, 192 ff.; G. Körte,
Historische u. pbilol. Aufsätze E. Cartius gewidmet, Berlin 1884 S. 195 ff ;
MeXiafpoc: M. Meyer a. O. p. 77fl.; Ol5t7roü(;: K. Fr. Hermann, quaesti-
onum Oedipodearnm capita tria, Marburg 1873; G. Hermann, Ztsch. f. Alter-
tumsw. 1837 S. 793 ff.; Vollbehr, de Oedipi Enripidei fragm., Pr. v. Glück-
stadt 1861; W. Braun, Rhein. Mus. 22, 245ff.; IlsXtd^cc: Robert ArchäoL
Ztg. 1875 Taf. 13; Wilamowitz Hermes 15, 485, 1; DpcDTto tXaoc :
Kiessling, analecta Oatnlliana, Greifswald 1877 p. 5 ff. u. conjectaneoram
spicilegium II. , ind. lect. hib., Greifswald 1884 N. X ; M. Mayer , Hermes
20, 101 ff.; SüXbüc: O. Jahn, Archäol. Ztg. 1861 S. 157 ff.; T-riX8<po(;: Jac.
Geel, Oommentatt. Latinae UI. classis Institut! reg. Belgici IV (1833); O.
Jahn, Telephos n. Troilos, Kiel 1841 u. Arch. Ztg. 1863 8. 233 ff.; Fr. Beck,
Blätter f. bayer. Gymn. 1869 8. 324 ff.; Wecklein a. O.; 4>tXox'c-rjTYj<;:
8. 300, dazu Eng. Petersen, de Ph. Euripidea, Diss. v. Erlangen 1862; G.
Regel, inter Enr. Medeam Philoctetam Dictyn etc., Diss. v. Rostock, Gotha
1875 p. 6 ff. ; Joh* v. Arnim, de prologorum Euripideor. arte et interiwlatione,
Greilsw. 1882 p. 101 ff.
Ueber das Satyrspiel „der Kyklope*' wollen wir, da es
der einzige Vertreter seiner Gattung ist, in dem vom Satyr-
spiele handelnden Abschnitte sprechen. Ausser Dramen wurde
Euripides ein Enkomion auf einen olympischen Sieg des Alki-
biades beigelegt, doch stand die Authenticität nicht fest^).
Liess Euripides nichts, was (Jen Athenern durch alte Ueber-
lieferung teuer war, unangetastet, so musste er denn die Fol-
gen seiner Kühnheit tragen. Nicht nur glückte es ihm bloss
vier mal , dem Volke die volle Anerkennung abzuringen *),
sondern er wurde obendrein von den Koöiikern so hartnäckig
und so grausam wie kein zweiter Tragiker verspottet.') Freilich
lag darin zugleich die Anerkennung , dass keines zweiten In-
1) Plntarch. Alcih. 11. Demosth. 1 (Bergk poetae lyr. Gr. II* p. 266).
2) Snidas. Yarro bei Gellins 17, 4, d rechnet den fünften nach seinem
Tod errnngenen Sieg ein.
3) Ueber die Kritik des Aristophanes A. Wissowa über des Aristot.
Beurteil, der trag. Dichter seiner Zeit, insbes. des Enr., Leobschütz 1830;
Stallbanm de persona Euripidis in Rauls Aristophanis, Pr. v. Lpg. 1843;
F. Blanchet de Ar. Euripidis censore, Paris 1855; Job. Peters Aristophanis
Judicium de summis suae aetatis traglcis, Diss. y. Münster 1858; Emil Jasper
des Ar. Urteil über die drei grossen Tragiker Athens, Pr. v. Altona 1863;
Job. van Leen wen de Ar. Eur. censore,, Amsterdam 1876; Karl Leasing
de Ar. Eur. inrisore, Diss. t. Halle 1877; C. Schwabe Ar. u. Aristoteles
als Kritiker des E., Pr. v. Crefeld 1878.
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Enripides. 353
dividualitftt so bestechend wirkte. Thatsächlich hatte Euripides
alle Philosophen, unter denen Sokrates ihn ftr den bedeutend-
sten Tragiker erklärte*), auf seiner Seite und wie die „Frösche*'
widerwillig einräumen, war ihm zuletzt auch die Masse des
Volkes zugefallen, ja sein ärgster Feind Äristophanes musste
zugeben, dass er ihm seine Feinheiten ablernte*). Welche Er-
folge vollends hatte er im Auslande aufzuweisen.^) und dies
nicht allein, wo er persönlich erschien, wie in Magnesia und
Makedonien, sondern man erzählt, dass viele der in Siciiien ge-
fangenen Athener durch Vortragen dessen , was sie von Euri-
pides' Dramen im Gedächtnisse behalten hatten , ihr trauriges
Loos Underten*).
Mag Euripides bei Lebzeiten mit einer erbitterten Oppo-
sition zu kämpfen gehabt haben, ihm gehörte doch die Zukunft,
weil die von ihm vertretene Weltanschauung alle gebildeten
Hellenen durchdrangt). Wenn auch Athen des Dichters Leib
nicht besass, machte es jetzt an seinen Werken, was es an ihm
selbst versäumt hatte, wieder gut. Euripides beherrscht bei
weitem das Repertoire der athenischen Bühne; denn er bot
den grossen Schauspielern des vierten Jahrhunderts die lockend-
sten Aufgaben. Es ist kein Zufall, dass das Bruchstück des
Theaterregisters aus den Jahren 341 — 330 nur euripideische
Stücke aufführt ®) und die Komiker fast nur diese travestierten '').
Der Enthusiasmus ging soweit, dass zwei Dichter die Figur
des „Euripidesschwärmers" (4>tXsopt7ci8Y)(;) auf die Lustspielbühne
1) Plato rep. 8, 568 a; vgl. Aelian. var. bist. 2, 13. Plato citiert ihn
am häufigsten von den drei Tragikern.
2) Fr. 471 ed. Kock: xF^P'^^ic y°*P oLhxoö toö ox6|iato^ T(j) otpoYYo^*}», vgl.
Valckenaer zu Eurip. Phoen. 1517.
3) Vifa 84flf.
4) Plutarch. Nie. 29 (<paat).
5) R. de Block influence morale et litteraire d'Eur. chez les anciens,
Revue de Tinstr. publ. en Belgiqne XXI 2, 73flf.; Ant. Widemann das
euripideische Drama u. dessen Einfluss auf die dramatische Literatur der
späteren Zeit I.— IV., Pr. v. Regensbnrg 1874, 75, 77, 78.
6) CIA. II 973.
7) Dass der wahre Titel des „Polyidos" „Glaukos" (wie Stobäus bat)
ist, zeigen die Parodien des Autiphanes, Anaxilas und Eubulos. Der „Oino-
maos" hatte den Nebentitel „Pelops" (wie Antiphanes und Eubulos auf
gleichem Wege uns andeuten), der sophokleische hingegen „Hippodameia".
S ittl , Geschichte der griechischen Literatur m. 23
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354 IX. KapiteL
brachten. Ein solcher möchte sich in einer Komödie des Phi-
lemon aufhängen, um mit dem Euripides eher zusammentref-
fen % und Diphiios nennt ihn den „goldigen Euripides*' *), was
durchaus kein bösegemeinter Spott sein sollte, denn die mora-
lisierende neuere Komödie zehrte von den Sentenzen des Eu-
ripides *), dessen Pessimismus der Glaube der gebildeten Stände
war, und wurde durch die Spötter nicht abgeschreckt, selbst die
Prologmanier und den deus ex machina nachzumachen*). Es
ist auch nicht unrichtig , wenn man in Intriguenstücken wie
„lon^* den Keim der meuandrischen Lustspiele sieht. Um so
mehr hingen die jüngeren Tragiker, schon als der Meister unter
den Lebenden weilte, ihm bewundernd an*), was der Tyrann
Dionysios öflfentlich dadurch ausdrückte, dass er aus seiner
Hinterlassenschaft Lyra , Schreibtafel und Griffel des Dichters
für ein Talent kaufte , um sie im Tempel der Musen aufzu-
hängen^. In gleichem Masse empfing die Kunst aus seinen
Dichtungen die wichtigsten Anregungen ^), und der Kunsthand-
werker knüpfte nicht minder als ein Meister wie Timomacbos
an ihn an. Der grosse Theoretiker der griechischen Tragödie
endlich beurteilte Euripides zwar strenge, gestand aber im Hin-
blick auf die ausserordentliche Bühnenwirkung zu, dass er der
tragischste aller Dichter sei (S. 323) und citierte gleich Plato
geistreiche Stellen mit Vorliebe. Je spärlicher solche Dichter-
1) Pbilemon fr. iuc. 40 a am Ende der Biographie.
2) ^0 xatdxP^o^C EöptittÖTjc Diphiios bei Athen. 10, 422 b.
3) Qnintil. 10, 1, 69; Meineke fragmenta comie. Graec. vol. IV epi-
metrum n (Menander imitntor Euripidis).
4) Meineke Menandri et Pbilem. fragm. p. 284; Enanthius de comoedia
p. 6, 5 ff.
5) Aristoph. Ran. 99. 964. Später ahmte beispielsweise Ptolemaios
Philopator das Echo der „Andromeda^^ im „Adonis^' nach.
6) Hermippos in Vita Z. 79 0".
7) G. Kinkel £. n. die bildende Kunst, (Berlin) Lpg. 1872; J. Vogel
Scenen enripideischer Tragödien in griech. Vasengemälden, Lpg. 1885; sn
Alkestis: K. Dissel der Mythos von Admetos n. A., s. Entst. u. s. Darst.
in d. bild. Kunst, Pr. v. Brandenb. 1882; zu Hippolytos: A. Kalk mann
Archäol. Ztg. 1883 S. 38 ff. 105 ff.; V. Puntoni le rappreeentanse figarate
relative al mito di Ippolito, Torino 1882; zur taurischen Iphi^enie : C. Robert
Archäol. Ztg. 1876 S. 133 ff.; R. Engel mann de Jone diss. archaeol., Halle
1868; dazu gehören die S. 351 f. dtierten archäologischen Schriften.
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Euripides. 355
citate bei den athenischen Rednern sind, desto mehr verdienen
die euripideischen Stellen bei Aischines und Lykurgos Be-
achtung.
Mit der Verbreitung der athenischen Bildung über die ganze
griechische Welt wuchs der äussere Kreis seiner Bewunderer ;
als zugleich das Bildungswesen eine Regelung erfuhr, wurde
Euripides dem üblichen Studienplane in der Weise eingegliedert,
dass der Grammatiker ihn schon mit den Knaben las *) und
später der junge Rhetor diesen Dichter teils wegen der an-
regenden Fülle epigrammatischer Gedanken teils wegen seiner
der Prosa nahestehenden und doch feinen Ausdrucksweise am
liebsten studierte *). Den Römern wurde Euripides durch Ver-
mittlung des Ennius, dessen gefeiertste Tragödien von jenem ab-
hingen ^) , vertraut und heb *). In der Kaiserzeit führte man,
solange überhaupt eine tragische Bühne bestand, seine Stücke
am häufigsten auf*) und räumte ihm den ersten Platz unter
den Tragikern ein*), suchte ihn auch wohl, so gut es ging,
nachzuahmen ^) ; selbst der gefährliche Rival der Tragödie, der
Pantomimus scheint von den tragischen Stoflfen die euripide-
ischen bevorzugt zu haben ®). Dass ferner Euripides Schulschrift-
steller blieb, zeigen die Prosawerke d^r atticistischen Renaissance
durch zahllose Anspielungen und Anklänge *).
Euripides repräsentierte beim Durchdringen des Christen-
tums die heidnische Tragödie in solchem Masse, dass der Pres-
1) DioDysios Thrax bei Sext. Emp. math. 1, 58.
2) Die 52. Rede des Dion ist hiefiir bezeichnend; Urteil des Philosophen
Krates Diog. Laert. 4, 26.
3) Vgl. Anon. de tragoedia Rhein. Mus. 28, 419 Z. 9.
4) Val. Max. 3, 7 ext. 1 am Ende; Benützung bei Horaz: G. Göbel
Ztsch. f. Gymnasialw. 1851 S. 298 ft.
5) Vgl. Philostrat. vit. Apoll. 5, 7. Plntarch. de ser. num. vini. 11. de
esn earn. 2, 5. consol. ad Apollon. 15. Polyaen. *praef. 12. Philostr. imag.
2, 23 p. 428, 12.
6) S. 304; vgl. Plutarch. symp. 7, 5, 4. Lucian. pisc. 3. Dio Chrys. 17
p. 248. 18 p. 254.
7) Vgl. Addaios Anthol. 7, 51; daher parodiert ihn Lucian, der über-
dies Jup. trag. 1 sagt: EöptittSfjv 8Xov xataicciccuxaficv.
8) CILat. V 5889 (Ion und Troades waren die Glanzrollen des Theo-
kritos).
9) 8. 227, 2; für Heliodor s. Roh de der griechische Roman 8. 460 A, 2.
23*
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356 IX. Kapitel.
byter Apollinaris gerade ihn durch christliche Imitationen zu
ersetzen gedachte *) , weshalb dann auch das ganze christliche
Schauspiel des Orients, die verlorene „Susanua" des Johannes
von Damaskus *) und der vielberufene „Xptotöc icdox<«>v** , ein
langweiliges Buchdrama eines gelehrten Geistlichen, der es
auf Wunsch eines Schülers centoartig zusammenstoppelte %
nach euripideischem Muster gearbeitet sind. Bei den Byzan-
tinern gehörte ja Euripides zu den Schriftstellern, zu deren
Lesung, wie man schon an den euripideischen Floskeln aller
gewandteren Prosaiker empfindet, jeder Gebildete verpflichtet
war.*) Aus diesem Grunde sind auch verhältnismässig soviele
Stücke und von diesen so viele Handschriften erhalteu.
FolgUch kann höchstens Homer mit Euripides hinsichtlich
des Einflusses auf das gesamte Altertum und das griechische
Mittelalter verglichen werden. Mag immerhin Sophokles tlieo-
retisch mehr bewundert worden sein, er genoss doch nie die
Popularität des Euripides. Denn der scharfe pessimistische
Geist, welcher Euripides' Dichtuugen durchzieht, entsprach dem
Denken und Fühlen der hellenischen Welt, seitdem die alten
Formen von Staat und Religion innerlich zerfallen waren. Der
Christ sodann erfreute sich an der Polemik gegen die heidnischen
Götter und empfand in dem unruhigen Bemühen und Grübeln
1) SozomeD. bist. eccl. 5^ 8.
2) '0 Aa(iaaK*r)v6c kann für den Metropoliten Eastathios (Migne patrol.
Bd. 136 col. 508) natürlich kein anderer als der bernhmte Kirchenvater and
nicht Nikolaos von Damaskos sein.
3) G. Brambs de auctoritate tragoediae Cbristianae qnae inscribi solet,
XptoTÖc n&o-^otyf Gregorio Nazianzeno falso attribntae, Diss. v. München, Pr.
VvrEichstädt 1884 und Christas patiens (Insgabe), Lpg. 1884; vgl. Is. Hil-
berg Wiener Studien 8, 282 ff. Sittl Philol. Rund.«ichaa 1886 S. 148 f. Der
Verfasser benützte nur sieben Stücke (Bakchen, Hekabe, Medea, Hippolytos,
Orestes, Rhesos, Troerinen)^ Im ersten Akte treten nicht weniger als fünf
Boten (98. 124. 147. 361. 637) anf. Das Stück zerfällt in fünf Akte mit
jedesmaligem Scenenwechsel ; Y. 2270 — 2377 wird ein Dialog erzählt!
4) Vgl. Michael Psellos in Sathas fieoaicuv. ßißX. V. 538; Balsamon ad
62. canon. synodi Trull.; an der Spitze der Tragiker Paul de Lagarde, aufJi-
fiixia p. 174 (wogegen Tzetzes ad Hes. Erg. 414 Aeschylns höher za stellen
affektiert). Ueber Imitationen: Job. Malchin de Choricii Gkizaei yetenim
Graec. Script, studiis, Kiel 1884 p. 46 ff.; Vitelli Mnseo Italiano di antich.
classica I p. 32, 1.
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Euripides. 357
des Dichters einen ihm sympathischen Zug nach dem unbe-
kannten Gotte.
Doch wir haben diese Zeiten noch einmal zu durchwan-
dern, jetzt führt aber der Weg durch die Studiersäle der Ge-
lehrten. Für diesen Dichter bekundeten schon vor den Philologen
die Philosophen ein reges Interesse: Aristoteles soll euripi-
deische Fragen" behandelt haben *) und Dikaiarchos sprach,
wenigstens im „Leben von Hellas*' und den S. 130 f. er-
wähnten Schriften von dem Tragiker. *) Eine philologische
Grundlage stellte Aristophanes von Byzauz durch eine mit
kritischen Zeichen versehene Ausgabe her*), an welche sein
Schüler Kallistratos anknüpfte*). In den Scholien begegnen
uns ferner, vom Rhesos abgesehen, die Namen Aischines, ApoUo-
doros von Kyrene und von Tarsos, Lysanias, Parmeniskos und
Timachidas *). DenSchluss der alexandrinischen Periode macht,
wie gewöhnlich, Didymos ^). Der Kaiserzeit gehörten Eirenaios,
Helladios und Soteridas an ''). Unsere Scholien nehmen auf
viele Kommentare und auf kritische Zeichen Bezug % aber wir
wären in Verlegenheit, wenn wir ihre direkten Quellen bestim-
men müssten % hätte nicht .die Handschrift B hinter den Scho-
lien zur Medea die lehrreiche Unterschrift: IIpöc Std^pa avtt-
Ypa^a. Aiovüoto!) oXooxepäc xal ttvd zm At86|jioo und hinter
denen zum Orestes; lipo«: 8ta<popa avttVpaya. UoLpafi'^goLKx ai
1) ^ AKopri\i.oLXfA EüptKtBoü Vita Menagiana.
2) Argum. Rhes. und Med.; der Schreiber von codex Florent. 32, 2
stellt seineu Namen willkürlich dem ersten Argument von Medea nnd Alkestis
voraus.
3) Schol. Hippol. 172 (Zeichen). 612. Or. 483. 714. 1037. 1287; vgl.
M. Schmidt Didymi Chalc. fragm. p. 274 f.
4) Schol. Or. 1037.
5) Schol. Or. 12 p. 37, 8. 1371; Or. 1385: Med. 148. 169; Andr. 10
(Möller fragra. histor. Gr. IV 661 vermutet Aooifiaxo':) ; Didymos bei Schol.
Med. 273; Schol. Med. 1. 167.
6) Mor. Schmidt Didymi Chalc. fragmenta p. 274 ff.
7) Schol. B Med. 218 (oStcoc ElpYjvatoc). 613 (oötox; 'EXXtfcSto?). Snidas
u. Sü)Tif|ptSac.
8) S. Dindorfs Register unter dem Wort 6TC0|iv^|xata ; über die Zeichen
M. Schmidt a. O. p. 277 f.
9) Vgl. Carl Brunne mann de anctoribns scholiorum Vaticanorum ad
Enrip. Troades, Berlin 1846; Th. Barthold de scholiorum in Eurip. veterum
fontibus, Bonn 1864 p. 33flf.; M. Schmidt a. O. p. 274 ff.
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358 EK. Kapitel.
i% toö AtovooCoo o:co|i,vi(5{jwttoc Ükoayjipßx: xal k% täv (itxt^dv ^). Den
Kern bildet also der Kommentar eines der vielen Dionyse und
ein Mischkommentar, derExcerpte aus Didymos enthielt *). Die
Scholien, welche die erwähnte Handschrift zu den sieben Schul-
dramen enthält, sind die ausführlichsten und stehen denen des
Marcianus M und des Vaticanus, welche, zuerst von Hier. Amati
in der Glasgower Euripidesausgabe von 1821 veröffentlicht, in
einem praktischen Sonderabdruck von Cobet (Leiden 1846 hin-
ter den Phönisseu von Geel, separat von Witzschel, Lpg. 1849)
vorliegen, nahe. Die zweite Klasse besteht aus kurzen Schul-
anmerkungen. Die dritte Klasse bilden die wertlosen Kompi-
lationen des Thomas Magistros, der auch eine Paraphrase ver-
fasste'), Maximos Planudes*), Emanuel Moschopulos und
Demetrios Triklinios; der letztgenannte analysierte aucli die
Versmasse der Phönissen '^). Die vollständigste Sammlung von
Scholien veranstaltete W. Dindorf in vier Bänden unter dem
Titel Scholia Graeca in Euripides tragoedias (Oxford 1863 ff. ^.
Eine neue Ausgabe^) ist um so mehr notwendig als die
Scholien den kritischen Apparat nicht ohne Nutzen erweitern
könnten ^.
Die Handschriften waren ursprünglich, solange die Papyrus-
rolle herrschte, so eingerichtet, dass eine kleine Rolle ein bis
drei Stücke, eine grössere deren fünf enthielt, wobei die alpha-
1) Etwas ähnliches stand ofifenbar in dem verlorenen €k)dex Vat. Palat.
Oraec. 336 p. 195 Stevenson.
2) Der Scholiast B citiert diese Kompilation za Or. 1385 mit 6 6ico)jivyi-
(jiaTtodfitvoc.
3) Bei Arsenios gedruckt, vgl. Schol. Or. 988; aach der verlorene Codex
Yatic. Palat. Or. 336 (Stevenson p. 195) enthielt Phönissen, Medea und Hippo-
lytoe mit Paraphrase.
4) Schol. Hecub. 147. 169.
5) Gedruckt bei Dindorf HI p. 12—29.
6) Bd. I. enthält die Scholien zn Rhes. Ti-oad. Hippol. Hec., n. Or.,
ni. Phoen., IV. Med. Alcest. Andrem, and Nachträge (p. 221 ff. zn Bd. I.,
254 ff. zn U., 260ff. zn m.).
7) ü. V. V^ilamowitz Kydathen S. 92.
8) Th. Barthold Liber miscellanens editns a societ. philol. Bonnensi
1864 p. 19ff. ; G. Franssen qnaest. de scholiomm Earipideornm in poetae
verbis restituendis auctoritate et nsu spec., Diss. v. Göttingen 1872.
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Euripidee. v 359
betische Reihenfolge der Titel zu Gründe lag *). Später jedoch
wirkten der Pergamentband und die geringe Leselust zusammen,
damit die beliebtesten Dramen von den Buchhändlern ausge-
wählt wurden. Da man im besonderen für die gewöhnliche
Schullektüre die drei pathetischen Tragödien Hekabe, Orestes
und Phönissen bestimmte, existieren von diesen zahlreiche von
den Lehrern korrigierte und interpolierte Handschriften. Ein
zweiter weiterer Kreis umfesste neun Stücke (nämUch ausser
jenen dreien Alkeetis, Andromache, Hippolytos, Medea, Rhesos
und Troerinen) *), vollständig nur im codex Vaticanus B (909)
aus dem zwölften oder dreizehnten Jahrhundert erhalten; der
Schreiber der Kopenhagener Handschrift ^) ergänzte sein
schlechtes Schulexemplar aus einer besseren Handschrift durch
jene sechs Stücke. Wertvoller ist der Marcianus 471 (A) aus
dem zwölften Jahrhundert, nur dass er zu den drei Stücken
bloss Andromache und Teile des Hippolytos enthält. Unsere
neunzehn Dramen stehen heute in keinem einzigen Codex bei-
sammen, da in dem reichhaltigsten Florentinus C (32, 2) des
vierzehnten Jahrhunderts die Troerinen und der Schluss der
Bakchen fehlen ; allein der wichtige Palatinus B (287) und
eine Handschrift der florentinischen Badia (Laurent. 2664)
ergänzen sich genau und haben ursprünglich einen Band
gebildet*). Ueber den kritischen Wert der einzelnen Hand-
schriften ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, besonders
da verschiedenes erst in den letzten Jahren genauer bekannt
geworden ist *). Ein ägyptisches Fragment des Hippolytos ist.
1) Dies können wir ans dem Katalc^ einer Gymnasialbibliothek des
Peiraiens CIA. n 992 erschliessen.
2) Ursprünglich gehörten auch die Bakchen dazn^ s. Wilamowitz
anall. Enrip. p. 51 n. Robert Hermes 13, 136 f.
3) Vgl. Prinz Rhein. Mus. 30, 129 ff.
4) Vgl. Prinz Jahrbb. f. Phil. 105, 525 f. 107, 315 ff. 113, 737 ff. ;
Schenkl Ztoch. f. österr. 6ymn. 25, 82f. n. Hermes 11, 255 f.; Wilamo-
witz analectu Euripidea p.3ff. 53 f.; Robert Hermes 13, 133 ff.; Vitelli
Rivista di filol. 8, 514; über C und B: Bruhn Jahrbb. Suppl. 15, 251 ff. ;
Ck>llation von C für Hippolytos: Puntoni in Piccolomini's Stndi di filologia
greca I p. 328ff.
5) Ueber einen Palimpsfist im Sawaskloster am toten Meer (saec. XI. in.)
Tischendorf anecdota sacra et profana p. *223 f . (Proben aus Orestes,
Phönissen nnd Andromache) ; Codex von Saloniki : Pet. N. Pappageorgios
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360 / IX. Kapitel.
* /
obgleich d/dr älteste Rest, weil die NiederschreibuDg nicht unter
das sechste Jahrhundert herabgeht, dennoch ohne sonderliche
Bedeutung ^). Ein merkwürdiges Denkmal der Euripidesstudien
bietet eine Handschrift des zwölften Jahrhunderts in einer
umfangreichen Sentenzensammlung ^). Von der Hochschätung
des Cento Xpwtöc icAox<«>v ') ist man zurückgekommen.
Durch den Druck machte zuerst Janus Lascaris Euripi-
deisches bekannt, indem er in Florenz um das Jahr 1496 die
vier Stücke Medea, Hippolytos, Alkestis und Andromache
veröffenthchte. Die wahre editio princeps, die Grundlage der
späteren Vulgata, erschien bei Aldus Manutius 1503 (vielleicht
von dem Kreter Markos Musuros besorgt), aber hier fehlte
noch die „Elektra**, welche erst Petrus Victorius Rom 1545
bekannt machte*), sowie die Schollen; diese gab der Grieche
Arsenios zu Venedig 1534 heraus. Ein etwas besserer Text
erschien bei Herwagen (ed. H. 1544) und von Wilhelm Canter
(Antwerpen 1571. 16). Josua Barnes, welcher 1694 in Cam-
bridge unseren Dichter bearbeitete, that sich mehr durch über-
schwängliche Begeisterung als durch Scharfsinn hervor und
wurde von seinem englische Handschriften benutzenden Lands-
mann King (1726. 1748) leicht überholt. Die echte Euripides-
philologie brach mit Valckenaers Prüfung der Fragmente und
seinen epochemachenden Ausgaben der Phönissen (zuerst 1755)
und des Hippolytos (1768) an^ welchem Samuel Musgrave
(Oxford 1778, 4 Bde. mit tüchtiger Fragmentensammlung;
vermehrt von Nath. Morus u. Gh. Dan. Beck, Lpg. 1778 — 88,
3 Bde.) und besonders Richard Porson (L Hecuba H. Orestes
ni. Phoenissae IV. Medea, zuerst 1797, bearbeitet von G. H.
'A^Tivatov X 286 ff.; Marcianus 226: Prinz Jahrbb. f. Phil. 99, 760 ff.;
R. RödiDg fabalas Euripideas quae insunt in codice Parisino 2712 iterum
cousulit, Diss. v. Upsala 1876. üeber englische Handschriften P. Paley
Ausg. ni p. XXIV ff.; Facsimile einer Münchner Handschrift: Baumeisters
Denkmäler S. 1135; zur taurischen Iphigenie : Ziegler Berl. philol. Wochen-
eehrift 1883 Sp. 1276.
1) Kirchhoff Monatsberichte der Berliner Akademie 1881 S. 982 ff.
2) O. Hense Acta societat. philol. Lips. 6, 333 ff. (ans acht Stücken;
von jenen neun sind nämlich „die Troerinen" übergangen).
3) Vgl. A. Döring Phüol. 23, 577 ff. 25, 221 ff.
4) Ueber seine Handschrift handelt Prinz Jahrbb. f. Phil. 113, 742 ff
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Earipides. 361
Schäfer, Lpg. [Berlin] ^ 1824) würdig ^ die Seite traten. Gott-
fried Hermann (I. IL III. 1. Lpg. 1831—41) Hess gleichfalls
seinen Scharfsinn dem Dichter zu Gute kommen.
Auf Grund von Handschriftenvergleichungen arbeiteten ^
zuerat Elmsley (Medea, Oxford 1818), W. Dindorf (in den poetae
scenici und separat) und Fix (Didotausgabe 1843) methodisch.
Die Klassifikation der Handschriften rührt von Adolf Kirch -
hoff (Berlin 1855, 2 Bde., kleinere Ausgabe 1867—68, 3 Bde.)
her; doch dürften die minderen Handschriften etwas mehr zu
beachten sein *). Ud. v. Wilamowitz bearbeitete in den ana-
lecta Euripidea p. 73 ff. probeweise die Supplices mit kritischem
Apparat. Eine neue kritische Ausgabe ist von R. Prinz (I.
1. Medea, Lpg. 1878, 2. Alcestis 1879, 3. Hecuba 1883) unter-
nommen. Eine Textesrecension veranstaltete August Nauck
(Lpg. 1854, 3. Ausg. 1869—71, 3 Bde. mit Fragmenten); die
von Th. Barthold begonnene, von welcher der Hippolytus (Lpg.
1885) erschienen sind, und die der „Medea*' und „Iphigenie.
in Taurien" von Chr. Ziegler (2. A. Freiburg 1884) ^ zeichnen
sich durch neue Kollationen aus. In den letzten Jahren wird
die Aufspürung von Interpolationen immer eifriger betrieben.^)
Wenn wir einen Kommentar zu allen Werken des Euri-
pides suchen, finden wir nur Kompilationen: Aug. Matthiä,
Lpg. 1813 — 36, 10 Bde., eine anonyme Ausgabe von Glasgow
1821, 9 Bde. und W. Dindorfs Oxforder Ausgabe (Bd. III.
1840). J. A. Härtung versah sämtliche Stücke mit metrischer
üebersützung und Anmerkungen (Lpg. 1848 ff. , 19 Bdchen).
Die Ausgabe, welche Jul. Edm. Pflugk begann und Reinhold
1) K. Schenkl Philol. 20, 306 ; Nauck atudia Earipidea II 127
(M^moires de Tacad. de St. Pet. VII 1 n. 12. V n. 6).
2) Ders. Andromeda a. Corrigenda zam apparatus critieus der Ipb.
Tanr. n. der Medea des Ear., Stuttgart 1883.
3) Die ausgedehnte Literatur ist bei W. Zipperer de Eur. Phoeuis-
sarom versibus suspectis et interpolatis, Diss. v. Würzburg 1875 p. 1 flf. u. ^'
Karl Schulze de versibus supp. et interp. Iphig. Taur. fab. Enripideae,
I. Diss. V. Halle 1881 p. IV. V verzeichnet; seitdem kamen dazu: J. Klin-
kenberg de Euripideorum prolog. arte et interpolatione, Bonn 1881 (dagegen
J. V. Arnim de prologorum Euripideor. arte et interpol., Diss. v. Greifswald,
Jena 1882); Herrn. Gogue t de nonn. flelenae fab. Enripideae interpolationibus
Breslau 1882.
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362 IX. Kapitel.
Klotz fortsetzte (Gotha ii. Lpg. 1829 ff.), umfasst nur elf
Stücke; von der Nik. Wecklein anvertrauten Neubearbeitung
erschienen bisher: Hecuba 1877, Hercules furens 1877 und
Phoenissae 1881. An Einzelausgaben verdienen Erwähnung:
Andromache mit Schollen von J. Lenting, Zutphen 1829;
Bakchen G. F. Schöne, Berlin ^858 u. J. E. Sandys, Cam-
bridge 1885 (mit lUustr.); Elektra Peter Camper, Leiden
1831, Theob. Fix, Paris 1845; Hecuba H. Weil, Paris 1871;
Herakliden E. A. Beck, Cambridge 1881; Hippolytos
Theob. Fix, Paris 1848, H. Weil, Paris 1869, F. A. S. Free-
land, London 1876; Ion Ch. Badham, London «1867 u. H.
van Herwerden, Utrecht 1875 ; Iphigenie in Aulis C.
G. Firnhaber, Lpg. 1841, Theob. Fix et Ph. Le Bas, Paris
1868, H. Weil, Paris 1870, Girol. Vitelli, Florenz 1878; Iphi-
genie in Taurien G. F. Schöne u. Köchly, Berlin »1872,
Nik. Wecklein, Lpg. 1876, H. Weil, Paris 1878; Medea N.
Wecklein, Lpg. * 1880, A. W. Verrall, London 1881, S. Mekler,
Gotha 1886; Phönissen Jak. Geel, Leiden 1846, Gottfr.
Kinkel, Berlin (Lpg.) 1871, Mahaflfy, London 1881; ßhesos
Fr. Vater, Berlin 1837. Ein Wörterbuch fehlt noch *).
Wir können Euripides nicht verlassen, ohne hervorzuheben,
welchen tiefen Eindruck seine Dichtungen bei den hervor-
ragendsten Geistern der neueren Zeit hinterlassen haben. Be-
ginnen wir mit der Renaissance, so finden wir Hekabe und
die aulische Iphigenie von einem Erasmus (zuerst Paris 1506,
auch im ersten Bande der Opera) übersetzt, in welcher Gestalt
diese Stücke zur Lieblingslektüre des sechzehnten Jahrhunderts
gehörten; ein Philipp Melanchthon übersetzte die Troerinen
(Strassburg 1578) und hielt Vorlesungen über den Dichter
(benützt in dem von W. Xylander eingeleiteten lateinischen
Euripides von Basel 1558, vollständiger Frankfurt 1562 gedruckt);
ein Hugo Grotius erprobte seine berühmte Uebersetzungskunst
1) Von Aug., CoDSt. Q. Bernh. Matthiä lexioon Euripideom erschien
nnr der erste A— F umfassende Teil (Lpg. 1841); Tb. Barthold spec.
lexici Enr. quo explicatnr usus particnlae cu^, Pr. v. Posen 1869; Walter
Berger spec. lex. Eur. quo adverbia percensentor qaibus praepositionnm
more casus adjunguntur, Pr. y. Brandenburg 1870; Paul Stoppel spec. lex.
Eur. in der Festschrift für Nöltiog, Wismar 1886 (umfasst Z). Sonst ist man
noch auf den Index von Beck (1788) angewiesen.
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Euripides. 363
an den Phönissen (Paris 1630 u. ö.) und zahlreichen Glanz-
stellen, die er für die Excerpta tragieorum et comicorum (Paris
1626) aushob. Gehen wir dann auf die gelehrten Dichter des
siebzehnten Jahrhunderts über, glänzt unter den Engländern
Milton hervor; er hinterliess Bemerkungen, welche Barnes
nützte. Auf die Klassiker der französischen Tragödie hinzu-
weisen ist kaum nötig, da jeder von Racines Euripidesstudien,
aus denen Andromaque, Iphigönie en Aulide und PhÄdre her-
vorgingen , weiss ^) und auch Corneille im Examen de M6d6e
sein Interesse ausdrücklich kundgab. So grundverschieden die
Koryphäen unserer klassischen Bühne von jenen Franzosen
sind, in der Verehrung des Dichters stimmen sie mit ihnen
überein. Von Goethes Iphigenie und Phaethon ward schon ge-
sprochen, der zweite Teil des Faust weist unverkennbar auf
„Helena" hin; ausserdem hielt er seine allgemeine Anerkennung
des Griechen nicht zurück *). Schiller hat uns leider nur
einige meisterhafte üebersetzungsproben mit feinen Bemerk-
ungen gegönnt. Um die Dichter zweiten und dritten Ranges,
welche seit dreihundert Jahren euripideische Stoffe dem Ge-
schmacke ihrer Zeit anzupassen suchen, aufzuzählen, wäre ein
besonderes Buch erforderhch. Patin hat in seinen essais eine
grosse Menge zusammengebracht nnd teilweise analysiert').
1) Kr ick Racines Verhältnis zu Eor., Pr. v. Aachen 1884. Seine Noten
sind in die Uehersetzung von £. Pessonneanx (Paris *1880, 2 Bde.) auf-
genommen.
2) Briefwechsel mit Zelter VI S. 343; Gespräche mit Eckermann II
269; Tiecks UrteU steht Histor. Taschenbuch 1841 8. 274 ff.
3) 8. 341 A. 4 und 347 A. 6; Og. Ellinger Alkeste, in der modernen
Litteratur, Halle 1885.
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X. Kapitel.
Die Zeitgenossen und Nachfolger der
grossen Tragiker.
Ion, Achaios und Agatlion, Aristarchos, die Familien der drei Klassiker und
des Karkinos, Neophron, Kritias und Andere; die Tragiker des vierten Jahr-
hunderts: die beiden Astydamas, Karkinos, Antiphon und die Dilettanten.
Der Niedergang der Tragödie. Hochstellung der Klassiker; Verbreitung des
athenischen Dramas ausserhalb Attikas.
Wilh. Karl Kayser historia critica tragicoruni Graecorum, Göttingen
1845, 3 Thle. Fragmente s. S. 139.
Unter den Tragikern des fünften Jahrhunderts nahmen den
zweiten Platz in der Wertschätzung der Späteren wiederum zwei
ein, nämlich Ion, Achaios und Agathon ^).
Ion von Chios *) bethätigte die ungemeine Rührigkeit des
jonischen Geistes auf dem literarischen Gebiet, so dass es vor
der dilettierenden alexandrinischen Zeit ausser Hippias kein
zweites gleich mannigfaltiges Talent gab. Er musste bereits in
1) Diese drei bearbeitete Didymos; das Tragikerverzeichnis bei Tzetz.
proleg. ad Lycophr. p. 256 u. in Lagardes Symmikta I p. 175, 54 nennt nur
die ersten zwei. Auch Hesychios und PoUux führen bloss sie von den Zeit-
genossen der grossen Meister an; bei Atheuaios treten sie gleichfalls stark
hervor.
2) Bentley epistola ad MUlium 1691 p. 26flf.; E. Siegfr. Köpke diss.
de lonis Chii poetae vita et fragmentis, Berlin 1836; Karl Nieberding de
lonis Chii vita moribus et studiis doctrlnae scripsit fragmentaque coli., Lpg.
1836; Ztsch. f. Altertnmsw. 1836 Sp. 589 ff.; Welcker griech. Tragödien
S. 938 ff.; Friedr. Scholl Rhein. Mus. 32, 145 ff. — Sohn des Ortbomenes
(ein Komiker sagte scherzhaft Xuthos) Harpocr. s. v. Snidas ; Chioe : Aristoph.
Pac. 835 u. A
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Die übrigen Tragiker. 365
der Geschichte der Prosa genannt werden (Bd. II S. 367) ; da-
neben war ihm aber keine Dichtungsart, das nicht mehr recht
moderne Epos allein ausgenommen, fremd: Tragödien und Komö-
dien, Dithyramben und Päane, Hymnen undSkolien, Elegien
und Epigramme, alles verstand er ^). Näheres darüber wie über
den Dichter im allgemeinen wissen wir nur, insoweit Ion zu
Athen in Beziehungen trat. Einer der reichsten Grundbesitzer
seiner Lisel, schloss er sich entschieden an den Vorort des
Seebundes an und zwar besonders an Kimons Partei, während
er Perikles abgeneigt war. Schon in jungen Jahren hatte er
Athen aufgesucht und scheint dort oft längeren Aufenthalt ge-
nommen oder auch von da aus Kimons Züge mitgemacht zu
haben *). In den Wettkampf der Tragiker trat er seit der
82. Olympiade (451 — 48) ein, wobei ihm einmal das seltene
Glück zu Teil ward , nicht bloss hier den ersten Preis zu be-
kommen, sondern zugleich mit einem Dithyrambos zu siegen.
Aus Freude hierüber schenkte Ion , reich wie er war , jedem
Athener ein Fässchen Chierwein *) ; schätzte er doch selbst die
Herrlichkeit der Dionysosgabe im Verein mit Frauenschönheit
mehr als billig*). Im Jahre 428(01. 87,4) unterlag der Dichter
dem „Hippolyt" des Euripides ; bald darauf muss er gestorben
sein, da Aristophanes 421 (OL 89,3) im „Frieden" seiner wie
eines gestorbenen Erwähnung thut. So erlebte Ion den 412
erfolgten Abfall von Chios nicht mehr, wo sein Sohn Tydeus
die Bundestreue mit dem Tode büssen musste^).
Ion verdankte seine schriftstellerische Berühmtheit am meisten
den Tragödien. Die Angaben über deren Zahl scheinen dieAuf-
1) Schol. Aristoph. h. O. Suidiis erwähnt unr Tragödien, nennt ihn abet
Xüpixoc; Harpokration spricht von Tragödien und vielen Liedern. Kirch-
hoff Hermes 5, 57 schreibt Ion das dreiteilige Epigramm bei Plntarch Cim.
7 zu, was Holzapfel Unters uchnngen über die Darstell, der griech. Ge-
schichte S. 129 bestreitet.
2) Ion bei Plntarch. Cim. 9, vgl. 16; er kannte Aeschylos noch per-
sönlich (vgl Plntarch. prob, in virt. 8).
3) Schol. Aristoph. a. O. «paoi (Interpolation bei Suidas), verkürzt Epit.
Athen. 1, 3 f ; anf der Burg wurde die Basis eines spätestens Ol. 83 gesetzten
Weibgeschenkes gefunden (Kirchhoff Hermes 5, 59 f.). Von Ion rührt viel-
leicht ein zweites Epigramm (a. O. S. 48 f.) her.
4) Baton bei Athen. 10, 436 f. Aelian. var. bist. 2, 41.
5) Thucyd. 8, 38.
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366 X. Kapitel.
führung von zehn Tetralogien und das Vorhandensein von zwölf
Stücken anzudeuten ^) ; wir kennen noch die Titel von zehn
Trauerspielen und einem Satyrstück *), wonach man vermuten
darf, dass Ion am liebsten die von seinem Landsmanne Homer
erfundenen Mythen wählte®), Das „grosse Drama" (Fr. 15 — 17)
dürfte zu den wenigen frei erfundenen Dichtungen der griechi-
schen Tragödie zählen (S. 163, 4). Eine nicht durch seelische
Erregung gerechtfertigte Arie (Fr. 14) und das Auftreten einer
Amme (Fr. 54) erinnern an Euripides. Ueber Ions Stil urteilt
ein geistreicher Kritiker des Altertums, er sei korrekt und zier-
lich, ohne an die echte Genialität des Sophokles von weitem
heranzureichen *).
Jene Eigenschaft jedoch lockte vielleicht gerade die Spä-
teren zur Beschäftigung mit Ion an: Baton von Sinope^) und
der Philosoph Arkesilaos^ schrieben über ihn; ebenso arbeite-
ten Aristarch, Didymos, Epigenes (der Kritiker der Orpheus-
literatur) und Andere auf diesem Gebiete ^).
Achaios®) stammte ebenfalls nicht aus Athen, sondern
von der euböischen Stadt Eretria, deren grosses Dionysosfest ^)
offenbar auch durch Tragödien verschönert wurde. Etwas älter
als Euripides, war er angeblich Ol. 74 geboren ^^) und kämpfte
Ol. 83 gegen jenen glücklicheren Genossen. Obgleich Achaios
elfmal auftrat, trug er nur einmal den Sieg davon, wie denn
auch die Aristophanesscholien bloss eine vereinzelte Parodierung
dieses Dichters nachzuweisen wissen. Als die „Frösche" auf-
1) 12 oder 30 oder 40 nach Suidas (anders Welcker a. O. S. 941 f.).
2) Fragmente bei Nanck p. 567 £f.
8) Urlichs Achaei Eretriensis quae supersunt p. 7.
4) nspl ^oo<i 33, 5.
5) Athen. 10, 436 f.
6) Diogen. Laert. 4, 31 "Jcova hk xal lyia.pa%vi\pi(it v4o^ äv.
7) Aristarch: Athen. 14, 634c; Didymos: Athen. 11, 468d, dagegen ist
nach Mor. Schmidt Didymi fragm. p. 303, 4 tv tat«: «pö« "Iwva ivtt5'rjY''l<3eot
der Name in 'Iwßav za ändern, doch verteidigt K. A. Bapp Leipziger Stadien
8, 129 ff. die Ueberliefemng.
8) L. Urlichs Achaei Eretriensis quae supersunt, Bonn 1834, Nach-
trag Philol. 1, 558 f. (über den Aithon). — Nach Suidas hiess der Vater
PythodoroB oder Pythodorides. Ovid. Ibis 539 geht möglicher Weise auf Achaios.
9) Bursian Geographie von Griechenland U S. 420 mit Anm.
10) Suidas (f^ove?); auch Athen. 6, 270 c stellt ihn als älter dar.
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Die übrigen Tragiker. 367
geführt wurden, war Achaios bereits tot. Die alten Bibliotheken
besassen höchstens vierundzwanzig Stücke von ihm^); die Ci-
tate *) bieten Titel von sechs Satyrspielen, welcher Gattung ge-
wiss noch mehrere der ausserdem citierten zwölf Dramen bei-
zurechnen sind^), denn Achaios' Landsmann Menedemos wies
ihm in dieser Specialität den Platz nach dem Meister Aeschylus
an*). Nach Athenaios war der Stil des Dichters zierlich, aber
oft dunkel^). Es scheint, dass Didymos auch Achaios kommen-
tierte ^.
Der jüngste von den Dreien war Agathon''), des vor-
nehmen und reichen Atheners Teisamenos Sohn ®). Noch sehr
jung erwarb er an den Lenäen des Jahres 416 (Ol. 90, 4) mit
einer Tragödie einen Sieg, den Piatons Gastmahl verewigt hat*);
zwei Jahre später, im Frühling 414 (Ol. 91, 2) wagt« er sich
das erste Mal in den Wettkampf der grossen Dionysien ^®). Aga-
1) Suidas bietet die drei Zahleu 44, 30 (lies 33 !) u. 24, vgl. S. 366 A. 1
2) Fragmente bei Nanck p 578 flf.
3) Nach Welcker a. O. S. 960 'A^Xa und Molpai, vgl. Friebel
Batyrogr. p. 57; nach diesem p. 55 auch Kuxvoc; doch wohl auch Mtufio«:.
Der eigentämliche Titel ^ACäveg steht vielleicht mit dem 420 zwischen Athen
und Mantineia geschlosseneu Bündnisse in Verbindung (Urli chs a. O. p. 20).
4) Diogen. Laert. 2, 133.
5) Athen. 10, 451c.
6) Athen. 15, 689 b.
7) Welcker griech. Trag. 8. 981ft.; Ritschi de Agatbonis tragicl
aetate, Halle 1829 (opuscula I p. 411 ff.); Clem. Bon. Martini de A. poeta,
Pr. V. Deutsch-Croue 1839 und de tragoedia Agathonis, Progr. v. Deutsch-
Crone 1846 (mit Fragmenten); Rob. Reichardt de Ag. poetae tragicl vita et
poesi, Pr. v. Ratibor 1853; N. Georgiades Aristotelis de Ag. poeta trag.
Judicium, Dlss. v. Zürich 1865; J. Mayrhofer über den griech. Tragiker
A., Pr. V. Villach 1878.
8) Vater: Schol. Plat. p. HIB. Schol. Lucian. Anecd. Oxon. IV 269,
21 u. bei Jacobe IV p. 222; reich und vornehm: Varro sat. Men. fr. 6 Buech.,
wozu das platonische Symposion und des Aristophanes Thesmophoriazusen
stimmen.
9} Jugend: Plat. symp. 198a vsavtoxoc, 175e vioo ovxoc, Aristoph-
Thesm. 173 f.; Lenäen! S. 149 f.; Datum: Athen. 5, 217a. Vgl. W. S.
Teuf fei Rhein. Mus. 22, 440 f. (erweitert: Studien u. Char. zur griech. u.
röm. Litt. S. 144ff.); Jul. Sommerbrodt Rhein. Mus. 23, 533ff.; Rieh.
Grosser Rhein. Mus. 35, 432ff.
10) Schol. Aristoph. Thesm. 32. Der vermeiutliche Widerspruch mit
Athenaios, welchen man durch die Konjektur icevte zu heben versuchte, exi-
stiert nicht.
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368 X. Kapitel.
tbon fiel in Athen sowohl durch Eleganz auf als dadurch^ dass
er es ähnlich gemacht zu haben scheint, wie Voltaire, welcher
den „Catilina'* in römischem Kostüm dichtete^); aber dem schein-
bar weibischen Elegant fehlte der Mannesmut durchaus nicht;
oder gehörte etwa kein fester Sinn dazu , um während der
Stürme des Jahres 41 1 die Verteidigungsrede Antiphons , des
Führers des Staatsstreiches, öffentlich zu billigen *) ? Dies wird
eine bedrohliche Misstimmung hervorgerufen haben, weshalb es
ihm rätlich schien, Athen zu verlassen. Der Dichter ging, von
seinem unzertrennlichen Freunde Tansanias begleitet^, nach
Makedonien und sah, wie es scheint, Athen nicht wieder. Da-
rum kann man nicht einmal sagen, ob er das Ende des fünften
Jahrhunderts erlebte*).
Von Agathons Tragödien sind wenige Titel bekannt % da-
runter zwei allein aus Aristoteles, welcher „die Blume*' als Bei-
spiel einer völlig erfundenen Handlung und „Ilions Zerstörung**
zum Beweise , dass epische Stoffe für das Trauerspiel nicht
passen, vorführt •). MögUcherweise schuf Agathon den Mythus
von der Verwandlung des Anthos, welchen Antoninus Liberalis
erzählte ^. Ausserdem verfasste Agathon natürlich Satyrstücke ^
und vielleicht Elegien (S. 374). Wenn die sophistische Richt-
ung bei Euripides durch die Philosophie des Anaxagoras und
die Sprachtheorie des Prodikos vertreten ist, trat in den Dramen
1) So schildern ihn Aristophanes in der zweiten Scene der Thesmopho-
riaza^en und im Gerytades (Schol. Plat. «. Schol. Lucian. a. O.) und andere
Komiker (Schol. Aristoph. Thesm. 98).
'2) Aristot. eth. Eudem. 3, 5 p. 1232 b 6 flf.
3) Marsyas der jüngere bei Schol. Plat. u. Luc; über die Freundschaft
Plato Protag. p. 315 d. vgl. symp. 193 be. 177 e. Xenoph. conv. 8, 32.
4) Zar Zeit, wo die Erzählung Piatos gedacht ist , war Agathon schon
viele Jahre von Athen fern (p. 172 c). V. 85 K p.axdpa)v s2>ü>xiav der „Frösche"
besagt nicht mehr als dass der Dichter am Königshofe schwelgte (vgl. Plat.
Phaed. 115 d). Was die Scholiasten (auch Suidas) beibringen , ist reine Ver-
mutung.
5) Nauck p. 592 ff.
6) Poet. 15 p. 1464 b. 14. 18 p. 1456 a 18.'
7) Dann könnte Aristoph. Av. 72 ff. das Stück parodieren; die von
Mnasigeiton bei Plutarch. quaest. Graec. 19 erzählte Creschichte ist, weil da-
bei eine Erkennung vorkommt, vielleicht fßr eine Tragödie noch passender.
8) Aristoph. Thesm. 148 ff.
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Die übrigen Tragiker. 369
Agathons nicht bloss Prodikos' Manier *), sondern vor allem die
gorgianische Rhetorik und empedokleische Philosophie hervor ^.
Er suchte nach gekünstelten Ausdrücken, neuen Wörtern, frap-
pierenden Sentenzen, geistreichen Pointen und besonders durf-
ten spitzige klingelnde Antithesen nicht fehlen '). Aristophanes'
Hohn zog Agathon ausserdem durch den Beitritt zur neuen
Musikrichtung, indem er die Anabole und das chromatische Ton-
geschlecht in die Tragödie einführte, auf sich*); andererseits
unterschätzte der Tragiker die Chorlieder so sehr, dass er die
Unsitte, den Chor ganz beliebige Einlagen singen zu lassen, auf-
brachte ^). Endlich scheint Aristophanes das Vorwiegen der
weiblichen Rollen verspottet zu haben ®).
Nächst diesen drei Tragikern zweiten Ranges genoss
noch Aristarchos von T^gea '), ein Zeitgenosse des Euri-
pides, welcher in der Chronik des Eusebios zum Jahre 455
(Ol. 81, 2) erw^ähnt ist, ein gewisses Ansehen, obgleich seine
siebzig Dramen ihm während seines über hundert Jahre dauern-
den Lebens nicht mehr als zwei Siege einbrachten. Das Drama
„Asklepios" war als eine Art Votivdichtung durch seinen Ent-
stehungsgrund, die wunderbare Heilung des Dichters, merk-
würdig. Alles übrige verscholl bis auf ein paar Sprüche^;
trotzdem muss Aristarchos in der ersten Hälfte des alexandri-
nischen Zeitalters nicht unbeliebt gewesen sein , wie hätte
sonst Ennius seinen „Achilleus" und vielleicht noch anderes
1) Plat. Protog. 315 d.
2) Gorgias: Plat. S3rmp. 198 c; darnm hiesa er oo(p6c (Philostr. vit.
sopb. 1, 9, 1, vgl. Varro sat. fr. 6).
3) Bd. n S. 44 ; Arißtoph. Theem. 49. 52. 55. 60. 146 f. 198 f. Athen.
5, 187 c. Aelian. var. bist. 14, 13.
4) Aristoph. Thesm. 67 f. 99 ff. Aristoxenos bei Plntarcb. mua. IK).
Plat. sympos. 3, 1, 1. Die Komiker warfen seiner Mosik Sinnlicbkeit vor
(Pbilodem. mos. 1, 28 Eemke XIV 39 p. 80) und spotteten über das 'A^a-
ö-iuvtov aoX-qjta (Hesycb. Snid. s. v.).
5) Aristot. poet. 18.
6) Tbesmopb. 148 ff.
7) Snidas s. v. In Tegea batte Dionysos zwei Heiligtümer.
8) Nanck p. 564 f. (einer davon ans „Tantalos*^).
S i 1 1 1 , Geschichte der griechischen Literatur, m. 24
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370 X. Kapitel.
übersetzt?^) Der Gewährsmann, welchem Saidas die Notiz
verdankt, dass Achaios die Tragödien auf ihren „jetzigen"
Umfang brachte, ist leider unbekannt.
Von den übrigen Ti'agikern des fünften Jahrhunderts sind
im besten Falle einzelne Dramentitel und lächerliche oder
schlimme Eigenschaften, welche die Komiker verewigten, über-
liefert. Indes ziehen manche durch ihre Familienverbindung,
weil in Griechenland gar häufig der Vater die schwierige
Technik der Tragödie auf den Sohn vererbte, die Aufmerksamkeit
auf sich. Die oft ausgesprochene Regel, dass berühmte Väter
unbedeutende Kinder haben , wird durch die Familie des
Aeschylus bestätigt *) ; denn von ihm stammte eine ganze
Schaar von Tragikern ab, auf welche sein Genie nicht über-
gegangen war. Seine Söhne E u a i o n und Euphorion,
welch' letzterer mit Tragödien des Vaters viermal siegte, sind
eben nur als seine Kinder bekannt^). Etwas bedeutender war
Aeschylus' Schwestersohn, Philokles*), wenn er auch dem
Oheim nur in der Zahl der Stücke gleichkam; er schrieb
nämhch deren hundert^), wobei er aus Anhänglichkeit an
Aeschylus die tetralogische Gliederung nicht völlig aufgab ^).
Uebrigens siegte Philokles einmal über Sophokles und oben-
drein dessen König Oedipus (S. 290). Dennoch sind die
Komiker in seiner Verhöhnung einhellig')« Philokles' Sohn
1) Eddius in Achille Aristarchi, Festus p. 242 ; Anonymus de tragoedia
Rhein. Mus. 28, 419 Z. 9 spricht von einigen Stacken. Die einzige mytho-
graphische Notiz (Schol. Soph. OC. 1320) stammt wohl aus Philochoros.
2) Exner de schola Aeschyli, Breslau 1840.
3) Snidas u. Ato^oXoc u. Eötpoptuiv. Argum. Eur. Med. (ein bedenkliches
Fragment bei Clem. Alex, ström« 5 p. 718: s. Nauck p. 589).
4) Suidas s. v. Schol. Aristoph. Av. 281 (Sohn des Philopeithes oder,
scherzhaft, des *AXjjLtü*v, Schol. a. O.) Auf die Verwandtschaft spielt Teleklei-
des fr. 14 E. bei Schol. Thesm. 168 an.
5) Nauck S. 589 f.; ^tXoxrfjrrjc ist vielleicht der aeschyleische , den er
aufführte (Bibb^ck römische Tragödie S. 376 [A. 3). Snidas nennt sie-
ben Titel.
6) Ilav^tovt? Aristoteles bei Schol. Aristoph. Av. 281.
7) Kratinor fr. 431. ine. 156. Aristoph. Thesm. 168. Av. 281. Vesp. 462 ;
Spitznamen: x^^'h Sc^ol. u. Suidas, xopudog Arist. Av. 1295 (Dies bezieht
Wilamowitz Hermes 7, 150 A. 5 wegen Suidas auf seine Poesie; der
Schauspieler Likymnios wurde wegen seiner unangenehmen Stimme a&xoxopo-
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Die übrigen Tragiker. 371
Morsiinos wäre sogar ohne ihre Spöttereien gänzlich ver-
schollen ^). Er scheint ein Bruder des wortreichen M e 1 a n -
t h i o 8 gewesen zu sein, welcher das eine vor ihm voraus hat,
dass er dank seinem Witze in verschiedenen Anekdoten figu-
riert ^. Dieser trat noch selbst als Schauspieler auf ^). Das
Oeschlecht des alten Meisters kam erst durch Astydamas wieder
zu Ehren; über ihn werden wir später sprechen.
Etwas mehr Ruhm erwarben sich die Nachkommen des Sopho-
kles. Sein ältester Sohn, den er von Nikostrate hatte, lophon mit
Namen*) kann nicht unbedeutend gewesen sein, sonst hätten
die Athener seinen Vater schwerlich im Verdachte haben können,
er helfe ihm bei seinen Tragödien ; doch spotteten die Komiker
über seine Frostigkeit ^). Er erhielt bereits 428 (OL 87 , 4),
als Euripides mit dem „Hippolytos'' siegte, den zweiten Preis.
Von seinen fünfzig Stücken werden nur die ,,Bakchen*' und
das Satyrspiel „die Aulöden" citiert.^)Iophons Bruder Aris ton
soll ebenfalls Tragödien verfasst haben ') und sein Sohn (S. 277, 4)
welcher den Namen des berühmten Grossvaters trug, brachte
seit 395 (Ol. 96, 1) zehn Tetralogien, siebenmal mit glücklichem
Erfolge, zur Aufführung®) ; ausserdem schrieb er Elegien. Noch
^0? genannt, Alciphr. epist. 3, 48), ino^ Arist. Av. 281 wegen jener Tetralo-
gie; Hässlichkeit: Arist. Tbesm. 168 mit Scholien.
1) Aristoph. Ran. 151. Eq. 401. Pax 801. fr. bei Hesych. u. KUjicvoc.
rinto com. fr. 125.
2) üeber die Verbindung Aristoph. Pax 801 ff, (bestritten von B u r-
sian Lit. Centralblatt 1881 Sp. 838); ein* einziger Vers bei Plutarch. mor. p.
453 f; Geschwätzigkeit: Plato fr. 132 K. bei Scbol. Aristoph. Av. 151 ; Schma-
rotzer, Leckermaul und Weichling: Pherecr. fr. 139. Eupol. 41. 164 Arist. Pax
1009 ff. Kallias fr. 11 bei Schol. Arist. Av. 151. Plato com. 128. Leuk. 2.
Arcbipp. 28. Klearchos bei Athen. 1, 6 c, vgl. Athen. 8, 343 c. Aussätzig:
Aristoph. Av. 161 mit Scholien ; Anekdoten : Weicker S. 1031 A. 8.
3) Aristoph. Pax 805.
4) S. 276 f.; Schol. Aristoph. Kan. 73.
5) Aristoph. Ran. 73 mit Scholien; ein Grammatiker legte ihm sogar
die „Antigone" bei (Anecd. Oxon, IV 315).
6) Stob. ecl. 2, 1, 9. Clem. Alex, ström. I p. 329, s. Nauck p. 590 f.
Suidas zählt sieben oder acht Titel auf.
7) Diogen. Laert. 7, 164.
8) Zeit: Diodor. 14, 53; Suidas gibt wieder zwei Zahlen, vierzig u. elf,
an, wovon die zweite sich auf das später Erhaltene beziehen dürfte (anders
Weicker p. 978, Wolff S. 5 ff.), vgl. S.366 A. 1 und 367 A. 1; Siege: Suidas
(12 nach Diodor. a. O.).
24*
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372 X. Kapitel
in später Zeit wurde ein Nachkomme des grossen Tragikers*
durch die ominöse Namensgleichheit, sich der Tragödie zu wid-
men, ermutigt*).
Euripides machte mehr unter den ferner Stehenden als in
seinem Hause Schule; indes führte doch der jüngere Euripi-
des, sei es dass er sein Sohn oder sein Neffe war*), nicht
allein die drei von ihm hinterlassenen Tragödien auf, sondern
dichtete selbständig Orestes, Medea und Polyxena. Suidaslegt
ihm eine Homerrevision bei, aber Euripides' Homer war natür-
lich nichts weiter als eine Bibliothekenrarität oder, wenn man
will, eine Uterarische Reliquie des ersten Büchersammlers unter
den Schriftstellern.
Eine andere Familie, welche den Athenern an den Diony-
sien viele unfreiwillige Erheiterung bereitete , hatte keinen sa
berühmten Dichter zum Ahnen und teilte wohlweislich ihren
Ehrgeiz zwischen der tragischen Poesie und leichter erreichbaren
Beamtenposten '). Der älteste, welcher den in Athen nicht un-
gewöhnlichen Namen K a r k i n o s trug *), wird als Dichter kaum
genannt. Von seinen vier Söhnen wandten sich zwei wenig-
stens als Schauspieler der tragischen Bühne zu , während ein
dritter Tragödien dichtete ^) ; dieser, Xenokles geheissen ^),
übertraf seinen Vater nicht. Die Komiker hielten ihm den
1) Suidas 8. V.
2) Sohn: Vita £ur., Sclio). Arist. Ran. 67; Neffe: Suidas ans Dionysios.
Der Komiker Epbippos verspottete ihn (Athen. 11, 482 cd).
3) Welcker griech. Trag. S. 1016 fi. Meineke fragm. com. Gr. I
p. 505 ff. J. Nicole M^langes Graax p. 163 ff. — ^ikap-^oi Schol. Aristoph.
Vesp. 1500 aus Pherekrates, vgl. Meineke a. O. p. 516.
4) Kapxivoc (s. Welcker S. 1017 und Pape-Benselers griech. Namens-
vrörterbnch) ; aus Agrigent nach Suidas u. Kapxtvoc, aber da ihn Pherekrates
(a. o.) naxpod-iv (6 öuiptxtoo) nennt, war er athenischer Bürger. Jenes war
ein Komikerwitz; der Krebs gab nämlich das Wappen der sicilischen Gross-
stadt ab (Bursian Liter. Centralbl. 1881 Sp. 838). Dichter: Aristoph. Pax
793 f. Nub. 1261.
5) Aristoph. Vesp. 1498 ff. auch Pax 782 ff. (beide SteUen unterstutzea
Athen. 1, 22 a Bentleys Vermutung Kapxtvo? an Stelle von Kpattvoc); Phere-
krates in den "^A^ptot.
6) Piaton fr. 134 K. bei Schol. Arist. Pac. 792. Aristoph. Thesm. 169.
440 ff. Ran. 86 mit Schollen; nach dem einen Scholiasten zu Aristoph. Vesp,
1500 hiess er Philokles. Spottname Meineke p. 515.
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Die übrigen Tragiker. 373
nachlässigen durch Allegorien verdunkelten Stil und das
Aufgebot vieler Maschinen vor *). Es soll übrigens zwei Tragi-
ker dieses Namens gegeben haben ^). Die Familie gelangte
etwa gleichzeitig mit Aeschylus' Nachkommen durch den jüng-
eren Karkinos zu Ansehen.
Unter deif einzelstehenden Tragikern ragt der Sikyonier
-Neophron oder Neophon*), Verfasser von 120 Tragödien
hervor, weil er nach Suidas angeblich die Rolle des Pädagogen
einführe und sogar die Sklavenfolterung auf die Bühne brachte.
Obgleich die erstere Notiz und, was über sein Verhältnis zur
euripideischen „Medea" berichtet wird (S. 347) ihn zu einem
älteren Zeitgenossen des Euripides stempeln würden, raten doch
der pathetische Ton der Fragmente und die thatsächliche Ab-
hängigkeit von Euripides Suidas' Bemerkung, Neophron sei
ein Freund des Kallisthenes gewesen und von Alexander dem
Grossen gleichfalls hingerichtet worden, nicht rundweg abzu-
weisen.
Dem Ion kam der bekannte Kritias (Bd. II S. 89 ft.)
An Vielseitigkeit nahe ; was die Tragödien anlangt , so soll er
deren zwei, „Peirithus" und „Sisyphos'' verfasst haben , indes
legten sie andere Euripides bei*). Alles Uebersinnliche ist
Menschentrug, verkündigt deren Verfasser gleich den Rationa-
listen des vorigen Jahrhunderts, wobei der euripideische Wort-
schwall und das unzeitige Philosophieren die Ansicht jener Li-
terarhistoriker vollkommen entschuldigen.
Wir wollen rasch die übrigen uns bekannten schlechten
Tragiker des fünften Jahrhunderts mustern : Dikaiogenes, zu-
1) Schol. Aristoph. Ran. 86; Bü>88xaji.-f|xavo; Piaton a. O. ; Aristo-
phanes parodierte nach £npbronios zu Nab. 1254 (1267) den „Likymnios".
2) Schol. Aristoph. Ran. 86 (^asi); oder mischt der Scholiaat Philokles
(8. 372 A. 6) herein?
3) Suidas; Runkel Seebodes Archiv 1825 II S. 682 ff.; Fragmeute
bei Nauck p. 565 f.
4) Peirithus: Athen. 11, 496b. Vita Eurip. Z. 33; Fragmente aus
Stobäus bei Nauck p. 600 f.; Sisyphos: Sext. Emp. adv. math. 9, 54 p.403, 1.
Bei PoUux 7, 31 ist 'Aptoxiac zu lesen.
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374 X. Kapitel.
gleich Di thyrambiker ^) , der wortreiche Diogenes*), KaUi-
Stratos'*) Kleomachos (von Kratinos als schlechter Dichter
und weil er einen Chor lydischer Frauen süssliche Lieder singen
liess, verspottet)^), Meletos, der bekannte Ankläger des So-
krates, welcher unter anderem eine Oedipus-Tetralogie aufinhrte
und ausserdem Trink- und Liebeslieder dichtete^), Menekra-
tos ^), Nikomachos von Athen ^), Pythang*elos^), Spin-
t h a r 0 8 aus Herakleia ®), Sthenelos, dessen Dichtungen immer-
hin bis zu Aristoteles' Zeit, der die Triviahtät der Sprache
tadelte, ihr Dasein fristeten ^% und endlich Theognis, einer der
Dreissig "). Von anderen Objekten des Komikerwitzes weiss
man, weil die Scholiasten den Mangel einer Ueberlieferung oft
1) Harpokr. s. v. Suidas; Zeitgenosse des Aristophanes : Schol. Arist
Eccl. 1. Küicptot (Eurysakes) Aristot. poet. 16 p. 1455 a 1. M-fj^eta Schol.
£nr. Med. 169. Excerpte bei Stobäas s. Nanck p. 601 f.
2) Zeitgenosse des Melantbios Plutarch. de aud. poet. 41c, vgl. Meiueke-
ezercit. in Athen. I p. 46 ff.
3) Inschrift CIA. U 972 von Ol. 90, 2 (418); Stücke: , 'AjiL9tX6x<|)r
4) Athen. 14, 638 f.
5) Ueber die Form des Namens Welcker S. 973 f. Nach Favorinus
(Diog. Laert 2, 40) stand in der Anklageurkunde MiXvjxo? MjXyjtoo ntTO-eüc;
vgl. Plato Euthyphr. a. A. apol. 22 a. 25 d. Lysias bei Schol. Plat. p. 330B;
Tetralogie: Aristoteles bei SchoL Plat., daher 6 Aatoo scherzweise genannt
Schol. Plat. Von Aristophanes (Athen. 12, 551b) und Sannyrion (a. O. c)
verhöhnt, tue ^oyi^pb^ iv t^ irotYjOKt xal cuc novqpö? töv xpoicov (Schol. Aristoph.
Ran. 1329 [1337]); Lieder: Aristoph. Ran. 1302. Epikrates bei Athen. 13,605 e.
6) Er trat 422 auf (Athen. 8, 344d aus alten QueUen); vgl. CIA.
n 971b.
7) Suidas (aus dem vorhergehenden Artikel ist hinter ivixY|a6 tpiXoYcf
beizufügen); ein Lexikograph erwähnt zwei Wörter (Anecd. Bekk. 337, 11.
349, 11).
8) Aristoph. Ran. 87.
9) Aristoph. Av. 762; zwei Titel bei Suidas.
10) Aristot. poet. 22 p. 1458 a 20; nach Harpokr. s. v. in den Didas-
kalien erwähnt und von Piaton verspottet: Aristoph. bei Ath. 9, 367b, vgL
Yesp. 1313 (nach den Schollen Schauspieler). Phot. lex. p, 510, 18; ver-
ft^-hieden von dem Epiker Sthenelos Athen. 10, 428 a.
11) Aristoph. Ach. 11 (mit Schollen). 140. Thesm. 170. Suidas n. Ncxo-
fiaxoc. Nauck bezieht Demetr. eloc. 85 auf ihn. — Der Name Alkestis
(eines rasch sudelnden Zeitgenossen des Euripides, Yaler. Biax. 3, 7, ext. 1>
ist augenscheinlich verderbt. In der inschriftlichen Didaskalia von 419 (CIA.^
n 972) steht der verstümmelte Name 'Hpax
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Die übrigen Tragiker. 375
durch ilire eigenen Vermutungen überdecken , nicht bestimmt,
ob sie Dichter oder Chormeister oder Schauspieler waren ; ich
meine Akestor mit dem Spitznamen Sakas^), Dorillos oder Do-
rialos *), Hieronymos ^) und Morychos *). Beim Tode der gros-
sen Meister gab es nach Aristophanes in Athen eine Menge
Jüngelchen, die eine unglaubliche Anzahl von Tragödien fertig-
ten und an Geschwätzigkeit ihr Vorbild Euripides weit hinter
sich Hessen *). Dieser traurige Zustand talentloser Schnellpro-
duktion dauerte ein paar Jahrzehnte , worauf das athenische
Trauerspiel Dank drei Abkommen des Aescliylus und Karki-
nos eine Nachblüte erlebte ; es ist ja begreiflich, dass in Zeiten
des Niederganges, wenn kein Genie aufsteht, derjenige, welcher
Talent mit gründlicher Schulung verbindet , am ehesten sich
auszeichnet und eben diese empirische Bildung durch Familien-
tradition gewissermassen spielend gewonnen wird.
Der ältere Astydamas, ein Sohn des oben erwähnten Tra-
gikers Morsimos®), arbeitete seit 398 (OL 95, 2) für das athe-
nische Theater^), wurde jedoch von seinem gleichnamigen Sohn,
einem Schüler des Isokrates *), welcher zuerst 372 (Ol. 101, 4)
einen Preis erhielt, verdunkelt; 341 (Ol. 109, 3) siegte er mit
Achilleus, Athamas und Antigone ; im folgenden Jahre gefielen
„Parthenopaios** und „Lykaon*' so ausgezeichnet^), dass das
begeisterte Volk Astydamas eine Statue im Theater zu errichten
1) Phot. Snid. Sdxag. Suid. vojicxSs?. Kallias com. fr. 13 5v ol x^po^
2) Aristoph. fr. 367 (Kock siebt darin einen Spitznamen).
3) Nach Schol. Ar. Nub. 347 war er des Xenophantos Sohn u. Dithy-
rambiker, nach Schol. Ar. Ach. 395 (387) Lyriker und schlechter Tragiker;
Suidas u. ''AtSo? xovyj.
4) Schol. Ar. Ar. 895 (887), vgl. Suid. s. v. ; wahrscheinlich nur ein
Spitzname, da der Gott Dionysos auch so hiess (Stndemunds Anecdota I p. 268).
5) Ran. 89ff. ; vgl. Graven borst de causis corruptae post bellum Felo-
ponnesiacum apnd Graecos artis tragicae, Pr. v. Lüneburg 1838.
6) Köpke Ztsch. f. Altertumsw. 1840 Nr. 58 f.; Fragmente beider Asty-
damas bei Nauck p. 603 fr.; Sohn des Morsimos: Schol. Aristoph. Av. 281.
Ran. 151. Zenob. cent. 5, 100. Suidas. Tzetz. in Hermog. Anecd. Ozon.
IV. 143, 4.
7) Diodor. 14, 43, 5 (er wnrde sechzig Jahre alt).
8) Suidas.
9) Die drei Siege sind dnrch Marm. Par. Z. 83 mnd CIA. n 973 Z. 3ff.
20 ff. bestimmt.
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376 ^- Kapitel.
erlaubte, obgleich diese Ehre bisher noch keinem Tragiker er-
wiesen worden war ^). Indes verstimmte Astydamas seine Mit-
bürger, als er eine eitle Aufschrift dafür verfasste; infolge des-
sen ist seine Selbstgefälligkeit durch einen Sflottvers des Komi-
kers Philemon bei den späteren Griechen sprichwörtlich gewor-
den ^. Der jüngere Astydamas soll nicht weniger als 220 Tra-
gödien verfasst und damit fünfzehn Preise errungen haben %
Leider lehren uns die geringen Reste der Dichtungen nur so-
viel, dass er die Alkmeonsage sehr frei behandelte , indem er
nämlich den Helden seine Mutter unwissentlich töten lies.
Astydamas' Bruder Philo kies, der jüngere dieses Namens *),
führte wahrscheinlich im Jahre 340 „Phrixos" und „Oedipus**
auf ^). Dessen Sohn Thymoteles gehörte der athenischen Schau-
spielergesellschaft an %
Die Karkinosfamilie erlangte eine ernsthafte Berühmtheit
erst durch den jüngeren Karkin os , einen Sohn des Xenokles ^).
Er war gleichfalls ein ausserordenthch fruchtbarer Dichter, den-
noch errang er trotz seiner 180 Tragödien in Athen bloss elf-
mal den Sieg ®) , aber der Grund hievon dürfte darin liegen,
dass die meisten seiner Stücke ausserhalb Athen aufgeführt
wurden. Dies geschah zum z. B. am Hofe des bekannten
Alexandros, der 369 — 359 das thessalische Pherai beherrschte *);
1) Herakleides bei Diogeu. 2, 43 (Welcker S. 1054 schreibt 8v TcpcBxov
TÄv icjpl AloxüXov. Indes ist täv icepl Alo)^6Xov nur eine Abkürzung för
Aeschy]us und seine zwei Genossen) ; Fragment der Basis : Mitteil, des deutschen
Inst, in Athen UI S. 116, 1.
2) Phot. Suid. V. oaoTYjv eiratvEi<;. Zenob. 5, 100. Proverb. Bodl. 855.
Apostol. 15, 36. Arsen. 46, 73, vgl. Basil. epist. 39 col. 341b. Schol. Liban.
epist. 317 p. 153. Tzetz. a. O.
3) Suidas; Welcker S. 1053 ändert die Zahl in 120.
4) Schol. Arittoph. Av. 281.
5) Die Didaskalie CIA. II 972, 23 hat noch . . . oxXyjc; allerdings wäre
auch TipLoxXYjc möglich.
6) Ltiders die Vereine der dionys. Künstler S. 171 Nr. 75 Z. 37. 45.
7) Harpocr. s. v. Suidas; letzterer nennt den Vater an erster Stelle
Theodektes.
8) CIA. n 977 b (also ist bei Suidas d in ca' zu korrigieren). Der bos-
hafte Stratonikos verspottete ihn (Athen. 8, 351 f). Lysias soll seiner ge-
dacht haben (Harpocr. 8. v.).
5) Vgl. Aelian. var. bist. 14, 40.
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Die dbrigen Tragiker. 377
namentlich aber verweilte Karkinos öfters bei dem jüngeren
Dionysios (3ti8 — 357) ^). Aristoteles berücksichtigt Karkinos
wiederholt in der Poetik, denn seine Tragödien wurden, soviel
mir scheint, wiederholt aufgeführt ; spottete doch noch Menander
darüber *). Demgemäss werden sie verhältnismässig oft citiert *),
ohne dass wir aus den Fragmenten ein Bild des Dichters ge-
winnen könnten ; nur nimmt man eine sentimentale Auffassung
der Mythen wahr, z. ß. unterdrückt Kerkyon wie Theodektes'
Philoktet seinen Schmerz und Medea schickt ihre Kinder, statt
sie zu töten , heimlich fort *).
Als höfischer Dichter ist dem Karkinos Antiphon an
die Seite zu stellen ; allein dieser wusste auf dem schlüpfrigen
Boden nicht festen Fuss zu fassen. Der ältere Dionysios, dem
er bei dessen Tragödien geholfen haben soll, Hess ihn wegen
Teilnahme ^n einer Verschwörung martervoll töten ^). Die
Philosophen schätzten an Antiphon die feinen psychologischen
Beobachtungen ^^, leider ist ihm ausser einigen von Aristoteles
angeführten Versen nichts mit Sicherheit zuzuweisen ^).
Diese beiden Dichter weilten also an Fürstenhöfen , war
doch jetzt das Tragödienschreiben in diesen Kreisen Mode ge
worden. Der ältere Dionysios hatte das Unglück, unter
den schlechten Dichtern durch seine hohe Stellung aufzufallen ;
er versuchte sich wie sein Nachbar Mamerkos, der Tyrann
von Katana % als Tragiker, ohne bei allen Unabhängigen etwas
1) Polykritos bei Diogenes Laert. 2, 63; vgl. Diodor. 5, 5.
2) Phot. Soidas v. Kapxivoo iroffjfjLaxa.
3) Fragmente bei Nauck p. 619 ö.
4) Aristot. eth. Nicom. 7, 8 p. 1150b 6 ff.; rhetor. 2, 23 p. 1400b 10 ff.
Wilamowitz auall. Earip. p. 199, 1* sieht in Karkinos einen Nachahmer
des Euripides.
6) Aristot. rhet. 2, 6 p. 1385 a 9 ff. ; wegen eines republikanischen Bon-
mot Plutarch. adul. et am. 27. Stoic. repugn. 37. Philostr. vit. soph. 1, 15, 3
(nach anderen weil er seine Tragödien verspottete), aber dieselbe Antwort
wird Diogenes (Diog. Laert. 6, 50) und Plalo (Kasiri u. Tzetz. chil. 5, 140)
beigelegt. Welcker S. 1040 A. bezieht Ovid. Ibis 547 auf Antiphon, üeber
Mithilfe bei Dionys' Tragödien Ps. Plutarch. vit. X or. p. 833 c.
6) Aristot. eth. Eud. 7, 4 p. 1239 a 37. rhet. 2, 2 p. 1379 b 15. Der
Philosoph Adrantos sprach deshalb ausführlich über ihn (Athen. 15, 673 ef).
7) Frf^mente bei Nanck p. 615 f.
8) Plutarch. Timol. 31.
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378 X. Kapitel.
anderes als Spott zu ernten ^) , dagegen verdankte er es aus-
schliesslich seinen Regimentern und Kriegsschiffen , wenn die
Athener an den Lenäen von 393 (Ol. 96, 3) auf Antrag des
Karkinos ein Ehrendekret im Theater aufstellten und au dem
gleichen Feste des Jahres 367 einer Tragödie den Sieg zu-
sprachen. Die Ironie des Schicksals wollte, dass die über-
mässige Freude dem Tyrannen den Tod brachte *)• Den
Athenern zu Gefallen hatte er seiner Bewunderung für Euri-
pides einen wahrhaft fürstlichen Ausdruck (S. 354) gegeben
und auf dem Papier sich als vorurteilslosen toleranten Herrscher
aufgespielt % Indes fehlte es Dionysios nicht bloss an Talent,
sondern er machte sich durch gesuchte Wortbildungen und
Wortspiele lächerlich ^).
Die Tragödie wurde überhaupt mehr und mehr ein Tummel-
platz von Dilettanten, z. B. fertigte der Sophist P o 1 y i d o s unter
vielen anderen auch Tragödien *). Den ersten Jahrzehnten des
vierten Jahrhunderts gehörte der korrekte Chairemon an,
von welchem Aristoteles urteilt, dass seine Tragödien mehr zur
Lektüre als zur Darstellung geeignet seien*). Er scheint in
metrische Künsteleien einen gewissen Ehrgeiz gesetzt zu haben,
indem er eine „Rhapsodie" „der Kentaur" (Chiron, welcher
Achilleus belehrt) in mannigfaltigen Versmassen dichtete '').
Den Späteren empfahl sich Chairemon durch Reichtum an
1) Fragmente bei Nauck S. 616 ff. ; Ephfppos fr. 16, 1 bei Athen.
11, 482 d. Plutarch. Timol. 15. Tzetz. Chil. 5, 160 ff. 10, 844 ff. Der Komiker
Eubnlos, der einen „Dionysios" schrieb, parodierte wahrscheinlich in Aixwve^
^ A-rfia die „Leda" des Tyrannen.
2) Dekret: CIA. HS, vgl. U. Köhler Mitteil, des deutschen Inst, in
Athen 1876 S. Iff.; Sieg: Diodor. 15, 74. Plin. 7, 180. Tzetz. Chil. 5, 180 ff.
3) Z. B. Fr. 4.
4) Athen. 3, 98 d (teilweise aus Athanis). HeJladios bei Phot. bibl.
p. 532 b 27 ff. 33.
5) Diodor. 14, 46, 6. Plutarch. mus. 21. Etym. Magn. p. 164; eine
taurische Iphigenie nennt Aristot. poet. 16 p. 1455 a 6, vgl. 17 p. 1455 b 10.
6) Dies wollen die Worte ol ivaYvwoTtxol olov XatpYjjjwov 'aet. 3, 12
p. 1413b 13 besagen, wie der Zusammenhang zeigt. Eubulos (Athen. 2,43c)
und Ephippos (11, 482c) spotten über ihn.
7) Poet. 1 p. 1447 b 21 ff. c. 24, vgl. Athen. 13, 608 e 8pajjLa iroXotietpov ;
Trimeter und Tetrameter Aristot. poet. 24 p. 1460 a 2. Auch Theodektee
hat ein hexametrisches Stock in einer Tragödie (fr. 18).
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Die übrigen Tragiker. 379
Sentenzen. Des Dichters augenscheinliche Vorliebe für Blumen
passt zur Sentimentalität des Zeitalters ; er schwärmt auch für
Körperschönheit und zieht geradezu Kunstwerke zum Ver-
gleich herbei *).
Da die sogenannte mittlere Komödie, die beständige Ver-
folgerin der Tragödie, bis auf geringe Brüchstücke verschwun-
den ist, kennen wir wenige Namen unbedeutender Tragiker
wie Euaretos, der 341 und 340 bei der Konkurrenz unter-
lagt, Kleainetos, Demosthenes' Zeitgenossen ') , T i m o -
kies (zugleich Tragiker, Komiker und Satyriker) *) , D e m o -
phon, Theoros, Laches^), Theophilos^) und
Kleophon. Den an letzter Stelle genannten tadelt Aristo-
teles, weil er wie Sthenelos die Tragödie in das Gewöhnliche
herabzog '), indem er auf dem von Euripides betretenen Wege
vorwärts ging.
Die Geschichte der griechischen Tragödie hat den merk-
würdigen Verlauf, dass nach kurzer Entwicklungszeit ein Genie
den Grund legt und zwei ebenbürtige Nachfolger, neben einander
und doch grundverschieden, gewissermassen die Brennpunkte
des klassischen Trauerspiels darstellen. Das Zusammentreffen
dreier solcher Sterne einem philosophischen Grunde zuzu-
schreiben, wäre gesucht. Wohl aber darf man den Ursachen,
1) Athen. 13, 608 afi. (fr. 5—14); sogar Theopbrast (bist, plant. 5,9,5)
citierle ihn deswegen. Fr. 1. 14.^ Die ziemlich erheblichen Fragmente stehen
bei Nnnck S. 606 £f. Der Snidasartikel gehört zu den Znsfitzen des Epito-
mators, wie täv $pa|idiTa>v a5toö anzeigt (s. KapxtvocII., KXeo^uiv, ^povtxc^IV.).
2) CIA. II 973 (Ton den Tragödientiteln sind noch lesbar: Teukros,
Achilleus nnd Alkmeon).
3) '0 Tpa^ixöc Alexis bei Athen. 2, 55c; b y[opoM6LO%ako<: Aeschin.
1, 98; ein Fragment bei Stobäns floril. 79, 5. 99, 2.
4) Athen. 9, 407 d; 340 führte er das Satyrspiel „Lykurgos" auf (CIA.
II 973, 17).
5) Diese drei nennt Ephippos bei Athen. 11, 482 d.
6) CIA. n 97lc (wahrscheinlich aus dem Jahre 387). Der Tragiker
Moschion braucht durchaus nicht der berühmte Parasit zu sein, wie Mad vig
kleine philol. Schriften S. 474 A. 1 gegen Friedr. W. Wagner de Moschi
onis poetae tragici vita, Breslau 1846 richtig bemerkt.
7) Poet. 2. 22 p. 1458a 20. rhet. 3, 7 p. 1408a Uff. Snidas wieder-
holt irrtümlich (s. A. 1) die zuvor bei lophon genannten Titel. Vgl. By water
Journal of philology 12, 17 ff.
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380 X. Kapitel.
warum jene hehren Vorbilder die Epigonen nicht bei einer
anständigen Mittelmässigkeit erhielten, nachforschen. Die Schuld
daran trägt die Sophistik. Der Rationalismus war es, welcher
den natürlichen Quell der Poesie ausgetrocknet hat ; dass Euri-
pides, trotzdem er das Künsteln und Raffinieren gelernt hat,
dennoch nicht ein grosser Dichter zu sein aufhörte, möchten
wir für den sichersten Beweis seines reichen echten Talentes
erklären. Die Aufklärung ruft den Dilettantismus hervor und
lässt tiefer angelegte Talente unter der Menge verschwinden,
die Aufklärung lenkt die Dichter von der guten Popularität
ab und macht sie den gebildeten Cirkeln, den Pflegestätten
korrekter akademischer Versekunst, unterwürfig. Die Rhetorik
und Sprachtheorie endlich beeinträchtigen den natürlichen Fluss
der poetischen Sprache *). Nachdem Prodikos und Gorgias
die Tragiker ihrer Zeit zu ihren Schülern gemacht, beginnt
Isokrates' unwiderstehliche Sprachkunst die Dichter in seinen
Bann zu ziehen (Bd. 11 S. 134 f.); von dessen Schule that
sich ausser seinem Stiefsohn Aphareus^ der bekannte Rhetor
Theodektes auf diesem Gebiete hervor ^). Zugleich ver-
bildeten die schauspielerischen Virtuosen des vierten Jahr-
hunderts (wie der „AflFe" Kallippides) das Publikum in gefähr-
licher Weise*), weil die Dichter jetzt auf Bühneneffekte hin-
arbeiteten.
Während der jüngere Ä.stydamas in jenem Epigramm
selbstgefällig bedauerte, dass er nicht mit den alten Dichtern
den Wettkampf aufnehmen könne, verzweifelten die Athener
an einer lebensfähigen Fortentwicklung ihrer Tragödie. Dies
erhellt zunächst aus dem Beschluss, einen Teil der grossen
Dionysien den WiederauflFührungen alter Tragödien einzuräumen
(S. 160 f.), worin man in der Zeit Alexanders des Grossen
bereits so weit ging, dass für die neuen Stücke ein einziger
Tag frei blieb ^), sodann aus dem Antrag des Verwaltungschefs
TL) Aristot. poet. 6 p. 1450b 7 f. ol jxiv y«? OLp-^aloi iroXtxtxÄc ticoioov
Xi^ov^ac, ol hk fTjXoptxÄc. ,
2) Ps. Plutarcb. vit. X or. 839 c.
3) Fragmente bei Nauck S. 622 £f.
4) Aristot. poet. 26 p. 1461b a. E, ; rbet. 3, 1 ixttCov Bovavtat v5v täv
«otYjTÄv ol 6i:oxpixtti.
5) Plutf»rcb. de exilio 10 p. 603 c, vgl. Theopbr. char. 9. Im Jabre
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Die übr5gen l.agiker. 381
Lykurgos, man solle Statuen der drei grossen Tragiker im
Theater errichten und die Stücke derselben in ein offizielles
Exemplar eintragen ; mit diesem hatte der Staatssekretär die
Schauspieler zu überwachen^), denn die Dramen waren, weit
ihre Wiederaufführung in den Händen der Schauspieler lag,
allerlei bedenklichen Experimenten der übermütigen Mimen
ausgesetzt, denen entgegenzutreten der Staat, wenn er die
drei Tragiker gew^issermassen zu den offiziellen Bühnendichtern
ernannte, die Pflicht hatte. Allein von jenen Bühnenexemplaren
hing die Textesüberiieferung durchaus nicht ab, wie dies leider
bei vielen Dramen Shakespeares der Fall ist; wurden doch
die Stücke sogleich nach ihrer Aufführung durch den Buch-
handel verbreitet *). Die „aulische Iphigenie" und „Rhesos*'
waren zielbewusste Bearbeitungen nach bestimmten Grund-
sätzen und auch sie verdrängten die echte Fassung ei^t im
Laufe der Kaiserzeit. Die bösen Schauspieler dagegen, welclie
die Personeneinteilung verderben, ein Wort schlecht aussprechen»
Verse umstellen oder gar interpolieren^), sind nicht mehr und
nicht minder Phantasiegebilde der hellenischen Kritiker, als
z. B. die „Diaskeuasten" im Homer.
Weil alle hervorragenden Tragiker nach Athen zogen %
verdunkelte das athenische Trauerspiel alle ähnlichen Versuche
340 führte jeder Dichter nur zwei Stücke auf (CIA. II 973). Auch die Lenäen
standen zur Zeit des Demosthenes den alten Stücken offen (Schol. AeschiUr
3, 15; hieher gehört wahrscheinlich CIA. II 977 o).
1) Ps. Plutarch. vit. X orat. 841 f., vgl. Korn de publico Aeschyli
Soph. Eur. exemplari Lycurgo auctore confecto, Dlss. v. Bonn 1863; Sommer-
brodt Rhein. Mus. 19, 130ff. = scaeuica p. 253 ff. u. A. (s. Alb. Müller
griech. Bühnenaltert. S. 359, 1).
2) Vgl. Aristoph. Ran. 52, ebenso die Komödien V. 1114.
3) Apollodoros v. Tarsos bei Schol. Med. 169; Schol. Med. 85. 228.
Phoen. 264; Didymos zu Med. 356 u. 379; Schol. Androm. 6. Or. 1366. Zn
Med. 910 wird bemerkt: ol Äi bnoxpixotX xal aY^o-rjoavtec fpafoootv, vgl. 85.
228. 169. 356. 379. Nach Fr. Heimsöth de voce öicoxptfrjc commentariolnSy
ind. schol. hib. Bonn 1873 heisst das Wort hier: „Erklärer*'. Man könnte
auch annehmen, dass Didymos das Exemplar eines Schauspielersyllogos ein-
sah. Aber analog wird Schol. II. X 26 eine Rhapsodenerklärung citiert. In
die moderne Kritik sind die Schauspieler von Pierson verisimilia p. 57 ff.,
und Valckenaer Eurip. Phoeniss. p. 433 eingeführt.
4) Plato Laches p. 183 a.
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382 X. Kapitel.
der übrigen Griechen und vor allem die peloponnesischen
Tragödien^) und die sicilischen, welche die ,, Tragiken: ödie''
des Deinolochos voraussetzt; andererseits hebt Plutarch an den
alten Spartanern wie etwas besonderes hervor, dass sie weder
Komödien noch Tragödien anhörten *). Doch alles jenes wurde
durch die attischen Schauspielertruppen verdrängt, die nach
dem von Aeschylus, Euripides und Agathon gegebenem Beispiel,
seit dem korinthischen Kriege etwa, von Stadt zu Stadt zogen
und mit obrigkeitlicher Erlaubnis auf den Marktplätzen ihre
hölzerne Bühne aufschlugen ^). Man nahm sie überall mit
Freuden auf und selbst die Kriegführenden schonten die Schütz-
linge des Dionysos, weshalb sie unter Umständen offiziöse
Vertrauenspersonen spielten *).
1) Aristol. poet. 3 p. 1448 a 35.
2) PlDtarch. instit. Lac. 32. Auf nichtattische Dramen weisen auch
Plato a. O. und Aristot. poet. 7 p. 1451a 9 hin. Eine aus der Zeit Alexanders
des Grossen stammende Inschrift (Journal of Hellenic studies IV 237) er-
wähnt einen tragischen Agou in Priene.
3) Plat. leg. 7, 817 c. Die von Istros und Neanthes erzählte Anekdote
Vit. Soph. §. 14 setzt diese Sitte schon für das Jahr 405 voraus. Anekdote
von Pelopidas (Plutarch. Pelop. 29) oder Alexandros von Pherai (Aelian. var.
bist. 14, 40) ; Neoptolemos bei König Philipp Diodor. 16, 92. Sueton. Calig.
57. Joseph, antiq. 19, 1, 13. Stob, floril. 98, 70, ebenso der Komiker Satyros
Demosth. 19, 192 ff. Aeschin. 2, 156, vielleicht auch Anaxandrides Suidas s. v.
4) Aeschin. 2, 15. 19.
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XL Kapitel.
• Das Satyrspiel.
Schriften über das Satyrspiel ; dessen Entwicklung nud Formen ;
„der Kyklope" des Euripides.
Im Altertum schrieb Chamaileon icepl oaxopcüv (Snidas u. 3iicu>Xeaa^),
in der Neuzeit: Oasanbonus de satyrica Graecornm poesi et Komanorum
saiira, Pari» 1605, hrsg. v. Rambach, Halle 1774; Abr. Eichstädt de dra-
mate Graecorum comico-satyrico impr. de Sosithei Lityersa, Lpg. 1793; G.
Hermann Comment. soc. philolog. I p. 245 ff. = opuscula I p. 44 ff.; G.
Pinzger de dramatls Graecorum satyrici origine, Breslau 1822; G. M.
Dur seh de Graecorum poesi satyrica, Pr. v. Ehingen 1829; Welcker
Nachtrag zu der .... äschyleischeu Trilogie nebst einer Abhandlung über
das Satyrspiel (S. 185 ff.), Frankfurt a. M. 1826; G. Friebel fragmenta
Graecorum satyrographorum exceptis|iis quae sunt Aeschyli Sophoclis Euripidis,
Berlin 1837; Friedr. Wiesel er das Satyrspiel, Göttinger Studien II (1847)
S. 565—770 und separat (auf Grund der berühmten Vase von Ruvo, ver-
öffentlicht Monumenti deir Instituto IH 31, verkleinert in Schreibers kultur-
hist. Atlas I Tafel HI 1), auch comm. de Pane et Paniscis atque Satyris cor-
nutis, Gott. 1869; R. Meeks de poesi Graecorum satyrica, Diss. v. Rostock
1873; dazu kommen die den „Kyklops^^ behandelnden Monographien.
Die Tragödie entstand, wie wir sahen, aus den Gesängen,
welche Männer im Gewände von Satyrn zu Ehren des
Dionysos sangen; als sie aber einen ernsthaften Charakter
annahm und dieses possenhafte Kostüm verschmähte, schien
der Gott zu verlangen, dass ihm die Ergötzung durch seine
Diener nicht geraubt werde ^). Eine Mischung von Posse und
1) Die Erkl&rer des Sprichwortes OhUv irpöc t6v At6vöoov hielten das
Satyrspiel für eine jüngere Erfindung (s. auch Horat. a. p. 221. Demetr. eloc.
169. Eustath. opusc. p. 89, 42flf.).
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384 XI. Kapitel.
Trauerspiel, dergleichen die altenglische Bühne durch den Clown
und Fool, die spanische durch den Gracioso besass, hätte den
Griechen nicht zugesagt, ebensowenig konnte die italienische
Manier, zwischen die ernsten Akte ein heiteres Zwischenspiel
einzuschieben , den Hellenen gefallen , sondern , sie wählten
dieselbe Manier, welche nachmals in Rom ^) auf der altenglischen
Bühne und der deutschen des siebzehnten Jahrhunderts gang
und gäbe war, dass nämlich, wenn das Volk an den Trauer-
spielen sich satt gewundert und geweint hatte , ein heiteres
Satyrspiel es zu der heiteren Feststimmung zurückführte. Da
den ersten Tragikern eine unverhältnismässig grosse Zahl von
Satyrspielen beigelegt wird (S. 141), hat die Vermutung, dass
sie damals der Tragödie noch ebenbürtig gewesen seien, man-
ches für sich. Die klassischen Tragiker hingegen wiesen dieser
Gattung nur den letzten Platz in einer Tetralogie an (S. 234),
ja selbst dieser blieb ihr, wie Euripides' Alkestis zeigt, nicht
unbestritten ; denn die Verquickung von Trauer und Posse
scheint bei zunehmender Verfeinerung der Sitten missfallen zu
haben, so dass spätestens im vierten Jahrhundert die Verbindung
von Satyrspiel und Tragödie gelöst wurde und ersteres, von be-
sonderen Dichtern bearbeitet, die dramatischen Spiele der Diony-
sien einleitete ; natürlich setzte nun das Volk besondere Preise
dafür aus, zum Beispiel siegte im Jahre 340 Timokles mit
„Lykurgos^'^).
Das Satyrspiel war, obgleich es oflFiziell den neuen Namen
odtopot erhielt ^) , doch in Wirklichkeit das alte Spiel der tpayot,
denn der Chor besteht, welche Fabel der Mythologie auch auf-
geführt werden mag, unwandelbar aus Satyrn. Diese, an Zahl
angeblich den Choristen der Tragödie gleich*), sind mit Aus-
nahme des Gesichtes und der Hände am ganzen Körper be-
1) Nach den Tragödien kam eine Atellane, an deren SteUe später ein
Mimns trat (Cic. epist. 9, 16, 7).
2) CIA. II 973. Schon die Trilogien von 419 und 418 (CIA. U 972)
entbehrten der Satyrspiele. Wegen der erwähnten Ordnung gebraucht Zenobr
5, 40 das Wort itpotioar^siv,
3) Z. B. Aristoph. Thesm. 157.
4) Sechszehn nach Tzetzes Anecd. Oxon. III 338, 1; vierzehn oder elf
Is. Tzetz. proleg. ad Lycophr. p. 254; auf der Vase zählen wir elf. Vgl.
Alb. Müller griech. Bühnenalterth. S. 204, 2.
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Das Satyrspiel. 385
haart, mit steifem Pballos Und Schwanz ausgestattet und tragen
keine andere Kleidung als ein Bocksfell um die Hüfte ^). Das
satyreske Element ist ausser dem Chor unter den Schauspielern
durch die Silene vertreten, welche, vor jenen durch würdigere
Bekleidung ausgezeichnet, sich von einander im Alter unter-
scheiden; der älteste ist der Papposilenos*). Den feigen, halb-
tierischen Charakter dieser drolligen Calibane spiegeln zahlreiche
Vasenbilder* ab *), deren Verfertiger den Geist der Satyrstücke
in sich aufgenommen zu haben scheinen.
Diesen treten die Helden der Tragödien gegenüber , am
öftesten der liebkosend Heryllos genannte Herakles *), weil seine
urkräftige Sinnlichkeit mit dem Satyrwesen eine gewisse Ver-
wandtschaft hat. Die komischen Situationen , in welche der
Held mit den Satyrn gerät % mögen teils dem Volkswitze teils
der eigenen Phantasie der Dichter entstammen ; für den Ver-
lust der Dramen bieten zahlreiche späte Vasen bilder inhaltlich
einigen Ersatz*). Ueberhaupt entstammen viele bildliche Dar-
stellungen, wo die Satyrn die StaflFage einer heroischen Hand-
lung abgehen, direkt oder mittelbar diesem Literaturzweige ^),
1) A. Müller a. O. S. 241ff.; V^leseler Satyrepiel S. 30 ff. 161 flf.
183 ff. PhaUoA Eur. Qycl. 439; oov tqlJ« xp6p(oo x^atvqt CycL 80, daher
nadavit Horat. a. p. 221, fo^tyr^xai hp^^l^^^^ LnciaD. Bacch. 3. Masken:
PoUux 4, 141; Alb. Möller 8. 280 f.
2) PollQx 4, 118, vgl. 104; Wieseler S. 28 ff. Sie tragen einen zottigen
Chiton (xopratoc, Alb. Müller 8. 242, 4).
3) Conze Lntzows Zeitschrift f. bild. Ennst 3, 157 ö.; Heydemann
hnmoristische Vasenbilder aus Unteiitalien, Berlin 1870 S. 12 ff. ; über den
Satyrtypns: Furtwftngler Annali d. Inst. 1877 p. 240 ff.
4) Enstath. in Iliad. p. 989, 47.
5) Z. B. wird er im enripideischen ,,Syleu8" von Hermes als Sklave
verkauft (fr. 688). Anderes Aristid. HI 515 (U p. 405 D.). Ps. Jnstinns ad
geutes 3.
6) O. Jahn Philol. 27,17 ff. n. Bilderchroniken 8.42 A. 277; Stephani
der auimhende Herakles 8. 197 ff.; Preller griech. Mythologie H* 266 ff.;
Matz Annali d. Inst. 1872 p. 294 ff.; Heydemann humoristische Vasen-
bilder aus ünteritalien, Winckelmannsprogr., Berlin 1870 8. 3 ff. u. Vase
Caputi mit Theaterdarstellungen, Winckelmannspr., Halle 1884 8. 8 ff. mit
Tafel n.
7) O. Jahn Philol. 27, 16 mit T. I. Monum. d. Inst. VI T. 24, im
allgemeinen Berichte der sftchs. Gesellsch. der Wiss. 1846/7 8. 291 ff.
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur. XU. 25
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386 XI. Kapitel.
Es kann nicht ausbleiben, dass die Einführung der Satyrn oft
auf schwachen Füssen steht ; so greift Euripides, um die Poly-
phemsage für ein Satyrspiel verwerten zu können, zu dem Ein-
falle, eine Schaar Satyrn sei durch Stürme nach Sicilien ver-
schlagen worden und in die Gefangenschaft des Kyklopen ge-
raten. Man denke nun aber nicht, dass im Satyrspiel der My-
thus travestiert und die Helden lächerlich gemacht worden ^eien.
Mochten die Satyrn die Narrenfreiheit zu den kecksten Obsce-
nitäten ausnützen, die heroischen Personen benahmen sich nach
Horazens berühmten Ausdruck ^), wie eine ehrsame Bürgersfrau
im Festreigen, unter diesen frechen Gesellen etwas verschämt,
doch immerhin ihrer Würde bewusst. Die Dichter heben diese
beiden Klassen sogar in den Versen von einander ab*) und
halten den Tonfall des satyrischen Trimeters etwa in der Mitte
zwischen Tragödie und Komödie. Nur einige Personen waren
mehr komischer Natur, einerseits Autolykos und Sisyphos, die
Schelme der Heroensage, andererseits die einfältigen Menschen-
fresser Polyphem und Busiris ^;.
Zu den Satyrn passte das Vorkommen von Tiere, z. B.
erschienen im „Kyklopen** Herden, in Sophokles' „Liebhabern
des Achilleus** (Fr. 166) Hunde auf der Bühne. An die Heroen
hinwiederum reihten sich oft Olympier und anderei Gottheiten,
wie der Flussgott Inachos, oder Ungetüme gleich dem hundert-
äugigen Argos *) ; darum waren zwei Stücke des Achaios (He-
phaistos und Iris) nach Göttern benannt. Der Schauplatz pflegt
entsprechend dem gewissermassen das Naturleben personificieren-
den Satyrchor eine ländliche Gegend darzustellen*).
Die Oekonomie des Satyrspiels dürfte, da ihm die gleiche
Schauspielerzahl zugewiesen war, in den allgemeinen Grund-
sätzen von der Tragödie nicht viel abgewichen sein. Näheres
wissen wir jedoch nur über den Chor. Dessen Einzugslied be-
stand gewöhnlich aus den raschen Proceleusmatikern % während
1) A. p. 225 flf.
2) G. Hermann Eurip. Cycl. p. XIV flf.
3) Vgl. Sneton. p. 16, 2 ff, Reifferscheid; Bosiris ist auch auf verschie-
denen Vasen karrikiert.
4) Sophocl. fr. 256. 264.
5) Vitruv. 5, 8, 1.
6) Manns Victorinus 2, 11 a. E.
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Das Satyrspiel. 387
in den eigentlichen Tanzliedern der trochäische Tetrameter über-
wog *). Der gewöhnliche in Sprüngen und lebhaften Armbe-
wegungen bestehende Tanz hiess mit einem Barbaren worte Sf-
kinnis*), neben welchem auch der lascive Kordax vorkam ^),
Wir hören sogar, dass im sophokleischen „Amphiaraos*' einer
die Buchstaben tanzte *). In der Musik spiegelte sich die wech-
selnde Auffassung der Satyrn ; erinnert doch die energische
feierliche dorische Tonweise von Pratinas' Schauspielen, welche
>erst der Alexandriner Sosigenes wieder in Aufnahme brachte %
an den langbärtigen Dionysos der archaischen Kunst und den
würdigen Süen , der nach der alten Sage Midas tiefe Lebens-
weisheit gepredigt. Wie musste dagegen der dionysische Cha-
rakter des Spieles verwischt worden sein , wenn nicht einmal
im Satyrspiel die bakchische Flöte vor der Konkurrenz der
apoUinischen Kithara geschützt war!^ Zumal seitdem das Sa-
tyrspiel aus dem Tragödienverbande ausgeschieden war, scheint
•es der parodischen Komödie angenähert worden sein. Aller-
dings fallt das polemische Satyrspiel „Agen'* jenseits der Gren-
zen des klassischen Zeitalters , aber der oben erwähnte Ti-
mokles, ein Zeitgenosse des Demosthenes , war eigentlich Ko-
miker '').
Diese eigentümliche Art des Dramas gestattet leider* keine
eingehendere Schilderung, da die alten Grammatiker wenig da-
1) Aristot. poet. 4 p. 1449 a 22.
2) Aristoxenos fr. 44 bei Etym. M. p. 712, 54. Athen. 14, 630 b (per-
sisch 629 d). vgl. Eiirip. Cycl. 37. Gell. 20, 3; oxtp-cot Anthol. Pal. 7, 707, 3,
ov.tpTY)fi]<; odcTüp^o? Mosch. 6, 2, oxtptYjTsxol £vd-pu>icoc Lncian. deor. concil. 4,
vgl. Athen. 14, 630 d. Hesych. u. Etym. M. n. otxtwic. Cram. Auecd. Par. I
20 bestätigt durch Enrip. Cycl. 222 ff. und Sophokles bei Hesych. u. Sv^ptuoxe.
Gestikulation: Stephanos zu Arist. rhet. Anecd. Paris. I 307.
3) Lucian. Dionys. 1. Icaromen. 27.
4) Athen. 10, 454 f.
5) Dioskorides Anthol. 7, 707, 4. 7; Flötenbläser Wieselers Denkni.
d. Bnhneuw. T. 6, 1 ; otxivvoxopßYj eine Flötenweise Athen. 14, 618 c.
6) Wieselers Denkm. d. B. T. 6, 2. Satyrn werden überhaupt wieder-
holt mit der Kithara dargestellt z. B. in dem berühmten Vasenbilde von
Kertsch Corapte-rendu de l'ac. de St. Pet. 1861 Taf. 4 (Baumeisters Denkra.
S. 104).
7) Es wäre also nicht ganz unmöglich, daas die Athen. 10, 411a (Nauck
p. 604) Astydamas beigelegten enpolideischen Verse wirklich einem Satyrspiel
desselben entnommen waren.
25*
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388 XI. Kapitel.
von sprechen und selten Verse eitleren; das einzige erhaltene^
Satyrspiel ^)ist der „Kyklope** (K6xXco<|)) desEurlpides *) und dieser
war weder ein Meister des Satyrdramas wie Aeschylus oder Achaioff
(S. 367)^ noch entstammte er der alten Glanzzeit desselben, „al»
Choirilos im Satyrspiel König war** (S. 141). Das eurlpideische Pro-
dukt reicht also nattlrlich nicht bin, um zu begreifen, wie die Grie-
chen an solchen Scherzen die grösste Freude haben konnten«^
Wer leugnen möchte, dass der wahre dionysische Ton, dessen
tragische Seite der Dichter in den „Bakchen** meisterhaft dar-
stellte, nicht getroffen ist, betrachte nur die Versmasse ; gerade
die chamkteristischen Tetrameter und Proceleusmatiker fehlen.
Das Stück ist freilich , wenn man von vornherein auf die Be-
obachtung unserer Anstandsregeln verzichtet, recht amüsant^
aber es entbehrt der hinreissenden Genialität. „Der Kyklope"^
machte an die Regie nicht unerhebliche Ansprüche, da Herden
vorkamen und verschiedene Geschäfte der Hirten öffentlich ab-
gemacht wurden. Den Zuschauer vollends mutete der Dichter
viel Gefälligkeit zu ; die aus der Odyssee bekannte Handlung^
war allerdings der Bühne schwierig anzupassen. Wenn man^
aus dem „Kylopen'* einen allgemeinen Schluss ziehen darf,,
hatte das Satyrspiel einen bedeutend kleineren Umfang als die
Tragödie und Komödie; oder hat ihn Euripides geflissentlich
eingeschränkt ?
1) Beaafis Eustathios noch mehr? Vgl. opnsc. p. 89, 45 f. Taaoiv ahxä.
o\ lvx9'cojyi%6x9i icaXaioIc icovY^fxaoiv (uc hXi-^a xtyä nepitpspettti. Aach
Tzetzes (Anecd. Oxoo. UI p. 337) spricht von oaTuptxoI^ Spdfiaaiv EopticiSoo.
2) Spezialansgaben von Genthe, Halle 1828, Grotlfr. Hermann, Lpg.
1838 nnd Sidgwick, London '1886; Wiessner in Cycl. Enr. commentatt. IL,
Pr. y. Breslau 1860. 1866; Jos. An trän ^tndes grecques. Le Cyclope^
d'apr^ Enripide, Paris 1863; Brnno Arnold de rebus scenicis in Enr. CjcL
Nordhausen 1875; Wieseler adnotatt. criticae ad. Eur. C, ind. schol. hib.
Göttingen 1879.
3) Is. TiEetz. proleg. in Lyoophr. p. 257 hebt Pratinas hervor.
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XU. Kapitel.
Anfänge der Komödie.
Schriften über die Komödie in alter und neuer Zeit. Keime des Lustspiels;
-megarische Komödie: Epicbarmos, Phormos und Deinolochos. Ursprung der
dionysischen Komödie in Attika; Susarion.
Die von der Komödie handelnde Literatur beginnt mit drei theoretischen
Schriften, der Poetik des Aristoteles in der einstigen G^talt (vgl. Jak.
Bernays Rhein. Mus. 8, 561 ff.) und Abhandlungen nspl xii>(X(|>Sia^ von
.seinem Nachfolger Theophrast (Athen. 6, 261 d. Diogen. Laert. 5, 47) und
-dem athenischen Akademiker Krates (ApoUodoros bei Diog. Laert. 4, 23),
'welche offenbar alle von der Theorie des Lächerlichen ausgingen (Aristot.
Thet. 1, 11 p. 1372a 1. 3, 18 p. 1419b 6. Athen, a. O.). Dengleichen Titel
führten umfängliche Werke sehr gemischten Lihaltes, woraus hauptsächlich
Anekdoten und lexikalische Bemerkungen angeführt werden, zunächst icepl
•ap^aia^ xa>(X(|>diac von den Peripatetikem Ghamaileon (mindestens sechs
Bücher Athen. 9, 374 a. 406 e, mit Einschluss der mittleren Komödie) und
Eumelos (SchoL Aeschin. 1, 39), dann mindestens neun Bücher icspl xw-
^(|>$iac von Lykophron (Athen. 11, 485 dj, welchen Ptolemaios Philadel-
phos mit der Revision der Komikerabteilung der alexandrinischen Bibliothek
betraute (Anon. de oomoedia VUI 19); Eratosthenes entgegnete ihm mit
«inem Werke von nicht weniger als zwölf Büchern (iv iß^ icepl xwfKpStac
Phot. u. E&xXeia, Iv toZc nspl x. PoUnx 10, 60, (v T<j> ta* n. x. Athen. 11,
^1 d) , wozu wahrscheinlich der apxttsxtovtxoc und oxtooYpa^^xöc gehörten
<vgl. Bernhardy Eratosthenica p. 203ff.; Mor. Schmidt Didymi Chalc.
fragm. p. 46 ff.; C. Strecker de Lyoophrone Euphronio Eratosthene comi-
<x>rum interpretibus, Greifswald 1885); Auch der Aristophaneer Diodoros
Ton Tarsos (Fabricius bibliotheca Graec IV^ 380) schrieb in dieser Sache
icp^c Aox6fpova (Athen. 11, 478 b, vgl. 11, 501 d. Schol. Aristoph. Thesm.
.389. Hesych. u. AiaYopa^). In der Kaiserzeit verfasste Soteridas, der be-
kannten Pamphile Gatte, ein Werk über die Komödie (Suidas). Von den
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390 XII. Kapitel.
AnoD. de com. VIII 29 aDgefahrten Gewährsmännern Dionysios, Eratee nn^
Eukleides wissen wir nichts (s. aber S. 133).
Die Komödie gab femer zn vielen Einzelnntersachungen Anlass. Die
ästhetische Kritik vertrat der alexaudrinische Tragiker Dionysiades mit
XapaxTtjptc ^ <piXoxa>(X(|>$6( ftv <}> xoö? ^^apaxrijpa^ di.na'^^kWti xuiv icoiyjx&v
Saidas), den Standpunkt des Moralisten der philosophische Arzt Galenos
in der verlorenen Schrift tl xp'O^'H''^^ &vdYVtt>a^a xolc icatSeoofiivocc 4} nakaiä
xu>fi(|>$ta. Verschiedene philologische Fragen erörterten die xa>(xixd»v dicopY)-
(idtcuv Xuoctcdes als Metriker bekannten Alexandriners Hephaistion (Snidas).
Homeros' Schrift ic(pl xwv xwfitxuiv irpoauiiccuv (Snidas III) dürfte sich auf die
neuere Komödie bezogen haben. Im besonderen wnrde die Real- nnd Wort-
erklärnng berücksichtigt. Ein Schüler des Krates, Herodikos stellte alles
in den Komödien verspottete (xa>fi<|>$o6(X(ya) zusammen (Athen. 13, 586 a —
591c benützt das sechste Buch, welches die in den Komödien vorkommen-
den Hetären besprochen zu haben scheint; Schol. Aristoph. Vesp. 1277 (1231)
ist der Name in Harmodios entstellt (Süvern common t. de Aristoph. Avibus
p. 28 u. A.), wo Schol. V. 1285 (1238) das richtige zeigt); noch unter
Hadrian behandelte Nikanor denselben Gegenstand (Suidas). Antiochoa
von Alexandrien hatte sich dagegen auf die in der mittleren Komödie ver-
spotteten Tragiker und Lyriker (icepl tu>v gy t^ y^io-g x(})(i(})$iq( xa)(X(})$oa(iiytt>v
icot*r)X(»y, Athen. 11, 482c) beschränkt; hingegen waren die xu>(xixal loxoptat
des Kyzikeners Protagorides, weun der Titel richtig ist, Humoresken (Athen.
3, 124 d) und entsprachen seinen ^xpodioecc epoixixai Athen. 4, 162 b c).
Seitdem der Atticismus in die Mode gekommen war, also ungefähr seit
dem Ende der römischen Republik, studierten die Gebildeten aus den alten^
Komödien die echtattische Konversationssprache und den athenischen Esprit
(Aristid. rhet. 2, 7; über Lucians diesbezügliche Studien Rabastö quid
oomicis debuerit L., Pari» 1866; Ernst Ziegel er de L. poetarum judice et
imitatore, Göttingen 1872: Paul Schulze qnae ratio intercednt inter L. et
comicos Graecorum poetas, Diss. v. Berlin 1883). Für den ersteren Zweck
entstanden Glossare (xtt>(xix4) Xl^t^); aafDidymos (Meineke fragm. com.
Graec. I p. 14; Mor. Schmidt Didymi Chalc. fragm. p. 27 ff.), welcher
Lykophron und Eratosthenes benützte und seinerseits von Pamphilos (M^
Schmidt a. O. p. 74. 77), Diogeneianos (Hesychios) und Anderen au9ge«
beutet wurde (über die Aristophanesglossen des Hesychios Novati Studi dl
filologia greca I p. 59 ff.) folgten Aelius Theon, ebenfalls ein Gewährs-
mann des Hesychios (vgl auch Phrynich. ecl. p. 377), Epitherses (Steph..
Byz. u. Ntxaia, icspl Xl^^cuv 'Axttxcuy xal xcufitxwy xal xpa^ixaiv, vgl. Erotianus-
p. 88 Bepotc Iv 8«oxlp(p töv XI5«tt>v) und Palamedes (Suidas. Etym. M.
p. 145, 44. Schol. Aristoph. Pac. 913, vgl. O. Jahn Palamedes, Hamburg
1836 S. 58 ff.). Der Grammatiker, welcher sich Schol. Apoll. 4, 973 u. 1614
6y tg xcDfitx^ Xi£ti xf oo}ifiixx(|> , x6 xa>fitx6v Xs$tx6y (anders Schol. Arist.
Plnt. 313 ly xf xcoficxf Xi^tt 924 b x^ xoifiix'^y Xi$iy YP^4'tt<) nach Hemster-
husius ad Plut. p. 98 Palamedes, nach 0. Schneider de vett. in Arist.
Schol. fönt. p. 95 Didymos) citiert, ist Aelius Theon. Galenos endlich
schrieb Xtt»y l^ia»y 6yo(idttt>v xa>(iix(i)v icapa9tiY(iata (IV p. 368 Bas.). Dazo
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Ani&Dge der Komödie. 391
fnge man die 8. 129 ff. erwähnten Schriften, welche das gesamte Drama
amfassen, und die einzehie Komiker betreffenden Arbeiten, am ein volles
Bild von dem Reichtum an Stoff, den die griechische Philologie aus der
Komödie zog, zu gewinnen. Was wäre ohne sie die kolossale Excerpten-
Sammlung des Athenaios? Wie viele Komikerwitze figurieren in den
Sammlungen als Sprichwörter, wie sehr haben ihre Scherze und Angriffe,
weil die Grammatiker die Komödie zu fleissig lasen, die literarhistorische
Ueberlieferung entstellt I
Jetzt muss man die Bruchstücke jener Lexika aus den Wörterbüchern
und Scholien mühsam zusammensuchen (Kock verspricht eine Sammlung
für den Anhang seiner Fragmentensammlung). Die Aristophane^scholien
enthalten sehr viele Kombinationen und wenig Ueberlieferung, weil hier die
ununterbrochene Bühnentradition der Tragödie fehlte (die Regiebemerkungen,
T:ap9Ktr(p(iffai genannt, sammelten £. Droysen quaestt. de Aristophanis re
scaenica, Bonn 1868 p. 21 ff. und K. v. Holzinger über die Parepigrapbae
zu Aristophanes, Wien 1883); die alte Komödie wurde ja in der alexandri-
nischen Zeit von der neuen vollständig verdrängt, bis der Atticismus sie
künstlich wiederbelebte (Quintil. 10, 1, 65; Plutarch. comp. Aristoph. et Men.
c. 4 Aof. ist leider lückenhaft; schon ApoUonios von Tyana hoffte in Athen
Komödien mit Parabasen zu hören, Philostr. vit. Apoll. Tyan. 4, 21 p. 73 K.).
Was die (beschichte und die Technik der alten Komödie anlangt, finden uns
die Aristophaneshandschriften und die Scholien znr Grammatik des Thrakers
Dionysios mit einigen dürftigen Excerpten für den Schulgebrauch ab (ge-
sammelt in Meinekes fragmenta comic Graec. I p. 531 ff. n 1234 ff., vor der
Dindorfscheu und Pariser Ausgabe der AristophanesschoUen und vor Bergks
Textausgabe, nach welcher ich unter der Chiffre Anon. de com. eitlere). Mit
Namen nennt sich von diesen Handweisem nur Platonios, welcher über
die drei Zeitalter der Komödie (ic(pl Stacpop&c xa>(Xf{>Sid>v ; über die Zusammen-
setzung dieses Abschnittes s. Fr. Leo quaestiones Aristophaneae, Bonn 1873
p. 12 ff.) und ir«pl 8ta<pop&c x*P**'^P">^ (vielleicht mittelbar nach Diony-
siades), über die drei Klassiker der alten Komödie handelt. Nr. ni ist ein
wertvoller leider gegen den Schluss immer kürzer werdender üeberblick über
die Geschichte der Komödie mit Zifferangaben; aus einem ähnlichen V^er-
zeichnis ist YII. excerpiert. X. icepl xdSeux; iconQToiv stammt von dem Peri-
patetiker Andronikos aus Rhodos, ebenso vielleicht das Excerpt XI., das
jedenfalls aus derselben philosophischen Schule herrührt (L. Spengel
Münchner gel. Anz. 11 [1840] Nr. 133 S. 27ff. ; J. Bernays Rhein. Mus.
^, 561 ff.). IV. handelt von Erfindung und Ziel der Komödie, V. (zu einer
Erklärung des „Plutos^* gehörig) von ihren Perioden, VI. von dem Lächer-
lichen und dem Chor. Das wichtigste Stück ist das sogenannte „plautinische
Scholion^^ (griechisch zuerst in Cramers Anecdota Parisina I 3 ff., dann Keil
Rhein. Mus. 6, 108 ff. und besser in Ritschis opuscula I p. 197 ff.). In
Wahrheit fasst dieser Name, wie der neueste Herausgeber Studemund
Philol. 46, 1 — 26 nachweist, zwei von einander unabhängige Excerpte zu-
sammen, nämlich § 1—18, die nichts enthalten, was wir nicht schon auB
anderen Excerpten kennen (IX 2 ff. IV. 6 ff. V. VI. 1. 2) und § 19—39,
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392 XU. Kapitel.
wovou die einleitenden § 19—23 (über Ptolemaios and Peisistratos) nicht
hieher gehören, ebenso eigentlich auch die von den Dichtangen überhaupt
handehiden § 26-28. 33—39. So bleiben § 24. 25 (auf die Perioden der
Komödien bezüglich) und eine ans Dionysios, Krates nnd Enkleides ge-
schöpfte Uebersicht der Bestandteile der Komödie § 29—32, welche an das,
was Tzetzes über die Tragödie schrieb (S. 133) erinnert; von Tzetzes
rühren jedenfalls ia(xßoi texvtxol ictpl xti>(x<|>diac (Anecdota Oxon. HI p. 340 (f.)
her. Auch die an Terenz angeschlossenen Arbeiten lateinischer Grammatiker
enthalten manchen Best griechischer Gelehrsamkeit, besonders die als Einheit
überlieferte Einleitung von Euanthins (Professor der Grammatik in Kon-
fltantinopel, f 360) nnd Donatns (hrsg. y. Aug. Beifferscheid , index lect.
Breslau 1874 ; von p. 8, 4 an scheint Donatns zu sprechen). Der mit Sueton
zusammenhängende Artikel de oomoedia der Encyklopädie von St. Gallen
(ähnlich bei Isidor orig. 8, 7) ist von Usener Rhein. Mus. 28, 418 f. ver-
dffentlicht.
Eine sehr wichtige Quelle ist ein offizielles chronologisch geordnetes
Verzeichnis aller Komiker, welche an den Dionysien Siege errangen; die
Bruchstücke des Steines findet man CIA. II 977 bekannt gemacht.
Die früheren Hellenisten schätzten die Komikerfragmente nur wegen
ihres sentenziösen Gehaltes. Von diesem Gesichtspunkte sind die ältesten
Sammlungen von Jakob Hertel (Vetustorum comicorum L sententiae qoae
supersunt Gr. et Lat., Basel 1560) und Henricus Stephanus (Ck>micorum Grae-
corum sententiae Latinis versibns redd., Paris 1569) angelegt. P. F. Kann-
giesser die alte komische Bühne in Athen, Breslau 1817 war nicht be-
deutend. Erst Tbeod. Bergk commentatioues de reliquiis comoediae Atticae
antiquae, Lpg. 1838 eröffnete die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Ge-
bietes. Schon im nächsten Jahre erschien von Aug. Meineke historia
critica comoediae Graecae als erster Band des fünfteiligen Werkes Comicorum
Graecorum fragmenta (Berlin 1839—57; Bd. II ist der alten Komödie, III.
der mittleren, IV. der neuen, V. einem Glossar von H. Jacobi, der : In comicos
Graecos adnotationum coroUarium, Pr. v. Posen 1861 nachtrug, und den
Addenda eingeräumt; editio minor, Berlin 1847). Bald nachher gab Bot he,
nachdem er die Schrift „Die griechischen Komiker. Eine Beurteilung der
neuesten Ausgabe ihrer Fragmente" (Lpg. 1844) verfasst hatte^ Poetarum
comicorum Graecorum fragmenta (Paris 1855) heraus. Eine neue Sammlung
der fieste der attischen Komödie hat Th. Kock (Comicorum Atticorum frag-
menta I. alte Komödie, Lpg. 1880; II 1. Die Jüngeren ausser Menander,
Lpg. 1884; Ergänzungen: Nauck Bulletin de TAcad. de St. Petersboui^
XXX (1885) p. 109 ff.; 0. Kahler Hermes 21, 628 ff. u. Wochenschrift f.
klass. Philol. II (1885) S. 902 ff. unternommen. Eine specielle Geschichte
der Komödie ist seit Meineke nicht erschienen, einige populär gehaltene Dar-
stellungen ausgenommen: Benoit ^tudes sur la comödie publique ä Äthanes
au temps de la guerre du P^loponn^ Paris 1850; Nicol. Louis Artaud
fragmenta pour servir ä Thistoire de la com^ie antique. Epicharme, Mönandre,
Plante, Paris 1863; Edelestan du M^ril histoire de la oomedie ancienne,
Paris 1864—69, 2 Bde.; J. Denis esprit et Constitution de la com^die ari-
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Anfänge der Komödie. 393
fitophanesqne, Caen 1885 o. la comödie grecqne, Paris 1887i 2 Bde. Einzelne
Fragen behandeln: J. G. Car. Bnrmann de poetis comoediae Atticae qui
«ommemorantnr ab Aristophane, Diss. v. Rostock, Berlin 1868; Ud. v.W Hä-
mo wits observationes criticae in comoediam Graecam selectae, Diss. v.'
Berlin 1870; Job. Mnbl znr Geschiebte der attischen Komödie, Pr. v. Angs-
borg 1881; H. Lübke observationes- criticae in historiam veteris comoediae,
Pisa« V, Berlin 1883; £. Brandes observatt. critt. de comoediarum aliquot
Attic. temporibns, Diss. v. Bostock 1886.
Die Komödie beruht in Griechenland auf der Veranlagung
des Volkes, man möchte sagen, sie war bei der uatio comoeda,
wie sie Juvenal (3,100) nannte, eine Notwendigkeit. Die Hel-
lenen spotteten ja gerne überjedwedeGebrechen Anderer, hatten
aber zugleich von der Natur die Gabe, eine witzige Form dafür
zu finden, erhalten. Zu Athen vollends besass, während in
vielen anderen Städten Griechenlands besondere Posseureisser
ihre Mitbürger erheiterten ^) , die ganze Bürgerschaft eine den
Fremden unheimliche Spottlust, die ihr verblieb, als die Musen
die nissosstadt längst verlassen hatten ; jeder irgendwie auffal-
lende Mann bekam seinen Beinamen ^, jeder Gau eine Uebelrede')
und dem Kunsthandwerk lieferten Karrikaturen einen unerschöpf-
lichen Stoff*). Wie aber die griechische Dichtung überhaupt ihre
Wurzeln im Kultus hatte, so war es auch bei der Komödie der
Fall *)♦ Die Ausgelassenheit erreichte , nachdem die Bauern
1) Z. B. in Sparta SsixsXixtai (Sosibios bei Athen. 14, 621 de, Soidas
u. £(oocßio^ mit Bembardys Note, Hesycb. n. SixY)Xov, Plutarch. apopbtb.
Laced. ^Ayyjo. 57), welche Obst- und Traubendiebe oder firemde Aerzte lächer-
lich machten, ßpuXXixi<3tai in karrikierten Weibermasken (Hesycb. s. t. n.
ßpuXXcxiSStO n. fit(iY)Xoi (Sosibios bei Suidas), in Italien fXuaxe^ n. lXap<pSot
(Hiller Rhein. Mos. 30, 68 ff.), anderwärts oocpioxat (Athen, a. O.) oder
a^ToxdßSaXoi (Semos bei Suidas n. Sy)^oc).
2) Anazandrides bei Athen. 6, 242 e; Lor. Grasbergerdie griechischen
Stichnamen, 2. Aug., Wnrzburg 1883.
3) Z. B. Suidas u. Apua^apveo; Grasb erger a. 0. S. 57 ff.
4) S. z. B. Martha catalogne des figurines en terre cuite du mnsee
de la soc. arch. d' Äthanes, im Register p. 213.
5) Dahlmann primordia et successus veteris comoediae Athen, et
tragoediae historia comparatur, Kopenhagen 1811; W. Schneider de origi-
nibus comoediae Graecae, Breslau 1817; Gundolfde comoediae apud Graecos
origine, Paderborn 1833; £. v. Leutsch Philol. Suppl. 1, 65 ff.; Lorenz
Leben und Schriften des Koers Epicharmos S. 18ff. ; Gust. Gramer die
altgriech. Komödie u. ihre geschichtliche Entwicklung bis auf Aristophanes
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394 XIL Kapitel.
8cl)on bei der Erutearbeit vor Freude über die ihnen winkende
Rahezeit die Vorübergehenden verhöhnt ^), ihren Höhepunkt an
den Erntefesten, also im Kultus des Weingottes und der Frucht-
göttin. ') Hinsichtlich letzterer koncentrierte sich die attisch-
jonische Sage in der Magd Jambe, von welcher die Frauen
das sonderbare Recht herleiteten, an den Eleusinien, Thesmo-
phorien und Stenien öflfentlich die zügellosesten Reden zu füh-
ren *). Auch im achäischen Pallene verhöhnten Männer und
Frauen am Feste der Demeter einander*). Aus solchen Kult-
gebräuchen erwuchs bei den loniern die jambische Spottdicht-
ung. Die Dörfer dagegen scheinen nicht gewollt zu haben, das»
ein Einzelner sich so vordränge; wir hören wenigstens, dass
auf Aigina zu Ehren der aus Epidauros eingeführten Frucht-
göttinen Damia und Auxesia Prauenchöre den weiblichen Teil
der Bürgerschaft verspotteten; jeder Göttin wurden ausserdem
zehn männliche Chorführer erwählt*). Das sind unverkennbare
Keime einer wirklichen Komödie. Ebenso liebte man inSyra-
kus, wo sich ausserdem die Einzelnen am Demeterfest unflätige
Worte zuriefen, ®) nichts mehr als die Chöre der Jambisten ^.
Wie aus jenem Brauche die sicilische Jambendichtung — ich
erinnere an den Selinuntier Aristoxenos — hervorging, so legten
solche Chorlieder den Grund zur dorischen Komödie ®).
Pr. V. Beniburg, Köthen 1874; Kaetorchis 'A^vatov 6, 71flf.; Usener-
RheiD. Ma8. 28, 417 ff., besonders 422 ff.
1) Diese antike Sitte ist meines Wissens jetzt unr mehr in den ib-
ruzzen erhalten (Eberh. Gothein die Enlturent wieklang Süditaliens, Breslau
1886 S. 262).
2) Vgl. Etym. M. p. 764, 15 f.
3) Preller Demeter und Persephone S. 100. 389; Heflych. n. Ft^upi^
und Fe^pupiotai von dem gleichen Branche der Männer; Eleomedes de mete-
oris 2 p. 1120; Lexikographen n. Srf^via.
4) Pansan. 7, 27, 10; das gleiche fand im Apolloknltus von Anaphe
statt (Apoll. Argon. 4, 1725 f.). Merkwördiger Weise leitet Enanthins p. 3, 9 ff.
die Komödie von der Apolloverehmng ab.
5) Herodot. 5, 83. Hieher darf ich wohl den grossgriechischen Kult
der Korythalia stellen, der zn Ehren Mftuner mit hölzernen Masken als
Possenreisser auftraten (Hesych. u. xopittoi).
6) Diodor. 5, 4, 5.
7) Athen. 5, 181c.
8) G. A. Scholl de origine Oraeci draroatis dissert. pars I. Tübingen
1828; O. Müller Dorier II 348 ff.; Karl Jos. Grysar de Doriensinm oo-
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Anfänge der Komödie. 395
Man pflegt den Megarern dieses VerdieDst zuzuschreiben
und es ist nicht zu leugnen, dass Megara zur Zeit des Aristo-
teles eine polemische Komödie — wird doch ihre Entstehung
mit der demokratischen Freiheit in Zusammenhang gebracht —
besass. ^) Zudem war Demeter eine der ältesten und beliebte-
sten Gottheiten des Ländchens und das Volk zu Scherz und
Spott sehr aufgelegt ^, mochten auch seine feineren Nachbarn
die Witze plump finden '). Weiter zurück reichen die Nach-
richten bezüglich der gleichnamigen Kolonie, des sicilischen
Megara , welches wir für die Geburtsstätte der literarischen
Komödie ansehen müssen *). Vor der im Jahre 485 durchge-
führten Vernichtung besass die Stadt eine regsame Bürgerschaft *) ;
ihr angeborener Humor konnte in der neuen Umgebung nur
verfeinert und belebt werden, denn den Siciliem ging es nach
Ciceros berühmtem Worte nie so schlecht, dass sie um einen
treffenden Witz verlegen gewesen wären ^ Trotzdem scheinen
wir die erste Anregung von einem anderen Punkte herleiten zu
müssen.
Jener interessante Gottesdienst der Aigineten war nämlich
aus Epidauros entlehnt und dessen Bürger hatten die kleinasi-
atische Insel Kos besiedelt. Epicha r mos' ^) Vater Helothaies
moedia qnaestt. L Köln 1827; Lorenz a. O. — Das spätere Theater von
Syrakns lag, wie es scheint, neben dem Demetertempel (Cic. Yerr. 4, 119).
Später entschwand freilich das Bewnssteein des Zusammenhangs zu Gunsten
des Dionysos (vgl. Theocrit. epigr. 8 (17), 3 und die erdichteten Namen von
Epicharmos' Vater).
1) Poet. 3 p. 1448a 32. eth. Nicom. 4, 6 p. n23a 23f.; ü. v. Wilamo-
witz Hermes 9, 319 ff. dentet die megarische Komödie nach Art der Atellana.
2) Welcker Theognis prol. p. 57; J. Girard de Megarensinm ingenio,
Paris 1854.
3) Mtfapixic Y^Xfoc Aristoph. Vesp. 57 mit Schollen (daraus Hesych.
Snid. n. f^^^'^c)*
4) Vgl. Aspas. in Aristot. eth. Nie 4, 2.
5) Z. B. blöhte das Ennsthandwerk, s. Bullettino della comm. di an-
tichitlk e belle arti di Sicilia N. 6. Sett. 1873.
6) Cic. in Verrem 4, 95.
7) Diogen. La€rt. vit philos. Vm c. 3 §. 78; Fr. G. Welcker über
Epicharmus (1830), Kleine Schriften 1, 271 ff.; Epicharmi fragmenta coli.
H. Polman Kmsemann, Harlem 1834; Epicharmos des Koers L^ben n. Schriften.
Nebst einer Fragmentensammlnng. Hrsg. v. Aug. O. Fr. Lorenz, Berlin
1864; M. Haupt qnaestt. Epicharmeae (1861), opuscula U (1876) p. 190-94.
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396 XII. Kapitel.
nun *), war ein Anhänger des koischen Tyrannen Kadmos, wel-
cher 494/3 freiwillig nach Zankle auswanderte und dann Gelons
Vertrauensmann wurde *). Mit dessen wechselvollen Schick-
salen hängt es wohl zusammen, dass man Epicharmos, der als
Knabe die Heimatinsel verliess, bald nachMegara, bald in das
Sikanerstädtchen Krastos und endlich nachSyrakus verweist').
In dieser Grosstadt entfaltete Epicharmos unter dem Schutze
Gelons seine Wirksamkeit. Wenn ein Chronist gerade sechs
Jahre vor den Perserkriegen, also 486 (Ol. 73, 3) zur Zeitbe-
stimmung nannte^), schwebte ihm wahrscheinlich ein eklatanter
Sieg dabei vor, keineswegs aber der Anfang der Dichterthätig-
keit ; war doch Epicharmos viel älter als die frühesten athen-
ischen Komiker, die ihrerseits schon vor dem Perserkriege auf-
zutreten anfingen ^). Dank der Länge seines Lebens — er wurde
nämlich mindestens neunzig Jahre alt ^) — erlebte Epicharmos
auch die Herrschaft Hierons und gehörte zu den vertrauten
Genossen dieses Fürsten ^).
Epicharmos war durchaus nicht der früheste Komiker®),
sonst hätte er nicht in öflfentlichera Wettkampf mit Konkur-
1) Diog.; Tityros oder Cbimaros (Saidas, codd. Xtifiiapoc) nnd Tbyraos
(Jamblich. vit. Pyth. 34, 241) sind von Epigrammatikern erfanden ; der Mutter-
narne Sixic (Suidas) ist wohl ans Iixtwi^ entstellt, also gleichfalls ein sym-
bolischer dionysischer Name. Epicharms Name kam in der That auf dem
nahen Rhodos vor (Rhein. Mas. N. F. 4, 166). Ein Harmonistiker nahm au,
Epicharm sei nach Kos verbannt worden (Sneton. p. 8, 8 Reiff.).
2) Suidas (ttvl«) vgl. Herod. 7, 164.
3) Megara: Aristot. poet. 3 p. 1448 a 33, vgL c. 5. £Uoi bei Saidas;
Krastos: Neanthes bei Steph. Bys. Suidas (nach Welcker 8. 1, 3 ein Wort-
spiel mit xipac); Syrakas: Athen. 8, 362 d. 15, 698 c. Ck>lum. 7, 3, 6. Epi-
gramm der Statue. Suidas.
4) Suidas; Ol. 73 Anon. de comoed. III5; s. auch Saidas u. AtivoXoxo^.
5) Aristot. poet. 3 p. 1448a 33 f.
6) Diog.; 97: Ps. Lucian. jxaxpoß. 25 (XC^ttac); Greis: Aelian. var. bist.
2, 34. Stat. sUv. 5, 3, 151.
7) Marmor Par. Z. 71. Timaios bei Clem. AI. ström. I. 14 p. 353 P,
130 S. Jamblich. vit. Pyth. 36, 266. Schol. Pind. Pyth. 1, 98; Anekdote:
Plutarch. apophth. reg. *Upü»v 5 p. 175 c. adul. et am. 27 p. 68 a. Vgl. noch
*Eopt& xal vöoot fr. 3.
8) Theocrit. epigr. 8 (17), 1. Sneton. p. 8, 8 Reiff. («nnt qui).
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Anfltoge der Komödie. 397
renten um den Sieg ringen müssen ^) , wohl aber Begründer
des Lustspiels als einer regelrechten Art des Dramas^. Der
Umfang, des echten literarischen Nachlasses stand nicht ganz*
sicher fest*); die Titel der Stücke bezogen sich zum grösseren
Teil auf Götter (Atov&aoi, die Musen, Hebes Hochzeit, Bdxxat^
'A7pa>ottvo<;*) oder Heroen, besonders den nimmersatten Herak-
les *) (auf der Fahrt nach dem Gürtel, H. bei Pholos, Busiris)
und den pfiffigen Odysseus, als Ueberläufer, als Schiffbrüchiger,,
der Kyklop*), die Sirenen, dann Pyrrha und Prometheus, Ata-
lante, Philoktet, die Troer oder endlich Unholde wie Ökiron
und Sphinx, wobei die Mythologie in das Plebejische travestiert
wurde , z. B. erschienen die Musen bei Hebes Hochzeit ala
J^schweiber. Die „Perser** parodierten vielleicht das Stück de»
in Sicilien wohlbekannten Aeschylus. Femer benützte schon
Epicharmos die Personifikationen zu komischer Wirkung, indem
er bald einen Chor daraus bildete (die Inseln, die Monate, die
Dreissigsten ^) bald sie dem Anschein nach als Personen gegen-
überstellte, z. B. Erde und Meer, Hoffnung oder Reichtum,
AöYoc xal AoY^^a (wobei an den Aö^oc Stxatoc und äStxoc der
„Wolken** erinnert sein mag). Andere Titel klingen genrehaft^
wie die Festdeputation, das Fest, das Siegeslied, die Räubereien,
die Tanzenden, die Töpfe. Bestimmte Charakterrollen hingegen
sind durch bloss drei Titel, „die Megarerin**, „der Vomedran**^
(IlepCaXXoc) und „der Demagog*' ('Opoa), angedeutet; der zu-
letzt genannte schmeckt allein nach Politik , wie hätte auch
selbst die mildeste Tyrannis ein politisches Lustspiel geduldet,
ausser wenn es über unruhige Raisonneure herging? Die Sprache
1) Die Richter waren fönf an der Zahl (Epicharm bei Hesych. Suid.
SV nivxt xpitwv Y^vaoi).
2) Aristot poet. 5 p. 1449 b 6. Anou. de com. III 5 itpditoc rJjv xü)|i.<|)-
Jiav dceppifjLfjL^v iv»xrrjoato icoXX^ icpoo^piXotcxvYjoa?.
3) Nach Snidaa 52 (Bergk 42) Stücke, nach Lykon (bei Said., Lykophron?,
nach Kohde Helikonios) 36, nach Anon. de com. m 5 40, wovon vier be-
stritten waren.
4) Wahrscheinlich ein Dftmon, da nach Hesych ios Nymphen 'AYpü>otlvat
hiessen.
5) Drastisch schildert er ihn bei Athen. 10, 411 b.
6) Vgl. Holland Iicipeiger Studien 7, 149 ff.
7) D. h. des Monats (Tpiaxd^e;), vgl. Hesiod. E. 766 ffl
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938 Xn. Kapitel.
dieser kleinbürgerlichen Possen war natürlich der Dialekt des
gemeinen syrakusauischen Volkes, wofür Epicharmos den Gram-
matikern als Hauptqaelle diente. ^) Nichtsdestoweniger schrieb
er in Versen und zwar in Trimetern oder trochäischen Tetra-
metern *), was nicht recht verständlich wäre, hätten nicht auch
hier die Chorgesänge den ursprünglichen Kern ausgemacht'),
lieber die Anlage wissen wir leider nichts als dass die Stücke
geistreich erfunden und sorgfältig ausgeführt waren *). Wenn
der Dichter dem witzigen Volke gefallen wollte, musste er viel
Geist aufwenden, obgleich auch derbe Scherze auf Kosten von
Betrunkenen und Schmarotzern nicht mangelten*). Da indes
die Landsleute eines Empedokles nicht bloss lachen , sondern
auch ihren Verstand unterhalten wollten, erfreute sie der Ko-
miker durch eine unerschöpfliche Fülle geistreicher und tief-
sinniger Sprüche *). Diesen verdankte er es, dass er von Plato
der hervorragendste Komiker genannt^) und in den Schulen
des vierten Jahrhunderts gelesen wurde '). ^ Manche rechneten
sogar Epicharmos zu den sieben Weisen ®) und die Pythagoreer
beanspruchten ihn für sich, wenn sie ihn auch hochmütig nur
dem äusseren Schülerkreise zugewiesen ^®).
Die philosophische Hochschätzung hatte die Fälschung ver-
schiedener Lehrschriften zur Folge, welche teilweise schon im
1) Vgl. Saidas u. ^tX65«voc u. Tpo^poDV. U. v. Wilamowits homerische
Untersach angeu S. 319 leitet die Grammatikercitate aas Apollodoros icepl
AoDpi^oc ab. In den Handschriften sind die mnndurtlichen Formen sehr ent-
stellt. Die Ueberliefemng war schon früh verderbt (Schol. A in Hephaest.
1, 27 p. 111, 5 ff. W.).
2) Mar. Victorin. 2, 58.
3) Für Megara ist der Chor durch Aristot. eth. Nicom. 4, 6 p. 1123 a
23 xu>fjL(|>dotc xop'')Y^^ ansdrücklich bezeigt.
4) Anon. m 5; s. S. 397 A. 2. Aristot. poet, 5 p. 1449 b 3 rfi-q ^i
oxri\i.axa tivd a6rrj(; ^x^üo-rjc warnt allerdings vor »u hohen Vorstellangep.
5) Vgl. Cic. Tusc. 1, 8; Betrunkene: Athen. 10, 429a; Schmarotzer:
Athen. 6, 235e ff.
6) Anon. de com. III 5. Theocrit. epigr. 8 (17).
7) Theaet. 152 e; auch Xenophon citiert ihn (mem. 2, 1, 20, von Diu-
dorf verworfen).
8) Alexis fr. 135, 6 K.; daher führt Menander fr. 526 M. ihn an.
9) Hippobotos bei Diogen. Laert. 1, 42.
10) Diog. Jamblich. vit. Pythag. 36, 266, vgl. 166. Clem. Alex, ström.
5, 708 P, 255 S. Theodoret. cur. äff. Gr. I p. 478. VI p. 564.
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Anfänge der Komödie. 399
vierteD Jahrhundert existierten. So verfasste der Flötenspieler
Chrysogonos das Lehrgedicht „IIoXtTsfa** in Tetrametern ^) ; im
gleichen Metrum waren die Lehren des „Chiron" geschrieben T).
Das philosophische Gedicht „über die Natur" bearbeitete Ennius
in lateinischen Trochäen ^). Der „Kanon** und die „Gnomen**,
wahrscheinlich ebenfalls metrisch, rührten von dem Lokrer oder
Sikyonier Axiopistos her*). Ausserdem gab es, vielleicht weil
man Epicharmos mit Empedokles verwechselte oder doch paral-
lelisierte, ein sogar die Veterinärkunde mit einbegreifendes
medicinisches Lehrgedicht, das Pliuius benützte und Columella
rühmte*), sodann eine landwirtschaftUche Schrift, ^ ein berühm-
tes Traumbuch^), eine Rede an Antenor und gar auch ein
Kochbuch ®). Die Fälscher trieben in mehreren Fällen die Vor-
sicht so weit , dass sie die Echtheit durch Akrostiche beglau-
bigten. Wegen jener Dichtungen stellte man Epicharmus dem
alten Hesiod an die Seite. Vermöge derselben konnte Apollo-
doros freilich die Epicharmea in zehn Bände zerlegen^.
Epicharms Komödien dürften die Entwicklung des athen-
ischen Lustspiels, wie wir sehen werden, nicht unerhebUch be-
einflusst haben ; noch in der augusteischen Zeit stellten sie Kri-
tiker den hochgepriesenen menandrischen an die Seite ^^) , aber
das Ueberhandnehmen der einseitig rhetorischen Beurteilmig
drängte den derberen Dörfer rasch hinter den eleganten Athe-
ner zurück, so dass Quintilian in seiner Musterung der griech-
ischen Dichter bereits ganz von ihm schweigt. Epicharmos
verblieb den Grammatikern und gelehrten Philosophen bis in
1) Aristoxenoe bei Athen. 14, 648 d ; Citat Clem. ström. 5, 719 P, 258 S.
2) Athen. 14, 648 d.
3) Lorenz a. O. fr. B n. 1. — 12. Man citierte die Uebersetzang unter
dem Titel „Epicharmus**.
4) Phüochoros bei Athen. 14, 648 d ; s. fr. B 13—25.
5) Diogen. Columella 7, 3, 6; vgl. Lorenz S. 65 f. Fr. C 15, anch 16. 17.
6) Columella 1,1,8 (wird angefochten, s. Fabricius-Harles, bibl. Graeca
n 299 A.).
7) Tertullian. de anima 46.
8) Plntarch. Kum. 8 (Pythagoras erhftlt das römische Bürgerrecht!):
h^QKOita: Antiatticista Bekk. Anecd. Gr. I. 99.
9) Porphyr, vit. Plotin. 24.
10) Vgl. Horat. epist. 2, 1, 57 f.
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400 XII. Kapitel.
(las elfte Jahrhundort hinein ^), aber es ist merkwürdig, dass in
der späteren Kaiserzeit niemand mehr über den Dichter schrieb,
während vorher der jüngere Dionys von Syrakus und Aristoxe-
nos Abhandlungen verfasst *)*, der berühmte ApoUodoros eine
kommentierte Ausgabe veranstaltet') und Alkimos die Philoso-
phie des Dichters im Hinblick auf die platonische behandelt
hatte*).
Von Epicharmos' Gegnern und Zeitgenossen werden noch
zwei genannt: Der Syrakusaner Ph ormos, eigentlich dem ar-
kadischen Mainalos entstammt, soll Erzieher der Kinder Gelons,
nach anderen diesem und Hieron im Kriege nützlich gewesen
sein *). Die sieben Stücke, welche die Alten von ihm kannten,
führen alle mythologische Namen ; ein achtes, die „Atalanten",
war zwischen ihm und Epicharmos streitig •). Phormos führte
die bis zum Boden reichenden Gewänder (oflfenbar um die
Tragödie auch äiisserlich zu parodieren) und eine Scenerie aus
Leder ein '), ein Luxus, der vielleicht auf ihn den reichen Mann ®)
beschränkt blieb. Der zweite D ein olochos war ausSjrrakus
oder Akragas und hiess des Epicharmos Sohn oder Schüler
oder Konkurrent; seine vierzehn Possen fielen der Vergessen-
heit auheim %
Zu diesen dürftigen, keine deutliche Vorstellung des sicili-
schen Lustspieles gewährenden Nachrichten tritt eine interessante
Notiz, welche ein Streiflicht auf seine stehenden Figuren wirft.
1) Michael PseHos in Sathas' |i.eoata>v ßtßX. V p. 92.
2) Suidafl u. Aiovoaioc; Schol. Hepbaest. in Studemnnd u. SchöIIs
Anecdota I p. 143 icp6( t6 Y^p^iQveuxivac }i,6vov toö '^Apiatofivoa xbv
^ Eict)^apjtov.
3) Suidas u. xap^Kutteiv. Ath. 14, 648 de, 8. S. 399 A. 9.
4) Diogen. Laert. 3, 9 ff.
5) SuidaB s. v. ; bei Aristot. poet. 5 nnd Paasan. 5, 27, 1. 2 heisst er
^opfjLt^ (vgl. Lob eck pathologiae proleg. p. 502); Lorenz Epicharmos
S. 85 f.).
6) Athen. 14, 652 a. "Iititoc war jedenfalls das trojanische Pferd.
7) Athen. 14, 652 a (ax-rjv}] Sep^dtwv; das dahinter überlieferte <potvi-
xoDc, welches man in <potvtxu>v zu ändern pflegt, ist eine aaf das Folgende
bezägliche Randglosse ; übrigens hatte schon Asi>asi'os zu Aristot. eth. Nicom.
4, 6 die heutige Lesart vor sich).
8) Pausan. a. O.
9) Suidas s. v.; Konkurrent: Aelian. bist. an. 6, 51, womit die Zeit-
angabe des Suidas (Ol. 73) übereinstimmt.
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Anfänge der Komödie. 401
Die Megarer, schon in Hellas als Feinschmecker bekannt^),
fanden in ihrer Niederlassung den berühmten hybläischen Honig
Tor, ein Produkt, ohne das im Altertum wie noch jetzt in der
Levante die feinere Kochkunst unmöglich war; ausserdem be-
sassen die sicilischen Diners überhaupt einen sprichwörtlichen
Ruf ^* Da die Köche also im wirklichen Leben eine wichtige
Rolle spielten, beschäftigte sich auch die Posse Siciliens viel
mit ihnen, wobei der fremde gemietete Koch, dessen attischen
Doppelgänger wir zur Genüge kennen, Tettix^) hiess, während
der unfreie Hauskoch den unteritalischen Namen Maison, weil
von dorther natürUch viele Sklaven kamen, trug*).
Es ist oben bereits hervorgehoben worden, das» die länd-
lichen Feste nicht bloss zur Ehre der Fruchtgöttin gefeiert wur-
den, sondern auch Dionysos überall, wo man Wein baute, die
gebührende Verehrung empfing. Da aber der Bauer diesen Gott
in dem rohen Phallossymbol zu verehren pflegte, war die aioxpo-
Xo^ia von vornherein erlaubt, ja ermuntert. In vielen Städten
trat eine Schaar mit einem hölzernen Phallos öflfentlich auf
um, nachdem sie auf den Gott ein Lied abgesungen hatte, an
missliebigen Mitbürgern ihr Mütchen zu kühlen ^). Aristoteles
1) Diogenes bei Tertnllian. apologet. 39.
2) Lorenz a. O. 93; A. Otto Archiv f. latcin. Lexikographie 3, 373.
Der sicilischen Köche gedachte der jüngere Eratiuos (fr. 1).
3) Athen. 14, 659 a ; in der nenen attischen Komödie hiess ein ^paiccuv
so (PoUux 4, 149).
4) Athen, a. O. (Maioa>vix& oxü>fjL}iaTa b, Matotovtx'r) ico(poi}i.ia Diogeu.
praef., Tgl. Zenob. 2, 11). Pollnx 4, 148. 149. Festns n. Maesones, nach
Aristophanes von einem Schauspieler, welcher die Maske erfand, oder nach
anderen von einem Dichter benannt, aber dann müsste sie Matawvioc heissen,
wie 'Ep}iLu>vioc und Aoxofii'f^Ssio^ (Pollnx 4, 143). Der Name, welcher scherz-
haft in Mooofuv verdreht wnrde (Heeych^ n. MooowvtO, kommt in einer
messapischen Inschrift (Fabretti, Corpus inscript. Ital. 2942) vor ; also ist die
Ableitung des Chrysippos (von }iLaoaoji.ai, Athen, a. O.) falsch. Polemon
(Athen. 14, 659 c) betont ausdrücklich den sicilischen Ursprung der Maske.
5) Sie hieesen <paXXo<p6poi (Athen. 14 , 621 f. Semos ib. 622 cd) oder
l^ü<paXXoi (Semos 622 bc, vgl. Suid. v. SYjfiioc. Harpocr. s. v. s. auch Suid.
u. Hesych. s. v.), vgl. Grenz er, Dionys. p. 232 flf.; Fritzsche de Lenaeis
mantissa, Kostock 1837 p. 29 ff. Mit letzterem Worte hängen offenbar die
Td-o^ßpi genannten Spottterse zusammen (Hesych. u. id'Ofiißoc).
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur IH. 26
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402 Xn. Kapitel.
leitet davon die attische Komödie ab, ohne jedoch über die
Mittelglieder Auüschluss geben zu können *). In der That hören
wir sonst, den Dithyrambos ausgenommen von dionysischen
Chorliedem nichts, wälirend die an den Ohoen und Lenäenin
der Stadt herumfahrenden Masken , welche die Leute „vom
Wagen herab" verspotteten*), den oben erwähnten Nachfolger-
inen Jambes zu vergleichen sind. Allerdings gingen jene Phallos-
gesänge nicht nur nicht in die Komödie auf, sondern sie über-
dauerten das alte Lustspiel bei weitem und wurden mit der
Zeit auch bei anderen Gelegenheiten vorgetragen ') ; während
der Dionysien konnte man solche Reigentänze an .mehreren
Orten der. Stadt und in den Dörfern sehen, weshalb Freunde
der Musen an dem Feste herum wanderten *). Andererseits führte
die Komödie den allgemeineren Namen Komos-Gesang , d. h.
Lied, welches ein Zug froher Zecher sang % Dies ist ja die
einzige zulässige Erklärung, obgleich schon zur Zeit des Aristo-
teles gebildete Dörfer zu Gunsten des dorischen Ursprungs den
Namen von dem unattischen xo>(i'y] (Dorf) ableiteten; da diese
Etymologie den Späteren am meisten zusagte, fabulierten sie
des weiteren, geschädigte Bauern hätten sich zuerst zu einer
Art ^aberfeldtreiben zusamraengethan ^) oder die Jugend sei
1) Poet. 4 p. 1449 a 11.
2) Plat. leg. 1, 637 b. Menandros bei Harpokr. Suidas u. atp' dt}iLdi£Y)(; ;
aber den gemeinen Ton Demostb. 18, 122; Masken: Ders. 19, 287. Daher
rührt der eigentämliche Gebrauch des Wortes icopiictüsiv. Auf die Komödie
beziehen den Brauch Schol. Aristoph. Nub. 296. Eq. 551 (544). Phot. Snid.
6$ dfjLdi£-r)c, -<i>v, Apostol. 16, 4 u. A.; s. S. 139 A. 8. Die Lieder, welche
weibliche Chöre bei der Erigonefeier sangen, gehören trotz ihres in Kolophon
zügellosen Tones nicht hieher; nach Aristoteles verfiEtsste Theodoros derartige
Gesänge (Athen. 14, 618 ef).
3) Z. B. als die Athener Demetrios Poliorketee empfingen (Demochares
bei Athen. 6, 253 c), und bei Trinkgelagen Alexanders des Grossen (Hippolo-
chos bei Athen. 4, 129 d).
4) Plato. rep. 5, 475 d.
5) Vgl. Aristot. poet. 3 p. 1448 a 38 u. A. Thaleia hält daher auf
einer Neapler Vase Thyrsos und Fackel (Gerhard, Neapels antike Bildwerke
I S. 365) und „Eomodia" trägt auf einem anderen Gefösse (Miliin, peintures
de vases ant. I 9) Thyrsos und Becher.
6) Anon. IV 1. VHI 2 ff. Etym. M. p. 764, 20 ff. Donatus p. 8, 18 ff.
Tzetz. Anecd. Oxon. IH 335, 2 ff.
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Aufftnge der Komödie. 403
ehemals in den Dörfern herumgezogen , um mit Singen Geld
zu verdienen *). Der Name der Komödie wird durch eine merk-
würdige Stelle des Pbilodemos, worin er von dem Lindier An-
tbeas spricht ^, am besten erläutert : ,,Er weihte sein ganzes
Leben dem Dionysos, indem er dionysisches Gewand trug und
viele Bakchanten ui^terhielt, und führte regelmässig bei Tag
und Nacht einen Komos an Er dichtete auch xiA^8(a(:
und vieles andere der Art , welches er an der Spitze seiner
Phallosträger sang". Auf Rhodos kämpften nämlich Bürger-
chöre dem Dionysos zu Ehren *).
Jedenfalls bestand die Komödie gleich der Tragödie anfemgs
aus Chorgesängen allein ^), deren Ausgestaltung zu einem Drama
um nichts klarer vor unseren Augen liegt. Die parische CHiro-
nik meldet kurz und trocken , dass in der dritten oder vierten
Dekade des sechsten Jahrhunderts Susarion mit einem ko-
mischen Chor auftrat und, weil er gefiel, ein echt dionysisches
Geschenk, einen Krug Wein und einen Korb getrocknete Feigen
empfing ^). Spätere wussten freilich von diesem einige lam-
beh anzuführen , worin er sich Sohn des Philinos aus dem
megarischen Tripodiskos nennt ^) ; sollten jedoch diese Verse
1) (Aristot. poet. 3 p. 1448 a 88) Varro bei Saeton. p. 7, 13 ff. Beifi.
Anon. III 1 ; ganz nnbranchbar sind die Ableitungen von Ka»c (als Epicharma
Heimat, sant qui bei Sneton. p. 8, 8 Reiff.) und xm^ka Schlaf Anon. Vlll
10. IV 6. IX 10. Etym. M. p. 764, 17. Thom. Mag. vita Ariatoph. 6 (man
darf zar Entschuldigung an Philostrat. imag. 1, 2, wo Heyne und Zo§ga den
Komos als Schlafgott erklären, erinnern).
2) Athen. 10, 445 b.
3) Vgl. Ariatides orat. 44 H 399 (I 841).
4) Enanthius p. 4, 13 ff.
5) Marm. Par. Z. 55 (Die jetzt verlorene Jahreszahl lag zwischen Ol. 49,
4 und 54, 3, also 581 und 562). Susarion heisst daher Erfinder der
attischen Komödie (Anon. V 2 = VHI 16), ungenau der Komödie überhaupt
(Clem. Alex, ström. I 365 P, 133 S. Anon. HI 1. Vm 6 = IX 5. Greg.
Cor. Walz VII 1328, 16. Tzetz. Aneed. Oxon. m 336. Anon. de com. Rhein.
Mus. 28, 418 Z. 16).
6) Anon. VHI 6 = IX 5 (Meineke I 20 ff. Kock I 3 f.), schon Sueton.
p. 9, 12 ff. bekannt , dagegen ignorierte sie die Quelle von Marm. Par. und
Clem. Alex. a. O., welche Susarion nach Ikaria versetzt (vgl. auch Anon.
HI 1). ü. V. Wilamowitz Hermes 9, 338 beanstandet die Anrede 8*1)^6 tai.
26*
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404 Xn. Kapitel.
überhaupt echt sein, müssten sie iambischen Gedichten in der
Art des Phokylides entstammen. Wenn man sich jedoch er-
innert, dass der offene Krieg zwischen Athen und Megara erst
um 570 aufhörte und die einen Nisaia, die anderen Salamis zu
verschmerzen hatten, dann erscheint die Behauptung, ein Dich*
ter der verhassten Nachbarstadt habe sich bald darauf nach
Athen begeben und obendrein einen Sieg errungen, in bedenk-
lichem Lachte.
Susarions Name leuchtet vereinzelt aus dem Dunkel heraus.
Man könnte sich sogar darQber wundern, dass dieser eine noch
überliefert ist ; bezeugt doch Aristoteles, die Anfänge der Komö-
die seien unbekannt, weil man sie anfangs nicht geachtet habe.
Sie sei lange Zeit von Freiwilligen dargestellt worden und erst
spät habe sich der Staat darum angenommen ^). Dies gibt uns
das Recht, gegen die von Suidas erwähnten Zeitgenossen des
Epicharmos (Euetes , Euxenides und Myllos) •), wie gegen die be-
stimmte Angabe, dass Chionides acht Jahre vor dem Perser-
kriege imAgon siegte*). Misstrauen zu hegen. Bei Myllos kann
man übrigens erraten , wie er zu der Ehre kam; die Gram-
matiker, welche in den „Kleobulinen** des Kratinos das Scherz-
wort „Myllos hört alles" lasen, machten unbedenklich einen
komischen Schauspieler daraus und dieser verwandelte sich, wie
es ähnlich gar oft geschah , mit der Zeit in einen komischen
Dichter*). Es sei uns genug, dass der Verfasser der Didaska-
lien Magnes und Chionides die ältesten Dichter der attischen
Komödie nennt und sie lange nach Epicbarms Auftreten setzt ^).
Das Jahr des ersten öffentlichen Agons, womit die Komödie in
1) Poet. 5 p. 1449 b 1 f.
2) Suidas u. 'EittxapH^o? ; statt Eicxirjc (vgl. C. Keil spec. onomatolog.
Graec. p. 61) hat Vitrav. VI praef. Encrates. S. auch Wilamowits
Hermes 9, 339. 341.
3) Dies nahm offenbar der Gewährsmann der entstellten Notiz des
Suidas u. XtovtJirjc an.
4) Schauspieler: Eustath. in Odyss. p. 1885, 21; Dichter: Sueton. p. 9,
9 Reiff. Diogenian. 6, 40 u. A. Hesycb. u. jxuXXov. Arcad. de accent. p. 53,
15 ed. Barker.
5) Poet. 3 p. 1448 a 35.
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Anflinge der Komödie. 405
die Literatur eintritt, ist leider nicht einmal annähernd zu be-
stimmen ^).
1) Seibit die Insohrüt CIA. II 971 a, wo die Au£Pahnmg einer Komödie
des Magnes mit einem Siege des Aesohylos vereinigt ist, hilft nicht weiter,
da Aeschylns^ Stücke bekanntlich auch nach seinem Tode in den Dionysien
siegten. Vgl. ober die Frage Leo Rhein. Mns. 33, 139 ff.; Bergk Rhein.
Mus. 34, 292 ff. (nach seiner Annahme wurden die Lenäen den Komödien
OL 79, 1, die Dionysien OL 84 eröffiiet); ü. Köhler Mittheil, des deatschen
arch. Inst, in Athen 3, 104 ff. (um Ol. 78).
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Xm. Kapitel.
Die altathenische Komödie.
Staatliche Ordnang; Publikum; Technik: Stofte und Penouen (Bürger,
Fremde, Götter, Personifikationen, nicht erfundene Personen); Preesfreiheit;
Earrikatnren ; politische Haltung; Yerfolgnng der Philosophen und Musiker;
lächerliche Garderobe, Obscenitftten, Parodie, Zerstörung der Illusion; Oeko-
nomie und Dialog, Schauspieler und Chor, Parabase; Musik und Tanz ; Vers-
mass und Sprache; Einheit des Ortes und der Zeit; Gesamturteil.
Fr. Schlegel von dem künstlerischen Werte der alten Komödie (1794),
sämtliche Werke (Wien 1846) Bd. 4 S. 22fi^; W. Gerhard Brill quaeetiones
selectae de oomoedia Aristophania, Leiden 1837 ; H. T. Hörn u ng de partibus
comoediarum Graecarum, Diss. v. Berlin 1861; Hub. d'Avis de priscae
^moediae Atticae natura forma et legibus, Marburg 1868 ; £. W. H. B r e n-
tano Untersuchungen über das griechische Drama I. Frankfhrt a. M. 1871;
Jul. Bock über Inhalt und Darstellungsformen des politischen Lustspiels
der Griechen, Pr. v. Nenstrelitz 1875; Texte r zur dramatischen Technik des
Aristophanes, Pr. v. Stettin 1884 und 1885; Th. Zielinski die Gliederung
der altattischen Komödie, Lpg. 1885 u. Journal des Minist der Yolksaufkl.
m. Abt 1885 Januar Iff. März 129 ff. 1886 November S. 53 ff. Dezember
S. 117 ff.
Der Staat bebandelte die Komödie, seitdem er sie über-
haupt anerkannte, mit der Tragödie gleichberechtigt, indem
er die komische Choregie unter die von den Vermögenden
jahrlich zu übernehmenden Ehrenämter aufnahm und seiner-
seits den Dichter honorierte ^). Diese Einrichtung ermöglichte
während des fünften Jahrhunderts nicht allein an den grossen
1) Hesych. u. fiLio^6(.
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Die altatbenieche Komödie. 407
Dioiiysien drei Komödien, wahrscheinlich in der Weise, dass
jeder der drei Spieltage (S. 152) durch eine Komödie heiter
beschlossen wurde ^). Erst im folgenden Jahrhundert wurde
die Zahl gleichzeitig mit der Verlängerung der Dionysien auf
fünf erhöht ^. Wer sich nicht vor die grosse panhellenische
Versammlung der Dionysien wagte, dem standen die winter-
lichen Leuaien, wo die Athener, weil die Schiffahrt ruhte,
unter sich waren, offen. Auch hier wurden, wie die Didas-
kalieu aristophanischer Stücke zeigen, drei Konkurrenten zu-
gelassen. Da die Komödien nicht trilogienweise, sondern einzeln
gespielt wurden, konnte der Archon gestatten, dass fruchtbare
Dichter mit zwei Stücken zugleich in den Wettkampf eintraten,
um das doppelte Honorar und eventuell zwei Preise zu er-
langen ^). Uebrigens wollte der Staat durch die Einweisung
von drei oder fünf Choregen die Produktion von Komödien
fördern, nicht aber einschränken. Wie nun vorher der Chor
aus FreiwiUigen bestanden hatte, so stand auch noch unter
den veränderten Verhältuisson einem vierten Dichter der Zutritt
zum Agon frei, wenn er selbst für den Chor sorgte und auf
Honorar verzichtete*). Für die Wiederaufführung älterer Stücke
bestimmte man wiederum die ländlichen Dionysien % ausserdem
aber in älterer Zeit auch die Chytren, was Lykurgos wieder
in Aufnahme brachte ^) ; die Wiederholung lag gleichfalls in
1) Nach dem Mittagessen Aristoph. Av. 789, wozu Philochoroe' £r-
zftblnng bei Athen. 11, 464 e paast. In Inschriften werden aUerdings die
Komödien vor den Tragödien genannt (Alb. Müller griech. Bühnenaltert.
S. 322, 3).
2) Zuerst 388 (aus der Didaskalie des „Plutoe^^) nachzuweisen; CIA. II
972; Sanppe Gott. Nachrichten 7, 20fr.; Petersen Wiener Stndien 7, 181 ff.
3) Dies that nachweislich im Jahre 353 Diodoros (CIA. II 972).
4) Auf solche Weise führte z. B. Kratinos die „Hirten" auf (vgl. fr. 18 K.
bei Hesych. u. nopicepe^X^^ b* auch Aelius Dionysios bei Eustath. in II. K 227).
Vielleicht fehlten die Ooopioicipaai des Metagenes und Nikophons „Sirenen"
eben aus diesem Grunde in der offiziellen Liste (Athen. 6, 270 a).
5) Aeschin. 1, 157. Das Gesetz des Enegoros (Demosth. 21, 10) hebt
hierbei wieder den Piräus hervor (S. 150 A. 3).
6) PS. Plutarch. Lycui^. 841 ef (vgl. Rohde Rhein. Mus. 38, 276 f.);
Xutpivoi &Y <uvt<; Philochoros fr. 137 bei SchoL Aristoph. Bau. 220 ; vgl. Aristoph.
Ran. 215; Hippolochos bei Athen. 4, 130 d (zur Zeit Theophrasts) ; Ol. 92,3
wird eine Diobelie inr die Chytren ausgeteilt (CIA. I 188).
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408 Xm. Kapitel.
den Händen der Protagonisten, die ihrerseits um ausgesetzte
Preise stritten *).
Das Publikum, welches der Komiker im Auge hatte, war
weniger feierlich als das seines tragischen Kollegen gestimmt;
wenigstens hatte er die dankbarsten Hörer an den jungen
Leuten •). Man hat darüber, ob Frauen im Theater anwesend
waren, viel gestritten *). Die Polizei legte zwar ihrem Eintritte
kein Hindernis in den Weg, allein wenn im fünften Jahr-
hundert die Athener ihre Frauen gewöhnlich nicht in die
Tragödie liessen (S. 155, 2),* um wie viel mehr musste ihre
Anwesenheit in der Komödie der guten Sitte zuwiderlaufen!
Wir reden natürlich nur von den Frauen der gebildeten
Stände. War doch am Spätnachmittag eines Dionysosfestes
die Masse der Zuschauer, zumal sie fortwährend tranken und
naschten*), gewiss nicht mehr in vollkommen nüchternem
Zustand. Dass dagegen die Demimonde nicht ausblieb, ver-
stünde sich auch ohne ausdrückliche Bestätigung von selbst^).
Jedenfalls war der Komiker durch keinerlei Anstandsrück-
sichten gebunden.
Der athenischen Komödie stand das ganze Gebiet des
Lächerlichen ^) unbeschränkt offen, denn das Volk wollte, nach-
1) Einen solchen SchauspielerRieg verzeichnet die Vorbemerkung zum
„Frieden'' (Bob de Rhein. Mus. 38, 285 f.).
2) Plato leg. 2, 658 d, vgl. Eapolis fr. 244 K. Aristoph. Pac. 50.
3) Der Witz Aristoph. Nnb. 355 (s. Teafiel) beweist nichts gegen ihre
Anwesenheit, ebensowenig Av. 793 ff., andererseits ist Schol. Arist. Eccl. 22
(Snid. n. Sf Dpofiiaxoc) Kombination. Pac. 964 f. weisen allein die Anwesenheit
von verheirateten Franen nach. Gelengnet von Fr. A. Wolf Wolken, Einl.
u. Egg er essai snr Thistoire de la critiqne p. 504 ff., anders K. Fr. Her-
mann in Beckers Charikles III' 139 ff., s. auch Jacobs vermischte Schriften
4, 303 ff.; Böttiger kleine Schriften 1, 295 ff.; J. Bichter zur Wardigang
der aristoph. Kom., Berlin 1845 S. 20 ff.; Ed^lestand du M^ril Revue archM.
n. s. Vm (1863), 128ff.; Wecklein PhUol. 31, 457.
4) Philochoros bei Athen. 11, 464 e, vgl. Aristot. eth. Nicom. 10, 5
p. 1175b 12.
5) Alexis fr. 41; Meineke Menauder et Philem. p. 345.
6) Die theoretischen Erörterungen (Cic. de oratore II c. 58—72. Qain-
tilian. VI c. 3, Jean Paul Vorschule der Aesthetik I. Stuttgart «1813; F.
W. E. Rost de natura ridiculi, Lpg. 1814; Rüge neue Vorschule der Aesthetik,
Halle 1834; Friedr. Th. Vi scher über das Erhabene und Komische, Stutt-
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Die altathenische Komddie. 409
dem es in d^ Tragödie Thränen vergosssen hatte , in der
Komödie nach Herzenslust lacken und weiter nichts , so
dass jede Neigung zur comödie larmoyante von vornherein
undenkbar war. Auf welche Weise nun der Lacherfolg erzielt
wurde, darüber machten sich weder Dichter noch Publikum
Skrupel. Moliöre erklärte, seine Absicht sei faire rire les
honnßtes gens; die Alten waren nicht so delikat. Vor allem
sollte die Masse unterhalten werden und dieser gefielen nicht
bloss die trivialen Gassenwitze , wie über die Kahlköpfigen *),
sie wollte kräftigeres, Prügeleien, Räusche, Jagd auf Flöhe und
Wanzen*), und fand selbst die öflfentliche Darstellung unum-
gänglicher, aber doch nicht anständiger Verrichtungen zulässig').
Brachte nun ein Dichter wie Aristophanes auch den Gebildeten
etwas, glaubte er sich dessen schon öflfentlich rühmen zu dür-
fen. Wir begreifen , dass die Philosophen mit seltener Ein-
stimmigkeit von den athenischen Komikern mit der grössten
Verachtung sprachen *) und kein tragischer Schauspieler , ge-
schweige denn ein Tragiker zur Komödie sich herabUess^), wie-
wohl die Dionysosverehrung beide Gattungen verband. Nicht
anders urteilte aber auch die öflfentliche Meinung ^. Wehe dem
Areopagiten, der eine Komödie zu schreiben gewagt hätte!')
Unter dem Drucke solcher Missachtung Hessen die Dichter auf-
gart 1837; Aug. Bohtz über das Komische und die Komödie, Gott. 1844;
Hecker die Physiologie n. Psychologie des Lachens a. des Komischen,
Berlin 1873; Knno Fischer über die Entstehung u. die Entwickln ngsformen
des Witzes, Heidelberg 1871) berncksichtigen die Vorbedingungen der alten
Komödie nicht; nnseren Zwecken liegt Jnst. Moser Harlekin oder Verteidigung
des Groteske-Komischen, Bremen 1777 näher.
1) Aristoph. Nub. 540.
2) Aristoph. Pnc. 740 ff.; Betrunkene: Krates bei Athen. 10, 429a und
Schlussscene der Wespen, auch noch bei Alexis (fr. 87. 301) und in der neuen
Komödie (Dio Chrys. or. 32, 94).
3) Z. B! Eccl. 311 flf. Ran. 479 ff. Thesm. 611 ff. Vesp. 935 ff.; Speien
Acharn. 585. Piaton f^. 185.
4) Z. B. Plato leg. 7, 816 de. Aristot. eth. Nicom. IV 9, 6. Krates bei
Diogen. 6, 89. Phüodem. mns. IV col. 12, 38. Plutarch. quaest. symp. 7, 8, 3.
Per. 13 und in seinem ,,Vergleich von Aristophanes und Menander", ebenso
Isokrates bei jeder Grelegenheit.
5) Plato rep. 3, 395 a.
6) Vgl. Eupolis fr. 857 K (302 M.).
7) Plutarch. glor. Ath. 5 p. 91.
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410 Xm. Kapitel.
fallend oft lieber ihrem Regisseur die Ehre des ^eges ^) als dass
sie selbst, wie es das Herkommen verlangte, die erste Rolle
ihres Werkes spielten*). In der demosthenJschen Zeit werden
aber die Hauptschauspieler bereits ausdrücklich angegeben,
doch blieb Anüphanes , vielleicht auch Menauder dem alten
Brauche treu ^). * Selbst von den Choreuten verlangte die Sitte,
dass sie sich durch Masken unkenntlich machten; andernfalls
galt einer für einen schamlosen Menschen^). Die Zuschauer
beobachteten demgemäss ein äusserst rücksichtsloses Benehmen
und der Komiker war, wenn er missfiel, einem Steinhagel aus-
gesetzt*). Die altattische Komödie war eben, weun wir sie rich-
tig benennen wollen, ein Fastnachtsschwank. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus wird man alle ihre Eigentümlichkeiten ver-
stehen.
Bei der Erfindung des Stoffes kaimten die Dichter keine
andere Schranken als die ihrer Phantasie, da sie, im Unter-
schiede von den Tragikern, ihre Stoflfe frei zu erfinden hatten.
Eine traditionelle Grundlage war nur dann geboten, wenn sie
einen Mythus oder eine Tragödie travestierten, wie z. B. schon
Hermippos „Athenes Geburt'* und Kratinos „die Odysseus**
verfassten ^). Holbergs „Ulysses von Ithacien'' vermag dem
Modernen vielleicht am ehesten eine Vorstellung von solchen
mythologischen Komödien zu geben. Götter und Heroen spiel-
ten darin eine nicht eben glänzende Rolle; es war noch der
harmloseste Witz, wenn der Laertiade Homer und Euripides
citiert O- Der Schluss musste natürlich immer heiter sein, wes-
halb z. B. Orestes und Aigisthos als gute Freunde abgingen®).
1) Wolfg. Hei big quaestiones scenicne p. 34 ff.
2) Aristoph. Acharn. 502 ff. Pac. 763 f. nach Hei big a. O. p. 23 (be-
stritten von Edm. Meyer de Aristophanearam fabularam commiasionibos,
Dias. V. Berlin 1863 p. 37). Vita Aristoph. 19 Z. 13 W. Aignm. Eqait. II. ;
von Hegemon Chamaileon bei Athen. 9, 406 f.
3) Antiphanes CIA. H 972; Meuander Alciphr. epist. 2, 4, 5.
4) Theophrast. charact. 6.
5) So ist die von Chamaileon (Athen. 9, 406 f) mitgeteilte Erzählung
zn versieben. Auch die Lictoreu (^aßSoöxoi) werden Aristoph. Pac. 734 za
den Komikern in eine bedenkliche au Rom erinnernde Beziehung gesetzt.
6) Verzeichnet bei Meineke I S. 283 ff.
7) Theopomp. fr. 33. 34 K. = 34. 35 M.
8) Aristot. poet. 13 a. E.
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Die altathenischQ Komödie. 411
Solche TravestiekomOdien, für welche der syrakusanische Dich-
ter ein klassisches Vorbild abgeben konnte, nahmen erst im
vierten Jahrhundert, als die nächstliegenden komischen Ideen
vorw^genommen waren, an Zahl erhebUch zu; der alte Aristo-
phanes, welcher gegen Ende seines Lebens, als ihn seine uner-
^höpäich scheinende Einbildungskraft verliess , zu diesem be-
quemen Auskunftsmittel griff, zeigt damit eine bedeutungsvolle
Wendung in der athenischen Komödie an. Bei der grossen
Konkurrenz war es in der That keine Kleinigkeit, etwas ganz
neues auszudenken. Auf der einen Seite wollte das Volk durch
besondere EinfWe unterhalten sein, ') auf der anderen kamen
die Dichter gar oft mit einander in Streit, wenn einer dem an-
deren eine gute Erfindung ablauschte*), oder verspotteten vor
allen Leuten den Genossen, welcher einen alten Stoff noch ein-
nml benützte*) oder auch von Anderen sich helfen liess*).
Hätten die alten Komiker Bilder des wirklichen Lebens gegeben,
wie Menander und Grenossen, dann wären die Typen des neuen
Lustspiels um hundert Jahre früher festgestellt worden; allein
ihre Werke trugen im Gegenteil einen phantastischen Charak-
ter *). Sie versetzten das Volk in eine Phantasiewelt, wenn nicht
unmittelbar in die goldene Zeit ^) , doch in ein Märchenreich,
insofern es für sie nichts unmögliches gibt: Alte Leute werden
wieder jung , Tote und Tiere reden , Sykophanten gelten als
wertvolle Tauschware ') , Götter treten in Mitte von Menschen
auf und lassen sich das ärgste gefallen. Dennoch entsteht da-
1) Aristoph. Eccl. 580 f. (Nub. 546 flf.). Metagenes fr. 14 K. ^12 M.); Bekk.
Anecd. I p. 309 u. xpaYcpSotGt.
2) Cratin. fr. 200. Eupolia fr. 78. Lysipp. fr. 4. Aristoph. Nub. 553 f.
fr. 54. Darauf spielt Enrip. Anclrom. 476 f. an. lieber Plagiate Stanger
Blfttter mi bayer. Gymnas. 2, 204 ff.
3) Das nannten sie ,^ck8cbasteru*' (4TCtxatx6«tv) oder KT8pvtC«tv (Phry-
nich. app. sophist. p. 39, 19).
4) Dies sagten dem Ekpbantides and Phrynichos ihre Gegner nach
(Cratin. fr. 335. Hermipp. fr. 64).
5) Deshalb verglich sich der Romanschriftsteller Antonius Diogenes mit
einem Dichter der alten Komödie, weil er „unglaubliches und erlogenes"
erzählte (Photius bibl. 166 p. lila 34, vgl. Roh de Jahrbb. f. Phil. 119, 17).
6) Graf Leipziger Studien 8, 59 ff.
7) Verjüngung: In den „Rittern** und im „Alter" (Athen. 3, 109 f);
sprechende Leiche: Aristoph. Ran. 173 ff.; Sykophanten : Aristoph. Acham. 904 ff.
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412 xm. Kittel.
raus keine romantische Peerie , sondern der Zuschauer behält
stets das klare Bewusstsein, dass unter den tollen Masken Mit-
büi*ger stecken und die Zeit der unglaublichsten Posse immer
die Gegenwart ist. Man kann hiefür keine bessere Analogie
als die deutschen Fastnachtsschwänke des sechzehnten Jahr-
hunderts finden. Ebensowenig darf die Hervorhebung des
Märchenhaften zu einer Herabsetzung der individuellen Einbil-
dungskraft der Dichter führen ; denn die Komödien entsprangen,
ob sie zwar auch hin und wieder durch Volkswitze angeregt
wurden, wie denn Aristophanes im „Frieden" selbst (V. 129 f.)
auf die äsopische Fabel vom Mistkäfet hinweist, dennoch in
der Hauptsache dem persönlichen Genie; wenn die Dichter den
Humor des Volkes zu ganzen Stücken ausgenützt hätten ^),
würde es solchen gewiss nicht den Preis erteilt haben.
Welche Personen zogen nun die Komiker in dieses aus-
gelassene Treiben hinein*)? Die meisten Rollen fallen natürlich
dem niederen d. h. wenig bemittelten Bürgerstande und der
Sklaven weit an. Die meisten von jenen haben gar keine Namen
oder der Dichter legt ihnen beliebige bei^), nötigt aber das
Publikum durchaus nicht den Namen zu behalten ; *) die Per-
sonenverzeichnisse der Handschriften dürfen uns darüber nicht
täuschen, z. B. sind Kephisophon der „Acharner** und Mnesilo-
chos der „Thesmophoriazusen** der Phantasie der Grammatiker
entsprungen, während thatsächliche Namen nicht öfter als ein-
oder zweimal vorzukommen pflegen. Eine Ausnahme machen
charakteristische Namen , welche den Grundzug der Rolle an-
deuten, wie Dikaiopolis im „Frieden** und die der beiden Helden
der „Vögel** Die alte Komödie entbehrt ja der feinen Charak-
terzeichnung *) ; sie kennt höchstens Vertreter einer bestimmten
Tendenz, z. B. der guten alten Zeit, oder eines auffallenden
Berufes, wie des bösartigen Sykophanten. Kein Alter und kein Ge-
ll Th. Zielinski die MftrcheDkomddie in Athen, Petersburg 1885;
ähnlich schon Engen Lev6qne les mythes et les Inendes de linde et de
la Perse dans Aristophane, Piaton, Aristote etc., Paris 1880. Bei den T&rken
Tertritt allerdings der Biärchenerzähler (meddah) die satirische Komödie.
2) A. Croiset de personis apnd Aristophanem, th^se von Paris 1873.
3) Aristot. poet. 9.
4) Vgl. Hiller Hermes 8, 442 f.
5) Plntarch. compar. Arist. et filen. 1 a. E.
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Die altatbenische Komödie. 413
schlecht blieb von der Komödie verschont, nur dass die athenische
Sitte das Auftreten von Jungfrauen verpönte ^). Die Sklaven tragen
die in Athen üblichsten Bedientennamen *) und sind ausser an der
Tracht durch rote Haare kenntlich *). Die vorlauten Bedienten
unserer Lustspiele hätten ihre Ahnen in der Stadt der Xan-
thias zu suchen , aber dass sie häufig klüger als ihre strengen
Herrn seien, gaben erst Menanders Zeitgenossen zu; im fünf-
ten Jahrhundert waren die Sklaven in der Literatur nur lächer-
lich : vorlaut, klatschsüchtig, der Speisekammer wie dem Keller
gefährlich und stets zum Davonlaufen bereit. Vermöge dieser
bedenklichen Eigenschaften lieferten sie den gewöhnlichen Ko-
mikern reichen Stoflf zu plebejischen Witzen*). Dass Parasiten
und Hetären , die unvermeidlichen Stützen der jüngeren Ko-
mödie, im Lustspiel des fünften Jahrhunderts nur hin und
wieder vorkommen und letztere vorerst wenigen Stücken den
Titel geben, hängt mit den socialen Verhältnissen des athen-
ischen Volkes zusammen^).
Das athenische Lustspiel wurzelte, wie jedes wahrhafte, im
nationalen Boden oder noch richtiger gesagt, in seiner Heimat-
stadt, womit allerdings ausserathenische Personen nicht ausge-
schlossen waren , liebt doch jedes Volk über Nachbarn und
Fremde zu spotten, besonders wenn es von jenen eine Demüti-
gung erfahren hat. Während also die verbüncjeten Jonier ausser
einigen nicht beleidigenden Erwähnungen ihrer Ueppigkeit ®) vor
den Komikern sicher waren, mussten die derben Megarer und
die appetitreichen Böoter, besonders aber die Erbfeinde in Sparta
1) Für die nene Komödie gibt dies Donatas in Ter. Andr. prol. aas-
drücklich an.
2) Earion und X;an thias Aeschiu. 2, 156 (321), jener z. B. im ,, Pin tos",
dieser Av. 656 f. Thesm. 238 n. ö, und in den „Fröschen", Kephisodoros
fr. 1, Vase bei Heydemann Vase Guputi, Halle 1884 T. 1; Tibios : Leukon
fr. 3 (Phot. u. Ttßtot). Sosias, Getas (Schol. Aristoph. Ach. 243) und Daos
(Dio Cbrys. or. 32, 94, lateinisch Davns) scheinen der neuen Komödie, aus
deren Fragmeuten sie belegbar sind, anzugehören.
3) Arist. Ran. 730 icoppiai^ (mit Scholien).
4) Arist. Pac. 742 flf. und am Anfang der „Frösche". O. Kahler de
partibns servorum qui sunt in Ar. Equitt. Vesp. Pace, Pr. v. Weimar 1877.
5) Athen. 13, 567 c. Pherekrates schrieb: Fetale, Korianno, Thalatta
(ebenso Diokles), Philyllios oder Eunikos: Antheia. üeber Theopompos'
„Nemea" s. Kock I p. 741.
6) Kallias fr. 5; mundartliches Aristoph. Fax 47 f. 930. fr. 543 u. 934 K.
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414 Xm. Kapitel.
oft die Kosten des Gelächters tragen, wäre es auch nur, dass
man über ihre kaum verständlichen Mundarten lachte*): die
Dichter gaben diese, wie kaum ausdrücklich gesagt zu werden
braucht, nicht mit philologischer QründUchkeit wieder*), gleich-
wie man deutsche Mundarten nicht aus unserai Lustspielen und
Witzblättern studieren wird. Barbaren einzuführen, war hin-
gegen nicht so leicht, weil sie ja sprechen sollten; doch kannten
die Athener das griechische Kauderwälsch ihrer skythischen Po-
lizeieoldaten recht gut, weshalb Aristophanes einem solchen eine
kleine Rolle der Thesmophoriazusen übertragen durfte. Aehnlich
Hessen Piaton und Hermippos die Mütter des Kleophon und
Hyperbolos, weil sie die griechische Abstammung derselben leug-
neten, stammeln^. Hinsichtlich der fremden Sprachen selbst
aber haben die Athener den bekannten Witz eingeführt , dass
Schelme die unverständlichen Worte nach dem Klange verdol-
metschten; so ergeht es in den „Acharnern** einem Perser, in
den „Vögeln** einem Triballer *). Denkmäler der persischen oder
gar der triballischen Sprache darf man hier freilich nicht ent-
decken wollen.
Die Komiker besassen allein von den Athenern die Narren-
freiheit, von den Göttern unziemlich reden zu dürfen^), damit
nicht zufrieden, bildeten sie die tragischen Theatergötter nach
ihrer Weise um. Am häufigsten sah man den feistwanstigen
1) Megai-er Ach. 729 Ö.; Böoter Ach. 860 ff. fr. 726 K. Strattis 47.
Aristonymbs fr. 9. Eabnlos fr. 12. Athen. 10, 417 b ff. (wie die Thessalier
418 b ff.); Lakedämonier: Arist. Lysistr. Fax 214; Krates bei PoUnx 4, 188;
Eapolis (?) ETXcuxec fr. 140 u. 444 K. Die xopccg heissen Kopivd-ioi Arist.
Nub. 710; anderes Piaton Ar. 75. 96, s. Gras berger Stichnamen S. 51 ff.
2) Ahrens de dialectis Graecis I p. 165. II 20 f.: Krampe de dialecto
Laconica, Münster 1867 p. 9.
3) Piaton fr. 60 K. Hermipp. fr. 11. 12 K.
4) Der feinere Antiphanes dagegen lässt fr. 172 K. einen Perser gut
hellenisch sprechen.
5) Lysias bei Athen. 12, 551 f; Böttiger opascula ed. Sillig p. 64ff ;
W. Behaghel de vetere comoedia deos irridente I. Gott. 1856; Karl Kock
Arist. n. die Götter des Volksglanbens, Jahrbb. Sappl. 3, 65 ff., separat Lpg.
1857; J. Girard Revue de deux mondes 1878 1. aoüt, 15. nov.; J. A. Hild
Arist. impietntis reus, th^se v. Paris, Besan9on 1880. — Paul Wen dl er
mediae ac recentioris comoedine Atticae poetae quid de diis senserint I. Diss.
V. Breslau, Görlitz 1870.
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Die altathenische Komödie. 415
feigen Säufer Dionysos*), den Falstaff des alten Lustspiels,
und den ewig hungrigen Fresser Herakles in lächerlichem
Gtowande von Safranfarbe *) , sodann auch den verliebten Zeus
auf der Scene agieren '). Am kecksten sind in religiöser Be-
ziehung unter den erhaltenen Komödien die ,, Vögel"; hier
schwört Poseidon wie ein athenischer Bürger „beim Poseidon",
Herakles denkt an nichts als an die Stillung seines Hungers,
Iris muss sich freche Witze gefallen lassen und der feige Prome-
theus spielt unter seinem Sonnenschirm die kläglichste Rolle
von der Welt. Ja, Aristophanes nimmt an, es gebe unter den
Göttern ebenfalls Barbaren, welche einen Triballer als Ver-
treter abschicken 1 Im „Plutos" zittert der göttliche Titelheld
vor allen Menschen und Hermes bettelt hungernd um ^ein Stück
Brot ; der letztere ist überhaupt eine Lieblingsfigur der Komödie,
weil er für den Sklaven des Zeus gilt und so diese verachtete
Klasse im Olymp repräsentiert*). Der Hauptwitz bestand bei
der Einführung der (an ihrer karrikierten Maske leicht kennt-
lichen) Götter darin, dass sie sich möglichst ungöttiieh benehmen,
wie wenn sie in irgend einer Gasse Athens geboren wären; so
etwas gefiel dem Pöbel über* die Massen , gleichwie er noch in
unserem Jahrhunderte an den ihm selbst zum Verwechseln
ähnlichen Göttern der vormärzlichen Wiener Posse sich höchlich
ergötzte» Piaton (Fr. 188) brachte ferner eine sprechende dä-
dalische Hermesstatue aus Holz auf die Bühne; andere ver-
stiegen sich zu den Göttergeburten, was Apelles' Bruder den
1) Arist. Kan. 200 m. Scholien ; abgeseheu vou den „Frö8cheo^\ tulirteu
ihn Aristophanes (Babylonier Athen. 11, 494 d), Enpolis (Taziarchen), Her
mippoB (Kerkopen Athen. 12, 551b) nnd Ameipsias ('AitoxottaßiCovtsc; fr. 4) vor,
2) Dio Chrys. or. 32, 94, vgl. Aristoph. Pac. 741. fr. 12. Cratin. fr. 308.
Phrynich. fr. 23. Strattis fr. 11. Archippos bei Athen. 14, 656 b. Die Ge
frässigkeit der Helden ist ein stehender Zag des griechischen Volksmärchens;
das trapeziintische Volkslied in Digenis Akritas ed. Sathas p. CXI nnd andere
Märchen legen sie Porphyrios, dem Herakles des griechischen Mittelalters,
gleichfalls bei.
3) Vgl. Schol. Aristoph. Pac 742 (740). Julian, misopog. p. 473, 10 H.
4) Er erscheint auch im „Frieden" und den „Vögeln", sowie Piaton
fr. 185; ausserdem finden wir in den ,,FrÖschen" Plnton; Poseidon spricht
bei Piaton fr. 24; in den verlorenen ,,The8mophoTiazusen" sprach Demeters
Begleiterin Kalligeneia den Prolog (Schol. Arist. Thesm. 298).
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416 ^3^ni. Kapitel.
Anstoss gab, ein freches Bild von Zeus' Wehen zu malen ^).
Trotzdem war die in vielen Kulten bemerkenswerte Mischung
der ärgsten Ausgelassenheit und einer gewissen Religiosität
nicht einmal der Komödie fremd. Hymnen der „Tbesmo-
phoriazusen'' und „Frösche'* hätten unverändert in einem
Tempel gesimgen werden können. Kein Wunder, es stand ja
regelmässig ein Altar des Dionysos auf der Bühne *),
Da die Komödie nichts, was die Tragödie besitzt, unver-
sucht lässt, zieht sie zu den gewöhnlichen Menschen und den
Göttern hinzu — die Travestie erfordert selbstverständlich auch
Könige und Heroen®) — allegorische Figuren in ihren
Bereich. Zu den Göttern gehört gewissermassen noch der
Demos, der Repräsentant des athenischen Volkes, weil er gött-
liche Ehren empfing *). Aristophanes und Piaton brachten ihn
in poUtischen Komödien auf das Theater^). Man mag auch
Lykabettos in Theopompos' „Meder" und Knoithideus bei
Antiphanes als Berggötter hieher rechnen % Dazu kommen
indes einige reine Allegorien^ und zwar als wirkliche RoUen die
gerechte und die ungerechte Rede, welche in den „Wolken"
mit einander streiten, der Krieg und das Kampfgetümmel
(Kydoimos) im „Frieden", dazu die Armut des nüchternen
„Friedens"; meistens sind jedoch solche Figuren stumm, wie
in den „Vögeln" die Basileia'), im „Frieden" ausser dem
Kolossalbild Eirenes Opora und Theoriai, in den „Rittern" die
Spondai (V. 1389), zu vergleichen mit den Diallagai der
„Lysistrata" (V. 1114). Aber lasse sich niemand durch diese
feierlichen Namen imponieren 1 Theoria und Opora erschienen
1) Plin. nat. bist. 35, 140.
2) Dies darf man ans der römischen Nachäffang scbliessen (Donatns de
comoedia p. 11, 11 f.).
3) Plntarch. compar. Aristoph. et Menandri 1.
4) Fr. Leo qnaestiones Aristophaneae p. 34 A. 3. /
5) Aristophanes in den „Kittem*^, Piaton fr. 185.
6) Theop. Schol. Pindar. Pyth. 2, 75 (fr. 29); Knoithideus steht im
Titel (wie der priapische Dämon Tychon bei demselben Antiphanes). Die
Polemik von Gerber Jahrbb. Snppl. 11, 300 ff. gegen Brunn Sitzungsber.
der bayer. Akad. 1874 II S. 23flf. (vgl. Waldstein essays on the art of
Pheidias p. 172 ff.) ist also philologisch verfehlt.
7) Auch bei Kratinos Schol. Aristoph. Av. 1543 (1535).
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Die altathenische Komödie. 417
im Hetärengewande % und die Reden der „Wolken** waren wie
Kampfwachteln in die übliche Kiste gestellt *). Daraus mag
man auf das Aussehen dieser Allegorien überhaupt einen
Schluss ziehen.
Zu den zahlreichen Statisten ^ gehörte eine nicht der
Tragödie, aber dem Satyrspiel gestattete Gattung, die Tiere;
dank diesem Brauch kann Strepsiades die neumodische Sprach-
wissenschaft an einem Hühnerpaar demonstrieren und Philo-
kleon über einen Hund zu Gerichte sitzen*).
Leider war dies nicht das einzige Zugeständnis, welches
dem Pöbel gemacht wurde; denn eine nicht eben berechtigte
Eigentümlichkeit der alten Komödie bestand darin, dass sie
wirkliche Personen mit karrikierten Porträt • Masken ^)
vorführte. Bei ihrer argen Derbheit wäre es doch nicht ange-
gangen, dass der Staat ihr volle Freiheit gelassen hätte. Die
aristophanischen Komödien legen selbst noch das unver-
fälschteste Zeugnis für das wechselnde Verhalten des Staates
ab. Die älteste der erhaltenen, „die Acharner" (426), ist
nämlich die einzige, wo neben dem Dichter Euripides und dem
Deuunzianten Nikarchos zwei politische Persönlichkeiten, der
Volksredner Amphitheos und der Stratege Lamachos auftraten.
Aber unmittelbar nachher muss die Regierungspartei durch
einen Volksbeschluss wenigstens sich selbst vor den Jüngern
Thaliens gesichert haben, indem sie das an den Pranger stellen
der Beamten verbot ®), sonst hätte Aristophanes in den „Rittern"
nicht jeden veriUnglichen Namen und selbst die Maskenähnlich-
keit'') vermieden. Bei dieser Verordnung blieb es offenbar, so
1) Ar. Pac. 849; ebenso wahrscheinlich die Spondai £q. 1389 £f.
2) Schol. Nnb. 891 (886) spricht von einem Käfig (olxioxo^), weil er das
Wort vr{kia (Aeschin. 1, 53 mit Schollen. Schol. Arist. Plut. 1037) nicht
recht verstand.
3) Aopo(p6p*r]{j.a Lucian. histor. conscr. 4. Icarom. 9.
4) Nah. 847 ff. Vesp. 836 ff., ausserdem z. B. ein schreiender Esel (Vesp.
179 f.), ein Hahn (Vesp. 815), eine Taube (Pherecr. fr. 135 K.); Xanthiae
reitet in den „Fröschen^* auf einem Esel. Im „Frieden" braucht man ein
Schaf zum Opfer,
5) Pollux 4, 143; Anekdote: Aelian. var. bist. 2, 13.
6) Apollonios bei Schol. Ar. Ran. 504.
7) Eq. 230; vgl. Viti Aristoph. 16. Dagegen ist der „Hyperbolos" Pla-
Sittl, Geschichte der griechischen Literatar ni. 27
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418 ^^n* Kapitel.
dass, während Eupolis Hyperbolos gleichfalls unter einem
Spitznamen vorführte, von nun an bloss unpolitische Männer,
vor allem Gelehrte und Dichter (Sokrates, Meton, Kinesias;
Euripides, Agathon) ^) diesem Lose ausgesetzt waren, die Toten
ausgenommen, die freilich nicht verhöhnt, sondern zur Be-
schämung der Lebenden gepriesen wurden. *) Als Kuriosität
sei erwähnt, dass Aristophanes einmal sich selbst spielte ').
Im übrigen konnten sich die Komiker Athens, wenn wir
den entsprechenden modernen Ausdruck wählen wollen, über
die Pressgesetze nicht beklagen *). Hätte das strenge Gesetz
von Thurioi, dass nur Ehebrecher und Klatschsüchtige der
Komödie preisgegeben waren % gegolten, dann wäre das Lust-
spiel der aristophanischen Zeit wie der Demeterjambus des
Archilochos überhaupt unmöglich gewesen. Indes bestanden
immerhin gewisse Rücksichten; hatte doch selbst jener ge-
fürchtete Satiriker gesagt, tote Männer zu schmähen, sei nicht
edel, und Solon ausdrücklich verboten, Gestorbenen übles nach-
zureden^); die Ansichten über die Grenzen des Erlaubten und
des Beleidigenden entsprachen freilich den christlichen nicht.
Dann kannte selbst die radikale Republik eine Art crimen
laesae majestatis, wonach die Demokratie nicht angegriffen
werden durfte'), ein Gesetz, kraft dessen Kleon gegen die
toDS jedenfalls nach der Yerbanniing des Parteiführers (Meineke I S. 195)
gedichtet.
1) Ausserdem Kleisthenes in den „Tbesmophoriazoseu**, Kepbisophon
Aristoph. fr. 580; Sokrates trat anch im Komos des Ameipsias (fr. 9) aut.
2) Solon in den Xipcuvt^ des Kratinos fr. 228 K. ; dann besonders in
den „Demeu'^ des Eupolis; bei Piaton fr. 183 Themistokles, fr. 191 Dämon.
3) In den iIxY|vac<; xataXajißivooaat fr. 471 K.; Vita Aristoph. Z. 72flf.
(s. Bergk bei Meineke II 2, 1176).
4) Bergk Ztsch. f. Altertnmsw. hrsg. v. Ad. Schmidt 11. = kleine
Schriften II S. 444 ff.; H. Brentano Ar. n. Aristoteles oder über ein an-
gebliches Privileginm der alten attischen Komödie, Pr. v. Frankfurt a. M.,
Berlin 1873; Fr. Leo quaestiones Aristophaneae, Bonn 1873 p. 11 ff.; O.
Keck quaestt. Aristoph. historicae, Diss. y. Kiel, Halle 1876; Lü bke (S. 393)
cap. 1; Zielinski de lege Antimachea scaenica, Petersburg 1884.
5) Plutarch. curios. 8. Aristot. eth. Nicom. 4, 14 p. 1128a 30 ol ^h
vojio^ttai svca XoiSoptiv xcuXoooai.
6) Plutarch. Solon 21 a. E. vgl. Schol. Aristoph. Pac. 649 (647).
7) Ps. Xenophon de rep. Athen. 2, 18 xa>}i.(f>d8lv xal xaxu>c Xf^tiv xbv
jiiv Z9^\kov o6x ecuotv. -
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Die altathenische Komödie. 419
„Babylonier" des jugendlichen Aristophanes Klage stellte^ es
hatte die Folge, dass an den Dionysien, wo viele Fremde in
Athen weilten, politisch farblose Stücke wie die „Wolken** und
Kratinos' „Flasche*' aufgeführt zu werden pflegten, während
an den Lenäen grössere Freiheit herrschte ^). Nur einmal, als
der Abfall der Samier die Athener in die grösste Gefahr brachte
(440), traf sozusagen der Belagerungszustand auch die Komödie ;
doch schon 437 (Ol. 85, 4) wurde dieser Diktaturparagraph
wieder aufgehoben *). Alle weiteren Notizen über ähnliche
Gesetze sind durch ihre Undeutlichkeit und Unbestimmtheit
wertlos ^). Man durfte jedenfalls von einer zügellosen Wort-
freiheit der Komödie sprechen*), lebten doch die Komiker in
einer freien Republik, unter einem Volke scharfer Zunge, das
gerne seinem Nächsten Schlimmes oder doch Lächerliches nach-
sagen hörte % Was hätte da ein Komiker, dessen Worte ohnehin
jedermann in Fastnachtsstimmung aufnahm, bieten müssen,
damit ihn ein Geschworenengericht verurteilt hätte? So schleu-
dern sie denn keck gegen jedermann die ehrenrührigsten Vor-
würfe, bei denen jetzt ein anständiger Mann zu lachen auf-
hört. Der aristophanische Sokrates ist nicht bloss lächerlich,
er erscheint verächtlich, er ist ein gemeiner Dieb ®), und wenn
Kimons Verhältnis zu seiner Halbschwester für die Nachwelt
getrübt, wenn Aspasia ihren ehrlichen Namen verloren hat,
tragen Eupolis und Genossen die Schuld daran '^). So gleich-
mütig wie Sokrates nahmen nicht alle solche Beschimpfungen
1) Leo a. O. p. 31.
2) Schol. Arist. Ach. 67.
3) Gesetz des Antimachos: Schol. Ach. 1149 (sSoxsi). Diogeniau. 8, 71
(8ox«l); da der Komiker Phrynichos (fr. 26 bei Schol. Ar. Av. 1297) sagte:
„Syrakoslos kriege die Kränke, denn er Hess mich die nicht verspotten, die
ich wünschte," fand ein Kommentator darin ein Verbot angedeutet, jeden-
falls betraf es nicht ^vo}iaoxl x(u}i(|>$siy ; wie hätte sonst der Dichter Syra-
kosios mit Namen nennen dürfen?; Gesetz wegen Alkibiades' Gewaltthat:
Schol.. Aristid. p.444D.
4) Lysias bei Athen. 12, 551 e. Isoer. 8, 14.
5) Ps. Xenoph. rep. Ath. 2, 18 IBtqt hh (xu>{j.()>S6lv) xeXsüooocv, ei xtc xiva
ßo6X«Tat (daraus machen Cicero rep. 4, 10 nnd Themistius or. 8 p. 110 b
eine gesetzliche Bestimmung).
6) Nub. 175 ff.
7) Schol. Aristid. t. m p. 515 D.
27*
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420 Xm. Kapitel.
auf; Poliagros wurde zum Selbstmorde getrieben ^). Er hätte
sieb damit trösten können , dass er die hervorragendsten Per-
sönlichkeiten Athens zu Qeföhrten hatte. Es wäre schlimm,
wenn man die altathenische Komödie als historische Quelle
benützen wollte*); hier hat man die idealisierte Herrlichkeit
des perikleischen Athens nicht zu suchen, ja nicht einmal ein
mit niederländischem Realismus ausgeführtes Bild. Dem Be*
schauer tritt von allem ein wahres Zerrbild entgegen; nicht
als ob die einzelnen Züge erfunden wären, aber der Dichter
stellt mit seltenen Ausnahmen, welche in ihrer Vereinsamung
nur das Dunkel kontrastierend heben, geflissentlich unter dem
Mittelmasse stehende Charaktere dar: Die Politiker sind t«il9
Feiglinge, die dem Volke in allem zu Willen sind, teils abge-
feimte Schmeichler, die es betrügen und ihren Einfluss zur
Befriedigung ihrer Laster rücksichtslos ausbeuten; die gewöhn-
lichen Bürger sind in groben Materialismus versunken uud
denken nur daran, wie sie sich ein vergnügtes Leben ver-
schaffen und Andere übers Ohr hauen können; die heran-
wachsende Generation erscheint auschweifend, verschwenderisch,
um Hahnenkämpfe, schöne Pferde, Essen und Trinken und
Weiber allein bekümmert. Wie könnte es auch anders
sein, wo noch ihre grauhaarigen Väter ähnliche Gelüste haben
und keine alte Frau einem Krug Wein und einem jungen
Mann widerstehen kann? Eine passende Ergänzung findet
diese würdige Gesellschaft an elenden Denunzianten, nimmer-
satten Schmarotzern und schwindelhaften Gelehrten. Die Komiker
machten nun hiebei keinen Unterschied, ob sie eine Person
ohne Namen oder mit erdichtetem auftreten Hessen oder ihr
den Namen eines Mitbürgers gaben; leider kam es vor, dass
die Privatrache die Freiheit der Komödie ausbeutete ^).^
Die Komiker waren sozusagen die Hofnarren des souve-
ränen Volkes von Athen, weshalb es von ihnen unter Grimassen
1) Aelian. var. hist. 5, 8 ; Alciphr. ep. 3, 62 XloXidt^poo tou xoptoo jiaXa-
xcuttpoc stammt aas einem Komiker.
2) W. Vischer über die BenütziiDg der alten Komödie als geschicht-
liche QneUe, Basel 1840 ; Müller-Strübing Arist. u. die historische Kritik^
Lpg. 1873 S. 1—172; M. Harwardt de Aristophanis irrisionibas earamqae
fide et usn I. Eönigsb. 1883. Joh. Richter de prosopographia Aristophanea,
Pr. T. Rastenbnrg 1864, 67, Meseritz 71.
8) Aristoph. Vesp. 1024 ff.
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Die altathenische Komödie. 421
und Possen die derbste Wahrheit und die ärgste Schmähung
annahm, ohne in einem solchen Dichter mehr als einen „lustigen
Rat'* zu sehen. Man wird sich darüber nicht wundem, wenn
die politische Seite der Komödie^) richtig aufgefasst wird.
In demokratischen Staaten findet ja die Satire an der PoUtik
immer den fruchtbarsten Stoflf. Wäre jedoch die Komödie ein
Organ der antidemokratischen Opposition gewesen *) , hätte die
Regierungspartei, wie sie immer das Recht der unbeschränkten
Meinungsäusserung ihren Gesinnungsgenossen vorbehielt, einen
60 lauten Gegner rasch mundtot gemacht. Jenes Missverständnis
wurde dadurch hervorgerufen, dass die Komiker stadtbekannte
Leute zur Zielscheibe ihres Witzes nehmen wollten ; dies waren
nun zum grossen Teil Männer, welche auf der Rednerbühne
das grosse Wort führten, während die still auf eine günstigere
Zeit harrenden Konservativen nichts zu lachen gaben. Wir
können in der politischen Satire beobachten, dass der Spott
von der Regierungspartei aus matter und wirkungsloser zu sein
pflegt, weil die Opposition die Aureole des Mutes — und der
Uneigennützigkeit für sich hat, Uebrigens vertrat die Komödie
natürlich noch weniger als ein athenischer Politiker der nach-
perikleischen Zeit ein wirkhches Parteiprogramm, sondern der
Streit bezog sich auf der Bühne wie in der Pnyx nur auf
Personen, die grosse Frage : Krieg oder Frieden ? ausgenommen.
Musste aber nicht die Stimmung der Masse bei einem heiteren
Bakchanal auf den Wunsch, es möchte immer so lustig fort-
gehen, gerichtet sein? An solchen Tagen sprach der Dichter
der Mehrzahl aus dem Herzen, wenn er als Ideal des Friedens
«inen fröhlichen Festschmaus vorführte und sie daran erinnerte,
dass der Krieg Hasenbraten und böotische Aale rar gemacht
habe. Die Komiker hatten überhaupt für die öflfentliche
Meinung ein feines Ohr. Unter den Politikern nahmen sie
vor allem solche auf das Korn, welche, obgleich sie viel von
Bich reden machten, der Menge dennoch als Emporkömmlinge
nicht in dem Grade wie z. B. Nikias und Alkibiades mit ihren
langen Stammbäumen imponierten. In Folge dessen mussten
1) Mü)ler-Strabing a. O. S. 72E 106ff.; Eärl Grönland hafVa
A.' komedier en oUgarchisk tendens? Helsingfors 1857; Kock Khein. Mos.
39, 132 flf.
2) Dies wird schon durch Ps. Xeuoph. rep. Ath. 2, 18 widerlegt.
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422 Xni. Kapitel.
Kleon und Hyperbolos diese bekannte Eigentümlichkeit de»
Volkes auf der Bühne (letzterer auch im Leben) zu ihrem
Schaden erfahren. Wenn erst gar das Bürgerrecht und die
athenische Herkunft der Mutter nicht gegen jeden Zweifel
sicher stand, dann wurde der unglückliche Sohn die Komiker,
so lange er lebte^ nicht los; wie viele Lustspiele bestritt allein
Hyperbolos mit seiner angeblich ungriechischen Mutter^). Die
dritte unerschöpfliche Quelle von Angriffen fällt in eine dunkle
Seite des griechischen Lebens. Kurz, was die Athener in den
Barbierstuben am Marktplatz von ihren Parlamentariern einander
erzählten, das wurde vergröbert auf der Bühne vor Tausenden
von Menschen gesagt.
Der Menge behagte es auch, wenn die Komiker, obgleich
ihre eigene Religiosität kaum probehaltig war, gegen die atheisti-
schen Sophisten und Philosophen loszogen oder die aus der
Fremde eingeführten Kulte verspotteten *). Alle musikalischen
Neuerungen hatten, wie wir in der Geschichte der Lyrik sahen,
gleichfalls an den Komikern die grimmigsten Feinde. Sowie
aber das Ohr des Volkes sich an die Reformen gewöhnt hatte,
machte der Spott enthusiastischer Bewunderung Platz, gerade
wie man sich zu Euripides verhielt.
Wir sind zu diesen Erörterungen gelangt, als wir die grund-
sätzliche Karrikierung von Individuen und Typen besprachen.
Oft Hegt das Lächerliche nicht blo?8 in dem, was die Personen
sagen und thun , sondern schon in der blossen Erscheinung.
Alle Komiker strengten ihre Phantasie zur Erfindung grotes-
ker Masken^) an ; abgesehen von den phantastischen Figuren
erinnere ich beispielsweise an den Perser mit dem Titel „Auge
des Königs" ; das Komische erstreckte sich auf die unbedeu-
tendsten Kleinigkeiten, z. B* trugen die Philokieon bewachen-
den Sklaven Bratspiesse als Waffen*).
Wenn das politische Element aus dem Bereiche des Lächer-
lichen nicht ausgeschlossen wurde, um wie viel mehr schützte
1) Aristopb. Nnb. 551 f. ; vgl. Fritzsche Acta societ. Graecae I
p. 127 ff.
2) Z. B. in den 9p-gooai des Kratinoe, den Bdicxai des Enpolis nnd bei
Aristopbanes Pac. 277 ff. n. ö.
3) Dierks ArcbäoL Zeitung 1885 8. 33 ff.
4) Vesp. 364. Bemerkenswert ist die Scbilderung Agatbons Thesm. 136 flC
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Die altathenische Komödie. 423
die F astnachtsfreiheit die Obscenitäten (aloxpoXo-y ta) ^) , so
dass sie Aristoteles für einen selbstverständlichen Bestandteil
der Komödie hält*). Derartige Witze sind nicht zu zählen;
nicht zufrieden damit, an natürlich gegebene Anlässe anzu-
knüpfen, streut sie der Dichter in den Dialog unverbunden ein.
Der auftretende Schauspieler charakterisierte den Ton dessen,
was er zu sagen hatte, schon äusserlich durch einen riesigen
ledernen Phallos *) , das Symbol, unter welchem Dionysos von
den Bauern verehrt wurde. Wo Worte zu arg waren , half er
mit Geberden nach*). Ganze Scenen sind bloss ihrer Obsceni-
tät wegen eingelegt, z. B. Kinesias' Begegnung mit seiner Frau ;
sie stehen öfters wie in den Wespen , dem Plutos und den
Thesmophoriazusen dem Ende des Stückes nahe um den Bei-
fall des Pöbels zu erzwingen. Bei allem dem ist Aristophanes
wenigstens nicht zu dem Grade der Rohheit, der in vielen
deutschen Fastnachtsspielen des fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts herrschte, herabgesunken. Wer möchte sich je-
doch für seine weniger geistreichen Kollegen in dieser Bezieh-
ung verbärgen?
Das dritte unentbehrliche Werkzeug der alten Komödie
war die Parodie*). Da diese zur vollen Wirkung eine echte
Popularität der betröflFenen Dichter voraussetzt , wäre Homer
am nächsten liegend gewesen, indes wich das Metrum zu sehr
ab, als dass solche Parodien hätten zahlreich sein können ; das
nämliche gilt von den übrigen Epikern, unter denen am ehe-
sten Hesiod, z. B. wenn Chiron auftrat, ausgenützt wurde ^,
1) Plat. rep. 3, 895 f; vgl. Platarch. sympoB. 7, 8, 3. adv. Stoicos
p. 1065 extr.; Müller-ätrübing Amtoph. n. die hist. Kritik 8. 113 ff.
2) Poet. 5. eth. Nicom. 4, 14 p. 1128a 23.
3) Ar. Nab. 538 f. Thesm. 643; Wiesel er Salyrspiel S. 184 ff. Theater-
gebäade S. 58b Tafel IXll; Alb. Müller Philol. 35, 353; Heydemaiin
Terraootten T. 3, 4.
4) Z. B. Av. 443 mit Note von Blaydes. Lys. 862. 958. Thesra. 643 ff.
5) H. Tftaber de nsn parodiae apad Aristophanem, Pr. des Joachimg.
Berlin 1849; Wold. Ribbeck de nsn parodiae apnd comicos Athen., Pr.
des köln. G., Berlin 1861 (epische Parodien), ZUch. f. Gymnasialw. 17 (1863)
S. 321 ff. (Tragisches) und in der Ausgabe der Acharner 1864 S. 267 ff.; W.
H. Bakhnyzen de parodia in comoediis Aristophanis, Utrecht 1877.
6) Ausser den Komödien Xcpoiv und ^HoioSoi Hermipp. fr. 63. 82; über
epische Formen Kock comic. Att. fragm. I p. 42.
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, 424 Xni. Kapitel.
näcbstdem eine Aufbeben en^egende Novität, wie das poetische
Kochbuch des Pbiloxenos ^). Anders stand es um die Einflecht-
ung lächerlicher Orakel*). Doch lieferte die Odyssee die herr-
liche Scene der Wespen (V. 180 flf.), wo Philokieon, ein zweiter
Odysseus, unter dem Bauche des Esels entwischen will. So-
wohl an Popularität wie durch das Metrum lagen die Tragö-
dien den Komikern am nächsten '), weshalb' diese ihnen ihre
gesuchten Bilder abhörten oder zum mindesten, ohne eigentlich
den Tragiker selbst verspotten zu wollen, einem pathetischen
Verse ein lächerliches Ende anhängten, das sicherste Mittel,
Gelächter zu erzielen ; denn der Hörer brauchte sich gar nicht
genau zu erinnern, wer der eigentliche Verfasser sei, wenn er
nur den Kontrast der tragischen und vulgären Sprache oder
der tragischen Worte und der lächerlichen Situation empfand;
der Stil beider Dichtungsarten war ja so verschieden, dass auch
der Ungebildete sofort die Travestie merkte. Vor allem boten
Tragödien nach Art der euripideischen mit ihren spitzfindigen
Phrasen % viele Blossen. Die Komiker warfen sich nicht etwa
bloss auf einzelne Worte und Verse, ganze Scenen wurden bos-
haft karrikiert: Dort Andromeda an den Fels gekettet und Per-
seus zu ihrer Rettung nahend, hier Euripides' Schwäherin den
Block gelegt und der Tragiker über seine Befreiung nachsin-
nend ; dort Telephos mit dem kleinen Orestes an Agamemnons
Hausaltar, von den feindlichen Achäern umringt, hier Dikai-
opolis mit dem geraubten Kohlenkorb durch die acharnischen
Köhler bedroht. Die kläglichen Kinderarien des Euripides
macht der Komiker im „Frieden" (V. 114 flf.) nach und
lässt in dem gleichen Stücke (V. 60 flf.) nach tragischer
Sitte Jammerrufe aus dem Innern erschallen. Die modischen
Cbortänze verhöhnte Aristophanes an Karkinos *). Dazu kommt
1) Piaton fr. 173.
2) Crntin. fr. 78. 142. 143. 153. 154. 207 ff., Aristophanes in den Rittern n.
fr. 29, Piaton fr. 29, Piaton fr. 3 n. A.
3) ITapatpaYV^^tv (PoUnx 10, 92 u. A.) Plaut. Pseud. 686 (707) aus
dem griechischen OriginaL
4) Joh. van Leenwen de Aristophaue Enripidis censore, Amsterdam
1876 p. 124—55; Karl Lessing de Aristophane Euripidis inrlsore, Diss. v.
Halle, BerUn 1877 p. 22 ff.
5) Etwas ähnliches scheint bei Metageueft (fr. 7 p. 707 K.) vorgekommen
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Die altatheuische Komödie. 425
die Verhöhnung auffallender Kostüme, z. B. der Lumpen euri-
pideischer Helden, und der Theaterraaschinen: Die Flugma-
schme^) war von Holz, damit sie auch der Kurzsichtige nicht
übersah, und das Ekkyklema dürfte wie auch das Hängegerüst
und die Donnermaschine weniger als scenisches Hilfsmittel denn
zur Erhöhung der Heiterkeit gedient haben ^. Zu einem an-
dern Gebiete führt uns die Travestie der musikalischen Be-
gleitung, wovon vielleicht nach Massgabe des Namens die Tca-
p(|)Sla ausging; hier zeigt die Komödie wieder ihr Janusge-
sicht, bald parodiert sie altvaterische Melodien % bald höhnt sie
die Anhänger der neuen Richtung, einen Agathon (in den Thes-
mophoriazusen) , Euripides (in den Fröschen) und Philoxenos
(im Plutos). Mit diesen zusammen verfallen ihre lyrischen Ge-
nossen, die Dithyrambiker der Zeit, dem gleichen Schicksale,
wobei wir besonders die kühnen Wortbildungen verspottet be-
merken *). Endlich verdrehen die Komiker volkstümliche Sprich-
wörter oft recht glückUch ^).
Die gleiche psychologische Grundlage, den komischen Ein-
druck der Disharmonie, hat die absichtliche Zerstörung
der Illusion; während nämlich der tragische Dichter alles
aufbietet, um sein Publikum von der Wirklichkeit des Geschau-
ten zu überzeugen , erinnert es der Komiker geflissentlich an
die Täuschung. Von der iambischen Poesie hatte er das Vers-
mass übernommen und machi; nun selbst durch Zwischenbe-
merkungen ohne Metrum ®) auf die Unnatürlichkeit, dass Plebe-
jer in Versen reden, aufmerksam. Die Komödie hatte von der
Tragödie manche Maschinen entlehnt; aber während diese sie
1) Z. B. im Frieden (174) and den Vögeln (1199 fif.) angewendet; vgl.
Pollux 4, 129. .
2) Ekkyklema: Thesmophoriaznsen ; xpep.'id'pa : Wolken ; Donner: V^Tolken
V. 292 mit Scholien.
3) Z. B. Phiynichoa im Weckliede der „Wespen" V. 273 ft. (s. V. 220
und 269).
4) Plato apol. 18 cd.
5j Z. B. Lysistr. 111 n^ 298 mit Schollen; W. Ribbeck Acharner
S. 323 f.
6) Z. B. Ach. 43. 61. 123. 237. 241. 735, auch bei Eupolis oft, be-
sonders aufiällig bei Archippos fr. 27.
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426 XUL Kapitel.
soviel als möglich verbirgt , richten die Komiker das Augen-
merk der Zuschauer aus freien Stücken darauf, ja sie reden
ausdrücklich den Maschinenmeister an*). Wer könnte ferner
den Flötenspieler, welcher den Chor begleitet, ignorieren, wenn
dieser nicht bloss angesprochen wird*), sondern sogar in
den „Vögeln" seine Maske abnimmt? Unbefangen zeigt So-
krates auf den „Eingang-' des Theaters , wo die Wolken her-
einziehen ^). Trygaios verrät (V. 1022) , dass das Schaf nicht
auf der Bühne geopfert wird, damit es der Choreg erspare. Der
Zuschauer wird oft in noch rücksichtsloserer Weise darauf auf-
merksam gemacht, dass alles nur ein Scherzspiel sei. Nicht
genug, dass der Dichter den Gang der Handlung mitten im
Stücke mit der seinen eigenen Anliegen oder den Tagesfragen
gewidmeten Parabase unterbricht, bringt er auch sonst persön-
Uch hie und da Beschwerden vor, wie Kratinos in den „Hirten",
als ihm der Archou einen Chor verweigerte *) , oder verspottet
Konkurrenten ^). Damit nicht genug 1 Die Schauspieler reden
oft das Publikum an ^) und deuten auf einzelne mitNamenuen-
nung hin ^) , oder sie nehmen doch auf die Richter ^ und auf
die Gesamtheit der Zuschauer Bezug. Am häufigsten kommt
derartiges am Anfange des Stückes vor, damit der Hörer die
Exposition auf dem kürzesten Wege erfahre % ein Mittel , das
in gewissem Sinne eine der Komödie würdige Analogie mit den
euripideischen Monologen hat. Manche Komiker, die ihrem
eigenen Witze nicht viel zutrauten, Hessen Nüsse und anderes
1) S. S. 425 A. 1 u. 2; Fax 174 flf. Eq. 232. Daedal. fr. 188 K.
2) Eccl. 890. Av. 682 ff. 859; Kratinos (fr. 276 K. bei Saidas u. UoSioi
vöfioi) liess ihn sogar einige Worte sprechen.
3) Nnb. 326; ähnlich Av. 295. fr. 388 K.
4) Hesych. u. Kop^ipi^x^^ vgl. Aristoph. Ach. 377 ff. 1149 ff.
5) Z. B. Aristophanes am Anfang der „Frösche** ; vgl. Plant. Psend. 1223.
6) Z. B. Eccl. 583. 888. 1141. Nnb. 1096 ff. 1201 n. ö., vgl. Jacobi
comicae dictionis index (Meinekes fragm. V) p. 456 n. O^arr^g nnd d-iatpov;
Lorenz Plantns Psendolns 8. 35 A. 35.
7) Z. B. Eq. 136. 228. 233. 1210. 1318 n. ö. Piaton ^aiSapiov bei Scbol.
Ar. Ran. 308. Vgl. auch Antiphanes fr. 217, 16.
8) Eccl. 1142. 1154. Enpolis fr. 223. 244.
9) Kratinos bei Aristid. 49 p. 521 D. Pherecrat. fr. 154. Eq. 36 ff. Vesp.
54 ff. 71 ff. Pax. 9. 20. 43 ff. Av. 30 ff. Piaton fr. 167 K.
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Die altathenische Komödie. 427
Naschwerk unter das Publikum werfen*), in der Absicht, das»
die Kinder sich zum Vergnügen des gemeinen Volkes darum
rauften; selbst Aristophanes tbat dies im „Frieden" (V. 962flF.>
mit der Opfergerste. Wenn derselbe Dichter in der zweiten
Bearbeitung der Wolken (1103 flf.) einen Spieler unter das Volk
flüchten und im „Frieden" (V. 905 flf.) die Theoria ebenfalls
dorthin führen liess, wohin mögen weniger geniale Köpfe ge*
raten sein?
Die Komiker setzten, das Lächerliche um jeden Preis zu
erreichen bestrebt, um dieses Zieles willen alles andere hintan.
Eine geregelte dramatische Technik, wie sie das Trauerspiel
besass, fehlte der Komödie fast völlig, denn die moralische
Schraukenlosigkeit kann sich mit der Gewissenhaftigkeit,
strengen Regeln dauernd zu folgen, nicht vertragen. Die
Einheit der Handlung war ihr so fremd *), dass die
Dichter im Gegenteil ihr hauptsächliches Bestreben darauf,
dass jede Scene eine neue Lachen erregende Idee brachte,
richteten ^. Während das Intriguenlustspiel der alexandrinischen
Zeit, welches sich an dem euripideischen Schauspiel heraus-
gebildet hat, mit der Posse der klassischen Zeit keinen Zusammen-
hang hat, könnte man diese der Satura, Farsa, Farce in der
ursprünglichen Wortbedeutung an die Seite stellen. Dennoch
übte die Tragödie einen bildenden und gewissermassen zähmen-
den Einfluss. Der Beginn des Stückes *) klärt den Zu-
schauer selten sofort über die Handlung auf, z. B. beginnen
die „Acharner** und „Frösche" mit Witzen, die für jede be-
liebige Komödie passen. Dass das erstere Stück und die
„Wolken" mit einem langen Selbstgespräch eingeleitet werden,
hat auf euripideischen Prologe keinen Bezug. Später hingegen
nimmt die Komödie dieselbe zunächst travestierend an^), doch
1) Arißt Plut. 797 ff. Vcsp. 58 f.
2) Th. Kock Bhein. Mus. 39, 125 ff.
3) Metagenes fr. 14 bei Athen. 10, 459 b: Kax' iictiooSiov ^itxaßeiXXa»
xhv XÄ^ov, <ü? 5v xaivatoi icapotj'ioi xal icoXXalc 86a>)^'f]oa> xb ^^atpov.
4) EloßoX-f] Antipbanes fr. 190, 20, tio^tocc Schol. Ar. Ach. a. Auf.;
die „Hirten*' des Eratinos begännen nach äschyleificher Art mit einem Chor-
gesang (Fr. 18).
5) Wie in den Ekklesiasusen, Aiokwikon (fr. 1) und wahrscheinlich
auch in den verlorenen Thesmophoriazusen (Schol. Ar. Thesm. 298) und den
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428 Xin. Kapitel.
schon im ,,PIutos'* ist dadurch, dass der Sklave zuerst spricht,
als ob er allein wäre, kein Scherz beabsichtigt, sondern die
Hörer mussten annehmen , dass ihn sein Herr nicht hörte ^).
Auf die letzte Scene legt man grossen Wert, nicht in
Bezug darauf, dass sie sich logisch aus dem Vorhergehenden
ergibt, was selbst einem Aristophanes nicht oft nachzurühmen
ist, sondern mit Rücksicht auf die lächerliche Bühnenwirkung.
Gewöhnlich läuft sie in eine komische Prozession, zu welcher
die Schauspieler in die Orchestra hinabsteigen^), aus, mag es
•ein Komos (Acharner und ähnlich Ekklesiazüsen), ein Hochzeits-
zug (Frieden und Vögel), eine wirkliche Prozession (Plutos und
Lysistrata) oder ein Fackelzug (Frösche) sein. Die „Wespen**
endigt ein heiteres Ballet; die „Wolken** schliessen mit dem
der Tragödie abgelauschten Effekt , dass Sokrates' Haus in .
Flammen aufgeht. • Nur die „Thesmophoriazusen** entbehren
eines gleich drastischen Schlusses^.
Der Dialog eilt in raschem Flusse, Schlag auf Schlag
dahin; dies empfindet selbst der Leser noch an dem be-
schwingten Gange der oft durch Anapäste oder Auflösungen
beschwingten Trimeter, wie der Rhythmus der Umgangssprache
beschaffen ist*), und an der engen Verflechtung der Verse,
indem der letzte Vokal abgestossen wird oder der Artikel, an
das Ende gestellt, sofort auf das folgende Substantiv hinweist ^).
Verse sind seit Epicharraos gar oft unter verschiedene Personen
verteilt ^. Das lebendige Sprühfeuer des Gespräches sollte dem
Hörer keine Zeit zu fragen lassen, ob denn dies alles mögUch
sei. Der Komiker entbehrte trotzdem des Feingefühls für das
schöne Ebenmass durchaus nicht; man kann auch hier die so-
genannte Responsion beobachten') Das Vorbild derTrag-
Xip(i>vt( Kratins (fr. 228), femer aach in des Anaxaudrides „Nereus** (fr. 30
Kock) und bei Heniochos (fr. 5).
1) Um so mehr verwertet die neue Komddie (s. B. Menander in der
„Erbtochter") den enripideischen Prolog (Wecklein Philol. 31, 469 f.).
2) Vesp. 1514 ff, Ecd. 1152.
3) Der Scblnss der „Ritter" ist verloren gegangen.
4) Schol. Hephaest. p. 132 Stndemnnd. J. Bnmpel PhUol. 28, 699 ff.
5) Beispiele bei Kock I p. 606 sn Piaton fr. 24.
6) Wilamowitc analecta Euripidea p. 194.
7) Wolft. Heibig Rhein. Mns. 15, 251 ff.; Fr. Witten qna arte Aristo-
phanes diverbia composuerit, Halle 1878.
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Die altatbenische Komödie. 429
ödie war in noch so manchen Nebenpunkten z. B. darin, dasar
auftretende Personen angekündigt wurden ^), nützlich.
Die Anlage der Komödie war natürlich in hervorragendem
Masse durch das verfügbare Personal bedingt. Als die Komödie
Staatsinstitut wurde, wies man ihr gleich der Tragödie drei
Schauspieler zu*); indes war hier, falls der Dichter eines
vierten bedurfte, leichter Rat zu schaflfen, denn welche Vor-
bildung brauchte ein Athener, um etwa den zweiten Sklaven
der „Wespen** zu spielen*)? Ausserdem waren die Kostümein
der Regel so einfach , in der älteren Zeit sogar so ärmlich *),
dass sowohl die Zahl der Rollen als auch die der Statisten sehr
bedeutend sein durfte. Denken wir nur an die Volksversamm-
lung^) am Anfange der Acharner! Da jeder Schauspieler gleich
dem tragischen möglichst viele Rollen übernahm, waren Masken
selbstverständlich ^. Abgesehen davon, dass sie äusserst karri-
kiert und grotesk aussahen, gab mau ihnen mittelst Mennig die
Leibfarbe des Dionysos ').
Den Schauspielern stand wie in der Tragödie ein Chor
gegenüber, weil die Komödie gleichfalls davon ausgegangen war ^.
1) Z. B. Thesm. 36 ff. 95, nach tragischer Art mit xal p.Y|v Plut. 332 ff.
2) Anon. VIU 16 (von Kratinos eingef&hrt, woi;egen Aristot. poet. b
p. 1449b 5 zu sprechen scheint, s. freilich Usener Rhein. Mns. 28, 426 f.);
Carl Beer über die Zahl der Schauspieler bei Arist., Lpg. 1844; Rob. Enger
de histrionnm in Aristophanis Tbesmoph. nnmero, Pr. y. Oppeln 1840 n. die
Rollenverteilung in der Lysistratn des Ar., Pr. v. Ostrowo 1848.
3) Hieher gehört, abgesehen von den Kinderrollen, z. B. Plnton am
Ende der Frösche.
4) Baumgarten Untersuchungen über die Tracht der Athener auf
Grundlage aller einzelnen Ausdrücke, welche sich in den Kom. u. Fragm.
des A. finden, Pr. v. Mies 1876; Dierks Archäol. Ztg. 1885 S. 31 ff.; Alb,
Müller Bühnenaltert. S. 246 ff.; Aristoph. fr. 253 (Athen. 2, 57a). Pherekr.
fr. 185 sagt von dem Chor der alten Tragödie ha^d[Ltvo<: Sdcici^ag xal oTpcu-
5) Auch bei Alexis fr. 62.
6) Aristoph. fr. 31 xcü^icpSixöv fiopfioXoxetov.
7) Nach Schol. Arist Eq. 230. Vit. Arist. 19 soll bloss das Gesicht mit
Mennig bestrichen worden sein. Der von Tibull. 2, 1, 55 übersetzte Alexan-
driner beschrftnkte dies auf die älteste Bauemkomödie. Man vergleiche da-
mit, wie das Gesicht von zwei alten Dionysosbildem (Pansan. 2, 2, 6) und
den alexandrinischen Satyrn (Athen. 5, 198a) geförbt war.
8) Rieh. Arnoldtde choro Aristophanis quaestt. scaen., Diss. v. Königs-
berg 1868, scen. Untersuchungen über den Chor bei A., Pr. v. Elbing 1871,.
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430 ^^^I- Kapitel.
Die Zahl der Mitglieder war nicht bestimmt ^) , wahr-
scheinlich aber grösser als die des tragischen Chors, da die Ko-
miker ihren Chor sehr häufig in zwei Hälften spalteten ^. In
anderen Fällen führten sie einen zweiten Chor ein, z. ß. die
lakonischen Männer in der „Lysistrata" , die Frauen in der
Parodos der „Frösche" und die Knabenschar der „Daitales').
Der Chor war hinsichtlich seines Standortes durchaus nicht an
die Orchestra gebunden^); beispielsweise setzten sich die Thes-
mophoriazusen und £kklesiazusen auf der Bdhne nieder, während
in der „Lysistrata** wahrscheinlich die eine Hälfte auf der Bühne,
die andere in der Orchestra stand ^). Damit hängt es zusam-
men, dass der Chor der Komödie leichter aktiv in die Hand-
lung eingreifen konnte, wie wenn in der „Lysistrata** die Män-
ner Holz herbeischleppen und Feuer machen, worauf die Frauen
Wasser holen und jene überschütten, femer dass er sich wie-
derholt (z. B. in den Acharnern und Ekklesiazusen) entfernte
und wiederkam. Auch das Auftreten geschah mit entsprechen-
der Leichtigkeit. Die Ritter, Acharner und der Chor des Frie-
dens rückten nach der raschen Melodie trochäischer Tetrameter
im Sturmschritt herein , alte Leute , wie die Wespen und der
Chor des Plutos, humpelten eilig mit ihren Stöcken nach Ok-
die Cborpartien bei A. scenisch erläatert, Lpg. 1873; M. Georg iewsky de
chori in Arist. Ecclesiaznsis partibus, Journal des Büniat. f. Volksaufkläning,
Petersb. 1886, III. Abt, Augnst S.49 ff. ; F. L. Marcoa de cboro et carmine
lyrico apud Ar., th^se von Paris 1859; Chr. Mn ff der Chor in der gr. Korn,
vor Ar., Pr. v. Halle 1871.
1) Saeton. p. 11, 14 Keiff.; wie Schol. Ar. Av. 295 u. £q. 593 (586)
zeigen, ist die gewöhnlich genannte Zahl 24 (PoUnx 4, 15. Vita Arist. Z. 78
adu. Vita Aeschyl. Z. 107. Anon. de comoed. VIII 34. Is. Tzetc. prol. in
Lycopbr. p. 254 [Variante t?']. Job. Tzetz. An. Oxon. m 337) aas den
„Vögeln" des Aristophanes erschlossen. In den „Ekklesiazusen" werden sieben
mit Namen genannt, wozu dann „sehr viele" (V. 52) hinzutreten; auch die
Wolken waren „sehr viele" (V. 324). Der Chor von Kratinos' Pylaia hatte
nach seiner eigenen Angabe sechs Co'^a (Schol. Arist. Pac. 733); die oxoixot
erwähnt Aristoph. fr. 79.
2) Die besten Handschriften geben die Halbchöre oft an (Amoldt S. 180 f.,
berichtigt von Alb. Müller S. 219, 3). lieber die Teilung des Chors Christ Ab-
handl. der bayer. Akad. 14,2, 176ff. Zi elinski die Gliederung der Rom. 8. 249 ff.
3) Thesm. 101 ff. nimmt der Scholiast mit Recht an, dass Agathon
allein das Chorlied singt; der gleiche Fall liegt Plutarch. Lys. 15 vor.
4) Zielinski Gliederung der altatt. Korn. S. 162ff.
5) Scholien zu V. 321.
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Die altatheniflcbe Komödie. 431
tonaren einher. Die Vögel indes traten einzeln auf, damit die
Zuschauer die komische Erfindung einer jeden Maske gesondert
in Müsse besahen und gebührend belachten. In den „Ekkle-
siazusen" und „Thesmophoriazusen" schHesst sich Aristophanes
an die Wirklichheit ah , wogegen er in den „Wolken" und
„Fröschen" den Phantasie erregenden Kunstgriflf, den Gesang
schon hinter der Scene erschallen zu lassen, gebraucht.
Innerhalb des Stückes selbst scheint der Chor keine
„Standlieder" (azdoi^a) gesungen zu haben ^). Lange anti-
strophische Gesänge waren überhaupt in der Komödie nicht
üblich ; hingegen liebt sie teils einstrophige Lieder *) , teils
komische Duette und Terzette*), wobei die Schauspieler sich
am Tanze gleichfalls beteiligen. Nach tragischem Muster singt
auch wohl ein einzelner Ohoreut einige Verse *). Hie und da
wird der tragische Chor durch plötzliche Ausrufe des Schreckens
und der Freude travestiert*).
Der wichtigste Bestandteil der Chorgesänge ist aber die
Parabase*), welche wir etwa mit den eingelegten Couplets
der Singpossen vergleichen können. Sowie nämlich die
Handlung des Stückes vollkommen entwickelt ist und das
Eintreten einer Pause gestattet, verlassen alle Schauspieler die
Bühne, worauf die Choristen, nachdem sie deren Abgehen mit
einigen lyrischen oder anapästischen Versen (xo|i.|jLAttov oder
lieXÖHSptov) begleitet, ihre Ueberröcke abwerfen ') und sich neben
1) Schol. Arist. Vesp. 270 Hess sich durch otivtac beirren.
2) Z. B. Ran. 398 flf. 416 flf. 814 ff.
3) Z. B. Plut. 487 ff. Thesm. 700 ff.
4) Vesp. 235 ff. ; vgl. ausser Arnoldt G. Hermann de choro Vespartim
Aristophanis, Lpg. 1843.
5) Z. B. Plut. V. 637. 639 f.
6) Pollux 4, 111. Hephaesfc. tcspl TCoc-qji. 9 p. 73 W. Piaton. 1 11 ff. Anon.
VI 3. Vni 30. Schol. Arist. Eq. 512 (505). Argum. Nub. I. Vita Aristoph.
14; Kolster de parabasi veteris comoediae Atticae parte antiqnissima, Altena
1829; O. Müller kleine Schriften I 494 ff.; C. Kock de parabasi antiquae
com. Att. interlndio, Anclam 1856; Agthe die Parabase u. die Zwischenakte
der att. Komödie, Altena 1866, Anhang 1868; Westphal Prolegomena zu
Aeschylus' Tragödien S. 38 ff.; Muff über den Vortrag der chor. Partien bei
Ar., Halle 1871 S. 86 ff.; Christ Abh. der bayer. Akad. XTV 2, 164 ff.
u. Metrik S. 664ff.; Zielinski Gliederung S. 175 ff.; Alb. Müller
Bühnenaltert. S. 214 ff.
7) Arist. Acharn. 627.
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432 ^^^' Kapitel
einander, dem Zuschauer zugewendet, aufstellen ^), um die
,,Anapäste**, d. h. anapästische Tetrameter (in den „Wolken**
durch sogenannte Eupolis- Verse vertreten) *), welche von kürzeren
anapästischen Versen ([laxpöv oder tcvI^oc) beschlossen werden,
vorzutragen. Der zweite Hauptteil ist für den Tfiinz einge-
richtet und zerfällt in die lyrische 4>8i»J (otpo^Yj) und das SirCp-
pY]|i.a *) (in trochäischen oder auch kretischen Tetrametern) mit
ihren Responsionen (avtiotpoycx: oder ivtcpSiJ und ivtsffippifjjta).
In voller Kraft steht die Parabase nur in den älteren vor die
sicilische Katastrophe fallenden Stücken des Aristophanes, wo-
von vier, Achamer (V. 626 flf.)» Ritter (V. 498 flf.), Wespen
(V. 1009 ff.) und Vögel (V. 676 ff.) jenes komplicierte System
vollständig veranschaulichen, wogegen die „Wolken" (V. 510 ff.)
des (taxpöv und der „Friede" (V. 729 ff.) des inippiq^ samt
Responsion entbehren; ausserdem enthalten alle diese Stücke
noch eine Art zweiter Parabase, da in den „Acharnern" eine
Art Kommation und das Epirrhema mit Responsion (V. 1143 ff. )^
dagegen, was wir als zweiten Hauptteil bezeichneten, in den
„Rittern** (V. 1263 ff.)*), Vögeln (V. 1058 ff.) und im Frieden
(V- 1127 ff) vollständig, in den „Wespen'' (V. 1265 ff.) mit
Ausnahme der Antode und in den „Wolken** (V. 1115 ff.) auf
das Epirrhema eingeschränkt später einen zweiten Einschnitt
abgibt. Die jüngei*en Stücke hingegen zeigen den unverkenn-
baren Verfall der eigentümlichen Einrichtung : In den „Fröschen**
mangelt der Parabase (V. 675 ff.) gerade der charakteristische
erste Teil, während in den „Thesmophoriazusen** (V. 785 ff.)
der zweite auf das Epirrhema herabgemindert ist; in der „Lysi-
strata** vollends wird die Parabase durch ein langes Chorduett
(V. 614 ff.) ersetzt und „Ekklesiazusen** (abgesehen von V. 1155 ff.)
wie „Plutos** haben nicht einmal dieses Surrogat An die Stelle
der Parabase tritt im vierten Jahrhundert der persönliche Prolog %
1) i]p6c xb ^axpov icapaß-rjvai Eq. 508, ebenso Ach. 629. Thesm. 785,
icapaßag Pac. 735, icapißtqv u. oxpi^^ai StDpo Piaton fr. 92.
2) Vgl. Scholia Hephaestion. p. 151 ed. Studemund.
3) Ueber den Vortrag R. Enger Rhein. Mus. 10, 119 ff.
4) Die Scholien nennen dies ooCoY^* sinppYjp.axtx'fi.
5) Antiphanes bei Athen. VI. a. Anf., vgl. Donatus de comoedia p. 10, 9 ff.
(anders Euanthius p. 6, 4 f.).
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Die altatbemaclie Komödie. 433
der ursprünglich gleich jener eingeschoben gewesen zu sein
scheint ^). Gleichzeitig mit der äusseren Einschränkung hatte
die Parabase eine innere Wandlung durchgemacht. Anfangs
benutzten sie nämlich die Dichter zu persönlichen Erörterungen,
sei es, dass sie sich durch den Chor nennen Hessen oder
geradezu in der ersten Person der Einzahl redeten. Aristo-
phanes spricht an dieser Stelle z. B. von seiner Laufbahn und
von Anfeindungen, von Vorgängern und Nebenbuhlern ; in der
zweiten Bearbeitung der „Wolken" gedachte er dem Publikum
seinen Unverstand, den es durch Verwerfung des Lustspiels be-
kundet habe, vorzuhalten. Allein in den „Vögeln" wird
bereits der Zusammenhang des Gesanges mit der Hand-
lung durchgängig festgehalten , wodurch der Unterschied
zwischen der Parabase und einem gewöhnlichen Chorgesange
schwindet.
Der Chor wird überhaupt von Aristophanes nicht gleich-
massig behandelt. Die „Acharner" und die „Vögel** beteiligen
sich an der Handlung energisch wie Schauspieler und auch
die Chöre der übrigen politischen Stücke und der drei Frauen-
komödien stehen kräftig zu den Einzelvertretem ihrer Wünsche;
die wenigste Lebensfrische hat der Chor im „Frieden**, weil er,
eine Art Deputation von ganz Griechenland vorstellend, zu ab-
strakt ist. Auf den Gedanken , wozu der Chor überhaupt da
sei, verfällt man indes nur bei dem Schmerzenskinde der ari-
stophanischen Muse und in späten Stücken, wie den „Fröschen*'
und „Plutos**. Freilich nahm sich der Dichter der alten Ko-
mödie oft das Recht, den Chor lieber als Werkzeug der Posse
denn als ein dramatisches Hauptmoment einzuführen , indem
er am meisten für die komische Wirkung der Erscheinung
sorgte. Infolge dessen war der Chor nicht allein oft aus alle-
gorischen Figuren (Wolken, Städten, Inseln u. dgl.), sondern so-
gar aus Tieren, (wie Fröschen oder Vögeln) zusammengesetzt.
Deren lächerliche Maske*) war es, welche die Zuschauer vor
1) So im Miles gloriosns, der Cistellaria and anderen älteren Komödien
der Römer (Donat in Ter. Phorm. praef. a. £.). Noch mehr erinnert die
vom choragna gesprochene vierte Soene des Cnrcnlio an die Parabase.
2) Yogelmasken anf Yasenbildem: Dierks Archäol. Ztg. 1885
Sp. 82, 3.
Sittl, Geschichte der griechiflchen Ltteiator. m. 28
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434 Xm. Kapitel.
allem ergötzen sollte; also sah man gewiss auch die ,, Frösche^'
mit Augen *).
Wann und warum der Chor zurücktrat, sei lieber in der
Darstellung der mittleren Komödie auseinander gesetzt; jetzt
haben wir noch von seiner Beeinflussung des Dramas zu sprechen.
Er machte die Komödie, um das Ganze kurz zusammen zu
fassen, zu einem Singspiel. Da die Athener, noch als Aristo-
phanes seine letzten Stücke aufführte, den Wert des Lustspiels
zunächst aus den Chören beurteilten*), war es eine der wich-
tigsten Aufgaben des komischen Dichters, die Lieder zu kom-
ponieren^) und neue Masse zu erfinden, worauf sie das Publi-
kum selbstgefällig aufmerksam machen*). Die musikalische Be-
gleitung übernahm ein Flötenspieler^), der mit dem Chor ein-
marschierte und mit der Krupeza den Takt trat *) ; noch mehr,
er trug in den „Vögeln" ein Solostück vor '). Damit waren
andere Instrumente, wie die Lyra^} und das Psalterion*), nicht
ausgeschlossen, zudem scheint, da das dionysische Tympanon
zu den Attributen der komischen Muse gehört, ^®) dieses wenig-
stens zum Kordax geschlagen worden zu sein. Der Chor wies
nämlich dem Tanz auch in der Komödie einen hervorragen-
den Platz an. Natürlich trat hier an die Stelle der tragischen
Ruhe und Feierlichkeit die dem Komödientone entsprechende
1) Aristophanes bezeugt dies fQr die „Frösche*^ des Magnes durch die
Worte £q. 523 ßaTcxop-tvoc ßatpa^eiot;; anders Schol. Aristoph. Ran. 212.
2) Eccl. 1162 xpivtiv to6( X^P^'^C ^p^dx; aei. £q. 5^1 Bc TcXtiota -/^o^mv
Tü>v ävtiniXtiiV vtxYjc forrjoi tpowala.
3) W. Beiuhold Versuch über die Anwendung der Musik in den
Komödien der Alten, Pasewalk 1839; Zielinski.Gliederung S. 288 ff. 315 ff.
4) Pherekrates fr. 79 K. vgl. Hephaestio c. 15. Tereutian. Maur. 2243 ff.
Zur Metrik: M. Gitlbauer philologische Streifzüge 4, 268 ff.
5) Inschriften bei Alb. Müller S. 405 A. 1. Nach Wie sei er advers.
in Aesch. Prom. V. et Ar. Aves p. 37 ff. erforderten die Vögel vier Musiker.
6) Polluz 7, 87. Hesych. u. xpouicsCa, abgebildet bei Ficoroni de
larvis scenicis ed. U. t. 80 (Baumeisters Denkm. IX 1159 Abb. 1350).
7) Nach V. 222; zu Kau. 1263 wird bemerkt SiauXiov icpooauXsc (s.
Schollen und Suidas u. $ia6Xiov).
8) Arist. Thesm. 327 f. beim Hymnus.
9) Schol. Juvenal. 2, 91 über Eupolis' Bapten.
10) Vase: Gerhard Neapels antike Bildwerke I S. 365; Statue: Bau-
meisters Denkmäler Nr. 1184 S. 971.
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Die altatbenische Komödie. 43Ö
Beweglichkeit und Äusgelasseuheit. Am beliebtesten war der
unanständige Cancan , dessen üblicher Rhythmus trochäisch
war*); der Chor, welcher dazu das Oberkleid ablegte, tanzte
ihn auch wohl im Verein mit Schauspielern, z. B. bei Eupolig
mit einem betrunkenen alten Weibe ^. Aristophanes thut sich
etwas darauf zu Gute, dass er in den „Wolken** einen solchen
Cancan wegliess (V. 540). Die Komödientraditiou bot ihm ja
noch andere Tänze, beispielsweise den Zweischritt, zur freien
Wahl 3).
Diese Vereinigung der drei schönen Künste bestimmte die
Gestaltung der Dialogpartien. Sie waren nicht bloss überhaupt
in Versen geschrieben, sondern hatten in den Massen einen
mannigfaltigen Wechsel, da zu den Jamben nach dem Vorbilde
der iambischen Dichter*) trochäische Tetrameter und anapäst-
ische Verse ^) in viel grösserem Umfange als bei den Tragikern
traten. Da diese offenbar vom Flötenspieler begleitet wurden,
unterlagen sie ungeachtet ihrer grossen Anzahl dem Gesetze
der Responsiou.*)
1) K6p8a$ Aristoxenos fr. 44 bei Etym. M. p. 712, 54. Lacian. salt. 26.
Athen. 14, 630 e. 631 d, xopdaxtop.6<; Nikopbon bei Harpocr. s. v. Mneeimach.
com. fr. 4, 18 (Kock U 437); trochftisch: Aristot. rhetor. 3, 8 p. 1408 b 36
6 U xpo-^oLiOi xopBaxixwxtpoc (vgl. Quintil. 9, 4, 88). Caesios Baseas p. 307,
z. B. Pac. 801 flF. Av. 1470 ff. 1553 ff.
2) Nackt Lysistr. 615; Eopolis: Arist. Nub. 555. Ein Parasit tanzt ihn
beim Mahle (Alciphr. epist. 3, 46, 1), vgl. Demosth. 2, 18. Springen: atptod'
Äviü Arist. Eccl. 1179.
3) Aticodia Arist. Plnt. 1245 (nach den Scholien von Kratinos, eben-
fiOls erwähnt), 8iico8coji.6c Athen. 14, 630a; iK6xcvo(; Athen. 14, 629 cf; xoUtJ
Hesych. n. x6XX'.xo<; vojiov (aus einem Komiker), angeblich = xopJaJ. Die
Thesmophoriaznsen fahren Y. 953 ff. einen Ringel reigen auf.
4) Terentian. Manr. 2243 ff. Hephaestio c. 5; vgl. auch Piaton. II. 1.
Ein Stück des Kratinos hiess 'Apx^Xoxot; Aristophanes hielt diesen Dichter
hoch (Cic. ad Att. 16, 11, 2) und spielte Ran. 704 anf ihn an, wie Y. 661
auf Hipponax. Aristoteles stellt Jamben und Komödien moralisch gleich
(polit. 7, 17 p. 1336 b 20).
5) Die anapästischen Tetrameter, ein Lieblingsmass des Aristophanes,
hatte der sicilische Jambendichter Aristoxenos eingeführt (Hephnef»tio c. 8).
6) Av. 460 — 538 =: 548—626 (um so mehr korrespondieren die ein-
leitenden Choriieder 451—59 und 539—47), fast ebenso Lysistr. (476) 483-538
^= (541) 548—602. Ygl. G. Hermann elementa doctrinne metricae p. 723;
W. Hei big Rhein. Mus. 15, 251 ff. ; Jak, 0er i de responsionis ap. Ar. ratio-
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436 3^ni. Kapitel.
Der Chor war es gleichfalls , um dessen willen der Ton
der komischen Sprache im fünften Jahrhmidert höher war
als seitdem die Lyrik nur zur Ausfüllung der Lücken diente,
wiewohl die älteren Dichter von der Manieriertheit der jüngeren
Zeit sich ferne hielten ^). Den Grundstock bildete natürlich die
Umgangssprache der Kreise , denen die meisten Personen ange-
hörten, mithin des gewöhnlichen Volkes^, welches lächerliche
Peminutiva und Desiderativa, sprichwörtliche Redensarten und
vollends Euphemismen für alle uaturalia in Hülle und Fülle
lieferte^« Eine reine Quelle der Volkssprache sind indes die
Komödien nicht, so wenig als etwa im heutigen Griechenland
das Witzblatt „Palaeanthropos*'. Denn die älteren Komiker
behandelten dieses derbe Material mit freier Willkür und be-
reicherten es durch selbständige Einfälle und Neubildungen,
z. B. Zusammensetzungen von riesigen Dimensionen ^) , lächer-
lich fingierte Ortsnamen und Patronymika von unwiderstehlicher
Wirkung*), wozu noch die zahllosen Parodien kamen (S. 423)*).
Das Wortspiel wurde in allen möglichen Arten gepflegt, was
zur Beförderung der Moralität des Tones nicht sonderlich bei-
nibns atqae generibas, Dies. v. Bonn, Berlin 1865; Jabrbb. f. Phil. 101, 352 fif,
n. noTae in responsionem Aristopbaneam animadversiones , SchaiThaasen
1876; Frdr. Witten qua arte Ar. diverbia compoenerit, Diss. v. Halle 1&I&
(p. 6ft. dber Sticbomythie) ; Zielinski Oliedernng S. 347 ff.
1) Anon. y 1 = Vin 15 ; Manieriertheit : Der Scholiast bemerkt zu
Plat. 515 AfjoDc O^ptoao^at: „Dieser Vera schmeckt schon nach der mittleren
Komödie**.
2) O. Lottich de sermone valgari Atticomm maxime ex Aristophani»
fabnlis oognoscendo, HaUe 1881; C. 8etti Mnseo Ital. di antichitä I 113 ff*
3) Deminntiva: Aristot rbet. 3, 2 p. 1405b 29ff.; Uck ermann de
Arist. comici vocabalomm formatione et compositione, Marburg 1879; Deddera-
ti?a auf c&v s. Kock zu Arist. £q. 61; Sprichwörter: O. L. Rohdewald
de osn proverbionun ap. Ar., Pr. v. Bnrgsteinfart, Münster 1857; L. Baack
de proTerbiis aliisqne locntionibas ex usn vitfie comm. i>etitis ap. Ar. com.,
KÖnigsb. 1880; Anakolathe: A. Brinkmann de anaoolnthis ap. Ar.^
HaUe 1883.
4) Oeflers bei Aristophanes z. B. Vesp. 505, Enpoiis BA. 701, 32*
5) Ortsnamen: Uckermann a. O. p. 24; Patronymika: Kock sa
Eratin. fr. 10 p. 15; Beiwörter: Karl Brinckmann de epithetomm nso-
Aristophanea, Dias. v. Bostock, Bchlawe 1875.
6) Insofern hatte Plutarch das Recht, symp. 7, 8, 3 von Äva>}i.aXia ztk
sprechen.
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Die altathenische Komödie. 437
iarug *). Endlich benützten die Komiker von den Errungen-
schaften der gleichzeitigen Rhetorik am meisten die Antithese
und den Klingklang der Reime *).
Wenn wir bei der Tragödie, wie der Chor deren inneren
Bau beeinflusste, darzustellen versucht haben, können wir hier
davon fast nichts wiederholen, da nicht einmal die Scenen-
einteilung ausschliesslich von jenem abhängt. Was hätte der
Dichter in der phantastischen Fastnachtswelt der Komödie um
Einheit des Ortes und der Zeit sich kümmern sollen, da er
doch nichts weniger als Illusion anstrebte? Anfangs spielte
man einfach auf dem Rasen, wie später noch die sogenannten
Phlyaken thaten^. Dann schlugen die Komiker neben dem
Dionysostempel ein hölzernes Gerüste auf, dergleichen unter-
italische Vasenbilder uns vorführen*), wobei den Hintergrund
der athenischen Bühne gewöhnUch ein von einem Hof umge-
benes kleines Bürgerhaus, dessen Dach die Schauspieler nötigen-
falls bestiegen, einnahm*). Bevor die Schauspieler das Gerüst
betraten, konnten sie ä part zum Publikum oder unter sich
sprechen, wie wenn sie die oben stehenden nicht hörten ^. Die
Handlung war auf der Strasse gedacht^) ; konnte dies aber ganz
1) Karl Holzinger de verbornm Insu ap. Ar., Pr. des Theresianams,
Wien 1876 u. ictpl t&v nap* 'Apiotof Äv«i änb rvj; Xiftcoc icacdidiv, Pr. des
Theres., Wien 1877; Friedr. Frommann de ambigaoram in Aristophanis
«omoediis usu, Pr. v. Donzig, Jena 1876.
2) Z. B. Nub. 711 ff. Vgl. Plntarch. compar. Arist. et MenandrL
3) Donattis p. 8, 21 f.; cpXoaxtc: Vasenbilder, z. B. ArohftoL Ztg. 1885
T. 5, 2.
4) Daher &vdßaivt £q. 149, vielleicht anch xataßaiyttc Eccl. 1152 ; Ab-
bildungen: Wieseler Theatergebände T. 9, 15, Annali d. I. 1853 t. CD.
1870 t. J., Heydemann Vase Caputi, Halle 1884 T. 1 u. Archfiol. Ztg.
1885 T. 5, 1; es heisst ^o^^iXt] bei Schol. Arist. £q. 149 n. Schol. Aristid.
p. 444 D.
5) Alb. MüUer S. 115 f. (ein Stück des Antipbanes setzte eine Werk-
stätte Yorans, Pollax 4, 124; Vitrar. 5, 8, 1 bezieht sich auf die nene Ko-
mödie). Das Dach ivird am Ende der Wolken und in den Wespen benütst,
s. anch Ach. 262; Hof: Vesp. 131 f. Kosten machte die Soenerie immerhin
(Lysias 21, 4 o6v -q} rij^ ox-tjvtjc iva^oti).
6) Jenes Plnt 635 ff.; dieses Acham. 729 ff.
7) Ueber diese nnd ähnliche Fragen Alb. Hüll er die scenisohe Ein-
richtung in des Ar/ Ach., Lüneburg 1856; M. Hanpt de scaena Acham.
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438 XTTT. Kapitel.
und gar nicht stattfinden, liess der Komiker rasch entschlossen
das Zimmer heransrollen. So nimmt in den „Wolken'' das
Häuschen des Philosophen den Mittelgrund ein, wogegen Strep-
siades' Haus zur Seite lag. Beim Beginne des Stückes ist des-
sen Schlafzimmer herausgerollt*); nach der ersten Scene ver-
schwindet aber der Sohn plötzlich samt den Betten , hierauf
öftnet sich das Philosophenhaus und zeigt zunächst die Schul-
stube, dann sind aber die. Schüler mit einem Male weg und
dafür erscheint der Philosoph hoch oben in der Luft*). Damit
ein Wechsel der Scenerie so wenig als möglich notwendig war^
gingen die Schauspieler, so oft das PubUkum einen andern Ort
sich denken sollte, ab und auf der andern Seite wieder herein '),
Dennoch konnte irgendwelche Unterstützung der Phantasie iu
eigenartigen Stücken nicht umgangen werden, z. B. wenn die
Spieler, wie in den „Fröschen" des Aristophanes und in den
'OSoaofjc des Kratinos (Fr. 139) eine Zeit lang in einem Schiffe
sich befinden. Der Anfang der „Acharner" spielte auf der
Pnyx, hierauf erfolgte ein Scenenwechsel , nach welchem die
Bühne drei Häuser, das des Dikaiopolis mit einem festen Dache
(V. 262) in der Mitte , auf der einen Seite die Wohnung des
Euripides, welcher aus dem oberen Stockwerk herausgerollt wurde,
auf der anderen die grotesk ausgeschmückte Behausung des
Lamachos (V. 1072) zeigte. Sozusagen in zwei Stockwerke war
die Handlung der „Lysistrata" und des „Friedens** verteilt, wo-
für uns die mittelalterliche Mysterienbühne eine passende Ana-
logie an die Hand gibt, Der Schauplatz von Lysippos' Bakchen
war vielleicht ähnUch eingerichtet, da ein Teil in einer Cisteme
spielte^). Der Chor störte bei solchen kühnen Ortswechseln
durchaus nicht, im Gegenteil machten sich die Dichter selbst
über sein unglaubliches Dabeistehen lustig*). Wie hätte unter
Ar., iDd. lect. bibeni. Berl. 1872 = oposcula II 458 ff.; Joh. Niejahr
quaeAtionen Arifttoph. scaenicae. Dies. v. Greifswald 1877; Joh. Mnbl sym-
bolae ad rem soen. Acham. Aviamqne Ar. fabb. nccnratius cognoaceDdamy
Diss. y. München, Angsbnrg 1879; Alb. M&ller Bübnenaltert. 8. 111 ff.
1) Daher sagt er V. 19 zu den Sklaven ^xf tpt xb fpap-^attlov.
2) V. 183 f. vgl. 195. 198 f.; 201 ff
3) ^Exontoit Thesm. 277, vgl. 279, Eq. 756 (749) ff. n. ö.
4) Fragment bei Athen. 3, 124 d.
5) Allst. Aoham. 443
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Die altatheniBche Komödie. 439
solchen Umständen das bei Seite Beden und heimliche Spre-
chen , das alle in dem ungeheueren Theater , nur nicht die
ein paar Schritte entfernten Schauspieler hörten*), verpönt sein
sollen?
Die Einheit der Zeit durfte keine grössere Rücksicht
erwarten. Wollten wir die Zeitdauer der aristophanischen Lust-
spiele berechnen, würde der lange Tag der aristotelischen Tra-
gödie bei weitem nicht ausreichen , z. B. geht in den „Achar-
nern'* ein Bote nach Sparta und von da zurück, Dikaiopolis
feiert die ländUchen Dionysien, auf die Kunde vom Vertrage
kommen Händler aus Megara und Böotien und mit V. 1000
hebt plötzlich das lange später stattfindende Choenfest an, dann
zieht Lamachos ins Feld und kehrt verwundet zurück. Eine
solche Rücksichtslosigkeit zeigt zwar kein zweites der erhaltenen
Lustspiele, aber auch die „Wolken** und „Lysistrata" (V. 881)
setzen jedenfalls mehrere Tage voraus. Noch in dem letzten
Stücke des „Plutos" liegt zwischen V. 626 und 627 eine ganze
Nacht ( V. 743), während deren der Chor singt, als ob es Tag
wäre ; der Chor geniert ja auch im Punkte der Zeit den ko-
mischen Dichter nicht im geringsten.
Die alte Komödie ist also, auch wenn wir, von dem mo-
derneu Standpunkte absehend, den Menanders innehalten, nicht
als eigentliches Lustspiel zu definieren; sie war vielmehr eine
dionysische Fastnachtsposse , welche durch mehrere geniale
Dichter aus dem plebejischen Unflat herausgehoben wurde.
1) Das erstere z. B. Ach. 809f. Av. 61 f. £q. 1193 f., das letztere Ran.
40 ff. u. ö.
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XIV. Kapitel.
Die Dichter der alten Komödie.
Magnes nod Chionides; Kratinos mit seinen Genossen; Krates and Phere-
krates; Phrynichos und Eapolis; Aristophanes: Biographien, Leben,
Charakter, Werke, Bedeutung und Wertschfttzung, Scholien, Handschriften und
Ausgaben; Theopompos, Strattis und Piaton mit ihren Zeitgenossen.
Unter der ersten Generation der staatlich anerkannten
Komiker Athens genoss Magnes, so lange er in seiner Voll-
kraft war, die grösste Beliebtheit, was die hohe Zahl seiner
Siege bestätigt, doch überlebte er seinen Ruhm ^). Aristophanes
rühmt seine schnurrigen Einf&lle, indem er auf Chöre von
wilden Tieren, Psalterspielern, Vögeln, Lydem, Feigenwespen
und Fröschen anspielt *). Von seinen Gegnern kennen wir
den einzigen Chionides, der den ersten urkundlich aufge-
zeichneten Sieg davongetragen zu haben scheint *). Keiner von
beiden trug für die Fortpflanzung seiner Werke Sorge; denn
die neun Magnes zugeschriebenen Komödien^) führten gleich
1) Aristoph. £q. 521. 524 f.; elf Siege Anon. m 6, zwei Suidas, vgl.
die S. 392 erwähnte Inschrift; aus Ikarios (sie) oder Athen Suidas (das letstere
auch Anon. 1116); jung, als Epicharmoe alt war (Suidas).
2) £q. 522 f., vgl. Bcholien (ron Suidas und Hesychios u. ^'''IviCfuv
benutzt).
8) Suidas: 8v %a\ X^ooot fcpcotaYcoviorvjy (!) -^tvio^ai t^c ^p^aia^ xü>p.c|>-
Sia^, nach ihm (X^ooot) acht Jahre vor den Perserkriegen, doch nach Aristot.
poet. 3 viel jünger als Epicharmoe; vgl. Meineke I27f.; Bergk Rhein.
Mus. 34, 317 f. Die Schreibung Xio>v&dY|<: ist bewer als Xiovl^c (Meineke I 29).
4) Anon. m 6. Suidas; Athen. 9, 367 f. 14, 646 e. Der yon Phot. u.
AodidCcov (= Snid. u. Ao^Q und Hesych. n. AodiCcuv benützte Aristophanes-
erklärer gab wenigstens zu, dass die ursprüngliche Fassung nicht erhalten
sei. Fragmente: Meineke n S. 9ff. Kock IS. 7 ff.
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Die Dichter der alten Komödie. 441
den drei nach Cbionides benannten ^) diese alten Namen ohne
Berechtigung.
An der Spitze der literarischen Komödie steht mithin ihr
jüngerer Zeitgenosse, welcher alle weit überragte und in Schatten
stellte, der Athener Kratinos*). Die Laufbahn des Dichters
begann wahrscheinlich 453 (Ol. 81, 3) '), kurz nachdem Perikles
seinen Rivalen Kimon hatte zurückrufen müssen, und sein
erster Sieg fiel wieder in ein Jahr (439 = Ol. 85, 1), wo
Perikles' gesamte Stellung infolge des Abfalles von Samos ins
Schwanken geraten*), was das Volk vielleicht gerade dazu
bestimmte, dass es dem grimmigen Feinde des grossen Staats-
mannes *), ehe das Kriegsglück seine FoUtik gerechtfertigt hatte,
Beifall zujubelte. In den folgenden Jahren errang Kratinos
sieben glänzende Siege ®), doch als Aristophanes' Stern aufging,
schien sein Ruhm für immer verblichen; durch den Sieg der
Achamer (426) und Ritter (424) übermütig gemacht, sprach der
junge Gegner schon mitleidig von den Sudelarbeiten des alten
Säufers. Der Dichter war nämlich der Gabe seines Gönners
Dionysos mehr als billig ergeben''), wofür ihm ein weniger
grober Komiker den Titel eines Kommandanten des Wein-
bataillons verliehen hatte ^. Da raffte sich Kratinos auf und
schrieb die „Flasche", worin er, die komische Muse, seine
Ehefrau, auf die Trunksucht (Md^Yj) eifersüchtig sein lassend,
die Gemeinsamkeit von Wein und Poesie mit einem „Uissos"
1) Athen. 14, 638 d. 4, 137 e; Fragmente: Heineke n S. 5ff.; Eock
I S. 4 ff.
2) Karl W. Lucas Cratinos et Enpolis, Dias. v. Bonn 1826; Fritzsche
quaestt. Aristoph. p. 258 ff.; Bergk reliq. com. Att. über I.; Meineke I
p. 43 ff. Der Vater hiess Kallimedes (Snidas).
3) Easebios setzt ihn zu diesem Jahr; hieher gehört offenbar das gegen
Perikles gerichtete Fragment bei Plntarch. Athen, praest. a. Anf.
4) Anon. in, 7?
6) Plntarch. Pericl. 3. 13.
6) Snidas zfthlt im ganzen nenn; die drei CIA. n 977 d 6 scheinen
dionysische zn sein. noXX<p ^tuoa^ icot* licatv(j> Aristoph. Eq. 526 f.
7) S. auch Arist. Eq. 534, 400. Hingegen ist der ausschweifende (Snidas)
und feige (Paroem. u. ^Eictioo dttX6tepo{) Kratinos ein anderer (Aristoph.
Acham. 848 ff. 1172).
8) Die Sprichwdrtersammlungen (u. 'Eictio& d8iX6ttpo{) sagen ernsthaft
ta^tap^'yjoat rvjc OlvY)ido(: (poXYjc, s. Zielinski Rhein. Mus. 39, 301 A. 1.
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442 XIV.' Kapitel.
von Versen nachwies ')• Diese geistreiche Selbstironie brachte,
als er in der Parabase über den unselbständigen Aiistophanes
loszog, die Lacher auf seine Seite und gewann ihm an den
grossen Dionysieu von 423 (Ol. 89, 1) den ersten Preis *). Der
Besiegte schwieg zunächst wohlweislich, erst 421 machte er im
„Frieden" beiläufig (V* 700) den Scherz, den Kratinos habe
beim Einfall der Spartaner der Aerger umgebracht, weil die
Feinde seinen Weinkeller zerstörten. Soll der Witz erträgUch
sein, war Kratinos damals nicht wirklich gestorben '). Diesen
falschen Schluss zog auch nur ein anerkannt unglaubwürdiger
Schriftsteller, nach welchem die „Flasche" im siebenund-
neunzigsten Lebensjahr verfasst war*). Nach besseren Zeug-
nissen fuhr der Dichter, obgleich damals schon alt (Fr. 181, 4),
Komödien zu schreiben fort und soll die Herrschaft der Dreissig
überlebt haben*). Dessen ungeachtet brachte er nicht mehr
als 23 Lustspiele «u Stande %
Kratinos scheint unter den Komikern eine ähnliche Natur
wie Aeschylus unter den Tragikern gewesen zu sein '). In
ihm lebte eine wirkliche dionysische Begeisterung®). Wie ein
1) Scbol. Aristopb. Eq. 401 (399) ; benützt in dem Epigramm bei Atben.
2, 39 c = Antbol. 13, 29.
2) Scbol. Arist. Eq. 535 (528); Argam. Nab. V.
3) Vgl. Acbarn. 15 tyjtsc $'a:rsd-avov xal SitoTpdcpYjv. Za dem Scberze
gab Kratinos selbst dnrcb fr. 187, 3 f. Anlass; die Muse drobt nämlicb:
aovTpi<|/a> ahxob toüc X°®^*
4) Ps. Lucian. {laxpoß. 25 (die Zabl 97 kommt davon her, dass als
Blütezeit der Xerxeszag angesetzt ist). Vgl. Cobet observatt. critt. in Pla-
touis comici reliqoiaB p. 87 ff.; Mad vig kleine pbilol. Schriften S. 426 A. 1;
Zielinski Rhein. Mas. 39, 301 ff.; Conat Annales de la fac. des lettres
de Bordeaux 1884 p. 73 ff.; Nab er Verslagen en Mededeelingen der k. Aka-
demie Tan Wetenschapen, letterknude n. reeks XU. deel (1883) p. 264 ff.
5) Die „Nemesis^* wurde nach den „Vögeln** des Aristophanes aufge-
führt (Schol. Arist. Av. 521 ; fr. 111 bei Flut. Per. 3 beweist dagegen nichts,
weil Perikles* Geist aufgetreten sein kann); die „Odysses** sollen nach der
Herrschaft der Dreissig gedichtet sein (Platonios 1 17, Tgl. 10. Anon. Vm 25);
in einem Stücke spielte er auf den jüngeren Kallias an (Schol. Lucian. Jupp.
trag. 48).
6) 21 Suidas und Anon. IH 7 ; s. S. 443.
7) Anon. IH 7. •
8) Daher sagt Aristophanes Ban. 357 Kpativeo tou taopofdYOo YAwttiQC
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Die Dichter der alten Komödie. 443^
reisseuder Bergstarom ergoas sich sein Spott über alles *) und
zerschmetterte den Gegner förmlich, weil dem Dichter die ver-
söhnende Grazie .des £apolis und Aristophanes fehlte ^. Wenn
die polemische Komödie damals noch nicht ausgebildet war,
dann müsste ein solcher Charakter sie begründet haben ^).
Eine komische Idee rasch hinzuwerfen, gelang seinem Genie
ausgezeichnet, wogegen es erlahmte, wenn die Entwicklung und
Einzelausführung an die Keihe kam^). Für diese Mängel ent-
schädigten hinwiederum sein hoher poetischer Schwung, die
Fülle und Kraft seiner Bilder und kühne Wortschöpfung %
Leider wissen wir nicht, inwiefern sich Kratinos um die Technik
der alten Komödie verdient gemacht hat; denn die Angabe,
dass er die Dreiheit der Personen eingeführt habe, widerstreitet
der bestimmten Angabe des Aristoteles (S. 429, 2). Die Gelehrten
kannten nur eben keine älteren zweifelfreien Stücke als jene
23 des Kratinos oder, richtiger gesagt, 21 ^), da bereits die
AJexandriner die xstP'^^Cöfwvot und „die Satyrn" nicht mehr
besassen ') ; bei den Titeln springt sofort das Vorwiegen des
Chores m die Augen: Wir finden nicht bloss Lakonier®) und
Seriphier (eine Verspottung der Perseussage) , thrakische und
delische Frauen, Hirten, durchgegangene Sklavinen, Weichlinge,
die Abbrändler am Ida ^) , die Seekranken und icavöirtat *®),
sondern auch die athenische Kitharödenfamilie der Eunelden
1) Aristopli. Eq. 527 /. ; fr. 186 gibt er eine inter essante Selbst-
schilderaDg.
2) Piaton. n 1. Vita Arist. 1.
3) Anon. V 3 = VIII 16; vgl. Pereias 1, 124 audax. Chriatodor.
»xf p. 357 ff.
4) Piaton. n 1 (statt iictßoXalc dürfte tloßoXalc zu lesen sein); Anon.
V 4 = Vin 16.
5) notY|ttxft»Tatoc Anon. III 7 ; «oXX-^^ rTj? tpoir?|c to^x^vti Piaton. II 1 ;
Tgl. Bergk reliq. com. Att p. 252 ff.
6) Fragmente bei Heineke n S. 15 ff. n. Kock I S. 11 ff.
7) Argnm. Aristoph. Acbarn. Eq. (sonst wenigstens nie citiert] ; wahr-
scheinlich gab sie Kratinos ans Erbitterung tiber seine Niederlage nicht heraus.
8) Ailerdings könnte der Gewährsmann von Clem. Alex, ström. 6, 738 P,
263 S die gleichnamige Posse Piatons falsch citiert haben.
9) Auch diese Komödie steht nicht ganz fest (Kock I 6. 32).
10) Schol. Arist. Nnb. 96 gibt kein Recht zu dem Schlüsse, dass das
Stück hauptsächlich gegen den Philosophen Hippon gerichtet war.
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444 XIV. Kapitel.
und aus der übermenschlichen Region Satyrn und Hören ^).
Besonders fällt aber dies auf, dass Individuen der Mythologie
oder der Literaturgeschichte in der Mehrzahl entweder zu
einem Chor vervielfältigt oder als Doppelgänger auftraten;
letztere Annahme scheint hinsichtlich der Odysseus (einer von
persönlichen Augriffen freien Travestie der Odyssee) notwendig,
weil dieses Stück eines eigentlichen Chors entbehrte *}. In das
Gebiet der Allegorie versetzen die „Oesetze'' und wohl auch
die AiSaoxaX^ai '). Unter den übrigen Werken ragt die erwähnte
„Flasche" (IIortvY]) hervor. Zwei andere, die Thermopylen-
messe (IloXala) und Trophonios, knüpften an religiöse Bräuche
an, während der Mythologie „Nemesis" (Helenas Mutter) ent-
nommen war*), ohne von politischen Spitzen frei zu sein.
Kratinos' Popularität erhellt, von seinen äusseren Erfolgen
abgesehen, aus der Nachricht, dass man Lieder seiner Komödien
zum Weine sang*). Ob Alexander der Grosse wirklich ein
Stück des Dichters unter seinem Kopfkissen zu haben pflegte,
darüber wollen wir mit Ptolemaios Hephaistion nicht rechten.
Die Kommentare des Aristophaneers Kallistratos , Asklepiades
von Myrlea und Didymos zeugen für seine fortdauernde Beliebt-
heit®). Die atticistische Richtung sicherte Kratinos unter den
Klassikern der Rhetorenschulen einen Platz ^, weshalb der viel-
seitige Galenos zwei Bücher über seine ÄoXtttxa 6vd(iaTa schrieb.
Nicht bloss der bekannte Kirchenvater Dionysios Areopagita'
scheint den Dichter noch gelesen zu haben ^) , sondern man
1) Ueber den Inhalt gegen Meineke Welcker griechische Tragödien
S. 1026 ff.
2) Piaton. I 17. 10; über diese Titel überhaupt s. Bergk a. 0. p. 130 ff.
3) Meineke I p. 58 bezweifelt diesen Titel.
4) Der „Biisiris", welchen nur PoUux 10, 81 citiert, gehört vielleicht
dem jüngeren Eratinoe (Meineke I 57. 413) ; Meineke I 56 f. nimmt Tom
„Dionysalexanäros"' dasselbe an'
5) Aristoph. Eqnit. 5291:
S) Kallistratos: Athen. 11, 495a: Asklepiades: Athen. 11, 501e; Didy-
mos: Hesych. n. Kopoaxic. Athen. 11, 501 e; diese seine Scholle (ron
Bergk reliq. com. Att. p. 66 besweifelt) citiert er zu Arist Yesp. 151
(M. Schmidt Did. Chalc. £rg. p. 290).
7) Qnintilian. 10, 1, 66.
8) Epist. 8 ^n 318, fr. 180 Kock).
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Die Dichter der alten Komödie. 44&
wird nicht leugnen können, dass er noch lange zu dem Schrift-
stellercyklus der Gelehrtenschulen gehörte*).
Schon damals gab es zwischen den Komikern allerlei
Scharmützel: Der sonst selten genannte Ekphantides bekam
von Kratinos den Spottnamen „der Räucherige** angehängt und
musste sich nachsagen lassen, Choirilos helfe ihm zu seinen
Stücken *); aber einen glänzenden Sieg hat er doch einmal
errungen, wo dann sein Chorege vor Freude ein Votivbild
weihte^. An der Seite Kratins kämpfte gegen Perikles*)
Telekleides, welcher dann auch noch an der Hetze gegen
Sokrates Teil nahm (Fr. 39. 40) und für Nikias g^en Kleon
eintrat. Die fünf später noch bekannten Stücke — ein sechstes
war zweifelhaft^) — benannte er nach dem Chor: Politisch
waren die „Prytanen**, in den „Amphiktyonen** schilderte eine
Gottheit (wahrscheinUch Theoria) die goldene Zeit und den
Stücken wie Odysses u. dgl. entspraclien die „Hesiode**, den
„Weichlingen** der Charakterchor der „Starren** (EteppoC).
In den letzten Jahren der perikleischen Zeit, als dem
Regenten Athens in Kleon bereits ein gefähriicher Gegner
erwachsen war, trat Hermippos gegen ihn auf ^; wiewohl
er auch Jamben und Tetrameter dichtete '), verfasste er dennoch
mehr Komödien als irgend einer dieser älteren Generation,
1) Isaak Tsetzes proleg. in Lycophr. p. 256 (vg]. lo. Tsetz. Anecd,
Ozon, m 336, 25 f. ; Lagaide, Symmikta p. 175, 54) rechnet ihn mit Piaton,
EnpoliB nnd Pherekrates sn den icpatt6p.8voi, womit Anon. IX 8 Kpativo^ fy
%a\ icpaxTÖfuvoc stimmt; Enstathios war gleichfalls noch nicht anf Aristophanes
allein beschiftnkt (opnsc. p. 89, 58 ff. ed. Tafel). In der alphabetischen Syn-
tax Bekk. Anecd. I 119 £ wird nur Kratinos (p. 129, 14. 144, 27), nie Ari-
stophanes citiert.
2) Schol. Aristoph. Yesp. 151 (Hesych. n. Kanvia^); Hesych. n. 'Exxt*
X0tpiXa»|iiyir2, vgl. n. XoipiXov 'Excpavtidoc.
3) Aristot polit. 8, 6 p. 1341 a 85 f.; nnr Athen. 3, 96 bc citiert ein
Stück Sdtopoi, aber hinter Pherekrates und Antiphanes.
4) Fr. 17. Plutarch, Per. 3. 16. Athen. 10, 436 f.
5) 'A<|^to)tl( Phrynich. ed. Att p. 291. SchoL Aristoph. Yesp. 506;
sechs Anon. YII; Fragmente: Meineke n 361 ff. Kock I 209 ff. Die Sieger-
liste I 4 nennt f&nf dionysische Siege und fuhrt ihn Tor Kratinos auf.
6) Fr. 46, vgl. fr. 61; Fragmente: Meineke n 380 ff Kock I 224 ff. ^
einftugig (Suidas); Sohn des Lysis Suid. u. MoptiXoc.
7) Fragmente bei Meineke I 96 ff. Kock I 245 ff. Bergk H p. 505f.
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446 XIV. Kapitel.
nämlich vierzig, welche ilim vier Dionysieiipreise einbrachten *).
Von den neun bekannten Titeln fallen nur fünf, die Brod-
bäckerinen (gegen die Mutter des Hyperbolos gerichtet), die
Lastträger, Gaugenossen und Soldaten, wohl auch die Götter
dem Chor zu; Hermippos ist der erste, bei welchem rein
mythologische Possen nachgewiesen werden können, da er
Athenes Geburt, Europe, die Mören und die Kerkopen ver-
fasste. Sein Bruder Myrtilos bearbeitete anscheinend dasselbe
Gebiet, wenn anders die Titel Tttavöicavec und die „Liebes-
götter" richtig sind *).
Dieses Brüderpaar bildet den Uebergang zu Krates'),
welcher Elratinos gewissermassen ergänzte und infolge dessen
mit ihm so vortrefflich stand, dass er gelegentlich die Ein-
studierung peiner Dramen besorgte *). Die Chronik des Eusebios
setzt ihn, wahrscheinlich weil er Kimons Tod erwähnte, Ol. 82,
4 (449) an; zur Zeit der „Ritter" war er schon tot*). Vor den
persönlichen Angriflfen des Kratinos zuiückschreckend , wählte
er für seine sieben oder acht Komödien*) allgemeine Stoffe^),
mit anderen Worten : Er geisselte statt Einzelner allgemein
menschliche Thorheiten. Aristophanes rühmt Witz und Humor
an ihm, jedenfalls brachte Krates das Publikum zu herzlichem
Lachen ^), freilich mit so drastischen Mitteln, wie dadurch, dass
er den Athenern zuerst Betrunkene vorführte ®). Nach Aus-
scheidung der zweifelhaften Titel gelangen wir gerade auf jene
1) Suidas; Siegerliste I 8.
2) Suidas s. v. Kock I S. 253 f.; er siegte an den Dionysien einmal
(Liste I 10).
3) Bergk p. 276, Meineke I 58 f.; Zeitgenosse des Aeschylus (?) nach
Demetrios ictpl icotiQp.dTa>v bei Gomperz Rhein. Mus. 32, 477.
4) Schol. Arist. Eq. 541 (534) icpwtoc 6ic»xptvtto d. h. tl^Y*T' (^°^)
Kpativoü, missverstanden von Anon. in 8 toutov 6icoxp&tY|v (paoi •ft'^oyivai xb
icpd>tov, wie Philonides and Kallistratos 6icoxptTa& des Aristophanes heissen
(Vita Arist. 15. Schol. Arist. Nub. 531).
5) Arist. Eq. 537 ff., vgl. auch fr. 313 E. Anon. in 8.
6) Suidas, welcher irrtümlich zwei Krates unterscheidet, gibt im 1. Artikel
die 2^hl 7 (ebenso An. III8) und 6 Titel, im 2. drei andere Titel an ; 8 Stacke
nach Anon. VII.
7) Aristot. poet. 5 p. 1449 b 7.
8) Anon. III 8; indes erlangte er an den Dionysien keinen Preis.
9) Athen. 10, 429 a. Anon. DI 8.
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Die Dichter der alten Komödien. 447
sieben oder acht Stücke*): Die Nachbarn, die Samier, die
Heroen, dann zwei Personifikationen, die Spiele und die Keck-
heiten, ferner nach Magnes' Muster redende Thiere (in der
goldenen Zeit spielend). „Lamia" endlich dürfte der mytho-
logischen Gattung angehören. Auch Krates hatte einen Ge-
nossen und Bruder Namens Epilykos, von dem nur ein
„Koraliskos" genannt wird *).
An die Richtung des Krates schloss sich der etwas jüngere
Pherekrates an*), welcher zu ihm vielleicht dieselben Be-
ziehungen wie jener zu Kratinos unterhielt *). 437 (Ol. 85, 3)
gewann er den ersten Sieg *). Während Pherekrates auf persön-
liche Polemik fast ganz verzichtete®), that er sich durch Er-
findung ganz neuer Lustspielstoffe und elegante Sprache unter
seinen Kollegen hervor''). Seine siebzehn oder achtzehn Ko-
mödien *) sind zara grössten Teile dem Titel nach bekannt :
Die Ueberläufer *) und die alten Weiber bildeten offenbar den
Chor; „die Wilden" (d. h. die Menschenfeinde) *®) und die in
der Unterwelt spielenden „Heller*- (KpaicdttaXot) versetzten in
1) Fragmente: Meineke II 233 ff. Eock I 130 ff. In einem Bücherver-
zeichnis ans dem Piräus steht der vemtümmelte Titel . . icvidcatpia CIA. n 992.
Fünf andere Stücke (Dionysos, Vögel, Pedetai , der Habsüchtige, der Schatz)
sind verdächtig, weil Fragmente fehlen (s. anch Meineke I p. 64) ; es dürfte
bei der Nennung des Verfassers ein Irrtum obwalten, wie bei den faktisch
von Pherekrates verfassten „Metöken** Etym. M. p. 698, 9). Meineke 165,2
vermutet bei Athen. 9, 369 c 6v ^ptuoiv statt cv f-^topatv.
2) Suidas bezeichnet ihn als Epiker, s. S. 11.
3) Bergk n cap. 2, Meineke I 66 f. Suidas berichtet irrtümlich, duss
er Alexander den Grossen begleitet.
4) Anon. III 9 entstellt es wieder zu 6 hl 6:ioTcptr>]c sC^^lXtuoe KpdtTYjxa.
5) Dobreö liest bei Anoo. in 9 vtxqt I'kX OeoBwpoo (statt ^t&xpoo); dazu
stimmt die Siegerliste , welche Pherekrates I 7 mit zwei Preisen unmittelbar
hinter dem Ol. 85, 1 oder 2 siegreichen Kratinos aufführt.
6) Anon. in 9, Ausnahmen bei Meineke I 66 f.
7) Anon. III 9, 'Arctxwtatoc Athen. 6, 268 e. Phrynichos bei Steph.
Byz. u. 'A^vat = Suid. n. A6-irjva^a^. Eigentümlicbkeiten der Sprache:
Meineke I p. 67.
8) 17 Suidas, 18Anon.Vn; Fragmente: Meineke II 252 ff. KockI145ff.
9) Nach Meineke I 81 wegen fr. 19 (vgl. Thucyd. 5, 47, 8) nach Ol. 90,3
verfasst.
10) An den Lenäen von Ol. 89, 4 aufgeführt (Athen. 5, 218 d), vgl.Plat.
Protag. 327 d ol Sv x(p X**P4* ]i^o&v9-pioK6i,
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448 ^^* Kapitel.
eine phantastische Welt; ein anderes Lustspiel personificierte
die Nippsachen (Ai)poi) ; ganz neuartig sind dagegen „der Ofen
oder die Nachtfeier" und ,,die Tyrannen", während „der Ver-
gessliche oder Thalatta*S Fetale ^) und Korianno die Demimonde
zum ersten Male bühnenfähig machten. In der zuletzt genannten
Komödie fand man schon die Lieblingsstoffe des vierten Jahr-
hunderts, die Gourmandie (Fr. 67, 68), den verliebten Alten
samt dem verliebten Sohn (71 — 74) und die trunksüchtige Alte
(69, 70, 76), vorgebildet; „der Sklavenlehrer" schilderte die
Freuden des Sklavenlebens. Zur mythologischen Travestie
gehörten die Ameisenmenschen und der an den ersten Teil
der „Frösche" erinnernde falsche Herakles. Andere Stücke
wurden angezweifelt *). Pherekrates muss zu den bedeutendsten
Vertretern der alten Komödie gehört haben, da man ihn nächst
den drei Häuptern derselben zu nennen pflegte. Andere da-
gegen sind fast gänzlich verschollen, wie Xenophilos, welcher
die offizielle Siegerliste eröffnet, und Kratius Zeitgenosse
Aristomenes, der ebendort mit zwei Siegen vor dem letzteren
steht und gleich diesem den ,, Rittern** unterlagt).
Die zweite Generation der älteren Komiker*) leiten Phry-
n ich OS und Eupolis ein. Ersterer, des Eunomides Sohn^)
und von dem Tragiker verschieden, führte 429 (Ol. 87, 3) die
erste Komödie auf und setzte seine Thätigkeit, welcher zehn Stücke
entsprangen, bis über das Todesjahr des Sophokles, welchem er
405 in den „Musen'* ein schönes Ehrendenkmal setzte, hinaus
1) Dass 80 eine Hetäre hiess, dürfte ans zwei Briefen des Alkiphron
(1 d5. 36) hervorgehen.
2) „Chiron" nach anderen von dem Rhythmiker Nilbomachos (Athen.
8, 364 a, gleichzeitig mit Ismenias Plin. nat. h. 37, 7), wie anch „die Me-
tallarbeiter*^ nach Eratoethenes bei Harpocr. u. jittaXXsI^ , vgl. Phot. n. tb^-iy
Aaxttoo, „die Gaten**, auch Strattis zngeschrieben (Athen. 6, 248 c), „Perser*^
Athen. 3, 78 d. 11, 502 a. 15, 684 f. Schol. Arist. Ban. 364 (365). Die „Me-
töken" sind wahrscheinlich die Piatons (Meineke I p. 70).
3) Wahrscheinlich rerschieden von dem Ar istomenes, der gegen den
Plutos „Admetos** anffährte und von Snidas zu den ^ictStottpoi der alten Ko-
mödie gerechnet wird; beider Fragmente Meineke n 730 ff. Eock I 690 ff.
(ßo-rj^ot, FoYittc, At6voooc ioxYjrric) Polemische Stellen fehl^ ganz.
4) Saldos n. ^pavt^o^.
5) Didymos bei Schol. Aristoph. Kan. 13; Phradmon (Anon« UI 10)
hicss der Vater des Tragikers.
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Die Dichter der alten Komödie. 449
fort *). Die gleichzeitigen Komiker feindeten ihn sowohl per-
sönlich, weil sein Bürgerrecht erschlichen sei, wie als Dichter
heftig an ; die Stoflfe seien unbedeutend , die Verse schlecht,
die Witze plump und so manches aus anderen Dichtern ge-
stohlen *). Die Titel seiner Stücke') weisen sechs Chöre auf:
die Nachtschwärmer, Mysten, Jäterinen, Satyrn und dazu zwei
literarische, die Musen und „die tragischen Schauspieler oder
die Freigelassenen**. Die mythologische Komödie war durch
,,Kronos'* und eine von Aristophanes verhöhnte Travestie der
Andromedasage vertreten *). Drei Lustspiele trugen Einzelnamen :
Der Einsiedel (Movckpoiroc, 415 aufgeführt), der schlimme Geist
Ephialtes und Konnos (der bekannte Musiklehrer) % Didymos
schrieb zu Phrynichos' Komödien einen Kommentar^.
Mitihm war Ameipsias eng verbrüdert, indem er dessen
Lustspiele „die Nachtschwärmer und „Konnos** mit solchem
Geschick in Scene setzte , dass die Athener ihm , der offiziell
als Didaskalos genannt wurde , zweimal vor Aristophanes den
Vorzug gaben '). Ameipsias gehörte natürlich ebenfalls zu den
Gegnern des Letzteren®). Die fünf des weiteren überlieferten
Titel beleuchten seine poetische Richtung nicht, doch sei er-
wähnt, dass er die erste „Sappho** schrieb^). Zur selben Aristo-
phanes verfeindeten Clique gehörten der vergessene L y k i s
oder Lyko8*°), Aristonymos, Verfasser von zwei mytholo-
1) Ol. 87, 3 Anon. in 11, Ol. 86 nach Snidas ; zwei Siege Liste I 9; zehn
Stücke: Anon. VH. Snidas; nicht alles war erhalten (Didymos a. O.).
2) Schol. Aristoph. Ran. 13. Arist. Ran. 12, Hermippos fr. 64.
3) Fragmente: Meineke n 252 ff. Kock I. 369 ff.
4] Aristoph. Nnb. 556; nach Rock I 372 war Kp6voc vielleicht mit
Kowoc identisch.
5) Er war gegen die oocptotat (Musiker und Philosophen) gerichtet
(Meineke I p. 203).
6) Athen. 9, 371 f.
7) Argum. Nub. Av., vgl. Bergk p. 155. 369, 70; der „Konnos" wird
daher mehrere Male unter seinem Namen citiert.
8) Vita Aristoph. 2; daher Arist. Ran. 12 verspottet.
9) Ausserdem „Die Kottabosspieler", die „Ehebrecher", Sf ev86vY|, nicht
ganz sicher Kateod'twv ; Fragmente : Meineke 11 701 ff., Kock I 670 ff.
10) Aristoph. Ran. 14 mit Scholien.
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur IB. ' 29
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450 XIV. Kapitel.
gischen Possen, „Theseus** und der frierende Helios ^) , und
Sannyrion *).
Als Aristopbanes die eraten praktischen Versuche auf der
Bühne machte, fand er einen Förderer an dem trotz seiner
Jugend schon berühmten Sohn des Atheners SosipoUs^. Eu-
polis betrat bereits mit siebzehn Jahren 429 (Ol. 87, 3) die
komische Bühne ^); ungeachtet der Gunst des Publikums, das
ihm siebenmal den Sieg zusprach ^) , verfasste er nur vierzehn
Stücke^); es mag dies damit zusammenhängen, dass ihm kein
langes Leben beschieden war. Er fiel nämlich während der letz-
ten Phase des peloponnesischen Krieges in den Kämpfen am Helle-
spont ^), der einzige athenische Dichter, welcher für das Vater-
land starb ; darum machte das Ereignis solchen Eindruck, dass
die Athener von nun an alle Dichter wie die Choreuteu vom
Kriegsdienste befreiten ®).
Eupolis verfolgte den von Kratinqs gewiesenen Weg*).
Wegen der schneidenden Satire waren die „Gemeinden" be-
rühmt, worin er die gefeierten Leiter des alten Athen , Solon,
Miltiades, Aristides und Perikles, aus der Unterwelt citierte,
1) Vita Aristoph. 2. Sehol. Plat. p. 331B; Fragmente: Meineke H 698 fi.
Kock I 668 ff.
2) Scbol. Plat. a. O. Fragmente: Meineke U 873 ff. Kock I 793 ff.
(FiXcoc, Aav(iY|, 'Itu, woxu Saidas aus Atbenaios (?) ^o^^'^'^^^ f>).
3) Suidas.
4) Anon. III 11; über sein Alter Suidas.
5) Snidas ; die offizielle Liste gibt drei dionysiscbe Siege an (1 11).
6) Anon. m 11, nach Snidas siebzebn. Die Fragmente (Meineke II
426 ff. Kock I 258 ff.) sind dreizehn Stücken entnommen. Aia&twv, Aia^,
KXoicai nnd A^xwvt^ sind sebr zweifelbaft, nocb mebr die nnr von Ptole-
maios Hepbaistion bezeugten TßptoToSixat.
7) Wabrscbeinlicb in der Scblacbt bei Kynossema 411, woraus leicht
die, allerdings auf Aigina spielende, Anekdote bei Aelian. hist. an. 10, 41
entstehen konnte. Der Eupolis, dessen Grabmal bei Sikyon lag (Pansan. 2, 7, 3),
war natürlich ein anderer.
8) Snidas; schon Eratosthenes widerlegte die Fabel, Alkibiades habe ihn
ans Rache für die „Baptai'* bei der siciliscben Expedition ertrftnken lassen
(Tbemist. or. 8, 110 b. Anon. Vm 6. Schol. Aristid. p. 444 D. SchoL Juven.
2, 92, Allgemeiner Piaton. I 6), durch den Nachweis spftterer Komödien
(Cicero adAtt. 6, 1, 18); Anon. Vin 24 vermittelt; vgl. Lehrs populäre Auf-
sätze S. * 396 f.
9) Anon. m 11.
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Die Dichter der alten Komödie. 451
auf dass sie, aus dem Gespräch mit Nikias und Myronides die
Verkorameubeit des Staates ersehend^ das Athen ihrer Zeit
wieder herstellten^). Das entsprechende Gegenstück aus der
äusseren Politik waren „die (Bundes-) Städte". Das Militärwesen
persiflierten „die Obersten". Auch „die Heloten" dürften poli-
tisch gewesen sein. Vier andere Komödien richteten sich gegen
ganze Klassen der Bevölkerung: „Die Fahnenflüchtigen oder
die Mannweiber" gegen die vielen, welche sich der Dienstpflicht
entzogen, die Bdirtat ^) gegen die religionslose Jugend, als deren
Rädelsführer Alkibiades denunciert wurde, während ,,die
Schmeichler", 421 (Ol. 89, 3) mit bestem Erfolge an den Di-
onysien aufgeführt'), die philosophischen Hausfreunde, an ihrer
Spitze den berühmten Protagoras, geisselten*). In den „Pros-
paltiern'* traf der Dichter die Processierfreude seiner Landsleute,
unter denen er die der Komödie den Namen gebende Gemeinde
aus einem ähnlichen Grunde wählte , wie Aristophanes die
,,Acharner" zu Vorkämpfern der Kriegspartei machte. Eupolis
ging sogar soweit dass er über einzelne Personen ganze Komö-
dien schrieb , freilich in einer Weise , die seinem Mute keine
Ehre macht. Denn „Autolykos" , worin der aus Xenophons
Gastmahl bekannte Knabe, weil ilim der Stadtklatscb ein Ver-
hältnis zum Krösus des damaligen Athens zuschrieb, hart mitge-
nommen wurde , Hess er 420 (Ol. 89 , 3) durch Demostratos
aufführen ^), damit man ihn selbst nicht mit einer Beleidigungs-
klage fassen konnte. Da die Sache für ihn gut verlief, brachte
er die Komödie neun Jahre später umgearbeitet wieder auf
die Bühne *). Das zweite Mal (421) ^) wagte sich Eupolis an
1) Wahrscheinlicli kurz vor 424 geacbrieben , weil er noch Hipponikos
verspottete (Bergk p. 336 ff.). Auf die YorznnehmeDde Reform bezieht sich
fr. 100. Vgl. Raspe de Enpolidis ?^y|}io&( ac icoXsa&v Lpg. 1832.
2) Vgl. BnttmaQn Abhandlungen derBerUner Akad. 1822/23 S.215ff.;
Lobeck Aglaophamns p. 1007 ff.
3) Argnm. Arist. Pac.
4) Anch' Sokrates kam darin vor (Schol. Arist. Nub. 96. Luciau.
pisc. 25).
5) Athen. 5, 216 d.
6) Galen, in Hippocr. de acut. morb. XV p. 424 K. (V p. 38 b). Die
Zeit bestimmte Meineke I 110. 116 ff. richtig aas fr. 43 (Schol. Vict. II. 13,
JB53, wo 6v AI>toX6xoi( eine Verdrehung von 6v A&toXax({> ß' vorstellt).
• 7) Eratosthenes bei Schol. Aristoph. Nub. 552.
29*
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452 XrV. Kapitel.
den bekannten Politiker Hyperbolos, wobei er jenen infolge
des Censurgesetzes unter dem obscönen Namen Marikas nls
Barbarensklaven auftreten Hess und obendrein die Handlung
auf das Land verlegte *) ; die alte Mutter des Titelhelden tanzte
im Rausche Cancan *). Hieraus begreifen wir freilich das
Urteil, feiner gewählter Witz sei nicht Sache dieses Dichters
gewesen *). Die „Freunde'* sind unklar. Die „Neumondstage' %
mit denen Eupolis 426 durchfiel*), weshalb er das Manuskript
nicht veröfifentlichte , können sich auf die am Neumond statt-
findenden Strategenwahlen bezogen haben ^) , wenn der Titel
nicht, wie Holbergs „elfter Juni", den Zahltermin meinte. Die
Fabelwelt endlich thut sich in den nach dem vierfüssigen Chor
benannten „Ziegen" (gegen die zeitgenössische Musik gerichtet) *)
und der „goldenen Zeit** '') ^uf.
Anmut mit Kraft und einer gewissen Erhabenheit ver-
einigend, war Eupolis in der Ersinnung komischer Stoffe, wie
schon die Titel zeigen , ungemein phantasiereich und in der
Ausführung genial % Dies sicherte ihm einen der drei Ehren-
plätze unter den alten Komikern *), weshalb Galenos auch ihn
in einem dreibücherigen Werke lexikalisch behandelte, nachdem
Didymos das Verständnis durch einen Kommentar erleichtert
hatte*®). Noch um das Jahr vierhundert setzte ein lateinischer
Schriftsteller die allgemeine Bekanntschaft des Namens voraus ").
So sehr auch Eupolis beliebt und geschätzt war, den
ersten Platz nahm ihm der etwa gleichalterige Aristo-
phanes vorweg.
1) QaiDUlian. 1, 10, 18, vgl. fr. 190, Hesycb. u. Maptx&c; fr. 183 K.
2) Aristoph. Nab. 555.
3) AnoD. de com. Hill.
4) Argum. Arist. Acbani.
5) Belocb die attiecbe Politik seit Perikles, Lpg. 1884 S. 34 A. 2.
6) Vor 424 gescbrieben, weil Htpponikos Docb lebte (Bergk reliq. com.
Att. p. 336 ff.), Ol. 88, 2 nach U. t. Wilamowitz obsenr. crit. p. 24. 36.
7) Xpooouv Y^voc; Kleon lebte damals noeb (Fr. 290, 1).
8) Piaton. II 2; Anon. UI 11 '^Z'foyoi<: Sovatöc rj Xi^tt,,
9) Horat. sat. 1, 4, 1. YeU^ns 1, 16, 3. Qnintilian. 10, 1, 66. Euantbina
de com. p. 4, 3.
10) Mor. Schmidt Didymi Cbalc. fragm. p. 308 f.
11) Macrob. Saturn, 7, 5.
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Die Dichter der alten Komödie. 453
Die zusammenhäDgenden biographischen Quellen bestebeu in der
längeren und kürzeren Fassung eines anonymen ßtoc (dem Titel einer Hand-
schrift zufolge hat Thomas Magistros die letztere verwässert) und dem Artikel
des Suidaslexikons, der mit einem Platoscholion (p. 83 B. 330 f) verwandt
ist und im codex Ambrosianus L 39 sup. abgesondert steht; hier schliesat
sich eine Liste aller Stucke daran (veröffentlicht von K o v ati Hermes 14, 461 ff.).
Jene Biographien sind in Meinekes bist. crit. com. Gr. p. 547 ff., Wester«
manns Bco^pdf oi p. 155 ff., Dnbners Schol. Aristopb. p. XTTT ff. und Aristo-
phanesausgaben gesammelt und mit Beiziehung zerstreuter Notizen in den
Einleitungen der Ausgaben Thierschs (1. 1830 von C. F. Ranke, separat Lpg.
1845) und Meinekes und vor Teuffels Ausgabe der Wolken verarbeitet.
Die Wiege „des ungezogenen Lieblings der Grazien" stand
im ältesten Teile der Stadt Athen nahe dem Dionysostheater ^),
mochten ihn auch seine Feinde vor Gericht und auf der Bühne
für einen in die Bürgerliste eingeschmuggelten Khodier oder
Ji^aukrateer ausgeben*). So war ihm die heilige Stätte des
Dionysos von Jugend auf vertraut; nichtsdestoweniger diente
er bei der Komödiö sozusagen von der Pike auf*), indem er
zuerst Schauspieler war, dann wahrscheinlich als Gehilfe der
Dichter das Insccuieren der Dramen erlernte. Trotz dieser
Vorschule ' wagte Aristophanes vorerst keinen selbständigen
Sehritt. Seine zwei ersten Stücke sind nicht bloss unter dem
Namen eines anderen aufgeführt, sondern mit dessen Beihilfe
entstanden , nachdem Aristophanes vielleicht schon früher
komische Ideen zu fremden Arbeiten beigesteuert hatte*). So
1) KüSaö-Y^va'.jüc V. Z. 1. Thoiu. 3; die Eltern hiessen Pbilippides (so
steht auf der in Florenz befindlichen Porträtherme) oder Philippos (Auon.
III 12. V. 1. 31. 70. Thom. 2, irrig Bion Porphyrio in Hör. ep. 2, 2, GO)
und Zenodora (Thom. 2 codd. LM).
2) Lindos (V. 28) oder Kamiros Suidas (nach A. v. Gutschmid, wie die
Zeitangabe, aus dem Artikel 'AvaSav^piSirjc eingedrungen); Kankratis Helio-
doros bei Athen. 6, 229 e, vgl. Suidas. Wegen Acharn. 653 f. wurde er mit
Aegina bald in diese bald in jene Verbindung gebracht (Besitzungen und
Aufenthaltsort V. 28 flf., Kleruchie Theagenes bei Schol. Plat., Heimat des
Vaters V. 30 f.), aber andere erinnerten richtig daran, dass Kallistratos diese
Worte sprach oder mindestens sagen Hess, s. bes. Mülle r • St rübing Aristo-
phanes und die historische Kritik S. 604 ff.
3) Acharn. 541 ff.
4) Vesp. 1018 ff. Ueber das Verhältnis zu Kallistratos und Philonides:
Hanow exercitationes criticae, Halle 1830 p. 3 ff.; Th. Kock de Phil, et
Call., Pr. V. Guben 1865; W. Heibig quaestiones acaenicae, Bonn 1861
p. 16 ff.; R. Enger Jahrbb. f. PhiL 73, 337 ff.; E. Meyer de Arist. fabu-
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454 ^^- Kapitel.
setzte zuerst der Komiker Eallistratos, von dem kein einziges
Lustspiel den Verfasser überlebte, 427 (Ol. 88, 1) die AattaXfjc
in Scene *) ; das Stück exemplificierte an zwei Brüdern die Er-
gebnisse der altathenischen Erziehung und des sophistischen
Unterrichts, wobei die Heraklesbruderschaft den Chor bildete *).
Im nächsten Jahre (426) stellten beide „die Babylonier" fertig,
in denen zunächst die Behandlung der Bundesgenossen, die
wahrscheinlich mit dem aus gebrandmarkten Mühlsklaven be-
stehenden Chor gemeint sind , getadelt wurde '). Dies nahm
der Demokratenführer Kleon nicht ruhig hin, sondern stellte
gegen Kallistratos beim Rate Klage, weil er eid Grundgesetz
der Demokratie, das Verlosen der Aemter, lächerlich gemacht
habe und dies an den Dionysien vor Fremden, allein der
AngriflF bUeb ohne Erfolg*). Der triumphierende Kallistratos
ging mit Aristophanes sofort 425 der Partei Kleons mit den
erhaltenen „Acharneni** näher zu Leibe ^). Als nun dieses
Lustspiel mit dem ersten Preise geehrt worden, wollte Aristo-
phanes Lohn und Ruhm nicht länger einem anderen über-
lassen ; wusste doch das Publikum nicht, dass ihm der Haupt-
anteil zustand^). Der Zuspruch der Freunde überwand seine
merkwürdige Zaghaftigkeit^), vielleicht liess sich auch Kalli-
larnm commissionibas, Berlin 1863; E. Petersen Jahrbb. f. Phil. 85, 649 ff. ;
Mor. Zwerger de primis Ar. fabalis qua ratione in scenam commissae
yideantnr, Dias. v. Rostock 1868 o. A. (s. Alb. Müller Bohnenaltert. S. 353 A. 4).
1) Anon. m 12 (entsteUt V. 15. Schol. Nab. 531).
2) Fritzsohede Aristophanis Daetalensibns, Lpg. 183 1 ; U. v. W i 1 a m o-
witz observatt. critt. in com. Graec p. 6ff.; Bonstedt quaestt. Aristo-
phaneae, Diss. v. Jena, Frankfurt a. M. 1872. Vgl. Aristoph. Nnb. 528 f.
3) Fritzsche de Aristophanis Babyloniis, Lpg. 1830; Joh. A. Gun-
ning de Bab. Ar. fabnla, Diss. v. Amsterdam, Utrecht 1882. Kallistratos:
Snidas u. Sa|iiü>v b Sy^iioc. Chor: Hesych. u. Sa|iio>v b 2'7)p.o< (vgl. Baßo-
Xwvioi); U. Schrader Philol. 42, 577 ff.
4) Acham. 377—382. 502 f. 630—664, welche teils Kallistratos in erster
Person als Protagonist teils der Chor sprach (richtig Schol. Vesp. 1284) ; von
Aristophanes wusste Kleon nichts (s. A. 6) ; vgL ausser den S. 453 A. 4 ver-
zeichneten Schriften Gilbert Beiträge zur inneren Geschichte Athens S. 148 ff.;
Herrn. Schrader Philol. 36, 385 ff. iwo Literatur angegeben ist); Joh. H.
Gunning a. O. p. 59 ff.
5) Schol. Acham. 661.
6) Dies bezeugen Nub. 530 f. und Vesp. 1018 (vgl. dagegen 1021 <f>avrpa»<;).
7) Acham. 513.
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Die Dichter der alten Komödie. 455
Stratos zu einem direkten Angriffe auf Kleon nicht mehr
herbei, jedenfalls war Aristophanes schon ein gereifter Mann *),
als er 424 mit den „Rittern" zum ersten Male persönlich vor
die Oeffentlichkeit trnt. Kleon, den natürlich jedermann in
dem Paphlagonier erkannte, vermochte nur mittelbar an dem
Komiker sich zu räclien, dadurch dass er eine Anklage wegen
unbefugter Ausübung des Bürgerrechtes erhob, wogegen Aristo-
phanes mit einem parodischen Citat aus Homer sich glücklich
verteidigt haben soll *). Einen sichereren Weg hatte der leiden-
schaftliche Lederfabrikant eingeschlagen, als er, ähnlich wie
es Voltaire passierte, Aristophanes sofort im Theater prügeln
liess^). Jetzt fand es der Dichter geratener, die Politik ein
wenig ruhen zu lassen, aber „die Wolken'*, womit er den
Gedankengang seines ersten Stückes aufnahm, fielen 423 gänzlich
durch. Dann überwarf sich der Dichter mit Eupolis, der ihm
zu den „Rittern" einen Beitrag geliefert hatte*), und reizte
den alten Kratinos durch übermütigen Spott, weshalb er sich
alles mögliche vorhalten lassen musste: Dass er kein Bürger
sei, dass er eine Glatze habe und den Wein übermässig liebe,
dass er für fremden Nutzen arbeite und doch bei anderen
stehle *). Auf dies hin beobachtete Aristophanes wieder die
Vorsicht, anderen die öflfentliche Verantwortlichkeit zu über-
lassen. Zunächst leistete ihm Ph ilonides diesen Freundschafts-
dienst*), als er, durch jenen Misserfolg zur Anspannung aller
1) Dies zeigen Acham. 541. 512 ff. (vgl. 513); nach ScböL Ran. 502
tritt er anf a/tSöv |i8ipaxioxo< u>v!
2) Vit. 24 (danach vor den „Rittern"). 31 f. Schol. Acham. 386 (377);
oder liegt etwa eine Verwechslung mit dem bei Lysias 13, 59 ff. genannten
Aristophanes vor? Vit. 35 nimmt drei Anklagen an.
3) Vesp. 1285 f.
4) Nach alter Ueberlieferung einen Teil der zweiten Parabase (Agthe
schedar. Aristoph. specimen II. Jena 1861; Kirch hoff Hermes 13, 287 ff.);
über den Streit £. A. Strnve de Enpolidis Maricante, Kiel 1841.
5) Fremd: Eapolis fr. 357; Kahlköpfig Enpolis fr. 78 (dem brach er
dnrch Selbstironie die Spitze ab: Fax 767 ffl Nub. 545, vgl. Plntarch. symp.
2, 1, 12); Wein: Athen. 14, 429a, bestätigt durch Plato symp. 176b. 223c
und das Lob des Weines £q. 90 ff., f&r andere arbeitend: Vit. 11 ff.
6) Die Komödien ^iXitacpoc, 'Aicyjvy] und K6^opvoi (Fragmente bei
Meineke n 421 ff. Kock I 254 ff.) scheinen eher einem jüngeren Philonides
zu gehören, wofür die Sentenzen fr. 16—18 sprechen dflrfben.
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456 XIV. Kapitel. ^
Kräfte gereizt, für die Lenäen von Ol. 89, 2 (422) zwei Stücke,
die „Wespen" und die „Probe" (Proagon) geschrieben hatte *).
Derselbe besorgte an den Lenäen von Ol. 91, 2 (414) „Amphi-
araos", während Kallistratos erst wieder an den Dionysien
dieses Jahres für die „Vögel" und 411 (Ol. 92, 1) für „Lysi-
strata" seinen Namen hergab. Aristophanes selbst hingegen
bekannte sich innerhalb dieses Zeitraumes, soviel wir wissen,
nur zum „Frieden" von 421 (Ol. 89, 3) ; erst seit 408 (Ol. 92, 4)
scheint er auf fremde Beihilfe dauernd verzichtet zu haben, da
die Frösche (Lenäen von Ol. 93, 3 = 405), Ekklesiazusen
(Ol. 97, 3 = 389) und die zwei „Plutos" (Ol. 92, 4 = 408
und Ol. 97, 4 = 388) öfifentlich seinen Namen führten. Mit
dem zuletzt erwähnten Stücke nahm Aristophanes von der
Bühne Abschied ; denn weil alle seine vier Söhne' Philippos,
Nikostratos, Philetairos und Araros ebenfalls der ko-
mischen Muse, wenn auch mit geringerem Erfolge, huldigten *),
tiberliess er dem jüngsten, der die Beihilfe am nötigsten gehabt
zu haben scheint^), seine zwei letzten Stücke, ,, Kokalos" und
„Aiolosikon", um ihn dadurch beim Volke günstig einzuführen.
Seit 379 (Ol. 100, 1) trat Araros selbständig auf*), während
der alte Dichter verstummt war; sein Lebensende dürfte also
von dem Geburtsjahr des Demosthenes nicht weit abliegen.
Ueber die politischen und religiösen Ansichten des Aristo-
phanes haben wir, weil er keine eigenartige Richtung hatte,
nicht viel zu sagen ; gegen die Chauvinisten , die Demagogen
und Sykophanten , sowie die Philosophen eiferten ja Kratinos
und Eupolis ebenso kräftig. Wie wenig es ihm um eine ernst-
hafte Reform*), sondern um die blosse Satire zu thun war.
1) Jul. Richter Ausg. der Wespen, Berlia 1858 zieht die Angabe der
Didaskalie in Zweifel und Petersen Jahrbb. f. Phil. 1862 S. 663 streicht
Ziä ^iXutvidoo; 8. aber S. 407 A. 3. S. auch Hiller Hermes 7, 404.
2) V. 70flf. Thom. 5. Schol. Plat. (rgl. Kock 11 S. 219). Andere lehnten
beide Namen ab (V. 72). Fragmente: Philippos Kock II 215, Araros Kock II
215flf., Nikostratos p. 219 ff., Philetairos 230 ff.
3) Alexis verspottete seine Frostigkeit (Athen. 3, 123 e).
4) Snidas.
5) Herm. Pol de A. poeta com. ipsa arte boni civis officium prae.stante,
Groningen 1834; Friedr. Lorentz de Arist. spe atqne imagine reip. Atheni-
ensinm restituendae, Berlin 1865; Teuf fei Aristoph.' Stellung zu seiner
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Did Dichter der alteu Komödie. 457
sieht man daraus , dass er sich nie am politischen Leben be-
teiligte. Trotzdem hatte der Komiker von seiner Kunst ver-
hältnismässig reine Ansichten. Was freilich seine Behauptung
anlangt, er greife nur angesehene Männer, nicht aber macht-
lose Privatleute und Frauen an ^), hat er sich leider oft genug
selbst Lügen gestraft, aber wir dürfen ihm vertrauen , dass er
für das Rechte zu kämpfen glaubte^. Der doktrinäre Zug
seiner Zeit, den Aristophaues so grausam verspottete, bestimmte,
ohne dass er es selbst wusste, seine ganze Anschauungsweise.
War der Dichter noch ein wahrer Vertreter der dionysischen
Komödie, wenn er sich mit Vorliebe an die Gebildeten wendete
und an die Bildung seiner Zuschauer appellierte^)? Wie klang
^ies anders als wenn Kratinos von dem Lernasumpf des Pub-
hkums sprach und es für das Irrenhaus reif erklärte ^). Die
Athener werden gemäss der Geringschätzung der Komödie, wenn
Aristophanes unter lächerlichen Grimassen sich als den Lehr-
meister und Wohlthäter des Volkes aufspielte*'^), anfangs ge-
lächelt oder dies für einen sonderlich gelungenen Witz belacht
haben. Doch Dichter und Publikum verfielen trotz ihres Wider-
strebens nach und nach dem sophistischen Zeitgeiste und der
ärgste Feind des Euripides wurde in Wirklichkeit selbst der
Euripides der Komödie , ist doch die Manier , eine Principien-
frage in einem i'^m zu diskutieren, ganz unverkennbar von
diesem entlehnt.
Aristophanes hinterliess vierundvierzig Komödien ®) , deren
vier (Poesie, der schiffbrüchige Dionysos, die Inseln, die Dramen
oder Niobe) von manchen ihm abgesprochen und dem gleich-
zeitigen Komiker Archippos^) beigelegt wurden ; besorgte
Zeit, Morgenblatt 1855 Nr. 33 f. = Stadien u. Charakt. zur griech. u. röm.
Liter. S. 94flf.
1) Fax V. 751.
2) Acharn. 633 ff. 645. 655. Eq.'ölO. 1273. Ran. 686 ff.
3) Hiefur sind namentlich die „Wolken" lehrreich, ausserdem Ran.
676 f. 1109 ff. Vesp. 65. 1013 f.
4) Fr. 347; 329. Aehnlich ^ÄXasaa xoiXyj Com. ine. 95» bei Hesych.
5) Schon in den Parabase der ,,Acharner". Vgl. V. Z. 3 ff.
6) Suidas. V. 76 f. (verschrieben 43 V. cod. Vb oder 54 V. cod. Rb.
Anon. m 12. Thom. 10).
7) Fragmente: Meineke II 715 ff. Kock I 679 ff. Er verfasste ausser
mythologischen Possen (Amphitryon in zwei Fassungen, die Hochzeit des
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458 XIV. Kapitel.
dieser etwa, wie Philonides und Kallistratos, die Aufführung?
Aber auch vierzig Stücke waren für einen Dichter der alten
Komödie, da er alles frei erfinden musste, viel und Aristopha-
nes hätte eine solche Zahl nicht erzielt, wenn er nicht einerseits
ungewöhnlichen Fleiss und unerschöpfliche Einbildungskraft be-
kundet, andererseits vier Stoffe (Frieden , Wolken , Plutos und
Aiolosikon) ^) zweimal bearbeitet hätte.
Der Schwerpunkt der aristophanischen Komödie liegt wie
bei Kratinos und Eupolis in der politischen Satire, welcher un-
zweifelhaft die bedeutendsten Werke des Dichters angehören.
DieMisstimmung des durch den peloponnesischen Krieg ruinierten
Bauernstandes trieb ihn vor allem in den Kampf gegen die
grossmachtssüchtigen Chauvinisten. Die im Januar 426 auf-
geführten „Acharner*'*), von den Richtern mit dem ersten
Preise bedacht, trugen ihren Namen nach dem Chor, welcher
aus Angehörigen des Gaues Acharnai bestand. Dieser be-
völkertste Kreis Attikas war, weil die Mehrzahl nicht aus
Bauern, sondern Holzarbeitern und Kohlenbrennern bestand,
dem Kriege durchaus nicht abgeneigt, wogegen Dikaiopolis den
Sprecher der nach Frieden sich sehnenden Bauernschaft macht.
Das Stück zer&llt in ein Vorspiel') und zwei Hauptteile: Da
die Kriegspartei, wie man sieht, die Volksversammlung terrori-
siert, schliesst Dikaiopolis mit Sparta in höchst komischer Weise
Herakles) Rhinon (einem der 411 eingesetzten zehn Staatskommissäre geltend),
Plntos, des Esels Schatten, die Fische (worin die FiHche den Chor bildeten).
Er siegte Ol. 91 (Snidas); man spottete über seine Kalaner (Schol. Arist.
Vesp. 600 [479]).
1) Athen. 9, 372 a. Schol. Hephaest. 9 p. 180 W. Ambrosianasindex
Hermes 14, 464. Vgl. im allgemeinen Fritzsche de fabnlis ab A. retrac-
tatis spec. I.— V., Pr. der Univ. Rostock 1849—52.
2) Fritzsche de Acharnensibns Aristophanis , Lpg. 1831; Alkoin
Schaibe de Ar. Ach., Diss. v. Kasan*1861; 0er i die A. des Ar., Pr. v.
Crenzbnrg 1869; Ernst Bonstedt qnaestt. Arist., Diss. v. Jena, Frankfurt
1872; Ferrieri gli Acamesi di A., Pr. des Liceo, Palermo 1880; O. Rib-
beck Leipziger Stadien, 8, 379 IT. — Ueber die Scenerie S. 437 A. 7. —
C. Lion de parabasi in A. Ach., Pr. v. Magdeburg 1862.
3) Fr. Leo qaaestiones Arist., Bona 1873 p. Iff. h< wegen Schol.
1242 (1226) den Anfang fQr verstümmelt, dagegen setzt dort Bergk Jahrbb.
f. Phil. 117, 46fr. nach ScaXtYVtvoc xal ein; s. anch Holzinger Barsians
Jahresbericht 21, 150 £f. Vielleicht fiel am V. 250 herum etwas aus.
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Die Dichter der alten Komödie. 459^
einen Separatfrieden. Nun bekommt er es aber mit den Achar-
nern zu thun und wird sie erst los, nachdem er, in die Lum-
pen euripideiscber Helden gewickelt , eine grosse Lobrede auf
den Frieden gehalten. Diese theoretische Auseinandersetzung
ergänzt der zweite Teil praktisch, indem der Mann des Frieden?
an Wein, Weib und Gesang sich erfreut, während der Bramar-
bas Lamachos in den Krieg ziehen muss, um am Ende ver-
wundet unter Aechzen und Stöhnen heimgebracht zu werden.
Der „Fried eO" welcher 421 (Ol. 89, 3) an den grossen
Dionysien über die Bühne ging, überholte den förmüchen Ab-
schluss des Friedens um nicht mehr als ein paar Wochen. Da
der Dichter denselben mithin bei seiner Arbeit zuversichtlich
erwarten durfte, neigte er schon von gereizter Satire zu einer
humoristischeren Auffassung der Frage. Nachdem die Friedens-
störer im Kampfe gefallen, hält noch Ares die Friedensgöttin
gefangen. Die komische Idee des Dramas beruht auf einer
Verbindung der äsopischen Fabel, wo der Mistkäfer in den
Olymp «uffliegt, mit einer Parodie des euripideischen Bellerophon,
in der Weise, dass Trygaios (wie der Name ausdrückt, aber-
mals eine Pei*sonifikation der Bauern), um Eirene aus ihrem Ge-
fängnis zu erlösen , auf dem Mistkäfer in den Olymp reitet,
worauf wieder eine Schilderung des ausgelassenen sorglosen
Treibens der Friedenszeit folgt. Die Richter erkannten mit
gutem Grund dem Stück, worin Aristophanes' Genie, da es von
Natur zur kräftigen Offensive berufen ist, sich wenig bethätigt,
nur den zweiten Preis zu *).
In ganz anderer Stimmung schrieb er die „Lysis träte**');
im Jahre 411 (Ol. 92, 1) waren ja die durch die sicilische Ka-
tastrophe und den Abfall der Bundesgenossen erschöpften
1) W. Rohdewald über die Eom5die des A.: Der Friede, Pr. v. Det-
mold 1854; über die Scenerie R. Enger Rhein. Mns. 9, 568 ff.
2) A.ri8tophane8 behandelte den Gegenstand noch einmal (Argnm. Pac
m ans Krates). Die vier Citate fV. 294—7 K. sind höchst bedenklich. Ob
dfls erhaltene Drama das frühere oder das si^ltere ist, kann man nicht ent-
scheiden. Stanger über Umarbeitung aristophan. Komödien S. 80 ff.
3) G. Chr. Jftp qno anno et qnibns diebns festis Lys. atqne Thesmo-
phoriaznsae doctae sint, Pr. v. Entin 1859. Einige zögen wegen V. 389 den
Titel 'A2o>vidCoooac (Schol. a. O.), andere Ata^Xa^ai (Schol. V. 1114 u. am-
bros. Verzeichnis) vor.
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460 XIV. Kapitel.
Athener des Krieges herzlich müde und unter sich , wie bald
darauf der Staatsstreich schrecklich darthat, in erbitterte Parteien
iserklüftet. Bei diesen trüben Aussichten war der Komiker,
wenn er überhaupt den Gegenstand berühren wollte , beinahe
gezwungen, ihn in der Weise eines obscönen Schwankes zu be-
handeln : Weil nämlich die Männer keine Vernunft annehmen,
izwingen die Frauen in Athen wie in Sparta ihre Gatten durch
Vorenthaltung der ehelichen Rechte zum Frieden.
Gegen einen einzelnen Parteiführer ging Aristophanes nur
in den „Rittern*' vor , wogegen er Hyperbolos dem Eupolis
überliess. Die „R i tter'* ^) errangen an den Lenäen des Jahres 424
(Ol. 88, 4) den ersten Preis, ein Resultat, wozu politische Gründe
nicht unerheblich mitgewirkt haben dürften. Die Pointe des
Stückes kann man kurz in das Sprichwort „Auf einen Schelm
anderthalb" zusammenfassen; ausgehend von der populären
Personifikation des Demos (S. 41H), schilderte der Komiker
das athenische Volk als einen allen Schmeicheleien zugäng-
lichen Alten, der die Volksführer zu Sklaven hat. In seinem
frechen Günstling aus Paphlagonien erkennt jeder sofort Kleon,
wie in dessen zwei zurückgesetzten zaghaften Genossen Nikias
und Demosthenes , welche Aristophanes nach dem S. 417 ge-
sagten natürlich auch in der Buchausgabe nicht mit Namen
nennen durfte. Jener Paphlagonier wird nun von dem Wurst-
händler Agorakritos , einer echten athenischen Marktpflanze,
an Unverschämtheit und plumper Schmeichelei überboten und
gestürzt. Doch auf diese ausseiest komischen Scenen lässt Ari-
stophanes einen wenig passenden doktrinären Schluss folgen:
Der Demos erscheint, von Agorakritos, der sich aus einem Ga-
min unversehens in einen Volksbeglücker verwandelt hat, neu
verjüngt.
Die inneren Schäden des attischen Staates berührte Aristo-
phanes in zahlreichen weniger persönlich zugespitzten Stücken.
Die älteste erhaltene derselben fasst eine Schattenseite des
athenischen Charakters humoristisch auf: Die „Wespen**,
1) Ullrich quaestt. Arist. I. Uambarg 1832, 1839; K. Fr. Hermann
progymnasmata in Aristophanis Equites, Marburg 1835 a. äe Arist. £q. 1842;
Stanger Ztach. f. österr. Gymn. Bd. 22 S. 409 fi. Die zahlreichen Benr-
teilungen Kleons müssen wir fortlassen.
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Die Dichter der alten Komödie. 4g 1
welche an den Lenäen von 422 (OL 89, 2) den zweiten Preis
bekamen ^) , sollten die bekannte Prozessucht der Athener,
welche obendrein durch die Richterbesoldung vom Staate rege
erhalten wurde, und noch mehr das leichtfertige Urteilen der
Geschworenen geissein. Ein Sprichwort (V. 1090) leitete Aristo-
phanes auf die Idee, die den Chor bildenden Geschworenen
von Profession mit einem Wespenstachel auszurüsten. Was
aber die eigentliche Handlung anlangt, so ist der alte Philo -
kleon (auch hier gilt Kleon als die Personifikation aller Fehler
Athens) von einer solchen Richtmanie befallen, dass ihn sein
vernünftiger Sohn Bdelykleon eingesperrt hält. Die Lösung
des Konfliktes entlehnt Aristophanes ebenfalls dem Volkswitze
(V. 799 fif.), indem nämlich der Alte ein Extratribunal im eigenen
Hause und die Gerichtsbarkeit über Tiere und Sklaven erhält.
Den Schluss bildet ein vom dramatischen Standpunkte au&
unpassender, aber durch die Geschichte der Komödie gerecht-
fertigter Komos des betrunken heimwankenden Alten ^.
Später, als das wirkliche Leben immer trüber sich ge-
staltete, Hessen sich die Athener gerne von Aristophanes in
eine heitere Phantasiewelt versetzen. Im Jahre 414 (Ol. 91, 2)
zumal lastete auf den Teilnehmern der grossen Dionysien trots^
alles Leichtsinns ein schwerer Druck; noch empfand man die
Nachwirkung des blutigen demoralisierenden Hermokopiden-
prozesses*) und schon kamen schlimme Nachrichten aus Syrakus,
während Alkibiades in Hellas alle Feinde zum energischen
Angriff aufstachelte; da war es wohl glaubUch, dass, weil man
alles elc xöpaxac wünschte*), zwei unternehmungslustige Athener
ihrer heillos verrotteten Heimat den Rücken kehrend in das
Reich der Vögel — ein deutscher Aristophanes hätte dafür
etwa das Pfefiferland setzen müssen — auswandern. Sie gründen
wirklich mit den Vögeln die Stadt „Wolkenkukuksheim'S in
deren Scliilderung ideale und possenhafte Zöge zusammen-
1) S. 466 A. 1.
2) StaDger über UmarbeitnDg aristophan. Komödien 8.48 ff. scbliesst
darans aaf eine Umarbeitnng des Stockes, wfthrend P. J. Hoekstra quaestt.
de Aristophanis Vespis, Leiden 1878 p. 63 ft. besondere Absiebten vermatet.
3) J. G. Droysen Rbein. Mus. 3, 161 ff. 4, 27 ff.
4) Aristopbanes wnrde vielieicbt anch dnrcb dns berühmte Orakel, Athen
werde „ein Adler in den Wolken sein", angeregt.
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462 XIV. Kapitel.
fliessen; die unleidlichen Typen ihrer alten Vaterstadt werden
in einigen Karrikatüren episodisch vorgeführt. Damit das Stück
mit einem heiteren Zuge abschliesse, heiratet Peithetairos, der
Hauptfaiseur des Ganzen, die allegorische Basileia. Der Dichter
denkt nicht daran, jene Auswanderer zu persiflieren, sonst
würde Zeus am Ende die ganze geträumte Herrlichkeit zusammen-
schmettern. Nein, der Dichter fordert, wenn es wirklich gut
werden soll , einen ganz neuen Staat und ganz neue Götter ^).
In den „E k k 1 e s i a z u s a i" (Frauen in der Volksver-
sammlung) hingegen spricht Aristophanes die radikale Umge-
staltung aller Verhältnisse den Männern, weil sie ihre Unfähig-
keit erwiesen, gänzlich ab; war schon die Frauenemancipation,
welche manche Philosophen predigten , in den Augen der
damaligen Athener ein lächerlicher Einfall, um wie viel mehr
der Gedanke des Komikers, wenn nur die Frauen allein den
Staat regierten, werde alles gut gehen. Die Frauen setzen es
in der Volksversammlung durch, indem sie in den Kleidern
ihrer Männer abstimmen. Nach der karrikierten Entwicklung
grosser kommunistischer Projekte, welche wahrscheinUch mehr
auf socialistische Wühler als auf wenig bekannte philosophische
Theorien gemünzt sind *), verläuft das Stück ins Obscöne. Der
Dichter nimmt über die Missstände des Staates kein Blatt vor
den Mund; solche politische Ausfälle klären, da eine Didaskalie
fehlt, über die ungefähre Zeit der Komödie auf. V. 193 geht
nicht auf das Bündnis, welches Athen 395 mit Böotien schloss,
in welchem Falle das Stück 393 aufgeführt wäre*), sondern
auf den sechs Jahre später unter einem gleichnamigen Archonten
1) So fassten schon die Alten das Stück anf (argnm. II, vgl. I a. £. a. III),
ähnlich Köchly über die V. des A., Pr. d. Univ. Zarich 1857. Anders
Kock Jahrbb. f. Phil. 1, 373 £f., Bursian Sitzungsber. der bayer. Akad.
1875 n S. 375 ff. n. A. Eine Uebersicht über die Frage gibt W. Behaghel
Geschichte der Auffassung der ar. V. I. Pr. v. Heidelberg 1878, II. 1879; s.
jetzt auch Paranikas ^EXXf^v. ^ikok, oü^Xo^oc IE p. Iff.
2) S. K. B. V. 408 ff. Bd. U S. 330 A. 4, 331 A. 1; dazn Paul Stein
de Ar. Ecclesiazusamm aigumento e qnarto reip. Piatonis libro snmpto, HaUe
1880; Stnllbanm Plat. repubL proll. p. G — GX. Der erste, welcher das
Stück auf Plato bezog, war Le Bean M^moires de Tacad. des inscr. XXX.
3) Philochoros bei Schol. V. 193, vgl. Sam. Petit misoell. I c. 15 nnd
Jol. Zastra de Ar. Ecclesiazusamm fabnlae tempore atque oonsilio , Bres-
lau 1836.
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Dte Dichter der alten Komödie. 463
eiug^angenen Vertrag, OL 97, 3 (389)^), weil V. 197 f. auf
die Absendung einer von Thrasybulos befehligten Flotte
anspielen.
Ist schon hier die immer brennender werdende soziale
Frage angerührt, so ging im nächsten Jahre (388) Aristophanes
direkt auf sie em. Der Gott PI u tos, dessen Namen die
Komödie trägt *), wird von einem ehrlichen Bürger im Tempel
des Asklepios sehend gemacht, so dass er von nun an zwischen
Gerechten und Ungerechten unterscheiden kann. Die komische
Ader des gealterten Dichters sprudelt nicht mehr recht frisch
und verwegen, und die einstige Flut von politischen Ausfällen
und Obscönitäten ist versiegt. Aristophanes hatte den Grund-
gedanken des Dramas schon früher (Ol. 92, 4) in emer gleich-
namigen Komödie dargelegt').
Der politischsocialen Gattung dürfte die Mehrzahl der ver-
lorenen Ko.Tiödien zuzurechnen sein. Das Amphiaraosorakel
(von Philouides gleichzeitig mit den „Vögeln" in Scene gesetzt),
die Bauern und die Kauffahrteischiflfe (unverkennbar zwei den
Frieden empfehlende Dichtungen)*), ferner das Erstlingswerk:
der Opferverein (AattaXiJc), dann die (epoymen) Heroen, das
Alter ^), die zweiten Thesmophoriazusen, welche mit den erhaltenen
bloss den Titel gemeinsam hatten*), die Inseln, die Störche,
die Plätze mit Beschlag belegenden Frauen^), die Pfannen-
1) Tschorzewski opnscula postama ed. J. Th. Stnive, Kasan 1856
p. 116 ff.; G. Götz Acta soc. philol. Lips. n p. 335 ff., anders A. v. Velsen
Phüol. Anzeiger 6, 392 ff.
2) Fr. Ritter de Ar. PI., Bonn 1828; G. Lindgren Ar. comoedia
qaae nXo&to< inscr., Upsala 1884; H. J. Heldermann qnaestt. in Ar.
Platnm, Utrecht 1861. Nach Argnm. Ran. IV wollte Aristophanes dem da-
maligen Archon ein Kompliment machen.
3) Fr. Ritter Jahrbb. 11, 303 ff.; K. Fr. Hermann gesammelte Ab-
handlungen S. 39 ff.; Sam. Petitns misceUanea I c. 16 hält den heutigen
Plutos f&r eine Kontamination.
4) Fr. 109 K.; Argum. Pac. Ueber erstece Ullrich quaestt. Aristo-
phanear. spec. I., Hamburg 1832 p. 30 ff. A. 44.
5) Süvern über Ar.' ]>rama benannt das Alter, Berlin 1827. Es ist
nach dem Archontat des Enkleides gedichtet, weil f^. 146 die Auslosung der
Richter vorkommt.
6) Demetrios von Troizen schlug daher den Titel 6eap.o^optdioaoai vor
(Athen. 1, 29a); vgl. Fritzsche de Th. Ar. posterioribus, Lpg. 1831.
7) Kock I S. 512; Schol. Thesm. 657.
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464 XIV. Kapitel.
brüder (TaYTfjvtatat), die Wahrsager von Telemessos (TsXsjtTjao'^c:)
und die Hören. Nach ötdichteten Personen waren Gerytades *)
und Triphales benannt; Anagyros hatte von dem Schutzhoros
eines attischen Gaues seinen Namen.
Zu einer andern Kategorie leiten die „Wolken'' ^) über,
welche auf dasselbe Ziel wie das kurz nachher aufgeführte
Stück des Eupolis „die Schmeichler" gerichtet sind; falls die
zwei Dichter sich vorher sozusagen über die Arbeitsteilung ver-
ständigten, fiel Aristophanes entschieden der ungünstigere Teil
zu oder es gelang ihm nicht, den StoflF von der richtigen Seite
aufzufassen. Denn obgleich der Sokrates von 422 den Sophisten
ohne Zweifel viel näher stand als der greise Philosoph , den
man in den Schriften Piatos und Xenophons bewundert, konnte
er doch keinesfalls als Vertreter der sittenverderbenden Auf-
klärer gefasst werden, wie dies Aristophanes that^). Statt die
aufifalle^iden Manieren des Philosophen in das Lächerliche zn
ziehen, stellte Aristophanes einen verworfenen und verächtlichen
Menschen dar. Die Plebejer fanden dies recht und schön und
wurden in ihrem Argwohn gegen den unheimlich scharfsinnigen
Mann bestärkt^). Dennoch war das Stück im einzelnen nur
1) Kock I 427 zählt sie den Literatnrkomödien zn.
2) Wieland Attisches Mnseum III 57 ff.; Süvern über die W. des
A., Berlin 1827; Reisig Rhein. Mns. 1828 S. 191 ff. 455 f.; Rötscher
Ar. S. 268—360; Ranke de Nub. Ar., Berlin 1844; Ang. 0 1 1 o de Ar. Nub.
consilio, Pr. r. Neisse 1844; Edelestand du M^ril mölanges archeol. et litt.,
Paris 1850 chap. 4; A. Böhringer Ober die W. des A., Pr. v. Carlsnihe
1863; Fr. Ritter Philol. 34, 447 ff.; M. Oddenino le Nabi ossia Aristo-
fane e Socrate, Turin 1882; G. Perez le nnvole di A. nel secolo XIX.,
Palermo 1883; W. H. Thompson Journal of philology 12, 169 ff; Ch. A.
Petersen A. u. die Philosophen seiner Zeit, Monatsschr. f. Wl<«sen8chaft
u. Lit. 1852 S. 1007 ff.
3) Vesp. 1037 ff. vgl. Argum. Ran. IV. Schol. Nub. 96. Vgl. Jac. Anne
Orot he de Socrate Aristophanis, Utrecht 1843; Joh. Zorn A. in seinem
Verb, zu S., Pr. v. Bayreuth 1845; M. Landsberg Philol. 8, 94 ff.; Ed.
Goguel A. et S., Paris 1859; C. van Heus de Verslagen en Mededeelingen
d. k. Akad. van Wetensch., Letterk. IV (1859) p, 310 ff.; Ch. H. Bertram
der S. des Xenopbon u. der des A., Pr. v. Magdeburg 1865 ; Ang. Geh ring
über den S. in des A. W., Pr. v. Gera 1873; Fr. Gerlach A. u. S., Basel
1876; Odd. Michele Rivista di filologia 10, 465 ff.
4) Plat. apolog. p. 18 b. Die späteren Sokratiker schoben ihm allerlei
Motive unter (Schol. V. 629 (627). Argum. I. H. Vin. IX. X. Aelian. var.
bist. 2, 13. Eunap. vit. soph. p. 21 f.).
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Die Dichter der alten Komödie. 465
für die Gebildeten geniessbar, da diese aber Sokrates besser
kannten, machte es Aristophanes keinem recht. Der Chorder
Wolken vollends, an sich kein üblicher, hatte einen zu ernst-
haften nicht einmal durch eine komische Maske beeinträchtig-
ten Charakter*). So fiel das Stück Verdientermassen durch*).
Voll Entrüstung über die Geschmacklosigkeit des Publikums,
da er selbst seine Kenntnisse von der Philosophie bewundernd
das beste geleistet zu haben glaubte^), übergab Aristophanes
das Stück dem Buchhandel, ging aber sofort^) an eine Umge-
staltung desselben , damit er dadurch das Kecht erhielte , das
Urteil der Athener zum zweiten Male herauszufordern. Warum
er diesen Vorsatz nicht ausführte*), wissen wir nicht; nur
glaube man nicht, er habe etwa sein Urteil über Sokrates
berichtigt, denn er führte nicht bloss in den „Fröschen"
(V. 491 ff), einen Hieb auf den Philosophen , sondern machte
auch die Umarbeitung bekannt. Die Alten besassen also zwei
„Wolken" , über deren Unterschiede ein Kommentator interes-
sante Mitteilungen macht ^. Danach sind in der uns erhaltenen
1) Man versteht den Witz V. 344 falsch, wenn man meint, die Wolken
hätten lange Nasen gehabt.
2) Arg. Nah. n. X. fabeln, dass Alkibiades die Schnld daran getragen
habe.
3) Nnb. 520 flf. Vesp. 1043 £f.
4) Nach 421 wäre der iK>litische Eingang schwerlich stehen geblieben.
5) Eratosthenes in den Schollen zu V. 552 (vgl. 549) n. Arg. VI; da-
gegen kann die Angabe von Arg. V., dass er Ol. 89, 2 (422) znm zweiten
Mal durchfiel, nicht aufkommen, sie bemht aof Schol. 549. 552 (auch 592).
vielleicht erkl&ren der Erfolg von Eupolis' „Schmeichlern" und zugleich der
Plagiatstreit Aristophanes' Benehmen.
6) Argnm. VI, vgl. Schol. V. 520. 543. Allerdings kannte Kallimachos
(Eratosth. a. O.) nur ein Stück, ebenso fehlen ausdrückliche Citate, denn
sowohl NefiXaic asoripaic Athen. 7, 299b. 8, 345 f. Lex. rhet. fiekk. An. 85,
28 als npoxipaic N. Athen. 4, 171 c, N. d SchoL Plat. p. 465 beziehen sich
auf das erhaltene Drama. Vgl. W. Esser de prima et altera quae fertnr
Nubium Ar. editione, Bonn 1821; K. Fr. Hermann de Ar. £ftb. quae N-
inscr., ind. 1. Marbnrg 1833 = Jahns Archiv 1833 S. 412 fi.; Fritzsche
quaestiones Aristoph., Lpg. 1835 p. 111 ff. u. de fabulis ab Ar. retractatis
spec. I., Rostock 1849; Teuffei Philol. 7, 325 ff. Rhein. Mus. 10, 214fi. n.
in der latein. Ausgabe; Enger Rhein. Mus. 11, 536 ff.; C. Göttling Ber.
der Sachs. Ges. der Wiss. 8 (1856) S. 15 ff. = gesammelte Abh. 2, 175 ff. ;
H. Köchly akadem. Vorträge I (1859) S. 414 ff; Bücheier Jahrbb. f.
Phil. 83, 657 ff.; Kock quaestt. Aristoph. p. 61 ff.; Fr. Ritter Phüol. 34,
8 i 1 1 1 , Oeecfaiohte der griechischen Liteiatnr. m. 30
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466 XrV. Kapitel.
zweiten ßearbeituug neu eingefügt der grosse Prinzipienstreit
der personificierten gerechten und ungerechten Rede, das Ende
des Ganzen und die gereizte Parabase, ausserdem waren sicher-
lich im Detail gleichfalls viele Aenderungen vorgenommen. Ari-
stophanes hat die Umarbeitung nicht völlig zu Ende geführt,
was mancherlei Widersprüche und Sprünge der Handlung ent-
schuldigen muss *).
Mit den Sophisten stand Euripides, in religiöser und
musikalischer Beziehung fortgeschritten, in dem gewöhnlichen
Urteil so ziemlich auf einer Stufe , was ihn den Komikern
als ein gleich geeignetes Ziel für Angriffe erscheinen liess.
Die Art und Weise jedoch, wie ihn Aristophanes , der
doch selbst von ihm zu lernen, nicht verschmäht •), unermüd-
lich bis über das Grab hinaus verfolgte*), gestattet keine an-
dere hinreichende Erklärung als einen persönlichen Hass. Ab-
gesehen davon, dass er nie eine Gelegenheit, ihn lächerlich zu
machen vorbeigehen liess, trug Euripides die Kosten mehrerer
besonderer Stücke, von denen „Die Dramen oder der „Kentaur*' *)
und der Ol. 89, 2 von Philonides aufgeführte „Proagon*^ (S. 456)
verloren sind. Aber „Thesmophoriazusen" und die „Frösche"
haben die bittere Feindschaft hinlänglich verewigt.
Die „Thesmop horiazusen *) , d. h. „die Frauen am
Thesmophorienfest" fallen sicherlich in den Januar des Jahres 411
(Ol. 92, 1), als die Vorbereitungen zum Staatsstreich .schon be-
447 flf.; Paul Weyland de N. Ar., Greiiswald 1871 ; G. Sauerwein osten-
ditur qui loci in superstite Nub. com. e priore earnndem N. recensione qnae
in Att. theatro commissa erat adhuc servati sunt, Rostock 1872; Fr. Witten
de Nabium fab. ab A. retractata, Pr. v. Erfurt 1877.
1) Schol. 581 ex xäv icputtcov hk N. toxi xaöta, vgl. 592.
2) Kratinos nannte ihn E6piici8apioto^avi(tt>v (fr. 307), worauf er fr. 471
zugestand: x?*^V^^^ T^P ahzob xob ot6|iaTO{ x^ oxpv('(6\if,
8) Tb. Kumpel de A. poeta Euripidis adversario, Halle 1839; C. C.
Hense de Euripidis persona ap. A., Pr. v. Halberstadt 1845; F. Blanchet
de A. Euripidis ceusore, th6se von Paris, Strassburg 1856; R. H. Rudioff
de A. Euripidis irrisore, Diss. v. Berlin 1865.
4) Ueber den Titel s. Rud. Scholl Hermes 4, 167; vgl. Schol. Acharn.
61 cod. Ven.
5) J. Zastra über den Zweck von Ar. Tb., Breslau 1841; 6. Haag
Ar. in Thesm., Pr. v. Stettin 1884; s. S. 463 A. 6. — Marzsen über das
Verb, des plat. Symposiums zu den Th. des A., Pr. v. Rendsburg 1853.
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Die Dichter der alten Komödie. 4g7
gönnen hatten^). Da die Frauen Athens an Euripides für
seinen allbekannten Weiberhass Rache zu nehmen gedenken,
sucht er einen, der sich in Frauenkleidung unter sie wagt, um
ihn zu verteidigen. Als der weibische Agathon ablehnt, be-
redet der Dichter einen Verwandten seiner Frau •) dazu; dieser
wird entdekt und von Amtswegeu in den Bock gespannt, zu-
letzt jedoch von Euripides , nachdem dieser mit den Frauen
einen Friedensvertrag geschlossen, befreit. Vom Standpunkte
der dramatischen Oekonomie gehört das Stück zu den gelungen-
sten aristophanischen Komödien; nur muss der denkende Be-
trachter sich darüber wundern, dass der Komiker die Sitten-
losigkeit und Trunksucht der Weiber höchst drastisch schildert,
während an Euripides selbst nicht viel komisches ist; allein
für konsequente Moralisten dichtete Aristophanes nicht 1
Mit den bald nach Euripides' Tod, im Januar 405 (Ol .93,3)
aufgeführten „Frösche n**') begab sich Aristophanes auf ein
fast ausschliesslich literarisches Gebiet; denn, von mehreren
possenhaften Episoden und der politischen Parabase abgesehen,
erörtert das Lustspiel die Frage , ob die zeitgenössische Tra-
gödie Aeschylus oder Euripides zum Muster nehmen solle.
Dionysos steigt wegen des traurigen Zustandes seiner tragischen
Bülme selbst in die Unterwelt hinab, um den wahren Tragiker
wieder heraufzuholen ; im Wettkampfe siegt Aeschylus glänzend.
Der strenge Theoretiker findet an dieser Komödie viel zu tadeln.
1) Nach y. 1060 ist die Komödie ein Jabr nach der „Andromeda** des
Euripides anfgef&hrt, womit Schol. V. 841 übereinstimmt. V. 804 bezieht
sich auf das Seegefecht von Syme. S. auch V. 814, 1168 f. 1143 ff. Vgl.
W. C. L. Ciarisse ad Thncydideam belli Pelop. epocham annotatio, Leiden
1838 p. 129 ff.; 6. Chr. Jeep qno anno et diebns festis Ar. Th. doctae
fiint, Pr. V. £atin 1859.
2) Aristophanes nennt ihn xf^Storf^c Tic In den Personenangaben der
Handschriften heisst er ohne Grund Mnesilochos.
3) Aug. W. Bohtz de Ar. Ranis, Gotha 1828; Ed. Meier de Ar. K.,
ind. schol. Halle 1836/7. 1851. 1852 = opuscula I p. 1—73; Fr. W. Wagner
quaestt. de R. A. spec. I. Breslau 1837. '1846; Heinr. J. Seemann de
Ranar. fab. Aristophaneae consilio, Pr. v. Neisse 1846; Pr. H. Ken nicke
de Ran. Aristophaneae fab. indole atque proposito, Pr. v. C5slin 1855; J.
Radeok de R. A. fab., Pr. von Lüneburg 1871; Wecklein Studien zu Ar.'
Fr., Pr. V. München 1872 u. Philol. 36, 221 ff.; Alex. Drescher quaestt.
de Aj. R. I. Mainz 1879. — Ueber den Chor: Rossiguol Revue archeol.
X (1854) p. 445 ff.
30*
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468 ^^* Kapitel.
An dem Kerne der Handlung selbst ist zwar höchstens dies
auszusetzen , dass auf Aeschylus ebenfalls allerlei lächerliche
Streiflichter fallen, aber weder der Chor der Frösche, nachwel'
eben Aristophanes trotz ihrer Nebensächlichkeit der Menge zu
Liebe die Komödie benannte, noch der der seligen Mystea
stehen mit jener in Zusammenhang, ebensowenig die komische
Einleitung, wo Dionysos von Herakles dessen Ausrüstung borgt.
Ueberdies stammen die Frösche von Magnes, der falsche Herak-
les von Pherekrates und derselbe Dichter führte bereits auch
Aeschylus in der Unterwelt vor ^). Damit soll keineswegs ge-
sagt sein, das Stück sei in dieser Gestalt des Aristophanes un-
würdig, mithin überarbeitet'). Wir begreifen vollkommen, wie
das Volk, im Inneren vor einem Staatsstreich, nach aussen von
Lysander ängstlich zitternd , dem Dichter gerne in das bunte
Reich der Fastnachtsphantasie folgte und für das Sprühfeuer
seiner Witze, wie für die versöhnlichen Worte V. 1431 fif. so dank-
bar war, dass es zu dem ersten Preise den ehrenvollen Beschluss,,
die Frösche nochmals wie ein neues Stück darstellen zu lassen,
fügte ^. Eine durchschlagende Wirkung muss der Refrain
Xyjx&^iov iiccoXeoev erzielt haben, denn ;,das Fläschchen^' wurde
von nun an die stehende Bezeichnung des tragischen Verses *).
Aristophanes parodierte ausserdem drei euripideische Tra-
gödien, nämlich Aiolos in dem zweimal von ihm bearbeiteten
Aiolosikon, Polyidos und Phoinissai ; sämtliche sind verloren
gegangen. Jenes wiederfuhr auch den „Lemnierinen** des So-
phokles. Die Gattung der mythologischen Posse scheinen
1) Scholz Pac. 749 in den KpaicdtaXXoc.
2) Bo meinten Welcker ftschyleische Trilogie S. 426, Bernhardy-
gr. LG. n 664. 944, £. v. Lentach Philol. Sappl. 1, 124 ff., Stanger
über die Umarbeitnng einiger arist. Rom. S. 5 ff., Em. Schinck in der
Gratul. des phil. Sem. an Bemhardy, Halle 1872, Zielinski Gliedern ug
der altatt. Komödie S. 149 iL ; Schol. Fiat. p. 330 B ist ein Oedächtnisfehler.
V. 1430 ff. erkannten schon Apollonios nnd Aristarch als Interpolation.
3) Dikaiarchos im Ai^m. in. (Eine ähnliche Ehre widerfuhr dem „Eu*
Dnchus'* des Terenz). Er soll ausserdem för die Parabase einen Zweig des
heiligen Oelbanms erhalten haben (Vita 46 ff.).
4) Schon Kallimachos (ßr. 98 c bei Schol. Hephaest. A 6, 3 p. 156) sagte
TpaY<})i^ |ioöoa XY)xad-lCoooa ; iio(i.ico).-r|xo^oi Schol. a. O. p. 157; ampnllari
Horat. ep. 1, 3, 14, ampnlla a. p. 97. Rad. Hanow de Aristophanis am-
pnlla versäum corruptrice, Pr. v. Znllichau 1844; Wecklein a. O. S. 26fL
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Die Dichter der alten Komödie. 469
höchstens drei Stücke, nämlich Daidalos, die Dauaiden und Ko-
kalos *), zu vertreten.
Da wir, was sonst von dem einen Aristophanes gesagt zu
werden pflegt, ') grösstenteils in die allgemeine Schilderung des
alten Lustspiels eingeflochten haben, werden wir uns zur rich-
tigen Beurteilung seiner Individualität mit dem Urteil der
Alten^ welche zwischen ihm und seinen dichterischen Genossen
einen Vergleich anstellen konnten , zufrieden geben. Sie
nennen ihn den genialsten und schwungvollsten unter Allen
und setzen nur die Mattigkeit der Ohorlieder aus •). Aristophanes
xühmt sich, wie er überhaupt sein Licht nicht unter den ScheflFel zu
stellen pflegt, selbst seines Ideenreichtums und der Neuheit seiner
EinftlUe*); im allgemeinen, wiewohl er weder von Wiederholungen
noch von Entlehnungen ganz frei ist, war dieses Selbstbewusst-
«ein gerechtfertigt *). Aristophanes' Witz fand allgemeinen Bei-
fall, weil er weder die Derbheit des Kratinos noch die Spitzig-
keit des Eupohs besass^). Wenn der Komiker bei Laune ist,
sprudelt er von Uebermut, ohne an die Sittenrichter sich zu
kehren ; Hegel sagt treffend ^) : „Ohne ihn gelesen zu haben,
lässt sich kaum wissen, wie dem Menschen sauwohl sein kann*'.
In beiderlei Hinsicht könnte nur Rabelais den Wettkampf mit
dem griechischen Dichter aufnehmen. Unter der ungeheueren
Menge von Witzen befinden sich natürlich auch viele schale
und noch mehr solche , deren Absichtlichkeit in die Augen
fällt. Soviel die Lückenhaftigkeit der Ueberlieferung zu urteilen
verstattet, scheint es, dass er zwar das Lustspiel in keinem
funkte theoretisch und schöpferisch vervollkommnete, dagegen
1) Vgl. E. Knhnert Jahrbb. Snppl. 15, 197 f.
2) Jacobs Nachträge za Salzer 7, 113 ff. = vermischte Schriften, Lpg.
1829 m S. 322 ff.; Tbeod. Rötscher de Ar. ingenü prinoipio, Berlin 1825
ti. indicia vetemm et recentiorum de A. poeta brevit^ in conspectn posita,
Pr. T. Bromberg 1841; Ed. Müller Theorie der Kunst bei den Alten I
(Breslau 1834) S. 134 ff.; Jnl. Richter zur Würdigung der arist. Komödie,
Pr. y. Berlin 1845; Deschanel etudes sur Ar., Paris 1867.
3) Anon. m 12 (JLaxpoXoYtotatoc 'A6nQvaui>v xal t&^ot^ ffdtvtac 6ic»paipa»y
.... TOlc hi (JL^XtSl XtlCT^ttpOC.
4) Nub. 546 ff. Pac. 749 ff.
5) Th. Kock Rhein. Mus. 39, 120 ff.
6) Piaton. n 3; Tgl. V. 5.
7) Aesthetik m S. 560.
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470 XIV. Kapitel.
das Ueberkommene mit unvergleichlichem Esprit behandelte^
So sehr Plato jeden Komödianten verachtete , als genialsten
Vertreter der Gattung rausste er Aristophanes nennen*).
Als jedoch Menander und dessen Genossen das bürger«'
liehe Lustspiel mustergiltig und regelrecht ausgebildet hatten,
verlor man allen G^chmack an den scharfgewürzten Possen,
zu deren vollem Verständnis, weil sie fortwährend auf Interessen
des Tages anspielten, ein Grammatiker notwendig war*); ver-
geblich hat man die erste Scene der Frösche auf einem Vasen-
bilde nachzuweisen gesucht '). Aristophanes verblieb thatsächlich
drei Jahrhunderte lang den Gelehrten , f(ir die er eine Haupt-
quelle der attischen Sprache und Realien. abgab*). Aristo-
phanes von Byzanz besorgte eine Ausgabe , doch die er-
haltenen je zehn Trimeter umfassenden Inhaltsangaben, welche
praktische das Memorieren erleichternde Einrichtung allerdings
alte römische Grammatiker bei den Komikern anwendeten,
enthalten keine Spur gelehrter Gründlichkeit; sein Schüler
Kallistratos folgte ihm aueh auf dieses Gebiet Gleichzeitig
wandte Aristarchos dem Komiker seine Aufmerksamkeit in
Bezug auf den Text und die Erklärung zu ^) ; aus seiner Schule
gingen Kommentare von Chairis, Euphronios, vielleicht aucjj
die des ApoUonios und Demetrios Ixion hervor*). Die Perga-
1) Seine angebliche Bewunderung des Aristophanes (V. Arist. 54 ff. Vit
Fiat. 98 ff. Thom. M. 5) ist ans dem „Symposion" hergeleitet. Auch Ari-
stoteles nennt Aristophanes poet. 3 p. 1448 a 28 als Klassiker der Komödie,
Benützung bei Dichtem des vierten Jahrhunderts: E. t. Leutsch PhiloU
Suppl. I 121 A. 266. — Ueber Aristophanes' Ansehen: Schetti Rivisto di
filol. 10, 182 ff.
2) Plutarch. symp. 7, 8, 3.
3) Welcker alte Denkmäler m 498 ff. Archäol. Ztg. 1849 T. UI I
(Baumeisters Denkm. S. 821 Abb. 904); hier tritt ja der wirkliche Heraklee auf,
4) Ferd. Stöcke/ de Sophodis et Ar. interpretibus Graecis, Pr. v,
Hamm 1826; O. Schneider de Teterum in Aristophanem scholiomm fonti-
bus, Diis. T. Berlin, Stralsund 1888. üeber die Athetesen Gust. Ehrhardt
de Ar. fabnlamm interpolatione, HaUe 1881 p. 8 ff. ; Bemerkungen über die
Homonymen : E. Maass de biographis Graeds p.\}dOf. 139-41 ; P. Stengel
ad res sacras oognoscendas cujusnam momenti slnt scholia Aristophanea,
Symbolae loacbimicae, Berlin 1880.
5) Osk. Gerhard de Aristarcho Aristophanis interprete, Dias. v.
Bonn 1860.
6) Chairis: Schol. Arist. Ban. 1056 (1060); Euphronios: Aug Blau de
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Die Dichter der alten Komödie. 471
mener stellten erst viel später in Herodikos und Asklepiades
von Myrlea, vielleicht auch dem Rhodier Timachidas Kommen-
tatoren ^).
Mit der atticistischen Renaissance änderte sich dieses Ver-
hältnis vollständig. Weil jeder, der gebildet heissen will, jetzt
aus den alten Komikern attische Phrasen memorieren muss
(S. 390)*), kommt Aristophanes in die Mode. Er heisst graziös %
und Komiker %az Hox^t^ *) und empfängt die übliche Huldigung
der Epigrammatiker. Der Verfertiger der Doppelherme von
Tusculum ^) gönnt nur ihm , nicht auch Menander die Sieger-
binde. Obgleich die strengen Philosophen, wie Plutarch in der
Sö-ptpiot«: 'AptatoyAvotK; xal MevAvSpoo, wovon leider nur ein
Excerpt vorliegt, energisch, ja gereizt gegen eine solche Wert-
schätzung des sittlich austössigen Dichters Protest erheben,
können sie doch nicht verhindern, dass alle sorgfältigen Stilisten,
die Kirchenväter nicht ausgenommen*), Aristophanes attische
Sprachfeinheiten abzulauschen sich bemühen, zu welchem Zwecke
der gelehrte Galenos fünf Bücher lexikaHschen Inhalts schrieb ;
am Üebsten las man die „Wolken* • wegen ihres Inhalts ^). Der
gelehrteste Kommentar dieser Periode rührt wieder von Didy-
AriBtarchi discipnlis, Jena 1883 S. 67fL; Apollonios: Blau p. 50 ff. (Eigen-
tümlich sagt Schol. Av. 1242 iv xol^ ticiYtYpa(L(Livoic ^AicoXXoivtou ; nach
Wilamowitz Kydathen S. 154 f. A. 72 ist er der Sohn des Chairis Schol.
Yesp. 1239, aber die dortige Stelle hat der Scholiast ans Artemidoros ge-
schöpft); Demetrios Ixion: Stftsche de Demetrii Ixionis grammat. scriptis,
HaUe 1883 p. 25 ff. 52 ff.; Dionysios: Hesych. n. 'loxpiava.
1) Herodikos: Schol. Ran. 1055 (1060); Asklepiades: Schollen n. He^ych.
n. KoXaxocpcupoxXfii^^ ; Timachidas wiederholt in den Schollen der Frösche
genannt.
2) Dazn dient Aristophanes Achill. Tat. 8, 9.
3) XapUt( Athen. 7, 276 d. 13, 569 f. Schon Cicero verehrte ihn (ad
Qn. fr. 3, 1, 6) nnd nannte ihn den witzigsten Dichter der alten Komödie
(de leg. 2, 15, vgl. Gell. 1, 15. 13, 25).
4) Hermogen. ictpl dsivöt. 34 p. 440, 13; ebenso in Schollen Rivista di
filologia 10, 148 Anm. 1.
5) Welcker Annali d. Inst 1853 p. 251 ff. Monnm. d. Inst. 5, 55,
Archfiol. etg. 1858 Sp. lOff., anders Stark Archflol. Ztg. 1857 8p. 87 ff.
6) Ueber Johannes Chrysoetomos Villoison Long. p. XIV; anch be-
achtet ihn z. B. Isidoros v. Peinsion ep. V 331. S. anch Themist. or. 23, 350.
7) Vgl. Synes. Dio p. 40, anch Lncian. Prometh. 6 ; Rieh. Förster Hermes
12, 214 f.
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472 XIV. KapitcL ^
mos her^), dessen Anmerkungen manchmal noch in der ur-
sprünglichen Form erhalten sind*). Auf seiner mühsamen
Arbeit ruhten die Kommentare von Symmachos') und
Phaeinos^). Aus diesen HilÜBmitteln und Heliodoros'
metrischer Analyse der lyrischen Abschnitte ^) bestehen unsere
alten Scholien, welche die notizenreichsten aller griechischen
Kommentare sind, besonders wenn man die zahlreichen von
Suidas aus einer besseren und vollständigeren Handschrift ge-
zogenen Artikel beizieht ^. Der beste der erhaltenen Codices
ist der von Ravenna, welchem in der Ausgabe der Schollen
von Dindorf (Lpg. u. Oxford 1819, 3 Bde.) und auch von
Dübner (Paris 1843) — Musuros' editio princeps ist wertlos
und interpoliert — leider noch nicht die gebührende Berück-
sichtigung zu Teil geworden ist ').
1) O. Schneider a. O. p. 14ff.; Mor. Schmidt Didymi Chalc.
fragm. p. 246 ff.
2) Z. B. SchoL Plnt. 9 p. 6, 21 Dind., wo er seinen Pindarkommentar
citiert, und Schol. Av. 1508 iv tote 'AtxaXtioic thpov oxidSiov xal Iv tif
fcaXaiij) xip e^Lij).
d) M. Schmidt a. O. p. 289ff.; Ad. Schanenbnrg de Symmachi
in Ar. interpretatione snbeidiis, Halle 1881; nach Wilamowitc Kydathen
6. 166 röhren die Selbstcitate mit cu^ stpiqtai von ihm her. Er wird von
Herodian (ic. (ioviQp. Xt^. 39) angeführt.
4) Auf sie yerweisen die snbscriptiones : Ua.pa'^k^panxat .1% to5 ^attvo5
xal ^o\L[i.&xoo xal £XXcuv Ttvdiv (unter den Wolken, verkürzt unter dem Frieden
und den Wögelu). In diesen Kommentaren waren auch die verlorenen Stücke
erklärt, wie Schol. Lysistr. 1237, Ach. 106, Yesp. 579 zeigen.
5) ^Apiotofdvtioc xü>Xo(L8Tpta ; hinter den Wolken und dem Frieden
findet sich die Unterschrift xtxcuXioxai ix x&v 'HXcoScupoo. Heliodori colo-
metriae Aristophaneae quantum superest cum reliquis scholiis in Aristophanem
metricis ed. Carol. Thiemann, Halle 1869; O. Hense Heliodoreische Unter-
suchungen, Lpg. 1870; W. Christ Sitzungsber. der bayer. Akad. 1871 S. 617 ff.
6) 6g. Bünger de Ar. Equitum Lysistr. Thesm. ap. Suidam reliquüs,
Strassb. 1878 p. 70 ff. =I>issert. Argentorat. I. p. 149 ff. (auch Hesychios hat
Scholien excerpiert, so z. B. den Artikel ^aXXo(p6poc). Gregor von Korinth
benützte die Scholien zu den Achamem (Morsbach Rhein. Mus. 31, 576 f.,
Tgl. 580 f.).
7) Holzinge r Wiener Studien 4, Iff.; A. Martin les scoUes du
manuscrit d*A. & Ravenne, Paris 1882. Ueber die Scholien des^Venetus
Augsberger Sitzungsber. der bayer. Akad. 1877 S. 254 ff.; Holzinger
Wiener Studien 5, 205 ffl (zum Frieden); Ambrosianus: Schnee Ztsch. f.
üsterr. Gymn. 35, 805 ff. üeber den kritischen Wert O. Lange variae lecti-
oues in scholiis Aristophaneis latentes, Diss. v. Greifiiwald 1872.
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Die dichter der alten Komddie. 473
Die Byzantiner fuhren, wie viele aristophanische Phrasen
i&ahlreicher Schriftsteller zeigen^), mit dem fleissigen Studium
des Komikers fort, wenn auch manche Menander höher stellten *).
Jeder Gebildete las wenigstens die drei Stücke Plutos, Wolken
und Frösche; eine höhere Bildungsstufe bezeichnet die sieben
Lustspiele enthaltene Sammlung der Venediger Handschrift;
auf unsere elf Stücke war bereits Suidas beschränkt. Bedauer-
licher Weise erscheinen uns die Aristophanesstudien der byzanti-
nischen Gelehrten jetzt in höchst unvorteilhaftem Lichte. Eu-
stathios' Kommentar ging nämlich ganz verloren'), während
von T z e t z e s' in der Ambrosiana liegendem Kommentar
ausser den bekannten Leitfäden (S. 392) und einigen Proben
nichts veröffentlicht ist*), obgleich er von Thomas und Trikli-
nios^) sich vorteilhaft unterscheidet. Den Schulbetrieb charak-
terisieren die Kürzung der alten Schollen zu den seltener
gelesenen Stücken, die Fabrikation von Inhaltsangaben*) und
Faraphrasierung der drei Schulstücke ').
Die Handschriften belaufen sich auf eine hohe Summe %
1) VgL Walz^ rhetores Graeci III 534, 8. Vieles ist in Kommentaren
(z. B. Wold. Bibbecks Acharnern) zerstreut; Joh. Malchin de Choricü Gazaei
vetemm Graecomm scriptomm stndiis, Kiel 1884 p. 50 ff.; Alb. Jahn anec-
dota Graeca, Bern 1839 p. XXXm, 30, Ztsch. f. historische Theologie 1845
IV 8. 66 f. nnd bei Migne, patrolog. Gr. 36, 766c; Stern bach meletemata
Oraeca I p. 150 ff. (zu Tzetzee).
2) Psellos bei Sathas, (JLto. ßißX. V 538; Lagardes symmikta p. 174.
3) Doch bewahrt der Homerkommentar manche Reste z. B. p. 1397, 24 ff.
tvgl. Schol. Ban. 1400).
4) Heinr. Keil Rhein. Mns. 6, 616 ff.; van Her werden 8oph. Oed.
R. ed. m^jor, Utrecht 1866 p. 212ff.; D&bner n. Mor. Schmidt Philol.
25, 687 ff. (zu Plnt. 137); A. v. Velsen Philol. 35, 699 ff. (zu Plut. 1—34);
fitudemund Philol. 46, 4f. Der Text ist kritisch wertlos (A. v. Velsen
^ O. S. 696 ff.; Studemund Anecdota p. 248 ff).
5) Die editio princeps enthält auch einen Abschnitt icspl (i^tpiov von
letzterem.
6) Fr. Leo Rhein. Mus. 33, 405 ff.; O. Ulrich Tirocinium seminarii
Bonn. 1883 p. 27.
7) Plutos mit Interlinearparaphrase im cod. Pal. Vat. Gr. 363 p. 220
Stey. Die Handschrift von Cremona enthält eigenartige, aber wertlose Scholien
und viele Glossen (Novati Rivista di filologia 8, 235 ff. 257 ff.).
8) Blaydes verzeichnet in der editio minor I p. LXXV 96 Handschriften,
darunter 65 der Schulstücke. Vgl. R. S c h n e e de Aristophanis manuscriptis
quibus Ranae et Aves traduntnr, Hamburg 1886.
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474 XIV. Kapitel.
doch enthalten zwei Drittel derselben nur Schulkomödien und
zwar entweder einzelne oder alle drei. Obgleich kein einziger
Codex die Alleinherrschaft beanspruchen kann und alle von
Fehlem wimmeln, ragen doch einige an Güte hervor, vor
allem der berühmte codex Ravennas, im elften Jahrhundert
mit Uncialbuchstaben geschrieben, einst Urbinas, jetzt aber dem
Oamaldulenserkloster La Classe bei Ravenna gehörig ^) ; ihn>
steht an Wert eine gleich alte Venediger Handschrift (Marcianua
474) zunächst, deren sieben Stücke aus mehreren ungleich-
wertigen Manuskripten zusammengestellt sind *) , dann ein
Ambrosianus % mit welchem Suidas' Handschrift verwandt ist*),
zwei Laurentiani und ein Cremonensis % Ein aus Aegypten
nach Paris gebrachtes Pergamentblatt mit Versen der „Vögel**
ist mehr durch Alter als durch Wert ehrwürdig •).
Die erste von dem Kreter Musuros für Aldus veranstaltete
Folioausgabe (Venedig 1498) enthielt die Lysistrate und Thes-
mophoriazuseu noch nicht ^); die erste Juntaausgabe (Florenz 1645)
wich davon nicht viel ab^, der Verleger lieferte aber jene zwei
aus jenem Codex Ravennas nach. A. Francinus (Florenz
1525) , Nikolaus Frischlin (Frankfurt 1586. 1597 , fünf Stücke
mit lateinischer Uebersetung und Verteidigung des Dichters)
und Joseph Scaliger (Leiden 1624. 1670) verbesserten den Text;
AemiliusPortus (Orleans 1607), LudolphKüster (Amsterdaml710),
Steph. ßergler (Leiden 1760, 2 Bde). und P. Brunck (Strass-
1) A. V. V eisen fiber den Codex Urbinas der Lys. n. der Thesm. des
Ar., Pr. V. Saarbrdeken, HaUe 1881; W. G. Clark Journal of pbilology ni
(1871) p. 153 ff. ; A. M a r ti n a. O. (p. Iff. Gescbichte der Handsehrift, p. IX ff.
Beschreibung derselben).
2) Facsimile: Wattenbach Schrifttnfeln 38. 39. exempla 46. 47;
über das Verhältnis cum Ravennas: G. Hermann Nnbes p. IX; Alb. Bam-
b erger de Ravennate et Veneto Aristophanis oodicibos, Diss. v. Bonn 1865.
3) Vgl. Rnd. Schnee de Ar. codicibns capita duo, Halle 1876 (Kol-
lation von Ven., Ambr. u. der Lanr. für die „Wolken").
4) Bünger a. O. (S.472 A.6).
5) Fr. Novati Rivista di filologia 6, 499 ff. 8, 226 ff. (Varianten zu den
Wolken); Piccolomini Studi de filologia greca I p. 19 ff. (FrQsche). —
Victoriana: Acta pbilol. Monac. I 341 ff.; Ambroe. L 39 snp.: Piccolo-
mini a. O.; Tübinger Handschrift: Tafel Seebodes Archiv 1829 Nr. 24.
6) H. Weil Revne de philoL VI 179 ff.
7) Beschrieben bei Legrand bibliographie hell^niqne I p. 45 ff. (über
die Noten des Musnros I p. CIX A. 2).
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Die Dichter der alten Komödie. 47&'
bürg 1783, 3 Bde.) sorgten auch für die Erklärung; indes
wurde das Zeitalter des französischen Geschmackes von den
Derbheiten der alten Komödie abgestossen, höchstens den ziem-
lich wohlanständigen „Plutos" liess man noch passieren, ja der
gräcisierende Dichter Ronsard machte sich zuerst mit einer
üebersetzung dieses Stückes bekannt. Racines zeitgemässe Be-
arbeitung der ,^Wespen** (les plaideurs) konnte jedoch nicht ver-
hindern , dass Diderot den Athener einen originellen Possen-
reisser hiess und Voltaire von ihm sagte, er sei weder Komiker
noch Dichter. Goethes „Vögel** waren ebenfalls nicht geeignet,
Aristophanes in seiner Eigenart zu würdigen; selbst Wieland»
kongeniale Üebersetzung der Achamer, Wolken , Ritter und
Vögel (Wien 1813 — 14) blieb wirkungslos. Der athenische Ko-
miker verdankt die Wiedererweckung seines Ruhmes dem
Durchdringen der historischen Betrachtungsweise,*). I. Bekker
(London 1829) verwertete zuerst den Ravennas; auf derselben
Grundlage bauten W. Dindorf , der zuvor die Sammelausgabe
von Invernizzi (Lpg. 1794—1834, Bd. 1. 2. Text, 3.-9. Kom-
mentar, 10. — 12. Schollen, 13. Mitchellii prolegomena) zu Ende
geführt hatte, in den poetae scenici und der Oxforder Aus-
gabe von 1835—37 (Bd. IV. Schollen) , Dübner (Paris 1842),
Bergk (Lpg. 1851. M857X Meinekke (Lpg. 1860) weiter; Arthur
von Velsen begann auf Grund genauer Handschriftenvergleich-
ungen eine kritische Ausgabe des Textes, von der bisher die
Ritter (Lpg. 1869), Thesmophoriazusen (1883), Ekklesiazusen
(1883), Frösche (1881) und Plutos (1881) erschienen sind ; die
Fortführung liegt in den Händen Konrad Zachers, welcher zu-
nächst eine neue Ausgabe der Ritter mit den alten Schollen
veröffentlichen wird. Blaydes (ed. major 1880 ff. I. — VI. Thesm.,
Lysistr., Eccles., Aves, Pax, Plut, X. fragmenta*), ed. minor
Halle 1886, 2 Bde.) bringt weder einen wahren commentarius
perpetuus noch einen verlässigen Apparat« Eüngegen liegen
nützliche Kommentare zu einzelnen Stücken in grosser Zahl
vor: Achamer P. Elmsley, Oxford 1809, Lpg. 1830. Albert
1) Eine vorarteilslose Beurteilung ist freilich anch jetzt nicht hänfig ;
Brentano nnd Stanger meinten sogar, weil das Erhaltene ihrem Idealbilde
nicht entsprach, der echte Aristophanes sei gftnzlich verdorben worden. S.
anch 6. Ehrhardt de Ar. fabulamm interpolatione, Halle 1881.
2) Nachträge: Stern bach V^iener Stndien 8, 231 flf.
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476 XIV. Kapitel.
Müller, Hannover 1863. Wold. Ribbeok Lpg. 1864 (Griech. u.
deutsch); Frieden Jul. Richter, Berlin 1860; Frösche
B. Thiersch, Lpg. 1830, V. Fritzsche, Zürich 1846, Herb. Per-
nice, Lpg. 1856, Th. Kock, Berlin »1881 ; Lysistrate R. Enger,
Bonn 1844 (mit Schollen); PlatosTib. Hemsterhuis, Harlem
1744, Herrn. Schäfer, Lpg, 1811 (Sammelausgabe), I.P.Fischer
und Küinöl, Giessen (1804.5) 1816, B. Thiersch, Lpg. 1830, H. ß.
€ooke8ley, London 1834, Carlo Castellani, Florenz 1872, Ritter
W. Ribbeck, Berlin 1867, Kock, Berlin M 882; Thesmopho-
riazusen R. Enger, Bonn 1844 (mit Scholien); Vögel
Th. Kock, Berlin »1876; Wespen (kritisch R. H. Hirschig,
Leiden 1847) Jul. Richter, Berlin 1858; Wolken Fr. August
Wolf, Berlin 1812 (griechisch und deutsch), Gottfr. Hermann,
Lpg. 1799. 1830 , W. Teuflföl, Lpg. lat. » 1863 , deutsch 1867,
Th. Kock, Berlin ' 1876 , übers, von A. Franchetti , eingeleitet
und erklärt von D. Comparetti (Firenze 1881). Das grössere
Publikum pflegt Aristophanes durch die Uebersetzung von Job.
Gust. Droysen (Lpg. " 1869, 2 Bde., kleinere Ausg. 1871) kennen
2U lernen. Ein Wörterbuch ist im Werden (0. Bachmann,
lexici Aristophanei spec, Pr. v. Frankf. a. O. 1884); einstweilen
müssen genügen : J. Sanxay, lexicon Aristophanicum, Oxf. 1811,
J. Caravella, index Aristophanicus, Oxf. 1822, H. Holden, Ono-
masticon Arist., Cambridge" 1869 und H. Dunbar, a complete
concordance to the comedies and fragmentsof A., London 1884.
Seit dem peloponnesischen Krieg nahm die Zahl der
Komiker erheblich zu, ohne dass das Ueberlieferte zu einer
genügenden Schilderung der damaligen attischen Bühne hin-
reicht. Es ist die stets unerfreuliche Zeit des Uebergangs, des
Suchens nach etwas Neuem. Im allgemeinen nehmen die
Travestien mythologischer Stoffe unverkennbar zu, aber auch
so manches neuartige dringt ein. So ist Kallias^) eigentlich
nur wegen seiner seltsamen ABC-Tragödie *), in welcher er die
1) Sohn des Lysimachos mit dem Spitznamen Sx^^^^^ (Snidas); kurz
Tor Strattis Athen. 10, 453 c. Er verspottete in den RtSYjtai (fr. 11 £f.) Enri-
pides und Sokrates, Akestor und Melanthios, dann den Seher Lampon. Frag-
mente von sechs St&cken (die „Kyklopen^^ worden auch Dioklee zugeschrieben)
Meineke H 78511: Kock I 693 £f.
2) rpaf&(LaTcx4] TpaY<|»Sta; Böokh tragoediae princ. p. 86ff.; Bergk
reliq. com. Att. p. 117 ff.; Welcker kleine Schriften 1 137 ff.; Rieh. Pietssch
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Die Dichter der alten Komödie. 477
Tragödientechnik mit Prolog und Chorgesängen geschmacklos
parodierte, bekannt. Aehnlich wie Klopstock in seinen „gram-
matischen Gesprächen'' die Buchstaben personificierte und
sprechen Hess, war im Dialog von den Vokalen die Rede,
während der weibliche Chor Silben sang *). Die Chorüeder
sollten rhythmisch und musikalisch die euripideische Medea
parodieren*), worin der ganze Einfall gegipfelt haben dürfte.
Uebrigens war das Alphabet den Athenern durchaus nicht
etwas so unbedeutendes und selbstverständliches wie in der
Zeit des Schulzwanges, sondern galt für eine Offenbarung
Athenes *) und wurde nicht selten auf Vasen u. dgl. ange-
bracht*); vielleicht fiel das Stück obendrein in das Jahr, wa
die staatliche Annahme des jonischeu Alphabetes, zu welchem
sich Kallias bereits bekannte, auf der Tagesordnung stand.
Das abgeschmackte Stück hat eine historische Bedeutung, weil
es die Rätselkömödie des vierten Jahrhunderts einleitet^).
Vielleicht steht es in irgend einer Beziehung zur KcofMpSo-
xpaYcpSia des A 1 k a i o s , der Ol. 97, 4 mit dem alten Aristo-
phanes kämpfte^; an eine veränderte Zeit mahnen auch die*
Titel „die Schwestern" und „Palaistra", wie auch Diokles^>
und Kephisodoros^) unter anderem „Thalatta** und „Anti-
lais** verfassten, an die wir die einzige bekannte Komödie des
Parodiendichters Hegemon^ „Philinne** betitelt, anreihen
de Calliae grammatioa qnae adpellatar tragoedia, HaUe 1861; O. Hense
Rhein. Maa. 31, 582 ff.; nach ü. y. Wilamowitz Hermes 15, 487, 1 eine
Spieleiei des Strattis.
1) Athen. 10, 458 c.
2) Verdreht bei Athen. 7, 276a n. 10, 458 e (aus Klearchos, der jeden-
falls einen Dichter der mittleren Komödie zum Gewährsmann hatte). Man
spottete auch, Sophokles habe die ^vtiXaßai (S. 287, 6) von Kalilas gelernt.
3) Münchner Vase in Gerhards aaserlesenen Vasenbildem T. 244.
4) Urlichs Beiträge zor Kunstgeschichte S. 41.
5) Vgl. Athen. 10, 448 b. Der AIyoictio« wäre ein Vorläufer der Typen-
komödie, aber da bloss Suidas den Titel erwähnt, ist er nicht ganz unbe-
bedenklich.
6) Fragmente: Meineke U 824 ff.; Kock I 756 ff. Sohn des Mikkos nnd
Verfasser von zehn Komödien (Suidas). Sonst parodierte er erotische Mythen.
7) Fragmente: Meineke U 838 ff., Keck I 766 ff.
8) Fragmente: Meineke 11 883 ff., Kock I 800 ff. Er siegte zweimal
(CIA. n 977 16). Vgl Lysias 21, 4.
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478 ^^' Kapitel.
^S. 21). Das auf dieselbe Gesellschaftsstufe bezügliche Lust-
spiel „Anteia" war gleich den (auch Aristophanes beigelegten)
„Städten*' zwischen E u n i k o s und P h i 1 y 1 ii o s streitig ;
unter den sicheren Stücken des letzteren ^) wird der „Brunnen-
Gräber" genannt, wobei der Singular, da er eine Einzelrolle
andeutet, Beachtung verdient. Ueber Aristophanes' Söhne
-{S. 466), Nikochares, den Sohn seines Freundes Philo-
nides'), welcher gleichfalls zu den Rivalen des „Plutos" gehörte,
und vielen anderen ist nichts charakteristisches überhefert *).
Etwas bestimmter treten nur drei Personen aus dem ver-
wiiTenden Gewimmel von Namen heraus: Der Athener Theo-
pompos *) griff den in der zweiten Hälfte des peloponnesischen
Krieges bekannt gewordenen Laispodias (Fr. 39) an, nahm
aber auch die platonische Philosophie zur Zielscheibe (Fr. 15),
schmähte den Rhetor Isaios ^) und führte den „Meder** (Fr. 30)
auf, als Kallistratos schon geraume Zeit zu den politischen
Führern gehörte. Die Zahl seiner Lustspiele wird bald auf
-Siebzehn bald auf vierundzwanzig angegeben % Die ver-
1) Fragmente: Meineke II 857 flf., Kock I 781 ff. Sieg CIA. n 977 e 10.
2) Fragmente: Meineke U 842 ff., Kock I 770 ff. Die Titel betreffen
Mythen oder Tragödien.
3) Apollophanes: Mein. II 879ff., Kock I 797 f. ('I(ptY^P«"v wurde
auch Strattis zugeschrieben); Aristagoras: Mein. II 761 f., Kock I 710 f.;
Antokrates: Mein. U 891f., Kock I 806; Demetrios: Mein. H 876ff.,
Kock I 795f.; Epilykos: Mein. U 887 ff., Kock I 803f.; Euthykles:
Mein, n 890, Kock I 805; Kalliades Athen. 13, 577b (Gegner des Politikers
Aristophon; Meineke I 213 identificiert ihn ohne Not mit Kallias); Kan-
tharos: Mein. U 835 ff., Kock I 764ff.; Leukon Mein. TL 749 f., Kock I
703 f. (mit den Ilpioßetc und Opdctepe^ fiel er gegen die „Wespen'' und den
„Frieden" durch ; rXoxcov Choerobosc. in Hephaest. p. 77, 15Stud.); Lysip-
pos: Mein. II 744 ff., Kock I 700 ff. (Fr. 6 wird Lampon verspottet); M eta-
genes: Mein. II 751 ff., Kock I 704 ff. (Die Oooptoiripoat wurden nie auf-
geföhrt, Athen. 6, 270a); Philonikos CIA. n 977e 11; Polyzelos:
Mein. II 867 ff., Kock I 789 ff.
4) Nach Suidas Sohn des Tbeodektes oder Theodoros, nach Aelian bei
^Suidas 8. V. des Teisamenos; aber das dort beschriebene Weihgeschenk
rührte vielleicht gar nicht vou dem Komiker her. Zwei dionysische Siege
"CIA. n 977 e 3.
5) Ps. Plutarch. Isae. p. 839 f.
6) Anon. VII.; Suidas. Fragmente: Meineke U 792 ff., Kock I 733 ff.
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Die Dichter der alten Komödie. 479
minderte Bedeutung des Chors merken wir an der geringen
Zahl pluraliseher Titel (Knaben, Krämerinen, die Mädchen in
Uniform , deren Idee Theopompos wahrscheinlich aus der
„Ekklesiazusen" geschöpft hatte) ; drei nach einzelnen Athenern
benannte Stücke (Kallaischros, Pantaleon % Teisamenos) weisen
auf die alte Komödie zurück, auch erinnert der „Friede" an
Aristophanes , aber volle sieben waren mythologische Possen,
vier weitere der Halbwelt gewidmet: Das Aphroditefest, das
Dirnchen (BatöXif]), Neraea, Pamphile. „Der Meder" und „der
Lebemann" ('HSoxApiQC) endlich hatten ihre Titel von Charakter-
rollen. Der zweite von jenen , Strattis, stand zwar in
keinem besonderen Ansehen*), dennoch fielen seine Werke
durch ihren verhältnissmässigen Umfang ins Gewicht'). Hier
ist wieder das nämliche zu beobachten : Geringe Wertschätzung
des Chors (nur die Sommerfrischler [Wo^oLozai] und die Pota-
mier sind danach benannt), einige nur gegen Dichter uiid
Schauspieler gerichtete persönliche Satiren (Kinesias, die Make-
donier oder Pausanias, Kallippides), acht Travestien von Mythen
oder Tragödien, worunter „Atalantos" (statt Atalante, wie Nio-
bos) *) und „Limnomeda" (statt Andromeda) *) schon durch die
Verballhornung auffallen. Zur neuen Gattung dagegen gehört
,,der Wüterich" ('Ay^pcoÄoppaifoq]«:) , vielleicht auch „das Ver-
brennen des Zopyros". Strattis reichte ja weit in das Zeitgebiet
der mittleren Komödie hinein; verspottete er doch noch
Isokrates' Johannestrieb.
Die erste Stelle unter den jüngeren Zeitgenossen des Aristo-
phanes gebührte jedoch unbestritten P 1 a t o n ^, welcher nicht
1) lieber den Verfasser war man nicht einig (Pollax 10, 41).
2) Hesych. u. xoXexdvoi: cv xC^ (popTix(j> ^pa\t.axit^,
3) Anon. VII.: 16 Komödien; Fragmente: Meineke II 763 ff., Kock I
711 ff. Drei Stücke waren streitig: ^A'^ad'oi (mit Pherekrates), 'ApYöpto«>
afavcojAoc (Antiphanes, Epigenes und Philippides), 'If ipepoiv (ApoUophanea).
IlüTcooc ist wahrscheinlich verderbt.
4) Das richtige hat Schol. Arist. Ban. 146, sonst wird *AxaX(l(vt)|} oder
^Axakdvxaiz citiert. Der Ver£ASser der 'AxaXt&vtai war unbekannt (Hesych.
n. Atovoooxooitüpcovnfjv. Schol. Arist. Av. 1294).
5) A'fiiLvo}t.ihcf. ist falsch.
6) Meineke II 615 ff., Kock I 601 ff.; Gobet observationes criticae in
Piatonis comici reliqnias, Amsterdam 1840. Die Zeitangaben bei Snidas,
Eosebios und Kyrillos sind oberflächliche Synchronismen.
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480 ^^' Kapitel.
viel mehr als ein Jahrzehnt später als Aristophanes in den
Wettkampf der Komiker eingetreten zu sein scheint. Denn er
verdiente sich die Sporen an Hyperbolos, als dieser noch auf
der Pnyx das grosse Wort führte*), nach dessen Vernichtung
Kleophon an die Reihe kam; die „Gesandten'* galten Epikrates,
welcher zur Zeit des korinthischen Krieges an den Perser-
könig gesandt, sich bestechen liess; ihn löst endlich Agyrrhios
als Stratege, welches Amt er Ol. 97, 3 (390/89) bekleidete, ab *).
Die Alten besassen dreissig mit seinem Namen bezeichnete
Komödien*); wenn wir die drei zweifelhaften bei Seite lassen *),
so mutet uns ein erheblicher Teil des Restes ganz aristo-
phanisch an. Ich meine erstens Hyperbolos, Kleophon, Peisan-
dros (nach berühmten Demagogen benannt), dann Hellas oder
die Inseln, die Siege ^ die Gesandten (worin Epikrates selbst
auftrat), ferner die Feste, die Metökeu, die Sophisten, die vom
Opfer heimkehrenden Frauen (al ay' UpÄv), nicht minder auch
die phantastischen „Greife" und „Ameisen". Allein volle acht
gehörten doch der mythologischen Travestie an. Der OL 97, 1
aufgeführte „Phaon'* ^) war, nachdem Ameipsias' „Sappho"
vorausgegangen, nichts prinzipiell neues. Das höchste Interesse
beanspruchen dagegen vom geschichtlichen Standpunkt die
vier Stücke „Der Dichter'*, „Das Kind", „Der Jammerer"
(TCfiptoXYTfJc) und „Der Lump" (oöpyafi). Leider gebrauchen die
alten Grammatiker, wenn sie Piaton ausserordentliches Lob
1) Das Fragment bei Flui. Nie. 11. Ale. 13 bezieht sich nicht auf die
Verbannung; Kleon war schon als „Kerberos'' in der Unterwelt fr. 216;
fr. 107 liess also Plato nicht in seinem eigenen Namen sprechen. Wegen
Marcellin. vit. Thncyd. 29 vermntet Wilamowitz Hermes 12, 357, dass er
zum Kreise des Königs Archelaos gehörte.
2) Fragment bei Plutarch. rzokix, irapa^Y- 4.
3) Snidas; Andronikos verzeichnet sie in zwei alphabetischen Reihen,
wobei Odctt>v ausfiel. Schol. Arist. Flut. 174 schreibt ihm noch einen „Amphia-
reos" zu.
•4) Adxüivt^ ^ icoiiQTai (Harpocr. n. Sd'ivtXoc), MafijjLdcxa^oc (Metagenes),
die Gaiderobe (Ixtaai, Aristophanes, Athen. 14, 628 e). Ans Armut musste
er sich mit anderen Komikern associieren (Parömiographen über 'ApxdcSa^
}i.i(iou^evoi, fr. 99), weshalb vielleicht das „Bündnis'^ auch Kantharos beige-
legt ist (Meineke I 163. 185. 251).
5) Schol. Arist. Flut. 179, vgl. Kock I 646.
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Die Dichter der alten Komödie. 481
spenden, so allgemeine Ausdrücke ^) , dass wir daraus für die
Bestimmung seiner Individualität bloss den Zug der Korrektheit
gewinnen; aber es ist nicht zu übersehen, dass Piaton von
mehreren als das Haupt der mittleren Komödie bezeichnet wird *).
Seine Lustspiele hinterliessen also einen anderen Eindruck als
die aristophanischen.
1) Andronikos de comoedia X. Saidas. Adod. IV 5.
2) AndroD., Anon. IV 5. VIII 9. IX 9 ; deshalb nennt ihn Horaz sat.
2, 3, 11 (Wilamowitz Hermes 12 S. 357) und liest die Kaiserzeit seine
Komödien noch (a. O. S. 358).
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur. III. 31
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XV. Kapitel.
Die mittlere Komödie.
Charakteristik: Chor und Lyrisches; Stoffe, Yerfeineniog des Tons; regel-
mässige Figuren; Eubulos, Timokles, Antiphanes, Alexaudridas, Alexis und
die unbedeutenderen Dichter.
Was war aber nun die sogenannte mittlere Komödie^)? Die
alten Literarhistoriker fassten mit diesem Namen die nach Ali-
stophanes und vor Men ander und Philemon aufgeführten Stücke
zusammen, wobei maji über den Piaton anzuweisenden Platz,
wie wir sahen, nicht einig werden konnte. Die Frage, wodurch
dieses Zeitalter von dem aristophanischen einerseits und dem
menandrischen andererseits absticht, ist bei dem Verluste aller
Stücke ungemein schwierig , wenn überhaupt zu beantworten ;
indes wollen wir die Bequemlichkeit verschiedener Grammatiker
der Kaiserzeit, welche nur alte und neue Komödie scheiden,
nicht nachmachen *).
Die wichtigste äussere Veränderung betraf den Chor.
Nach der Ueberlieferung hat der Dithyramben dichtende Par-
1) RÖder de trium qnae Graeci coluemnt comoediae generum ratione
ac proprietatibus, Sns. 1831.
2) Zuerst B5mer: Yellcäns 1, 16, 3. Quintilian. 10, 1,65 ff. Euanthius
p. 4, 21 ff. Rhein. Mus. 28, 418, dann auch Plntarch. mor. 712 a. Hsrpocr.
u. 6pvt^«orfic. Anon. de com. V. VII. VIII 14. Vita Aiistoph. 1. Dagegen
muss schon die alexandrinische Zeit die mittlere Komödie abgesondert
haben, weil man nur Stücke der neuen wiederholte (Köhler Mitteil, des
Inst, in Athen 3, 130 f.); der Alexandriner Antiochos schrieb icepl tcbv sv
x-fi \Kio^ %(»\i.if^ief, xtt>f&({)doof&BVtt>v icoi'r]xu>v (Athen. 11,482 c); 8.auchS. 481 A.2
(Fielitz de Atticorum comoedia bipartita, Bonn 1866 will dies als eine
Neuerung der Kaisenseit hinstellen).
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Die mittlere Komödie. 483
lameutarier Kinesias, um sicI) für die Angriffe der Komödie zu
rächen, auf die Abschaffung der Komödieuchoregie hingearbeitet
oder sie wirklich durchgesetzt ^). Dies geht auf einen missver-
fitandenen Witz zurück^; denn die Komödie besass mindestens
noch zur Zeit, als Aristoteles die Poetik und Theophrast die
Charaktere schrieb , einen Chor '). Indes hatte dieser einen
gegen früher wesentlich geringeren Spielraum. Im „Plutos*' be-
teiligt er sich zwar am Zwiegespräch und Duett, aber die von
ihm allein gesungenen Lieder hängen mit dem Stücke nicht
mehr zusammen, sondern der Dichter überliess dem jeweiligen
Regisseur die Auswahl; dies bedeutet der Vermerk Xopoö, den
wir schon das Jahr vorher an mehreren Stellen der „Ekklesia-
zusen (V. 729. 875. 1111), ja sogar schon einmal in der zweiten
Bearbeitung der „Wolken** (V. 888) lesen. In dem letzten
Stücke des Aristophanes vollends (dem Aiolosikon), wie in den
„Odysseus" Kratins und „vielen anderen alten Stücken'* diente
der Chor zur blossen Ausfüllung der Pausen, welche Aufgabe
ihm in der mittleren und neuen Komödie regelmässig zufällt *).
Da schon vorher Agathon dieselbe Unsitte in der Tragödie auf-
gebracht hatte, muss das Publikum damals den dramatischen
Chorliedern im allgemeinen abhold geworden sein.
Hiemit stand natürlich die Einschränkung der lyrischen
Partien *) überhaupt in notwendigem Zusammenhang, wenn auch
Tetrameter und Anapäste noch einen breiten Raum einnahmen.
Noch fühlbarer wurde der Abfall hinsichtlich der Sprache , in-
1) Schol. Aristoph. Ban. 153. 406, vgl. Platon. I 7. 8. 15. 18, miss-
▼erstandeo Horat. a. p. 281 ff.
2) Strattis nannte ihn nftmlich den Cbortöter (Schol. Arist. Ran. 404),
das sollte heissen, er bringe die Chöre mit seinen elenden Dithyramben um.
3) Arist. poet. 1 p. 1447 b 27. Theophr. char. 6; daza passen Antiphau.
fr. 91 nnd die Inschrift Mitteil, des Inst, in Athen III 348, s. auch CIA. II
971 d. Noch in den späten Inschriften von Delphi (Wescher et Foncart, in-
«eript. de Delphes p. 11) kommen sieben komische Choristen vor.
4) Platon. I 10, vgl. 8. 15. 17. Vita Arist Z. 64 ff., auch Donat. in
Terent. Adelph. praef. Der „Aiolosikon^^ hatte einen Chor (fr. 14 K.), aber
keine besonderen Chorlieder, dagegen besass solche noch der „Kokalos'^ (Yit:t
Arist. Z. 60 ff. ist ganz verwirrt).
5) Ich finde lyrische Masse noch Enbul. 35. 104. 105. Nicostr. 7. Philet.
19. Annxilas 12. 13; parodische Hexameter sind beliebt; Distichen Anti-
phanee 149.
31»
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484 XV. Kapitel.
sofern sich Niemand zu den Kühnheiten eines Aristophanes
und Kratinos aufschwang, sondern, obgleich die konventionelle.
Gleichmässigkeit des menandrischen Stils noch nicht hergestellt
war, doch in der Regel bei der schmucklosen Sprache des täg-
lichen Lebens bUeb *) ; die verwegenen Zusammensetzungen bei-
spielsweise, jenes Charakteristikon der alten Komödie, waren jetzt
eine Seltenheit geworden*).
Diese Aenderungen entsprangen der wandelbaren Geschmacks-
mode , aber die Erschütterungen des peloponnesischen KriegesF
und der Schreckensherrschaft waren auch an den socialen Ver-
hältnissen nicht ohne tiefgehende Nachwirkungen vorüberge-
gangen ^). Das perikleische Athen , welches in allem , selbst
in der Ausgelassenheit, etwas genial grossartiges gezeigt hatte,
sank, seiner Machtstellung beraubt und, was den grössten Teil
der Bürgerschaft anlangt, verartnt, unaufhaltsam zu einer Klein-
stadt herab. Wie es früher im politischen Leben einem aus-
schweifenden Sanguinismus gehuldigt hatte, so waren ihm da-
mals die märchenhaften Unmöglichkeiten der Komödie an den
Dionysien die liebste Unterhaltung seines regen Geistes gewesen.
Jetzt wurde es prosaischer : Die Athener Hessen sich etwas Un-
glaubliches nur mehr in der Form der mythologischen Travestie
gefallen, einer Komödiengattung, welche gerade im vierten Jahr-
hundert ihre Blütezeit hatte. Die darauf bezüglichen Titel sind zahl-
los; unter ihnen bilden die Göttergeburten bedenkhcher Weise eine
ganze Gruppe ; „Sappho" (von Ephippos und Antipbanes) und
„Phaon" von Antipbanes) hängen eben durch die Phaonfabel mit
diesen mythologischen Stücken zusammen. Das Volksmärchen ist
durch „Akko" (von Amphis) und ,,Aesop'* (von Alexis) vertreten.
Im übrigen stammen allegorische Figuren wie Abulia , die
augenscheinlich der Tragödie entlehnt sind, und tote Vertreter
eines Principes*) allein aus dem Reiche der Phantasie. Sonst
liebt aber das Volk die nüchterne Wirklichkeit ^) , die damals
recht einförmig gestaltet war. Mochte auch Athen dazumal viel
1) Aristot. rhetor. 3, 7 p. 1408 a 14; Anon. IH 14.
2) Z. B. Ephipp. fr. 14, 3.
3) Fr. Blass die socialen Zustände Athens im 4. Jahrhundert v. Chr.^
Rede. Kiel 1885.
4) Wie Euripides Eubnl. 27; Solon iin ^jAisopos" des Alexis fr. 9.
5) TTCOÖ-ioei<; Anon. IH 13.
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Die mittlere Komödie. 485
mehr als früher von Fremden besucht werden und durch regeren
Verkehr mit Aegypten und Vorderasien einen etwas erweiterten
Gesichtskreis haben, fuhren die attischen Komiker, obgleich so-
gar sie jetzt viele und bedeutende Fremde unter sich zählten,
über die gefrässigen Böotier*), die weichlichen Jonier*) u. s. w.
zw spotten und die anderen Mundarten nachzuäffen *) fort, wenn
schon sie jetzt den Nichtathenern einen entsprechenden Anteil
an der Rollenzahl einräumten*); hingegen waren jetzt die An-
sichten über die politischen und persönlichen Angriffe geklärter
geworden. Ein Eingreifen der Gesetzgebung ist nicht "wahr-
nehmbar , denn die Polemik hört nicht mit einem Male auf,
aber einerseits mussten die fremden Dichter, welche Athens
Gastfreundschaft genossen, grosse Vorsicht beobachten, anderer-
seits pflegt eine Verfeinerung der Volkssitten , welche damals
durch die Verbreitung populärwissenschaftlicher Bildung un-
verkennbar eingetreten war, den Stachel der Satire abzustum-
pfen oder , besser gesagt , zuzuschleifen. ' Wenn nun jetzt die
Komödie von der politischen Opposition und von Schmähungen
^u zehren und wirkliche Personen auf die Bühne zu bringen,
aufgehört hat % verzichtet sie darum doch nicht auf die Narren-
freiheit , nur dass sie sich feiner und versteckter ausdrückt*).
Die Kosten des Gelächters tragen am häufigsten die Philosophen,
vor allen die Pythagoreer und Plato mit seiner Schule, sodann
Dichter, Schauspieler und Musiker ''). Allein auch die Politiker
blieben nicht verschont; am meisten hatten die Führer der
Chauvinistenpartei, „der Briareos" Demosthenes (,,das lanzen-
fressende Ungetüm*') und der Gourmand Hypereides zu leiden,
denn die Komödie blieb der Verteidigung des Friedens treu,
ausserdem wollten die Komiker mit dem Auslande , wo ihnen
Fürstengunst und reicher Lohn zu winken begann, auf gutem
Fusse stehen, so dass auswärtige Machthaber vor ihnen sicherer
1) Eubulos in der „Antiope", dann fr. 39. 63. 66; Alexis fr. 237.
2) EnbuL 42, 5. 50. Antiphan. 91; Argiver Ephipp. 2.
3) Thessalisch Timocl. 11; dorisch Anaxilas 15; böotisch Eabal. 12.
4) Z. B. kommt ein Aegypter Nicostrat. 25 vor, ein Akanthier Amphis
36, ein Syrer Eriph. 6, 1, ein Chalkidier Alexis 143.
5) Aristot. poet. 9 p. 1451 b 12 ff.
6) Anon. IV 4. Vm 8. 9. IX 7.; daher alvtYJitatcu^c Andronikos X.
7) Meineke I 287 ff.
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486 XV. Kapitel.
als einheiniische Politiker waren ; man kann als einzige Namen
Eubulos' „Dionysios/* vielleicht auch Menesaichmos' „Philippos**
nennen. Wir berühren mit letzterem eine schwierige Frage;
zur mittleren Komödie gehören nämlich zahlreiche Stücke, welche
einen Personennamen zum Titel haben, ohne dass wir wissen,
ob damit eine wirkUche oder eine fingierte Person gemeint ist ;
nach Aristoteles waren allerdings zu seiner Zeit erdichtete
Namen das übliche*).
Aus der Verfeinerung der Sitten entsprang ferner eine ver-
schiedene Beurteilung der Anständigkeitsgrenzen. Denn wenn
auch nicht die Sittlichkeit, pflegt doch die Prüderie zuzunehmen ').
Dem entsprechend pflegte die mittlere Komödie mehr die Zwei-
deutigkeit als die grobe Zote % wie auch die gleichzeitigen Va-
senmaler von den Derbheiten ihrer Vorgänger abliessen *). Natur-
heb wurde der Phallos aufgegeben , an welcher Natürlichkeit
schon Aristopbanes gerüttelt hatte. Dass die Dionysientollheit
trotzdem nicht zu kurz kam, dafür sorgte die damals übliche
Lebensweise der meisten Athener. Dürfte es doch nicht viele
Griechen gegeben haben, die so berühmt wie im vierten Jahr-
hundert Phryne und Lais waren. Weil nun die meisten Lust-
spiele sich um Hetären drehten, waren viele sogar nach ihnen
benannt*). Damals hatte die Demimonde ihre Glanzzeit, bevor
die Athener teils durch die Kriege mit Makedonien und die
Gründung Alexandriens ärmer teils von jenem unnatürlichen
Taumel blasierter wurden ; dann zogen sie Romane mit Bür-
gerstöchtern vor oder, wenn sie eine Hetäre interessieren sollte,
musste sie am Ende als Bürgermädchen erkannt werden und
zuletzt mit ihrem Liebhaber eine vernünftige Ehe eingehen,
was der alte Aristopbanes schon im „Kokalos'* vorgezeichnet
hatte*). Zar Zeit der mittleren Komödie jedoch hörte man die
Ehe immer für das ärgste Unglück hinstellen ^). Beinahe noch
1) Poet. 9 p. 1461b 13.
2) Levesqae memoire aar Aristophane, M^moires de TiDstitat uationaU
Litt. I. Paris an 6.
3) Aristot eth. Nioom. 4, 14 p. 1128 a 22 ff. S. aber Enbal. 53.
4) Dierks Archäol. Ztg. 1886 Sp. 37 f.
6) Meineke I 276.
6) Vita Aristopb. Z. 60ff. ; Andpbanes scbeiot in der „Hydria'^ etwa«
ftbnlicbes dargestellt zn babeu, ancli Enbnl. fr. 80.
7) Antiphanes 251. 252. 292. 221. Anaxandr. 52. Aristopbon 26. AlexU 262.
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Die mittlere Komödie. 487
mehr als die Hetären lagen jedoch den Athenern Essen und
Trinken am Herzen. Athenaios hat für diesen Gegenstand an
der mittleren Komödie eine wahrhaft unerschöpfliche Quelle.
Allen geht das Herz auf, wenn sie von ihren Lieblingsspeisen
reden , und oft wird gar coram publico geschmaust und ge-
zecht ^). Da eine wahre Fischmanie herrschte, gab es in Athen
keine wichtigeren Personen als die Fischhändler ; von dem Ge-
fühle ihres Ansehens durchdrungen, waren sie unzugänglicher
als die höchsten Beamten und würdigten den Feilschenden keiner
Antwort, obgleich sie sich nicht für zu gut hielten, das Publi-
kum auf alle Weise zu betrügen. Nächst ihnen kam der diebische
Koch, der von seinem Handwerk — er selbst sagt nur : Wis-
senschaft — die höchste Meinung hat und seinem Mietshei-m
mit gelehrt klingenden Phrasen imponiert. In jener Zeit war
ein glücklicher Thmifischfang den Athenern eine angenehmere
Botschaft als eine glückliche Schlacht und ein süsser Kuchen
fand mehr Interessenten als ein Staatsgeschäft; die Ver-
schwendung nahm einen so bedrohlichen Umfang an, dass so-
gar der republikanische Staat von dem Grundsatze des Gehen-
lassens abging^. Ausser denen, welche ein Vermögen zu ver-
prassen hatten, gab es genug andere, welchen bei den gleichen
Neigungen die Mittel abgingen und, da der lebhafte Grieche in
Gesellschaft zu schmausen und zu zechen gewohnt war, ent^^
stand die traurige Klasse der nimmersatten Schmarotzer, die,
statt mit ehrlicher Arbeit sich schlecht und recht zu sättigen,
ein leckeres Mahl mit Verhöhnungen und Misshandlungen aller
Art erkauften und jeden Morgen von neuem die Suche nach
einem freigebigen Wirte begannen. SeitAraros*) gab es kaum
eine Komödie ohne Parasiten, wie kein Festdiner ohne
diese unentbehriiche Würze. Die stehende Parasitenmaske der
neueren Komödie*) ist von Alexis ausgebildet^).
1) Z. B. Alexis fr. 111.
2) Athen. 6, 245 ab.
3) Athen. 6, 237 a.
4) O. Ribbeck Kolax, eine ethologische Studie, Lpg. 1883. In Lncians
Dialog iccpl napaoitoo sind o£fenbar die pathetischen Parasitenreden der
Komödien (z. B. Diodor. fr. 2) verwertet.
5) Karystios bei Athen. 6, 235 e; jeden&Us war der Parasit zn seiner
Zeit eine stehende Fignr geworden (fr. 116, 2).
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488 ^V. Kapitel.
Ein wesentlicher Unterschied der mittleren Komödie von
dem menandrischen Lustspiel besteht nämlich darin, dass die
typischen Rollen desselben vorerst noch im Entstehen be-
griffen und nach der Seite des Derblächerlichen hin entwickelt
sind ^); die mittlere Komödie stellt ja noch nicht das wirkliche
Leben, sondern eine Karrikatur desselben dar ') , während die
neue von dieser Tendenz hauptsächlich bloss die äusseren Mas-
kenzüge beibehält. Trotzdem bereitet jene die Typenkomödie
dadurch vor, dass die Dichter in eine schablonenhafte Massen-
produktion verfielen *). Der Dialog sogar hat etwas merkwür-
dig Oleichartiges , so dass öftei-s die nämlichen Gedanken mit
ähnlichen Worten in verschiedenen Dramen wiederkehren *).
Es tauchen schon geistreiche Sentenzen, wenn auch noch nicht
in dem Masse wie bei den späteren Komikern, auf*), und,'
weil Unterhaltungsspieie damals ausserordentlich beliebt waren,
brachten die Dichter künstUche Rätsel, z. B. in der Kleobuline
des Alexis und der Sappho des Antiphanes ®). Auf die Gebil-
deten waren endlich die zahlreichen Parodien populärer Dichter
berechnet ').
Ueber die 57 Dichter der mittleren Komödie haben wir
leider wenig zu sagen ; eine Aufführung der zufällig citierten
Titel wäre zwecklos. Sondern wir Athener und Fremde, so
konnte die Heimat der Komödie selbst sich besonders desEu-
bulos rühmen. Jener wird an die Grenze der alten und mitt-
leren Komödie in die 101. Olympiade gesetzt^), durchlebte
1) Z. B. auch der keifende knauserige Hausvater (Xpi^t-riz xiq 9| <&ti8a)v
xlc ixoopiTcetai Antiphanes bei Athen. 6j, 223 a) und der Flegel {&^pot,iiLO<:,
Meineke I 332, O. Ribbeck Agroikos, Lpg. 1885).
2) Aristot. rhet. 2, 6 p. 1384 b 10. poet. c. 2 a. E.
3) Atbenaios (8, 366 d) kannte über achthundert Komödien aus dieser
Zeit; Anon. in 13 zfthlt 617 Stücke, während der alten Komödie (§ 3) mit
Eihrechnung der unechten nur 365 zugewiesen werden.
4) PhUetaer. 5. 8. Eubul. 67. 84; Meineke I 358 f.
5) Z. B. to 'Ava^avSpt^oo xh licaivoo^evov Aristot rhetor. 3, 11p. 1412 b 17.
6) Konr. Ohlert Rätsel und (Gesellschaftsspiele der alten Griechen,
Berlin 1886 S. 93 ff.
7) Piaton. I 16. Anon. m 13; s. 8. 482 A. 2.
8) Snidas (Sohn des Euphranor, dem Demos nach K'fixtcoc). Er ver-
spottete den älteren Dionysios.
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Die mittlere Komödie. 489
aber noch die demosthenische Zeit^). Von seinen 104 Komö-
dien*) führte Aristophanes' Sohn Philippos einige auf*). Timo-
kles ist weniger als Dichter denn als Charakterkopf merkwür-
dig, indem er den lebhaftesten Anteil an der Politik (besonders
in den „Volkssatyrn") bekundet*). Kein Athener konnte indes
leugnen, dass* das Ansehen der komischen Bühne wesentUch
mehreren fremden Dichtern verdankt wurde; der angesehenste
Komiker des vierten Jahrhunderts, Antiphanes war ja wahr-
scheinlich ein Kleinasiate**), der Ol. 93 geboren, seit Ol. 98 in
Athen auftrat und dreizehnmal dort den Preis bekam ^). Er
starb 104 Jahre alt in Kion, nachdem er noch das Königtum
des Seleukos erlebt hatte (306, Ol. 118, 2)^). Dank diesem hohen
Alter und einer unverwüstlichen Frische brachte der Dichter
weit über 200 Komödien fertig®). Seine Zeitgenossen schätzten
ihn so hoch , dass der athenische Staat die Gebeine des Anti-
phanes einholte und dessen Leiter Demetrios von Phaleron über
ihn schrieb *), Auch die Späteren hatten von seiner dichter-
ischen Begabung eine hohe Meinung*®). Einige seiner Stücke
1) Athen. 13, 569 a. Hypereides (?) bei Phot. u. ESßooXo^.
2) Suidas; Fragmente: Meineke HI 203 flf., Kock 11 164 ff. 6 diouy8ische
Siege CIA. H 977 f 5.
3) SchoL Plat. p. 331 B, z. B. Ndwtov Athen. 13, 568 f. Aaibakot:
Themist. ad Aristot. de anima I 3. Ka^jinoXiöiv wird bald Eubnlos bald
Araros beigel^.
4) Fragmente: Meineke III 590 ff. Kock n 451 ff. Ein dionysischer Sieg
CIA. n 977 g 7.
5) Nach Suidas aus Kion (wo er starb) oder Smyma (ebenso Stob. flor.
29, 51?) oder nach Dionysios v. Halikamass aus Rhodos (vgl. Anazan-
drides), nach Anon. III 14 aus dem thessalischen Larissa und von Dömos-
thenes zum Bürger gemacht. Sohn des Demophanes oder Stephanos (auch
Anon., wie sein Sohn hiess) und der Oinoe, nach anderen von Sklaven ab-
stammend (Suidas).
G) Ol. 93 '^ifovt Suidas, 98 Anon. III 14, Si^e: Suidas, darunter 8
dionysische CIA. II 977f 7; Ol. 106, 2 (354) fiel er nach CIA. U 972 mit
den avaa({>C6fi.evoi durch.
7) Bei Suidas lesen wir o8', aber die Aeuderung ist notwendig (vgl.
Meineke p. 307), weil die nap6x$cdo}i.^vY| auf König Seleukos anspielte (fr.
187, 4). Anon. in 14 (v Xi(i> ist aus iv Ki(i> entstellt.
8) Suidas: 366 oder 280, Anon. III 14: 260, vgl. Meineke I 310 ff.
Fragmente: Meineke HE 3 ff., Kock 11 11 ff.
9) Anon. IH 14; Diog. Laert. 5, 81.
10) Anon. HI. 14, b x^^p'^^K Athen. 1, 27 d, 4|86(; 4, 156 c. Diodoros von
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490 XV. Kapitel.
führte sein Sohn Stephanos auf*). Sein ihm fast ebenbür-
tiger Genosse, Anaxandrides stammte aus dem rhodischen
Kamiros») und begann 376 (OL 100,4) seine ßühuenthätigkeit «).
Obgleich er ein Fremder war, riss ihn seine leidenschaftliche
Gemütsart zu politischer Parteinahme hin. Sie liess ihn zugleich
gegen sich selbst wüten; wenn nämlich eines seiner Lustspiele
keinen Erfolg gehabt hatte , gab er es , ohne es umzuarbeiten
oder von der Zukunft eine bessere Aufnahme zu erhoffen, so-
fort als Makulatur an die Krämer^). Infolge dessen werden
von seinen 65 Stücken nicht mehr als 36 citiert, unter denen
sich jedenfalls die zehn mit dem ersten Preise gekrönten be-
finden*). Anaxandrides darf sich der offenen Wertschätzung
des Aristoteles rühmen % Vielleicht verdankte er dessen Em-
pfehlung, dass ihn König Philipp zu sich berief ^). Alexis end-
lich vertritt als Sprössling von Thurii Grossgriechenland würdig.
Vor 390 geboren, erstreckte er sein Leben mindestens bis 287 ®)
und wurde 106 Jahre alt, ja noch mehr, der Tod ereilte den
Greis, als er eben mit einer Komödie gesiegt hatte ^) ; wie man
sieht, überbot er sogar Antiphanes an ünverwüstlichkeit. Die
Zahl seiner Stücke belief sich auf 245, obwohl die Authenticität
einiger nicht ganz sicher stand ^®). Vielleicht dankt er es sehier
italischen Herkunft, dass er zu den von den Römern am lieb-
sten übersetzten Komikern gehörte ^'). Wenn wir nicht einmal
Askalon schrieb ircpl 'Avxt^pdvoo? xal «cpl rrj<; icap& tol<; vstotipoic xü)ji.txol(: jiat-
xü7]<; (Athen. 14, 662 f).
1) Auou. in 14, vgl. Suidas u. 'Avttcpdv^c.
2) Chamaileon bei Athen. 9, 374 b (mit Xi^^^^^ vgl- Saidas), nach an-
deren aan Kolophon (Snidas).
3) Marm«)r Parium Z. 82.
4) Chamaileon bei Athen. 9, 374 ab.
5) Snidas. Fragmente: Meineke HE 161 ff., Kock n 135 ff. Drei diony-
sische Siege CIA. II 977 f 3.
6) Rhetor. IH 10. 11. 12. eth. Nicom. 7, 11 p. 1152 a 22.
7) Ol. 108 nach Suidas (111 nach A. v. Gutschmid).
8) Er erwähnt fr. 244 (s. Kock p. 386) Ptolemaios Phüadelphos, der
damals Berenike, da sie bloss seine Schwester heisst, offenbar noch nicht
geheiratet hatte. Thnrii wurde Ol. 97, 3 zerstört.
9) Alter : Plutarch. def. orac. p. 420e; Tod: Plntarch. sen. adm. p. 785b.
10) Athen. 2, 59 f gibt ihm das Prädikat x^P^<^^* Fragmente: Meineke
in 161 ff., Kock n 297 ff. CIA. II 977 f 11.
11) Genius 2, 23, 1.
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Die mittlere Komödie. 49 t
von diesen Häuptern etwas näheres sagen können, wie sollte
dies bezüglich der Masse gelingen? Wir heben also nur die
Fremden heraus , Epikrates von Ambrakia *) , Diodoros und
Dionysios von Sinope*), den Dialektiker Eubulides aus Milet^ und
Söphilos aus Sikyon oder Theben*) und zählen die übrigen rasch
alphabetisch mit Verweisung auf die Fragmentensammlungen
von Meineke (Bd. III) und Kock (Bd. II) auf, wobei wir die
durch die offizielle Siegerliste bekannt gewordenen Namen- ein-
reihen : Alkenor (Kol. IV Z. 6) , Amphis (645 flF. , 236 flF.),
Anaxilas 341 ff. , 264 flf.), Antidotos (528 f., 410 f.), Aristophon
(356 ff., 276 ff., Kol. m Z. 12), Athenokles (IV. 4), Augeas*)
Axionikos (530 ff., 411 ff.), Choregos (III 2), Dromon (541, 419),
Ephippos (III 6, 657 ff., 250 ff.), Epigenes (537 ff. 416 ff.)«).
Eriphos (556 ff. 428 ff.), Euphanes (III 10) ^ Hemochos(560ff.,
431 ff.), Herakleides (565, 435), Herakleitos (566, 435), Kalli-
krates (536, 416), Klearchos (562 ff., 408 ff., IV 3), Kratinos
der jüngere (374 ff., 289 ff.), Mnesimachos (III 8, 567 ff., 436 ff.)
Nausikrates (575 ff., 295 f. III 9. p 4), üphelion (380f., 293 f.);
Philiskos (579 f., 443 f.), Phoinikides (353 auftretend , CIA. II
972), Prokleides (IV 8 als der letzte der mittleren Komödie^
auch CIA, II 971 d gegen die Mitte des Jahrhunderts), Pyr. . .
(IV 5), Simylos (353 siegend CIA. II 972), Sotades (585 ff.,
447 ff.), Straton»), Theophilos (626 ff., 473 ff.), Timotheos (589
450 f.) und Xenarchos (614 ff., 467 ff.),
1) Meineke HI 365 flf., Kock U 282 ff.
2) Diodoros trat 353 (OL 106, 3) mit zwei Stücken auf (CIA. H 972),
Meineke m 543 ff., Kock II 420 ff.; Dionysios: Meineke HI 547 ff., Kock
n 423 ff.
3) Meineke in 559, Kock n 431.
4) Saidas; Fragment«: Meineke in 581 ff., Kock 11 444 ff.
5) Suidas, s. Meineke I p. 416 f.
6) Es gibt sowohl einen jangeren Komiker Ephippos (Athen. 8, 346 f),
als einen Epigenes (Pollux 7, 29, CIA. II 975 V 2), ebenso einen jangeren
Timokles (Pollux 10, 154. Suidas). Die Inschriften zeigen, wie vorsichtig m an
bei einen üblichen Namen tragenden Dichtem sein mnss.
7)'Steph. Byz. u. Ildpvirjc (verderbt 'Ev«pav4|<;).
8) Suidas, s. Meineke I 235.
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XVI. Kapitel.
Der Mimos.
PosseDreisser in Sicilien; Sophron und Xenarchos.
Nie. Calliachias de ludis scenicis mimorum et pantomimomm, Padna
1713; Hnschke de C. Annio Cimbro, Rostock 1824 p. 59 ff.; Grysar de
Sopbrone mimographo, Fr. v. Köln 1838; £. Heitz des mimes de Sophron,
tb^e y. Strassburg 1851; L. Botzon quaestionnm mimicaram specimen,
Berlin 1852, de Sopbrone et Xenarcbo mimographis, Fr. t. Lyck 1856 n.
Sopbroneomm mimorum reliquias oonqnis., Fr. v. Marienbnrg 1867; J. A«
Führ de mimis Graecoram, Berlin 1860.
Während in Sicilien und Athen die versificierte Komödie
im Zusammenhang mit den öffentlichen Götterfesten sich ent-
wickelte, liebten die Griechen auch bei famiUären Gastereien
Ergötzung durch allerlei Augen- und Ohrenschmaus. Neben
den Gauklern und den Musikern, welche freigebige Wirte von
der Art des in Xenophons „Gastmahl" geschilderten ihren
Gästen vorführten, trugen bei den Athenern die oben erwähnten
Schmarotzer dadurch selbstthätig zur Belustigung bei, dass sie
sich gegenseitig ohrfeigten und mit „gesalzenen" Anapästen
verspotteten*); an anderen Orten trat dagegen ein professions-
mässiger Mimos auf*), der, wie der Name besagt, irgend etwas
aus dem täglichen Leben nachahmen musste. Solche
Leute fanden in dem lustigen Grossgriechenland und auf
Sicilien den meisten Beifall. Als der beste italische Mime wird
1) Alciphr. epist. 3, 43, 2.
2) 6aofiatoicoi6( ^ \i.l\ko^ 9| oopixrr^c Aristot. probl. 18, 6, fthnlich zu-
sammengestellt Diodor. 20, 63, 2. Athen. 10, 452 f.
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Der Büinos. 493
Kleon 6 (it(iaoXoc, der auf eine Maske verzichtete, heraus-
gehoben *).
Diesem Teile der griechischen Welt gebührt denn auch
der Ruhm, den Mimos — das Gesprochene trug mit dem
Sprecher den gleichen Namen — zu einer Literaturgattung
ausgebildet zu haben. Die Ueberlieferuug benannte die ältesten
Denkmäler derselben nach dem Syrakusaner S o p h r o n ,
ohne über seine Person etwas zu wissen*); er gab überhaupt,
wie Aristoteles andeutet^), einen blossen Gattungsnamen ab.
Eine etwas pedantische wahrscheinlich von Theophrast her-
rührende Definition lautet: „Der Mimos ist eine Nachbildung
des Lebens und umfasst die anständigen und unanständigen
Seiten desselben .ohne Unterschied***). Hiebei fehlt gerade
etwas charakteristisches, dass er nämlich in Prosa (natürUch
dorisch) verfasst ist*). Wenn man später Handlungs- und
Charaktermimen unterschied ^, so waren die sophronischen der
letzteren Gattung zuzuweisen; sie führten nämlich einzelne
Typen aus dem Leben vor, weshalb die Bibliothekare die
Mimen recht äusserlich in männliche und weibliche einteilen
konnten ^). Dürfen wir vielleicht die Volkskomiker des alten
Wien, die vom „Brettl** herab irgend eine Charakterfigur ihrer
Stadt drastisch darstellten , mit diesen Mimen vergleichen ?
Die sophronischen Mimen stellten z. B. einen Thunfischjäger,
einen Boten, die Brautschmückerin, die Näherinen dar, andere
1) Klearchos bei Athen. 10, 452 f.
2) Nach Suidas lebte er zur Zeit des Xerxes (als Genosse des Epicharmos)
nnd des Enripides (weil das Wort ji.t|ioc znerst Rhes. 256 nachzuweisen ist).
Derselbe unterscheidet irrtümlich zwei; die Eltern nennt er Agathokles und
Damnasyllis.
3) Toöc xaXou}i.8voo{ Sui^ppovo^ \i.i\koo':,
4) Bei Snetonins p. 13, 3 f. BeifT. \t.l\t.6^ eott ji.tfiY|otc ßtoo, xi oo^Hex*»?"'!-
(ilva xal dLOiyc^toprixa icepi^x^v. Demosthenes 2, 19 sagt Teräcbtlich filfioc
feXotcov.
5) Aristot. poet. 1 p. 1447b 11; Santeu in Terentian. p. 165 ff. ver-
suchte trotzdem Metren dnrcbzuföhren.
6) Die letzteren Wessen ri^oX&^oi Polyb. 31, 4. Diodor. 20, 63, 2 (bei
Mahlzeiten auftretend Plutarch. symp. 5 praef. a. E.).
7) Suidas und öfters bei Athennios. Schon Apollodoros legte diese Ein-
teilung, seinem Kommentar zu Grunde. Fragmente: Ähren s de dialecto
Dorica appendix H. und Botzon a. O.
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494 XVI. Kapitel.
sind betitelt: Die Schwägerin, Liebling wohin fliehst du? Der
Fisclier und der Jäger, die Frauen sagen sie hätten gegen
Demeter Klage gestellt; an die Mythologie erinnert nur der
Titel „Prometheus" ^). „Ein einzelner einfacher Vorfall, ein
glücklich naives, ja ein albernes Wort, ein Missverstand, eine
Paradoxie, eine geistreiche Bemerkung, persönUche Eigenheiten
oder Angewohnheiten, ja eine bedeutende Miene und was nur
immer in einem bunten rauschenden Leben vorkommen mag,
-alles ward in Form des Dialogs, der Katechesation , einer
bewegten Handlung, eines Schauspiels dargestellt" '). Wie jene
Definition darlegt, war im Mimus allerdings viel obscönes und
possenhaftes (z. B. wurden die Weiber wegen ihrer unkorrekten
Sprechweise verspottet)'), auf der anderen Seite enthielten sie
so viel interessantes, dass Plato Sophron sehr hoch stellte*)
und auch Rhetoren ihn bewunderten*). Das Lehrhafte scheint
-weniger aufdringlich als bei Publilius und hauptsächlich in
volkstümlichen Sprichwörtern ausgedrückt gewesen zu sein,
welche nach Sancho Pansas Art zu zweien und dreien vor-
kamen % dass man aus Sophron ein reichhaltiges Sprichwörter-
buch hätte zusammenstellen können. Obgleich innerhalb der
klassischen Zeit nur noch Xenarchos, der unter dem
ülteren Dionysios dichtete, als Mimendichter genannt wird ^)
und der syrakusanische Dialekt die weite Verbreitung nicht
beförderte ^ , hat diese Art trotzdem feste Wurzeln geschlagen
1) Nach O. Müller Dorier II 349 und Sehne idewin exercit. critt.
YIII 52 schrieb er einen Mimos ^HpoXXoc (Herakles als Pygmäe), was O. Jahn
Persii proleg. p. XCV bestreitet.
2) Goethe moralisch-politisches Puppenspiel (Dichtung und Wahrheit,
Buch Xni).
3) Etym. Magn. p. 774, 41 £f. Auf die Possen zielt Tatianus p. 169 Paris.
4) Diog. Laert. 3, 18. Olympiodor. Z. 62 ft, Vit. Plat. Z. 105 ff. Quintil.
1, 10, 17. Tzetz. Chil. 10, 806 ff. (s. dazu Wachsmuth siilograph.
•Oraec. p. 133j.
5) Demetr. eloc. 128. 156; OKOoSatot Ulpian. in Demosth. Ol. n p. 30.
6) Demetr. eloc. 156.
7) Aristot. poet. 1 p. 1447 b 11. Phot. Suid. u. Ttj-ftvooc (angeblich
^Sophrons Sohn).
8) Daher implicitus Stat. silv. 3, 5, 158; der bekannte Apollodoros
^erfasste einen ausführlichen Kommentar (Athen. 3, 89 a. 7, 281 e. 309 d).
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Der Mimos. 495
und das Drama mit der Zeit weseutlich beeinträchtigt, zuletzt
sogar ganz verdrängt. Daneben entwickelte sich aus ihr heraus
das hexametrische „Bildchen" (slSoXXtov), zuerst noch in der
Hand ßhinthons und anderer Unteritaliener zur Satire neigend ^),
dann von Theokrit zur lldylle, wie wir das Wort verstehen,
verfeinert *) ; auf Jener Manier griff zuletzt Persius zurück ^).
1) Job. Lydos de magistrat. 1, 41.
2) Argum. U. XV. Vgl. Valckenaer ad Theocrit. Adoniaz. p. 193 ü.
3) Job. Lydus a. O.
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S c h 1 u s s.
Sehen wir auf die Entwicklung, welche die griechische
Poesie von den Perserkriegen bis auf Alexanders Zeitalter nahm,
zurück, können wir Plutarch nicht Unrecht geben, wenn er sie
im Gegensatz zu der von Religiosität durchdrungenen Dichtung
der früheren Zeit als S-satpiXT] (loöoa charakterisiert ^). In der
That wird die Verbindung von Religion und Poesie , welche
noch der aeschyleischen und pindarischen Dichtung einen so
imposanten Eindruck verlieh, immer lockerer und äusserlicher,
bis im vierten Jahrhundert jene nicht mehr als den äusseren
Anstoss und den Verwand zur Aufführung musischer Werke
leiht. Dies übt wieder auf den Dichter eine bedeutende Rück-
wirkung aus. Die griechische Poesie hat zwar, so weit wir sie
zurü^kverfolgen können, nie individuelle Freiheit und Schranken-
losigkeit gekannt, sondern ist jederzeit in streng stilisierter Ge-
stalt aufgetreten. Aber die aristokratisch zu nennende Kon-
vention, wobei das Genie so gut wie der Dutzendschriftsteller
pietätvoll an das Ueberlieferte anknüpft und es mit schonender
Hand bessert, doch nicht um jeden Preis ändert, hört mit So-
phokles auf; an ihre Stelle tritt schon zu seiner Zeit die aka-
demische Konvention. „Regel wird alles und alles wird Wahl
und alles Bedeutung" *). Der Sophist lehrt die einzelnen Worte
genau, ja kleinlich abwägen, er zeigt, wie man die Gedanken
nach wohlberechneter Ordnung setzt, er zergliedert sogar das
menschliche Gemüt, um die Wirkung der Poesie und Rede-
kunst abzumessen. Wie hätte neben so nüchterner Verständig-
keit der poetische Enthusiasmus; der götthche Funke der alten
1) Plutarch. miis. 27.
2) Die gleichzeitige Entwicklang der Kunst gewährt ein entsprechendee
Bild (F. V. Duhn Archäol. Ztg. 1885 Sp. 3 f.).
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Schlnss. 497
Kunst ungeschwächt fortbestehen können? Selbst ein Plato
spricht jetzt von dem ungelehrten Rhapsoden Ion, welcher seine
Kunst der blossen Begeisterung verdankt, mit Ironie und Ari-
stoteles zeichnet als merkwürdig auf, dass der syraküsanische
Dichter Marakos im Zustand des Enthusiasmus glückücher
war^). Warfen sich Dichter dieser Richtung nicht freiwillig in
die Arme, so wurden sie durch ihr Publikum dazu getrieben ;
denn , seit viele zu den Füssen der Sophisten gesessen hatten,
war die Unbefangenheit des naiven Kunstgenusses unwider-
bringlich dahin *). Lebhaften Geistes , waren die Athener mit
dem Gelernten überall bei der Hand, indem sie mehr nach der
Zweckmässigkeit und Korrektheit des Gebotenen frugen als
dessen Wirkung unbefangen an sich erprobten. Nicht die Phi-
losophen allein disputierten über die schönen Künste, auch die
dionysische Komödie, voran Aristophanes , trug die literarische
Kritik unter die Menge. Die Gelehrten beherrschte sogar ein
ausgeprägtes UebelwoUen gegen die Poesie % von dem nicht ein-
mal eine so poetisch angelegte Natur wie Plato frei war. Man
übte an Sentenzen die strengste Censur und nörgelte nach
Protagoras' Vorgang an jeder ungewöhnlichen Ausdrucksweise.
Die Reflexion wurde ausserdem dadurch befördert, dass schon
am Ende des fünften Jahrhunderts wenigstens die Athener die
Dichtungen nicht mehr bloss durch den Mund berufener künst-
lerisch gebildeter Interpreten kennen lernten , sondern leicht
Abschriften erhalten konnten. Es ist überhaupt ein natürliches
Gesetz, dass die Verfeinerung und Verallgemeinerung der Bil-
dung die echte Poesie beeinträchtigt.
Ich weiss nicht , ob es mir gelungen ist, die unheilvolle
Wirkung des prosaischen Geistes bei den einzelnen Arten deutlieh
zu machen. Er ist es, der von nun über der griechischen Literatur
herrscht, und so ist auch die athenische Prosa, nicht die Poesie
für die fernere Gestaltung der Kultur massgebend geworden.
1) Aristot. Problem. 30, 1.
2) Zum folgenden vgl. Ed. Müller Geschichte der Theorie der Kunst bei
den Alten, Breslau 1834—37, 2 Bde. ; Egger histoire de la eritique chez les
Grecs, Paris 1886.
3) Z. B. Aristot. poet. 18 p. 1456 a 5 m? vov ooxocpavtoöot touc wotirjxdc.
Sittl, Geschichte der griechischen Literatur. III. 32
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Nachträge.
S. 15 ist statt Aristarch Aristophanes zu schreiben; ich meine
Plutarch. sol. anim. 18.
S. 24 A. 4: Fr. Riaux essai sur Parmenide d'Elee suivi du texte avec
traduction des fragm., Paris 1840.
S. 27, 6: Sozomenos, der Empedokles' Dichtungen noch gekannt zu haben
scheint, gibt eine wohlwollende Erklärung des Todes (bist. eccl. 2, 24 p. 477 c).
S. 27, 7: Usener Rhein. Mus. 23, 316 fP.
S. 41: Ein Ständchen hiess xpooold-opov (Hesych.).
S. 46 : Für die Aulöden wai*en an den Panathenäen zwei Preise ausgesetzt
(CIA. n 965 fr. a).
S. 58: Ueber die Chöre der Hephästien, Promethien und in Mensis Rud.
Scholl Sitzungsber. der bayer. Akad. 1887 S. 3f: 14 f.
S. 70, 5: Aat^pavÖ-üpac gehört zu Tzetzes' Flüchtigkeiten; es stammt aus
Philostr. imag. 2, 12 p. 417, If. iicl xic to5 Aa?<p(ivxoü ö-opa;.
S. 85: Wie mich ein musikkundiger Freund belehrt, musste ich sagen:
„während ein Flötenspieler den Ton aus hielt".
S. 98, 6 fielen zwei Bonner Universitätsprogramme von 1885 aus: Ed.
Lübbert de poesis Pindaricae in archa et sphragide componendis arte imd
de priscae cujusdam epiniciorum formae apud Pindarum vestigiis.
S. 100, 9: Pindars Haus wurde noch im vierten Jahrhundert n. Chr.
gezeigt (Himer. erat. 18, 3).
S. 102, 14: Phüostrai imag. 2, 24 p. 428, 31.
S. 104 f.: Von Interlinearglossen gibt Res 1er Philol. 4, 519 ff. Proben.
S. 113, 3: Der Hynmus auf Demeter setzt die Kenntnis des Makedonischen
voraus (Athen. 10, 455 d)!
S. 124, 10: Dinse de Antigenida Thebano musico, Berlin 1856.
S. 131: Ueber die kritischen Zeichen der Alten Mor. Schmidt Didymi
Chalcent. fragm. p. 262 ff. (zu Sophokles). 277 f. (zu Euripides).
S. 149: Gust. Oehmichen griechischer Theaterbau nach Vitruv und
den üebonesten, Berlin 1886.
S. 157, 3 : Die Katharsis erläutert auch Ps. Jamblich, de mysterüs 1, 11.
S. 162, 2: E. Sterk de Labdacidarum historia a tragicis in soena pro-
posita, Leiden 1829.
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Nachträge. 499
S. 164, 5: üeber Ammen u. dgl. als Nebenpersonen: Stephan! Compte-
rendu de la comm. arch. Petereb. 1863 p. 171 ff.
S. 165: E. Moncourt de parte satyrica et comica in tragoediis Euripidis,
ihese von Paris 1851.
S. 168 f.: ü«ber Pei^onifikationen Baumeister Denkmäler des klass.
Alterth. S. 1299 ff.
S. 233, 3 : Himerios bezeichnet gerade die Nacht als tragisch (pt. 23, 22).
S. 247, 1: Die Gemme ist jetzt in Baumeisters Denkmälern S. 34 abge-
bildet zu finden.
S. 260, 1: statt Georgias lies Gorgias.
S. 279, 6: Bergk in der Einleitung seiner Ausgabe; C. Sucro de So-
phocleae imprimis Musae arte et praestantia, Pr. v. Magdeburg 1856.
S. 337, 4: Benützung der „Bakchen" durch Nonnos XIHI. : Reinh.
Köhler über die Dionysiaka des Nonnos, Halle 1853 p. 86 f.
S. 373 : Vielleicht deutet das Variieren des Namens auf zwei verschiedene
^Tragiker, von denen der eine, älter als Euripides, die Pädagogen einführte,
wähi-end der andere Alexanders Zeitgenosse war.
S. 374: statt Menekratos lies Menekrates.
S. 374 A. 11: Stockt hinter Alcestis etwa Acestor?
S. 375: Zu Morychos* Konsorten gehört nach Schol. Ravenn. Arist. Ran.
^, vgl. Pac. 289 (Meine ke historia crit com. Graec. p. 513) Datis, ein
Sohn des Karkinos.
S. 379, 5: Theoros könnte auch bloss ein Schauspieler, Laches ein
Lyriker sein.
S. 419: Der Narrenfi'eiheit entspricht die Atovootax*}] eXeo^-Bpta (Lucian.
PrometL 6).
S. 448: Aristomenes wird auch CIA. 11 977 a' neben einem Kephi-
flodoros genannt.
S. 456: Philippos steht m der Siegerliste CIA. 977 ÜI.
S. 472: F. Clausen de schohis veteribus in Avos Ar. compos., Kiel 1881.
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32*
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Generalregister.
Die lateinischen Ziffern bezeichnen den Band, die arabischen die Seite,
hinter einem Komma stehenden die Anmerkungen.
die
Abaris I 213. 209, 6.
Abrutalus EI 31, 3.
Abydenos H 391, 2.
Accius m 332.
Achaios von Ei'etiia UI 30B f.
ActiUeus I 35.
Adonislied I 23.
Adrantos m 377, 6.
Adrastos II 345.
Advokaten 11 7.
Aehanus E 390, 11.
Aeneas, Taktiker E 492 f. 481, 4.
AeoUer I 36 ff.
Aeolismen bei Homer I 42 f. 58, 6,
Alkman I 300 f.
Aeschines von Arkadien E 133, 3.
Aeschines dor Redner E 246 ff.
Reden 250 ff. 182, 2.
Aeschines von Si»hettos, Sokratiker E
275, 9. 280 ff. 290.
Aesch ylus EI 244 ff. 197. 208. 230,
Ansehen 264ff., Ausgaben 268 ff., Bio-
graphien 244, Charakteristik 249 ff..
Elegien 36. 37, 4, Epigramme 38.
247, A. u. Homer I 154 f., Gelehile
^Studien 266 ff., Handschi-iften 267 f.,
Leben 244 ff. ra. Nachtr., Persönlich-
keit 247 ff., Svholien 267 f., Trilogien
235, Uol ersctzungen 270, AVerke
254 ff.; Agamemnon 260 f. 185.210.
227 f. 255, Choephoren 261 f. 233, 3,
Eimieniden 262. 228. 230. 248, Glau-
kos 255, 2, Pei-ser 263 ff. 145. 230.
246, 4. 254. 255. 265, Pi-ometheus
257 ff. 179. 184. 209. 255 f., Schutz-
tlehendo 256 f. 209. 248, Sieben
259 f. 255.
Aesop I 27 f.
Aosthetik der Aloxandiiner I 136, 2c
IE 130.
Aethioi)is I 173.
AethUos II 353, 2.
Agatharchides E 422. EI 17.
Agathias E 390, 10. 391, 2. 423, 3.
EI 103, 7.
Agathoklcs El 70.
Agathen IE 367 ff. 241. 242 A. 2. E
44, Elegien El 37, 4.
Agestratos EI 102.
Agias I 176.
Agone lil 2 ff. 57 f. 137. 153 f. 406 f.
Aigeiden EI 69.
Aigimios I 179. .
Aigina, Enkomien IE 83, Verhältnis
zu Theben und Pindar 85.
Aineias, Taktiker E 492 f. 481, 4.
Ais('hiu(s s. Aeschines, Grammatiker
III 357.
Ai.schylos s. Aeschylus.
Aision E 183, 3.
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Generalregister.
501
Akademie n 286.
Akestor m 375. Xachtr. zu 374, 11.
Akren H 491.
Akusilaos I 346 f.
Albinos zu Plato H 305, 7. 343, 1. 345.
Alchymie TL 299. 482.
Alexamenos 11 275.
Alexandres n 55. DI 48. v. Aetolien
I 303. m 131. V. Kotyaeion H 391.
m 310. Numeniu H 239. 424, 2.
Alexis Komiker HI 490, Historiker
n 353, 2.
Alkaios Lj-riker I 318 ff.; zu fr. 41
I 321, 6; Kitharöde m 53, 6; Ko-
miker m 477.
Alkenor HI 491.
Alkestis III 374. 11 m. Nachtr.
Alkibiades H 81.
Alkidamas n 46ff., das ihm Zu-
geschriebene 49.
Alkimos lU 400.
Alkinoos II 345.
Alkmaion v. Ki-oton II 487. '
Alkmaionis I 178.
AlkmanI296ff.
Allegorie III 67.
Allegorische Figuren in der Komödie
m 416 f., der mittieren m 484, in
der Tragödie IH 168 m. Nachtr.
Allitteration I 8.
Alphabet auf Vasen u. dgl. IQ 476.
Amai-antos UI 132.
Amazonia I 173. 183.
Ameipsias III 449.
Ameisen, goldgral>ende I 213, 7.
Amelesagoi-as I 345.
Amme iu der Tragödie HI 164 m.
Nachtr.
Ammonios I 138. H 343, 1. HI 101.
Amoibeus HI 53.
Amphiaraos I 215.
Amphimones DI 110.
Amphis m 491.
Anabole m 119. 369.
Anachronismen der Tragiker IH 169 f.
Anacreon de natura deorum I 341.
Anagnostikoi IH 378.
Anagraphai I 342.
Anakreon I 333 ff.
Anakreonteen I 338 ff.
Anaki'eontiker I 340.
Ananios I 283.
Anaxagoras Philosoph H 475 ff. III
318, Isoki-ateer Jl 133, 3.
Anaxandrides HI 490.
Anaxilas Id 491.
Anaximandros 1 351, der jüngere U
25, Historiker H 358.
Anaximenes, Philosoph I 352.
Anaximenes von Lampsakos I 352.
Andokides H 91ff., 1. u. 2. Rede
94 ff.; 3. 83; 4. gegen Alkibiades
82 f.; an die Genossen 88 f.
Andren H 484.
Androuikos HI 391.
Androtion H 133. 226.
Anecdotum Romanimi I 135, 1.
Anekdoten H 367.
Anna Komnena H 470.
Annalen I 346.
Anthes I 20.
Antidotes HI 491.
Antigenes I 115.
Antigenidas HI 124, 10 m. Nachtr.
Antüabe HI 221, 1. 428, 6.
Antimachos von Tees I 184, von
Kolophon HI 14 ff., Epigramme HI
39, über Homer H 25.
Antimoiros von Mende H 22.
Antiochos v. Syrakus II 354 f. , v.
Alexandrien HI 390.
Antipatros HI 16, 4.
Antiphanes HI 489.
Antiphon H 62 ff.; Poütiker 64 f.;
Sophist und Traumdeuter 65 f. 495.
425; epideiktische Reden 63 f.; ge-
richtliche 62 f. 67 ff. 495; Lehrbuch
63; philosophisches 64; Tetralogien
63; Ti-aumbuch 66.
Antiphon, Epiker IH 11.
Antiphon, Tragiker HI 377.
Antisthenes H 277 f. 290.
Antistrophische Güederung HI 98. 127.
Antithese H 38.
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502
Generah-egister.
AntyUos U 401. 402. 424, 2.
Anyte DI 12, von Tegea 12, 4.
Apellikon I 126.
Aphareus m 380.
Aphroditehymnen I 20.
Aphthonios 11 401.
Apion I 142. 143.
Apollinaris von Laodikeia DI 102. 356.
ApoUodoros 1 143. H 225. m 70. 398,
1. 399. 400, Lyriker m 70, 6, v.
Kyrene m 357 , v. Tarsos IH 357.
Apollohymnen I 15 ff.
ApoUonides von Nikaia 11 238.
ApoUonios von Rhodos I 125 f.
Apollonios Sophistes 1 143. 144, Hero-
dot n 391, Pindar m 102, Rhetor
n 247, 1. 254.
Apollophanes m 478 A. 3.
Aporien bei Homer I 139. 11 22 ff.
Appianos n 390, 10.
Apulejus IT 283. 340.
Arabische üebersetzungen : Demokiitü
483, Kebes276, Piatos Biographie 283
u. Schriften 298 f. 340, Proklos 343, 7.
Araros HE 456.
Aratos m 30. 33, 8.
Arbeitslieder I 13 f.
Archaismen bei Homer I 43.
Archelaos von Athen n 477.
Archesti-atos I 151. HI 115.
Archilochos I 270 ff., seine. Zeit
249, Elegien 245, u. die Komödie
m 435, 4.
Archinos H 30. 82. 99, 4.
Archippos HI 457.
Architekten I 357.
Archytas H 287. 288, 4. 486, 9. 488 f.
Ardalos I 291.
Areios I 153.
Areopag 11 5.
Argas HI 42.
Argivischo Epen I 190.
Argonautenepen I 183.
Argonautensage I 41.
Arien s. Monodien.
Arignotos HI 53, 6.
Arim&speia I 213.
Arion I 315.
Ariphron HI 127. 126, 11.
Aristagoras HI 478 A. 3.
Aristarchos v. Samothrake : Homer I
128 ff. 80, 2. 130. 135. 142, Hesiod
1 226, Archilochos I 278, Anakreon
I 338, Pindar m 101, Aeschylus HI
266, 3, Sophokles m 303.
Aristarchos v. Tegea in 369 f.
Aristeas I 213. 209, 6.
Aristias m 140. 141.
Aristippos n 275. 290.
Aristodemos HI 101.
Aristogeiton H 267.
Aristokleitos HL 48.
Aristomenes HI 448 m. Nachtr.
Ariston HI 371.
Aristonikos: Homer I 135 f. 139. 143,
144. Hesiod I 226, Pindar m 101.
Alistonus HI 53.
Aristonymos DI 449.
Aristophanes von Byzanz : Homer I
127 V 135, Hesiod 1 225, Ärchüochos-
I 278, Anakreon I 338, Plato TL
296. 305, 7, Di-ama m "131. 132.
266, 3. 357, Simonides HI 65, Pin-
dar HI 101.
Aristophanes, der Komiker IH
452 ff.. Ansehen 469 ff., Ausgaben
453 ff., Biographien 474, Charak-
teristik 469 ff., u. Euripides 352, Ge-
lehrte Studien 470 ff., Handschriften
473 ff., Leben 453 ff., Pei-sönUchkeit
456 ff., Schonen472f. ra. Nachtr.,
Werke 457 ff., Achamer 458 f. 433.
438. 439. 438., Babylonier 454. 418 f.,
Ekklesiazusen 462. 456 (V. 1152:
437, 4), Fiieden 459. 456. 433.
438, Frösche 467 f. 456. 433. 434^
Lysistrate 459 f. 456. 437. 438, Plu-
tos 463. 456. 433. 439, Ritter 460.
455. 417 (V. 149: 437, 4), Thesmo-
phoriazusen 463. 466 f., Vögel 461.
456. 433. 434, Wespen 460 f. 456,.
Wolken 464 ff. 455. 417. 433. 438,
Aristophanes von Theben H 353, 2.
Aristophon HI 491.
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(jeneralregister.
503
Aristoteles: Homer I 134. 139, Plato
n'282. 299, 4, Tragödie ni 129.
130. 357, Komödie in 389, Katharsis
m 157, 3; Politik H 458, 3; Poetik
m S. 129 ff. passim, zu c. 12 S. 213
A. 4.
Aristoxenos von Selinuut I 284.
Aristoxenos von Tarent n 282. 488,
5. m 130. 132. 400.
Arkadier I 44.
Arkesilaos HE 366.
Arktinos I 173.
Arrianos H 390, 10. 391, 2. 423, 3.
463. 469.
Artemishymnen I 18.
Artemon III 102.
Asios I 191 1 278, Elegie 261.
Asinins Pollio II 423.
Asklepiades von Myiiea I 144. m
444. 471.
Asklepiades von Tragiloa IH 130.
Asklepios 11 402.
Aspis I 180.
Astronomie 11 490 f., Gedichto I 32 ff.
Astj^damas III 375 f. 387, 7.
Athamas n 485, 7.
Athanis U 430f.
Athen I Öchluss. II Einl. HI Einl. u.
Schluss.
Athenaios 1, 22a: m 372, 4; 6, 250b:
I 306, 3; 12, 535e: UI 194, 2; 14,
629a: III 57, 5; 14, 652a: FI
400, 7.
Athenokles LH 491.
Attikos n 242. 347.
Attischer Dialekt U 61. 136. 399. 430;
00 und TT n 495.
Attische Sagen bei Homer I 123 f., in
den Tragödien III 161.
Augeas HI 491. »
Aulödischer Nomos I 290 ff. IH 45 f.
m. Nachtr. 117. 124.
Auswendiglernen H 12.
Autodoros I 218.
Autoki-ates HI 478 A. 3.
Axionikos HI 491.
Axiopistos HI 399.
Bakchylides IH 66 ff.
Bakis I 239.
Balbilla I 331.
Ballade I 29 f.
Balletmeister HI 241 f.
Basileides I 142.
Basileios H 238, 3.
Basilikos H 238, 3.
Baton HE 366.
Batrachomyomachie I 151. HI 21, 1.
Beredsamkeit H 33 ff.
Berggötter HI 416.
Bergk über Homer I 75.
BetteUieder I 10. 15.
Bibliotheken H 11.
Biene als Beiname IH 47, 4.
Biographien U 447.
Bion von Abdera H 490.
Bion von Prokonnesos I 345.
Blinde Sänger I 11.
Boethos II 346.
Bolos H 484.
Bennos I 23.
Boten im Di-ama IH 227 ff.
Boten H 76.
Briefe des Abaris I 213, Aeschines H
252, Demosthenes H 227, Epimenides
I 212, Euripides HI 310, Isokrates
H 118, Plato n 299.
Brj'son H 272.
Buchhandel H 10.
Bühne IH 151 f.
Bugonia I 189.
Byzantinische Musik I 286, 1.
Caecilius von Kaiakte H 237.
CatuUus I 330.
Centonen, homerische I 153 f.
Certamen Homeri et Hesiodi I 55 f.
217 f. H 48.
Chaii-emon HE 378 f. 345, 2, Epi-
gramme 38 f.
Chairephon H 494, 3.
Chairis Kitharöde HI 53, 6, Gramma-
tiker HI 101. 470.
Chalcidius H 340.
ChaUds m 112.
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504
Generalregistcr.
Chamaüeon I 303. 310. 327. 33V. m
59, 2. 68. 112, 4. 137, 4. 244 383.
Charikles HI 131.
Chariton H 391, 1. 423, 3.
Charixene HI 41, 6.
Charon H 360.
Chersias I 188.
Chersiphron I 357.
CMonides m 440f.
Chirons Sprüche I 230.
Choirilos von Jasos IE 19.
Choirilos von Samos El 18 ff.
Choirilos, derTragikerin 140. 141. 142.
Choliainben I 280 ff.
Chor der SiegesHeder HI 85. 105, 7,
des Dithyrambos III 114. 119, der
Komödie m 429 ff. 482 f. des Satyr-
spiels m 384 f., der Tragödie UI
207 ff. (Zahl 209 f., Nebenchor 210,
Aufstellung 212 f., Einheit 213, Ge-
sang 215).
Choregie IH 5. 406.
Choregos IH 491.
Chorizonten I 101. n 25.
ChorUeder I 280 ff. LQ 54 ff.
Christliche Fälschungen 11 482.
Christodoros n 357, 4.
Christos Paschon m 356. 337, 4. 360.
Chroniken II 353 ff.
Chrysippos m 102.
Chrysogonos m 399.
Chrysothemis I 17.
Chytren m 407.
Gcero H 236. 340. 454. 471. m 266.
aemens H 346.
Codex Crippsianus und Oxoniensis der
Redner n 71. 495.
Cowley m 107.
Daünachos n 359.
Daktj'lenepos I 212.
DamasMos n 342. 343, 5.
Damastes H 358. 363 f.
Dämon n 81.
Damophile I 331.
Danais I 190.
Dares I 160.
Datis m Nachtr. zu 375.
Deikeliktai m 393, 1.
Deinarchoß, Historiker H 353.
Deinarchos, Redner H 191. 217, 4.
228, 5. 7. 235. 253, 6. 267. 269.
Deinolochos HI 400.
Deinon v. Kolophon H 399.
Deiochos I 346.
Dekoration der Bühne HE 152.
Dolos I 17.
Delphische Sprüche I 216.
Demades H 80. 236, 2.
Demaratos HI 130.
Demeterhynmen I 18.
Demeterkult I 269 f. 284. HI 394.
Demotrios v. Chalkedon H 58, 4.
Demetrios Ldon I 136. 226. 470.
Demetrios Komiker HI 478 A. 3.
Demetrios v. Phaleron: Antiphanes
' m 489.
Demetrios v. Skepsis I 143.
Demochareß H 193.
Demodokos von Leros I 260, Epiker
I 181.
Demokleides H 269.
Demokies I 346.
Demokrates H 481, 3.
Demokritos H 478ff. I 141. H 25.
343, 1. 490 f.
Demophon HI 379.
Demosthenes H 166 ff., Ausgaben
244 f., Beredsamkeit 229 ff., Biogi^a-
phien 166 ff. , Charakter 193 ff., Hand-
schriften 241 ff., Nachahmer und Be-
wunderer 235 ff., Scholien238; Reden:
L— HL 176 ff, IV. 174, V. 181,
Yl. 183, YH. 200. 234, YiH. 185,
IX. 185, X. 198, XL 198. 234, 1,
XH. 199. 234, XIV. 172, XV. 174,
XVI. 173, XVII. 201. 234, XVIH.
210, XIX. 182. 208 f., XX. 203,
XXI. 206, XXH. 202, XXHL 206,
XXIV. 205, XXV.—XXVI.211. 234,
XXIX.— XXXI. 214. 221, XXXU.
— nX. 216 ff., LX. 225, LXI. 226,
Pi-oömien 226 f., Briefe 227, Ver-
lorenes und unechtes 228 f.
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Oeneralregister.
505
Demosthenes Thi-ax I 228. m 111. 8.
Derk^'los n 355.
Deus ex machina in 206.
Dexippos n 423, 3.
Dexitheos III 53, 6.
Diagoras ZU 110 f. II 485.
Dialekt der Elegie I 247. 268, des
Epigramms I 268, des Epos I 142,
des Jambus I 273, Pindai-s 111
99, des Simonides m 65, 7, Theognis
I 266; .Dialekte in der Komödie DI
413 f. 485.
Dialektikter E 270 ff.
Dialog n 270 ff.
Diaskeuosten I 66 ff.
Dict^'S I 160.
Didsitische Poesie I 215 ff. HI 23 ff.
Didaskalien DI 129.
Didymos 1 137 f. 139. 144. 327. H. 137.
165, 1. 237. 346. HI 67. 102. 132.
244.303. 357. 366. 367. 390. 444. 471.
Didymosscholien zu Homer I 146.
Dieuchidas D 355, 4.
Digenis Akritas I 160,
Dikaiarchos 1 125. 323. HI 130. 131 . 357.
Dikaiogenes m 373.
Diodoros E 395, 3. 438. 443, 2, von
Erj-thi-ä I 176, von Sinope EI 491,
von Tai-sos IE 389.
Diogenoianos E 346, 8. IE 132. 266. 390.
Diogenes von ApoUonia E 477 f.
Diogenes lAertios E 282.
Diogenes Tragiker IE 374.
Diokles EI 42. E 46, Komiker IE. 477.
Diomos I 13, 11.
Dion Clir>sostomos E 282. 469.
Dion Cassius E 390, 10. 423, 3.
Dionysiades IE 390.
Dionysien EI 2 ff . 149 ff. 407.
Dionysios V E 238, 3. EI 357.
Dionysios Chalkus EI 37. 38. E. 81.
Dionysios Charmidu IE 102.
Dionysios v. Halikamass E 237. 247,
1. 337, 4. 345, 2. 390, 10. 419, 3.
422. EI 266, der jüngere IE 132.
Dionysios v. Olynth E 25.
Dionysios Periegetes EI 103.
Dionysios v. Pkaselis I 143. IE 18. 102.
Dionysios v. Sidon IE 101, v. Sinope
IE 491.
JDionysios Skytobrachion E 356.
Dionysios Thrax I 137, 3. 141.
Dionysios, Tyrann, der ältei-e IE 377 f.,
7. 12. 122. 123. 127. 354, der jüngere
IE 7. 400.
Dionysodoros E 272. EI 102. 132, von
CMos E 76.
Dionysoshymnen I 19 f.
Dioskurides E 114, 3. 134. '
Diotimos I 181.
Diphüos, Epiker EI 12, 5. 40, Choli-
amben I 283.
Distichon I 247 f. IE 14.
Dith\i-ambos I 314 ff. IE 111 ff 118 ff.
129.
Dorier I 359.
Doiillos EI 375.
Dorion I 141, 1.
Dorischer Dialekt in der Lyrik EI 58,
Tragödie 219 f.
Dorische Epen I 179.
Dorotheos von Askalon I 144.
Dositheos E 357, 4, Asti'onom IE
34, 2.
Drakon I 323. 331. EI 102.
Dramatische Kulte El 135. 393 ff.
Dramaturgische Literatur IE 129 ff.
Dromon IE 491.
Düntzer: Homer I 74.
Duris m 130.
Bchembi-otos I 292.
Eintrittsmarken IE 155.
Eirenaios E 391, 4. EI 357.
Eiresione I 10. 237.
Ekkyklema EI 228 f. 425. 438.
Ekphantides IE 445.
Eleaten E 271.
Elegie 1 244 ff. IE 36 ff., alexandrinische
IE 17 f.
Embaterien I 13.
Emmeleia IE 218, 5.
Empedokles IE 25ff. m. Nachtr.
39. E 34. 39, der jüngere EI 28.
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506
Gonendregister.
Enkomien, lyrische IH 81 ff.
Ennius und Homer 1 159, u. Aristarch
m 370, 1, u. Euripides HI 356.
Eöen I 186.
Epaphroditos : Hesiod I 227.
Ephippos m 491.
Ephoros n 134. 440, 5.
Ep icharm OS DI 395 ff. 11 39, Epi-
gramme in 39.
Epigenes v. Rhodos n 484, Orphiker
m 366, Komiker EI 491.
Epigonen I 178.
Epigramm 1 268 f. III 38 ff., homciische
I 238 ff.
Epikerfragmente I 170.
Epikrates m 491.
Epikui-os V. Sikyon m 118.
Epilykos Komiker III 11. 447.
Epimenides I 211 f. 183 f. 209, Histo-
riker n 355. 358.
Epinikien m 81 ff.
Epische Lieder I 29.
E^ithalamien I 11.
Epithei-ses UI 132. 390.
Epodischer Bau I 273. 275 m 27. 86 f.
Epos I 26 ff. in 9ff. n 44, Einfluss
auf die Elegie I 246 f., Quelle der
Tragödie m 160.
Eratosthenes I 218. II 364. HI 389.
Erginos H 99, 4.
Erinna I 332.
Eriphos 111 491.
Eristiker H 270 ff.
Erntefest III 394.
Eros mit der LjTa IH 42.
Erotische 1 lichtung 1 306. 312. IH. 41 f.
Erotische Mj-then HI 127.
Erziehung U Einl.
'Hd-txal BtaXiSttc n 272 ff.
Etymolog.^ Magnum p. 4, 6 HI 16, 4;
u. Spctfiaxa HI 124, 5.
Euagoras' Totenfeier HI 8.
Euaion HI 370.
Euarctos HI 379.
Euboios IH 22.
Eubulides von Milet H 169, 4. 274.
IH 491.
Eubulos m 488f. 378, 1. Redner H
343, 1.
Eudemos v. Naxos 1 34, 5, v. Faros 1 345.
Eudokia I 154.
Eudoxos V. Knidos IH 32ff. H 491, v.
Rhodos m 34, 2.
Euenos IH 32. 37.
Euetes IH 403.
Eugaion I 346.
Eugammon I 177.
Eugenios IH 133.
Eukleides v. Athen HI 22, v. Megara
II 274, Mathematiker HI 34, 2,
Bibliothek H 11, 1, Grammatiker
m 133.
Eukles m 126.
Eumelos I 188, Phüosoph HI 389.
Eumolpia I 210 f. "
Eumolpos I 18. 211, 9.
Eunikos HI 477.
Eunomos I 17, 1.
Euphanes IH 491.
Euphorien I 218. IH 16, 4, Tragiker
IH 370.
Euphronios IH. 470.
Eupolis IH 460ff.
Euripides HI 310ff.; Ansehen 322.
352 ff., Ausgaben 360 ff., Bibliothek
H 11, 1, Biographien 310, Charakte-
ristik 320 ff., Gelehrte Arbeiten 357 f.,
Handschiiften 358 ff., Kunst 354,
M)cn 311 ff., Pei-sönlichkeit 315 ff.,
Prologo 198 ff., Schollen 357 ff., Stil
326 f. U 28, üebersetzungen 362 f.,
Werke 319ff., Alkestis 334ff 330.
354, 7, Andromache 336. 168, 6,
Andromeda 199 f. 351, Bakchen 337.
222. 330, Elektra 337 ff., Hekabe
339. 330, Helena 339 f. 330, der
rasende Herakles 340 f., Herakliden
341. 167, 1, Hippolytos 341 ff. 330.
354, 7, Ion 343. 164, 3. 330, 3. 354,
7, Iphigenie in Aulis 343 ff. 241.
330, taurischc Iphigenie 346. 354,7,
Kyklops 388, Medea 347 f. 330,
Orestes 348 f. 176 f. 194. 330, Phae-
thoü 329 f., Phönissen 349 f. 186. 330,
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Generalregister.
507
Rhesos 331 ff., die Schutzflehenden
350. 210, Ti-oerinen 330. 351, Ver-
lorenes 351 f. 353, 7, Enkomion352.
83, Epigramm 38, Elegien 37, 4.
Euiipides, der jüngei-o DI 372.
Europia I 189.
Eurytos 11 485, 5.
Eusebios 11 391, 5.
Enstathios : Aiistophanes IH 473, Ho-
mer I 146 f., Pindar m 68. 80. 103.
Euthydemos n 76. 272. 11, 1.
Euthykles m 478 A. 3.
Euxcnides III 403.
Exangelos TU 227..
Exekestides IQ 53.
FabeM 26 ff., bei Archüochos I 274,
Simonides I 280.
Familien der Ti-agiker IH 370 ff. 242.
Favorinus II 282.
Firmus Cashicius 11 343, 1.
Fischhändler in der Komödie IH 487.
Flöte I 244. 289, nüt Kithara ver-
bunden lU 85, in Sparta I 251 f.
Flötennomos I 290 ff. m 45 f. 117. 124.
Flötenspieler des Dithyrambos IH 114.
119 f., der Komödie IE 434. 426,
der Tragödie HE 215.
Fi-auen im Theater m 155, 2. 408.
Gajus n 343, 1.
Galeuos H 344. 345, 2. m 390. 444. 471.
Gaza, Anakieontiker I 339, 2.
Gediichtniskimst HI 61.
Geister HI, 193 in der Tragödie.
Gemeinplätze II 8. 44.
Gemistos Plethon IE 445. 470, 7.
Genealogion n 357.
Genealogische Epen I 185 ff.
(jeogi-aphen II 364 ff.
Geographisches Epos I 235.
Geographisches in der Tragödie HI 195 f.
Georgios Lekapenos n 440, 5.
Geschichtsschreibung I 342 ff. IE 352 ff.
Gesetze bei den Rednern n 66.
Gestikulation der Redner n 78. 232.
Gigantonkampf I 201.
Glauko m 46, 3.
Glaukon n 22, Piatos Bruder n 275.
Glaukos V. Rhegion n 64, v. Samos
n 492, 4.
Glaukos zu Aeschylus III 130.
Gleichklang H 38. 39.
Gnesippos III 41.
Gnomiker I 215ff.
Götter in der Komödie m 414 ff., Tra-
gödie m 167 ff.
Götterideale I 165.
Goldene Verse m 25* 9.
Gorgianer, Stoffe n 51 ff.
Gorgias n 34ff. 495.
Gourmandsliteratur IH 35.
Grabschriften I 239. 268.
Grammatik 11 18 f.
Gregor v. Korinth m 105.
Gymnasios E 238, 3.
Hadesfahrt des Epimenides I 212, 3,
Pythagoras m 31,» Theseus I 183.
Ha^ I 176.
Harpalyke I 24.
Harpokration H 70. 158, 1. 237. 262.
346. 390, V. Argos 11 343, 1.
HebräischeUebersetzung Piatos II 340, 4
Hegemon HL 21. 477.
Hegesianax 11 483, 3.
Hegesias I 172.
Hegesinus I 191.
HegesipposH 201. 202, 2,Epiker m 40, 1.
Hegias I 176, 10.
Hekataios I 347 ff. H 378, 4.
Hektor I 39.
Helena I 36.
Helikon I 218 f. 242.
HeHodoros HI 472, Perieget HI 129.
HeUadios m 357.
Hellanikos n 360ff.
Hollanikos, Chorizont I 101.
Heniochos HI 491.
Hephästien: Nachtr. zu IH 58.
Hephaistion IH 102. 133. 390. H 470.
Herak [Ti-agiker IH 374, 11.
Herakleen I 181. HI 13.
Herakleides, Komiker HI 491.
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508
Generalregister.
Herakleides v. Heraklea I 218, v. Kyme
n 400.
Herakleides v. Müet I 130.
Herakleides Pontikos I 139. 277. H
483, 2. m 130. 141.
Herakleitos I 353 ff. HI 312, Briefe
355. n 423, 3; Komiker m 491.
Herakleitos' hom. Allegorien I 140.
Herakles I 41. 181 mit Anm. 10, in
der Komödie HI 415, im Satyrspiel
m 385.
Hermeias H 342. 495.
Hermen 1 269.
Hermes HI, 31, 2.
Hermesianax HI 16, 2. 17; V. 41:
HI 15, 4.
Hermione HI 112.
Hermippos, Komiker HI 40. 445 f.,
Grammatiker I 283. H 132, 2. 166.
Hermodoros H 282.
Hermogenes v. Smyma I 143, ßhetor
n 238.
Herodas I 283.*
Herodianos I 130 f. 138. 144.
Herodikos HI 390. 471.
Herodoros I 185, 3. H 359.
Herodot H 368fP., Ansehen 470, 4,
Ausgaben 393, Charakteristik 373 ff.,
Geschichte des "Werkes 389 ff., Hand-
schriften 391 ff., Homerisches I 155,
Komposition 383 ff., Quellen 360,
Stil 387 ff., Theognis I 266, 7.
Herodots Homerbiographie I 54 f.
Heron H 238, 3. 391, 4. 424, 2. 470.
Herondas I 283.
Heropythos H 353, 2.
Hesiod I 121. 189, 6. Aigimios 179,
Aspis 180, Astronomia 230, Aus-
gaben 228, Biographien 21 7 f., Chiron
230, Dialekt 223. 229, Eöen 186,
Erga 221 f., Erga megala 230, Ge-
lehrte Studien 225 f., Handschriften
228, Keyx' Hochzeit 180, Katalog
der Frauen 186, in der Komödie HI
423, Leben 218 ff, Manier 221, Name
217, Orakelhaftes 212, Pindar m 95,
Kuhm 224 ff.,- Schild 180, Scheuen
226 f., Theogonie 201 ff. (Hekate-
hymnus 200, V. 1013 I 207 A.),
Zeit 219.
Hesychios I 143. 142, 5 E 355, 4,
m 132. 390; u. äbUixai: TU. 45, 8.
Hetäi-en H 85. HI 413. 486.
Hexameter I 17. 30 f.
Hexensprüche I 13.
Hierokles I 231, 2. U 342.
Hieron ... HI 66. 71ff.
Hiei-onjTTios I 227. m 115. 130. 375,
V. Megalopolis H 133, 3.
Hilaroden HI 393, 1.
Himorios H 341, 1.
Hipparchos I 217. 269. m 3, Asti-o-
nom HI 33, 8.
Hippasos H 485, 7.
Hippeus, Historiker H 353.
Hippias V. Elis H 29 ff., v. Dolos H
31, 5, V. Thasos H 23.
Hippokrates v. Chios H 490.
Hippon m 31. 443, 10.
Hipponax I 281 ff. m 21.
Hippys, Physiker H 355, s. Hippeus.
Hirtenlieder I 13.
Hochzeitslieder I 11.
Homer I 45 ff. Aeolismen 42 f. 58,6,
allegorische Ei'klärung 134. 140, An-
schaulichkeit 48, Aporion H 22 ff.,
Apostrophe 51, Athetosen 130. 135, 2.
136, 1, Attisches 123 f., Ausgaben
132 ff. 147 f., Batrachorayomachie
151. m 21, 1, Beiwörter 46, Bildliche
Darstellungen I 60 f., Biographien
54 ff.. Breite 53, Bucheinteilung 125,
Centonen 153 ff., Chai*akteristik 51,
Chorizonten 101. H 25, Citate 132,
Dialektmischung 142, Dichter xax'
tSox-^v 149, Dichtungen 62. 169,
Doloneia 92 ff., Eindichtungen 78 ff.,
Einfluss auf die Geister 149 ff., m 9 f.,
Eiresione 10. 237, Epigramme 237 ff.,
Exegese im Altertum 133 ff. 139 ff.,
fallengelassene Motive 52, Formeln
46 f., Fragmente 123, Gegner 157 f.,
Gleichnisse 50, Glossarien 134, Gram-
matiken 148, göttlicheVerehrungl57,
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Generalregister.
50»
alte Handschriften 125, erhaltene
131 fif., Heimat 56 f., Hias 86 ff., in-
disch 159, 4, Interpolationen 76 ff.,
Ionisches 57 f., Komposition 72 ff.,
kritische Schiiften 135 ff., kiitischo
Zeichen 134, Kiystallisationstheorie
74ff., Kunst 163 ff., H. u. die Kyk-
liker 170, lateinisch 158 f., Lexika
148, Liedertheorie 70 ff., literarische
Wirkung 154 ff., Metaphrasen 140 f.,
Metrik 148, Miniaturen 163, Mono-
graphien I 141 ff., mündliche Fort-
pflanzung 69, Name 61 f., Obelos 135,
Objektivität 54, Odyssee 104 ff. (Unter-
schied von der Hias 100 ff.), Papyrus-
fragmonte 131 f., Paraphrasen 140 f.,
Parodien 150, Philosophen alß Gegner
157, als Erkläi-er 134, Polyhistor 156,
retardierende Momente 52 f., Eheto-
risches 58 f., Römer 158 f., Schüfe-
katalog 88, Scholien 144 ff., Sprache
141 f. 79, Städtehandschriften 124,
sjiisch 160, Text 123 ff., Tod 14, 5,
Tnitarier 69 f., im Unterricht 149 f.,
Versbau 79, Verhältnis zui* Volks-
poesio 45 ff., Vorschweigen von Mo-
menten 47 f., Vulgata 130, Wahr-
scheinlichkeit 51 f., Werke 169,
Zahlent^-pik 47, Zeit 58 ff.
Hörnenden I 118.
Honain H 283.
Honorai' füi* Siegeslieder HI 84, der
Tragiker m 153.
Hoi-apollon I 323. HI 303.
Horaz Epoden HI 16, 4, Oden HI 67.
103; Archilochos I 277, Auakreon
I 337.
Hyakinthien I 18.
Hyginus HI 130.
Hylas I 23.
Hymenäus I 11.
Hymnen 115 ff., epische I 193 ff., home-
rische I 194 ff., L 195, n. 196, HI.
197, IV. 198, V. 198, VH. 199, die
übrigen 199.
Hyperbolos IH 422.
Hypobole I 68, 2.
H5T)odikos v. Chalkis HI 112.
HjT)orchema I 293. IH 217.
Hypotheseis HI 130 f.
Jahrbücher H 353.
Jalemos I 24.
Jambe I 269.
Jambische Dichtung I 269 ff. IH 40.
Jamblichos H 341. 342.
Ibykos I 310. 311 ff.
Idomeneus H 282.
Idyll m 495.
Hias I 86 ff.
Hias, kloine I 175.
Hiu Pei-sis I 174.
Improvisation H 52.
Indogermanische Dichtung I 8.
Inhaltsangaben der Tragödien III 130.
Inschriften in Distichen I 268 f.
Interpolationen: Euiipides HI 361,
Homer I 76 ff , Sophokles HI 308,
der Schauspieler IH 381.
Johannes Barbukallos HI 103.
Johannes von Damaskos HI 356.
Johaimes Diakonos Galenos I 227.
Johannes von Epiphania H 423, 3.
Johannes Kinnamos H 470.
Johannes Pediasimos I 227 f.
Johannes Protospatharios I 227.
Ion HI 365 ff. 37. 84, 1. H 367.
lonier: Epos I 36 ff. 343 f. 358. II 14.
Ionische Lieder I 337, 3, joniseher
Dialekt H 354. 366.
lophou HI 371. 276 f.
H-onie, tragische IH 184. 217 f.
Isaios H 160 ff., u. Demosthones 169. 2. 3.
Isokratcs H 297 ff., Ausgaben 139 f.,
Charakteristik 121 ff. , Demosthenes
169, Einfluss 135 ff., Handschriften
138 ff.. Schule 132 ff., Thukydides
422, 4, Tragödie 134 f. IH 380.
Reden; L 119. 137, H. 109, HI.
117, IV. 109, V. 108, VL 111, VH.
112, Vm. 112, IX. 108, X. 104,
XI. 104, XH. 114, XIH. 103, XIV.
HO, XV. 116, X\T 105, XVH.
100, XVHI. 100, XJX. 101, XX.
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510
Generalregister.
101, XXI. 102, Briefe 118, Rhe-
torik 135, Spriicho 117, 1. 137.
Isokrates der jüngere n 120. 132.
Juba n 489, 8, DI 132.
Julian, Kaiser IQ 68.
JKadmos von Milet I 344 f.
Kaiadas Ul 53, 6.
Kalliades m 478 A. 3.
KaUias, Komiker HI 476, v. Lesbos
I 323. 351; v. Syrakns H 133, 3.
Kallikrates U 120; Komiker EI 491.
Kallimachos H 229. 237. 483, 3. m
101, 2. 102. 129. 131.
Kallinos I 248 ff., Historiker H 353.
Kallistratos, Komiker m 454. 456.
Kallistratos, Tragiker m 374; Gram-
matiker: Euripides HI 357, Homer
I 128. 136; Kratin m 444, Pindar
m 101 ; Redner H 169, 4.
Kantharos m 478 A. 3.
Karische Klagelieder I 23, Namen m
12, 7.
Karkinos v. Naupaktos I 186.
Karkinos UL 372, der jüngere 376.
Kameen I 18.
Karrikaturen HI 393.
Karten I 349. 352.
Karj-stios HI 129.
Katalog der Heldenfrauen I 186, der
Dramen HI 131.
Katharsis HI 157, 3 m. Nachtr.
Kaukalos H 132.
Kebes H 275. 276 f.
Kedeides HI 116.
Kekeides HI 116, 1.
Keos m 59.
Kephalos H 82.
Kephisodoi*os H 134, Komiker, Nachtr.
zu m 448. 477.
Korkidas IH 43 f.
Kerkops I 180. 186.
KejTc' Hochzeit T 180.
Kinaithon I 191. 176. 178. 181.
Kinesias HI 122.
Kinnamos H 470.
Kinyras I 23.
Kircher Athanasius IH 105.
Kirchhoff I 104 ff.
Kithara s. Lyra.
Kitharödischer Nomos I 287 ff. IH 46 ff.
Klagelied I 12. 22 f.
Klaudios Didymos H 424, 2.
Kleainetos HI 379.
Klearchos, Komiker HI 491.
Klearchos v. Heraklea H 133, 3, v.
Soloi H 282.
Kleidemos H 353, 5.
Kleinomachos v. Thurioi H 274.
Kleitagora HI 117, 6.
Kleitodemos H 353, 5.
Kleobulina I 260.
Kleobulos I 239. 260.
Kleomachos HI 374.
Kleomenes IH 41. 125, KjTÜker I 218.
Kleon H 79, v. Halikarnass H 458, 4,
V. Theben HI 53, Mime HI 493.
Kleophon HI 20. 379.
Kleostratos H 491. HI 34.
Klonas I 291.
Knaben in der Tragödie HI 155, 12.
Köche in der Komödie HI 487.
Könige als Mäcene HI 7 f.
Kokkos H 133, 3.
Kolometrie IH 133. 472.
Kolophon I 254, m 17.
Komanos I 137.
Kometas I 131, 1. 139.
Komisches HI 408, 6.
Kommos HI 224.
Komödie HI 389 ff., Dialog 428, Ein-
heit der Handlung 427 ff., des Ortes
437 f., der Zeit 439, Episoden 427 ff.,
Fi-agmente 392, historischer Wert
425 f., Obscönität 423, Personen 412 ff.,
Phantastisches 411 f.. Politisches
421 f., Porträts 417, Scenerie 437,
Schlussscene 428, Sprache 436 f.,
staatliche Einrichtung 406 ff^ u» Ein-
schi-änkung 417 ff., Stoffe 410, Tiere
417, Unwahrscheinhchkeit 425f., Ur-
sprung 389 ff., Witze 409 f., Wortfrei-
heit 419 m. Nachtr., Wortspiel 496 f.
Komponist HI 242.
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Goneralregister.
511
Konstantinos Pori)hyrogennetos I 55, 7.
Konventionalität III 496.
Korax v. Syrakns II 57, v. Chios
n 132.
Kordax in 435. 387.
Koiinna IQ 46 ff., die jüngere III 47, 4.
Korinth ra 7. 83, 4.
Korinthisches Epos I 188.
Komutos 1 227.
Koryphaios IH 213.
Kosmas v. Jerusalem I 154.
Kostüm: komisches IH 193 f., tra-
gisches 166 f. 172 f.
Kothurn m 172.
Kraniche des Ibykos I 311.
Krantor U 341.
Krates, Komiker in 446.
Krates v. Mallos: Drama HI 133. 390,
Hesiod I 226, Homer I 130. 137.
142, Pindar HI 102.
Krates v. Tralles n 133, 3.
Krates, Akademiker IH 389.
Kratinos der ältere m 441 ff., 483,
438.
Kratinos der jüngere HI 491. 444, 4,
Liederdichter III 41, 6.
Kratippos H 422. 494.
Kreophylos I 118. 179, Historiker II
353, 2.
Kreta I 294. 295, 3.
Krexos IH 125.
Kritias II 89 f. 303. IH 37. 38. 372.
Kritik, literarische HI 497.
Kritische Zeichen in der Tragödie HI
131 m. Nachtr.
Kriton n 275, v. Naxos HI 34, 2.
Ktesias U 393 ff.
Ktesikles II 165, 5.
Kimst: Verhältnis zu Homer I 163 ff.,
zu den Inhaltsangaben der Dramen
m 131, historische Kunst III 158.
Kydias III 116.
Kykliker I 167, Verhältnis zu Homer
170:
Kyklische Chöre HI 56.
Kyklos, epischer I 167.
Kjuaithos I 118 f. 191. 196.
Kyprien I 172.
K>i)seloskasten I 190.
JLaches HI 379 m. Nachtr.
Lachmann I 70 f.
Lakritos v. Phaseiis U 132.
Lamachos n 190.
Lamiamärchen I 29.
Lamprokles m 115.
Lamynthios III 41.
Landkarten I 349. 352.
Lasos III 112 f. m. Nachtr.
Lehigedicht I 215 ff. HI 23 ff.
Lenaeen IH 149. 407.
Leodamas II 133. 247, 1.
Leon II 297.
Leptines HI 102.
Lesbonax H 422, 5.
Lesbos I 318.
Lesches I 175.
Lesen II 10 f.
Leseprobe HI 153.
Leukippos II 478.
Leukon UI 478 A. 3.
Lexika zu den Tragikern in 132.
libanios II 236. 239, 4.
Liebeslied I 11. m 41 f. m. Nachtr.
Lieder, epische I 31 ff., einstimmige
I 317 ff. III 41 ff.
likymnios II 46. m 126.
Linos I 25. 209.
Linoslied I 24.
Listen I 342, der tragischen Sieger
in 129. 392.
lityerses I 24.
livius Andronicus I 158.
Lobon I 231. 234, 9. 259. 260.
Logographen I 343.
Lokrische Lieder I 11. m 83, 4.
Longinus: Antimachos IH 18, Homer
I 140. 142, 10; Demosthenes n
238, Plato n 342.
Lucretius H 423, 1. m 29. 30.
LuMan II 236. 423, 3, HI 355, 7. 390,
Halkyon 297, jonische Schriften 391,
12, Thukydides 423, 3; Makrobioi
442, 4.
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512
Goneralrcgister.
Lupercus II 70, 6. 345, 2.
Lyde IH 15 f.
Lykophron n 51. in 389.
Lykos III 449.
Lykurgos II 262 ff.
Lykurgos' Theater lU 4 f.
Lyra : siebensaitig I 289, Münzzeichen
II 14, im DithjTambos III 120, zum
Chorlied III 48 f. 50. 65, im Satyi*-
spiel III 387, der Tragödie m 216,
mit der Flöte verbunden III 85.
Lyrische Dichtimg I 285 ff. IH 36 ff.
Lyrische Tragödie III 80. 135 ff.
Lysander II 458, 4. m 8.
Lysanias III 357.
Lysiades HI 126.
Lysias II 140 ff., Ckaraktenstik 154ff.,
Handschriften 158 ff. , Nachahmer
157 f. ; Epitaphios 145, Erotikos 143,
Gcrichtsreden 146 ff. , Olynipiakos
144, Sendschreibon 143, Khotorisches
146, über die ath. Veifassung 144,
Verteidigung des Nikias 144, des
Sokrates 146.
Lysippos III 478 A. 3.
Mäichen I 29. in 412.
Maeson lU 401.
Magnes Komiker III 440, Rhapsode 118 4.
Maison ni 401.
Makarios Chrj-sokephalos II 470, 7.
Mamerkos UI 377.
Manuel Moschopulos s. Moschopulos.
Marathon: Elegie lU 36.
Marcellinus II 401.
Margites I 236 f.
Mariuos II 342.
Marmor Parium. III 137, 3.
Maschinen in der Tragödie III 232,
Komödie III 425 f.
Masken in der Tragödie III 170 ff.,
Komödie III 410. 422. 429.
Mathematik II 490 f., Piatos II 294.
Matou II 76, 6.
Matron III 35.
Miiussoll,,s' Leichenfeier II 133. III
8. 14.
Maximos Planudes: Aosop I 27, 7,
Hesiod I 227, 1.
Maximos v. Tyros II 344.
Medicin II 491 f., Gedichte III 34.
Mcgariker II 274.
Megarische Komödie m 395 ff.
Melampodia I 212.
Melanippides HI 121, Epiker III
12.
Melanopos I 18, Ti-agiker HI 371.
Melanthios Ul 36.
Melchisedek III 104.
Meles III 53, 6.
Melesagoi-as I 345.
Meletos III 41. 374.
Meliamben HI 44.
Mehk I 285 ff. III 47, 4.
Melissos II 272.
Meliton III 25, 2.
Memoiren IL 367.
Menaichmos II 343, 1. 490. III 132.
136, 7.
Menandros v. Laodikeia II 238, 3.
Menekrates III 102. 374 (nicht Mene-
kratosl)
Menesaichmos II 269.
Monogenes I 143.
Menon II 51.
Messaila Continus II 261.
Metagenes Aixihitekt I 357, Komiker
in 478, 3. 407, 4.
Meton II 491.
Metrik der Chorlieder Jll 55.
Meti-iker: Tragödie III 133.
Metrf)doros v. Chios II 132, v. I^mp-
sakos n 25.
Metrophanes II 345. 470.
Mimnermos I 254 ff. 245.
Mimen in 492 ff.
Minukianos II 238, 3.
Mnyas I 179.
Mimas II 273.
Mnasalkas III 65.
Mnemonik II 29, 7. HI 61, 4.
Miiesimachos III 491.
* Mucsitheos,ein athenischerArzt, dessen
Alexis fr. 216, 3 gedenkt, schrieb
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Generalregister.
513
ein Buch „über Speisen" (K8pl Iht-
oTwv), wovon Athenaios in den drei
ersten Büchern und 8, 357 a be-
deutende Auszüge machte, und einen
Brief iiepl xa>d'a>vto|i.o& (Athen. 11,
483 f) ; s. auch Pausan. 1, 37, 3.
Monodien III 224.
Monostrophischer Bau in 86.
Morsimos m 371.
Morychos m 375.
Moschion in 379, 6.
Moschopulos zu Euripides m 310. 358,
Hesiod l 227, Homer l 147, Pindar
m 104. 106, Sophokles Hl 305.
Moschos, Eitharöde m 53, 6.
Mxmdart s. Dialekt
Murtis ni 47.
Musaios Y. Ephesos III 20, 4.
Musaios der Theolog I 18. 210 f. Tita-
nomachie I 201, Eosmogonie I 209.
Musen I 20. 22. 30.
Musik I 205. 286, im Chorlied m 55,
in der Elegie I 245, der Komödie
m 434, im Siegeslied m 85, in der
Tragödie IH 215.
Myes n 354, 1.
Myia IH 47, 4.
MyUos m 403.
Myrtilos m 446.
Myrtis m 47.
Mystas H 273.
Mystische Gedichte I 210 ff.
Mythus in den Siegesliedem IH 90 ff.
Naher I 75.
Naturgefühl I 3. m 283.
Naukrates v. Erythrai n 132.
Naupaktisches I^os I 186.
Nausiki-ates DI 491.
Nausimachos II 364.
Nenia I 22, 5.
Neophix)n in 373. 347, 3 m. Nachtr.
Neoteles I 144.
Nestor I 215, Grammatiker III 133.
Neugiiechische Volkslieder I 15. 48.
120, Paraphrase Homers I 141, 4.
Neunzahl der Lyriker m 48. 59, 1.
6 i 1 1 1 , Geschichte der griechischen Literatur.
Niese I 75 f.
Nikagoras n 492.
Nikander m 14, 3. 17.
Nikephoros Gregoras 1 140, 7. U 391, 2.
Nikanor I 139. 144. m 390.
Nikeratos m 17.
Nikias v. Syrakus n 58, 1.
Niko[, Dithyrambiker m 116, 3.
Nikochares m 22, Komiker lU 456.
478.
Nikolaos von Damaskus n 357.
Nikohiachos, Rhythmiker m 448, 2,
Tragiker m 374.
Nikon ni 53, 6.
Nikophon in 407, 4.
Nikostratos Dithyrambiker m 116.
Nomos l 17, kitharödischer I 287 ff.
in 46 ff., aulödischer I 290 ff., HI
45 f. Nomenschema in der Elegie I
248. 290f. bei Pindar HI 98, 6 m.
Nachtr., in der Tragödie m 216. 250.
Nonnos HI 68.
Nosten I 176. 190.
Nothippos in 41, 2.
Numenios n 238, 3.
Numerierung der Dramen ni 129.
Ode s. Lied.
Odeion m 3f.
Odyssee I 104 ff.
Odysseus I 39 f. 165, bei den Tragikern
in 187.
Oedipodie I 178.
Oedipussage in der Tragödie m 162
m. Nachtr.
Oichallas Einnahme I 179.
Ginopas m 42.
Oinopides U 490.
Gionichos HI 41.
OkeUos II 486. I 356.
Ölen I 17.
Olymp I 20 ff.
Olympia, Vorträge m 12, 2.
Olympiadenrechnung n 352. 430.
Olympiodoros n 282. 343 f.
Olympos I 290.
Onesikritos U 469.
ni. 33
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514
Generalregister.
Onomakritos I 203. 209. 211.
Onosandros n 343, 1.
Oper m 220.
Ophelion m 491.
Optimos I 154.
Orakel I 238. m 35. 424.
Orchestik s. Tanz.
Orchestra m 4. 561 212.
Oroß V. Müet I 138.
Orpheus I 21 f.
Orpheus von Kroton I 67.
Orphiker I 200. 209. HI 35.
Ovid fasti m 14, liebeslieder III 48.
Paean I 16. 293. m 127.
Pädagog in der Tragödie m 164.
Paideas m 126.
Palaiphatos I 209 Eosmogonie. m 65.
Palaniedes U 132. m 102. 390.
Pamphila n 398.
Pamphüos I 138. m 126. 390.
Pamphos I 18.
Panaitios II 303.
Panathenäen m 3f. 9. 49. 58.
Pankrates m 65. 103.
Pantakles in 116.
Pantomimen m 131. 265 f. 355.
Panyasis UI 12 if. U 369, 2.
Papyrus II 10.
Parabase m 431 ff.
Paradoxe Stoffe H 53.
Parakataloge UI 225.
Parasiten m 413. 487.
Paropigraphe HI 391.
Paris I 38.
Parmcnides m 23 f. m. Nachtr.
Parmeniskos I 137, 3. m 857.
Parodie I 150. 282. m 21 f. 128, in
der Komödie HI 423 f.
Parodos m 216.
Paron n 485, 7.
Parthenien I 293.
Parthenios m 16, 2.
Pa.siphon n 276. 280. 281.
Patriotische Dichtung DI 75.
Patroklea I 310.
Paulos n 158.
Pansanias H 390, 11. 423, 3. in 368.
Peisandros I 182.
Peisistratos m 3, Hesiod I 260, Homer
I 66ff.
Pelagios I 153 f. U 482, 7.
Pentameter I 247 f.
Peiiander I 260.
Peiiandros, Arzt ni 34f.
Perikles HI Iff. n 78 f.. Reden U 81.
Peripetie m 184.
Perserkriege in der Poesie HI 75.
Persisches Königsbuch n 396.
Persische Lieder n 448, 5.
Persius m 495.
Phaidimos I 181.
Phaidon H 275.
Phalaris H 423, 3.
Phaleas n 329, 4.
Phallos in 423.
PhaUosUed I 11.
Phanias n 282.
Phanokritos m 32, 2.
Phaon I 325.
Phavorinos U 440, 5.
PhayUos H 359.
Pherekrates III 447 f.
Pherekydes v. Leros I 851. n 857.
Phei-ekydes v. Syros I 350 f. II 658, 2.
Phidias u. Homer 1 165.
Philainis n 74.
Philammon I 17.
Philemon I 130. 139. n 391.
Phüetairos III 456.
Phüotas I 136 f. 142. 155, 5. n 353.
Philinos II 268.
Philippos, Komiker UI 456 m. Nachtr.
Philippos von Opus U 282. 303.
Philiskos n 262, 4, Komiker HI 491.
Philistos n 428 ff.
Phüochoros I 303. m 130. 303. 310.
370, 1.
Philodemos I 156.
Phüokles m 370. 372, 6. 376.
Phüolaos n 487 f. 292, 1.
Phüon n 486, 6.
Philonides UI 455 f.
Phüonikos ni 478, 3, -
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Generalregister.
515
Phüophron HI 126.
Fhiloponos n 343, 1.
Phüosophie I 350 ff. H 475 ff.
Philosophische Dichtung in 23 ff.
Phüostratos I 141. U 390, 11. 391,
2. m 103. 130. 227, 2.
Phüostratos v. Alexandrien III 304, 6.
Philoxenos, Dithyrambiker III 123 f.,
y. Leukas in 35.
Philoxenos, Grammatiker: Homer I
135 f. A. 1. 142.
Phüteas n 353.
PhüyUios m 478.
Phleius m 116.
Phlyakes ni 393, 1. 437.
Phoibammon 11 424, 2.
Phoinikides m 491.
Phoinix I 10, 6.
Phokais I 179.
Phok'ylidesI232. 245, Phocylidea 1 231.
Phormos (-is) in 400.
Phoronis I 190. 347.
Phortius in 104.
Photios U 399. 465 mit A. 6; zu bibl.
279 p. 533 b 12 S. 44, 1.
Phrynichos, Komiker m 448 f.
PhrjTÜchos, Tragiker ni 143 ff. 142.
Phrynis III 48 f.
Phyleneinteilung im Theater in 6.
Pierien I 20 ff.
Pigres I 237 m 14.
Pindar m 68ff. u. Aeschylus 249,
Ausgaben 106 ff., Biographien 68 f.,
Charakter 76 ff., Dialekt 99. 105,
Einleitungsschriften 68 f., Epigramme
38. 80, Fortleben lOOff. m. Nachtr.,
Geburtsjahr 69, Gelehrte Studien
101 ff., Handschriften 106, Kunst
98 f., Leben 69 ff. m. Nachtr., Metrik
100. 105, Musik 105, poUtisches
74 ff., Religiosität 76 ff., Schollen
104f. m. Nachtr., Siegeslieder 80 ff.,
Sprüche 80, Stil 96 f., Theognis I
266, 7, Todesjahr 781, Uebersets-
ungen 109 f., Wahrhaftigkeit 841,
Werke 79 ff.
Pindarus Thebanus I 159.
Pios m 303.
Piräus; Theater m 150, 3. 407, 5.
Pisander I 182.
Pisistratus m 3, Hesiod I 260, Homer
I 66 ff
Pittakos I 260.
Pittheus I 216.
Plagiat im Drama HI 160.
Planudes: Aesop I 27, 7, Euripides
m 358, Hesiod I 227, 1.
Plato n 282 ff., Anachronismen 336,
Biographien 282 f., Echtheitsfrage
301 ff. u. Isokrates 129 ff., Leben
283 ff., Mythen 294, Persönlichkeit
289 ff., politische Ansichten 292 f.,
Reihenfolge der Dialoge 304, Reli-
giosität 293 f. 201, Soholien 346 f.,
als Schriftsteller 335 ff. , Uebei'setz-
ungen 340 ff., Zeit 308. Alkibiades
L 315, n. 303, Anterastai 303, Apo-
logie 310, Axiochos 298, Briefe 299,
Charmides 320, Definitionen 299, De-
modokos 297, Epigramme n 291.
in 39, Epinomis 303, Eryxias 297,
Euthydemos 322. 310, Euthyphron
312. 333, Gesetze 333. 294. 335, 6,
Gorgias 317, Halkyon 297, Hip-
parchos 304, der grössere Hippias
313, der kleinere 316, Ion 312,
Kleitophon 304, "Kratylos 318. 294,
Kritias 332, Kriton 312, Laches 316,
Lysis 321. 292, Menexenos 311. 309.
337, Menon 318. 309, Minos 304,
Parmenides 327, Phaidon 323, Phai-
dros 313. 295. 805. 310. 341, Phi-
lebos 319, Politikos 332, Protagoras
321. 309. 336, Sisyphos 297, Staat
328. 292. 309. 387. 341, 1, Sympo-
aion 324. 309. 341 , Sophistes 332,
Theages 317, Theaitetos 319. 309.
447, 3, Timaios 331. 291. 344, Ver-
lorenes 296 f. 298 f.
PUton, Komiker m 479 ff n 291. m
39. 417, 7.
Platonios n 391.
Plotinos U 343, 1.
Plutarch: Leben Homers l 55. 139,
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616
Oeneralregister.
Leben des Demosthenes n 166, Hero-
dot n 890. Hesiod I 218. 226, Pindar
m 68, zehn Reden n 166 u. ö.,
Thukydides n 423, 3, Xenophen II
443.
Plutaroh der jüngere n 843, 1.
Polemon v. Ilion n 365. 447, 3, Rhe-
tor n 470.
Politische Beredsamkeit n 78 ff.
Politische Dichlung I 253.
Politisches in der Tragödie m 158 f.
PoUes I 144.
PoUion n 238, 3. 378, 4. 398, 4.
PoUux ra 132.
Polos n 45.
Polyainos II 238, 3. 276.
Polybos n 492.
Polydeukes n 73, 4, v. Achaia m 42.
Polyeuktos H 267. '
Polyidos m 126. 378.
Polykrates t. Athen H 72 ff. 450.
Polymnestos I 292.
Polyphradmon HI 144.
Polyxenos H 272.
Polyzelos m 478, 3.
Porphyrios 1 55, 7. 140. 143. 144.
145. n 282. 342. 344. 424, 2. m
103.
Poseidonhymnen I 20.
Poseidonios H 239, 4.
Possenreisser m 393.
Potamon H 341, Historiker 353, 2.
Pratinas: Lyrisches m 116t, drama-
tisches 140. 141. 143. 387, zu fr.
lyr. 1 m 114, 6. 117.
Prwcagoras U 391, 2.
Praxilla m 117 f.
Praxiphanes m 303.
Preisrichter m 156. 397, 1.
Priamos I 38 f.
Priestersänger I 17. 20 ff.
Priscianos U 343, 1.
Proagon m 153.
Procnlejus I 227.
Prodikos, Epiker I 179.
Prodikos, Sophist n 26 ff. m 312.
Prokleides m 491.
Proklos: Chrestomathie 1 168. 175, 1,
sonst I 56. 226, H 300. 303. 343.
344.
Prokop V. Gaza I 141.
Prokop, Historiker U 423, 3.
Prolog: Komödie HI 427 ff., Tragödie
m 197 ff.
Proömien = Hymnen I 193 ff.
Propis m 53, 6.
Prosa: Anfänge I 342 ff.
Prosodien I 293.
Protagoras UlAfL 270. m 312.
Protagorides lU 390. .
Protagonist m 180 f.
PseUos I 140, 7. 141, 4, H 345 u. A.
2. 391, 2.
Ptolemaios v. Askalon 1 138, Epithetes
I 144. m 102, 4, Sohn des Aristoni-
kos m 132.
Publikum des Komikers m 408 f., des
Tragikers m 154 ff. , im Theater
überhaupt m 6.
Pyr[ III 491.
Pythagoras: Goldene Verse I 231,
Sprüche I 356, Prosa H 489, 8,
Hades&hrt m 31.
Pythagoreer I 356 f. H 485 ff., Verse
in 3L
Pythangefos HI 374.
Pytheas U 268.
Python von Byzanz H 133.
quadratus U 391, 2.
Bätsei I 14. m 488.
Rechtskonsulenten II 7.
Reden für Andere verfasst n 8.
Reden bei Thukydides n 416 ff. ver-
öffentiicht H 40.
Redner H 33 ff.
Refrain I 9.
Regisseur HI 242.
Reigen m 55 ff.
Reim I 8. H 38. 39.
Reisebeschreibimgen H 361.
Rehgion n 1 f .
Rehgiöse Lyrik I 286 ff.
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Generalregifiter.
517
Religiöser Charakter der Literatur m
496.
Responsion in der Komödie m 435.
428, in der Tragödie m 222 ff.
Bhapsoden I 117 ff., in Athen m 9f.
Ehesos m 331 ff.
Ehetor: Name n 36.
Ehetorik an Alexander n 76. 136.
Ehianos I 125. m 13, 2.
Ehinton m 495.
Eollenvertilgung m 180, 5.
Eonsard m 107.
Eufus m 103. 132.
tSlabinos I 346. H 424, 2.
Sabirius PoUio m 310.
Sängerstand I 30.
Sagen I 33 f. 34 ff.
Sakodas I 291.
Sakos m 375.
Salustios n 236 f. 238, 3. 303. 391, 4.
Sannyrion III 450.
SapphoI313ff., zu fr. 94 I 321, 6.
Satire s. iambisohe Dichtung.
Satyrn m 384 f.
Satyros II 166.
Satyrspiel in 383 ff., Scheidung von
der Tragödie m 141.
Scenerie der Komiker m 437, Tra-
gödie 230 ff.
Schauspieler : Einführung Hl 137 f.
242. 283. 410, Zahl 178 ff., Manieren
III 174, in der Komödie m 429,
Wettkampf III 408, Folgen für die
Kritik m 381.
Schauspielerinen IQ 170, 1.
Schauspielervereine m 284.
Scherzepos I 235 ff.
Schicksal in der Tragödie in 202 ff.
Schild des Herakles I 180.
Scholion Plautinum in 391.
Schrift: Einführung I 64ff. und Prosa
II 10.
Schwalbenlied I 10. 15.
Seleukos I 130. 138. 142. 226.
Seneca III 342.
Serenos I 142, 10.
SibyUe I 238 f.
Sicilien H 34. 56.
Sicilische Komödie m 395 ff.
Sidonier = Phöniker I 59.
Sieben Weise I 216. 231. 260.
Siegerliste, offizielle in 129. 392.
Siegeslieder III 81 ff.
Sikinnis III 387.
Sikyon HI 117, Tragödie m 136 f.
Silene m 385.
Silius Italiens I 159.
Simmias v. Theben n 273, 1. 275.
m 40, 1.
Simon v. Athen n 461. 493 f., der
Schuster U 272, 7. 275.
Simonides v. Amorgos I 278 ff.
Simonides v. Keosin 59ff. 36. 38f.
60, 6. II 463, der Historikor II 358.
Simonides v. Syrakus n 448.
Simos in 35.
Simylos III 491.
Sisenna U 422.
Sisyphos v. Kos I 42.
Skamon H 363.
Skephros I 25.
SklavenroUen in 165. 413.
SkoUen I 12. 289.
Skylax n 364 ff.
Skj-thinos II 359.
Smyma I 37.
Sokrates als Dichter m 37. 48, bei
Aristophanes m 461 f., Euripides'
Freund m 312, Gespräche II 273.
Sokratiker n 273 ff.
Selon I 257 ff. 245, 11.
Sopatros, Spottgedichte in 21, 3.
Sopatros I 331. n 237. 238, 5. 363.
Sophainetos II 437 f. 440, 2.
Sophüos ni 491.
Sophisten n 12 f., Stoffe H 51 ff.
Sophokles m 272fL 198. 211. 239;
Ansehen 283 ff. 302ff., Ausgaben
307 ff., Biographien 272, Charakte-
ristik 279fL m. Nachtr. S. u. Hero-
dot II 370, 2, 8. u. Homer 299, Ge-
lehrte Arbeiten 303 ff., Handschriften
306 ff., Leben 272 ff. Päan 274 f.. Per-
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518
Generalregister.
sönlichkeit 277 £f., Schollen 304f.
303 f., Werke 285 ff., Aias 298 f. 211.
288, Antigene 293 fif. 204 f. 241. 287,
Elektra296if., Oedipus König 288 ff.
196. 204. 232f. 288, Oedipus auf
' Kolonos 290 ff. 186. 198. 275. 287.,
Phüoktet 300f. 212. 287, Trachini-
erinen 301 f., Elegien 886. 37, 4,
Epigramme 38.
Sophokles der jüngere m 371. 37, 4,*
277. 286, 5.
Sophokles zu Theognis I 266, 7.
Sophron IH 493 f.
Sosibios: Alkman I 303.
Sotades III 491.
Soteridas lU 389.
Spai-ta I 358 f. Epos 1 191, Volksüeder
I 14.
öpeusippos II 28l 299.
S]>ielliedor I 10.
Spinthaios HI 374.
Spitznamen HI 393.
Spottlied I 14.
Sprichwörter I 26. m 436, 3.
Spruchdichtung I 215 ff.
Staat und Poesie III 1 ff.
Staatsexemplar der Tragiker III 381.
Stasimon III 216.
Stasinos I 172.
Statisten: Komödie IH 417. 429, Tra-
gödie III 194 f.
Statins m 18.
Stephanos lU 490. U 425.
Stophanos v. Alexandrien n 483, 7.
Stesandros I 122.
Stesichoros I 303ff., der jüngere
m 126.
Stesimbrotos n 23.
Sthenelos HI 374.
Stichomj-thie m 182.
Stilisierung m 496.
Stilpon n 274.
Stobaeus : (Theognis) 1 267. H 471. IH 67.
Straton Komiker ni491, Epigramm m
278, 1.
Stratonikos UI 52 f. 1 151. H 133, 3. 495.
Strattis ra 479.
Strophentheorie bei Hesiod 1 204. 207,
bei Homer I 31, in der Elegie I 248,
bei Simonides y. Amorgos I 280.
Strophische Ghederung I 9, dreiteilige
I 308, in der Ode I 317.
Stumme Personen in derTragödie 111180.
Suetonius über die kritischen Zeichen
I 135, 1, Drama III 133.
Suidas I 56. m 379, 1. 7.u. So^oxXyjc
in 150, 1, u. e^oYvtc I 261. 264.
Suidas, Historiker n 358, 7.
Susanen IH 403 ff.
Syennesis II 492.
Sykophanten U 7.
Symmachos III 472.
Synegoros II 8.
Synesios zu Demokrit Jl 483, 7.
Sjuodos der Schauspieler IH 284.
Syrakus III 394.
SjTianos H 342.
Syiische Uebei*setzungen: I 160. II
II 298. 299, 4. 340, 8. 485.
Tabulae Iliacae 1 164. 168.
Tacitus n 422, 7.
Tagelied I 11.
Tanz des Chores III 55, des komischen
III 434, des tragischen III 218 f.
Tanzlied I 13. 293.
Tatianos: Homer I 154.
Tauros v. Berytos II 342.
Tegea IH 369.
Tekuges H 485, 7.
Teisias II 57 f.
Telegonie I 177.
Telekleides I 212. Komiker HI 445.
Telephos v. PergamonI 143. 144. III 133.
Telosilla III 44 f.
Telesis I 201. 3.
Telestes m 125.
Teilen m 44.
TeUis m 44, 8.
Tenella I 276 f.
Terpander 1 287 f.. Nachkommen III 48.
Terpes I 287, 3. 288, 1.
Terpsion m 35.
Tetralogie UI 334ff.
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Generalregister.
519
Tetrameter in der Tragödie III 146.
221 f., Komödie m 435 lu A. 1.
Thaies I 230. 351.
Thaletas I 294f.
Thamyris I 22. 201. 209.
Thargelien m 5a
Thasos n 14. 23.
Theagenes v. Rhegion 1 134. 357. n 22.
Theaitetos n 490.
Theano II 485.
Thearidas H 485, 7.
Theater III 149 m. Nachti*., in Athen
III 84. 151 f., in den attischen Le-
rnen m 150, sonst III 7, Akustik
m 171, Polizei HI 156, Saison HI
149 ff.
Thebais I 178. III 14f.
Themistagoras U 359.
Themistios; Sappho I 331, Plato H
343, 1.
Themistogenes n 438.
Theodektes n 132. HI 158, 2. 380.
Theodoios Architekt I 357, v. Byzanz
II 61, V. Gadara II 61, 7, v.Kyrene
n 22. 490, Prodromos 1 152, v. Soloi
II 345.
Theognis I 261 ff. 245 f., Tragiker
ra 374.
Theologen, heidnische I 210.
Theon Aelius H 137. 238, 3. 470. III
390, Valerius II 96, v. Alexandrien
II 298. in 31, 1. 2, V. Smyma H 345.
Theophüos III 379. 491.
Theophrastn483, 2. in389, v. Pierlen
m 49, 1.
Theopompos, Komiker HI 478, v. Kolo-
phon m 17; n 133. 391. 445, 2.
Theoros III 370 m. Nachti*.
Theramenes n 76. 89.
Theseis 1 183. HI 12, Theseus' Hades-
fahrt I 183.
Thespis m 137 ff. 140 f» 142, -karren
m 139, 8.
Thestorides v. Phokaia I 176. 179.
Thimbron n 458.
Thonwtö Magistros : Aeschylus m 266,
Anstophanes ni 473, Eoripides in
310. 358, Pindar III 68. 104. 106,
Sophokles IH 212. 305.
Thraker I 24, mythische I 21.
Thra.syUo8: Plato II 296. 347, Demo-
krit n 481. 483.
Thrasymachos v. Chalkedon II 58.
Threnos I 12. in 63. 217.
Thukydide8n401ff.,Ansehen470,4,
Antimachos 354, Demosthenes 170, 1.
422, 4, Ausgaben 426 ff., Buchein-
teilung 425 f., Chai-akteristik 409 ff.,
Handschriften 424 ff., Herodot 372,
Interpolationen 424 f., Komposition
405ff., PoUtik 411 f.. Prodikos n 28,
QueUen 412 ff., Reden 416 ff 424,
Religion 410 f., SchoHen 424, Stil
419 ff., Theognis I 266, 7.
Thukydides, Epiker U 404, 6. m 12.
39, 1, Epigramm m 39.
Thymele ni 57. 437, 4.
Tiberios H 237, 11. 391, 4. 424,2. 470.
Tierepos I 152.
l^machidas m 357.
Tunaios von Lokroi II 486, Platoniker
n 346.
Timokles m 379. 384. 387. 489.
Timokreon Hl 42 f., Epigramm 39.
Timonides II 448.
Timotheos v. Milet m 50ff. 49, 4. 325;
Flötenspieler m 51, 8. — . m 491.
Tisias U 57f.
Titanomachie I 168, 2. 190. 201.
Titius m 103.
Tonarten IH 55.
Totenfeier HI 8.
Totenklage I 12. 15. 22 f.
Ti-agiker m 129 ff., Fragmente HI 134,
Statuen der drei berühmten in 381.
Tragödie IH 129ff. Aktemteilung
238 f. , Ankündigung v. Personen
239 f., Ausstattung 193 f., bewegte
Scenen 190f., Bilder 226, Bösewichte
177, bürgerliches Schauspiel 165,
Charaktere 170 ff. 281, Dialog 181 ff.,
Duett 224, Einheit des Ortes 229,
der Zeit 232 ff., Episoden 186 f.,
Erkennungsscenen 188, Exposition
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Generalregister.
196 ff., Familiensconen 188, Grund-
gedanken 207, Halbchöre 214 f., Hand-
lung 178, Intriguen 187, Kinder 164,
Könige 175,Komische8 165 m.Nachtr.,
Konkurrenten 153 ff., liebesscenen
188, Monologe 237, Moral 201 f.,
Nacht 233, 3 m. Nachtr., Namen
165 ff., Personen 163 ff., religiöser
Charakter 155 f., Routine 162 f.,
Scenerie 230ff., Schauplatz 227 ff.,
Schicksal 202 ff., Schluss 185 f., 201 f.
240, Schweigen 181, Selbstmord 189,
Sittensprüche 201 f., Spannung 187,
Sprache 225 f., Stoffe 157 ff., Totschlag
191, Ursprung 134 ff.. Vertrauliche
Scenen 237, Wortspiel 182, Wimdcr
192.
TrauerUed I 12. m 63. 217.
Traumbücher II 494.
Travestie m 410 f.
Trichas HI 105.
Trigonon lU 42, 1.
Triklinios: Aeschylus m 266, Aristo-
phanes HI 473, Euripides m 358,
Hesiod I 227, Pindar HI 104. 106,
Sophokles IH 305. 307.
Trilogie HI 234 ff.
Trimeter, komischer IH 428, satyresker
m 386, tragischer HI 221 f.
Trinklied I 12. IH 41 f.
Tritagonist IH 175. 180f. 295, 2.
Trochäische Dichtungen 1 269 f.
Troja I 36, bei Homer I 84.
Tryphon r 138. 142.
Tynnichos I 314. IH 127. 144, 5.
Typische Rollen IH 400f. 488.
Tyrannen als Mäcene m 7f.
Tyrannion I 38. 310. HI 65.
Tyrbasia HI 113.
Tyrtaios I 250ff:
Tzetzes Isaak III 105.
Tzetzes I 55, 8. 56. 140, 7. 147. 217.
226. ni 138. 305. 892. 473.
Ulpianos H 239.
Unteritalien m 128 Parodien.
Urkunden in den Rednern n 240. 254.
Talerius Maximus III 7 ext 1: III
Nachtr. zu S. 374, 11.
Vergil, Georgica 11 454, 2.
Verordnungsblätter n 11.
Versmass, ältestes I 30, der Chor-
gesänge in 131, der Komödie m
434 f. 425. 428.
Vestinos H 61. 237.
Vogelmasken HI 433.
Volksepos I 72 f.
VolksUeder I 8ff.
Vorhomerische Dichter I 42.
Vorlesen HU.
Wanderleben der Dichter III 6.
Wächterlieder I 13.
Weinen, in der Tragödie IH 175.
Wettkämpfe HI 2 f. 10.
Widersprüche Homers I 80 f.
Wiederaufführung von Dramen m 150-
264f. 380.
Wiederholungen von Versen bei Homer
I 105, 1, in der Komödie m 488,
in der Tragödie m 160, 4. 327.
Wiegenlieder I 9 f. 15.
Wolf Fr. A. I 64 ff.
X von Selymbria IH 126.
Xanthos Lyriker I 310, Historiker n
355f., zu Empedokles HI 25, 1.
Xenarchos Komiker III 491 , Mime
III 494.
Xenodamos I 295 f.
Xenokles HI 372.
Xenokrates, Lyi-iker III 41, 6, Philo-
soph II 282. 341, Taktiker II 493.
Xenokritos I 2951
Xenomedes II 364.
Xenon I 81.
Xenophanes I 232 ff. 245. m 21.
Xenophilos II 357, 4, Komiker HI 448.
Xenophon II 432ff., Ausgaben 471 f.,
Charakter 436 ff., Handschriften 470 f.,
Plato 290, Reihenfolge der Schriften
464 ff., Stü 466 ff.; Agesilaos446ff.,
Anabasis 437 ff. 464, Apologie 455 f.,
über die Einkünfte 489, Erinnerungen
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Generalregister.
521
an Soki-ates 450if., Hellenika 440ff.,
Hieron 463, Hipparchikos 460 f., Jagd-
buch 461, Kyropädie 448. 330, Oiko-
nomikos 453 f., Reiterdienst 461 f.,
Symposion 464. 326, Verlorenes 463
— Staat der Athener H 86 ff., Ro-
mane n 449.
Xuthos n 485, 7.
Zanberlieder I 13.
Zenödoros I 142.
Zenodotos v. Ephesos : Anakreon 1 338,
Hesiod I 225, Homer I 126 f. 135,
Pindar HI 101.
Zenodotos v. Mallos I 136. 139. 142.
Zenon II 158, 1, Demosthenes 238, 3.
239, 2, V. Elea n 271, Rhetor
n 470.
Zoüos I 157 f. n 74ff. 282.
Zosimos T. Alexandrien n 282, v.
Askalon H 158, 1. 166. 238.
Zotikos II 345. m 18.
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KOL. Hör- k URIYSBSXTiTS-BUOHDRÜCKSBBI VOIT Db. C. WOLF k SOHW.
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